Interdisziplinär und transdisziplinär forschen: Praktiken und Methoden [1. Aufl.] 9783839424841

Science oriented around social issues is now interdisciplinary and transdisciplinary. This book provides insights into t

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German Pages 366 [358] Year 2014

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Interdisziplinär und transdisziplinär forschen: Praktiken und Methoden [1. Aufl.]
 9783839424841

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Gert Dressel, Wilhelm Berger, Katharina Heimerl, Verena Winiwarter (Hg.) Interdisziplinär und transdisziplinär forschen

Gert Dressel, Wilhelm Berger, Katharina Heimerl, Verena Winiwarter (Hg.)

Interdisziplinär und transdisziplinär forschen Praktiken und Methoden

Die Arbeiten zu diesem Buch wurden aus Mitteln des österreichischen Bundesministeriums für Wissenschaft und Forschung, der Privatstiftung Kärntner Sparkasse sowie der Fakultät für Interdisziplinäre Forschung und Fortbildung der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt finanziert.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2014 transcript Verlag, Bielefeld

Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar Print-ISBN 978-3-8376-2484-7 PDF-ISBN 978-3-8394-2484-1 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhalt

EINSTIEGE Wege finden, beteiligt zu sein ...

Verena Winiwarter | 11 Interdisziplinarität als Bewegung

Roland Fischer | 13 Methoden und Praktiken interdisziplinärer und transdisziplinärer Wissenschaft

Wilhelm Berger, Verena Winiwarter, Gert Dressel, Katharina Heimerl | 17 Seismographische Erkundungen mit unterschiedlichem Blick

Maria Nicolini | 29

ANFÄNGE – PROZESSE – ABSCHLÜSSE Anfänge 1

Probleme wahrnehmen und strukturieren

Arno Bammé, Armin Spök | 37 2

Differenzen wahrnehmen und erfahren

Willi Haas, Silvia Hellmer | 51 3

Ein Forschungsteam finden

Larissa Krainer, Barbara Smetschka | 65 4

Forschungsteams organisieren. Eine gruppendynamische Perspektive

Ruth Lerchster, Barbara Lesjak | 79 5

Produktive Irritation. Differenzen in der transdisziplinären Forschung handhaben

Ewald E. Krainz, Martina Ukowitz | 91

Prozesse 6

Interdisziplinär forschen

Markus Arnold, Veronika Gaube, Bernhard Wieser | 105 7

Zwischen Welten. Transdisziplinäre Forschungsprozesse realisieren

Ulli Weisz, Sandra Karner, Ralph Grossmann, Peter Heintel | 121 8

Kommunikation beobachten, ihr einen Rahmen geben und sie reflektieren

Elisabeth Reitinger, Larissa Krainer, Georg Zepke, Erich Lehner | 135 9

Identitäten und Rollen in inter- und transdisziplinärer Forschung und Lehre finden

Bernhard Wieser, Angelika Brechelmacher, Georg Schendl | 151 Abschlüsse 10 Wissen schaffen. Oder: vom Anspruch, gesellschaftlich wirksam zu sein

Barbara Lesjak, Christian Neugebauer, Klaus Wegleitner | 167 11 Emotionen und Qualitäten in der transdisziplinären Forschung

Elisabeth Reitinger, Martina Ukowitz | 179 12 Abschiede

Katharina Heimerl, Georg Zepke, Andreas Heller, Martin Schmid | 193

EINBLICKE INS INTER- UND TRANSDISZIPLINÄRE TUN Interdisziplinäres und transdisziplinäres Forschen organisieren

Gert Dressel, Katharina Heimerl, Wilhelm Berger, Verena Winiwarter | 207 Sorgekultur entwickeln. Ethische Entscheidungen in der stationären Altenhilfe

Elisabeth Reitinger, Katharina Heimerl, Andreas Heller, Klaus Wegleitner, Sabine Pleschberger | 213

Wenn Fluglärm Bürgerlärm erzeugt ... Begleitforschung zum Mediationsverfahren am Flughafen Wien

Larissa Krainer | 223 Interaktive Konflikttransformation. Inoffizielle Diplomatie und zivilgesellschaftliche Intervention in »ethnopolitischen« Konflikten

Wilfried Graf | 231 Samothraki. Die Geschichte einer griechischen Insel, die sich aufmachte, ein UNESCO-Biosphärenreservat zu werden

Marina Fischer-Kowalski, Irene Pallua, Lazaros Xenidis, Simron Singh | 239 Lokales Wissen, Sprache und Landschaft. Transdisziplinäre Forschung im Kärntner Lesachtal

Gerhard Strohmeier | 247 Netzwerke im Bildungsbereich. Das Regionale Netzwerk Steiermark

Franz Rauch, Daniela Rippitsch, Agnes Turner | 257 FAAN. Facilitating Alternative Agro-Food Networks

Sandra Karner | 267 Nahtstellenmanagement im Gesundheitsund Sozialbereich

Ralph Grossmann, Christian Neugebauer | 277 Science as Culture und Studium Integrale

Markus Arnold, Martin Schmid | 287

RESÜMEE Doing Inter- und Transdisziplinarität

Katharina Heimerl, Gert Dressel, Verena Winiwarter, Wilhelm Berger | 297 Zum Schluss | 313 Literaturverzeichnis | 317 Autorinnen und Autoren | 351 Sachregister | 359

Wege finden, beteiligt zu sein ... VERENA WINIWARTER

Denkanstoß Ich die idee,

betrachte

erörtere

dass möglicherweise

genauere

effektivere

kontroversere explizitere wege

erwäge

die institution angemessenere ehrlichere

radikalere

der dichtung

glücklichere

revolutionärere

finden sollte, beteiligt

zu sein. CARLOS SOTO-ROMÁN1

Die Institution der Dichtung möge, dazu lädt Carlos Soto-Román mit seinem »Denkanstoß« ein, Wege finden, um an gesellschaftlicher Entwicklung stärker beteiligt zu sein. Was wäre zu lesen, ersetzte man die »Institution der Dichtung« durch die »Institution der Wissenschaft«? Möglicherweise sollte die Wissenschaft genauere, effektivere, angemessenere, kontroversere, ehrlichere, glücklichere, explizitere, radikalere, revolutionärere Wege finden, beteiligt zu sein. Dieses Buch lädt ein, einen bestimmten Weg, Wissenschaft zu verändern, ein Stück

1

Carlos Soto-Román (2012): Food 4 Thought. Two Poems by Carlos Soto-Román. In: Capitalism, Nature, Socialism 23 (3), 111; Übersetzung aus dem Englischen: Verena Winiwarter.

12 | VERENA W INIWARTER

mitzugehen. Es lädt ein zu betrachten, zu erörtern und zu erwägen, ob interdisziplinäre und transdisziplinäre Wissenschaft Formen sein könnten, sich mehr und anders am Projekt der permanenten Wieder- und Neuerfindung von Gesellschaft zu beteiligen. Bernhard Hammer, Bibliothekar der Fakultät für interdisziplinäre Forschung und Fortbildung am Standort Wien, legte mir eines Tages dieses Gedicht ins Postfach. Eingelegt in den Kalender begleitete es mich und ich las es oft. Als sich die Frage nach einer Einleitung für dieses Buch stellte, kramte ich es hervor. Die HerausgeberInnen mochten es. Wir hätten es im englischen Original abdrucken können, manches sprach dennoch für eine deutsche Fassung. Die Arbeit an der Übersetzung ermöglichte mir, in das Gedicht so tief einzutauchen, dass es bis zu einem gewissen Grad meines geworden ist, wie mir der Autor schrieb. Der ersten Fassung schloss ich eine Seite mit Erläuterungen an, warum ich welche Entscheidung wie getroffen hatte. Carlos sandte meine Übersetzung an zwei seiner Freunde, die bilingual genug sind, um die Übersetzung bewerten zu können. Sie waren im Grunde zufrieden, machten detaillierte Vorschläge, die ich wiederum kommentierte. In dieser zweiten Runde begann ich zu begreifen, warum ich manches so und nicht anders übersetzt hatte: Plötzlich argumentierte ich mit Silbenanzahl, Klang und Sprachregister, dabei nahm ich das Original erstmals bewusst auf dieser Ebene wahr. Zuletzt blieben Entscheidungen, die nur der Dichter selbst treffen konnte; er entschied einiges, ließ aber auch mir Spielraum: So entschied ich mich, auf Großschreibung zu verzichten. Das kleine Projekt der Übersetzung trägt viele Züge inter- und transdisziplinärer Prozesse: Gemeinsames Interesse, Anforderungen, die die Fähigkeiten des Einzelnen übersteigen (es braucht Dichter und Übersetzerin), Vertrauen (des Dichters in mich, unser beider in die Freunde des Dichters), es braucht auch Genauigkeit und Respekt. Der Prozess hat eine weitere Parallele zum wissenschaftlichen Tun: Erst durch die intensive praktische Beschäftigung mit dem Gedicht (durch das Übersetzen) und die daran anschließende Reflexion im Austausch mit dem Dichter wurde es mir in seiner ganzen Komplexität, inhaltlich wie lautmalerisch-assoziativ wie atemführend rhythmisiert, zugänglich. Dieses Buch handelt vom Tun. Es handelt vom tiefen Verständnis, das nicht ohne Tun gelingt, und auch davon, wie Reflexion dieses Tuns neue Qualität schafft. Es handelt von Grenzüberschreitungen, wie diese Einleitung eine ist und sein soll. Es handelt auch davon, wie sich Wissenschaft genauer, effektiver, angemessener, kontroverser, ehrlicher, glücklicher, expliziter, radikaler und revolutionärer einmischen kann und soll.

Interdisziplinarität als Bewegung ROLAND FISCHER

Den folgenden Text habe ich im Jahr 2000 geschrieben, als Leiter des (damals noch Interuniversitären Instituts für Interdisziplinäre Forschung und Fortbildung) IFF; zu einem Zeitpunkt, in dem die Zukunft des IFF wegen der geplanten Universitätsreform ungewiss war. Die klärende Unterscheidung zwischen Interund Transdisziplinarität war mir damals noch nicht geläufig, damit auch nicht die Tatsache, dass gerade die Verknüpfung dieser beiden Komponenten eine Besonderheit der IFF darstellen. Das Anliegen, das ich beschreibe, ist dennoch angesichts der zunehmend disziplinierenden Kräfte im Wissenschaftssystem aktueller denn je. Um diesen entgegenzuwirken, sollte eigentlich jede Universität eine IFF haben. Ein Minister (Hans Tuppy) hat einmal bei der Eröffnung eines IFF-Standortes (Schlaining, 1987) von der Gefahr der Undiszipliniertheit bei Interdisziplinarität gesprochen. Damit hat er aus meiner Sicht einen wesentlichen Punkt getroffen, allerdings würde ich statt »Gefahr« »Chance« sagen. Für mich bedeutet Interdisziplinarität das Außerkraftsetzen von disziplinären Strukturen (und Zwängen) zugunsten »wilden« Denkens, Forschens, Auslotens von Problemen, Findens von Lösungen, Entwickelns alternativer Sichtweisen ... So etwas findet selbstverständlich auch innerhalb von Disziplinen immer wieder statt. Zum Teil werden dann auch deren Grenzen überschritten, und damit wird die Angelegenheit interdisziplinär. Interdisziplinarität als Organisationsprinzip geht darüber hinaus und heißt, dass disziplinäre Grenzen nicht als strukturbestimmende vorgegeben werden. Was sonst kann »strukturbestimmend« sein? Das IFF wählt überwiegend sogenannte »gesellschaftliche Probleme« oder »gesellschaftliche Aufgaben« wie Bildung/Schule, Umgehen mit der Umwelt, Gesundheitsförderung, Technikge-

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staltung etc. als strukturierende Elemente, bezüglich der Forschungs- und Lehreinheiten geschaffen werden. Wobei eine gesellschaftliche Aufgabe in einem Interaktionsprozess zwischen (Teilen) der Gesellschaft und Wissenschaftlern definiert wird. Also Außeneinfluss gehört systematisch dazu. Weiters wird davon ausgegangen, dass die Dinge im Fluss sind, dass neue Probleme und Aufgaben wichtig werden, neue Zugangsweisen und Methoden. Umstrukturierungen sind daher eine permanente Notwendigkeit. Man kann es auch so sehen, dass am IFF nichts anderes passiert, als in den Wissenschaften oder an der Universität immer schon passiert ist: Neue Gegenstände/Aufgaben/Probleme werden wahrgenommen, diesbezüglich werden Methoden entwickelt, neue Disziplinen entstehen – dies allerdings am IFF mit höherer Geschwindigkeit und systematischer ausgerichtet auf eben diesen Prozess. Äußerlich drückt sich der Unterschied etwa darin aus, dass im »normalen« Universitätsbetrieb der Weg von der Idee für ein neues Fach oder für ein neues Studium bis zur Realisierung üblicherweise ein langer ist. Man entwickelt Konzepte, stellt Anträge, überzeugt Politiker; die eigentliche Arbeit beginnt in der Regel erst mit der Besetzung einer Professorenstelle. Im Unterschied dazu kann das IFF sehr schnell eine Projektgruppe einrichten, die mit der konkreten wissenschaftlichen Arbeit, also Forschung und Lehre beginnt (wenn auch in einem vergleichbar kleinen Maßstab), eine Professur steht bestenfalls am Ende eines bisher mindestens zehn Jahre dauernden Prozesses. Interdisziplinarität in diesem Sinn ist also kein statischer Zustand, sondern eine Bewegung von der Wahrnehmung neuer Aufgaben hin zu einer Systematisierung, an deren Ende durchaus eine neue Disziplin stehen kann. Akademisch erfolgreiche Interdisziplinarität in diesem Sinn hebt sich gewissermaßen auf. Die Gefahren dieser Vorgehensweise liegen auf der Hand: Man findet nicht die Ruhe für eine gründliche Betrachtung/Erforschung/Analyse eines halbwegs fixen »Gegenstandes«. Gerade was als Tugend herkömmlicher Wissenschaft angesehen wird – das intensive Widmen der eigenen Aufmerksamkeit einer bestimmten »Sache« –, kommt zu kurz. Das heißt nicht, dass nicht einzelne Mitglieder des IFF diese Tugend haben; eine Stärke der Institution IFF ist es aber nicht. Selbst wenn man sich mit einem Auge auf etwas konzentriert, das andere muss darauf schauen: Wie wichtig ist das noch, welche Rahmenbedingungen haben sich verändert, wohin geht die gesellschaftliche Entwicklung? Ein weiteres Problem bei dieser Vorgehensweise ist die Frage: Woran misst man Erfolg? Ist es der Beitrag zur Problembewältigung – der überwiegend von außen beurteilt wird? Die Gefahr dabei ist der Verlust der Autonomie von Wissenschaft. Oder ist es die Anerkennung durch eine Community? Dies funktioniert nur, wenn man den Weg in Richtung Disziplinierung und damit Aufbau

I NTERDISZIPLINARITÄT

ALS

B EWEGUNG

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einer Community einschlägt. Die Gefahr ist Verlust von Interdisziplinarität als Prozess, die Erstarrung in disziplinären Strukturen. Oder ist es vielleicht die wechselseitige Anerkennung durch eine »interdisziplinäre Community«? Wenn ja, auf welcher Grundlage, wenn es doch keinen gemeinsamen Gegenstand gibt? Wahrscheinlich muss man sich um eine Mischung von all dem bemühen. Die Balance zu halten ist nicht einfach. Die Programmbereichsevaluationen am IFF sind ein Versuch. Das permanente Zur-Disposition-Stellen von Strukturen ist eine Herausforderung für die Organisations- und Kommunikationskompetenz der Mitarbeiter. Und es stellt sich die Frage: Was ist, wenn sich so viel ständig verändern kann, das eigentliche Band? Sind es die formalen Anstellungsverhältnisse oder gibt es mehr? Ist es die oft beschworene IFF-Kultur? Oder bloß der Glaube an eine solche? Sind es bestimmte Personen oder eine Kerngruppe? Soll man überhaupt darüber reden oder ist es besser, dies als ein Tabu zu behandeln? Ich meine: Ohne eine Kultur der inhaltlichen und organisatorischen Beweglichkeit, verbunden mit wechselseitiger Wertschätzung und der Überzeugung, etwas ganz Wichtiges zu tun, ist Interdisziplinarität im von mir verstandenen Sinn nicht aufrechtzuerhalten. Wie eine solche Kultur hergestellt werden kann, kann ich so explizit nicht sagen. Ich hoffe, dass es weiterhin gelingt.

Methoden und Praktiken interdisziplinärer und transdisziplinärer Wissenschaft WILHELM BERGER, VERENA WINIWARTER, GERT DRESSEL, KATHARINA HEIMERL

EIN PROJEKT DER SELBSTAUFKLÄRUNG Es ist ein Axiom inter- und transdisziplinärer Wissenschaft, dass die Position, von der aus geforscht und nachgedacht wird, für die Prozesse und Ergebnisse des Forschens und Nachdenkens nicht gleichgültig ist. Die disziplinäre Position erzeugt jene institutionelle Distanz, in der die akademischen Disziplinen betrieben werden. Geforscht wird in Instituten, die von oft isolierten Subjekten bewohnt werden, die sich wiederum auf die Praktiken des Wissenschaftsbetriebs, auf das Publizieren in Fachjournalen und auf bestimmte Karrieremuster ausrichten. Das führt zu charakteristischen Konstellationen. Der Diskurs nimmt vom Allgemeinen, von einheitlichen und fertiggestellten Modellen her Bezug auf sein jeweiliges Thema. Die Regeln, nach denen dieses Thema aufgeschlossen und mit anderen Themen verknüpft wird, sind durch die jeweilige Disziplin vorgegeben. Interdisziplinäre Wissenschaft positioniert sich dagegen definitionsgemäß quer zu den Disziplinen. Für sie sind Übersetzungen zwischen den Disziplinen wichtig. Und wenn transdisziplinäre Ansätze sich in das jeweilige soziale Feld hineinbegeben und damit die disziplinäre institutionelle Distanz auflösen, muss das auch methodische Konsequenzen haben: Es geht um eher induktive Vorgehensweisen, in denen die Vielheit von Positionen und Zugangsweisen anerkannt wird (Berger 2010). Aber gerade eine Position »inmitten« der Vielheit von Disziplinen und »inmitten« von sozialen Kontexten bedarf erstens einer kritischen Distanz zu dem, was ist, und damit einer institutionellen Verankerung dieser Differenz und zweitens einer eigenen methodischen »Diszipliniertheit« (Heintel/Berger 1998).

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Die Fakultät für Interdisziplinäre Forschung und Fortbildung (IFF) an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt, Wien und Graz, aus der heraus das vorliegende Buch entstanden ist, versucht sich als eine Institution zu entwickeln, die eine solche Differenz möglich macht (Arnold/Dressel 2009). Der französische Philosoph Jacques Derrida hat »Die unbedingte Universität« (2001) entworfen, als eine Institution, die bedingungslos fragen kann und auch die Bedingungen ihres eigenen Fragens in Frage stellt. Auch für die IFF ist mit ihrer Positionierung die Aufgabe der Selbstaufklärung verbunden. Selbstaufklärung hieße in der Tradition von Immanuel Kant (2004/1781), über die Bedingungen der Möglichkeit des eigenen Tuns und über dessen Probleme und Grenzen nachzudenken. Damit ist die Erwartung verbunden, dass andere, die Ähnliches tun, davon profitieren können. Der Selbstaufklärung in diesem Sinne geht es auch um die angesprochene methodische »Diszipliniertheit«. Damit ist nicht das Ziel gemeint, einen Kanon von Vorgehensweisen zu fixieren, der nur mehr nachzuvollziehen wäre. Selbstaufklärung stellt vielmehr das Tun, die konkreten Prozesse, ihre Voraussetzungen und Grenzen in den Mittelpunkt. Das wird im vorliegenden Buch auf zweierlei Weise versucht. Im ersten Teil geht es um die Anfänge von inter- und transdisziplinären Prozessen, ihre Realisierung und ihre Abschlüsse. Es geht um das Identifizieren von Problemen, das Bilden von Forschungsteams, die Wahrnehmung und Organisation von Differenzen, das Verhältnis zu den Umwelten, das Kommunizieren, die Rollenprobleme von ForscherInnen, schließlich um die Wirksamkeit von Ergebnissen, um die Bewertung von Qualität, um Emotionen und Enden. Die damit verbundenen Fragestellungen sind alles andere als trivial. Im zweiten Teil werden ganz konkrete Forschungsprojekte dargestellt und in ihren Problemen analysiert. Eine solche Selbstaufklärung, die sich natürlich angreifbar macht, ist kein einfaches Geschäft. Schon lange ist inter- und transdisziplinäre Forschung mit Einwänden konfrontiert.

EINWÄNDE GEGEN INTER- UND TRANSDISZIPLINÄRE WISSENSCHAFT Gleich in der ersten Ausgabe der damals neuen Zeitschrift »Issues in Integrative Studies« stellte Thomas C. Benson Argumente gegen interdisziplinäre Studienangebote vor, die sich 1982 gerade zu etablieren begannen. Die Argumentationsfiguren sind bis heute verbreitet. Interdisziplinären Herangehensweisen wird vorgeworfen, konzeptuell konfus, teuer, oberflächlich und zudem karrieretechnisch

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höchst problematisch zu sein (Benson 1982). Doch gegen diese Einwände ist einiges vorzubringen. Da sich Disziplinen über Gegenstände und Methoden voneinander abgrenzen, wird disziplinäre Wissenschaft immer einen übersichtlicheren Eindruck machen als ein Konglomerat von mehreren solchen Bereichen. Konfus muss es deshalb nicht hergehen – im Gegenteil, interdisziplinäre Teams sind darauf angewiesen, einander gegenseitig Klarheit über den je eigenen Beitrag zu verschaffen. Der Eindruck konzeptueller Konfusion entsteht vor allem dadurch, dass interdisziplinäre Forschungsteams sich der unübersichtlichen Probleme der Lebenswelt annehmen und sie in ihrer Komplexität prozessieren. Reduktionistischere Herangehensweisen, wie sie durch den Blick je einer disziplinären Spezialisierung möglich werden, machen den Eindruck größerer Klarheit, aber um den Preis eingeschränkter Problemsicht. Auch interdisziplinäre Projekte können, das soll hier allerdings betont werden, an konzeptueller Konfusion leiden, so wie überall gibt es auch hier schlechte und gute Wissenschaft. Ist interdisziplinäre Wissenschaft teuer? Ist sie teurer als disziplinäre Wissenschaft? Zugegeben, ein interdisziplinäres Team braucht Zeit und Aufmerksamkeit auf den Prozess, manchmal auch externe Beratung und Begleitung, aber ist es deshalb teurer? Es geht hier mehr um die Verschiebung von Mitteln von der Konzentration auf Produkte hin zur Konzentration auf Prozesse. Dies mag man teuer finden, wenn einem die Qualität der Produkte egal ist. Gemessen daran, was ein interdisziplinäres Team bewegen und leisten kann, ist es wohl kaum systematisch teurer als disziplinäre Wissenschaft. Während inter- und transdisziplinäre Wissenschaft mit den disziplinär organisierten Wissenschaften in Vergleich gesetzt wird, werden die (sehr verschieden hohen) Kosten etwa von Teilchenphysik und Sprachphilosophie nicht gegen die teurere Physik ins Treffen geführt. Den »added value« der in diesem Buch dargestellten Wissenschaftsform möglichst genau zu messen, wie dies in einer Zeit zunehmender Sehnsucht nach Messzahlen für Qualität und Erfolg immer häufiger gefordert wird, bedürfte jedenfalls adäquater Indikatoren, die erst zu entwickeln wären. Wenn das Ergebnis eines wissenschaftlichen Unterfangens ein Prozess und nicht ein Produkt ist, wird die Bemessung schon deshalb schwierig, weil Prozesse als solche unabschließbar sind. An der Fakultät wurden aus diesem Grund bereits früh systemische Evaluierungen eingeführt, die auch prozessuale Ergebnisse bewerten können. Ist interdisziplinäre Wissenschaft oberflächlich? Die Gegenfragen dazu könnten lauten: Ist ein hoher Detaillierungsgrad gleichbedeutend mit profunder Wissenschaft? Sind Breite und Tiefe unvereinbar? Sind lösungsorientierte Zu-

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gänge methodisch fragwürdig und inhaltlich suspekt? Der Streit um die Oberflächlichkeit wird auch zwischen »Grundlagen«- und »angewandten« Fächern ausgetragen. Die Frage ist unbeantwortbar, weil sie – in hegemonialer Absicht – falsch gestellt wird. Ist interdisziplinäre Wissenschaft gute Wissenschaft, so wäre zu fragen, und die Antwort unterscheidet nicht zwischen disziplinären und interdisziplinären Zugängen. Gute Wissenschaft ist nachvollziehbar, argumentierend, evidenzbasiert und sorgt dafür, dass sie kontrolliert werden kann, etwa, indem Primärdaten angemessen archiviert werden. Gute Wissenschaft stellt gute Fragen und bearbeitet Probleme, deren Lösung für die Gesellschaft nützlich zu sein verspricht, egal, wie nahe oder weit entfernt von der Problemlösung sie arbeitet. Gute Wissenschaft hält sich selbst immer für vorläufig, ist zur Revision und damit zum Erkenntnisgewinn durch (Selbst-)Kritik bereit. Oberflächliche Wissenschaft ist nicht gut. Interdisziplinäre gute Wissenschaft ist nicht oberflächlich. Transdisziplinäre Wissenschaft steht vor ebensolchen Herausforderungen, was die Rechtfertigung ihrer Kosten und ihre Bewertung als qualitätsvoll angeht. Noch bedeutsamer ist, dass sich in transdisziplinären Arbeitszusammenhängen, bei denen die WissenschaftlerInnen an Produkten arbeiten, die direkt für PraxispartnerInnen Nutzen stiften sollen, die Frage der Wissenschaftlichkeit stellt. Gute Produkte oder gar Prozesse (etwa Weiterbildungen) für die Praxis mögen respektabel und qualitätsvoll sein, aber sind sie wissenschaftlich? Wir plädieren hier für eine Defragmentierung der Bewertung. Nicht das einzelne Projekt mit seinen PraxispartnerInnen, sondern der längerfristige Erfolg, der sich einstellt, wenn Fragen aus der Praxis zu wissenschaftlichen Fragen führen, die geeignet sind, Wissenschaft anzuregen und zu transformieren, sollte im Vordergrund stehen. Karrieretechnisch ist inter- und transdisziplinäre Wissenschaft problematisch. Wir stellen allerdings fest, dass die Visionen von einem guten Leben von Personen, die sich für inter- und transdisziplinäres Arbeiten interessieren, nicht in der Frage der Karriere kulminieren. Vielfalt der Aufgaben, intellektuell anregende Überraschungen in der Interaktion in Teams und mit PraxispartnerInnen und der grundlegende Wunsch nach gesellschaftlicher Wirksamkeit stehen für Personen, die sich inter- und transdisziplinär betätigen, im Vordergrund. Prekär sollten trans- und interdisziplinäre WissenschaftlerInnen aber nicht leben müssen, und da ist einiges zu tun. Wir haben das Buchprojekt ganz bewusst in einem Moment unternommen, wo wir international – nicht nur im deutschsprachigen Raum – eine beunruhigende Entwicklung in den Wissenschaften wahrnehmen. Die Tendenzen zur »Qualitätsvermessung« – verbunden mit der Publikation von immer kleineren Bausteinen von neuem Wissen (»incremental knowledge«) nehmen zu. Mit

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einem Wissenschaftsverständnis, das dieser Entwicklung eine Alternative entgegensetzt, bewegen wir uns entlang einer Bruchlinie, eben jener zwischen monodisziplinärer und inter- bzw. transdisziplinärer Wissenschaft. Allerdings verläuft diese Bruchlinie nicht am Rande der Scientific Community, sie geht vielmehr mitten hindurch. Mit unserer Kritik an einer einseitig an vermessbarer Qualität orientierten Wissenschaft sind wir also nicht »randständig«, wir stehen auch nicht alleine da. Längst schon haben sich Netzwerke gebildet, die – wie das Action Research Manifesto (2011) (vgl. Kap. »Zum Schluss«) zeigt – eine Demokratisierung der Wissenschaft fordern. Mit der Kritik an gängigen Methoden der Messung der Qualität individueller ForscherInnen entlang der Logik von »Impact Faktoren« von Artikeln in Journalen mit Peer-Review-Verfahren schließen wir direkt an die Forderungen der »San Francisco Declaration on Research Assessment« an (vgl. Kap. »Zum Schluss«), die 2012 von der American Society for Cell Biology initiiert wurde.

DIE LANDSCHAFT INTER- UND TRANSDISZIPLINÄRER FORSCHUNG Interdisziplinarität versuchen wir als »geregelte Form der Kooperation verschiedener wissenschaftlicher Disziplinen« zu fassen. Im Zentrum steht die Themenzentrierung während des gesamten Forschungsprozesses. Dadurch sind Sachund Organisationsebene miteinander verknüpft, was einen hohen Kommunikationsaufwand zwischen den Wissenschaften mit sich bringt. Interdisziplinarität beruht auf selbstorganisierenden Prozessen, die ihrem Wesen nach nicht planbar sind. Daschkeit sieht als den Kern der Interdisziplinarität einen »zu organisierenden Prozeß, der als eigenständige wissenschaftliche und organisatorische Aufgabe betrachtet werden muß« (1996: 12). An Literatur zur Interdisziplinarität herrscht längst kein Mangel mehr, auch zu transdisziplinärer Wissenschaft ist reichlich Material vorhanden (Hirsch Hadorn/Pohl 2006). Eine Suche in der Online-Bibliographie des td-net ergab zum Schlagwort »transdisciplinary« neunundneunzig Einträge1. Interdisziplinäre Forschung existiert in vielen Spielarten. Sie unterscheiden sich etwa im Umfang, dem Typus von Interaktion und den Zielen der Integration verschiedener disziplinärer Ansätze (Huutoniemi et al. 2010). Die konzeptuelle und kulturelle Distanz, die es zu überwinden gilt, macht eine Unterscheidung

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Suche am 16.05.2013 unter http://www.transdisciplinarity.ch/d/Bibliography/search_ options/fulltext.php.

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nach dem Umfang möglich: Enge (z.B. Geschichte und Archäologie) und weite (z.B. Medizin und Musikwissenschaft) Kooperationen sind nach der Ähnlichkeit der beteiligten Disziplinen zu differenzieren. Je nachdem, wie unterschiedlich die Typen von Evidenz sind, die integriert werden, ist die methodische Herausforderung kleiner oder größer. Um beispielsweise Rechtsmaterien mit Computerentwicklung zu verbinden, bedarf es neuer Methoden, die keine einfachen Derivate aus dem Fundus der beteiligten Disziplinen sind. Der Typus der Interaktion erlaubt die Differenzierung zwischen kumulativer und transformativer Interdisziplinarität. Die beiden Typen basieren auf völlig unterschiedlichen Konzepten von Wissen. Kumulative Modelle konzeptualisieren ein aus Teilen zusammengesetztes Gesamtwissen. Beim transformativen Typ wird Wissen als aus einander beeinflussenden, ja irritierenden Herangehensweisen bestehend gedacht. Die Differenz dieser Herangehensweisen wird produktiv, wenn durch interdisziplinäre Teams neue, disziplinär nicht beantwortbare Fragen gestellt werden. Auch beim Warum des interdisziplinären Forschens machten die AutorInnen der Studie einen wichtigen Unterschied aus: Interdisziplinäres Herangehen kann mit der Möglichkeit der Erweiterung des Wissens über das untersuchte Objekt begründet werden, wird also epistemologisch gerechtfertigt. Gänzlich anders gelagert ist die instrumentelle Begründung. Lebensweltliche Probleme machten eine Reform oder doch zumindest Innovation nötig, Wissenschaft würde interdisziplinär, um gesellschaftlich relevant zu sein. Eine Übersicht über inter- und transdisziplinäres Forschen soll in diesem Buch aus dem Tun hergeleitet werden, nicht durch abstrakte Kategorisierungen. Wir wollen nicht »vom Feldherrenhügel herab« – ein Bild von Pierre Bourdieu (1993: 41; auch: Dressel/Langreiter 2003a) für eine Metaposition in der Philosophie, die auf die Vielfalt der Ansätze herabblickt, um sie von oben zu beurteilen und zu kategorisieren – dozieren. Für einen Einstieg in die komplexe Forschungslandschaft erscheint es uns dennoch sinnvoll, den LeserInnen einen Kategorisierungsversuch jüngeren Datums anzubieten. Der Versuch von Huutoniemi et al. (2010), Übersicht über eine vielfältige und kleinteilige Landschaft zu gewinnen, gipfelt in einer Tabelle, in der Kooperationen zwischen Disziplinen in sechs verschiedene Kategorien eingeteilt werden. Von »Enzyklopädischer Multidisziplinarität«, bei der verstreute Expertise zur Produktion enzyklopädischen Wissens genutzt wird, bis zur »Theoretischen Interdisziplinarität«, die der Entwicklung konzeptueller Werkzeuge gewidmet ist, reicht das Spektrum. Die AutorInnen führen schlussendlich aus, dass mit Hilfe methodologischer Interdisziplinarität, einer Arbeitsform mit integrierten, gemeinsamen Zielen und einer

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interaktiven, dialogischen Arbeitsweise robustes Wissen generiert werden kann, das über ein einziges wissenschaftliches Feld hinaus Bedeutung hat. Wir schlagen als Weg zu robustem Wissen (Nowotny/Scott/Gibbons 2001) in erster Linie transdisziplinäre Forschungsformen vor. Transdisziplinarität betrachten wir als eigene Herangehensweise, bei der AkteurInnen von außerhalb des Wissenschaftssystems in die Prozesse der Wissensgenerierung einbezogen werden, geforscht wird mit und nicht über betroffene Menschen und ihre Organisationen. Transdisziplinäre Ansätze entwickeln sich aus Wünschen nach Veränderung des Wissenschaftssystems durch Einbeziehung von nichtwissenschaftlichen AkteurInnen, wie sie in den Kontexten neuer sozialer Bewegungen wie der Friedens- und Umweltbewegung seit Beginn der 1970er Jahre entstanden sind. Die Einsicht, dass politische Maßnahmen, die die menschliche Umwelt betreffen, sowohl soziale Bewertungen als auch spezialisiertes wissenschaftliches Wissen erfordern, führte zur Einschätzung, dass Laien ebenso viel zu ihrer Entwicklung beizutragen haben wie technische Experten, deren verengter Blick der Komplexität der Umweltprobleme kaum gerecht würde. Diese Position wurde 1972 an prominenter Stelle formuliert. Darauf darf stellvertretend für einen Aufbruch aus traditionellen Arbeitsteilungen hier hingewiesen werden (Ward/Dubos 1972). Um die Vielfalt dieser »Landschaft« anzudeuten, seien exemplarisch jene Formen der Einbeziehung von PraxispartnerInnen genannt, die im österreichischen Programm »Kulturlandschaftsforschung« verwirklicht wurden. PartnerInnen konnten in Vorgesprächen mit AuftraggeberInnen, als Mitglieder eines Regions- oder Projektbeirates oder als Teilnehmende an Zukunftswerkstätten und ähnlichen Partizipationsformaten einbezogen werden. Sie konnten als Mitverantwortliche, ReferentInnen oder TeilnehmerInnen in Veranstaltungen am Projekt Anteil haben oder als gleichberechtigte ForschungspartnerInnen integriert werden. Die Arten der Einbindung waren vielfältig, ihre Bandbreite reichte von bezahlten Leistungen, die PraxispartnerInnen in Projekten als ExpertInnen für die Bearbeitung ausgewählter Fragen erbrachten, bis zu ihrer Einbindung als Mitfinanzierende der Forschung oder zumindest von Veranstaltungen. Sie waren als ReferentInnen in Weiterbildungsveranstaltungen gefragt, konnten als MitautorInnen bei Publikationen ihre Sichtweise einbringen und dienten in vielen Fällen auch als EvaluatorInnen der Forschung (Haas/Meixner 2005).

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WO VERORTET SICH DIESES BUCH? Das hier vertretene methodische Konzept steht im Widerspruch zu Erwartungen, die oft mit inter- und transdisziplinären Ansätzen verbunden sind. Durch die Gesamtheit möglicher disziplinärer Zugänge ließe sich, so wird angenommen, eine vollständige Darstellung des jeweiligen Problems oder zumindest eine einheitliche, disziplinübergreifende Terminologie verwirklichen. Diese Erwartung kommt im klassischen Dreistufenmodell der Interdisziplinarität zum Ausdruck (Jantsch 1972): Es will die Kooperation eigenständiger Disziplinen bei der Bearbeitung eines Themas in eine einheitliche, disziplinübergreifende Terminologie und schließlich in die gegenseitige Durchdringung der Erkenntnismethoden überführen. Dagegen soll hier ein Konzept stark gemacht werden, das keine Metaebene kennt, auf der die unterschiedlichen Disziplinen und die ihnen entsprechenden Sprachspiele inhaltlich zu einem umfassenden Konzept integriert werden könnten. Eine ähnliche Position vertritt auch Jürgen Mittelstrass in seinem Buch »Die Häuser des Wissens«. Er kommt zu dem Schluss: »Wer die Einheit der Wissenschaft in der Einheit eines Lehrgebäudes sucht, wird sie […] verfehlen. Sie ist allein als praktische Forschungsform gegeben, das heißt als Einheit der wissenschaftlichen Praxis« (1998: 66). Mit der Frage nach der Einheit der praktischen Forschungsform tritt die Frage nach den Methoden, nach Vorgehensweisen und Prozessen, in den Mittelpunkt. Da transdisziplinäre Forschung den Anspruch hat, nichtwissenschaftliche Interessen, Standpunkte und Perspektiven mit einzubeziehen, wird die Frage nach Differenzen der wissenschaftlichen Praxis zu anderen Praxisformen bedeutsam. Die Einheit von Regeln der wissenschaftlichen Praxis war historisch immer im Wandel und beruht letztlich auf Übereinkünften. Aber ohne die übergeordneten Werte der Nachvollziehbarkeit und Kontrollierbarkeit des Vorgehens und der Ergebnisse, des Argumentierens und der Evidenzbasiertheit hätte es keinen Sinn, von wissenschaftlicher Praxis zu sprechen. Auf den Horizont dieser Werte hin müssen inhaltliche Differenzen in transdisziplinären Kontexten immer wieder neu ausdiskutiert werden, wobei dem Desiderat der Offenheit zu anderen Praxisformen auf Seiten der Wissenschaften das Desiderat der Bereitschaft auf Seiten der PraxispartnerInnen entspricht, diese Werte prinzipiell anzuerkennen. Positiv gewendet kann die Unterschiedlichkeit der Disziplinen und der transdisziplinären Perspektiven zur Ressource der inter- und transdisziplinären Forschung werden. Die Unterschiedlichkeit der Zugänge repräsentiert die Verschiedenheit von Perspektiven auf das jeweilige Problem. Dazu kommen in transdisziplinären Kontexten die Perspektiven der PraxispartnerInnen. Denn gerade

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durch sie werden die Dimensionen des Problems und die Widersprüche darstellbar, aus denen es sich speist. Ja mehr noch: Es geht methodisch gerade darum, die inhaltliche Pluralität der kooperierenden Disziplinen und der beteiligten Standpunkte und Interessen, denen andere, nicht wissenschaftliche Typen des Wissens entsprechen, aufrechtzuerhalten und inhaltlich transparent zu machen. Die Vielheit der Standpunkte anzuerkennen und die Differenzen arbeiten zu lassen impliziert methodisch einen prozessorientierten Zugang. Im Hintergrund dieses Zugangs stehen, implizit oder explizit, Positionen des radikalen Konstruktivismus. Es geht dabei weniger um eine erkenntnistheoretische Diskussion als vielmehr um den Fokus auf die Prozesse, in denen von unterschiedlichen disziplinären und sozialen Positionen aus Wissen entsteht, sowie auf die Rückkoppelungsprozesse, in denen dieses Wissen seine Kontexte verändert. Die damit verbundene Praxisorientierung der inter- und transdisziplinären Methoden hat durchaus reformorientierte Motive.

BEDINGUNGEN DER MÖGLICHKEIT VON INTER- UND TRANSDISZIPLINÄREM FORSCHEN Das Eintreten für inter- und transdisziplinäre Forschung hat oft appellativen oder defensiven Charakter. Diesen Ton wollen wir vermeiden. Denn schon mit der bloßen Existenz inter- und transdisziplinärer Forschung sind durchaus offensive Fragen gestellt. Geistes- und Sozialwissenschaften, die in ihren Elfenbeintürmen verharren, sehen sich mit der Frage nach der Relevanz ihres Tuns konfrontiert: Wofür ist das gut? Natur- und Technikwissenschaften, die sich ihrer praktischer Relevanz sicher zu sein meinen, sehen sich der Zumutung gegenüber, ihre eigenen Entstehungskontexte und die Folgen ihres Tuns zu reflektieren, die in der Frage nach den gesellschaftlichen Voraussetzungen und Konsequenzen gipfeln. Beide Fragerichtungen werden immer auf Widerstand stoßen. Wenn inter- und transdisziplinäre Forschung Relevanzen, Voraussetzungen und Folgen in Frage stellt, steht sie zugleich in Opposition zur gerade im Wissenschaftssystem immer mehr um sich greifenden Überzeugung, komplexe Systeme könnten über »objektive« Maßzahlen gesteuert werden. Die Infragestellung ruft vielmehr dazu auf, reflektierte Entscheidungsverfahren zu entwickeln und Entscheidungen verantwortungsbewusst zu treffen. Wenn es uns darum geht, den Bedingungen der Möglichkeit des inter- und transdisziplinären Arbeitens nachzugehen, ist der Ausgangspunkt, dass solche Prozesse, auch aufgrund von Veränderungen in der Wissenschaftspolitik, faktisch stattfinden. Aber was sind die Bedingungen ihres Gelingens? Zwar müssen

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äußere Voraussetzungen gegeben sein, aber die konkreten Bedingungen des Erfolgs oder des Scheiterns entstehen immer erst in den Prozessen selbst. Vertrauen zwischen den Beteiligten muss einerseits gegeben sein, wird sich aber andererseits erst in den Prozessen zu entwickeln und zu bewähren haben. Darüber wird im vorliegenden Buch nachgedacht.

ZU DIESEM BUCH Die Vielfalt an Erfahrungen und Reflexionen, die Mitglieder von Österreichs einziger universitärer Einrichtung, die sich dezidiert interdisziplinärer Forschung widmet, in verschiedenen Praxisfeldern gesammelt haben, wurde bislang nicht unter dem gemeinsamen Gesichtspunkt von Methodenentwicklung und Reflexion der Forschungspraxis außerhalb von fakultätseigenen Veranstaltungen zur Diskussion gestellt. Um uns weiterzuentwickeln, verwickeln wir einander zwar immer wieder in inhaltliche Auseinandersetzungen, unsere Erfahrungen unter dem Blickwinkel von Methode und Forschungspraxis zu betrachten ist für uns aber eine neue Form der Auseinandersetzung, an der wir Sie, liebe Leserin, lieber Leser, teilhaben lassen möchten. Dieses Buch begannen wir im Jahr 2010 zu diskutieren. Wir wünschten uns gemischte Teams: Nachwuchswissenschaftlerin und Emeritus, Wissenschaftsforscher und Ökologin, Menschen aus verschiedenen Instituten sollten zusammen Texte schreiben, die ihre Erfahrungen integrieren würden. Dafür organisierten wir mehrere Workshops, in denen sich Autorenteams finden und miteinander diskutieren konnten. Jeder Artikel wurde von einer nicht als AutorIn beteiligten Person gelesen und kommentiert. Auch das Herausgeberteam arbeitete intensiv an den Texten, machte oft umfangreiche Änderungsvorschläge. Nach zwei oder drei Runden hatten die Texte eine vorläufig endgültige Gestalt und wurden in ihrer Gesamtheit an drei KollegInnen übergeben, die wir um eine qualitätssichernde Stellungnahme baten. Auch diese wurde, soweit möglich, berücksichtigt. Das Herausgeberteam rang derweil um adäquate Formen von Einleitung und Schlussfolgerungen. Inter- und transdisziplinäres Forschen ist häufig, ja meistens, in Form von Projekten organisiert. Projekte sind so verschieden wie die Förderungslandschaft, die Konstellationen von PartnerInnen, die Themen und Fragestellungen, die Grundannahmen und die Methoden und Praktiken der ForscherInnen. Diese Vielfalt wollen wir nicht einebnen. Nahezu alle Kapitel des ersten Buchteils sind für sich, so wie das ganze Buch, Dokument eines eigenen interdisziplinären Prozesses, in den Erfahrungen aus mehreren inter- und transdisziplinären Prozessen

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einfließen. Sie führen von der Problemanalyse über die Teamfindung und den Umgang mit Differenzen in Teams zu Interaktionsformen zwischen Team und Umwelt in inter- und transdisziplinärer Wissenschaft, diskutieren das Organisieren von Teamprozessen, die wichtige Frage der Kommunikation und die Effekte, die solches Forschen auf Rollen und Identitäten von WissenschaftlerInnen hat. Ein eigenes Unterkapitel ist der Abschlussphase und dem »Danach« gewidmet, Fragen der gesellschaftlichen Wirksamkeit werden ebenso gestellt wie jene nach der Messung von Erfolg und Misserfolg. Dem Abschied von einem Projekt widmen wir eine eigene Betrachtung. Dass sich die Kapitel, die jeweils einer Projektphase (Anfänge, Prozesse des Realisierens, Abschlüsse) zugeordnet sind, nicht allein dieser einen Projektphase widmen, ist dem generell zyklischen Charakter inter- und transdisziplinären Forschens geschuldet. Aber es wird immer versucht, die relevanten und thematisierten Probleme und Fragen ausgehend von einer bestimmten Projektphase zu denken und zu beschreiben. Der zweite Teil lässt einzelne Projekte als Ganzes sichtbar werden. Jedem Praxisfeld, in dem WissenschaftlerInnen an der Fakultät für Interdisziplinäre Forschung und Fortbildung tätig sind, widmen wir einen »Einblick«. Daraus wird die Verschiedenheit der Projekte deutlich, die sich von Altenhilfe bis zu internationaler Diplomatie und von alternativen Nahrungsnetzwerken bis zu solchen im Bildungsbereich erstrecken, um nur einige zu nennen. Die Schlussbemerkungen des Buches sind eine Einladung zur Erprobung inter- und transdisziplinärer Zugänge in der eigenen Praxis. Die Bedingungen der Möglichkeit interdisziplinären wie transdisziplinären Handelns stehen beim abschließenden Blick auf Prozesse im Zentrum. Dieses Buch wendet sich an alle WissenschaftlerInnen, die ihre eigenen inter- und transdisziplinären Erfahrungen im Vergleich mit den hier vorgestellten reflektieren möchten, an all jene, die sich für diese Arbeitsformen interessieren, bislang damit nicht gearbeitet haben und eine praxisorientierte Einführung suchen. Wir haben es für LeserInnen aus den verschiedensten Fachrichtungen konzipiert und so strukturiert, dass es auch im Kontext inter- und transdisziplinärer Lehre zum Einsatz kommen kann. VertreterInnen von zivilgesellschaftlichen Organisationen, wie etwa NGOs, die eine Partnerschaft mit Wissenschaft eingehen möchten und sich in diesem Buch Anregungen holen, laden wir ein, mit dem zweiten Abschnitt, in dem einzelne Projekte in ihrer Gesamtheit dargestellt werden, zu beginnen, ehe sie sich mit dem entlang des Projektablaufs strukturierten ersten Abschnitt beschäftigen.

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WIR DANKEN … … den zahlreichen Personen und Institutionen, ohne die dieses Buch nicht entstanden wäre – zuallererst den vielen AutorInnen, die sich auf diesen Buchprozess mitsamt seinen zahlreichen Kommunikationsschleifen eingelassen haben. Alfred Janes, Werner Lenz und Jutta Menschik-Bendele haben uns als »kritische FreundInnen« zu unserem ersten Rohmanuskript wertvolle Hinweise in Form je eines Peer-Reviews gegeben. Bei der Herstellung des Sachregisters waren uns Dino Güldner, Verena Tatzer und Marius Weigl eine große Unterstützung. Das Sachregister hat letztlich Helmut Gutbrunner erstellt, der ebenso dieses Buchmanuskript sorgfältig lektoriert hat. Bei der Herstellung des Satzes war Edith Auer sehr wichtig. Auch dieses Buchprojekt musste »verwaltet« werden; Anna Hostalek, Silke Pistotnik und Roswitha Pogner waren dabei eine große Hilfe. Dem österreichischen Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung sind wir deshalb zu großem Dank verpflichtet, weil ohne dessen finanzielle Unterstützung der Buchprozess gar nicht erst hätte gestartet und realisiert werden können. Wir fühlten uns von Karolina Begusch-Pfefferkorn bestens ünterstützt. Der gleiche Dank gilt dem Institut zur Förderung von Wissenschaft und Forschung der Kärntner Sparkasse. Dass darüber hinaus alle Organisationseinheiten der IFF-Fakultät bereit waren, personelle, zeitliche und finanzielle Ressourcen dem Buchprozess zur Verfügung zu stellen, kann in Zeiten universitärer Mangelwirtschaft nicht hoch genug gewürdigt werden. Schließlich danken wir herzlich dem transcript Verlag, insbesondere Birgit Klöpfer, für die gute, kooperative und professionelle Zusammenarbeit.

Seismographische Erkundung mit unterschiedlichem Blick MARIA NICOLINI Lautlos versichert die Welt mir, dass sie da ist, geduldig, augenblicklich, immer von neuem. HANS MAGNUS ENZENSBERGER (2002: 251)

GEHEN SCHAUEN HÖREN Durch die Texte dieses Buches ziehen sich drei Positionen, die etwa lauten: Inter- und transdisziplinäre Forschung ist angewiesen auf die Vielfalt wissenschaftlicher Disziplinen; sie stellt sich in den öffentlichen Dialog, kann sich auch von Politik nicht fernhalten; ihre Trägermedien sind vor allem die Sprache und die Sensitivität für die Geschehnisse im Forschungsfeld. Solche Forschung hat an der Fakultät IFF eine lange Tradition. Ein Beispiel ist die Veranstaltungsreihe, die 1984 mit dem Symposion »Bürgerbeteiligung« begann. Sechs Disziplinen, viele Bürgerinitiativen und zivil-ungehorsame Einzelne wirkten mit, ähnlich bei den vier weiteren Symposien: Umwelt- und Sozialverträglichkeit (1990); Belästigt, gefährdet, geschädigt (1992); Ein Recht auf Schutz der Gesundheit (1993); Raumplanung und neue Verträglichkeiten (1996). Wie kamen diese Themen an die Fakultät IFF? Sie standen im Raum, lagen in der Zeit, trieben im Fluss der Ereignisse, nach eher kurzer Debatte waren sie auf dem Tapet der Forschung. Man konnte die Themen und Probleme nicht nur sehen; man konnte sie hören, riechen, schmecken, sogar tasten, und gewiss: man konnte sie fühlen. Transdisziplinarität – das Inter- stets mitgedacht – ist ein polyästhetisches Ereignis. Eine elementare Frage gibt ihr die Prägung: Wie wollen wir (nicht) leben, was wollen wir (nicht) haben? Eine treibende Kraft gibt ihr die

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Dauer: die Unruhe, Zugunruhe – wohin gehen wir? Den Auslöser transdisziplinärer Aktivität bilden häufig konflikthaltige öffentliche Angelegenheiten unterschiedlicher Hitzigkeit; Schweigen und Wut liegen nah beisammen. Die Mitwirkung im Aushandeln gesellschaftlicher Widersprüche, die wissenschaftliche Expertise, die Begleitforschung und die Systematisierung der Forschungsergebnisse, das sind die Aufgaben partizipativer transdisziplinärer Forschung, in der sich Wissenschaften legitimieren; nicht von einer elitären Hochebene aus, sondern auf Augenhöhe mit den »Leuten« (Nowotny/Scott/Gibbons 2008: 246), sogenannten Laien; ihr Wissen, die Erfahrungen aus ihrer Lebenswelt, ihre Phantasie und Intuition, ihre Empathie sind für diese Forschung unentbehrlich. Ein Vordenker ist der Erkenntnistheoretiker Ludwik Fleck. Schon 1935 sprach er von der Zirkulation der Ideen und von Denkkollektiven, in denen sich Laien und Forschende zusammenfinden (Fleck 1980). finden – das Wort liegt nahe bei gehen, schauen, hören. Zum Beispiel erkundeten wir in einem Dorf-Projekt noch vor allem andern in langen Alleingängen die Gegend, das Dorf – zuerst den Friedhof. In der Stille, im Schauen und Lauschen erfährt man die Atmosphäre des Dorfes, seine magischen Momente, seine unruhigen Stellen.

DAS NEUE KOMMT AUS DEM DISSENS Was war los in den frühen 1980er Jahren, als auch in Österreich das Wort ziviler Ungehorsam aufkam (Stock 1986), das, unter anderem, der Transdisziplinarität den Boden bereitete: In Wien klettern Umweltschützer auf die Bäume der Alberner Au, um die Rodung zu verhindern, sie müssen vor den Kadi. In Neunkirchen montieren Greenpeace-Aktivisten auf den Schornstein des Kraftwerks ein Spruchband »Zuerst stirbt der Wald, dann der Mensch«, sie werden von der Energiegesellschaft Newag dem Terrorismus zugezählt. Wenig später, im Winter 1984/85, der erste GAU des österreichischen Ungehorsams: Im Widerstand gegen die Errichtung eines Donaukraftwerks nahe der Stadt Hainburg wurde eine der schönsten europäischen Aulandschaften gerettet. In der Stopfenreuther Au, wo in jenem Winter gegen den Protest tausender Umweltschützer die Rodungen bereits begonnen hatten, blieben die Abdrücke der polizeilichen Schlagstöcke zurück; in den Archiven liegt seit damals der illustrierte Pressespiegel »Die Kälte des Dezember«; der Name Hainburg wurde zum Inbegriff des gewaltfreien Widerstandes; die Aulandschaft ist seit 1996 ein Nationalpark. Die bürgerinitiative Szene konnte Erfahrungen gewinnen, Literatur kam auf den Markt, fast erbaulich: »Wir müssen füreinander Sorge tragen. Deshalb fragen wir uns bei

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jeder Entscheidung, die wir treffen, welche Folgen sie für spätere Zeiten hat« (Carol Cornelius vom Stamm der Irokesen; Kienast 1988: 3). Inzwischen war Tschernobyl, und neun Jahre später, 1995, wird Castor 1 ins Rollen gebracht, um mit dem Philippsburger Atommüll in der 600-Seelen-Gemeinde Gorleben anzukommen. Den Transportierern geht’s zu langsam, den DemonstrantInnen zu schnell. Unterwegs Demolierungen, Prügeleien. Mit dem – bis dahin – größten Polizeieinsatz in der Geschichte Deutschlands gelingt es dem Staat, die nukleare Abfalltonne ans Ziel zu bringen. Alle Macht geht – nicht – vom Volk aus. Der Mangel an öffentlicher Übereinstimmung in einer wichtigen, als bedrohlich wahrgenommenen Sache schuf sich seine Symbole: Castor steht für den fundamentalen Dissens, die Faust ist eine Metapher. Dennoch: Das Neue kommt aus dem Dissens. Öffentliche Unruhe ist ein Movens transdisziplinärer Forschung. Diese Unruhe ist kein momentaner Zustand, sie ist der Zeiger, der nicht einzittert; Zeichen eines radikalen Wandels der Zivilisation, die sich entfaltet, zugleich zerstört. Forschende sind wie Kanarienvögel: Die kleinen Sänger werden im entlegenen Bergbau noch heute beim Vortrieb neuer Grubenfelder mitgenommen, damit sie vor matten Wettern warnen. Inter- und transdisziplinäre Forschung ist seismographische Erkundung mit unterschiedlichem Blick. Und dem Wort Blick folgt das Wort sehen. »Wer den Zustand der Welt, in der wir leben, nicht sieht, hat schwerlich etwas über sie zu sagen«, lesen wir in Canettis Münchner Rede von 1976 (Canetti 1994: 280). sehen, sagen – die transdisziplinären Anfangswörter, in ihnen beginnt der Dialog, der das Schweigen bricht und die Wut. Wut und Schweigen wirken der Verwandlung entgegen. »Wer auf seinem inneren Posten steht, kann sich nicht davon entfernen« (Canetti 1990: 329). Forschung, die sich in den gesellschaftlichen Dialog stellt, irritiert feststehende Posten, sie hütet die Verwandlung. Aber darf sie das: Feststehendes anzweifeln, das harte Objektive mit dem weichen Sozialen kontaminieren, zu den Leuten gehen, ins Land der Lebenspraxis, für das die Wissenschaftstheorie den Namen Agora gebraucht (Nowotny/ Scott/Gibbons 2008: 251–266); dorthin also, wo Alltagswissen und wissenschaftliches Wissen ineinanderkippen, in eine nichtstrenge Ordnung, die sich der Kanonisierung widersetzt? Anders gewendet: Verlieren Wissenschaften, die disziplinäre Grenzen freigeben und die Agora betreten, »wo Wissenschaft und Gesellschaft, Markt und Politik zusammenströmen« (ebd.: 253), ihren epistemischen Kern, jenes Bündel unverletzlicher »Prinzipien, Regeln, Methoden und Praktiken, von denen es heißt, sie stellten das Wesen der Wissenschaft dar« (ebd.: 251)? Die Frage steht auf dem falschen Tableau. »Was sich ereignet, ist kein plötzlicher Paradigmenwechsel – von der Wissenschaft zur Nichtwissenschaft« (ebd.: 246), sondern die evolutionäre Anpassung der Wissenschaft an die

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komplexe Realität; ein Übergang in einen anderen Aggregatzustand, den die Wissenschaftstheorie als Modus 2 bezeichnet.

FORSCHUNG MODUS 2 – IHR KERN UND IHRE WÖRTER Markante Ereignisse Modus 2 sind Österreichs inter- und transdisziplinäre Programme »Kulturlandschaftsforschung« (KLF, 1991 bis 2005) und »Vorsorge für Natur und Gesellschaft« (proVISION, 2005 bis 2011). An beiden Programmen, in denen insgesamt etwa 900 Forschende mitwirkten, war die Fakultät IFF maßgeblich beteiligt. Anfangs, 1991, bei der Suche nach ersten Ideen, waren wir zu dritt; unser Forschungswort lautete: Wir müssen hinausgehen. Wir wussten nicht, wohin, aber die Hoffnung war, wir könnten im richtigen Moment am richtigen Ort sein, die richtige Frage stellen, die ein Problem löst – wie Parsifal. Das anarchische Wörtchen offen stand gegen alle Trübnis. Ab jetzt war alles offen: die Grenzen der Disziplinen, die Methoden, die Ziele. Unsere Forschung nannten wir gesellschaftsoffen, ergebnisoffen. Erst als sich die KLF in größeren Teams und in den Themen festigt, wird offen wieder relativ. Die KLF definiert sich als Forschung Modus 2. Segmente ihres epistemischen Kerns sind disziplinäre Vielfalt, Beteiligung der Öffentlichkeit und Dialog, gute Sprache, Ortung im Raum und in der Zeit. Die Themen der KLF-Module kamen auf zwei Wegen: von außen, zum Beispiel aus Gemeinden, Schulen, von Leuten aus der Region; oft kamen sie zugleich auch von innen, von den Forschenden. Am Beginn der KLF mussten wir die Zusammenarbeit der Disziplinen erst finden, deren analytische und synthetisierende Kräfte erst erkennen, in Bahnen bringen. Aufwendig waren die Debatten um die Partizipation. Wie, wo, wann beteiligt sich wer, was heißt beteiligen, was leisten dabei die wissenschaftlichen Disziplinen? Diese Debatten, in denen das Wörtchen gemeinsam stets weich mitklang, hießen Verflechtungsdiskurs, entwickelt wurde das interdisziplinäre Beteiligungsmodell; doch plötzlich wussten wir nicht, was wir damit meinen: Ist die Beteiligung interdisziplinär oder das Modell? Grammatisch ist’s das Modell; semantisch ist’s die Beteiligung. Als es im KLF-Modul »Bergbaufolgelandschaften« ein Stocken gab, weil unser »Markt der Möglichkeiten«, eine Veranstaltung über mehrere Tage – Ausstellung und Präsentationen, Darbietungen von Kindern und Jugendlichen, Ideenzirkel, Workshops, Gespräche – nicht die erhofften Effekte brachte, waren wir im Forschungsteam beunruhigt, kamen uns überflüssig vor, aufdringlich. Ein Teammitglied murmelte Sätze wie: »Die brauchen uns nicht. Wir kommen mit dem Bauchladen und tun uns anpreisen: nehmt uns doch, wir sind so gut, ihr

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sollt uns wollen.« Bauchladensyndrom hieß ein solcher Zustand; wir fürchteten, der gerade erst gefundene Modus-2-Kern und seine Wörter wären verloren. Partizipation und die Folgen – wir sagten Phantomschmerz. Während das Projekt auf das Ende zuging, meldete sich die Frage, was mit den Ergebnissen geschehen soll. Das Wort umsetzen kam auf, fast ein Fluchtwort, wir hatten eine Scheu, genau zu schauen, ob das Projekt wenigstens Spuren hinterlässt, oder sogar Manifestes, das umzusetzen wäre. Aber was heißt umsetzen, was mache ich, wenn ich umsetze? Die Suche nach Wörtern und Sätzen führt in die kausale Spur der Ereignisse. Das Wahrgenommene bleibt nicht bloß ein Arrangement sinnlicher Eindrücke, sondern wird jenseits seiner sinnlichen Konturen als etwas erkennbar. Ein Problem wird als solches erkennbar, indem man es zur Sprache bringt, klassifiziert, aus seinen Bedingungen heraus verständlich macht (Bieri 2009: 215). Genauigkeit ist das Wasserzeichen solcher Sprache; der Wille zur Genauigkeit ist in ihr zu spüren – für den Sprachgebrauch Modus 2, wo wissenschaftliche Fachsprachen und allgemeine Gebrauchssprache verwoben werden, ein hoher Anspruch, der das Denken, Sprechen, Schreiben gern in abstrakte Pirouetten dreht. Sperrige Jargontexte entstehen, opulente Geräuschflächen, in denen die Unterschiede verschwimmen und der Sinn. Sinnfreundlicher ist die Suche nach den genauen Wörtern der Allgemeinsprache. Aus ihrem Wortschatz entstehen Texte feinster Präzision, in denen die Fachbegriffe – weil uns die Sprache führt – oft wie von selbst ihre Stelle finden, von Satz zu Satz. »Eine ganze Wolke von Philosophie kondensiert zu einem Tröpfchen Sprachlehre«, lesen wir bei Ludwig Wittgenstein. Und, wenn auch selten, fällt uns ein neuer Begriff zu, in dem Modus-2-Wissen kristallisiert – Weltbildbegriff könnten wir dazu sagen.

1 Probleme wahrnehmen und strukturieren ARNO BAMMÉ, ARMIN SPÖK Intervention um der Bewirkung von Zielen willen ist keine Einmischung, sondern ein Mittel der Erkenntnis. JOHN DEWEY (1929)

EIN KURZER BLICK IN DIE GESCHICHTE Spätestens 1963 war klar, dass die Wissenschaft in der Form, in der sie bis dahin betrieben wurde, am Ende war (Böhme/Daele/Krohn 1973; Weingart 1976), dass »wir am Anfang neuer und erregender Arbeitsweisen der Wissenschaft stehen, bei denen man nach ganz neuen Grundsätzen vorgeht« (Solla Price 1963). In Ermangelung eines besseren Begriffs sprach Solla Price von einer »New Science«. Für ihn war die »Big Science« des ausgehenden 20. Jahrhunderts ein »ungemütlich kurzes Zwischenspiel« zwischen der »Little Science« mit Beginn der Aufklärung und der bevorstehenden Periode dieser »New Science«. Wissenschaft sollte nicht mehr nur (akademisches) Wissen »repräsentieren«, sondern in der Gesellschaft unmittelbar praktisch wirksam werden, indem sie als »Interventionswissenschaft« in akute Problemfelder aktiv eingreift. »Intervention« (Hacking 1983) entwickelte sich im Verlauf der weiteren Diskussion zu einem »überverwendeten, aber unterbestimmten Begriff« (Borries et al. 2012: 5), blieb gleichwohl wichtig: zum einen als Gegenbegriff zur tradierten »Repräsentationswissenschaft« die sich im kontemplativen Räsonieren weitgehend erschöpft, zum anderen weil er ein Basisbegriff im Selbstverständnis zahlreicher Wissenschaftsinstitutionen weltweit wurde (Borries et al. 2012: 92ff.), um Antworten zu geben auf die Frage: Wie wird Wissenschaft heute gesellschaftlich wirksam? (Grossmann 1997).

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Während im deutschsprachigen Raum die »Handlungsforschung« wesentlich moralisch motiviert war (Moser 1975), ging es im englischen Sprachraum zunächst einmal nur darum, diesen Epochenbruch zu konstatieren, unabhängig davon, ob er emanzipatorischen oder affirmativen Zielen verpflichtet war. Erkenntnis sollte nicht länger durch bloß passive Kontemplation im »ivory tower« gewonnen werden, sondern unmittelbar durch praktisches Tun. In diesem Bemühen konnte auf eine Tradition (Dewey 1929) zurückgegriffen werden, die im deutschsprachigen Raum noch kaum zur Kenntnis genommen bzw., wenn überhaupt, sehr negativ interpretiert worden war (Horkheimer 1967). Dieser Paradigmenwechsel von der Repräsentations- zur Interventionswissenschaft, die zwangsläufig nicht mehr mono- bzw. interdisziplinär, sondern, indem sie sich unterschiedlichen Verfahrensweisen öffnete, transdisziplinär angelegt war, wurde im Verlauf der weiteren Diskussion als »Second Academic Revolution« (Etzkowitz 1990) bezeichnet, als Übergang von der »Academic« zur »Postacademic Science« (Ziman 1996), zur »Kontextwissenschaft« (Bonß/ Hohlfeld/Kollek 1993), zur »Post-normal Science« (Funtowicz/Ravetz 1993) bzw. zur »Mode 2 Knowledge Production« (Gibbons et al. 1994; Nowotny/ Scott/Gibbons 2001). Wie auch immer im Einzelnen benannt, im Fokus steht jedes Mal etwas miteinander Verwandtes: die wissenschaftliche Intervention in gesellschaftliche Problemfelder. Je nach Verwendungskontext handelt es sich hierbei um ein mit hohen Erwartungen aufgeladenes Versprechen, um eine negativ besetzte Begrifflichkeit oder um eine leere Worthülse. Ein zentrales Unterscheidungsmerkmal zwischen den Handlungsfeldern (akademischer) Repräsentations- und (postakademischer) Interventionswissenschaft besteht in der Bedeutung und im Stellenwert, den gesellschaftliche »Wertevielfalt«, und prognostische »Unsicherheit«, in ihnen einnehmen (Funtowicz/ Ravetz 2001). Die Existenz einer Vielzahl unterschiedlicher, durchaus legitimer Sichtweisen in realen gesellschaftlichen Problemzusammenhängen, die einer wissenschaftlichen Lösung bedürfen, stellen eine kaum zu überschätzende Schwierigkeit dar, weil sie hinsichtlich des zu realisierenden Forschungsergebnisses konsensuell zusammengeführt werden müssen. Im akademischen Raum »reiner« Theorien stellt sich eine solche Notwendigkeit nicht, weil konkurrierende Ansätze ohne gravierende Folgen für die Außenwelt nebeneinander bestehen können. Sie verändern lediglich die Einstellung der jeweiligen Wissenschaftler zur Realität; sie bewirken keinerlei Unterschied in dem, was wirklich ist (Dewey 1929). Ein Handeln hingegen, das in realen gesellschaftlichen Kontexten erfolgt, um Probleme wissenschaftlich zu lösen, erzeugt zugleich immer auch Unsicherheiten, weil es Folgeprobleme produziert, deren Auswirkungen nur schwer abschätzbar sind (»Risikogesellschaft«). Jedenfalls sollten Problemlösungen nur

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dann akzeptiert werden, wenn erkennbar ist, dass die durch sie ausgelösten Folgeprobleme nicht größer sind als das ursprüngliche Ausgangsproblem (Brock/ Sloterdijk 2011). Weil in diesen Entscheidungsprozess normative Wertungen konstitutiv mit eingehen, lassen sich Lösungen im Rahmen wissenschaftlich begleiteter Interventionen nicht entlang eines idealisierten linearen Pfades gestalten, weswegen die Standards von (akademischer) Repräsentationswissenschaft nicht ohne weiteres anwendbar sind.

EIN DREI-PHASEN-MODELL FÜR FORSCHUNGSVORHABEN MIT INTERVENTIONSCHARAKTER Bei Forschungsvorhaben mit Interventionscharakter (Heintel 2003, 2006a), die unmittelbar in den gesellschaftlichen Alltag hineinwirken, kommt der Anfangsphase eine besondere Bedeutung zu, geht es doch bei ihnen, ganz im Gegensatz zu jenen, in denen Wissen lediglich repräsentiert wird, darum, gemeinsam mit Akteuren aus gesellschaftlichen Praxisfeldern Forschungsfragen zuallererst einmal operational zu formulieren, die Auftragslage zu klären, ein Projektdesign zu entwickeln, Zielvorstellungen verbindlich festzulegen und über Inhalte sowie deren Relevanz zu entscheiden. Die sozialen Mechanismen, die dabei wirksam werden und das Ergebnis beeinflussen, das dann die Basis für das weitere Prozessgeschehen bildet, variieren je nach Kontext und sind je nach Einzelfall genau zu spezifizieren. Sie scheinen kaum verallgemeinerbar. Schaut man sich nun aber in der empirischen Literatur zur Interventionswissenschaft um, die in jüngster Zeit an Breite und Dichte zugenommen hat (Ukowitz 2012; Krainer/ Lerchster 2012), so stellt man schnell fest, dass es durchaus kontextübergreifende Merkmale gibt, die für strukturell gleichartige Problemzonen typisch sind. Eine komparatistische Analyse, die Typik nicht mit Repräsentativität verwechselt, kann dadurch zu theoretischen Verallgemeinerungen vorstoßen, die für die weitere Entwicklung transdisziplinärer Interventionsforschung hilfreich sind. Die empirischen Befunde zur Interventionsforschung, so wie sie sich aus der einschlägigen Literatur erschließen, lassen sich in einem Drei-Phasen-Modell theoretisch strukturiert zusammenfassen (verwiesen sei insbesondere auf Collins 1985; ferner Latour 1988; Gilbert/Mulkay 1984; Whitley 1972; Bijker/ Hughes/Pinch 1987; Winner 1993). Um den Prozess, in dessen Verlauf aus bloßen Vermutungen und Behauptungen »harte Fakten« werden, aus unsicherem Wissen konsolidiertes Wissen, kurzum aus der Diffusität der Anfangsphase eine konsensuelle Plattform für die weitere Vorgehensweise – um diesen Prozess besser verstehen zu können, lassen sich drei Aspekte bzw., in zeitlicher Hinsicht,

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drei Phasen unterscheiden: (1) die Phase der Unsicherheit, der »interpretativen Flexibilität«, wie Collins (1985: 25f.) sie nennt, (2) die Phase der Konsensbildung, in der »potentially open-ended debates are actually brought to a close«, (3) die Phase der Stabilisierung des erzielten Konsenses und die Implementierung des Projektgeschehens in das weitere soziale Umfeld, dem die am Projekt Beteiligten entstammen. Interpretative Flexibilität Dort, wo Wissenschaft sich in gesellschaftliche Problemfelder begibt, um an deren Lösung mitzuarbeiten, sieht sie sich, vor allem, wenn das in Form partizipativer Projektdesigns geschieht, vor Schwierigkeiten gestellt, die es in der akademischen Wissenschaft nicht gibt. Die Erzeugung »sozial robusten« Wissens folgt anderen Mechanismen und bemisst ihren Erfolg an anderen Kriterien als die Produktion reinen Buchwissens (vgl. Kap. 11): Lebensweltliche Fragestellungen müssen in wissenschaftlich bearbeitbare transformiert werden. Probleme sind zu Projektbeginn oftmals nur diffus formuliert und unterliegen der Gefahr, an den eigentlichen Ursachen vorbei, nur hinsichtlich ihrer Symptome bearbeitet zu werden. Es muss ferner überlegt werden, welche Akteure in den Planungsprozess einbezogen werden, welcher Forschungsarchitektur gefolgt werden soll, welche thematischen Aspekte im Vordergrund stehen. Sofern die Fragestellungen von den inhaltlich Betroffenen selbst eingebracht werden, müssen diese auf einer gemeinsamen Sprachebene reformuliert werden, ein kaum zu überschätzendes Problem, das umso gravierender ist, je unterschiedlicher die soziale Herkunft der Beteiligten und je komplexer das Projektdesign in seiner Dynamik und Konstellation zwischen innen und außen ist. Einerseits muss zu Beginn eine gewisse Prozessoffenheit gewährleistet sein, um situations- und problemadäquat arbeiten zu können, andererseits müssen alsbald Festlegungen getroffen werden, die eine kontinuierliche Arbeit erst ermöglichen. Alles in allem ein schwieriger Balanceakt, der ausführliche Überlegungen und Gespräche zwischen allen Beteiligten erforderlich macht. In moderierten Diskursen sind die expliziten, oft auch impliziten Interessen und Anliegen der einzelnen Akteure zu klären und, wenn möglich, hinsichtlich festzulegender Zielvereinbarungen zu verallgemeinern. Die Zielvorgaben sollten möglichst eindeutig festgelegt werden, damit in der späteren Evaluation der Erfolg oder Misserfolg der eingeleiteten Maßnahmen überprüft werden kann. Der Ausgestaltung der emotionalen Beziehungen sowie des Kommunikationsklimas ist, insbesondere wenn es sich um partizipativ gestaltete Projekte handelt, besondere Aufmerksamkeit zu widmen. Eine wichtige Rolle spielen hierbei sprachliche Vermitt-

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lungsprozesse insofern, als es im Projekt immer um einen komplexen Zusammenhang geht, der Sprechen, Denken, körperliche Befindlichkeit und Beziehungshandeln umfasst. Zudem wird das Prozessgeschehen ständig beeinflusst von einer Vielzahl unterschiedlicher Faktoren, rationalen wie irrationalen, internen wie externen, und nicht alle diese Faktoren unterliegen der Gestaltungsmacht der Akteure des Projekts. Schließung Bei jedem Projektbeginn handelt es sich um eine offene Situation. Es gibt keinen »one best way« zur Lösung der anstehenden Probleme. Und die Lösungswege verlaufen, wie empirische Fallstudien zeigen, keineswegs linear (Collins 1985; Bijker/Hughes/Pinch 1987). In der Regel sind sie, und zwar notwendigerweise, durch eine Fülle an Feedbackschleifen charakterisiert, denn dieselben Daten, dieselben Sachverhalte können von den Projektbeteiligten ganz unterschiedlich beurteilt und interpretiert werden. Die Gründe, die schließlich dazu führen, dass es zu einer Vereinheitlichung der Sichtweisen kommt, sind weder ausschließlich rational noch unbedingt »wissenschaftlich«. Eine entscheidende Rolle spielen zum Beispiel das Vertrauen, das einzelne Akteure genießen, die Persönlichkeit der involvierten Wissenschaftler oder die Darstellungsform der zur Diskussion gestellten Erkenntnisse. Es geht, in den Worten Latours, zum einen um die »Anwerbung« von unterschiedlichen »Verbündeten«, die das Projektgeschehen (»Netzwerk«) zur Durchsetzung der ihm zugrunde liegenden »Interessen« stabilisieren helfen, zum anderen um die Einbindung (»enrolment«) der Absichten und Interessen (»interessement«), mit denen einzelne Akteure das Verhalten und die Identität anderer Akteure zu beeinflussen suchen. Im Rahmen dieses Vorgangs, den Latour als »Übersetzungsprozess« (»translation«) bezeichnet, weisen die Akteure des Geschehens sich durch »Gleichschaltung« der Interessen wechselseitig bestimmte Rollen und Funktionen zu. Dies kann in Form von Überzeugungsakten, Intrigen oder sogar Drohungen geschehen. Schließlich verdichten sich, wenn alles gut geht, trotz der flexiblen Interpretierbarkeit der zugrunde liegenden Sachverhalte die an sich unbegrenzt möglichen Debatten und das Team gelangt zu einer konsensuellen »Schließung« (»closure«). Die sozialen Mechanismen, die zu einem Ende der Unsicherheiten und Kontroversen führen, sind vielfältig und müssen im konkreten Einzelfall jeweils genau benannt werden, seien es nun rhetorische Strategien, die einige Interpretationen plausibler erscheinen lassen als andere, oder institutionelle Kontexte, wie finanzielle Ressourcen, Anschlussfähigkeit an vorgängige oder parallele Dis-

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kurse etc. Aus empirischen Studien geht hervor, dass es nicht unbedingt notwendig ist, Probleme im eigentlichen Sinn des Wortes zu lösen, um eine Debatte zu beenden. »The keypoint is whether the relevant social groups see the problem as being solved.« Einen solchen Schließungsverlauf nennen Bijker et al. (1987) »rhetorical closure«. Eine »Schließung« kann zum Beispiel durch »Redefinition« des Problems erfolgen, weil sich die gefundene Lösung für ein anderes Problem, das ursprünglich gar nicht im Zentrum des Interesses stand, als viel besser geeignet erweist. Stabilisierung In der dritten Phase des Prozessgeschehens wird der erreichte Konsens stabilisiert und für das weitere Vorgehen fruchtbar gemacht. Er bildet nunmehr die gemeinsame Plattform des Projekts und steht nicht mehr zur Disposition. Stellenwert und Funktion der »Verhandlungen« und der dabei ins Spiel gebrachten Überzeugungen manifestieren sich nicht nur in den mündlichen und schriftlichen Äußerungen der am Projektgeschehen Beteiligten sowie in den von ihnen angewandten Darstellungstechniken (»inscription devices«), sondern sie sind zugleich geprägt durch das Binnenklima, die Kommunikationsstile und die Umgangsformen innerhalb des Projekts. Ob ein solcher Konsens letztlich stabil bleibt, hängt von vielen Faktoren ab, von internen wie von externen. Gelingt es, ihn stabil zu halten, gerät der Prozess, in deren Verlauf der Konsens gemeinschaftlich erzeugt wurde, insbesondere bei langfristigen Projekten immer mehr in Vergessenheit. Er wird sozusagen unsichtbar. Gemeinhin wird dieser Prozess des Verschwindens in der einschlägigen Literatur als »black boxing« bezeichnet: Motive, Interessen, Widerstände, beteiligte Akteure, Handlungsmuster etc., die am Vorgang der Schließung ihren Anteil hatten, in dessen Verlauf die am Geschehen Beteiligten in das Projekt integriert (»enroled«) wurden, so dass sie es aktiv mittragen, werden nicht mehr hinterfragt. Das Projekt kann nunmehr in das weitere soziale Umfeld, dem die am Projekt Beteiligten entstammen, implementiert werden, seine Arbeit aufnehmen und Wirksamkeit entfalten. Im Nachhinein stellt sich der Projektbeginn, wenn er denn gelingt, oft als so selbstverständlich dar, dass die Beteiligten glauben, es hätte nur diesen einen »one best way« zur Realisierung ihres Vorhabens gegeben.

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PRAXISERFAHRUNGEN AUS EINEM KOOPERATIVEN FORSCHUNGSPROJEKT Im folgenden Abschnitt beschreiben wir die Anfangsphase eines transdisziplinären Forschungsprojekts unter Zuhilfenahme der eben vorgestellten theoretischen Begrifflichkeiten und Phasen (interpretative Flexibilität, Schließung, Stabilisierung). Die wichtige Rolle von sozialen Prozessen in solchen Projekten tritt dabei deutlich hervor. Phasen und Ebenen interpretativer Flexibilität Eine Besonderheit des Forschungsprojekts »Facilitating Alternative Agro-food Networks: Stakeholder Perspectives on Research Needs« war es, Forschungsziele auf zwei Ebenen zu verfolgen (vgl. Einblick FAAN). Auf der »inhaltlichen« Ebene (policy analysis) sollte ländervergleichend untersucht werden, welche Faktoren für das Zustandekommen und die Entwicklung von alternativen regionalen Gemeinschaftsinitiativen relevant sind. Solche sozialen Netzwerke – im Folgenden als Alternative Agro-food Networks (AAFNs) bezeichnet – weisen vielfältige Organisationsstrukturen auf und verbinden häufig mehrere Bereiche einer Lebensmittelkette, von der landwirtschaftlichen Produktion über die Lebensmittelverarbeitung bis zur Lebensmittelversorgung. Auf der »Prozessebene« ging es darum, das Konzept von Co-operative Research (Stirling 2006) zu erproben. Wissensgenerierung wird darin als relationaler und akteursgetriebener Prozess verstanden, der von kulturellen Werten, Partikularinteressen, politischen und wirtschaftlichen Faktoren beeinflusst wird. Neben dem wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn werden auch andere Erkenntnis- und Wissensformen berücksichtigt. Gerade im Zusammenhang mit AAFNs spielen andere Formen von Wissensgenerierung (etwa »local knowledge«, »tacit knowledge«, »oral tradition of knowledge«) eine bedeutende Rolle. Dem entsprechend kooperierten im Projekt akademische Institutionen mit Civil Society Organizations (CSOs). Bereits in der Entstehungsphase des Projekts stellte sich die Herausforderung, Forschungsfragen kooperativ zu formulieren. Das zuvor genannte ZweiEbenen-Design erlaubte es, die inhaltlichen Forschungsfragen in der Antragsphase relativ allgemein zu formulieren und bestimmte Konkretisierungen erst im Verlauf des Projektes und als Teil des kooperativen Forschungsprozesses zu entwickeln. Insofern unterscheidet sich der zeitliche Verlauf der inhaltlichen von der Prozessebene: Was die Formulierung der inhaltlichen Forschungsziele und die Konkretisierung des Forschungsdesigns angeht, umfassten die für die Pro-

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jektentstehungsphase charakteristischen Aktivitäten nicht nur die Antragsphase, das heißt das kooperative Erarbeiten eines Projektantrags, sondern erstreckten sich bis in die Projektdurchführungsphase. Das Projekt wurde begleitend beforscht. Die Beforschung auf der Prozessebene begann allerdings erst mit dem Projektstart. Die Antragsphase wurde daher nicht dokumentiert, während die Prozesse in der Projektdurchführung durch die Begleitforschung gut dokumentiert sind. Diese Besonderheiten erklären auch, warum Antrags- und Durchführungsphase nicht klar abgegrenzt werden können. Das Projektgeschehen lässt sich als eine Abfolge von Schließungen beschreiben, die teilweise konsensual, teilweise kontrovers waren. Interpretative Flexibilität wurde bewusst aufrechterhalten, wobei rückblickend die Balance zwischen Flexibilität und Schließung entscheidend für die Arbeitsfähigkeit des Teams war. Neben Sachargumenten spielten u.a. Vertrauen, formale und informelle Macht, sprachliche Barrieren und gruppendynamische Aspekte eine wichtige Rolle. Zentrale Akteure in der Entstehungsphase waren das akademische Kernteam aus Mitgliedern des Interuniversitären Forschungszentrums für Technik, Arbeit und Kultur (IFZ) an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt und der Open University Milton Keynes (OU). Das IFZ koordinierte die Antragserstellung und das Gesamtprojekt, OU und IFZ akkordierten ihre Sichtweisen häufig vor breiteren Diskussionen. Beiden Akteuren kam daher eine hohe Definitionsmacht in der Vorbereitungs- und Durchführungsphase zu. Sehr wichtige Determinanten waren auch die informellen Netzwerke, Forschungstraditionen und die Veränderungsprozesse, die durch den Kontakt zu den zivilgesellschaftlichen Organisationen (CSOs) ausgelöst wurden. Vor dem Anfang: Rekrutierung der Projektpartner Die Strukturierung wahrgenommener Probleme, um sie in eine bearbeitungsfähige Form zu bringen, steht in der Phase interpretativer Flexibilität üblicherweise im Zentrum der Bemühungen. Die Zusammensetzung der Projektpartner ist entscheidend für die Strukturierung. Akademisch geprägte Wissenschaftler und Laienforscher trafen aufeinander und mussten den Umgang miteinander festlegen (Brock/Sloterdijk 2011; Giesler et al. 2004; Hörning 2001; Kerner 1996). Die stufenweise Rekrutierung der Partner im vorliegenden Projekt erfolgte in informellen internationalen Netzwerken aufgrund von Arbeitskontakten zwischen Forschern in der Akademia, die dann jeweils im eigenen nationalen Kontext CSO-Partner einwarben. Wichtig hierfür waren Einordenbarkeit, Berechenbarkeit und Vertrauen in die handelnden Personen, darüber hinaus aber auch, dass alle Partner AAFNs als interessant, positiv und unterstützenswert ansahen.

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Verschiebung des Untersuchungsfokus Die ursprünglichen Überlegungen des akademischen Kernteams konzentrierten sich zunächst – anknüpfend an langjährige Forschungsthemen – auf die regionalen Initiativen zur Gentechnikfreiheit als mögliche Forschungsobjekte. Die während der Antragsphase hinzukommenden Partner, die bereits lange Erfahrungen mit Policies und Praxis im Themenfeld hatten, betrachteten Gentechnikfreiheit allerdings nur als eines von mehreren relevanten Politikfeldern und setzten eine Verbreiterung des Fokus durch. Zuletzt standen dann die AAFNs und die relevanten Faktoren für deren Entstehung und Tätigkeit im Mittelpunkt der Forschung. In den Fallstudien wurde allerdings deutlich, dass viele AAFNs sich selbst als gentechnikfrei bezeichnen, diese Selbstzuschreibung aber nicht näher reflektiert und nicht wirklich handlungsrelevant ist. Zudem gab es in den untersuchten Ländern keinen relevanten kommerziellen Anbau von genetechnisch veränderten Pflanzen. Aus diesen Gründen wurde aus dem ursprünglich zentralen Thema schließlich ein Randthema. Begriffsdefinition und Kategorienbildung Unter Verweis auf die Prozessorientierung der Forschung war es in der Antragsphase des Forschungsprojektes möglich, die interpretative Flexibilität auch bei zentralen Fragen bestehen zu lassen. Ein Beispiel dafür ist die Kategorie »AAFNs«, die als zu beforschendes Objekt im Zentrum des Projekts standen. AAFNs waren von Beginn an eine begriffliche Kategorie der akademischen Partner, die nicht von CSO-Partnern verwendet wurde. Eine klare und einheitliche Definition des Untersuchungsobjektes bzw. eine Typologie von AAFNs gab es jedoch auch unter ihnen nicht. Andere etablierte Kategorien, wie etwa regionale und kurzkettige Lebensmittelversorgungssysteme (local food systems, short food supply chains), wurden für das Projekt als zu breit empfunden. Aufgrund des ländervergleichenden Untersuchungsansatzes stellte sich die Frage nach einer operationalen Definition des zentralen Forschungsobjekts, eine Frage, die zentral für vergleichbare Projekte ist, aber häufig unterschätzt wird. Auf der einen Seite entscheidet sich hier sehr früh die Arbeitsfähigkeit der Gruppe, unter Umständen durch Ausgrenzen von Teammitgliedern. Auf der anderen Seite findet dieser Problemkomplex in den Endberichten kaum die ihm gemäße Aufmerksamkeit. Im vorliegenden Fall wurde die Definition zunächst in die Projektdurchführungsphase verschoben, weil zum Antragszeitpunkt noch kein ausreichender Überblick über AAFNs in den Partnerländern vorlag.

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Bereits zu Beginn der Projektdurchführung stellte sich die Zuschreibung »alternativ« als besonders schwierig heraus. »Alternativ« kann als relationaler Begriff in Bezug auf das etablierte Lebensmittelversorgungssystem durchaus Unterschiedliches bedeuten. So hat beispielsweise in Frankreich die Industrialisierung der Landwirtschaft zwar früh eingesetzt, trotzdem hat sich ein sehr weit verbreitetes Bewusstsein für lokale – meist in kleinen Betrieben erzeugte – Spezialitäten erhalten. Hier hat auch sehr früh eine breite Gegenbewegung zur standardisierten Produktion eingesetzt, sogenannte »Associations pour le maintien de l’agriculture paysanne«. In Großbritannien waren es vor allem Lebensmittelskandale wie BSE, Maul- und Klauenseuche und die Gentechnikdebatte, die Versorgungskonzepten Aufwind brachten, die sich von industriell betriebener Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion sowie Supermärkten abwandten. In Ungarn und Polen wiederum sahen sich Subsistenzwirtschaft und kleine lokale Versorgungsstrukturen mit massiven Problemen durch den EU-Beitritt konfrontiert. Das Fokussieren auf regionale Spezialitäten war daher eine Überlebensstrategie ländlicher Gebiete angesichts der drohenden Marginalisierung infolge von »Effizienzsteigerung« zum Erreichen »westlicher« Standards .QLHü/ GoszczyĔsky 2009). In Österreich war das Potential für Effizienzsteigerung ohnehin auf einen vergleichsweise kleinen Anteil von Gunstlagen beschränkt. Die Besetzung von Marktnischen, z.B. durch biologische Produktion, regionale bzw. traditionelle Spezialitäten und Direktvermarktung, wurde bereits in den 1970er Jahren als Möglichkeit für benachteiligte Regionen erkannt und gefördert. Probleme entstanden in weiterer Folge, als die Supermärkte diese Nischen für sich entdeckten. Diese länderspezifischen Unterschiede und weitere nationale Rahmenbedingungen (z.B. Förderprogramme und rechtliche Regelungen) erzeugen einen unterschiedlichen Problemdruck auf das Nahrungsmittelversorgungssystem, was sich in der unterschiedlichen Ausrichtung der »alternativen« Initiativen widerspiegelt. Um in den jeweiligen nationalen fachlichen und Praxiskontexten sinnvoll kommunizieren zu können, wurde »AAFN« im Rahmen des Projekts deshalb auch sehr unterschiedlich »übersetzt« – teilweise unter Verwendung von in der Praxiswelt etablierten Begrifflichkeiten. Für Österreich wurde z.B. von dem in Praxiskontexten kaum verständlichen Begriff »innovative landwirtschaftliche Lebensmittelnetzwerke« abgegangen und in weiterer Folge von »Direktvermarktung« bzw. »Erzeuger-KonsumentInnen-Netzwerken« gesprochen. Einige der untersuchten Initiativen zeigten sich über die Zuschreibung »alternativ« nicht erfreut. Sie setzten dies mit Marginalisierung, mit Hobby und mit »nicht ernst zu nehmen« gleich. Eine solche Etikettierung konterkariert das Be-

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streben vieler Initiativen, ein fixer Bestandteil des vorherrschenden Nahrungsmittelversorgungsregimes zu werden. Schließung durch Problemverschiebung und -ausgrenzung Versuche von Seiten der akademischen Partner, konstitutive Merkmale zu identifizieren bzw. eine Typologie von AAFNs zu erstellen, führten zu komplexen und zeitintensiven Diskussionen, die für den Prozess hinderlich waren, indem sie – speziell aus der Sichtweise der CSOs – die Aufmerksamkeit auf ein Nebenthema fokussierten. Die Kontroverse wurde letztlich durch Arbeitsteilung beendet, indem die Definitionsfrage von der Projektgesamtebene in die jeweiligen nationalen Teams verlagert wurde. Die weitere begriffliche Schärfung erfolgte getrennt voneinander in den jeweiligen regionalen Kontexten. Hier stoßen wir auf ein weiteres zentrales Merkmal transdisziplinärer Projekte. Der akademische Anspruch auf homogene Begriffe auf Projektgesamtebene wurde fallengelassen. Die Schließung der Kontroverse erfolgte pragmatisch durch Problemverschiebung. Nur dadurch konnte das »Commitment« der CSO-Partner gesichert und der kooperative Forschungsprozess stabilisiert werden. Als es gegen Ende des Projekts darum ging, die Ergebnisse des Gesamtprojekts auf EU-Ebene und außerhalb des Projektkontextes zu kommunizieren, trat das Problem aber erneut auf. Wegen der Schwierigkeiten, den Begriff »AAFNs« außerhalb der akademischen Sphäre zu verwenden, wurde deshalb, wiederum pragmatisch, der sehr weit gefasste Begriff »local food systems« gewählt. Schließungsprozesse, wie der hier skizzierte, sind hochkomplex und dynamisch. Faktoren, die ihn entscheidend beeinflussen, sind die Persönlichkeit der involvierten Mitarbeiter, das Prestige der beteiligten Institutionen, Rhetorik, Empathie, Macht, Glaubwürdigkeit, Vertrauen etc. (Latour 1988). Stabilisierung durch »rhetorische Schließung« Schließungsprozesse waren in der Projektdurchführung mitunter von heftigen Kontroversen begleitet. So gab es beispielsweise einander diametral gegenüberstehende Ansichten, wie man das Forschungsdesign operationalisieren sollte: ob man von der bestehenden Literatur und EU- und nationalen Policy-Dokumenten ausgehen und mit diesem Fokus dann die regionalen Fallstudien untersuchen sollte oder zuerst die Fallstudien, um daraufhin die Politikfelder zu analysieren, die für die konkreten Fragestellungen eine Rolle spielten (»top-down« vs. »bottom-up«). Bei den Diskussionen kam es zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen Partnergruppen, die sich entlang dieser Forschungstraditionen bildeten.

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Die Gruppe mit den profundesten Kenntnissen über AAFNs konnte sich hier nicht durchsetzen, weil sie sich argumentativ immer wieder auf ihren nationalen akademischen Diskurs, auf ihre Erfahrungen und Expertise bezog, diese aber im Projektteam nicht hinreichend sichtbar waren, da die Publikationen hauptsächlich in der Landessprache vorlagen und nicht hinreichend vom Projektteam rezipiert werden konnten. Die Gruppe, die sich durchsetzte, bestand aus dem ursprünglichen Kernteam (IFZ, OU), dem auch der Koordinator angehörte. Zudem konnte ihr wesentlichster Proponent (eine Art Spiritus Rector des Projekts) in seiner Muttersprache Englisch sehr eloquent und überzeugend formulieren, während die Mitglieder der anderen Gruppe immer wieder Verständnis- und Artikulationsprobleme hatten. Hier wurde eine Schließung der Kontroverse durch informelle (Spiritus Rector) und formelle Definitionsmacht (Koordinator) erreicht und von sprachlichen Barrieren unterstützt. Später sollte sich herausstellen, dass der Zugang, der sich nicht durchgesetzt hatte, fruchtbarer gewesen wäre. Eine damit in Zusammenhang stehende Kontroverse ergab sich zum Verständnis von »Public Policies«, die für die Rahmensetzung der Analyse der Einflussfaktoren auf AAFNs wichtig wurde. Die Kontroverse entstand auch hier zwischen denselben Gruppen, wobei das Kernteam zunächst nur Politikfelder in das Blickfeld nahm, die in formaler Form auf EU- oder nationaler Ebene geregelt wurden (Förderungen und Regelungen). Die andere Gruppe hingegen verstand »Public Policies« in einem weiten Zusammenhang (auch beschrieben als »public action«, Delvaux/Mangez 2007) und betonte die Bedeutung zivilgesellschaftlicher Initiativen. Im Unterschied zu obigem Beispiel konnte sich hier das Kernteam nicht durchsetzen, da sich abzeichnete, dass ein breiteres Verständnis von »Public Policies« einen geeigneteren Rahmen für die Analyse der Fallstudien darstellte und dies auch deutlich von den Praxispartnern unterstützt wurde.

ZUSAMMENFASSUNG Die soziale Konstruktion von Wissen im Entstehungszusammenhang eines transdisziplinären, internationalen Projekts als Abfolge von Schließungs- und Stabilisierungsprozessen sollte sichtbar geworden sein. Konsensbildung war in dem Maße erforderlich, wie es galt, Arbeitsfähigkeit in einem komplexen interund transdisziplinären Setting zu sichern. Konsensbildung, wie sie innerhalb von akademischen Disziplinen üblich ist, spielte dabei eine geringere Rolle. Die Aushandlungsprozesse zwischen den Projektpartnern waren in der Projektentstehungsphase zumeist unterschwellig und kaum als solche wahrnehmbar. Deutli-

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cher wurde der soziale Charakter der Konsensbildung an einzelnen, mitunter zentralen Punkten, in denen Schließungsprozesse von Kontroversen begleitet waren. In den beschriebenen Kontroversen wird sichtbar, dass Faktoren wie formale und informelle Macht, Eloquenz und Überzeugungskraft, geographische und sprachliche Beschränkung von akademischen Diskursen, Vertrauen etc. eine bedeutende Rolle spielen, um Schließungen zu erreichen. Am Beispiel der Kontroverse zwischen Top-down- und Bottom-up-Zugang wurde mittels solcher Faktoren ein – rückblickend gesehen suboptimaler – akademischer Konsens erzwungen. Schließungen können dabei den Charakter einer zeitweiligen Arbeitsübereinkunft haben, ohne jedoch als Stabilisierung vollständig in den Hintergrund zu treten. Am Beispiel der zeit- und ressourcenintensiven Diskussion um die Begrifflichkeiten für das zentrale Untersuchungsobjekt »AAFNs« zeigt sich, dass das Problem keiner echten Lösung zugeführt wurde und die akademischen Unsicherheiten bestehen blieben. Durch eine pragmatische geographische Kompartimentierung der Diskurse konnte aber die Arbeitsfähigkeit im Projekt hinreichend gesichert werden. Verallgemeinernd lässt sich sagen, dass Probleme, die heute im Rahmen gesellschaftlicher Handlungsfelder einer wissenschaftlichen Bearbeitung zugeführt werden, in anderer Weise durch »Unsicherheit« und »Wertevielfalt« geprägt sind als die traditionelle Akademia. Sie können deshalb nicht entlang eines idealisierten linearen Pfades gelöst werden, der seinen Ausgang in der Erzeugung wissenschaftlichen Wissens nimmt, um dann in seine Anwendung zu münden. Stattdessen fallen der Wissenschaft völlig neue Aufgaben zu. Die Methoden, derer sie sich bisher im akademischen Umfeld bedient hat, sind in einem Kontext, in dem der Prozess der Entscheidungsfindung ebenso wichtig ist wie das Resultat, das schließlich zustande kommt, nur von begrenzter Wirksamkeit. Das, was an der Universität mit Hilfe von Lehrbüchern üblicherweise vermittelt wird, ist zwar nach wie vor notwendig. Aber es ist in Zukunft nicht mehr ausreichend, denn es bezieht sich auf eine standardisierte Version der Welt. Die Welt, in der wir heute agieren, unterscheidet sich davon ganz erheblich. Im Gegensatz zu dem Eindruck, den Lehrbücher vermitteln, verfügen die meisten Probleme einer durch Wissenschaft und Technik geprägten Gesellschaftspraxis über mehr als nur eine plausible Antwort, und auf manche gibt es überhaupt keine Antwort.

2 Differenzen wahrnehmen und erfahren WILLI HAAS, SILVIA HELLMER Handle heißt, triff eine Unterscheidung NACH GEORGE SPENCER-BROWN (1969), SIEHE AUCH DIRK BAECKER (1993)

Abbildung 1: Die Einführung des Kreises schafft im »undifferenzierten« Raum zwischen zwei zuvor noch gleichen Punkten eine Unterscheidung in einen inneren und einen äußeren Punkt. Welche Unterscheidungen sind in inter- und transdisziplinären Projekten nützlich?

Graphik: Willi Haas und Silvia Hellmer

Entlang der Entstehungsgeschichte eines inter- und transdisziplinären Studierendenprojektes wird im Folgenden relevanten Differenzen und deren Bedeutung für inter- und transdisziplinäre Prozesse nachgegangen. Wie konstituiert sich die Projektgruppe? Welche Inhalte sollen bearbeitet werden? Welcher Untersuchungsgegenstand wird gewählt? Welche Forschungsmethode? Welche Zielgruppen? Wer sind die PraxispartnerInnen? Welche AuftraggeberInnen kommen in Betracht? Oder anders gefragt: Welche oft weitreichenden Unterscheidungen werden zu Beginn eines Projektes bei der Beantwortung dieser Fragen getroffen?

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Im Studierendenprojekt, das hier als Beispiel dient, haben sich folgende Fragen gestellt: Drei Studentinnen finden sich, weil es ihnen ein Anliegen ist, dass (alte) Menschen selbstbestimmt leben können. Da sie aus Studienrichtungen kommen, die sich mit baulichen, sozialen und regionalen Ansätzen befassen – Architektur, Ethnologie und Landschaftsplanung –, interessiert sie der öffentliche Raum: Wie geht es alten Menschen, die sich im öffentlichen Raum nicht so gut artikulieren können? Wie kann eine Stadt hier einen Beitrag leisten? Welche konkrete Personengruppe möchten wir ins Zentrum unseres Forschungsprojektes stellen und wie treffen wir eine Abgrenzung? Wie können wir diese Personen an unserer Forschung beteiligen?1

Das folgende Kapitel reflektiert auf Unterscheidung als zentrale Kategorie für transdisziplinäre Forschung und verweist auf den Referenzrahmen der Systemtheorie: konkret auf die Systemtheorie des Soziologen Niklas Luhmann, aber auch auf Arbeiten des Biologen Humberto Maturana, des Kybernetikers Heinz von Foerster, des Anthropologen Gregory Bateson oder des Mathematikers und Psychologen George Spencer-Brown2, die für dieses theoretische Konzept einen wesentlichen Bezugsrahmen darstellen. In dieser Theorietradition hat die Frage, wie und mit welchen Unterscheidungen eine Gesellschaft die Welt und sich selbst beschreibt, einen zentralen Stellenwert. Damit ist dies für uns ein fruchtbares theoretisches Terrain, um unserer speziellen Frage nachzugehen, welche Differenzen wir in der transdisziplinären Forschung wahrnehmen und erfahren.

1

Das Projekt »ALT.MACHT.NEU Ideen für eine altersfreundliche Stadt« wurde von der Studierendengruppe RES[i] Arbeitsgemeinschaft für Stadt und Mensch (R = Renate Kinzl, E = Eva Doringer, S = Sabine Gruber, i = interdisziplinär) entwickelt und durchgeführt (Doringer/Gruber/Kinzl 2004). Es wurde im Rahmen des dreisemestrigen Lehrprogramms »Universität & Arbeitsmarkt« am Wiener Standort der heutigen IFF-Fakultät der Universität Klagenfurt zwischen 2003 und 2005 realisiert (Hellmer 2005; Hellmer/Dressel/Wondratsch 2013).

2

Als zentrale Werke der Systemtheorie seien hier Luhmann (1987), Maturana/Varela (1980), von Foerster (1981), Bateson (1972), Spencer-Brown (1969) genannt. Für einen leichteren Einstieg sei vor allem auf Berghaus (2004) verwiesen.

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INHALT: MOTIV UND UNTERSCHEIDUNG Gleich zu Beginn der Entstehungsgeschichte erkennen wir bereits das Motiv der StudentInnen, alten Menschen ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen. Folgt man George Spencer-Brown, ist so ein Motiv eine wichtige Grundvoraussetzung: »Es gibt keine Unterscheidung ohne Motiv […] und es gibt kein Motiv ohne bemerkt zu haben, dass Inhalte in ihren Werten differieren.« (Nach Baecker 1993: 12) Umgelegt auf unser Beispiel stellen nun Forscherinnen aus einer Beobachterposition heraus fest, dass alte Menschen selbstbestimmter leben sollten. Diese Feststellung impliziert, dass alte Menschen derzeit keine oder zu wenig Selbstbestimmtheit vorfinden – sie konstatieren damit also nicht nur ein Motiv, sondern damit eng verbunden auch eine Wertedifferenz (viel oder wenig Selbstbestimmung). Diese Einführung einer Wertedifferenz gleicht nun einer Linie, die den vorläufig noch »undifferenzierten« Raum durchtrennt und damit ein neues »Universum« schafft, in dem von nun an operiert wird (Abb. 1). Diese grenzziehende Linie unterscheidet sich von unzähligen anderen Möglichkeiten, den Raum zu durchtrennen. So hätten die Studentinnen alternativ mit der Feststellung beginnen können, dass alte Menschen mangelhaft betreut werden. Sie hätten damit in letzter Konsequenz den Fokus auf das Betreuungssystem gelegt. Die Festlegung einer Grenzlinie kann im Sinne Spencer-Browns als Befolgung seiner Anweisung – »Triff eine Unterscheidung!« – verstanden werden. Damit wird ein schöpferischer Akt vollzogen bzw. die erste Handlung gesetzt. Motiv und Grenzziehung sind der erste folgenreiche Akt einer Forschungsgeschichte, weil damit alternative Festlegungen wenngleich nicht ausgeschlossen, so doch aus dem Blickfeld geschoben werden. Roland Fischer und KollegInnen erwähnen noch einen wesentlichen zusätzlichen Aspekt: Zu Beginn von Forschungsvorhaben handelt es sich nicht nur um einen individuellen, sondern auch um einen kollektiven Akt: »Es ist immer wieder auch bezüglich Detailfragen ein Wollen zu entwickeln. Und das nicht nur je individuell, sondern gemeinsam, um gemeinsames Handeln zu ermöglichen. Wissen kann nur teilweise Basis dieses gemeinsamen Wollens sein.« (Fischer et al. 2011: 97)

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STRUKTUR: PROJEKTGRENZE UND BINNENDIFFERENZIERUNG Diese inhaltlichen Festlegungen setzen voraus, dass Klarheit darüber besteht, wer unter »gemeinsam« verstanden wird, also Klarheit bezüglich der Grundfrage, wer dazu gehört und wer nicht.3 Abstrakter gesprochen stellen wir die Frage nach der Projektstruktur bzw. der Projektgrenze. Wir fragen, wo die Linie zu ziehen ist, die den Unterschied macht, wer mit welchen Rollen zur Projektgruppe und wer zu dessen Umwelt gehört. Damit betreten wir allerdings den Boden der Zirkularität. Die Motive führen zu einer inhaltlichen Forschungsfrage. Die Beantwortung der Frage verlangt wiederum bestimmte Kompetenzen innerhalb des Projektes, und damit wird entschieden, wer dabei sein soll und wer nicht. Von dieser womöglich veränderten Gruppe hängen nun aber das Motivgemenge und die gemeinsame Forschungsfrage ab. Abbildung 2: Zirkularität zwischen Inhalt und Struktur bzw. Motiv und Zugehörigkeit. Die Motive der InitiatorInnen sind ausschlaggebend für die Forschungsfrage, die Forschungsfrage fordert Kompetenzen und klärt somit, wer zur Projektgruppe gehören sollte. Eine allfällige Veränderung der Projektgruppe verändert jedoch das Motivgemenge der Projektgruppe.

Motive und Unterscheidungen

Inhalt

Struktur

Wer dazu gehört

Graphik: Willi Haas und Silvia Hellmer

Diese gegenseitige Abhängigkeit aufzulösen ist kein trivialer Vorgang. In der Regel wird dieses Problem über einen prozesshaften Zugang gelöst. Eine Gruppe stellt sich in einem ersten Schritt eine inhaltliche Frage. In einem zweiten Schritt

3

Der Frage nach der Systemgrenze, den Aufgaben und interpersonalen Beziehungen für die Beobachtung und Intervention in Gruppen und Organisationen geht Edgar Schein (2000: 186–244) auf verschiedenen Ebenen (Inhalt, Prozess, Struktur) nach. Darüber hinaus erscheint die Diskussion über die Differenz von Akteur und Aktion in der Systemtheorie interessant (Simon 2007: 76–82).

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wird überlegt, wer mitwirken sollte. Wenn neue Personen hinzugezogen werden, kann die Frage nochmals und gemeinsam formuliert werden. Dieses Durchlaufen muss nun nicht zwangsläufig endlos durchspielt werden. Nach ein oder zwei Durchgängen ist eher anzunehmen, dass sich die Frage zwar noch ändert, dies aber keine Konsequenzen für die personelle Projektstruktur nach sich zieht. Diesem Vergemeinschaftungsprozess zu Beginn des Projektes, aber auch im Verlauf des Projektes (bei gravierenden Änderungen) kommt eine erfolgskritische Bedeutung zu (vgl. Kap. 7, 8). Welche inneren Differenzierungen geben wir uns als Wissenschaftsteam? Wie können wir unsere disziplinären Sichtweisen kompatibel machen? Wie werden wir gemeinsam handlungsfähig? In unserem Beispiel starten die drei Studentinnen als Projektgruppe mit einer ersten Idee für dieses inter- und transdisziplinäre Projekt. Da die drei Studentinnen für das Projekt unterschiedlich relevante disziplinäre Perspektiven mitbringen, ergibt dies eine zentrale Binnendifferenzierung für das Projekt, die es gilt, im Projektverlauf fruchtbar werden zu lassen. An dieser Stelle wollen wir konkret auf einen weiteren Unterschied verweisen: den zwischen Multi- und Interdisziplinarität (Kötter/Balsiger 1999). Unter einem multidisziplinären Zugang verstehen wir das parallele Bearbeiten von wissenschaftlichen Teilfragen, die von einer Disziplin vor dem Hintergrund des eigenen Theoriegebäudes gestellt wird. Die Antworten zu diesen Teilfragen werden dann von dieser Disziplin mit Hilfe ihres Methodenrepertoires zusammengeführt. Die wissenschaftliche Syntheseleistung bleibt dabei somit (mono-)disziplinär. Dies kann für disziplinär gestellte Fragen durchaus sinnvoll sein. Interdisziplinarität stellt dem gegenüber den Anspruch, dass bereits in der Problemdefinition, dann bei der Bearbeitung und schließlich in der Synthesephase die Disziplinen einander irritieren und in ein Verhältnis wechselseitiger Beeinflussung treten. In unserem Beispiel hatten die drei Studentinnen sich das Ziel gesetzt, bauliche, räumliche und soziale Barrieren für alte Menschen abzubauen, um so ihre Selbstbestimmtheit zu erhöhen. In dieser Zielsetzung sind viele explizite und implizite wechselseitige Beeinflussungen möglich, die erst erkannt werden können, wenn WissenschaftlerInnen mit den entsprechenden Kompetenzen zusammenarbeiten. Eine häufig nur implizit auftretende Differenz zwischen Disziplinen ist hier durch zwei grundlegend unterschiedliche Forschungskulturen vertreten (vgl. Einblick »Science as Culture«). Während Architektur und Landschaftsplanung vor allem im Modus der naturwissenschaftlichen Herstellung von »Wahrheit« operieren, greift die Ethnologie vor allem auf konstruktivistische Ansätze

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zurück.4 Für Irritation und wechselseitige Beeinflussung ist somit gesorgt. Diese Differenz ist aber auch für die Bearbeitung der Forschungsfrage zumindest sehr brauchbar, wenn nicht eine Voraussetzung. Beispielsweise ist im Projekt der Abbau sozialer Barrieren gewünscht. Gelingt in der Kooperation mit alten Menschen ein Abbau sozialer Barrieren, so verändert dies auch deren Wahrnehmung von baulichen Barrieren. So kann ein gutes Verhältnis mit der Nachbarschaft zu einem Wunsch nach einem größeren Aktionsradius führen, wodurch Gehsteigkanten plötzlich als Barrieren wahrgenommen (konstruiert) werden, die zuvor außerhalb des Blickfeldes lagen. Ob der Abbau aber als Gewinn von Selbstbestimmtheit angesehen wird, hängt von vielen Faktoren ab. Unter anderem kann es davon bedingt sein, ob alte Menschen bei der Diskussion baulicher und sozialer Barrieren einbezogen werden und ob sie zwischen Alternativen (mit)entscheiden können. Hier stellt sich also die Frage, wie die Projektgruppe ihre Beziehung zu den alten Menschen gestalten will. Welche konkrete Personengruppe möchten wir ins Zentrum unseres Forschungsprojektes stellen und auf welche Weise treffen wir eine Abgrenzung? Wie können wir diese Personen an unserer Forschung beteiligen? Mit dieser Frage tritt eine für transdisziplinäre Projekte häufige Komplikation auf. Sollen die beforschten Personen nur Forschungsobjekt und damit Teil der Projektumwelt sein oder sollen diese mit ihrer jeweiligen Perspektive und Alltagserfahrung sowie ihrer Betroffenheit am Generieren von Lösungen beteiligt und damit zu AkteurInnen des Forschungsprojektes werden? In der Regel ist so eine Entweder-oder-Frage schwer zu beantworten. Die drei Studentinnen treffen in unserem Beispiel die Entscheidung, die beforschten Personen nicht ausschließlich als Forschungsgegenstand zu verstehen, sondern sie aktiv in die Forschung als »AlltagsexpertInnen«5 einzubeziehen. Da sie die alten Menschen aber nicht als »WissenschaftlerInnen«, sondern als »AlltagsexpertInnen« verstehen, die, so die Annahme, nur an bestimmten Aspekten des Forschungsprojektes Interesse haben, entsteht eine Sowohl-als-auch-Konstellation, die eine doppelte Projektgrenze generiert.

4

Zur Auseinandersetzung mit wissenschaftstheoretischen Zugängen: Heintel (2005); zum Konstruktivismus: Simon (2006). Luhmann (1998) rekurriert auf den Subjekt/ Objekt-Begriff und auf Rekursivität.

5

Der Begriff der »AlltagsexpertInnen« wird von der Studierendengruppe verwendet. Sie greifen dabei auf das Verständnis von Aktivierung als Demokratiestrategie zurück (Doringer/Gruber/Kinzl 2004: 4).

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Dies kann nun auch als Grundstein für ein transdisziplinäres Forschungsprojekt verstanden werden. Praktisch kann dies so gehandhabt werden, dass in ausgewählten Phasen des Projektes mit bestimmten Bearbeitungsschwerpunkten die »AlltagsexpertInnen« Teil des Projektteams sind, in anderen wiederum nicht, also zur Umwelt gehören. In unserem Fall sind sie beim Erkunden von Barrieren und bei Kontakten mit der Stadtverwaltung Teil des Projektes, bei Theoriearbeit und Erarbeitung des Berichtes treten sie jedoch in den Hintergrund oder werden sogar in der Rolle als Beforschte (aus der Projektumwelt) befragt. Diese – wenn auch temporäre – Mitgliedschaft im Projekt setzt allerdings voraus, dass alle Beteiligten an einer gemeinsamen Forschungsfrage arbeiten und diese auch teilen und somit der Grundmodus der Kooperation gilt. Ein wichtiges methodisches Element im Projekt waren beispielsweise gemeinsame Begehungen von alten Menschen und WissenschaftlerInnen im Wohnumfeld der alten Menschen. Ziel war es nicht, die Wahrnehmung der alten Menschen gezielt zu beeinflussen. In diesen Begehungen wurde kooperativ gearbeitet, um im Zusammenspiel des Wissens von »AlltagsexpertInnen« und von WissenschaftlerInnen mit Spezialisierungen (z.B. Architektur) besser die Barrieren zu erkennen und darüber Einsichten zu formulieren bzw. Problemlösungen zu entwickeln. Auch die Ergebnisse des Projektes erfordern den gemeinsamen Konsens, der auch mit den »AlltagsexpertInnen« hergestellt werden muss6.

6

Hier soll ein Unterschied gemacht werden: »AlltagsexpertInnen« können nur Teil eines Projektes werden, wenn es im Zusammenhang mit dem Forschungsgegenstand Offenheit und Vertrauen mit der Wissenschaftsgruppe gibt. In geschichtswissenschaftlichen Projekten wird beispielsweise immer wieder diskutiert, ob ZeitzeugInnen Beforschte oder Mitforschende sind. Häufig ist in diesem Fall jedoch eine forschungsbedingte Skepsis angebracht, ob die Betroffenheit der ZeitzeugInnen von untersuchten Ereignissen nicht Wahrnehmung und Erinnerung derart beeinflussen, dass sich auch scheinbare Fakten verändern. Zur Diskussion über die Rolle von ZeitzeugInnen in der Geschichtsforschung: von Plato (2001, 2007); zu Erinnerungsdiskursen, Interventionen und Lernprozessen: Dressel (2012).

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Abbildung 3: Projektgruppe mit doppelter Systemgrenze, die Wissenschaftsteam (Projektgruppe 1) mit ihrer Binnendifferenzierung und Wissenschaftsteam plus der temporär mitforschenden »AlltagsexpertInnen« zusammengefasst als Projektgruppe (Projektgrenze 2).

Graphik: Willi Haas und Silvia Hellmer

Nachdem klar geworden ist, welche Personengruppe im Zentrum der Forschung steht, sieht sich die Wissenschaftsgruppe aber nun mit folgenden weiterführenden Fragen konfrontiert: Welche Konsequenzen sind damit verbunden, ob Personengruppen zum Projektteam oder als AkteurInnen der Umwelt wahrgenommen werden? Wer sind die relevanten AkteurInnen? Im Gegensatz zur Kommunikation innerhalb der Projektgruppe verhält es sich mit AkteurInnen aus der Umwelt grundsätzlich anders. Bei diesen kann keinesfalls vorausgesetzt werden, dass sie die Projektfrage als relevant bewerten oder die Ziele teilen. Es ist sogar wahrscheinlich, dass AkteurInnen, die eine Projektgruppe für forschungsrelevant hält, den problematisierten Status quo wesentlich beeinflusst haben, sei es durch aktive Gestaltung, Nebenwirkungen von Handlungen oder Nicht-Handlungen. Eine gestellte Forschungsfrage kann von diesen AkteurInnen als Kritik an ihrer Rolle verstanden werden. Hier kann also nicht von einem Grundmodus der Kooperation ausgegangen werden. Häufig ist hier eine konstruktiv irritierende Kommunikation zielführend, indem an Ziele oder Präferenzen der Akteure angeknüpft und gleichzeitig auf Widersprüche mit konkreten Wirkungen gesetzter Aktivitäten verwiesen wird. Durch einen konstruktiven Zugang und das Aufzeigen eines möglichen Nutzens für konkrete AkteurInnen kann hier die Erfolgswahrscheinlichkeit verbessert werden. Die Entscheidung, wer zum Projekt gehört und wer zur Umwelt, ist eine fundamentale

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Strukturentscheidung, die den dominierenden Kommunikationsmodus festlegt: kooperativ oder konstruktiv irritierend. Betrachten wir dazu die typischen AkteurInnengruppen in unserem transdisziplinären Forschungsbeispiel. Bereits bei den Motiven wird klar, dass das Projekt nicht ausschließlich einen Beitrag für die Scientific Community leisten soll. Es will auch gesellschaftlich wirksam werden, indem AkteurInnen aus Stadtpolitik und -verwaltung sensibilisiert werden sollen. Damit haben wir es mit zwei fundamental unterschiedlichen Umwelten zu tun. Diese sind: x

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die Scientific Community, die letztlich die gewonnen Erkenntnisse als Wissenszuwachs akzeptieren muss (z.B. bei Konferenzen oder durch den PeerReview-Prozess eines Journals). Generierte Erkenntnisse müssen damit in einem Diskurs argumentativ bestehen können. AkteurInnen aus dem Praxisfeld, im konkreten Beispiel politische und administrative AkteurInnen der Stadt, die letztlich erarbeitete Problemlösungen aufgreifen, entscheiden und umsetzen sollen. Bei dieser Akteursgruppe geht es um kluge Interventionen, die geeignet scheinen, Aufmerksamkeit zu erreichen und Nutzen zu stiften.

Um an die beiden grundsätzlich verschiedenen Typen von AkteurInnengruppen anschlussfähig zu sein, sind zwei grundsätzlich unterschiedliche Ergebnisse gefordert: nämlich wissenschaftliche Erkenntnisse für die Scientific Community und Problemlösungen für die AkteurInnen aus der Lebenswelt. Dies ist kein Spezifikum des vorgestellten Projektes, es ist vielmehr ein grundlegendes Merkmal transdisziplinärer Forschung (Hirsch Hadorn et al. 2008; Klein 1990; Wiesmann et al. 2008; Bergmann/Jahn 2008).

PROZESS: VOM GEMEINSAMEN PROBLEM ZUM ERGEBNIS Neben Inhalt und Struktur ist bereits deutlich geworden, dass der Prozess sich als kluge Beobachtungsdimension erwiesen hat. Dabei geht es darum, in welcher zeitlichen Abfolge Wissenschaftsteam, »AlltagsexpertInnen« und AkteurInnen aus der Umwelt zusammenspielen, um Ergebnisse zu generieren. In unserer transdisziplinären Kooperation findet sich ein Wissenschaftsteam, das Ideen für eine altersfreundliche Stadt entwickeln möchte. Dabei identifizieren sie eine konkrete Gruppe alter Menschen (als PraxisakteurInnen) mit Alltagsproblemen. In der gemeinsamen Problemdefinition erfolgt die Fokussierung auf bauliche, räumliche und soziale Mobilitätsbarrieren sowie die zu geringen Möglichkeiten

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zur Selbstbestimmung in Bezug auf diese Barrieren. Aufgrund dieser Problemdefinition wurde das Forschungsdesign entwickelt. Es wurden Workshops und Erforschungsspaziergänge vereinbart. Als methodische Zugangsweise wurde die am Gemeinwesen orientierte Aktionsforschung (Hinte/Karas 1989) gewählt, um alte Menschen dahingehend zu aktivieren, als »AltagsexpertInnen« zu kooperieren, und sie zu befähigen, selbstbestimmter zu leben. In einem gemeinsamen Arbeitsprozess (teils gemeinsame, teils getrennte Umsetzung) wurden Ergebnisse erarbeitet. Für die Praxis sind dies Problemlösungen, für die Wissenschaft Erkenntnisse. Abbildung 4: Schema transdisziplinärer Kooperation

Eigene Graphik in Anlehnung an Bergmann/Jahn 2008; Schein 2000

Für künftige Bearbeitungen verändern die Ergebnisse den Rahmen für die Definition neuer lebensweltlicher Probleme sowie neuer wissenschaftlicher Problemformulierungen (Abb. 4, strichlierte Pfeile).

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REFLEXION: VOM BEOBACHTEN ZUM HANDELN Die Systemtheorie7 geht davon aus, dass Systeme real in der Wirklichkeit existieren. Werden aber nun Aussagen über diese Wirklichkeit getroffen, so sind dies nie Aussagen über die Realität selbst, sondern Beobachtungen von BeobachterInnen über die von ihnen konstruierten Realitäten. Beobachtung, der Realität bedeutet dabei immer, dass »eine Unterscheidung benutzt wird, um etwas als dies, und nicht das, zu bezeichnen« (Luhmann 1992: 138). Das heißt aber auch, dass Beobachtungen stets von den Unterscheidungen abhängen, die BeobachterInnen treffen. Dies ist deshalb so zentral, weil Beobachtungen die Grundlage für das Formulieren von Erkenntnissen sind.8 Für unser transdisziplinäres Projekt kann das nun folgendermaßen ausgelegt werden: Die Beobachtungen beziehen sich auf das Identifizieren von Barrieren für alte Menschen in ihrem Wohnumfeld oder die Selbstbestimmtheit der alten Menschen in der Stadt. Dies sind sogenannte Beobachtungen erster Ordnung entlang der Fragestellungen der Projektgruppe, beispielsweise: Welche baulichen und sozialen Barrieren erleben alte Menschen in den Wahrnehmungsspaziergängen der Projektgruppe? Werden Barrieren aufgrund von vereinbarten Unterscheidungen erkannt, können diese auch tatsächlich von der Projektgruppe hinterfragt und überprüft werden. Wie für alle Beobachtungen gilt auch hier die Einschränkung, dass BeobachterInnen mit »blinden Flecken« ausgestattet sind. In der Regel ist die Sicht vor allem in Aspekten getrübt, die diese selbst betreffen, wo Unterscheidungen mit ihren sensiblen Punkten in Zusammenhang stehen. So sind Barrieren auch nicht an und für sich definierbar, sie können erst in Bezug auf ein Subjekt (alte Men-

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Die Systemtheorie weist im inter- und transdisziplinären Zusammenhang den Vorteil auf, »den gesamten Bereich der Wirklichkeit abzudecken« (Berghaus 2004: 25), das heißt, über die von unterschiedlichsten Wissenschaftsdisziplinen untersuchten Systeme hinweg Gültigkeit zu beanspruchen. Hier sei nur auf biologische, psychische, soziale, ökonomische, technische etc. Systeme verwiesen.

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Erkenntnisse, auch wenn sie von BeobachterInnen und deren Unterscheidungen abhängen, sind aber keineswegs beliebig. Sie müssen der Realität angemessen sein. So kann überprüft werden, ob Erkenntnisse konsistent sind und gegenüber nicht passenden Beschreibungen »Widerstand« leisten bzw. bestehen können. Allerdings bleibt immer ein »blinder Fleck« – etwas, was BeobachterInnen nicht sehen, weil sie selbst in das zu Beobachtende eingeschlossen sind.

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schen) bzw. auf BetrachterInnen (Projektgruppe) definiert werden. Damit sind BeobachterInnen gleichzeitig Teil des Untersuchungsgegenstandes. Dieses Paradoxon kann nun nicht aufgelöst, höchsten relativiert werden: durch die Beobachtung zweiter Ordnung. Diese Beobachtungen zweiter Ordnung können durch die Projektgruppe selbst erfolgen, wenn sich diese eine Auszeit von der Beobachtung erster Ordnung nimmt und sich selbst aus einer übergeordneten Beobachterposition beim Beobachten erster Ordnung beobachtet. Beispielsweise kann die Projektgruppe ein Video ihrer »Wahrnehmungsspaziergänge« auswerten. Wobei es ist hier nicht um die gefilmten Barrieren in der Realität geht, sondern um die soziale Konstruktion der Barrieren. Beobachtungen zweiter Ordnung sind daher die Grundlage von Reflexionen, die in der Praxis auf »Alltagstheorien« und in der Wissenschaft auf wissenschaftlichen Theorien aufbauen. Reflexion selbst mündet in Handlung, wenn diese in Praxis und Theorie wirksam wird. Für die Projektgruppe und die Gruppe der WissenschaftlerInnen waren diese Beobachtungen (bspw. Wahrnehmungsspaziergänge, Beobachtungen zu »Alter und Stadt«) und Reflexionen (wie gemeinsame Treffen und Auswertung der Erfahrungen und Ergebnisse) ein Anstoß für neue Ideen und Maßnahmen zur Entwicklung der Stadt. Wie können Projektgruppe und Wissenschaftsteam Entscheidungsträger aus der Praxis, z.B. ExpertInnen der Stadtverwaltung und BezirkspolitikerInnen, in verschiedene Phasen der Projektarbeit einbeziehen, damit Ergebnisse für Problemlösungen zu »Alter und Stadt« tatsächlich umgesetzt werden?9 Für transdisziplinäre Projekte ist es entscheidend, aus der Vielfalt an möglichen Beobachtungen jene Unterscheidungen zu treffen, die für gesellschaftliche Problemlösungen der Praxis und für Erkenntnisse der Wissenschaft relevant sind. Da es sich bei diesem Fallbeispiel zu »Alter und Stadt« um ein inter- und transdisziplinäres Projekt im Rahmen eines Lehrprogramms handelt, existiert noch eine zusätzliche Beobachtungsebene. Die Beobachtung durch Dritte. In Supervisions- und Reflexionseinheiten wurden die inter- und transdisziplinären Projekte durch die Lehrenden und die Studierenden des Lehrprogramms begleitet. In regelmäßigen Abständen wurde der Fortschritt beispielsweise über die Ergebnisse der Wahrnehmungsspaziergänge und Identifizierung von Barrieren für alte Menschen in ihrer Wohnumgebung vorgestellt und durch Lehrende sowie

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Tatsächlich konnte auf Basis der Ergebnisse der Projekt- und Wissenschaftsgruppe z.B. eine bauliche Barriere (Stufen zu einem nahegelegenen Erholungsgebiet, das SeniorInnen mit Rollatoren nicht erreichen konnten) beseitigt werden.

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Studierende hinterfragt. In diesem Rahmen findet somit Lernen statt, das über Reflexion wiederum neue Handlungsoptionen aufzeigen kann.10

SCHLUSSFOLGERUNGEN FÜR INTER- UND TRANSDISZIPLINÄRE PROJEKTE Angesichts der unendlichen Zahl von möglichen Unterscheidungen ist es natürlich vermessen, Unterscheidungen vorzugeben. Primär wollen wir darauf verweisen, zu Beginn die gemeinsamen Motive sorgfältig herauszuarbeiten. Erst diese erlauben es, die passenden Unterscheidungen festzulegen. Auch die Einhaltung der Grundregel, dass Unterscheidungen nur dort sinnvoll sind, wo Inhalte in ihren Werten differieren, können wir uneingeschränkt empfehlen. Bei den weiteren Unterscheidungen können wir nur auf solche verweisen, die uns in unserer Projekt- und Lehrpraxis als besonders nützlich erschienen sind. Oder auch auf solche, deren Missachtung zu besonders lehrreichen Komplikationen geführt haben. Aus den vielen von uns in diesem Text aufgezeigten Unterscheidungen wollen wir nur ein paar wenige exemplarisch für diese Schlussfolgerungen herausgreifen. Da gibt es zunächst die Unterscheidung in Inhalt und Struktur, die zirkulär miteinander verknüpft sind. Hier ist die Vergemeinschaftung ein zentraler Punkt. Immer wieder passiert es, dass Projektgruppen aufgrund inhaltlicher Gründe erweitert oder auch verkleinert werden. Da man ja dann endlich mit der eigentlichen Umsetzung beginnen will, kommt die Überprüfung, ob sich Motive und gesetzte Ziele damit auch verändern, oft zu kurz oder fällt manchmal ganz aus. Innerhalb von Wissenschaftsgruppen werden disziplinäre Unterschiede im Blick auf die Welt oder in Forschungszugängen oft als irritierend und verzögernd beiseitegeschoben und durch die dominante Wissenschaftskultur »vereinfacht«. Oft können aber erst die Unterschiede zwischen verschiedenen disziplinären Zugängen neue Erkenntnisse hervorbringen. Diese Unterscheidungen kritisch im Blick zu behalten, kann daher erfolgskritisch sein. Dann gibt es noch diese latenten Fragen, wer gehört mit welchen Rollen zum Projekt und wer gehört zur Umwelt. Diese Unterscheidung ist oft unbequem, verweist aber häufig auf ein wichtiges

10 Lernen II nach Bateson (1985). Lernen I würde bedeuten, dass nur Inhalte wiedergegeben werden. Lernen II untersucht den Kontext von Lernen I nach neuen Möglichkeiten und Erkenntnissen, die über Reflexionsprozesse sichtbar werden. Beispielsweise werden über Wahrnehmungsspaziergänge neue Erkenntnisse für die Forschung und Handlungsoptionen für die Praxis erarbeitet.

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Problem, das zu lösen sich lohnt. Unklarheit in diesem Punkt kann das Potential einer Gruppe einschränken. Schließlich ist ein klarer Rahmen für Reflexion (Austausch von Beobachtungen zweiter Ordnung) äußerst wichtig, um im Projektalltag (Beobachtungen erster Ordnung) tatsächlich getroffene Unterscheidungen zu überprüfen. Das setzt voraus, dass der Unterschied zwischen Projektumsetzung und Reflexion deutlich gesetzt wird, damit Unterscheidungen in nützliche und unnütze differenziert werden können.

3 Ein Forschungsteam finden LARISSA KRAINER, BARBARA SMETSCHKA

Der folgende Text behandelt die Fragen, warum Forschen in Teams sinnvoll ist, wie solche Teams gefunden werden können und welche Herausforderungen sich dabei ergeben können. Wer ein Problem bearbeiten will, wird unmittelbar mit der Frage konfrontiert: Wer wird (kann) sich der Problembearbeitung widmen? In vielen Fällen reicht es aus, die für die Problemlösung erforderlichen FachexpertInnen zu finden. Wenn das Problem in Form von Kopfschmerzen auftritt, gehen wir zur Apothekerin oder zum Arzt. Sind die körperlichen Schmerzen nicht gut lokalisierbar, braucht es vielleicht ein Ärzteteam. Handelt es sich jedoch um ein schwieriger zu identifizierendes Problem, das diffus/unklar oder heterogen/umstritten wahrgenommen wird (Scheringer et al. 2005), werden neue Erkenntnisse erforderlich. Dafür braucht es einen Prozess und geeignete und interessierte Personen mit unterschiedlicher Expertise. Die Zusammenstellung von Teams in inter- und transdisziplinären Forschungsprojekten orientiert sich primär am jeweiligen Forschungsthema und der konkreten Problemstellung im Praxisfeld. Neben disziplinärem Fachwissen wird hier auch die Frage relevant, wie geübt WissenschafterInnen darin sind, in inter- und transdisziplinären Kooperationen zu arbeiten und wie sehr sie sich auch auf die bisweilen durchaus aufwändigen Auseinandersetzungen und Verständigungsprozesse über Disziplinen- und Wissenschaftsgrenzen hinweg einlassen können und wollen. In Forschungskooperation mit den interessierten/betroffenen PraktikerInnen wird daher die Frage relevant, welche Kompetenzen ForscherInnen in Bezug auf solche Kooperationen mitbringen und in welchem Ausmaß die Bereitschaft dazu gegeben ist.

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In diesem Kapitel wird von solchen komplexeren Praxisproblemen ausgegangen und werden die folgenden Fragen behandelt: x x x

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Warum wird im Team geforscht? Wen braucht ein inter- und transdisziplinäres Forschungsteam? Welche Perspektiven und Kompetenzen, welche Interessen und Qualifikationen sind hilfreich, wenn es darum geht, neues Wissen und Lösungsoptionen für ein komplexes Problem zu finden? Wer sucht weshalb ein Team? Welche strukturellen Rahmenbedingungen beeinflussen die Auswahl von Teams?

WARUM WIRD IM TEAM GEFORSCHT? Das Arbeiten im Team und die Steuerung und Organisation von Forschungsteams wird in der Forschungsliteratur selten thematisiert, wie etwa ein Blick in einschlägige Lehrbücher der qualitativen Sozialforschung belegt (dazu exemplarisch: Flick 2010; Mayring 2010; Bohnsack 1991). Zu den wenigen, die diesen Aspekt behandeln, zählen etwa Ulrike Froschauer und Stefan Titscher (1984), mehr zu Thema findet man dann bei den »team sciences« (Stokols et al. 2008) sowie in der gängigen Projektmanagementliteratur (exemplarisch: Kummer et al. 1986; Litke 1995; Frey 1993; Patzak 1996; Heintel/Krainz 2011). Unterschiedliche Gründe führen dazu, in Teams zu forschen: So sind z.B. das arbeitsteilige Management von begrenzten personellen wie finanziellen Ressourcen und Kapazitäten von Motiven zu unterscheiden, die um der Komplexität der Problemstellung willen verschiedene Perspektiven zu integrieren versuchen. Neben pragmatischen Vorteilen (z.B. Arbeitsteilung) lassen sich allgemeine wie spezifisch forschungsrelevante Vorteile von Teambildungsprozessen in Forschungsprojekten benennen: Zu den allgemeinen zählen etwa Erkenntnisse aus der Gruppendynamik und dem Projektmanagement, die zeigen, dass arbeitsfähige Gruppen in der Regel bessere Ergebnisse erbringen als Einzelpersonen, vor allem, was ihre Entscheidungsfähigkeit und die Qualität der erzielten Resultate betrifft (Heintel/Krainz 2011: 120f.). Eine bessere Entscheidungsfähigkeit zu erzielen bedeutet hier, in diskursiven Prozessen möglichst viele Entscheidungsoptionen generiert, kritisch diskutiert und letztlich kollektiv reflektiert entschieden zu haben (Krainer 2007).

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Peter Heintel und Ewald Krainz (2011: 120) listen für erfolgreiches Projektmanagement etwa die folgenden Vorteile von Projektgruppen auf, die sich auch auf Forschungsteams übertragen lassen: x x x x x x x x x x x

»weil man gegenseitig Fehler besser kontrollieren kann (Fehlerausgleich), weil mehr Informationen vorliegen, weil dadurch das Problem besser erkannt wird, weil mehr Problemsichtweisen auftreten, weil mehr Lösungsmöglichkeiten und Alternativen angeboten werden, weil die individuellen Ressourcen besser genützt werden, weil meist mehr Kreativität entwickelt wird (durch das positiv empfundene Arbeitsklima), weil auf die Bedürfnisse der Gruppenmitglieder mehr Rücksicht genommen wird, weil in Gruppen die Belastbarkeit der Individuen größer ist, weil eine bessere Verbindung der rationalen und emotionalen Ebenen erreichbar ist, weil man sich mit dem Ergebnis und seiner Durchführung besser identifiziert.«

In den Kontext von inter- und transdisziplinärer Forschung übertragen, sind darüber hinaus die folgenden Vorteile zu explizieren: x

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x x

weil die Einrichtung interdisziplinärer Forschungsteams die Einbindung unterschiedlicher wissenschaftlicher Perspektiven auf Praxisfelder und damit eine adäquatere Betrachtung derselben ermöglicht, weil die Integration mehrerer unterschiedlicher Forschungsmethoden das Generieren von verschiedenen Forschungsdaten ermöglicht, die eine breitere Informationsbasis ermöglichen können, weil unterschiedliche Kompetenzen im Umgang mit PraxispartnerInnen besser ausgeglichen werden können, weil in qualitativen Forschungsprojekten das Forschungsteam eine wichtige Kontrollinstanz darstellt, die einen Beitrag zur kommunikativen oder auch kollektiven Validierung leistet (Krainer/Lerchster/Goldmann 2012: 210f.).

Die Einrichtung von Forschungsteams kann aber auch über die Vorteile von Teamarbeit hinausgehende Begründungen haben. Bei internationalen Forschungsprojekten ist es z.B. naheliegend, Vergleichsdaten jeweils vor Ort zu generieren. Manche Auftraggeber verlangen explizit, dass internationale For-

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schungskooperationen abgeschlossen werden und mehrere Personen involviert sein müssen. Das ist vor allem dann der Fall, wenn es um die Bearbeitung der »grand challenges« gesellschaftlicher Problemstellungen geht, die einzelne ForscherInnen bei weitem überforderten.

WEN BRAUCHT EIN INTER- UND TRANSDISZIPLINÄRES FORSCHUNGSTEAM? Damit eng verbunden sind die Fragen nach Perspektiven und Kompetenzen, nach Interessen und Qualifikationen, die hilfreich sind, wenn es darum geht, neues Wissen und Lösungsoptionen für ein komplexes Problem zu finden. Für die Zusammenarbeit in Forschungsteams, die inter- und transdisziplinär arbeiten, sind Fähigkeiten auf verschiedenen Ebenen gefragt: x x

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Ebene des disziplinären Fachwissens (z.B. Gegenstand, Methode, Theorien und Konzepte), Ebene der interdisziplinären Expertise (etwa fächerübergreifende Kooperationspraxis, Wissenschaftstheorie, Wissenschaftsphilosophie, Interventionsforschung), Ebene der transdisziplinären Kompetenz (bspw. Erfahrungen in der Kooperation mit PraktikerInnen).

Disziplinäres Fachwissen mit interdisziplinärer T-Kompetenz Ohne disziplinäres Fachwissen ist keine interdisziplinäre Zusammenarbeit möglich (Fischer 2000a). Daher steht auch am Beginn der interdisziplinären Forschung die Frage, welche disziplinären Perspektiven benötigt werden, um ein bestimmtes Thema von verschiedenen Seiten zu beleuchten und gegebenenfalls mit unterschiedlichen Methoden zu erforschen. Das ließe sich auch erledigen, indem verschiedene FachexpertInnen mit ihren jeweiligen Methoden ein Problem erforschen und die Ergebnisse ihrer Analyse einfach zusammenspielen. Diese multidisziplinäre Arbeitsweise (Smoliner 1998) braucht vor allem gut ausgebildete ExpertInnen und jemanden, der die Zusammenführung übernimmt. Wenn es aber darum gehen soll, dieses disziplinäre Wissen in interdisziplinärer Zusammenarbeit zu neuen Erkenntnissen zu führen, so werden Überlegungen zu wichtigen zusätzlichen Kompetenzen erforderlich, insbesondere die sogenannte T-Kompetenz.

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»T-shaped skills« gelten in der Berufswelt als wichtige Voraussetzung für innovative Arbeitsbereiche und Problemlösungskompetenz – sie sind auch für Forschungsprojekte zentrale Fähigkeiten: »The need for T-shaped skills surfaces anywhere problem solving is required across different deep functional knowledge bases or at the juncture of such deep knowledge with an application area. People possessing these skills are able to shape their knowledge to fit the problem at hand rather than insist that their problems appear in a particular, recognizable form. Given their wide experience in applying functional knowledge, they are capable of convergent, synergistic thinking« (Leonard-Barton 1995: 75).

Die folgende Graphik illustriert drei unterschiedliche Möglichkeiten, der wissenschaftlichen »Bearbeitung« von Praxisproblemen, die uns unterschiedlich gut geeignet erscheinen. Im Bild der T-Kompetenz wird die disziplinäre wissenschaftliche Basis als Stamm und der Querbalken als Bereitschaft zur Kooperation über die eigene Spezialisierung hinaus gezeichnet. Abbildung 1:

Graphik: Barbara Smetschka

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Für interdisziplinäre Zusammenarbeit ist demnach beides wichtig: Ein fundiertes Wissen zu einem Thema und/oder zu wissenschaftlichen Methoden und Konzepten, die in der wissenschaftlichen Ausbildung als ein Set an Paradigmen, Methoden und Konzepten gelehrt werden, bildet die Basis für Forscherinnen und Forscher. Wer über den Tellerrand schauen will, muss allerdings auch den eigenen Teller wahrnehmen und seine Möglichkeiten und Begrenzungen erkennen können. Über das gute Fundament der Spezialisierung hinaus brauchen ForscherInnen die Bereitschaft, ihre Arme auszustrecken und Wissen über andere Fachgebiete zu erwerben. Der Querbalken beschreibt die Fähigkeit, über Konzepte zu diskutieren, die dem eigenen Wissen gegenüber fremd und der eigenen Herangehensweise gegenüber oft widersprechend sind. Dazu gehört auch die Bereitschaft, sich von anders verwendeten Begriffen nicht zu sehr beirren zu lassen, sondern ausgehend von dieser Irritation neues Denken und neue Erkenntnisse zu entwickeln. Sehr selten haben Menschen eine A-Kompetenz, das wäre die Fähigkeit, in zwei Fachgebieten gleichermaßen spezialisiert zu sein und daraus in einem inneren Denkprozess neue Erkenntnisse zu entwickeln. Noch seltener werden wir einen Querbalken auf dem A finden. Wünschenswert für einen interdisziplinären Forschungsprozess scheint dagegen die Zusammenarbeit in Forschungsteams, in denen alle Beteiligten die Arme ausstrecken und miteinander Neues entdecken wollen (in der Skizze symbolisiert durch den Kreis, den ForscherInnen mit Hilfe ihrer T-Kompetenzen um ein Praxisproblem bilden). Kompetenzen für transdisziplinäre Forschung Für transdisziplinäre Forschung, die Kooperationen mit Praxisfeldern vorsehen, sind darüber hinaus noch weitere Kompetenzen bzw. Grundhaltungen und eine gewisse Lernbereitschaft erforderlich. Welche das sind, hängt allerdings mit der Frage zusammen, wie sich die Kooperation ausgestalten soll. Die Breite der dafür identifizierbaren Möglichkeiten ist, wenn man den Darstellungen von Christian Pohl und Gertrude Hirsch Hadorn (2006) oder Martina Ukowitz (2012) folgt, enorm. Wir reduzieren hier auf drei grundsätzliche Möglichkeiten von Kooperationen: x

Die Kooperation mit Praxisfeldern beschränkt sich darauf, dass entsprechende Kooperationsverträge abzuschließen sind, die den Zugang der Forschung ermöglichen, des Weiteren wird aber mit den Personen vor Ort nicht kooperiert, sie werden primär als »Forschungsgegenstand«, als »Forschungsobjekte« betrachtet. Diese sehr häufig beobachtbare Form würde in unserem Verständnis allerdings nicht als transdisziplinäre Forschung gelten, für die

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ein wichtiges Kriterium das Generieren gemeinsamen Wissens (oder auch sozial robusten Wissens) darstellt, was ausschließt, dass der Erkenntnisgewinn primär auf wissenschaftlicher Seite zu verorten wäre. Diese Möglichkeit wird daher nicht weiter verfolgt. Das Forschungsteam setzt sich ausschließlich aus WissenschafterInnen zusammen und kann disziplinär oder interdisziplinär besetzt sein, wobei Ersteres – zumindest im Kontext der IFF-Fakultät – zumeist eine Ausnahme darstellt. Die Kooperation mit dem Praxisfeld wird so eingerichtet, dass zwischen dem wissenschaftlichen Forschungsteam und den PraxispartnerInnen Kommunikationsräume geschaffen werden, die einen regelmäßigen Austausch über die Entwicklung von Forschungsfragen, über Forschungsergebnisse oder die weitere Vorgehensweise in den Forschungsprojekten ermöglichen. Das geschieht z.B. über das Einbringen von Expertenwissen, die Auswahl von InterviewpartnerInnen, das Validieren von Ergebnissen u.v m. Das Forschungsteam setzt sich aus WissenschafterInnen und PraktikerInnen zusammen, die zu kooperativ Forschenden werden. Dies ist häufig mit dem Ziel verknüpft, PraktikerInnen selbst zu ForscherInnen ihrer Praxis auszubilden oder sie dazu zu ermächtigen, zukünftig auch autonom tätig werden zu können (wie etwa in der Aktionsforschung oder der Praxeologie, einer ihr verwandten Forschungsmethode, angestrebt).

Der zweite und der dritte Fall sind eindeutig transdisziplinären Forschungsvorhaben zuzuordnen. In beiden Fällen wird mit PraktikerInnen eng kooperiert. Im zweiten Fall treten PraktikerInnen im Wesentlichen in drei unterschiedlichen Kooperationsrollen auf: als AuftraggeberInnen (mit spezifischen Interessen, über die gemeinsam verhandelt wird), als ExpertInnen und AuskunftgeberInnen ihrer Praxis (z.B. als InterviewpartnerInnen) und schließlich als Betroffene, die Interesse an den Ergebnissen der Forschung haben, um aus ihnen in ihrer weiteren Praxis Konsequenzen ziehen zu können. Im dritten Fall kommt ihnen eine weitere Rolle zu: Sie werden selbst zu Forschenden und sind daher auch in das Team der ForscherInnen einzubinden. Dieser Fall wirft naturgemäß nicht nur die Frage auf, welche Kompetenzen WissenschafterInnen mitbringen müssen, sondern auch, welche Fähigkeiten und Ressourcen PraktikerInnen abzuverlangen sind, wenn sie Teil eines Forschungsteams werden sollen. Dann sind auf sie die nachstehend genannten Aspekte prinzipiell in gleicher Form anzuwenden, wenn auch jeweils in modifizierter Form. In Bezug auf die gesuchten Kompetenzen, Grundhaltungen und die Lernbereitschaft von Forschungsteammitgliedern erfordern die Kooperationsformen zwei und drei auf Seiten der WissenschafterInnen, dass eine gewisse Grund-

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kenntnis des Praxisfeldes gegeben ist, bereits Erfahrungen mit dem jeweiligen Praxisfeld vorhanden sind oder auch gute Kontakte dorthin bestehen. ForscherInnen müssen an die Sprache der PraktikerInnen anschlussfähig sein, diese verstehen und ein Stück weit so kommunizieren können (vgl. Kap. 8). Sie brauchen darüber hinaus eine prinzipielle Bereitschaft zur Kooperation mit PraxispartnerInnen und sollten vor allem sich selbst nicht als allwissend, die Praxis hingegen als unwissend oder unreflektiert betrachten. Sie sollten daher keinesfalls einem Konzept der »Arbeitsteilung im Geiste« folgen (Heintel 2005: 109). Für die in das Forschungsteam eingebundenen PraktikerInnen bedeutet es, sich ein Stück weit von ihrer eigenen Praxis distanzieren zu können und möglichst vorurteilsfrei und abseits gewohnter Bahnen und Routinen auf das Feld zuzugehen und umgekehrt mit bestehenden Vorurteilen aus der Praxis zu rechnen. Ein solches bereitwilliges (und möglichst vorurteilsfreies) Aufeinanderzugehen von Wissenschaft und Praxis muss allerdings durchaus nicht friktionsfrei verlaufen. Die Frage, wie die Expertise der Praxis mit der Expertise der Wissenschaft auf Augenhöhe zusammengeführt, verhandelt und genutzt werden kann, stellt zumeist für beide Seiten eine Herausforderung dar. Es gilt unterschiedliche Zielvorstellungen zu erkennen und zu thematisieren, damit Annäherung und fruchtbare Zusammenarbeit möglich werden. Neben gegenseitiger Akzeptanz erfordert das auch eine gewisse Konfliktkompetenz. ForscherInnen, die transdisziplinär arbeiten wollen, müssen bereit sein, sich auf Forschungskonzepte abseits des Mainstreams einzulassen. Wenn z.B. Forschungsergebnisse schwer publizierbar sind, so hat das Konsequenzen in Bezug auf Wissenschaftskarrieren. Die skizzierten Kompetenzen bringen junge ForscherInnen in aller Regel nicht von vornherein mit. Vielfach können sie auch erst unterwegs (in Auseinandersetzung mit KollegInnen aus anderen Disziplinen und PraktikerInnen vor Ort) erworben werden – insofern sprechen wir auch von Lernbereitschaft. Unverzichtbar erscheint uns aber eine Grundhaltung, die transdisziplinäre Kooperationen als Gewinn betrachtet und den tieferen gesellschaftspolitischen Sinn in ihnen erkennt. Reflexions- und Prozesskompetenz Für inter- und transdisziplinäre Forschung sind neben den genannten Kompetenzen insbesondere Reflexions- und Prozesskompetenzen wichtig. Die wissenschaftliche Ausbildung birgt neben einem großen Wissensschatz auch einen Rucksack an Annahmen, Haltungen und Qualitätskriterien mit dem WissenschafterInnen in einer je Disziplin spezifischen Sozialisation ausgestattet werden (Becher 1989). Mit dem Konzept der Wissenschaftskulturen wurde diese Sozia-

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lisation bei ausgewählten Disziplinen analysiert und beschrieben (Arnold/Fischer 2004). Diese disziplinären Rucksäcke können durch Reflexion, Spiegelung und Dialog mit anderen Wissenschaften erkannt werden. Für die interdisziplinäre Zusammenarbeit ist es wichtig, sich über das eigene Wissen im Klaren zu sein. Die eigene Expertise kann als Angebot für eine Kooperation formuliert werden. Der Austausch über Angebote und Erwartungen stellt einen ersten Schritt für das Finden eines passenden Teams dar. Reflexion über eigenes Wissen und die eigene wissenschaftskulturelle Sozialisation ist ein weiteres Angebot an das Team. Der Austausch darüber, welche Haltung aus der eigenen Ausbildung und Sozialisation mitgebracht werden, erleichtert das Erkennen von Faktoren, die die Qualität der interdisziplinären Zusammenarbeit beeinflussen. Fremd- und Selbstbild von Wissenschaftsdisziplinen spielen in der Kooperation eine wichtige Rolle. Annahmen über die Qualität der anders ermittelten und anders dargestellten Ergebnisse wirken ebenso wie Ansprüche an Definitionshoheit zu bestimmten Begriffen (Winiwarter 1999). Eine zusätzliche Ausbildung in Wissenschaftssoziologie oder -philosophie, aber auch das Wissen und ein reflexives Erarbeiten der eigenen Wissenschaftsgeschichte und ihrer Stellung im System Wissenschaften, sind gute Voraussetzungen für interdisziplinäre Zusammenarbeit. Der Erwerb von Prozesskompetenzen (vgl. Kap. 8) als Ergänzung zu Fachwissen ist ein wichtiges Auswahlkriterium für Teamarbeit (Hellmer/ Smetschka 2009). Ähnlich verhält es sich in der Kooperation mit PraktikerInnen aus verschiedenen Feldern. Gemeinsame Reflexionsprozesse über gegenseitige Erfahrungen mit den VertreterInnen aus dem jeweils anderen System (Wissenschaft und Praxis) unterstützen das Erkennen von Vorbehalten, Wünschen und gegenseitigen Erwartungen, die ebenso homogen wie divergent ausfallen können. Erst das gemeinsame Besprechen und Reflektieren dessen ermöglicht einen Prozess der Vergemeinschaftung.

WER SUCHT WARUM EIN TEAM? Der Frage, welche strukturellen Rahmenbedingungen die Auswahl von Teams beeinflussen, soll im folgenden Abschnitt nachgegangen werden. Der Prozess der Zusammenstellung von Forschungsteams kann sich sehr unterschiedlich gestalten und auch davon abhängen, ob es sich um ein Auftragsforschungsprojekt (z.B. durch Auftraggeber aus dem Bereich der Privatwirtschaft), um einen Forschungsantrag (z.B. bei kompetitiv organisierten Förderstrukturen wie dem FWF oder der EU) oder um »Eigenforschung« handelt. Letztere kommt

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häufig dadurch zustande, dass WissenschafterInnen ein gemeinsames Forschungsinteresse entwickeln und sich (mit oder ohne Finanzierung) an die Arbeit machen, meistens ohne weitere Teammitglieder zu benötigen oder suchen zu müssen. Größe und Zusammenetzung im Forschungsteam wird dabei von den Bedürfnissen und Möglichkeiten der eigenen Institution bestimmt. In Auftragsprojekten ist es häufig der Fall, dass Organisationen mit einem mehr oder minder dringenden Forschungsbedarf an wissenschaftliche Forschungseinrichtungen herantreten, der möglichst zeitnah behandelt werden soll. In diesen Fällen gilt es, entsprechend schnell ein arbeitsfähiges Forschungsteam zusammenzustellen und zu konstituieren. Bei Forschungsanträgen, die einer kompetitiven Begutachtung und Auswahl unterzogen werden, gewinnen neben den bereits diskutierten interund transdisziplinären Kompetenzen zusätzliche Dimensionen an Bedeutung (etwa die wissenschaftliche Reputation der Antragstellerinnen, der individuelle »Track«, ihre internationale Sichtbarkeit). In den letzten beiden Fällen gibt es entweder AuftraggeberInnen, die Fragen und Ziel der Forschung vorgeben, oder Fördergeber, mit denen diese Fragen und Ziele jedenfalls ausgehandelt werden müssen. Der Rahmen der Forschungsförderung wirft dabei in seiner Widersprüchlichkeit mehrere Fragen auf und soll später noch eingehender beleuchtet werden. Das Problem als Impuls In der inter- und transdisziplinären Forschung gilt das Problem als Impulsgeber für das Finden eines inter- und transdisziplinären Teams. Insofern stellen sich die folgenden Fragen: Welche Wissenschaftsbereiche sollten involviert sein? Welche außerwissenschaftlichen PartnerInnen betrifft das Problem bzw. haben Interesse an der Entwicklung von Lösungen und in weiterer Folge an der Umsetzung von Lösungsstrategien? Stakeholder sind potentiell alle Personen, die ein Interesse daran haben, ein Problem zu untersuchen und Lösungen zu finden, unabhängig davon, ob sie WissenschafterInnen, FachexpertInnen oder Betroffene (ExpertInnen der Praxis) sind. Die Entscheidung, wer in die Forschung involviert werden soll oder kann, hängt dennoch stark von den Projektzielen und von der Art der Forschung ab. Wenn davon ausgegangen wird, dass das Problem am Anfang steht, gilt es jeweils »Problembringerinnen und Problembringer« zu identifizieren, die, nachdem sie das Problem für sich aus ihrer jeweiligen Perspektive benannt haben, miteinander in Austausch treten können. »Problem Framing« als erster Schritt einer inter- und transdisziplinären Forschungsarbeit braucht diverse Perspektiven (Pohl/Hirsch Hadorn 2006). Mit einer Umfeldanalyse können die ersten aktiven

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Personen ihre Wahrnehmung des Problemfeldes erweitern und weitere Personen zur Ergänzung zur Forschung einladen (Zimmermann 2006; Newig 2004). Mit Hilfe einer Systemlandschaft, in der alle betroffenen und beteiligten Personen, Strukturen und Subsysteme sichtbar gemacht werden, die im zu erforschenden Praxisfeld relevant sind und miteinander interagieren, können unterschiedliche bzw. widersprüchliche Logiken, die das Forschungsfeld betreffen, analysiert werden. Die Zusammenarbeit im Forschungsteam ist als langfristige und intensive Kooperation sehr anspruchsvoll, sodass nicht alle Personen mit entsprechender Expertise auch ins Team eingeladen werden können, weil sie nicht über hinreichend zeitliche Ressourcen verfügen, um daran mitzuwirken, oder weil das Team in Bezug auf ihre Größe kooperations- und arbeitsfähig gehalten werden soll. Hier kann es durchaus ein praktikabler Weg sein, Personen mit wichtiger Expertise punktuell zur inhaltlichen Beratung und zum Austausch einzubinden (z.B. im Rahmen eines »sounding boards«). Insofern wird es in transdisziplinären Forschungsvorhaben immer Teilbereiche geben, in denen disziplinär, multidisziplinär und interdisziplinär gearbeitet wird. Forschungsförderung als Motivation Neben Problemorientierung als selbstgewähltem Rahmen der Forschung wirken auch äußere Rahmenbedingungen der Forschungsförderung (intern, extern, national, international) auf die Motivation und Art und Weise der Zusammensetzung eines Forschungsteams. In der Forschungsförderung gibt es dabei widersprüchliche Kräfte: Einerseits wird mit dem Fokus auf Exzellenz klassisch disziplinäre Forschung bevorzugt. Dafür gibt es ausreichend Publikationsmöglichkeiten, eine jeweils eindeutige Zuordnung des Forschungsgebietes und ausreichend Peers als GutachterInnen. Allgemein wird angenommen, dass Peer-Reviews mit einem gewissen Revierdenken einhergehen und weniger Chancen für neuartige, innovative, riskante und damit inter- und transdisziplinäre Forschung bieten (Dinges/ Hofer 2008). Die nationale Forschungsförderung in Österreich (Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung/FWF und Forschungsförderungsgesellschaft/FFG) versucht hier neue Verfahren anzudenken; die Zuordnung zu Fachgebieten und damit verbundene Auswahl von FachgutachterInnen bleiben aber bestehen. Beim Schweizer Nationalfonds werden interdisziplinäre Forschungsvorhaben dagegen von einem »interdisziplinären Fachausschuss« evaluiert (www.snf.ch/D/foerderung/projekte/). Andrerseits verlangt Forschungsförderung oft Lösungen, Umsetzung, Wirksamkeit und fördert damit zwar inter- und transdisziplinäre Herangehensweisen,

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zugleich aber auch eine mögliche strukturelle Überforderung des Teams. In vielen Ausschreibungen, z.B. im Rahmen des EU-FP7-Forschungsprogramms, wird naturwissenschaftliches Erkenntnisinteresse mit dem Auftrag, gesellschaftlich relevante Ergebnisse zu liefern, verbunden. Die implizite oder explizite Forderung nach inter- und oft auch transdisziplinärer Forschung beeinflusst damit stark die Bildung von Forschungsteams. ForscherInnen, die Interesse an einem Thema haben, werden durch die Förderpolitik dazu angeregt, über interdisziplinäre Kooperationen nachzudenken. So kann schnell ein begeistertes, interdisziplinäres Team gefunden werden. Selten ist in der Phase der Projekteinreichung ausreichend Zeit für sorgfältige Vorbereitung und Verhandlung der verschiedenen Ziele und Interessen. Die Angebote und Möglichkeiten der Teammitglieder und die Verhandlung gemeinsamer Ziele müssen dann erst nach Projektstart verhandelt werden. Es ist daher eine erste große Herausforderung für ProjektkoordinatorInnen, beim Kick-off-Meeting das gegenseitige Kennenlernen und den Austausch über individuelle Fähigkeiten, Ressourcen und Ziele der ProjektpartnerInnen und gemeinsame Ziele im Forschungsprojekt zu ermöglichen. Manchmal sind mehrere Treffen notwendig, bevor ausreichend Klarheit und Vertrauen hergestellt ist und mit der eigentlichen Forschung begonnen wird. Die Wahl von PartnerInnen, mit denen bereits ein Vertrauensverhältnis besteht und gute Erfahrungen gemacht wurden, ist ein Schritt der Risikominimierung. Antragsfinanzierung könnte dabei helfen, diesen Kennenlernprozess schon vor Projektantrag zu beginnen und eventuell auch neue Partner in Betracht zu ziehen. Bei öffentlichen Ausschreibungen (wie etwa Calls aus den EU-Rahmenprogrammen) gibt es verschiedene Formen von Einladungen und Projektanbahnungsstrategien. Manche Anfragen gehen an Institutionen, manche an Personen, manche erfolgen ausschließlich mit Bezug auf Publikationen. Die Entscheidung, bei einem Antrag mitzumachen, erfolgt primär nach Beurteilung der Qualität des Vorhabens, sicher aber auch nach Kenntnis der Personen und Institutionen, die involviert sind, und nicht zuletzt basierend auf den Erfahrungen, die mit involvierten Personen schon gemacht wurden, und dem Vertrauen in deren Forschungs- und Kooperationsqualität. Vor eine ähnliche Herausforderung stellen Förderbedingungen, die nach internationalen Kooperationen verlangen und häufig dazu führen, dass – meist unter großem Zeitdruck – ForschungspartnerInnen gesucht werden, die sich dazu bereit erklären, einen Forschungsantrag institutionell mitzutragen. Nicht immer kennt man sich oder hat Zeit, die jeweiligen Vorstellungen der Kooperation hinreichend und in direkter Kommunikation miteinander auszutauschen, vielfach werden zunächst antragsbedingte schriftliche Vereinbarungen getroffen, ehe man sich zu einem internationalen Projekt-Kick-off zusammenfindet.

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Am 12. November 2012 erreichte Larissa Krainer (Institut für Interventionsforschung und Kulturelle Nachhaltigkeit) das nachstehende E-Mail: »Dear Dr. Larissa Krainer! At University of [...] we prepare the project about internationalisation of study programme. We are working on sustainable development and want to invite [...] to cooperation with our university. Enclosed there are additional information about the project. First we need only a letter of intent, after first step we will have more information about all activities. Today (till 16.00) we need your letter of intent (see enclosed). For more information please contact me.«

Am selben Tag führte das Institut einen ganztägigen Forschungstag durch, Larissa Krainer trat dabei selbst als Referentin auf. Nachdem das Kooperationsangebot eine Dissertantin betraf, die bereits mit der Person und der Universität in Kontakt stand, war das Interesse seitens des Instituts hoch, daran mitzuwirken. Es gelang, den »letter of intent« rechtzeitig zu schicken, drei Monate danach war über den Stand des Projektes noch keine Information vorhanden. Das Beispiel zeigt exemplarisch, unter welchem Zeitdruck internationale Kooperationen häufig angebahnt und abgeschlossen werden – für ein Kennenlernen oder eine Teambildung ist meistens erst zu einem späteren Zeitpunkt Gelegenheit. Aus den geschilderten unterschiedlichen Finanzierungsmodellen und Rahmenbedingungen ergeben sich in weiterer Folge auch relevante Einflüsse auf die Kooperation im Forschungsteam und mit dem oder den jeweiligen Praxissystemen. Während etwa im Bereich der eher regional verankerten Auftragsforschung (z.B. Organisationsforschung) häufig von einem klaren Gegenüber auszugehen ist, müssen in internationalen Forschungskooperationen zumeist potentielle PraxispartnerInnen erst vor Ort (und an weltweit sehr verteilten Orten) gesucht werden. Die Arbeit mit Praxissystemen, die einander nicht oder kaum kennen, unterscheidet sich gravierend von der Arbeit mit Praxissystemen, die bereits eine gemeinsame Problembeschreibung und daher auch ein geteiltes Forschungsinteresse entwickelt haben. Es ist ein Unterschied, ob die Praxis Probleme an die Wissenschaft heranträgt und diese bearbeitet haben will oder ob die Wissenschaft sich jeweilige Praxisfelder sucht, in denen Problemstellungen, die zunächst im Rahmen von Wissenschaft, Politik oder Verwaltung identifiziert wurden, bearbeitet werden. Dieser Unterschied wirkt sich vor allem in der Art der Motivation und Bereitschaft zum Engagement aller Beteiligten aus. Es ist ein weiterer Unterschied, ob die Bearbeitung von gesellschaftlichen Problemstellungen und die Ziele einer zugehörenden Forschung zunächst ausschließlich unter WissenschafterInnen beraten werden und dann auf jeweilige Praxissysteme adaptiert werden (müssen) oder ob PraktikerInnen ihr Problem formuliert haben

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und es an die Wissenschaft herantragen. Dieser Unterschied wirkt sich auf die Schritte aus, die notwendig sind, um Übersetzungsarbeit zu leisten und gemeinsame Problembeschreibung zu leisten (Jahn 2005), und darauf, ob alle Partner in den Prozess involviert werden (können). Diese verschiedenen Bedingungen der Kooperation können aber auch zu ganz unterschiedlichen Herangehensweisen führen: Im ersteren Fall geht es vor allem um die Etablierung einer interdisziplinären, häufig transnationalen Forschungskooperation mit punktueller Einbeziehung von PraxispartnerInnen, im zweiten Fall primär um die Einrichtung transdisziplinärer Teams zwischen Wissenschaft und Praxis.

WER SUCHET, DER FINDET? »Ein Forschungsteam finden« ist der Inhalt dieses Kapitels. Die Überlegungen dazu haben gezeigt, dass manche Aspekte, die beim Finden eines Forschungsteams zu beachten sind, für alle Zugänge zur Forschung gleichermaßen gelten. Andere Aspekte hingegen sind von den gegebenen Rahmenbedingungen, Zielsetzungen und den gewählten Praxisfeldern von Forschung abhängig. Ziel war es nicht, ein einheitliches Kompetenzprofil für Forschungsteammitglieder zu erarbeiten oder das beste Vorgehen in der Suche eines Forschungsteams zu generieren. Viele erforderliche Kompetenzen lassen sich gar nicht voraussetzen, sondern erst im forscherischen Tun erwerben, weshalb wir abschließend dafür plädieren, jungen WissenschafterInnen die entsprechenden Möglichkeiten zu bieten, Praxis in inter- und transdisziplinärer Forschung zu erlangen, eigene Erfahrungen zu machen, Platz für Reflexion und Feedback vorzusehen und Aus- und Weiterbildung für ForscherInnen anzubieten, die den Weg in die Inter- und Transdisziplinarität suchen. Dazu gehören aus unserer Sicht sowohl das Kennenlernen unterschiedlicher wissenschaftlicher Paradigmen und Perspektiven als auch Trainingsmöglichkeiten, die etwa das Steuern von Teams oder das Kommunizieren wissenschaftlicher Ergebnisse in einer Alltagssprache betreffen.

4 Forschungsteams organisieren Eine gruppendynamische Perspektive RUTH LERCHSTER, BARBARA LESJAK

In jedem Forschungsprojekt werden zu Beginn die Weichen für den Prozess der Erkenntnisgewinnung gestellt. Anfangssituationen sollten daher sorgfältig vorbereitet, organisiert und moderiert werden. Geschieht das nicht in ausreichendem Maße, so können in weiterer Folge offene Fragen auftreten, die mitunter auch zu nicht erwarteten Konflikten führen. Wenn etwa die Forschungsfrage in einem Team nicht deutlich formuliert wurde, so führt das häufig zur Uneinigkeit in der Auswahl der Methoden. Die sozialen Prozesse innerhalb einer Forschungsgruppe und jene zwischen ForscherInnen und PraxispartnerInnen spielen gerade am Anfang eine besondere Rolle. Es ist daher überraschend und bemerkenswert, dass das Arbeiten in und das Steuern von Forschungsteams in der einschlägigen Literatur wenig thematisiert werden. Häufig gilt die Aufmerksamkeit der Konstruktion von Forschungsdesigns und der Wahl der Methodik, aber kaum der sozialen Entwicklung einer Forschungsgruppe (Bortz/Döring 2009; Flick 2010; Lamnek 2010). Meistens sind technisch orientierte bzw. methodische Beschreibungen von Forschungsprozessen zu finden, wobei dieser Zugang oft den Blick auf die sozialen Prozesse, die sich innerhalb von Forschungsprozessen ereignen, unterschlägt. Der Gestaltung von Anfangssituationen in inter- und transdisziplinären Forschungsvorhaben kommt deswegen besonders große Bedeutung zu, weil hier forschungsrelevante und ergebniskonstituierende Voraussetzungen und Rahmenbedingungen geschaffen werden – sowohl auf inhaltlicher wie auch auf sozialdynamischer Ebene. Diese beiden Ebenen beeinflussen einander in einem sich gegenseitig hervorbringenden Prozess, der zugleich eine spezifische Forschungskultur erzeugt. Transdisziplinäre Forschung orientiert sich an gesellschaftlich relevanten Fragestellungen, die wesentlich von den PraxispartnerInnen mit for-

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muliert werden. Es kann also postuliert werden, dass die Beziehungsgestaltung mit den PraktikerInnen wesentlich von den Kompetenzen und vom Interventionsrepertoire der Forschungsgruppe abhängt. Eine Grundhaltung, die geprägt ist von Offenheit und Wertschätzung gegenüber den PraxispartnerInnen, ist Voraussetzung für das Gelingen von transdisziplinären Teamprozessen. Genau genommen begegnen einander hier zwei soziale Systeme mit Erkenntnis- und Veränderungsabsichten, die Begegnung kann nur gelingen, wenn sie eine auf Augenhöhe ist (Zepke 2008). Eine solche Grundhaltung kann nicht (immer) vorausgesetzt werden. Sie ist im wissenschaftlichen Umfeld oft ungewohnt. Forschungsteams1 müssen sich also erst Klarheit darüber verschaffen, mit welchem Grundverständnis jedes einzelne Gruppenmitglied an die Forschung heranzugehen gedenkt bzw. welche Form der Interaktion mit den AkteurInnen der Praxis angedacht ist. Um praxisrelevante Ergebnisse generieren zu können, ist es erfahrungsgemäß jedenfalls hilfreich, ein allzu starkes Hierarchiegefälle (ExpertInnen vs. Laien) zu vermeiden. Insofern ist die Forschungsgruppe angehalten, prozessorientierte und demokratische Steuerungsformen anzuwenden, die den PraktikerInnen ein großes Maß an Partizipation ermöglichen. Sowohl die Haltungen und Zugänge als auch das Verständnis für Setting und Werkzeuge müssen in inter- und transdisziplinären Forschungsgruppen gemeinsam erarbeitet und entschieden werden. Einzelne Mitglieder sollten gleichberechtigt am Forschungsprozess teilnehmen, mit einer grundsätzlichen Offenheit gegenüber anderen mentalen und wissenschaftlichen Modellen und Disziplinen. Dabei entwickelt sich ein vorstrukturierter zu einem möglichst hierarchiefreiem Raum, in dem Steuerung angemessene moderierende Begleitung bedeutet – eine Grundhaltung, die auch für die Teamentwicklung zwischen Forscherinnen und Forschern – also nach innen – orientierend ist (Heintel 1995). Natürlich stellt sich immer die Frage, wie viel Raum man der Klärung dieser Themen einräumen soll oder will – vielfach gibt es beschränkte Zeitressourcen. Die Beschäftigung mit der Sache, den Forschungsinhalten, den Produkten geht meist leichter von der Hand, als die Bearbeitung der sozialen Ebene, als die reflexive Arbeit an sozialen und emotionalen Gemengelagen und Interaktionsprozessen und vor allem auch die Bearbeitung von forschungsrelevanten Unterschieden. Solche sind nicht nur zwischen den Disziplinen, sondern auch innerhalb derer zu finden: Manchen ist der analytisch diagnostische Blick auf den Zustand einer Gruppe alltäglich Brot, anderen wiederum entlockt das Drängen nach

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»Forschungsgruppe« und »Forschungsteam« werden synonym verwendet.

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Reflexion ein saures und vielsagendes »Muss-das-denn-wirklich-sein?-Lächeln«. Oder anders gewendet: »Haben wir genügend Zeit, um uns überhaupt diesen Selbststeuerungsdimensionen widmen zu können? Lassen Beschleunigung und Zeitdruck diesen ›Luxus‹ überhaupt zu? Was soll die ›Nabelschau‹? So tönt es von allen Seiten, aus der Besorgnis heraus, mit diesem neuen Zeitumgang nicht zurecht zu kommen. Auch aus individuellen Zusammenhängen wissen wir, dass wir uns nicht immer bewusst selbststeuern, uns in Routine bewegen, oder unreflektiert aktionistisch unterwegs sind. Dort, wo es aber um uns geht, wir nach dem Sinn unseres Tuns fragen, ein gutes Gewissen haben wollen, überall dort müssen wir Eigenzeiten beanspruchen. Ebenso ließe sich übertragen: Vieles im Kollektiv wird routiniert ablaufen, vieles in unreflektierter Aktivität abgehandelt werden können. Wenn es aber um den Sinn seines Tuns geht, wenn es darum geht, sich des bestmöglichen gemeinsamen Handelns zu versichern, dann wird es sich ebenso empfehlen, immer wieder innezuhalten und über sich gemeinsam nachzudenken« (Heintel 2001: 254).

DIE »AUFGEKLÄRTE GRUPPE« ERMÖGLICHT PARTIZIPATION Wie jede andere Gruppe ist auch eine Forschungsgruppe nicht sogleich eine arbeitsfähige Gruppe. Erst wenn es ein entwickeltes Beziehungsgeflecht gibt, wenn es ein System von »Beziehungen zwischen Beziehungen« (Pesendorfer 1996) gibt, kann von einer arbeitsfähigen, reifen Gruppe im Sinne der Gruppendynamik gesprochen werden. Das heißt weiterhin, dass eine Gruppe einen sozialen Entwicklungsprozess durchläuft, der von unterschiedlichen Phasen gekennzeichnet ist (Bennis 1964; Tuckman 1965; Schwarz 2007). Wann dieser Prozess genau beginnt, ist im Einzelnen schwer zu sagen. Im Zuge der Zusammenstellung der Gruppe, der Klärung der Forschungsziele und des Kontextes, startet der Prozess zugleich auf einer inhaltlichen und auf einer sozialen Ebene. Nach einer meist erst im Nachhinein rekonstruierbaren Anfangsphase, in der es um Grenzen und gemeinsame Ziele geht, kommen die ersten Unterschiede zum Vorschein und werden zwischen den Gruppenmitgliedern mehr oder weniger explizit »verhandelt«. Diese Verhandlung betrifft Fragen der Steuerung, der Rollen und Arbeitsteilung, der sozialen Normen und Werte und schließlich die Frage des Vertrauens. Entwicklung bedeutet hier die gemeinsame Bewältigung von unvermeidlichen Konflikten (z.B. Normenkonflikte, Führungskonflikte). Hier lernt die Gruppe im günstigen Fall auch, die eigenen Unterschiede nicht als Störfaktoren, sondern als gewinnbringende Potentiale zu sehen.

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Die Heterogenität innerhalb einer Gruppe kann unterschiedlich hoch sein; in transdisziplinären Forschungen gibt es meistens interdisziplinäre Gruppen – hier ist die Heterogenität sehr hoch. Je höher sie ist, desto höher ist auch die Konfliktwahrscheinlichkeit (Schwarz 2005). Umso mehr gilt es, die vorhandenen Unterschiede (Disziplin, wissenschaftliche Werte, Erfahrung, Alter etc.) sichtbar und nutzbar zu machen. Gelingt diese Integration von Unterschieden im Zuge des Entwicklungsprozesses, so kann man von einer hohen Reife der Gruppe ausgehen (Schwarz 2007; Schattenhofer 2001); die Gruppe ist dann arbeits- und entscheidungsfähig und kann sich selbst zum Gegenstand der Analyse machen (»aufgeklärte Gruppe«, Heintel 2006b). Eine aufgeklärte Gruppe hat demnach gute Voraussetzungen für transdisziplinäre Forschungsprojekte, weil sie die Fähigkeit zur Selbstanalyse, zur »Selbstaufklärung« (ebd.) als wichtige Voraussetzung für die Arbeit im Feld mitbringt. Die Fähigkeit zur produktiven Nutzung der eigenen Heterogenität unterstützt gleichberechtigte Partizipation und fördert zugleich die Fähigkeit zu einem angemessenen Umgang mit der Komplexität, der Widersprüchlichkeit und der Fremdheit des Forschungsgegenstandes.

ANFANGSSITUATIONEN IN FORSCHUNGSGRUPPEN Gewöhnlich richtet sich die Zusammensetzung einer Forschungsgruppe primär nach der thematischen Ausrichtung der Aufgabenstellung. Insofern sind Forschungsziel, Thema und Forschungsfeld erste Anknüpfungspunkte und – zumindest zu Beginn – oft auch der einzige »Kitt« dieser Gruppen und begründen deren Anfang. Das gilt besonders für interdisziplinäre Gruppen, die meist noch ohne PraxispartnerInnen im innerwissenschaftlichen System starten: Je unterschiedlicher die wissenschaftlichen Zugänge, Forschungskulturen und Erkenntnisinteressen sind, desto schwieriger wird die Definition von Gemeinsamkeiten. In Gruppen kann kaum von einem Anfang gesprochen werden, auch wenn man möglicherweise das erste Zusammentreffen als Setzung interpretieren kann, als zeitlichen Start von Gruppen. Die Anwesenheit mehrerer Personen an einem Ort zur gleichen Zeit, mit einem vordefiniertem Ziel (das zudem selten so klar ist, wie es scheint) und einer damit verbundenen Außengrenze, reicht nicht aus, um von einer »Gruppe am Start« zu sprechen. Vielmehr muss man von vielen Anfängen ausgehen. Jede Person »steckt« in ihrem eigenen, ganz individuellen Anfang, beschäftigt mit Fragen, Vermutungen, Vorurteilen und Unsicherheiten. Diese Unterschiede auf der psychosozialen Ebene können zunächst stark individualisierend wirken; man ist auf sich selbst zurückgeworfen, Differenzen sind oft größer als Gemeinsamkeiten, Erwartungen an die jeweilige Person und an die

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Expertinnen und Experten in ihren Fächern sind oft unklar und verschwommen. Jede und jeder ist auf ihre und seine Weise besonders und hat eine Sonderstellung. Themen wie Identifikation, Zugehörigkeit, Motivation, Wissen werden wichtig und bedürfen der Aufklärung. Gleichzeitig weisen Anfänge den Weg, Weichen werden gestellt und es gilt, jene Thematiken ins Zentrum der Überlegungen zu stellen, die in Anfangssituationen von Gruppen in unterschiedlicher Intensität eine Rolle spielen und Einfluss auf einen gelingenden Kommunikationsprozess haben. Hier lassen sich vier psychosoziale Dimensionen unterscheiden, die es in Anfangssituationen zu beachten gilt: Wer bin ich hier? Die Frage der Identität Anfangssituationen in neu formierten Gruppen werden immer von der Frage der Identität der/des Einzelnen flankiert. Dort, wo unterschiedliche Disziplinen einander begegnen (oder auch aufeinanderprallen), treffen sich Wissenschaftskulturen, die von vornherein oft wenig gemeinsam haben. Menschen, die sich in einem bestimmten Kontext in einer Gruppe wiederfinden, bringen ihre eigenen Bilder, ihr eigenes Wertesystem und ihre eigene Kultur mit, auf deren Basis vorerst unhinterfragt Hypothesen gebildet werden. Sie »sind mit ihren Herkunftssystemen identifiziert, […] in der neu zu bildenden Gruppe ist zunächst jeder jedem fremd« (Lackner 2006: 85). Die Identität wird durch die Kommunikation und Interaktion mit der Anderen oder dem Anderen (mit)bestimmt (Krappmann 1988). Identitätsbildung ist ein dynamischer Prozess, in dessen Verlauf die eigene professionelle Identität und das eigene Wertekonstrukt permanent in Frage gestellt werden können. Die Fragen: »Wer bin ich?« und »Wer bin ich hier?« bleiben bis zu einem gewissen Grad offen, weil sie systembezogen beantwortet werden müssen, sie sind Fragen, die eine Herausforderung für die eigene Identität darstellen. Hinzu kommt, und das soll nicht unterschätzt werden, dass sich Menschen in ExpertInnenorganisationen – wie Universitäten sie darstellen – schnell »in Frage« gestellt fühlen, ein zusätzliches Moment, das den einen oder die andere aus der Ruhe bringen kann. Angewandt auf unsere Praxisprojekte heißt dies meist, dass die Gruppenmitglieder sich mit ihrer eigenen Disziplin stark identifizieren, nicht umsonst haben sie dieses Fach studiert und sich hier und nicht dort sozialisiert. Die Teammitglieder verfügen über unterschiedliche Sprachen und Terminologien. WirtschaftwissenschaflerInnen oder JuristInnen haben beispielsweise einen anderen Prozessbegriff als Interventionsforscher oder Gruppendynamiker; TechnikerInnen und InformatikerInnen wählen einen anderen Zugang zu Emotionen, Moral und

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Werten als PsychologInnen oder SozialphilosophInnen. Jede einzelne Perspektive ist wichtig und jeder bzw. jede hat auf seine/ihre Weise Recht. Jede Gruppe, die sich rund um ein Projekt neu formiert, steht vor der Herausforderung, die mitgebrachten Kulturen – die Identität determinieren – im Sinne der Blickwinkelerweiterung zu reflektieren. Zudem sind Entscheidungen im Team zu verhandeln, damit gemeinsame identitätsstiftende Sichtweisen erreicht und eine gegenseitige Annäherung ermöglicht wird. Wie viel Platz habe ich hier? Soziale Raumverteilung Mit der Identitätsfrage hängt auch die Frage der Raumverteilung zusammen. In Anfangssituationen wird in der Regel sehr sensibel darauf geachtet, wer was und wie sagt. Die Rolle einer Person innerhalb einer Gruppe wird stark davon beeinflusst, wann, wie viel und zu welchen Themen etwas wie gesagt wird. Vor allem das Wie hinterlässt meist einen nachhaltigen Eindruck, denn in Anfangssituationen wird man »von den anderen nicht nach den Absichten, sondern nach den Wirkungen seiner Äußerungen beurteilt« (Krainz 2005b: 316). Manche beteiligen sich aktiver an Gesprächen, andere verhalten sich eher passiv. Bei all diesen Unterschiedlichkeiten kann man ein Zuviel oder ein Zuwenig an Raum erhalten, zugeteilt bekommen oder sich nehmen (Schwarz 2007). Der Begriff des Raumes erinnert an den Begriff des Territoriums, und tatsächlich verwendet die deutsche Sprache territoriale Begriffe dafür: »Wie viel Platz nimmt jemand ein«, »Wie weit kann ich gehen«, »Habe ich über das Ziel hinaus geschossen?«, »Das geht zu weit« etc. Auch wenn in Projektgruppen, in denen es disziplinäre Zuständigkeiten, Fachbereiche und Expertisen gibt, der Raum in gewisser Weise ein Stück vorstrukturiert ist, gibt es Ansprüche an eben diesen Raum. Wer entscheidet schließlich, ob Grenzen überschritten wurden, zu weit gegangen oder zu kurz gegriffen wurde? In Anfangssituationen greift das Bemühen um sich – und hier wird ein weiterer Raumbegriff strapaziert –, in Kontakt zu treten. Jede Aussage, jede Frage birgt Klärungsbedarf in sich; trägt man diesem Bedürfnis Rechnung, beginnt Austausch und Interaktion und der soziale Raum strukturiert sich gleichzeitig mit der Etablierung von Rollen und Beziehungen unter den Mitgliedern. Im Zuge dieses Klärungsprozesses und der Kontaktaufnahme treten die Beteiligten an die Grenzen des eigenen Territoriums und gelangen so an die Grenzen eines zunächst fremden Areals einer anderen Person.

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Was will ich hier? Erkenntnisinteressen, Motive und Ziele Interessen, Motive und Ziele innerhalb eines interdisziplinär organisierten Forschungsteams sind meist so heterogen wie die Gruppe selbst. Insofern ist eine sorgfältige Gruppenkonstituierung und -schließung sowie eine Klärung der unterschiedlichen Interessen- und Motivlagen sinnvoll und notwendig, da mit ihnen viele Erwartungen verbunden sind. Übersetzt in die Praxis heißt das, dass es zweckmäßig ist, den einzelnen Gruppenmitgliedern die Möglichkeit einzuräumen, sich darüber zu verständigen und auch individuelle Anfänge (wann hat es für mich begonnen?) zu thematisieren. Die dadurch sichtbar gewordenen einzelnen Potentiale, Neigungen und Motive sollten in einem weiteren Schritt vergemeinschaftet werden, weil erst dann ein kollektives Gemeinsames (z.B. gemeinsame Forschungsfragen) identifiziert und beschrieben werden kann. Die Offenlegung einzelner Erwartungen und Interessen beugt zudem späteren Enttäuschungen vor. Zusätzlich hat die Erfahrung gezeigt, dass an Erwartungen vielfach auch die Ressourcenfrage gekoppelt ist. Was ich will, hängt auch damit zusammen, wozu ich mich in der Lage sehe, oder damit, wie ich für meine Leistung entlohnt werde. Nicht alle werden einen Forschungsantrag formulieren, Interviews durchführen oder Forschungsberichte verfassen. Ein erster Überblick darüber, wer welche »Leidenschaften« in sich trägt und welche Kompetenzen sowie Kapazitäten vorhanden sind, kann sicherheitsstiftende Orientierung für alle bieten. Wie finde ich das? Akzeptanz In einem Klima der Unbekanntheit und Unsicherheit agieren wir eher zurückhaltend, sprechen nicht aus, was wir denken, wie wir etwas bewerten. Die gemeinsame Thematisierung von Selbstbeobachtungen kann helfen, jene Sicherheit herzustellen, die zur Orientierung in Anfangssituationen besonders wichtig ist. Zudem schaffen eine gemeinsame Situationsdiagnose und eine oft daraus folgende Selbstreflexion auch Offenheit und Vertrauen. Im Idealfall wissen die einzelnen Mitglieder, wo formale und informelle Strukturen verlaufen, wo es individuelle Besonderheiten gibt, wo es Subgruppenbildungen gibt und wer Schwierigkeiten mit der Akzeptanz von Personen oder mit thematischen Fragen hat. Bleiben derartige Überlegungen zur aktuellen Situation über einen längeren Zeitraum im Dunkeln und werden nicht thematisiert, stagnieren Gruppen, versinken in Sprach- und Ratlosigkeit, und die einzelnen Personen bleiben ihren Phantasien verhaftet, Phantasien, die zu veritablen Konflikten und »Missverständnissen« führen können. Werden hingegen die einzelnen Wahrnehmungen berücksichtigt

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und vergemeinschaftet, verstärkt sich das Zusammengehörigkeitsgefühl und bewirkt zugleich eine balancierte Raumverteilung. Dadurch erhöht sich das Gefühl der Akzeptanz, sowohl sich selbst als auch anderen gegenüber.

INTERKULTURELLE KOMPETENZ ALS VORAUSSETZUNG FÜR DIE STEUERUNG VON FORSCHUNGSTEAMS Das Gestalten von Anfängen sowie das Steuern von Teamprozessen erfordert die Balance von zwei Prozessebenen – dem inhaltlichen Prozess und dem sozialen Prozess. Ersterer betrifft das Bilden von ersten gemeinsamen Arbeitshypothesen und Vorgangsweisen. Das ist wesentlich für die Herstellung von Gemeinsamkeiten auf sozialer Ebene. Zudem ist eine Forschungsgruppe zu Beginn meist nicht gänzlich strukturlos; es gibt oft benannte Leitungsfunktionen und andere vordefinierte Rollen. Auch dies ist strukturbildend und identitätsstiftend. Wie stark auch immer eine Forschungsgruppe vorstrukturiert ist, sie benötigt jedenfalls eine Form von Leitung oder Steuerung. Der Fokus liegt vor allem auf der Steuerung von sozialen Prozessen, die entsprechende Kompetenzen seitens der ProjektleiterInnen erfordern. Unter »Kompetenz« wird die »Fähigkeit [verstanden], in entscheidungsoffenen, komplexen Situationen kreativ und selbstorganisiert zu handeln« (Kuhn 2011: 196). Da Anfangssituationen in Forschungsgruppen aber immer auch soziale Situationen sind, sollte man diese Kompetenz um die soziale Ebene ergänzen, sodass man von einer »sozialen Kompetenz« (Krainz 2005a, 2005b) sprechen kann. Was bedeutet nun soziale Kompetenz für die Gestaltung von Teamprozessen? Um in entscheidungsoffenen Situationen kreativ und selbstorganisiert handeln zu können, bedarf es einer Grundhaltung, die sich mit folgenden Aspekten beschreiben lässt: x x x x

grundsätzliche Offenheit gegenüber Unerwartetem, Respekt vor dem »Eigenleben« der Gruppe, wohlwollende Haltung gegenüber Unterschieden und Fremdheit, Aushalten von Unsicherheit.

Zudem erfordert das Steuern von Gruppen konkretes Wissen und Handwerkszeuge. Folgende erscheinen hier wesentlich: x x

Kenntnis von sozialen Prozessen, Konzepten und Theorien über Gruppen, Anwenden von (Selbst-)Beobachtungs- und Diagnoseinstrumenten,

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Moderationsfähigkeiten (Begleitung der unterschiedlichen Phasen im gruppendynamischen Entwicklungsprozess einer Gruppe, aber auch Berücksichtigung von individuellen Interessen bei gleichzeitigem Fokus auf das Gesamtziel), Fokus auf Unterschiede (Bearbeitung und Integration von Unterschieden als Initial von Lernprozessen)

Gerade Letzteres ist für inter- und transdisziplinäre Vorhaben von großer Bedeutung – verschiedene Wissenschaftskulturen und individuelle Forschungszugänge versammeln sich, um ein gemeinsames Projekt durchzuführen. Hohe Heterogenität bedeutet, dass zwar die Konfliktanfälligkeit sehr hoch ist, hoch ist aber auch das kreative Potential der Gruppe. Die Gestaltung einer vergemeinschaftenden Kommunikation ist hier besonders schwierig, weil Unterschiede zunächst etwas Trennendes sind. Daher ist soziale Kompetenz unabdingbar – es geht darum, unterschiedliche Wissenschaftskulturen untereinander und zusätzlich mit den »Arbeitskulturen« der PraktikerInnen zu vermitteln, um möglichst viele forschungsrelevante Perspektiven zu generieren. Insofern kann davon ausgegangen werden, dass steuerungsseitig eine »interkulturelle Kompetenz« gefordert ist. Eine solche bedeutet, »in kulturellen Überschneidungssituationen kreativ und selbstorganisiert handeln zu können« (Kuhn 2011: 196). Interkulturelle Kompetenz erweist sich vor allem in Anfangssituationen als nützlich; der Fokus auf Unterschiedlichkeit schafft günstige Bedingungen für den Entwicklungs- und Lernprozess der Gruppe, denn (Selbst-)Reflexionsprozesse entstehen nicht von selbst, sondern müssen absichtsvoll erzeugt werden. Gezielt gefördert werden kann das z.B. mittels rekursiver Lernprozesse (Feedbackmechanismen, Rückkoppelungsschleifen) (Schattenhofer 2009). Je mehr also eine Gruppe in ihrer Entwicklung diesbezüglich unterstützt wird, desto eher gewinnt sie Selbststeuerungsfähigkeiten und reflexive Fähigkeiten. Außerdem wird dadurch auch die Leistungsfähigkeit einer Gruppe insgesamt erhöht (Kuhn 2009). Für die Unterstützung der Gruppenentwicklung ist ein sozial-integrativer Führungsstil zweckmäßig (im Unterschied zu einem autoritären Führungsstil). Bewährt hat sich beispielsweise das Modell der »reflexiven Steuerung« (Krainz 1995; Schwarz 2007): Zunächst gibt es immer eine Ausgangssituation und diese wird von allen Beteiligten unaufgefordert beobachtet. Um ein erstes Bewusstsein über sich selbst herzustellen, ist es sinnvoll, diese Beobachtungen auszutauschen, zu besprechen und zu bewerten, um sie dann auch gemeinsam interpretieren zu können. Auf diese Weise werden alle Gruppenmitglieder in einen Vergemeinschaftungsprozess involviert, der zugleich eine erste soziale und for-

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schungsbezogene Transparenz und Verbindlichkeit erzeugt. Mit dieser Steuerungsform können Rückkoppelungsprozesse mit verschiedenen Bezugspunkten fokussiert werden. Für die Lern- und Entwicklungsfähigkeit der Gruppe ist die Reichweite dieser Prozesse entscheidend. Hier können drei Bezugspunkte von Rückkoppelungsschleifen unterschieden werden (Schattenhofer 2001): x

x

x

Rückkoppelung in Bezug auf Ziele und Inhalte: gemeinsame Analyse, Bewertung und Reflexion zur Forschungsfrage, zu Zielen, Erkenntnisinteressen, Methoden etc. Rückkoppelung in Bezug auf die Gruppenstruktur und die äußeren Anforderungen: Prüfung der Zusammensetzung der Gruppe, der vorhandenen Steuerungsfunktionen und der Kommunikation nach außen, Rückkoppelung in Bezug auf den Gesamtzustand der Gruppe (Prozessanalyse): Analyse, Bewertung und Interpretation des sozialen Zustandes; emotionale Befindlichkeiten, Kommunikationskultur, Kultur des Umgangs miteinander etc.

Die Gestaltung der Gruppenkonstituierung ist insofern eine Herausforderung, als sowohl die inhaltliche wie auch die soziale Ebene bearbeitet werden sollten. Besonders dann, wenn Reflexivität eine große Rolle spielt, müssen hier entsprechende Voraussetzungen geschaffen werden. Das heißt, dass Forschung bereits »vor« der Forschung stattfindet, nämlich als eine Art von Beforschung der eigenen fachlichen, sozialen und kulturellen Verfasstheit. Das erfordert Zeit und Raum, und in der Praxis heißt das, dass hier ein bewusster Anfang zu setzen ist. Eine bewährte Form ist beispielsweise eine klausurartige Startveranstaltung (Kick-off im Forschungsteam), in welcher: x x

x x x x

den oben erwähnten Dimensionen Zeit und Raum gegeben wird und im Zuge dessen ein Vorstellen und Kennenlernen ermöglicht wird (wer kommt mit welcher wissenschaftlichen »Heimat«, sitzt in welcher Rolle, mit welchen Vorkenntnissen, Erwartungen und Motiven sowie Erkenntnisinteressen am Tisch?), Unterschiede zwischen Disziplinen sowie disziplinär übliche Herangehensweisen identifiziert und besprochen werden, die Rahmenbedingungen, die Genese und die Eckdaten des Forschungsprojektes vorgestellt werden, erste Vorvermutungen und Fragestellungen formuliert werden können sowie eine grobe Systemlandschaft des Forschungsfeldes erstellt wird, die individuellen Ressourcen für das Projekt geklärt werden und

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die weitere prozessuale und methodische Vorgehensweise diskutiert und organisiert wird.

FAZIT Die in diesem Kapitel beschriebenen anfangsetzenden Aktivitäten erfordern die Form der Face-to-Face-Kommunikation. Nur die direkte Kommunikation kann das Vermitteln und Bearbeiten von Unterschieden gewährleisten. Besonders schwierig ist das bei grenzüberschreitenden, internationalen Projekten – hier ist die Ressource Zeit ohnehin ein knappes Gut und muss gut verteilt werden. Oft ist zu beobachten, dass in der Phase der Antragstellung zwar Zeit für die inhaltliche Arbeit definiert wird, die »soziale Zeit« ist jedoch oft zu knapp bemessen. Daher lautet die Empfehlung, ForscherInnen, die ja oft das »einsame« Nachdenken gewöhnt sind, in einen sozialen Formungsprozess zu involvieren, um dadurch ihr kreatives Potential bestmöglich stimulieren zu können. Nicht alle Aspekte können bereits in einer Anfangssituation bearbeitet werden, sondern sind im Rahmen des Forschungsprozesses nach und nach zu integrieren. Dennoch sollten in Anfangssituationen die ersten Rahmenbedingungen für forschungsrelevante und sozial entwicklungsfördernde Rückkopplungsmöglichkeiten eingerichtet werden. Dadurch wird das Prinzip der Reflexivität grundgelegt. Im Einzelnen kann das beispielsweise dadurch erfolgen, dass »individuelle Anfänge« vergemeinschaftet und unterschiedliche Erwartungen, Forschungszugänge und Erkenntnisinteressen ausgetauscht und diskutiert werden. Erst die Kommunikation über das Gemeinsame und das Trennende bewirkt zugleich die Setzung eines gemeinsamen Anfangs. Dies ist bereits orientierend und kulturschaffend. Der damit verbundene Kommunikationsaufwand ist hoch, nicht nur unter den Gruppenmitgliedern, sondern auch im Vorfeld. Planungstätigkeiten, Designentwicklung und Organisation erfordern Zeit. Das ist allerdings kein Garant dafür, dass im Verlaufe des Projektes keine Konflikte auftreten. Gut entwickelte, aufgeklärte Forschungsgruppen fokussieren Unterschiede und Widersprüche, erkennen den Nutzen sowie das Entwicklungspotential von Konflikten und versuchen daher nicht (mehr), sie zu vermeiden, sondern geben ihnen den nötigen Raum.

5 Produktive Irritation Differenzen in der transdisziplinären Forschung handhaben EWALD E. KRAINZ, MARTINA UKOWITZ

Zwei getrennte Welten stehen einander – idealtypisch – gegenüber (vgl. Kap. 7): Hier sind die einen, die nach Erkenntnissen streben, dort die anderen, die sich mit praktischen Problemen herumschlagen. Die Getrenntheit von Wissenschaft und Praxis hat ihre Geschichte und eine lange Tradition. Sie erhielt – systemtheoretisch gesprochen – ihren letzten Zuschnitt durch die in den »westlichen« (= säkularen) Gesellschaften entstandene funktionale Differenzierung gesellschaftlicher Teilsysteme. Dass sie alle durch bestimmte Eigenlogiken und spezifische Eigendynamiken charakterisiert sind, ist nur eines der Probleme, die daraus folgen. Die Problematik dieser Differenzierung entsteht vor allem dadurch, dass diese Teilsysteme aneinander vorbei agieren, womit das »Funktionieren« von Gesellschaft chaotisiert und mit Widersprüchen aufgeladen wird. Zu diesem soziologischen Befund kommt noch ein grundlegenderes Moment dazu. Die Getrenntheit von Praxis und Wissenschaft (Philosophie, Reflexion) ist Ausdruck des schon bei Aristoteles beschriebenen und von Hannah Arendt aufgegriffenen Unterschieds von Vita activa und Vita contemplativa (Arendt 2007). Dieser verweist weniger auf (neuzeitliche) Systemzustände als auf anthropologische Seinsformen und ihre möglichen Verhältnisse zur Welt insgesamt. Deshalb werden ebenso lange in immer neuen Anläufen die Probleme des Verhältnisses bzw. der Verbindbarkeit beider Welten diskutiert. Plädiert man für »Transdisziplinarität«, dann verfolgt man den Anspruch, eine solche Verbindung zustande zu bringen. Im Grunde stellt sich hier die oft vermiedene Cui-bono-Frage. Wem nützt Wissenschaft? Wem soll sie nützen? Wer hat etwas von den Forschungsergebnissen und was ist überhaupt der Sinn von Wissenschaft? Die mit der Beantwortung solcher Fragen verbundenen Werteentscheidungen werden in jüngerer Zeit erst durch Diskurse zu einem »new

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social contract« der Wissenschaft mit der Gesellschaft und über Ethik stärker bewusst (Gibbons 1999). Dem Postulat Max Webers zu folgen, das Werturteilsfreiheit als Maxime von Wissenschaft bestimmt, kann heute eine Vermeidungsstrategie sein. Helga Nowotny, Peter Scott und Michael Gibbons (2008) sprechen von einer »Objektivitätsfalle«, in die ForscherInnen geraten, wenn das Postulat der Interesselosigkeit zum Dogma wird. Das Konzept der Objektivität spiegelt das Ringen der WissenschaftlerInnen um die Kontrolle ihrer Ängste vor ihrer eigenen Einbildungskraft, ihren Gefühlen und vor der sozialen Welt und ihren Zuschreibungen. Dieses Ringen wahrzunehmen, die »Bedrohungen« zu akzeptieren und in den Forschungsprozessen zu reflektieren weist in Richtung eines anderen Verständnisses von Objektivität. Vermeintlich wertneutrales, interesseloses Wissen wird von einem sozial robusten Wissen abgelöst. Keine Forschung ohne Gegenstand, ohne Forschungsobjekt. Hier baut sich das nächste Problem des Forschens auf. Aus einer sozialwissenschaftlichen Perspektive geht es im weitesten Sinn um das Zusammenleben der Menschen und die sich daraus ergebenden Phänomene und Probleme. Die traditionelle Fakultätenordnung der Wissenschaften trägt dem nicht unbedingt Rechnung. Wohl spiegeln sich in ihr die verschiedenen Fokusbildungen wider, die das Ensemble der Einzelwissenschaften ausmachen (Naturwissenschaften, Geisteswissenschaften, Technik, Recht, Medizin usw.), sie abstrahieren jedoch häufig von konkreten sozialen Lebens- und Verwendungszusammenhängen, in denen sich die einzelnen Objekte der jeweiligen Forschungsinteressen »aufhalten«. Dementsprechend wenig »verwendungsfähig« sind die Ergebnisse für die Leute, die man wahlweise »Letztbetroffene«, »Endverbraucher«, »End user« o.Ä. nennt. Sobald man den Gegenstandsbereich jedoch auf die mit ihm verbundenen Menschen »verlängert«, kommen die Dinge ins Schwimmen. Vorbei ist es mit der für Forschung oft so notwendigen »Objektkonstanz«, die sicherstellen soll, dass man unabhängig von Situationsbedingungen zu immer gleichen Resultaten gelangt. Obwohl die Sozialwissenschaften hier eine prinzipiell andere Ausgangslage haben als andere Wissenschaften, stellt sich auch bei ihnen die Cui-bonoFrage: Betreibt man Forschung vor allem für das Wissenschaftssystem oder auch und mehr für das jeweilige Praxisfeld?

PROBLEMBEWUSSTSEIN UND FORSCHUNGSINTERESSE Sieht man transdisziplinäre Forschung als Prozess, dann ist der Ausgangspunkt immer eine Problemwahrnehmung im Praxisfeld. Irgendwo muss »der Schuh drücken«. Manchmal ist diese Wahrnehmung latent, man hat ein Gefühl, das

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sich aber noch nicht (organisatorisch relevant) artikuliert hat (höchstens informell), manchmal ist es laut und deutlich (wenn vielleicht auch nicht klar), man hat aber noch keine Mittel gefunden, sich damit zu beschäftigen, weder zeitlich noch wissens- oder ressourcenmäßig. In letzterem Fall, wenn man ohnehin schon einen Ansatz von Problembewusstsein hat, wendet man sich dann gerne nach außen. Allerdings sieht man die »Problemlöser« seltener in der Wissenschaft, erste Adresse für allfällige Hilferufe ist die Beratungsbranche (die sich selbst mehr oder weniger an Wissenschaft orientiert). In ersterem Fall, dem Fall des »latenten Unbehagens«, ist man jedenfalls ansprechbar und ausreichend motiviert – in der Beratungsbranche schlägt hier die Stunde der Verkäufer. Aus dem personenunabhängig »objektiven Interesse« kann so ein bewusstes Interesse entstehen – ein Problem ist ein Problem, auch wenn man davor die Augen verschließt. Beginnt eine ausführlichere Beschäftigung mit der Situation, in der man sich befindet, dann entsteht im Prozess der Auseinandersetzung mit sich selbst das Bedürfnis nach Aktivität in Richtung Problemlösung. Selten sind PraktikerInnen durch »reines« Erkenntnisinteresse getrieben bzw. durch die Bemerkung »Gut, dass wir darüber geredet haben« zufriedenzustellen. PraktikerInnen wollen im Allgemeinen Handlungskonsequenzen ziehen. Das Interesse kann auch von außen (forschungsseitig) ins Feld »hineingetragen« werden bzw. ist bereits Ergebnis vorangegangener Interaktionen. Ziel ist immer ein Nutzenzuwachs in Richtung Problemlösung (unmittelbar) und (generell) die Vergrößerung der Problemlösungskompetenz in eigener Angelegenheit. Die Entstehung von Problemlösungskompetenz geht nur über den Weg der Bewusstseinsbildung, die der Entwicklung von Fertigkeiten und der Einübung neuer Handlungsmuster vorgelagert ist. Sobald aber auf Bewusstseinsbildung abgezielt wird, ist das im Spiel, was seiner Natur nach »Forschung« darstellt. Im Rückblick betrachtet: Wenn Bewusstsein entsteht, hat Forschung stattgefunden. Wenn man die Dinge so sieht, dann befindet man sich paradigmatisch in der Nähe zu diversen Praxisformen der Beratungsbranche (Organisationsberatung, Supervision, Coaching), bis hin zur viele irritierenden »Verflüssigung« des (traditionellen) Handlungsfeldes Forschung selbst. Die eigentliche Herausforderung besteht darin, beide Systeme – Wissenschaft und Praxis – zu bedienen, in beiden Nutzen zu stiften.

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TD-FORSCHUNG ALS INTERMEDIÄRE INSTITUTION ZUR VERMITTLUNG VON WISSENSCHAFT UND PRAXIS Die primäre und grundlegende Differenz, die zu vermitteln ist, ist diejenige zwischen Wissenschaft und Praxisfeld selbst. Diese Vermittlung funktioniert nicht durch einen »Seitenwechsel«, eine wechselseitige (Pseudo-)Mitgliedschaft im jeweils anderen Bereich, sondern nur durch ein eigenes, neu gebildetes System, bestehend aus Mitgliedern aus der Wissenschaft und dem Praxisfeld, um das es gehen soll. Dieses System hat das »soziale Format« einer Gruppe (wording meist: Projekt-, Planungs- oder Steuerungsgruppe o.Ä.). Warum? Weil nur das Gruppenformat den kommunikativen Raum schafft, in dem die nicht einzuebnende Differenz zwischen der Systemlogik der Wissenschaft und der Systemlogik des Praxisfeldes bearbeitet werden kann. Man kann zwar die Vorstellung einer »Gemeinschaft« haben, von gleicher Augenhöhe etc., wird aber niemals die immer wieder sich bemerkbar machenden Asymmetrien (die ein hierarchisches Gefälle in beide Richtungen – hin zu den ForscherInnen wie zu den PraxisvertreterInnen – mit sich bringen können) aus der Beziehung eliminieren können, noch soll man das wollen. Vielmehr geht es darum, die beiden Welten zueinander in eine produktive Spannung zu bringen. Was immerhin erreicht werden kann, ist, bis zu einem gewissen Grad zu »denken mit dem Kopf der anderen« (Kennenlernen, Empathie, Verstehen). Gleichzeitig sind aber auch die jeweiligen Identitäten gegeneinander zu verhandeln. Vieles davon läuft auf einer latenten Ebene, wobei man hier ein kulturelles Erbe mitschleppt, jenes nämlich, das sich mit der funktionalen Ausdifferenzierung des gesellschaftlichen Subsystems Wissenschaft als Theorie-PraxisKluft etabliert hat. »Theory meets practice« bedeutet dann, die Entfernung von Denken und Machen, von Vita contemplativa und Vita activa zu verringern. Beim Einandernäher-Treten wachen viele mehr oder weniger erfahrungsbasierte Vorurteile und Zuschreibungen auf, die vorsichtig auszuloten und zu bearbeiten sind. Jedenfalls ist dies für die Beteiligten auch emotional interessant, und wenn diese Dimension des »Hineinspürens« in unterschwellige Wahrnehmungsgewohnheiten nicht vorhanden ist, nicht entsteht, keine Berücksichtigung findet, fehlt etwas im Setup des transdisziplinären Forschens. Geht man vom grundsätzlichen Gegenübersein von Wissenschaft und Praxisfeld aus, das die Voraussetzung für den Aufbau einer Beziehung bildet, dann kann – allgemein gesprochen – diese Beziehung symmetrisch oder komplemen-

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tär sein (Bateson 1983). Die konventionelle Subjekt-Objekt-Beziehung in der Forschung ist dem Modell nach eine vollständige Komplementarität. Diese ist als Beziehung mehrfach »bedroht« (»komplementäre Eskalation«). Beispielsweise marschiert die Wissenschaft ins Praxisfeld ein, stellt irgendetwas an (Untersuchungen) und ist wieder weg. Wie weit die Ergebnisse im Praxisfeld nachvollziehbar sind und welche Konsequenzen sich von ihnen ableiten lassen, ist eine nicht weiter systematisch »betreute« Angelegenheit. Entweder bleibt der gesamte Vorgang irrelevant oder es entsteht ein Gefühl der »Enteignung von Bewusstsein«. Was dem Praxisfeld entnommen wurde, wird im Wissenschaftssystem weiterverarbeitet. Geht es explizit um Problemlösungen, entsteht vielleicht Widerstand gegen deren Implementierung, man hat sie ja nicht selbst entwickelt. Wenn dann Unwilligkeit gegenüber »empfohlenen« Veränderungen von Handlungsabläufen entsteht, äußert sie sich in Form von »Nichteinsicht«. Was würde also näherliegen, als zu versuchen, die Beziehung symmetrisch zu gestalten. Hier ist Vorsicht am Platz, um nicht einem Missverständnis zu erliegen, auf welcher Ebene Symmetrie überhaupt hergestellt werden kann. Denn es sind zwei Ebenen im Spiel, die Ebene der praktischen Handlungen (die einen tun dies, die anderen jenes) und die Ebene der Verständigung darüber, wie mit diesen Differenzen umzugehen ist. Auf letzterer (der »Metaebene«) ist Symmetrie möglich, auf ersterer (der »Objektebene«) nicht. Die zur Differenzvermittlung hergestellte und von beiden Seiten bestückte Projektgruppe bildet jenes Containment, in dem man sich um die Bearbeitung der Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Praxisfeld kümmert. In der Projektgruppe wird das Gesamtdesign des Prozesses von Aktivitäten festgelegt (zu denen im Wissenschaftssystem immer Forschung gesagt wird, im Praxisfeld nicht notwendigerweise auch), sie bildet gewissermaßen die »Steuerungszentrale«.

RÜCKWIRKUNGEN DER VERMITTLUNG AUF DIE ZUEINANDER VERMITTELTEN SYSTEME Neben der primären und grundlegenden Differenz gibt es eine Reihe sekundärer Differenzen, die durch die Bildung und Bearbeitung entstehen bzw., wenn sie ohnehin schon da sind, stimuliert werden. Das Praxisfeld selbst weist eine Eigenkomplexität auf, auch ohne das Zutun transdisziplinärer Forschung. Mit ihr jedoch wird die Komplexität noch gesteigert. Die Eigenkomplexität eines Klientensystems bestimmt sowohl sein erfolgreiches Agieren wie auch seine Problemlagen. Es gibt eine Binnendifferenzierung, unterschiedliche Funktionalitäten, die zusammenspielen müssen, eine (durch

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Hierarchie geprägte) Macht- und Einflussverteilung, außerhalb gibt es die relevanten Umwelten, die oft mannigfaltigen Stakeholderinteressen und eine unterschiedlich klare oder ausgebaute Kommunikationsbeziehung zwischen dem Klientensystem und diesen Umwelten. Sowohl die internen Verhältnisse als auch die Beziehungen nach außen sind für sich genommen und in ihrer Wechselwirkung relevant für Entscheidungen. Die Konzentration auf Entscheidungen ergibt sich aus einer bestimmten Sichtweise auf die Natur von Praxisfeldern. Sie stellen nicht nur Lebenswelten dar (die als solche keinen Handlungsdruck haben), sondern erhalten sich wie alle Systeme dadurch am Leben, dass sie die Probleme lösen, die sie haben. Und dies erfolgt durch die Form ihres Organisiertseins und durch das Treffen von Entscheidungen. Deren Qualität hängt davon ab, wie sehr »relevante Differenzen« im Entscheidungsprozess mitgedacht werden (wobei die Frage, was als relevant zu erachten ist, schon zu erheblichen Diskussionen führen kann). Das Einrichten eines transdisziplinären Forschungsprojekts stellt die beteiligten Systeme vor Herausforderungen. Die Bildung einer Steuerungsgruppe, eines überlappenden Systems, in dem die primäre Differenz zwischen Wissenschaft und Praxis vermittelt wird, erhöht die Komplexität der Systemlandschaft, weil jetzt ein neues Element hinzutritt: Das überlappende System lässt die Herkunftssysteme der jeweiligen Systemrepräsentanten nicht unbeeinflusst. Durch ihr Mitwirken an der Steuerungsgruppe werden die Systemrepräsentanten ihren »Heimat«systemen partiell »entfremdet« und, wenn schon nicht in eine Differenz gebracht, so doch wenigstens etwas herausgelöst. In Bezug auf die Praxisfelder sieht diese Differenz so aus, dass durch die an Planungen mitwirkenden Projektmitglieder oder AuftraggeberInnen über andere im Praxisfeld entschieden wird (wer für Befragungen und Recherchen herangezogen wird, welche Veranstaltungen für welche Teilnehmerkreise angesetzt werden und andere Designentscheidungen mehr). Mitunter ist dies so sehr mit der ohnehin vorhandenen Hierarchie und ihrem Agieren kompatibel, dass gar nicht erst der Eindruck von allzu außergewöhnlichen Vorgängen entsteht. Manchmal ergeben sich dadurch jedoch deutliche Abweichungen von den Alltagsgewohnheiten, sodass ein automatisches Mitwirken aller Beteiligten ohne zusätzlichen Erklärungsaufwand nicht gesichert ist. Es kommt also darauf an, wie die Aktivitäten, die mit dem Projekt verbunden sind, nach innen »verkauft« werden. Und da unterschiedliche Personengruppen im Praxisfeld von diesen Aktivitäten unterschiedlich betroffen sind, kann der Kommunikationsaufwand beträchtlich anwachsen, wobei Widerstände aufgrund tangierter Interessensphären nicht auszuschließen sind. Auch die Akzeptanz derer, die an der Projektsteuerung mitwirken, kann auf dem Spiel stehen.

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Rückwirkungen der transdisziplinären Vermittlung gibt es auch auf das Wissenschaftssystem. Auch die Wissenschaft tritt in eine Differenz zu sich selbst. Ihre an Disziplinen orientierten Organisationsformen, Produktionsbedingungen, Karriereschemata, Diskurse und Methoden muss man zuweilen hinter sich lassen, wenn man sich ins Feld begibt (Krainz 2009.) Wer sich als Wissenschaftstreibender der Transdisziplinarität verschreibt, hat also ein zweifaches Vermittlungsproblem, zum einen mit dem Praxisfeld, zum anderen, mitunter die größere »Baustelle«, mit dem Wissenschaftssystem und seinen Formen, Anerkennung zu gewähren oder zu versagen. Dabei ist es wissenschaftsintern durchaus als Problem anzusehen, dass Veränderung ein ungewöhnlicher Gegenstand ist, zumindest, wenn man an der Vorstellung hängt, dass die »Objektkonstanz« gegenstandskonstituierend ist. Wenn Forschende überdies durch die Mitwirkung in der Steuerungsgruppe und Aktivitäten im Praxisfeld an der Veränderung sogar mitgewirkt haben, der transdisziplinäre Forschungsprozess somit Interventionscharakter hat, wird die Anschlussfähigkeit zum System Wissenschaft zu einer Herausforderung. Die Leute, die im Praxisfeld agieren, kümmert indes die Anschlussfähigkeit produzierten Wissens an das System Wissenschaft wenig. Für sie ist essenziell, dass sich durch den Forschungsprozess eine »gefühlte« Lageverbesserung ergibt (vgl. in Kap. 11 die Ausführungen zur Rolle von Emotionen in der Bewertung von Qualität), und weniger, dass man darüber in Publikationen berichten kann (mitunter ist, wegen der Vertraulichkeit, sogar das Gegenteil der Fall).

DIE AUFLÖSUNG DER DIFFERENZPROBLEMATIK: VERMITTLUNG ALS PROZESS Wie die Rolle von Wissenschaftstreibenden gegenüber Vertreterinnen aus der Praxis anzulegen ist, ist ein eigenes Kapitel – auch in diesem Buch (vgl. Kap. 7). Konventionelles »Belehren« ist ohnehin nicht am Platz, zugleich ist es aber so, dass man über einiges an Wissen, Erfahrung und Methodenkenntnis verfügt. Hier die Position eines »Ich weiß, dass ich nichts weiß« einzunehmen, fällt vielfach schwer, weil auch immer wieder ein bestimmter Erwartungsdruck vorhanden ist, eine Expertenrolle zu spielen. Wie man daher vorhandenes Wissen in den Prozess einbringt bzw. ein auf Fall und Situation bezogenes Wissen entstehen lässt, muss gut überlegt sein. Wenn man sich, zumindest in den anfänglichen Projektsequenzen, auf die Entwicklung eines Verfahrens zurückzieht, ebnet dies ein wenig die Differenz zwischen Wissenden aus der Wissenschaft und (anderes) Wissenden aus dem Praxisfeld ein.

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Deren gemeinsame Aufgabe besteht darin, sich die vorhandene Gesamtkomplexität so zurechtzulegen, dass sie für einen gedeihlichen Prozess auf ein handhabbares Maß gebracht werden kann, ein Prozess, der alle Momente ermöglicht, die man haben möchte – die Gewinnung von Erkenntnissen, Intervention, Bewusstseinsbildung, Problemlösung, Veränderung. Die vorher genannten strukturellen (primären und sekundären) Differenzen sind nicht vermeidbar, die Intelligenz des Vorgehens besteht in der Entwicklung und Steuerung eines sozial-interaktiven Prozesses, der diese Differenzen vermittelt. In einer Betrachtung transdisziplinärer Forschung ist also nicht nur die Ebene der Forschungsergebnisse in den Blick zu nehmen, sondern auch der dahin führende Lern- und Entwicklungsprozess. Für die Beteiligten bedeutet Forschung zunächst, einen anderen Aufmerksamkeitsfokus zu bilden und sich für eine andere Form der Auseinandersetzung mit den relevanten Problemstellungen zu entscheiden, nämlich für den Prozess der Forschung selbst. Was sonst in gewohnheitsmäßigen Routinen ablaufen mag, wird in einem partizipativ aufgesetzten Verfahren kontext- und problemstellungsspezifisch gestaltet. Entscheidend ist die Teilhabe am Prozess, denn sie ermöglicht die Steuerung der inhaltlichen Arbeit, die den Anforderungen der Praxis folgen und doch nicht blind an ihnen orientiert ist. Damit wird zugleich die Praxiswirksamkeit der Forschungsarbeit grundgelegt. Denn es macht einen Unterschied, ob man bei einem Forschungsprozess dabei war und ihn mitgesteuert hat oder ob man mit von (angeblichen) Experten gelieferten Ergebnissen und Ratschlägen konfrontiert wird. In transdisziplinären Projekten liefert man also nicht externe Expertisen ab (Forschungsendberichte dieser Art landen nicht selten in den Schubladen). Man entwickelt die Inhalte und Ergebnisse in Kooperation mit den Betroffenen entlang der Erfordernisse von Problemstellungen und der Kontexte, in denen sie eingebettet sind. Projekte dieser Art führen also zu Ergebnissen ganz spezieller Ausprägung. Deren Beschaffenheit ist nicht vom Prozess ihres Zustandekommens zu trennen. Dass der Prozess des Forschens für die generierten Resultate konstitutiv ist, muss nicht mehr kompliziert wissenstheoretisch und wissenssoziologisch »aufgedeckt« werden (Fleck 1980), es ist von Beginn an nicht nur transparent, dass es so ist, sondern Programm. Damit ist transdisziplinäre Forschung auf einem paradigmatischen Niveau, von dem aus der Aufruf Feyerabends zum epistemologischen Anarchismus (»anything goes«) als historischer Befreiungsschlag gegen bestimmte (dogmatische) Erstarrungsphänomene in der Wissenschaft eingestuft und gewürdigt werden kann (Feyerabend 1983). Dessen Legitimität ist angesichts der notorischen Normativitätsneigungen der meisten »Methodenlehren« zur Erkenntnisgewinnung nach wie vor gegeben, zugleich aber enthält der Aufruf selbst noch keine transdisziplinäre Perspektive.

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Für die Forschungspraxis in den Kultur- oder Sozialwissenschaften genauso wie in den Natur- und Technikwissenschaften sind diese Überlegungen reich an Konsequenzen. Ein bisweilen zu beobachtender Methodenpurismus wird von der Frage abgelöst, was eine Methode zu erforschen ermöglicht, was mit ihr zugänglich gemacht werden kann und welche Facetten eines Themas sich damit jeweils zeigen (und auch, welche nicht). In »denksozial« eingespielten Arbeitsroutinen (Fleck 1980) mag diese Frage in den Hintergrund rücken (zudem behindern innerwissenschaftliche Hierarchien die freie Methodenwahl. Methoden und Paradigmen jenseits des naturwissenschaftlich und einzeldisziplinär dominierten Mainstreams haben es deutlich schwerer, innerhalb des Wissenschaftssystems zu bestehen). Dabei liegen die möglichen Synergien auf der Hand: Transdisziplinäre Forschung macht wissenschaftliches Wissen für Problemlösungen nutzbar, umgekehrt können die Erfahrungen und Ergebnisse aus transdisziplinären Projekten in die Scientific Communitys eingebracht werden. Als kollateraler Effekt entsteht bei transdisziplinären Forschungsprojekten die Notwendigkeit interdisziplinärer Kooperationen, man stellt einen Problemzusammenhang ins Zentrum der Aufmerksamkeit und zieht dann (bei entsprechender Koordination) alles heran, was in einem einzelwissenschaftlichen Thematisierungshorizont als aufschlussreicher Beitrag anerkennbar ist. Für viele irritierend ist die Frage nach der Generalisierbarkeit von Erkenntnissen. Je »maßgeschneiderter« eine Forschung durchgeführt wird (was der Natur des Transdisziplinären entspricht), desto mehr hat ein Ergebnis den Charakter einer Einzelfallstudie. Dazu ein Beispiel (Groß/Strohmeier/Ukowitz 2009): Ein Regionalentwicklungsprozess wird beispielsweise entsprechend den Erfordernissen im Praxisfeld wissenschaftlich begleitet, es werden Maßnahmen und Zukunftsperspektiven erarbeitet. Die Beteiligten haben ihre Erfahrungen, ihr Wissen, ihre Interessen (mitsamt den emotionalen Aufladungen) in den Prozess eingebracht, womit sie sich auch in den in kollektiver Anstrengung erarbeiteten Ergebnissen und Lösungen erkennen. Ob sich die Menschen für das Thema Energie, Jugend oder technologische Innovation engagieren, welchen Stellenwert sozialer Zusammenhalt, sichere Arbeitsplätze oder kulturelle Aktivitäten haben, in welchen Kooperationsformen gearbeitet wird und welche Projekte durchgeführt werden, müssen die Betroffenen mitentwickeln, darüber verhandeln und entscheiden. Im Durchgang durch den Prozess entsteht so auch Selbstaufklärung, kollektive Autonomie wird auf den Weg gebracht.

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Im Nachgang wird eine Reflexion ausgewählter Ergebnisse in Form von Journaloder Konferenzbeiträgen vorgenommen. Dies bedeutet allerdings eine Vermittlungsaufgabe zwischen unterschiedlichen Wissenskulturen und eine eigene Bemühung um entsprechende wissenschaftstheoretische Verankerungen, um auf diesem Weg gewonnenes Wissen für die Scientific Community anschlussfähig zu machen (Krohn 2008).

DIE VERÄNDERTE ROLLE VON FORSCHENDEN: PROZESSGESTALTUNG ALS EIGENE EXPERTISE Lernen und Wissensentwicklung werden zu einem interaktiven und rekursiven Unterfangen, das durch die partizipativen Verfahren und die Settings in direkter Kommunikation die Menschen in die Prozesse involviert. Die Vermittlung unterschiedlicher Wissensbestände und Perspektiven zueinander wird zu einem Gutteil schon innerhalb des Forschungsprozesses geleistet oder zumindest wird damit begonnen (Hirsch Hadorn et al. 2008). Abschließende schriftliche Forschungsberichte oder Publikationen sind dann nur Elemente aus einem sehr viel breiteren Spektrum an Ergebnissen (was für die Qualitätsdebatte rund um Forschung nicht unwesentlich ist (vgl. Kap. 7). Nun müssen solche Prozesse organisiert werden. Zunächst sind es die Forscherinnen und Forscher, die sich der Gestaltung der Prozesse annehmen. Dass transdisziplinäre Forschungsprojekte partizipativ konzipiert sind, bedeutet aber, dass alle Beteiligten in Entscheidungen zur Gestaltung der Abläufe einbezogen werden. Man arbeitet – im Interesse der Akzeptanz von Steuerungsentscheidungen – an der Verbreiterung der Prozesssteuerungsexpertise, auch wenn es zu Beginn einen Vorsprung an diesbezüglicher Expertise auf Seiten der Forschenden geben mag (Planung der Projektarchitektur, Ausgestaltung der Rollen und Aufgaben der Beteiligten, Abstimmung zeitlicher Abläufe). Auch wenn der Impuls für einen Untersuchungsprozess mit Veränderungsfolgen gar nicht aus dem Praxisfeld selbst entwickelt, sondern von Seiten der Wissenschaft angeregt wurde, braucht man eine Person im System, mit der man Absprachen über die prinzipielle Vorgangsweise treffen kann. Die Person des Auftraggebers/der Auftraggeberin braucht nicht unbedingt Mitglied in der Steuerungsgruppe zu sein, sofern eine geregelte Kommunikation zwischen Projekt und Auftraggeber vorgesehen ist. Das ist jedenfalls eine notwendige Strukturkomponente. Ob das eine oder das andere zweckmäßiger ist, richtet sich nach der Größe des transdisziplinären Forschungsprojekts (Art, Umfang, zeitliche Dauer, Anzahl der involvierten Personen). Für die (mindestens) anfängliche Rol-

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lenteilung spricht, dass nicht alle Beteiligten gleichermaßen einen Blick für die Prozessebene haben und über Kompetenzen in der Prozessgestaltung verfügen. Den Projektbeteiligten wird ein prozessualer Rahmen geboten, der es ihnen erlaubt, sich, entlastet von Prozessfragen, der inhaltlichen Arbeit zu widmen und zu interagieren. In kleineren Projekten in der Auftragsforschung reichen »einfache« Gespräche mit den jeweiligen Auftraggebern aus; wenn die Komplexität zunimmt, braucht man eine dieser Komplexität angemessene Steuerungsarchitektur. Zur Organisation von Forschungsprozessen bedient man sich zweckmäßigerweise der Logik und Methodik des Projektmanagements (Heintel/Krainz 2011). So wird mittlerweile auch erkannt, dass komplexere transdisziplinäre Forschungsprojekte und Projektverbünde eines eigenen Kooperationsmanagements bedürfen (Schophaus/Schön/Dienel 2004; zur grundsätzlichen Interventionsdimension transdisziplinärer Forschung: Heintel 2005; Ukowitz 2012).

DAS RECHTE MASS FINDEN Abweichungen vom Gewohnten, das Aufeinandertreffen unterschiedlicher Perspektiven und die Widersprüche, die sich daraus ergeben, stellen Irritationen dar, die – wenn sie positiv enden – Lernen und Weiterentwicklung ermöglichen. Transdisziplinäre Forschung initiiert Lernprozesse, die sich um konkrete Problemlösungen bemühen und ein für die relevanten und zu bewältigenden Differenzen geeignetes Design erfordern. Die Steuerung des Prozesses muss sich mit der »Planungsaporie« abfinden und den Widerspruch zwischen Zielgerichtetheit und Ergebnisoffenheit balancieren (Krainz 2007). Man hat eine (oft nur ungefähre) Vorstellung davon, wohin die Reise gehen soll, braucht aber dennoch ein Konzept schrittweiser Abwicklung und alle dafür notwendigen Kommunikationen (wer, mit wem, wann, worüber, mit welcher Zielrichtung). Verglichen mit rigideren Vorstellungen von Planung ist dies reichlich »fuzzy« und jedenfalls feedbackintensiv. Offene Prozesse können – insbesondere bei hierarchiegewohnten Systemen – irritierend sein. Es gilt daher das rechte Maß zwischen Sicherheitsbedürfnissen und »produktiver Irritierung« zu finden, die »Zumutbarkeitsgrenze«, von der man besser vorher eine ungefähre Vorstellung entwickelt, ehe man sie leichtfertig oder versehentlich überschritten hat.

Anfänge – Prozesse – Abschlüsse

Prozesse

6 Interdisziplinär forschen MARKUS ARNOLD, VERONIKA GAUBE, BERNHARD WIESER

Interdisziplinarität kann einerseits als Zusammenarbeit von WissenschaftlerInnen definiert werden, die in unterschiedlichen Disziplinen ausgebildet wurden. Andererseits wird der Begriff aber auch immer wieder verwendet, um die Integration von Theorien, Methoden und empirischen Daten aus zwei oder mehreren wissenschaftlichen Disziplinen zu bezeichnen, unabhängig davon, ob die Integration durch ein interdisziplinäres Team oder einzelne ForscherInnen durchgeführt wird. Es war insbesondere die OECD, die ab den 1970er Jahren auf die Notwendigkeit von verstärkt interdisziplinären Anstrengungen hingewiesen hat, um die Gesellschaft bei der Lösung ihrer Probleme wissenschaftlich zu unterstützen. Aufgegriffen wurde diese Forderung vor allem durch damals neue Forschungsförderungsprogramme, in deren Ausschreibungen Interdisziplinarität als Bedingung festgeschrieben wurde. Die Kritik an der disziplinären Organisation des traditionellen Wissenschaftssystems wurde in dem Slogan zusammengefasst: »Communities have problems, universities departments« (CERI 1982: 127).

RAHMENBEDINGUNGEN: WISSENSCHAFTSPOLITISCHE AKTEURINNEN Interdisziplinäre Forschung wird heute zu einem großen Teil durch sogenannte »kompetitive Mittel« finanziert, die in eigenen Programmen abseits von Globalbudgets der Universitäten vergeben werden. Wissenschaftspolitische AkteurInnen sind maßgeblich an der Gestaltung von Forschungsprogrammen beteiligt, indem sie als zentrales Instrument zur Erreichung wissenschaftspolitischer Ziele sog. »sektorale Programme« initiieren (Grimpe 2012). Indem Ressourcen zur Verfügung gestellt werden, wird mit der Ausschreibung des Programms zugleich

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auch über die Problemdefinitionen der einzureichenden Forschungsvorhaben entschieden. Von besonderer Relevanz ist es, wenn politische Willensbildung zu Forschungsprioritäten führt, zum Beispiel, wenn die Europäische Kommission Energie, Klima, Gesundheit, demographische Entwicklung, Ernährungssicherheit und Migration als »Great Challenges« identifiziert und damit eine Definition von prioritären gesellschaftlichen Problemstellungen vornimmt (European Commission 2011). AntragstellerInnen interdisziplinärer Forschungsprojekte haben in solchen Fällen nur wenig Möglichkeiten, Forschungsfragen aufzuwerfen, da die Agenda bereits weitgehend definiert ist. Daher kommt es hauptsächlich darauf an, sich in die vorgegebenen Themen einzuschreiben. Wer dazu nicht willens oder in der Lage ist, hat kaum Erfolgschancen auf dem Projektmarkt. Der Modus, durch den wissenschaftspolitische Zielsetzungen in wissenschaftliche Projekte implementiert werden, ist nicht restriktiv, sondern operiert über das Setzen von gezielten Anreizen in Wettbewerbssituationen. Wissenschaftspolitische AkteurInnen legen dabei nicht nur die zu bearbeitenden Problemstellungen fest, sondern sie geben teilweise auch vor, wie die identifizierten Problemstellungen bearbeitet werden sollen. Erst dann werden die Methoden dem konkret zu bearbeitenden Problem im Sinne einer »Gegenstandsadäquatheit« im Nachhinein angepasst und jene Expertisen versammelt, die es zur Lösung des jeweiligen Problems braucht. Welche Schwierigkeiten sich aus solchen Konstellationen für die interdisziplinäre Zusammenarbeit ergeben können, lässt sich an der Genomforschung verdeutlichen. Die Besonderheit der Genomforschung liegt darin, dass Geistesund SozialwissenschaftlerInnen gemeinsam mit ihren KollegInnen aus den Biowissenschaften unter einem gemeinsamen Dach gefördert wurden. Dies geschah insbesondere durch die sogenannte ELSA-Forschung, die für die Auseinandersetzung mit den »ethical, legal, and social aspects« steht (Zwart/Nelis 2009). Warum aber werden in einem naturwissenschaftlichen Forschungskontext die Expertisen von Geistes- und Sozialwissenschaften nachgefragt und zur Bearbeitung welcher Problemstellungen werden sie benötigt? Und welche Rahmenbedingungen führen dazu, dass – trotz einer multidisziplinären Zusammensetzung des Projektkonsortiums – in solchen Forschungsprogrammen an einer im eigentlichen Sinne interdisziplinären Kooperation oft nur geringes Interesse besteht? Die Antworten auf diese Fragen sind in den gesellschaftspolitischen Ereignissen der 1980er und 1990er Jahre zu finden, jener Zeit, in der große Programme zur Erforschung des menschlichen Genoms eingerichtet wurden (CookDeegan 1994; McCain 2002). Biowissenschaftliche Forschung hat seit ihrer ersten Problematisierung in den USA der 1970er Jahre in unterschiedlicher Weise

I NTERDISZIPLINÄR FORSCHEN

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zu öffentlichen Kontroversen geführt. Auch in Europa kam es zu solchen Kontroversen. In Österreich waren es etwa insbesondere die Anwendungen in Landwirtschaft und Lebensmitteln, die zu Ablehnung und öffentlichen Protesten führten (Grabner 1999; Seifert 2002). Vor diesem Hintergrund stellten sich WissenschaftspolitikerInnen die Frage: Wie soll man in einen als Zukunftstechnologie eingeschätzten Bereich investieren, wenn man zugleich fürchten muss, damit auf Akzeptanzprobleme seitens der Öffentlichkeit zu stoßen? Die Lösung, die schließlich umgesetzt wurde, lautete »Interdisziplinarität«: Um den öffentlichen Kontroversen um die neuen Biotechnologien entgegentreten zu können und damit die dauerhafte Unterstützung und Ausstattung mit Ressourcen durch die öffentliche Hand sicherzustellen, sollte die Auseinandersetzung mit ethischen, rechtlichen und sozialen Fragen zum integralen Bestandteil der Genomforschung gemacht werden (McKusick 1989). Diese von US-amerikanischen NaturwissenschaftlerInnen erdachte Strategie brachte James D. Watson, den ersten Direktor des Human-Genom-Projekts, schließlich dazu, vorzuschlagen, zwischen drei und fünf Prozent der Fördersumme in die Auseinandersetzung mit ethischen, rechtlichen und sozialen Fragen zu investieren (Marshall 1996: 488). Diesem Modell folgten mit einigen Nuancierungen zahlreiche europäische Länder, darunter auch Österreich. Es liegt auf der Hand, dass die geschilderten Rahmenbedingungen unmittelbare Auswirkungen auf die interdisziplinäre Zusammenarbeit haben, die unter diesen Voraussetzungen stattfinden kann. Kritische Stimmen sehen Geistes- und SozialwissenschaftlerInnen in dieser Konstellation in die Rolle von HandlangerInnen gedrängt (Macilwain 2009; Wieser 2011b, 2011a). Denn Geistes- und SozialwissenschaftlerInnen, die sich mit den ethischen, rechtlichen und sozialen Aspekten beschäftigen, sollen zur Verbesserung der Akzeptanz von biowissenschaftlicher Forschung beitragen und helfen, Argumente zu finden, wie man die Bedeutung, die Potentiale sowie den erwarteten Nutzen gegenüber einer skeptischen Öffentlichkeit deutlich machen kann. Dies führt dann zu einer Form der Kooperation, die etwa Jobst Conrad als Multidisziplinarität bezeichnet hat. Damit ist eine Form der Kooperation gemeint, bei der kaum Kommunikation zwischen den Forschungsgruppen stattfindet, die im Wesentlichen arbeitsteilig und disziplinär vorgehen (Conrad 2002). Welche Möglichkeiten und Strategien gibt es, um unter solchen Rahmenbedingungen dennoch konstruktive interdisziplinäre Kooperationen aufzubauen? Als wesentlich stellt sich oftmals heraus, die Problemsicht (das »Problem-Framing«), durch die die Kooperationsbeziehung initiiert wurde, zu ändern. Die Schwierigkeit besteht dabei darin, eine gemeinsame Problemperspektive zu erarbeiten, auf die sich die Beteiligten einigen können. Man kann diesen Vorgang

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als Entwicklung eines »common ground« bezeichnen. Das Gemeinsame kann entweder in einer geteilten Wertebasis gesucht werden oder in der Ausrichtung auf ein gemeinsames Ziel, das erreicht werden soll. Wesentlich ist, dass die Erarbeitung einer gemeinsamen Grundlage als Verhandlungsprozess zu verstehen ist. In solchen Aushandlungsprozessen lassen sich drei Grundstrategien unterscheiden: Die erste besteht darin, den Nutzen der eigenen Expertise für die anderen Beteiligten des Forschungsprozesses darzustellen und über diesen Weg eine Art Tauschgeschäft anzubieten. Die zweite Strategie zielt darauf ab, sich solchen Nützlichkeitskalkülen zu entziehen und für die eigene Forschungstätigkeit Autonomie zu beanspruchen. Das führt letztlich zu einem Rückzug aus interdisziplinären Kooperationen. Sie kann im besten Fall zu einer von einem einzelnen Forscher oder einer einzelnen Forscherin durchgeführten interdisziplinären Integration einiger im Forschungsverbund multidisziplinär entstandener Forschungsergebnisse führen. Die dritte Strategie beschreitet einen Mittelweg: Die Möglichkeit interdisziplinärer Kooperation wird aufrechterhalten, indem jene, die an interdisziplinärer Forschung tatsächlich interessiert sind, sich innerhalb des größeren multidisziplinären Forschungsverbunds in kleineren autonomen Forschungsgruppen zusammenfinden. Voraussetzung hierfür ist klarzustellen, wer an einer stärkeren Kooperation überhaupt Interesse hat und wer nicht. Sowohl die zweite als auch die dritte Strategie sind Versuche, innerhalb suboptimaler Forschungsbedingungen pragmatisch die Ziele interdisziplinärer Forschung so zu verfolgen, dass sie innerhalb des Zeit- und Finanzierungsrahmens des Projekts verwirklicht werden können. Doch auch unter optimalen Rahmenbedingungen, das heißt dort, wo man bei allen beteiligten ForscherInnen von einem genuinen Interesse an einer interdisziplinären Kooperation ausgehen kann, gilt es typische Spannungsfelder innerhalb der Forschungsteams zu erkennen und Rollenerwartungen zu klären.

DAS INTERDISZIPLINÄRE FORSCHUNGSTEAM: SCHNITTSTELLEN UND ROLLENERWARTUNGEN In erfolgreichen interdisziplinären Teams übernehmen WissenschaftlerInnen eine Schnittstellenfunktion. Für den Erfolg der interdisziplinären Kooperation ist es wichtig, dass jeder Einzelne bewusst eine Doppelrolle innerhalb der Gruppe einnimmt: WissenschaftlerInnen sollten einerseits VertreterInnen ihres Faches innerhalb des Projektteams sein und andererseits auch VertreterInnen des interdisziplinären Projektteams gegenüber dem jeweils eigenen Fachbereich. Jeder

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hat so die Aufgabe, eine Schnittstelle zu bilden, die zwischen dem interdisziplinären Projekt und der eigenen Fachdisziplin vermitteln kann. Schnittstellenfunktion I: Die eigene Disziplin vertreten Viele sind überrascht, manchmal auch überfordert, wenn sie erstmals an der Konzeption eines interdisziplinären Projekts mitarbeiten und von den VertreterInnen der anderen Disziplinen gefragt werden, was ihre Disziplin zu diesem Thema beitragen kann. Was sagt die Soziologie, die Ökologie, die Sprachwissenschaft bzw. die Philosophie zu diesem Thema? Sie sind überrascht, weil sie im Team gleichsam zu offiziellen SprecherInnen der eigenen Disziplin ernannt werden, eine Rolle, die sie innerhalb ihrer Disziplin in der Regel nicht einnehmen müssen oder dürfen. Sie werden in eine Sprecherrolle gedrängt, die sie manchmal sogar explizit ablehnen, wenn sie etwa gerade interdisziplinär forschen wollen, weil sie ihrer eigenen Herkunftsdisziplin kritisch gegenüberstehen. Doch diese Rolle ist wichtig. Im Team müssen die unterschiedlichen disziplinären Perspektiven repräsentiert sein, damit interdisziplinäre Zusammenarbeit möglich wird. Erst wenn die disziplinären Differenzen in einem ersten Schritt thematisiert werden, lassen sich diese in einem zweiten Schritt auf fruchtbringende Weise zu einem gemeinsamen Ergebnis integrieren. Aber so wichtig diese Rolle für den Erfolg der gemeinsamen Arbeit ist, so klar muss sein, dass der Anspruch, für eine ganze Disziplin zu sprechen, letztlich unerfüllbar ist. Auch hier gilt, dass es besser ist, dieser Aufgabe unvollkommen als überhaupt nicht nachzukommen, insbesondere, wenn niemand anderer im Team sie übernehmen kann. Dass es nicht immer leicht ist, eine solche Rolle einzunehmen, liegt an einer Besonderheit von interdisziplinären Kooperationen: Jede Kooperation zwischen mehreren Disziplinen muss in der Regel erst ausgehandelt werden, da es keine für alle interdisziplinären Forschungsprojekte geltende Arbeitsteilung gibt, auf die man sich berufen könnte. Denn auch wenn in einer idealen interdisziplinären Welt alle Disziplinen gleichberechtigt miteinander kooperieren sollten, sieht die Realität anders aus. Allein die Wahl der Forschungsfragen oder der Methoden kann einerseits einzelne Disziplinen als irrelevant ausschließen, andererseits aber auch eine Hierarchie zwischen zentralen und peripheren Disziplinen innerhalb der interdisziplinären Kooperation herstellen. Es ist daher auch wichtig zu lernen, wie man innerhalb eines Projekts die Relevanz des eigenen Beitrags gegenüber anderen Disziplinen argumentiert. Dies wird im Studium üblicherweise nicht gelehrt, da in der Regel von der Relevanz des eigenen Faches ausgegangen wird.

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In interdisziplinären Kontexten muss man immer auch das (scheinbar) Einfache erklären, das, was man innerhalb eines Faches als selbstverständlich voraussetzen kann. Erst in interdisziplinären Kooperationen lernt man, dass es notwendig ist, gegenüber fachfremden ForscherInnen die Sinnhaftigkeit der eigenen Methoden und Theorien deutlich zu machen. Dabei erfährt man, dass man sich selbst erst Zeit nehmen muss, um Argumente zu finden, die VertreterInnen der jeweils anderen Disziplinen überzeugen könnten.1 Dies ist sowohl bei der Erarbeitung der interdisziplinären Fragestellung wichtig als auch während des gesamten Projektverlaufs. Hierfür sind regelmäßige Teamsitzungen notwendig. Es geht um einen intensiven Austausch der Argumente, um die disziplinäre Perspektive und Fragestellung der anderen Schritt für Schritt besser zu verstehen und zu lernen, den eigenen Beitrag aus der Sicht der anderen Disziplinen zu betrachten. Die Herausforderung besteht für das Team darin zu lernen, welche Fragen jede Disziplin mit ihren Methoden beantworten kann; aber auch, welche blinden Flecken durch bestimmte Methoden entstehen. Erst dann erkennt man, was am eigenen Zugang zum Thema für die Kooperationspartner neu und anders ist, aber auch, inwiefern dieser Zugang zu deren Herangehensweisen passt. Es ist diese Erkenntnis, die einem jene Argumente liefert, mit denen man die Position der eigenen Disziplin in interdisziplinären Kooperationen verstehen und die Relevanz ihres Beitrags überzeugend darstellen kann. Schnittstellenfunktion II: Das interdisziplinäre Forschungsteam vertreten ForscherInnen eines interdisziplinären Teams müssen – während sie um Verständigung im Team bemüht sind – gleichzeitig daran arbeiten, die Forschungsfragen und -methoden, auf die sich das Team schließlich geeinigt hat, wieder in disziplinären Kontexten zu vertreten, zu erklären und deren Relevanz argumentieren zu können. Dies gilt später ebenso für die Ergebnisse der Zusammenarbeit selbst. Denn in jedem interdisziplinären Projekt kommt der Zeitpunkt, zu dem man am vereinbarten Forschungsdesign festhalten sollte, obwohl man unter Umständen inzwischen neue Methoden, Theorien oder Fragestellungen entdeckt hat, die für die Fragestellung interessant wären. Hier gilt, die Arbeitsfähigkeit des Teams, das zu arbeiten begonnen hat, nicht mehr unnötig zu stören, da ein ein-

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Man kann nahezu immer damit rechnen, dass unter den AdressatInnen Personen sind, die etwa die von einem selbst herangezogenen Theorien und Methoden nicht kennen. Dies ist auch im Kontext von Reviewverfahren der Fall.

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mal erreichter arbeitsfähiger Konsens zwischen Vertretern unterschiedlicher Disziplinen ein Wert an sich ist und daher gegenüber Außenstehenden auch verteidigt werden sollte. Zu einem späteren Zeitpunkt sind solche neuen Fragestellungen und Methoden jedoch der ideale Ausgangspunkt, um gemeinsam Fortsetzungsprojekte zu entwickeln. Interdisziplinäre ForscherInnen müssen während des gesamten Forschungsprozesses lernen, dieser Doppelrolle gerecht zu werden: sowohl VertreterInnen ihrer Disziplin wie auch VertreterInnen des interdisziplinären Teams zu sein. Es ist gerade die Kombination beider Rollen, die später auch hilft, wenn es darum geht, interdisziplinäre Forschungsergebnisse auf Kongressen vorzustellen und in Zeitschriften zu publizieren. Denn dann muss man Argumente haben, mit denen man FachvertreterInnen von der thematischen Bedeutung der Fragestellung und der methodischen Seriosität ihrer Beantwortung überzeugen kann. Dies wird uns noch weiter beschäftigen, wenn es um Karrierehindernisse interdisziplinärer ForscherInnen geht, zuvor aber wollen wir eine dritte Schnittstelle vorstellen. Schnittstellenfunktion III: Grenzen der eigenen Disziplin reflektieren Sich selbst an der Schnittstelle zwischen der eigenen Disziplin und dem interdisziplinären Forschungszusammenhang zu positionieren kann eine Quelle für neue Einsichten und Innovationen sein. So ist die Reflexion auf das Potential der Methoden und Theorien der eigenen Disziplin nicht nur für die Aushandlung der Forschungsfragen und des methodischen Designs des Projektteams wichtig; sie ist auch ein Bruch mit disziplinären Routinen. Die Überlegung, was man selbst innerhalb eines interdisziplinären Forschungszusammenhangs anzubieten hat, hilft, den Blick auf die Grenzen der eigenen Disziplin zu schärfen. Welche blinden Flecken die eigenen Methoden produzieren (aber auch jene der anderen Disziplinen), was sie mit ihren Methoden und Theorien beantworten können und für welche Fragen unter Umständen auch an neuen Methoden und Theorien gearbeitet werden muss.

METHODENWAHL UND ENTWICKLUNG INTERDISZIPLINÄRER MODELLE Die Wahl geeigneter Methoden zur Analyse problemorientierter Fragestellungen stellt eine besondere Herausforderung interdisziplinärer Kooperation dar. Methoden im disziplinären Kontext beziehen sich auf einen bestimmten Prozess oder eine bestimmte Technik, die im Rahmen disziplinärer Fragestellungen dazu

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dienen, Forschung zu organisieren, durchzuführen oder zu präsentieren. Gewöhnlich werden in interdisziplinären Projekten disziplinäre Methoden nach ihren Stärken und Schwächen beurteilt, ohne eine Methode oder einen Ansatz zu bevorzugen. Grundsatz interdisziplinären Arbeitens ist die Überzeugung, dass jede Disziplin, die für eine bestimmte problemorientierte Fragestellung relevant ist, maßgeblich zu einem integrativen Verständnis des Problems beiträgt. Die Wahl der jeweiligen Theorie- und Methodenkombination ist in vielen interdisziplinären Projekten Teil des Forschungsprozesses. Die Wahl der richtigen Kombination ist dabei für das Team mitunter selbst eine Herausforderung: Quantitative Forschungsstrategien fußen zum Beispiel auf der Evidenz quantifizierbarer Größen, während qualitative Forschung das Was, Wie, Wann und Wo von Begebenheiten und damit Definitionen, Konzepte, Charakteristika, symbolische Repräsentationen und Beschreibungen im Fokus hat. Solche Methoden miteinander zu verknüpfen stellt eine besondere Herausforderung an interdisziplinäre Forschungsgruppen dar. Gerade solche Verknüpfungen qualitativer und quantitativer Methoden begegnen uns im interdisziplinären Bereich häufig. Ziel von interdisziplinärer Forschung ist es – im Gegensatz zur Multidisziplinarität –, unterschiedliche Methoden und Erkenntnisse sinnvoll zu integrieren. Hierfür ist die Entwicklung von interdisziplinären Modellen unverzichtbar, welche innerhalb eines Forschungsprojekts die verschiedenartigen Methoden und Erklärungsansätze der beteiligten Disziplinen im Hinblick auf gemeinsame Fragestellungen verknüpfen. Dabei können diese theoretischen Modelle (obwohl sie quantitative und qualitative Methoden umfassen) selbst eher quantitativ oder qualitativ orientiert sein: als quantitativ-formalisiertes interdisziplinäres Modell oder als nicht-formalisiertes (qualitatives) interdisziplinäres Modell. Dies soll an zwei Beispielen verdeutlicht werden. Der interdisziplinäre Nutzen von quantitativ-formalisierten Modellen Das interdisziplinäre Forschungsfeld der Sozialen Ökologie beispielsweise beschäftigt sich mit der Frage, wie sozioökonomische Entwicklungen und Dynamiken Ökosysteme beeinflussen und wie sich veränderte Ökosysteme wiederum auf Gesellschaften auswirken (Clark/Dickson 2003; Fischer-Kowalski/Erb 2003). Zur Bearbeitung dieses Themas braucht es die Integration qualitativer und quantitativer Forschungsansätze und -methoden, die sowohl aus dem Bereich der Sozial- wie auch der Naturwissenschaften stammen. Um diese unterschiedlichen methodischen und disziplinären Perspektiven zu integrieren, wurde in einem Projekt in einer oberösterreichischen Gemeinde (gefördert durch das Forschungsprogramm proVision) von einem Team aus SoziologInnen, ÖkonomIn-

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nen und BiologInnen ein Computermodell entwickelt, das auf Basis von Entscheidungen einzelner landwirtschaftlicher Betriebe Stickstoffflüsse innerhalb von Ökosystemen simuliert (Gaube et al. 2009a, 2009b). Das interdisziplinäre Team musste hierfür über den gesamten Forschungsprozess hinweg jeden einzelnen Schritt der Modellentwicklung aushandeln: Konzeption, Datenintegration, die technische Implementierung des Modells und schließlich die Analyse der Modellergebnisse waren dabei Inhalt der Diskussionen. Im Kern ging es bei den Diskussionen darum auszuhandeln, inwiefern Ansätze der eigenen Disziplin in formalisierter Weise mit quantitativen Parametern im gemeinsamen Modell repräsentiert werden. Schließlich war es das Ziel, ein Modell zu entwickeln, welches sowohl soziale Interaktionen zwischen AkteurInnen wie auch komplexe naturwissenschaftliche Prozesse von Stickstoffflüssen und -beständen im Ökosystem abbildet. Das Modell bestand nicht aus einzelnen (disziplinären) Modulen, die nach einem intensiven disziplinären Forschungsprozess im Nachhinein zusammengeführt werden. Vielmehr war von Beginn an klar, dass das Produkt ein integriertes interdisziplinäres Modell sein sollte, das zeigt, wie jede Veränderung im sozialen System eine Veränderung im Ökosystem bewirkt. Daher machte jeder Vorschlag, eine soziale Dynamik in dem Modell abzubilden, eine Diskussion mit den NaturwissenschaftlerInnen erforderlich. Das Team konnte nur kleine Schritte in disziplinären Subteams tätigen, weil sich nach jedem Arbeits- und Erkenntnisschritt die Frage stellte, in welcher Form die Erkenntnis in das interdisziplinäre Modell einfließen kann. Der Vorteil dieser Methode ist, dass ein intensiver interdisziplinärer Diskurs im Team durch die Methodenwahl unerlässlich war. In Bezug auf Projektressourcen stellt diese Anforderung jedoch erwartungsgemäß einen Nachteil dar. Eine so intensive Auseinandersetzung im Team erfordert sehr viel Zeit. Außerdem setzt sie die Bereitschaft aller Beteiligten voraus, in einem gewissen Ausmaß von den gewohnten Methoden und damit den Standards der disziplinären Arbeit abzuweichen. Ziel war es, auf der einen Seite die disziplinäre Komplexität zu vereinfachen und damit eine neue Komplexität im Rahmen der interdisziplinären Fragestellung zu ermöglichen (Kates et al. 2001; Janssen et al. 2009). Damit die Ergebnisse des Projekts der leitenden Forschungsfrage am Ende auch gerecht werden, hat jedes Projektteam sich der Frage zu stellen, welches Modell für ihr Projekt am besten geeignet ist, die verschiedenen Methoden und Theorien der beteiligten Disziplinen in wissenschaftlich valider Form miteinander zu verbinden.

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Der interdisziplinäre Nutzen von epistemologischen Modellen Interdisziplinäre Integration kann aber auch durch nicht-formalisierte Modelle erreicht werden: ohne mathematische Formeln, allein mit Hilfe qualitativer Analyse der Beziehungen zwischen den verwendeten Daten, Methoden und Theorien. Die Ergebnisse unterschiedlicher Forschungsmethoden können zum Beispiel mit Hilfe eines epistemologischen Modells integriert werden. Denn um eine Vielfalt an Wissensbereichen miteinander zu verknüpfen, braucht man vor allem eine gute Theorie, ein theoretisches Modell ihrer Beziehungen zueinander. Wie kann man etwa am besten eine historische Epoche in ihrer Eigenart analysieren bzw. wie die kulturellen Praktiken einer gesellschaftlichen Gruppe? Die Beweise der Sozialwissenschaften, die auf statistischen Erhebungen beruhen, unterscheiden sich grundlegend von Beweisen der Geschichtswissenschaften, die auf einzelnen archivalischen Quellen beruhen. Und beide unterscheiden sich von dem, was in den Literaturwissenschaften, die sich auf die Interpretation literarischer Texte berufen, als valides Argument gilt. Dennoch kann jede dieser Quellen wichtige Erkenntnisse zum Verständnis einer »Kultur« und der Handlungen jener liefern, die in dieser Kultur aufgewachsen sind und deren Bestand sichern. Der französische Historiker Fernand Braudel musste zum Beispiel, als er – zusammen mit den Kollegen der sog. »Annales-Schule« – ein Forschungsprogramm entwickelte, um zu untersuchen, wie geographische und ökonomische Faktoren Gesellschaften geprägt und historische Ereignisse beeinflusst haben, in einem interdisziplinären Modell Erkenntnisse aus so unterschiedlichen Disziplinen miteinander verknüpfen wie Geographie, Ökonomie, Demographie und Geschichte: »Diese Erklärungssysteme unterscheiden sich deutlich, je nach Temperament, Berechnungen oder Zielsetzungen ihrer Benutzer. Sie sind einfach oder komplex, qualitativ oder quantitativ, statisch oder dynamisch, mechanisch oder statistisch. [...] Für mich ist das Wichtigste, bevor man ein gemeinsames Programm der Sozialwissenschaften aufstellt, die Rolle und die Grenzen des Modells zu präzisieren, die im Zuge mancher Initiativen übermäßig ausgeweitet werden« (Braudel 1977: 67; Burke 2004).

Um sowohl die Unterschiede zwischen den disziplinären Erklärungsmodellen deutlich zu machen als auch diese innerhalb eines Modells zu verbinden, führte er etwa – mit dem Begriff der longue durée – seine Unterscheidung zwischen verschiedenen Ebenen der Zeit ein: (1) die geographische Zeit der natürlichen Umwelt, deren Veränderungen zum Teil in Jahrhunderten gemessen und von den historischen Akteuren oft nicht wahrgenommen werden, (2) die langfristigen,

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zyklischen Veränderungen der ökonomischen, sozialen und kulturellen Prozesse und (3) die historische Zeit, die von Einzelereignissen und Handlungen historischer Akteure geprägt wird, seien es Politiker, Soldaten oder einzelne Kaufleute. Nur mit Hilfe dieses Modells, das den beteiligten Disziplinen unterschiedliche Beschreibungsebenen historischer Entwicklung zuwies, konnte Braudel die Forschungsergebnisse unterschiedlicher Disziplinen auf eine methodisch tragfähige Weise integrieren, wie etwa 1949 in seiner Studie »Das Mittelmeer und die mediterrane Welt in der Epoche Philipps II.« (1992). Ein anderes Modell, mit dem Forschungen unterschiedlicher Disziplinen verknüpft werden können, wäre etwa jenes der Birmingham School of Cultural Studies, die mit ihrem Modell des »circuit of culture« unter anderem exemplarisch am Beispiel des Erfolgs des Sony Walkmans die Interaktion von fünf kulturellen Prozessen analysiert haben: Sie integrierten die Produktion von Gütern, deren Konsum, die verschiedenen Arten der Regulierung, die kulturelle Repräsentationen in den Medien sowie die Konstruktion von sozialen Identitäten (Gay et al. 1997). Mit diesem Modell konnten sie die Beziehungen zwischen den traditionell von unterschiedlichen Disziplinen (Ökonomie, Medienwissenschaften, Politikwissenschaften, Soziologie etc.) untersuchten Bereichen sichtbar machen und die Verbindungen zwischen ihren verschiedenen disziplinären Realitätsbeschreibungen herausarbeiten. Auch das Konzept der »Wissenschaftskulturen«, wie es im Projekt »Science as Culture« entwickelt wurde, ist ein solches epistemologisches Modell, mit dem unterschiedliche Disziplinen und deren Erkenntnisstrategien in Beziehung gesetzt werden können, indem die sie leitenden oft divergierenden Normen, Methoden und Kontexte für ein besseres Selbst- und Fremdverständnis der Wissenschaften miteinander verglichen werden (Arnold 2004; vgl. Einblick »Science as Culture«).

DIVERGIERENDE ERKENNTNISINTERESSEN: DIE ROLLE VON LEITDIFFERENZEN Interdisziplinäre Zusammenarbeit erfordert aber auch das wechselseitige Näherbringen des jeweiligen Erkenntnisinteresses. Denn Disziplinen und ihre Communitys unterscheiden sich auch von anderen durch die Leitdifferenz, an der sich ihr Erkenntnisinteresse orientiert (Luhmann 1987: 19). Naturwissenschaftliche Disziplinen orientieren sich üblicherweise an der Frage: Ist es der Fall, was über die Natur gesagt wird? Die Leitdifferenz ist hier »wahr/nicht wahr«. Ingenieure hingegen orientieren sich eher an der Leitdifferenz »funktioniert/funktioniert

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nicht«, da ihr Erkenntnisinteresse der Frage gilt, ob sich wissenschaftliche Erkenntnisse in technischen Systemen implementieren und anwenden lassen. Durch die Fokussierung auf eine bestimmte Leitdifferenz werden aber andere Problemdimensionen ausgeblendet. Beispielsweise kommt die Frage nach den ökologischen Folgen in einer am technischen Funktionieren orientierten Disziplin nicht vor. Ebenso ist die Frage, wem die Forschungsergebnisse zu den Ursachen von Wohlstandserkrankungen zugute kommen, nicht Teil eines Erkenntnisinteresses, das primär an der Leitdifferenz »wahr/nicht wahr« ausgerichtet ist. Geistes- und SozialwissenschaftlerInnen stellen nicht nur Fragen danach, was der Fall ist oder was im technischen Sinn funktioniert, sondern ihr Erkenntnisinteresse gilt auch Fragen nach sozialer Gerechtigkeit menschlichen Handelns. Diese unterschiedlichen Perspektiven in Einklang zu bringen verlangt eine wechselseitige Reflexion auf die Vielfalt der Erkenntnisinteressen und wie diese zusammen in einer interdisziplinären Kooperation fruchtbar gemacht werden können.

INTERDISZIPLINÄR PUBLIZIEREN UND QUALIFIZIEREN Anschlussfähigkeit an Fachgemeinschaften wahren Mit einem besonderen Problem werden junge ForscherInnen konfrontiert, die interdisziplinär forschen, denn akademische Abschlüsse und Würden werden üblicherweise disziplinär verliehen. Aus diesem Grund sehen sich Versuche, Qualifizierungsverfahren mit interdisziplinären Forschungsvorhaben zu bestreiten, mit zahlreichen Schwierigkeiten konfrontiert. Letztlich wird in diesem Kontext immer die Frage der Zughörigkeit gestellt: Bist du eine von uns? Der Erwerb einer Qualifikation ist aus der Perspektive der Disziplinen vor allem der Erwerb einer Zugehörigkeit zu einer Scientific Community (Arnold 2004). Wenn daher die Abweichung vom fachdisziplinären Kanon (insbesondere in Qualifizierungsverfahren) zu groß wird, läuft man Gefahr, als nicht zugehörig wahrgenommen zu werden. Denn Disziplinen definieren sich u.a. über die gemeinsame Fachliteratur, mit der sich die Mitglieder der jeweiligen Scientific Community aufeinander beziehen; auch werden jene, die Community konstituierenden wissenschaftlichen Theorien vor allem auf disziplinär orientierten Konferenzen und durch Publikationen in fachbezogenen Journalen entwickelt und kritisch diskutiert. Das Problem taucht vor allem dann auf, wenn interdisziplinäre Arbeiten disziplinär bewertet werden, beispielsweise, um disziplinäre akademische Qualifi-

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kationen zu erwerben. Hier stellt sich unweigerlich die Frage, ob die verwendeten Methoden, referenzierten Theorien der in Frage kommenden Disziplin (Studiengang) zugerechnet werden oder nicht. In weiterer Folge setzt sich diese Problematik bei der Publikation der Ergebnisse fort, zumal darüber ja entschieden werden muss, für welche Scientific Community man mit seiner Arbeit einen Diskussionsbeitrag leisten will. Die produktive Irritation durch interdisziplinäre Ansätze bedarf daher der Aufmerksamkeit für disziplinäre Gepflogenheiten, um auch in den Wissenschaften wirksam zu werden. Wissenschaftliche Relevanz interdisziplinärer Ergebnisse steigern Um die Relevanz der Ergebnisse interdisziplinärer Projekte für die Wissenschaften zu erhöhen (und damit auch die Wahrscheinlichkeit, dass diese von anderen Wissenschaftlern wahrgenommen werden), empfiehlt sich die Strategie, die Ergebnisse eines interdisziplinären Projekts auf allgemeine Fragestellungen und Probleme der einzelnen Disziplinen zu beziehen. Jede Disziplin hat zentrale Fragestellungen, die innerhalb der Scientific Community das höchste Prestige genießen, während interdisziplinäre Forschungsprojekte meist Themen erforschen, für die sich keine Disziplin vollumfänglich verantwortlich fühlt, die daher auch thematisch (scheinbar) am Rande der Disziplinen stehen. Es ist daher oft notwendig, die disziplinären Themenhierarchien in Frage zu stellen. Dies geht jedoch meist nur dann, wenn man zeigen kann, warum jener spezifische Fall, den man interdisziplinär untersucht, gerade weil er scheinbar »peripher« ist, einen wichtigen Beitrag zu einem zentralen Thema der Disziplin liefern kann. Wie könnte zum Beispiel die Relevanz der Ergebnisse eines Projekts, in dem die Pflege von sterbenden Menschen untersucht wird, für die einzelnen Disziplinen deutlich gemacht werden? Ein Soziologe wird gegenüber seinen Fachkollegen argumentieren, dass sich gerade an diesem Fall zeigen lässt, wie eine Gesellschaft mit ihren Mitgliedern umgeht, wenn diese für sie nicht (mehr) ökonomisch nützlich sind, wie sie die hierfür nötigen, zum Teil erheblichen finanziellen Mittel rechtfertigt und was dies über die Gesellschaft als solche aussagt. Ein Philosoph könnte auf die Relevanz dieses Beispiels für die ethischen Fragestellungen hinweisen, ein Ökonom auf jene für eine ökonomische Theorie der öffentlichen und privaten Ressourcenverwendung. Das heißt aber auch: Um die Ergebnisse später für disziplinäre Diskurse relevant machen zu können, sollte man schon während des Projekts überlegen, wie gegenüber traditionelleren VertreterInnen einer Disziplin die Bedeutung des Projekts argumentiert werden kann. Dies kann nicht gelingen, indem man die »Fremdheit« der interdisziplinären Fragestellung unterschlägt, sondern indem

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man gerade das, was den disziplinären Fragestellungen fremd erscheinen mag, in eine Quelle möglicher Innovationen – auch für disziplinäre Forschungen – umdeutet. In diesem Sinne lassen sich etwa Fallbeispiele als eine Art Testfall präsentieren, an dem sich die Plausibilität disziplinärer Hypothesen und Theorien beweisen muss. Entweder bestätigen die Ergebnisse des Projekts deren Annahmen, dann wird deren Aussagekraft gerade aufgrund der Bestätigung durch einen außergewöhnlichen Fall besonders gestärkt; oder aber die Ergebnisse bringen zentrale theoretische Annahmen ins Wanken, dann lässt sich argumentieren, dass die Disziplin in ihren Diskussionen diesem (scheinbar peripheren) Fall in Zukunft besondere Aufmerksamkeit widmen muss, wenn sie neue Hypothesen und Theorien entwickelt. Im ersten Fall argumentiert man, dass ein scheinbar exotisches interdisziplinäres Projekt gar nicht so exotisch ist (da es bestätigt, wie es die an anderen Beispielen entwickelten Theorien prognostiziert haben), im zweiten Fall wird ein scheinbar exotischer Fall zu einem paradigmatischen Fall erhoben, da man behauptet, dass jede neue Theorie sich mit diesem speziellen Fall auseinandersetzen muss, um nicht – wie die alte Theorie – an diesem zu scheitern.

WIE INTERDISZIPLINARITÄT IM PROJEKTALLTAG VERLOREN GEHEN KANN Die Zusammenarbeit von Wissenschaftlern mehrerer Disziplinen ist noch kein Garant für Interdisziplinarität. Denn in jedem interdisziplinären Forschungsteam besteht die Gefahr, dass Interdisziplinarität im eigentlichen Sinne wieder im alltäglichen Umgang miteinander verloren geht. Dies geschieht, wenn die für jedes interdisziplinäre Team so notwendige Schnittstellenfunktion von den WissenschaftlerInnen nicht mehr wahrgenommen wird. WissenschaftlerInnen können, um sich untereinander zu verständigen, auf die Alltagssprache und Alltagsdiskurse zurückgreifen, die es einem ermöglichen, jenseits der Methoden und Fachdiskurse der Wissenschaften eine gemeinsame Sprache zu finden. Ein Zeichen für dieses subtile Vermeiden einer interdisziplinären Auseinandersetzung ist, wenn man sich in den Teamsitzungen nicht mehr der mühsamen Arbeit widmet, unterschiedliche disziplinäre Ansätze in Beziehung zueinander zu setzen und über deren Vor- und Nachteile zu diskutieren, und nicht mehr nach Konzepten sucht, mit denen man innerhalb der Wissenschaften zwischen den disziplinären Perspektiven Brücken bauen kann. Diese Gefahr besteht natürlich nicht nur in interdisziplinären Kooperationen, auch in transdisziplinären Projektzusammenhängen kann Interdisziplinarität im

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eigentlichen Sinne verloren gehen, etwa wenn (1) die Zufriedenheit des Klientensystems zum einzigen Kriterium für den Erfolg des Projekts erhoben wird und die Anbindung an das Wissenschaftssystem mit seinen disziplinären Diskursen gar nicht mehr gesucht wird; oder wenn (2) keine Zeit mehr bleibt, über Theorien und die Vielfalt wissenschaftlicher Modelle bzw. Konzepte zu diskutieren und allgemein Theoriearbeit als für den Erfolg des Projekts nicht notwendig abgewertet wird.

SCHLUSSFOLGERUNGEN Interdisziplinäre Forschung muss sich einer Vielzahl von Herausforderungen stellen, die in diesem Kapitel nur angeschnitten werden konnten. Methodisch erfordert interdisziplinäres Arbeiten weit mehr vorbereitende Analyse, um eine adäquate Entscheidung über die Methoden und das geeignete Modell zu treffen als disziplinäre Forschungsvorhaben. Eine überlegte Methodenwahl ist zeitintensiv und muss in einem Aushandlungsprozess zwischen den VertreterInnen unterschiedlicher Disziplinen erfolgen. Dabei gilt es, sobald ForscherInnen verschiedener Disziplinen gemeinsam an einer Forschungsfrage arbeiten, typische Spannungsfelder innerhalb solcher interdisziplinärer Forschungsteams zu erkennen und Rollenerwartungen zu klären. ForscherInnen eines interdisziplinären Teams haben die Aufgabe, an der Schnittstelle zwischen dem interdisziplinären Projekt und der eigenen Fachdisziplin zu arbeiten. Das ist keine leichte Aufgabe, sie bedarf der Identifikation aller Beteiligten sowohl mit dem interdisziplinären Projekt wie auch mit der eigenen Disziplin und führt zu einem hohen Kommunikationsaufwand innerhalb und außerhalb des Projektteams. Ist man aber bereit, die Herausforderung, interdisziplinär zu forschen, anzunehmen, eröffnen sich dem Einzelnen nicht nur interessante Forschungsperspektiven, sondern meist auch ein persönlich äußerst befriedigendes Arbeiten in interdisziplinären Teams.

7 Zwischen Welten Transdisziplinäre Forschungsprozesse realisieren ULLI WEISZ, SANDRA KARNER, RALPH GROSSMANN, PETER HEINTEL »Bei gleicher Umgebung lebt doch jeder in einer anderen Welt« ARTHUR SCHOPENHAUER

DAS GEMEINSAME ANLIEGEN Nachhaltigkeitsforschung, Interventionsforschung, Erforschung von Veränderungsprozessen in Organisationen, Technik- und Wissenschaftsforschung etc. – die transdisziplinären Forschungsfelder von uns vier AutorInnen sind breit gestreut. So erscheint es zunächst sinnvoll, darüber nachzudenken, was uns dazu bewegt, welches gemeinsame Interesse uns leitet, über die Grenzen des Wissenschaftssystems – aus »unserer Welt« – hinauszugehen und uns auf transdisziplinäre Forschungsprozesse einzulassen. Wir beschäftigen uns mit gesellschaftlichen Problemfeldern, die wir als Fragen zum Umgang mit öffentlichen Gütern (»Public Goods«) verstehen. Das sind beispielsweise Gesundheit, Umwelt und Bildung und dahinterliegend die Fragen nach gesellschaftlichen Veränderungsprozessen, Intervention in gesellschaftliche Systeme und Wirksamkeit von (wissenschaftlichem) Wissen. Mit der Erforschung »lebensweltlicher« Anliegen, in der Literatur oft als »real-world problems« (z.B. Klein et al. 2001; Jahn et al. 2012) oder auch als »wicked problems« (Brown et al. 2010) bezeichnet, wollen wir einen Beitrag zur gesellschaftlichen Entwicklung leisten. Die Einsicht, dass angemessene Lösungen für viele gesellschaftliche Problemstellungen weder aus der Wissenschaft allein noch aus einer »kurzatmigen« Praxis generiert werden können und somit auf transdisziplinäre

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Forschungs- und Lernprozesse angewiesen sind (z.B. Jahn et al. 2012), motiviert uns, über die Grenzen des Wissenschaftssystems hinauszugehen. Transdisziplinarität bedeutet, den Forschenden etwas zuzumuten, was sie bisher, institutionell und organisatorisch geschützt, vermeiden konnten: sich nämlich hinauszubewegen, völlig neue und ungewohnte Verhältnisse und Beziehungen mit ihren Forschungs-»Objekten« einzugehen, den gesicherten Raum disziplinärer Immanenz zu verlassen (Heintel 2009): Dieses »Hinausbewegen« erleben wir als herausforderndes, aber auch spannendes und durchaus sinnstiftendes Unternehmen. In transdisziplinären Forschungsprozessen treffen unterschiedliche Systeme und deren AkteurInnen aufeinander, die selbst theoretisch gut »Gerüsteten« zunächst fremd, wie eine »andere Welt« erscheinen können. In diesem Kapitel wollen wir konkrete Einblicke in Prozesse des Realisierens geben, wie wir sie in unseren jeweiligen Forschungskontexten erfahren. Bei der Auswahl und Darstellung der Beispiele sind wir mit der notwendigen Achtsamkeit umgegangen, die wir unseren PartnerInnen entgegenbringen möchten. Nicht alle Schwierigkeiten oder gar »Geschichten des Scheiterns« können den »geschützten Raum«, ein wesentliches Element transdisziplinärer Kooperation, verlassen. Dazu aber später. Zunächst beschäftigt uns die Frage, mit wem wir es zu tun haben, wenn wir uns auf transdisziplinäres Forschen einlassen.

WELCHE WELTEN? »Wir sind nicht die Praxis« Auftraggeber, die transdisziplinäre Forschung zur Förderbedingung machen, differenzieren zwischen zwei Systemen: Wissenschaft und Praxis (vgl. Kap. 5).1 Diese grobe Unterscheidung erweist sich allerdings in vielen Fällen als nicht zutreffend. Das betrifft beispielweise Kooperationen mit ExpertInnenorganisationen wie Schulen oder Krankenhäusern. Ein Beispiel soll dies veranschaulichen: In einer schwierigen Phase zu Beginn eines laufenden Projekts an einer Krankenhausabteilung (nicht publiziert), wurde folgendes klar: ÄrztInnen, die nicht nur selbst forschen, sondern in ihrer Disziplin oft akademisch erfolgreicher als (viele) inter- und transdisziplinär For-

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Siehe beispielsweise die Forschungsprogramme des Österreichischen Bundesministeriums für Wissenschaft und Forschung aus der Österreichischen Forschungsinitiative FORNE (Forschung für Nachhaltige Entwicklung).

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schende sind, empfanden die Bezeichnung »Praxispartner« als unzutreffend oder gar abwertend, weil diese Begrifflichkeit eine Ausgrenzung aus dem Wissenschaftssystem suggeriert – eine denkbar schlechte Grundlage für eine erfolgreiche und vertrauensvolle Kooperation. Erforderlich ist hier eine Grenzziehung, die auf einer differenzierteren Systemkenntnis basiert. Im erwähnten Projekt wurde das in folgender Formulierung umgesetzt: »Wir als krankenhausexterne WissenschafterInnen aus Nachhaltigkeits- und Gesundheitsförderungsforschung kooperieren mit einem Krankenhaus. Die im Projekt involvierten MedizinerInnen sind in zwei Rollen für das Projekt wichtig: erstens als medizinisch Versorgende und Abteilungs- bzw. Stationsleitung und zweitens als medizinisch Forschende« (aus dem Protokoll des Kick-off-Meetings, unveröffentlicht). In diesen Rollen fungieren MedizinerInnen als sogenannte »go betweens«, die beide »Welten« kennen und gewohnt sind, sich zwischen beiden »Welten« zu bewegen. Das erleichtert nicht nur die Kommunikation, sondern auch die inhaltliche Arbeit selbst. Diese Erfahrung ist durchaus verallgemeinerbar und hat auch umgekehrt Gültigkeit: ForscherInnen mit beruflichen Vorerfahrungen im betreffenden Praxisfeld nehmen eine wichtige – manchmal erfolgskritische – Brückenfunktion in transdisziplinären Forschungsprozessen ein. Systemkenntnis und das ständige Bemühen, im Laufe der Zusammenarbeit das »andere« System in seinen spezifischen Umwelten (besser) zu verstehen, ist eine Grundvoraussetzung für transdisziplinäre Forschung. Das inkludiert, wie wir noch zeigen werden, auch eine Auseinandersetzung mit den jeweiligen Logiken und Widersprüchlichkeiten innerhalb eines Systems. Mit welchen Systemen haben wir es zu tun? Diese Frage lässt sich nicht einfach beantworten, denn die »Praxiswelten« mit denen wir jeweils kooperieren, sind so vielfältig wie unsere Forschungsthemen selbst. Grundsätzlich spielen Organisationen in der Erforschung gesellschaftlicher Entwicklungsprozesse eine bedeutende Rolle, denn sie kennzeichnen die moderne, arbeitsteilige Gesellschaft, die als »society of organizations« beschrieben wird (Perrow 1991). Es sind meist ExpertInnenorganisationen, die für öffentliche Güter zuständig sind und damit für uns eine wichtige Rolle als »Praxispartner« einnehmen. Zudem ist die Bearbeitung von Aufgabenstellungen im Bereich der Public Goods häufig nur durch Vernetzung und Kooperationen zwischen Organisationen zu bewältigen. Das führt uns zur Erforschung und Entwicklung von Kooperationssystemen zwischen verschiedenen Organisationen. Neben diesen stellen BürgerInnenforen als Orte gesellschaftlicher Aushandlungsprozesse eine weitere »Praxiswelt« dar, auf die wir hier Bezug nehmen wollen.

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ExpertInnenorganisationen Im Gesundheits- oder Bildungssystem haben transdisziplinär Forschende es mit ausdifferenzierten und spezialisierten Organisationen zu tun. Sie tragen mit ihrer Forschung selbst zu dieser Spezialisierung bei, indem sie die Verselbständigung von Organisationen begleiten, strategische Entwicklungen unterstützen oder neue berufliche Rollen einzuführen helfen. Es geht meist um die Entwicklung der inhaltlichen Leistungen und der dahinterstehenden fachlichen Konzepte, manchmal auch um die Entwicklung der Organisationen selbst, die diese Leistungen anbieten. Beschäftigt sich transdisziplinäre Forschung mit dem öffentlichen Gut Gesundheit, liegt es nahe, das Krankenhaus, die Kernorganisation unseres Gesundheits- (und Krankenbehandlungs-)Systems, als Forschungs- und Interventionsebene zu wählen. Was ist das Besondere an diesem »Praxisfeld«? Das Krankenhaus wird, wie auch die Schule oder die Universität, organisationstheoretisch als ExpertInnenorganisation beschrieben (Grossmann et al. 1997; Kasper/ Heimerl-Wagner 1996; Mintzberg 1993). Das bedeutet, dass der Betrieb in seiner Leistungsfähigkeit in hohem Maße von der Professionalität, der Leistungsbereitschaft und der Motivation der Beschäftigten abhängig ist. Im Krankenhaus ist die Kernfunktion von mehreren ExpertInnengruppen mit ganz unterschiedlicher Ausbildung, Tradition, verschiedenen Fachsprachen und Zugehörigkeit zu unterschiedlichen professionellen Communitys zu koordinieren. Dieser hochinnovative Bereich wird von einem eigenen (Sub-)System verwaltet bzw. gemanagt. Wir verstehen und erleben diese beiden Bereiche als zwei verschiedene »Welten« einer Organisation: Auf der einen Seite steht die Administration, die in Anlehnung an Boyden (1992) als »symbolische Welt« bezeichnet werden kann. Auf der anderen Seite findet die Krankenversorgung statt.2 In dieser »materiellen Welt« des Krankenhauses treten ÄrztInnen und PflegerInnen in direkten physischen Kontakt mit den PatientInnen (Baecker 2008). Werden in der Kooperation VertreterInnen aus beiden »Welten« zusammengeführt, entspricht das einem »Kulturbruch«, denn zwischen diesen gibt es erstaunlich wenig Verständnis füreinander. Die ExpertInnen identifizieren sich nicht so sehr mit der Organisation, in der sie arbeiten, sondern mehr mit der Profession, der sie angehören und der fachspezifischen Seite ihrer Arbeit. Sie sehen sich eher als VertreterInnen eines bestimmten Fachs denn als MitarbeiterInnen eines bestimmten Krankenhauses. Die Organisation wird vielmehr als ein notwendiges Übel in Kauf genommen, das dazu dient, bestimmte Ressourcen zu lukrieren (Grossmann et al.

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Gloubermann/Mintzberg (2001) bezeichnen diese Differenz als »great divide«.

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1997). Die mangelnde Identifikation mit der Organisation führt in der Folge dazu, dass es wenig Engagement für die Interessen des Gesamten gibt. Dieser Widerspruch zwischen ExpertInnentum und Organisation und die Kooperation zwischen den Berufsgruppen sowie das Verhältnis des Krankenhauses zu anderen Einrichtungen sind wesentliche Anlässe für transdisziplinäre Forschung und begleiten gleichzeitig die Zusammenarbeit. Hier sind wir als universitäre WissenschafterInnen auch mit uns selbst konfrontiert. Wir sind selbst Mitglieder eines klassischen ExpertInnenbetriebs mit vergleichbaren Organisationsdefiziten. Auch im Spital wird Wissenschaft betrieben, wird geforscht. Das macht die Zusammenarbeit einerseits störungsanfällig, etwa durch Rivalitätsgefühle, andererseits aber auch einfacher, da MedizinerInnen anderen ExpertInnen Wertschätzung für ihre fachliche Expertise entgegenbringen. Rollenklärung und Abstimmung gegenseitiger Erwartungen werden erleichtert, wenn allen Beteiligten eine spezifische Expertise zugestanden wird. Das schafft eine gute Basis für eine produktive Zusammenarbeit. In Forschungs-Bildungs-Kooperationen, also in Kooperationen zwischen Universitäten und Schulen, gestalten sich die speziellen Herausforderungen entlang der unterschiedlichen Betrachtung von Wissen. Die Schule arbeitet mit den Leitdifferenzen »richtiges« Wissen, »falsches« Wissen und »Nichtwissen«. Wissenschaftliches Wissen hat hier den Status »richtiges« Wissen und ist daher hoch angesehen. In der Wissenschaft leiten Fragen einen mehr oder weniger offenen Prozess ein, Antworten sind nicht eindeutig vorgegeben, Ergebnisse werden stets zum Ausgangspunkt für neue Fragen. Wissenschaft wird als offener und kreativer Prozess verstanden, in denen die Grenzen von Wissen und Nichtwissen zuweilen verfließen (Latour 1987). Die grundlegenden Unterschiede zwischen der Wissensgenerierung in Wissenschaft und Schule, also zwischen Forschen und (auf Prüfungen) Lernen3, können, wenn nicht transparent gemacht, zu Irritationen und Missverständnissen in der Zusammenarbeit führen. In einer umweltgeschichtlichen Forschungs-Bildungs-Kooperation manifestierte sich dies an den unterschiedlichen Zugängen zu dem Begriff »Forschungsfrage«. Die SchülerInnen, gewohnt, Prüfungsfragen möglichst »richtig« zu beantworten, waren nach der ersten Projektwoche der Meinung, sie hätten das Forschungsziel »komplett« erreicht, weil sie »diese Fragen […] eigentlich beantwortet« hätten (aus der Begleitevaluation; Weisz et al. 2011: 125). Die inhaltliche Entwicklung der Forschungsarbeiten wurde daher, in unterschiedlichen Settings, immer wieder thematisiert. So erkannten die SchülerInnen im Laufe der Zusammenarbeit den offenen und prozesshaften Charakter wissenschaftlicher Fragestellungen: »Infor-

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Das gilt wohl ebenso für eine verschulte universitäre Lehre.

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mationen beschaffen, [...] dann irgendwie zusammenschreiben [...] und dazu halt auch noch eine Frage beantworten, eine Frage, aufgrund der ich jetzt forsche, und vielleicht dabei noch andere Fragen aufgedeckt [...] (bekomme), [...] dass es halt immer weiterläuft, das ist für mich Forschen« (ebd.). Kooperationssysteme zwischen Organisationen Gesellschaftliche Problemstellungen sind häufig zwischen Organisationen angesiedelt, fallen nicht in die Zuständigkeit der spezialisierten Systeme und können auch nicht von einer Organisation alleine sinnvoll bearbeitet werden. Dies erfordert die Kooperation zwischen mehreren Organisationen mit zumeist ganz unterschiedlichen Grundaufgaben, Strukturen, Arbeitskulturen, rechtlicher Verfasstheit. Beispielsweise ist in Fragestellungen der PatientInnenversorgung immer auch der Blick auf diejenigen Bedürfnisse der PatientInnen zu richten, die nicht in der hochspezialisierten Organisation Krankenhaus befriedigt werden können. Im Naht- oder Schnittstellenmanagement (vgl. Einblick »Nahtstellenmanagement«) wird die Frage bearbeitet, wie medizinische und soziale Leistungen über Kooperationen mit anderen spezialisierten Organisationen sachgerechter und effizienter erbracht werden können. Gefordert sind hier patientInnenengerechte und kostengünstige Prozesse der Versorgung und Unterstützung, die in wachsendem Maße die bewusst gestaltete Zusammenarbeit des Krankenhauses mit anderen Leistungserbringern optimieren. Politik und Verwaltung stehen hier vor einer doppelten Aufgabe: Einerseits als Initiatoren und Förderer solcher Kooperationen im Kontext von Public Governance, andererseits als Akteure mit eigenen Interessen innerhalb der Kooperation (Grossmann et al. 2007). Wer in welcher Form zur Kooperation eingeladen wird, gewinnt insbesondere in Praxisfeldern, die von gegenläufigen Interessen und Machtasymmetrien und daraus resultierenden Spannungen zwischen verschiedenen Akteursgruppen gekennzeichnet sind, besondere Bedeutung. In der Lebensmittelversorgung werden beispielsweise die Interessen von AkteurInnen aus dem konventionellen Versorgungssystem von etablierten Institutionen wie Kammern und Industriellenvereinigungen politisch gut vertreten. Kleinen zivilgesellschaftlichen Initiativen, wie beispielsweise FOOD-COOPs (vgl. Einblick »FAAN«), oder kleinbäuerlichen Vereinigungen bieten sich hingegen kaum Möglichkeiten, ihre »alternativen« Sichtweisen in die etablierten Diskursräume einzubringen, um Einfluss auf politische Entscheidungen zu nehmen. In einem derart polarisierten Feld ist eine Kooperation meist an Erwartungen der Solidarisierung von Seiten der Forschungspartner geknüpft. Gleichzeitig er-

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folgen entsprechende Zuschreibungen von außen. Das kann dazu führen, dass Forschende sowohl von AkteurInnen innerhalb des Praxisfeldes als auch von eigenen KollegInnen als parteilich wahrgenommen werden. Die Zuschreibung einer solchen Partialität (z.B. Turner/Fozdar 2010) kann die Einbeziehung weiterer AkteurInnen – je nach Interessenlage – erschweren oder erleichtern und hat Einfluss auf die Rezeption der Ergebnisse in der Praxis und in den wissenschaftlichen Communitys. So wurden die Ergebnisse aus einem Projekt (vgl. Einblick »FAAN«), das sich mit alternativen Möglichkeiten der Lebensmittelversorgung beschäftigte, von PraxisakteuerInnen, die diese Entwicklungen vorantreiben möchten, als sehr relevant beurteilt, während VerfechterInnen des Mainstreams die epistemische Qualität der Ergebnisse anzweifelten. In einer Diskussion mit einem Vertreter der Europäischen Generaldirektion für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung wurden Argumente, die auf Kritik kleinbäuerlicher Betriebe an der Europäischen Rahmenverordnung für Hygiene basierten, als nicht zulässig abgetan. BürgerInnenforen Was öffentliche Vorhaben betrifft (in Verkehr, in raumplanerischen und städteplanerischen Maßnahmen, bei der Errichtung von Industrieanlagen bzw. auch Absiedelungen etc.), scheint sich ein gesellschaftlicher Wandel anzudeuten. Man kann ihn als »Erwachen der Zivilgesellschaft« bezeichnen. Betroffene BürgerInnen nehmen politische oder wirtschaftliche Entscheidungen nicht einfach zur Kenntnis, sondern versuchen ihre besonderen Interessen bzw. ihren Widerstand nicht nur zu artikulieren, sondern auch zu organisieren. Vor allem in Umweltfragen kommen diese Bewegungen zur Geltung und erreichen mediale Aufmerksamkeit. Politische Machtausübung bzw. Ignoranz verstärkt eher den Widerstand; rechtliche Regelungen reichen oft nicht aus oder müssen neu gefasst werden. Das Hauptproblem dieser Sachlage besteht darin, dass die einzelnen Initiativen für sich stehen, es vorerst einmal zu keinem gemeinsamen Austausch und zu keinen Verhandlungen kommt. Positionen bleiben undiskutiert bestehen und werden gegenüber aller »Aufweichung« verteidigt, weil sie zunächst auch identitätsstiftend sind. Um hier voranzukommen, wurden Mediationsprojekte gestartet und durchgeführt, BürgerInnenforen eingerichtet, Aushandlungsorte geschaffen. Geglückt sind solche Versuche meist dann, wenn eine eigene Projektorganisation aufgebaut wurde (vgl. Einblick »Wenn Fluglärm …«). In ihr kann transdisziplinär begleitende Interventionsforschung in dreifacher Hinsicht eine hilfreiche Unterstützung sein: Erstens bedeutet Begleitung »Dauerrecherche« des Prozesses (durch Interviews, teilnehmende Beobachtung, Protokollanalyse etc.)

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und Rückkoppelung der jeweiligen Ergebnisse zu geeigneten Zeitpunkten (Repräsentation einer reflexiven Metaebene); zweitens können aus dem Wissenschaftssystem bei dieser Gelegenheit »Hintergrundtheorien« und Modelle angeboten werden, die den Betroffenen die Eigenlogiken ihrer systembedingen Positionen klarer machen; ebenso die aus ihrem Aufeinandertreffen notwendig sich ergebenden Widersprüche und Konfliktpotentiale; drittens erlaubt es ihre Stellung eine »Außensicht« des Prozessgeschehens anzubieten. Diese BürgerInnenbewegungen sind ein vielversprechendes Feld transdisziplinärer Forschung (Krainer/Lerchster 2012).

AUF DEN NUTZEN KOMMT ES AN Triebfeder transdisziplinärer Kooperationen sind Nutzenkalküle. Die Kooperation soll den PartnerInnen ermöglichen, etwas zu erreichen, was sie alleine nicht erreichen können. Interessant sind PartnerInnen dann, wenn sie über komplementäre Ressourcen verfügen. Wir als WissenschafterInnen erhalten in transdisziplinären Projekten die Chance, unsere Theorien und Konzepte in den »Lebenswelten« aufzusuchen und zu erproben, neue Erkenntnisse durch Konkretisierung zu gewinnen. Unsere PartnerInnen erhalten theoriegeleitete Konzepte und Instrumente für ihre Alltagspraxis, gewinnen neue Perspektiven und Handlungsoptionen. Charakteristikum der Kooperation ist die wechselseitige Bereitschaft zu und Abhängigkeit von der beidseitigen Realisierung des Nutzens. Das erfordert Offenheit gegenüber den oft sehr unterschiedlichen Erwartungen der Beteiligten und den Rahmenbedingungen der Realisierung und sorgt mitunter für Überraschungen, wie folgendes Beispiel zeigt. »Sollen wir eure Arbeit machen?« Mit dieser – etwas überspitzt wiedergegebenen – Frage eines 15-jährigen Schülers wurden die WissenschafterInnen in der bereits erwähnten Forschungs-Bildungs-Kooperation gleich bei Projektstart konfrontiert. Den SchülerInnen wurde Österreichs Umweltgeschichte als eine »unerforschte Landkarte mit weißen Flecken« präsentiert, aus der sie sich ein Thema für ihre eigenen kleinen Forschungsprojekte wählen konnten – wählen durften. Die aus Sicht der ForscherInnen einmalige Gelegenheit, mit Unterstützung eines Wissenschaftsteams eigene kleine Forschungsprojekte zu bearbeiten, ließ den zitierten Schüler zunächst unberührt. Er stellte explizit die berechtigte Frage nach dem eigenen Nutzen seiner Arbeit, dem Nutzen seiner Investition in das Projekt (Weisz et al. 2011).

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Der Nachweis des Nutzens Wie kann der Nutzennachweis in unterschiedlichen Settings gelingen? Im umweltgeschichtlichen Projekt wurden die SchülerInnen letztendlich dadurch gewonnen, dass die Forschungsarbeiten in die Schullogik integriert wurden. Die SchülerInnen, die im Abschlussjahr standen, konnten ihre Forschungen als Fachbereichsarbeiten, die in Österreich Bestandteil der Matura (Abitur) sind, nutzen (ebd.). Im Nahtstellenmanagement und vergleichbaren Projekten der Organisationsentwicklung wird Organisationsberatung als konkrete Dienstleistung angeboten. Dabei wird Wissen aus der Mitgestaltung der Veränderung generiert (Grossmann/Scala 2002). Im Krankenhausprojekt wurde beschlossen, die drängendsten Problemfelder der Organisation lösungsorientiert nach Nachhaltigkeitskriterien zu bearbeiten (Weisz et al. 2009). Dieser Anschluss an die »Krankenhausrealität«, die Aussicht auf den konkreten Nutzen, anstehende Herausforderungen womöglich durch ein (Nachhaltigkeits-)Projekt besser bearbeiten zu können, bildete eine Grundvoraussetzung für den Beginn einer langjährigen transdisziplinären Kooperation4. Erwartungen an den Nutzen eines Projektes sind vor allem bei außerwissenschaftlichen PartnerInnen hoch, denn Forschungsaktivitäten fallen im Allgemeinen nicht in deren Hauptaufgabenbereich. Projekte müssen zusätzlich zum »Alltagsgeschäft« erfolgen. Eine deutliche Entschärfung dieser Situation kann durch die Bereitstellung finanzieller Mittel gewährleistet werden. Dies schafft Verbindlichkeit in der aktiven Mitarbeit und relativiert den Druck hinsichtlich der Erwartungen an die Projektergebnisse. Im Projekt »Facilitating Agro-Alternative Networks« wurden zivilgesellschaftliche Organisationen als »echte« ForschungspartnerInnen einbezogen. Das inkludierte eine ausgewogene Ressourcenverteilung und ermöglichte den PraxispartnerInnen, im Forschungsprozess stärker gestaltend wirksam zu werden und damit ihre Zielperspektiven besser verfolgen zu können (vgl. Einblick »FAAN«). Diese Beispiele geben einen Eindruck davon, wie die jeweiligen Erwartungen an transdisziplinärer Zusammenarbeit mit der professionellen Kultur des Herkunftssystems zusammenhängen und durch dessen Systemlogik geprägt sind. Die Art, wie sie transportiert werden, kann dabei höchst unterschiedlich sein (Königswieser et al. 2013): mal werden sie explizit formuliert, mal implizit(er), mal als »hidden agenda«. Für uns Forschende heißt das: wir müssen sensibel dafür sein, die jeweiligen Erwartungen zu erkennen, um darauf (angemessen) reagieren zu können.

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www.fabrikderzukunft.at/highlights/nachhaltigeskrankenhaus; Weisz et al. 2011b.

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Dennoch: Die »Nutzenfrage« stellt eine der wichtigsten Herausforderungen im »Prozess des Realisierens« dar, die von den Beteiligten laufend hinterfragt wird. Das ist vor allem bei innovativen Vorhaben ein kritischer Punkt. Die Erwartungen der »Praxis«, dass sich ihre Investition auszahlt (»kein Schubladenprojekt«), ist für ForscherInnen eine ernst zu nehmende Hürde, zumal sich Nutzenerwartungen und Rahmenbedingungen für das gesamte Vorhaben immer wieder ändern können. Häufig schaffen erfolgreiche Schritte der Zusammenarbeit erst eine Vorstellung davon, was der Nutzen sein kann. Das heißt, der Nachweis des Nutzens begleitet den gesamten Forschungsprozess. Der Kontrakt ist daher für neue Entwicklungen offenzuhalten und in verschiedenen Phasen der Zusammenarbeit neu zu verhandeln. Dies bedeutet für die ForscherInnen, Verantwortung für den Prozess zu übernehmen. Paralellel dazu muss ein Gleichgewicht hergestellt werden: Zwischen dem eigenen wissenschaftlichen Anspruch – der darauf ausgerichtet sein muss, an der eigenen Herkunftsorganisation und Wissenschaftscommunity anschlussfähig zu bleiben, und den Erwartungen »der Praxis«, welche die Forschenden für ihre Anliegen gewinnen, eventuell sogar instrumentalisieren will. Dies entspricht einem heiklen Balanceakt zwischen dem einen Extrem, die »Praxis« wissenschaftlich auszubeuten, und dem anderen, sich zu sehr mit ihr zu identifizieren.

ZWISCHENWELTEN Wie kann nun der Forschungsprozess mit so grundsätzlich verschiedenen Partnern organisiert werden? Was sind im Unterschied zu »rein« wissenschaftlichen – auch im Unterschied zu interdisziplinären Kooperationen – die Besonderheiten in transdisziplinären Forschungskonstellationen, die es zu beachten gilt? Wir treffen hier auf ein Kernelement des transdisziplinären Forschungsprozesses: die Gestaltung von geschützten »hybriden Räumen«, die es den Beteiligten erlauben, sich von ihren Herkunftsorganisationen zu distanzieren, um sich Neuem zu öffnen. Dadurch entsteht temporär ein neues, in der über Gegenüberstellung und Integration der in den Forschungsprozess eingebrachten Logiken, Expertisen und Wissensformen neues Wissen generiert werden soll. Diese »Zwischenwelt«, wie wir sie nennen, soll nicht nur eine Abgrenzung der transdisziplinären Arbeit gegenüber den jeweiligen Routinen der beteiligten Organisationen ermöglichen, sondern auch den Anschluss an die Herkunftsorganisationen gewährleisten.

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Der hybride Raum – Kooperation auf Augenhöhe Der »hybride Raum« stellt einen funktionellen Kommunikations- und Arbeitsraum für eine systemübergreifende Zusammenarbeit dar (»intermediäre Kommunikationsräume«, Loibl 2005). Hier sollen kreative Arbeitsprozesse und innovative Lösungen quer zu Hierarchien und Machtgefällen möglich werden (zu »innovation networks«: Gray 2008). Die von den Partnern gemeinsame Gestaltung dieses Raumes ist ein Schlüsselfaktor für eine erfolgreiche Kooperation. Dieses neue soziale Setting wird durch komplementäre Nutzenerwartungen und dazu passende klare Kooperationsvereinbarungen (»Spielregeln«) zusammengehalten. Die gemeinsame Steuerung der Arbeit, das gemeinsame Treffen von Entscheidungen, ein passendes Kommunikationsmanagement (zum »transdisziplinären Kooperationsmanagement«: Schophaus et al. 2008; Heng/de Moor 2003), aber auch vertrauensbildende Maßnahmen, die nicht selten auf einer zwischenmenschlichen Ebene stattfinden, bilden das »Tragsystem«, denn die kooperative Gestaltung verleiht dem Prozess Stabilität und den Beteiligten eine gemeinsame Identität (Dienel 2005). MitarbeiterInnen in transdisziplinären Vorhaben werden so zu Mitgliedern eines zweiten Systems. Sie haben eine Doppelmitgliedschaft zu leben und müssen dadurch immer auch zwei Loyalitäten ausbalancieren. Sie brauchen dazu auch ein Stück Unabhängigkeit gegenüber dem Herkunftssystem (Grossmann et al. 2011b). Die Gestaltung des »hybriden Raumes« setzt Vertrauen voraus und muss im Bewusstsein, dass es sich hier um fragile Zustände handelt, gut geplant und organisiert werden. In der praktischen Umsetzung ist die gemeinsame Prozessgestaltung keine »leichte Übung« und bedarf besonderer Aufmerksamkeit, weil diese überlegt organisiert und gemanagt werden muss, um bestehende Hürden zu überwinden. Damit dies gelingt, müssen die Beteiligten »auf Augenhöhe« kooperieren können und darauf vertrauen, dass gemeinsam aufgestellte Regeln eingehalten werden. Hilfreich sind Vertrauensregeln wie: »Nichts verlässt den Raum ohne die Zustimmung aller.« In der erwähnten Forschungs-Bildungs-Kooperation führte der Anspruch einer Kooperation »auf Augenhöhe« zunächst zu Irritation: Das Vorhaben einer gleichberechtigten Wissensproduktion irritierte SchülerInnen wie Lehrpersonen. In der Schulkultur finden wir ein streng hierarchisches Verhältnis zwischen LehrerInnen, die beurteilen, und SchülerInnen, die davon abhängig sind, wie die

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Richtigkeit ihres Wissens bewertet wird.5 Die SchülerInnen äußerten sich dazu sehr pointiert: »Kooperation auf [...] Augenhöhe? Das ist schwierig bei einer Schüler-Lehrer-Beziehung« (aus der Begleitevaluation, Weisz et al. 2011: 125). Die Zusammenarbeit mit der Wissenschaft ermöglichte eine gewisse Öffnung der Schule hin zu einer partnerschaftliche(re)n Zusammenarbeit, was sich auch im Verhältnis von LehrerInnen und SchülerInnen niederschlug. In der Evaluation des Projekts betonte eine Lehrerin nicht nur »das gemeinsame Lernen neuer Inhalte«, sondern auch »die Förderung einer gemeinsamen Fehlerkultur.« (Ebd.) Im »hybriden Raum« lösen sich Hierarchien und Machtverhältnisse nicht von selbst auf. Diese gehen häufig auf realweltliche Strukturen zurück, wie auf Hierarchie- bzw. Abhängigkeitsverhältnisse unter VertreterInnen derselben Organisation (etwa zwischen LehrerInnen und SchülerInnen wie im obigen Beispiel oder Vorgesetzten und MitarbeiterInnen). Im Falle eines Kooperationssystems zwischen Organisationen treten sie zwischen VertreterInnen der »Big Player« und weniger einflussreichen Organisationen auf, die häufig in einem formalen und finanziellen Abhängigkeitsverhältnis stehen. Vorgesetzte oder »Big Player« müssen daher angehalten werden, sich zurückzunehmen, MitarbeiterInnen oder VertreterInnen kleinerer Organisationen müssen sich zutrauen – entgegen der ansozialisierten Verhaltenskultur – selbstbewusst mitzureden (vgl. Einblick »Nahtstellenmanagement«). Hierarchien und Machtgefälle entstehen auch im transdisziplinären Team: Entscheidungsstrukturen, Rollenverteilungen, sprachliche Kompetenzen, gruppendynamische Phänomene oder schlicht Persönlichkeitsmerkmale der involvierten Personen, aber auch strategisches Agieren aufgrund von »hidden agendas« sind wichtige Faktoren, die in diesem Zusammenhang beobachtet und beachtet werden müssen. Wissenshierarchien, wie am Beispiel der Forschungs-Bildungs-Kooperation angedeutet, spielen eine besondere Rolle, wie wir später noch genauer illustrieren werden. »Hybride Räume« dienen einer neuen Art von Wissensgenerierung, die sich aus einer Integration wissenschaftlicher und außerwissenschaftlicher Expertisen ergibt. Die Generierung von Wissen, das Einbringen von Expertise ist nicht mehr alleinige Aufgabe des Wissenschaftssystems. Dies führt in der Umsetzung nicht selten zu Verwirrung. Uns führt sie hier zu der Frage, die wir an das Ende unserer Einblicke in transdisziplinäre Forschungsprozesse stellen:

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Natürlich sind auch wissenschaftliche Organisationen asymmetrisch geprägt. Dennoch haben in diesen ExpertInnenorganisationen (gute) Argumente idealtypisch mehr Gewicht als Status und Funktion.

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»Wer ist denn der Experte/die Expertin?« Transdisziplinäre Forschung befasst sich auf besondere Weise mit dem ExpertInnenthema (Heintel 2005; Krainer/Lerchster 2012; Heintel/Krainer/PaulHorn 2013): Es betrifft einerseits die Forschung selbst in der Beantwortung der Frage, welche Art von Expertise ForschungspartnerInnen von ihr erwarten dürfen. Andererseits geht es um die Rolle und Stellung von ExpertInnen in den jeweiligen Projekten. Nehmen wir eine »Kooperation auf Augenhöhe« ernst, so impliziert das eine – zumindest temporäre – Aufhebung des etablierten ExpertInnensystems. In Anlehnung an Konzepte des Postkolonialismus (z.B. Ribeiro/ Escobar 2006) geht es im »hybriden Raum« um eine »epistemologische Dekolonialisierung« oder »Dekolonialisierung von Expertise« des Wissenschaftssystems. Wir WissenschafterInnen werden selbst Prozessmitglieder, verlassen dabei teilweise das Wissenschaftssystem und können uns somit nicht mehr auf eine »externe« ExpertInnenposition zurückziehen. Erkenntnisse werden nicht mehr aus der gewohnt »neutralen« Beobachtungsperspektive gewonnen, sondern das eigene Wissen wird mit jenem anderer ExpertInnen in einem bestimmten Praxiskontext in Zusammenhang gebracht. Es geht also darum, wissenschaftliches und außerhalb des Wissenschaftssystems generiertes Wissen so zu verbinden, dass neue Erkenntnisse gewonnen werden können. Diese Integration ist von Ausverhandlungsprozessen über die Relevanz von – gegebenenfalls auch widersprüchlichen – Expertisen getragen. Für WissenschafterInnen, die sich nicht ungern in eine zuerkannte ExpertInnenrolle verführen lassen, eine ständige Herausforderung. In unserer Arbeit haben wir es meist nicht nur mit Einzelexpertisen von SpezialistInnen der Praxis und Laien als »ExpertInnen des Alltags« zu tun, sondern, wie bereits ausgeführt, sehr oft mit ExpertInnenorganisationen, also mit »zuständigen« Systemen. Diese entwickeln eigene Logiken und Wertfiguren, um ihre Expertise möglichst gut ausüben zu können. Die Annahme, dass sich diese reibungslos ergänzen, harmonisch aufeinander beziehen, ist eine Illusion. In komplexer transdisziplinärer Forschung mit mehreren ExpertInnen(sub)systemen schaffen die Unterschiede der verlangten Expertise mitunter Widersprüche, die häufig Differenzen und Konflikte in der Projektgruppe hervorrufen. Besondere Facetten zeigte das ExpertInnenthema in der Begleitforschung zur Mediation Flughafen Wien-Schwechat (vgl. Einblick »Wenn Fluglärm …«; Falk et al. 2006), da sich hier alle 52 (!) beteiligten Interessengruppen (alle waren von VertreterInnen ihrer Institutionen, Bürgerinitiativen, politischen Parteien, Unternehmen beschickt) als ExpertInnen ihres Systems verstanden. All diese »Ex-

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pertInnen ihrer Sache« versuchten sich im Prozess dem jeweils anderen plausibel zu machen, ihre Positionen zu begründen und vor allem auch zu verteidigen. Gegenläufige Interessen und inhaltliche Widersprüche wurden im wechselseitigen Austausch schnell deutlich und die Expertise der einen fand bei den anderen wenig Anerkennung. So beurteilten AnrainerInnen die Lärmbelastung als unzumutbar, während wissenschaftliche Gutachten die Belastung als zumutbar einstuften. Die zum Teil folgende konfliktträchtige Auseinandersetzung zeigt ein deutliches Bild unseres Bewertungshintergrundes für Expertisen. In einem ökonomisch-technologisch dominierten Umfeld wird die Expertise von FlugtechnikerInnen und Wirtschaftstreibenden eher als »objektiv« und entscheidungsrelevant bewertet als die »subjektive« von LärmgegnerInnen. Um dem entgegenzuwirken, wurden von den Bürgerinitiativen weitere SpezialistInnen (Umweltmedizin, Systemwissenschaften etc.) hinzugezogen, deren »neutraler« Status eine »Objektivität« abseits von spezifischen Interessen und »Expertokratie« versprach. Findet diese zusätzlich eingebrachte Expertise Anerkennung, vermag sie eine Brücke zwischen den widersprüchlichen Positionen zu schlagen und einen Enthierarchisierungsprozess einzuleiten. Dies kann die Beteiligten dazu veranlassen, festgefahrene Entweder-oder-Standpunkte zu verlassen, was auf allen möglichen Ebenen Entwicklungs- und Lernprozesse und folglich das Entdecken neuer Möglichkeiten zulässt. So wurden im geschilderten Beispiel neue Lösungen gefunden, an die niemand zu Beginn gedacht hatte.

EIN BALANCEAKT ZWISCHEN WELTEN In transdisziplinären Prozessen stehen wir vor neuen Anforderungen. Wenn wir uns aus vertrauten wissenschaftlichen »Welten« hinausbewegen, müssen wir »Praxiswelten«, mit denen wir zu tun haben, verstehen lernen und in einem neu geschaffenen Setting, in einem kontinuierlichen Lernprozess Wissen zur Lösung »lebensweltlicher« Probleme generieren, dabei aber an unsere Herkunftsorganisationen und wissenschaftlichen Communitys anschlussfähig bleiben. Die Herausforderung besteht vor allem darin, den Forschungsprozess so zu gestalten, dass ein Balanceakt zwischen diesen »Welten« gelingt. Ähnliches trifft wohl auch für unsere »PraxispartnerInnen« zu, für die wir, zumindest über eine Zeit lang, selbst zu einer relevanten Umwelt werden. So ermöglicht transdisziplinäre Forschung der universitären Wissenschaft eine lebendige Verbindung zu anderen Subsystemen der Gesellschaft, zu »Lebenswelten« einzugehen. Dies ist auf zweifache Weise für Wissenschaft existenziell: Sie gewinnt Beziehung zu ihrem Erkenntnisgegenstand und selbst Legitimation als öffentliches Gut.

8 Kommunikation beobachten, ihr einen Rahmen geben und sie reflektieren ELISABETH REITINGER, LARISSA KRAINER, GEORG ZEPKE, ERICH LEHNER

Der Eintritt eines Forschungssystems in die Alltagspraxis von Individuen und sozialen Systemen verändert – ob gewollt oder nicht – die dort vorhandenen Kommunikationsmuster und -strukturen. Insofern stellt jede transdisziplinäre Forschung eine Intervention in das zu erforschende System dar und muss sich des Interventionscharakters von Datengenerierung bewusst sein. Erhebungsschritte in sozialen Systemen sind keine einfachen, neutralen Messvorgänge, die das System unbeeinflusst lassen (Zepke 2005), sie führen vielmehr zu Reaktionen im Praxisfeld. Die Hoffnung, quasi »natürliche Kommunikationsprozesse« beobachten zu können, ist daher vergeblich. Insofern ist ein Grundverständnis von Intervention, das dem Umstand Rechnung trägt, dass Beeinflussungsversuche von außen – zu denen Datenerhebungen zu zählen sind – mitunter zu gänzlich anderen, nicht intendierten Ergebnissen und Reaktion im System führen können, die Basis für unsere Überlegungen (z.B. Luhmann 2000; Willke 1996). Kommunikation, Interaktionen und Beziehungen zwischen Personen und sozialen Systemen wie Gruppen oder Organisationen sind in transdisziplinären Projekten damit relevante Beobachtungs- und Erhebungsdimensionen. Sie sind aber auch zentrale Grundbausteine der zu gestaltenden Prozesse bzw. der Projektarchitektur. Je nach Thema und Fragestellung kommen unterschiedliche Personen und Gruppen aus verschiedenen Wissenschaften und Praxisfeldern zusammen, um miteinander (mindestens für die Dauer eines Forschungsprojektes) zu kooperieren und zu kommunizieren. In Hinblick auf das, was kommuniziert wird und worüber und in welcher Form kommuniziert wird, ist dementsprechend unterschiedliche Aufmerksamkeit erforderlich. In diesem Kapitel wollen wir zunächst acht Ebenen transdisziplinärer Kommunikation unterscheiden. Sodann beschreiben wir in strukturierter Form die un-

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terschiedlichen Arten von Kommunikationssettings, die im Rahmen transdisziplinärer Projekte erfahren, beobachtet und eingerichtet werden können. Anhand von Beispielen veranschaulichen wir im Weiteren, wie unterschiedliche Ebenen der Kommunikation beobachtet, analysiert, reflektiert und gestaltet werden können. Abschließend geht es um Funktionen und Steuerung von Metakommunikation in transdisziplinären Projekten und damit um die Bedeutung von Beobachtungen zweiter Ordnung für transdisziplinäre Forschungsprojekte.

EINE ERSTE ORIENTIERUNG: ACHT EBENEN TRANSDISZIPLINÄRER KOMMUNIKATION Transdisziplinäre Forschung schenkt, wie gesagt, der kommunikativen Komponente von Forschung großes Augenmerk und wählt in möglichst allen Phasen des Forschungsprozesses ein dialog- und reflexionsorientiertes Vorgehen. Wenn wir uns also über Kommunikation in dieser Forschung Gedanken machen, können wir sehr unterschiedliche Ebenen unterscheiden: a. die beobachtbaren bzw. identifizierbaren Kommunikationsinhalte, -muster, -strukturen und -prozesse im Praxissystem; b. die kommunikativen Erhebungsinstrumente, mit denen Beschreibungen über die Praxis-Kommunikation zutage gefördert werden sollen (Methodenrepertoire); c. die kommunikativen Settings, in denen Forschungsteams Daten auswerten, reflektieren und Theorien über die jeweiligen Praxissysteme generieren (z.B. Reflexionsworkshops, Teamsitzungen etc.); d. die kommunikativen Settings, in denen gemeinsam mit den Betroffenen vor Ort Forschungsergebnisse thematisiert, diskutiert und aufgearbeitet werden (z.B. Rückkoppelungs-Workshops, Validation der Ergebnisse mit PraxispartnerInnen); e. das Treffen von Entscheidungen, die Auswirkungen auf die Gestaltung von Kommunikationsprozessen (im Forschungsteam, im Praxisfeld) haben; f. die Veränderung der Kommunikationsmuster seitens der PraktikerInnen bzw. langfristige Auswirkungen der Intervention durch die Forschung. Diese liegen zwar oft nicht mehr im Beobachtungs- und Einflussbereich eines Forschungsprojektes, können aber z.B. mittels Evaluation ermittelt und beobachtet werden und gehören häufig zu den intendierten Absichten eines transdisziplinären Forschungsprojekts;

K OMMUNIKATION

BEOBACHTEN

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g. das Durchführen eines Wechsels der Ebenen, der vom konkreten Kommunizieren und Interagieren auf die Ebene des Kommunizierens über Kommunikation oder Interaktionen führt (Einrichtung von Metakommunikation); h. das Verfassen von mündlichen bzw. schriftlichen Berichten bzw. Textsorten, die die Ergebnisse, gewonnenen Erkenntnisse und die methodische Vorgehensweise in geeigneter Form in bestimmte Sprachcommunitys kommunizieren (z.B. Broschüren, Buchbeiträge oder Zeitschriftenartikel).

KOMMUNIKATION EINEN RAHMEN GEBEN Diese unterschiedlichen Ebenen der Kommunikation benötigen innerhalb der Forschungsprojekte entsprechende soziale Räume und Orte: »Kommunikationssettings«. Diese geben einen Rahmen und etablieren Kommunikationsstrukturen (Zepke 2008). Mit Blick auf transdisziplinäre Projekt-Architekturen möchten wir gern die folgenden vier Kommunikationssettings unterscheiden und beschreiben: a. b. c. d.

Kommunikation innerhalb des Praxissystems, Kommunikation im Rahmen der Erhebung, Kommunikation zwischen Praxis und Wissenschaft, Kommunikation innerhalb des Wissenschaftssystems. Abbildung 1: Kommunikationssettings transdisziplinärer Forschung

Graphik erstellt von den AutorInnen

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In der Abb. 1 sind die unterschiedlichen Kommunikationssettings dargestellt. Die Kommunikation innerhalb des Praxissystems sowie die Kommunikation innerhalb des Wissenschaftssystems sind aufgrund der über die Projektzusammenarbeit hinausgehenden Beziehungen mit durchgängigen Linien symbolisiert, die Kommunikation im Rahmen der Erhebungen sowie die Kommunikation zwischen Praxis und Wissenschaft hingegen gepunktet bzw. strichliert, um die zeitliche Befristung zu verdeutlichen. Kommunikation innerhalb des Praxissystems Wie schon ausgeführt, fokussieren transdisziplinäre (sozialwissenschaftliche) Forschungsvorhaben unter anderem Kommunikations- und Interaktionsprozesse innerhalb eines bestimmten Praxisfeldes (wie etwa die Interaktion zwischen Lehrkräften und männlichen bzw. weiblichen Jugendlichen, die Gruppendynamik zwischen Obdachlosen, die Diskussion und Akzeptanz eines Konzeptes in einer Gemeinde oder das diskursive Zustandekommen von ethischen Entscheidungen in Pflegeheimen). Transdisziplinäre Forschungsstrategien beziehen immer Personen oder Praxissysteme ein, die über ein spezifisches »lokales Wissen« (Küffer 2001) verfügen. Damit ist ein sehr spezielles, praxiserprobtes und kontextbezogenes Wissen, das nur PraktikerInnen durch ihre langjährige, intensive Auseinandersetzung mit einem Thema entwickeln können, gemeint. Aber selbst wenn nicht primär oder ausschließlich Kommunikations- oder Interaktionsprozesse interessieren (wenn es z.B. mehr um Einstellungen oder Motive geht), sind diese nur erforschbar, wenn sie auch besprochen werden können und über sie kommuniziert wird. Schließlich kann Forschung auch an (latenten) Themen interessiert sein, über die nicht gesprochen wird, wie etwa implizite Praktiken, die in einem solchen Ausmaß als Selbstverständlichkeit angesehen werden, dass sie gar nicht explizit thematisiert werden müssen bzw. auch nicht angemessen kommuniziert werden können, oder Tabus, die mit Kommunikationsverboten belegt sind, bzw. Themen, die innerhalb des Praxisfeldes verdrängt werden. Das Interesse für Kommunikation bezieht insofern auch das Schweigen mit ein. Um transdisziplinäre Forschungsfragen entwickeln und transdisziplinär forschen zu können, ist es nötig, praxisspezifische Sprachcodes, Abkürzungen und Sprachmuster zu kennen und bis zu einem gewissen Grad auch verwenden zu können. Die Forschung steht dabei vor der Herausforderung, einerseits anschlussfähig an die Sprache und Logik des Praxisfeldes zu sein – andernfalls besteht wenig Aussicht, mit dem Feld überhaupt in Kontakt zu kommen. Andererseits sollten sich die Forschenden nicht zu sehr mit der Praxis identifizieren

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und dem Feld mit einer gewissen kritischen Distanz und Außenperspektive begegnen. Kommunikation im Rahmen der Erhebung Jede Datenerhebung (ob qualitativ oder quantitativ) ist bereits, ehe sie noch tatsächlich stattfindet, in einen kommunikativen Akt eingebettet und damit Teil der Kommunikation zwischen Wissenschaft und Praxis. Ihrem besonderen Stellenwert entsprechend befassen wir uns hier mit ihr in einem eigenen Unterpunkt. Qualitative Forschungsmethoden, wie sie in transdisziplinären Projekten häufig zum Einsatz kommen, sind zumeist Instrumente, die Reflexion und Kommunikation anregen sollen. So sind sowohl in narrativen Interviews als auch in Gruppendiskussionen Beiträge gewünscht, die zumeist auch zum Nachdenken der Beteiligten führen. Die Anwendung qualitativer Forschungsmethoden bedarf verschiedener kommunikativer Kompetenzen auf Seiten der ForscherInnen. Sowohl Fragetechniken als auch die Fähigkeit des gelassenen Zuhörens oder auch moderierende Kompetenzen, um in der Rolle von »GastgeberInnen« eine möglichst offene und reflektierte Diskurskultur zu initiieren, was insbesondere für die Steuerung von kollektiven Kommunikationssettings (wie Fokusgruppen, Erhebungsworkshops etc.) von Relevanz ist, haben Bedeutung. Ein wichtiges Ziel im Rahmen von Erhebungen kann beispielsweise sein, ein gemeinsames, außeralltägliches Reflektieren der oft als Selbstverständlichkeit erlebten Praxis anzuregen und ein Explizieren von implizitem Wissen zu ermöglichen (Nonaka/ Takeuchi 2012). Ein anderes Ziel kann die Generierung von historischen Erfahrungen im Rahmen von Erzählungen sein, inhaltlich bedeutsam kann beispielsweise auch eine eher beiläufig erlebte Kommunikation im Rahmen von teilnehmender Beobachtung werden. Kommunikation zwischen Forschung und Praxis Über Datenerhebungen hinaus sind eine Reihe weiterer Kommunikationssettings zwischen Forschung und Praxis vorhanden und zu gestalten. Für die Erhebungen sind beispielsweise Interviewtermine zu vereinbaren, ist auszuhandeln, wann und zu welchem Zeitpunkt ein Fragebogen an wen verteilt wird, oder es sind die Voraussetzungen für den Einsatz verschiedener Forschungsinstrumente zu klären. Davor ist es in manchen Projekten auch möglich, die Forschungsfrage gemeinsam zu formulieren, relevante Projektumwelten sind zu identifizieren, regelmäßig sind im Rahmen von Steuergruppen Vereinbarungen über den weiteren Fortschritt des Projektes zu treffen sowie eine Validation der Ergebnisse mit den

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PraktikerInnen zu organisieren – wenn die Ergebnisse nicht ohnehin gemeinsam mit den PraktikerInnen erarbeitet werden. Besonderes Augenmerk liegt auf der vertrauensvollen Gestaltung von Beziehungen – im Sinne der transdisziplinären Kommunikation als kontinuierlicher Prozess –, um eine Begegnung auf gleicher Augenhöhe zu ermöglichen. Entwicklung der Forschungsfrage als Aushandlungsprozess: Wenn Forschungsfragen von den Beteiligten (WissenschaftlerInnen und PraktikerInnen) gemeinsam formuliert werden und sowohl für ForscherInnen als auch für PraxispartnerInnen zu einem Mehrwert führen sollen, ist von Interessenunterschieden auszugehen. Während die Forschung – über das Interesse, in der Praxis wirksam zu werden, hinaus – in ihrer Wissenschaftslogik auch an publizierbaren und in der wissenschaftlichen Community anschlussfähigen Ergebnissen interessiert sein muss, ist es PraxispartnerInnen eher wichtig, vertiefte Einblicke zur Erhöhung der Qualität ihrer Arbeit, kritische bzw. affirmative Rückmeldung über ihre Praxis oder unmittelbare Problemlösungen zu erhalten. Solche Interessenunterschiede werden in einem ergebnisoffenen Prozess gemeinsam diskutiert, ausgehandelt, vereinbart und letztlich kontraktiert (Zepke 2008). Das kann sich sowohl im Kontext der Auftragsforschung als auch der Antragsforschung als Herausforderung darstellen. Zum Beispiel, wenn AuftraggeberInneninteressen nicht klar herausgearbeitet werden und sorgfältig geprüft wurden, wie sehr diese durch die Forschung überhaupt befriedigt werden können und wie sichergestellt werden kann, dass das Forschungsteam die für eine kritische Feldforschung notwendige Handlungs- und Aktionsfreiheit hat. Umgang mit relevanten Umwelten: Wenn transdisziplinäre ForscherInnen sich auf die Interessen und Anliegen des Feldes einlassen und diese verstehen wollen, ist es sinnvoll, diese meist in sich widersprüchlichen und unterschiedlichen Interessen und Vorstellungen innerhalb des Praxisfeldes aber auch des Forschungsteams und -umfeldes zu erkunden und auszuhandeln. In der Regel handelt es sich nicht um ein Praxisfeld und eine/n ForscherIn, sondern um ein oder mehrere Systeme bzw. Subsysteme, die im Spannungsfeld unterschiedlicher Interessen und Anliegen stehen. Deswegen gilt es in einem ersten Schritt, die beteiligten relevanten Umwelten zu identifizieren und hinsichtlich ihrer Bedeutung für den Forschungsgegenstand zu analysieren. Ein nützliches Instrument dafür stellt die Projektumweltanalyse dar – ein im Projektmanagement gängiges Analyseinstrument (etwa Pattak/Ratay 2004) – oder das Skizzieren von Systemlandschaften (Krainer/Lerchster/Goldmann 2011). Transdisziplinäre Kommunikation als kontinuierlicher Prozess: Wenn der Forschungsprozess eng an den Praxisprozessen angeknüpft wird, ist es rasch offenkundig, dass die beteiligten Systeme selbst lebendig und »in Bewegung«

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sind. Es herrscht nur selten Stillstand, mitunter sind den ForscherInnen Termine unzureichend bekannt, Rahmenbedingungen können sich ändern und überraschende Anforderungen des Praxisfelds sind im transdisziplinären Forschungsprozess zu berücksichtigen. Um solche Bewegungen adäquat aufnehmen zu können, hat sich die Einrichtung eines eigenen Subsystems, z.B. einer Steuergruppe im Projekt, bewährt, in dem sowohl die relevanten InteressenvertreterInnen der Praxis als auch der Forschung repräsentiert sind und in dem kontinuierlich gesteuert, bilanziert, Vorgehensweisen adaptiert und neu auftretende Spannungsfelder balanciert werden können. Ein solches betrifft verschiedene Zeitdynamiken, die Forschung und Praxis kennzeichnen. Während die Qualität von Forschung etwa durch das vertiefte Reflektieren, das mehrmalige Durcharbeiten von Datenmaterial und das beharrliche Ringen um ein angemessenen Verständnis des Forschungsgegenstands gekennzeichnet ist, sind Praxisfelder oft – und im Zuge der Dynamisierung unserer Gesellschaft zunehmend mehr – von operativem Handlungsdruck und einem hohen Grundtempo geprägt. Umgekehrt wünschen sich Praxissysteme häufig einen viel größeren Forschungseinsatz vor Ort, als finanzier- und damit leistbar. Rückkoppelung als Validierungsschritt: Der Anspruch transdisziplinärer Forschung, praxisrelevante Ergebnisse zu entwickeln, findet insbesondere in der Frage, wie die Erkenntnisse und das Wissen aus dem Forschungsprozess wieder angemessen den unterschiedlichen Interessengruppen im Feld zur Verfügung gestellt werden können, seinen Ausdruck. Dafür werden Kommunikationssettings, in denen Ergebnisse adressatInnenspezifisch aufbereitet, präsentiert und zur Diskussion gestellt werden, besonders sorgsam eingerichtet. Diese Rückkoppelung der gewonnenen Ergebnisse stellt zudem eine Chance dar, diese »kommunikativ zu validieren« (Flick 2010). Indem die PraxispartnerInnen und unterschiedlichen Stakeholder die Gelegenheit erhalten, die Ergebnisse zu kommentieren, zu ergänzen, auszudifferenzieren und auch Widerspruch zu äußern, wird zum einen die Brauchbarkeit der Forschungsergebnisse für das Praxisfeld, zum anderen aber auch ihre Plausibilität überprüft. Gleichzeitig können in der Rückkoppelung einmal mehr unterschiedliche Interessen an den Ergebnissen der Forschung deutlich werden. Spätestens hier brauchen transdisziplinäre ForscherInnen eine Position, die es ihnen ermöglicht, legitime Vorbehalte und mikropolitische Interessen der PraxispartnerInnen ebenso zu berücksichtigen wie sicherzustellen, dass auch unbequeme Ergebnisse ausreichend Aufmerksamkeit erhalten.

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Kommunikation innerhalb des Wissenschaftssystems Auch innerhalb des Forschungsteams und des Wissenschaftssystems treffen sehr verschiedene fachliche wie strategische Interessen aufeinander, sodass ein Umgang mit Unterschieden erforderlich wird – und zwar sowohl auf der Ebene der Sprache, wie als Herausforderung in der Steuerung. Gestaltung von interdisziplinärer Kommunikation: Transdisziplinäre Forschung nähert sich Praxisproblemen zumeist in einer interdisziplinären Herangehensweise, was eine Verständigung zwischen unterschiedlichen Paradigmen, Fachsprachen, Theorien und Methoden notwendig macht, die häufig allerdings erst zu entwickeln ist. So leicht es ist, ein grundsätzliches Plädoyer für die Interdisziplinarität auszusprechen, so schwierig ist es oft in der Praxis, einen Umgang mit den unterschiedlichen wissenschaftlichen Standards und Selbstverständlichkeiten, unterschiedlich geprägten Fachtermini, verschiedenen Zitationsgepflogenheiten oder unterschiedlichen relevanten Fachzeitschriften zu finden. Die Gestaltung solcher Kommunikationsprozesse bedarf einer Eigenzeit, die für Auftrag- oder GeldgeberInnen nur selten nachvollziehbar ist. Projektleitung im Forschungsteam: Die Leitung von inter- und transdisziplinären Forschungsteams ist insofern mit hoher Komplexität konfrontiert, als nicht nur innerdisziplinäre, sondern fachübergreifende Diskurse zu gestalten sind und darüber hinaus auch die Kommunikationsprozesse mit den PraxispartnerInnen gestaltet werden müssen (vgl. Kap. 2, 7).

PRAXISBEISPIELE: SZENEN ZWEIER FORSCHUNGSPROJEKTE Im Folgenden stellen wir nun Beispiele aus Forschungsprojekten vor, die zum einen unterschiedliche Kommunikationssettings beinhalten und zum anderen veranschaulichen können, wie diese verschiedenen Settings miteinander in Beziehung stehen. Die ausgewählten Beispiele stammen aus dem Arbeitszusammenhang des Instituts für Palliative Care und OrganisationsEthik. Am Projekt »Ethische Entscheidungen in Alten- und Pflegeheimen« waren alle vier AutorInnen in unterschiedlichen Rollen beteiligt, im Projekt »Gender in der stationären Altenpflege« zwei. Nach der Darstellung jeder Szene1 folgt eine Analyse derselben anhand folgender Fragen:

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Die beschriebenen Szenen entsprechen keiner realen Situation, sondern enthalten jeweils typische Elemente schwieriger Aspekte der uns erzählten Geschichten.

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Welche Kommunikationsmuster und -strukturen sind im Praxisfeld identifizierbar? Damit fokussieren wir in einem ersten Schritt auf das Kommunikationssetting Praxis. Welche Betroffenheit zeigt sich bei wem und welche Konflikte ergeben sich daraus? Damit fokussieren wir auf eine der Aufgaben der Erhebungen im Rahmen der Projekte. Welche Spiegelungen/Übertragungsphänomene können beschrieben werden? Damit fokussieren wir auf die Wechselwirkungen in den Kommunikationen und Beziehungen zwischen Forschung und Praxis. Welche inhaltlichen wie strukturellen Aspekte lassen sich in wissenschaftlichen Reflexionsprozessen daraus ableiten oder vor dem Hintergrund von theoretischen Annahmen überlegen bzw. beschreiben? Damit fokussieren wir auf die Kommunikation innerhalb des Wissenschaftssystems.

Erste Szene Eine erste Szene handelt vom Waschen – ein Phänomen, das im Lebens- und Arbeitsalltag in Alten- und Pflegeheimen häufig zu Konflikten führt und mit fachlichen, sozialen und ethischen Entscheidungen verbunden ist. Folgende Darstellung entspricht einer typischen Situation und wurde im Rahmen eines Erhebungsworkshops, das heißt in einem Kommunikationssetting im Rahmen der Erhebungen (»ethische Fallbesprechung«: Pleschberger/Dinges 2007; Heller/ Reitinger/Heimerl 2007: 33ff.; vgl. auch Einblick »Sorgekultur entwickeln«) von einer Pflegefachfrau erzählt: »Die diplomierte Pflegerin Weichsler kommt in der Früh zu Frau Bogner, um sie bei der täglichen Morgenwäsche zu unterstützen. Frau Bogner ist an Demenz erkrankt, körperlich rüstig und mobil. Sie kann sich zumeist nicht an die Personen, die sie betreuen und pflegen, erinnern, begegnet ihnen jedoch freundlich und ist an Kontakt interessiert. Manchmal hat sie sehr große Angst und weint und schreit. Dann helfen ihr in diesen Situationen zuweilen Berührungen und Halten, immer wieder lehnt Frau Bogner aber dann Kontakt auch völlig ab. An diesem Morgen trifft Pflegerin Weichsler Frau Bogner in großer Not, sie weint und hält sich die Hände vors Gesicht. Sie lehnt zunächst jeden Kontakt ab. Pflegerin Weichsler ist mit der Aufgabe da, Frau Bogner zum Waschen zu bringen, und steht vor der Frage, wie dies in der vorliegenden Situation überhaupt möglich ist.«

Kommunikationsmuster und -strukturen im Praxisfeld: Die Szene schildert eine in Bezug auf die verbale Kommunikationsfähigkeit stark asymmetrische Kom-

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munikationsform. Eine Pflegerin trifft auf eine demenzkranke Person, die sich nicht immer artikulieren kann oder vergisst, was sie zuletzt gesagt hat. Umgekehrt kann die Pflegerin die Frau mit Worten nicht erreichen. Insofern findet kein kommunikativer Verständigungsprozess, der in eine beidseitig zufriedenstellende Einigung münden könnte, zwischen den beiden statt. Betroffenheit und Konflikte: Für die Analyse der von den PraxispartnerInnen eingebrachten ethischen Praxiskonflikte, die zunächst als Fallvignetten von den PraxispartnerInnen verschriftlicht worden sind, werden vom Forschungsteam in weiterer Folge Fallbesprechungen moderiert. Im konkreten Beispiel tritt dabei primär die Perspektive der Pflegerin in den Vordergrund, die sowohl die emotionale als auch die professionelle Herausforderung, Kontakt zu der demenzkranken Frau zu gewinnen, beschreibt. Vor der Aufgabe stehend, sie zum Waschen zu begleiten und auch dazu zu bringen aufzustehen, hat sie theoretisch mehrere Möglichkeiten: langsam und validierend2 mit der Bewohnerin in Kontakt zu kommen, sie »einfach« ihrem Schicksal zu überlassen und später nochmals zu kommen – oder mit »überredendem Handanlegen« die Frau zum Waschen zu befördern. All dies, so kenne sie es aus ihrem Alltag, geschehe zumeist unter hohem Druck: unter Zeitdruck, weil sie zur nächsten Heimbewohnerin muss, unter dem Druck der Qualitätsvorstellungen der Heimleitung und unter dem Druck der Erwartungen von Angehörigen. Denn dass die BewohnerInnen sauber und ordentlich aussehen und auch so in den Tag gehen, gehöre sowohl zu den Anforderungen an qualitätsvolle Pflege als auch zu den Bildern der Angehörigen von guter Arbeit im Pflegeheim. In diesen Konfliktsituationen werde immer wieder »vehementer mit Bewohnern und Bewohnerinnen umgegangen«, erzählt sie. Spiegelungen und Übertragungsphänomene: Im Reflexionsworkshop im interdisziplinären Forschungsteam lösen die Erzählungen über diesen »vehementeren Umgang« mit BewohnerInnen Emotionen aus. Die Szene, die nahelegt, dass direkte oder indirekte Gewalt zum Arbeitsalltag von Pflegenden in Alten- und Pflegeheimen gehört, lässt die Frage aufkommen, wie im Forschungsprojekt damit umgegangen werden soll. Forschungsethische Entscheidungen darüber, mit wem in welcher Form über Gewalt, die in dem vertrauensgeschützten Raum der ethischen Fallbesprechung berichtet wurde, in Austausch zu kommen ist, werden konflikthaft diskutiert. Als einander widersprechende Positionen stehen die Möglichkeit der rechtlichen Verfolgung, der Konfrontation mit der Leitung des Hauses sowie die Besprechung des Themas im Rahmen der Rückmeldung mit den PraktikerInnen im Raum. Einigkeit besteht schließlich da-

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Im Verständnis von Validation® nach Naomi Feil (2010), einer Kommunikationsmethode mit Menschen mit Demenz.

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rüber, dass die Wahrnehmung jedenfalls mit den beteiligten PraktikerInnen besprochen werden soll. Der Konflikt, der sich im Reflexionsworkshop des Forschungsteams zeigte, kann als Übertragungseffekt gedeutet werden, in dem sich unterschiedliche ForscherInnen mit verschiedenen AkteurInnen des Praxisfeldes identifizieren: Diejenigen, die eine rechtliche Verfolgung befürworteten, identifizierten sich am ehesten mit Angehörigen, welche sich in großer Empörung über »die Zustände in dem Haus« ereifern; der eher unauffällige, am Konsens orientierte Umgang wurde von ForscherInnen vertreten, die sich mehr den professionell Pflegenden nahe fühlten und sich am ehesten in deren Position versetzen konnten; diejenigen, die sich am stärksten mit der Leitung identifizierten, fanden es daher notwendig, diese von den Geschehnissen in Kenntnis zu setzen. Theoretische Überlegungen: In der Diskussion und Reflexion des Konflikts im Forschungsteam kommt zunächst die unterschiedliche Betroffenheit der ForscherInnen in Bezug auf das Thema Waschen zum Vorschein. Die Bedeutung von Waschen, Umgang mit Reinheit und die große Intimität, die in dieser Situation unvermeidbar ist, werden thematisiert, eigene lebensgeschichtliche Erfahrungen aus der Kindheit oder der Elternrolle erzählt, verschiedene normative Grundhaltungen sichtbar. Auffällig ist aber auch, dass über das Thema des Waschens viel häufiger gestritten als gesprochen wird, dass es kommunikative Grenzen im Sinne von Scham und Tabus gibt, dass kaum wertfrei darüber diskutiert werden kann. Schließlich wird vereinbart, die Vieldimensionalität des Themas theoretisch auszuarbeiten, mit den PraktikerInnen zu diskutieren und die Ergebnisse auch zu publizieren (Krainer/Reitinger 2008). Zweite Szene Die Führungskraft einer Pflegeeinrichtung formuliert eines der größten Spannungsfelder in der Organisation von Betreuung alter Menschen in der Langzeitpflege folgendermaßen: »Ich denke, dass Emotionalität abgewertet wird und keinen hohen Stellenwert hat. Es treffen im Gespräch zwischen Pflegenden und Geschäftsführung zwei Weltbilder mit unterschiedlichen Sprachen aufeinander. Also in der Geschäftsführerebene und in der Leitungsfunktion geht es um Zahlen und um Fakten und eine sachliche Auseinandersetzung mit Zahlen. Und das geht sehr leicht, wenn man sich von diesen Betreuungssituationen distanzieren kann. Pflegende können sich allerdings den Betreuungssituationen nicht entziehen. Und es steht ihnen dieses Zahlenvokabular gar nicht so sehr zur Verfügung. Sie können vor allem das zum Ausdruck bringen, was sie erleben, empfinden und wahr-

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nehmen. Und es wird als sehr verletzend wahrgenommen, wenn diese Erzählungen von vornherein abgewertet werde, wo es dann heißt: ›Ihr seid ja so emotional.‹«

Kommunikationsmuster und -strukturen im Praxisfeld: Die Szene eignet sich gut, um zu fragen, worüber in einem Praxisfeld gesprochen wird, worüber demgegenüber tendenziell geschwiegen wird, wer welche Sprache beherrscht und wofür die Worte fehlen (den einen für Zahlen, den anderen für Emotionen) und dass sich die Sprachform der Zahlen als dominante zeigt. Insgesamt wird aneinander vorbei kommuniziert, die Sprache der jeweils anderen nicht gesprochen, das Gehörte nicht aufgegriffen oder abgewertet. Die Frage nach unterschiedlichen »Sprachkompetenzen« innerhalb einer Organisation und dem Nutzen, verschiedene Ausdruckmöglichkeiten zur Verfügung zu haben, tritt zwar auf, das Problem selbst, nämlich die misslingende Kommunikation, wird hingegen in der Szene selbst nicht thematisiert. Betroffenheit und Konflikte: Als Betroffenheit wird in dieser Situation u.a. die Abwertung von Emotionalität, die der Berufsgruppe Pflege zugeschrieben wird, formuliert. Dies erfolgt durch eine Leitungsperson, die als gelernte Diplompflegefachkraft sowohl die Leitungssprache der Zahlen als auch die emotionale Sprache der Pflege beherrscht. Darüber kann sie die Konflikte, die sich aus der misslingenden Kommunikation ergeben, besonders deutlich wahrnehmen. Spiegelungen und Übertragungsphänomene: Übertragungsphänomene im Forschungsteam sind vor allem im Hinblick auf die Zugehörigkeit zu unterschiedlichen wissenschaftlichen Herkunftsdisziplinen wie Soziologie, Psychologie, Philosophie, Theologie, Pflegewissenschaften, Medizin und Sozial- und Wirtschaftswissenschaften zu beobachten. Da innerhalb der jeweiligen Forschungsteams aufgrund von Positionszugehörigkeiten bestimmte disziplinäre Sprachen dominieren, werden, oft auch gar nicht explizit, Überlegungen anderer Disziplinen wenig oder gar nicht gehört oder abgewertet. Dies verursacht regelmäßig Kränkungen und wird nur selten aufgedeckt. Theoretische Überlegungen: Hinter den verschiedenen Sprachen stehen unterschiedliche Erfahrungsebenen. Die »emotionale Pflegesprache« denkt in erster Linie in Beziehungskategorien. Was braucht der/die andere und wie kann ich diesen Bedürfnissen gerecht werden, sind ihre leitenden Fragen. Sie ist von Frauen dominiert. Anders die Zahlensprache, hinter der ein ökonomisches Gedankengebäude steht und in der es um Leistung geht. Fragen, wie die Tätigkeit messbar, begrenzbar und finanzierbar ist, stehen im Vordergrund. Dieser Bereich ist männlich geprägt. Dazu kommt als dritte noch eine medizinische Fachsprache. Sie versucht menschliche Befindlichkeit zu diagnostizieren, um sie der Therapie zugänglich zu machen, wofür eine Abstraktion von der konkreten Per-

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son zum allgemeinen Krankheitsfall notwendig ist. Auch dieser Bereich ist eher männlich geprägt. Wenngleich jede dieser Sprachen einen notwendigen Bereich innerhalb des Altenheims umfasst, besteht das größte Problem darin, dass es keine kommunikative Verbindung bzw. Vermittlung zwischen diesen Bereichen gibt. Die Dominanz von Ökonomie und Medizin im Altenheim erscheint dann auch als Dominanz von Männlichkeit über Weiblichkeit, obwohl in der »Frauenwelt Altenheim« Frauen quantitativ dominieren. Übrigens: Bevor überhaupt diese Art von Geschichten erzählt werden können, muss sich in einem Projekt zwischen den KooperationspartnerInnen schon eine Menge an vertrauensvoller Kommunikation und Beziehung entwickelt haben. Damit kommen die Voraussetzungen, die durch vorbereitende Gespräche zwischen Forschung und Praxis entwickelt werden, nochmals in den Blick. Dazu gehört es auch, zusätzlich zu den Beobachtungen ersten Grades, wie sie in der Analyse der Geschichten erfolgt, Möglichkeiten für Beobachtungen zweiten Grades – im Kontext von Kommunikation als Metakommunikation – zu schaffen. Erst dadurch wird es möglich, eigene Involviertheit angemessen zu reflektieren.

METAKOMMUNIKATION STEUERN Metakommunikation bezeichnet einen Ebenenwechsel in der Kommunikation, mit dem Ziel, von der Sachebene, den konkreten Inhalten auf eine abstraktere Ebene zu wechseln, auf der es um die Thematisierung der Kommunikation selbst und allfälliger Störungen in ihr geht – quasi die Kommunikation über unsere Kommunikation. Für Paul Watzlawick, der sich sehr intensiv mit verschiedenen Störungen der zwischenmenschlichen Kommunikation befasst hat, die er vor allem auf der Beziehungsebene (und nicht auf der Inhaltsebene) verortet sieht (Watzlawick 1980: 53f.), stellt Metakommunikation eine Möglichkeit dar, Störungen zu thematisieren und so zu besprechen, dass sie lösbar werden. In der Alltagskommunikation ist sie allerdings noch wenig geübt, vor allem in Konflikten agieren und reagieren Menschen eher nach Angriffs- und Verteidigungsmustern (Schwarz 2005), als den Ebenenwechsel zu praktizieren. Wie bereits beschrieben, lassen sich im Kontext von inter- und transdisziplinären Forschungsteams neben der konkreten Sachebene (Formulieren von Forschungsfragen, Durchführung von Datenerhebung, -auswertung, -interpretation und Theoriebildung etc.) implizit oder explizit unterschiedliche Kommunikationsmuster und -kulturen identifizieren, die teilweise mit Personen und deren unterschiedlichen Prägungen zu tun haben, teilweise aber auch mit ihrer Soziali-

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sation in verschiedenen Disziplinen und Berufsgruppen. Ein solches Aufeinandertreffen kann zu Missverständnissen führen und gelegentlich auch zu Konflikten, die mehr mit der wissenschaftlichen oder beruflichen Herkunft als mit den handelnden Personen selbst zu tun haben. Neu zusammengesetzte bzw. wechselnde Forschungsteams müssen sich jeweils neu konstituieren, eine gemeinsame Planung durchführen, innere Verbindlichkeiten herstellen, kurz: Teambildung vollziehen. Es gilt, unterschiedliche Erwartungen, eventuell aber auch verschiedene Werte miteinander in Einklang zu bringen, wobei diese wiederum sowohl individuellen Interessen wie unterschiedlicher fachlicher Orientierung entspringen können. Einen solchen Austausch zu ermöglichen und ihn in einen gemeinsamen Entscheidungs- und Vereinbarungsprozess überzuführen zählt zu den klassischen Aufgaben einer Projektleitung (Heintel/Krainz 2011). Teamsteuerung (Leitung, Moderation) ist immer ein kommunikatives Geschehen. Dabei hilft es, den bereits angesprochenen Ebenenwechsel gelegentlich zu vollziehen, noch besser: ihn bewusst zu institutionalisieren. Die Frage: »Wie wollen wir miteinander kommunizieren (bzw. umgehen)?« kann Teil eines Teamfindungsprozesses bei Projektstart sein. Sie lässt sich aber auch zu einer regelmäßig verwendbaren Feedbackfrage für den laufenden Prozess adaptieren, wenn es darum geht, sich gemeinsam darüber zu vergewissern, wie die einzelnen Teammitglieder mit den jeweils vereinbarten Kommunikationsstrukturen und -formen zufrieden sind. Metakommunikation unterbricht dabei Kommunikationsroutinen, unterbricht das Agieren in Rollen und Funktionen und thematisiert unmittelbar das kommunikative Miteinander. Sie kann dazu beitragen, allfällige Störungen aufzudecken, zugleich kann sie aber auch im Sinne des erwähnten Feedbacks dafür sorgen, dass Zufriedenheit artikuliert werden kann oder Verbesserungsvorschläge eingebracht und gegebenenfalls auch aufgegriffen werden können. Insofern kann sie Leitenden in ihrer Aufgabe Sicherheit und Entscheidungsmöglichkeiten bieten. Auf die Ebene der Metakommunikation zu wechseln bedeutet immer, Selbstbeobachtungen durchzuführen und diese auch den anderen zur Verfügung zu stellen. Diese individuellen Beobachtungen können sich mit Beobachtungen anderer treffen, sie können diesen aber auch widersprechen – jedenfalls eröffnet sie die Möglichkeit der Thematisierung der jeweiligen Situation und stellt damit eine Basis für eine Vergemeinschaftung der Sichtweisen her. Auch für die Frage, wie sich kommunikative Prozesse mit den ForschungspartnerInnen gestalten lassen und wie eine gemeinsame Sprachbildung (Ukowitz 2012: 322f.) gelingen kann, bietet es sich an, innerhalb des Forschungsteams, aber auch im Austausch mit den PraxispartnerInnen die Frage zu thematisieren, wie miteinander kommuniziert werden soll, welche gegenseitigen Erwartungen

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(in Bezug auf Erreichbarkeit, in Hinblick auf Ausdrucks- und Umgangsformen etc.) und Wünsche diesbezüglich bestehen und Beobachtungen zu gelingenden, wie Unzufriedenheit auslösenden Aspekten des kommunikativen Miteinanders gemeinsam zu besprechen. Wiederum bieten sich dafür strukturierte FeedbackSequenzen an, die als Forschungsroutine eingerichtet werden können. Wie sich in der Analyse der Szenen gezeigt hat, wird über schwierige Kommunikationsprozesse, -strukturen und -muster innerhalb des zu untersuchenden Praxisfeldes in der Regel nicht gesprochen, weil zumeist die Routine der Metakommunikation fehlt. Das führt oft zu offenen oder verdeckten Konflikten, die Unbehagen oder auch Leiden auslösen können. Hier besteht für ForscherInnen die Möglichkeit, solche Muster und Prozesse nicht nur zu identifizieren, sondern in den Rückkoppelungsprozessen Orte und Zeiträume für Metakommunikation, also die Diskussion der besser oder schlechter gelingenden Kommunikationsprozesse, in der Praxis einzurichten. Auch das Erkennen von Spiegelungen oder Übertragungsphänomenen, die in Forschungsteams auftreten können, und deren Nutzbarmachen als Quelle der Erkenntnis kann nur gelingen, wenn eine Situation thematisiert, das konflikthafte Agieren unterbrochen und ein gemeinsames Reflektieren bzw. Analysieren hergestellt wird. In Forschungsteams kommt die Aufgabe, den Ebenenwechsel in der Kommunikation vorzuschlagen, zunächst der Teamsteuerung (Leitung) zu. In »reifen Gruppen«3 können sich tendenziell alle Mitglieder dazu in der Lage fühlen. In der Kommunikation mit PraxispartnerInnen hängt es stark davon ab, ob und wie solche Praktiken bereits geübt sind oder ob sie erst eingeführt werden müssen. Es bietet sich aber an, sich die Aufgabe bewusst vorzunehmen und eventuell Verantwortliche dafür zu benennen, die die Kommunikationsprozesse zwischen Forschungsteam und PraktikerInnen beobachten und gelegentlich thematisieren. Eine bewusste Gestaltung der unterschiedlichen strukturellen Elemente der Kommunikationssettings wie der inhaltlichen Dimensionen gibt einen sicheren Rahmen. So ist es leichter möglich, sich auf die unterschiedlichen Prozesse, die oft mit viel Emotionalität verbunden sind, einzulassen. Für ein wissenschaftlich solides Arbeiten und für eine angemessene und professionelle Beteiligung von PraxispartnerInnen und verschiedenen »relevanten Umwelten« – als wesentliches Postulat transdisziplinärer Forschung – ist die Kommunikationsstruktur eine notwendige Voraussetzung.

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Als solche werden in der Gruppendynamik jene bezeichnet, die, mit einem aufgeklärten Wir-Gefühl ausgestattet, selbstbestimmt und selbststeuernd arbeitsfähig sind (Heintel 2006b: 191f.).

9 Identitäten und Rollen in inter- und transdisziplinärer Forschung und Lehre finden BERNHARD WIESER, ANGELIKA BRECHELMACHER, GEORG SCHENDL

IN DER FORSCHUNG ForscherInnen, die in inter- und transdisziplinären Projekten arbeiten, machen immer wieder die Erfahrung, dass sie in einer bestimmten Rolle wahrgenommen werden, deren Definition nur zu einem geringen Teil von ihnen selbst beeinflusst werden kann. Brian Wynne (1996) berichtet etwa, dass WissenschaftlerInnen, die im Zuge des Reaktorunfalls von Tschernobyl in ein in England stark betroffenes Gebiet entsandt wurden, von den lokal ansässigen Schafbauern als Agenten staatlicher Kontrolle und Interessen wahrgenommen wurden. Das hatte einen Einfluss darauf, wie wissenschaftliche Expertise eingeschätzt wurde. Konkret stellten die betroffenen Schafbauern die Kompetenz der WissenschaftlerInnen in Frage und waren der Meinung, die WissenschaftlerInnen seien nicht in der Lage, eine sachgerechte Lösung für den Umgang mit den verstrahlten Weideflächen zu erarbeiten. Der kanadische Soziologe Erving Goffman hat in seinen Schriften herausgearbeitet, wie stark Kommunikation davon abhängt, was die interagierenden Personen voneinander denken und wie sie sich gegenseitig wahrnehmen. Was Erving Goffman (1959) für Alltagskommunikation gezeigt hat, gilt gleichermaßen für interaktive Forschungsprozesse, die sich nicht kategorial von anderen Formen sozialer Interaktion unterscheiden. Wer die Forschenden als Personen sind, ist maßgeblich für das, was im gegebenen Forschungsprozess überhaupt möglich ist. Was im Zuge eines Forschungsprozesses gesagt wird, wie Sach- und Problemlagen präsentiert werden, ist in hohem Maße davon abhängig, wie die

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beteiligten Personen einander wahrnehmen. Kommunikation ist immer gerichtet, sie adressiert jemand Bestimmten. Soziale AkteurInnen antizipieren die Wirkung ihrer Äußerungen und versuchen gezielt, Effekte bei jenen hervorzurufen, die sie ansprechen und denen sie sich präsentieren. In inter- und transdisziplinärer Projektarbeit wird insbesondere der unterschiedliche Status wissenschaftlicher Disziplinen wirksam, der den Wert des jeweiligen Fachbereichs für Wissenschaft und Öffentlichkeit entlang sich historisch wandelnder Parameter festlegt. Zum anderen wirken sich Verhältnis und Nähe der WissenschaftlerInnen zur Institution Universität (mit ihrem symbolischen Kapital) und ihre Position innerhalb der Hierarchien akademischer Qualifizierung auf die Projektarbeit aus. Würde man dem klassischen Wissenschaftsethos folgen, wie es beispielsweise Robert Merton (1996) schon 1942 formuliert hat, sollte es für wissenschaftliche Erkenntnisse egal sein, wer sie generiert. Die Person des Forschers oder der Forscherin ist für den Begründungszusammenhang irrelevant, ja sogar als argumentative Grundlage ausgeschlossen. Erkenntnisse dürfen nicht von Partikularinteressen, Neigungen und Vorlieben abhängig sein. Auch wenn die Argumente, mit denen Merton das »Desinteresse« von ForscherInnen einfordert, durchaus plausibel sind, so ist andererseits darauf hinzuweisen, dass dieses Ideal wissenschaftlicher Erkenntnisproduktion nicht immer in der geforderten Weise eingehalten werden kann. Ja, es lassen sich Forschungszusammenhänge anführen, in denen es geradezu naiv wäre zu negieren, dass es von Bedeutung ist, wer die am Forschungsprozess beteiligten Personen sind. Insbesondere in inter- und transdisziplinären Forschungsprojekten hat die jeweilige soziale Identität der WissenschaftlerInnen – wie auch die aller anderen beteiligten Personen (Betroffene, zivilgesellschaftliche Akteure, Stakeholder etc.) – Einfluss auf die interpersonale Kommunikation und den gemeinsamen Wissensgenerierungsprozess. In der methodologischen Literatur wurden die Implikationen kommunikativen Handelns insbesondere im Hinblick auf die Kategorien Geschlecht und Ethnizität diskutiert. Terry Arendell hat beispielsweise argumentiert, dass der Umstand, dass sie eine Frau ist, maßgeblich dafür war, wie Männer mit ihr in den von ihr durchgeführten Interviews interagiert haben (Arendell 1997: 348). Neben Geschlecht und Ethnizität der Forscherin bzw. des Forschers haben Alter, sozialer Status, Expertise etc. ebenfalls Einfluss auf die Interaktion im Forschungsprozess (Stanley/Slattery 2003). Feministische Theoretikerinnen haben darauf hingewiesen, dass Gender weder zugeordnet noch gegeben ist (Roberts 2006). Betont wird stattdessen, dass Gender allem voran performiert, das heißt ausgeübt wird. Ähnliches kann man für Ethnizität sagen. Solche Argumente zielen auf die soziale Konstruiertheit von Identität und betonen damit deren Veränderbarkeit. Das eigene Sein ist also stets

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als Produkt komplexer Aushandlungsprozesse mit allen anderen AkteurInnen des jeweiligen sozialen Kontexts zu verstehen (Goffman 1959). Vor diesem Hintergrund lässt sich festhalten, dass die soziale Identität von ForscherInnen keineswegs nur von Faktoren abhängt, die diese selbst durch Reflexion und Verhaltenskontrolle beeinflussen können. Wie sie als Personen wahrgenommen werden, hängt darüber hinaus von Aspekten ab, die sich nicht ohne weiteres steuern, beeinflussen oder gar eliminieren lassen. Wer ForscherInnen in einem gegebenen Zusammenhang sind, wird von Zuordnungen mitbestimmt, nämlich in dem Maße, in dem Menschen auf andere Menschen und deren Handlungen einwirken. Genau aus diesem Grund ist es erforderlich, sich bewusst zu machen, wie die soziale Identität von WissenschaftlerInnen von jenen wahrgenommen wird, mit denen sie im Zuge ihrer Forschungstätigkeit interagieren. In hohem Maße geschieht dies, wie bereits erwähnt, durch den institutionellen Hintergrund, den die ForscherInnen haben und den sie für die anderen am Forschungsprozess beteiligten Personen gleichsam verkörpern. Der skizzierte Zusammenhang wird rasch klar, wenn man daran denkt, wie etwa PolizistInnen wahrgenommen werden. In erster Linie werden sie nicht als Personen wahrgenommen, sondern in ihrer Rolle als Exekutivbeamte staatlicher Gewalt. Ebenso werden WissenschaftlerInnen je nach konkretem Forschungszusammenhang in ihrer Rolle wahrgenommen. Bereits durch die Vorstellung zu Beginn eines Forschungsprozesses wird üblicherweise geklärt, wer Auftraggeber des konkreten Projektes ist. Sehr oft sind das öffentliche Auftraggeber, wie Ministerien oder entsprechende Abteilungen der Administration von Städten oder Bundesländern. Genau aus diesem Grund werden WissenschaftlerInnen mit den Aufgaben und Zielsetzungen des Fördergebers in Verbindung gebracht. So können sich ForscherInnen etwa damit konfrontiert sehen, als »Spion des Ministeriums« wahrgenommen zu werden, als »Ethikpolizei« oder als Verbündete von bestimmten Interessengruppen und Stakeholdern. Die Art und Weise, wie soziale Identität von ForscherInnen in inter- und transdisziplinären Forschungszusammenhängen konstituiert und wahrgenommen wird, ist nicht zuletzt aus epistemologischer Perspektive von größter Bedeutung. Man muss sich schlicht die Frage stellen: Wie spricht man zu jemandem, den oder die man als VertreterIn bestimmter Interessenlagen wahrnimmt? Wie spricht man zu jemandem, den oder die man als Spion des Ministeriums sieht, als Ethikpolizei oder staatliches Kontrollorgan? Und wie spricht man zu jemandem, den oder die man als BündnispartnerIn sieht? Jeder inter- und transdisziplinäre Forschungsprozess basiert auf einem kommunikativen Handeln, das bestimmte Ziele verfolgt und den gesellschaftlichen Kontext, in dem ein Vorhaben durchgeführt wird, in einem bestimmten Sinn zu

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verändern beabsichtigt. Personen, die in solche kommunikativen Forschungsprozesse einbezogen werden, versuchen die Problemsicht, in Frage kommende Lösungen und antizipierte Wirkungen zu beeinflussen. Ja, in partizipativen Projekten wird diese Form der Beteiligung sogar gewünscht und aktiv angeregt. Anhand eines konkreten Beispiels sollen die hier angesprochenen Problemstellungen näher erörtert werden. Forschen im Kontext Im österreichischen Genomforschungsprogramm (GEN-AU) wurde eine spezifische Programmschiene eingerichtet, um sich mit ethischen, rechtlichen und sozialen Aspekten (ELSA) auseinanderzusetzen. In diesem Rahmen wurden medizinische ExpertInnen zum Thema »Genetisches Testen« interviewt (Wieser/ Karner/Ukowitz 2006). Einige der befragten Ärztinnen und Ärzte wiesen darauf hin, dass genetische Tests mitunter von Personen durchgeführt werden, die ihre PatientInnen in nur unzureichender Form beraten. Das Problem wird in seiner Tragweite besser verständlich, wenn man berücksichtigt, dass entscheidungsoffene Beratung vor der Durchführung von genetischen Untersuchungen für das Ethos der Humangenetik konstitutiv ist (insbesondere zur Bedeutung von »nichtdirektiver Beratung«: Hartog/Wolff 1997). Im Fachbereich der Gynäkologie sieht die Sache hingegen ganz anders aus. Dort werden Untersuchungen, die auf das Vorliegen von genetischen Anomalien (vor allem Trisomie 21) hindeuten, als Vorsorgeuntersuchungen konzeptualisiert und durchgeführt. Ausführlich beraten wird dort erst, wenn bereits auffällige Untersuchungsergebnisse vorliegen. HumangenetikerInnen kritisieren diese Vorgehensweise nicht zuletzt deshalb als unangemessen, weil sie im Widerspruch zur eigenen Vorstellung von »good medical practice« steht und somit die ethische Grundlage des eigenen medizinischen Handelns bedroht. Wenn diese Problematik nun von ÄrztInnen in Forschungsinterviews erörtert wird, ist es für die InterviewerInnen bei der Dateninterpretation unabdingbar zu berücksichtigen, wie und in welcher Funktion sie selbst als AdressatInnen von den befragten ÄrztInnen wahrgenommen werden. Konkret handelte es sich bei den InterviewerInnen um SozialwissenschaftlerInnen, die expliziert hatten, dass sie im ministeriellen Auftrag ethische, rechtliche und soziale Aspekte der genetischen Medizin untersuchten. Darum wurden im genannten Kontext die SozialwissenschaftlerInnen als Personen angesprochen, die eine Botschaft an politische EntscheidungsträgerInnen übermitteln können. Gelingt es MedizinerInnen, im Forschungszusammenhang gegenüber SozialwissenschaftlerInnen die eigene Perspektive plausibel zu machen, so kann erwartet werden, dass letztere die da-

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mit verbundenen Interessen gegenüber ihrem ministeriellen Auftraggeber darstellen. Der Versuch, SozialwissenschaftlerInnen in der genannten Weise als Sprachrohre oder VertreterInnen von Interessen für die eigene Sache zu gewinnen, kann mit dem englischen Begriff »enrolment« beschrieben werden (Callon 1986: 211). Doch aus welchem Grund sehen sich ÄrztInnen überhaupt veranlasst, gegenüber einem Ministerium die eigenen Interessen zu vertreten? Medizinische Einrichtungen stehen zunehmend unter Kostendruck und sind daher aufgefordert, ihre Finanzierung durch die öffentliche Hand zu rechtfertigen. Damit stehen die verschiedenen Abteilungen eines Krankenhauses nicht nur zueinander in Konkurrenz, sondern zusätzlich mit privaten Praxen und kommerziellen Labors. Staatliche Auftraggeber haben in diesem Zusammenhang eine Schlüsselrolle, zumal sie Ressourcen zuordnen und so festlegen, welche medizinischen Leistungen abgegolten und welche Geschäftsfelder wem zugeordnet und wem entzogen werden. Damit hat die Gestaltung der Durchführungsbedingungen medizinischer Praxis einen wichtigen Einfluss auf den Kostendruck. Vor diesem Hintergrund wird klar, dass man jemandem, der oder die im Auftrag des Ministeriums arbeitet, Aspekte der eigenen Arbeit nicht zeigt, die einem selbst zum Nachteil gereichen können, während man jene Aspekte herausstellt, von deren Präsentation man sich Vorteile erhofft. Die Art und Weise, wie SozialwissenschaftlerInnen in solchen Konstellationen angesprochen werden, wird durch die ihnen zugeordnete Rolle und durch den Auftraggeber, der als Rezipient des entsprechenden Forschungsprojektes wahrgenommen wird, maßgeblich beeinflusst (insbesondere zur Rollenzuweisung im Zuge von ExpertInneninterviews: Bogner 2005). Zusammenfassend lässt sich festhalten: Selbst wenn man als ForscherIn überaus bemüht ist, sich neutral zu verhalten und zu allen Partikularinteressen Äquidistanz zu halten, kann man nicht verhindern, dass einem Interessen zugeordnet werden oder dass versucht wird, die eigene Person für bestimmte Interessen zu gewinnen. Soziale Identität ist nichts, was man ausschließlich für sich selbst wählt, sondern soziale Identität ist vielmehr ein Produkt komplexer Aushandlungsprozesse mit allen andern AkteurInnen des sozialen Feldes, in dem man sich bewegt. Diese Aushandlungsprozesse werden jedoch weniger auf der Metaebene abstrakt vorgenommen, sondern performativ ausagiert. Wie solche Aushandlungsprozesse vonstattengehen, lässt sich wiederum sehr gut aus der Perspektive des symbolischen Interaktionismus verstehen. Erving Goffman argumentiert, dass Menschen sich davon eine Vorstellung machen, wie sie von anderen wahrgenommen werden. Der Punkt ist nun, dass Menschen versuchen, diese Bilder, die andere von ihnen haben, gezielt zu beeinflussen. Goff-

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man spricht daher von »Eindruckskontrolle« (Goffman 1959). Vor diesem Hintergrund kann argumentiert werden, dass WissenschaftlerInnen sehr bewusst an dem Bild arbeiten, das jene Menschen von ihnen haben sollen, mit welchen sie in einem konkreten Forschungszusammenhang interagieren. Genau deshalb ist die soziale Identität der ForscherInnen aus methodologischen Gründen relevant und muss bei der Dateninterpretation stets berücksichtigt werden. Den eigenen Zugang finden Durch eine empirische Studie konnte eine Typologie entwickelt werden, mit der sich systematisieren lässt, wie sich WissenschaftlerInnen selbst konstituieren, wenn sie in inter- und transdisziplinären Konstellationen arbeiten (Wieser 2011b). Diese Selbstkonstituierung ist bereits als ein Resultat komplexer Verhandlungen zu verstehen, in die frühere Erfahrungen mit den AkteurInnen des sozialen Feldes einfließen. Im Kontext einer Studie mit 47 ForscherInnen aus den Niederlanden, Großbritannien, Dänemark und Österreich, die sich mit den ethischen, rechtlichen und sozialen Aspekten der Genomforschung befassten, wurde dahingehend eine Typologie entwickelt. Diese empirisch begründete Typologie unterscheidet zwischen »Scholars«, »Collaborators«, »Facilitators« und »Advocates«. Diese vier idealtypischen Forschungszugänge werden hier vorgestellt, weil ihre Bedeutung über den konkreten Kontext, in dem sie entwickelt wurde, hinausreicht. Die Typologie kann allgemein als Repertoire von Handlungsmöglichkeiten für Forschende in inter- und transdisziplinärer Forschung gelesen werden. Scholars ForscherInnen, die in ihrer Forschungstätigkeit Autonomie anstreben, können als Scholars bezeichnet werden. Für sie ist es besonders wichtig, zum untersuchten Feld eine gewisse Form von Distanz und Nicht-Involviertheit zu bewahren. Diese Nicht-Involviertheit wird dabei darauf bezogen, nicht in die Interessen und Agenden der AkteurInnen des untersuchten Forschungsfeldes eingebunden zu werden. Direkte Interaktion findet eher punktuell statt und wird, nachdem relevante Daten empirisch erhoben wurden, nicht mehr aktiv angestrebt. Der Anspruch auf Autonomie äußert sich auch darin, dass die untersuchten Forschungsfragen nicht mit den AkteurInnen des untersuchten Feldes verhandelt oder gemeinschaftlich entwickelt werden. Die behandelten Forschungsfragen werden in erster Linie vor dem Hintergrund des eigenen disziplinären Fachdiskurses entwickelt. Konsequenterweise sind für Scholars Mitglieder der eigenen wissenschaft-

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lichen Fachgemeinschaft die zentralen AdressatInnen der eigenen Forschungstätigkeit. Scholars sehen ihre Arbeit als Beitrag zu einem allgemeineren Unterfangen der Wissensproduktion. Der eigene Beitrag zur Wissensgenerierung wird mehr im Hinblick auf eine intellektuelle Auseinandersetzung in der eigenen »Scientific Community« verstanden, als er spezifischen »externen« sozialen Gruppen zum unmittelbaren Nutzen gereichen soll. Die Auseinandersetzung mit einer konkreten Frage- bzw. Problemstellung wird daher gewissermaßen als Selbstzweck gesehen, die keiner weiteren Rechtfertigung bedarf. Collaborators Den eigenen Forschungsbeitrag als (partnerschaftliche) Zusammenarbeit zu konzeptualisieren konstituiert einen Forschungszugang, mit dem die Forschenden vor allem Nähe zum untersuchten Forschungsfeld suchen. Es ist ein Charakteristikum für den Forschungszugang der Collaborators, sich aktiv in die sozialen Zusammenhänge von PraxisakteurInnen zu begeben. Aus dieser Perspektive kommt es insbesondere darauf an, eine Form von funktionierender Zusammenarbeit mit jenen zu entwickeln, deren Tätigkeitsfeld man erforschen möchte. Collaborators betrachten es als essenziell, sich zu involvieren und sich mit den AkteurInnen des untersuchten Forschungsfeldes auseinanderzusetzen. Infolgedessen streben Collaborators insbesondere mit jenen Personen eine partnerschaftliche Zusammenarbeit an, die sie als die wichtigsten AdressatInnen ihrer Forschungstätigkeit sehen. In erster Linie sind sie es, denen die eigenen Forschungsergebnisse präsentiert werden sollen und mit denen man diese auch diskutieren möchte. Dieser Forschungszugang geht davon aus, dass der Beitrag von SozialwissenschaftlerInnen dann am wirksamsten ist, wenn er jenen AkteurInnen rückgemeldet wird, deren Handlungsfeld beforscht wurde. Genau aus diesem Grund wird auf direkte Kommunikation besonderer Wert gelegt, die als zentrales Element des Forschungsprozesses angesehen wird. Facilitators Ein dritter Forschungszugang zielt darauf ab, den Prozess der Auseinandersetzung zwischen PraxisakteurInnen, Betroffenengruppen, Expertinnen und StakeholderInnen zu unterstützen. Für diese Aufgabe ist die Neutralität der eigenen Position von besonderer Bedeutung. Von Facilitators wird die eigene Hauptaufgabe daher im Organisieren von »diskursiven Räumen« gesehen, in denen sich soziale AkteurInnen unterschiedlichster Interessenlagen, Standpunkte und Expertisen begegnen und ihre Sichtweisen unmittelbar austauschen können. Fa-

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cilitators sehen ihren Beitrag darin, anderen Menschen Stimme zu verleihen und ihnen die direkte Interaktion mit anderen sozialen Gruppen zu ermöglichen. Daher möchten Facilitators dafür sorgen, dass keine Gruppe dominiert und alle TeilnehmerInnen das gleiche Recht und die gleiche Möglichkeit haben, ihre Sichtweisen darzulegen. Weiters verstehen es Facilitators als ihre Aufgabe, den Prozess der Auseinandersetzung einem weiteren Publikum zugänglich zu machen. Vor diesem Hintergrund setzen sich für Facilitators die angesprochenen AdressatInnen zunächst aus jenen zusammen, die direkt an Diskussionsprozessen beteiligt sind. Typischerweise sind dies etwa TeilnehmerInnen von Partizipations- und Dialogverfahren, die als RepräsentantInnen der Öffentlichkeit bzw. von StakeholderInnen verstanden werden. Zu weiteren relevanten Zielgruppen werden von Facilitators insbesondere (politische) EntscheidungsträgerInnen gezählt. Der Schwerpunkt wird hier darauf gelegt, die Ergebnisse von Dialogprozessen an politische EntscheidungsträgerInnen weiterzuleiten. Um die Reichweite direkter Kommunikation zu erhöhen, legen Facilitators auf die (mediale) Dissemination der von ihnen organisierten Prozesse großen Wert. Advocates Advocates sind ForscherInnen, die in ihrer Forschungstätigkeit einen Standpunkt beziehen. Dieser Standpunkt ist auf eine spezifische Werthaltung bezogen, die sie zum Ausgangspunkt ihrer Forschungstätigkeit machen. Advocates verstehen Machtverhältnisse als wichtige Dimension des gewählten Forschungsgegenstandes und legen Wert darauf, die Bedürfnisse jener sichtbar zu machen, die sie als Betroffene von Forschung verstehen (dazu zählen etwa die NutzerInnen bzw. PatientInnen genetischer Medizin). Advocates versuchen mit ihrer Arbeit zu einem gesellschaftlichen Wandel im Sinne der eigenen Werthaltung beizutragen. Somit gehören »Change Agents« zu den relevanten AdressatInnen von Advocates. Dazu zählen etwa soziale Bewegungen und zivilgesellschaftliche AkteurInnen im weiteren Sinn. Wesentlich ist es aus dieser Perspektive, dass das generierte Wissen jenen zugutekommt, die aktiv versuchen, zum gewünschten sozialen Wandel beizutragen. Zentral ist daher der Wunsch, durch die eigene Forschungstätigkeit praktische Resultate und handlungsrelevantes Wissen hervorzubringen. Akademische Gelehrsamkeit und Lehrbuchwissen alleine genügt aus der Perspektive von Advocates nicht. Die dargestellte Typologie wurde vor dem Hintergrund konkreter Forschungserfahrungen in inter- und transdisziplinären Projekten entwickelt. Identitäten und Rollen hängen von Wissenschaftsverständnis und disziplinärer Prägung ab, von Projektstruktur, der Position der Beteiligten innerhalb der System-

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hierarchie und nicht zuletzt von Geld- und Zeitressourcen. Diese vier beschriebenen Rollen lassen sich jedoch ebenso als mögliche Strategien oder als ein Repertoire lesen, sich selbst als ForscherIn in inter- und transdisziplinären Kontexten zu konstituieren. Allerdings ist diese Selbstkonstituierung als ForscherIn nie restlos frei, sondern muss immer mit den anderen AkteurInnen des konkreten sozialen Feldes ausgehandelt werden. Die bewusste Identifikation mit einer Rolle, aber auch mögliche Rollenwechsel im Projektverlauf erfordern – mehr oder weniger – strukturierte Reflexionsräume, als Person und als Team.

IN DER LEHRE Da die vorgestellten akademischen Rollen für die inter- und transdisziplinäre Forschung von Bedeutung sind, stellt sich nun die Frage, welchen Raum sie in der universitären Lehre einnehmen, soll diese ja im Idealfall auf die wissenschaftliche Praxis vorbereiten. Das folgende Beispiel zeigt, wie das eigene Rollenverständnis und dessen Identifikationsspielräume im Lauf des Studiums erprobt und reflektiert werden können. Zu genau diesem Zweck wurde versucht, im Rahmen des Lehrprogramms »Studium Integrale für DoktorandInnen (SIDoc)« am Wiener Standort der Universität Klagenfurt ein Experimentierfeld dafür zu schaffen. Dabei ist bemerkenswert, in welchem Ausmaß die Rollen, die in diesem Lehrprogramm mit den Studierenden eingeübt und reflektiert werden, mit der oben ausgeführten Typologie übereinstimmen. Über disziplinäre Prägung und die Notwendigkeit, akademische Rollen zu überdenken Das zweisemestrige Lehrprogramm Studium Integrale für DoktorandInnen (SIDoc)1 baut auf der langen Tradition des Studium Integrale und seiner Vorläufer an der IFF auf (vgl. »Science as Culture«). Wie jenes richtet es sich an junge WissenschaftlerInnen und Kunststudierende aller Disziplinen, allerdings während der Phase des Doktoratsstudiums, jener Phase also, in der junge AkademikerInnen darauf konzentriert sind, forschungsbasiert Expertise und Eigenständigkeit im eigenen Fachbereich zu erarbeiten und sich innerhalb der Community

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Im Sommersemester 2010 und im Wintersemester 2010/11 wurde SI-Doc erstmals mit einer Gruppe von zwölf DoktorandInnen von vier verschiedenen Wiener Universitäten durchgeführt. Zwei Jahre später, 2012/13, erfolgte ein weiterer Durchgang, diesmal mit 13 TeilnehmerInnen dreier Wiener Universitäten.

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zu artikulieren. In dieser Phase findet die disziplinäre Sozialisation gleichsam ihren Abschluss. Nur selten wird dieser Fachbereich im Lauf einer akademischen Karriere gewechselt. Durchschnittlich 86 Prozent der WissenschaftlerInnen an österreichischen Universitäten geben an, innerhalb jener Disziplin zu arbeiten, in der sie den höchsten akademischen Abschluss erworben haben (Ates/ Brechelmacher 2012).2 Dennoch erfordern ein chronischer Mangel an Universitätsstellen für Promovierte, der steigende Wettbewerb um externe Forschungsmittel und nicht zuletzt die Komplexität gesellschaftlicher Problemstellungen zunehmend projektförmige, fächerübergreifende Forschungskooperationen und die Zusammenarbeit mit PraktikerInnen außerhalb der Universitäten. Um als WissenschaftlerIn diesen Anforderungen gerecht zu werden, sind Fertigkeiten gefragt, die über das im disziplinären Studium erworbene Wissen hinausgehen. Junge WissenschaftlerInnen müssen Verständnis und Kompetenzen für inter- und transdisziplinäres Arbeiten entwickeln und sich mit den Zugängen anderer Wissenschaftsdisziplinen und jenen von PartnerInnen aus der Praxis auseinanderzusetzen. Im Sinne universitärer Allgemeinbildung sollen sie erstens befähigt werden, fachfremde Expertisen zu beurteilen und hinsichtlich ihres Beitrags zu gesellschaftlichen Entscheidungen einzuschätzen (Fischer 2000b). Zweitens sollen Reflexions- und Kommunikationskompetenzen vermittelt werden, die für fächerübergreifende wissenschaftliche Arbeit und Kooperationen mit PraktikerInnen unverzichtbar sind. Schließlich gilt es, über ein Kennenlernen fremder Wissenschaftskulturen die eigene disziplinäre Prägung zu erfahren und zu lernen, über die Grenzen des eigenen Faches hinweg zu kommunizieren. Je vielseitiger diese Formen inter- und transdisziplinärer Kommunikation zur Anwendung kommen, desto klarer muss das Bewusstsein für selbstund fremdzugeschriebene Rollen sein. In diesem Sinn stellen wir uns im Lauf des Lehrprogramms folgenden Fragen: In welchen Rollen treten WissenschaftlerInnen in inter- und transdisziplinären Projektumwelten auf? Welche Regeln sind dabei zu beachten? Welcher Diskussions- und Reflexionsräume bedarf es?

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Basierend auf Ergebnissen des CAP-Surveys zu »The Changing Academic Profession« im Jahr 2010 im Rahmen des von INCHER Kassel geleiteten ESF-Forschungsprojektes »The Academic Profession in Europe: responses to societal challenges (EUROAC)«. An diesem dreijährigen Projekt beteiligten sich acht europäische Universitäten. Der österreichische Forschungsbeitrag wurde vom Institut für Wissenschaftskommunikation und Hochschulforschung an der IFF erarbeitet und vom Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (FWF) finanziert.

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Rollenerwartungen und Rollenwechsel in interdisziplinären Lernsettings Das erste Semester des Lehrprogramms ist vor allem interdisziplinärer, das zweite transdisziplinärer Kommunikation gewidmet. Erfahrungsgemäß muss es zu Beginn des Programms eine erste Rollenklärung geben. Anforderungen der Lehrenden an die Studierenden werden offengelegt, ebenso wie umgekehrt die DoktorandInnen ihre Erwartungen an das Lehrendenteam artikulieren (Glaser/ Schmid 2006). Im Lauf des gemeinsamen Lernprozesses nehmen sowohl Studierende als auch Lehrende unterschiedliche akademische Rollen ein. Nicht in jeder Phase entsprechen diese den gegenseitigen Erwartungen. Im Verlauf des ersten Semesters gilt es, in geblockten Lehreinheiten mit den TeilnehmerInnen Verständnis für interdisziplinäres Arbeiten zu entwickeln und über die Auseinandersetzung mit anderen Wissenschaftskulturen die eigene neu zu verhandeln. Die Herausforderung für jede einzelne TeilnehmerIn des Lehrprogramms liegt darin, im Lauf des Semesters die eigene Doktorarbeit im Plenum vorzustellen. Die Präsentierenden treten als RepräsentantInnen und ExpertInnen der eigenen Disziplin auf, gleichsam in der Rolle von Scholars, die in ihren Forschungsfragen dem disziplinären Diskurs folgen. Nach jeder Präsentation sind die ZuhörerInnen aufgefordert, Kleingruppen, sogenannte »Interteams«, von jeweils drei bis vier Personen aus möglichst unterschiedlichen Disziplinen zu bilden. Ähnlich den oben beschriebenen Collaborators reflektieren nun die Interteams die präsentierten Dissertationen aus den im Team vertretenen disziplinären Blickwinkeln. Dabei orientieren sie sich an Fragen auf drei Ebenen: x

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Disziplinäre Reflexion: Mit welcher Art von Wissenschaft sind wir am Beispiel dieses Dissertationsprojektes konfrontiert? Welches Menschen-, Gesellschafts- und Naturbild liegt dieser Wissenschaft zugrunde? Welche Vorentscheidungen wurden mit der Wahl des Zugangs getroffen? Was kann eine Wissenschaft wie diese erreichen? Interdisziplinäre Reflexion: Wo sehen wir Differenzen und Widersprüche zu unseren Disziplinen? Wie würde meine Disziplin an dieses Thema herangehen? Was kann das präsentierte Forschungsvorhaben nicht sehen? Was hätte andererseits meine Disziplin nicht gesehen? Wo erkenne ich blinde Flecken meiner Disziplin? Transdisziplinäre Reflexion: Wie positioniert sich dieses Dissertationsvorhaben in gesellschaftlichen Debatten außerhalb der Wissenschaft? Wer ist von

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(den Ergebnissen) dieser Forschung betroffen? Welche Interessen und Interessengruppen stärkt diese Forschung? Zu welchen steht sie in Widerspruch? Als Ergebnis der Auseinandersetzung mit den Leitfragen sind die Interteams schließlich aufgefordert, den eigenen Diskussionsprozess zu reflektieren und im Plenum zu beschreiben. Es geht also nicht um eine kritische Diskussion der Dissertation aus einer fachspezifischen Perspektive, sondern um den eigenen interdisziplinären Lernprozess innerhalb der Interteams. Ähnlich der Rolle von Facilitators achten die Lehrenden darauf, dass dieser Reflexionsraum genutzt wird. Sie steuern und kommentieren den interdisziplinären Reflexionsprozess, nehmen gleichwertig am Diskussionsprozess teil, enthalten sich jedoch inhaltlicher Beurteilungen der vorgetragenen Dissertationen – wenngleich gerade an dieser Stelle die Erwartungen der TeilnehmerInnen an das Verhalten der Lehrenden anders liegen können. Denn aus disziplinär geprägten, universitären Lernsettings sind DoktorandInnen gewohnt, Lehrende in der Rolle von FachexpertInnen (als Scholars) zu sehen, die inhaltliches Feedback auf die präsentierte Forschungsleistung geben. Während und nach der Präsentation der eigenen Doktorarbeit vor dem Plenum Autonomie und Selbstbewusstsein des Scholars und der Expertin zu bewahren, ist daher Teil der Rollenerfahrung innerhalb des Lehrprogramms. Um dies zu ermöglichen, gilt es für die Lehrenden immer wieder zu betonen, dass die Gruppe in einem Lern- und nicht in einem Bewertungssetting agiert. Ausschließlich die PräsentatorInnen fungieren als ExpertInnen ihrer jeweiligen Disziplin. Ihre Dissertationsprojekte bieten der Gruppe die Möglichkeit, über disziplinäre Fachkulturen, Inter- und Transdisziplinarität zu lernen und letztendlich mehr über die eigene disziplinäre Prägung zu erfahren. Während zum Beispiel in manchen Disziplinen theorie- oder methodengeleitet an ein Thema herangegangen wird, nehmen andere die vorhandenen Quellen zum Ausgangspunkt ihrer Forschung. Diese spezifischen Herangehensweisen werden von Studierenden zunächst nicht unbedingt als Ausdruck unterschiedlicher disziplinärer Fachkulturen wahrgenommen. Sie sind versucht, die eigenen Vorstellungen von »sauberem wissenschaftlichem Arbeiten« auf andere Disziplinen zu übertragen (Glaser/Schmid 2006: 45f). Dabei kann es – entgegen des Lehrgangskonzepts – zu Abwertung, inhaltlicher Kritik oder einer Hierarchisierung der Disziplinen kommen. Übertragen auf die oben erwähnten akademischen Rollen, wechseln Collaborators in die Rolle von Scholars. Diese Art der Rollenverunsicherung muss von Seiten der Lehrgangsleitung immer wieder thematisiert werden. Im zweiten Semester entwickeln die TeilnehmerInnen eigenständige Projekte, in denen sie ihre Erkenntnisse aus der interdisziplinären Auseinanderset-

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zung im ersten Semester für eine außeruniversitäre Öffentlichkeit aufbereiten. Diese Phase der transdisziplinären Kommunikation wird gegen Ende des ersten Semesters eingeleitet, wenn die DoktorandInnen ermuntert werden, Lerneinheiten selbst zu gestalten, zu moderieren und Diskussionen zu leiten, in denen es um die Entwicklung der Abschlussprojekte geht. Die Erwartung von Seiten der Lehrenden zielt darauf ab, die TeilnehmerInnen immer weiter in die Eigenverantwortung zu entlassen, in die prozessgestaltende Rolle der Facilitators. In dieser Rolle als Facilitators fordern Studierende auch teilweise tiefergreifende Änderungen der von den Lehrenden vorgeschlagenen Lernsettings. Ein Schritt, der bisweilen durchaus nicht reibungsfrei vollzogen werden kann, geht er doch mit Rollenverunsicherungen sowohl auf Seiten der DissertantInnen als auch der Lehrenden vor sich. Um das gemeinsame Ziel, die Durchführung transdisziplinärer Projekte bis zum Ende des zweiten Semesters dennoch zu erreichen, bedarf es in dieser Situation eines angemessenen Verhältnisses zwischen Einheiten der Konfliktbearbeitung und der Projektweiterentwicklung und -fertigstellung. Als Ergebnis eines solchen Prozesses veranstalteten die TeilnehmerInnen des ersten Lehrganges im Januar 2011 die Tagung »Multiversität« als inter- und transdisziplinären Schritt in die Öffentlichkeit. In ihrer Auseinandersetzung mit den im Studium vermittelten, disziplinär orientierten, sozialen Identitäten entwickelten sie einen reflektierten Umgang mit der eigenen Rolle in inter- und transdisziplinären Forschungszusammenhängen. Fragen der Organisation und Finanzierung von universitärer Bildung wurden ebenso aufgegriffen wie die Rolle der neuen Doktorats- und PhD-Studien. In kreativen Arbeitssettings und über künstlerische Interventionen gelang es den jungen WissenschaftlerInnen, sich bereits zu Beginn ihrer akademischen Laufbahn in die öffentliche Bildungsdebatte einzubringen. Sie thematisierten das sich wandelnde universitäre System, das Stipendienwesen, die schwächer werdende Position der Studierenden und die unterschiedliche ökonomische Verwertbarkeit der Studienrichtungen. Damit bezogen sie in der Logik der oben definierten akademischen Rollen nun als Advocates einen kritischen Standpunkt, der mit den Machtverhältnissen innerhalb des akademischen Systems ins Gericht ging. Anhand der Anwendung der Typologie akademischer Rollen auf das Lehrprogramm Studium Integrale für DoktorandInnen wird deutlich, dass die Auseinandersetzung mit akademischen Rollen ein lohnenswertes Unterfangen ist, das in Lehr- und Forschungszusammenhängen in Zukunft noch stärker berücksichtigt werden sollte. Speziell im Stadium des Doktoratsstudiums, also unmittelbar vor dem Eintritt junger AkademikerInnen in die hochkompetitive Postdoc-Phase ihrer universitären Laufbahn, erscheint die bewusste Auseinandersetzung mit

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unterschiedlichen Rollen und Strategien einen realistischeren Blick auf zukünftige Arbeitsfelder zu ermöglichen.

Anfänge – Prozesse – Abschlüsse

Abschlüsse

10 Wissen schaffen Oder: vom Anspruch, gesellschaftlich wirksam zu sein BARBARA LESJAK, CHRISTIAN NEUGEBAUER, KLAUS WEGLEITNER

ARBEITSTEILUNG UND BETEILIGUNG Dass die Produktion bzw. Generierung von Wissen im Zentrum des wissenschaftlichen Tuns steht, scheint zunächst eine triviale Aussage zu sein. »Wissenschaft schafft Wissen; für sich, für und mit Gesellschaft.« Nicht trivial aber ist die Frage, wie das Wissen produziert wird und für wen. Die unterschiedlichen wissenschaftlichen Kulturen und Selbstverständnisse haben sich unter anderem entlang dieser Frage ausdifferenziert. Das Verhältnis von Wissenschaft und Gesellschaft, ihre wechselseitige Durchdringung sind einem permanenten Transformationsprozess unterworfen. In der Spätmoderne rückt die Wechselbeziehung zwischen komplexen, sozial ausdifferenzierten Gesellschaften und vielfältigen, parallel bestehenden spezialisierten Wissenschaftskulturen (oder: »Wissenschaffenskulturen«) in den Mittelpunkt. Die Wissenschaften haben auf die zunehmende Ausdifferenzierung der Gesellschaften reagiert, indem sie sich als Disziplinen organisierten, sich spezialisierten und ihre »Arbeitsteilung« verfestigten. Wissenschaften werden als Wissensproduzenten und die unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereiche entweder als Forschungsfelder oder als Anwendungskontexte begriffen. Wissenschaftliche Wissensbeständen konnten in den letzten 150 Jahren potenziert werden, die damit eingeleiteten Entwicklungen stellen in vielen Lebensbereichen eine große Erfolgsgeschichte dar. Dies hat auch mehrere Kehrseiten: Erstens stellen die Fragmentierung des Wissenschaftssystems und damit des Wissens gesellschaftsrelevante Forschung vor die Herausforderung, spezialisierte Wissensbestände zu integrieren. Zweitens lassen sich viele gesellschaftliche Problemfelder nicht mehr über die einseitige Umsetzung oder Anwendung von wissenschaftlich ge-

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neriertem Wissen bearbeiten. Es ist vielmehr ein Forschungszugang erforderlich, der die bestehenden Wechselbeziehungen von Wissenschaft und Gesellschaft als konstituierende Elemente von Wissensgenerierung mitbedenkt, mitsteuert und im Prozess organisiert, im Sinne einer Wissenschaft, die Wissen mit und für Gesellschaft schafft. Beteiligungsorientierte, transdisziplinäre Forschungs- und Entwicklungsprozesse stehen in besonderer Weise für diese Form der Wissenschaftskultur. Was sind die wichtigsten Dimensionen der Wissensgenerierung in transdisziplinären Forschungsprozessen?

CHARAKTERISTIKA UND ZIELE TRANSDISZIPLINÄRER WISSENSGENERIERUNG Transdisziplinäre Wissenschaft ist vom Anspruch getragen, den Forschungsprozess so zu gestalten, dass es gelingt, in gesellschaftliche Systeme zu intervenieren. Transdisziplinäre Forschung will Reflexion und Wissenstransfer anbieten und so die Eigenentwicklung der beteiligten sozialen Systeme und deren AkteurInnen anregen. Kontextbezogen soll lokal anschlussfähiges Wissen im Dialog mit den Stakeholdern/PraxispartnerInnen generiert werden (Willke 2011: 48ff.). Wissen wird über die Rückkopplung von Datenmaterial oder über Impulse von ExpertInnen eingebracht, um trotz erforderlicher Eigenentwicklung zu verhindern, dass das Rad immer neu erfunden werden muss. Im Austausch mit den Stakeholdern/lokalen Akteuren/PraxispartnerInnen soll anschlussfähiges Wissen erzeugt werden, um neue Handlungs- und Entscheidungsoptionen in den jeweiligen gesellschaftlichen Bereichen oder sozialen Systemen sichtbar zu machen. Auf Augenhöhe Aus diesen Ansprüchen folgt, dass die Forschungsagenda nicht aus einem wissenschaftlichen Fachduktus heraus generiert werden kann, sondern nur aus der jeweiligen gesellschaftlichen Praxis selbst. Dieser unmittelbare Praxisbezug hat für den Prozess der Wissensgenerierung weitreichende Konsequenzen. Die Wissenschaft und die involvierten gesellschaftlichen AkteurInnen müssen ihre Deutungen, was den anstehenden Forschungs- und Entwicklungsbedarf und die angestrebten (wissenschaftlichen) Ergebnisse betrifft, aufeinander beziehen. Dass dies auf gleicher Augenhöhe gelingen kann, ist eine zentrale Herausforderung

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und wichtige Voraussetzung für die Organisation partizipativer Wissensgenerierung. Transdisziplinäre Forschungsprozesse sind demnach durch einen fortwährenden Aushandlungsprozess (Sandner 1990; Evers 1998) zwischen den beteiligten PartnerInnen charakterisiert. Am Beginn steht ein identifiziertes gesellschaftliches Problem, welches von WissenschaftlerInnen und PraxispartnerInnen im Kontext eines Forschungsprozesses bearbeitet werden soll. Die Verständigung auf eine gemeinsame inhaltliche Zielsetzung, auf einen methodischen Zugang, also auf einen bestimmten Projektprozess, dient zunächst der Reduktion von Komplexität, um eine Fragestellung, ein Problem bearbeitbar zu machen. Im Forschungsprozess generiertes Wissen entfaltet jedoch erst dann seine praxisrelevante, gesellschaftliche Wirkung, wenn es gelingt, die Komplexität des jeweiligen Problems über die Gestaltung der Projektbeteiligung und über die Erhebungs- und Interventionsdesigns angemessen aufzunehmen. Systemtheoretisch betrachtet lässt sich »Komplexität [...] nur mit Komplexität beantworten« (Baecker 1999: 27f.), wenn die Selbstentwicklung der Akteure, der Organisationen und der sozialen Systeme durch transdisziplinäre Forschung mitintendiert ist. Erst aus der konkreten Problembearbeitung heraus wird deutlich, wer die – auf gesellschaftlich ganz unterschiedlichen Ebenen angesiedelten – beteiligten AkteurInnen sind. Über den gemeinsamen Projektprozess werden zunächst, zumindest idealtypisch, Hierarchien, bestehende Formationen, Eigeninteressen und bestehende Verantwortlichkeiten aufgelöst, um über das gemeinsame Projekt die dem jeweiligen Problem angemessenen Beteiligungen und Inhalte, beispielsweise in Form eines passenden Projektdesigns, abzubilden (als Beispiele: Grossmann/Prammer/Neugebauer 2011a, 2011b). Dieser Prozess ermöglicht die Herausarbeitung eines gemeinsamen Problemverständnisses – die Entwicklung einer gemeinsamen Problembearbeitungskultur. In der Ausarbeitung der Problembewältigungsstrategien gilt es wiederum zu klären, über welche der beteiligten Systeme, Zuständigkeiten und/oder Verantwortlichkeiten die Lösungen bearbeitet und implementiert werden sollen. Permanente Prozesse In Aushandlungsprozessen werden durch wechselseitigen Informationsaustausch Lernprozesse angestoßen, die die Beteiligten dazu anregen, ihre Interessen, Forschungsziele und Lösungspotentiale in einem gemeinsamen Kontext neu zu definieren (Evers 1998: 195). Dies fördert die Transparenz in Bezug auf unterschiedliche Vorstellungen, Herangehensweisen und disziplinäre Logiken der

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beteiligten PartnerInnen. Im besten Fall erwächst daraus ein gemeinsam getragenes Bild von den Zielsetzungen, vom Projektdesign, von den Entwicklungsschritten, von den Veränderungsmaßnahmen oder Verbreitungsstrategien. Die Anerkennung der Expertise der PraxispartnerInnen fördert den Wissenstransfer aus der Praxis in das Wissenschaftssystem und führt im Aushandlungsprozess zu einer Diversifizierung jener Orte, an denen Wissen geschaffen wird (werden kann). Das Schaffen von Wissen ist damit nicht mehr nur rein auf einen universitären Raum begrenzt, sondern eröffnet einen breiter gefassten Raum, der nunmehr sowohl die Perspektive der PraxispartnerInnen als auch weiterer gesellschaftlicher Akteure mit einschließt. Daraus ergeben sich für den transdisziplinären Forschungsprozess zwei zentrale Handlungsanleitungen: a. Auf die frühzeitige und angemessene Integration von PraktikerInnen, Betroffenen, StakeholderInnen etc. bereits in der Entwicklung der Forschungsfragen und im Projektdesign ist zu achten (vgl. Kap. 1). Die Beteiligung im Prozess der Wissensgenerierung sollte die Akteurskonstellationen des Problemzusammenhanges abbilden. Es ist von zentraler Bedeutung, die Perspektiven der Problembetroffenen zu integrieren. b. »Wissen schaffen« stellt nicht einen Forschungsprozessabschnitt am Ende eines Projektzyklus dar, sondern ist als ein fortlaufender Ausarbeitungs- und Lernprozess von Projektbeginn an zu verstehen, der selbst organisiert und gesteuert werden muss. Die Organisation von Wissensgenerierung stellt somit eine konstituierende Dimension des gesamten Projektprozesses dar und ist zu jedem Zeitpunkt auch Ergebnis desselben. Erhöhung von Problemlösungskompetenz Die Projektbeteiligten/PraxispartnerInnen aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Systemen sind die RepräsentantInnen der Gesellschaft, die an den Forschungsprozessen teilnehmen, sie bewerten und daraus die Konsequenzen ziehen. Die Organisation eines kollektiven Wissensgenerierungsprozesses zielt damit auch darauf ab, die Problemlösungskompetenz der PraxispartnerInnen/ Projektbeteiligten zu erhöhen. Sie sollen befähigt werden, für ihre spezifischen Problemlagen wirksame und nachhaltige Lösungswege zu finden, mit neuen Lösungsansätzen zu experimentieren und selbstorganisiert strukturelle und soziale Veränderungsprozesse zu gestalten. Transdisziplinäres Wissen kann zur Erhöhung der gesellschaftlichen Problemlösungskompetenz beitragen, sowohl auf Seiten der Wissenschaft wie auch

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auf Seiten der Praxis. Die Zielrichtung transdisziplinärer Forschung ist daher eine doppelte: Einerseits liegt der Fokus auf der wissenschaftlichen Wissensgenerierung als solcher, andererseits werden Veränderungen im konkreten beforschten sozialen Feld intendiert. Die Veränderung der Gesellschaft ist zugleich ein Gradmesser für die Wirksamkeit des Wissens, das in diesen Veränderungen zur Anwendung kommen soll; gesellschaftliche Veränderung schafft überhaupt erst die Legitimation von transdisziplinären Forschungsvorhaben. Wie bereits gesagt, werden die Bewertungskriterien für den Erfolg von transdisziplinärer Forschung gleichermaßen von WissenschaftlerInnen und PraxispartnerInnen festgelegt. Wissen ist demnach nicht nur ein abstraktes Konstrukt, sondern beschreibt auch die Qualität des Prozesses, der zum Wissen geführt hat; hinterher soll es sichtbare Verbesserungen, Hilfestellungen und Unterstützungsstrukturen geben. Das Wissen soll wirksam geworden sein. Unter Wirksamkeit wird hier eine beobachtbare und nachvollziehbare Verwirklichung des Wissens bei den Beteiligten, insbesondere bei den PraxispartnerInnen verstanden, oder anders gesagt: »Wissen ist also überall dort wirksam, wo wir individuell und kollektiv die Macht haben, Wirklichkeit, Vorhandenes nach unserem Willen und unseren Vorstellungen umzubauen. [...] Direkt wirksam ist jenes Wissen, das wir zur Wirklichkeit machen können.« (Heintel 1997: 54). Auch seitens der ForscherInnen gibt es Wirklichkeiten, die verändert bzw. erst geschaffen werden, auch hier soll die Überschreitung von Fachgrenzen, das Experimentieren mit neuen Methoden und Vorgangsweisen und die Entwicklung von maßgeschneiderten Interventionen zur Wissensgenerierung beitragen.

WISSEN SCHAFFEN BEDEUTET LERNEN ORGANISIEREN Es muss vorausgesetzt werden, dass in einem bestimmten Forschungsfeld PraktikerInnen und ForscherInnen gleichermaßen daran interessiert sind, ihre Organisation (oder andere soziale Formationen) besser zu verstehen, um einerseits besser handlungsfähig zu sein und andererseits bessere wissenschaftliche »Antworten« auf die Probleme in der Gesellschaft geben zu können (z.B. die Verbesserung der Betreuungsqualität in der stationären Altenhilfe; vgl. Einblick »Sorgekultur entwickeln«). Neben einem partizipativen Umgang mit den PraxispartnerInnen folgt daraus für die Wissenschaft, dass die Methoden der Wissensgenerierung dem jeweiligen Forschungsfeld anzupassen sind.

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Aktives Lernen In manchen Punkten stützt sich die transdisziplinäre Forschung auf die Forschungsmethoden der Aktionsforschung (Reason/Bradbury 2008), die in ihrer Paradigmatik kooperativ und partizipativ, selbstkritisch und selbstreflektiert sowie prozessorientiert angelegt ist (McNiff 2000). Forschungsprozesse schaffen zugleich hybride soziale Räume. Die Annahme dieser Gleichzeitigkeit rückt soziale Prozesse und deren Interdependenz mit dem Prozess der Wissensgenerierung in den Vordergrund. Der methodischen Gestaltung dieser Prozesse kommt eine zentrale Bedeutung zu. Diesem methodischen Aspekt widmen sich auch die aus der Aktionsforschung hervorgegangene Organisationsentwicklung und Prozessberatung (Schein 1988). Beide Ansätze gehen davon aus, dass Individuen und Organisationen erst entsprechende Voraussetzungen schaffen müssen, damit das »Wissen in Aktion« (Argyris 1997) kommt. Lernen betont in diesem Zusammenhang den Aspekt der sozialen Veränderung (und nicht so sehr den Aspekt der Wissensakkumulation). Das erfordert ganz spezifische Lernsettings für die beteiligten AkteurInnen. Innerhalb dieser Lernsettings verschwimmen mitunter die Grenzen zwischen Forschen und Lernen – beides bedingt einander. Spezielle Lernformen sind hier gefordert – Lernformen, die einerseits eine Verbindung von Wissen und Praxis schaffen, wie etwa »Action Learning« (Joyce 2012) oder »Organizational Learning« (Argyris 1999), und andererseits die »Organisationskompetenz« (Grossmann/Heintel 2000) der partizipierenden PraxispartnerInnen erhöhen. Problem der Prozesshaftigkeit Für die Seite der Wissenschaft ist der hohe Grad der Prozesshaftigkeit des Wissens schwer handhabbar. Umso mehr ist es von Bedeutung, dass der Interventionscharakter und die Veränderungsansprüche der Wissenschaft (besonders der Human- und Sozialwissenschaften) deutlich ausgewiesen werden (Lesjak 2009). Interventionen in die Praxis bringen eine hohe Involviertheit der ForscherInnen mit sich, sie bringen sich in Beziehung mit dem beforschten Kontext und nutzen günstigenfalls diese Nähe als Informationsquelle. Hier ist die kompetente Anwendung von Methoden und Werkzeugen oft eine sehr situative Frage. Zugleich resultiert gerade aus der Prozesshaftigkeit eine besondere Qualität des Wissens, weil es einzigartig, nicht vergleichbar und nur beschränkt transferierbar in andere Anwendungsfelder ist. Die »Verwissenschaftlichung« der Praxis ist jedenfalls eine lohnenswerte Herausforderung, weil sie zu alternativen und neuen Arten von Wissensproduktionen anregt, aber auch die Steuerung sozialer Prozesse er-

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fordert. »Transdisziplinäre Forschung zielt in ihrem Kern auf die Legitimation und Etablierung von neuen Wissensformen, und zwar solchen, die durch soziale Prozesse zustande kommen.« (Heintel 2009: 158.) Die Steuerungs- und Interventionskompetenz im Zusammenhang mit sozialen Prozessen kann als eigene Art von Wissen, als »Prozess- oder Transferwissen« (ebd.: 160) bezeichnet werden. Es hilft, dazu beizutragen, dass Forschung insgesamt ein »robustes Wissen« (ebd.: 160; auch: Nowotny et al. 2008) hervorbringt. Robustes Wissen: erweitertes Handlungswissen und Modellwissen Die Robustheit des Wissens hängt wesentlich von seiner Anschlussfähigkeit in den Praxisfeldern ab und wird insbesondere durch die angemessene Partizipation der PraxispartnerInnen, Betroffenen usw. sichergestellt (Wegleitner 2008). Nachhaltig wirksam ist robustes Wissen, weil es als Resultat eines sozialen Prozesses verstanden und akzeptiert wird, kritisch geprüft und in echten Problemlagen (mehr oder weniger) erfolgreich angewendet wurde. Anders betrachtet ist robustes Wissen das Ergebnis von unterschiedlichen Lernprozessen – von Lernprozessen in bzw. für die Praxis selbst und von Lernprozessen im Kontext der Wissenschaft. Im günstigen Fall sollten sowohl PraxispartnerInnen wie auch WissenschaftlerInnen von diesen Lernprozessen profitieren. Hier können zwei unterschiedliche Arten von Wissen unterschieden werden: ein »erweitertes Handlungswissen« in der Praxis und ein »modellbildendes Wissen (im Unterschied zum theoretischen Wissen in den klassischen wissenschaftlichen Disziplinen)« (Heintel 2009: 160). Das erweiterte Handlungswissen entsteht im Zuge der sozialen Prozesse, genauer gesagt im Rahmen der Beziehung zwischen ForscherInnen und PraktikerInnen. Wissen hat hier vor allem eine kommunikative und soziale Funktion. Die PraxispartnerInnen werden in eine aktive, mitgestaltende Rolle versetzt: Sie und ihr Verhalten werden als forschungsrelevante Datenquellen gesehen, ohne die man nicht auskommt. Ihre Partizipation im gesamten Forschungsprozess sollte möglichst umfassend sein. Im Unterschied zum erweiterten Handlungswissen hat die Wissensgenerierung im Kontext der Wissenschaft eine modellbildende Funktion: »Modellbildendes Wissen« unterstützt die wissenschaftlichen Analysefähigkeiten und realitätsnahen Beschreibungen von gesellschaftlichen Phänomenen in Subsystemen. Es dient der wissenschaftlichen Erkenntnisgewinnung im Sinne von Theoriebildung wie auch Methodenentwicklung. »Modellbildendes Wissen zielt darauf ab, implizites Wissen der AkteurInnen – wie Prozesse und Transfers gestaltet werden können – auf eine explizite und nachvollziehbare Ebene zu bringen und für

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zukünftige Szenarien verfügbar zu machen.« (Ebd.: 161). Die Rolle der WissenschaftlerInnen liegt hier auch in der Steuerung und Moderation dieser Szenarien, wobei deren Qualität die Qualität des entwickelten Wissens maßgeblich mitbedingt. Hier ist soziale und interkulturelle Kompetenz gefragt, letztere vor allem deshalb, weil es darum geht, unterschiedliche Disziplinen, Arbeitsmethoden und Vorgangsweisen zu organisieren, genauer gesagt: miteinander zu vermitteln (vgl. Kap. 4). Eine wichtige Qualität von transdisziplinären Forschungsprozessen ist demnach die Organisation einer gelingenden Kommunikation zwischen ForscherInnen und PraktikerInnen. Erst unter dieser Voraussetzung kann ein gemeinsamer Prozess der Wissensproduktion auf Augenhöhe erfolgen.

ERGEBNISSICHERUNG, WISSENSTRANSFER UND WIRKSAMKEIT In diesem Sinne stellt der Prozess selbst ein zentrales Ergebnis transdisziplinärer Forschung dar. Die durch unterschiedliche Erhebungs-, Analyse- und Lernformen reflexiv initiierte Selbstentwicklung basiert auf dieser Prozessqualität. Trotzdem geht es immer auch um die Frage: »Welche inhaltlichen Ergebnisse können nun als Projektergebnisse gemeinsam festgehalten und nach außen kommuniziert werden?« Eine Ergebnisfestlegung in transdisziplinären Forschungsprojekten wird aufgrund der Beteiligung von PartnerInnen aus gänzlich unterschiedlichen gesellschaftlichen Kontexten und insbesondere aufgrund der entsprechenden unterschiedlichen sozialen Referenzsysteme immer schwierig sein (Neugebauer 2012). Umso mehr ist die fortwährende Thematisierung dieser Frage sowie die frühzeitige inhaltliche und konsensuale Abstimmung über »die« Projektergebnisse erforderlich. Konkrete Wirksamkeit In transdisziplinären Projekten sollte daher die Organisation »der konkreten Wirksamkeit« der (sozialen) Vermittlungsprozesse nicht erst am Ende eines Projektzyklus (Abschluss eines Forschungsprozesses) beachtet werden. Ein Vermittlungsprozess in zwei unterschiedliche Referenzsysteme, jene der Scientific Community und jene des Praxisfeldes, macht einen höheren Ressourcen- bzw. Kommunikationsaufwand notwendig. Inwieweit das Wissen konkret wirksam werden kann, hängt maßgeblich von der Frage ab, ob und wie es gelingt, Vermittlungsprozesse in unterschiedliche gesellschaftliche Referenzsysteme zu organisieren. Einerseits gilt es einen passenden organisationalen Rahmen für die notwendigen Aushandlungs- und Lern-

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prozesse zu schaffen, diese zu steuern und zu strukturieren, und andererseits ist die Erzeugung konkreter Wirksamkeit des geschaffenen Wissens in der Gesellschaft durch passende Übersetzungsmaßnahmen zu organisieren. Konkrete Wirksamkeit ist mit Blick auf das Wissenschaftssystem durch die Vermittlung von Wissen auf klassische Weise, wie beispielsweise Publikationen, Tagungs- und Konferenzbeiträge etc. noch relativ einfach zu organisieren, wenngleich auch hier das Wissen eher in interaktiven kollegialen Settings seine Wirksamkeit entfaltet. Geht es jedoch auch darum, in transdisziplinären Forschungsprozessen generiertes Wissen in die Gesellschaft hinein zu vermitteln (neben der Wirksamkeit des sozial intervenierenden Forschungsprozesses an sich) und damit Wirksamkeit zu erzielen, dann sind komplementäre Vermittlungs- und Kommunikationsformen erforderlich. Neben Publikationen, die sich in ihrem Sprachduktus nicht nur einem wissenschaftlichen Fachpublikum erschließen, sondern allgemein verständlich Wissen aufbereiten, erlangen hier soziale Vermittlungsprozesse eine besondere Bedeutung. So sind etwa spezifische Rückkopplungs- und Transferevents zu organisieren, wie beispielsweise runde Tische, Tagungen oder Veranstaltungen mit den betroffenen Zielgruppe oder AnwenderInnen. In diesem Kontext kommt auch der universitären Weiterbildung eine besondere Bedeutung zu. Die intelligente Verknüpfung von Forschung und Weiterbildung ist ein konstituierendes Element eines solchen Wissenstransfers in die Gesellschaft. Es charakterisiert auch ein spezifisches Bildungsverständnis. Die Lehr- und Lernphilosophie solcher Weiterbildungslehrgänge bezieht sich vor allem auf die Anleitung zu einer theoretisch und praktisch relevanten Reflexion von Praxis. Dadurch stimuliert das eingebrachte Wissen von (transdisziplinärer) Forschung die Lehrgänge und regt wiederum weitere transdisziplinäre Forschung an. Über diese Form der Weiterbildungsforschung und die Verankerung der, meist in etablierten oder leitenden beruflichen Rollen befindlichen, LehrgangsstudentInnen in Bereichen der Organisation von Public Goods, wird Wissen unmittelbar in die Praxis übersetzt und dadurch direkt in die Gesellschaft »getragen«.

RESÜMEE UND AUSBLICK In der transdisziplinären Forschung geht es um die prozesshafte Generierung von Wissen und um die Organisation von Interventions- und Entwicklungsprozessen, welche die gesellschaftliche Aushandlung von und den kollektiven Umgang mit gesellschaftlichen Problemlagen, ihren Ambivalenzen, Unsicherheiten usw. in-

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kludieren. Es geht um die prozessorientierte Schaffung von Wissen, es geht um die Erhöhung von Problemlösungskompetenzen und die Erweiterung von Entscheidungs- und Handlungsspielräumen. Letztlich geht es also darum, für die Beteiligten Orientierung zu schaffen, gleichzeitig aber nicht Unsicherheiten und Ambivalenzen einzuebnen, sondern angemessene individuelle und kollektive Umgänge der Problembearbeitung zu fördern. Damit der Wissensproduktionsprozess als horizontaler Wissens-, Lern- und Austauschprozess zwischen den Projektpartnern (Wissenschaft, PraxispartnerInnen, Betroffenen) gelingen kann, braucht es einen Rahmen, auf den sich alle Beteiligten einlassen können, in dem Vertrauen entstehen kann und Interessen gleichrangig vorgetragen werden können. Transdisziplinäre Forschungsprozesse stellen einen solchen Rahmen dar. Die Akteure des Wissenschaftssystems moderieren diesen Prozess, werten aus und entwickeln gemeinsam und auf Augenhöhe mit den PraxispartnerInnen robustes, praxis- und alltagsrelevantes Wissen. Die Wirksamkeit des Wissens wird nachhaltig gesichert, indem eine adäquate Beteiligung von Betroffenen und Stakeholdern im Forschungsprozess hergestellt wird. Zunehmend zeigt sich, dass transdisziplinäre Forschungsprozesse und damit das generierte Wissen insbesondere auf organisationaler Ebene große Wirksamkeit entfalten (vgl. Einblick »Nahtstellenmanagement«). Fragen der nachhaltigen Entwicklung im Umweltbereich, der Organisationsreform öffentlicher Leistungen oder der Entwicklung einer palliativen Versorgungskultur am Lebensende sind jedoch auf gesellschafts-, umwelt- und sozialpolitischer Ebene zu verhandeln. Sie sind in Räumen der Wechselwirkung zwischen Politik, Stakeholdern des jeweiligen gesellschaftlichen Problembereiches, den Betroffenen und der Zivilgesellschaft verortet. Es gelingt dann, transdisziplinäres Wissen zu schaffen, wenn der Prozess in einen gesellschaftspolitischen Rahmen eingebettet ist, der dazu geeignet ist, das jeweilige gesellschaftliche Problem zu bearbeiten. Im transdisziplinären Forschungskontext kommt daher der Frage nach der passenden Organisationsfigur (Mayntz/Scharpf 1995; Scharpf 2000; Mayntz 2010) eine zentrale Bedeutung zu. Unter Organisationsfigur verstehen wir eine Koordinationsform der systemübergreifenden Zusammenarbeit gänzlich unterschiedlicher AkteurInnen (Neugebauer 2012). Interessantes Gestaltungsvermögen entsteht dabei durch die Fokussierung auf die »Möglichkeiten der kollektiven [...] Regelung öffentlicher (gemeinsamer, gesellschaftlicher) Sachverhalte« (Mayntz 2009: 13). Damit wäre auch ein spezifischer, »handlungsermöglichender« Raum eröffnet, in dem gesellschaftliche Akteure aus gänzlich unterschiedlichen Systemen kommunizieren und miteinander in vertikale und horizontale Beziehungen treten und Wissen schaffen können.

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Der transdisziplinäre Prozess der Wissensproduktion als ein solcherart gestalteter Raum fördert die beschriebenen gesellschaftlichen Aushandlungs-, Lern- und Entwicklungsprozesse. Die Initiierung und Ermöglichung solcher Räume und Foren, in denen Wissen geschaffen wird, sollte demnach auch von der Politik offensiv betrieben und im besten Fall als eine Form des »(Network) Governance« organisiert werden (Warner/Gould 2009: 147). Transdisziplinäres Schaffen von Wissen im Rahmen einer solcherart gestalteten Governance fördert zivilgesellschaftliche Partizipation und Demokratisierung. Ein solcher Prozess stellt einen wichtigen Baustein dar, der die initiierten Austausch- und Wissensgenerierungsprozesse und deren Ergebnisse in die unterschiedlichen gesellschaftlichen Referenzsysteme übersetzen hilft und damit praxisrelevante Wirkung entfaltet (Wegleitner 2012).

11 Emotionen und Qualitäten in der transdisziplinären Forschung ELISABETH REITINGER, MARTINA UKOWITZ

Am Ende eines Projektes steht oft die Frage: »Und, was haben wir nun erreicht?« Im Rückblick auf den Projektverlauf fragen sich PraxisvertreterInnen und ForscherInnen, wie es war, wie gut das Projekt gelungen ist, was von dem Projekt bleibt. Es geht um die Bewertung des Projektverlaufs und der Ergebnisse, also um die Frage nach der Qualität der geleisteten Forschungsarbeit. Inter- und transdisziplinäre Forschung ist nicht nur ein intellektuell-kognitiver, sondern ein sozial-kommunikativer Prozess, der die beteiligten Menschen in ihrer Ganzheit (mit ihrem Wissen, ihren Erfahrungen, ihrer individuellen und organisationalen Geschichte, ihren Interessen, Anliegen und Erwartungen) erfasst. Der Dimension des Erlebens wird Bedeutung gegeben. Damit rückt der besondere Stellenwert von Emotionen in den Blick.

QUALITÄT UND QUALITÄTSDISKURS Die Frage danach, worin Qualität in transdisziplinären Projekten besteht, erfordert zunächst eine Verortung in bestehenden Diskursen. Qualitätsdiskurse an Universitäten, in Ministerien und in der Forschungsförderung Im Kontext der aktuellen Qualitätsdiskussionen an Universitäten, in Ministerien und Forschungsförderungsinstitutionen stehen Bewertungen von Ergebnissen im Vordergrund. In der Bewertung von Projekten ex post, also nach Projektabschluss, sind das Renommee der Förder- oder AuftraggeberInnen, die Höhe an

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lukrierten Drittmittel sowie die Publikationen, die in möglichst angesehenen wissenschaftlichen Zeitschriften erscheinen, wesentliche Kriterien für den Erfolg und für die gute Qualität der Forschungsarbeit und ein Zeichen für die Kompetenz der ForscherInnen. Worin die allgemeinen Leitlinien von Qualitätsbewertungen in diesem Verständnis liegen, veranschaulicht beispielsweise die Auseinandersetzung mit der Qualität von Forschung an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt (Wall 2011: 8). In diesen Leitlinien wird der internationalen Sichtbarkeit von wissenschaftlicher Arbeit in den jeweiligen Scientific Communitys und kompetitiv erbrachten Leistungen eine höhere Relevanz eingeräumt als regionaler Wirksamkeit und nicht kompetitiv erbrachten Leistungen. Darüber hinaus werden Qualitätsklassen von Leistungen vorgesehen. »Qualität der Forschung« wird hier also als »Leistungsqualität« gedeutet, die oft an einzelne ForscherInnen-Persönlichkeiten gekoppelt ist. In weiter fortgeschrittenen Forschungskarrieren wird daher auch die Resonanz innerhalb der (internationalen) Scientific Community und der (internationalen) Öffentlichkeit, die sich etwa durch die Vergabe von Preisen und Auszeichnungen und durch die Mitarbeit in Gremien äußert, zu einem wichtigen Indiz für die Qualität der Forschung oder – noch höher gegriffen – für Exzellenz. Einen guten »scientific track record« vorweisen zu können ist Ziel und zugleich Voraussetzung für Karrieren in der Wissenschaft und Indiz für qualitativ hochwertige Forschung. Die sozialen Prozesse, die gerade für transdisziplinäres Forschen die zentrale Grundlage des wissenschaftlichen Arbeitens sind, geraten somit aus dem Blickfeld. Aufgrund ihrer zumeist teamförmigen Ausgestaltung befinden sich transdisziplinäre ForscherInnen im »Widerspruch zwischen Teamorientierung in Projekten und dem Faktum, dass in der Wissenschaft hauptsächlich Einzelpersonen Gratifikationen für ihre Leistungen zukommt« (Hellmer 2009: 197). Auch die sozialen Zuschreibungsprozesse, aufgrund derer bestimmte Personen als erfolgreich wahrgenommen werden, werden in diesem Qualitätsverständnis ausgeblendet. Besonders deutlich wird dies bei den aktuellen Exzellenzdebatten. Brigitte Mühlenbruch schreibt aus geschlechterkritischer Sicht dazu: »Wissenschaftliche Leistungen entstehen in sozialen Prozessen, zu denen auch Zuschreibungen, Anerkennung und Akzeptanz von Leistung gehören. Diese haben eine soziale Dimension und sind als solche nicht frei von sogenannten Machtstrukturen. Die Zuschreibung von Anerkennung ist eine kulturelle Angelegenheit, eine Angelegenheit europäischer Kultur, eine Angelegenheit nationaler Kultur und auch der Kultur unserer wissenschaftlichen Disziplinen. Nun ist die Kultur in den meisten Disziplinen noch immer eine männliche Kultur« (Mühlenbruch 2012: 59).

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Die Fokussierung auf Personen in Bezug auf Qualität in der Forschung als Exzellenz führt also sowohl zu einer Reduktion der Wahrnehmung der sozialen Komplexität als auch zu einer Geschlechterblindheit, wie dies auch von Edeltraud Hanappi-Egger (2012) diagnostiziert wird. Zugleich geben diese Diskurse an Universitäten, in den Ministerien und in Forschungsförderungsinstitutionen und die daraus abgeleiteten Normen bereits eine sehr bestimmte Antwort auf die Frage, was Qualität in der Forschung zu sein hat. Es fällt dabei auf, dass in der Bewertung der Qualität von Forschungsleistungen die Dimension der Ergebnisqualität im Vordergrund steht, vergleichsweise weniger auf die Prozessdimension (wie gestaltet sich Forschung methodisch und prozessual) eingegangen wird und noch weniger die der Forschungsarbeit zugrunde liegenden Vorentscheidungen thematisiert und sichtbar gemacht werden (Ukowitz 2012b). Im Gegensatz zu den aktuell dominanten Qualitätsverfahren haben sich im Rahmen der heutigen Fakultät für Interdisziplinäre Forschung und Fortbildung an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt schon Anfang der 1990er Jahre Qualitätsprozesse entwickelt, die in Form von Evaluationen von Programmbereichen zu »selbstorganisierten Rückmeldungen« institutionalisiert wurden. Ziel dieser Evaluationen ist zum einen, die in einem Programmbereich geleistete Arbeit auf einer Fakultätsklausur allen Mitarbeitenden öffentlich vorzustellen. Zum anderen geben externe WissenschafterInnen sowie die Fakultätscommunity gezielte Rückmeldungen. Grundlegende Zielsetzung ist damit ein Lernen auf Basis reflektierten und wertschätzenden Austauschs miteinander (Hellmer 2009: 171). Unterschiede im Verständnis von Qualität lassen sich also vor allem in Hinblick auf ihre Zielsetzungen unterscheiden: Externe Bewertung von Ergebnissen steht dem Lernen aus Reflexions- und Rückmeldungsprozessen gegenüber. Qualitätsdiskurse transdisziplinärer Forschung Eine zweite Blickrichtung auf Qualität kann aus der transdisziplinären Forschung selbst generiert werden. Sie wirft die Frage auf, worin Qualität transdisziplinärer Forschung liegt, wenn die zugrundeliegenden Vorannahmen ernst genommen werden, die sich auch als wissenschaftstheoretische Grundrahmen beschreiben lassen (z.B. Nowotny 1999; Bammé 2004). Die Prämissen und Intentionen transdisziplinärer Forschung, die darauf beruhenden Arbeitsweisen und der daraus resultierende Qualitätsbegriff weisen Besonderheiten auf. In dem regen internationalen Diskurs zu dieser Frage werden die Ausrichtung der Forschungsarbeit auf lebensweltliche Fragestellungen, die Notwendigkeit der Integration unterschiedlicher disziplinärer, aber auch außerwissenschaftlicher Wis-

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sensbestände sowie das Anliegen der Praxiswirksamkeit als Gründe angeführt, die ein bestimmtes Verständnis von Qualität erfordern (Grunwald 2003; Bergmann et al. 2005; Lyall et al. 2011). Die zugrundeliegende wissenschaftstheoretische Position der Pluralität von Wirklichkeiten im Gegensatz zum Glauben an eine objektive Wahrheit findet ihren Niederschlag in der Organisation von sozialen Settings, in denen unterschiedliche Perspektiven zur Sprache kommen können. Transdisziplinäre Forschung wird in sehr unterschiedlicher Art und Weise praktiziert (Ukowitz 2012a). Das Ausmaß der Ausrichtung auf die PraxispartnerInnen, das Ausmaß an Prozessorientierung sowie die Anzahl und die Größe der beteiligten AkteurInnengruppen sind häufig vorzufindende Unterschiede. Wenn hier von transdisziplinärer Forschung die Rede ist, ist damit projektförmig organisierte Forschung gemeint, die im Auftrag von Unternehmen, Non-ProfitOrganisationen oder Einrichtungen der öffentlichen Verwaltung zustande kommt oder aber in Kooperation mit VertreterInnen aus den genannten Einrichtungen als Antragsforschung konzipiert ist. Es sind Projekte, in denen partizipative Prozesse eine große Rolle spielen, und es sind Forschungssysteme in überschaubarer Größe, die direkte Kommunikation zwischen den Beteiligten zu ermöglichen. Konsequenzen für den Qualitätsbegriff ergeben sich besonders aus der Orientierung transdisziplinärer Forschungsarbeit an Anliegen außerwissenschaftlicher AkteurInnengruppen. Deren Themenstellungen überschreiten zumeist Disziplinengrenzen, ihre Erwartungen an Forschungsergebnisse decken sich nur zum Teil mit den Erwartungen der Scientific Community. Sie bilden einen zweiten Bezugspunkt neben dem Wissenschaftssystem. PraxisvertreterInnen erwarten sich für ihre Praxis relevantes Wissen (das nicht notwendigerweise im wissenschaftlichen Sinn innovativ sein muss), Nachvollziehbarkeit und Verständlichkeit von Ergebnissen sowie Umsetzungsorientierung. Wirksamkeit in der Praxis im Sinne einer reflexiven Nutzung von Forschung anzustreben wird zu einem Kriterium für Qualität. Daraus ergeben sich andere Vorstellungen von erfolgreichen und qualitätsvollen Projekten als jene der Scientific Community. Qualität und Gütekriterien sozialwissenschaftlicher empirischer Forschung Eine dritte Blickrichtung in der Beschäftigung mit Qualität in transdisziplinären Forschungsprojekten kann ausgehend von Gütekriterien sozialwissenschaftlicher empirischer Forschung eingenommen werden.

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Eine lange Diskurstradition sowohl in quantitativer und mittlerweile auch qualitativer empirischer Sozialforschung geht der Frage nach, wie sich die Qualität von empirischen Erhebungen beurteilen lässt. In der quantitativen Forschung sind lange schon die Gütekriterien Objektivität, Reliabilität und Validität im Zentrum der Qualitätsbeurteilung. Diese Bewertung von Messverfahren kommt aus der psychologischen Testtheorie, wobei Objektivität meint, dass unterschiedliche ForscherInnen zu denselben Ergebnissen kommen sollen; Reliabilität, dass die Messungen zu unterschiedlichen Zeitpunkten bei demselben Objekt zu denselben Ergebnissen führen sollen, und Validität sicherstellt, dass das gemessen wird, was auch gemessen werden soll. Im Rahmen der qualitativen Forschung gibt es einerseits Versuche, die Kriterien der quantitativen Forschung »anzupassen«, andererseits, völlig neue zu entwickeln oder Gütekriterien gänzlich abzulehnen. Ines Steinke (2000: 323ff.) erarbeitete Kernkriterien qualitativer Forschung, die sie anhand von Dimensionen und Fragestellungen erläutert. An erster Stelle steht »intersubjektive Nachvollziehbarkeit«, das heißt die Möglichkeit, dass Forschungsprozesse und die Wege, wie Erkenntnisse generiert werden, transparent gemacht werden. Unter »Indikation« wird die Angemessenheit der Methodenwahl verstanden, »empirische Verankerung« meint die konkrete Verbindung von Theorie und Empirie. »Limitation« möchte auf die Grenzen und den Kontext der jeweiligen Forschungssituation aufmerksam machen. Unter »reflektierter Subjektivität« wird all jenes Nachdenken – alleine oder im Team – beschrieben, in dem die eigenen »Brillen« und Perspektiven hinterfragt werden, wie z.B. Herkunft oder persönliche Beziehungen des Forschers/der Forscherin zum Thema. »Kohärenz« und »Relevanz« schließlich beschreiben den Umgang mit Widersprüchen und mit der Schlüssigkeit einer Theorie sowie die Bedeutung einer Forschungsfrage. In der Aktionsforschung, die sich explizit nicht an den Gütekriterien quantitativer Forschung orientiert, werden »Glaubwürdigkeit«, »Nachvollziehbarkeit« und »Vertrauenswürdigkeit« als relevante Qualitätskriterien diskutiert (Heimerl 2012: 117). Katherine Froggatt (2013: 149ff.) stellt den Diskurs rund um Qualität in der Aktionsforschung anhand eines Überblicks von Williamson et al. (2012) in Verbindung mit Arbeiten von Guba und Lincoln (1994), Nolan et al. (2003) und Reason (2007) dar. Die Fragen, wie Partizipation gestaltet wird, ob Kriterien der Teilnahme explizit gemacht werden und ein gerechter Zugang der unterschiedlichen Teilnehmenden ermöglicht wird, sind darin bedeutsam. Ebenso spielen die Fragen, welches Wissen im Rahmen der Forschung genutzt, aber auch, welches neue Wissen produziert wird, eine wichtige Rolle. Fragen danach, welche Veränderungen im Rahmen der Forschung erreicht werden, Fragen nach der konkreten praktischen Bedeutung dieser Veränderungen auch über den Kon-

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text des einen Forschungsprojektes hinweg erhalten einen Stellenwert. Als Grundhaltung, die in unterschiedlichen Dimensionen (self, others, change) erläutert wird, erhält Authentizität der Forschenden Aufmerksamkeit. All dies hat für die Frage der Qualität von transdisziplinärer Forschung große Bedeutung. Interessant ist, dass die Diskussionen über die »Qualität in der Forschung« innerhalb jeder dieser drei Blickrichtungen sehr ausdifferenziert und elaboriert sind, die Bedeutung der Querverbindungen oder Bezüge untereinander bislang allerdings wenig erfolgt sind.

EMOTIONEN IM TRANSDISZIPLINÄREN FORSCHEN UND IHRE BEDEUTUNG FÜR QUALITÄT Emotionen haben eine zentrale Bedeutung sowohl in den Inhalten als auch in den sozialen Prozessen transdisziplinärer Projekte. Beide Dimensionen zu berücksichtigen ist bei Bewertungsentscheidungen über die Qualität von transdisziplinärer Forschung unabdingbar. Wie können Gefühle als Inhalte ernst genommen werden? Eine Antwort auf die Anforderungen außerwissenschaftlicher Stakeholder sind partizipativ gestaltete Forschungsprozesse, die eine Integration von wissenschaftlichen und lebensweltlichen Perspektiven auf ein Thema ermöglichen und entscheidungs- und handlungsorientiert angelegt sind. Mit der partizipativen Gestaltung des Forschungsprozesses als sozial-kommunikativer Akt ist auch eine Änderung in der Blickrichtung auf das Entstehen von Wissen verbunden. ForscherInnen an Universitäten oder anderen Forschungseinrichtungen sind in diesem Verständnis nicht die ExpertInnen, die versuchen, bereits vorhandenes Wissen in die Praxis zu übersetzen, vielmehr erfolgt über das Öffnen von Kommunikationsräumen ein Lernen voneinander, in dem Wissen koproduziert wird. Dem entspricht ein Verständnis von Wissen als relationales Konzept. »…the research process can be conceptualised as a space in which knowledge is circulated and exchanged, and in which a new order – in terms of insights, new or different understandings or even discovery – emerges« (Nolas 2003: 1). Diese Form von Wissensgenerierung beinhaltet auch einen Austausch auf der Gefühlsebene, der einerseits Grundlage für vertrauensvolle Beziehungen ist, andererseits aber auch Ausdruck und Hinweis auf bestimmte inhaltliche Themen sein kann, die zu beachten sind.

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Entscheidet man sich dafür, der Dimension der Emotionalität in der Forschung Aufmerksamkeit zu schenken, bringt dies allerlei Unwegsamkeiten mit sich. Emotionen sind oftmals schwer fassbar. Den eigenen Emotionen und den Gefühlen und Stimmungslagen im Forschungsteam auf die Spur zu kommen, ist manchmal schwierig genug. Die Gefühle der PraxispartnerInnen in den Blick zu nehmen, ist noch weit schwieriger, denn sie lassen sich oft nur aus Nebenbemerkungen und körpersprachlichen Reaktionen erschließen, seltener werden sie offen geäußert. Zudem sind meist mehrere Gefühle zugleich »am Werk«, und je nach Kontext, Situation und Person sind diese auch unterschiedlich intensiv wirksam. Bei den PraxisvertreterInnen sind emotionale Reaktionen dem Forschungsteam, dem verhandelten Thema und den anderen beteiligten AkteurInnengruppen gegenüber zu beobachten. Die Emotionen, die das Forschungsteam oder, allgemeiner gesagt, die Forschung auslöst, hängen davon ab, ob die Beteiligten einander sympathisch finden oder nicht, sie sind aber auch durch Vorerfahrungen mit der Wissenschaft oder durch Vorurteile der Wissenschaft gegenüber geprägt. Die Emotionen, die mit dem Forschungsthema zu tun haben, unterscheiden sich je nach Bedeutung der Fragestellungen, je nach persönlicher Involviertheit und je nach Leidensdruck. Wie unmittelbar Emotionen wahrgenommen und formuliert werden und wie explizit das Thema Emotionalität vorkommt, hat auch mit dem Kontext zu tun, in dem die Forschung angesiedelt ist. In Arbeiten in Kooperation mit Alten- und Pflegeheimen beispielsweise erhalten Gefühle, die sowohl zur Lebenswelt der hochbetagten, oft demenziell veränderten Frauen und Männer als auch zur Arbeit der Pflege (»Emotionsarbeit«) gehören, besondere Aufmerksamkeit und werden offen thematisiert (z.B. Reitinger 2011). Für das Forschungsumfeld von Palliative Care im Alter kann festgehalten werden, dass sich beispielsweise Alten- und Pflegeheime als emotional besonders dichte Lebenswelten beschreiben lassen. Angst, Wut, Trauer sind ebenso präsent wie Freude, Lachen und Lieben. Zur Aufgabe von professionellen Pflegenden gehört es auch, mit diesen unterschiedlichen Gefühlen so umzugehen, dass ein möglichst angenehmes gemeinsames Leben möglich wird. Das ist insbesondere bei dem hohen Prozentsatz von Frauen und Männern mit Demenz in Altenpflegeeinrichtungen eine besondere Anforderung. Institutionalisierungseffekte und organisationale Rationalitäten in Form von Regelungen, Vorschriften und Routinen ebenso wie unzumutbarer Zeitdruck führen zu Verdrängung und auch zu dehumanisierende Versachlichung. Strukturelle Gewalt und Gewalt aufgrund von seelischem Ausgebranntsein können die Folge sein (Gröning 2005). Im Feld nachhaltiger regionaler Entwicklung zum Beispiel werden Emotionen weniger explizit verhandelt, sie sind aber nicht minder bedeutsam. Die For-

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scherInnen haben es mit PraxisakteurInnen zu tun, die in der regionalen Politik und Verwaltung, in politiknahen Einrichtungen der Regionalentwicklung oder in Vereinen institutionell verankert sind und die in ihren Heimatregionen Entwicklungen voranbringen wollen bzw. müssen. Emotionalität ist einerseits gegenüber der Heimatregion spürbar – nicht selten sind es ambivalente Gefühle, die sich in einem Pendeln zwischen Überhöhung und Abwertung der Region äußern. Andererseits sind Emotionen besonders im Zusammenhang mit Kooperation innerhalb und zwischen Institutionen relevant: Eitelkeiten, Machtfragen, Neid und Konkurrenz, aber auch Vertrauen und Freude an der Arbeit für die Region sind Gefühlsdynamiken, deren geschicktes Balancieren entscheidend dafür ist, dass Strategien entwickelt und Maßnahmen umgesetzt werden können. Für die Forschung bringt sowohl die offensive Thematisierung von Gefühlen als auch der oft unbewusste Umgang und Balanceakt, mit übersehenen oder verdrängten Gefühlen arbeiten zu müssen, die Forderung mit sich, einen angemessenen Weg der inhaltlichen Integration zu finden. Mit Carola Meier-Seethaler (1998, 2007) erscheint es gerade in transdisziplinärem Forschen sinnvoll zu sein, die binäre Gegenüberstellung von Rationalität und Emotionalität aufzulösen in einer »emotionalen Vernunft«. Unterschieden wird hier nicht mehr zwischen Rationalität und Emotionalität, um dann Rationalität als Leitparadigma der Forschung zu bestimmen und Emotionalität aus der Wissenschaft zu exkludieren. Vielmehr unterscheidet Carola Meier-Seethaler (2007) zwischen mehr oder weniger bewussten Anteilen von Denken, Fühlen und Handeln. Irrationalität kann damit verstanden werden als der unbewusste Anteil an Motivationen genauso wie als gedankenlos übernommene Meinungen und Aussagen anderer Personen oder automatisierte Handlungen (Meier-Seethaler 2007: 37). Als rationale Argumente demgegenüber können solche angesehen werden, die auf Basis eines gründlichen Prozesses der kognitiven Überlegungen, gefühlsmäßigen Reflexion und sozialer Kommunikation oder vielleicht sogar aus dem Ausprobieren und der eigenen Erfahrung belegt werden können (ebd.: 41). Diese Positionierung besagt nun im Hinblick auf das Thema der Qualität von transdisziplinärer Forschung zweierlei. Zum einen wird damit auf die Relevanz von Gefühlen für die Qualität im Projektverlauf aufmerksam gemacht. Zum anderen geht es im nächsten Schritt darum zu untersuchen, welche Konsequenzen sich daraus für die Prozessgestaltung von Projekten, aber auch von Qualitätsentwicklungsprozessen ergeben.

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Emotionen und Qualität: Konsequenzen für die Prozessgestaltung Für die Frage nach der Bedeutung von Emotionen in der Beurteilung der Qualität von Forschung ist entscheidend, dass hier eine Gemengelage von Gefühlen vorliegt, das sowohl das Erleben der Mitglieder des Forschungsteams als auch das der beteiligten PraxispartnerInnen beeinflusst. Werden mehr die Forschungsprozesse als die Inhalte näher in den Blick genommen, lässt sich besonders in der Anfangsphase von Projekten und in Prozessabschnitten, in welchen unterschiedliche Perspektiven diskutiert und über Konsequenzen beraten wird, oftmals eine gewisse emotionelle Dichte beobachten. Im Verlauf von Projekten lassen sich – in unterschiedlichen Facetten und doch immer wieder ähnlich – Entwicklungen von einem Gefühl der Fremdheit hin zu vertrauensvoller Bekanntheit und von Neugier, Unklarheit und oft recht diffusen Erwartungen hin zu Klarheit und Vergewisserung beobachten. Prozesse, die so verlaufen, können zumeist mit einem Gefühl der Zufriedenheit und in Aufbruchsstimmung beendet werden. Eine gute Stimmung im Projekt trägt viel dazu bei, dass der Abschluss einer Forschung als erfolgreich empfunden wird. Immer wieder kommt es auch vor, dass ein Prozess holprig verläuft, der Kontakt nicht so recht zustande kommt, Konflikte auftreten, die Ergebnisse die PraxispartnerInnen nicht wirklich berühren und am Ende keine rechte Freude aufkommt oder gar Enttäuschung und Unzufriedenheit zurückbleiben. Doch auch holprige, unangenehme und konfliktreiche Prozessverläufe können durchaus Lernchancen beinhalten. Manchmal wird dies erst aus einer gewissen zeitlicher Distanz erkennbar. Es kommt also nicht so sehr darauf an, dass der Forschungsprozess angenehme Gefühle auslöst – wenngleich dies für alle Beteiligten wünschenswert ist –, es kommt mehr darauf an, dass er überhaupt etwas auslöst, den Menschen in irgendeiner Weise nahegeht, sie involviert (zur Frage der Relevanz: Schütz 1971). Dies gelingt, wenn die Projektbeteiligten miteinander in Kontakt treten, einander zuhören, die Perspektiven der jeweils anderen zu verstehen versuchen, wenn sich die PraxisvertreterInnen von den ForscherInnen verstanden und in ihren Interessen ernst genommen fühlen, oder auch, wenn Konflikte, die in der Regel unangenehme Gefühle mit sich bringen, bearbeitbar werden. Dass dies auch in entsprechend achtsamer und vorsichtiger Weise geschieht, gerade auch dort, wo persönliche Erlebnisse und Lebensgeschichten, die mit dem Erzählen auch von leidvollen und schmerzhaften Erfahrungen verbunden sein können, in der Begegnung mit Menschen thematisiert werden, ist im Rahmen forschungsethischer Reflexion aufzunehmen. Es gelingt auch, Menschen zu involvieren, wenn die Forschungsprozesse Momente der Erkenntnis und des Lernens für die PraxisvertreterInnen und die ForscherInnen mit sich bringen. Und es gelingt, wenn Ergebnis-

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se »manifest« werden und in irgendeiner Form zu konkreten Umsetzungsschritten führen. Das kann ein schön gestaltetes Buch genauso sein wie eine gelungene Veranstaltung oder ein Maßnahmenplan für organisationale Veränderungen. Für die Qualität von transdisziplinären Forschungsprozessen bedeutet dies, dass Gefühle als solche ernst genommen werden und innerhalb der forscherischen Argumentationen entsprechend Raum erhalten müssen. Die Aufmerksamkeit dem Prozess gegenüber, der gestaltet, gesteuert, moderiert wird und regelmäßig an die Erfordernisse des Projektverlaufs angepasst werden sollte, und die Achtsamkeit im Umgang mit den darin auftauchenden Gefühlen sind neben der alltäglichen Arbeit der »Wissensproduktion« besonders wichtig. Ob daran eine offene Thematisierung gekoppelt ist oder eine Sensibilisierung über andere Wege – vor allem dort, wo ein Reden über Gefühle unüblich ist und für die Zusammenarbeit im Projekt nicht notwendig erscheint – ist damit noch nicht entschieden. Wesentlich sind zunächst einmal ein Bewusstsein dafür und Kompetenzen im Finden eines angemessenen Umgangs mit Gefühlen sowie eine Projektprozessgestaltung, die Gefühle als Quelle der Erkenntnis ernst nimmt. So viel zunächst auf der Ebene der Forschungsprojekte. Was Qualitätsentwicklungsprozesse betrifft, wäre die Frage wichtig, inwieweit Gefühle – implizit oder explizit – Bedeutung haben oder auch Bedeutung haben können. Qualitätsentwicklungsprozesse als soziale Prozesse und »selbstorganisierte Rückmeldeprozesse«, wie sie oben am Beispiel der Fakultät für interdisziplinäre Forschung und Fortbildung beschrieben worden sind, haben eine hohe emotionale Dichte, die aufgrund der langfristigen Beziehungen im Spannungsfeld von Kooperation und Konkurrenz entsteht. Die organisationsöffentliche Darstellung der eigenen Arbeit sowie ihre kritische Reflexion und die durch die EvaluatorInnen und die Community formulierten Würdigungen und Rückmeldungen sind für Arbeitsbereiche, Abteilungen und Institute von großer Relevanz und daher auch emotional bedeutsam. Der Umgang mit diesen unterschiedlichen Gefühlen wird am ehesten deutlich in der Art und Weise, wie Rückmeldungen formuliert werden: Bei aller Kritik, die immer auch enthalten ist, liegen den Rückmeldungen idealerweise eine wertschätzende Haltung und eine vielfach geübte Dialogkultur zugrunde. Diese ermöglicht und unterstützt ein gemeinsames Lernen auch an den Unterschieden.

QUALITÄTSDIMENSIONEN TRANSDISZIPLINÄRER FORSCHUNG Abschließend soll der Versuch unternommen werden, die wichtigsten Qualitätsmerkmale transdisziplinärer Forschung zu strukturieren. Mit Verena Winiwarter

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(2011: 9) kann Qualität als eine »mehrfach relationale Kategorie« verstanden werden. Als relationales Konstrukt gedacht, bietet sich Qualität unterschiedlich dar, je nachdem, mit welchen Intentionen Forschung ans Werk geht und welche AdressatInnengruppen angesprochen werden. Für die Bewertung der Qualität von transdisziplinären Forschungsprojekten sind daher jedenfalls folgende Projektteilnehmenden oder Projektumwelten mit ihren jeweiligen Anforderungen – oder Qualitätserwartungen – von Bedeutung: interdisziplinäre Forschungsteams, PraxispartnerInnen (die in manchen Projekten auch AuftraggeberInnen sind), PraktikerInnen aus dem Themen- und Forschungsfeld, z.B. Teilnehmende an Kongressen oder Symposien, Studierende, Forschungsförderungseinrichtungen, internationale Scientific Communitys, universitäre Qualitätsmanagementsysteme. Wessen Qualitätsanforderungen in konkreten transdisziplinären Projekten jeweils in welchem Ausmaß erfüllt werden können, ist sehr unterschiedlich und hängt beispielsweise von den ökonomischen Abhängigkeitsverhältnissen oder gewachsenen Vertrauenskulturen, dem inhaltlichen Interesse oder der individuellen Karriereentwicklung ab. Transdisziplinäre Forschung weist bei aller Heterogenität ihrer Praktiken ähnliche Charakteristika auf, und die Scientific Community in diesem Feld nähert sich diskursiv einem adäquaten Qualitätsbegriff.1 Orientiert an der Praxis der Aktionsforschung, der Interventionsforschung, dem Qualitätsdiskurs in der transdisziplinären Forschung sowie den Gütekriterien qualitativer Sozialforschung können eine Reihe von Fragen aufgeworfen werden, die in transdisziplinären Projekten zur Reflexion des eigenen Tuns mit Blick auf die Qualität der Forschung dienlich sind. Nicht alle Fragen sind für alle Projekte anwendbar, vielmehr geht es in jedem konkreten Projekt darum, kontextspezifische Qualitätsdimensionen zu identifizieren. Fragen zu Qualität von Inhalten und Ergebnissen Eine erste Frage zu den Inhalten und Ergebnissen im Zusammenhang mit dem verwendeten und erarbeiteten Wissen kann sein: Welche Arten von Wissen konnten im Rahmen des Projekts verarbeitet werden, welche konnten produziert werden und wie wird dieses Wissen wirksam? Die PraxispartnerInnen könnten

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Vgl. z.B. die internationale Konferenz »Evaluation of Inter- and Transdisciplinary Research« 2011 in Bern oder Publikationen wie Bergmann et al. (2005); StollKleemann/Pohl (2007); Bergmann/Schramm (2008).

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fragen: Worin liegt die praktische Relevanz und der konkrete Nutzen eines Forschungsprojekts aus unserer Sicht? Vieles bleibt aber auf der Ebene des Immateriellen verankert: die PraxispartnerInnen oder die ForschungspartnerInnen anderer disziplinärer Herkunft haben den Eindruck, etwas Neues dazugelernt zu haben (über sich selbst, über das verhandelte Thema); sie haben Verständnis für die aktuelle Situation entwickelt oder die Perspektive anderer Stakeholder verstanden; sie haben Vertrauen in andere Beteiligte gefasst, aber auch Grenzen von Kooperation erkannt; sie haben Motivation entwickelt oder wiedergewonnen, in ihren jeweiligen Tätigkeitsfeldern weiterzuwirken. Eine Form von (Selbst-)Aufklärung hat stattgefunden. Diese »Erfolge« können mit der Frage, worin das emanzipatorische Potential eines transdisziplinären Forschungsprojektes besteht, im Forschungsteam oder auch gemeinsam mit den PraktikerInnen reflektiert werden. Daran anschließend kommen Themen rund um Gender und Diversität in den Blick. Hier kann die Frage gestellt werden: Wie werden unterschiedliche Geschlechter und Menschen verschiedener Herkunft, Lebensalter, Religion oder sozialer Schicht in den Forschungsthemen sichtbar? Aus wissenschaftlicher Sicht lässt sich fragen: Wie gut gelingt es, multiperspektivische Darstellungen und Publikationen der Projektergebnisse zu veröffentlichen? Für die explizite Thematisierung von Gefühlen kann die Frage formuliert werden: Wie gelingen die Integration von Denken, Fühlen und Handeln im Rahmen der Inhalts- und Ergebnisdarstellungen? Erkennbar wird diese beispielsweise in der Sprachwahl, der Veröffentlichung von reflektierten Gefühlen oder dem differenzierten Beschreiben einer Gefühlslage, die als inhaltliches Ergebnis von Relevanz ist. Fragen zu Qualität von Prozessen und Strukturen Ein Kennzeichen transdisziplinärer Forschung ist die Arbeit über disziplinäre und fachliche Grenzen hinweg, die Integration von Wissenschaft und Praxis. Daher stellt sich die Frage: Wie erfolgen Standortklärungen und Kontextsensitivität in der Beschreibung von Ausgangssituationen und im Geltungsanspruch von Erkenntnissen? Wie auch für qualitative Forschung, Interventionsforschung und Aktionsforschung stellt sich in der transdisziplinären Forschung die Frage: Wie wird intersubjektive Nachvollziehbarkeit der Methoden und des Vorgehens sichergestellt? Das Anliegen, Prozesse genau zu beschreiben und anhand von Projektarchitekturen, Projektdesigns und tatsächlichen Abläufen auch anderen zu-

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gänglich zu machen, eröffnet die Möglichkeit, dass andere, die ähnliche Vorhaben planen und durchführen möchten, dadurch Orientierung erhalten. Projektdokumentationen tragen in diesem Sinn zur methodischen Weiterentwicklung bei (Hirsch Hadorn et al. 2008). Das Nachdenken über die eigene Verwobenheit mit den Forschungsthemen, die eigene Herkunft sowie die Relativität des eigenen Standpunktes im Kontext unterschiedlicher disziplinärer Perspektiven und Expertisen und Erfahrungen aus der Praxis sind, wie auch ein authentischer Umgang damit, für die transdisziplinäre Praxis von Bedeutung. Eine daran anschließende Frage könnte lauten: Wie können Authentizität, reflektierte Subjektivität oder »Selbstreflexion und Perspektivität« (Breuer/Reichertz 2001) im Zuge eines Forschungsprojektes gewahrt werden? Angelehnt an die Gütekriterien der Aktionsforschung stellt sich auch die Frage: Wie können Glaubwürdigkeit und Vertrauenswürdigkeit in transdisziplinären Forschungsprozessen gelebt werden? Erkennbar werden sie beispielsweise daran, ob ein wertschätzender Umgang mit allen Beteiligten ermöglicht oder ob im Rahmen des Prozesses für forschungsethische Reflexionsräume gesorgt wird. Damit in engem Zusammenhang steht die Frage: Wie kann die Reflexion von Hierarchien und Machtverhältnissen im Rahmen der Forschungsprozesse gelingen? Mit dem Ziel der Partizipation, Enthierarchisierung und Demokratisierung der Forschung sehen sich transdisziplinäre Forschungsprozesse vor die Aufgabe gestellt, mit den innerhalb von Organisationen und Gesellschaften bestehenden Hierarchien, aber auch den zwischen unterschiedlichen Subsystemen der Gesellschaft (wie etwa Universitäten und Altenpflegeheimen, Reitinger/Heimerl 2010) real bestehenden oder zugeschriebenen Machtverhältnissen umzugehen. Auch auf Prozessebene lässt sich die Frage nach dem Umgang mit Gender und Diversität formulieren: Welche Möglichkeiten der Inklusion marginalisierter gesellschaftlicher Gruppen eröffnen sich im Rahmen des Forschungsprojektes? Im Umgang mit Emotionen sind entsprechende Kompetenzen und Erfahrenheit in der Forschung von Bedeutung. Fragen an ForscherInnen können daher sein: Wie gehe ich mit meiner eigenen Emotionalität um? Welche Emotionen im Forschungssystem nehme ich wahr und welche Hypothesen dazu kann ich entwickeln? Wie gestalte ich sozial-kommunikative Settings? Wie organisiere ich die vielfältigen Dynamiken in einem Forschungsprozess?

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RESÜMEE Um die Qualität von Forschung adäquat bewerten zu können, müssen die jeweiligen Standpunkte möglichst klar formuliert, Intentionen und Vorentscheidungen, die der Forschungsarbeit zugrunde liegen, dargelegt sein. Für den Qualitätsbegriff in der transdisziplinären Forschung ist besonders auf den Unterschied zu achten, der sich durch die Ausrichtung der Forschungsarbeit auf außerwissenschaftlich relevante Problemstellungen ergibt. Aufgabe eines Qualitätsdiskurses ist es, relevante Dimensionen von Qualität zu beschreiben und zugleich zu berücksichtigen, dass nicht alles beschreib- oder messbar ist. Qualität als relationales Konstrukt aufzufassen bedeutet keineswegs, einem Relativismus Vorschub leisten zu wollen. Im Gegenteil: Es braucht weitere kollektive Anstrengungen zur Erarbeitung eines Qualitätsbegriffs für transdisziplinäre Forschung. In der Entwicklung von Verfahren zur Bewertung und Sicherung von Qualität scheint es wichtig, eine wesentliche Grundprämisse der transdisziplinären Forschung auf sich selbst anzuwenden, nämlich den Gedanken des gemeinsamen Lernens im Sinne einer Selbstaufklärung von Systemen. Qualitätssicherungsverfahren werden so zu partizipativen Prozessen der (Selbst-)Reflexion, die imstande sind, individuelles wie kollektives Erleben und damit einhergehende Emotionalität zu integrieren, und die der Weiterentwicklung dienen. Qualitätsvorstellungen werden in der Forschungsarbeit und in der Bewertung von Qualität als regulative Idee verstanden, die die Arbeit leitet. Ausmaß sowie Art und Weise der Erfüllung solcher Vorstellungen unterscheiden sich von Projekt zu Projekt, nicht zuletzt auch deshalb, weil Qualität in transdisziplinären Projekten etwas von den Beteiligten gemeinsam Herzustellendes ist. Auf beiden angesprochenen Ebenen, jene der Forschungsprozesse und jene der Ergebnisse, erscheint es uns wichtig, Emotionen »zum Denken zu bringen« (Peter Heintel): Emotionen wird Raum gegeben, Beteiligte sind aber der Emotionalität nicht blind ausgeliefert, sondern reflektieren, was Emotionen über eine Situation aussagen.

12 Abschiede KATHARINA HEIMERL, GEORG ZEPKE, ANDREAS HELLER, MARTIN SCHMID

Projekte haben per definitionem ein Ende. Zu ihrem Gelingen gehört ein expliziter Abschluss. Das Ende bedeutet immer auch Abschied, Abschied nehmen und Abschied geben nicht nur in existenzieller und sozialer Hinsicht (also von involvierten Personen), sondern auch in ideeller und prozeduraler Hinsicht (von Ideen, Teilprojekten, Terminen oder Unerledigtem). Abschiede sind in allen Projekten aufwändig. Gerade weil Partizipation und emotionale Betroffenheit Qualitätskriterien für inter- und transdisziplinäre Projekte sind, hat ihre Aktualisierung im Prozess des Abschlusses große Bedeutung. In dieser Art von Forschungsprojekten sind die kommunikativen Investitionen besonders hoch, es entstehen viele Kontakte und Beziehungen, die für einen guten Abschied am Ende noch einmal Aufmerksamkeit erfordern. Wir brauchen für Abschiede Personen, Orte, Zeiten, Strukturen, Ressourcen und Prozesse. Am Anfang muss das Ende mitgedacht, möglicherweise auch vertraglich vereinbart werden. Es kann über die Projektlaufzeit motivierend und entlastend sein, wenn es von diesem Ende gemeinsame Vorstellungen und ein Bild, wie es miteinander gestaltet werden kann, gibt. Fragen stellen sich: Wie öffentlich bzw. privat soll der Abschied inszeniert werden? Was muss vereinbart werden, damit es keine Streitereien um die Nutzung von Projektergebnissen und die Rechte von Beteiligten gibt (Publikationen, Autorinnenrechte, Bezahlungen)? Welche Verantwortlichkeiten und Rollen braucht es für einen Abschiedsprozess? Wie wird das »wirkliche Ende« eines Projektes definiert und markiert? Uns erscheint es anregend, eine Parallele zu ziehen zwischen einer Philosophie des Projektendes und Erfahrungen am Lebensende. Mit der Analogie zwischen Projektende und Lebensende lässt sich »spielen«. Manche mögen diesen Vergleich irritierend finden, unsearnoldr Arbeitsgebiet, Palliative Care, erweist

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sich als intellektuell produktiv, gerade weil es zu solchen Analogien Anlass gibt. Der Abschied am Lebensende, das Sterben, ist von Leiden, Tragik und existenziellen Nöten geprägt, doch ebenso von Erleichterung und Erlösung. In unterschiedlicher Weise scheint uns dieses Spektrum auch auf das Ende von Forschungsprojekten übertragbar zu sein. Ein Projekt hat einen Anfang und ein Ende. Während dem Anfang oft große Bedeutung zugemessen wird, bleiben das Ende, der Abschluss, das Abschiednehmen eher unterthematisiert. Das ist verständlich. Abschiede haben die meisten Menschen genau deshalb nicht gerne, weil sie an Sterben und Tod erinnern. Unser Ziel ist es, dieser wichtigen Phase von Projekten mehr Aufmerksamkeit zu schenken (»wegen der guten Nachrede«). Denn möglicherweise wird für diese un-bewusste Ausblendung ein Preis bezahlt. Warum dies so ist, wollen wir im Folgenden im Licht von Erkenntnissen aus der Trauerforschung erschließen (z.B. Paul 2011). In modernen Gesellschaften wird dem Sterben, dem Tod und der Trauer ambivalent begegnet, einerseits tabuisierend und gleichzeitig thematisierend. Entsprechende Rituale und Floskeln befreien von individueller Scham und Überforderung, die passenden Gesten und Worte selbst finden zu müssen. Bei jedem Bestattungsunternehmen liegt ein Katalog von Texten für Parte, Kranzschleife und Dankesbezeigungen auf. Versorgungskonzepte in Palliative Care und Hospizarbeit befördern die Thematisierung und den professionellen Umgang mit Sterbenden und tragen zur Normalisierung des Sterbenden als Versorgungsfall im Gesamtsystem bei. Kurse für Freiwillige wie für Angehörige der Heilberufe vermitteln professionelle Distanz im Zur-Verfügung-Stellen von Nähe. Patientenverfügungen nehmen etwaige krisenhafte Situationen vorweg und unterwerfen das Sterben einem projektförmigen Prozess der Planung. Immer geht es darum, die herausfordernde Erfahrung des Abschieds aufzunehmen, die emotionale Wucht etwaiger Gefühle zu domestizieren und die soziale Ordnung des Lebens wiederherzustellen, den Lebenden ein Weiterleben in definierten Rollen zu ermöglichen, wie beispielsweise beim »Leichenschmaus«. Verdrängung in Bezug auf Projekte ist nicht per se schlecht, sie ist auch notwendig und hat eine Funktion. Würde man ständig an Sterben und Tod – beziehungsweise in Projekten an das Ende – denken, so führte das zu einer Lähmung während des Projekts. Wir werden im Text auf Analogien zwischen Projektende und Lebensende hinweisen, zunächst sollen hier aber noch einmal die Unterschiede zwischen Abschieden in Projekten und jenen am Lebensende betont werden: Menschen leben nach dem Ende eines Projekts weiter, die Verdrängung des Projektendes ist daher leichter möglich und angemessener, denn das Projektende

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ist nur ein Abschied von einem – mehr oder weniger bedeutenden – Teil der Lebenswelt. Generell zeichnet interventionsorientierte Forschung aus, dass sie nach ihrem Abschluss weiterwirken soll, sie soll etwa durch ProjektpartnerInnen wietergeführt, Erkenntnisse sollen umgesetzt werden. Transdisziplinärer Forschung liegt damit eine »Unsterblichkeitshypothese« zugrunde. Diese Vorstellung von »Unsterblichkeit« des Projektes und seiner Ergebnisse und Wirkungen relativiert den Abschied im Projekt, macht ihn »umgänglich« oder auch erträglich. Transdisziplinäre Forschung hat in diesem Sinne einen »transzendierenden« Charakter: Die Ergebnisse und Produkte eines Projekts weisen idealiter über das Projektende hinaus. Mitunter sind die ForscherInnen sogar daran interessiert, »in Vergessenheit zu geraten«, und streben danach, dass die Anliegen des Projektes von den PraxispartnerInnen übernommen werden und so weiterleben. In diesem Text arbeiten wir drei klassische Typen von problematischen Projektabschieden heraus. Mit dieser kleinen Epistemologie machen wir uns auf die »Suche nach dem guten Ende« (Geißler 1992). Was zeichnet einen gelungenen Projektabschied aus? Welche Aspekte müssen für das gute Ende von Projekten beachtet werden?

PROBLEMATISCHE PROJEKTABSCHIEDE Das abschiedslose Projekt Manche Projekte laufen einfach aus – buchstäblich abschieds-los. Der letzte Prozessschritt ist abgearbeitet, die Auswertung fertig, eine pdf-Datei erstellt und als Endbericht per E-Mail an den Auftraggeber versandt. Nach einigen Wochen fällt auf, dass das Projekt noch auf der Homepage geführt wird. Es sollte gelöscht bzw. zu den abgeschlossenen Projekten verschoben werden. Das Projekt läuft quasi linear auf das Ende zu, bis es erreicht ist. Es gibt Projekte, für die das durchaus funktional sein kann. Für komplexe und meist zirkulär angelegte interund transdisziplinäre Forschungsprojekte ist das nicht adäquat. Solche Projekte bauen immer vielschichtige soziale Beziehungen und Strukturen auf, inszenieren komplexe Prozesse und Kommunikationen. Ein Verzicht auf deutliche Markierungen des Abschlusses und entsprechende »Begräbnisrituale« vermeidet zwar potentiell schwierige Abschluss- und Verlustthemen, hat aber eine durchaus problematische Seite: Denn Begräbnisse dienen nicht nur als Orte der Trauer für die Hinterbliebenen, sondern geben diesen auch die Sicherheit, dass der Verstorbene tatsächlich unwiderruflich die Schwelle zum Tod überschritten hat. Projekte, die nicht deutlich, formal richtig, aber

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auch emotional spürbar beendet wurden, können in schwer fassbarer Weise noch weiterhin Kapazität und Aufmerksamkeit binden und damit eine fokussierte Konzentration auf neue Aktivitäten erschweren. Unabgeschlossenes findet sich in einer Zwischenwelt der »Untoten« wieder, die ihren »Grusel« aus dem Umstand bezieht, dass die Zuordnung zu Leben oder Tod beunruhigend uneindeutig bleibt. »Projektzombies« sorgen für Unruhe, da die Frage, ob man diesen Ordner nun endgültig schließen kann, ob hier noch Aktivitäten zu setzen sind oder nicht, unklar bleibt. Der hinausgezögerte Projektabschied Als eine andere Form der Inszenierung von Abschied-losigkeit sehen wir es, wenn das Projekt nicht beendet wird – also end-los ist – und auf das Projekt die Phase II und darauf die Phasen III und IV folgen. Hier wird kein Projektende in den Blick genommen, emotional aufwändige Planungen und Durchführungen von Abschieden im Projekt finden nicht statt, es geht ja schließlich gleich wieder weiter. ForscherInnen und Praxispartnerinnen, AuftraggeberInnen und im günstigen Fall auch Finanziers wollen quasi nicht wahrhaben, dass ein Projekt ein Ende haben muss. Dies erinnert an ein auch bei individuellen Abschiedsprozessen bekanntes Phänomen der Verdrängung und Verleugnung, etwa der Phase des »Denial« in den Trauerphasen von Elisabeth Kübler-Ross (2009). Manchmal werden auch Manöver der »Selbstüberlistung« (als »Bargaining« ebenfalls eine der fünf Trauerphasen nach Kübler-Ross) erforderlich: Das unausweichliche Ende wird zwar im Prinzip anerkannt, aber noch versucht man, es mit dem ein oder anderen Winkelzug hinauszuschieben (»wir wollen ja noch dieses gemeinsame Paper schreiben«, »setzen wir uns mal zusammen, und reden wir über ein Folgeprojekt« etc.). Eine ähnliche Dynamik steckt hinter den Versuchen, einen Projektabschluss laufend zu prolongieren: Nach dem offiziellen feierlichen Projektabschluss findet noch ein interner Abschluss statt, dann einer für die Presse, dann ein inoffizieller mit gemeinsamem Essen. Im Projektbericht finden sich immer neue Tippfehler, so dass er wieder und wieder überarbeitet werden muss, oder er wird vom Auftraggeber erst nach umfangreichen Überarbeitungen angenommen. Es kann sehr gute Gründe geben für dieses »Nicht-wahrhaben-Wollen« des Endes. Gerade inter- und transdisziplinäre Projekte sind immer auch Beziehungsarbeit, man hat etwa Verantwortung füreinander und für gemeinsame Produkte übernommen. Das Projektende gefährdet den Fortbestand dieser Beziehungen, nicht zuletzt deshalb, weil auch die Finanzierung des gemeinsamen Tuns an ihr Ende gekommen ist. Gibt es kein Folgeprojekt und sind die Beteilig-

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ten nicht bereit, voneinander Abschied zu nehmen, bleibt die Leugnung des Projektendes als implizite Versicherung, dass man einander schätzt und wichtig geworden ist und als Abwehr von Verlustängsten. Zeit läuft weiterhin in das nun unfinanzierte Projekt und gefährdet damit Arbeitszufriedenheit und Zeitpläne anderer Projekte. Der konfliktreiche Projektabschied Abschlusssituationen haben ein zuweilen unterschätztes arbeitslogistisch bedingtes Konfliktpotential. Während es im Projektverlauf durchaus möglich und zuweilen auch angemessen ist, Dinge in der Schwebe zu halten, treten am Projektende die für einen formalen Abschluss noch notwendigen Arbeitsschritte in den Vordergrund: Es gilt, Berichte zu schreiben, abschließende Maßnahmenkataloge zusammenzustellen oder andere Produkte zu entwickeln, Beiträge für Kongresse oder Journalartikel zu verfassen etc. Ziele, die zu Projektbeginn definiert wurden, können phasenweise aus dem Blick geraten. Am Ende gewinnen sie wieder an Bedeutung und die Frage, wie sehr es tatsächlich gelungen ist, die angekündigten Ziele zu verwirklichen, stellt sich mit zunehmender Dringlichkeit. Es kann auch Unbehagen bereiten, sich mit den eigenen vollmundigen Ankündigungen auseinanderzusetzen und erkennen zu müssen, wie sehr – oder auch wie wenig – diese tatsächlich erreicht wurden. Dabei wird die Endlichkeit der zeitlichen und finanziellen Ressourcen des Projekts schmerzlich bewusst. So entsteht am Ende eine recht profane Notwendigkeit, Arbeitsressourcen in Abschlussprodukte und Finalisierungen zu investieren. Gleichzeitig ist es paradoxerweise gerade in der Abschlussphase zuweilen schwierig, die nötige Energie zu mobilisieren: Für einige WissenschaftlerInnen ist bei der »Knochenarbeit« des Abschlusses »die Luft schon draußen« und sie sind inhaltlich und/oder emotional längst bei neuen Themen und Projekten; bei anderen Projektmitarbeiterinnen sind die Verträge womöglich schon ausgelaufen. Konflikte können entstehen, weil viel von der notwendigen, aber zum Teil undankbaren, aufwändigen Abschlussarbeit bei einzelnen Personen – oft bei der Projektleitung – verbleibt. Als Beispiel soll hier der Abschluss eines Projektes zur wissenschaftlichen Begleitforschung bei der Einführung von Qualitätssicherung in psychosozialen Einrichtungen beschrieben werden: Während die beteiligten PraxispartnerInnen mit den Ergebnissen der Kooperation durchaus zufrieden sind, und sich nun an die Implementierung und Umsetzung des Erarbeiteten machen, stehen die ForscherInnen vor der Herausforderung, noch Abschlussberichte und

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wissenschaftlich anspruchsvolles Material ableiten zu müssen. Dabei wird ein Konflikt innerhalb des Forschungsteams zunehmend deutlich: Da das Projekt mit einem hohen Anspruch an Praxisrelevanz gearbeitet hat, orientierten sich die ForscherInnen dementsprechend stark an den Anliegen der PraktikerInnen. Viele Zeitressourcen sind für das »InKontakt-Treten« mit dem Praxisfeld investiert worden und das spannende Praxisfeld entwickelte wachsende suggestive Sogwirkung für das Forschungsteam. Die Anforderungen der wissenschaftlichen Community gerieten im Projektverlauf demgegenüber eher in den Hintergrund. Nun, in der Schlussphase, zeigt sich, dass ein Teil des Forschungsteams sich tatsächlich eher mit den Anliegen der Praxis identifiziert und zunehmend weniger Interesse an der wissenschaftlichen Auswertung hat, während der andere Teil des Teams sich beim Versuch, das Projekt auch wissenschaftlichen Ansprüchen angemessen zu verschriftlichen, alleine gelassen fühlt. Kombiniert mit unterschiedlichen Arbeitstempi und Arbeitsstilen im ForscherInnenteam führt das zu einem hochgradig konflikthaften, mit vielen wechselseitigen Vorwürfen und Kränkungen verbundenen Projektende, in dem ein grundsätzlich höchst erfolgreiches Projekt in dramatischen Zerwürfnissen des Forschungsteams endet.

Aber auch im Verhältnis zwischen PraxispartnerInnen und ForscherInnen entsteht in der Abschlussphase ein spezifisches Konfliktpotential: Gerade in Pionierprojekten, die von ForscherInnen und Praktikerinnen gemeinsam entwickelt wurden, kann es schwerfallen, das Erarbeitete und Erforschte abzugeben und hinter sich zu lassen. Oft stehen dahinter auch Fragen der »Ownership« der Innovationen. Immer wieder – und gerade bei erfolgreichen transdisziplinären Kooperationen – übernehmen die PraxispartnerInnen die »Ownership« für die Projektergebnisse, was durchaus erwünscht ist. Es kann aber dazu führen, dass nach dem Projektende der Beitrag der WissenschaftlerInnen nicht mehr sichtbar wird, dass beispielsweise ein Video über das Projekt gedreht wird, in dem alle Errungenschaften aus der Perspektive der Stakeholder dargestellt werden, aber die Forschungseinrichtung im Film nicht erwähnt wird. Wenn die ForscherInnen mit dem Projekt sehr identifiziert waren, kann das zu »erschwerter Trauer« (Paul 2011) auf Seiten der Wissenschaft führen.

DER GELINGENDE PROJEKTABSCHLUSS Jedes Projekt – und damit auch jedes transdisziplinäre Forschungsprojekt – ist einzigartig und spezifisch. Deswegen lassen sich auch keine allgemeingültigen Regeln aufstellen, wie ein angemessener Projektabschluss zu organisieren ist: es

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gilt die jeweilige Besonderheit des Projekts zu berücksichtigen. Dennoch gibt es Themen und Fragen, die bei jedem Projektabschluss mitbedacht werden sollten. In der Realität ist in vielen Projekten schon vor dem Abschluss kein Geld mehr vorhanden. Dementsprechend ist es hilfreich, möglichst frühzeitig Abschlussprodukte in den Blick zu nehmen und von Beginn an einen ausreichenden Puffer einzuplanen, um für die Abschlussberichte und formellen Notwendigkeiten des Abschließens noch ausreichend Ressourcen zu haben. Darin sehen wir die Voraussetzung für geordnete und fair gestaltete fachliche Abschlussaktivitäten. Ob der Abschied gelingen wird, entscheidet sich also schon in der Planungsphase und hängt davon ab, wie viel Ressourcen für den Abschluss reserviert werden. Im Folgenden wollen wir der Frage nachgehen, was die Charakteristika eines gelingenden Abschiedes in Projekten sind? Die Komplexität des Projektes am Ende noch einmal aufnehmen Gute Erfahrungen mit Projektabschieden haben wir gemacht, wenn diese in ihrer Architektur die Komplexität des Projektes aufnehmen, wenn die Beteiligten partizipieren können und nicht mit einem (emotionalen) »Verrechnungsnotstand« bilanzieren müssen. Wie in einem Brennglas verdichtet sich idealerweise der Prozess ein letztes Mal im Abschied: Probleme, die zu Beginn gesehen werden konnten, werden beim Abschluss noch einmal benannt und gedeutet. Auch andere in diesem Band beschriebene und analysierte Prozesselemente werden noch einmal bedeutend: Das Team, das gefunden wurde, wird sichtbar (vgl. Kap. 3), Kommunikation braucht auch im Abschied einen Rahmen (vgl. Kap. 8), es geht darum, am Ende noch einmal mit Systemen und ihren Umwelten zu interagieren (vgl. Kap. 7). Einrichten geeigneter sozialer Settings für den Abschluss Transdisziplinäre Forschungsprojekte sind dadurch gekennzeichnet, dass verschiedene Interessengruppen mit unterschiedlichen Vorstellungen und unterschiedlicher emotionaler und ökonomischer Bindung an dem Forschungsvorhaben beteiligt sind. Dementsprechend ist es auch in der Abschiedsphase wichtig, für die verschiedenen Stakeholdergruppen jeweils passende soziale Settings zu kreieren, die eine angemessene Verabschiedung vom Projekt ermöglichen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass für Gruppen, die sehr intensiv mit dem Projekt befasst waren – oft sind das die ForscherInnen –, ein anderes, oft ausführlicheres und intensiveres Abschlusssetting geeignet ist als für Personengruppen, die nur punktuell und am Rande mit dem Projekt befasst waren. Das klingt

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nach einer Selbstverständlichkeit, doch lässt sich in transdisziplinären Forschungsprojekten immer wieder beobachten, dass PraxispartnerInnen zu unangemessen zeitintensiven Abschlussveranstaltungen geladen werden, während forschungsintern dem Abschluss zu wenig Aufmerksamkeit gewidmet wird. Auch die verschiedenen Zeitdynamiken von Praxis und Wissenschaft gilt es hier zu berücksichtigen. Viele Praxisfelder werden von operativem Druck vorangetrieben, während Wissenschaft darum bemüht ist, für vertiefte Reflexion durch Verlangsamung und Entschleunigung zu sorgen. Durchführung angemessener Rituale Abschied als emotionales Thema, das mit Trauer – zuweilen auch mit Erleichterung – verknüpft ist, wird in allen Kulturen durch entsprechende Abschiedsrituale markiert und verdeutlicht. Rituale ermöglichen durch symbolisches Handeln ein gemeinsames, sinnliches, oft nicht einfach explizit zu machendes soziales Erleben von bedeutsamen Situationen. So hat etwa das Knallen von Sektkorken und das anschließende Anstoßen auf einen mehr oder weniger erfolgreichen Projektabschluss auch rituellen Charakter. Gemeinsam wird Abschied zelebriert, verdeutlicht und emotional verarbeitet. Aber auch profan wirkende inhaltliche Veranstaltungen wie Projektpräsentationen, Abschlusskongresse etc. haben nicht nur ihre wichtige Funktion als wissenschaftskommunikative Maßnahme, sondern stellen ebenfalls Rituale dar, die deutlich machen, dass das Projekt nun tatsächlich abgeschlossen ist und somit nach außen kommunizieret werden kann. Transfer der Ergebnisse in die verschiedenen Felder Gerade bei transdisziplinären Projekten haben die Nutzungsperspektiven einen (mindestens) doppelten Charakter. Einerseits gilt es – wie auch bei jedem anderen Forschungsprojekt – zu planen, wie die Ergebnisse möglichst breit durch das Wissenschaftssystem rezipiert werden: Welche Kongressbeiträge, Journalartikel, Publikationen etc. lassen sich aus den Ergebnissen ableiten und wie kann dafür gesorgt werden, dass die neuen Erkenntnisse auch eine angemessene Rezeption in der Scientific Community erfahren? Zusätzlich hat transdisziplinäre Forschung aber den Anspruch, Wirkungen und Aufmerksamkeit in den Praxisfeldern zu erzielen. In inter- und transdisziplinären Projekten stehen Partizipation, Intervention und Reflexion im Vordergrund und stellen dementsprechend – ähnlich wie in der Aktionsforschung (Bradbury/ Reason 2006) – die zentralen Kriterien für Qualität dar. Deswegen gilt es For-

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men zu finden, wie die Ergebnisse in das Praxisfeld aufgenommen werden können. Die unterschiedlichen Anliegen und Bedeutungen der Praxis und der Wissenschaft sorgen gerade beim Transfer für ein gewisses Konfliktpotential. Forschung und Praxis haben andere (zum Teil einander widersprechende) Interessen an den Forschungsergebnissen. Gleichzeitig kehren mit der Abschlussphase alle Beteiligten, sowohl die PraktikerInnen wie auch die ForscherInnen, aus dem gemeinsam kreierten transdisziplinären System zunehmend wieder in ihr Heimatsystem und die ihr entsprechend Logik zurück. Die Bereitschaft, sich auf die KooperationspartnerInnen einzulassen, nimmt gegen Ende tendenziell ab. Die Zusammenarbeit mit den PartnerInnen im Projekt hat ein Ende, die mit den KollegInnen am Arbeitsplatz geht weiter. Oft wartet schon ein neues Projekt, das Aufmerksamkeit einfordert. Wenn diese Heimkehr ins eigene System unreflektiert geschieht, quasi »passiert«, so erübrigt sich der Abschied, dann handelt es sich um ein abschiedsloses Projekt. Es gilt daher oft gegen den Druck des eigenen Systems oder neuer Projekte bis zum Schluss in die gelingende Kommunikation und Kooperation im Projekt zu investieren. Oft ist dies mit ungewöhnlich hohem Arbeitsaufwand verbunden, denn idealerweise gelingt es, unterschiedliche Produkte für die unterschiedlichen beteiligten Communitys zu erarbeiten: Für den Auftraggeber ist am Ende oft eine Presseaussendung von Bedeutung, für die Wissenschaft ein Journalartikel, für die beteiligten Einrichtungen ein Leitfaden, für die Betroffenen ein Beratungsangebot (Unger 2012). Würdigen, was möglich war Die emotionale, aber auch inhaltliche Dynamik von Abschlüssen orientiert sich nicht immer an den Projektplänen. In der bekannten Großgruppenmethode »Open Space« (Owen 2001) wird durch das einfache Prinzip »Vorbei ist vorbei – nicht vorbei ist noch nicht vorbei« dem Umstand Rechnung getragen, dass sich der Raum, den Diskussionen in Gruppen einnimmt, nicht an vorgegebener Arbeitszeit richten sollte, sondern nach dem inhaltlichen Bedarf der Gruppe. In ähnlicher Weise stehen auch Forschungsprojekte vor der Paradoxie, dass manchmal der inhaltliche Ertrag schon vor Projektende ausgeschöpft ist oder – umgekehrt – dass gerade bei Projektende wesentliche forschungsrelevante Stränge entdeckt werden. Aufzuhören, wenn es genug ist, ist eine Kunst (Gronemeyer 2008). Dann stellt sich die Frage, ob es ein Weiterarbeiten nach dem Projektende geben kann oder soll? Manche Projektergebnisse müssen reifen, ForscherInnen

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müssen eine reflexive Distanz dazu aufbauen, damit ihr wissenschaftlicher Ertrag gesichert und sichtbar gemacht werden kann. Ein Weiterarbeiten nach dem Projektende oder eine Wiederaufnahme des Projektes, um die Ergebnisse zu publizieren, kann daher sinnvoll sein, wenn das auch wegen begrenzter Ressourcen nicht immer leicht machbar ist. Die »Vollendung« des Projektes genau an seinem formalen Ende zu erreichen und zu erleben ist zwar wünschenswert, aber nicht realistisch. »Nun kann man natürlich immer weiterwünschen, die Ruhelosigkeit des Menschen lässt sich nicht einfach anhalten«, schreibt Peter Heintel (2010: 9), »eine wirkliche vollkommene Vollendung wäre das tatsächliche Ende des Menschen und dementsprechend kennen wir sie nur als Grenze unseres individuellen Lebens«. Ein Projekt gut zu beschließen heißt immer auch, dass alle Beteiligten sich gemeinsam darüber im Klaren sind, was dieses Projekt nicht leisten konnte (auch wenn es vielleicht im Antrag steht). Idealerweise gelingt es, dennoch mit dem Erreichten zufrieden zu sein, ohne deshalb unkritisch zu werden. Dieses gemeinsame Bewusstsein über die Unzulänglichkeiten eines jeden Projekts ist eine Form, sich das Ende leichter zu machen. »Wir haben nicht alles gemacht, was wir uns vorgenommen hatten (oft dafür anderes), aber es ist gut so.« Inter- und transdisziplinäre Forschungsprozesse sind notwendigerweise ergebnisoffen, das Ende muss dieser Offenheit Rechnung tragen. Reflexionen und Abschlussfragen Abschlusssituationen bieten große Lernchancen. In jedem Projekt werden im Zuge des Arbeitsprozesses Erfahrungen gemacht, die in Zukunft für Teams mit ähnlichen Fragestellungen oder Zielsetzungen von Interesse sein können. Es sind die Phasen, in denen unbeschönigtes und selbstkritisches Bilanzieren und Nachdenken, was aus dem Projekt für Schlüsse gezogen werden können, nötig sind – inhaltlich, aber auch hinsichtlich der sozialen Gestaltung zukünftiger transdisziplinärer Forschungsaktivitäten, um die Essenz dieser Erfahrungen (»Lessons learned«) zu sichern. Es gibt viele Vorschläge, welche Fragen für die gemeinsame Reflexion am Ende nutzbringend sind. Ein besonders einfaches Fragenset schlägt Michael Patton (2011: 231f.) vor: x x x

WHAT? (Was sehen wir? Was haben wir erfahren?) SO WHAT? (Was bedeutet das für uns? Welchen Sinn sehen wir im Erfahrenen?) NOW WHAT? (Welche Möglichkeiten eröffnen uns diese Erfahrungen?)

A BSCHIEDE

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Karlheinz Geissler (1992) empfiehlt drei Fragen für Schlusssituationen von Seminaren, die wir hier für Projektabschiede etwas umformuliert haben: x x x

Was waren für uns die wichtigsten Erfahrungen? Wie ist es uns ergangen (Gefühle, Stimmungen)? Was können wir mit dem Erfahrenen über das Projekt hinaus anfangen?

Und diese Fragen wollen wir um einige, die sich zur Reflexion bewährt haben, erweitern: x x x

Was haben wir gut gemacht? Was hat weniger gut funktioniert? Was gibt uns immer noch Rätsel auf?

Wie wir an den »komplizierten Projektabschlüssen« zeigen konnten, ist der Widerstand gegen ein solches Innehalten am Projektende oft groß. Hier ist es hilfreich, Formen der internen Evaluierung und Reflexion von Beginn an einzuplanen und zu terminisieren. Externe Moderation unterstützt solche Reflexionen, idealerweise erfolgt sie durch Personen, die supervisorische oder ähnliche Qualifikationen haben und gleichzeitig die Besonderheiten wissenschaftlicher Projekte kennen.

EINE KURZE CONCLUSIO – OHNE AUSBLICK Jeder Anfang trägt das Ende in sich. Das ist auch bei Projekten nicht anders. Das Ende kommt, ob man will oder nicht, ob man sich als Projektteam darauf vorbereitet hat oder nicht. Mehr noch als bei anderen Forschungsprojekten sind interund vor allem transdisziplinäre Projekte zugleich Abschiede von Menschen. Diese Beobachtung hat uns dazu ermutigt, in diesem Beitrag mit der Analogie zwischen Projekt- und Lebensende zu arbeiten. Für uns als AutorInnenteam, das sich zum Teil wissenschaftlich mit dem Sterben beschäftigt, bot diese Analogie eine praktische Hintergrundtheorie zum Nachdenken über Projektabschlüsse, um einschlägige eigene Erfahrungen zu systematisieren. Der Ertrag ist erstens eine kleine Epistemologie von problematischen und gelingenden Projekabschlüssen und zweitens eine kurze Liste ganz praktischer Empfehlungen. Jedes Projekt hat und braucht einen Abschied. Allen drei von uns identifizierten Typen problematischer Projektabschiede (»abschiedslos«, »hinausgezögert«, »konfliktreich«) ist gemeinsam, dass sie die Unausweichlichkeit des

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Endes mehr oder weniger verleugnen, das Ende nicht annehmen. Daraus folgt die erste praktische Empfehlung: Projektteams sollten von Anfang an das Ende mitbedenken, sie sollten von Anfang an an einer gemeinsamen Vorstellung von einem guten Ende arbeiten und dafür Zeit und Ressourcen investieren. Gelingende Abschiede brauchen Aufmerksamkeit – und zwar nicht erst am Ende. Abschiede können gelingen, wenn am Ende die Komplexität des Projektes noch einmal aufgenommen werden kann. Differenzen zwischen unterschiedlichen Rollen werden am Ende noch einmal besonders deutlich. Darin liegt ein Keim von Konflikten. Gelingende Projektabschiede ermöglichen den Beteiligten, ihren unterschiedlichen Rollen gemäß verschiedener Systemlogiken (Umsetzung in die »Praxis«, Kommunikation des Projekts im Wissenschaftsbetrieb entsprechend unterschiedlichen disziplinären Wissenschaftskulturen etc.) zu bedienen. Konkret heißt das etwa, den Transfer der Projektergebnisse in verschiedene projektrelevante Umwelten rechtzeitig gemeinsam zu planen und die Verantwortungen für deren Umsetzung transparent im Team zu verteilen. Dafür sind geeignete soziale Settings nützlich. Diese können intern oder öffentlich sein, wichtig ist aber jedenfalls, die Beteiligten im rechten Maß dabei noch einmal zu involvieren. Bewusst gestaltete Rituale können dabei unterstützen, Arbeitszusammenhänge auch emotional zu einem Abschluss zu bringen. Inter- und transdisziplinäre Projekte sind ergebnisoffen. Für die Gestaltung eines guten Endes folgt daraus: Um im Guten auseinandergehen zu können, muss ein Projektteam Gelegenheit haben, am Ende gemeinsam Rückschau zu halten. Das gemeinsam Erreichte gehört gefeiert. Es entlastet, das einmal Geplante, aber Nicht-Erreichte als solches zu benennen und sich darüber auszutauschen, warum manche Enden offenbleiben müssen und sollen. Teamreflexion am Ende, das gemeinsame Identifizieren von lessons learned ist für die Auflösung eines Teams wichtig. Im Team geht man noch einmal auf Distanz zum gemeinsamen Arbeitsprozess und seinen Resultaten. Ein letztes Mal geht es um Selbstbeobachtung, diese so wichtige Praxis und Grundbedingung erfolgreicher interund transdisziplinärer Arbeit. Ein Team beobachtet sich selbst, geht damit auf Distanz zum Gemeinsamen und verabschiedet sich auch so vom Projekt. Am Ende besteht die Kunst darin, diese Distanz zum Gemeinsamen auch zu wahren, nicht noch einmal in den Modus des Planens und der To-do-Listen zu verfallen. Was bleibt am Ende von dieser Analogie zwischen Projektabschlüssen und dem Sterben? Die Einsicht, dass das Ende absolut und letztlich unumgänglich ist. Dass wir uns vorausschauend darauf vorbereiten können, dass das Organisieren und die Planbarkeit des Endes aber auch ihre Grenzen haben. Es geht darum, den Abschied voneinander ohne unerträgliche Schmerzen und möglichst würdevoll zu gestalten.

Interdisziplinäres und transdisziplinäres Forschen organisieren GERT DRESSEL, KATHARINA HEIMERL, WILHELM BERGER, VERENA WINIWARTER

Wenn VertreterInnen aus verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen miteinander kooperieren, arbeiten sie interdisziplinär. Wenn Forschende (oft in interdisziplinärer Konstellation) mit RepräsentantInnen aus der sogenannten »Praxis« gemeinsam Fragestellungen bearbeiten, arbeiten sie transdisziplinär. Doch interoder transdisziplinäres Forschen ist nicht voraussetzungslos, es passiert nicht von selbst, sondern muss dezidiert organisiert werden. Denn hier kooperieren nicht nur Menschen mit unterschiedlichen Wissenschaftsparadigmen und Erkenntnisinteressen, sondern verschiedene Organisationen und soziale Systeme. Universitäre Wissenschaft – in Forschung und Lehre – organisiert sich in erster Linie über einzelne Disziplinen. Fast alle universitären Institute wie auch die meisten Studiengänge sind monodisziplinär ausgerichtet. Studierende studieren ein bestimmtes Fach, um mit ihrem akademischen Abschluss zur Biologin, zum Historiker, zur Maschinenbauerin oder zum Soziologen zu werden, wie auch universitäre Karrieren fast immer innerhalb der eigenen monodisziplinären Organisation nach den Kriterien der jeweiligen Disziplin verlaufen. Auch die sogenannten »PraxispartnerInnen« transdisziplinärer Forschung repräsentieren in vielen Fällen zwar keine wissenschaftlich-disziplinäre, aber jedenfalls unterschiedliche gesellschaftliche Subsysteme und meist deutlich ausdifferenzierte Organisationen (Willke 1996). Dass organisationsübergreifend inter- oder transdisziplinär geforscht wird, gehört für viele inner- oder außeruniversitäre Organisationen nicht zu den primären Aufgaben. Daher muss für eine inter- und transdisziplinäre Kooperation stets aufs Neue ein eigener Rahmen geschaffen werden. Dies geschieht in den allermeisten Fällen über konkrete Projekte. Diese haben stets einen Anfang, einen Verlauf (Prozess) und einen Abschluss. Nicht ohne

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Grund haben wir diese Gliederung für den vorangegangenen Teil dieses Buches gewählt.

SICH AN GESELLSCHAFTLICHEN PROBLEMEN ORIENTIEREN Weil inter- und transdisziplinäre Projekte für viele Beteiligte nicht in deren unmittelbaren Aufgabenbereich fallen, müssen diese Projekte besonders gut begründet sein. Einerseits müssen die Begründungen an die jeweilige Logik der beteiligten Disziplinen und sozialen Systeme anschließen. Zugleich lässt sich ein inter- und transdisziplinäres Projekt naturgemäß nie ausschließlich über die Interessen, Forschungstraditionen und Methoden nur einer einzigen akademischen Disziplin argumentieren. Eine solche Ausschließlichkeit würde den notwendigen Vergemeinschaftungsprozess im Projekt verhindern. Der mögliche Nutzen eines Projekts muss ersichtlich sein – und zwar für alle Beteiligten. Sonst endet der Projektplan in der Antragsphase. Inter- und Transdisziplinarität und jedes diesbezügliche Unterfangen brauchen daher eine außerhalb der monodisziplinären Gliederung der Universität gelegene Orientierung und Bedeutung. Als solche bietet sich vor allem die gesellschaftliche Problemorientierung an – die gemeinsame Identifizierung von Potentialen für die Lösung als relevant erkannter gesellschaftlicher Probleme (Bergmann/Schramm 2008; Bogner/Kastenhofer/ Torgersen 2010). Ist die Generierung eines solchen Lösungspotentials für gesellschaftliche Probleme das Ziel, so ist interdisziplinäre Zusammenarbeit meist schon deshalb erforderlich, weil jede Disziplin zwar wichtige, aber immer nur begrenzte Zugangsweisen anbieten kann. Im interdisziplinären Tun können neue gemeinsame Fragen entwickelt werden, die VertreterInnen einer Disziplin alleine nie so gestellt hätten (Winiwarter 2002). Durch eine transdisziplinäre Ausrichtung von Projekten werden darüber hinaus solche RepräsentantInnen von gesellschaftlichen Organisationen oder aus Praxisfeldern in ein gemeinsames Projekt integriert, die für das Anliegen als besonders relevant erachtet werden. Doch wenn hier von gesellschaftlichen Problemen als Gliederungsprinzip und Orientierung für inter- und transdisziplinäre Forschung die Rede ist, was ist damit gemeint? Die an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt, Wien und Graz angesiedelte Fakultät für Interdisziplinäre Forschung und Fortbildung (IFF), deren mehr als dreißigjährige Erfahrung im inter- und transdisziplinären Tun (Arnold 2009a) die Grundlage dieses Buches ist, versteht darunter vor allem Public Goods (Grossmann/Scala 2004; IFF 2013). Damit sind öffentliche Güter gemeint, zu deren Charakteristikum es gehört, dass alle Mitglieder von Gesellschaft an ihnen partizipieren bzw. diese konsumieren – ob sie wollen oder nicht.

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Gesundheit, Umwelt und Technologie gehören ebenso dazu wie Frieden, Bildung oder Wissenschaft. Die IFF fragt in ihren inter- und transdisziplinären Projekten, in denen die Grenzen zwischen Forschung, Beratung, Lehre und Weiterbildung durchaus gewollt verschwimmen, nach konkreten Umgangsformen mit diesen öffentlichen Gütern und den damit verbundenen gesellschaftlichen Herausforderungen. Als universitäre Einrichtung braucht die IFF über konkrete Projekte hinaus eine innere Organisation. Dabei ist die angesprochene gesellschaftliche Problemorientierung seit Beginn der 1990er Jahre (Arnold/Dressel 2009) zum Organisationsprinzip geworden. So finden sich an der Fakultät keine Institute für dieses oder jenes Fach, vielmehr definieren sich die einzelnen Organisationseinheiten, deren wissenschaftliche MitarbeiterInnen jeweils aus verschiedenen Disziplinen stammen, auch in ihrem Namen über spezifische gesellschaftliche Problemfelder rund um öffentliche Güter.1 Mit einer universitären, fixen Struktur auf Probleme zu antworten, die in der Gesellschaft produziert werden, sich verändern, verschieben, zuweilen entschärfen, sich manchmal aber auch zuspitzen, ist nicht unproblematisch. Die Reflexion und die Modifikation der eigenen wissenschaftlichen Organisationsform gehören daher zur permanenten Fakultätspraxis – wobei die universitären Strukturen diesbezüglich mehr verhindern als befördern.

MIT DEN GRENZEN DER PARTIZIPATION UMGEHEN Mit diesem Buch wollen wir nicht ein bestimmtes Verständnis von Inter- und Transdisziplinarität normativ begründen, sondern inter- und transdisziplinäres Tun in seinen Möglichkeiten und Grenzen verstehen, indem wir eine konkrete inter- und transdisziplinäre Praxis reflektieren. Partizipation ist ein Prinzip dieser Praxis. Dabei handelt es sich um die partizipative und gleichberechtigte Einbindung von VertreterInnen aus unterschiedlichen Disziplinen und aus der »Praxis«, die als besonders relevant für die Berarbeitung von Fragestellungen wahrgenommen werden; durch die Kommunikation »auf Augenhöhe«; durch das Forschen

1

Aktuell (Januar 2014) verfügt die IFF an den Standorten Klagenfurt, Wien und Graz über folgende Organisationseinheiten: Institut für Interventionsforschung und Kulturelle Nachhaltigkeit, Institut für Organisationsentwicklung und Gruppendynamik, Institut für Palliative Care und OrganisationsEthik, Institut für Soziale Ökologie, Institut für Technik- und Wissenschaftsforschung, Institut für Wissenschaftskommunikation und Hochschulforschung, Zentrum für Frauen- und Geschlechterstudien, Zentrum für Friedensforschung und Friedenspädagogik.

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mit Personen aus der Praxis und nicht das Forschen über Personen aus der Praxis (Hockley/Froggatt/Heimerl 2013). Aber im konkreten Tun, das sich auf ein spezifisches Thema, ein besonderes Feld bezieht und in dem spezifische Gruppen miteinander kooperieren, wirft der partizipative Anspruch manche Fragen auf, die wir im folgenden Abschnitt diskutieren. Diese Fragen sind stets in den konkreten Projekten zu beantworten, weisen aber weit darüber hinaus: Einige Organisationseinheiten der IFF befassen sich mit Nachhaltigkeitsforschung. Definitionsgemäß geht es bei Nachhaltigkeit darum, die Bedürfnisse und die Lebensqualität der nachfolgenden Generationen im Blick zu haben. Diese können sich aber als »Noch-nicht-Geborene« nicht direkt in ein Projekt einbringen. In diesem globalen Forschungsbereich geht es zudem darum, Bedarf und Bedürfnisse von Regionen und Bevölkerungen des gesamten Globus zu berücksichtigen. Wie können wir die noch sehr wenig geübte Praxis der geographischen und zeitlichen »Fernstenliebe« überhaupt lernen? (Fischer et al. 2011) In der Wissenschaftskommunikation und Hochschulforschung – der ein eigenes Institut an der IFF gewidmet ist – geht es weniger um »die Fernen«, sondern um uns selbst. Wie kann reflexive Distanz hergestellt werden? Denn in diesem Arbeitsbereich sind die Forschenden selbst Teil des »Praxisfeldes«. Genau genommen sind sie also immer WissenschaftlerInnen und PraxispartnerInnen in Personalunion. Irritation – eine der positiven Nebenwirkungen von inter- und transdisziplinärer Forschung – ist in diesem Fall auch Selbstirritation. Forschende aus diesem Bereich müssen sich in besonderem Maß mit dem hohen Anspruch der Selbstanwendung ihrer Forschungsergebnisse auseinandersetzen. – Dies kann sehr anstrengend sein (Dressel/Langreiter 2003a). Die partizipative Technikgestaltung ist oft mit einem Feld konfrontiert, das durch und durch naturwissenschaftlich dominiert ist. So wird etwa die Entwicklung und Auseinandersetzung mit der Pränataldiagnostik primär als eine naturwissenschaftlich-biochemisch-(patho-)physiologische Aufgabe gesehen und Ergebnisse werden in Wahrscheinlichkeiten von genetischen Defekten ausgedrückt. Wissenschaftliche Beratung in Bezug auf die Frage, wie schwer ein genetischer Defekt eines ungeborenen Kindes ist, wird hier primär als naturwissenschaftliche Beratung gesehen, die medizinisches Wissen vermittelt (Berger 2010). Inter- und transdisziplinäre Forschung, die Geistes- und Sozialwissenschaften miteinbezieht, läuft hier Gefahr, gerade über diese partizipative Praxis abgewertet zu werden, indem ihr in der Bevölkerung die Rolle der »Akzeptanzbeschafferin« zugeschrieben wird (vgl. Kap. 6). In Palliative Care (insbesondere für Hochbetagte und für Menschen mit Demenz) wird dagegen deutlich, dass Partizipation, die auf der Idee des »autonomen Subjektes« beruht, gegen Ende des Lebens zunehmend an ihre Grenzen

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stößt (Heimerl et al. 2012). Weder ist Mitgestaltung etwas, was alte Menschen im Pflegeheim (Pleschberger 2005) oder sterbende Frauen im Hospiz (Beyer 2010) unbedingt anstreben, noch ist es zunehmend pflegebedürftigen Menschen körperlich, geistig und seelisch möglich oder zumutbar, ihre Autonomie wahrzunehmen und zu partizipieren. Autonomie ist in diesen Situationen immer relational (Heller/Reitinger 2010). Ein gutes Leben bis zuletzt ist dann möglich, wenn Abhängigkeit bewusst angenommen werden kann (Kruse 2010).

IN KONKRETEN PROJEKTEN TUN Inter- und transdisziplinäres Tun, das sich der Generierung von Lösungsmöglichkeiten für gesellschaftliche Probleme widmet, möchten wir im Folgenden exemplarisch anhand von Einblicken konkret fassbar machen. Wir – das Herausgeberteam – haben jede Organisationseinheit der IFF dazu eingeladen, ein eigenes Projekt in diesem Buch vorzustellen.2 Die nachfolgenden Projektvorstellungen und -reflexionen erzählen klarerweise auch etwas über die IFF-Fakultät. Vor allem aber berichten sie darüber, wie inter- und transdisziplinär geforscht wird, was man am Anfang, in den Prozessen und zum Abschluss von Projekten erleben kann, wenn ProjektpartnerInnen aus Wissenschaften und außerwissenschaftlichen Bereichen miteinander kooperieren, und wie feldspezifisch jedes inter- und transdisziplinäre Forschen ist. Es ist keineswegs einfach, über ein wissenschaftliches Projekt – auch wenn es inter- und transdisziplinär ist – in reflexiver Absicht zu schreiben. Wir haben den AutorInnen nahegelegt, nicht nur über Erfolge, sondern ebenso über Sackgassen oder sogar Erfahrungen des Scheiterns zu berichten. Denn die IFF selbst versteht sich als »Experimentierfakultät« (Hellmer 2009), und inter- und transdisziplinäre Projekte sind immer »Orte des Experimentierens« (Weingart 2012: 14) – Experiment im Sinne des sich Einlassens auf einen gemeinsamen Weg und im Sinne eines Abenteuers, dessen Ausgang ungewiss ist. Experimente enthalten

2

Unsere Bitte an die Organisationseinheiten erfolgte im Frühjahr 2012. Zum damaligen Zeitpunkt war das Institut für Unterrichts- und Schulentwicklung, das inzwischen gemeinsam mit didaktischen Instituten der Universität Klagenfurt die School of Education (Universitätszentrum) bildet, noch Teil der IFF, während das Zentrum für Frauenund Geschlechterstudien noch nicht der IFF angehörte. Die Abteilung Stadt, Region und räumliche Entwicklung – inzwischen in das Institut für Interventionsforschung und Kulturelle Nachhaltigkeit integriert – stellte damals noch eine eigenständige Organisationseinheit der IFF dar.

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grundsätzlich immer die Möglichkeit des Scheiterns. Unser Anliegen, über eben solche Scheiternserfahrungen öffentlich zu schreiben, ist durchaus eine Zumutung. Denn die üblichen Genres, in denen über konkrete Projekte berichtet wird, sind meist der Bericht an den Auftraggeber bzw. die Geldgeberin oder der Aufsatz in einer wissenschaftlichen Zeitschrift. Und in diesen das Scheitern zu thematisieren, ist nicht immer klug. Aber auch wenn der Wissenschaftsbetrieb mit »Scheitern« oder »Fehlern« seine Probleme hat (Dressel/Langreiter 2005; Böhme 2000) – im inter- und transdisziplinären (aber ebenso im monodisziplinären) Forschen sind sie konstituierend für neue oder modifizierte erkenntnis- und lösungsgenerierende Methoden und Fragestellungen. »To work in these arenas necessarily involves risk. Not to work in these arenas is unethical.« (Burns 2010: 170) Ohne Fehler, aus denen wir lernen, wäre Erkenntnisfortschritt unmöglich, trotzdem verschweigen wir sie üblicherweise. In den folgenden Praxisberichten werden Klippen und Sackgassen sichtbar gemacht, die, auch als Lernchancen begriffen, manch einem Projekt erst den Weg zum befriedigenden Ergebnis eröffnet haben.

Sorgekultur entwickeln Ethische Entscheidungen in der stationären Altenhilfe ELISABETH REITINGER, KATHARINA HEIMERL, ANDREAS HELLER, KLAUS WEGLEITNER, SABINE PLESCHBERGER

Eine Pflegedienstleiterin erzählt aus ihrem Berufsalltag: »Ein älterer Mann – er leidet an Demenz, ist aber noch sehr mobil – lebt nun schon seit ein paar Jahren bei uns im Pflegeheim. Regelmäßig verlässt er das Haus und bringt alle Beschäftigten in große Aufruhr: ›Sollen wir ihm folgen, ihn zurückholen? Er wehrt sich mit dem Stock und ist ja ein freier Mensch! Andererseits gefährdet er sich selbst und andere durch seine Spaziergänge. Er verliert rasch die Orientierung und findet sich auch im Straßenverkehr nicht wirklich zurecht.‹«

Wir werden immer älter, die Lebenserwartung steigt und der Anteil an alten Menschen nimmt zu – weltweit. Hochaltrigkeit bewirkt einen steigenden Pflegebedarf, Multimorbidität, eine Zunahme an demenziell erkrankten Menschen und die permanente Frage nach dem Umgang mit Sterben, Tod und Trauer (WHO 2004, 2011). All das stellt vor allem Alten- und Pflegeeinrichtungen vor neue Fragen und Entscheidungen (Heller/Heimerl/Husebø 2007). Regelmäßig werden hier grundlegende Fragen des Menschseins aufgeworfen. Organisationen und ihre MitarbeiterInnen stehen im Pflegealltag vor der Herausforderung zu entscheiden, was gut und richtig ist im Umgang mit den abhängigen Menschen, was zu tun und was zu lassen ist (Schwerdt 2010; Reitinger/ Heller 2010). Es geht also um ethische Entscheidungen in der stationären Altenbetreuung. In einem transdisziplinären Forschungsprojekt wollten wir WissenschafterInnen mit den Beteiligten und Betroffenen in zwei Langzeitpflegeein-

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richtungen und einer geriatrischen Sonderkrankenanstalt in Wien darüber ins Gespräch kommen.1

FRAGESTELLUNGEN In dieser transdisziplinären Zusammenarbeit von PraktikerInnen und Fachpersonal unterschiedlicher Fachrichtungen mit WissenschafterInnen verschiedener Disziplinen widmeten wir uns vor allem vier Fragen: 1) Welche Themen verursachen ethische Dilemmata und wie werden konkrete ethische Entscheidungssituationen im Alltag von stationären Einrichtungen in der Betreuung alter, chronisch kranker Menschen gestaltet? Dieser Frage näherten wir uns in »Workshops zur ethischen Fallbesprechung« mit MitarbeiterInnen und Leitungskräften der drei Einrichtungen. Erzählt und besprochen wurden dort jene Themen, Situationen und Entscheidungen, die die Beteiligten für wichtig halten (vgl. Beispiele im Kap. 8). Für die Besprechung und Analyse der Situationen war einerseits der Blick auf die Widersprüche bedeutsam, die den schwierigen Geschichten zugrunde liegen und die Dilemmata hervorrufen. Andererseits haben wir Gefühle und Betroffenheiten als Quelle der Erkenntnis zugelassen und zur Auseinandersetzung damit sogar ermutigt. 2) Welche Verbesserungsmöglichkeiten ergeben sich aus der beobachteten Praxis der Entscheidungsfindung für die handelnden Personen und beteiligten Organisationen? Auf Basis einer ausführlichen Problematisierung (die stärker von Seiten der WissenschafterInnen unterstützt wurde) folgte die gemeinsame Suche nach Lösungen (die eher von den PraxispartnerInnen eingefordert wurde). Der Blick auf Prozesse eröffnete etwa die Frage, wer bei Entscheidungen wie beteiligt war. Der Fokus auf die zeitlichen Abläufen sowie die Verantwortlichkeiten lieferte wiederum Ansatzpunkte für Überlegungen, wie die Praxis der

1

Das Forschungsprogramm »Transdisziplinäres Forschen« (TRAFO) des Ministeriums für Bildung, Wissenschaft und Kultur eröffnete uns die Möglichkeit, den Fragen rund um die »große Ethik« und die »kleine Ethik« (Heller/Reitinger/Heimerl 2007; Kojer/ Schmidl 2011; Schmidl/Weissenberger-Leduc 2011) im Pflegeheim nachzugehen Das Projekt wurde im Zeitraum von April 2005 bis November 2006 gefördert. Eine vertiefte Auswertung zur Nachhaltigkeit wurde über eine Projektverlängerung bis Juni 2007 ermöglicht. Beteiligt am Projekt waren Führungspersonen und MitarbeiterInnen aus zwei Langzeitpflegeeinrichtungen und einer geriatrischen Sonderkrankenanstalt in Wien sowie wissenschaftliche MitarbeiterInnen und KollegInnen der IFF-Abteilung Palliative Care und OrganisationsEthik.

S ORGEKULTUR

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ethischen Kommunikationskultur in den beteiligten Einrichtungen aktiv zu gestalten und zu verbessern wäre. Diskussionen mit den Leitungskräften der Trägerorganisationen dienten der organisationsinternen Ergebnissicherung und Validierung der gewonnenen Erkenntnisse. Im Projekt entwickelte sich zunehmend das Interesse an einem trägerübergreifenden Austausch. Im »Forum ethische Entscheidungen« und in einer »trägerübergreifenden Abschlussveranstaltung« nahmen wir dieses Anliegen auf. 3) Wie kann der Prozess des transdisziplinären Forschens gestaltet werden? Um besser zu verstehen, wie sich Wissen in Kooperation zwischen Praxis und Forschung generieren lässt, führten wir Reflexionsworkshops im interdisziplinären WissenschafterInnenteam durch (Zepke 2008). Neue Wege der »Ko-Produktion« von Wissen wurden beschrieben, dokumentiert und evaluiert. Im Zuge dessen. richteten wir unser Augenmerk insbesondere auf die ethischen Aspekte, auf projektinternes und -externes Wissensmanagement und auf die Methodenentwicklung für transdisziplinäres Forschen. 4) Welche Bedeutung kommt Gender auf Inhalts- und Prozessebene zu? Das Pflegeheim ist eine »Frauenwelt« (Reitinger/Heimerl/Pleschberger 2005). Daher beschäftigten wir uns im WissenschafterInnenteam wie auch in den Besprechungen mit den PraktikerInnen mit der Frage, welche geschlechterspezifischen Themen auftauchen. Wir überlegten auch, in welchen Geschlechterkonstellationen (etwa was die Zusammensetzung der Moderationsteams betrifft) wir den Projektprozess begleiten.

DIE »WORKSHOPS ZUR ETHISCHEN FALLBESPRECHUNG« »Bitte beschreiben Sie eine Situation, die ein ›ungutes‹ Gefühl bei Ihnen hinterlassen hat.« Das war die Eingangsfrage, die wir den TeilnehmerInnen zu Beginn der ethischen Fallbesprechungen gestellt haben. Widersprüche zwischen den Bedürfnissen der zu Pflegenden und den Anforderungen, die Angehörige und das Fachpersonal an sie stellen, kamen dort zu Sprache – zum Beispiel das Unbehagen, das die Betreuten empfinden mögen, wenn sie von anderen gewaschen werden, bei gleichzeitigem Wunsch seitens der Angehörigen und Pflegenden nach Reinheit und Hygiene (Krainer/Reitinger 2008). Solche Widersprüche erfordern das Er- und Anerkennen von Unterschieden und einen reflektierten Umgang damit. Kontroverse Einschätzungen und Konflikte stehen damit auf der Tagesordnung. Wir haben die Fallbesprechungen und die darin erzählten Geschichten moderiert, dokumentiert und ausgewertet und in einer Broschüre sowohl den Betei-

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ligten als auch der interessierten Fachöffentlichkeit zur Verfügung gestellt (Reitinger/Wegleitner/Heimerl 2007).

EINE ODER VIELE SPRACHEN? Das Projekt sollte einen Beitrag zur Lösung gesellschaftlicher Problemstellungen, in diesem Fall des Umgangs mit ethischen Entscheidungen im Pflegeheim, liefern. Die Auswahl der Fragen, PartnerInnen und Methoden folgte einer an diesem Ziel orientierten Forschungstradition. In diesem Zueinander rangen wir immer wieder um ein »Einander-Verstehen«. Ob dies als Suche nach einer gemeinsamen Sprache oder eher als Annäherung an ein verständiges Zulassen von Unterschieden gedeutet wird, bleibt offen. Jedenfalls ergab sich als Besonderheit der transdisziplinären Arbeit die Frage, wie im »multikulturellen« Dialog zwischen den unterschiedlichen Disziplinen und Professionen eine Kommunikationsbrücke geschaffen werden könnte, die von allen vertrauensvoll beschritten wird. Wir mussten entsprechende Formen finden, die eine Auflösung der traditionellen Interaktion zwischen Wissenschaft und Praxis erlaubten. Reziprozität in den Beziehungen von WissenschafterInnen und PraktikerInnen war daher für eine konstruktive Zusammenarbeit eine Bedingung (Heimerl 2008). So war ein gemeinsamer würdigender Abschluss in den beteiligten Einrichtungen besonders wichtig. Seit Oktober 2006 sind neben dem Eingang gut sichtbare Schilder (»Plaketten« genannt) mit der Aufschrift »Forschungsbetrieb, powered by TRAFO-research.at« angebracht. Die Plaketten sollen darauf hinweisen, dass Forschung auch dort ist, wo sie gar nicht vermutet wird, dass die Tradition einer gelungenen Kooperation zwischen Praxis und Wissenschaft lebendig ist. Als Zeichen des Bemühens um die Verbesserung der Lebenssituation alter, pflegebedürftiger Menschen halten die Plaketten die gemeinsam geschaffene Arbeit rund um Fragen ethischer Entscheidungen im Bewusstsein. Die enge Orientierung an den Betroffenen, ihrer Praxis und Sprache bringt es auch mit sich, dass die Kommunikation ins Wissenschaftssystem hinein nochmals eigene Aufmerksamkeit benötigt. Gleichzeitig sind ForscherInnen nicht Teil des Praxisfeldes, was auch gar nicht wünschenswert wäre. Die Bewegung an den Systemgrenzen erfordert eine hohe Ambiguitätstoleranz innerhalb der Forschungsteams, ein gemeinsames Feststellen von Prioritäten und die fortlaufende Transformation von Sprache und Wissen als Voraussetzung, um sich über die Grenzen der unterschiedlichen Welten verständigen zu können. In diesem Projekt suchten wir nach medialen Vermittlungsformen im Dienst der Praxis, nach einem Format, das in diesem Feld eine gesellschaftliche Wirkung und

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Wirksamkeit entfalten könnte. Praxisnahe Broschüren, in denen die Geschichten, die uns erzählt wurden, wiedergegeben und mit Bildern der Künstlerin Angela Sommerhoff inhaltlich assoziativ interpretiert werden (beispielsweise über das Thema »Brücken bauen«), entstanden aus diesen Überlegungen.

GEFÜHLE UND BEZIEHUNGEN Gefühle als Erkenntnisquelle nahmen wir bewusst auf, beispielsweise in der Eingangsfrage zu den Workshops: »Erzählen Sie uns von Situationen, in denen Sie das Gefühl hatten, es ist etwas schiefgelaufen.« Betroffenheiten zeigen an, dass etwas Bewegendes geschieht (vgl. Kap. 11). Diese Betroffenheiten formulieren zu können bringt erste Erkenntnisse über die eigene Sicht der Welt. Diese Betroffenheiten im Gespräch mit anderen zu überprüfen und Übereinstimmungen und Divergenzen zu beschreiben, erlaubt notwendige Reflexions- und Lernprozesse. Letztendlich ging es immer wieder »darum, wie sich kollektive Autonomie inmitten komplexer Probleme organisieren kann als bewusste Entscheidung« (Heintel 2006c). Das gegenseitige Verstehen und die Beziehungen zu den PraxispartnerInnen haben sich vertieft. Durch die Arbeit am Projekt konnten die mit der Altenbetreuung befassten Häuser angeregt werden, die Entwicklung in Bezug auf ethische Herausforderungen weiter voranzutreiben. Das Projekt hat sowohl im Wissenschaftssystem als auch bei den PraxispartnerInnen Handlungsspielräume erweitert. Wir haben Einblicke in den Alltag der PraxispartnerInnen und ein besseres Verständnis der ethischen Herausforderungen der Altenbetreuung gewonnen. Das Methodenrepertoire konnte erweitert werden. Mit den PraxispartnerInnen wurden neue Kommunikations- und Besprechungsstrukturen und -kulturen erprobt. Einsichten in Dilemmata, zugrunde liegende Widersprüche und ihre Bearbeitungsmöglichkeiten lieferten den PraxispartnerInnen wichtige Erkenntnisse. Immer wieder hieß es: »Alleine darüber reden, tut gut!« Einige beschäftigten sich mit dem Thema Ethische Herausforderungen über das Ende des Projekts hinaus. So konnten Elemente der ethischen Fallbesprechungen in Teambesprechungen integriert werden, und das Projekt warb erfolgreich um einen Innovationspreis im Rahmen des Dachverbands österreichischer Alten- und Pflegeheime.

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HERAUSFORDERUNG: PARTIZIPATION IN PALLIATIVE CARE Radikale Betroffenenorientierung (Heller 2007) ist eines der Kernprinzipien von Palliative Care. Damit verbunden ist der zentrale Stellenwert von Partizipation der Betroffenen an Entscheidungen am Lebensende, die immer auch ethische Fragen beinhalten. Eine der wichtigsten Chancen in der transdisziplinären Arbeit liegt darin, die Perspektive von Betroffenen konstitutiv im Erkenntnisprozess zu berücksichtigen. Damit wird es auch für Angehörige des Wissenschaftssystems leichter, Themen aus der Praxis zu verstehen. Die entscheidende Aufgabe von Wissenschaft besteht oftmals darin, gut zuzuhören. So haben wir gelernt, dass die »kleinen Themen des Alltags«, wie z.B. eine Frau mit Demenz, die immer wieder nach ihrem Kännchen Milch fragt, obwohl sie es schon erhalten hat, mindestens von ebensolcher ethischer Bedeutung sind wie die großen existenziellen Fragen. Die Frage, wann und wie Beteiligung für die Betroffenen – die BewohnerInnen und ihre Angehörigen – möglich, von ihnen gewünscht und für die Betreuenden machbar ist, stellte alle Beteiligten vor große Herausforderungen und zeigte die Grenzen allein von Autonomie geprägter Partizipation auf. Es gibt immer unterschiedliche Interpretationen von Autonomie bis hin zum völligen Verwiesensein auf asymmetrisch zu aktualisierende Sorge (Conradi 2001). Die pflegebedürftigen Menschen, die in Pflegeheimen leben, sind oft nicht mehr in der Lage, ihre Teilhabe an Entscheidungen und an ihrer eigenen Versorgung am Lebensende aktiv zu realisieren. Wir grenzen daher Partizipation und partizipative Entscheidungsfindung in Palliative Care bewusst nicht von Sorge und Care ab. Die Betroffenen sind radikal darauf verwiesen, dass in einer sorgenden Beziehung achtsam mit ihren Bedürfnissen umgegangen wird, also eine Sorgekultur etabliert wird, die aufmerksam dafür bleibt, nicht in eine paternalistische oder maternalistische Fürsorge abzurutschen (Heimerl et al. 2012). Wir haben im Projekt die Erfahrung gemacht, dass die Beteiligung von Angehörigen eine Veränderung der Dynamik der Fallbesprechungen zur Folge hat. Vertrauen musste neu und anders hergestellt werden, da nicht mehr »nur« das Pflegepersonal untereinander die jeweilige Situation besprachen (Pleschberger/Dinges 2007). BewohnerInnen in die Fallbesprechungen einzubeziehen haben wir als WissenschafterInnen nach längeren Überlegungen nicht angestrebt, weil wir dies nicht für die angemessene Form der Partizipation überwiegend gebrechlicher und kognitiv eingeschränkter hochbetagter Menschen betrachtet haben. Wir wurden darin von unseren PraxispartnerInnen bestärkt. In diesem Sinne haben wir im Projekt zwar wesentliche, aber bei weitem nicht alle möglichen und denkbaren Dimensionen von Partizipation ausgelotet (Unger 2011).

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GESCHLECHTERSENSIBEL WERDEN »Gender« war eine zentrale Beobachtungskategorie des Forschungsprozesses. Es ging zunächst darum, Fragen zu entwickeln. Zum Beispiel: Welche ethischen Fragen stellen sich bei Frauen, welche bei Männern? Was bedeutet es für ethische Entscheidungen, dass viele (aber nicht alle) Einrichtungen der Altenhilfe »Frauenwelten« sind, dass hochbetagte Frauen von Frauen als Angehörige und von jüngeren Frauen gepflegt werden? Die Herausforderung bestand darin, diese Kategorie auf inhaltliche und prozessuale Ebenen zu übersetzen und zu beobachten, welche neuen Räume sich dadurch eröffnen, aber auch, wo Konflikte entstehen und Hindernisse bestehen. So zeigte sich beispielsweise bei der Analyse einer erzählten Situation nach Geschlecht, dass der pflegebedürftige Mann, der von einem reinen Frauenteam umgeben ist, in einer Krisensituation auf den einzigen Mann, der ihm begegnet, reagiert. Andererseits ist es immer wieder so, dass Frauen vor allem von Frauen in der Intimpflege betreut werden wollen. Diese Wünsche können aber aufgrund von organisatorischen Rahmenbedingungen nicht immer berücksichtigt werden (Reitinger/Lehner/Frey 2007; Lehner/ Reitinger 2008).

ZEIT: TEMPO UND RHYTHMUS Die Zeiten und Räume, die für »Dasein« und Reflexion geschaffen werden konnten, sind notwendig, um neue Wege zu öffnen. Etwas in Frage zu stellen, das schon da ist, braucht einen achtsamen Umgang und »Sorge« (Conradi 2001) – einen Prozess, in dem Menschen und Themen neu zusammenkommen können. Auch die Vielfältigkeit der Herangehensweisen im ForscherInnenteam immer wieder auf das eine Projektvorhaben zu beziehen – und dabei besser zu verstehen, wie die anderen es machen – erforderte Zeit und Geduld. Die unterschiedlichen Tempi der beteiligten Personen und Systeme brauchten einen gemeinsamen Rhythmus, der durch die Strukturierung des Forschungsprozesses gefunden werden konnte.

ERWEITERUNG DER METHODEN – EINE CHANCE Das Programm TRAFO und das Projekt »Ethische Entscheidungen in der Altenbetreuung« hatten zu einer gewissen Experimentierfreude vor allem in der methodischen Herangehensweise animiert. So konnten wir im Rahmen der wissen-

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schaftlichen Reflexionsworkshops ExpertInnen unterschiedlicher Bereiche miteinbeziehen, durch die professionelle Unterstützung von Plansinn (der das Forschungsprogramm begleitenden Organisation zur Wissenschaftskommunikation) entstanden sowohl die genannten Plaketten und Broschüren als auch Post-Karten. Die ursprünglich angedachten Forschungsdesignschritte erweiterten sich durch die Zusammenarbeit mit den PraxispartnerInnen. Wie können in diesen Fragen Inszenierungen aussehen, um die Koproduktion durchzuhalten und nachhaltige Entscheidungen (Krainer 2007) zu ermöglichen? Komplexe Formen von Wirkungsbeobachtung sind nötig, um die Effekte und Erfolge dieser Projekte untersuchen zu können. Plurale Paradigmen werden benötigt, um Zusammenhänge aus der Nähe sehen zu können. Die Chance der Erweiterung der Methoden bringt die Herausforderung mit sich, sie theoriebasiert zu beschreiben. An der Zusammenarbeit sind unterschiedlich »disziplinierte« ForscherInnen und PraktikerInnen, oft mit verschiedenen professionellen Lebensläufen und Tätigkeitsfeldern, beteiligt. Heterogene AkteurInnen erhöhen die Chancen zur Übernahme gesellschaftlicher Verantwortung, denn Transdisziplinarität hat transformatorisches und selbstkritisches Potential, Kommunikationsprozesse werden offen und reflexiv gestaltet und erfolgen über disziplinäre Grenzen und Grenzen des Wissenschaftssystems hinaus. Sie ist verknüpft mit einer Haltung großen Respekts vor anderen Systemen und Personen und ermöglicht wertschätzende Begegnungen. Forschung als Intervention, die sie immer auch ist, bekommt daher nochmals eine andere Bedeutung. Die Bandbreite der Formen von Intervention reicht von »Zeit und Anwesenheit« bis zu komplexen Designs von Workshops. Transdisziplinarität erzeugt daher neue Verständigungsprozesse. Die PraxispartnerInnen machen einen Schritt auf die Wissenschaft zu, indem sie ihre Themen, Herausforderungen und Probleme im Alltag für die Wissenschaft nachvollziehbar zu machen versuchen. WissenschafterInnen sind andererseits bemüht, ihren Ansatz, ihre Beweggründe und die Ziele ihrer Arbeit den PraxispartnerInnen zu vermitteln. Im Spannungsfeld der Erfordernisse der Praxis, der Universität und des transdisziplinären Forschungszusammenhangs sind daher weiterhin Fragen zu stellen: Wie lässt sich Erfolg in transdisziplinärer Forschung nach universitären Kriterien nachvollziehen? Wie können Wirkungen und Folgen bei den PraxispartnerInnen sichtbar werden? Was kann Nachhaltigkeit hier wirklich bedeuten?

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VON DEN HERAUSGEBERiNNEN NACHGEFRAGT Gibt es für euch wichtige Schlüsselerfahrungen im Projekt? Elisabeth Reitinger: Ein Augenblick größter Begeisterung – und es hat ja in dem Projekt glücklicherweise mehrere davon gegeben – war, als das von den beteiligten Organisationen gewünschte trägerübergreifende Treffen zu reger Teilnahme und grundlegendem Austausch zwischen den beteiligten PraktikerInnen in Bezug auf ethische Fragen in der Altenpflege und -betreuung führte. Ein anderer – ich kann's nicht lassen – war die Einsicht in Gender-Strukturen und GenderBeziehungen beim Erstellen eines Gender-Soziogramms einer Betreuungssituation unter Anleitung unserer Kollegin Regina Frey. Aber es gab auch Augenblicke der Verzweiflung. Diese gab es immer wieder dann, wenn ich manche der ethischen Fragen und Herausforderungen aus dem Alltag der interprofessionellen Teams hörte, das Gefühl der Ohnmacht und Ausweglosigkeit teilte und mir die Frage stellte, was denn da ein Forschungsprojekt überhaupt für eine Bedeutung haben kann. Sabine Pleschberger: Die Struktur des Zusammenspiels zwischen Forschung und Praxis, die ist rundherum gelungen, das war klug aufgesetzt und das bewährte sich, auch der Workshop am Ende, wo alle PraxisvertreterInnen sich untereinander auch nochmals kennenlernen und austauschen konnten. Das war einfach toll. Und toll und keinesfalls selbstverständlich ist für mich auch die durchgängig wertschätzende Kommunikation aller mit allen gewesen. Vielleicht wäre es beim nächsten Projekt aber spannend, bereits mit der Praxis zu planen, zu entwerfen. Die wurde dann ja mit dem bereits fertigen Design konfrontiert und konnte halt nur noch mitmachen. Aber das ist immer das Problem, weil man die Praxis ja häufig erst gewinnt, wenn man bereits den Zuschlag zum Projekt hat.

Wenn Fluglärm Bürgerlärm erzeugt … Begleitforschung zum Mediationsverfahren am Flughafen Wien LARISSA KRAINER

AUSGANGSSITUATION Ende der 1990er Jahre lag am Wiener Flughafen eine Kapazitätsprognose vor, die den Bau einer dritten Start- und Landebahn am Flughafen nahelegte. Die damaligen Vorstände versuchten den Ausbau des Flughafens in den Anrainergemeinden mit der Schaffung von Arbeitsplätzen schmackhaft zu machen. Erreicht haben sie, was sicher nicht gewollt war: In vielen der umliegenden Gemeinden bildeten sich Bürgerinitiativen, die gegen den Ausbau mobil machten. Gegen die drohende Steigerung des ohnehin enormen Fluglärms organisierten sie gehörigen Bürgerlärm, demonstrierten auf Pisten und wurden zu ernsthaften Konfliktgegnern des Flughafens. Im März 2000 beauftragte der Flughafen schließlich den Wiener Rechtsanwalt Thomas Prader mit der Vorbereitung eines Mediationsverfahrens. Dieser legte dem Flughafen auch nahe, das Projekt von wissenschaftlicher Expertise (in Konfliktmanagement und Mediation) begleiten zu lassen.

ZUM MEDIATIONSPROJEKT Das Mediationsverfahren am Flughafen Wien-Schwechat dauerte annähernd viereinhalb Jahre; es startete Anfang 2001 und wurde am 22. Juni 2005 mit der Unterzeichnung eines Mediationsvertrages feierlich abgeschlossen. Primäre Zielsetzung des Verfahrens war, eine Entscheidung über den Bau einer dritten Startund Landebahn am Flughafen Wien zu treffen. Verhandelt wurden allerdings viele darüber weit hinausreichende Themen: Umweltschutz, Nachhaltigkeit,

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Lärmbelästigung, Flugrouten, technische Aspekte etc. Bis zum Abschluss waren mehr als 500 Sitzungen (in 39 Arbeitskreisen und elf Arbeitsgruppen) durchgeführt und protokolliert worden. Am Verfahren nahmen 57 Parteien, vertreten durch 66 Personen aus verschiedenen gesellschaftlichen Gruppierungen, teil: zwölf Anrainergemeinden, drei Gruppierungen von Seiten des Flugbetriebs (Flughafen Wien Aktiengesellschaft/FWAG, Fluglinie AUA, Flugsicherungsbehörde Austro Control/ACG), zwei Bundesländer (Wien, Niederösterreich), acht Kammern, Verbände und Interessenvertretungen, der Nationalpark DonauAuen, sechs Bezirksvertretungen der Stadt Wien, drei Siedlervereine, zwölf Bürgerinitiativen, acht politische Parteien aus den Bundesländern Wien und Niederösterreich sowie zwei Umweltanwaltschaften. Die Leitung und Gesamtsteuerung des Mediationsverfahrens hatten zunächst drei (später zwei) MediatorInnen sowie ein Prozessprovider inne. Das Verfahren war in Hinblick auf die Zahl der Teilnehmenden, die Dauer und wohl auch die Kosten das größte, das bislang in der Geschichte der Mediation bekannt ist. Teil des abschließenden Mediationsvertrages war die Einrichtung eines »Dialogforums«, das bis heute als regionales Konfliktmanagement agiert und inzwischen sein fünfjähriges Bestehen gefeiert hat. Dieses Dialogforum Flughafen Wien kann als »Hüter der Mediationsvereinbarungen« betrachtet werden: Es evaluiert die Einhaltung der Beschlüsse, beobachtet das aktuelle Fluggeschehen sowie die Ausbaupläne des Flughafens und versucht, Auswirkungen für Gemeinden sowie Bürgerinnen und Bürger abzuschätzen. Um dies zu erreichen, hat das Dialogforum »die Aufgabe übernommen, für geeignete Kommunikationsprozesse zu sorgen, damit auf partizipative, transparente, kooperative und faire Weise unter Berücksichtigung aller Interessen auf freiwilliger Basis Lösungen gefunden werden können« (Dialogforum 2012a). Das Dialogforum wacht aber nicht nur über die Einhaltung der Verträge, es behandelt auch weitere »Themen, Fragen und Konflikte und setzt damit die gemeinsame Arbeit für den Interessensausgleich und die Kommunikationskultur des Mediationsverfahrens fort« und versteht sich als »Diskussions- und Kommunikationsplattform für rund hundert Gemeinden, die Bundesländer Wien, Niederösterreich und das Burgenland« (Dialogforum 2012b).

DAS MEDIATIONSVERFAHREN FORSCHEND BEGLEITEN Das Institut für Interventionsforschung und Kulturelle Nachhaltigkeit wurde vom größten Organ des Mediationsverfahrens – dem Mediationsforum (in dem alle Mitglieder vertreten waren) – damit beauftragt, den gesamten Prozess wis-

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senschaftlich zu begleiten. Finanziert wurde das Forschungsprojekt vom Flughafen Wien. Die Motive dafür waren vielschichtig: Zum einen sollte die Forschung begleitend Unterstützung bieten (Sicherheit in Fragen des Umgangs mit unsicheren Situationen), zum anderen sollte das Verfahren möglichst praxistauglich dokumentiert und aufbereitet werden. Der Fokus der Forschung lag – kurz gesagt – auf den Aspekten Struktur/Organisation des Verfahrens, interne und externe Kommunikation, auftretende Widersprüche, Konfliktverhalten und angestrebte bzw. erzielte Konfliktlösungen. Das Forschungsteam bestand zunächst aus einem Leitungsteam (zwei Personen), ein Kollege hatte die wissenschaftliche Supervision übernommen, vier weitere ForscherInnen und eine Sekretärin waren im Projekt beschäftigt (später wurde das Team verkleinert). Durchgeführt wurde das Projekt als Interventionsforschungsprojekt – einer an der Universität Klagenfurt entwickelten inter- und transdisziplinären Forschungsmethode, die unterschiedliche qualitative Erhebungsmethoden bündelt (Interviews, teilnehmende Beobachtungen, Inhalts- und Diskursanalysen etc.). In regelmäßigen Rückkoppelungsprozessen werden Zwischenergebnisse und generierte Hypothesen den betroffenen PraktikerInnen vorgestellt, mit ihnen diskutiert (kommunikative bzw. kollektive Validierung) und Entscheidungsprozesse moderiert. In diesen ziehen die Betroffenen selbst die Konsequenzen aus den Forschungsergebnissen (ausführlicher: Krainer/Lerchster 2012; Falk/Krainer 2006). Im Rahmen der wissenschaftlichen Begleitforschung zum Mediationsverfahren am Flughafen Wien wurden 121 Interviews (mit insgesamt 221 Personen) sowie 173 teilnehmende Beobachtungen durchgeführt und darüber hinaus alle im Verfahren erstellten Protokolle und Dokumente analysiert (von mehr als 500 Sitzungen). Die Ergebnisse wurden in zwei Zwischen- und einem Abschlussbericht festgehalten und in insgesamt 25 Rückkoppelungen den PraktikerInnen zurückgespielt und mit diesen in Hinblick auf mögliche Konsequenzen beraten. In einer Buchpublikation und mehreren wissenschaftlichen Aufsätzen wurde das gesamte Mediationsverfahren beschrieben, einige weiterführende Hintergrundthemen ausgearbeitet (etwa Mediation und Politik bzw. Demokratie oder Mediation und Öffentlichkeitsarbeit1) und das Forschungsprojekt ausführlich dokumentiert (Falk/Heintel/Krainer 2006). Nachdem das Mediationsverfahren abgeschlossen und das Dialogforum installiert war, wurde übrigens dieses Dialogforum mit den gleichen Methoden in einem weiteren Forschungsprojekt evaluiert. Das Projekt war aber insgesamt viel kleiner und kürzer (Dauer: circa ein Jahr, 31 Interviews, acht teilnehmende Be-

1

Exemplarisch dazu: Heintel 1998, 2006d, 2006e; Heintel/Krainer 2004a, 2004b; Falk 2006.

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obachtungen, zwei Rückkoppelungen, ein Katalog mit diagnostizierten Herausforderungen und ein abschließender Forschungsbericht). Das Forschungsteam bestand aus sechs Mitgliedern. Auch in diesem Projekt lag ein spezieller Fokus auf dem Thema Kommunikation, bezogen auf die zentralen Inhalte der internen wie externen Kommunikation, die dafür gewählten Instrumente sowie erkennbare Herausforderungen in den Kommunikationsprozessen.2

EXEMPLARISCHE ERGEBNISSE Die Relativität von partizipativen und selbstorganisierten Verfahren: In Bezug auf die Entscheidung für und die Vorbereitung des Mediationsverfahrens hat sich erstens gezeigt, dass partizipative Entscheidungsverfahren durchaus nicht das Mittel der ersten Wahl sind. Das Mediationsverfahren wurde erst initiiert, als andere kommunikative Maßnahmen, die die Flughafen Wien AG zuvor ergriffen hatte (insbesondere PR-Maßnahmen), gescheitert waren. Zweitens wurde deutlich, dass solche Verfahren nicht in reiner Selbstorganisation entstehen können und einer sorgfältigen Vorbereitung bedürfen (diese wurde in einem sechsmonatigen Vorprojekt von einer zwölfköpfigen Gruppierung, bestehend aus zentralen Key-Playern des späteren Verfahrens, durchgeführt). Herausforderung Organisation von Selbstorganisation: Mediationsverfahren und Dialogforum sollten und sollen sich in Akten der Selbstorganisation steuern. Das kann auch durchaus gelingen. In der Regel aber haben wir es mit einem konflikthaften Geschehen zu tun. Damit haben solche Verfahren – neben der sachlichen und in der Regel hinreichend komplexen Konfliktmaterie – zwei weitere Probleme (permanent) aufzugreifen und zu lösen: nämlich Fragen der eigenen inneren Organisation und der Grenzziehung nach außen, von Einschluss und Ausschluss. Im Verfahren konnte zunächst ein enormes Anwachsen von Arbeitskreisen und -gruppen beobachtet werden, eine explodierende Anzahl von Sitzungen und Terminen, die zahlreiche Folgetermine innerhalb der unterschiedlichen Verfahrensparteien nach sich zogen (vor allem zur inneren Abstimmung), bis schließlich die Komplexität zeitlich nicht mehr bewältigt werden konnte. Auf Basis einer Rückkoppelung des Forschungsteams wurde im Verfahren beschlossen, eine Prozesssteuerungsgruppe einzurichten, die – als unterstützendes Organ – für und in Kooperation mit dem Mediationsteam die Steuerung des Verfahrens

2

Die gebotene Projektdarstellung folgt weitgehend der in den Projektberichten und wurde auch an anderer Stelle so publiziert (Krainer 2011).

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auf der Ebene der Strukturierung von Themen und organisationalen Prozessen übernahm. Widersprüche durch gewählte Kommunikationsstrukturen und -formen: Es fallen mehrere Widersprüche auf: Im Verfahren haben sich sowohl formelle als auch informelle Kommunikationswege konstituiert, letztere wurden teilweise mit großem Argwohn beobachtet, unter »Packelei-Verdacht« gestellt. Es hat sich aber gezeigt, dass beide Formen der Kommunikation unersetzlich und wichtig waren, allerdings so lange unbesprochen geblieben sind, bis das Forschungsteam sie in einer der Rückmeldungen zum Thema machte und sich das Mediationsteam und der Prozessprovider darauf einigten, die verschiedenen Kommunikationsformen weiterhin aufrechtzuerhalten und hier bewusst arbeitsteilig vorzugehen – das Mediationsteam übernahm vornehmlich die formelle – und Beschlüsse fassende – Kommunikation und der Prozessprovider sorgte für informelle Kommunikationsmöglichkeiten, in denen Beschlüsse vorbereitet und ausgehandelt werden konnten. Zu einem Widerspruch führt auch der Ruf nach Transparenz und Zugang zu allen Unterlagen: Diese wurden zwar stets zugänglich gemacht (und waren über die Verfahrenswebsite auch jederzeit abrufbar), nahmen aber über die Jahre einen solchen Umfang an, dass sie kaum noch zu überblicken waren. Partizipative Entscheidungsverfahren brauchen ein spezielles Informationsmanagement. Ein dritter Widerspruch zeigte sich im Umgang mit Medien: Zum einen sollte möglichst große Transparenz hergestellt werden, auch gegenüber der allgemeinen Öffentlichkeit, die ja nicht selbst am Verhandlungstisch Platz nehmen konnte, zum anderen schüren Medien, indem sie dazu neigen, eher am Konflikt als am Konsens interessiert zu sein, tendenziell jene Konflikte, die im Verfahren eigentlich gelöst werden sollten. Partizipative Entscheidungsverfahren bedürfen daher sowohl des Einschlusses als auch Phasen des Ausschlusses der Öffentlichkeit, die durch Medien repräsentiert wird (zu den kommunikativen Herausforderungen: Krainer 2006, 2011).

INTER- UND TRANSDISZIPLINÄRE HERAUSFORDERUNGEN Betrachtet man die unterschiedlichen Phasen des Forschungsprojektes, so lassen sich abschließend die folgenden Herausforderungen skizzieren: Die Unvorhersehbarkeit von Projektprozessen: Auf Basis einiger Vorgespräche wurde das Institut für Interventionsforschung und Kulturelle Nachhaltigkeit gebeten, ein Forschungsangebot zu legen. Dies ist nicht einfach, wenn zunächst noch völlig unklar ist, wie ein solches Mediationsverfahren gestaltet werden kann. Gerade wenn es darum geht, Komplexität in den Blick zu bekommen,

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braucht Forschung hinreichend flexiblen Gestaltungsraum, um darauf zu reagieren – durch vermehrte Beobachtungen, Analyse von Protokollen, Interviews. Das Unvorhersehbare lässt sich allerdings nicht leicht kalkulieren, weder in Hinblick auf Zeitressourcen noch auf daraus resultierende Kosten. Der Auftrag musste mehrmals verhandelt, zunächst erweitert, später wieder reduziert werden, das Vertragsende wurde mehrfach hinausgeschoben. Damit einhergehend haben sich auch verschiedene Team- und Leitungsstrukturen im Begleitforschungsprojekt ergeben. Die Teamfindung: Einerseits war es eine Vorgabe des Auftraggebers, dass alle Teammitglieder ausgebildete MediatorInnen sein sollten (was aber nicht alle waren), andererseits war es notwendig, Personen zu finden, die hinreichend Forschungs- und Organisationserfahrung hatten und zudem vor Ort, in Wien, lebten und möglichst flexibel einsetzbar waren. Diese überregionale Zusammensetzung beförderte zwar die Flexibilität und half zudem Reisekosten zu minimieren, erzeugte allerdings einen erhöhten Kommunikations- und langfristigen Planungsbedarf im Forschungsteam. Dieser stand wiederum in einem gewissen Widerspruch zu den aktuellen und gelegentlich eskalierenden Problemen im Mediationsprozess, in dem wir mehrfach um sehr kurzfristige Rückmeldungen gebeten wurden, für die wir aber in der langfristigen Planung keine Teamsitzung – das zentrale Organ für die Bildung von Hypothesen und Hintergrundtheorien – vorgesehen hatten. Umgang mit mehreren AuftraggeberInnen: Beide Forschungsprojekte hatten zwei unterschiedliche Auftraggeberstrukturen. Zum einen wurde die Begleitforschung zum Mediationsverfahren in der Mediationsvereinbarung festgehalten, insofern war unser Auftraggeber das Mediationsforum, das größte Gremium des Verfahrens. Zum anderen wurde die Forschung von der Flughafen Wien AG finanziert, die damit unsere direkte Verhandlungspartnerin war. Ähnlich war dies im Dialogforum, wo wir durch dessen Geschäftsführer beauftragt wurden, zugleich aber wiederum mit der finanzierenden Flughafen Wien AG einen weiteren Verhandlungspartner vorfanden. Ein Gremium wie das Mediationsforum besteht aus zahlreichen Mitgliedern und stellt insofern keinen persönlichen Ansprechpartner dar, ein Geschäftsführer hingegen schon. Im zweiten Fall lassen sich offene Punkte in direkter Kommunikation klären, im ersten trifft man eher auf diffuse Erwartungen und wenig taugliche Entscheidungsstrukturen, zumal das Mediationsforum primär inhaltliche Beschlüsse zur verhandelten Konfliktmaterie zu fassen hatte. Die Erwartungen des Geldgebers sind wiederum andere – neben der Prüfung formaler, meist finanztechnischer Fragen gab es auch inhaltliche Wünsche, z.B. sollten gesonderte Rückmeldungen an den Vorstand der Flughafen Wien AG erfolgen.

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Gefahr einer »inhaltlichen Verwicklung« der ForscherInnen: Wiewohl der Fokus der Forschung explizit nicht auf inhaltliche Aspekte gelegt wurde, gerieten wir rasch und ungewollt in inhaltliche Auseinandersetzungen: Mitglieder jener Bürgerinitiativen, die sich vehement gegen den Ausbau des Flughafen Wiens engagierten, kritisierten ebenso vehement, dass ForscherInnen aus Klagenfurt, das etwa vier Zugstunden von Wien entfernt liegt, mit dem Flugzeug anreisten (die Flughafen Wien AG hatte uns dafür eigens ein vergünstigtes Kontingent zur Verfügung gestellt, ohne das wir die Forschung niemals durchführen hätten können). Im Raum stand sogar Verweigerung (z.B. betreffend die Teilnahme an Interviews) und die Forderung zu gewährleisten, dass kein Teammitglied mehr fliegen würde. Der Konflikt konnte deeskaliert werden, wir konnten fliegen, haben das Problem aber durchaus verstanden und sehr ernst genommen. Das Balancieren von Nähe und (forscherischer) Distanz: Im Mediationsverfahren hat sich über die Zeit ein allgemeines »Du-Wort« eingestellt, insbesondere der Prozessprovider hat ein solches gepflegt. Vor allem jene ForscherInnen, die sehr nahe am Verfahren »dran« waren, den Großteil der Beobachtungen und Interviews übernommen haben und unzählige Tages- und Nachtstunden in Gremiensitzungen verbrachten, hatten es schwer, distanziert zu bleiben, sich an den Buffets nicht an informellen Gesprächen zu beteiligen und das angebotene »Du-Wort« auf Dauer zu verweigern. Eine solche Nähe fördert Empathie, Empathie kann aber dazu führen, den klaren Blick zu verlieren und tendenziell eher mitzuleiden als kritisch zu analysieren, was gerade vor Ort geschieht. Wir haben gelernt, dass das Forschungsteam auch dafür eine wichtige Instanz ist, in der man sich über Gefühle und Emotionen ebenso offen austauschen können muss wie über Inhalte, Hypothesen und Fragen der Organisation, um wieder das nötige Maß von Distanz und Nähe herstellen zu können. Informationsflüsse: Das hohe Maß an Transparenz, das im Verfahren hochgehalten und gelebt wurde, hat für die Forschung spezifische Probleme aufgeworfen, etwa dann, wenn es darum ging, Rückmeldungen für bestimmte Gruppierungen durchzuführen. Vom Wunsch der Vorstände war bereits die Rede. Rückmeldungen zu spezifischen Themen wurden aber auch von der Gesamtsteuerung des Verfahrens, von der Prozesssteuergruppe oder von einzelnen Gruppierungen im Verfahren erbeten. Wir sind dem so gut wie möglich nachgekommen, mussten aber jeweils mit großer Sorgfalt darauf achten, dass das Geschehen im Verfahren zumindest insofern transparent gemacht wurde, als alle von den Rückkoppelungen (wenn auch nicht notwendigerweise von den besprochenen Inhalten) erfahren haben. Mitunter hatten wir das Gefühl, mit Interessen konfrontiert zu sein, die Forschung instrumentalisieren wollten, dem haben wir uns verweigert. Gelegentlich hatten wir den Eindruck, Unterstützung in Phasen

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großer Unsicherheit bieten zu können, und wir haben uns sehr bemüht, diese auch zu leisten, haben verschiedene Hypothesen zur aktuellen Situation und Hintergrundtheorien zu allgemeinen Herausforderungen in solchen Verfahren entwickelt und diese möglichst zeitnah zur Verfügung gestellt. Komplexität und Konfliktdynamik: Diese sind in Forschungsprojekten dieser Art unvermeidbar. Inhaltliche Komplexität erzeugt organisationale Komplexität und führt zu einem steigenden Zeitbedarf, um Korrespondenzen und Materialien ausreichend verfolgen bzw. analysieren oder die steigende Anzahl von Sitzungen hinreichend beobachten zu können, um einen guten Gesamteindruck zu gewinnen – in dem Verfahren vor Ort wie in der Forschung. Konflikte im Praxissystem können sich in Forschungsteams spiegeln, bedürfen der sorgfältigen Analyse, gelegentlich auch eines supervisorischen Blicks von außen. All das kostet Zeit – oder anders ausgedrückt: Zeit und Ruhe werden zu zentralen Ressourcen für Forschung in komplexen und konfliktreichen Verfahren. Bei aller gebotenen Distanz durch Forschung: Ein jahrelanges Begleiten von Menschen, die um bestmögliche Entscheidungen ringen, kann nicht spurlos an ForscherInnen vorübergehen und ergreift sie rational und emotional immer wieder aufs Neue.

VON DEN HERAUSGEBERiNNEN NACHGEFRAGT Gibt es für dich wichtige Schlüsselerfahrungen im Projekt? Larissa Krainer: Eine Schlüsselerfahrung war die Erkenntnis, wie schwer Entscheidungen in Konflikten zu treffen sind, die nachfolgende Generationen massiv beeinflussen werden. Da spielen Ängste und Unsicherheiten eine große Rolle. Zudem erfordert es einen langen Atem, bis die Positionen geschärft sind und auch von allen verstanden werden, ehe man überhaupt entscheidungsfähig wird. Zudem treffen sehr verschiedene Argumente aufeinander: rationale, emotionale und moralische, die nicht immer zueinander passen. Und: Verfahren von so großer Dimension erzeugen neben inhaltlichen Konflikten solche, die die Organisation betreffen. Das hatten fast alle unterschätzt.

Interaktive Konflikttransformation Inoffizielle Diplomatie und zivilgesellschaftliche Intervention in »ethnopolitischen« Konflikten WILFRIED GRAF

Können Konflikte durch Beratung und Begleitung handhabbarer, vielleicht sogar lösbar werden? Inzwischen stehen viele Methoden zur Konfliktbearbeitung zur Verfügung, die allerdings besser aufeinander bezogen und integriert werden müssten. Die lange Geschichte der Diplomatie als Kunst des Möglichen gibt Hoffnung und zeigt gleichzeitig deutlich die Grenzen offizieller Verfahren. Inoffizielle Diplomatie durch zivilgesellschaftliche Akteure kann dazu beitragen, offizielle Verfahren vorzubereiten, zu ergänzen, aber auch zu erweitern, insbesondere in Richtung einer stärkeren Interaktivität zwischen den Konfliktparteien bei der Entwicklung von Lösungsperspektiven. Das »Herbert C. Kelman Programm für Interaktive Konflikttransformation« am Zentrum für Friedensforschung und Friedenspädagogik (ZFF) versucht, interaktive Konfliktintervention in komplexen Konfliktfeldern mit inter- und transdisziplinärer Forschung zu verbinden. Es kooperiert dabei mit dem Herbert C. Kelman Institut für Interaktive Konflikttransformation (früher IICP). Das Kelman Institut verfügt über Projekterfahrungen in internationaler Friedensmediation und konfliktsensitiver Entwicklungszusammenarbeit (Dialogprojekt Sri Lanka 2002 bis 2008, Wiederaufbauprojekt in Sri Lanka 2005 bis 2007, Methodenentwicklung und Capacity Building in Israel/Palästina seit 2005), die die Einreichung und Umsetzung entsprechender Projekte in internationalen Konfliktregionen ermöglichen. Es erlaubt eine Anbindung an die vierzigjährige Erfahrung mit interaktiver Konfliktbearbeitung in Israel/Palästina (durch die Ehrenpräsidentschaft Herbert C. Kelmans, Harvard University) sowie auch an die Erfahrung internationaler und europäischer Diplomatie in den 1990er Jahren im ehe-

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maligen Jugoslawien (durch die Präsidentschaft des österreichischen Botschafters Wolfgang Petritsch).

ANFÄNGE In den 1980er Jahren herrschte in der kritischen Friedensforschung der Strukturalismus; am damaligen Österreichischen Studienzentrum für Friedenforschung und Friedenserziehung hatte mich besonders die Galtung’sche Variante beeinflusst (Galtung 1998). Zugleich faszinierte mich die Soziometrie und das Soziodrama Morenos (Graf 2007) und das »szenische Verstehen« der psychoanalytischen Kulturtheorie (Graf/Ottomeyer 1986). Eine dritte Quelle, auf die schon Ende der 1980er Jahre der Philosoph Thomas Macho am damaligen IFF-Studienzentrum für Friedensforschung in Stadtschlaining aufmerksam gemacht hatte, war die dialektische Widerspruchs- und Prozessorientierung des Klagenfurter Beratungsmodells (Heintel/Krainer/Ukowitz 2006) als Grundlage für eine Praxis von »Konfliktberatung« (Graf/Horn/Macho 1989). Aus diesen interdisziplinären Einflüssen entwickelten Gudrun Kramer und ich ab 2001 ein Sechs-Schritte-Verfahren, das zunächst auf Galtungs TranscendMethode basierte (Graf/Kramer/Nicolescou 2008), zunehmend aber auf einen inter-methodischen Dialog mit anderen Verfahren abzielte (Graf/Kramer 2011a, 2011b). Mitte 2004 veranstalteten wir eine Internationale Akademie für Konfliktlösung mit 160 TeilnehmerInnen, die wir »COMPAIR: Methoden im Dialog« nannten. Die Anregungen dieser Tagung waren wesentlich für die Entwicklung unseres eigenen Verfahrens, das wir damals vorerst »integrative« (statt »interaktive«) Konflikttransformation nannten und das wir insbesondere in interkulturellen und »ethnopolitischen« Konfliktkonstellationen erprobten und weitergaben. Ab 2001 machten wir erste praktische Erfahrungen mit Konflikttransformations-Workshops und -Trainings im Südkaukasus, in Südosteuropa und in Ostafrika. Ein großes Projekt zum konfliktsensitiven Wiederaufbau nach dem Tsunami in Sri Lanka ermöglichte 2005 die Gründung eines eigenen Instituts, das Institut für Integrative Konfliktbearbeitung und Friedensentwicklung (IICP) und gab auch unseren Dialogprojekten einen organisatorischen Rahmen. Ab diesem Zeitpunkt konnten wir unser Verfahren dann systematischer in konkreten Konfliktfeldern »testen« – wir arbeiteten damit mehrere Jahre in Sri Lanka, Israel/ Palästina und Kärnten. Wir engagierten uns auch international in Hochschullehrgängen. Ein Hochschullehrgang für soziale, interkulturelle und internationale Konfliktbearbeitung

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spielte bei der Vertiefung der Interdisziplinarität unseres Verfahrens eine besondere Rolle. Im Rahmen dieser interdisziplinären Fortbildung wurde eine Reihe von theoretischen und methodischen Unklarheiten und Meinungsverschiedenheiten sichtbar. Sie können hier nur stichwortartig aufgelistet werden: individuelles versus »kollektives« Trauma, systemische versus interaktive Konfliktbearbeitung, radikale versus interaktionale Spielarten des Konstruktivismus; zudem stellte sich die Frage, ob Tiefenhermeneutik oder Dekonstruktion zielführender wäre. In den folgenden Jahren konnten die meisten dieser Unklarheiten bzw. Meinungsverschiedenheiten besser verstanden, entschieden oder »aufgehoben« werden. Dabei half vor allem der qualitative Sprung in die praktische Transdisziplinarität: durch projektbezogene Dialoge, Reflexionen und Intervisionen zu Fallbeispielen, insbesondere mit direkten RepräsentantInnen von Konfliktparteien, mit sogenannten Insider Mediators und WissenschaftlerInnen vor Ort, meist im Kontext komplexer interkultureller Konfliktkonstellationen. Aus einem ursprünglich strukturalistisch geprägten sowie stark kognitiv- und problemorientierten Ansatz, der sich als Weiterentwicklung und »Verbesserung« von Galtungs Transcend-Methode verstand, wurde ab 2008 – vor allem auch mit dem Hintergrund unserer Praxiserfahrungen in Sri Lanka seit 2002 – ein epistemologisch und methodologisch pluralistisches Verfahren, das sich am transdisziplinären »Komplexitätsdenken« Edgar Morins orientiert (Graf/Neumann 2007). Ab 2008 begannen wir zudem auch mit einer radikalen Neubewertung des Galtung’schen Beitrags zu Friedensforschung und Konfliktlösung (Graf 2009). Nachdem er im Dezember 2007 in einem unserer Lehrgänge im Rahmen eines Moduls über Versöhnungsarbeit angeregt hatte, die Juden sollten über ihren eigenen Beitrag zum Antisemitismus in Deutschland nachdenken, zogen wir uns von jeder weiteren Kooperation mit Galtung zurück. Was hier nicht geleistet werden kann, aber von unserer Seite ansteht, ist eine kritische Auseinandersetzung mit den epistemologischen und theoretischen Reduktionismen, die eine solche Metamorphose des Galtung’schen Denkens ermöglicht haben. Im Unterschied zu Galtungs medizinisch inspiriertem »Diagnose-PrognoseTherapie-Denken« geht Morin strikt von der Nicht-Voraussagbarkeit und NichtSteuerbarkeit der Zukunft aus (Morin 1999). Damit ist auch eine radikal andere Identität und Position des Beraters und der Beraterin verbunden. Beratung, Facilitation oder Prozessbegleitung sind nicht mehr einem bestimmten Ziel – der Durchsetzung einer bestimmten Lösungsperspektive – verpflichtet, sondern fokussieren auf die Organisation, Reflexion und Begleitung eines bestmöglichen – und das heißt vor allem möglichst interaktiven – Prozesses.

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INTERAKTIVE PROBLEMLÖSUNGSWORKSHOPS Ab 2008 ist uns auch bewusst geworden, dass wir uns mit dem Sri-Lanka-Projekt schon länger in einer mehr prozessorientierten Tradition »interaktiver Konfliktlösung« bewegten, die auf den australischen Diplomaten John Burton und den amerikanischen Sozialpsychologen (mit Wiener Wurzeln) Herbert C. Kelman zurückgeht (Kelman 2007). Wir erkannten, dass die dazugehörige Methode der »Interaktiven Problemlösung« mit unseren eigenen, noch mehr intuitiven Vorgangsweisen in Sri Lanka vergleichbar war, und wir lernten in diesem Dialogprojekt sehr viel über ihre Möglichkeiten und Grenzen. 2011 mündete diese Einsicht in einer engen Kooperation mit dem in Harvard lehrenden Kelman und dem Herbert C. Kelman Institut für Interaktive Konflikttransformation (www.kelmaninstitute.org). Worin besteht nun diese Methode? Interaktive Problemlösung – auch interaktive Konfliktlösung oder Track Two Diplomacy – versucht, die Defizite herkömmlicher internationaler Mediation durch sozialethische und sozialpsychologische Zugänge zur Konfliktvermittlung auszugleichen (Kelman 2010). Die Zielgruppe sind nicht offizielle Führungskräfte der Konfliktparteien, sondern einflussreiche Schlüsselpersonen der mittleren Ebene, aber aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen (Parteien, Vereine, religiöse Vertreter, Journalisten, Akademiker etc.). Die ModeratorInnen bzw. FacilitatorInnen solcher Prozesse sind ebenfalls nicht-offizielle, allparteiliche Drittparteien. Der Fokus liegt auf einem jahrelangen, facilitierten Dialogprozess in vertraulichen Workshops, in dem versucht wird, tieferliegende Motivationen, Bedürfnisse und Ängste der Konfliktparteien anzusprechen, Feindbilder abzubauen und kreative Lösungsperspektiven zu erarbeiten. Die Schwierigkeit bei solchen Workshops liegt darin, nicht elitär zu bleiben, die erzielten Ergebnisse und Vorschläge nicht nur an offizielle Führungspersonen und Verhandlungsführer weiterzugeben, auch nicht nur an die sogenannten moderaten Kräfte, die für den Dialog schon bereit sind, sondern auch in die Breite und Tiefe einer Konfliktgesellschaft hinein zu vermitteln. Begonnen hatten unsere praktischen Experimente mit inoffizieller Diplomatie in Sri Lanka (2002 bis 2010) im Rahmen eines Dialogprojekts zur Unterstützung des offiziellen, von Norwegen facilitierten Friedensprozesses. Acht Jahre lang arbeiteten wir mit einer einflussreichen Dialog- und Beratergruppe aus dem singhalesisch dominierten Süden des Landes (die sogenannte Sri-Lankan-Austrian Dialogue-Group), die Minister, Vertreter der politischen Parteien (inkl. der Opposition), Journalisten, Wissenschaftler, Repräsentanten der Religionsgemeinschaften und NGO-Vertreter – darunter leider nur wenige Frauen – umfasste. Mit der Zeit kamen zwei weitere Säulen dazu: die Arbeit mit einer Gruppe

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des politischen Flügels der Führung der Liberation Tigers of Tamil Eelam sowie die Kooperation mit der buddhistisch geprägten entwicklungspolitischen Organisation Sarvodaya, die vor allem in vielen Dorfgemeinden großes Ansehen genoss und Zugang zu allen Konfliktparteien hatte. Nach dem endgültigen Scheitern der Friedensverhandlungen und der militärischen Zerschlagung der Tamil Tigers im Mai 2009 organisierten wir einen ersten Dialogworkshop innerhalb der internationalen tamilischen Diaspora, mit dem Ziel der Befriedigung unmittelbarster Bedürfnisse der traumatisierten tamilischen Volksgruppe. Weitere Versuche zur Initiierung eines Dialogprozesses zwischen Regierung, Opposition und Diaspora erwiesen sich als vorerst nicht realisierbar. Ab 2007 entwickelten wir zwei neue mehrjährige Schwerpunkteprogramme: ein Programm zur Unterstützung des »Konsensprozesses« im Kärntner Ortstafelkonflikt (Petritsch/Graf/Kramer 2011), das in den kommenden Jahren auf ein grenzübergreifendes Dialogprojekt zu »Erinnerung, Versöhnung und Zukunftsgestaltung« in Kärnten und Slowenien ausgeweitet werden soll, sowie ein Schwerpunktprogramm für interaktive Konflikttransformation in Israel/Palästina. Bei beiden Programmen konnten und mussten wir über den bisherigen interdisziplinären Methodendialog hinausgehen und eine transdisziplinäre, strikt gleichberechtigte, wenn auch stets fragile und konflikthafte Partnerschaft mit lokalen PartnerInnen, verschiedenen Konfliktparteien und »Insider-MediatorInnen« aufbauen, die bis heute andauert.

TRANSDISZIPLINÄRE KONFLIKTINTERVENTION Im Folgenden soll dieser Übergang von einer interdisziplinären Problem-Orientierung zu einer transdisziplinären Prozess-Orientierung am Beispiel des IsraelPalästina-Programms kurz beschrieben werden. Eine Gruppe junger SozialwissenschaftlerInnen und AktivistInnen um den Ägypter Ahmed Badawi und den Israeli Ofer Zalzberg, die sich 2003 gebildet hatte, beauftragte uns damit, methodologisch über die herkömmlichen Ansätze vermittelnder Intervention im Israel-Palästina-Konflikt – sowohl von internationalem Konfliktmanagement als auch von informeller Konfliktlösung – hinauszugehen und neue Methoden für eine tiefergehende Konflikttransformation zu entwickeln. Von vielen Israelis und PalästinenserInnen werden gerade auch die »dialogischen« Ansätze als bereits gescheitert angesehen, sie werden von den meisten PalästinenserInnen sogar als kontraproduktive Beiträge zur »Normalisierung« der israelischen Okkupation abgelehnt. Daher sollten wir uns gemeinsam auf die Suche nach neuen Formen

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des Dialogs zwischen Israelis und PalästinenserInnen machen. Zu den Zielvorgaben gehörte, die Komplexität der internationalen Konfliktkonstellation nicht zu leugnen sowie die gegebene Machtasymmetrie zwischen den Konfliktparteien ebenso zu berücksichtigen wie die neuen kulturellen und religiösen Auffassungen. Friedens- und Konfliktarbeit soll im Kontext sozialer Transformation in beiden Konfliktgesellschaften verstanden und entwickelt werden. Zwischen 2006 und 2010 arbeiteten wir daran im Rahmen mehrerer nachfolgender Projekten mit unterschiedlichen internationalen Förderern. Es begann mit einem engen Austausch zwischen internationalen »MethodikerInnen«, lokalen »MethodikerInnen«, FacilitatorInnen und MediatorInnen sowie zivilgesellschaftlichen Konflikt-Aktivisten aus Israel und Palästina im Begegnungszentrum Talitha Kumi in der Nähe von Bethlehem. Daraus entstand die sogenannte KUMI-Methode, ein strukturiertes Facilitationskonzept für interaktive Moderation, Beratung und Prozessbegleitung mit einem flexiblen Phasenmodell, das den Bedürfnissen der TeilnehmerInnen angepasst werden kann. Ein erster Entwurf für ein Handbuch dazu ist geschrieben (in drei Sprachen), eine erste Generation von israelischen und palästinensischen FacilitatorInnen wurde ausgebildet, die Ausbildung einer zweiten Generation hat begonnen. Die Workshops wurden mittlerweile auch evaluiert. 2009 begann die »Pilotphase« der KUMI-Entwicklung mit dem Projekt »Beyond Managing the Israeli-Palestinian Conflict« (Januar 2009 bis Februar 2012), das vom European Union Partnership for Peace Programme finanziert wurde. Im Rahmen dieses Projekts wurde die Entwicklung der KUMI-Methode vorläufig abgeschlossen, und wir begannen, sie auch im Kontext des israelischpalästinensischen Konflikts »im Feld« zu testen. Mitte 2010 hatten circa 310 Menschen in KUMI-Workshops teilgenommen. Das Feedback der TeilnehmerInnen war in der Regel sehr positiv, trotz des zunehmend schwierigeren politischen Kontexts für dialogische Initiativen in Israel und in den besetzten palästinensischen Gebieten. 2011/12 ist auch ein europäisches KUMI-Netzwerk entstanden, das Facilitatoren im arabischen Raum ausbildet sowie Projekte in Europa durchführt.

LERNEN AUS TRANSDISZIPLINÄREN ERFAHRUNGEN Die Erfahrungen mit Konfliktintervention in gewaltförmigen »ethnopolitischen« Konflikten in Sri Lanka und Israel/Palästina seit 2002 und dann ab 2007 veränderten unsere theoretischen und methodologischen Konzepte auf radikale Weise. Es zeigte sich immer deutlicher, was strukturalistischen und sozialtheoretischen

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Paradigmen der kritischen Friedenstheorie im Allgemeinen und der Galtung’schen im Besonderen fehlt: Die intersubjektiven, sozialpsychologischen und kulturellen Faktoren werden bei diesen Ansätzen zu wenig berücksichtigt, vor allem im praktischen Prozess der Konfliktintervention. Die Notwendigkeit einer wirklich transdisziplinären Interpretationsfolie für Konfliktanalyse und Konflikttransformation wurde immer deutlicher. Heute, mehr als zehn Jahre nach dem Beginn unserer praktischen Erfahrungen mit Konfliktintervention, Prozessbegleitung und Weiterbildung, beziehen wir uns in unseren Hintergrundtheorien vor allem auf eine Metatheorie der Komplexität (Morin 1977–2004), eine trans-systemische Sozialtheorie (Layder 1997; Sibeon 2004), eine »agonistische« Politiktheorie (Mouffe 2007) sowie auf eine interaktive Prozessorientierung (Kelman 2010). Unser Verfahren der »Interaktiven Konflikttransformation« basiert damit auf einem Meta-Framework, das auf der paradigmatischen Grundlage eines epistemologischen und methodologischen Pluralismus beruht und (1) systemtheoretische Analyse, (2) narrativ-szenisches Verstehen und (3) interaktiv-konstruktive Lösungsfindung integriert (Graf/ Kramer/Nicolescou 2010). Dabei wird versucht, die Aufmerksamkeit verstärkt auf die Vermittlung von Akteurs-Perspektive und Struktur-Perspektive sowie auf die Vermittlung von lebensgeschichtlich-biographischer und kollektiv-unbewusster Dimension zu richten. Anders als bei einem rein »systemischen« Verfahren geht interaktive Konflikttransformation nicht nur auf Zukunftsdimension, Lösungen oder Ressourcen ein, sondern gibt auch genügend Raum und Setting für einen reflexiven Umgang mit der Vergangenheit. Diese pluralistische Herangehensweise wird mit einer radikalen (Selbst-)Reflexion der Beziehung zwischen der KonfliktberaterIn und den Konfliktparteien verbunden. Transdisziplinarität bedeutet in unserem Verfahren bisher vor allem partizipative Aktionsforschung in komplexen, meist außereuropäischen Konfliktkonstellationen, gemeinsam mit lokalen Organisationen, »Insider-Mediators« und direkten VertreternInnen von Konfliktparteien, um interaktive Settings für die Konstruktion von Lösungsperspektiven zu organisieren und zu reflektieren. Der Prozess der interaktiven Konflikttransformation soll dazu führen, ausgehend von den konkreten Zielwidersprüchen – über die Reflexion von sozialen Interessen und kulturellen Werten – zur existenziellen Ebene menschlicher Grundwidersprüche zu gelangen und auf dieser Grundlage Werte, Interessen und Ziele zu »reframen«: In einer Anfangsphase steht die Konfliktkonstellation im Vordergrund, Widersprüche, Konfliktverhalten und Konfliktwahrnehmungen sind dabei der Schlüssel zum Verständnis. In einer zweiten Phase wird versucht, den Hintergrund der Konfliktkonstellation besser zu verstehen: Es geht hier um die Kon-

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texte der Widersprüche, des Konfliktverhaltens und der Konfliktwahrnehmung. In der Abschlussphase geht es um den Prozess der Transformation: um neue Konfliktwahrnehmungen, die auch neue Lösungsperspektiven ermöglichen und damit vielleicht zu neuen Verhaltensweisen führen, aber wiederum neue Widersprüche offenlegen. Aus »antagonistischen« Zielen können in einem solchen Prozess »agonistische« Ziele werden, aus Feindschaft soll nicht ein verfrühter Konsens oder eine »falsche« Versöhnung, sondern eine konstruktive Gegnerschaft entstehen (Mouffe 2007). Angewandte Methoden sind der strukturierte Dialog als Königsweg, im Besonderen die Moreno’schen Techniken Rollenwechsel und Rollentausch, aber auch Formen von ExpertInnen-Inputs, Interviews und Recherchen. Dabei geht es um die kollektive Reflexion von Bedürfnissen und Ängsten der TeilnehmerInnen und ihrer Kollektive, die Reflexion von asymmetrischen Machtverhältnissen, die Transformation von kulturellen Identitätskonflikten und kollektiven Emotionen, die Frage nach der gesellschaftlichen Wirksamkeit. Zugleich stellt sich ständig die Frage der Selbstüberforderung sowie der Reflexion von Gegenübertragungsphänomenen. Im Rückblick auf unsere Erfahrungen zeigt sich: Anhaltende, unabschließbare Lernprozesse sind wichtiger als erste Ergebnisse. Unsere ProjektpartnerInnen haben zur Entwicklung unserer nun auch metatheoretisch formulierbaren Positionen und Fragestellungen grundlegend beigetragen. Ohne eine solche transdisziplinäre Forschung wären wir nicht imstande gewesen, unsere Konzepte permanent zu reflektieren und weiterzuentwickeln.

VON DEN HERAUSGEBERiNNEN NACHGEFRAGT Gibt es für dich wichtige Schlüsselerfahrungen im Projekt? Wilfried Graf: Ich kann nur noch einmal meine eigenen Lernerfahrungen wiederholen und unterstreichen, wie ich es ja am Ende meines Beitrags geschrieben habe: Die anhaltenden Lernprozesse sind wichtiger als die ersten Ergebnisse.

Samothraki Die Geschichte einer griechischen Insel, die sich aufmachte, ein UNESCO-Biosphärenreservat zu werden MARINA FISCHER-KOWALSKI, IRENE PALLUA, LAZAROS XENIDIS, SIMRON SINGH

Die Insel Samothraki (180 km2, knapp 3000 Einwohner) liegt im Nordosten des Ägäischen Archipels. Sie zeichnet sich durch archaische Schönheit aus und durch landschaftliche, ökologische und kulturelle Besonderheiten. Das zentrale, 1600 Meter hohe Gebirge, das circa zwei Drittel der Gesamtfläche einnimmt, ist seit 2001 Natura-2000-Schutzgebiet; vor kurzem wurde auch noch ein Meeresschutzgebiet eingerichtet. Samothraki ist bis jetzt dem Phänomen des Massentourismus entgangen. Mit nur 0,5 Tourismusbetten pro Einwohner liegt die Insel in einem Vergleich am unteren Ende der Skala (Spilanis/Vayanni 2004). Selbst in der (sehr kurzen) Hauptsaison beträgt nach unseren Ermittlungen (offizielle Statistiken sind irreführend) die Zahl der Besucher der Insel (Familienangehörige, Touristen, SaisonarbeiterInnen und ZweithausbesitzerInnen) pro Tag nur etwas mehr als das Doppelte der Einwohner. Dennoch beläuft sich ihre Zahl auf knapp 40.000 Personen jährlich. (Berechnungsmodus: Fischer-Kowalski et al. 2011: Tab.1). Gründe dafür sind die isolierte Lage der Insel (Samothraki kann nur durch eine zweistündige Überfahrt von Alexandropoli, der östlichsten Stadt auf dem griechischen Festland, erreicht werden), dass sie nur über Kiesel-, keine Sandstrände verfügt, und der Umstand, dass wegen der wechselvollen Geschichte der Insel zwischen Griechenland und der Türkei Landbesitz rechtlich oft umstritten ist (was den Verkauf großer Grundstücke für die Errichtung touristischer Anlagen erschwert).

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Nichtsdestotrotz sind die Ökosysteme der Insel stark bedroht, vor allem durch Agrarsubventionen der EU, die Überweidung massiv fördern. Die Ziegenund Schafpopulationen überschreiten die geschätzte ökologische Tragfähigkeit der Insel um das Vier- bis Fünffache (Skapetas et al. 2004; Greek Ministry of Agriculture 2008). Große Flächen, auch im Bereich des Natura-2000-Schutzgebiets, werden durch beschleunigte Erosion zerstört. Ungeregelte Süßwasserentnahme trocknet trotz des großen Wasserreichtums Flüsse und deren Mündungsgebiete, besonders wichtige Hotspots für Biodiversität, zunehmend aus. Schleppnetz- und Treibnetzfischerei gefährden Arten und Habitate, die im Mittelmeer ohnehin bereits stark bedroht sind. Auch wenn die oben erwähnten Schutzbestrebungen zu rechtlich verbindlichen Maßnahmen seitens der griechischen Regierung führten, scheint der Grad der Durchsetzung eher gering zu sein und der Druck auf die Umwelt zuzunehmen. Das ansteigende Müllaufkommen und unzureichende Entsorgungsinfrastruktur schaffen zusätzliche Probleme. Lokale Nichtregierungsorganisationen (NGOs) kritisierten die Politik deshalb und forderten eine wirksame Strategie, um die Ökosysteme der Insel zu schützen.

DIE SIEBENJÄHRIGE GESCHICHTE DES PROJEKTS Die Initiative zu einem Vorhaben, das der Insel einen nachhaltigeren Entwicklungspfad bahnen sollte, ging von einer langjährigen Besucherin und Liebhaberin der Insel aus, welche allerdings nicht Griechisch kann. Sie schlug den lokalen NGOs und schließlich dem Bürgermeister ein Projekt vor, das die Beantragung eines UNESCO-Biosphärenreservats für Samothraki ermöglichen sollte. Das Prädikat »Biosphärenreservat« wurde im Rahmen des UNESCO-Programms »Der Mensch und die Biosphäre« 1974 eingeführt, 1976 wurde das Weltnetz der Biosphärenreservate gegründet. Biosphärenreservate umfassen wertvolle Ökosysteme, einschließlich der dort angesiedelten Gemeinden, denen die Verbindung des Schutzes von Ökosystemen mit deren nachhaltiger (ökonomischer) Nutzung ein Anliegen ist. Biosphärenreservate werden zwar von der Regierung eines Staates vorgeschlagen und bleiben nationales Zuständigkeitsgebiet, ihr Status ist aber international anerkannt und durch die UNESCO auf Basis der sogenannten Sevilla-Strategie und den daraus resultierenden gesetzlichen Leitlinien geschützt (UNESCO 1996). Durch das Weltnetz der Biosphärenreservate wird der Austausch von Wissen, Erfahrung und MitarbeiterInnenn unterstützt. Derzeit existieren circa 580 Biosphärenreservate in 114 Ländern (UNESCO 2011). Biosphärenreservate umfassen eine Kernzone, in der Öko-

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systeme unter strengen Schutz gestellt sind, eine Pufferzone, die die Kernzone umgibt, und eine Übergangszone, in der die Ausübung von verschiedenen Tätigkeiten in bestimmten Ausmaß möglich ist, wie etwa nachhaltige touristische Nutzung oder Landwirtschaft. Im auf den Vorschlag folgenden Jahr kam die Liebhaberin der Insel wieder mit einem kleinen Team, das einen griechischen PhD- Studenten inkludierte, und mit einem Forschungskonzept für eine Machbarkeitsstudie. Diese Machbarkeitsstudie wurde dankenswerterweise vom österreichischen MAB (»Man and the Biosphere«)-Komitee finanziell unterstützt. Sie widmete sich den folgenden beiden Fragen: Frage 1: Hat die Insel Samothraki die natürlichen, sozialen und ökonomischen Voraussetzungen, um den Pfad des Naturschutzes und der nachhaltigen Entwicklung, wie in der UNESCO-Konzeption des Biosphärenreservats vorgesehen, einzuschlagen? Frage 2: Falls die Insel dieses Potential hat, ist die Vision, ein Biosphärenreservat und somit eine Modellregion für nachhaltige Entwicklung nach Standards der UNESCO zu werden, für lokale Stakeholder attraktiv? Ist die neue Identität, welche die Insel durch dieses Konzept gewinnen kann, für diese vielversprechend und interessant, unverständlich oder gar angsterregend? Der Ausgang der Machbarkeitsstudie war offen, die damit verbundenen Aktivitäten sollten jedoch nicht nur Daten liefern, sondern auch die Aufmerksamkeit und Neugier der Menschen auf der Insel für einen alternativen Entwicklungspfad wecken. Ein Jahr später wurde das Team während seines Besuchs auf der Insel vom Bürgermeister eingeladen, die Ergebnisse der Studie öffentlich zu präsentieren. Das relativ große Publikum (auch wichtige lokale Entscheidungsträger befanden sich unter den Teilnehmenden) erklärte fast einstimmig seine Unterstützung für die Initiative. Das Angebot seitens des Wissenschaftsteams, die Gemeinde bei der Beantragung des Prädikats Biosphärenreservat bei der UNESCO zu unterstützen, wurde dankend angenommen. Ein solcher Antrag ist aufwändig: Er umfasst mehrere Dutzend Seiten und muss im Detail darlegen, worin die schützenswerten ökologischen Besonderheiten bestehen, welche Flächen welchen Schutzstatus genießen sollen, welche wirtschaftlichen Aktivitäten auf den Flächen mit geringerem Schutzstatus stattfinden, welche wissenschaftlichen Vorhaben zum Monitoring und zur weiteren Erforschung geplant sind, in wessen Verantwortung das Management dieses Biosphärenreservats liegen wird und wie es finanziert werden soll. Trotz der prekären griechischen ökonomischen Situation, Neuwahlen des Bürgermeisters und erheblichen Einschnitten bei öffentlichen Ausgaben wurde ein solcher Antrag 2011 fertiggestellt, von zahlreichen zuständigen Instanzen unterschrieben und an die UNESCO übermittelt.

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Die UNESCO begrüßte diesen Antrag bei ihrer Jahreshauptversammlung zwar ausdrücklich, verwies seine endgültige Beschlussfassung jedoch auf die nächstjährige Sitzung: vor allem der Managementplan sei nicht konkret genug. Hier mag wohl auch etwas allgemeine Skepsis gegenüber der Verlässlichkeit griechischer Politik durchgeschienen haben, aber im Grunde hatte die UNESCO recht: ein fundierter Organisations- und Finanzierungsplan lag noch nicht vor. Also hat die kurze Geschichte nun, im September 2012, noch keinen Abschluss gefunden. Die Grundidee seitens der Wissenschaft für das Management war, dieses einer NGO anzuvertrauen, mit der die Gemeinde einen Vertrag schließt, in welchem sie gewisse Gemeindeaufgaben überträgt und zugleich Ressourcen gewährt, während die NGO sich verpflichtet, ein professionelles Management zu bestellen und bestimmte – als jährliche Projekte präzisierte – Leistungen zu erbringen. Ein international besetzter wissenschaftlicher Beirat würde zu den geplanten und dann abgeschlossenen Projekten gehört werden und die wietere Akquisition von Projektmitteln unterstützen. Angesichts der sehr skeptischen Haltung der Griechen gegenüber ihrer eigenen politischen Vertretung schien es geboten, das Management eines solchen Biosphärenreservats von direktem politischem Einfluss möglichst unabhängig zu machen. Diese Konzeption muss nun zwischen den möglichen Beteiligten soweit abgesprochen werden, dass sie Teil des neuerlichen Antrags an die UNESCO werden kann. Die Aussichten stehen dafür nicht schlecht, und auch eine Finanzierungsmöglichkeit wurde bereits ins Auge gefasst: Zahlen alle Besucher der Insel in Verbindung mit ihrem Fährenticket jeweils zwei Euro zusätzlich, gewissermaßen als »Eintrittsgebühr« in das Biosphärenreservat, wäre damit eine ausreichende Grundfinanzierung gewährleistet. Nun ist es entscheidend, dass die lokalen Akteure das weitere Geschehen selbst in die Hand nehmen.

WAS AN DIESEM PROJEKT IST »TRANSDISZIPLINÄRE WISSENSCHAFT«? Wir schlagen vor, diese Frage zu zerlegen. Zuerst machen wir den Versuch zu beantworten, was an diesem Projekt »wissenschaftlich« war (oder ist). Diese Frage wurde uns von internationalen Gutachtern, die über die Gewährung von Mitteln zu befinden und Publikationen in Zeitschriften zu bewerten hatten, mehrmals kritisch gestellt. Sind an die Wissenschaftlichkeit solcher Projekte (auch) die gleichen Ansprüche an konzeptueller und methodischer Präzision, an Beachtung des internationalen State of the Art, an Ergebnisoffenheit und Neuigkeitswert zu stellen wie an andere, die nicht so direkt einem konkreten Handlungsziel

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dienen? Unserer Auffassung nach ja. Der transdisziplinäre Handlungszusammenhang ist etwas, was als Rahmung und Prozesscharakteristik hinzukommt, das wissenschaftliche Kerngeschäft jedoch nicht ersetzt. In diesem Fall bestand das wissenschaftliche Kerngeschäft aus folgenden Elementen: Erstens: einem Teil der Machbarkeitsstudie, der das Zutreffen wesentlicher ökologischer Eignungskriterien der Insel prüfen sollte. Dafür stand eine Reihe älterer Studien zur Verfügung, die wir nutzten, ohne anhand von Primärmaterial prüfen zu können, ob etwa die Biodiversitätsangaben noch Geltung besaßen. Zweitens: Die sozio-ökonomische Machbarkeit war aufwändiger zu prüfen. Zum einen musste die Frage beantwortet werden, ob eine nachhaltigere Bewirtschaftung dieser Insel aus strukturellen Gründen überhaupt eine Chance hätte. Konnte man guten Gewissens zuraten, oder wäre das voraussichtlich mit massiver Verarmung und Bevölkerungsverlust auf der Insel verbunden? Was hieße das überhaupt, nachhaltigere Bewirtschaftung der Insel? Unsere Antwort war bescheiden: Es hieße, direkten Nutzen und Einkommen zu erhalten, jedoch gleichzeitig den sozio-ökonomischen Druck auf die Ökosysteme der Insel zu reduzieren. Geht das überhaupt, und für welche Stakeholder ginge das wie? Dies herauszufinden, setzte einige methodische Schritte voraus: zunächst die Analyse der Größe und Zusammensetzung der Inselbevölkerung nach wirtschaftlicher Aktivität und Einkommensquellen anhand amtlicher Statistiken. Sodann: Wer sind legitime »Stakeholder«? Nur die Wohnbevölkerung? Wir entschieden uns dafür, alle Nutzer der Insel – Wohnbevölkerung, Inhaber von Zweitwohnsitzen, Besucher/Touristen und SaisonarbeiterInnen – als legitime Nutzer zu betrachten, deren Interessen relevant wären. In Interviews befragten wir Vertreter dieser Stakeholder nach ihren Nutzungsinteressen und ihren Perspektiven. Auf Basis dessen entwickelten wir einen schriftlichen Fragebogen und organisierten ein Nutzer-Survey mittels einer Zeitstichprobe (geschichtet nach Wochentag, Tageszeit, Wochen) aller Personen, die die Insel per Fähre verließen (N = 1520). Die Antwortquote war fast hundert Prozent, und aus der Zusammensetzung dieser Passagiere, ihren Angaben über die Dauer des Aufenthalts auf der Insel und den monatlichen Statistiken der Hafenbehörde konnten wir die saisonspezifische Menge und Zusammensetzung der Nutzer der Insel modellieren, ebenso wie das Konsumverhalten auf der Insel und die darauf basierenden lokalen Einnahmen. Diese Daten waren bislang für Samothraki nicht verfügbar. Sie können in der Folge die zukünftige Planung und das Management von Infrastruktur und sozialmetabolischen Anforderungen (z.B. die Bereitstellung von Lebensmitteln und Wasser oder Abfallentsorgung) erleichtern (methodische Details: Fischer-Kowalski et al. 2011).

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Drittens: Die Ergebnisse aus den Analysen dieser Daten lassen sich wie folgt skizzieren: a) Die lokale Bevölkerung (etwa 2800 Personen) zerfällt in zwei etwa gleich große Gruppen: Da wäre zunächst die Gruppe der Bauern, Viehhalter und Fischer, die vor allem Männer im mittleren Alter mit Pflichtschulabschluss und deren Angehörige umfasst und sehr an Traditionen festhält. Auf der Insel ist die männliche Bevölkerung mit 56 Prozent überrepräsentiert, auch in der Alterskohorte der 0- bis 14-Jährigen. Es scheint so, als ob Frauen aller Altersgruppen dazu tendieren, von der Insel abzuwandern. Diese Gruppe älterer Männer ist stark von Agrarsubventionen und staatlicher Unterstützung und von der direkten Nutzung der Ökosysteme abhängig. Ihnen steht eine jüngere, besser ausgebildete und vorwiegend im Dienstleistungssektor beschäftigte Gruppe gegenüber. Viele von ihnen sind schon in andere Länder gereist oder haben im Ausland gelebt. Sie wünschen, die »Rückständigkeit« der Insel zu überwinden, interessantere Jobs und Einkommensmöglichkeiten auf Samothraki zu schaffen. Etwas weniger als die Hälfte erhofft sich eine Zukunft für Samothraki in einem touristischen Modernisierungsszenario, während die Mehrheit ein Naturschutz- und Erhaltungsszenario unterstützt (eigene Fragebogenerhebung: Fischer-Kowalski et al. 2011). b) Die BesucherInnen der Insel (etwa 40.000 Personen/Jahr, bestehend aus Touristen, Saisonarbeitskräften und Zweitwohnsitzinhabern) sind sehr gebildet (zwei Drittel haben einen Hochschulabschluss oder studieren noch), in ihrer großen Mehrheit Griechen, zeigen eine besondere Vorliebe für die Insel (kommen schon zum wiederholten Male und wollen jedenfalls wiederkommen) und schätzen gerade die Erhaltung ihrer naturbelassenen Schönheit und ihres kulturellen Erbes. Von circa 2600 v. Chr. bis 400 n. Chr. diente die Insel als spirituelles Zentrum und war aufgrund ihres Mysterienkults und des »Heiligtums der großen Götter«, das den Kabiren geweiht war, bekannt. Die Überreste der alten Stadt Samothrake wurden in den letzten zwei Jahrhunderten freigelegt. Unter den vielen archäologisch sehr wertvollen Funden ist die berühmte Nike-Statue, welche sich heute im Pariser Louvre befindet, zu nennen. Zusammen mit dem archäologischen Museum sind die Ausgrabungen eine Hauptattraktion der Insel. Nach ihren Präferenzen für die Insel befragt, ziehen gut achtzig Prozent der Besucher ein Naturschutz- und Erhaltungsszenario einem touristischen Modernisierungsszenario vor. Welche wissenschaftlich legitimen Antworten ließen sich nun bezüglich struktureller Machbarkeit einer nachhaltigeren Nutzung der Insel geben? Und was wären die Alternativen dazu? Die größten Schwierigkeiten sind in Bezug auf Land- und Viehwirtschaft zu erwarten. Solange die Europäische Union Übernutzungspraktiken mit ihren

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Subventionen stabilisiert, lohnt es sich für die Bauern nicht, die Tiere ordnungsgemäß zu schlachten, das Fleisch systematisch zu zerlegen und eventuell gekühlt zu exportieren oder gar auch die Wolle und die Häute zu verwerten. Derzeit wird höchstens bei sich bietenden besonderen Gelegenheiten Lebendvieh (Ziegen und Schafe) ans Festland gebracht. Lediglich ein einziger Unternehmer hat sich als Joghurt- und Käseproduzent etabliert. Allerdings sollen diese Förderungen ab 2013 geringer werden, während zugleich die Getreidepreise und damit die Preise für Viehnahrung steigen (nach Interviewergebnissen stammen siebzig bis neunzig Prozent der Nahrung der Ziegen und Schafe aus importierten Futtermitteln. Die zehn bis dreißig Prozent aus der Weide reichen allerdings aus, Biodiversität und Böden massiv zu schädigen) – also wird sich Viehhaltung um der Subvention willen auf Dauer vermutlich weniger lohnen und ein Interesse an längeren Wertschöpfungsketten bei reduzierten Viehzahlen entstehen. Sollte dies nicht der Fall sein, ist ein erstzunehmender Naturschutz kaum durchzusetzen. Aus den eingangs genannten Gründen ist die Situation bezüglich Tourismus weit positiver einzuschätzen. Mit Standard-Massentourismus ist eigentlich nicht zu rechnen. Realistischerweise wäre allerdings zu erreichen, dass die derzeit hochkonzentrierte Saison etwas ausgeweitet werden kann, das Publikum internationaler und damit vielleicht auch etwas zahlungskräftiger wird, und Formen des Nischentourismus entstehen (Kultur/Archäologie, Kunst/Spiritualität, Wissenschaft/Tagungen, Thermalbad/Gesundheit usw.), die eine bessere Auslastung der vorhandenen Infrastrukturen mit sich bringen, ohne die naturalen Gegebenheiten stärker zu belasten, und qualifizierte Arbeitsplätze schaffen. Eine interessante Option sind auch erneuerbare Energien: Während die vorhandenen, aber veralteten Windräder im Zuge der Privatisierung der griechischen Stromversorgung stillgelegt wurden, gibt es jetzt mehrere große Flächen mit photovoltaischen Anlagen; auch für moderne Windenergiegewinnung wäre die Insel hervorragend geeignet. Außerdem werden derzeit Geothermie-Möglichkeiten geprüft. Es hängt von den institutionellen Regelungen ab, ob dies den Inselbewohnern ökonomische Vorteile bringt, und ob es ihre lokale Energieversorgung nachhaltiger macht. Das wissenschaftliche Kerngeschäft besteht also in einer Art Regionalstudie, in der die Opportunitätsstrukturen, Risiken und Präferenzstrukturen erforscht wurden. Es wurden Standardmethoden sozialwissenschaftlicher Forschung angewandt, der Neuigkeitswert ist relativ fallspezifisch. Worin nun besteht die besondere Leistung der Transdisziplinarität in diesem Projekt? Wohl in der Hauptsache darin, mit Hilfe wissenschaftlich geschulter Reflexion ein Netz an Einsichten und Beziehungen aufzubauen, dessen sich die

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lokalen Akteure zunehmend bedienen können. Zugleich heißt das wohl auch, Fehleinschätzungen und hinderliche Vorurteile abzubauen, das heißt, die Forschung stößt ein weitgehend selbstorganisiertes Bildungsprojekt an. In ihrer Analyse der Entwicklungsgeschichte der griechischen Naturschutzpolitik halten Papageorgiou und Vogiatzakis (2006) fest, dass sich diese davon wegbewegt, Naturschutzgebiete in einem Top-down-Prozess zu installieren und unter die Hoheit der nationalen Forstverwaltung zu stellen, und zu einem ganzheitlicheren Verfahren übergeht: Ein sogenanntes integriertes Umweltmanagement sieht die Partizipation der lokalen Stakeholder vor und berücksichtigt deren Interessen. In unserem Projekt gingen wir einen Schritt weiter: Ohne Auftrag »von oben«, in horizontaler Unterstützung vorhandener, aber schwacher Initiativen, stellten wir unsere wissenschaftliche und soziale Kompetenz einem jahrelangen lokalen Lernprozess zur Verfügung. Das MAB-Konzept und die – weitgehend virtuelle – Autorität der UNESCO eigneten sich als Ermutigung und werden diese Rolle hoffentlich auch in Zukunft spielen. Der Hauptautorin hat ihre Rolle in dem Projekt die Ehrenmitgliedschaft der Gemeinde Samothraki und eine schöne Silbermedaille der Göttin Nike eingebracht, eine Form außerwissenschaftlicher Anerkennung, die widerspiegelt, dass transdisziplinäre Arbeit über Forschung hinausgeht.

VON DEN HERAUSGEBERiNNEN NACHGEFRAGT Gibt es für dich wichtige Schlüsselerfahrungen im Projekt? Marina Fischer-Kowalski: Solche Projektprozesse spielen in Realzeit. Man muss die Zeit und Geduld haben, zu warten, was sich entwickelt. Vertrauen entsteht durch Wiederholung. Die Lokalsprache nicht zu können hat Vorteile: die Leute fürchten nicht, dass man sie niederredet. Und: Ich habe wieder einmal erlebt: auf die Frauen ist Verlass. Mögen sie Zwillinge haben und völlig erschöpft sein, mögen sie einen Bürgermeisterwahlkampf verlieren, oder mögen sie nur zehn Stunden für einen Ganztagsjob bezahlt kriegen, sie halten, so gut sie können, was sie versprechen.

Lokales Wissen, Sprache und Landschaft Transdisziplinäre Forschung im Kärntner Lesachtal GERHARD STROHMEIER

AUSGANGSLAGE UND THEMA Die alpinen Kulturlandschaften sind tiefgreifenden Veränderungen unterworfen, die überwiegend Ergebnis gesellschaftlichen Wandels sind. Der Verlust an Almwiesen ist die Folge des fast gänzlichen Verzichts auf die Bergmahd und des Rückgangs der Sommerbeweidung der Almen. Die Zunahme an Grünland auf den Talböden und Hangschultern der Täler ist durch den Rückgang der Ackerwirtschaft bedingt und die »Verwaldung«, wie die Zunahme der Waldflächen pejorativ bezeichnet wird, durch einen generellen Rückgang der landwirtschaftlich genutzten Flächen. Diese Trends der Veränderung der Kulturlandschaften in den Alpen sind auch im Lesachtal zu beobachten, das im südwestlichen Kärnten an der Grenze zu Italien liegt. Die Dynamiken werden dort eher zwiespältig beurteilt: Einerseits wird die Modernisierung der Gesellschaft begrüßt, andererseits werden der strukturelle Wandel der Landwirtschaft und die damit verbundenen Veränderungen in der Kulturlandschaft kritisch wahrgenommen. Jedenfalls sind es Veränderungsprozesse, die vielerlei Auswirkungen auf Gesellschaft und Kultur des Lesachtales haben. Um die Veränderungen in lokalem Wissen und Landschaft zu untersuchen, Verlorengegangenes zu rekonstruieren, zu dokumentieren und zu bewahren, haben wir ein mehrjähriges inter- und transdisziplinäres Forschungsprojekt durchgeführt. 1

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Das Forschungsprojekt »Lokales Wissen, Sprache und Landschaft« wurde 2001 bis 2004 an der IFF-Abteilung Stadt, Region und räumliche Entwicklung mit Förderung durch den Jubiläumsfonds der Oesterreichischen Nationalbank durchgeführt.

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Im Forschungsteam waren eine Architektin (Karoline Seywald), eine Ökologin (Simone Matouch), eine Sprachwissenschaftlerin (Regina Unterguggenberger), ein Lehrer (Hans Guggenberger), eine Ethnologin (Kirsten Melcher) und der Autor, ein Soziologe, als Leiter des Projekts. Die MitarbeiterInnen kamen also sowohl aus verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen als auch aus verschiedenen gesellschaftlichen Handlungssystemen (Wissenschaft, Schule, Gemeinde/ Dorfgemeinschaft). Die Überwindung der Systemgrenzen zwischen Wissenschaft, Schule und Gemeinde wirkte sich – um das Ergebnis des Projektes vorwegzunehmen – bereichernd auf alle beteiligten Systeme aus. Doch zunächst ein Überblick über den Inhalt des Projekts. Drei Themen haben eine zentrale Rolle gespielt: Landschaft, Flurnamen und lokales Wissen.

LANDSCHAFT Die Landschaft, deren sprachliche Bezeichnungen wir untersuchten, ist eine jahrhundertealte Kulturlandschaft, deren Aneignung und Gestaltung bis ins Mittelalter zurückreichen. Die bäuerliche Kolonisierung der höheren Lagen, der heutigen Almen, ist auf den Mangel an Weideland im Tal und an den Hangschultern der Gailschlucht zurückzuführen. Die Talböden wurden bis zur weitgehenden Aufgabe der Subsistenzwirtschaft in den 1950er und 1960er Jahren überwiegend für den Ackerbau genutzt (Getreide, Hülsenfrüchte, Flachs, später auch Kartoffeln und Mais). Um die ausreichende Versorgung des Viehs zu gewährleisten (Rinder, Ziegen, Schafe), wurden die Almen (Beweidung im Sommer) und Bergmahdgebiete (Heuversorgung für den Winter) erschlossen. Das Überleben der bäuerlichen Landwirtschaft im Lesachtal und ihr relativer Reichtum beruhte auf dieser doppelten Schwerpunktsetzung: Ackerbau im Tal – mit allen Einrichtungen zur Lagerung und Verarbeitung der Feldfrüchte (»Zuhäusln«, »Kösen«, Stadel, Mühlen, Vorratshäuser etc.) – sowie Viehzucht mit intensiver Nutzung der Hochlagen. Seit etwa fünfzig Jahren befindet sich die Landwirtschaft im Lesachtal – und damit die Kulturlandschaft – in einem beschleunigten Veränderungsprozess. Die ackerbauliche Nutzung der Talböden wurde ebenso wie die Bergmahd praktisch aufgegeben. Nur mehr Reste davon existieren heute noch. Obwohl der eine oder andere Bauer durch Agrarsubventionen (Flächenprämien für das Mähen von höhergelegenen Wiesen) und touristische Bemühungen (»Almakademie«, in der Sensenmähen und -dengeln an Touristen vermittelt wird) wieder Bergwiesen mäht, wachsen viele der alten Bergwiesen zu. Einer der interviewten Bauern erlebt dies mit deutlichem Bedauern als Verlust:

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»Is weart wia gsåhg weanig ghiatit. Des Fuatå wås man zi weankh håt, påchtit man zua in Summå. Und vour alln nimmp sich kandå mehr di Zeit zin Khia hiatn und sou a Wiese instånd zi håltn a net, zi schwentn. Do muasche amål dribå geahn und schwentn, et. Sischt wåchst ålls zua. Is seint jå teilweise – håma dåvour gsåg is Pållamoss zin Beispiel und is Schwantl, do hån i nou Khia ghiatit, des isch åbå ålls zuagiwåchsn. Waß gor niama, dass do amål a Wiese giwesn isch.«2

Die Landschaft verändert sich durch veränderte Wirtschaftsweisen. Damit wandeln sich nicht nur die Strukturen der Landschaft (Vegetation, Architekturen, Wege etc.), sondern auch die symbolischen Aneignungen: Flurnamen und Geschichten zur Landschaft verändern sich, werden nicht mehr weitergegeben und vergessen.

FLURNAMEN Die praktische, materielle Aneignung von Landschaft – hier die landwirtschaftliche Nutzung – findet ihren Ausdruck auch in der Sprache, in der symbolischen Form von Benennung und Bezeichnung, Gespräch und Tradierung. Gerade in den Flurnamen sind die materiellen und symbolischen Landschaftsbezüge eng miteinander verknüpft; wie der französische Soziologe Henri Lefebvre (1972: 164) feststellt: »Die ursprünglichen Topoi, die Flurnamen, gingen, indem sie benannt wurden, in das soziale und geistige Doppelgitter aus Wort und Praxis ein.« Flurnamen erschließen und ordnen die Landschaft, indem sie Orte (Stellen in der Landschaft), Linien, Flächen und Räume benennen. Sie nehmen Besonderheiten der Landschaft auf, um Verortungen und Differenzierungen zu ermöglichen: geologische (Erde, Felsen), topologische (Mulden, Terrassen, Steilabbrüche), ökologische (Bewuchs, Tiere). Flurnamen beinhalten über ihre Verortungsfunktion hinaus mündlich kommunizierte Wissensbestandteile, aus denen

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»Es wird, wie gesagt, wenig geweidet. Das Futter, das man zu wenig hat, kauft (pachtet) man im Sommer zu. Und vor allem nimmt sich keiner mehr Zeit zum Kühehüten und auch nicht, so eine Wiese in Stand zu halten, zu ›schwenten‹ (von Sträuchern freihalten). Da muss man darübergehen und schwenten. Sonst wächst alles zu. Es ist ja teilweise – wir haben zuvor gesagt das Pållamoss (Almgebiet) zum Beispiel und das Schwantl (Almgebiet), wo ich noch Kühe gehütet hab – alles zugewachsen. Man weiß gar nicht mehr, dass da einmal eine Wiese gewesen ist.« (Übersetzung der Interviewpassage durch den Autor; aus: Seywald et al. 2004: 37f.).

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wir Rückschlüsse ziehen können auf das Wissen und die Praxis – auch die Siedlungsgeschichte3 – der Menschen dieses Tales. Im folgenden Kasten wird beispielhaft der Flurname »Gose« gezeigt – als Auswahl aus mehr als 500 Flurnamen, die im Projekt für zwei Almgebiete erhoben und dokumentiert worden sind. Im Flurnamen (auch: Toponym) werden die topographische Lage, die Beziehung zu den umliegenden Fluren und deren Bezeichnungen, ökologische Merkmale, landschaftliche Nutzung und Bedeutung dokumentiert. Speziell an diesem Flurnamen ist der romanische Ursprung, der auf eine sehr alte Besiedlung und Nutzung des Gebietes rückschließen lässt.

Gose [kose] Toponym

Andere Bezeichnung: Gårte; Mikrotoponyme nach Besitz, bspw.: Andåla Gårte, Gruaba Gårte, Koatlocka Gårte, Mousa Gårte, Stråßa Gårte

Topographie

Großraum Låckenålm; sehr flache Wiese unterhalb der Waldgrenze nahe dem Dorf St. Lorenzen gelegen (Heiweg); im Süden Richtung Dorf grenzt das Heiwegplatzl an, nach Norden gegen das Stikle Leitl, Gruaba Gårte grenzt gegen Westen an die Finschtånitz, mittlere Wiesengröße – umfasst mehrere Parzellen; ein Felsen gilt als natürlicher Aussichtspunkt: Spegilierstan.

Nutzung

Toponym erinnert an frühere Milchwirtschaft = »gosn«; wird bis heute als Mahdwiese und Weidegebiet genutzt, gut erreichbar, leicht zu bewirtschaften – »scheana Wiese«; aufgelassene Hütte mit Stall in Andålan Gårte (Gosnhitte), Hütte im Gruaban Gårte; Gosntreigile – Wassertrog 200 m südlich der Låggnhitte, wird gelegentlich noch als Viehtränke

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Die Siedlungsgeschichte kann aus dem Phänomen rekonstruiert werden, dass im Lesachtal jeweils eine Sprachgruppe die früher kolonisierende Sprachgruppe verdrängt und deren Territorien übernommen hat. Für Kärnten ist es die deutsche Kolonisation des Mittelalters, in der slawische Siedlungsräume besetzt wurden. Zusätzlich kommen für das Lesachtal zu den Überlagerungen slawischer Sprachformen durch deutsche noch romanische Sprachreste hinzu, die sich in Orts- und Flurnamen erhalten haben.

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genützt, bis zum Bau der Wasserleitung (ausgehend von Långgruabm) wichtigste Wasserstelle für die Låggnhitte. Ökologie

Wichtige Wasserstelle, großteils von Nadelwald umgeben. Die teilweise Verwaldung des Gebiets ist auf eine extensivere Nutzung zurückzuführen. Und: der Hirte begleitet das Vieh nicht mehr den ganzen Tag und führt es von Weideplatz zu Weideplatz, deshalb werden die Wiesen auch nicht mehr so exakt abgeweidet.

Der Flurname Gose geht auf rom. casa, lat. casa ›Haus, Hütte‹ zurück. Legt man dies auf die Toponymie um, so ist eine ›Almhütte, auf der gesennt (also die Milch weiterverarbeitet) wird‹, gemeint. Auch in der Schattseite des Lesachtales kommt eine Reihe von Flurnamen vor, die auf dieses Appellativ zurückzuführen sind: Gosenplatz, Eder Gosen (Luggauer Tal), bei den Gosen (Obergailer Tal), Gosenplatz und Gosenwäldchen (Niedergailer Tal), Gosen (Wolayer Tal). Die auffällige Häufigkeit dieses Appellativs in den schattseitig gelegenen Almen und die lautliche Struktur lassen vermuten, dass dieses romanischstämmige Wort durch die grenzüberschreitende Almnutzung bzw. den Kontakt mit den südlichen Nachbarn aus der Carnia direkt in die Lesachtaler Mundart bereits vor 1200 entlehnt wurde. Auffällig ist, dass die Bezeichnung Gosen im Lesachtal häufig im Plural gebraucht wird. Patterer weist darauf hin, dass im Wolayertal »Bei den Kosen« mit »Bei den Hütten« übersetzt wird. Außerdem stellt sie fest, dass gosse (Sennhütte) auch im benachbarten Pustertal als Femininum belegt ist. In der südbairischen Dialektlandschaft ist überdies das Appellativ Kaser weit verbreitet. Es weist dieselbe Semantik wie rom. casa auf. Dennoch ergibt sich bei näherer Betrachtung, dass es sich hier ursprünglich um zwei verschiedene Wörter handelt. Kaser ist aus rom. *casearia ›Käsehürde‹ > ›Almhütte‹ von caseus ›Käse‹ entlehnt und erst sekundär mit casa ›Haus, Hütte‹ verknüpft worden.

LOKALES WISSEN Flurnamen sind ein sprachliches Medium, das im Aneignungsprozess von Menschen und Landschaft vermittelt, und sie sind ein wichtiger Teil des Wissens der Bevölkerung. Sie tradieren Wissen über Besitz und Eigentum, über die räumlichen Bedingungen und landschaftlichen Nutzungen und sie ermöglichen Identifikationen mit der Landschaft. Das lokale Wissen ist eingebettet in die Geschich-

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ten, die in der Familie, zwischen Nachbarn und im Dorfwirtshaus erzählt werden. Sie ermöglichen die Kommunikation über die Landschaft und deren Wahrnehmung, über Arbeitsvollzüge und auch über diverse Auseinandersetzungen zu den Grenzen und Nutzungsrechten. Die Beziehung zur Landschaft wird mit den erzählten Geschichten ideell vorstrukturiert, aufbereitet und im lokalen Wissen verankert. Der US-Ethnologe Barry Lopez (1988: 302) meint dazu: »Over time, bits of knowledge about a region accumulate among local residents in the form of stories. These are remembered in the community; even what is unusual does not become lost and therefore irrelevant. These narratives comprise for a native an intricate, long-term view of a particular landscape.«

In den Flurnamen und Geschichten über die Landschaft wird das kollektive Gedächtnis über die Landschaft gebildet – und zwar unterschiedlich für verschiedene Gemeinschaften, wie etwa der Hof- und der Dorfgemeinschaft. Auf dem Hof, wo erzählte Geschichten zur Bewahrung des jeweiligen Wissensbestandes in der Familie dienen, wird den Kindern durch oftmalige Wiederholung dieser Geschichten und der Flurnamen ein Inventar an sozialen und räumlichen Orientierungen vermittelt. Die Geschichten enthalten in der Regel sowohl praktische Handlungsanleitungen (etwa Hinweise auf Gefahren) als auch moralische Bezüge. Sie dienen damit der Mitteilung von Ereignissen und Erfahrungen und auch der Strukturierung von »richtigen« Sichtweisen und Bewertungen der Dorfgemeinschaft. Das lokale Wissen integriert den Widerspruch zwischen beständiger Veränderung und einer Präsenz über lange Zeiträume hinweg. In den aktuell sich vollziehenden gesellschaftlichen Entwicklungen zeigen sich jedoch tiefgreifende Veränderungen in der Tradierung und der Verfügbarkeit dieses Wissens. Die über viele Generationen anhaltende Relevanz von traditionellem lokalem Wissen geht zu Ende. Durch den Einfluss von Massenmedien ist eine Ausweitung der Interessen und der Wissensspektren zu beobachten: der traditionell enge Lebensraum im Tal wandelt sich vom alleinigen oder zumindest vorrangigen Interessens- und Wissensbezug der Menschen zu einem unter vielen anderen. Die Überlagerung des lokalen Wissens durch ein räumlich weit ausgreifendes und in der Tendenz global orientiertes Wissen erfolgt auch in der Schule. Während der »Heimatkunde«-Unterricht früherer Lehrergenerationen überwiegend an die Erfahrungen der SchülerInnen vor Ort anknüpfte und Wissen über die nähere soziale und räumliche Umwelt im Vordergrund stand, nimmt dieses Wissen heute nur mehr eine marginale Rolle im Unterricht ein.

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DIE ÖRTLICHE SCHULE ALS TRANSDISZIPLINÄRE PARTNERORGANISATION Der Lehrer Hans Guggenberger und die Lehrerin Edith Unterguggenberger hatten im Jahr 2003 im Rahmen einer Projektwoche mit 22 SchülerInnen einer 1. Klasse das Projekt in die Hauptschule Lesachtal getragen. Die SchülerInnen lernten im Unterricht Flurnamen kennen – ein Thema, das der Mehrzahl der SchülerInnen wenig vertraut war, obwohl gängige Flurnamen noch immer zum familiären und dörflichen Grundwissen gehören. In einer Befragung der SchülerInnen zu Flurnamen der näheren Gegend wurde deutlich, dass einige wenige viele Flurnamen kennen, die meisten jedoch nur rudimentäre Kenntnisse selbst über die Flurnamen der näheren Umgebung haben. Die Projektwoche war der Begehung und den Interviews mit kompetenten GesprächspartnerInnen gewidmet: Auf der Lackenalm oberhalb des Ortes St. Lorenzen wurden zwei Tage intensiv Flurnamen besprochen und dokumentiert. In der Landschaft wurden Interviews mit Hirten, Bauern und einem Jäger durchgeführt und aufgezeichnet. Sowohl für den Lehrer und die Lehrerin als auch für die SchülerInnen war diese nicht-alltägliche, wissenschaftsorientierte Erfahrung der Landschaft mit neuen Sichtweisen und mit dem manchmal überraschenden Einblick in altes Wissen über die Landschaft verbunden. Im Unterricht wurde an die gemeinsame Erfahrungen der Projektwoche mit der Auswertung der Interviews angeknüpft und eine Broschüre mit Geschichten zum Hof und zu den Almen vorbereitet. Für die WissenschaftlerInnen war es von Vorteil, dass sie bei den Erhebungsarbeiten im Projekt von SchülerInnen unterstützt wurden. Eine mögliche Scheu der Bauern, Hirten und Jäger vor den »Studierten«, den WissenschaftlerInnen aus der Stadt, spielte keine Rolle, denn es war die örtliche Schule, es waren die LehrerInnen und die SchülerInnen, mit denen sie konfrontiert waren. Und dabei spielte sicher auch eine Rolle, dass es für die in der Regel älteren InterviewpartnerInnen motivierend war, der heranwachsenden Generation ihr Wissen über die Landschaft weiterzugeben. Entsprechend offen und ausführlich waren die Gespräche mit den SchülerInnen. Die Projektwoche fügte das Forschungsprojekt darüber hinaus besser in die örtliche Gemeinschaft ein. Größeres Interesse als von uns erwartet war artikuliert worden: Gespräche im Tal zeigten uns die Neugier an unserem Projekt. Wir können annehmen, dass dieses Interesse letztlich auch in einer verstärkten Zusammenarbeit mit der Gemeinde Lesachtal, der die meisten Ortschaften des Tals angehören (bei einer Einwohnerzahl von etwa 1400), mündete. Auch das Motiv, die Ergebnisse des Projekts in einer Broschüre zusammenzufassen, entstand in

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den Gesprächen im Bäckwirt (einem traditionellen Gasthaus in Maria Luggau) (Seywald et al. 2004). Eine gut besuchte Diskussionsveranstaltung zur Präsentation der Broschüre mit den Projektergebnissen, an der etwa 120 Personen teilnahmen, war ein weiterer Ausdruck dieses lokalen Interesses.

WEM GEHÖRT DAS TRANSDISZIPLINÄR GENERIERTE WISSEN? In der Diskussionsveranstaltung wurde die wichtige Frage nach dem Eigentum an dokumentierten Flurnamen aufgeworfen. Wessen geistiges Eigentum ist das lokale Wissen, das Wissen über Flurnamen und über die Geschichte der Kulturlandschaft? Die Diskussion brachte auch einen Interessenkonflikt zutage, der sich während des Projekts zwar in manchen Gesprächen angekündigt hatte, aber nicht explizit und offen angesprochen worden war. Die Tatsache, dass die Schule am Projekt beteiligt war, dass von Schülern Interviews gemacht wurden, machte das Projekt zu einer »inneren Angelegenheit« des Tales. Die wissenschaftliche Aufbereitung und damit die Verwendung des lokalen Wissens außerhalb der Talgemeinschaft wurden jedoch mit deutlicher Skepsis beobachtet. Die dokumentierten Wissensbestände zu Flurnamen seien eigentlich geistiges Eigentum des Tales, eine Aneignung und Verwertung durch WissenschaftlerInnen sei problematisch. Dieser Vorwurf wurde durch eine Person ausgesprochen und war durchaus ernst zu nehmen, weil er das Projekt zum Diskurs über den Schutz geistigen Eigentums in transdisziplinärer Forschung veranlasste. Die Schule und die Gemeinde Lesachtal haben letztlich ihre Interessen an der Veröffentlichung und weiteren Verwertung der Projektergebnisse deutlich gemacht, etwa durch Förderung der erwähnten Broschüre. Im Projektteam wurde diese Frage diskutiert, und dieses kam zu dem Schluss, dass durch das Projekt lokales Wissen in Wissen als öffentliches Gut transformiert wird. Damit steht sowohl die Möglichkeit privater Aneignung und Vermarktung dieses Wissens (etwa in der Tourismuswerbung) offen als auch die weitere Verwendung in Prozessen der wissenschaftlichen Forschung. Wir haben im inter- und transdisziplinären Forschungsteam einen Teil des lokalen Wissens dokumentiert, analysiert und es damit praktischer, gesellschaftlicher Verwendung wie der Wissenschaft verfügbar gemacht. Darüber hinaus haben wir es aber den interessierten BewohnerInnen und BesucherInnen des Tales (wieder) zugänglich gemacht – und zwar in gemeinsamer Arbeit mit einer für das lokale Wissen relevanten Institution, der örtlichen Schule.

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KONTINUITÄT DER TRANSDISZIPLINÄREN ZUSAMMENARBEIT Aktuell ist ein weiteres transdisziplinäres Projekt zwischen der Alpen-AdriaUniversität Klagenfurt und örtlichen Schulen in Vorbereitung. Gemeinsam mit SchülerInnen der Neuen Mittelschule (ehemals Hauptschule) Lesachtal und der HWL (Höhere Lehranstalt für wirtschaftliche Berufe) Hermagor wird ein Projekt zu regionalem Erfahrungswissen und zu Erinnerungen an den Anbau und die Verarbeitung der Kulturpflanze Flachs durchgeführt: »Landscape and You-th«4. Über die im Lesachtal bis in die 1950er und 1960er Jahre verbreitete Nutzung von Flachs werden durch Interviews mit ZeitzeugInnen, welche noch über Anbau und Verarbeitung von Flachs Auskunft geben können, Informationen gesammelt, mit denen traditionelle Kulturtechniken und Veränderungen der Kulturlandschaft im Tal rekonstruiert werden. Die Verarbeitung und Analyse der Oral-History-Interviews soll nicht nur in deren Dokumentationen und in einen Bericht münden, sondern auch in einen Film und einen »AudioguideHörspaziergang«, welcher später für Einheimische und TouristInnen im Lesachtal zur Verfügung stehen wird. Die in diesem Projekt verfolgten Ziele knüpfen an das erste Projekt zu lokalem Wissen, Sprache und Landschaft an, sie integrieren wissenschaftliche Forschung, Dokumentation und Analyse regionaler Kultur in einem gemeinsamen Lernprozess, von dem alle Beteiligten profitieren können.

VON DEN HERAUSGEBERiNNEN NACHGEFRAGT Gibt es für dich wichtige Schlüsselerfahrungen im Projekt? Gerhard Strohmeier: Ja, und wie bereits in meinem Beitrag angesprochen: die Frage nach dem Eigentum. Wessen geistiges Eigentum ist ein transdisziplinäres Wissen, in unserem Fall das lokale Wissen, das Wissen über Flurnamen und

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Gemeinsam mit Partnereinrichtungen an der Universität Klagenfurt (dem Institut für Wissenschaftskommunikation und Hochschulforschung und dem Institut für Unterrichts- und Schulentwicklung), dem Kulturverein Lesachtal und den genannten beteiligten Schulen wird dieses Projekt von September 2012 bis August 2014 vom Institut für Interventionsforschung und Kulturelle Nachhaltigkeit durchgeführt. Gefördert wird das Projekt durch das Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung im Rahmen des Forschungsprogramms »Sparkling Science«, das Kooperationen zwischen Schulen und wissenschaftlichen Einrichtungen unterstützt.

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über die Geschichte der Kulturlandschaft? Die Schule war am Projekt beteiligt, von SchülerInnen wurden Interviews gemacht. Das machte das Projekt zu einer »inneren Angelegenheit« des Tales. Daher wurde die wissenschaftliche Aufbereitung und damit die Verwendung des lokalen Wissens außerhalb der Talgemeinschaft von einigen skeptisch beobachtet. Es gab den Vorwurf, dass mit der wissenschaftlichen Dokumentation, mit wissenschaftlichen Publikationen und mit weiterer Forschung das kulturelle, geistige Eigentum des Tales durch WissenschaftlerInnen angeeignet und gewinnbringend verwertet würde. Dieser Vorwurf war ernst zu nehmen. Wie wir damit umgegangen sind, habe ich in dem Beitrag beschrieben.

Netzwerke im Bildungsbereich Das Regionale Netzwerk Steiermark FRANZ RAUCH, DANIELA RIPPITSCH, AGNES TURNER

EIN REGIONALES NETZWERK Das Regionale Netzwerk Steiermark ist ein Netzwerk im Rahmen des Projektes IMST (»Innovationen machen Schulen top«), und dieses wiederum ein flexibles Unterstützungssystem für Lehrerinnen und Lehrer. Ziel ist es, eine Innovationskultur zur Stärkung des MINDT-Unterrichts (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Deutsch, Technik) an österreichischen Schulen zu etablieren und strukturell zu verankern. Die Regionalen Netzwerke (RN) sind zurzeit eines von drei Programmen im Projekt IMST (www.imst.ac.at). »Regional« bezieht sich dabei auf jeweils ein österreichisches Bundesland. Seit 2009 bestehen in allen neun österreichischen Bundesländern Regionale Netzwerke. Das Regionale Netzwerk Steiermark startete im Februar 2004 mit einer eintägigen Auftaktveranstaltung in Graz, zu der Lehrer/innen aller Schultypen eingeladen worden waren. Neben einigen Gastreferaten aus dem Projekt IMST und aus dem Wirtschaftsbereich wurden von 18 Schulteams Projekte auf Postern vorgestellt und vier Projekte ausführlicher im Plenum präsentiert. Das Unterstützungsangebot des Regionalen Netzwerks – in dieser Phase vor allem in Form einer Anlauf- und Koordinationsstelle – wurde konkret vorgestellt. 130 Lehrer/ innen nutzten diese Möglichkeit, sich Anregungen für Projektunterricht oder Schulentwicklung zu holen und Erfahrungen auszutauschen. Rückmeldungen zeigen, dass vor allem eine Mischung aus Fachvorträgen und der Möglichkeit, konkrete Projekte aus der Praxis kennenzulernen und mit Kolleg/innen zu diskutieren, eine Aufbruchsstimmung auslösten. Weil von vornherein beabsichtigt war, alle Aktivitäten schultypenübergreifend zu planen, musste in weiterer Folge ein Weg gefunden werden, möglichst

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alle MINDT-Fächer und Schultypen auch in der Struktur zu verankern. Da eine zu große Steuergruppe kaum handlungsfähig ist, wurde festgelegt, diese auf etwa zehn Personen zu beschränken und Substrukturen zu schaffen. Die Steuergruppe wurde im Laufe der Jahre 2004 bis 2007 um Vertreter/innen der einzelnen MINDT-Unterrichtsfächer sowie um zwei Vertreterinnen aus dem Volksschulbereich erweitert. Als Ergänzung zu dieser Steuergruppe wurden schultypenübergreifende fachspezifische Subgruppen initiiert, die allen interessierten Lehrer/ innen die Möglichkeit aktiver Mitarbeit bieten. Jeweils ein/e Lehrer/in aus diesen Fachgruppen ist auch Mitglied der Steuergruppe. Durch starke Impulse der in der Steuergruppe mitarbeitenden Bezirksschulinspektorin entstanden seit dem Schuljahr 2006/07 in der Steiermark drei Bezirksnetzwerke mit dem Ziel, das große Interesse von Haupt- und Volksschulen zu nutzen und zu bündeln. Bezirksnetzwerke haben ein hohes Potential, durch Netzwerkarbeit Unterrichtsentwicklung zu fördern. Im Projekt »VIA_MATH – Viele Wege führen nach Rom« arbeiten beispielsweise im Bezirk Weiz circa vierzig Lehrer/innen aus vier Haupt- und fünf Volksschulen des Bezirks zusammen. VIA_MATH ist ein fachdidaktisches Fortbildungsprojekt im Bereich Mathematik an der Nahtstelle Volksschule/Hauptschule. Das Ziel ist die Weiterentwicklung des Mathematikunterrichtes in Richtung differenzierten und individualisierten Lernens. Im Mittelpunkt steht die Verbindung von »Sprache und Mathematik«. Das selbständige Formulieren von Texten, Rechengeschichten selbst zu erfinden und zu schreiben, mathematische Vokabelhefte zu führen und die eigenen Lösungswege zu beschreiben sind unter anderem Inhalte der Forscherstunden dieses Projektes. Unterstützt wird diese fachdidaktische Initiative durch begleitende Fortbildung, Erfahrungsaustausch und Informationsgespräche sowie Begleitforschung. Es gibt bereits Hinweise auf konkrete Wirkungen der fachdidaktischen Maßnahmen (Peer 2008; Schwetz 2008). Zum Erfolg des Bezirksnetzwerks haben eine vertrauensvolle Atmosphäre in der Lehrer/innengruppe ebenso beigetragen wie die Unterstützung durch die Schulleiter/innen und die Bezirksschulinspektorin. Voraussetzung war die gewissenhafte und professionelle Planung und Durchführung der Treffen und der Begleitforschung. Nach dem ersten Jahr hat sich eine Steuergruppe aus Volks- und Hauptschullehrer/innen gefunden, die weiter an der Veränderung der Lehr- und Aufgabenkultur im Mathematikunterricht arbeiten will (Müller 2008). Als Kommunikationsmedium wird im Regionalen Netzwerk Steiermark ein Informationsblatt gestaltet und verschickt. Es bietet Hintergrundwissen, Angebote sowie die Adressen aller Mitglieder der Steuergruppe des RN Steiermark, die als Ansprechpersonen für Anfragen zur Verfügung stehen.

N ETZWERKE IM B ILDUNGSBEREICH

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Von Beginn an erfolgreich war die Strategie, einen Großteil der von IMST zur Verfügung gestellten finanziellen Mittel direkt den Lehrer/innen und Schulprojekten zur Verfügung zu stellen. Die dabei geförderten Projekte erstrecken sich von Unterrichtsaktivitäten eines Lehrers/einer Lehrerin mit einer Klasse über klassenübergreifende Schulprojekte bis hin zu einem Modellierwettbewerb in Geometrischem Zeichnen, der inzwischen österreichweit stattfindet. Als wirksames Forum des breiten Erfahrungsaustausches und der Präsentation dieser Unterrichtsprojekte wird der eingangs beschriebene Netzwerktag jährlich durchgeführt. Ein wesentliches Anliegen des Regionalen Netzwerks Steiermark ist die Verbreitung von »good practice«-Beispielen. Außerdem soll engagierten Lehrer/innen ein Forum geboten werden, in dem Ideen präsentiert und ausgetauscht werden können. Beim Netzwerktag 2012 wurde die Kleinprojektförderung erstmals unter ein Generalthema gestellt. Gemeinsam mit der steirischen Papierindustrie wurde das Thema »Papier macht Schule« erarbeitet und von den Projektnehmer/innen durch vielfältige Projekteinreichungen gewürdigt. Ein weiterer Baustein des Regionalen Netzwerks sind fächer- und schultypenübergreifende Fortbildungsveranstaltungen, etwa gemeinsame fachdidaktische Seminare für Physiklehrer/innen oder fächerübergreifende Seminare zu Umweltthemen. Sie werden von der Pädagogischen Hochschule Steiermark unterstützt. 2006 ist das Projekt »Pub Science« entstanden. Mitglieder der Steuergruppe und weitere interessierte Physik- und Chemielehrer/innen präsentieren in Lokalen einem interessierten Publikum Freihandversuche in zwangloser Atmosphäre am Tisch. Aus den Kontakten zu den relevanten Umfeldern der Schule entwickelte sich eine Diskussionsrunde des Netzwerkes mit Vertreter/innen der Universität Graz und der Technischen Universität Graz, von Fachhochschulen, Pädagogischen Hochschulen und anderen außerschulischen Partnern und Lernorten (bspw. Unternehmen, Science Center). Die dabei geknüpften Kontakte haben die gute Zusammenarbeit von Universität, Pädagogischen Hochschulen und dem Landesschulrat bei der Gründung der Regionalen Fachdidaktikzentren in der Steiermark wesentlich erleichtert. Durch Mitarbeit des Regionalen Netzwerkes Steiermark mit 17 Bildungseinrichtungen im EU-FP 7 Projekt FIBONACCI (www.fibonacci-projekt.eu) wurden die Erfahrungen auch international eingebracht und ausgetauscht. In diesem EU-Projekt steht forschendes Lernen im Zentrum – ein didaktischer Ansatz, der auch bei IMST (neben anderen Unterrichtsstrategien) eine Rolle spielt. Ein schönes Beispiel ist das Projekt »Kinder reisen durch die Wissenschaft«: Ein Kindergarten, eine Neue Mittelschule (NMS), die Pädagogische

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Hochschule Steiermark und das »Offene Labor« der Universität Graz haben ein gemeinsames naturwissenschaftliches Projekt (mit starker sozialer Komponente) geplant und veranstaltet, das 2011 auch den IMST-Award, eine Auszeichnung für besonders innovative Schulprojekte, zuerkannt bekam.

HERAUSFORDERUNGEN UND PROBLEME Die Öffentlichkeitsarbeit und die Gestaltung und inhaltliche »Füllung« einer eigenen Internetseite wurde nur schleppend vorangebracht. 2010 erfolgte der Internetauftritt des RN auf einer Website (www.nawi-netz-voitsberg.stsnet.at/ nawi), der Weg dorthin war mit langen Diskussionen über deren Sinnhaftigkeit in Zeiten wachsender Informationsflut verbunden. Ein weiteres Problemfeld ist die Verbesserung bzw. Koordination der Zusammenarbeit zwischen Schule und Wirtschaftseinrichtungen, da es hier sehr viele Einzelinitiativen in verschiedensten Bereichen gibt und die zum Teil sehr verschiedenen Interessen der unterschiedlichen Schultypen einen generellen Ansatz erschweren. Schwieriger ist auch die Einbindung des berufsbildenden Schulbereiches verlaufen. Dies hat schultypenspezifisch verschiedene Gründe. In Handelsakademien und Höheren Lehranstalten für wirtschaftliche Berufe wird den naturwissenschaftlichen Fächern eher eine Randposition zugesprochen, an Höheren Technischen Lehranstalten hingegen sind diese Fächer in den einzelnen technischen Zweigen gut eingebettet. Beides erwies sich als Hindernis. Das Regionale Netzwerk wurde von Gutachter/innen im Auftrag des österreichischen Unterrichtsministeriums evaluiert. Sie sehen in den vorliegenden Evaluationsdaten noch nicht ausreichend Belege dafür, dass die angestrebte nachhaltige Steigerung der Qualität und der Attraktivität des Mathematik- und Naturwissenschaftsunterrichts auch »tatsächlich die angestrebte Verbreitung findet. Hier müsste aus Sicht der Gutachter stärker auf die tatsächlich erreichten Ergebnisse – nicht nur Zahl der Teilnehmer/innen an Veranstaltungen u.ä. – sondern die nachweisliche Verbesserung der Bildungsprozesse der Schülerinnen und Schüler eingegangen werden. Dies scheint dem Projektteam auch durchaus bewusst zu sein, wenn etwa für die weitere Planung gefordert wird, dass ›eine intensivierte Evaluation und Begleitforschung diesen Prozess begleiten …‹ soll. Diese Stoßrichtung unterstützen die Gutachter« (Prenzel/Schratz/Messner 2007: 13).

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THEORETISCHE BASIS UND KONZEPTIVE ASPEKTE Im Bildungsbereich haben Netzwerke in jüngster Zeit zunehmend an Attraktivität gewonnen. Dies hat unter anderem strukturelle Gründe: Die zentralen Verwaltungsstrukturen konzentrieren sich verstärkt auf Kontextsteuerung und deren Funktionen werden gleichzeitig dezentralisiert, das heißt, da mehr Verantwortung auf die Ebene der Schule verlegt wird, entsteht eine Lücke. Hier sind intermediäre Strukturen gefragt (Czerwanski/Hameyer/Rolff 2002). Das wird als die Hauptfunktion von Netzwerken bezeichnet. Netzwerke verknüpfen und bündeln Kompetenzen (OECD 2003). Für die Entwicklung der IMST-Netzwerke wurde auf folgende Grundsätze schulischer Netzwerke (Dedering 2007) zurückgegriffen, die auf wichtigen theoretischen Ansätzen beruhen: x

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Gemeinsame Intention und Ziele: Netzwerke orientieren sich an einem von allen getragenen Rahmenthema und an Zielhorizonten (Liebermann/Wood 2003). Polyzentrische Struktur: Es gibt nicht nur ein relevantes Zentrum, sondern mehrere (bzw. eine Vielzahl) sich verknüpfender Knoten (Schäffter 2006). Vertrauensorientierung: Gegenseitiges Vertrauen ist eine Voraussetzung, um Wissen auszutauschen und zu teilen, und damit eine Voraussetzung für Lernen. Netzwerke machen Mut, neue, innovative Wege zu gehen (»Risktaking«) und sie können Konfliktlösung unterstützen (McDonald/Klein 2003). Freiwilligkeit der Teilnahme: Netzwerke erteilen keine Sanktionen. Interventionen können auch abgelehnt werden (Boos/Exner/Heitger 2000). Tauschprinzip (Win-win-Beziehungen): Es bestehen (Aus-)Tauschmöglichkeiten, die bei aktuellen Anlässen realisiert werden. Es geht um ein gegenseitiges Geben und Nehmen. Macht- und Konkurrenzphänomene werden nicht ausgeschlossen, sondern durch Kommunikation auf gleicher Augenhöhe zwischen Zentrum und Peripherie thematisiert und bearbeitet (OECD 2003). Steuerungsplattform: Es geht nicht um gelegentliche Interaktionsbeziehungen, sondern um institutionalisierte Konfigurationen. Netzwerke müssen koordiniert und gewartet werden, um reziproke Austauschprozesse, Kooperation und Lernen zu unterstützen (Dobischat et al. 2006). Synergie: Netzwerke ermöglichen Synergieeffekte durch Strukturaufbau, sie bieten daher eine Alternative zu klassischen Rationalisierungsstrategien durch Strukturabbau (Schäffter 2006).

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Lernen: Netzwerke sind Unterstützungssysteme auf Gegenseitigkeit. Die Beteiligten tauschen sich aus, kooperieren im Rahmen gemeinsamer Angelegenheiten, Ziele, Schwerpunkte oder Projekte. Sie lernen voneinander und miteinander (Czerwanski/Hameyer/Rolff 2002).

Netzwerke können auch als Versuche verstanden werden, in den Spannungsfeldern Autonomie und Vernetzung, Struktur und Prozess, Vorgabe und Freiraum, Freiwilligkeit und Verbindlichkeit, Differenz und Partizipation, Verwaltungshierarchie und Basisbewegung, Praxis und Wissenschaft neue Wege in der Gestaltung des Lernens und der Zusammenarbeit von Personen und Institutionen zu beschreiten (Rauch/Kreis/Zehetmeier 2007). Bezogen auf Funktionen von Netzwerken im Bildungsbereich bilden vor allem die Überlegungen von Per Dalin (1999) eine wichtige theoretische Basis für die Gestaltung der Regionalen Netzwerke bei IMST: x

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Informationsfunktion: Netzwerke ermöglichen einen direkten Austausch von Praxiswissen für Unterricht und Schule. Dieses Wissen wird als hochrelevant für die Weiterentwicklung von Praxis angesehen. Darüber hinaus können auch gezielt Brücken zwischen Praxis und Wissenschaft gebaut werden. Lernfunktion: Lernmöglichkeiten und Kompetenzentwicklung (Professionalisierungsprozesse) werden gefördert. Politische Funktion: Kooperationen sowie die Schnittstellenposition zur Schulverwaltung erhöhen die Durchsetzungskraft von Anliegen. Psychologische Funktion: Durch Vernetzungen werden Personen gestärkt. So kann Vertrauen gefördert werden.

WAS KANN AM BEISPIEL DES REGIONALEN NETZWERKES GELERNT WERDEN? Der Aufbau des Regionalen Netzwerks Steiermark wurde möglich, weil die anfangs Beteiligten bereits Kontakte untereinander hatten. Der Wille zur Zusammenarbeit auch ohne angemessene Abgeltung war bei den maßgeblichen Akteur/innen vorhanden und konnte zum erfolgreichen Aufbau genutzt werden. Die Unterstützung durch den Landesschulrat Steiermark, der eine Wochenstunde pro Steuergruppenmitglied bezahlt, soll nicht unterschätzt werden, auch wenn das eher eine symbolische Geste darstellt. Es zeigte sich immer wieder, wie unverzichtbar soziale Kontakte beim Aufbau von Strukturen und bei der Weitergabe von Information sind. Es geht darum,

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von Knotenpunkten auszugehen und neue »Ströme« entstehen zu lassen oder auch umgekehrt – Informationsströme zu nutzen und neue Knotenpunkte zu bilden. Solche Entwicklungen finden in kleinen Schritten statt. Ein längerfristiger Prozess, in dem sich »etwas« entwickeln kann, muss angestrebt werden. Unterstützt wird der Prozess durch konkrete Rahmenbedingungen wie Veranstaltungen oder Richtungsentscheidungen. Es geht um die Balance zwischen »strömen lassen« und »Knoten bilden« In der Begleitung der Initiative haben sich vor allem die halbjährlichen Netzwerktreffen als wichtige Orte für die Weiterentwicklung erwiesen. Bei diesen Treffen berichten die Vertreter/innen der inzwischen in allen neun Bundesländern aktiven Regionalen Netzwerke über ihre Erfahrungen. Über die Jahre wurde ein Vertrauensverhältnis zwischen den Netzwerken und den BegleiterInnen vom Institut für Unterrichts- und Schulforschung der Alpen-Adria-Universität aufgebaut. Dies ermöglicht einen offenen Austausch und daher auch authentische und relevante Lernergebnisse. Netzwerken ist ein komplexes, vielschichtiges und damit herausforderndes Unterfangen. Unsicherheiten, Spannungsfelder, Widerstände sind Teil der Entwicklung. Darüber in einer Gruppe offen reflektieren zu können schafft emotionale Distanz und motiviert durch gelingende Erfahrungen in anderen Netzwerken. Auch wenn von gemeinsamen Eckpunkten ausgegangen wird, sind die Entwicklungen in den einzelnen Netzwerken doch unterschiedlich. Somit wird Erfahrungsaustausch interessant und bietet konkrete Anregungen. Gute Praxis kann nicht geklont werden, aber offener Erfahrungsaustausch zwischen Akteur/innen aus verschiedenen Feldern im Bildungsbereich (Praxis, Bildungsverwaltung, Forschung) unterstützt das Lernen und die Bereitschaft zu Innovationen. Die Regionalen Netzwerke bieten ziel- und inhaltsorientierte Austauschprozesse von Wissen, das andernorts nicht zugänglich ist (»tacit knowledge«), zwischen Lehrer/innen und anderen Akteur/innen (Informationsfunktion von Netzwerken). Dies fördert die Weiterentwicklung der professionellen Kompetenz (z.B. neue Ideen für den Unterricht, fächerübergreifende Kooperation) der Akteur/innen (Lernfunktion von Netzwerken). Die Regionalen Netzwerke bieten die Chance, eine Vertrauenskultur aufzubauen, die Selbstvertrauen und Selbstwirksam der Akteur/innen stärkt (psychologische Funktion). Darüber kann die Bedeutung der Netzwerkinhalte – in unserem Beispiel naturwissenschaftliche Bildung – in gesellschaftlichen Wirkungsfeldern gesteigert werden (politische Funktion). Eine Balance von Aktion und Reflexion (etwa fachübergreifender Unterricht und dessen Evaluation) sowie Autonomie und Netzwerken (bspw. individuelle

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Analyse und kollegiale Reflexion sowie Unterstützung und Begleitung) fördern den Aufbau eines nachhaltigen Unterstützungssystems. Evaluation und Begleitforschung sollten an einer iterativen Verbindung von Erkenntnisinteresse und Entwicklungsinteresse ausgerichtet sein. Diese Interessen und Rollen müssen zwischen den beteiligten Akteursgruppen – in unserem Fall vor allem Netzwerker/innen und Begleitforscher/innen – ausgehandelt werden. Basis ist ein gemeinsames Verständnis über Ziele und Konzepte der Netzwerkarbeit. Die einzelnen Evaluationsprojekte werden mit klar formulierten Vereinbarungen und Aufgaben transparent gestaltet. Neben der Selbstevaluation der Regionalen Netzwerke und der Betreuer/innen (die ihre Betreuung evaluieren) werden einzelne Evaluationsprojekte von der Projektleitung (am Institut für Unterrichts- und Schulentwicklung/IUS) nach Rücksprache mit den Netzwerken beauftragt. Es sind diesbezüglich kaum Spannungen aufgetreten. Wir vermuten, dass dies einerseits auf Kommunikation zwischen Netzwerker/innen und Begleitforscher/innen auf Augenhöhe beruht und andererseits auf in den Kooperationsvereinbarungen zwischen dem IUS und dem Netzwerk vereinbarten Rahmenbedingungen. Es gibt Risiken, die eine dynamische Netzwerkarbeit behindern und verhindern können sind (Liebermann/Wood 2003): x

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Das Netzwerk entfernt sich von den Interessen der Akteur/innen (hier von jenen der Lehrer/innen und vom zentralen Ziel, das Lernen der Schüler/innen zu fördern). Die gemeinsame Vision und die gemeinsamen Ziele gehen verloren. Die Koordination und Steuerung erfüllen nicht die Erwartungen. Es besteht notorischer Ressourcenmangel vor allem in Bezug auf Zeit und Geld. Das Netzwerk mutiert zu einer technokratischen Bürokratie. Es gibt nicht genügend Raum und Zeit für Dokumentation, Austausch und selbstkritische Reflexion.

Die Herausforderung nachhaltiger Netzwerkarbeit besteht darin, eine dynamische wechselwirkende Balance zwischen Strukturen (Knoten) und Prozessen (Strömen) – oder in anderen Worten zwischen Stabilität und Verflüssigung – aufrechtzuerhalten.

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VON DEN HERAUSGEBERiNNEN NACHGEFRAGT Gibt es für euch wichtige Schlüsselerfahrungen im Projekt? Daniela Rippitsch: Es hat sich für mich gezeigt, dass die Netzwerkarbeit eine stete Gratwanderung zwischen Formgebung, Offerieren von Möglichkeiten und Geschehenlassenkönnen von Prozessen, die man so nicht vorhergesehen hat bzw. die sich in der Eigenverantwortung der PartnerInnen entwickelt haben, ist. Netzwerken hat für mich ganz viel mit Vertrauen, Umgang auf Augenhöhe und Partnerschaftlichkeit, aber auch mit Verlässlichkeit und Transparenz sowie stetem Informationsfluss zu tun. Franz Rauch: In der Begleitung der Anfangsphase kann ich mich auch an mühsame bis skurrile Erfahrung erinnern. In einem Bundesland wurde anfangs versucht, das Konzept einer Bottom-up-Entwicklung zu ignorieren, um zu den finanziellen Ressourcen, die das IMST-Projekt zur Verfügung stellt, zu kommen. Das Netzwerk wurde Top-down von Landesschulrat eingesetzt, ohne die Interessen der LehrerInnen ernst zu nehmen. Bei einem anderen Beispiel wurde die Steuergruppe ursprünglich nach parteipolitischer Zuordenbarkeit der LehrerInnen vom Landesschulrat besetzt. Das im Kern erfolgreiche Prinzip einer regionalen kontextbezogen Entwicklung in den einzelnen Bundesländern hat also mitunter skurrile Aspekte angenommen. Da Austausch und Kommunikation mit der Netzwerkbegleitung und auch innerhalb der Netzwerke sowie eine Evaluationskultur aufgebaut wurden, haben sich diese Einstiegsszenarien mit den Jahren im Sinne des Netzwerkkonzepte deutlich verbessert und spielen keine Rolle mehr.

FAAN Facilitating Alternative Agro-Food Networks SANDRA KARNER

Im Europäischen Forschungsprojekt »FAAN – Facilitating Alternative AgroFood Networks: stakeholder perspectives on research needs« (www.faanweb.eu) ging es um alternative Strategien der Lebensmittelversorgung, wie sie in Alternative Agro-Food Networks (AAFNs) erprobt werden. AAFNs sind gekennzeichnet durch bestimmte Formen von ökologischer, sozialer oder kulinarischer Qualität. Sie setzen auf direkte Kontakte zwischen KonsumentInnen und ProduzentInnen, auf ökologische Produktionsweisen, artgerechte Tierhaltung, faire Handelsbeziehungen, regionale oder lokale Wirtschaftskreisläufe, traditionelle Verarbeitungsmethoden oder die Erhaltung von Biodiversität. Damit verstehen sich AAFNs als Gegenbewegung zum vorherrschenden Mainstream-Versorgungssystem. Im Rahmen dieses dreijährigen Projektes analysierte das Institut für Technik und Wissenschaftsforschung (Standort Graz) gemeinsam mit Forschungseinrichtungen und zivilgesellschaftlichen Organisationen aus fünf europäischen Ländern Mechanismen und relevante Faktoren für die Entwicklung von AAFNs, um daraus Handlungsempfehlungen für Politik und Praxis abzuleiten. In diesem konkreten Forschungszusammenhang erprobte und evaluierte das Forschungsteam auch seine Zusammenarbeit mit außer-wissenschaftlichen AkteurInnen, die als »Co-operative Research« konzipiert war. Die Besonderheit des Projektes lag in einem am Prozess orientierten Zugang, in dessen Gestaltung alle KooperationspartnerInnen einbezogen waren. Wir wollten durch die Beteiligung verschiedener Akteursgruppen und durch Berücksichtigung eines breiten Spektrums von Zugängen und Wissensformen möglichst praxisnahes Wissen generieren. Projektaktivitäten sollten einerseits zu politikrelevanten und praxiswirksamen Ergebnissen führen, andererseits sollten aber auch

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neue wissenschaftlich relevante Perspektiven und Erkenntnisse gewonnen werden. So beteiligten sich die am Projekt teilnehmenden VertreterInnen zivilgesellschaftlicher Organisationen an der Entwicklung des Forschungskonzeptes und der Erarbeitung von Forschungsfragen und waren aktiv in der Forschung tätig. Punktuell wurden darüber hinaus weitere AkteurInnen aus der Praxis (wie BäuerInnen, KonsumentInnen, BeraterInnen und PolitikerInnen) über Interviews, Fokusgruppen und Szenarien-Workshops einbezogen.

DEMOKRATISIERUNG DER WISSENSCHAFT Als Motivation lag dieser sehr engen Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen Organisationen die Diskussion um eine »Demokratisierung von Wissenschaft« (Wilsdon et al. 2005) zugrunde. Durch die Einbeziehung außerwissenschaftlicher AkteurInnen lassen sich Forschungsaktivitäten nicht nur auf eine breitere Wissensbasis stellen, sondern auch die Rezeption der Forschungsergebnisse wird über die wissenschaftliche Community hinaus verbessert, wodurch sich auch ihre gesellschaftliche Wirksamkeit erhöht (Karner et al. 2010). NGOs und andere zivilgesellschaftliche Organisationen sind wichtige AkteurInnen in diesem Kontext, weil sie über ihre Netzwerke sowohl außerwissenschaftliches als auch wissenschaftliches Wissen bündeln und als VermittlerInnen zwischen Wissenschaft und Gesellschaft auftreten. Sie nehmen auch eine wichtige Rolle im Bereich der sogenannten »third sector«- bzw. »activist led«-Forschung ein (z.B. Martinez-Alier et al. 2010) und interessieren sich zunehmend für die Mitgestaltung von Forschungs(agenden) (Gall 2009).

VORAUSSETZUNGEN UND RESSOURCEN Basierend auf langjährigen Erfahrungen im Bereich Landwirtschaft und Lebensmittel und damit verbundenen Governance-Praktiken wollten wir einen Beitrag zur Demokratisierung von Forschung leisten. Wir hatten zwar bereits mit verschiedenen partizipativen Ansätzen gearbeitet, jedoch sahen diese nie die Einbeziehung außerwissenschaftlicher AkteurInnen bereits in der Projektkonzeptionsbzw. Antragsphase vor. Mit der ersten Ausschreibung des 7. Forschungsrahmenprogrammes eröffnete die Europäische Kommission im Arbeitsprogramm »Capacity building activities for civil society organisations and development of cooperative research activities« eine einzigartige Gelegenheit, einen experimentellen transdisziplinä-

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ren Ansatz als »Co-operative Research« umzusetzen. Zivilgesellschaftliche Organisationen konnten erstmals formal-rechtlich als vollwertige PartnerInnen in Forschungsprojekte einbezogen werden. Das implizierte, dass sowohl die Aufgaben- als auch die Ressourcenverteilung ausgewogen erfolgen konnte, was es den außerwissenschaftlichen PartnerInnen erleichtern sollte, sich maßgeblich in den Forschungsprozess einzubringen.

NATIONALE FORSCHUNGSTEAMS BILDEN: EINE HERAUSFORDERUNG Das Zusammenfinden in nationalen Forschungsteams gestaltete sich sehr unterschiedlich. Während die einen auf persönliche Kontakte und langjährige Kooperationsbeziehungen aufbauen konnten, erwies sich bei anderen die Rekrutierung von geeigneten außerwissenschaftlichen Einrichtungen mitunter als schwierig. Einerseits musste ihre inhaltliche Ausrichtung gut zum definierten Themenfokus passen, andererseits mussten sie sich für Forschungsaktivitäten in diesem Themenbereich interessieren. Wir hatten zwar in vorangegangenen Projekten Kontakte zu Organisationen, die sich mit Landwirtschaft und Lebensmittelversorgung beschäftigen, allerdings zeigten sich diese nicht sonderlich an einer Kooperation in einem Europäischen Forschungsprojekt interessiert. Das Kerninteresse jener wenigen Organisationen, die grundsätzlich in Frage kamen, konzentriert sich vor allem auf die Vernetzung ihrer Klientel als Drehscheiben für einen Informations- und Wissensaustausch, die Organisation gemeinsamer Aktivitäten, Beratungs- und Bildungsarbeit sowie politisches Lobbying. Weder die Auseinandersetzung mit Forschungsagenden noch eine aktive Beteiligung an Forschungsvorhaben schien von Relevanz für sie zu sein. Zweifel daran, dass Forschung einen maßgeblichen Beitrag zur Stärkung der von den Organisationen vertretenen Interessen zu leisten vermöge, ließen die Angesprochenen zögern, sich auf eine Kooperation einzulassen. Zudem ging aus Gesprächen hervor, dass Forschung einerseits wenig politik- und praxisrelevant, andererseits aber auch als politisch gesteuert wahrgenommen wurde. Schließlich konnten wir die ins Auge gefassten KooperationspartnerInnen dadurch überzeugen, dass das geplante Projekt weitgehend prozessoffen sein würde und so ein hohes Maß an Mitgestaltung für alle Beteiligten biete. Das würde gewährleisten, den Forschungsfokus nach ihren spezifischen Interessen auszurichten und auch die Ergebnisse in einer für ihre Arbeiten verwendbaren Form aufzubereiten. Ein ebenfalls überzeugender Aspekt war, dass in Aussicht gestellt werden konnte, den aus der Kooperation entstehenden Sach- und Arbeitsaufwand (circa achtzig Prozent der anfallenden

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Kosten) für alle PartnerInnen in gleichem Maße aus Projektmitteln zu finanzieren. Letztendlich konnten wir mit Via Campesina Austria eine zwar sehr kleine, aber weltweit gut vernetzte Einrichtung für die Teilnahme am Projekt gewinnen.

TRANSDISZIPLINARITÄT ALS KONZEPTIONELLER RAHMEN FÜR »CO-OPERATIVE RESEARCH« Als soziales Experiment mit Begleitforschung bot das Forschungsprojekt FAAN ungewöhnlich viel Gestaltungsspielraum. Obwohl wir uns innerhalb des Projektteams auf inhaltlicher Ebene auf eine klare Ergebnisorientierung geeinigt hatten, mussten wir weder die Forschungsinhalte noch die Gestaltung des Forschungsdesigns a priori im Detail festlegen. Das Forschungsdesign und der inhaltliche Fokus wurden als Teil des Kooperationsprozesses erst im Laufe des Projektes konkretisiert. Grundsätzlich waren wir davon ausgegangen, dass Integration einen entscheidenden Aspekt für die Abgrenzung unseres Forschungsdesigns von anderen partizipativen Aktivitäten darstellt. Integration bestand im Kontext von FAAN darin, durch eine Kombination verschiedener Sichtweisen auf das zu bearbeitende Thema ein umfassenderes Problemverständnis zu entwickeln. Ein integrativer Ansatz, der verschiedene Sichtweisen einbezog, schien vor allem deshalb sinnvoll, weil die aktuelle Problemlage im Zusammenhang mit Nachhaltigkeit in der Nahrungsmittelversorgung von hoher Komplexität gekennzeichnet ist und darüber hinaus die verschiedenen AkteurInnen mit zum Teil gegenläufigen Interessen unterschiedliche Lösungsansätze verfolgen. Eine gleichwertige Partnerschaft in allen Phasen realisieren Grundsätzlich können partizipative Ansätze in transdisziplinärer Forschung in Abhängigkeit vom verfolgten Ziel vielfältig ausgestaltet sein (Webler/Tuler 1998) und an unterschiedlichen Punkten im Prozess stattfinden. Im Forschungsprojekt FAAN haben wir uns für den höchstmöglichen Grad an Partizipation während des gesamten Prozessverlaufes entschieden. Es wurde eine möglichst gleichwertige Partnerschaft zwischen allen Beteiligten angestrebt, in der die Entscheidungsmacht und die Gewichtung von unterschiedlichen Expertisen möglichst ausgeglichen sein sollten. Die Bereitstellung von Ressourcen war ein wichtiger Aspekt in diesem Zusammenhang. Weil die durchzuführenden Aktivitäten nicht Teil der Kerngeschäfte der außerwissenschaftlichen PartnerInnen waren, mussten ausreichende finanzielle Mittel für alle Beteiligten zur Verfügung

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gestellt werden, um eine gleichwertige Partnerschaft realisieren zu können. So konnten sie sich in alle Phasen des Forschungsprozesses einbringen: Sie beteiligten sich an der Entwicklung des Forschungskonzeptes, der Erarbeitung von Forschungsfragen und waren aktiv in den Forschungsprozess und in die Verwertung der Ergebnisse involviert. Auch wenn wir das Ziel einer gleichrangigen Partnerschaft aller Beteiligten ernsthaft verfolgten, zeigten sich vor allem im Kontext von Kontroversen innerhalb des Forschungsteams formale, aber auch informelle Machtverhältnisse. So kam uns als Gesamtprojekt-KoordinatorInnen eine hohe Definitionsmacht im Hinblick auf die Gestaltung des Forschungsdesigns und die Projektdurchführung zu. Zudem wäre es naiv anzunehmen, dass VertreterInnen von außerwissenschaftlichen Organisationen, die keine oder kaum Erfahrungen mit Forschungsprojekten haben, sich in gleichem Maße selbstsicher in die Prozessgestaltung einbringen würden. Ungleiche Machtverhältnisse ergaben sich insbesondere aufgrund von sozialen Faktoren wie Seniorität, Geschlecht, Sprachkompetenz, die formale Position der Beteiligten in ihren Organisationen, aber auch durch formal festgelegte Zuständigkeiten im Projekt. Phasen der Differenzierung und Integration Der Forschungsprozess war in abwechselnde Phasen von Differenzierung und Integration gegliedert. Begleitet wurde dieser Phasenwechsel von rekursiven Prozessschleifen, die einerseits dazu dienten, Zwischenergebnisse und Schlussfolgerungen hinsichtlich ihrer Praxisrelevanz in Form und Inhalt zu evaluieren, andererseits wurde der Forschungsprozess selbst reflektiert (Karner/Chioncel 2010b). Während die Differenzierungsphasen dem Sichtbarmachen von unterschiedlichen Sichtweisen, Bedürfnissen und Erwartungen nicht nur zwischen WissenschafterInnen und VertreterInnen der zivilgesellschaftlichen Organisationen, sondern auch innerhalb dieser dienten, wurden in den Integrationsphasen Ziele definiert und an gemeinsamen Begriffsverständnissen und Konzepten gearbeitet, Synthesen, Analysen und Schlussfolgerungen erstellt und Entscheidungen über den weiteren Prozessverlauf getroffen. Als besonders hilfreich erwiesen sich die im Laufe der Zeit entstandenen sozialen Beziehungen innerhalb der Gruppe, die einen tieferen Einblick in die Realität der »Anderen« erlaubten. In Bezug auf Integration kam uns zugute, dass wir alle uns darüber einig waren, dass AAFNs unterstützenswert sind. Wir verfolgten somit ein gemeinsames Ziel. Dieser Umstand barg jedoch auch den Nachteil, dass die einzelnen Positionen und Sichtweisen der unterschiedlichen PartnerInnen kaum in Frage gestellt

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wurden, wodurch sich auch keine grundlegend neuen oder kreativen Perspektiven auf die Problemlage und mögliche Lösungsansätze ergaben (Giri 2002). Die Zusammenarbeit gestaltete sich über weite Strecken konfliktfrei. Lediglich verschiedene Zugänge innerhalb der Gruppe der ForscherInnen bereiteten mitunter Probleme in der Integration von unterschiedlichen methodischen und theoretischen Ansätzen und führten auch zu Konflikten. So verbrachten wir beispielsweise sehr viel Zeit mit Diskussionen darüber, ob denn der erste Schritt für die Identifizierung relevanter Politikfelder deduktiv oder induktiv erfolgen sollte. Die daraus hervorgehende Kontroverse stellte bis zum Projektende ein schier unlösbares Problem dar, da sich die Beteiligten auf unterschiedliche akademische Diskurse bezogen und einander nicht von der Sinnhaftigkeit des eigenen Zugangs überzeugen konnten. Um die Arbeitsfähigkeit im Projekt zu sichern, musste aber eine Entscheidung getroffen werden. Obwohl jene ProjektpartnerInnen, die für den induktiven Zugang plädierten, profunde Expertise im relevanten Themenfeldern vorzuweisen hatten, konnten sie sich nicht durchsetzen, denn die Entscheidung wurde letztendlich nicht auf Basis von Sachargumenten, sondern aufgrund sozialer Faktoren getroffen. In diesem Sinn kann die soziale Konstruktion von Wissen im Projekt auch als eine Folge von Schließungs- und Stabilisierungsprozessen verstanden werden (vgl. Kap. 1). Die außerwissenschaftlichen PartnerInnen sahen Integrationsschritte meist pragmatisch. Sie sind es gewohnt, in ihrer täglichen politischen Arbeit schnell auf aktuelle Entwicklungen zu reagieren und sich mit potentiellen MitstreiterInnen zu verbünden. Sie zeigten ein hohes Maß an Flexibilität und Kompromissbereitschaft, wenn diese der Erreichung der gesetzten Ziele diente. PartnerInnen aus zivilgesellschaftlichen Organisationen nahmen die Interaktion mit uns WissenschafterInnen zeitweise als sehr mühsam wahr, weil oft lange Diskussionen stattfanden, die letztendlich nicht zu Entscheidungen führten. Für den Forschungsprozess hingegen waren ihre Interventionen im Kontext von Entscheidungsprozessen innerhalb des Forschungsteams hilfreich, weil sie dadurch langatmige (akademische) Diskussionen beschleunigten und Rituale der Selbstdarstellung ein wenig aufweichen konnten. Es war notwendig, aber nicht immer leicht, die verschiedenen Arbeitskulturen aufeinander abzustimmen. Die Unterschiede ergaben sich auch daraus, dass bis zu dreißig Menschen mit unterschiedlichen Arbeitsschwerpunkten und Expertisen aus fünf europäischen Ländern und aus zehn Organisationen eng zusammenarbeiteten.

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Zugeständnisse und Wahrnehmungen unterschiedlicher Formen von Expertise und Wissen Die Abklärung von Kompetenzen und Expertisen innerhalb des Forschungsteams stellte eine beträchtliche Herausforderung dar. Wird Information in einer Gruppe ausgetauscht, so gibt es immer geteiltes und ungeteiltes Wissen. Letzteres bildet die spezifische Expertise Einzelner. Wie aus der Psychologie bekannt (z.B. Greitemeyer et al. 2006), bringen sich Individuen oft erst dann mit ihrer spezifischen Expertise ein, wenn diese durch eine explizite Zuschreibung anerkannt ist. Das wird insbesondere dann wichtig, wenn sich die ProjektpartnerInnen nicht oder kaum kennen. Im Rahmen der ersten Differenzierungsphase wurden alle ForschungspartnerInnen gebeten, ihre Sichtweise auf die Problemlage und ihre Erwartungen an das Projekt darzustellen und klarzumachen, mit welcher Expertise sie sich in das Projekt einbringen möchten. Den WissenschafterInnen fiel es vergleichsweise leicht, sich mit ihrer Expertise in einen Forschungsprozess einzubringen, weil diese meist klar über ihre beruflichen Arbeitsschwerpunkte definiert war. Den außerwissenschaftlichen PartnerInnen fiel es schwerer, ihre Expertise außerhalb ihres beruflichen Kerninteresses zu definieren – insbesondere, weil sie sich zu Projektbeginn noch nicht klar darüber waren, wie ihre Rolle im Forschungsprozess im Detail aussehen würde. Sie verhielten sich deshalb zurückhaltend und warteten darauf, dass ihnen bestimmte Kompetenzen, z.B. über Aufgabenzuteilung, zugeschrieben wurden. Darüber hinaus bedurfte es einiger Bemühung, Hierarchien verschiedener Wissensformen und Expertisen aufzulösen und neu zu verhandeln – ganz besonders im Hinblick auf das Ziel, implizites Wissen zugänglich zu machen. In späteren Reflexionen stellten einige der außerwissenschaftlichen Teammitglieder fest, dass sie sich erst im Verlauf des Projekts zunehmend der Relevanz ihrer Expertise bewusst geworden waren.

VERTRAUEN Die Tatsache, dass die finanziellen Mittel von der Europäischen Kommission bereitgestellt wurden, ließ bei den außerwissenschaftlichen PartnerInnen Misstrauen darüber aufkommen, dass sich eine »hidden agenda« hinter der Finanzierung des Projektvorhabens verbergen könnte. Es könnte sich, so wurde gemutmaßt, um eine strategische Maßnahme handeln, um kritische Organisationen »ruhigzustellen« oder »Insiderinformationen« über die Entwicklungen alternativer Nahrungsmittelversorgungssysteme der Politik zugänglich zu machen. Vor

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allem während der empirischen Erhebungen wurde die Vertrauensfrage innerhalb des Projektteams relevant, denn dem Projekt wurde informelles Wissen zugänglich gemacht, das auch sensible Informationen enthielt, die aus rechtlichen Gründen der Vertraulichkeit bedurften. Die Involvierung der außerwissenschaftlichen PartnerInnen in alle Phasen des Forschungsprozesses machte es aber vergleichsweise einfach, einen korrekten Umgang mit diesen Informationen zu finden. Um letzte Bedenken auszuräumen, schlossen wir eine mündliche Vereinbarung zur Verwendung des empirischen Datenmaterials. Wir begannen unsere Forschungsaktivitäten damit, den Status quo von alternativen Nahrungsmittelversorgungsnetzwerken in den am Projekt teilnehmenden Ländern zu erheben. Dazu führten wir Literaturstudien und Interviews mit SchlüsselakteurInnen durch. Anfangs hatten wir Schwierigkeiten, Personen zu finden, die bereit waren, über die aktuellen Probleme im Feld zu sprechen. Einige von ihnen waren schon im Rahmen von anderen Forschungsprojekten befragt worden. Sie waren oft enttäuscht, weil sie über die Ergebnisse der Untersuchungen nicht informiert worden waren. Erst als wir begannen, die Leute über die außerwissenschaftlichen PartnerInnen und ihre Netzwerke zu adressieren, waren sie bereit, mit uns zu sprechen. Offenbar versprach die Tatsache, dass AkteurInnen aus der eigenen Community im Projektteam waren, tatsächliche praxis- und politikrelevante Ergebnisse. Weil die zivilgesellschaftlichen Partnerorganisationen als »Türöffner« zum Praxisfeld fungierten, war es ihnen besonders wichtig, dass jene, die uns offene Einblicke in ihre Praxis gewährten, auch etwas zurückbekommen würden. Wir einigten uns aus diesem Grund darauf, den inhaltlichen Fokus der geplanten Workshops gezielt auf die Bedürfnisse der TeilnehmerInnen auszurichten. Darüber hinaus reservierten wir Ressourcen für eine maßgeschneiderte Aufbereitung der Ergebnisse. Auf Gesamtprojektebene wurde eine leicht verständliche Zusammenfassung der inhaltlichen Ergebnisse in Form eines Booklets veröffentlicht1, Ergebnisse aus den nationalen Fallstudien wurden in den jeweiligen Landessprachen publiziert. Weiters gewann auch der Faktor Zeit im Hinblick auf die Verfügbarkeit von Ergebnissen eine für uns WissenschafterInnen neue Dimension. Während wir unsere Arbeiten meist losgelöst von tagesaktuellen Geschehnissen lediglich an in Fördervereinbarungen festgelegten Terminen orientieren, müssen außerwissenschaftliche PartnerInnen sehr rasch auf politische Entwicklungen reagieren. So mussten Zwischenergebnisse für allfällige kurzfristige Interventionen sofort verfügbar gemacht werden, was eine Herausforderung darstellte. Einerseits war das rekursive Prozessdesign mit zeitaufwändigen Verständigungs- und Verhandlungsprozessen

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www.faanweb.eu/sites/faanweb.eu/files/FAAN_Booklet_PRINT.pdf

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verbunden, andererseits sollten auch unsere Zwischenergebnisse valide genug sein, um eine gute Argumentationsbasis für realweltliche Interventionen zu bieten.

RESÜMEE Retrospektiv war das Projekt für alle Beteiligten lohnenswert. Dennoch bleibt kritisch anzumerken, dass wir uns innerhalb des Projektes fast ausschließlich darauf konzentrierten, den Wünschen und Bedürfnissen der außerwissenschaftlichen PartnerInnen Rechnung zu tragen. Für akademische Diskussionen blieb aufgrund der begrenzten Ressourcen nur wenig Raum. Fast alle der aus dem Projekt hervorgegangenen wissenschaftlichen Publikationen2 entstanden erst nach Projektende. Ohne das oft sehr zeitintensive Forschungsdesign wären uns vermutlich viele der gewonnenen Einblicke in das beforschte Feld verwehrt geblieben und wir hätten auch all die wertvollen Erfahrungen nicht gemacht, die wir im Rahmen unserer Zusammenarbeit sammeln konnten. Mit Sicherheit wäre jedoch die Verbreitung und Verwendung der Ergebnisse und damit auch die Wirksamkeit unserer Forschung jenseits der wissenschaftlichen Community deutlich geringer gewesen. Zu den Erfolgen des Projektes zählen insbesondere ein im ungarischen Parlament vorgebrachter Vorschlag für eine Ausnahmeregelung zur kleinbäuerlichen Direktvermarktung, zahlreiche Einladungen von Initiativen zur Präsentation unserer Ergebnisse und die Beteiligung am Konsultationsprozess zur Reform der europäischen Agrarpolitik. Abschließend kann festgehalten werden, dass FAAN in erster Linie ein soziales Experiment war, das für uns alle sowohl auf persönlicher als auch auf beruflicher Ebene eine Bereicherung darstellte. Das lässt sich nicht nur aus den Abschlussinterviews mit den Beteiligten ableiten, sondern bestätigt sich auch durch zahlreiche Kooperationsaktivitäten über das Projektende hinaus. So hat sich unter anderem aus unserer Zusammenarbeit mit Via Campesina Austria ein stabiles Kooperationsverhältnis entwickelt, das neben anderen Aktivitäten zur Durchführung eines weiteren europäischen Forschungsprojektes geführt hat, an dem auch zwei andere Partnerorganisationen aus FAAN beteiligt sind.

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Bis dato (Juli 2013) sind mehr als zwanzig aus dem Projekt hervorgegangene Beiträge in wissenschaftlichen Journals, Büchern und Tagungsberichten sowie eine Dissertation publiziert worden.

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VON DEN HERAUSGEBERiNNEN NACHGEFRAGT Gibt es für dich wichtige Schlüsselerfahrungen im Projekt? Sandra Karner: Wir waren von der Annahme ausgegangen, dass die am Projekt teilnehmenden zivilgesellschaftlichen Organisationen andere Bedürfnisse und Erwartungen an das Projekt haben würden als die akademischen PartnerInnen. Um möglichen daraus entstehenden Konflikten entgegenzuwirken, hatten wir von Beginn an unser Augenmerk darauf gerichtet, diese Unterschiede explizit zu machen. Wie sich aber im Laufe des Projekts zeigte, verursachten nicht die unterschiedlichen Zugänge von WissenschafterInnen und außerwissenschaftlichen PartnerInnen Probleme, sondern es waren verschiedene Ansichten innerhalb der Gruppe der WissenschaftlerInnen, die deutlich mühsamere Kontroversen auslösten. Diesen Umstand hatten wir völlig unterschätzt.

Nahtstellenmanagement im Gesundheits- und Sozialbereich RALPH GROSSMANN, CHRISTIAN NEUGEBAUER

... Eine Patientin mit hohem Pflegebedarf wird kurzfristig an einem Samstagabend aus dem Krankenhaus entlassen und in ein Alten- und Pflegeheim überstellt. Dort hat gerade die Wochenendschicht begonnen und die einzige diplomierte Pflegekraft ist zeitlich nicht auf die Patientin vorbereitet. Die fehlenden notwendigen Medikamente können vom ebenfalls pflegebedürftigen Ehemann nicht besorgt werden, die Apotheke hat zudem geschlossen. Die nächstgelegene Apotheke mit Nachtdienst ist hier am Land mehrere Kilometer entfernt. Die Pflegekraft muss als Überbrückung auf vorhandene Medikamente anderer PatientInnen zurückgreifen ... ... Eine Familie ist hoch erfreut, dass sich der Großvater so gut von seinem Schlaganfall erholt. Die Rehabilitation in einem Kurheim soll bereits nächste Woche beginnen, das Krankenhaus hat sich sehr darum bemüht. Die Freude schlägt in Schrecken um, als die Angehörigen erfahren, dass Herr P. bereits am Freitag entlassen werden soll. Der Krankentransport zur »Reha« ist für Mittwoch früh angesetzt. Eine Hauskrankenpflege kann jedoch erst am Montag besorgt werden, der zuständige Hausarzt ist aber gerade auf Urlaub …

DER AUFTRAG Der Auftrag für das auf zwei Jahre ausgelegte Kooperationsprojekt im Bundesland Oberösterreich lautete: »Führen Sie über 30 staatliche, ausgegliederte staatsnahe und zivilgesellschaftliche Organisationen des Gesundheits- und Sozialbereichs in ein Kooperationssystem zusammen.

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Beraten Sie dabei die beteiligten Akteure (letztlich waren es 164 Personen, die in unterschiedlichen Projektgremien aktiv mitwirkten; Anm. d. Verf.) beim Aufbau einer raschen, lückenlosen sowie medizinisch und ökonomisch sinnvollen Behandlungskette für alle PatientInnen bzw. unmittelbar Betroffenen. Und entwickeln Sie eine gemeinsame Kooperationsstruktur, um die Ergebnisse dieses Veränderungsprozesses nachhaltig abzusichern.«

Besonders hervorzuheben ist unsere damalige doppelte Rolle als Beratung und wissenschaftliche Begleitung – die Kombination aus prozessorientierter Beratungskompetenz mit Fach-Know-how und der wissenschaftlich fundierten Absicherung der Beratungsarbeit. Entwicklung eines Kooperationsverständnisses Unser Zugang zum Projektauftrag wurde über den Direktor der Sozialversicherungsorganisation eröffnet. Zwischen der Gebietskrankenkasse als einer der AuftraggeberInnen und uns als OrganisationsentwicklungsberaterInnen und KooperationsexpertInnen existierte bereits eine langjährige Zusammenarbeit – sowohl auf wissenschaftlicher Ebene als auch im Kontext konkreter Weiterbildungs- und Gesundheitsförderungsmaßnahmen. Führungskräfte dieser Versicherung hatten an Organisationsentwicklungstrainings unseres Instituts teilgenommen. Diese Kooperationsbeziehung und das Vertrauen der Key-Player der Krankenkasse in unsere diesbezügliche Expertise überzeugten schlussendlich auch die zuständigen PolitikerInnen des Bundeslandes Oberösterreich. Man beauftragte uns als Universitätsinstitut mit integriertem Forschungs- und Beratungsansatz für die externe Begleitung des Vorhabens. Als formeller Auftraggeber für das Kooperationsprojekt fungierte der oberösterreichische Gesundheitsfonds, repräsentiert durch die Gesundheitsplattform. Als externe Begleitung haben wir den PromotorInnen des Projekts vorgeschlagen, mit einer Phase I zu beginnen, in der die Zielsetzungen, das Vorgehen und die Strukturen der Projektorganisation unter Mitwirkung möglichst aller ProjektpartnerInnen erarbeitet werden sollten. Gerade in der Konstituierungsphase und an sensiblen Punkten der Entwicklung von Kooperationssystemen können »allparteiliche Dritte« besonders hilfreich sein. Wichtig ist, dass externe BegleiterInnen von Seiten der beteiligten Institutionen über eine Neutralitätszuschreibung verfügen. Nur so kann die Projektbegleitung das Herausarbeiten relevanter Unterschiede und Gemeinsamkeiten, die Strukturierung eines Arbeitsprogramms, das Ableiten relevanter Themenfelder, die Lösungsfindung innerhalb dieser Gestaltungsvorgaben, das Entwickeln funktionaler Kooperationsspielregeln, das Bearbeiten auftretender Konflikte, die Abwicklung sensibler Entschei-

N AHTSTELLENMANAGEMENT

IM

G ESUNDHEITS-

UND

S OZIALBEREICH

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dungsfindungsprozesse etc. effektiv unterstützen. Gleichzeitig haben die Akteure die Möglichkeit, die ForscherInnen und BeraterInnen bei ihrem »Tun« zu beobachten und deren deklarierten Allparteilichkeitsanspruch in der Projektpraxis zu überprüfen. Im Rahmen von drei Meetings des Vorprojekt-Kernteams und zwei Veranstaltungen für VertreterInnen aller anderen Organisationen konnte der Business Case mit breiter Akzeptanz erarbeitet werden. Im Vorprojekt-Kernteam waren nur die Organisationen der PromotorInnen und Finanziers vertreten (Landesregierung und Gebietskrankenkasse). Nicht vertreten waren z.B. VertreterInnen der Ärztekammer oder VertreterInnen der Gemeinden, was rückblickend betrachtet Probleme mit diesen PartnerInnen aufgeworfen hat. Insofern ist die Auswahl der Stakeholder-Beteiligung in den einzelnen Phasen einer Kooperationsentwicklung sehr kritisch. Partizipative Lösungsfindung In nicht-kooperativ angelegten Planungsprojekten verläuft die Konzeptionsphase nach einem klaren Schema: Unter der Federführung externer BeraterInnen werden Lösungen und Strukturen einschließlich diesbezüglich notwendiger Instrumente unter mehr oder weniger starker Beiziehung von Betroffenen entwickelt oder aus dem Fundus bereits existierender Lösungen ausgewählt und gegebenenfalls zweckmäßig adaptiert. Unser kooperativer Zugang dagegen versuchte die vorhandenen Ressourcen der beteiligten ProjektpartnerInnen zu nutzen und in die Kooperationsentwicklung einzubinden. Statt fernab der zukünftig betroffenen MitarbeiterInnen eine Lösung zu entwickeln, erfolgt im Nahtstellenmanagement die Lösungsfindung und Lösungsausarbeitung direkt durch die Betroffenen – mit unterstützender inhaltlicher und prozessualer externer Begleitung. Dennoch stehen AkteurInnen von Kooperationssystemen immer dem Dilemma einer »doppelten Loyalität« (Prammer/Neugebauer 2012) gegenüber – einmal der Loyalität zur eigenen Institution und einmal der Loyalität zum Kooperationssystem. Eine Kooperation kann nur dann nachhaltig bestehen, wenn es den AkteurInnen gelingt, beiden Loyalitätsansprüchen gerecht zu werden. Konkret braucht es ein Probehandeln, dass es allen direkt und indirekt Beteiligten ermöglicht, während der Meinungsbildungs-, Abstimmungs- und Entscheidungsfindungsprozesse weitestgehend »frei« und »straffrei« in Bezug auf das Loyalitätsdilemma handeln zu können. In diesem Kooperationsprojekt wurden alle beteiligten Organisationen eingeladen, die Leitlinien für das Nahtstellenmanagement gemeinsam zu entwickeln und auch in ihrem Betrieb zu erproben. Um die Zahl der beteiligten Organisatio-

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nen und die notwendigen Ressourcen in Zeit und Geld in Grenzen zu halten, wurden zwei Regionen des Bundeslandes ausgesucht, in denen die Entwicklung und Erprobung stattfinden sollte. Aufbau eines unabhängigen »geschützten Raums« Der hier beschriebene partizipative Projektzugang war der Mehrzahl der ProjektakteurInnen nur bedingt bekannt. Es galt, dies den handelnden Personen zugänglich und erfahrbar zu machen. Dafür wurden spezielle soziale Settings eingerichtet. Es sollte ein kooperativer Handlungsraum – ein »geschützter Raum« (Janes/Prammer/Schulte-Derne 2001: 83; Prammer 2009: 196ff.) – entstehen, der sowohl emotional als auch inhaltlich einen Unterschied sowohl zum internen hierarchischen Regelbetrieb als auch zu den Erfahrungen mit herkömmlichen Planungsprojekten markiert. Erst durch den ganz konkreten kooperativen Dialog zwischen den beteiligten AkteurInnen – unterstützt durch die externe Beratung – kann dieses Wissen bzw. Verständnis zugänglich gemacht werden. Problemlösung und Entscheidungsfindung trennen Damit in der Kooperation eine möglichst effiziente und kreative Lösungsfindungsarbeit erfolgen konnte, wurde von Beginn an die Diagnose-/ Konzeptionsarbeit sowie die Entscheidungs-/Absicherungsarbeit in zwei voneinander getrennten Gremien geleistet. Ziel war es, den operativen Teams einen größtmöglichen Freiraum auch für unkonventionelle und kreative Lösungen zu ermöglichen. Die Diagnose/Konzeptionsarbeit wurde durch RepräsentantInnen der im Kooperationsalltag operativ Tätigen durchgeführt, die auch das notwendige Know-how zur Lösungsausarbeitung mitbrachten. Die Entscheidungs-/Projektabsicherungsarbeit erfolgte wiederum durch RepräsentantInnen der Leitungssysteme, da diese Gruppe über die dazu notwendige politische Macht verfügte und auch im späteren Kooperationsalltag bei Problemen oder Lösungsweiterentwicklungen die hierzu erforderlichen Linienentscheidungen in ihren Organisationen veranlassen bzw. treffen musste. Die Beteiligung von Führungskräften und operativen MitarbeiterInnen befördert die Organisationsentwicklung und Veränderung innerhalb der beteiligten Organisationen. Es wird dadurch deutlich, dass die Kooperation eine strategische Aufgabe des Managements ist und nicht nur nach unten delegiert werden kann.

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KOOPERATION ORGANISIEREN Nachdem die erste Projektphase überwunden war, wurde ein duales Projektsystem installiert. Auf höchster politischer Steuerungsebene wurde ein Lenkungsausschuss konstituiert, in dem die obersten Führungskräfte der beteiligten Organisationen als auch die wichtigsten Entscheidungsträger der Landespolitik vertreten waren. Dieser Ausschuss traf alle im Projekt anfallenden Entscheidungen und sicherte diese auch in die relevanten Projektumwelten ab. Die Präsenz der jeweiligen Führungsspitze aller beteiligten Institutionen im Lenkungsausschuss sollte Garant dafür sein, dass diese auf Grundlage eines breiten Konsenses getroffenen Entscheidungen auch in den einzelnen Bereichen hinein- und von den dortigen AkteurInnen mitgetragen wurden. Zur Unterstützung der operativen Ebene, die im Sinne des Bottom-up-Prinzips die Hauptlast der Ausarbeitung der inhaltlichen und strukturellen Ausgestaltung der Kooperation trägt, wurde – hierarchisch gesehen direkt dem Lenkungsausschuss unterstellt – ein Landesprojektteam (Konzeptionsteam) gebildet, das unter Einarbeitung relevanter wissenschaftlicher Erkenntnisse die Eckpfeiler für die Projektarbeit auf der operativen Ebene festlegte. Dieses Team steckte, auf Basis der im Vorprojekt kooperativ ausgearbeiteten Zielsetzungen, den inhaltlichen Rahmen ab und formulierte die Eckpunkte und Leitlinien als Handlungsanleitung für die konkrete Ausarbeitung auf der operativen Bearbeitungsebene. Als weitere Aufgabenstellung glich das Landesprojektteam Lösungs- und Gestaltungsvorschläge der operativen Ebene ab und führt diese mit einem Gesamtlandesfokus zusammen. Auch in den beiden Modellregionen wurde wiederum je ein Ausschuss auf Leitungsebene und ein operativ agierendes Konzeptionsteam eingerichtet (Neugebauer 2012a: 162ff., 2012b: 149ff.). Durch Prozessmanagement zu einer gemeinsamen Wirklichkeit kommen In den beiden Modellregionen standen die beiden Konzeptionsteams vor der Herausforderung, in einem begrenzten Zeitraum von wenigen Arbeitstagen die vom Nahtstellenmanagement-Landesprojektteam vorgegebenen Gestaltungsfelder inhaltlich zu bearbeiten. In Workshops wurden die inhaltlichen Gestaltungsfelder (Zuweisungsmanagement; Entlassungsmanagement und Optimierung der Medikations- und Heilmittelpraxis) bearbeitet. Die Teams analysierten die aktuelle Arbeitssituation und die Prozessschnittstellen mit Hilfe des Prozessmanagementansatzes (Prammer 2009). Dadurch konnten sie die sehr unterschiedlichen betrieblichen Sozialisationen, aber auch völlig unterschiedliche Blickwinkel und

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spezifische Kulturen, Aufgabenstellungen und Interessensansprüche berücksichtigen. Der Arbeitsprozess verlief in drei Schritten. In einem ersten Schritt werden Idealprozesslandkarten zu den bestehenden Leistungsprozessen entworfen, in denen die wesentlichen Prozessschritte als Teilprozesse des Gesamtprozesses herausgearbeitet werden. Ganz bewusst wird dabei nicht vom realen Ist-Zustand ausgegangen. Die ProjektakteurInnen gewinnen dadurch eine völlig neue Perspektive und erarbeiten sich ein neues gemeinschaftliches Referenzsystem abseits ihrer organisationalen Sozialisierungen sowie tradierten und praktizierten Normen und Sichtweisen. In einem zweiten Schritt stellen die beteiligten ProjektakteurInnen diese neuen Referenzsysteme den bestehenden Arbeitsabläufen des Alltages gegenüber. Sie identifizieren die zentralen Probleme und Schwächen, aber auch die vorhandenen Stärken und Vorzüge der aktuellen Arbeitsroutinen. Auf Grundlage dieser Analysen werden im Anschluss neue funktionale Lösungsvorschläge angedacht. Im dritten Schritt werden zunächst die Prozesslösungen konkretisiert, dann bewertet und abschließend die ausgewählten Lösungen im Detail ausgearbeitet. Dabei mutiert die eingangs erarbeitete Idealprozesslandkarte, angereichert mit neuen Lösungsansätzen, Instrumenten, Regelungen, Verhaltensbeschreibungen etc., zu einer kooperativen Prozesslandkarte für den zukünftigen alltäglichen Arbeitszusammenhang der KooperationsakteurInnen. Halbfertige Lösungen zur Verfügung stellen Entgegen der vielfach ausgeübten Praxis wurden dabei von uns als externe Begleitung keine fertig ausgearbeiteten Lösungsvorschläge in den Lösungsfindungsprozess eingebracht (Janes/Prammer/Schulte-Derne 2001: 29ff.; Prammer 2009: 314ff.). Der inhaltliche, kooperative Austausch zwischen den AkteurInnen wurde dadurch stimuliert, dass von Seiten der Beratung zu den Gestaltungspunkten – wenn überhaupt – immer mehrere, nur in Ansätzen skizzierte, alternierende Lösungsvorschläge eingebracht wurden. Durch die Auseinandersetzung und Vervollständigung dieser Vorschläge wandelten sich die »Expertenvorschläge« sukzessive zu spezifischen eigenen Lösungen der beteiligten AkteurInnen. Dieser Zugang war auch einer der wichtigsten Aspekte, um das Commitment der beteiligten AkteurInnen gegenüber der Kooperation wesentlich zu steigern (Neugebauer 2012b: 157).

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FORSCHUNGSDATEN KOOPERATIV NUTZEN Organisationsentwicklungsforschung hat gezeigt, dass systematische Beobachtung und Evaluierung Veränderungsprozesse und Lösungsfindungen begünstigen können. Dadurch kann kooperatives Lernen über Erfolge und Probleme im Umgang mit unterschiedlichen Sichtweisen erleichtert und die weitere Optimierung bzw. Veränderung der Kooperationsorganisation unterstützt werden (Chisholm 1998, 2008). Von Beginn an lautete der Auftrag und Anspruch an das Projekt, dass am Ende der inhaltlichen Arbeitsphase Lösungsvorschläge präsentiert und vorgelegt werden, die weitgehend bereits in den beiden Modellregionen erprobt wurden. Als wissenschaftliche Begleitung fokussierten wir in der Evaluation und Untersuchung der Ergebnisse auf deren Alltagstauglichkeit (Impact) als auch auf deren allgemeines Umsetzungspotential (Suitability). Über einen Zeitraum von vier Monaten erhielten die Projektmitglieder und die KooperationspartnerInnen die Möglichkeit, die erarbeiteten Ergebnisse in der konkreten Praxisarbeit zu erproben, zu dokumentieren und zu reflektieren. So konnte durch die Evaluierung eine breite, lernorientierte Datenbasis geschaffen werden, auf deren Grundlage die ProjektakteurInnen eine fundierte Rückmeldung zu den erarbeiteten Lösungen abgeben konnten. Die Evaluation basierte methodisch auf zwei Ansätzen (Zepke 2005). Im Rahmen der Evaluation wurden 37 qualitative Experteninterviews zum Pilotierungsverlauf durchgeführt. Gleichzeitig wurden eigene Evaluierungsbögen an die Pilotorganisationen (im Fallbeispiel waren das Krankenhäuser, Alten- und Pflegeheime, soziale und mobile Dienste, niedergelassene Ärzte etc.) ausgegeben, um die Qualität der überarbeiteten bzw. optimierten Leistungsprozesse bewerten zu können. Auf diese Weise konnten 886 PatientInnenfälle dokumentiert und aufgezeichnet werden. Die Evaluierung hat gezeigt, dass die inhaltlichen und strukturellen Projektlösungen – gerade weil sie nach dem Bottom-up-Prinzip von AkteurInnen auf der konkreten operativen Ebene erarbeitet wurden – bereits sehr fundierten Charakter hatten. Letztendlich wurde keine einzige der erarbeiteten Lösungen gekippt oder verworfen. Das spricht für die fundierte und umfassende Problemdiagnose durch die operativen Teams und unterstreicht die Idee, die Lösungen eben von der operativen Ebene ausarbeiten zu lassen. Die Evaluierungsphase verdeutlichte: x

Vor allem große Gesundheitsorganisationen haben Schwierigkeiten, alle MitarbeiterInnen ausreichend zu informieren und den Leitlinien entsprechend in die Kooperationsarbeit einzubeziehen. Hier kommt den Führungskräften eine

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Schlüsselrolle zu. Die Leitlinien müssen formell und durch das Eintreten für die Neuerungen durch die jeweiligen Key-Player in den Institutionen in Kraft gesetzt werden. Die lernorientierte Evaluierung konnte schlussendlich dazu beitragen, dass die Lösungsansätze im Detail nachgeschärft und weiter präzisiert wurden. Insbesondere konnten die PartnerInnen durch die konkrete Erprobung und gemeinsame Evaluierung »erleben«, worauf es im konkreten Kooperationshandeln im Arbeitsalltag tatsächlich ankommt. Der angewandte kooperative Ansatz hat sich bewährt. Die Kooperation fußt auf einer gleichrangigen Zusammenarbeit aller beteiligten Organisationen. Die Prozesssteuerung und Unterstützung zur inhaltlichen Lösungsausarbeitung durch externe BeraterInnen mit einer Allparteilichkeitszuschreibung ist eine wesentliche Erleichterung für die involvierten Akteure. Die fachliche Unterstützung und der wissenschaftliche Input (Dokumentation, Evaluation, Koordination) durch das externe Forschungs- und Beratungsteam wurden als hilfreich und notwendig wahrgenommen. Eine solide Datengrundlage stärkte das Ergebnis des Projektes insbesondere insofern, als damit gewährleistet war, dass die Schlussfolgerungen nicht auf individuellen Betrachtungen beruhten, sondern auf allgemeinen Grundlagen (Grossmann/ Lobnig/Scala 2007, 2012).

ORGANISATIONSBERATUNG IN MULTI-ORGANISATIONALEN NETZWERKEN: EINE KRITISCHE RÜCKSCHAU Als externe Begleitung haben wir in der praktischen Arbeit viele Funktionen wahrgenommen: die Vorbereitung und Moderation der Veranstaltungen, die methodische Anleitung der Entwicklungsprozesse, inhaltliche Beiträge zu Organisationsthemen, Mithilfe beim Management des Gesamtprojekts, Evaluierung und Auswertung der Testphase, Dokumentation des Prozesses und Erstellen von Protokollen, Formulierung der Berichte. Diese Rollenvielfalt hat aber auch zu Konflikten und Problemen geführt: Einige Berater haben aus früheren Projekten und über universitäre Anbindung persönliche Beziehungen zu einigen Key-Playern gehabt. Zur Vorbereitung des Projektes wurden auch mit einigen Key-Playern Interviews geführt, jedoch nicht mit allen. Rückblickend war das ein Fehler. Es führte zu ungleichen Voraussetzungen und gab Anlass zu Misstrauen – insbesondere im Verhältnis zur politischen Interessenvertretung der Ärzteschaft. Von Beginn an hat sich die In-

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teressenvertretung wenig beachtet und einbezogen gefühlt – und auch dementsprechend reagiert. Als externe Begleitung haben wir bei der Entwicklung der Gremien und später bei der Einführung verlässlicher Spielregeln für die Zusammenarbeit geholfen. Das war zwar aus Beratersicht eine wesentliche Funktion, gleichzeitig sind wir aber im Verlauf des Projektes auch zu den Wächtern der Spielregeln geworden. Für die VertreterInnen kleinerer und schwächerer Organisationen war es befriedigend, dass die vereinbarten Regeln auch gegenüber PolitikerInnen und dem Topmanagement mächtiger Organisationen durchgesetzt wurden. Aber in diesem Prozess der Implementierung der Regeln haben wir als Berater auch viel Beziehungskapital und Vertrauen verspielt. Es wäre sinnvoll gewesen, die Spielregeln stärker von den Projektpartnern selber vertreten zu lassen. Und es wäre hilfreich gewesen, ein Leitungsgremium aus dem Kreis der PartnerInnen zu bilden, das für die Steuerung der Projektmeetings und die Sicherung der Regeln Verantwortung übernimmt. In vielen politischen Systemen dominiert die informelle Kommunikation. Als externe Begleitung haben wir unseren Status der Allparteilichkeit strapaziert und sehr stark auf die Entwicklung der formellen und transparenten Kommunikation geachtet, um das Kooperationssystem zu stärken. Dabei haben wir auch informelle Gesprächsangebote abgelehnt. Rückblickend wäre eine bessere Balance zwischen formellen und öffentlichen Gesprächen und informellen Kontakten und mehr Flexibilität von uns für die Entwicklung der Beziehungen und der emotionalen Seite der Kooperation günstiger gewesen.

FORSCHUNG UND INTERVENTION Die AuftraggeberInnen hatten erwartet, dass wir als universitäres Institut den aktuellen Forschungsstand der Organisationsentwicklungs- und Kooperationsforschung in die Projektentwicklung einbringen und die Entwicklungsprozesse wissenschaftlich begleiten. Unmittelbar sichtbar wurde unsere Forschungsrolle durch die Bereitstellung von aktuellen Best-Practice-Beispielen, aber vor allem durch die Evaluierung der Projektentwicklung. Für uns war es eine exzellente Möglichkeit, ein interessantes Kooperationsprojekt von innen zu gestalten und gleichzeitig zu beforschen. Parallel zur Beratung haben wir daher einen Forschungskontext aufgebaut. So haben wir beispielsweise zur Unterstützung der forscherischen Reflexion alle drei Monate Forschungstage abgehalten, an denen die gewonnenen Erkenntnisse und Beobachtungen diskutiert und reflektiert wurden. Zur Qualitätssicherung und um allfällige »blinde Flecken« aufzudecken,

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wurden zu diesen Treffen langjährige externe – nicht am Projekt beteiligte – KooperationspartnerInnen eingeladen, um die Arbeit innerhalb des Teams zu reflektieren und die getroffenen Annahmen kritisch zu hinterfragen. Dadurch konnten wir sowohl Rückschlüsse für die Forschung als auch für die konkreten Interventionen der Kooperationsentwicklung ziehen.

VON DEN HERAUSGEBERiNNEN NACHGEFRAGT Gibt es für euch wichtige Schlüsselerfahrungen im Projekt? Ralph Grossmann, Christian Neugebauer: Wir hatten ja publizierte, konzeptive Erfolgskriterien, z.B. dass es verlässliche Spielregeln für die Anwesenheit aller PartnerInnen oder für die Art der Entscheidungsfindung in Richtung Konsens braucht oder auch, dass die PartnerInnen, selbst wenn diese sehr unterschiedlich sind, gleich zu behandeln sind. Eine wichtige Schlüsselerfahrung war sicher, dass diese Spielregeln sich als enorm wichtig erwiesen und auch einen wesentlichen Teil des inhaltlichen Erfolges mitbedingt haben. Gleichzeitig sind wir aber als Wächter dieser Spielregeln auch zunehmend der Kritik derjenigen ausgesetzt gewesen, für die diese Spielregeln eine Zumutung waren. Und dass dieser Widerspruch doch in wachsendem Maße zwischen uns als externen Beratern und den wichtigen ProjektpartnerInnen konflikthaft geworden ist. Wir haben uns gefragt: Was würden wir wieder so machen, was würden wir anders machen? In diesen Spielregelfragen, insbesondere, wenn es sich um ein so politiknahes Projekt handelt, müsste man wahrscheinlich etwas mehr Flexibilität und Geschmeidigkeit aufbringen. Das ist notwendig, um auf die unterschiedlichen Hintergründe und Rahmenbedingungen der einzelnen PartnerInnen einzugehen und etwas mehr – auch informelle – Absprachen zuzulassen. Eine strukturelle Konsequenz daraus ist, darauf zu dringen, dass so etwas wie eine Projektleitung innerhalb des Systems errichtet wird, also, wenn man so will, eine Exekutive des Projekts neben dem Lenkungsausschuss als Entscheidungsgremium, und dass diese Instanz stärker in den Vordergrund kommt, um die gemeinsam verabschiedeten Spielregel auch zu vertreten. Wodurch nicht die Berater in diese Position kommen, sondern quasi die Leitungskräfte selbst zu den WächterInnen der Spielregeln werden.

Science as Culture und Studium Integrale MARKUS ARNOLD, MARTIN SCHMID

Das interdisziplinäre Forschungsprojekt »Science as Culture« setzte sich zum Ziel, die Verschiedenheit wissenschaftlicher Disziplinen zu analysieren. Es ging darum zu verstehen, warum interdisziplinäre Kooperationen oft so schwer fallen und ob und wie man diese Schwierigkeiten durch Reflexion auf die »Wissenschaftskulturen« überwinden kann. Kurz: Es ging darum, Wissenschaften als kulturelle Praktiken verstehbar zu machen, um interdisziplinäre Kooperation zu ermöglichen. Schon bei der Beantragung des Forschungsprojekts »Science as Culture« war klar, dass seine Ergebnisse später in die universitäre Lehre einfließen sollten. Personell und konzeptuell war das Forschungsprojekt dabei eng mit dem Lehrprogramm »Studium Integrale« verbunden. Das Wissen über Wissenschaftskulturen, das in »Science as Culture« entstand, sollte in einem auf Basis des Forschungsprojekts überarbeiteten, neuen »Studium Integrale: Universitäres Ergänzungsstudium für interdisziplinäre Kommunikation« wirksam werden.

DIE VORGESCHICHTE: DAS INTERDISZIPLINÄRE LEHRPROGRAMM »WISSENSCHAFT UND ENTSCHEIDUNG« Voraussetzung für das Forschungsprojekt war eine jahrelang aufgebaute Kooperation in der universitären Lehre. Lehrende unterschiedlicher Disziplinen boten einmal pro Jahr ein »Fächerbündel« unter dem Titel »Wissenschaft und Entscheidung« für Studierende aller Fakultäten der Universität Wien an. Beteiligt waren ein Physiker, eine Chemikerin, ein Biologe, ein Mathematiker, ein Philosoph, ein Literaturwissenschaftler und ein Historiker. Gemeinsam bildeten sie ein Lehrendenteam und erstellten ein Skriptum, in dem jeder – aus eigener Er-

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fahrung – die Besonderheiten der eigenen Disziplin darstellte. Im Vergleich sollten die Unterschiede von disziplinären Herangehensweisen deutlich werden. Es ist wichtig, darauf hinzuweisen, dass dies keine »Ringvorlesung« war, bei der die Lehrenden in der Regel nur ihren eigenen Vortrag kennen, da sie bei den anderen nicht anwesend sind. Alle Lehrenden waren bei jedem Vortrag dabei und versuchten, sich sowohl in den anschließenden Diskussionen als auch in ihren eigenen Vorträgen auf die anderen Beiträge zu beziehen. Ebenso wurden die Darstellungen der Wissenschaften im Skriptum von jedem im Lehrendenteam gelesen und kommentiert. Dies war wichtig, da das Ziel ein gemeinsamer Lernprozess war, der nicht nur von den Studierenden, sondern auch von den Lehrenden erwartet wurde. Schon früh entstand die Idee, dieses Studienangebot auszubauen, um in einem Begleitstudium Studierenden ein Rüstzeug für interdisziplinäres Arbeiten zu geben (Arnold/Fischer 1999). Fortgeschrittene Studierende sollten lernen, worauf zu achten ist, wenn man mit anderen Disziplinen kooperiert; vor allem aber sollten sie ausprobieren, wie man über die Besonderheiten und Grenzen der eigenen Disziplin nachdenken und sich mit diesen kritisch auseinandersetzen kann. Das Lernmodell dieses Fächerbündels der 1990er Jahre war: Die Lehrenden führen am Beispiel des eigenen Faches und der eigenen wissenschaftlichen Biographie einen reflexiven Umgang mit ihrer Disziplin vor, um Studierenden als Beispiel für einen anderen Umgang mit ihrer Wissenschaft zu dienen – ohne dass sie sich dabei auf einschlägige Literatur aus Bereichen wie Science and Technology Studies (STS) oder Wissenschaftssoziologie beziehen. Das sollte sich später ändern. Die universitäre Lehre im ab 2001 angebotenen Studium Integrale basierte wesentlich auf Ergebnissen des Forschungsprojekts »Science as Culture«.

DIE ENTWICKLUNG EINES FORSCHUNGSPROJEKTS Die Idee, ein einschlägiges Forschungsprojekt zu initiieren, gab es schon länger. Lange war aber nicht klar, wer dies durchführen sollte und wie man dieses am besten finanzieren könnte. Zwei Entwicklungen halfen, die Idee zu konkretisieren: Erstens wurde ein neues, jüngeres Mitglied, als Vertreter der Philosophie, in das Lehrendenteam aufgenommen, da dessen Vorgänger verstorben war. Ohne feste Anstellung war er an der Entwicklung von drittmittelfinanzierten Projekten interessiert; zweitens wurde 1998 im österreichischen Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur ein neuer Forschungsschwerpunkt (FSP) »Kulturwissenschaften/Cultural Studies« eingerichtet – mit dem erklärten Ziel,

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die Entwicklung der bis dahin eher im englischsprachigen Raum etablierten Cultural Studies in Österreich gezielt zu fördern. Vor allem dieser FSP hatte Einfluss auf das Design des Forschungsprojekts »Science as Culture«. Mit der Entscheidung, sich dort zu bewerben, war auch eine Vorentscheidung hinsichtlich der theoretischen Grundlage des Forschungsprojekts gefallen. Das die Fragestellung des Projekts leitende interdisziplinäre Modell (vgl. Kap. 6) hatte in erster Linie auf Theorien der Kulturwissenschaften und Cultural Studies zurückzugreifen; die gemeinsame Forschungsperspektive auf die ausgewählten Natur- und Kulturwissenschaften würde mit dem Konzept der »Wissenschaftskulturen« selbst kulturwissenschaftlich sein. Das bedeutete zumindest teilweise einen Bruch mit der bisherigen Art der Reflexion innerhalb des Lehrprogramms. Dennoch bildete das Netzwerk des »alten« Lehrprogramms eine gute Grundlage, um die für dieses Projekt notwendigen Kooperationen über die Grenzen mehrerer Disziplinen und Institute hinweg knüpfen zu können. Aus dem Lehrkörper wurde eine Art wissenschaftlicher Beirat rekrutiert, dessen Mitglieder als Mitantragsteller den interdisziplinären Charakter des Projekts unterstrichen und die auch für die offizielle Unterstützung der involvierten Institute sorgten. Um das zweijährige Projekt im Rahmen des Finanzierbaren zu dimensionieren, musste man die zu untersuchenden Fächer auf zwei Naturwissenschaften (Physik, Biologie) und zwei Kulturwissenschaften (Geschichtswissenschaften, Literaturwissenschaften) reduzieren; die im Lehrprogramm vertretenen Fächer Chemie, Philosophie und Mathematik konnten kein eigener Forschungsgegenstand sein. Finanziert werden sollten fünf (junge) WissenschaftlerInnen: je eine/r aus dem jeweiligen Fach und der Vertreter des Faches Philosophie als Leiter der Forschungsgruppe. Zu diesem Zweck wurden mit Hilfe der Mentoren des Projekts vier geeignete AbsolventInnen gesucht und gefunden, die neu zum Team dazustießen.1

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An »Wissenschaft und Entscheidung« waren beteiligt: Markus Arnold (Philosophie), Reinhold Bertlmann (Theoretische Physik), Karl Brunner (Geschichte), Roland Fischer (Mathematik), Christa Könne (Chemie), Wolfgang Müller-Funk (Literaturwissenschaft) und Harald Wilfing (Humanbiologie/Anthropologie). Die Forschungsgruppe in »Science as Culture« bestand aus: Markus Arnold (Philosophie), Marie A. Glaser (Literaturwissenschaften), Karen Kastenhofer (Biologie), Oswald Redl und Martina Erlemann (Physik), Martin Schmid (Geschichte).

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PROZESS UND METHODEN Ein wichtiges Ziel des Forschungsprojekts war, nicht bloß abstrakt über disziplinäre Differenzen zu forschen, sondern Theorie auch mit konkreter Erfahrung zu verbinden, um die Differenzen im Alltag wissenschaftlicher Forschung wahrnehmbar zu machen. Es sollte Wissen produziert werden, das es der Einzelnen und dem Einzelnen ermöglicht, zu den eigenen Erfahrungen im wissenschaftlichen Betrieb auf Distanz zu gehen, sie zu reflektieren und besser einzuordnen. Sie sollten lernen, in den alltäglichen kleinen Missverständnissen, Irritationen und Schwierigkeiten in interdisziplinären Forschungsgruppen Anlässe für (selbst-)kritische Reflexionen auf die eigenen disziplinären Normen und Erwartungen an die KollegInnen zu sehen – letztlich, um mehr über die Kultur des eigenen sowie anderer Fächer zu erfahren. Die verwendeten Methoden sollten helfen, persönliche Erfahrungen und die Auseinandersetzung mit sozial- und kulturwissenschaftlichen Theorien miteinander zu verbinden. Zum eigenen Erleben als (angehende) AbsolventIn eines Faches sollte eine kritische Distanz aufgebaut und die Interpretation der eigenen Erfahrungen verändert werden, um sich selbst und die anderen aus einer neuen Perspektive wahrzunehmen. Dies wurde mit folgendem Forschungsdesign erreicht: Es wurden Zweierteams aus je einem/einer NaturwissenschaftlerIn und einem/einer KulturwissenschaftlerIn gebildet, die zu zweit Lehrveranstaltungen (insbesondere für AnfängerInnen) beobachteten. Dem lag die Annahme zugrunde, dass in der Initiationsphase von den Lehrenden noch vieles explizit gemacht wird, was später unausgesprochen bleibt und doch die Besonderheit einer Wissenschaftskultur ausmacht. Diese interdisziplinären Teams führten auch leitfadengestützte Interviews mit Lehrenden und Studierenden durch. Dadurch setzte sich jeder mit zwei Wissenschaften auseinander: mit der eigenen und mit der des Kollegen bzw. der Kollegin. Jeder schrieb getrennt seine bzw. ihre Beobachtungen nieder (»fieldnotes«), die anschließend verglichen und diskutiert wurden. Ergänzend dazu wurden Textanalysen von Lehrbüchern und wissenschaftlichen Publikationen durchgeführt. In monatlichen Workshops der Forschungsgruppe wurde Sekundärliteratur diskutiert, aber auch gemeinsam an einzelnen Beispielen Interpretationen der Beobachtungen und Interviews durchgeführt. Später wurden die ersten Ergebnisse in Workshops mit den MentorInnen der Fächer diskutiert sowie mit eingeladenen internationalen ExpertInnen. Das war ein erster Schritt, um die Projektergebnisse an VertreterInnen dieser Wissenschaftskulturen zurückzuspielen. Mit dem Abgleichen von Fremd- und Selbstbildern

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sollten Reflexionsprozesse über die Kulturen der Wissenschaft in und zwischen den Fächern angestoßen werden. Diese sozial- und kulturwissenschaftlichen Methoden waren für den Zweck des Projektes sehr geeignet, doch ihr Preis war, dass innerhalb der Forschungsgruppe eine gewisse Hierarchie entstand zwischen jenen, denen die Methoden aus ihrer eigenen Disziplin bekannt und vertraut waren, und jenen, die sich diese erst im Projekt aneignen mussten. Auch wenn diese Hierarchisierung sich nicht genau an der Grenze zwischen den Natur- und Kulturwissenschaftlern auftat, so waren letztere doch tendenziell bevorzugt – insbesondere deshalb, da diese Methoden in den Naturwissenschaften selbst nicht als legitime Methoden anerkannt sind. Das heißt, obwohl das Konzept der Wissenschaftskulturen geeignet ist, die Erfahrungen von NaturwissenschaftlerInnen gleichberechtigt neben jene der KulturwissenschaftlerInnen zu stellen, mussten der Physiker und die Biologin im Team innerhalb des Projekts selbst den sicheren Boden ihrer eigenen Disziplin verlassen und sich mit sozial- und kulturwissenschaftlichen Theorien über die Wissenschaften auseinandersetzen. Als Gesprächspartnerinnen (und auch Ideengeberinnen) kamen für sie vor allem die Fachdidaktiken der Naturwissenschaften in Frage, welche am Rande der naturwissenschaftlichen Fächer traditionell die Rolle einer Reflexionsinstanz einnehmen. Eine Folge dieses (unvermeidlichen) Ungleichgewichts war, dass der Physiker nach einem Jahr das Projektteam verließ. Er konnte durch eine sozialwissenschaftlich ausgebildete Physikerin ersetzt werden. Auch auf einer anderen Ebene kam es zu Zielkonflikten: Das Forschungsprojekt, das den akademischen Standards des kulturwissenschaftlichen Forschungsschwerpunktes entsprechen musste (nach denen es auch begutachtet und evaluiert wurde), entwickelte eine eigene Dynamik gegenüber dem an der praktischen Erfahrung orientierten Lehrprogramm des Studium Integrale, dem es letztlich aber dienen sollte. Sichtbar wurde der Zielkonflikt in einer Arbeitssitzung des Projektteams, als der das Projekt koordinierende und operativ leitende Philosoph den KollegInnen Sekundärliteratur empfahl, die zum Verständnis dessen, was »Wissenschaftskulturen« sind, relevant sei. Der anwesende Leiter des Studium Integrale (und offizielle Antragsteller des Forschungsprojekts), ein Mathematikdidaktiker, hingegen erklärte die Kenntnis dieser Literatur für nicht so wichtig, da es primär um die Reflexion der persönlichen Erfahrung ginge, so wie sie auch im interdisziplinären Lehrprogramm Studium Integrale bis dahin im Vordergrund stand. Nicht akademische Publikationen, sondern eine kritische Haltung sowie ein reflektiertes Bewusstsein seien das eigentliche Ziel. Der Konflikt konnte in einer unmittelbar anschließenden Krisensitzung organisatorisch durch eine explizite Aufgabenteilung beigelegt werden, indem dem

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Forschungsteam eine stärkere Autonomie gegenüber dem Lehrprogramm eingeräumt wurde. Die Leitung der Forschungsgruppe wurde von der Leitung des Studium Integrale klarer getrennt. Innerhalb des Lehrprogramms, an dem alle ProjektmitarbeiterInnen als BetreuerInnen und Lehrende beteiligt waren, verblieb hingegen die Leitung und damit die Letztverantwortung in den Händen des Lehrprogrammleiters, der damit in Absprache mit den Lehrenden weitgehend alleine Entscheidungen über das Curriculum und die Ausrichtung des Lehrprogramms fällen konnte. Das Forschungsprojekt wurde erfolgreich abgeschlossen, unter anderem mit einem Sammelband, in dem das Konzept der Wissenschaftskulturen beschrieben und am Beispiel der Physik, Biologie, Geschichte und Literaturwissenschaft dargestellt wurde (Arnold/Fischer 1999).

DAS NEU ENTWICKELTE »STUDIUM INTEGRALE (SI)« Das im Zuge des Projekts entwickelte neue Konzept des »Studium Integrale: Universitäres Ergänzungsstudium für interdisziplinäre Kommunikation« war nun ein zweisemestriges Ergänzungsstudium für fortgeschrittene Studierende aller Fächer. Es wurde in dieser Form ab 2001 angeboten und sollte durch Auseinandersetzung mit den Paradigmen und Kulturen ausgewählter Fächer und durch Mitarbeit an einem Projekt der Wissenschaftskommunikation die Reflexionsund Kommunikationsfähigkeit der TeilnehmerInnen fördern. Für das neue Lehrprogramm des Studium Integrale (SI) konnte die Stadt Wien (MA 7, Kultur- und Wissenschaftsförderung) als Fördergeberin gewonnen werden. Dies war notwendig, da auf Grundlage des Forschungsprojektes nicht nur das Konzept des Studium Integrale überarbeitet wurde, sondern aus dem einsemestrigen Kurs auch ein zweisemestriges Lehrprogramm wurde. Die Kosten für den höheren Organisations- und Koordinationsaufwand konnten nicht mehr allein aus dem universitären Lehrbudget finanziert werden. Bedingung für die Förderung aus dem städtischen Kulturbudget war, dass die Stadt Wien als zweiter Fokus des SI neben dem Fokus »Wissenschaftskulturen« integriert werden musste. Dieses Problem wurde gelöst, indem das zweite Semester sich mit Expertenkulturen innerhalb der Stadtverwaltung auseinandersetzte. In interdisziplinären Teams hatten die TeilnehmerInnen die Aufgabe, Entscheidungsprozesse in der Stadt kritisch zu beobachten. Sie fragten insbesondere, ob und wie wissenschaftliche Expertise in diesen Entscheidungsprozessen wirksam wurde. In einer öffentlichen Veranstaltung im Wiener Rathaus meldeten sie ihre Beobachtungen

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an die KooperationspartnerInnen zurück und gestalteten so einen Dialog über die Rolle von Wissenschaft in gesellschaftlichen Entscheidungsprozessen. Die Integration der Ergebnisse des Projektes »Science as Culture« ins SI führte zu einer Verlagerung auf jene vier Disziplinen, die untersucht worden waren. Das führte zu Diskussionen. Die anderen Disziplinen blieben weiterhin Teil des Studiums, doch waren sie thematisch und auch von der zur Verfügung gestellten Zeit etwas an den Rand gedrängt. Die vier jungen ProjektmitarbeiterInnen wurden in das Lehrprogramm als BetreuerInnen eingebunden, die – wieder zu zweit – Gruppen von Studierenden zur Reflexion auf die Wissenschaftskulturen anleiteten. Das gelang, wobei die Verbindung des ersten mit dem zweiten Semester eine Herausforderung darstellte, die aber durch das Engagement der Studierenden überwunden werden konnte.

WEITERE ENTWICKLUNG Im Anschluss an das Forschungsprojekt wurde 2002 neben dem SI auch eine internationale Graduiertenkonferenz Kulturwissenschaften/Cultural Studies »Wissenschaftskulturen – Experimentalkulturen – Gelehrtenkulturen« organisiert (Arnold/Dressel 2004). Das Studium Integrale wird bis heute, in immer wieder veränderter Form und mit unterschiedlichen Partner- und Förderinstitutionen, am Institut für Wissenschaftskommunikation und Hochschulforschung der IFF angeboten. Auf das mit der Stadt Wien gemeinsam veranstaltete SI folgte ab 2004 »SIproVI: Studium Integrale-proVISION«. Dieses Programm wurde im Auftrag des österreichischen Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft und Kultur (bm:bwk) für das Forschungsprogramm »proVISION: Vorsorge für Natur und Gesellschaft« entwickelt. Die TeilnehmerInnen arbeiteten an der Rolle von Wissenschaft für nachhaltige Entwicklung, im zweiten Semester beobachteten sie laufende Forschungsprojekte und gestalteten mit ihren Ergebnissen wieder eine Intervention, diesmal in eine Forschungscommunity, die der österreichischen Nachhaltigkeitswissenschaft (Fischer et al. 2008, 2011). Heute wird »SI-Doc« angeboten, das sich ausschließlich an DoktorandInnen – allerdings aller Fächer und Universitäten – wendet, die an einem intellektuell anspruchsvollen Austausch über die Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen Wissenschaften interessiert sind. Die Dissertationsprojekte der TeilnehmerInnen werden als Beispiele für unterschiedliche Ausprägungen von Wissenschaftskulturen inter- und transdisziplinär in der Lerngruppe reflektiert. Das Konzept der Wissenschaftskulturen ist auch in diesem neuen SI eine wichtige theoretische Grundlage geblieben. Es ermöglicht,

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Differenzen zwischen Disziplinen besprechbar zu machen und über die Rollen von Wissenschaft in gesellschaftlichen Entscheidungsprozessen nachzudenken. Die Rolle der FachvertreterInnen haben nun aber zu einem guten Teil die TeilnehmerInnen selbst übernommen. Sie präsentieren ihre Disziplin am Beispiel ihres Dissertationsprojekts; die interdisziplinäre Gruppe nimmt diese zum Anlass, um Wissenschaft als Kultur zu reflektieren.

VON DEN HERAUSGEBERiNNEN NACHGEFRAGT Gibt es für euch wichtige Schlüsselerfahrungen im Projekt? Markus Arnold: Eine Schlüsselerfahrung war sicher, dass es nicht KulturwissenschaftlerInnen sind, die im Laufe des Studiums ihre Fähigkeiten mit dem Zeichenstift unter Beweis stellen müssen: Es sind die BiologInnen, die in eigenen Lehrveranstaltungen das Zeichnen lernen. Martin Schmid: Im Projekt beobachtete ich als Historiker gemeinsam mit einem Physiker Lehrveranstaltungen unserer beiden Fächer. Eine kurze Episode aus dieser Arbeit: In der Einführungsvorlesung zur Experimentalphysik versuchte ein in der Reihe hinter mir sitzender Student meiner Mitschrift zu entnehmen, was er selbst nicht mehr rechtzeitig von der mittlerweile gelöschten Tafel abschreiben konnte. Seine Reaktion nach einem Blick auf den Zettel, der da vor mir lag, war interessant: Er war so verblüfft, statt Gleichungen vorwiegend Satzfragmente unter Anführungszeichen und Zeichnungen eines mit Händen und Füßen agierenden Strichmännchens vorzufinden, dass er das sofort mit seinen Sitznachbarn besprechen musste. Ich konnte nicht genau hören, was konkret da hinter mir besprochen wurde, aber das Kichern in meinem Nacken war mir unangenehm. Ich war überzeugt, meine vermeintlichen Kommilitonen mussten mich für einen ausnehmend unbegabten Physikstudenten halten.

Doing Inter- und Transdisziplinarität KATHARINA HEIMERL, GERT DRESSEL, VERENA WINIWARTER, WILHELM BERGER »[D]er Taschenspieler [verfügt] über ein Wissen […] (wenn man weiß, wie es geht, kann man es), während der Seiltänzer eine Kunst ausübt. Auf einem Seil zu tanzen bedeutet, in jedem Moment das Gleichgewicht zu bewahren, indem man es bei jedem Schritt durch neue Korrekturen wieder herstellt; es bedeutet, an einem Verhältnis festzuhalten, das niemals erworben worden ist und das durch eine unaufhörliche Erfindung ständig wiederhergestellt wird, so dass es den Anschein hat, als ob man es bewahren würde.« MICHEL DE CERTEAU (1998: 150)

Die Versuchung, all das, was überrascht und irritiert, in jene Kategorien einzuordnen, mit denen Welt und Wirklichkeit in bewährter Weise verstanden und analysiert werden können, ist groß. Dennoch brauchen WissenschaftlerInnen Aufmerksamkeit für ein eigenes Nicht-Wissen und die Bereitschaft ihr NichtWissen zu akzeptieren. Hans-Jörg Rheinberger, Wissenschaftshistoriker und Wissenschaftsforscher, hat sich mit der wissenschaftlichen Methode des Experiments befasst (Rheinberger 2001). Er kommt zu dem Befund, dass Irritationen, Improvisationen, kreativer Umgang mit Unerwartetem und Unbekanntem erfolgversprechender sind als Planung, Kontrolle und Methodenstrenge. Rheinberger hat sich diesbezüglich in den Forschungslabors der Hard Sciences umgesehen. Für ihn sind Forschungslabors Maschinen zur Produktion von Überraschungen. Von »epistemischen Dingen« hat Rheinberger gesprochen, von Dingen oder

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Phänomenen, die sich noch nicht erklären oder definieren lassen und sich sukzessive und immer vorläufig erschließen. Dies zuzulassen kennzeichnet eine kommunikative, kreative und produktive Kultur des Experiments. Methodik im interdisziplinären und transdisziplinären Forschen – und von der ist in diesem Buch die Rede – hat immer experimentellen Charakter, experimentell im Rheinberger’schen Sinn.

INTER- UND TRANSDISZIPLINÄRE METHODEN Wir fragen in diesem Buch, was inter- und transdisziplinäre ForscherInnen tun bzw. wie Praxis und entsprechende Praktiken in verschiedenen inter- und transdisziplinären Projekten aussehen. Was also tun interdisziplinäre ForscherInnen? Zunächst einmal arbeiten sie in einem Team, das sich aus RepräsentantInnen unterschiedlicher wissenschaftlicher Disziplinen zusammensetzt, um ein gemeinsames Forschungsanliegen, das sich auf gesellschaftliche Problemstellungen bezieht, zu bearbeiten. Und was tun transdisziplinäre ForscherInnen? Zunächst einmal arbeiten sie in einem Team, das sich aus VertreterInnen verschiedener akademischer Disziplinen und solchen aus wissenschaftsexternen Bereichen oder Organisationen zusammensetzt, um ebenfalls ein gemeinsames Anliegen zu bearbeiten, das in einem gesellschaftlichen bzw. disziplinen- und wissenschaftsübergreifenden Interesse liegt. Dieses Tun inter- und transdisziplinärer ForscherInnen unterscheidet sich tendenziell von einer monodisziplinären Praxis, bei der Forschende (ob individuell oder in Projektteams) weitgehend mit KollegInnen aus dem eigenen Fach kommunizieren und vorwiegend Fragestellungen bearbeiten, die sich aus der Wahrnehmung von Relevanz und Forschungslücken des eigenen Fachs ergeben. Die Orientierung an gesellschaftlichen Problemfeldern ist ebenso axiomatisch für inter- und transdisziplinäres Forschen wie das Wissen darum, dass die beteiligten AkteurInnen immer von einer bestimmten fachlichen und auch persönlichen Position aus das Problem wahrnehmen und reflektieren, das gemeinsam beforscht wird. Das hat weitreichende Konsequenzen für das Methodenverständnis inter- und transdisziplinärer ForscherInnen. Grundsätzlich sind alle geistes-, sozial- und naturwissenschaftlichen Methoden geeignet, in der interund transdisziplinären Forschungspraxis eingesetzt zu werden. Welche Methoden zum Einsatz kommen, hängt vom Erkenntnisinteresse eines Projekts und der an diesem Projekt Beteiligten ab. Inter- und transdisziplinär Forschende müssen daher Methoden nicht völlig neu erfinden. Ganz im Gegenteil, sie können in ihrem Tun auf den Methoden-

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und Kompetenzenpool zurückgreifen, über den sie durch ihre jeweilige monodisziplinäre Sozialisation und durch ihre bisherigen inter- und transdisziplinären Erfahrungen verfügen. In diesem Buch ist eine Fülle von verschiedenen Forschungstraditionen und aktuellen wissenschaftlichen Schulen versammelt, die in Summe ein außerordentliches Methodenrepertoire für inter- und transdisziplinäres Forschen darstellen. So sind beispielsweise Methoden der empirischen Sozialforschung, hermeneutische Herangehensweisen, naturwissenschaftliche Verfahren zur Modellbildung wie auch Methoden aus Ethnologie, Action Research oder partizipativer Forschung, aus Gruppendynamik und Interventionsforschung, die insbesondere in transdisziplinären Projekten von Bedeutung sein können, vertreten. Andererseits: Aus der inter- und transdisziplinären Forschungspraxis, wie sie in diesem Band dargestellt wird, lässt sich kein methodischer Königsweg ableiten, der die Wege der inter- und transdisziplinären Wissens- und Erkenntnisgenerierung standardisieren würde (Jaeger/Scheringer 1998). Es kann auch keinen Königsweg geben. Die spezifischen Konstellationen und Aushandlungsprozesse in einem inter- und transdisziplinären Team – wer mit wem in einem Team wozu (Problem- und Fragestellungen, Anliegen) zusammenarbeitet – entscheiden darüber, welche Methoden der Wissens- und Erkenntnisgenerierung gewählt werden. Die Fragen, die in der inter- und transdisziplinären Forschung interessieren, lassen sich nur in Kombination verschiedener Methoden bearbeiten. Aber damit nicht genug: Oft – dafür gibt es zahlreiche Beispiele in den Kapiteln und den Projektbeispielen in diesem Band – müssen die vor Projektstart gewählten und andernorts bewährten Methoden im konkreten inhaltlichen und sozialen Prozess eines Projekts modifiziert werden. Methoden sind in diesem Kontext keine fertigen Konstrukte, sie werden je nach Frage- und Problemstellung neu entwickelt. Manchmal erweisen sie sich als wenig hilfreich und zuweilen als ethisch problematisch. Solche ethischen Herausforderungen finden sich vor allem in transdisziplinären Projekten. Transdisziplinär Forschende animieren MitarbeiterInnen in einer hierarchisch strukturierten Organisation in narrativen Einzel- oder Gruppeninterviews zu Erzählungen über den eigenen Arbeitsalltag. Vorgesetzte dieser MitarbeiterInnen sind ebenfalls Mitglieder des transdisziplinären Teams. Wie gehen die Forschenden mit den ihnen anvertrauten Geschichten im weiteren Projekt- und Teamprozess um, in dem die Interviews und die transkribierten Erzählungen als methodisches Instrument des gemeinsamen Forschens und Lernens gelten? (Vgl. Kap. 8) Eine wissenschaftliche Auswertung nach methodenstrengen Verfahren der empirischen Sozialforschung könnte sich da als ebenso problematisch erweisen wie die Veröffentlichung der Erzählungen

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im Team, da die eine oder andere Äußerung der Interviewten ihnen zum Schaden gereichen kann. Wenn zur Bearbeitung gesellschaftlicher Problemfelder Forschende aus verschiedenen akademischen Disziplinen zusammenarbeiten, wenn nicht nur über, sondern mit den »Beforschten« als ForschungspartnerInnen geforscht wird (Bergold/Thomas 2010), wenn die AdressatInnen von Forschung nicht nur Scientific Communitys, sondern auch die PraxispartnerInnen oder »die Gesellschaft« sind, hat dies Folgen für die methodische Praxis. Man kann sich nie sicher sein, ob eine Methode, die einmal als erfolgreiches Wissensgenerierungsinstrument im Prozess einer inter- oder transdisziplinären Forschung erfahren worden ist, auch im nächsten Projekt hilfreich ist. Darin liegt der experimentelle Charakter jedes inter- und transdisziplinären Projekts, in dessen je besonderer Praxis jede Methode als – um in den Worten Hans-Jörg Rheinbergers zu sprechen – »epistemisches Ding« stets prekär ist und stets aufs Neue modifiziert bzw. kreiert werden muss. Ein wenig erinnert ein solche Methodenpraxis an das abduktive Paradigma der Grounded Theory (Glaser/Strauss 1998): Darunter verstehen wir das permanente prozessuale Wechselspiel von Konkretion und Abstraktion, von Empirie und Theorie, von Nicht-Wissen und Wissen als wissens- und erkenntnisgenerierende Haltung anstelle eines immer schon vorher von den Forschenden sicher Gewussten. Inter- und transdisziplinäre Forschende sind – in Anlehnung an die eingangs zitierte Metapher von Michel de Certeau – mehr SeiltänzerInnen als TaschenspielerInnen. Sie nutzen unterschiedliche Methoden, verändern sie, kreieren zuweilen neue. Sie stellen dadurch einen Zustand her, von dem es nur den Anschein hat, als ob er bewahrt würde. Tatsächlich handelt es sich um ein sensibles methodisches Gleichgewicht, das ständig neu erfunden und hergestellt werden muss.

INTER- UND TRANSDISZIPLINÄRES FORSCHEN ALS ARBEITSFORM UND FORSCHUNGSZUGANG Daher möchten wir mit diesem Buch keine neue akademische Schule begründen, schon gar keine neue Disziplin (quasi eine akademische Disziplin »Inter- und Transdisziplinarität«). Denn erstens verunmöglicht der notwendige methodisch offene, experimentelle Charakter inter- und transdisziplinären Forschens einen disziplinären Methodenkanon, der sich von jenen anderer akademischer Fächer abgrenzen würde. Und zweitens legen wir hier keine ausgefeilte Definition davon vor, was Interdisziplinarität und Transdisziplinarität denn nun »sind«. Es gibt zahlreiche Definitionen; so haben Pohl und Hirsch Hadorn (2006) im An-

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hang ihres Bandes »Gestaltungsprinzipien für die transdisziplinäre Forschung« zwanzig Definitionen aus der Literatur zusammengestellt. Wir möchten hier nicht die 21. Definition hinzufügen – und das aus Gründen, die selbst wiederum mit inter- und transdisziplinärer Methodik zusammenhängen. Denn in dem Moment, in dem wir uns in einem inter- oder transdisziplinären Feld befinden, kann der Versuch einer eindeutigen Begriffsbestimmung, die den Anspruch erhebt, dass alle anderen Beteiligten diesen Begriff auch so verstehen (müssen), zu einem aussichtslosen Unterfangen werden. Ein konstruktivistischer Geisteswissenschaftler und eine positivistische Naturwissenschaftlerin würden sich etwa beim Versuch, »Natur« konsensual zu definieren, bestenfalls darauf einigen, dass sie sich nicht einigen können. Das schließt aber eine konstruktive interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen beiden nicht aus. Weniger die Begriffe und damit auch die theoretischen Hintergründe sind zwischen inter- und transdisziplinär Kooperierenden zu vergemeinschaften, sondern die Probleme, Anliegen und Fragestellungen. Und dies passiert immer – und dabei meist team- und projektspezifisch – im ganz konkreten gemeinsamen Tun. Nicht zufällig verbinden wir mit diesem Buch das Anliegen, Inter- und Transdisziplinarität aus dem konkreten Tun derer, die inter- und transdisziplinär arbeiten (Berger 2010: 52), zu verstehen. Am besten lässt sich ein solches interund transdisziplinäres Forschen (und eben nicht »Forschung«) als eine spezifische wissenschaftliche Arbeitsform (Winiwarter 2002) beschreiben, die bei aller methodischer, theoretischer und inhaltlicher Unterschiedlichkeit an einem gemeinsamen Anliegen orientiert ist. In Kooperation zwischen Menschen aus verschiedenen Disziplinen und/oder zwischen VertreterInnen aus Wissenschaft und anderen gesellschaftlichen Bereichen werden »Lösungspotentiale« für gesellschaftliche Problemstellungen (Bergmann/Schramm 2008; Bogner/Kastenhofer/ Torgersen 2010) forschend erarbeitet. Aufgrund des axiomatischen Charakters, den diese gesellschaftliche Problemorientierung für inter- und transdisziplinäres Forschen hat, lässt sich Inter- und Transdisziplinarität als ein bestimmter Forschungszugang bezeichnen – analog etwa zu einer methodenflexiblen Evaluationsforschung (Patton 2002) oder dem Case Study Research (Yin 2008). Mit dieser Arbeitsform bzw. diesem Forschungszugang weichen die (nicht nur methodischen) Vertrautheiten und Sicherheiten einer akademischen Disziplin einer offenen und experimentellen Vorgangsweise. Das kann verunsichern. Daher lohnt es sich, an dieser Stelle – noch einmal in Kant’scher Tradition – über die Bedingungen der Möglichkeit des eigenen inter- und transdisziplinären Tuns und über dessen Probleme und Grenzen zusammenfassend nachzudenken – ganz im Sinne einer selbstaufklärerischen bzw. reflexiven Beobachtung zweiter Ordnung (vgl. Kap. 2), die selbst wiederum eine Bedingung für konstruktives in-

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ter- und transdisziplinäres Forschen ist. Was sind also Bedingungen des Gelingens wie des Scheiterns inter- und transdisziplinären Tuns, die wir aus den Kapiteln und Beiträgen dieses Buches ableiten? Da anschließend diese abstrahierende Selbstbeobachtung in Form einer Auflistung folgt, sei noch vorangestellt, dass wir diese nicht normativ oder appellativ verstehen – quasi nach dem Motto »Jedes inter- und transdisziplinäre Projekt muss alle genannten Punkte berücksichtigen, weil es sonst nicht inter- und transdisziplinär ist«. Das Folgende ist vielmehr unvollständig, vorläufig, eben der Versuch, aus unserem eigenen inter- und transdisziplinären Tun einige Charakteristika abzuleiten, die zum Gelingen oder Scheitern beitragen. Wir schließen uns in diesem Zusammenhang nochmals Hans-Jörg Rheinsberger an, der mit Bruno Latour sagt, dass »das neue Objekt zu Beginn noch undefiniert ist. […] Zum Zeitpunkt seines Auftauchens kann man es nur dadurch beschreiben, daß man eine Liste seiner Aktivitäten und Eigenschaften erstellt. [...] Es hat keine andere Form als diese Liste. Beweis dafür ist, daß man den Gegenstand jedesmal umdefiniert, wenn man diese Liste um einen Eintrag erweitert; man gibt ihm jedesmal eine neue Gestalt.« (Rheinberger 2001: 25)

UMGANG MIT SPANNUNGSFELDERN Inter- und transdisziplinäres Tun bzw. Forschen, wie es in diesem Buch nachgezeichnet und reflektiert wird, konkretisiert sich meist in Projekten und Organisationseinheiten und wird durch Forschungsteams getragen. Jedes Projektteam ist dabei mit Spannungsfeldern oder gar Widersprüchen konfrontiert, von denen einige nachfolgend skizziert werden. Diese Spannungsfelder sind nicht eindeutig voneinander abgrenzbar, sondern greifen ineinander; sie lassen sich weder auflösen, noch sind sie als bipolare Phänomene zu verstehen, die eine Entweder-oderEntscheidung erfordern würden (Krainer/Heintel 2010). Vielmehr balancieren die Beteiligten in jedem inter- und transdisziplinären Projekt solche Spannungsfelder dialektisch, sie handeln den Umgang mit den Spannungsfeldern miteinander aus. Letztendlich zielen diese »Balanceakte« darauf ab, dass eine Entscheidung getroffen werden kann, die dazu führt, dass das Projekt gut funktioniert und die ForscherInnen handlungsfähig sind. Bei solchen projektspezifischen Aushandlungsprozessen kann man sich allerdings nicht sicher sein, dass man in einem anderen und nächsten inter- oder transdisziplinären Projekt zu den gleichen oder zu ähnlichen Entscheidungen kommt. Die Aufmerksamkeit von Teams für diese (oder einige dieser oder zusätzlicher) Spannungsfelder ist ein

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Charakteristikum für inter- und transdisziplinäres Forschen, dem letztlich etwas gelingt. Eigenes und Fremdes Jedes inter- und transdisziplinäre Projekt stellt eine interkulturelle Situation dar. Manche WissenschaftlerInnen können dabei mit einer dreifachen Fremdheit konfrontiert sein: Als in Studium und Wissenschaftsbetrieb vor allem individuell Sozialisierte kann Teamarbeit für sie eine neue Erfahrung sein (vgl. Kap. 11). Als oft monodisziplinär Sozialisierte ist jede Wissenschaftlerin und jeder Wissenschaftler in einem interdisziplinären Team stets als RepräsentantIn einer spezifischen Disziplin und Wissenschaftskultur (Arnold/Fischer 2004) mit RepräsentantInnen anderer Disziplinen und Wissenschaftskulturen (Arnold/Dressel 2004) konfrontiert. Auch das bedeutet Fremdheit. Transdisziplinäre Projekte erfordern darüber hinaus Zusammenarbeit mit VertreterInnen von wissenschaftsexternen Bereichen oder Organisationen, deren Rationalitäten und Logiken sich von wissenschaftlichen unterscheiden. Wie in jeder anderen interkulturellen Situation sind die Beteiligten in einem inter- und transdisziplinären Setting nicht frei von wechselseitigen Zuschreibungen und zuweilen wechselseitigen Abwertungen und bewerten diese oder jene Aussagen von anderen schnell als »falsch«. Die Etablierung einer »Fehlerkultur« (Dinges 2005) bzw. einer »fehler«-freundlichen Kultur ist für jede interkulturelle Kommunikation hilfreich. Unterschiede und Gemeinsamkeiten Inter- oder transdisziplinäre Teams konstituieren sich deshalb, weil die Beteiligten sich durch die Zusammenarbeit einen Mehrwert erwarten, der durch ein individuelles oder monodisziplinäres Projekt nicht zu lukrieren wäre. Die kulturelle Unterschiedlichkeit und Widersprüchlichkeit in jedem Team ist dafür eine Ressource. Doch bedarf jedes Projekt auch der Verständigung auf Gemeinsames. Das meint nicht, dass die Identitäten, Rationalitäten, Wissenschaftsverständnisse etc. der Teammitglieder zu vergemeinschaften wären (geradezu ein hoffnungsloses Unterfangen), sondern das meint, dass Schnittstellen, insbesondere auf operativer Ebene, gefunden werden. Die teaminterne Explizierung der unterschiedlichen Denk- und Zugangsweisen, Logiken, Interessen etc. zu Beginn eines Projektprozesses kann es erleichtern, die Schnittstellen dort zu finden, wo sie projektspezifischen Zielen dienen. Das ist herausfordernd genug, weil weiterhin von den Beteiligten verlangt wird, eigene »disziplinäre Vorstellungen zur Disposition zu stellen« (Mittelstraß 2005: 22) und ihr Nicht-Wissen anzuerkennen: Niemand

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in einem inter- und transdisziplinären Projektteam ist ExpertIn für den gesamten zu beforschenden Bereich. Monodisziplinär und inter-/transdisziplinär Monodisziplinäre Kompetenzen – Methoden, Theorien, Modelle – sind eine wichtige Voraussetzung für inter- und transdisziplinäres Arbeiten. Mit einem gefestigten Wissen über Möglichkeiten und Grenzen spezifischer Methoden lassen sich diese Methoden in inter- und transdisziplinären Settings mit plausiblen Begründungen modifizieren. Letztlich kann man projektspezifisch die Kompetenzen verschiedener Wissenschaftskulturen, die in einem Projektteam vertreten sind, zusammenführen, wie etwa (tendenziell) die reflexive, kritische Kompetenz von Geistes- und SozialwissenschaftlerInnen und die Kooperationsbereitschaft und Produktorientierung von NaturwissenschaftlerInnen (Heintel/Berger 1998). Die produktive Auseinandersetzung mit verschiedenen monodisziplinären und wissenschaftskulturellen Ansätzen (Mittelstraß 2005: 22) oder mit Zugangsweisen von »PraxispartnerInnen« führt zu einem gemeinsamen inter- und transdisziplinären Lernprozess, an dem alle im Team beteiligt sind. Dies inkludiert, dass insbesondere in der Anfangsphase von Projekten die Inhalte, Fragestellungen, Methoden, die angestrebten Ergebnisse, Ziele und womöglich auch die Teamzugehörigkeit noch offen sind und einer gemeinsamen Aushandlung bedürfen. In jedem gelungenen Projektprozess kommt der Punkt, wo diese Fragen geschlossen werden, weil jedes Projekt mit einem Ergebnis beendet werden muss und will. Ein inter- und transdisziplinäres Team, das schlussendlich ein gemeinsames Ergebnis vorlegt, hat sich zuvor im Verlauf des Prozesses diszipliniert. Zugleich haben sich die einzelnen beteiligten Personen in ihrer ursprünglich monodisziplinären Identität durch die inter- und transdisziplinären Erfahrungen im Zuge des Projekts verändert, sind in positiver Weise un-disziplinierter geworden. Inhalt (das Was) und Form (das Wie) Insbesondere inter- und transdisziplinäre Projektteams sind nicht nur mit der Frage konfrontiert: Was erforschen wir?, sondern ebenso mit Fragen nach der adäquaten Form, dem Rahmen des Forschens, des inhaltlichen Tuns. Sie müssen sich fragen, wie sie ihre Abläufe organisieren, vor allem aber, wie die inter- und transdisziplinäre, interkulturelle Kommunikation und Kooperation bzw. die gemeinsamen Lernprozesse organisiert werden (Hellmer 2009). Das »Wie?«, die Form des inter- und transdisziplinären Tuns, hat maßgeblichen Einfluss darauf, welcher Inhalt (als Antwort auf die Frage »Was?«) generiert wird. Ohne Auf-

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merksamkeit für die Formen und die Kultur der gemeinsamen Kommunikation laufen inter- und transdisziplinäre Projekte Gefahr zu scheitern. Bei der anfänglichen Rollenklärung ist zunächst zu erarbeiten, wer in welcher Weise zu einem Projekt dazugehört und wie und wann jene, die sich als Projektteam konstituieren, miteinander kommunizieren. Inter- und transdisziplinäre Forschungsprozesse verlangen von den Beteiligten »T-Kompetenz«. Der Fuß des T steht dabei für die mono-, inter- oder transdisziplinär erworbenen inhaltlichen Kompetenzen, der Querbalken für die Fähigkeit, mit VertreterInnen anderer Disziplinen oder wissenschaftsexterner Systeme interkulturell zu kommunizieren (Winiwarter 2002: 203; vgl. auch Kap. 3). Kommunikationsformen in einem Projekt können dabei die Teammitglieder entlasten. Für die inter- und transdisziplinäre Zusammenarbeit in einem Projektteam ist eine »Kommunikationsarchitektur« (Zepke 2008) hilfreich. Solche entschleunigten Orte und Zeiten der gemeinsamen Verständigung werden in der Action Research »communicative spaces« genannt (Kemmis 2001). Manche Teams arbeiten mit externer Moderation oder Beratung, die allparteilich ist und den Projektrahmen aufrechterhält. Prozess und Struktur Im Rahmen von inter- und transdisziplinären Forschungsprojekten ist viel von Prozessen die Rede. Das ist kein Zufall und verweist einmal mehr auf den experimentellen, offenen Charakter vieler inter- und transdisziplinärer Projekte. Sowohl die Inhalte (das Was) und die Formen und Methoden (das Wie) werden immer wieder zwischen den Beteiligten, die aus verschiedenen wissenschaftlichen und anderen gesellschaftlichen Bereichen kommen, ausverhandelt. Kein interund transdisziplinäres Projekt ist im Vorhinein vom Anfang bis zum Ende völlig planbar oder steuerbar. Zuweilen kann es lange – zu lange – dauern, bis man sich verständigt hat. Damit ein Team nicht permanent mit sich selbst und den eigenen Prozessen beschäftigt ist, sind Strukturen für jedes Projekt unterstützend. Mit Strukturen sind hier stabile Abläufe gemeint, die sich aus einem konkreten Projektprozess heraus entwickeln (Schein 2000: 185ff.). Sie umfassen Fragestellungen, Methoden und Ziele ebenso wie die internen Teamstrukturen (Rollen- und Aufgabenklärung) und Formen der interpersonalen Kommunikation (Sitzungen, Klausuren, Kommunikationskultur). Bestimmte Strukturen, auf die man sich im Team geeinigt hat, können durch konkrete Prozesse durchaus modifiziert werden. Letztlich ist jedes inter- und transdisziplinäre Projekt mit der Frage konfrontiert, wie viel Prozess und wie viel Struktur es in welchen Phasen braucht.

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Narration und Disput Der in Wissenschaften übliche Kommunikationsmodus ist jener des Argumentierens, der Diskussion, oft genug des »akademischen Disputs«. In inter- und transdisziplinären Projekten, die von den interkulturellen Differenzen zwischen den Beteiligten, von verschiedenen Sichtweisen und Interessen, womöglich auch von wechselseitigem Misstrauen geprägt sind, werden zusätzlich Interaktionsformen, die bewusst den Disput und die Diskussion für eine bestimmte Zeit ausklammern, benötigt. Dazu bieten sich vor allem Formen des Dialogs (Isaacs 2003; Bohm 1998) bzw. solche des Erzählens, der Narration an – im Sinne der zuvor erwähnten entschleunigten Orte. Beginnen kann ein Team damit, sich wechselseitig zunächst einmal zu erzählen (und dabei einander zuzuhören), zum Beispiel über die eigene professionelle Identität und den eigenen Standort, von dem aus das Projektthema wahrgenommen wird, über die Anliegen, die Hoffnungen, aber auch Ängste, die man mit dem konkreten Projekt verbindet. Dies dient als eine Form der kollektiven reflexiven Selbstaufklärung. Dabei geht es nicht darum, sich auf eine inhaltliche »Wahrheit« zu einigen. Vielmehr können solche Kommunikationsformen dazu beitragen, sich selbst und die anderen besser zu verstehen (Dressel/Novy 2009). Einander gegenseitig in aller Unterschiedlichkeit zu akzeptieren und zu vertrauen stellt eine wichtige Grundlage für Teamarbeit dar. Und gerade darüber kann man sich über gemeinsame Inhalte verständigen (Isaacs 2003: 48). In anderen Projektphasen ist eher Diskussion geboten, insbesondere dann, wenn Entscheidungen getroffen werden müssen. Diese sind leichter miteinander zu fällen, wenn zuvor über dialogische bzw. narrative Formen den Sichtweisen, Anliegen, Interessen und Befindlichkeiten aller Teammitglieder Raum gegeben wird. Dass ein inter- und transdisziplinäres Team über die eigene Kommunikation kommuniziert (Schulz von Thun 1992), sich regelmäßig darüber verständigt, wie man miteinander warum kommunizieren will, dass neben der inhaltlichen auch die soziale und emotionale Ebene von Kommunikation ernstgenommen wird, trägt zum inhaltlichen Gelingen eines Projekts bei. Reflexion und Reflexivität Ein solches reflexives dialogisches oder narratives Unterfangen bricht mit dem traditionellen wissenschaftlichen Gebot des Schweigens über sich selbst als forschende Person (Dressel/Langreiter 2008). In den interkulturellen Kommunikationsprozessen von inter- und transdisziplinären Projekten hat es sich als hilfreich erwiesen, das jeweilige Eigene ein wenig zu befremden und sich das jeweils Andere etwas anzueignen und wechselseitig voneinander zu lernen. Vor-

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aussetzung dafür ist es, »das Eigene« gut zu (er)kennen. ForscherInnen wirken mit ihren Persönlichkeiten und von ihrer professionellen Position aus immer in die Forschung und die daran beteiligten Systeme hinein. Selbstaufklärung im Sinne der Aufklärung des eigenen Selbst – in der Action Research als »first person inquiry« bekannt (Marshall 2006) – macht dies sichtbar und nutzbar. Während wir Reflexion als die Spiegelung und Aufklärung von Prozessen und Dynamiken in der Umwelt verstanden wissen wollen, so meinen wir mit Reflexivität die Bereitschaft, uns selbst aufzuklären, zum Beispiel unsere Geschichten, Rollen und Gewordenheiten als professionelle ForscherInnen und als Persönlichkeiten zu verstehen und zu deuten. WissenschaftlerInnen gehen beim Forschen von ihrem besonderen Standort aus: zum Beispiel als Männer oder Frauen, als ForscherInnen mit viel oder wenig Erfahrung und mit den je eigenen monodisziplinären Hintergründen. Eine projektinterne Explizierung dessen, dass und wie ForscherInnen von bestimmten Standorten aus immer Standpunkte beziehen (Singer 2005), ist ein wichtiges Element im gemeinsamen Prozess der Generierung von Erkenntnissen (Nadig 1997: 7). Partizipation und Hierarchie Partizipation stellt eine wesentliche Bedingung für die Möglichkeit inter- und transdisziplinär zu forschen dar (Hanschitz/Schmidt/Schwarz 2009: 83ff.). Zahlreiche inter- und vor allem transdisziplinäre Projekte und Prozesse, die in diesem Band skizziert werden, haben einen partizipativen Zugang. In vielen interdisziplinären Projekten wird es vermieden, eine Leitdisziplin für ein Projekt zu etablieren, die beteiligten Disziplinen werden als gleichberechtigt angesehen. Viele transdisziplinär forschende WissenschaftlerInnen haben den Anspruch, nicht über die Beforschten zu forschen, sondern mit ihnen (Froggatt/Hockley/Heimerl 2013). Den ForschungspartnerInnen soll auf Augenhöhe begegnet werden. In der konkreten Projektpraxis stoßen diese Ansprüche immer wieder an Grenzen (Heimerl et al. 2012), mit denen jedes Projektteam umgehen muss. Zum einen bricht ein solch partizipativer Zugang mit einer Rolle, die gerade WissenschaftlerInnen von der Gesellschaft zugeschrieben bekommen: nämlich die Expertin oder der Experte – quasi die Wissenden – zu sein. Für die ForschungspartnerInnen kann es irritierend sein, wenn WissenschaftlerInnen diese Rolle nicht erfüllen (wollen). Zum anderen finden inter- und transdisziplinäre Projekte nicht im kontextfreien Raum statt. Die Umwelten sind nicht frei von Hierarchie. Der Wissenschafts- und Universitätsbetrieb selbst ist ein hierarchischer. Und wie gehen transdisziplinäre WissenschaftlerInnen damit um, wenn sie mit Organisationen kooperieren, die mit MitarbeiterInnen aus verschiedenen Hierarchieebenen im

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Team vertreten sind? Alle Betroffenen (bzw. RepräsentantInnen von betroffenen Gruppen) eines gesellschaftlichen Problems partizipativ einzubeziehen würde transdisziplinäre Projekte durch Komplexität überfordern. Im transdisziplinären Forschen stellt Partizipation als Konzept in sich einen Widerspruch dar. Woher kommt die Vorstellung vom Einbeziehen, von der Inklusion zum Beispiel der nächsten Generationen, von SchülerInnen, von schwangeren Frauen und deren PartnerInnen oder Menschen mit Behinderung oder Menschen mit Demenz? Wer AkteurInnen einbeziehen will, muss zunächst einmal anerkennen, dass diese ausgeschlossen sind. »An diesem Punkt erscheint Transdisziplinarität als offenes Problem: Das Programm der Einbeziehung der Betroffenen scheint per se schon demokratisch zu sein, aber es ist zu konstatieren: Die Betroffenen sind immer schon einbezogen, und zwar im Sinne der Akteur-Netzwerke« (Berger 2010: 62). Auch für den Umgang mit dieser Aporie ist die zuvor angesprochene Reflexionsfähigkeit unabdingbar. Ressourcenbedarf und Ressourcenknappheit Inter- und transdisziplinäres Tun benötigt andere Ressourcen als monodisziplinäres. Denn die für ein inter- und transdisziplinäres Projekt notwendigen sozialen, emotionalen und natürlich inhaltlichen Verständigungsprozesse passieren nicht nebenher, sondern brauchen Zeit und damit letztlich Geld. Das Ressourcenspektrum mag in Forschungsanträgen noch gut begründbar sein. Über Projekte entscheidende GutachterInnen oder AuftraggeberInnen zweifeln häufig an der Notwendigkeit von Ressourcen für als »Luxus« begriffene Kommunikationszeiten. Jedes Projekt, auch jedes inter- oder transdisziplinäre Projekt, ist zeitlich limitiert und hat ein Ende. Es sind immer zu wenig Ressourcen dafür da, um sich über all das zu verständigen, was im Projekt noch notwendig wäre. Sich der Ressourcen – Geld, Zeit, Personal – bewusst zu sein, die (nicht) zur Verfügung stehen, und Entscheidungen darüber zu treffen, welche Vergemeinschaftungsprozesse und Kommunikationsorte es unbedingt für das Gelingen eines Projekts braucht, ist eine Voraussetzung für kluge Verteilungsentscheidungen. Nähe und Distanz Inter- und transdisziplinäres Tun, wie es in diesem Buch skizziert wird, zeichnet sich dadurch aus, dass gesellschaftliche Probleme zum Ausgangspunkt des Forschens gemacht werden. Insbesondere in transdisziplinären Projekten ist ein solcher Zugang damit verbunden, sich bewusst von einer traditionell strikten wissenschaftlichen Grenzziehung zu verabschieden, nämlich von jener zwischen

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Subjekt und Objekt, zwischen ForscherInnen und Beforschten. An die Stelle der Objektmachung von Menschen tritt zuweilen eine radikale Betroffenenorientierung, wie man sie auch in der Action Research oder in der partizipativen Forschung findet. Die Empathie und die Nähe zu Betroffenen (zum Spannungsfeld von Nähe und Distanz: Langreiter 2003) kann in Widerstreit geraten mit der Forderung nach kritischer wissenschaftlicher Distanz. Kritische wissenschaftliche Distanz meint dabei erst einmal eine spezifische Position der Beobachtung, die sich in zeitlichem und räumlichen Abstand zum beforschten Feld befindet und gerade dadurch neue Erkenntnismöglichkeiten bietet. Das muss nicht mit einer konsequenten Objektmachung der Beforschten verbunden sein und kann reflexive Schleifen inkludieren (vgl. Kap. 11). Durch die Ressourcenknappheit vieler transdisziplinärer Projekte kann es schwierig sein, solche Orte zu initiieren. Sie sind aber umso notwendiger, als viele Formen der Nähe gerade in transdisziplinären Projekten ungeplant passieren. Es gilt überdies mit der Frage umzugehen, wie kritische wissenschaftliche Distanz in einem Projekt institutionalisiert werden kann, wenn AuftraggeberInnen und GeldgeberInnen selbst Teil des Projektteams sind.

INTER-/TRANSDISZIPLINÄRES FORSCHEN UND GESELLSCHAFT »Interdisziplinarität (und seit einiger Zeit auch Transdisziplinarität) wird unverdrossen als Forderung und Verheißung in Förderprogramme geschrieben, aber gleichzeitig schreitet die Spezialisierung in der Wissenschaft ungehindert voran, was sich nicht zuletzt in der fortwährenden Klage über sie widerspiegelt« (Weingart 2012: 14). Viele inter- und transdisziplinäre Projekte verlassen den elfenbeinernen wissenschaftlichen Turm und bewegen sich in die Gesellschaft hinein und zu deren Problemen hin – um Lösungsmöglichkeiten zu erarbeiten. In Gesellschaft zu intervenieren ist ebenso Ziel (vgl. Kap. 1; zur Interventionsforschung: Krainer/ Lerchster/Goldmann 2012). Die Orientierung an gesellschaftlichen Fragen hat Auswirkungen auf die inhaltliche und soziale Konstellation eines wissenschaftlichen Projekts, das sich als inter- oder transdisziplinär versteht. ForscherInnen in solchen Projekten setzen sich zum Ziel, Ergebnisse für sehr unterschiedliche Communitys zu erarbeiten. Was in einem bestimmten sozialen Kontext als relevant, qualitätsvoll und erfolgreich gilt, wird in einem anderem Kontext oft als irrelevant eingestuft: Eine Wissenschaft, die sich als gesellschaftsorientiert versteht, benötigt Anerkennung von gesellschaftlichen Institutionen, weil diese die AuftraggeberInnen sind, weil gerade in ihnen etwas durch das Projekt verändert

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werden soll. Als Produkte erwarten diese AdressatInnen am wenigsten wissenschaftliche Aufsätze. Solche erwartet allerdings die Scientific Community. Wissen wird ja erst dann zu wissenschaftlichem Wissen, wenn es als wissenschaftlicher Text in Form eines Buches oder in einer Fachzeitschrift publiziert wird. Die dominante monodisziplinäre Orientierung des Wissenschaftssytems, die auch die Zeitschriften strukturiert, kann sich dabei als Hürde erweisen, weil Ergebnisse von interund transdisziplinären Projekten nicht den Regeln einer Disziplin entsprechen. Schon in der Vorbereitung eines inter- und transdisziplinären Projekts, für das Forschungsmittel beantragt werden, kann diese Hürde herausfordernd sein. Die deutliche Prozessorientierung von Inter- und Transdisziplinarität führt zudem dazu, dass zwar Projektdesigns aufgestellt, konkrete Schritte aber bewusst nicht genau festgelegt werden. Das kann zu erheblichen Schwierigkeiten bei der Formulierung von Forschungsanträgen führen, die suggerieren sollen, dass der Antragsteller oder die Antragstellerin eine möglichst genaue Vorstellung von den zu erwartenden Prozessen, den damit verbundenen Ressourcen, bis hin zu den »erwartbaren Ergebnissen« hat. Anschlussfähigkeit zum vor allem monodisziplinär strukturierten Wissenschafts- und Forschungsbetrieb herzustellen ist eine der größten Herausforderungen für inter- und transdisziplinär arbeitende ForscherInnen. Wenn man einige Kategorien der interdisziplinären Lebensqualitätsforschung (Kruse 2010) auf WissenschaftlerInnen, die inter- und transdisziplinär arbeiten, bezieht, so entsteht ein widersprüchliches Bild: Inter- und transdisziplinäre Erfahrungen können zu einer erhöhten Lebensqualität der Betreffenden beitragen, weil viele inter- und transdisziplinäre Projekte werte- und sinnorientiert sind und neue Interessenshorizonte eröffnen. Inter- und transdisziplinäre Projekte bieten zahlreiche Möglichkeiten, generativ zu sein, das heißt eigene Erfahrungen an andere weiterzugeben. Andererseits ist die Lebensqualität von inter- und transdisziplinär Forschenden beeinträchtigt: Phasen der Verständigung mit anderen WissenschaftlerInnen und mit PraxispartnerInnen erfordern (Frei-)Zeit. Dabei nutzt der Zeitaufwand nur selten dem persönlichen Fortkommen in der monodisziplinär dominierten Wissenschaft, und er ist auch ökonomisch nicht wirklich verwertbar. Materielle Sicherheit – ein Element von Lebensqualität (Amann 2009) – ist schwer herstellbar, und inter- und transdisziplinäre Berufskarrieren sind noch mehr als monodisziplinäre brüchig oder verlangsamt (Hanschitz/ Schmidt/Schwarz 2009: 57). Es kann womöglich ratsam sein, sich als WissenschaftlerIn zunächst in einem anerkannten wissenschaftlichen Feld zu etablieren, um sich von diesem Status aus inter- und transdisziplinären Anliegen und Projekten zu widmen. Pierre Bourdieu hat vom Typus der »arrivierten Häretiker«

D OING I NTER -

UND

T RANSDISZIPLINARITÄT

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(Bourdieu 1988: 188ff.) gesprochen. Wenn eine Person vom Wissenschaftssystem anerkannt ist, kann sie leichter unkonventionelle Wissenschaft betreiben (Dressel/Langreiter 2003b). Mit der Orientierung inter- und transdisziplinären Forschens an gesellschaftlichen Problemen ist die Hoffnung verbunden, dass dies wiederum Rückwirkungen auf die Wissenschaft selbst hat. Wenn inter- und transdisziplinäres Forschen gesellschaftlich erwünscht ist, so müsste das Auswirkungen darauf haben, wie Wissenschaft in der Gesellschaft organisiert ist bzw. wie Gesellschaft Wissenschaft organisiert bzw. wie Wissenschaft sich selbst organisiert, vor allem hinsichtlich der mono- oder inter- bzw. transdisziplinären Strukturierung wissenschaftlicher Organisationen, der Forschungsförderung und wissenschaftlicher Karrierewege. Und es sollte Rückkoppelungen darauf haben, was als wissenschaftlich qualitätsvoll angesehen wird. »We agree that quality in knowledge production cannot flow from conventional reward systems unless and until they promote positive impact with stakeholders.« (Action Research Manifesto 2011). Wenn die Qualität von inter- und transdisziplinären Projekten unter anderem in dem »guten Gefühl« besteht, »vorangekommen zu sein« (vgl. Kap. 11); wenn gerade die partielle Verweigerung der WissenschaftlerInnen die Rolle als alleinige inhaltliche ExpertInnen zu spielen und ihre Prozesskompetenz zum Gelingen inter- und transdisziplinären Tuns beiträgt; wenn sich die Qualität inter- und transdisziplinären Forschens über das Identifizieren von Lösungsmöglichkeiten gesellschaftlicher Probleme definiert – dann müsste es möglich gemacht werden, dies im Qualitätsmanagement von Forschung und Universität abbilden zu können. Einerseits ist dies ein Plädoyer dafür, im Zuge der aktuell dominanten quantifizierenden Methoden zur Feststellung und Bewertung wissenschaftlicher Qualität mittels neuer Kategorien auch solche wissenschaftlichen Ergebnisse und Produkte zu berücksichtigen, die Ausdruck inter- und transdisziplinäre Leistungen sind. Andererseits möchten wir vor dem Hintergrund eines undogmatischen, offenen und experimentellen inter- und transdisziplinären Methodenverständnisses darauf hinweisen, dass sich nicht alle inter- oder transdisziplinären, aber auch monodisziplinären wissenschaftlichen Produkte in Zahlen darstellen lassen. Zahlen, Statistiken usw. sind eine Kulturtechnik, um mit gesellschaftlicher Komplexität umzugehen und diese überschaubarer zu machen (Fischer 1999). Sie bilden aber weder die »Wirklichkeit als solche« ab, noch können alle sozialen und kulturellen Phänomene, zu denen auch wissenschaftliche Reflexions-, Lern-, Wissensgenerierungs- und Interventionsprozesse gehören, in Zahlen adäquat erfasst werden. Insofern kann die Vermessung wissenschaftlicher Leistungen nicht der methodische Königsweg wissenschaftlichen Qualitätsmanage-

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ments sein, sondern es benötigt experimentelle Praktiken und Methoden, um das, was wissenschaftliche Qualität ist, immer wieder auszuhandeln und qualitativ darstellbar zu machen. »Research that produces nothing but books will not suffice«, schrieb der Sozialpsychologe Kurt Lewin (1947: 150) schon vor mehr als einem halben Jahrhundert. Nun haben wir zwar hier auch »nur« ein Buch geschrieben. Aber dieses Buch ist eine Art Zwischenresümee derer, die als HerausgeberInnen und AutorInnen dafür verantwortlich zeichnen. Wir gehen davon aus, dass es nur ein weiterer Anfang für zukünftige inter- und transdisziplinäre Erfahrungen ist, die manches von dem in Frage stellen werden, dessen wir uns heute noch halbwegs sicher sind. Da sind wir uns ganz sicher.

Zum Schluss

PUTTING SCIENCE INTO THE ASSESSMENT OF RESEARCH There is a pressing need to improve the ways in which the output of scientific research is evaluated by funding agencies, academic institutions, and other parties. [...] The outputs from scientific research are many and varied, including: research articles reporting new knowledge, data, reagents, and software; intellectual property; and highly trained young scientists. Funding agencies, institutions that employ scientists, and scientists themselves, all have a desire, and need, to assess the quality and impact of scientific outputs. It is thus imperative that scientific output is measured accurately and evaluated wisely. [...] The Journal Impact Factor is frequently used as the primary parameter with which to compare the scientific output of individuals and institutions. The Journal Impact Factor, as calculated by Thomson Reuters, was originally created as a tool to help librarians identify journals to purchase, not as a measure of the scientific quality of research in an article. With that in mind, it is critical to understand that the Journal Impact Factor has a number of well-documented deficiencies as a tool for research assessment. [...] We make a number of recommendations for improving the way in which the quality of research output is evaluated. Outputs other than research articles will grow in importance in assessing research effectiveness in the future, but the peer-reviewed research paper will remain a central research output that informs research assessment. A number of themes run through these recommendations: x x

the need to eliminate the use of journal-based metrics, such as Journal Impact Factors, in funding, appointment, and promotion considerations; the need to assess research on its own merits rather than on the basis of the journal in which the research is published; and

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x

the need to capitalize on the opportunities provided by online publication (such as relaxing unnecessary limits on the number of words, figures, and references in articles, and exploring new indicators of significance and impact). Aus der »San Francisco Declaration on Research Assessment«1

TRANSFORMING SOCIAL RESEARCH We agree that quality in knowledge production cannot flow from conventional reward systems unless and until they promote positive impact with stakeholders. At this time we are called to engage with unprecedented challenges that are inter-related and compounding; challenges such as poverty and injustice, climate change, globalization, the regulation of science and technology, the information and communication technology revolution, inequalities and fundamentalisms of all types. Conventional science and its conduct are part of these problems. Action researchers, therefore, are concerned with the conduct and application of research. We acknowledge the complexity of social phenomena and the non linearity of cause and effect and see that the best response to such complexity is to abandon the notion of understanding as a product of the enterprise of a lone researcher, and to engage local stakeholders, particularly those traditionally excluded from being part of the research process, in problem definition, research processes, interpretation of results, design for action, and evaluation of outcomes. In this way, we step beyond what has been labelled »applied research«, into the democratization of research processes and program design, implementation strategies, and evaluation. Aus dem »Action Research Manifesto«2

1

http://am.ascb.org/dora/. Die Deklaration wurde von einer Gruppe von HerausgeberInnen und Verlagen wissenschaftlicher Journals während des Jahrestreffens der American Society for Cell Biology (ASCB) am 16. Dezember 2012 erstellt. Sie wurde bis zum 31. Oktober 2013 von 9586 WissenschaftlerInnen und 409 Organisationen unterzeichnet, darunter der Austrian Science Fund (FWF).

2

www.uk.sagepub.com/repository/binaries/doc/Action_Research_manifesto-sign-on.doc. Das Action Research Manifesto wurde von sechzig »leaders and friends of the Action Research Journal« unterzeichnet und mit dem Appell verbunden: »Please indicate

Z UM S CHLUSS

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LUST, ÜBER DEN EIGENEN TELLERRAND HINAUSZUSCHAUEN Dass sich über vierzig AutorInnen zusammengefunden haben, um zu erklären, wie inter- und transdisziplinäre Forschung in der Praxis funktioniert, und damit den LeserInnen mehr als dreißig Jahre Erfahrung zu Füßen legen, ist an sich schon hervorhebenswert. Vielleicht bedarf es auch so vieler WissenschaftlerInnen, wenn es darum geht, methodisches Neuland zu betreten. Sie wollen zeigen, dass es sich lohnt, das sichere Terrain akademischer Disziplinen zu verlassen, um gesellschaftliche Probleme wahrzunehmen, zu beforschen, um als Ergebnis neues Wissen zu schaffen, das wiederum gesellschaftlich wirksam sein soll. Das Buch kann man dann gut verstehen, wenn man Lust hat, über den eigenen Tellerrand hinauszuschauen; wenn man sich durch die offene, einladende Art, mit der die MitarbeiterInnen ihr Denken und Tun präsentieren, herausfordern lässt, eigene Positionen zu überprüfen; und vor allem, wenn man sich schon eine Weile darüber ärgert, wie sehr sich der längst überwunden geglaubte Muff von hundert Jahren in manchen gesellschaftsrelevanten Wissenschaftsdisziplinen wieder breitmacht. Die Unterscheidung zwischen dem Taschenspieler, der über ein Wissen verfügt (wenn man weiß, wie es geht, kann man es), und dem Seiltänzer, der eine Kunst ausübt, nämlich in jedem Moment das Gleichgewicht zu halten, indem man es bei jedem Schritt durch neue Korrekturen wiederherstellt – ist eine wunderbare Metapher für das Nebeneinander von mono- und transdisziplinärer Wissenschaft. Beide faszinieren durch ihre Fertigkeit, keiner sticht den anderen aus oder macht ihn gar überflüssig. Wenn der Taschenspieler aufgedeckt wird, riskiert er Spott, aber nicht unbedingt sein Leben. Aber wenn der Seiltänzer abstürzt, kann er sich böse verletzen. Da ist es gut, wenn die Gruppe ein Netz bereithält. Wenn das Buch auch nur eine gewisse Anzahl von Studierenden, ForscherInnen oder gesellschaftlich engagierten Personen dazu ermutigt, eigene Gedanken zu wagen, echte Gefühle auszudrücken, sich in andere Menschen einzufühlen und den Konflikt mit der Macht innehabenden Obrigkeit (wo immer sie auch ihren Platz hat) zu riskieren, dann hat sich die Mühe allemal gelohnt. Jutta Menschik-Bendele3

support by adding your name and organizational affiliation. Please share this living statement widely and encourage others to add their support.« 3

Jutta Menschik-Bendele hatte bis zur ihrer Emeritierung 2012 den Lehrstuhl für Klinische Psychologie und Psychotherapie an der Universität Klagenfurt inne und war vormals Vizerektorin (für Forschung) dieser Universität.

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Autorinnen und Autoren

Mit Ausnahme von nur wenigen sind (oder waren) alle AutorInnen Angehörige der Fakultät für Interdisziplinäre Forschung und Fortbildung (IFF) der AlpenAdria-Universität Klagenfurt, Wien und Graz (AAU). Arnold, Markus, geb. 1963, außerordentlicher Professor für Philosophie und Wissenschaftsforschung. Forschungsschwerpunkte: Wissenschaftstheorie, Politische Philosophie sowie Semiotik und Diskurstheorie. Publikationen (Auswahl): »iff – Interdisziplinäre Wissenschaft im Wandel« (Hg. 2009); »Die Erfahrung der Philosophen« (2010); »Öffentliches Wissen. Nachhaltigkeit in den Medien« (gem. mit Martina Erlemann 2012); »Erzählungen im Öffentlichen. Über die Wirkung narrativer Diskurse« (Hg. mit Gert Dressel, Willy Viehöver 2012). Bammé, Arno, geb. 1944, lernte bei Siemens in Kiel und Hamburg diszipliniertes und effizientes Arbeiten, lernte in zwei Berliner Alternativbetrieben, die er mitbegründete, dass alles auch ganz anders sein könnte, versuchte als Sozialwissenschaftler, das, was er gelernt hat, an vier Universitäten in Berlin, Hamburg und Klagenfurt zu vertiefen und an Studierende weiterzugeben, und engagiert sich zurzeit auf vielfältige Weise im Berliner Amt für Arbeit an unlösbaren Problemen und Maßnahmen der hohen Hand. Berger, Wilhelm, Sozialwissenschaftler und Philosoph, ist a.o. Univ.-Prof. an der Fakultät für Interdisziplinäre Forschung und Fortbildung (Klagenfurt, Graz, Wien) (IFF) der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt, Institut für Technik- und Wissenschaftsforschung und Prodekan der Fakultät. Forschungsprojekte in der Technik- und Wissenschaftsforschung (etwa »Genetic Testing«) und im Grenzbereich zwischen Wissenschaft und Kunst.

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Brechelmacher, Angelika, Sozialanthropologin und Sprachwissenschaftlerin, publizierte im Bereich Hochschulforschung zu akademischen Karrieren und ihren Hürden. Ihr besonderes Interesse gilt dem biographischen Erzählen und der visuellen Umsetzung von – weiblichen – Lebensgeschichten. In fruchtbaren, grenzübergreifenden Kooperationen entstanden dazu in den letzten Jahren mehrund vielsprachige Videodokumentationen, Bücher und Ausstellungen. Sie lehrt an der IFF im Studium Integrale für DoktorandInnen und am Europäischen Shiatsu-Institut als Shiatsu-Therapeutin. Fischer, Roland, geb. 1945, studierte Mathematik und Physik an der Universität Wien, habilitierte sich an der Universität Salzburg und war von 1974 bis 2013 Universitätsprofessor für Mathematik und Didaktik an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt. Er war Gründungsmitglied der IFF und leitete diese von 1994 bis 2009. Seine wissenschaftlichen Arbeitsschwerpunkte: Bildungstheorie, Mathematik und Gesellschaft, Organisation von Wissenschaft. Fischer-Kowalski, Marina, habilitiert in Soziologie, arbeitete am Institut für Höhere Studien, bei der OECD, war Gastprofessorin in Australien (Griffith), Dänemark (Roskilde), USA (Yale) und Brasilien (Rio de Janeiro). Zahlreiche leitende Funktionen in NGOs (z.B. Greenpeace) und wissenschaftlichen Gesellschaften. Langjährige Mitarbeit bei der UNEP; circa 350 Artikel in wissenschaftlichen Zeitschriften, acht Bücher; verheiratet, zwei Kinder. Dressel, Gert, geb. 1964, zwei Söhne, gelernter Historiker und seit vielen Jahren in inter- und transdisziplinären Projekten unterwegs, in denen die Grenzen zwischen Forschung, Bildungsarbeit, sozialer Arbeit, Kulturarbeit und Beratung zuweilen verschwimmen. Ganz besonders beschäftigen ihn dabei narrative Ansätze bzw. Erzählungen und biographische Zugänge bzw. Lebensgeschichten als Methoden und Thema. Seinen Arbeitsplatz hat er am Institut für Wissenschaftskommunikation und Hochschulforschung. Gaube, Veronika, studierte Ökologie an der Universität Wien und promovierte in Sozialer Ökologie an der AAU. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Landnutzung und Landwirtschaft auf der lokalen und regionalen Ebene sowie die Entwicklung von sozial-ökologischen interdisziplinären Simulationsmodellen, die zu einem großen Teil im Rahmen partizipativer Prozesse entwickelt werden. Sie lehrt am Institut für Soziale Ökologie zu Konzepten, Indikatoren und Modellen interdisziplinärer sozial-ökologischer Forschung.

A UTORINNEN

UND

A UTOREN

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Graf, Wilfried, geb. 1952, Dr. phil. (Soziologie/Pädagogik), arbeitet als Forscher, Berater und Trainer in Konfliktregionen und Nachkriegsgesellschaften (Sri Lanka, Zentralasien, Südosteuropa, derzeit vor allem in Israel/Palästina). Mitbegründer und Direktor des Herbert C. Kelman Instituts für Interaktive Konfliktbearbeitung (HKI); seit 2011 Mitarbeiter des Conflict Peace Democracy Cluster (CPDC), zugeteilt dem Zentrum für Friedensforschung und Friedenspädagogik (ZFF) an der IFF. Grossmann, Ralph, Jurist, Professor für Organisationsentwicklung und Leiter des Instituts für Organisationsentwicklung und Gruppendynamik. Er beschäftigt sich seit 25 Jahren in Forschung, Beratung und Weiterbildung mit unterschiedlichen Organisationen; in den letzten Jahren Konzentration auf Beratung und Erforschung von Netzwerken und Kooperationen zwischen Organisationen; Mitbegründer, Lehrtrainer und Lehrberater der Österreichischen Gesellschaft für Gruppendynamik und Organisationsentwicklung (ÖGGO) und Mitglied internationaler Fachgesellschaften wie der Academy of Management. Haas, Willi, seit über 25 Jahren engagiere ich mich für inter- und transdisziplinäre Abenteuer. Dabei üben die Entstehungsmomente von Projekten eine ungeheure Faszination auf mich aus, weil diese – oft noch ohne dass man das ahnen könnte – persistente Grundsteine hervorbringen. Diese entpuppen sich dann oft als ärgerliche Stolper- oder erfreuliche Trittsteine. Meine Erfahrungen nutze ich vor allem in der Nachhaltigkeitsforschung, die sich vermehrt mit gesellschaftlichem Wandel beschäftigt. Heimerl, Katharina, Jg. 1961, zwei Kinder, Assoziierte Professorin, Dr.in der Medizin (Universität Wien); Diplom in Community Health (Universität Innsbruck); Turnus in Tirol, Wien und Steiermark, 1992 Ius practicandi; danach Public Health Studium an der University of California at Berkeley; seit 1995 wissenschaftliche Mitarbeiterin an der IFF, Mitbegründung und derzeit Leiterin des Instituts für Palliative Care und OrganisationsEthik, Habilitation 2006 (Venia legendi in Palliative Care und Organisationsentwicklung). Heintel, Peter, hat auf verschiedenen Gebieten der Philosophie und Gruppendynamik veröffentlicht. Besondere Beachtung bekamen seine Schriften zur Geschichtsphilosophie, Wissenschaftstheorie und Wissenschaftsgeschichte. Er ist auch als Zeitforscher bekannt und hat den Verein zur Verzögerung der Zeit gegründet. Arbeitsschwerpunkte sind: Interventionsforschung, kulturelle Nachhaltigkeit, Konfliktforschung.

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Heller, Andreas, Professur für Palliative Care und Organisationsethik; Leiter eines interdisziplinären DoktorandInnenkollegs und verschiedener Universitätslehrgänge; Arbeits- und Forschungsschwerpunkte: Grundlagen und Entwicklung der Sozial- und Gesundheitssysteme in Europa, Netzwerkentwicklungen in der Sorge mit und für marginalisierte Bevölkerungsgruppen, partizipative ethische Verständigungssysteme. Hellmer, Silvia, Studium der Sozial- und Wirtschaftswissenschaften, Forschungsschwerpunkte: Lern- und organisationswissenschaftliche Ansätze aus konstruktivistischer und systemtheoretischer Perspektive; qualitativer und biographischer Methodenzugang in Forschung und Lehre. Leiterin von Lehrprogrammen mit Fokus auf inter- und transdisziplinäre Kommunikation und Forschung, Wissensnetzwerke und prozessorientiertes Lernen. Karner, Sandra, wissenschaftliche Mitarbeiterin und Lehrende am Institute of Science and Technology Studies (STS) in Graz. Im Rahmen ihrer Forschungsaktivitäten versucht sie über neue Formen der Zusammenarbeit Wissenschaft, Politik und Zivilgesellschaft einander näherzubringen. Interessenschwerpunkte: Science Governance, transdisziplinäre Forschung, partizipative Technikfolgenabschätzung, nachhaltige Nahrungsmittelversorgung. Krainer, Larissa, 1986 bis 1998 journalistische Tätigkeit bei verschiedenen Medien in Österreich, 2001 Habilitation zum Thema Medien und Ethik. Arbeitsschwerpunkte: Medienethik, Prozessethik, Interventionsforschung, kulturelle Nachhaltigkeit, Nachhaltigkeitskommunikation, Wissenschaftstheorie, Konfliktund Entscheidungsmanagement. Krainz, Ewald E., Human- und sozialwissenschaftliche Studien in Wien, Doktorat in Psychologie 1975, Habilitation über »Die Morphologie der sozialen Welt« (1997). Professor für Gruppendynamik und Organisationsentwicklung an der AAU. Forschungs-, Beratungs- und Weiterbildungsprojekte in unterschiedlichen gesellschaftlichen Feldern auf der Basis eines sozialwissenschaftlichen Breitbands mit Fokus auf die Dynamik sozialer Systeme, ihren kulturellen, anthropologischen Voraussetzungen, ihren Problemlagen und -lösungen. Lehner, Erich, Psychoanalytiker in freier Praxis. Forschung und Lehre im Bereich der Männer- und Geschlechterforschung und Palliative Care.

A UTORINNEN

UND

A UTOREN

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Lerchster, Ruth, geb. 1967; Studium der Psychologie mit Schwerpunkt Gruppendynamik, Doktorat in Interventionsforschung; Gruppendynamiktrainerin und Lehrende an der Universität Klagenfurt und der Karl-Franzens-Universität Graz. Freiberufliche Trainerin und Organisationsentwicklerin. Leidenschaften: Organisations- und Gruppenforschung, Interventions- und Konfliktforschung, Begleitung von Veränderungsprozessen, Teamentwicklung sowie Führungskräfte- und Team-Coaching. Lesjak, Barbara, geb. 1970, hat an der Universität Klagenfurt Philosophie und Gruppendynamik studiert (Promotion 2007); die praktische Ausbildung absolvierte sie bei der Österreichischen Gesellschaft für Gruppendynamik und Organisationsberatung, wo sie seit 2007 Lehrtrainerin ist. Nach dem Studium folgen freiberufliche Tätigkeiten (Forschung, Training, Evaluation), seit 2006 arbeitet sie an der IFF (Institut für Organisationsentwicklung und Gruppendynamik). Seit 2004 hat sie ein politisches Mandat im Kärntner Landtag inne. Neugebauer, Christian, Absolvent der Politikwissenschaft und Philosophie an der Universität Wien und promovierter Organisationswissenschaftler. Seit 2007 arbeitet er in Forschung, Lehre und Beratung als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Organisationsentwicklung und Gruppendynamik. Seine Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich von Netzwerken und Kooperationen zwischen Organisationen und bei Fragen zur Steuerung, Entwicklung und Evaluation von komplexen Organisationen im Public-Goods-Bereich unter spezieller Berücksichtigung der Politik. Nicolini, Maria, Einblick in ihre Arbeit geben die Bücher »Wissenschaft ist Sprache. Form und Freiheit im wissenschaftlichen Sprachgebrauch« (Wieser 2011) und »Das unterschätzte Vergnügen. Schreiben im Studium« (Drava 2012). Literarische Devise: Wir sind alle nur Ameisen der Deutung. Pallua, Irene, studierte Kommunikationswissenschaft und Politikwissenschaft. Nach einigen Jahren in der Meinungsforschung studiert sie nun am Institut für Soziale Ökologie, insbesondere Gesellschafts-Natur-Interaktionen und nachhaltige Entwicklung. Pleschberger, Sabine, geb. 1973, Diplomkrankenschwester, Sozial-, Pflegeund Gesundheitswissenschaftlerin; langjährige Mitarbeit an der IFF-Abteilung (heute Institut) für Palliative Care und OrganisationsEthik; seit Mai 2012 als Professorin am Department für Pflegewissenschaft und Gerontologie der

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Privaten Universität für Gesundheitswissenschaften, Medizinische Informatik und Technik Hall in Tirol und Wien (UMIT). Arbeits- und Forschungsschwerpunkte: Historische und konzeptionelle Entwicklung von Hospizarbeit und Palliative Care, Sterben zu Hause, Ethik in der Pflege. Rauch, Franz, außerordentlicher Universitätsprofessor, ist zurzeit Vorstand des Instituts für Unterrichts- und Schulentwicklung an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt. Seine Arbeitsgebiete umfassen Bildung für nachhaltige Entwicklung, Netzwerke im Bildungsbereich, Schulentwicklung, Science Education, Weiterbildung und Aktionsforschung. Reitinger, Elisabeth, ist Psychologin und Sozial- und Wirtschaftswissenschaftlerin und arbeitet als Assoziierte Professorin am Institut für Palliative Care und OrganisationsEthik in Wien. Arbeitsschwerpunkte: Palliative Care im Alter, qualitative Organisationsforschung, ethische Fragen und Sorgekultur, Geschlechtersensibilität und Geschlechtergerechtigkeit. Rippitsch, Daniela, ist Mitarbeiterin im Projekt IMST und koordiniert dort die Schwerpunkte Regionale Netzwerke und Regional Educational Competence Centers. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind Netzwerke, Friedenspädagogik, Politische Bildung und Erinnerungskultur. Schendl, Georg, Universitätsassistent am Zentrum für Inter-Amerikanische Studien der Karl-Franzens-Universität Graz. Studium der Geschichte, Philosophie und Völkerkunde sowie Soziologie und Politikwissenschaft in Wien. Er ist mehrfacher Absolvent des Studium Integrale (SI), seit mehreren Jahren im gleichnamigen Arbeitsbereich an der IFF Wien in verschiedenen Kontexten tätig und war an der (Weiter-)Entwicklung des Studium Integrale für DoktorandInnen (SIDoc) aller Fächer beteiligt, in dem er auch lehrt. Schmid, Martin, geb. 1974 im Burgenland, Historiker, Doktorat 2007 an der Universität Wien; seit 1999 Mitarbeit an der IFF in allen möglichen Beschäftigungsverhältnissen und in verschiedenen Organisationseinheiten, seit 2007 als Assistenzprofessor Mitglied zweier IFF-Institute: als Umwelthistoriker am Institut für Soziale Ökologie, für das Studium Integrale am Institut für Wissenschaftskommunikation und Hochschulforschung. Singh, Simron, Ph.D. in Humanökologie, ist Assistenzprofessor am Institut für Soziale Ökologie, Wien. Seine Forschungsarbeiten umfassen theoretische,

A UTORINNEN

UND

A UTOREN

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konzeptuelle und empirische Aspekte der Gesellschafts-Natur-Interaktion, wobei hier neben der Nachhaltigkeitswissenschaft auch Entwicklungsdiskurse einfließen. Er war an zahlreichen inter- und transdisziplinären Forschungsprojekten in Indien und Europa beteiligt. Smetschka, Barbara, Sozialanthropologin und Wissenschaftskommunikatorin, lehrt am Institut für Soziale Ökologie zu inter- und transdisziplinärer Forschung und Projektarbeit. Forschungsschwerpunkte: Zeitverwendung und Lebensqualität, Gender und Nachhaltigkeitsforschung, Karriere und Arbeitssituation von Wissenschaftlerinnen, partizipative Methoden und inter- und transdisziplinäre Forschung. Spök, Armin, Forschungsbereichsleiter am Institute of Science and Technology Studies (STS) in Graz, beschäftigt sich mit Aspekten der Risikoabschätzung und Risiko-Governance bei gentechnischen Produkten und Lebensmitteln. Ein spezifisches Interesse betrifft die Einbeziehung von Stakeholdern in Forschungsund Umsetzungsprozesse sowie Ausformulierung, Begleitung und Interpretation von Forschung zu Gentechnikrisiken und nachhaltigen Lebensmittelsystemen. Strohmeier, Gerhard, Stadt- und Regionalsoziologe. Forschungsschwerpunkte in Stadtforschung, Regionalentwicklung und Kulturlandschaftsforschung; Lehre an der Universität Wien und der Universität Klagenfurt. Forschungs- und Lehraufenthalte in den USA, Schweden und Australien. Turner, Agnes, Assistenzprofessorin am Institut für Unterrichts- und Schulentwicklung an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt. Ihre Arbeitsgebiete umfassen qualitative Bildungsforschung, Reflexive Bildungsprozesse, Persönlichkeitsentwicklung und Professionalisierung in der pädagogischen Praxis, emotionale Aspekte des Lernens und Lehrens. Supervisorin (ÖVS) in freier Praxis. Ukowitz, Martina, Lehramtsstudium der Romanistik und Germanistik in Graz, freiberufliche Tätigkeit als Trainerin und Lehrtrainerin in der beruflichen Erwachsenenbildung. Doktorat in Philosophie und Gruppendynamik (2003), Habilitation zum Thema »Transdisziplinarität aus der Perspektive der Interventionsforschung« (2012). Assoziierte Professorin am Institut für Interventionsforschung und Kulturelle Nachhaltigkeit. Wegleitner, Klaus, Institut für Palliative Care und Organisationsethik. Der Sozialwissenschaftler und Versorgungsforscher widmet sich Fragen des Transfor-

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mationsbedarfs von Gesundheitssystemen und Hilfenetzwerken in spätmodernen Gesellschaften in der Unterstützung von chronisch kranken, alten und sterbenden Menschen. Inter- und transdisziplinäre Zugänge sowie die Verknüpfung von Palliative-Care- und Public-Health-Perspektiven prägen seine Forschungs- und Beratungstätigkeiten zur Förderung von Hospizkultur in Organisationen und »caring communities« im Leben und Sterben. Weisz, Ulli, ihre unterschiedlichen Expertisen (Studium der Ökologie/SozioÖkonomie und Dipl. Gesunden- und Krankenpflegerin) sind die Wurzeln ihres Forschungsinteresses an der Verbindung von nachhaltiger Entwicklung und Gesundheit, helfen ihr gleichzeitig in deren inter- und transdisziplinären Bearbeitung. Die Vision »ein gutes Leben für alle« leitet ihre Forschung am Institut für Soziale Ökologie. Wieser, Bernhard, ist habilitiert für das Fach Technik- und Wissenschaftsforschung und Assoziierter Professor an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt. Seine Forschungstätigkeit konzentriert sich auf ethische, legale und soziale Aspekte der Genomforschung und ihrer Anwendung im Bereich der genetischen Diagnostik. Winiwarter, Verena, Ingenieurin für technische Chemie mit jahrelanger Forschungspraxis im Labor, studierte Geschichte und Publizistik an der Universität Wien, dissertierte in Umweltgeschichte, dem Fach, in dem sie seit 2007 Österreichs einzige Professur innehat: am Institut für Soziale Ökologie. (Mit-)Gründerin des Zentrums für Umweltgeschichte, der europäischen Gesellschaft für Umweltgeschichte und des internationalen Dachverbands der Umweltgeschichtegesellschaften. Seit 2010 Dekanin der IFF-Fakultät. Xenidis, Lazaros, geb. 1981 in Thessaloniki. Im Masterstudium Umweltwissenschaften an der Universität Utrecht (Niederlande) setzte er den Schwerpunkt auf nachhaltige Entwicklung, Doktorand am Institut für Soziale Ökologie. Zepke, Georg, Leiter des außeruniversitären Instituts für systemische Organisationsforschung; Unternehmensberater, Trainer und Organisationswissenschaftler; Universitätslektor an den Universitäten Wien und Graz; Mitglied der Österreichischen Gesellschaft für Gruppendynamik und Organisationsberatung (ÖGGO), Lehrsupervisor (ÖVS), Netzwerkpartner mehrerer Beratungsfirmen im In- und Ausland.

Sachregister

Action Research (Aktionsforschung)

BürgerInnenforen 123, 127

60, 71, 172, 183, 189, 191, 200,

Case Study Research 301

237, 299, 305, 307, 309, 311, 314

Cultural Studies 115, 288, 293

A-Kompetenz 70

Demokratisierung 21, 177, 191, 268

Akzeptanz 72, 85, 96, 100, 107, 138,

Dialog 31, 136, 158, 168, 216, 224,

279 AlltagsexpertInnen 56, 57, 58, 59 Alltagssprache 78, 118

232, 234, 235, 238, 306 Differenz 24, 54, 55, 94, 95, 96, 97, 98, 124, 262

Anarchismus, epistemologischer 98

Distanz, kritische 17

Annales-Schule 114

Diszipliniertheit, methodische 17

Anschlussfähigkeit 310

Emotionen 83, 97, 146, 179, 184, 185,

Aushandlungsprozess 119, 140, 169, 170, 302 Begleitforschung 44, 133, 223, 228, 260, 264, 270 Beobachtung 54, 61, 139, 203, 283 Beobachtung durch Dritte 62 Beobachtung zweiter Ordnung 62, 64, 136, 301 Beratung 93, 129, 154, 172, 210, 232, 278, 284, 305 Betroffenheit 144, 145, 146, 193, 214, 217

187, 191, 192, 229 Entscheidungsprozess 39, 96, 292, 294 Epistemische Dinge 297 Erkenntnisinteresse 298 Erzählen 144, 187, 213, 215, 252, 299, 306 Evaluation 40, 132, 136, 189, 260, 263, 264, 283, 284 Evaluationsforschung, methodenflexible 301 ExpertInnenorganisationen 83, 122, 123, 124, 132, 133

Bewusstseinsbildung 93, 98

Expertokratie 134

Binnendifferenzierung 54, 55, 58, 95

Exzellenz 75, 180, 181

Blinde Flecken 61, 110, 111, 128, 161,

Face-to-Face-Kommunikation 89

285 Bottom-up-Prinzip 281, 283

Fehlerkultur 303 First person inquiry 307

360 | I NTERDISZIPLINÄR UND TRANSDISZIPLINÄR FORSCHEN

Flexibilität 272, 285

Kommunikation, interdisziplinäre 142

Flexibilität, interpretative 40, 43, 44,

Kommunikation, konstruktiv

45 Folgeprobleme 38

irritierende 58, 182, 186, 204, 252 Kommunikation, transdisziplinäre 58,

Forschungs-Bildungs-Kooperation 125

87, 88, 135, 136, 137, 139, 140,

Forschungsförderung 74, 75, 105, 179

160, 163, 174, 199, 201, 226, 261,

Forschungszugänge, idealtypische 156

264

Friedensforschung 232

Kommunikationsräume 71, 131, 305

Gender 142, 152, 190, 191, 215, 219

Kompetenz 86

Grenzüberschreitungen 12

Kompetitive Mittel 105

Grounded Theory 300

Komplexitätsdenken 233

Gruppe 94

Konflikt 81, 85, 89, 133, 144, 145,

Gruppendynamik 66, 81, 138, 149 Handlungswissen, erweitertes 173 Heterogenität 82, 87, 189 Hierarchiegefälle 80 Identität 41, 83, 84, 131, 152, 153, 155, 156, 233

149, 197, 223, 225, 226, 230, 231, 272, 284, 291 Konfliktbearbeitung 149, 223, 224, 229, 231, 234, 235, 236, 261, 279 Konfliktkompetenz 72 Konfliktlösung, interaktive 234

Identitätsbildung 83

Konsensbildung 40, 48

Impact Factor 21, 311, 313, 314

Konstruktivismus, radikaler 25

Improvisation 297

Lebenswelt 19, 30, 59, 185, 195

Indikation 183

Lehre, inter- und transdisziplinäre 159,

Inhalt und Struktur 63, 304, 305

287, 288, 291, 292, 293

Interdisziplinäre Modelle 112

Leitdifferenz 115

Interdisziplinarität (Konzepte,

Lernbereitschaft 72

Definitionen) 13, 21, 55, 105, 209, 298, 300

Lernprozesse, interdisziplinäre 162, 304

Interdisziplinarität, kumulative 22

Lernprozesse, rekursive 87

Interdisziplinarität, transformative 22

Lernprozesse, transdisziplinäre 101,

Interkulturelle Kompetenz 86, 87, 174, 303 Intervention 37, 38, 39, 54, 98, 121, 135, 136, 200, 220, 235, 285, 293 Interventionsforschung 39, 77, 121, 127, 189, 190, 255 Interventionswissenschaft 37, 38, 39 Irritation 56, 70, 91, 117, 131, 210, 297 Kick-off-Meeting 76 Kohärenz 183

121, 134, 170, 173, 238, 304 Limitation 183 Loyalität, doppelte 279 Mediation 223 Mehrwert 303 Metakommunikation 136, 137, 147, 148, 149 Methoden, qualitative 112, 139, 183, 225, 283, 299 Methoden, quantitative 112, 139, 183

S ACHREGISTER

Methodenkombination 112, 299

Problem als Impulsgeber 74

Methodenwahl 99, 111, 113, 119, 183,

Problemdefinition 37, 74, 106

299 Modellbildendes Wissen 173

| 361

Problemfelder, gesellschaftliche 13, 38, 121, 208, 298, 308

Modus 2 32, 33, 38

Problemlösungskompetenz 93, 170

Monodisziplinär 21, 207, 298, 304,

Problemorientierung, gesellschaftliche

310

208, 301

Motiv 53, 54, 253

Problemverschiebung 47

Multidisziplinarität 55, 107

Programme, sektorale 105

Nachhaltigkeitsforschung 121, 210

Projektende 193, 194, 196, 197, 198,

Nachvollziehbarkeit 24, 95, 142, 171, 173, 182, 183, 190 Nahtstellenmanagement 126, 129, 132, 176, 277, 279, 281

201, 202, 203, 272, 275 Projektgrenze 54, 56, 58 Projektgruppe 51, 54, 55, 56, 58, 61, 62, 95, 133

Nicht-Wissen 297

Projektleitung 142, 148

Nutzen 59, 91, 92, 93, 112, 114, 128,

Projektmanagement 66, 140

129, 130, 157, 190, 208

Prozessberatung 172

Objektivität 183

Prozesskompetenz 72

Objektivitätsfalle 92

Prozessorientierung 310

Organisationsentwicklung 129, 172,

Public Goods 121, 123, 208

278, 280 Organisationsfigur 176 Palliative Care 210, 218 Partizipation 32, 33, 80, 81, 173, 177,

Qualität 96, 100, 174, 179, 184, 189 Qualitätskriterien 72, 141, 180, 181, 182, 183, 189, 193, 200, 310, 311, 313

183, 191, 193, 200, 209, 218, 246,

Qualitätsmanagement 180, 311

262, 270, 307

Qualitätsmessung 19, 20, 311

Partizipativ 30, 100, 184, 192, 210, 218 Partizipatives Projektdesign 40, 169, 170 Postkolonialismus 133 Praxeologie 71 Praxisfeld 59, 65, 71, 75, 92, 94, 95,

Raum, hybrider 131 Raumverteilung, soziale 84, 86 Reflexionskompetenz 72 Reflexivität 301, 307 Relevanz 25, 39, 109, 110, 117, 133, 139, 180, 183, 186, 187, 190, 269, 273

96, 97, 98, 99, 100, 123, 124, 135,

Reliabilität 183

136, 140, 141, 143, 146, 198, 201,

Repräsentationswissenschaft 37

274

Ressourcen 308

PraxispartnerInnen 20, 23, 24, 79, 122, 123, 140, 149, 168, 171, 190, 198, 207, 217, 304

Rollen von Forschenden 84, 97, 100, 151, 156, 161 Rollen von PraktikerInnen 71

362 | I NTERDISZIPLINÄR UND TRANSDISZIPLINÄR FORSCHEN

Rollenerwartungen 108, 161

Transdisziplinarität (Konzepte,

Rollenklärung 54, 63, 108, 125, 305

Definitionen) 21, 23, 70, 91, 122,

Rollenwechsel 161, 238

209, 300

Rückkoppelungsschleifen 88

Übersetzung 12, 17

Scheitern 212

Übersetzungsprozess 41

Schließung 41, 42, 43, 44, 47, 48, 272

Umfeldanalyse 74

Schließung, rhetorische 47, 272

Umwelt 54, 57, 58, 59, 63, 134

Schnittstellen 95, 108, 126, 303

Ungehorsam, ziviler 30

Schnittstellenfunktion 108, 109, 110,

Unterscheidung 51, 52, 53, 61, 63,

111, 118 Scientific Community 59, 100, 116, 117, 157, 174, 180, 182, 189

114, 122 Validität 183 Verankerung, empirische 183

Selbstaufklärung 18, 82, 306, 307

Vernunft, emotionale 186

Selbstreflexion 87, 191, 192

Vita activa 91, 94

Soziale Kompetenz 86, 87

Vita contemplativa 91, 94

Soziale Ökologie 112

Wertedifferenz 53

Sozialforschung, qualitative 66, 183,

Wertschätzung 80, 125

189

Werturteilsfreiheit 92

Spannungsfelder 108, 262, 302

Wirksamkeit 171

Stabilisierung 40, 42, 43, 47, 49

Wissenschaft und Praxis 91, 95

Steuerung, reflexive 66, 80, 81, 86, 87,

Wissenschaftskulturen 72, 83, 87, 115,

131, 136, 139, 142, 172, 174, 264 Subjektivität, reflektierte 183

160, 161, 167, 204, 287, 289, 290, 291, 292, 293

Symbolischer Interaktionismus 155

Wissenschaftssoziologie 73, 288

Systemlandschaft 74

Wissenschaftssystem 23, 92, 97, 133

Systemtheorie 52, 54, 61

Wissenschaftsteam 55, 58, 59, 62

Teamarbeit 303

Zwischenwelt 130

T-Kompetenz 68, 69, 305

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