Experimentelle Beiträge zur Psychologie des musikalischen Hörens [Reprint 2020 ed.] 9783112311721, 9783112300572


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Inhalt
Verzeichnis der abgekürzt zitierten Veröffentlichungen
VORWORT
Teil A. Einführung Darstellung und Deutung musikalischer Hörphänomene
Teil B. Experimenteller Teil
Anhang
Namen- und Sachregister
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Experimentelle Beiträge zur Psychologie des musikalischen Hörens [Reprint 2020 ed.]
 9783112311721, 9783112300572

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Schriftenreihe des Musikwissenschaftlichen Instituts der Universität Hamburg Band III

Hans-Peter Reinecke

Experimentelle Beiträge zur Psychologie des musikalischen Hörens

1964 ©

M U S I K V E R L A G HANS S I K O R S K I - H A M B U R G

© 1964 by Musikverlag Hans Sikorski, Hamburg Alle Redite, insbesondere der Ubersetzung, Verfilmung, Rundfunksendung, öffentlicher Vorträge, mechanischer Vervielfältigung u. ä. vorbehalten. All rights reserved Tous droits reserves Printed in Germany Gesamtherstellung: Hamburger Druckereigesellschaft Kurt Weltzien K. G., Hamburg-Bahrenfeld

Seinem verehrten Lehrer, Freund und Mentor Herrn Professor Dr. Dr. Erich Schumann in Dankbarkeit

gewidmet

V Inhalt Verzeichnis der abgekürzt zitierten Veröffentlichungen Vorwort Teil A. Einführung Darstellung und Deutung musikalischer Hörphänomene Kap. I: § 1: § 2: Kap. II: § 1: § 2:

§ 3:

ZUM PROBLEM EINER PHÄNOMENOLOGIE MUSIKALISCHER HÖRERSCHEINUNGEN Die Situation der systematischen Musikforschung Problemstellung und Ziel der Untersuchung BESCHREIBUNG UND DEUTUNG MUSIKALISCHER HÖRERSCHEINUNGEN Hörwahrnehmung und musikalisches Hören Der Begriff des musikalischen Tones: Systematische Darstellung seiner Wesensmerkmale a. Tonhöhe a. Das Tonhöhenphänomen in dualer Erscheinung ß. Neuere experimentelle Beobachtungen zur TonhöhenWahrnehmung y . Zur Theorie des Hörens b. Klangfarbe a. Objekt-Bezogenheit des Klangfarben-Begriffes: Erscheinungsformen musikalischer Klänge ß. Subjekt-Bezogenheit des Klangfarben-Begriffes: Klangfarbe als Wahrnehmungs-Qualität y . Übergeordnete Klangfarben-Kategorie: Spezifisches Kolorit c. Lautstärke a. Lautstärke als Empfindungs-Niveau der Reiz-Intensität ß. Intensitäts-Qualität der musikalischen Klanggestalt Der simultane Mehrklang: Begriffsbestimmungen a. Musikalische : Klanggestalten: Intervall und Akkord b. Phänomene des Zusammenklingens ct. Kombinationstöne und verwandte Erscheinungen ß. Konsonanz und Dissonanz

VII IX

1 1 5 6 6 7 8 9 13 15 18 19 23 25 26 26 27 28 28 29 30 34

Teil B. Experimenteller Teil Kap. I: § 1: § 2:

BINAURALES HÖREN IN FRÜHEREN UNTERSUCHUNGEN Binaural-Versuche bei Wellek, Sandig und Husmann Neuere Untersuchungen über binaurales Intervall-Hören

Kap. II:

BINAURALE HÖRVERSUCHE MIT GANZZAHLIGEN SCHWINGUNGSVERHÄLTNISSEN 5 : 4 UND 4 : 3 Versuchsbedingungen a. Zur Methode b. Versuchspersonen Ergebnisse a. Quantitative Auswertung b. Systematische Darstellung der Wahrnehmungen a. Aussagen über Auftreten und Prägnanz der binauralen Tonwahrnehmungen ß. Aussagen über Wesen und Erscheinungsformen der Binauraltöne y . Aussagen über Primärqualitäten b. Zusammenfassung

§ 1: § 2:

36 36 37 38 38 38 39 42 42 46 46 49 56 61

VI c. Zusammenstellung der gehörten Klangqualitäten a. Wahrnehmungen der Hörversudie mit Primär-Schwingungen im Verhältnis 5 : 4 ß. Wahrnehmungen der Hörversudie mit Primär-Sdiwingungen im Verhältnis 4 : 3 y. Zusammenfassung d. Wahrnehmungs-Diagramme der einzelnen Versuchspersonen a. Erklärung der Diagramme ß. Dreiklangs- und Quartsext-Akkord-Beobaditungen y. Wahrnehmungen unterschiedlicher Klanggestalten 3. Fehlbeurteilungen der Distanzen e. Ergänzung zu Mehrklängen f . Kontroll-Versuche unter geänderten Bedingungen rj. Zusammenfassung Kap. I I I : B I N A U R A L E H Ö R V E R S U C H E M I T I N T E N S I T Ä T S K O N S T A N T E N P R I M Ä R - F R E Q U E N Z E N , D E R E N ABSTAND S T U F E N W E I S E GEÄNDERT WIRD § 1: Versuchsbedingungen a. Zur Methode b. Versuchspersonen § 2: Ergebnisse a. Voreilen der wahrgenommenen Intervall-Qualitäten, dargestellt an Mittelwerts-Diagrammen b. Wahrnehmungen der Versuchspersonen a. Versuche mit unterschiedlicher Änderungs-Geschwindigkeit über einen begrenzten Distanzbereich ß. Versuche mit konstanter Änderungs-Geschwindigkeit über einen vergrößerten Distanzbereich y. Versuchs-Wiederholungen c. Kontroll-Versuche mit verzerrten Primär-Schwingungen d. Zusammenfassung

62 62 64 66 66 67 68 73 74 77 82 86

87 87 87 88 88 88 92 92 94 99 102 105

Kap. I V : Z U S A M M E N F A S S E N D E W E R T U N G D E R E R G E B N I S S E § 1: Reiz-Kriterien in der Hörbahn § 2: Eigengesetzlichkeit der musikalischen Hörphänomene § 3: Phänomene der Hörwahrnehmung und ihre Funktion im musikalischen Hören Anhang

106 106 108

I: II: III:

112 114 120

Beschreibung der Versudis-Anordnung Literatur-Verzeichnis Namen- und Sachregister

110

VII Verzeichnis der abgekürzt zitierten Veröffentlichungen Acta = AfMw = AnPhys = Arch. f. d. ges. Ps. = AZ = ENT = JASA = Mf = PhysRev = PhysZ = ZfPhys = ZfPsychol = ZfMw =

Acta Musicologica Archiv für Musikwissenschaft Annalen der Physik Archiv für die gesamte Psychologie Akustische Zeitschrift Elektrische Nachrichtentechnik The Journal of the Acoustical Society of America Die Musikforschung Physical Review Physikalische Zeitschrift Zeitschrift für Physik Zeitschrift für Psychologie Zeitschrift für Musikwissenschaft

IX VORWORT Die alte Frage nach der Rolle physikalischer, physiologischer oder psychologischer Ursachen beim Entstehen des musikalisch-künstlerischen Hörerlebnisses beschäftigt verschiedene Zweige der Wissenschaft. Doch fehlt es bisher an einer überzeugenden Synthese — ja, die einzelnen wissenschaftlichen Disziplinen entfernten sich immer mehr voneinander. Handelte es sich zunächst meist nur um die Entwicklung einzelner Arbeitshypothesen, etwa der Akustik oder der Psychologie, die aber doch das Ganze im Auge behielten, so wird heute oft eine Neigung sichtbar, Teilgebieten den Rang genereller Gültigkeit zu verleihen. Die Begriffswelt einer einzelnen Fachrichtung jedoch kann nicht zur Erklärung des Ganzen herangezogen werden. So streiten zur Zeit zwei entgegengesetzte Grundvorstellungen um den Anspruch auf Allgemeinverbindlichkeit. Die eine stützt ihre Forderung nach einer naturwissenschaftlichen Begründung der Musik auf die physikalisch-physiologischen Vorgänge beim Hören, die andere sieht in der Musik allein geistig-seelischen Ausdruck menschlicher Gestaltungskraft und lehnt selbst partielle naturwissenschaftliche Deutungen ab: die akustische Erscheinung könne allenfalls Mittel, niemals aber Grundlage sein. Es hat nicht an Versuchen gefehlt, zu einem Ausgleich der Auffassungen zu kommen. Doch wird ihr Erfolg sich erst einstellen können, wenn sich die widerstreitenden Anschauungen ihres Herrschaftsanspruches entledigen. Jede Deutung des Wesens der Musik steht bis heute vor dem Dilemma, daß keine rechte Klarheit darüber herrscht, wie und in welchen Bereichen die Phänomene des musikalischen Hörens verankert sind und in welchen Wechselbeziehungen sie zueinander stehen. Dank ihrer Stellung gewissermaßen zwischen den Fronten ist hier vielleicht die Psychologie am weitesten voraus, ist sie doch gewohnt, sich geisteswissenschaftlicher und naturwissenschaftlicher Methoden in gleicher Weise zu bedienen. In der vorliegenden Arbeit soll der Versuch unternommen werden, zur Klärung einiger elementarer musikalischer Begriffe beizutragen. Zu Gunsten einer rein beschreibenden Methode, wie sie vor allem die Gestaltpsychologie entwickelt hat, bleiben dabei Wertungen im Sinne musikalisch-künstlerischen Gehaltes außer Betracht. Der Abschluß dieser Arbeit wäre nicht denkbar gewesen ohne die vielfältigen Anregungen und Ratschläge meiner verehrten Lehrer und ohne die zahlreichen Helfer, die als Versuchspersonen oder in anderer Weise daran beteiligt waren. Mein Dank gebührt an erster Stelle Herrn Professor Dr. Dr. Erich Schumann, der mir schon in früher Jugend den Weg zu den Grenzgebieten der Musikwissenschaft gewiesen hat und mir bis heute als ein treuer Mentor zur Seite steht. Auf seinen Rat wandte ich mich im Jahre 1948 nach Hamburg zu Herrn Professor Dr. Heinrich Husmann, meinem verehrten akademischen Lehrer und Doktorvater. Husmanns wissenschaftliche Konzeption bildete den Ausgangspunkt für meine Überlegungen, an seine experimentellen Untersuchungen konnte ich anknüpfen: so sind Inhalt und Ergebnis der vorliegenden Arbeit nicht ohne das von ihm errichtete Fundament zu denken. Herr Professor Dr. Georg von Dadelsen, der Nachfolger Heinrich Husmanns auf dem Hamburger Lehrstuhl, hat

X sich von meinen Problemen in unerwartetem Umfang angesprochen gefühlt und mir mit vielfältigem Rat die Vollendung meiner Arbeit erleichtert. Herr Professor Dr. Walter Wiora und der allzu früh verstorbene Professor Dr. Hans Albrecht, Kiel, haben mir ausführlich Gelegenheit gegeben, die vorliegenden Probleme zu erörtern. Gedankt sei vor allem auch Frau Dr. Elsa Hennings, Hamburg, die midi mit großer Geduld und vielen guten Anregungen dabei unterstützte, die Darstellung in eine auch dem Nichtfachmann verständliche Form zu bringen, aber auch Herrn Dr. Hans-Gerhard Lichthorn für kritische Durchsicht des Manuskriptes sowie für die Erstellung des Namens- und Sachregisters, Herrn cand. phil. Wilfried Daenidce für die Mühsal des Korrekturlesens sowie der Deutschen Forschungsgemeinschaft für die Bereitstellung eines Druckzuschusses und — last not least — dem Verlag, der allen meinen Wünschen so bereitwillig entgegengekommen ist. Endlich wurden meine Untersuchungen erst dadurch ermöglicht, daß mir die Universität Hamburg großzügigerweise ein Habilitationsstipendium gewährte, daß ferner der Nordwestdeutsche Rundfunk i. L., vertreten durch den Direktor des Instituts für Rundfunktechnik, Herrn Dr. Heinrich Kösters, sowie die Herren Haußdorf und Maaß von der Technischen Verwaltung des Norddeutschen Rundfunks, elektroakustische Geräte zur Verfügung stellte, daß außerdem die Deutsche Forschungsgemeinschaft finanzielle Mittel für die Anschaffung weiterer hochwertiger Einrichtungen gewährte. Mein tiefster Dank aber — man erlaube es mir — gilt meiner lieben Frau, die über lange Zeit hinweg alle persönlichen Wünsche hintenanstellte, um mir schreibend, rechnend, auswertend und zeichnend zur Seite zu stehen und mir damit einen außerordentlichen Teil der umfangreichen Arbeit abgenommen hat. Hamburg, im April 1964

Hans-Peter Reinedie

1

Teil A. Einführung Darstellung und Deutung musikalischer Hörphänomene KAPITEL I: ZUM PROBLEM EINER PHÄNOMENOLOGIE MUSIKALISCHER HÖRERSCHEINUNGEN / 1: Die Situation der systematischen Musikforschung Seit es Musik gibt, ist die Frage nach ihrem Wesen und ihrer Wirkung immer wieder gestellt worden. Die Antworten sind so verschieden wie die kulturgeschichtlichen Bedingungen, denen sie entstammen, und die Diskussion dieser Fragen in der Gegenwart zeigt, daß man von einer allgemeingültigen Lösung so weit entfernt ist wie je zuvor. In der Antike schon wurde der Versuch unternommen, die Erscheinungen des Klanges, seiner Erzeugung wie seiner Wahrnehmung, zu ergründen und miteinander in Beziehung zu setzen. In diesem Bestreben, die Phänomene der schwingenden Materie zu ordnen und zu deuten, errichtete man auf mathematischer Grundlage ein umfassendes musiktheoretisches Gebäude, das den Anspruch einschloß, als Ordnungsprinzip zugleich für alle Bereiche der Natur zu gelten: Die musikalische Harmonie wurde zum Abbild des nach Maß und Zahl geordneten Kosmos. Diese Idee eines Zusammenhanges zwischen Naturgesetz und Urprinzip der Musik hat die abendländische Musikanschauung immer wieder in ihren Bann gezogen. Augustinus knüpfte unmittelbar an die griechische Anschauung an und gab der Musik, die er als das Abbild der Welt (species mundi) betrachtete1), den Vorzug vor den anderen freien Künsten. Im Lehrsystem des Boethius dagegen erhält die musikalische Disziplin einen vorwissenschaftlichen Charakter. Von ihr gehe die Wirkung aus, die Denkfähigkeit zu steigern und die Seele durch „die geistig-rationale Ergründung der Zahl" in den Bereich des wahren Seins zu ziehen4). Die vor allem durch Boethius überlieferte antike Dreiteilung der Musik — musica mundana, musica humana und musica instrumentalis — beherrschte die abendländische Musikanschauung bis zum Ausgang des Mittelalters. Später verlagert sich das Gewicht auf die Zweiteilung — musica theoretica und musica practica"), die modernere Gedankengänge spiegelt, wie sie sich vor allem bei Johannes de Grocheo finden4). Grocheo ging im Gegensatz zu vielen Theoretikern ') Aurelius Augustinus, De musica libri VI, deutsch von C. J. Perl, Straßburg 1937; vgl. Heinridb Häschen, Augustinus, MCG 1, Sp. 848 ff. ) Boethius, De institutione musica; vgl. Rudolf Wagner, Boethius, MGG 2, Sp. 49 ff. *) vgl. u. a. Gerhard Fietzsdi, Die Klassifikation der Musik von Boethius bis Ugolino von Orvieto, Halle 1929; Rudolf Schaefke, Geschichte der Musikästhetik, Berlin 1934. ') Johannes de Grocheo, De musica, London, BM, Harl. MS 281 und Dannstadt, Landesbibl., MS 2663; vgl. Gilbert Reaney, Johannes de Grocheo, MGG 7, Sp. 95 ff.

s

2 des Mittelalters in erster Linie empirisch vor und unterzog die überlieferten Spekulationen skeptischer Kritik. Doch auch für ihn besitzen die auf mathematischen Zusammenhängen basierenden Konsonanzen und Konkordanzen als „principia musicae" eine bevorzugte Stellung. Mit dem Beginn der Neuzeit wird der Primat der mathematischen Musiktheorie zwar zurückgedrängt, weil andere Gesichtspunkte, z. B. die der Form und der Gattung in den Vordergrund treten, doch finden sich Elemente und Gedanken der antiken Überlieferung in musiktheoretischen Traktaten bis in die neuere Zeit hinein. Vor allem im Werke Johannes Keplers6) lebt der Gedanke der Weltenharmonie wieder auf. Keplers Grundidee, identisch mit der seines Lehrers Nicolaus von Cues, ist die Annahme, daß die mathematischen Gestalten als „Urbilder" im Geiste Gottes anzuschauen seien6). Kepler identifiziert den Gestaltbegriff mit dem Prinzip der mathematischen Struktur7). Ähnliche Gedanken, doch mehr mit der Richtung auf eine Darstellung der tatsächlichen musikalischen Erscheinungen, hegt sein Zeitgenosse Athanasius Kircher8). Kircher betrachtet das Wesen der Musik kosmologisch; sie ist für ihn weniger Kunst als vielmehr mathematische Wissenschaft. Er sieht seine Aufgabe darin, die Musik objektiv darzustellen; das Bestreben, die einzelnen Beobachtungen zu einem übergreifenden gedanklichen Gebäude zusammenzufassen, tritt dahinter zurück9). Damit schließt er sich der Auffassung Marin Mersennes10) an, dessen Werk allerdings noch stärker auf die rein akustischen Phänomene gerichtet ist. Die Lehre Jean Philippe Rameaus ist Musterbeispiel dafür, wie mathematisches Denken über die Deutung akustischer Beobachtungen in die Musiktheorie eindringt. Rameau verschmilzt zeitgenössische musikalische mit mathematischen Gedanken zur Idee des harmonischen Zentrums, des Einigungspunktes in den Beziehungen der Töne eines Akkordes11). Die an den Zahlenverhältnissen orientierte musikalische Logik Hugo Riemanns 12 ) bildet schließlich den Hintergrund im musiktheoretischen Bewußtsein des ausgehenden 19. Jahrhunderts 13 ). Selbst der antike Gedanke der Weltenharmonie lebt noch in unserem Jahrhundert fort; jedenfalls darf man Heinrich Schenkers14) „Lehre vom organischen Zusammenhang" wohl in diesem Sinne deuten. Sie enthält als Gesetze des „Tonlebens" die postulierten Funktionen von Konsonanz und Dissonanz und erhebt die Konsonanz als „einziges Gesetz alles Harmonischen" zum Naturgesetz. Beinahe noch stärker sind die Parallelen zum antiken Weltenbauprinzip im 5)

*) ') 8) ') 10 ) ") 12 ) 13 )

")

Johannes Kepler, Harmonice mundi, übersetzt und eingel. von M. Caspar, München und Berlin 1939. M. Caspar, Keplers wissenschaftliche und philosophische Stellung, München-Berlin-Zürich 1935. Rudolf Haase, Johannes Kepler, MGG 7, Sp. 839 ff. Athanasius Kircher, Musurgia Universalis sive Ars Magna Consoni et Dissoni, Rom 1650, Wilhelm Stauder, Athanasius Kirdiér, MGG 7, Sp. 938 ff. Marin Mersenne, Traité de l'Harmonie universelle, Paris 1627; Hans-Heinz Draeger, Marin Mersenne, MGG 8, Sp. 131 ff. Hugo Riemann, Geschidite der Musiktheorie im 9.-19. Jahrhundert, Leipzig 1898, S. 454; Hugo Riemann, Vom musikalischen Hören, Dissertation Leipzig 1874; ders., Geschichte der Musiktheorie, a.a.O.; vgl. hierzu u. a. Gerd Sievers, Die Grundlagen Hugo Riemanns bei Max Reger, Diss. Hamburg 1950. Heinrich Schenker, Das Meisterwerk in der Musik, Bd. III, 1935, S. 2.

3 „harmonikalen Weltbild" Hans Kaysers15). Kayser legt dem gesamten Weltenbau das „Urphänomen der Tonzahl" zugrunde. Er behauptet, daß die mathematisch erfaßbare Quantität, die Zahl, direkt an die Stelle der erlebten Qualität treten könne. Damit knüpft er an die pythagoreische Tradition und deren Fortsetzung durch Kepler an und quantifiziert unmittelbar die Erlebnis-Qualitäten. Dieser Pythagoreismus, der mit Selbstverständlichkeit immer wieder versucht, die musikalischen Phänomene auf mathematisch-logische Ordnungsprinzipien zurückzuführen, gründet sich offenbar auf Ausdrudesformen des psychischen Erlebens, die für das Hören genau so gelten wie für das Sehen. Wahrnehmungsgebilde prägen sich nämlich dann besonders leicht ein, wenn sie klar und einfach gegliedert sind. Da es in der Natur solcher einfachen Gestalten liegt, daß sie meist auch einer einfachen mathematischen Gesetzmäßigkeit folgen, wie etwa Kreis, Quadrat oder Dreieck einer geometrischen Ordnung, glaubte man, die Wahrnehmung reagiere unmittelbar auf die mathematische Struktur. Solche Überlegungen wurden vor allem im vergangenen Jahrhundert durch den allgemeinen Erfolg der exakten Naturwissenschaften gefördert. Hand in Hand damit wuchsen auch die Bemühungen, mathematische Strukturen nicht nur den Kunstgesetzen zu unterlegen, sondern auch die verschiedensten Disziplinen der Geisteswissenschaft mit mathematisch-quantitativen Methoden zu durchsetzen16). Es ist nur allzu verständlich, daß von dieser allgemeinen Tendenz die Theorie und Deutung der Musik unerwartete Impulse erhielt. Am Anfang einer modernen systematischen Musikforschung steht denn auch das Werk des Physikers Hermann von Helmholtz. Seine Resonanz-Hypothese des Hörens ist über Jahrzehnte hinweg Angelpunkt akustischer und tonpsychologischer Überlegungen und Systeme gewesen17). Zahlreiche seiner Formulierungen sind noch heute gültig. Daß sie mit Hilfe der damals jungen experimentell-akustischen Forschung gewonnen worden waren, trug allerdings dazu bei, einem Übergewicht physikalisch-mechanistischen Denkens und mathematischer Methoden in diesem Zweig der Musikwissenschaft Vorschub zu leisten. Die Folge ist, daß die systematische Musikforschung heute weithin als ein Spezialgebiet der physikalischen Akustik angesehen wird18). Auch die Gegenwart neigt in starkem Maße einer physikalisch-spekulativen Betrachtung der Hörphänomene zu und wird darin bestärkt durch die Methoden und Apparaturen der Elektroakustik und ihrer Spezialisten, die sich naturgemäß in erster Linie mathematischer Denkweisen bedienen. So nutzbringend mathematische Methoden auf unserem Gebiete mitunter sein mögen — z. B. die der Statistik und Wahrscheinlichkeitslehre etwa bei informationstheoretischer Betrachtung von Hörphänomenen10) — : ihre Anwendung unter unzulässigen Prä1S ) u)

") '*)

")

Hans Kayser, Der hörende Mensch, Elemente eines akustischen Weltbildes, Berlin 1932; ders., Akröasis, Die Lehre von der Harmonie der Welt, Basel 1946. Nikolai Hartmann, Philosophie der Natur, Berlin 1950, S. 21. Hermann von Helmholtz, Die Lehre von den Tonempfindungen als physiologische Grundlage für die Theorie der Musik, Braunschweig, 2. Aufl. 1865. Walter Wiora, Historische und systematische Musikforsdiung, Mf 1, 1948, S. 171 ff.; Hans-Peter Reinedce, Stellung und Grenzen akustischer Forschung innerhalb der systematischen Musikwissenschaft, Acta 31, 1959, S. 80 ff. vgl. Werner Meyer-Eppler, Grundlagen und Anwendungen der Informationstheorie, Berlin-Göttingen-Heidelberg 1959.

4 missen sowie eine Überschätzung ihres Aussagegehaltes führen unweigerlich zu Fehlschlüssen 20 ). Die Psychologie konnte zeigen, daß mathematische Strukturen die Wahrnehmung nicht normativ bestimmen, sondern lediglich unter bestimmten Umständen Wahrnehmungs-Bedingungen erfüllen, die ihrerseits aber nicht mathematischer Natur sind. Die Gestalt- und Ganzheitspsychologie hat diese Bedingungen des Wahrnehmens und Erlebens erforscht. Ausgangspunkt ist die bereits in der Antike bekannte These, daß das Ganze mehr als die Summe seiner Teile sei. Aus der Beobachtung, daß Ganzheiten vor Einzeleindrücken der Primat zukommt, daß also unser Erleben in erster Linie ganzheitliche Struktur besitzt 21 ), wurden die Erkenntnisse über die Wahrnehmung als Sätze der Gestalttheorie formuliert 22 ). Eine ihrer fundamentalen Thesen ist die Leugnung eindeutiger und konstanter Beziehungen zwischen Reiz und „Empfindung". Hinzu kommt die Erkenntnis, daß jedes Objekt der Wahrnehmung spontan als gestalthafte Organisation aufgefaßt wird, daß Wahrnehmungen also vom Erlebnis und nicht vom Reiz her strukturiert sind. Das heißt: Gesetze der Wahrnehmung, soweit man sie als solche bezeichnen kann, basieren nicht primär auf der Organisation des Reizgegenstandes. Die einfache mathematische Ordnung, etwa einer geometrischen Figur, wird deshalb nur dann bevorzugt wahrgenommen, wenn sie ihrerseits die Bedingungen der Wahmehmungsgesetze erfüllt; sie ist aber nicht dieses Gesetz selbst. Diese Erkenntnis gilt es klar im Auge zu behalten, will man den Hörphänomenen und ihrem Gestaltcharakter gerecht werden. In der vorliegenden Arbeit sollen anhand bisheriger Forschungen und eigener Untersuchungen einige Grundbegriffe des „musikalischen Hörens" kritisch erörtert werden. Ausgangspunkt der Untersuchung ist allein das Hörphänomen, nicht die physikalische Grundstruktur des Reizes. Denn der Versuch, auf die Quellen der Lauterzeugung zurückzugehen, um von dorther zu Aussagen über eine „Beeindrudcungsfähigkeit" der Musik zu gelangen 23 ), ist unzureichend, sofern er nicht am eigentlichen Problem überhaupt vorbeigeht. Die Phänomene und Strukturen des musikalischen Hörens sind keine physikalischen oder physiologischen, sondern psychologische und geistige Sachverhalte, die, im Begriffssystem Nikolai " ) So weist H. Fade („Zur Anwendung der Informationstheorie auf Probleme des Hörens", Kongr. Bericht der GMF, Hamburg 1956, Kassel und Basel 1957) auf Abweichungen verschiedener Untersudiungs-Ergebnisse über die sog. „Informationskapazität" des Ohres um mehr als den Faktor 10 hin. vgl. hierzu: Hans-Peter Reinedce, zur Frage der Anwendbarkeit der Informationstheorie auf tonpsychologische Problemstellungen, Kongreßbericht Kassel 1962, Kassel und Basel 1963. S. 27911. a ) Peter R. Hofstätter, Psychologie, Das Fischer Lexikon, Frankfurt/Main, 1957, S. 149 ff. " ) vgl. u. a. Chr. von Ehrenfels, Über Gestaltqualitäten, Vierteljahresschrift für wiss. Philosophie, 14, 1890. Wolfgang Köhler, Gestaltpsychology, New York 1947. K. Koffka, Beiträge zur Psychologie der Gestalt und Bewegungserlebnisse, Zschr. für Psychologie 67, 1913, S. 353 ff und 82; 1919, S. 257 ff. M. Wertheimer, Untersuchungen zur Lehre von der Gestalt, Psychologische Forschung 1, 1922, S. 47 ff; 2, 1923, S. 301 ff. Albert Wellek, Ganzheitspsydiologie und Strukturtheorie, Bern 1955. " ) Fritz Winckel, Phänomene des musikalischen Hörens, Berlin und Wunsiedel, 1960, S. 9 ff.

5 Hartmanns 24 ) ausgedrückt, lediglich in einem Überbauungsverhältnis zu den Kategorien der physikalisch-organischen Substantialität stehen 25 ). Gegenwärtig tritt die Entwicklung der Musik in eine Epoche weltumfassender Wechselwirkungen mit all ihren Merkmalen und Konsequenzen ein, so neuartig, daß man diesen Ubergang als den Beginn eines „vierten Weltalters" ansehen kann26). Die Musik empfängt von der Technik — vor allem von Rundfunk und Schallplatte — neue Anregungen. Erkenntnisse, Hypothesen und Spekulationen wissenschaftlicher aber auch pseudowissenschaftlicher Art wirken auf sie ein oder versuchen sie in ihren Bann zu ziehen — ein Vorgang, wie er in der Musikgeschichte ohne Beispiel ist. In dieser Situation versucht die Musikwissenschaft klärend einzugreifen und zu helfen, sinnvolle und wirklich weiterführende Entwicklungen von Irrwegen oder bloßen Modeerscheinungen zu scheiden. In einer wissenschaftsgläubigen Zeit wie der unsrigen wird ihre Arbeit auf einen Widerhall rechnen dürfen. X 2: Problemstellung und Ziel der

Untersuchung

Gegenstand der vorliegenden Untersuchung sind die Kongruenzen und Ähnlichkeiten zwischen musikalischen Hörphänomenen und den Reizstrukturen, von denen sie ausgelöst werden. Daraus ergibt sich die Frage, ob Dimensionen der Reizstruktur — z. B. Frequenzänderung — stellvertretend für Qualitätsänderungen der Wahrnehmung — hier: Tonhöhenänderung — verwendet werden dürfen; d. h. ob das in tonpsychologischen Überlegungen verbreitete Verfahren zulässig ist, von der Änderung der Reizstruktur notwendig auf eine entsprechende Änderung des Hörphänomens zu schließen. Danach müßte z. B. eine Frequenzänderung immer auch eine Änderung der Tonhöhenqualität nach sich ziehen. Erkennt man die Möglichkeit eines solchen Verfahrens an, so liegt der Schritt zur Identifizierung beider kategorial verschiedener Bereiche — der physikalischmaterialen Reizstruktur einerseits und des psychisch-geistigen Wahrnehmungsgefüges andererseits — nahe 27 ). Es läßt sich dann mit den Begriffen der Reizstruktur so verfahren, als seien sie zugleich Begriffe der Wahrnehmung: in unserem Falle würde die akustische Terminologie zur wahrnehmungstheoretischen. Tatsächlich geht man vielfach so vor — ohne zu bemerken, daß man sich durch diese vereinfachende Gleichsetzung den Weg zu wichtigen Erkenntnissen verbaut. Im ersten Teil der Untersuchung wollen wir uns mit den Begriffsbestimmungen und Deutungen einiger Grundphänomene des musikalischen Hörens auseinandersetzen; anschließend werden die verschiedenen Höreindrücke den physikalischen Reizstrukturen an zwei Typen binauraler Hörversuche gegenübergestellt. " ) Nikolai Hartmann, Neue Wege der Ontologie, Stuttgart 1949, S 62 ff. " ) Albert Wellek, Aufbau und Bedeutung einer systematischen Musikwissenschaft, Mf 1, 1948, S. 157 ff. **) Walter Wiora, Zur Grundlegung der Allgemeinen Musikgeschichte, Deutsches Jahrbuch der Musikwissenschaft für 1956, hrsg. von Walter Vetter, Leipzig 1957; Wiora unterscheidet vier musikalische Stadien oder Weltalter: 1. das der Ur- und Frühkulturen, 2. das der Hochkulturen älterer Art, 3. das der abendländischen Musik und 4. das der technischen Weltzivilisation. " ) Auf der Hypothese der strengen Parallelität beruht z. B. das spekulative Gebäude der Harmonik von Hans Kayser, das sich an die Gedanken Keplers anlehnt (vgl. % 1).

6 Als Versuchsmethode wurde die binaurale, d. h. getrenntohrige Darbietung zweier Schwingungen gewählt. Damit sollen vor allem die störenden Wirkungen ausgeschaltet werden, die sich bei normalem Hören einstellen: die sog. subjektiven Kombinationstöne und verwandte Erscheinungen 28 ). Zum anderen ermöglichen binaurale Hörversuche, die Bereiche in der Hörbahn, in denen die Hörwahrnehmungen zustande kommen, näher zu umgrenzen. Diese Frage hat außerordentliche Bedeutung: denn erst, wenn man diese Bereiche ermittelt hat, lassen sich Theorien über den Zusammenhang von Reizstruktur und Wahrnehmungsgestalt aufstellen. Man hat gegen binaurale Hörversuche eingewandt, daß sie die Möglichkeit der Verschmelzung zu einem Wahrnehmungs-Ganzen ausschalten, die Wahrnehmung von Intervallen bzw. Distanzen beeinträchtigen, sogar verhindern. Die Versuchsergebnisse widerlegen jedoch weitgehend diesen Einwand; gerade das Konsonanz-Problem wurde von Husmann29) auf der Basis binauraler Hörversuche erfolgreich in Angriff genommen. Die vorgelegten Hörversuche und Ergebnisse werden zeigen, daß bei binauraler Darbietung nicht nur das Intervallhören erhalten bleibt, sondern daß Wahrnehmungs-Qualitäten auftreten, welche die Annahme einer Kongruenz zur Reizstruktur verbieten. Es lassen sich dabei nämlich Klanggestalten verschiedenster Prägung beobachten: Vom Intervall- über den Akkord-Eindruck bis zu vielfachen Tonhöhen-Qualitäten. Audi wird der labile Zusammenhang zwischen Schwingungsverhältnis und Intervall-Qualität in der kontinuierlichen Veränderung deutlich, ohne daß Phänomene, die Husmann als Konsonanz deutet, merklich beeinträchtigt werden. Weiter werden manche Zusammenhänge zwischen Tonhöhe und Mehrklangs-Qualitäten erkennbar, die von bisherigen Vorstellungen starrer Korrelation merklich abweichen30). Es erscheint daher notwendig, unsere Anschauungen von den Phänomenen des musikalischen Hörens kritisch zu durchdenken. KAPITEL II: BESCHREIBUNG UND DEUTUNG MUSIKALISCHER HÖRERSCHEINUNGEN jf 1: Hörwahrnehmung

und musikalisches Hören

Der Versuch, das „musikalische" Hören begrifflich zu fassen und zu deuten, kann nur unter einer Reihe von Vorbehalten zum Erfolg führen. Das musikalische Hören nämlich vollzieht sich in mancher Hinsicht nach eigenen Gesetzen und weicht folglich von der allgemeinen Hörwahrnehmung ab. Die Merkmale einer als Musik empfundenen Hörwahrnehmung sind äußerst schwierig zu umreißen, weil sie objektiv an Zeitströmungen und subjektiv an die Individualität des Hörenden, d. h. seine persönliche Einstellung, seine Stimmung, Aufmerksamkeit und Konzentration gebunden sind, sowie von seiner musikaliM)

Diese Phänomene werden im Abschnitt „Hörphänomene des Zusammenklingens" näher dargestellt. " ) vgl. den Abschnitt: „Konsonanz und Dissonanz". 3 ") So kann es durchaus vorkommen, daß eine gegebene Klanggestalt in einzelnen Tonhöhen als „rein", hinsichtlich ihrer Intervall- oder Akkord-Qualität aber als „unsauber" bezeichnet wird; vgl. S. 55 ff.

7 sehen Begabung, Ausbildung und Bildung, kurz von den aus Anlage und Umwelt hervorgehenden Faktoren abhängen 31 ). Infolge seiner Vielschichtigkeit stellt das musikalische Hören eine komplexe Erscheinung dar, deren korrelative Elemente erst zum sinnvollen Hörerlebnis verarbeitet werden. Aus der Musikgeschichte wissen wir, daß sich das musikalische Bewußtsein stetig gewandelt hat. Es war also zu verschiedenen Zeiten an unterschiedliche Leitbilder geknüpft. Das gilt in gleicher Weise für die Deutung akustischer Phänomene, vor allem der musikalischen Grundelemente wie etwa des „Tons" mit den ihm zugeordneten Wesensmerkmalen. In der Gegenwart wird der musikalische Einzelton meist selbstverständlich als phänomenales Grundelement der Musik angesehen, so daß eine unzulässige Verallgemeinerung seiner Autonomie für andere musikalische Epochen droht. Auch werden ihm zugeordnete Wesensmerkmale oder Eigenschaften gewissermaßen als „objektiv" und zeitlos angesehen, was schließlich dazu führt, ihre Ursachen nur noch im Physikalischen zu suchen. Die Auffassung vom musikalischen Ton als autonomer Elementarerscheinung mit charakteristischen Eigenschaften ist aber das Ergebnis historischer Entwicklung, nicht allein bedingt durch die Reizstruktur. Dieser Einwand gilt in gleicher Weise für alle anderen Objekte tonpsychologischer Untersuchungen, hauptsächlich im Hinblick auf die Urteile von Versuchspersonen; ihre Aussagen sind nämlich nicht „neutral", sondern werden von traditionellen musiktheoretischen Vorstellungen mitbestimmt. Eine solche Einschränkung besagt nicht, daß die Zeitgebundenheit musikalischer Phänomene umfassend sei. Vielmehr sind innerhalb der historischen wie ethnischen Vielgestaltigkeit musikalischer Äußerungen und Begriffsfolgen durchaus universale Gemeinsamkeiten zu erkennen 32 ). Sie ergeben sich aus der Ubereinstimmung geistig-emotioneller Anlagen 33 ), unter denen die Tendenz zur Gestaltbildung wohl besonders hervorragt. Die hier zu erörternden Auffassungen vom musikalischen Hören gelten für unsere heutige Situation. Inwieweit darüber hinaus einzelnen Phänomenen und Wirkungen des Hörens eine besondere oder gar überzeitliche Gültigkeit zuerkannt werden darf, kann hier nicht entschieden werden. Erst die umfassende historische Untersuchung der Phänomene in ihren Auswirkungen und Zusammenhängen wird den Problemen näherkommen. § 2: Der Begriff des musikalischen Tones, systematische Wesensmerkmale

Darstellung

seiner

Der Begriff „Ton" umschreibt heute die präzise Vorstellung einer musikalischen Elementargestalt weitgehend autonomen Charakters 34 ). Ihm werden Eigenschaften von verschiedener Bedeutung zugeordnet. Sogenannten „Fundamentaleigenschaften" 35 ) des Tones wie Tonhöhe, Lautstärke, Klangfarbe und Dauer stehen 31

) vgl. hierzu Helmut Reinold, Zur Problematik des musikalischen Hörens, AfMw 11, 1954, S. 158 ff. ®) Walter Wiora, Zur Grundlegung einer allgemeinen Musikgeschichte, Deutsches Jahrbuch der Musikwissenschaft für 1956, hrsg. von Walter Vetter, Leipzig 1957, S. 81 ff. ") Kunz Dittmer, Allgemeine Völkerkunde, Braunschweig 1954, S. 21 ff. ") Hans-Peter Reinedce, Über den doppelten Sinn des Lautheitsbegriffes beim musikalischen Hören, Phil. Diss. Hamburg 1953 (MS), S. 7 ff. s5 ) Heinrich Husmann, Einführung in die Musikwissenschaft, Heidelberg 1958, S. 13 ff. 2

8 sekundäre Wesensmerkmale gegenüber, zu denen Begriffe wie etwa „spitz", „hell", „stark" oder „aufdringlich" gehören. Die erstgenannten Eigenschaften werden deswegen als fundamental bezeichnet, weil sie bestimmten Strukturänderungen des Schallvorganges unmittelbar parallel zu gehen scheinen. Indessen wirkt auch hier die Eigenheit des Erlebens36) gegenüber der akustischen Struktur: Die Klangersdieinungen sind psychologisch begründet37). Es sollte deshalb schon bei der Begriffsbildung der Eindruck vermieden werden, es bestünden Wesensunterschiede zwischen solchen Qualitäten, die im Reiz verankert sind, und anderen, denen ein solcher „objektiver" Ausgangspunkt abzusprechen wäre. Der Zusammenhang zwischen Reiz und Erlebnis ist im Prinzip immer der gleiche, lediglich modifiziert durch die Voraussetzungen der Wahrnehmung und den Grad einer „Ähnlichkeit" mit den Reizmomenten. Die Modifizierung aber wird vom Geistig-Emotionellen her bestimmt, nicht vom Physikalischen. Der „musikalische Ton" ist als elementares Gebilde eine Abstraktion vom musikalischen Zusammenhang. Ihm haften zwar verschiedene Eigenschaften an, die sich jedoch nicht isolieren lassen38). Es sei an dieser Stelle ausdrücklich betont39), daß die in der physikalischen Akustik allgemein übliche Unterscheidung zwischen „Ton" und „Klang" psychologisch wie musikalisch unangebracht ist. Die Akustik sieht als „Ton" das Korrelat einer Sinusschwingung an, als „Klang" aber Schallvorgänge, in denen Oberschwingungen enthalten sind. Die Begriffe orientieren sich an der akustischen Struktur, nicht aber an den Sachverhalten des musikalischen Hörens. Ein zusammengesetzter Schallvorgang wird im allgemeinen weit präziser als Tonhöhen-Qualität gehört als ein sinusförmiger, der auch nur unter besonderen technischen Voraussetzungen herzustellen ist, in der Musik dagegen praktisch kaum Bedeutung besitzt. Der musikalische Ton wird in erster Linie in drei Grundqualitäten wahrgenommen, die ihm als Eigenschaften von Höhe, Farbe und Intensität zugeordnet werden. Hinzu kommt die Qualität der Dauer. Während Tonhöhe, Klangfarbe und Intensität dem Ton40) unmittelbar anzuhaften scheinen, ist die „Dauer" des Tones stärker auf den größeren Zusammenhang des musikalischen Zeitablaufes gerichtet. Die erlebte musikalische Dauer ist deswegen eher ein Phänomen der Zeitgestalt41), während die physikalische Zeitachse des akustischen Ablaufes nur bedingt selbst als Zeitqualität erlebt wird, vielmehr in das Ganze der gehörten Gestaltqualität eingeht42). a.

Tonhöhe

Die Qualität der Tonhöhe ist unter den Eigenschaften der musikalischen Tonerscheinung die bedeutendste. Tonhöhe ist die begriffliche Umschreibung für die S8) ") 3ä ) s> )

Karl Gustav Feilerer, Einführung in die Musikwissenschaft, 2. Aufl., 1953, S. 63 ff. Karl Gustav Feilerer, a.a.O. Albert Wellek, Ganzheitspsychologie und Strukturtheorie, Bern 1955, S. 63 ff. vgl. in diesem Sinne auch: Albert Wellek, Gehörpsydiologie, MGG 4, Sp. 1547 ff.; Jacques Handschin, Der Toncharakter, Zürich 1948, S. 130 ff. " ) vgl. hierzu Hans Heinz Dräger, Begriff des Tonkörpers, AfMw 9, 1952, S. 68 ff. 41 ) Walter Wiora, Musik als Zeitkunst, Mf 10, 1957, S. 15 ff. " ) Chr. von Ehrenfels, Über Gestaltqualitäten, Vierteljahresschrift f. wiss. Philos., 1890.

9 zentrale Qualität musikalischer Äußerung, die vor allem auf der Periodizität der Schwingungsvorgänge „aufruht". Sie kommt als Qualität in dualer Erscheinungsweise zum Bewußtsein: einem kontinuierlichen Moment steht ein funktionelles gegenüber, das durch Identität oder wenigstens Ähnlichkeit wiederkehrender Tonhöhenschritte gekennzeichnet ist. Diese „Aufspaltung" der Tonhöhe43) wurde im letzten Jahrhundert vielfältig ausgelegt: a. Das Tonhöhenphänomen in dualer Erscheinung Die Dualität der Tonhöhe, die Tatsache, daß neben einer Komponente kontinuierlicher Veränderung eine andere von ständiger Wiederkehr (Oktav-Identität) steht, ist eines der zentralen Probleme der neueren Tonpsychologie. Erste Ansätze zu einer Auseinandersetzung finden sich in der systematischen Psychologie des vorigen Jahrhunderts, vor allem bei Hermann Lotze44). Er war hauptsächlich Physiologe und Philosoph45) und beschäftigte sich mit dem Tonhöhenphänomen im Rahmen ästhetischer Überlegungen46). Durch die Tatsache der „Oktav-Verwandtschaft" wird die Tonhöhe strukturiert, was als musikalische Bereicherung anzusehen ist. Bedeutsam ist für Lotze die Transponierbarkeit der musikalischen Tonhöhen-Strukturen, die es ermöglicht, auf jeden beliebigen Grundton eine Gliederung aufzubauen, die innerhalb eines fest gefügten Ganzen jeweils analoge, vorausbestimmte Perspektiven eröffnet47). In diesen Überlegungen ist eine gewisse Verwandtschaft zu den gestaltpsychologischen Ansätzen von Ehrenfels48) enthalten, dessen Gestaltqualitäten den sog. Ehrenfelskriterien49) der „Ubersummativität" und auch der „Transponierbarkeit" genügen müssen. Lotzes Schüler Franz Brentano50) unterscheidet zwei Tonhöhen-Eigenschaften, nämlich ein selbständiges, „gesättigtes" Element und ein „ungesättigtes". Die lineare, unselbständige Seite bildet ein Gegensatzpaar von „Tonschwarz" und „Tonweiß", dem ein Helligkeits-Charakter als bloß sekundäre Eigenschaft anhaftet, ebenso wie weitere Attribute, etwa Ausdehnung, Gewicht und Dichte. Das selbständige Element der Tonhöhe ist demgegenüber die funktionelle Seite, die mit der „Oktav-Identität" zusammenhängt51). Carl Stumpf, Schüler Lotzes und Brentanos, faßt die beiden Seiten der Tonhöhe zunächst nicht als selbständige Komponenten auf52). Erst spät schließt er sich unter Vorbehalten der inzwischen von Geza Revesz53) vertretenen „Zweikomponenten-Theorie" der Tonhöhe an54). Stumpf unterscheidet am Ton zunächst 41 )

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Dieser Begriff wurde von Albert Wellek geprägt („Die Aufspaltung der „Tonhöhe" in der Hornbostel'schen Gehörpsychologie und die Konsonanztheorien von Hornbostel und Krüger ZfMw 16, 1934, S. 481 ff und 534 ff.). Hermann Lotze, Geschichte der Ästhetik in Deutschland, München 1886. J. C. Flügel, Probleme und Ergebnisse der Psychologie, Stuttgart o. J. (Übersetzung von „A hundred Years of Psychology", London, 5/1948). Hermann Lotze, a.a.O., S. 465 ff. Hermann Lotze, Grundzüge der Ästhetik, Bd. 3, Leipzig 1906, S. 45 ff. Chr. von Ehrenfels, a.a.O. Peter R. Hofstätter, a.a.O., S. 143. Franz Brentano, Untersuchungen zur Sinnesphysiologie, 1907; Franz Brentano, a.a.O., S. 101 ff.; Carl Stumpf, Tonpsychologie, Bd. 1 und 2, Leipzig 1883 und 1890; Geza Revesz, Zur Grundlegung der Tonpsychologie, Leipzig 1913. Carl Stumpf, Die Sprachlaute, Berlin 1926.

10 nur drei Eigenschaften, nämlich Höhe, Stärke und Klangfarbe. Die Klangfarbe indessen hält er nicht für eine Eigentümlichkeit der Empfindung, vielmehr vergleicht er sie mit Gefühlen wie Lust oder Unlust. Neben diesen Eigenschaften ordnet er den Tönen Momente einer „Örtlichkeit" und „Zeitlichkeit" zu. Seine „Tonurteils-Lehre" gründet sich auf die beiden Begriffe: Qualität und Stärke. Die Tonhöhe besitze qualitativen Charakter und sei ein Merkmal der Tonempfindung. Die Töne seien im Bewußtsein als Summen absoluter Qualitäten vorhanden ebenso wie Geruch oder Geschmack. Diese „Qualitätensummen" bilden eine eindimensionale Reihe, deren Begriff „Höhe" durch Assoziation entstanden sei. Die Unterschiede, die sich durch Begriffe wie „höher" oder „tiefer" ausdrücken, die eindimensionale Reihenbildung also, aber auch Stetigkeit und Unendlichkeit, könnten an den Tonhöhen-Qualitäten unmittelbar erkannt werden55). Die „Helligkeit" stehe der Qualität gegenüber. Musikalisch gleichnamige Töne zeichneten sich bei gleicher Qualität lediglich durch Unterschiede der Helligkeit aus (C, c, c' usw.). Die Oktave sei daher durch Wiederauftreten gleicher Qualität bei unterschiedlicher Helligkeit gekennzeichnet56). Geza Revesz geht einen Schritt weiter. Er behauptet, daß das TonhöhenPhänomen durch zwei selbständige, unabhängig voneinander veränderliche Momente gekennzeichnet sei 57 ); man könne eine Eigenschaft jeweils unabhängig von der anderen verändern58). Revesz „spaltet" die Tonhöhe in zwei Empfindungsreihen auf; die eine steige geradlinig an, während die andere zyklisch und periodisch verlaufe, etwa vergleichbar mit einer Schraubenlinie. Im Gegensatz zu Stumpf hält Revesz die oktavweise wiederkehrenden Qualitäten nur für ähnlich, nicht aber für identisch. Weitere Toneigenschaften sind auch für Revesz nur sekundärer Natur, auch die von Wolfgang Köhler59) postulierte „Vokalität", mit der dieser jeder einzelnen Tonhöhe einen bestimmten Vokal-Charakter zuerkennt. Für Wolfgang Köhler sind die Tonempfindungen außer durch ihre Vokalqualität durch keine weiteren qualitativen Eigenschaften zu bestimmen 60 ). Die Tonhöhe dagegen ist nach Köhlers Auffassung keine eigentliche Eigenschaft, sondern eher einem Raumpunkt, Grad oder Niveau vergleichbar, in welchem der Ton sich befindet61). Erich M. von Hornbostel62) erkennt den beiden Momenten der Tonhöhe den Charakter zweier selbständiger Eigenschaften zu. Das Moment der stetig veränderlichen, in einer Richtung fortlaufenden Steigung nennt er „Helligkeit". Das eigentlich „Musikalische" der Tonhöhe, die Komponente nämlich, die den Ton „ a " als „ a " erscheinen läßt, erhält die Bezeichnung „Tonigkeit". Hornbostel faßte das Phänomen „Tonigkeit" in Anlehnung an Lipps als glie") ") S7 ) -")

Carl Stumpf, Tonpsychologie, Bd. 1, S. 189 ff. Carl Stumpf, Tonpsychologie, Bd. 2, S. 199 ff. Geza Revesz, a.a.O., S. 43 ff. Revesz belegt diese Begründung mit dem Hörverhalten in den äußeren Regionen des Tonbereichs. Hier sei wohl ein gewisses Tonhöhen-Unterscheidungsvermögen aber kein Qualitäts-Erlebnis mehr nachzuweisen. 4 *) W. Köhler, Bericht über den 6. Kongreß für exper. Psychologie, 1914, S. 307 ff. Wolfgang Köhler, Akustische Untersuchungen, 3. Teil, ZfPsychol 64, 1913, S. 101 ff. " ) Wolfgang Köhler, a.a.O. S. 92 ff. " ) Erich M. von Hornbostel, Psychologie der Gehörserscheinungen, a.a.O., S. 701 ff.

11 dernde Gestaltung zentral-physiologischer Vorgänge auf. Sieht man davon ab, daß er als Gliederungs-Prinzip die Potenzen von 2 ansah, so kommen seine Vorstellungen modernen Deutungen — etwa der Residual-Tonhöhe 63 ) — schon sehr nahe. Albert Wellek schließt sich im wesentlichen der von Revesz formulierten Zweikomponenten-Theorie an 64 ). Seine Bezeichnungen decken sich zwar mit dem Hornbostelschen Begrilfspaar, jedoch sieht er in der Tonigkeit ein Moment der Vorstellung, nicht der Wahrnehmung. Die Tonigkeit sei zwar an das im Wahrnehmungsbereich nachzuweisende Helligkeitserlebnis geknüpft, hier aber keine absolute Komponente. Wellek spricht von einer Dissoziierung der Tonwahrnehmungen in der Vorstellung und versteht darunter die freie Koordinierung von Tonigkeiten und Helligkeiten in beliebiger Abweichung von der Wahrnehmung 05 ). Er unterscheidet zwischen der „Helligkeit" als einer quantifizierbaren Eigenschaft und der zyklischen „Tonigkeit" als reinster „Nur-Qualität", die nichts Quantifizierbares mehr an sich habe 66 ). Heinrich Schole lehnt diese Zweikomponenten-Theorie ab und stellt zugleich alle übrigen Eigenschaften der Tonerscheinung infrage 67 ). Statt dessen prägt er den Begriff des „Moments" als „eine der Analyse unter günstigen Bedingungen (auch Struktur-Bedingungen im Beobachter) erreichbare Seite der Erscheinung" 6 *). Schole gründet seine Formulierungen auf die unbestrittene Tatsache, daß keiner der Toneigenschaften ein vom Subjekt unabhängiges Dasein zuzuschreiben sei 60 ). Gerhard Albersheim 70 ), der die Zweikomponenten-Theorie ebenfalls ablehnt, definiert das Ton-Phänomen in drei Richtungen. Die „Tonfarbe" sieht er als die eigentlich ursprüngliche Qualität an. Hinzu kommen „Lautheit" und „Höhe" als spezielle Lokalisation im Tonraum. Die Tonfarbe bildet ein eindimensionales „Empfindungs-Kontinuum" mit stetigen Übergängen, aber ohne ausgezeichnete Qualitäten 71 ). Die Tonhöhe will er als räumliches Merkmal von besonderer Bedeutung erkannt wissen. Jede Tonhöhe besitze einen festen Ort und sei mit einem Raumpunkt zu vergleichen. Dieser Tonraum entspringe einer psychologisch gegebenen räumlichen Dimension, einem spezifischen Ausdehnungs-Kontinuum, „innerhalb dessen konkrete, gestalthaft aufgefaßte Lageverhältnisse erlebt werden" 72 ). Albersheim projiziert seine Vorstellungen von den Toneigenschaften in rein räumlich-gestalthafte Dimensionen. Er vergleicht " ) u. a. J. F. Schouten, The residue, a new component in subjective sound analysis, Proc. Kon. Nederl. Akad. van Wetensch. 43, 1940, S. 356 ff.; vgl. hierzu S. 13 ff. *') Albert Wellek, Die Aufspaltung der „Tonhöhe" in der Hornbostelschen Gehörpsychologie und die Konsonanztheorien von Hornbostel und Krüger, ZfMw 16, 1934, S. 481 und 534 ff. " 5 ) Albert Wellek, a.a.O., S. 487. ««) Albert Wellek, a.a.O., S. 489 ff. " ) Heinrich Schole, Tonpsychologie und Musikästhetik, Göttingen 1930. "') Heinrich Schole, Experimentelle Untersuchungen an höchsten und kürzesten Tönen (zugleich ein Beitrag zur Theorie der akustischen Elementar-Phänomene), ZfPsychol. 131, 1934, S. 1 ff. " ) Heinrich Schole, Experimentelle Untersuchungen . . . , a.a.O., S. 53. ™) Gerhard Albersheim, Zur Psychologie der Ton- und Klangeigenschaften, Straßburg 1939. " ) Gerhard Albersheim, a.a.O., S. 60. Gerhard Albersheim, a.a.O., S. 60.

12 den Hörraum mit dem Tast- und dem Sehraum 73 ), indem er sich an den Begriffsbestimmungen Eislers 74 ) orientiert. Jacques Handschin75) wendet sich gegen die Zweikomponenten-Theorie mit anderen Argumenten: Der Toncharakter dominiere gegenüber Dauer, Intensität und Klangfarbe. Handschin entwickelt seine Überlegungen am Phänomen des Quintenzirkels78), ohne als Ausgangspunkt eine absolute Tonhöhe festzulegen. Der Tondiarakter sei transponierbar bei stets gleichbleibender musikalischer Bedeutung. Alle Sinn- und Charakterunterschiede der Töne innerhalb einer Oktave seien ableitbar aus einer Auswahl von sieben Quinten. Der musikalische Charakter eines Tones werde unabhängig von der absoluten Tonhöhe durch dessen Stellung innerhalb einer solchen Quintenreihe bestimmt: Der Ton sei Glied einer „Gesellschaft". Entspreche dem Toncharakter die Stellung innerhalb der Leiter, so bezeichne der Tonbuchstabe den Charakter und die relative Stellung des Tones im engsten Raum. Das Verhältnis von Toncharakter und Tonumgebung bestimme demnach den Grundton-Charakter einer Tonleiter. Der Toncharakter sei darum die eigentlich musikalische Eigenschaft, die mit der Tonhöhe — dem sinnlich wahrnehmbaren Moment — verknüpft ist. Die Tonhöhe hingegen sei nicht Ausdrude einer Analogie zum Optischen. Ihre kontinuierliche Abstufung begrenze die Beziehung zum Toncharakter: Ein gegebener Toncharakter könne innerhalb des musikalischen Tonbereiches auf jeder beliebigen Höhe stehen. Nur setze er eine unterschiedliche Lokalisierung des gesamten musikalischen Komplexes voraus, da er auf der „Tongesellschaft" beruht. Aus dem gleichen Grunde könnten Toncharaktere keine eigentliche Periodizität ergeben. Das, was nach einer Oktave wiederkehre, sei die gegliederte musikalische Gestalt. In ihr verflechten sich Tonhöhe und Toncharakter untrennbar, so daß sie nicht rein tonräumlich betrachtet werden dürfen 77 ). Für Handschin ist der „Toncharakter" ein Phänomen historisch gewordener „Vergesellschaftung", das aus der Quintenreihe abgeleitet ist. Die Quintverwandtschaft besitzt für ihn den Primat vor dem Phänomen der Oktavidentität 78 ). Im Gegensatz zu Wellek nimmt also Handschin an, daß „Toncharakter" und „Helligkeit" eng miteinander verbunden seien. Er glaubt, der Wellekschen Ansicht nicht zustimmen zu können, daß in extremen Tonregionen die Tonigkeit im Gegensatz zu den Tonbeziehungen verharre 79 ). Diese Auffassung wird jedoch u. a. durch die Arbeiten Wilhelm Willes 80 ) widerlegt. Dieser konnte nachweisen, daß im oberen Hörbereich das Intervall-Empfinden von einer bestimmten Grund" ) Gerhard Albersheim, a.a.O., S. 64. ; 4 ) R. Eisler, Wörterbuch der philosophischen Begriffe, Berlin, 4. Aufl., 1928. Eisler übrigens erkennt die Definition des Hörwahrnehmungsfeldes als „Tonraum" selbst nicht an. " ) Jacques Handsdiin, Der Toncharakter, Zürich 1948, S. 244. 7 i ) Der Begriff „Toncharakter" entspricht etwa der Hornbostelsdien „Tonigkeit". " ) Jacques Handsdiin, a.a.O., S. 244. 78 ) Jacques Handschin, a.a.O., S. 244. '•) Jacques Handschin, a.a.O., S. 114; Albert Wellek, Tonpsychologie und Typologie, Ardi. f. d. ges. Psydiol. 111, 1940, S. 117. '•) Wilhelm Wille, Das Verhalten musikalischer Intervalle in mittleren und hohen Tonlagen, Diss. Hamburg 1959 (MS).

13 frequenz an trotz Vergrößerung des Schwingungsverhältnisses konstant bleibt, in höchsten Lagen dagegen überhaupt nicht mehr nachzuweisen ist. In den Vereinigten Staaten hat in neuerer Zeit A. Bachem 81 ) das Problem der Tonhöhen-Dualität aufgegriffen. Bachem unterscheidet die „Lage" vom „Chroma". Unter „Lage" versteht er die Position des Tones innerhalb des Oktavbereiches, während er die musikalischen Tonbezeichnungen als „Chroma" ansieht. Dieses Begriffspaar erinnert an das von Hornbostel geprägte, ist aber weitgehend quantitativ gemeint. So formuliert z. B. Meyer-Eppler 82 ), daß Lage und Chroma die „Grundfrequenz des Schallsignals" festlegen. Allen Deutungen liegt der Sachverhalt zugrunde, daß die Phänomene der Tonhöhen-Erscheinungen je nach Rangfolge eine lineare und eine funktionelle Komponente erkennen lassen. Die einzelnen Auffassungen scheiden sich zunächst an dem Problem, inwieweit diese beiden Seiten als selbständige Eigenschaften anzusehen sind, und an der Frage, ob sie in der objektiven Reizstruktur verankert sind. Die lineare Komponente läuft einer objektiven Frequenzänderung ungefähr parallel und wird in verschiedener Weise durch Analogien zum Optischen beschrieben. Das Phänomen funktioneller Struktur der Tonhöhe erfährt sehr mannigfaltige Deutungen. Von dem Versuch, die Tonhöhen-Strukturierung im Physiologischen zu verankern (Hornbostel), reicht die Skala der Auffassungen über den Zusammenhang mit dem Phänomen der Oktaven-Identität (Revesz, Wellek) und nahezu optisch-räumlicher Interpretation bis zur Annahme historisch entstandener musikalischer „Vergesellschaftung" ohne räumliche Beziehung (Handschin). Durch die Tatsache dieses weiten Deutungs-Spielraumes wird die Frage aufgeworfen, ob das Phänomen „Tonhöhe" wirklich am Akustischen allein zutreffend erklärt werden kann. Vielmehr scheinen die Interpretationen darauf hinzuweisen, daß es sich hierbei um komplexe Formen von Vorstellung und Wahrnehmung handelt, deren Wurzeln weit über die unmittelbare Hörerscheinung hinausgehen. ß. Neuere experimentelle

Beobachtungen

zur

Tonhöhen-Wahrnehmung

Infolge der Vielschichtigkeit des Tonhöhen-Problems neigten manche Vertreter der modernen psychologischen Akustik dazu, die Fragen der Zuordnung zunächst einmal unberücksichtigt zu lassen und sich experimentellen Studien des Phänomens zuzuwenden. Es wurden in den letzten zwanzig Jahren verschiedene Untersuchungen unter Labor-Bedingungen durchgeführt, deren Ergebnisse die Annahme der Tonhöhen-auslösenden Funktion der Grundfrequenz eines Schallvorganges ins Wanken brachten. Während die klassische Resonanztheorie von Helmholtz 83 ) im Anschluß an die ) A. Badiem, Chromafixation at the ends of the musical frequency scale, JASA 20, 1948, S. 704 ff.; ders., Tone height and tone chroma as two different pitdi qualities, Acta psycho]. 7, 1950, S. 80 ff. " ) W. Meyer-Eppler, Die dreifache Tonhöhenqualität, Festschrift Schmidt-Görg, hrsgg. von 81

8S

Dagmar Weise, Bonn 1957, S. 202 ff. ) Hermann von Helmholtz, Die Lehre von den Tonempfindungen . . . , a.a.O.

14 Arbeiten von Georg Simon Ohm 84 ) die Sinusschwingung oder die Grundfrequenz einer harmonischen Reihe als selbstverständliches Tonhöhen-bildendes Element ansah, konnte vor allem Schouten zeigen, daß zu diesem Phänomen der „Grundtonhöhe" mindestens e i n weiteres hinzukommen muß. Zunächst fand er 85 ), daß die Tonhöhe des Grundtones eines zusammengesetzten Schwingungsablaufes auch dann gehört wurde, wenn die Grundschwingung weder physikalisch (als Teilschwingung) noch „subjektiv" (als Differenzfrequenz) vorhanden war. Schouten folgerte daraus, daß nicht allein die im Ohr vorhandene Grundfrequenz eines Schallspektrums den Tonhöheneindruck verursache, sondern daß die Frequenz- und Phasenbeziehungen der Oberschwingungen in einer Weise zusammenwirken, die im Endeffekt die Periode des Grundtones wieder entstehen läßt. In weiteren Experimenten 86 ) verwendete Schouten als Versuchsreiz periodische Impulsfolgen. Er konnte beobachten, daß neben einer Tonhöhenqualität von scharfem Klang ein anderer, weiterer Ton gleicher Tonhöhe zu hören ist. Es ergeben sich daher zwei Komponenten gleicher Tonhöhe, jedoch verschiedener Klangfarbe, die gleichzeitig nebeneinander gehört werden. Wurden nun die unteren Teilschwingungen eines Klangspektrums abgebaut, so blieb die scharfe Komponente unverändert, während der weiche Ton verschwand. Wurde die Intensität des Versuchsschalles verstärkt, so blieb die Tonhöhe der scharfen Komponente konstant, während die der weichen absank 87 ). Somit stellte Schouten zwei Tonhöhen-Komponenten gleichzeitig an einem Schallereignis fest: eine scharf klingende, die offenbar auf periodische Strukturbildung der Oberschwingungen zurückgeht, nennt er „Residuum", während eine weich klingende von ihm mit der bekannten Grundfrequenz-Tonhöhe identifiziert wird. Meyer-Eppler 88 ) spricht von „Grundton" und „Residualton". Letzteren bringt er mit den von Hugo Riemann 89 ) postulierten „Divisionstönen" in Verbindung. Riemann hatte beobachtet, daß bei kleineren Veränderungen eines primären Schwingungsverhältnisses sich die Tonhöhe eines gehörten Kombinationstones unverhältnismäßig stark änderte; er beobachtete ferner, daß die Frequenzen, die diesen Tonhöhen zuzuordnen sind, immer den kleinsten gemeinsamen Teiler der Primärschwingungen bilden 90 ). Daraus leitete er die Bezeichnung „Divisionstöne" ab. ) Georg Simon Ohm, Über die Definition des Tones, nebst daran geknüpfter Theorie der Sirene und ähnlicher tonbildender Vorrichtungen, Pogg. Ann. d. Physik 59, 1843, S. 513 ff. ders., Noch ein paar Worte über die Definition des Tones, Pogg. Ann. d. Physik, 62, 1844, S. l f f . 85 ) J. F. Sdiouten, The perception of subjective tones, Proc. Kon. Nederld. Akad. van W e tensch. 41, 1938, S. 1086 ff. M ) J. F. Schouten, Die Tonhöhenempfindung, Philips' Technische Rundschau 5, 1940, S. 294 ff.; S. 294 ff.; ders., The residue, a new component in subjective sound analysis, Proc. ned. 43, 1940, S. 356 ff., ders., The residue and the mechanism of hearing, Proc. ned. 43, 1940, S. 991 ff. 87 ) Grundfrequenz des Versuchsschalles = 200 Hz. 8S ) W . Meyer-Eppler, a.a.O., S. 208. " ) Hugo Riemann, Die objective Existenz der Untertöne in der Schallwelle (Skizze), Allgemeine Deutsche Musik-Zeitung, II. Jahrg., Cassel 1875, S. 205 ff. und 213 ff. 9 0 ) Hugo Riemann, a.a.O., S. 213; vgl. Hans-Peter Reinecke, Hugo Riemanns Beobachtungen von „Divisionstönen" und die neueren Anschauungen zur Tonhöhenwahrnehmung, Gedenksdirift für Hans Albrecht, hrsg. v. W . Brennedce und H. Haase, Kassel-Basel-London-New-York 1962, S. 232-241; 8


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Vp. DT (Abb. 12): DT, ohne jede Erfahrung im Hören binauraler Versuchsreize, dafür aber durch seinen Beruf als Organist geschult, tastet sich vorsichtig an die Erscheinungen heran. Er bestätigt ohne Zögern Binauraltöne, deren Erscheinung ihm aber zunächst fremd und virtuell vorkommt. Bei näherem Hineinhören werden sie deutlicher, obwohl er von ihrer Realität nicht ganz überzeugt ist: 250 Hz, 5 : 4, t—h: (allererster Versuch) „Also ich höre an sich nur eine Terz, aber die Quinte ist mit dabei. Die Terz ist so vorherrschend dazugekommen, daß mir die Quinte etwas nach Oberton klang." 250 Hz, 5 : 4, h—t: (2. Versuch) „Das ist eigentlich nur noch Terz, obwohl also . . . Ich will vorsichtig sein: Die Quinte klingt — nein, die Quinte klingt mit! Und zwar von hier (links) kommen beide, Terz und Quinte, und von hier (rechts) der Grundton." Ebenso wie DR bemerkt er ein Absinken des Terz-Eindrudces beim Aufbau des Versuchsreizes: 300 Hz, 5 : 4, h—t: „Quint ist klanglich mit dabei. Ich hatte eben das Gefühl, als wenn die Terz erst besser war und dann absackte."

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Vp. HIC (Abb. 13): HIC hat schon früher an Hörversuchen teilgenommen und ist daher mit binauralem Hören ein wenig vertraut. Sie hört geschlossene Intervalle oder Akkorde, ohne aber einzelne Tonhöhen anzugeben. Audi ihr fällt mehrfach auf, daß bei langsamem Aufbau der oberen Primär-Frequenz der Grundton abzugleiten scheint. %J

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Abbildung 16 Vp. LI (Abb. 16): LI gibt neben klaren Beschreibungen von Dreiklängen oder Quartsext-Akkorden einige Details, die auch mit den Aussagen anderer Versuchspersonen übereinstimmen. So weist er bei 250 Hz auf eine Vergrößerung des Primär-Intervalles hin: 250 Hz, 4 : 3, t—h: (obere Primärfrequenz zuerst) „Jetzt ist es eine Quarte, aber der Ton fiel beim Aufblenden noch etwas herunter. Man hatte zunächst den Eindruck, es wäre eine zu groß geratene große Terz. Je stärker er wurde, desto deutlicher näherte er sich der Quart-Empfindung. Die ist jetzt völlig klar, sie fing aber nicht als Quarte an." Manche Versuche vermag LI im Hinblick auf Sekundärtöne nicht genau zu bestimmen: 320 Hz, 4 : 3, h—t: „ . . . und irgend etwas zu der Quarte, aber keine richtige Sexte. Ich möchte sagen: wie ein verbreiteter Ton. Er wirkt verwaschen, ohne daß er undefinierbar wäre." Vp. RI (Abb. 17): RI beschreibt seine Wahrnehmungen ziemlich gleichmäßig. Binauraltöne hört er vornehmlich in mittleren bis tieferen Frequenzbereichen. Die obere Grenze bildet etwa eine Grundfrequenz von 300 Hz. In den 4 : 3-Versuchen hört er weniger als in den 5 :4-Einstellungen. In den 5 :4-Versuchen weist RI mitunter auf eine Unsauberkeit der Primär-Intervalle hin, ohne jedoch näher darauf einzugehen. In den oberen Einstellungen der 4 : 3-Versuche jedoch erscheinen ihm die Quart-Intervalle häufig zu hoch.

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Abbildung 20 Vp. GL (Abb. 20): Der ersten Gruppe kommt die Skala von GL am nächsten. Hier sind die 5 :4-Wahr-

74 nehmungen fast ausnahmslos Dreiklänge; lediglich in höheren Frequenzlagen zeichnet sich schon die bekannte Verkleinerungs-Tendenz ab. In den 4 : 3-Versuchen beobachtet GL mitunter anstelle der gewohnten Dur-Sext auch die kleine Sext oder die Quinte. Daneben weist er besonders auf das Verhalten des jeweiligen Grundtones hin. Wie schon andere Versuchspersonen vor ihm bemerkt er das Absinken des Grundtones beim Aufbau des Versuchsreizes: 250 Hz, 5 :4, h—t: „Der Grundton war tiefer als vorher. Ich hatte sogar das Empfinden, daß ei absackt, während der andere dazukommt." GL weist besonders auf die Schwierigkeiten hin, die einzelnen Töne im Tonhöhenfeld zu lokalisieren: 200 Hz, 5 :4, t—h: „Der Grundton wackelt jetzt, geht nach unten. Das ist ein Gemisch, der ist nicht echt. Es ist ein Doppelton. Ich kann ihn nicht genau lokalisieren. Der Ton ist gefährlich, ich weiß nicht, welcher er ist." Qt» T'i Sei] Okt 6p

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Abbildung 23 Vp. BM (Abb. 23): BM betont mehrfach, daß er sich in seinen Aussagen nicht durch die tatsächlichen Schwingungsverhältnisse beeindrucken läßt, sondern teilt auch scheinbar widersprüch-

76 liehe Eindrücke detailliert mit. Vor allem weist er wiederholt auf die Dualität der Erscheinungen hin"): 250 Hz, 4 : 3, h—t: „Es klingt wie eine Quarte, aber es scheint mir keine zu sein. Es könnte eine kleine Septime sein." In Kenntnis der gebotenen Schwingungsverhältnisse beschreibt er die folgenden Versuche: 300 Hz, 5 : 4, h—t: „Jetzt höre ich ganz genau einen Quartsext-Akkord, ja, ganz genau! Aber ganz komisch: Nicht einen Grundakkord, sondern einen Quartsext-Akkord und zwar die einzelnen Töne." 300 Hz, 4 : 3, h—t: „Oktavig. Komisch: Oktaven! Es ist natürlich keine Oktave, das höre ich auch. Aber es klingt am ehesten wie eine Oktave. Jetzt kommt eine Quarte wieder herein. Es klingt sehr weit auseinander. Ich habe so ein Quarten-Gefühl. Oktave höre ich sehr stark herein. Quinte. Hier ist noch ein Wohlklang mit dabei. Da muß noch Terz bzw. Sexte mit drinnen sein. Ich habe noch ein Wohlklangsgefühl. Ja: Jetzt höre ich einen Quartsext-Akkord." Einmal weist BM auf den fremdartigen Charakter der Eindrücke hin: 350 Hz, 4 : 3, t—h: „Ich habe hier das Gefühl, daß es überhaupt kein musikalisches Intervall ist. Irgendwie zwischen Septime . . . irgend etwas Rauhes."

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Abbildung 24 Vp. DL (Abb. 24): Die Beobachtungen von D L zeigen eine Tendenz zur Distanz-Vergrößerung. Von 20 5 : 4-Versuchen hörte sie 13 auf der Basis der Quarte, während nur 7 Einstellungen Terz-Charakter aufwiesen, davon eines noch mit dem Hinweis „zu groß". In den 4 :3Versuchen ist der Anteil etwas geringer. Immerhin besteht bei 4 :3-Verhältnissen eine deutliche Neigung zur Quinte. Die Höhen der Binauraltöne faßt D L funktionell auf: Entweder lautet die Aussage auf „Dreiklang" oder auf „Quartsext-Akkord", d. h. der Binauralton wird gleichsam „mitgezogen" (vor allem bei 5 :4-Versuchen). ") vgl. Abschnitt „Aussagen über Wesen und Erscheinungsformen der Binauraltöne".

77 e. Ergänzung zu Mehrklängen Einigen Versuchspersonen gelang es, ihre Wahrnehmungen zu analysieren und dazu neben den normalen Binauraltönen — Quinte oder Sext — weitere Tonhöhen zu identifizieren. Mit Ausnahme von MM, der indessen viel privat musiziert, sind alle Versuchspersonen musiktheoretisch interessiert oder besitzen ein geschultes Gehör.

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Vp. JÜ (Abb. 28): J Ü macht zu den meisten Versuchen ausführliche und präzise Angaben, in denen er

80 wiederholt bemerkt, daß die Binauraltöne sozusagen in die Wahrnehmung „hereinschleichen": 300 Hz, 4 : 3, h—t: „Ich höre zunächst die Quarte sehr laut. Die Sexte erscheint nicht sofort, sie erscheint erst hinterher in meinem Ohr, wenn die Oktave vorher dabei war. Aber sie ist jetzt so laut, daß ich sie nicht überhören könnte. Könnte aber akustische Einbildung sein." 400 Hz, 4 : 3, t—h: „Wieder ein Moll-Quartsext-Akkord. Diese Sexte, die verflixte, ist ja komisch I Sie ist doch ganz penetrant, aber man hört ihren Einsatz nicht." Auch er stellt fest, daß Binauraltöne bei nicht zu großen Primär-Intensitäten besser zu hören sind: 400 Hz, 4 : 3, t—h (Fortsetzung): „Die große Septime, aber eine Oktave höher. Wenn Sie leise einsetzen, dann höre ich ihn." Deutlich und ausgeglichen ist im Diagramm von JU die Verringerung der Distanzen bei zunehmender Höhenlage. Einmal weist JU darauf hin, daß die Tonhöhenangaben durch die Hörgewohnheit vorgehender Versuche bis zu einem gewissen Grade mitbestimmt werden: 420 Hz, 4 :3, t—h: „Beinahe schon unreiner Quartsext-Akkord. Die Sexte ist schon so nahe dran, daß man sie beinahe... Nein, Moment, wissen Sie, was ich im Moment meine? Ich bilde mir ein, das ist eine kleine Sexte, da ist sie ein bißchen zu tief. Jetzt bilde ich mir ein, es ist eine Quinte . . . Nein, es ist kein Quartsext-MollAkkord, das ist eine Quarte und eine Quinte. Das ist nicht sauber. Wenn ich einen Moll-Quartsext-Akkord hören will, dann muß ich sie in Gedanken nach oben stemmen." Im Gegensatz zu den meisten anderen Versuchspersonen konnte JU die Binauraltöne auch bis weit über 500 Hz Grundfrequenz einwandfrei verfolgen. Seine Angaben zeigen, daß diese Töne, obwohl sie auch von der Intensität abzuhängen scheinen, sich immer weiter zusammenschieben: 500 Hz, 5 :4, t—h: „Keine saubere Quarte mehr außer der Terz. Terz und eine unsaubere Quarte, meiner Ansicht nach einen Viertelton höher. Jedenfalls zwischen Viertel- und Halbton." Wiederholung: „Das ist jetzt ganz deutlich „Tritonus". f — a — h —, aber da ist noch etwas dazwischen." 500 Hz, 5 :4, h—t: „Das hatte ich mir vorhin auch schon eingebildet, ob da nicht sogar noch ein Tritonus dabei ist." 520 Hz, 5 : 4, t—h: „Terz ist da, klar. Das geht doch beinahe wie ein Glissando hoch (Intensitätszunahme der oberen Primär-Frequenz). Als wenn es von der normalen Quarte hochschleifen würde. Das ist ganz deutlich höher. Er wird lauter, zunächst ganz nahe bei der Terz dran und schleicht sich dann so richtig zum Tritonus herauf. Dann ist da oben auch noch wieder etwas: Das ist noch einmal eine Septime, ganz leise." 520 Hz, 5 :4, h—t: „Wieder dasselbe, daß er sich so hochschleicht, daß ich zunächst denke, es sei eine Quarte, und dann ist es ein Tritonus". 520 Hz, 4 :3, t—h: „Das ist Quarte und Tritonus zusammen im Grunde. Aber so, daß man zu-

81 letzt denkt, wenn der Tritonus laut geworden ist, es wäre beinahe eine Quinte. Aber es ist keine Quinte." 520 Hz, 4 :3, h—t: „Drollig das Phänomen, daß es durch die Lautstärke höher wird. Aber es ist keine Quinte, es sind Quarte und Tritonus." 550 Hz, 5 :4, t—h: „Zuerst eine völlig saubere Terz. Was da oben drüber ist, kann man nicht mehr definieren, es ist ein Flirren." 550 Hz, 5 : 4, h—t: „Ja, ganz deutlich: Glissando über den Viertel ton auf die Quarte auf dem linken Ohr direkt deutlich bis zum Tritonus." Stp Oo!

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STF glaubt femer, daß die Höhe der Binauraltöne trotz gleichbleibender Primär-Intensitäten willkürlich beeinflußt werden könne: 280 Hz, 5 :4, h—t: „Ganz deutlich der Dreiklang, obwohl man diesen mitschwingenden Ton immer sehr variieren kann." 480 Hz, 5 :4, t—h:

82 „Die Terz kann ich wieder nach oben hinschieben, daß es fast eine Quarte wird. Allerdings als Klang dominiert ein Terzklang und ich höre wieder den darunter liegenden Tritonus (f—H)." Vor allem in höheren Lagen hört STF deutlich die von anderen Versuchspersonen ebenfalls beschriebene große Septime, die als Verengung des in tieferen Versuchen auftretenden Oktav-Eindruckes angesehen werden muß. In einigen Fällen verlegt er die Tonhöhen um eine Oktave nach unten, um damit offenbar auf die unterschiedliche Klangfarbe hinzuweisen: 400 Hz, 5 : 4, h—t: „Dreiklang. Es ist ganz merkwürdig. Es ist genauso, wie wenn man auf dem Klavier oft einen Grundton und eine Terz anschlägt und daß man dann den Oberton einer tiefer liegenden Saite hört und nicht den Ton, den jetzt die reale Saite vielleicht etwas verstimmt geben würde; sondern daß man da ganz klar einen Oberton hört. Wenn die Quinte wirklich eingeschaltet würde, käme sie hier ja in ganz anderem Ton heraus, als man sie wirklich hört. Man glaubt, der Ton käme von einer realen Saite; und wenn man sie dann wirklich anzupft, merkt man, daß der Ton nicht von der Saite kommt." Ihm fällt auf, daß sich in hohen Lagen die Distanzen zusammenschieben: 480 Hz, 5 :4, h—t: „Eine reine Quarte ist es nie oben. Aber es schwankt immer zur Quarte hin. Ich habe das Gefühl, als wenn jetzt diese oberen Intervalle zusammenrutschen, daß jetzt dieser Zwischenraum zwischen Terz und Quarte liegen muß und jetzt Quarte und große Terz zusammenrücken." Kontrollversuche

unter geänderten

Bedingungen

Die bisher beschriebenen Versuche wurden unter den eingangs erläuterten Bedingungen durchgeführt, um die Wahrnehmung von Binauraltönen oder binauralen AkkordQualitäten von einer möglichst großen Zahl von Versuchspersonen bestätigen und darstellen zu lassen. Veränderte Voraussetzungen dienten dem Zweck, weitere Aufschlüsse über diese Phänomene zu erhalten. Einige der Versuchspersonen konnten keine besonderen binauralen Erscheinungen wahrnehmen und erhielten daraufhin Versuchs-Einstellungen, in denen drei statt zwei Primär-Schwingungen verwendet wurden. Andere Stichproben sollten die Wahrnehmung von binauralen Qualitäten unter anderen Bedingungen erhärten: In einer Versuchsreihe wurden statt der oberen die untere Schwingung langsam aufgebaut, in anderen Versuchsreihen verzerrte (Oberschwingungs-haltige) Primärtöne verwendet; endlich beobachtete STF neben 5 : 4 und 4 : 3 andere ganzzahlige Schwingungsverhältnisse. Drei statt zwei

Primär-Schwingungen:

Aus den Beobachtungen der Versuchspersonen DN, GT, HZ und R F ist nicht mit Sicherheit zu schließen, daß sie Binauraltöne gehört haben. Oft wiederholte VersuchsEinstellungen ergaben lediglich Intervall-Bewertungen. Deshalb war zu untersuchen, wie diese Beobachter auf drei Primär-Schwingungen reagieren würden. Um eine Annäherung an die vorangegangenen Wahrnehmungsbilder zu erreichen, wurden die Schwingungen in den Verhältnissen 4 : 5 : 6 oder 3 : 4 : 5 dargeboten und die beiden oberen zusammen auf ein Ohr gegeben. Nach Erklingen der Grundfrequenz wurde das für das andere Ohr bestimmte Schwingungsverhältnis langsam aufgebaut. Hier zeigte sich nun die erstaunliche Tatsache, daß die Versuchspersonen auch die Darbietung dreier Frequenzen in den meisten Fällen als Intervall hörten. DN hörte z. B. bei 180 Hz, 4 : 5 : 6 , t—h mit gleicher Intensität aller drei PrimärSchwingungen einmal eine große Terz, ein andermal eine Quinte. In der Umkehrung

83 hörte er eine große Terz bei einer Primär-Intensität der obersten Schwingungen von —7 dB gegenüber den beiden unteren Schwingungen. Bei 200 Hz hörte DN noch Intervalle, wenn die obere Schwingung etwa um 10 dB unter den übrigen lag. In den Einstellungen 3 : 4 : 5 hörte DN trotz gleicher Intensitäten aller drei Schwingungen in den meisten Fällen nur Intervalle. GT hörte in verschiedenen Versuchen dieser Art bei einer Intensität von —10 bis —15 dB der oberen Schwingung ebenfalls Intervalle. HZ hörte schon bei einem Intensitätsunterschied der dritten Frequenz gegenüber den unteren von ca. 17 bis 25 dB Mehrklänge, desgleichen RF, dessen Werte bei durchschnittlich —20 dB lagen. Unter diese Gruppe fallen auch die Wahrnehmungen von ES, der abgesehen von vereinzelten Binauraltönen eine Reihe von Einstellungen mit drei Schwingungen als Intervalle darstellte, zum großen Teil sogar bei gleich großen Intensitäten. Diese Kontrollversuche lassen bei vorsichtiger Einschätzung den Schluß zu, daß die Wahrnehmung von binauralen Erscheinungen auch von analytischer Hörgewohnheit abhängt. Obere Primär-Frequenz

wird zuerst

dargeboten:

Zur Frage, ob sich aus der Umkehrung der Reihenfolge der gebotenen PrimärSchwingungen etwa Abweichungen der Wahrnehmungen ergeben, waren Kontrollversuche notwendig. Zuerst wurde die obere Schwingung eingeschaltet, dann folgte die untere langsam nach. Den Schwingungsverhältnissen 5 : 4 und 4 : 3 wurde in diesen Versuchen mit J Ü und S T F ein weiteres mit 6 : 5 hinzugefügt 26 ). _ i II CK

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Abbildung 35

STF beobachtet neben den scharfen Primärtönen eine große Anzahl von Binauraltönen. Die Neigung zur Distanz-Verkleinerung zeigt sich auch hier: so bei 300 Hz, 5 :4, statt „Quint" ein Tritonus, in den 4 :3-Einstellungen allerdings mehrfach eine normale große S e i t Aussagen über die Wahrnehmungen: Die Höreindrücke von JU und STF haben manche Ähnlichkeit. Vor allem die Primärtöne erscheinen ausgeprägter; JÜ führt dazu aus:

86 JÜ:

350 Hz, 5 : 4, h—t: „Die Töne sind irgendwie eindringlicher, obwohl Sie sie gar nicht lauter geben. Mehr Material: ich sagte ja, Oboentöne, so etwas scharf." Demgegenüber erscheinen die Binauraltöne beiden hohl, mager oder dünn: JÜ: 300 Hz, 5 : 4, h—t: „d rechts, fis links. Das ist aber wirklich das Gleiche, daß eine Sekunde dabei liegt, aber nicht ganz sauber irgendwie. So dumpf und so hohl, hinter einem Vorhang gespielt." STF: 250 Hz, 5 : 4, t—h: „Der Klang ist sehr viel ärmer geworden. Ich höre den Grundton, Terz und Quint. Die Quint ist ganz mager. Sie klingt, als wenn ihr die Musik aus dem Rücken geschnitten wäre. Ein Klang ohne Mark." JÜ: 250 Hz, 5 : 4, h—t: JÜ vergleicht den Eindruck der Binauraltöne mehrfach mit dem Klang einer Flöte: „ . . . Das wäre, als wenn rechts eine tiefe Oboe spielen würde und links auch und da wäre noch so ein Flageolett, ein tiefer Flötenton oben drüber, so ein dumpfer..." 350 Hz, 4 : 3 , h—t: „Rechts f, b links. Ja, dieselbe Sache, daß da so ein schummeriges c, noch eine schummerige Quinte, liegen würde. Also: f—b—c. Aber eben so ein Flötenton, so ein dumpfer: Strawinski, tiefe Flötenlage, Psalmensymphonie." S T F beobachtet in zwei Fällen, daß gleichzeitig zwei verschiedene Qualitäten einer Tonhöhe nebeneinander bestehen27): STF: 300 Hz, 5 : 4, h—t: „Die Terz ist in zwei Farben gegeben. Einmal dieses Helle und einmal dieses Satte. Und das wirkt sich dann auf diesen Tritonus aus". 300 Hz, 4 : 3, t—h: „Einmal klingt eine reine Quarte, einmal klingt eine sehr unsaubere Quarte . . . " Die Versuche haben ergeben, daß auch bei Darbietung verzerrter Schwingungen Binauraltöne gehört werden; sie unterscheiden sich jedoch stärker von den Primärtönen als in den Versuchen mit Sinusschwingungen. 1].

Zusammenfassung

Mehrere Gruppen von Beobachtern unterscheiden sich in bestimmten Einzelheiten ihrer Beobachtungen: Die größte Gruppe setzt sich aus Versuchspersonen zusammen, deren Wahrnehmungen sich im allgemeinen auf Dreiklänge oder Quartsext-Akkorde beschränken. Die zu erwartenden Tonhöhen werden durch Binauraltöne von Quint(5 : 4) oder Sext- (4 : 3) Charakter ergänzt. Zu dieser Gruppe gehört mehr als die Hälfte der Versuchspersonen. Eine kleine Gruppe (6 Vpn.) hört Binauraltöne minderer Einheitlichkeit; eine weitere (ebenfalls 6 Vpn.) beschreibt diese binauralen Qualitäten in großer Anzahl. Drei Versuchspersonen gaben häufiger Distanzfehler an; vier Beobachter dagegen hörten keine binauralen Qualitäten; auch bei Verwendung einer dritten Primär-Schwingung bestätigten sie zumeist nur Intervall-Wahrnehmungen. Kontrollversuche " ) vgl. S. 60 ff.

ergaben

im

wesentlichen

die

gleichen

Erscheinungen:

87 Binauraltöne wurden gehört, wenn die Reihenfolge der dargebotenen Schwingungen vertauscht war, bei verzerrten Primär-Schwingungen und auch bei anderen ganzzahligen Schwingungsverhältnissen. KAPITEL III: BINAURALE HÖRVERSUCHE MIT INTENSITÄTSKONSTANTEN PRIMÄR-FREQUENZEN, DEREN ABSTAND STUFENWEISE GEÄNDERT WIRD Schon während der Versuche mit Schwingungen konstanter Frequenz zeigte sich, daß die Wahrnehmung von Distanzen oder Intervallfarben in einem gewissen Zusammenhang zur Dauer des gebotenen Reizes steht. So wurden Parallel-Versuche unternommen, die darüber Aufschluß geben sollten, inwieweit das Hörerlebnis mit einer stufenweisen Frequenzänderung der oberen Primär-Schwingung korreliert. Da die Versuchspersonen beim binauralen Hören sich nicht an Schwebungen orientieren konnten28), waren sie allein darauf angewiesen, den zu einer Einheit verschmelzenden binauralen Klang in seinem Distanz- und Reinheits-Charakter zu deuten. Bei diesen Versuchen zeigten sich überraschende Ergebnisse. Es stellte sich heraus, daß zwischen den eingestellten Schwingungsverhältnissen und den jeweils gehörten Intervallen oder Akkorden kein fester Zusammenhang mehr bestand. Vielmehr eilten die Distanzen, Intervall- oder Akkord-Qualitäten den bei einzelnen Schwingungsverhältnissen zu erwartenden Abständen voraus; bei langsamer Vergrößerung der Frequenz-Abstände wurden die Qualitäten zu weit eingeschätzt, während sie bei zunehmender Verkleinerung enger als erwartet gehört wurden. jf 1:

Versuchsbedingungen a. Zur Methode

Die Bedingungen waren etwa die gleichen wie in den vorangegangenen Versuchen. In den früheren Versuchen wurde zunächst das Schwingungsverhältnis 5 : 4 eingestellt, sodann die obere Primär-Frequenz langsam erhöht. Die Schwingungszahlen konnten am dekadischen Meßgenerator auf 1 Hz genau abgelesen werden. Zunächst wurden während des Versuchsablaufes einzelne Pausen eingelegt, während derer die Frequenz-Distanz nicht weiter vergrößert oder verkleinert wurde. Die Versuchspersonen hatten so die Möglichkeit zu weiterem Einhören. Nachdem sich eine Abhängigkeit der Größenschätzung von der ÄnderungsGeschwindigkeit zeigte, wurde die Frequenz der oberen Primär-Schwingung möglichst gleichmäßig geändert. Da ferner die Gesamtbreite des VersuchsSpielraumes die Höreindrücke beeinflußte, war der Frequenz-Bereich bis zur Grenze einer gleichmäßigen Umschaltmöglichkeit des Generators zu erweitern29). ") Schwebungs-ähnliche binaurale Erscheinungen entstehen nur bei Einwirkung zweier Schwingungen gleicher Frequenz. *') Die Umschaltung des Meßgenerators (Wandel & Goltermann, vgl. Anhang: „Beschreibung der Versuchsanordnung") machte Schwierigkeiten, weil die Schwingungszahlen mit Hilfe dreier dekadisch wirkender Stufenschalter (1 Hz-, 10 Hz-, 100 Hz-Stufen) eingestellt werden mußten. Mitunter waren zwei oder sogar drei Schalter für die Frequenzänderung zu betätigen. Traten dabei Pausen ein, so wurde dadurch der Distanz-Eindruck verändert.

2

88 In den Versuchen sollten lediglich die Labilität der Übergänge zwischen verschiedenen musikalischen Qualitäten gezeigt, nicht aber objektive Grenzen ermittelt werden. Bei den letzten Versuchen dieser Art wurden die Primär-Frequenzen auf eine breite und günstige Spanne der möglichen Distanzen abgestellt: Als Grundfrequenz wurde 260 Hz gewählt; die obere Primär-Frequenz war zwischen 300 Hz und 410 Hz nunmehr einigermaßen kontinuierlich umzuschalten, so daß den Versuchspersonen eine Distanzspanne von ca. 250 Cents bis 800 Cents geboten werden konnte. b. Versuchspersonen Für die beschriebenen Versuche standen als Versuchspersonen zur Verfügung30): Rudolf A u e (AU) Dr. Erich Herbert B e u r m a n n (BM) cand. phil. Ursula B ö t t i c h e r (BT) cand. phil. Christa D r i e s c h e l (DL) Dr. Konstantin F l o r o s (FL) Dr. Jobst F r i c k e (FR) Dr. Gerhard G e l l r i c h (GL) Dr. Hans-Otto H i e k e l (HI) Prof. Dr. Heinrich H u s m a n n (HN) Jürgen J ü r g e n s (JÜ) Dr. Hans-Gerhard L i c h t h o r n (LI) cand. phil. Gerd P l o e b s c h (PL) cand. phil. Werner Q u e r f e l d (QU) Gerhard R i e t h m ü l l e r (RI) cand. phil. Ernst S c h a a c k (SCHA) stud. phil. Walter S t e f f e n s (STF) stud. jur. Gerhard W i n t e r s (WN) jf 2: Ergebnisse Unter den vorgenannten Bedingungen wurden rund 50 Versuche durchgeführt, die sich in drei Gruppen gliedern lassen: 1. Versuche mit Sinusschwingungen im engen Distanz-Bereich, etwa von 350 Cents bis 550 Cents, bei ungleichmäßiger ÄnderungsGeschwindigkeit; 2. Versuche mit Sinusschwingungen in einem erweiterten DistanzBereich, ca. 250 Cents bis ca. 790 Cents, mit gleichmäßiger Änderungs-Geschwindigkeit; 3. Versuche wie unter (2), jedoch mit stark verzerrten PrimärSchwingungen. a. Voreilen

der wahrgenommenen Intervall-Qualitäten, Mittelwerts-Diagrammen

dargestellt

an

Die Ergebnisse der Wahrnehmungen wurden wie üblich in Diagrammen *•) vgl. die näheren Hinweise im Kap. II, b.: „Versuchspersonen", S. 39 ff.

89 dargestellt. Als Grenzen der Intervall-Bereiche gelten die arithmetischen Mittelwerte von Frequenz-Distanzen, innerhalb derer Intervall-Qualitäten gehört wurden. In den folgenden Diagrammen sind die Grenzwerte in Cents mit angegeben81), während jeder einzelne Intervall-Bereich mit einer zugeordneten Schraffur versehen wurde. In vielen Fällen hörten die Versuchspersonen an Stelle von Intervallen Akkorde; diese Wahrnehmungen wurden in den Mittelwerts-Skalen mit den Intervallangaben zusammengezogen. An den Mittelwerts-Diagrammen (Abb. 36) heben sich vor allem zwei Eigentümlichkeiten heraus: einerseits die Tendenz zum „Vorauseilen" des Intervalloder Akkord-Eindrucks gegenüber dem erreichten Frequenz-Abstand, andererseits die Tatsache, daß bestimmten Qualitäten verhältnismäßig breite DistanzZonen entsprechen. Die Wahrnehmungen werden unter diesen Bedingungen nicht mehr allein von den Frequenzabständen bestimmt, sondern auch von den Variablen des Versuchsreizes: von der Geschwindigkeit, mit der die Abstands-Änderung der PrimärSchwingungen vorgenommen wird und von dem gesamten Bereich der kontinuierlich durchlaufenen FrequenzAbstände. Abhängigkeit

der Wahrnehmungen

von der

Variations-Geschwindigkeit:

Die Versuche der Gruppe I (Abb. 36) wurden ohne bestimmte ÄnderungsGeschwindigkeiten vorgenommen. Das „Vorauseilen" zeigt sich erst nach einem Anlaufstadium. Wurde hingegen der Versuch im Distanz-Bereich eines bestimmten Intervalle begonnen (z. B. die Vergrößerungs-Versuche der Gruppe I), so dehnte sich der Intervall-Eindruck zumeist über das ganzzahlige Schwingungsverhältnis hinweg aus. In den Versuchen der Gruppe II mit kontinuierlicher Änderungs-Geschwindigkeit ist das „Vorauseilen" besser zu erkennen. Die unter gleichen Bedingungen wie Gruppe II vorgenommenen Versuche mit verzerrten Primär-Schwingungen (Gruppe III) tendieren in etwas abgeschwächter Form in die gleiche Richtung. Abhängigkeit

der Wahrnehmungen

von der Distanzbreite

des Versuchs:

Neben der Änderungs-Geschwindigkeit wirkt die Gesamtbreite der durchschrittenen Distanzen auf die Wahrnehmungen ein. Ein Vergleich vor allem der Distanz-Verkleinerung der zweiten Gruppe mit der ersten läßt die Beteiligung des erweiterten Distanz-Spielraumes an der Verschiebung der Intervall-Bereiche erkennen. Die in der Vergrößerung und in der Verkleinerung entstehenden Bereiche weichen so weit voneinander ab, daß sie um nahezu ein Intervall verschoben erscheinen. In der folgenden Übersicht sind die arithmetischen Mittelwerte nebeneinander gestellt: Sl )

Die Cents-Werte wurden erredinet mit Hilfe der Fünf- und siebenstelligen von Heinrich Husmann, Leiden 1951.

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