Virtuelle Instrumente im akustischen Cyberspace: Zur musikalischen Ästhetik des digitalen Zeitalters [1. Aufl.] 9783839421758

Musikalische Strukturen sind im Digitalen dem Zwang medialer und interkultureller Anschlussfähigkeit einer informatorisc

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Inhalt
1. Musik im digitalen Zeitalter
2. Virtualität der Ästhetik – Ästhetik der Virtualität
Das Modellieren im Virtuellen
Die Ästhetik des Digitalen
Mediale Realität des Virtuellen
Virtuelle Ästhetik der Musik
3. Ästhetische Dispositive virtueller Musikinstrumente
Näherungen ästhetischer Virtualität
Physical Modeling virtueller Instrumente
Die ästhetische Praxis virtueller Instrumente und ihre technische Realisierung
4. Automaten und Maschinen in der Musikgeschichte
Automaten
Zur medialen Genealogie der Automaten
Mediale Selbsttätigkeit musikalischer Automaten
Die Welt als Automat
Musik-Automaten als Maschine und Instrument
Exkurs: Die Orgel als mediales Dispositiv automatisierter Klangerzeuger
5. Konturen des akustischen Cyberspace
Räumliche und zeitliche Formen im Virtuellen
Der Futurismus digitaler Maschinenmusik
Die technische Medialität der Musik
Virtuelle Modelle als Repräsentation des Akustischen
Übersetzungen Originalzitate
Literaturverzeichnis
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Virtuelle Instrumente im akustischen Cyberspace: Zur musikalischen Ästhetik des digitalen Zeitalters [1. Aufl.]
 9783839421758

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Michael Harenberg Virtuelle Instrumente im akustischen Cyberspace

MedienAnalysen Herausgegeben von Georg Christoph Tholen | Band 14

Editorial Medien sind nicht nur Mittel der Kommunikation und Information, sondern auch und vor allem Vermittlungen kultureller Selbst- und Fremdbilder. Sie prägen und verändern Konfigurationen des Wahrnehmens und Wissens, des Vorstellens und Darstellens. Im Spannungsfeld von Kulturgeschichte und Mediengeschichte artikuliert sich Medialität als offener Zwischenraum, in dem sich die Formen des Begehrens, Überlieferns und Gestaltens verschieben und Spuren in den jeweiligen Konstellationen von Macht und Medien, Sprache und Sprechen, Diskursen und Dispositiven hinterlassen. Das Konzept der Reihe ist es, diese Spuren lesbar zu machen. Sie versammelt Fallanalysen und theoretische Studien – von den klassischen Bild-, Tonund Textmedien bis zu den Formen und Formaten der zeitgenössischen Hybridkultur. Die Reihe wird herausgegeben von Georg Christoph Tholen.

Michael Harenberg (Dr. phil.) lehrt Komposition und Medientheorie an der Hochschule der Künste in Bern. Seine Arbeitsschwerpunkte sind digitale Soundcultures, experimentelle Interfaces und kompositorische Virtualitätsmodelle des Digitalen.

Michael Harenberg

Virtuelle Instrumente im akustischen Cyberspace Zur musikalischen Ästhetik des digitalen Zeitalters

Die vorliegende Publikation wurde unterstützt durch die Hochschule der Künste Bern.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2012 transcript Verlag, Bielefeld

Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggrafik und -gestaltung: Denise Ritter Redaktion & Lektorat: Iris Rennert, Michael Harenberg Korrektorat & Satz: Iris Rennert Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 978-3-8376-2175-4 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhalt

1. Musik im digitalen Zeitalter | 7 2. Virtualität der Ästhetik – Ästhetik der Virtualität | 23 Das Modellieren im Virtuellen | 23 Die Ästhetik des Digitalen | 31 Mediale Realität des Virtuellen | 42 Virtuelle Ästhetik der Musik | 64

3. Ästhetische Dispositive virtueller Musikinstrumente | 79 Näherungen ästhetischer Virtualität | 79 Physical Modeling virtueller Instrumente | 93 Die ästhetische Praxis virtueller Instrumente und ihre technische Realisierung | 104

4. Automaten und Maschinen in der Musikgeschichte | 133 Automaten | 133 Zur medialen Genealogie der Automaten | 138 Mediale Selbsttätigkeit musikalischer Automaten | 144 Die Welt als Automat | 149 Musik-Automaten als Maschine und Instrument | 157 Exkurs: Die Orgel als mediales Dispositiv automatisierter Klangerzeuger | 173

5. Konturen des akustischen Cyberspace | 181 Räumliche und zeitliche Formen im Virtuellen | 181 Der Futurismus digitaler Maschinenmusik | 190 Die technische Medialität der Musik | 199 Virtuelle Modelle als Repräsentation des Akustischen | 211

Übersetzungen Originalzitate | 225 Literaturverzeichnis | 233

1. Musik im digitalen Zeitalter

Der Umgang mit Musik hat sich in den letzten Jahren drastisch verändert. Wie wir Musik hören, wie wir sie produzieren und in welchen Formen und Kanälen sie verbreitet wird, war seit der Erfindung der mechanischen Schallaufzeichnung ab 1830 nicht mehr solchen grundlegenden Veränderungen unterworfen. Das kann zwangsläufig auch Fragen musikalischer Ästhetik und ihrer künstlerischen Inhalte nicht unberührt lassen. Kompositionstheoretische und ästhetische Fragen stehen genauso zur Disposition wie diejenigen traditioneller Systeme, Formen und Strukturen. In diesem Zusammenhang sind auch die relativ jungen Genres wie Klangkunst, Soundscapes und Sound Art zu sehen. Sie weisen darauf hin, dass mit dem epochalen Wechsel zur Klangspeicherung im Realen Ende des 19. Jahrhunderts Sound als neues mediales Objekt überhaupt erstmals Gegenstand musikalischer Gestaltung durch Audio-(Re-)Produktionsmedien werden konnte. Zu Beginn dieser Verfahren und Strategien wie sie in elektronischen Studios immer weiter entwickelt wurden, stehen radiophone Werke und medienspezifische Arbeiten für die Reproduktionsmedien Walze, Schallplatte und Tonband. In der Tradition der Futuristen und Suprematisten kommt es zu einem emanzipatorischen Umgang mit Geräuschen, die seit dem Mittelalter aus der europäischen Kunstmusik verbannt worden sind. In Verbindung mit synthetischen Klängen ergeben sich grundlegende Grenzverschiebungen im Umgang mit Musik sowie auch das mediale Nebeneinander mit anderen Künsten, mit denen etwa in Bezug auf die Auflösung des Werkbegriffs und der Entgrenzung des künstlerischen Materials viele Gemeinsamkeiten existieren. Die weitreichenden Folgen der Medialisierung von Klang sind ebenfalls im kompositorischen Umgang mit Formen, Strukturen und ästhetischen Konzepten

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spürbar, bis schließlich unser traditionelles Verständnis von Musik gänzlich in Frage gestellt wird.1 Dabei geht es heute weniger um das romantische Erbe einer künstlerischen Avantgarde als vielmehr um ästhetische Entwicklungspotenziale künstlerisch-medialer Dispositive, welche Alternativen jenseits der bürgerlichen Musikkultur sichtbar werden lassen und in denen zunehmend Bedeutung und bloße Funktion technischer Medien an jene Stelle gesetzt werden, die früher den künstlerischen und musikalischen Inhalten zukam. Wenn die Welt vor allem als ein Konstrukt medialer Zeichenprozesse und ihrer Machtverhältnisse wahrgenommen wird, laufen Strategien zeitgenössischer Musik zwangsläufig ins Leere. Die durch Massenmedien geprägte Weltsicht stellt die Frage nach dem Verhältnis von technischen und künstlerischen Medienformen in einer neuen Qualität, obwohl die aktuellen medialen Praktiken vor allem in ästhetischen, künstlerischen und kulturellen Experimenten vorbereitet und erprobt wurden.2 Ästhetische Erkenntnis auf das Ergebnis eines abstrakten Technikfortschritts zu reduzieren, greift eindeutig zu kurz. Es lässt sich historisch aufzeigen, dass sowohl von der konkreten künstlerischen Praxis als auch von den damit einhergehenden ästhetischen und kulturellen Utopien entscheidende Anstöße für die Entstehung jeweils aktueller Medienformen ausgingen, ebenso wie die Auswirkungen von Medieninnovationen oftmals ihre erste experimentelle Anwendung in Kunstwerken finden. Darüber hinaus kann man am Beispiel computergenerierter Musik zeigen, wie künstlerisch-ästhetische Erkenntnisformen sogar konstitutiv für das Verständnis komplexer Medienphänomene sein können. Künstlerische Sensibilität und ihre spezifische Aufmerksamkeit für ästhetische Prozesse könnten sich als ein universelles Sensorium zur Orientierung in ansonsten referenzlos gewordenen komplexen Zeichenumgebungen erweisen und auch jenseits künstlerischer Anwendungen, beispielsweise in Bezug auf die Frage nach einer Theorie der Virtualität, für grundlegende erkenntnistheoretische Fragen relevant sein. Generell gilt weiter, was Kittler zugespitzt auf die medientechnische Fixierung ästhetischer Fragestellungen in Bezug auf eine ars technologica allgemein formuliert hat und was bisher als ein Primat inhaltlich-ästheti1 | H. Lehmann: »Digitale Infiltrationen. Die gehaltsästhetische Wende der Neuen Musik«, in: Schweiz. Tonkünstlerverein (Hg.), Dissonanz Nr. 117/2011, S. 4-10. 2 | Vgl. D. Daniels (Hg.): Kunst als Sendung.

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scher Setzungen aller Künste gelesen werden kann – die allerdings fraglich zu werden beginnt. »Dem Normengeflecht [der elektronischen Kommunikation, MH] gegenüber kommen aber auch jene selbsternannten Künstler, die im Radio Radiokunst oder auf dem Computer Computerkunst versprechen, immer schon zu spät. Das Medium als durchstandardisiertes Interface hat, lange vor jeder Einzelproduktion, nicht bloss diejenigen Entscheidungen bereits getroffen, die einstmals im freien Ermessen von Künstlern oder Handwerkern lagen, sondern eben auch Entscheidungen, deren Effekte die Wahrnehmung gar nicht mehr kontrollieren kann. […] Es gibt also keine Medienkunst, sondern nur eine Kunst der Medien, die die Umwelt mit ihren Normen überzieht.«3

Wir befinden uns bis heute – in der Tradition der turingschen Universalmaschine – in einem Stadium der Simulation und Nachahmung jeglicher Technologien in digitalen Medien, ohne dabei zu bemerken, dass die so entstandenen Artefakte als Differenzen im Symbolischen etwas von ihren analogen Vorbildern zu Unterscheidendes sind und damit auch etwas ganz anderes tun, als es die fotorealistischen Monitor-Oberflächen ehemals analoger Interfaces vertrauter Hard- und Software vorzugeben versprechen. Um diese Phänomene wie eine zweite, vermeintlich analoge Realität im Digitalen erscheinen zu lassen, benutzen wir Metaphern, wie z.B. die Apostrophierung des Internet als »neuronales Netz«, »globales Gehirn« etc., und verfehlen damit das Problem im Ansatz.4 So wie in allen neuen Medientechnologien nach McLuhan immer auch Teile und Reste der Vorgängertechnologien aufgehoben sind, kann z.B. auch ein Computer als »Telefon«, »Fax«, »Kopierer« oder »Fernseher« etc. genutzt werden, ohne dass in der hybriden multiplen Funktionalität schon das qualitativ Neue des Wesens dieser Technologie beschrieben und erkannt wäre. Technologisch prozessieren kleine Einheiten stark eingegrenzter schwacher Intelligenz völlig unbemerkt in den Programmen von Synthesizern, Effektgeräten, MP3-Playern, Software-Sequenzern, Steuerinterfaces etc. eine hypertrophe Realität des Digitalen. In Bezug auf Kunst, Musik und Ästhetik befinden wir uns damit weniger an der Schwelle »post-digitaler« 3 | F.A. Kittler (Hg.): Optische Medien. Berliner Vorlesung 1999. 4 | Vgl. H. Winkler (Hg.): Docuverse. Zur Medientheorie der Computer; G.Ch. Tholen (Hg.): Die Zäsur der Medien. Kulturphilosophische Konturen; H. von Foerster: »Wahrnehmen wahrnehmen«, in: Ars Electronica Linz (Hg.), Philosophie der neuen Technologie, S. 33.

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Künste als vielmehr am Ende einer als digitale Prä-Renaissance zu beschreibenden Phase der Exploration und ersten Aneignung des neuen Mediums.5 Die Simulation bekannter Techniken und Verfahren hilft bei den ersten künstlerischen Gehversuchen in einer fremden Umgebung. Sie lässt allerdings noch keine Rückschlüsse auf die Spezifik und »Tiefentechnik« (Bense) des neuen Mediums zu, um die es hier gehen soll. Im Zusammenhang mit der Ästhetik zeitgenössischer Musikproduktionen ist es hilfreich, sich von einer vorherrschenden technischen Sichtweise auf Hard- und Software zu lösen und eine Perspektive einzunehmen, die den Computer selbst als Medium betrachtet und damit seine mediale und kulturelle Disposition in Form einer neu zu beschreibenden »zwischen-gegenständlichen Divergenz« des Symbolischen, inmitten von ästhetischen Dispositiven kultureller Kunstproduktion und musikalischem Artefakt, sichtbar werden lässt. Also die ästhetischen Implikationen, die dieses historisch noch sehr junge und künstlerisch erst in Ansätzen erprobte Universal-Medium aus seiner zwischen-materiellen Disponiertheit heraus provoziert. Damit ist Musik nicht mehr genau das, was sie bis jetzt immer war, sondern das Resultat komplexer technischer, medialer und symbolischer Interaktionen, was erhebliche ästhetische Konsequenzen nach sich zieht, die aber nur noch zu einem gewissen Teil musikimmanent erzählt werden können. Ergänzt werden müssen die konstitutiven Rahmenbedingungen der aus technikkulturellen Dispositiven resultierenden Medienphänomene der jetzt ganz Technik gewordenen »Ökotechnie« (Nancy). Indem formale wie ästhetische Potenziale künstlerischer Prozesse weitgehend automatisiert und damit an eine außer-ästhetische Instanz delegiert werden, stellt sich das Problem der Technizität und des ontologischen Status von Maschinen als die historische Frage nach dem Status ihrer spezifischen Medialität neu – was verallgemeinert zur grundlegenden Frage nach der Medialität der Medien als Dekonstruktion der Frage nach ihrem Ort führt.6 5 | Vgl. K. Cascone: »The Aesthetics of Failure: ›Post-Digital‹ Tendencies in Contemporary Computer Musikc«, in: Computer Music Journal, 4/2000, S. 12-18. 6 | Zur Medialität der Medien vgl. G.Ch. Tholen: »Medium, Medien«, in: A. Roesler/B. Stiegler (Hg.), Grundbegriffe der Medientheorie, S. 150f.; St. Münker/A. Roesler/M. Sandbothe (Hg.): Medienphilosophie. Beiträge zur Klärung eines Begriffs; Tholen: Die Zäsur der Medien, a.a.O. [s. Anm. 4]; M. Warnke/W. Coy/G.Ch. Tholen (Hg.): HyperKult. Geschichte, Theorie und Kontext digitaler Medien; S. Schade/G.Ch. Tholen (Hg.): Konfigurationen. Zwischen Kunst

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Je nach starker oder schwacher Definition sind Medien Mittel oder Mittler und nach McLuhan gar ihre eigene Botschaft.7 Medien stellen nach Claus Pias die Informationen, die sie speichern, verarbeiten und vermitteln jeweils unter die Bedingungen, die sie selbst schaffen und darstellen.8 Dabei kommunizieren sie neben Ereignissen immer zugleich sich selbst auch als Ereignis mit. Denn es sind letztlich immer Medien und die Technologien ihres jeweiligen Erscheinens, welche die Grenzen von Sagbarem und Unsagbarem, Sichtbarem und Unsichtbarem, Ordnung und Differenzlosigkeit ziehen und damit die Grenzen bestimmen, die historisches wie theoretisches Wissen erfahrbar werden lassen können. Als blinder Fleck in unserer Wahrnehmung sind Medien allerdings bestenfalls als Reflexe ihrer mittelbaren Medialität kenntlich. Daher gibt es keine mediale Schau und kein beobachtbares mediales Außen, sondern nur Aufenthalte im Medium oder ein Verweilen auf der Ebene seiner Spuren.9 Bei den Effekten der Medialität des Medialen geht es also nicht nur um Inhalte, sondern auch um die Codierung von Diskursbedingungen. Es geht nicht um Kommunikation oder Vermittlung, sondern um das Oszillieren zwischen Aufschub, An- und Abwesenheit. Daher wäre mit Baudrillard vor dem Dispositiv eines medialen Totalitarismus zu warnen, der wie in einem autoreflexiven Feedback nur erkennen kann, was immer schon von Medien oder Codes formatiert, gespeichert und übertragen worden ist. Andererseits – darauf hat Georg Christoph Tholen mehrfach verwiesen – kann der Status des Medialen nicht im Kontext einer Teleologie eindimensionaler Zweckbestimmungen erklärt werden, weswegen auch anthropologische, instrumentalistische und systemtheoretische Ansätze in der Definition der Medialität des Medialen da zu kurz greifen, wo sie die Medialität technischer Medien als Prothesen des Menschen bzw. diesen

und Medien; J. Schröter/A. Böhnke (Hg.): Analog, Digital – Opposition oder Kontinuum? Zur Theorie und Geschichte einer Unterscheidung; C. Pias et al. (Hg.): Kursbuch Medienkultur. Die maßgeblichen Theorien von Brecht bis Baudrillard; S. Krämer (Hg.): Medium, Bote, Übertragung. Kleine Metaphysik der Medialität; Winkler: Docuverse, a.a.O. [s. Anm. 4]. 7 | Vgl. M. McLuhan (Hg.): Die magischen Kanäle. Understanding media. 8 | Vgl. Pias et al.: Kursbuch Medienkultur, a.a.O. [s. Anm. 6]. 9 | Vgl. S. Krämer: »Das Medium als Spur und als Apparat«, in: dies. (Hg.), Medien, Computer, Realität. Wirklichkeitsvorstellungen und Neue Medien, S. 73-94; G.Ch. Tholen/M. Scholl (Hg.): Risse und Spuren. Zur Diskontinuität von Zeit und Bewußtsein.

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lediglich als Prothese technischer Automaten zu fassen versuchen.10 Die strukturelle Funktion von Medien besteht demnach in der allgemeinen Bereitstellung und Aufrechterhaltung von Disponibilität eines abstrakten Stellenwechsels, an den das Symbolische der Zeichensysteme gebunden ist, zu vergleichen etwa mit dem Schalter in der Schaltalgebra, der auf keinen bestimmten Zustand referiert, sondern lediglich die binäre Auswechselbarkeit zweier Zustände zu gewährleisten hat. Diese Relationen austauschbarer, leerer Felder in Gestalt elektromagnetischer Schrift konstituieren die Dazwischenkunft eines epistemischen Feldes von Platzverweisen (Tholen), die bereits der sich ihrer eigenen Ankunft stets entziehenden Medialität jedweder Zeichen konstitutiv eingeschrieben sind.11 »Diese Anwesenheit-Abwesenheit Struktur findet sich wunderbarerweise in der ›dreistelligen Topologie der digitalen Maschine‹ wieder. In der binären Schaltungslogik findet man nämlich nicht nur On und Off, die Null oder die Eins, sondern auch den Schalter, der die Schaltzustände ›über-trägt‹. Das Medium wäre gleichsam ein Dämon, der, gleichgültig gegenüber aller Bedeutung der zu verarbeitenden Zahlen und Buchstaben, Bildern und Tönen, ihre Verteilung und Übertragung besorgt. Eine Pointe dieser ›Dazwischenkunft des Medialen‹ ist, dass diese Dreiwertigkeit, die im übrigen auch Gotthard Günthers operative Dialektik strukturiert, auch systemsoziologische Beobachter fasziniert. Die Unterscheidung, die ein Beobachter trifft, schafft nicht nur ein Offen oder Geschlossen, ein Fort oder ein Da, sondern auch die Unterscheidung selber. In den Worten Spencer-Browns: ›Was das Ding ist, was es nicht ist, und die Grenze dazwischen‹. Maxwells Dämon ist demnach der Beobachter selbst, Unterscheidung und Beobachter, der Klöppel einer Hausklingel und der Beobachter fallen zusammen.«12

Ein maßgeblich von Foucault begründeter Teil der Medienwissenschaft widmet sich daher auch speziell den Kulturtechniken, ihren Institutionen und Diskurshierarchien als Orte der Sichtbarwerdung von Medien und Medientechnologien, von der Notenschrift bis zum Computer, vom Musikinstrument bis zur Ästhetik, welche die Bedingungen und Arten der

10 | Vgl. Tholen: Die Zäsur der Medien, a.a.O. [s. Anm. 4]; ders.: »Medium, Medien«, a.a.O. [s. Anm. 6]. 11 | Vgl. ebd., S. 150f. 12 | R. Maresch: »HyperKult um den Computer. Zu einem Buch über Geschichte, Theorie und Kontext digitaler Medien«. http://www.heise.de/tp/r4/artikel/2/2338/1.html

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Entstehung medialen Wissens beschreiben.13 Medien sind also keine abstrakten Träger fremden Sinns, sondern sind immer konkret – haben dabei allerdings einen prägenden materialen Eigensinn. Medientheoretisch war es der poststrukturelle Entwurf einer sprach- und schriftanalytischen Grammatologie Derridas, der den Blick in vielfältiger Weise auf die Materialität der Kommunikation zwischen mündlicher Sprache und geschriebenem Text lenkte.14 Das hat vor allem durch die medienarchäologischen Analysen Kittlers in Bezug auf Aufschreibesysteme zu interessanten Einsichten in das Wesen analoger wie digitaler Medientechnologien und ihrer jeweiligen Genealogie geführt.15 Von Medientechniken, wie Kerbhölzern und Fackelalphabeten, von Tintenstrichen bis zu Schreibmaschinen, von Bildröhren bis zu beweglichen Lettern und Bewegungsschreibern, von Fotopapieren, Wachswalzen, Grammophonen, Tonbandgeräten und Synthesizern bis hin zu Digitalcomputern war es vor allem Kittler, der die Differenz geltend machte, nach der die historisch besondere, technischmaterielle Konstitution abstrakter Zeichen ihre je eigenen Signifikate erst hervorbringen. Es sind demnach nicht nur die Werkzeuge des Sprechens und Schreibens, die eine diskursanalytische Philosophie der Medialität der Medien begründen können. Es ist gerade die spezifische, historisch wie technische Materialität non-diskursiver Trägermedien, wie Papier, Leinwände, Partituren, Videobänder, Schaltpläne, Schallplatten und Programmcodes, die eine Medienwissenschaft der Materialitäten als Basis ästhetischer Inhalte erschließen. Auf dieser materialen Basis ist Medientheorie in der Lage, als Scharnier für die musikwissenschaftlichen Themen der vorliegenden Arbeit zu dienen und diese für die Gesamtfragestellung fruchtbar zu machen. Die musikwissenschaftliche Fragestellung nach historischen, ästhetischen und technischen Dimensionen »virtueller Instrumente in einem akustischen Cyberspace« ist von der medientheoretischen Fragestellung, nach der je spezifischen Medialität der ästhetischen Dimension einer Poietik musikalischer Medien(technologie), nicht zu trennen. An dieser Schnittstelle ist es möglich, die Suche nach der Spezifik digitaler Medien an einem Gegenstand festzumachen, der seine Wurzeln in einem komplementären Medium analoger, künstlerisch-ästhetischer Prozesse besitzt. So kann jenseits 13 | M. Foucault (Hg.): Archäologie des Wissens. 14 | J. Derrida (Hg.): Die Schrift und die Differenz. 15 | F.A. Kittler (Hg.): Aufschreibesysteme 1800/1900; ders.: Grammophon, Film, Typewriter.

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einer lediglich affirmativen, technik-euphorischen Haltung nach den Besonderheiten von künstlerisch-medialen Verfahren, Praxen und Möglichkeiten gefragt werden, die den Computer vor allem als Chance sehen, die strukturelle Seite dieser Prozesse und ihrer jeweiligen Zeichensysteme zu erkunden.16 In diesem Zusammenhang ist Medientheorie, jenseits der Verkürzung ästhetischer Faktoren in Bezug auf Fragen der Medientechnologien, sehr wohl für die Künste ihrer Zeit zuständig.17 Wenn wir heute Musik hören, hören wir bereits »Medienmusik« (Großmann) – im Sinne einer in Produktion, Distribution, wie Konsumtion medial prädisponierten und auf Medien hin orientierten Musik. Technologisch gesehen hören wir nach traditionellen Klassifikationen streng genommen nur noch »Computermusik« – ebenfalls im Sinne der Produktion, Distribution und Konsumtion in Bezug auf die Dominanz verwendeter digitaler technischer Medien. Gleichzeitig könnte man die These vertreten, dass wir bis heute noch gar keine wirkliche »elektronische«, geschweige denn »Computermusik« gehört haben, weil wir immer noch damit beschäftigt sind, die »traditionelle« elektroakustische Musik mit neuem, medial erweiterten und transformierten Instrumentarium im Digitalen zu simulieren, ohne die grundlegenden Fragen einer sich daraus ergebenden veränderten Ästhetik überhaupt schon berührt zu haben.18 Als möglicher Kulminationspunkt einer 400-jährigen Entwicklung bleibt eine allgemeine Ernüchterung in Bezug auf die musikalischen Utopien und Ziele früherer theoretischer Ansätze festzuhalten, welche in zeittypischem Technikoptimismus oft zu einseitig auf die Entwicklung materieller Produktions- und Distributionsmittel gesetzt haben. Zu fragen ist dagegen nach den heutigen musikalisch-kulturellen Implikationen einer Ästhetik des Symbolischen angesichts der geschilderten Entwicklungen. Zu fragen ist weiterhin, wie eine mögliche Zukunft dieser an den Computer als zentrales Medium gebundenen Entwicklungen, jenseits reiner Simulationsleistungen des Imaginären, im Digitalen aussehen könnten. Die virtuellen Räume des Digitalen und das, was in ihnen passiert, ist 16 | Vgl. Winkler: Docuverse, a.a.O. [s. Anm. 4]. 17 | Vgl. M. Harenberg: »Medium Musik – ein Fall für die systematische Musikwissenschaft?«. http://www.musik.uni-osnabrueck.de/veranstaltungen /Symposium_Osnabrueck_081207. html 18 | V. Moorefield (Hg.): The Producer as Composer. Shaping the Sounds of Popular Music.

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zentrales Thema in Bezug auf die aktuelle Musikproduktion – und davon immer weniger zu trennen auch das der musikalischen Rezeption. Die Virtual Studio Technology (VST) ist von seinem Werbeslogan der 90er Jahre19 längst zum realen Produktionsalltag geworden. Das in dem Werbeslogan formulierte Versprechen bestand darin, die vielgestaltige, mittels MIDI-Netzwerken verbundene, also bereits digitale aber gerätetechnisch isolierte musikalische Produktions-Hardware der 90er Jahre durch Software und eine einzige verbleibende Hardware zu ersetzen: den Computer, der dann zu Synthesizer, Effektgerätepark, Sequenzer, Sampler, Mischpult und Aufnahmemedium etc. in einem wird. Schon damit etabliert sich ein Verständnis des Computers, welches sich – ganz im Sinne instrumentaler Automatentradition – für die turingsche Universalmaschine allein unter dem Aspekt ihrer integrierenden Simulationsleistungen interessiert. Das spezifisch Digitale im Produktions- wie Rezeptionsprozess sowie den Computer selbst als qualitativ neues Medium in all diesen Verhältnissen und damit letztlich auch der Distribution von Musik zu begreifen, davon ist nicht nur die Musikindustrie, sondern sind Komponisten, Produzenten wie Hörer – genreunabhängig – bis heute weit entfernt. Gleichzeitig haben sich mit der aktuellen elektronischen Musik Stile und Genres etabliert, die wieder mehr das echte, ergebnisoffene Experiment in den Mittelpunkt stellen und bereits virtuos mit den neuen Qualitäten dieser technischen Medien zu spielen in der Lage sind. Sie lassen langsam erahnen, mit welch gewaltigem neuen Potenzial wir es zu tun haben.20 Im Unterschied zu technischen Verfahren und ihren Ideologien früherer Entwicklungen lässt sich die gegenwärtige Situation ganz allgemein so beschreiben, dass sowohl Einsatz als auch Gebrauch von Computern (hier im weitesten Sinn, also z.B. auch die digitale Studioperipherie etc.) zwar quantitativ dominieren, ihrer spezifischen Medialität gemäß jedoch unideologischer und dabei völlig unspezifisch geworden sind. Den Computer als turingsche Universalmaschine in diesen Zusammenhängen ex19 | Die Software »Cubase« der Firma Steinberg, die 1998 im Rahmen der ersten »Digitalen Audio Workstation (DAW) MIDI- und Audio-Bearbeitungsfunktionen in einem vereinte. Heute umfasst VST vor allem Instrumente und Studioeffekte. www.steinberg.net/de/products/vst. html 20 | Vgl. P. Théberge (Hg.): Any Sound You Can Imagine. Making Music/Consuming Technology; Ch. Bielefeldt/U. Dahmen/R. Großmann (Hg.): PopMusicology. Perspektiven der Popmusikwissenschaft; W. Jauk (Hg.): Der musikalisierte Alltag der digital Culture.

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plizit bis in die provozierten ästhetischen Artefakte zu beschreiben, wird eine Aufgabe der vorliegenden Arbeit sein. War es bis in die 70er Jahre in der Computermusik noch zweckmäßig, zwischen »Partitursynthese« und »Klangsynthese« zu differenzieren, weil es sich um unterschiedliche Arbeitsprozesse handelte, ist diese Unterscheidung heute nur noch historisch sinnvoll. Bis auf theoretisch mehr und mehr zu vernachlässigende Einschränkungen durch Software und Rechenleistung, obliegt es alleine der Entscheidung des Komponisten oder des Musikers, welche Prozesse in Bezug auf Form, Struktur, Klang, Abmischung etc. in den verschiedenen Produktions- und Distributionsphasen von Musik und in welchem Abstraktionsgrad sie an die Maschine delegiert werden möchten. Durch die weiter anhaltende Diversifikation und Miniaturisierung digitaler Hardware ist diese Entscheidungsmöglichkeit heute auch für den Anwender außerhalb spezialisierter, großer elektronischer Studios – wie sie noch bis in die 80er Jahre entstanden, um Komponisten und Musiker die Arbeit mit dem entsprechenden elektronischen Equipment zu ermöglichen – unbeschränkt vorhanden; sei es per Laptop, MP3-Player, Smartphone, Tablet-Computer oder Game-Konsole. Die Musik der technischen Medien mit ihren akustischen Transcodierungen, Täuschungen, Manipulationen und virtuellen Produktionswie Hörräumen geht nicht länger in dem auf, was in die symbolischen Speicher von Musik seit Erfindung der Notenschrift passt. Elektronische und computergenerierte Musik ist in die jeweilige Medialität ihrer technischen Instrumentierung eingeschrieben. Sie ist eben immer schon »Medienmusik«, in jedem Wortsinn, und damit nie nur schlichtes Abarbeiten an technologischen Phänomenen, sondern immer auch Hörbarmachung dessen, was in die Musik an unterschiedlichen medialen, ästhetischen, politischen und sozialen usw. Implikationen einfließt. Und das gilt erst recht für den heutigen Sound medialer Transcodierung, die eine Vielfalt textueller Fragmente, Sub- und Randtexte, Reviews und Kontextualisierungen mit sich führt, durchzogen von apparativen Bezügen, Musiksemantiken, die wie die Parameter von Ton, Geräusch und Instrument zur Disposition stehen und medial unspezifisch neu interpretiert werden können. Sie oszillieren zwischen Technofetischismus, Rückbesinnung und Distanznahme, etwa zur Neuen Musik nach 1945 und den noch unausgeschöpften Möglichkeiten des hybridisierten Hörraums, wie ihn progressive Stile der Popularmusik ausloten.

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McLuhan sprach schon in den 60er Jahren verallgemeinernd von einem »Zeitalter des Hörens«, welches das zu Ende gehende optische Zeitalter verdrängen würde. Dabei muss man sich schon heute »beeilen, wenn man noch etwas hören will. Alles verschwindet...«, wie man in Abwandlung eines Zitates von Paul Cézanne formulieren müsste.21 In Anlehnung an Paul Virilio, und angesichts weitreichender Simulationsleistungen im Imaginären bis zu programmgesteuerten, psychoakustischen Eingriffen in der Musik, könnte man noch weitergehend postulieren: »Man darf seinen Ohren nicht mehr trauen.«22 Durch eine »mediale Brille« betrachtet und von heute aus zeitlich rückwärts interpretiert, sitzt der klassische Komponist des 18. und 19. Jahrhunderts an einem riesigen, unendlich fein abgestuften Klangerzeuger namens »Orchester«. Er arbeitet rein intellektuell, ohne jegliche sensorische Sensation. So bedient er den komplizierten klanglichen Apparat in Form von Notenschrift lediglich in seiner Vorstellung und aufgrund seiner musikalischen Erfahrungen. Dazu besitzt er ein umfangreiches materialorientiertes Regelwerk nebst tradierten mehrdimensionalen Aufschreibesystemen. In diesen von vielerlei historisch-musikalisch gewachsenen Regelsystemen, Moden und Stilen begrenztem Raum, den Klang eines jeden Instrumentes im Orchester und deren Verschmelzungen im Zusammenspiel – wie sie lediglich in seiner Vorstellungskraft existieren – imaginierend, arbeitet der Komponist wie an einem virtuellen struktur-, form- und klanggenerierenden Synthesizer, dem das Wissen um Klang und die Geschichte der Musik der letzten Jahrhunderte eingeschrieben sind. Dieser einsame Komponist ähnelt – so die Assoziation von Martin Warnke – dem einsamen rechnenden Mann, den Alan Turing in seinem Papier »On computable numbers, with an application to the Entscheidungsproblem«, dem Gründungstext der Informatik aus dem Jahr 1936/37, beschreibt. Ganz in der Tradition von Leibniz simuliert dieser, stur die Rechenvorschriften befolgend, einen mechanischen Automaten, um zeigen zu können, was formale Operationen sind. Der Computer wurde eine solche Maschine, die kategorial ebenso einsam zwischen dem

21 | P. Virilio (Hg.): Ästhetik des Verschwindens, S. 146. 22 | Ebd., S. 56f.

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Komponisten und dem rechnenden Menschen, zwischen Redundanz und Information operationalisieren kann.23 Aus einer solchen Perspektive lässt sich die Entwicklung der technischen Medien, gerade auch in der Musik, als die eines Verlustes beschreiben. Angesichts dieser Folie, und streng musikimmanent betrachtet, erscheinen die euphorischen Lobpreisungen technischer Entwicklungen, wie die der technischen Klangerzeuger oder der Aufnahme-, Übertragungs- und Speichermedien bis Ende des 20. Jahrhunderts, schlicht unverständlich und irrational. Erst durch eine medientheoretische Reflexion bekommen diese Entwicklungen Konturen sowie eine eigene innere Entwicklungslogik und werden schließlich Bestandteil einer viel größeren, umfassenderen ästhetischen Mediengeschichte der Neuzeit – was musikwissenschaftliche Analysen um andere Interpretationsmuster bereichern kann, da der Blick auf scheinbar vertraute Gegenstände spezifisch anders gelenkt wird. Die Geschichte der elektroakustischen Musik ist ein ebenso großartiges wie ergreifendes Abbild des Suchens und Bemühens, das Künstliche zum Künstlerischen zu machen, wie es Hans Ulrich Humpert einmal formulierte.24 Nach den Erfindungen technischer Klangerzeugungsverfahren und den entsprechenden Spielinstrumenten sowie ihren unmittelbaren musikalischen wie transdisziplinären Kopplungsversuchen, vor allem an die radiophonen Übertragungsmedien des frühen 20. Jahrhunderts, entstehen neben neuen technischen Erfindungen eigenartigerweise kaum adäquate ästhetische Ansätze resp. musikalische Formen oder Strukturen. Im Gegenteil, die frühen elektrischen und elektronischen Instrument-Erfindungen nach dem Zweiten Weltkrieg spielten für die sich in Köln etablierende »Elektronische Musik« so gut wie keine Rolle mehr. Es ging nicht mehr um die musikalische Interpretation an einem Instrument, sondern um die abstrakte Gestaltung musikalischer Strukturen sowie des Parameters Klangfarbe. Der radikal neue Ansatz ist fest mit dem seriellen Kompositions-Paradigma verbunden, was technisch mit unspezifischen und zu Produktionsinstrumenten uminterpretierten Apparaten, wie Sinusgenera-

23 | Vgl. M. Warnke: »Errechnet, gesteuert, vernetzt«, in: Neue Zeitschrift für Musik 01/2011, Komponieren im digitalen Zeitalter, S. 35-39. 24 | H.U. Humpert (Hg.): Elektronische Musik. Geschichte, Technik, Kompositionen.

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toren und Tonbandgeräten, realisiert werden konnte.25 Kompositorischästhetische Verfahren formaler Determination werden technisch ausführbar, was der erste Schritt zu ihrer formalen Automatisierung darstellt – wie sie allerdings erst mit Computern erreicht werden kann. »Solange es Musik geben wird, wird das ästhetische Urteil sich auf die Logik und Konsistenz der Entfaltung ihrer klingenden Erscheinungsformen beziehen, – ganz gleich ob dahinter ausgetüftelte Zahlenkonstruktionen, determinatorische Strategien stecken oder nicht. Die Rage umfassender Determination, wie sie sich in den fünfziger Jahren erhob und heute noch in den Köpfen mancher Komponisten sogenannter ›Computermusik‹ fortwuchert, ist aus dem damaligen Zustand des musikalischen Materials durchaus erklärbar, der gewissermaßen ebenso grenzenlos wie amorph war. Dieser Zustand hat manchen Komponisten dazu verführt, gewissermaßen auf der Ebene reiner, oder wie Kant sagte ›leerer‹ Begriffe zu operieren, in der Zuversicht, dass die Applikation des abstrakten Konstrukts auf klangliche Wirklichkeit automatisch schon musikalische Sinnzusammenhänge stiften werde. […] In ihrem historischen Kontext sind diese Neigungen durchaus verständlich, denn in der Tat hatten damals die schier unendlichen Optionen möglicher Matrialorganisation noch so gut wie keine ästhetisch relevanten Anschauungsformen entwickelt, und die Idee, gleichsam von der seriellen Konstruktion ›an sich her‹ gänzlich neue Formen entwickeln zu können war von utopischer Faszination. Sieht man den Drang zur totalen Prä-Determination im Lichte jener historischen Umstände, so hat er ganz gewiss nicht nur historische, sondern auch ästhetische Relevanz. […]«26

So zeigt elektroakustische Musik ästhetisch-historisch referenzlos gewordenes Hören selber als Hörbares einer neuen und näher zu bestimmenden ästhetischen Virtualität. Die daraus resultierenden, generativen und simulativen Klangräume existieren als vieldimensionale Verschränkungen von imaginären, realen und symbolischen Räumen. In der aktiven Rezeption solcher als »Gestalt« wahrgenommener »Phantasie-Konstitutionen« überlagern sich die unterschiedlichen historischen Hörerfahrungen. Der Hörer konstruiert ständig neue Figurationen eines scheinbar bekannten, imaginierten Hörraums, 25 | Vgl. M. Harenberg: »Von der Serie zum Loop«, in: Ch. Blättler (Hg.), Kunst der Serie. Die Serie in den Künsten. 26 | K. Boehmer: »Das Prinzip der Determination«, in: A. Köhler/R.W. Stoll (Hg.), Vom Innen und Aussen der Klänge. Die Hörgeschichte der Musik des 20. Jahrhunderts.

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der dem Ideal einer vertrauten, vordigital-analogen Version entsprechen könnte. Aber es bleibt eine wahrnehmbare, »historische« Irritation, eine akustische »Fremdheit«, die sich nicht länger auf das alte Selbst analoger medialer Dispositive bezieht, sondern auf den Körper gewordenen, medial »abwesenden Ort der Zwischenleiblichkeit« (Merleau-Ponty) dieser je neuen Hörräume, die durch die digital-technischen Simulationstechniken neue vorwegnehmende, musikalisch-ästhetische Einbildungskräfte erzeugen können.27 Damit stehen die Körper-Szenarien einer neuen musikalischen Praxis zur Disposition und mit der Frage nach dem Körper, auch die Frage nach dem medialen Ab-Ort einer neuen Gestalt der Kunst.28 Immerhin war bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts jeder Klang unmittelbares Resultat und Ausdruck einer Bewegung – meistens einer menschlichen, zuweilen, etwa bei Musikautomaten, einer mechanischen. Das änderte sich radikal mit der Entkoppelung von Bewegung und Klang mittels elektronischer Klangerzeugung. Zudem muss die vermeintlich selbstverständliche Beziehung zwischen Körperlichkeit und musikalischem Ausdruck auch in der »vor-elektronischen« Zeit hinterfragt werden. Dieser historisch und methodisch erweiterte Blick ist Ausgangspunkt für den aktuellen Diskurs über die Rolle des Körpers in den elektronischen Künsten.29 Den Fragen nach den »Instrumenten« und instrumentalen Funktionen von Apparaten und Interfaces in unterschiedlichen räumlichen und situativen Settings kommen in dieser Diskussion eine große Bedeutung zu. Je nach Schwerpunkt, in Bezug auf die Klangerzeugung oder die Klangsteuerung, ist die Frage nach der Inszenierung instrumentaler Funktionen mit verschiedenen Konsequenzen für die Adressierung und/ oder Verortung eines spielenden Körpers zu beantworten. Der Computer, der all diese Versprechen als »Wunschmaschine« einzulösen versprach, steht als Medium identitätsstiftender Selbstvergewisserung historisch in der Tradition automatischer Musikmaschinen (Walzen27 | »Einbildungskraft« ist plastisch und imaginär im Sinne von »lesen«, »hören« und »sehen«. Es ist die mediale »Zwischenleiblichkeit«, die es erlaubt, diesen alten Dualismus von Imitation und Fiktion potenziell zu überwinden und damit kategorial wie künstlerisch eine Sphäre ästhetischer Virtualität zu konstituieren. 28 | Vgl. etwa S. Flach (Hg.): Körper-Szenarien. Zum Verhältnis von Körper und Bild in Videoinstal lationen. 29 | M. Harenberg/D. Weissberg (Hg.): Klang (ohne) Körper. Der Verlust der Körperlichkeit und die Entgrenzung des klanglichen Gestaltungspotenzials in der elektronischen Musik.

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glockenspiele, Spieluhren, Orchestrions, Selbstspielklaviere etc.) sowie der »klassischen« Musikmaschinen wie Klavier und Orgel – allerdings geht seine grundsätzliche Disposition weit darüber hinaus. Nach Turing ist das grundlegende Arbeitsprinzip des als Universalmaschine beschriebenen »Number Crunchers« das der programmgesteuerten Simulation. Durch die intermediale Überführbarkeit, nach der Analog-digital-Wandlung letztlich neutraler digitaler Daten – seien es Audiosamples, MIDI-Signale, Steuerdaten, Bildpixel oder Videoframes – in beliebige Zustände und Schaltzusammenhänge, wird der Computer zum programmgesteuertautomatisierten »Hyperinstrument« und damit zum kulturellen »Code Cruncher« im Symbolischen. Bilder, Musik oder Videos operationalisiert der »Rechner« in kleinste, zeitlich diskrete Einheiten: Pixel, Samples und Frames. Es bedarf spezieller Sprachen, mit ihren jeweiligen Interfaces in Form von Programmoberflächen, die einen Umgang mit diesen abstrakten Daten in die entsprechenden künstlerischen Zusammenhänge erlauben. Dabei haben sich Metaphern etabliert, die oftmals schon mit dem Prozess der digitalen Operationalisierung selbst verwechselt werden. Sie sind allerdings lediglich sprachlich/graphische Entsprechungen von Befehlen, Funktionen und Rechenoperationen. Graphische Oberflächen vermittelten die technisch-medialen Prozesse des Digitalen, die uns sowohl in Bezug auf ihren Ort wie auch ihre Zeit als virtuell erscheinen. Die technische Realität des Digitalen besteht im Umlegen von Millionen von Schaltern in Millisekunden, was in dieser Quantität und der daraus resultierenden Qualität naturgemäß abstrakt und fremd bleiben muss. William Gibson hat mit seinem Begriff des »Cyberspace« das entsprechende Bild und die Metapher dafür geliefert.30 Im Rechner simulierte Instrumente und Synthesizer sind die Musikautomaten unserer Zeit. Wir bezeichnen sie bereits als virtuelle Instru30 | Zum medientheoretischen Diskurs des Raumes und seines kategorialen Ortes vgl. G.Ch. Tholen: »Risse im Gefüge von Raum und Zeit«, in: ders., Die Zäsur der Medien, a.a.O. [s. Anm. 4], S. 111f.; M. Foucault: »Andere Räume«, in: K. Barck et al. (Hg.), Aisthesis. Wahrnehmung heute oder Perspektiven einer anderen Ästhetik, S. 34-46; D. Reichert (Hg.): Räumliches Denken; H.J. Rheinberger/B. Wahrig-Schmidt/M. Hagner (Hg.): Räume des Wissens, Repräsentation, Codierung, Spur; E. Decker/P. Weibel (Hg.): Vom Verschwinden der Ferne. Telekommunikation und Kunst; G. Großklaus (Hg.): Medien-Zeit, Medien-Raum; R. Buschauer (Hg.): Mobile Räume: Medien- und diskursgeschichtliche Studien zur Tele-Kommunikation.

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mente, ohne die Tragweite dieser Aussage wirklich zu verstehen, meinen wir doch in der Regel die fotorealistische Software-Abbildung eines ursprünglich als Hardware existierenden Spielgerätes. Sie imitieren alle bisherigen musiktechnologischen Entwicklungen in digitaler Perfektion, können dabei aber auch neue, unerhörte Strukturen und Klänge erzeugen. Abhängig von ihrer Programmierung laufen sie vollautomatisch; beliebige Lautstärken, Tonhöhen, Tonsysteme und Tempi lassen sich auf Knopfdruck erzeugen; die Vereinfachung der digitalen Oberflächen ermöglicht ein bildschirmgestütztes und damit optisch dominiertes Arbeiten nach dem Trial-and-Error-Verfahren und damit wird eine spezielle Ausbildung immer weniger notwendig. Der Komponist/Instrumentalist verfügt endgültig über die gesamte ästhetisch-musikalische sowie die mediale Produktionskette – der Traum eines Universalinstruments könnte sich in der Software unserer digitalen Universal-Maschinen realisieren. Hier ist als eine Disziplin unter anderen die Medienwissenschaft gefordert, diese Situation beschreib- und damit erfahrbar zu machen und Wege ästhetisch-medialer Aneignung zumindest kritisch zu diskutieren und dies nicht wie in der Vergangenheit dem technischen Pragmatismus von Ingenieuren, Programmierern und Konzernen zu überlassen.

2. Virtualität der Ästhetik – Ästhetik der Virtualität

Das Modellieren im Virtuellen Die digitale Revolution im Akustischen hat gerade erst begonnen. Bis zum jetzigen Zeitpunkt waren vor allem die Produktion und die Distribution von Musik betroffen. Zukünftig können wir allerdings davon ausgehen, dass sich mit dem ontologischen Status und künstlerischen Referenzrahmen der Kern dessen ändern wird, was wir bisher allgemein unter Musik verstanden haben. An der Schnittstelle von Musik- und Medienwissenschaften geht es um den Versuch, das Dispositiv eines rein akustischen Cyberspaces zu beschreiben und zu analysieren. Thema sind die Räume ästhetischer Virtualität, die als kompositorisch gestaltbare musikalische Parameter wie auch als Instrumentabstraktionen interpretiert und genutzt werden können. Die diesbezüglichen kompositorischen Strategien und Verfahren sind nicht neu, entfalten mit algorithmisch generierten Strukturen im Zusammenhang mit der Auflösung traditioneller Formen und eines abgeschlossenen Werkbegriffs aber erst heute ihr ganzes Potenzial. Die Konsequenz besteht in einer virtuellen Musizierpraxis, die man mit dem Bild eines maschinellen Feedbacks mit der menschlichen Kreativität als Dämpfungsfaktor zur Vermeidung einer redundanten ästhetischen Rückkopplung beschreiben könnte. Musikalisches Handeln vollzieht sich in der Medialität des Digitalen als De- und Re-Konstruktion instantaner kompositorischer Entscheidungen, die angesichts weiterer Edits und Re-Edits und unter dem Zwang permanenter maschineller wie interpersoneller Anschlussfähigkeit auf ihre eigene Flüchtigkeit verweisen. Ästhetische Fiktionen im Virtuellen werden so nicht zum Gegenteil der Wirklichkeit, sondern zu Instrumenten ihrer medialen Konstruktion.

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Umgangssprachlich ist in der Musik von virtuellen Instrumenten die Rede, wenn Softwareinstrumente im weitesten Sinn gemeint sind.31 Das wiederum kann sich prinzipiell auf alle Arten von Klangerzeugern beziehen, die seit den 80er Jahren gemeinsam mit der bestehenden Studiotechnologie nach und nach medial unspezifisch als Software im Computer digital simuliert wurden. Insbesondere waren naturgemäß Synthesizer und die elektronische Studioperipherie betroffen, da diese auch in ihrer medialen Form spezifischer Hardware bereits aus digitalen oder zumindest hybriden analogen und digitalen Anteilen bestanden. Mit der FM-Synthese, die John Chowning in den 70er Jahren in Stanford entwickelte und Anfang der 80er Jahre erfolgreich an Yamaha lizensierte, entstand das erste rein digitale synthetische Klangsyntheseverfahren, welches allerdings noch einer eigenen medienspezifischen Form und Struktur aus Spielinterface und spezialisierter Computerhardware bedurfte. Mit Samplern und ROM-Playern folgten digitale Instrumente, die auf der Abtastung und digitalen Speicherung von Wellenformen basieren und in der Regel mittels subtraktiver Klangsynthese ebenfalls zu sehr spezifischen Spielinstrumenten mit eigenen klangästhetischen Ausdruckspotenzialen führen. Wie schon die umgangssprachliche Verwendung des Begriffs der Virtualisierung richtig reflektiert, ist der Verlust der ursprünglichen Identität dieser Instrumente in dem Moment abgeschlossen, wenn sie gleichsam als abstrakte und verallgemeinerte Algorithmen, jetzt unspezifischer Turingmaschinen, in die Gatter der booleschen Algebra einer beliebigen digitalen Maschine überführt und damit auf die rein technische Funktionalität ihrer Klangerzeugungsparameter reduziert werden. Diese kann gemäß den Paradigmen der turingschen Universalmaschine – und in letzter Konsequenz als Ablösung symbolischer Repräsentationen von Klang im Reellen – in jeglicher Hardwareumgebung neben Textverarbeitung, Grafikprogrammen und Internetbrowsern, auf Desktop PCs ebenso wie auf Smartphones und Tablet-Computern laufen. Damit verlieren diese Instrumente nicht nur ihre spezialisierten Interfaces, sondern auch einen Großteil ihrer individuellen Ausdrucksqualität, was vielfältige Fragen in Bezug auf die Klangästhetik sowie die körperliche Spielinteraktion und Medialität der akustischen Performance aufwirft. In einer ersten Erkundungsphase des neuen digitalen Mediums dauert es fast 30 Jahre, bis die Nuancen spezifischer technischer und medialer 31 | Vgl. etwa http://de.wikipedia.org/wiki/Software-Instrument.

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Dispositionen so genau simuliert werden können, dass auch instrumentencharakteristische sowie klangästhetische Feinheiten mit abgebildet werden. Dazwischen dient die alte Hardware aus Synthesizern, Effektgeräten und Studioperipherie vom Mikrofon über das Mischpult bis zum Verstärker als apparativer Referenzrahmen im Reellen für die mediale Exploration des Digitalen. Die bereits erwähnte Virtual Studio Technologie simuliert in ihrer ersten Phase, quasi als Sonderfall einer verallgemeinerten ästhetischen Referenzialität, die analoge mediale Disposition aus Klangästhetik und Interfaces im Medium des Digitalen, ohne damit die Frage nach der Spezifik einer künstlerischen, philosophischen und ästhetischen Dimension der Medialität des neuen Mediums zu stellen. Die von Bernhard Siegert als grundlegenden Riss in der Repräsentationslogik beschriebene aufbrechende »Passage des Digitalen«32 in der Mitte des 18. Jahrhunderts bildet den Rahmen dieser Entwicklung. Im Sog dieses Risses einer deterritorialisierten Zeichenpraxis, durch die es elektrische Medien überhaupt gibt, suchen wir im Analytischen einer Medienabstraktion nach dem letzten medialen Referenzrahmen von Klang und Komposition im Reellen. Fündig werden wir spätestens in der historischen Phase medialer Zeichenpraxis der elektroakustischen Musik der Nachkriegszeit. Interessanterweise wiederholt sich damit die Situation der frühen elektrischen Spielinstrumente zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Aufgrund fehlender kompositorischer, ästhetischer wie auch medialer Konzepte und Verfahren blieben die vielfältigen, technisch revolutionären Spielinstrumente, wie z.B. das Theremin, die Ondes Martenot, das Trautonium und Sphärophon etc., in ihrer medialen strukturellen Bedeutung unbemerkt und künstlerisch der traditionellen konservativen Salonmusik des 19. Jahrhunderts verhaftet.33 Trotz ihren bis heute avantgardistischen Interfaces, welches vor allem das berührungslos gespielte Theremin auszeichnet, provozieren sie weder eine adäquate musikalische Ästhetik noch eine grundlegende Reflexion ihres medialen Status. Sie wurden einzig an den musikalischen Möglichkeiten traditioneller Instrumente gemessen, die sie in Bezug auf die klassischen Ausdrucksqualitäten, wie Vibrati, Glissandi und Tonumfang, im Sinne eines »seelenvollen Ausdrucks« 32 | Vgl. B. Siegert (Hg.): Passage des Digitalen. Zeichenpraktiken der neuzeitlichen Wissenschaften 1500-1900. 33 | Vgl. M. Harenberg (Hg.): Neue Musik durch neue Technik? Musikcomputer als qualitative Herausforderung für ein neues Denken in der Musik.

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spätromantischer Prägung, übertreffen sollen. Mit wenigen Ausnahmen erkennen Komponisten bis zum Zweiten Weltkrieg die kompositorischen Möglichkeiten dieser neuen Instrumente daher nicht.34 Der technische Fortschritt alleine garantiert hier, wie auch im Fall der ersten digitalen Adaptionen in der analogen Studiotechnik 70 Jahre später, keine medialen und erst recht keine künstlerischen Entwicklungen.35 Ende des 20. Jahrhunderts sind alle diese Erfahrungen, Techniken und Verfahren, inklusive ihre medialen und ästhetischen Konzepte in Bezug auf die Dispositive des Digitalen, nach wie vor offen. Trotzdem können wir heute bereits erkennen, in welche Richtung gesucht werden muss, wenn wir die musikalischen Erscheinungsformen des Digitalen ernst nehmen und nach adäquaten ästhetischen Strategien und den zugrunde liegenden medialen Dispositionen fragen. Entsprechende ästhetische wie technische Ansätze lassen sich im Bereich der sogenannten Nonstandard-Synthesen finden.36 Im Gegensatz zu allen auf Fourier zurückgehenden Standard-Syntheseverfahren, experimentierten die Komponisten Iannis Xenakis, Herbert Brün, Gottfried Michael Koenig, Barry Truax und der Musikwissenschaftler Julius O. Smith mit alternativen Verfahren, bei denen schon in den 70er Jahren Computer zum Einsatz kamen. Die zugrunde liegende Idee war, strukturelle kompositorische Strategien auch auf die Ebene der Klangerzeugungsverfahren anzuwenden, da sich in der elektronischen Musik nicht mehr sinnvoll zwischen der Komposition von und derjenigen mit Klängen unterscheiden lässt. Zum Einsatz kommen nichtlineare, stochastische Verfahren, die der Granularsynthese zuzurechnen sind sowie Strategien des Physically Informed Sonic Modeling, die kompositorisch sehr unterschiedlich auf die digitalen Klangerzeugungsparameter angewendet werden und sich bereits algorithmisch formulieren lassen. Diese experimentellen technischen und künstlerischen Strategien kann man im Sinne Max Mathews als »Instru34 | Vgl. Harenberg/Weissberg: Klang (ohne) Körper, a.a.O. [s. Anm. 29]. 35 | Vgl. M. Harenberg: »Virtuelle Instrumente zwischen Simulation und (De-)Konstruktion«, in: M.S. Kleiner/A. Szepanski (Hg.), Soundcultures. Über elektronische und digitale Musik. 36 | Der Begriff »Non-Standard Synthesis« geht auf Holtzman zurück, der sie von den »Standard Synthesis« Verfahren abgrenzen wollte. Vgl. dazu R.S. Holtzman: »A Description of an Automatic Digital Sound Synthesis Instrument«, in: DAI research report No. 59/1978; L. Döbereiner: »Models of Constructed Sound: Nonstandard Synthesis as an Aesthetic Perspective«, in: Computer Music Journal, Vol 35:3/2011.

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ments«, einer komplexen Wechselbeziehung zwischen mathematischer Kompositionstheorie und der Ästhetik synthetischer Klangsynthesen, bezeichnen.37 Sie können als Instrumente einer realen medialen Virtualität gelten, da hier nicht nur historische instrumentale Hardwaremodelle verallgemeinert werden, sondern sowohl experimentelle, nicht vorhersehbare Instrumentenkonzepte als auch der ästhetische kompositionstheoretische Ansatz selbst virtualisiert werden.38 Künstlerisch ermöglicht dies die algorithmische Durchdringung von Mikro- und Makroformen in hybrider ästhetischer Kollaboration mit der spezifischen Medialität digitaler Maschinen. Im Falle von Physically Informed Sonic Modeling, also physikalisch modellierten virtuellen Instrumenten, haben wir es mit solchen medialen wie instrumentalen hybriden Phänomenen zu tun. Sie sind einerseits in der Lage, das alte Maschinenkonzept elektrischer Spielinstrumente unter ganz neuen Aspekten der Spielbarkeit akustisch anmutender Klänge weiterzuentwickeln. Andererseits können diese virtuellen Instrumente Funktionen analoger wie digitaler Synthesizer und die unspezifische ästhetische Öffnung von Samplern39 als Referenzpunkte im Reellen benutzen und sind damit zu einem Teil durchaus noch im alten Fourier-basierten Simulationsparadigma des Digitalen anzusiedeln. Sie überschreiten jedoch alle bisherigen technischen wie ästhetischen Standardmodelle synthetischer Klangerzeugung im Digitalen, um unter Umgehung jeglicher Fourier-Transformation musikalische Strukturen und Klänge aus abstrakt 37 | Max Mathews schreibt die erste digitale Musiksoftware und experimentiert mit der Formalisierung von Klangsyntheseverfahren, die er als »Instruments« bezeichnet. Vgl. dazu M. Mathews: »Generation of Music by a Digital Computer (1959)«, in: J. Goebel (Hg.), Computer Music Currents 13. The Historical CD of Digital Sound Synthesis. 38 | Zur Definition und medientheoretischen Auseinandersetzung mit dem Phänomen der Virtualität vgl. A. Roesler/B. Stiegler (Hg.): Grundbegriffe der Medientheorie, S. 244f.; Münker/Roesler/Sandbothe: Medienphilosophie, a.a.O. [s. Anm. 6]; F. Rötzer: »Virtueller Raum oder Weltraum?«, in: St. Münker/A. Roesler (Hg.), Mythos Internet; Ph. Quéau: »Die virtuelle Simulation: Illusion oder Allusion? Für eine Phänomenologie des Virtuellen«, in: St. Iglhaut et al. (Hg.), Illusion und Simulation. Begegnung mit der Realität; Krämer: Medien, Computer, Realität, a.a.O. [s. Anm. 6]; G. Deleuze: »Das Aktuelle und das Virtuelle«, in: P. Gente/P. Weibel (Hg.), Deleuze und die Künste. 39 | Vgl. R. Großmann: »Xtended Sampling«, in: H.U. Reck/M. Fuchs (Hg.), Sampling, Arbeitsberichte der Lehrkanzel für Kommunikationstheorie, Heft 4.

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formulierten physikalischen Modellen traditioneller Klangerzeugungsverfahren zu generieren und zu formen. Mit Hilfe rekursiver Algorithmen können in Physical Modeling genannten Verfahren die klanglichen Ergebnisse von dreidimensional schwingenden Körpern modelliert und als virtuelle Instrumentenmodelle technisch gespielt werden. Auf diese Weise lassen sich abstrakte schwingende Körper ebenso modellieren wie schwingende Saiten, schwingende Luftsäulen in Blasinstrumenten oder schwingende Flächen für Perkussionsinstrumente, aber auch schwingende Oszillatoren elektronischer Instrumente sowie hybride Modelle aus freien Kombinationen dieser Basiskonstellationen und ihrer jeweiligen Erreger-Modelle, mit denen die Systeme mit Energie versorgt werden müssen. »Geblasene Violinen aus Metall« wären somit als mediale Klang-Metaphern ebenso modellierbar wie »gezupfte Saxophone mit Posaunen-Trichter« oder »gestrichene Analog-Oszillatoren« etc. – wobei alle beteiligten Parameter als in Realtime steuerbarer Bestandteil sowohl der musikalischen Strukturen wie auch ihrem akustischen Verhalten angesehen werden können.40 Die physikalischen Modelle von virtuellen Spielinstrument-Konzepten können sich schließlich von ihren Standardreferenzen lösen und in allen Parametern und in Realtime dimensioniert und nach den Gesetzen einer »Phantasie-Physik« algorithmisch-kompositorisch designed werden. Darüber hinaus muss sich die physikalische Modellierung nicht zwangsläufig nur auf die Klangerzeugung virtueller Instrumente beziehen, sondern beinhaltet in der Verallgemeinerung eines Instrument-Begriffs, im Sinne von Nonstandard-Verfahren, strukturelle musikalische Elemente. Adressiert wird das Problem der musikalischen Form sowie Fragen kompositorischer Ästhetik, so wie sie speziell in der elektroakustischen Musik seit jeher gestellt werden. Physikalische Modellierung findet im medialen Design von Kompositionsmodellen ebenso statt wie in der Definition von Schnittstellen zum musizierenden Körper oder der Modellierung »physikalisch informierter« musikalischer Zeit. 41 Zentral wird deshalb die Frage nach Strategien der medialen Modellierung. Mit welchen medialen Modell-Begriffen arbeiten wir und wie 40 | Was als Differenzierung der alten Funktionsabläufe von Komposition, Instrumentierung und Instrumentenbau in der elektroakustischen Musik funktional nicht mehr sinnvoll zu trennen ist. 41 | Details zum Verhältnis von Form und Klang virtueller Instrumente vgl. Kapitel 3.

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kommen wir zu diesen Modellen? Wie müssen entsprechende Referenzräume geschaffen sein, in denen sich diese abbilden lassen und wie ist das Verhältnis von mathematischen Grundlagen, theoretischer physikalischer Modellierung und ästhetisch-musikalischen Konzepten? Es lohnt sich, die Formen dieser Konzepte und Instrumentenmodelle speziell unter dem Aspekt ihrer spezifischen ästhetischen wie medialen Virtualität genauer anzuschauen. Viele der Modelle und Strategien, die hier zum Einsatz kommen, besitzen Ähnlichkeiten und Verwandtschaften zu Prozessen und Verfahren, welche sich auch in der zeitgenössischen Kunst und Musik wieder finden, so dass man nach beiderseitigen Einflüssen wie gegenseitigen Beeinflussungen fragen kann. Aus dem Charakter der zu skizzierenden Prozesse lassen sich zudem Aussagen über die Entwicklung zeitgenössischer elektroakustischer Musik und Medienkunst treffen. Das alles mündet in einen künstlerischen und medientheoretischen Diskurs, der sich deutlich vom bislang vorherrschenden romantischen zu unterscheiden beginnt. Vielleicht – so die anschließende These – besitzen wir mit der medialen wie affektiven Entwickeltheit ästhetischen Empfindens bereits ein hinreichendes Instrumentarium zur Orientierung in den ansonsten referenzlosen Sphären medialer Virtualität. Der abstrakte Referenzraum »Cyberspace« ist die zeitgemäße Übersetzung des Ortes virtueller Realitäten zu Beginn des Computerzeitalters in den 80er Jahren. Die Fiktion eines abstrakten immersiven Datenraums taucht erstmals als literarische Phantasie eines immateriellen »parallelen Datenuniversums«, genannt »Cyberspace«, in William Gibsons Cyberpunk-Roman Newromancer auf, was eine erstaunliche Karriere der Idee wie auch des Begriffs auslöst, den Gibson später als »Konsens-Halluzination [...] im Nicht-Raum des Verstandes«42 zu (v)erklären versucht.

42 | »Cyberspace. Eine Konsens-Halluzination, tagtäglich erlebt von Milliarden zugriffsberechtigter Nutzer in allen Ländern, von Kindern, denen man mathematische Begriffe erklärt. [...] Eine grafische Wiedergabe von Daten aus den Banken sämtlicher Computer im menschlichen System. Unvorstellbare Komplexität. Lichtzeilen im Nichtraum des Verstandes, Datencluster und -konstellationen. Wie die zurückweichenden Lichter einer Stadt [...].«, vgl. W. Gibson: »Neuromancer« (1984); in: ders. (Hg.), Die Neuromancer-Trilogie.

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»Der Raum hat zur Zeit Konjunktur: es kursiert wohl kaum eine kulturkritische Diagnose, die nicht von ihm handelt, genauer: von seinem Verlust oder gar seiner Vernichtung. Geschuldet der ›weltweiten Vernetzung der Teletechnologien‹ [...] und ihrem ubiquitären Siegeszug zöge sich der Raum zusammen und verschwände; und mit ihm sogar der Mensch als ohnmächtiger Zeuge dieses nachgerade apokalyptischen Prozesses. Zugleich aber und im kaum bemerkten Widerspruch zur Vision der telematisch inszenierten Entfernung des Raumes wird in einer Vielzahl der den Neuen Medien gewidmeten Untersuchungen unter dem Zauberwort Cyberspace ein neuer Raum angekündigt und plaziert, der den alten, einst angeblich unmittelbar gegebenen Raum ablöse und doch wegen seines medial-fiktiven Charakters eigentlich kein wirklicher Raum, sondern raumvernichtende Zeit sei. Aber auch die Zeit selbst, angeklagt als chronopolitische Macht einer sich universalisierenden Telepräsenz, vernichte einen Bestandteil ihrer selbst: die Gegenwart als gelebte, lebendige oder gar reale. Widersprüchlich und problematisch ist in solchen Betrachtungen der universell sich aufspreizenden Informationsgesellschaft nicht allein die spekulative Bestimmung des bisweilen als gespenstisch empfundenen oder stilisierten Übergangs vom realen zum virtuellen Raum, sondern die unbedachte Verwendung der Kategorien von Raum und Zeit als eines lebensweltlichen bzw. leibunmittelbaren Bestandes des Menschen, der nun angesichts der Neuen Medien gefährdet sei. [...] Das Verschwinden des Raums und mit ihm dasjenige des Körpers sei – so die verlustrhetorisch geprägten Konjekturen von Weibel, Virilio und Baudrillard – das heimliche Telos der telematischen Zivilisation. Ähnlich zweiwertig, wenngleich nüchterner, wird die mediale Auflösung von Raum und Körper in der soziologisch orientierten, evolutionären Mediengeschichtsschreibung situiert: als Abstraktionsleistung vom konkreten interaktiven Handlungsgeschehen, dessen angebliche Transparenz eine kommunikative ›Lebenswelt‹ noch garantiert habe.«43

Mit dem dystopischen Begriff »Cyberspace« ist in der nach-euklidischen Tradition erstmals ein Raumbegriff für einen Realitätseffekt im Umgang mit digitalen Medien formuliert, der die Virtualität in Bezug auf die Frage des Ortes zu artikulieren in der Lage ist. Zum Sprachspiel der Illusionstechniken des Nicht-Ortes gehört seit den 90er Jahren daher der Begriff der Virtualität.

43 | G.Ch. Tholen: »Einschnitte. Zur Topologie des offenen Raums bei Heidegger«, in: ders. /M. Scholl (Hg.), DisPositionen. Beiträge zur Dekonstruktion von Raum und Zeit; vgl. auch M. Wertheim (Hg.): Die Himmelstür zum Cyberspace. Eine Geschichte des Raumes von Dante zum Internet.

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Die Ästhetik des Digitalen Überraschend sind die Wendungen und Konsequenzen, welche die ersten grundlegenden Gedanken einer »Virtualität« bei Leibniz 400 Jahre früher nehmen, wenn wir sie auf heutige digitale Computersysteme oder symbolisch repräsentierte Instrumentenmodelle in Form von SoftwareAlgorithmen beziehen. An dieser Entwicklung lässt sich der beschriebene Übergang von der gerade zu Ende gegangenen Ära der Simulation als erste Phase technischer Explorationen im neuen digitalen Medium zu der einer beginnenden Virtualität aufzeigen. Rein quantitativ ist der Begriff der Virtualität seit Ende des 20. Jahrhunderts in Mode, wenngleich auch für ganz unterschiedliche Sachverhalte. »Virtuelle Instrumente«44 heißen in der Marketingsprache der Musikindustrie die bereits beschriebenen historischen, aber auch aktuellen Synthesizer und Sampler, die lediglich in Form von Software existieren, meist als Plug-ins für entsprechende Host-Programme. Je nach Tätigkeit, Stilistik und Genre können Host-Programme von der Programmierumgebung bis zum Audio-/MIDI-Sequenzer alle Programme sein, die zum Komponieren, Programmieren, Arrangieren oder Modulieren die Hauptarbeitsschritte im musikalischen Produktionsprozess übernehmen. Diese Zentralisierungsleistung haben sie gemeinsam mit dem jetzt ganz Software gewordenen virtuellen »Maschinenpark« oder gleich der gesamten »Virtuellen Studio Technologie«, wie die Firma Steinberg 1997 ihren neuen Plug-in-Standard im Sequencer-Host »Cubase« bezeichnet. Charakteristisch für die Sofwareadaptionen sind fotorealistische Bildschirmoberflächen der Simulationen von funktional nachprogrammierter Hardware, die auch klanglich ihren Hardware-Vorbildern möglichst ähnlich sein sollen. Das damit verbundene Simulationsparadigma wird charakteristisch für diese erste Phase der medialen Aneignung des digitalen Mediums über die Simulation bekannter und funktional wie ästhetisch erprobter Verfahren und Instrumentkonzepte.

44 | Vgl. z.B. die Software-Instrumente der Berliner Firma Native Instruments in der Rubrik »Virtuelle Instrumente und Sampler«. http://www.thomann.de/de/virtuelle_instrumente_sampler.html

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»[...] Simulationen dagegen, diesem mehr als ästhetischen Verfahren, ist die Negation immer schon eingebaut. Mit dem Begriffspaar Simulation und Dissimulation hat das Lateinische [...] die in allen indoeuropäischen Sprachen verfügbaren Operationen der Affirmation und Negation drastisch erweitert. Während Affirmieren nur bejaht, was ist, und Negieren nur verneint, was nicht ist, heisst simulieren was nicht ist, zu bejahen, und dissimulieren, was ist, zu verneinen. Zum erstenmal in der Sprachgeschichte hat ein Code es seinen Subjekten oder Untertanen freigestellt, die Negation zu manipulieren und diese Manipulationen auf einen operativen Begriff zu bringen. Um auf den technischen Stand von heute zu kommen, musste die Negation nur noch auswandern: von den Mündern und Papieren der Leute in die Elektronik-Gatter einer Booleschen-Algebra.«45

Da ein zentrales Moment digitaler Computer als turingsche Universalmaschinen die Simulation aller formalisierbaren Zeichenpraktiken ist, wundert es nicht, dass dies auch zu ersten praktischen Versuchen im Bereich medialer und ästhetischer Anwendungen genutzt wurde.46 Die in Analogie quasi als neue Instrumenten-Gattung eingeführte Spezies der Software-Instrumente existiert als mediale Simulation der fotorealistisch wie klanglich »nachgebauten« Originale mit all ihren der Analogwelt geschuldeten Einschränkungen und Besonderheiten. Die analogen, elektrischen, elektronischen und auch schon die digitalen Vorläufertechnologien werden in Form von Meta-Medien simuliert. In der Popularmusik definieren sich musikalische Stile sowie entsprechende Verweise auf die komplexen Zeichensysteme der verschiedenen Genres und zurückliegenden Moden zu einem großen Teil durch einen spezifischen Sound, der sich zeitlich eindeutig den jeweiligen analogen/elektronischen/digitalen Hardware-Instrumenten (Synthesizer, Effektgeräte, Drumcomputer, Sampler etc.) zuordnen lässt. Mittels der medialen (Klang-)Inszenierungen können sie unmittelbar auf die musikalischen Genres, ihre Sounds und Stilistiken und damit auf die Epoche ihres Erscheinens verweisen und diese beim Hörer aufrufen. Die als unspezifische Software zu Meta-Samplern avancierten Sampling-Synthesizer und ROM-(Sample)-Player behalten ihre hybride Instrument-Konstruktion in der Simulation von digitalem Sampling (im Sinne der Digitalisierung von Audiomaterial) und 45 | F.A. Kittler: »Fiktion und Simulation«, in: Ars Electronica Linz (Hg.), Philosophie der neuen Technologie, S. 57-80. 46 | Vgl. M. Warnke: »Das Medium in Turings Maschine«, in: Warnke/Coy/Tholen, HyperKult, a.a.O. [s. Anm. 6], S. 69f.

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subtraktiver Klangsynthese (zur weiteren musikalischen Gestaltung des digitalen Audiomaterials).47 Gegenstand der meta-medialen Simulationen durch Orientierung im und am Vertrauten sind gerade die Beschränkungen und medialen Artefakte in Form von (klanglichen) Unzulänglichkeiten analoger Verfahren angesichts unendlicher Manipulationsmöglichkeiten im Digitalen. Ästhetisch-funktional sind dieselben Dinge als digitales Simulakrum etwas Neues, erhalten eine andere Qualität, deren Differenz neue Zugänge ermöglicht, musikalisch-ästhetisch neu entdeckt und vor allem künstlerisch neu besetzt werden kann. Die fotorealistische Oberfläche des analogen Interfaces der Hardware dient dabei vor allem als Querverweis auf die gerätegeschichtlichen Besonderheiten der dargestellten Hardware und der mit ihnen verbundenen musikalischen Stile.48 Trotz aller Schwierigkeiten sowohl in der akustischen Modellierung als auch in der Dominanz visueller Monitorrepräsentation, gerade im Gebrauch von komplexen analogen Interfaces mit single-point Mauszeiger-Navigation, hat bereits die bloße Simulation des Analogen zu einer grundlegenden Revolution in der Produktion, der Rezeption als auch in der Distribution von Musik geführt, die durchaus mit den revolutionären Umwälzungen bedingt durch die Entwicklung der Notenschrift vor ca.

47 | Zu den Modellen früher Hardware-Sampler und -Synthesizer vgl. H.J. Schaefer/L. Wagner (Hg.): Key Report. Alle wichtigen Synthesizer und Sampler von 1975 bis 1992; M. Vail (Hg.): Vintage Synthesizers. Pioneering Designers, Groundbreaking Instruments, Collecting Tips, Mutants of Technology. 48 | Geradezu absurd mutet die Gattung der als Software wiederbelebten »Synthesizer« allerdings an und gleiches gilt für Mischpulte, Effektgeräte, Sequenzer, Tonbandgeräte bis hin zur digitalen Repräsentation des Doppel-Plattenspielers für virtuelle DJ-Scratch-Effekte, wenn man sich vergegenwärtigt, dass all die Schalter, Buttons und Regler jetzt mit der Maus bedient werden müssen. Jede für die Analogwelt noch so ausgefeilte und praxistaugliche Oberfläche mutiert da von zeitlich diskret in ein digitales nacheinander zerstückeltes Klick-Labyrinth. Deshalb boomt derzeit der Markt, der mit analogen Reglern und Fadern ausgestatteten USBControllern, die über den jetzt wieder analogen Umweg den Zugriff auf die Software-Regler erlauben, welche die aus ihrer angestammten analogen Welt gerissenen Maschinen ins Digitale erweitern. Für die optische und akustische Arbeit in scheinbar vertrauten medialen Umgebungen im Digitalen ist ein im doppelten Sinn hoher Preis zu bezahlen.

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800 bis 900 Jahren vergleichbar ist.49 Obwohl damit das Wesen des neuen Mediums weiterhin nicht begriffen ist, zeigt sich, dass Virtualisierungsstrategien bereits mehr sind als die bloße nachahmende Simulation analoger Phänomene im Digitalen. Mit dem Computer als ubiquitär sich verbreitendes Medium der Medienintegration entsteht eine neue Qualität in Bezug auf die Integration und Verknüpfung aller historischen wie aktuellen medialen Artefakte, als epistemischer Ort künstlerischer Verdichtung und Konzentration. »Das wahre Erhabene kulminiert in der Simulationsmaschine. (Herder) [...] Wenn sich nämlich die Wirklichkeit in exteriorisierte Gedächtnis-, Wunsch- und Medienlandschaften verwandelt, dann werden die Dinge zwangsläufig zu Bildern ihrer selbst. Das ist das Ende aller Dinge. [...] Das allgemeine Programm der Künstlichkeit verlangte nach der künstlichen Kunst. In ihrer bewussten Künstlichkeit würde die Kunst ihren Begriff finden. Bewusst künstlich würde sie dann werden, wenn sie aus der Maschine kam. Das war der Ansatz der frühen sechziger Jahre. Das Kunstwerk war ein komplexes Zeichen, so lehrte Max Bense. Es wies als Zeichen eine tiefe Binnenstruktur auf. Die Materialität dieser Struktur von Zeichen galt es zu durchdringen und in ihr selbst, nicht im Bezug auf anderes, die Kunst zu entdecken. Die Künstler hatten diese Auffassung in Taten und Worten selbst vorbereitet. Wenn die Kunst des Kunstwerks – sein Sinn? – in ihm selbst lag, wenn ästhetische Realität wesentlich in der Selbstbezüglichkeit von Zeichen zu suchen war, dann hat der Schritt zur realen Künstlichkeit der Kunst mit dem Computer zu tun. In ihm war endlich die Maschine entstanden, die beliebige Symbolketten zu bearbeiten gestattete. Alles Wissen war auf Daten und Algorithmen zu reduzieren, Kunst kam in der Dimension der Syntaktik zustande, Intuition war das Wirken von Wahrscheinlichkeitsverteilungen und Pseudozufallsgeneratoren.«50

Die zitierte Kategorie medialer Erhabenheit, wie sie von Herder verwendet wird,51 verweist auf grundlegende ästhetische Fragestellungen, wie sie sich im Riss der raum-zeitlichen Realität des Cyberspace neu konfigurieren müssen: Im Versuch, das Unwirkliche künstlich zu realisieren 49 | Vgl. M. Harenberg: »Die Ästhetik der Simulation. Musik aus virtuellen Räumen«, in: S. Schade/Th. Sieber/G.Ch. Tholen (Hg.), SchnittStellen, Basler Beiträge zur Medienwissenschaft, Bd. 1, S. 395f. 50 | F. Nake: »Künstliche Kunst«, in: K.-U. Hemken (Hg.), Im Bann der Medien. Ein elektronisches Handbuch. Texte zur virtuellen Ästhetik in Kunst und Kultur, S. 552. 51 | B. Suphan, (Hg.): Johann Gottfried Von Herder. Sämtliche Werke, Bd. 22, S. 231.

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und das Unmögliche zu modellieren. Es bleibt ein offenes Hantieren zwischen dem sich vervielfältigenden Möglichen und dem singulär Wirklichen. Wobei wir mit dem Nachdenken über virtuelle Medialität bereits anerkennen, dass mehrere Realitäten existieren, die seit »Hamlet, Nietzsche und Wittgenstein«52 schon immer als relative erscheinen müssen und z.B. in der Malerei bereits seit der Erfindung der Zentralperspektive einen simulativen medialen Status besitzen. Bereits mit Kant erkennen wir die Welt, wie sie uns erscheint – nicht wie sie ist. Allerdings wird die antike Differenzierung von Sein und Schein damit endgültig hinfällig. Aus der Perspektive postmoderner Zukünfte sehen wir schließlich eine neue Welt und nicht die alte Welt in einer lediglich anderen Perspektive. Ästhetische Medialität wird innerhalb von Reihen ästhetischer Welten abstrakter Imagination der Kunst zum Sonderfall. »In dem wir die Frage nach der ontologischen Würde der virtuellen Realität durch den Hinweis auf ihren ästhetischen Status beantworten, lösen wir den Cyberspace aus dem Konkurrenzverhältnis zur Wirklichkeit – und ermöglichen zugleich, seine Stellung innerhalb der Wirklichkeit neu zu bestimmen.«53 Die Realität des Cyberspace ist seine mimetische Nachahmung eines Ortes der analogen Welt außerhalb der Speicher. Aber spezifisch für den ästhetischen Umgang mit neuen Medien ist eine mediale Ästhetik des Digitalen in Form eigener Bild- und Tonsprachen, »eine Ästhetik, welche gleichsam in einer Umkehrung der reflexiven Bewegung angesichts des Erhabenen die Überwältigung der Betrachter und Nutzer durch ihre suggestive Immersion in die dargestellten Bilderwelten [und Sound-Welten, MH] intendiert. Der Kern dieser Ästhetik ist eine Anthropomorphisierung der Technik.«54 In den aktuellen ästhetischen medialen Aneignungen lassen sich in der relativ neuen Welt der Smartphone- und Tablet-Apps Verfahren, Werkzeuge und Interfaces erkennen, die bereits ohne Metaphern des Analogen auskommen und die spezifische Identität digitaler Medien und Netzwerkumgebungen anerkennen und nutzen.55 Es sind die Verfahren der Nonstandard-Synthesen, die eine neue Qualität sowohl an Werkzeugen 52 | Münker/Roesler: Mythos Internet, a.a.O. [s. Anm. 38], S. 121f. 53 | Ebd., S. 121f. 54 | Ebd., S. 121f. 55 | Dazu gehört etwa Software, die über keinerlei ästhetische wie formal-funktionale »Vorbilder« im Analogen verfügt, wie z.B. Ableton Live oder Max/MSP bzw. die iOS Apps »iGendyn«, »Mega-Curtis« oder »SynthPond«. Aber auch das Apple Betriebssystem OS X stellt z.B. mit

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als auch an ästhetischen Ergebnissen erwarten lassen, da traditionelles Denken und Arbeiten nicht mehr greift und grundlegend neue Ansätze, Denkweisen und Verfahren gefragt sind. Als die ersten verfügbaren Audio-Technologien in dieser Richtung können alle Techniken der Nonstandard-Synthesen angesehen werden, auch wenn sie, wie im Falle von Physical Modeling, in den ersten Anwendungen noch starke Wurzeln im Simulationsparadigma erkennen lassen. Wir lernen erst langsam, die neuen Potenziale zu erkennen und zu nutzen.56 Es gibt vor allem in der Popmusik eine lange Tradition, mit solchen Effekten sowie den spezifischen Qualitäten des Medialen zu experimentieren, um entsprechende Gestaltungspotenziale auszuloten und damit die Aufmerksamkeit der Rezipienten zu mobilisieren. So firmierten Ende der 90er Jahre als erste virtuelle Band die Gorillaz, die lange Zeit lediglich als Comicfiguren im Stil japanischer Underground-Ästhetik existierten, ohne dass man die sich dahinter verbergenden Musiker und Zeichner etc. kannte.57 Dieses interessante Spiel mit Identitäten, den An- wie Abwesenheiten und die damit erzielten Medieneffekte gipfelte in gemeinsamen interaktiven Auftritten von Madonna und diversen Rap-Größen mit den 3D-Projektionen der Comicfiguren, auf einer gemeinsamen Bühne und vor Zigtausenden Fans. Als Gemeinsamkeit all dieser um das Phänomen realer Abwesenheiten kreisenden Beispiele ist festzuhalten, dass sich der Diskurs des Virtuellen offensichtlich zum einen um den Topos der Unsichtbarkeit oder, wie im Fall von Software speziell, um den der Nichtmaterialität dreht und zum anderen um einen konstruierten Gegensatz von wirklichkeitsvernichtender Virtualität und einer dagegen behaupteten »natürlichen« Realität. Vermittelt geht es dabei immer auch um Maschinen und Medien, ohne die es keinen Zugang zu diesen als »virtuell« erfahrenen Phänomenen gäbe. Diskursiver Grundtenor bleibt eine Rhetorik des Verschwindens und des Verlustes, vor allem auch um die Leiblichkeit des bedrängten organischen Körpers in den unsicheren Umgebungen des zur Totalität des »intelligenten Ordnern« auto-indexalische Tools zur Verfügung, die nicht länger der analogen Metapher des (Desktop-) Schreibtisches gehorchen. 56 | Vgl. Kapitel 5. 57 | Die Musiker und Gestalter waren Damon Albarn (Blur) und Jamie Hewlett (Tank Girl). Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Gorillaz. Das Projekt steht in der Tradition virtueller japanischer Popidole der 80er und 90er Jahre, wie z.B. DATE Kyoko und FUJISAKI Shiori.

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Realen erklärten leeren physikalischen bis ins Unendliche ausgedehnten Raumes. Darin könnte sich allerdings eine Reaktion der gerade zu Ende gehenden Simulationsära bemerkbar machen, die prominent von der Sorge um Identität, Ursprung und der Frage nach dem Original getrieben war, was sich z.B. an der Verschleierung digitaler Produktionswerkzeuge oder der Distributionsdiskussion im Zusammenhang mit Kompressionsformaten wie MP3 zeigen lässt. In einer Definition zum Begriff der Virtualität aus dem 18. Jahrhundert begegnen wir Erklärungen immaterieller wie nicht-technischer Natur, die sich auf gesellschaftliche Phänomene und konkrete Machtverhältnisse beziehen, was den aktuellen Definitionsansatz erweitern könnte. »Virtualiter, der Kraft nach, durch eine richtige Folge, ist ein metaphysisches Kunstwort und wird in der Metaphysik der Scholastiker dem Worte formaliter entgegengesetzt. Es hat die Bedeutung, dass etwas von dem anderen in Ansehung der Existenz und des Wesens nicht würklich, sondern nur der Kraft nach gesaget wird, z. B. der König ist allenthalben seines Landes, nicht formaliter, als wäre er wirklich an allen Orten, sondern virtualiter, weil er überall seine Beamten hat, die statt seiner da sind.«58

Noch interessanter entfernt und verallgemeinert sich die Definition bei Leibniz, der Virtualität bereits als einen Realitätsbegriff komplexerer Ordnung begreift, der auch Wünsche, Ideen, Phantasien etc. beinhalten kann.59 Damit aber sind wir bei aktuellen Diskussionen, wie sie in Bezug auf ästhetische Medieneffekte des Digitalen nicht nur in der elektroakustischen Musik und der Medienkunst, sondern z.B. auch in anderen künstlerischen Bereichen wie Design und Architektur geführt werden. Gemeinsam ist diesen Diskursen, dass sie im Kern auf die konzeptionellen Veränderungen des allgemeinen, wie in der Konsequenz auch des musikalischen, Raum- und Zeitbegriffs reagieren, die im Zuge einer qualitativ neuen medialen Grunddisposition wirkmächtig geworden sind. Bereits seit den 50er Jahren beobachten wir eine Konfrontation prätechnologischer Strukturen und Ordnungssysteme mit den medialen Codes 58 | J.H. Zedler: »Universallexikon« (1746), zit. nach: A. Bühl (Hg.), CyberSociety. Mythos und Realität der Informationsgesellschaft, S. 46. 59 | Vgl. Münker/Roesler/Sandbothe: Medienphilosophie, a.a.O. [s. Anm. 6]; Tholen: »Einschnitte«, a.a.O. [s. Anm. 43], S. 23-36; ders.: »Risse im Gefüge von Raum und Zeit«, in ders., Die Zäsur der Medien, [s. Anm. 4], S. 111f.

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und Formalisierungsleistungen einer medientechnischen Realität, die seit der Kybernetik auch starken Einfluss auf die Organisation der Wissenschaften, des Politischen, des Ökonomischen und des Sozialen besitzt. Es ist das Ende der Technik als »Oberflächenphänomen« (Bense) und ihr Eindringen in die medialisierten »Feinstrukturen der Welt«.60 Nicht erst vor dem Hintergrund alltäglicher Erfahrungen in Informationsnetzwerken wird der Raum der Kommunikation immer vielseitiger und abstrakter denkbar, anhand alltäglicher Handlungen wird er jetzt real erfahrbar. Raum wird zusehends nicht nur mathematisch, sondern auch im Alltagsbewusstsein als nicht-stationäres Netzwerk relativer Ortsbeziehungen erfahren und immer weniger als anthropologische Konstante kantischer Prägung. Nichteuklidische Raumkonzeptionen verzichten auf eindeutige Orte und/oder Zeiten zugunsten dynamischer Gemengelagen aus Verhältnissen und Beziehungssystemen wie sie in komplexen Zeichensystemen medial abgebildet werden. Deren Gemeinsamkeit stellt sich in der Exteriorisierung ihrer Signifikanten in Form einer beschleunigten Zirkulation abstrakter Informationen dar, wodurch komplexe semiotische Zeichenprozesse und -systeme dynamisiert und gleichzeitig alltäglich erlebbar und nicht mehr nur experimentell-künstlerisch anwendbar geworden sind. In der Konsequenz bedeutet dies, dass immer mehr Menschen mit komplexen dynamischen Zeichensystemen konfrontiert sind, was bis vor kurzem bestenfalls die Beschäftigung hochspezialisierter Programmierer, Medienkünstler und Wissenschaftler war. Wir können davon ausgehen, dass sich dadurch die Wahrnehmung der Welt sowie die Interpretation von Welt- und Selbsterfahrung grundlegend ändern wird.61 In der Konsequenz geraten Dinge wie auch Verhältnisse offensichtlich in Bewegung, verlieren ihre »harte« Eindeutigkeit und beginnen in unserer Wahrnehmung »weicher« zu werden.62 Dieser Effekt der Fluidisierung, ehemals als starr und fest wahrgenommener Qualitäten, geht weit über den Bereich musikalischer, dynamisierter Bearbeitungsmöglichkeiten von Sound hinaus und ist jenseits der physikalischen Zusammenhänge von 60 | M. Bense: »Kybernetik oder Die Metatechnik einer Maschine« (1951), in ders./E. Walther (Hg.), »Ausgewählte Schriften«, Bd. 2, S. 436. 61 | Vgl. Großklaus: Medien-Zeit, Medien-Raum, a.a.O. [s. Anm. 30]. 62 | Begriffe wie »Wetware« als »weiches« körperlich-stoffliches Pendant zur kalten, technischen »Software« finden sich bereits in der Science-Fiction-Literatur der 90er Jahre etwa bei Rucker, Gibson und Sterling.

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Zeit, Tonhöhe und Abspielgeschwindigkeit zu einem zentralen künstlerischen Gestaltungsmittel geworden. In der ersten Phase digitaler Erprobungen sprengt er bereits die strukturell begrenzten Möglichkeiten von bloßen Simulationsverfahren.63 Vari Phrase oder Elastic Audio sind als kommerzielle Verfahren der Firma Roland Ende der 90er Jahre erstmals in der Lage, die starr an Schallplatte und Tonband (Loops und Schnitt) einerseits und subtraktiver Klangsynthese (ROM-Synthesizer auf Sample-Basis) anderseits orientierten Arbeitsweisen mit Samples aufzubrechen.64 Physikalisch gegebene Zusammenhänge zwischen Abspielgeschwindigkeit, Dauer und Tonhöhe werden erstmals außer Kraft gesetzt und können von nun an frei definiert und eigenständig gestaltet werden. Die auf algebraischen Verfahren indexalischer Granularsynthese65 beruhende digitale Technik, die mathematisch-statistische Techniken nutzt, sprengt damit in der Tradition der Nonstandard-Verfahren den Rahmen reiner, am Analogen orientierter Simulationsleistungen im Digitalen. Audiodaten werden zu abstrakten medialen Artefakten, die in Bezug auf physikalische Grundgesetzmäßigkeiten »flüssig« und wenig später auch in Echtzeit in alle ästhetisch-musikalischen Dimensionen moduliert und »verbogen« werden können, ohne dass dabei eine Orientierung am Referenzrahmen der realen physikalischen Welt länger notwendig ist. Audio-Objekte solcher Art, materieller wie informatorischer Natur, generieren gegenüber ästhetischen Ideen scheinbar keinerlei Widerstand mehr. Man kann sich nicht länger an ihrer Stofflichkeit abarbeiten, die ihre eindeutige Identitätsbehauptung, Materialität und Verortung voraussetzen würden, was Formen, Strukturen, Instrumente, Ästhetik, symbolische Speicher etc. in der Musik der letzten tausend Jahre erfolgreich vollbracht haben. Angesichts der zunehmenden Immaterialisierung von Arbeit in weltweiten Netzwerken, anhaltenden Prozessen der Globalisierung aller Aus63 | Vgl. Y. Volkart (Hg.): Fluide Subjekte. Anpassung und Widerspenstigkeit in der Me dienkunst. 64 | http://www.roland-museum.de/synth/html/VP9000/Roland_VP9000_ro.html; vgl. M. Harenberg: »Schnittmuster in der Populären Musik. Historische Betrachtungen 1980-2008«, in: I. Brockhaus/B. Weber (Hg.), Inside The Cut: Digitale Schnitttechniken und Populäre Musik. Entwicklung – Wahrnehmung – Ästhetik. 65 | C. Roads (Hg.): The Computer Music Tutorial, S. 168f.

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tauschverhältnisse im »globalen Dorf« (McLuhan), gilt es die von der historischen Figur des »Mangels« geprägten Grunddispositionen zu überwinden, die unser strategisches und handlungsorientiertes Denken bis heute maßgeblich bestimmt haben. An ihre Stelle treten gesellschaftliche Strategien des potenziellen Überflusses aller Optionen, der Möglichkeit einer prinzipiellen Denk- und Realisierbarkeit unserer Wünsche und Ziele, die dann jenseits alter Optimierungsstrategien und Sachzwänge formuliert werden müssen. Statt Grenzen und Linien werden dynamische und verhandelbare Resonanzen und Felder zum zentralen neuen Medium.66 So geraten Dinge, Intuitionen wie auch künstlerische Fantasien in Bewegung, werden dynamisch und als metadisziplinär verknüpft erkennbar und »verflüssigen» sich scheinbar im direkten Kontakt. Die Leitmetapher des Raumes wird endgültig durch die der Zeit abgelöst, was wiederum längst etablierte Räumlichkeiten jenseits von euklidischen Mentalitäten (Hörl) attraktiv und damit möglich erscheinen lässt.67 Schon der historische Übergang vom Mündlichen zum Schriftlichen ist als Verräumlichung der medialen Prozesse beschreibbar. Schrift, Text, Buch bleiben als lesbare Signifikantenstrukturen über lange Zeiträume stabil. Der Übergang vom Schriftlichen zum Telematischen (Flusser) ist dagegen medial nur noch als dynamischer Prozess seiner Verzeitlichung beschreibbar. Der fließende Strom und nicht der Aktenschrank und das darin befindende Dokument werden mit Sybille Krämer zu Metaphern der wesentlichen Organisationsprinzipien von Informationen.68 Wenn Zeitlichkeit den Datenstrukturen inhärent wird, werden Informationen im Computer zu »Cyberkörpern«, die in »Lifestreams« organisiert und bearbeitet werden. Nichtkartesianische Körperkonzepte werden dann als »Entitäten im Fluss« verstanden; sie werden nicht länger durch ihre singuläre Lage im Raum definiert, sondern durch ihre relativen Veränderungen in der Zeit. Damit einher geht die grundlegende Verschiebung vom 66 | Zur Theorie der Resonanzen und interagierenden Felder vgl. K. Lichau/V. Tkazcyk/R. Wolf (Hg.): Resonanz: Potentiale einer akustischen Figur; G. Deleuze (Hg.): Die Falte. Leibniz und der Barock; H. Winkler/U. Bergermann: »Singende Maschinen und resonierende Körper. Zur Wechselbeziehung von Progression und Regression in der Popmusik«, in: J. Arndt/W. Keil (Hg.), ›Alte Musik‹ und ›neue‹ Medien, S. 143-172. 67 | Darauf baut Michel Serres seine gewaltigen Abstraktionen. Vgl. M. Serres (Hg.): Atlas. 68 | S. Krämer: »Verschwindet der Körper? Ein Kommentar zu computererzeugten Räumen«, in: R. Maresch/N. Werber (Hg.), Raum – Wissen – Macht, S. 55f.

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Register der Textualität zu einem Register der Digitalität. Sichtbar werden die daraus resultierenden Konsequenzen bei Computersimulationen im Akustischen, deren allgemeine Grundlage eine neue Art von Schrift ist, welche die Systemabläufe nur noch dynamisch darstellbar macht. Dynamisierung von Datenstrukturen in der numerischen Simulation beruht darauf, dass aus Zeitpunkten reelle Zahlen werden, die durch infinitesimale Approximationsprozesse definiert sind.69 So wird Zeit in mathematische und damit auch in symbolische Strukturen integriert. Damit sind allerdings auch die Grenzen für Simulationsprozesse des Analogen im Medium des Digitalen exakt beschrieben. Jenseits dieser Grenzen müssen andere Referenzsysteme gesucht und beschreibbar gemacht werden, damit realweltliche Bezüge, Körper und Raum unter dem Diktat ihrer Zeitlichkeit verhandelbar bleiben.70 Die Auswirkungen dieser Grenzen werden heute allmählich auch in nichtmusikalischen und nichtkünstlerischen Bezügen sichtbar. In den Künsten verdrängen Prozesse permanenter Selektion in komplexen präformierten Materialdatenbanken und globalen Archiven die der eindeutigen, individuellen künstlerischen Setzung als Orientierung und Ergebnis linearer Entscheidungsprozesse. An all diesen Entwicklungen sind Medien wesentlich tiefgreifender beteiligt, als es über Medientheorien zur Virtualität einer immateriellen Simulationsästhetik und ihrer Projektionen oder den Diskursen über technische Verfahren und kollaborative Maschinenstrategien bisher erkennbar und vorstellbar war. Der heute sichtbare Bruch von neuen und alten rechnergestützten musikalischen Strategien und Verfahren, wie er vor allem in der zeitgenössischen akustischen Medienkunst deutlich wird, provoziert die Frage bezüglich der neuen Qualität einer spezifischen Ästhetik des Digitalen nach der Phase der Simulation des Analogen. Eine Virtualität der Ästhetik wie eine Ästhetik der Virtualität lässt sich als eine der Optionen benennen 69 | Wobei z.B. nach Prigogines bei chaotischen Phänomenen mit historisch-linearen Anfangsbedingungen die praktikableren physikalistisch-empiristischen Approximationsverfahren Newtons gegenüber dem prinzipiell-rationalistischen Verfahren Leibniz’ vorzuziehen seien. Vera Bühlmann verdanke ich den Hinweis, dass in Anbetracht der prinzipiell nichtintegrierbaren Situationen in der Komplexitätsforschung »nicht nur Leibniz die Physik verpasst hat«, sondern auch die Physik ihrerseits Leibniz verpasst hat. Vgl. I. Prigogine/I. Stengers/S. Pahaut/M. Serres (Hg.): Anfänge. 70 | Vgl. Krämer: »Verschwindet der Körper?«, a.a.O. [s. Anm. 68], S. 58f.

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und hilft, diese neue Qualität beschreibbar zu machen, solange uns eine grundlegende Philosophie des Virtuellen fehlt.

Mediale Realität des Virtuellen Um die Konsequenzen der Anwendung technischer semiotischer Verfahren auf die Ästhetik medialer Künste besser zu verstehen, lohnt es sich die Rezeption und Weiterentwicklung des Virtualitätsansatzes des Mathematikers und Philosophen Gottfried Wilhelm Leibniz bei Norbert Wiener im Zusammenhang mit der deleuzschen Rezeption des Poststrukturalismus genauer zu untersuchen, um anschließend den Versuch zu unternehmen, sie auf die ästhetischen Fragestellungen des Musikalischen zu übertragen. In Anlehnung und im Rückgriff auf pythagoreische Grundsätze ist die erstaunliche Entdeckung zu Beginn der Renaissance, dass man die Welt kalkulieren muss, um sie detailliert beschreiben zu können. Dies verlangte nach einem radikalen Bruch mit dem herrschenden Theoriebegriff, dem die reine Anschauung und Nachahmung eines Ideals genügte, während nun konkrete Modelle notwendig werden, die sich in und an der zu erkennenden Welt bewähren müssen. Als die besten Modelle bewährten sich abstrakte, doch arithmetisch eindeutige Beschreibungen in Form von Algorithmen, deren Intervalle, Regeln und Codes exakt und diszipliniert befolgt werden müssen.71 Damit existieren im Gegensatz zum historisch-griechischen Ideal einer einigenden alphabetischen Einheit von Sprachlauten, Zahlen und Tönen gemäß dem zentralen pythagoreischen Logos seit der Renaissance drei zentrale, aber deutlich unterschiedene Klassen von operativen Symbolen: Ziffern, Zeichen für Variablen und ihre Operationszeichen. Somit waren Schriftzeichen endgültig keine rein alphabetischen Schriften mehr, sondern von nichtlinearen Mengenzeichen durchsetzt und mit ihnen gemischt – ein alphanumerischer Code. Diese Mengenzeichen, Ziffern und Zahlen werden damit auch gegenüber den Buchstaben wichtiger, womit sich der Schwerpunkt eines linearen historischen Bewusstseins zugunsten eines formalen zu verschieben beginnt. Nach Flusser können wir diese frühen alphanumerischen Codes bereits mit den heutigen medialen 71 | Vgl. V. Flusser: »Digitaler Schein«, in: F. Rötzer (Hg.), Digitaler Schein. Ästhetik der elektronischen Medien, S. 147.

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Künsten vergleichen, da auch sie nicht länger Abbilder von Gegebenem, sondern Entwürfe für noch nicht Verwirklichtes und Projektion alternativer, virtueller Welten sind.72 Die einheitsstiftende Singularität eines einzigen universellen Alphabets hatte damit zugunsten der Vielfalt einer multidisziplinären Brücke zwischen Welterkenntnis und ihrer formal-logischen Beschreibung – und damit auch zwischen den resultierenden wissenschaftlichen Disziplinen und den Künsten – keinen Bestand mehr. Dabei sollte vor allem die bereits streng codierte Musik, mit ihrer ebenfalls auf griechische Wurzeln zurückreichenden mathematischen Basis, von dieser letztlich emanzipativen Entwicklung profitieren.73 Erst heute ist mit symbolverarbeitenden Maschinen eine einheitliche Basis für alle Zeichensysteme in ihrer universalen digitalen Repräsentation (wieder) hergestellt, wenn auch um den Preis ihrer jeweiligen Identität, die im Platzverweis einer streng formalisierten, numerischen Stellenwertlogik verloren gehen muss.74 So ist allerdings die völlige Durchlässigkeit und Austauschbarkeit aller beteiligten Signifikate garantiert, was jegliche Referenzen verschwinden und der künstlerisch-ästhetischen und medialen Neuinterpretation zugänglich werden lässt. Für jegliche Objekte im reinen Datenraum des Digitalen können Signifikantenrahmen für Entscheidungen oder auch Nicht-Entscheidungen zu jedem Zeitpunkt, für jeden Parameter und jeden gewünschten Bezug völlig neu aufgespannt werden.75 Spannend wird es, wenn diese Prozesse selbst zum künstlerischen Material avancieren, mit welchem auf der Metaebene signifikantenfreier Referenzsysteme gespielt werden kann. Damit sind neue künstlerische Strategien beschrieben, wie sie sich aus der aktuellen Virtualität formalisierter musikalischer Spielumgebungen ergeben. Der Musikwissenschaftler Johannes Lohmann verweist auf frühe mythologische Wurzeln dieser medientechnischen wie medientheoretischen Entwicklung. In der griechischen Mythologie ist Harmonia, Tochter des Ares, auf deren weltlicher Hochzeit mit Kadmos erstmals die Götter und die Musen in persona erschienen, für die Verbindung von ästhetischem Schaffensprozess und der Welt zuständig. Als Beschützerin und Bewah72 | Vgl. ebd. 73 | Vgl. J. Lohmann (Hg.): Musiké und Logos. 74 | Vgl. Tholen: Die Zäsur der Medien, a.a.O [s. Anm. 4]. 75 | Vgl. F.A. Kittler: »Honig der Sirenen, Logos der Musik«. http://www.aesthetik.hu-berlin. de/medien/texte/honig.php.

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rerin sowohl der Wissenschaften als auch der Künste genießt sie höchste Verehrung. Auf diesem Mythos bauten die Phytagoreer ihre grundlegende Verbindung von Harmonie und Kosmos zu einem umfassenden Weltbild aus, in dessen Zentrum ein formaler Harmoniebegriff entstand, der erstmals rein mathematisch beschrieben war. In den Zahlen und ihren formalen Manipulationen wurden alle Prinzipien des Seins gewähnt, in dessen Urgrund sich die mathematischen Proportionen musikalischer Harmonie der metaphysischen Ordnung der Welt ausdrücken.76 Im Weiteren übernehmen Platon und Aristoteles mit einer formalen theoretischen Weiterentwicklung der Harmonielehre die phytagoreische Konzeption der Zahlenharmonie und entwickeln sie zu einem Universalbegriff. Im Timaios, Platons letztem Werk, beschreibt er die Schöpfung der Weltseele als Zustand absoluter Harmonie, die ein Gott nach den aus musikalischen Proportionen abgeleiteten Idealzahlen bildet. Die Idealzahlen der berühmten Timaios-Tonleiter entsprechen den musikalischen Konsonanzen und finden ihr Abbild in der menschlichen Einzelseele, weswegen der Mensch mit Sinn für Ordnung, Maß, Proportion und Harmonie ausgestattet ist. Außer in der Timaios-Tonleiter nennt Platon im Menon-Dialog geometrische Formen, aus Dreiecken und Quadraten gebildete Körper, als mathematische Grundmasse. Im Anschluss findet sich erst wieder mit dem römischen Architekturtheoretiker Vitruv, der an hellenistische Vorstellungen systematischer Proportionen der Antike anknüpft, ein Kompendium antiker Schönheitslehre unter dem pythagoreisch-platonischen Leitgedanken einer objektiv-gesetzmäßigen auf Zahlen und Proportionen beruhenden und auch verstandesmäßig erfassbaren Ästhetik. Solche objektiv abgeleiteten Gesetzmäßigkeiten, wie diejenigen der Schönheit und der Künste, triumphieren zum einen vor jedem Individualismus, zum anderen aber auch vor jeder Mystik und Metaphysik, wie sie im Mittelalter zum Tragen kommt. Am Übergang von der Antike zum Mittelalter wird ein Verständnis von Ästhetik als eigenständige Qualität dominant, die nicht länger als Übereinstimmung von prädefinierten Teilen gedacht wird, sondern die als individualisierte sinnliche Regung der Seele erfahrbar ist. Das leibnizsche Weltbild ist entsprechend seiner Zeit und der Rezeption des Harmoniebegriffes monokausal, streng hermetisch-zentralistisch, und es spielt sich alles an den Grenzen eines Lokalen ab, das somit aus sich 76 | Vgl. Lohmann: Musiké und Logos, a.a.O. [s. Anm. 73], S. 109.

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selbst heraus zum Globalen avancieren kann. Das »Viele« kann dadurch als »Eines« gesehen werden, das in seinem nicht topologischen Zentrum verortet und von Leibniz »Gott« genannt wird. Dieses Eine ist das absolute mediale Kommunikationszentrum, über das jegliche Kanäle und Ströme laufen müssen. Es wird zum Universellen der Kommunikation an sich, deren gemeinsame Sprache die Mathematik darstellt und deren Kalküle die Welt letztlich erschaffen.77 Er steht damit, wie bereits dargestellt, in der speziell musikalischen wie allgemein philosophischen Tradition pythagoreischer Einheit der Zeichen und des Logos, in der die Welt in Zahlen und Proportionen anschreibbar erscheint. Doch die Formen und die Bezüge dieser Anschreibbarkeit werden von Leibniz entscheidend weiterentwickelt, wesentlich komplexer und in Bezug auf mögliche Symbolsysteme ausdifferenziert. Damit wird erstmals auch das Rechnen mit grenzenlosen Dingen, wie Brandungswellen, Wolken oder komplexen akustischen Schallereignissen von Musikinstrumenten ermöglicht, welches den Griechen und ihrer mit irrationalen Verhältnissen kämpfenden Arithmetik in Form von »Kalküle« genannten Steinchen, die im Sand umher geschoben wurden, verborgen bleiben musste.78 Der Kerngedanke leibnizscher logischer Kalküle besteht im streng schematischen und vor allem interpretationsfreien Umgang mit schriftlichen Symbolen und Ziffernsystemen. Der abstrakte und in sich widerspruchsfreie Umgang mit Zeichenreihen, ohne deren spezielle Bedeutung kennen zu müssen, als von ihrer Interpretation getrennten Manipulation von Symbolreihen, ist die grundlegende techné und ein Kunstgriff zur Entlastung des Verstandes von den Mühen der Interpretation, der gleichzeitig nach den Regeln und Gesetzen solcher mechanischer Manipulationen fragt. Für diesen Kunstgriff muss sich der denkende Verstand selbst in einen abstrakten Apparat verwandeln, der schrittweise eindimensionale Strukturregeln abarbeitet. Es ist das nach außen projizierte und mechanisch aufgeführte Schauspiel des Denkens, welches als Inszenierung zur Verfolgung des Reglements hier darzustellen ist; eine in diesem Zusammenhang erstmals geforderte und imaginierte spielerische Denk- und Vorstellungshaltung, die gerade heute aus dem Gegensatz zu einer ganzheitlichen, humanistischen und komplexen Interpretation ihren ästheti-

77 | Vgl. Kapitel 4. 78 | Vgl. Kittler: »Honig der Sirenen«, a.a.O. [s. Anm. 75].

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schen Reiz zu ziehen in der Lage ist.79 Der Preis für diese ideelle, autoaggressiv-maschinelle, wenn auch lustvolle Selbstverstümmelung ist der typographische Gebrauch von Symbolen in linearer, eindimensionaler Ausrichtung der Schreib- und Leserichtung. Fortan ist es zwingend notwendig, diese eindeutige Schreib- und Leserichtung einzuhalten, welche die Ver- wie Entschlüsselung eines dezimalen Ordnungssystems garantiert, in der lediglich die Stellenwertigkeit und nicht länger das Zeichen an sich als Bedeutungsträger im Kontext eines ansonsten stark vereinfachten Symbolsystems fungiert. Damit muss allerdings zwangsläufig auch der Akt der Wahrnehmung selbst strikt monolinear werden, ein Wechsel der Perspektiven muss ausgeschlossen werden, der eindimensionale Blick ist zwingend vorgeschrieben und wird mühsam antrainiert. Sybille Krämer fragt in diesem Zusammenhang nach der Verbindung zur Entstehung der Zentralperspektive als konstitutives Bildprinzip und der Herausbildung der formalen Logik in der Mathematik und ihrer Verallgemeinerung zur Rechenpraxis der Neuzeit.80 Man kann diese Frage in der Musik auf die Entstehung einer raumbezogenen Komponier- und Musizierpraxis und ihren Notationssystemen im 17. Jahrhundert in Europa übertragen und nach konstitutiven Verbindungen zur elektronischen Lautsprechermusik der Neuzeit fragen.81 Auf jeden Fall sind die Zurichtungen der Gutenberg-Galaxis für McLuhan Grund genug, um an eine telematische Revolution, vor allem im Akustischen, die das eindimensionale und zielgerichtete Denken befreit und öffnet, zu glauben. Schon im 16. Jahrhundert ging es bei der musikalisch-kompositorischen Einbeziehung des Raumes um die strukturelle Ausweitung kompositorischer Formprinzipen. Die Aufstellung und Bewegung der Stimmen und Chöre im Raum konnte zum Beispiel die Topologie der Form 79 | Zum Beispiel wird die Unterwerfung unter die einfache, sich wiederholende »Mechanik« eines analogen 8-Step-Sequenzers von Musikern elektronischer Musik immer wieder als wichtige Quelle ihrer Inspiration zitiert. Vgl. D. Keppler: »Der Futurismus oder Die Musik im Zeitalter der Maschine«, in: PopScriptum 7 – Musik und Maschine. 80 | S. Krämer (Hg.): Symbolische Maschinen. Die Idee der Formalisierung in geschichtlichem Abriss, S. 177f. 81 | Vgl. M. Harenberg: »Die musikalisch-ästhetische Verortung klingender Räume« in: M. Warnke/W. Coy/G.Ch. Tholen (Hg.), HyperKult II. Zur Ortsbestimmung analoger und digitaler Medien, S. 211-232.

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der Komposition, die somit zwischen einchöriger Homophonie und mehrchöriger Polyphonie in verräumlichter Darstellung wahrgenommen werden kann, repräsentieren. Überliefert ist z.B. das Werk des Niederländers Adrian Willaert, Kapellmeister an San Marco in Venedig von 1527-1562. Der Markusdom mit seinen zwei Orgeln, Emporen und dem achsensymmetrisch unterteilten Mittelschiff wurde von Willaert als Raum zur formalen Gestaltung seiner mehrchörigen Werke genutzt. Es muss eine große Wahrnehmungshilfe gewesen sein, den auch für die Rezeption schwierigen Schritt von der Ein- zur Mehrstimmigkeit über räumliche Dispositive gleichsam vorgeführt zu bekommen. Das Werk entsteht vor dem Ohr wie vor dem Auge in seiner strukturell absolut anspruchsvoll neuen Art. Es wird zu »raumgewordener« Form in »klanggewordenen« Raum. Die Aufführung der harmonisch wie kontrapunktisch bereits voll ausgebildeten mehrchörigen Werke projiziert die bis dahin gültigen polyphonen Mittel struktureller Organisation aus den symbolischen Zeichen-Räumen der Partitur in den Realraum, der dadurch eine strukturell-kompositorische Funktion erhält. Es handelt sich im Kern um eine Projektions- und Virtualisierungstechnik für musikalische Formen, wie man sie strukturell durchaus mit der Entwicklung der Zentralperspektive in der Malerei vergleichen kann. Alle musikalischen Raumkonzepte müssen sich die Frage nach der kompositorischen und strukturellen Funktion ihrer spezifischen Räumlichkeit wie Zeitlichkeit seither gefallen lassen – wie auch vice versa alle raumbezogenen Konzepte als potenzielle Materialisierung kompositorischer Formprinzipen gelesen werden können, was im zeitlich dominierten akustischen Cyberspace virtueller Instrumente eine neue ästhetische Qualität bekommt.82 Für Leibniz provoziert der räumlich wie zeitlich eindimensionale, streng schematische Gebrauch von Symbolen die Idee einer vereinfachten, unmittelbar anschaulichen Begriffsschrift. Seine Methode erlaubte es, Begriffe und verallgemeinert damit auch abstrakt formulierte Ideen mit

82 | Beispiele für diese topologischen Strukturtechniken finden sich neben Venedig etwas später auch in England – etwa bei Tallis. Zeitgenössische Komponisten wie Luigi Nono haben in ihren Überlegungen zur Verräumlichung elektroakustischer Musik sehr stark auf diese Beispiele rekuriert. Vgl. M. Harenberg: »Die musikalisch-ästhetische Verortung klingender Räume«, a.a.O. [s. Anm. 81], S. 211-231.

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Hilfe ideographischer Symbole so darzustellen, dass die Zusammensetzung der Begriffe aus einfacheren Begriffen unmittelbar einsehbar und nachvollziehbar würde. Durch die Zuordnung von Zahlen zu Begriffen hätte er zudem Eigenschaften von Begriffen direkt als arithmetische Größe ausdrücken können, womit sein strukturiertes, monozentristisches Universum vollständig, inklusive irrationaler und komplexer Erscheinungen, in Form von Symbolen darstellbar gewesen wäre. Die Konsequenz einer solchen umfassenden Formalisierungsleistung ist die Möglichkeit, alle folgenden Operationen und Manipulationen an Maschinen delegieren zu können. Ganz im Gegensatz zu der weiteren historischen Entwicklung besitzt dieser Ansatz heute eine ungeahnte Aktualität. Glaubten Descartes wie Galilei, jeden Punkt der Welt mittels Geometrie mechanisch auszählen zu müssen, verfeinert sich dieser Ansatz bei Leibniz erheblich. Er führt eine komplett neue Klasse von Zahlen ein, die in der Lage sind, die bisherigen Intervalle aufzufüllen, indem sie diese als Differenziale integrieren. Mittels Differenzialgleichungen kann mit Leibniz alles mathematisch Formulierte erkannt und als abstrakte Größe mit anderen in Beziehung gesetzt werden, was einer formalen Darstellung zugänglich ist. Allerdings bleibt das unlösbare Problem, die komplexen Ergebnisse dieser Differenzialgleichungen in praktisch anwendbare Arbeitsmodelle zurückzuverwandeln, wozu man sie renummerieren und in natürliche Zahlen rückcodifizieren muss, was mathematisch, als einfache Umkehrung der Methode, nicht machbar ist. Dazu braucht es aufwendige Modelle und Versuche, um zumindest Näherungswerte zu erreichen. Damit aber sind wir, mit Flusser gesprochen, seit Leibniz in der paradoxen Situation, zwar allwissend, aber nicht allmächtig zu sein, womit die gewonnenen Erkenntnisse in Bezug auf komplexe und also interessante Themen, wie die Liebe, die Kunst oder der Tod, komplett nutzlos sind.83 Das Ergebnis der neu gewonnenen Weltbeschreibungsmodelle durch Differenziale bei Leibniz ist aber zunächst einmal ein Universum scheinbarer Rationalitäten, in dem Kommunizieren Rechnen bedeutet und das voller nicht nur gedanklicher, sondern auch stofflicher mechanischer Automaten ist, die es am Laufen halten.84 Diese von Leibniz in pythago83 | Vgl. Flusser: »Digitaler Schein«, a.a.O. [s. Anm. 71]. 84 | Zu Leibniz vgl. M. Serres: »Der Dialog zwischen Descartes und Leibniz«, in: ders. (Hg.), Kommunikation, Hermes I, S. 173-214; ders. (Hg.): Der Parasit; Krämer: Symbolische Maschinen, a.a.O. [s. Anm. 80].

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reischer Tradition als »Monaden«, als absolutes Minimum denkbarer arithmetischer Größen, bezeichneten immateriellen, »teilchenlosen« Maschinen als metaphysische Zentren und Repräsentationen von Subjekt wie Welt, sind kleinste in sich geschlossene »fensterlose« Antriebseinheiten, die nach Deleuze im Rahmen einer Ontologie der Virtualität verstanden werden können.85 Die leibnizschen Monaden sind streng hierarchisch organisiert: von den Entelechien als Zentren spontaner Aktivitäten in anorganischer Materie über die mit dem Begriff der Seele bezeichneten Kraftzentren der Empfindungen und des Gedächtnisses bei Tieren und Menschen bis zu den vernunftbegabten Seelen oder Geistern gedanklicher Selbstreflexion und des Ich-Bewusstseins. Sie besitzen aber im Unterschied zu den Modellen der Atomistik selbst keinerlei Ausdehnung oder Körper, sondern existieren als beseelte metaphysische Punkte oder metaphysische Atome. Als solche können sie allerdings in verschiedenen Zuständen auftreten. Sie sind entweder erwacht oder schlafend, je nachdem in welchem Teil von Natur und Bewusstsein sie sich befinden, zu welchem Teil organischer oder nichtorganischer Körper sie gehören und welche jeweilige Einheit sie damit konstituieren und zugleich garantieren. Dort sind sie die eigentlichen Quellen von spontanem und komplexem, d.h. rein mechanisch nicht erklärbarem Wirken oder Phänomenen in der Natur. Damit aber sind sie zugleich lebendige Spiegel des Universums, die sowohl zu perzeptiven wie auch appetitiven Reaktionen in der Bewegung zur nächsten Perzeption fähig sind. Bezogen auf unsere heutigen informatorischen Prozesse, den chaotischen Strömen symbolischer Zeichen in unseren Netzwerken, die neben den Maschine-zu-Maschine-Kommunikationen des globalen Servernetzwerkes ein plurales, globales Kommunikationsnetzwerk aus unzähligen Individuen repräsentieren, die Leibniz wohl als Monaden vernunftbegabter Seelen bezeichnet hätte, handelt es sich nach Deleuze um Inexionen, Prozesse imaginärer und symbolischer Perzeption von Welt. Da jede leibnizsche Monade im Sinne holographischer Fraktalität eine vollständige Repräsentation dieser Welt enthält und zudem hermetisch im Sinne einer Singularität existiert, könnte man das gesamte Universum als eine Virtualität ansehen, die als Repräsentation im Innern der Monade auftritt. Damit verliert aber auch das monadisch interpretierbare Subjekt seine einzigar85 | Deleuze: Die Falte, a.a.O. [s. Anm. 66], S. 42f.

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tige Autonomie; wird es doch zum flusserschen »Projekt«, in dem sich Innen und Außen, Welt und Subjekt über zeitliche Prozesse der Virtualität wie der Aktualisierung regulieren. »Es ist immer eine Seele, die das einschliesst, was sie aus ihrem Gesichtspunkt erfasst, d.h. die Inexion. Die Inexion ist eine Idealität oder Virtualität, die aktual nur in der Seele existiert, welche sie umhüllt. So ist es auch die Seele, die Falten hat, welche voller Falten ist. Die Falten sind in der Seele und existieren aktual nur in der Seele. Das trifft bereits auf die eingeborenen Ideen zu: diese sind reine Virtualitäten, reine Vermögen, deren Tat in einer inneren Tätigkeit der Seele besteht (innerliche Entfaltung). Das trifft aber für die Welt nicht weniger zu: die ganze Welt ist nur eine Virtualität, die aktual nur in den Falten der Seele existiert, die sie ausdrückt, wobei die Seele von inneren Entfaltungen aus operiert, wodurch sie sich eine Repräsentation der eingeschlossenen Welt gibt. […] Man geht also von der Welt zum Subjekt um den Preis einer Drehung, die bewirkt, dass die Welt aktual nur in den Subjekten existiert, zugleich allerdings, dass die Subjekte sich alle auf diese Welt beziehen als auf die Virtualität, die sie aktualisieren. […] Es handelt sich um Prozesse, welche einem Gewebe von unbewussten kollektiven psychischen Vorgängen aufsitzen und von diesem Gewebe nicht nur gespeist, sondern auch weitgehend gelenkt werden. Dieses Gewebe reicht weit über das Menschliche hinaus, umfasst vielleicht alles Lebendige und zerfranst sich nach unten. Das Ich erweist sich als eine Art von Spitze eines sich im Kollektiven auflösenden und von dort aus sich kristallisierenden Eisbergs.«86

Dieser Eisberg wird als das Innerste der Monade kenntlich und bedeutet in letzter Konsequenz, dass in einem umfassenden Sinne Virtualität zu einem wesentlichen Masse am rezeptiven wie perzeptiven menschlichen Inder-Welt-Sein beteiligt ist, deren zeitgemäße Formen und Möglichkeiten in alternativen Welt- wie Klangentwürfen aus dem Computer zu finden sind. Die Verbindung des leibnizschen Ansatzes mit aktuellen Phänomenen ist ein Versuch, den z.B. auch Peter Sloterdijk in seiner Sphären-Trilogie, mit der Vorstellung unserer technischen Netzwerke als einem Außen der Monade, unternommen hat.87 Dabei existieren die von ihm beschriebenen Sphären als singuläre Phänomene, die Vielheiten in sich repräsentieren, als »Formen, die sich 86 | Ebd., S. 47f. 87 | P. Sloterdijk (Hg.): Sphären. Eine Trilogie, Band I: Blasen, Band II: Globen, Band III: Schäume.

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selbst realisieren«,88 ebenso wie die Monaden in komplexen MenschMensch- und Mensch-Maschine-Kommunikationszusammenhängen zwischen einem Innen und einem Außen. Sloterdijks Sphären ähneln Beziehungsgeflechten in metaphysischen wie aktuell in virtuellen Umgebungen, die allerdings im Unterschied zum monozentristischen Universum Leibniz’ über keinerlei Zentrum und Gravitationspunkte mehr verfügen. Aber auch hier werden in letzter Konsequenz jegliche Unterscheidungen von »natürlich« versus »künstlich« ebenso obsolet wie die von »Schein« und »Real« etc., so wie es bereits Flusser in Bezug auf unsere Wahrnehmungsmöglichkeiten formuliert hat. Die Fragilität und gleichzeitige Verflüssigung von Wirklichkeitsverständnissen führt zwangsläufig zu neuen Modellen von Wirklichkeit, was wiederum auf unser Selbstverständnis und damit auch auf unsere produktiven wie rezeptiven Möglichkeiten und Vorstellungen bis in die Ästhetik und künstlerisch-musikalischen Konzepte zurückschlägt.89 »›Wir‹ ist ein Knoten von Möglichkeiten, der sich desto mehr realisiert, je dichter er die in ihm selbst und um ihn herumschwirrenden Möglichkeiten rafft, das heisst schöpferisch gestaltet [...] Wir sind nicht mehr Subjekte einer gegebenen objektiven Welt, sondern Projekte von alternativen Welten. Aus der unterwürfigen subjektiven Stellung haben wir uns ins Projizieren aufgerichtet. Wir werden erwachsen. Wir wissen, dass wir träumen.«90

Bereits im Barock und der Romantik wurde dieser Traum als allgemeiner Aufbruch in neue Möglichkeiten und die Emanzipation des Individuums geträumt. Dabei spielt die Monadologie als Urbild einer techné, als dialektischer Gegenpol zu empirischen und technologisch-wissenschaftlichen Ansätzen, in Form von Spiel und künstlerischer Phantasie, eine entscheidende Rolle. Verfahrensweisen, denen die Eigenschaften einer techné oder gar einer ars zukommen, bekommen den Status einer epistémé – wobei ganz in der Tradition Leibniz’, der die maschinenmäßige Erzeugbarkeit eines wissenschaftlichen Satzes zum Kriterium seiner Wahrheit erhob, auch maschinenmäßig ablaufende Prozeduren wissenschaftsfähig und dadurch 88 | Ebd., Bd. I, S. 79. 89 | Vgl. H. Okolowitz: Virtualität bei G.W. Leibniz. Eine Retrospektive, Kapitel 4, »Die Monadologie als Ontologie der Virtualität«. http://opus.bibliothek.uni-augsburg.de/opus4/frontdoor/ index/index/docId/454 90 | V. Flusser (Hg.): Lob der Oberflächlichkeit. Für eine Phänomenologie der Medien, S. 283.

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vor allem aber auch zu kunstfähigem Material werden. Erst vor diesem Hintergrund kann als Gegenentwurf zum mechanischen Apparat und in Tradition der techné das bürgerliche Ideal der schöpferischen Persönlichkeit in Gestalt des genialen, künstlerisch begabten Menschen mit einer individuell zugestandenen Originalität und Kreativität entstehen, der sich künstlerisch nur auf sich selbst beruft und sich eigene Regeln und Gesetze gibt, die erstmals nicht länger innerhalb künstlerischer Tradition und ästhetischer Konventionen seiner Epoche bleiben müssen. Im Spannungsfeld zwischen diesbezüglich progressiver ent- und verharrender Wiederverzauberung von Moderne und Romantik entsteht eine bis heute unaufgelöste Dualität zweier Bewegungen, wie sie konzentriert in der »Dialektik der Aufklärung« von Horkheimer und Adorno erstmals formuliert, aber nicht überwunden werden konnte.91 Die Darstellung einer neuen emanzipatorischen Entwicklung in den künstlerischen Ansätzen findet sich ästhetisch in der technologischen Konfrontation elektroakustischer Musik, die heute am Beginn einer Ära künstlerischer wie ästhetischer Virtualität steht, in der zeitgemäßen musikalischen Vergegenständlichung von offener, in der Schwebe gehaltener spielerischer Konzeption und digitaler Projizierbarkeit. Die Revolution der epistémé war die Voraussetzung für Komponistenpersönlichkeiten wie Mozart und vor allem aber Beethoven, die erstmals eigene ästhetische Entscheidungen über die musiktheoretischen Formalisierungssysteme der Tradition stellen konnten. Unterstützt wurde sie durch eine andere Entwicklung, die erst unter den heutigen Bedingungen und an ihrem Ende ihre volle Kraft wahrnehmbar zu entfalten beginnt. Unabhängig voneinander verselbständigt sich seit der Renaissance die Entwicklung von musikalisch-kompositorischem Material, also der künstlerischen Inhalte und ihren innermusikalisch-medialen Erscheinungsformen. Das alte Problem der Dialektik von Inhalt und Form wird durch die Delokalisierung seines Ortes und damit einhergehend seiner medialen Präsenz sowie seiner rezeptiven Wahrnehmung verschärft. Damit aber ist die bisher gedachte und im Rahmen von Kunstproduktion als selbstverständlich vorausgesetzte Einheit von Material, Medium und Wahrnehmung für immer aufgebrochen. Von nun an ist es nicht länger 91 | Vgl. das erläuternde Nachwort von Peter Weibel zu den Thesen Sloterdijks in P. Weibel: »Der ästhetische Imperativ«, in: ders./P. Sloterdijk (Hg.), Der ästhetische Imperativ. Schriften zur Kunst, S. 491f.

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selbstverständlich was »Musik«, was »Klang«, was »Komposition« oder »Instrument« überhaupt bedeutet. Historisch ist damit die Basis des musikalischen Theoriegebäudes, auf der Grundlage funktionsharmonischer Modelle in der Spätromantik, als Ganzes in Frage gestellt. Das bis zu Schönberg gültige Konzept der teleologischen Zeit-Linearität konnte im Rahmen tonaler Musik niemals durchbrochen, sondern lediglich in fortschreitender Komplexität gestaltet werden und führt zur grundlegenden Krise der spätromantischen Musik, die mit dem Zusammenbruch des gesamten musikalischen Theoriegebäudes endet. Traditionell ist jede harmonisch vertikale Entscheidung in eine melodisch horizontale übertragbar, umgekehrt kann dagegen eine melodische Entwicklung nicht ohne weiteres harmonisch »vertikalisiert« werden, wie man an Scrijabins Prometheus- und Wagners Tristan-Akkord als Scheideweg und formalen Endpunkt tonaler Organisationsformen deutlich erkennen kann. Die inflationär vielfältigen Möglichkeiten ihrer melodischen Ableitungen und Grundton bezogenen harmonischen Rückfunktionalisierungen lassen das zugrunde liegende theoretische System als sinnlos implodieren. In der Folge gelingen Scrijabin, Wagner und Debussy über neue formale Bezugnahmen auf die Klangfarbe als neues Formalisierungsprinzip erstmals räumlich gedachte Organisationsformen von Zeit, die dem Gravitationsfeld tonaler Linearität entkommen. Die Parallelen zu nichtlinearen Strukturen von Zeit und Raum in anderen Künsten, vor allem aber in den Naturwissenschaften, sind unübersehbar und haben in allen post-tonalen Systemen ihren Niederschlag gefunden, in denen sie selbst wieder zu außermusikalischen Inspirationsquellen mutieren konnten. So wie im 20. Jahrhundert plötzlich bei den Futuristen, den Suprematisten, den Impressionisten, der Zwölftonmusik oder der Musique concrète geräuschhafte Klänge jeder Art in jeweils völlig anderen Zusammenhängen als Musik wahrgenommen werden konnten, wurden bei Theoretikern, wie Ferruccio Busoni, Jörg Mager, Werner Meyer-Eppler, Robert Beyer, Herbert Eimert u.a. zu Beginn des 20. Jahrhunderts aus der künstlerischästhetischen Tradition abkoppelbare, utopische neue Musikwelten, Klänge und ästhetische Theoriegebäude vorstellbar. Dies war eine parallel stattfindende zweite, wesentlich lautlosere Revolution, in Form einer Krise der erstmals ignorierbar gewordenen Tradition durch das zeitgleiche Zusammentreffen neuer Märkte für Musiker wie Komponisten und der Weiterentwicklung der ästhetischen wie medialen Materialbeherrschung, welche

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die individuellen Entscheidungen statt vorgefertigter Klischees ermöglichte.92 Durch diese beiden sich wechselseitig verstärkenden Krisenbewegungen etablierter Anschauungs- und Kunstsysteme können das Symbolische, das Imaginäre und das Virtuelle selbst als Phänomen stärker werden, was in der Musik, vor allem der Romantik, erstmals das Unfertige, Fragmentarische, Entworfene und Imaginierte als ästhetische Strategien stärkt. In Bezug auf Heideggers Entwurfcharakter allen Seins verabsolutiert, ist dies interessanterweise auch der Ausgangspunkt für Norbert Wieners Ansatz eines strukturhomologen Moments fächerübergreifender Arbeitsgebiete einer neuen transdisziplinären Wissenschaft, die er »Kybernetik« nennt. Heideggers Entwurfcharakter, nicht nur des Menschen, sondern auch der Tiere und Maschinen, wie überhaupt der Welt, erzwingt die Frage nach den systemnotwendigen Medien dieses Entwurfs und betont dabei erstmals nicht länger nur räumliche, sondern auch die entscheidenden zeitlichen Konsequenzen. Als zentrale Medien kommen bei Wiener unterschiedliche Bildtypen zum Einsatz, die es ihm aber vor allem als kognitive Konstrukte, Pläne, Vorstellungen oder Schemata etc. über den Status ihrer Latenz erlauben, verschiedene Formen des Verlaufs in die Zukunft zu ermöglichen. Wiener versucht, Zeit nicht in der Identität einer Präsenz, sondern in der dynamischen Modalität einer Zukunft zu fassen, die damit alle modernen Aspekte eines Virtuellen bereits erfüllt.93 In der pythagoreischen wie leibnizschen Tradition findet mit der Konzentration nicht mehr nur auf den Raum, sondern auch auf die zeitlichen Prozesse und deren gedankliche Vorwegnahme eines Zukünftigen, angesichts digitaler (musikalischer) Zeitmanipulationsmaschinen, der letzte Schritt zu einer ästhetischen Virtualität in der zeitgenössischen Kunst und speziell den elektroakustischen Künsten statt. Nachdem technologische Verfahren wie semiotische Verknüpfungen in der Manipulation räumlicher Konzepte als eine der notwendigen Voraussetzungen für digitale Manipulationen im Ästhetischen überhaupt erkannt und in Verfahren semiotisch-zeichenhafter Simulationen bewältigt wurden, findet sich der damit geöffnete Spielraum künstlerischer Konzepte im Zeitlichen ästhetischer Virtualität, bei der alle linearen Vorstellungen und Verfahren über Bord 92 | Vgl. M. Harenberg: »Virtuelle Instrumente zwischen Simulation und (De-)Konstruktion«, a.a.O. [s. Anm. 35]. 93 | St. Rieger (Hg.): Kybernetische Anthropologie. Eine Geschichte der Virtualität, S. 27f.

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geworfen werden, was speziell in der Musik eine besondere Herausforderung bedeutet. »Menschen, aber eben auch Tiere und Maschinen sind im Zeichen der Virtualität nie und nie nur bei sich, in der Aktualität eines Moments, festgelegt auf einen fixen Punkt der Zeitachse. Vielmehr sind sie sich selbst vorweg, sind zum Teil zwar nur geringfügig verschoben, aber immerhin doch ausreichend genug, dass ihre Identität nicht in einem punctum klassischer Zeitphilosophie aufgeht, sondern Horizonte eröffnet, solche eines Verstehens, eines zweckhaften Um-zu, einer Zuhandenheit, einer Welt und nicht zuletzt einer Umwelt. [...] Dieser Vorlauf ist nicht nur ein denkerisches Konzept, sondern gekoppelt an Dispositionen und Dispositive, bei denen und für die Medien eine zentrale Rolle spielen: Medien und Apparaturen, die Zeit handhaben, die diesen Vorlauf mathematisch umsetzen, voraussagen und diese Voraussicht berechnen, die Plausabilitäten, Denknotwendigkeiten und Verläufe strukturieren, die das Leben in Sequenzen zerlegen und diese Sequenzen in ein Kalkül von Steuerungen überführen, Steuerungen, die allem zugrunde liegen und als dieses Zugrundeliegende von Wissenschaften wie der kybernetisch informierten Physiologie allererst beschreibbar werden. Die blosse (!) Bewegung, die eine Hand ausführt, um etwa einen Stift zu ergreifen, ist ebenso einem Bewegungsbild, einem Bewegungsplan, einem Bewegungsschema, kurz einem virtuellen Konstrukt geschuldet und von diesem gesteuert wie die komplexe Choreographie tanzender Körper oder die Bewegungsformen einer Maschine. […]«94

So wird bereits zu Beginn des letzten Jahrhunderts im Modus zeitlicher Bewegung ein Raum zukünftiger Ereignisse erschlossen, der ganz im Zeichen der Virtualität steht. Parallel zu den Existenzialismen des 20. Jahrhunderts treten die Aspekte der Zeitlichkeit, die auf Phänomene wie »Vorlauf«, »Entwurf« und »Modell« bezogen werden, nicht mehr als Hermeneutik, Einfühlung und Verstehen auf, sondern als so profane Dinge wie das Spiel, die Strategie oder die ballistische Prognostik. Virtualität ist dabei keine äußerliche Beschreibungsgröße, sondern etwas, das eine eigene Genealogie betreibt – so wird sie zum verallgemeinerten Vorlauf selbst. Sie zu denken heißt, die Medien, Apparate und ästhetischen Strategien zu denken, die diesen Vorlauf erst ermöglichen. Weil Virtualität aber damit zum Vollzugsmodus des Lebens selbst mutiert, kann sie nicht anders als universell sein. Der Selbstbezug im Modus des Vorlaufs und der Virtualität ist selbst nicht außer Kraft zu setzen: Er ist jener Mechanismus, der in 94 | Ebd., S. 29f.

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seinen an die Romantik anknüpfenden Dualismen von Grundsätzlichkeit, die in ihrer Stetigkeit mit dem Leben zur Deckung zu gelangen versucht, aber dabei jenseits von Kontrolle und bewusster Steuerung im nichtlogischen, nichtlinearen Spielerischen beheimatet ist. Das Leben ist dann nach einem Bonmot Wieners »eine auf Dauer gestellte Entenjagd«,95 in der man im spektakulären Raum einer offenen Zukunft operieren und adressieren muss. Damit beschreibt er eine Bewegungs- und Denkform, die schon immer in den Künsten beheimatet war, aber erst heute in der Dialektik von Universalmaschine und virtueller Ästhetik auch zu einer musikalischen Praxis gelangt. Bei Wiener kann dies vorerst nur in (nichtlinearen) Rückkopplungen oder Regelschleifen gelingen, zu deren Beschreibung und Theoretisierung die Kybernetik als neue metadisziplinäre Wissenschaft ursprünglich angetreten und allerdings auch gescheitert war.96 Medien, ob in ihrer Art bereits bekannt oder (noch) unbekannt, sind dabei konstitutiv und umfassend; über sie verlaufen die frühen Versuche der Grundlegung einer Medientheorie der Virtualität. So erklärt es sich, dass in diesem ersten, frühen Ansatz eine so simple Figur wie die der Rückkopplung zentral für die Kybernetik und die vermittelnde Klammer zwischen Biologie, Philosophie, Anthropologie, Physik, Mathematik etc. bis zur Steuerung einer einfachen Dampfmaschine werden kann. Sie umfasst einfache lineare Rückkopplungen ebenso wie solche, deren Verhalten sich nicht mehr linear beschreiben und berechnen lässt, wie wir sie bei der Beschreibung virtueller Instrumentenmodelle bei allen Klangerzeugungsverfahren antreffen. Rückgekoppelte und damit nichtlineare Oszillatoren versorgen alle klingenden virtuellen Systeme mit Energie, gleich ob sie als Bögen in Saitenmodellen, Mundstücken bei schwingenden Luftsäulen oder Schlegel bei schwingenden zweiwie dreidimensionalen Körpern auftreten.97 Was an der Grenze des mathematischen Kriteriums der Linearität und Nichtlinearität zu Tage tritt, ist nichts weniger als das zentrale Phänomen und Unterscheidungskriterium der Moderne selbst, das mit dem Begriff der »Komplexität« zu fassen versucht wurde und direkt auf Shannons In95 | Ebd., S. 30. 96 | Zur Kritik der Kybernetik vgl. V. Bühlmann: »inhabiting media. Annaeherungen an Topoi und Herkuenfte medialer Architektonik«, University Basel, August 2011. http://edoc.unibas. ch/1354/ 97 | Vgl. Harenberg: »Virtuelle Instrumente«, a.a.O. [s. Anm. 35], S. 69-94.

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formationstheorie verweist, die als erste mathematische Theorie der Kommunikation gleichzeitig den Versuch einer operationalisierten Form der Beschreibung von Zukunft darstellt. Diese Tatsache hat, neben den künstlerisch-ästhetischen, heute vor allem praktische Konsequenzen in theoretischen Ansätzen der Datenkompression, da die Information nach Shannon ohnehin nie vollständig die Sinnesapparaturen erreicht, und also entsprechend maskiert und subtrahiert werden kann. Aus all dem entwickeln sich Theorien eines räumlich konnotierten »Cyberspace«; auch als ein Stück folgerichtiger Technikgeschichte bis zur zeitlich-linearen Verwechselbarkeit von Virtualität mit der Realität selbst, über die nicht zuletzt die Kategorie des Subjektes wie des Körpers wieder in die Theorie einziehen kann. »Es lohnt an dieser Stelle eine Erinnerung an Kant einzufügen. Kant hatte mit dem Vorurteil eingesetzt, dass Vielheit (in der Form von Sinnesdaten) gegeben und Einheit konstituiert (synthetisiert) werden müsse. Erst das Auseinanderziehen dieser Aspekte, also erst das Problematisieren von Komplexität, macht das Subjekt zum Subjekt – und zwar zum Subjekt des Zusammenhangs von Vielheit und Einheit, nicht nur zum Hersteller der Synthese. Die Systemtheorie bricht mit dem Ausgangspunkt und hat daher keine Verwendung für den Subjektbegriff. Sie ersetzt ihn durch den Begriff des selbstreferenziellen Systems. Sie kann dann formulieren, dass jede Einheit, die in diesem System verwendet wird (sei es die Einheit eines Elements, die Einheit eines Prozesses oder die Einheit eines Systems), durch dieses System selbst konstituiert sein muss und nicht aus dessen Umwelt bezogen werden kann.«98

Wieners Arbeiten an analogen Rechenmaschinen zur Lösung von partiellen Differenzialgleichungen, als einem neuen a priori von Wissen an sich, sollen solche Überbrückungen von Technik und messbarer Natur, Mathematik und Physik etc. ermöglichen. Mit Hilfe analoger Rechenmaschinen wie dem Differenzialanalysator von Bush, der allerdings als Analogiemaschine einzig in der Dimension der Zeit misst und noch nicht wie eine Digital- und Ziffernmaschine auch zählen kann, werden Differenzialgleichungen zum Bindeglied von Theorie und Mathematik und damit zu Realität und zu Natur selbst, indem sie das Verhältnis zwischen verschiedenen messbaren physikalischen Größen und dem Mass ihrer Veränderung in Raum und Zeit bezeichnen. Die Matrix der Virtualität wird 98 | N. Luhmann (Hg.): Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie, S. 51.

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und ist jene Matrix, die Menschen wie Maschinen mit einem Außen in Verbindung setzt. »Der Wunsch, mit den Einschaltknöpfen technischer Gerätschaften zwischen Natur und Kultur, zwischen Unvermittlung und Vermittlung, zwischen Mediatisierung und ihrem vermeintlichen Gegenteil zu schalten, mag verständlich sein, er ist dennoch auf nachgerade abenteuerliche Weise naiv, weil unterkomplex! Medien, […] sind nicht auf eine Kasuistik ihres Gebrauchs zu reduzieren. Nicht am Einschaltknopf entscheidet sich, ob eine Situation mediatisiert ist oder nicht, ob Formung oder Ungeformtheit, Einfluss oder Einflusslosigkeit, ob Kultur oder Natur, ob Eigentlichkeit oder ihr Gegenteil stattfindet. Es ist genau dieser Blick auf Medien, der so blind und die Reden über Medien so langweilig, weil im Wortsinne monoton gemacht hat und der seinerseits nur belegt, wie sehr das Denken über Medien den Kategorien der Goethezeit geschuldet ist. Es sind immer noch und immer wieder die semantischen Altlasten des 19. Jahrhunderts, von denen eine Auskunft über das 21. Jahrhundert erwartet wird.«99

Formungen und ihre Medien sind also, und das ist ihre unheimliche Pointe, weder eingeschränkt noch einschränkbar, gelten immer und überall. Sie sind die allotope und die allochrone conditio humana des Lebens schlechthin. Verallgemeinert übertragen auf den Befund der Virtualität heißt das, dass wir uns schon immer in einem solchen mediatisierten Feld virtualisierter Meta-Beziehungen bewegen – ob wir uns nun aktiv dazu verhalten oder es zu ignorieren versuchen. Für Wiener finden diese »Meta-Beziehungen« primär noch in der medialen Form von Bildern statt, welche für ihn universale Gültigkeit besitzen, da sie in einem Raum des Unbewussten zu existieren scheinen, den auch schon Benjamin zum Gegenstand seiner Wahrnehmungstheorie gemacht hat. Benjamins Formel, des an Freud angelegten »OptischUnbewussten« des Sehens und Wissens, ist Teil jener Begriffstriade der Kybernetik aus Unbewusstem, Zeit und Wahrnehmung. Daraus folgt für Wiener die zentrale Frage nach dem Bild und der Kunst überhaupt. Er findet eine mögliche Antwort in Bildern neuen Typs wie den graphischen Darstellungen von Fraktalmengen Mandelbrots, die zwischen Kunst und Wissenschaft existieren und mit Rieger die Frage nach der Natur der Bilder ebenso formulieren wie die nach den Bildern der Natur, was leicht auf vergleichbare Parameter simulierter Musikinstrumente elektroakusti99 | Rieger: Kybernetische Anthropologie, a.a.O. [s. Anm. 93], S. 33.

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scher Musik als Frage nach der Natur der Klänge wie der Klänge der Natur übertragbar und damit auf die heutige Situation einer neuen Aktualität des Akustischen verallgemeinerbar erscheint.100 Dem »Optisch-Unbewussten« (Benjamin) dieser Frage kann ein »Akustisch-Unbewusstes« zur Seite gestellt werden, das schon für Wiener den nicht nur technischen Zugang zu den Phänomenen der Komplexität, der Information und der Virtualität bedeutete. Frühe experimentelle Ausgangsphänomene zu jener Frage waren nichtlineare akustische Phänomene, denen mit der herkömmlichen Mathematik, selbst leibnizscher Prägung, nicht mehr beizukommen war. 1927 macht der dänische Ingenieur Balthasar van der Pol Experimente mit Feedbacks rückgekoppelter und hörbar gemachter Wechselströme, wobei sprunghafte und nichtlineare Tonhöhenveränderungen entstehen, die mit einer bis dahin unterstellten Linearität elektrisch-akustischer Effekte nicht erklärt werden können. Das System pendelte zwischen zwei Attraktoren in höherer und tieferer Lage, und es konnte sich quasi an bestimmten Punkten der Stromstärke an zwei Möglichkeiten der Umsetzung in eine bevorzugte Frequenz »erinnern«; zwischen linearen, ordentlichen und berechenbaren Phasen herrschte Rauschen und Chaos.101 Rieger berichtet auch von Niederfrequenzmessungen menschlicher Muskelbewegungen, die als motorische Rückkopplung an ein akustisches Messsystem bereits dann ein akustisches Signal erzeugen, wenn die Muskelbewegung lediglich gedacht oder imaginiert wird. Rudolf Allers und Ferdinand Scheminzky hatten 1924 die elektrischen Ströme aufgrund der höheren Trennschärfe akustisch übersetzt und damit hörbar gemacht. Dabei entspricht ein akustisches Rauschen im Telefon der Muskelkontraktion, was sie wohl zum Titel »Telephonische Beobachtung der myoelektrischen Erscheinungen« inspirierte. Das Bewegungsbild einer Kniebeuge oder der bloße Vorsatz, die Faust zu ballen, hinterlassen – sehr zur offensichtlichen Freude der Versuchsleiter – eindeutige und im wissenschaftlichen Experiment abgreifbare Spuren: Knattern oder Rauschen geben auf akustischem Umweg den physikalischen Transpositionen die zeitliche Vorwegnahme motorischer Aktivitäten sowie Einblick in die Black Box menschlicher Steuerungsprozesse.

100 | Vgl. dazu auch Kap. 3. 101 | Vgl. Rieger: Kybernetische Anthropologie, a.a.O. [s. Anm. 93], S. 267f.

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Es bedurfte einer neuen Form der Mathematik, um diese nichtlinearen Formen von Komplexität sowohl des Akustischen als auch der Körper anschreiben zu können, die erst in partiellen Differenzialgleichungen gefunden wurden. Erst dadurch konnten mehrdimensionale Phänomene, wie sie für dreidimensionale Schwingungen im Akustischen, aber auch für musikalische Klangerzeugungsverfahren und elektromagnetische Schwingungen überhaupt typisch sind, berechnet werden. Das stellt reziprok die gesamte mathematisch-physikalische Basis für die Virtualisierung von Instrumentenmodellen in digitaler Form zur Verfügung, wie wir sie sowohl für simulative als auch für virtualisierte Modelle akustischer Klang- und Struktursyntheseverfahren benötigen. Kittler beschreibt dies metaphorisch mit dem Bild des betrunkenen Dorfmusikanten anschaulich. »Diese selige Gründerzeit, in der Bewusstsein und Analysis, Denken und Differenzieren zusammengefasst waren, nahm ein bitteres Ende. Der Grund war einfach: Nicht alle Bewegungsabläufe aus physikalischer Empirie gestatten es, als Kinematik eines einzigen Punktes angeschrieben zu werden. Was Huygens im Fall des schwingenden Pendels gelungen war, scheiterte schon im Fall einer schwingenden Saite, deren unzählig viele Punkte elastisch gekoppelt sind und sich daher, in anderen Worten, unendlich vieler Freiheitsgrade erfreuen. Nicht einmal cartesische Subjekte wären noch imstande gewesen, alle Punkte jener Saite so gleichzeitig zu sein oder doch zu träumen, um das Geheimnis eines einzigen Geigentons zu lösen. Der mathematischen Analysis bleibt nur übrig, dieses Geheimnis einer neuen, nicht minder geheimnisvollen Theorie anzuvertrauen: den partiellen Differenzialgleichungen im strahlenden Gegensatz zu den gewöhnlichen. Für Sonnensysteme, da ihre Teilsterne sich leider ja keines einzigen Freiheitsgrades erfreuen, reichten Newtons gewöhnliche Differentialgleichungen auch weiterhin; aber nicht alles, was läuft, ist so einfältig wie Astronomie. Bei Geigensaiten und Glockentönen, Trommelfellen und Wasseroberflächen, schliesslich auch bei Wirbelstürmen und elektromagnetischen Schwingungen gelang es dagegen nur mehr partiellen Differentialgleichungen, zahllose bewegte Teile in all ihren Dimensionen zu modellieren.«102

Allerdings bleibt auch hier die leibnizsche Ernüchterung in Bezug auf die praktische Umsetzung dieser Erkenntnisse, wenn wir sie aus den virtuellen mathematischen Dimensionen auf beispielsweise das gemeinsame 102 | F.A. Kittler: »Der Mensch, ein betrunkener Dorfmusikant«, in: R. Lachmann/St. Rieger (Hg.), Text und Wissen. Technologische und anthropologische Aspekte, S. 32.

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Musizieren mittels solcher Modelle zurückprojizieren wollen. Historisch ist das kalkulatorische Denken bereits tief in die Gegenstände eingedrungen und hat sie nach eigener Anschauung geformt und entsprechend kenntlich oder unkenntlich werden lassen. Wir sind in der künstlerischästhetischen Aneignung unserer digitalen Werkzeuge zumindest unsicher geworden, ob sie, so wäre mit Flusser zu fragen, noch simuliertes Resultat kalkulatorischer Erkenntnis sind oder ob wir bereits die ihnen immanenten Zahlencodes lediglich nach außen projizieren und uns nur ihre Rückprojektion betrachten bzw. anhören. Schien die zu Ende gehende Ära medialer Simulationen mitsamt ihrem in der Struktur beheimateten technizistischen Reduktionismus noch eine scheinbare Sicherheit in der äußerlichen Ähnlichkeit, der auf Monitoren und Beamern erzeugten foto- bzw. soundrealistischen Abbilder unserer realen Werkzeuge und Instrumente, zu garantieren, so entfernen wir uns im Rahmen einer Ästhetik des Virtuellen von nur in diesem Außen scheinbar vertrauten Terrain.103 Dabei begleitet uns die Ahnung, dass die bisherige kalkulatorische Erkenntnis und ihre Praxis insgesamt, d.h. die Mathematisierung der Technik und die Technisierung der Mathematik, eventuell doch nicht die den Künsten, der Gesellschaft und dem Menschen angemessene (ästhetische) Praxis sein könnte. Ein anderer Umgang mit diesen Verfahren und eine andere Haltung zu den erkenntnistheoretischen Prozessen und ihren Medien beginnt sich im Namen virtuell-ästhetischer Verfahren abzuzeichnen. Um es mit Kittler zusammenfassend auf den Punkt zu bringen: »Die Phänomenalität der optischen oder akustischen Simulationen, die heute auf jedem besseren Computer laufen, ist älter, aber auch kälter, als die Theoretiker der universalen Simulation heutzutage verkünden. Ihre Ursprünge liegen in jener grossen mathematischen Revolution, die (wie Sybille Krämer gezeigt hat [...]) als Kopplung von indischem Stellenwertsystem und gutenbergschem Buchdruck dem neuzeitlichen Europa eine wissenschaftlich-technische Macht ohnegleichen eingebracht hat. Die Algorithmen zunächst der neuen Geometrie und später auch der neuen Algebra standen zuerst als Regeln über dem handwerklichen Tun von Künstlern, zogen dann als selbstläufige Maschinen in den Medienpark des neunzehnten Jahrhunderts um und sind schliesslich dieser Tage, nach einer 103 | B. Schmidt: »Aktualität des Barock: Illusion in Simulation oder Simulation als Illusion?«, in: S. Fleiß/I. Gayed (Hg.), Amor vincit omnia. Karajan, Monteverdi und die Entwicklung der neuen Medien, S. 88f.

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systematischen digitalen Transkription aller Algorithmen, mit der Hard- und Software von Computern eins geworden.«104

Es fällt bei virtuellen Instrumentenmodellen auf, dass sie selbst als Metapher bereits keine graphische Repräsentanz mehr besitzen, sondern in mannigfaltigen zeitlichen Modellen rein akustisch modellierbar sind. Da beim Spielen dieser Modelle das spielende Eintauchen in das Modell als Teil der komplizierten und mehrschichtigen Aktion musikalischen Handelns – der Prozess der ästhetischen Immersion – folgerichtig auch rein akustisch erfolgt, kann man ihre Repräsentation als »akustischen Cyberspace« bezeichnen. Cyberspace steht als Metapher für eine Ansammlung von Daten und Symbolen,105 die allerdings im Gegensatz zum Cyberspace als Raummetapher keinerlei visuelle Dimension mehr enthalten. Die Algorithmen die das Instrumentenmodell repräsentieren, werden in Form von Zahlenwerten, Zeichen und Symbolen in funktional den Instrumentfunktionen zugeordneten Masken dargestellt. Aufgrund der eingegebenen Werte werden die approximativen, gerundeten Lösungen der entsprechenden speziellen Differenzialgleichungen in musikalischer Echtzeit gerechnet. Nach Abschluss der Entwurfsphase, in der das Design sowie das komplexe Spielverhalten des virtuellen Instruments festgelegt worden ist, verlieren diese medialen graphischen Interfaces ihre Bedeutung. Für die musikalische Interaktion mit dem Instrumentenmodell kommen echtzeitfähige Interfaces inklusive der entsprechenden MenschMaschine-Schnittstellen zum Einsatz, welche die Manipulation von Instrument und im Modell mitmodelliertem Spiel-Körper ermöglichen. Sowohl die strukturelle Entwurfsphase am Modell als auch die musikalische Interaktion mit dem Instrument sind während des Spielens zugänglich. So entstehen z.B. die Klänge meines Werkes »M-Medusa für virtuelle Baßflöte«106 dadurch, dass das an eine Bassklarinette erinnernde Instrumentenmodell beim Spielen permanent »umgebaut« wird. Es wird stark vergrößert, verkleinert, »verknotet«, Mundstück und Schalltrichter werden ersetzt, die Materialeigenschaften verändern sich von Glas 104 | F.A. Kittler: »Phänomenologie versus Medienwissenschaft«, in: P. Krapp (Hg.), Hydra. http://hydra.humanities.uci.edu/kittler/istambul.html 105 | Vgl. Kapitel 2 und Anm. 38. 106 | M. Harenberg: »M-MEDUSA für virtuelle Baßflöte«, UA DeGeM-Konzert im Studio für elektroakustische Musik in Weimar 1999.

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bis Beton, die Erregerfunktion wechselt von einem Streichinstrument bis zur Stimme etc. Die strukturelle De- und Rekonstruktion des Modells, die gespielte und spielerische Re-Interpretation der Instrumentstruktur fällt in eins mit der klingenden »Partitur« des Werks. Das seiner strukturellen Identität permanent beraubte Modell beginnt selbst, in einem komplexen strukturellen Feedback zu resonieren. Durch die dauernde Zerstörung stabiler struktureller Integrität und den nicht vorhersehbaren Reaktionen der nichtlinearen Oszillatoren ist das Werk zwar komponiert, sein musikalisches Ergebnis aber nicht vorhersehbar. Der zum »Instrumentenbauer« mutierte Interpret spielt das Instrument über den Umweg der MetaPerspektive des Designs instrumentaler »Klangentstehungsbedingungen« eines virtuellen Fantasiemodells. An die Stelle des verunmöglichten Selbstbezugs zum Instrument tritt ein Fremdverhältnis zum Modell, das selbst nicht in die Aktualität der Bewegungsausübung eingreift, sondern dieser nur nachgeordnet ist und sein kann. Die gefährliche, aber künstlerisch spannende Echtzeit der musikalisch-spielerischen Reflexion erhält dadurch einen medialen Aufschub und vor allem einen anderen Adressaten, der sich zu den technisch generierten, digitalen symbolischen Repräsentationsmodellen auf eine Weise verhält, die bezogen auf die moderne Episteme verallgemeinert sowohl als topisch als auch typisch angesehen werden kann. Taugte noch in der Romantik in der Angleichung von zunehmend durchlöcherter diskreter Datenwelt und analogem Universum die Metapher des Spiegels – wie z.B. bei Kleist107– als bidirektionales Korrektiv, geht es heute um eine nachgeordnete mediale apparative Objektivierung von Erfahrung und musikalisch-künstlerischem Handeln. Ästhetisch noch unbewältigt, zeichnet sich eine Perspektive ab, in der das künstlerische Prinzip sinnlicher Anschauungen um einen Typ unsinnlicher wie auch unanschaulicher Symbolsysteme ergänzt wird. Technisch weitgehend uninteressant, beginnen am medienhistorischen Übergang, vom Spiegel über den Monitor zur akustischen Immersion, grundlegende Fragen wie Kants Bestimmung des Transzendentalen oder Palágyis Bestimmung der Virtualität als intermediales Phänomen zu interessieren. Dabei geht es im Kern um die mediale Darstellung zeitlicher Bewegungen und ihre physische wie technisch-apparative Repräsentation in den sich ab107 | Heinrich von Kleist: »Über das Marionettentheater«, erschienen 12.-15. Dezember 1810 in den Berliner Abendblättern; hier zur Metapher des Spiegels.

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zeichnenden Ästhetiken und künstlerischen Medien unserer Zeit; angesichts einer grundlegenden Krise der Anschauung (Hans Hahn) einerseits und dem Ende der simplen und problematischen Simulation des Analogen andererseits.

Virtuelle Ästhetik der Musik Bereits in den Ansätzen der frühen Kybernetik kann man erkennen, dass die von Wiener in »Cybernetics« noch anekdotisch dargestellten Inhalte um etwas viel Größeres und Interessanteres kreisen, als wir in der historischen Rückschau mit der klassischen Kybernetik I assoziieren. Sie führen auch nicht unmittelbar zum Computer, sondern vor allem zum Medialen – bei Wiener vorerst zum Bild. Ihm geht es um die grundsätzliche Frage nach dem Wesen des Menschen als ein Bilderwesen, der gerade deshalb in seiner Virtualität konstitutiv erscheint. Diskutiert wird also eine interessante neue Facette, eine anthropologische Virtualität, die mit der des Digitalen an der Oberfläche nur den Namen gemein hat. Nicht die technisch umgesetzte Annäherung an eine Realität mit all den ungelösten Folgeerscheinungen einer an ihr ausgerichteten Narration steht dabei im Vordergrund, sondern ein nachgerade transzendental anmutendes Verhältnis der Konstitution, ohne dessen verbindendes Element zur Welt jegliche Unterscheidung zwischen sogenannten »natürlichen« und »künstlichen« Welten von vornherein substanzlos wäre. In dieser Konstellation wird Virtualität interessanterweise als ein Regelfall lesbar, dessen theoretische Ansätze zu Beginn des letzten Jahrhunderts den technischen Vorgaben auf eine merkwürdige Weise vorangegangen sind.108 Als Beispiel führt Rieger das Verhältnis von Mathematik und Kinematographie an, bei dem eine eigentümliche Präfiguration begründet und zugleich verfehlt wird, weil sie selbst Teil einer bestimmten Linearität der Zeitvorstellungen, ihrer Zuschreibungen und Narrationen ist – allen auch medialen Um- und Neuerzählungen zum Trotz. Nach Wiener denken wir nicht nur in Bildern, sondern werden von diesen imaginären wie reellen Bilderfluten auch wieder beeinflusst. Dabei spielen die dazwischengeschalteten Medien und ihre apparative Technik eine bedeutende Rolle. Aber wie bereits beschrieben, ist die Technik des 108 | Vgl. Rieger: Kybernetische Anthropologie, a.a.O. [s. Anm. 93], S. 495f.

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Medialen weder neutral noch auch nur objektiv von aussen beschreibund beobachtbar. Das ist der Hintergrund und der Fokus, vor dem Wiener 1948 das, was er verallgemeinert als »Regelungstechnik« zu greifen versucht, in Maschinen und Menschen erforschen will. »Control & Communication: Or Control and Communication in the Animal and the Machine« heißt dann auch sein erster, die Grenzen traditioneller Diszipline und Fächer sprengender Aufsatz.109 Die im Rahmen dieser anthropologischen Virtualität behauptete Gleichstellung von Apparat und lebendigem Organismus stellt anhand der fundamentalen Opposition von »Rechnen« und »Lesen« die alte Frage der Romantik nach der technomorphen Ausrichtung des Menschen oder der anthropomorphen Ausrichtung der Maschine als Grundfrage zu Beginn der künstlerischen Moderne radikal neu. Das konkrete, operative Ergebnis war eine neue Form technischer Intelligenz, die uns sukzessiv in einer zunehmend technischen Welt etablierte. So gerät das grundsätzlichere Problem der existierenden Hierarchien und der konkreten Machtverhältnisse, wie sie Foucault analysiert, in den Hintergrund; und es bleibt die Frage nach den zugrunde liegenden Ordnungssystemen, dem Bezugsund Referenzrahmen selbst, den auch die in ihrer Bedeutung ins Absolute gestiegene Mathematik nicht mehr zu liefern in der Lage ist. Diesen Zwiespalt einerseits erkennend, bleibt die vorherrschende kybernetische Logik – vor allem bei Bense – doch eine mathematisch lineare. Obwohl durch einschneidende Entwicklungen zu Beginn der künstlerischen Moderne (Quantenphysik, Atommodell, Relativitätstheorie, Psychoanalyse etc.) ein solcher auf lineare Stetigkeit, Folge und Differenzialgleichung gegründeter »Barock« (Rieger) bereits überholt ist. Das barocke Prinzip, so formuliert Rieger weiter, das Bense adressiert, hat nicht zufällig einen Eigennamen: Es ist der von Leibniz, dessen Mathematik des Infinitesimalen wie gezeigt vorwegnimmt, was das Kino einst gewesen sein wird.110 Gemeint ist jenes Kino, das in der Welt einer anderen Mediengeschichte als der von Ingenieuren, nämlich derjenigen von zwei Orthopäden namens Weber erfunden wurde und mit dessen zeitmanipulativen Möglichkeiten, Wiener Wolken als Gegenstände komplexen Verhaltens

109 | Vgl. Pias et al.: Kursbuch Medienkultur, a.a.O. [s. Anm. 6], S. 432f. 110 | Rieger: Kybernetische Anthropologie, a.a.O. [s. Anm. 93], S. 497.

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veranschaulichte und mit denen heute nichtlineare Prozesse des Akustischen angeschrieben werden können. Damit sind die Geschichte des Wissens und die Geschichte der Virtualität an einem zentralen Wendepunkt der linearen Erzählungen angekommen. In der von Wiener erkundeten neuen Welt kann auch die Geschichte der Virtualität anders zur Anschrift gelangen. Nicht als eine Geschichte, in der grundlegende Bedingungen von Raum und Zeit negiert werden, sondern umgekehrt als die Geschichte einer Denkveranstaltung, die noch einmal zur Konstitution universaler Bezugsgrößen ansetzt und nach belastbaren Bezugspunkten zu suchen beginnt, die auf jeden Fall nicht mehr die etablierten eines kantischen a priori von Raum und Zeit sein können.111 Im Medium des Digitalen, der Netze und Raumsimulationen erkennen wir heute auch die Manifestation dieser ins Unendliche verlängerten Haltung des Suchens und Neubeginns.112 Und es sind wieder die Künste, und dort vor allem die Musik, die in den medialen Manipulationen von Zeit- und Raum-Effekten Erfahrungen realweltlicher Physik aufbrechen, in Frage stellen und so unsere Wahrnehmung grundlegend erweitert und sensibilisiert haben. Die längst in ihrer analog-digitalen Überlagerung unscharf gewordenen Ränder verflüssigter Instrumente und Medienobjekte verdanken sich so auch einer Kunst der Auflösung und des Nicht-Materiellen. Starre Grenzen, wie die von Innen und Außen, Hier und Da, Vergangenheit und Zukunft, Realität und Virtualität, werden unscharf und beginnen zu oszillieren, was im Ergebnis einen gänzlich neuen Status medialer Klanglichkeit generiert. Es ist wie ein Schock, ein Riss auch im Wahrnehmungsgefüge des Akustischen, wenn sich wörtlich genommen »alles« zum Instrument, zum Klang, zur musikalischen Form transformieren lässt. Danach ist es egal, ob musikalische Formen oder Klänge digital, analog oder traditionell erzeugt werden. Noch die sprichwörtlich einsame Gitarre am Lagerfeuer erzählt von nun an vom idealen Moment des Erklingens und der Unentscheidbarkeit – nicht Unmöglichkeit – musikalischer Struktur angesichts der gesamten Welt und ihrer Geschichte als Klangarchiv sowie 111 | Vgl. ebd., S. 480. 112 | Das »weltweite Warten« angesichts langsamer analoger Internetverbindungen war bis vor kurzem noch die augenzwinkernde Metapher für das World Wide Web und die Verheißungen einer beworbenen »Datenautobahn«.

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ihrer intermedialen Entgrenzung. Jeden Klang begleitet von nun an die tastende Ahnung einer monadischen Öffnung für alternative Entwürfe und Kontextualisierungen. Allerdings sind wir, wie es Tholen treffend formuliert, im Schwebezustand dieser Fluchtlinien nicht verloren, sondern »gewinnen ein um vorläufige Haltepunkte oszillierendes Gespür für neue Horizonte. Dieser, wenn man so will, unentscheidbare und unverfügbare Drehpunkt verzeichnet Momente des Schocks und des Traumas. Von ihm ausgehend erfinden wir Geschichten, Märchen und Metaphern des Übergangs – flüchtige Figuren einer stets ungesättigten Neugierde.«113 Wenn das singuläre Moment als das eines mehrdimensionalen, vielfältigen Oszillierens erscheint, gerät das Konzept des Virtuellen nicht länger in einen seltsamen Gegensatz zum Realen, sondern vor allem zur Kategorie des Aktuellen, wie es Deleuze am radikalsten dargestellt hat.114 Das bedeutet in der Konsequenz einen radikalen Bruch mit der lediglich in festen Referenzsystemen gedachten imaginären Verspieltheit eines Virtuellen als Potenzialität zugunsten seiner materialen Wirkungsmächtigkeit und als Bestandteil des aktualisierten Realen. »Für Deleuze kommt dem Virtuellen Realität zu. Entscheidend für ihn ist es, das Virtuelle nicht als das Mögliche zu denken. Während das Mögliche realisiert wird und als Mögliches dem Realen, das es allenfalls realisieren könnte, ähnelt, sieht das aktualisierte Virtuelle dem Virtuellen, das es aktualisiert, niemals ähnlich: ›Dies ist der Makel des Möglichen, ein Makel, der es als nachträglich hervorgebracht, rückwirkend hergestellt denunziert, selbst nach dem Bild dessen gemacht, das ihm ähnelt. Dagegen vollzieht sich die Aktualisierung des Virtuellen stets über Differenz, Divergenz oder Differenzierung.‹«115

In Deleuzes Entwurf ist jedes Aktuelle von einem Möglichkeitsfeld der Wahrnehmungen umgeben, das er als einen Nebel aus kreisendem Virtuellen beschreibt, wobei aktuelle Teilchen Virtuelle unterschiedlicher Ordnungen ausstrahlen und sie absorbieren. So existieren virtuelle Teilchen höheren Grades im Herzen des Nebels, jedes einzelne von einem eigenen 113 | G.Ch. Tholen: »Intermediale Ästhetik: Spiel – Ritual – Performanz«, unveröffentlichte Thesen zum ProDoc Graduiertenprogramm. 114 | Deleuze: »Das Aktuelle und das Virtuelle«, a.a.O. [s. Anm. 38], S. 249f. 115 | »Deleuze, Gilles, Differenz und Wiederholung«, S. 268, zitiert nach V. Bühlmann: »Für eine Architektur kommunikativer Milieus«, in: J. Schröter/T. Thielmann (Hg.), Display I: Analog (= Navigationen. Zeitschrift für Medien- und Kulturwissenschaft, Heft 2/2006), S. 95.

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unendlichen virtuellen Kosmos umgeben. Diese imaginiert Deleuze als Erinnerungen unterschiedlicher Ordnungen in Form virtueller medialer Formen, wie z.B. Bilder oder Klänge, deren Geschwindigkeit oder kurze Dauer dem Prinzip des Unbewussten unterliegen. Um angesichts dieser vielfältig vernetzen Dynamiken von sich wechselseitig beeinflussenden aktuellen Gegenständen und virtuellen medialen Formen ein Differenzierungskriterium zu erhalten, werden Erinnerungsteilchen dann als virtuell bezeichnet, wenn sie schneller entstehen und zerfallen als das kleinste denkbare Zeitkontinuum, was weiter eine gewisse unscharfe Ungewissheit und Unbestimmtheit beinhaltet, in der einzig die Strukturbeziehungen als solche konkret definiert sind. So aktualisiert sich das Virtuelle aus einer realen aber nicht aktuellen Struktur: »Die Realität des Virtuellen besteht in den differentiellen Elementen und Verhältnissen und in den singulären Punkten, die ihnen entsprechen. Die Struktur ist die Realität des Virtuellen.«116

Die so in der Schwebe gehaltene Struktur kann als Existenz des Virtuellen als dem Aktuellen gegenüber nicht in absoluter Weise transzendent, sondern wie dasjenige zwischen Genotyp und Phänotyp in der molekularen Biologie beschrieben werden.117 Anders formuliert es Deleuze selbst: »So wenig ein Gegensatz Struktur/Genese besteht, so wenig gibt es einen Gegensatz zwischen Struktur und Ereignis, Struktur und Sinn. [...] Was man Struktur nennt, ein System von differentiellen Verhältnissen und Elementen, ist zugleich Sinn in genetischer Hinsicht, und zwar in Abhängigkeit von aktuellen Relationen und Termen, in denen sie sich verkörpert. [...] Der wahre Gegensatz besteht im übrigen zwischen der Idee (Struktur/Ereignis/ Sinn) und der Repräsentation.«118

Doch genau hier treffen wir auf das erwähnte Phänomen der von Siegert beschriebenen 150 Jahre alten »Passage des Digitalen«, die aufgrund der Krise semiotischer Zeichensysteme ausgehend von der Mathematik, die etablierten Referenzbezüge des Reellen endgültig außer Kraft setzt.

116 | Vgl. Siegert: Passage des Digitalen. a.a.O. [s. Anm. 32], S. 264. 117 | Bühlmann: »Für eine Architektur kommunikativer Milieus«, a.a.O. [s. Anm. 115], S. 93. 118 | Ebd., S. 243.

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»Mit dem Erfinden von ›imaginären Zahlen‹ als referenzlosen Zeichen, einer durch Euler gefundene oder erfundene neue Klasse, findet ein zuvor ungekannter Zeichentyp Eingang in die Mathematik. Mit den imaginären Zahlen nimmt eine neue Form von Analysis Gestalt an, die bis heute für radikale Umwälzungen nicht nur in der mathematischen Welt sorgt. Nach Euler lässt sich nunmehr mathematisch verlässlich, kohärent und einfach im Feld der Schwingungen und Approximationen operieren, obwohl die imaginären Zahlen nicht mehr für die repräsentierende Darstellung von Funktionen taugen. Was man somit berechnen konnte, blieb undarstellbar. Es gibt keine direkte Referenz dieser Zeichen zu analog nachvollziehbarem und mathematisch zu beschreibendem Geschehen mehr.«119

Die Konsequenzen dieser Entwicklung sind extrem weitreichend und bis heute noch nicht wirklich zur Entfaltung gekommen, so Siegert. Die zuvor unhinterfragte Einheit von Funktionsbegriff und Darstellbarkeit von Zeichen und Kontinuum fällt auseinander und die Vorstellung von Referenzialität selbst dissimiliert. Deshalb eröffnen die neuen Zahlen den Raum für elektronische Medien und Medienkünste in einem deterritorialisierten Analytischen. »Es ist der Riss einer im Denken der Repräsentation verwurzelten Ordnung der Schrift, der die Passage des Digitalen freisetzt und den Raum der technischen Medien eröffnet. Die elektrischen Medien basieren auf dem, was ein Vertreter der klassischen Leibniz-Wolffschen Analysis das ›Nichtanalytische‹ genannt hätte, das Nichtberechenbare, Nichtdarstellbare, die Grenzen des Kalküls Überschreitende. Das moderne Analytische, das heisst die Analysis seit Euler, ist ein deterritorialisiertes Analytisches«120

Die in den Näherungen hyperbolischer partieller Differenzialgleichungen bereits festgestellten Probleme, in einer lediglich experimentellen Annäherung mittels Fourier-Analysen und -Synthesen, liegen also noch tiefer und grundsätzlicher. Das Referenzsystem als Rahmung der Zuschreibung von Zeichen und Welt ist selbst in die Sphäre des deleuzschen aktualisierten Virtuellen geraten. »Nach-Eulersche Analysis ermöglicht Berechnungen im Nicht-Berechenbaren, und das heisst – etwas paradox anmutend – in der Konsequenz: analytische Selbst-Begründungen. Damit wird eine eigentliche Verkehrung der vorherigen zeichentheoretischen Prämissen 119 | Ebd., S. 85-103. 120 | Siegert: Passage des Digitalen, a.a.O. [s. Anm. 32].

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in Kraft gesetzt. Die Bedeutsamkeit von Zeichen gründet nicht länger abbildtheoretisch (oder geometrisch) auf einer externen Referenz, sondern schafft sich den eigenen Bedeutsamkeitsboden aufgrund eines generativen Selbstbezugs. ›Darstell-barkeit ist nun nicht mehr eine transzendentale, unbefragbare Voraussetzung der Analyse, sondern etwas, dessen Existenz die Analyse allererst und bevor ihr eigentliches Geschäft beginnt beweisen muss.‹ Das Analytische steht hier dem Synthetischen nicht länger gegenüber. Was analytisch gefolgert und bewiesen wird, wird nicht länger repräsentiert oder gefunden, sondern errechnet. [...] Dies meinen sie keineswegs – wie es noch zur Jahrhundertwende in Wien geschah – der Sehnsucht nach semantischer Eineindeutigkeit und/oder klaren Repräsentationsverhältnissen folgend. Ganz im Gegenteil soll es über die Mathematisierung um eine Öffnung der Denksysteme gehen, um eine grundsätzliche Virtualisierung des Realen. Mathematisches Denken in Variablen und Funktionalen vermag den Umgang mit dem Vieldeutigen, dem Vor-Konkreten zu kultivieren. Könnte es sein, dass wir gerade über all jenen ab- und aufgeklärt scheinenden linguistischen, ikonischen, medialen oder spatialen turns die spezifische Notwendigkeit des Synthetischen in Hinsicht auf jede Zeichensituation verpassen? Wie weit bleibt das in solche Drehungen verwickelte Nachdenken über Bedeutungen einer repräsentationslogischen Ontologie verpflichtet, die es ja genau zu verabschieden sucht? Dass das Virtuelle dem Realen nicht äusserlich ist, sondern ihm als eigentliches Transformations- oder Animationsprinzip innewohnt, und zudem über Zeichenprozesse in einem ontogenetischen Sinn zur Entfaltung gelangt, das beginnen wir eben erst zu erkunden.«121

Mit der Krise der Zahlen und der Anschauung, d.h. der grundlegenden Krise der Mathematik und der Physik, finden diese freigesetzten Systeme nach dem Zweiten Weltkrieg auch ein neues Interesse in den Künsten. Die »wissenschaftliche Ästhetik« Benses oder die »wissenschaftliche Musik« Eimerts schmücken sich in den 60er Jahren zwar noch mit dem Nimbus der vermeintlich abgesicherten absoluten Erkenntnisfähigkeit der Naturwissenschaften, spielen aber bereits mit den Ahnungen der neuen Relativität und versuchen in der Konsequenz gerade diese fruchtbar zu machen. Das erscheint allerdings erst heute angesichts der breiten Verfügbarkeit digitaler Medientechnologien wirklich realistisch. Dabei hat sich paradoxerweise ausgerechnet die Legitimation der »Wissenschaftlichkeit« der Grundlagen und Verfahren als überflüssig erwiesen und verflüchtigt. Es ist bestimmt kein Zufall, dass sich die Künste allgemein und die Musik im Speziellen genau zu diesem Zeitpunkt für diese Phänomene zu interessie121 | Bühlmann: »Für eine Architektur kommunikativer Milieus«, a.a.O. [s. Anm. 115].

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ren und die freigelegte »Passage des Digitalen« im Heute – analoger wie digitaler Maschinen und ästhetischer Strategien des Virtuellen – auszuloten beginnen. Im Kern einer zukünftigen Theorie der Virtualität geht es also um die aus ihrer Referenzlosigkeit geborenen und längst etablierten Allmacht der uns umgebenden Zeichensysteme. Im operablen rein technischen »Funktionieren« von Verfahren und Abläufen bleiben wir den zugrunde liegenden und prozessoral-automatisierten Zeichensystemen hoffnungslos ausgeliefert. Guattari beschreibt bereits asignifikante Maschinen als Zeichenmaschinen, wie in seinem »Anti-Ödipus« zusammen mit Deleuze schließlich alles zur ideellen Maschine zwischen techné und machina gerät, zu »Junggesellenmaschinen« als universelle »Maschinen des Unbewussten, die mit dem Unbewussten der Maschinen in intimer Verbindung stehen«.122 Das Universelle und Symbolische unserer digitalen turingschen Universalmaschinen ist also gleichzeitig das zu Unterscheidende und das Verbindende von und mit dem Diskurs um die lacansche symbolische Ordnung der Signifikanten; auch als ein a priori der Medientechnologie. Der Computer ist in der Musik wie in den zukünftig zu verallgemeinernden Künsten generell die Maschine, die das Bindeglied zwischen beiden Ansätzen herstellt und damit seine Sonderrolle als Diskursverbindung in der Medientheorie wie in einer spekulativen neuen Musiktheorie der ästhetischen Virtualität begründet. Im Universum der Zeichen, die wechselseitig als ihre eigenen Signifikate wie als Signifikante auftreten können, wird die realweltliche Ver- und Zuortung zusehends schwieriger, da die Zeichen immer auch ihre eigene, immanent-autistische Realität beschreiben und damit für uns eine neue Bedeutungssphäre erzeugen, von der wir selbst aber nicht länger verschieden und von außen zu unterscheiden sind. Die im Virtuellen immanent stabilen und lesbaren Signifikantenstrukturen, im Übergang vom statisch Schriftlichen zum dynamisch Telematischen, werden erst in ihrer medialen Verzeitlichung wieder beschreib- und operationalisierbar. Es geht bei diesen Prozessen des Virtuellen also weder um illusorische Objekte noch um illusorische Platzierungen realer Objekte wie in der Spiegelmeta122 | Vgl. H. Schmidgen (Hg.): Das Unbewusste der Maschinen. Konzeptionen des Psychischen bei Guattari, Deleuze und Lacan, S. 14f; H.U. Reck/H. Szeemann (Hg.): Junggesellenmaschinen; D. Daniels (Hg.): Vom Ready-Made zum Cyberspace. Kunst/Medien Interferenzen.

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pher Espositos,123 sondern im Kern um eine Dominanzverschiebung vom Räumlichen zum Zeitlichen, womit in der Konsequenz auch das Adressierungs- und Interaktionsproblem Krämers zwischen Fleisch- und Zeichenkörper obsolet wird.124 Der selbst Zeichen gewordene Körper bewegt sich im Virtuellen, indem er sich mit Zeichenstrukturen identifiziert und sich gleichzeitig von ihnen differenziert. Ob immersiv oder als Beobachter dritter Instanz, immer wird die Zeichen-Realität der uns umgebenden Virtualität eine potenzielle Ununterscheidbarkeit erzeugen, die neue Kriterien und Orientierungen erfordert, wie wir sie im Bereich des Künstlerischen historisch mit ästhetischen Kategorien zu beschreiben gelernt haben. Bereits in der Antike hat die Ästhetik der Harmonien, als Orientierung der Weltdeutung am Mechanischen, den zugrundeliegenden organischen Grundvorstellungen nicht widersprochen. Der Dualismus organischer und mechanischer Leitvorstellungen im Anti-Ödipus, als Gegensatz von Psyche und techné, Mechanismus und Organismus, ist historisch neu und bei Platon und bei Lukrez, etwa im Begriff der machina, in dieser Ausprägung noch nicht vorhanden. Das imaginäre Sensorium einer künstlerisch-musikalischen Ästhetik zwischen Wissen und interpretierender Wahrnehmung einer musikalisch-körperlichen Intelligenz kann also sowohl als Medium wie auch als »Kompass« in einem Umfeld dienen, welches immer stärker das eines (Zeichen-)Komponisten sein wird, der es von jeher gewohnt ist, seine eigenen Referenz- und medialen Zeichenräume zu erfinden und sich in ihnen nach eigenen Regeln adäquat zu bewegen. Als Zuhörer einer solchen ästhetischen Verdichtung sind wir es gewohnt, diese hybriden dynamischen Prozesse in einer zeichenhaften, nichtsprachlichen Weise ästhetisch-künstlerisch zu verstehen und als ästhetischen Genuss wahrzunehmen. Unter den Bedingungen realer Virtualität finden wir uns potenziell alle, Komponisten wie Zuhörer, in der Rolle des (Zeichen-)Produzenten selbst wieder – mit dem Unterschied, dass wir darauf angewiesen sein werden, unsere zeichenhaften »Welterfindungen« jenseits künstlerischer

123 | E. Esposito: »Virtualisierung und Divination. Formen der Räumlichkeit der Kommunikation«, in: Maresch/Werber, Raum – Wissen – Macht, a.a.O. [s. Anm. 67], S. 33-48. 124 | Krämer: »Verschwindet der Körper?«, a.a.O. [s. Anm. 68].

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Intentionen so zu gestalten und zu kommunizieren, dass sie möglichst verstanden und auch für andere anschlussfähig werden können. Das Leitmotiv der Moderne, welches schon bei Charles Baudelaire erscheint, wonach die Rezeption eines Kunstwerkes die aktive Partizipation des Betrachters erfordert, wenn es sich nicht sogar erst dadurch als Kunstwerk konstituiert,125 erweist sich hier als noch zu kurz gegriffen. Der Hörer füllt mit seiner Imagination die Lücken, die ein Kunstwerk nach Baudelaire zwangsläufig hinterlassen muss. Die Konsequenz hieraus formuliert bereits Stéphane Mallarmés Konzept einer kreativen Lektüre. Schon Ende des 19. Jahrhunderts nimmt er die Idee einer prozessualen Kunst mit permutativen, aleatorischen Elementen vorweg, die dann Mitte des 20. Jahrhunderts als das »offene Kunstwerk« zum Programm der Avantgarde und beispielsweise in der »Ästhetik des Widerstands« von Peter Weiss als aktives Wahrnehmungskonzept im Ästhetischen beschrieben wird.126 Erweitert um »Strategien der Interaktivität« kommen wir angesichts der Orientierung und Mobilität im autonomen Zeichenuniversum des Virtuellen zu den Anforderungen aktiver ästhetischer Setzungen der neuen »Rezipienten-Künstler«.127 Nichtsdestotrotz können und müssen wir dabei von der notwendigen Intuition und Sensibilität historisch gewachsener künstlerischer Erfahrungen ästhetischer Vergegenständlichungsprozesse, also von Künstlern, Komponisten etc., lernen und profitieren. Damit kehrt aber der Maschinenbegriff zwischen Ästhetik und techné auch in der Musik schließlich wieder zu seinen Anfängen als komplexes, zweckgerichtetes, aber nicht einfach durchschaubares Gebilde zurück. Techné, wie im Weiteren noch ausgeführt, verstanden als kulturelle Veranstaltung, ein listiges Manöver, einen betrügerischen Trick, eine verblüffende Wirkung, z.B. einer Belagerungsmaschine oder einer barocken Theaterbühne, die verblüffende Überraschungseffekte ermöglicht. Wir müssen diese Beispiele lediglich in abstrakt-mediale Zeichenprozesse übersetzen, wie es etwa frei nach Benjamin

125 | Vgl. D. Daniels: »Strategien der Interaktivität«, in: ders. /R. Frieling (Hg.), Medien – Kunst – Interaktion. Die 80er und 90er Jahre in Deutschland, S. 142-169. 126 | Vgl. K. Boehmer (Hg.): Zur Theorie der offenen Form in der neuen Musik; vgl. P. Weiss: Die Ästhetik des Widerstands. 127 | Daniels: »Strategien der Interaktivität«, a.a.O. [s. Anm. 125].

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das »Akustisch-Unbewusste« des Hörens im Rahmen virtueller Instrumente in einem akustischen Cyberspace manifestiert.128 Die technisch-kulturelle Dominanz eines am Analogen orientierten, simulierenden akustischen Fotorealismus der letzten zwanzig Jahre transformiert sich zu Beginn des 21. Jahrhunderts, nicht ohne dabei die Leerstelle eines offenen Referenzsystems allmächtig gewordener Zeichen zu hinterlassen. An seine Stelle treten Phänomene nicht länger am analogen Ideal orientierter hyperrealistischer Audiovisualitäten.129 Das neue digitale Transmedium bringt die Befähigung zu fiktiven Spiegelungen, beliebiger Speicherung und universeller Transformation im Akustischen. Seine Strukturen und Klänge können sehr wohl weiterhin »soundrealistisch« anmuten, indem sie eine stilistisch-ästhetische, historische Verortung lediglich noch vortäuschen. Sie entstammen ihrem technischen Prinzip nach den Prozessen unabschließbarer und arbiträrer Filterung, Konstruktion und Manipulation. Erstrebt wird, anstelle manueller Imitation von Samples oder maschineller Reproduktion in Loops, nun die für immer unabgeschlossene, »spielerische« virtuelle Konstruktion. Deren ästhetisches Resultat ist weder Original noch Kopie, sondern eine hybride Variante, die sich wiederum nicht nur endlos kopieren, sondern ebenso endlos weiter variieren lässt, was interessante und überraschende musikalische Ergebnisse endloser Transformationsprozesse sowohl in Struktur wie klanglicher Materialität ermöglicht. Gundolf S. Freyermuth schreibt dazu weiter: »Digitale Audiovisualität, das ist ihre kategoriale Differenz, verschmilzt gestalterische Souveränität, wie sie handwerklicher Bildlichkeit eignet, mit den Qualitäten industrieller Reproduktion. Diese einzigartige Ermächtigung erscheint gleich der Durchsetzung des Fotorealismus als Nach- und Vorteil. Ersteren sieht man z.B. im Verlust indexikalischer Authentizität. Er macht das Abbildparadigma der medialen Basis der ersten und zweiten industriellen Revolution als historisches Intermezzo erkennbar. Denn im digitalen Transmedium stellt sich die Frage nach der Authentizität der Gehalte wieder wie zu vorindustriellen

128 | Vgl. Kapitel 2. 129 | M.S. Kleiner/M. Chlada: »Tanzen Androiden zu elektronischer Musik? Eine Reise durch das Universum der Sonic Fiction«, in: Kleiner/Szepanski, Soundcultures, a.a.O. [s. Anm. 35], S. 218-235.

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Zeiten: als etwas, das sich nicht länger an mediale Qualitäten, sondern an künstlerische Individualität und Autorenschaft bindet.«130

Als Vorteil tritt dagegen die Manipulierbarkeit hyperrealistischer Audiovisionen durch Produzierende wie Rezipierende hervor. Ihre Popularisierung, wie sie sich in Off- und Online-Spielwelten ankündigt, beruht dabei auf dem qualifizierten Einsatz digitaler Medientechnik nicht nur – wie bei Film und Fernsehen – durch Produzenten und Distributoren, sondern zur Nutzung des Rückkanals auch auf Seiten der Rezipienten selbst. Damit bedeutet digitale Audiovisualität medienhistorisch die nächste Entwicklungsstufe; den Übergang von der tertiären zur quartären Audiovisualität.131 In der Digitalität elektroakustischer Musik, die diese Entwicklung gleichermaßen technologisch wie ästhetisch zum Gegenstand hat, dienen die Verfahren der Nonstandard-Synthesen als Werkzeuge zum praktischen Umgang im referenzlosen Strukturschaffen des Musikalischen. In der synthetischen Konstruktion abstrakter Natur entstehen musikalisch-ästhetische Modelle, die als Medien des Virtuellen mit ihren eigenen Randbedingungen spielen und dies auch als Zugriff musikalischen Handelns an der Mensch-Maschine-Schnittstelle zur Verfügung stellen. Als resultierende Perspektive dieser gezielten musikalisch-strukturellen Entgrenzung lässt sich erahnen, wie sich solche technologischen Verfahren im Digitalen jenseits rein instrumenteller Überlegungen thematisieren. Dabei geht es auch darum, die Codes der vielfältigen und virtuellen Zusammenhänge aller möglichen Materialien, biologischer, medialer, kognitiver, technologischer etc. Perspektiven und Denkbilder zu symbolisieren, um sie als Modelle ästhetisch-medial verhandel- und darstellbar zu machen und so auf ihre Tauglichkeit im Zeichensystem des Virtuellen zu befragen. Es ist der digitale Code selbst, der die weitreichende Standardisierung des operativen Umgangs mit Kalkülen als operable Elemente erlaubt, die auf keine Repräsentationen außerhalb ihrer selbst mehr verweisen. Virtualisierte Sachverhalte beginnen ein Eigenleben und lassen sich nicht unter ihrer Ursprungsordnung subsumieren. Seit dem Erscheinen des Dispositivs des Digitalen vor 150 Jahren ist eine Verkehrung der zeichen130 | Vgl. G.S. Freyermuth: »Audiovisionen // Vor und nach dem Kino«. http://www.heise.de/ tp/r4/artikel/26/26787/1.html 131 | Vgl. dazu auch Kapitel 3.

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theoretischen Prämissen gültig. Die Bedeutsamkeit von Zeichen ist nicht länger abbildtheoretisch auf eine externe Referenz gegründet. Für formale Operationen bedeutet das, dass mit postulierten Funktionszusammenhängen gerechnet werden kann, ohne dass diese auch abbildbar sein müssen. Mathematik wird zur Experimentalwissenschaft im Abstrakten. Analysis ohne Gegenstand schafft sich einen eigenen Bedeutsamkeitsboden aufgrund ihres generativen Selbstbezugs.132 Das Alles ist in der Musik heute bereits Praxis und läuft auf eine spielerische Kalkülisierung des künstlerischen Erkenntnisverfahrens133 selbst hinaus; als ein operatives Umgehen mit dem ästhetischen Prä-Spezifischen. Was analytisch gefolgert und bewiesen wird, ist nicht länger repräsentiert oder gefunden, sondern errechnet. Die aktuelle Perspektive besteht in einer konsequenten Algebraisierung in der Tradition von Leibniz und der booleschen symbolischen Logik und damit jenseits von Turings Anthropologisierung. Im Dramatisieren von intensiven symbolischen Quantitäten liegt die Möglichkeit verborgen, spielerisch mit den digitalen Zeichensystemen zu kollaborieren, wodurch sich unser mathematisches Denken künstlerisch vergegenständlicht, ohne dass wir wirklich verstehen müssen, was die darin enthaltene Mathematik bedeutet. Die Konsequenzen solcher auf komplexe audiovisuelle Zeichensysteme bezogenen Strategien sind künstlerisch, und erst recht als allgemeine Praxis, weitgehend unbekannt und unerforscht. Sie bedingen in der grundlegenden Überwindung der euklidischen Anschauung und Mentalität die Forderung nach einer grundlegenden Logik für eine polymorphe Sichtbarkeit (Manfred Faßler), die uns die Kommunikation über diese Verfahren erlauben würden.134 Dafür liefern historisch wie aktuell Formen des serious story telling im Ästhetischen ein audiovisuelles, sensorisch-analytisches Instrumentarium zur Orientierung in referenzlosen oder eigenreferenzialen Systemen.

132 | V. Bühlmann/M. Wiedmer (Hg.): pre-specifics. Komparistische Beiträge zur Forschung in Design und Kunst, S. 50f. 133 | S. Krämer: »Kalküle als Repräsentation. Zur Genese des operativen Symbolismus in der Neuzeit«, in: Rheinberger/Hagner/Wahrig-Schmidt, Räume des Wissens, a.a.O. [s. Anm. 30], S. 111-123, hier S. 121. 134 | Manfred Faßler zitiert nach V. Bühlmann: »Pseudopodien. Prolegomena zu einem Diskurs über Design« in: Bühlmann/Wiedmer, pre-specifics, a.a.O. [s. Anm. 133], S. 54.

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Die virtuellen Räume medialer Formen des Digitalen sind also das Thema auch in Bezug auf aktuelle ästhetische Standards in der Musikproduktion sowie in ihrer Rezeption und globalen Distribution. Zu fragen ist dabei nach den ästhetischen Implikationen, die dieses historisch noch sehr junge und künstlerisch erst in Ansätzen erprobte Medium mit sich bringt. Angesichts des grundlegenden Paradigmenwechsels, den der Computer als Medium und nicht länger nur als Simulationsmaschine darstellt und der im Denken sowie im Symbolischen der anwendungsbezogenen Interface-Strategien noch gar nicht oder erst in Ansätzen stattgefunden hat, bestätigt sich die Einschätzung des derzeitigen Stands der technisch-künstlerischen Aneignung des neuen Mediums verallgemeinernd als Phase einer »digitalen Prä-Renaissance«.135 Im realen Virtuellen zeichenhafter physikalischer Instrumentenmodelle bleibt beinahe alles in der Schwebe. Es sind mehr denn je kompositorische und ästhetische Entscheidungen gefragt, die aber ihren Absolutheitsanspruch verloren haben. Sie sind lediglich permanente Optionen möglicher Entscheidungen, Vorschläge und Orientierungen in einem komplexen Feld, in dem algebraische digitale Maschinenlogik auf unendliche Realiserungsmöglichkeiten und Haltungen zu Stilen, Formen und musikalischem Handeln stößt. Die permanent errechneten und als Möglichkeitsfelder angebotenen musikalischen Entscheidungen verlieren durch die rein quantitative Menge, den Druck permanenter Realtime-Dispositionen sowie die direkte Kopplung an einen realweltlich verhafteten »Interpreten-Komponisten« ihre Strenge und schlagen in eine Leichtigkeit des Spielerischen um. Bis in die Softwaretools136 zeichnen sich deutlich Entwicklungen ab, die nicht länger auf die einmalige Entscheidungsprozedur eines anschließend als vollendet erklärten Werkes hinauslaufen, sondern als »Track«137 einer quasi als unendlich gedachten musikalischen und musikantischen, im Sinne einer Medienmusik,138 ausgeführten Spiel-, Zitier- und Materialpraxis unterliegen. Im Unter135 | Harenberg: »Virtuelle Instrumente«, a.a.O. [s. Anm. 35], S. 69-94. 136 | So wird schon länger an neuen Formaten gearbeitet, in denen mehrere Versionen eines Tracks so codiert sind, damit sich die Rezipienten eine eigene Version zusammenstellen können. 137 | J. Bonz (Hg.): Subjekte des Tracks. Ethnografie einer postmodernen/anderen Subkultur. 138 | R. Großmann: »Abbild, Simulation, Aktion – Paradigmen der Medienmusik«, in: B. Flessner (Hg.), Die Welt im Bild. Wirklichkeit im Zeitalter der Virtualität, S. 239-257.

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schied etwa zur Improvisationspraxis des 16. Jahrhunderts139 ist diese allerdings zumindest halbautomatisch und instrumentell unspezifisch. Sowohl musikalische als auch klangliche Strukturen können wechselseitig aufeinander bezogen und voneinander abgeleitet werden. Der kompositorische Impuls findet in Bezug auf die von der Maschine errechneten Detaillösung auf einer ästhetischen Metaebene statt, welche die Sphäre des Virtuellen einschließt, so wie es im Verfahren der zugrunde liegenden Nonstandard-Methoden zum Ausdruck kommt. Auch deshalb lassen sich in einer solchen musikalischen (Spiel-)Praxis Orientierungen und Strategien im Virtuellen experimentell erproben und erfahren. Diese Erfahrungen zu verallgemeinern und außerhalb der Sphäre des Musikalischen fruchtbar zu machen, wird die Forschung zukünftig an Modellen ästhetischer Virtualität zu leisten haben.

139 | Vgl. dazu Kapitel 4.

3. Ästhetische Dispositive virtueller Musikinstrumente

Näherungen ästhetischer Virtualität Es war Norbert Wiener, der anhand von nichtlinearen Kippschwingungen in Rechenanlagen Phänomene beobachtete, die sich mit einfachen harmonischen Fourier-Analysen nicht mehr beschreiben ließen. Damit beginnt anhand der grundsätzlichen Frage nach der symbolischen Vergegenständlichung und Darstellung von wahrscheinlichkeitstheoretischen, chaotischen und nichtlinearen Phänomenen eine lange Entwicklungsgeschichte kybernetischer Schaltungstheorie. Diese erhält heute bei aller kritischen Distanz in Bezug auf die Darstellung von akustischen Schwingungen virtueller Instrumente und die Akustik der jeweiligen Erregereinheit eine neue Aktualität. Wiener schließt von der Beobachtung zunächst nicht fassbarer nichtlinearer Phänomene zurück auf die Diskussion des Zeitbegriffs bei Newton und Bergson und erhält einfache Zeitreihen, deren Struktur er informationstheoretisch auf das Phänomen der Nachricht überträgt. So gelangt er zu seinem fundamentalen Ansatz der kategorialen Unterscheidung zwischen Nachrichten und Rauschen. Damit waren auch die Voraussetzungen zur Formulierung der informationstheoretischen Grundlagen von Claude Shannon für eine mathematische Theorie der Kommunikation und der Information gelegt.140 Methodisch benutzt Wiener partielle Differenzialgleichungen, die auch die Grundlage für Nonstandard-Ansätze in der Musik bilden. Ihre Lösungstheorie ist für nichtlineare Gleichungen mathematisch-theoretisch weitgehend unerforscht. Wie Kittler jedoch mehrfach eindringlich 140 | Vgl. L.A. Hiller: »Informationstheorie und Computermusik«, in: Darmstädter Beiträge zur Neuen Musik 8.

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für die Ausbreitung von Schallwellen beschrieben hat, können komplexe Beziehungen von Körpern und Wellen lediglich in experimentellen Annäherungen, in Form von mehrdimensionalen Signalableitungen, dargestellt werden. Die typische zuständige hyperbolische Gleichung ist die hier relevante Wellengleichung, wie sie allgemein in der Akustik verwendet wird. Generell werden durch diese Art von Gleichungen die Schallwellen und deren Ausbreitung beschrieben, wie sie Karplus und Strong 1983 erstmals zur Erklärung von schwingenden Saiten benutzten und damit eines der ersten Modelle virtuellen Physical Modelings anschreiben konnten.141 Bei der Lösung partieller Differenzialgleichungen unterscheidet man klassische Lösungen, die hinreichend oft differenzierbar sind; und als Erweiterung des Lösungsbegriffes schwache Lösungen, welche die Gleichung im schwachen Sinne erfüllen und lediglich Näherungen darstellen.142 Eine einheitliche Theorie zu partiellen Differenzialgleichungen existiert interessanterweise nicht. Im Regelfall müssen die verschiedenen Typen händisch ermittelt und anhand von entsprechenden unterschiedlichen Techniken analysiert werden, um Aussagen über die Existenz, die Eindeutigkeit und weitere Eigenschaften zu möglichen Lösungsansätzen zu erhalten. Alle dabei in Frage kommenden Verfahren basieren auf einer Diskretisierung des Gebietes der partiellen Differenzialgleichung, bei der die Lösung mit Hilfe eines endlich-dimensionalen Gebildes lediglich approximiert wird. In den praktischen Anwendungen ist das Zusammenspiel mathematischer Modellierung, mathematischer Analyse und entsprechender Lösung bzw. Simulation oder Virtualisierung von enormer Bedeutung. Mit Modellierung ist die Darstellung eines physikalischen Vorgangs mit Hilfe von mathematischen Formeln bzw. Gleichungen gemeint, wie sie in Physical 141 | Vgl. K. Karplus/A. Strong: »Digital Synthesis of Plucked String and Drum Timbres«, in: Computer Music Journal, Vol. 7 (2), S. 43-55; vgl. auch Kap. 4. 142 | Zu den mathematischen Grundlagen vgl. Roads: The Computer Music Tutorial, a.a.O. [s. Anm. 65]; L. Corry (Hg.): David Hilbert and the Axiomatization of Physics (1898–1918). From Grundlagen der Geometrie to Grundlagen der Physik; O. Föllinger (Hg.): Laplace-, Fourier- und z-Transformation; D. Müller-Wichards (Hg.): Transformationen und Signale; W.L. Wendland/O. Steinbach (Hg.): Analysis. Integral- und Differentialrechnung, gewöhnliche Differentialgleichungen, komplexe Funktionentheorie.

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Modeling genannten Verfahren, nicht nur in der Musik, zum Einsatz kommen. Die abstrakte Simulation von Vorgängen, die durch partielle Differenzialgleichungen annäherungsweise modelliert werden, beruht meist auf numerischen Methoden. Integraltransformationen, wie z.B. Fourierund Laplace-Transformationen, gehören zu den Standard-Hilfsmitteln zur Lösung von gewöhnlichen und partiellen Differenzialgleichungen wie sie bei Standard Verfahren, Synthesizern und Samplern zum Einsatz gelangen. Die Fourier-Transformation transformiert eine Momentaufnahme des Zeit-/Amplitudensignals in das Frequenzspektrum eines Signals, das heißt der Anteil von Schwingungen mit gleicher Frequenz und Amplitude wird zu einem gegebenen Zeitpunkt darstell- und bestimmbar. So können statische Fourier-Transformationen zwar eingesetzt werden, um einfache Differenzialgleichungen zu lösen,143 nicht jedoch, um komplexe musikalisch-klangliche Verläufe in der Zeit abzubilden – wie Max Mathews zu Beginn seiner musikalischen Digital-analog-Wandlungsversuche leidvoll erfahren musste. Als Max Mathews in den 60er Jahren an den Bell Telephone Laboratories mit den Programmierarbeiten an MUSIC I, dem ersten Programmcode zur Erzeugung von Klängen mit einem Computer begann, wurde der mathematische Paradigmenwechsel auch in Bezug auf das vorhandene physikalische Grundlagenwissen deutlich. Die technisch wie ästhetisch ernüchternden Ergebnisse der ersten Versuche wiesen nicht nur auf technische Mängel wie ungenügende Digital-analog-Wandlertechnik hin, sondern auch auf das unzureichende Wissen über das »Wesen« von Klang. Man bemerkte, dass das vorhandene, seit Fourier und Helmholtz rein quantitativ formulierte Wissen, offenbar nicht ausreichte, um den jetzt ganz Technik gewordenen Parameter Klangfarbe in den gewünschten musikalisch-künstlerischen Details programmiertechnisch beschreiben zu können. »The most apparent limitation in the field of computer music results from the lack of adequate knowledge of the sound of a given pressure wave. The computer sounds are described in terms of the waveshapes produced by the unit generators in the instrument-units. This method for describing sound is quite different from the method of ordinary music, in 143 | Vgl. M. Mathews: »Generation of Music by a Digital Computer«, in: The Historical CD of Digital Sound Synthesis, a.a.O. [s. Anm. 37], S. 30f.

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which the sound is specified by the instrument which produces it, when certain instructions have been recieved by the performer. [...] An example of a psychoacoustic surprise is the dominance of the rates of attack and decay in determining the character of a sound. [...] Another unexpected result is the importance of suitable random variations in almost all parameters of a note for introducing richness and interest. [...] Our experience has shown how little we now know about the relation of the quality of sound to various features of waveform. A new body of psychoacoustics is necessary. [...] An increase in knowledge in this field is bound to be of value and interest in other fields including those of speech and hearing.«144 [S. Übersetzung M. H. , 1/S. 225]

Die Konsequenz waren Grundlagenexperimente, in deren Folge alle Standard-Verfahren digitaler Klangsynthese grundlegend formuliert und ansatzweise erprobt wurden. Dazu gehörten vor allem Verfahren zur allgemeinen Fourier-Transformation als eine Integraltransformation, die einer gegebenen Funktion eine andere Funktion in Form ihrer Fourier-Transformation zuordnet. Sie wird in der Regel dazu verwendet, Frequenzspektren für zeitliche Signale, wie z.B. den abgetasteten Spannungsverlauf eines elektronischen Klanges oder eines mikrofonierten Instrument- oder Sprachsignals, nach ihrer Analog-digital-Wandlung zu berechnen. Aufgrund der zeitdiskreten Dynamik klanglicher Signale, ihrer spezifischen Hüllkurven und stimm- wie instrumentcharakteristisches Formantverhalten muss zur Berechnung der diskreten Fourier-Transformation zwangsläufig die dynamische und schnelle Fourier-Transformation (FFT) verwendet werden; ein Algorithmus, bei dem die Anzahl Rechenschritte zur Berechnung der Fourier-Koeffizienten wesentlich kleiner ist als bei einer direkten, statisch-diskreten Implementation der Integration. Wegen der Bedeutung der Fourier-Transformation in der Signalverarbeitung existieren zum Beispiel für digitale Synthesizer und signalverarbeitende Maschinen, wie Effektgeräte, spezielle Hardware-Signalprozessoren, die einzig für diese Berechnung optimiert sind. So ist in einem linearen zeitinvarianten physikalischen System, wie wir es für Samples und synthetische Klänge definieren können, die Grundfrequenz eine Erhaltungsgröße, wobei das spezifische Verhalten für jede Frequenz des darzustellenden Obertonspektrums einzeln gelöst werden muss, was sehr aufwendige Berechnungen nach sich zieht. Hier kann die 144 | M. Mathews: »The Digital Computer as a Musical Instrument, Science 1963«, in: J. Goebel (Hg.), Computer Music Currents 13. The Historical CD of Digital Sound Synthesis, S. 63f.

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schnelle Fourier-Transformation als dynamisierte Variante Abhilfe schaffen, indem mehrere »Momentaufnahmen« statischer Fourier-AnalyseFenster hintereinander geschaltet werden. Allgemein beschreibt die Fourier-Analyse die Zerlegung eines beliebigen periodischen Signals in eine endliche Summe von Sinus- und Kosinusfunktionen, die eine sogenannte »Fourier-Reihe« bilden. Sie zerlegt ein Signal damit in seine sinusoidalen Frequenzanteile. Dabei zeigt sich, dass sich diese Signale neben dem sinusförmigen Signal mit der Grundfrequenz »f« meistens noch aus vielen weiteren sinusförmigen Signalen mit den Frequenzen »2f«, »3f«, »4f« usw. zusammensetzen. Beliebige periodische Signalverläufe erweisen sich so als Summe von endlich vielen sinusförmigen Signalen. Diese harmonischen Frequenzen stehen untereinander und zur Grundfrequenz in ganzzahligem Verhältnis. In der abendländischen Musik werden gleichzeitig erklingende Töne mit diesen Frequenzverhältnissen als harmonische Klänge empfunden. Die Fourier-Synthese beschreibt das umgekehrte Verfahren: die Erzeugung beliebiger Signale aus Sinus- und Kosinusfunktionen. Anhand solcher Funktionen erkennt man zum Beispiel, dass eine Rechteckschwingung durch die Überlagerung von Oberschwingungen dargestellt werden kann. Sie enthält jeweils die ungeraden harmonischen Oberschwingungen, wobei die Amplitude mit steigender Frequenz abnimmt. Aufgrund dessen werden Rechtecksignale auch häufig zur Simulation elektronischer Schaltungen verwendet, da auf diese Weise das typische Frequenzverhalten dieser Schaltungen festgestellt und beispielsweise akustisch reproduziert werden kann. Frühe Verfahren der elektronischen Musik, z.B. im Studio des WDR um Herbert Eimert und Karlheinz Stockhausen, beriefen sich ästhetisch auf diese Standardprinzipien zur Mischung von beliebigen Klangbändern mittels additiver Summierung von Sinustönen auf einem analogen Tonband. Mit Ausnahme der Nonstandard-Verfahren, wie z.B. der auf Dennis Gábors Theorie der »Klangquanten« beruhenden Granularsynthese sowie der genuin digitalen Klangerzeugung mittels virtualisierter Instrumentenmodelle im Physical Modeling, basieren alle gängigen Klangsyntheseverfahren auf dem eindimensionalen und auf Fourier zurückgehenden Prinzip einer aus der Zeit gelösten vertikalen »Momentaufnahme« eines als räumlich-statisch gedachten Klangspektrums. Dieses ist nach Fourier durch eine endliche Anzahl von Sinustönen abbildbar – was im Umkehrschluss bedeutet, dass jedes noch so komplexe Spektrum aus einer end-

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lichen Anzahl von Sinustönen resynthetisiert werden kann. Diese physikalisch-technische Determinierung eines ganz im analogen Denken des 18. und 19. Jahrhunderts verwurzelten Verfahrens,145 welches wie schon beschrieben in den Tonband-Montagetechniken des Kölner Studios für Elektronische Musik als passendes technisch-ästhetisches Äquivalent zum Gegenstück serieller Kompositionstechniken auf der Materialebene benutzt wurde, trifft bei der Umsetzung im Digitalen auf ein grundlegend anderes Paradigma: das der zeitlich diskreten Rasterung von Einzelwerten eines Abtastvorgangs im Binären. Damit wird aus Klang – nach der Analog-digital-Wandlung – Information. Information ist jedoch ebenso wie das Digitale eine abstrahierende Beschreibung für ein Medium, das in der Form von Klang in Erscheinung treten kann. Daher existiert keine »digitale Musik« und kein »digitaler Klang« an sich. Was wir nach der Digital-analog-Wandlung wahrnehmen, sind Klänge, die digital vorliegende Daten darstellen. Problematisch ist, dass wir Medien – und also auch die spezifische Medialität des Digitalen – nur mittelbar beobachten können.146 »Medien, auch digitale, lassen sich nur an dem beobachten, was sie an Formbildungen zulassen oder verhindern. In ihren frühen Zeiten erkennt man an ihnen also das, was mit ihnen (noch) nicht geht: Bilder offenbaren ihre Pixelstruktur, Musik klingt technoid, Szenen sind in bleiches Mondlicht getaucht, Filme ruckeln, Netze lassen auf sich warten. Es haben sich so Stile gebildet, die aus der Not ein Ausdrucksmittel gemacht haben, die mit der Form des Mediums spielen. Im Prozess der Perfektionierung der Medien verschwinden nach und nach ihre Eigentümlichkeiten, sie werden unsichtbar, verlieren ihre Form, verschwinden hinter Wahrnehmungsschwellen. [...] Und was bleibt, wenn das alles verschwunden sein wird?«147

145 | F.A. Kittler: »Der lange Weg zur Compact Disc«, in: Fleiß/Gayed, a.a.O. [s. Anm. 103], S. 215f. 146 | Zur Begriffsgeschichte des schwachen und starken Medienbegriffs als Mittel bzw. Vermittlung vgl. Tholen: »Medium, Medien«, in: Roesler/Stiegler, Grundbegriffe der Medientheorie, a.a.O. [s. Anm. 6], S. 150-172 sowie die dort resümierte weiterführende Literatur zur Begriffs- und Rezeptionsgeschichte in den Kommunikations- und Medienwissenschaften. 147 | Aus dem Call for Papers zur Hyperkult 11: »Das Unsichtbare. Medien, Spuren, Verlus te«, 04.-07.07.2002, Universität Lüneburg.

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Es bleibt, möchte man antworten, zumindest die Beobachtbarkeit der medialen Formen, in denen uns die Ergebnisse unserer Manipulationen jenseits des A/D-Wandlers erscheinen. Wobei wir aufgrund der Indifferenz von Informationen gegenüber ihren Formen allerdings nicht mehr unterscheiden können, ob das, was wir hören ursprünglich das Ergebnis einer Rechenoperation ist, den transformierten Informationen eines digitalisierten Bildes oder dem ASCII-Code eines Textes entstammt. Als Informationen unterliegen digitalisierte Klänge einer funktionalen Logik, welche mittels eines endlichen Vorrates zeit- und wertediskreter Zeichen operiert, deren Verknüpfungsregeln und deren operationalisierte Verfahren die redundante Austauschbarkeit aller abstrakt vorliegenden Daten garantiert. Dies allerdings um den Preis des Verlustes historisch-ästhetischer Konnotationen sowie all jener Klangbestandteile, die durch das digitale Raster fallen – aber genau in dieser pragmatischen Vergessenheit liegt ihr produktiver Mehrwert, wie Claus Pias ihn beschrieben hat: »Denn aus dieser Richtung erscheint das Digitale als methodisches oder systematisches Instrument des Vergessens. Digital ist das, was keine Zwischenstufen und keine Grauzonen zwischen seinen Elementen kennt, so wie wir keine Finger zwischen Ring- und Mittelfinger haben (digitus) oder unser aller Vokalalphabet keine Buchstaben zwischen ›A‹ und ›B‹ hat. Und in dieser Entschlossenheit des Digitalen liegt seine Vergessenskraft. Ab der siebzehnmillionsten Farbabstufung eines Scans und ab einem Geräusch jenseits der halben Abtastrate beginnen die vergessenen Kontinente des Realen, und zwischen zwei Abtastungen herrscht ein Diskursverbot. Und dieses Diskursverbot oder Nicht-Wissen ist ausserordentlich produktiv.«148

Erst durch dieses Diskursverbot ist der operable formalisierte Zugriff auf das abstrahiert vorliegende Material und seine Manipulation möglich. Nach Turing ist das grundlegende Arbeitsprinzip der als Universalmaschine beschriebenen »Number Cruncher« das der programmgesteuerten Simulation. Durch die intermediale Austauschbarkeit nach der A/D-Wandlung von unspezifischen neutralen Informationen wird der Computer zum programmgesteuerten automatisierten »Hyperinstrument« und damit zum medialen »Code Cruncher«.

148 | C. Pias: »Ästhetik als Strategie«, unveröffentlichter Vortrag zur Hyperkult 11, 04.-07.07.2002, Leuphana Universität Lüneburg.

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Auf die Fourier-Synthese berufen sich im Kern auch alle klassischen analogen wie digitalen Standard-Klangsynthese-Verfahren, welche die Erzeugung eines definierten Frequenzspektrums zum Ziel haben, also vom Ergebnis des aus dem Klangerzeugungsprozess resultierenden Obertonspektrums her denken. Dieses kann sich am Referenzrahmen akustischer Instrumente oder aber auch am Ideal eines synthetischen Instrumentes orientieren. Zu dieser Gruppe gehören die subtraktive Klangsynthese analoger Synthesizer, die additive Synthese als ihre theoretische Umkehrung, die FM-Synthese (Frequenzmodulation) Chownings als erste digital realisierte Klangsynthese sowie Wavetable-Synthese, Phase-DistortionSynthese, Waveshaping, Sampling als Klangsynthese (in Kombination mit subtraktiven Syntheseverfahren), Resynthese etc.149 Im Zentrum steht dabei jeweils die Synthese eines dynamisch modulierten Frequenzspektrums als Ergebnis eines mehrstufigen Klangformungsprozesses, welches sich in der Regel an denen klassischer Musikinstrumente orientiert. Grundsätzlich wird in der Musik das zu analysierende oder synthetisierende Signal als ein Ton bezeichnet. Jeder Ton setzt sich aus dem Grundton und den Obertönen zusammen. Die relativen Stärken bzw. physikalisch formuliert die Amplitudenverhältnisse der Ultraharmonischen (Obertöne) bestimmen die Klangfarbe des Tons. Das Frequenzspektrum eines Tones besteht also aus der Grundharmonischen und der Ultraharmonischen. Bei Begriffen wie Teiltönen, Partialtönen oder harmonischen Frequenzen wird in der Audiotechnik die Grundfrequenz mitgezählt. Spricht man von Obertönen, wird die Grundfrequenz nicht mitgezählt und nur die Vielfachen der Grundfrequenz betrachtet. Die Qualität von akustischen Aufnahme-, Übertragungs-, Speicher- und Wiedergabemedien bemisst sich von den analogen historischen Erfindungen bis zu digitalen Verfahren unserer Zeit nach der Vollständigkeit der abgebildeten Frequenzen in Bezug auf zeit- und amplitudenrelevante Aspekte. In digitalen Medien müssen diese Verfahren den Vorgaben der Informationstheorie folgen, speziell dem Nyquist-Shannon-Abtasttheorem sowie der allgemeinen Turing-Maschine in Verbindung mit der schnellen Von-Neumann-Architektur, welche die Arbeitsweise moderner Computersysteme bestimmt.150 149 | Vgl. A. Ruschkowski: Elektronische Klänge und musikalische Entdeckungen. 150 | Vgl. F.A. Kittler: »Gleichschaltungen. Über Normen und Standards der elektronischen Kommunikation«, in: M. Faßler/W. Halbach (Hg.), Geschichte der Medien, S. 263f.

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Allerdings bleiben dies Näherungslösungen für ein Problem, das numerisch-mathematisch nicht mehr darstellbar ist. Im Rahmen der musikalisch-ästhetischen Suche nach künstlerisch optimalen Lösungen werden technologische Konzepte, Genres und kompositorische Ansätze also die entscheidende Rolle spielen. Dabei gilt speziell der grundlegende Einwand Nietzsches und auch Heideggers, nach welchem sich Medien in diesen Zusammenhängen – gerade als technische – alles andere als neutral verhalten und die beteiligten medialen Mittel direkt am Ergebnis mitschreiben. Unabhängig von unserem bewussten Verhältnis zu ihnen bleibt in der Regel gerade das verborgen, was sie an epistemischem Wissen ihrem Wesen nach leisten. »So ist denn auch das Wesen der Technik ganz und gar nichts Technisches. Wir erfahren darum niemals unsere Beziehung zum Wesen der Technik, solange wir nur das Technische vorstellen und betreiben, uns damit abfinden oder ihm ausweichen. Überall bleiben wir unfrei an die Technik gekettet, ob wir sie leidenschaftlich bejahen oder verneinen. Am ärgsten sind wir jedoch der Technik ausgeliefert, wenn wir sie als etwas Neutrales betrachten; denn diese Vorstellung, der man heute besonders gern huldigt, macht uns vollends blind gegen das Wesen der Technik.«151

Heidegger erkennt, dass die Sache der Technik nicht an ideologisch besetzbaren und besetzten »Verhaltungen« zu ihr entschieden wird – stärker noch, er hat deutlich gemacht, dass hinter zustimmenden oder ablehnenden Haltungen der Zugriff auf das Wesen der Technik und ihre epistemische Leistung für den Menschen und für das Wissen von ihm konstitutiv blind bleiben.152 Rieger zitiert in diesem Zusammenhang die kürzere und pragmatische Version von Max Bense: »Man entgeht nicht der Technik, indem man die Physik verlernt.«153 Dies erinnert an die Position von Deleuze, nach welcher bei allen Phänomenen bisheriger Simulationen wie zukünftiger Virtualisierungen eine starke materielle Basis erhalten bleibt, wie ja auch

151 | M. Heidegger: »Die Frage nach der Technik«, in: ders (Hg.)., Vorträge und Aufsätze, S. 9-40, hier S. 9. 152 | Ebd., S. 9-40; ders. (Hg.): Die Technik und die Kehre, Pfullingen 1991. 153 | M. Bense zitiert nach W. Kiwus: »Der geistige Mensch und die Technik«, in: Semiosis. Internationale Zeitschrift für Semiotik und Ästhetik, 3/4 1998, S. 34.

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alle ästhetischen sowie physikalischen Aspekte an reale Körper und realräumliche Bedingungen rückgekoppelt werden müssen. »Sobald das Virtuelle nicht als Gegensatz zum Realen, nicht als rein geistige, rein immaterielle Parallelsphäre konzipiert, sondern als Bestandteil des Realen betrachtet wird, mag es zutreffender sein, von realer Virtualität zu sprechen, anstatt von virtueller Realität.154

Im Spannungsfeld von musikalischen Ansätzen und mathematisch-physikalischen Unschärfen in der Erzeugung klanglicher Artefakte im Medium des Digitalen erhalten Fragestellungen technischer Strategien und Verfahren eine neue Materialität, was eine Verschiebung vom Register der Textualität und der symbolischen Speicher zu einem Register der Virtualität und der spielerischen Manipulationen am Reellen bewirkt. Was wir jetzt bereits bei komplexen Computersimulationen erleben, ist die Notwendigkeit einer neuen Art von algebraischer Schriftlichkeit, die Systemabläufe dynamisch darstellbar macht – und dies nicht nur in der quantitativ immer umfangreicheren Maschine-Maschine-Kommunikation. Die dynamische Darstellung und Handhabung von Datenstrukturen in numerischen Simulationen beruht, wie die Verfahren der D/A-A/D-Wandlung, auf zeit- und wertediskreter Abtastung. Aus diskreten Zeitpunkten werden reelle Zahlen, die lediglich noch durch infinitesimale Approximationsprozesse annäherungsweise definiert sind. Durch diese algebraischen Manipulationen wird Zeit in mathematischen und damit in symbolischen Zeichenstrukturen zum letztendlich dominierenden Faktor.155 Die approximativen Modellbildungen im Medium des Digitalen bewirken, dass in Analogie zu technischen Bildern, die nach Benjamin als »Dialektik im Stillstand«156 außerhalb des Realraums in einer neuen Zeitdimension existieren, digital erzeugte Klänge als »Dialektik in Bewegung« außerhalb der Realzeit in neuen virtuellen Zeit- und Räumlichkeiten er154 | Bühlmann: »Für eine Architektur kommunikativer Milieus«, a.a.O. [s. Anm. 115]. 155 | Die Leitmetapher des Raums wird durch die der Zeit abgelöst, was wiederum Räumlichkeiten jenseits der euklidischen Geometrie zu ihrer Vorstellung attraktiv und damit möglich erscheinen lässt. Schon der historische Übergang vom Mündlichen zum Schriftlichen ist vor allem als Verräumlichung der beteiligten medialen Prozesse beschreibbar. Vgl. Krämer: »Verschwindet der Körper?«, a.a.O. [s. Anm. 68]. 156 | W. Benjamin: »Was ist das epische Theater? (l)«, in: ders. (Hg.), Gesammelte Schriften II, 2, S. 519-531, hier S. 530.

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scheinen. Dieses Prinzip ästhetischer Virtualisierung kann auf künstlerisch-musikalische Prozesse übertragen werden. Damit ist eine neue Qualität von Referenzialität geschaffen, die einen möglichen ästhetischkompositorischen Handlungsrahmen aufspannt, der belastbare Referenzen im Imaginären des Künstlerischen ebenso liefert, wie wieder an reale Orte und Körper rückkoppelbare instrumentale Strategien im Realen. Virtuelle Instrumentenmodelle liefern sowohl als mediale Interfaces wie auch als Resonanzräume dreidimensionaler akustischer Schwingungskörper genau eine solche »bewegte Dialektik«, die sogar die Modellierung eines spielenden menschlichen Körpers als Bestandteil des instrumentalen Synthesemodells beinhalten.157 Damit wird die Mensch-Instrument-Interaktion samt ihren auszudifferenzierenden möglichen Schnittstellen zum integralen Bestandteil des technischen physikalischen Modells virtueller Instrumente in Nonstandard-Verfahren und zu einem komplex interagierenden und tendenziell unbeherrschbaren medialen Gesamtsystem, welches mit musikalischen Strategien des Virtuellen spielerisch-experimentell adäquat eingesetzt werden kann. Die existierenden Unschärfen und Zufälligkeiten führen dazu, dass kein perfektes Idealsystem in Form eines Super-Algorithmus modelliert wird, sondern ein sehr fragiles Gesamtsystem, welches spielerisch erkundet und ästhetisch referenzialisiert werden muss. Diese aktive wechselseitige Kollaboration als Gegenmodell zu der klassischen These der Beherrschung eines Instrumentes wird zur Voraussetzung für neuartige Formen des Musizierens mit virtualisierten MetaInstrumenten. Als Vertreter eines aktualisierten Maschinenmodells stellen die digitalen Instrumente und Verfahren ein großes Potenzial an ästhetischen Gestaltungsmöglichkeiten zur Verfügung. Der zum Meta-Operator mutierte Komponist/Instrumentalist verfügt in der technischen abstrakten Modellierung klanglich wie strukturell über die Dimensionen Raum und Zeit seiner in den Maschinen gespiegelten künstlerischen Imagination. Der Traum eines in handwerklicher Kollaboration spielbaren Universalinstrumentes, wie ihn von Kircher bis Busoni Generationen von Komponisten und Musikwissenschaftlern geträumt haben, scheint sich in der Konfrontation von Meta-Instrumentalisten mit ästhetisch unspezifischen Nonstandard-Softwarelösungen digitaler Universal-Maschinen zu realisieren.

157 | Vgl. Kap.5.

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Nach über hundert Jahren stürmischer technologischer Entwicklungen und den der kapitalistischen Entwicklungslogik unterworfenen Massenproduktion stehen heute ästhetische Fragestellungen wieder verstärkt im Vordergrund. Damit stellt sich die Frage des Umgangs mit den Utopien von Busoni, Mager, Meyer-Eppler, Lertes, Helberger u.a, wenn ihre Realisierung auf die Entwicklung technischer Lösungsansätze beschränkt bleibt. Um dies nicht länger dem technischen Pragmatismus von Ingenieuren und Programmierern zu überlassen, ist wie bereits erwähnt die wissenschaftliche Expertise von Musik- wie Medienwissenschaftlern gleichermaßen gefordert. Vorläufig hat eine Bemerkung von Luciano Berio aus dem Jahr 1956 zum Verhältnis von Technologie und Ästhetik in der elektronischen Musik weiterhin Gültigkeit: »Die Vorstellung eines musikalischen Denkens, das im elektromagnetischen Gedächtnis eines Tonbandes oder im digitalen Gedächtnis eines Computers bewahrt ist ohne jeden wirklichen Kontakt mit der spezifischen Natur des musikalischen Werkes, wirft immer noch Probleme auf und wird es weiterhin tun, bis alle Parameter: musikalische, wissenschaftliche, technologische, ökonomische und soziale - einen gemeinsamen Bezugspunkt finden und eine Art von Übereinkunft erreichen«.158

Der erwähnte Bezugspunkt könnte in der epochalen Wende der neuen Medien zumindest wahrscheinlicher geworden sein. Die Zäsur der neuen Medien ist allerdings so gewaltig, dass nicht nur die hier genannten kategorialen Bezüge längst nicht mehr standhalten konnten und als überholt gelten dürfen. Dazu gehören z.B. der abgeschlossene Werkbegriff, das lineare musikalische Denken oder die metaphorologische Verwendung des Gedächtnisbegriffes. Das hätte sich Berio 1956 bei den »Darmstädter Internationalen Ferienkursen für Neue Musik« wohl kaum vorstellen können. Seine Fantasie einer in Bezug auf mediale Musik ästhetischen Einheit von künstlerischem Material, Form und Werkzeug erscheint bezüglich kollaborativer Nonstandard-Verfahren überhaupt zum ersten Mal im Rahmen des Möglichen.

158 | L. Berio zitiert nach R. Stephan et al. (Hg.): Von Kranichstein zur Gegenwart. 50 Jahre Darmstädter Beiträge zur Neuen Musik.

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Da nach Flusser alle wahren Revolutionen vor allem auch technische Revolutionen sind,159 erlangt McLuhans Diktum von der integrierenden Kraft neuer Medien in Bezug auf ihre Vorläufertechnologien und in der Zuspitzung auf die neuen informationsverarbeitenden Maschinen in diesem Zusammenhang eine neue Aktualität; ebenso wie Heideggers ganz grundsätzliche Frage nach der Technik und ihrer entbergenden Funktion in einem alternativen Dispositiv der Naturaneignung.160 Mit der Entwicklung virtueller Modellierungsverfahren ist die Musik in einem doppelten Sinn auch im je konkreten »Cyberspace« von Games und alternativen Welten einerseits sowie der Virtualisierung von MetaInstrumentarien andererseits angekommen. Musik, Geräusche und Signaltöne dienen der Navigation in diesen Cyberspaces und gehören zur Hyperrealität immersiver künstlicher Welten. Instrumentale Physical Modeling-Systeme benutzen dagegen einen rein akustischen Cyberspace als konstituierenden Raum ihrer Klangsynthese. Dieser akustische Cyberspace hat eine »Innen-« und eine »Außenseite«. Im Inneren werden virtuelle Klangerzeuger gestaltet und in Interaktion mit einem Interface in der Realwelt und dem mitmodellierten Spieler in Echtzeit zum »Klingen« gebracht (d.h. das virtuelle Modell wird gemäß seinen Gesetzmäßigkeiten und durch einen energiezuführenden Erreger in Schwingung versetzt). In der »äußeren«, akustisch-virtuellen Realität werden KlangRäume (Raumgröße, Raumbeschaffenheit, Halligkeit, d.h. Oberflächenstrukturen der Raumbegrenzung, Form und Größe der Klangkörper etc.) simuliert, in die der »innere« Raum des klingenden Physical ModelingModells »hineingestellt« wird. Dieser instrumentale nicht immersive, rein akustische Cyberspace modellierter Instrumentabstraktionen stellt Komponisten und Musiker vor eine Reihe neuer Probleme. Löst er einerseits beispielsweise das Interface-Problem der elektronischen und Computermusik, indem die vir159 | V. Flusser im Gespräch mit F. Rötzer: »Alle Revolutionen sind technische Revolutionen«, in: Hemken, Im Bann der Medien, a.a.O. [s. Anm. 50]. 160 | Vgl. G.Ch. Tholens Hinweis zur medientheoretischen Relevanz des von Heidegger bereits in seiner Vorlesung »Die Frage nach dem Ding: Zu Kants Lehre von den transzendentalen Grundsätzen (1935/36)« entfalteten Begriffs der techné und der Axiomatik des Dings als unverfügbare Spielräume des Mathematischen: »Platzverweis. Unmögliche Zwischenspiele von Mensch und Maschine«, in: N.W. Bolz/F.A. Kittler/G.Ch. Tholen (Hg.), Computer als Medium, S. 125-127.

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tuellen Instrumente wie ihre realen Pendants im komplexen Wechselspiel »physikalischer« Interaktionen »gespielt« werden können, ohne dass das klangliche Ergebnis physikalisch en détail parametrisiert werden muss, sieht man sich andererseits doch wieder gefangen im ästhetisch veralteten Imitationsparadigma der digitalen Medien. Will sich der Komponist/Musiker dem angesichts der aktuellen Maschinendispositive einengenden Diktat traditioneller Instrument-Definitionen nicht länger beugen, sieht er sich neuen technischen und vor allem ästhetischen Problemen gegenüber. Die Veränderung oder sogar Neudefinition von digital simulierten Instrumentenmodellen gestaltete sich bis in die jüngste Vergangenheit extrem schwierig. Ohne fundierte Kenntnisse in Akustik, Physik, Mathematik und den entsprechenden Programmiertechniken erschien ein solches Anliegen bisher aussichtslos. Allerdings existieren seit Jahren interessante Möglichkeiten, mit bereits existierenden Instrumentenmodellen bzw. entsprechenden Editoren und angepassten Programmiersprachen zu arbeiten.161 Das neue klanglich-musikalische »Material« kann ohne die Kenntnis medientheoretischer oder mathematischer Grundlagen spielerisch ausgelotet, erforscht und ästhetisch-experimentell verwendet werden. Seitdem Physical Modeling-Software nicht nur auf Laptops, sondern auch auf Multitouch-Oberflächen von Smartphones und Tablet-Computern mit ihren neuen Interface-Paradigmen zur Verfügung stehen, hat sich das Angebot sprunghaft erweitert und ausdifferenziert. Auch in Programmierumgebungen, wie Max/ MSP und PD sowie in nichtlinearen DAW-Umgebungen, wie Ableton Live mit der interessanten Schnittstelle zu »Max for Live«, stehen Nonstandard-Verfahren, wie z.B. Physical Modeling-Techniken, zur Bearbeitung von Struktur und Klang zur Verfügung. Durch diese noch relativ neue Verbreitung kann von einer Zunahme der experimentellen Erforschung und den musikalischen Arbeiten mit Nonstandard-Techniken in der nahen Zukunft ausgegangen werden.

161 | Vgl. z.B. die Softwareliste zu Nonstandard-Verfahren unter: http://www.cybermusik. net/Software.html.

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Physical Modeling virtueller Instrumente Die digitale Modellierung im Paradigma der Verfahren des Physical Modelings zielt im Ergebnis erstmals nicht mehr auf die Erzeugung synthetischer Klangspektren basierend auf dem von Fourier formulierten Schwingungs-Theorem ab, stattdessen werden die physikalischen Ausgangsbedingungen für eine dreidimensionale Schwingung im hörbaren Bereich selbst virtualisiert.162 Die Interaktion von im Modell mitmodellierten Spieler und dem virtuell schwingenden Instrumentenmodell muss nicht zwingend ausschließlich der synthetischen Klangerzeugung dienen. Die »Innen«-Räume virtueller Instrumentenmodelle können auch passiv zur Klangbearbeitung eingesetzt werden, indem bereits existierende Klänge in diese virtuellen Umgebungen als Resonanzräume geleitet werden. Je nach deren Form und Gestaltung lassen sich klassische Sound-Effekte, wie z.B. Echo, Hall, Flanging, Phasing, Filter-, Frequenz- und Amplitudenmodulationen, aber auch Simulationen von verschiedenen Mikrofonmodellen, Verstärker- und Lautsprechermodellen etc., erstellen. Gelöst werden muss jeweils die Frage der Anfangsbedingungen, wie sich diese Schaltungen als abstraktes mathematisch-physikalisches Modell darstellen und in ihren medialen physikalischen Konstruktionen modellieren lassen. Physical Modeling-Patente wurden von Julius O. Smith vom Center for Computer Research in Music and Acoustics (CCRMA) am Music Department der Stanford University Ende der 80er Jahre an die Firma Yamaha verkauft, die mit der Entwicklung entsprechender kommerzieller Musikinstrumente begann. Ergebnis waren 1992/93 die auf die Modellierung von Blas- und Streichinstrumenten spezialisierten Synthesizer VP 1 und VL 1. War der voll polyphone, aufwendige VP 1 überwiegend eine Projektstudie, gilt der lediglich duophone VL 1 als das erste »Serienmodell« auf Physical Modeling-Basis. Parallel dazu hat das Yamaha Tochterunternehmen Korg wenig später die auf akustische Selbstschwinger-Modelle spezialisierte Wavedrum entwickelt; ein auf Physical Modeling beruhendes Conga-ähnliches Instrument, ohne eigene aktive elektronisch-virtuelle Klangerzeugung. Die Schläge und Berührungen auf dem optisch und 162 | M. Harenberg: »Die Rationalisierung des Virtuellen in der Musik«, in: Schade/Tholen, Konfigurationen, a.a.O. [s. Anm. 6], S. 160-176; M. Supper: »Vertikale versus horizontale Klangsynthese. Fourier versus Gábor«, in: E. Ungeheuer (Hg.), Von der Elektroakustischen Musik zur Computermusik, Laaber 1999.

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akustisch abgenommenen Schlagfell dienen als Ausgangsmaterial und werden durch unterschiedliche Physical Models klanglich und räumlich nachbearbeitet. Ein Prinzip, das sich der WSA 1 der Firma Technics mit Samples als Ausgangsmaterial des nichtlinearen Oszillators genauso zu eigen macht, wie das Effektpedal VG-8 von Roland, das ein E-Gitarrensignal verarbeitet. Zu diesen »passiv-hybriden« Physical Modeling-Modellen, gesellen sich »synthese-hybride« Instrumente wie der monophone Prophecy und der polyphone Z1 der Firma Korg, welche bis zu 13 verschiedene Klangsyntheseverfahren in Form von jeweils spezifisch designten Physical Models simulieren. Durch die Verwendung von Samples mit einfachen Grundwellenformen als Treiber entstehen in Waveguides die populären »virtuell-analogen« Synthesizer, mit deren Hilfe auch das »Verhalten« analoger Schaltungen nachgebildet werden kann. Virtuelle (Makro-)Raumakustik mittels Physical Modeling kann man sich als Vergrößerung und Manipulation des Raumes der Instrument-»Innenakustik« vorstellen. Derzeit aktuelle Simulationen von Standardeffekten und komplexen Raumakustiken basieren auf dieser Technik.163 Physical Modeling besteht im Kern aus Zeitverhältnissen, die konstituierend für die Virtualisierung von anregender Bewegung und resultierender Schwingung werden und somit den virtuellen (Innen-)Raum des Instrumentenmodells und seine (klanglichen) Eigenschaften definieren. Es geht um ein mathematisches Modell der Dekonstruktion von Zeitfunktionen, auf die sich die komplexen Resonanzeigenschaften von Saiten, Luftsäulen oder Körpern reduzieren lassen. Da die so erzeugten klingenden Modelle keinerlei visuelle Repräsentation besitzen, kann man sie als abstrakte »Instrumente« bezeichnen, welche die Summe der Bedingungen repräsentiert, die für die Erzeugung eines resultierenden Klanges notwendig sind. Um sie von traditionellen Instrumenten zu unterscheiden, mit denen sie lediglich diese kategoriale Funktion gemeinsam haben, werden sie auf der Internetseite »Cybermusic.net« als »Cyberinstrumente« bezeichnet. »Cyberinstruments are virtual sounding structures created via physical modeling synthesis techniques. Physical modeling synthesis enables a digital simulation of a sonic object (whether it be a musical instrument, an environmental phenomenon, or everyday object) based on understanding and implementation of the object’s physics. Besides imitation and 163 | Zu den Beispielen vgl. http://www.sequencer.de, http://www.synthesizerforum.de/.

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extension of the existing sound sources, the synthesis also facilitates a creation of sound sources, which have no counterpart in the physical reality. What differentiates this technique from other syntheses is the fact that physical modeling simulates the sound production mechanism, while other techniques (e.g. additive, subtractive and FM syntheses) focus on modeling the sonic properties of the signal as heard and recognized by the listener. We recognize three categories of cyberinstruments: extended, hybrid and abstract cyberinstruments. The extended cyberinstruments are simulations of existing physical instruments. Besides pure replication, they enable augmentation of the instruments’ parameters beyond the limitations of their physical origins. Hybrid cyberinstruments are typically combinations of the properties of two or more existing instruments, such as the blotar, which combines the properties of flute and guitar. Abstract cyberinstruments are structures inspired by physical laws, yet without equivalence in the physical world.«164 [S. Übersetzung M. H., 2/S. 225-226]

Da sowohl ästhetische Ansätze als auch die notwendige Interface-Infrastruktur zur Verfügung stehen, erkennen wir die musikalische Ästhetik des Virtuellen als ein neues Dispositiv. Die Modellierung klingender Körper und ihre Manipulation im Digitalen können neue Referenzrahmen zur Orientierung im Virtuellen aufspannen, in denen neue Kompositionsmodelle erprobt werden können. Weder eine neue »Computermusik«, die erneut lediglich ein Produktionsverfahren in den Mittelpunkt stellen würde noch eine neue »elektronische Musik« als technischer Ausläufer einer apparativ-hermeneutischen Medienpraxis wären alternativ in der Lage, diese Bedingungen zu erfüllen. In der musikalischen Praxis existiert indessen eine eigene quasi-objektive Realität des Virtuellen, die sich unabhängig von Stilen und Genres manifestiert. Diese erschöpft sich nicht in der Simulationsleistung bisheriger Technologien, sondern bietet neue künstlerische Transformationsmodelle im Umgang mit Strukturen und Klängen. Dabei herrscht ein dialektisches Verhältnis zwischen den Adaptionen vordigitaler Verfahren und der Entwicklung differenzierter, dem neuen Medium adäquater Techniken. Künstlerisch befinden wir uns damit Mitten im Paradigmenwechsel der Phase analoger Simulationen im Digitalen zur Potenzialität von 164 | Vgl. http://www.cybermusik.net/index.html. The website originated in support to the article »Cyberinstruments via Physical Modeling Synthesis: Compositional Applications« by Juraj Kojs, Stefania Serafin and Chris Chafe published in Leonardo Music Journal, Vol. 17/2007.

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Transformationsprozessen und ihren weitgehend unerforschten musikalischen Dimensionen komplexer Systemkollaborationen. In der künstlerischen Auseinandersetzung mit dem unbewältigten und somit weiterhin präsenten musikalischen 19. Jahrhundert ist dieser qualitative Umschlag noch nicht endgültig erfolgt. Dabei spielen vielfältige Bezüge zu den visuellen Künsten sowie transdisziplinäre Ansätze eine entscheidende Rolle, was an der Entwicklung der neuen elektronischen Musik bereits festgestellt werden kann. Zu dieser ästhetischen Verortung kommt die Frage der Performanz des realen wie des virtuellen Körpers des Spielers als systemimmanente Größe im Algorithmus des Instrumentenmodells, der als formale Instanz wie als mediale Funktion des »Boten« die entscheidende Schnittstelle zur Interaktion im Virtuellen darstellt. Da der realweltliche Körper des Spielers virtueller Instrumente über geeignete Interfaces an dieser Schnittstelle akustisch interagiert, existiert ein mediales, hörimmersives Fenster zur musikalischen Interaktion im akustischen Cyberspace.165 Das Medium des Virtuellen schreibt in allen Fällen an den Ergebnissen mit, es informiert die Dinge, die wir in die ästhetischen »Black Boxes« hinein geben – wie mit Vilém Flusser zu formulieren wäre. Auf jeden Fall erleben wir einen der radikalsten Umbrüche nicht nur in Bezug auf die Produktion und Distribution von Musik, sondern des nahezu alle Koordinaten umfassenden musikalischen Kommunikationsprozesses, welcher von Grund auf revidiert wird und möglicherweise »das historische Ende bürgerlicher Repräsentationsmusik« markiert, wie Konrad Boehmer schon 1985 formulierte.166 Das alles gehört zu den Rahmenbedingungen für die Frage nach der spezifischen Medialität virtueller Instrumente, vor allem in Bezug auf die mediale Verortung des Körpers. Gerade in diesem Kontext greifen, wie Tholen formuliert:

165 | Vgl. C. Cadoz: »The Physical Model as Metaphor for Musical Creation ›pico..TERA‹, a Piece Entirely Generated by Physical Model«, Proceedings of the International Computer Music Conference in Goteborg 2002; J.H. Kim: »Toward Embodied Musical Machines«, in: Ch. Lischka/A. Sick (Hg.), Machines as Agency. Artistic Perspectives, S. 18-33. 166 | K. Boehmer: »Krisis?«, in: ders. (Hg.), Das böse Ohr. Texte zur Musik 1961-1991/1993, S. 193f.

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»[...] anthropologische, instrumentalistische, systemtheoretische, aber auch manche diskursanalytischen Ansätze in der Erklärung des Begriffes ›Medium‹ zu kurz: Technische Medien sind weder Prothesen des Menschen, noch kann dieser als Prothese technischer Automaten begriffen werden. Georg Christoph Tholens eigener Ansatz situiert das Mediale in der Differentialität, die Artikulation überhaupt erst ermöglicht. Jede Artikulation […] setzt die abstrakte Aufteilung von etwas in einen differentiellen Stellenraum voraus, durch deren konkrete Auswahl und Besetzung dann sich die Bestimmtheit der Artikulation vollzieht. Die strukturelle Funktion von Medien besteht in der Bereitstellung und Aufrechterhaltung dieser Disponibilität des Stellenwechsels, an den das Symbolische gebunden ist, analog etwa dem Schalter in der Schaltalgebra, der auf keinen bestimmten Zustand referiert, sondern die Auswechselbarkeit der Zustände ›0‹ und ›1‹ bzw. ›offen‹ und ›zu‹ zu gewährleisten hat.«167

Dieser implizierte »Platzverweis«168 eines Denkens von Leerstellen, in der Abstraktion auf der Ebene programmgesteuerter Schaltalgebra, tendiert zu einem generalisierenden Universalcode für die ästhetisch hier noch zu unterscheidenden medialen Darstellungsprozesse.169 Auf der Ebene digitaler codegesteuerter Speicherprozesse sind damit die technischen Voraussetzungen geschaffen, die musikalisch um die Ebene einer immersiven ästhetisch-künstlerischen Imagination ergänzt werden. Durch die Implementierung der Körperschnittstelle in das algorithmische Maschinenmodell virtueller Instrumente kann dieses außerordentlich komplex interagieren, ohne in der Unübersichtlichkeit apparativ-mechanischer Parameterflut analoger wie digitaler Synthesizer zu enden. Diese parametrisieren das fouriersche Modell nach physikalischen Aspekten vielfältiger Schwingungs- und Resonanzphänomene im Akustischen, was die Möglichkeit komplexen »Verhaltens« auf der Schaltungsebene verhindert. Die Adressierung des Körpers an der Schnittstelle zwischen musikalisch handelndem Mensch und modellierter Selbstigkeit des Mediums garantiert nach Tholen die vergegenständlichte Körperlichkeit im Algorithmus des Instrumentenmodells, die zwar nur in Form von imaginären Interfaces 167 | G.Ch. Tholen: »Die Zäsur der Medien«, Abstract in: S. Krämer (Hg.), Über Medien. Geistes- und kulturwissenschaftliche Perspektiven. Online Vorlesungsreihe. http://userpage. fu-berlin.de/~sybkram/medium/inhalt.html 168 | Vgl. Tholen: »Platzverweis«, a.a.O. [s. Anm. 160]. 169 | Vgl. M. Schuller: »Bilder – Schrift – Gedächtnis«, in: J. Huber/A.M. Müller (Hg.), Raum und Verfahren. Interventionen / Museum für Gestaltung, S. 105.

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vorstellbar ist, was allerdings der künstlerischen wie medialen Inspiration in der »Beherrschung« eines traditionellen Musikinstrumentes durchaus gleichgesetzt werden kann.170 Wie Tholen schon pointiert in Bezug auf Kittlers Interpretation der hegelschen Geschichtsphilosophie171 formuliert, bedeutet das für eine ästhetische Virtualität, dass mit dem universellen Medium des Symbolischen, wie es uns hier in der neuen Form des Virtuellen begegnet, weder der Mensch vom Joch der künstlerisch-ästhetischen Subjektivität befreit wird noch seine Sprache noch die Künste abgelöst oder gar verabschiedet werden. »Denn die Struktur der Austauschbarkeit und Ersetzbarkeit, die der Sprache [wie den Künsten, MH] zukommt und vorausgeht, ist die nicht-technische, uneinholbare Voraussetzung der technischen Medien selbst, das heißt: ihres Vermögens, eben diese […] Struktur der Ersetzbarkeit computertechnisch ersetzen zu können. Und darüber hinaus liesse sich die medienhistorisch einschneidende Platzverschiebung zwischen den Medien gar nicht datieren, gäbe es [›mit dem Zwischenraum des Symbolischen und Medialen‹, MH] nicht einen dritten Ort […].«172

Die Simulation von virtuellen Instrumenten, die einer imaginären Phantasie-Physik gehorchen, welche sich als Wissenschaft des Messens im Symbolischen versteht, um ästhetische Prozesse in einer bestimmten Ausprägung intersubjektiv zugänglich zu machen, stellt in jedem Fall lediglich ein abstraktes, wenngleich hochkomplexes Instrumentarium zur Verfügung, welches neue Anforderungen an das Hören und den kompositorischen Ansatz stellt. Dieses Instrumentarium im Sinne Adornos zu »kunstfähigem Material« werden zu lassen, obliegt damit mehr als je zuvor den an die Menschen gebundene soziale und künstlerisch-ästhetische Fähigkeit. Der akustische virtuelle Raum entzieht sich dem Cyber-Diskurszusammenhang da, wo er zwar akustisch erfahrbar, aber nicht visuell begehbar ist und nicht unmittelbar zum haptisch bespielbaren Instrument 170 | Vgl. Tholen: »Metaphorik der Medien«, in: ders., Die Zäsur der Medien, a.a.O. [s. Anm. 4], S. 50f. 171 | Vgl. Kittler: »Fiktion und Simulation«, a.a.O. [s. Anm. 45]. 172 | G.Ch. Tholen: »Die Zäsur der Medien«, in: W. Nöth/K. Wenz (Hg.), Medientheorie und die digitalen Medien (= Intervalle. Schriften zur Kulturforschung Bd. 2), S. 75f.

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werden kann. Der akustische Cyberspace konstituiert sich im Falle von Physical Modeling »hörimmersiv« und nur in Interaktion mit einem realen Spieler und an seinen Interfaces. Solange wir Klang nicht direkt in die Wahrnehmungszentren unseres Gehirns »senden« können, bleiben wir realweltlich verhaftet und »außen vor«. Erst der D/A-Wandler gibt uns als grundlegendste Schnittstelle das akustische Feedback darüber, was wir über die Interfaces unserer Steuersoftware und Interfaces im virtuellen Klangraum erzeugt haben. Um dort allerdings zu sinnvollen, d.h. hörbaren Ergebnissen zu gelangen, müssen wir uns mit den strukturellen Eigenschaften des von uns designten Klangraums vertraut machen – und das heißt, primär mit seinem Zeitverhalten im Inneren des virtuellen Instrumentes. Damit wird zwangsläufig »Zeit«, wie bereits dargestellt, zum bestimmenden Merkmal virtualisierter Klang-Körper im modellierten Klangraum. »In the history of sound synthesis, there have been two different general methods for synthesis of musical instrument sounds. One approach is to look at the spectrum of a real instrument and try to recreate it. This includes methods such as additive synthesis and frequency modulation (FM). These produce sounds with similar structure, but the parameters involved have no relation to the physical parameters of an instrument. The other popular approach is to use a sample of the instrument, such as in wavetable synthesis and samplers. In both of these cases, you’re creating sounds without any consideration for how the real instrument actually creates those sounds. With physical Modeling on the other hand, you are not creating the sound directly - you are creating and controlling a process that produces that sound. You define the process which models the actual instrument, and then when you play this synthetic instrument, you are specifying some of the necessary parameters needed to make the sounds. This approach will take sound synthesis up to a higher level.«173 [S. Übersetzung M. H., 3/S. 226]

Die »Instrumente« des musikalischen Physical Modelings virtualisieren, im Unterschied zu den Verfahren anderer Klangsynthesetechniken oder des Samplings, nicht mehr Sound im Sinne von Obertonspektren und ihren Modulationen und Resonanzen. Physical Modeling simuliert, ästhetisch eher anknüpfend an die »Musique concrète instrumental« Helmut

173 | J.O. Smith: CCRMA Overview (1996), Center for Computer Research in Music and Acoustics, Department of Music, Stanford University 2005. http://ccrma.stanford.edu/overview/

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Lachenmanns, Instrumente in einem ganz poietischen Verfahren, also die physikalischen Paradigmen auditiver Klangerzeugung selbst. Statt einen Klang zu programmieren, werden wie gezeigt die Bedingungen seiner Entstehung modelliert. Dies ermöglicht in mikro- wie makrozeitlichen Determinationen und an nicht euklidischen Raummodellen orientierte Instrumente auf der Grundlage abstrakt beschriebener instrumentaler »Eigenschaftsmodelle«. »Thus is left the interest in sounds ranging between the concrete sounds produceable by musical instruments or other vibrating systems (including physical models) and abstract sounds easily generated by signal models. This interest in (perceptual) ambiguity is shared by many composers and appears as the most plausible motivation of using synthesis when excluding the extreme case of searching for sounds completely unrelated to our listening experience. When using signal models, the problem of controlling the synthesis process consists mainly in creating a system of constraints (a control model) that forces the synthesis parameters to evolve in a way that gives rise to a certain identity of the sound phenomenon such that the latter can be used in a musical discourse (i.e. is recognizable in a certain context, can be ordered in scales, etc.). With physical models such system of constraints (causality, spatial representation) is included in the synthesis model. This is why it is so easy to produce so-called realistic sounds with physical models and abstract sounds with signal models. Realistic means in this context that our perception is easily able to link a given sound phenomenon to its production mechanism (source) and abstract means that it is hard for our perception to imagine a source for a given sound. This does not imply that there are no natural abstract sounds – also natural sounds can become abstract to our perception, but they are usually very hard to produce and control (e.g. multiphonics). Physical models can be used in this case to allow for a better control (given that they are refined enough to produce the sounds in question). But the more important aspect of physical models for musical composition is that the set of constraints introduced by causal systems is an especially interesting one because our perception is specialized to recognize sounds produced under these constraints. And even if we are interested to produce abstract sounds only, these constraints (which will always be present in our perception as reference) can teach us how to avoid realistic sounds. Thus if we are interested in articulating abstract and realistic sound material we should search for possibilities to modify the systems of constraints of physical models.174 [S. Übersetzung M. H., 4/S. 227]

174 | G. Eckel/F. Iovino/R. Caussé: »Sound synthesis by physical modelling with Modalys«. http://iem.at/~eckel/publications/eckel95b.html

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Auf traditionelle Instrumente bezogen würde in den klassischen Klangsyntheseverfahren ein Klarinettenklang dadurch modelliert, dass man sein Obertonspektrum sowie das Klangverhalten im Ein- und Ausschwingvorgang mittel Hüllkurven programmiert. Mit Sampling würde man mittels Multisamples ergänzend die verschiedenen Register und Dynamiken berücksichtigen und im Grunde versuchen, zum gleichen jeweils nur in den genannten Dimensionen reproduzierbaren Ergebnis zu gelangen. Physical Modeling dagegen geht den Weg, das physikalische Modell des Instrumentes Klarinette im Rechner zu modellieren und sie an der Schnittstelle zum Körper des Instrumentalisten über das ebenfalls simulierte Anblasen der (virtuellen) Luftsäule »spielbar« zu machen.175 Ein virtualisiertes Schwingungsmodell in einem akustischen Cyberspace176 besteht also aus virtuellen physikalischen Eigenschaftsräumen, mit denen die möglichen physikalischen Zustände in und um das »Instrument« mathematisch beschrieben sind. In diesem virtuellen akustischen Mikrokosmos herrschen definierbare zum Teil chaotische Gesetze, die sich im Kern über die Modellierung ihres akustischen Zeitverhaltens nachbilden lassen. Physical Modeling nimmt somit als zeitdiskretes physikalisches Modell eines Virtual Reality Instruments in einem rein akustischen Cyberspace eine ganz poietische Position ein. Parallel zur universellen Manipulierbarkeit von Informationen in der Universalmaschine 175 | Vgl. zu den Modellierungsverfahren im Virtuellen J.O. Smith: »Synthesis of bowed strings«, in: Proceedings of the ICMC; ebd.: »Viewpoints on the history of digital synthesis«, Proceedings of the ICMC; J.-L. Florens/C. Cadoz: »The physical model: Modeling and simulating the instrumental universe«, in: G. De Poli/A. Picalli/C. Roads (Hg.), Representations of musical signals, S. 227-268; J. Spix: »Verfahren der physikalischen Modellierung von Musikinstrumenten (›Physical Modeling‹), Diskrepanzen zwischen Modell und Vorlage«, in: B. Enders/J Stange-Elbe (Hg.), Musik im virtuellen Raum (= Musik und Neue Technologie); L.A. Hiller/P. Ruiz: »Synthesizing musical sounds by solving the wave equation for vibrating objects«, Part I, in: Journal of the Audio Engineering Society, Vol. 19/1971, S. 462-470; ebd.: Part II, Vol. 19/1971, S. 542-551; C. Brüse: »Physical Modeling – Die neue Klangsynthese«, in: Keyboards, 4/94, S. 44-73; G. Borin/G. De Poli/A. Sarti: »Algorithms and Structures for Synthesis using physical models«, Computer Music Journal, Vol. 16/1992, S. 30-42; R. Caussé/X. Rodet: »Sound synthesis by physical models, application to strings«, Proceedings of the ICMC 1987, S. 264-269, International Computer Music Association; P. Dutilleux: »Das Prinzip des Physical Modeling«, ZKM, Institut für Musik und Akustik. 176 | Vgl. Kapitel 3.

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»Computer« können Klänge in ihrer Arbitrarität, Differenzialität und Substituierbarkeit manipuliert werden. Das bedeutet – in Bezug auf die Kommunikationstheorie von Shannon in den 60er Jahren – eine Überwindung der vorher als natürlichen oder referenziell gedachten Eigenschaft des Parameters Klang in musikalischen Subsystemen.177 In der Musik des späten 19. und des 20. Jahrhunderts treten mit der zunehmenden Bedeutung von Klangfarbe, Zeit und Rhythmus auch die Parameter »Raum« und die Schnittstelle zum Körper des Interpreten zusehends in den Mittelpunkt. Mit der seriellen Musik der 50er Jahre rückt eine gänzlich neue Zeiterfahrung in den Vordergrund: die der musikimmanenten wie realweltlichen Raum-Klang-Bewegung. Stereophonie in der Aufnahme- und Übertragungstechnik, Strukturen und Aufführungspraxis der elektronischen Musik sowie die das traditionelle Koordinatensystem der Musik sprengende Emanzipation des Geräuschs tun ein Übriges zur Betonung von räumlichen Aspekten in der Musik. Digitale virtuelle Instrumente zeichnen sich durch die Dominanz modellierter Räume sowie ihren jeweiligen akustischen Zeitverhältnissen aus. Mit der Virtualisierung des Raumes ist, wie in Kapitel 2 bereits dargestellt, die Ablösung des geometrischen, an Euklid orientierten sowie mechanistischen Raumbegriffs newtonscher Prägung verbunden. Relationale und vor allem dynamische Raumvorstellungen werden dominant. Raum wird hierbei nicht mehr als eine Art »Behälter« bzw. »Container« verstanden, welcher mit dem Instrument oder Teilen desselben gefüllt ist. Der virtuelle Raum stellt vielmehr eine Art (mathematisch-physikalisches virtualisiertes) resonierendes Netzwerk dar, welches an die Stelle räumlicher Koordinaten eine dynamische mehrdimensionale Matrix setzt und im Falle von physikalisch modulierten Instrumenten den virtuellen (Innen-)Raum des Modells abbildet.178 »Der grundlegende Unterschied [bei Kant, MH] zwischen Raum und Zeit besteht also darin, dass der Raum die äußere und die Zeit die innere Form der Anschauung ist. So überzeugend die Erläuterungen Kants hierzu auch anmuten, sie lassen dennoch ein Problem offen: Bei der Unterscheidung zwischen äußerem und innerem Sinn handelt es sich offenkundig um eine räumliche Unterscheidung. Bei der Erläuterung der Kategorien von Raum und Zeit

177 | Vgl. Tholen: »Einschnitte«, in: ders./Scholl, DisPositionen, a.a.O. [s. Anm. 43]. 178 | Zum medientheoretischen Diskurs des Raumes vgl. Anm. 30.

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als Anschauungsformen ist also der Raum als Bedingung der Möglichkeit zur Unterscheidung von Innen und Außen bereits vorausgesetzt. Der Vorwurf einer Verräumlichung der Zeit griff jedoch zu kurz, denn an einer anderen Stelle der ›Transzendentalen Ästhetik‹ […] ist es wiederum die Zeit, die die zur Grundlage der Unterscheidung ihrer selbst vom Raum herangezogen wird. Der Zeit eignet eine räumliche Dimension, insofern sie der ›innere‹ Sinn ist, dem Raum wiederum eine zeitliche, sofern er ›zugleich‹ ist. Diese Unmöglichkeit, Raum und Zeit als ›reine‹ voneinander zu trennen, entspricht dem Verkennen des Schirms dieser Projektionsfläche, die unsere Wahrnehmung konstituiert, und auf der sich die Dimensionen von Raum und Zeit untrennbar miteinander verschränken. Als imaginäres Schild, das sich ›zwischen‹ Subjekt und Welt stellt, steht er an der Stelle eines eröffnenden Zeit-Spiel-Raums (Heidegger), der die Erfahrung von Raum und Zeit gewährt, sich als solcher aber entzieht. Seine technologischen Implementationen […] ist demnach weniger die Verfälschung oder Entfremdung der natürlichen Wahrnehmung, sondern die durch sie erreichten ›realistischen‹ Effekte zeigen, dass es [sich, MH] dabei um den technologischen Ausdruck eines Begehrens handelt, das mit der Einführung der Zentralperspektive im 15. Jahrhundert geweckt wurde und unsere Wahrnehmung unserer Selbst und der Welt nachhaltig verändert hat.«179

Bisher blieben die Effekte digital-elektronischer Klangerzeugung den helmholzschen Paradigmen verhaftet, wonach ein Klang primär durch die Anzahl und Verteilung seiner Obertöne definiert ist. Alle Verfahren der Klangsynthese, ob zur Imitation bestehender Instrumente oder zur Erzeugung neuer elektronischer Klänge, ob analog oder digital, orientierten sich an einer statischen Komplexität resultierender Obertonspektren. Der Parameter (Makro-)Raum existierte dabei lediglich in Form von zusätzlichen Effekten am Ende des Klangerzeugungsverfahrens.

179 | M. Scholl: »Imaginäre Räume«, in: Tholen/ders., DisPositionen, a.a.O. [s. Anm. 43], S. 119f.

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Die ästhetische Praxis virtueller Instrumente und ihre technische Realisierung Die technische Implementierung von Physical Modeling-Verfahren geht zurück auf den Akustiker Michael E. McIntyre,180 der traditionelle Musikinstrumente untersuchte und ein allgemeines mathematisches Modell entwickelte, welches an einer Saite, einem Rohrblatt oder einem einfachen Rohr simulieren konnte, wie akustische Schwingungen entstehen, sich physikalisch verhalten und in komplexen Modellen, wie z.B. BogenSaiten-Systemen, interagieren. Seine elementare Erkenntnis war, dass die jeweiligen Erreger (Bogen, Luftstrom etc.) und die daraus resultierenden schwingenden Körper (Saite, Rohrblatt, Luftsäule, Metallplatten, Felle etc.) nichtlinear, also unproportional aufeinander- und zusammenwirken. Man spricht bei den jeweiligen Erregermodellen deshalb auch von »nichtlinearen Oszillatoren«. Auf Grundlage dieser Forschungen entstand ein Klangsyntheseverfahren aus sehr einfachen (Schwingungs-)Modellen.181 Parallel zu den Erkenntnissen von McIntyre haben die beiden Physiker Kevin Karplus und Alex Strong an Algorithmen zur Beschreibung von schwingenden Saiten gearbeitet. Die theoretisch mathematischen Grundlagen wurden von David Jaffe und Julius O. Smith weiterentwickelt und auf die Simulation komplexer akustischer (Blas-)Instrumente bezogen. Gemeinsam war allen Ansätzen, dass neben nichtlinearen Oszillatoren unterschiedlich gedämpfte rekursive Feedbacks zum Einsatz kommen, welche die im Detail unkontrollierte Lebendigkeit der resultierenden Klänge verantworten. Eines der realisierten Vorläuferinstrumente, die mit diesen theoretischen Erkenntnissen experimentierten, war die MARS-Workstation von Prof. Giuseppe di Giugno, dem damaligen technischen Leiter des Computerprogramms am IRCAM in Paris, mit dem 1994 erschienenen Serienmodell IRIS des italienischen Forschungsinstituts um Bontempi und

180 | Vgl. u.a. M.E. McIntyre/J. Woodhouse: »On the Fundamentals of bowed-string dynamics«, in: Acustica 43/1979, S. 93-108; M.E. McIntyre/R.T. Schumacher/J. Woodhouse: »On the Oscillations of Musical Instruments«, in: Journal of the Acoustical Society of America 74/1983, S. 1325-1345; C. Roads: »McIntyre, Schumacher, and Woodhouse Synthesis«, S. 279f, a.a.O. [s. Anm. 65]. 181 | Ebd., S. 280f.

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Farfisa.182 In Deutschland gab es bereits in den 70er Jahren die Entwicklung des sogenannten Variophon von Prof. Fricke in Köln, welches auf den Forschungen zu akustischem Formant-Verhalten von Klarinetten und Oboen beruhte. Das Prinzip der sogenannten Impulsformung ging auf die Beobachtung zurück, dass jeder Blasinstrumentenklang im Grunde auf seine Anregungsimpulse der anregenden Rohrblätter oder Lippen rückführbar ist, die sich unabhängig von der Grundtonhöhe stets nach den gleichen Gesetzmäßigkeiten verhalten und an denen sich klanglich die schumannschen Klangfarbengesetze von 1929 demonstrieren lassen.183 So konnte mit dem Variophon gezeigt werden, wie die Klangfarbe von Blasinstrumenten gebildet wird, die in allen Spielnuancen in der Form ihrer Anregungsimpulse begründet liegt. Wie bereits erwähnt, gab es bereits lange vorher, und vor allem seit der Einführung von digitalem Sampling in der ersten Hälfte der 80er Jahre, Simulationsversuche zu traditionellen Instrumenten mittels spektraler Modellierung und mit Hilfe von rückkopplungsfreien, fourierorientierten Synthesemethoden.184 Diese können durchaus musikalisch befriedigende Repräsentationsmodelle für statische Klänge ergeben. Es ist allerdings nicht möglich, komplexe instrumentale Meta-Parameter zu simulieren, die mehrere und zum Teil sehr drastische in sich völlig unterschiedliche Klangveränderungen gleichzeitig nach sich ziehen.185 Je genauer und auf182 | Vgl. http://en.wikipedia.org/wiki/Giuseppe_di_Giugno. 183 | E. Schumann (Hg.): Physik der Klangfarben, Habilitationsschrift 1929; P.H. Mertens (Hg.): Die Schumannschen Klangfarbengesetze und ihre Bedeutung für die Übertragung von Sprache und Musik. 184 | Vgl. Roads: The Computer Music Tutorial, a.a.O. [s. Anm. 65]; im Grobüberblick vgl. auch http://www.soundspec.de/andere.html. 185 | Auch wenn dies von gigabyte-großen Multilayer-Sample-Libraries und entsprechenden Software-Playern mit eindrucksvollen Ergebnissen versucht wird. Der Aufwand ist allerdings im Vergleich zu Physical Modeling-Lösungen gigantisch und spieltechnisch wenig intuitiv. Die Standardsoftware dazu ist der Sampleplayer »Kontakt« von Native Instruments in Berlin. Dazu existieren spezielle Sample-Libraries, wie z.B. das als »Sample Modeling« bezeichnete Verfahren zur Simulation aller Spielvarianten einer Trompete. Dabei erlaubt »Harmonic Alignment« ein Morphen zwischen verschiedenen Dynamik- und Ausdrucks-Samples des »Adaptive Model«, in dem der »Fingerprint« des Instruments festgehalten wird. Vgl. »Sample Modeling. The Trumpet«, in: Keys. Musik und Computer, 06.07.2008, S. 52f.

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wendiger die Modellierung des virtuellen Instrumentenmodells ausgeführt ist, um so interessanter und lebhafter werden sich komplexe spieltechnische Auswirkungen, wie z.B. der Anblas- oder Bogendruck, die Bogengeschwindigkeit und der Druckpunkt, das Anrauen eines Bläsertons etc., im akustischen Ergebnis niederschlagen, ohne dass sie en détail als akustisches Verhalten prädeterminiert werden müssen. Der Umschlag in ein höheres Register beim Überblasen hat zum Beispiel bei der Klarinette neben der Tonhöhe auch immense klangfarbliche Auswirkungen. Es gibt chaotisch gefärbte Luftgeräusche zum Zeitpunkt des Umschlags, mit denen eigenständig gespielt werden kann etc.186 Dies zum Beispiel in einem additiven Synthesemodell für jede Spielfunktion zu jedem Zeitpunkt genau zu berechnen, erfordert einen sehr großen Aufwand. Die spieltechnische Realisierung der quasi simultanen Änderung von mehreren hundert aufeinander bezogenen und mehrdimensional abhängigen Parameter ist so gut wie unmöglich. Diese Beispiele zeigen deutlich, warum Physical Modeling bis heute hauptsächlich als perfektes Imitationsverfahren traditioneller analoger wie auch elektronischer Instrumente Verwendung gefunden hat. Eine technische wie anekdotische Besonderheit stellt das erste physikalische Modell einer synthetischen Stimme von Max Mathews dar, der in den 50er Jahren bei den Bell Telephone Laboratories an der Übertragungsqualität von transnationalen Telefongesprächen arbeitete. Da die nicht abgeschirmten Unterseekabel zu dieser Zeit immense Störgeräusche produzierten, forschte man an einer Möglichkeit die Telefongespräche als digitale Daten zu übertragen und erst beim Empfänger durch eine synthetische Stimme vorlesen zu lassen. Für diesen Zweck programmierten sie ein abstrahierendes Modell des menschlichen Kehlkopfes in Form von einzelnen in Länge und Durchmesser modulierbaren Röhren, welche sie so zum »Sprechen« bringen konnten. Das war die eigentliche ideengeschichtliche Geburtsstunde des musikalischen Physical Modelings, welches als Vertreter digitaler Klangsynthesen im Rahmen der NonstandardVerfahren allerdings danach für über 20 Jahre brach liegen sollte.187 186 | Vgl. J.R. Pierce (Hg.): Klang. Musik mit den Ohren der Physik. Analoges gilt übrigens für Saiteninstrumente oder Selbstschwinger. 187 | Für das Stimmenmodell interessierte sich 1965 auch Stanley Kubrick, der eine passende Stimme für den Computer HAL im Kinofilm »2001 – Odyssee im Weltraum« suchte. Im Film kommt es beim Versuch, HAL abzuschalten, zu einer »Speicher-Regression«, bei der dieser

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Erst 1983 wurde in der Zeitschrift Computer Music Journal eines der einfachsten und frühesten Modellierungsverfahren für physikalische Schwingungsmodelle von Kevin Karplus und Alex Strong vorgestellt.188 Der von Karplus entwickelte und von Strong erstmals funktionsanalytisch erläuterte Algorithmus diente der realistischen Nachbildung angeschlagener oder gezupfter (aus)schwingender Körper; von Saiten- bis zu Perkussionsinstrumenten und bei minimalem Aufwand an Rechenleistung. Im Karplus-Strong-Algorithmus wird ein kurzes Sample in einen Feedbackloop zwischen Delays, die über Filter gedämpft werden, eingespeist. Aufgrund des psychoakustischen Phänomens, dem sogenannten Periodicity Pitch (periodische Tonhöhe), nach dem man Impulse ab einer Geschwindigkeit von mehr als ca. 20 Ereignissen pro Sekunde als Tonhöhe wahrnimmt, errechnet sich beim Karplus-Strong-Algorithmus die resultierende Tonhöhe zeitkritisch aus der Anzahl der Samples pro Sekunde, die den Delay-Speicher verlassen und per Feedback das Filter erneut durchlaufen, geteilt durch die Gesamtzahl der Samples im Speicher.189 Die Klangfarbe ergibt sich aus der Art des gewählten Samples und der Methode der Filterung. Als Samples eignen sich vor allem Geräusche mit möglichst dichtem Spektrum, wie es z.B. beim weißen Rauschen der Fall ist. Man kann den Karplus-Strong-Algorithmus entweder als Modell subtraktiver Synthese mit Feedback-Loops verstehen, wie sie bei Kammfiltern und z-Transformationen als zeitorientierte Laplace-Transformation

das Kinderlied »A Bycicle built for two« zu singen beginnt; und zwar mit dem Algorithmus von John Kelly und Carol Lochbaum von den Bell Labs. Im Film hört man letztlich aber doch eine Version mit dem 1939 entwickelten »Coder« genannten Vocoder (vgl. Roads: The Computer Music Tutorial, a.a.O. [s. Anm.65], S. 267), bestehend aus einer Analyse-Einheit von parallelen Bandpässen und einer Synthese-Einheit aus Filter und einem Sprach-Synthesizer von Homer Dudley (interessante Beispiele zu Dudleys »Coder« gibt es unter http://120years.net/ machines/vocoder/ ), der in Zusammenarbeit den Bell Labs und Werner Meyer-Eppler entwikkelt wurde – und vor allem zur abhörsicheren Verschlüsselung von Telefonaten diente; vgl. Kittler: »Grammophon«, a.a.O. [s. Anm. 15]. 188 | Karplus/Strong: »Digital Synthesis of Plucked String and Drum Timbres«, a.a.O. [s. Anm. 141]; D.A. Jaffe/J.O. Smith: »Extensions of the Karplus-Strong Plucked String Algorithm«, in: Computer Music Journal, Vol. 7/1983, S. 56-69. 189 | Zu »Karplus-Strong string synthesis«, s. Wikipedia. http://en.wikipedia.org/wiki/Karplus-Strong_string_synthesis; vgl. Roads: The Computer Music Tutorial, a.a.O. [s. Anm. 65].

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von Abtastfunktionen190 benutzt werden, oder man interpretiert ihn als die einfachste Klasse digitaler Waveguide-Synthese (Wavetable-Modification) mit nur einer Signal-Periode im Delay-Speicher. Karplus und Strong entwickelten eine Reihe von Soft- und HardwareImplementationen ihres Algorithmus, inklusive eines eigenen, spezialisierten VLSI-Chip. Sie nannten den Algorithmus Digitar-Synthesis, ein Kunstwort und eine Abkürzung für digital guitar. Das Verfahren wurde schließlich von Julius O. Smith in Stanford verallgemeinert und weiterentwickelt.191 Heute existieren neben dem Karplus-Strong-Algorithmus für das virtuelle Modeling komplexer instrumentaler Mikroräume, der Konstruktion und dem Sounddesign anderer Klangerzeugungsverfahren, drei weitere Verfahren: t Im Masse-Feder-Modell werden dynamische Systeme aus punktför-

migen Massen erzeugt, die durch Federn verbunden sind und welche die Physik eines Instrumentes in allen Details und von Grund auf simulieren können. Die Software Cordis Anima des Instituts ACROE in Grenoble leistet genau dies.192 t Im Falle der sogenannten Modal-Synthese werden verschiedene Sinus-Frequenz-Komponenten eines schwingenden Systems modelliert und die Parameter, die einem realen Sound entsprechen, experimentell ermittelt. Beispiel ist die Software Modalys Mosaïc, die am Institut de Recherche et Coordination Acoustique/Musique IRCAM in Paris von Jean-Marie Adrien entwickelt wurde.193 t Der Simulation der Fortpflanzung von Wellen in einem Medium, z.B. der von Luft in Blasinstrumenten oder einer Welle auf Saiten, widmen sich die Waveguides, die Julius O. Smith am Center for Computer Research in Music and Acoustics CCRMA in Stanford entwickelt hat.194 190 | Vgl. Föllinger: Laplace-, Fourier- und z-Transformation, a.a.O. [s. Anm. 142]. 191 | Ebd., »Waveguides«, S. 161f. 192 | C. Cadoz/A. Luciani/J.L. Florens: »CORDIS-ANIMA: A modeling and simulation system for sound and image synthesis«, in: Computer Music Journal, Vol. 17/1993, S. 19-29. 193 | J.-M. Adrien: »The missing link. Modal synthesis«, in: De Poli et al., Representations of musical signals, a.a.O, [s. Anm. 175], S. 269-297; J.D. Morrison/J.-M. Adrien: »MOSAIC: A framework for modal synthesis«, in: Computer Music Journal, Vol. 17/1993, S. 45-56. 194 | J.O. Smith: »Physical modeling using digital waveguides«, in: Computer Music Journal, Vol. 16/1992, S. 74-91. ftp://ccrma-ftp.stanford.edu/pub/DSP/Tutorials/WaveguideSynthe

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I. Masse-Feder-Modell Die GENESIS-Software des Cordis Anima-Systems vom Institut ACROE in Grenoble modelliert eine große Zahl miteinander verbundener Masse-Teilchen, die aus einer Verformung in ihren Ausgangszustand zurückschwingen. Als Modell dient ein gedämpft rückgekoppeltes Netzwerk physikalischer Masse-Feder-Einheiten, die über einen nichtlinearen Oszillator mit Energie versorgt werden. Der oder die Erreger simulieren etwa ein Plektrum, zupfende Finger oder einen Bogen, mit denen dem System Energie zugeführt wird. Diese Kombination ist für die Tonhöhe, in Abhängigkeit der Anzahl Schwingungen pro Zeiteinheit verantwortlich, während die Art der Dämpfung mittels unterschiedlicher Kopplungsalgorithmen und Federkonstanten die Klangfarbe und den Einfluss des »Instrumentenkorpus« definiert. Über eine räumliche Diskretisierung können die Feder-Masse-Elemente im Extremfall auf ein Minimum von nur einem gedämpft rückgekoppelten Paar reduziert werden, während die Manipulation der Federeigenschaften auch die Simulation nichtlinearer Objekte erlaubt, die nur durch massive Interventionen in komplexen Netzwerken in Schwingung versetzt werden können – wie wir es etwa von Gongs oder Tamtams kennen. Cordis Anima erzeugt auf diese Art grundlegende, nichtlineare, mehrdimensionale Masse-Feder-Modelle in einem dynamischen zweidimensionalen Netzwerk punktförmiger Massen, die durch Federn verbunden sind und die physikalischen Zusammenhänge dreidimensional schwingender Flächen simulieren.195 Das System, das in der Lage ist, komplexe physikalisch-mathematische Gesetze von in Verbindung stehenden Masseteilchen darzustellen, generiert sein eigenes physikalisches »SystemUniversum«, in welchem mittels eines »Sonne« genannten Zentralpunktes dynamische funktional-geometrische Beziehungen definiert werden müssen.

195 | Cadoz/Luciani/Florens: »CORDIS-ANIMA«, a.a.O. [s. Anm. 192]; ders., »Responsive input devices and sound synthesis by simulation of instrumental mechanisms: The Cordis system«, in: Computer Music Journal, Vol. 8/1984, S. 60-73; J.-L. Florens/A. Razafindrakoto/A. Luciani/C. Cadoz: »Optimized real time simulation of objects for musical synthesis and animated image synthesis«, Proceedings of the ICMC 1986, S. 65-70.

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»[…] Weitere Ergänzungen durch spezielle nichtlineare Interaktionsfunktionen ermöglichen auch Modelle, die eine Anregung in der Form eines Bogenstrichs realisieren. Da die Interaktion zwischen Bogen und einer punktförmigen Masse erfolgt, hängt es von der topologischen Verbindungsstruktur der Massen ab, ob es sich um eine angeregte Saite, Membran oder etwas anderes handelt. […] Durch allgemeine nichtlineare Kennlinien in Federn und Dämpfern lassen sich auch stärkere und extreme Auslenkungen sowie nichtlineare Dämpfungen wie z.B. Haftreibung realisieren. […] Bei extremer Auslenkung von Federn bleiben in der Realität Verformungen des Materials zurück. Diese Verformungen könnten durch Änderungen der Federlänge im Ruhezustand und ggf. durch Änderungen der Federkonstante modelliert werden. […] Hiermit ließen sich dann auch bewegungsabhängige Abnutzungseffekte, wie sie sich z.B. bei längerem Spielen in Resonanzböden von Musikinstrumenten ergeben, nachbilden. Realistische Modelle erfordern natürlich auch Mehrdimensionalität. […] Im dreidimensionalen Fall wird bei der Saite der Querschnitt durch konzentrische Ringe und einen zentralen Stern gebildet, orthogonal dazu werden viele derartige Scheiben miteinander verbunden und die Enden fixiert. Bei zweidimensionalen Modellen werden die Scheiben durch einfache Stäbe ersetzt. Für den Fall der eindimensionalen Modelle können zusätzliche Federn zwischen zwei Massen eingefügt werden, die jeweils eine Masse in der topologischen Form überspringen und so die Eigenschaften einer Masse auch von der mittelbaren Nachbarschaft abhängig macht. […] Durch eine globale Vernetzung aller Massen mit nichtlinearen Interaktionselementen, die dann mit der materialspezifischen Feder- und Dämpfungskraft wirken, wenn sich zwei Massen mindestens so nahe stehen, daß die der punktförmigen Massen zugeordneten Teile der Vorlage sich berühren würden, könnte auch der elastische Stoß realisiert werden. Eine Veränderung der räumlichen Ausdehnung der punktförmigen Masse, z.B. bei der Oszillation des zugeordneten Bereichs der Vorlage durch Elastizität, würde jedoch nicht erfaßt werden. […] Nachteile des Masse-Feder-Modells sind, daß die Zerlegung eines realen Vorbilds in wenige punktuelle Massen wegen der vernetzten Struktur nicht immer offensichtlich ist, und daß man dem Modell mit den zugehörigen Parametern nicht ansehen kann, welche Frequenzen erzeugt werden. Eine Umrechnung ist, selbst für lineare Modelle, praktisch kaum möglich. Der klare Vorteil ist jedoch, daß man Modell und Vorlage von ihrem strukturellen Aufbau her sehr gut vergleichen kann. Dies gilt in gleicher Weise für die Simulation der Bewegung jeder Masse des Modells und entsprechende Messungen bei realen Instrumenten.«196

196 | J. Spix: »Verfahren der physikalischen Modellierung«, a.a.O. [s. Anm. 175]; eine Liste von Komponisten, die Werke mit den unterschiedlichen Physical Modeling Techniken realisiert haben, findet sich unter: http://www.cybermusik.net/index.html.

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Der Entwurf eines solchen hermetischen Schwingungs-Universums aus Masse-Feder-Modellen ist allerdings für alle Arten von Blasinstrumenten kaum geeignet, da die Luftmoleküle als Masseteilchen innerhalb und außerhalb des Instrumentes in ihrer komplexen Interaktion mit der jeweiligen Umgebung modelliert werden müssten, was vor allem für die nur chaostheoretisch zu beschreibenden Wirbel-Verhältnisse am Mundstück als nichtlinearen Oszillator erhebliche Schwierigkeiten bereitet. Der Komponist Ludger Brümmer, der einige seiner musikalischen Arbeiten mittels Physical Modeling realisiert hat, schreibt zu seinen spezifischen Erfahrungen mit Cordis Anima: »[…] Es wuchs [aus der Arbeit mit Samples starker Identität, MH] der Wunsch heran, einerseits Klänge mit einem wiedererkennbaren Inhalt zu verwenden, andererseits diese Klänge auch gestalten zu können. Die Lösung dieses Problems bestand in der Verwendung physikalischer Modelle und deren physikalisch klanglicher Logik. Die Verwendung physikalisch modellierter Klänge an sich bringt das Problem der allzu einfachen Kategorisierung der wahrgenommenen Klänge mit sich. […] Das macht sie allzu eindeutig und mindert den Reiz der Neuartigkeit. Als Folge dieser Problematik bietet sich die Kombination einer dekonstruktiven Technik mit der Synthesetechnik des physikalischen Modellierens an. […] Ganz anders der Ansatz von Cordis Anima […]: Hierbei handelt es sich um ein streng modulares Konzept, das eine Erweiterung und Konstruktion in jeder Hinsicht ermöglicht, ohne, dass es die physikalische Logik verläßt. Es orientiert sich nicht nach bestimmten physikalischen Kontexten, weil die physikalische Logik in den kleinsten Elementen aufgehoben ist. Die physikalischen Modelle werden in Cordis Anima via Patches erstellt. Hiermit entstehen schwingende Körper. Diese Strukturen werden nach der Definition animiert und somit visuell dargestellt. Dadurch kann der Energiefluß nachvollzogen, was die Funktionalität des jeweiligen Modelles leichter verstehen läßt. Die Bewegung einzelner Massen werden jeweils in ein Soundfile geschrieben, wodurch die Lautsprechermembran identisch mit der Bewegung der Masse schwingt. Die Patches werden aus einzelnen Massen zusammengesetzt, wobei die Bewegungskraft über Verbindungen zwischen den Massen weitergeleitet werden. Für die Benutzung des Systems im Audiobereich werden die Massen zu einem Nullpunkt in Verhältnis gesetzt und nach der Berechnung normalisiert bzw. vom Floating Point Format in ein Integer Format umgewandelt. Die Injektion von Energie kann über verschiedene Wege durchgeführt werden. Eine Möglichkeit stellt sich durch die Initiale Positionierung bestimmter Massen dar. Eine andere Möglichkeit läßt die Massen mit einer Ausgangskraft das System in Bewegung setzen. Ein besonders interessanter Aspekt bieten ›nicht lineare‹ Verbindungen zwischen den Massen, mit deren Hilfe besondere Zustände der Materie realisiert werden können.

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Mein besonderes Augenmerk in der Arbeit mit diesen Modellen bestand in der Erforschung von Schwingungen, die durch ›komplexe‹ Bewegungstypen ausgelöst worden sind. Dazu wird eine Saite oder ein Fläche nicht mit einer einzigen Energieinjektion in Bewegung gesetzt, sondern mit Hilfe einer oder mehreren schwingenden Körper. Dadurch kommt es zu einer recht komplexen Summierung von Schwingungen innerhalb solch eines Resonanzschwingers.«

Da man auf diese Weise in sich komplexe, aber einzelne »Sounds« gewinnt, schließt sich eine ganz traditionelle Arbeitsphase des Arrangierens an, in der diese Einzelereignisse zu einer geschlossenen Komposition verbunden werden. Aber auch dieser Prozess kann offen gehalten und automatisiert werden, indem man entweder, wie hier von Ludger Brümmer geschildert, die Ergebnisse an eine zweite, konventionelle Verarbeitungsinstanz delegiert oder indem man im Sinne algorithmischer Kompositionstechniken umfassende Steuerungsprozesse so algorithmisiert und modelliert, dass im Ergebnis die gesamte Komposition auf dem Instrument Cordis Anima dadurch »gespielt« wird, dass dieses permanent neu designt wird. Auch hier kann schließlich nicht mehr zwischen Klangsynthese und Komposition unterschieden werden, da alle Prozesse den gleichen Nonstandard-Verfahren unterworfen werden. »Da die meisten, mit dieser Software entstandenen Klangphänomene jedoch der Strukturinstanz von Tönen oder Events entsprechen, ist hier ein massiver struktureller Eingriff erforderlich, der die kompositorische Gestaltung übernimmt. […] Letzteres entspricht eher konventionellem Instrumental-komponieren, braucht sich aber um die Grenzen der Organisierbarkeit instrumentaler Töne und Tongestaltung nicht kümmern; ist dementsprechend doch ein rein elektroakustisches Phänomen. Physikalische Modelle, als konstruierende Elemente, angewendet in Kombination mit Granulierungstechniken, als dekonstruierendes Element, können neue Wege modifizierender Klang- oder Eventsynthese aufzeigen. Dabei sind bei der Gestaltung komplexer Modelle durchaus Möglichkeiten vorhanden neben den klanglichen auch strukturelle Aspekte mit physikalischen Mitteln zu erzeugen. […]«197

197 | L. Brümmer: »Physikalische Modelle im musikalischen Kontext«, in: Vortrag zum Symposium »Klangforschung ’98«, zitiert nach http://icem-www.folkwang-hochschule.de/~ludi/ muenchenx.html.

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II. Modal-Synthese Eines der frühesten Verfahren für komplexes Physical Modeling, sowohl zur Klangsynthese als auch für die strukturelle Seite von Komposition, ist IRCAMs Modalys Mosaïc-Synthese von 1991, welche die im jeweiligen Material möglichen Schwingungsmodi abstrahiert und die konkrete physikalische Beschaffenheit der instrumentalen Klangerzeugung vernachlässigt. Damit ist die Lösung notwendiger Differenzialgleichungen nur für einfache Körper möglich; komplexe Körper können mit gewissen Beschränkungen mittels Modalanalyse »händisch« ausgemessen und entsprechend analysiert werden. Da sich auf diese Art Körper realisieren lassen, die, einmal durch einen Stoss angeregt, isoliert ohne gegenseitigen Einfluss der Schwingungsmodi ausschwingen, kann das Modell durch spezielle Objekte akustisch abstrahiert werden, wodurch dynamische Netzwerke mit interner wie externer Interaktion möglich werden. Gestrichene oder anderweitig kontinuierlich mit Energie versorgte Modelle gelingen mittels nichtlinearer Interaktionselemente, die z.B. das Verhältnis zwischen Bogen-/Saitengeschwindigkeit und Saitenhaftung beschreiben. »Modalys is used to create virtual instruments using simple physical objects such as strings, plates, tubes, membranes, plectra, bows, and hammers. […] It is also possible to create objects with more complex forms by creating a three-dimensional mesh, or using measurements and Modalys calculates how these will vibrate for you. By combining these different physical objects, the user creates a virtual instrument and decides how it will be played. OpenMusic (Modalys Library) and Max/MSP (Mlys) offer a simpler mode of communication with Modalys, the synthesis engine, via an intuitive graphical interface. Main Applications: t t t t t

Sound synthesis Education: the modal theory with examples of modes Composition: sounds that blend well with real instruments Cinema & Video: unique sounds Scientific Research & Development: comparison of theoretically determined and measured modes t Sound Design: Natural work on the quality of sound (metallic, wood, etc.) t Home Use« 198 [S. Übersetzung M. H., 5/S. 228]

198 | IRCAM Forumnet: »Modalys«, in: http://forumnet.ircam.fr/701.html?L=1.

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Modalys ist die Basis zur Definition einfacher dreidimensionaler Körper199 in ihrer Größe und Beschaffenheit, aus denen das so modellierte virtuelle Instrument zusammengesetzt wird. In einem zweiten Schritt muss definiert werden, wie die einzelnen Bestandteile interagieren, wie das Instrumentenmodell gespielt werden soll und welche Controller dazu an welchem Punkt des Algorithmus ansetzen.200 Mlys is a library of objects derived from Modalys used to build simple instruments from strings, plates, membranes, and tubes with access to any kind of material (metal, wood, diamond, etc.), size, and interactions: striking, pinching, rubbing. This interface makes it possible to control Modalys directly in real-time. […]«201 [S. Übersetzung M. H., 6/S. 228]

Die in Modalys vorhandenen Werkzeuge zur Erzeugung, Definition, Steuerung sowie zum Spielen komplex schwingender, dreidimensionaler Körper sind die Element-Klassen Objects, Accesses, Connections und Controllers. Somit ist Modalys in der Lage, von der Simulation traditioneller Instrumente bis zur Abstraktion synthetischer Nonstandard-Sounds in einem akustischen Cyberspace, die gesamte Palette denkbarer Modellierungen zu ermöglichen und auch während des Spielens in Echtzeit zur Verfügung zu stellen. Die relative Abstraktion in der Definition schwingender Körper ermöglicht ein eher spielerisches Sounddesign, unabhängig von und ohne metaphorologische Reminiszenz an das Ausgangsmodell, was zur strukturellen wie klanglichen Improvisation einlädt, bei der sich der komponierende Interpret wie der improvisierende Komponist frei im definierten Klang-Universum bewegen kann. »Based on this description, Modalys calculates the (intermediate) modal representation used in the synthesis process (frequency, damping factor, and mode shape for each mode of vibration). […] Modalys objects (representing all linear aspects of the synthesis mo199 | Ebd.: »The objects that will be used to make the instrument (e.g. tube, string, membrane, plate, plectra, bow, hammer, etc.). These objects are recreated in the computer with standard settings that can be modified; Access to the objects (the location where the objects will be put into interaction)«. 200 | Ebd.: »The connections that make it possible to define the playing styles to be used (e.g. strike, blow, rub, etc.); The controllers that let the user change the settings of a playing style in time and to play the instrument«. 201 | Ebd.

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del) can be put into relation by Modalys connections (representing all non-linear aspects) which describe the mode of interaction between objects (e.g. strike, pluck, or bow). Modalys accesses are used to specify the (variable) locations on objects at which they interact with other ones. Modalys controllers are used to specify the trajectories of all time-varying synthesis parameters (e.g. coordinates of accesses, connection parameters, forces, and controller inputs). […] The modular nature of Modalys’ synthesis model guarantees a large amount of freedom when constructing instruments. This feature, which is due to the uniform representation of all vibrating objects as modal matrices, distinguishes Modalys from many other physical modelling synthesis techniques. But the major advantage of modal synthesis (besides efficiency of calculation) is that the frequencies and the damping coefficients of the modes of vibration are represented explicitly in the model. This is essential for musical applications of sound synthesis where a direct manipulation of the spectral structure of a sound is desirable. […] Since arbitrary modification of the modal representation may render the model incoherent with respect to any physical reality, direct manipulation of modal data loses its value at the point where the original interest of using a physical model is lost. When exactly this point is reached depends entirely on the concrete musical application and thus should not be defined by the synthesis system (it is rather decided by the composer’s ear). […] The modal data calculated by Modalys respecting the physical description of vibrating objects can be modified arbitrarily. In its current form this new feature is not yet very powerful and we consider it rather experimental but the experiences composers will make with it are vital to guide any future development in this direction.«202 [S. Übersetzung M. H., 7/S. 228-229]

III. Waveguides Julius Orion Smith III gehört zu denjenigen, die seit den 70er Jahren die entscheidende Grundlagenforschung für Physical Modeling-Verfahren vorangetrieben hat. Sein als Waveguides beschriebenes Verfahren modelliert die Fortpflanzung von Wellen in einem dichten Medium, welches es besonders geeignet für Blasinstrument- und Saiten-Simulationen erscheinen lässt, weil es mit komplexen Druckwellen im Inneren solcher Instrumentenmodelle umgehen kann, was bei Partikel- und Masse-Simulationen große Schwierigkeiten bereitet. In Waveguides werden im Falle eines idealen homogenen Mediums die Wellen mit einem der Länge des 202 | Eckel/Iovino/Caussé: »Sound synthesis by physical modelling with Modalys«, a.a.O. [s. Anm. 174].

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Instruments im Verhältnis zur Schallgeschwindigkeit stehenden positiven sowie am Schalltrichter negativ gespiegelten Zeitversatzes übertragen. Damit ist, wie bei traditionellen Instrumenten auch, der tiefste spielbare Ton abhängig von der Länge des Schallrohrs bzw. der Saite. Modelliert wird jedoch die Zeit, die ein positiver Druckimpuls benötigt, um diesen Weg zurückzulegen – jenseits des nichtlinearen Oszillators, d.h. des Mundstücks oder z.B. dem Bogen. Verluste durch Dämpfung und Abstrahlung sowie die klangformenden Parameter des Schalltrichters werden durch Filter modelliert. Diese populäre,203 bei eindimensionalen Medien (Rohr, Saite) recht einfach zu implementierende Art der Modellierung ist realtime-fähig und intuitiv zu spielen. Bei mehrdimensionalen Modellen nimmt der Aufwand stark zu und nähert sich dem Masse-Feder-Modell. Problematisch ist die Implementierung des Erregers: im Falle eines Blasinstruments das Mundstück als nichtlinearer Operator, im Falle des Saitenmodells die chaotische Interaktion von Bogen/Plektrum und Saite. Wie bereits dargelegt besteht die Simulation virtueller Instrumente aus einem Modell der Dekonstruktion von Zeit, indem Rauschimpulse in Waveguides aus Delaynetzwerken gedämpft rückgekoppelt werden, womit das physikalische Verhalten schwingender Körper, Saiten oder Luftsäulen erzeugt werden kann. Zeitverhältnisse werden konstituierend für die Virtualisierung von Bewegung, also dem virtuellen (Innen-)Raum des Modells und seinen (klanglichen) Eigenschaften. Hier, an der medialen Schnittstelle zum Körper des virtuellen Spielers, werden dessen Anblasvolumen, sein Kehlkopf, seine Mundhöhle sowie die Lippen mitmoduliert, 203 | Wie John Chowning in den 80er Jahren in Stanford seine Patente zur FM-Synthese, verkaufte J.O. Smith in den 90er Jahren seine Forschungsergebnisse zu »Waveguides« ebenfalls an die Firma Yamaha, die daraufhin 1994 die ersten kommerziellen Physical Modeling Synthesizer unter dem Schlagwort der »Virtual Acoustic Synthesis (VA-Synthese)« auf den Markt brachte (VP1, VL1, VL1m, VL70m etc.). Im Unterschied zum gigantischen Erfolg der FM-Synthese wurden von den VA-Synthese-Instrumenten weltweit nur wenige Exemplare verkauft, da neben hohen Preisen von damals mehreren 10’000 Deutsche Mark kaum ein sampling- oder presetverwöhnter Musiker das Potenzial dieses paradigmatisch fremden Verfahrens erkannte und bereit war, dieses übend mühsam zu erschließen; zu den Vorläuferinstrumenten, historischen und technischen Details verschiedener Verfahren von J.O. Smith u.a. vgl. M. Harenberg: »Virtuelle Instrumente im akustischen Cyberspace«, in: Bildungswerk des Verbandes Deutscher Tonmeister (Hg.), S. 970-991; M. Harenberg: »Virtuelle Klangsynthese – Theorie und Praxis«, auf der CD-ROM »Klangkunst in Deutschland«.

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um einen möglichst realistischen Ansatz des Instrumentes zu erreichen. Diese Parameter sind dynamisch, in Echtzeit spielbar und bestehen im einfachsten Fall technisch aus mehrfach gefiltertem, gefärbten Rauschen. Aufwendiger wird es, die komplexen Verwirbelungen am Mundstück über Chaosmodelle und rekursive fraktale Strukturen zu modellieren. Das vereinfachte Modell, zum Beispiel einer Klarinette, besteht aus dem das System mit Energie versorgenden Luftstrom, dem Lippendruck des virtuellen Spielers, dem Mundstück mit dem chaotisch schwingenden Blättchen, dem Korpus mit seiner geraden Innenbohrung, den Register- und Grifflöchern sowie dem Schalltrichter.204 Jeder dieser Bestandteile ist wesentlich für die Erzeugung des Klanges und das charakteristische Klangverhalten. Was den typischen Klarinettenton ausmacht, ist ein differenziertes Wechselspiel von Spieler, Blättchen, Korpus und Schalltrichter, welches man im Detail betrachten muss, um es zu verstehen. Der Spieler bläst in das Mundstück und erzeugt so einen Druck auf das Blättchen, was man vereinfacht mit einem sehr schnellen wenn auch unregelmäßig arbeitenden Ventil vergleichen könnte. Der Luftdruck des Spielers schließt in Sekundenbruchteilen das in der Ruhelage geöffnete Blättchen. Der so entstandene Luftdruck setzt sich als positive Druckwelle vom Blättchen in den Korpus fort. Am offenen Ende der Klarinette, nämlich dem Schalltrichter, angekommen, fällt der Druck ab, was einen Unterdruck, also eine negative Druckwelle erzeugt, die erneut in den Korpus reflektiert wird. Wieder am Mundstück angekommen, ist dieser Unterdruck dafür verantwortlich, dass das Blättchen wieder geschlossen wird. Daraufhin wird er nochmals – weiterhin mit negativem Vorzeichen – den Korpus entlang zum Schalltrichter geschickt, wo er sich wiederum in einen leichten Überdruck wandelt, der nach abermaliger Rückkehr zum Mundstück das Blättchen wieder öffnet. Am Schalltrichter wird der Druckimpuls jeweils nicht vollständig reflektiert. Was wir als den Klang der »Klarinette« wahrnehmen können, ist genau der Teil, der nach außen dringt. Welche Frequenzen wie reflektiert bzw. weitergeleitet werden, wird entscheidend durch die Form und die Größe des Schalltrichters bestimmt, der frei und in Echtzeit moduliert werden kann. 204 | Und gleiches gilt für Modelle mit Luftblatt (z.B. Flöten) oder symetrischen Rohrblättern (z.B. Oboe, Fagott).

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Das Hin- und Herwandern des Druckimpulses führt zu einer SelbstOszillation zwischen Blättchen und Korpus der Klarinette, die durch den Spieler permanent mit Energie versorgt werden muss.205 Stehende Wellen und Resonanzphänomene sorgen für den charakteristischen Klang des Instruments. Nach Julius O. Smith bezeichnet man dieses komplexe Wechselverhältnis als nichtlinearen Oszillator. Nichtlinear ist dieser Oszillator deshalb, weil abhängig von vielen Parametern, wie z.B. den wechselnden Druckverhältnissen in der geraden Innenbohrung, der gleiche Blasdruck nicht immer auch die gleiche Blättchenposition, geschweige denn die gleiche Klangfarbe erzeugt. Im Extremfall bewirkt ein bestimmter Druck das Umkippen der Tonhöhe in das nächsthöhere Register, statt zu einem lauteren oder obertonreicheren Klangergebnis zu führen. Eine komplette Schwingungsperiode beträgt bei einer Gesamtlänge der Klarinette von etwa 60 cm daher rund 240 cm, d.h. 4 Durchgänge des Druckimpulses bis sich der Vorgang wiederholt, was in die Tonhöhe umgerechnet etwa das kleine »d« ergibt – den tiefsten Ton der B-Klarinette. Wäre die Klarinette an beiden Enden offen, wären nur zwei Durchgänge des Druckimpulses notwendig, um einen kompletten Wellenzyklus zu erzeugen. Da sich konische Innenbohrungen, wie etwa bei Oboe oder Saxophon, ähnlich einer offenen Röhre verhalten, ist deren Frequenzgang entsprechend doppelt so hoch: sie klingen eine Oktave höher. Die Art der Innenbohrung bestimmt darüber hinaus auch, welche Harmonischen der jeweilige Klang im Obertonspektrum aufweist. Eine zylindrische, einseitig geschlossene Innenbohrung führt zu ungradzahligen Harmonischen (der 1., 3., 5., 7. etc. Oberton wird erzeugt), während eine konische oder beidseitig offene Innenbohrung alle Harmonischen erlaubt (der 1., 2., 3., 4., 5. etc. Oberton wird erzeugt). So ist die Art der Innenbohrung in Zusammenhang mit der Art des Mundstücks und der beidseitig offenen oder gedackten Innenbohrung wesentlich für die Klangfarbe eines Blasinstruments verantwortlich; vielmehr als z.B. die Materialeigenschaften des Korpus. Würde man das oben beschriebene komplexe Wechselspiel zwischen allen Parametern in einer Serie von abhängigen Differenzialgleichungen ausdrücken, diese 44’000 Mal in der Sekunde berechnen und an einen D/A-Wandler schicken, könnte man den Klang einer Klarinette zwar im jeweiligen Moment modellieren, aber noch lange nicht »interaktiv« in 205 | Damit ist die Definition einer »schwingenden Luftsäule« gemeint.

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Echtzeit spielen. Diese Fragestellung war in den 80er Jahren Forschungsgegenstand von Julius O. Smith in Stanford und mündete in seiner Theorie der digitalen Waveguides.206 Die mathematisch abgeleitete Theorie Smith’s besagt, dass bestimmte Abschnitte, die eine Druckwelle im Inneren eines Instruments durchschreitet, in größere Abschnitte zusammengefasst werden können – den sogenannten Waveguides. Ein solcher Waveguide beschreibt den Weg der Druckwelle in beide Richtungen gleichzeitig, indem er sie als bidirektionale Verzögerungsschleifen in Form zweier Delays darstellt. Die auf die Druckwelle wirkenden Verluste durch Reibung, Material und Schalltrichter können dabei jeweils zusammengefasst und z.B. durch einen Tiefpassfilter simuliert werden. Wird ein Impuls in dieses einfache Modell eingespeist, durchläuft er das erste Delay, wird vom Filter gedämpft und durch das zweite Delay zurückgeschickt. Die Länge der beiden Delays in Zusammenhang mit der Samplingrate ist – über die Dauer der Impuls-Wanderung durch den Korpus des Instruments und somit der absoluten Wellenlänge – für die resultierende Tonhöhe verantwortlich. Zu diesen einfachen Waveguides kommen im Physical Modeling-System von Julius O. Smith komplexe Einheiten wie Junctions zum Aneinanderkoppeln von mehreren Waveguides zu einem Waveguide-Netzwerk und sehr aufwendige Lattice-Filter hinzu, deren Beschreibung den Rahmen dieser Darstellung sprengen würde.207 Die Waveguide-Modelle, die vom Spieler mit den aktuellen Spielzuständen des Instruments versorgt werden, ermöglichen ein komplexes Wechselspiel aller Komponenten in Realtime. Das Modell kann mittels geeigneter Interfaces wie ein traditionelles Instrument gespielt werden. Um bei dem oben beschriebenen Klarinetten-Modell zu bleiben, ergeben sich in der kommerziellen Umsetzung durch Yamaha folgende Waveguides zur Simulation aller dargestellten Parameter, wobei die komplexen mathematischen Rechenoperationen im nichtlinearen Teil des Mundstücks hier nicht berücksichtigt werden. Im duophonen Yamaha Synthesizer Modell VL 1 können Waveguides auf Luftdruckwellen und auf Saiten angewendet werden, wobei die jeweiligen Systemkomponenten modular 206 | Zur Technik der Waveguides vgl. »Waveguides«, in: http://en.wikipedia.org/wiki/ Wave guide. 207 | Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Kreuzgliedketten-Filter.

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vertauschbar sind. Da der duophone VL 1 zu den komplexesten kommerziell hergestellten Synthesizern auf Physical Modeling-Basis zählt, soll er hier detaillierter dargestellt werden.208 Die Waveguide Physical Modeling-Synthese des VL 1 besteht aus drei Hauptblöcken: dem physikalischen Instrumentenmodell, den Controllern sowie den Modifikatoren. Das Instrumentenmodell Die Schlüsselstellung in diesem Modell besitzt das Strukturelement »Instrument«, da hier die zugrunde liegende Klangfarbe sowie das »Verhalten«, also das komplexe Zusammenspiel aller Parameter, bestimmt wird. Der Hauptblock »Instrument« besteht im Wesentlichen aus einem Treiber: dem Blatt-Mundstück, dem Lippen-Mundstück oder dem System Bogen/Saite und einem schwingenden System, dass dem Rohr (der Luftsäule) oder der Saite entspricht. Einer der entscheidenden Unterschiede zwischen dem Modell des VL 1 und denen traditioneller akustischer Instrumente ist, dass jeder Treiber mit jedem Luftsäulentyp oder einer Saite kombiniert werden kann, wodurch völlig neuartige hybride Instrumente mit »akustischen« Eigenschaften und Ausdrucksweisen erschaffen werden können (z.B. geblasene Saiteninstrumente oder gestrichene Blasinstrumente, s.u.). Die Echtzeit-Controller Das »Eingangssignal« eines akustischen Blasinstruments wird von der Lunge, der Luftröhre, der Mundhöhle und den Lippen des virtuellen Spielers erzeugt. Bei einem Streichinstrument entsteht es beispielsweise durch die Armbewegung, die vom Bogen auf eine Saite übertragen wird. Die oben erwähnten Elemente bilden einen wichtigen Teil des Klangerzeugungssystems und werden als Parameter im VL 1 durch MIDI-Controller gesteuert. Im Wesentlichen bestimmen die Parameter für die Controller, in welchen akustischen Dimensionen das Instrument »gespielt« werden kann. Alle diese Parameter können an der Schnittstelle zum realen Spieler jeder der externen Spielhilfen zugewiesen werden, die mit dem VL 1 benutzt werden können und sind somit beim Spielen in Echtzeit manipulierbar (Blaswandler, zwei Fußpedale, zwei Fußtaster, drei Modulationsräder, zwei Datenregler sowie Anschlagsdynamik und polyphoner After208 | Vgl. auch http://www.soundonsound.com/sos/1994_articles/jul94/yamahavl1.html.

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touch pro Taste der fünfoktavigen Tastatur). Im physikalischen Modell des VL 1 existieren dafür folgende Controller-Quellen: t Pressure: Die Stärke des Atemdrucks, der auf ein Rohrblatt oder ein

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Mundstück einwirkt oder die Geschwindigkeit des Bogens auf der Saite. Embouchure: Der Druck der Lippen gegen das Blatt oder gegeneinander bzw. der Druck des Bogens auf die Saite. Pitch: Ändert die Länge des Rohrs bzw. der Luftsäule oder der Saite und dadurch die Tonhöhe. Vibrato: Vibrato kann sowohl auf die Parameter Pitch (Frequenzmodulation) als auf auch Embouchure (Amplitudenmodulation) angewendet werden. Tonguing: Simuliert die Zungentechnik von Saxophonisten, um das schwingende Rohrblatt abzudämpfen. Scream: Simuliert das zusätzliche »Hineinsingen« in das Instrument und versetzt das gesamte System in chaotische Schwingungszustände. Breath Noise: Fügt Luftgeräusche hinzu. Die Art und der Klang des Luftgeräusches selbst kann in weiten Bereichen variiert werden. Growl: eine periodische Druckmodulation, die den für Blechblasinstrumente typischen »Brülleffekt« erzeugt. Troat Formant: Verändert die Eigenschaften der Lunge, Luftröhre und Mundhöhle des simulierten Spielers. Dynamic Filter: Regelt den Anteil des Harmonic Enhancers im Modifikatoren-Block des VL1. Absorption: Simuliert den Effekt von Verlusten hoher Frequenzen am Ende der Luftsäule (Schalltrichter) oder Saite.

Die Modifikatoren Neben der außerordentlich komplexen Manipulation des Instrumentes selbst, bieten die Modifikatoren einen hohen Grad der Echtzeitkontrolle über den endgültigen Klang einer sogenannten Voice des VL 1. Der Modifikatoren-Block des Waveguides-Modells in der Realisierung durch Yamaha besteht aus fünf Bereichen: t Harmonic Enhancer: Ermöglicht die Manipulation der harmonischen

Struktur des Klanges in Echtzeit. So entstehen extreme Variationen der Klangfarbe innerhalb einer Instrumentengattung.

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t Dynamic Filter: Verfügt über die Betriebsarten Hochpass, Bandpass,

Bandfilter und Tiefpass. Der Grad der Filterung kann ebenso wie der Ort der Filterung im virtuellen Instrument in Echtzeit definiert werden. t Frequency Equalizer: Ein fünfbandiger, parametrischer Equalizer der für Klangfärbungen benutzt wird, die durch die Materialeigenschaften des Instrumentenkorpus erzeugt werden. t Impulse Expander: Arbeitet mit dem unten beschriebenen Resonator zusammen, um die Auswirkung des Klangkörpers oder des Hohlraums des Instrumentenkorpus’ auf den Klang zu simulieren. Er kann auch benutzt werden, um die akustische Umgebung nachzubilden, in der das virtuelle Instrument gespielt wird. t Resonator: Erzeugt einen eher hölzern klingenden Resonanz-Effekt, während der Impuls Expander ebenso wie der Harmonic Enhancer dazu neigen, dem Klang eher metallischen Charakter zu geben. Anders als ihre realen Vorbilder können diese virtuellen Instrumente, wie oben erwähnt, in alle ihre simulierten physikalischen Komponenten und Teilfunktionen zerlegt und als formale Instanzen rekombiniert werden. So entstehen hybride Instrumentenmodelle unterschiedlichen Abstraktionsgrades mit verblüffenden akustischen Eigenschaften und ungewohntem musikalischem Verhalten, die im Falle von Instrumentenmodifikationen noch nur mit Metaphern wie »gestrichene Flöte« (die Luftsäule eines Blasmodells wird mittels eines Bogens erregt), »Trompete mit SaxophonMundstück und Posaunen-Schalltrichter« oder »geblasenes Cello« (das Modell einer Saite, die durch Anblasen erregt wird), »2 m lange Flöten aus Glas« usw. beschrieben werden können, während solche ohne Bezug zu traditionellen Instrumenten von ihrer Klanglichkeit her beschrieben werden müssen (z.B. Cosmic Sound etc.). Da es für diese virtuellen Modelle keinerlei Vorbilder im Realen mehr geben kann, muss man bei der Beschreibung auf Metaphern zurückgreifen. Diese Hybrid-Modelle kann man soweit entwickeln, dass nicht nur neue, eigenständige Klangfarben, sondern an der Schnittstelle zum Spieler auch ein neues, mitdesigntes musikalisches Spiel- und Ausdrucksverhalten entsteht, welches ebenso wie

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das eines neuen Instrumentes aufwendig erforscht, erlernt und langfristig geübt werden muss.209 Schließlich unterliegen virtuelle Instrumente keinerlei Beschränkungen durch physikalische Größen wie Materialeigenschaften. Eine virtuelle Trompete oder eine virtuelle Saite kann ebenso mit den simulierten Materialeigenschaften von Glas oder Beton zum Schwingen gebracht werden. Die Instrumentenmodelle können beliebig dick, lang oder »verknotet« gestaltet werden; solange sich, wie als Hauptkriterium an der Schnittstelle zum Reellen bereits erwähnt, Resultate im hörbaren Bereich produzieren lassen. Außerdem gehorchen virtuelle Instrumente zwar simulierten physikalisch determinierten Gesetzen, diese müssen allerdings nicht unbedingt unserer Realwelt entsprechen. Eine »Phantasiephysik« könnte sich ebenso an der Sonne, am Mars oder am Mond orientieren. Im simulierten Instrument können reale physikalische Gesetze aufgehoben respektive in sehr weiten Grenzen interpretiert werden.210 Mit den drei Hauptverfahren sind die reinen Verfahren der Simulation im Virtuellen beschrieben. In der Praxis haben sich jedoch vielfältige Mischformen und Strategien einer »informierten physikalischen Modellierung« etabliert, die an den notwendigen Stellen auf die Vorteile des Physical Modeling zurückgreifen und im Übrigen in vertrauten traditionellen Modellen subtraktiver oder frequenzmodulierter Klangsynthese arbeiten. Traditionelle Musikinstrumente bestehen ebenfalls aus verschiedenen Komponenten, wie z.B. Mundstücken, Röhren, Saiten, Resonanzkästen, Hämmern, Stäben, Platten, Membranen etc., die erst bei einem entsprechenden Zusammenwirken den typischen Klangcharakter ergeben. Um das Modell »Musikinstrument« im Simulationsparadigma des Digitalen in einfachere Teilprobleme zu zerlegen, bietet sich also die Modellierung der einzelnen Komponenten mit unterschiedlichen Techniken sowie deren Rekombination an. Die meisten unserer Musikinstrumente haben, wie an ihren virtuellen Simulationen demonstriert, mindestens eine nichtlineare Komponente. Da nur lineare Komponenten analytisch gut handhabbar sind und die im Folgenden vorgestellten Modellierungsverfahren in der einfachen Form nur lineare Elemente modellieren können, ist es erforderlich, diese spe209 | Was auch hier einen Paradigmenwechsel bedeutet, da digitale Instrumente üblicherweise einer extremen Flüchtigkeit unterworfen sind. 210 | Vgl. H. Rheingold (Hg.): Virtuelle Welten. Reisen im Cyberspace.

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zifischen Modelle mit nichtlinearen Elementen wie Federn oder Interaktionselementen mittels Physical Modeling-Techniken zu ergänzen. Dies erweitert die Palette der simulierbaren Instrumente und ermöglicht eine präzisere Modellierung, wenn auch auf Kosten der homogenen analytischen Beschreibung des Gesamtsystems. Im Ergebnis erhalten wir hybridisierte Modelle, die Elemente aus verschiedenen traditionellen und/oder Physical Modeling-Verfahren verwenden, beispielsweise die Modellierung eines Klarinettenrohrblattes mittels Masse-Feder-Modell und nichtlinearem Interaktionselement, kombiniert mit der Modellierung von Rohr und Trichter mittels Waveguide und anschließenden traditionellen Raumeffekten. Darüber hinaus existiert eine physikalisch orientierte Klangmodellierung, die als Physically Informed Sonic Modeling die komplexen Bewegungen voneinander abhängiger Massen nicht einzeln, sondern durch deren statistisches Verhalten modelliert. Ein Beispiel für ein solches statistisches hybridisiertes Modell sind die Maracas von Perry R. Cooks.211 Cook war es auch, der in den 90er Jahren eine Systematik solcher hybridisierter Modellierungsverfahren anregte, wonach die Physical Modeling-Techniken um die Klasse der Physically Informed Sonic Modeling (PhISM) ergänzt werden müssen. Diese wiederum unterteilt er in die Modellierung von gemischten Modellierungsverfahren in Physically Informed Spectral Additive Modeling (PhISAM) sowie stochastisch-indexalische Ansätze von Meta-Modellierungen in Physically Informed Stochastic Event Modeling (PhISEM). Für die Modellierung der Meta-Daten in Form musikalischen »Verhaltens« existieren Physically Informed Control of Modal Synthesis (PhICMS). »The multidimensional modeling techniques […] would seem to be an obvious choice for synthesizing a variety of percussion instrument sounds. For example, a circular membrane can be modeled with a two-dimensional waveguide system and then coupled to a drum cavity model. However, there are several drawbacks to this approach: 1. It requires significant computational power; and 2. The resulting sounds are often not significantly better than ones produced using efficient modal synthesis techniques. Cook (1997) pro211 | P.R. Cook: »Physically informed sonic modeling«, S. 228-231. Vgl. http://www. cs.princeton.edu/~prc/NewWork.html# PHISM; A. Kontogeorgakopoulos/C. Cadoz: »Designing and Synthesizing Delay-Based Digital Audio Effects using the CORDIS ANIMA Physical Modeling Formalism«, in: M. Supper (Hg.), Sound in space – space in sound. S. 178-182.

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posed a series of simplified approaches to the modeling of percussion sounds which he generally refers to as ›physically informed sonic modeling (PhISM)‹ Drawing on techniques from physical modeling, Fourier analysis/synthesis, and granular synthesis, a sonically convincing and computationally efficient synthesis method is developed that is founded on an understanding of the physical behavior of systems without actually attempting to accurately simulate their vibrational patterns and interactions. […] Cook (1997) offers two PhISM approaches: Physically Informed Spectral Additive Modeling (PhISAM) and Physically Informed Stochastic Event Modeling (PhISEM). PhISAM provides augmented parametric control to modal synthesis models. The PhISEM algorithm is based on pseudorandom overlapping and adding of small grains of sound or pseudorandom modification of the parameters of a parametric synthesis model, according to rules and parameters derived from off-line physical simulations and heuristics. The PhISEM approach is suitable for synthesizing sounds characterized by random interactions of sound-producing component objects, such as a maraca, sleigh bell, bamboo wind chimes, and water drops.«212 [S. Übersetzung M. H., 8/S. 229-230]

Seit den 90er Jahren gehören auch die pragmatischen Ansätze von TeilImplementationen verschiedener Physical Modeling-Verfahren, die noch in Hardware wie Synthesizern, aber auch als Mikrofon-, Verstärker- und Lautsprechersimulationen in Effektgeräten sowie in experimentellen Spielinterfaces eingesetzt wurden, zu dieser Klasse von Nonstandard-Verfahren. Heute haben sich Physical Modeling-Techniken als Software-Applikationen durchgesetzt, die wie der Synthesizer Sculpture in der Sequenzersoftware Logic Pro von Apple als virtuelles Instrument zu einer Digital Audioworkstation (DAW) Umgebung gehören. Der auf Component Modelling-Klangerzeugung basierende Synthesizer, der klanglich zwischen virtuellen Saiteninstrumenten, glockigen Klängen und digitalen Synthesizern angesiedelt ist, kann in Echtzeit durch den Sequenzer gesteuert werden.213 Im Zusammenhang mit Sculpture spricht Apple von »klanglicher Animation«, was den Einsatz aufwendiger Hüllkurven, LFOs, Vibratos

212 | P.R. Cook: »Physically Informed Sonic Modeling (PhISM): Synthesis of Percussive Sounds«, in: Computer Music Journal, Vol. 21/1997, S. 38-49; G. Scavone: »Music Technology«, in: http://www.music.mcgill.ca/~gary/614/www.web.deindex.html#Outline; vgl. ders., http://www.music.mcgill.ca/~gary/614/week13/phism.html. 213 | Vgl. http://www.apple.com/chde/logicstudio/.

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und Filtern in diesem als Plug-in ausgelegten Instrument recht gut beschreibt. Durch gestiegene Rechenleistung und -geschwindigkeit lassen sich komplexe Physical Modeling-Systeme inklusive PhISM etc. auch mit modularen Programmen, wie z.B. Max/MSP, PD oder Reaktor, bauen und spielen, was Komponisten und Musikern die Möglichkeit zum Experimentieren in bekannten Oberflächenmetaphern sowie der offenen Verknüpfung mit anderen Techniken bietet. Alternativ gibt es spezialisierte Softwarepakete, die Software-Interfaces zur Gestaltung von physikalischer Modellierung anbieten, wie im Falle der kommerziellen Software Tassmann, die auf die Modellierung analoger Synthesizer und Effekte spezialisert ist.214 Musikalisch-ästhetisch entscheidend bei allen Verfahren ist, dass alle diese Manipulationen in Echtzeit von einem Spieler in der Realwelt und vor allem in komplexen musikalischen, »nicht-technischen« Parametern moduliert und gespielt werden können. Sie gehören somit zum komplexen »lebendigen« Ausdrucksverhalten von Physical Modeling. Daraus ergibt sich u.a. die interessante Möglichkeit, die sinnlos gewordene Unterscheidung von klangfarblichen und strukturellen, kompositorischen Elementen von Musik zu ignorieren. Kompositorisch-strukturelle Prozesse werden auf der Ebene virtueller Klangerzeugung selbst realisierbar, wenn wie erläutert die strukturelle Modulation bzw. der »Umbau« eines Modells den Strukturverlauf des Stückes repräsentiert. Für die Praxis bedeutet das, dass virtuelle Instrumente das InterfaceProblem der elektroakustischen Musik mit ihren abstrakten Parameterfluten zu lösen in der Lage ist. Die traditionellen fourierorientierten Standard-Klangsyntheseverfahren stellen die Manipulation verschiedener, eindimensional isoliert voneinander existierender Parameter zur Verfügung, was die Ästhetik von Genres und Stilen elektronischer Musik entscheidend geprägt hat. Im virtuellen physikalischen Instrumentenmodell reagieren sämtliche Parameter gemäß ihrer Modellierung netzwerkartig interagierend »organisch« aufeinander, was ein intermediales, instrumental-musikalisches »Spielen« der Modelle ermöglicht, bei dem das MetaModell der Bedingungskonstruktionen von Klang kontrolliert wird, aber nicht jeder einzelne Parameter klanglich-struktureller Artefakte. Das Ergebnis ist eine wesentlich musikalischere und komplexere Art der synthe214 | Vgl. Tassmann unter: http://www.aas-online.de.

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tischen Gestaltung von Formen und Sounds, wie wir sie historisch eher von traditionellen Instrumenten und hochkomplexen musikalischen Formstrukturen, ähnlich freier Improvisationen in Ensembles mit mehrdimensionalen nichtsprachlichen Kommunikationsprozessen, kennen. »The biggest advantage of physical modeling is the realtime control it offers. While other synthesis methods offer some algorithm specific and rather arbitrary control parameters like filter cutoff or modulation index, physical modeling enables the use of control parameters that are more musical and have a more complex influence on the timbre and phrasing. Examples for such parameters are embrochure or tonguing. Another advantage of PM is that the sound generation is context sensitive: a note on a clarinet model will sound different if it is played with legato binding to its predecessor or with a little pause in between. The dependency is much more complex than with the traditional synthesizer portamento or glide function. Another example: the pitch bend of a clarinet patch will not just linearly shift the frequency of the note, but the synth will respond in a similar way to a real clarinet, i.e. it will shift the frequency and timbre for a while but then jump to the octave.«215 [S. Übersetzung M. H., 9/S. 230]

Dieses lebendige Verhalten der modellierten Instrumente kann auch zur strukturellen Formbildung von Musik verwendet werden. Metaphorisch ausgedrückt, definiert ein dynamischer »Bauplan« des jeweiligen Instruments die »Partitur« des Werks. Da in diesem Fall strukturelle und klangliche Ergebnisse in Abhängigkeit voneinander gespielt werden, kann je nach ästhetischer Präferenz und Fokus die eine Seite als form-/strukturabhängige Funktion der jeweils anderen dargestellt werden. Die damit stattfindenden medialen Prozesse im interaktiven Funktionswechsel vom virtuellem Medium und seinen möglichen ästhetischen Formen lassen sich mit Niklas Luhmanns Medien/Form-Unterscheidung beschreiben und ist nach Sybille Krämer »eine Pointe dieser Medientheorie [...] der darin implizierte neuartige Blick auf das Formproblem: Form gilt für Luhmann nicht länger als universale, zeitindifferente apriorische,

215 | D. Nomer in: http://web800.com/music/vl/physmodl.htm; vgl. J. Kojs: »At and Across: Physical and Virtual Action-based Music«; Ch. Chafe: »Interplay(er) Machines«, Contemporary Music Review. Vol. 18/3/1999, S. 89-97; Ch. Chafe: »Case Studies of Physical Models in Music Composition«, Paper read at International Congress Acoustics.

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idealisierte Struktur, sondern wird zum kontingenten, zeitabhängigen, instabilen Vollzug.«216 Damit wird seine Medien/Form-Unterscheidung zum idealen Ausgangspunkt für eine permanent aktualisierte und künstlerisch zu entscheidende Funktionsrochade innerhalb des virtuellen Instrumentenmodells, indem in der beschriebenen medialen Ästhetik des Virtuellen in Echtzeit sowohl die Meta-Ebenen als auch die funktionalen und sogar die kategorialen Zuordnungen musikalischer Artefakte jederzeit spielerischen Entscheidungen musikalischen Handelns unterliegen. Im Rahmen einer ästhetischen Virtualität fällt also nicht nur die Funktion von Klang in eins mit kategorialen Funktionen der Komposition, sondern auch die der kategorialen Funktion von Formen und Strukturen. Wir beschreiben mit virtuellen Instrumenten einen medial unspezifischen, ästhetischen Erfahrungsraum, in dem die Funktionalitäten und musikalisch-ästhetischen Qualitäten eines jeden virtuellen Klangobjektes ineinander überführt werden können – und musizieren im Sinne eines »Spielens« mit diesen Objekten gleichzeitig immer das kompositorisch-strukturelle Spiel mit den Formungsinstanzen auf einer Metaebene, die den Körper des Spielers als Funktion des Gesamtmodells mitmodelliert. Der Körper eines solchen Interpreten-Komponisten kehrt also über den Umweg der Virtualisierung eines interaktiven Gesamtsystems zurück, nachdem er als Störfaktor aus der technisch orientierten Konstruiertheit elektroakustischer Musik weitgehend entfernt worden war.217 Virtuelle Instrumente sind damit aber auch als neuartige InterfaceStrategie einer originär digital-virtuellen Ästhetik jenseits des A/DWandlers interessant. Sie stehen für ein ganzheitliches Verständnis von »Sound« als sinnliche Qualität, welches seit dem letzten Versuch, den bereits erwähnten Schumann’schen Klangfarbengesetzen von 1929,218 nicht 216 | S. Krämer: »Form als Vollzug oder: Was gewinnen wir mit Niklas Luhmanns Unterscheidung von Medium und Form«, Abstract in: dies. (Hg.), Über Medien. Geistes- und kulturwissenschaftliche Perspektiven, a.a.O. [s. Anm. 167]; vgl. auch die Kritik Tholens an diesem systemtheoretischen Ansatz, die ich hier vernachlässige, da ich mich auf die kategorialen Bezüge beschränke; G.Ch. Tholen: »Überschneidungen. Konturen einer Theorie der Medialität«, in: Schade/ders., Konfigurationen, a.a.O. [s. Anm. 6], S. 15-34. 217 | Zum Körperdiskurs vgl. Kap. 5. 218 | Vgl. Schumann: Physik der Klangfarben, a.a.O. [s. Anm. 183]; es handelt sich um den Versuch, einer ästhetisch-qualitativen Beschreibung von Klang. Durchgesetzt hat sich dage-

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nur in der elektroakustischen Musik positivistisch-technologisch in den Hintergrund gedrängt wurde. Trotzdem kann man das eigentlich überholte Simulationsparadigma der Turingmaschine im Design virtueller Instrumente weiter erkennen. Da man sich im ausschließlich akustisch definierten Cyberspace virtueller Instrumente nur »hörimmersiv« orientieren kann, benötigt man in Analogie zu den Experimenten der frühen Computermusik – jetzt in Unkenntnis nicht physikalischer Akustik, sondern der Paradigmen des Virtuellen – Referenzmodelle aus der Realwelt zur Orientierung. Ab diesem Schritt bewegt man sich sowohl in der experimentellen Klangprogrammierung als auch in der kompositorischen Strukturierung innerhalb der definierten virtuellen Umgebung, weitab von Analogien und adaptierten Metaphern, selbst traditioneller elektroakustischer Klangsyntheseverfahren. »The general goal in the development of synthesis systems can be seen in a convergence between signal models and physical models [...]. Modalys’ synthesis model offers several interesting possibilities to approach this goal. The clear distinction between linear and non-linear components of the model allows to combine modal synthesis easily with signal models. Already the first version of Modalys allowed to produce control signals with additive or frequency modulation models. In the future we plan to integrate Modalys more closely with other synthesis models, aiming at a homogeneous synthesis platform comprising all models of interest. Concerning more directly the physical modelling aspects, it is planned to make available a data base of analysed modal data usable with Modalys and to allow access to the data base of IRCAM’s resonance models […]. These data sets stemming from analysis of percussive instruments are compatible with the modal representation with the exception that they do not contain spatial information. It is planned to introduce into Modalys an object type that simulates ›out-of-space vibrations of a single point‹ […]. Such an object could directly use the resonance model description and thus make the resonance models available in Modalys. Again, from a physical modelling point of view such an extension seems contradictory since the essential difference between modal synthesis and other synthesis techniques ›is that the spatial properties of the causal devices are included in the modelling‹ […]. But from an integrative viewpoint this extension seems only logical. gen eine technisch-physikalische Beschreibung von Klang in Form von Schwingungsfunktionen wie sie von Fourier, Helmholtz et al. eingeführt wurde.

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Further extensions are planned on the level of different interaction modes such as the introduction of more general non-linear devices usable to compose complex interactions in a modular manner from basic elements. This will also compensate for the currently rather poor repertoire of interaction types available in Modalys.«219 [S. Übersetzung M. H., 10/S. 231]

Damit werden virtuelle Instrumente als kompositorisch-musikalische Strategie anschlussfähig und an genau definierbaren und vor allem skalierbaren Punkten medialer ästhetischer Verdichtung verwendbar. Im Ergebnis haben wir es mit meta-hybriden Formen einer intermedialen Medialität des Musikalischen zu tun, von denen Tholen schreibt: »Hybride sind Mischformen, Zwitterwesen. Im übertragenen Sinne meint ›hybrid‹ jedoch auch: überheblich, vermessen, maßlos. Maßlosigkeit wiederum ist jene Metapher, die uns im Anschluß an die Dekonstruktion der Metaphorologie den Zwischenraum zwischen den einzelnen Medien als einen nicht-lokalisierbaren Zeit-Raum der Übertragung zu definieren erlaubte. Hybride oder intermediale Zwischenräume sind also mehr und anderes als die unbezweifelbar zunehmende Konvergenz der Medien, welche sich der digitalen Integration vormals getrennter Medien in einem [Hervorhebung im Original, MH] Medienverbund verdankt. Nimmt man beide Bedeutungen des Hybriden beim Wort, nämlich Mischung und Maßlosigkeit, dann läßt sich die zeitgenössische Medien-Ästhetik und Medien-Kultur genauer beschreiben. […] Nicht bloß das Zusammenfügen oder Montieren oder Samplen angestammter, neu vermischter oder bloß heterogener Fragmente ist das innovative Moment. Vielmehr bedeutet Fragmentisierung die Demontage bisheriger Erzählformen und Seh- und Hörgewohnheiten und gleichzeitig die Erfindung ungewohnter Bilder, Töne und Texte. Das Cross-Over in der Pop- und Soundkultur belegt diese doppelbödige Tendenz: Das Recycling älterer Pop- und Rockmusik und der ihren narrativen Stil auflösende TechnoSound, der auf seiner punktuellen Instantaneität ›ohne Geschichte‹ insistiert, wird zum Rohstoff eines hybriden oder dekonstruktiven Samplings, welches einerseits beide musikalischen Stilrichtungen verfremdet, um eine neue musikalische Sprache zu erkunden.«220

Es bleibt der grundlegende Paradigmenwechsel virtueller Instrumente, weg von der nachahmenden Simulation analog-technischer Prozesse hin 219 | Eckel/Iovino/Caussé: »Sound synthesis by physical modelling with Modalys«, a.a.O. [s Anm. 174]. 220 | Tholen: Die Zäsur der Medien, a.a.O. [s. Anm. 4], S. 197f.

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zu einem umfassenden Denken der nicht länger nur nachgeahmten Natur, wie es eher dem 18. Jahrhundert entspräche. Dieser Perspektivenwechsel zur Natur und zum menschlichen Körper bedeutet im Ästhetischen des Virtuellen eine musikalisch-spielerische Freiheit im permanenten medialen Entscheidungsprozess kompositorischer Fragen; in einem komplexen, jetzt aber nicht mehr in seinen technischen Detailparametern zu dekodierenden Echtzeit-Sounduniversum, wie es aktuellen Musikstilen der experimentellen Clubmusik bereits anzumerken ist. Die Integration des Körpers in die Modellierung virtueller Instrumente, an der Schnittstelle chaotischer Prozesse nichtlinearer Funktionen, ist wiederum verantwortlich für das lebendige und musikalische Verhalten der resultierenden Strukturen im musikalischen Mikrokosmos der Klänge wie im Makrokosmos permanenter kompositorischen Entscheidungen. Die Betonung des Musizierens als komplexes musikalisches Handeln im Abstrakten des Virtuellen bedeutet speziell dort eine neue Aktualität der Körperlichkeit des Interpreten-Komponisten. Seine Instrumente gleichen eher Wunschmaschinen, orientieren sich jedoch an dem alten Modell des Musikautomaten in seiner Abstraktion der distanzierten Vergegenständlichung und Anschauung ästhetischer Prozesse.221 Nur dass die Grunddispositionen in Echtzeit stattfinden und die konstitutiven Bedingungen musikalischer Entscheidungen innerhalb des ästhetischen Referenzrahmens aus der Meta-Position des spielerischen Zugriffs mit zum künstlerischen Material gehören. Ästhetische Virtualität ist also auch eine Strategie der Renaissance des Körperlichen in den elektroakustischen Künsten, in Echtzeit einen direkten Zugriff auf weitgehend skalierbare musikalisch-ästhetische Qualitäten zu erlangen.

221 | Vgl. Kap. 2; zu Vergegenständlichungsprozessen im Ästhetischen vgl. K. Holzkamp (Hg.): Sinnliche Erkenntnis. Historischer Ursprung und gesellschaftliche Funktion der Wahrnehmung.

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4. Automaten und Maschinen in der Musikgeschichte

Automaten Für das Verständnis des ästhetischen Aneignungsprozesses in digitalen Medien ist es unerlässlich, den »Maschinencharakter« sowohl der Hardware als auch den der Software und aller sonstigen beteiligten Prozesse genauer zu untersuchen und zu definieren.222 Geht man davon aus, dass wir aus dem historischen Automatenbegriff zentrale Kategorien unserer heutigen digitalen »Automaten« ableiten können und damit Kriterien erhalten, die technisch-symbolischen Prozesse in Bezug auf die ästhetischkünstlerischen in ihren wechselseitigen Bezügen zu verstehen, können wir versuchen, diese auf die nicht-technische, ästhetische Genealogie synthetischer Klänge und ihrer Wahrnehmung zu übertragen. Dies ist auf der Erscheinungsebene digitaler Produktions-, Distributions- und Rezeptionsumgebungen kaum noch möglich, da der universelle Maschinencharakter der Turingmaschine die Differenzen zugunsten ihrer symbolischen Manipulierbarkeit verwischt und sie erst wieder, wenn überhaupt, an ihren medialen künstlerischen Artefakten in Erscheinung treten. Traditionelle Musikinstrumente als »klassische« Musik-Maschinen gehören bis ins 20. Jahrhundert hinein zur Geschichte der Automaten und automatisierten Maschinen223 und sind Teil der Entwicklung unse222 | Vgl. F.A. Kittler: »Hardware, das unbekannte Wesen«, in: S. Krämer (Hg.), Medien, Computer, Realität. Wirklichkeitsvorstellungen und Neue Medien, S. 119-132; F.A. Kittler (Hg.): Draculas Vermächtnis. Technische Schriften. 223 | Zur Geschichte der Automaten vgl. A. Sutter (Hg.): Göttliche Maschinen. Die Automaten für Lebendiges bei Descartes, Leibniz, La Mettrie und Kant; W. Metzger (Hg.): Musikautomaten; B. Serexhe/P. Weibel (Hg.): Mensch in der Maschine, Katalog zur Ausstellung Wolfgang

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rer heutigen »musikalischen Medienmaschinen« als besonderer Zweig der erkenntnisphilosophischen Entwicklung von kalkulatorischen Maschinen.224 Automaten lassen von ihrer historischen Entwicklung wie von ihrem Wesen her auf die Verfasstheit aktueller Produktions- wie Rezeptionsmaschinen sowie ihrer digitalen Interfaces schließen, die bei weitem nicht so unspezifisch und neutral sind, wie es im Rahmen heutiger digitaler und universaler Computerumgebungen den Anschein hat. In der Musik sind historischem Automat und moderner Softwaremaschine vor allem die Vermitteltheit ihrer Aktionen wie Funktionen gemeinsam, gewissermaßen als Transmissionsriemen zwischen der Idee und ihrer künstlerischen oder musikalischen Umsetzung. Bei traditionellen Musikinstrumenten ist es das Ziel, diese Kopplung dem alten Ideal der Stimme folgend so direkt und unmittelbar körperlich wie möglich zu realisieren. Bei alten wie neuen Automaten findet die eigenständige Gestaltbarkeit dieses Prozesses ihre je eigene Übersetzungslogik und Ästhetik, die wiederum nicht ohne Einfluss auf das entstehende Resultat bleibt und als Materie und Funktion gewordene Interpretation sogar selbst zum Gegenstand künstlerischer Arbeit werden kann.225 Auch deshalb wurden zu Beginn des 20. Jahrhunderts öffentliche Präsentationen von Selbstspielklavieren, die von einem »Operator« lediglich in Tempo und Dynamik geringfügig beeinflusst werden konnten, in Form traditioneller Konzerte inszeniert und wahrgenommen. Mit der immensen Beschleunigung der Rechenoperationen der diskreten Universalmaschinen unserer Tage durch die Von-Neumann-Architektur, wie sie zur Entwicklung der ersten Atombombe notwendig wurde, gehören Norbert Wiener zufolge kybernetische Maschinen generell der irreversiblen bergsonschen »Dauer« thermodynamischer Prozesse an und damit nicht länger der alten Ordnung der reversiblen newtonschen »Zeit« von schiefen Ebenen und Planetenbahnen. In der Folge dieser Entwicklung wird der Geist selbst als technischer Vorgang darge-

von Kempelen; P. Müller-Tamm/K. Sykora (Hg.): Puppen, Körper, Automaten. Phantasmen der Moderne; B. Felderer (Hg.): Wunschmaschine Welterfindung. Eine Geschichte der Technikvisionen seit dem 18. Jahrhundert. 224 | Vgl. Krämer: Symbolische Maschinen, a.a.O. [s. Anm. 80]. 225 | H. Gottschewski (Hg.): Die Interpretation als Kunstwerk. Musikalische Zeitgestaltung und ihre Analyse am Beispiel von Welte-Mignon-Klavieraufnahmen aus dem Jahre 1905.

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stellt und den Maschinen werden »Denkprozesse« unterstellt.226 Den Konsequenzen dieser einfachen Entwicklung, die sich als ein zugespitztes Ergebnis in der Mathematik, Naturwissenschaft, Philosophie und Kunst der letzten Jahrhunderte zeigte, kann nicht genug Rechnung getragen werden. Die Folgen dieses epochalen Wandlungsprozesses in den verschiedenen Einzeldisziplinen und die entsprechenden Auswirkungen können erst mit der Zeit umfassender begriffen werden. Wir versuchen damit, einen existierenden Zustand unserer künstlerischen wie wissenschaftlichen Lebenswelt von den Effekten der Medialität und seiner Artefakte her zu begreifen, der längst wirkungsmächtig quasi hinter unserem Rücken arbeitet und somit laufend Tatsachen schafft. Nicht zuletzt durch noch zu beschreibende musikalisch-technologische Aneignungsprozesse der Industrie mit ihrer eigenen kapitalistischen Marktlogik wurden und werden Entwicklungen in erstaunlichem Tempo vorangetrieben, die in ihrer Konsequenz weder technisch oder ästhetisch verstanden noch in ihren faktischen Ergebnissen vorhersagbar sind. Unter Umständen werden so aber weitreichende Tatsachen geschaffen, die von ihrer phänomenologischen Seite her nicht nur analysiert sondern hinsichtlich ihrer künstlerisch-musikalischen Konsequenzen auch interpretiert und in letzter Konsequenz verstanden werden müssen. Was Norbert Wiener in Bezug auf die aus der Zeit gefallenen »Denkprozesse« kybernetischer Maschinen behauptet, bedeutet in der Konsequenz, dass anstelle von Naturphilosophie, die bis zum 20. Jahrhundert die Metawissenschaft einer durch Technik wahrgenommenen Natur war, nun Technikphilosophie selbst zur bestimmenden Metatechnik geworden ist und Natur darin lediglich eine kalkulatorisch ableitbare Größe darstellt. Da wir aber selbst zur Sphäre der Natur gehören, ist die Frage der Metatechnik zugleich eine anthropologische geworden, weswegen uns die Technik als seinsgeschichtliche Lösung des Missverhältnis[ses] zwischen Natur und Mensch erscheint, da sie umfassender zu sein scheint als die Sphäre von Geist und Natur. Von hier aus erklärt sich auch Max Benses Diktum der »Humanität« oder »Menschen-Angemessenheit« der technischen Sphäre, wenn er schreibt: »Nur antizipierbare Welten sind

226 | St. Rieger: Kybernetische Anthropologie, a.a.O. [s. Anm. 93], S. 27f.

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programmierbar, nur programmierbare sind konstruierbar und human bewohnbar.«227 Der Sphäre des Geistes zugehörig, sind die technologischen Prozesse damit besser als der Mensch selbst in der Lage, alle unsere Systeme musikalischer Ordnungen und Theorien zu berechnen und selbständig zu kalkulieren. Solange Maschinen sich selbst und andere Maschinen in diesem Sinne programmieren können, werden sie den Bereich des »human Bewohnbaren« weiter verändern und formen, ihm jedoch prinzipiell verhaftet bleiben. Sie tendieren also nicht zum Transzendentalen, so übersinnlich und verschwommen uns die medialen Erscheinungen ihrer Operationen mitunter auch vorkommen mögen. Worin aber bestehen die von der Maschine provozierten Veränderungen und Formungen? Im Bereich der Komposition, Musikproduktion, Distribution und schließlich auch der Rezeption sind uns diese als qualitative ästhetische Erscheinungen selten bewusst. Sind die kybernetisch kalkulierenden Maschinen damit bereits in der Lage, eigenständige musikalisch-künstlerische Artefakte erzeugen zu können und reicht das kalkulatorische »Denken« der Maschinen dazu aus? Diese Fragen waren bereits Gegenstand grundlegender Auseinandersetzungen in Bezug auf die Automaten des 17. bis 19. Jahrhunderts, wie wir sie literarisch zum Beispiel in Erzählungen von Edgar Allan Poe und E.T.A. Hoffmann exemplarisch gespiegelt finden. Die Problematik algebraischer Kalkulation von melodischen, rhythmischen oder harmonischen Artefakten und ihre Stimmigkeit auf das Regelsystem einer bestimmten Epoche und Stilistik zu demonstrieren, ist noch nicht gleichbedeutend mit der Frage nach je zeitgenössischer musikalischer Komposition. Entsprechende Versuche mit Kompositionsalgorithmen von Hiller und Isaacson in den 50er Jahren sind selbst an der einfachen Imitation von Personalstilen gescheitert, wenn diese in der Zeit der frühen Mehrstimmigkeit und von der Komplexität und personalen Originalität historisch nach Bach lagen.228 Diese Aufgabe ist bis heute ungelöst, und zu unserer großen Überraschung und Enttäuschung bilden sich allmählich Lösungs-

227 | M. Bense: »Einführung in die informationstheoretische Ästhetik«, zitiert nach Pias et al., Kursbuch Medienkultur, a.a.O [s. Anm.6], S. 429. 228 | Vgl. L.A. Hiller/L.M. Isaacson (Hg.): Experimental Music. Composition with an Electronic Computer.

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möglichkeiten heraus, die uns in ihrer intellektuellen Schlichtheit aktuell die neueste anthropologisch Kränkung zufügen. Die gescheiterten Versuche im Rahmen der sogenannten »objektiven Ästhetik« der 60er und 70er Jahre sowie der u.a. daraus erwachsenen algorithmischen Komposition lassen vermuten, dass die Aufgabenstellung mit einfachen Algorithmen nicht zu bewältigen ist. Die Frage ist dann allerdings, ob sie heute angesichts der immensen technologischen Entwicklungen, vor allem aber in Stilen und Genres zeitgenössischer elektroakustischer Musik und dem Beginn einer kalkulatorischen ästhetischen Virtualität, noch Gültigkeit haben. 229 Sind nicht gerade in den Stilen progressiver elektronischer Musik und zeitgenössischer Clubkultur musikalisch-ästhetische Verfahren und Prozesse auszumachen, die nicht nur komplett digital produziert sind, sondern auch einen hohen Anteil maschinenhafter Automatismen beinhalten, die gerade die »Selbstigkeit« und ästhetischen Eigenheiten, d.h. die ästhetische Medialität des Mediums selbst inszenieren? Wenn Maschinen bereits musikalische Strukturen im Sinne von »komponierter« Musik erzeugen oder zumindest in Kollaboration mit Menschen »musizieren«, wäre es interessant zu wissen, unter welchen medialen und ästhetischen Prämissen sie das tun, welchen »Instrumenten-Status« wir ihnen beimessen müssen und mit welchem musikalisch-künstlerischen Ergebnis Mensch und Maschine interagieren? Zur allgemeineren Frage unbeabsichtigter oder provozierter künstlerischer Eigenständigkeit von Maschinen gibt es zu animistischen Automaten einen alten und in Bezug auf digitale Musikmaschinen wichtigen Diskurs, in welchem der selbständig spielende Musikautomat als Sonderfall behandelt werden muss – kommt er doch in der philosophischen Diskussion als unterschiedener Gegenstand so gut wie nicht vor. Es gibt gute Gründe dafür, all die Walzenglockenspiele, wasserdampfbetriebenen Orgeln, Spieluhren, Orchestrions und lochkartengesteuerten Selbstspielklaviere etc. qualitativ von den mechanischen Tieren, automatischen Schreib- und Spielfiguren, stimmungsvollen Tischtableaus und Rechenkunstautomaten zu unterscheiden, obwohl sie häufig gemeinsam in Erscheinung getreten sind. Da sich das Denken eines jeden Zeitalters speziell in seiner medialen Praxis wie auch in seiner Technik widerspiegelt, lässt sich anhand der Entwicklung klangorientierter Automaten ein wichtiger Zweig der 229 | Vgl. Kapitel 3.

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medienhistorischen Geschichte elektroakustischer Musik und ihrer erkenntnistheoretisch exemplarischen Phase nachvollziehen und auf die oben formulierten Diskussionspunkte befragen.

Zur medialen Genealogie der Automaten Mechanische Automaten sind sehr alt. Nicht nur in den griechischen Sagen über Hephaistos und den als »Vater der Technik« gefeierten Dädalus nehmen sie bereits eine wichtige Stellung ein, sondern auch in konkreten Überlieferungen werden technische Meisterleistungen wie schwebende künstliche Tauben und andere mechanische Tiere genau beschrieben. Bereits im Talmud sind als automatische Instrumente beschriebene Äolsharfen in den Bäumen der Gärten erwähnt.230 Weitere Beispiele für mechanische Tiere beschreibt Archytas im 4. Jh. v. Chr. in Tarent oder Ktesibios in Alexandria im 3. Jh. v. Chr., welcher tanzende, sich drehende Figuren von Bacchus, Nike etc. baut, zu denen Trommelwirbel und Beckenschläge ertönen und sich Milch und Wein automatisch aus integrierten Brunnen ergießen. Einhundert Jahre später wird Heron von Alexandria berühmt für seine mechanischen Tableaus, die ganze Seeschlachten darstellen. Mit den Beschreibungen seiner überbordenden »Wunderwerke« hatte er noch großen künstlerischen Einfluss auf Renaissance und Barock. Wichtige Impulse in Bezug auf die technologische Weiterentwicklungen zur Energieübertragung und Automatisierung kamen aus Arabien. Al-Mamun, Sohn des Harun, baute bereits um 300 v. Chr. in Bagdad einen großen Baum aus Silber und Gold, in dessen Zweigen metallene Vögel sangen und schaukelten. Auch das »Urmodell« aller Tierautomaten, die mechanisch bewegte hölzerne Taube von Archytas aus Tarent, stammt aus dieser Zeit. Regiomontanus konstruiert der Sage nach gar eine eiserne Fliege, die seine Gäste umschwirrte. 835 baut der Mechaniker Leo für Theophilos Ikonomachos einen »Feuertelegraphen« und einen Thron, an dem Skulpturen in Form von Vögeln sangen und zwei mechanische Löwen brüllten. Aus der Zeit um 1250 ist ein künstlicher Adler von Albertus Magnus überliefert und Wandmalereien in Pompeji zeigen Automaten unterschiedlicher Größen mit singenden und bewegenden Vögeln aus Metall, deren Sing230 | Diese und folgende Beispiele vgl. H.-D. Bahr (Hg.): Über den Umgang mit Maschinen, S. 439f. und S. 450f.

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stimmen dabei aus »trompetenartigen Trichtern« kommen. Um 1200 verfasst Gazari ein sechsbändiges Werk, u.a. zum Bau von Uhren, der Nutzung von Wasserantrieb etc. 1450 wird in Ägypten Ibn Ali Ibn Rustam al Churasani für seine kunstvollen automatischen Maschinen und Tiere berühmt. Schon in den Geschichten aus »1001 Nacht« ist von mechanischen, schreienden Pfauen mit Uhrwerk, einem künstlichen Baum mit singenden, künstlichen Vögeln sowie automatisch generierter Musik die Rede. Künstliche Bäume mit ebensolchen singenden Vögeln werden zum beliebten Sujet einer anschauenden Naturbeherrschung, deren wichtigster Vertreter Konrad von Würzburg um 1260 in Deutschland wird. Ab 1300 werden die ersten Räderuhren mit Hemmungskonstruktionen aus Arabien importiert und nachgebaut, wobei beispielsweise bei den Uhren Giovanni de Dondis die beweglichen Figuren noch weitaus wichtiger waren als die Funktion der Zeitmessung. Das »Wolfdietrichlied« berichtet im 13. Jahrhundert über eine goldene Linde mit 72 Ästen, auf denen künstliche Vögel sitzen. »Sy waren gemacht mit Listen und innen hol, wenn sy der wint durchwaete, it stimmen sungen wol.«231 Das »Alexanderlied« erzählt von einem Jagd-Tableau mit einem mechanischen Hirsch und singenden Vögeln im Geweih, einem Reiter, der ein Horn bläst und Hunden, die bellen. Der Hirsch strömt dabei wohlduftende Gerüche aus. Angetrieben wird das Ganze pneumatisch, über 24 von Hand betriebene Blasebälge. Die Aufzählung mit Beispielen liesse sich noch weiter fortsetzen und kann als Ausdruck der ästhetischen wie medialen Bedeutung dieser technischen Wunderwerke verstanden werden.232 In der Weiterentwicklung von Uhrmechaniken entstehen große Turmuhrautomaten, wie z.B. 1352 das am Strassburger Münster mit zahlreichen mechanisch bewegten Figuren und einem der christlichen Symbolik entlehnten krähenden Hahn. Ab ca. 1400 sind die kleinen und großen 231 | Ebd., S. 440f. 232 | Übersichten zu entsprechenden Erfindungen und technischen Entwicklungen vgl. Sutter: Göttliche Maschinen, a.a.O. [s. Anm. 223]; Bahr: Über den Umgang mit Maschinen, a.a.O. [s. Anm. 230]; K. Steinbuch (Hg.): Automat und Mensch. Auf dem Weg zu einer kybernetischen Anthropologie; W. Hornbostel/N. Jockel (Hg.): Automatenwelten. FreiZeitzeugen des Jahrhunderts; Metzger: Musikautomaten, a.a.O. [s. Anm. 223]; Serexhe/Weibel: Mensch in der Maschine, a.a.O. [s. Anm. 223]; H. Heckmann (Hg.): Die andere Schöpfung. Geschichte der frühen Automaten in Wirklichkeit und Dichtung.

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Uhrwerke soweit verfeinert, dass komplizierte astrologische und astronomische Uhren hinzugefügt werden, wie z.B. 1405 an dem Berner Zytglogge-Turm.233 In der ersten Blütezeit der Uhrmacherkunst entstehen auch bewegliche Menschenfiguren und große, mit Stiftwalzen angetriebene Glockenspiele und pneumatische Orgelwerke. 1650 schreibt Athanasius Kircher seine berühmte »Musurgia Universalis«, mit welcher u.a. die Prinzipien der universell-mechanischen Steuerung und die Antriebsarten von Musikautomaten, sei es mittels Wasser, Luft, Dampf oder Muskelkraft, wie auch der Klangerzeugung von Glockenspielen, Orgeln, Tierstimmen etc. sowie die mechanische Klangspeicherung im Symbolischen über Uhrwerk und Stiftwalzen beschrieben sind. Obwohl er damit einen perfekten Abriss zur Medialität der Automaten als energetische Maschinen, mechanische Medieninstrumente und symbolische Speichermedien inklusive einer Ästhetik und Kompositionstheorie liefert, bleibt das Werk vor allem in den benachbarten Disziplinen weitgehend unbeachtet.234 Kirchers interdisziplinäres Werk, mit dem Anspruch einer umfassenden Darstellung des Themas in allen ihm bekannten Fachgebieten (universalis), demonstriert die Bedeutung der Musikautomaten im Zusammenhang mit dem sich verändernden Verständnis von Zeit und Raum, welches auf diese Weise eindrücklich veranschaulicht wird und die das subjektive Erleben und Verstehen grundlegend veränderten.235 Einen Höhepunkt findet die Automatenentwicklung, ausgehend von Italien über Frankreich, im Barock des 16. und 17. Jahrhunderts mit der Idee, Natur in idealisierter Form erschaffen zu können – bzw. die ideale Entfaltung der materiellen Welt und Natur so zu manipulieren, dass ihre hergestellte ästhetische Identität mit Kunst selbst austauschbar wird. Die (hergestellte) Kunsthaftigkeit dieser »Natur als Medium« legitimiert die 233 | Vgl. M. Marti (Hg.): 600 Jahre Zytglogge Bern. Eine kleine Chronik der Zeitmessung. 234 | Vgl. A. Hirsch: »Athanasius Kircher. Musurgia universalis», Schwäbisch Hall 1662, in: M. Wald (Hg.), Welterkenntnis aus Musik. Athanasius Kirchers «Musurgia universalis» und die Universalwissenschaft im 17. Jahrhundert. 235 | »Es war die Zeit nach der Erfindung der mechanischen Räderuhr; eine neue Zeitmessung regulierte mehr und mehr den Alltag der Gesellschaft. Die modernen Stunden ersetzten die alten Temporalstunden. Bern nutzte die Gelegenheit des Wiederaufbaus und errichtete […] einen eigens zur Verkündung des Zeitsignals bestimmten Uhrturm.«, in: Marti, 600 Jahre Zytglogge Bern, a.a.O. [s. Anm. 233], S. 1; vgl. Bahr: Über den Umgang mit Maschinen, a.a.O. [s. Anm. 230], S. 464f.

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(beabsichtigte) Naturhaftigkeit der Kunst. Die daraus entwickelten künstlerischen Techniken und Prozesse der Simulation am Symbolischen bilden schließlich die Grundlage für die ästhetischen Manipulationen der Modellierung im Symbolischen digitaler Medienmaschinen. Die Illusionen dieser Simulationsverfahren gelten in der Musik ebenso wie etwa im Theater.236 Aus dieser Entwicklungsepoche gibt es alleine in Italien, Frankreich und Deutschland zahlreiche erhaltene Zeitzeugen. So zum Beispiel Entwürfe von Bernardo Buontalenti (1536–1608), seine hydraulisch betriebenen Gartenanlagen mit Wasserorgeln und bewegten Figuren, wie sie in den Gärten von Pratolino des Francesco di Medici, der berühmten Villa des Kardinals Aldobrandini in Frascati u.a., entstanden sind. Salomon De Caus entwirft entsprechende Gärten mit kunstvollen, mechanischen, walzengesteuerten Orgelwerken, etwa in Heidelberg und Richmond. Zudem veröffentlicht er 1615 die Schrift »Von gewaltsamen Bewegungen. Beschreibung etlicher sowohl nützlicher als auch lustiger Maschinen«.237 Jacques de Vaucanson (1709–1782) aus Grenoble bildet gemeinsam mit dem Schweizer Pierre Jaquet-Droz (1721–1790) den Höhepunkt mechanischer Automatenbaukunst. Bei Vaucanson entstehen nicht nur ein Musterwebstuhl und Skurriles wie eine Ente, die fressen und wieder ausscheiden konnte,238 sondern auch menschengroße Automaten als Trommler und Pfeifer sowie der berühmte Flötenspieler. Auch bei JaquetDroz findet die Meisterschaft des Mechanischen im Künstlerischen ihren Höhepunkt. Seine Automaten können zum Beispiel Texte schreiben, Tuschezeichnungen anfertigen oder Klavier spielen.239 Ein Ende findet das 236 | Vgl. Schmidt: »Aktualität des Barock«, a.a.O. [s. Anm. 103], S. 88f. 237 | Bahr: Über den Umgang mit Maschinen, a.a.O. [s. Anm. 230], S. 18. 238 | »Die Ente zeichnet sich durch die Bewegung von Hals und Flügeln aus, und bewundernswert war das Sträuben der Federn; sie schnatterte, tauchte unter, fraß Körner, trank Wasser und verdaute. In dem zugleich überreichten Mémoire heißt es: [...] die Nahrung wird darauf wie bei den wirklichen Tieren verdaut und zwar durch Auflösung und nicht durch Zerreibung, wie manche Physiker behaupten. Er wolle damit nicht sagen, dass diese Verdauung eine solche sei, welche ein Tier ernähre, aber doch werde das Mechanische nachgeahmt, [...] das Hinunterschlucken der Körner, das Mazerieren, ihr Verbrennen und Auflösen, ihr Ausscheiden in einer deutlichen Verwandlung«, in: Heckmann, Die andere Schöpfung, a.a.O. [s. Anm. 232], S. 219. 239 | Serexhe/Weibel: Mensch in der Maschine, a.a.O. [s. Anm. 223], S. 8.

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Automatenzeitalter nicht nur technologisch, sondern auch weltanschaulich im europaweiten Skandal um den schachspielenden mechanischen »Türken« von Baron Wolfgang von Kempelen (1734–1804). Der Schachspielautomat wurde über elf Jahre in ganz Europa als Wunder der Mechanik präsentiert. Dieses entpuppte sich schlussendlich als Betrug, da die Spielzüge von einem versteckten, kleinwüchsigen Menschen ausgeführt wurden und die demonstrierte Mechanik lediglich der Täuschung diente. Bis heute zeugt die Redewendung »getürkt« von der Heftigkeit dieser einschneidenden Enttäuschung der im alten Wortsinn verwendeten techné, die damit ihre Glaubwürdigkeit verlor und ihre List zur Vertuschung einsetzte.240 Doch das Thema der »unheimlichen Selbstigkeit der Automaten« zwischen technischer Immitation und simulierter, lebendiger Eigenständigkeit, wie es vor allem im »Menschen-Automaten« zum Ausdruck kommt, bleibt aktuell und an den Stand der Technik einer Zeit gekoppelt – von den mechanischen Automaten bis zu den Cyborgs und Simulationsmaschinen unserer Zeit. Villiers de L’Isle-Adam behandelt in seinem Roman »L’Ève future« (1886) am Beispiel einer künstlichen Frau die Menschwerdung einer androiden Mechanik u.a. durch fotografische Techniken. »[...] Schöpfer der künstlichen Eva ist der Epochen-Ingenieur Thomas Alva Edison. Bei seinem Produkt handelt es sich um eine aus hochentwickelter Mechanik und avancierter Aufzeichnungs-, Speicher- und ›Fotoskulptur‹-Technik kombinierte Natur-Simulation. Das Innere, die ›Seele‹, wird von einer mechanischen Gedächtnismaschine in der Tradition Lulls gebildet, deren Konstruktion aus Walzen, Phonographen und Stanniolstreifen in der Funktion von Lochkarten an den Aufbau eines kybernetischen Apparats erinnert. Das Äußere gestaltet Edison mit Hilfe der ›Fotoskulptur‹: Die Bildpunkte einer fotografischen Vorlage überträgt er, aufgelöst in die Größe eines Zehntelmillimeters, auf das Pseudofleisch des Eva-Surrogats. Generell ist es also möglich, einer lebendig gewordenen Fotografie zu begegnen.«241

Grundsätzlich hat es die Handwerker jeder Epoche fasziniert, ein mechanisches Abbild eines lebenden Organismus anzufertigen. Der Antago240 | Ebd., S. 35f. 241 | K. Bartels: »Vom Erhabenen zur Simulation. Eine Technikgeschichte der Seele: Optische Medien bis 1900 (Guckkasten, Camera Obscura, Panorama, Fotografie) und der menschliche Innenraum«, in: Hemken, Im Bann der Medien. a.a.O. [s. Anm. 50], S. 68f.

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nismus einer »lebendigen Mechanik« war die technisch eindrucksvollste Möglichkeit, den technologischen wie handwerklichen Stand eines Zeitalters in einem Werk zu manifestieren. Aus den frühen Tagen der Magie stammt der bizarre und dunkle Begriff des »Golem«, einem aus Ton erschaffenen Körper, dem der Prager Rabbi blasphemisch mit dem unaussprechlichen Namen Gottes Leben einhaucht. Diese Wurzeln sind ebenso Teil der Geschichte des Automaten wie all die medialen nicht-technischen Maschinen, die als formalisierende Schemata oder Prinzipien erfunden und gebaut wurden.242 Insbesondere gehören in Anlehnung an den Maschinenbegriff der Frührenaissance die Automatenphantasien von Samuel Pepys (1660) sowie die Komponierautomaten Athanasius Kirchers dazu. Diese waren einfache auf Steckkarten verzeichnete Kombinatorikverfahren auf der Symbolebene, die eine schier unendliche Anzahl an melodiösen wie harmonischen Anschlussmöglichkeiten erlaubten und mit deren Hilfe es möglich wurde, quasi unendlich viele verschiedene musikalische Konkretionen einer gemeinsamen Form herzustellen. Sie finden in den Würfelspiel-Kompositionen Mozarts »Anleitung so viel Walzer oder Schleifer mit zwei Würfeln zu componiren so viel man will ohne musikalisch zu seyn noch etwas von der Composition zu verstehen (KV Anh. 294d), J.J. Hummel, Berlin–Amsterdam 1793«243 ihre Fortsetzung und erlangen größte öffentliche Aufmerksamkeit. Erst unter dem Aspekt der Formalisierung von musikalischen Strukturen und Formen als Partitursynthese oder algorithmischer Komposition stoßen diese frühen Komponierautomaten wieder auf verstärktes Interesse, da ihre Intention angesichts heutiger Medienmaschinen mit der Möglichkeit der vollständigen Parametrisierung und Automatisierung aller Variablen in der Frage ästhetischer Virtualisierung eine neue Aktualität erlangt hat.244

242 | Vgl. Krämer: Symbolische Maschinen, a.a.O. [s. Anm. 80], S. 12f. 243 | Nach Ch. Reuter: »Die Musikalischen Würfelspiele«, in: http://www.chr-reuter.de/wuerfel/tabelle.htm, mit einer kompletten Übersicht aller bekannten Würfelspiele und einer animierten Version zum Nachspielen. Über die ästhetischen Beschränkungen solcher Spiele vgl. K. Boehmer (Hg.): Zur Theorie der offenen Form in der Neuen Musik, S. 43f. 244 | Vgl. etwa N. Wiener (Hg.): Mensch und Menschmaschine.

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Mediale Selbsttätigkeit musikalischer Automaten Was die Faszination der Automaten zu allen Zeiten ausmacht, ist ihre Selbsttätigkeit, welche die Frage ihrer »Eigenheit« als »Selbst« zwischen dem menschlichen Leib und der toten Materie der Maschinen aufwirft. Wo steht der Automat in seinem »Selbstsein« in Bezug auf die kantsche »transzendentale Materie«, in welcher der Maschine doch offensichtlich der letzte Referent, nämlich ein Subjekt zur »Eigenheit«, fehlt? Die allgemeinste Definition eines Automaten wie Bahr245 sie vornimmt, lautet scheinbar ganz einfach: »Ein Apparat, der nach Aufhebung einer Hemmung selbsttätig und selbstregulativ funktioniert«. Eine solche Definition referenziert den Automaten durch zwei Dinge: seine genealogische Abkoppelung und sein maschinelles Verfahren. Daraus ergibt sich allerdings das Problem, wie er dann vom Menschen sinnvoll unterschieden werden kann, wenn die Selbsttätigkeit quasi als natürlicher Referent des Menschen wegfällt bzw. das Eigene oder das Selbst der Bewegung weiter ausdifferenziert werden muss. Eine mögliche Antwort liegt in dem der Maschine fehlenden Subjekt des Begehrens: »Die Maschinen sind nur Zeugen einer Subjektivität, zeichenhafte Verweisungen auf sie. Wie aber sollte Uneigentliches das Eigentliche ohne ›falsche‹ Aussage bezeugen können? Da sie als Signifikate nur fehlende Referenten seien, sind sie ›an sich‹ nur Signifikanten.«246 Signifikanten aber folgen, wie Bahr an frühen Maschinenmodellen erläutert, dem Gestus der Feinderklärung des »Anderen« als Verneinung von »Etwas«, der Absprechung von Subjektivität letztlich als Sklave, was genau dem wirtschaftlichen Äquivalent des Automaten entspricht, der in dieser Rolle allerdings nicht zu hermetisch-selbständig werden darf, sondern inwendig und mit List gleichzeitig in seiner technischen Medialität anschlussfähig bleiben muss, um eine definierte Funktion erfüllen zu können, die auch eine nicht gegenständliche z.B. ästhetische sein kann. »Es gibt das lateinische ars, das auch ›Gelenkigkeit‹ meint, wobei zum Beispiel an das Handgelenk zu denken ist. Ein mit dem Substantiv ars verwandtes Verb ist ›artikulieren‹, ›deutlich aussprechen‹, aber auch übertragen ›die Hand drehen und wenden‹. Vor allem 245 | Bahr: Über den Umgang mit Maschinen, a.a.O. [s. Anm. 230], S. 421f. 246 | Ebd., S. 444.

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übersetzt man ars als ›Kunst‹, aber man sollte dabei die Bedeutung ›Wendigkeit‹ nicht vergessen. Das griechische Äquivalent zu ars ist techné. Und techné läßt sich auf mechané, im Sinne von Wendigkeit im Bearbeiten beziehen. Also auch mechané techné. […] Apparate sind listige Vorrichtungen. Es sind Maschinen, sie funktionieren mechanisch, es sind Mechanisationen, kurz, sie sind technisch. Um es deutsch zu sagen: Apparate sind künstlich. Und gerade weil sie listig, mechanisch, technisch, also künstlich sind, können sie dank akrobatischer Artistik, dank purzelbaumschlagender Kunst über-listet werden. […] Die Akrobaten [die mit diesen Apparaten arbeiten, MH] verdienen den Namen ›Künstler‹ im eigentlichen Sinn, nämlich ›listige Umdreher und Wender‹ der […] Apparate.«247

Wenn man mit Hegel in der maschinellen Bewegung als Signifikanten eine abbildende Projektion leiblicher Bewegungen interpretiert, dann entdeckt man unweigerlich in der Bewegung des Leibes selbst Maschinelles, weil in dieser Projektion das Subjekt des Begehrens nicht selbst entäußernd mit abgebildet wird. Oder wie Kant es formuliert: »Insofern sei uns unser Leib selbst nur als ›Erscheinung‹ gegeben, also stets nur als Bewegung von Bildsignifikanten, in Folge müsste der Körper sich selbst in Herren und Sklaven aufsplitten und sein Begehren von der Mittelhaftigkeit seiner Organe und ihrer maschinellen Funktionen absondern.«248 Dabei beinhaltet der Aspekt der maschinell-künstlichen Nachahmung keinerlei Täuschungsabsicht. Das »automatenhafte« ist z.B. sehr verbreitet durch Miniaturisierung gekennzeichnet und zwar so deutlich, dass eine wirkliche Verwechslung ausgeschlossen ist und letztlich auch sein muss, da sonst der negative Differenzbezug auf das Selbst nicht funktionieren könnte. Die Wesensstruktur animistischer Automaten besteht ja gerade darin, dass sie wie Lebewesen sind und nicht, dass sie entweder Lebewesen oder Leblose sein könnten. Die Automaten simulieren das Leben, aber sie täuschen es nicht vor. Darin beruhen ihre Weisen, die spezifische Ausdrucksfähigkeiten wie Lust, Unheimlichkeit, Ironie, Opfergänge etc. zu versinnbildlichen. Die Maschine ist somit Ort eines aktiv fehlenden und nicht nur abwesenden Subjektreferenten. Die Maschine ist das, was auf »entsprechende« Weise vom Subjekt abgefallen ist. Sie ist das »Subjekt als Abfall von sich selbst«.249 Damit kann die Maschine im Unterschied zur normalen 247 | V. Flusser: »Bilderstatus«, in: St. Bollmann (Hg.), Medienkultur, S. 77. 248 | Bahr: Über den Umgang mit Maschinen, a.a.O. [s. Anm. 230], S. 448f. 249 | Ebd., S. 446.

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Definition des »Mittel-um-zu« als logische Mitte einer schließenden Bewegung in einem selbständigen Gegenüber auftauchen, wodurch sie unser Begehren herausfordert. Diese Funktion lässt sich als Medialität des Technischen und als abgeleitete Funktion des Medialen maschineller Künstlichkeit sowie ihrer techné beschreiben. »Technische Medien haben gleichsam ihre Voraussetzung bzw. ihre Vor-Gegebenheit nicht in der Technik im landläufigen Sinn. Denn deren instrumentelle Definition basiert auf einer Opposition zwischen dem Natürlichen und Technischen, welche Artefakte und Artefiktionen nur als Mangel oder Ersatz des Menschen bestimmen kann. Wahrnehmung jedoch, stets historisch variabel, ist stets eine medial verfasste. Sie ist, wie oben dargelegt, immer schon vom Künstlichen affiziert, im strikten Sinne des griechischen Wortes von Techné, d.h. von der List der Verstellungskunst. Techné meint also das Wechselspiel von Verbergung und Entbergung, das überhaupt etwas erscheinen lässt. Auch so etwas wie ein Instrument. Der Ort der Medien verdankt sich ihrer Dazwischenkunft. Das unvordenkliche Chiascuro der stets medial zäsurierten Wahrnehmung führt zu einem ab-okularen Begriff des Bildes, der die ontologisch nicht still zu stellende Dynamik der Text-, Bilder- und Hörwelten bezeugt und bewahrt.«250

Damit ist allerdings noch nichts über die komplizierte Beziehung zwischen Subjekt und Maschine gesagt, die in allen Formen wechselseitiger Herrschaft und Knechtschaft, Bewunderung und Verachtung etc. interpretiert worden ist und damit das Wesen des Verhältnisses durch ein solches Schema selbst strukturell verfehlt. »Der Mensch, Vorbild reiner Autonomie, ist der Widerpart der Maschine als das Sinnbild des Zwangsläufigen. Doch im Automaten, dem Bild und Anspruch einer perfekten Autonomie, fällt beides untrennbar zusammen: Was ›von selbst‹ geschieht, ist zugleich absoluter Zwang und absolute Freiheit. [...] Die Leib-Eigenschaft dieses Maschinenbildes ist im doppelten Sinne des Wortes zu verstehen: Zum einen ist der perfekte, alles könnende Automat gleichsam der göttliche Doppelgänger und das Ideal-Bild eines autonomen Subjekts. Doch in eben dieser Vorstellung kaschiert der Mensch seine Angst vor der rätselhaften Unbestimmtheit und Zweckoffenheit des Technischen, welches dadurch den Anspruch einer souveränen Verfügung über die ihm dienenden Mittel widerlegt und eben wegen

250 | G.Ch. Tholen: »Dazwischen – Die Medialität der Medien«, in: H. Adam/G. Fehrmann/ L. Jäger (Hg.), Medienbewegungen.

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seiner gleichsam prostitutiven Nachgiebigkeit den Schein bestärkt, es beherrsche den Menschen.«251

Einzig im Spielerischen sowie in der Kunst ist eine andere Erkundung im bewussten Verzicht auf diese bereits immer entschiedenen anthropologischen Diskurse des Automaten denkbar, können seine Spiel- und Machtträume mit offenem Ausgang erkundet und oftmals gerade im Missbrauch ausgelotet werden, wie Tholen weiter ausführt. Der Automat ist sozusagen der Platzhalter des verschwundenen Lebens – was einmal in der spektakulären Absicht geschaffen worden war, Lebendiges mit mechanischen Mitteln verwirrend zu imitieren, wird im Zeitalter der Aufklärung zum theoretischen Repräsentanten eines Lebens, das keines mehr sein soll. Ein seit dem 4. Jahrhundert v. Chr. durch alle Epochen zu beobachtendes Automatensujet sind bewegte, flatternde, hüpfende, singende und zuweilen sogar fliegende Vögel. Noch im 16. Jahrhundert ist ihnen mit dem Theatri Machinarum ein wichtiges Werk der Automatenkunst gewidmet. Vogelautomaten treten unmittelbar in Konkurrenz zu einer alten erotisch aufgeladenen und weit verbreiteten Praxis, Singvögel in kunstvoll gestalteten Volieren zu halten. Ziel der mechanischen Simulationen ist an der Oberfläche die Freude an der Verblüffung anderer sowie die Bewunderung für die Erschaffer der kleinen Wunderwerke. Da das Sujet gut bekannt ist, kann also auch hier eine beabsichtigte Täuschung ausgeschlossen werden. Es handelt sich vielmehr um eine mediale Form der Abbildung, um die Darstellung der Differenz des »Als-ob«. Speziell Vögel stehen dabei als aufgeladene Symbole allegorischer und symbolischer Metaphern (der »gewitzte Rabe«, der »freie Adler«, die »kluge Eule« etc.) und erzeugen als mediale Symbole damit zusätzlich Bildüberlagerungen metonymischer Art. Diese Funktionen alleine könnten sie allerdings bereits auch als Bild, Figuren oder Marionetten wahrnehmen. Als Automaten kommen zum Medium der symbolischen Abbildung die der Bewegung und vor allem der akustischen Simulation hinzu, die speziell hervorgehoben wird und welche die Situation des Abbildens selbst drastisch verändern. Wie bereits dargestellt, kann eine gewöhnliche Maschine mit Bahr als mediales »Mittel-um-zu« oder als Zeuge einer zeichenhaften SubjektVerweisung beschrieben werden. Die grundsätzliche durch nachahmen251 | Tholen: Die Zäsur der Medien, a.a.O. [s. Anm. 4], S. 190; vgl. auch Sutter: Göttliche Maschinen, a.a.O. [s. Anm. 223].

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de Bewegung und vor allem akustische Simulation (s.u.) hergestellte Differenz zum Automaten ist seine als medialer Automatismus inszenierte »Selbstigkeit«, die in der Lage ist, unser Begehren herauszufordern und den Automaten damit als Medium von Welt- und Selbsterkenntnis aufzuladen. »Die Maschine schließt das imaginierte Begehren des Anderen gegen unseres ab; daher »ist« sie nicht lebendig, weil auf sie nicht ein Begehren für uns projiziert wird, sondern die Simulation eines Begehrens auf uns. Der Automat deckt so den imaginären Charakter unseres Begehrens auf und stellt sich als ewig abwesender Referent desselben vor, worin eben seine metaphysische Selbstigkeit anerkannt wird. Das Automatische und Als-ob-Lebendige schließt uns den metaphorischen Charakter unseres eigenen Begehrens auf.«252

Mit der weiteren technologischen Entwicklung verfeinert und differenziert sich die Funktion des Maschinenhaften der Automaten weiter. So finden wir ab dem 15. Jahrhundert zusätzliche Konnotationen, speziell bei der neuen Form menschenähnlicher Automaten, wo sich zudem das Urbild nichtgeschlechtlicher Zeugung ins Zentrum schiebt. Die bereits erwähnte Geschichte des Golem, die Pygmalion-Sage bei Ovid, Frankensteins Monster oder die zeitgemäßeren Roboter, etwa bei Assimov oder Lem, bilden den Anschauungshintergrund dieser seit der Romantik schaurig dargestellten »Untoten«. Aber seit den goldenen Mägden des Hephaistos bei Homer oder den beweglichen Wachs-Statuen des Dädalus spielt das Sklavenäquivalent eine wichtige Rolle, weshalb sich die Frage nach einer ebenso automatenhaft-künstlich gemachten Seele interessanterweise nie stellte. Mit der Seelenlosigkeit, die im Zusammenhang mit Musikautomaten eine wichtige Rolle spielen wird, ist das Thema der Vergänglichkeit berührt. Bei künstlerisch orientierten Darbietungen dieser Mensch-Maschinen sowie bei szenischen Tableaus wird in der maschinenhaft-gleichförmigen gleichsam unendlichen Wiederholung auch die »Überlistung des Todes« mit inszeniert, die das mechanische Leben mit dem Gestus einer ewigen Darbietung des Her- und Vorbringens vorführt. Deshalb war der Automat auch im kirchlichen Zusammenhang jahrhundertelang eng verbunden mit der symbolischen Opferung, wie z.B. dem automatischen Opferstock. Erst gegen ein Geldstück öffnet sich über einen einfachen Mechanismus das Weihwassergefäß, erklingt ein Glöck252 | Bahr: Über den Umgang mit Maschinen, a.a.O. [s. Anm. 230], S. 454.

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chen oder nickt ein »Negerkopf« in Dankbarkeit für eine Opfergabe. Das Ewige erscheint eng mit dem Sklavischen verbunden. Ab 1885 wird dieser Nimbus aufgrund der Profanisierung durch in London massenhaft erfundene kommerzielle Verkaufsautomaten nach dem gleichen Prinzip gebrochen. Als Teufelswerk werden Automaten seit dem Mittelalter nur dann von der Kirche verfolgt, wenn die Menschenähnlichkeit, vor allem in Bezug auf intelligente, und das ist bis in die klassische Moderne gleichbedeutend mit seelenvollen Tätigkeiten zu groß wird. Wenn Automaten scheinbar vernunftbegabte Urteile fällen oder vernünftig sprechen können und damit die Täuschungsunähnlichkeit grob verletzt wird, ist offensichtlich eine Grenze überschritten. Der erkenntnistheoretische Hintergrund dazu ist die Philosophie Descartes, der nicht nur die gesamte Natur und alle Tiere für maschinenförmig hielt, sondern auch den Menschen als Maschine beschrieben hatte. Descartes letztlich unbefriedigende Differenz zwischen dem Automaten und Menschen bestand darin, dass er letzterem zugestand, perfekter zusammengesetzt und funktionstüchtiger zu sein sowie »vernunftbegabte« Gedanken zu haben, die er zudem durch Sprache ausdrücken könne. Außerdem reflektierte er die bereits erwähnte Unmöglichkeit, sich im Begehren der Maschine zu spiegeln, was bei ihm im Wesentlichen die Entstehung des Selbstbewusstseins und damit den Nachweis für die fehlende Seele/Intelligenz auf Seite der Automaten begründete. Insgesamt eine wahrlich nicht sehr befriedigende Unterscheidung, die historisch mehr Anlass zu Misstrauen, denn Sicherheit in der Differenzierung geben konnte.

Die Welt als Automat An den vorangehenden Beispielen wird deutlich, wie sich zum einen das Denken und die Weltrepräsentation in den verschiedenen wissenschaftlichen und künstlerischen Disziplinen am Beispiel des Automaten materialisieren, was ihn als mediale Repräsentanz in diesen Zusammenhängen lesbar macht. Zum anderen wurden die am Automaten materialisierten Theorien, Technologien und Verhältnisse etc. als solche anschaulich und auf Erkenntnisse und Erklärungen beruhend wirkungsmächtig rückinterpretiert. Diese Mechanismen der Manifestation verobjektivierter Welt- und Selbsterkenntnis steckt in jedem vom Menschen gedachten

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oder hergestellten Artefakt und verdichtet sich an bestimmten Kreuzungen verschiedener Disziplinen, Philosophien oder auch historischer Entwicklungen und lässt sie als Medien erscheinen, an und mit denen die verbundenen Einzelphänomene wiederum sichtbar werden. »Medialität wäre also zu bestimmen als eine gegenüber den Medien selbst sich distanzierende Voraus-Setzung, als Vor-weg-Nahme medienvermittelter Welterschließung. In diesem Sinne verweist der Begriff der Medialität auf den wahlverwandten Begriff der Technik, genauer: auf die Verstellungs- und Entstellungskunst der Tele-Technologien, in denen sich die in der antiken Philosophie schon umschriebene Techné des Technischen bzw. die Machinationen der Maschinen fortschreiben. Denn dem Vorbehalt des Technischen gegenüber jedweder Bestimmung eines eigentlichen Wesens der Technik ist es verdankt, die medienhistorisch jeweils einschneidende Epochalität von Medienepochen überhaupt verorten zu können, sei es als historisch unterscheidbare und gleichwohl sich überlagernde Mediendispositive, sei es als intermediale Verschiebung der Systemplätze von so genannten alten und neuen Medien. […]«253

So lässt sich an der Medialität des Automaten zeigen, wie sich philosophische, technologische, mediale und (musikalisch-)ästhetische Entwicklungen gegenseitig durchdringen und zur modernen Universalmaschine führen, die als eine Konsequenz dieser Prozesse hier ihre Wurzeln hat. Für Descartes war die unscharfe Differenz zum Automaten logisch und ausreichend, weil er hinreichend erklären konnte, dass sich der rechnende und berechnende, die Automatentechnik also beherrschende Mensch diese mechanische Welt anzueignen weiss bzw. überhaupt zur Erkenntnis in der Lage ist. Bedingung dafür ist das notwendige, nämlich exakte und wissenschaftliche Instrumentarium, was er am Beispiel mechanisch-künstlicher Automaten modellhaft zeigt. Das ist der epistemologische Entwurf dafür, die Welt quantitativ formalisiert in Form von Zahlen abzubilden und zu beschreiben, der von Newton, Leibniz bis zur turingschen Universalmaschine und bis heute verfolgt wird – und um dessen, vor allem künstlerisch-ästhetischen Konsequenzen es im Kern hier geht.254 Für Leibniz, der mit »Monaden« als kleinste in sich geschlossene, autonome Antriebseinheiten jedweder Bewegung quasi eine Welt voller Automaten betrachtet, ist das herrschende mediale Kommunikationsmodell 253 | Tholen: Dazwischen – Die Medialität der Medien, a.a.O. [s. Anm. 250]. 254 | Vgl. Krämer: Symbolische Maschinen, a.a.O. [s. Anm. 80], S. 138f.

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streng zentralistisch, jeglicher Austausch läuft über Gott und von dort zurück. Nach Michel Serres ist das Modell ein hermetisches, alles spielt sich an den Grenzen ab; das Lokale entspinnt sich zum Globalen und die Mehrzahl zum Einen, das Leibniz Gott nennt. Dieses Zentrum ist das Universelle der Kommunikation, deren austauschbare, aber gemeinsame Sprache Esperanto, Musik, Algebra oder eben calculus ratiocinator sein könnte. Es ist das Kalkül, welches in seinem Vollzug die Welt schafft. Kommunizieren heißt hier schlicht rechnen und das wiederum heißt codieren – an einem Universum von Rationalitäten.255 Das bisher alphabetische, linear-historische Bewusstsein beginnt sich damit in ein formales zu verwandeln: Die denkende Sache Res cogitans hat arithmetisch zu sein, um die Welt erkennen zu können. Die kartesische Erkenntnistheorie sagt dann auch in aller Deutlichkeit, dass Erkenntnisse über ein Angleichen der arithmetischen (und das bedeutet der denkenden) an die geometrische (ausgedehnte) Sache gewonnen werden. Zur Welt- und Selbsterkenntnis reicht nicht länger die adaptive Anschauung eines Ideals, sondern das progressive Ausarbeiten von Modellen und Zeichensystemen, die sich an der Praxis und im Experiment bewähren müssen. Damit etabliert sich ein neues Verständnis dessen, was mit »Theorie« gemeint ist. Die besten solcher theoretischen und vor allem die sichersten, weil eindeutigsten Modelle aber waren Algorithmen; bei Descartes hauptsächlich jene geometrischer Natur. Algorithmen verwandeln sich in der Analysis des 18. Jahrhunderts von in arithmetischen Rechenbüchern verzeichneten Rezepten zur eigentlichen Problemlösung selbst: Sie sind »das, was in einem Problem zum Vorschein gebracht werden muß, nicht das, was man haben muß, um ein Problem zu lösen. Das Reelle wird seriös gemacht, […]«.256 Das so formalisierte Reale als Abbildung der Welt, umcodiert von Buchstaben in natürliche Zahlen, war angelegt an seinen analogen Gegenstand Res extensa, einen recht löchrigen wie es Flusser formuliert.257 Jede natürliche Zahl ist von einer anderen sauber durch ein Intervall getrennt und wird nur von den Regeln der Codes zusammengehalten, die allerdings im Duktus der Sicherheit immer exakt befolgt werden müssen. Die »Löcher« der Zahlenintervalle zu stopfen, war das Ansinnen der folgen255 | Vgl. Serres: Der Parasit, a.a.O. [s. Anm. 84], S. 71f. 256 | Siegert: Passage des Digitalen, a.a.O. [s. Anm. 32], S. 195. 257 | Flusser: »Digitaler Schein«, a.a.O. [s. Anm. 71], S. 149.

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den Mathematik der Kalküle und Integrale (und im Abtasttheorem an der Schnittstelle des Digitalen bis heute), deren Beginn der Cartesianismus damit markiert, dass er jeden Punkt dieses imaginären Zahlen-Raumes geometrisch dreidimensional beschreibbar macht. Und so bestand vor allem in der Renaissance die große Überraschung darin, die Welt medial als ein Buch zu erkennen, natura libellum, welches allerdings in Zahlen codifiziert ist.258 Dieser Wandel im wissenschaftlich-philosophischen Denken über das Denken selbst war so epochal und radikal, dass sich dieser in der Folge nur langsam zu etablieren begann – vielleicht entfaltet sich seine alles umwälzende Wirkung sogar erst heute. Die Sphäre der Kunst und der Musik als das Medium des »ganz Anderen« bleibt von dieser Revolution lange unberührt, bis sie im 19. Jahrhundert von ihr eingeholt wird bzw. diese sich nach einer Reihe von Fehlschlägen ihrer zu erinnern beginnt.259 Bis dahin ist in der Musik alles im »ungewissen Empfinden der Seele« und »in Gottes Hand«. Es entstehen zwei erkenntnistheoretisch-mediale Universen, die vorläufig wenig Berührungspunkte haben. Eine dieser seltenen Überschneidungen im Medium der Musik existiert mit den Musikautomaten und ihren medialen Verwandten, welche daher von besonderem Interesse sind. Die wissenschaftlich-kalkulatorische Erkenntnisrevolution verändert das Verhältnis zu den Automaten auf zweierlei Weise grundlegend: Durch die Aufwertung des Modells und des Experiments als erkenntnistheoretische Kategorien verlieren sie einerseits ihre Unschuld; sie müssen seither als technische Materialisierungen kalkulatorischer Modelle von mechanischen, pneumatischen, später elektrischen und schließlich mathematischen Theorien beurteilt werden. Damit zeigen sich nicht nur immanente mögliche Erscheinungsformen, sondern auch deren Grenzen. Vielmehr werden sie selbst zum Medium kalkulatorischer Welterkenntnismodelle. Dadurch entsteht andererseits eine neue Form von Automaten, die nicht länger das nachahmende leibliche, spielerische »Als-ob« der Dazwischenkunft von Maschine und Natur bzw. Menschenbild thematisieren, sondern die Mechanik formalisierter und symbolhafter Zahlenarithmetik selbst. 1649 baut Blaise Pascal einen kleinen mechanischen Rechenautomaten, 258 | Ebd. S. 149f. 259 | Vgl. V. Flusser: »Die kodifizierte Welt«, in: ders. (Hg.), Die Revolution der Bilder. Der Flusser-Reader zu Kommunikation, Medien und Design, S. 29f.

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der nicht nur zeigt, dass die Welt in Zahlen, Regeln und Systemen beschrieben und erkannt werden kann, sondern dass dieser Vorgang in sich soweit formalisierbar ist, dass er an einen einfachen mechanischen »Automatismus« zur Ausführung delegiert werden kann und demnach nicht an die menschliche Intelligenz gebunden ist. Eine epochale anthropologische Kränkung, die sich schlimmer noch im Zusammenhang mit schnellen Rechenautomaten im 20. Jahrhundert anhand der gegenüber einer hoch entwickelten Mathematik ›dummen‹ booleschen Algebra wiederholen sollte. Heute schließlich ist diese Kränkung perfekt, erweist sich doch die algebraische Tradition angesichts der gestiegenen Rechenleistung als die überlegene Strategie für mediale Verfahren im Digitalen.260 Mit dem fortgeschritteneren Rechenautomaten-Modell von Leibniz, rund 24 Jahre später, konnten mithilfe von Staffelwalzen bereits alle mathematischen Anforderungen logischer Kalküle der damaligen Zeit erfolgreich mechanisch bewältigt werden.261 Für den Menschen blieb anstelle des Kopfrechnens nun das Programmieren der Rechenautomaten; eine Meta-Perspektive, für welche das Universum der Zahlen strukturell neu organisiert werden musste. Damit verändert sich das mathematische Denken selbst – und wie Flusser formuliert: »Im Schritt zurück zur Systemanalyse«.262 Zuvor verallgemeinert Hobbes jedoch in seiner Theorie die Rechenverfahren auch auf Gegenstände, die nicht Zahl sind und setzt damit rationelle Erkenntnis in strikte Analogie zum Berechenbaren. Er schreibt: »Man darf also nicht meinen, dass das eigentliche Rechnen nur mit Zahlen stattfindet, als ob der Mensch von den übrigen Lebewesen [...] allein durch die Fähigkeit des Zählens unterschieden wäre; denn auch Größen, Körper, Bewegungen, Zeiten, Qualitäten, Handlungen, Begriffe, Verhältnisse, Reden und Namen (worin jegliche Art Philosophie enthalten ist) können addiert und subtrahiert werden.«263 Im Zusammenhang mit dieser verallgemeinerten Mechanisierung geistiger Abläufe ist als logische Konsequenz die Idee eines »universalen Denkautomaten« zu verstehen, wie er schon dem katalanischen Dichter und Philosophen Raimundus Lullus um 1260 vorschwebte und dessen erkenntnistheoretischer Charme 260 | Vgl. Kapitel 5. 261 | Krämer: Symbolische Maschinen, a.a.O. [s. Anm. 80]. 262 | Flusser: Digitaler Schein, a.a.O. [s. Anm. 71] S. 149f. 263 | Krämer: Symbolische Maschinen, a.a.O. [s. Anm. 80] S. 95.

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bekanntlich erst in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts von David Hilbert endgültig widerlegt werden konnte.264 Dazwischen liegt die Geschichte der Schnellrechenautomaten, da die Ergebnisse der Differenzialgleichungen bloße Lösungen im Abstrakten repräsentieren. Um Differenzialgleichungen in brauchbare Arbeitsmodelle (ingenieurtechnisch, physikalisch etc.) zu verwandeln, muss man sie renumerieren und in natürliche Zahlen rückcodifizieren. Das ist extrem zeitaufwendig und zum Teil sogar prinzipiell unlösbar. Damit sind wir wie bereits erwähnt nach Flusser zwar allwissend, weil die ganze Welt so erkennbar ist und in Gleichungen ausgedrückt werden kann, jedoch nicht allmächtig, da unsere Welterkenntnis in Bezug auf komplexe und also auf die wirklich interessanten Probleme nutzlos ist. Die Überraschung war auch hier, und dies ist eine weitere anthropologische Kränkung, dass die Rückcodifizierungen besser und hauptsächlich schneller von Automaten ausgeführt werden können, die zudem computieren, d.h. errechnete Zahlen zu Gestalten synthetisieren können. Damit kann die über Kalkulation analysierte und in Partikel zerfallene Welt, welche bereits selbst die auf sie projizierte Struktur des Zahlenuniversums angenommen hat, potenziell auch wieder zusammengesetzt und resynthetisiert werden.265 So entstehen komplizierte Apparaturen als kalkulatorische »Erkenntnis-Profanisierungsautomaten« in Form mechanischer Rechenmaschinen. Ihre Beispiele reichen nach dem Ur-Modell von Lullus (1260), zu den einfachen Vertretern von Pascal (1649) und Leibniz (1673), über Babbage (1849), die Zählmaschine von Hollerith (1890), den vollautomatischen Differenzialgleichungen lösenden Analysator (1930) von Bush und Caldwell bis zum Electronical Numerical Integrator And Computer ENIAC (1942) von Aiken, der (hollerith-)lochkartengesteuert in Sekundenbruchteilen universal kalkulieren kann, um nur einige wichtige Stationen beispielhaft zu benennen, die dann alle aber doch bei der Turingmaschine als neuem und aus Automatensicht enttäuschend trivialen Universalmodell enden. In dieser Entwicklung ist der Automat als Medium der singenden und hüpfenden mechanischen Vögel kaum noch zu erkennen und doch bleiben seine Wesenheiten in den Grundzügen erhalten und sind selbst Gegenstand der jetzt noch verschärften Auseinandersetzung um die Differenz von Natur und Kultur. Diese Entwicklung zeigte sich in aller 264 | Ebd., S. 138f. 265 | Flusser: Bilderstatus, a.a.O. [s. Anm. 247], S. 205f.

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Deutlichkeit mit dem Schritt von dem mechanisch-technologisch hoch entwickelten Schnellrechenautomaten ENIAC zur an die frühen Komponierautomaten von Pepys und Kircher erinnernde nahezu simple und primitive Papierband-Lese- und -Schreibmaschine von Turing. Das rekursiv lesende und schreibende Maschinen-Prinzip der Turingmaschine ist der entscheidende Schritt zur formalen modellhaften Codierung der praktischen und anwendungsorientierten Resynthetisierung der Welt aus der imaginären Sphäre integrierter logischer Kalküle. Max Bense erklärt 1951 im Rahmen seines kybernetischen Ansatzes zum Aspekt der »Selbstigkeit« der Maschine den allgemeinen Entwicklungsstand nach rund 500 Jahren: »Das Seinsverhältnis der Maschinen ist ein nicht objektivierbares Sein; man könnte es nicht verdinglichen; Der Hervorbringer, der Mensch, gehört zu ihm, aber er ist der Punkt, auf den alles bezogen werden muss; technische Welt ist durch und durch funktionales Sein. Jede Maschine ist kompossibel und konzessiv, mitmöglich und mitnotwendig, wie der Ontologe sagt, zu den anderen. Übrigens beruht gerade darauf der im weitesten Sinn konsumierende Charakter der Maschinenwelt: Die Perfektion beruht auf dem Einbeziehen von allem. Unter einem anderen Aspekt hat Martin Heidegger ein solches konsumierendes Seinsverhältnis [...] als ›Fundamentalontologie‹ bezeichnet.«266

Wir vergessen im heute selbstverständlichen Umgang mit unseren informatorischen Automaten, dass noch zu Beginn der Moderne dieser Charakter höchst umstritten war und als Provokation verstanden wurde. Mit Kant war die Idee der Aufklärung formuliert und mit dem Bild des mündigen, vernunftbegabten und freien Menschen auch entsprechend illustriert. Eine Provokation erfuhr das neue Ideal zum Beispiel durch Julien Offray de La Mettrie und seinem 1747 erschienenen Band »L’homme machine«, was verkürzt als »Mensch-Maschine« zu verstehen ist und der intellektuellen und seinsmäßigen Freiheit des Individuums zu widersprechen schien. Bei genauerem Hinsehen geht es jedoch La Mettrie gar nicht darum, den Menschen als eine determinierte Maschine darzustellen, sondern den Anschluss an das mediale und automatenhafte der »Körpermaschine« zu finden. Deswegen differenzierte er in seinen auf bloßer Beobachtung beruhenden und keineswegs philosophischen Überlegungen, die Beschreibungen des Menschen als eine »unbestimmte Maschine«. Unbe266 | Pias et al.: Kursbuch Medienkultur, a.a.O. [s. Anm. 6], S. 479f.

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stimmt meint hier, dass der Mensch in seiner körperlichen Disponiertheit sehr wohl maschinenhaft sein kann, ohne dass das »Medium der Seele« davon mitbetroffen wäre. Die Seele ist in seinen Beschreibungen nicht nur vom Körper getrennt, sondern ein eigenständiges Medium des Bewusstseins und als eine andersartige Maschinerie zu betrachten, die mit ersterer irgendwie verbunden ist. Mit der bei La Mettrie im Gehirn verorteten Seelen-Maschine, mit dem Denken als Ort der »Ich-heit« des mechanischen Körper-Automaten, kann die Maschine Mensch nun also frei denken, fühlen und handeln, ist vernunftbegabt, lern- und entwicklungsfähig. Die Provokation entpuppt sich als eine Modifikation aufgrund eines durchaus anschlussfähigen Erklärungsmodells, welches die mediale Metapher des Automaten in das Zeitalter der Aufklärung retten möchte. Diese Darstellung lässt sich parallel zum Rechenautomaten für das 19. und 20. Jahrhundert als Mediengeschichte fortschreiben, die erst die Körpermaschine Mensch in unterschiedliche Automaten des Unterbewussten, des Handlungsgesteuerten oder des Genetischen verlagerte und dann vor allem aber in Regelungstechnik, Stoffwechselprozesse und Steuerungslogiken medial verortete. Der moderne Automat sitzt in Cruise Missiles und Luftabwehrleitsystemen, wie wir von Friedrich Kittler gelernt haben. Die Maschinen sind zur Bewertung und Verknüpfung von Daten, dem Prozessieren von Bildern etc. fähig. In den Science-Fiction-Erzählungen von Stanislav Lems sind Roboter von Menschen nur noch dadurch unterscheidbar, indem sie immer eindeutige Entscheidungen treffen, wo Menschen eher unentschieden und zögerlich sind. Das ist bei Lem dann allerdings meist auch ihr Vorteil, wie sich vor allem im Bereich der Kunst und der Musik ebenfalls zeigen lassen wird. »Wenn das 17. und das frühe 18. Jahrhundert das Zeitalter der Uhren war und das späte 18. und das 19. Jahrhundert das Zeitalter der Dampfmaschinen, so ist die gegenwärtige Zeit das Zeitalter der Regelung und der Kommunikation, die wir als Unterscheidung zwischen Antriebs- und Nachrichtentechnik kennen. Diese Teilung trennt das gerade vergangene Zeitalter vollkommen von dem, in welchem wir jetzt leben.«267

267 | N. Wiener: »Newtonscher und Bergsonscher Zeitbegriff«, in: ebd., S. 441.

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Musik-Automaten als Maschine und Instrument Musik-Automaten können von den allgemeinen Automaten unterschieden werden, wenn neben der bereits beschriebenen Automatenfunktionalität eine erkennbare zusätzliche akustisch-musikalische Inszenierung innerhalb des medialen Kontextes hinzukommt. Es handelt sich also um keine spezifische Gattung von Automaten, sondern wie bereits beschrieben um Spezialisierungen und besondere mediale Funktionen, die aber durchaus im Vordergrund stehen können. Erst mit der Zeit beginnen sich akustische und vor allem musikalische Automatenfunktionen zu emanzipieren und ihre zukunftsweisende Zwitterstellung als automatenhafte Musikinstrumente anzunehmen, bis sie sich im 19. Jahrhundert funktional-ästhetisch sowie medial mit weitreichenden Konsequenzen aufsplitten. Erste Hinweise auf diese speziellen medialen Funktionen tauchen da auf, wo neben der Bildhaftigkeit des Automaten, gekennzeichnet durch eine im weitesten Sinne ikonographische Inszenierung von Gestik/Handlung, die Szene durch Geräusche und Klänge ergänzt wird. Im Sinne der dargestellten Definition könnte man dies als eine erweiterte Funktionalität nachahmender Naturhaftigkeit im Rahmen einer unterstützenden Erweiterung der mechanischen Bewegtheit und sonstigen medialen Inszenierungen der »Selbstigkeit« des Automaten interpretieren. Diese würde als Sonderfall für die im Talmud beschriebene Äolsharfe nicht gelten, da hier im Zentrum die Klangerzeugung »aus dem Nichts« bzw. durch den hindurch streifenden Wind der als »Automat« beschriebenen Installation steht. Bei allen übrigen bereits genannten frühen Automaten mit künstlichen Tieren, Jagdszenen und insbesondere für die Sprechmaschinen des 18. Jahrhunderts darf man wohl von einer solchen die Illusion verstärkenden Funktion ausgehen. Vögel, die nicht nur umher hüpfen und mit den Flügeln schlagen, sondern dazu noch zwitschern, entsprechen eher dem Ideal des imitierten natürlichen Vorbildes. Gleiches gilt beispielsweise auch für den krähenden Hahn der Turmuhr. Dennoch kommt eine entscheidende Funktion hinzu, die erklären kann, warum bei aller »künstlichen Lebendigkeit« die akustischen Funktionen in den Beschreibungen und Geschichten eine herausragende Stellung einnehmen. Zum einen kann man sich angesichts von mechanischen Zahnrädchen, Hebeln und Stangen Bewegungen als Produkt des maschinellen Leibes eher erklären als Klänge und Geräusche. Diese verstärken also zusätzlich das Geheim-

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nisvolle und Wundersame der dargestellten Automatik.268 Zum anderen sind Geräusche im Raum omnipräsent und Ohren bekanntlich nicht verschließbar. Klänge und Geräusche sind auch dann zu hören, wenn man den Automaten nicht betrachtet, sich im Nebenraum aufhält oder einer anderen Beschäftigung nachgeht. So wie die menschliche Vergewisserung im Selbstgespräch oder im vor sich hin pfeifen, manifestiert der akustische Apparat des Automaten als mediale Manifestation des ältesten und empfindsamsten Wahrnehmungssinnes des Menschen seine Anwesenheit. Der Verweischarakter der Mechanik nur auf sich selbst – als Simulation von Natur – transzendiert durch den allgegenwärtigen, die konzentrierte Einheit der Wahrnehmung integrierenden Klang.269 Was wir aber nur hören, ist von seinem Status her schnell uneindeutig sowie unter Umständen nicht mehr genau lokalisierbar, was das Hören schnell abstrakt werden und gegenüber seinen materiellen Ursachen eine gewisse Eigenständigkeit gewinnen lässt. So dürften auch die ersten Musiker und Komponisten auf diese eigentümliche Klangquelle aufmerksam geworden sein, um sich erst dann mit den Ursachen und Zusammenhängen zu beschäftigen. Klangliche Aspekte auf dieser unmittelbaren Wahrnehmungsebene muss man deutlich unterscheiden von der semantischen Funktionsebene des Akustischen der Automaten, wie z.B. der Qualität, Lautstärke, Häufigkeit etc. zum Beispiel der Tierstimmenimitation, die als künstlerischmusikalische oder gar sprachliche Instanz, die grundlegenderen Effekte erst zu einem späteren Zeitpunkt zu überlagern beginnen. Anfangs und als Grundmuster geht es um die akustische Illusion einer (Omni-)Präsenz, die allgegenwärtige Demonstration der Anwesenheit, der in einer Zweck-Mittel-Umkehrung die dann entscheidende mediale Funktion der Vergegenwärtigung des Automaten zukommt. Diese gottgleich ein- und ausschaltbare Transzendenz ist in der Lage, unser Begehren unspezifisch zu spiegeln und die eigene Existenz damit zu bestätigen. Der Automat als Maschine bleibt verhaftet in der Inszenierung seiner künstlichen »Natür268 | Ansonsten stimmt das Bild Heiner Müllers: »Die erste Maschine zur Imitation eines Vogelrufes bestand aus einem Vogel.« Sie geht auf eine alte Jagdpraxis zurück, den Stimmapparat von erlegten Vögeln mechanisch zu benutzen, um Artgenossen anzulocken. Eine Technik, die bei den frühen Tierautomaten mit Sicherheit eine Rolle gespielt haben dürfte, in: K. Theweleit (Hg.), Heiner Müller, Traumtext, S. 68. 269 | Vgl. M. Serres (Hg.): Die fünf Sinne. Eine Philosophie der Gemenge und Gemische, S. 140f.

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lichkeit«, die er darstellen, aber nicht auf sich selbst rückbeziehen kann. Die universelle Verfügbarkeit dieser Funktion des Automaten ist somit genauso wie ihre theoretische Ewigkeit und damit de facto ihre mechanisch-unsterbliche Präsenz eine Überlagerung von Raum- und Zeitphänomen, was die enge Kopplung an die Entwicklung musikalischer Instrumente einerseits sowie die der Uhrmechanik andererseits bestätigt. Die akustische Eigenschaft der Musik-Automaten wird damit als eine mediale Grundfunktion erkennbar – wie sie bis heute bei allen akustischen Kommunikationsmedien, den permanent im Hintergrund laufenden Radios und Fernsehern bis zu den »Walkman-Effekten«270 heutiger MP3-Player und personalisierten Klingeltönen von Handys, Smartphones etc. zu beobachten sind. Diese eigenständige, wenn auch mechanisch in den Automaten integrierte Funktion des Akustischen führt dazu, dass sie von Musikern und Komponisten als vom Automaten unterschiedene Funktion wahrgenommen werden konnte. Neben den Imitationen von Tierstimmen und anderen Natur-Emulationen – im Rahmen der beschriebenen Sublimation des Automaten auf der Ebene seiner akustischen Existenz – präsentiert Ktesibios in Alexandria im 3. Jh. v. Chr. das vielleicht früheste Beispiel einer Automaten-Erzählung, in der die begleitende Musik explizit als eine der primären Automatenfunktionen genannt wird. Wenn in diesem Beispiel von Trommelwirbeln und Beckenschlägen die Rede ist, wird es sich eventuell um Klangeffekte in Kombination mit anderen Inszenierungen gehandelt haben, zumindest aber mussten die beiden Instrumente, Trommel und Becken, bereits vorhanden sein. Die Ebene des mechanischen und akustischen Selbst der Automaten hat sich damit um eine entscheidende Konkretionsstufe verändert, bieten doch die Elemente bzw. die musikalischen Instrumente ein unspezifisches mediales Potenzial für die effekthafte und künstlerische Gestaltbarkeit von Klang und Musik, ohne dass die typisch automatenhafte narrativ-ideologische Beschränkung dabei noch eine Rolle spielen muss. Selbstverständlich können beide akustischen Ebenen nebeneinander und mit wechselnden Schwerpunkten existieren. Es ist vorstellbar, dass je nach Automaten-Genre und/oder -Sujet das inszenierte 270 | Zum realitätsgenerierenden wie -verändernden Effekt des Walkman vgl. S. Hosokawa (Hg.): Der Walkman Effekt; Ch.W. Thomsen/A. Krewani/H. Winkler: »Der Walkmann-Effekt. Neue Konzepte für mobile Räume und Klangarchitekturen«, in: Daidalos. Architektur, Kunst, Kultur, H. 36/1990, S. 52-61.

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Zwitschern der Vögel mal schmückendes Beiwerk einer ansonsten musikalisch-akustischen Präsentation ist und mal als »Hauptdarsteller« im Zentrum des Geschehens agiert. In der Tat finden sich für beide Ansätze bis ins 19. Jahrhundert hinein entsprechende Beispiele. Damit ist die sich emanzipierende akustische Seite der Automaten als künstlerisch-musikalisches Objekt in Erscheinung getreten, womit – aus Sicht der Musik – Automaten als musikalische Instrumente wahrgenommen werden konnten und sich damit erstmals den ästhetischen Fragen musikalischer Medialität stellen. Spätestens mit den instrumentalen Inszenierungen walzengesteuerter Glockenspiele in Uhrenautomaten sowie ebensolcher pneumatischer Orgeln in barocken Garteninstallationen kann man genau dies beobachten. Die Glockenspiele sind insofern ein Sonderfall, als sie zwar in den Automaten instrumental gehandhabt werden, außerhalb dieser Sphäre als musikalische Instrumente aber so gut wie bedeutungslos sind. Gleichwohl existiert eine große Zahl Glockenspiele in allen Größen sowie Spieluhren und walzengesteuerte Orgeln, die ab dem 16. Jahrhundert die Funktion eines Automaten übernehmen oder als ebensolcher wahrgenommen werden. Je nach Verwendungszweck wurden sie entweder von Hand oder automatisch betrieben. Die wesentliche Funktion als auch die Speicherung der Musik hatten sie bis auf die Klangerzeugung aus geschlagenen oder gezupften Glocken oder Zungen mit der größer angelegten Gruppe der Orgeln gemeinsam. Bei Orgeln und orgelähnlichen Automaten, die eine modellhafte Doppelrolle zu spielen beginnen, verhält es sich anders. Automaten mit Pfeifenorgeln und Orgel-Automaten, bei denen das Automatenhafte des Instruments im Zentrum steht, arbeiten technisch und in Bezug auf ihre Klanggenerierung wie ihre instrumentalen Pendants mit dem entscheidenden Unterschied, dass der Automat die Funktion des spielenden Körpers übernehmen muss. Eine solche frühe automatische Orgelpneumatik funktioniert, indem beispielsweise ein Wasserrad oder auch eine Windmühle Luft in eine Pfeife pumpt. Die älteste überlieferte Orgel dieser Art ist eine Hydraulis genannte Wasserorgel. Ihre Erfindung wird dem bereits erwähnten Ktesibios, einem Techniker aus Alexandria um 246 v. Chr., zugeschrieben, der ebenfalls mechanische Singvögel und ähnliches konstruierte.271 Die Orgel erhielt ihren Namen, weil das Gewicht des Wassers für den beständigen Luftdruck in der Windlade sorgte. Vitruv (gest. 271 | Vgl. Bahr: Über den Umgang mit Maschinen, a.a.O. [s. Anm. 230], S. 450f.

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26 n. Chr.) hat diese Orgel in »De architectura« ausführlich beschrieben; seinen Ausführungen kann entnommen werden, dass die Orgel bereits offene und gedackte Pfeifen sowie Registerzüge hatte. In Rom interessierte sich Nero für das Instrument, welches schnell zum Symbol für Wohlstand avancierte und etwa die nächsten dreihundert Jahre zu den rein weltlichen Instrumenten zählte. Viele schriftlichen Zeugnisse belegen ihre Verwendung von der Antike bis zum Ende der römischen Kaiserzeit bei Hofe, im Theater und Zirkus. Der Charakter des alten Musikinstruments Orgel schiebt sich zwischen die kalte Technik der Automatenmechanik und die verspielte Oberfläche der narrativen Bewegungen und Gesten, um von dem einen zu profitieren und sich gleichsam hinter dem anderen zu verbergen.272 Deswegen tauchen solche Orgel-Automaten häufig in Inszenierungen mit beweglichen Tieren, Mythen- und Sagenfiguren, Wasserspielen etc. gemeinsam auf. Ermöglicht wird dies durch die strukturelle Automaten-Disposition des Musikinstruments Pfeifenorgel selbst, die man genauer beschreiben muss. Die Orgel ist sicher von ihrer medialen Prädisposition her das automatenähnlichste Instrument. Das hängt mit ihrem widersprüchlichen Charakter als polyphones Blasinstrument zusammen. Die notwendigen »vielen Münder« einzelner Instrumentalisten pro Pfeife müssen über pneumatische Ventile erzeugt werden, die den mit einem Blasebalg bzw. durch mechanischen Antrieb erzeugten Winddruck auf die jeweils gespielten Pfeifen verteilen. Die mediale Grunddisposition ist daher die auf eine Person hin zentralisierte Kontrolle eines umfangreichen Blasinstrumenten-Ensembles um den Preis des bloß vermittelten digitalen Zugriffs auf die Gestaltung des einzelnen Klanges (an/aus), die über eine vom menschlichen Spielkörper entkoppelte, selbsttätige Mechanik als Interface erfolgt. Für die medial-ästhetische Differenzierung ist dies der entscheidende Punkt: Die Klangerzeugung sowie die Gestaltung des Klangverlaufs eines möglichst unmittelbaren, exakten körperlichen Einflusses auf den Klang, der bei allen anderen Instrumentenfamilien im Zentrum spieltechnischer und technologischer Entwicklungen steht, wird zugunsten der polyphonen Kontrolle vieler solcher Klangerzeuger, also des mehrstimmigen Spiels, an eine Maschine delegiert. Der singuläre diskrete Zugriff auf Ton272 | Die diesem Bild innewohnende Frage nach dem »Parasiten«. im Sinne Michel Serres, wäre sicher spannend, hier leider etwas »off topic«.

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höhe und Klangfarbe (Register) vieler räumlich-technisch zusammengefasster und monophoner Instrumente zu einem gemeinsamen Zeitpunkt ist das Ziel aufwendiger Entwicklungen, die damit den epochalen Schritt der Musik von der Ein- zur Mehrstimmigkeit programmatisch materialisieren wie auch instrumententechnisch formal demonstrieren. »[...] Die Orgel, ein auf der Kombination der Panflöte mit dem Dudelsacksprinzip beruhendes Instrument, angeblich von Archimedes konstruiert, jedenfalls im 2. Jahrhundert v. Chr. bekannt, war in der römischen Kaiserzeit ein höfisches, teilweise auch ein Theater- und in Byzanz speziell ein Fest-Instrument. […] Die Orgel ist im Okzident von Anbeginn an in ununterbrochener technischer Fortentwicklung. Um 1200 hatte sie etwa drei Oktaven Tonumfang erreicht. Seit dem 13. Jahrhundert finden sich theoretische Traktate über sie. Seit dem 14. Jahrhundert wird ihr Gebrauch in den großen Domen schnell zunehmend universell. […] Noch im 11. und bis gegen das 13. Jahrhundert wurden die Töne durch Herausziehen der Tasten gebildet, und in den ältesten näher beschriebenen Orgeln mit bis zu 40 Pfeifen auf eine Taste war eine Scheidung der Töne, wie später durch die Schleifen der Windladen, noch unmöglich. Für den eigentlich musikalischen Gebrauch war gegenüber den Zugtasten das ›Orgelschlagen‹ der zuweilen über einen Dezimeter breiten ältesten Drucktasten mit den Fäusten ein Fortschritt, obwohl die Unstetheit der Windzufuhr die Reinheit der Stimmung auch dann noch stark beeinträchtigte. Dagegen war sie, gerade in jener primitiven Verfassung, sehr geeignet – geeigneter als irgendein Instrument irgendeiner anderen Musik –, einen Ton oder einen Komplex von Tönen auszuhalten, über welchem sich eine durch Stimmen oder andere Instrumente – namentlich wohl Violen – ausgeführte Figuration bewegte, also harmonisch zu funktionieren. […] Wie auch der Name ›Organizare‹ für die Schaffung mehrstimmiger Sätze zeigt, ist also die Orgel (und neben ihr vielleicht das Organistrum) an der Rationalisierung der Mehrstimmigkeit sicherlich stark beteiligt. […] Die Orgel ist dasjenige Instrument, welches am stärksten den Charakter einer Maschine an sich trägt, weil es denjenigen, der es bedient, am stärksten an die objektiv technisch gegebenen Möglichkeiten der Tongestaltung bindet und ihm am wenigsten die Freiheit gibt, seine persönliche Sprache zu reden. Sie ist in ihrer Entwicklung auch darin den Maschinenprinzip gefolgt, daß, während ihre Bedienung, welche im Mittelalter noch eine Vielzahl von Personen, vor allem von Balgtretern, erforderte – für die 24 Bälge der alten Orgel des Magdeburger Domes waren immer noch 12 ›Kalkanten‹ nötig, für die gleiche Orgel der Kathedrale in Winchester im 10. Jahrhundert waren es noch 70 –, diese physische Arbeit zunehmend durch maschinelle Vorrichtungen ersetzt

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ist, und daß sie dabei auch das technische Problem des kontinuierlichen Gebläses mit der Eisenverhüttung geteilt hat.«273

Wie in einem Brennglas ist dies die in der Orgel verkörperte, mediale und ästhetische Herausforderung der wahrscheinlich bisher umfassendsten Revolution in der Geschichte der Musik um 1200 und zwar in Bezug auf all ihre Teilbereiche: von der Musiktheorie, Komposition, Spielpraxis, dem Instrumentenbau und der Aufführungspraxis bis hin zum Hören selbst sowie der grundlegenden Definition und kulturell-gesellschaftlichen Disposition dessen, was wir unter Musik verstehen (wollen). Es existiert in der Tat kein einziges Detail, welches nicht betroffen gewesen wäre. Die Herausforderung dieses fast 200 Jahre währenden Übergangs zur mehrstimmigen Musik, dessen Träger hauptsächlich die Kirche bzw. die großen europäischen Klöster waren, besteht darin, nicht länger nur die horizontale Organisation der Melodie, sondern gleichzeitig die vertikale Organisation anderer »Melodien« bzw. im Ergebnis zu diskreten Zeitpunkten entstehende Harmonien musikalisch-ästhetisch steuern und »bestimmen« zu müssen. Gefordert war ein völlig neues musikalisches Konzept mit mehrdimensional abhängigen Variablen, welches gleichzeitig in der Lage sein musste, an die Tradition anzuknüpfen und z.B. für Instrumentalisten weiterhin spielbar und für Hörer verständlich sein sollte. Eine unglaubliche Anforderung, von der wohl niemand ahnen konnte, wie weit sie die Musik revolutionieren und geradezu neu erfinden würde und was sich daraufhin in den kommenden 400 Jahren abspielen sollte. Eine weitreichende Entwicklung, der wir aus der Notwendigkeit heraus, diese Prozesse organisieren zu müssen, nicht zuletzt die moderne Notenschrift verdanken. Ebenso hat das Lehrgebäude aus Tonsatz, Kontrapunkt und Harmonielehre, wie es bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts den unumstößlichen theoretischästhetischen Wesenskern abendländischer Musik ausgemacht hat, hier seine Wurzeln.274 Dadurch konnte das musikalische Material weniger als ein gegebenes, denn als ein gestaltbares ins Zentrum der Aufmerksamkeit rücken, was die zunehmend arbeitsteiligen Strukturen zwischen Komposition, Aufführung und Veröffentlichung (Verlagswesen) ermöglichte. 273 | M. Weber: »Zur Musiksoziologie«, in: ders. (Hg.), Politik und Gesellschaft: Politische Schriften und Reden (1890-1918), S. 1106f. 274 | Das Verhältnis dieser Theorien zu ihrer je real gelebten Praxis wäre ein anderes, ebenso spannendes Thema.

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Die Orgel bleibt das bevorzugte Objekt dieses Prozesses und gleichzeitig aber auch sein Medium. Man erkennt das ehemals kleine, leise und recht unflexible Begleitinstrument, an dem all diese neuen Ideen entwickelt, ausprobiert, visualisiert und vor allem gehört werden können, am Ende dieser Übergangsperiode kaum wieder. Dass es primär die Orgel war, die diese Rolle übernimmt, hängt direkt mit ihrer Automatentradition zusammen. Die Unspezifik der »dienenden« Maschine in der Tradition der Automaten-Inszenierung, die gleichzeitig als Musikinstrument Trägerin und Verkörperung einer neuen Ästhetik ist, kann als prädestiniert gelten, einen solchen Vorstoß in unbekannte Welten zu tragen. Insbesondere wenn sich die Vergegenständlichung einer neuen Musikform im Spannungsfeld der Entwicklung weltlicher Spitzentechnologie und klerikaler Musikpraxis am gleichen instrumentalen Gegenstand demonstriert. Im Ergebnis führt dies zu der in Europa fast ausschließlich sakralen Verwendung des Instruments,275 das von der Kirche gleichsam okkupiert und ästhetisch besetzt wird, bei gleichzeitiger Verdrängung der ebenso hoch entwickelten Automaten-Orgeln, deren musikalisches wie mediales Potenzial nicht erkannt und die musikalisch-kompositorisch wenig genutzt wird. Der Grund ist auch hier direkt in der Automatentradition zu finden, welche die Heran- und Umgehensweise mit dem Instrument bestimmt. Machtpolitische Diskurse im Klerikalen ausgeklammert, bestimmt sie ebenfalls die herrschende Ästhetik, die mit dem zeitlich eher kurzen, starren und gleichförmigen Ausdruck der walzengesteuerten mechanischen Varianten des Instrumentes nichts anzufangen weiß. Das beim frühen Automaten noch deutlichere, bereits analysierte Unbehagen angesichts der Selbsttätigkeit eines Signifikanten mit nur zeichenhaftem Verweis auf Subjekthaftes ist der Rahmen, der die gesamte Rezeption des Instrumentes bestimmt und auch künstlerische Aspekte beeinflusst. Wenn sich Mozart und ein paar wenige Andere, die für Spieluhren o.ä. komponiert haben, beispielsweise über die rhythmische Wiedergabegenauigkeit begeistert zeigten, so blieb dies die Ausnahme und ist bereits in Bezug auf die höfische Variante der verharmlosten, verkitschten Spieluhr zu sehen. Es spricht aber nichtsdestoweniger für ein progressives Musikverständnis, welches im Übrigen Musik als innigsten Ausdruck der Seele versteht und dem menschlichen Genius zuschreibt, was mit aller 275 | Anders als z.B. in den USA, wo die Pfeifenorgel zur normalen Ausstattung von weltlichen Konzertsälen gehört. In Europa ändert sich das kurzzeitig mit der Kinoorgel.

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Art von Mechanik bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts nur schwer zu vereinbaren war. Die Stimme als unmittelbarster musikalischer Ausdruck des Menschen bleibt das Klangideal vieler Epochen. So werden Musikautomaten nach dem Höhepunkt der mechanischen Gärten trivialisiert. Von der Spieldose bis zur Jahrmarktsorgel wurden sie den nicht-künstlerischen Genres zugeschrieben und fanden bis ins 19. Jahrhundert entsprechend wenig Beachtung. Schuld daran waren auch die viel bestaunten Flötenspieler- und Klavierspielerinnen-Automaten von Vaucanson u.a., welche als Musikinstrumente mehr oder weniger in Vergessenheit gerieten. Das ist ein wichtiges Beispiel für die Überlagerung von technischer Entwicklung und medialer Ästhetik. An einer Technologie, einem Verfahren und allgemein an einem Medium kann offenbar nur wahrgenommen werden, was im übertragenen Sinne ästhetisch auch sichtbar wird. Die dreidimensionalen Walzen der Musikautomaten waren als symbolische Musikspeicher so lange unsichtbar, bis die Frage und Notwendigkeit nach dem Speichern von Musik jenseits der Notenschrift überhaupt auftauchte und sowohl aus Sicht der technologischen Entwicklung wie auch der Ästhetik beantwortet werden konnte. So hat es Jahrhunderte gedauert, um das symbolische Speichermedium im Dreidimensionalen der Walze auf zwei Dimensionen der Ebene abzubilden und mit der freigewordenen Dimension, die raum-zeitliche Begrenztheit der Oberfläche dreidimensionaler Körper zu sprengen. Materiell werden in einer ins negative verkehrten Logik aus Markierungen auf der Walze, Auslassungen in sogenannten Lochstreifen. Dazu adaptierte man das Prinzip der erstmalig 1801 für die Jacquard-Webstühle patentierten Lochstreifen für die Drehorgel und ließ die Tonsteuerung über zu Leporellobänder zusammengelegte Lochstreifen erfolgen, die damit erstmals eine beliebige Länge erhalten konnten. Wolfgang Hagen schreibt zu diesem Themenkomplex: »Freilich, das durch Walzen und Stifte, Kerben und Federn in die Musik- und Figurenmaschinen der Höfe und Kirchen eingefügte Wissen wurde als solches nicht erkannt, es war schlicht Musik und Klang, eine der Künste der artes liberales aus dem Quadrium der Arithmetik, Geometrie, Astronomie und Musik ein Baustein des Barocken Weltbildes. Weil aber die Historie der Musikautomaten im 17. und 18. Jahrhundert in einer nahezu vorkopernikanischen Universalitätsvorstellung der klassischen Kosmologie verbleibt, ist erklärlich, daß die berühmten Rechenautomaten eines Pascal (1644) oder (1673) Leibniz mit ihren invariablen mechanischen Steuerungstechniken nie in Berührung kamen mit der ›Musurgia Universalis‹ des Athanasius Kircher, der schon 1650 die Prinzipien der univer-

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sell-mechanischen Steuerung von Musikautomaten formulierte. Wie eine Mißgeburt dieser höfisch/kirchlichen Musikautomatensteuerung wirken hundert Jahre später die Lochkarten/streifen Bouchons (1725), Falcons (1728) und Joseph-Marie Jacquards (1805), mit denen die frühkapitalistische Manufaktur ›sans phrase‹, nämlich die Webstuhl-Mechanik, extern steuerbar wurde. Jacquard, der bürgerliche Revolutionär von 1789, erfand einen Webstuhl, der von beliebig kombinierten Lochkarten in Tätigkeit gesetzt wurde. Externes Wissen, die Eingabe beliebiger Damast- und Dekorationsmuster in die Abfolge des Hin und Her des ›shifters‹ bzw. von Heben und Senken der Kettenfäden, – dieser erste ›Maschinencode‹ als lesbares Supplement einer Maschine sollte wiederum, obwohl 1812 zigtausendfach in Frankreich im Gebrauch, für fast 160 Jahre ein einsam externalisiertes Maschinenwissen im kapitalistischen Arbeitsprozeß bleiben.«276

Um 1780 schreibt der Musiktheoretiker und Komponist Christian Friedrich Daniel Schubart seine »Ideen zu einer Ästhetik der Tonkunst«,277 die in Deutschland erst posthum und nach der Französischen Revolution 1806 erscheinen konnten. Schubart, ein Vertreter des Sturm und Drang, sucht zeitgemäß nach musikalischer »Natürlichkeit«. Der »warme, volle, lebendige Ausdruck«, der durch »kein Studium und keine Kunst« zu vermitteln sei, gelte es zu erlangen.278 Seine Hauptforderung ging aber dahin, die ästhetische Seite der Tonkunst ebenso wissenschaftlich zu behandeln wie deren mathematische. Es sei »Aberglaube und abwegig«, dass schon die »mathematische Berechnung eines Stückes eine Vorstellung vom Wesen der Tonkunst geben könne«. Mit der zugespitzten These »Fleiss kompiliert, das Genie erfindet [...]«,279 formuliert er den Gegensatz zwischen Systemerfüllung und Komposition. Und so beginnen seine »Ideen« auch gleich mit der entsprechenden Zustandsbeschreibung: »Man hat bisher behauptet, nur der mathematische Teil der Tonkunst lasse sich auf Grundsätze bringen; der ästhetische aber liege ganz und gar nicht im Gebiet der 276 | W. Hagen: »Die verlorene Schrift. Skizzen zu einer Theorie der Computer« in: F.A. Kittler/G.Ch. Tholen (Hg.), Arsenale der Seele: Literatur- und Medienanalyse seit 1870, S. 212f. 277 | »Schreiben« ist hier ein Euphemismus: Er musste sie im Kerker Mithäftlingen diktieren, da er als Revolutionär 10 Jahre vom Fürsten von Baden Württemberg eingesperrt wurde. Vgl. Ch.F.D. Schubart: »Ideen zu einer Ästhetik der Tonkunst (1806)«, hg. v. Jürgen Mainka, Leipzig 1977, S. 14f. 278 | Ebd., S. 22. 279 | Ebd., S. 24f.

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Kritik. Daher haben sich die Werke ersterer bis zum Ekel aufgehäuft, und von letzterem besitzen wir kaum einige matte, zitternde Versuche.«280 Für ihn, dessen Rolle als Revolutionär in Süddeutschland man durchaus mit derjenigen von Rousseau in Frankreich vergleichen kann, ist daher eine fundierte Musikkritik sowie der einfache, ungekünstelte Singstil der Bauernmädchen, wie überhaupt die ländliche Kultur das zu stärkende Ideal. In der Kategorisierung verschiedener Gesangsstile heißt es schließlich über den wichtigsten, nämlich den Herzton: »Jedes Werkzeug der Stimme ist nur toter Klang, wenn ihm nicht das Herz Leben und Wärme erteilt. [...] Wer selber nichts fühlt, oder sein Herz für die Eindrücke der Tonkunst verschlossen hat, der werfe sich ja nie zum Singmeister auf. Er wird ambulante Orgeln hervorbringen, die, wenn sie das auf Walzen gesteckte Stück heruntergedudelt haben, todkalt bleiben, aber Menschenstimmen, herrlichen Engel-, nachahmenden Menschengesang wird er ewig nicht bilden«.281 Noch im Verweis auf den Tod, die Engel und die Ewigkeit kann man den Automaten mitschwingen hören und im Hinweis auf die Mobilität, die Abgrenzung zur Kirchenorgel. Im Zusammenhang mit dem idealisierten Subjektivismus der Romantik werden Automaten noch stärker als ein bedrohliches »fremdes Gegenüber« gesehen. Der Automat wird zur Metapher für die im äußeren Apparat geronnene schicksalhafte Notwendigkeit, der als »Scheinlebender« keine freie Wahl kennt und auch in keine spontane Beziehung zur Umwelt treten kann. Besonders im Medium des Musikautomaten, der also keine Musik »fühlt«, sondern ausschließlich und zwanghaft seinem mechanischen Programm folgt, objektiviert sich der Dualismus des »mechanisch« sein Instrument spielenden Musikers. Diese Mechanik interessiert 150 Jahre später auch Adorno, der in seinen Aphorismen über die Drehorgel räsoniert, dass sie ja eines mechanischen Instrumentalisten im Leiermann bedarf und damit das Instrumentenhafte der medialen Orgel-Automaten betont. Er beschreibt das Verhältnis und den Charakter der Drehorgel noch 1937 so melancholisch, als hätte sich zum Thema der medialen Speicherung und Reproduktion seit der Romantik nichts geändert:

280 | Ebd., S. 33. 281 | Ebd., S. 259.

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»Drehorgeln klingen, wie ihr Name klingt. Mechanisches Gedudel und Weihe des Rituals vereinen sich in ihnen zur Trauer über ihr eigenes Vergangensein und zum Trost für ihren Schauplatz: die Hinterhöfe. Relikte vergessener Zeiten, dürfen sie das Banale in das Heilige fügen. Sie bedienen aufs rascheste ihre Zuhörer; vorgestern mit Donna Clara, gestern mit Märschen, heute mit Weihnachtsliedern. Aber es ist nicht jenes beliebte ›Tempo der Zeit‹, das sie auf ihrer Walze führen. Sondern der hastige Zugriff, mit welchem sie sich alles herrenlosen Musikgutes bemächtigen, verwandelt es durch Zauberei ins Vorgeschichtliche. Auf der Rückseite der Häuser offenbart alle Musik ihre eigene Rückseite, die sie sonst sorglich verbirgt. [...] Es wäre zu glauben, sie seien im siebzehnten Jahrhundert erfunden worden. Sie haben viel vom Barock. Zumal die Technik, in der fast ihr ganzer Gehalt zu suchen ist. Die Geheimschrift der Walzen, die simple Mechanik ganz rationell schon– der Orgelmann hat keine andere Arbeitsbewegung als die Drehung der Kurbel–, die dennoch manuell bleibt; denn nichts anderes wird dabei rationalisiert als die unmittelbare menschliche Arbeitskraft selber. Leicht könnten sie zu den großen Barockorgeln sich verhalten wie die Puppenspiele zu den Trauerspielen. Auch mannigfachen Wasserkünsten, von welchen eine berühmte den Namen Wasserorgel führt, sind sie verwandt; mit diesen teilen sie den unterbrochenen Rhythmus, zwischen kreisender Bewegung und jähem Erstarren, der ihren Ausdruck in der Umwelt vorschreibt. Aber es scheint, als seien die Drehorgeln doch ein Vermächtnis erst des letzten Jahrhunderts, das so viele barocke Intentionen insgeheim wieder aufnahm und durchsetzte. Vielleicht sind sie in ihrer gegenwärtigen Gestalt erst im Zeitalter des Kaleidoskops und der Wachsfigurenkabinette erfunden worden und haben mit ihren Walzen die der Phonographen und damit die Moderne selber präludiert. Bis ins neunzehnte Jahrhundert hinein müssen ihre Vorfahren, die primitiven Leierkästen, noch existiert haben. Nun ist keiner mehr zu hören. Aber Schubert hat ihnen im letzten Lied der ›Winterreise‹ einen Denkstein gesetzt, der sie deutet. Deutet mit Quinten. An ihnen haftet die Archaik der Drehorgeln, ihre Heiligkeit, ihre Gespenstigkeit zugleich. [...] Das QuintenOrganum macht das innerste Gesetz der Drehorgeln aus.«282

Es ist E.T.A. Hoffmann, der zur Zeit der schubertschen »Winterreise« das ambivalente Verhältnis zwischen Musik und Automat sowie die ästhetischen Ressentiments gegen die weltlichen Vertreter der mechanischen Instrumente in raffinierten Arrangements beschreibt und analysiert. In seiner Erzählung »Die Automate« von 1814 spitzt er die Mensch-Maschine-Problematik durch Annäherung der Maschine an den Menschen zu,

282 | Th.W. Adorno: »Drehorgel-Stücke«, in: ders. (Hg.), Musikalische Schriften V (= Ges. Schriften, Band 18), S. 38f.

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wobei klar wird, dass beide Instanzen gleichermaßen zur Disposition stehen. Die Maschine reagiert als weiser orakelnder »Türken-Automat« in Form von Weissagungen auf die Stimmungen und Erwartungen des Fragenden – Mensch und Maschine werden wechselseitig als Medien füreinander vorgeführt.283 Der dispositive Automat bietet erst die Möglichkeit, mit sich selbst in Kontakt zu treten, indem er Ordnung ins eigene Chaos bringt. Er codiert, so Hoffmann, das »innere Rauschen« soweit um, bis schließlich Klänge hörbar werden, die schließlich als Frage an das Orakel erscheinen. Im zweiten »Duell« geht es um die »weibliche Stimme« gegen Maschinenmusik: Auf der Suche nach einer betörenden Sängerin, in die sich der Protagonist im Traum verliebt hat, geraten die beiden Helden zu Professor X, einem genialen Bastler und Erfinder, der auch den orakelnden TürkenAutomaten gebaut haben soll und der ihnen mit seinen Automaten-Instrumenten ein Maschinenkonzert spielt, das sie flüchten lässt. Im Garten hören die beiden die weibliche Stimme dann wieder und fragen sich, ob auch sie ein Automat ist. Haftet nicht gar den Seelenreaktionen der Liebe, auf die Verlockungen der verführerischen weiblichen Stimme, etwas Mechanisches an? In solcherart konstruierten Konflikten stellt Hoffmann die scheinbar klaren Kategorien und Zuschreibungen, sowohl von Menschen als auch der Maschinen, grundlegend in Frage. Interessant sind die Reaktionen seiner Protagonisten auf die »Verrückungen« ihres Weltbildes. Nach dem Maschinenkonzert beim »verrückten« Professor gibt es folgendes Gespräch, in dem die ästhetische Haltung zum Automaten zu jener Zeit zum Ausdruck kommt: »Schon die Verbindung des Menschen mit toten, das Menschliche in Bildung und Bewegung nachäffenden Figuren zu gleichem Tun und Treiben hat für mich etwas Drückendes, Unheimliches, ja Entsetzliches. [...] Das Streben der Mechaniker, immer mehr und mehr menschliche Organe zum Hervorbringen musikalischer Töne nachzuahmen oder durch mechanische Mittel zu ersetzen, ist mir der erklärte Krieg gegen das geistige Prinzip. Der grösste Vorwurf, den man dem Musiker macht, ist, dass er ohne Ausdruck spiele, da er dadurch eben dem eigentlichen Wesen der Musik schadet oder vielmehr in der Musik die Musik vernichtet, und doch wird der geist- und empfindungsloseste Spieler noch immer 283 | Vgl. Serexhe/Weibel: Mensch in der Maschine, a.a.O [s. Anm. 223].

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mehr leisten als die vollkommenste Maschine. [...] Durch Ventile, Springfedern, Hebel, Walzen und was noch alles zu dem mechanischen Apparat gehören mag, musikalisch wirken zu wollen, ist der unsinnige Versuch, die Mittel allein das vollbringen zu lassen, was sie, nur durch die innere Kraft des Gemüts belebt [...] ausführen können.«284

In der Handlung ist die Gegenposition bereits mit angelegt, und das obige Gespräch hat in seiner Absolutheit doch so etwas wie eine gegenseitige Selbstvergewisserung. Die betörende Stimme avanciert als transzendentale zur paradigmatischen Ausdrucksform eines inneren Seins. Sie scheint der Mechanik nicht derart ausgeliefert zu sein, wie beispielsweise der Flügel, auf dem Professor X das Konzert mit seinem Automaten-Orchester begleitet und auf geheimnisvolle Art damit dirigiert. Auf das Medium der Stimme scheint es einen direkten Zugriff zu geben, der jenseits der Dispositive der Mechanik und den (ebenfalls mechanischen?) Klaviaturen der Sinne angelegt ist. Wenn die Stimme aber mechanisch erzeugt und menschlich erscheint, dann kann auch das Menschliche mechanisch sein. »Menschen erklingen nicht viel anders als die elastischen Körper, mit denen Chladni experimentiert; sie schwingen oder tönen mit. [...] Auch der phantastische Zusammenschluss übers Clavichord, das ekstatische Ineinander-Übergehen von Instrument und Individuum zum maschinellen agencement, von dem Schubart deliriert, kann nur funktionieren, weil Menschen so harmonisch disponiert scheinen wie die harmoniefähigsten Instrumente, die sie bedienen.«285

Das Unheimliche, wie z.B. der Tod, liegt wieder in der medialen »Selbstigkeit« des Automaten verborgen, wenn nicht einmal mehr ein mechanischer Körper an seinem Tun beteiligt sein kann, wie es beim Clavichord ja noch der »zusammengesetzte« Automat ist, der als Medium der Musik zur idealisierten Einheit wird. Hoffmanns Kunst ist es, diese Aspekte im Fall der medial inszenierten Stimme seltsam in der Schwebe zu halten, um damit die ästhetischen Positionen als höchst relativ zu entlarven.286 Damit klingt ein weiterer Diskurs an, der schon bei Schubart auftaucht und heute von immenser Wichtigkeit ist: Wenn vor allem seit der 284 | E.T.A Hoffmann (Hg.): Die Automate, Erzählung (1967), S. 33f. 285 | W. Scherer (Hg.): Klavier-Spiele. Die Psychotechnik der Klaviere im 18. und 19. Jahrhundert, S. 86f. 286 | Zur Stimme vgl. Kap. 5.

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deutschen Romantik der Begriff einer »Natürlichkeit« gegen eine mechanische »Künstlichkeit« gestellt wird und das »seelische Prinzip« gegen die mechanischen »Mittel«, dann werden damit scheinbar auch mediale Archetypen aufgerufen. Die Transformation des musikalischen Empfindens im Bereich des Imaginären darf offensichtlich nicht über das Symbolische hinaus manipuliert werden und schon gar nicht von einer deutlich als seelenlos unterschiedenen Maschine. Das Unnatürliche, gegen das Orgel wie Musikautomaten immer schon verstoßen, ist ihre unheimliche und dem Symbolischen – sei es Gott, das Genie oder ein gestalterisches, ästhetisches Prinzip etc. – weit überlegene Fähigkeit, direkt das Reelle zu adressieren und damit einen unerhörten Medienwechsel zu vollziehen. Ein Trompeten-Orgelregister stellt den Versuch dar, den Trompetenklang möglichst genau zu simulieren und ein mechanischer Flötenspieler den des Flötenspiels. Das was dabei als »unkünstlerisch« empfunden wird, ist die scheinbare Entfernung vom Medium zur Sphäre der Musik im Imaginären, wo alleine ihre Wirkung und ihre Absichten vermutet werden. Schon die Notenschrift als Medienwechsel im Symbolischen ist primär als Hilfsmittel für Musiker gedacht und war in Klöstern als Träger des musiktechnischen Rationalismus innerhalb der Kirche öffentlich lange nicht zugänglich. Die Maschine, als Automat und Medium, kann diese Exklusivität nicht länger garantieren. Die Überführung in andere mediale Qualitäten und mediale Phänotypen ist ihm eigen. Seine automatenhafte, streng formalisierte Programmsteuerung ist ohne Täuschungsabsicht mechanischer »Selbstigkeit« nicht zu verbergen, da es keine Transzendenz gibt und kein gespiegeltes Begehren existieren kann. Was aber ist dann das »Natürliche« angesichts einer dem Menschen zur zweiten Natur gewordenen medial-technischen Kultur? Georg Christoph Tholen analysiert dazu folgendes: »Der landläufige Technikbegriff unterstellt, daß das Natürliche vom Technischen in ontologischer Hinsicht unberührt sei: Technik – als Inbegriff instrumenteller, zweckdienlicher Mittel – kommt den natürlichen Bestimmungen bzw. den Bestimmungen des Natürlichen hinzu. Im alltäglichen Umgang mit Maschinen und Medien, mag diese Einstellung zur Technik mit ihrem bipolaren Schema (Natürlichkeit versus Künstlichkeit, Mittel versus Zweck) hinreichen. Doch indem wir in diesem Fragehorizont verbleiben, d.h. die Technik nur als Instrument definieren, bzw. uns vor-stellen, bleiben wir, wie die Technik- und Sprachphilosophie Heideggers gezeigt hat, dem blinden Willen verhaftet, sie nur bemeistern und beherrschen zu wollen. Eben deshalb aber entgeht uns die Vorgängigkeit einer

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stets medial zäsurierten Wahrnehmung und Erfahrung. Denn es gibt keine Wahrnehmung, die durch ihre natürliche Gegebenheit hinreichend bestimmt wäre. Wahrnehmung ist stets eine medienvermittelte. Sie ist immer schon vom Künstlichen affiziert, angewiesen auf die List der techné, die erst etwas erscheinen läßt – auch die Welt der Instrumente.«287

Bereits in der Wahrnehmung selbst liegt also unser Differenzierungsproblem. Wir haben es bei Apparaten, traditionellen Musikinstrumenten, Musik-Automaten und allen der Orgel ähnlichen Instrument-Maschinen gleichermaßen mit bereits medienvermittelten Prozessen zu tun und können uns also auf diese konzentrieren. Dabei ist die Rezeptionsseite des Hörens im Weiteren der Produzentenseite gleichgestellt. Die Frage der Differenzierung zwischen der Medialität künstlicher und natürlicher Klänge stellt sich bei virtuellen Instrumenten neu. Die aktuelle Uneindeutigkeit der nicht länger nur synthetischen, aber sehr wohl medienvermittelten Klangerzeugung stellt die Frage nach dem Wesen des Digitalen. Die Indifferenz des digitalen Mediums gegenüber Zeichenstrukturen, Klängen und instrumentalen Formen verweist auf ein In-Differenz-Sein der Technik selbst (Tholen), den die Ästhetik stets neu konfiguriert. Diese von Tholen als Metaphorizität des Medialen beschriebenen Prozesse, führen zum informationstechnischen Diskurs über den Computer als Medium. Im Zentrum steht die Frage nach dem Status der symbolverarbeitenden Maschine in Bezug auf die Virtualisierung instrumentaler wie strukturell-kompositorischer Prozesse, der digitalen Codierbarkeit der Speicherung, Übertragung und Verarbeitung von Signalen. Historisch befinden wir uns in der Lage, bisherige Formen der Konzeption wie der Rezeption von Klang und Struktur zu demontieren, um gleichzeitig neue ungewohnte, kollaborative Strukturen er-finden zu können.

287 | Tholen: Die Zäsur der Medien, a.a.O. [s. Anm. 4], S. 169.

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Exkurs: Die Orgel als mediales Dispositiv automatisierter Klangerzeuger Zu Beginn der Entwicklung waren Orgeln kleine Instrumente, die ob ihrer liegenden Klänge überwiegend zur Begleitung eingesetzt wurden. Orgel ist dem griechischen Wort órganon entlehnt, was soviel bedeutet wie Werkzeug, Gerät, Organ oder Instrument. Im nachklassischen Latein bezeichnet organum ein Gerät oder Werkzeug jeder Art und in der Pluralform organa allgemein Musikinstrumente.288 Ihre Ursprünge werden in einer Kombination aus Panflöte und Dudelsack vermutet, mit den dann notwendigen, bereits beschriebenen technisch wie ästhetischen Weiterentwicklungen. Von Rom über Byzanz gelangt das Instrument schließlich nach Deutschland und Frankreich. Die Kirche erklärte sich lange gegen dieses »laute, heidnische« Instrument. Erst 757 n. Chr. erhielt der Frankenkönig Pippin eine Orgel aus Rom als Geschenk und später auch Karl der Große, der sie im Aachener Münster installieren ließ. Von dort kam die Orgel in die großen Klöster, welche Träger des musiktechnologischen Rationalismus innerhalb der Kirche waren. 825 wurde eine große Orgel aus Venedig im Aachener Kaiserpalast in Betrieb genommen. Offenbar waren diese Instrumente so beeindruckend und der multimedialen sakralen Gesamtinszenierung dienlich, dass Papst Johann VIII. im Jahr 873 erstmals eine Orgel im Papstpalast einbauen ließ. Lange Zeit kamen zur Klangerzeugung ausschließlich offene Labialpfeifen zum Einsatz; der Spieltisch befand sich aufgrund der einfacheren mechanischen Verbindung direkt an der Schleiflade. Die Tasten dieser maximal zweieinhalb-oktavigen und noch nicht chromatischen Tastatur waren aufgrund der komplizierten Pneumatik und der schwerfälligen Mechanik bis ins 13. Jahrhundert bis zu 8 cm breit, weshalb auch vom »Schlagen« der Orgel die Rede war. Da sich der allmähliche Übergang von der Diatonik zur Chromatik direkt an den Veränderungen der Tastatur ablesen ließ, diente sie als wichtiges Medium zur theoretischen wie auch praktischen Darstellung und Erarbeitung der Möglichkeiten eines neuen wohltemperierten Tonsystems sowie der Herausbildung eines entsprechenden rezeptiven Tonempfindens. Aus diesem Grund hatten sich die schwarzen Tasten der chromatischen Halbtöne bis zum 14. Jahrhundert zwischen die weißen der alten Chromatik geschoben. Damit wurde 288 | Vgl. K.H. Dettke (Hg.): Kinoorgeln und Kinomusik in Deutschland, S. 121.

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die Orgel lange vor der spieltechnischen Praxis der anderen Instrumentalgruppen sowohl melodisch als auch vor allem harmonisch zu einem der modernsten Instrumente. Es ist kein Zufall, dass die im Symbolischen der Notenschrift anschreibbaren musikalischen Parameter genau jenen entsprechen, die man auf einer Orgel des 17. Jahrhunderts differenziert gestalten kann. Die Orgel ist die Instrument gewordene Repräsentation des musiktheoretischen Wissens und der Regeln ihrer ästhetischen Gestaltung. Diese annähernd 200-jährige Entwicklungsgeschichte erforderte eine Reihe von wichtigen Erfindungen und mechanischen Details, deren sichtbarste Manifestation sich in der Veränderung der Spielmanuale zeigt. Die Orgel spielte für die Rationalisierung der Mehrstimmigkeit sowie im Übergang zur temperierten Stimmung als Medienphänomen der rationalen Kalküle in der Musik, die man in Analogie zur Etablierung der Zentralperspektive in der Malerei interpretieren kann, eine Schlüsselrolle.289 »Es waren aber genau solche künstlerischen Sinnestäuschungen, die einen ebenso großen wie vergessenen Mathematiker und Philosophen zur Einführung eines neuen Grundbegriffs inspirierten. Johann Heinrich Lambert hatte als Mathematiker schon eine wunderbar elegante Einführung ins freie perspektivische Zeichnen vorgelegt, ehe er als Philosoph daran ging, die Sinnestäuschungen theoretisch zu nobilitieren. […] Dieser Zwiespalt ließ sich vermutlich solange, aber auch nur solange noch beherrschen, wie die technische Manipulation der Wahrnehmungen ein Vorrecht von Künstlern blieb. Die Genieästhetik machte es (neben vielen anderen Dingen, die sie anrichtete) auch möglich, Techniken und Kalküle Subjekten zuzurechnen, also die Produktionsseite von Phänomenen mit ihrer Rezeptionsseite wieder kurzzuschließen. […] Damit treiben Computer aber nur auf die Spitze, was Medien überhaupt auszeichnet. […] technische Medien [bringen, MH] es fertig, Sachverhalte in die Welt zu setzen, deren Hervorbringung lange Zeit (aber nicht immer) als Vorrecht des Menschen gegolten hat. Das betrifft am sinnfälligsten (aber nicht nur) die Wahrnehmung. Zumindest in der Neuzeit, also seitdem Platons philosophische Zweifel an den Malern und ihren Bildern im Lärm des Geniekults verstummt sind, haben Maler jenes Privileg genossen, das im trompe-l’oeil des Barock auf den Begriff kam, aber schon die Linearperspektive der Renaissance bestimmte: Den Augen der Betrachter bot sich ein Sachverhalt, der nicht der Sachverhalt war. (Ein ganz ähnlicher, wenn auch nicht gleicher Trick gelang der neuzeitlichen Musik seit Entdeckung der temperierten Stimmung: Den Ohren der Zuhörer boten sich Akkorde und 289 | Vgl. M. Weber: »Die rationalen und soziologischen Grundlagen der Musik«, a.a.O. [s. Anm. 273].

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Tonarten, die nicht mit sich identisch waren.) Um langwierige Kunst- und Musikgeschichten sehr kurz zu machen, dürfte man also zusammenfassen: Von Zeuxis über Brunelleschi bis Bach blieben Wahrnehmungen, die ein Anderer manipulierte, das Vorrecht von Künsten. […] Offenbar sind die Wahrnehmungsmanipulationen, die Augen- und Ohrentäuschungen neuzeitlicher Künste oder Medien also, kein Werk dieser Künste oder Medien selber gewesen. Die freie Perspektive geht vielmehr auf den trigonometrischen Funktionsbegriff Eulers und damit auch Lamberts zurück, ganz wie die noch unfreie Perspektive der Renaissance vermutlich auf den Mathematiker Regiomontan zurückging. Entsprechend war die wohltemperierte Stimmung kein Werk von Musikern wie Bach oder Musiklehrern wie Kirnberger; ohne die Kühnheit, eine der Antike vollkommen undenkbare zwölfte Wurzel aus Zwei anzuschreiben, hätte sie schlichtweg nicht eingeführt werden können. Die Kühnheit, dem griechischen Zahlbegriff ausdrücklich zu widersprechen, brachte denn auch nur ein gewisser Simon Stevin auf, der im Hauptberuf strategischer Berater Moritz’ von Oranien war.«290

Kein anderes Instrument war in der Lage, gehaltene polyphone Akkorde des neuen Stimmungssystems, trotz der zu Beginn sicher fremdartigen Reibungen, mit frei durch die Tonarten modulierbaren melodischen Linien zu verbinden. Vor allem die damit einhergehende allmähliche Schulung des Ohres ist nicht zu unterschätzen. Sicher hat die Orgel die figurierende Polyphonie, wie sie zum Einsetzen der ars nova vorherrschte, stark beeinflusst. Für das Mittelalter und die Renaissance kann die Orgel als zentrales Instrument benannt werden, an dem sich alle weiteren Entwicklungen zur akkordharmonischen Musizierpraxis orientierten. Überhaupt ist die Orgel seit ihrem Erscheinen durch alle Epochen, von der Kinoorgel bis zur elektronischen Variante unserer Tage, ein Instrument steter technologischer Weiterentwicklungen und Perfektionierung, immer in Abhängigkeit von der gerade vorherrschenden Ästhetik und ihren Leitmedien. Die Nähe zu den automatenhaften Musikinstrumenten ist unverkennbar. Als Instrument für experimentelle Untersuchungen akustischer und physiologischer Art bleibt sie sowohl für Helmholtz als auch für musikpsychologische Forschungen bis ins 20. Jahrhundert interessant. Ab 1400 wurde es durch verschiedene technische Verbesserungen möglich, die Klangerzeugung in größerer Entfernung vom Spieler zu installieren, was die Trennung vom Spieltisch als mediales Interface und dem klingenden Instrument, der Pfeifenlade, ermöglichte. Die Bedienungsein290 | F.A. Kittler: »Phänomenologie versus Medienwissenschaft«, a.a.O. [s. Anm. 104].

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heit samt Spieler wird historisch erstmalig unabhängig vom Klangkörper gedacht und inszeniert; ein Denken in der medialen Trennung von Komposition, Klang und seiner Erzeugung – wie wir sie erst im 20. Jahrhundert wieder finden werden.291 In der Renaissance werden mit dem Ziel einer größeren Vielfalt, auch der verfügbaren Klangfarben, mehrere Orgeln mit immer neuen Pfeifenkonstruktionen und damit Klangfarben miteinander kombiniert, welche über mehrere Manuale, ein Pedal und variable Register in beliebigem Zusammenspiel bedient werden können. So entsteht der klangliche Gesamtapparat aus Hauptwerk, Oberwerk, Brustwerk, Rückpositiv und Echokästen wie wir ihn bis heute kennen. Jedes Werk enthält verschiedene Register-, Solostimmen, Instrumenten-Imitationen und die Möglichkeit, alle Stimmen so miteinander zu koppeln, dass sie sowohl über die Manuale als auch das Pedal gleichzeitig gespielt werden können. Mechanisch bewegbare Jalousien vor den Pfeifen ermöglichen Crescendo- und Decrescendo-Effekte, die Vibrato-Effekte werden durch Manipulation der Windzufuhr realisiert. In einigen Orgeln werden zudem Spezial-Effekte wie Glockenspiele, Schlagwerke oder Geräuschimitationen integriert. Im Weiteren wird der Klangraum der Orgel vergrößert. Pro Register stehen entsprechende Pfeifengruppen, also quasi ganze Instrumentfamilien, zur Verfügung, die den jeweiligen Klang über den ganzen Tonumfang des Instrumentes spielbar machen. Die Verschmelzung der verschiedenen Register gab es zwar im Ansatz bereits in der byzantinischen Epoche, sie erlebte ihre erste Blüte hinsichtlich dem geltenden Ideal, der Verschmelzung aller Stimmen des vortragenden Instrumentes, jedoch erst in der Renaissance. Spezielle Register für die verschiedenen Lagen – vom 32’-Bass bis zur kleinsten, wenige Millimeter großen 1⅓’-Pfeife – machen die Orgel zu einer Musikmaschine mit einzigartigem Tonumfang und künstlerisch-musikalischen Möglichkeiten gestaltbarer Klangfarben-Differenzierungen. Der Spieler wird so umfassend zum Bestandteil der gesamtmedialen Inszenierung, dass er zusehends im Instrument selber »verschwindet«, was in der sakralen Kontextualisierung aus Architektur, Licht, Geruch und 291 | Der MIDI-Standard wiederholt 1983 diese formal-ästhetische Trennung im Digitalen. Als »Master« bezeichnete Keyboards oder Zentralrechner sind von nun an in der Lage, alle als »Slave« identifizierte und midifizierte Hard- und Software zu steuern, unabhängig davon, ob es sich bei den Familienmitgliedern um Klangerzeuger, Drummachines, Sequenzer, Sampler, Effektgeräte oder Notationssysteme handelt.

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Klang zusätzlich bedeutend war und seinen mechanisch-automatenhaften Charakter betonte. Je mehr Effektregister und je mehr Wert auf die Simulation akustischer Instrumente gelegt wird, desto näher ist die Orgel am (Musik-)Automaten. Einzig der sakrale Ort als spezifischer Klangund Resonanzraum sowie die gespielte Musik bleiben als entscheidende Differenzkriterien. Bei der Orgel wurden instrumententechnische Entwicklungen in einem Instrument vollzogen, wie wir sie sonst für jedes Instrument getrennt nur in den jeweiligen Instrumentenfamilien vorfinden. Der Versuch, durch ständige Erweiterungen und technische Erfindungen, neben der strengen Vergegenständlichung des Strukturellen, die Transformation des klanglich Imaginären ins Reelle zu ermöglichen, garantiert die maschinenhafte Materialität. Dieser Versuch ist bis ins 19. Jahrhundert einzigartig und auf die Orgel beschränkt. Bei keinem anderen Instrument existiert die Idee, dasjenige klanglich-strukturell zu materialisieren, was musikalisch dargestellt werden soll. Die Register und Spielmanipulationen der Orgel sollen jedoch genau diesen Zauber ermöglichen. Man braucht so gut wie keine emphatische Vorstellung im künstlerisch Imaginären, da im Realen bereits alles vorhanden zu sein scheint. Das interessiert nicht nur die Kirche, sondern auch die Komponisten bis in das 20. Jahrhundert hinein. Zunächst aber kann die Entwicklung der Orgel als Versuch gelesen werden, lange vor der mechanischen Schallaufzeichnung, dasjenige im Realen zu materialisieren, was die Musik der jeweiligen Epoche an Klängen, Formen und Spielweisen vorgibt. Damit ist die Orgel als Forschungsinstrument zur Emanzipation und Erprobung der Klangfarbe in der Musik prädestiniert. In der apparativen Selbstigkeit dieser KlangMaschine konnten die simulierten Klangfarben aus der Natur (Vogelstimmen etc.) und die traditionellen Instrumentenklänge, quasi unter Laborbedingungen, auf ihre Verschmelzungsphänomene und Klangeffekte untersucht werden. Dieses Interesse beginnt in der Musik der Renaissance. Sie besteht zunächst aus Kompositionen für Laute und andere Zupfinstrumente, wie etwa die Cister oder Bandora, sowie aus Orgel- und Cembalomusik. Man kann das 16. Jahrhundert als ein Zeitalter der Consortmusik sehen, in der verstärkt Kompositionen von gemischt besetzten Ensembles gespielt werden. Diese Ensembles können erstmals aus Instrumententypen verschiedener Größen, d.h. vom Diskant bis zum Bass oder aus gemischten Instrumenten, z.B. Gamben und Lauten, bestehen. In jedem Fall orientiert sich die Besetzung weiterhin am mittelalterlichen Ideal der sakralen und welt-

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lichen Vokalpolyphonie. Es gibt bereits im frühen 15. Jahrhundert verschiedene Größen von einem und desselben Instrumententyps. Sebastian Virdung behandelt 1511 im ersten gedruckten Traktat der Musikinstrumente etwa die Familien der Blockflöte und des Krummhorns. Martin Agricola fügt 1528 Beschreibungen von Flöten, Pommern, Gamben und Geigen hinzu, die sich zusammen mit den Schriften von Gerle, Ganassi, Lanfranco und Jambe-de-Fer zu einem Bild jener Zeit abrunden, kurz bevor die ersten Violinen von Andrea Amati verwendet werden. Zu dieser Zeit als tiefere Bassinstrumente den Klangraum ausweiten und neue Blasinstrumente den Klangfarbenreichtum vergrößern, erscheint 1618/20 das erste Kompendium der Musikinstrumente von Michael Praetorius. Damals ordnen Komponisten bereits den verschiedenen Stimmen einer Komposition besondere Instrumente und damit klangfarbliche Spezifika zu, was zu den entsprechenden Techniken bei der Orgel führt. Der Parameter Klangfarbe wird im kompositorischen Denken, jenseits der Idee der Instrumentierung, erstmals als eigenständiger Faktor behandelt, was sich im Rahmen ihrer Imitationsleistungen auch auf die Ausstattung und Verwendung der Orgel auswirkt, indem beispielsweise die Registerzüge der Instrumentalstimmen-Simulationen im Analogen, geordnet nach Instrumentenfamilien dem Spieler zur Verfügung gestellt werden. Die Instrumente erklingen in der Regel mit den anderen Stimmen im Gleichklang; entweder zu ihrer Verstärkung oder zur klanglichen Bereicherung und Verzierung und ahmen grundsätzlich in Lage und Stimmführung vokale Stimmen nach. Der einheitliche Klang als Ideal der A-cappella-Chöre und die Mehrstimmigkeit führen in der Renaissance schließlich zum chorartigen Ausbau der Instrumente, so dass mehrstimmige Sätze instrumental ebenfalls möglich werden. Diese Technik erhält sich etwa im traditionellen Streichquartett des Barock. In der Romantik werden diese Ansätze auch auf instrumentale Orchester übertragen. Ihren Höhepunkt erlebt die instrumentale Polyphonie erst in der ausdifferenzierten Instrumentation der Orchestermusik der Spätromantik. Im Barock differenzierten sich kompositionstheoretische Vorschriften zur Instrumentierung weiter aus. Allerdings werden diese Vorgaben noch bis in die Romantik sehr frei gehandhabt. J.S. Bach etwa schreibt ein Konzert für Oboe und Streichorchester und nutzt es dann mit einigen kleinen Umgestaltungen auch als Cembalo-Konzert. Viele Sonaten der ersten

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Hälfte des 18. Jh. sind noch sowohl für Flöte als auch für Violine geschrieben. Auch in der Klassik steht es oftmals noch offen, wie z.B. Bläser ad libitum eingesetzt werden sollen. In der Romantik sind die orchestralen Klangfarben soweit fest etabliert, dass Instrumenten sogar feste Charaktere zugeschrieben werden, die sich als Klischees etablieren (geheimnisvoll, frech, vorlaut etc.). Diese klangfarblichen Entwicklungen hängen nicht eindimensional und unmittelbar mit der Weiterentwicklung von strukturellen und kompositorischen Problemen in der Musik zusammen. Bis heute scheinen strukturelle und klangfarben-ästhetische Tendenzen nur selten zeitgleichen oder einheitlichen Entwicklungen zu unterliegen. Spätestens zu diesem Zeitpunkt überschneiden sich also zwei Richtungen: einerseits tendiert die mediale Entwicklung der Orgel selbst zum polyphonen, klangfarben-synthetisierenden Automaten und andererseits tendieren die Automaten mit integrierten ursprünglich walzengesteuerten Orgelspielen zum eigenständigen musikalischen Instrument. Im Unterschied zu allen anderen traditionellen Instrumenten bedeutet die Sonderrolle, der näher an der medialen Automatentradition existierenden Orgel, dass die Übersetzung der imaginären künstlerischen Idee im Instrument nach seiner Materialisierung im Realen drängt. Die Idee einer Trompete findet sich im Trompetenregister als Simulation, welche ihrerseits die reale Abbildung meint. Auf dem Klavier als emphatisches Imitationsinstrument kann man Spielen wie eine Trompete und der Hörer des 19. Jahrhunderts wird das auch verstehen, aber die interpretatorische Umsetzung bleibt im Medium des Symbolischen, transformiert aus dem künstlerischen Imaginären als Idee der Musik selbst. Dem Klavier verhilft das zu einer unendlichen Fülle an Ausdrucksmöglichkeiten, während die Orgel an der Simulation des gemeinten Reelen, in Form von Klangimitationen durch immer neue Pfeifenkonstruktionen, Effekte und andere mediale Ausdrucksqualitäten, zwangsläufig immer scheitern muss. Bis zur gesampelten Instrumentenlibrary unserer Tage ist eine mediale Ansammlung an Simulationen natürlich nie komplett, auch wenn die überladenen Barockorgeln, wie die Keyboardburgen in der Rockmusik der 70er Jahre, von dem Versuch zu einer solchen Vollständigkeit zeugen. Die Idee musikalischer Simulation im Medium des Imaginären, des Symbolischen und auch im Reellen ist damit jedoch geboren; wenn auch noch lange nicht realisierbar. Sie ist allerdings vorerst lediglich am Rande der Musikentwicklung bei den Orgeln und Orgelautomaten dauerhaft

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virulent – bis das 19. Jahrhundert ebendiese Funktion des Medialen ins Zentrum der weiteren Entwicklung stellt, was mit den digitalen Universalmaschinen erstmals auch künstlerisch realisierbar scheint. Die beliebigen Medienwechsel vom Imaginären zum Symbolischen und von dort ins Reelle der wahrnehmbaren Materialitäten und Qualitäten blieben vorerst für über tausend Jahre eine ziemlich unwahrscheinliche Idee der Orgelbauer und -spieler.

5. Konturen des akustischen Cyberspace

Räumliche und zeitliche Formen im Virtuellen Das 20. Jahrhundert kann als das Jahrhundert angesehen werden, welches sich analytisch vor allem mit strukturellen Formen der Musik beschäftigt hat. Diese historisch zugespitzte und sich schließlich verselbstständigende Durchdringung der formalen Strukturen ist bei systematischer Dekonstruktion spätestens in den Genres populärer elektronischer Musik obsolet geworden. In globalen Musikarchiven lagert Musik aller Jahrhunderte, aller Genres und Stile. Dieses riesige Datenarchiv beinhaltet die sedimentierten kulturellen Formen und Strukturen aller überlieferten und aufgezeichneten Musiken, die als ubiquitäres Materialarchiv genutzt werden können. Stile technischer Medienmusik benutzen dekontextualisierte Teile dieser musikalischen Strukturen als neues Konstruktionsmaterial. Im Ergebnis erzielen sie aus der Skalierung und Rekombination struktureller Formen, z.B. in gesampelten Loops und ostinaten Pattern, einen nicht unwesentlichen Teil ihrer ästhetischen Spannung. Das Ergebnis ist die Inszenierung konzeptionell nichtlinearer Strukturen durch musikalische Verfahren des Loops, der Reihung und Schichtung, die statt traditionellen musikalischen Entwicklungen eher statische Zustände inszenieren, die bruchlose als ohne Anfang und Ende gedachte fliessende Übergänge ermöglichen und damit auch eine beabsichtigte körper- und bewegungsbezogene Rezeption über lange Zeiträume unterstützen. Technisch stehen dafür alle digitalen Bearbeitungmöglichkeiten zur Verfügung: vom Sampling über die Fehlerästhetik der Glitches und Clicks & Cuts, den SchnittTechniken des Cut, Copy & Paste bis zu den programmatisch eingesetzten Nonstandard-Verfahren wie z.B. der Granularsynthese. Die Zerlegung und statistische Rekontextualisierung des Audiomaterials in kleinste Grains ermöglicht die Entkopplung von Zeit- und Tonhöhenmanipulationen, was

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ein realtimefähiges konstruierendes Arbeiten an musikalischen Strukturen wie Sounds gleichermaßen ermöglicht. Innerhalb dieser ästhetischen Konstellation etablieren sich neue Stile und Genres, Verfahren des Reuse, Remix und Mashup. Diese existieren als ästhetische Konsequenz einer medialen Praxis, welche zum einen alle ästhetischen Elemente immer schon als gegeben und zum anderen als beliebig manipulierbar erlebt und auf ihre universelle Anschlussfähigkeit hin überprüft. »Es ginge nicht darum, Neues zu erfinden«, sagt ein DJ in Jochen Bonz’ Buch »Sound Signatures«,292 sondern darum zu entscheiden, was wann gespielt wird. Der Bruch zwischen romantischem Komponieren und (scheinbar) trivialem Auswählen aus einer unüberschaubaren, aber endlichen Menge des Universalarchivs aller je aufgeschriebenen Musiken ist die epochale Differenz zwischen analog und digital, die sich derzeit in den Stilen der Remix-Culture manifestiert und die Vorstufe zu den spielerischen Meta-Entscheidungsprozessen im erweiterten Referenzrahmen des Virtuellen darstellt. Gleichzeitig ist die interpersonale Identifikation mit dem einzelnen Artefakt in diesen ästhetischen Archiven so emotional aufgeladen, dass auratische Prozesse im Universum der technischen Artefakte, entgegen der benjaminschen These, nicht nur möglich sind, sondern jede auswählende Teilhabe totalitär erscheinen lassen. Metaphorisch gesprochen sind wir also dabei, im Resonanzraum einer prozesshaften Synchronizität selbst zu Musik zu werden – wie Theweleit mit Flusser phantasiert.293 In einem historischen Umschlag ist Remix aber auch eine Technik, die ästhetische Strategien des Digitalen im historisch traditionellen Analogen erprobt. Damit verbunden sind Strategien, die ihrer eigenen instrumentalen Praxis weit voraus ist, als Form gewordene Musizierpraxis eines digitalen Universalarchivs permanenter Entscheidungslogiken der Selbstigkeit virtueller Instrumente, wie es sich als Zieloption gegenwärtiger Technikstrategien abzuzeichnen beginnt. Komponieren bedeutet das Generieren beständiger Feedbacks, Rekursionen und Zirkularitäten, aus denen musikalische Struktur entsteht, wobei vor-alphabetische Modelle zur Orientierung an kontextuellen Formen nicht beliebiger Kontingenz dienen. Orientierung bietet lediglich die Se292 | J. Bonz (Hg.): Sound Signatures. Pop-Splitter. 293 | K. Theweleit (Hg.): Übertragung, Gegenübertragung, Dritter Körper. Zur Gehirnveränderung durch neue Medien.

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mantik der Zeit, die aber an der objektiven Grenze von Vergangenheit und »Gerade-eben-noch-nicht«-Vergangenheit (Esposito) unfassbar bleibt. Eine solche Strategie kann auf Nonstandard-Verfahren ästhetischkünstlerisch übertragen werden. Wir beginnen in der Auflösung traditioneller Formen und abgeschlossener Werkbegriffe, zugunsten von sozialen Prozessen einer fließenden musikalischen Praxis des idealtypisch unendlichen Kompositionsprozesses, ästhetische Strategien zu erahnen, die es uns erlauben, adäquat in digital konnotierten Universen künstlerisch zu operieren. Nonstandard-Verfahren operationalisieren den Umgang mit formalen Systemen in quantitativ wie qualitativ so unvorstellbaren Dimensionen, dass das Surfen auf den Strömungen permanenter Angebote und Optionen, einer sich in Realtime auf allen Strukturebenen unendlich verzweigenden, rhizomartigen Entscheidungsformation formaler wie sinnlicher Artefakte, als ein adäquates antizpierendes Aneignungsmodell in virtuellen Referenzräumen erscheint. Das alles ist in der Musik heute längst Praxis und läuft auf eine spielerische »Kalkülisierung des Erkenntnisverfahrens« (Krämer) selbst hinaus, als ein operatives Umgehen mit dem Präspezifischen. Was analytisch gefolgert und bewiesen ist, wird nicht länger repräsentiert oder gefunden, sondern errechnet. Die Konsequenzen solcher Zeichenstrategien sind künstlerisch und erst recht in der allgemeinen Praxis weitgehend unbekannt sowie unerforscht und bedingen in der Krise der euklidischen Anschauung die Forderung nach einer Logik für eine polymorphe Sichtbarkeit.294 Die deutlich erkennbar inszenierte Differenz zwischen Medium und Form wird dagegen ab jetzt für immer unabschließbar bleiben. Einzig die Ästhetik liefert ein sensorisch-analytisches Instrumentarium im Audiovisuellen zur Orientierung in referenzlosen oder eigenreferenzialen Systemen. Als Form wird eine Praxis intermedialer Verknüpfungen erkennbar, die unaufhörlich in einem kollaborativen Feedback mit den Maschinen produziert und die menschliche Kreativität als Dämpfungsfaktor zur Vermeidung von redundanten ästhetischen Rückkopplungen nutzt. Es geht um hybride Transformationsprozesse, De- und Re-Komposition einer Ästhetik, die selbst keine digitale sein muss, aber durch die Medialität des Digitalen freigesetzt wird. Die damit provozierte Verflüssigung des codier294 | M. Fassler: »Design 2010«, in: V. Bühlmann/M. Wiedmer (Hg.), pre-specifics: Komparistische Beiträge zur Forschung in Design und Kunst.

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ten musikalischen Materials lässt jede neo-adornitische Diskussion über Materialfragen in Bezug auf ihre Prozesshaftigkeit obsolet erscheinen. Instantane kompositorische Entscheidungen verweisen auf die Flüchtigkeit des Ergebnisses, auf seine Multiplikation in zukünftigen Edits und Re-Edits unter dem alleinigen Kriterium permanenter maschineller wie interpersoneller Anschlussfähigkeit. Allerdings unter dem Zwang ästhetischer Innovation, welche die Delegierung ausgewählter ästhetisch-medialer Prozesse an weitere Maschinen und damit eine weitere Meta-Ebene medialer Virtualisierungsprozesse erzwingt – was im Ergebnis unendliche verschachtelte Potenziale medialer Interaktion im Virtuellen zukünftiger Tools und Instrument-Maschinenmodelle eröffnet. Die Akteure des New Yorker Disco, des Remix und des jamaikanischen Soundsystem entwickelten aus diesen Verfahren der technischen Reproduktion ein eigenes hybrides Instrumentarium, welches das globale Universalarchiv unmittelbar spielbar macht. Wie Rolf Großmann ausgeführt hat, formieren vor allem die Dispositive zeitgenössischer Rezeption eine eigene ästhetische Realität in Form von Medienaufführungen, welche die technikkulturellen Konfigurationen des instrumentalen Spiels zweiter Ordnung spezifisch inszenieren. Beispiele für die auratisch neu aufgeladenen Instrumente einer solchen Aufführungskultur sind Plattenspieler, Synthesizer und Sampler als Medieninstrumente eines gespielten Universalarchivs.295 Zu diesem Instrumentarium gehören auch die aus den Nonstandard-Verfahren abgeleiteten Verfahren und Prozesse, die unspezifisch auf jeder digitalen Plattform inszeniert und gespielt werden können. Die Sequenzer-Software Live der Berliner Firma Ableton296 hat diese Entwicklungen bis in die konzeptionellen und Interface gestaltenden Strukturen eines modifizierten Raumkonzeptes als Erste repräsentiert. Das Medientool Live orientiert sich nicht länger an der linearen, zweidimensionalen Metapher des unendlichen Tonbandes, sondern an der Matrix mehrdimensionaler, nichtlinearer Zersplitterung in einzelne Samples und Pattern, die sich von jeglichen physikalisch gegebenen Zusammenhängen zwischen Tonhöhe, Tempo und Räumlichkeit befreit als strukturbildendes musikalisch-ästhetisches Granulat manifestieren. 295 | R. Großmann: »Distanzierte Verhältnisse? Zur Musikinstrumentalisierung der Reproduktionsmedien«, in: Harenberg/Weissberg, Klang (ohne) Körper, a.a.O. [s. Anm. 29], S. 183-200. 296 | Vgl. http://www.ableton.com/live.

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Über die Raummetapher, als eine emanzipatorische Klammer des resultierenden kombinatorischen Produktionsprozesses, gewinnt das alte Thema musikalischer Formen gerade in der Befreiung von linearen Zeitkonnotationen neue Aktualität. Es wird eine Entwicklung deutlich, die vom architektonischen Klang-Ort über den symbolischen Raum formaler und struktureller Projektionen zum imaginären musikimmanenten Raum kompositorischer Phantasie verläuft. Von da an kann zum einen der realweltliche Raum des Erklingens musikalisch funktionalisiert und zum anderen mittels technischer Räume aufgebrochen, überlagert und erweitert werden. So entstehen Räume ästhetischer Virtualität, die als gestaltbare musikalische Parameter interpretiert und genutzt werden, gleichzeitig aber auch als Mikro-Räume zur Klangsynthese in virtuellen Instrumentmodellen dienen können. Der ästhetisch-historische Kreis im Umgang mit musikalischer Räumlichkeit schließt sich, indem Klangraum und Strukturraum zusammenfallen, ästhetisch befreit und umgedeutet musikalisch neu gestaltet werden können.297 Damit werden primär über Zeitfunktionen vermittelte Raumvorstellungen konstituierend für neue kompositorisch-konstruierende Formvorstellungen wie auch für die Generierung und Manipulation von Klängen. In dem so konstituierten akustischen Cyberspace geht es um die Erweiterung des von McLuhan beschriebenen akustischen Raums des »elektrischen Zeitalters«298 mit dem zusätzlichen Aspekt kollaborativen musikalischen Handelns in offenen, dynamischen Netzwerken. McLuhan definiert den acoustic space als Gegenpol zum visuellen Raum, in dem die Wahrnehmung durch zentralperspektivische Bildgebungsverfahren sowie durch die Linearität gedruckter Texte stark vorstrukturiert wird. Dagegen ist der akustische Raum polyzentristisch und nicht länger der euklidischen Mentalität (Hoerl) unterworfen. Er ist hochgradig immersiv, er resoniert in und mit angrenzenden Territorien und Körpern, ermöglicht simultane Wahrnehmung und eröffnet neue Perspektiven und Handlungsmöglichkeiten. Um die Dimension kollaborativen Handelns in dynamischen Netzwerken erweitert, bildet er die Ausgangsform für den skizzierten abstrakten akustischen Datenraum. In der Konsequenz spielt die Linearität der traditionellen Notenschrift sowohl beim schreibenden 297 | Vgl. M. Harenberg: »Zur musikalischen Ästhetik klingender Räume«, in: P. Kiefer (Hg.), Klangräume der Kunst, S. 125-139. 298 | Vgl. E. Davis: »Acoustic Cyberspace«, in: http://www.techgnosis.com/acoustic.html.

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Komponieren wie auch beim lesenden Interpretieren im akustischen Cyberspace so gut wie keine Rolle mehr. Der akustische Cyberspace wird zur Sphäre der Verfahren, die sich mit nichtlinearen kompositorischen Strategien, wie sie mit den Nonstandard-Verfahren gegeben sind, im Digitalen beschreiben lassen. Gleichzeitig ist dies der Raum unterschiedlicher Strategien und Verfahren der politischen, ökonomischen, kulturellen und sozialen Aneignung von Sound, der als eigenständiges Dispositiv und medialer Akteur unseren Lebensraum bereits vielfältig durchdringt.299 Der historisch gerade geschlossene Kreis ästhetischer Raummetaphern öffnet sich erneut, wenn die frühen form- und damit strukturabbildenden Raumfunktionen durch eine akustische »Himmelstür des Cyberspace«300 strukturell eine neue musikalische »Klangformensprache« und formal neue Strategien musikalischen Handelns finden – jenseits bloßer Simulation vergangener Räume einer bürgerlichen Musikkultur.301 Edgar Varèse erprobt in seinem Werk »Intégrales« bereits 1924 ein Verfahren, welches im Prinzip das musikalische Material ins Endlose aufsplittet. Die bis zu 30-fachen Wiederholungen der solistischen Ausgangsfigur, mit einigen kleineren Abweichungen in verschiedenen Klangumgebungen, könnten unendlich andauern und ebenso unendliche Variationen und Kombinationen hervorbringen. Die dem Stück zugrunde liegende Idee der Integralrechnung, welche den Inhalt von Flächen über ihre begrenzenden Kurven zu fassen sucht, ist niemals eindeutig und abgeschlossen. Das Ergebnis ist stets nur eine Annäherung an den tatsächlichen Inhalt, egal wie oft und wie verfeinert die Rechenprozedur wiederholt wird. Diese mathematische Strategie benutzt Varèse in »Intégrales« und lässt dabei dieselbe Figur immer wieder auf sich selbst zurückwirken – sagt quasi endlos »plus eins«, wie der Komponist Mathias Spahlinger das Prinzip aller mechanischen Wiederholung umschrieben hat. 1936 äußert sich Edgar Varèse in einer Vorlesung in Santa Fé zu seiner zukunftsweisenden Komposition, mit der er auf die veränderte Welt bzw. auf »die Neuheit der Mechanismen des Lebens« reagieren wollte, welche er wie er sich später erinnerte:

299 | T. Gerber: »Vom akustischen Raum zum Audiovirus«, in: Dissonanz, a.a.O. [s. Anm. 1], S. 22-28. 300 | Vgl. Wertheim: Die Himmelstür zum Cyberspace, a.a.O. [Anm. 42]. 301 | Vgl. Boehmer: »Krisis?«, a.a.O. [Anm. 166].

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»[…] für akustische Medien, die noch nicht existierten [geplant hatte, M.H.], die aber – das wusste ich – früher oder später geschaffen und verwendet würden. [...]. Während wir in unserem Musiksystem Quantitäten verteilen, deren Werte festliegen, sollten in der Realisation, die ich mir wünschte, die Werte dauernd im Verhältnis zu einer Konstanten wechseln. Anders gesagt, es wäre wie ein Reihe von Variationen, Abweichungen, die aus den leichten Veränderungen einer Funktion oder der Übertragung einer Funktion auf eine andere entstehen. Um mich besser verständlich zu machen, übertragen wir diese Konzeption in den optischen Bereich – denn das Auge ist flinker und gefügiger als das Ohr – und denken wir an die wechselnden Projektionen einer geometrischen Figur auf eine Fläche; beide bewegen sich im Raum, aber jede mit ihrer eigenen unterschiedlichen und wechselnden Geschwindigkeit, Verschiebung und Umdrehung. Die jeweilige Form der Projektion wird bestimmt durch die augenblickliche Beziehung der Figur zur Fläche. Indem man aber der Figur und der Fläche ihre eigenen Bewegungen erlaubt, kann man mit Hilfe der Projektion ein höchst komplexes und anscheinend unvorhersehbares Bild produzieren; darüber hinaus können diese Eigenschaften bis zum Äussersten gesteigert werden, wenn man die Form der geometrischen Figur sich ebenso verändern lässt wie ihre Bewegungen [...].«302

Das Verfahren des endlosen Plus-eins-Sagens, die kreisend wirkende Fortführung desselben auf einer sich perspektivisch verformenden und dennoch fortlaufenden Zeitachse, ist ein markantes Merkmal künstlerischer Adaption in der Tradition einer technischen Maschinenwelt – wie sie in kompositorischen Nonstandard-Verfahren fortgeführt werden. Einen weiteren musikalischen Vorläufer dieser Entwicklung stellt das letzte große Werk Luigi Nonos, »Prometeo« von 1989, dar.303 Mit dem unsicheren Gestus des Suchens bewegt sich die Musik Nonos zwischen »Inseln« aus reinem Klang, live-elektronisch erzeugten Formen und nichtlinearkompositorischen Manifestationen. Historisch wird über den Text und die musikalische Assoziation ein riesiger Bogen von der Antike bis heute geschlagen. Nono selbst beschreibt seine kompositorische Haltung als die eines »Wanderers«, in diesen längst aufgebrochenen und ihrer monokausalen Zielgerichtetheit beraubten Räume und Zeiten. Musikalisch-ästhetisch realisiert er die Spannung mehrfach geschachtelter Raummodelle eines differenziert unterteilten Klangapparates aus mehreren Orchesterteilen, SängerInnen und SolistInnen, die mittels live-elektronischer Settings verkoppelt und in der kontrapunktischen Überleitung von realen in 302 | E. Varèse zitiert nach G. Wehmeyer (Hg.) in: Edgard Varèse, S. 100f. 303 | Vgl. L. Jeschke (Hg.): Prometeo. Geschichtskonzeptionen in Luigi Nonos Hörtragödie.

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virtuell-technische Klangräume geführt werden. Damit greift Nono weit voraus und beschreibt mit seiner »Tragödie des Hörens« bereits Endpunkt wie möglichen Neubeginn. Mit modernen leistungsfähigen Rechnern, neuen Standards für mehrkanalige digitale Audioformate und den entsprechenden Surround-Wiedergabeverfahren über fünf, sieben oder mehr Lautsprecher, erhält neben der kompositorischen Nutzung auch die Diskussion über ästhetische Verfahren der medialen räumlichen Abbildung neue Aktualität. Mit den technologisch neuen Verfahren wie großflächigen Folienlautsprechern, infrarot-gesteuerten punktförmig isolierten Schallprojektionen oder der Wellenfeldsynthese, welche über raumumgreifende Lautsprecherarrays Projektionen virtueller Klangquellen ermöglicht, stellt sich schließlich auch die Frage nach resultierenden musikalisch-ästhetischen Konsequenzen. Ähnlich wie das »Sgt. Pepper«-Album der Beatles einen Durchbruch für stereophone Experimentier- und Abbild-Verfahren bedeutete, sind ästhetische Reaktionen auf den derzeitigen technologischen Entwicklungsstand gefragt. Angesichts der Fülle ästhetisch-medialer Ansätze, gepaart mit immensen technologischen Möglichkeiten erscheinen vor allem die künstlerischen Praktiken seltsam im Traditionellen verhaftet. Es scheint, als ob wir gerade dabei sind, mit den vorhandenen Mitteln in einer tiefgreifenden technisch-medialen wie ästhetischen Umbruchsituation die adäquaten Formen und Inhalte zu finden. Die daraus resultierenden, generativen und simulativen Klangräume existieren als vieldimensionale Verschränkungen von imaginären, realen und symbolischen Räumen. In der aktiven Rezeption solcher als »Gestalt« wahrgenommener »Phantasie-Konstitutionen« überlagern sich die unterschiedlichen historischen Hörerfahrungen. Der Hörer bewegt sich wie bereits beschrieben in Konstruktionen imaginierter Hörräume einer scheinbar vertrauten akustischen Umgebung, deren Figurationen flexibel den jeweiligen Bedürfnissen angepasst werden können. Und doch bleibt als historische Irritation eine akustische Fremdheit des bekannten »Selbst« analoger medialer Dispositive. Diese Irritationen kreisen um den selbst Körper gewordenen, medial abwesenden Ort der »Zwischenleiblichkeit« (Merleau-Ponty) neuer vorwegnehmender Hörräume, die imaginäre musikalische Einbildungskräfte erzeugen. Damit stellt sich die Frage nach der spezifischen Konstitution des »Hörer-Körpers« dieser neuartigen ästhetischen Praxis und dem Status möglicher Wahrnehmungsszenarien, die

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zum ästhetischen Bestandteil der musikalischen Inszenierung gehören. Die unterschiedlichen räumlichen und situativen Settings führen gleichzeitig zu veränderten intermedialen Konfigurationen von »Instrumenten« und instrumentalen Funktionen von Apparaten und Interfaces. Je nach Schwerpunkt in Bezug auf die Erzeugung und Manipulation von Klang ist die Frage nach der Inszenierung instrumentaler Funktionen mit verschiedenen Konsequenzen für die Adressierung und Verortung eines spielenden Körpers zu beantworten. In der Musik wiederholt sich damit die anfangs beschriebene Situation der elektrischen Spielinstrumente vor dem Zweiten Weltkrieg, wenn auch vor einem völlig anderen Hintergrund. Damals führte eine Fülle von ingenieurtechnischen Erfindungen zu einer ebensolchen Fülle von neuen Spielinstrumenten, Interface-Konzepten und synthetischen Klangerzeugungsverfahren. Da diese vor allem von Technikern entwickelt wurden, blieb die ästhetische Verwendung weiterhin dem 19. Jahrhundert verhaftet.304 Es lohnt sich in diesem Zusammenhang die Textstelle Busonis von 1907, zur Erfindung einer über das Telefonnetz gespielten, dampfbetriebenen, elektrischen Zahnradgeneratoren-Orgel Cahills, im Original zu lesen. Die darin formulierte Utopie – in Bezug auf erweiterte Tonsysteme, neue Instrumente und formale Aspekte der Musik – zielt vor allem auf die Entwicklung neuer Maschinen ab.305 304 | Vgl. Ungeheuer: Von der Elektroakustischen Musik zur Computermusik, a.a.O. [s. Anm. 164]. 305 | »Über diesen transzendentalen Tonerzeuger berichtet Mr. Baker desweiteren: ›[...] Die Wahrnehmung der Unvollkommenheit der Tongebung bei allen Instrumenten führte Dr. Cahill zum Nachdenken. Material, Indisposition, Temperatur, klimatische Zustände beeinträchtigen die Zuverlässigkeit eines jeden. Der Klavierspieler verliert die Macht über den absterbenden Klang der Saite von dem Augenblick an, wo die Taste angeschlagen wurde. Auf der Orgel kann die Empfindung an der festgehaltenen Note nichts ändern. Dr. Cahill ersann die Idee eines Instrumentes, welches dem Spieler die absolute Kontrolle über jeden zu erzeugenden Ton und über dessen Ausdruck gewährte. Er nahm sich die Theorien Helmholtz’ zum Vorbild, die ihn lehrten, dass die Verhältnisse der Zahl und der Stärke der Obertöne zum Grundton den Ausschlag über den Klangcharakter der verschiedenen Instrumente geben. Demnach konstruierte er zu dem Apparat, welcher den Grundton schwingen läßt, eine Anzahl supplementärer Apparate, von welchen jeder einen der Obertöne erzeugt, und konnte solche in beliebiger Anordnung und Stärke dem Grundton zu häufen. So ist jeder Klang einer mannigfaltigsten

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Heute sind wir an der Schwelle, mit neuen Maschinenkonzepten, künstlerischen Verfahren und Strategien des Digitalen die adäquaten Ästhetiken kompositorisch gestaltend spielerisch zu erkunden.

Der Futurismus digitaler Maschinenmusik Radikal und wenig »technikgläubig« waren die italienischen Futuristen, die mit der Musica Futurista von Pratella das technische Zeitalter feiern wollten, ohne eine »Maschinenmusik« zu postulieren. Im Gegenteil, die musikalischen Mittel sind mit der Verwendung von Ganztonleitern und ihren klaren Formen stilistisch eher impressionistisch beeinflusst. Ihr ästhetischer Ansatzpunkt ist primär auf die Emanzipation des Geräuschs fokussiert, was eng mit dem Rhythmus verbunden ist. Von Igor Strawinsky bis zu George Antheil reichen ihre Einflüsse in Form einer körperbetonten Musik, die sich über Adaptionen des aus den USA kommenden Jazz zuallererst in der damals neu entstehenden Unterhaltungsmusik niederCharakterisierung fähig, sein Ausdruck auf das empfindlichste dynamisch zu regeln, die Stärke vom fast unhörbaren Pianissimo bis zur unerträglichen Lautmacht zu produzieren. Und weil das Instrument von einer Klaviatur aus gehandhabt wird, bleibt ihm die Fähigkeit bewahrt, der Eigenart eines Künstlers zu folgen. Eine Reihe solcher Klaviaturen, von mehreren Spielern gespielt, kann zu einem Orchester zusammengestelllt werden. Der Bau des Instruments ist außerordentlich umfangreich und kostspielig, und sein praktischer Wert müßte mit Recht angezweifelt werden. Zum Vermittler der Schwingungen zwischen dem elektrischen Strom und der Luft wählte der Erfinder das Telephon-Diaphragma. Durch diesen glücklichen Einfall ist es möglich geworden, von einer Zentralstelle aus nach allen den mit Drähten verbundenen Plätzen, selbst auf große Entfernungen hin, die Klänge des Apparates zu versenden; und gelungene Experimente haben erwiesen, dass auf diesem Wege weder von den Feinheiten noch von der Macht der Töne etwas eingebüßt wird. Der in Verbindung stehende Raum wird zauberhaft mit Klang erfüllt, einem wissenschaftlich vollkommenen, niemals versagenden Klang, unsichtbar, mühelos, und unermüdlich. Dem Bericht, dem ich diese Nachricht entnehme, sind authentische Photographien des Apparates beigegeben, welche jeden Zweifel über die Wirklichkeit dieser allerdings fast unglaublichen Schöpfung beseitigen. Der Apparat sieht aus wie ein Maschinenraum.‹«, zitiert von Busoni aus ›New Music for an old World. Dr. Taddeus Cahills Dynamophone, an extraordinary electrical Invention for producing scientifically perfect music by Ray Stannard Baker‹, McClure’s Magazine, Vol. XXVII, 3/1907, in: F. Busoni (Hg.): Entwurf einer neuen Ästhetik der Tonkunst (1907).

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schlägt und neue Rezeptionsweisen provoziert. Ihre musikalische Identität erhält die rhythmisch entfesselte Musik über mechanisch hämmernde, als technische Wiederholungen erst gespielte und dann auch technisch produzierte Formen, die auf rauschhafte und ekstatische Wirkung zielten und damit die bürgerlichen Konzertkonventionen sprengen. Die Futuristen haben die akustische Medialität der Maschinen der ersten industriellen Revolution in die Musik aufgenommen. Allerdings zu einem Zeitpunkt, als sich das Ende dieser ersten Maschinenphase bereits deutlich abzeichnete und die inzwischen als veraltet geltende mechanische Technik der Dampfmaschinen auch als ästhetisches Material wahrgenommen wurde. Musikalisch haben sie im futuristischen Manifest erstmals nicht nur Ansätze zur Mikrotonalität, sondern vor allem die konsequente Weiterentwicklung der Geräuschmusik und damit die Verwendung der Klänge der noch relativ jungen technischen Welt entwickelt. »Die heimliche Angst des romantischen Bürgers vor der Maschine war umgekehrt, das Objekt eben dieser Ängste als Erlösungsmacht angerufen. [...] nur der moderne Mensch, der zeitgenössisch fühlt und daher die Realität der technischen Apparatur bejaht, nur er ist frei von dem großen Unbehagen und der Furcht vor dem Untergang des Abendlandes. Vielleicht ist dieses futuristische ›Voran zur Maschine‹ im Grunde identisch mit Jean-Jacques Rousseaus ›Zurück zur Natur‹. Beides bedeutet elementare Kraft, Jugend, Robustheit. So wird der Pilot des Flugzeugs ein neuer Ikarus. Er ist Herr über den Raum, über die Energie der tausend Pferdestärken – möglicherweise sogar Gott ähnlich und frei von aller Schuld und Verstrickung gleich dem sagenhaften Menschen im Urzustand.«306

Gemeint ist also nicht das Instrument als Maschine, sondern die akustische Geräuschwelt der Maschine: das Rhythmische, Dröhnende, Zischende als Material für eine zukünftige Musik – wie sie mit den »Intonarumori« genannten, mechanischen Geräuschinstrumenten nachgeahmt wurden. Die instrumentale Kunst der Illusion stülpt sich nach außen und wird damit zu einer Kunst der akustischen Allusion, wie sie in der experimentellen Verwendung von objets trouvés/ready mades in der Kunst sowie Alltagsgegenständen als Interfaces in der Medienkunst der 90er Jahre aufgegriffen wurde. 306 | F.K. Prieberg: »Blick auf die Neue Musik mit Zeittafel der Neuen Musik«, in: J.E. Berendt/J. Uhde (Hg.), Prisma der gegenwärtigen Musik. Tendenzen und Probleme des zeitgenössischen Schaffens, S. 22.

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Bis dahin galten die neuen Kraftmaschinen der die Welt grundlegend verändernden ersten industriellen Revolution mit der Kunst nicht vereinbar, wenn man ihr nicht sogar feindlich gesinnt war. So äußerte sich Goethe zur Maschine fast ängstlich: »Das überhandnehmende Maschinenwesen quält und ängstigt mich: es wälzt sich heran wie ein Gewitter, langsam, langsam; aber es hat seine Richtung genommen, es wird kommen und treffen […]«.307 1846 nimmt Hector Berlioz in seiner Komposition »Chant des chemins de fer« Maschinen als Gegenstand künstlerischmusikalischen Bearbeitung erstmalig überhaupt zur Kenntnis. Aber erst mit der Weltausstellung 1900 in Paris schlägt die Angst in Begeisterung, Verehrung und Anbetung, also in ihr Gegenteil um. Elmer Rice drückt 1923 in seinem Drama »Rechenmaschine« aus, was der überwältigte, romantische Mensch gefühlt haben muss. Die Beispiele reichen von »Du bist eine Niete, Null, eine Niete. Ausschussware, Sklave eines Dings aus Stahl und Eisen […]« zum Dogma der fortschrittsgläubigen Materialisten in Eugen O’Neills Bühnenstück »Dynamo« von 1929, in dem es heißt, »[...] Elektrizität ist Gott […]», bis zur leninistischen Formel »Kollektivierung und Elektrizität ist Kommunismus«.308 »Doch […]: es gibt einen anderen Umgang mit der Technik, um die Spiel- und Machträume ohne Vorbehalt dieses romantischen Diskurses zu erkunden und mit ungewissem Ausgang verändern zu können. Erst im Verzicht auf die immer schon vorentschiedene Prothese des anthropologischen Diskurses – Herr / Knecht, Subjekt / Objekt – geht es darum, die Mythen und Wünsche in der Verwendung der Medienkunst zu deponieren und umzupolen. So zeigen die katastrophenfreudigen Medienkünste, die audio-visuellen Performanzen, in den letzten Jahrzehnten, dass gerade der künstlerische Missbrauch von Maschinen und Medien die gewohnten Funktionsabläufe im Umgang mit Maschinen deutlich macht und dezentriert. Es geht also um eine neue Kunst der Distanznahme, die den Blick und unser Ohr öffnet, sowohl für die Macht in der Ordnung der technischen Dinge als auch für die Chance ihrer Verwendung als künstlerische Mittel. Diese Utopie zeigt sich nur in minimalen Augenblicken des Übergangs von Demontage und Neuzusammensetzung. Maschine also hier als Verstellungskunst, als Machination ernst genommen. Und das heisst erkennen, dass wir weder Rivalen der Maschinen noch deren blosse Anhängsel sind. Wenn es sich nämlich für die kritische Funktion der Kunst als nutzlos erweist den Menschen als

307 | Zitiert nach Prieberg: ebd., S. 29. 308 | Zitiert nach Prieberg: ebd., S. 23.

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Herr der Technik oder umgekehrt als ihren Sklaven zu begreifen, dann gilt es nunmehr den Verzweigungen der Wünsche und Maschinen nachzugehen.«309

Die Futuristen waren davon weit entfernt. Sie fühlten sich der Maschine nicht unterlegen und brauchten sie also auch nicht anzubeten. Sie eigneten sich die Maschine schöpferisch an. Es blieb nicht bei der bloßen Darstellung, beim Entblößen der Poesie der Maschine: die dunklen und dämonischen Aspekte wurden durch offensive positive Besetzung und konstruktionale künstlerische Auflösung besiegt. Ziel war keine technische Programmmusik, sondern Maschinengeräusche als Symbol für Fortschritt, Jugend, Energie, Tempo, Kraft etc. musikalisch zu interpretieren.310 Ästhetisch arbeiteten sie damit im Rahmen des Neoklassizismus und des Primitivismus eines Paul Klee (ab 1912) oder dem »Sacre du printemps« von Igor Strawinsky (1913), der ebenfalls eine geräuschorientierte Musik als Ausdruck einer ursprünglichen Kraft etc. zu formulieren versuchte. Es kommt zu einem verstärkten Rückgriff auf die Ära der Vormoderne. Formen und stilistische Muster des Barock, des Rokoko und der frühen Epochen bis zurück zum gregorianischen Choral erhalten eine neue Aktualität. Das »Primitive« scheint als Kontrast zur Künstlichkeit der Spätromantik wieder attraktiv zu werden. Man sehnt sich einerseits nach »Natürlichkeit« und unverstellter Empfindung einer imaginierten Urkultur311 und sucht andererseits Wege aus der Krise des funktionsharmonischen Systems, welches mit Scrijabins prometheischen »Farbenklavier-Akkord« und schließlich dem Tristan-Akkord Wagners an ein grundlegendes strukturelles Ende seiner Ausdrucksmöglichkeiten gelangt war.312 Eine autonome Maschinerie hatten schließlich auch jene im Sinn, die – in Abkehr von den Idealen der Romantik – begannen, den eigenen 309 | G.Ch. Tholen: »Automaten und Automationen. Eine kursorische Skizze«, Vortrag im Rahmen der Tagung »Soundkulturen. Zur Theorie einer Medienkunst des Auditiven am Beispiel der Welte-Instrumente«; vgl. auch ders.: Die Zäsur der Medien, a.a.O. [Anm. 4], S. 189f. 310 | Was sie, die Söhne einer privilegierten Klasse reicher Eltern, für die Symbolik und Ästhetik des italienischen Faschismus anfällig machte – und in extremen antihumanen, antiemanzipatorischen und kriegsverherrlichenden Ausfällen endete. 311 | Vgl. Keppler: »Der Futurismus oder die Musik im Zeitalter der Maschine«, a.a.O. [s. Anm. 79]; F.K. Prieberg (Hg.): Musica ex machina. Über das Verhältnis von Musik und Technik. 312 | Harenberg: »Von der Reihe zum Loop«, a.a.O. [s. Anm. 25].

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künstlerischen Vorstellungen einer psychologischen Mechanik des Einfalls zu misstrauen. Im Erkennen der grundsätzlich entindividualisierten Tendenzen formalisierender Systeme machten sie aus der technischen Not eine idealistische Tugend, indem sie hofften, von den Ergebnissen ihrer Systemroutinen überrascht werden zu können. Eine Erwartung, die sie folgerichtig mit der spielerisch und kooperativen Selbstigkeit von Maschinen und Automaten verbanden, wie es heute in Bezug auf digitale Maschinen gängige Praxis geworden ist. So schreibt Ernst Krenek in seinem Aufsatz 1957, »Vom Verfall des Einfalls«, dass je determinierter die (serielle) Musik gestaltet sei, der Komponist sich selbst überraschen lassen könne, was aus den einmal angestoßenen strukturellen Auswahl- und Entscheidungsstrukturen entstehen könne. Bei struktureller Überdetermination durch Einbezug vieler musikalischer Parameter wird dieses Verfahren schnell uninteressant, da das System in Beliebigkeit umzuschlagen droht. Das ist lediglich für Komponisten interessant, die genau das erwarten und mittels einer Systematik totale Ordnung provozieren, wie es beispielhaft aus den Anfängen der elektroakustischen Musik nach dem Zweiten Weltkrieg bekannt ist.313 Dabei versprach man sich in der Musik durch die Selbstigkeit der Maschine eine Befreiung und Entlastung vom mühsamen Handwerk musizierender Gleichförmigkeit. Ästhetisch stand der Automat für eine kühle Konzentration auf die »reine« Form der Musik und ohne die gestenreich inszenierten Übertreibungen von Virtuosen und seelenbewegten Instrumentalisten. Schon Hindemith erhoffte sich 1927 diesen Effekt vom massenhaften Einsatz mechanischer Musikinstrumente. »Ihre Vorzüge seien: Möglichkeit der absoluten Festlegung des Willens des Komponisten, Unabhängigkeit von der augenblicklichen Disposition des Wiedergebenden, Erweiterung der technischen und klanglichen Möglichkeiten, Eindämmung des längst überreifen Konzertbetriebs und Personenkults, wohlfeile Verbreitungsmöglichkeit guter Musik. […] Diese Art des Musizierens ist aber schließlich nicht die Einzige, und wenn es der mechanischen Musik gelänge, mittels ihrer durch ihren geringeren Abstand vom Hirn des Komponisten verursachte größere Reinheit und Unmittelbarkeit eine gewisse Reinigung von allerlei Wucherungen in der heute üblichen Darstellungsmanier der ›gefühlsmäßigen‹ Musik zu veranlassen, wäre ihre baldige allgemeine künstlerische Anerkennung ungemein zu be313 | E. Krenek: »Vom Verfall des Einfalls«, in: Berendt/Uhde (Hg.), Prisma der gegenwärtigen Musik, a.a.O. [s. Anm. 307], S. 137.

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grüßen. […] Die Vorzüge des Apparates liegen lediglich in seiner absoluten Eindeutigkeit, seiner Klarheit, Sauberkeit und in der Möglichkeit höchster Präzision – Eigenschaften, die das menschliche Spiel nicht besitzt, deren es auch nicht bedarf.«314

Diese Haltung wird problematisch, wo sie sich in Tradition des Melographen auf die musikalische Komposition bezieht und wie im Fall der »tönenden Handschrift« des gezeichneten Lichttonfilms von 1932 »Klänge aus dem Nichts« entstehen sollen.315 Das ist die Kehrseite einer euphorischen Begeisterung für den konzertierenden, sich bewegenden oder sprechenden Automaten und alles Mechanische, wie es sich gerade in der Musik als Konsequenz der Aufklärung nach rationaler Durchdringung von Körper, Welt und Sein vielfältig niedergeschlagen hat. Voraussetzung dafür waren u.a. neue anatomische Kenntnisse des Körpers und ein differenziertes naturwissenschaftliches Wissen über Details seines Wahrnehmungsapparates. Auf dieser Grundlage war es ein Leichtes, die von LaMettrie konsequenterweise emanzipatorischen Überlegungen misszuverstehen und diese innerhalb eines einfachen Reiz-Reaktionsschemas in Bezug auf den menschlichen Körper zu interpretieren. Das mechanische Pendant dazu, ein die Spielbewegungen eines Flötenspielers nachahmender komplexer Automat, nimmt bereits 1747 die formale Ästhetik mechanischer Selbstspielinstrumente des 19. Jahrhunderts vorweg. »Da nun aber einmal alle Funktionen der Seele dermaßen von der entsprechenden Organisation des Gehirns und des gesamten Körpers abhängen, daß sie offensichtlich nichts anders sind als diese Organisation selbst, haben wir es ganz klar mit einer Maschine zu tun.«316

Neben der philosophischen Provokation solcher Überlegungen der Aufklärung, trugen diese in der Musik des 18. Jahrhunderts wesentlich zur 314 | P. Hindemith: »Zur mechanischen Musik«, in: F. Jöde/F. Reusch (Hg.), »Die Musikantengilde – Blätter der Wegbereitung für Jugend und Volk«, Heft 6/7/1927, S. 156f. 315 | Vgl. P. Reidemeister: »Körper, Seele, Musik, Maschine. Relationen und Wandlungen« und C. Bacciagaluppi: »Aus der Zeit vor Welte: der Melograph – von einer Utopie der Aufklärung zum industriellen Erzeugnis«, in: Harenberg/Weissberg, Klang (ohne) Körper, a.a.O. [s. Anm. 29]. 316 | LaMettrie nach S. Meine/K. Hottmann (Hg.): Puppen – Huren – Roboter. Körper der Moderne in der Musik zwischen 1900 und 1930, S. 20.

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Emanzipation der Instrumentalmusik bei. Die Vorstellung eines individualisierten Subjektes und in Konsequenz eines selbstdisziplinierten Körpers mit einer entsprechend disziplinierten Arbeitsmoral war für die Genese einer musikalischen Gattung, wie z.B. der Klavieretüde, in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts unabdingbar. Das Ideal des sich als Individuum inszenierenden Pianisten lag in der virtuosen Perfektionierung körperlicher Bewegungsautomatismen der Hände und ist in letzter Konsequenz die Geburt eines virtuosen Cyborgs, der als »Mensch-Maschine« die ideale Verschmelzung des Körpers mit der Mechanik eines (Tasten-) Instruments repräsentiert. Dieses Streben nach perfekter mechanischer wie metaphysisch-idealer Gleichförmigkeit des Körpers endet – im Kontrast zur eher spielerischen »Maschinen-Seele-Konfrontation« der Romantik – zwangsläufig in der transzendentalen Figur der kleistschen Marionette, die zwar ohne Bewusstsein, aber gerade dadurch endgültig frei von den körperlichen wie menschlichen Unzulänglichkeiten ist. Für das gesamte 19. Jahrhundert bleibt diese Umdeutung des Automaten als zwar seelenloser, dafür aber perfekter Körper und der daraus entstehende künstlerische wie philosophische Zwiespalt themenbestimmend. Gerade angesichts des resultierenden Virtuosentums wie auch der Parallelentwicklung medialer Musikmaschinen reagiert E.T.A. Hoffmann mit seinen Texten »Olimpia« und »Die Automate« auf eine zweifache Zumutung intellektueller und körperlicher Entmündigung; durch die entseelte Praxis virtuoser Instrumentenbeherrschung ebenso wie durch die Mechanisierung körperlicher Spielbewegungen. Der Prototyp für eine entsprechende Art der Komposition und speziell des weiblichen Gesangs findet sich exemplarisch in den Opern Rossinis. Von Schumann über Offenbach bis Wagner wird seine Art der formalistischen, mechanisch »puppenhaften« weiblichen Gesangsvirtuosität als formelhaft und seelenlos verurteilt. Wobei speziell Wagner darauf hinweist, »welch narkotisch-berauschende Wirkung« gerade diese Art der Stilisierung auf die Hörer habe. Als lediglich zugespitzte Kritik an der herrschenden Opernpraxis erklärt dies, weshalb Wagner – im Gegensatz zu Offenbach, der den Zynismus lediglich mit der sich an Trillern zu Tode singenden Operndiva auf die Spitze treibt317– eine grundsätzliche Reform der Darstellung des Musikalisch317 | In der dritten Szene des bis heute musikalisch wie ästhetisch unterschätzten Fragments aus »Hoffmanns Erzählungen«.

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Imaginären zugunsten eines Real-Symbolischen forderte und mit seiner eigenen Komponierpraxis, beginnend mit dem Rheingold-Vorspiel, einzulösen versuchte.318 Gilt in der Erkenntnistheorie bei Leibniz die mechanische Ausführbarkeit durch eine Maschine als Garant für die Wahrheit einer Aussage, ist dies für ästhetische Systeme im Realen der Musik nicht hinreichend. Die Idee des operativen Symbolgebrauchs als Scheitelpunkt der Formalisierungsgeschichte erlaubt die Trennung der Manipulation von Symbolreihen und ihrer Interpretation als grundlegende techné – eines zwischen Symbolischem und Realem vermittelnden Kunstgriffs. Um den Preis der Durchsetzung strenger Linearität in der symbolischen Repräsentation wird der Geist von der technischen Handlungsrationalität algorithmischer Erzeugungsprozeduren, wie sie Maschinen besser auszuführen in der Lage sind, entlastet. Das Ergebnis ist ein kalkülisierter Gebrauch von Symbolen als ein Verfahren und eine neue Gattung von Referenz-Gegenständen einer formalen Sprache, wie z.B. die der Zahlen in der Mathematik, welche Bestandteil einer symbolischen Realität sind. Ein solches System kann man als symbolische Maschine behandeln, das aber lediglich Aussagen über symbolische Welten zulässt und keinesfalls über die wirkliche Welt im Sinne einer vorfindlichen empirischen Realität.319 So konnte Iannis Xenakis im Rahmen seiner Disputation, in der er 1976 gegenüber einem Gremium, bestehend aus Olivier Messiaen, Michel Serres, Bernard Teyssèdre u.a., die zentralen Thesen seiner Dissertation verteidigt, die Form der Fuge und ihre systemische musikalisch-ästhetische Funktion, aus einer kritischen Bewertung serieller Kompositionsverfahren, als die einer abstrakten Maschine beschreiben. Auf die kritische Frage von Michel Serres: »Warum ist eine Fuge ein abstrakter Automat, der bereits zwei Jahrhunderte vor der Automatisierungswissenschaft erfunden wurde?«,320 antwortet Xenakis: 318 | Vgl. F.A. Kittler: »Der Gott der Ohren«, in: ders., Draculas Vermächtnis, a.a.O. [s. Anm. 222], S. 130f. 319 | Vgl. S. Krämer: Symbolische Maschinen, a.a.O. [s. Anm. 80]. 320 | I. Xenakis: »Arts/Sciences: Alloys. The Thesis Defense of Iannis Xenakis.«, in: Pendragon Press Aesthetics in Music Series, 2/1985, S. 66f, deutsche Übersetzung in: Ars Electronica (Hg.), »Fließende neon-grelle Schatten. Die Musik von Iannis Xenakis«, Festival-Programm 2003 »Code – The Language of Our Time«. http://90.146.8.18/de/archives/festival_archive/ festival_catalogs/festival_artikel.asp?iProjectID =12326

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»Ich meine, sie entspricht im Großen und Ganzen der Definition eines wissenschaftlichen Automaten, die in den Zwanzigern dank Wiener und der Kybernetik aufgekommen ist. Zusammenfassend kann man sagen: Ein Automat ist ein Netzwerk von Ursachen und Wirkungen, die eine temporale Verkettung von Ereignissen bedeuten, die mit bestimmten Freiheiten gekoppelt oder sogar mehrfach gekoppelt sind. Ein Automat kann abgeschlossen sein. Es genügt, Energie zuzuführen, und er arbeitet zyklisch. Er kann aber auch vergleichsweise offen sein, über Möglichkeiten der Dateneingabe und externe Ausgaben, etwa durch Schaltknöpfe, verfügen. Bei jeder neuen Dateneingabe kann ein Automat, trotz seiner inhärenten Starrheit, unterschiedliche Ergebnisse erzielen. […] Genau, die Syntax wiederholt sich. Warum? Wegen der inhärenten strukturellen Starrheit. […] Die Fuge stellt keinen absoluten Automaten dar. Sie ist ein relativer Automat, besonders im Vergleich mit den wissenschaftlich untersuchten, die im Verhältnis zu musikalischen ziemlich starr sind. Wenn ich musikalischer Automat sage, so meine ich, dass ein Menuett auch ein Automat ist. Der besondere Wert musikalischer Erfindungen besteht im erstmaligen Geschenk, der Kreation eines abstrakten Automaten, der nichts als Musik erzeugte […].«321

Das Beispiel belegt eindrucksvoll, wie hoch Xenakis den Anteil determinatorisch-maschineller Strukturen in Formen wie der Fuge einschätzt. Für den Umgang mit offenen Strukturen und ihren »Maschinenanteilen« in Stilen zeitgenössischer Medienmusik stellt das Bild des Fugen-Automaten eine wichtige Referenz dar. Eine ähnliche Entwicklung findet außerhalb der Musik ihren ersten Höhepunkt bei Leibniz: Mit dem Versuch, die Systemrationalität des axiomatisch-deduktiven Theorieaufbaus mit der technischen Handlungsrationalität algorithmischer, im Kern automatisierbarer Erzeugungsprozeduren als eine Erfindungskunst zum Auffinden wahrer Sätze zu verbinden.322 Die allmähliche Entwicklung solcher Methoden wissenschaftlichen Handelns bleibt nicht ohne Auswirkungen auf die Grundlegung einer allgemeinen Musiktheorie, die sich von den Eigenschaften einer musikantischen techné bzw. einer ars soweit emanzipieren musste, um als verallgemeinerbare Basis den Status einer ars epistémé zu erhalten, wodurch sie für Musiker wie Komponisten in Form von mechanisch ablaufenden Prozeduren im Rahmen gesellschaftlicher Konventionen erst handhabbar wurde.323 321 | Ebd., S. 66f. 322 | Vgl. M. Serres: Die fünf Sinne. a.a.O. [s. Anm. 269], S. 254f. 323 | Vgl. M. Harenberg: »Von der Serie zum Loop«, a.a.O. [s. Anm. 25].

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Die technische Medialität der Musik Nach den Syntax-Automaten in der Musiktheorie vor dem 18. Jahrhundert waren es vor allem die dramatischen Umwälzungen der Maschinenund Objektkultur zu Beginn des 20. Jahrhunderts, die eine moderne Faszination des »Offenen« und »Äußeren« anhand der Modelle offener und schließlich abstrakter Maschinen zu dem beförderten, was wir als kulturellen Hintergrund einer ästhetischen Praxis im Digitalen vorfinden. Mit dem Prinzip »offener Maschinen« beschreibt Gilbert Simondon in den 50er Jahren die grundlegend veränderten dynamischen Konstellationen zwischen Mensch, Objekt und Maschine, die nur noch aufeinander bezogen als produktive Sinneinheiten denkbar sind. Dadurch dass das Ensemble der offenen Maschinen permanent organisiert, gewartet und interpretiert werden muss, bildet sich eine aktive netzwerkartige Sinnstruktur einer Gesellschaft technischer Objekte.324 Nach Erich Hörl entsteht eine bis heute anhaltende technologische Sinnverschiebung zu einer epochalen Logik des Supplements, der radikalen Exteriorisierung und der Transkategorialität, die zu einer vollendeten technischen Mentalität ihrer Träger führt. Das Technische selbst wird zu einem zentralen sinngeschichtlichen Akteur, der auf ein allgemeines »Technisch-Werden« der gesamten Welt zielt; er wird als Ökotechnie (Nancy) eine »reine«, von aller »Technik«, »Ökonomie« wie »Souveränität« befreiten techné und lässt damit »die Frage der Technik« überhaupt zum ersten Mal in aller Strenge erscheinen.325 Das berührt unmittelbar das Verhältnis von Kunst und Technik, wobei das Verhältnis der Technizität der Kunst und der Kunst als Technik problematisiert werden muss. Im Ergebnis erscheint Kunst als die techné des Lebens, als Medium des In-der-Welt-Seins und dem Moment seines Entstehens. »Die Unterbrechung des Seinskontinuums, die Nancy am Anfang von Geschichte und als Eintritt in die Geschichte und Welt des Sinns situiert, führt genau jene Bestimmung von Technizität ein, wie sie von Gilles Deleuze und Félix Guattari, aber auch von Bernard Stiegler im Zuge ihrer Beobachtung der technisch-medialen Situation der Gegenwart gegeben

324 | E. Hörl: »Die künstliche Intelligenz des Sinns. Sinngeschichte und Technologie nach Nancy«, in: L. Engell/B. Siegert, Zeitschrift für Medien und Kulturforschung, H. 2/10/2010. 325 | Ebd., S. 136.

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wurde, wenn sie die Signatur des Maschinismus bzw. des Technischen als Codierung der Seinsströme bzw. als Grammatisierung des Fließens begreifen(24)[…] Es ist hier in der Hauptsache die Technik, die die dreifaltige Ordnung von Bedeutung, Produktion und Werk, wie sie das überlieferte Regime des beschränkten Sinns und das zugehörige dogmatische Bild von Technik gleichermaßen beherrscht, zertrümmert und dabei noch den Sinn der Technik als solchen aus dieser Ordnung des Sinns herausführt. In der technischen Entwerkung des Sinns wird, mit anderen Worten, zuerst die Technik und der Sinn der Technik selbst entwerkt. […] Welt wäre von nun an, das ist die Konsequenz dieser Überlegungen Nancys, immer schon und unhintergehbar technische Welt. Vor der und ohne Technik würde überhaupt keine Weltbildung geschehen. […] Das neue Bild von Welt als ›Fügung‹, ›Zusammen-Sein‹ und ›Schöpfung‹ im starken Sinne, das ist die Neufassung des Sinns, wie sie unter technologischen Bedingungen offener Maschinen und offener Objekte geschieht. […] Technik ist dabei selbst, einmal zur Technologie geworden, ›auf eine ganz andere Weise‹ als bisher zu denken, ›als In-Finitisierung der Produktion und des Werks‹, oder, so heißt es nun explizit, ›als Entwerkung‹.(28) Die Entwerkung als solche […] erscheint als der Effekt von Technologie.(29) Denn so, wie die Technik jede ›Vollendung und Fertigstellung eines Werks unablässig irritiert und aufschiebt‹, so ist zweifelsohne auch die Technisierung ihrerseits ›ent-werkt‹ […]. Das Denken der Entwerkung ist eine zentrale Figur des Sinns in der Zeit der Technologie.«326

Diese entwerkte Technik, die in der Lage ist, das Denken auf immer in der Schwebe zu halten (Heinz von Foerster), gibt den Takt für das Prozessieren von Potenzialität in Aktualität vor und bildet damit die Basis für jegliches Handeln im Digitalen. Die Verbindung von Musik und Technik gehört zu den ältesten Themen überhaupt. In der Musik mussten Theorien und Erkenntnisse – anders als in anderen Künsten – im Realen in einem Regelkreis ästhetischer, instrumentaler und kompositionstheoretischer Systeme erprobt und weiterentwickelt werden.

326 | Ebd., S. 139ff. FN 24 im Zitat: Zum Zusammenhang von Grammatisierung und Exteriorisierung vgl. Bernard Stiegler: Pour une nouvelle critique de l’économie politique, Paris 2009, S. 43-63, FN 27: Nancy, Le sens du monde (wie Anm. 24), S. 66. ( Übersetzung E. H.), FN 28: Ebd., S. 154. (Übersetzung E. H.), FN 29: Zur poetologischen Frage der Entwerkung, die freilich mit Nancy technologisch gewendet werden müsste, vgl. Andreas Gelhard: Das Denken des Unmöglichen. Sprache, Tod und Inspiration in den Schriften Maurice Blanchots, München 2005, S. 191-212.

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»So ist denn auch das Wesen der Technik ganz und gar nichts Technisches. Wir erfahren darum niemals unsere Beziehung zum Wesen der Technik, solange wir nur das Technische vorstellen und betreiben, uns damit abfinden oder ihm ausweichen. Überall bleiben wir unfrei an die Technik gekettet, ob wir sie leidenschaftlich bejahen oder verneinen. Am ärgsten sind wir jedoch der Technik ausgeliefert, wenn wir sie als etwas Neutrales betrachten; denn diese Vorstellung, der man heute besonders gern huldigt, macht uns vollends blind gegen das Wesen der Technik.«327

Erinnert sei an die Version von Max Bense, der in aphoristischer Kürze formuliert: »Man entgeht nicht der Technik, indem man die Physik verlernt.«328 Man kann die Geschichte der Technik in der Musik sehr konkret anhand ihrer Instrumente, Kompositionstheorien und Aufführungspraxis beobachten. Bei unspezifischen elektroakustischen und speziell digitalen Klangerzeugern, die nach dem tief greifenden Einschnitt des Zweiten Weltkriegs mit der romantischen Ästhetik elektrifizierter Spielinstrumente brechen, stellt sich deshalb die Frage, in welcher (technischen) Traditionslinie sie stehen. Ein mögliches Grundmodell ist das der Nachahmung traditioneller Klänge und Strukturen und die Imitation am Symbolischen der Stimme als Ideal klanglicher Ausdrucksqualität. Damit werden die Effektregister der Barockorgel, die Naturimitationen der Kinoorgel und letztlich auch das Sampling am Realen als Folge einer langen, in der Renaissance beginnenden Tradition aufgerufen. Die interessantere Tradition ist die mimetische, emphatische Simulationsleistung, wie sie mit Klavier und Orgel im 18./19. Jahrhundert prominent in Erscheinung tritt und die als symbolische Funktion im mimetischen Hören wirkungsmächtiger als alle frühen Medientechnologien der Schallaufzeichnung war und diese Leistung in Reelles überführen wollte.329 Bei der emphatischen Simulation bleiben die imaginären Anteile ästhetischer Vergegenständlichung erhalten; das entsprechende Material kann allerdings medial neu besetzt oder interpretiert werden, indem z.B. Bach-Werke mit elektronischen Klängen eines Moog-Synthesizers ge327 | M. Heidegger: »Die Frage nach der Technik«, a.a.0. [s. Anm. 151], S. 9. 328 | M. Bense (Hg.): Über Leibniz. Leibniz und seine Ideologie. Der geistige Mensch und die Technik, [= Zeugnisse europäischen Geistes, Heft 1]. 329 | Vgl. Kittler, »Grammophon«, a.a.O. [Anm. 10], S. 39f.

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spielt werden, Klänge verfremdet erscheinen, wie in der Musique concrète von Pierre Schaeffer, oder instrumentale Klangfarben durch neue Spieltechniken erzeugt werden, wie etwa in Helmut Lachenmanns »Musique concrète instrumentale«. Am Imaginären des Symbolischen sind schließlich auch alle Simulationsmaschinen digitaler synthetischer Klangsynthesen und sequenzerorientierter Komponierpraxen beschäftigt, während die virtualisierten Instrumentenmodelle an einer Ästhetik der Virtualität am eigenen Symbolischen arbeiten. Ihnen gemeinsam ist die Fixierung auf die Herstellung von komplexen Strukturen einer »Quasi-Natürlichkeit«, die sowohl als musikalische Struktur wie auch als Klang in Erscheinung treten können und die mit den Medientechnologien des Reellen zum umfassenden Parameter »Sound« mutieren. »Europas klassischer Tonsatz war Beherrschung des unaufhörlichen Rauschens ringsrum durch eine Form und einen Binärcode (Dur/Moll, Konsonanz/Dissonanz, usw.). Romantische Musik war und blieb Decodierung solcher Oppositionspaare: ein ›Lied von der Erde‹, das nicht zufällig beim Wort Erde alle Dreiklangsharmonik aufsprengte wie ›morschen Tand‹. Die Musik unseres Jahrhunderts aber verläßt auch noch Erde oder Lebenswelt. Kosmische Strahlenquellen und neurologische Energien – Mächte also jenseits und diesseits des Menschen – sind ihre zwei Pole. Der Kurzschluß dazwischen löst sie aus. [...] Klänge verkünden was von Klängen angestellt wird. Und das überbietet alle die Wirkungen, die das alte Europa sich vom Buch der Bücher oder unsterblichen Dichtern versprach.«330

Oder wie Nietzsche bereits in Bezug auf den Sprung vom Symbolischen traditioneller Kompositionstechniken zum Reellen physikalischer Tonsysteme bei Wagner formulierte:331 330 | Kittler: »Der Gott der Ohren«, a.a.O. [s. Anm. 319], S.143f. 331 | »Das Wagnersche Gesamtkunstwerk nimmt einige der modernen Medientechnologien vorweg. Schreie und Geräusche sprengen die klassische Notation und die Schranken von Sprache und Musik, wie z.B. im Tristan, Parsifal etc. Das gilt allerdings noch weitaus mehr für die Musik selbst. Das erste Werk zur Eröffnung des ›Rings‹, das Vorspiel zu Rheingold, löst den anschwellend pulsierenden Es-Dur Dreiklang nicht mehr harmonisch auf, sondern in der physikalischen Obertonreihe, weswegen alle Instrumente einen Halbton nach unten gestimmt werden mußten. Alle harmonischen des Es erklingen von der ersten bis zur achten wie in einer Fourieranalyse, ›nur die siebente muß fehlen, weil europäische Instrumente sie nicht spielen‹ können. ›Wagners Fiebertraum aufgrund einer Speiseeisvergiftung erscheint wie ein historischer Übergang von Intervallen zu Frequenzen‹, von einer musikalischen Logik zu einer Physik

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»Studieren wir vor Allem die Instrumente. Einige von ihnen überreden selbst noch die Eingeweide […] andere bezaubern das Rückenmark. Die Farbe des Klangs entscheidet hier; was erklingt, ist beinahe gleichgültig.«332

In diesem Kontext stellen Selbstspielinstrumente, als Vertreter der Gruppe klangorientierter Automaten mit ihrer faszinierenden maschinenhaften Selbstigkeit, einen interessanten Sonderfall dar. Schon lange vor jedem Umschlag ins Reelle und jeder digitalen Revolution ist bei ihnen jeglicher menschliche Körper nicht nur bereits abwesend, sondern sogar Gegenstand der Automation der körperlichen Spielbewegung, der gerade deshalb gespenstisch wirkenden Automation am führungslosen Interface des kenntlichen Instruments. Als Maschinen kann ihnen dabei kein Subjekt des Begehrens unterstellt werden.333 Durch ein platz-logisches Denken (Tholen), losgelöst von seiner Materialität als kreative Wendung der Mathematik, erscheint ein romantisches, doppelgängerisches MechanikPhantasma des Medialen da, wo nicht wie beim Grammophon die Musik selbst, sondern wie bei den Selbstspielinstrumenten lediglich Spielbewegungen aufgezeichnet und reproduziert werden sollen. Anders als bei der Sprache, wo bereits sehr früh mit der Schrift ein Symbolsystem existiert, welches sich vom Sprechenden löst, ist das bei der Musik bis zum Phonographen unvorstellbar, da die Notenschrift ähnlich dem Lautalphabet viel unmittelbarer mit dem Gegenstand ihrer Repräsentation verhaftet ist. Unter medientheoretischen wie musikwissenschaftlichen Aspekten sowie speziell in der Geschichte der elektroakustischen Musik sind die Bezüge der frühen Musikautomaten zu unserer heutigen medialen sowie musikalisch-ästhetischen Praxis immer noch unterschätzt. Die Konsequenzen werden angesichts unserer aktuellen Medienrealität allerdings der Klänge. Die letzte veröffentlichte Harmonielehre, die von Schönberg, beruht dann auch auf der Obertonreihe, bezieht sich also bereits auf Physik. Das beschreibt den Unterschied zwischen den naturwissenschaftlichen und dem ästhetischen Beschreibungsmodellen, ›Physik-Frequenz‹ und ›Harmonielehre-Intervall‹. Anstelle des Längenmaßes tritt als unabhängige Variable die Zeit. Eine rein physikalische Zeit, die mit der Musik nichts zu tun hat. Sie quantifiziert Bewegungen, die kein Auge mehr sehen kann: Reales tritt an die Stelle von Symbolischen.«, in: Kittler, »Grammophon«, a.a.O. [s. Anm. 15], S. 42f. 332 | F. Nietzsche: »Der Fall Wagner«, in ders. (Hg.), Kritische Studienausgabe, Bd. 6, S. 24, zitiert nach Winkler/Bergermann: »Singende Maschinen«, a.a.O. [s. Anm. 66]. 333 | Vgl. Kap. 4.

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auch erst allmählich erkennbar. Zentrale Bedeutung erlangen sie zum Beispiel in Bezug auf Fragen symbolischer Speicher und der Automatisierung von Spielbewegungen, wie sie in der Explorationsphase der elektronischen Musik eigentlich gerade abgeschafft wurden und erst im Rahmen einer Ästhetik des Virtuellen bei Verfahren des Physically Informed Modeling und dem Nachdenken über zeitgemäße Interfacestrategien wieder aktuell werden. Was sich in unserer Wahrnehmung vielfältig zu überlagern beginnt, lässt sich anhand der unterschiedlichen Entwicklungslinien zum Computer zeigen. Die bekanntere, zeichentheoretisch orientierte Linie kann von Shannon über Turing zu McLuhan angedeutet werden. Die zweite Linie ist eine ingenieurtechnisch-mechanische und kann entlang der Ideen einer Lese-, Schreib-, Rechen- und Wahrnehmungsmaschine gedacht werden. Historisch verläuft sie von Leibniz über Babbage und Hollerith zu Zuse. Damit ist aber auch eine Entwicklungsgeschichte medialer Maschinen skizziert, die vom Arbeiten am Symbolischen zum Arbeiten am Reellen verläuft – mit dem Imaginären als gemeinsamem Bindeglied. Beide Linien manifestieren und überlagern sich unmittelbar beim Hören von elektroakustischer Musik als hybridisiertes Phänomen zwischen Apparat, ästhetischer Form und dem Reellen im Sound und seiner ästhetisch interessanten Reibung an körperlosen Klangobjekten im akustischen Cyberspace. Damit sind aktuelle mediale Phänomene musikalischer Referenzlosigkeit in der Wahrnehmung sowie der Selbstigkeit der Produktionsmaschinen beschrieben, die ideengeschichtlich-ästhetisch an die Romantik anknüpfen und bereits für die hybride techné der Selbstspielinstrumente sowohl musikalisch-mechanisch als auch technisch-ästhetisch maßgeblich waren. »Das heisst, unser normaler Technikbegriff unterstellt, dass das Natürliche vom Technischen unberührt sei. Technik als Inbegriff instrumenteller Mittel, käme den natürlichen Bestimmungen wie den Bestimmungen des Natürlichen hinzu. Im alltäglichen Umgang mit den Maschinen und Medien mag diese unsere Einstellung zur Technik nach dem Schema Natürlichkeit oder Seele versus Künstlichkeit hinreichen. Doch wenn wir in diesem Fragehorizont verbleiben, die Technik also nur als Instrument oder Werkzeug definieren, bleiben wir dem seltsam blinden Willen verhaftet, sie also nur meistern oder beherrschen zu wollen. Dadurch entgeht uns aber das irritierende in den Künsten. Denn es gibt keine Wahrnehmung, die durch ihre natürliche Gegebenheit hinreichend bestimmt wäre. Wahrnehmung ist immer schon eine medienvermittelte. Sie ist immer schon vom Künstlichen affiziert,

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angewiesen auf die Poesie oder List der Techné, die erst etwas erscheinen lässt – und sei es die Welt der Instrumente. […] Das Schema von Herr und Knecht also, das unser Vertrauen und Misstrauen in die Technik ausmacht, ist das Problem. […]: wenn man annimmt, dass das technische Mittel zum Selbstzweck sich verselbständigen kann – der Apparat, die Maschinerie – der Mensch mithin sich zum Werkzeug seiner Werkzeuge verkleinere, dann wird die Technik als Dämon, als Doppelgänger seiner Selbständigkeit fungieren. […] Die Wesensverwandtschaft in diesem Diskurs zwischen Mensch und Maschine/Selbsttätigkeit erweist sich als ein Fehlschluss, der sich deshalb im Kreise dreht, weil die vermeintliche Ähnlichkeit oder Unähnlichkeit von Mensch und Maschine bereits in der Gestalt einer bloss imitativen oder funktional-äquivalenten Leistungsfähigkeit unterstellt wird. Erst im Zeitalter der elektronischen Medien und des Computers als universeller Maschine, die ihrer Codierbarkeit gemäss alle vormaligen Medien und Maschinen zu emulieren erlaubt, kehrt dieses Dilemma von Mensch und Maschine zunächst wieder. […] Die List der Technik wird nämlich zurechtgestutzt auf Körperfunktionen. Die im doppelten Wortsinne Leibeigenschaft dieses Maschinenbildes ist nun genauer zu verstehen. Zum einen ist der perfekte, alles könnende Automat gleichsam der göttliche Doppelgänger und das Idealbild eines autonomen Subjekts. Doch eben in dieser Vorstellung kaschiert der Mensch seine Angst vor der rätselhaften Unheimlichkeit, Unbestimmtheit und Zweckoffenheit des Technischen, welches so seinen Anspruch einer souveränen Verfügung über die ihm dienenden Mittel widerlegt und eben wegen dieser seltsamen Nachgiebigkeit und der Prostitution des Technischen den Schein bestärkt, die Maschine würde den Menschen beherrschen.«334

Die romantische Welt- und Seinserfahrung löst sich von ihrer Bindung an eine Epoche und bekommt eine interessante Aktualität. Dass romantische Musik letztlich der Fixierung auf eine zeitlich begrenzte und geographisch lokalisierte Epoche widersteht, geht auch auf ihre innersten Beweggründe zurück, die bereits die Aufhebung realer Zeitlichkeit formulieren (z.B. in der Musik der Wiener Klassiker) und gleichzeitig die Vergangenheit als Idealbild verklärter Ferne beschwören. Zentral ist weiterhin die Tendenz zur Entrückung und Entmaterialisierung von Klang sowie der Kunstmittel überhaupt, womit mit dem Bild der »Nachtsymbolik« die Sublimierung und Spiritualisierung als Absage an die Aufklärung einhergeht. Diesem Einbruch des Irrationalen entspricht wiederum die Tendenz zur offenen Form sowie die Leugnung interdisziplinärer Grenzen zwischen den Künsten. Die Subjektivierung jeglicher Erfahrung lässt 334 | Tholen: »Automaten und Automationen«, a.a.O. [Anm. 310]; vgl. ders.: Die Zäsur der Medien, a.a.O. [Anm. 4], S. 169f.

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jede künstlerische Aussage als Reflex eines Erlebnisses in Bezug auf das Subjekt erscheinen, was in der Konsequenz zur »Todessehnsucht«, seiner Desintegration und Selbstauflösung führt. Mit der Ineinssetzung von Ich und Welt (»Selbst dann bin ich die Welt!«, Tristan, 2. Akt) und mit der Erlösung durch Selbstauflösung schlug noch Wagner im »Tristan« das Grundthema der Romantik an und verlieh ihm damit ungeahnt neue Dimensionen. So wie auch erst im Bewusstsein der digitalen Verarbeitungslogik sichtbar wird, dass die Wurzeln für Fragmentarisches und Selbstwidersprüchliches für eine Poetologie der Signifikanten und der Referenzen allesamt in einem grundlegenden Prinzip nicht einer inhaltlichen Ganzheitlichkeit, aber der Offenheit und Spielfreude der Romantik zu finden sind. Aus der romantischen Herstellung »künstlicher Paradiese« (Baudelaire) ergab sich die Idee der »L’art pour l’art«, deren Überwindung eine der Haupttendenzen in den künstlerischen Aktionen der Moderne ist. Die Gegenkräfte gegen das Romantische, die sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts allenthalben regten (Brahms, Bruckner, Mahler u.a.) und bis in die konstruktivistischen Richtungen in der Kunst des 20. Jahrhunderts zu verfolgen sind, standen stets im Zeichen einer Wiedergewinnung von Objektivität, Realität und Entmachtung eines willkürlich Subjektiven.335 Dabei spielt die Musik eine zentrale Rolle, die sich in der regelmäßigen Rhythmik und dem Wechsel von Prosa- zu Versform bei der Preisung sowie bei einer Anspielung auf Orpheus (»Von ferner Küste, unter Hellas’ heiterm Himmel geboren, kam ein Sänger nach Palästina [...]«) zeigt und die Sphären zwischen Leben und Tod verbindet – wie wir es in der gespenstischen Automation der Interpretation gewordenen Abwesenheit bei Selbstspielinstrumenten inszeniert finden.336 Die kategoriale Medialität dieser Spiele der An- und Abwesenheit ist bis heute die Basis universeller Manipulationen einer Ästhetik des Virtuellen. Wir finden eine ästhetische Konstante in der Konstitution medialer Maschinenverhältnisse im Musikalischen bis in die aktuellen Verhältnisse ästhetischer Medialität des Virtuellen. Gleichzeitig haben wir es mit einer

335 | Vgl. Weibel: »Der ästhetische Imperativ«, a.a.O. [Anm. 91]. 336 | Vgl. Tholen: »Automaten und Automationen«, a.a.O. [Anm. 310]; vgl. auch Gottschewski: Die Interpretation als Kunstwerk, a.a.O. [Anm. 225].

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prototypischen Situation des »Dazwischen«, der »Mittel« und »Vermittlung« als Definition der Medialität der Medien per se zu tun.337 »Und doch ist die Eigensinnigkeit dieses Dazwischen – als verbindendes wie zugleich trennendes Moment der Vermittlung von Sender und Empfänger, von Absender und Adressat – schwerer zu bestimmen als die im vorhinein intentional bestimmte bzw. bestimmbare Adressierung von Botschaften und Informationen. Denn das Tertium Datur des Auftauchens und Verschwindens der medialen Vermittlungen selbst kommt dem, was durch Medien verbunden und getrennt wird, immer schon dazwischen. Ohne diese unvordenkliche, in jedem Wortsinne vor-gegebene Dazwischenkunft wären weder Medien zu unterscheiden noch Medienumbrüche zu situieren. Medialität als eine noch näher zu fassende Bestimmung des Dazwischen eröffnet allererst die relationalen und funktionalen Vermittlungen, in denen sie sich selbst, stets neu, zurückzieht, um die jeweiligen Vermittlungen zu ermöglichen. Medialität wäre also zu bestimmen als eine gegenüber den Medien selbst sich distanzierende Voraus-Setzung, als Vor-weg-Nahme medienvermittelter Welterschließung.«338

Neben dem Übergang von der ersten zur zweiten Technik (Benjamin), quasi in der Passage von der Technik zur Technologie, findet so auch über den Begriff der Medialität der direkte Verweis auf die techné des Technischen sowie die Machination der Maschine statt, deren Ver- und Entstellungskunst medienhistorisch adressiert werden kann. Damit können wir nicht nur Medienepochen unterscheiden und aufeinander beziehen, sondern auch intermediale Querverbindungen zu anderen Perspektiven und Kategorien wie die der musikalischen Ästhetik ziehen. »Noch der kategoriale Horizont der an sich selbst hybriden Re-Mediation im digitalen Medienverbund verdankt sich, so meine Hypothese, der Différance, die den Spielraum der Medien und Zeichen offen hält. Wissenschafts-historisch betrachtet, ist es also der in den neueren Medientheorien heuristisch erschlossene, aber noch unausgelotete Begriff des ›Dazwischen‹, welcher die ›grundlegendste Definition des Mediums‹ ausmacht und den Ausgangspunkt bildet für die mögliche Grundlegung einer allgemeinen Wissenschaft der Medien. In einigen der zeitgenössischen Definitionen der Inter-Medialität und TransMedialität, definiert als ›epistemische Bedingung‹ der Medienerkenntnis, kommt implizit ein Konzept der Différance zum Vorschein, welches – unbeschadet der jeweiligen theore337 | Vgl. Kapitel 1. 338 | Vgl. Tholen: »Dazwischen – Die Medialität der Medien«, a.a.O. [Anm. 251].

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tischen Prämissen (Systemtheorie, Diskursanalyse, Dekonstruktion) – den platzverschiebenden, semiotisch unabgeschlossenen Zwischenraum der Medialität zu umschreiben versucht.«339

Eine direkte Ankoppelung an diesen Medienbegriff von Seiten der Musikwissenschaft kann über den Begriff der »Mimesis« erfolgen, der ursprünglich aus dem Bereich der Musiktheorie stammt.340 Mimesis beschreibt in der Antike zunächst eine ästhetisch-technische Kategorie, die den Unterschied zwischen erzählend-berichtenden Formen und der unmittelbaren Darstellung, sei es auf der Bühne, sei es durch Originalstimmen oder Rollen, kennzeichnete. Man muss den autopoietischen Begriff der Mimesis also nur geringfügig, etwa um den der Darstellung, ausweiten, um an die Medialität des Medialen anknüpfen und über die gemeinsame Ebene ästhetischer Anschauung künstlerische Medienphänomene wie die Simulation im Medium des Digitalen oder die einer neuen Medialität des Virtuellen untersuchen und beschreiben zu können. Auch dabei spielen Medientechnologien als Technik und unter ästhetischen Gesichtspunkten eine herausragende Rolle, zumal sie die konstitutive Anbindung an die Gesellschaftlichkeit künstlerischer Produktion und Rezeption ermöglichen. Es sind immer schon Medientechnologien, die an den Mustern der Wahrnehmung und Erfahrungen mitschreiben, Normen und Standards bestimmen, die Strukturen für den Umgang mit Informationen, Daten und Datenspeichern definieren, wie sie dann auch für eine transdisziplinäre Medienkunst des Akustischen als Ausgangsmaterial fungieren können. Nach genau diesen materiellen, technischen und historischen Ermöglichungsbedingungen gesellschaftlicher Kommunikationen zu fragen, bedeutet nach Maresch, »jene medientechnischen Blindheiten zu entziffern, die Wissen und Macht jahrtausendelang kennzeichneten, den ›Blindflug‹ des Geistes ermöglichten und die Humanwissenschaften seit den Tagen ihrer Erfindung um 1750 sprechen machten.«341 Die Medialität des Technischen ist nicht nur schwer zu beobachten, sondern leicht doppelt – nämlich sowohl technisch als auch anthropolo339 | Ebd. Manuskript, S. 3. 340 | Vgl. H. Winkler: »Über das mimetische Vermögen, seine Zukunft und seine Maschinen«, in: Kinoschriften, Bd. 5/2002, S. 227-239. 341 | R. Maresch: »Blindflug des Geistes. Was heißt (technische) Medientheorie?«, in: Telepolis-online http://www.heise.de/tp/r4/artikel/2/2039/1.html.

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gisch – zu verfehlen, was besonders gilt, seit die zu beschreibenden informatorischen Apparate und Maschinen als fluide, abstrakte Algorithmen in flüchtigen Speichern arbeiten. Allerdings bedeutet dies, weder dass sie nicht existieren und wirkungsmächtige Ergebnisse liefern können noch dass für ihre Existenz keine Hardware, Rechenzentren mit einer riesigen Infrastruktur, große Mengen an Energie etc. benötigt würden. Sie bleiben also »Ding«.342 Um technische Medienphänomene sowohl als Ursache als auch von ihren Wirkungen her beobachten zu können, ohne für eine der beiden Aspekte blind zu werden, hat Hartmut Winkler ein zweiphasiges Modell zyklischer Einschreibungen vorgeschlagen.343 Im ersten Zyklus finden sich technische Ergebnisse als materieller Niederschlag von Praktiken, die in ebensolche umschlagen können. Im komplementären zweiten Zyklus gilt das Gegenteil, indem dieselbe Technik wiederum den Raum und Ausgangspunkt für alle nachfolgenden Praxen definiert. Es schreiben sich also Praxen in die Technik ein, die sich als Technik in dieselben zurückschreiben, wodurch beide Sichtweisen auf den Prozesscharakter technischer Medialität berücksichtigt wären. Hybride ästhetische Medienphänomene im Virtuellen werden erkennbar; die Beschreibung und Anwendung ästhetischer Prozesse in der Konkretion virtueller Instrumente wurden in Kapitel 3 erläutert. Die instrumentale Qualität, die im Falle von virtuellen Instrumenten eine technische Dimension zwingend voraussetzt, ist damit selbst eine äs342 | Vgl. etwa die folgende Meldung, die das Phantasma einer »virtuellen« Medientechnologie im Sinne nicht-materieller Prozesse widerlegt und dafür die gigantischen Mengen an Energie zur Herstellung und Betreibung der Hardware noch nicht einmal bemühen muss: »Das Internet ist leichter als ein Sandkorn«, in: Global Press, 15. 02.2008: »Die im Internet täglich weltweit kursierenden Daten sind zusammengenommen leichter als ein Sandkorn. In der binären Darstellung bestehen Videos, E-Mails, Bilder und andere Web-Inhalte aus Nullen und Einsen. Dabei bedeutet eine Eins, dass ein elektrischer Impuls erfolgt und eine Null das Gegenteil. Elektrischer Strom besteht aus Elektronen, die ein extrem geringes Eigengewicht haben. Hieraus hat die Zeitschrift P.M. Magazin berechnet, dass der tägliche Datenfluss im Internet ein 14milliardstel Kilogramm wiegt. Selbst ein winziges Sandkorn ist dagegen ein Schwergewicht«. 343 | Vgl. H. Winkler: »Die prekäre Rolle der Technik. Technikzentrierte versus ›anthropologische‹ Mediengeschichtsschreibung«, in: C. Pias (Hg.), [median/i] Dreizehn Vorträge zur Medienkultur, Weimar 1999, S. 221-238.

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thetische Kategorie musikalischer Medien-Produktionspraxis, wie sie sich nach dem Zweiten Weltkrieg etabliert und mit der Digitalisierung sowie in kollaborativen Netzwerkumgebungen virtualisiert, miniaturisiert und damit auch demokratisiert hat. Im Falle einer Ästhetik des Virtuellen laufen die Inputs der Spielinterfaces, Synthesizer, Sampler, Effekte und sonstiger Klangbearbeitung, als Vertreter einer gewöhnlichen Studio-Produktionsumgebung, vor dem Speichermedium auf einem Mixer zusammen, wo die letztendlich musikalisch-ästhetischen Qualitäten, der »Sound« als umfassende Kategorie, bestimmt werden. Hier entscheiden sich die vielfältigen Details eines in unendlichen Entscheidungsschritten hinausgezögerten, halbautomatischen Prozesses permanenter kompositorischer »Ad-hoc«-Lösungen im Spielen eines Meta-Instrumentariums, welches zur vollständigen Automatisierung an algorithmische Maschinen delegiert werden kann. Es sind diese unendlichen Aufschiebungen, die als »Entwerkungen« (Nancy) die Arbeit am künstlerischen Material in produktiver Art und Weise nie zu einem Ende kommen lassen, sondern unaufhörlich irritieren und aufschieben. Auch diese Sichtweise bestätigt die Erkenntnis, dass eine traditionelle geschlossene Werkform nur noch unter sehr speziellen Bedingungen überhaupt denkbar ist. Das auch weiterhin am Analogen orientierte Universum abstrakter Software-Simulationen lässt die Idee einer offenen musikalischen Form gar nicht mehr aufkommen, da sie einerseits den Fokus immer wieder auf Soft- und Hardwareprobleme lenken und andererseits ihre musikalischen Inhalte in vielfältiger Weise gleich mittransportieren. Modeling ist dagegen eine Möglichkeit für die intermediale Austauschbarkeit musikalischer Stile, Genres, Formen und Strukturen. Mit Beaudrillard gesprochen, erscheinen die Simulationen als medial aufgezwungene Realitätsmodelle und Wirklichkeitsvorstellungen. Die unterschiedlichen Modellierungen analoger Welt im Digitalen funktionieren selbst wie ein Archiv, in dem alles mit allem verbunden werden kann. Es entsteht so etwas wie eine innermusikalische Intermedialität komplexer syntaktisch-struktureller Wechselbeziehungen. Der hier stattfindende epochale Wechsel ist ein sekundärer: der vom emphatisch-imaginären zum hörenden Komponieren in Realtime, welches aufgrund der Bilschirmoberflächen und angesichts von Softwareinterfaces auch immer ein (den Metaphern des Bildschirmmediums geschuldetes scheinbares) Sehendes ist. Dass das sichtbare Symbolische (z.B. die dargestellten Audiodaten) nicht dem Realen (den 44’100 Sample-Werten pro

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Sekunde) entspricht, sondern lediglich eine je nach Software aufbereitete Visualisierungsvariante darstellt, geht dabei verloren. Der transdisziplinäre Eindruck der symbolischen Repräsentanz der aufbereiteten Audio-Daten im Visuellen ist so mächtig, dass man unabhängig vom klanglichen Ergebnis das zu hören glaubt, was man visuell aufbereitet sieht.

Virtuelle Modelle als Repräsentation des Akustischen Mit dem Einzug digitaler Verfahren und entsprechender medialer Strategien beginnen sich musikalisch-ästhetische Manipulationsmöglichkeiten in ihrer Vielfalt qualitativ zu verändern. Die Medialität des digital repräsentierten Klanges selbst wird hybrid, indem Elemente transmedialanaloger oder intermedialer Performanzen ästhetischer Virtualität zum Einsatz kommen, was die Frage nach dem Ort des spielenden Körpers aktualisiert. Hybride Performanz bedeutet nach Georg Christoph Tholen die Reflexion, Verschiebung und Re-Inszenierung der Vorbilder und Selbstbilder des Menschen,344 insofern diese zunehmend medial erzeugt und verbreitet werden – von den musikalischen Klischees in der Popmusik, den Wunschkörpern im Cyberspace oder den Simulationen virtueller Instrumente im Physical Modeling. »Das Virtuelle ist zukünftig Teil des Realen! Es wird zu seinem Paradigma, zu einer der Art und Weisen einen Zugang zur Realität zu finden und nachhaltig auf sie einzuwirken.«345

Sampling findet sich historisch früh an der Schnittstelle zwischen den fourierorientierten Standardverfahren synthetischer Klangerzeugung und den Nonstandard-Verfahren verallgemeinerbarer algorithmischer Strukturen. Die Universalität in der Materialbehandlung digitalisierter Audiodaten lässt sich am Beispiel von Remixtechniken, Bootlegs, Verfahren des Zitierens und des Remix etc., welche die Techniken des Samplings aufgreifen und weiterentwickeln, stil- und genreunabhängig, demonstrieren.

344 | G.Ch. Tholen: »Hybride Performanz – Ein Ausblick«, in ders.: Die Zäsur der Medien, a.a.O. [s. Anm. 4], S. 197f. 345 | P. Quéau: »Die virtuelle Simulation: Illusion oder Allusion?«, a.a.O. [s. Anm. 38], S. 61f.

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»Sampling ist im Unterschied zum Zitat, das seine Sinnumgebung transportieren soll, eine Zugriffs- und Verarbeitungstechnik von Medienmaterial. Materialkontexte, Sinnkontexte und Bedeutungen sollen gerade nicht reproduziert, sondern transformiert oder ignoriert werden. Sein technisch-methodisches Prinzip ist nichts anderes als der direkte Zugriff auf das Signal der Übertragungsmedien, ein neben Sender und Empfänger dritter Transformationsweg, der das im technischen Kanal enthaltene Signal herauslöst oder klont und der Weiterbearbeitung zugänglich macht. Sampling als künstlerisch-produktives Verfahren ›unterwandert‹ die – etwa im Shannonschen Modell dargestellte – zielgerichtete Übertragung von der ›Source‹ zur ›Destination‹. Statt eines möglichst genauen Abbildungsprozesses des Inputs auf den Output setzt es so einen Produktionsprozeß mit Hilfe des seiner funktionalen und kontextuellen Umgebung ›enteigneten‹ Signals in Gang. [...] Das Medium zeigt sich. Ästhetisch avanciertes Sampling kann sich so auch im kritisch-reflexiven Sinn auf seine Medienressourcen beziehen, die vermeintliche ›Zitatmaschine‹ wird zur ›Reflexionsmaschine‹, hier entsteht die weiteste Entfernung von der medialen Täuschung.«346

Aus der schon mit dem MIDI-Standard etablierten programmgesteuerten Konstruktion von Musik entstehen mit dem Sampling erstmals Verfahren der Dekonstruktion; durch die digitalen Verschaltungen und Verweisprozeduren des »cut, copy & paste« und damit auch des Loops, die ästhetisch sowohl struktur- (»Makroebene–Form«) als auch stilbildend (»Mikroebene–Klang«) wirken. Die technisch definierte Zeit des Syntheseverfahrens wandelt sich zu einer Montageästhetik hybrider Gleichzeitigkeit, was die Frage nach der ästhetischen Konkretion völlig offen lässt. Das Differenzproblem der semantischen Besetztheit konkreter Klänge in der Musique concrète, die als abstrakte, reine Struktur gehört werden sollten, welches Pierre Schaeffer noch als Problem (der Rezipienten) definierte, wird zum eigentlichen Ziel erklärt. Der Verweis auf »ein Anderes« ist konkret-wörtlich und steht nicht länger für ein ästhetisches Abstraktum. Nachdem Sampling aus den funktional als Imitationsinstrument einschränkend besetzten Spielinstrumenten als ein grundlegendes digitales Prinzip in den Rechner gewandert ist, etabliert sich in Sequenzern, die über ihr Interface sowohl den Zugriff auf symbolische Steuerdaten (MIDI) als auch auf reale Audiodaten erlauben, das Paradigma der universellen Manipulationsmöglichkeiten von (Audio-)Informationen im Medium des Digitalen in der Musik. Die von da an etablierte prinzipiell 346 | Großmann: »Xtended Sampling«, a.a.O. [Anm. 39].

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unspezifische Struktur (bei aller Einschränkung konkreter Softwareprodukte) verzichtet auf jegliche ästhetische Ideologie zugunsten der Frage nach dem Material und seinen möglichen Formen jenseits des Mediums Computer. Diskussionen über ästhetische Inhalte, musikalische Stile, Form, Strukturen und Sound rücken damit auf einer breiteren Basis und genreunabhängig wieder ins Zentrum des Interesses. Die Arbeitsmechanismen im virtuellen Datenraum thematisieren sich damit letztendlich selbst. Die selbstreferenzielle Lust an digitalen Bearbeitungen, beliebigen Veränderungen an der Zeit, an Klängen und Strukturen wird allerdings da tautologisch, wo sie als Effekt, losgelöst von entsprechenden ästhetischen Vorstellungen und ihren musikalischen Strukturen, niemand mehr als das erkennt, was sie sind. Die Perfektion digitaler Simulationen thematisiert ihr eigenes Tun und reflektiert damit ihre eigenen Produktionsbedingungen und -umgebungen, ohne dabei in entsprechende ästhetische Strategien eingebunden zu sein. Zugespitzt formuliert besteht die Gefahr, dass das technische Herstellungsvermögen das Vermögen unserer Vorstellungen besiegen könnte. Das mechanische Rückkopplungsprinzip des »Plus eins« ist als Keimform bereits geeignet, die geschlossene Werkform endgültig zu sprengen, die nach Benjamin sowieso nur die »Totenmaske jeder ursprünglichen Inspiration«347 darstellt. Das jetzt analytisch und nicht länger romantisch gedachte Offene, Unfertige, Momentane generiert andere Strukturen, die mit Jochen Bonz eher in offenen Tracks als in Werken gedacht werden müssen.348 Es geht dabei um ein früh erprobtes kompositorisches Verfahren, das historisch vor allem in der Minimal Music, der repetitiven Musik, der Klangkunst und natürlich auch in den verschiedenen Spielarten der Remix-Culture beheimatet ist. Das nichtlinear-additive Prinzip des Mechanischen ist auch in der Remix-Kunst, seit der Pariser Musique concrète, ein selbstverständliches kompositorisches bzw. improvisatorisches Verfahren. Die Nadel des Plattenspielers wird der Spur der Endlosrille so lange folgen bis ihre Position, Richtung oder Geschwindigkeit von außen manipuliert wird. Wo Anfang, 347 | W. Benjamin: »Einbahnstrasse« (1928), a.a.O. [s. Anm. 156], S. 46-49. 348 | »Samples: Erscheinungformen des kleinsten Weltteilchen im zeitgenössischen Hip-Hop und R&B«, in: J. Bonz, »Verströmt im Ozean des Sounds – Samples in den Nullerjahren«, unveröffentlichtes Manuskript, Vortrag auf der Hyperkult 14, Hörbilder und Soundkulturen, Leuphana Universität Lüneburg 2005.

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Mitte oder Schluss ist, kann linear nicht länger eindeutig bestimmt werden. Dabei lässt uns das endlose Wiederholen, das Treten auf der Stelle bei fortlaufender Realzeit, erahnen, dass etwas »nicht in Ordnung ist«; etwas passiert, dass eventuell Teil von etwas Größerem sein könnte. Das mechanische Auf-der-Stelle-treten kann demnach auch Kriterium für nichtlineare, fragmentarische Strukturen sein. Etwa bei der Band Institut für Feinmotorik, die subtil mit diesen Medieneffekten spielen – ursprünglich wohl angeregt durch das fehlerhafte Hängenbleiben einer Plattennadel. Es entsteht die interessante Form eines Remix des Fragmentarischen, wie es sich auf der Mikroebene des Sounds in Minimal-Stilen im Rahmen einer »Fehlerästhetik«, etwa der Clicks & Cuts, etabliert hat. Das Offene, Nichtabgeschlossene der mechanischen Wiederholung ist als ästhetisches Prinzip in der Musik des 20. Jahrhunderts ein probates kompositorisches Mittel, wie es – zunächst im Analogen, dann aber vor allem als technisches Prinzip – im digitalen Sequenzer sein Instrument und Werkzeug gefunden hat. Es ist die eine Seite einer zuvor nicht gekannten musikalischen Zeitlosigkeit, deren Kehrseite durch statische Klänge gekennzeichnet ist – man denke an LaMonte Youngs berühmte, den Konzertraum akustisch imprägnierende Quinte »h-fis« mit der Spielanweisung »to be held for a long time«. Vor allem aber eröffnet es neue Hörweisen, die dem grundlegenden Prinzip auch entgegengesetzt sein können: Die Wiederholung des »Plus eins« muss nicht zwingend bedeuten, dass tatsächliche Identitäten aufeinander folgen, möglich sind ebenso hybride Differenzen, wie sie auch bei Maschinen möglich sind und ein neues ästhetisches Differenzierungsvermögen verlangen. Sampling als technologisches Grundprinzip des Überführens analoger Klänge in diskrete Informationen öffnet den Raum für beliebige programmgesteuerte Operationalisierungen von Audiodaten im Digitalen. Damit ist die Form der akustischen Repräsentation sowie der Zugriff auf die Werkzeuge und die Art der Manipulationen allerdings noch völlig offen. Und so sind es Strategien der Abwesenheit eines Symbolischen in einer Textur der Differenz, wie sie im Sampling erstmals sichtbar werden, welche die offenen virtuellen Maschinen ästhetisch sowie medialtechnisch vorbereiten und in den Nonstandard-Verfahren ihre operativen Strategien finden. In seinem »Helikopter-Streichquartett« von 1992/93 vermischt Stockhausen die Modulationen des mechanischen »Direktklangs« der Rotoren

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mit den Streicherklängen der Musiker im Inneren der Maschine, die lediglich per Funk mit der Aufführungssituation verbunden sind. In dem dreizehn Jahre zuvor fertiggestellten Film »Apocalypse Now« kombiniert Francis Ford Coppola das markante Rotorengeräusch der angreifenden Militärhubschrauber mit Wagners »Walkürenritt«. Es gäbe noch viele Beispiele, die demonstrieren, wie der starre Automatismus der Maschinen wesentlich dazu beigetragen hat, die Musik der Gegenwart von der traditionellen Syntax einerseits und den entsprechenden Formen und Strukturen andererseits zu befreien und zu dynamisieren. Neu ist dafür eine bis dahin kaum gekannte Semantik, die dazu beiträgt, solche entindividualisierte und automatisierte Musik mit einem neuen Zeitgefühl zu empfinden – dem der Speicher, Maschinen und Automaten, wie sie bereits das 16. Jahrhundert erprobt, aber erst das 20. Jahrhundert als ästhetische Potenzialität reflektieren konnte. Dabei war es traditionell in der Musik immer selbstverständlich, dass hinter jedem Klang ein Stück diskrete Wirklichkeit steht, wie z.B. auch mit jedem Bildprozess ein Prozess der Wirklichkeit verbunden war. Die Welt einer medialen Ästhetik im Medium des Digitalen hat solche scheinbaren Gewissheiten vehement in Frage gestellt und mechanische Bezüge des Automatenzeitalters der ersten industriellen Revolution und ihre ästhetischen Ausprägungen radikalisiert und ins Unendliche gesteigert. Der digitale programmierte und errechnete Klang ist eine Ansammlung von Daten. Aber Daten sind nur Daten, noch keine Informationen – so wie Klänge, dem Bonmot von John Cage nach, eben nur Klänge sind und noch nicht Beethoven. Daten können allerdings Informationen transportieren, die sie aber erst offenbaren, wenn diese entsprechend und adäquat (re-)interpretiert werden. Als Menge von Daten kann Klang grundsätzlich berechenbaren Funktionen unterworfen werden. Diese machen eine qualitativ andere Datenmenge aus ihm. Ein sinnvolles Ausgabegerät zeigt dem Ohr diese Datenmenge dann wieder als Klang.349 Erst die Gewohnheit und vorausgesetzte Konstanz der medialen Erfahrung erzeugt aber im Kopf des Betrachters eine zum Klang gehörende Wirklichkeit des Wirklichen.350 Das Medium wird aber nicht nur nach dem bekannten Diktum McLuhans immer deutlicher zur Botschaft selbst, sondern das Modell durchdringt die apparativ-technische sowie mediale Wirklichkeit, bis es 349 | Vgl. Kapitel 3. 350 | Vgl. Winkler/Bergermann, »Singende Maschinen«, a.a.O. [Anm. 66].

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nicht mehr von ihr zu unterscheiden ist. Alternative (Klang-)Welten entstehen, indem der Computer alles »verschluckt« und es in berechenbarer, also künstlicher Form wieder »ausspuckt«. Konnektivität und intermediale Überführbarkeit, als technologische wie auch ästhetische Konsequenzen, provozieren das freie Flottieren aller beteiligten Elemente, dem bisher noch das »Werk«, die traditionellen Formen und musikalischen Strukturen hartnäckig im Wege standen. Man kann bereits am Jacquardwebstuhl zeigen, dass die Programmierbarkeit von Mustern im Stoff ein vom ästhetischen Gegenstand losgelöstes scriptural-symbolisches Denken bedingt, in welchem die Zeichen des Codes nur noch Stellvertreter sind, was die technischen Strukturen einer rein technischen Schaltalgebra (Babbage) provoziert. Ohne Bedeutung und Inhalt können von nun an die schlichten Unterschiede von »0« und »1«, »A« und »B« adressiert werden – diese haben automatisiert lediglich noch repräsentative oder repetitive Funktion. Die Zeichen lösen sich abermals und endgültig von Bedeutungen ab und verlieren im Digitalen durch Abtastung und Rasterung unwiederbringlich auch ihre formalen und medial-ästhetischen Bezüge. Dafür können die unspezifischen Differenzen beliebig repräsentieren und simulieren, an jedwelche Bedeutungen mechanisch rückübersetzt und unendlich wiederholt werden, was transdisziplinäre, ästhetisch-mediale Austauschverhältnisse in einer neuen Qualität verspricht, wenn z.B. Bilddaten als Musik, die Farben eines Videos zur MIDI-Steuerung oder die ausgewerteten Daten einer Körperbewegung vor einer Kamera zur Steuerung von Klangsynthese-Verfahren interpretiert werden. Gleichzeitig haben wir es erneut mit einem Echo des »Doppelgänger-Phantasmas« aus der Romantik zu tun, wenn zur Generierung von Klang und Musik lediglich die zu Spielbewegungen uminterpretierten, abstrakten Daten aufgezeichnet werden. Erst mit dem Phonographen war es Ende des 19. Jahrhunderts möglich, Luftdruckschwankungen, Differenzen und Unterschiede im Akustischen ohne ihre Bedeutungssysteme, als bewusstlose technische Einschreibung, aufzuzeichnen. Diese Indifferenz der phonographischen Schallaufzeichnung, wie die der digitalen Speicher gegenüber ihrem Gegenstand, ist das revolutionär Neue an den technischen Aufschreibesystemen (Kittler) des Realen, das Stimmen als Stimmen und jegliche Geräusche aufzeichnen und wiedergeben kann, ohne auch nur einen Begriff von ihrem Tun zu haben.

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An die Stelle von Erinnerung und Eingedenken treten in der ersten Explorationsphase des Digitalen Zitat, Recycling, Sampling und Remix. Seitdem wir über musikalisch-ästhetische Nonstandard-Techniken des Modeling sowie virtuelle ästhetische Realitäten verfügen, wird fraglich, ob die medientheoretische Differenzierung zwischen Realem und Imaginärem in der Auflösung überkommener ästhetischer Strukturen überhaupt noch einen Sinn hat. Das klingt zunächst wie ein herber Verlust, kann aber auch als bedeutender emanzipatorischer Impuls erfahren werden. Die Techniken einer Ästhetik des Virtuellen bringen die Befreiung vom »Götzen Wirklichkeit«. Dass das, was wir »wirklich« nennen, eine komplexe Konstruktionsleistung ist, wissen KünstlerInnen und PhilosophInnen schon seit geraumer Zeit. Fiktionen im Virtuellen sind nicht bloß das Gegenteil der Wirklichkeit, sondern Instrumente ihrer medialen Konstruktion. Mit dem Schritt vom »Als-ob« zur Modellierung und von der Konstruktion der einen Welt zur Projektion vieler möglicher Welten (Flusser) der ästhetischen Virtualität wird künstlerisch eine neue Qualität beschrieben. Am Ende wird die Unterscheidung von Schein und Wirklichkeit sinnlos. Simulationen und virtuelle Ästhetiken sind längst nicht mehr »Schein« im kritischen Sinne. Gerade deshalb entsteht dabei eine post-romantische Sehnsucht nach dem »wirklich Wirklichen«. In der Welt der Simulationen und Modellierungen wird das Reale leicht zu einer Obsession. Die neue anthropologische Kränkung besteht darin, Träume der Kybernetik zweiter und dritter Ordnung, die sich um eine technische künstliche Intelligenz drehten, als epistemologische Sackgasse akzeptieren zu müssen. Die an den Menschen gebundene Intelligenzleistung lässt sich bis zu einem gewissen Maße nachahmen, aber nicht in einem »Super«-Algorithmus formulieren. Als wesentlich vielversprechender erscheint dagegen die algebraische Tradition von Leibniz über Boole bis Serres, der wir bereits heute die statistische Kombinatorik kartenloser Navigationssysteme und gedächtnisloser Sprachinformationssysteme verdanken. Ein ungeheurer Rechenaufwand in Form von »dummer« Statistik ist offenbar in der Lage, den »intelligenten« Algorithmus zu übertreffen. Und so lernen wir an der grundlegenden ontologischen Differenz zu einer uns völlig fremden, quantitativ formulierten Maschinenrationalität als dem »ganz Anderen« hauptsächlich etwas über uns selbst. Künstlerinnen und Künstler werden Techniken und Strategien zur Orientierung im Virtuellen entwickeln müssen, fehlt doch hier ein über-

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geordneter Referenzrahmen per Definition. Schwierig ist das, da unter dem Druck permanenter Aktualisierungsleistungen nicht länger eine singuläre Entscheidung gefragt und möglich ist, sondern das Verharren an der flimmernden Grenze der sich unaufhörlich neu generierenden Optionen. Die ins Unendliche gestiegenen Generierungsgeschwindigkeiten paralleler Handlungs- und Entscheidungsoptionen lassen uns, mit und gleichzeitig gegen Virilio gesprochen, lustvoll im »rasenden Stillstand« verharren. Angeschlossen an die Virtualitäten generierenden Maschinen ist es künstlerisch interessant und ästhetisch herausfordernd, selbst die Haltung einer Wunsch- oder Junggesellenmaschine anzunehmen, selbst zur musizierenden Maschine zu mutieren und im Strom der Potenziale schwimmend die Wirkungen und ästhetischen Prozesse in Echtzeit zu verfolgen und zu beeinflussen. Die unendlich schnellen Entscheidungsprozesse, in unendlich großen globalen Archiven, die mit den medialen Prozessen, Verfahren und Apparaten der Kommunikation, der Games sowie der medialen und künstlerischen Produktion einhergehen, müssen inklusive neuer Toolstrategien erprobt und eingeübt werden. In der Auseinandersetzung mit diesen Phänomenen arbeiten postmoderne Musiker und Komponisten an einer medial reduzierten, bisweilen minimalistischen Brechung der traditionellen musikalischen Mittel und symbolischen Ausdrucksformen. Anknüpfend nicht nur an Fluxus und elektroakustische Kunst, sondern auch an Entwicklungen des Theaters sowie der Video- und Computer-Kunst werden in neuen Musikformen und -genres Wahrnehmungsgewohnheiten in Frage gestellt, insbesondere die von den Medien vermittelten und geprägten Formen der Raum- und Zeiterfahrung. An diesem Punkt kann auch die Theorie einer musikalischen Medienkunst ansetzen, die das raumzeitliche Geflecht der ins Unendliche beschleunigten Medienimplosion, ihre Schocks und Krisen in ihrem nachhaltigen Einfluss auf kulturelle Sinnkonstruktionen, wie z.B. musikalisches Gedächtnis, und ihre historische wie aktuelle Phänomenologie analysiert. Gewöhnlich bleiben dabei die Medien selbst der blinde Fleck im Mediengebrauch und der leibliche Körper bleibt die Provokation: Wir hören Klänge, nicht physikalische Luftdruckbewegungen; wir lesen eine Geschichte, nicht Buchstaben oder Phoneme; wir sehen Filme, keine Pixel, Bildschirmpunkte oder -zeilen. Für Medien gilt in Bezug auf ihre Funktionalität einerseits die Metapher des Spiegels, für unsere Wahrnehmung jedoch die der Fensterscheiben: Je undurchsichtiger sie im Hintergrund unseres Bewusstseins bleiben, desto klarer scheint die

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(musikalische) Botschaft übertragbar zu sein.351 Die Auswirkungen der gegenwärtigen Medienimplosion im Medium des Digitalen auf unsere Sprach-, Denk- und Wahrnehmungsweisen sind noch kaum ausgelotet. In der virtuellen Realität des Cyberspace wird, wie in der Kunst auch, die gewohnte Ordnung von Zeit und Raum außer Kraft gesetzt und zur umfassenden imaginären Reorganisation freigegeben. Dabei geht es weniger um das »ganz Andere«, als vielmehr um eine neue Perspektive auf mögliche Realitäten, auch die der mehrdimensionalen, immersiven Körperlichkeit, die ja als Übersetzungsvorgang nie vollständig gelingt und bisher der semiotischen, mimetisch-graphischen Abstraktion von Körper-Repräsentationen im Cyberspace bedarf. Die abstrakte Simulation des Körpers als Avatar352 ist also bloßes Nebenprodukt von Übersetzungsversuchen in die virtuelle Dimension. Entscheidender als die Simulation realer Körper aber ist die Mythologisierung temporärer Substitution leiblich konkreter Körper durch eine materielose, geistig abstrakte Existenzweise (Münker). Körper als Zeichen und Ergebnis zu interpretierender, vielschichtig inszenierter Bedeutungen spielen seitdem auch in der Frage musizierender und hörender Körper eine große Rolle. Auf die Frage nach ihrer grundsätzlichen Bedeutung für die Musik und vor allem die synthetische wie instrumentale Klangerzeugung, gab es bisher allerdings kaum befriedigende Antworten. Dabei entfällt mit der Entwicklung elektronischer Musikinstrumente historisch erstmals die Zwangsläufigkeit der Beziehung zwischen einer notwendigen körperlichen Spielbewegung und der Art und Qualität des daraus resultierenden Instrumentenklangs. Mit der Digitalisierung synthetischer Klangerzeugungsverfahren ist jegliche spezifische körperliche Bewegung, die ein entsprechendes physikalisches System in Schwingung versetzt und damit Klang generiert, überflüssig geworden. Jeder noch so abstrakte datengenerierende Prozess kann diese Funktion von nun an programmgesteuert übernehmen, was zwangsläufig auch zu einem erweiterten Musikinstrumentenbegriff führt, der sich zwischen dem Modell der Programmerzeugung und spezifischen Spiel- und Steuerinterfaces bewegt.353 So ist vor allem der Körper der Interpreten serieller, formalistisch verstandener Kompositionstechniken als »verzerrendes Prisma« 351 | Zur Spiegelmetapher vgl. S. Krämer: »Das Medium als Spur und als Apparat«, a.a.O. [s. Anm. 6], S. 73. 352 | W. Mracek (Hg.): Simulierte Körper. Vom künstlichen zum virtuellen Menschen, S. 24f. 353 | Vgl. Harenberg/Weissberg: Klang (ohne) Körper, a.a.O. [s. Anm. 29].

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(Varèse) zwischen der musikalischen Idee und der Realisierung durch interpretierende Instrumentalisten wahrgenommen worden. Spielende Musiker wurden als zunehmendes Problem erkannt, je stärker Komponisten reihen- und proportionstechnisch abgeleitete, nicht länger traditionell standardisierte, sondern den klanglichen wie strukturellen, einheitlichen Ordnungssystemen unterworfene musikalische Ideen an der Grenze der Spielbarkeit umsetzen wollten. Die körper- wie bewegungslose Klangerzeugung studioproduzierter Lautsprechermusik der frühen Kölner Schule schien die ideale Lösung für das Problem. Überhaupt bestand das Versprechen der elektrischen, dann der elektronischen und schließlich der Computermusik seit dem Ende des 19. Jahrhunderts darin, den aufwendigen und zeitlich extrem extensiven kompositorisch-kreativen Prozess abzukürzen und alle nötigen Arbeitsschritte möglichst in Realtime in die Hände der seit Beethoven zusehends aus jeglichen standardisierten historischen Ordnungssystemen katapultierten Komponisten zu legen. Wir beobachten hierbei, die über Formen und sinnliche Strukturen des Musikalischen synchronisierte Genese sozialer Räume virtueller Gemeinschaften. Dabei ignoriert die ästhetische Medialität des Musikalischen zeitliche Brüche und Verschiebungen im (technischen) Fluss der Kommunikation von Servern und Protokollen, in denen die Spur der Körper zugunsten von selbst gewählten und inszenierten, von Programmstrukturen überlagerbaren, arbiträren Beschreibungen, anonymisiert wird. Persona beschreibt ursprünglich die Maske des antiken Schauspielers, die ihn in zwei Personen aufspaltet. Dies ähnelt dem heutigen kollaborativen Handeln im Netz, das lediglich leeres, von Inhalten befreites »Zeichenhandeln« sein kann, welches im unendlichen Netz der Verweise den Charakter von Spielzügen annimmt, die unter Umständen genau die adäquate Reaktion auf die medialen Optionen im Ästhetischen der Musik darstellen können. Der semantische Datenkörper im Netz verdankt seine Existenz der technischen Implementierung von Zeitlichkeit und Dynamik. Analog zur Zentralperspektive als Imitation des Sehvorgangs, in Form eines unendlichen, stetigen, homogenen und damit mathematischen Raums, der mit dem psychophysischen Raum menschlicher Leiblichkeit für den oben, unten, hinten, vorne etc. eben nicht homogen ist, schafft der virtuelle Raum eine Syntax, in deren Medium das, was ein solcherart mathematisierter Körper ist, auf neue Weise bestimmt und sichtbar gemacht wird. Seine Verdopplung in physischen und semiotischen Körper transformiert

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das Primat des physischen überhaupt erst als Verkörperung von Bewegungskoordinaten, charakterisiert durch das Attribut des digitalisierten Bewegungsrasters (Shannon), zum Ausgangspunkt von kollektivem, interaktivem ästhetischen Handeln in dynamischen Netzen.354 Es ist nicht länger der Typus des Komponisten nach dem Vorbild des »Angelus Novus« von Paul Klee, der starr vor Schrecken die Trümmer der Geschichte sehend, rückwärtig blind in die Zukunft stürzt. Es ist eher einer nach einem Bild Benjamins, der im Zustand der Dialektik des Stillstands auf der Stelle verharrt, spielend in einem unendlichen Medien-Raum, der ein sich überlagernder Leib-, Bild-, und Klangraum des Ästhetischen ist. Sich in diesem Raum nur noch künstlerisch zu bewegen und die Meta-Ebenen auf ihren ästhetischen, stilistischen und strukturellen Output hin zu erproben, ist eine mögliche zukünftige Form. Man kann dies als die Form einen akustischen Cyberspaces interpretieren, wie ihn Gibson und Sterling als Metapher eines abstrakten Datenraums beschrieben haben. Was sie zu Beginn der 80er Jahre, die Metaphern des Analogen noch quasi wörtlich nehmend, nicht erahnen konnten, sind die ästhetisch-medialen Konsequenzen des Virtuellen selbst. Das Akustische wird nicht zuletzt durch die konstituierende Zeitkomponente des Virtuellen zur potenziellen Leitkategorie im Medium des Digitalen. Das ästhetische Resultat ist mit Rolf Großmanns Dispositiv einer »Medienmusik« in einem ganz neuen, intrinsischen Sinn zu verstehen. Der durch die operationalisierten Verfahren der Virtualität an den über Interfaces definierten Schnittstellen provozierte körperliche Zugang, erlaubt einen quasi-instrumentalen Zugriff auf die verschiedenen Ebenen der gewünschten Kontrolle. Diese reichen von der definierten Vollautomation bis zum kollaborativen bzw. alleinigen händischen Spielen eines entsprechend designten Instruments. Damit einher geht auch eine Veränderung der Rolle und Funktion der Technik. War sie bisher instrumentell eingebunden, dem Körperlichen aber eher feindlich, wird sie zusehends sowohl immateriell als auch von ihrem Wesen her als das Element erkennbar, das uns Zeugnis der adäquaten Möglichkeiten und künstlerischen Räume im Medium des Digitalen gibt. Eine anthropologische Kybernetik wird nach Rieger deshalb nicht mehr Leitwissenschaft sein können – wie das noch Wiener und Bense u.a.

354 | S. Krämer: »Verschwindet der Körper?«, a.a.O. [s. Anm. 68].

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vorschwebte. Wir können die Ergebnisse jedoch historisch einordnen und gezielt da anwenden, wo sie uns neue Möglichkeitsfelder eröffnen. Damit sind alle Prozesse des Abgeschlossenen zusehends verunmöglicht, wohingegen das Offene, Nichtabgeschlossene, Vorläufige und als fraktale Einheit Zersplitterte zur vorrangig verbliebenen ästhetischen Haltung wird. Abgeschlossene Kategorien wie »Werke« und »Tracks« verlieren ihre primäre künstlerische Bedeutung und Gültigkeit als vergegenständlichte und ästhetisch nachvollziehbare Entscheidungsprozesse eines Mangels und einer sich an der Widerständigkeit der Materie abarbeitenden Künstlerpersönlichkeit – die nach Adorno versucht ist, Strukturen, mediale Formen des Symbolischen, zu Klängen und ästhetischen Formen künstlerischen Materials werden zu lassen. Das Maschinenhafte der immer in der Schwebe gehaltenen gleichförmigen und nie abgeschlossenen Bewegung, die wir bisher nur in Form der Maschine kannten, bleibt das Modell im Umgang mit den künstlerischen Potenzialen einer Ästhetik des Virtuellen vor dem Hintergrund der jetzt auf immer unabgeschlossenen Differenz von medialen Erscheinungen und den gefundenen Formen; so wie die radikale Reduktion im Minimal-Techno als Konsequenz aus den oszillierenden Möglichkeiten des funktionalen wie operativen Überflusses die adäquate Reaktion war, da wir noch über keine anderen Formen für ein »Ge-Stell« als Trittleiter in neue virtuelle Räume und Zeitlichkeiten verfügen. Und so ist mit Hartmut Winkler zu resümieren: »Wieder einmal singt die Maschine die alten Lieder, nur diesmal, ohne die Künstlichkeit der Montage zu verbergen, und ohne das Wechselverhältnis zwischen dem, womit Körperlichkeit assoziiert wird, und dem eingesetzten Gerät in einer größeren Einheit vorschnell zu schließen. […] Wo immer Körper und Technik sich begegnen, braucht es Raum für die gegenseitigen Resonanzen.«355 Strukturell bedeutet dieser Paradigmenwechsel den Übergang vom Sequentiellen eindimensionaler, »mechanischer«‹ Linearitäten, wie wir sie uns mit der Gutenberggalaxis antrainieren mussten, zu den Verästelungen mehrdimensionaler Netzwerke, wie wir sie im Digitalen lernen, dynamisch zu denken. Die strukturellen Operationen im Ästhetischen werden zum Ausgangsmaterial, um sich in den noch weitgehend unbekannten, virtuellen Referenzräumen des Digitalen zu orientieren. Die Perspektive 355 | Winkler/Bergermann: »Singende Maschinen«, a.a.O. [Anm. 66], S. 143-172.

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besteht nicht länger darin, in den zufälligen Mustern weißen Rauschens nach strukturellen Ordnungen zu suchen, was nicht nur den Startpunkt für die Arbeiten Xenakis an Nonstandard-Verfahren darstellte, sondern allgemein für Formalisierungsleistungen ästhetischer Entscheidungsdispositive stand.356 Heute besteht die Herausforderung einerseits darin, die formalen Strukturprozesse rückgekoppelt auf die Programmsteuerung selbst zu denken und zu erproben. Andererseits erleben wir eine neue Qualität in der Öffnung dieser Prozesse aus elitären Expertenzirkeln zu allgemein verfügbaren, kollaborativen Werkzeugen, mit denen die neuen musikalischen Bewegungsgesetze des Digitalen spielerisch und vor allem kollektiv erprobt werden können. Die dazu notwendigen Interfaces existieren jenseits spezialisierter Hardware in speziellen Räumen elektronischer Studios, wie sie bis in die 90er Jahre die exklusiven Zentren dieser Entwicklung waren. Mit Laptop, Tablet-Computer oder Smartphone und einer schnellen Internetverbindung sind die aktuellen Voraussetzungen bereits hinreichend beschrieben. Da diese Modelle ästhetischer Kollaboration gespielt statt konstruiert werden, entsteht eine gefährliche, aber künstlerisch spannende »Echtzeit«. Die musikalisch spielerische Reflexion erhält dadurch einen medialen Aufschub und vor allem einen anderen Adressaten, der sich zu den technisch generierten, digitalen symbolischen Repräsentationsmodellen auf eine Weise verhält, die bezogen auf die moderne Episteme verallgemeinert sowohl als topisch als auch typisch angesehen werden kann. Damit ist eine neue Qualität virtueller Referenzialität geschaffen, die einen möglichen ästhetisch-kompositorischen Handlungsrahmen aufspannt, der belastbare Referenzen im Imaginären des Künstlerischen ebenso liefert wie wieder an reale Orte und Körper rückkoppelbare (kompositorische) Strategien im Reellen sensibler Membranen von Bildschirmen und Multitouch-Oberflächen. Kollaborative Settings im Virtuellen liefern als kollektive mediale Interfaces raumbezogene Modellierungen der spielenden Körper als hybride Bestandteile gemeinsamer Kompositionsprozesse.357 Es entstehen ästhetisch interessante, konstitutiv hörbare Figurationen einer »Zwischenleiblichkeit« von je neuen Hörräumen, die durch 356 | M. Serres: »The science of relations. An Interview«, in: Journal of the Theoretical Humanities 8/2003, S. 232f. 357 | Vgl. Harenberg/Weissberg: Klang (ohne) Körper, a.a.O. [s. Anm. 29].

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ihre Modellierungsleistungen vorwegnehmende imaginäre Einbildungskräfte erzeugen und den semiotischen wie den imaginären Körper des Hörens ins Zentrum stellen. Der qualitative Sprung von traditionellen simulativ-analogen zu neuen virtuellen rechnergestützten musikalischen Strategien und medialen Verfahren, wie es vor allem in der zeitgenössischen akustischen Medienkunst erprobt wird, provoziert die Frage nach einem Epochenumbruch im Umgang mit Modellen medialer Virtualität, wie sie z.B. an der Frage avancierter ästhetischer Kompositionsprozesse deutlich wird. Der einsetzende Wandel hin zu einer Epoche nachhaltiger Verkehrungen des Abhängigkeitsverhältnisses zwischen »Information« und »Materialität« sowie die Auflösung der Macht durch Herrschaft über Materie und Mechanik – den man als »Metalithicum« bezeichnen könnte358 – wird durch die alltägliche Erfahrung der Fluidisierung ehemals starrer Qualitäten und den Umgang mit dynamischen Netzwerken und interaktiven Interfaces vorangetrieben. Bereits heute verdrängen, etwa in den Künsten, die Verfahren nichtformaler Selektion in präformierten Materialdatenbanken und globalen Archiven sowie die spielerische Gestaltung von möglichst vielseitigen endlos in der Schwebe gehaltenen Optionen, die Verfahren der eindeutigen, strukturierten künstlerischen Setzung als Orientierung und Ergebnis kompositorischer Entscheidungsprozesse. Komponieren, Musizieren wie Hören wird zukünftig mit dieser neuen Haltung konfrontiert sein. Interagierendes Surfen auf der Entscheidungswelle kollaborativer Maschinenalgorithmen ist eine Herausforderung – im Sinne einer spielerisch hörenden wie musizierenden Improvisationsleistung an und mittels virtueller Meta-Instrumente. Für das rezeptive wie instrumentale musikalische Handeln kann das zwischen abstrakt algorithmischen oder konkret musikantischen Strukturen alles bedeuten, was der jeweilige ästhetische Ansatz verlangt. Es bleibt weiterhin unserer individuellen interpretatorischen Lust und Verantwortung überlassen, wie wir uns in Bezug auf die künstlerischen Erzeugnisse referenzloser virtueller Instrumente und ihrer akustischen Räume verhalten und diese damit sowohl ästhetisch personalisieren als auch musikalisch neu referenzialisieren.

358 | V. Bühlmann: »Metalithicum«, Salongespräche zu Virtualität, Synthese und Netzwerk, eine Kooperation der Professur für CAAD, ETH Zürich (Dr. Vera Bühlmann) und dem Studienbereich Musik und Medienkunst der Hochschule der Künste Bern (Dr. Michael Harenberg).

Übersetzungen Originalzitate

1)

Max Mathew: »The Digital Computer as a Musical Instrument, Science 1963«, s. Anm. 144, S. 82 [Übers. M. H.]

Die offensichtlichste Einschränkung im Feld der Computermusik resultiert aus dem Fehlen adäquaten Wissens über den Klang einer gegebenen Schallwelle. Die Computerklänge werden in Bezug auf Wellenformen beschrieben, die von den digitalen Generatoren in den digitalen Instrumenten erzeugt werden. Diese Art der Klangbeschreibung unterscheidet sich erheblich von der herkömmlichen Musik, in welcher der Klang vom Instrument selbst sowie von der Spielweise des Interpreten bestimmt wird. [...] Ein Beispiel für überraschende Konsequenzen im Bereich der Psychoakustik ist die Dominanz der Ein- und Ausschwingvorgänge, die den Charakter des entstehenden Klanges wesentlich determinieren. [...] Ein anderes unerwartetes Ergebnis ist die Bedeutung entsprechender zufälliger Variationen nahezu aller Parameter eines Klanges die ihn reich und interessant erscheinen lassen. Unsere Erfahrung hat gezeigt, wie wenig wir bis jetzt noch über das Verhältnis von Klangqualität und den verschieden Eigenschaften der Wellenformen wissen. Notwendig ist eine neue Grundlagenforschung im Bereich der Psychoakustik. [...] Vertieftes Wissen in diesem Bereich wird auch Bedeutung und Aussagekraft für andere Forschungsbereiche wie Sprache und Hören haben. 2)

Juraj Kojs/Stefania Serafin/Chris Chafe: »Cyberinstruments via Physical Modeling Synthesis: Compositional Applications«, s. Anm. 164, S. 94-95 [Übers. M. H.]

Cyberinstrumente sind virtuelle klangliche Strukturen, die durch Physical Modeling Synthese-Techniken erzeugt werden. Physical Modeling erlaubt die digitale Simulation eines klingenden Objektes (sei es ein Musikinstrument, ein Umweltphänomen oder ein Alltagsgegenstand) basierend auf dem Verständnis und der Anwendung seiner physikalischen Gegebenheiten. Neben der Imitation und Erweiterung einer existierenden Klangquelle er-

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möglicht die Synthese auch die Erzeugung von Klangquellen, die keine Entsprechung in der physikalischen Realität hat. Die Simulation von Klangerzeugungsmechanismen unterscheidet Physical Modeling von anderen Klangsyntheseverfahren, da andere Verfahren (z.B. additive, subtraktive und FM Synthese) im Wesentlichen die akustischen Eigenschaften eines Signals, wie es vom Hörer gehört und erkannt wird, modellieren. Wir unterscheiden drei Kategorien virtueller Instrumente: erweiterte, hybride und abstrakte Cyberinstrumente. Bei den erweiterten Cyberinstrumenten handelt es sich um Simulationen real existierender Instrumente. Neben der reinen Nachbildung erlauben sie die Erweiterung der instrumenteigenen Parameter über die physikalischen Begrenzungen ihrer Originale hinaus. Hybride Cyberinstrumente sind typischerweise Kombinationen von Eigenschaften zweier oder mehrerer existierender Instrumente, wie z.B. die Blotar, die die Eigenschaften von Flöte und Gitarre vereint. Abstrakte Cyberinstrumente sind von physikalischen Gesetzen inspirierte Strukturen, für die es jedoch keine Entsprechung in der physikalischen Welt gibt. 3)

Julius O. Smith: CCRMA Overview (1996), Center for Computer Research in Music and Acoustics, Department of Music, Stanford University, s. Anm. 173, S. 99 [Übers. M. H.]

In der Geschichte der Klangsynthese unterscheidet man im Allgemeinen zwei Methoden der Synthese von Musikinstrumentenklängen. Die eine Methode versucht das Klangspektrum eines realen Instrumentes mittels additiver Klangsynthese und Frequenz-Modulation (FM) nachzubilden. Diese erzeugen Klänge mit ähnlicher Struktur, deren Parameter jedoch keinen Bezug zu den physikalischen Parametern eines Instrumentes haben. Die andere populäre Methode verwendet ein Sample eines Instrumentes, so wie in der Wavetable Synthese und in Samplern. In beiden Fällen werden Klänge produziert, ohne die realen Entstehungsbedingungen im Instrument zu berücksichtigen. Mit Physical Modeling hingegen wird der Klang nicht unmittelbar erzeugt sondern der Prozess der Klangerzeugung selbst wird gestaltet und kontrolliert. Der Prozess, welcher das eigentliche Instrument modelliert, definiert die beim Spielen des synthetischen Instrumentes für die Erzeugung der Klänge notwendigen Parameter. Dieser Ansatz wird die Klangsynthese grundlegend verändern.

Ü BERSETZUNGEN O RIGINALZITATE

4)

Gerhard Eckel/Francisco Iovino/René Caussé: »Sound synthesis by physical modelling with Modalys«, s. Anm. 174, S. 100 [Übers. M. H.]

Somit bleibt das Interesse an Klängen, die sich zwischen den konkreten, von Musikinstrumenten oder anderen Schwingungssystemen (inklusive physikalischer Modelle) produzierten Klängen und abstrakten Sounds, wie sie von Signalmodellen einfach erzeugt werden können, bewegen. Dieses Interesse an (Wahrnehmungs)-Uneindeutigkeit wird von vielen Komponisten geteilt und scheint die plausibelste Motivation für die Verwendung von Synthesen, wenn man von dem Extremfall absieht, Klänge zu suchen, die völlig außerhalb unserer Hörerfahrung sind. Bei der Verwendung von Signalmodellen besteht das Problem, den Prozess der Klangsynthese kontrollieren zu können im Wesentlichen darin, ein System von Bedingungen zu erzeugen (ein Kontrollmodell), welches die Syntheseparameter zwingt, sich in eine Richtung zu entwickeln, die eine bestimmte Identität des Klangphänomens zur Folge hat, so dass es in musikalischen Zusammenhängen verwendet werden kann (z.B. es ist in einem bestimmten Kontext wiedererkennbar, kann zu Skalen geordnet werden etc.). Mit physikalischen Modellen ist dieses System der Bedingungen (Kausalität, räumliche Darstellung) bereits im Synthesemodell enthalten. Daher ist es so einfach, sogenannte realistische Klänge mit physikalischen Modellen und abstrakte Klänge mit Signalmodellen zu erzeugen. Realistisch meint in diesem Kontext, dass wir ein gegebenes Klangphänomen sehr leicht seinem Klangerzeuger (Quelle) zuordnen können und abstrakt heißt, dass es schwer ist, sich die Quelle für einen gegebenen Klang vorzustellen. Dies bedeutet keinesfalls, dass es keine natürlichen abstrakten Klänge gibt – auch natürliche Klänge können für unsere Wahrnehmung sehr abstrakt werden, allerdings sind sie normalerweise sehr schwer zu produzieren und zu kontrollieren (z.B. Multiphonics). In diesem Fall können physikalische Modelle zu einer besseren Kontrolle führen (vorausgesetzt, sie sind fein genug, die fraglichen Klänge erzeugen zu können). Der wichtigere Aspekt physikalischer Modelle für die musikalische Komposition ist jedoch, dass die Setzung der Bedingungen durch kausale Systeme besonders interessant ist, da unsere Wahrnehmung darauf spezialisiert ist, Klänge zu erkennen, die unter solchen Bedingungen produziert wurden. Und selbst, wenn wir ausschließlich abstrakte Klänge erzeugen wollen, können uns diese Bedingungen (die als Referenz immer in unser Wahrnehmung präsent sind) zeigen, wie wir realistische Klänge vermeiden können. Demzufolge sollten wir, wenn wir sowohl abstraktes wie auch realistisches Klangmaterial ausdifferenzieren wollen, nach Möglichkeiten suchen, die Bedingungssysteme physikalischer Modelle zu modifizieren.

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IRCAM Forumnet: »Modalys«, s. Anm. 198, S. 113 [Übers. M. H.]

Modalys wird verwendet, um virtuelle Instrumente mit einfachen physikalischen Objekten wie Saiten, Blechen, Röhren, Membranen, Plektren, Bögen und Hämmern zu erzeugen. [...] Ebenso ist es möglich, Objekte mit komplexeren Formen zu erzeugen, indem man ein dreidimensionales Gitter erstellt oder Messwerte benutzt, und Modalys berechnet, wie diese schwingen. Durch die Kombination dieser unterschiedlichen physikalischen Objekte erzeugt der Nutzer ein virtuelles Instrument und entscheidet, wie dieses gespielt werden soll. Open Musics (Modalys Bibliothek) und Max/MSP (Mlys) erlauben über ein intuitives grafisches Interface einen einfacheren Datenaustausch mit Modalys, der KlangsyntheseEinheit. Die Hauptfunktionen: t t t t t

Klangsynthese Lehre: die modale Theorie mit Beispielen von Schwingungsmodellen Komposition: Klänge, die sich gut mit realen Instrumenten verbinden Kino und Video: einzigartige Klänge Wissenschaftliche Forschung und Entwicklung: Vergleich von theoretisch determinierten und gemessenen Schwingungsmodellen t Sound Design: Naturalistische Qualität von Klängen (Metall, Holz, etc.) t Private Nutzung 6)

IRCAM Forumnet: »Modalys«, s. Anm. 201, S. 114 [Übers. M. H.]

Mlys ist eine aus Modalys abgeleitete Objektbibliothek zur Erstellung einfacher Instrumente aus Saiten, Blechen, Membranen und Röhren mit Zugriff auf jede Art von Material (Metall, Holz, Diamant, etc.), Größe und Interaktion: Schlagen, Drücken, Reiben. Dieses Interface ermöglicht es, Modalys in Realtime zu steuern […]. 7)

Gerhard Eckel/Francisco Iovino/René Caussé: »Sound synthesis by physical modelling with Modalys«, s. Anm. 202, S. 113 [Übers. M. H.]

Basierend auf dieser Beschreibung berechnet Modalys die (zwischenzeitliche) modale Repräsentation, die im Syntheseprozess genutzt wird (Frequenz, Dämpfungsfaktor und Schwingungsform für jede Art von Schwingung). [...] Modalys Objekte (die alle linaren Aspekte des Synthesemodells repräsentieren) können mit Modalys Verbindungen (die alle nichtlinearen Aspekte repräsentieren) in Beziehung gebracht werden, die die Art der Interaktion zwischen Objekten beschreiben (z.B: Schlagen, Zupfen oder Streichen). Modalys Verbindungen werden genutzt um die (variable) Position, an der sie mit anderen Objek-

Ü BERSETZUNGEN O RIGINALZITATE

ten interagieren, zu spezifizieren. Modalys Controller spezifizieren die Kurven aller zeitabhängigen Syntheseparameter (z.B. Zugriffskoordinaten, Verbindungsparameter, Kräfte und Controller Inputs). [...] Der modulare Aufbau des Modalys-Synthesemodells ermöglicht eine große Freiheit bei der Entwicklung von Instrumenten. Dieses Merkmal, welches von der einheitlichen Repräsentation aller Schwingungsobjekte als modaler Matrizen herrührt, unterscheidet Modalys von vielen anderen Physical-Modeling Synthesetechniken. Der größte Vorteil von modaler Synthese (neben der Effizienz der Berechnungen) liegt jedoch darin, dass die Frequenzen und Dämpfungskoeffizienten der Schwingungsarten explizit im Modell repräsentiert sind. Dies ist wesentlich für musikalische Anwendungen der Klangsynthese, in welchen die direkte Manipulation des Spektrums eines Klanges wünschenswert ist. [...] Während die willkürliche Modifikation der modalen Repräsentation das Modell inkohärent in Bezug auf jegliche physikalische Realtiät machen kann, verliert die direkte Manipulation von Schwingungsdaten ihren Wert an dem Punkt, an dem das ursprüngliche Interesse an der Nutzung eines physikalischen Modells verloren geht. Wann genau dieser Punkt erreicht ist hängt ausschließlich von der konkreten musikalischen Applikation ab und sollte nicht vom Synthesesystem definiert werden (sondern es wird eher vom Ohr des Komponisten entschieden). [...] Die von Modalys berechneten Schwingungsdaten, welche die physikalische Beschreibung schwingender Objekte betreffen, können beliebig verändert werden. In der momentanen Form ist dieses neue Feature noch nicht sehr leistungsstark und wir betrachten es eher als experimentell, jedoch werden die Erfahrungen, die Komponisten damit machen, wesentlich zur weiteren Entwicklung in diese Richtung beitragen. 8)

Perry R. Cook: »Physically Informed Sonic Modeling (PhISM): Synthesis of Percussive Sounds«, s. Anm. 212, S. 124-125 [Übers. M. H.]

Die mehrdimensionalen Modellierungstechniken [...] scheinen offensichtlich das Mittel der Wahl zur Synthese verschiedenster perkussiver Instrumentenklänge zu sein. Z.B. könnte eine kreisförmige Membran mit einem zweidimensionalen Waveguide System modelliert werden und dann mit einem Drum Cavity Modell gepaart werden. Dennoch birgt dieser Ansatz verschiedene Nachteile: 1. Er benötigt immense Computerrechenleistung; und 2. Die daraus resultierenden Klänge sind häufig nicht signifikant besser als solche, die mit effizienten modalen Synthesetechniken erzeugt wurden. Cook (1997) schlug eine Reihe vereinfachter Ansätze zur Modellierung perkussiver Klänge vor, die er im Allgemeinen dem ›physically informed sonic modeling (PhISM)‹ zurechnet. Unter Inanspruchnahme von Techniken des Physical Modelling, der Fourier-Analyse und -Synthese sowie der Granularsynthese wird eine klanglich überzeugende und in Bezug auf die Rechenleistung effiziente

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Synthesemethode entwickelt, die auf dem Verständnis des physikalischen Verhaltens von Systemen beruht, ohne jedoch zu versuchen, ihre Schwingungsmuster und Wechselwirkungen exakt zu simulieren. […] Cook (1997) bot zwei PhISM-Ansätze an: Physically Informed Spectral Additive Modeling (PhISAM) and Physically Informed Stochastic Event Modeling (PhISEM). PhISAM bietet die erweiterte Kontrolle über Parameter der modalen Synthesemodelle. Der PhISEM Algorithmus basiert auf pseudozufälligen Überlappungen und dem Hinzufügen kleinster Klangpartikel oder auf pseudozufälliger Veränderung der Parameter eines parametrischen Synthesemodells, bezugnehmend auf Regeln und Parameter die von rechnerunabhängigen physikalischen Simulationen und Heuristiken abgeleitet sind. Der PhISEM-Ansatz eignet sich zur Synthese von Klängen, für die die zufällige Interaktionen klangerzeugender Komponenten charakteristisch ist, wie z.B. Maracas, Schellenringe, Bambus-Windspiele und Wassertropfen. 9)

Dennis Nomer: »Physical Modelling«; Jurj Kojs: »At and Across: Physical and Virtual Action-based Music«; Chris Chafe: »Interplay(er) Machines«; ebd.: »Case Studies of Physical Models in Music Composition«, s. Anm. 215, S. 127 [Übers. M. H.]

Der größte Vorteil von Physical Modeling ist die Möglichkeit der Echtzeitkontrolle. Während andere Synthesemethoden einige algorithmisch spezifische und eher beliebige Kontrollparameter bieten, wie Filter Cutoff oder Modulierungsindex, erlaubt Physical Modeling die Kontrolle von Parametern, die eher musikalisch sind und einen komplexeren Einfluss auf Klangfarbe und Phrasierung haben. Beispiele solcher Parameter sind Ansatz/Mundstück oder Dämpfung/Zunge. Ein weiterer Vorteil von PM ist, dass Erzeugung der Klänge von ihrem Kontext abhängt: Ein Ton eines Klarinettenmodells klingt anders, wenn er mit einem Legato an den vorhergehenden Ton gebunden wird, als mit einer kleinen Pause dazwischen. Diese Abhängigkeit ist sehr viel komplexer, als das traditionelle SynthesizerPortamento oder die Glissando-Funktion. Ein anderes Beispiel: Die gleitende Tonhöhenverschiebung (Pitch Bend) einer Klarinette erhöht nicht einfach linear die Frequenz des Tons, sondern der Synthesizer wird ähnlich wie eine reale Klarinette reagieren, z.B. die Frequenz und die Klangfarbe für eine Weile erhöhen, dann jedoch in die nächste Oktave überblasen.

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10) Gerhard Eckel/Francisco Iovino/René Caussé: »Sound synthesis by physical modelling with Modalys«, s. Anm. 219, S. 129-130 [Übers. M. H.]

Das allgemeine Ziel in der Entwicklung von Synthesesystemen kann in der Annäherung von Signalmodellen und Physikalischen Modellen gesehen werden. Das Modalys Synthesemodell bietet verschiedene interessante Möglichkeiten, dieses Ziel zu erreichen. Die klare Abgrenzung linearer und nichtlinearer Komponenten dieses Modells erlaubt es, Klangsynthese sehr einfach mit Signalmodellen zu verbinden. Bereits die erste Version von Modalys ermöglichte die Erzeugung von Kontrollsignalen mit Modellen der additiven oder Frequenz-Modulation. In Zukunft planen wir, Modalys enger mit anderen Synthesemodellen zu verbinden, mit dem Ziel, eine homogene Plattform zu schaffen, die alle wichtigen Modelle enthält. In Bezug auf Physical Modeling ist es geplant, eine Datenbank mit ausgewerteten Modelldaten bereitzustellen, die mit Modalys benutzt werden können und den Zugriff zur Datenbank der IRCAM Resonanzmodelle zu ermöglichen. [...] Diese von der Analyse perkussiver Instrumente stammenden Datensätze sind mit der Modalen Repräsentation kompatibel, mit der Ausnahme, dass sie keine räumlichen Informationen enthalten. Es ist geplant, einen Objekttyp in Modalys aufzunehmen, der ›out-of-space Schwingungen eines einzelnen Punktes‹ simuliert. [...] Ein solches Objekt könnte unmittelbar die Beschreibung des Resonanzmodells nutzen und somit die Resonanzmodelle in Modalys verfügbar machen. Aus Sicht des Physical Modeling hingegen scheint eine solche Erweiterung widersprüchlich, da der grundlegende Unterschied zwischen Modaler Synthese und anderen Synthesetechniken ist, ›dass die räumlichen Eigenschaften der zugrunde liegenden Instrumente in der Modellierung enthalten sind‹. [...] Aus einer eher integrierenden Sicht erscheint diese Erweiterung dennoch nur logisch. Weitere Ergänzungen sind bezüglich verschiedener Interaktionsarten geplant, wie die Einführung allgemeinerer nichtlinearer Instrumente, die es ermöglichen sollen, komplexe Interaktionen in modularer Weise aus Basiselementen zu komponieren. Dies wird auch das momentan spärliche Repertoire an Interaktionstypen in Modalys kompensieren.

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V IRTUELLE I NSTRUMENTE

IM AKUSTISCHEN

C YBERSPACE

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Mathematische Musik – musikalische Mathematik, Saarbrücken 2005.



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Felderer, Brigitte: Wunschmaschine Welterfindung. Eine Geschichte der Technikvisionen seit dem 18. Jahrhundert, Wien 1996. —

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Felix, Rainer: Geräusch, Klang, Musik – Ein spektraltheoretischer Zugang, [= Eichstätter Hochschulreden 62], München 1988. Flach, Sabine: Körper-Szenarien. Zum Verhältnis von Körper und Bild in Videoinstallationen, München 2002. Fleiß, Sigrit/Gayed, Ina: Amor vincit omnia. Karajan, Monteverdi und die Entwicklung der neuen Medien, Wien 2000. Flessner, Bernd: Die Welt im Bild. Wirklichkeit im Zeitalter der Virtualität, Freiburg i.B. 1997.

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V IRTUELLE I NSTRUMENTE

IM AKUSTISCHEN

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»Xtended Sampling«, in: Reck, Hans-Ulrich/Fuchs, Mathias (Hg.), Sampling, Arbeitsberichte der Lehrkanzel für Kommunikationstheorie, H. 4, Wien 1995, S. 38-43.



»Abbild, Simulation, Aktion – Paradigmen der Medienmusik«, in: Flessner, Bernd (Hg.), Die Welt im Bild. Wirklichkeit im Zeitalter der Virtualität, Freiburg i.B. 1997, S. 239-257.



»Konstruktiv(istisch)e Gedanken zur ›Medienmusik‹«, in: Hemker, Thomas/ Müllensiefen, Daniel (Hg.), Medien – Musik – Mensch. Neue Medien und Musikwissenschaft, Hamburg 1997, S. 61-78.



»Vom Klavier zum Hyperinstrument? Rationalisierung, Interaktion und Synästhesie als Prinzipien digitaler Musikproduktion«, in: Warnke, Martin/Coy, Wolfgang/Tholen Georg Ch. (Hg.), HyperKult I. Geschichte, Theorie und Kontext digitaler Medien, Basel 1997, S. 393-410.



»Medienwerk und Konsumobjekt. Thesen zu einer Ästhetik der medialen Existenz von Musik«, in: Tagungsband EAS-2000, Budapest 2000 (Europäische Ar-

L ITERATURVERZEICHNIS

beitsgemeinschaft Schulmusik Kongress 2000 4.-7. Mai 2000, Ästhetische Bildung heute, Budapest, Ungarn), S. 144-150. —

»Signal, Material Sampling. Zur ästhetischen Aneignung medientechnischer Übertragung«, in: Sanio, Sabine/Scheib, Christian (Hg.), Übertragung – Transfer – Metapher. Kulturtechniken, ihre Visionen und Obsessionen, Bielefeld 2004, S. 91f.



»Collage, Montage, Sampling. Ein Streifzug durch (medien-)materialbezogene ästhetische Strategien«, in: Segeberg, Harro/Schätzlein, Frank (Hg.), Sound. Zur Technologie des Akustischen in den Medien, Marburg 2005, S. 308f.



»Distanzierte Verhältnisse? Zur Musikinstrumentalisierung der Reproduktionsmedien«, in: Harenberg, Michael/Weissberg, Daniel (Hg.), Klang (ohne) Körper. Spuren und Potenziale des Körpers in der elektronischen Musik, Bielefeld 2010, S. 183-200.

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»Der Okkultismus der Avantgarde um 1900«, in: Schade, Sigrid/Tholen, Georg Christoph (Hg.), Konfigurationen. Zwischen Kunst und Medien, München 1999, S. 338f.

Hahn, Hans: »Die Krise der Anschauung«, in: McGuinness, Brian (Hg.), Hans Hahn. Empirismus, Logik, Mathematik, Frankfurt a.M. 1988. Harenberg, Michael: »Die Rationalisierung des Virtuellen in der Musik«, in: Schade, Sigrid/Tholen, Georg Christoph (Hg.), Konfigurationen – Zwischen Kunst und Medien, München 1999, S. 160-176. —

Neue Musik durch neue Technik? Musikcomputer als qualitative Herausforderung für ein neues Denken in der Musik, Kassel/Basel/London/New York 1989.



»Virtuelle Instrumente im akustischen Cyberspace«, in: Bildungswerk des Verbandes Deutscher Tonmeister (Hg.), Bericht der 21. Tonmeistertagung Hannover 2000, München 2000, S. 970-991.

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V IRTUELLE I NSTRUMENTE



IM AKUSTISCHEN

C YBERSPACE

»Virtuelle Klangsynthese – Theorie und Praxis«, CD-ROM Klangkunst in Deutschland der Deutschen Gesellschaft für elektroakustische Musik (DeGeM), Mainz 2000.



»Virtuelle Instrumente zwischen Simulation und (De-)Konstruktion«, in: Kleiner, Marcus S./Szepanski, Achim (Hg.), Soundcultures. Über elektronische und digitale Musik, Frankfurt a.M. 2003, S. 69-94.



»Die Ästhetik der Simulation. Musik aus virtuellen Räumen«, in: Schade, Sigrid/Sieber, Thomas/Tholen, Georg Christoph (Hg.), SchnittStellen (= Basler Beiträge zur Medienwissenschaft, Bd. 1), Basel 2005, S. 389-399.



»Die musikalisch-ästhetische Verortung klingender Räume« in: Warnke, Martin/Coy, Wolfgang/Tholen, Georg Christoph (Hg.), HyperKult II. Zur Ortsbestimmung analoger und digitaler Medien, Bielefeld 2005, S. 211-231.



»Medium Musik – ein Fall für die systematische Musikwissenschaft?«, in: Perspektiven der System(at)ischen Musikwissenschaft. Symposium anlässlich des 60. Geburtstags von Prof. Dr. Bernd Enders, Universität Osnabrück. http://www. musik.uni-osnabrueck.de/veranstaltungen/Symposium_Osnabrueck_081207. html



»Von der Serie zum Loop«, in: Blättler, Christine (Hg.), Kunst der Serie: Die Serie in den Künsten, München 2010.



»Zur musikalischen Ästhetik klingender Räume«, in: Kiefer, Peter (Hg.), Klangräume der Kunst, Heidelberg 2010, S. 125-139.



»Schnittmuster in der Populären Musik: Historische Betrachtungen 19802008«, in: Brockhaus, Immanuel/Weber, Bernhard (Hg.), Inside The Cut: Digitale Schnitttechniken und Populäre Musik. Entwicklung – Wahrnehmung – Ästhetik, Bielefeld 2010.



/Weissberg, Daniel: Klang (ohne) Körper. Der Verlust der Körperlichkeit und die Entgrenzung des klanglichen Gestaltungspotenzials in der elektronischen Musik, Bielefeld 2010.



/Weissberg, Daniel: »Global kommunizieren, sich lokal missverstehen«, in: Kunsttexte.de, Audio Perspektiven Nr. 4/2011, Gerlach, Julia (Hg.), Kommunikation. Strategien und Effekte in technisch basierten musikalischen Kontexten, edoc-Server der Humboldt-Universität zu Berlin, [email protected], November 2011.



/Weissberg, Daniel: »Vorläufige Vorläufer. Vordergründige Bezüge und hintergründige Gegensätze zwischen Komposition und Sonifikation«, in: Schoon, Andi/Volmar, Axel (Hg.), Das geschulte Ohr: Eine Kulturgeschichte der Sonifikation, Bielefeld 2012.

Haverkamp, Anselm: Metapher. Die Ästhetik in der Rhetorik, München 2007.

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Die Technik und die Kehre, Pfullingen 1991.

Hemken, Kai-Uwe: Im Bann der Medien. Ein elektronisches Handbuch. Texte zur virtuellen Ästhetik in Kunst und Kultur, Weimar 1997. Hess-Lüttich, Ernest: Autoren, Automaten, Audiovisionen. Neue Ansätze der Medienästhetik und Tele-Semiotik, Wiesbaden 2001. Hiller, Lejaren A./Isaacson, Leonard M.: Experimental Music. Composition with an Electronic Computer, New York/Toronto 1959. —

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Hipfl, Brigitte/Klaus, Elisabeth/Scheer, Uta: Identitätsräume. Nation, Körper und Geschlecht in den Medien, Bielefeld 2004. Hirsch, Andreas: »Athanasius Kircher. Musurgia universalis», Schwäbisch Hall 1662, in: Wald, Melanie (Hg.), Welterkenntnis aus Musik. Athanasius Kirchers ›Musurgia universalis‹ und die Universalwissenschaft im 17. Jahrhundert, Kassel/ Basel 2006. Hindemith, Paul: »Zur mechanischen Musik«, in: Jöde, Fritz/Reusch, Fritz (Hg.), Die Musikantengilde – Blätter der Wegbereitung für Jugend und Volk, 5. Jahrgang, Heft 6/7, Wolfenbüttel/Berlin 1927, S. 156f. Hitzler, Ronald/Pfadenhauer, Michaela: Techno-Soziologie. Erkundungen einer Jugendkultur, Wiesbaden 2001. Hoffmann, E.T.A.: Die Automate. Erzählung (= Die kleinen Bücher der Arche), Zürich 1967. —

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V IRTUELLE I NSTRUMENTE

IM AKUSTISCHEN

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Die heiligen Kanäle. Über die archaische Illusion der Kommunikation, Zürich/ Berlin 2005.



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Hornbostel, Wilhelm/Jockel, Nils: Automatenwelten. FreiZeitzeugen des Jahrhunderts, München 1998. Hosokawa, Shuhei: Der Walkman Effekt, Berlin 1987. Hubig, Christoph: Technologische Kultur, Leipzig 1997. Humpert, Hans Ulrich: Elektronische Musik. Geschichte, Technik, Kompositionen, Mainz 1987. Huber, Jörg/Müller, Alois Martin: Raum und Verfahren. Interventionen / Museum für Gestaltung Zürich, Basel/Frankfurt a.M. 1993. Iglhaut, Stefan et al.: Illusion und Simulation. Begegnung mit der Realität, Ostfildern 1995. Jaffe, David A./Smith, Julius O.: »Extensions of the Karplus-Strong Plucked String Algorithm«, in: Computer Music Journal, Vol. 7 (2), Cambridge 1983, S. 56-69. Jankowiak, Tanja/Pazzini, Karl-Josef/Rath, Claus-Dieter: Von Freud und Lacan aus: Literatur, Medien, Übersetzen – zur »Rücksicht auf Darstellbarkeit« in der Psychoanalyse, Bielefeld 2006. Jansen, Meike: Gendertronics. Der Körper in der elektronischen Musik, Frankfurt a.M. 2005. Jauk, Werner: Der musikalisierte Alltag der digital Culture, Habil.schr., Graz 2005. Jecklin, Jürg: Geschichte der Audiotechnik, Wien 2003. http://www.mdw.ac.at/I101/ iea/tm/scripts/jecklin/tt01geschichte.pdf; http://www.mdw.ac.at/I101/iea/tm/ scripten.php?navId=5 Jeschke, Lydia: Prometeo. Geschichtskonzeptionen in Luigi Nonos Hörtragödie, Stuttgart 1997. Jöde, Fritz/Reusch, Fritz: »Die Musikantengilde – Blätter der Wegbereitung für Jugend und Volk«, 5. Jahrgang, Heft 6/7, Wolfenbüttel/Berlin 1927, S. 156f. Jörissen, Benjamin: Beobachtungen der Realität, Die Frage nach der Wirklichkeit im Zeitalter der neuen Medien, Bielefeld 2007.

L ITERATURVERZEICHNIS

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»Toward Embodied Musical Machines«, in: Lischka, Christoph/Sick, Andrea (Hg.), Machines as Agency. Artistic Perspectives, Bielefeld 2007, S. 18-33.



/Seifert, Uwe: »Embodiment«, in: Jäger, Ludwig/Krause, Marcus/Linz, Erika/ Schabacher, Gabriele (Hg.), Kulturwissenschaftliche Medientheorie. Ein Forschungshandbuch, Linz 2012 (Vorankündigung).

Kittler, Friedrich A.: »Der Gott der Ohren«, in: Kamper Dietmar/Wulf, Christoph (Hg.), Das Schwinden der Sinne, Frankfurt a.M. 1984, S. 140-155. —

»Gleichschaltungen. Über Normen und Standards der elektronischen Kommunikation«, in: Faßler, Manfred/Halbach, Wulf (Hg.), Geschichte der Medien, München 1984, S. 263f.



Aufschreibesysteme 1800/1900, München 1985.



Grammophon. Film. Typewriter, Berlin 1986.



»Weltatem. Über Wagners Medientechnologie«, in: ders./Schneider, Manfred/



»Fiktion und Simulation«, in: Ars Electronica Linz (Hg.), Philosophie der neu-



/Tholen, Georg Christoph: Arsenale der Seele. Literatur- und Medienanalyse

Weber, Samuel (Hg.), Diskursanalysen 1: Medien, Wiesbaden 1987, S. 94-107. en Technologie, Berlin 1989, S. 57-80. seit 1870, München 1989. —

»Synergie von Mensch und Maschine. Ein Gespräch mit Florian Rötzer«, in: Kunstforum, Nr. 98, Ästhetik des Immateriellen, Teil II, Januar/Februar 1989, S. 108-117.



»Der Gott der Ohren«, in: ders. (Hg.), Draculas Vermächtnis. Technische Schriften, Leipzig 1993, S. 130f.



Draculas Vermächtnis. Technische Schriften, Leipzig 1993.

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V IRTUELLE I NSTRUMENTE



IM AKUSTISCHEN

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Optische Medien. Berliner Vorlesung 1999, Berlin 2002. /Macho, Thomas/Weigel, Sigrid: Zwischen Rauschen und Offenbarung. Zur Kultur- und Mediengeschichte der Stimme, Berlin 2002.



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Musik und Mathematik, Bd. 1. Hellas/Tl. 1. Aphrodite, München 2006.



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Kiwus, Wolfgang zitiert Max Bense »Der geistige Mensch und die Technik«, in: Semiosis, Internationale Zeitschrift für Semiotik und Ästhetik. Jg. 23, H. 3/4 1998, Baden-Baden 1997, S. 17f. Klangkunst, Akademie der Künste Berlin (Hg.), München 1996. Klein, Gabriele: »Die Aura des Ereignisses«, in: Meine, Sabine/Hottmann, Katharina (Hg.), Puppen, Huren, Roboter. Körper der Moderne in der Musik zwischen 1900 und 1930, Schliengen 2005, S. 136-147. Kleiner, Marcus S./Szepanski, Achim: Soundcultures. Über elektronische und digitale Musik, Frankfurt a.M. 2003. —

/Chlada, Marvin: »Tanzen Androiden zu elektronischer Musik? Eine Reise durch das Universum der Sonic Fiction«, in ebd., S. 218-235.

Kleist, Heinrich von: Über das Marionettentheater (1810), Frankfurt a.M. 1980. Klug, Marcus: Im Club der Rhizonauten. Wie man verwucherte Literaturen in digitalen Netzen bespielt. http://www-public.rz.uni-duesseldorf.de/~kurwinke/ rhizonauten.pdf Knaller, Susanne/Müller, Harro: Authentizität. Diskussion eines ästhetischen Begriffs, München 2006. Knepler, Georg: Musikgeschichte des XIX. Jahrhunderts I + II, Berlin 1961. —

Geschichte als Weg zum Musikverständnis. Zur Theorie, Methode und Geschichte der Musikgeschichtsschreibung, Philipp Reclam jun., Leipzig 1982.

L ITERATURVERZEICHNIS

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Unveröffentlichte Thesen zu: Per-Formanz: Theater- und Medientheorie. Pro-



»Intermediale Ästhetik: Spiel – Ritual – Performanz«, unveröffentlichte Thesen



»Dazwischen – Die Medialität der Medien. Eine Skizze in vier Abschnitten«,

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V IRTUELLE I NSTRUMENTE



IM AKUSTISCHEN

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/Thomsen, Christian W./Krewani, Angela: »Der Walkmann-Effekt. Neue Konzepte für mobile Räume und Klangarchitekturen«, in: Daidalos. Architektur, Kunst, Kultur, H. 36, Juni 1990, S. 52-61.

Xenakis, Iannis: »Arts/Sciences: Alloys. The Thesis Defense of Iannis Xenakis«, in: Pendragon Press Aesthetics in Music Series; No. 2, New York 1985, S. 66f. Deutsche Übersetzung in: Ars Electronica (Hg.), »Fließende neon-grelle Schatten: Die Musik von Iannis Xenakis«, Festival-Programm 2003 »Code – The Language of our Time«. http://90.146.8.18/de/archives/festival_archive/festival_catalogs/festival_artikel.asp?iProjectID=12326 Zelli, Bijan: Reale und virtuelle Räume in der Computermusik. Theorien, Systeme, Analysen, Berlin 2001. http://opus.kobv.de/tuberlin/volltexte/2001/299/ Zizek, Slavoj: Liebe Dein Symptom wie Dich selbst! Jacques Lacans Psychoanalyse und die Medien, Berlin 1991.

MedienAnalysen Regine Buschauer Mobile Räume Medien- und diskursgeschichtliche Studien zur Tele-Kommunikation 2010, 364 Seiten, kart., 31,80 €, ISBN 978-3-8376-1246-2

Nadja Elia-Borer, Samuel Sieber, Georg Christoph Tholen (Hg.) Blickregime und Dispositive audiovisueller Medien 2011, 346 Seiten, kart., zahlr. Abb., 32,80 €, ISBN 978-3-8376-1779-5

Till A. Heilmann Textverarbeitung Eine Mediengeschichte des Computers als Schreibmaschine Mai 2012, 290 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1333-9

Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de

MedienAnalysen Till A. Heilmann, Anne von der Heiden, Anna Tuschling (Hg.) medias in res Medienkulturwissenschaftliche Positionen 2011, 300 Seiten, kart., zahlr. Abb., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1181-6

Stefan Münker Philosophie nach dem »Medial Turn« Beiträge zur Theorie der Mediengesellschaft 2009, 224 Seiten, kart., 25,80 €, ISBN 978-3-8376-1159-5

Claudia Reiche Digitale Körper, geschlechtlicher Raum Das medizinisch Imaginäre des »Visible Human Project« 2011, 398 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1713-9

Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de

MedienAnalysen Anton Bierl, Gerald Siegmund, Christoph Meneghetti, Clemens Schuster (Hg.) Theater des Fragments Performative Strategien im Theater zwischen Antike und Postmoderne

Joachim Michael Telenovelas und kulturelle Zäsur Intermediale Gattungspassagen in Lateinamerika

2009, 310 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN 978-3-89942-999-2

Anna Tuschling Klatsch im Chat Freuds Theorie des Dritten im Zeitalter elektronischer Kommunikation

Andy Blättler, Doris Gassert, Susanna Parikka-Hug, Miriam Ronsdorf (Hg.) Intermediale Inszenierungen im Zeitalter der Digitalisierung Medientheoretische Analysen und ästhetische Konzepte

2010, 404 Seiten, kart., 34,80 €, ISBN 978-3-8376-1387-2

2009, 294 Seiten, kart., 28,80 €, ISBN 978-3-89942-952-7

2010, 262 Seiten, Kart., zahlr. Abb., 27,80 €, ISBN 978-3-8376-1191-5

André Eiermann Postspektakuläres Theater Die Alterität der Aufführung und die Entgrenzung der Künste 2009, 424 Seiten, kart., zahlr. Abb., 35,80 €, ISBN 978-3-8376-1219-6

Michael Harenberg, Daniel Weissberg (Hg.) Klang (ohne) Körper Spuren und Potenziale des Körpers in der elektronischen Musik 2010, 256 Seiten, kart., 19,80 €, ISBN 978-3-8376-1166-3

Dominik Landwehr Mythos Enigma Die Chiffriermaschine als Sammler- und Medienobjekt 2008, 258 Seiten, kart., zahlr. Abb., 25,80 €, ISBN 978-3-89942-893-3

Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de

Zeitschrif t für Kultur wissenschaf ten Dorothee Kimmich, Schamma Schahadat (Hg.)

Essen Zeitschrift für Kulturwissenschaften, Heft 1/2012

Mai 2012, 202 Seiten, kart., 8,50 €, ISBN 978-3-8376-2023-8 Der Befund zu aktuellen Konzepten kulturwissenschaftlicher Analyse und Synthese ist ambivalent. Die Zeitschrift für Kulturwissenschaften bietet eine Plattform für Diskussion und Kontroverse über »Kultur« und die Kulturwissenschaften – die Gegenwart braucht mehr denn je reflektierte Kultur sowie historisch situiertes und sozial verantwortetes Wissen. Aus den Einzelwissenschaften heraus wird mit interdisziplinären Forschungsansätzen diskutiert. Insbesondere jüngere Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen kommen dabei zu Wort. Lust auf mehr? Die Zeitschrift für Kulturwissenschaften erscheint zweimal jährlich in Themenheften. Bisher liegen 11 Ausgaben vor. Die Zeitschrift für Kulturwissenschaften kann auch im Abonnement für den Preis von 8,50 € je Ausgabe bezogen werden. Bestellung per E-Mail unter: [email protected]

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