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German Pages 198 [208] Year 1986
G. Heath King Existenz, Denken, Stil: Perspektiven einer Grundbeziehung
G. Heath King
Existenz, Denken, Stil: Perspektiven einer Grundbeziehung Dargestellt am Werk Soren Kierkegaards
w DE
G 1986 Walter de Gruyter • Berlin • New York
Gedruckt auf säurefreiem Papier (alterungsbeständig — pH 7, neutral)
CIP- Kur^titelaujnahme der Deutschen Bibliothek King, G. Heath: Existenz, Denken, Stil: Perspektiven einer Grundbeziehung : dargest. am Werk Seren Kierkegaards / G. Heath King. — Berlin ; New York : de Gruyter, 1986. ISBN 3-11-010243-9
© 1986 by Walter de Gruyter & Co., Berlin 30, Genthiner Straße 13. Printed in Germany Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung in fremde Sprachen, vorbehalten. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es auch nicht gestattet, dieses Buch oder Teile daraus auf photomechanischem Wege (Photokopie, Mikrokopie, Xerokopie) zu vervielfältigen. Satz und Druck: Arthur Collignon GmbH, Berlin 30 Einband: Lüderitz & Bauer, Berlin 61
Meinen Eltern gewidmet
Danksagung Ich habe mehreren Personen aus verschiedenen Gründen zu danken, insbesondere Rixta Fambach und Helga Deppermann. Für ihren Beitrag zum Korrekturlesen des Manuskriptes möchte ich auch Frau Lise Davis vom germanistischen und Timothy Kircher vom historischen Seminar der Yale University Dank aussprechen. Der Text ist ursprünglich in englischer Sprache verfaßt. Unter meiner Mitarbeit wurde er danach ins Deutsche übersetzt von Ulrich Hoffmann und Helga Deppermann, denen ich zu großem Dank verpflichtet bin. Das Buch wurde im Gedenken an H. W. Cassirer geschrieben. G. H. K.
Inhaltsverzeichnis Kapitel I 1. Spuren zum Leitgedanken der Arbeit in der philosophischen Tradition. Das Verborgene im philosophischen Vorfeld 2. Verborgene Lebensgrundlagen: Zeugnisse in Dichtung und Psychologie 3. Existenz, Denken, Stil: Das Zutagetreten einer zeitlosen Grundbeziehung 4. „Die Metapher ist weit klüger als ihr Verfasser" (Lichtenberg) — Assoziative Unterströmungen aus dem Erfahrungsbereich des Autors
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Kapitel II 1. Kierkegaards kreisförmige Denkbewegung als Bezugsrahmen für eine neue Lesart 2. Die Metapher als Begleiter des Begriffs: dialektische Verwandlungen 2.1. Der metaphorische Appell an den Willen zur Wandlung . . . 2.2. „Der Duft des Erlebten" in der Situation der Erinnerung . . 3. Die leitenden Bilder vom Flechten, Spinnen, Weben 4. Voraussetzungen der Bilderverwendung im Modus der Daseinserfahrung — eine historische Abgrenzung von unpoetischer Verfahrensweise 5. Akustik, Optik, Rhythmus — Medien der Kontaktaufnahme und des Empfangs 5.1. Die rhythmische Bewegung des Denkens 5.2. Die Metaphorik von Auge und Ohr 5.3. Die Seelenführerin im Manne 6. Die Annäherung von Dichtung und Philosophie: Persönlichkeit als erste Bedingung der Wahrheitsvermittlung
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Inhaltsverzeichnis
Kapitel III 1. Der seelische Hintergrund der Naturmetaphorik 2. Die Rückkehr zum Anschaulichen im 19. Jahrhundert und ihre Manifestation in der Ausdrucksweise 3. Selbsterkenntnis als absolute Bedingung für alles Verstehen und die Widerspiegelung des Standes der Selbsterkenntnis im Stil . . .
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Kapitel IV 1. Die Metapher des Lichts. Das Licht der Metapher. Die allmähliche Auflösung der Bindung der Lichtmetaphorik an das Transzendente im neuzeitlichen Denken 83 83 1.1. Der Reflex der Existenzweise in der Lichtmetaphorik . . . . 1.2. Das 20. Jahrhundert: Die Zeit der Weltnacht und die Inversion der Bedeutung der Dunkelheit 90 1.3. Zwei Quellen des Lichts: „Der Glanz des Ewigen" und „das erleuchtete neunzehnte Jahrhundert". Überblendungseffekte . 96 1.4. Das Wagnis des Sich-Zeigens, die Flucht ins AllgemeinAbstrakte und ihr Niederschlag im Stil 102 2. Berlin und das Vorbegriffliche: Die Wiederentdeckung eines vergessenen Satzes: „Sprich, damit ich dich sehe" 112 3. Blickrichtungen. Eine morphologische Momentaufnahme der Zeit als Indiz für den Verlust der Subjektivität 121 Kapitel V 1. Skeptisches Denken in der Sphäre der Möglichkeit und Ursprünglichkeit des Stils 1.1. Die Auflösung der idealen Identität von Denken und Sein im Fließen der Existenz 1.2. Unmittelbare Wahrnehmung und unmittelbares Erkennen als Halt des Zweifels 1.3. Das Schwerefeld von einander im Gleichgewicht haltenden Möglichkeiten als Nährboden der „Kunst der Zweideutigkeit" 2. Die Ausfahrt vom Festland als Ausdruck des dichterisch-philosophischen Standortbewußtseins 3. Hochmut der Ratio und Humor. Die nach innen gerichtete Verschiebung der Perspektive aus der Zeitlichkeit ins Ewige . . .
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Inhaltsverzeichnis
XI
Kapitel VI 1. Unmittelbarkeit vor und nach der Reflexion: Der dialektische Bedeutungswandel der Metaphern von Auge und Ohr 2. Die Ausweitung des Horizonts 2.1. „Die Fahrt nach der Ewigkeit": Die See als Schauplatz der Prüfung des Geistes 2.2. Das Meer als Weg zur transzendenten Heimat und dessen Entheiligung aus verborgener Angst vor dem Unendlichen
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Kapitel VII 1. Das Verhalten in der Grundstimmung der Stille. Die Wiederaufwertung der Tugend der Tapferkeit und ihr exegetisches Potential . 163 2. Schweigen als vorbereitende Modalität für das wesentliche Reden 163 3. Lauschende Geistesverwandtschaften und das akustische Wesen der Erinnerung 173 Verzeichnis der zitierten Literatur
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Register
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„That every word doth almost tell my name Showing their birth, and where they did proceed" Shakespeare, Sonett 76
Kapitel I 1. Spuren %um Leitgedanken der Arbeit in der philosophischen Das Verborgene im philosophischen Vorfeld
Tradition.
Der Beziehung zwischen persönlicher Existenz eines Denkers und der spezifischen Weise, in der in seiner Philosophie Form und Inhalt aufeinander bezogen erscheinen, ist bei der Interpretation und Bewertung der Fülle philosophischer Gedanken nicht eben große Beachtung geschenkt worden. Die Praxis der philosophischen Diskussion konzentriert sich gemeinhin auf drei vorherrschende Lehrrichtungen der Erkenntnistheorie. Die erste davon ist die „Adäquationstheorie", derzufolge die Wahrheit einer Behauptung davon abhängt, inwieweit sie mit dem jeweiligen Sachverhalt übereinstimmt. Indem die Kriterien für eine solche Übereinstimmung in Frage gestellt wurden, entstand eine andere Theorie, die darauf abzielte, die Kontroverse dadurch zu beenden, daß als einzig zuverlässige Kriterien die „Kohärenz" einer Behauptung — der Grad, in dem alle ihre Teile untereinander und mit dem Ganzen in Einklang sind — postuliert wurde. Einer weiteren Theorie zufolge, die ihren Ursprung in verschiedenen pragmatischen Tendenzen seit der Mitte des 19. Jahrhunderts hat, ist eine Behauptung nur dann wahr, wenn sie sich in der praktischen Anwendung in der Realität bewährt. Jede dieser Theorien wurde verschieden ausgelegt und in ihren Spielarten diskutiert; heute wird diese Problemstellung zunehmend unter der Rubrik „Wissenschaftstheorie" subsumiert, in der die Diskussion unter anderem mit den Methoden der mathematischen Logik und der logischen Sprachanalyse fortgeführt wird. Fragt man danach, was diese Theorien trotz ihrer beträchtlichen Unterschiede miteinander verbindet, so wird man eine wesentliche Gemeinsamkeit bemerken: bei jeder Theorie ist die Perspektive allein auf das beschränkt, was behauptet wird. Von dieser Diskussion entfernt sich die Leitfrage der vorliegenden Untersuchung dadurch, daß sich ihr Interesse nicht auf das ,Was' einer sprachlichen Aussage richtet, sondern einen Bereich im Auge hat, der vor aller inhaltlichen Faktizität von Aussagen liegt. So fragt sie nicht nach
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Das Verborgene im philosophischen Vorfeld
dem Verhältnis einer Aussage zu einem gegebenen Sachverhalt oder nach dem immanenten Bezugssystem in einer in sich geschlossenen begrifflichen Formulierung. Vielmehr soll der Versuch unternommen werden, sich einer anderen, zweifachen Beziehung zuzuwenden, von der zwar in der Diskussion nahezu keine Notiz genommen worden ist, auf die diese aber dennoch in ihrer Gesamtheit gegründet zu sein scheint: die Beziehung zwischen der Person des Denkers selbst und dem, was ausgesagt ist, und der Niederschlag von beidem im ,Wie' einer Aussage. Wir nähern uns diesem Problem, indem wir der Art und Weise nachgehen, in der es im Werk des religiösen Denkers Kierkegaard in Erscheinung tritt. Der Ausdruck „in Erscheinung treten" ist in diesem Zusammenhang wohl der treffendste; denn obwohl diese zweifache Beziehung, wie sich zeigen wird, im Werk Kierkegaards tiefer erahnt ist als bei irgendeinem Denker, können doch vereinzelte Ansätze zu einer solchen Reflexion in der gesamten Geschichte des Denkens gefunden werden, auch wenn sie niemals zentrale Bedeutung hatten und ihre Implikationen nicht weiter verfolgt wurden. So erwähnt Aristoteles, auf den die Adäquationstheorie letztlich zurückgeht, in seiner Rhetorik1 und seiner Ethik? den Einfluß, den Lebensweise, Charakter und Emotionalität auf ein Urteil ausüben. Dieser Gedanke ist allerdings nicht in seiner Metaphysik anzutreffen. Vor ihm finden sich in den platonischen Dialogen Hinweise auf die nichtrationalen Qualitäten des Charakters und der inneren Verfassung, wie sie dem kognitiven Vorgang zugrunde liegen, gleichsam als Voraussetzung für das Denken selbst. Es scheint bezeichnend, daß Sokrates, wenn er von den Qualitäten spricht, die zur Natur des Philosophen gehören3, zuerst dvSpeia (Tapferkeit) und (X£YOtXo7tp£7isia (Edelsinn) erwähnt, während eu^döeva (Gelehrigkeit) und |ivf)|ir| (Gedächtnis) erst anschließend aufgeführt werden. In der mystischen Tradition mit ihrer starken Konzentration auf das Innenleben stößt man gelegentlich auf noch direktere Hinweise auf die Verbindung zwischen der inneren Verfassung und der Lebensweise eines Menschen und der Eigenart der Philosophie, die er vertritt. Diese Beziehung leuchtet in der Fünften Enneade von Plotin kurz auf. Darin wird ein einseitiges Verharren bei der Sinnenwelt auf Kosten des Geistes bei den 1
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Aristoteles, The Art of Rhetoric (Greek-English), übers, v. J. R. Freese, hg. von T. E. Page, Cambridge, Mass./London, England 1947, Buch II, 1378 b , 8, S. 172 f. Ibid., Eudemian Ethics (Greek-English), übers, v. H. Rackham, hg. v. T. E. Page, Cambridge, Mass./London, England 1947, Buch II, 1222 b , 10, S. 260 f. Piaton, Der Staat IV, 490 c in: Werke Bd. IV, hg. von G. Eigler, Darmstadt 1977, S. 487 (Überset2ung von Schleiermacher).
Das Verborgene im philosophischen Vorfeld
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Überlegungen derjenigen, die „o'i ye A,6you nexajcoioüiievoi" (sich anmaßen, philosophisch zu denken), nicht einfach nur als ein Irrtum der Ratio aufgefaßt, sondern auf eine anhaltende und ausschließliche Beschäftigung mit der Sinnenwelt im Leben des betreffenden Philosophen zurückgeführt. 4 Beobachtungen ähnlicher Art finden sich verstreut in fragmentarischer Form im lateinisch-christlichen Denken, insbesondere auch im Werk Augustins. In den Schriften dieses Denkers tritt die skizzierte Deutungsweise bezeichnenderweise in dem Maße immer häufiger auf, in welchem sich sein psychologisches Denken vertieft und verfeinert. So sind Augustins Einwände gegen Senecas Ansichten über die innere Freiheit nicht auf die Ebene einer vermeintlichen Fehlinterpretation oder fehlerhaften Formulierung des Problems begründet, sondern tiefer in der Diskrepanz, die er zwischen Senecas Ansprüchen der inneren Freiheit und seiner Lebensweise sieht: „Libertas ... Annaeo Senecae ... verum ex aliqua parte non defuit. Adfuit enim scribenti, viventi defuit." (Annaeus Seneca besaß die Freiheit teilweise, denn er besaß sie im Schreiben, nicht aber in seinem Leben). 5 Die fundamentale Beziehung zwischen der Lebensweise eines Denkers und seinen philosophischen Behauptungen wird ansatzweise wieder in der Skepsis der Renaissance aufgegriffen, allerdings von einer ganz anderen Ausgangsposition her, doch ebenfalls mit psychologischer Hellsicht. Mit einer für den skeptischen Geist charakteristischen Agilität und Leichtigkeit begegnet Montaigne den Behauptungen der verschiedenen philosophischen Schulen nicht mit Gegenargumenten, sondern tritt vielmehr aus den akademischen Argumentationsbahnen heraus und stellt die wenig berücksichtigte Frage, „ob und wie ihre Gründer und Anhänger in denkwürdigen und beispielhaften Lebenslagen ihren Lehrsätzen nachlebten." 6 Diese Frage sollte in vielen ihrer unerforscht gebliebenen Aspekte und Implikationen im philosophischen Denken der folgenden zwei Jahrhunderte von peripherem Interesse bleiben, oder völlig außer Acht gelassen werden. Wiewohl freilich das Interesse des philosophischen Denkens sich mehr und mehr der Vernunft selbst als dem letzten Grund und dem Maß seiner Arbeit zuwandte, werden dennoch Anzeichen dafür erkennbar, daß dieser fundamentalen Beziehung wieder mehr Aufmerksamkeit geschenkt wurde. So berührt im ausgehenden 18. Jahrhundert Wilhelm von Humboldt etwa t Plotin, Enn. V 9, 1, 7 (Plotins Schriften, Bd. I, Hamburg 1956, S. 101). 5 Saint Augustine, The City of God (Latein-English) Vol. II, transl. by W. M. Green, ed. T. E. Page, Cambridge, Mass. 1963, Book VI, Chap. X, S. 350. 6 Montaigne, „Apologie des Raimund Sebundus", in: Essais, übers, von H. Lüthy, S. 476, Zürich 1953.
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Verborgene Lebensgrundlagen: Zeugnisse in Dichtung und Psychologie
in seiner Rezension von Jacobis Woldemar diese Problematik. Humboldt eröffnet nun insofern einen anderen Blickwinkel, als dieser einerseits von einer geschärften Sensibilität für die kommunikativen Möglichkeiten der Charakterbeschreibung, wie sie im Zuge der neuen Entwicklungen auf dem Gebiet des Romans zu erscheinen begannen7, beeinflußt ist, und andererseits auf einem tieferen Eindringen in die präkognitiven Grundlagen von Denken und Sprache beruht, die Humboldt beide als „Erzeugung" der „inneren Geistestätigkeit" des Individuums und der Epoche begreift. 8 Humboldts „Woldemar"-Rezension beginnt mit dem folgenden Satz: „Wenn ein philosophisches System nach seiner inneren Consequenz und Übereinstimmung mit der selbsterkannten Wahrheit objectiv beurtheilt ist; kann es nunmehr auch subjectiv mit dem Geiste und dem Charakter seines Urhebers verglichen, und untersucht werden, mit welchem Grade der Nothwendigkeit es aus seiner Individualität entspringt, und welche Eigenthümlichkeit diese in dieser Richtung an sich trägt." 9
2. Verborgene Lebensgrundlagen: Zeugnisse in Dichtung und Psychologie Schon immer ist diese Beziehung hauptsächlich in der Literatur zutagegetreten, und zwar nicht am Rande, sondern als eigentliche Basis der Mitteilung. Keine Aussage einer Person in einem Roman oder Drama erschließt sich je dem Leser in ihrer ganzen Bedeutung allein aus ihrem bloßen Wortlaut; er reicht nicht aus, um über Wahrheit oder Abwegigkeit der Äußerung zu entscheiden. Die wahre Bedeutung erkennt der Leser vielmehr nur vor dem gesamten Hintergrund des Sprechers, durch das Zusammenspiel seines Temperaments, seiner Ängste, Pläne, Absichten, seiner Beziehung zu anderen Figuren, vor allem aber zu sich selbst. Man sollte in diesem Zusammenhang bedenken, wie die innere Grundverfassung der Figur dem Leser nahegebracht wird. In den Werken der Dichter von Rang — und nur diese können hier als Orientierungshilfe dienen — wird sie durch das vermittelt, was auf den ersten Blick als unwichtiges und unzusammenhängendes Detail anmutet, was sich aber plötzlich im 7
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Es sei hier insbesondere auf das Entstehen des „Bildungsromans" verwiesen, der die verschiedensten Stufen der seelischen Entwicklung eines Individuums auf dem Wege zu einem Verständnis seiner selbst und seines Verhältnisses zur Welt darzustellen sucht. Wilhelm v. Humboldt, Über die Verschiedenheiten des menschlichen Sprachbaus und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts, in: Werke, hg. v. A. Flitner u. K. Giel, Bd. 3, Stuttgart 1963, S. 416. Humboldt, Rezension von Jacobis Woldemar, Werke, a. a. O., Bd. 1, Stuttgart i960, S.241.
Verborgene Lebensgrundlagen: Zeugnisse in Dichtung und Psychologie
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gegebenen Augenblick zu einem Anhaltspunkt mit Schlüsselfunktion für das Verständnis einer Figur verdichten kann — wie etwa das von einem inneren Problem ablenkende Lächeln des Adelsmarschalls in Tolstois Anna Karenina, das eine heimliche Angst verrät und sich einstellt, als die theoretische Diskussion vom abstrakten in den persönlichen Bereich überzugehen beginnt, ein Lächeln, das den Verdacht „verborgener Lebensgrundlagen" nahelegt und die vorangegangene Rede in einem neuen Licht erscheinen läßt. 10 Gestik, Gang, der Blick eines Auges, aber auch eine betonte Vorliebe für Schmuck oder Einfachheit bei der Kleidung kann die Konturen einer Person verdeutlichen und dazu beitragen, ihre Aussagen zu erhellen. Je mehr ein Künstler für die verschiedenen Schattierungen der Gefühlsinhalte des gesprochenen Wortes sensibilisiert ist, um so besser kann er die hier zu behandelnde Beziehung durch den Sprachgebrauch zum Ausdruck bringen. Auf dem Höhepunkt der Dichtung wird diese Vermittlungsart die bestimmende Form dichterischer Offenbarung; so, wenn in der Odyssee König Alkinoos aufgrund der Art und Weise, wie Odysseus seine Geschichte erzählt, dessen Redlichkeit anerkennt: „croi 5' Sni |i£V |iop(pf) ¿HECOV, evi 56 53 Nachschrift I, a. a. O., S. 68. «m Ibid., S. 78. 151
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Blickrichtungen. Eine morphologische Momentaufnahme der Zeit
zu geben vermag — „Den Stil verbessern — das heißt den Gedanken verbessern und nichts weiter" 155 — so dringt Kierkegaard noch tiefer — in den zugrundeliegenden Bereich der Existenz des Denkers selbst. Für Kierkegaard sind der Mangel an innerer Überzeugung und Ursprünglichkeit, die Tendenz zum „Dozieren" und „Ableiern", das Festhalten an systematischer Gewißheit alles Anzeichen dafür, daß der Denker einen Verlust in seiner ursprünglichen Existenzbeziehung erlitten hat. An jedem dieser Charakteristika kann die fehlende Bereitschaft erspürt werden, die Ungewißheit des irdischen Lebens zu akzeptieren, oder der Versuch, sich aus dem kontinuierlichen Fließen der Existenz zu abstrahieren — ein Fließen, das alles Denken in den Bereich der Möglichkeit und gerade nicht der Gewißheit trägt. Dieses Abstrahieren von der Existenz bringt einen Verlust an Innerlichkeit mit sich; der Prozeß der Aneignung156 geht so verloren, ein Verlust, der sich letztlich auf der Ebene des Stils des betreffenden Philosophen widerspiegelt: „Der Existierende ist beständig im Werden; der wirklich existierende subjektive Denker bildet beständig diese seine Existenz denkend nach und setzt all sein Denken in das Werden. Es ist hiermit beschaffen wie mit dem Stil-Haben; nur der hat eigentlich Stil, der nie etwas auf Vorrat hat, sondern jedesmal, wenn er beginnt, ,die Wasser der Sprache bewegt', so daß der alleralltäglichste Ausdruck für ihn mit neugeborener Ursprünglichkeit ersteht." 157 Nietzsche, Menschliches, All^ummschliches, •56 Nachschrift I, a. a. O., S. 194 f. >57 Ibid., S. 78. 155
Werke, Bd. I, a. a. O., S. 930.
Kapitel V 1. Skeptisches Denken in der Sphäre der Möglichkeit und des Stils
Ursprünglichkeit
1.1 Die Auflösung der idealen Identität von Denken und Sein im Fließen der Existenz Mit Kierkegaards Hinweis darauf, daß ein existierender subjektiver Denker im Fluß der Existenz niemals etwas fertig hat und dementsprechend sein Denken und seine Sprache beständig in einen Prozeß des Werdens versetzt, kehren wir zu jenem Punkt zurück, der zu Beginn der vorliegenden Arbeit als der Ausgangspunkt von Kierkegaards philosophischem Denken bezeichnet worden ist: es ist die unüberbrückbare Kluft innerhalb der idealen Identität von Denken und Sein. Aus der Tiefe dieser Kluft entsteht auch jene andere Eigenart von Kierkegaards Denken, die weiter oben schon angesprochen wurde, nämlich seine Skepsis. Wenngleich dieser Besonderheit des Kierkegaardschen Denkens von seinen Interpreten auch bemerkenswert wenig detaillierte Beachtung geschenkt worden ist — besonders diejenigen unter ihnen, die Kierkegaard im Umkreis des deutschen Idealismus anzusiedeln trachten, gehen kaum auf sie ein — so wird sich dennoch zeigen, daß es eben diese Besonderheit ist, die den zugrundeliegenden Wesenszug seines Denkens ausmacht, jenen Bereich, in welchem sich die einzelnen Elemente dieses Denkens erst zu einer Einheit zusammenfügen und stilistische Reife erreichen. Freilich gilt die Bezeichnung „Skepsis" für alle ihre verschiedenen historischen Ausprägungen. Aber nicht alle führten hin zu einem Durchbruch in die Sphäre des Religiösen oder machten ihn auch nur möglich; und andererseits waren sich diejenigen Denker, die den Schritt in diese Sphäre aus der Bewegung des skeptischen Denkens heraus getan haben, längst nicht immer über den genauen Punkt einig, an dem der Zweifel aufhört und der Glaube im eigentlichen Sinne beginnt. Soll daher die Bezeichnung „Skepsis" keine Mißverständnisse aufkommen lassen, so gilt es, sich Kierkegaards spezifischer Auffassung von Skepsis zuzuwenden,
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Skeptisches Denken und Ursprünglichkeit des Stils
ohne den historischen Hintergrund aus den Augen zu verlieren. Da diese historische Dimension in ihrem Wesen nicht bloß in einem Feld simpler philosophiegeschichtlicher Daten und Querverweise festzumachen ist, sondern eben jenem ungesprochenen und schwer faßbaren Erbe des menschlichen Geistes und seiner Ausdrucksformen angehört, welches wir während unserer gesamten Untersuchung zu enthüllen versuchen, bleibt uns die Aufgabe, diese Tiefendimension noch genauer auszuloten. Insofern soll durch einige historische Vergleiche und Gegenüberstellungen auf der genannten fundamentalen Ebene der Versuch unternommen werden, zu einem tieferen Verständnis der Art zu gelangen, in welcher die primäre Beziehung von Existenz, Denken und Stil bei Kierkegaard in besonderer Weise zum Ausdruck kommt; in diesem Zusammenhang mögen sich dann auch noch weitere Möglichkeiten der philosophischen Interpretation und Bewertung öffnen. Erkenntnis zu suchen inmitten des Fließens der menschlichen Existenz, in welcher die ideale Identität von Denken und Sein aufgelöst ist, bedeutet für Kierkegaard, in Antizipation und Rückbesinnung „momentweise" zu denken. 1 Denn der Denker müßte ja, um die absolute Kontinuität zu erfassen, diese einzelnen Momente zusammenschließen, er müßte die Realität sub specie aeternitatis betrachten — eine Unmöglichkeit, denn zu diesem Zwecke müßte er sich von seiner eigenen Existenz loslösen, was zu dem Widerspruch führt, daß er, um die Existenz zu denken, aufhören müßte zu existieren. 2 Das aber bedeutet, daß immer da, wo der Gedanke seiner selbst habhaft wird, die Realität aufgehoben wird. Insofern erfahrt die Tätigkeit des Denkens bei Kierkegaard eine Verschiebung in ihrem Stellenwert — aus dem Bereich der Wirklichkeit in die Sphäre der Möglichkeit. Intellektuell gesehen hat zwar auch das Denken Realität, aber nur eine „Gedankenrealität", die im Verhältnis zu der Wirklichkeit nichts anderes als eine Möglichkeit ist, und als solche eine Hypothese, die nicht weiter ausgeführt werden kann. 3
1.2 Unmittelbare Wahrnehmung und unmittelbares Erkennen als Halt des Zweifels Pascal begründete in den Pensées seinen Einwand gegen das dogmatische Denken mit dem Aufweis der Grenzen der Vernunft, sowie seinen 1
Nachschrift
II, a. a. O., S. 31.
2
Ibid.
3
Ibid.
Unmittelbare Wahrnehmung und unmittelbares Erkennen
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Vorbehalt gegenüber dem absoluten Skeptizismus durch den Hinweis auf die widerborstige Faktizität der Natur. 4 Auch für Kierkegaard ist die sinnliche Welt der Halt des Zweifels: erst in der Reflexion über das Dasein, erst in der Abstraktion vom unmittelbar Gegebenen zum Mittelbaren, „das den Trug des Werdens in sich hat", entsteht Zweifel. So braucht die Wahrnehmung eines Seienden, etwa eines Steines, keinen Beweis, ja er läßt sich nicht beweisen, und aus demselben Grund nicht widerlegen. Die Beweisführung selbst schon enthält in sich die Voraussetzung, daß der Gegenstand, um welchen es sich handelt, da sei; eine Voraussetzung als solche jedoch kann nicht angezweifelt werden, denn sonst könnte man die Beweisführung gar nicht erst in Angriff nehmen. Auf diese Weise wird erkennbar, daß die gesamte Beweisführung über das Dasein der äußeren Welt eine Folge von Schlüssen ist, die sich daraus ergibt, daß das Ergebnis zur Voraussetzung gemacht wurde: die Voraussetzung, daß das, was in Zweifel gezogen wird, schon da sei.5 In den Ausführungen, die auf diese ursprüngliche Voraussetzung des Daseins der gegenständlichen Welt aufbauen, eine Voraussetzung, die den Halt allen Zweifels bildet, treffen wir auf die ausdrückliche Formulierung jenes Moments, welches, wie im Verlauf der vorliegenden Untersuchung aufgewiesen worden ist, Kierkegaards Schriften auf mehreren Ebenen in ihrem Charakter prägt, ohne jemals ausgesprochen zu werden: die Rehabilitation der Sinne. Daher schreibt Kierkegaard: „Die unmittelbare Sinnes Wahrnehmung und das unmittelbare Erkennen kann nicht trügen." 6 Selbst in den Fällen, in denen Entfernung oder räumliche Verzerrung einen Gegenstand anders erscheinen lassen, als er sich bei näherer Betrach-
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Pascal, Pernees, a. a. O., Frgt. 434, S. 201 f. Philosophische Brocken, a.a.O., S. 37 f. — Historisch gesprochen ließe sich von diesem elementaren materiellen Halt sagen, er bilde den Felsen, an dem alle absoluten Formen des Skeptizismus kentern — und von dem aus die ernsthafte Skepsis ihre Reise antritt. Aus diesem Grunde war sie in der griechischen Skepsis von fundamentaler Bedeutung und wurde in der Zeit der Renaissance wieder bekräftigt. Sogar noch die ernsthafteren Vertreter der Sprachphilosophie im 20. Jahrhundert hielten es für notwendig, diese elementare Voraussetzung wieder in Erinnerung zu bringen. So taucht sie z. B. in den letzten Notizen Wittgensteins wieder auf, die er aus Anlaß seiner Auseinandersetzung mit G. E. Moores Proof of the External World niederschrieb und in denen er anmerkt, daß die menschliche Fähigkeit zur Mitteilung erst dort intelligibel wird, wo eine Erfahrungstatsache, die vor allem Zweifel liegt, von allen Beteiligten als Richtlinie anerkannt wird. „Wer an allem zweifeln wollte, der würde auch nicht bis zum Zweifel kommen. Das Spiel des Zweifeins selbst setzt schon die Gewißheit voraus." (Über Gewißheit, Oxford 1974, § 18, S. 115). Philosophische Brocken, a. a. O., S. 77.
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Skeptisches Denken und Ursprünglichkeit des Stils
tung erweist — wie z. B. bei dem Stab, der im Wasser abgewinkelt erscheint, sich jedoch als gerade erweist, wenn man ihn herausnimmt — selbst in diesen Fällen trügt nicht die sinnliche Wahrnehmung selbst. Erst in dem Augenblick, in welchem aus der sinnlichen Wahrnehmung ein allgemeiner Schluß über den Gegenstand — den Stab — gezogen wird, der aufgrund eines Willensaktes entsteht, kann man von Täuschung sprechen. Erst im Akt des Urteilens entsteht die Möglichkeit des Irrtums. 7 In diesem Punkte ist Kierkegaards Skepsis im Einklang mit der der frühen Griechen und deren Erneuerung im Denken der späten Renaissance (insbesondere in den Schriften Pascals, Montaignes und Bacons). 8 Der Grad der Differenzierung freilich, der diese Erneuerung charakterisierte, und die neue Valenz, die dieses besondere Moment der frühgriechischen Skepsis während der Spätrenaissance zugeschrieben bekam, läßt sich einer knappen, aber scharfsinnigen Kritik entnehmen, die Francis Bacon an den Skeptikern der späteren Akademie übte, die die Gültigkeit der reinen Sinneswahrnehmung geleugnet hatten. 9 Es ist in unserem Zusammenhang bezeichnend, daß sich Bacons Kritik nicht in erster Linie gegen die theoretische Ausführung dieses Gedankenganges wendet, sondern gegen die ihm zugrundeliegende Haltung, als deren bloßes Symptom er die theoretische Darlegung begreift: daß nämlich der Zweifel „nicht ernst gemeint war" — „was not held sincerely". Bacon hält es für aufschlußreich, daß der stilistische Ausdruck derer, die dieser Schule nahestanden, oft eine bloße „Kopie in der Rede" — „copie of Speech", eine epigonale Wortgewandtheit ohne eigene Substanz sei. Denn nur in diesem ungezügelten, ausufernden Zweifel konnten sie den Freiraum für die Unbeständigkeit ihrer Diskurse finden — die „eher Vergnügungsfahrten als zielgerichteten Reisen gleichen" — „rather like progresses of pleasure, than journeys to an end". 10 Ibid., S. 79. « Vgl. oben S. 62 f., Anm. 143 u. 144. 9 Bacon verweist hier auf keinen bestimmten Denker aus dieser Schule, doch sein Einwand trifft auf manchen Vertreter des akademischen Skeptizismus zu, u. a. auf Carneades und Clitomachus. Die zunehmende Popularität dieser .Skeptiker' ging mit einer nachlassenden Empfänglichkeit für die älteren Lehren des Pyrrho einher, des ehemals maßgeblichen Vertreters der antiken Skepsis, und mit der allmählichen Verschüttung des strengen skeptischen Geistes von Sokrates, der in der Hinsicht, daß Zweifel erst im Akt des Urteilens entstehen könne und nicht schon in der Sinnenswahrnehmung selbst, als Vorläufer des Pyrrho angesehen werden kann. 10 Bacon, Aivancement of Learning, a. a. O., S. 58. Bacon spielt hier auf die Übernahme des akademischen Skeptizismus durch Cicero an. Es ist bemerkenswert, daß sich auch Montaignes kritische Aufmerksamkeit auf Ciceros Stil konzentriert und daß sein Hauptein7
Unmittelbare Wahrnehmung und unmittelbares Erkennen
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Wie triftig Bacons Betrachtung ist, wird nicht zuletzt an der Tragfähigkeit der sich aus ihrer Umkehrung ergebenden Implikationen erkennbar: Je ursprünglicher und substantieller sich eine philosophische Form zeigt, desto mehr ist der Denker dem Konkreten verbunden und desto stärker macht sich der Zweifel, getreu seiner Natur, erst auf der Ebene der Denkkonstrukte bemerkbar. In der Spannung zwischen diesem Prozeß der Aneignung und dem der aufmerksamen Zurückhaltung, in deren innerlich erfahrbarer und sich ständig wiederholender Erneuerung mag man durchaus den Geburtshelfer jener stilistischen Ausdrucksformen erkennen, die im Gegensatz zu einer .kopierten Redeweise' das Signum „neugeborener Ursprünglichkeit" tragen, um Kierkegaards Wendung aufzugreifen. Daß das Kennzeichen dieser Ausdrucksform unter Umständen ein ausgesprochen dichterisches Moment in der Sprache ist, wird durch die Schriften der genannten Renaissance-Denker selbst bezeugt, in denen dichterische und philosophische Formen enger miteinander verquickt sind als zu irgend einer anderen Epoche seit der Antike. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang auch, daß in Diogenes Laertius' Darstellung der frühgriechischen Skepsis gerade Homer, Archilochus und Euripides einen hervorragenden Platz unter seinen ansonsten strikt philosophischen Vertretern einnehmen. 11 Hier zeigt sich Philosophie eines verschütteten Pfades in ihrer Nähe zur Dichtung bewußt und regt so eine ergänzende Beobachtung an: je mehr nämlich umgekehrt auch die Dichtung die philosophischen Implikationen des eigenen Tuns bedenkt, desto stärker sehen wir diese Reflexion ihren Niederschlag in einer Affirmation der sinnlichen Wahrnehmung und in einer dieser Affirmation entsprechenden ausgesprochenen Zurückhaltung gegenüber den aus der sinnlichen Wahrnehmung in einem Akt des Urteilens gezogenen abstrakten Schlüssen finden. Daher schreibt Goethe, in dessen Schriften dies Bewußtsein vielleicht am deutlichsten
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wand demjenigen von Bacon parallelgeht. Findet letzterer in Ciceros Stil eine leere Eloquenz ohne eine „zielgerichtete Reise", so entdeckt Montaigne in den stilistischen Manierismen Ciceros „zu allermeist nur Wind: denn er ist noch gar nicht bis zu den seiner Sache dienlichen Erwägungen und zu den Gründen gelangt, die eigentlich den Knoten angreifen, dessen Auflösung ich suche." („Über die Bücher" in: Essais, S. 394). Nur wenige Abschnitte später rührt Montaigne an den existentiellen Nerv, der dieser Eigentümlichkeit des Denkens und Stils Ciceros unterliegt: „Über Cicero halte ich es mit dem allgemeinen Urteil, daß außer seinen Kenntnissen nicht viel Vortrefflichkeit in seiner Seele wohnte: er war ein guter Bürger, von gutmütigem Wesen, wie es die fetten und vergnügten Leute seiner Art gemeiniglich sind; doch an Gesinnungslosigkeit und ehrsüchtiger Eigenliebe hatte er fürwahr mehr als genug." (Ibid., S. 396). Diogenes Laertius, Lives of Eminent Philosophen, Greek-English by R. D. Hicks, London, England/Cambridge, Massachusetts, 1950, Bk. IX, S. 4 8 2 - 4 8 7 .
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Skeptisches Denken und Ursprünglichkeit des Stils
zum Ausdruck kommt: „Die Sinne trügen nicht, das Urteil trügt." 12 Und in seinem späten Werk Dichtung und Wahrheit heißt es entsprechend in der Rückerinnerung: „Das Auge war vor allen anderen das Organ, mit dem ich die Welt faßte."»
1.3 Das Schwerefeld von einander im Gleichgewicht haltenden Möglichkeiten als Nährboden der „Kunst der Zweideutigkeit" Es ist der Konvergenzpunkt von diesem poetisch-philosophischen und philosophisch-poetischen Bewußtsein im 19. Jahrhundert, an welchem Kierkegaards skeptisches Denken seine Form gewinnt. Denn bei Kierkegaard ist, wie gezeigt wurde, die Lokalisierung der Quelle allen Irrtums im Urteilsakt selbst wieder in der Auflösung der idealen Identität von Denken und Sein verwurzelt. Indem er den Implikationen dieser Auflösung im ständig vermittelnden Strom der Zeit nachgeht, in welchem eine apodiktische Festschreibung unmöglich ist, überträgt Kierkegaard dem Gedanken einen neuen Stellenwert: die Verschiebung aus dem Reich der Wirklichkeit in die Sphäre der Möglichkeit. Weder unterwirft sich der Gedanke auf diese Weise einem absoluten Skeptizismus, noch wird er auf die Ebene des Wahrscheinlichen erhoben, wie dies beispielsweise zuweilen in der modernen Wissenschaftstheorie in der Form der „operationalen Konzepte" geschieht. Statt dessen entsteht bei Kierkegaard eine Form des Denkens, das sich im Schwerefeld von einander im Gleichgewicht haltenden Möglichkeiten bewegt. „Wissen", schreibt Kierkegaard, „ist die unendliche Kunst der Zweideutigkeit, die auf ihrem Gipfelpunkt gerade darin besteht, einander entgegengesetzte Möglichkeiten ins Gleichgewicht zu setzen." 14 Bringt man nun diese Auffassung vom Wissen in Zusammenhang mit der Anlage von Kierkegaards Pseudonymen Schriften, in denen die Probleme durch fiktive Gestalten von einander entgegengesetzten und wechselnden Blickwinkeln aus in provisorischer Art und Weise artikuliert werden, ohne daß eine direkte Antwort angeboten würde, so wird nun aus einer neuen Perspektive deutlich, bis zu welch hohem Grade das Denken sich hier organisch im Stil verdoppelt findet. Tatsächlich zeigt die Konsequenz, mit welcher sich dieser Geist skeptischen Zweifels in diesen Goethe, Maximen und Reflexionen, Werke, a. a. O., Bd. 12, S. 406. " Goethe, Dichtung und Wahrheit, Werke, ibid. Bd. 9, S. 224. "> Der Liebe Tun, a. a. O., S. 256. 12
Das Schwerefeld von einander im Gleichgewicht haltenden Möglichkeiten
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Schriften, diesen „Gedankenexperimenten" bemerkbar macht, daß die Skepsis für Kierkegaard weniger eine bloße ,Erkenntnistheorie' ist, die in einem Abschnitt rasch skizziert und dann bis auf weiteres zu den Akten gelegt würde, als vielmehr eine geistige Grundhaltung darstellt. Es ist eine Haltung, die schon Stimmung und Gestimmtheit seines frühesten Werkes, seiner Dissertation Über den Begriff der Ironie durchwaltet, bis zu der die Embryonalstadien seiner Konzepte der „Möglichkeit" und der „Kunst der Zweideutigkeit" zurückverfolgt werden können: „Teils habe ich in der vorhergehenden Untersuchung lediglich versucht, die Möglichkeit meines Verständnisses des Sokrates darzutun. Deshalb habe ich an mehreren Stellen die Auffassung in der Schwebe gehalten, angedeutet, daß man sich die Sache auch auf andere Weise vorstellen könnte." 15 Im Rückblick über die Entwicklung, die Kierkegaards literarische Tätigkeit genommen hat, wird erkennbar, wie diese skeptische Geisteshaltung, die während der ganzen Zeit aufrecht erhalten wird, aufkeimt und zu einer existentiellen Form der Mitteilung heranwächst. — Die prägnanteste Formulierung dieser Konzeption, in welcher nicht nur dem ästhetisch-gestaltenden Moment von Kierkegaards Denken implizit Raum zugestanden wird, sondern die darüber hinaus auch das eigentliche ethisch-religiöse Telos dieses Denkens zum Tragen bringt, findet sich in den folgenden Sätzen aus der Nachschrift: „... der subjektive Denker hat in seiner eigenen ethischen Existenz seine eigene Wirklichkeit. Wenn Wirklichkeit von einem Dritten verstanden werden soll, muß sie als Möglichkeit verstanden werden, und ein Mitteilender, der sich dessen bewußt ist, wird darauf achten, daß seine Existenzmitteilung, gerade um in Richtung der Existenz zu liegen, in der Form der Möglichkeit sein muß. Eine Darstellung in der Form der Möglichkeit legt es dem Empfanger so nahe, wie es zwischen Mensch und Mensch möglich ist, darin zu existieren." 16
Während eine rein faktische Darstellung eher abstrahierende Reflexion oder bloß passive Bewunderung anregt, wohnt der Möglichkeitsform der Mitteilung die Kraft zur Forderung inne, „den Blick des Betrachters einwärts zu wenden". 17 Es ist dies eben der „Durchbruch der Verinnerlichung", der „die erste Bedingung des Geistesverhältnisses zu Gott in Wahrheit" ist. 18 Aus diesem Beziehungsgeflecht wird erkennbar, daß Kierkegaards Konzeption der Möglichkeit auf der Ebene der Mitteilung gleichsam eine Über den Begriff der Ironie, a. a. O., S. 129 (im Orig. hervorgeh.). >» Nachschrift II, a. a. O., S. 62 f. " Ibid., S. 64. •8 Nachschrift I, a. a. O., S. 237.
15
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Skeptisches Denken und Ursprünglichkeit des Stils
aufrüttelnde Funktion in bezug auf jene innere Bewegung annimmt, in welcher sich das Ethisch-Religiöse ankündigt. Insofern bleibt der Geist des rein intellektuellen Zweifels im subjektiven Denker, der die „einander entgegengesetzten Möglichkeiten ins Gleichgewicht" setzt und vermittels der „Kunst der Zweideutigkeit" das nach innen gerichtete Ändern des Blickwinkels ermöglicht, ein unentbehrlicher Faktor, der Verhärtung verhindert und sich im Strom der Existenz beständig erneuert. Schon an dieser Stelle wird ein offenkundiger, aber weitreichender Unterschied zwischen dieser Form des Zweifels und dem .Skeptizismus' der Vorgänger Kierkegaards in der Neuzeit erkennbar. In der „skeptischen Methode", sei es diejenige Descartes' oder Hegels, ist der Zweifel nur ein vorläufiges Stadium auf dem Wege zur Erlangung apodiktischer intellektueller Gewißheit. Wollte man historisch verwandte Formen zur Hartnäckigkeit des Kierkegaardschen Zweifels und zu seinem spezifischen Standortbewußtsein finden, müßte man also unter den vormethodischen Entwürfen Umschau halten. Als den letzten solcher Entwürfe kann man denjenigen Montaignes ansprechen. Sein Name wird in den Kommentaren zum kulturellen Hintergrund des Kierkegaardschen Denkens nur selten erwähnt; sie beschränken sich bisher zum größten Teil, wie übrigens auch die philosophische Hermeneutik im Allgemeinen, auf ein peripheres Fahnden nach direkten Einflüssen und zeigen nur geringe Empfänglichkeit für die tiefer liegenden und schwerer zu fassenden Verbindungen in der Kongenialität des Geistes, der inneren Erfahrung und dem stilistischen Ausdruck. 19 Montaigne schreibt: „Am Ende gibt es überhaupt kein beständiges Sein, weder in unserem Wesen noch im Wesen der Dinge. Und wir und unser Urteil und alle sterblichen 19
Während Kierkegaard in seinen veröffentlichten Werken Montaigne nur ein einziges Mal erwähnt, nämlich als „ein(en) weise(n) Mann" (vgl. Christliche Reden 1848, Düsseldorf/ K ö l n 1959, S. 143 f.), trifft man doch in späten Tagebucheintragungen auf einige Hinweise auf den französischen Denker. Da solche Hinweise erst seit 1847 zu finden sind, liegt die Annahme nahe, daß Kierkegaard erst in diesem Jahr die W e r k e Montaignes zum ersten Mal las. Wenngleich Kierkegaard dem Denken Montaignes in dieser Begegnung ausgesprochen wohlwollend gegenüberstand, hatte er doch zu dieser Zeit schon die eigene skeptische Betrachtungsweise und sogar die Anlage seiner gesamten schriftstellerischen Tätigkeit ausgearbeitet, die ja ihrer Vollendung entgegenging. Es ist daher unwahrscheinlich, daß Montaigne noch irgendeinen bestimmenden ,Einfluß' auf ihn ausübte. Beide Denker bekannten sich zu ihrer Anerkennung von Elementen der frühgriechischen Skepsis; doch dieser Rückbezug wird ebenso wie das Verhältnis zwischen den beiden erst verständlich und aussagekräftig, wenn man auf einer tieferen Ebene danach fragt, welche zugrundeliegende Beschaffenheit des Geistes und der inneren Erfahrungen ihre Offenheit für die formalen wie inhaltlichen Vorzüge im Denken der jeweils anderen möglich machte.
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Dinge fließen und wogen unaufhörlich dahin. So läßt sich nichts Gewisses vom einen zum andern ermitteln, und der Urteilende und das Beurteilte sind in fortwährender Wandlung und Schwankung begriffen." G o t t allein „ist, nicht nach irgendeinem Maße der Zeit, sondern nach einer unbewegten und unbeweglichen Ewigkeit ..." Der Mensch „wird sich erheben, wenn Gott ihm dazu außerordentlicherweise die Hand reicht ..." 20
Hier ist es, wie man sieht, die Metapher vom „Fließen und Wogen" des Seins, die den intellektuellen Zweifel in seiner unablässigen Beharrlichkeit umschreibt. An anderer Stelle bedient sich Montaigne einer Seefahrtsmetapher des Catull, um die prekäre Anstrengung im Akt des Urteilens zu charakterisieren: das Urteil schaukelt und schwingt „velut minuta magno / Deprensa navis in Mari vesaniente vento" (Wie ein kleines Schifflein, das auf hoher See der wütende Sturm überrascht). 21 In diesen Wendungen findet sich Kierkegaards Position sowohl in ihrer gedanklichen Ausarbeitung als auch in ihrer Metaphorik präfiguriert. Man mag sich nochmals der Schlüsselmetapher Kierkegaards von den „Wogen des substantiellen Lebens" erinnern 22 , eine Vorstellung, die ihre bildliche Erfüllung in der Daseinsmetapher von der Seereise findet: „Eine Seereise ist gleichsam ein kleines Bild des ganzen Menschenlebens." 23 Schon in der zeitlosen symbolischen Verknüpfung des Fließens mit unaufhörlicher Wandlung und Erneuerung verbirgt sich der entscheidende Unterschied zum finalen Denken der skeptischen Methode auf den festen Bezugspunkt der Konvergenz von Denken und Sein hin, der es erst ermöglicht. Es ist daher in dieser Hinsicht kaum verwunderlich, daß wir, verwenden wir nur einige Aufmerksamkeit darauf, in Hegels Sprache, so 20
22 23
Montaigne, „Apologie des Raimund Sebundus" in: Essais, a. a. O., S. 482 ff. Ibid., S. 468. Vgl. oben S. 35, 46, 49. Daß diese metaphorischen Verknüpfungen ein Signum der skeptischen Geisteshaltung im weitesten Sinne wären, wird dadurch nahegelegt, daß sie während des 19. und 20. Jahrhunderts immer wieder aufgetreten sind, wofern sich diese Geisteshaltung in dieser Periode überhaupt zur Verjüngung fähig gezeigt hat. Hier ließe sich Jacob Burckhardts Zurückweisung der „trügerischen" Ansprüche einer absoluten historischen Perspektive zitieren, die zu wissen behaupten, „auf welche Welle des Meeres wir uns gegenwärtig treiben". (Historische Fragmente, hg. von E. Dürr, S. 251—253, zit. in einem anderen Kontext bei Hans Blumenberg, Schiffbruch mit Zuschauer, Frankfurt 1979, S. 69.) In dem Maße, in welchem sich die skeptische Geisteshaltung im späten Denken Diltheys immer stärker bemerkbar macht, läßt sich auch erkennen, wie das Bild vom .Strom der Existenz' in seiner Darstellung immer mehr in den Mittelpunkt rückt. Dies wird vor allem in der folgenden Formulierung seiner Weltanschauungslehre deutlich: „Die Relativität jeder Art von menschlicher Auffassung ist das letzte Wort der historischen Weltanschauung, alles im Prozeß fließend, nichts bleibend." Zitiert nach J. M. Bochenski, Europäische Philosophie der Gegenwart, München2 1951, S. 135 (im Original hervorgehoben).
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Skeptisches Denken und Ursprünglichkeit des Stils
wie sie sich in seiner Würdigung von Descartes' Philosophie ausformt, auf die Metapher des Festlands stoßen. „Hier, können wir sagen, sind wir zu Hause, und können wie der Schiffer nach langer Umherfahrt auf der ungestümen See ,Land' rufen; ,.." 24 Gerade in der Gegenüberstellung zu diesem finalen Denken wird erkennbar, daß der Stil des existentiellen Denkers, der niemals etwas fertig hat, sondern sooft er beginnt, „die Wasser der Sprache" bewegt, in „neugeborener Ursprünglichkeit", seine lebendig gestaltende Kraft aus der Nährlösung seiner Skepsis zieht. Die Erfahrung, auf die tiefste Verlegenheit der Ratio zu stoßen, die Erfahrung der Unmöglichkeit, ohne die genauen Konturen eines Festlands die Momente rationaler Tätigkeit zusammenzuschließen, mag zugleich auch als ein Einüben in jenen kontinuierlichen Prozeß der akustischen und optischen Entschlüsselung von Situationen gelten, der, wie die vorliegende Untersuchung durchgängig gezeigt hat, Kierkegaards Denkweise zugrundeliegt und zu ihrer literarischen Ausdrucksform kristallisiert. In Ermangelung eines festumrissenen intellektuellen Gesichtskreises bleibt für Auge und Ohr die Aufgabe, jeden Augenblick aufs Neue zu erfassen. „Momentweise" denken heißt auf die Momentaufnahme zurückzugreifen. Auge und Ohr nämlich haben die Fähigkeit, eine Erscheinung im Augenblick zu erfassen. Darüber hinaus läßt sich sagen, daß diese Erfahrung, auf die tiefste Verlegenheit der Ratio zu stoßen und sie als Aporie zu erkennen, und die damit verbundene Intensivierung der sinnlichen Wahrnehmung einen jene Fähigkeit befruchtenden Impuls freisetzen, die ein integraler Bestandteil der dichterischen Gestaltung existentieller Möglichkeiten ist: die Fähigkeit der Imagination. Die befreiende Wirkung dieses Impulses, der seinem Wesen nach eine Art zauberhaften Reizes ist, findet sich bei Kant in treffender Weise zum Ausdruck gebracht; er sah in der „Mannigfaltigkeit, auf die das Auge stößt", und durch welche das Gemüt „kontinuierlich erweckt wird" die Grundbedingung, die das , freie Spiel" der Einbildungskraft ermöglicht und erhält.25 Das besondere Standortbewußtsein, aus dem heraus Kierkegaard spricht, intensiviert ganz offenkundig dieses optische und akustische Erfassen noch, und damit auch das freie Spiel der Einbildungskraft, aus welchem wiederum der Daseinsstil des Denkers seine Form gewinnt.
Hegel, Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie III, Frankfurt am Main 1971, S. 120. 25 Kant, Kritik der Urteilskraft, hg. v. K. Vorländer, Hamburg 1974, § 73, S. 86 (Hervorhebung von mir). 24
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Die Ausfahrt vom Festland
2. Die Ausfahrt
vom Festland als Ausdruck des Standortbewußtseins
dichterisch-philosophischen
U n s e r e B e o b a c h t u n g , daß es eben diese A u s f a h r t v o m Festland
ist,
die das dichterische M o m e n t in K i e r k e g a a r d s D e n k e n unablässig f o r m t u n d p r ä g t , g e w i n n t an D e u t l i c h k e i t , w e n n m a n in B e t r a c h t zieht, daß die M e t a p h e r v o m „Fließen u n d W o g e n " d e r E x i s t e n z u r s p r ü n g l i c h ja g e r a d e i m R e i c h d e r D i c h t u n g b e h e i m a t e t w a r . 2 6 S e l b s t in jenen geschichtlichen E p o c h e n , als die P h i l o s o p h i e m i t g r ö ß t e r Ü b e r z e u g u n g v o m Festland aus sprach u n d
äußerst zuversichtlich
im Hinblick
a u f ihre
momentanen
e p i s t e m o l o g i s c h e n A u s s i c h t e n w a r , k l a n g in d e r A n t w o r t d e r D i c h t u n g eine a n d e r e S t i m m u n g , eine a n d e r e existentielle P o s i t i o n u n d ein a n d e r e r Modus
der
Existenzerfahrung
zurück.
So
mahnt
zum
Beispiel
im
1 8 . J a h r h u n d e r t A l e x a n d e r P o p e in o f f e n k u n d i g e r A n s p i e l u n g nicht n u r a u f d e n W i s s e n s ü b e r m u t des „Zeitalters d e r V e r n u n f t " , s o n d e r n auch a u f d e n statischen B e z u g s r a h m e n , in w e l c h e m allein e r g e d e i h e n k o n n t e , m i t folgender Metaphorik: „Life's stream for Observation will not stay, It hurries all too fast to mark their way. In vain sedate reflections we would make, When half our knowledge we must snatch, not take." 27 („Auch will der Strom des Lebens unserer Betrachtung nicht Stand halten. Er reißt alles zu schnell vorüber, seine Natur zu untersuchen. Vergebens bemühen
26
27
Zu den dichterischen Ursprüngen der damit eng verschwisterten Daseinsmetapher von der Seereise vgl. E. R. Curtius, Europäische Literatur und Lateinisches Mittelalter, Bern 1974, S. 138 ff. Um seine Beobachtung — „Die Schiffahrtsmetaphern gehören ursprünglich der Poesie an" — zu belegen, zitiert Curtius Virgil, Horaz, Quintilian, Ovid, Dante und Edmund Spenser. Diese Liste läßt sich, wie wir im Laufe unserer Untersuchung sehen werden, noch beträchtlich erweitem, und ebenso können über den literaturhistorischen Kontext von Curtius' wertvoller Darlegung hinaus in dieser Metaphorik philosophische und religiöse Bedeutungsinhalte von grundlegender Bedeutung entdeckt werden. An dieser Stelle möge die zusätzliche Bemerkung genügen, daß die jeweilige Form, in die ein Gedanke gekleidet ist, wo immer das Bild vom Fließen und Wogen der Existenz im Zentrum einer philosophischen Weltanschauung steht, ob bei Heraklit oder Bergson — ungeachtet der unterschiedlichen metaphysischen Bedeutungsnuancen, die diese Metapher gewinnen kann — charakteristische Merkmale zeigt, die der dichterischen Form der Welterfahrung bemerkenswert ähnlich sind, und ebenso einen unverkennbaren Respekt vor dem, was Dilthey als das „Lebensrätsel" bezeichnet hat. Alexander Pope, Moral Essays: Epistle to Cobham, 31 — 34, (Hervorhebung von mir). Übersetzung von Joh. Jak. Dusch nach der Ausgabe Alexander Pope, Sämtliche Werke, 6 Bde., Straßburg 1778.
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Die Ausfahrt vom Festland
wir uns, da ruhige Betrachtungen anzustellen, wo wir die Hülfe von dem, was wir erkennen, nicht bedachtsam sammeln können, sondern geschwind erhaschen müssen.") In einer Betrachtung über die neuzeitliche Entwicklung der philosophischen Denkweise im Vergleich zur dichterischen Art der Wahrnehmung hat Dilthey angemerkt, daß die philosophische Erkenntnisart, die der dichterischen am nächsten verwandt ist, sich in der Form des Essays findet, deren gemeinsamen Leitgedanken er mit folgendem Satz beschreibt: „das Leben soll aus ihm selber gedeutet werden." 28 Schon vor ihm hatte Friedrich Schlegel die stilistischen Implikationen dieser fundamentalen Verwandtschaft dadurch angedeutet, daß er Essays als „intellektuelle Gedichte" 29 bezeichnete. Zwar sind dies treffende Beobachtungen, die ein richtungsweisendes Potential enthalten, sie bedürfen aber dennoch der Erhellung, die nur dadurch geleistet werden kann, das noch eine weitere zugrundeliegende Verwandtschaft, die der Perspektive, in Betracht gezogen wird: der Perspektive nämlich, aus der heraus beide Erkenntnismodi das Leben deuten und die neue Gattung ihre eigentliche Form gewinnt. In diesem Zusammenhang ist es nun bezeichnend, daß der moderne Essay zu eben jenem Zeitpunkt als neue Gattung in Erscheinung tritt, als das philosophische Denken, das unter der Last der versteinerten Konstrukte des spekulativen Wissenschaftssystems der Spätscholastik zu ersticken drohte 30 , einen Ortswechsel hinaus auf die offene See vollzog, wie wir ihn in der Metaphorik Montaignes umschrieben sahen, und auf diese Weise der Position des Dichters immer näher rückte. Denn die lebendige Frische, die beinahe aphoristische Unmittelbarkeit der philosophischen Form des Essays erlaubt die sprachliche Übermittlung dieses neugefundenen Standorts, erlaubt das Erfassen und Mitteilen des Augenblicks auf eine Art und Weise, der der schwerfallige Definitions-Apparat der Scholastiker nicht gewachsen war. Der historische Fundus dieser topologischen Grenzziehung findet sich in Montaignes Kritik an dem übergroßen Gewicht, das einem derartigen Apparat schon in den Schriften Ciceros zugekommen war.
28 29 30
W. Dilthey, Das Wesen der Philosophie (Ges. Schriften V), a. a. O., S. 370 f. Zitiert nach Gerhard Haas, Essay, Stuttgart 1969, S. 35. Wie bei allen historischen Einordnungen sollte man auch hier nicht die Ausnahme von der Regel vergessen. Im Gegensatz zu dem Versteinerungsprozeß im abstrakten Denken, der für die Spätscholastik charakteristisch ist, mag man auch an die befreiende Wirkung denken, die schon, jeweils auf eigene Weise, im Denken von Duns Scotus, Meister Eckhart und, am Schnittpunkt zwischen Mittelalter und Renaissance, von Nikolaus von Cues zum Ausdruck kam.
Hochmut der Ratio und Humor
143
„Seine Einleitungen, Wortbestimmungen, Einteilungen, Ableitungen nehmen den größten Teil seines Werkes in Anspruch; was an Saft und Mark darin ist wird unter seinen langatmigen Zurichtungen erstickt." 31
Doch wenngleich die beschleunigte Bewegung hin zum Mark der Dinge, die in diesem Vorwurf erkennbar wird, sich hier auf die Ebene des Formalen konzentriert, so wäre es dennoch irreführend, sie auch in ihrem Ursprung als formal zu begreifen. Die Dringlichkeit dieses Strebens nach dem Wesentlichen muß vielmehr in der Suche nach jenen ursprünglichen, wenn auch flüchtigen Einsichten erkannt werden, die zu einem genaueren Verstehen des eigenen Selbst führen können. Es ist dies die Suche nach der existentiellen Relevanz der Wahrheit. Hier erweist sich das Verlassen des Festlandes als grundlegend. Denn die Auflösung jedweder objektiver Gewißheit, die von außen beobachtet werden könnte, weckt und intensiviert gleichsam das Bedürfnis nach subjektiver Wahrhaftigkeit, die aus der Innerlichkeit heraus lebte. Daher spricht Montaigne von seiner Suche nach einer „Wissenschaft, die von der Erkenntnis meiner selbst handelt: und die mich lehrt, recht zu leben und recht zu sterben". 32 Und hier ist es auch, wo die Wogen und die Strömung des Daseins, die in ihrer endlosen Kontinuität die Skepsis dieses Denkers in derselben Weise tragen wie diejenige Kierkegaards, zu weiterer Verwandtschaft der tieferen Einsicht ineinanderfließen. Mit bemerkenswert ähnlichen Worten spricht auch Kierkegaard von der Notwendigkeit, „eine Wahrheit zu finden, die Wahrheit ist für mich, die Idee zu finden, für die ich leben und sterben will". 33
3. Hochmut der Ratio und Humor. Die nach innen gerichtete Perspektive aus der Zeitlichkeit ins Ewige
Verschiebung
der
Die skeptische Distanznahme von der Scheintiefe objektiver Gewißheit, von der Apotheose der Vernunft, wird auch als Nährboden für neugewonnenen Humor und wiederentdeckte Ironie im philosophischen Stil erkennbar. Daher entgegnet Montaigne der unangebrachten Feierlichkeit der Logiker nicht so sehr mit deren eigenen Begriffen und auf ihrem eigenen Felde, als vielmehr mit flinken und stechenden Ausfallen von der Peripherie 31 32 33
Montaigne, „Über die Bücher", Essais, a. a. O., S. 394. Montaigne, „Über die Bücher", in: Essais, a. a. O., S. 387. Tagebücher, Bd. I, a. a. O., S. 16 (im Original hervorgehoben).
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Hochmut der Ratio und Humor
her: „Haben sie von der Logik Tröstung gegen die Gicht empfangen?"34 Wenn man diese Frage nicht allzu voreilig als eine leichtfertige Durchbrechung der philosophischen Etikette abtut, sondern sich vielmehr eingedenk des spezifischen Impetus' von Montaignes Skepsis — nämlich dem Streben nach subjektiver Wahrhaftigkeit — auf sie einläßt, so mag man in ihr einen Witz von subtilem Tiefsinn auffinden. Denn unausgesprochen liegt in diesem Seitenhieb gegen die Logik schon die Kritik an ihrem verbreiteten Mißbrauch als bloßes Stilmittel, durch welches sich der Denker über die stürmischen Wechselfalle der Existenz zu erheben sucht. Und es ist eine ähnliche skeptische Weltsicht, gepaart mit der gleichen humorvollen Art der Entlarvung, aus der auch die existentielle Tiefe im Werk von Montaignes größtem Zeitgenossen unter den Dichtern, nämlich Shakespeare, ihre Kraft zu beziehen scheint. Im letzten Akt von Much Ado about Nothing, ,Viel Lärm um Nichts' heißt es: „For there was never yet philosopher That could endure the toothache patiently, However they writ the stile of gods, And made a push at chance and sufference." (V, 1) („Denn noch bis jetzt gabs keinen Philosophen, Der mit Geduld das Zahnweh könnt ertragen, Ob sie der Götter Sprache gleich geredet, Und Schmerz und Zufall als ein Nichts verlacht.")35
In den letzten beiden Zeilen dieser Passage wird eine Verbindung zwischen „der Götter Sprache" (anders ausgedrückt: ,der göttlichen Art zu sprechen') und der Verspottung von „Schmerz und Zufall" gezogen. Es ließe sich vielleicht auch sagen: zwischen einem unnatürlich erhabenen Stil und der Abneigung, den gefahrvollen Ungewißheiten und den Widrigkeiten ins Auge zu sehen, die der conditio humana inhärent sind. Die Unmöglichkeit, sich dieser Seinslage vermittels der beruhigenden Ausflüchte des Intellekts und seiner formalen Konstrukte gänzlich zu entziehen, wird von Shakespeare und Montaigne schon auf der niedrigsten und elementarsten Ebene des schlichten physischen Schmerzes deutlich gemacht. Der Hochmut der Ratio, mit welchem sie „Schmerz und Zufall" zu zuversichtlich verlacht, kann ironischerweise nicht einmal vor der geringsten der physischen Realitäten bestehen. Die Trivialität der Beispiele von Mißlichkeit, auf die Shakespeare und Montaigne hier zurückgreifen — die Gicht, das Zahnweh —, ist in 34 35
Montaigne, „Apologie des Raimund Sebundus", in: Essais, a. a. O., S. 439. Übersetzung von Wolf Graf Baudissin.
Hochmut der Ratio und Humor
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gewissem Sinne nicht weniger bedeutungsvoll als ihre metaphysische Auslotung der dunkelsten Regionen menschlicher Erfahrung. Ja, diese Trivialität betont geradezu noch die Tiefe ihrer Aussage. Das gleiche gilt für den Mangel an feingesponnener Beweisführung, an deren Stelle ein leichter, souveräner Humor auftritt, der einen integralen Bestandteil jener Existenzerhellung bildet, die gerade von diesen beiden eng verschwisterten Formen des Poetischen und des Essayistischen ermöglicht wird. Auch in den Schriften des Skeptikers Kierkegaard, in denen diese beiden Formen im höchsten Grade miteinander verschmolzen sind36, wird der Charakter eines Ablenkungsmanövers, der dem intellektuellen Diskurs angesichts der Mißlichkeiten des Lebens eignet, durch einen ähnlich willkürlichen Hinweis auf die Trivialitäten des Menschseins aufgedeckt. Und auch hier finden wir diese Mißlichkeiten nicht als ein „bestimmtes Etwas" begriffen, das in Ordnung gebracht werden könnte37, sondern, um 36
Da das wesentlich poetische Moment an Kierkegaards Denken und Stil in dem Sinne und mit der Weite an Bedeutung, welche im Verlauf der vorliegenden Untersuchung ans Licht gebracht wurde, in der Kierkegaard-Rezeption weitgehend übersehen worden ist, mag es vielleicht nicht verwundern, daß die mit diesem Moment eng verschwisterten essayistischen Elemente in seinem Werk dasselbe Schicksal erlitten haben. Betrachtet man jedoch diejenigen Eigenheiten, die generell als charakteristisch für die Form des Essays gelten, so mag man in den Stileigentümlichkeiten dieser Gattung eine historische Präfiguration von Kierkegaards existentieller Kommunikationsweise entdecken. Die antisystematische Darstellungsweise, die sich selbst ständig überprüft und ihre Ausdrucksformen erprobt, mit welcher sich der Essayist seinem Thema annähert, stellt eine Vorwegnahme dessen dar, was Kierkegaard als seine „Gedankenexperimente" bezeichnet hat. Das gleiche gilt für die wechselnden Standpunkte, von denen aus eine Frage behandelt wird: was als die „dialektische Bewegung des .einerseits — andererseits' in der Form des Essay beobachtet worden ist (G. Haas, Essay, a. a. O., S. 53), ist seinem Wesen nach dieselbe Bewegung des Gedankens, die die existentielle Dialektik in Kierkegaards „Kunst der Zweideutigkeit" ausmacht (vgl. oben S. 136 ff.). Wesentlicher Bestandteil dieser Bewegung der wechselnden Standpunkte ist die Anerkennung des Primats der Subjektivität in ihrer Suche nach der Wahrheit und in ihrem Bemühen, diese Suche auch im Leser anzustoßen. Die Wiederentdeckung der Form des Briefes durch die frühen Essayisten (Bacon nennt die Briefe Senecas ausdrücklich als ein Orientierungsmuster für seine Essays) mag als Ausdruck dieser Anerkennung verstanden werden. Die Verbindung zu Kierkegaards existentieller Kommunikationsweise zeichnet sich dann ab, wenn man sich der wichtigen maieutischen Funktion der Reihe fiktiver Briefe in EntwederjOder, Die Wiederholung und später auch in Stadien auf dem Lebens Weg erinnert. In bezug auf noch eine weitere Stilebene hat ein Interpret der Essay-Form auf die Kunst des Essayisten hingewiesen, „den Hintergrund des Gesagten mit ungesagten oder halbgesagten Möglichkeiten" anzureichern. (Hugo Friedrich, Montaigne, Bern 1967, S. 28; zit. bei Haas, a. a. O., S. 13) — eine Stileigentümlichkeit, die, wie wir gesehen haben, auch Kierkegaards „Kunst der Zweideutigkeit" zugrundeliegt und darüber hinaus auch alle Ebenen seiner Kommunikationsweise, insbesondere ihre Metaphorik prägt.
37
Nachschrift
II, a. a. O., S. 157.
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Hochmut der Ratio und Humor
innerhalb der von uns freigelegten metaphorischen Genealogie zu bleiben, als einen Teil des ewigen Fließens und Wogens der menschlichen Seinsweise überhaupt.38 Der Humorist, schreibt Kierkegaard, „hat das Leiden so sehr>' erfaßt, daß er jede Dokumentation überflüssig findet, und drückt das dadurch aus, daß er das erste beste nennt".39 Indem man nämlich die erstbeste „ganz zufallige kleine Plage", die einem einfallt, aufgreift, entsteht der Eindruck, es sei gar nicht erst „der Mühe wert", in eine intellektuelle Diskussion über das größtmögliche menschliche Glück einzutreten.40 Auf diese Weise gelangt man plötzlich zu der Einsicht, daß der Humorist „die Unterscheidung zwischen Glück und Unglück in einer höheren Verrücktheit aufgehoben hat — weil alle leidend sind".41 Derart mag der Humorist im Sinne Kierkegaards als derjenige begriffen werden, der jene Verschiebung vollzieht, die wir auch in anderen Schlüsselzusammenhängen in den von uns angeführten Schriften vorgenommen sahen: eine Verschiebung der Perspektive.42 Der Scherz löst den Leser aus seiner andachtsvollen Selbstbezogenheit heraus; eine neue Auffassung des Mißgeschicks als solchen bietet sich an. Doch diese veränderte Perspektive und vor allem die Einsicht, daß die Bedeutung des Leidens nicht in der zeitlichen Existenz gefunden werden kann, führen nicht zu leichtfertiger Resignation, und ebensowenig finden sie „humoristische Linderung darin, Hamlets Daseinsmetapher von der „Sea of troubles" — „See von Plagen" (III. 1) und Kierkegaards Vergleich der Existenz mit einem Ausgesetztsein gegenüber den aufgewühlten Wogen des Ozeans wurzeln beide in dieser fundamentalen Einsicht, wenngleich die Kunstgestalt des Dänenprinzen anders auf sie reagiert. m Nachschrift II, a. a. O., S. 157. «® Ibid., S. 156. « Ibid. 42 Dieser Perspektivenwechsel wird in der Beschreibung erkennbar, die Kierkegaard vom Vorgehen des Humoristen gibt: „Der Ausdruck des Leidens, über den der Humorist verfügt, befriedigt den Unglücklichen, aber dann kommt das Tiefsinnige und nimmt die Unterscheidung fort, in welcher der Unglückliche sein Leben hat, und dann kommt der Scherz. Wenn so der Unglückliche sagen würde: Für mich ist es vorbei, alles ist vorbei — dann würde der Humorist vielleicht fortfahren: ,ja, was sind wir Menschen doch für armselige Geschöpfe in diesen verschiedenen Elendszuständen des Lebens, wir sind alle Leidende; könnte ich doch nur noch den Tag erleben, an dem mein Hauswirt einen neuen Klingelzug anbringen ließe ... so würde ich mich höchst glücklich schätzen'. Und dies sagt der Humorist durchaus nicht, um den Unglücklichen zu beleidigen, sondern das Mißverständnis besteht darin, daß der Unglückliche doch zu guter Letzt an das Glück glaubt (denn die Unmittelbarkeit kann das Leiden nicht begreifen), weshalb das Unglück für ihn ein bestimmtes Etwas ist, worauf er seine ganze Aufmerksamkeit richtet, in dem Gedanken: wenn das weg wäre, dann wäre ich glücklich; der Humorist dagegen hat das Leiden so sehr erfaßt, daß er jede Dokumentation überflüssig findet, und drückt das dadurch aus, daß er das erste beste nennt." (Ibid., S. 156 f.) 38
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das Absurde zu statuieren" 43 — ein mahnendes Wort, das auf ein zentrales Charakteristikum moderner ,existentialistischer' Tendenzen vorausdeutet, wenn man nur von dem Eigenschaftswort „humoristisch" absieht. Um auf letztere Entwicklung noch etwas näher einzugehen, sei hier angemerkt, daß das Gefühl der Erleichterung, welches ein moderner ,Existentialist' durch die Artikulation des Absurden in allen seinen Nuancen erreicht, in den meisten Fällen zwar hinter einem gewissen Sprachgestus und Mienenspiel verborgen wird, die den Eindruck hervorrufen sollen, der Sprechende trage an einer gewaltigen metaphysischen Last, daß aber zumindest ein Autor dieser Denkrichtung keinen Hehl aus dem Trost gemacht hat, den er durch seine Weltsicht gefunden hat. Camus schreibt beruhigend: „Man entdeckt das Absurde nicht, ohne in die Versuchung zu geraten, irgendein Handbuch des Glücks zu schreiben." 44 Während Camus' einigermaßen spitzfindiger Einspruch gegen die Bezeichnung seiner eigenen Position als ,existentialistisch' beträchtliche Anstrengungen angeregt hat, die feineren Unterschiede zwischen den atheistischen Tendenzen in der existentialistischen Schule genau zu bestimmen, scheint mindestens ein allen gemeinsames Charakteristikum der geistigen Haltung und des stilistischen Ausdrucks übersehen worden zu sein, das auf einer fundamentaleren Ebene angesiedelt ist, als alle theoretischen Differenzierungen — eine auffallige Humorlosigkeit. In den Romanen Sartres etwa finden sich nur vereinzelt humorvolle Passagen, und in der Regel sind sie von einem ermüdenden Zynismus. 45 Es ist dies bei weitem keine unwesentliche Schwäche. Nicht zu Unrecht hat Kant darauf hingewiesen, daß der Humor nicht nur eine unter vielen Eigenschaften des Menschen ist, sondern daß er eng mit der eigentlichen „Originalität des Geistes" verbunden ist. 46 Andererseits freilich kann nicht geleugnet werden, daß die atheistischen Existentialisten in ihrer Versessenheit auf das Absurde « Nachschrift I, a. a. O., S. 288. 44 Camus, Der Mythos von Sisyphos. Ein Versuch über das Absurde, (übers, von Hans Georg Brenner und Wolfdieter Rasch), Hamburg (rde 90), 1959, S. 100. 45 Man braucht nur an die Schriften von Simone de Beauvoir, Ionesco und Beckett zu denken, um sich vor Augen zu führen, daß diese Eigentümlichkeit insgesamt ein wesentliches Charakteristikum der Literatur des .atheistischen Existentialismus' darstellt. Die Äußerung, die Beckett einer seiner Figuren im Endspiel in den Mund legt — „Nichts ist komischer als das Unglück" — mag als zynischer Restbestand dieser Geisteshaltung verstanden werden. Man spürt hier den verzweifelten Versuch einer humorlosen Sensibilität, an der Vorstellung des Komischen festzuhalten. Wäre der Mangel an Humor auch der einzige Punkt, der Kierkegaard von dieser modernen Entwicklung trennte, er allein würde genügen, sie in verschiedenen Welten anzusiedeln. « Kant, Kritik der Urteilskraft, a. a. O. (230) S. 194.
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mehr Mut gezeigt haben als viele ihrer zeitgenössischen Kritiker, einschließlich so mancher, die von einer christlichen Haltung auszugehen behaupten. Doch ohne die Eigenschaft des Humors im genannten tieferen Sinne müssen die Einsichten, die aus diesem Verweilen beim Absurden gezogen werden, notwendigerweise eindimensional bleiben. Man fühlt sich an ein Diktum Pascals erinnert: „Atheismus ist Kennzeichen eines starken Geistes, aber nur bis zu einem gewissen Grade." 47 Im Gegensatz zu dieser Geisteshaltung und zu dem, was Kierkegaard „unreifen Humor" nennt, jenes „ästhetische Raffinement" nämlich, „welches das Ethische überspringt", eröffnet Kierkegaard die Möglichkeit, daß durch die Verschiebung der Perspektive noch eine weitere, entscheidende Bewegung bewirkt wird: „das Sich-Zurücknehmen der Erinnerung aus der Zeitlichkeit in die Ewigkeit." 48 Aus diesem Grunde versteht er den Humor als „das letzte Stadium in Existenzinnerlichkeit vor dem Glauben". 49 An diesem Punkte nun wird, auf der Ebene der Kommunikation, die unausgesprochene Verbindung zwischen dem Humor und der spezifischen intellektuellen Skepsis Kierkegaards erkennbar: beide nämlich zielen darauf ab, den Blick des Beobachtenden nach innen zu kehren, ohne sich in Selbstbezogenheit zu verirren. In dem Leitbild der Seereise ist wie in dem Appell, den Blick nach innen zu wenden, die Suche nach subjektiver Wahrhaftigkeit gefaßt. Wollte man das Wesensmerkmal dieses Bildes beschreiben, so ließe sich sagen, es sei eine Metapher der existentiellen Bewegung-, nach dem Verlust eines festumrissenen intellektuellen Gesichtskreises wird hier nicht objektive Gewißheit, kein „Ergebnis" mitgeteilt, sondern vielmehr der Prozeß der Aneignung. Bei genauerer Betrachtung können wir darüber hinaus sehen, daß diese Metapher eines Prozesses von derselben elementaren Hin- und Herbewegung getragen ist, die sich schon auf allen anderen Ebenen von Kierkegaards Denken und seinem sprachlichen Ausdruck als wesentliches Moment offenbart hat. Ganz offenkundig genügt die unsystematische, .offene' Form dieser Schriften in besonderer Weise den Ansprüchen, die „der wirklich existierende subjektive Denker", der „beständig diese seine Existenz denkend nach(bildet) und ... all sein Denken ins Werden (versetzt)", an den sprachlichen Ausdruck seiner Gedanken stellt. 50 In
47 48 49 50
Pascal, Pensées, a. a. O., Frgt. 225, S. 118. Kierkegaard, Nachschrift I, a. a. O., S. 267. Ibid., S. 287. Vgl. oben S. 130.
Hochmut der Ratio und Humor
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ähnlicher Weise eröffnet diese Form die Möglichkeit, jenes Denken mitzuteilen, welches Kierkegaard, wie wir sahen, als wesentliches Kennzeichen dessen ansieht, der „eigentlich Stil" hat — daß er nämlich „nie etwas auf Vorrat hat, sondern sooft er beginnt, ,die Wasser der Sprache bewegt' ". 51 Denn es ist dies eine Form, die sowohl zuläßt, daß die bildhafte Unmittelbarkeit der Erfahrung in die Darstellung eingeht, als auch, daß ihre Unabschließbarkeit zum Tragen kommt. Wie das Meer an seiner Oberfläche eine unendliche Vielfalt an Wogenformationen hervorbringt, so gibt die existentielle Mitteilungsform dieses Denkers die mannigfachen Konfigurationen des Lebensweges zu erkennen, nicht freilich als bloßen ästhetischen Reiz, sondern als Möglichkeiten, die dem Leser den Weg zu weisen vermögen. 5« Ibid.
Kapitel VI 1. Unmittelbarkeit
vor und nach der Reflexion: der dialektische der Metaphern von Auge und Ohr
Bedeutungswandel
Verfolgt man Lessings lebhafte Auseinandersetzung mit dem Hauptpastor Goeze, gelangt man an einen Punkt, an dem der Autor gleichsam eine Ruhepause einlegt und dabei eine allgemeine Überlegung anstellt: „Aber wie lange und genau muß man denn auch eine Metapher oft betrachten, ehe man den Strom in ihr entdeckt, der uns am besten weiterbringen kann." 1 Es ließe sich hinzufügen: je mehr Erfahrungsbereiche die Schriften eines Denkers umschließen, desto reicher wird der wegweisende Ertrag seiner Metaphorik sein. Beim Nachvollziehen der besonderen Webart von Kierkegaards Denken ist unsere Aufmerksamkeit immer wieder von zwei polaren Bezugspunkten in Anspruch genommen worden: der sinnlichen Wahrnehmung und dem Transzendenten. Wenn nun dieses Denken sein Telos im letzteren hat und sich seine Bewegung darauf richtet, ohne jedoch den Bereich der Sinne aufzugeben, so ist es an der Zeit, danach zu fragen, wie diese dynamische Beziehung zwischen den beiden Polen auf der Ebene des Stils vermittelt wird. Genauer noch: In welchem Umfang kann ein weiteres Verweilen beim metaphorischen Moment dieses Stiles, betrachtet man es in seinem Verhältnis zur begrifflichen Auflösung, den Zugang zu einem tieferen Verständnis des Telos dieses Denkens eröffnen? In einem weiteren Kontext erhebt sich auch die Frage, in welchem Umfang ein weiteres Freilegen der unausgesprochenen historischen Genealogie von Kierkegaards Metaphorik mehr Licht auf die verborgenen Bedeutungsinhalte werfen kann, die diesen Denker mit den Umschichtungen im neuzeitlichen philosophischen Denken verbinden oder ihn davon absetzen. In der Verfolgung dieser Fragen werden wir einen Einblick in die existentiellen Determinanten dieser Umschichtungen zu gewinnen suchen. 1
Lessing, Zweiter Anti-Goe^e, Werke, Bd. 8, Philosophische und Theologische Schriften II, Berlin 1956, S. 212.
Unmittelbarkeit vor und nach der Reflexion
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Wenn wir uns nun der Frage nach dem religiösen Telos in Kierkegaards Denken zuwenden, so ist die erste Stileigentümlichkeit, die einem am Schnittpunkt zwischen dem Bereich der Sinneswahrnehmung und dem des Transzendenten ins Auge fällt, die Tatsache, daß beide durch ein Homonym verknüpft sind: beide Bereiche werden unter dem Begriff der „Unmittelbarkeit" gefaßt. Man wird sich daran erinnern, daß für Kierkegaard „auf dem rein menschlichen Standpunkt das ganze Geheimnis des Erkennens darin liegt, sich auf das in der Unmittelbarkeit Gegebene zu besinnen ...". 2 Wir haben diese Aussage dahingehend interpretiert, daß hier auf die Kunst des Beobachtens Bezug genommen werde, auf ein Verweilen bei jenen optischen und akustischen Manifestationen, die unter dem trügerischen äußeren Anschein einen Einblick in die innere Welt des Einzelnen aufgrund der Art und Weise bieten können, wie er sich in konkreten Situationen ausdrückt. Um noch einen Schritt weiter zu gehen, bedeutet ja der Versuch, im Akt des Urteilens aus dem unmittelbar Gegebenen reflexive Schlüsse zu ziehen, wie wir sahen, nur, eine Möglichkeit zu statuieren, eine Hypothese, die nicht weitergeführt werden kann. Nehmen wir jedoch auch andere Stellen in Kierkegaards Schriften in den Blick, so treffen wir erneut auf den Begriff der „Unmittelbarkeit"; doch er hat einen Bedeutungswandel erfahren und bezieht sich nun auf den Gegenpol der Erfahrung: auf das Transzendente. So schreibt Kierkegaard: „Der Glaube ist die Unmittelbarkeit nach der Reflexion." 3 Wie der Begriff hier verwendet wird, steht Unmittelbarkeit also, im Gegensatz zur ersten Bedeutung des Wortes, nicht vor, sondern nach der Reflexion. Gleichermaßen wichtig aber ist, daß Unmittelbarkeit nicht aufgrund von Reflexion zustandekommt. In beiden Bedeutungszusammenhängen, in denen dieser Begriff auftritt, zum einen in Beziehung auf die Sinneswelt, zum anderen in Zusammenhang mit dem Transzendenten, finden wir also die Selbstherrlichkeit des Intellekts dadurch gezügelt, daß seiner Tätigkeit nur ein zweitrangiger Stellenwert zugebilligt wird. Wenngleich freilich beide Bedeutungen der Unmittelbarkeit Vorrang vor der Tätigkeit des Intellekts genießen, so impliziert dies nicht, wie an dieser Stelle ausdrücklich betont werden soll, daß sie deshalb auch in ihrem Wahrheitswert auf gleicher Stufe stünden. Auch hier wird als entscheidendes Kriterium die jeweils eigene Perspektive erkennbar. In der ersten Bedeutung von Unmittelbarkeit gründet die Erfahrung „auf dem rein menschlichen Standpunkt", d. h. im Endlichen; 2 3
Tagebücher Tagebücher
Bd. I, a. a. O., S. 236, vgl. oben S. 76ff. Bd. II, a. a. O., S. 232.
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Unmittelbarkeit vor und nach der Reflexion
die Unmittelbarkeit des Glaubens aber wurzelt im Unendlichen: nur bei ihr kann man von absoluter Wahrheit sprechen. Im Vergleich zu diesem höheren Wirklichkeitsbereich ist alles Wissen vom Standpunkt des Endlichen aus bloßes Nichtwissen. Doch angesichts der Frage nach dem „Unbekannten" schlechthin, im Zusammenhang der Frage nach Gott ist es ein Nichtwissen, das aufrütteln und über sich hinweisen kann. Wollte man über den offenkundig Sokratischen Ausgangspunkt4 dieser Ansicht hinaus auch innerhalb des christlichen Denkens nach Auffassungen suchen, die in diesem Punkt mit Kierkegaards Gedanken verwandt sind, so wäre es aufschlußreich, sich jener Übergangszeit zuzuwenden, in welcher die mittelalterlich-scholastische Wissensleiter, die Stufe für Stufe zum Göttlichen führt, allmählich von der Idee der Perspektive abgelöst wird. Da es vor allem die Schriften des Nikolaus von Cues waren, in denen das Moment der Perspektive im Sinne des Wissens des Erkennenden um die Grenzen seiner im Rahmen des Endlichen möglichen Erkenntnis am tiefgreifendsten eingeführt wird5, ist es wenig verwunderlich, daß wir gerade in ihnen bei allen Unterschieden in anderer Hinsicht und trotz des offenkundigen Fehlens aller direkten Einflüsse einen wesentlichen Berührungspunkt zu Kierkegaards Denken finden können. In einer bedeutungsträchtigen Passage in De docta ignorantia, ,Von der wissenden Unwissenheit', einem Werk, dessen Grundidee aus einer Erfahrung entstand, die Cusanus als ein philosophisches Damaskuserlebnis beschrieb, welches ihm auf einer Seereise von Byzanz nach Italien im Jahre 1437 zuteil wurde, wird diese Gemeinsamkeit des Denkens gleichsam in einen Satz verdichtet zum Ausdruck gebracht: „Quiditas ergo rerum que est entium veritas in sua puritate inattingibilis est, et per omnes philosophos investigata: sed per neminem vti est reperta, et quanto in hac ignorantia profundius docti fuerimus: tanto magis ipsam accedimus veritatem." (Das Was-Sein des Seienden, das seine Wahrheit ausmacht, ist also in seiner Reinheit unerreichbar, von allen Philosophen zwar gesucht, von keinem aber
4
5
Im Verlaufe von Kierkegaards literarischer Tätigkeit drückt sich sein Vertiefen in den Sokratischen Geist zunehmend als eine Betonung der nach innen gerichteten Bewegung aus, die von der Sokratischen Unwissenheit angestoßen wird. In der Unwissenschaftlichen Nachschrift spricht Kierkegaard von dieser Innerlichkeit als von einem „Analogon zum Glauben" mit dem qualifizierenden Zusatz, die Innerlichkeit des Glaubens sei „unendlich tiefer" (a. a. O., S. 347). Vgl. hierzu Hans Blumenbergs Einleitung zu Nikolaus von Cues: Die Kunst der Vermutung. Auswahl aus den Schriften, Bremen 1957, S. 26 ff., insbesondere Blumenbergs Einführung zu Cusanus' „Über die Vermutung", S. 188 f.
Unmittelbarkeit vor und nach der Reflexion
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wirklich gefunden; je tiefer wir in die wissende Unwissenheit eindringen, desto näher kommen wir der Wahrheit selbst.)6 Im Zusammenhang mit dem, was er den „unendlichen Qualitätsunterschied" zwischen Gott und Mensch nennt, schreibt Kierkegaard: „Von Menschen lernt der Mensch zu reden, von den Göttern zu schweigen."7 Mit anderen Worten: das Wissen um die Endlichkeit der eigenen Perspektive hat stilistische Konsequenzen. Da dieser unendlich ferne und qualitativ andere, deshalb verborgene Gott nicht erkannt, sondern nur in der Innerlichkeit erfahren werden kann, wahrt die philosophische Sprache, wo sie diese Sphäre im Blick hat, eine ausgeprägte Zurückhaltung. Im Angesicht des Unfaßbaren tritt die philosophische Sprache mehr und mehr in den Raum der Metapher ein. Und hier greift das unmittelbar Erfahren wieder auf die Sprache der Unmittelbarkeit zurück. Die metaphorischen Konstellationen, die die erbaulichen Reden Kierkegaards in allen ihren Teilen prägen und deren Licht, wie wir sahen, jede Phase seiner Schriften durchdringt, können als die stilistische Kulmination der intensiv erlebten Implikationen der endlichen Perspektive im Akt der Mitteilung gewertet werden. Dieselbe Erfahrung, so kann man sagen, hat auch den schöpferischen Impuls, der hinter der Gesamtheit an Metaphern in der Kommunikationsweise des Nikolaus von Cues steht, freigesetzt. Der Cusaner deutet dies im ersten Satz seiner Schrift De visione Dei, ,Vom Gott sehen', selbst an, in welcher die Beziehung zwischen Gott und Mensch durch eine Betrachtung von Roger van der Weydens' Das Bild des Allsehenden veranschaulicht wird. Dieser Eingangssatz lautet: „Si vos humaniter ad diuina vehere contendo: similitudine quadam hoc fieri oportet." (Wenn ich euch auf menschliche Weise zum Göttlichen zu geleiten trachte, muß dies auf gewissem Gleichnisweg geschehen.)8 Beim Ausweis solcher Verwandtschaften innerhalb der Tradition des christlichen Denkens sollten wir die biblische Quelle für dieses wesentlich perspektivische Moment im hier verwendeten Sinne nicht aus den Augen verlieren. Denn es ist dieser Ursprung, an dem sich alle skeptischen Standpunkte, die ein christliches Telos für sich in Anspruch nehmen, messen lassen müssen. Man mag z. B. an folgenden Vers aus dem Prediger Salomo denken: 6 7 8
Nikolaus von Cues, De docta ignorantia I, 3, Werke I, ed. by Paul Wilpert, 1967, S. 5. Übers, von Gunter Gawlick in: Die Kunst der Vermutung, a. a. O., S. 78 f. Kierkegaard, Die Krankheit zum Tod, a. a. O., S. 129. Nikolaus von Cues, De visione dei, Werke I, a. a. O., S. 292, übers, von E. Bohnenstaedt in: Die Kunst der Vermutung, a. a. O., S. 311 (Hervorhebung von mir).
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Unmittelbarkeit vor und nach der Reflexion „Sei nicht schnell mit deinem Munde und laß dein Herz nicht eilen, etwas zu reden v o r Gott; denn Gott ist im Himmel und du auf Erden; darum laß deiner Worte wenig sein." (5,2)
Die Zurückhaltung, die für den Stil des Cusanus charakteristisch ist und noch ausgeprägter für den Kierkegaards, wo immer sie von dieser höheren Sphäre sprechen, und die sich im schweigenden Glanz der Metapher erhält, trägt das Mal der Erfahrung dieser Entfernung. Wenn wir nun der besonderen Metaphorik nachgehen, die Kierkegaard verwendet, um diesen höheren Wirklichkeitsbereich auszudrücken, zu dem die Unmittelbarkeit als Glaubensgewißheit gehört, so entdecken wir eine bemerkenswerte Besonderheit: es ist dieselbe Metaphorik, die, wie wir sahen, auch im Zusammenhang mit der Unmittelbarkeit als Sinnesgewißheit bevorzugt verwendet wird. In Übereinstimmung mit dem dialektischen Bedeutungswandel der Kierkegaardschen Metaphorik als ganzer, der sie in Bezug zur begrifflichen Auflösung unterliegt, findet der Begriff der „Unmittelbarkeit" hier ein eidetisches Äquivalent in den Bildern des Auges und des Ohrs. Daher bezeichnet Kierkegaard die christliche Wahrheit — und hier findet die Nähe zum Cusaner ihren entscheidenden Ausdruck — als „gleichsam lauter Auge", „lauter Ohr". 9 Doch aufgrund seiner Befangenheit im Endlichen, mitten im „Lärm des Lebens", ist „das sinnliche Ohr ... zu harthörig, um die Wiederholung der Ewigkeit zu entdecken". 10 Eine solche Ausweitung des Horizontes ist nur dem geistigen Auge und Ohr zugänglich: nur vor dem ,nach innen gewendeten Blick' öffnet sich dieser Horizont der Ewigkeit. Auf einer existentiellen Ebene scheint es bezeichnend, daß Kierkegaards Satz „Der Glaube ist die Unmittelbarkeit nach der Reflexion" zu einer Zeit niedergeschrieben wurde, als er einen Durchbruch zu noch weiterführenden Dimensionen in seinem religiösen Leben zu spüren schien. Im selben Tagebucheintrag, in dem der zitierte Satz steht, heißt es weiter: „Jetzt bin ich angelangt beim Glauben im tiefsten Sinn ... Jetzt kommt das Leben mir näher, oder ich komme mir selbst näher, komme zu mir selbst." 11 Diese Worte gewähren uns einen Einblick in die existentiell erfahrenen Determinanten, die Kierkegaards Behandlung des Phänomens des Glaubens in seinen Schriften bestimmen: Glaube als eine Erfahrung, die unauflöslich
9 10 11
Kierkegaard, Einübung in das Christentum, a. a. O., S. 225 f. Der Liebe Tun, a. a. O., S. 422. Tagebucher, Bd. II, a. a. O., S. 232.
,Die Fahrt nach der Ewigkeit"
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mit der Entwicklung und Aneignung des eigenen Selbst in der Innerlichkeit verknüpft ist, in der das Selbst seinen Weg zu der transzendenten Macht zurückfindet, von der es gesetzt worden ist.
2. Die Ausweitung des Horizonts 2.1 „Die Fahrt nach der Ewigkeit": Die See als Schauplatz der Prüfung des Geistes Fragt man nach dem Bild, mit dem diese Reise zur Selbstentdeckung in Kierkegaards Schriften am häufigsten verknüpft ist, so wird man erkennen, daß das Homonym „Unmittelbarkeit" noch ein anderes eidetisches Äquivalent hat. Wie nämlich in seiner auf die Sinne bezogenen Bedeutung wird der Begriff auch in seinem transzendenten Sinne mit dem Bild der Seereise gefaßt. Derart erscheint als antithetisches Komplement zu dem „Schiff, das nach der Zeitlichkeit fährt", das Bild der „Fahrt nach der Ewigkeit". 12 Die ganze dialektische Kraft von Kierkegaards Denkbewegung, so kann man sagen, kulminiert und kristallisiert in der Metaphorik dieses Horizontwechsels. Eindringlicher als jegliche begriffliche Darlegung allein dazu in der Lage wäre ist Kierkegaards an verschiedenen wesentlichen Punkten in seinen Schriften eingesetzte Seefahrtsmetaphorik, die das existentielle Potential vermittelt, und insbesondere den prekären Zuschnitt der Situation deutlich macht, in welcher sich die Möglichkeit subjektiver Wahrhaftigkeit öffnet. Denn in keiner anderen Lage entlarvt sich die Kraft des bloßen Intellekts als so machtlos, ihr überhebliches Selbstvertrauen als so irregeleitet. Dies wird durch die folgende Passage deutlich gemacht: „Laß uns an einen Steuermann denken und annehmen, er habe alle Prüfungen mit Auszeichnung bestanden, aber er sei gleichwohl noch nicht auf hoher See gewesen — denk ihn dir in einem Sturm: er weiß alles was er zu tun hat, aber er kannte den Schrecken nicht, der den Seefahrenden faßt, wenn die Sterne entschwinden in stockfinstrer Nacht; er kannte sie nicht, die Ohnmacht, mit welcher der Mann am Steuer sieht, daß das Ruder in seiner Hand ein Spielzeug ist für die See; er wußte nicht, wie das Blut in den Schläfen stürmt, wenn man in solch einem Augenblick Berechnungen anstellen soll; kurz, er hatte keine Vorstellung von der Veränderung, die mit dem Wissenden vorgeht, wenn er sein Wissen anwenden soll." 13 Tagebücher, Bd. V, a. a. O., S. 247. 13 „Anläßlich einer Beichte" in: Erbauliebe Reden 1844/45, a. a. O., S. 142. 12
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Die Ausweitung des Horizonts
Es wird auffallen, daß in dieser Passage der kritische Augenblick der einsetzenden Gefahr für den Seereisenden durch wieder ein anderes Bild gekennzeichnet ist: das der Sterne, die „entschwinden in stockfinstrer Nacht". Behält man im Auge, daß das gestirnte Firmament in Kierkegaards Schriften zunächst und vor allem die erbauende „unendliche Aussicht" meint 14 , so wird man erkennen, daß die Verdunkelung, von der hier die Rede ist, aufgrund assoziativer Verknüpfung über das bloß TechnischNautische hinaus eine wesentlich transzendente Bedeutung annimmt. Vom uranfanglichen Licht des Transzendenten abgeschnittten, ist das Licht des Intellekts zur Machtlosigkeit verurteilt. Da es eben diese Dissoziation ist, die, wie wir gezeigt haben, in Stil und Wahrnehmungsmodus dieses Zeitalters als ganzem zum Ausdruck kommt 15 , läßt sich weiterhin in dieser Metapher der entschwindenden Sterne eine verhaltene Anspielung, ob bewußt oder unbewußt, auf die Lage des heutigen Menschen sehen. Die Seereise kann demnach in diesem Sinne als der Schauplatz der Prüfung des Geistes aufgefaßt werden, in welcher der Einzelne mit der Möglichkeit konfrontiert wird, den Dünkel des Intellekts fahren zu lassen und sich vom Licht des Glaubens, durch den allein die Einheit mit dem eigenen Selbst erreicht werden kann, leiten zu lassen. Man kann geradezu sagen, daß Kierkegaards Vorstellung vom Glauben als einem Risiko, als einem „Sprung", seine emotionale Unmittelbarkeit und dadurch seine entscheidende kommunikative Erfüllung erst durch das Bedeutungsfeld dieser Metapher gewinnt. Daß der Zweifel im eigentlichen Sinne im Bereich des Intellekts und nicht in der Sphäre des Glaubens seinen Platz hat, daß zu letzterem ein Sich-Aussetzen, ein Sich-Ergeben vor der Macht, die den Menschen geschaffen hat, gehört, findet sich vielleicht nirgends besser vermittelt als in den dicht gewobenen biblischen Anspielungen, mit denen Kierkegaard Christi Beherrschen der Wasser und die Erfahrung des Hl. Petrus auf dem See Genezareth aufgreift. „Und welches auch das Lebensschicksal eines Menschen sein möge, wie sich die Stürme des Lebens gegen ihn erheben mögen: selig der sich nicht ärgert, sondern glaubt, daß er den Wellen geboten, und es ward eine große Stille, fest und sicher glaubt, daß Petrus darum alleine sank, weil er nicht fest und sicher geglaubt." 16
Die Wechselwirkung zwischen einem geistigen Sich-Aussetzen und Aushalten auf der einen Seite und der Erfahrung der lenkenden Macht des " Vgl. oben S. 100. Vgl. oben Kap. IV, 1 . 1 - 1 . 3 . 16 Einübung in das Christentum, a. a. O., S. 71; vgl. Matthäus 8, 23—27 bzw. 14, 28—33. 15
Die Entheiligung des Meers aus Angst vor dem Unendlichen
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Göttlichen auf der anderen wird an anderer Stelle in Kierkegaards Schriften mit derselben Metaphorik gefaßt. „Doch das versteht sich, ehe die Ewigkeit entdeckt und in Besitz genommen wird, ist es eine ungeheuere Entfernung, und es ist ein furchtbares Segeln allein auf einem Meer, das größer ist als das Weltmeer, da es nicht ein diesseitiges Meer in dieser Welt ist, sondern zwei Welten scheidet; aber für denjenigen, vor dem die Ewigkeit aufgetaucht ist, ist es wieder die geringste Entfernung, so daß eine Nußschale mehr als genug ist." 17
2.2 Das Meer als Weg zur transzendenten Heimat und dessen Entheiligung aus verborgener Angst vor dem Unendlichen Wie im Falle der Lichtmetapher gehört Kierkegaards Rückgriff auf diese Trope einer langen Tradition an, die durch inneren Wandel gekennzeichnet ist. Und auch hier werden wir sehen, daß diese Tradition, wenngleich sie auch weniger offenkundig ist als die begriffliche, im Gegensatz zur Abstraktion den Vorzug hat, in sich ihren seelischen Ursprung zu erhalten. Die Erkenntnis dieses Ursprungs bedeutet jedoch gleichzeitig auch die Erkenntnis des Ursprungs der Abstraktion. Der Gedanke, daß die fundamentale Frage nach Leben und Tod im seelischen Bereich wohl eher in einer ungewöhnlichen Lage in entscheidender Weise an die Menschen herantritt, besonders aber in Krisensituationen, ist immer wieder in der Meeresmetapher konkretisiert worden, und zwar in allen Bereichen der Darstellung des Seelischen. So weist Plotin in seiner Ersten Enneade in Erinnerung an die Flucht des Odysseus vor den Zauberkünsten der Inselnymphen Circe und Kalypso hinaus auf die offene See als den Weg, der zur wahren innerlichen Erkenntnis und Aneignung des eigenen Selbst führen kann. „Ttaxpiq 8f| f||itv, ööev napiiXöo^EV, Kai Ttaxfip ¿Kei" (Dort nämlich ist unser Vaterland, von wo wir gekommen sind, und dort ist unser Vater.)18 Eine lyrische Entsprechung zu dieser Ausfahrt nach der transzendenten Heimat, von der her — nun in einem spezifisch christlichen Zusammenhang — der Reisende zugleich auch den stabilisierenden Halt empfängt, um den Wogen standzuhalten, kann man in einer frühen Leipziger Kantate Bachs hören. Das Rezitativ dieser Kantate beginnt mit den Worten: 17 18
Tagebücher, Bd. V, a. a. O., S. 247. Plotin, Erste Enneade, 6, 8, in: Schriften I, a. a. O., S. 22 f. Der Hinweis auf diese Passage findet sich bei Werner Beierwaltes, Proklos, Frankfurt 1965, S. 242, Anm. 6.
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Die Ausweitung des Horizonts
„Mein Wandel auf der Welt ist einer Schiffahrt gleich; Betrübnis, Kreuz und Not sind Wellen, welche mich bedecken und auf den Tod mich täglich schrecken. Mein Anker aber, der mich hält ist die Barmherzigkeit, wo mit mein Gott mich oft er freut."15
Schon im christlichen Denken des Mittelalters findet sich die See metaphorisch als ein Ort dargestellt, der die göttliche Gegenwart birgt, in deren Tiefe ihre höchste Macht, die der mildtätigen Barmherzigkeit, wirkt. Daher heißt es in einer Predigt von Meister Eckhart: „... das höchste Werk Gottes aber ist Barmherzigkeit und es bedeutet, daß Gott die Seele in das Höchste und Lauterste versetzt, das sie zu empfangen vermag: in die Weite, in das Meer, in ein unergründliches Meer; dort wirkt Gott Barmherigkeit."20
Das Zusammenwirken von der Entdeckung von bis dahin noch unerforschten Meeren und der Vertiefung der psychologischen Einsicht zur Zeit der Renaissance brachte die vielleicht dramatischste Darstellung der Seefahrtsmetapher in Shakespeares dichterischem Vermächtnis, Der Sturm, hervor. Beginnt das Stück auch mit dem Schrecken und der allgemeinen Verwirrung im Angesicht des aufgrund des Sturmes drohenden Schiffbruchs — „when no man was his own"; ,da niemand sein war' 21 — so wirft doch der allmähliche Prozeß der Selbsterkenntnis und SelbstAneignung gegen Ende des Dramas ein neues Licht auf die besondere Art der Gewalt des Meeres. Es ist bemerkenswert, daß das entsprechende Wort „merciful" — ,barmherzig, gütig, mild' — im Zusammenhang dieser Enthüllung der wahren Natur der See auftaucht: „Though the seas threaten, they are merciful; / I have curs'd them without cause" (Droht gleich die See, sie ist doch mild; ich habe / Sie ohne Grund verflucht') (V.l). Bei Shakespeare wird dieser Prozeß, in dem das Selbst seiner selbst habhaft wird, noch von einer fernen göttlichen Macht geleitet: „Look down you gods ... For it is you that have chalk'd forth the way / Which brought us hither" (,Schaut herab, ihr Götter ... Denn ihr seids, die den Weg uns vorgezeichnet,/ Der uns hierher gebracht') (V.l). Derselbe Geist einer höheren Macht durchdringt ein Gedicht von John Donne, dem bedeutendsten Dichter des englischen Frühbarock, das er vor dem Antritt einer Seereise schrieb. In einer hymnischen Anrufung dieser Macht wird das 19 20 21
Kantate Nr. 56. Meister Eckhart, Predigt 8 in: Deutsche Predigten und Traktate, übers, u. hg. von Josef Quint, München 1955, S. 189 (im Original hervorgehoben). So die Beschreibung des Zustands der Reisenden, die der alte Rat Gonzalo im Rückblick gibt (V.l).
Die Entheiligung des Meers aus Angst v o r dem Unendlichen
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unzuverlässige Schifflein, mit welchem der Dichter in See stechen wird, für ihn zur biblischen Arche: „In what torn ship soever I embark / That ship shall be my Emblem of thy ark" (, Welch berstend Schiff ich auch zur Ausfahrt nehm / Es sei für deine Arche mein Emblem').22 In der modernen Epoche scheint die Erlösung ermöglichende Macht der See immer unklarer geworden zu sein. Schon im metaphorischen Gesichtskreis des 19. Jahrhunderts wird eine andere Art von Erfahrung erkennbar. In Mathew Arnolds Dover Beach ist für den Dichter nur noch das „melancholy, long, withdrawing roar", das ,melanchonische, lange, entschwindende Tosen' dessen zu hören, was einst das ,Meer des Glaubens', „Sea of Faith" gewesen war. Es ist dasselbe Gespür für diesen Verlust, das Friedrich Schlegel, wo er sich der transzendenten Bezüge der Meeresmetapher in der Dichtung von Angelus Silesius erinnert, seinen Randnotizen dazu die Anmerkung vorausschicken läßt, daß „die lichtvolle Anwendung und Deutung" dieser Metaphorik „unserem Zeitalter freilich sehr fremd geworden (ist)".23 In den Dramen Ibsens, von dessen Meeresmetaphorik sich sagen läßt, sie bilde in der Tragweite ihrer suggestiven Semantik das rein poetische Pendant zu derjenigen Kierkegaards, macht sich zwar die aufrüttelnde Macht des Ozeans als Katalysator der Selbsterkenntnis und Selbst-Aneignung noch immer bemerkbar24 — aber dennoch wird ein verhängnisvolles Wechseln des Windes spürbar. In Stützen der Gesellschaft wird die eigentliche Grundlage der Kultur, deren Mut und moralische Integrität in ihrem Kern angegriffen sind, von einem schwer angeschlagenen Schiffsrumpf symbolisiert, der nur noch durch behelfsmäßige Ausbesserungsarbeiten zusammengehalten wird. In einem Brief an Brandes schreibt Ibsen: „Überhaupt erscheint mir in diesen Zeiten die ganze Weltgeschichte wie ein einziger großer Schiffbruch; es gilt, sich selbst zu retten."25 Was ist der Ursprung dieser Malaise, dieses unheilvollen Wechsels der Windrichtung? Gänzlich unbeabsichtigt gibt hier eben jener Denker, der die Lichtmetapher ihrer zeitlosen Verknüpfung mit transzendenter Wahrheit gänzlich entkleidete und in diesem Akt der Selbstüberhebung den Schatten einer Umnachtung von persönlichen wie historischen Dimen22 23
24 25
J o h n Donne, A Hymn to Christ, at the Author's last going into Germany. Friedrich Schlegel, „ V o n der Wahren Liebe Gottes und dem Falschen Mystizismus", Werke, Bd. VIII, a. a. O., S. 536. Schlegel betrachtet hier die folgenden Verse des Angelus Silesius: „Das Tröpflein wird das Meer, w e n n es ins Meer gekommen / Die Seele G o t t , wenn sie in Gott ist aufgenommen." V g l . z. B. Frau vom Meer. Brief von Ibsen an G e o r g Brandes, Sept. 24, 1871 in: Briefe, Stuttgart 1967, S. 70.
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sionen vorauswarf 2 6 , nun in einer weiteren metaphorischen Umkehrung einen Hinweis. In Also sprach Zarathustra läßt Nietzsche den Weisen sagen: „Einst sagte man Gott, wenn man auf ferne Meere blicke: nun aber lehrte ich euch sagen: ,Übermensch'." 27 Was ist der eigentliche Kern dieser Entsymbolisierung? Ist sie bloß eine Sache der inneren Überzeugung? Oder verbirgt dies überhöhte Bild vom Menschen statt dessen eine heimliche Angst vor dem persönlichen Sich-Aussetzen als der Vorbedingung für Selbsterkenntnis in ihrem transzendenten Kontext? Mit anderen Worten, finden wir nicht hier in Nietzsches Entheiligung des Meeres einen wesentlichen Parallelvorgang zu seiner Entheiligung der Lichtmetapher, und läßt sich nicht auch in dieser zweiten Umkehrung dasselbe Motiv einer verborgenen Angst erkennen? Ein Hinweis darauf, daß dem tatsächlich so ist, wird, von Nietzsche selbst völlig unbeabsichtigt, durch eine weitere Besonderheit seines Stils gegeben. Es ist nämlich bezeichnend, daß die Meeresmetapher, wo immer sie in seinen Schriften erscheint, wie diejenige des Lichts 28 zu allermeist vorwiegend bedrohliche Züge annimmt. Hier reduziert sich das Versprechen des Ozeans auf das Gute und Schöne zu einem ästhetischen Zauber, ein Zauber freilich, der den erdverbundenen Menschen zu einem fatalen Abenteuer verlockt, mit seiner „beweglichen Schlangenhaut und Raubtier-Schönheit". 29 Im dritten Buch der Fröhlichen Wissenschaft greift Nietzsche, wie Kierkegaard, bei der Beschreibung der existentiellen Situation des Menschen wieder auf die Trope vom Meer zurück, jedoch mit einem fundamentalen Unterschied: hier, bei Nietzsche, endet die Reise unausweichlich in einer unheilbaren Stimmung des Grauens „im Horizont des Unendlichen". „Wir haben das Land verlassen und sind zu Schiff gegangen! Wir haben das Land hinter uns abgebrochen! Nun, Schifflein! Sieh dich vor! Neben dir liegt der Ozean, es ist wahr, er brüllt nicht immer, und mitunter liegt er da wie Seide und Gold und Träumerei der Gute. Aber es kommen Stunden, wo du erkennen wirst, daß er unendlich ist und daß es nichts Furchtbareres gibt als Unendlichkeit. Oh des armen Vogels, der sich frei gefühlt hat und nun an die Wände dieses Käfigs stößt! Wehe, wenn das Land-Heimweh dich befällt, als ob dort mehr Freiheit gewesen wäre — und es gibt kein „Land" mehr!"30
Die übersteigerte Angst vor dem Unendlichen, in dem die Freiheit des Einzelnen sich zu verlieren droht, deutet eine Offenbarung in beiden » Vgl. oben 27 Nietzsche, 28 Vgl. oben 29 Nietzsche, 30 Nietzsche,
Kap. IV, 1.1 und 1.3, S. 100 f. Also Sprach Zarathustra, Werke, a. a. O., Bd. 2, S. 344. S. 86 f. Menschliches, Alhytmenschliches, a. a. O., Bd. 3, S. 761. Die fröhliche Wissenschaft, a. a. O., Bd. 2, S. 126 (im Original hervorgehoben).
Die Entheiligung des Meers aus Angst vor dem Unendlichen
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Bedeutungen an, die das Wort annehmen kann — im raum-zeitlichen Kontinuum und im Sinne des Göttlich-Ewigen. Beide Bedeutungen erscheinen hier als innig miteinander verwoben. Im Sinne einer Erfahrung im Raum-Zeit-Kontinuum mag die übersteigerte Angst vor dem ,Vereinnahmt-Werden', davor, seine Freiheit in einer plötzlichen Einhegung zu verlieren (wie der Vogel, „der sich frei gefühlt hat und nun an die Wände dieses Käfigs stößt"), als ein Symptom dessen betrachtet werden, was ein Schriftsteller in einem anderen Zusammenhang die „ontologische Unsicherheit" 31 genannt hat. In diesem Zustand sucht das Individuum, das mit sich selbst entzweit ist und sich vor den natürlichen Prozessen des Lebens ängstigt, seine so verletzbare Identität durch einen Rückzug in die Isolation zu erhalten. 32 Die bekannte Bahn, die Nietzsches persönliches Leben genommen hat, wie auch das weniger beachtete Feld des stilistischen Ausdrucks seines Denkens, auf das in der vorliegenden Untersuchung an anderer Stelle eingegangen wurde, legen die Annahme nahe, daß diese Aversion gegen die Unendlichkeit des Meeres in diesem Sinne ihre Ursprünge in einem solchen innerlichen Zustand habe. Fallstudien haben gezeigt, daß das Bild des Versinkens, besonders des Ertrinkens, eine übliche Erscheinung in den Phantasien derartiger Personen ist. 33 Spürt man der Meeresmetapher in Nietzsches Schriften weiter nach, so wird deutlich, daß die in ihr sich dokumentierende Einbildungskraft mit genau diesem Muster übereinstimmt, trotz aller Versuche, Haltung zu bewahren. Wie oft auch immer dieser Denker aufbricht, jedesmal bricht die unheilschwere Phantasie durch und stellt sich als stärker heraus: „Ich höre im Schmerz den Kommandoruf des Schiffkapitäns: ,zieht die Segel ein!' Auf tausend Arten die Segel zu stellen, muß der kühne Schiffahrer ,Mensch' sich eingeübt haben, sonst wäre es gar zu schnell mit ihm vorbei, und der Ozean schlürfte ihn bald hinunter."34
In Phasen akut bedrohter Identität, so wurde in Fallstudien beobachtet, tritt auch das Bild des Verbrennens wiederholt auf. 35 Auch hier wird 31
34 35
R. D. Laing, „Ontological Insecurity", in: Theories of Psychopathologie hg. v. Th. Millon, Philadelphia u. London 1968, S. 287 f. Laings Verwendung des Wortes „ontologisch" darf nicht mit demjenigen zeitgenössischen Gebrauch des Wortes verwechselt werden, wie er z. B. in der Fundamentalontologie Heideggers erscheint, wo er auf die Interpretation des „Sein des Seienden" zielt. Laing weist ausdrücklich daraufhin, er verwende das Wort in seinem „empirischen Sinne, weil es .die beste adverbiale oder adjektivische Ableitung von ,Sein' zu sein scheint". (Ibid., S. 285.) 33 Laing, ibid., S. 288. Ibid., S. 288. Nietzsche, Die fröhliche Wissenschaft, a. a. O., S. 185. Laing, „Ontological Insecurity" a. a. O., S. 288.
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Nietzsches Umkehrung der Lichtmetapher und ihre Besetzung mit vornehmlich unheilvollen Bedeutungen als eine wesentliche Begleiterscheinung zur Umkehrung der Meeresmetapher erkennbar. Das Gedicht Ecce homo lautet: „Ja! ich weiß woher ich stamme! Ungesättigt gleich der Flamme Glühe und verzehr ich mich. Licht wird alles, was ich fasse Kohle alles, was ich lasse Flamme bin ich sicherlich."36
Hier entspricht das Element des Lichts in bezug auf den verzehrenden Prozeß, dem das Individuum unterworfen ist, der Bedeutung, die dem Element des Wassers bei seinem .Vereinnahmt-Werden' zukommt. Nietzsches Beziehung zu diesen beiden Ur-Elementen gibt seine Furcht vor eben denjenigen ihnen innewohnenden Existenz-Bestimmungen zu erkennen, mit welchen sie sonst in der Geschichte der abendländischen Kultur metaphorisch verknüpft worden sind — die Reise der Selbst-Entdeckung und die Transparenz des Selbst auf sich selbst. Doch diese ihnen innewohnenden Existenz-Bestimmungen sind ihrerseits im Transzendenten begründet und gehen von ihm aus; und dieses Gegründetsein ist, wie gezeigt wurde, seinem Wesen nach von dieser Metaphorik unabtrennbar. 36
Nietzsche, Die fröhliche
Wissenschaft, a.a.O., S. 32; vgl. oben S. 87.
Kapitel VII 1. Das Verhalten in der Grundstimmung der Stille. Die Wiederaufwertung Tugend der Tapferkeit und ihr exegetisches Potential
der
Wenn man nun Nietzsches Verweis auf die „unendliche" Qualität des Meeres nicht nur im Sinne des Raum-Zeit-Kontinuums versteht, sondern auch als eine — bewußte oder unbewußte — Anspielung auf das Ewige im Sinne seiner Transzendenz, so enthüllt die besondere Erscheinungsform, die diese Wendung in seinen Schriften annimmt, wiederum mehr als nur die vordergründige Absicht ihres Autors. Diese tiefere Dimension wird erkennbar, wenn wir eine weitere Frage stellen: vor welcher anderen Eigenart des Meeres außer seiner Unendlichkeit schreckt Nietzsche noch zurück? Die Antwort auf diese Frage findet sich im vierten Buch der Fröhlichen Wissenschaft, wo er vom „öde(n) Schweigen" des Ozeans spricht. 1 Wenn wir diese beiden Ausformungen seiner Abneigung in ihrer tatsächlichen wechselseitigen Beziehung zueinander betrachten, so gewinnt das oben angesprochene Assoziationsfeld seine volle Geschlossenheit. Denn in der ganzen Tradition des religiösen Denkens war und ist es eben dieser Zustand des Schweigens, der als notwendige Vorbedingung für die Beziehung des Menschen auf das Unendliche, auf das Transzendente angesehen wird. 2 So bezeichnet z. B. Meister Eckhart das Schweigen als den Zustand, der das Wort Gottes im Inneren erst hörbar werden läßt: „Das W o r t liegt in der Seele verborgen, so daß man es nicht weiß noch hört, sofern ihm nicht in der Tiefe G e h ö r verschafft wird; v o r h e r wird es nicht gehört; vielmehr müssen alle Stimmen und alle Laute hinweg, und es m u ß eine lautere Stille da sein, ein Stillschweigen." 3
1 2
3
Nietzsche, Die fröhliche Wissenschaft, a. a. O., S. 163. Vgl. dazu Gustav Mensching, „Das Heilige Schweigen" in: Religionsgeschichtliche Versuche und Vorarbeiten, 20. Band, hg. von L. Malten und O. Weinreich, Gießen, 1925/1926, 2. Kap. Meister Eckhart, Predigt 19 in: Deutsche Predigen und Traktate, hg. und übers, von Josef Quint, München 1955, S. 237.
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Das Verhalten in der Grundstimmung der Stille
Sicher, Stille ist auch in anderen Bereichen des geistigen Lebens herbeigewünscht worden. Schopenhauer, der im Getöse der Großstadt schrieb, hat den Lärm als „die impertinenteste aller Unterbrechungen" bezeichnet. 4 Doch für diese modernen Denker ist der Lärm in erster Linie deshalb „impertinent", weil der den schöpferischen Prozeß unterbricht; es ist dies vor allem eine Beeinträchtigung der intellektuellen und künstlerischen Leistungsfähigkeit. Bei Meister Eckhart ist im Gegensatz dazu die Suche nach einer anderen, inneren Stille, welche ihrem Wesen nach nicht von äußeren Vorbedingungen abhängt, von noch fundamentalerer Bedeutung; denn es ist diese innere „lautere Stille", die die Bedingung der Möglichkeit für alles Hören überhaupt ist. Es ist dies das Schweigen, das das Wort Gottes hörbar werden läßt und das in den innersten Tiefen des Selbst verborgen liegt. Im Kontext unserer gegenwärtigen Argumentation könnte man umgekehrt durchaus eine prononcierte Abneigung gegen das Schweigen als Anzeichen einer verborgenen Furcht vor einer Begegnung mit dem Selbst in seiner Beziehung auf das Transzendente sehen. Die fast instinktive Antipathie gegen jegliche symbolische Assoziation mit dieser Stille, wie sie in Nietzsches Hinweisen auf den .Schrecken' der Unendlichkeit des Meeres und auf sein „ödes Schweigen" offenkundig ist, mag hier als stilistischer Reflex dieses existentiellen Ausweichens verstanden werden. Dasselbe läßt sich auch von der Umkehrung der Meeresmetapher durch diesen Denker sagen, von ihrer Anthropomorphisierung: „Einst sagte man Gott, wenn man auf ferne Meere blicke: nun aber lehrte ich euch sagen: ,Ubermensch'." 5 Der Abschnitt, in dem Nietzsche Zarathustra diese Worte spechen läßt, trägt die Überschrift „Auf den glücklichen Inseln". Mit diesem Rückzug auf festen Boden erhält ein fiktives Refugium im philosophischen Denken seine letzte Bestätigung. Es ist bemerkenswert, daß dieselbe Metapher schon in der stilistischen Ausformung eines anderen fiktiven Refugiums der Philosophie kaum ein Jahrhundert früher und, jedenfalls auf den ersten Blick, aus einer gänzlich anderen Richtung erscheint. Am Beginn seines literarischen Weges spricht Hegel, wo er eine Bilanz dessen zieht, was dem Denken in bezug auf seine Epoche nottut, von seinem „Sehnen" nach den glückseligen Inseln der Philosophie ". 6 Die Buchten dieser Inseln seien „nur Schopenhauer, „Ueber Lerm und Geräusch" in: Parerga und Paralipomena II, Werke Bd. X, a. a. O., S. 698. 5 Vgl. oben S. 160, Anm. 27. 6 Hegel, Differenz Fichte'sehen und Schelltng'sehen Systems, Hamburg 1962, (Phil. Bibliothek, Bd. 62a), S. 10 (vor mir hervorgehoben). 4
Das Verhalten in der Grundstimmung der Stille
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mit Trümmern gescheiterter Schiffe bedeckt". Von dem imaginierten Zufluchtsort dieser Inseln der Philosophie aus gesehen, d. h. vom Standpunkt des absoluten Wissens aus, ist der Ozean nicht länger Schauplatz der geistlichen Prüfung, von individueller Selbst-Entdeckung und SelbstAneignung, sondern einzig negatives Sein, das so gut wie möglich durchquert werden muß. Das theoretische Komplement dieser existentiellmetaphorischen Umkehrung läßt sich in Hegels Neuinterpretation des Sokratischen Diktums yvrööi aeauTÖv, „Erkenne dich selbst", finden, das nun nicht mehr das Verstehen des einzelnen Selbst, sondern ein universales Wissen von der menschlichen Natur in abstracto bedeuten soll.7 Man kann in dieser Neuinterpretation die begriffliche Verbrämung des fiktiven Refugiums von der Lebensreise sehen: vor Selbst -Entdeckung und Selbst Aneignung. Dies deutet sich weiterhin auch durch das allmähliche Verschwinden der Meeresmetapher aus Hegels Schriften an. In den seltenen Abschnitten, in welchen das Meer überhaupt erwähnt wird, wird es seiner zeitlosen transzendenten Assoziationen entkleidet und, wie im Falle des bestirnten Firmaments 8 , auf seine rein physikalische Zusammensetzung reduziert. Zwar hat diese physikalische Qualität, insofern das Meer für Hegel zu einem Teil der „geographische(n) Grundlage der Weltgeschichte" wird 9 , die Macht, Mut hervorzurufen; aber im Gegensatz zu jenem geistigen ,Sich-Aussetzen', welches sich in den Urtiefen der religiösen und philosophischen Tradition findet und das unverkennbar in der Metaphorik des Plotinus, Meister Eckharts und Kierkegaards evoziert wird, bleibt dieser Mut doch nur auf eine weltliche, eindimensionale Kühnheit beschränkt. Dies wird in folgendem Satz Hegels offenkundig: „Das Meer erweckt den Mut; es lädt den Menschen zur Eroberung, zum Raub, aber auch zum Gewinn und Erwerb ein." 10 Auch liegt dieser Mut nicht, wie in der religiösen und in der philosophischen Tradition, darin, der Gefahr offen und würdig gegenüberzutreten. In seiner Entheiligung des Meeres setzt Hegel wie Nietzsche seine negativen, .arglistigen' Eigenschaften absolut — was wiederum zur Rechtfertigung für die Einführung einer eigentümlichen Auffassung von Mut dient, die mehr der Verstellung als der Offenheit zuneigt. „Die Tapferkeit also gegen das Meer muß zugleich List sein, da sie mit dem listigsten, dem unsichersten und lügenhaftesten Vgl. oben S. 78 ff. und 106 ff. Vgl. oben S. 108 f. und 110. 9 Hegel, Vorlesungen über die Philosophie der Weltgeschichte, Hamburg5, Bd. I, S. 187 (Phil. Bibliothek, Bd. 171a). >" Ibid., S. 197. 7 8
hg. von Johannes Hoffmeister,
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Elemente, zu tun hat." 11 In diesen eng miteinander verknüpften Prozessen der Entheiligung und Verstellung kann man dieselbe existentielle Geisteshaltung entdecken, die sich schon an anderen Stellen der vorliegenden Untersuchung 12 als konstitutives Moment des verborgenen Motors von Denken und Stil dieses Denkers nahegelegt hat: die Angst und Ausflucht vor einer Begegnung mit dem Selbst in seiner Bezogenheit auf das Transzendente. Wenn für Nietzsche die Insel der Zufluchtsort der absoluten Subjektivität ist, so ist sie für Hegel das Refugium der absoluten Objektivität; im Vergleich zu dem gemeinsamen Vorstellungsfeld, auf dem die Gedanken beider gedeihen, ist dies jedoch ein unerheblicher Unterschied. Auch in diesem Bereich ist es Kierkegaards Bildlichkeit, die den vielleicht letzten und anspruchsvollsten Kontrapunkt zu dieser modernen Umkehrung darstellt. Indem er sich von dem fiktiven Ruhepol eines zeitlichen Absoluten lossagt, sticht der Denker aufs neue in See, wo er angehalten ist, „die Wogen des substantiellen Lebens über sich zusammenschlagen" zu lassen. „Eine Geistesexistenz, zumal die religiöse, ist nicht leicht; der Gläubige liegt fort und fort auf der Tiefe, hat siebzigtausend Faden Wassers unter sich." 13 In Übereinstimmung damit, daß dieser vorgängige geistige Auftrag wieder in sein Recht gesetzt wird, ist auch, daß der Verstehensprozeß sich bei Kierkegaard nach innen wendet und auf die Suche nach seinen präkognitiven Vorbedingungen begibt. Fragt man nach derjenigen präkognitiven Eigenschaft, die in Kierkegaards Schriften am häufigsten Erwähnung findet, so ist es in Zusammenhang mit den oben dargelegten Ausführungen bezeichnend, daß dies sich als die Eigenschaft des Muts herausstellt. So wird man sich z. B. erinnern, daß es der Mangel an Mut ist, den Kierkegaard implizite als zugrundeliegenden Mangel im frühen Fichte andeutet und den er in dessen Denken und stilistischem Ausdruck widergespiegelt sieht — in der „Sicherheit der Schlußform". 14 Tatsächlich gibt es kaum ein Werk Kierkegaards, in welchem diese Eigenschaft nicht angesprochen wäre oder ihre Implikationen zum Tragen gebracht würden. 15 11 Ibid., S. 198. 12 Vgl. oben S. 1 0 6 - 1 1 1 . ,3 Stadien auf dem Lebens Weg, a. a. O., S. 473. 14 Vgl. oben S. 35 f. 15 Vgl. z. B. Entweder/Oder II, S. 126, 255, 269, 303; Furcht und Zittern, S. 37, 60, 90, 96, 100 ff., 120, 128; Die Wiederholung, S. 63, 163; Der Begriff Angst, S. 104, 121; Erbauliche Reden in verschiedenem Geist 1847, „Eine Gelegenheitsrede", S. 1 1 2 , 1 2 4 f., „Das Evangelium der Leiden", S. 253 ff., 266; Das Buch über Adler, hg. v. Lest, a. a. O., S. 351; Der Liebe
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Auf diese Weise bringt Kierkegaard, ohne ausdrückliche Bezugnahme auf die Aufzählung der vier wichtigsten Tugenden des Philosophen durch Sokrates deren erste — die „Tapferkeit", dvSpeia16 — in ihre ursprüngliche und ihr rechtmäßig zustehende Vorrangstellung. Eine solche Wiederaufwertung ist offensichtlich an der Zeit und birgt ein bislang unerschlossenes exegetisches Potential. Wie offenkundig aber die Vorrangstellung des Mutes einerseits auch sein mag, so haben die hohen inneren Anforderungen^ die diese Eigenschaft an das existierende Individuum stellt, doch andererseits dazu geführt, daß sie beständig in Vergessenheit gedrängt oder vom oberflächlichen Gleißen begrifflicher Brillanz überstrahlt wurde. Art und Ausmaß dieser Tendenz lassen sich an der Verbindung ablesen, die Kant gegen Ende des 18. Jahrhunderts zwischen dem Mangel an eigenständigem Denken und dem Rückgriff auf „Satzungen und Formeln" zieht, die er als die „Fußschellen einer immerwährenden Unmündigkeit" bezeichnet.17 Entscheidend ist hierbei Kants Erkenntnis, daß diese intellektuelle Gepflogenheit „nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes" liege. 18 In den Schriften Kierkegaards gewinnt das hermeneutische Eindringen in diesen präkognitiven Ursprung des Denkens nicht nur größere Intensität, sondern wird auch umfassender in der Perspektive seiner Implikationen. In der erbaulichen Rede mit dem Titel „Wider Feigheit" heißt es: „Die Feigheit aber hält Ersten einen Menschen davon ab erkennen, was das Gute ist, das in Wahrheit Große und Edle, welches das Ziel für sein Streben sein muß, für den frühen und für den späten Fleiß."19 Ein Vergleich dieser neuen Wertigkeit, die die Eigenschaft des Mutes in Kierkegaards Schriften, insbesondere in ihrem geistlichen Kontext annimmt, mit der relativ Tun, S. 88 f., 270; Die Krankheit %um Tode, S. 84, 94; „Der Gesichtspunkt für meine Wirksamkeit als Schriftsteller" in: Die Schriften über sich Selbst, S. 101, 109; Philosophische Brosamen, S. 9, 42; Der Augenblick, S. 210; Tagebücher, Bd. 1, S. 127, 257, 282. Bd. II, S. 221, Bd. V, S. 341. i« Piaton, Der Staat IV, griech.-deutsch, 490a, Bd. IV, a.a.O., S. 487. Vgl. oben S. 2. 17 Kant, „Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung"? in: Aufsätze %ur Geschichte und Philosophie, hg von Jürgen Zehbe, 2. Auflage, Göttingen 1975, S. 56. >8 Ibid., S. 55. 19 Kierkegaard, „Wider Feigheit" in: Erbauliche Reden 1844/45, a. a. O., S. 66 (Hervorhebung von Kierkegaard). Schon in Über den Begriff der Ironie heißt es: „Darum gehört zu aller Erkenntnis Mut, und allein der, welcher den Mut hat, das Leben zu opfern, rettet das Leben; jedem anderen ergeht es wie Orpheus, welcher zur Unterwelt niedersteigen wollte, um seine Gattin heraufzuholen; die Götter jedoch zeigten ihm nur ein Schattenbild von ihr, weil sie ihn für einen verzärtelten Citherspieler ansahen, der nicht den Mut gehabt hatte, aus Liebe sein Leben zu opfern." S. 24 Anmerkung**.
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peripheren Erwähnung, die der Mut im Hauptstrom der Entwicklung des philosophischen Denkens im 19. Jahrhundert findet, mag durchaus auf einer nochmals anderen Ebene verdeutlichen, in welch großem Maße dieser Denker im Widerspruch zum Geist seiner Epoche stand.20 Kierkegaard hebt, wie wir sahen, den Mut als die erste Vorbedingung für die Erkenntnis des Guten heraus. Mut jedoch ist nicht etwas, das man ,besäße', wie man z. B. körperliche Eigenarten hat: Mut ist eine Qualität, die aufgebracht und immer wieder neu gewonnen werden muß. Insofern bleibt die Frage: Welches ist der zugrundeliegende innere Zustand, durch welchen sich die Eigenschaft des Mutes ausdrückt? Versuchen wir, diese Frage zu beantworten, so werden wir sehen, daß wir noch weiter in die ursprüngliche Beziehung zwischen Existenz, Denken und Stil hineingeführt werden. Mehr noch, die Antwort führt uns zum tiefsten Grund dieser Beziehung.
2. Schweigen als vorbereitende Modalität für das wesentliche Reden Spürt man der Behandlung des Guten in Kierkegaards Schriften weiter nach, so wird man bemerken, daß das Fließen des Gedankens des öfteren an Strömung und Ton nachläßt, gleichsam in einer Meditation über die Stille zur Ruhe kommt. In einer dieser Meditationen finden wir eben diejenige metaphorische Verbindung zwischen dem Meer, der Stille, dem Ewigen und dem Licht, der gegenüber Nietzsche ein solches Zurückschaudern an den Tag legt. „Wie das Meer in seiner reinen Tiefe des Himmels Höhe wiedergibt, ebenso gibt das Herz, wenn es stille und tiefe durchsichtig ist, die himmlische Erhabenheit des Guten wieder in
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Soweit sich dies aus einem vorläufigen Überblick sagen läßt, scheint es, als werde die Tugend des Mutes nach Kierkegaard in den Schriften Nietzsches am deutlichsten betont. Doch die besondere Auffassung dieser Eigenschaft, wie sie in dessen Schriften zutagetritt, und der Ton, in welchem sie gepredigt wird, lassen den Eindruck entstehen, daß diese Unterstreichung für Nietzsche nur ein weiteres Mittel war, eben dieselbe Angst vor dem Transzendenten zu übertönen, die wir auch hinter seiner Metaphorik erkennen konnten. Da es das Wissen um den eigenen Tod ist, welches den Menschen am unerbittlichsten Aug in Auge mit der Möglichkeit des Transzendenten stellt, ist es wenig verwunderlich, daß die Tugend der Tapferkeit bei Nietzsche genau in diesem Zusammenhang ihre fragwürdigste und schrillste Beschwörung findet. In Also sprach Zarathustra läßt Nietzsche den Weisen verkünden: „Mut aber ist der beste Totschläger, Mut, der angreift: der schlägt noch den Tod tot, denn er spricht: ,War das das Leben? Wohlan! Noch einmal!'" (Werke, Bd. II, S. 408).
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seiner reinen Tiefe."21 Hier wird die schweigende Tiefe des Meeres mit dem Herz verglichen, das auf sich selbst durchsichtig geworden ist, in welchem Zustand es nun das höchste Gut widerspiegelt wie die See, die das Licht des Himmels empfangt. Behält man im Auge, daß Selbsterkenntnis in diesem tieferen Sinne für Kierkegaard „eine absolute Bedingung für alles andere Verstehen" ist22, so beginnt man, die ursprüngliche Bedeutung des inneren Zustands der Stille für den Prozeß der Erkenntnis zu begreifen. Die Stille ist von grundsätzlicherer Bedeutung als die Idee, weil sie eben jene innerliche Atmosphäre ausmacht, in welcher die Idee erst empfangen werden kann. In einem späten Werk mit dem denkwürdigen Titel Zur Selbstprüfung der Gegenwart Anbefohlen bezeichnet Kierkegaard die Stille als eine „Grundstimmung", deren zarte Gegenwart zwar kaum einmal angesprochen wird, die aber dennoch ihre Auswirkungen hat. Es ist bezeichnend, daß Kierkegaard hier, wo er auf dieses der begrifflichen Sprache sich entziehende, aber fundamentale Phänomen eingeht, wiederum die Leitmetapher des Lichts verwendet: „Schweigen gleicht dem sanften Lichtschein im traulichen Gemach, der Freundlichkeit in der ärmlichen Stube; man spricht nicht von ihm, aber es ist da und übt seine wohltuende Macht. Schweigen gleicht der Stimmung, der Grundstimmung, die nicht an den Tag gezerrt wird, darum eben heißt sie die Grundstimmung, weil sie auf dem Grunde liegt." 23
Da dieses Schweigen ein innerlicher Zustand und nicht ein äußerer Umstand ist, ist es eine Stimmung, die gefunden werden muß. An diesem Punkt nun wird die unausgesprochene Beziehung zwischen dem persönlichen Mut und der Stille in Kierkegaards Schriften deutlicher, die etwa folgendermaßen umschrieben werden könnte: ebenso wie der Einzelne den Mut aufbringen muß, das Festland hinter sich zu lassen und mit dieser Ausreise, ohne einen festumrissenen Gesichtskreis und daher auch ohne objektive Gewißheit, die Suche nach subjektiver Wahrhaftigkeit und die Entdeckungsreise zum eigenen Selbst zu beginnen, so hat auch das Eintreten in den Zustand des Schweigens, in dem diese Entdeckung 21 22 23
Kierkegaard, „Eine Gelegenheitsrede", a. a. O., S. 128. Nachschrift II, a. a. O., S. 14 und oben S. 78. Kierkegaard, Zur Selbstpriifung der Gegenwart Anbefohlen, Düsseldorf 1953, S. 86. In den auf Kierkegaard folgenden Jahrzehnten waren es vor allem die Schriften Diltheys, in denen der Primat der Grundstimmung vertreten wurde. So schreibt Dilthey: „Als lebendiges Ganzes, als Schöpfung einer Person, in welche diese alles, ihre Begriffe wie ihre Ideale ergießt, ist es von Einer Gemütsverfassung, Einer Grundstimmung getragen." Das geschichtliche Bewußtsein und die Weltanschauungen, in: Gesammelte Schriften, Bd. VIII, a. a. O., S. 53, zit. bei O. F. Bollnow, Dilthey, Leipzig/Berlin 1936, S. 67.
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geschieht, ein Zurücklassen des vertrauten Fixpunkts des weltlichen Getöses zur Folge. Dieser Akt der Entsagung wird in einer anderen Meditation über die Stille zum Ausdruck gebracht, die sich in der „Gelegenheitsrede" findet, wo der Prozeß der Selbst-Entdeckung und Selbst-Aneignung als ein sich „Umkleiden" beschrieben wird: „Aber wer in Wahrheit einig geworden ist mit sich selbst, der ist in der Stille. Und auch dies ist ja wie ein Umkleiden: sich all dessen, was da lärmt, zu entledigen, da es leer ist, um, in der Stille verborgen, offenbar zu werden. Diese Stille ist die einfache Feierlichkeit der heiligen Handlung. Denn weltlich gilt, beim Tanz und beim Gastmahl: je mehr Musikanten, desto besser; aber göttlich gilt: je tiefer die Stille, desto besser."24 Hier läßt sich eine fundamentale Frage stellen: Worin besteht die Beziehung zwischen diesem entscheidenden geistlichen „Umkleiden", dieser Grundstimmung des Schweigens — oder ihrer Abwesenheit —, und der Art des Denkens und seinem stilistischen Ausdruck? Wie es auch bei den anderen Komponenten der Beziehung zwischen Existenz, Denken und Stil der Fall war, findet sich nirgendwo in Kierkegaards Schriften eine zusammenhängende und umfassende Antwort auf diese Frage. Auch sie liegt verborgen in einem Geflecht von nur im Keime angelegten Assoziationen und Andeutungen, die der Erhellung bedürfen. Diese grundlegenden Assoziationen und Andeutungen beginnen ans Licht zu treten, wenn wir uns wieder den ursprünglichen Konzepten der „Innerlichkeit" und „Ursprünglichkeit" zuwenden. Denn bei der eingehenden Lektüre von Kierkegaards Schriften erkennt man, daß eben diese beiden Primärkonzepte sich in einem fundamentalen wechselseitigen Beziehungszusammenhang mit der Stimmung des Schweigens vereinen. „Schweigen ist Verinnerlichung und der Weg, auf welchem eine Ursprünglichkeit gewonnen wird ,.." 25 Die zentrale Bedeutung, die die Ursprünglichkeit in Kierkegaards Denken innehat — oder was er auch „das ursprüngliche Ich" nennt —, nämlich als die Fähigkeit, direkte Eindrücke in ihrer urtümlichen Unmittelbarkeit aufzunehmen, ohne daß sie von der Sichtweise anderer verzerrt werden, wurde in der vorliegenden Untersuchung schon an anderer Stelle behandelt.26 Doch läßt sich eine weiterführende Frage stellen: In welcher Weise werden diese Eindrücke aufgenommen? Kierkegaard, „Eine Gelegenheitsrede", a. a. O., S. 24. Kierkegaard, Das Buch über Adler, hg. von Hirsch/Gerdes, a. a. O., S. 449. 2« Vgl. oben S. 57. 24
25
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Einen ersten Einblick in die Antwort auf diese Frage gewährt ein gedanklicher Brocken, der sich in Eine literarische Anzeige findet, wo es heißt: „Ein jeder, der mit Ursprünglichkeit etwas erlebt, erlebt vermöge der Idealität zugleich die Möglichkeiten des Gleichen und die Möglichkeit des Entgegengesetzten."27 In diesem Satz, in dem die Erfahrungsgrundlage von Kierkegaards grundsätzlich skeptischer Haltung in konzentrierter Weise zum Ausdruck gebracht wird, wird schon auf der elementarsten Ebene des Verstehens ein Spannungsfeld aufgewiesen. In dem Maße, in dem diese in der Innerlichkeit erfahrene Spannung sich im schöpferischen Akt nicht löst, sondern erhalten bleibt, läßt sich sagen, daß dieser Prozeß vom Schweigen getragen ist. Daher fahrt Kierkegaard fort: „Die ideale Vollendetheit seiner Rede, seines Hervorbringens wird in Entsprechung stehn zum Schweigen, und der unbedingte Ausdruck des Schweigens wird sein, daß die Idealität die entgegengesetzte Möglichkeit enthält." 28
Man mag sich in diesem Zusammenhang Kierkegaards eigener „pseudonymer" Schriften erinnern. Indem er sich einer Frage unter dem Mantel fiktiver Personen aus einander entgegengesetzten und wechselnden Perspektiven heraus und auf provisorische Art nähert, ohne direkte Antworten anzubieten, wird, so läßt sich sagen, ein in einem wesentlichen Sinne äußerst intimes Schweigen von Seiten Kierkegaards zum Tragen gebracht.29 Doch der Ausdruck solchen Schweigens ist nicht auf eine besondere literarische Form beschränkt. In einem historischen Zusammenhang ließe sich sagen, daß Kierkegaard auf dasselbe zeitlose Spannungsfeld zurückgreift, aus dem sich die existentiellen Möglichkeiten, die für die poetische und essayistische Ausdrucksweise und für die des philosophischen Dialogs charakteristisch sind, immer schon genährt haben. Je länger man bei Kierkegaards knappen, aber weitreichenden Meditationen über die Stille verweilt, desto deutlicher werden die feinen Maschen sichtbar, die vom einen zum anderen führen, desto klarer erkennt man, daß man es hier mit etwas zu tun hat, was als ein Phänomen ursprünglicher Einweihung bezeichnet werden könnte. Diese Einweihung läßt sich als Prüfung verstehen, in der das Selbst aufgerufen ist, den Weg zurück zu seinen Wurzeln im transzendenten Urgrund zu finden und seine geistliche Eine literarische Anzeige, a. a. O., S. 105. » Ibid. 29 Kierkegaard selbst bezeichnet in einer knappen, unkommentierten Bemerkung seine Pseudonymen Schriften als einen Ausdruck der „Anschauung vom Schweigen als Innerlichkeit". Vgl. Das Buch über Adler, hg. von W. Rest, a. a. O., S. 449. 27
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Schweigen als vorbereitende Modalität für das wesentliche Reden
Kraft aus sich selbst zu ziehen und in sich zu sammeln. Daß solches .Sammeln' eine wesentliche konstitutive Funktion für das Denken hat, wird schon durch die ursprüngliche Bedeutung des Wortes „Gemüt" angedeutet — „die Gesamtheit der seelischen Kräfte und Sinnesregungen". 30 Der seinem Wesen nach präkognitive Ursprung dieses Prozesses selbst deutet sich an, wenn man sich vergegenwärtigt, daß das Wort „Gemüt" seinerseits eine Sammelbildung zu „Mut" ist.31 Vor diesem Hintergrund wird deutlich, daß die Folgen eines Brechens dieser weihenden Stille, einer Ausflucht vor dieser geistlichen Prüfung, umgekehrt gleichermaßen weitreichend sind. In Kierkegaards fragmentarischen, aber tiefgreifenden Überlegungen zu diesen Folgen wird eine weitere Implikation der Selbst-Erkenntnis und Selbst-Aneignung deutlich. Wenn das innerliche Schweigen dasjenige Moment ist, welches dem Prozeß den Weg ebnet, in dem das Selbst in der Beziehung auf die transzendente Macht, die es geschaffen hat, auf sich selbst hin durchsichtig wird, so ist dies auch die Vorbedingung allen authentischen Sprechens oder dessen, was Kierkegaard „das wesentliche Reden" nennt. Das Lösen der Spannung zwischen dem Schweigen und dem Wort verhindert den Zugang zum Wesentlichen. Das Denken und sein stilistischer Ausdruck wird „eine Art privater Geschwätzigkeit", eine Bezeichnung, die in Kierkegaards Kritik an den Hauptströmungen des zeitgenössischen philosophischen und theologischen Denkens häufig zu finden ist. Kierkegaard beschreibt diesen grundlegenden Unterschied folgendermaßen: „Was heißt schwatzen? Es ist die Aufhebung des leidenschaftlichen EntwederOder zwischen Reden und Schweigen. Allein der, welcher wesentlich schweigen kann, vermag wesentlich zu reden, allein der, welcher wesentlich schweigen kann, vermag wesentlich zu handeln. Das Schweigen ist die Innerlichkeit. Schwatzen nimmt das wesentliche Reden vorweg, und das sich Äußern der Reflexion schwächt die Handlung durch Vorkauf. Wer aber wesentlich reden kann, weil er schweigen kann, er wird nicht das Vielfältige haben, darüber zu reden, sondern das Eine, und er wird Zeit finden zu reden und zu schweigen. Die Geschwätzigkeit gewinnt in extensiver Hinsicht: sie bekommt alles Mögliche, darüber zu schwatzen, und bleibt dabei in einem weg." 32
Diese Unterscheidung zwischen dem Schweigen, das notwendiger Bestandteil des „wesentliche(n) Reden" ist, und der „extensiven" Natur der Geschwätzigkeit wird noch einmal in Der Liebe Tun aufgegriffen. Dort 30 Vgl. oben S. 77. Ibid. 32 Kierkegaard, Eine Literarische
Anzeige, a.a.O., S. 104.
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spricht Kierkegaard vom „wesentliche(n) Denken" und setzt dies, wie sich in der zitierten Passage schon andeutet, damit gleich, es „aus(zu)halten", „einen einzigen Gedanken zu denken; also mit der Richtung nach innen hin, fort von aller Zerstreuung". 33 In dieser schweigenden Beharrlichkeit, so können wir feststellen, gewinnt die Verbindung zwischen dem geistlichen und dem psychologischen Bereich in Kierkegaards Schriften seinen entscheidenden Ausdruck. In einem weiteren Eingehen auf das Schweigen an anderer Stelle in diesen Schriften, bei welchem auch das wesentlich erotische Moment34 dieser Vereinigung angedeutet wird, spitzen sich Kierkegaards Überlegungen auf den folgenden Punkt zu: „daß es eigentlich Geheimnis und Schweigen sind, die den Menschen zu etwas Großem machen, eben weil sie Bestimmungen der Innerlichkeit sind. A l s Amor Psyche verläßt, sagt er zu ihr: Du wird ein Kind gebären, ein Götterkind, w o du schweigst, jedoch ein Menschenkind, w o du das Geheimnis verrätst." 35
3. Lauschende Geistesverwandtschaften
und das akustische Wesen der Erinnerung
Unter historischen Gesichtspunkten läßt sich sagen, daß diese Konzentration auf die Innerlichkeit und das Schweigen bei Kierkegaard eine Intensität und Wertigkeit annimmt, die sie seit den aus jener Geisteshaltung, die man gemeinhin als Mystik bezeichnet, heraus entstandenen Schriften nicht mehr erreicht hat. Es sei an Meister Eckhart, Johannes Tauler, Jakob Böhme und Angelus Silesius erinnert, die in dieser Hinsicht zu den überragenden Persönlichkeiten gehören. Die weitreichenden Implikationen der Innerlichkeit und des Schweigens oder ihrer Abwesenheit, die sich in Kierkegaards Schriften immer wieder von neuem abzeichnen, und das neue Licht, das dadurch auf verwandte Erscheinungen, insbesondere auf die Frage der Ursprünglichkeit und des „wesentliche(n) Reden" geworfen wird, deuten an, daß es sich bei Kierkegaards Nähe zur Mystik um ein Moment handelt, das in seiner Geisteshaltung von entschiedener Authentizität ist. Im individuellen Bereich mag man diese Authentizität daran messen, inwieweit diese Geisteshaltung einem existentiellen Bedürfnis entspringt und ihm in ihrer Formulierung entspricht. Spürt man das Der Liebe Tun, a. a. O., S. 394 f. Vgl. oben S. 45 f., bes. S. 46 Anm. 85. 55 Furcht und Zittern, a. a. O., S. 108. 33
34
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erste Erscheinen von Kierkegaards Bezugnahme auf die Aufgabe der Beharrlichkeit, wie sie denn in der Formulierung „einen einzigen Gedanken zu denken" zum Ausdruck kommt, auf, so ist bezeichnend, daß dies in der Tat zu einer Zeit einer intensiven persönlichen und religiösen Krise geschieht 36 , bevor noch seine Lebensaufgabe ihre Substanz und Form gefunden hatte. Während dieser Zeit wird Kierkegaards Aufmerksamkeit auf ein Wort Jakob Böhmes gelenkt, das er in einem Tagebucheintrag zitiert: „Es ist doch so schön und so wahr und so innerlich, was J. Böhme irgendwo sagt: Im Augenblick der Anfechtung gilt es nicht, viele Gedanken zu haben, sondern einen festzuhalten. Gott gebe mir Stärke dazu."37 Schon aus dem gefühlsmäßigen Tenor dieser Passage wird deutlich, daß Kierkegaard diese Auffassung keinesfalls von Böhme ,übernommen' hat, wie man bei der Behandlung der bewußtseinsgeschichtlichen Zusammenhänge zwischen verschiedenen Denkern allzu sorglos und summarisch zu sagen geneigt ist. Die Verwandtschaft besteht in diesem Falle nicht in erster Linie zwischen bestimmten Auffassungen, sondern beruht vielmehr auf einer existentiellen Urerfahrung und deren Geist; erst dies ist es, was einen Denker für die Worte eines anderen empfänglich macht. Von zentraler Bedeutung sind hier nicht nur die bekannten existentiellen Krisen und darauf folgenden spirituellen Durchbrüche, die auch der reichen literarischen Produktivität Böhmes vorausgingen 38 , sondern auch die 36
37
38
Zur Art dieser Krise und den vielfaltigen Auswirkungen, die sie auf Kierkegaards Lebenswerk hatte, vgl. oben S. 55 ff. Tagebücher, Bd. I, a. a. O., S. 257 (im Original hervorgehoben). Das Datum dieses Eintrags ist das Jahr 1840, also ungefähr ein Jahr vor dem Erscheinen von Kierkegaards erstem Werk, der Abhandlung Über den Begriff der Ironie. Eins der eindrucksvollsten Beispiele für solche Beharrlichkeit in der Spannung zwischen dem Schweigen und dem Wort als einer Vorbedingung für das „wesentliche Reden" findet sich in der Zeit der inneren Krise, die, wie Böhme berichtet, der Niederschrift seines ersten Werks Morgenröte im Aufgang vorausging. Selbst nachdem die schwerste Phase dieser Krise überwunden und Böhme mit einem Erleuchtungszustand begnadet worden war — eine Erfahrung, in der, wie er es beschreibt, „mir die Pforte eröffnet worden, daß ich in einer Viertelstunde mehr gesehen und gewußt habe, als wenn ich viel Jahr auf hohen Schulen gewesen ..." — selbst nach dieser Erfahrung mußte er noch eine lange Periode der Stille durchstehen, bevor diese Einsicht zu Worten kristallisierte. Böhme erinnert sich dieser Zeit mit folgenden Worten: „Im Innern sah ich es wohl als in einer großen Tiefe, denn ich sah hindurch als in ein Chaos, da alles innen lieget, aber seine Auswickelung war mir (un)möglich. Es eröffnete sich aber von Zeit zu Zeit in mir als in einem Gewächse, wiewohl ich 12 Jahr damit umging und dessen in mir schwanger war und einen heftigen Trieb in mir befand, ehe ich es konnte in das Äußere bringen, bis es mich hernach überfiel als ein Platzregen. Was der trifft, das trifft er. Also ging es mir auch. Was ich konnte ergreifen, in das Äußere zu bringen, das schrieb ich auf." Brief
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Zusammenhänge zwischen diesen Erfahrungen und der Form und stilistischen Qualität seiner Produktivität, die bis heute im Dunkeln liegen. Zwar kann auf diese Beziehung im Rahmen der vorliegenden Untersuchung nicht näher eingegangen werden, doch mag die folgende Passage aus Böhmes Briefwechsel genügen, um ihren Primat zu verdeutlichen. In einer Anspielung auf die Periode geistiger Krise und des darauf folgenden Durchbruchs, die der Niederschrift von Von dem dreijachen Leben des Menschen voraufging, schreibt Böhme: „So war die Vernunft sehr schwach und zaghaftig, denn mir auch das Gnadenlicht eine ziemliche Zeit entzogen ward und glomm in mir als ein verborgen Feuer, daß also nichts denn Angst in mir war: von außen Spott, von innen ein Feuriger Trieb. Und möchte es doch nicht ergreifen, bis mir der Höchste mit seinem Odem wieder zu Hilfe kam und ein neues Leben in
mir erweckete. Allda erlangete ich einen besseren Stilum \Stil ] schreiben und auf eine tiefere und gründlichere Erkenntnis, konnte alles besser in das Äußere bringen ,.."39
An anderer Stelle in Böhmes Schriften wird das hier angesprochene erlösende „Gnadenlicht" als „eine ewige Ruhe", „eine Stille" bezeichnet. 40 Vielleicht ist es letztlich das beiden gemeinsame zugrundeliegende Erleben der Stille in diesem tieferen Sinne, welches diese beiden Denker, Kierkegaard und Böhme, trotz ihrer Unterschiede in anderer Hinsicht 41 in größere Nähe zueinander rückt, als sie zu ihren jeweiligen Zeitgenossen bestand, und welches den einen über die Zeiten hinweg für den anderen vernehmbar werden läßt. In diesem Zusammenhang ist die Beachtung der Wortwahl Kierkegaards erhellend, wo er sich in einem anderen Tagebucheintrag wiederum auf den Mystiker bezieht. „Einen Mystiker hört man ebenso wie gewisse Vogelrufe nur in der Stille der Nacht; meist hat deshalb ein Mystiker nicht so große Bedeutung für die lärmende Mitwelt wie, nach Verlauf der Zeit, für den lauschenden Geistesverwandten in der Stille der Geschichte."42
Kierkegaards Ausdruck vom „Geistesverwandten" verdient besondere Aufmerksamkeit. Denn in ihm können wir wie in der entsprechenden Wendung Schleiermachers von der „Kongenialität der Geister" den Keim für ein tieferes Verstehen aller genuin bewußtseinsgeschichtlichen Beziehungen zwischen Denkern verborgen finden. Es ist dieser Keim, den
39 40 41
42
an Kaspar Lindner, 1621 in: Theosophische Sendbriefe /, hg. von Gerhard Wehr, Freiburg 1979, S. 129 f. Jakob Böhme, ibid., S. 131 (Hervorhebung von mit/). Böhme, Von der Menschwerdung fesus, hg. von Gerhard Wehr, Freiburg 1978, S. 141. Vgl. oben S. 69.
Kierkegaard, Tagebücher, Bd. I, a. a. O., S. 245.
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wir im Verlauf unserer Untersuchungen hermeneutisch fruchtbar zu machen unternommen haben, indem wir immer wieder assoziative Unterströmungen freizulegen versuchten, deren Bedeutung weitgehend unter den verhärteten historischen Konstrukten und irreführenden Genealogien verschüttet war, die im Laufe der Jahrhunderte so leicht entstehen. Im Zusammenhang mit diesem Bemühen verdient nicht nur der Ausdruck „Geistesverwandtschaft" unsere Beachtung, sondern auch das qualifizierende Adjektiv, durch das der Modus dieser Verwandtschaft genauer bestimmt wird. Kierkegaard spricht vom „lauschenden Geistesverwandten". Unausgesprochen liegt in diesem Ausdruck die Erkenntnis, daß umgekehrt ein Dialog über die Geschichte hinweg ohne eine solche dem Akustischen aufgeschlossene Geistesverwandtschaft nicht einmal begonnen werden kann. Um noch einen Schritt weiter zu gehen: in dem Maße, in dem diese geschichtsübergreifende Verwandtschaft nicht vorhanden ist, wird die Beziehung zu irgendeinem Denker bloße ,Übernahme' von Gedanken, bloße Oberflächenerscheinung und als solche toter Buchstabe bleiben, wie oft auch immer dieser Denker zustimmend zitiert werden mag. Insoweit andererseits dieses Eingedenken authentisch ist, insoweit es in dem Eingedenkenden eine .innere Saite' anschlägt, läßt sich auch sagen, daß es durch ein akustisches Sich-Einstimmen hervorgebracht wurde. Wenn Denkern dieses lauschende Sich-Einstimmen gemeinsam ist, so läßt sich erkennen, daß selbst dann eine Beziehung zwischen ihnen eine tiefere Dimension in sich birgt, wenn die Worte des einen dem anderen nicht oder nur flüchtig bekannt sind. Das akustische Wesen der Erinnerung findet sich schon darin angedeutet, daß es in der Antike das Ohr war, das als Sitz des Gedächtnisses galt. Auf einer anschaulicheren ethnologischen Ebene findet dies auch in dem bis ins Mittelalter weitverbreiteten Brauchtum seinen Ausdruck, den Zeugen während einer Gerichtsverhandlung am Ohr zu ziehen, als Ermahnung, die für den Fall wesentlichen Tatsachen nicht zu vergessen. 43 Vielleicht ist diese Geste nicht ohne allgemeine hermeneutische Bedeutung. Im Falle Kierkegaards scheint sie in besonderer Weise angebracht, denn der Bereich des Akustischen gehört zum innersten Wesen seines 43
So wird z. B. berichtet, um einen Fall aufzugreifen, in dem der Spieß umgedreht und gegen die Inquisitoren gerichtet wurde, wie Jeanne d'Arc, als sie vor dem Inquisitionsgericht Zeugnis ablegte, einen Richter auf einen von ihm begangenen Fehler aufmerksam machte und umgehend drohte, ihn am Ohr zu ziehen, falls er den Fehler wiederholen würde. Procès de condamnation et de réhabilitation de jeanne ¿Arc, Bd. III. Zitiert nach Herben Nette, Jeanne f Are, Reinbek 1977, S. 134.
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Appells, und nur, wenn dies erkannt und im Gedächtnis behalten wird, läßt sich ein Zugang zu seinem Denken finden. Die unter seinen Interpreten so übliche Gepflogenheit, sich Kierkegaards religiösem Denken mit einem vorgegebenen Gerüst an Lehrsätzen und innerhalb eines festumrissenen Bezugsrahmens anzunähern, verweist einen von Beginn an aus der Hörweite seines Appells. Der Vorwurf beispielsweise, Kierkegaards religiöses Denken sei „unhistorisch", es reiße „das Christentum aus seinem historischen und kulturellen Zusammenhang heraus"44, spiegelt dieses willkürliche Vorgehen nur zu gut. Auf diese Weise schottet man sich vor dem anspruchsvollen Telos der Kierkegaardschen Anstrengung ab. Denn dieses Telos ist eben, die Aufmerksamkeit auf den Primat des unbedingten und unwandelbaren Ewigen zu lenken, der in unserer geschichtlichen Epoche im Hintergrund verblaßt ist. Es wird hier die Aufmerksamkeit auf dasjenige gelenkt, welches letztlich die Kategorien des menschlichen Denkens transzendiert und was im gegenwärtigen Zeitalter des Dunkels nur in der schweigenden Beharrlichkeit der Innerlichkeit erfahren werden kann, ohne alle Ausflüchte und Winkelzüge. 45 Nur im Lichte dieses Telos' nehmen die vielfaltigen akustischen Anspielungen in Kierkegaards Schriften, die man übersehen oder als bloße stilistische Schnörkel ansehen könnte, ihre tiefere Bedeutung an. Vielleicht die prägnanteste dieser Anspielungen, diejenige, die alle anderen umfaßt und vereint, ist die folgende Passage aüs dem letzten Abschnitt seines letzten Werks Der Augenblick: „Man hat Wälzer über Wälzer geschrieben, um zu erzeigen und zu erweisen, woran man erkennen könne, was wahres Christentum sei. Das läßt sich auf eine weit einfachere Weise machen. Das Dasein ist: hörsam. Achte nur darauf, was der Widerhall erwidert, und Du wirst sogleich wissen, woran Du bist."46
Auf der begrifflichen Ebene findet diese akustische ,Erwiderung' ihren Ausdruck in Kierkegaards Idee der „Gleichzeitigkeit": der Zustand, in 44 45
46
So Soren Holm, Seren Kierkegaards Geschichtspbilosophie, übers, von G. Jungbluth, Stuttgart 1956, S. 120. Die Notwendigkeit einer geistlichen Prüfung als Vorbedingung für die Einweihung in eine höhere Sphäre und von schweigender Beharrlichkeit als dem Modus dieser Prüfung wird nirgendwo besser zur Darstellung gebracht als in Mozarts letzter Oper, der Zauberflöte. Hier besteht die „Prüfungszeit", der sich Tamino unterziehen muß, darin, daß ihm ein heilsames Stillschweigen" auferlegt wird (II, 3). Von ebensogroßer Bedeutung ist, daß die Prüfung in tiefer Dunkelheit, unter einem „nächtlichen Schleier" stattfindet, der erst gelüftet werden muß, bevor dem Prüfling ein Einblick in das „Heiligtum des großen Lichts" gewährt werden kann (II, 1). Der Augenblick, a. a. O., S. 547.
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welchem das Individuum in der Innerlichkeit des Glaubens in unmittelbarer Beziehung zu Christus steht, ohne alles vorgängige Wissen von späteren Interpretationen seiner Person und ungeachtet aller späteren Entwicklungen der Kirchengeschichte. 47 Auf der Ebene des Stils läßt sich erkennen, daß der Versuch, den Leser für diese Erwiderung empfänglich zu machen, seinen Ausdruck in dem Moment findet, das als musikalisch-kontrapunktische Grundstruktur von Kierkegaards Werk als ganzem aufgezeigt worden ist. 48 Die Unmittelbarkeit dieses Widerhalls hat ihr eidetisches Komplement in der Wiedereinsetzung der Lichtmetapher in ihr eigenes Recht — im „Glanz des Ewigen". Im gleichen Sinne erscheint in Kierkegaards Schriften auch das Bild „das Auge des Glaubens". 49 In dieser innigen Korrelation können wir auch die Aktualisierung des folgenden Kierkegaardschen Satzes erkennen: „Auf einer höchsten Stufe laufen die Sinne ineinander." 50 Die Frage danach, was diesen Stil in allen seinen historischen und hermeneutischen Implikationen letztlich möglich macht, hat uns während unserer gesamten Betrachtungen immer wieder auf die letzte Grundlage des Verstehens geführt: auf die Existenzweise des Denkers selbst. Sucht man nach dem letzten, entscheidenden Hinweis auf die Art dieser Existenzweise, so ist es bezeichnend, daß auch er von akustischer Qualität ist. In einer der frühesten überlieferten Äußerungen über sich selbst spürt Kierkegaard in einer Krisenperiode, daß ihm etwas Wesentliches zur Bewältigung seiner Lebensaufgabe fehlt: „Was ich nötig habe ist eine Stimme ... anhaltend wie ein Naturlaut ... Das ist es was ich brauche, um Luft zu bekommen, um einen Ausdruck zu bekommen für das, was mir den Sinn bewegt." 51 Nur im Lichte der besonderen Beziehung zwischen Existenz, Denken und Stil, wie sie sich im kontinuierlichen Schaffen der literarischen Werke in den folgenden Jahren manifestiert, gibt ein bemerkenswerter Satz, der sich in einer seiner letzten, posthumen Schriften findet, seine zeitsprengende, transzendente Bedeutung preis: „Mir ist als hörte ich eine Stimme ,.." 52 Philosophische Brocken, a. a. O., S. 52 ff. « Vgl. oben S. 50 f. 49 Philosophische Brocken, a. a. O., S. 62, 67, 99. 50 Tagebücher, Bd. I, S. 96. 51 Brief an Emil Boesen, 17. 7. 1839 in: Briefe, a. a. O., S. 18. 52 „Der Gesichtspunkt für meine Wirksamkeit als Schriftsteller", in: Die Schriften über sich Selbst, a. a. O., S. 68. 47
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Kaufmann, Walter, Hegel: A Reinterpretation, New York 1965. Kierkegaard, Seren, Gesammelte Werke, 36 Abt., 26 Bde. übers, und hg. von Emanuel Hirsch u. a., Düsseldorf/Köln 1950 ff. — Eine literarische Anzeige, Abt. 17, — Der Augenblick, Abt. 34, — Der Begriff Angst, Abt. 12/13. — Über den Begriff der Ironie, Abt. 31, — Briefe, Abt. 35, — Philosophische Brocken, Abt. 10, — Das Buch über Adler, Abt. 36, — Christliche Reden 1848, Abt. 20, — Der Corsarenstreit, Abt. 32, — Einübung in das Christentum, Abt. 26, — Entweder/Oder I, Abt. 1, — Entweder/Oder II, Abt. 2/3, — Erbauliche Reden, 1844/45, Abt. 13/14, — Erbauliche Reden in verschiedenem Geist 1847, Abt. 18, — Erstlings Schriften, Abt. 30, — Furcht und Zittern, Abt. 4, — Die Krankheit zum Tode, Abt. 24/25, — Der Liebe Tun, Abt. 19, — Kleine Schriften 1 8 4 8 - 4 9 , Abt. 2 1 - 2 3 , — Die Schriften über sich selbst, Abt. 33, — Unwissenschaftliche Nachschrift I, Abt. 16/1, — Unwissenschaftliche Nachschrift II, Abt. 16/11, — Stadien auf dem Lebensweg, Abt. 15, — Die Wiederholung, Abt. 5/6, — Tagebücher, Bd. I, — Tagebücher, Bd. II, — Tagebücher, Bd. III, — Tagebücher, Bd. IV, — Tagebücher, Bd. V. —, Das Buch über Adler, in: Einübung in das Christentum und anderes, hg. v. W. Rest, München 1977. —, Journals and Papers, ed. and transl. by Howard und Enda Hong, Bloomington/London 1975. —, Stadier paar Livets Vei, in: Samlede Vaerker, Bd. 6, hg. v. A. B. Drachmann, I. L. Heiberg und H. D. Lange, Anden Udgave, Kopenhagen 1924. Kluge, Friedrich, Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, Berlin/New York, 21. Aufl., 1975. Kobb's Complete Opera Book, ed. and rev. by the Earl of Harewood, London, 8th Ed., 1969. Laing, R. D., Ontological Insecurity, in: Theories of Psychopathology, hg. v. Th. Millon, Philadelphia/London 1968. —, The Politics of Experience, Middlesex, Englang 1967 — Deutsch: Phänomenologie der Erfahrung, übers, v. K. Figge u. W. Stein, Frankfurt a. M. 1969. Lessing, Gotthold Ephraim, Zweiter Anti-Goeze, in: ders., Werke, Bd. 8, Philosophische und theologische Schriften II, Berlin 1956. Lichtenberg, Georg Christoph, Aphorismen, hg. v. Max Rychner, Zürich 1958. —, Über Physiognomik, in: Schriften und Briefe, Bd. 3, Aufsätze, Entwürfe, Gedichte, Erklärungen der Hogarth'schen Kupferstiche, hg. v. W. Promles, Darmstadt 1972. Longinus, Die Schrift vom Erhabenen (griechisch-deutsch) hg. u. übers, v. R. Schälcha, Berlin 1936.
Verzeichnis der zitierten Literatur
183
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Verzeichnis der zitierten Literatur
—, Von der wahren Liebe Gottes und dem falschen Mystizismus, in: ders., Werke, Bd. VIII: Studien zur Philosophie und Theologie, hg. von E. Behler und U. Struc-Oppenburg, München/Paderborn/Wien 1975. Schleiermacher, F. E., Hermeneutik, hg. von H. Kimmerle, Heidelberg 1959. Schopenhauer, Arthur, Parerga und Paralipomena, hist.-krit. Ausg., hg. von Arthur Hübscher, Wiesbaden, 3. Aufl., 1972. Schreber, D. P., Denkwürdigkeiten eines Nervenkranken mit einer Einleitung von Samuel Weber, Frankfurt a. M./Berlin/Wien 1973. Shakespeare, William, The Complete Works, ed. by C. J. Sisson, London 1953 — Deutsch: Sämtliche Werke, übers, von L. Tieck, W. Schlegel u. a., Wiesbaden (o. J.). Der kleine Stowasser, bearb. von M. Petschenig, München 1967. Tolstoi, L. N., Anna Karenina, übers, von F. Ottow, München 1978. Skeat, Walter, An Etymological Dictionary of the English Language, Oxford, 4th Ed., 1978. Theunissen, M., Einleitung: Kierkegaards Werk und Wirkung, in: Theunissen, M. u. W. Greve (Hg.), Materialien zur Philosophie Soren Kierkegaards, Frankfurt a. M. 1979 (stw 241). Unruh, Walter, Theaterbau und Bühnentechnik, in: Hürlimann, M. (Hg.), Das Atlantisbuch des Welttheaters, Zürich/Freiburg 1966. Vasari, Giorgio, Lebensläufe der berühmtesten Maler, Bildhauer und Architekten. Aus dem Italienischen von Trude Fein, Zürich 1974. Vico, Giambattista, De Caussis, in: ders., Liber Metaphysicus (De antiquissima Italorum sapientia liber primus 1710). Aus dem Lateinischen und Italienischen übers, v. S. Otto und H. Viechtbauer, München 1979. (Die Geistesgeschichte und ihre Methoden, Quellen und Forschungen, Bd. 5/1). Welte, Bernhard, Auf der Spur des Ewigen, Freiburg 1965. —, Zeit und Geheimnis, Freiburg, Basel und Wien 1975. Windelband, Wilhelm, Die Geschichte der neueren Philosophie, 2 Bde., Leipzig, 2. Aufl., 1899. Wittgenstein, Ludwig, Über Gewißheit (German-English), ed. G. E. M. Anscombe, transl. by D. Paul and G. E. M. Anscombe, Oxford 1974. —, Philosophische Untersuchungen (German-English), transl. by G. E. M. Anscombe, Oxford, 2. Aufl., 1958. —, Tractatus Logico-Philosophicus, (German-English), transl. by D. F. Pears and B. F. McGuiness, London/New York, 2nd. Ed., 1971. Wolfram von Eschenbach, Parzival, übers, von Wilhelm Stapel, München/Wien 1979. Ziolkowski, Theodor, James Joyces Epiphanie und die Überwindung der empirischen Welt in der modernen deutschen Prosa, in: DVjS 35 (1961), S. 594—616.
Personenregister Adler, Alfred, 12 f., 14, 69 f., 79 Adorno, Theodor W., 37 f., 40, 53 Anm. Amos, Prophet, 101 Andersen, Hans Christian, 14, 79 Angelus Silesius, 159, 173 Apuleius, 55 Archilochus, 135 Aristoteles, 2, 27, 59 f., 122 f. Arnold, Matthew, 159 Augustine, Aurelius, 3, 49, 83, 118 Bach, Johann Sebastian, 157 f. Bacon, Francis, 60, 62 ff., 85 f., 102, 112, 122 f., 134 f. Barth, Karl, 18, 61 Anm. Bayle, Pierre, 105 Beauvoir, Simone de, 147 Anm. Beckett, Samuel, 147 Anm. Bergson, Henri, 141 Anm. Blackmur, R. P., 49 Anm. Bloch, Ernst, 53 Anm. Blumenberg, Hans, 84 Anm., 89 Anm., 98, 99 Anm., 139 Anm., 152 Anm. Bochenski, Joseph M., 139 Anm. Böhme, Jakob, 69, 173, 174 f. Bollnow, Otto Friedrich, 15 Anm., 169 Anm. Brandes, Georg, 159 Brochner, Hans, 53 Anm. Bruegel, Pieter, 128 f. Buber, Martin, 51 f., 92 f., 95 f. Bücher, Karl, 49 Büchner, Georg, 87 ff. Burckhardt, Jakob, 75, 139 Anm. Camus, Albert, 147 Capel, Lee M., 118 Carnap, Rudolf, 49 Carneades, 134 Anm. Cassirer, Ernst, 9 Anm. Cassirer, Heinz W., 9 Anm. Catull, 139 Cicero, 134 Anm., 142 f. Clemen, Wolfgang, 5 Anm.
Clitomachus, 134 Anm. Curtius, Ernst, 141 Anm. Dante Alighieri, 28 Anm., 55 f., 141 Anm. Demokrit, 74 Descartes, René, 24, 28, 42 ff., 61 f., 64 f., 102-106, 107, 138, 140 Dilthey, Wilhelm, 7 f., 139 Anm., 141 Anm., 142, 169 Anm. Diogenes Laertius, 124, 135 Donatello, 115 Don Juan, 70 Donne, John, 158 f. Dostojewski, Feodor, 8 Anm. Duns Scotus, 64 Anm., 142 Anm. Eckermann, Johann Peter, 126 Anm. Eliot, Thomas Stearns, 65, 93 f. Engelmann, Paul, 58 Anm. Erasmus, Desiderius, 118 Erzgräber, W., 97 Anm. Eurípides, 135 Fichte, Johann Gottlieb, 35 f., 120 f., 166 Fisher, Kuno, 81 Franz, M.-L. von, 55 Anm., 58 Anm. Freud, Sigmund, 8 Anm., 88 Goethe, Johann Wolfgang von, 9, 40f., 80, 109, 116, 124, 126, 135 f. Guardini, Romano, 104 Hamann, Johann Georg, 44, 110, 118, 121 Hamlet, 146 Anm. Hegel, Georg Wühelm Friedrich, 71, 74 f., 7 8 - 82, 1 0 6 - 1 1 2 , 113, 120f., 124 f., 129, 138, 139 f., 164 ff. Heidegger, Martin, 16, 76 Anm., 89 Anm., 92 f., 95 f. Heine, Heinrich, 108, 109 Heraklit, 141 Anm. Hirsch, Emanuel, 47 Anm., 118, 120 Anm., 127 Anm.
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Personenregister
Hölderlin, Friedrich, 92, 95 Homer, 5, 135 Horaz, 141 Anm. Humboldt, Wilhelm von, 3 f., 61, 80f., 109, 116 f., 124 Ibsen, Henrik, 159 Ionesco, Eugene, 147 Anm. James, William, 91 Jacobi, Friedrich Heinrich, 4, 110 Jaspers, Karl, 24 Anm., 31 Anm., 38 Anm., 51 f. Jeanne d'Arc, 176 Anm. Jesaja, Prophet, 89 Joyce, James, 97 Jung, Carl Gustav, 8 f., 54 f., 57, 84 Anm. Kant, Immanuel, 9, 15 f., 105, 110, 140, 147, 167 Kaufmann, Walter, 112 Kierkegaard, Soren: akustischer und optischer Wahrnehmungs- und Erfahrungsmodus 12 ff., 23 f., 43, 68, 77, 82 Anm., 112 ff., 118, 120, 122, 133, 140, 151, 175 ff., 178 seine Beziehung zur historischen Tiefenschicht, 9 f., 17, 23, 46 Anm., 74 f., 83 f., 99 f., 106 f., 118 f., 128, 131 f., 138 f., 143, 145 f., 152, 157 f., 165 ff., 172 ff. die Beziehung zwischen den „ästhetischen" und „religiösen" Schriften, 39 f., 50 f., 126 f. und der Blick eines Auges, 53, 71 Anm., 113, 122 f., 125 dialektische Denkbewegung, 20 ff., 30 f., 32 f., 47 f., 123, 126 f., 136 ff., 171 Existenzweise und Stil, 12f., 14f., 53, 70f., 79 f., 81 f., 109, 110, 111, 127 ff., 140, 170 f., 173 f., 178 über die Funktion der Metapher in seinen Schriften, 69 seine Haltung zur Existenz, 51 ff., 54 ff., 171 Imagination, 59, 62, 106, 140 kreisförmige Denkbewegung, 20 ff., 46 Anm., 136 ff. und Erinnerung, 30, 140, 148, 176 seine Metaphorik, 16ff., 22, 24ff., 33, 165 als Anhaltspunkt zur Verbindung verschiedener seiner Schriften, 26 f., 30 ff., 34 ff., 113, 123, 153, 178
des Auges und Ohrs, 24 f., 49 ff., 71 f., 73, I i i . , 82 Anm., 109f. und dialektische Denkbewegung, 30 f., 33, 34 f., 36 ff., 38 ff., 44 f., 47, 54, 71 f., 123, 150 ff., 154, 155 und Erinnerung, 30, 33, 36 des Flechtens, Spinnens, Webens, 33 ff., 40f., 45 f., 67 f., 171 zur Funktion der Metapher, 25 f., 53 und Gefühle, 29, 62 des Lichtes, 82, 83, 84, 99, 109, 111, 168, 169 des Meeres, 35, 46 f., 139, 145 f., 148, 155 ff., 168 f. und ihre maieutische Rolle, 39 f., 53 Natur und Natur-Bilder, 66 ff. und Perspektive, 45, 153 des Ritters, 39 f. des Schwindels, 70f., 72 und Stimmung, 29 f., 43 f., des Tanzes, 26 f., 30 ff., 45, 70 und thematische Assoziationen und Bedeutungsschichten, 16 f., 26 f., 30 ff., 45 Verhältnis zum Begriff, 26, 47 des Waldes, 27, 32 musikalische Grundstruktur seiner Schriften, 22, 50 f., 178 und Mut, 35, 77, 165 ff., 172 und Perspective, 22 f., 99, 112, 122, 136 f., 148, 151 f., 153, 171 und Humor, 146 ff. poetische Denkweise, 40, 59 f. und das Weibliche/Erotische, 45 ff., 54 f., 173 und Erkenntnis, 46 Anm. und die Ratio, 27, 28, 43, 73 f., 138 ff., 145 f., 151, 155 f. und Rhythmus, 22, 46 ff. und Existenzweise, 48 Selbsterkenntnis, 76 ff., 84, 100, 111, 168 ff. und Skepsis, 12, 43, 76, 131 ff., 140, 171 Verhältnis zwischen seiner Skepsis und seinem Stil, 136 ff, 140, 171 und Stil, 58, 79, 81, 109, 127, 130, 137, 148 f., 151 und die Stille, 68, 153, 156, 168 ff. und Stimme, 114, 122 Stimmung und Idee, 113, 121 Täuschung und Pseudonymen in seinen Schriften, 59 f., 126 f., 136 f., 171 die unendliche Aussicht, 99f., 110, 156
Personenregister
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und Ursprünglichkeit, 57, 129, 130, 135, 148 f., 170 f. sein Vermögen der Durchdringung, 43, 112 ff. Verwurzeltsein des Denkens in der Existenz, 10, 20 f., 44, 59, 111, 130 ff., 136, 138 Anm., 172, 175 f. Widerspiegelung des Denkens im Stil, 25 ff., 42ff., 57 f., 110, 111, 121, 136, 148, 153, 168, 172, 178 King Lear, 5, 68, 127
Pascal, Blaise, 62f., 102-105, 112, 132f., 134, 148 Petrus, Hl., 156 Piaton, 2, 15, 48, 89, 100, 119 ff. Plotin, 2 f., 42, 157, 165 Plutarch, 124, 127 Pope, Alexander, 141 Prediger Salomo, 153 f. Pyrrho, 134 Anm.
Laing, R. D., 91 f., 161 Lavater, Johann Kaspar, 116 Lessing, Gotthold Ephraim, 150 Lichtenberg, Georg Christoph, 15 f., 116,
Raffael, 63 Reiner, Ludwig, 29 Rilke, Rainer Maria, 88 Roth, Joseph, 99
121
Longinus, 29 Lowrie, Walter 38 ff. Lukas, Hl., 123 Markus, Hl., 115 f. Marx, Karl, 74, 108 Anm. Meister Eckhart, 64 Anm., 142 Anm., 158, 163 ff., 173 Michelangelo Buonarroti, 115 f. Mensching, Gustav, 84 Anm., 90 Anm., 163 Anm. Meyerbeer, Giacomo, 98 Möller, Paul L., 31 f. Montaigne, Michel de, 3, 41, 62 f., 102, 112, 134, 138 f., 142 ff. Moore, George Edward, 133 Anm. Mozart, Wolfgang Amadeus, 177 Napoleon I, 70 Nero, 70 Neumann, Jaromir, 129 Anm. Neumann, Johannes, 56 Anm. Nietzsche, Friedrich, 6, 10, 24 Anm., 55 Anm., 74, 84 - 87, 89, 100ff., 107, 129f., 160 ff., 163 f., 166, 168 f. Nikolaus von Cues, 142 Anm., 152 ff. Novalis, Friedrich von Hardenberg, 61 Odysseus, 5, 157 Olsen, Regina, 56 Orpheus, 167 Anm. Ovid, 141 Anm. Parmenides, 76 Anm. Parzival, 27 Anm.
Quintilian, 141 Anm.
Sartre, Jean-Paul, 147 Seneca, 3 Schelling, Friedrich Wilhelm, 69, 114, 118, 120 f. Schiller, Friedrich, 80 Schlegel, Friedrich, 61, 142, 159 Schleiermacher, Friedrich Ernst, 16 f., 110, 175 Schopenhauer, Arthur, 74f., 119 Anm., 121, 164 Schreber, Daniel Paul, 88 f. Shakespeare, William, 5, 28 Anm., 64, 70, 127, 144, 146 Anm., 158 Sokrates, 2, 76 Anm., 77, 78, 106, 111, 119f., 126 f., 134 Anm., 137, 152, 165, 167 Spenser, Edmund, 141 Anm. Tauler, Johannes, 173 Theunissen, Michael, 112 Thomas von Aquin, 97 Tillich, Paul, 53 Anm. Tizian, 63 Tolstoi, Leo Nikolajewitsch, 5 Van der Weyden, Roger, 153 Varnhagen v. Ense, K. A., 108 Anm. Vasari, Giorgio, 116 Anm. Vico, Giovanni Battiste, 105 Virgil, 141 Anm. Welte, Bernhard, 95 Anm. Windelband, Wilhelm, 81, 105 f. Wittgenstein, Ludwig, 58, 133 Anm. Wolfram von Eschenbach, 27 Anm. Xenophon, 77
CHRISTA KÜHNHOLD
Der Begriff des Sprunges und der Weg des Sprachdenkens Eine Einführung in Kierkegaard Groß-Oktav. XII, 183 Seiten. 1975. Ganzleinen DM 8 4 , ISBN 3 11 004965 1
HAYO GERDES
Sören Kierkegaard Leben und Werk Oktav. 134 Seiten. 1966. Kartoniert DM 7,80 ISBN 3 11 006293 3 (Sammlung Göschen, Band 1221)
WOLFGANG JANKE
Existenzphilosophie Oktav. 237 Seiten. 1981. Kartoniert DM 24,80 ISBN 3 11 008246 2 (Sammlung Göschen, Band 2220)
Denkender Glaube Festschrift Carl Heinz Ratschow zur Vollendung seines 65. Lebensjahres am 22. Juli 1976 gewidmet von Kollegen, Schülern und Freunden Herausgegeben von Otto Kaiser Groß-Oktav. VIII, 364 Seiten und Frontispiz. 1976. Ganzleinen DM 116,— ISBN 311 004155 3
Preisänderungen vorbehalten
Walter de Gruyter
w DE
G
Berlin • New York
de Gruyter Studienbuch
Wozu Philosophie? Stellungnahmen eines Arbeitskreises Herausgegeben von Hermann Lübbe Oktav. XII, 393 Seiten. 1978. Kartoniert DM 3 8 , -
ISBN 3 11 007513 X
Inhaltsverzeichnis: Rüdiger Bubner: Was kann, soll und darf Philosophie? — Friedrich Kambartel: Bemerkungen zur Frage „Was ist und soll Philosophie?" — Hans Lenk: Philosophie als Fokus und Forum — Odo Marquard: Skeptische Betrachtungen zur Lage der Philosophie — Robert Spaemann: Der Streit der Philosophen — Jürgen Mittelstrass: Philosophie oder Wissenschaftstheorie? — Hermann Lübbe: Wozu Philosophie? Aspekte einer ärgerlichen Frage — Hermann Krings: Über Esoterik und Exoterik der Philosophie — Rainer Specht: Zur Metaphysik-Funktion der Philosophie — Walther Ch. Zimmerli: Arbeitsteilige Philosophie? — Joseph J. Kockelmans: Gedanken zur Frage: Wozu Philosophie? — Hans Michael Baumgartner: Wozu noch Philosophie? — Manfred Riedel: Philosophieren nach dem „Ende der Philosophie"? — Carl Friedrich Gethmann: Ist Philosophie als Institution nötig? — Norbert Hinske: Die Geliebte mit den vielen Gesichtern — Gerd Brand: Rolle und Funktion der Philosophie — Jürgen Ch. Regge: Bibliographie — Rolle und Funktion der Philosophie.
Preisänderung vorbehalten
Walter de Gruyter
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Berlin • New York