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German Pages 164 Year 1977
Linguistische Arbeiten
43
Herausgegeben von Herbert E. Brekle, Hans Jürgen Heringer, Christian Rohrer, Heinz Vater und Otmar Werner
Wolfgang Wildgen
Kommunikativer Stil und Sozialisation Ergebnisse einer empirischen Untersuchung
Max Niemeyer Verlag Tübingen 1977
Meinem Sonn Gregor Nicolas
CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Wildgen, Wolfgang
Kommunikativer Stil und Sozialisation : Ergebnisse e. empir. Unters. - 1. Aufl. Tübingen : Niemeyer, 1977. (Linguistische Arbeiten ; 43) ISBN 3-484-10271-3
ISBN 3-484-10271-3 Max Niemeyer Verlag Tübingen 1977 Alle Rechte vorbehalten. Ohne ausdruckliche Genehmigung des Verlages ist es auch nicht gestattet, dieses Buch oder Teile daraus auf photomechanischem Wege zu vervielfältigen. Printed in Germany
v INHALTSVERZEICHNIS
Symbolverzeichnis 1.
EINLEITUNG
2. 2.1. 2.2. 2.3. 2.4. 2.4.1. 2.4.1.1. 2.4.1.2. 2.4.1.3. 2.4.2. 2.4.3.
ANLAGE DER EMPIRISCHEN UNTERSUCHUNG Vorarbeiten Materialgewinnung in der Hauptuntersuchung Die untersuchte Gruppe Die Messung der nichtlinguistischen Variablen Der Sozialstatus Problematik Empirische Basis Ergebnis und Validität der Schichteinteilung Der Gruppenstatus Die nichtverbale Intelligenz
3. 3.0. 3.1. 3.2.
ANALYSEMETHODEN UND ANALYSEERGEBNISSE Vorbemerkungen Segmentation und Klassifikation der Texte Skizze des semantischen Meßverfahrens für Intraclausevarianten 3.3. Beispiele für die Durchführung der Explikationsmessung im Intraclausebereich 3.3.1. Durchgehende Analyse einiger Paraphrasenklassen (Kernvariablen) 3.3.2. Die verbalen Kernvariablen (Beispiele) 3.3.3. Die nominalen Kernvariablen (Beispiele) 3.3.4. Adjektivische Adjunkte (Beispiele) 3.3.5. Quantitätsvariablen 3.3.6. Adverbiale Adjunkte (Beispiele) 3.3.7. Analyse der heterogenen Paraphrasenklasse Q3.4. Semantische Analyse und Messung der InterclauseVariation 3.4.1. Analyse und Messung des zeitrelationalen Aspekts der Konnektoren 3.4.2. Ergebnisse der Explikationsmessung für die Konnektorvarianten 3.4.3. Die Explikationsleistung der Zeitadverbien 3.5. Die Messung der rhetorisch-pragmatischen Variation 3.5.1. Einige einfache Indices der rhetorisch-pragmatischen Feinstruktur 3.5.2. Skizze eines Modells zur Analyse narrativer Strukturen 3.5.3. Ergebnisse der narrativen Analyse 3.5.4. Einige einfache Indices zur Charakterisierung der Textvariation 3.5.4.1. Die Textstrukturvariation 3 . 5 . 4 . 2 . Die Textinhaltsvariation
VII 1 6 6 7 12 14 14 14 16 17 23 25 26 26 26 36
39 39 53 62 65 68 70 73 77 78 84 92 95 95 97 99 105 105 108
VI
4.
4.1. 4.2. 4.3. 4.3.1. 4.3.2. 4.3.3. 4.3.4. 4.3.5. 4.3.6. 4.3.7. 4.4. 4.4.1. 4.4.2. 4.4.2.1. 4.4.2.2. 4.4.2.3. 4.4.2.4. 4.4.2.5. 4.4.3. 5. 5.1. 5.2. 5.3.
ZUSAMMENHANG ZWISCHEN KOMMUNIKATIVEM STIL 109 UND SOZIALISATIONSFAKTOREN DER SPRECHER Codebegriff und kommunikativer Stil 109 Einige Abhängigkeiten zwischen den nicht110 linguistischen Variablen Einfluß des Sozialstatus auf Unterschiede im 113 kommunikativen Stil Einfluß auf die Explikationsleistung im Intra113 clausebereich Schichtspezifische Unterschiede im Interclause12O bereich Vergleich der rhetorisch-pragmatischen Fein122 Strukturen Der E i n f l u ß der Textstrukturvariation 126 Textinhaltsunterschiede 128 Zusammenfassung der wichtigsten Einsichten 129 Vergleich mit anderen Ergebnissen 130 Situationsspezifische Unterschiede im kommuni133 kativen Stil Einfluß des unterschiedlichen Ausgangstextes 134 (unterschichtnah versus schulnormorientiert) Einfluß des Kommunikationskanals 137 (schriftlich versus mündlich) Unterschiede im Intraclausebereich 138 Unterschiede im Interclausebereich 139 Unterschiede bei den pragmatischen Feinstrukturen 140 Unterschiede in der Textstruktur 14o Textinhaltsunterschiede 142 Zusammenfassung der Ergebnisse zur Situations143 Spezifik EINIGE PRAKTISCHE KONSEQUENZEN Kommunikativer Stil und Sprachunterricht Probleme der Mehrsprachigkeit Kommunikativer Stil und die Verständigung zwischen ausländischen Arbeitern und Deutschen
LITERATUR
147 147 148 149
151
VII
SymbolVerzeichnis -.
logisches
-Loht
logisches und v
logisches oder
·*· := ·""»· n
logische Folgerungsbeziehung (wenn. . .dann) definitorisch äquivalent logisch äquivalent (genau dann...wenn = gdw) Mengedurchschnitt
E Id
arithmetische Summe Logarithmus auf der Basis 2
v
Zahl der Freiheitsgrade Chi-Quadrat-Verteilungsfunktion t-Verteilungsfunktion Phi-Koeffizienz biserialer Korrelationskoeffizient
2
t r p
,
Wahrscheinlichkeit, daß eine bestimmte Abweichung bei einer NormalVerteilung der Werte auftritt
1.
EINLEITUNG
Die in diesem Band vorgestellte empirische Untersuchung zum Zusammenhang von kommunikativem Stil und Sozialisation ist in enger Verbindung mit der theoretisch-methodischen Arbeit "Differentielle Linguistik" zu sehen, die gleichzeitig in der Reihe "Linguistische Arbeiten" erscheint. Beide Teile gehen auf eine Dissertation zurück, die an der Universität Regensburg eingereicht wurde. Band I (damit bezeichnen wir im folgenden die Arbeit "Differentielle Linguistik") enthält ein sehr detailliert ausgeführtes Modell zur Beschreibung und Messung interindividueller Variation im Bereich der Semantik und Pragmatik. Das Beschreibungsverfahren baut auf kommunikations- und sprachtheoretischen Grundkonzeptionen a u f , die z.T. eigens entwickelt wurden. Da dabei sozio- und psycholinguistische Aspekte integriert sind, ist die empirische Untersuchung autark in bezug auf die Theoriebildungen und Konzeptionen z.B. der Bernsteinschule. Die Forschungsziele, die die Arbeit sich gesteckt hat, sind jedoch sehr stark von den Problemstellungen im Rahmen der Codetheorie beeinflußt, auch wenn unsere Fragestellung durch den Fortgang der empirischen Arbeit und besonders im Anschluß an die Entwicklung eines eigenen BegriffSystemes (siehe Band I: 35 - 48) ziemlich modifiziert wurde Da wir unsere Ergebnisse trotz der relativ großen methodischen Unterschiede mit den Forschungsergebnissen, die bei ähnlicher Problemstellung in der Soziologie und Sozialpsychologie erzielt wurden, vergleichen wollen, versuchen wir in knapper Form unser Forschungsprogramm auf die wesentlichen Zielsetzungen Bernsteins zu beziehen.
Wir wollen auf eine ausführliche Wiedergabe der Position Bernsteins verzichten, da es dazu bereits eine Flut von Arbeiten gibt. Seit 197O haben sich zwei zentrale Begriffe herauskristallisiert, es sind dies die Begriffe "Rolle" und "Code". Diese beiden Begriffe haben in anderen Bereichen teilweise sehr unterschiedliche Bedeutungen. Wir orientieren uns im folgenden nur an der Bedeutung, die in den beiden angeführten Zitaten erkennbar wird. Im ersten versucht Bernstein, einen seinen Intentionen gerechten Rollenbegriff zu umreißen: "The experience of the child is transformed by the learning generated by his own, apparently voluntary, acts of speech. The social structure becomes, in this way, the substratum of the child's experience essentially through the manifold consequence of the linguistic process. From this point of view, every time the child speaks or listens, the social structure is reinforced in him and his social identity shaped. The social structure becomes the child's psychological reality through the shaping of his acts of speech. The same argument can be stated rather more formally. Individuals come to learn their social roles through the process of communication. A social role from this point of view is a constellation of shared, learned meanings through which individuals are able to enter stable, consistent and publicly recognized forms of interaction with others." (Bernstein, 197O, 2f) Der Inhalt des Begriffes "Code" wird in dem folgenden Zitat deutlich: Cf. z . B . Bernstein, 1962a, 1962b, 1970, Bernstein und Henderson, 1969, Dittmar, 1971, 1973, Hager, Haberland und Paris, 1973, Hartig und Kurz, 1971, Kurz, 1976, Lawton, 1963, 1964, 1968, Oevermann, 1969, 1972, Oevermann und Krappmann, 1973, Robinson, 1969, Schütze, 1975, Wildgen, 1971, 1973a, 1973b.
"The concept code, as I shall use it here, refers to the principle which regulates the selection and organization of speech events. ... These codes will be defined in terms of relative ease or difficulty of predicting the syntactic alternatives which speakers take up to organize meanings." "If the speaker is oriented towards an elaborated code then the code will facilitate the speaker in his attempts to make explicit (verbally) his intentions. ... If a speaker is oriented towards a restricted code, then this code will not facilitate the verbal expansion of the speaker's intent." (ibid., 3) Man kann diese Aussagen sinnvoll so interpretieren, daß es sich bei der Rolle um die Basis des gesellschaftlichen Verhaltens handelt, wo gesellschaftliche Strukturen und Nonnen verarbeitet sind. Diese Basis erklärt generell das Verhalten des Individuums in einer spezifischen Gesellschaft, auf die hin es sozialisiert wurde. Der Code umfaßt den engeren Bereich sprachlichen Verhaltens, wobei die "meanings" (Bernstein meint wohl die größere Klasse der sprachlichen Handlungen und Handlungsstrategien) durch die "Rolle" vorgegeben sind und es die Aufgabe des Codiermechanismus ist, sie zu konkreten Texten zu organisieren und sprachlich zu realisieren. Damit haben wir,allerdings auf einer sehr theoretischen Ebene, zwei Bereiche unterschieden, deren Trennung bei Bernstein noch vage und unsicher war. Wir wollen an dieser Stelle nicht auf die Problematik der Begriffe Norm, Rollen und gesellschaftliches System und genereller auf das normative Paradigma in der Soziologie eingehen (siehe Band I: 1 - 4 ) ; wichtig ist für uns vorläufig nur, daß es einen Bereich gibt, der nicht mit vorwiegend linguistischen Mitteln erforscht werden kann (Rollenunterschiede im Bernstein 1 sehen Sinn) und einen Bereich, der deutlich zum wissenschaftlichen Problemfeld der Linguistik gehört, auch wenn er Phänomene miteinbezieht, die von der traditionellen Grammatikwissenschaft nicht thematisiert wurden (Codeunterschiede). Diesen Bereich können wir grob mit dem noch recht unbelasteten Begriff "Sprachverwendung" etikettieren. Sprachverwendung setzt ein konstantes Sprachsystem voraus; diese Erweiterung des Skopus der
Gesamtlinguistik führt allerdings auch zu einer Veränderung des Begriffes "Sprachsystem" (siehe Band I: 49-53). In der oben angeführten Codedefinition von Bernstein sind zwei Passagen für unsere Rekonstruktion seiner Begriffsbildungen besonders wichtig: ( 1 ) These codes will be defined in terms of relative ease or difficulty of predicting the syntactic alternatives which speakers take up to organize meanings. (Hervorhebung v . A . ) (2) ... the code will facilitate the speaker in his attempts to make explicit (verbally) his intentions ... ... this code will not facilitate the verbal expansion of the speakers intent. (Hervorhebung v.A.) Wir gehen davon aus, daß Bernsteins Rückgriff auf die traditionellen inhaltsanalytischen Meßmethoden zur Operationalisierung seines Codebegriffes eine Notlösung war; es gab keine Ansätze, wie man innerhalb der Linguistik eine Konzeption wie die des Codes hätte operationalisieren können. Wir gehen deshalb auf diese "näheren" Bestimmungen des Codebegriffes gar nicht ein (siehe Band I: 18-23); uns interessiert die intuitive Idee, die hinter dem Bernstein'sehen Programm stand. Wesentliche Teile dieses Programms sind bereits bei Goldmann-Eisler (1958a) vorformuliert; diese unterscheidet "old, well organized" und "new, now organizing speech*.(Goldmann-Eisler, 1958a: 6 7 ) . Das nichtautomatische, spontan organisierte Sprechen ist enger an die situativen Anforderungen angepaßt: "fitted to a specific meaning in a particular situation and adjusted to its special requirements."(ibidem) In diesen Bestimmungen sind die wesentlichen Ideen der Bernstein' sehen Konzeption, die Vorhersagewahrscheinlichkeit und die Explizitheit (bzw. semantische Spezifizität) der gewählten Ausdrucksalternativen, bereits enthalten. Wir können unsere linguistische Explikation und Operationalisierung des Codebegriffes deshalb an den beiden folgenden Behauptungen orientieren:
(1) Bei der Planung der sprachlichen Handlungen ("organize meanings") gibt es sprachliche Alternativen ("syntactic alternatives" ) . Die Mengen von Alternativen, die einem Sprecher an den einzelnen Planungsstellen zur Verfügung stehen, sind im elaborierten Code durchschnittlich größer (mächtiger). (2) Die Planung der sprachlichen Handlung ist psycholinguistisch als Organisation und Realisierung von Aussageintentionen ("intentions, intent") zu beschreiben. Die Explizitheit ("make explicit (verbally)") bzw. die inhaltliche Ausgestaltung ("verbal expansion") dieser Realisierungen unterscheidet die beiden Codes auf der Ebene der produzierten Texte. Aus dieser Rekonstruktion des Bernstein'sehen Codebegriffes können wir drei Zielsetzungen fUr unsere empirische Arbeit ableiten: (1) Der Alternativenraum, der den Sprechern einer Sprachgemeinschaft an bestimmten Punkten der sprachlichen Interaktion zur Verfügung steht, soll mit linguistischen Methoden rekonstruiert werden. (2) Die Explizitheit bzw. die aemantische Ausgestaltung der einzelnen Alternativen soll quantitativ erfaßt werden, so daß Durchschnittswerte pro Text bzw. pro Sprecher berechnet werden können. Diese quantitativen Indikatoren erlauben,eine Skala von verschieden stark elaborierten bzw. restringierten Codes festzulegen. (3) An Hand der Ergebnisse einer solchen Messung im Rahmen einer empirischen Arbeit soll geprüft werden, ob die Codes schichtspezifisch verteilt sind. Da eine Beeinflussung durch die Situation offensichtlich ist (bei Goldmann-Eisler ist dieser Bezug sogar in der Begriffsbestimmung enthalten, siehe oben) sollen die situativen Unterschiede auf wenige kontrollierbare Faktoren eingegrenzt werden (siehe Kapitel 2 . 2 . ) ; deren Einfluß kann dann statistisch erfaßt werden. Man darf den Ausdruck "syntactic alternatives" bei Bernstein nicht wörtlich nehmen, da sonst die Gesamtkonzeption unsinnig wird. Nähme man z.B. verschiedene Oberflächenstrukturen mit gleicher Tiefenstruktur, so daß die Unterschiede zwischen den Alternativen nur syntaktisch und nicht semantisch wären, würde der Codebegriff zu einem funktional irrelevanten Stilbegriff verflacht. Die syntaktischen Alternativen müssen somit (auch) semantische Alternativen sein. Siehe dazu Band I: 57f.
2.
ANLAGE DER EMPIRISCHEN UNTERSUCHUNG
2.1.
Vorarbeiten
In der ersten Phase des soziolinguistischen "field-work" machte ich mich bei den Schülern durch Unterrichtsbesuche, Teilnahme an Ausflügen und erste eher spielerische Tonbandaufnahmen bekannt, Ziel dieser Kontakte war es, einen intuitiven Eindruck der einzelnen Sprecher und ihrer Verhältnisse zu bekommen und mögliche Vorgehensweisen bei der Materialgewinnung einzuschätzen. So zeigte z.B. ein erster Versuch, systematisch Daten zu sammeln, daß sowohl bei einem sehr freien Thema ("Erzähle mir eine interessante Begebenheit") als auch bei einem normierten Thema ("Was hast Du beim Ausflug nach Volkach so erlebt?") nie alle Schüler zu vergleichbaren Äußerungen (zumindest von vergleichbarer Länge) anzuregen waren. Es mußte demnach ein stärker strukturierter Stimulus gefunden werden. Als ich einige Schüler die Gegensprechanlage ausprobieren ließ, fiel mir auf, daß ein Schüler, dessen Deutschaufsätze sehr kurz und dürftig waren, eine erstaunliche sprachliche Geschicklichkeit entwickelte, was meine Skepsis bezüglich der Validität der von Bernstein und seinen Schülern verwendeten Beobachtungs- und Meßmethoden verstärkte. In einer zweiten Vorbereitungsphase ließ ich die Schüler einen Aufsatz zu dem Thema: "Mein Leben in 1O Jahren" schreiben, das bereits von Lawton (1963:121) verwendet worden war. Eine Anwendung der Analysemethoden von Bernstein auf diese Texte überzeugte mich endgültig davon, daß man mit diesen oberflächlichen Verfahren nichts von dem was der Sprecher/Schreiber in den Texten 1
Ich möchte mich an dieser Stelle bei Prof. Ulrich Oevermann dafür bedanken, daß er mir großzügig die Anlage ausgeliehen hat. Das Tonband und andere technische Mittel habe ich selbst finanziert.
tut und sicher nicht seine Geschicklichkeit bzw. Ungeschicklichkeit erfassen kann. Diese Erfahrung fehlt leider dem Leser, der nur mit den numerischen Charakteristiken konfrontiert wird und die signifikanten Korrelationen anerkennend zur Kenntnis nimmt. Von diesem Zeitpunkt an war mir klar, daß es nicht ausreichen würde, eine bessere linguistische Methode zur Anwendung zu bringen (was meine ursprüngliche Absicht war), sondern daß ein sehr spezifisches,auf einer Rekonstruktion der Grundideen und -intentionen Bernsteins und seiner Vorgänger basierendes,Instrumentarium entwickelt werden mußte. Die Erfahrungen des "field-work" führten auch dazu, daß ich mich in bezug auf das Vorgehen bei der Materialsammlung nicht so sehr an Vorbildern in der experimentellen Psychologie orientierte (dies versucht zumindest teilweise Bernstein), sondern an den Methoden, die Labov in seinen soziolinguistischen Untersuchungen in New York City entwickelte (Labov, 1966). Wegen der besonderen Komparabilitätsbedingungen, die für Untersuchungen zur Variation im semantisch-pragmatischen Bereich gelten,und wegen der bereits oben genannten Schwierigkeiten,von allen Schülern der untersuchten Gruppe einen ähnlich langen Text zu erhalten (die Länge ist nur ein Indiz für das Ausmaß der Aktivierung der latenten Fähigkeiten), wurde festgelegt, daß die Aufnahmesituation teilweise normiert sein sollte.
2.2.
Materialgewinnung in der Hauptuntersuchung
Die Hauptuntersuchung basiert auf zwei Arten von empirischen Daten: (1) Informationen über das soziale Milieu und die Sozialisationsbedingungen der Schüler, Durchführung von Befragungen bei den Schülern (Einschätzung des Prestiges von Berufsgruppen, soziometrische Befragung) und ein nichtverbaler Intelligenztest. (2) Mündliche und schriftliche Texte, die in drei verschiedenen Nacherzählsituationen produziert wurden, Interviews mit jeweils drei Schülern und freie Konversation über die Gegensprechanlage (Telephontests).
Die Konstruktion der nichtlinguistischen Variablen auf der Basis der empirischen Daten (1) wird in Abschnitt 2 . 4 . erörtert. Wir gehen deshalb in diesem Abschnitt nur auf das sprachliche Material näher ein. Die in dieser Arbeit durchgeführten Analysen am sprachlichen Material beziehen sich ausschließlich auf die Nacherzählungstexte. Von den Interviewtexten wurden nur einzelne Bereiche inhaltlich bezüglich der enthaltenen Informationen über die Schüler und deren Einstellungen ausgewertet. Die letzte Kategorie von Daten, die freien Konversationen ausgewählter Schülerpaare, sind nicht analysiert worden, da sich die Entwicklung eines dazu ge2 eigneten Instrumentariums als zu aufwendig erwies. Unsere Komparabilitätsforderungen besagten, daß die zu vergleichenden Texte inhaltlich grob äquivalent sein sollten. Aus diesem Grunde kam eigentlich nur die Wiedergabe gemeinsamer Erlebnisse, das Nacherzählen von Filmepisoden oder aber das Nacherzählen vorgelesener Texte in Frage. Bei gemeinsamen Erlebnissen muß ein sehr deutliches, kompaktes und alle Zuschauer fesselndes Ereignis vorliegen, da sonst bereits auf der Ebene der Aufmerksamkeit und der verschiedenen Zuschauerperspektiven eine große interindividuelle Variation entsteht. Erfolgversprechende Versuche in diese Richtung hat Osgood (1971) gemacht, indem er den Zuschauern einfachste Vorgänge (z.B. das Rollen eines Balles über eine Platte) vormachte und sie dann jeweils bat, hinzuschreiben, was sie gesehen hatten. Für unsere Untersuchungsziele wären die auf diese Weise eruierten Texte allerdings zu dürftig. Bei Filmepisoden liegt in der Interpretation der Bildfolgen und in ihrer Verarbeitung zu einem Gesamteindruck die Hauptvariationsquelle. Beim Nacherzählen von vorgelesenen Texten haben mögliche Störfaktoren (Aufmerksamkeitsunterschiede und Unterschiede der Gedächtnisleistung) besonders in bezug auf unser Untersuchungsziel, die Messung von Explizitheitsunterschieden, weniger Gewicht. Auch Schüler, die im Erfinden und Gestalten von Geschichten weniger Übung haben, bekommen hier die Chance, ihre alltagsweltlichen Dieses Material soll in einer geplanten Arbeit über Dialogstrukturen und Verständigungsbarrieren analysiert werden. Für eine erste Erweiterung unseres Instrumentariums siehe Wildgen, 1976.
Sprachfertigkeiten zum Einsatz zu bringen. Nicht unwichtig ist außerdem die Tatsache, daß diese Situation und ihre Anforderung fUr die Schüler nicht neu und befremdend war. Dadurch daß bei der Analyse das Nacherzählungsoriginal keine Rolle spielt und die Vergleichbarkeitsbedingungen im Rahmen der Variationsanalyse noch verschärft werden, können sich Gedächtnis- und Aufmerksamkeitsunterschiede auf unsere Meßergebnisse kaum auswirken. Ein sehr wesentlicher Faktor bei dieser Aufnahmesituation ist die Wahl der nachzuerzählenden Texte. Insbesondere muß bei einer Untersuchung über schichtspezifische Kommunikationsstile garantiert werden, daß der Text nicht von vorneherein eine Grappe der Sprecher, womöglich sogar die entsprechend der zu prüfenden Hypothese restringierter sprechenden Unterschichtkinder benachteiligt. Dieser Faktor ist leider bei bisherigen Untersuchungen kaum berücksichtigt worden. Aus diesen Gründen ging ich von den in der Voruntersuchung aufgenommenen freien Erzählungen (Stimulus: Erzähle mir eine interessante Begebenheit) aus. Eine dieser Erzählungen stammte von einem Unterschichtkind und enthielt außerdem eine Thematik, die nach Labov und Waletzky (1967) stimulierend auf den Erzähler wirkt. Diese Erzählung wurde leicht normalisiert, indem dialektale Ausdrücke durch hochsprachliche ersetzt und grammatische Fehler korrigiert wurden. Das Vorlesen eines fehlerhaften oder dialektalen Textes hätte die Schüler nur verwirrt. Diese Situation wird im folgenden als "Nacherzählung schriftlich kurz" apostrophiert. Der Text lautet: Wie ich schwimmen war Ich bin einmal nach Kahl zum Schwimmen gefahren und da hatte ich einen Schwimmreifen dabei. Alles war ziemlich voll im Schwimmbad, und da hab ich mich hingelegt. Nachher bin ich dann mit meinem Die Erzählerin hatte außerdem einen sehr niedrigen IQ-Wert. Dies garantiert, daß der Text keine zu hohen intellektuellen Anforderungen an die Kinder stellte. Da wir über das Textverständnis und die Textverarbeitung sehr wenig wissen, ist eine solche Absicherung gegen mögliche Einflüsse sinnvoll.
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Schwinunreifen ins Wasser gegangen. Als ich im Wasser war, da schwamm der Reifen fort und ich konnte nicht schwimmen. Ich schluckte Wasser, und mein Vater hat mich herausgezogen. Da war er sehr böse und sagte, ich dürfe nicht mehr schwimmen. Wir fuhren dann abends nach Hause. Als zweites wurde die Geschichte unter Beibehaltung der Handlungskomponenten "elaboriert". Die Elaboration wurde in Richtung auf einen schulnormgerechteren Text vorgenommen; da es dafür keine allgemeingültigen Kriterien gibt und wir auch eine Zirkularität der Kriterien vermeiden wollten, erfolgte diese Ausschmückung ganz intuitiv entsprechend den in langen Schuljahren internalisierten approximativen Richtlinien: detaillreicher und schlüssiger in den Verbindungen der einzelnen Episoden. Den auf dieser Ebene noch intuitiven Unterschied zwischen einem weniger und einem besser an die Schulnorm angepaßten Text überprüften wir durch eine Befragung der Schüler (einzeln mündlich) nach der dritten und letzten Nacherzählung. Die Ergebnisse der Befragung bestätigten unsere Hypothese (siehe Kapitel 4 . 3 . 1 . 1 . ) . Die Schüler nahmen den Unterschied zwischen den beiden Texten in der Richtung unserer Hypothese wahr. Dieses Vorgehen entspricht unserem Bemühen auch hypothetische Zwischenschritte empirisch abzusichern; im Rahmen der Bernsteinschule werden leider komplexe Hypothesengebäude nur ganz punktuell der empirischen Überprüfung ausgesetzt, so daß das ganze Unterfangen nur einen empirischen Anstrich aber keine empirische Validierung erhält. Der elaborierte Text lautet: Ein gefährliches Erlebnis im Schwimmbad Da das Wetter schön warm war, beschloß mein Vater,mit mir nach Kahl an den Krotzenburger See zu fahren. Am Parkplatz merkten wir schon, daß ziemlich viel Betrieb war, aber da wir nicht umsonst die Fahrt unternommen haben wollten, zahlten wir den Eintritt und suchten uns einen freien Platz unter den vielen Menschen, die die Wiese wie die Heuschrecken bedeckten. Vater pumpte meinen neuen bunten Schwimmreifen auf, und ich rannte gleich ins Wasser. Ich war ganz versessen darauf, endlich auch
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wie die anderen, die bereits das Schwimmen gelernt hatten, im Wasser tollen zu können. Aber es wurde ein kurzes Vergnügen, denn plötzlich rutschte mir der naßglatte Reifen aus den Händen und ich tauchte ins Wasser. Ich schlug verzweifelt um mich, schrie laut und schluckte dabei eine erhebliche Menge Wasser. Da ergriff mich eine feste Hand und zog mich ans Trockene. Mein Vater hatte die Gefahr geahnt und war mir ans Ufer gefolgt. So verliefen die Folgen meines Leichtsinns noch einmal glimpflich. Ich will jetzt schwimmen lernen, dann kann ich erst wie die anderen im Wasser spielen; ein Schwimmreifen ist kein Ersatz für Schwimmenkönnen. Bei der Durchführung der langen Nacherzählung wurden zwei Situationen unterschieden: (1) Die Schüler erzählten schriftlich nach im Klassenzimmer. Der Text wurde zweimal vorgelesen. (2) Die Schüler gingen einzeln in das unter dem Klassenzimmer liegende Wohnzimmer des Ehepaares Jensen und wurden dort vom Autor in den Gebrauch der Gegensprechanlage eingewiesen (sie erhielten einen Kopfhörer mit Mikrophon an der Seite). Die räumliche Anlage geht aus dem Schema hervor. Wohnzimmer
Flur
Arbe it s z immer '···. Verstärker
Erzähler
Hörer
Tonband
Die Situation des mündlichen Nacherzählens war so gestaltet worden, daß möglichst wenig sekundäre unterschiede zwischen Schreiben und Sprechen gegeben waren. In beiden Fällen gab es keinen gemeinsamen Verweiskontext für Sprecher und Hörer, es fand keine nonverbale Kommunikation statt und es war keine gegenseitige Wahrnehmung An dieser Stelle möchte ich Herrn Niels und Frau Maria Jensen dafür danken, daß sie uns ihre für unsere Zwecke sehr günstig gelegene Wohnung zur Durchführung der Aufnahmen und der Interviews zur Verfügung stellten.
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möglich. Der Unterschied reduzierte sich somit auf die Benutzung verschiedener Medien (Schreiben versus Sprechen). Zusätzliche Unterschiede sind wohl als Störfaktoren vorhanden, sie wirken sich aber nicht so direkt auf den kommunikativen Stil aus wie die oben genannten (dies sind z.B. der fremde Raum, das Alleinsein, die Apparatur usw.). Da die mündliche Nacherzählung in direktem Anschluß an die schriftliche Nacherzählung stattfand, wurde der Erzähler lediglich aufgefordert, den vorher schriftlich nacherzählten Text nun mündlich noch einmal zu erzählen. Unseren drei Situationen entsprechen drei Textsorten, die die Basis für die empirische Untersuchung abgeben. ( 1 ) Die schriftliche Nacherzählung, kurz, unterschichtnah. (2) Die schriftliche Nacherzählung, lang, schulnormgerecht. (3) Die mündliche Nacherzählung, lang, schulnormgerecht.
2.3.
Die untersuchte Gruppe
Im Gegensatz zu Verfahren in der experimentellen Psychologie und teilweise auch zu denen innerhalb der Bernsteinschule haben wir die Informanten nicht nach dem Stichprobenverfahren ausgesucht. Dieses Verfahren ist für microsoziologische Untersuchungen, und dazu ist unsere Arbeit aus soziologischer Sicht zu zählen, weniger geeignet, da es die Strukturen, die man untersuchen möchte, zerstört oder durch neue Gruppenbildungen kurzlebige Strukturen schafft. Die Schulklasse ist ein gesellschaftlicher Ort, an dem ein großer Teil der kommunikativen Prozesse, in die der Schüler involviert ist, stattfinden. Die kommunikativen Bemühungen des einzelnen sind auch partiell auf diese Gemeinschaft ausgerichtet, Anpassungen und Abgrenzungen durch Kommunikation finden -hier statt. Aus diesen Gründen ist es günstiger, eine solche Untersuchung im Rahmen existierender sozialer Strukturen durchzuführen. Die Wahl der speziellen Schulklasse in Schöllkrippen war teilweise dadurch bedingt, daß meine Frau Klassenleiterin in dieser Klasse war, was mir einen Startvorteil beim informellen Zugang zur Klasse bot. Günstig war allerdings, daß die sechste Klasse Volksschule noch nicht durch Übertritte an weiterführende Schulen
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sozial umgeschichtet war.(Es gab nur zwei Übertritte nach der vierten Klasse; nach der sechsten Klasse gingen 12 Schiller an die Mittelschule. Die Gemeinde liegt verkehrsmäßig recht ungünstig zu den Gymnasien des Landkreises Aschaffenburg.) Das durchschnittliche Alter der Schüler betrug 12 Jahre und 4 Monate. Von den 26 Schülern waren 10 Buben und 16 Mädchen. Sie stammten aus verschiedenen Ortsteilen bzw. aus angrenzenden Orten, die zum Schulsprengel gehörten. Insgesamt gesehen / ist der Marktflecken Schöllkrippen im Kahlgrund zwar ländlich, man bemerkt aber deutlich den Einfluß des Industrie- und Verwaltungszentrums Frankfurt (60 km entfernt). Eine Auswertung einer Voruntersuchung mit ähnlichen Daten aus einer sechsten Klasse Volksschule in Sinzing (bei Regensburg) durch Heidemarie Wildgen (Wildgen, H . , 1971) zeigte unter anderem, daß der soziometrische Status in Schöllkrippen signifikant mit der Schulleistung korrelierte, während dies in Sinzing nicht der Fall war. Hier bestanden sogar entgegengesetzte Tendenzen. Dieses Faktum zeigt eine unterschiedliche Bewertung der Schule in den beiden Gemeinden an. Wie auch intuitive Beobachtungen bestätigen, ist die Bevölkerung in Schöllkrippen stärker von den nahen Großstädten mit ihren Möglichkeiten zum sozialen Aufstieg (der zumindest teilweise über die Schulen vermittelt wird) beeinflußt, während es in Sinzing noch eher so etwas wie eine stabile Unterschicht gibt, die nicht so stark zu der Mittelschicht und ihren Normen hin tendiert. Dies erklärt sich aus der industriellen Unterentwicklung Ostbayerns. Versucht man , unsere Ergebnisse vorsichtig zu generalisieren, so scheinen sie am ehesten repräsentativ für mittlere Gemeinden im Einzugsbereich der Ballungsgebiete mit ihrer sozialen Mischstruktur zu sein. Die Verhältnisse liegen einerseits in ländlich unterentwickelten Gebieten und andererseits wohl auch in städtischen Gebieten, wo die sozialen Schichten stärker örtlich differenziert sind, anders. Diese Einschränkung der übertragbarkeit unserer Ergebnisse scheint mir allerdings nur für unsere erste nichtlinguistische Variable, den Sozialstatus, zu gelten; für die zweite Hauptvariable, die Situationsspezifik, sind besondere Einschränkungen im Rahmen unserer Analyse nicht erkennbar.
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2.4.
Die Messung der nichtlinguistischen Variablen
2 . 4 . 1 . Der Sozialstatus 2 . 4 . 1 . 1 . Problematik In der soziologischen Literatur ist das Thema "Sozialstatus" noch sehr kontrovers; trotzdem werden Skalen für die Messung des Sozialstatus recht häufig in der empirischen Forschung benützt, wobei die Kritik meist nur erwähnt wird, ihr aber kaum begegnet wird. Wir wollen uns in diesem Zusammenhang auf zwei Fragen beschränken: ( 1 ) Was mißt der "Sozialstatus"? (2) Wie vergleichbar sind die verschiedenen verwendeten Skalen? Die erste Frage enthält das Problem des Meßziels und der Validität des Meßverfahrens. Über die Meßziele gibt es bereits unterschiedliche Auffassungen: Position (a): Der Sozialstatus soll die Prestigeordnung in der Gesellschaft messen, wobei Prestige als Funktion von Einfluß, Macht und Kontrolle über Mittel, Menschen ... gesehen wird. Dieser eher an der Oberfläche sozialer Phänomene orientierte, funktionalistische Ansatz liegt den meisten "objektiven" Messungen zugrunde. Durch Befragung zur Selbsteinschätzung und das Erfragen von Ordnungskategorien ist es möglich, den "objektiven" Indikatoren wie Beruf, Einkommen, Ausbildung, Wohngegend und ähnlichem ein Gewicht bei ihrer Beeinflussung der sozialen Wertschätzung zu geben, um so durch einen gewichteten Index die wahrscheinliche Einschätzung einer Person voraussagen zu können. 5 6
Cf. z.B. Labov, 1966, 2 1 3 f f . Cf. Bolte, 1963, 18ff. Die Technik der Konstruktion von Statusskalen wird in Scheuch, 1965 ausführlich diskutiert; cf. auch Janowitz, 1958. Viele Autoren fordern, weniger die Prestigedimensionen als die typischen Verhaltensweisen von Bevölkerungsgruppen heranzuziehen; cf. Kreutz, 1969, 3O6ff.
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Position (b): Da für viele soziologische und soziolingusitische Untersuchungen die Relevanz einer Prestigeskalierung umstritten ist, kann man versuchen, die mit verschiedenen Stellen im sozialen System verbundenen Verhaltenserwartungen und typischen Verhaltensmuster empirisch zu erforschen, um somit die für die zu prüfenden Zusammenhänge relevanten Merkmale der sozialen Position eines Individuums zu erfassen. Ein solches Unterfangen ist jedoch weitaus schwieriger, als das in (a) dargestellte. Deshalb begnügt man sich in den meisten Untersuchungen damit, aufgrund der Ergebnisse anderer Untersuchungen zum Verhalten der Schichtzugehörigen das in (a) angegebene Instrument zu verwenden und darauf hinzuweisen, daß die so unterteilten Schichten sich eben in dieser und jener Weise bezüglich ihrer Rollensysteme und Verhaltensstrategien unterscheiden; d.h. es wird die Relevanz des Schichtindex plausibel gemacht. Dabei wird (leider) zu wenig überprüft, ob die/meist aus der angelsächsischen Literatur stammenden,Angaben über die typischen Strukturen in den Schichtmilieus auch auf die bei uns, den einzelnen Klassen des Statusindex entsprechenden,Bevölkerungsgruppen zutreffen. Position (a): Ein Mangel des in (b) dargestellten Zuganges liegt darin, daß auf der Ebene von Verhaltens-Typen bzw. bei der Beschreibung von subkulturellen Milieus die Problematisierung aussetzt. Vage funktionalistische Argumente "erklären" irgendwie die vorgefundenen Typen. Dagegen wenden sich die klassentheoretisch orientierten Soziologen. Sie fordern, daß in einer Gesamttheorie der politischökonomischen Verhältnisse bzw. aus der Geschichte der Veränderung dieser Verhältnisse die typischen Verhaltensweisen erklärt werden müssen und daß deshalb auch die vorgenommenen Klassifikationen auf eine klassentheoretische Analyse zu beziehen und entsprechend zu modifizieren sind. Wenn man sich nun klar macht, daß eine solche "klassentheoretische" Analyse (wir sehen einmal von veffestigt-dogmatischen Elementen ab und denken an eine empirisch abgesicherte politischökonomische Theorie) auch die Verhaltenstypen, die vorgefunden wurden, und auch die Prestigeordnungen erklären müßte, dann sieht man, daß die drei Meßziele durchaus eine gemeinsame Linie auf-
16
weisen; wobei die Zielsetzung von (a) nach (c) zunehmend anspruchsvoller, die überprüfbarkeit und empirische Zugängigkeit zunehmend unwahrscheinlicher wird. Man muß sich also entscheiden, ob man theoretisch anspruchsvolle oder empirisch valide Meßverfahren anwendet. 2 . 4 . 1 . 2 . Empirische Basis Eigentlich war es unser Ziel, die Sozialisations- und Lernbedingungen und die kommunikativen Milieus zu erfassen, um so die erfaßte Sprachvariation damit in einen kausalen Zusammenhang zu bringen. Dies war im Rahmen der beschränkten Möglichkeiten einer Ein-Mann-Porschung nicht möglich. Wir waren gezwungen, auf die Informationen, die uns im Arbeitsfeld Schule zugänglich wurden, zurückzugreifen (wobei noch zu berücksichtigen ist, daß der Hauptaspekt unserer Forschung auf dem linguistisch-deskriptiven Aspekt lag). Folgende Informationen standen uns zur Verfügung: (1) Soziale Daten,wie: Beruf des Vaters, Berufstätigkeit der Mutter, Anzahl der Geschwister, Herkunft der Eltern, Arbeitsort des Vaters. (2) Ergebnisse eines Gruppeninterviews. Die Interviews dienten dem Zweck, gewisse soziale Informationen zu erhalten und Interaktionsstrategien zu erforschen. Die Analyse der Interaktionsstrategien wurde später ausgeklammert. Die Interviews in (2) enthielten eine Befragung, durch die die Skalierung der Berufsangaben aus (1) validiert werden sollte. Den Schülern wurde eine willkürlich (und jedesmal anders) geordnete Folge von Berufsbezeichnungen vorgelegt. Dies waren: Arbeiter, Geschäftsmann, Handwerker, Ingenieur, Landwirt, Lehrer. Da die Befragung nur sinnvoll ist, wenn der Befragte eine konkrete Vorstellung der Berufsgruppe hat, wurden recht konkrete Berufe aus der Lebenswelt des Schülers ausgewählt. "Ingenieur" ist in dieser Beziehung bereits problematisch, wie Gespräche mit Schülern ergaben; diese Berufsbezeichnung vertritt jedoch die wichtige Klasse technisch qualifizierter Berufe.
17
Sie waren aufgefordert, diese Berufe nach größerem Ansehen zu ordnen. Die Aussagen der Kinder wurden (ohne ihr Wissen) auf Tonband Q aufgenommen und ausgewertet. Die durchschnittliche Bewertung jedes Berufes läßt sich nun berechnen. Der erstgenannte Beruf erhält das Gewicht 6, der nächste das Gewicht 5 usw. Der Quotient: pr(
j
m
Summe der Gewichte der einzelnen Berufsbezeichnumren Anzahl der Vorkommnisse der Berufsbezeichnung
ergibt den Prestigeindex für den Beruf
: Pr(x)
1 < Pr(x) < 6
2 . 4 . 1 . 3 . Ergebnis und Validität der Schichtenteilung Ergebnis der Prestigeskalierung Pr(Ingenieur) Pr(Lehrer) Pr(Geschäftsmann) Pr(Handwerker) Pr(Arbeiter) Pr(Landwirt)
= 5,45 = 4,76 = 4,5 =2,7 =2,66 = 2,O5
N = 23
Wir können nach diesem Ergebnis zwei Gruppen von Berufen klar nach ihrem sozialen Prestige unterscheiden: I. Ingenieur, Lehrer, Geschäftsmann ( P r ( x ) = 5,45 bis 4 , 5 ) II.Handwerker, Arbeiter, Landwirt (Pr(x) = 2 , 7 bis 2,O5)
Das Interviewschema enthielt sieben thematische Bereiche. Die Frage nach dem Prestige wurde in folgendem Kontext gestellt: Frage 4: Welche Berufe möchtet ihr ergreifen, welche würdet ihr Euch zutrauen? Frage 5: Wie schätzt ihr Berufe ein? Welche sind angesehener? (die Liste wird in jeweils veränderter Reihenfolge vorgelesen; die Schüler (je drei) nennen ihre bevorzugte Reihenfolge und äußern sich dazu je nach Interesse). Frage 6: Worauf legt ihr einmal besonderen Wert, wenn ihr groß seid? Was wünscht ihr euch?
18
Der Einschnitt ist sehr deutlich, denn die Differenz zwischen dem kleinsten P r ( x ) von Gruppe I zu dem größten Pr(x) von Gruppe II beträgt 1,8 und ist domit doppelt so groß wie die größte gruppeninterne Differenz: Pr(Ingenieur) - Pr(Geschäftsmann) = 0,95. Wenn wir die Ergebnisse der Befragung verallgemeinern, erhalten g wir folgende Einteilung: I.' Ingenieure und höherqualifizierte technische Berufe, Lehrer, größere bis mittlere Selbständige. II.'Handwerker, nicht technisch qualifizierte Angestellte, Arbeiter, Landwirte. Die Gruppe I' entspricht der mittleren bis unteren Mittelschicht, die Gruppe II 1 der Unterschicht in anderen Schichteinteilungen. Wir wollen nun anhand weiterer Daten untersuchen, ob der Schichtindex auch unterschiedliche Einstellungen zur sozialen Mobilität und verschieden starke Bildungsmotivationen prognostiziert und ob konkret verschiedene Sozialisationsbedingungen mit dem Schichtindex korrelieren.
Dieser induktive Schritt ist üblich beim Übergang von Einschätzungsbefragungen zur Konstruktion eines Schichtindexes. Er bleibt jedoch problematisch, da er ein Prestigekontinuum voraussetzt.
19
Gruppe I' (Mittelschicht) Berufswunsch 10 des Schülers 1
-
Berufsvorschlag der Kameraden
übertritt 11 Berufstätigkeit 12 der Mutter versucht
Zoowärterin (II)
im Büro (II) 3 Modezeichner in (I) 4 Maschinenbauingenieur (D 5 6 Architekt (I) 7 Kaufmann ( I ) 8 9 Verkäuferin (II) 10 Kindergärtnerin (I) 11 12 Büro (II) 2
Möbelhändler (I)
Kurslehrer (I) Büro (II)
1 1 1
halbtags 0 0
1
halbtags
1 1 O 1 0
halbtags O 0 0 0
O
0
1 1
0 1
Soziale Mobilität in Richtung
Soziale Mobilitat in Richtung
Summe
Summe
MS
US
MS
US
1
O
1
0
5
3
2
2
8
3
1
8
(1 = ja;
O = nein)
10 Um die Anonymität der Schüler zu schützen, wurden die Berufe der Väter nicht angegeben. Die Numerierung ist zufällig. 11 Es handelt sich in einem Fall um den Übertritt an ein Gymnasium, in allen anderen Fällen um den Übertritt an die Mittelschule. Beim Ubertrittsversuch spielt natürlich nicht nur die Motivation, sondern auch die Schulnote eine Rolle. 12 Bei Bauern wurde Berufstätigkeit der Mutter angesetzt.
20
Wenn wir die BerufsvorStellungen, deren SehichtZugehörigkeit undeutlich ist (Zoowärterin), ausschließen und den Berufsvorschlag von Kameraden nur heranziehen, wenn der Schüler selbst keinen Berufswunsch geäußert hat, können wir einen Index der Mobilitätsorientierung berechnen (die Anzahl der berücksichtigten Berufsangaben ist 1O): prozentuale Mittelschichtorientiertheit: ·— - 70% prozentuale Unterschichtorientiertheit:
·?_· = 30%
Gruppe II' (Unterschicht) Berufswunsch des Schülers
übertritt versucht
Berufstätigkeit der Mutter
0
0
1
O
0
0
0 0
O O O
0
1
Friseuse, Schnei- 0 derin (II) 0
1
Berufsvorschlag der Kameraden _
1 2
3
4 5 6 7 3
9
10 11
12 13 14
Schreiner, Kaffee-Experte (II) Büro, Maschinenschlosser (II) Elektriker (II) Friseuse (II) Verkäuferin (II) Verkäuferin (II) —
Kleiderfabrik (Arbeiter) (II) Architekt (I) Kindergärtnerin (I) Büro,Friseuse(II) -
—
(Mutter will, daß er Maurer wird) Friseuse (II) Angestellte, Verkäuferin (II) _
o
1
o o
1
Schneider in (II) Näher in (II)
0
1
0
1
Verkäuferin (II)
o
1
—
1
21
Summe
Soziale Mobilität in Richtung
Soziale Mobilität Summe in Richtung
MS
US
MS
US
1
0
1
0
2
8
0
6
1
13
8
6
=
prozentuale Mittelschichtorientiertheit:
y^
15,4%
prozentuale Unterschichtorientiertheit:
jj = 8 4 , 6 %
Wir können die Zusammenhänge zwischen dem Sozialstatus und den Ergebnissen unserer parallelen Befragung nun statistisch erfassen.
(1) Soziale Mobilität
Mittelschicht
Unterschicht
100%
gewünschter Be·
·
· an
H/*y
Mittelschicht
gewünschter Beruf ist aus der Unterschicht
90% 80% 7O% / ^J v
70%
60% 50% 40% 30% 20% 10%
15,43%
10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80%
3O%
84, 6S
90%
100%
= 7 , 7 2 ; V - 1; p < O,OO5
13
13 Das X wurde natürlich nicht bezüglich der Prozentwerte, sondern mit einer Vierfeldertafel und Originalhäufigkeiten berechnet. Die p-Werte verstehen sich als one-tail-Werte.
22
Das Schema zeigt hoch signifikante Unterschiede in der Richtung unserer Hypothesen auf. Da die intendierte Schichtzugehörigkeit für das konkrete Verhalten oft bestimmender ist als die Schichtzugehörigkeit der Eltern, 14 zeigt dieses Ergebnis die soziale Relevanz unserer Unterteilung an. (2)Bildungsmotivation Der Versuch, an eine Schule höheren Typs (Gymnasium, Mittelschule) überzutreten, zeigt die Bildungsmotivationen und indirekt den Willen zum sozialen Aufstieg an. Mittelschicht
Unterschicht
100%
Prozentzahl der Schüler, die den Übertritt versuchten
Prozentzahl der Schüler, die den übertritt nicht versuchten
30% 70% 60% 50% 40% 30% 20% 10% 10% 20% 30% 40% 50% 6O% 70% 80% 90% 100%
90%
7/ f 7% f O
10%
92,3%
m 12,64; v = 1 ; p < 0,OO1 (3) Berufstätigkeit der Mütter Um auch die Halbtagsarbeit zu berücksichtigen, führen wir folgenden gewichteten Index ein: 14 Cf. Bartholdi, 1969.
23
Ganztägige Berufstätigkeit = Gewicht 2 Halbtägige Berufstätigkeit = Gewicht 1 Keine Berufstätigkeit = Gewicht O Der Index berechnet sich als Quotient: Summe der Gewichte in einer Schicht BI =
2·(Anzahl der berücksichtigten Personen) Wir erhalten folgendes Ergebnis: Mittelschicht gewichteter Index der Berufstätigkeit der Mütter (BI)
0,7 O,6 0,5 0,4 0,3 0,2 0,1 -O
Unterschicht 0,668
0,208
Die hoch signifikanten Unterschiede zwischen den beiden Schichten in den drei zur Validierung herangezogenen Vergleichen zeigen eine gewisse Relevanz unserer Schichteinteilung in bezug auf die Sozialisation und wichtige Aspekte des sozialen Verhaltens. Im Rahmen unserer Arbeit konnten wir jedoch die spezifischen Sozialisationsbedingungen der einzelnen Schüler nicht erforschen, wir müssen uns deshalb mit einem im Endeffekt doch recht groben soziologischen Maß zufrieden geben. 2 . 4 . 2 . Der Gruppenstatus Es wurden zwei soziometrische Befragungen durchgeführt.
16, Die erste
15 Die Skalen von Bernstein und Oevermann gehen ebenfalls auf "objektive" Kriterien zurück. Die Validierung geschieht entweder gar nicht oder nur durch Hinweis auf Literatur. 16 Die erste der Befragungen wurde von meiner Frau im Rahmen einer Fragebogenaktion vorgenommen.
24
Befragung war in einem größeren Fragebogen enthalten. Die Frage lautete: "Wenn du die Möglichkeit hättest, einige Kameraden/Kameradinnen zu deinem Geburtstag zu dir nach Hause einzuladen, wer käme in der Klasse dafür in Frage?" Jeder Schiller konnte mehrere Namen nennen, die Reihenfolge war ohne Bedeutung. Die zweite Befragung fand vor den Telephontests (Kommunikation zwischen zwei Partnern über eine Gegensprechanlage) statt. Die Schüler sollten je einen Gesprächspartner des eigenen und des anderen Geschlechts wählen.1 7 Die soziometrische Befragung gibt Aufschluß über Beliebtheitsstrukturen (interpersonal popularity) und kann die Art der Interaktionen zwischen den Gruppenmitgliedern in einigen Vergleichsdimensionen prognostizieren. 1 8Die Untersuchungen von Labov und seinen Mitarbeitern haben gezeigt, daß zumindest in der Straßenkultur der Negerviertel in New York der "peer group status" sehr wesentlich für die sprachliche Sozialisation ist und darin sogar 19 Elternhaus und Schule übertrifft. Die soziometrische Befragung ist natürlich nur ein schwacher Ersatz für eine intensive Feldforschung. Wir werden deshalb den Gruppenstatus nur verwenden, um die Relevanz des Sozialstatus für die Schulklasse als Gruppe zu testen. Wenn unsere Hypothese einer signifikanten Korrelation zwischen beiden Maßen bestätigt wird, zeigt dies die durchgehende Wirksamkeit der sozialen Schichten für konkrete Verhaltensweisen in dieser Gruppe an. 1 7 Diese Befragung wurde zur Bestimmung der Partner beim Telephontest benützt. 18 Cf. Zimet und Schneider, 1972. Die Persönlichkeitsstrukturen spielen dabei offensichtlich eine wichtige Rolle. Da wir unser Material aus sprachlichen Interaktionen zwischen den Kindern nicht analysiert haben, kommt dem Gruppenstatus in unserer Diskussion weniger Relevanz zu, als ursprünglich vorgesehen war. 19 Labov zeigt, daß gerade in den Unterschichten der "peer group status" wichtiger ist als der Sozialstatus der Eltern. Cf. Labov und Robins, 1969: 395: "We work primarily with peer groups of Negro boys within the culture of the street, since we believe that the major controls upon language are exerted by these groups rather than the school or the home". Cf. auch Labov,Cohen,Robins und Lewis,1968.Vol.II:159-176(Relation of peer group status to linguistic behaviour).
25
2 . 4 . 3 . Die nichtverbale Intelligenz Auch dieses Maß wird nur dazu verwendet, um die Aussagekraft der zentralen nichtlinguistischen Dimension, des Sozialstatus, zu klären. Es wurde ein nichtverbaler figürlicher Intelligenztest (Figure Reasoning Test) in der Klasse entsprechend den Anweisungen im "Instruction Manual" durchgeführt? 0 Dieser Test ist zwar sprachfrei, trotzdem sicherlich nicht kulturfrei, wie die Autoren 21 selbst betonen. Von seinen Anwendungsintentionen her mißt er eher technisch-abstrakte Denkfähigkeiten und ist somit natürlich durch verschiedene Sozialisationsbedingungen beeinflußbar. Auch bezüglich sprachlicher Fähigkeiten ist er nicht ganz neutral, da besonders die schwierigen Aufgaben innere, teilweise sprachlich vermittelte Lösungsprozeduren verlangen. Die Autoren des Tests bemerken dazu: "Thus one could say that the technically-minded will be likely to score higher on the Figure Reasoning Test than in the usual verbal reasoning test, even tough he will be required to > undertake fairly complex, theoretical, and therefore to a degree, verbal tasks." 2 2 Wir werden die Ergebnisse des Intelligenztests nur heranziehen, um die Korrelation mit dem Sozialstatus und dem Gruppenstatus zu berechnen (siehe Kapitel 4 . 2 ) .
20 Ich möchte mich an dieser Stelle bei Dr. E. Frieling für die Beratung und das Ausleihen der Testbücher bedanken. 21 Daniels, 1962, 14. 22 ibidem
26
3.
ANALYSEMETHODEN
3.O.
Vorbemerkungen
UND ANALYSEERGEBNISSE
Das Analysemodell wurde mit Beispielen seiner Anwendung sehr ausführlich im ersten Band vorgestellt. In diesem Kapitel wollen wir deshalb auf die formale Struktur des Modells nicht eingehen, sondern uns bemühen, die konkreten Analyseschritte vorzuführen. Auf diese Weise erhält der Leser einen Einblick in die konkrete Aussagekraft der in der statistischen Analyse verwendeten numerischen Indices. Für denjenigen, der den theoretisch-methodischen Teil gelesen hat, erschließt sich das Problem und seine Lösung von der konkreten Seite her, was sicherlich das Verständinis des Analyse model1s vervollständigt. Von dem Analyseprozeß werden drei Stadien vorgeführt: ( 1 ) Die Segmentation und Klassifikation der Texte. Ergebnis: eine Menge von Paraphrasenklassen. ( 2 ) Die Bestimmung der Varianten und Klassen von Varianten (= Variablen). Das exakte Verfahren zu ihrer Gewinnung wird im Band I: 64-97 dargestellt, dort wird auch eine exemplarische Analyse durchgeführt (98-112). (3) Die Messung der semantischen Explizitheit der Varianten.
3.1. Der (1) (2) (3)
Segmentation und Klassifikation der Texte Analyse liegen drei Klassen von Texten zugrunde: Die schriftlichen Texte der kurzen Nacherzählung (N = 2 6 ) . Die schriftlichen Wiedergaben der langen Nacherzählung (N = 26) Die transkribierten und syntaktikalisch normalisierten Texte der langen mündlichen Nacherzählung (N = 2 6 ) .
27
Insgesamt wurden somit 78 Texte analysiert. Bei der Normalisierung der mündlichen Texte wurde eine Wort-zu-Wort-übersetzung in die Hochsprache vorgenommen, da wir die syntaktikalische Variation (phonologische, morphologische, syntaktische Variation, siehe Band I: Def. 1O,26) in dieser Untersuchung nicht behandeln. Die Transkription dient nur als Basis der kombinatorischen Variationsanalyse und der darauf aufbauenden semantischen Analyse. Bei der hochsprachlichen Normalisierung wurde jeweils die syntaktikalisch nächstliegendste Übersetzung gewählt. Wenn das Verständnis, das ja für die spätere semantische Analyse und deren Überprüfung durch den Leser sehr wichtig ist, nicht beeinträchtigt wurde, haben wir auch dialektale Ausdrücke mit in die Transkription aufgenommen. Fehlansätze wurden mitnotiert,ebenso Pausen. Wir verwendeten dabei folgende Konvention: : sehr kurze Pause (aber als Pause wahrnehmbar) 1 : kurze Pause 1 ' : längere Pause Da diese Notierung nur den Zweck hat, ein realistischeres Bild des Textes zu vermitteln, wurde auf eine exakte Messung der Pausen verzichtet. Pausen spielen unter anderem eine Rolle bei der Segmentation der Clauses. Das Analysemodell unterscheidet drei Analyseebenen (siehe Postulat 3, Band I: 7O): ( 1 ) Die Ebene der Intraclausevariation. Die Varianten und ihre Kontexte sind Bestandteile der Clause (siehe unten). Die Analyse erfolgt im Prinzip im Rahmen der Clause. (2) Die Ebene der Interclausevariation. Die Kombination von Clauses zu Clausepaaren oder größeren Gebilden wird durch Transformationsoperatoren bewerkstelligt. Diese fügen entweder Konnektoren ein oder verändern bzw. reduzieren die involvierten Clauses. (3) Die Ebene der Textvariation. Die funktionale Organisation der Texte, deren Variation und die Variation der Textinhalte innerhalb einer inhaltlich vergleichbaren Textklasse werden untersucht. Die Analysen auf den beiden ersten Ebenen erfolgen nach den im Variationsmeßmodell aufgezeigten Schemata. Für die Analyse der Text-
28
Struktur wurde ein eigenes Instrumentarium entwickelt, das davon weitgehend unabhängig ist. Das Variationsmeßmodell setzt drei Grundmengen linguistischer Entitäten voraus (siehe Postulat 2, Band I: 68) (1) Die Menge der Texte. In unserem konkreten Fall ist die Klasse der Texte durch die experimentellen Situationen eingegrenzt, d.h. wir haben drei Klassen von Texten (siehe oben). Man kann die Klassifikation allerdings auch nach besonders relevanten Situationselementen vornehmen. So gehen die beiden langen Nacherzählungstextklassen (schriftlich und mündlich) auf das gleiche Nacherzählungsoriginal zurück. Da für das Analyseund Meßverfahren der schriftliche bzw. mündliche Charakter der Texte nicht wesentlich ist, fassen wir die beiden Textklassen zu einer zusammen. Wir erhalten: T.: Die Klasse der kurzen Nacherzählungen (N = 2 6 ) . T ~ : Die Klasse der langen Nacherzählungen (N = 5 2 ) . (2) Die Menge der Clauses. Im Prinzip ist jeder Teilsatz, der ein finites Verb enthält, eine Clause. Auf der Ebene der Intraclausevariation ist es gleichgültig, ob die Clauses koordiniert oder subordiniert sind. Bei der konkreten Klassifikation der Texte gingen wir so vor, daß zuerst alle Teilsätze mit finitem Verb als Clauses segmentiert wurden. In einem zweiten Schritt wurde die im nächsten Abschnitt zu erörternde Bildung von Paraphrasenklassen berücksichtigt. Bestand eine Praphrasenrelation zwischen einer Clause im oben definierten Sinn und einer Morphemkette ohne Clausecharakter, so wurde diese Morphemkette aus der Clause, zu der sie gehörte, herausgelöst und als selbständige Einheit in die bereits bestehende Paraphrasenklasse hereingenommen. Im formalen Analysemodell entspricht diesem "Herauslösen" eine inverse Transformation, d.h. die Reduktion einer Clause und deren Einbettung etwa als Adverbialphrase in eine andere Clause wird durch einen Transformationsoperator auf der Ebene der Interclausevariation bewerkstelligt. Die Anwendung eines inversen Operators macht diesen Prozess rückgängig und stellt somit den Clausecharakter der Morphemkette wieder her (cf. Band I: 93-97). Um einem Regreß solcher Rekonstruktionen vorzubeugen,
29
wurde gefordert, daß jede Paraphrasenklasse mindestens einen Teilsatz mit finitem Verb enthalten muß. Das folgende Beispiel verdeutlicht unser Vorgehen. Wir fanden die folgenden Clauses am Textbeginn: M = mündlich, S = schriftlich, die Nummer kennzeichnet den Sprecher S 7 Da schönes Wetter war S 2O Da es heute schön war S 22 Als schönes Wetter war M 22 Als es schön war M l
Es war ein schöner Sonntagnachmittag M 15 In anderen Texten finden wir Morphemketten, die diesen Clauses inhaltlich entsprechen, jedoch kein finites Verb enthalten. S 3 An einem schönen warmen Tag S 1O Eines schönen Tages S 26 An einem Nachmittag M 21 Eines Tages S 2 einmal Reduktionen dieser Ordnung treten jedoch nur in dieser Klasse von Paraphrasen auf, normalerweise sind die Einheiten der Analyse auch Clauses an der Oberfläche. Wir gehen auf diese besonders schwierige Paraphrasenklasse in Kapitel 3.2.7. ausführlich ein. Da die Variationsanalyse ein kombinatorisches Verfahren auf der Basis der Klassenlogik ist, wurde eine Item-and-Arrangement-(IA) Morphologie gewählt, die es gestattet, jede Clause in eine Folge von Morphemen zu segmentieren (siehe Band 1:97). Da unsere Analyse eine Segmentation grammatischer Suffixe nicht notwendig macht, ist diese Art morphologischer Segmentation ziemlich unproblematisch. Wir erhalten somit nach der Segmentation der Texte in Clauses und Morpheme (letztere kann auch noch im Laufe der Analyse vorgenommen werden) für jede Textklasse eine Klasse von clausefolgen bzw. eine Klasse von Folgen von Morphemfolgen. Im folgenden gehen wir von der Klasse der Clausefolgen aus. Da die Texte Nacherzählungen sind, finden wir beim Vergleich der
30
Clausefolgen Clauses, die sich inhaltlich entsprechen. Als Ausgangspunkt der Variationsanalyse, deren Ziel die Bildung minimaler Vergleichsklassen von Äußerungen bzw. Äußerungsbestandteilen als Operationalisierung des Begriffes der semantisch-pragmatischen Variante ist, wird eine Paraphrasenrelation "=" eingeführt (siehe Band I: 6 5 , 7 2 ) . Sie faßt Clauses, die die gleiche Mitteilungsabsicht realisieren (wobei ,wir beim Übergang zwischen Absicht und Realisierung einen sprachgestaltenden Prozeß annehmen) in Paraphrasenklassen zusammen. Um die Vergleichbarkeit der Texte nicht zu stark zu reduzieren, wurde eine ziemlich weite Paraphrasenrelation gewählt. Sie läßt einerseits lexikalische Ersetzungen zu und erlaubt andererseits auch das Hinzufügen fakultativer Elemente sowie die Wiedergabe der Clause als Inhalt von Verben des Sagens, Meinens, Fühlens, Wollens und von Satzadverbien. Wir wollen die Vielfalt der Möglichkeiten erfassen, die ein Sprecher hat, seine ursprüngliche und im Ansatz vage Mitteilungsabsicht zu realisieren. Die spezifische Wahl, die er dann t r i f f t in bezug auf den Raum möglicher Wahlen, charakterisiert seinen kommunikativen Stil bzw. bestimmte Dimensionen dieses Stils (siehe Kapitel 3 . 2 . ) . Wir gehen davon aus, daß die Klassifikation der Clauses in Paraphrasenklassen im Bereich des Urteilsvermögens des normalen Sprechers liegt. An Stelle einer expliziten Operationalisierung dieses Grundbegriffes über eine experimentelle Befragung, was im Prinzip möglich wäre, nehmen wir die Klassifikation selbst vor und führen einige solche Klassen an. Der Leser kann sich somit ein Bild von der Art der verwendeten Paraphrasenelation machen und deren Zuverlässigkeit durch Vergleich mit seinem eigenen Urteil abschätzen. Dies ist ein in der Linguistik, besonders in den Arbeiten der generativen Grammatik durchaus übliches und erfolgreiches Verfahren. Um den TextZusammenhang nicht unnötig zu zerreißen, wählen wir die vier ersten Paraphrasenklassen als Beispiel. Je zwei Paraphrasenklassen werden zusammen angeführt.
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( Q - j / Q j ) schriftlich (Q-, ist durch Kursivschrift markiert) 1. Mein Vater und ich beschlossen nach Kahl zu fahren in das Krotzeburger Schwimmbad. 2. Ich fuhr einmal mit meinem Vater nach Kahl zum Krotzenburgersee 3. An einem schönen warmen Tag nahm mich mein Vater mit nach Kahl an Krotzensee 4. An einem warmen Tag wollte mein Vater mit mir zum GroßKrotzenburgersee in Kahl fahren 5. Wir fuhren nach Kahl an den Großkrotzenburgersee 6. An einem Sommertag beschloß mein Vater mit mir nach Kahl an einen See zu fahren 7. Da schönes Wetter war ging mein Vater und ich nach Kahl an den Krotzeburger See 8. An einem schönen heißen Tag beschlossen mein Vater und ich zum Schwimmen nach Kahl zu fahren. 9. An einem schönen heißen Tag beschloß mein Vater mit mir in den Krotzenburger See schwimmen zu fahren 10. Eines schönen Tages fuhr mein Vater und ich in den GroßGrotzenburger See um zu schwimmen 11. Ich fuhr mit meinem Vater nach Kahl in den Krozenburger See 12. Mein Vater und ich fuhren nach Kahl zum Baden an den See 13. An einem heißen Tag fuhren mein Vater und ich nach Kahl an den Grozenburgersee 14. Mein Vater und ich wollten nach Kahl an den Krozeburgersee 15. Da das Vetter schön war beschlossen mein Vater und ich ins Schwimmbad nach Kahl zum brötschebacher See zu fahren 16. Ich fuhr mit meinen Eltern an den Krotzenburger See 17. An einem Sonntag fuhr ich mit meinem Vater nach Kahl zum Grotzenburger See 18. An einem Nachmittag fuhren mein Vater und ich nach Kahl an krotzenburger See 19. An einem Nachmittag fuhren wir zum Krotzenburgersee 20. Da es heute schön war beschloß mein Vater mit mir ins Schwimmbad zu fahren. 21. Mein Vater und ich beschlossen nach Kahl an den Großgrotzenburgersee zu fahren.
32
22. Ala schönes Vetter wo.* beschloss mein Vater wir fahren nach Kahl ins Grotzbackenseeschwimmbad 23. An einem heißen Nachmittag fuhren mein Vater und ich an den Grotzenburger See 24. Ich fuhr mit meinem Vater nach Kahl an den Krozenburger See 25. Mein Vater und ich fuhren nach Kahl an den Grotzenburger See 26. An einem Nachmittag fuhren mein Vater und ich nach Kahl ins Grotzenburger See
(Q 1 ,Q 2 ) mündlich 1.
Da war ein Vater und ein Kind ' und die wollten nach Kahl an Krotzeburger See fahren ' ' ' 2. Also * ich fuhr einmal mit meinem Vater nach Kahl zum Krotzenburger See ' 3. Also eh mein Vater und ich ' sin ' nahm mich mit ins Schwimmbad nach ' nach ' Kahl ' in den Krotzesee 4. Wie ich einmal ins Schwimmbad gefahren bin an den Krotzenburger See 5. Da war einmal ein Mädchen, das ist an den Kahler See baden gegangen '' baden gefahren mit seinem Vater ' ' 6. Ein Vater wollte mit seinem Jungen ins Schwimmbad an den See fahren 7. Da es schönes Wetter war ' ging mein Vater und ich ' eh ' nach Kahl ins ' an den Krotzenburger See ' 8. Beim eh mit meinem Vater ist (sind) wir einmal baden gefahren ' nach Kahl * am Krotzenburger See ' 9. Da hat ein Vater beschlos en mit seinem ' Sohn * ah ins ah in an See zu fahren 10. Es war ein schöner Sonntag Nachmittag ' (die Sonne hat gescheint = E 2o^ und da ist ein Jun9e mit seinem Vater ' ' nach Kahl an Kr. an den Großkrotzenburger See gefahren ' 11. Mein Vater und ich gingen an einem Nachmittag an Kahler ' na an Krotzeburger See ' 12. Als ' da war ein Junge * mit seinem Vater * und der wollt ' eh baden fahren nach Kahl
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13. Ich fuhr mit meinem Vater an einem heißen nachmittag * nach Kahl ' an den Krotzenburger See 14. Mein Vater und ich wir wollten an den Krotzenberg-burger See Eahren ' um dort schwimmen zu gehen ' ' ' 15. Eg war ein schöner Nachmittag ' da ging ein Junge mit seinem Vater ' in ein Schwimmbad ' fuhren sie in ein Schwimmbad nach Kahl in den Blötschenbacher See (oder wie der geheißen hat SE
23> 16. An einem schönen warmen Nachmittag
17. 13. 19. 20. 21. 22.
23. 24. 25. 26.
' da fuhr ich mit meinem
Vater ins Schwimmbad ' ' Also an einem Sonntag nachmittag ' eh ' fuhr ich mit meinem Vater ' nach ' nach ' Kahl ' zum Krotzenburger See ' Ich fuhr einmal an einem warmen Nachmittag mit meinem Vater ins Schwimmbad ' nach Kahl an den Krotzenburger See ' eh An einem Nachmittag ' fuhren ich und mein Vater * ins Schwimmbad ' ' ' Eines schönen Nachmittags ' fuhr ich einmal mit meinem Vater ' nach * ins Krotzenburger Freisch-Freiseebad '' Mein Vater und ich fuhren eines Tages ins Schwimmbad ' ' Als ein ' schönes ' als eines schönen Sonntag Nachmittag ' Als es schön war und da hat ' der Sohn mit seinem Vater beschlossen ' daß sie ins Schwimmbad fahren wollen ' ' nach Kahl in Krotzenbacher See ' Ich bin mit meinem Vater an nach Kahl in das in den Krotzenburger See gefahren Also da war ein Junge ' der fuhr mit seinem Vater nach Kahl ins Schwimmbad ' also in Kahler See ' Da war ein klei- also war ein Bub der ist mit seinem Vater ' an an so einen See gefahren * (ich weiß nicht wie der heißt) An einem Nachmittag fuhr ich mit meinem Vater nach Kahl ins Schwimmbad
Eine Reihe von Clauses sind zwar denen in Q1 bzw. Q~ ähnlich, sie sind jedoch keine Paraphrasen. Dies sind: M 11: Q 1a ein gefährlicher Nachmittag im Bad M 3: Q 2a und sind wir mit dem Rad hinuntergefahren M 3: Q-b und da sind wir rüber
34
Die beiden Listen zeigen, daß die Paraphrasenrelation ziemlich weit ist und daß wir durch diese Breite der Vergleichskassen alle Sprecher, die den entsprechenden Sachverhalt oder das entsprechende Geschehen überhaupt erwähnt haben, zueinander in Beziehung setzen können.
(Q 3 iQ 4 ) schriftlich (Q 3 ist durch Kursivschrift markiert) 1. Ale wir auf dem Parkplatz waren sahen wir schon die unmängen von Leuten 2. Am Parkplatz merkten wir schon, daß viele Leute hier sind 3. Schon am Parkplatz merkten wir, daß heute sehr viel los war 4. Schon am Parkplatz merkten wir, das sehr viel betrieb war 5. Mein Vater stellte sein Auto an den Parkplatz und wir merkten schon von da, daß viele besucher gekommen waren 6. Wir suchten uns einen Parkplatz. Es war sehr viel Betrieb 7. Schon am Parkplatz merkten wir, daß es ziemlich voll war 8. Als wir am Krotzenburger See ankamen merkten wir schon daß ziemlich viel los war 9. Schon am Parkplatz merkten wir schon daß viele Menschen im See sind 10. Als wir ankamen merkten wir schon an den Autos das viel Betrieb war 11. Auf dem Parkplatz merkten wir schon das sehr viel betrieb sei 12. Am Parkplatz wußten wir schon daß viel Betrieb ist 13. Schon beim Parkplatz (hörten wir die Kinder = Q^a) 14. Dort angekommen merkten wir schon daß es sehr voll war 15. Ale wir dort ankamen sahen wir das sehr viele Leute dort waren 16. Es war sehr voll 17. Es war alles sehr voll 18. Am Parkplatz merkten wir schon das sehr viele Menschen dort waren 19. An den vielen Autos bemerkten wir das es sehr voll war 20. Als wir dort waren sahen wir schon daß es sehr viel Betrieb
war 21. Schon auf dem Parkplatz merkten wir das viel Betrieb
ist
35
22. 23. 24. 25.
Ale wir am Park waren sahen wir das es voll war Sahon am Parkplatz merkten wir, daß viel Betrieb war Wir sahen am Parkplatz schon, daß viele Leute da waren Als uir ankamen (sahen wir die Menschen wie Heuschrecken
wimmeln = Qo a ) 26. Schon am Parkplatz merkten wir daß viel Betrieb
(Q 3 ,Q 4 ) mündlich 1. 2. 3. 4. 5.
6. 7. 3. 9. 10. 11. 12. 13. 14.
und als sie an dem Parkplatz waren da haben sie schon die vielen Leute gesehen Am Parkplatz merkten wir schon * daß ' also viele Leute ' eh ' im See waren ' und auf dem Parkplatz haben wir schon gemerkt daß viel los ist ' 0 und da habe ich schon von weitem gehört ' daß viele Leute dort seien ' ja ' ' und ' da als eie dort waren ' es war viel Betrieb ' (sie fanden schon fast keinen Parkplatz mehr = Q~ ) schon am Parkplatz merkten wir * daß viele Leute darinnen waren ' an unten angekommen dann ' wir haben schon an den Autos gesehen daß da viele Leute sind ' da harn sie schon am Parkplatz gemerkt ' daß ah daß viel Leut im See sind sie haben schon am Parkplatz gesehen daß ziemlich voll ist ' und ' wir merkten schon am Parkplatz daß alles sehr voll war und ' " da haben sie am Parkplatz gesehen eh viel Betrieb ist als wir ankamen hörten wir schon daß viel Betrieb war '· eh * als wir dort anlangten ' merkten wir gleich daß es
sehr voll war ' 15. 0 16. '· eh ' es war sehr viel Betrieb ' 17. 0
36
18. ' eh und eh a an den Parkplätzen
merkten wir schon ' daß
heute sehr viel Leute ' eh im Bad waren ' 19. ' ' · an den Autos '(die schon auf eh die auf dem Parkplatz waren = Q 3 _ ) * merkte ich daß * merkten wir daß daß es schon sehr voll war 20. ' ' Wir sah ala wir dort waren ' sahen wir daß ' sehr viel Betrieb war ' ' 21 . ' ' es ' eh es war sehr viel Betrieb ' ' merkten wir ala wir an das Gelände kamen an das Gelände kamen ' ' 22. eh ' na waren sie dort und da haben sie schon am Park gesehen daß ' viele Leute dort sind ' 23. Ale wir dort ankamen auf dem Parkplatz merkten wir schon daß sehr viel Betrieb war ' 24. 0 25. und * da hat ' * es waren sehr viele Leute ' aber ' 26. ' als wir ·' als wir an den Parkplatz kamen ' · ' als wir an ' als wir an ' den Parkplatz kamen ' hörten wir schon daß viel Betrieb war '
3.2.
Skizze des semantischen Meßverfahrens für Intraclausevarianten
Das neu entwickelte Modell zur Beschreibung und Messung semantischer und pragmatischer Variation wurde in Band I sehr ausführlich dargestellt und an Beispielen erläutert. Insbesondere wurde das Funktionieren der kombinatorischen Variationsanalyse am Beispiel einer Paragraphenklasse (Q„) ausführlich vorgeführt (Band I: 93-113). Für das Verständnis der quantitativen Indices, die als Output der Analyse in die statische Analyse eingehen, sind allerdings die semantischen Analysen und die Messung der Explikationsunterschiede von weitaus größerer Bedeutung. Die Klassifikation der Varianten und Variablen wird intuitiv deutlich, wenn man sich die im nächsten Kapitel verglichenen Alternativenmengen, die Variablen ( V ) , ansieht. In den Abschnitten 3 . 2 . 1 . und 3.3.7. werden speziell die Variablen von Q 2 / Q3 und Q1 vorgestellt und analysiert, so daß der Bezug zu den im letzten Abschnitt auf-
37
gelisteten Paraphrasenklassen hergestellt wird und der Leser sehen kann, daß in den Variablen die minimalen Unterschiede zwischen den Paraphrasen systematisch erfaßt wurden. Den semantischen Analysen wurde eine modifizierte MontagueGrammatik zugrunde gelegt. Da die Dekompositionen der Varianten für die Explikationsmessung an die wesentlich einfachere Sprache der Theorie semantischer Information angepaßt werden mußten und wir nu einen kleinen Ausschnitt aus den Analysen vorführen, können wir auch auf eine Darstellung der verwendeten Semantik verzichten und den Leser dazu an den ersten Band verweisen. Nicht vermeidbar ist allerdings eine Rekapitulation der Operationalisierung des Explikationsmaßes. Die kombinatorische Variationsanalyse bestimmt für jede Paraphrasenklasse eine Menge von Variablen, deren Elemente alternative Ausdrücke sind, die innerhalb der Paraphrasenklasse kommutiert werden können. Diese Alternativenmengen werden nun semantisch dekomponiert. Dadurch ergeben sich gemeinsame und nicht gemeinsame Komponenten. Die allen Varianten (= Alternativen) gemeinsame Komponente nennen wir Grundkomponente (g) . Im einfachsten Fall sind die differenzierenden Komponenten alle Prädizierungen über dieser Grundkomponente. Anhand der Grundkomponente g und der Prädikate erster Stufe P .,..., P n können wir die Zustände \ definieren. Ein Zustand ist eine Konjunktion von atomaren Prädikationen über der Grundkomponente, so daß jedes Prädikat genau einmal negiert oder unnegiert vorkommt. Beispiel: P1 und P- seien die einzigen vorkommenden Prädikate, dann gibt es, wenn keine Beschränkungen vorliegen, vier mögliche Zustände: -, P 2 ( g ) . P2(g) . - P2(g) Die vollständige Liste möglicher Zustände bei der Analyse einer Variablen nennen wir den Variations räum der Variablen. Sind die einzelnen Prädikate nicht voneinander unabhängig, reduziert sich der Variationsraum. Die Abhängigkeiten zwischen Prädikaten stellen wir durch Implikationsbeziehungen zwischen
38
atomaren Prädikationen dar. Beispiel:
Es gelte die Implikationsbeziehung: P. (g) -*· In diesem Fall wird der Zustand P.. (g) . _ , P - ( g ) ausgeschlossen, und der Variationsraum besteht nur noch aus den drei übrigen Zuständen. Wir legen nun fest, daß eine Variante maximal explizit ist, wenn sie von nur einem Zustand des Variationsraumes impliziert wird und die anderen Zustände ausschließt. Sie ist minimal explizit, wenn sie von allen Zuständen des Variationsraumes impliziert wird, also keinen der möglichen Zustände ausschließt. Wenn wir nun den einzelnen Zuständen Wahrscheinlichkeiten zuordnen, können wir das Explikationsmaß quantitativ fassen. Die Explizitheit einer Variante ist der Gesamtwahrscheinlichkeit der sie implizierenden Zustände umgekehrt proportional. Um ein additives Maß zu erhalten wird außerdem der Logarithmus dieses Quotienten gebildet. Wir erhalten somit die folgende Formel:
inf ?·] (g)
47
mitnehmen bedeutet bei Abzug der pragmatischen Komponente und des kooperativen Adverbiale, das wir bereits bei der Analyse von V1 zurückgestellt haben, ebenfalls nur soviel wie sich fortbewegen. j (mitnehmen) = P I (g) v -iP. (g) Wir erhalten somit folgende Zustandstabelle: Z.,:
P, (g)
Zustände a) fahren b) gehen c) mitnehmen Das den die das (a) (b) (c)
V
4
=
Z
1
VZ2 Z,vZ0
n
m
inf
1
1
2
1/2 1
0
2
1
0
Meßergebnis steht in Einklang mit den Folgebeziehungen zwischen Sätzen (a) bis ( c ) . (a) impliziert die Sätze (b) und ( c ) . Durch Disjunktion der beiden Teilsätze in (c) wird angedeutet, daß kooperative Adverbial neutralisiert ist. A und B fahren nach Kahl A und B gehen nach Kahl (im obigen präzisierten Sinn) A nimmt B nach Kahl mit oder B nimmt A nach Kahl mit
(V
4'
a) nach Kahl b) in Kahl 1 V·':
a) an den Krotzenburger See b) zum Krotzenburger See Diese Variante ist immer einem direktionalem Adverbial subordiniert, wie z.B. in dem Ausdruck: an den See in Kahl. Sie ist deshalb zwar eine syntaktische aber keine semantische Variante von ( a ) . Siehe zu diesem Problembereich Steinitz, 1969: 47.
48
c) d) e) £)
in an an an
den Krotzenburger See den Kahler See den See einen See
1 v V ' '· 4 ' a) in das Krotzenburger Schwimmbad b) in das Schwimmbad c) in ein Schwimmbad V
4' V 4 ' ' V 4 ' ' sind Variablen der Kategorie der Adverbiale und zwar vom Typ der direktionalen Adverbiale (siehe Band I: 162-166). Die direktionalen Adverbiale werden als Relation in nl zwischen dem Sich-Fortbewegen der beiden Aktanten und einem Gebiets(Orts-)term analysiert. Die Variation der Präpositionen (in V \ ' ) führt zu keinen Explikationsunterschieden und wird vernachlässigt. Wir können uns somit auf die Analyse des zweiten Arguments der direktionalen Relation konzentrieren. Als Grundkomponente der Nominalphrase nehmen wir die Eigenschaft "ein Gebiet sein": g = Gebiet ( x ) . Alle drei in V^ , V ^ ' , V ^ ' ' vorkommenden Nominalphrasen explizieren diese Grundkomponente. PI: P«: P,: P.:
Teil dea Kahlgebietea Teil des Krotzenburggebietea See Sohwimmbad
P, und P. sind Klassen von Gebieten, P 3 (g) bedeutet also, daß g ein Element dieser Klasse von Gebieten ist. Es gilt die Implikationsrelation: P 2 ^ "* P1 ^ ; sich folgende beschränkte Zustandstabelle:
daraus
ergibt
49
"l ·
r
Z2:
P 1 (g) . P 2 ( g )
Z,: J
P,1 (g) . P ^7 ( g ) . -iP-,(g) . P,τι (g) J
Z4:
P^g) . P 2 ( g ) . - , P 3 < g ) . ^ P 4 ( g )
Z5:
P1 (g) . -,P 2 (g) . P 3 (g) . ? 4 (g)
Z,: D
P,I (g) . -iP20 (g) . P,3 (g) . -.P,.(g) 4
z7:
p^g) . -P 2 (g) . -.P 3 (g) . P 4 (g)
Z8:
P I (g) . -iP 2 (g) . -i? 3 (g) . -,P 4 (g)
i^y; ·
ZQ:
-i P, (g)
J
\
Γ
2
y
3vy' *
' '
r
4vy/
. P 3 ( g ) . -,P 4 (g)
. -iP,(g) Λ*
. P, (g)
. Pd(g)
3
**
Z 1Q : -.P^g) . ^ P 2 ( g ) . P 3 (g) . ^ P 4 ( g ) z n : -.P^g) . - , P 2 ( g ) .-,P 3 (g) . P 4 ( g ) Z 1 2 : -.P^g) .-,P 2 (g) .-,P 3 (g) .-,P 4 (g)
n = 12
Wir erhalten folgende Me werte f r die Varianten: Beschreibung
Zust nde
n
m
inf
Kahl Krotzenburger See
P-, (g) P~ (g) .P-, (g) / J
z
Z.,...Z3 i'zo ι 2
8 2/3 21/6
0,58 2,58
Kahler See See
P^gJ.P-jig) P^,(g)
Z^Z^Z^Zg Z1 , Ζ - , Ζ - , Ζ , ,
4 6
1/3 1/2
1 ,58 1,0
2
Xo
Krotzenburger Schwimmbad
P, (g) .P. (g)
Z 1 ,Z,
2
1/6
2,58
Schwimmbad
P^(g)
Z
1»Z,,ZI.,Z7, 7 7 Z Z
6
1/2
1
P1 (g) .P- (g) .P-, (g)
Z
-|»Z2
2
1/6
2,58
Kahl/Krotzenbg . P I (g) .P 2 (g) , P 4 ( g ) Schwimmbad
Z
i»z3
2
1/6
2,58
Kahl/Schwimmb.
Z. ,Z-.,Z,- , Z _
4
1/3
1,58
'°
9' 11
Kombinationen : Kahl/Krotzenb. See
P. ( g ) . P . (g)
50
Krotzenbg. SeeSchwimmbad Kahl/Krotzenbg. Seeschwimmbad zum Schwimmbad nach Kahl am Krotzenbg.See ins Schwimmbad an den See
P2(g).P3(g).P4(g)
1
1/12
3,58
P (g\.P P
1
1/12
3,58
3
3/12
2
(g).P
P3(g).P4(g)
(g) . Z
W2g
Nach dieser ausführlichen Analyse einer Kernstruktur mit ihren Variablen, werden wir Beispiele aus der Analyse von Q, geben, bei denen aber die Darstellung auf die Angabe der Tabelle und die Diskussion einiger Probleme reduziert wird.
Q3: r
Original:
Am Parkplatz: Beschreibung
r
a) ankommen b) anlangen c) kommen d) sein e) 0
1 ( X ) .P 2 (X) P ( ) .P (X) 1 2 P ( X ) .P (X) 1 2 P (X) 1 P
P
1 (X)
Kernstruktur ( V . , V 2 > Zustände
n
m
inf
Z1
1 1
1/4
2
1/4
2
1
1/4
2
2
1/2 1
1
z1 z1
v2 Z
Z i 1^2' Z 3 ' Z 4
4
0
Im Kontext: "Als wir am Parkplatz ankamen, anlangten,..." implizieren die Sätze mit Variante ( a ) , ( b ) , (c) den Satz mit Variante ( d ) , aber nicht umgekehrt; dem trägt die Analyse Rechnung. Die Variante (e) entsteht durch eine Transformation,die Q3 als Adverbialphrase in Q. einbettet und dabei Subjekt und Verb tilgt. Das Sich-Befinden von ist dann nicht mehr durch ein Verb sondern durch das lokale Adverbial zum Ausdruck gebracht. Als Prädikate sind einzusetzen: P.: eich befinden Da die Argumente dieser Relation nicht in V1 zu analysieren sind, sind sie konstant gesetzt und werden auch in der Notation nicht angeführt.
51
P _ : sich in eine Richtung fortbewegen Wir könnten noch zwischen Resultat und eigentlicher Fortbewegung unterscheiden, um die Varianten (a) und (b) von der Variante (c) zu unterscheiden; es lassen sich jedoch daraus keine klaren Folgebeziehungen bzw. Explikationsunterschiede ableiten, und die semantische Analyse wird nur so weit vorangetrieben, wie sie diesem Zweck dient. Zustandstabelle : Z.,: Z2:
P.,{x) . P 2 ( x ) P 1 (x) . -,P 2 (x)
Z3:
-.P1 (x) . P 2 ( x )
Z4:
-,P1 (x) . -,P 2 (x)
In diesen Analysen besteht ein Problem darin, daß die einzelnen Bestandteile der Handlung sukzessiv und nicht gleichzeitig stattfinden, so daß eigentlich eine temporale Relation zwischen den dekomponierten Teilaussagen des Verbs angeführt werden müßte. Anstatt durch eine Serie von Eigenschaften eine Grundkomponente in ihrem Bedeutungsbereich einzuengen, indem durch Intersektion eine immer kleinere Menge gebildet wird, wird der Prozeß, von dem zuerst nur bestimmte Punkte (Anfang, Mitte, Ende, Resultat) angedeutet werden, durch die Auflösung in Teilprozesse von einer Menge zuerst noch möglicherweise gemeinten Prozesse auf eine Klasse ganz weniger Prozesse mit eben dieser Handlungsfolge reduziert, Da es sich in beiden Fällen um Explikationsleistungen in unserem Sinne handelt, ist die Miteinbezeihung in den allgemeinen Explikationsindex für Kernvariablen sinnvoll. V2:
a) b) c) d) e) f) g) h)
am Parkplatz auf dem Parkplatz beim Parkplatz auf einem Parkplatz am Park am Gelände dort unten
i) 0
52
Die Variation zwischen direktionalem und lokalem Adverbial ist durch das Verb vorbestinunt und wurde gar nicht in die Liste aufgenommen. Da somit in_ die durchgehende adverbiale Relation ist, wird nur die Nominalphrase auf Explikationsunterschiede analysiert. Grundkomponente der Variable ist: g = Gebiet Wir benötigen nur ein Prädikat: P I : Parkplatz Die Analyse und ihre Ergebnisse gehen aus folgender Tabelle hervor: Analyse
a) b) c) d) e) f)
g)
P Parkplatz 1 P Park 1 Gelände P 1 Krotzenburger See (0) P 1 P dort, da 1 P unten 1 P1 0
Zustände
n
m
inf
Z
1
1/2
1
1
1/2
1
2
1
o
2
1
0
2
1
2
1
o o
2
1
0
Z V -i P
v -i P v -> P V -i P
1 1 1 1
v -.P 1
1
1
,z 2 ,z Z 1 2 Z 1 ,z 2 Z 1 ,z 2 1 ,z ·> Z
Z
1
Variante (d) zeigt, daß der Sprecher gewisse Explikationen, in diesem Fall des Ortes der Handlung, oft auch an anderer Stelle in anderen Clauses nachtragen bzw. vorwegnehmen kann. Bei der Vielfalt des kommunikativen Verhaltens sind solche "Sonderfälle" für jede Analysemethode eigentlich normal. Wir müssen zu ihrer Behandlung jeweils vernünftige Sonderregelungen treffen. In diesem Falle wird einfach "Krotzenburger See" als Variante von V. von Q2 analysiert. Variante (d) wird durch eine Nullvariante ersetzt. Die Varianten (e) und (f) explizieren die Grundkomponente nicht weiter. Das Gebiet ist lediglich durch die in Q~ gemachten Angaben näher eingegrenzt. Das Vorgehen der Analyse sollte nach diesem Ausschnitt klar geworden sein (die Textklasse der langen Nacherzählung umfaßt 29, die der kurzen 15 Q£ Klassen). Schwierig ist in jedem einzelnen Falle die Wahl der P^ und die Konstruktion der Zustandstabelle, wenn die Zustände nicht logisch unabhängig sind. Die Berechnung des Explikationsmaßes inf ist jedoch, wenn die Dekompositionen
53
und die Zustandstabelle feststehen, Routine. Wir wollen deshalb im folgenden aus Platzgründen nur jeweils die Dekomposition der Varianten zeigen.
3.3.2. Die verbalen Kernvariablen (Beispiele) Q.: V _ : a) kommen, b) sein, c) 0 Dieses Beispiel erhält dieselbe Analyse wie Q.,: V. im vorherigen Kapitel. Q 5 : V..V,: Original: "aber da wir nicht umsonst die Fahrt unternommen haben wollten", Analyse a) b) c) d) e)
Analyse
unternehmen V 3 : a) die Fahrt machen b) die Reise g p. fahren c) den Weg kommen d) 0 sein (in "nicht umsonst sein (der W e g . . . ) " )
Die Analyse der Abhängigkeiten zwischen den vorläufigen Variablen V i und V' hat ergeben, daß, wenn man die Abhängigkeiten von links nach rechts analysiert (siehe Band I: 87 ) VI durch V' bedingt ist. Der Abhängigkeitsgraph (siehe Band I: 8 7 f f ) Vj X V^ enthält die folgenden Kombinationen: ( a , a ) , ( a , b ) , ( b , a ) , ( b , b ) , ( b , c ) , (c,c), (c,d), (d,c), (d,d), (e,a), (e,b), (e,c). Durch die Beschränkungen aus der Variationsanalyse sind nur 12 von 20 möglichen Kombinationen zugelassen. Das Hauptproblem besteht darin, daß transitive und intransitive Verben eigentlich nicht vergleichbar sind. Wir hatten deshalb in Band I (168-171) vorgeschlagen, die ganze intransitive Verbphrase semantisch zu dekomponieren und für sie ein Gesamtinformationsmaß zu berechnen. Als Grundkomponente können wir wie in Q 2 eich fortbewegen ansetzen. Die zur Differenzierung notwendigen Prädikate sind:
54 P1 : in Richtung zum späteren Standpunkt P 2 : durch Eigeninitiative P,: vermittels Gerät
cf. Q_ (V..) cf. Q _ ( V _ ) 2
•3
2
Wir erhalten somit beispielsweise in den Sätzen (a) und (b) ein intuitiv plausibles Ergebnis: Analyse von
n
(v r v 3 )
a ) "der W e g w a r nicht umsonst" g b) "wir unternahmen die Fahrt 2(9)· nicht umsonst"
8 3(9)
2
. ,. inf
m
1 1/4
0 2
Q 6 : V 1 : Original: "Wir zahlten den Eintritt" Analyse
a) b) c) d)
zahlen bezahlen lösen kaufen
inf
0 O 1 1
P
2 P 2 P 1 •P2 P 1 •P2
g = x; P 1 : nehmen
P-: zahlen
Diese Variable ist semantisch wieder in sukzessive Abschnitte unterteilt worden, entsprechend ist die Grundkomponente die allgemeine Variable für Individuen x.
Q_: V 1 : Original: und suchten uns einen freien Platz unter den vielen Menschen Analyse
n
m
inf
a) suchen
P1
4
1/2
1
b) aussuchen c) heraussuchen
P
1P i 3
2 2
1
/4
2
55
d) finden e ) bekommen f ) sich suchen
P
1' P 2 P_ PI
2
1/M
4 1 / 2 4 1 / 2
2
1 1
Wir unterteilen den in der Variablen erfaßten Prozeß in drei Abschnitte: P I : suchen : im Sinne von Ausschau halten nach etwas, was es gibt P _ : finden : im Sinne von sehen und in 'Besitz' nehmen P.,: auswählen: aus einer Menge von Gegenständen, die dem entsprechen, was man suchte, oder wollte Die Eigenschaften wurden unabhängig konstruiert, es gibt also 2 =8 Zustände.
: V-: Original: (unter den vielen Menschen, (Teilkette von Q - ) ) die die Wiese wie die Heuschrecken bedeckten
a) b) c) d) e) f)
g) h) i) j) k)
bedecken liegen besiedeln besetzen bevölkern sich niedergelassen haben wimmeln belagern , belegen sein (viele) sitzen (viele) voll sein
Analyse
n
m
inf
PrP2
4
1/4
2
P
5
4
1/4
2
P
2
8
1/2
1
P
2
8
1/2
P
2
8
1/2 1
1 1
o
1/16
4
1/2
1
g
16
PrP2.P3
1 8 16 4
1
O
1/4
2
4
1/4
2
P
2
g P
4
VP1
56
g
= aiah
befinden
P.,:
eng
P_: P-: P.: P t-:
in großer Zahl in Bewegung: keine gezielte, gemeinschaftliche Bewegung in der Art des Sitaene 2 in der Art des Liegens
Die Prädikate sind nicht unabhängig voneinander. Es gilt: (1) P 4 ( x ) ->· P 5 ( x ) (2) P 3 (x) + - P 4 ( x ) . - P 5 ( x ) Die Zahl der Zustände reduziert sich dadurch von 2 = 3 2 auf 16. Die Analyse ist fein genug, um eine intuitiv befriedigende Ordnung der Explikationswerte zu erzeugen: inf(wimmeln)> inf(bedecken, voll sein, liegen, sitzen)> inf(besiedeln, besetzen, bevölkern, belagern)> inf(sein)
V _ : Original: "Vater pumpte meinen neuen bunten Schwimmreifen auf." Analyse
a) b) c) d)
aufpumpen aufblasen aufpusten mit Luft füllen
P
1 P 2 P 2
g
n
m
inf
2
1/2
2
1/2
2
1/2 1
1 1 1
4
o
g = mit Luft füllen P I : mit dem Mund P _ : mit der Pumpe
In der endgültigen Dekomposition dürfte natürlich das dekomponierte Verb nicht mehr als ein Bestandteil der Dekomposition auftreten. Die kursiv geschriebenen Ausdrücke sind als Umschreibungen der Bedeutung der abstrakten Prädikate zu verstehen.
57
Q1 : V _ : Original: "und ich rannte gleich ans Wasser."
a) sein (Resultat von "sich fortbewegen") b) gehen c) rennen d) laufen e) stürzen f) eilen g) springen h) hüpfen i) sich stürzen (im Sinne von j ) sein n gegangen sein")
Analyse
n
m
inf
g
6
1
0
2
2/3
2,58
1
1/6
2,58
2
1/3
1 ,58
P
1 P 2 •P4 P
2
P
2 •P4
1
1/6
2,58
P
2 •P4
1
1/6
2,58
P
3
2
1/3
P
3
2
1/3
P
2 •P4
1
1/6 1
1,58 1,58 2,58
g
6
O
Pie Varianten (a) und (j) stehen in folgenden Einheiten: ( M . ) Da war er auch schon im Wasser. (M 2 ) und da ist der Sohn mit ihm ins Wasser. Sie sind also durchaus vergleichbar mit den anderen Varianten, (a) (a) enthält eine perfektive Komponente, die wir hier vernachlässigen. Im Gegensatz zur Analyse von gehen in Q 2 bedeutet gehen in diesem Paradigma eine besondere Art der Fortbewegung. P 1 : Bewegungeart des Gehens P _ : Bewegungsart dee Laufens P~: Bewegungsart des Springene P.: schnell (im Vergleich zur durchschnittlichen Schnelligkeit der jeweiligen Bewegungsart) Zustandstabelle: Z
4 : P1 " ~' P 4 Z 5 : PZ . ^
1 : P1 * ^4 Z 2 : P2 . P4
Z
Z
Z
3:
P
3 ' P4
6:
P
n =6
3 * '" P 4
Die Bewegungsarten schließen sich aus; weitere Bewegungsarten sind nicht in Betracht zu ziehen (in diesem Variatlonsraura).
58
Q 2 4 : V 2 : Original: "Mein Vater hatte die Gefahr geahnt' Analyse
n
m
inf
a) ahnen
P 2 .P 3
4
2
b) c) d) e)
P 2 .P 3
4
P
2
P
4
P
2
8 8 8 8 8
1/4 1/4 1/2 1/2 1/2 1/2 1/2
vorausahnen sich denken
merken denken f ) wissen g) erkennen
P
1 p d
2 1 1 1 1 1
Diese Kernvariable ist von der Kategorie der propositionellen Einstellungen (siehe Kapitel 3 . 5 . 1 . ) . Die Analyse steht exemplarisch für diese Art von Variablen. Wir nehmen als Grundkomponente: g - "eine Einstellung haben bezüglich eines Satzes q" P1 : von der Art des Wisaene, daß P 2 : von der Art des Annehmend, daß P.,: von der Art des Befürchtens, daß P . : von der Art des Wahrnehmens, daß Es gibt 2 4 = 16 Zustände Die genaue Angabe von P.-P. ist
dabei weniger wichtig als die
Tatsache, daß die Varianten (a) und (b) komplexer sind als die anderen. Alle Details, die darüber hinausgehen, insbesondere die Unterscheidungen zwischen den Varianten (c) - (g) fallen durch das grobe Raster der Explikationsmessung und sind dadurch von sekundärer Bedeutung. Der pragmatische Gehalt der propositionellen Einstellungen wird in Kapitel 3.5.1. unabhängig von der Explikationsmessung analysiert und für eine quantitative Erfassung subklassifiziert.
59
Eine weitere recht komplexe Variable dieser Kategorie findet sich g in Q29: V2'.
Analyse a) sagen b) zugeben c) zu der Erkenntnis gekommen sein d) gemerkt haben e) wissen f ) gelernt haben
n
m
inf
14
2/3
0,58
7
1/3
1 ,58
PTl
12
4/7
0,31
P
12
4/7
O, 31
9
3/7
1,33
12
4/7
0,31
P
4
P
5
1
P
3 P 9
Da es kaum möglich ist, diese Verben durch eine zeitliche Unterteilung zu zergliedern oder durch Prädikationen über der Grundkomponente zu dekomponieren, müssen wir die Varianten gruppieren und die gemeinsame Bedeutung als semantische Primitive einführen. Die Folgerungsbeziehungen müssen deshalb eigens formuliert werden als kombinatorische Beschränkungen der Zustandstabelle. Wir wählen folgende Grundprädikate: P1 : gemerkt haben, daß P~: gelernt haben, daß P.,: wissen, daß P , : sagen, daß P t-: zugeben, daß
Folgende Implikationsbeziehungen sollen gelten: (1) P 5 (x) - P 4 ( x ) (2) P 3 ( x ) * P 1 ( ) P2(x) Wir erhalten eine beschränkte Zustandstabelle: Z
1 Z 2
P
1 '" P 2 ' P 1 · P2 '
P
Z
3
P I . P 2 . P 3 . -,P4 . -,P5
Z
4
Z
5
3 ' P 3 '
P
4 ' P5 P 4 ' ^P5
1 * P 2 * ~" P 3 * P 4 * P5
P
P
1
·- P5
(1) schließt -.P. . PS aus
60
Z
7: Z 8: Z 9 ' Z 10 : Z 11 : Z
12 : Z13:
' P 3 ' P 4 · P5 P — 2 P 1 • P 3 ' P 4 · '~*P5 P — 2 p ! ' P 3 .-, , . -P5 P — 2 . -, 2 * ~* P 3 · P 4 P 1 ' P5 . ^P 3 ' P 4 · - P 5 P 1 P — 2 P 1 * ^ P 2 . -.P 3 . ^ P 4 - P 5 P
1
-P1
' P2 ' P3 ' P 4 · P5 Z 1 4 : -P1 ' P 2 • P 3 ' P 4 · '- P 5 Z 15 : -P1 • P 2 ' P 3 .-,P 4 . -P5 p Z 16 : -P1 ' P2 3 · P 4 · P5 p Z 17 : -P1 ' P 2 3 ' P 4 · -P5 P P Z 18 : - 1 ' P 2 . -nP3 - 4 • - P 5 . ^P2 ' "" P3 ' P 4 Z 19 : - P 1 ' P5 p Z 20 : "P1 *"P2 .,P3 5 Z
:
2 1 "P1 •-
• p4 -
P 2
-, .. . -, - . , wird durch (2) ausgescnlossen, da gilt:
•- P 3 .-,P4 .-, 5
n=21
Anzahl der theoretisch möglichen Zustände: 2
= 32
Ein besonders diffiziler Fall ist die Variable V in Q 4 : Original: "Am Parkplatz merkten wir schon, daß viel Betrieb war."
a) b) O d)
merken , daß sehen, daß hören, daß wissen , daß
Analyse
n
m
inf
P1 0 1 1 O2 < P 1 >
4
4/6
0 ,58
2
2/6 2/6 3/6
1 ,58
P
2
2 3
1 ,58 1 ,0
Einerseits wird der Prozeß aufgeteilt in den Wahrnehmungsprozeß (Varianten ( a ) , (b) und ( c ) ) u n d in das Resultat der "Wahrnehmung, daß", dem "Wesen, daß"; andererseits wird das "Wahrnehmen, daß" in seiner Art und Weise bestimmt in Variante (b) bzw. ( c ) . Nun liegen diese beiden Arten verbaler Explikation aber auf verschiedener Ebene. Wir sind deshalb gezwungen, Zustandsbeschreibungen höheren Typs zuzulassen.
61
Seien: P 1 : wahrnehmen, daß P„: wissen, daß die beiden Prädikate erster Stufe, so führen wir 01 und 0 2 als Prädikate zweiter Stufe über der Grundkomponente P 1 ( x ) ein.
0, l
3 Z 4 Z Z
Wahrnehmung s art dee Hörens, 0_: Wahrnehmungsart des Sehens ,
o1 (P.,) . -,P2 O Z ( P I ) . -,P2
P2
6
Es gäbe natürlich noch andere Möglichkeiten, so könnte etwa der Prozeß dreigeteilt werden in: P 1 : wahrnehmen, daß P 2 : schlußfolgern, daß P.,: wissen, daß mit 01 und 02 als Prädikaten zweiter Stufe (im Informationsmeßmodell). Im Endresultat würde dadurch Variante (a) (merken) auch den Informationsgehalt der Varianten (b) und (c) erhalten. Wir glauben jedoch, daß obiges Ergebnis in seiner Rangordnung i n f ( b ) = i n f ( c ) > i n f ( d ) > i n f ( a ) in etwa einer intuitiven Explikationsskalierung entspricht. Generell muß gesagt werden, daß bei den semantisch eher disparaten satzmodifizierenden Adjunkten und den entsprechenden Variablen die Analyse weniger zuverlässig ist, da mehr Analysen möglich sind als in den anderen Fällen. Eine Kategorie von Verben ist dadurch charakterisiert, daß ihre Elemente kombiniert mit einer intransitiven Verbphrase wieder eine intransitive Verbphrase ergeben. Die Intentionalverben und Modalverben gehören in diese Kategorie. Obwohl es sich meist um Adjunkte handelt, wollen wir sie in diesem Zusammenhang analysieren.
62
Beispiel: Q.,: *
: Original: "Mein Vater beschloß, mit mir nach Kahl [ . . . ] zu fahren . "
a) beschließen zu b) wollen c) 0
Analyse
n
m
PrP2
1
P
2
1/3 2/3
0,58
3
1
0
1
g
inf 1 ,58
Intuitiv gilt (zumindest für Beschlüsse von Einzelpersonen) die Implikationsbeziehung (v = Handlung): Hans beschließt v zu tun -»· Hans will v tun Diese Implikationsbeziehung muß in unserer semantischen Analyse abgebildet werden. Eine Modifikation von wollen durch ein modales Adverbial kann den Unterschied zwischen Variante (a) und (b) nicht widergeben, wir müssen deshalb beschließen aufteilen in ein wollen und eine Festlegung auf die Absicht, den Wunsch zu realisieren. P1 - v tun wollen P_ = sich festlegen auf die Absicht v zu tun Es gilt dann die Zustandstabelle: Z.: P.. . P_ Der Zustand Z : -P.. . P ist wegen _ _ der oben angegebenen Folgerungsbe2 : 1 " ~" 2 Ziehung auszuklammern.
3.3.3. Die nominalen Kernvariablen (Beispiele) Die Dekomposition dieser Variablen ist unproblematischer; wir werden deshalb auch weniger Beispiele vorführen. Da die Subjektsposition meistens von den während der Narration gleichbleibenden Aktanten eingenommen wird (ihre Explikation wurde bei der Analyse von Q 2 gemessen), sind die meisten Variablen dieser Kategorie Bestandteil von Tennen, die in Präpositional- oder Adverbialphrasen stehen.
63
Q a) b) c) d) e) f)
: V . : Original: "und ich rannte gleich ans Wasser" ans Wasser bei den See zum See zum Wasser ans Ufer zum Schwimmbad
91
h) hinein g 1 ) im Wasser: Variante ( g 1 ) ist eine obligatorische Folge der perfektiven Variante V _ ( a ) in derselben Q f -Klasse ( c f . vorheriges Kapitel). Wir können deshalb ( g 1 ) wie (g) behandeln. Theoretisch könnte man nun versuchen, Explikationswerte für die Präposition einerseits und für die im Term enthaltene Nominalphrase andererseits zu berechnen. Es gibt aber besondere Zusammenhänge zwischen den beiden Bestandteilen des Adverbiale, die auf diese Weise zerstört würden. So besteht der Unterschied zwischen "zum Wasser" - und - "ins Wasser" eben darin, daß im ersten Fall die Randfläche, im zweiten Fall die Innenfläche des Sees Ziel der Bewegung ist. Da diese Unterscheidung in Variante (e) als nominale Explikation auftritt, wird sie besser bei der Dekomposition der Nominalphrase zu erfassen sein. Als Präposition wird einheitlich inDir angegeben. g = Gebiet
P1 : P„ : P.,: P.:
Uferfläche (genereller: Randfläche) Vaeserfläche (genereller: Innenfläche) zum See gehörig zum Schwimmbad gehörig
Es gilt die Äquivalenzrelation: P^g)·«--»· -.P2 (g) (andere mögliche Nicht-Innenflächen gehören nicht zum Variationsraum) . Wir erhalten eine Zustandstabelle mit 2 = 8 Zuständen, denn Pist durch P- definierbar und somit eliminierbar.
64
a) Wasser
Analyse
n
m
inf
P
4
1/2
1
4
1/2
1
4
1/2
1
4
1/2
1
2 2
1/4
2
1/4
2
(4)
(1/2)
(1)
2' P 4
2
1/4
2
r 4
2
1/4
2
in zu
P
b) Ufer
zu
P
c) Fluten
in
P
d) See
in zu
1 1 2
P 2 .P 3 VP3
e) hinein f ) Schwimmbad
2
(P 2 )
in zu
P
P p
Der Explikationswert der Variante (e) "hinein" gilt nur dann, wenn exophorischer Gebrauch vorliegt. Wenn jedoch Textdeixis vorliegt, wird kein Informationswert berücksichtigt, um eine Doppelmessung zu verhindern. Q 1 1 : V _ : Original: "Ich war ganz versessen darauf, endlich auch wie die anderen, ( Q 1 5 ) , im Wasser tollen zu können."
a) b) c) d)
im Wasser im See im Schwimmbad darin
Analyse
n
m
inf
indet
g'=P 2 (g)
4
1
O
O
P
3
2
1/2
1
0
4
2
1/2 1
1
o
0
1
P
g
4
Diese Variable ist einerseits mit der vorherigen vergleichbar, so daß wir die Prädikate übernehmen können, andererseits liegen die Verhältnisse doch wieder anders. Mit dem Ersetzen von in Q . durch in..XjOC und dem Fehlen der Opposition "Wasserfläche" (P->) Ä vs. "Uferfläche" (~· 2 ) wird P~ Bestandteil der Grundkomponente g, und wir erhalten die reduzierte Zustandstabelle: Z
1 S P3 · P 4 Z 2 : P 3 . ^P 4
Z
3 : -· 3 * P 4 Z 4 : -,P3 . ^P 4
65
3.3.4. Adjektivische Adjunkte (Beispiele) Q_:
, : Original: "Wir suchten uns einen freien Platz unter den ? vielen Menschen! Analyse
a) b) c) d) e)
frei
P
ruhig
P
1 2
P.JVP 2VP V 3
schön sonnig
P
3
n
m
inf
4
4/8
1
4
4/8
1
7
7/8
0,2
4
4/8 1
1
8
0
n = 2 "schön" ist
offensichtlich
0
= 8
das allgemeinste der Adjektive, d . h .
wenn wir diese Adjektive als relative Adjektive übersetzen, so haben die Varianten ( a ) , (b) und (c) jeweils eine einigermaßen klare Skala,bezüglich derer ein Vergleich (bzw. eine Messung) vorgenommen werden kann. Beim Adjektiv "schön" bleibt offen, welche Eigenschaften der "Platz" haben soll. Wir gehen davon aus, daß er eine der genannten drei Eigenschaften haben soll. Wir können somit folgende Prädikate ansetzen: P.J: frei P 2 : ruhig P,: sonnig Während bei den Kernvariablen der Minimalwert O dann vorliegt, wenn die Grundkomponente vorhanden ist, ist
bei
A
-Adjunkten immer
die 0-Variante möglich (da die Adjunkte per definitionem fakultativ sind) und sie erhält den minimalen Explikationswert ( 0 ) . QQ: 9
1: A1
Original: "Vater pumpte meinen neuen bunten Schwimmreifen auf." Analyse
Zustände
n
m
inf
a) neu
P
Z1
'Z2'Z3
2
1/2
1
b) bunt c) farbig d) blaurot
P2 P2 P3
Z 1 2 ' 4 'Z5 Z1 Z ' 4
4 4
2/3 2/3
0,58 0,58
2
1/3
1,58
1
66
e) 0 f) neu, bunt
alle
g) neu, blaurot
VZ2
1· 2 ' 1· 3
6 2 1
1 2/6 1/6
1 ,58
2,58
Wir können drei Prädikate ansetzen. Die Abhängigkeit zwischen P» und P_ ist durch die Implikation (1) festgelegt; diese bewirkt auch die Beschränkung der Zustandstabelle auf nur sechs Zustände, P.. : neu (1) P,(g) ·> P „ ( g ) bunt bzw. farbig -: blaurot : P, : P, Z 4 : -,]
. -, .
V- 1 Zri
Q2g:
a) b) c) d) e)
> 2 ..P 3
-,]
..: Original: "Da ergriff mich eine feste Hand",
fest
fester stark sicher hart f ) groß g) 0
Analyse
n
m
inf
VP3 PrP3
2
1/4
2
2
1/4
P
4
P
4 4
1/2 1/2
2 1
1
3 P 1 P 2
4 3
1/2 1/2 1
1 1 1 0
Es ist klar, daß der Kontext sehr stark miteinbezogen werden muß, sonst ergäben sich wegen der Vielfalt der Gebrauchsmöglichkeiten dieser Adjektive gar keine Strukturen mehr. Da fast alle Adjektive vom Typ des relativen Adjektivs sind, suchen wir zunächst unabhängige Meßgrößen. Wir schlagen als Grunddimension vor: Kraft (der Hand) und Größe (der Hand) und nehmen beide Dimensionen als einigermaßen unabhängig an (zumindest im mittleren Bereich der
67
Skala, um den es hier geht). Die Sicherheit der rettenden Hand ist keine meßbare Eigenschaft der Hand, sondern eine subjektive (dieser vom Ertrinkenden zugewiesene) Eigenschaft, "sicher" ist deshalb ein nichtrelatives Adjektiv. Wir erhalten: P 1 : relativ stark P ? : relativ groß P ~ : sicher D i e Zustandstabelle h a t 2 = 8 Zustände. Ein etwas schwierigerer Fall liegt beim Possessivpronomen vor, das relativ häufig als -Adjunkt vorkommt und dessen Beschreibung wir bei der Analyse von V.. (Q-) in Kapitel 3.3.1. ausgeklammert hatten.
Q2: V a 1 ) ein Vater und sein Kind a 1 1 ) ein Vater und ein Kind Das Possessivpronomen gibt an, daß eine Relation der Zugehörigkeit zwischen dem Term, vor dem es steht, und einem textstrukturell und durch Genuskonkordanz feststellbaren zweiten Term besteht (diese Zugehörigkeit ist nur im Spezialfall eine Relation des Besitzens). Durch die Relation wird extensional eine Klasse von Paaren gebildet. Für ein festes Erstglied dieses Paares erhält man eine Klasse von diesem zugehörigen Individuentennen. Die Intersektion dieser Klasse mit der durch das Substantiv im Possessivausdruck bezeichneten Klasse ergibt die Unterklasse, die der ], Possessivausdruck extensional bezeichnet. Sei M = iy:R„„„ . (k,y)} £ugen· die Klasse der y, die einem bestimmten k zugehört (k ist konstant), so kann diese wie ein intersektives Prädikat behandelt werden.
a) mein
b) 0 P:
Analyse
n
m
inf
P Pv-P
1 2
1/2
1
1
o
Zugehörigkeit = ^^Zugehörigkeit (k ' v) }
bei
^gebenem k,
68 3.3.5. Quantitätsvariablen Q 4 : V 1 : Original: (Am1 Parkplatz^Q-) merkten wir schon, daß viel Betrieo war. rel.Adj. Analyse
a) b) c) d) e) f)
g)
viele Leute viele Besucher viele Menschen viel Betrieb viel los voll Unmengen von Leuten
P
1 P 1 P 1
Zust
Zl
1 'Z2
Z
1 'Z2 3 'Z4
2
Z
P
2
Z
1 P1
'Z2
Z
P
P
'
3 'Z4 Z 1 'Z2 Zi 'Z->
Nomen Analyse
n
m
inf
2 2 2 2
1/2 1/2 1/2 1/2
1
P
1
P
2
1/2
1
1
1/2
2
1/2
1
1
TP2 P 1
m
inf
1/2
1
1 /4
2 1
1 /2 1
1
g g g
1
P1
1/2
1
1 1
0 O 0 1
In Band I (166-168) haben wir festgelegt, daß Quantitätsangaben vor Pluralnomina als relative Adjektive zu behandeln sind. Wir analysieren deshalb viele in den Varianten (a) , (b) und (c) als relatives Adjektiv mit der Kardinalzahl der durch das Pluralnomen extensional bezeichneten Klasse als Meßdimensionen. Die Beschreibung von V1 (Q 4 ) wird jedoch dadurch erschwert, daß (1) einige Varianten kein Pluralnomen enthalten und (2) die Meßdimensionen bei diesen Varianten offensichtlich eine andere ist. Da jedoch intuitiv klar ist, daß in allen Fällen über die im Schwimmbad befindlichen Personen gesprochen wird, werden wir als nominale Grundkomponente ein sehr allgemeines Nomen "Lebewesen" ansetzen. Diese Grundkomponente ist einerseits in den Varianten (d) , (e) und (f) zwar nicht genannt, aber als Bezugsmenge vorausgesetzt, andererseits wird sie in den Varianten (a) , (b) , (c) und (g) weiter expliziert. Die Meßdimensionen für viel Betrieb, viel los und voll müssen interpretativ rekonstruiert werden. Wir setzen für die ersten beiden die Dimension Betriebsamkeit
und f ü r die
letztere die Dimension f F ischendichte an * N Sei ^ie Erwartun g s ~ norm, also die Bezugsgröße für das relative Adjektiv (siehe Band I: 152-157).
g = Lebewesen V
f
card< x )
> N
card
P
2 : f Betriebsamkeit (x)
P
3 : f Flächendichte (x)
> > N
Betriebsamkeit Flächendichte
Da die Fläche konstant ist, bedeutet relativ große Flächendichte und relativ große Anzahl dasselbe: P 1 (x)·*·-*· P, ( x ) , so daß wir nur vier Zustände erhalten. Das Ergebnis zeigt auf der Ebene der Adjunkte von Typ 1, den relativen Adjektiven, keine Explikationsunterschiede an. Die Unterschiede liegen vielmehr auf der Ebene der Varianten der Kategorie Nomen und der Adjunkte von Typ 2 (graduierende Adverbien) . Die nominale Komponente von V., enthält drei Elemente: (a) Leute, (b) Menschen, c) Besucher. Die Grundkomponente wurde bereits mit g = Lebewesen festgelegt. Wir führen folgenden Prädikate ein: P - : Menschen: Leute kann in diesem Kontext als synonym gelten P 2 : Besucher*: Besucher* gilt als tieferes Prädikat, das die Beschränkung des normalen Wortes "Besucher" auf Menschen nicht hat. Die Zustandstabelle ist deshalb ohne Restriktionen und hat 2 = 4 Zustände. Für die graduierenden Adverbien (Variante (e) in V1 und 1 ) gehen wir von drei Normdifferenzen aus: D..,D 2 ,D.j (siehe Band I: 159-162). Da die Normbereiche sich gegenseitig ausschließen, erhalten eine Tabell mit nur vier Zuständen.
. -. D 2
. -i D.,
3 Ohne solche Vereinfachungen ist nicht möglich.
eine Analyse in diesem Rahmen
70
Sei Unmengen* die graduierende Komponente des Ausdrucks Unmengen, so erhalten wir:
ziemlich sehr Unmengen* 0
Analyse
Zustände
n
m
inf
D
1
1/4
2
1
1/4
2
1
1/4 1
2
1 D 2 D 3
Z
1
Z
2
Z
3
D vD vD , 1 2 3
Z , , Z ,Z. , Z . 4 1' 2 -
4
0
Da wir durch das Additivitätspostulat die Explikationswerte der Variablen vom Typ 2 zu denen der Variablen vom Typ 1 addieren dürfen (siehe Band I: 191-197), erhalten wir z.B. folgende Gesamtwerte : rel.Adj.
Nomen
1 1 1 1
2 1 O O
sehr viele Besucher Unmengen von Leuten sehr viel Betrieb voll
grad.Adv.
Summe
2
5
2
4
2
. 3
0
1
Die Meßwerte für das graduierende Adverb (inklusive dem Wert für Unmengen*) gehören zum Explikationsindex für Adjunkte. V., ist eine Kernvariable und wird deshalb (ohne Unmengen*) im Index für die Explikation des Kerns berücksichtigt.
3.3.6. Adverbiale Adjunkte (Beispiele) Q24:
-: Original: und war mir ans Ufer gefolgt
Kontext: V.. = {folgen, nachgehen, nachlaufen
a ) leise b) 0
Analyse
n
P
1 1 / 2 2 1
-,
m
inf 1 O
...}
71
Es handelt sich um ein wobei-Adverb, d.h. . gibt nicht die Art und Weise des im Verb ( V 1 ) gegebenen Vorganges an, sondern eine gleichzeitige Eigenschaft, da das Leisesein nicht unbedingt eine Eigenschaft des Vorganges ist, der in V., analysiert wird. Der Handelnde vermeidet viel mehr ein Rufen, eine Geräuscherzeugung während des Vorganges (siehe Band I: 1 5 7 f ) . Wir können "leise" als relatives Adjektiv analysieren. P: leise=
f
Lautatäpke(*)
--P 5 (g) Sommertag enthält außerdem die Konnotation sommerlicher Tag. Diese Komponente ist kontextrelativ und fakultativ, (siehe die Unterscheidung zwischen "criterial component" und "connotation" bei Bendix, 1966 : 2 4 f f ) . Ähnlich kann bei Nachmittag und Sonntag eine Konnotation schulfrei angesetzt werden. Für Konnotationen müßten aber eigene Maße definiert werden. Wir stellen dieses eher diffizile Problem beiseite, es würde erst im Zusammenhang mit spezifisch darauf bezogenen soziolinguistischen Hypothesen für uns relevant. Die Positionsbestimmungen müßten natürlich systematisch vorgenommen werden; es liegen hier offensichtlich recht stark strukturierte semantische Felder vor.
75
Man könnte zusätzlich fordern, daß eine Implikationsrelation zwischen P 2 ^ un
c ad
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91
Fußnoten zur Tabelle in Kapitel 3 . 4 . 2 .
9
Diese Konnektoren sind unabhängig von den Clauseeigenschaften, da ihnen ( ,. . 2 ) als Bedeutung-zugeordnet wurde und Z^ und Z 1 2 bei allen Konstellationen der Clauseeigenschaften möglich sind (siehe Kapitel 3 . 4 . 1 . ) . 10 Die Beispiele zeigen nur ein typisches Auftreten des Konnektors. Es werden nicht für alle Clauseeigenschaften Beispiele gegeben; dies ergibt sich aus den Beschränkungen des Korpus. Zeitadverbiale in den Beispielsätzen werden bei der Analyse gemäß unserer Einteilung vernachlässigt. 11 Wenn keine Tiefenrelation vor* zu Grunde liegt, haben die Konnektoren "Pause" und "und" jeweils die minimalen Informationswerte bei gegebenen Clauseeigenschaften. 12 da hat meist mehrere Funktionen: (1) deiktische Funktion: im Sinne von "nach diesen Ereignissen", (2) Gliederungssignal: in unserem Text wird z.B. der Übergang zum Coda oft durch "da" markiert, (3) temporaler Konnektor.
92
3.4.3. Die Explikationsleistung der Zeitadverbien Bei der Beschreibung der Zeitrelationen konzentrieren wir uns auf den Aspekt Zeitdistanz zwischen Zeitintervallen, die den verbundenen Clauses zugeordnet sind. Wir unterscheiden vier Klassen von Distanzen: (1) Die Minimaldistanz D Min · Sie wird z . B . durch die Adverbien sofort und gleich realisiert. (2) Distanzen, die größer sind als D . ; z.B. bald, später. (3) Distanznormen, z . B . D 1 = nach einigen Minuten D 0 = nach einer Weile & g (4) Erwartungsdistanzen D . Der Sprecher setzt eine Zeitdistanz in Bezug zu einer im Kontext erwarteten Distanz. Wir können nun wie in den vorherigen Kapiteln, ausgehend von den elementaren Beziehungen der Zeitdistanz D , die Tabelle der a ,o möglichen Zustände konstruieren. Für unsere Analysen benötigen wir 6 elementare Relationen: Beispiele V
D
a,b * D Min
R
2 : D a,b + DMin E R,: j Da,D, < Da,D. E R4„ : Da,b , > Da,b , R D_ : D_cl f .D = D.l
R,.: , = D-2 6 Da,b
sofort bald
' später plötzlich, auf einmal _ D = erwartete Differenz endlich nach ein paar Minuten
nach einer Weile
FUr die aus diesen Relationen zu konstruierenden Zustandstabelle gelten folgende Beschränkungen: CD - ( R 1 . R 2 ) und -,(R 3 . R 4 ) und -(R S . R g ) In den beiden ersten Fällen ergibt sich die Beschränkung ays der Definition der Relation, im dritten Fall gehen wir von distinkten Distanznormen D 1 und D 2 aus.
93
(2)
R 1 -*· ->R.
. - R_
. - Rg bzw. R . v R,, v R, ->· R_
Würde diese Implikation nicht gelten, wäre D M . ein fragwürdiges Konzept. (3) R 3 ·* -R5 . -Rg Die temporale Komponente der Adverbien "plötzlich" und "auf einmal" ist mit festen Zeitdistanzen unverträglich. Wir erhalten: Z- : R.. . -.R2 . R, . -iR4 . -iRr . -.Rg R
R
Z ~ : R* · -« ? · -· 3 · -- 4 · -· · ~· 6 Z 3 : -,R. . R 2 . R-j . -,R4 . -,R5 . -,Rg
: wegen ( 2 ) : we
9en (2) : wegen (3) Beschränkungen
Z 5 : -R 1 . R 2 . -R 3 . R 4 . -iR 5 . R g 7 . R L· £ · —t *»