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German Pages 279 [282] Year 2023
Majk Feldmeier Freiheit und Rationalität
Kierkegaard Studies
Edited on behalf of the Søren Kierkegaard Research Centre by Heiko Schulz, Jon Stewart and Karl Verstrynge in cooperation with Peter Šajda
Monograph Series 47 Edited by Heiko Schulz
Majk Feldmeier
Freiheit und Rationalität Zur Rolle F.H. Jacobis im Denken Søren Kierkegaards
ISBN 978-3-11-099985-3 e-ISBN (PDF) 978-3-11-098954-0 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-099024-9 ISSN 1434-2952 Library of Congress Control Number: 2022948139 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2023 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck www.degruyter.com
Immer wieder höre ich auf die Töne in meinem Inneren, auf die frohen Winke der Musik und den tiefen Ernst der Orgel; sie zusammenzuarbeiten ist eine Aufgabe nicht für einen Komponisten sondern für einen Menschen, der sich mangels größerer Herausforderungen des Lebens auf die simple beschränkt, sich selbst verstehen zu wollen… Søren Kierkegaard, Journal JJ:103 (1843)
Vorwort Die vorliegende Studie wurde im Wintersemester 2021/22 an der Ruhr-Universität Bochum als Dissertation eingereicht und angenommen. Dies und alles, was darauf folgte, wäre ohne die Unterstützung vieler nicht geschehen, denen ich hier anstelle unnützer Worte schlicht danken möchte – ich allein wäre gescheitert. Mein erster und herzlicher Dank gilt Birgit Sandkaulen, ohne deren Anstoß und engagierte Betreuung diese Arbeit nicht entstanden wäre. Ebenso herzlich danke ich Anders Moe Rasmussen für die Übernahme des Zweitgutachtens und für sein Interesse. Mein besonderer Dank und mein Gedenken gelten Walter Jaeschke, der diese Studie von Beginn an begleitet hat, ihre Veröffentlichung jedoch leider nicht mehr miterleben konnte. Ich danke dem Ev. Studienwerk Villigst für die Förderung während meiner Promotion und Gordon Marino für die Zeit, die ich am St. Olaf College in Northfield, Minnesota verbringen durfte – die dortige Howard and Edna Hong Kierkegaard Library ist ein wundervoller Ort der Begegnung und der Ruhe. Ich danke den Herausgebern der Kierkegaard Studies Monograph Series, insbesondere Heiko Schulz, für die Aufnahme meiner Studie in die Reihe sowie Albrecht Döhnert und Katrin Mittmann für die Betreuung der Publikation. Mein besonderer Dank gilt meinen Freunden und Kollegen für die gemeinsame Zeit in Bochum, Northfield und sonstwo auf der Welt, für Gespräche und Musik: Thomas und Charlotte Leymann, Marcus und Uta Stevens, Moritz Süß und Rabea Stadthaus, ,my best unbeaten brothers‘ Tim Rohmann, Daniel Elon und Yoonoh Kye, Markus Gante und Angela Brellos, Theodor Berwe und Sarah Kissler, Felix Schneider, Simon Limbeck und Arne Laßen, Johannes-Georg Schülein und Oliver Koch, Pedro Franceschini, Giulia Bernard, Paolo Livieri, Fernanda Winter und Troy Wellington Smith. Ich danke meiner Familie, die nicht nur während der Zeit der Promotion stets und bedingungslos für mich da war. – Und ich danke dir, Lea Schmidt, für all das, wofür mir jeden Tag aufs Neue die Worte fehlen.
https://doi.org/10.1515/9783110989540-001
Inhalt Einleitung 1 . These und Methode 1 . Forschungslage: Kierkegaard im Kontext der klassischen deutschen Philosophie 5 10 . Gang der Arbeit . Rezeptionshistorische Vorbemerkungen 12 Auftakt: Kierkegaards Fichte-Kritik und ihre Nähe zu Jacobi 16 18 A . Das Missverhältnis von Denken und Wirklichkeit I: Kierkegaards Fichte-Kritik in Über den Begriff der Ironie (1841) 18 23 . Kierkegaard, ein Hegelianer? Eine Zwischenbemerkung . Das Missverhältnis von Denken und Wirklichkeit II: Jacobis Fichte-Kritik in seinem Brief an Fichte (1799) 27 33 B . Personsein und Selbstgefühl in Jacobis Brief an Fichte (1799) und der ‚Beilage III‘ zur zweiten Auflage der Spinozabriefe (1789) 33 . Kierkegaards frühe Journale (1835 – 36) und die Auseinandersetzung 38 mit Fichtes Die Bestimmung des Menschen (1800) Hauptteil: Die existenzielle Ethik der Climacus-Schriften 44 . Kierkegaard und Jacobi I: Die Philosophischen Brocken (1844) und Jacobis Argument eines wesentlichen Unterschieds von Grund und 46 Ursache .. Sachliche Vorbemerkung: Jacobis Doppelphilosophie und der Unterschied zwischen adjektiver und substantiver Vernunft 46 .. Zwei Theorien der Wahrheit 62 .. Die Kritik an Spinozas ontologischem Gottesbeweis 71 .. Die Modalontologie des ‚Zwischenspiels‘: Jacobis Unterscheidung von Grund und Ursache als sachlogische Pointe der Brocken 82 ... Fehlinterpretation I: κίνησις und ἀλλοίωσις als aristotelische Kategorien 84 ... Fehlinterpretation II: Das Problem der Bewegung in der Logik und der Einfluss Friedrich Adolf Trendelenburgs auf die Modalontologie der Brocken 86 ... Jacobis Unterscheidung von Grund und Ursache als sachlogische Pointe der Brocken 91
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Inhalt
Exkurs: Jacobis Argument von Grund und Ursache und das Problem 115 einer ‚ewigen Zeit‘ Zwischenfazit 125 Kierkegaard und Jacobi II: Die Abschließende unwissenschaftliche Nachschrift zu den Philosophischen Brocken (1846) und Jacobis Widerspruchsfigur des Salto mortale 128 Von den Brocken zur Nachschrift: Die Nachschrift als ‚ethische Untersuchung‘ 128 Sprung und Sprungkritik I: Die Handlungstheorie der Nachschrift 131 Die ‚Objektivität Spinozas‘: Das systemkritische Setting der 135 Nachschrift Der ‚Akt der Subjektivierung‘: Der Sprung als 148 Systemwiderspruch Das einschränkende Adverb ‚nur‘: Climacus’ erster Kritikpunkt an Jacobis Salto mortale 153 Inneres und äußeres Handeln, Entscheidung und Wiederholung: Die Handlungstheorie der Nachschrift und die Pointe des ersten 156 Kritikpunkts an Jacobis Salto mortale Exkurs: Negativität und Krise in Jacobis Woldemar (1796) 169 Sprung und Sprungkritik II: Die Mitteilungstheorie der 180 Nachschrift Sprung als ‚Akt der Isolation‘: Climacus’ zweiter Kritikpunkt an Jacobis 181 Salto mortale Climacus’ Methode eines pathetisch-ironischen Stils: Eine Friedhofserzählung 188 Climacus’ Methodologie der indirekten Mitteilung: Die erste LessingThese 194 Der Widerruf von Methode und Methodologie: Climacus’ ‚Verständigung mit dem Leser‘ 198 Exkurs: Abstrakte und unmittelbare Sprache bei Jacobi 201 Zwischenfazit 210 Kierkegaard und Jacobi III: Religion und Religiosität bei Jacobi und Kierkegaard 212 Die natürliche Religiosität des Menschen und Religion als sittlich-perfektionistische Praxis: Aspekte der Religionsphilosophie Jacobis 213 Die paradox-christliche Religiosität als Pointe der Nachschrift 224 Die Totalität des Schuldbewusstseins 227
Inhalt
... Vom Schuldbewusstsein zum Sündenbewusstsein als wesentliches 231 Kennzeichen der christlich-paradoxen ‚Religiosität B‘ ... Paradox und Ärgernis: epistemische Sünde und transformativer Glaube I 235 ... Der Schmerz der Sympathie und die Liebe: moralische Sünde und 241 transformativer Glaube II
Fazit
Literatur- und Siglenverzeichnis
Register
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265
255
XI
1 Einleitung 1.1 These und Methode „Ich leugne nicht“, so lässt Søren Kierkegaard sein Pseudonym Johannes Climacus bekennen, daß mich Jacobi des öfteren begeistert hat, wiewohl ich sehr gut sehe, daß seine dialektische Gewandtheit nicht im Verhältnis steht zu seiner edlen Begeisterung; aber er ist der Protest der Beredsamkeit eines edlen, unverfälschten, liebenswerten, reichbegabten Geistes gegen das systematische Einklemmen des Daseins, das siegreiche Bewußtsein und das begeisterte Kämpfen für die Überzeugung, daß die Existenz längere und tiefere Bedeutung haben muß als die paar Jahre, in denen man sich selbst vergißt über dem Studium des Systems. Armer Jacobi, ob jemand dein Grab besucht weiß ich nicht; aber ich weiß, daß der Pflug des § all deine Beredsamkeit, all deine Innerlichkeit niederpflügt, während ein paar ärmliche Worte als deine Bedeutung im System registriert werden.¹
Was auch immer dies für ‚ärmliche Worte‘ sein mögen, die Climacus hier im Auge hat, dieses Bekenntnis zu Jacobi zeugt von der Auffassung einer inneren Verbundenheit in der Sache. Nicht Ironisierung, Abschätzigkeit oder gar Spott ist hier herauszulesen, sondern unumwundene Wertschätzung. Und dies nicht nur deshalb, weil Climacus dieses sein Bekenntnis zu Jacobi als eines Denkers der ‚Existenz‘ und der ‚Innerlichkeit‘ in durchaus kritischer Perspektive formuliert – was es mit einem etwaigen Mangel an ‚dialektischer Gewandtheit‘ auf sich hat, wird noch zu klären sein. Climacus ist hier vor allem auch deshalb beim Wort zu nehmen, weil es nicht bei diesem bloßen Bekenntnis bleibt. Zwar sind die expliziten Referenzen auf Jacobi rar gesät und die impliziten oft nicht unmittelbar als solche zu erkennen. Jedoch platziert Kierkegaard – dies ist meine These, die ich im Folgenden plausibel machen möchte – nicht nur gezielt Jacobi’sche Argumente und Argumentationsfiguren in die Endgestalt seiner Schriften. Vielmehr schärft er die jeweils zur Darstellung kommende eigene Position in nicht unerheblichem Maße erst in der expliziten Auseinandersetzung mit diesen Argumenten und Argumentationsfiguren. Die vorfindlichen Referenzen auf Jacobi sind entsprechend nicht bloß marginale historische Reminiszenzen, sondern bilden systematisch entscheidende Gelenkstellen in der Entwicklung zentraler Gedanken der jeweiligen Schriften sowie ihrer argumentativen Entfaltung. Diese Arbeit untersucht folglich nicht bloß den ‚Einfluss‘ Jacobis auf das Denken Kierkegaards, sondern genauer die Art und Weise, wie Kierkegaard selbst Jacobi bewusst und SKS 7, 227 / AUN 1, 243. https://doi.org/10.1515/9783110989540-002
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1 Einleitung
explizit als einen Vorläufer des eigenen Denkens anerkennt und als unabdingbaren Gesprächspartner in den Prozess seiner Fortentwicklung einbezieht. Diese Einbeziehung geschieht am ausführlichsten in den sogenannten Climacus-Schriften, in den Philosophischen Brocken (1844) und in deren Abschließender unwissenschaftlicher Nachschrift (1846). Entsprechend wird sich meine Untersuchung in der Hauptsache auf diese Schriften konzentrieren, jedoch nicht ohne auch auf andere Schriften Kierkegaards sowie auf seine Journale und Aufzeichnungen, insbesondere aus dem Zeitraum der Abfassung und Veröffentlichung der Brocken und der Nachschrift, zurückzugreifen, um manches zu erhellen. Anders als an anderen Stellen ist nämlich in den Climacus-Schriften – so viel sei an dieser Stelle bereits gesagt – nicht nur Jacobis systemkritische Widerspruchsfigur des Salto mortale von Bedeutung, deren Verwandtschaft zu Kierkegaards Kategorie des Sprungs zumindest schon bemerkt worden ist.² Mindestens ebenso wichtig ist hier Jacobis Argument eines wesentlichen Unterschieds der Begriffe von Grund und Ursache, das, obwohl an zentraler Stelle der ClimacusSchriften installiert, innerhalb der Kierkegaard-Forschung bisher nahezu unbemerkt geblieben ist.³ In methodischer Hinsicht bedeutet dies nun genauer, dass es mir im Folgenden nicht um eine gleichwertige Untersuchung beider Autoren geht. Die hermeneutische Leitperspektive ist vielmehr stets die Perspektive Kierkegaards auf Jacobi. Dies bringt den Vorteil eines m. E. von Anfang an sehr viel stärkeren Rechtfertigungsgrundes für eine Studie zu Kierkegaard und Jacobi mit sich, insofern es so weder eines systematischen noch eines rezeptionsgeschichtlichen tertium comparationis bedarf; Kierkegaard bekennt sich wie gesagt selbst trotz aller kritischer Distanz entschieden zu Jacobi als Vorläufer seines Denkens. Mit Blick auf Jacobi selbst bringt dieser methodische Ansatz, Kierkegaards Perspektive zu folgen, jedoch zwei Probleme mit sich, die bereits hier in den Blick zu rücken sind: Zwar gilt für Kierkegaard nicht wie etwa für viele von Jacobis Zeitgenossen, allen voran Fichte, Schelling und Hegel, dass das Interesse seiner Jacobi-Rezeption letztlich darauf zielt, das provokative systemkritische Potenzial Jacobis zu entschärfen. Ganz im Gegenteil liest Kierkegaard Jacobi gerade in der Absicht,
Vgl. Scholtz 1967 und 1995, Kodalle 2004, Rasmussen 2009, sowie jüngst Dell’Eva 2020, 220 – 254. Dieses Argument ist erstmalig von Birgit Sandkaulen in ihrer umfassenden Studie zu Jacobis Philosophie (Sandkaulen 2000) in den Fokus der Forschung gerückt worden. Dieser neuen, die vielfachen Fehldeutungen Jacobis korrigierende Forschungsperspektive, die, wie sich herausstellen wird, in bestimmter Weise die Perspektive Kierkegaards immer schon war, verdanken sich auch meine Überlegungen zu Jacobi in dieser Arbeit.
1.1 These und Methode
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sich in die Nachfolge dieser Provokation zu stellen und durchaus auch deren systemkritisches Potenzial gegen den Hegelianismus eines Hans Lassen Martensen oder Johan Ludvig Heiberg erneut in Stellung zu bringen. Trotzdem läuft man Gefahr, Jacobis authentische Position auch hier zu verstellen. Denn auch Kierkegaards Perspektive ist nicht frei davon, vorhandene Differenzen zu Jacobi weniger mit Absicht zu unterschlagen als vielmehr in der Folge einer unterschiedlichen, vor allem anthropologischen Grundannahme nicht gänzlich erfassen zu können. Inwiefern? M. E. geht es beiden ganz fundamental um die Frage nach den Bedingungen der Möglichkeit gelingender Lebensführung. Beide verfolgen mit ihrem schriftstellerischen Gesamtwerk mithin das Projekt einer praktischen Philosophie im existenziell-ethischen Sinne. In dieser Hinsicht rekurriert Kierkegaard ganz zurecht auf Jacobi und erkennt entsprechend hellsichtig das umfassende Potenzial seines Denkens, indem er nicht nur das Argument eines Unterschieds der Begriffe von Grund und Ursache und die systemkritische Widerspruchsfigur des Salto mortale treffsicher als die ‚tragenden Säulen‘ der Jacobi’schen Philosophie identifiziert. Er erkennt sie gerade auch in ihrer genuin praktischen Bedeutung an und entfaltet und schärft sein Denken nur ganz folgerichtig in der Auseinandersetzung mit ihnen. Die anthropologische Grundannahme, von der ich zuvor sprach, ist im Falle Kierkegaards aber eine letztlich religiös-christlich bedingte: Seine ethischen Überlegungen gipfeln (wohlgemerkt als ethische Überlegungen und nicht ihnen entgegen) in dem Gedanken einer notwendigen Anerkennung der fundamentalen Sündhaftigkeit des Menschen und der Möglichkeit ihrer Überwindung durch den Glauben an den in Jesus von Nazareth Mensch gewordenen Gott. Wie sich noch zeigen wird, ist dies indes ein ganz un-Jacobi’scher Gedanke. Für Jacobi geht es am Ende um den Aufweis der fundamentalen Möglichkeit des Menschen, sich in der Aufmerksamkeit auf die Erfahrung der eigenen Freiheit über die eigene Naturbedingtheit erhoben und sich in diesem Sinne buchstäblich auf ein ‚metaphysisches‘ Unbedingtes verwiesen zu finden. Dieses Unbedingte kann dann auch für Jacobi nicht anders als ‚Gott‘ genannt werden. Aber, wie es in der Debatte mit Matthias Claudius in der Schrift Von den Göttlichen Dingen und ihrer Offenbarung (1811) heißt, im Sinne eines Gottes, der nicht in Jesus von Nazareth als mir qualitativ unverfügbarem Anderen, sondern „in uns“, d. h. in jedem einzelnen Menschen „Mensch wurde, und einen andern zu erkennen ist nicht möglich.“⁴ Aufs Engste verwoben mit dieser Rede vom ‚Gott in uns‘ ist bei Jacobi dann auch die Unterscheidung zweier Vernunftvermögen, eines sowohl diskursiv-dia-
JWA 3, 42.
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1 Einleitung
noetischen Verstandes als auch einer intuitiv-noetischen Vernunft im dann engeren Sinne, die nicht nur die doppelphilosophische Anlage seines Denkens, seinen „Spinoza und Antispinoza“⁵, sondern in der Folge dessen auch die interne Dialektik seines Arguments eines Unterschieds von Grund und Ursache bestimmt. Hingegen verfügt Kierkegaard nicht nur lediglich über einen einfachen Vernunftbegriff, über denjenigen des diskursiv-dianoetischen Verstandes. Vor dem Hintergrund seiner christlich-religiösen Anthropologie ist dieser Verstand darüber hinaus auch von der genuinen Sündhaftigkeit des Menschen mit betroffen, sodass für Kierkegaard gerade auch in dieser Hinsicht nicht nur von einem ‚Gott in uns‘ keine Rede sein kann, sondern ihm auch eine wesentliche Dimension des Jacobi’schen Arguments eines Unterschieds von Grund und Ursache entzogen bleibt. Darauf, was das im Einzelnen heißt, komme ich später zu sprechen. Zunächst ist das zweite methodische Problem zu benennen: dasjenige nämlich, dass von Kierkegaard in dann näherhin kritischer Perspektive auf Jacobi Differenzen behauptet werden, die – zumindest in der Weise, wie sie gemeint sind – nicht bestehen. Auch hier besteht die Gefahr der Verstellung. Die Differenzen, die Kierkegaard markiert, betreffen neben dem implizit aus Climacus’ Sprungkritik sich ergebenden Kritikpunkt, Jacobi verfüge über keinen Sinn für die Negativität und Krisenanfälligkeit menschlichen Handelns, die Frage, ob und in welchem Maße Jacobi aufmerksam ist auf die Unzulänglichkeit sprachlicher Kommunikation zur Vermittlung existenziell bedeutsamer Gehalte. Inhaltlich auch dazu erst später mehr. Hier ist auf Folgendes hinzuweisen: Um diesen Problemen methodisch Rechnung zu tragen, werde ich an gegebenen Stellen den an der Kierkegaard’schen Perspektive orientierten Argumentationsgang unterbrechen, um Vorbemerkungen zu Jacobi und Exkurse zu den oben bereits genannten Aspekten seines Denkens einzuschieben. Insbesondere diese Exkurse widmen sich der Frage, ob die zuvor dargestellte Affirmation von und Kritik an Jacobi’schen Denkfiguren durch Climacus Jacobis eigener Position gerecht wird, indem Jacobi dort jeweils selbst zu Wort kommt. Trotz der sich hier also schon andeutenden Differenzen ist noch einmal zu betonen: Das Ziel meiner Arbeit ist es, die Bezugnahmen sowohl auf das Argument eines Unterschieds von Grund und Ursache als auch auf die Widerspruchsfigur des Salto mortale als für die Climacus-Schriften entscheidende Gelenkstellen und damit zugleich als sachliche Einheit auszuweisen. Diese Einheit ist erstens nur im Kontext einer trotz aller Vielfalt der behandelten Themen und ihrer zum Teil rhapsodisch anmutenden Anordnung ebenso einheitlichen Anlage
JWA 1,1, 274.
1.2 Forschungslage
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der Climacus-Schriften zu verstehen: nämlich im Kontext ihrer einheitlichen Anlage als Entwurf einer existenziellen Ethik. Die Einheit der Bezugnahme auf Jacobi vermag dann aber auch und umgekehrt zweitens diese einheitliche Anlage der Climacus-Schriften als eine solche erst in besonderer Prägnanz herauszustellen, indem sie zugleich drittens Jacobi immer schon als einen konsequent an der Freiheit des Einzelnen und der Frage nach dem Gelingen praktischer Lebensführung interessierten Denker (und nicht etwa als einen unsystematisch agierenden Gefühlsphilosophen oder pietistischen Schwärmer) präsentiert, der innerhalb einer existenziellen Ethik also durchaus am rechten Ort ist. Kurzum: Nicht nur soll Kierkegaard trotz aller unerfasster Differenzen als ein durchaus hellsichtiger Interpret entscheidender Gedanken Jacobis, sondern diese Gedanken Jacobis in noch höherem Maße als entscheidendes Interpretament für die Climacus-Schriften Kierkegaards, und damit für sein Denken insgesamt, ausgewiesen werden.
1.2 Forschungslage: Kierkegaard im Kontext der klassischen deutschen Philosophie Ein solch doppelter Anspruch, sowohl Kierkegaard als hellsichtigen Interpreten Jacobis als auch die von ihm rezipierten Gedanken Jacobis als entscheidendes Interpretament für sein Werk ausweisen zu wollen, ist ein in beiderlei Hinsicht immer noch neuer. Denn erstens wird Jacobi damit nicht mehr nur als der, wie Fichte hervorhebt, „mit Kant gleichzeitige[] Reformator der Philosophie“⁶ ins Licht gerückt, ohne dessen wegbereitende Spinoza-Rekonstruktion, die durchgreifende Auseinandersetzung mit Kant sowie den fortwährend kritischen Einspruch es die vielfältigen Denkentwicklungen der klassischen deutschen Philosophie und ihrer Systementwürfe nie gegeben hätte. Jacobi erscheint darüber hinaus auch als ein Wegbereiter derjenigen philosophischen Tradition, die mit Kierkegaard über die Existenzphilosophie und den französischen Existenzialismus bis heute fortwirkt und, so heißt es in einer jüngst erschienen Veröffentlichung zur Geschichte und Gegenwart dieser Tradition, immer noch dort virulent wird, wo es um „die konkrete lebensweltliche Situation individueller Menschen“ und die gegen Verallgemeinerungs- und Verobjektivierungstendenzen auch phi-
GA I,7, 194.
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1 Einleitung
losophischer Wissenschaft kritisch in Stellung zu bringende „Innenperspektive gelebten Lebens“ geht.⁷ Umgekehrt rückt damit aber auch Kierkegaard in ganz anderer Weise als bisher in eine größere Nähe zur klassischen deutschen Philosophie. Betrachtet man nämlich die Forschungsliteratur zu Kierkegaard, so wird eine solche Nähe zwar zunehmend differenzierter untersucht und gegen die durch Karl Löwith aufgekommene, immer noch verbreitete Auffassung in Stellung gebracht, Kierkegaard stünde im Kontext eines dann auch mit Nietzsche zu assoziierenden ‚Bruchs im Denken des 19. Jahrhunderts‘.⁸ Bis auf wenige Ausnahmen, auf die ich noch zu sprechen kommen werde, spielt Jacobi hier allerdings noch nahezu keine Rolle. Es dominieren die bekannten Perspektiven auf Kierkegaards Verhältnis zu Fichte, Schelling und – immer noch allem voran – Hegel. Dies ist natürlich keineswegs zu bedauern. Denn insbesondere erfährt der klassische Topos einer pauschalen Gegnerschaft Kierkegaards zu Hegel seit einigen Jahren eine erfreuliche Differenzierung, indem vor allem in den Arbeiten Jon Stewarts die oft verkannten positiven Bezüge zu Hegel herausgestellt und damit zugleich die Vertreter eines dänischen Hegelianismus als die eigentlichen Adressaten von Kierkegaards Kritik an ‚System‘ und ‚Spekulation‘ erkannt werden.⁹ Auch Kierkegaards Fichte-Rezeption ist seit den Anfängen vor allem der deutschsprachigen Kierkegaard-Forschung ein Gegenstand der Untersuchung. Nach den Kierkegaard-Studien Emanuel Hirschs,¹⁰ die noch von einer stark fich-
Sölch/Victor 2021, 8. Erst allmählig wird Jacobi als ein Vorläufer und Wegbereiter existenzphilosophischen Denkens benannt, wenn etwa Anders Moe Rasmussen mit Blick auf Jacobis Programmformel vom ‚Dasein enthüllen‘ davon spricht, dass sich hierin nicht nur die „Vision einer Denkungsart“ erkennen lässt, „die darauf ausgerichtet ist, das je einzelne Dasein gegen alle objektivierenden Vormeinungen aus der Perspektive seiner lebenspraktischen Orientierung nachzuzeichnen“, sondern sich in dieser Formel auch das „erste Dokument der Existenzphilosophie“ findet, die „von Kierkegaards Existenzdenken bis zur Phänomenologie im Sinne Heideggers“ reicht (Rasmussen 2014, 49). Auch Andreas Luckner und Sebastian Ostritsch bezeichnen Jacobi in diesem Sinne als „Existenzdenker avant la lettre“ (Luckner/Ostritsch 2018, 95). Vgl. insbesondere Hutter/Rasmussen 2014. Vgl. auch Hühn/Schwab 2015. Vgl. insbesondere Stewart 2003. Dass diese differenziertere Sicht von Stewart nicht erstmalig vertreten, sondern nur am ausführlichsten ausgearbeitet worden ist, zeigen konzentriert die von Heiko Schulz (Schulz 2000, 171 f. [Anm. 4– 6]) zusammengetragenen Positionen. Auch wenn es mittlerweile also Konsens ist, dass die eigentlichen Adressaten von Kierkegaards HegelianismusKritik unter den dänischen Hegelianern seiner Zeit zu suchen sind, heißt das jedoch nicht, dass die von Kierkegaard geäußerten Kritikpunkte nicht auch Hegel selbst treffen. Darauf sei für den Moment nur hingewiesen. Ich werde im Laufe dieser Arbeit noch mehrfach und ausführlicher auf die Gründe für diese Behauptung zu sprechen kommen. Hirsch 1930 ff.
1.2 Forschungslage
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teanischen Perspektive ihres Verfassers geprägt sind,¹¹ versammeln zuletzt die von Jürgen Stolzenberg und Smail Rapic herausgegebenen Aufsätze neue und vielversprechende Interpretationen des Kierkegaard’schen Werkes im Ausgang von unterschiedlichen Aspekten der Fichte’schen Philosophie.¹² Ohne bereits auf Einzelheiten dieser Interpretationen einzugehen, sei hier lediglich gesagt: Trotz all der Gemeinsamkeiten, die vor allem im Bereich der praktischen Philosophie zumindest nicht völlig abwegig erscheinen, bezieht Kierkegaard sehr früh – dies werde ich zum Auftakt meiner Untersuchungen zu den Climacus-Schriften herausstellen – eine dezidiert kritische Position zu Fichte, die ihn damit noch vor der Bekanntschaft mit Jacobis Schriften in eine bemerkenswerte sachliche Nähe zu dessen Fichte-Kritik rückt.¹³ Neben den immer auch unternommenen Versuchen, Kierkegaard von Kant her in den Blick zu nehmen,¹⁴ ist es über Hegel und Fichte hinaus aber insbesondere Schelling, dessen Spätphilosophie als entscheidendes Interpretament zum Verständnis von Kierkegaards Werk herangezogen wird. Neben spezifischeren, etwa am Freiheitsbegriff orientierten Ansätzen¹⁵ unternimmt aktuell vor allem Lore Hühn den umfassenderen Versuch, in der „Problematisierung des subjektivitätstheoretischen Paradigmas“¹⁶ in den Auseinandersetzungen zwischen Fichte und Schelling den historisch-hermeneutischen Horizont zu suchen, von dem her auch Kierkegaard zu verstehen sei. Dieser orientiere sich, so Hühns These, in seiner Vernunft- und Metaphysikkritik allem voran an der in der Philosophie der Offenbarung explizierten „Fundamentaldifferenz von möglichem und wirklichem Seienden“¹⁷, die er als Hörer Schellings in Berlin 1841/42 vermittelt bekommen habe und in seine kritische Auseinandersetzung mit Hegel und dessen Vermittlungsdialektik übersetze.¹⁸
Vgl. Wilke 2005. Vgl. Stolzenberg/Rapic 2010. In der amerikanischen Kierkegaard-Forschung ist zuletzt v. a. Michelle Kosch (Kosch 2006) mit einem Ansatz hervorgetreten, insbesondere Kierkegaards Verständnis des Ethischen von Fichte her zu lesen. Einen Überblick über Gemeinsamkeiten mit, aber auch Unterschiede zu Fichte gibt auch Kangas 2007. Vgl. dazu auch den jüngst publizierten Vortrag von Nicola Ramazzotto (Ramazzotto 2020), der sich in der an der Fichte-Kritik orientierten Darstellung der systematischen Gemeinsamkeiten Kierkegaards und Jacobis jedoch nicht auf die frühen Journale und Aufzeichnungen Kierkegaards, sondern auf dessen pseudonyme Schriften, insbesondere auf Die Krankheit zum Tode, konzentriert. Auf diese Schrift Kierkegaards werde ich nur kurz zu sprechen kommen. Vgl. Green 1992 und 1994 sowie Knappe 2004. Vgl. auch Rapic 2007. Vgl. die in Hennigfeld/Stewart 2003 versammelten Aufsätze. Vgl. auch Hennigfeld 1999. Hühn 2009, 7 ff. Ebd, 89. Vgl. dazu auch Schwab 2014.
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1 Einleitung
Dass es demgegenüber aber vielmehr Jacobi ist, dessen Argument eines wesentlichen Unterschieds von Grund und Ursache Kierkegaard in seinen ClimacusSchriften dazu befähigt, die eigene Position mithilfe der modalontologischen Unterscheidung von dann notwendigem Seienden auf der einen und möglichem und wirklichem Seienden auf der anderen Seite philosophisch zu fundieren, werde ich im Laufe meiner Arbeit ausführlich zeigen. Dies rückt dann auch die in seinem Werk vorfindlichen rationalitäts- und systemkritischen Gedanken in einen anderen, analog zur Affirmation Jacobis sehr viel stärker am Paradigma des Spinozismus orientierten Zusammenhang.¹⁹ Hier ist zunächst aber das Folgende zu bemerken: Bereits angesichts der nicht unbekannten Tatsache, dass Kierkegaard, nach anfänglich hoher Erwartung schwer enttäuscht, den Besuch von Schellings Vorlesungen vorzeitig abbrach, um ganz Berlin den Rücken zu kehren – auch dazu im Folgenden noch Genaueres –, erscheint die ebenfalls auf den Kontext Kierkegaard‒Schelling zielende These Anders Moe Rasmussens sehr viel plausibler, Kierkegaard und Schelling als Erben einer gemeinsamen Tradition von Vernunftkritik zu verstehen, die sich in der Philosophie Jacobis vorbereitet findet.²⁰ Neben dem Versuch Klaus-M. Kodalles, Kierkegaard als „lebenspraktische[n] Vollzieher eines Salto mortale“²¹ auszuweisen, ist Rasmussen von dieser Einzig Klaus Schäfer bemerkt in seiner systematischen Studie zur Ontologie der ClimacusSchriften richtig, dass sich für Kierkegaard durch die Vermittlung Jacobis das Denken Spinozas „als die radikale, also über die idealistischen Systementwürfe hinaus sachlich ausschlaggebende Gestalt der vom Cogito her ansetzenden neuzeitlichen Metaphysik dar[stellt].“ (Schäfer 1968, 121) Zugleich verkennt er jedoch die damit sachlich korrelierende Affirmation des Jacobi’schen Zentralarguments gegen Spinoza, wie es im ‚Zwischenspiel‘ der Brocken begegnet, in eklatanter Weise: Schäfer interpretiert die bereits zitierte Aussage Climacus’, Jacobis „dialektische Gewandtheit“ stehe „nicht im Verhältnis…zu seiner edlen Begeisterung“ so, dass Jacobi aus Climacus’ Sicht „seinen Gegnern gedanklich unterlegen“ erscheine, da sein Denken von einem „platonisierende[n] metaphysische[n] Schema“ geprägt sei, „ohne von ihm eigens durchdacht zu sein“, und ihn „der Rückzug auf eine von keiner Reflexion kontrollierbare Instanz“ der von Climacus angestrebten „ontologischen Untersuchung“ überhebe. So weise Jacobi lediglich „auf die Aporien einer Systematik hin, die alles begründend umfassen und aus einem Einheitsgrund als dem Unbedingten folgern will. Er zwingt dadurch und durch seine Unterlegenheit die Pseudonyme zur Auseinandersetzung mit Spinoza, Leibniz und Descartes selbst.“ (Ebd. 121 ff.) Mir erscheint es jedoch nicht sinnvoll, hier von einer bloß hinweisenden und zu Spinoza, Leibniz und Descartes überleitenden Rolle Jacobis zu sprechen. Vor allem die von mir im Folgenden aufgewiesene Affirmation und Integration von Jacobis Argument eines Unterschieds von Grund und Ursache zeigt, dass Jacobi für Climacus, zumindest an dieser Stelle, ein überlegenes Argument bereithält. Rasmussen 2003 und 2014. Kodalle 2004, 421. Der hier von Kodalle unternommene Versuch einer Verhältnisbestimmung des Kierkegaard’schen zum Jacobi’schen Denken steht beispielhaft für all diejenigen Versuche, die deshalb scheitern, weil sie sich ausschließlich an der Sprungfigur orientieren, um dann von
1.2 Forschungslage
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These ausgehend bisher der einzige, der dem Verhältnis Kierkegaard‒Jacobi eine eigenständige Untersuchung widmet, wenngleich nur in Form eines Aufsatzes.²² Dazu ein paar Worte mehr: Rasmussen konzentriert sich in der Hauptsache auf eine der wenigen expliziten Erwähnungen Jacobis in Kierkegaards Werk. Ausgehend von derjenigen Passage der Nachschrift, die die groben Züge des in den Spinozabriefen wiedergegebenen Gesprächs zwischen Jacobi und Lessing nachzeichnet, rekonstruiert er zunächst zwei Einwände, die Kierkegaard sein Pseudonym Johannes Climacus gegen Jacobis Auffassung eines Sprungs vorbringen lässt: „(1) the notion of the leap is misplaced; (2) the notion of the leap is misconceived.“²³ Im zweiten Hauptkapitel dieser Arbeit wird sich zeigen, dass ich damit im Wesentlichen übereinstimme. Ohne hier jedoch genauer auf diese Rekonstruktion einzugehen, ist es vor allem die sich daran anschließende und das schmale Feld der expliziten Referenzen auf Jacobi überschreitende Herausstellung einiger Gemeinsamkeiten beider Denker, die das Verdienst der Überlegungen Rasmussens darstellt. Unter dem Rubrum „Strategy and Style of Thinking“²⁴ umreißt Rasmussen zwei Gedanken. Erstens stellt er die Überlegung an, dass Kierkegaard wie Jacobi nicht nur die eigene philosophische Position, sondern vielmehr die damit einhergehende Denkungsart in expliziter Kontrastierung zu einer bestimmten Form eines kohärenten philosophischen Systems entwickeln und darstellen. Dem Hegelianismus, gegen den Kierkegaard polemisiert, komme so in formaler Hinsicht eine ähnliche Bedeutung zu wie dem Spinozismus, dem Jacobi widerspricht. Zweitens hänge mit diesem formalen der inhaltliche Aspekt des konkreten Anliegens zusammen, gegenüber einer umfassenden Rationalität bestimmte Bereiche menschlicher Existenz zu verteidigen. Entsprechend der Konzentration auf die besagte Passage aus der Nachschrift fokussiert Rasmussen zunächst das Problem der Zeit, um dann mit dem Gegensatz von „Actuality versus Abstract-
dorther Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu Jacobis Salto mortale aufzuweisen, oder im schlimmsten Fall schlichtweg behaupten, bei Kierkegaards Sprung und Jacobis Salto mortale handele es sich um mehr oder weniger das gleiche. Auch eine differenzierte Untersuchung der Sprungfigur bei Kierkegaard und Jacobi muss – dies soll im Laufe meiner Arbeit deutlich werden – von der primären Affirmation und Integration des Jacobi’schen Zentralarguments eines Unterschieds von Grund und Ursache in den Brocken ausgehen, um von dorther die in der Nachschrift vorfindliche kritische Auseinandersetzung mit Jacobis Salto mortale verstehen und bewerten zu können. Rasmussen 2009. Ebd., 38. Ebd., 40 ff.
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1 Einleitung
ion“²⁵ einen umfassenderen Rahmen für gemeinsame Motive im Denken Kierkegaards und Jacobis zu skizzieren.²⁶ Diese von Rasmussen umrissenen systematischen Parallelen, stellen einen wichtigen, aber lediglich ersten Schritt auf dem Weg dar, die Lücke eines zu verzeichnenden Forschungsdesiderats zu füllen. Die nun dargestellte Forschungslage zeigt zwar an, dass durchaus versucht wird, die so wirkmächtig gewordenen eigenen Wege, die Kierkegaard gegenüber der klassischen deutschen Philosophie letztlich einschlägt, nicht nur schlicht als Opposition zu den Systementwürfen dieser Epoche zu verstehen. Vielmehr werden die durchaus produktive Verarbeitung zentraler Motive ihrer Protagonisten sowie die vor diesem Hintergrund bedeutsamen Kontroversen der Zeit als unabdingbare Folie seines Denkens wahrgenommen. Hinsichtlich beider Aspekte bildet Jacobi jedoch noch immer eine Ausnahme und markiert so einen noch vorhandenen Mangel in der KierkegaardForschung. Durchaus an die von Rasmussen umrissenen Parallelen anschließend, diese jedoch überschreitend, ergibt sich entsprechend folgender Gang meiner Arbeit, die diesen Mangel – zumindest zu einem großen Teil – zu beheben beabsichtigt.
1.3 Gang der Arbeit Nach rezeptionshistorischen Vorbemerkungen, die noch als Teil dieser Einleitung folgen, zielt meine Arbeit auf die Untersuchung der sachlich-systematischen Rolle Jacobis in den Climacus-Schriften Kierkegaards. Diese zeugen davon, dass Jacobi in zwei wesentlichen Hinsichten als Gewährsmann und Gesprächspartner von Kierkegaard ernst genommen, mithin zur Ausarbeitung und Darstellung seines Denkens herangezogen wird:
Ebd., 42 ff. Auffällig ist hier, dass Rasmussen einen Unterschied zwischen Jacobi und Kierkegaard geltend macht, indem er zwar darauf hinweist, dass Kierkegaard vermehrt, z.T. sogar mit expliziter Referenz auf Jacobi, dessen Unterscheidung von Grund und Ursache heranzieht, um seine Position zu stützen, zugleich aber in der Betonung des volitionalen Aspekts des Glaubensbegriffs über Jacobi hinausgehe, der besagtes Argument in einem ausschließlich epistemologischen Kontext verwende und mithin sein erkenntnistheoretisches und sein praktisch-ethisches Anliegen unverbunden nebeneinander stehen lasse (vgl. ebd., S. 43). So scheint er der erkenntnistheoretischen Engführung, die Günther Baum in seiner Jacobi-Deutung (Baum 1969) vollzieht, ein gewisses Recht einzuräumen (vgl. Rasmussen 2009, 43 [Anm. 28]). Gegen diese Engführung Baums vgl. Sandkaulen 2000, 60 (Anm. 60). Zur genuinen Verbundenheit des erkenntnistheoretischen und des praktischen Anliegens Jacobis vgl. über Sandkaulen 2000 hinaus insbesondere auch Sandkaulen 2019a, 33 – 53.
1.3 Gang der Arbeit
11
Im Horizont des grundsätzlichen Bekenntnisses zu Jacobi als eines Denkers der ‚Innerlichkeit‘ und der ‚Existenz‘ liefert Jacobi Kierkegaard erstens das zentrale Argument eines wesentlichen Unterschieds von Grund und Ursache, auf dessen Grundlage sich die modalontologische Fundierung der existenziellen Ethik der Climacus-Schriften, wie sie im ‚Zwischenspiel‘ der Brocken vorgenommen wird, nicht nur ergibt, sondern auf das sich Climacus in der Fortführung seiner Ethik in der Nachschrift auch rückbezieht. Das erste Kapitel des Hauptteils dieser Arbeit (3.1.) widmet sich folglich der konzentrierten Analyse dieses ‚Zwischenspiels‘ und des darauf hinleitenden Kontextes der Brocken. Zweitens erfolgt auch die Ausarbeitung der näherhin existenziell-ethischen Position der Climacus-Schriften in Rückgriff auf Jacobi. Das zweite Kapitel des Hauptteils (3.2.) widmet sich entsprechend dieser Ausarbeitung, wie sie Kierkegaard Climacus hauptsächlich in der Nachschrift in kritischer Auseinandersetzung mit Jacobis Salto mortale vornehmen lässt. In einem dritten und letzten Kapitel (3.3.) gilt es, die Unterschiede zwischen Kierkegaard und Jacobi noch einmal mit Blick darauf auf den Punkt zu bringen, wie sie sich im jeweiligen Verständnis von Religiosität und Religion kristallisieren. Nicht nur laufen hier diejenigen Fäden zusammen, die sich mit den oben bereits genannten Exkursen parallel zu Kierkegaards Perspektive auf Jacobi aufspannen werden. Climacus selbst schließt seine kritische Auseinandersetzung mit Jacobis Salto mortale in der Nachschrift mit dem expliziten Hinweis auf die Dimension der Religiosität: Mit Blick auf das, so Climacus, „was sich gerade nicht denken läßt, [ist] es dem einzelnen anheim[ge]stellt, ob er sich kraft des Absurden entschließen will, es gläubig anzunehmen.“²⁷ Um diese Dimension der Religiosität in dem für diesen Zusammenhang entscheidenden Maße übersehen zu können, ist es nötig, den Blick über die Climacus-Schriften hinaus auf Kierkegaards Schrift Der Liebe Tun (1847) zu werfen, die im Anschluss an die ClimacusSchriften unter Kierkegaards eigenem Namen erscheint und bis dahin mit und gegen Jacobi herausgearbeitete Grundgedanken in anderer Perspektive fortführt und ergänzt. Diesen Hauptkapiteln wird ein Auftakt-Kapitel (2.) vorangestellt, in dem eine bereits in den frühen Journalen und Aufzeichnungen Kierkegaards, d. h. vor der Zeit seiner Bekanntschaft mit Jacobis Schriften auszumachende sachliche Nähe zu Jacobi, genauer zu dessen Fichte-Kritik, aufgewiesen werden soll. Diese ist in der Kierkegaard-Forschung bisher unbemerkt geblieben, macht es jedoch nur umso plausibler, dass sich Kierkegaard in der später sich anschließenden phi-
SKS 7, 98 / AUN 1, 93.
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1 Einleitung
losophischen Fundierung und argumentativen Entfaltung seines Denkens explizit auf Jacobi bezieht. Abschließend wird ein Fazit gezogen (4.).
1.4 Rezeptionshistorische Vorbemerkungen Trotz des wesentlich systematischen Interesses meiner Untersuchung, gilt es zunächst ein paar wenige rezeptionshistorische Bemerkungen voranzuschicken. Diese sprechen für eine direkte Auseinandersetzung Kierkegaards mit Jacobi während der hier entscheidenden Periode seiner schriftstellerischen Tätigkeit und rechtfertigen den von mir verfolgten Ansatz einer systematischen Analyse der Perspektive Kierkegaards auf Jacobi bereits zu Beginn in noch anderen Maße. Drei Punkte sind hier von Belang. Erstens ist hervorzuheben, dass Kierkegaard die Schriften Jacobis, anders als im Falle anderer Philosophen, z. B. Hegels oder Schellings, in vollständiger Ausgabe besessen hat.²⁸ Aber nicht nur das. Zweitens weisen die von der Königlichen Bibliothek Kopenhagen erworbenen und dort von mir in Augenschein genommen Originalexemplare dieser Ausgabe aus Kierkegaards Privatbibliothek²⁹ eine Vielzahl von Unterstreichungen sowie handschriftliche Anmerkungen auf, die den bereits von den Herausgebern der ersten Auflage der Papirer angegebenen Kriterien dafür entsprechen, sie als eindeutig von Kierkegaards Hand stammend zu identifizieren und von denjenigen der Nachbesitzer dieser Bände – dazu gehörte u. a. der dänische Philosoph und Freund Kierkegaards Hans Brøchner – zu unterscheiden.³⁰ Es ist insbesondere dieser Punkt, der für eine direkte Rezeption Jacobis durch Kierkegaard und gegen eine bloß über Sekundärquellen vermittelte Aneignung von dessen Gedanken spricht, wie sie z. B. für den Fall von Kierkegaards Hegel-Rezeption diskutiert wird.³¹ Der dritte rezeptionshistorisch interessante Punkt ist der folgende: Wann genau Kierkegaards Auseinandersetzung mit Jacobi eingesetzt hat, ist nicht exakt zu rekonstruieren. Belege für Erwerb oder Bindung von Jacobis Werken sind,
Friedrich Heinrich Jacobi’s Werke, Bde 1– 6, hg. v. Friedrich Roth u. Friedrich Köppen. Leipzig 1812– 25 sind im Auktionskatalog von Kierkegaards Bibliothek unter den Katalognummern 1722– 28 verzeichnet. Vgl. dazu Nun 2015, 89 sowie Rohde 1967, 95. Im dortigen Kierkegaard-Archiv verzeichnet unter der Katalognummer 65. Vgl. Pap. V, S. XIf. Zu den Nachbesitzern vgl. Rohde 1967, 95. Vgl. dazu noch einmal ausführlich Stewart 2003.
1.4 Rezeptionshistorische Vorbemerkungen
13
wie im Falle anderer Schriften, die Kierkegaard besessen hat, nicht erhalten.³² Ein Zeitraum zu Beginn der 1840er-Jahre bis zum Jahr 1846, d. h. also der Zeitraum seiner sogenannten ‚ästhetischen Schriftstellerei‘, die den maßgeblichen Teil seiner pseudonymen Schriften umfasst, liegt jedoch aus nun wiederum vier Gründen nahe. Erstens ist dem ersten Band von Entweder – Oder, 1843 erschienen, als Motto ein Zitat aus Edward Youngs Night-Thoughts (1742– 45) vorangestellt,³³ das weder den Kierkegaard verfügbaren dänischen oder deutschen Übersetzungen noch dem original englischen Wortlaut entspricht.³⁴ Vielmehr hat der des Englischen ohnehin nicht mächtige Kierkegaard dieses Motto dem Woldemar entnommen, in dessen neuer und verbesserter Auflage von 1796 sich die exakt der dänischen Übersetzung Kierkegaards entsprechende deutsche Formulierung findet.³⁵ Zweitens stammen auch die in Kierkegaards Journalen und Aufzeichnungen vorfindlichen Erwähnungen Jacobis aus diesem Zeitraum: Die Eintragungen im Journal JJ³⁶ hat Kierkegaard 1844 vorgenommen; demselben Jahr sind die im fünften Band der Papirer im Zusammenhang der mit ‚Philosophica‘ betitelten Eintragungen zugeordnet, die neben einer ausführlichen Notiz zum Verständnis der mit Jacobis Lessing-Gespräch in Verbindung gebrachten Figur des Sprungs Unterstreichungen und Anmerkungen aus Kierkegaards Exemplar von Friedrich Heinrich Jacobi’s Werke. Vierter Band. Erste Abtheilung (Leipzig 1819) beinhalten.³⁷ Drittens finden sich alle Erwähnungen Jacobis in denjenigen pseudonymen Schriften Kierkegaards, deren Abfassung und/oder Veröffentlichung in den Zeitraum der Jahre 1843 bis 1846 fällt; neben dem schon erwähnten indirekten Auftreten Jacobis im Debut Entweder – Oder findet sich der einzig andere explizite und hier nun vor allem sachliche Rekurs auf Jacobi außerhalb der ClimacusSchriften in Stadien auf des Lebens Weg, deren Veröffentlichung im Jahr 1845 genau zwischen die Brocken und die Nachschrift fällt. Dass dies ein Rekurs nicht auf eine so prominente Stelle wie etwa das Lessing-Gespräch, sondern auf die kurze und insgesamt weniger beachtete ‚Beilage III‘ zur zweiten Auflage der Spinozabriefe ist, kann zudem als Beleg dafür genommen werden, dass sich Kierkegaards Begeisterung für Jacobi in einer keineswegs oberflächlichen, son-
Für die Hilfe bei dem letztlich leider erfolglosen Versuch, in dieser Sache etwas herauszufinden, danke ich Richard Purkarthofer. SKS 2, 9 / EO 1, 1. Vgl. den Kommentar der SKS zu dieser Stelle; online unter der URL: sks.dk/EE1/kom.xml (zuletzt aufgerufen am 02.10. 2020). Vgl. JWA 7,1, 266 f. Darauf macht auch Schreiber 2011, 115 f. aufmerksam. SKS 18, 209 ff., JJ:214; 223; 224; 228; 233 / DSKE 2, 216 ff. Pap. V C 7; Pap. V C 13:1– 6.
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1 Einleitung
dern bis in die komplexen Verästelungen des Jacobi’schen Werks hineinbegebende Lektüre niedergeschlagen hat. Viertens spricht dafür, dass in der einzig weiteren pseudonymen Schrift, deren Veröffentlichung in diesen Zeitraum fällt – Der Begriff Angst, erschienen 1844 –, eine Formulierung auftaucht, die sich in bemerkenswert ähnlichem Wortlaut in einer handschriftlichen Notiz Kierkegaards in besagtem Band IV,1 von Jacobis Werken wiederfindet. Kierkegaard kommentiert hier folgenden Satz aus Jacobis ‚Vorbericht‘ von 1819: „Der Glaube ist nicht, wie die Wissenschaft, Jedermanns Ding, das heisst, nicht jedwedem, der sich nur gehörig anstrengen will, mittheilbar.“³⁸ Sein Kommentar lautet: So bleibt der Glaube nur wieder die Genialität, dem Einzelnen vorbehalten, gleichsam Schellings Genialität im Handeln [Genialitet i at handle]. Auf diese Weise verhält es sich, so oft man beschäftigt ist, eine Totalanschauung zuwege zu bringen, und da lässt man eine solche Meinung sich einschleichen³⁹.
Was mit einer solchen ‚Genialität im Handeln‘ gemeint sein kann und wo für Kierkegaard hier das Problem liegen mag, wird später zu klären sein. Auf jeden Fall wehrt sich auch Vigilius Haufniensis in Der Begriff Angst gegen eine solche Form der ‚Genialität‘, indem er mit dem Begriff der Sünde einen auch für die Climacus-Schriften entscheidenden Gedanken ins Spiel bringt, der letztlich – so viel sei hier bereits gesagt – den sachlichen Kern des entscheidenden Unterschieds in der Auffassung des Religiösen bei Climacus und Jacobi ausmachen wird. Ausführlich heißt es in Der Begriff Angst: „Das Bewußtsein der Sünde tief und ernst beurkundet im Ausdruck der Reue ist eine große Seltenheit.“ Aber: Mittlerweile werde ich mich doch hüten sowohl um meiner selbst willen wie um des Denkens und des Nächsten willen, dies so auszudrücken wie vermutlich Schelling es täte, der einmal vom ‚Genie zu Handlungen‘ [Genie til Gjerning] im gleichen Sinne spricht wie von dem zur Musik usw. Solchermaßen kann man bisweilen, ohne sich dessen bewußt zu sein, mit einem einzigen erklärenden Wort alles zunichte machen. Hat nicht ein jeglicher Mensch wesentlich Teil am Unbedingten so ist alles aus. Im Bereich des Religiösen soll man darum nicht von Genie als einer besonderen Begabung sprechen, die nur Einzelnen gegeben sei; denn die Begabung ist hier, daß man will, und den, der nicht will, ihn soll man wenigstens damit im Besitz erhalten, daß man ihn nicht beklagt.⁴⁰
Pap. V C 13:3; vgl. JWA 1,1, 349. Pap. V C 13:4, meine Übers. SKS 4, 416 / BA, 118
1.4 Rezeptionshistorische Vorbemerkungen
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Dies soll an dieser Stelle bloß erwähnt sein, um die rezeptionshistorischen Bemerkungen zu vervollständigen. Auf die sachlichen Aspekte dieses Zusammenhangs komme ich, wie gesagt, an späterer Stelle zu sprechen. Eines ist hier aber bereits klar: Vor dem Hintergrund des handschriftlichen Kommentars, in dem sich ohne Zweifel Enttäuschung über eine aus Kierkegaards Sicht irritierende – und wie ich glaube zu Recht so empfundene – Bemerkung Jacobis ausdrückt, ist dann auch die Stelle aus Der Begriff Angst nicht so sehr auf Schelling, sondern auf Jacobi hin zu lesen; er, und nicht Schelling, ist es dann, der sich, ‚ohne dessen sich bewußt zu sein, mit einem einzigen erklärenden Wort alles zunichte‘ zu machen droht. Was zunächst einmal nur so viel – das aber doch gerade – heißt, dass in Jacobis Denken der Sache nach viel für Kierkegaard Richtiges steckt, das nicht nur Climacus dann entsprechend auch ‚des öfteren‘ hat ‚begeistert‘ sein lassen, sondern auch die Möglichkeit einer solchen Irritation und Enttäuschung überhaupt erst bedingt.⁴¹
In Übereinstimmung mit diesen rezeptionshistorischen Überlegungen vertritt auch Heiko Schulz die These, dass es unwahrscheinlich ist, dass Kierkegaard Jacobi vor allem in der Zeit der im Folgenden nicht unwichtigen frühen Journale bereits gekannt hat (vgl. Schulz 1994, 75 [Anm. 24]). Eine erste indirekte Bekanntschaft mit Jacobi könnte durch Hans Lassen Martensens Vorlesungen über die Einleitung zur spekulativen Dogmatik zustande gekommen sein, die Kierkegaard im Wintersemester 1837/38 zur Examensvorbereitung besuchte und exzerpierte (vgl. SKS 19, 126 ff., Not4:3 – 12 / DSKE 3, 132 ff.). Eine ausführlichere Passage zu Jacobi findet sich dann in der Mitschrift zu Martensens Vorlesung über die neue Philosophiegeschichte von Kant bis Hegel aus dem Wintersemester 1838/39, die Kierkegaard nicht selbst angefertigt hat, sondern nur in Form einer Reinschrift eines, so der Kommentar in den Papirer, „nur mittelmäßig kundigen“ Kommilitonen besaß (Pap. II C 25, meine Übers.).
2 Auftakt: Kierkegaards Fichte-Kritik und ihre Nähe zu Jacobi Bevor ich nach diesen rezeptionshistorischen Bemerkungen zu der sachlichsystematischen Untersuchung der für meine Arbeit maßgeblichen Referenzen auf Jacobi in den Climacus-Schriften komme, ist es sinnvoll, einen gerafften Blick auf Kierkegaards Fichte-Kritik zu werfen. Wie bereits in der Darstellung der Forschungslage angesprochen, ist diese innerhalb der Kierkegaard-Forschung in mehrfacher Perspektive untersucht worden. Die darin liegende Nähe zu Jacobis Fichte-Kritik, die ich im Folgenden aufweisen möchte, ist demgegenüber bisher an keiner Stelle bemerkt worden. Sie ist jedoch nicht nur für ein rechtes Verständnis von Kierkegaards Verhältnis zu Jacobi, sondern vielmehr für ein rechtes Verständnis seines Denkens insgesamt von ganz entscheidender Bedeutung, insofern sie Kierkegaard mit Jacobi zunächst als einen Vertreter einer Philosophie der Person ausweist, der an einer Theorie der Subjektivität, wie sie im Anschluss vor allem an Kant dann von Fichte, Schelling und Hegel in immer wieder neuer Form ins Zentrum moderner Philosophie gestellt wird,⁴² nicht interessiert ist.⁴³ Und dies vor allem auch dann nicht, wenn er in den Climacus-Schriften durchaus so etwas wie eine Strukturanalyse ‚generischer Subjektivität‘ vornimmt.⁴⁴ Denn die dort präsentierte existenzielle Ethik stellt, als Bedingung der Möglichkeit der Herausbildung einer „in Wahrheit große[n] ethische[n] Individualität“⁴⁵, die Frage: „was es heißt, Mensch zu sein“, jedoch nicht im Sinne des „Mensch[en] überhaupt“, sondern ganz konkret im Sinne des Einzelnen als Individuum und Person. Die Frage lautet dann, „was es heißt, daß du und ich und er, daß wir jeder für sich Menschen sind“⁴⁶. Und dieses Menschsein als Personsein, verstanden als zugleich Selbst- und Weltverhältnis, bezeichnet dann diejenige ‚Wirklichkeit‘, der die schriftstellerische Tätigkeit Kierkegaards seit ihren Anfängen gewidmet ist und von der her er sich dann auch zur Kritik der großen philosophischen Systementwürfe seiner Zeit gezwungen sah. Ein sprechendes Beispiel dafür ist seine anfängliche Begeisterung für Schelling, dessen späte
Vgl. Sandkaulen 2004, 217. In diesem Sinne, jedoch ohne Rekurs auf die kritische Absetzung von Fichte und die darin liegende Nähe zu Jacobi, hat zuletzt Sylvia Walsh (Walsh 2019) Kierkegaards schriftstellerisches Werk als den Zusammenhang immer komplexerer Analysen der Entstehungsbedingungen personalen Selbstseins und der Merkmale eines moralischen Charakters interpretiert. Zu den Climacus-Schriften als Strukturanalyse ‚generischer Subjektivität‘ vgl. Ferreira 2010. SKS 7, 127 / AUN 1, 125. SKS 7, 116 / AUN 1, 113, meine Hervorh. https://doi.org/10.1515/9783110989540-003
2 Auftakt: Kierkegaards Fichte-Kritik und ihre Nähe zu Jacobi
17
Vorlesungen zur Philosophie der Offenbarung er 1841/42 in Berlin hört – eine Begeisterung, die bald schon in Enttäuschung umschlägt. Zu Beginn der Vorlesungen notiert Kierkegaard noch in sein Journal: Ich bin so froh, Schellings zweite Stunde gehört zu haben – unbeschreiblich. So habe ich denn lange genug geseufzt und haben die Gedanken in mir geseufzt; als er das Wort ‚Wirklichkeit‘ nannte, vom Verhältnis der Philosophie zur Wirklichkeit, da hüpfte die Frucht des Gedankens in mir vor Freude wie in Elisabeth⁴⁷.
Aber wenige Monate später heißt es in einem Brief an seinen Bruder Peter Christian: „Schelling salbadert ganz unerträglich…Ich bin zu alt, um Vorlesungen zu hören, ebenso wie Schelling zu alt ist, um sie zu halten. Seine ganze Potenzenlehre bekundet die höchste Impotenz.“⁴⁸ Niederschlag findet diese Enttäuschung in den ‚Diapsalmata‘ des ersten Teils von Entweder ‒ Oder, desjenigen Werkes also, das Kierkegaard kurz nach seiner Rückkehr aus Berlin fertigstellt und das nicht nur seinen sowohl literarischen als auch philosophischen Ruhm zu großen Teilen begründet; es beginnt auch, wie oben bemerkt, mit dem Inkognito des Woldemar auf der Titelseite. „Was die Philosophen über die Wirklichkeit sagen“, so heiß es in den ‚Diapsalmata‘, „ist oft ebenso irreführend, wie wenn man bei einem Trödler auf einem Schilde liest: Hier wird gerollt. Würde man mit seinem Zeug kommen, um es hier rollen zu lassen, so wäre man genasführt; denn das Schild steht bloß zum Verkaufe aus.“⁴⁹ Aber es ist nicht nur Schelling, dessen Philosophie in einem letztlich problematischen Verhältnis zur Wirklichkeit steht. Auch Kierkegaards Fichte-Kritik, die nicht nur bereits vor seiner Bekanntschaft mit Schellings Spätphilosophie einsetzt, sondern sich auch bis in spätere Phasen seines schriftstellerischen Werkes nachverfolgen lässt, gipfelt in der Diagnose eines Missverhältnisses zwischen Philosophie, genauer einer ausschließlich rational verfahrenden, auf Wissen ausgerichteten Philosophie verabsolutierten Denkens, und der Wirklichkeit personalen Selbstseins. Dies gilt es nun darzustellen. Ich gehe im Folgenden in zwei Schritten vor, die zentrale Etappen von Kierkegaards Fichte-Kritik vor dem Hintergrund dieser Dichotomie von Denken und Wirklichkeit umreißen. In einem ersten Schritt (A) stelle ich die Fichte-Kritik, wie Kierkegaard sie in seiner akademischen Qualifikationsschrift Über den Begriff der Ironie mit ständiger Rücksicht auf Sokrates (1841) unternimmt, dar (2.1); nach einer kurzen
Pap. III A 179. SKS 28, 18, Brev 4 / B, 104 f. SKS 2, 42 / EO 1, 34.
18
2 Auftakt: Kierkegaards Fichte-Kritik und ihre Nähe zu Jacobi
Zwischenbemerkung zu Kierkegaards vermeintlichem ‚Hegelianismus‘ in dieser Schrift (2.2.), stelle ich seiner die Fichte-Kritik Jacobis zur Seite, die Jacobi in seinem Brief an Fichte (1799) formuliert. Meine These hier lautet, dass die FichteKritik der Ironie-Schrift dieser Fichte-Kritik Jacobis in entscheidenden Punkten entspricht (2.3.). In einem zweiten Schritt (B) gehe ich aus von Jacobis Überlegungen, dass sich, entgegen der sowohl von ihm selbst, als auch von Kierkegaard diagnostizierten Verabsolutierung des Denkens, personales Selbstsein dem Individuum im epistemischen Modus nicht des Wissens sondern des Gefühls bewusst wird (2.4.). Diese Überlegungen integriert Fichte selbst in seiner Antwortschrift auf Jacobi, in Die Bestimmung des Menschen (1800), nur um die dann mit dem Gefühl evozierte und gegen die eigene theoretische Philosophie in Stellung gebrachte praktische Selbstverständigung eines zwischen ‚Herz‘ und ‚Verstand‘ zerrissenen ‚Ichs‘ erneut an die Verstandeseinsicht zu binden. Ich möchte mit diesem Schritt darauf hinweisen, dass Kierkegaard nicht nur diesen Fichte’schen Vorschlag praktischer Selbstverständigung zurückweist. Er tut dies auch lange bevor er sich Fichtes theoretischer Philosophie kritisch zuwendet und bestätigt so – wohlgemerkt ohne Kenntnis der Diskurslage – das Scheitern von Fichtes Versuch der Entkräftung der Jacobi’schen Kritik in der Bestimmung des Menschen (2.5).
A 2.1 Das Missverhältnis von Denken und Wirklichkeit I: Kierkegaards Fichte-Kritik in Über den Begriff der Ironie (1841) Kierkegaards explizite Auseinandersetzung mit Fichte beschränkt sich auf wenige Seiten seiner akademischen Qualifikationsschrift Über den Begriff der Ironie (1841). Diese Schrift präsentiert in der Hauptsache eine Kritik der zeitgenössischen, nämlich romantischen Ironie, wie sie bei Friedrich Schlegel, Ludwig Tieck und Karl Wilhelm Ferdinand Solger zum Ausdruck kommt. Ironie, so lautet die grundsätzliche These Kierkegaards, ist nicht, zumindest nicht ausschließlich, ein rhetorisches Mittel, nicht bloße „Redefigur“⁵⁰.Vielmehr kennzeichnet sie in erster Linie eine ethische Haltung, sodass „ein Leben, das menschenwürdig genannt werden kann“, so formuliert er gleich zu Anfang, „mit der Ironie [beginnt]“⁵¹. Als
SKS 1, 286 / BI, 251. SKS 1, 65 / BI, 4.
A. 2.1 Das Missverhältnis von Denken und Wirklichkeit I
19
eine solch ethische Haltung hat Sokrates die Ironie in die Welt gebracht, indem er die Infragestellung überkommener Wertvorstellung und die Rückbindung des Urteils an das Individuum als diejenige „Aufgabe“ in den Fokus eines jeden seiner Gesprächspartner hat rücken wollen, „die ihm gesetzt worden ist“⁵²: Eine solche Aufgabe ist nicht zu delegieren, sondern durch einen jeden als seine Aufgabe anzuerkennen. Zwar lässt sich nun auch die Ironie „bei den Neueren“, bei den genannten Autoren der Romantik also, „auf das Ethische [zurückführen]“⁵³, insofern auch bei ihnen Ironie im Wesentlichen durch das auch für Sokrates entscheidende Moment der Negativität gekennzeichnet ist. Bei Sokrates kommt diese Negativität jedoch in Form einer fortwährenden Praxis zur Geltung, einer „Bewegung“ und „Strömung im Leben“⁵⁴, die nie zu einem Ende gelangt, da sie angetrieben wird durch die nicht aufzulösende Spannung zwischen dem Individuum und der durch dieses Individuum stets neu zu hinterfragenden Welt als „geschichtliche[r] Wirklichkeit“⁵⁵. Im Gegenteil dazu ist die romantische Ironie nurmehr eine in „Kontemplation“⁵⁶ versunkene und darin verabsolutierte Subjektivität, die eine mehr als nur relative Bedeutung der Wirklichkeit negiert. Diese Subjektivität ist auf diese Weise und ganz anders als das Individuum bei Sokrates „mit allem fertig geworden“⁵⁷. Sie muss sich nun nicht mehr urteilend und handelnd zu einer Welt verhalten, die sie herausfordert, sondern kann denkend und dichtend – so schreibt Kierkegaard insbesondere im Blick auf Schlegel und Tieck –, „eine Welt erschaffen“⁵⁸, die ihrer entspricht. Dieses Subjektivitätsverständnis, das in Gestalt der romantischen Ironie in ein solches „Mißverhältnis“⁵⁹ zur Wirklichkeit gerät, ist Kierkegaard zufolge auf Fichte zurückzuführen, weshalb Kierkegaard die romantische auch die „nachfichtesche“⁶⁰ Ironie nennen kann. So ist seine Kritik an der romantischen Ironie im Kern auch eine Kritik an Fichtes Begriff eines absoluten Ich als Prinzip seiner Theorie der Subjektivität. Fichte entwirft seine Theorie der Subjektivität im Anschluss an die Identifikation vermeintlicher Mängel im Kantischen Kritizismus als notwendige Bedin-
SKS 1, 276 / BI, 240. SKS 1, 65 / BI, 4. SKS 1, 276 / BI, 240. SKS 1, 312 / BI, 281. SKS 1, 281 / BI, 245. SKS 1, 312 / BI, 281. SKS 1, 311 / BI, 280. SKS 1, 312 / BI, 281. SKS 1, 308 / BI, 277.
20
2 Auftakt: Kierkegaards Fichte-Kritik und ihre Nähe zu Jacobi
gung der Ausgestaltung einer Philosophie als Wissenschaft. Damit bedarf sie eines Prinzips, so referiert Kierkegaard und markiert damit bereits hier einen dann auch für Climacus entscheidenden Problempunkt, das die Funktion der Letztbegründung übernimmt und damit die Kohärenz sämtlicher, das System der Wissenschaftslehre konstituierenden Sätze garantiert. Das absolute Ich als der „absolute[] Anfang“ ist in diesem Sinne das „Allbegründende“; auf seinem Fundament soll es dann letztlich auch gelingen, „die Welt“ in streng notwendiger Folge zu „konstruieren“⁶¹. Die hierin implizierte Konstruktions- und Begründungsbedürftigkeit der Welt restringiert das Fichte’sche Projekt des Aufweises eines letztbegründenden Prinzips auf das reine Denken. Das absolute Ich ist entsprechend das Resultat eines Prozesses, in dem „das Ich in die Betrachtung des Ich versank“⁶². Damit ist das absolute Ich in der Tat, wie Günter Zöller bemerkt, „kein Ich im Vollsinn eines seiner selbst bewußten Wesens“ – es kann und soll dies auch nicht sein. Vielmehr handelt es sich hierbei um das aus wissenschaftstheoretischen Gründen „separat präsentierte Element von Unbedingtheit in und am endlichen Einzel-ich“.⁶³ Das übergeht auch Kierkegaard nicht. Das absolute, „ewige[] Ich“ ist, so bemerkt auch er, nicht mit dem „empirische[n] und endliche[n] Ich“⁶⁴ gleichzusetzen. Fichtes Ich als aus wissenschaftstheoretischer Perspektive notwendiges Prinzip der Letztbegründung bezeichnet einen in diesem Sinne rein „metaphysischen Standpunkt“⁶⁵. Kierkegaard identifiziert hier nichtsdestotrotz ein doppeltes Problem. In der Restriktion auf das reine Denken ist dieses Denken erstens insofern auf einen „Abweg“⁶⁶ geraten, als es nurmehr sich selbst zu seinem Gegenstand hat. Damit wird jeder empirische „Gehalt“⁶⁷ nicht nur zum Zwecke seiner Begründung ausgeklammert, sondern geht vielmehr zur Gänze verloren. Fichtes ‚metaphysischer Standpunkt‘ ist insofern „unausgereift[]“⁶⁸, als er diejenige Wirklichkeit, um die es ihm doch letztlich durchaus zu tun ist, nicht einmal mehr tangiert. Was für Fichte in der Folge jedoch zu einem Problem wird, das er in der Fortentwicklung seiner Wissenschaftslehre zu lösen versucht, wird für die Romantiker zur Grundlage ihres Programms eines ‚poetischen Lebens‘ erhoben: Die Wirklichkeit wird als Raum unendlicher Möglichkeit affirmiert, in den es sich nurmehr
SKS 1, 310 / BI, 279, meine Hervorh. SKS 1, 308 / BI, 277. Zöller 2013, 57 f. SKS 1, 311 / BI, 280. Ebd. SKS 1, 308 / BI, 277. Ebd. SKS 1, 311 / BI, 280.
A. 2.1 Das Missverhältnis von Denken und Wirklichkeit I
21
hineinzudichten gilt.⁶⁹ Damit verliert die Wirklichkeit jedoch ihre herausfordernde und das Subjekt begrenzende Funktion, mithin ihre die sokratische Ironie als ethische Haltung konstituierende Qualität einer Aufgabe, die in Auseinandersetzung mit der geschichtlichen Wirklichkeit angegangen und in diesem Sinne verwirklicht werden soll. Daran schließt der zweite Problempunkt an. Indem es das reine Denken selbst ist, das sich zu seinem Gegenstand hat, ist zweitens der methodische Zugriff auf diesen Gegenstand ausschließlich ein reflektierender, sodass „die Reflexion in einem fort über die Reflexion reflektierte“⁷⁰. Auf diese Weise werde nicht erst bei den Romantikern, sondern schon bei Fichte „das Denken verunendlicht“, sodass „[d]ie Subjektivität“, die er in seiner Theorie entwirft und die im absoluten Ich ihr begründendes Prinzip hat, nichts mehr ist als „die unendliche, absolute Negativität“⁷¹. Das entscheidende an dieser Problemlage ist nun, dass sich Kierkegaard zufolge in einer solchen doppelten Verunendlichung des Denkens ein unzulänglicher Begriff des Praktischen offenbart, indem eine solche Unendlichkeit des Denkens den für Fichte, und dann auch für die Romantiker, entscheidenden Begriff der Freiheit konstituiert.⁷² Und in der Tat: Identifiziert man die von Kierkegaard so beschriebene ‚auf sich selbst reflektierende Reflexion‘ mit der ‚Tathandlung‘ des Setzens des absoluten Ich, dann ist der Begriff einer unendlichen Freiheit nicht nur von vornherein in das Fundament der Wissenschaftslehre implementiert, sondern stellt dort sogar die qua Prinzip zu leistende Begründungfunktion des absoluten Ich sicher.⁷³ Das absolute Prinzip des absoluten Ich ist in diesem Sinne dann auch schon seit der Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre von 1794/95 gedacht als absolute Aktivität – als diejenige absolute Aktivität, die Fichte, wie Kierkegaard bemerkt, in späteren Versuchen, über die Probleme der frühen Wissenschaftslehre „Herr und Meister zu werden“⁷⁴, nurmehr explizit als „verbales Sein“ oder „esse in mero actu“⁷⁵ kennzeichnet.⁷⁶ Von dort aus sieht sich Fichte dann entsprechend auch darin gerechtfertigt, eine Ethik als Teil seines Projekts einer philosophischen Wissenschaft und entsprechend des dahinterste-
Vgl. SKS 1, 315 ff. / BI, 285 ff. SKS 1, 308 / BI, 277. SKS 1, 309 / BI, 278. Vgl. ebd. Vgl. GA I,2, 259. SKS 1, 311 / BI, 280. WL 1804, 152; 151. Vgl. dazu auch Luckner/Ostritsch 2018, 96 f.
22
2 Auftakt: Kierkegaards Fichte-Kritik und ihre Nähe zu Jacobi
henden Anspruchs der Erklärung qua Letztbegründung zu entwerfen: bereits 1798 folgt Fichtes System der Sittenlehre nach den Prinzipien der Wissenschaftslehre. Weder, so Kierkegaard, artikuliert eine solche fundamentalwissenschaftliche Theorie der Subjektivität jedoch unser alltägliches Vorverständnis von einer freiheitlichen Praxis, noch trägt sie mit einer Korrektur desselben in irgendeiner Weise zur Lösung der entscheidenden Probleme bei, die im Zuge einer solchen Praxis begegnen. Ganz im Gegenteil sogar. Als absolute Aktivität ist das Prinzip einer solchen Wissenschaft bloß abstrakte Selbstbezüglichkeit, ein „Bewegtwerden in Inhaltslosigkeit“⁷⁷, das dann auch nur eine Wirklichkeit als Raum „bloße[r] Möglichkeit“⁷⁸ hervorbringen kann, wie sie bei den Romantikern begegnet. Soll jedoch „das handelnde Individuum imstande sein, seine Aufgabe zu lösen und die Wirklichkeit zu realisieren“, indem es sich zu ihr als es begrenzende geschichtliche Wirklichkeit verhält, „so muss es sich in einen größeren Zusammenhang eingeordnet fühlen“⁷⁹. Dieser Zusammenhang ist, ganz entgegen des Fichte’schen Idealismus und der Romantik, derjenige der eigenen Endlichkeit: Das Individuum muss „der Verantwortung Ernst fühlen“, es muss „Gefühl und Achtung haben für jede vernünftige Konsequenz“⁸⁰. Lebenspraktische Freiheit ist entsprechend immer endliche, gebundene Freiheit und eine recht verstandene Ironie „setzt“, wie Kierkegaard diesen Gedanken formuliert, „Schranken, verendlicht, begrenzt, und gewährt damit Wahrheit, Wirklichkeit, Inhalt; sie züchtigt und straft und gibt damit Haltung und inneren Zusammenhalt“⁸¹. Die romantische Ironie ist laut Kierkegaard all dessen jedoch „ledig“⁸²; und sie ist dessen ledig in ihrem Anschluss an Fichtes transzendentalen Idealismus, auf dessen Grundlage eine solche Einordnung des Individuums in den Zusammenhang der eigenen Endlichkeit unmöglich ist. Fichte hat mit seinem absoluten Ich mithin nicht nur den bloß unzulänglichen Begriff des Praktischen als die Aktivität ‚unendlicher Negativität‘ zum Prinzip erhoben, sondern von dort aus auch nurmehr einen Sachkatalog verschiedenster Formen bloß „negative[r] Unendlichkeit“ zusammenstellen können: (seine moralische Unendlichkeit ist fortwährendes Streben um des Strebens willen; seine ästhetische Unendlichkeit ist fortwährendes Hervorbringen um des Hervorbringens selber willen. Gottes Unendlichkeit ist fortwährende Entwicklung um der Entwicklung willen), d. h.
SKS 1, 311 / BI, 280. SKS 1, 315 / BI, 285. Ebd. Ebd., meine Hervorh. SKS 1, 355 / BI, 331. SKS 1, 315 / BI, 285.
A. 2.2 Kierkegaard, ein Hegelianer? Eine Zwischenbemerkung
23
sie ist eine Unendlichkeit, in der keine Endlichkeit ist, eine Unendlichkeit ohne allen Inhalt.⁸³
2.2 Kierkegaard, ein Hegelianer? Eine Zwischenbemerkung Aus dem bisher gesagten dürfte Folgendes bereits klar geworden sein. So wie Kierkegaard Hegels Darstellung des Sokrates als „Stifter der Moral“ trotz der Anerkennung „viele[r] vortreffliche[r] Einzelbemerkungen“ und der „eigentümlichen Prägnanz der Gedanken“⁸⁴ nicht folgt, sie vielmehr für in ihrer geschichtsphilosophischen Perspektive zu „einseitig“⁸⁵ hält, ist auch in dieser seiner FichteKritik bei Weitem nicht so „deutlich“ eine „Zustimmung zu Hegels Kritik an Fichtes Begriff der absoluten Subjektivität…zu spüren“, wie bisweilen behauptet wird.⁸⁶ Hegel will zwar, so Kierkegaard, „die Idee des Guten für Sokrates in Anspruch nehmen“, gerät aber genau dann „in Verlegenheit, sofern er zeigen muß, auf welche Weise Sokrates das Gute verstanden hat“: nämlich als nie zu erreichendes ethisches Ideal, als die „Hauptrichtung“ besagter fortwährender „Strömung des
SKS 1, 309 / BI, 278. SKS 1, 268 / BI, 231. SKS 1, 276 / BI, 240. Wolsing 2010, 55. Vor allem Lore Hühn hat demgegenüber bereits plausibel gemacht, dass Kierkegaards Ironie-Schrift, „[n]icht trotz, sondern gerade wegen der in der Tat nicht zu übersehenden terminologischen und konzeptionellen Nähe zur Hegelschen Kritik an der Romantik…als das erste Dokument einer Distanznahme“ gegenüber Hegel und den Hegelianismus zu werten ist (Hühn 2009, 31, meine Hervorh.). Eher als Hegel lässt sich hier Jean Paul als Einfluss vermuten, zu dessen Vorschule der Ästhetik (1804) die Ironie-Schrift – darauf weist Markus Kleinert hin – in mehreren Hinsichten Parallelen aufweist (vgl. Kleinert 2008). Mit Blick auf Jean Pauls FichteKritik, die – dies hat Oliver Koch ausführlich aufgezeigt – in ihren wesentlichen Punkten an die Fichte-Kritik Jacobis anschließt (vgl. Koch 2013), wäre dann ein sehr früher indirekter Einfluss Jacobis auf Kierkegaard zu konstatieren. Kierkegaard selbst äußert sich jedoch kritisch zu Jean Paul. In der ‚Einleitung‘ zum entscheidenden zweiten Teil der Ironie-Schrift, in der sich dann auch das Kapitel zur ‚nachfichteschen Ironie‘ findet, heißt es: „Auch bei J. Paul ist oft von Ironie die Rede, und in seiner Ästhetik findet sich dies und jenes, jedoch ohne philosophische oder echte ästhetische Vollmacht. Er redet überhaupt als Ästhetiker mehr aus einer reichen künstlerischen Erfahrung heraus, als daß er seinen ästhetischen Standpunkt eigentlich begründet.“ (SKS 1, 284 / BI, 249) Nimmt man Kierkegaard hier ernst, dann spricht dies einmal mehr für eine spätere direkte Rezeption von und Begeisterung für Jacobis Denken, denn die ‚philosophische Vollmacht‘ und ‚Begründung‘ der dann auch von Jean Paul ästhetisch vorgetragenen Fichte-Kritik findet sich gerade dort.
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2 Auftakt: Kierkegaards Fichte-Kritik und ihre Nähe zu Jacobi
Lebens“⁸⁷, nicht als ein irgendwann zu erreichendes Ziel, das außerhalb dieser Bewegung zu suchen wäre. Damit gelingt es ihm dann auch und vor allem nicht, die für die sokratische Ironie so entscheidende Negativität als für das Individuum nicht aufzulösende Negativität im Blick zu behalten. Und Kierkegaard hat recht. Sokrates’ Verdienst, so formuliert Hegel dementsprechend in seinen Vorlesungen zur Geschichte der Philosophie, ist vielmehr, dass er zwar im Anschluss an die Sophisten „auch das Bewußtsein als das Wesen aus[spricht], aber nicht das unmittelbare, einzelne, sondern das Ich in seiner Allgemeinheit, den Willen als ansich seiend, den Gedanken als an sich bestimmt d. i. der Zweck, das Gute.“⁸⁸ Mit diesem Begriff des ‚Ich in seiner Allgemeinheit‘ richtet sich Hegels Perspektive dann auch ganz entsprechend auf die Aufhebung einer in jeder Art aufs Subjekt konzentrierten und darin individuierenden Moral in die gemeinschaftliche Sphäre substanzieller Sittlichkeit: „Was wir überhaupt zu betrachten haben“, so heißt es in den Vorlesungen über die Philosophie des Rechts programmatisch, ist das Dasein der Sittlichkeit, daß sie das Geltende ist und daß die anderen Momente wenn sie mit ihr in Kollision kommen aufgegeben oder untergeordnet werden müssen. Dem Subjekt bleibt nichts übrig als die reine Form zu sein, in der die Sittlichkeit wirkt, die Subjektivität als solche ist nur die Form der Manifestation der Sittlichkeit, und das Subjekt ist nur sittlich, insofern es nichts Besonderes hat gegen das Sittliche, gegen die Substanz, aber es ist ganz darin bei sich, indem es sich darin zum Gegenstand hat.⁸⁹
Kurzum: Hegel begreife, so der Punkt Kierkegaards, die sokratische Ironie als das bereits aufgehobene Moment einer objektiven Dialektik, die, aus der Betrachtung der Weltgeschichte gewonnen und auf sie rückgewendet, ein umfassendes Verständnis derselben zwar möglich macht. Damit verliere die Ironie, wie sie durch Sokrates verkörpert wird, aber gerade ihre entscheidende Qualität als eine individualgeschichtlich weiterhin beunruhigende und darin ethische Praxis: Die Bewegung in Sokrates ist die, zum Guten hinzugelangen. Seine Bedeutung in der Entwicklung der Welt ist die, dahin zu kommen (noch nicht einmal die, dorthin gekommen zu sein). Seine Bedeutung für die Zeitgenossen ist die, daß sie dahin gekommen sind. Die Meinung ist dabei nun nicht etwa die, daß er gleichsam am Ende seines Lebens dahin gekommen sei, vielmehr war sein Leben eben dies, fort und fort dahin zu kommen und andre dahin kommen zu lassen. …Darum gab er sich nicht bloß mit Moralisieren ab, sondern er ließ überhaupt das an und für sich Seiende zum Vorschein kommen aus der Bestimmung des Mannigfaltigen heraus.⁹⁰
SKS 1, 276 / BI, 240 f. GW 30,1, 77, meine Hervorh. GW 26,3, 1268. SKS 1, 267 f. / BI, 241.
A. 2.2 Kierkegaard, ein Hegelianer? Eine Zwischenbemerkung
25
Aber – und dies ist entscheidend –: „[D]ies tat er nicht ein für allemal, sondern er tat es mit jedem Einzelnen.“⁹¹ Indem Hegel diesen Fokus auf den Einzelnen verkenne, verfüge seine Philosophie trotz aller vorfindlicher Überlegungen zu Sachbereichen, die klassischerweise in den Bereich des Ethischen fallen – diesen Vorwurf wird Climacus dann später in direktem Anschluss an das in der IronieSchrift Vorgetragene formulieren – über keine Ethik im eigentlichen, nämlich existenziellen Sinne.⁹² Und auch in Bezug auf Fichte dürften Hegels Kritikpunkte für Kierkegaard wenig relevant sein, insofern die Konsequenzen, die Hegel daraus für sein eigenes Projekt zieht, für ihn untragbar sind. So mag Hegels Kritik an Fichtes absolutem Ich als, wie Ludwig Siep die entscheidenden Aspekte zusammenfasst, einseitige Fixierung des „Wissens überhaupt“ gegenüber der „Wirklichkeit dieses Wissens“ und den „Bestimmungen, in denen es sich realisiert“⁹³, mit Kierkegaards Diagnose eines in Fichte angelegten und in der romantischen Ironie zum Ausdruck kommenden Missverhältnisses von abstrakter Subjektivität und geschichtlicher Wirklichkeit zusammengehen. Allerdings wäre dann bereits hier darauf hinzuweisen, dass für Kierkegaard sehr viel entscheidender als für Hegel die grundsätzliche Frage zu stellen ist, inwiefern Wissen überhaupt (und wenn ja, in welcher Weise) als adäquater Zugangsmodus zur hier reklamierten Wirklichkeit gelten kann. Dass das aus einer solchen einseitigen Fixierung des Wissens als defizitärem Begriff des Absoluten dann resultierende und darin eigentliche Problem jedoch sei, dass Fichte auf diese Weise „nicht zu einem System als absoluter Einheit der Gegensätze kommt“⁹⁴, wäre eine mit Blick auf Kierkegaard geradezu absurde Behauptung. Seine Reklamation der Wirklichkeit wird sich in der von Climacus später vorgebrachten Behauptung zuspitzen, dass eine systematische Erfassung ebendieser Wirklichkeit, ein „System des Daseins“⁹⁵, gerade nicht gelingen kann. Ein solches Dasein, oder wie es bereits in der Ironie-Schrift heißt, das
Ebd., meine Hervorh. Vgl. dazu bereits hier folgende Passage aus der Nachschrift: „Irregeleitet durch das ewige Reden von einem fortgesetzten Prozeß, in dem die Gegensätze sich in einer höheren Einheit zusammentun und wieder in einer höheren Einheit usw., hat man Hegels Lehre mit der Heraklits in Parallele gesetzt, daß alles fließt und nichts bleibt. Das ist jedoch ein Mißverständnis, weil alles, was bei Hegel von Prozeß und Werden geredet wird, illusorisch ist. Darum fehlt dem System eine Ethik, darum weiß das System nichts, wenn die lebende Generation und das lebende Individuum im Ernst nach dem Werden fragen, um nämlich zu handeln.“ (SKS 7, 279 / AUN 2, 7) Dazu, wie sich dieser Vorwurf, die Hegel’sche Philosophie verfüge über keine Ethik, durch Kierkegaards Gesamtwerk nachverfolgen lässt, vgl. Stewart 2010, 79 – 93. Siep 1970, 45. Ebd., 47. SKS 7, 105 / AUN 1, 101.
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2 Auftakt: Kierkegaards Fichte-Kritik und ihre Nähe zu Jacobi
„Leben“⁹⁶, das mit Fichte aus dem Blick gerät, um das es Kierkegaard aber geht, ist nicht das „‚Leben‘“ Hegels als diejenige Bewegung, „‚den Gegensatz ewig zu produzieren und ewig zu versöhnen‘.“⁹⁷ Es ist das bereits ganz zu Beginn seiner Ironie-Schrift hervorgehobene allein ‚menschwürdige‘ Leben in der Spannung zwischen der individuellen Verantwortung zu urteilen und einer geschichtlichen Wirklichkeit, die zu diesem Urteil stets neu herausfordert. Damit ist es zugleich das Leben der individuellen Person, die sich als eine solche gerade in dieser Spannung, nicht in ihrer Auflösung, Aufhebung oder Versöhnung, konstituiert und qua Urteil handelnd zum Ausdruck bringt: „Die Wirklichkeit empfängt ihre Giltigkeit“, so heißt es bereits in der Ironie-Schrift, „durch Handeln.“⁹⁸ Für den nicht spekulativ betrachtenden, sondern im stetigen Bewusstsein dieser Spannung ‚eigentlich subjektiven existierenden Denker‘, den Climacus später ins Zentrum seiner Schriften stellt, ist der Bezug zum Absoluten im Sinne des Unendlichen ein wesentlich negativer. Zwar ist das Unendliche im Augenblick der freiheitlich vollzogenen Verhältnissetzung zur geschichtlichen Wirklichkeit als Freiheit gegenwärtig. Es wird jedoch durch die Endlichkeit des Daseins, sowohl des Individuums selbst als auch der Umwelt, in die es eingebettet ist, als immer wieder neu sich entziehendes Ideal erfahren und nur darin anerkannt. In diesem Sinne mag dann sehr wohl, so der Kierkegaard der Ironie-Schrift, eine „Erfrischung und Stärkung“ darin liegen, „daß man, wenn die Luft zu drückend wird, sich entkleidet und sich ins Meer der [sc. romantischen] Ironie stürzt, natürlich nicht, um darinnen zu bleiben, sondern um gesund und froh und leicht die Kleidung wieder anzulegen.“⁹⁹ Climacus wird eine so ins Bild gesetzte Dialektik von Endlichkeit und Unendlichkeit als ‚Dialektik des persönlichen Lebens‘¹⁰⁰ drastischer beschreiben, wohl wissend, dass die ‚Gesundheit‘ einer in Ernst und Leidenschaft stets neu einzunehmenden ethischen Haltung nicht so ‚leicht‘ aufrechtzuerhalten ist und auch nicht schlechterdings ‚froh‘ zu machen verspricht. Der ‚eigentlich subjektive existierende Denker‘, so wird er schreiben, „hält beständig diese Wunde der Negativität offen“, die zwischen Endlichkeit und Unendlichkeit klafft, „was ja zuweilen das Rettende ist (die anderen lassen die Wunde zuwachsen und werden Positive – Betrogene)“¹⁰¹. In diesem Sinne wird
SKS 1, 310 / BI, 279. Siep 1970, 47. SKS 1, 357 / BI, 334. SKS 1, 355 / BI, 331 f. Vgl. ebd. SKS 7, 84 / AUN 1, 77, meine Hervorh.
A. 2.3 Das Missverhältnis von Denken und Wirklichkeit II
27
Climacus später vom „Ethische[n]“ als „die höchste Aufgabe“ sprechen, „die jedem Menschen gesetzt ist“¹⁰²: Das Ethische umschließt augenblicklich den Einzelnen, mit der Forderung an ihn, er solle ethisch existieren; es schwadroniert nicht von Millionen und Generationen, es nimmt die Menschheit nicht mit Bausch und Bogen, ebensowenig wie die Polizei etwa die reine Menschheit arretiert. Das Ethische hat mit den einzelnen Menschen zu tun, und wohlgemerkt mit jedem Einzelnen.¹⁰³
Erst in der Ausrichtung auf diesen Einzelnen und seine Erfahrung von Negativität als für ihn nicht aufzulösende ist und kann Climacus zufolge die Aufgabe des Ethischen überhaupt nur verstanden werden als des Menschen „Lebensaufgabe: zu leben.“¹⁰⁴
2.3 Das Missverhältnis von Denken und Wirklichkeit II: Jacobis Fichte-Kritik in seinem Brief an Fichte (1799) An dem bisher Ausgeführten ist nun zunächst das Folgende bemerkenswert. So wenig Kierkegaards Fichte-Kritik der Sache nach mit derjenigen Hegels in Übereinstimmung zu bringen ist, ihr hinsichtlich der entscheidenden Ausrichtung auf den Einzelnen und dessen Lebenspraxis sogar vielmehr zuwiderläuft, so sehr entspricht sie gerade in dieser ihrer Ausrichtung der Fichte-Kritik Jacobis. Dieser griff 1799 mit seinem Brief an Fichte in den sogenannten ‚Atheismusstreit‘ ein, der Fichte letztlich seine Jenaer Professur kostete. Zum Zwecke der Verteidigung Fichtes vor dem Vorwurf des Atheismus verfasst, stellt diese Schrift Jacobis nichtsdestotrotz fundamental kritische Positionierung zur Fichte’schen Philosophie dar, die er, ähnlich wie zuvor diejenige Spinozas, zunächst in ihren wesentlichen Aspekten rekonstruiert. Gleich einer „reine[n] Mathematik“, die, „das Ziehen einer geraden Linie… – und die Construction eines Cirkels…– voraussetzend, mathematische Cörper, dann eine ganze Welt aus Nichts zu erschaffen in Gedanken vermag“, ist Fichtes transzendentaler Idealismus eine nurmehr „unabhängige[] Philosophie der Intelligenz“¹⁰⁵. Und dies zunächst auch völlig zurecht, insofern sie, als konsequente Fortsetzung der Kantischen Transzendentalphilosophie einerseits und Umkeh-
SKS 7, 141 / AUN 1, 141. SKS 7, 191 f. / AUN 2, 21. SKS 7, 152 / AUN 1, 154. JWA 2,1, 195.
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2 Auftakt: Kierkegaards Fichte-Kritik und ihre Nähe zu Jacobi
rung des begründungstheoretischen Ansatzes einer spinozanischen Substanzhin zu einer Bewusstseinsmetaphysik andererseits, den einzig möglichen Weg beschreitet, eine „Wißenschaft des Wißens“¹⁰⁶ zur Vollkommenheit zu führen. Darin sieht sich Jacobi mit Fichte einig. Nur so sei „wirklich eine neue“, gegenüber alten Dualismen „wahrhaft und aufrichtig immanente“, eine „Philosophie aus Einem Stück“¹⁰⁷ möglich, die dann auch einen systematischen Zusammenschluss aller Einzelwissenschaften gewährleistet.¹⁰⁸ So wie Kierkegaard in den entsprechenden Passagen seiner Ironie-Schrift Fichtes Idealismus ganz im Sinne einer solchen ‚Philosophie der Intelligenz‘ rekonstruiert, gesteht er auch dies wortwörtlich zu und nimmt, ohne es zu wissen, über Fichte eine genuin Jacobi’sche Formulierung auf: Er bekräftigt, dass Philosophie nur als ein „Ganzes aus einem Stück“ hat „Wissenschaft“ werden können.¹⁰⁹ Der Begriff einer solchen Philosophie als Fundamentalwissenschaft, einer „Wißenschaft als solche[r]“, sei, so formuliert Jacobi ganz in Entsprechung zu seinen Ausführungen zur ‚reinen Mathematik‘, der Folgende: daß sie nehmlich…in dem Selbsthervorbringen ihres Gegenstandes bestehe; nichts anders sey, als dieses in Gedanken Hervorbringen selbst; daß also der Inhalt jeder Wißenschaft, als solcher, nur ein inneres Handeln sey, und die nothwendige Art und Weise dieses in sich freyen Handelns, ihr ganzes Wesen ausmache. Jede Wißenschaft, …ist ein Object-Subject, nach dem Urbilde des Ich, welches Ich allein Wißenschaft an sich, und dadurch Princip und Auflösungsmittel aller Erkenntnisgegenstände, das Vermögung ihrer Destruction und Construction, in bloß wißenschaftlicher Absicht, ist.¹¹⁰
Dieser Rekonstruktion des Fichte’schen Idealismus als rein selbstbegründende und darin ihr Material zugleich selbst hervorbringende, konstruierende, ‚Wissenschaft des Wissens‘ schließt sich nun eine entschiedene Kritik desselben an. Wie später auch Kierkegaard den rein ‚metaphysischen Standpunkt‘ Fichtes, betont Jacobi in seiner Rekonstruktion des transzendentalidealistischen Ansatzes dessen ‚bloß wissenschaftliche Absicht‘, d. h. auch er verortet das eigentliche Problem entsprechend nicht in diesem Ansatz selbst, sondern in seiner Überforderung in der unzulässigen Anwendung auf den Phänomenbereich lebensweltlicher Wirklichkeit. Diesen Phänomenbereich bekomme er aufgrund seines Begriffs des Praktischen als einer genuin inhaltslosen, da abstrakten Selbstbezüglichkeit, überhaupt nicht zu fassen. Auch darin stimmen Kierkegaard und
JWA 2,1, 204. Ebd. Vgl. JWA 2,1, 199. SKS 1, 310 / BI, 278. JWA 2,1, 198.
A. 2.3 Das Missverhältnis von Denken und Wirklichkeit II
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Jacobi überein. Jacobi kennzeichnet und kritisiert das Projekt der Wissenschaftslehre dann entsprechend auch – und mit bemerkenswert ähnlichen Worten wie Kierkegaard – als bewegt von der „reine[n] Lust am reinen Wißen allein des reinen Wißens“, von der „Liebe des Erkenntnißes – bloß des Erkennens“ und der „Einsicht – bloß des Einsehens“¹¹¹. Die reine Aktivität des absoluten Ich ist „Thun[] – blos des Thuns“, und damit, trotz aller vorgeschobenen Betonung des Praktischen ein „blos logischer Enthusiasmus“, d. h. „[e]in nur sich selbst vorhabendes und betrachtendes Handeln, blos des Handelns und Betrachtens wegen, ohne anderes“ und damit eigentliches „Subject oder Object; ohne in aus für oder zu“¹¹² – ein Handeln also, das diese Bezeichnung letztlich nicht verdient: „[D]as Gesamte“ der Begründungs- und Konstruktionsaktivität des absoluten Ich ist „eine bloße That-That“¹¹³. Gegenüber einer auf Grundlage eines solchen Ansatzes dann lebensweltlich im besten Falle irrelevanten wissenschaftlichen ‚Wahrheit‘ fasst Jacobi den von ihm avisierten Bereich lebensweltlich relevanter Phänomene unter der Überschrift des ‚Wahren‘ zusammen: „Beide wollen wir“, so exponiert er die entscheidende Differenz seiner Perspektive gegenüber derjenigen Fichtes, „daß die Wißenschaft des Wißens…vollkommen werde: nur mit dem Unterschiede, daß Sie es wollen, damit sich der Grund aller Wahrheit, als in der Wißenschaft des Wißens liegend zeige; ich, damit offenbar werde, dieser Grund: das Wahre selbst, sey nothwendig außer ihr vorhanden.“¹¹⁴ Jacobi bestimmt diesen Phänomenbereich des ‚Wahren‘ nun inhaltlich näher. Dazu zunächst eine grundsätzliche Beobachtung: „Nach meinem Urtheil“, so formuliert Jacobi sein philosophisches Programm im Gespräch mit Lessing, „ist das größeste Verdienst des Forschers, Daseyn zu enthüllen, und zu offenbaren“¹¹⁵. Liest man dies zusammen mit der zunächst in der ‚Vorrede‘ zum Allwill von 1792 formulierten, dann 1819 als der „ächte[] und allgemeine[] Schlüssel“ für sein Gesamtwerk wiederholten Absicht, „Menschheit wie sie ist, erklärlich oder unerklärlich, auf das gewissenhafteste vor Augen [zu] stellen“¹¹⁶, dann heißt dies, dass der von Jacobi stets anvisierte Inhalt derjenige der Erfahrungsgehalte ist, die Menschen lebensweltlich immer schon machen. Diese Erfahrungsgehalte sind ihnen als ein solcher Inhalt mithin unmittelbar zugänglich, und aus ihnen entspringt ein jedes Suchen nach metaphysischer Wahrheit, das dann auch stets an
JWA 2,1,205. Ebd., meine Hervorh. JWA 2,1,201. JWA 2,1,199. JWA 1,1, 29. JWA 6,1, 89; JWA 1,1, 348.
30
2 Auftakt: Kierkegaards Fichte-Kritik und ihre Nähe zu Jacobi
diese es bedingenden Erfahrungen rückgebunden werden muss: „Wahrheit ist Klarheit“, schreibt Jacobi bereits in der ersten Auflage der Spinozabriefe, „und bezieht sich überall auf Würklichkeit, auf Facta.“¹¹⁷ Gerade auch „Gott, Freyheit, Unsterblichkeit“ als die „wesentlichen Gegenstände der Philosophie“, und mit ihnen jede „Religion“¹¹⁸, sind auf diese Weise bedingt: „Wir finden uns auf diese Erde gesetzt“, was bedeutet: „Wir erschaffen und wir unterrichten uns nicht selbst; sind auf keine Weise a priori, und können nichts a priori wissen oder thun; nichts erfahren – ohne Erfahrung.“¹¹⁹ Was sind dies nun aber für konkrete Erfahrungsgehalte, die hier vor allem auch in metaphysischer Hinsicht eine Rolle spielen und den Bereich des ‚Wahren‘ konstituieren? Entsprechend seiner Programmatik geht Jacobi aus von alltäglich begegnenden Phänomenen wie etwa „Bewundrung, Achtung, Dankbarkeit oder Liebe“¹²⁰. All diese Phänomene sind, so lässt sich Jacobis Argument rekonstruieren, erstens nicht zu leugnen und implizieren zweitens die Referenz auf ein Gegenüber, dem sowohl Freiheit als auch Personsein zugesprochen wird. Ich kann niemanden lieben aufgrund seiner allgemeinen Eigenschaft, zur Gattung Mensch zu gehören, sondern aufgrund seiner besonderen Eigenschaft, diese konkrete Person zu sein und keine andere. Ebenso wenig kann ich wahrhaft jemandem dankbar sein für seine Hilfe, wenn ich ihm nicht zugleich unterstelle, diese Hilfe auf Grundlage seiner freiheitlich getroffenen Entscheidung, helfen zu wollen, geleistet zu haben. Insbesondere in letztgenanntem Fall wird deutlich, dass Freiheit eine notwendige Bedingung von Persönlichkeit darstellt. Denn die freiheitlich getroffene Entscheidung, helfen zu wollen, nicht schon die bloß äußerliche Handlung, charakterisiert jemanden erst hinreichend als hilfsbereit, was wiederum seine Persönlichkeit¹²¹ inhaltlich mitbestimmt: Dieser Mensch ist dieser
JWA 1,1, 128. JWA 1,1, 340. JWA 1,1, 130. JWA 2,1, 161. Bereits hier ist es nötig, eine Begriffsklärung vorzunehmen: Das fundamentale Personsein, um das es Jacobi in seiner Auseinandersetzung mit Fichte geht, bezeichnet das unmittelbar und synchron Gegebene individueller Unverwechselbarkeit, Unveränderlichkeit und Irreduzibilität, auf die ein Subjekt sich etwa im korrekten Gebrauch des Personalpronomen in der ersten Person Singular bezieht (zu Jacobi Verständnis eines solchen fundamentalen Personseins vgl. ausführlich Sandkaulen 2019a, 95 – 117). Unter Persönlichkeit, oder im Folgenden auch Charakter, verstehe ich (wie ich denke in Übereinstimmung mit Jacobi) das diachron, d. h. über die gesamte Zeitspanne des Lebens in Form von z.T. wechselnder und einander widersprechender Eigenschaften reflexiv angereicherte Personsein, das im Blick auf diese Eigenschaften nicht irreduzibel und unveränderlich ist. So spricht Jacobi etwa von „Person“, „Persönlichkeit“ und „[p]ersönliche[m] Bewußtseyn“ im Sinne eines „aus Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zusammenge-
A. 2.3 Das Missverhältnis von Denken und Wirklichkeit II
31
und kein anderer unter anderem in der Weise, dass er mir in einer konkreten Situation geholfen hat, mithin in einem für mich wesentlichen Maße hilfsbereit ist. Auch der umgekehrte Fall drückt dies aus. Die freiheitlich getroffene Entscheidung, mir nicht zu helfen, bestimmt in ebensolchem Maße die Persönlichkeit meines Gegenübers. Indem Freiheit in dieser Weise die notwendige Bedingung für eine je konkrete Persönlichkeit darstellt, konstituiert sich in dieser Freiheit das dann wie auch immer als Persönlichkeit näher zu bestimmende, fundamentale Personsein des Menschen. Eine bloße Maschine, die sich weder für noch gegen eine Hilfeleistung entscheidet, mithin über keine Freiheit verfügt, sondern eine bestimmte Funktion ausführt, ist, so hilfreich diese Funktion für mich auch immer ist, in Ermangelung ihrer Freiheit auch keine Person, deren Persönlichkeit dann näher als hilfsbereit oder nicht hilfsbereit charakterisiert werden könnte. Gleiches gilt zudem nicht nur für mein Gegenüber, sondern auch für mich selbst. Auch ich selbst beanspruche Freiheit und Personsein für mich, was sich etwa in der näheren Beanspruchung eines gewissen Rechts auf Dankbarkeit im Falle einer Hilfestellung oder dem Bedürfnis als derjenige, der ich bin, geliebt zu werden, ausdrückt. Diese in solchen konkreten Phänomenen zu Tage tretende strukturelle Wechselseitigkeit von Freiheit und Personsein als zugleich Bedingung dieser Phänomene formuliert Jacobi in der Bestimmung seines Freiheitsbegriffs in der ‚Beilage II‘ zu seinem Brief an Fichte: Ich verstehe unter dem Worte Freiheit dasjenige Vermögen des Menschen, kraft deßen er er selbst ist und alleinthätig in sich und außer sich handelt, wirkt und hervorbringt. In sofern als er sich als ein freyes Wesen ansieht, fühlt und betrachtet, schreibt er seine persönlichen Eigenschaften, seine Wißenschaft und Kunst, seinen intellectuellen und moralischen Character sich selbst allein zu; er sieht insofern sich selbst als den Urheber, als den Schöpfer davon an; und nur in so weit er sich, den Geist, die Intelligenz, und nicht die Natur – aus der er nach einem Theile seines Wesens auf eine nothwendige Weise entsprungen ist, zu der er mit diesem Theile gehört und in ihren allgemeinen Mechanismus verflochten, in sie eingewebt ist – als den Urheber und Schöpfer davon ansieht, nennet er sich frey.¹²²
setzte[n] Begriff[s]. Indem wir diesen Begriff erzeugen, erzeugen wir uns selbst; indem wir ihn festhalten und fortsetzen, erhalten wir uns. Von einem nicht also bedingtem, nicht zeitlichem Leben…haben wir keine Vorstellung.“ (JWA 5,1, 204) (Ich bin mit Blick auf die noch folgenden Ausführungen insbesondere zum Woldemar sogar der Ansicht, dass es Jacobi nicht nur nebenbei auch, sondern in ganz wesentlichem Maße um einen solchen Begriff von der Persönlichkeit des Menschen geht. Dazu später mehr.) Zu solchen und anderen Differenzierungen in aktuellen Debatten im Bereich der Philosophie der Person vgl. Quante 2012. JWA 2,1, 233 f.
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2 Auftakt: Kierkegaards Fichte-Kritik und ihre Nähe zu Jacobi
Indem nun eine Fichte’sche ‚Wissenschaft des Wissens‘ den ‚Grund aller Wahrheit‘ innerhalb ihrer eigenen Grenzen verortet, hat sie notwendig ein entsprechendes, auch von Kierkegaard thematisiertes ‚Missverhältnis des Denkens zur Wirklichkeit‘ zur Folge, da sie erstens die von Jacobi benannten fundamentalen lebensweltlichen Erfahrungsgehalte der Freiheit und des Personseins nur als durch das Denken rekonstruierte, mithin abgeleitete Phänomene gelten lassen kann. Darin büßen diese Phänomene jedoch zweitens die ihnen wesentliche, in der Gleichursprünglichkeit der Erfahrung von Liebe, Dankbarkeit usw. und des eigenen freiheitlichen Personseins begründete Qualität des Realen ein, die gegenüber einer absoluten Freiheit des Denkens immer auch die Qualität des Bedingten mit sich führt – eine Qualität, die sich etwa ausdrückt in dem oben von Jacobi beschriebenen Bewusstsein der eigenen personalen und freiheitlichen Verantwortung für den eigenen ‚moralischen Charakter‘.¹²³ So verliert die Rede von der Freiheit des Menschen ihre Bedeutung, wenn mit dem Ausdruck ‚Freiheit‘ nurmehr das lediglich „Materialistische Princip des Mechanismus, eine ursprünglich blos unbestimmte Thätigkeit an sich, Actuosität oder Agilität“ (JWA 2,1,236) bezeichnet sein soll, und das genuine Interesse des Menschen an der eigenen Person wird verkannt und marginalisiert, wenn, wie Jacobi Fichte zitiert, „[‚]Vernunft Zweck; Persönlichkeit nur Mittel sey.‘“¹²⁴ Diesen Bedeutungsverlust der Freiheit und die Marginalisierung des Interesses des Menschen an der eigenen Person illustriert Jacobi mithilfe des „Gleichni[sses]“ von Fichtes „Strickstrumpf“¹²⁵. Jacobi schreibt: Um sich eine andere als die gewöhnliche empirische Vorstellung von dem Entstehen und Bestehen eines Strickstrumpfs zu machen, braucht man nur den Schluß des Gewebes aufzulösen, und es an den Faden der Identität des Object-Subjects ablaufen zu laßen. Man sieht deutlich alsdenn, wie dieses Individuum, durch ein bloßes Hin- und herbewegen des Fadens, das ist,…ohne empirischen Einschlag, oder sonst eine Beymischung oder Zuthat, zur Wirklichkeit gelangte.¹²⁶
Zur Qualität des Bedingten der hier unter dem Rubrum des ‚Wahren‘ verhandelten Erfahrungsgehalte vgl. auch folgende Stelle im Brief an Fichte, wo Jacobi gegen ein transzendentalphilosophisch begründetes und darin „streng wißenschaftliches System der Moral“ das darin nicht aufgehende „Herz des Menschen“ als „lebendige Wurzel“ aller zwischenmenschlich situierten Moralität in Stellung bringt, die er als eine solche unter dem Ausdruck der (nun nicht mehr nur beispielhaften) „Liebe“ fasst: „Dieses Herz“, so setzt er Fichte entgegen, „soll Transcendentalphilosophie mir nicht aus der Brust reißen, und einen reinen Trieb allein der Ichheit an die Stelle setzen; ich laße mich nicht befreyen von der Abhängigkeit der Liebe, um allein durch Hochmuth selig zu werden.“ (JWA 2,1, 212 f., meine Hervorh.) JWA 2,1, 210. JWA 2,1, 203. JWA 2,1, 203 f.
B. 2.4 Personsein und Selbstgefühl in Jacobis Brief an Fichte (1799)
33
Eine solche Wirklichkeit, die auf diesem Weg entsteht, die „Streifen, Blumen, Sonne, Mond und Sterne, alle möglichen Figuren“, die „[ich] meinem Strumpf gebe“, sind, als Produkt der „zwischen dem Ich des Fadens und dem Nicht-Ich der Drähte schwebenden productiven Einbildungskraft der Finger“, „aus dem Standpunkt der Wahrheit betrachtet, der alleinige und nackte Faden.“¹²⁷ Einen – den mindesten, darin aber gerade wesentlichen – ‚empirischen Einschlag‘ muss es in dieser Sache doch aber geben, soll der Strumpf mehr als bloßer Faden, mithin der Sinn und Zweck des Strumpfstrickens nicht ad absurdum geführt werden. Denn was macht einen Strumpf letztlich aus, wenn nicht „die Beziehung und Absicht auf ein menschliches Bein…?“¹²⁸
B 2.4 Personsein und Selbstgefühl in Jacobis Brief an Fichte (1799) und der ‚Beilage III‘ zur zweiten Auflage der Spinozabriefe (1789) Die reale Qualität der Freiheit gegenüber ihrer idealistischen Aushöhlung und das mit dieser Qualität zusammengehende fundamentale Personsein des Menschen – diese beiden konstitutiven Elemente einer, wie Kierkegaard schreibt, ‚menschenwürdigen‘ Lebenspraxis bilden den gemeinsamen Fluchtpunkt sowohl seiner als auch Jacobis Fichte-Kritik. Doch bei diesem für sich genommen schon bemerkenswerten Befund bleibt es nicht; es gilt noch eine Volte zu schlagen, um die sachliche Nähe des ‚frühen‘ Kierkegaard zu Jacobi in vollem Umfang zu erhellen. Wie schon gesagt, liegt für Kierkegaard wie für Jacobi das Problem mit Fichte nicht primär darin, dass das aus wissenschaftstheoretischen Gründen konzipierte Prinzip des absoluten Ich nicht mit dem empirischen Ich oder der individuellen Person zu identifizieren ist. Problematisch ist vielmehr die Überforderung des wissenschaftlichen Anspruchs in der Ausdehnung auf den Bereich des Ethischen, das in ganz wesentlichem Maße der Bereich personalen Handelns und damit individueller Freiheit ist. Dass die Ausdehnung des Wissenschaftsanspruchs als Anspruch auf Erklärung qua Letztbegründung auf diesen Bereich des Ethischen unzulässig ist, mithin der ‚Grund des Wahren‘, von dem Jacobi spricht, gerechtfertigter Weise außerhalb der Wissenschaft zu verorten ist, dies wird dann deut-
JWA 2,1, 204. JWA 2,1, 205 f.
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2 Auftakt: Kierkegaards Fichte-Kritik und ihre Nähe zu Jacobi
lich, wenn man beachtet, in welchem epistemischen Modus sich die eigene Personalität und Freiheit dem Individuum zu Bewusstsein bringen. Trotz unabdingbar reflexiver Anteile in der dann über die gesamte Lebensspanne auszubildenden Persönlichkeit und des Charakters – das ist das erste hier Wichtige –, konstituiert sich menschliches Personsein für Jacobi in entscheidender Weise nicht „durch Erkenntniß“¹²⁹. Personsein ist nicht ein nachträgliches Resultat eines ausschließlich (hinsichtlich seiner internen Bestimmtheit und seiner externen Bezüge dann wie auch immer auszudifferenzierenden) kognitiven Prozesses, etwa in Form des Erinnerns; in diesem Sinne ist es nicht Resultat der Reflexion. Vielmehr gründen sich sämtliche reflexiven Anteile, mithin der gesamte Prozess der Persönlichkeits- und Charakterbildung selbst, auf ein primäres, unmittelbar gegebenes, und darin, wie Birgit Sandkaulen formuliert, „existenzielles Bewußtsein“¹³⁰ des eigenen Selbstseins: Der Mensch „weiß, er ist dieser Eine und derselbe, der kein anderer ist noch werden kann“¹³¹, nicht in Form des Wissens, sondern in Form eines zu vernehmenden Gefühls. In diesem Sinne sind Gefühle, mithin auch und insbesondere das Gefühl des eigenen Personseins, für Jacobi Ausdruck des menschlichen Vernunftvermögens, das er im Gegensatz zum aktiv verknüpfenden, demonstrierenden, und im Falle Fichtes sogar konstruierenden Verstand, als das Organ des Vernehmens charakterisiert.¹³² Das heißt jedoch nicht, dass dieses Gefühl des eigenen Personseins nur für sich selbst stünde und in der Leugnung dann notwendig reflexiver Anteile in der Persönlichkeitsbildung einem vermeintlichen Irrationalismus Bahn bräche:¹³³ Wenn Jacobi mit Blick auf seine sich gleichsam um diese Problematik personalen Selbstseins zentrierende Spinoza-Kritik betont, nun auch und vor allem „kein Cartesianer“ zu sein, dann nur deshalb, weil er der Überzeugung ist, „man dürfe schlechterdings nicht das sum dem cogito nachsetzen“¹³⁴, nicht aber sollte man letzteres völlig eliminieren.
JWA 3, 26. Sandkaulen 2004, 220. JWA 3, 26 f. So lautet der bekannte Ausspruch Jacobis in seinem Brief an Fichte: „Von Vernunft ist die Wurzel, Vernehmen.“ (JWA 2,1, 201) Zum hier wichtigen ‚Vernehmen‘ des eigenen Personseins im Gefühl vgl. auch den folgenden Eintrag aus Jacobis Kladde VII: „Das Vernünftige Wesen besteht im Vernehmen seiner selbst; es geht in sich selbst zurück.“ (Denkbücher 2, 268). In seiner ‚Vorrede zu Band II der Werke‘ (1815) spricht Jacobi in Anlehnung und Übereinstimmung mit Jakob Friedrich Fries sogar bereits den Gefühlen selbst Urteilscharakter zu: Mit Fries habe „[e]iner unserer scharfsinnigsten Denker…die Gefühle…für unmittelbar aus der Vernunft entspringende Urtheile erklärt und sie Grundurtheile der Vernunft genannt. Gern nehmen wir diese Benennung von und mit ihm an.“ (JWA 2,1, 426.) JWA 1,1, 157, meine Hervorh.
B. 2.4 Personsein und Selbstgefühl in Jacobis Brief an Fichte (1799)
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Und so wenig wie dieses unmittelbare Selbstgefühl des eigenen Personseins schon alles ist und sich eine sekundäre reflexive Aneignung desselben in Form einer sich prozessual gestaltenden inhaltlichen Persönlichkeits- und Charakterbildung erübrigt, ist dieses Gefühl selbst – dies ist der zweite wichtige Aspekt – ein, wie Hegel in Rekurs auf Jacobis Brief an Fichte kritisiert, Phänomen von letztlich „unbestimmte[r]…Majestät“¹³⁵. Auch wenn Jacobi sogar selbst bisweilen Gegenteiliges behauptet, so erfährt sich der Mensch als Person ganz und gar nicht „ohne alles Merkmal“¹³⁶. Zumindest insofern nicht, als das Selbstgefühl stets seinen Ort hat in einer je konkreten Situation, in der es sich geltend macht und somit als ein solches überhaupt erst zu Bewusstsein kommt. Erst im Rekurs auf ein solches Merkmal kann dieses Selbstgefühl sinnvoll als ein ‚existenzielles‘ Bewusstsein bezeichnet werden kann – dies beschreibt Jacobi selbst in vielfacher Weise. Es ist das, wie ich formulieren möchte, Merkmal der Dringlichkeit, das den epistemischen Modus des Gefühls nun näher und in ausgezeichneter Weise bestimmt. Im Brief an Fichte spricht Jacobi von der „Nöthigung“ als „Weisung auf das Wahre“¹³⁷: Das Gefühl des personalen Selbstsein macht sich gerade dann in ausgezeichneter Weise geltend, wenn sich der Mensch mit einer sein Personsein marginalisierenden Wissenschaft konfrontiert sieht, die dann trotz aller Stringenz und Schlüssigkeit nicht anders als ein den „Geist zerrüttende[s], das Herz mir aus dem Busen reißende[s] Unding“ erfahren wird. „[Ich] erkläre“, so beschreibt Jacobi die Dringlichkeit des eigenen personalen Selbstgefühls in der Konfrontation mit Fichte, „daß es mich empört, wenn man mir den Willen der Nichts will, diese hohle Nuß der Selbstständigkeit und Freyheit im absolut Unbestimmten, dafür“ – für das eigene Personsein – „aufdringen will“¹³⁸. Dass für Jacobi die Konfrontation mit der Wissenschaft nun ein besonderer, jedoch nicht der ausschließliche und keinesfalls der ursprüngliche Ort der Erfahrung des freiheitlichen und personalen Selbstseins ist, verdeutlicht eine Passage in der ‚Beilage III‘ zur zweiten Auflage der Spinozabriefe. Dort kommt nicht nur das Merkmal der Dringlichkeit des Selbstgefühls besonders eindrücklich zur Darstellung – ein Umstand, der sicher auch ein Grund dafür gewesen sein dürfte, dass dann später Kierkegaard sein Pseudonym William Afham in Stadien auf des
GW 15, 21, meine Hervorh. JBW I,12, 208. JWA 2,1, 132. JWA 2,1, 134, meine Hervorh. Vgl. auch folgende Stelle in direktem Anschluss an das ‚Strickstrumpf-Gleichnis‘: „Ich sage aus, daß meine Vernunft, mein ganzes Inwendiges auffährt, schaudert, sich entsezt vor dieser Vorstellung: daß ich mich abwende von ihr, als von dem Gräßlichsten unter allen Gräßlichkeiten – Vernichtung anflehe, wie eine Gottheit, wider eine solche Danaiden- und Ixions-Seligkeit.“ (JWA 2,1, 206)
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2 Auftakt: Kierkegaards Fichte-Kritik und ihre Nähe zu Jacobi
Lebens Weg auf exakt diese Passage rekurrieren lässt.¹³⁹ Diese Darstellung der Dringlichkeit des Selbstgefühls bildet zugleich den Nukleus einer metatheoretischen Überlegung zur Ontogenese philosophischer Überzeugungen überhaupt und weist in diesem Sinne die unmittelbare Erfahrung des eigenen freiheitlichen und personalen Selbstseins als Bedingung der eigenen Überzeugung und eines jeden in ihrem Sinne vorgetragen Arguments aus. In der ‚Beilage III‘ erinnert sich Jacobi, dass man es bei den Spinozabriefen im Wesentlichen mit jenen „sonderbaren…Ansichten“ zu tun hat, zu denen „mein kindischer Tiefsinn…mich im achten oder neunten Jahren [brachte]“ und „die mir bis auf diese Stunde ankleben“, mit „nehmlich jene[m] Sonderbare[n]“, das als Grundimpuls nicht nur diese Schrift, sondern seine gesamte Philosophie bestimmen sollte: mit eine[r] von allen religiösen Begriffen ganz unabhängige[n] Vorstellung endloser Fortdauer, welche mich in dem angezeigten Alter, bey dem Nachgrübeln über die Ewigkeit a parte ante, unversehens mit einer Klarheit anwandelte, und mit einer Gewalt ergriff, daß ich mit einem lauten Schrey auffuhr, und in eine Art von Ohnmacht sank. Eine sehr natürliche Bewegung zwang mich, sobald ich wieder zu mir selbst kam, dieselbige Vorstellung in mir zu erneuern, und der Erfolg war ein Zustand unaussprechlicher Verzweiflung. Der Gedanke der Vernichtung, der mir immer gräßlich gewesen war, wurde mir nun noch gräßlicher; und eben so wenig konnte ich die Aussicht einer ewigdauernden Fortdauer ertragen¹⁴⁰.
Die auch hier beschriebene Dringlichkeit der Erfahrung des eigenen Selbstseins ergibt sich durch die gleichursprüngliche Erfahrung der Kontingenz dieses Selbstseins im Sinne des Nichtseinkönnens; die für das eigene Selbstsein konstitutive Endlichkeit und Zeitlichkeit ist der Gefahr der Annihilierung durch Unendlichkeit und ewige Fortdauer preisgegeben, deren Fortsetzung die Annihilierung der Persönlichkeit in Fichtes Wissenschaftslehre nurmehr darstellt. Dass mit der Wirklichkeit der gegen Fichte behaupteten Erfahrungsgehalte von Personalität und Freiheit, die in Jacobis Strickstrumpf-Gleichnis in Form von ‚Streifen, Blumen, Sonne, Mond und Sterne‘ vermeintlich harmlos daherkommt, also keine Kleinigkeit verhandelt wird, sondern die eigene Existenz als solche von Grund auf auf dem Spiel steht, wird durch diese Passage in der ‚Beilage III‘ erst recht deutlich. Von hier aus gewinnt auch der Vorwurf des „Nihilismus“¹⁴¹, in den Jacobis Vgl. SKS 6, 18 / SLW, 10. Aufgrund der für diese Arbeit zwecks konzentrierter Darstellung des geschlossenen Sachzusammenhangs getroffenen Entscheidung, sich im Folgenden wesentlich auf die Climacus-Schriften Kierkegaards zu beschränken, wird diese Referenz hier nur erwähnt. Eine ausführlichere systematische Untersuchung derselben habe ich gesondert versucht in Feldmeier 2019. JWA 1,1, 216. JWA 2,1, 215.
B. 2.4 Personsein und Selbstgefühl in Jacobis Brief an Fichte (1799)
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Fichte-Kritik letztlich mündet, seine eigentliche existenzielle Qualität. Aus dem hier schon antizipierten Bedeutungsverlust der Freiheit, der Marginalisierung des Interesses an der eigenen Person und der daraus folgenden Gefahr der Annihilierung derselben resultiert entsprechend Verzweiflung.¹⁴² In ihr offenbart sich dem Subjekt dieser Erfahrung sein eigenes Selbstsein unmittelbar und ganz konkret. Das ‚Ich bin‘, das gegen Descartes in Vorrangstellung zu bringen ist, begegnet hierin in seiner ursprünglichen und für Jacobi wesentlichen, dann auch seinen Gottesbegriff bestimmenden, nämlich erstpersonalen Form des ‚Ich bin, der ich bin‘¹⁴³– und dies mit entscheidenden philosophischen Konsequenzen: ‚Ich bin, der ich bin‘, dies will Jacobi sagen, indem mir erstens der Gedanke einer ‚ewigen Fortdauer‘ ‚gräßlich‘ erscheint, und indem ich als derselbe, dem dieser Gedanke ‚bis auf diese Stunde anklebt‘, dann zweitens eine Perspektive auf die Philosophie sowohl Spinozas als auch Fichtes nicht nur einnehme, sondern einnehmen muss, die mir diese als für mich unvertretbar erweist. Damit ist die gesamte, von Dieter Henrich erstmalig so bezeichnete ‚doppelphilosophische‘ Theoriestellung der Philosophie Jacobis,¹⁴⁴ sein „Spinoza und Antispinoza“¹⁴⁵ gleichwie die gegenüber Fichtes „umgekehrte[m] Spinozismus“¹⁴⁶ reformulierte Version von „Alleinphilosophie“ und „Unphilosophie“¹⁴⁷, nicht abgelöst zu verstehen von der eigenen Persönlichkeit. Sie ist vielmehr Ausdruck derselben. Damit bezeichnet sie nicht so sehr eine bloße Theoriestellung als vielmehr eine lebenspraktische Haltung, wie auch Kierkegaard sie im Rekurs auf Sokrates Fichte und den Romantikern gegenüber einklagt. Sie ist kein bloßes Gedankenspiel in Aussicht auf das bessere Argument, sondern Resultat einer existenziellen ‚Entscheidung‘¹⁴⁸, sodass auch für Jacobi gilt, was Climacus später ausspricht: „Ich habe nichts als mein Leben, und das setze ich stracks aufs Spiel, jedes Mal, daß“ – gerade auch in philosophischen Überlegungen – „eine Schwierigkeit sich
Deren Schilderung ließe sich nicht nur bis zu Kierkegaard, sondern, dies sei hier nur erwähnt, prototypisch bis hin zur Schilderung eines existenziellen Ekels bei Sartre nachverfolgen. Vgl. JBW I,7, 11. Vgl. Henrich 1993. Gegen die verkürzte Lesart Dieter Henrichs, die Jacobis Doppelphilosophie ausschließlich erkenntnistheoretisch interpretiert, hat Birgit Sandkaulen erstmalig deren wesentlich praktische Dimension hervorgehoben. Neben Sandkaulen 2000 vgl. dazu insbesondere auch Sandkaulen 2019a, 15 – 31. JWA 1,1, 274. JWA 2,1, 119. JWA 2,1, 198. Vgl. JWA 1,1, 350; JWA 7,1, 443. Zum Begriff der Entscheidung bei Jacobi vgl. auch die etymologischen Überlegungen zur Bedeutung desselben in Jacobis Kladden: „Entscheidung = EndScheidung“ sowie „Entscheidung – End-Scheidung“ (Denkbücher 2, 307; 436)
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2 Auftakt: Kierkegaards Fichte-Kritik und ihre Nähe zu Jacobi
zeigt.“¹⁴⁹ Das sich, wie in der ‚Beilage III‘ beschrieben, in der existenziellen Erfahrung der Verzweiflung für das Individuum kenntlich machende Gefühl individuellen Personseins bedingt für Jacobi folglich den Sinn, in dem er, wie er selbst beschreibt, „die Parthie des Spinozas genommen hatte“¹⁵⁰, nur um von dort, von der Rekonstruktion des „Geist[es] des Spinozismus“¹⁵¹ ausgehend, diesem allererst widersprechen zu können. Nur von dorther, von der eigenen „Individualität als Fundamentalgefühl“¹⁵² – so heißt es in einem Brief an Jean Paul¹⁵³ – ist es einsichtig, was es heißt, dass Jacobi zugleich sein gesamtes Denken als ein „persönliches“¹⁵⁴ auszeichnet und als ein einheitliches und ganzes orientiert sieht in der Bewegung „einzig und allein von spekulativer Philosophie gegen spekulative Philosophie, oder richtiger, von reiner Metaphysik gegen reine Metaphysik“¹⁵⁵, „[u]nd das dem eigentlichen, nicht dem sprüchwörtlichen Sinne nach: in fugam vacui“¹⁵⁶.
2.5 Kierkegaards frühe Journale (1835 – 36) und die Auseinandersetzung mit Fichtes Die Bestimmung des Menschen (1800) Es ist nun deshalb wichtig, auf diese Rolle des Gefühls bei Jacobi hinzuweisen, weil damit erstens der wesentliche Punkt der Problemstellung bezeichnet ist, die Jacobi Fichte vorgibt. Diese Problemstellung führt Fichte dann zweitens in der als direkte Antwort auf Jacobi konzipierten Bestimmung des Menschen von 1800 immer schon mit. Die Empörung Jacobis über das ‚Herz mir aus dem Busen reißende Unding‘ der Wissenschaftslehre wird hier übersetzt in die Verzweiflung eines dramatisch in Szene gesetzten Protagonisten: „Warum“, so die Klage dieses
SKS 4, 217 / PB, 6. JWA 1,1, 128. JWA 1,1, 18. JBW I,12, 207. Vgl. dazu insges. Koch 2013. JWA 1,1, 339. JWA 1,1, 128, meine Hervorh. JWA 1,1, 128.Vgl. dazu auch folgende Passage aus Jacobis Brief an Fichte: „Da es, sage ich, so mit mir und der Wißenschaft des Wahren; oder richtiger, der wahren Wißenschaft beschaffen ist: so sehe ich nicht ein, warum ich nicht, wäre es auch nur in fugam vacui, meine Philosophie des Nicht-Wißens, dem Philosophischen Wißen des Nichts, sollte aus Geschmack vorziehen dürfen.“ (JWA 2,1, 215)
B. 2.5 Kierkegaards frühe Journale (1835 – 36)
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‚Ich‘, „muß mein Herz trauern und zerrissen werden, von dem, was meinen Verstand so vollkommen beruhigt?“¹⁵⁷ Fichte führt diese Problemstellung nun wohlgemerkt nur deshalb mit, um sie, verstanden als eine Kritik an seinem bloß theoretischen Idealismus, mit einer abschließenden Exposition seines praktischen Teils zu entkräften; nur aus dessen Unkenntnis heraus habe Jacobis vermeintliches Missverständnis der Wissenschaftslehre, so Fichtes Überzeugung, überhaupt hervorgehen können.¹⁵⁸ Dass es dann in der Tat aber, wie Jacobi auf diesen Vorwurf erwidert, nicht darum geht, „was Fichte am Ende meint oder lehren will, sondern was er seinen Principien zufolge meinen und lehren muß“¹⁵⁹, wird dadurch bekräftigt – und das ist der für meine Argumentation entscheidende Punkt –, dass es nun drittens gerade dieser Entkräftungsversuch im Praktischen ist, den Kierkegaard im Anschluss an seine Auseinandersetzung mit der Bestimmung des Menschen als unbefriedigend zurückweist. Diese Auseinandersetzung findet schon sehr früh, noch zu Kierkegaards Studienzeit im Jahr 1835 und vor der Beschäftigung mit der Wissenschaftslehre der Jenaer Jahre, statt¹⁶⁰ und formiert überhaupt erst den Hintergrund der Kritik an der Wissenschaftslehre, wie sie die Ironie-Schrift in so bemerkenswerter Nähe zu Jacobi ausführt. Dafür sprechen zwei Journaleinträge von 1836, dem Folgejahr der Lektüre der Bestimmung des Menschen. Der eine Eintrag lautet knapp: „Fichte warf in der Verzweiflung den empirischen Ballast über Bord und kenterte.“¹⁶¹ Kierkegaard ist hier, anders als in der Ironie-Schrift, noch in keiner Weise um tiefergehende Ausführungen zu Fichte bemüht. Behält man aber den Umstand im Blick, dass die Lektüre der Bestimmung des Menschen noch nicht lange zurück liegt, so erscheint es sehr plausibel, in dem verwendeten Ausdruck ‚Verzweiflung‘ das oben beschriebene inszenatorische Mittel der verzweifelten Klage des ‚Ich‘ Fichtes herauszulesen. Und mehr noch: In der Tat ist es dann ja auch die in der Dringlichkeit des Gefühls sich manifestierende Problemstellung eines im theoretischen Idealismus nicht aufzuhebenden personalen und freiheitlichen Selbstseins, die Fichte im dritten Teil der Bestimmung des Menschen nicht etwa zufriedenstellend zu
GA I,6, 208. Vgl. Koch 2019, xxxv f. Zu Fichtes Bestimmung des Menschen als Antwort auf Jacobi vgl. ausführlich Sandkaulen 2019a, 225 – 243. Zu Fichte und Jacobi insgesamt vgl. auch Sandkaulen 2011. JBW I,12, 185. Dies belegen sowohl das lose Papier 252:5 vom 16. März 1835 (Pap. I C 50/SKS 27,185) als auch eine Journalaufzeichnung vom 29. Juli 1835 (SKS 17, 13 ff., AA:6 / DSKE 1, 14).Vgl. dazu auch Hirsch 1930 ff. Bd. 2, 471 ff. (zitiert nach der fortlaufenden Paginierung). SKS 18, 80, FF:27 / DSKE 2, 82.
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2 Auftakt: Kierkegaards Fichte-Kritik und ihre Nähe zu Jacobi
lösen vermag, sondern durchaus wie einen ‚Ballast‘ ‚über Bord wirft‘, indem sie zum Ende hin schlichtweg nicht mehr vorhanden ist. Während das in der Bestimmung des Menschen sprechende ‚Ich‘ anfangs mit „Wehmut“, „Abscheu“ und „Entsetzen“ auf die „Richtigkeit“ und die „schneidende[] Schärfe der Beweise“¹⁶² reagiert, die ihm sein eigenes Dasein im spinozistischen Sinne als bloßes Resultat einer besonderen „Menschenbildende[n] Kraft“ innerhalb der umfassenden und „ursprüngliche[n] Denkkraft des Universums“¹⁶³ haben erklären wollen, so verebbt eine solche Klage im Entwicklungsgang dieser Schrift jedoch schnell. Das Entsetzen weicht der beruhigten Einsicht in die Teilhabe des ‚Ich‘, nicht als Kraft an einer ‚ursprünglichen Denkkraft des Universums‘, wohl aber als endlicher Wille an einem „erhabne[n] Willen“¹⁶⁴; dieser stellt dann nicht mehr „strenge[] Naturnothwendigkeit“¹⁶⁵, sondern das „geistige Band der Vernunftwelt“¹⁶⁶ dar. Das heißt dann aber: Nicht die Sache, sondern nur der Ton ändert sich, denn ein bloßes ‚Glied‘ in einer ‚Kette‘ ist der Mensch hier wie dort¹⁶⁷ – was aber nur zu Beginn ein Problem darstellte: „meine gesamte Persönlichkeit“, die anfangs gegen eine solche Marginalisierung die eigene Dignität einklagte, „ist mir“, so konstatiert das ‚Ich‘ zum Ende dann nämlich mit Freude und ohne die einstige Trauer des Herzens, „verschwunden und untergegangen“¹⁶⁸. Inwiefern dies nun ein ‚Kentern‘ ist, darauf weist der zweite der beiden Journaleinträge zu Fichte aus dem Jahr 1836 hin, indem dieser sich des antiken Mythos von Tithonos bedient: Die Göttin der Morgenröte, Aurora in der lateinischen, Eos in der griechischen Überlieferung, beklagt gegenüber Jupiter respektive Zeus das Alter ihres menschlichen Gatten Tithonos und erbittet dessen Unsterblichkeit. Sie vergisst jedoch eine entsprechend ewige Jugend in ihre Bitte mit einzuschließen, sodass Tithonos, immerfort alternd, derart zusammenschrumpft, dass nichts mehr von ihm übrigbleibt als die bloße Stimme. Den Liebenden gnädig verwandelt der Göttervater Tithonos daraufhin in eine Zikade, deren nurmehr körperloser Klang die Morgenröte fortan begleitet. Ohne nähere Erläuterung steht dieser Mythos für Kierkegaard nun sinnbildlich für „[d]ie gesamte GA I,6, 207 f. GA I,6, 200. GA I,6, 292. GA I,6, 199. GA I,6, 292. Vgl. GA I,6, 199; 292. GA I,6, 303. Erstmalig hat Birgit Sandkaulen ein solches Scheitern des Fichte’schen Versuchs einer Entkräftung der Kritik Jacobis hervorgehoben: „Nach der Zuspitzung des Problems im Nihilismus und der anschließenden Arbeit am Wiedergewinn der Realität im Weltentwurf des Handelns ist vollständig vergessen, worin ehemals das Problem des ‚Ich‘ bestand.“ (Sandkaulen 2019a, 237)
B. 2.5 Kierkegaards frühe Journale (1835 – 36)
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idealistische Entwicklung“, für die Fichte hier als paradigmatisches Beispiel fungiert: Sie „fand wohl ein Ich, eine Unsterblichkeit, aber ohne Fülle, wie Auroras Mann, der zwar unsterblich, doch ohne ewige Jugend sein Ende als Heuschrecke fand.“¹⁶⁹ Der Bezug auf den Mythos verweist auf das spätere Argument eines uneinholbaren Verlusts an empirischem Gehalt und damit auf den Verlust einer den Menschen herausfordernden geschichtlichen Wirklichkeit, der in Fichtes Konzept eines absoluten Ich notwendig angelegt ist. Er markiert auch explizit die Kontinuität von Kierkegaards Fichte-Kritik seit der Zeit der Lektüre der Bestimmung des Menschen, indem er in der Ironie-Schrift, wo besagtes Argument aufgeführt wird, wiederholt auftaucht: „Je mehr im Kritizismus das Ich in die Betrachtung des Ich versank“, so heißt es dort knapper als im frühen Journal, „um so magerer und dürrer ward dieses Ich, bis daß es damit endete“ – und dies geht nun an die Adresse Fichtes – „daß das Ich ein Gespenst ward, unsterblich gleich Auroras Mann.“¹⁷⁰ Und so wie die frühen Journale im Ausgang der Auseinandersetzung mit der Bestimmung des Menschen auf die spätere Kritik der Wissenschaftslehre vorausweisen, artikulieren sie ebenso bereits das Bedürfnis nach einer lebenspraktischen Haltung, die die Ironie-Schrift im Blick auf Sokrates als das Ethische kennzeichnet. Ein solches Ethische steht nicht nur der Fichte’schen, sondern einer jeden Form der Wissenschaft entgegen, die, mit Jacobi gesprochen, über dem ‚Verstand‘ das ‚Herz‘ vergisst, d. h. in ihrem Bemühen um Wahrheit und Erkenntnis die Notwendigkeit der lebendigen Aneignung derselben durch das einzelne Individuum außer Acht lässt. 1835 notiert Kierkegaard in sein Journal, dass es darum geht, „ein vollkommen menschliches Leben zu führen und nicht bloß eins der Erkenntnis“, was näherhin bedeutet, mit mir selbst darüber ins Reine zu kommen, was ich tun soll, nicht darüber, was ich erkennen soll…. Es kommt darauf an, eine Wahrheit zu finden, die Wahrheit für mich ist, die Idee zu finden, für die ich leben und sterben will. Und was nützte es mir dazu, wenn ich eine sogenannte objektive Wahrheit herausfände; wenn ich mich durch die Systeme der Philosophen durcharbeitete und sie auf Verlangen Revue passieren lassen könnte; dass ich Inkonsequenzen innerhalb jedes einzelnen Kreises nachweisen könnte;…was nützte es mir, dass ich die Bedeutung des Christentums entwickeln könnte, viele einzelne Phänomene erklären könnte, wenn es für mich selbst und mein Leben nicht eine tiefere Bedeutung hätte? …Zwar will ich nicht leugnen, dass ich noch einen Imperativ des Erkennens annehme;…aber dann muss er lebendig in mir aufgenommen werden und das ist es, was ich jetzt als die
SKS 18, 80, FF:26 / DSKE 2, 82. SKS 1, 308 / BI, 277.
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2 Auftakt: Kierkegaards Fichte-Kritik und ihre Nähe zu Jacobi
Hauptsache anerkenne. Das ist es wonach meine Seele dürstet wie Afrikas Wüsten nach Wasser.¹⁷¹
Dass die Missachtung des Individuums als Instanz der lebendigen Aneignung von Wahrheit im Falle der hier angesprochenen Wissenschaften der Philosophie und Theologie dem Wesen dieser Wissenschaften zuwiderläuft, ist der eine hier formulierte Gedanke. Denn Kierkegaard zufolge befassen diese Wissenschaften sich, anders als die Mathematik, mit dem Leben, nicht im Sinne des biologischen, lebendigen, sondern im Sinne des lebensweltlichen, zu lebenden und immer schon gelebten Lebens. Die so unvermeidliche Diskrepanz zwischen der Idealität der wissenschaftlichen Betrachtung und der in dieser Idealität nie aufgehenden Faktizität des gelebten Lebens (sowie der ganz anderen Art der mit dieser Faktizität begegnenden Idealität des ethisch-moralischen Anspruchs eines zu lebenden Lebens), verlangt zwangsläufig das ‚Interesse‘ des Individuums als zunächst dem Wortsinne nach zwischen Idealität und Faktizität einzuschaltendes und immer schon eingeschaltetes kritisches Maß.¹⁷² Man könne sich, so Climacus in seinem einleitend zitierten Bekenntnis zu Jacobi, nur ‚selbst vergessen über dem Studium des Systems‘.¹⁷³ Das zweite und entscheidende ist aber, dass eine solche Missachtung des Individuums nicht nur für diejenigen Wissenschaften ein Problem darstellt, die einer solchen kritischen Instanz strukturell bedürfen. Sie ist vor allem für dasjenige Individuum selbst ein Problem, das sich im Betreiben einer solchen Wissenschaft diejenige praktische Selbstverständigung erhofft, die diese Wissen SKS 17, 24 f., AA:12 / DSKE 1, 23 f. Vgl. dazu die an der Unterscheidung zwischen ‚Esse‘ und ‚Inter-esse‘ orientierten Wissenschaftsklassifikation in folgendem Journalfragment Kierkegaards von 1842: „Über die Begriffe Esse und Inter-esse. Ein methodologischer Versuch. [D]ie unterschiedlichen Wissenschaften sollen gemäß der unterschiedlichen Weise, in der sie Sein akzentuieren [accentuere Væren], geordnet werden; und [gemäß der Weise], wie das Verhältnis zu Sein reziproken Vorteil [reciprok Fordeel] gibt. Ontologie Mathematik. Ihnen kommt absolute Gewissheit [Vished] zu – hier sind Denken und Sein eins, aber im Gegenzug sind diese Wissenschaften Hypothesen. Existenz-Wissenschaft [Existenstiel-Videnskab].“ (Papir 281 / SKS 27, 271) Ich zitiere hier die Übersetzung, die Heiko Schulz im Zuge seiner ausführlichen Interpretation dieses Eintrags (der auch mein obiger Kommentar zum Wesen philosophischer und theologischer Wissenschaft nach Kierkegaard verpflichtet ist), anbietet (Schulz 2014, 39 – 61). Damit präformiert Kierkegaards Rede vom ‚vollkommenen menschlichen Leben‘ in den frühen Journalen nicht nur den Fokus auf ein allein ‚menschenwürdiges Leben‘ im Ausgang von der sokratisch verstandenen Ironie in der Ironie-Schrift; sie erfüllt auch dasjenige Kriterium eines ‚lebensweltlichen Lebensbegriffs‘, den Jacobi – darauf hat Birgit Sandkaulen jüngst hingewiesen – als Folie entscheidender Debatten der nachkantischen Philosophie überhaupt erst aufgebracht hat (vgl. Sandkaulen 2019b).
B. 2.5 Kierkegaards frühe Journale (1835 – 36)
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schaften in ihrem wesentlichen Bezug auf das Leben scheinbar versprechen, d. h. die Verständigung darüber, wie es sein Leben als Individuum in der Welt leben kann und soll. Eine solche praktische Selbstverständigung kann aber nicht gelingen, wenn Wissenschaft diese mit theoretischem Wissen verwechselt, ja sogar verwechseln muss, da sie per definitionem nicht anders als mit den Mitteln der Ratio operieren kann. Sie kann den von Jacobi geltend gemachten Zwiespalt von ‚Verstand‘ und ‚Herz‘, der dem von Kierkegaard geltend gemachten Zwiespalt eines ‚Lebens der Erkenntnis‘ und eines ‚vollkommen menschlichen Lebens‘ entspricht, nur dadurch auflösen, dass das im Verstand nicht aufgehende ‚Herz‘ und mit ihm die individuelle Persönlichkeit ‚verschwindet‘ und ‚untergeht‘, die einen solchen Zwiespalt überhaupt nur hat problematisieren und das Bedürfnis nach praktischer Selbstverständigung hat äußern können. Dies hat nicht nur Jacobi an Fichte kritisiert. Auch für Kierkegaard ist Fichte hier das beste Beispiel. Abschließend sei noch auf das Folgende hingewiesen: Ganz in diesem Sinne wird dann auch das in der Ironie-Schrift gegen Fichte geltend gemachte strukturelle Argument eines Mangels an empirischem Gehalt und des daraus resultierenden Missverhältnisses zwischen verunendlichtem Denken und verendlichender Wirklichkeit von Anti-Climacus in Die Krankheit zum Tode (1849) fortgeführt und vertieft. Dieses nun nicht mehr anders als mit Fichte zu assoziierende Missverhältnis gilt dort als eine der zentralen Verfallsformen menschlicher Selbstkonstitution, der nun in diesem technischen Sinne zu verstehenden Formen der Verzweiflung: als die ‚Verzweiflung der Unendlichkeit‘, die, der für Fichte entscheidenden Funktion der Einbildungskraft und ihres Einflusses auf die Romantiker gemäß, an die Phantasie gebunden wird. Denn die Phantasie, so schreibt Anti-Climacus, „ist überhaupt das Medium dessen, das unendlich macht“, mithin ist „[d]as Phantastische…überhaupt dasjenige, was einen Menschen dergestalt ins Unendliche hinausführt, daß es ihn lediglich von ihm selber fortführt und ihn dadurch abhält zu sich selbst zurückzukehren.“¹⁷⁴ Mit AntiClimacus lautet die Pointe Kierkegaards, die auch die Pointe Jacobis ist: In Fichtes Philosophie manifestiert sich in paradigmatischer Weise die „größte Gefahr“, mit der der Mensch sich konfrontiert sieht: sich nicht nur eine Zeit lang zu ‚vergessen über dem Studium des Systems‘, sondern sich in diesem Vergessen gänzlich „zu verlieren“¹⁷⁵.
SKS 11, 147 / KT, 27. SKS 11, 148 / KT 29. Auf diesen argumentativen Zusammenhang der frühen Journale, der Ironie-Schrift und der Krankheit zum Tode sowie auf den daraus ersichtlichen fundamentalen Unterschied zwischen Kierkegaards Verständnis personalen Selbstseins und Fichtes Konzeption eines absoluten Ich macht, wohlgemerkt ohne den hier entscheidenden Rekurs auf Jacobi, auch Richard Purkarthofer (Purkarthofer 2010, 152) aufmerksam.
3 Hauptteil: Die existenzielle Ethik der Climacus-Schriften Gegen die Marginalisierung der Individualität des Einzelnen, wie sie Fichtes Ansatz der Wissenschaftslehre als einer ‚Wissenschaft des Wissens‘ gerade auch für den Bereich des Praktischen zur Folge hat, ist das Projekt der ClimacusSchriften ein genuin ethisches Projekt, das „mit den einzelnen Menschen“ – und „wohlgemerkt mit jedem Einzelnen“ – zu tun hat. Damit adressiert es erstens diesen Einzelnen als ethisches Subjekt, konfrontiert ihn mit der „Forderung“, „er solle ethisch existieren“¹⁷⁶. Dies war im Wesentlichen bereits die Pointe des an Sokrates anschließenden Kierkegaard der Ironie-Schrift, der gegen Fichte und die Romantiker das Individuum als stets neu in die Verantwortung zu nehmende Beurteilungsinstanz gegenüber einer es herausfordernden geschichtlichen Wirklichkeit in Stellung brachte. Climacus bestimmt diesen Einzelnen in seiner Individualität nun auch und vor allem zweitens als den wesentlichen Gegenstand ethischen Interesses und definiert die geforderte Praxis ethischen Existierens entsprechend: Im Ethischen geht es Climacus zufolge darum, dass jeder Einzelne „alle seine Aufmerksamkeit darauf richtet, daß er existierend ist“¹⁷⁷; es geht darum, „sich selbst in Existenz zu verstehen.“¹⁷⁸ Mit diesem Projekt ordnet er sich nun explizit in die direkte Folge Jacobis ein, insofern er sich zunächst von derjenigen Überzeugung das grundsätzliche Thema seiner Überlegungen vorgeben lässt, die Climacus zufolge auch Jacobis „Protest…gegen das systematische Einklemmen des Daseins“ motiviert: „die Überzeugung, daß die Existenz längere und tiefere Bedeutung haben muß als die paar Jahre, in denen man sich selbst vergißt über dem Studium des Systems.“¹⁷⁹ „Für den Existierenden“, so formuliert Climacus in diesem Sinne, „ist das Existieren sein höchstes Interesse, und die Interessiertheit am Existieren die Wirklichkeit“¹⁸⁰; als „eigene ethische Wirklichkeit des Individuums“ ist sie dessen „einzige Wirklichkeit“¹⁸¹, mithin der Ort gelingender Selbstkonstitution und der Realisierung individueller Freiheit.
SKS 7, 191 f. / AUN 2, 21. SKS 7, 116 / AUN 1, 113. SKS 7, 321 / AUN 2, 55. SKS 7, 227 / AUN 1, 243. SKS 7, 286 / AUN 2, 15. SKS 7, 298 / AUN 2, 29.
https://doi.org/10.1515/9783110989540-004
3 Hauptteil: Die existenzielle Ethik der Climacus-Schriften
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Die Climacus-Schriften sind dann aber drittens nicht zu lesen als philosophisch-wissenschaftliche Abhandlungen über existenzielle Ethik.¹⁸² Sie sind der geschlossene Versuch eines individuellen Einzelnen, die eigene Aufmerksamkeit auf die ebenso eigene Existenz zu richten. Sie sind mithin selbst bereits ein Beispiel der ethischen Praxis eines „unendlich interessierten Individuums“¹⁸³ – des pseudonymen Verfassers Johannes Climacus – und sprechen mit dessen eigener, individuellen Stimme gegen das, was nach ihm und ganz in seinem Sinne Stanley Cavell als die „Arroganz der Philosophie“ bezeichnet hat: gegen „ihren Anspruch, für alle zu sprechen, die Grundlagen der Existenz als solcher zu entdecken.“¹⁸⁴ Denn anders als in einer ‚Wissenschaft des Wissens‘ und ihrem nicht nur (zumindest für diese selbst) unproblematischen, sondern sogar fundamentalen Anspruch auf rational zu vermittelnde und darin allgemeine Übereinstimmung, steht hier nicht primär das eine solche Übereinstimmung garantierende Denken – sei es in theoretischer, sei es in praktischer Ausrichtung – im Zentrum. Für Climacus geht es um das Lebens, das primär nur in Form des eigenen, individuellen Lebens den Anspruch auf Verantwortung an den Einzelnen zu richten vermag: „[M]ein Leben“, so heißt es bereits im ‚Vorwort‘ zu den Philosophischen Brocken, „kann ich aufs Spiel setzen, mein Leben kann ich allen Ernstes zum Scherze machen – das eines andern nicht.“¹⁸⁵ Und rückblickend auf sein gesamtes schriftstellerisches Werk bekräftigt Kierkegaard diesen Vorbehalt: Einen Menschen zwingen zu einer Meinung, einer Überzeugung, einem Glauben, das kann ich in alle Ewigkeit nicht; aber eines kann ich,…ich kann ihn zwingen aufmerksam zu werden….Indem ich ihn zwinge aufmerksam zu werden, komme ich dazu ihn zum Urteilen zu zwingen. Nun urteilt er. Aber wie er urteilt, steht nicht in meiner Macht.¹⁸⁶
Die individuelle Stimme des Johannes Climacus, der mit seinem Projekt einer existenziellen Ethik dem Leser folglich nur das eigene Urteilen vorträgt, mithin nur sein Leben, dieses aber gerade, „aufs Spiel [setzt], jedes Mal daß eine Schwierigkeit sich zeigt“¹⁸⁷, ist unter anderem nun vor allem diejenige eines de-
In diesem Sinne formuliert Robert C. Roberts nicht nur im Blick auf die Climacus-Schriften, sondern auf Kierkegaards schriftstellerische Tätigkeit insgesamt treffend, „that Kierkegaard does not have a theory in the sense ethics professors are supposed to, and what he is doing in his writings is better thought of as a conceptual exploration, within a given moral tradition (Christianity), that expresses, seeks, and seeks to engender wisdom.“ (Roberts 2008, 73) SKS 7, 25 / AUN 1,14. Cavell 2010, 33, meine Hervorh. Zu Cavell und Kierkegaard vgl. auch Hall 1994. SKS 4, 217 / PB, 6. SKS 16, 32 / G, 44. SKS 4, 217 / PB, 6.
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zidierten Nicht-Christen.¹⁸⁸ Als ein solcher billigt er dem Christentum jedoch ein Potential zu, das anvisierte ethische Existieren als praktischen Selbstverständigungsprozess nicht nur in ausgezeichnetem Maße zu befördern, sondern in wesentlicher Hinsicht überhaupt erst in Gang zu setzen. Es verkörpert mithin dieselbe, oben auch mit Jacobi zusammengebrachte Überzeugung von der Bedeutsamkeit des Individuums, indem es „ein ganz anderes Gewicht auf mein kleines Ich, und auf jedes noch so kleine Ich [legt], da es dieses Ich ewig selig machen will, wenn dieses Ich das Glück hat, in das Christentum hineinzukommen.“¹⁸⁹ Inwiefern ein solches Potential auch für den jeweiligen Leser besteht – dies bleibt ganz im Sinne des Ansatzes der Climacus-Schriften letztlich, und wie immer bei Kierkegaard, diesem Leser ‚zur Selbstprüfung anbefohlen‘.¹⁹⁰
3.1 Kierkegaard und Jacobi I: Die Philosophischen Brocken (1844) und Jacobis Argument eines wesentlichen Unterschieds von Grund und Ursache 3.1.1 Sachliche Vorbemerkung: Jacobis Doppelphilosophie und der Unterschied zwischen adjektiver und substantiver Vernunft Vor dem Hintergrund eines solchen Vorbehalts stellt das Christentum den Ausgangspunkt Kierkegaards dar. Und mehr noch: Nicht nur die Climacus-Schriften, sondern Kierkegaards gesamte existenzielle Ethik, die sich mindestens bis zu Der Liebe Tun über die Climacus-Schriften hinaus erstreckt, wird auch aufs Christentum hinauslaufen: Als hinreichende Bedingung gelingender Lebensführung weist Kierkegaard die persönliche Beziehung zum in Jesus von Nazareth Mensch gewordenen und darin liebenden Gott aus.
Vgl. etwa den Beginn von Climacus’ ‚Verständigung mit dem Leser‘ zum Ende der Nachschrift: „Der Unterzeichnete, Johannes Climacus, der dieses Buch geschrieben hat, gibt sich nicht für einen Christen aus“ (SKS 7, 560 / AUN 2, 331). SKS 7, 25 / AUN 1,14. Zur Selbstprüfung der Gegenwart anbefohlen lautet der deutsche Titel der von Kierkegaard 1851 unter eigenem Namen veröffentlichten Schrift Til selvprøvelse Samtiden anbefalet. Die deutsche Übersetzung findet sich in: Sören Kierkegaard, Gesammelte Werke. 27., 28. u. 29. Abt.: Erbauliche Reden 1850/51, Zur Selbstprüfung der Gegenwart anbefohlen, Urteilt selbst, übers. v. Emanuel Hirsch, Düsseldorf 1953, 41– 120. Das dänische Original liegt in neuster Edition vor in SKS 13, 31– 108.
3.1 Kierkegaard und Jacobi I
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Anders Jacobi. Zwar steht er ähnlich wie Kierkegaard zeitlebens nicht nur dem „sichtbare[n] Philosophenthum“, sondern auch dem „sichtbare[n] Kirchenthum“¹⁹¹ kritisch gegenüber. Zu keiner Zeit verfolgt er jedoch ein in gleichem Maße christlich konnotiertes Projekt wie Kierkegaard; dieser kann später sogar explizit davon sprechen, das eigentliche ‚Christentum‘ in die so selbstherrlich wie selbstvergessene ‚Christenheit‘ erst wieder einführen zu müssen, damit es für den Einzelnen überhaupt als Möglichkeit der Lebensführung gelten kann, auf die er dann aufmerksam zu machen ist.¹⁹² Inwiefern Jacobi aber nichtsdestotrotz als ein auch nach eigenem Bekunden religiöser Denker anzusehen ist, ist zum Ende dieser Arbeit zu klären. Hier ist zunächst ein anderer, sehr viel fundamentalerer Komplex eines zweifachen Unterschieds zwischen Jacobi und Kierkegaard zu markieren, der für die Bewertung der sowohl affirmativen als auch kritischen Bezugnahmen auf Jacobi in den Climacus-Schriften grundlegend ist: der Unterschied (1) in der jeweiligen Strukturanlage des Denkens und (2) im jeweiligen Vernunftverständnis, das diese Anlage bedingt. (1) Wie bereits einleitend zur Forschungslage erwähnt, weist Anders Moe Rasmussen darauf hin, dass u. a. darin eine strukturelle Gemeinsamkeit zwischen Jacobi und Kierkegaard auszumachen ist, dass beide ihr eigenes Denken in wesentlichem Maße in Auseinandersetzung mit und kritischer Absetzung von einer in sich geschlossenen und kohärenten Systemphilosophie entfalten. Insbesondere letzteres ist in jedem Fall richtig, auch wenn hier zu ergänzen ist, dass Kierkegaards Verständnis dieser Systemphilosophie, die in seinem Werk vorderhand als Hegelianismus begegnet, in sehr viel stärkerem Maße als bisher bemerkt dem von Jacobi etablierten Paradigma des Spinozanischen Rationalismus verpflichtet ist. Dazu später mehr. Schaut man aber auf die dieser kritischen Absetzung zugrunde liegende Auseinandersetzung mit den Charakteristika einer solchen Systemphilosophie, dann ist im Rahmen dieser strukturellen Gemeinsamkeit auf einen nicht unerheblichen Unterschied zwischen Jacobi und Kierkegaard hinzuweisen. Wenngleich insbesondere Climacus die Problempunkte des Rationalismus durchaus und, wie sich noch zeigen wird, auch ganz zentral in kritischem Rekurs auf Spinoza formuliert, bemüht er sich nicht in gleicher Weise wie Jacobi um eine umfassende Rekonstruktion des Systems des Spinozismus. Geschweige denn, dass eine solche Rekonstruktion bei ihm einherginge mit der unmissverständli-
JWA 1,1, 353. So spricht Kierkegaard 1849 von der „Bewegung, die gemacht werden muss, um die Xstheit zurück zum Xstt zu führen“ (SKS 22, 95, NB11:160 / DSKE 6, 106), oder davon, „das Xstt. einzuführen – in der Xstenheit“ (SKS 22, 314, NB13:66 / DSKE 6, 361).
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chen Bewunderung der inneren Geschlossenheit und Konsequenz dieses Systems, wie sie Jacobi artikuliert: „Es gibt“, so Jacobi gegenüber Lessing, „keine andre Philosophie, als die Philosophie Spinozas.“¹⁹³ Aber nicht nur das. Jacobi geht es in dezidierter Absicht auf die eigene, letztlich anti-Spinozanische Position sogar darum, die Gegenposition des Spinoza zunächst und mit aller Emphase einzunehmen. Es geht darum, als „Advocatu[s] diaboli“ die „Parthie des Spinoza“ allererst zu ergreifen, um dann „von spekulativer Philosophie gegen spekulative Philosophie, oder richtiger, von reiner Metaphysik gegen reine Metaphysik“¹⁹⁴ das Wort überhaupt erheben zu können. Diese emphatische Aneignung der Innenperspektive des Spinozismus ist für Jacobi in keiner Weise marginal oder gar verzichtbar, sondern essenzieller Bestandteil der Anlage seines Denkens. Er vertritt eine dezidierte Doppelphilosophie: Sein „Spinoza und Antispinoza“¹⁹⁵ bildet eine unauflösliche Einheit.¹⁹⁶ Climacus vertritt eine solche Doppelphilosophie hingegen nicht. Weder rekonstruiert er in solcher Geschlossenheit die auch von ihm kritisierte rationalistische Systemphilosophie, noch – und das ist entscheidend – ist dieser seiner Kritik die vorgängige Aneignung der Innenperspektive dieser Philosophie essenziell. Und dieser strukturelle Unterschied hat einen nunmehr sachlichen Grund. (2) Wenn Climacus im Anschluss an Jacobi und mit der Anverwandlung von dessen Argument eines Unterschieds der Begriffe von Grund und Ursache darauf hinweist: „Alles Werden geschieht durch Freiheit, nicht aus Notwendigkeit; nichts Werdendes wird aus einem Grunde; alles aber aus einer Ursache“¹⁹⁷, dann ist
JWA 1,1, 18. JWA 1,1, 128. JWA 1,1, 274. Vgl. dazu Jacobis programmatische Schilderung seines Denkverfahrens im David Hume, wie es letztlich nicht nur in seiner Auseinandersetzung mit Spinoza, Kant und Fichte, sondern auch in seinen Romanen zur Anwendung kommt: „Bey mir kam es darauf an: nicht die entgegen gesetzte Behauptung ungereimt, sondern sie vernünftig zu machen. Ich mußte den Grund des Irrthums, seine Möglichkeit in einem guten Kopfe entdecken, und mich dergestalt in die Denkungsart des Irrenden versetzen können, daß ich ihm nachzuirren, und mit seiner Ueberzeugung zu sympathisieren im Stande war.“ (JWA 2,1, 43) Dass dieses Verfahren vielfach Grund für Unklarheiten und Missverständnisse hinsichtlich Jacobis jeweils eigener Position war, darauf weist bereits Sandkaulen 1995, 418 (Anm.5) hin. Wie bereits im Zusammenhang mit Jacobis Fichte-Kritik hervorgehoben, war es ebenso Birgit Sandkaulen (Sandkaulen 2000), die gegen die erkenntnistheoretische Engführung der Doppelphilosophie Jacobis durch Dieter Henrich (Henrich 1993) erstmalig deren genuin praktische Dimension einer gerade auch im Blick auf die Rekonstruktion des Spinozismus einzunehmende Haltung herausgestellt hat. SKS 4, 275 / PB, 71.
3.1 Kierkegaard und Jacobi I
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diese Rede nicht nur immer schon in einem solchen Maße auf die Darstellung und Durchleuchtung der Sphäre der Freiheit und des ursächlichen Werdens hin ausgerichtet, dass die rationalistische Sphäre der Notwendigkeit und des Grundes nicht mehr anders als in strenger Opposition zur Freiheit verstanden werden kann. Climacus steht vor allem auch deshalb in strenger Opposition zum Rationalismus, da er seine eigene Position vor dem Hintergrund eines Vernunftbegriffs entwirft, der sich von demjenigen Jacobis unterscheidet. Um diesen Unterschied zu verstehen, ist zunächst folgende Stelle aus den Brocken zu bedenken. Dort spricht Climacus davon, es sei „des Denkens höchstes Paradox: etwas entdecken zu wollen, das es selbst nicht denken kann.“ Mehr noch: Es ist zudem „des Verstandes [Forstandens] höchste Leidenschaft, den Anstoß zu wollen, ganz gleich, daß der Anstoß auf die ein oder andre Weise sein Untergang [Undergang] werden muß.“¹⁹⁸ Mit Blick auf das von Climacus verwendete Vokabular – die deutsche Übersetzung entspricht hier dem dänischen Originalwortlaut sehr genau – mag es so klingen, als ob Climacus auf den Hegel’schen Begriff eines reflektierenden Verstandes rekurriert. Bereits in der Differenzschrift (1802) heißt es entsprechend: „[D]ie Reflexion vernichtet insofern sich selbst und alles Seyn und Beschränkte, indem sie es aufs Absolute bezieht“; in dessen „unendliche[m] Reichthum“ findet der „Verstand…und seine objektive Welt…den Untergang“¹⁹⁹. Ohne hier eine direkte Referenz oder einen Einfluss behaupten, geschweige denn diskutieren zu wollen, ist dieser Seitenblick doch insofern hilfreich, als es für Hegel im Folgenden ganz entscheidend ist, dass es gegenüber einem solchen bloß reflektierenden Verstand die „geheime Wirksamkeit“²⁰⁰ einer übergeordneten Vernunft ist, die eine Beziehung des Verstandes auf das Absolute überhaupt erst ermöglicht: Nur dem reflektierenden Verstand ist eine Erkenntnisgrenze zu bescheinigen, die als ein Moment der Wirksamkeit der Vernunft erkannt zugleich aufgehoben ist.²⁰¹
SKS 4, 243 / PB, 35. GW 4, 17. Ebd. Eine solche Auffassung einer Beschränktheit des Verstandes, die mit den Operationen „Bestimmen, Trennen, Abstrahieren“ zusammengeht, zieht sich, wie Peter Jonkers darstellt, durch Hegels Philosophie „seit den frühen Frankfurter Fragmenten bis zu den reifen Berliner Schriften.“ (Jonkers 2006, 467) Vgl. entsprechend zu dem hier anhand der Differenzschrift Dargestellten die Rolle des Verstandes als erstes, da bloß abstrahierendes Moment der logischen Bewegung, die Hegel im ‚Vorbegriff‘ zur enzyklopädischen Logik von 1830 (§§79 – 82) gegenüber dem eigentlich „Spekulative[n]“ als das „Positiv-Vernünftige“ (GW 20, 118 ff.) abgrenzt.
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3 Hauptteil: Die existenzielle Ethik der Climacus-Schriften
Trotz der Übereinstimmung im Vokabular stellt dieser Gedanke eine den Climacus-Schriften nun jedoch völlig gegenläufige Pointe dar. Eine solche fundamentale Unterscheidung zweier qualitativ verschiedener Erkenntnisvermögen findet sich dort nicht. Im Gegenteil sogar wird Climacus den Gedanken einer den Verstand überschreitenden spekulativen Vernunft als bloße „Einbildung“²⁰² zurückweisen. Damit stellt er sich dezidiert nicht in die Tradition eines intuitivnoetischen Vernunftverständnisses, das die Beschränktheit und Widersprüchlichkeit eines diskursiv-dianoetischen Verstandes vermittelnd aufzuheben in der Lage ist, um dem Menschen so die Erkenntnis des Absoluten und der Wahrheit aus sich heraus zu ermöglichen.²⁰³ Im Zusammenhang der innerhalb dieses Kapitels noch genauer zu betrachtenden Epistemologie der Brocken, genauer im Zusammenhang der Unterscheidung zwischen einer sogenannten ‚ewigen‘ und einer ihr gegenüberstehenden ‚historischen‘ Erkenntnis, wird noch deutlich werden, dass sich Climacus zwar durchaus einer Differenzierung bewusst ist, die sich mit den Begriffen ‚intuitiv‘ und ‚diskursiv‘ näher bestimmen lässt. Er räumt sogar einen ganz bestimmten, wenngleich sehr eingeschränkten Geltungsbereich intuitiver Erkenntnis ein: Intuitive Erkenntnis ermöglicht ausschließlich die Einsicht in mathematische Begriffe, deren immanente Eigenschaften dann logischdiskursiv abgeleitet werden können. In diesen Sinne stehen Intuition und Diskursivität einander jedoch nicht gegenüber. Wir haben es vielmehr mit einem Komplex von intuitiver Begriffserkenntnis und logisch-diskursiver Ableitung immanenter Eigenschaften zu tun, der unter dem Primat der Diskursivität nicht nur das vollständig beschreibt, was Climacus unter dem Rubrum des Verstandes zusammenfasst, sondern in dem sich Climacus zufolge das Vermögen des Denkens überhaupt vollständig erschöpft.²⁰⁴ Vor diesem Hintergrund eines solchen ausschließlich diskursiven Vernunftbegriffs und eines Verständnisses menschlichen Denkens als ausschließlich rational sind die Climacus-Schriften vom Beginn an geprägt von der Opposition
SKS 7, 269 / AUN 1,291. Zur Einordnung Hegels in die paradigmatisch mit Platon einsetzende, zwischen ‚Nous‘ und ‚Dianoia‘ unterscheidende Tradition abendländischen Vernunftverständnisses vgl. Bickmann 2001. Entsprechend weist auch C. Stephen Evans in seinem Kommentar zu den Brocken darauf hin, dass eine genaue Lektüre dieser Schrift keinen Hinweis darauf gibt, dass Kierkegaard über eine qualitative Unterscheidung der Erkenntnisvermögen von Verstand und Vernunft verfügt (vgl. Evans 1992, 188 [Anm. 7]). Das geht der Sache nach auch aus den Überlegungen zum Vernunftbegriff (engl. „reason“, dän. „Fornunft“) bei Kierkegaard hervor, die Jamie Turnball (Turnball 2015) vorlegt. Vgl. darüber hinaus auch den sich der Frage nach der adäquaten englischen Übersetzung der jeweiligen Ausdrücke widmenden Aufsatz von Anthony J. Burgess (Burgess 1994).
3.1 Kierkegaard und Jacobi I
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zwischen Denken und Wirklichkeit, von System und Existenz. Wie sich gleich noch genauer zeigen wird, operieren insbesondere die Brocken in dieser Folge kontinuierlich mit der disjunktiven Gegenüberstellung zweier Wahrheitstheorien. Zwar wird Climacus später in der Nachschrift betonen, dass wir gerade auch als Existierende „nicht gedankenlos“²⁰⁵ sind. Inwiefern sich aber auch umgekehrt in der Verabsolutierung des Denkens nicht nur existenzielle Residuen ausmachen lassen, sondern in ihr gerade auch das genuin existenzielle Bedürfnis nach praktischer Selbstverständigung, auf das Climacus mit seiner Rede von Freiheit abzielt, wirksam ist, bleibt von ihm nicht nur unbesprochen. Ein solcher Gedanke ist ihm in der Folge der Reduktion seines Vernunftbegriffs auch unvorstellbar. Im Falle Jacobis verhält es sich anders. Für ihn kommt es ganz entschieden darauf an, auch den Rationalismus und insbesondere das in seinem Geiste verfasste System des Spinozismus als Ausdruck menschlicher Selbstverständigungspraxis auszuweisen und anzuerkennen. Zugespitzt formuliert: Für Jacobi ist die Wirklichkeit menschlichen Lebens, um die es ihm geht, nicht nur auf der dem Denken gegenüberliegenden Seite der Freiheit und des ursächlichen Werdens zu verorten.Vielmehr ist er der Auffassung, dass die Freiheit umgekehrt und sehr viel fundamentaler immer auch im Projekt des Rationalismus, insbesondere in seiner Spinozanischen Variante, wirksam und deshalb auch ausfindig zu machen ist. Der Rationalismus steht für ihn folglich nicht in schlichter Opposition zu, sondern entspringt selbst genuin der Freiheit und dem Leben des Menschen, sodass ein rechtes Verständnis dieser Freiheit und dieses Lebens nicht in einer grundsätzlichen Zurückweisung, sondern zu einem wesentlichen Teil erst in der Anerkennung des Rationalismus und seiner systematischen Ausgestaltung gewonnen werden kann. Diese komplexe Dialektik von Freiheit und Systemrationalität drückt sich nicht nur in Jacobis doppelphilosophischer Anlage seines ‚Spinoza und Antipinoza‘ aus, die er später gegenüber Fichte nurmehr als Verhältnis von „Alleinphilosophie“ und „Unphilosophie“²⁰⁶ reformuliert. Im Detail wird insbesondere das im Folgenden dieses Kapitels so entscheidende Argument eines Unterschieds der Begriffe von Grund und Ursache diese Dialektik widerspiegeln. Dazu später Genaueres. Hier muss darauf eingegangen werden, dass dieser gesamten Dialektik, gleich der entsprechenden Oppositionsstellung bei Climacus, ein entsprechendes Vernunftverständnis zugrunde liegt, das nun im Gegensatz zu Kierkegaard-Climacus – aber auch anders als Hegel – einen intuitiven Vernunft-
SKS 7, 303 / AUN 2, 35. JWA 2,1, 198.
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begriff reklamiert. Es gilt erneut, sich diesem Vernunftbegriff zunächst über den Weg der Epistemologie zu nähern. Der epistemische Modus der individuellen Freiheitserfahrung ist für Jacobi das Gefühl. Wie bereits für den Fall seiner Fichte-Kritik beschrieben, macht sich im Gefühl die wechselseitig aufeinander angewiesenen Eigenschaften der Freiheit und des individuellen Personseins des Menschen als real geltend, wo sie angesichts der Verabsolutierung von Rationalität der Gefahr der Marginalisierung und Annihilierung ausgesetzt sind. Aber nicht nur dort: Das Gefühl der Freiheit und des individuellen Personseins begegnet ganz fundamental in unserem alltäglichen, auf Zwecke hin orientierten Handeln und manifestiert sich in der entsprechend „lebendige[n] Ueberzeugung“, so Jacobi gegenüber Lessing: „daß ich thue was ich denke, anstatt, daß ich nur denken sollte was ich thue.“²⁰⁷ Diesen epistemischen Modus des Gefühls konnte Jacobi bereits in den Spinozabriefen, dann aber vor allem in seiner Schrift David Hume über den Glauben oder Idealismus und Realismus. Ein Gespräch (1787) in Abgrenzung zum rationaldiskursiv, d. h. durch Begründung und Beweis gewonnenen Wissen als Glauben bezeichnen. Dieser Glaube, so bringt Jacobi seine entschieden realistische Position im ‚Vorbericht‘ zum David Hume auf den Punkt, bilde sogar das letztlich intuitive Fundament einer jeden auch rationalen Erkenntnis. Diese muss sich mithilfe ihres begründenden und beweisenden Verfahrens letztlich auf reale Gegenstände, ihre Eigenschaften und Verhältnisse beziehen, die ihr durch dieses Verfahren selbst nicht gegeben werden können. Ausführlich schreibt Jacobi hier: Meine Philosophie behauptet keine zwiefache Erkenntniß des würklichen Daseyns, sondern nur eine einfache, durch Empfindung; und schränkt die Vernunft, für sich allein betrachtet, auf das bloße Vermögen Verhältnisse deutlich wahrzunehmen, d.i. den Satz der Identität zu formieren und darnach zu urtheilen, ein. Nun muß ich aber eingestehen, daß die Bejahung bloß identischer Sätze, allein apodictisch sey, und eine absolute Gewißheit mit sich führe; und daß die Bejahung des Daseyns an sich von einem Dinge ausser meiner Vorstellung nie eine solche apodictische Bejahung seyn, und eine absolute Gewißheit mit sich führen könne. Also kann der Idealist, gestützt auf diesen Unterschied, mich nöthigen einzuräumen, daß meine Ueberzeugung vom Daseyn würklicher Dinge ausser mir, nur Glaube sey. Alsdenn aber muß ich, als Realist, sagen: alle Erkenntniß könne einzig und allein aus dem Glauben kommen, weil mir Dinge gegeben seyn müssen, ehe ich Verhältnisse einzusehen im Stande bin.²⁰⁸
Ein solcher, wie hier abzulesen ist, rein epistemischer Glaube hat mit dem religiösen Glauben insbesondere auch der christlichen Religion, auf die es Climacus-
JWA 1,1, 28. JWA 2,1, 9 f.
3.1 Kierkegaard und Jacobi I
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Kierkegaard letztlich ankommen wird, nichts zu tun. Gleichwohl ist ihm eine essenziell metaphysische Dimension eingeschrieben. Und dies in hauptsächlich dreierlei Hinsicht.²⁰⁹ Er bezieht sich nicht nur erstens, wie hier im David Hume zentral, auf reale Gegenstände der Außenwelt, die mir als ontologisch prioritär gegeben und damit als solche epistemisch gewiss sind. Zweitens ist auch die im alltäglichen Handlungsvollzug gegebene Erfahrung der Freiheit auf eine solche Art gewiss und damit Gegenstand epistemischen Glaubens. Sie kann nicht rational begründet und bewiesen werden, sondern liegt vielmehr umgekehrt auch dem Verfahren rationaler Begründung in dem Maße zugrunde, als dieses vor dem Hintergrund eines mechanistischen, d. h. auf naturkausale Zusammenhänge reduzierten Weltbildes mit den Begriffen von Ursache und Wirkung operiert: Gerade auch der Begriff der Ursache, dies betont Jacobi nicht nur im David Hume, sondern auch in der ‚Beilage VII‘ zur zweiten Auflage der Spinozabriefe, ist „ein Erfahrungsbegriff…, den wir dem Bewußtsein unserer Causalität und Paßivität zu verdanken haben, und der sich eben so wenig aus dem blos idealischen Begriffe des Grundes herleiten, als in denselben auflösen läßt.“²¹⁰ Entscheidend ist hier aber drittens, dass wir Jacobi zufolge in diesem Vollzug freiheitlichen Handelns über eine unmittelbare Erfahrung des Unbedingten verfügen. In dieser Unbedingtheitserfahrung des freiheitlichen Handelns erfahren wir uns nicht nur über die eigene naturkausale Bedingtheit, der wir als biologischer Organismus in einer physikalischen Umwelt zweifelsohne ausgesetzt sind, sondern auch über unsere näherhin animalisch-sinnliche Natur erhoben, die ausschließlich auf Bedürfnisbefriedigung ausgerichtet agiert: Es bestehet also die Freyheit nicht in einem ungereimten Vermögen, sich ohne Gründe zu entscheiden; eben so wenig in der Wahl des Bessern unter dem Nützlichen, oder der vernünftigen Begierde: denn eine solche Wahl, wenn sie auch nach den abgezogensten Begriffen geschieht, erfolgt doch immer nur mechanisch – sondern es besteht diese Freyheit, dem Wesen nach, in der Unabhängigkeit des Willens von der Begierde. ²¹¹
Den im Folgenden von mir skizzierten Komplex der metaphysischen Dimension nicht nur des Jacobi’schen Glaubensbegriffs, sondern überhaupt seines am freiheitlichen Handeln des Menschen orientierten Denkens bezeichnet Birgit Sandkaulen pointiert als Jacobis ‚Handlungsmetaphysik‘ (vgl. dazu ausführlich Sandkaulen 2000, 255 ff. sowie in der Folge dann insbes. Sandkaulen 2019a, 33 – 53). JWA 1,1, 256. Die erste zusammenhängende und immer noch ausführlichste Darstellung und Diskussion der ‚Beilage VII‘, insbesondere auch hinsichtlich der in ihr behandelten und für mich in Folgenden wichtigen Aspekte einer Historiogenese instrumenteller Rationalität sowie Jacobis Verständnis einer doppelten Vernunft liefert Sandkaulen 2000. JWA 1,1, 164.
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Aber nicht nur das. Jacobi kehrt mit seinem Freiheitsverständnis das Bedingungsverhältnis von Unbedingtem und Bedingtem, wie es prominent etwa Kants Metaphysikkritik zugrunde liegt, ganz fundamental um, wenn er in der ‚Beilage VII‘ konstatiert: Ich nehme den ganzen Menschen, ohne ihn zu theilen, und finde, daß sein Bewußtseyn aus zwei ursprünglichen Vorstellungen, der Vorstellung des Bedingten und des Unbedingten zusammen gesetzt ist. Beyde sind unzertrennlich mit einander verknüpft, doch so, daß die Vorstellung des Bedingten die Vorstellung des Unbedingten voraussetzt, und in dieser nur gegeben werden kann. Wir brauchen also das Unbedingte nicht erst zu suchen, sondern haben von seinem Daseyn dieselbige, ja eine noch größere Gewißheit, als wir von unserem eigenen bedingten Daseyn haben.²¹²
Vor diesem Hintergrund einer dem Menschen genuin verfügbaren Erfahrung des Unbedingten als Ermöglichungsgrund der Erfahrung des Bedingten kann Jacobi die nun in mehrfachem Zusammenhang aufgebrachte Verhältnisbestimmung von Gefühl und Glaube auf der einen und rationaler Erkenntnis auf der anderen Seite fortführen und mithilfe des Gedankens einer doppelten Vernunft nunmehr auch anthropologisch fundieren. Diesen Gedanken bringt er in der ‚Beilage VII‘ letztgültig auf den Begriff, indem er dort die Frage formuliert: „[H]at der Mensch Vernunft; oder hat Vernunft den Menschen?“²¹³ Diese Frage klingt, so gesteht Jacobi selber zu, einigermaßen „sonderbar“; er spezifiziert jedoch sogleich: Versteht man unter Vernunft die Seele des Menschen, nur in so fern sie deutliche Begriffe hat, mit denselben urtheilet, schließt, und wieder andre Begriffe oder Ideen bildet: so ist die Vernunft eine Beschaffenheit des Menschen, die er nach und nach erlangt, ein Werkzeug, dessen er sich bedient, sie gehört ihm zu. ²¹⁴
Durchaus verfügt der Mensch also über eine hier beschriebene diskursiv-rationale Vernunft. Dies wird nicht in Zweifel gezogen. Sie allein ist jedoch – darauf will Jacobi bereits hier hinaus – bloßes Adjektum: ‚sie gehört ihm zu‘, bestimmt jedoch nicht sein Wesen als Mensch. Aber – so heißt es dann weiter: „Versteht man… unter Vernunft das Prinzip der Erkenntniß überhaupt; so ist sie der Geist, woraus
JWA 1,1, 260. Zu Jacobis Umkehr des Bedingungsverhältnisses von Bedingtem und Unbedingtem, wie es genauer mit Blick auf Kants Konzept einer Vernunft begegnet, die von der Bedingtheit der Verstandeserkenntnis ausgehend und stets auf sie rückbezogen auf das Unbedingte nurmehr in einem sekundären Schritt und dann in Form regulativer Ideen und praktischer Postulate ausgreifen kann, vgl. ausführlich Sandkaulen 2015. JWA 1,1, 259. Ebd.
3.1 Kierkegaard und Jacobi I
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die ganze lebendige Natur des Menschen gemacht ist: durch sie besteht der Mensch; er ist eine Form, die sie angenommen hat.“²¹⁵ Was ist gemeint? Mit den Begriffen einer hier in diesem Sinne nicht mehr nur „adjectiven“, sondern vielmehr „substantiven“²¹⁶, d. h. das eigentliche Menschsein des Menschen ausmachende und damit letztlich auch die Ausbildung einer adjektiven Vernunft umfassenden Vernunft und des Geistes des Menschen, den eine solche Vernunft konstituiert, findet Jacobi das für sein Denken letztgültige Vokabular zur Benennung nicht nur der genuin menschlichen Fähigkeit, sondern auch des ständigen Vollzugs, sich zu sich selbst und seiner Lebensform in ein Verhältnis zu setzen.²¹⁷ Mit der ‚Vernunft, die den Menschen hat‘, durch die er ‚besteht‘, adressiert Jacobi eine genuin menschliche Form der Selbstverständigungspraxis, die sowohl den Einzelnen als auch dessen Einbettung in die eigene Kulturgeschichte umgreift. Auf beide Aspekte ist nun noch einzugehen. Letztgenannter Aspekt wird insbesondere deutlich in den Überlegungen zur Historiogenese der adjektiven als instrumenteller Vernunft, die Jacobi ebenfalls in der ‚Beilage VII‘ vorlegt und die er in der ‚Vorrede‘ zur zweiten Auflage der Spinozabriefe als „[n]atürliche Geschichte der speculativen Philosophie“²¹⁸ ankündigt. „Dem Menschen überhaupt“, so leitet Jacobi die entsprechende Passage ein, „war es durch seine frühesten Bedürfnisse aufgegeben, dem Beständigen in dem ihn umgebenden und ihn durchdringenden Unbeständigen der Natur nachzuforschen; und dieses Nachforschen mußte ihn, sowohl im Sittlichen als Physischen, zu einer unabsehbaren Reihe von Entwickelungen leiten und drängen.“²¹⁹ Eine zentrale Entwicklung in diesem Sinne ist Jacobi zufolge die Herausbildung einer Form der Vernunft, die über den Weg einer engen Verknüpfung von kategorial-schematisierendem und quantifizierendem Denken und sprachlicher Abstraktion eine Welt erschafft, „worin Zeichen und Worte die Stelle der Substanzen und Kräfte vertreten“, die dem Menschen in ihrem singulär-qualitativen Gehalt zuvor dunkel und unverfügbar waren.²²⁰ Durch die Herausbildung einer solchen
JWA 1,1, 260. JWA 2,1, 232. Das „Wunder“ des „Nicht-Mechanische[n]“ „in den Handlungen, Werken und Charakteren der Menschen“ bezeugt, so betont Jacobi im Kontext der Unterscheidung einer adjektiven und substantiven Vernunft in der ‚Beilage II‘ zum Brief an Fichte, der „Geist“ „mit der That“. (JWA 2,1, 235) Jacobis Verständnis des Menschen als Geist im Sinne eines zum Selbst- und Weltverhältnis fähigen, darin freien und unbedingten personalen Selbst stellt ausführlich Sandkaulen 2019a, 55 – 76 heraus. JWA 1,1, 153. JWA 1,1, 248. Vgl. auch die Wiederaufnahme dieses Gedankens in Jacobis Schrift Von den Göttlichen Dingen und ihrer Offenbarung (1811), wo nicht mehr nur von ‚Substanzen und Kräften‘, sondern
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Zeichen-, d. h. letztinstanzlich einer Begriffssprache, die es ermöglicht, Erfahrungsgehalte kategorial zu ordnen und deren innere Zusammenhänge sowie äußere Verhältnisse in ihrer Gesetzmäßigkeit zu bestimmen – in Jacobis Formulierung: ihren „Mechanismus“ einzusehen – ist der Menschen überhaupt erst in die Lage versetzt, die ihn umgebende Natur und damit auch sich selbst als Teil dieser Natur zu begreifen: Diejenigen Dinge, wovon wir das Vermittelnde eingesehen, das ist, deren Mechanismus wir entdeckt haben, die können wir, wenn die Mittel selbst in unsern Händen sind, auch hervorbringen. Was wir auf diese Weise, wenigstens in der Vorstellung, construieren können, das begreifen wir; und was wir nicht construieren können, das begreifen wir auch nicht.²²¹
In diesem Sinne ist die rational-diskursive zugleich instrumentelle Vernunft, sie ist „Erhaltungsmittel des Lebens“, das eine weitergehende Aneignung der Natur überhaupt erst möglich macht.²²² Entscheidend ist aber nun, dass eine solche Vernunft zugleich jedoch die Gefahr mit sich führt, dieses zu erhaltende Leben in der Unmittelbarkeit seiner Wirklichkeit und der Vielfalt seiner Erfahrungen aus dem Blick zu verlieren: Wir eignen uns das Universum zu, indem wir es zerreissen, und eine unseren Fähigkeiten angemessene, der wirklichen ganz unähnliche Bilder- Ideen- und Wort-Welt erschaffen. Was wir auf diese Weise erschaffen, verstehen wir, in so weit es unsere Schöpfung ist, vollkommen; was sich auf diese Weise nicht erschaffen läßt, verstehen wir nicht; unser philosophischer Verstand reicht über sein eigenes Hervorbringen nicht hinaus.²²³
Damit ist nun noch einmal ein Blick auf Jacobis ‚Spinoza und Antispinoza‘ zu werfen. Denn in einer solchen ‚natürlichen Geschichte der speculativen Philosophie‘ ist zugleich auch die „Entstehung des Spinozismus“²²⁴ mit angelegt. So ist von einem „Chaos dunkler und verworrener Empfindungen und Vorstellungen“ die Rede ist, vor dessen Hintergrund sich „der menschliche Verstand“ (JWA 3, 77) hat ausbilden müssen. JWA 1,1, 260. Stefan Schick weist zurecht darauf hin, „dass Jacobi die Vernunft damit nicht als Instrument menschlicher Bedürfnisbefriedigung versteht. Dies setzt nämlich bereits die fundamentale Leistung der Vernunft voraus, aus einem scheinbar chaotischen Ganzen singulärer Ereignisse Ordnung zu erzeugen. Das Auffinden geeigneter Mittel zu gegebenen Zwecken ist ja überhaupt nur möglich, wenn der Mensch sich bereits in geordneten Zusammenhängen bewegt und unter Einsatz gleicher Mittel unter gleichen Umständen die Realisierung gleicher Zwecke erwarten kann. Die fundamentale Leistung der Vernunft besteht deshalb in der Produktion einer durch die geschaffenen Zeichenwelt und die damit verbundene Reduktion der Komplexität des unmittelbar Gegebenen.“ (Schick 2019, 57) JWA 1,1, 249. JWA 1,1, 153.
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auch Jacobis Kritik am Rationalismus Spinozas vor dem Hintergrund der gleichzeitigen Nützlichkeit, gar Unabdingbarkeit der adjektiven Vernunft und der ihr inhärenten Gefahr der Verstellung derjenigen Wirklichkeit zu lesen, die der Mensch sich mit ihrer Hilfe anzueignen versucht. Diese Tendenz der Verstellung ist nämlich gerade im Rationalismus virulent und im Spinozismus auf ihre unüberbietbare Spitze getrieben worden. Inwiefern? Der Spinozismus bringt, so Jacobis differenzierte Beurteilung, gegenüber den „blos mechanischen Philosophen“ angefangen bei den Atomisten und bis hin zu Descartes überhaupt erst zur Erfüllung, worauf „die speculative Natur des Menschen“ mit der Herausbildung einer adjektiv-instrumentellen Vernunft „die Aussicht gewann“²²⁵: Mit seinem im Geiste des „Uralte[n]: a nihilo nihil fit“²²⁶ entworfenen Monismus stellt Spinoza nämlich dasjenige ontologisch-metaphysische Modell bereit, in dem nicht durch eine Reihe vielfacher Ursachen aufseiten der Ausdehnung, der das Denken unverbunden gegenüber steht, sondern durch einen einzigen, Denken und Ausdehnung umgreifenden und damit letzten Grund, die umfassende Erklärbarkeit alles Wirklichen allererst geleistet werden kann. Und nicht nur das. Spinoza ist mit seinem monistischen Erklärungsmodell auch insofern einem ‚bloßen Mechanismus‘ überlegen, als er den letzten Grund als Prinzip der Erklärung mit dem Konzept der Kraft (potentia) identifiziert und damit die unmittelbar lebensweltliche Dimension eines ursprünglich qualitativen Weltverständnisses nicht verwirft, sondern gerade einholt und nurmehr rational durchsichtig macht.²²⁷ Gerade in dieser letztgenannten Hinsicht erweist sich der Spinozismus Jacobi zufolge als Ausdruck des Bedürfnisses menschlicher Selbstverständigung und Verhältnisbestimmung zu seiner Umwelt und Lebensform. Er ist mithin gleichsam Ausdruck der substantiven Vernunft des Menschen, jedoch in der Weise, dass er diese seine substantive Vernunft der adjektiven Vernunft, die er ursprünglich nur als Mittel, nicht als Zweck herausgebildet und eingeübt hat, unterordnet und die adjektive Vernunft somit zum Selbstzweck verkehrt. Damit droht jedoch verloren zu gehen, worauf es aus Jacobis Sicht im Wesentlichen ankommt, wenn von einer substantiven Vernunft die Rede ist, auf das nämlich, was er im Zuge seiner Programmformel vom ‚Dasein enthüllen‘ als das „Unauflösliche, Unmittelbare, Einfache“²²⁸ bezeichnet: Auf die unmittelbare und in dem Sinne nicht aufzulösende,
JWA 1,1, 250. JWA 1,1, 18. In diesem Sinne ist, wie Birgit Sandkaulen deutlich macht, Spinoza – und in seiner Folge auch Leibniz – anders als der ‚bloße Mechanist‘ Descartes als ‚dynamischer Naturalist‘ zu verstehen (vgl. Sandkaulen 2000, 126 f.) JWA 1,1, 28.
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da nicht aus einem Grund abzuleitende und zu beweisende, individuelle Erfahrung der eigenen personalen Freiheit im Handeln. Damit rückt nun zuletzt die auch für Jacobi entscheidende Perspektive in den Fokus, die seiner Betonung des Vorrangs der substantiven vor der adjektiven Vernunft entspricht. Entscheidend ist nämlich die Perspektive des Individuums selbst, des je personalen Einzelnen, der sich in der Verhältnisbestimmung zu seiner Umwelt und Lebensform vor allem über sich selbst zu verständigen, d. h. sich selbst in der Erfahrung der eigenen Freiheit zu verstehen versucht.²²⁹ Indem auch der Spinozismus stets Ausdruck einer solchen Selbstverständigungspraxis bleibt, findet sich diese Adresse an den Einzelnen dort auch durchaus wieder: in dem nämlich, was Spinoza, „tiefsinnig und erhaben“, „die Erkenntniß der obersten Gattung nennt“²³⁰: in seiner scientia intuitiva. ²³¹ Aber im Sinne der Verkehrung der Verhältnisse von substantiver und adjektiver Vernunft ist auch hier zu konstatieren: Angesichts einer „[u]nangemesse[n] Erklärungssucht“, die in der Folge der Herausbildung einer adjektiv-instrumentellen Vernunft am Werke ist, opfert gerade auch der Spinozismus „die Erkenntniß der obersten Gattung… der Erkenntniß der untern Gattungen“, d. h. der ratio „auf; wir verschließen das Auge der Seele, womit sie Gott und sich selbst ersiehet, um desto unzerstreuter mit den Augen nur des Leibes zu betrachten …“²³²: Die freiheitliche Selbstverständi-
Diese für Jacobi entscheidende substantiv-vernünftige Perspektive des individuellen Menschen auf sich und seine Lebensform bezeichnet Birgit Sandkaulen jüngst mit dem von Habermas entlehnten Begriff einer „‚Teilnehmerperspektive‘“, die gegenüber einer der adjektiven Vernunft entsprechenden „‚Beobachterperspektive‘ der Wissenschaft“ das von Jacobi apostrophierte ‚Dasein‘ in seinem Charakter einer kritisch-kommunikativen Lebenswelt akzentuiert (Sandkaulen 2019b, 913). Nicht nur bringt Jacobi diese Perspektive in der sachlich-systematischen Auseinandersetzung mit Spinoza und Fichte in Stellung, sondern, wie sich noch zeigen wird, insbesondere auch in seinem Roman Woldemar zur Darstellung. Dazu an späterer Stelle mehr. Hier ist darauf hinzuweisen, dass Jacobi damit dem Hegel’schen Vernunftverständnis auf ganz eigene Weise fundamental fernsteht. Zwar reduziert er den Vernunftbegriff nicht auf denjenigen eines rein diskursiven Verstandes, sondern reklamiert in entscheidendem Maße ebenfalls eine intuitive Vernunft als konstitutiv für die menschliche Selbstverständigungspraxis. Die von Jacobi damit aber anvisierte unmittelbare Erfahrung individueller Freiheit, auf die das betroffene Individuum gerade auch in seiner kulturellen Selbstverständigung stets in Form ebenso individueller Aneignung sich rückbeziehen muss, steht der Hegel’schen Idee einer begrifflich zu vermittelnden Einsicht in die letztinstanzlich überindividuell-spekulative Freiheit der Sache nach genauso entgegen, wie Kierkegaards Einklage der freiheitlichen Existenz des Einzelnen. JWA 1,1, 29 f. Darauf weist auch Wolfgang Bartuschat hin, wenn er Spinozas Auffassung der intuitiven gegenüber der rationalen Erkenntnis dadurch charakterisiert, dass „wir singuläre Wesen…allein in ihr Gott als die Ursache unserer selbst [erkennen].“ (Bartuschat 1995, 334, meine Hervorh.) JWA 1,1, 29 f.
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gung über die eigene Freiheit resultiert letztlich in der Zurückweisung des Wesentlichen dieser Freiheit, nämlich ihrer nicht auf einen Grund zurückzuführenden, sondern auf Zwecke hin ausgerichteten praktischen Qualität. Diesen Blick des Einzelnen auf sich selbst und sein freiheitliches Handeln wieder ins Zentrum zu stellen, mithin die Verkehrung der Verhältnisse von substantiver und adjektiver Vernunft zu korrigieren, ohne die lebensweltliche Unabdingbarkeit instrumenteller Rationalität zu verläugnen und ihr den Rücken zu kehren, ist Jacobis Ansinnen. Damit ist durchaus einsichtig, weshalb Kierkegaard Climacus sich so begeistert zu Jacobi hat bekennen lassen und dass er, trotz der hier herausgestellten Unterschiede in der Anlage seines Denkens und des dieser Anlage zugrundeliegenden Vernunftverständnisses, Jacobis Ansinnen durchaus richtig erkannt hat. Was die hier benannten Unterschiede jedoch in Hinsicht auf die spezifischere Frage nach der Adäquatheit nicht nur seiner Affirmation des Jacobi’schen Argument eines Unterschieds von Grund und Ursache, sondern auch hinsichtlich der Treffschärfe seiner Kritik an dessen Salto mortale heißt, mithilfe dessen Jacobi nichts weniger als die Korrektur des Verhältnisses von substantiver und adjektiver Vernunft zu bewerkstelligen beabsichtigt, wird sich im Folgenden zeigen. *** Diesen sachlichen Vorbemerkungen seien nun noch ein paar wenige Vorbemerkungen zum Fortgang des Kapitels nachgestellt. Festzuhalten ist zunächst auch hier: Den Blick des Einzelnen auf sich selbst wieder ins Zentrum zu rücken – dieses zuletzt betonte Anliegen kann erneut als der Fluchtpunkt gelten, in den sich das Denken Jacobis und Kierkegaards bei aller Unterschiede zusammenführen lässt. Zwar ist auch und insbesondere in den Climacus-Schriften das Christentum die Folie dieser von Climacus selbst betriebenen Zusammenführung seines Denkens mit demjenigen Jacobis. Nicht aber deshalb, weil Climacus Jacobi als einen christlich-religiösen Denker liest. Dies ist gerade nicht der Fall; wie sich noch zeigen wird, zeugt seine Kritik an Jacobis Salto mortale gerade von der gegenteiligen Auffassung. Ihm geht es vielmehr darum, dass der Fokus auf das Individuum sich durch das Christentum noch einmal schärfer stellen lässt auf das zum Verständnis ethischer Existenz wesentliche Charakteristikum der geschichtlichen Wirklichkeit des ethisch existierenden Einzelnen. Nicht im Blick auf die näherhin christliche Existenz, sondern im Blick auf diese auch der christlichen zugrunde liegende geschichtliche Existenz sind dann in der Auseinandersetzung mit Jacobi die fundamentalen Strukturbestimmungen zu finden und zu entfal-
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ten.²³³ In der in Anlehnung an Märchenerzählungen abschließend formulierten ‚Moral‘ der Brocken heißt es: Wie bekannt ist nämlich das Christentum die einzige geschichtliche Erscheinung, welche dem Geschichtlichen zum Trotz, ja eben vermöge des Geschichtlichen, dem Einzelnen für sein ewigen Bewußtsein hat Ausgangspunkt sein wollen, ihn anders als bloß geschichtlich hat interessieren wollen, ihm seine Seligkeit hat gründen wollen auf sein Verhältnis zu etwas Geschichtlichem.²³⁴
Während jedoch hauptsächlich erst die Nachschrift den Einzelnen in seiner spezifisch geschichtlichen Wirklichkeit, und damit als zugleich Adressaten und Gegenstand der vorgestellten existenziellen Ethik, in den Blick nimmt, widmen sich die Brocken in ihrem zentralen ‚Zwischenspiel‘ einer vielmehr grundsätzlichen Untersuchung der modalontologischen Eigenschaften geschichtlicher Sachverhalte überhaupt. Diese Untersuchung, die die Funktion einer Propädeutik zur existenziellen Ethik der Nachschrift erfüllt, hat ihren Dreh- und Angelpunkt – dies werde ich im Folgenden aufzeigen – im Rekurs auf Jacobis Argument eines wesentlichen Unterschieds von Grund und Ursache. Und nicht unabhängig von – dies mag das nahezu vollständige Ausschweigen der Kierkegaard-Forschung über diesen Punkt suggerieren –, sondern gerade in Perspektive auf diesen Rekurs stellt das ‚Zwischenspiel‘ nichts weniger als das, wie Poul Lübcke formuliert, „intellectual, philosophical framework of Kierkegaard’s more existential writings“²³⁵, und damit auch und vor allem der existenziellen Ethik der Climacus-Schriften, dar: Im ‚Zwischenspiel‘ wird nicht nur der Bereich des Geschichtlichen gegen den Bereich des reinrationalen Denkens abgegrenzt, sondern dieser Bereich des Geschichtlichen im Horizont einer modalontologischen Eigenschaftsbestimmung auch als der Bereich der Freiheit näherbestimmt. Bevor ich mich diesem entscheidenden Kapitel widme, gilt es jedoch noch zwei vorbereitende Schritte darzustellen, in denen sich Climacus dieser Zentral-
Bereits hier ist entsprechend zu betonen: Dass man sich mit Climacus nicht nur vom Christentum herkommend auf das Geschichtliche, sondern vom Geschichtlichen her wiederum auch auf das Christentum (rück)verwiesen findet, ist durchaus richtig. Climacus Rede vom Geschichtlichen, die wohlgemerkt mit derjenigen vom Historischen nicht zusammenfällt, sondern dieses lediglich mit einbegreift, mit dem Gedanken der historischen Menschwerdung Gottes in Jesus von Nazareth kurzzuschließen, wäre jedoch irreführend. Man würde Gefahr laufen, die Strukturbestimmungen des Geschichtlichen menschlicher Existenz ‚christlich‘ zu verstellen, mithin Jacobi, mithilfe dessen Argument von Grund und Ursache diese Strukturbestimmungen entwickelt werden, als aus Climacus’ Perspektive christlich-religiösen Denker misszuverstehen. SKS 4, 30 / PB, 106. Lübcke 2005, 161.
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untersuchung der Brocken nähert. In beiden Fällen handelt es sich um eine Annäherung via negationis. Der erste dieser zwei Schritte dient, so schreibt Climacus selbst rückblickend in der Nachschrift, der „vorläufige[n] Übereinkunft darüber…, was Christentum ist“²³⁶. Eine solche Übereinkunft ist nun nicht nur historisch von Belang, insofern Climacus sein Projekt insbesondere gegen die hegelianistisch geprägte Theologie Hans Lassen Martensens abzugrenzen beabsichtigt, mit dem Kierkegaard eine bis zu seinem Lebensende andauernde, auch persönliche Auseinandersetzung führte.²³⁷ Mit ihr geht auch ein wesentlich systematisches Interesse einher, insofern Climacus hier in Form der Unterscheidung zweier Wahrheitstheorien erstens eine solche Theologie als eine unzulässige Vermischung zweier strukturell unvereinbarer Ansätze zu kennzeichnen beabsichtigt. Darüber hinaus resümiert er aber vor allem zweitens das bisher mit Fichte assoziierte Problem eines Missverhältnisses zwischen Denken und Wirklichkeit strukturlogisch und bereitet zugleich bereits dessen entscheidende Zuspitzung auf die durch das Christentum in den Fokus gerückte geschichtliche Wirklichkeit des ethisch existierenden Einzelnen vor, indem er die Unzulänglichkeit der Strukturlogik auch des Fichte’schen Idealismus mithilfe des literarischen Mittels der Ironie vorführt.²³⁸ Der zweite Schritt vertieft diese Problemstellung eines Missverhältnisses von Denken und Wirklichkeit, das sich aus Kierkegaards früher Fichte-Kritik ergab und dann in Form zweier Wahrheitstheorien strukturlogisch resümiert wurde, durch eine Kritik des ontologischen Gottesbeweises. Indem sich diese Kritik in letzter Instanz gegen die spezifisch Spinozanische Variante dieses Beweises
SKS 7, 336 / AUN 2,74. So bestimmt etwa David R. Law die Aufgabe der Brocken, „not to offer an explanation of Christianity…, but to provide sufficient clarity concerning Christianity, so that the reader can embark upon the task of becoming a Christian“, und erläutert: „Providing this clarity requires distinguishing Christianity from the dominant thought-forms with which Christianity has been confused in Kierkegaard’s Denmark“ (Law 2013, 154). Zum Verhältnis Kierkegaards zu Martensen vgl. Thompson 2009; zur besonderen Rolle Martensens für die Brocken vgl. auch Stewart 2003, 336 – 377. Für mein Vorhaben ist es letztlich also irrelevant, ob die historische Motivation für die Brocken die Auseinandersetzung mit einem platonischen, Hegel’schen oder dänisch-hegelianistischen Idealismus darstellt. Entscheidend sind die Strukturmerkmerkmale, die Climacus einem jeden Idealismus zuschreibt, der sich dann der Sache nach zwar durchaus auf Platon zurückführen lässt, in Kierkegaards schriftstellerischem Werk aber – und dies ist ein nicht zu vernachlässigender Umstand, den ich bereits umrissen habe – von Anfang an und durchweg vor allem auch mit Fichte zu assoziieren ist. In den Brocken – dies werde ich im Folgenden zeigen – wird er in nicht unerheblichem Maße auf Spinoza enggeführt.
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richtet, Spinoza mithin explizit in nun ebenso paradigmatischem Sinne wie zuvor Fichte als Repräsentant eines verabsolutierten Denkens eingeführt wird, das die geschichtliche Wirklichkeit des Individuums aus dem Blick verliert, ist diejenige Konstellation vollständig bestimmt, vor deren Hintergrund nunmehr völlig einleuchtet, das Climacus sich in der philosophischen Fundierung und argumentativen Entfaltung der eigenen Position wesentlich auf Jacobi bezieht.
3.1.2 Zwei Theorien der Wahrheit Obwohl Climacus zum Ende der Brocken expliziert, dass es das Christentum ist, das ihm mit seiner Betonung der Geschichtlichkeit die entscheidenden Untersuchungsgegenstand dieser Schrift vorgibt, nimmt er zum Anfang dem Umweg über eine zunächst schwer verständliche ‚Propositio‘, die er seinem Gedankengang voranstellt. Während der Leser auf der Titelseite bereits einen Hinweis auf die inhaltliche Ausrichtung der vorliegenden Schrift bekommen hat, handelt es sich hierbei um eine Vorbemerkung, die zunächst über eine ganz andere Art der Voraussetzung aufklärt, nämlich über den epistemischen Status des hier zu Wort kommenden pseudonymen Verfassers selbst. Die Titelfragen „Kann es einen geschichtlichen Ausgangspunkt geben für ein ewiges Bewußtsein; inwiefern vermag ein solcher mehr als geschichtlich zu interessieren; kann man eine ewige Seligkeit gründen auf ein geschichtliches Wissen?“²³⁹ – hier schlicht als „[d]ie Frage“ zusammengefasst – werden gestellt „von dem Unwissenden, der nicht einmal weiß, was dazu Veranlassung gegeben hat, daß er dergestalt fragt.“²⁴⁰ Mit einem so bestimmten Status des Verfassers als ‚Unwissendem‘ ist aber zugleich ein zweiter Hinweis gegeben auf den anvisierten Horizont, vor dem die Titelfragen diskutiert werden. Das dort angedeutete Problem des Verhältnisses von ‚ewigem Bewusstsein‘ und ‚Seligkeit‘ gegenüber einem wie auch immer zu verstehendem ‚Geschichtlichen‘ erscheint aus der Perspektive eines so ‚unwissenden‘ Fragenden zunächst als das epistemologische Grundproblem der Bedingungen von Wissen und der Erkenntnis von Wahrheit überhaupt. Gleich zu Beginn des der ‚Propositio‘ folgenden ersten Kapitels, des von Climacus betitelten ‚Denkprojekts‘, wird mit dem dortigen Rekurs auf Platons Menon ²⁴¹ entsprechend schnell deutlich, dass es sich hier, sowie in der Tat bereits in der ‚Propositio‘ selbst, zunächst um die Auseinandersetzung mit ebendiesem SKS 4, 213 / PB, 1. SKS 4, 218 / PB, 7. Im Folgenden nach der Übersetzung Schleiermachers unter Angabe der Stephanus-Paginierung im Text zitiert nach Platon 2011.
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Grundproblem handelt. Die Ausgangsfrage Menons, ob Tugend gelehrt werden kann oder eine dem Menschen von Natur aus gegebene Eigenschaft ist (70a), führt das Gespräch auf die Frage nach dem Wesen der Tugend überhaupt (70b), die, so beteuert es Sokrates gegenüber seinem ungeduldigen Gegenüber, im Vorfeld beantwortet werden muss, um klären zu können, ob Tugend lehrbar ist oder nicht. Die jedoch nur unzureichenden Definitionsversuche beider Gesprächsteilnehmer (70e – 80c), die eine Bestimmung eines solchen Wesens der Tugend unmöglich und damit das gesamte Unternehmen aussichtslos erscheinen lassen, nötigen zur Auflösung der sehr viel fundamentaleren epistemologischen Problemstellung des bekannten Menon-Paradoxons, des „streitlustigen Satz[es]“ (80e²⁴²), nach dem gilt, „[d]aß nämlich ein Mensch unmöglich suchen kann, weder was er weiß, noch was er nicht weiß. Nämlich weder was er weiß, kann er suchen, denn er weiß es ja, und es bedarf dafür keines Suchens weiter; noch was er nicht weiß, denn er weiß ja dann auch nicht, was er suchen soll.“ (80e) Nun beginnt Climacus seine Ausführungen im Anschluss an diesen Satz mit einer Erörterung des ‚idealistischen Wahrheitsmodells‘²⁴³. Dieses Modell versucht dem epistemologischen Dilemma, das Platon seinen Sokrates mit der Formulierung dieses Paradoxons entwerfen lässt, dadurch zu entgehen, dass es erstens den hier seiner Möglichkeit nach in Frage stehenden Prozess der Erkenntnis von Wahrheit im Modus der Anamnesis (vgl. 81d – 85e) zu denken vorgibt. „[A]lles Lernen und Suchen“ der Wahrheit ist hier, so fasst Climacus zusammen, „nur ein sich Erinnern…, so daß der Unwissende bloß erinnert zu werden braucht, um aus sich selbst sich auf das zu besinnen, was er weiß.“²⁴⁴ Ein solch erkenntnistheoretisches Modell fußt nun jedoch zweitens auf der metaphysischen Annahme von der Unsterblichkeit der Seele (vgl. 86a – c) und
Vgl. auch SKS 4, 218 / PB, 7. Eine analytische Rekonstruktion des Argumentationsgangs der Brocken liefert Schulz 2014, 385 – 418, der sich auch meine Darstellung der Unterscheidung zweier Wahrheitstheorien im Wesentlichen verdankt. Die Kennzeichnung ‚idealistisches Wahrheitsmodell‘ ist an die Formulierung ‚sokratisch-idealistisches Wahrheitsmodell‘, die Schulz dort gebraucht, angelehnt und wird im Folgenden im Text und in den Fußnoten ohne Anführungszeichen weiterverwendet. Ich verzichte deshalb auf den Zusatz ‚sokratisch‘, um der von Climacus in der Nachschrift vorgenommenen Differenzierung der Stellung des Sokrates im Verhältnis zum Idealismus auf der einen (vgl. dazu z. B. SKS 7, 188 / AUN 1,196), aber auch zum Christentum auf der anderen Seite gerecht zu werden. Vgl. dazu Ferreira 2010, 9: „The postscript takes a step back to examine more fully the Socratic account before it takes two steps forward to look again at the distinctively Christian account. Or more precisely, Climacus takes two steps back – and lingers. Climacus undertakes a total revisioning of the Socratic position which, now seen in contrast to both Platonic and Hegelian speculative philosophy, is shown in its richness and depth.“ SKS 4, 218 / PB, 7.
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führt in letzter Konsequenz, dies entfaltet Climacus folgerichtig, drei entscheidende Implikationen mit sich, deren Relevanz, ganz im Sinne des auch von Platon stets behaltenen Fokus, erst mit Blick auf die sowohl Epistemologie als auch Metaphysik umgreifende Theorie der Mitteilung zu Tage tritt. (1) Vollzieht sich Wahrheitserkenntnis als ein Sich-Erinnern an das, was man bereits weiß, so wird der Mensch wesenhaft als unkorrumpiert gedacht, dem der Zugang zur Wahrheit prinzipiell möglich ist. Der Zustand der Unwissenheit ist nur sekundär und unbedeutend gegenüber der Tatsache des wesentlichen Besitzes der Wahrheit als fundamentale Bedingung ihrer Erkenntnismöglichkeit: „Für die sokratische Betrachtung“, ist ein jeder Mensch sich folglich „selber der Mittelpunkt, und die ganze Welt gewinnt allein in der Beziehung auf ihn einen Mittelpunkt, weil seine Selbsterkenntnis Gotteserkenntnis ist.“²⁴⁵ (2) Ist der Mensch wesentlich immer schon im Besitz der Wahrheit, sodass er lediglich daran erinnert zu werden braucht, ist die Person desjenigen, der diesen Erinnerungsprozess anleitet, ebenso unbedeutend gegenüber der Tatsache des wesentlichen Besitzes der Wahrheit: „[D]er Umstand, daß ich von Sokrates gelernt habe oder von Prodikos oder von einem Dienstmädchen, [kann] mich lediglich geschichtlich beschäftigen, oder…dichterisch.“²⁴⁶ Die Veranlassung des Sich-Erinnerns erweist sich als eine historische Zufälligkeit ohne weitere Bedeutsamkeit, denn „[m]ein Verhältnis zu Sokrates und Prodikos kann mich in Beziehung auf meine ewige Seligkeit nicht beschäftigen, denn diese ist nach rückwärts hin gegeben in dem Besitz der Wahrheit, die ich von Anbeginn an hatte, ohne es zu wissen.“²⁴⁷ (3) Hat der Mensch die Wahrheit in diesem Sinne ‚von Anbeginn‘, so ist die Zeit, in der sich ein entsprechendes Suchen und Erlernen der Wahrheit als SichErinnern vollzieht, sowie der konkrete Augenblick der Erkenntnis der Wahrheit irrelevant gegenüber der wesentlichen und ‚von Anbeginn‘ gegebenen Tatsache des Besitzes der Wahrheit: Der zeitliche Ausgangspunkt ist ein Nichts; denn in dem gleichen Augenblick da ich entdecke, daß ich die Wahrheit von Ewigkeit her gewußt, ohne es zu wissen, im gleichen Nu ist jener Augenblick im Ewigen verborgen, darin aufgenommen, derart, daß ich, sozusagen, ihn nicht einmal finden kann, auch wenn ich ihn suchte, weil es kein Hier und Dort gibt, sondern nur ein Überall und Nirgends.²⁴⁸
SKS 4, 220 / PB, 9. SKS 4, 220 f. / PB, 10. SKS 4, 221 / PB, 10 f. SKS 4, 221 / PB, 11.
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Nun erscheint es als Climacus’ Anliegen, eine mögliche Alternative zu einem solchen idealistischen Wahrheitsmodell mithilfe der rein formallogischen Operation der Negation zu entwerfen. Er tut dies zunächst unter dem methodologischen Vorbehalt einer im Rahmen eines bloßen ‚Denkprojekts‘²⁴⁹ hypothetisch gesetzten Prämisse, die sich aus der zunächst nicht weiter gerechtfertigten Negation der drittgenannten, auf die Rolle der Zeit abzielenden Implikation herleitet:²⁵⁰ „Soll dies nun anders sich verhalten“, so schreibt Climacus, „muß der Augenblick in der Zeit entscheidende Bedeutung haben, dergestalt, daß ich keinen Augenblick weder in Zeit noch in Ewigkeit ihn werde vergessen können, weil das Ewige, das zuvor nicht war, in diesem Augenblick entstanden ist.“²⁵¹ Diese dem ‚Denkprojekt‘ der Brocken zugrunde liegende „Augenblicksprämisse“²⁵² zieht nun folgende Konsequenzen nach sich: (1) Soll der Augenblick der Erkenntnis entscheidende Bedeutung haben, dann kann es nun nicht mehr so sein, dass der Mensch trotz seiner Unwissenheit wesenhaft im Besitz der Wahrheit ist. Um den Erkenntnisaugenblick vor jeglicher Zufälligkeit zu bewahren, muss der Mensch nicht nur als unwissend, sondern „als außerhalb der Wahrheit“, sogar als „die Unwahrheit“²⁵³ selbst verstanden werden. Dies hat den doppelten Sinn, dass ihm (a) nicht nur die Erkenntnis der Wahrheit, sondern auch die Erkenntnisbedingung fehlt, „denn wofern der Lernende sich selbst die Bedingung wäre die Wahrheit zu verstehen, so braucht er sich ja bloß zu erinnern“²⁵⁴, und dass (b) ein solcher Verlust „durch ihn selbst geschehen sein [muß]“²⁵⁵. Denn „[h]ätte er der Bedingung so verlustig gehen können, daß es nicht durch ihn geschehen wäre, und könnte er im Verlustzustande sein ohne daß es durch ihn selbst geschieht, so hat er die Bedingung nur Vgl. SKS 4, 218 / PB, 7. Gerade darin, dass die Aufstellung gerade dieser Prämisse nicht gerechtfertigt wird und innerhalb des vorderhand qua logischer Operation sich entfaltenden ‚Denkprojekts‘ merkwürdig fremd wirkt, deutet sich sowohl die ironisch-literarische Kritik am Versuch reinrationaler Aneignung geschichtlicher Wirklichkeit als auch die die philosophisch-modalontologische Begründung von deren Unmöglichkeit bereits an, die im ‚Zwischenspiel‘ über den Rekurs des Jacobi’schen Arguments eines Unterschieds von Grund und Ursache anhand des Sachproblems der Zeit entfaltet wird. SKS 4, 222 / PB, 11. Auch diese Kennzeichnung entnehme ich, nun unmodifiziert, aus Schulz 2014, 385 – 418 und verwende auch sie ihm Folgenden im Text und in den Fußnoten ohne Anführungszeichen weiter. C. Stephen Evans (Evans 1992, 34 und öfter) gebraucht in seiner Darstellung dieses Zusammenhangs entsprechend der von Climacus vorgenommenen alphabetischen Kennzeichnung den Ausdruck „B hypothesis“. SKS 4, 222 / PB, 12. SKS 4, 223 / PB, 12. SKS 4, 223 f. / PB, 13.
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zufällig besessen“²⁵⁶, nämlich nur vermittels glücklicher äußerer und somit nicht in seiner Verantwortung liegender Umstände. (2) Der Lehrer muss nun, anders als Sokrates, dem mit Blick auf die Tatsache des wesentlichen Besitzes der Wahrheit durch den Menschen lediglich die vergleichsweise unbedeutende Funktion eines Geburtshelfers ebendieser Wahrheit zukam, entscheidende Bedeutung innerhalb des Erkenntnisprozesses bekommen: „Soll nun der Lernende die Wahrheit empfangen, so muß der Lehrer sie ihm bringen, und nicht bloß dies, sondern er muß ihm auch die Bedingung dafür mitgeben sie zu verstehen“²⁵⁷. So ist aber der, „welcher dem Lernenden nicht allein die Wahrheit gibt, sondern die Bedingung mitgibt,…nicht Lehrer“, denn er muss den Lernenden von Grund auf „umschaffen, ehedenn er anfängt ihn zu lehren. Aber dies vermag kein Mensch“, so folgert Climacus, „soll es denn geschehen, so muß es durch den Gott selber sein.“²⁵⁸ Anders also als im Falle des idealistischen Wahrheitsmodells, das von einem gleichwertigen „Wechselverhältnis“²⁵⁹ zwischen menschlichem Lehrer und menschlichem Schüler ausgeht, liegt dem Alternativmodell, so haben es die aus der Augenblicksprämisse gezogenen Konsequenzen offengelegt, ein qualitativer Unterschied zwischen nun göttlichem Lehrer und menschlichem Schüler zugrunde, eine Ungleichheit, die jedoch nicht das letzte Wort sein kann, soll denn Wahrheitserkenntnis möglich sein. Die Aufhebung dieser Ungleichheit als Herstellung der Verstehensbedingungen der Wahrheit wird folglich, dies ist der für das alternative Wahrheitsmodell letzte entscheidende Gedanke, durch den Gott selbst herbeigeführt, indem er selbst Mensch wird und darin sich, so veranschaulicht es der ‚dichterische Versuch‘ des zweiten Kapitels, „dem Geringsten gleich“ macht und „des Knechtes Gestalt“ annimmt als „seine wahre Gestalt“²⁶⁰. Mit diesem zweiten Kapitel der Brocken, komme ich zum nächsten angekündigten Punkt: zur Vorführung der Unzulänglichkeit logisch-rationaler Ableitung geschichtlicher Wirklichkeit durch das literarische Mittel der Ironie. Die Knechtsgestalt als wahre Gestalt des Gottes – die zunächst vorgenommene Einschränkung, dass es nur so erscheint, als wäre es Climacus’ Anliegen, eine Alternative zum idealistischen Wahrheitsmodell auf rein formallogischem Wege zu entwickeln, dürfte im Hinblick auf diese Rede bereits gerechtfertigt sein. Denn es ist weniger die formale Ableitung als der Rekurs auf die christliche Lehre von der Inkarnation, die hier jedoch schon nicht mehr nur angedeutet wird. Es ist
Ebd. SKS 4, 223 / PB, 12. SKS 4, 223 / PB, 13. SKS 4, 31 / PB, 21. SKS 4, 238 / PB, 29 f.
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also nicht verwunderlich, dass der zuvor skizzierte Fortgang einer logischen Ableitung einer letztlich christlichen Alternative zu einem idealistischen Wahrheitsmodell in keiner Weise eine solch innere Notwendigkeit aufweist, wie es auf den ersten Blick erscheinen mag. Nicht wenige der entscheidenden Konsequenzen, die Climacus nur scheinbar schlüssig allein aus einer vorgegebenen Prämisse zieht, sind auf diese Weise kaum zu verstehen. Sie sind, wie vielfach gegen eine rein philosophische Lesart vor allem auch der Brocken hervorgehoben worden ist, bereits der Tradition des Christentums entnommen und leiten dieses somit in keiner Weise her, sondern setzten es vielmehr voraus. Unter dem Rubrum des ‚Denkprojekts‘, so schreibt z. B. Merold Westphal, erwecke Climacus nur den Anschein, als deduziere er seine Alternative schlicht mithilfe logischer Negation. Vielmehr muss zugegeben werden „[that] he cheats, drawing shamelessly on biblical, Augustinian, Lutheran and other traditions“.²⁶¹ Dieser Umstand ist nun jedoch keine Unzulänglichkeit der in den Brocken vorgetragenen Argumentation. Womit wir es hier zu tun haben, ist die Vorführung der Unmöglichkeit der formallogischen Ableitung, d. h. reinrationalen Aneignung der für die ethische Existenz so entscheidenden Geschichtlichkeit menschlicher Lebenspraxis – mithin die Unmöglichkeit desjenigen Unternehmens also, das Kierkegaard in seinen frühen Journalen und in seiner Ironie-Schrift als das Fichte’sche bereits vor Augen hatte: Die in der reinen Selbstbezüglichkeit des Denkens vorzunehmende Letztbegründung vor allem auch menschlicher Lebenswirklichkeit erweist sich hierin als gescheitert, da nur der diese Selbstbezüglichkeit durchbrechende Ausgriff auf etwas dem Denken Transzendentes den Zugang zur Geschichtlichkeit ethischer Wirklichkeit ermöglicht, auf die das Christentum aufmerksam macht. Eine solche Wirklichkeit lässt sich folglich – diese Auffassung begegnet hier bereits implizit, wird aber erst an späterer Stelle expliziert – nicht letztbegründen. Diese Vorführung der Unzulänglichkeit eines idealistischen Wahrheitsmodells geschieht in den Brocken mithilfe des literarischen Mittels der Ironie. Denn bereits diese Schrift hält nicht nur den auch später für die Nachschrift fundamentalen Rekurs auf das Christentum als ausgezeichnetes Hermeneutikum menschlicher Selbstverständigung, sondern auch und vor allem den in dem Versuch der formallogischen Ableitung des ‚Denkprojekts‘ vorliegenden, von Westphal zu Recht akzentuierten ‚Betrug‘ keineswegs geheim. Climacus schaltet zum Ende eines jeden Kapitels einen Gesprächspartner ein, der vielfachen Einspruch erhebt gegen das zuvor Ausgeführte. Dem Vorwurf der Lächerlichkeit der Anlage der Brocken als ‚Denkprojekt‘, die diesem Gesprächspartner bereits zum
Westphal 2014, 126.
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Ende des ersten Kapitels in den Mund gelegt wird, gibt Climacus nicht nur sofort statt. Er nutzt die Gelegenheit sogar, um den Widersprechenden über den eigentlichen Gehalt seines eigenen Widerspruchs aufzuklären. Nicht ist es das „Projekt“ als solches, sondern genauer der „Projektmacher[]“²⁶², der sich den Vorwurf der Lächerlichkeit gefallen lassen muss. Denn dieser gibt vor, etwas ohne weitere Voraussetzung, nur mithilfe des Vermögens des eigenen Verstandes hergeleitet zu haben, das dem Menschen der Sache nach nicht ohne die Verstehensbedingungen zugänglich ist, über die er jedoch nicht eigens verfügt: „Somit erzürnst du dich nicht über mich, weil ich mir anlüge, was einem anderen Menschen gehört, sondern du erzürnst dich über mich, weil ich mir etwas anlüge, das einem Menschen nicht zukommt.“²⁶³ Und auch der ‚dichterische Versuch‘ des zweiten Kapitels wird, nach diesem ersten, formalen Einspruch, mit dem nun auf den Inhalt gerichteten Vorwurf des Plagiats konfrontiert. Auch in diesem Fall gesteht Climacus sofort, es handle sich bei seinen Ausführungen nicht nur um etwas, „was ein jedes Kind weiß“²⁶⁴, sondern gibt selbst zu bedenken, dass „es vielleicht gar kein Gedicht“ sei, was er unter dieser Überschrift illustriert hat. „[J]edenfalls ist es nicht irgend einem Menschen zu verdanken, auch nicht dem Geschlecht; und ich verstehe dich“ – so wendet er sich erneut an den Ankläger persönlich –: wenn du mein Gedicht das schäbigste Plagiat genannt, so ist es darum, weil ich nicht einen einzelnen Menschen bestohlen habe, auch nicht das Geschlecht, sondern die Gottheit bestohlen, oder gleichsam sie weggestohlen, und gotteslästerlich, obwohl ich nur ein einzelner Mensch war, ja sogar ein schäbiger Dieb, mir die Miene gegeben der Gott zu sein.²⁶⁵
Die Anlage der Brocken als ‚Denkprojekt‘ wird also gleich zu Beginn von Climacus selbst unterminiert und spätestens hier, zum Ende des zweiten Kapitels, explizit als „Irrtum“ ausgewiesen. Es handelt sich wohlgemerkt um einen mit Bedacht kalkulierten Irrtum, der damit mehr dem unkritisch nachvollziehenden Leser als dem Verfasser zur Last zu legen ist: nicht alles Bisherige selbst erdacht und erdichtet zu haben, doch aber durch die vielleicht nur oberflächlich nachvollziehende Lektüre der Meinung zu sein, dies prinzipiell zu können. „Es war ein Irrtum, und das Gedicht ist so verschieden von jedem Menschengedicht, daß es kein Gedicht gewesen, sondern das Wunderbare“²⁶⁶ – das ‚Wunderbare‘ nicht als ein
SKS 4, 229 / PB, 19. SKS 4, 230 / PB, 20. SKS 4, 241 / PB, 32. SKS 4, 241 / PB, 33. SKS 4, 242 / PB, 34.
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„Mirakel“²⁶⁷, sondern als vielmehr irritierendes Moment, als ‚Verwunderndes‘²⁶⁸, das Zweifel sät an der Auffassung einer durch das menschliche Erkenntnisvermögen hinreichend zugänglichen Wahrheit. Denn wie kann ein Gedanke, dessen wesentliche Bestimmung es ist, gerade nicht vom Menschen erfasst werden zu können, wenn ihm die entsprechende Bedingung nicht von Gott gegeben wird, ernsthaft als etwas vom Menschen mithilfe einer simplen Verstandesoperation entwickelt werden? Dies ist schlichtweg ein performativer Widerspruch. Das ‚wunderbar Verwundernde‘, auf das Climacus mithilfe des literarischen Mittels der Ironie hinzuweisen versucht, ist, dass Gott diese Verstehensbedingung nicht nur innerhalb des hypothetischen Rahmens des alternativen Wahrheitsmodells geben muss, sondern auch, dass die Auffassung, dass er dies tatsächlich getan hat, nämlich in Form der Menschwerdung, tatsächlich, nämlich als die zentrale Lehre des Christentums, vertreten wird. Nicht nur geht es also darum vorzuführen, dass die Ableitung der geschichtlichen Wirklichkeit qua Denken nicht gelingen kann. Vielmehr geht es darum offenzulegen, dass allein schon ein Bewusstsein für das in dieser Unmöglichkeit sich ausdrückende Problem einer Insuffizienz reinen Denkens zur Aneignung geschichtlicher Wirklichkeit den Rekurs auf etwas dem Denken Transzendentes zur notwendigen Bedingung hat. Dieses dem Denken Transzendente muss vor jeder durchaus auch mit rationalen Mitteln durchgeführten Kritik reinen Denkens – auch Climacus operiert ja, wie gesehen, mit dem formallogischen Mittel der Negation und betont auch oftmals die unabdingbare Gültigkeit des Satzes vom Widerspruch – erfahren werden. Soll eine solche Erfahrung den Einzelnen nun aufmerksam machen auf die für sein ethisches Existieren, mithin für die Möglichkeit gelingender Lebensführung entscheidende Sphäre geschichtlicher Wirklichkeit, dann muss sie dieser Sphäre selbst entstammen. Dies tut sie im hier diskutierten Fall in besonderer Weise. Climacus ist der Auffassung, dass die historische Religion des Christentums dem Menschen individualgeschichtlich die Begegnung mit der nicht nur in der Geschichte, sondern genuin geschichtlich sich ereigneten Offenbarung Gottes im Menschen Jesus von Nazareth, dem ‚Gott in der Zeit‘ ermöglicht. Eine solche Begegnung mit dieser geschichtlichen Offenbarung Gottes in der Zeit ist nun deshalb in ausgezeichneter Weise dazu in der Lage, den Einzelnen auf die Bedeutsamkeit der eigenen Geschichtlichkeit für das Gelingen seines Lebens aufmerksam zu machen, da es sich hierbei nicht um einen historischen Sachverhalt unter anderen handelt, wie er sich etwa ausspricht in dem Satz ‚Caesar überschritt den Rubikon‘. Da sie die geschichtliche Offenbarung Gottes in der Zeit
SKS 4, 239 / PB, 31. Vgl. SKS 4, 256 / PB, 50.
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ist, bildet sie in sich die bereits in der Ironie-Schrift gegen Fichte und die Romantiker in Stellung gebrachte ‚Dialektik des persönlichen Lebens‘ ab und bestimmt ihre Momente von Endlichkeit und Unendlichkeit nun mittels der Momente von Zeitlichkeit und Ewigkeit näher. Und so gilt auch in den Brocken: Erst eine im Aufrechterhalten der dialektischen Spannung von Zeitlichkeit und Ewigkeit sich konstituierende Wirklichkeit ist die Wirklichkeit persönlichen ethischen Existierens und macht, so Climacus, nunmehr „das besondere geschichtliche Werden“²⁶⁹ des Einzelnen aus, das dann zugleich die wesentliche Bestimmung seiner Freiheit ist. Der über den Weg der Begegnung mit dem Christentum initiierte Prozess ethischer Selbstverständigung kann also nur in Form freiheitlicher Aneignung des Einzelnen erfolgen, der sich urteilend nicht nur zum Christentum, sondern auch zu dem, was Climacus diesbezüglich vorträgt, verhält. Die Nachschrift bestätigt diese mitteilungstheoretische Pointe der Brocken und macht sie vollends explizit, indem Kierkegaard Climacus dort, zwei Jahre später, auf eine Rezension der Brocken bezugnehmen lässt, die in der deutschen Zeitschrift mit dem Titel Neues Repertorium für die theologische Literatur und kirchliche Statistik ²⁷⁰ erschienen ist.²⁷¹ Darauf sei hier zuletzt noch hingewiesen. „Der Rezensent“, so schreibt Climacus dort, „hat eine vortreffliche Eigenschaft: er faßt sich kurz…. Sein Referat ist getreu und im ganzen dialektisch zuverlässig; aber nun kommt der Haken: desungeachtet, daß das Referat richtig ist, wird jeder, der allein das liest, von dem Buch einen ganz verkehrten Eindruck bekommen.“ Denn: Das Referat ist dozierend, rein und unverfälscht dozierend; der Leser muß also den Eindruck bekommen, daß auch die Pièce dozierend ist. Das ist in meinen Augen nun der verkehrteste Eindruck, den man von ihr bekommen kann. Von der Gegensätzlichkeit der Form, von dem schabernackischen Widerstand des Experiments gegen den Inhalt, von der dichterischen Dreistigkeit (die sogar das Christentum erdichtet), …von dem unermüdlichen Tätigsein der Ironie, von dem ganzen in der Anlage liegenden Parodieren der Spekulation, von dem Satirischen, das darin liegt, daß Anstrengungen gemacht werden, als sollte was ganz Außerordentliches, und zwar Neues, kommen, während beständig die altmodische Orthodoxie mit
SKS 4, 276 / PB, 73. Climacus nennt als Titel der Zeitschrift fälschlich „Allgemeines Repertorium für Theologie und kirchliche Statistik“ (SKS 7, 249 / AUN 1, 269). Anonym [Andreas Frederik Beck]: „Philosophische Smuler oller on Smule Philosophie (Philos. Brocken oder ein Bischen Philosophie). Af S. Kierkegaard. Kiöbenhavn (Copenhagen), Reitzel. 1844. 8.“ In: Neues Repertorium für die theologische Literatur und kirchliche Statistik 2 (1845), 44– 48. Wieder abgedruckt in: Theunissen/Greve 1979, 127– 131. Vgl. auch Stewart 2016.
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gehöriger Strenge kommt: von diesem allen bekommt der Leser des Referats gar keine Ahnung.²⁷²
Den entscheidenden Unterschied zwischen einer strukturlogisch dem idealistischen Wahrheitsmodell verpflichteten „philosophischen Lehre“, wie sie etwa Fichtes Wissenschaftslehre, aber ebenso – darauf deutet das folgende Zitat hin – die hegelianistisch-spekulative Theologie zu Zeiten Kierkegaards repräsentiert, und dem Christentum als „Existenzmitteilung“, d. h. als Hinweis auf das je eigene Existieren und die Unhintergehbarkeit des je eigenen Urteils verfehlt eine solche Rezension gerade. So merkt Climacus in der Nachschrift an: Eins ist doch wohl eine philosophische Lehre, die begriffen und spekulativ verstanden werden will, und etwas anderes eine Lehre, die in der Existenz realisiert werden will.Wenn in bezug auf diese letztere Lehre von einem Verstehen die Rede sein soll, so muß dieses Verstehen wohl darin bestehen, zu verstehen, daß darin existiert werden soll, zu verstehen, wie schwierig es ist, darin zu existieren, welch ungeheure Existenzaufgabe diese Lehre dem Lernenden stellt.Wenn es somit einer solchen Lehre (einer Existenzmitteilung) gegenüber zu einer gegebenen Zeit allgemein geworden ist zu meinen, das zu sein, was die Lehre gebiete, sei so ungemein leicht, das aber, die Lehre spekulativ zu verstehen, so schwierig: so kann einer in gutem Einvernehmen mit dieser Lehre (der Existenzmitteilung) stehen, wenn er zu zeigen versucht, wie schwer es ist, die Lehre existierend zu befolgen. Dagegen ist es einer solchen Lehre gegenüber ein Mißverständnis, über sie spekulieren zu wollen. Eine solche Lehre ist das Christentum.²⁷³
3.1.3 Die Kritik an Spinozas ontologischem Gottesbeweis Parallel zur literarisch-ironischen Vorführung der Unzulänglichkeit rationaler Ableitung angesichts der herausfordernden Geschichtlichkeit menschlicher Lebenspraxis vertieft Climacus die strukturlogische Unterscheidung zweier Wahrheitstheorien auch auf sprachlicher Ebene. Mithilfe des Ausdrucks vom Paradox und der mit diesem Ausdruck bezeichneten Absurdität des Ereignisses der Menschwerdung Gottes diskutiert er vor allem auch die mit der Unzulänglichkeit reinrationaler Aneignung geschichtlicher Wirklichkeit zusammenhängende Insuffizienz logischer Kennzeichnung und Unvollständigkeit allgemeinsprachlicher Erfassung einer solchen Wirklichkeit.²⁷⁴
SKS 7, 249 / AUN 1, 269 f. SKS 7, 345 / AUN 2, 84. Dieser von mir erst an späterer Stelle weiter nachverfolgte Aspekt der Rationalitätskritik der Brocken ist es, der nachvollziehbarerweise Wittgensteins zeitlebens anhaltende Wertschätzung von und Auseinandersetzung mit Kierkegaard mitbegründet hat. Dies kommt insbesondere in
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Dieser Aspekt der Brocken kann hier jedoch beiseitegelassen werden. Entscheidend zum Verständnis des Rekurses auf Jacobi, den Climacus in den Brocken unternimmt, ist im Folgenden, dass im ‚Zwischenspiel‘ zunächst einmal geschichtliches Werden überhaupt modalontologisch als der „Übergang von Möglichkeit zu Wirklichkeit“²⁷⁵ näherbestimmt wird und gegen die Notwendigkeit mathematisch-logischer Sachverhalte abgegrenzt wird. Über diesen Weg wird dann vor allem auch das „besondere geschichtliche Werden“²⁷⁶ des Menschen mithilfe von Jacobis Argument eines wesentlichen Unterschieds von Grund und Ursache als genuin freiheitliches Werden ausgewiesen: „Alles Werden geschieht durch Freiheit, nicht aus Notwendigkeit; nichts Werdendes wird aus einem Grunde; alles aber aus einer Ursache.“²⁷⁷ Um diesen für das gesamte Projekt einer existenziellen Ethik entscheidenden Gedanken, mithin die Begeisterung für Jacobi verstehen zu können, die Climacus in der Nachschrift zum Ausdruck bringt und die entsprechend vor allem auch eine Begeisterung für dieses sein zentrales Argument ist, muss vor der näheren Betrachtung des ‚Zwischenspiels‘ eine Passage in den Blick genommen werden, die Climacus hauptsächlich in Form einer umfangreichen Fußnote in die sprachkritischen Überlegungen zum Paradoxbegriff einschaltet. In dieser Fußnote wird das bisher unternommene strukturlogische Resümee des Missverhältnisses von Denken und Wirklichkeit nämlich erneut vor dem Hintergrund einer historischen Position verhandelt: namentlich vor derjenigen Spinozas und seiner Version des ontologischen Gottesbeweises. Wenngleich in umgekehrter Reihenfolge, spannt sich so für Kierkegaard die exakt gleiche Breite derjenigen Positionen auf, von denen auch Jacobi sich kritisch absetzt. Aber mehr noch: Mit dem Rekurs auf Spinoza rückt dann letztlich auch die hier zentrale Kategorie des Werdens in den Blick, die nicht nur für Jacobi als maßgeblicher Indikator für die grundsätzliche Unzulänglichkeit anhand des
seinem Kommentar ‚Zu Heidegger‘ zum Ausdruck, den er gegenüber Moritz Schlick geäußert hat und den Friedrich Waismann wie folgt wiedergibt: „ich kann mir wohl denken, was Heidegger mit Sein und Angst meint. Der Mensch hat den Trieb, gegen die Grenzen der Sprache anzurennen. Denken Sie z. B. an das Erstaunen, daß etwas existiert. Das Erstaunen kann nicht in Form einer Frage ausgedrückt werden, und es gibt auch gar keine Antwort. Alles was wir sagen mögen, kann a priori nur Unsinn sein. Trotzdem rennen wir gegen die Grenze der Sprache an. Dieses Anrennen hat auch Kierkegaard gesehen und sogar ganz ähnlich (als Anrennen gegen das Paradoxon) bezeichnet. Dieses Anrennen gegen die Grenzen der Sprache ist die Ethik.“ (Wittgenstein 1967, 68) Das Verhältnis Wittgensteins zu Kierkegaard beleuchten umfassend Nientied 2003 sowie Schönbaumsfeld 2007. Vgl. auch Conant 1993 sowie Ferreira 1994. SKS 4, 274 / PB, 70. SKS 4, 276 / PB, 73. SKS 4, 275 / PB, 71.
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Spinozismus paradigmatisch expliziter reinrationaler Metaphysik fungiert, sondern auch von Climacus ganz in diesem Sinne zum Aufhänger der modalontologischen Näherbestimmung des Geschichtlichen gemacht wird, die das ‚Zwischenspiel‘ der Brocken vornimmt. Zunächst aber zu Climacus’ Kritik am Spinozanischen Gottesbeweis. Was hat es damit auf sich? Gottesbeweise erheben den Anspruch, die Existenz Gottes als metaphysischen Gegenstand par excellence allein mit den Mitteln der Ratio demonstrieren zu können. Damit sind sie nicht so sehr Sache der Theologie, sondern stehen in der Tat vielmehr „exemplarisch für das, was die Philosophie als Wissenschaft überhaupt leisten kann.“²⁷⁸ Positiv heißt das: „Könnte ein Gottesbeweis erfolgreich durchgeführt werden, wäre damit der Grundstein für eine rational gerechtfertigte Metaphysik gelegt.“²⁷⁹ Andersherum und negativ muss dann jedoch auch gelten: Scheitert der Versuch eines Gottesbeweises, verbleibt zumindest derjenige metaphysische Entwurf, als dessen Grundstein dieser Beweis hat fungieren sollen, als ein solcher ungerechtfertigt. Ein solcher Nachweis des Scheiterns eines Gottesbeweises ist dann aber selbst wiederum in gleicher Weise rational, jedoch so, dass sich der Mensch hierin mithilfe seines Verstandes über dessen eigene Grenzen Auskunft gibt. Hiermit ist auch das kantische Projekt einer Kritik der reinen Vernunft²⁸⁰ in seinem Anspruch beschrieben und die Climacus-Schriften können – dies wird im Folgenden deutlich werden – nicht völlig zu Unrecht in eine gewisse Nähe zu diesem Projekt gestellt werden. Es ist jedoch auffällig, dass Johannes Climacus in den Brocken, und damit anders als Kant, nicht so sehr eine umfassende und damit grundsätzliche Kritik aller möglichen Formen eines Gottesbeweises zu liefern beabsichtigt. Zwar ist nicht zu leugnen, dass sich sowohl ein generelles Argument gegen den Versuch eines Gottesbeweises überhaupt als auch die Zurückweisung spezifischer klassischer Formulierungen eines solchen im Text finden lassen.²⁸¹ Der „letztliche[] Vorbehalt“²⁸², den Climacus gegen jeden Versuch eines Gottesbeweises geltend macht und der auf der kantisch inspirierten Einsicht gründet, dass „ich beständig nicht auf das Dasein…, sondern…aus dem Dasein [schließe], mag ich mich nun in der Welt der sinnlichen Handgreiflichkeiten bewegen oder in der des Gedankens“²⁸³, wird von Climacus jedoch bemerkenswert schnell auf eine
Bromand/Kreis 2011, 10. Ebd., 11. Im Folgenden unter Angabe der Sigle KrV sowie der A- und B-Paginierung zitiert nach Kant 1998. Vgl. Evans 1992, 63 – 71. Vgl. auch Stern 1990. SKS 4, 248 / PB, 41. SKS 4, 245 / PB, 38, meine Hervorh.
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Kritik der spinozanischen Version des Gottesbeweises enggeführt. Und damit ist es gerade der von Spinoza vorgebrachte Entwurf einer rationalistischen Metaphysik, der, trotz des „Tiefsinnige[n]“²⁸⁴ darin, von Climacus gleichwie von Jacobi in letzter Konsequenz zurückgewiesen wird. Diese Übereinstimmung in der Beurteilung Spinozas korreliert der Sache nach bereits hier mit der später anhand des ‚Zwischenspiels‘ aufzuzeigenden Orientierung an Jacobis Unterscheidung von Grund und Ursache in der Ausarbeitung grundsätzlicher inhaltlicher Bestimmungen seiner eigenen Philosophie – eine Unterscheidung, die Jacobi selbst ganz fundamental aus seiner eigenen, in kritischer Absicht vollzogenen Rekonstruktion des „Geist[es] des Spinozismus“²⁸⁵ heraus entwickelt hat. Mehr noch war es auch für Jacobi überhaupt erst die, wie er im David Hume erinnert, durch Mendelssohns Evidenzschrift motivierte Auseinandersetzung mit dem ontologischen Gottesbeweis in seiner zunächst Cartesischen Variante, die ihn dann zu Spinozas Gottesbeweis führte: Hier erst, so berichtet er, „strahlte mir der Cartesianische Beweis in seinem vollen Lichte entgegen“²⁸⁶. Jacobi – dazu gleich mehr – wird hier eine ähnliche Einsicht, wie später auch Climacus formulieren. Wie aber verläuft die Argumentation in den Brocken nun genau? Zunächst richtet Climacus ähnlich wie Kant den Blick auf die Form eines Arguments und der ihr zugrunde liegenden Urteilslogik. Es gilt mit Kants Worten zu beachten, dass „[d]ie unbedingte Notwendigkeit der Urteile“, die in einem Argument, hier in Form eines ontologischen Gottesbeweises, ausgedrückt wird, nicht gleichzusetzen ist mit der „absolute[n] Notwendigkeit der Sachen“²⁸⁷, über die ein solches Urteil etwas auszusagen beabsichtigt. Mit modernem Vokabular gesprochen, kommt dies dem Unterschied gleich zwischen der Gültigkeit und der Korrektheit eines Arguments. Ein Argument besteht im Wesentlichen aus der Ableitung einer Konklusion aus verschiedenen Prämissen in Form eines Schlusses. Eine solche Ableitung, und mit ihr das Argument, ist dann gültig, wenn die Konklusion logisch aus den Prämissen folgt, insofern es nicht möglich ist, dass die Prämissen wahr, die Konklusion hingegen falsch ist. Ob die Prämissen allerdings wahr sind, ist damit noch nicht gesagt. Erst wenn auch dies zutrifft, ist ein entsprechend gültiges Argument auch korrekt. ²⁸⁸ Im Falle eines Existenzbeweises, wie ein Gottesbeweis ihn zu führen beabsichtigt, wird diese argumentationslogische Grundstruktur, so behauptet nun
SKS 4, 246 / PB, 39. JWA 1,1, 18. JWA 2,1, 44. KrV A 593 / B 621. Vgl. Bromand/Kreis 2011, 17 f.
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Climacus, wesentlich unterlaufen, insofern Existenz nichts ist, auf das in oben genannter Form geschlossen werden, sie mithin nichts ist, das in Form einer Konklusion Bestandteil eines Arguments sein kann. Analog zur Wahrheit der Prämissen im Fall der Frage nach dessen Korrektheit ist sie vielmehr Voraussetzung eines entsprechenden Arguments, das dann genauer nicht der Beweis der Existenz eines Gegenstands, sondern lediglich der Nachweis der rechtmäßigen Zuschreibung einer bestimmten Eigenschaft eines bereits existierenden Gegenstands sein kann. Wenn also zu beachten ist, dass „ich beständig nicht auf das Dasein, sondern…aus dem Dasein“ schließe, dann beweise ich „somit nicht, daß ein Stein da ist, sondern daß Etwas, das da ist, ein Stein ist; das Gericht beweist, nicht daß ein Verbrecher da ist, sondern daß der Angeklagte, der ja da ist, ein Verbrecher ist.“²⁸⁹ Der in einem Gottesbeweis unternommene Schluss auf die Existenz Gottes, erweist sich, so formuliert Climacus entsprechend in der Nachschrift, als „eine betrügerische Form der Prädikatsentfaltung, eine betrügerische Umschreibung einer Voraussetzung.“²⁹⁰ In dieser wesentlich sprachkritischen Argumentation wiederholt Climacus unzweideutig Kants Überlegungen zur irrtümlichen Verwendung des Existenzbegriffs im Sinne eines realen Prädikats, wie sie auch dessen eigener Kritik am ontologischen Gottesbeweis zugrunde liegen.²⁹¹ Zwar gebrauchen wir den Begriff der Existenz sehr wohl und auch mit Recht prädikativ. Dies ist laut Kant jedoch ein lediglich grammatischer Gebrauch, Existenz mithin nur ein „logische[s] Prädikat“, das nicht mit einem „realen“²⁹² verwechselt werden darf. „Zum logischen Prädikate kann alles dienen, was man will, sogar das Subjekt kann von sich selbst prädiziert werden; denn die Logik abstrahiert von allem Inhalte.“²⁹³ Bei einem realen Prädikat handelt es sich demgegenüber jedoch um die inhaltliche „Bestimmung eines Dinges“, es ist mithin „ein Prädikat, welches über den Begriff des Subjekts hinzukommt und ihn vergrößert.“²⁹⁴ Dass eine solche ‚Vergrößerung‘ mit der Aussage der Existenz gegenüber der Aussage der bloßen Möglichkeit der Existenz eines Dings nicht geleistet wird, obgleich unser Sprachgebrauch dies suggeriert, verdeutlicht Kant mithilfe des bekannten Beispiels der hundert Taler: [Es] enthält das Wirkliche nichts mehr als das bloß Mögliche. Hundert wirkliche Taler enthalten nicht das mindeste mehr, als hundert mögliche. Denn, da diese den Begriff, jene aber
SKS 4, 245 / PB, 38. SKS 7, 305 / AUN 2, 37. Vgl. auch Green 1994, 179 – 183. KrV, A 598 / B 626. Ebd. Ebd.
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den Gegenstand und dessen Position an sich selbst bedeuten, so würde, im Falle dieser mehr enthielte als jener, mein Begriff nicht den ganzen Gegenstand ausdrücken, und also auch nicht der angemessene Begriff von ihm sein. Aber in meinem Vermögenszustande ist mehr bei hundert wirklichen Talern, als bei dem bloßem Begriffe derselben, (d.i. ihrer Möglichkeit). Denn der Gegenstand ist bei der Wirklichkeit nicht bloß in meinem Begriffe analytisch enthalten, sondern kommt zu meinem Begriffe (der eine Bestimmung meines Zustandes ist) synthetisch hinzu, ohne daß, durch dieses Sein außerhalb meinem Begriffe, diese gedachte hundert Taler selbst im mindesten vermehrt werden.²⁹⁵
Kants Argument ist also ebenso wie das von Climacus vorgebrachte ein im Ansatz sprachkritisches, das über die Unterscheidung eines grammatischen Gebrauchs von einem semantischen Gehalt der Kopula in Aussagesätzen auf den unterschiedlichen ontologischen Status von Begriffen auf der einen und den durch diese Begriffe bezeichneten Gegenständen auf der anderen Seite aufmerksam machen will.²⁹⁶ Indem ich eine Aussage treffe wie ‚Gott ist allmächtig‘, so sage ich lediglich, dass das Prädikat der Allmacht Bestandteil des Begriffes von Gott ist, sodass, falls es einen solchen Gott gäbe, der diesem Begriff entspräche, ihm auch die Eigenschaft der Allmacht zukäme. Die Frage, ob ein solcher Gott existiert, ist damit zunächst noch gar nicht berührt. Dies gilt auch, wenn ich, wie Kant schreibt, „nun das Subjekt (Gott) mit allen seinen Prädikaten (worunter auch die Allmacht gehöret) zusammen[nehme], und sage: Gott ist, oder es ist ein Gott“, denn auch hier „setze ich kein neues Prädikat zum Begriffe von Gott, sondern nur das Subjekt an sich selbst mit allen seinen Prädikaten“²⁹⁷. Ich treffe also lediglich eine Aussage über die Denkmöglichkeit Gottes in Form eines Gottesbegriffs (der dann welche Prädikate auch immer enthält), und behaupte im Blick auf den entsprechenden Gegenstand lediglich dessen konditionale „Beziehung auf meinen Begriff“, der gemäß er hinsichtlich all seiner ihm zukommenden Eigenschaften den im Begriff enthaltenen Prädikaten entspräche, falls er existierte.²⁹⁸
KrV, A 599 / B 627. Vgl. Hermanni 2002, 258, der nicht zu Unrecht diese Sprachkritik Kants mit Wittgenstein als „‚ein[en] Kampf gegen die Verhexung unsres Verstandes durch die Mittel unserer Sprache‘“ bezeichnet. Gleiches kann man m. E. sowohl für Climacus als auch – wie ich an späterer Stelle zumindest andeuten werde – für Jacobi sagen. KrV, A 599 / B 627. Ebd. Bereits in seiner Schrift Der einzig mögliche Beweisgrund zu einer Demonstration des Daseins Gottes beschreibt Kant diesen Gedanken folgendermaßen: „Wenn ich sage Gott ist allmächtig, so wird nur diese logische Beziehung zwischen Gott und der Allmacht gedacht, da die letztere ein Merkmal des ersteren ist. Weiter wird hier nichts gesetzt. Ob Gott sei, das ist, absolute gesetzt sei oder existiere, das ist darin gar nicht enthalten.“ (AA II, 74, hier wie im Folgenden im Text unter Angabe der Paginierung der Akademieausgabe zitiert nach Kant 2011.) Der bloßen Denkmöglichkeit Gottes entspricht der in der Vorrede zur zweiten Auflage der Kritik der reinen
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Dies impliziert erstens, dass „[b]eide“, Gegenstand und Begriff, „genau einerlei enthalten [müssen]“, damit ein Begriff überhaupt auf den entsprechenden Gegenstand angewendet werden kann, da er sonst, wie bereits zitiert, „nicht den ganzen Gegenstand ausdrücken, und also auch nicht der angemessene Begriff“²⁹⁹ desselben wäre. Daher kann „zu dem Begriffe, der bloß die Möglichkeit ausdrückt, darum, daß ich dessen Gegenstand als schlechthin gegeben (durch den Ausdruck: er ist) denke, nichts weiter hinzukommen.“³⁰⁰ Zweitens aber folgt daraus, dass die Existenzgewissheit eines Gegenstands, die für Gott im Falle eines Gottesbeweises durch logische Ableitung demonstriert und damit als eine Form von Wissen implementiert werden soll, über diesem Wege gerade nicht erreicht werden kann. „Unser Begriff von einem Gegenstande mag also enthalten, was und wie viel er wolle, so müssen wir doch aus ihm herausgehen, um diesem die Existenz zu erteilen.“³⁰¹ Im Falle der hundert Taler, wie auch im Falle anderer „Gegenstände der Sinne“³⁰², ist die bloß konditionale Beziehung von Begriff und Gegenstand kein Problem. Denn die in der Aussage schlechterdings nicht mitgegebene Existenzgewissheit kann „durch den Zusammenhang mit irgend einer meiner Wahrnehmungen nach empirischen Gesetzen“³⁰³, d. h. durch die Erfahrung als dann, wie Kant schon in Der einzig mögliche Beweisgrund zu einer Demonstration des Daseins Gottes schreibt, „Ursprung der Erkenntnis“³⁰⁴ – der Erkenntnis von der realen Übereinstimmung von Begriff und Gegenstand nämlich – gewonnen werden. Während Climacus von Steinen und Verbrechern spricht, heißt es bei Kant: Z. B. dem Seeeinhorn kommt die Existenz zu, dem Landeinhorn nicht. Es will dieses nichts anderes sagen, als: Die Vorstellung eines Seeeinhorns ist ein Erfahrungsbegriff, das ist, die Vorstellung eines existierenden Dinges. Daher man auch, um die Richtigkeit dieses Satzes von dem Dasein einer solchen Sache darzutun, nicht in dem Begriff des Subjekts sucht, denn da findet man nur Prädikate der Möglichkeit, sondern in dem Ursprung der Erkenntnis, die ich davon habe. Ich habe, sagt man, es gesehen oder von denen vernommen, die es gesehen haben. Es ist daher kein völlig richtiger Ausdruck zu sagen: Ein Seeeinhorn ist ein existierendes Tier, sondern umgekehrt: Einem gewissen existierenden Seetier kommen die Prädikate zu, die ich an einem Einhorn zusammen gedenke. Nicht: Regelmäßige Sechsecke existieren in
Vernunft apostrophierten bloß „logisch[en]“ Möglichkeit eines nur gedachten Begriffs, dem, anders als einem erkannten Gegenstand, keine „reale Möglichkeit“ und damit auch keine „objektive Gültigkeit“ zukommt (KrV, B XXVII). KrV, A 599 / B 627. Ebd. KrV, A 600 / B 628. KrV, A 601 / B 629. Ebd. AA II, 73.
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der Natur, sondern: Gewissen Dingen in der Natur, wie den Bienenzellen oder dem Bergkristall, kommen die Prädikate zu, die in einem Sechseck beisammen gedacht werden.³⁰⁵
Ein solch empirisches Korrelat kann es im Falle Gottes, zumindest für Kant, nun jedoch nicht geben; der seinem Begriff entsprechende Gegenstand ist schlechterdings „kein Objekt einer möglichen Erfahrung“³⁰⁶. Nichtsdestotrotz ist „[d]er Begriff eines höchsten Wesens“ – in welcher Hinsicht ist des Weiteren uninteressant – eine „sehr nützliche Idee“³⁰⁷. Hierin steht Climacus trotz aller bemerkenswerten Übereinstimmungen bereits ganz grundsätzlich Kant entgegen, denn dass Gott überhaupt eine, wenn auch, wie Kant schreibt, „bloß[e] Idee“³⁰⁸ sein kann, stellt allein schon das Problem dar. Einem solchen wie auch immer restringierten, nichtsdestotrotz mithilfe der Mittel der Vernunft möglichen, und als solchen sogar primären, ideellen Zugriff auf Gott in Form eines Gottesbegriffs verbietet – wie bereits ausreichend dargelegt – die für das christliche Wahrheitsmodell wesentliche qualitative Differenz zwischen „de[m] Gott“ und dem Menschen, für den dieser stets „das Unbekannte“³⁰⁹ bleibt. Das ‚Dasein‘ Gottes, vor dessen Hintergrund dann auch für Climacus gerechtfertigt von so etwas wie inhaltlich näherbestimmten Eigenschaften Gottes gesprochen werden kann, kann nur durch Gottes Selbstoffenbarung gegeben werden, die – auch dies ist bereits dargelegt worden – für Climacus in nichts anderem als in der Menschwerdung Gottes bestehen kann, wie sie das Christentum behauptet. Argumentationslogisch macht sich ein Gottesbeweis entsprechend stets des Fehlschlusses der petitio principii schuldig.³¹⁰ Anders verhält es sich einzig dann, wenn es sich bei dem Versuch eines Gottesbeweises um eine, wie Climacus schreibt, „Begriffsbestimmung“³¹¹ handelt, worunter er nun einen ausschließlich analytischen Satz versteht.Wie gezeigt, ist Climacus mit Kant jedoch der Auffassung, dass „ein jeder Existenzialsatz synthetisch sei“³¹², wolle er etwas über einen real existierenden Gegenstand aussagen. Gleichwohl basiert das ontologische Argument für die Existenz Gottes ganz wesentlich auf der Behauptung von der Analytizität des Satzes ‚Gott exis-
AA II, 73 f. KrV, A 636 / B 664. KrV, 601 / B 629. Ebd. SKS 4, 245 / PB, 37. Anhand einer Analyse des Anselm’schen Gottesbeweises aus dem zweiten Kapitel des Proslogion zeigt dies auch Rowe 1972. SKS 4, 245 / PB, 37. KrV, A 598 / B 626.
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tiert‘, in dem es als ein Beweis nicht bloß die Möglichkeit der Existenz Gottes, sondern deren Notwendigkeit demonstrieren will, die nun genauer daraus resultieren soll, dass die gegenteilige Aussage, Gott existiere nicht, einen Widerspruch zum dieser Aussage zugrunde liegenden Gottesbegriff impliziert. Denn wenngleich ich, so Descartes in seiner Version des ontologischen Arguments, zwar nicht notwendig jemals auf irgendeinen Gedanken von Gott verfallen muß, so ist es dennoch, so oft es mir beliebt, an ein erstes und höchstes Wesen zu denken, und seine Idee gleichsam aus der Schatzkammer meines Geistes hervorzuholen, notwendig ihm alle Vollkommenheiten zuzuschreiben, wenn ich sie auch für jetzt nicht alle aufzähle oder auf die einzelnen achte³¹³,
„[d]enn es steht mir nicht frei,…das vollkommendste Wesen ohne die ganze Vollkommenheit“, mithin „Gott ohne Dasein“ zu denken, wie es mir im Gegensatz dazu „freisteht, mir ein Pferd mit oder ohne Flügel zu denken.“³¹⁴ Trotz der hier von Descartes vorgenommen Abgrenzung des Gottesbegriffs, der Gottes Existenz analytisch und damit notwendig impliziert, zu synthetischen Begriffen von so etwas wie einem geflügelten Pferd, bei dem das nicht der Fall ist, liegt die von Kant wie von Climacus nichtsdestotrotz unterstellte Ungereimtheit von Analytizität und Synthetizität,vor deren Hintergrund sich ein Gottesbeweis der petitio principii schuldig macht, für Climacus nun näherhin darin begründet, dass in den klassischen Versionen des ontologischen Arguments bis einschließlich Descartes, die Existenz Gottes lediglich als nur eine Vollkommenheit aus dem Begriff Gottes als vollkommenstes Wesen (ens perfectissimum) abgeleitet werden soll. Damit fallen jedoch die zu demonstrierende Eigenschaft und der der gesamten Demonstration zugrunde liegende Begriff Gottes wesentlich auseinander. Die für das ontologische Argument essentielle Analytizität kann somit nur dann gegeben, der Fehlschluss der petitio principii mithin nur dann vermieden werden, wenn die zu demonstrierende Existenz und der Gottesbegriff in eins fallen. Dies hat, so ist es die Auffassung von Climacus, einzig Spinoza gesehen; dies ist an ihm „das Tiefsinnige“: Das „Sein“, das Spinoza „durch Vertiefung in den Gottesbegriff mittels des Gedankens“ aus diesem Begriff hat „hervorlocken“ wollen, ist nicht mehr als eine – wie sie es als bloße Teilmenge einer summa perfectionis wäre – bloß „zufällige Eigenschaft“ anzusehen, sondern als dann erst eigentlich notwendige „Wesens-Bestimmung“³¹⁵ eines dann ebenso erst eigentlich höchst- oder absolutnotwendigen Wesens (ens necessarium).³¹⁶
5. Med., 10. Hier wie im Folgenden zitiert nach Descartes 1972. 5. Med., 9. SKS 4, 246 / PB, 39. Vgl. Henrich 1960, 30: „Für Spinozas Methode ist der Begriff des Absolutnotwendigen der einzige der Ontotheologie angemessene Gottesbegriff. Unter Voraussetzung ihres Objektivismus
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Mit Blick auf Spinozas Schrift über Descartes’ Prinzipien der Philosophie fasst Climacus sein Argument folgendermaßen zusammen: Wenn Spinoza dort klarstellt, dass er „unter Vollkommenheit“ nicht „Schönheit“ oder „ander[e] Vollkommenheiten“, welche die Menschen aus Aberglaube und Unwissenheit haben Vollkommenheiten nennen wollen“, sondern „allein Realität oder Sein“ verstehe, dann erkläre er „Vollkommenheit (perfectio) mit Realität, Sein (realitas, esse); mithin je vollkommener ein Ding ist, desto mehr ist es; aber seine Vollkommenheit ist“ nunmehr nichts anderes, als „daß es mehr Sein (esse) in sich hat, das will also heißen, je mehr es ist, desto mehr ist es.“ „Dies ist indes“, so folgert er, „eine Tautologie“³¹⁷, darin jedoch die einzige Alternative zur petitio principii. Damit ist der Ausdruck ‚Gott‘, so bringt Climacus dies auf den Punkt, „nicht ein Name, sondern Begriff“, was sich nun nicht nur in Spinozas Schrift zu Descartes, sondern näherhin auch in dem zentralen Satz der Ethik ausspricht: „daß ‚sein [sc. Gottes] Wesen das Dasein einschließt‘ (essentia involvit existentiam)“³¹⁸. Dieser Satz Spinozas ist vor dem Hintergrund der geschilderten Schwierigkeit beim Versuch eines Gottesbeweises also in der Tat „ganz richtig, und die Tautologie ist in der Ordnung“³¹⁹. Dies stellt auch Jacobi heraus. Denn die von Climacus beschriebene logische Konsequenz ist es, in der auch für ihn der ‚Cartesianische Beweis in seinem vollen Licht erstrahlt‘: Mit Spinoza wird nämlich überhaupt erst deutlich, so Jacobi im David Hume, „für welchen Gott er gelte, und für welchen durchaus nicht.“ Ist nämlich „der Begriff von Gott nach der Weise des Spinoza gebildet, so daß das höchste Wesen nichts anders als das Reale selbst ist, und seine Werke nichts anders als die Beschaffenheiten dieses Realen: dann“, und nur dann, „hat es mit der Cartesischen Demonstration seine gute Richtigkeit, und der Begriff von Gott ist zugleich der unumstößliche Beweis seines nothwendigen Daseyns.“³²⁰
und der Identität von Idee und Wesen, die aus ihm folgt, könnte man sogar einen Versuch machen, auf spinozistische Weise zu erklären, warum Descartes in der Antwort an Caterus den Begriff des ens necessarium zum Schlußprinzip des ontologischen Gottesbeweises machen mußte: In ihm wird die Einheit von Begriff und Dasein objektiv gedacht, und das heißt auf unmittelbar einsichtige Weise. Der Gedanke, daß das Vollkommenste zugleich mit der Vollkommenheit des Daseins gedacht werden muß, ist eine subjektive Reflexion. Sie bleibt dem Zweifel ausgesetzt, bloß willkürlich konstruiert zu sein.“ SKS 4, 246 / PB, 39. SKS 4, 246 / PB, 38 f.; vgl. E1d1. Auf Spinozas Ethik wird hier wie im Folgenden unter Angabe der auf Edwin Curley zurückgehenden Abkürzungen verwiesen (s. Curley 1985, xix); zitiert wird die deutsche Übersetzung Wolfgang Bartuschats nach Spinoza 2015. SKS 4, 246 / PB, 40. JWA 2,1, 44 f., meine Hervorh.
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Problematisch ist Spinozas Gottesbeweis nun aber deshalb, weil er für Spinoza nicht nur den Inbegriff eines logisch gültigen Beweises darstellt, der sich zwar keines Fehlschlusses schuldig macht, als Tautologie jedoch in der reinen Idealität verbleibt. Für Spinoza ist er darüber hinaus Ausdruck eines streng monistischen Verständnisses des letztlich real identischen Verhältnisses von Gott und Wirklichkeit, von Realität als „deus sive natura“³²¹. Zuletzt und vor allem ist er damit aber das Prinzip einer rationalistischen Metaphysik, d. h. das Prinzip der Letztbegründung alles Realen, oder wie es bei Climacus in diesem Zusammenhang heißt: „faktische[n] Sein[s]“³²², das dessen umfassende und zureichende Erklärung sicherstellt.³²³ Er ist mithin der Inbegriff des sich in der Absolutsetzung des Satzes des zureichenden Grundes festmachende „Geist des Spinozismus“, des – so Jacobi im Gespräch mit Lessing – „Uralten: a nihilo nihil fit“³²⁴. Hiermit wird nun deutlich, worauf Climacus mit seiner Kritik an Spinozas ontologischem Gottesbeweis abzielt: Es geht ihm erneut – wie schon in der Auseinandersetzung mit Fichte, für den das absolute Ich das „Allbegründende“³²⁵ war – um den Aufweis der strukturellen Unmöglichkeit einer Aneignung geschichtlicher Wirklichkeit über den Weg einer letztbegründend verfahrenden Erklärung. „Spinozas Satz ist also ganz richtig, und die Tautologie ist in der Ordnung, aber es ist ebenso gewiß, daß er die Schwierigkeit ganz und gar umgeht; denn die Schwierigkeit ist das faktische Sein zu fassen zu bekommen, und die Idealität Gottes hineinzubekommen in das faktische Sein.“³²⁶ Dies, mithin jede Form einer umfassenden und zureichenden Erklärung, wird sich jedoch als unmöglich erweisen, denn – diese erste wichtige Modalkategorie führt Climacus bereits hier, in seiner Kritik an Spinoza ein – „[d]ie höchste Idealität“ des Spinozanischen Gottes „hat das Notwendige, darum es ist. Aber dies Sein ist sein Wesen, vermöge dessen es in den Bestimmungen des faktischen Seins nicht dialektisch werden kann, eben weil es ist“³²⁷. Das faktische Sein ist es aber gerade, worum es Climacus hier geht, denn es ist diejenige Sphäre des Geschichtlichen, innerhalb der sowohl das als christliche Wahrheit behauptete Ereignis der Menschwerdung Gottes ihren Ort hat als auch
E4p4d; E4praef. SKS 4, 246 / PB, 40. Spinozas Gott ist sogar nicht nur das Prinzip der Letztbegründung alles Realen im Sinne der endlichen Modi, sondern vor allem auch seiner selbst: Erst vor dem Hintergrund des Anspruches umfassender Erklärung qua Letztbegründung ist er – und muss er sein – causa sui. JWA 1,1, 18. SKS 1, 310 / BI, 279. SKS 4, 246 / PB, 40. Ebd., meine Hervorh.
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3 Hauptteil: Die existenzielle Ethik der Climacus-Schriften
die entsprechend adäquate Verhältnissetzung des Menschen zu diesem Ereignis, mithin der gesamte Prozess praktischer Selbstverständigung, das ethische Existieren, sich vollziehen muss. Die Pointe von Climacus’ Kritik an der spinozanischen Version des ontologischen Gottesbeweises lautet also folgendermaßen: Was bei Spinoza nicht trotz, sondern letztlich gerade wegen seines ‚Tiefsinns‘ „zu vermissen ist“, ist zunächst diese so entscheidende „Begriffsunterscheidung zwischen faktischem Sein und ideellem Sein.“³²⁸ Ihre modalontologische Näherbestimmung, mithin die Darlegung derjenigen Bestimmungen faktischen Seins, die der Notwendigkeit der spinozanischen Idealität entgegenstehen, ist nun Aufgabe des ‚Zwischenspiels‘.
3.1.4 Die Modalontologie des ‚Zwischenspiels‘: Jacobis Unterscheidung von Grund und Ursache als sachlogische Pointe der Brocken Bisher haben die Brocken die ursprünglich mit Fichte assoziierte Problemstellung eines Missverhältnisses zwischen Denken und Wirklichkeit erstens strukturlogisch anhand zweier Wahrheitsmodelle resümiert und den Sachbereich des Wirklichen mithilfe des christlichen Wahrheitsmodells auf dessen Eigenschaft der Geschichtlichkeit hin zugespitzt. Ein solcher Sachbereich geschichtlicher Wirklichkeit ist – so die mehrfach variierte Grundthese – von einem Denken, das dem idealistischen Wahrheitsmodell verpflichtet ist, nicht einzuholen. Zweitens wurde der Sachbereich eines solchen Denkens, dem die geschichtliche Wirklichkeit als Sphäre menschlicher Selbstverständigungspraxis unzugänglich bleibt, erneut vor dem Hintergrund einer historischen Position diskutiert: wie zuvor Fichte wurde nun Spinoza als ein ebenso paradigmatischer Vertreter eines solches Denkens vorgestellt. Denn mit seiner Version des Gottesbeweises soll nicht nur die Existenz Gottes bewiesen werden. Vielmehr soll durch die darin vollzogene Ineinssetzung von Gott und Realität überhaupt auch die prinzipielle Möglichkeit einer umfassenden und rationalen Erklärung aller partikularen Einzeldinge gewährleistet werden: Der spinozanische Gott ist gleichsam dem Fichte’schen Ich das aus wissenschaftstheoretischen Gründen notwendige Prinzip der Letztbegründung. Folgt man den Überlegungen Jacobis, dann zeigt sich bei Spinoza jedoch ein anderes, letztlich schwerer wiegendes Problem als noch bei Fichte. Denn Spinoza verfehlt die geschichtliche Wirklichkeit nicht gänzlich, sondern gerät bei dem Versuch ihrer rationalen Letztbegründung in Aporien, die dazu führen, dass er
SKS 4, 246 / PB, 39 f.
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hinsichtlich der für die Geschichtlichkeit, mithin für die ethische Dimension menschlicher Wirklichkeit entscheidenden Phänomene letztlich ‚ungereimte Begriffe‘ zugrunde legen muss, um sein Projekt vorderhand gelungen erscheinen zu lassen. Für Jacobi – dies ist der erste mit Blick auf die Climacus-Schriften wichtige Punkt – ist es in ganz wesentlichem Maße der ungereimte Begriff einer „ewige[n] Zeit“ ³²⁹, den er Spinoza zum Vorwurf macht. Eine solche aus dem Anspruch umfassender Erklärung qua Letztbegründung zwangsläufig erwachsende Ungereimtheit in der rationalen Erfassung der geschichtlichen Wirklichkeit letztlich menschlicher Existenz geht bei Spinoza dann aber zusammen – so Jacobis zunächst sprachkritisches Zentralargument und der hier zweite wichtige Punkt – mit der unzulässigen Vermischung des „Begriff[s] der Ursache mit dem Begriff des Grundes“³³⁰. Dies – so lautet meine zentrale These mit Blick auf die Brocken – ist der Hintergrund, vor dem das ‚Zwischenspiel‘, dieses für die Climacus-Schriften wie für Kierkegaards Denken insgesamt so zentrale Kapitel, erst zureichend verständlich wird. Denn der Gedanke, dass die für den Prozess praktischer Selbstverständigung ausschlaggebende geschichtliche Wirklichkeit durch ein letztbegründendes Denken nicht zugänglich ist, eine solche Wirklichkeit mithin nicht letztbegründbar ist – dieser Gedanke, auf den die Brocken, hauptsächlich über den bisher nachverfolgten Weg kritischer Absetzung, zusteuern, wird hier nun expliziert und begründet. Damit präsentiert das ‚Zwischenspiel‘ nicht nur erstens das grundsätzliche philosophische Gerüst von Kierkegaards existenziellem Denken. Es gibt auch zweitens die erst eigentliche Antwort auf die spezielle, bisher implizit immer mitgeführte Frage, wie der Bereich geschichtlicher Wirklichkeit bzw. faktischen Seins näher zu bestimmen ist, mithin welche Eigenschaft geschichtlicher Sachverhalte es genau ist, die diese dem Versuch der Letztbegründung genuin unverfügbar macht. Mit der zu diesem Zwecke entworfenen Modalontologie stellt es zudem drittens eine geeignete Matrix zum Verständnis der besonderen geschichtlichen Existenz des Menschen bereit, der sich Climacus dann in der Nachschrift eigens widmen wird. Und all dies geschieht in Rekurs auf Jacobi, der Climacus mit seinem Argument eines wesentlichen Unterschieds von Grund und Ursache die Pointe liefert: „Das entscheidende Prädikat“ geschichtlicher Wirklichkeit ist die „Veränderung des Werdens“; „[a]lles Werden geschieht durch Freiheit, nicht aus Notwendigkeit“, denn: „nichts Werdendes wird aus einem
JWA 1,1, 251. JWA 1,1, 255.
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3 Hauptteil: Die existenzielle Ethik der Climacus-Schriften
Grunde; alles aber aus einer Ursache.“³³¹ An diesen Unterschied „muß man sich erinnern“; auf ihn aufmerksam gemacht hat – dies benennt Climacus nun explizit – „Jacobi“.³³² Diese entscheidende Inspiration durch Jacobi ist nun jedoch an nahezu keiner Stelle der Kierkegaard-Forschung bemerkt worden.³³³ Gemeinhin werden hier vorrangig zwei andere Autoren als Einfluss angenommen: Aristoteles und Friedrich Adolf Trendelenburg.³³⁴ Weshalb diese beiden Annahmen jedoch bereits für sich genommen unplausibel sind, möchte ich im Folgenden kurz darstellen, um dann zu Jacobis Einfluss auf die Modalontologie der Brocken zu kommen. 3.1.4.1 Fehlinterpretation I: κίνησις und ἀλλοίωσις als aristotelische Kategorien In § 1 des ‚Zwischenspiels‘, das den ausführlichen Titel trägt ‚Hat das Vergangene größere Notwendigkeit als das Zukünftige? oder Ist das Mögliche damit daß es wirklich geworden ist notwendiger geworden als es gewesen ist?‘, wird das Werden als erste und zentrale Kategorie eingeführt. Anders als das ideelle Sein, dessen Wesen erstens durch Notwendigkeit bestimmt ist, und zweitens gerade deshalb ‚in den Bestimmungen faktischen Seins nicht dialektisch werden kann‘, weil alles Notwendige schlicht ‚ist‘ – all dies kam schon im Zuge der Kritik an Spinozas Gottesbeweis zur Sprache –, wird mit der Kategorie des Werdens nun diejenige Eigenschaft faktischen Seins benannt, die es dem notwendigen ideellen Sein disjunktiv gegenüberstellt. Die mit dem Werden anvisierte Veränderung innerhalb der Sphäre faktischen Seins wird in Anlehnung an den aristotelischen Begriff der κίνησις bestimmt als „Übergang von nicht da sein zu da sein.“³³⁵ Aus dieser Definition folgt, so erläutert Climacus selbst, dass die Veränderung des Werdens gebunden ist an ein Substrat faktischen Seins, „denn jede Veränderung hat stets ein Etwas vorausgesetzt“; sie ist nicht selbst ein Etwas, sondern als Wesensmerkmal der gesamten Sphäre faktischen Seins ein Drittes gegenüber einem ersten Etwas, dessen Sein in ihr zum Nicht-Sein, und einem zweiten Etwas, dessen Nicht-Sein in ihr zum Sein wird: Aber ein solches Sein [sc. eines zweiten Etwas], welches dennoch [sc. vor der Veränderung im Werden] ein Nicht-Sein ist, das ist ja die Möglichkeit; und ein Sein, welches Sein ist [sc. nach
SKS 4, 275 / PB, 71 f. SKS 4, 283 / PB, 80. Einzig Rasmussen 2009, 84 berührt diesen Punkt, jedoch ohne ihn weiter zu vertiefen. So vor allem Come 1991. Vgl. auch Knappik 2010, inbes. 169 ff. Darüber hinaus vgl. auch Purkarthofer 2005. SKS 4, 273 / PB, 70.
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der Veränderung des Werdens], ist ja das wirkliche Sein, oder die Wirklichkeit; und die Veränderung des Werdens ist der Übergang von Möglichkeit zu Wirklichkeit.³³⁶
Diese Bestimmung des Werdens, die nach der bereits mit Spinoza eingebrachten Modalität der Notwendigkeit die Einführung der im Weiteren entscheidenden Modalbegriffe von Möglichkeit und Wirklichkeit zur Folge hat, scheint zunächst nun in der Tat derjenigen des Aristoteles zu entsprechen der in seiner Physik vom Prozess (κίνησις) als Prinzip der Natur schreibt: „Gibt es nun mit Bezug auf jede Seinsklasse den Unterschied zwischen dem Wirklichen und dem Bloßmöglichen, (so läßt sich der Begriff des Prozesses so bestimmen:) Prozess heißt die Verwirklichung des Möglichkeitsmoments an einem Gegenstand.“³³⁷ Ihr stellt Climacus den Begriff der ἀλλοίωσις gegenüber, der nun jedoch merkwürdig unterbestimmt bleibt. Und nicht nur das – ganz entgegen der aristotelischen Unterordnung der ἀλλοίωσις als besondere, nämlich qualitative Veränderung unter den Begriff der κίνησις als Veränderung überhaupt, gebraucht Climacus diese Unterscheidung disjunktiv: „Wie verändert sich das, was da wird“, fragt Climacus ganz zu Beginn des § 1, „oder welches ist die Veränderung (Bewegung, κίνησις) des Werdens? Alle andere Veränderung (Verwandlung, ἀλλοίωσις) setzt voraus, daß das, mit dem die Veränderung vorgeht, da ist, selbst dann, wenn die Veränderung die ist, aufzuhören da zu sein. Nicht so mit dem Werden“.³³⁸ Arild Waaler hat entsprechend darauf hingewiesen, dass Kierkegaards Kenntnisse der aristotelischen Philosophie und insbesondere seiner Physik zur Zeit der Abfassung der Brocken bloß oberflächlich und in der Hauptsache über Sekundärquellen vermittelt waren, die Kierkegaard selbst wiederum oftmals nur ungenau gelesen hat.³³⁹ Entsprechend wenig zielführend ist die Nachverfolgung des ersten, vom Text suggerierten Eindrucks, es handle sich hier um eine Auseinandersetzung mit aristotelischen Kategorien. Dem entspricht auch der Befund, dass „[t]he notion of ἀλλοίωσις is used only at this single point in Kierkegaard’s published works, and it seems to be introduced here solely in order to shed further light on the concept of a κίνησις.“³⁴⁰ Zwar ist nun richtig, dass „[t]he significance of this notion in Kierkegaard’s philosophical corpus can, on the other hand, hardly be overestimated.“³⁴¹ Jedoch – dies wird sich noch zeigen – geht es Climacus in seiner Betonung des Werdens gerade nicht um Veränderungsprozesse in
Ebd. Physik. Buch III, Kapitel I, 200b 12 f., zitiert nach Aristoteles 1967.Vgl. auch PB, 185, Anm. 158. SKS 4, 273 / PB, 69. Vgl. Waaler 1998. Vgl. auch Løkke/Waaler 2010b. Waaler 1998, 277. Ebd.
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der Natur, wie sie in der Physik Thema sind, sondern um das freiheitliche Handeln individueller Akteure.³⁴² Und gerade dieser Horizont des freiheitlichen Handelns individueller Akteure, der bereits mit der frühen Fichte-Kritik Kierkegaards als der entscheidende Horizont auch der in den Climacus-Schriften entworfenen existenziellen Ethik eingeführt worden war, gebietet erneut Vorsicht. Denn eine zweite und von der Vermutung eines dann sekundären Einflusses des Aristoteles an dieser Stelle nicht ganz unabhängige Deutung dieser ersten zentralen Kategorie des Werdens mithilfe des Begriffs der Bewegung, und damit ausgehend vom Einfluss Friedrich Adolf Trendelenburgs auf Kierkegaard, führt nicht minder in die Irre. 3.1.4.2 Fehlinterpretation II: Das Problem der Bewegung in der Logik und der Einfluss Friedrich Adolf Trendelenburgs auf die Modalontologie der Brocken Anders als im Fall Aristoteles’ besteht zunächst kein Zweifel daran, dass Kierkegaard viele von Trendelenburgs Schriften besessen und mit Begeisterung gelesen hat. 1847 schreibt er rückblickend auf die Zeit in Berlin 1841/42 in sein Notizbuch: Es gibt doch keinen modernen Philosophen, der mir so von Nutzen war, wie Trendlenburg [sic]. Als ich damals die Wiederholung schrieb, hatte ich noch nichts von ihm gelesen – und
Darauf weist auch Knappik 2010, insbes. 191– 196 hin. Er ignoriert insgesamt jedoch die entscheidende Rolle Jacobis in diesem Zusammenhang und versucht demgegenüber nun nicht die Physik, sondern die speziellen Überlegungen zur Modallogik, die Aristoteles in De interpretatione anstellt, als maßgebliche Folie des ‚Zwischenspiels‘ auszuweisen. Wenngleich Kierkegaard über die Vermittlung durch Poul Martin Møllers Vorlesungen über die Geschichte der antiken Philosophie in der Tat besser mit diesen Überlegungen vertraut gewesen sein dürfte als mit denjenigen der Physik (vgl. Løkke/Waaler 2010a, 17 f; vgl. auch Knappik 2010, 170), stellt dies jedoch einen ähnlichen Irrweg dar, zu dem der Blick auf Jacobi die einzig zielführende Alternative ist. Denn es bleiben hier erhebliche Widersprüche zwischen Aristoteles und Climacus bestehen, wie z. B. bezüglich des für Climacus wie für Kierkegaard insgesamt so entscheidenden Begriffs der Wirklichkeit: „[B]ezüglich des Wirklichen“, dies stellt Knappik sogar selbst fest, „würde Aristoteles Kierkegaard nicht zustimmen, denn was notwendig ist, ist für Aristoteles in jedem Fall auch wirklich.“ (Knappik 2010, 170) Gleichsam stellt Climacus es als dezidierten „Fehler“ Aristoteles’ heraus, davon zu sprechen, „daß alles Notwendige möglich ist. Um nun der Folge zu entgehen daß er Widersprechendes, ja Selbstwidersprechendes über das Notwendige aussagen muß, hilft er sich damit, zwei Arten des Möglichen zu bilden, anstatt sich klar zu machen daß sein erster Satz unrichtig ist, da man dem Notwendigen nicht Möglichkeit beilegen kann.“ Für Climacus gilt nämlich – und dies entspricht sowohl seiner Kritik an Spinoza als auch seiner Affirmation Jacobis –: „Das Wirkliche hat nicht mehr Notwendigkeit als das Mögliche, denn das Notwendige ist schlechterdings verschieden von beiden.“ (SKS 4, 275 / PB, 71)
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jetzt, da ich ihn gelesen habe, wie viel klarer und deutlicher wird mir nicht alles. Auf eine sonderbare Weise stehe ich zu ihm in Beziehung. Etwas von dem, was mich die längste Zeit schon beschäftigt hat, ist die ganze Lehre von den Kategorien…. Und jetzt hat Trendlenburg [sic] 2 Abhandlungen über die Kategorienlehre geschrieben, welche ich mit äußerstem Interesse lese. Und als ich das erste Mal nach Berlin kam, war Trendlenburg [sic] just der Einzige, den zu hören ich mich nicht kümmerte…³⁴³
Trotz der 1847 also gerade erst stattfindenden Lektüre der Geschichte der Kategorienlehre, drückt sich die Wertschätzung Trendelenburgs bereits in der 1846, also ein Jahr zuvor veröffentlichten Nachschrift darin aus, dass Trendelenburg hier gelobt wird als ein Mann…, der gesund denkt und durch die Griechen vorzüglich gebildet ist…, der sich und sein Denken von jedem sich abrackernden und kriecherischen Verhältnis zu Hegel freizumachen gewußt hat, während sonst jeder von Hegels Berühmtheit profitieren will, wenn nicht auf andere Weise, so dadurch, daß man weitergeht, d. h. dadurch, daß man Hegel in sich aufgenommen hat,
als ein Mann also, „der sich lieber mit Aristoteles und mit sich selbst hat genügen lassen wollen“³⁴⁴. Dieses Urteil entspricht Kierkegaards grundsätzlichem Insistieren auf die absolute Gültigkeit des Satzes vom Widerspruch als in seiner Sicht genuin aristotelisch gegenüber der spekulativ-idealistischen Behauptung von dessen Aufhebung zugunsten einer höheren Identität. Entsprechend bemerkt Climacus in den Brocken, dass es „das unerschütterliche Bestehen auf dem Unbedingten und den schlechthinnigen Begriffsunterschieden“ ist, das jemanden zu einem guten Dialektiker macht, etwas das man in unserer Zeit ganz und gar übersehen hat, vermöge dessen und damit, daß man den Satz vom Widerspruch aufgehoben hat, ohne zu begreifen, was doch Aristoteles hervorhob, der Satz, daß der Satz vom Widerspruch aufgehoben sei, sei auf den Satz vom Widerspruch gegründet, da andernfalls der entgegengesetzte Satz, er sei nicht aufgehoben, ebenso wahr sei.³⁴⁵
SKS 20, 93, NB:132 / DSKE 4, 103. SKS 7, 106 f. / AUN 1, 102. SKS 4, 305 f. / PB, 106. Vgl. auch die hier ansetzende und auf das Folgende vorausweisende Notiz SKS 18, 223, JJ:261 / DSKE 2, 230: „Dass das Identitäts-Prinzip in einem gewissen Sinn höher als das Kontradiktionsprinzip und das diesem Zugrundeliegende ist, ist nicht schwierig einzusehen. Aber das Identitäts-prinzip ist bloß die Grenze für das mschliche Denken, es ist wie die blauen Berge, wie die Linie, die der Zeichner den Grund nennt – die Zeichnung ist die Hauptsache. So lange ich in der Zeit lebe, ist das Identitäts-Prinz. nur eine Abstraktion. Nichts ist deshalb leichter, als sich selbst und anderen einzubilden, dass man die Identität von allem denkt, indem man den Unterschied fahren lässt. Man müsste doch einem solchen Mschen die Frage stellen, wie er es anstellt, zu leben, denn in der Identität bin ich außerhalb der Zeit.“
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Nicht nur ist Trendelenburg also in diesem Sinne ein ‚guter Dialektiker‘; ihm ist auch zuzugestehen, dass er gerade mit Aristoteles gegen den Hegel’schen Neuentwurf einer spekulativen Logik, genauer gegen die „Erfindung Hegels, Bewegung in die Logik zu bringen“³⁴⁶, opponiert. Denn für Climacus stellt diese ‚Erfindung‘ keine Errungenschaft dar, vielmehr bedeutet sie, so der Vorwurf, „gerade die Verwirrung der Logik“: „Es ist ja auch sonderbar“, so formuliert er, „die Bewegung in einer Sphäre zugrunde zu legen, wo Bewegung undenkbar ist; oder die Bewegung die Logik erklären zu lassen, während die Logik die Bewegung nicht erklären kann.“³⁴⁷ Im Kontext dieser Kritik in der Nachschrift, die vorderhand als eine Kritik der Anfangskategorien der Hegel’schen Logik und ihres Verhältnisses zueinander erscheint,³⁴⁸ jedoch lediglich die sehr viel fundamentalere Grundunterscheidung von Denken und Wirklichkeit, von ideellem und faktischem Sein, in nur anderer Perspektive ausbuchstabiert, bezieht sich Climacus nun nicht mehr nur ganz grundsätzlich auf Trendelenburg als ‚gutem Dialektiker‘. Er schreibt ihm vielmehr auch das Verdienst zu, entgegen der Behauptung eines seinslogischen Anfangs, dessen Unmittelbarkeit sich über das Werden in der Wesenslogik als via Reflexion vermittelte Unmittelbarkeit erklärt, die Bewegung gerade als die „unerklärliche Voraussetzung, als das Gemeinsame, worin Sein und Denken übereinkommen, und als ihre fortgesetzte Wechselwirkung“³⁴⁹ erfasst zu haben. Und in der Tat ist es maßgeblich das divergierende Verständnis des Begriffs der Bewegung sowie die ihm von Trendelenburg in den Logischen Untersuchungen im Besonderen zugesprochene Sonderstellung im Verhältnis zur Logik, die auch einige wesentliche Passagen Logikkritik der Nachschrift bestimmen. Trendelenburgs Logische Untersuchungen nehmen ihren Ausgang von der zunächst auch für Hegel gültigen Auffassung von Wissen als die, wie es in der Begriffslogik in der klassischen Weise formuliert ist, „Uebereinstimmung der Erkenntniß mit ihrem Gegenstande“³⁵⁰ und dem in einem solchen Wissen liegenden Begriff der Wahrheit als Adäquation von Denken und Sein. Anders jedoch als Hegel, dessen Pointe letztlich darin besteht, die Behauptung einer Trennung dieser beiden in Adäquation zu bringenden Relata von Denken und Sein in dem Konzept der absoluten Idee zu überwinden, mithin die gesamte Auffassung einer bloßen Adäquation durch das Konzept einer Kongruenz im Sinne einer sich in seiner Selbstentwicklung aktiv herbeiführenden Übereinstimmung des Begriffs
SKS 7, 106 / AUN 1, 101. SKS 7, 106 / AUN 1, 102. So interpretiert sie etwa Houlgate 2006, 88 – 93. SKS 7, 107 / AUN 1, 102, meine Hervorh. GW 12, 26.
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mit seiner Wirklichkeit zu ihrer wahren Bedeutung zu bringen, ist es Trendelenburg hingegen daran gelegen, diese Trennung von Denken und Sein fundamental aufrecht zu erhalten: „Wir scheuen diesen Dualismus nicht, den die neueste Philosophie, wie den bösen Feind, glaubt überwunden zu haben“³⁵¹, heißt es programmatisch in den Logischen Untersuchungen. Denken und Sein gelten Trendelenburg als „die aufeinander hinweisenden Glieder des letzten und höchsten Gegensatzes“³⁵². Hierin sieht er eine nötige Korrektur an Hegel, in dessen Konzeption, so fasst Josef Schmidt Trendelenburgs Verständnis der dialektischen Methode zusammen, die eine Seite des Verhältnisses absolute Bedeutung gewinnt. Die andere Seite geht in ihr auf. Das Sein wird gleichsam in das Denken hineingezogen und verliert so seine Selbstständigkeit als Gegenüber des Denkens. Das Denken ist der alleinige Ursprung. Es bringt aus sich selbst sein Gegenüber hervor, und dieses ist nichts anderes als ein Produkt des Denkens.³⁵³
Dies mag zunächst an die Problemdiagnose erinnern, die Kierkegaard bereits gegen Fichte vorgebracht hatte und die die Brocken strukturlogisch resümieren. Jedoch: Die Möglichkeit einer Einheit von Denken und Sein als Bedingung von Wissen und Wahrheit zu begründen, bleibt auch für Trendelenburg – dies unterscheidet ihn bereits hier wesentlich von Kierkegaard und auch seinen philosophischsten Pseudonymen – das Ziel, lediglich nicht zum Preis einer so verstandenen Aufgabe der Eigenständigkeit der beiden Momente. Er bestimmt nun die Bewegung nicht wie Hegel als Selbstbewegung des Begriffs, welche sich im Fortgang der Logik vollzieht, und vor deren Hintergrund allein die gesamte Logik selbst als voraussetzungslos anzusehen ist, sondern als diejenige Kategorie, die „dem Denken und Sein gemeinsam sein muss“³⁵⁴. Sie ist somit „das Letzte und Ursprüngliche“³⁵⁵, also, wie Climacus richtig formuliert, als ‚unerklärliche Voraussetzung‘ von Wissen und Wahrheit stark zu machen. Damit glaubt Trendelenburg einen entscheidenden Mangel an der hegelschen Philosophie behoben zu haben, der sich insbesondere im Verhältnis der Kategorien des Anfangs der Logik zeigt. Ausführlich lautet seine Argumentation: Das reine Sein, sich selbst gleich, ist Ruhe; das Nichts – das sich selbst Gleiche – ist ebenfalls Ruhe. Wie kommt aus der Einheit zweier ruhender Vorstellungen das bewegte Werden heraus? Nirgends liegt in den Vorstufen die Bewegung vorgebildet, ohne welche das Werden nur
Trendelenburg 1870, 135. Ebd. Schmidt 1977, 19. Vgl. auch Lachmann 2006, 16 f. Trendelenburg 1870, 165. Ebd.
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ein Sein wäre. Da sowol [sic] das reine Sein als auch das Nicht-Sein Ruhe ausdrückt, so kann folgerichtig die nächste Aufgabe des Denkens, wenn die Einheit beider gesetzt werden soll, nur die sein, eine ruhende Vereinigung zu finden. Wenn aber das Denken aus jener Einheit etwas Anderes erzeugt, trägt es offenbar dies Andere hinzu und schiebt die Bewegung stillschweigend unter, um Sein und Nicht-Sein in den Fluß des Werdens zu bringen. Sonst würde aus Sein und Nicht-Sein – diesen ruhenden Begriffen – nimmermehr die in sich bewegliche, immer lebendige Anschauung des Werdens. Es könnte das Werden aus dem Sein und Nicht-Sein gar nicht werden, wenn nicht die Vorstellung des Werdens vorausginge. Aus dem reinen Sein, einer zugestandenen Abstraktion, und aus dem Nichts, ebenfalls einer zugestandenen Abstraktion, kann nicht urplötzlich das Werden entstehen, diese concrete, Leben und Tod beherrschende Anschauung. Hiernach ist die Bewegung von der Dialektik, die nichts voraussetzen will, unerörtert vorausgesetzt.³⁵⁶
Unabhängig davon, ob diese Kritik Trendelenburgs zutrifft oder nicht, und in welcher Weise sie entkräftet werden kann,³⁵⁷ ist sie für Climacus dahingehend von Bedeutung, dass er zwar die darin liegende Ansicht teilt, die Hegel’sche Logik lebe von einer durch sie selbst nicht eingeholten Voraussetzung. Der entscheidende Punkt ist jedoch, dass Trendelenburg mit dieser seiner Kritik den Begriff der Bewegung gerade als die notwendige und folglich auch legitime Voraussetzung einer dann qua korrigierter Logik sich selbst durchsichtigen Wissenschaft verstanden wissen will.³⁵⁸ Für Climacus gehört Bewegung jedoch einem jeglicher Wissenschaft transzendenten Bereich, nämlich dem Bereich geschichtlicher Wirklichkeit, und damit dem Bereich der Freiheit an, dessen ontologische Näherbestimmung die Modaltheorie des ‚Zwischenspiels‘ der Brocken leisten soll. Für Trendelenburg gilt am Ende also dasselbe wie für Hegel: Beide diskutieren die Kategorie der Bewegung, mithin des Werdens, als letztlich durch die (je anders verstandene) Logik selbst validierte Kategorie. Damit inkludieren sie sie in ihr Logikkonzept, entweder als der Wissenschaft immanente (Hegel) oder als der Wissenschaft prävalente (Trendelenburg) Kategorie. So verfehlt aber nicht nur
Ebd., 38 f. Vgl. Schmidt 1977, 47 ff. Vgl. auch Henrich 1971, 75 ff. Was Trendelenburg im Anschluss an seine Kritik spekulativer Logik als eigene, dann korrigierte Logik entwirft, ist letztlich eine Wissenschaftstheorie, die die Bewegung als notwendige Bedingung der Gewinnung und Anwendung wissenschaftlicher Verfahrensweisen in den Einzelwissenschaften auszuweisen beabsichtigt. So heißt es programmatisch im ‚Vorwort‘ zur ersten Auflage der Logischen Untersuchungen: „Die Thatsachen, die sie [sc. die Logik] beobachten sollte, um sie abzuleiten, sind die Methoden der einzelnen Wissenschaften…. Die Wissenschaften versuchen glücklich ihre eigenthümlichen Wege, aber zum Theil ohne nähere Rechenschaft der Methode, da sie auf ihren Gegenstand und nicht auf das Verfahren gerichtet sind. Die Logik hätte hier die Aufgabe zu beobachten und zu vergleichen, das Unbewusste zu Bewusstsein zu erheben und das Verschiedene im gemeinsamen Ursprung zu begreifen.“ (Trendelenburg 1870, IV)
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Hegel, sondern auch Trendelenburg die für Climacus so entscheidende lebensweltliche und freiheitliche Qualität der Bewegung des Werdens, aus der ihr dann auch systemkritisches Potential letztlich resultiert.³⁵⁹ Da also Trendelenburg in Climacus’ Sinne zwar durchaus ein ‚guter Dialektiker‘, bei Weitem jedoch kein emphatischer Denker der Freiheit ist, verwundert es nun nicht nur nicht, dass es gerade nicht Trendelenburg ist, der im ‚Zwischenspiel‘ zum entscheidenden Gewährsmann in der Entfaltung der hier zentralen Modaltheorie gemacht wird. Exakt ins Bild passen dann auch die von Kierkegaard, trotz all der später noch zu bekundenden Verbundenheit mit Trendelenburg, in direktem Anschluss an die Lektüre der Logischen Untersuchungen 1844 in seinem Notizbuch, bzw. direkt in seinem Exemplar der Elementa Logices Aristotelicae fixierten Worte der Enttäuschung: Die obersten Prinzipien lassen sich nur indirekt (negativ) beweisen. Diesen Gedanken findet man öfters bei Trendlenburg [sic] in logische [sic] Untersuchungen entwickelt. Er ist mir für den Sprung von Wichtigkeit, und dafür, zu zeigen, dass das Höchste nur als Grenze erreicht wird. In den Schlussfiguren hat die Möglichkeit, negativ zu schließen, bei Weitem das Übergewicht über die Bejahung. cfr. Trendlenburg [sic] Erlaüterungen [sic] zu seiner aristotelischen Logik p. 58.³⁶⁰
Jedoch, so Kierkegaard in derselben Notiz weiter: „Trendlenburg [sic] scheint gar nicht aufmerksam zu sein auf den Sprung.“³⁶¹ Und: Trendlenburg [sic] greift allzu oft auf Beispiele aus Mathematik, Naturwissenschaften zurück. Leider sieht man fast nie Beispiele aus dem Ethischen im Logischen, was in meinen Gedanken einen Verdacht gegen die Logik weckt und dazu beiträgt, mich in meiner Theorie des Sprungs zu bestärken, die im Wesentlichen in der Sphäre der Freiheit zuhause ist…³⁶²
3.1.4.3 Jacobis Unterscheidung von Grund und Ursache als sachlogische Pointe der Brocken Nachdem nun ausreichend klar geworden ist, dass Climacus die Modalontologie des ‚Zwischenspiels‘ weder vor der Folie der aristotelischen noch der anti-hegelianistischen Überlegungen Trendelenburgs entfaltet, gilt es nun zu zeigen, in So konstatiert jüngst auch Heiko Schulz (Schulz 2020), dass Trendelenburg für Kierkegaard letztlich kein Gewährsmann für sein eigenes existenzielles Projekt darstellt. Eine genauere Analyse insbesondere auch der Gründe für die letztinstanzliche Unzufriedenheit Kierkegaards mit Trendelenburgs Überlegungen liefert auch Schäfer 1968, 267– 270. SKS 18, 225, JJ:266 / DSKE 2, 232. SKS 18, 225, JJ:266 / DSKE 2, 233. Pap. V C 12, meine Übers. Eine eigene Übersetzung dieser Randbemerkung gibt auch Klaus Schäfer seiner Studie zu den Climacus-Schriften als Anhang bei (Schäfer 1968, 212).
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wiefern es demgegenüber gerade Jacobi ist, der hier als entscheidende Inspiration dient. Dazu eine kurze Zusammenfassung der bisher entscheidenden Aspekte. Grundsätzlich geht es Climacus um die Unterscheidung zweier disjunkter Sphären. Bereits in seiner frühen Fichte-Kritik bezeichnet Kierkegaard diese Sphären als diejenige des reinen Denkens auf der einen und als diejenige geschichtlicher Wirklichkeit auf der anderen Seite. Die Brocken resümieren diese Unterscheidung zunächst strukturlogisch anhand zweier Wahrheitstheorien und artikulieren sie erneut im Zuge der Kritik an Spinozas ontologischem Gottesbeweis: Analog spricht Climacus hier von der Sphäre ideellen Seins einerseits, die denjenigen Sachbereich umfasst, der dem reinen Denken zugänglich ist, und von der Sphäre faktischen Seins andererseits, die derjenigen der geschichtlichen Wirklichkeit entspricht und dem reinen Denken folglich unzugänglich bleibt. Bereits im Zuge der Kritik an Spinozas ontologischem Gottesbeweis gibt Climacus zudem bereits eine erste Antwort auf die Frage, warum sich dies so verhält: Sachverhalte ideellen Seins, als deren paradigmatisches Beispiel die Tautologie des spinozanischen Gottesbeweises fungiert, sind wesentlich notwendige Sachverhalte: Dass Gott existiert, folgt notwendig aus dem Begriff Gottes, nur dann wenn – und für Spinozas Gott gilt dies in der Tat – dieser Begriff durch das Prädikat der Existenz alles Realen umfassend bestimmt ist. Dieser modalen Eigenschaft der Notwendigkeit ideeller Sachverhalte stellt Climacus im ‚Zwischenspiel‘ die Eigenschaft des Werdens als wesentliche Eigenschaft faktischen Seins gegenüber; und auch sie wird mithilfe modaler Kategorien näherbestimmt: Die Veränderung des Werdens ist Übergang von Möglichkeit zu Wirklichkeit. Da bereits mit Kierkegaards früher Fichte-Kritik die Sphäre geschichtlicher Wirklichkeit erstens als die entscheidende Sphäre markiert worden ist, innerhalb der sich das Leben des Menschen als Prozess ethischer Selbstverständigung vollzieht, dieser Prozess mithin zweitens kein Prozess des Denkens ist, dem nur die in den Brocken mit Spinoza spezifizierten wesentlich notwendigen Sachverhalte vollständig zugänglich sind, spitzt sich nun drittens alles auf die entscheidende Frage zu, wie die entsprechend anderen, nicht notwendigen Sachverhalte faktischen Seins näher zu bestimmen sind, denen die Eigenschaft des Werdens zugesprochen wird. Weder Aristoteles noch Trendelenburg haben hier weitergeholfen. Denn entscheidend für ein Verständnis dessen, was Climacus mit der Rede vom Werden als Übergang von Möglichkeit zu Wirklichkeit im Auge hat, ist nämlich der Umstand, dass dieses Verhältnis eines Übergangs von Möglichkeit zu Wirklichkeit
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nun erstens als ein Kausalverhältnis von Ursache und Wirkung, mithin zweitens als ein Übergang aus Freiheit konkretisiert wird.³⁶³ Demgegenüber handelt es sich bei ideellen Sachverhalten um vorrangig sprachliche Explikationen eines Verhältnisses von Grund und Folge, dem allein Notwendigkeit, jedoch keine Freiheit zukommt. Und so rückt Jacobi als die entscheidende Inspiration nicht nur für die Brocken, sondern für die existentielle Ethik der Climacus-Schriften insgesamt, in den Blick. Dafür spricht zunächst der bereits erwähnte, unzweifelhafte Befund, dass Jacobi explizit als der Urheber der Unterscheidung eines Grund-Folge-Verhältnisses einerseits und eines Ursache-Wirkung-Verhältnisses andererseits benannt wird. Im Zusammenhang der im ‚Zwischenspiel‘ unternommenen Erläuterungen eines gegen ein wissenschaftliches Wissen in Stellung gebrachten epistemischen Glaubens – auf diesen komme ich an späterer Stelle genauer zu sprechen – heißt es ausführlich: Des Glaubens Schluß ist nicht Schluß sondern Entschluß, und daher ist der Zweifel ausgeschlossen. Wenn der Glaube schließt: dies ist da, mithin ist es geworden, so könnte dies erscheinen als ein Schluß aus dem Bewirkten auf die Ursache. Indes verhält es sich nicht ganz auf die Art, und selbst wenn dem so wäre, muß man sich erinnern, daß der Erkenntnisschluß von der Ursache auf das Bewirkte geht, oder richtiger vom Grund zur Folge (Jacobi).³⁶⁴
Während diese Stelle für sich genommen den Eindruck erwecken mag, als ginge es Climacus letztlich um etwas, für das diese von Jacobi stammende Unterscheidung letztlich irrelevant ist, belegen andere Stellen aus dem nächsten Umfeld genau das Gegenteil: Denn wenn erstens gilt, dass die Veränderung des Werdens „[d]as entscheidende Prädikat“ geschichtlicher Wirklichkeit ausmacht, zweitens dieses Werden „durch Freiheit, nicht aus Notwendigkeit [geschieht]“, und diese folglich disjunkten Eigenschaften von Freiheit und Notwendigkeit
Das versteht sich nicht von selbst und weist neben dessen expliziter Nennung einmal mehr auf die Inspiration durch Jacobi hin, insofern das Kausalverhältnis von Ursache und Wirkung im Anschluss an Kants Kategorie der Kausalität ganz anders, nämlich als Naturzusammenhang verstanden wird, der gerade nicht Freiheit, sondern Notwendigkeit impliziert. So formuliert Kant in der sogenannten zweiten Analogie der Erfahrung, die er in der zweiten Auflage der Kritik der reinen Vernunft auch als „Grundsatz der Zeitfolge nach dem Gesetz der Kausalität“ bezeichnet: „Alle Veränderungen geschehen nach dem Gesetze der Verknüpfung von Ursache und Wirkung“ (KrV, B 232, meine Hervorh.). In der ersten Auflage der Kritik der reinen Vernunft lautet diese Analogie wie folgt: „Alles, was geschieht (anhebt zu sein), setzt etwas voraus, worauf es nach einer Regel folgt“ (KrV, A 189, meine Hervorh.). Zur Diskussion des Kausalgesetzes in den Naturwissenschaften im Anschluss an Kant vgl. auch Hüttemann 2013, 45 ff. SKS 4, 283 / PB, 80.
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drittens dadurch näherbestimmt werden, dass „nichts Werdendes…aus einem Grunde [wird]; alles aber aus einer Ursache“³⁶⁵, dann bildet das von Jacobi ursprünglich vorgebrachte und von Climacus als ein solches explizierte Argument eines wesentlichen Unterschieds von Grund und Ursache nichts weniger als den Dreh- und Angelpunkt der Überlegungen im Zentrum der Brocken. Aber nicht nur das. Auch die Nachschrift, die mit Blick auf Jacobi zumeist nur auf die darin formulierte Kritik an dessen Salto mortale reduziert wird, wiederholt dieses Argument mehrfach. Auf diese Passagen komme ich im Folgenden genauer zu sprechen. Grundsätzlich sind hier zwei Aspekte von Belang, die sowohl in Jacobis als auch Climacus’ Ausführungen aufs Engste miteinander verwoben sind: Mit dem Argument eines wesentlichen Unterschieds von Grund und Ursache ist erstens ein Sprachproblem und zweitens ein Sachproblem adressiert, auf das das Sprachproblem verweist. Zwecks übersichtlicher Darstellung versuche ich diese beiden Aspekte im Folgenden weitestgehend gesondert in den Blick zu nehmen. 3.1.4.3.1 Das Sprachproblem der Vermischung der Begriffe von Grund und Ursache Ich beginne mit dem Sprachproblem. Dazu bedarf es jedoch eines Anlaufs in drei Schritten. (1) Bereits zur Zeit seines Berlinaufenthalts 1841/42 kam Kierkegaard als Hörer Karl Werders mit der Kategorie des Werdens in Berührung, die nun, wenige Jahre später, eine ausgezeichnete Stellung als Auftakt des ‚Zwischenspiels‘ der Brocken einnimmt. Aus seinem Kommentar zu Werders Vorlesungen wird zunächst noch einmal deutlich, weshalb das, was Climacus mittels dieser Kategorie in den Blick zu nehmen beabsichtigt, in keiner Weise mit einer im Hegel’schen Sinne logischimmanenten Kategorie des spekulativen Umschlags von reinem Sein zu reinem Nichts, aber auch nicht mit einer im Trendelenburg’schen Sinne logisch-prävalenten Kategorie der Bewegung, d. h. mit Bewegung als metatheoretischer Bedingung der Möglichkeit wissenschaftlicher Erkenntnis, zusammenzubringen ist. Kierkegaard kommentiert in seinem Notizbuch: In dem, was Werder bisher durchgenommen hat, gibt es zwei Punkte, von denen ich glaube, dass sie für jede dogmatische Untersuchung Bedeutung haben müssen. Der eine ist der Übergang von ‚Werden‘ zu ‚Daseyn‘, der andere von Veränderlichkeit zu Unveränderlichkeit, Endlichkeit zu Unendlichkeit. Entstehen (Nichts und Seyn) und Vergehen (Seyn und Nichts) sind ineinander, dies ausgedrückt wie Ruhe als Produkt, sind also nicht werden, sondern was geworden ist, d. h. Daseyn. Das klingt zwar hübsch, enthält aber doch ein reines Spiel
SKS 4, 275 / PB, 71 f.
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mit dem Begriff der Zeit, der noch nicht gegeben ist und der, wie ich [meine], in der Logik überhaupt nicht gegeben werden kann³⁶⁶.
Es geht ihm, dies ist die sachliche Pointe dieser Notiz, um Zeitlichkeit als letztlich entscheidendes Merkmal faktischen Seins und Bedingung des besonderen geschichtlichen Charakters derjenigen Wirklichkeit ethischen Existierens, der Kierkegaards Aufmerksamkeit seit den Jahren seiner frühen Journale unverändert gilt. Zugleich findet sich hier aber auch ein erster Hinweis auf einen zunächst sprachlichen Missstand, der in der von Werder besprochenen Wissenschaft der Logik Hegels zu diagnostizieren ist und auf das Sachproblem der Zeit verweist. Denn wenn von Werden die Rede ist, wird implizit, so der Gedanke Kierkegaards, immer schon ein Begriff von zeitlicher Sukzession zugrunde gelegt, ohne den diese Rede keinen Sinn macht. An der entsprechenden Stelle der Logik, an der das Werden eingeführt wird, ist ein solcher Begriff ‚noch nicht gegeben‘, mithin die Rede von Werden unzulässig. Aber mehr noch: Eine solche Rede wird innerhalb der gesamten Sphäre der Logik stets unzulässig bleiben, da in ihr ein solcher Begriff ‚überhaupt nicht gegeben werden kann‘ – auch nicht im Sinne einer nachträglichen Explikation eines semantischen Gehalts, der implizit immer schon mitgeführt worden ist. Denn logische Wahrheit und zeitliches Werden schließen einander aus und eine solche Explikation bedarf stets des Rekurses auf eine der Logik transzendenten Sphäre, der der entsprechende Gehalt entstammt. Wird nichtsdestotrotz das Werden als logische Kategorie installiert, so ist dies erstens ein Kategorienfehler, der zweitens eine semantisch leere Sprache zur Folge hat: Die Rede von Werden als logischer Kategorie ist ‚ein reines Spiel mit dem Begriff der Zeit‘. (2) Zur selben Zeit seines Berlinaufenthalts 1841/42 schreibt Kierkegaard seinem Lehrer F. C. Sibbern und artikuliert die in kritischer Auseinandersetzung mit Schellings Vorlesungen zur Philosophie der Offenbarung gewonnene Auffassung, dass es sich bei Hegels Philosophie um einen lediglich „verfeinerten Spinozismus [forfinet Spinozisme]“³⁶⁷ handele. Inwiefern dies so ist, darüber geben die Clima-
SKS 19, 244 f., Not8:50 / DSKE 3, 263. In dieser Sibbern gegenüber geäußerten Auffassung ist nicht so sehr ein Einfluss der Spätphilosophie Schellings auf Kierkegaards Hegel-Kritik, als vielmehr der Ansatz einer eigenständigen Interpretation des Hegelianismus im Horizont des Paradigmas des Spinozanischen Rationalismus herauszulesen, die parallel zur frühen kritischen Auseinandersetzung mit und Absetzung von Schelling einsetzt und in den Climacus-Schriften zum Ausdruck kommt. Dafür spricht, dass Kierkegaard in diesem Brief an Sibbern das von Schelling vorgetragene und von Kierkegaard so mitgeschriebene (vgl. SKS 19, 312 f., Not11:9 / DSKE 3, 341 f.) Verständnis der He-
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cus-Schriften Auskunft, indem sie zunächst das bereits bei Werder angeprangerte Sprachproblem paradigmatisch bei Spinoza vorgebildet finden. Nicht nur wird dies bereits formal dadurch angezeigt, dass in den Brocken die bereits dargestellte Kritik an Spinozas Gottesbeweis als Anmerkung in die grundsätzlich sprachkritischen Überlegungen zum Begriff des Paradox eingeschaltet sind. Vor allem in der Nachschrift kommt dieser Zusammenhang von Sach- und Sprachproblem erneut und explizit unter dem Stickwort eines ‚Missbrauchs der Worte‘ zum Ausdruck, wenn Climacus dort bemerkt, daß einige die Unsterblichkeit bei Hegel gefunden haben, andere aber nicht. Ich weiß, daß ich sie im System nicht gefunden habe, wie es auch ungereimt ist, sie dort zu suchen; denn im phantastischen Sinne geschieht alles systematische Denken sub specie aeterni, und insofern ist dort auch die Unsterblichkeit als Ewigkeit, aber diese Unsterblichkeit ist gar nicht die, nach der gefragt wird, da nach der Unsterblichkeit des Sterblichen gefragt wird, was nicht dadurch beantwortet wird, daß man zeigt, daß das Ewige unsterblich ist; denn das Ewige ist ja nicht das Sterbliche, und die Unsterblichkeit des Ewigen ist eine Tautologie und ein Mißbrauch der Worte.³⁶⁸
Nicht nur wird in dieser Passage das letztlich disjunktive Verhältnis von Logik und Zeit, von reinem Denken und Existieren, dadurch veranschaulicht, dass Zeitlichkeit hier auf die für den Einzelnen überhaupt erst relevante Konkretion der eigenen Sterblichkeit und ihrem Verhältnis zu einer möglichen Unsterblichkeit zugespitzt wird. Zugleich wiederholt sich hierin der Vorwurf einer bloßen Tautologie, die, wie im Falle der Tautologie des Spinozanischen Gottes, dessen Begriff sämtliche Realität impliziert, zwar Schlüssigkeit sicherstellt, für das anvisierte Problem ethischen Existierens im besten Falle aber irrelevant ist. Im schlimmsten Fall – und diesen Fall beschreibt Climacus hier – produziert ein begründend und beweisend verfahrendes Denken jedoch den Anschein der Relevanz, täuscht den Einzelnen mithin, und verstellt ihm so die Möglichkeit ethischen Existierens, da es ihm eine Erklärung zu liefern scheint für etwas, das sich jeder Erklärung genuin entzieht. Das in dem Spinozanischen Gott verkörperte Prinzip der Identität von Denken und Sein, das als Prinzip der Letztbegründung eine umfassende Erklärung alles Realen sicherstellen soll, ist, zumindest „[s]o lange ich in der Zeit lebe“,
gel’schen Philosophie als Teil der von Schelling so bezeichneten, in der Nachfolge seiner eigenen Identitätsphilosophie verorteten ‚negativen Philosophie‘ nicht teilt: Hegels Philosophie sei „weder negativ, noch positiv, sondern“, d. h. gerade in ihrer Unterminierung dieser Kategorisierungen, „ein verfeinerter Spinozismus [hverken negativ ell. positiv, men en forfinet Spinozisme].“ (Zit. n. Thulstrup 1953, 84 [55], meine Hervorh. und meine Übers.) SKS 7, 159 / AUN 1, 162.
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bloße Abstraktion: „Nichts ist deshalb leichter“, so notiert Kierkegaard 1844 ironisch in sein Journal, „als sich selbst und anderen einzubilden, dass man die Identität von allem denkt, indem man den Unterschied fahren lässt. Man müsste doch einem solchen Mschen die Frage stellen, wie er es anstellt, zu leben, denn in der Identität bin ich außerhalb der Zeit.“³⁶⁹ Alles Reale über den Weg der Letztbegründung einer rationalen Erklärung zugänglich machen zu wollen, hätte der Sache nach ein entsprechendes „Verschwinden der Zeit“ zur Folge – so denkt die Nachschrift diesen Journaleintrag weiter –, das bereits ein geradezu „märchenhafte[s]“³⁷⁰ ist, da es den Gesetzen der Wirklichkeit (hier zunächst: der Wirklichkeit des Sprachgebrauchs) zuwider läuft. Denn die Zeit muss in jedwedem Gebrauch der Kategorie des Werdens semantisch immer implizit mit im Spiel sein. So hat sich Climacus zufolge mit Spinoza nun nicht nur das Verfahren der Erklärung qua Letztbegründung, sondern auch ein damit zwangsläufig einhergehender und einen Anschein möglicher Erklärung produzierender ‚Missbrauch der Worte‘ zu einem Paradigma verfestigt, das sich bis in das bei Weder angeprangerte ‚reine Spiel mit dem Begriff der Zeit‘ fortsetzt. (3) Damit ist zuletzt aber genau auf das verwiesen, was Jacobi im Blick auf Spinoza auf den Punkt bringt: dass dieser im Zuge rationaler Erklärung von Phänomenen geschichtlicher Wirklichkeit letztlich zu einem ‚Missbrauch der Worte‘ gezwungen ist: „[D]as war es ja, was ich behauptete“ – so fasst Jacobi seinen entscheidenden Gedanken Lessing gegenüber zusammen –: „daß auch der größte Kopf, wenn er alles schlechterdings erklären, nach deutlichen Begriffen miteinander reimen, und sonst nichts gelten lassen will, auf ungereimte Dinge kommen muß.“³⁷¹ Und das schwerstwiegende Ungereimte ist für Jacobi der „ungereimte Begriff einer ewigen Zeit“³⁷², gleichwie es für Climacus ungereimt ist, das ‚Ewige‘ des reinen Denkens in ethisch-existenzieller Emphase auf die Unsterblichkeit des Sterblichen hin zu befragen. Dieser ‚ungereimte Begriff einer ewigen Zeit‘ hängt, so Jacobis Diagnose des Spinozismus, aufs Engste zusammen mit der Vermischung der Begriffe von Grund und Ursache. Und damit befinden wir uns
SKS 18, 228, JJ:261 / DSKE 2, 230. Vgl. dazu auch den folgenden, oft zitierten, Journaleintrag aus dem Jahr 1843: „Es ist ganz richtig, was die Philosophie sagt, dass das Leben rückwärts verstanden werden muss. Aber darüber vergisst man den anderen Satz, dass es vorwärts gelebt werden muss. Welcher Satz bei genauerem Durchdenken gerade damit endet, dass das Leben in der Zeitlichkeit nie recht verständlich wird, eben weil ich keinen Augenblick vollkommene Ruhe finden kann, um die Stellung: rückwärts einzunehmen.“ (SKS 18, 194, JJ:167 / DSKE 2, 200) SKS 7, 364 / AUN 2, 105. JWA 1,1, 28 f. JWA 1,1, 257.
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nicht nur im Zentrum der Jacobi’schen Rekonstruktion des Spinozismus, sondern auch im Zentrum des ‚Zwischenspiels‘ der Philosophischen Brocken. Wie genau nun Jacobis Argumentationsgang verläuft und worin seine Pointe gegen Spinoza letztlich besteht, werde ich im anschließenden Exkurs ausführlicher darstellen. Mit Blick auf die hier zu erörternde, von Climacus in expliziter Affirmation unternommene Anverwandlung dieses Arguments im ‚Zwischenspiel‘ ist zunächst auf folgenden Gedanken Jacobis hinzuweisen: Ein erster und nicht unwesentlicher Punkt innerhalb Jacobis Argumentation ist ein sprachphilosophischer. Jacobi vertritt nicht nur die Auffassung, dass „durch Abstraction und Sprache“ ganz grundsätzlich „eine Menge Täuschungen und Mißverständnisse“³⁷³ entstanden sind, die der Aufklärung bedürfen. Insbesondere gilt dies auch für das mit dem System Spinozas auf seine unüberbietbare Spitze getriebene Projekt des Rationalismus. Denn dieses Projekt kann in seinem Vorhaben einer umfassenden Erklärung alles Wirklichen qua Letztbegründung nur dann erfolgreich sein, wenn es die Sphäre des zu begründenden Wirklichen nach dem Modell mathematisch-logischer Erklärung als die Gesamtheit aller diskursiv ableitbaren Eigenschaften eines Begriffs versteht. Die Sphäre des Wirklichen erscheint über diesen Weg der Erkenntnis qua Wissen zugänglich und der Prozess des Erkenntnisgewinns entspricht formal demjenigen eines, wie Jacobi formuliert, ‚Vernunftschlusses‘. Um zu sehen, weshalb eine solche Übertragung eines mathematisch-logischen Erkenntnismodells auf die Sphäre des Wirklichen jedoch unzulässig ist und woran ein solches Projekt entsprechend scheitert, gilt es zunächst, „den Functionen der Sprache bei unseren Vernunftschlüßen auf den Grund [zu kommen]“³⁷⁴. In diesem Zusammenhang stellt Jacobi im Wesentlichen zwei Aspekte heraus. (1) Erstens verfügen wir sprachlich über zwei verschiedene Begriffspaare: über dasjenige von Grund und Folge auf der einen und über dasjenige von Ursache und Wirkung auf der anderen Seite. Der Unterschied beider Begriffspaare, insbesondere der Begriffe von Grund und Ursache, besteht Jacobi zufolge nun wesentlich darin, „worauf“ der entsprechende Begriff jeweils „beruht“³⁷⁵, d. h. welchem Sachkomplex er sprachgenetisch entstammt. Das Begriffspaar von Grund und Folge entstammt Jacobi zufolge der Sphäre der Mathematik und bezeichnet sprachlich das mathematisch-logische Verhältnis eines Begriffs und seiner ableitbaren Eigenschaften. Damit bezeichnet es ein wesentlich notwendiges und darin vor allem nicht-zeitliches (mit Climacus ge-
JWA 1,1, 130. Ebd. JWA 1,1, 256.
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sprochen: ewiges) Verhältnis: So ist etwa, wie es im David Hume heißt, „[d]er Triangel…nicht vor den drey Winkeln da“, die sich in ihrer Summe von 180 Grad aus seinem Begriff ableiten lassen, „sondern beyde sind zugleich in demselben untheilbaren Augenblick vorhanden.“³⁷⁶ Das Begriffspaar von Ursache und Wirkung ist nun dasjenige, das demgegenüber „das wirkliche Daseyn einer succeßiven…Welt“ sprachlich adressiert, insofern damit nicht nur zunächst, sondern sogar zumeist eine naturgesetzlich bedingte Abfolge zweier real voneinander unterschiedener und zeitlich einander nachgeordneter Ereignisse gemeint ist: „einzelne[] endliche[] Dinge[], welche sich die Reihe hinab einander hervorbringen und vertilgen“³⁷⁷. In diesem Sinne verursacht etwa die Krafteinwirkung beim Stoß einer Billardkugel deren Bewegung im Raum. Jacobi betont in diesem Zusammenhang nun jedoch, dass menschliche Handlungen nicht ebenfalls in einen solchen naturkausalen Zusammenhang als Wirkungen bestimmter Ursachen aufzulösen sind, indem sie ihrerseits auf eine Ursache zurückgeführt werden usw. Vielmehr verhält es sich gerade umgekehrt: Der Gebrauch der Begriffe von Ursache und Wirkung in dieser ihrer mechanistischen Bedeutung ist nur aus dem Begriff der Ursache als eines irreduziblen Prinzips menschlichen Handelns, genauer aus der Erfahrung der eigenen freiheitlichen Wirksamkeit in der Welt heraus zu verstehen. Nicht also bedingt das Prinzip der Naturkausalität das Verständnis unseres Handelns, sondern umkehrt die Erfahrung unseres Handelns die Art unseres Verständnisses der Natur: „In die Sprache von Wesen, die nur anschauen und urtheilen könnten, würden sie [sc. die Begriffe von Ursache und Wirkung]…nicht gekommen sein“, resümiert Jacobi diesen Punkt gegenüber seinem fingierten Gesprächspartner im David Hume und versichert ihm sogleich: „Sind wir aber solche Wesen? Lieber, wir können ja auch handeln!“³⁷⁸ Die ‚Beilage VII‘ weist den Begriff der Ursache entsprechend als einen „Erfahrungsbegriff“ aus, „den wir dem Bewußtseyn unserer Causalität und Paßivität zu verdanken haben“³⁷⁹. (2) Der nun entscheidende zweite Aspekt betrifft die „Täuschung“, die daraus resultiert, dass man zunächst auf sprachlicher Ebene „den Begriff der Ursache mit dem des Grundes vermischt; jenem dadurch sein Eigenthümliches entzieht, und ihn in der Speculation zu einem blos logischen Wesen macht.“³⁸⁰ Ohne an dieser Stelle im Einzelnen auf alle Implikationen und Konsequenzen dieses Gedankens einzugehen, ist damit zumindest in einer ersten Hinsicht das Folgende gemeint:
JWA 2,1, 50. JWA 1,1, 257. JWA 2,1, 53. JWA 1,1, 256. JWA 1,1, 255 f.
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Nicht nur darf das Bedingungsverhältnis zwischen dem Begriff der Ursache als Prinzip der Naturkausalität auf der einen und als Prinzip freiheitlichen Handelns auf der anderen Seite nicht vertauscht werden. Zudem gilt zu beachten, dass der Begriff der Ursache als prioritär handlungsgenetischer Begriff „sich eben so wenig aus dem blos idealischen Begriff des Grundes herleiten, als in denselben auflösen läßt.“³⁸¹ Spinoza, so nun die Diagnose Jacobis, tut aber genau dies, indem er den genuin handlungsgenetischen Begriff der Ursache, über den Komplex einer unendlichen Kausalreihe einander bedingender endlicher Modi vermittelt, nunmehr unter den Primat des mathematisch-logischen Grund-Folge-Verhältnisses stellt, unter den Primat des Satzes des zureichenden Grundes also, der nicht nur eine Vielfalt von selbst bedingter Bedingungen, sondern eine letzte – nicht unbedingte, sondern sich selbst bedingende Bedingung alles Bedingten behauptet. Bis hinein in die eine göttliche Substanz, die als Resultat des nur konsequent zu Ende gedachten Erklärungsanspruchs des Rationalismus causa sui ist, entfaltet das „Uralte: a nihilo nihil fit“³⁸² seine Wirksamkeit. In dieser Hinsicht betreibt Spinoza durchaus programmatisch die von Jacobi kritisierte Auflösung des Ursache-Begriffs in ein ‚bloß logisches Wesen‘ auch auf sprachlicher Ebene. Denn der Umstand, dass die ins metaphysische Zentrum seines System gestellte causa sui ihrer Funktion nach eben keine causa, sondern die immanente ratio des Wirklichen darstellt, schlägt sich in der sprachlich betriebenen Gleichsetzung von ‚ratio sive causa‘ nieder, in der schlichten Setzung und Anwendung „des einen [Begriffs] für den andern“³⁸³. Dass dies lediglich eine Hinsicht ist, in der dieses Argument den Spinozismus trifft und Jacobis Pointe damit noch gar nicht ausgesprochen ist, sei an dieser Stelle lediglich vermerkt. Denn an dem bis hierher umrissenen Sprachproblem der Vermischung von Grund und Ursache setzt nun Climacus’ Anverwandlung dieses Arguments an. Auch Climacus beklagt im Zuge seiner Kritik an Spinozas Gottesbeweis nicht nur den Mangel einer präzisen Begriffsunterscheidung zwischen faktischem und ideellem Sein, die mit der Unterscheidung zwischen erfahrungsgenetischen und rein logischen Begriffen korreliert, auf die Jacobi insistiert. Was er umgekehrt in Spinozas Ausführungen vorfindet, ist ebenfalls ein ganz diesem Mangel entsprechender „nicht klarer Sprachgebrauch“³⁸⁴, der sich zu dem bereits beschriebenen ‚Missbrauch der Worte‘ verfestigt und die prinzipielle Möglichkeit einer Erklärung sämtlicher Phänomene lebenspraktischer Wirklichkeit suggeriert.
Ebd. JWA 1,1, 18. JWA 1,1, 256. SKS 4, 246 / PB, 40.
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Dieser Missbrauch besteht aber nicht nur in der, wie es in der konkreten Passage zu Spinoza heißt, diffusen Rede „von mehr oder weniger Sein“ – in einer Rede also, die qua Quantifizierung die besagte qualitative Unterscheidung von ideellem und faktischem Sein offensiv unterschlägt. Behielte man diese Unterscheidung im Auge, dann wäre klar: „sobald ich ideell vom Sein spreche“, d. h. von einem rein mathematisch-logischen Sachverhalt, „spreche ich nicht mehr von Sein, sondern vom Wesen. Die höchste Idealität hat das Notwendige, darum ist es. Aber dies Sein ist sein Wesen, vermöge dessen es in den Bestimmungen des faktischen Seins nicht dialektisch werden kann, eben weil es ist.“³⁸⁵ Sie besteht auch und vor allem in der dem rationalistischen Anspruch umfassender Erklärung gemäß zwangsweise erfolgenden Vermischung der Begriffe von Grund und Ursache. Diese werden – so stellt Climacus gleichwie Jacobi heraus – in einer philosophischen Theorie, die diesen Anspruch nicht anders als in Form einer Metaphysik der Immanenz ausbuchstabieren und so auch den Zusammenhang von Ursache und Wirkung nicht anders als in eine solche Immanenz eines letztbegründenden Grund-Folge-Verhältnisses assimiliert verstehen kann, der Sache nach zu ein und derselben Art des Verhältnisses gemacht. Dies artikuliert die Nachschrift, in der Climacus auf diesen entscheidenden Punkt der Brocken erneut zu sprechen kommt: „Der Betrachter sieht die Weltgeschichte in rein metaphysischen Bestimmungen“, so heißt es dort, „und er sieht sie spekulativ als die Immanenz von Ursache und Wirkung, Grund und Folge.“³⁸⁶ Gegenüber „Spötter[n]“ und „Ungläubigen, die meinen, daß es sich in der ganzen Weltgeschichte um reine Belanglosigkeiten, um ‚ein Glas Wasser‘, handele“³⁸⁷, komme einer solchen „Spekulation“ zwar durchaus das Verdienst zu, dem Geschichtlichen Bedeutung beizumessen. Indem sie dieses jedoch als „Weltgeschichte“, mithin als „die Geschichte des Menschengeschlechtes“ versteht, so folgt daraus von selbst, daß ich in ihr das Ethische nicht zu sehen bekomme. Was ich zu sehen bekomme, muß dem Abstrakten, das das Menschengeschlecht ja ist, entsprechen und muß etwas ebenso Abstraktes sein, während dagegen das Ethische für die Individualität bestimmt ist, und zwar in dem Grade dafür bestimmt, daß jedes Individuum eigentlich und wesentlich das Ethische nur bei sich selbst erfasst³⁸⁸.
Ebd. SKS 7, 144 / AUN 1, 145. SKS 7, 137 / AUN 1, 137. SKS 7, 144 / AUN 1, 144 f.
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Das Individuum ist für diese Spekulation entsprechend eine letztlich „entseelte historische Individualität“, die sie nurmehr „zu einer metaphysischen Bestimmung machen will, zu einer Art kategorialer Benennung des in der Immanenz gedachten Verhältnisses von Ursache und Wirkung.“³⁸⁹ Mit einem solchen ‚in der Immanenz gedachte[n] Verhältnis von Ursache und Wirkung“ wird das Werden nicht aus dem Begründungs- und Erklärungszusammenhang rationalistischen Denkens ausgeschlossen, sondern, wie Climacus bemerkt, durch dessen Inklusion gerade neutralisiert: Es gerät zu einem bloß „blinden Lärm“, der zwar wahrzunehmen ist, dem jedoch keinerlei Relevanz für die nurmehr rein intellektuell konzipierte Selbstverständigungspraxis des Menschen zugesprochen wird. Damit wird aber auch die „Freiheit“ als praktische Freiheit individuellen Handelns in gleicher Weise irrelevant, ja der Sache nach sogar „Einbildung“ und „Hexerei“³⁹⁰. 3.1.4.3.2 Das Sachproblem der Zeit I: Ewige versus historische Erkenntnis In diesen zuletzt angeführten Passagen wird bereits deutlich, worum es Climacus im Wesentlichen geht. Nicht will er eine grundsätzliche Verhältnisbestimmung zweier Sphären vornehmen, der Sphäre der Logik, des Denkens und der Wissenschaft auf der einen und der Sphäre des individuellen Einzelnen und dessen ethischer Existenz auf der anderen Seite, nur um dort, bei dieser Verhältnisbestimmung, stehen zu bleiben. Über die Erfahrungsbegriffe von Ursache und Wirkung, die gegen die logischen Begriffe von Grund und Folge abzugrenzen sind, will er die Sphäre des Individuellen und Ethischen überhaupt erst adäquat in den Blick nehmen, um sie als Sphäre des Handelns und der Freiheit zu bestimmen. Die Logik interessiert dann letztlich gar nicht mehr.³⁹¹ Bevor jedoch eine Erörterung der entsprechenden handlungstheoretischen Elemente des Ethischen in der Nachschrift erfolgt, fahren die Brocken zunächst fort mit der ontologischen Näherbestimmung, die mithilfe der Modalkategorien im ‚Zwischenspiel‘ ihren Anfang nahm. Sie gehen dann in einem letzten Schritt
SKS 7, 137 / AUN 1, 137. SKS 4, 277 / PB, 74. Vgl. dazu folgende Passage aus Der Begriff Angst, in der die letztliche Irrelevanz der Tatsache eines logisch unzulässigen Gebrauchs zeitlich konnotierter Ausdrücke für das Projekt einer existenziellen Ethik besonders hervorgehoben wird: Man habe zwar, schreibt Vigilius Haufniensis, „in der Logik Ausdrücke und Wendungen [ge]braucht, die aus der Zeitlichkeit des Übergangs geholt sind: ‚darauf‘, ‚wann‘, ‚als seiend ist es dies‘, ‚als werdend ist es dies‘ usw. Doch dem sei nun wie es wolle; laß die Logik zusehen, wie sie sich selber hilft. Das Wort Übergang ist und bleibt in der Logik eine Geistreichigkeit. Es ist im Bereich der geschichtlichen Freiheit zu Hause“ (SKS 4, 385 / BA, 83).
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über zu den daraus resultierenden erkenntnistheoretischen Konsequenzen und schließen thematisch ab, was sie mit der Rekapitulation des Menon-Paradoxons begonnen haben. Über diesen Weg der Erörterung der erkenntnistheoretischen Konsequenzen der Modalontologie des ‚Zwischenspiels‘ wird dann erstmalig auch das mit dem Sprachproblem einer Vermischung der Begriffe von Grund und Ursache adressierte Sachproblem der Zeit nicht nur als solches ausgewiesen, sondern die Zeit selbst eigens zum Thema gemacht: „[A]lles Erkennen“, so lautet die im Folgenden wichtige Unterscheidung, „ist entweder Erkennen des Ewigen und läßt dann das Zeitliche und Geschichtliche als das gleichgiltige ausgeschlossen sein, oder es ist das rein geschichtliche Erkennen“³⁹². Zunächst ist nicht zu unterschlagen, dass beide Erkenntnisarten noch vor jeder detaillierten Bestimmung ihrer internen Struktur und externen Bedingungen eine erste Erläuterung in erneutem Rekurs auf Spinoza erfahren: „Wenn meinem Erkennen Spinozas Lehre einsichtig wird, so bin ich im Augenblick ihres Erkennens nicht mit Spinoza beschäftigt, sondern mit seiner Lehre“. Diese – und nicht etwa diejenige Hegels – gilt Climacus folglich als das paradigmatische Beispiel eines Gegenstands einer ‚Erkenntnis des Ewigen‘, „indessen ich zu anderer Zeit“ – etwa während der Erforschung derjenigen biographischen Periode, in der Spinoza in Rijnsburg gelebt und dort als Linsenschleifer gearbeitet hat – „historisch mit ihm beschäftigt bin“³⁹³. Was hat es nun aber strukturell auf sich mit der Unterscheidung einer Erkenntnis ‚des Ewigen‘ und einer ‚rein geschichtlichen‘ Erkenntnis? Indem Climacus erstens zwischen ideellen und faktischen Sachverhalten unterscheidet, zweitens mit Jacobi die ideellen Sachverhalte als Verhältnisse von Grund und Folge, die faktischen Sachverhalte demgegenüber jedoch als Verhältnisse von Ursache und Wirkung beschreibt, insistiert er nicht nur auf einen Sprachgebrauch, der diese Unterscheidung nicht absichtlich verschleift, um die Möglichkeit einer rationalen Erklärung faktischer Sachverhalte zu suggerieren. Er behauptet damit zugleich, dass ideelle Sachverhalte nur deshalb als Verhältnisse von Grund und Folge zu beschreiben sind, weil es sich der Sache nach um mathematisch-logische Sachverhalte handelt, d. h. um diejenigen ‚Linien, Flächen, und Körper‘ und die aus ihren Begriffen abzuleitenden Konsequenzen, nach deren Vorbild Spinoza menschliche Handlungen hat erklären wollen. Was für menschliche Handlungen jedoch unzulässig ist, ist für besagte ‚Linien, Flächen und Körper‘ selbst kein Problem. Der Sachverhalt, dass die Winkelsumme von 180 Grad logisch notwendig aus dem Begriff eines Dreiecks folgt,
SKS 4, 263 f. / PB, 58 f. SKS 4, 264 / PB, 59.
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3 Hauptteil: Die existenzielle Ethik der Climacus-Schriften
ist wahr und uns in Form einer Erkenntnis dieser Wahrheit, d. h. im epistemischen Modus des Wissens, durchaus zugänglich. Inwiefern? Das Wissen mathematischer Wahrheit bezeichnet zunächst ein direktes Verhältnis zu den entsprechenden Gegenständen (hier: zum Begriff des Dreiecks), da ihre Realität mit ihrer Idealität identisch ist. Ihr Sein ist vollständig im Denken gegeben (außerhalb des Denkens gibt es keinen Begriff des Dreiecks, nur wirkliche, je verschiedene Dreiecke),³⁹⁴ und bezeichnet mithin das, was Climacus im Gegensatz zum ‚Sein‘ oder, wie es später in der Nachschrift heißen wird, ‚Dasein‘ faktischen Seins³⁹⁵ als das ‚Wesen‘ ideellen Seins bezeichnet hat. Einem solchen Wissen mathematischer Gegenstände kommt über diesen Weg des direkten Verhältnisses die Qualität der Gewissheit zu, auf deren Grundlage eine entsprechend diskursiv-logische Ableitung möglich ist, gleichwie im Umkehrschluss jemand – dies erläutert Virgilius Haufniensis in Der Begriff Angst parallel zu den Climacus-Schriften –, „der einen mathematischen Satz beweisen kann, wenn man die Buchstaben A B C braucht, aber nicht, wenn man D E F dafür setzt“, dies deshalb nicht kann, weil ihm „die Gewißheit [fehlt]“³⁹⁶. Auch der spinozanische Gottesbeweis gehört Climacus zufolge in diese Kategorie eines mathematisch-logischen Sachverhalts und „Spinozas Satz“, der diesen Sachverhalt zum Ausdruck bringt: „daß ‚sein [sc. Gottes] Wesen das Dasein einschließt‘ (essentia involvit existentia)“, „ist also ganz richtig und die Tauto-
Vgl. Hügli 1973, 124: „Im Wissen werde ich eines Gegenstands habhaft: Ich habe ihn in der Form der Idealität, und zwar mit der Gewißheit, daß ich in der Idealität seine Realität, im Denken sein Sein habe. Mein Verhältnis zum Gegenstand des Wissens ist immanent, weil ich in meinem Denken bei ihm selbst bin; es ist direkt, weil mein Wissen unmittelbar vom Gegenstand selbst abhängt.“ Vgl. insbes. SKS 7, 105 ff. / AUN 1,101 ff. SKS 4, 440 / BA, 145. Die hier zitierte Passage in Der Begriff Angst stellt insbesondere auch deshalb eine Parallele zu den Überlegungen der Climacus-Schriften dar, weil sie die epistemologische Frage nach den Bedingungen von Wissen und Wahrheit gleichwie die Nachschrift nicht abstrakt, sondern ganz konkret anhand der Frage nach Möglichkeit oder Unmöglichkeit eines Beweises der Unsterblichkeit diskutiert. Vgl. die bereits oben zitierte zentrale Passage aus der Nachschrift: „Außerdem weiß ich, daß einige die Unsterblichkeit bei Hegel gefunden haben, andere aber nicht. Ich weiß, daß ich sie im System nicht gefunden habe, wie es auch ungereimt ist, sie dort zu suchen; denn im phantastischen Sinne geschieht alles systematische Denken sub specie aeterni, und insofern ist dort auch die Unsterblichkeit als Ewigkeit, aber diese Unsterblichkeit ist gar nicht die, nach der gefragt wird, da nach der Unsterblichkeit des Sterblichen gefragt wird, was nicht dadurch beantwortet wird, daß man zeigt, daß das Ewige unsterblich ist; denn das Ewige ist ja nicht das Sterbliche, und die Unsterblichkeit des Ewigen ist eine Tautologie und ein Mißbrauch der Worte.“ (SKS 7, 159 / AUN 1,162) Eine umfassende Analyse der erkenntnistheoretischen Überlegungen, die sich durch das gesamte schriftstellerische Werk Kierkegaards ziehen und von mir hier nur kurz angerissen werden können, gibt Piety 2010.
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logie ist in der Ordnung“³⁹⁷. Ein solcher Gottesbeweis ist nur dann problematisch, wenn er – wie es bei Spinoza tatsächlich der Fall ist – nicht mehr nur als eine für sich genommen schlüssige Ableitung anerkannt, sondern zum Prinzip metaphysischer Letztbegründung erhoben wird, mithin – so heißt es dann im ‚Zwischenspiel‘ – der entscheidende Zugang zu den Phänomenen faktischen Seins in Form eines „Erkenntnisschlu[sses] von der Ursache auf das Bewirkte…, oder richtiger vom Grund zur Folge (Jacobi)“³⁹⁸ geschieht. Eine solche Erhebung des spinozanischen Gottes zum Prinzip metaphysischer Letztbegründung ist deshalb problematisch, da es sich bei faktischen Sachverhalten, die über diesen Weg einer rationalen Erklärung zugänglich gemacht werden sollen, um von mathematisch-logischen qualitativ unterschiedene Sachverhalte handelt. Diese bezeichnet Climacus nun genauer als historische Sachverhalte und bestimmt deren Historizität in dreierlei Hinsicht. Als nicht notwendige, sondern zunächst mögliche Sachverhalte, die als Wirkung einer Ursache zu wirklichen Sachverhalten werden, sind sie erstens „dialektisch in Richtung auf die Zeit“³⁹⁹, d. h. sie haben eine Vergangenheit, in der sie nicht wirklich, sondern bloß möglich waren, und eine Zukunft, in der sie wirklich geworden sind. Notwendige Sachverhalte mathematisch-logischer Natur sind demgegenüber ‚ewig‘, insofern eine aus einem mathematischen Begriff als Grund abgeleitete Folge niemals nur möglich und noch nicht wirklich war, sondern schlechterdings – nämlich wahr – ist. Die unvermeidliche zeitliche Sukzession in der Ableitung ist lediglich bedingt durch die Vorstellung des logisch operierenden Erkenntnissubjekts. Denn wäre es andersherum möglich, dass die hier verhandelte Notwendigkeit „auf einen einzigen Punkte eintreten könnte, so würde nicht mehr die Rede sein vom Vergangenen und Zukünftigen.“⁴⁰⁰ Aus dieser Eigenschaft der Zeitlichkeit folgt, dass historische Sachverhalte zweitens kontingent sind, da sie, sobald sie wirklich, auch unveränderlich geworden, niemals aber notwendig so sind, wie sie sind, da sie, solange sie bloß möglich waren, auch niemals hätten wirklich werden können. Denn „alle Veränderung [sc. des Werdens] ist ja…dadurch ausgeschlossen, daß sie jeden Augenblick ausgeschlossen ist.“⁴⁰¹ Beispielsweise war es jedoch vor wenigen Minuten keineswegs ausgeschlossen, dass mich etwas davon abhält, jetzt diesen Satz zu schreiben. Vielmehr ist es erst jetzt, da ich diesen Satz geschrieben habe, ausgeschlossen, dass mich in den Minuten zuvor etwas davon abgehalten hat. Es
SKS 4, 246 / PB, 38 ff. SKS 4, 283 / PB, 80. SKS 4, 276 / PB, 73. SKS 4, 277 / PB, 74. SKS 4, 276 / PB, 73, meine Hervorh.
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ist aber ‚jeden Augenblick‘ ausgeschlossen, dass aus dem Begriff des Dreiecks nicht folgt, dass dessen Winkelsumme 180 Grad beträgt – ob jemand dies nun tatsächlich berechnet hat oder nicht. Als dritte Eigenschaft stellt Climacus eine Form der Ungewissheit heraus, die der Gewissheit des direkten epistemischen Verhältnisses zu mathematischen Gegenständen und dem Wissen um die notwendige Wahrheit der logisch-diskursiv abgeleiteten Folgen entgegensteht. Diese Ungewissheit als Charakterisierung der propositionalen Einstellung des epistemischen Subjekts gegenüber historischen Sachverhalten ist, gleichwie die Gewissheit und das Wissen im Falle mathematisch-logischer Sachverhalte, durch die zuvor genannten zwei ontologischen Eigenschaften historischer Sachverhalte selbst bedingt: durch deren Zeitlichkeit und Kontingenz, die wiederum als Näherbestimmungen des Werdens fungierten. Entsprechend heißt es im ‚Zwischenspiel‘, dass „das Historische jene Trughaftigkeit an sich hat, die dem Werden eigen ist.“ Und Climacus fügt zur Erläuterung an: Im Verhältnis zum Unmittelbaren ist nämlich Werden ein Trugwerk, dadurch das, was am festesten steht, zweifelhaft gemacht wird. So zum Beispiel wenn der Wahrnehmende einen Stern erblickt, wird der Stern ihm in dem Augenblick zweifelhaft, da er sich bewußt werden wird, daß der Stern geworden ist. Es ist gleich als wenn die Reflexion den Stern den Sinnen entzöge.⁴⁰²
Was hier also ‚am festesten steht‘, ist die unmittelbare Sinneswahrnehmung. Diese kann, wie Climacus mehrfach betont, „nicht trügen.“⁴⁰³ Dass es sich bei dem hier wahrgenommenen Gegenstand nun jedoch um einen Gegenstand handelt, der „nicht von Ewigkeit her so gewesen“⁴⁰⁴, sondern geworden ist, verhindert – dies ist die Pointe hier –, dass ich in gleicher Weise, d. h. logisch-diskursiv, auf etwas schließen kann, das notwendig aus der unmittelbar untrüglichen Wahrnehmung dieses Gegenstands folgt, wie es notwendig aus dem mir gewissen Begriff des Dreiecks folgt, dass die Summe der Winkel eines jeden Dreiecks 180 Grad beträgt. Vielmehr wird mir die Untrüglichkeit der unmittelbaren Sinneswahrnehmung als solche ‚zweifelhaft gemacht‘, indem die Reflexion auf die Historizität des wahrgenommenen Gegenstands die Unmöglichkeit einer jeden notwendigen Folgerung, mithin die Unmöglichkeit der Genese gesicherten Wissens in der Sphäre des Historischen überhaupt, zu Bewusstsein bringt.
SKS 4, 280 / PB, 77 f. SKS 4, 280 / PB, 77; SKS 4, 281 / PB, 78. SKS 4, 279 / PB, 75.
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In der Sphäre des historischen, faktischen Seins bin ich, anders als in der Sphäre ideellen Seins, zunächst also zu einem epistemischen Zweifel angeraten. Dieser Zweifel selbst ist nun aber kein Erkenntnisakt von eigener Art, er ist keine theoretische Einstellung und trägt zu keinem Erkenntnisgewinn bei, sondern bezeichnet eine praktische Haltung epistemischer Bescheidenheit: er „ist Einspruch wider jeden Schluß, der über die unmittelbare Wahrnehmung und die unmittelbare Erkenntnis hinausgehen will.“⁴⁰⁵ Die gegen eine ‚Erkenntnis des Ewigen‘ abzugrenzende ‚rein geschichtliche Erkenntnis‘ bedarf also bereits des Zusammenspiels einer theoretischen Einstellung zu dem entsprechenden Sachverhalt, die sich z. B. in der methodologisch begründeten Auswertungen historischer Quellen – etwa zur oben angeführten biographischen Periode Spinozas – niederschlägt, und der praktischen Haltung des Zweifels, die verhindert, dass ich auch angesichts einer Vielzahl von Quellen nichts als notwendig aus diesen Quellen zu folgern ansehe, mithin nichts Historisches als notwendig wahr missverstehe. Hier hilft auch eine vermeintliche Zeitgenossenschaft nicht, die nicht in gleicher Weise auf die Vermittlung durch Quellen angewiesen ist. Wie bereits gesehen ist auch die unmittelbare Sinneswahrnehmung – ob als Anblick eines Sterns oder als Beobachtung Spinozas beim Linsenschleifen in seinem Haus in Rijnsburg – dem Wissen im strengen Sinne unzugänglich. Climacus formuliert dies wie folgt: Die Unmittelbarkeit des Berichts, d. h.: dies, daß der Bericht da ist, ist das unmittelbar Gegenwärtige, aber das Geschichtliche an diesem Gegenwärtigen ist, daß es geworden ist, und an dem Vergangenen, daß es Gegenwärtig dadurch gewesen ist, daß es ward. Sobald der Spätere nun das Vergangene glaubt (nicht dessen Wahrheit; denn das ist Sache der Erkenntnis, die sich auf das Wesen bezieht, nicht auf Sein; sondern glaubt, daß es ein Gegenwärtiges dadurch gewesen daß es ward), ist die Unsicherheit des Werdens darin; und diese Unsicherheit des Werdens (die Nichtigkeit des nicht-Seienden – das mögliche Wie-sein des wirklichen So-seins) muß für ihn ebenso sein wie für den Gleichzeitigen, sein Gemüt muß in der Schwebe sein ebenso wie das des Gleichzeitigen.⁴⁰⁶
Eine solche praktische Haltung epistemischer Bescheidenheit identifiziert Climacus zunächst als diejenige der „griechischen Skepsis“. Diese „war sich zurückziehend (‚Urteilsenthaltung‘, ἐποχή); sie [sc. die griechischen Skeptiker] zweifelten nicht vermöge der Erkenntnis, sondern vermöge des Willens (sich nicht hinnehmen lassen – μετριοπαθεῖν).“⁴⁰⁷ Dies ist für Climacus von nicht unerheblicher Bedeutung. Denn nicht nur recht, sondern auch geboten ist eine solche
SKS 4, 283 / PB, 81. SKS 4, 284 / PB, 81 f. SKS 4, 281 / PB, 79.
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Haltung epistemischer Bescheidenheit in Form einer methodologischen Selbstreflexion einer Wissenschaft, insofern diese als philosophische Wissenschaft nicht primär mit mathematisch-logischen, sondern mit historischen Sachverhalten zu tun hat.⁴⁰⁸ In diesem Sinne fungiert die ‚griechische Skepsis‘ für Climacus nur als der Inbegriff einer „untersuchende[n], in Zweifel ziehende[n], forschende[n] Philosophie“, deren Kennzeichen nicht so sehr die jeweiligen Forschungsergebnisse als vielmehr die zugrunde liegende „Sinnesart“⁴⁰⁹ ist. Dass diese Überlegungen auch eine nicht allzu versteckte Polemik gegen die Geschichtsphilosophie des Hegelianismus beinhalten, sei im Folgenden dahingestellt. Der entscheidende Punkt ist ein anderer. Denn wenngleich sie in der Wissenschaft geboten erscheint, erweist sich die Haltung des Zweifels in lebenspraktischer Hinsicht als problematisch und bedarf folglich eines Komplements. Dies wird insbesondere dann deutlich, wenn man sich vergegenwärtigt, dass historische Sachverhalte nicht nur vergangene oder gegenwärtige, sondern auch zukünftige Sachverhalte umfassen. Mit dem modalen Vokabular des ‚Zwischenspiels‘ gesprochen, sind dies Sachverhalte, die nicht deshalb einem gesicherten Wissen unzugänglich sind, weil sie als aktuell wirkliche zuvor bloß mögliche Sachverhalte waren, sondern weil sie als aktuell bloß mögliche noch zu verwirklichende Sachverhalte sind. In beiden Fällen ist die Annahme einer zugrundeliegenden Notwendigkeit unzulässig, sodass weder auf das Vergangene noch auf das Zukünftige geschlossen, mithin das Zukünftige, um das es nun geht, nicht vorausgesagt werden kann: „Das Zukünftige voraussagen wollen (prophe-
Für Kierkegaard (und so auch für Climacus) hat im strengen Sinne allein die Mathematik nichts mit historisch-faktischen, sondern ausschließlich mit ideellen Gegenständen und Sachverhalten zu tun. Bereits der Logik kommt ein – wenngleich negatives – Verhältnis zum historisch-faktischen Sein, bzw. zum Dasein zu, wie Climacus in der Nachschrift hervorhebt: „Das unendliche Übergewicht, das das Logische dadurch, daß es das Objektive ist, über alles Denken hat, wird wieder dadurch begrenzt, daß es subjektiv eine Hypothese ist, gerade weil es im Sinne der Wirklichkeit gleichgültig gegen das Dasein ist.“ (SKS 7, 107 / AUN 1, 103) Gleichgültig deshalb, da die Logik Kierkegaard zufolge – so erläutert Heiko Schulz – ausschließlich „eine Reihe von apriorischer, apodiktisch gewisser Implikationsketten in ‚Wenn … dann‘-Form, bloße Begriffsentwicklungen oder – modern gesprochen – Koextensivitätsbestimmungen“ formuliert. (Schulz 2014, 48) Dem entspringt nicht nur Kierkegaards grundsätzlich kritische Haltung gegenüber einer spekulativ neukonzipierten Logik im Hegelianismus, sondern auch und vor allem die von Climacus vorgebrachte Kritik an Spinoza. Dieser unterminiert mit der Installation seines tautologischen Gottesbegriffs als Prinzip metaphysischer Letztbegründung dieses negative, rein hypothetische Verhältnis der Logik zur Wirklichkeit nicht nur, sondern bereitet mit dieser Unterminierung überhaupt erst den Boden für das Hegel’sche Projekt einer sich dann in ein System philosophischer Wissenschaften ausgestaltenden spekulativen Logik. Zur Rolle Spinozas für den Entwicklungsgang der Hegel’schen Logik vgl. Sandkaulen 2008. SKS 4, 282 / PB, 79.
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zeien) und die Notwendigkeit des Vergangenen verstehen wollen, ist ganz und gar das Gleiche, und nur die Mode macht, daß einem Geschlecht das eine beifallswürdiger scheint als das andere.“⁴¹⁰ Dies mag zunächst trivial klingen – zumindest insofern man geneigt ist, das Voraussagen des Zukünftigen mit Phänomenen zu verbinden, die heutzutage unter der Überschrift ‚Esoterik‘ subsumiert werden. Climacus geht es jedoch weder um Astrologie noch um Kaffeesatzleserei. Denn bereits ein Großteil der alltäglichen Lebenspraxis basiert auf bestimmten, zumeist unbewussten, Erwartungen des Zukünftigen. Dies beginnt bei der Erwartung der Gültigkeit bestimmter Naturgesetze.⁴¹¹ Diese sind den meisten Menschen zwar selten als solche Gegenstand des Bewusstseins, jedoch würde wahrscheinlich niemand mehr einen Schritt wagen, wenn jedes Mal unklar wäre und geprüft werden müsste, ob er infolgedessen tatsächlich vorankäme oder nicht vielmehr in die Luft stiege. Ebenso verhält es sich bei komplexeren historischen Sachverhalten. So ist z. B. die Wahrnehmung eines herannahenden Autos für die meisten Anlass genug, die Straße nicht zu überqueren, gleichwohl sie nicht in gleicher Weise ein Wissen darüber beanspruchen dürfen, dass das Gegenteil mit möglicherweise lebensgefährlichen Konsequenzen einhergehen würde, wie sie ein Wissen darüber beanspruchen dürfen, dass die Winkelsumme eines Dreiecks stets 180 Grad beträgt. Anhand dieser Beispiele wird bereits deutlich, dass eine auf Basis der von Climacus explizierten ‚Trughaftigkeit des Werdens‘ etablierte skeptische Haltung, die als epistemische Skepsis nicht mehr nur ein Wissenschaftsethos begründet, sondern sich lebenspraktisch auswirkt, eine letztinstanzliche Lebensunfähigkeit zur Folge hätte. Dies heißt umgekehrt, dass bestimmte zukünftige Sachverhalte bereits auf einem so basalen Level für wahr gehalten werden müssen und Climacus zufolge auch immer schon für wahr gehalten werden, obwohl ihnen nicht Wahrheit im Sinne der notwendigen Wahrheit mathematisch-logischer Natur zukommt. Bei einem solchen Fürwahrhalten handelt es sich dann ebenso wenig wie im Falle des Zweifels um einen Erkenntnisakt, sondern um einen Willensakt, den Climacus in Abgrenzung zum Wissen und komplementär zum Zweifel als ‚Glaube‘ kennzeichnet:⁴¹² „Soviel ist denn klar“, resümiert Climacus, „daß das
SKS 4, 277 / PB, 74. Dem entspricht, dass sich Kierkegaard zufolge in der Tat auch die Naturwissenschaften mit ausschließlich historischen, da faktischen Gegenständen und Sachverhalten befassen. Vgl. dazu Schulz 2014, 48. In diesem Sinne geht es auch Climacus um ein ‚Fürwahrhalten ohne Gründe‘, wie Birgit Sandkaulen den nicht religiös, sondern rein epistemisch zu verstehenden Glaubensbegriff Jacobis pointiert beschrieben hat (vgl. Sandkaulen 2019a, 33 – 53). Wenngleich es bei Climacus wie bei Kierkegaard insgesamt diesbezüglich keine expliziten Bezugnahmen auf Jacobi gibt, so ist es der
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Organ für das Historische“, das erstens nicht der epistemische Modus theoretischen Wissens sein kann, da es zweitens auf einen im praktischen Sinne problematischen Zweifel antwortet (und darin einer entsprechend praktischen Lebensunfähigkeit immer schon entgegenwirkt), in Gemäßheit zu diesem [sc. dem Historischen] gebildet sein muß, jene Angemessenheit in sich haben muß, kraft deren es fort und fort aus seiner eigenen Gewißheit die Ungewißheit aufhebt, die der Ungewißheit des Werdens gemäß ist…. Von solcher Beschaffenheit ist nun eben der Glaube; denn in der Gewißheit des Glaubens ist als das Aufgehobene fort und fort gegenwärtig die Ungewißheit, welche auf jegliche Weise der des Werdens entspricht.⁴¹³
Und so ist „[d]es Glaubens Schluß…nicht Schluß, sondern Entschluß, und daher ist der Zweifel ausgeschlossen.“⁴¹⁴ Damit ist ein solcher Glaube zugleich eine ebenso praktische Haltung, eine – so der technische Ausdruck hier – ‚Leidenschaft‘: Der Glaube ist erst darin „das Gegenteil des Zweifels“, dass „Glaube und Zweifel einander entgegengesetzte Leidenschaften [sind].“⁴¹⁵ 3.1.4.3.3 Das Sachproblem der Zeit II: Geschichtlichkeit, Freiheit und Verantwortung Eine so basale Dimension eines praktischen Glaubens kann durchaus treffend als ‚pragmatisch‘ bezeichnet werden.⁴¹⁶ Die Dimension des Ethischen, um die es Climacus in der Hauptsache geht, ist hiermit jedoch noch nicht berührt. Sie kommt erst durch die Erwartung zukünftiger Sachverhalte in den Blick, die nicht mehr unbewusst unsere alltägliche Lebenspraxis ermöglichen, sondern wesentlich bewusst bestehen, da sie als Wirkung einer Handlung intendiert sind. Aber so entscheidend diese Art der Erwartung für ein Verständnis der existenziellen Ethik Sache nach also nicht unplausibel, die in den Brocken geführte Diskussion um den Glaubensbegriff als eine Anspielung auf Jacobi, insbesondere auf seine Überlegungen im David Hume, zu lesen. (So Miles 2009, 24) Zugleich ist der Glaube bei Climacus von Beginn an fundamental von demjenigen Jacobis verschieden, insofern er bereits in seiner epistemisch-praktischen Form strukturell immer schon eine propositionale Antwort auf einen (dann ebenso praktischen) Zweifel darstellt, während er bei Jacobi jedem Zweifel, den er stets nur diskursiv-rational versteht, mithin jedem rationalen Erkenntnisbemühen überhaupt, vorausgeht: „[W]ir alle“, so schreibt Jacobi an Mendelssohn, „werden im Glauben gebohren, und müssen im Glauben bleiben, wie wir alle in Gesellschaft gebohren werden, und in Gesellschaft bleiben müssen. …Wie können wir nach Gewißheit streben, wenn uns Gewißheit nicht zum voraus schon bekannt ist; und wie kann sie uns bekannt seyn, anders als durch etwas das wir mit Gewißheit schon erkennen?“ (JWA 1,1, 115 f.) SKS 4, 280 f. / PB, 78. SKS 4, 283 / PB, 80. SKS 4, 283 / PB, 81. Vgl. Emmanuel 1991, insbes. 294 ff.
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der Climacus-Schriften, insbesondere in ihrer handlungstheoretischen Ausgestaltung in der Nachschrift, ist, so sehr schweigt sich Climacus in den Brocken diesbezüglich aus. Nur ein Hinweis findet sich hier, der jedoch ein entscheidender ist: Anders als die „Unveränderlichkeit des Notwendigen“, die darin besteht, „daß es [sc. das Notwendige] ständig sich zu sich selbst verhält, und sich auf eine und die selbe Art zu sich selbst verhält“, mithin „jegliche Veränderung ausschließt“, steht die „Unveränderlichkeit des Vergangenen“ – die nicht als dessen Notwendigkeit missverstanden werden darf – in nun doppelter Hinsicht in einem Verhältnis zur Zeit: sie ist „nicht bloß in Richtung auf eine frühere Veränderung, aus der sie hervorgeht, dialektisch“, sondern auch „in Richtung auf eine höhere Veränderung, die sie aufhebt (z. B. in der Reue, die eine Wirklichkeit aufheben will).“⁴¹⁷ Um verstehen zu können, wie dieser alleinstehende Hinweis auf das Phänomen der Reue einzuordnen ist, erscheint mir ein kurzer Blick auf einen anderen Text, namentlich auf die erste der Zwei erbaulichen Reden aus dem Jahr 1843 mit dem Titel ‚Des Glaubens Erwartung‘, vonnöten. Dieser Text gibt ein Beispiel für eine bewusste Erwartung eines zukünftigen Sachverhalts in oben genanntem Sinne. Er veranschaulicht zugleich, dass eine solche Erwartung, obgleich nicht in der Weise basal wie die beschriebenen unbewussten Erwartungen, nichtsdestoweniger beunruhigend wirken kann, wenn die in ihr liegende Ungewissheit in vollem Umfang zu Bewusstsein kommt. Anders als der „in des Gedankens Dienst“⁴¹⁸ schreibende Climacus, dessen modalontologischen Ausführungen im ‚Zwischenspiel‘ der Brocken sicher zu den unzugänglichsten Passagen in Kierkegaards Gesamtwerk gehören, knüpft Kierkegaard in der genannten Erbaulichen Rede ihrem Anlass gemäß an eine Erfahrung an, die jedem nur allzu bekannt sein dürfte. Denn gerade am Neujahrtag, zu dessen Gelegenheit diese Rede gedacht ist, wird „der Gedanke an das Künftige und die nicht auszusondernde Möglichkeit darin uns so recht lebendig“. Denn „[e]in Jahr ist dahingegangen, ein neues ist begonnen; annoch ist nichts in ihm geschehen; das Vergangene ist abgeschlossen, das Gegenwärtige ist nicht, nur das Zukünftige ist, und dies ist nicht.“ Das gibt nicht nur Gelegenheit, das eigene Wohl zu bedenken, sondern auch „andern Menschen unser Wohlwollen und unsre Teilnahme zu zeigen, indem wir ihnen dies oder jenes Gute wünschen.“⁴¹⁹ Solche Wünsche sind zumeist von eher allgemeiner Natur, beobachtet Kierkegaard, und werden als solche relativ leichtfertig ausgesprochen: „[W]ir hof-
SKS 4, 277 / PB, 74. SKS 4, 217 / PB, 5. SKS 5, 18 / 2ER43, 384.
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fen, der größere Umfang des Wunsches werde leichter die Mannigfaltigkeit des Künftigen in sich begreifen können“, und lassen die genuine Ungewissheit, die allem Zukünftigen als Teil des Historischen eigen ist, „unserm Wunsch nicht Einhalt tun, wir geben dem Gedanken nicht Zeit, den rätselhaften und unbestimmten Antrieb des Herzens zu verunreinigen“⁴²⁰. Nur in besonderen Fällen verhält es sich anders. Genau dann nämlich, wenn der Wunsch einen „einzelnen bestimmten Menschen“ adressiert, für dessen „Wohl…wir größere Sorge [tragen]“: Je mehr das so ist, um so mehr werden wir uns der Schwierigkeit bewußt. Indem nun der Gedanke in das Kommende sich vertieft, fährt er in der Irre mit seinem rastlosen Streben, dem Rätselhaften eine Erklärung zu entwinden oder zu entlocken; spähend hastet er von einer Möglichkeit zur andern, doch vergeblich; und alledem wird des Wünschenden Seele verzagt, welche dasitzt und wartet, daß der Gedanke heimkehre und sie unterrichte, was sie mit aller ihrer Innigkeit wünschen darf.⁴²¹
Die weiteren Schritte in der Entwicklung dieser so ansetzenden Rede können an dieser Stelle beiseitegelassen werden. Es reicht aus, darauf zu achten, was Kierkegaard hier beschreibt. Zwar ist es ganz grundsätzlich „ein Zeichen für des Menschen Adel“, so heißt es in derselben Rede, daß er sich mit dem Zukünftigen beschäftigen kann; denn gäbe es kein Zukünftiges, so gäbe es auch kein Vergangenes, und gäbe es weder etwas Zukünftiges noch etwas Vergangenes, so wäre der Mensch unfrei wie das Tier, sein Haupt wäre zur Erde gebeugt, seine Seele gebunden im Dienste des Augenblicks.⁴²²
Jedoch wird der Möglichkeitsraum des Zukünftigen anlässlich des beschriebenen Anlasses, die besondere Zuneigung zu einem Menschen durch einen konkreten Wunsch ausdrücken zu wollen – davon, diesen Wunsch durch ein entsprechendes Handeln in die Tat umsetzen zu wollen, muss hier noch gar nicht die Rede sein – zu einer drohenden Gefahr. Der Mensch findet sich wieder im Zustand des „Kampf[es] mit dem Zukünftigen“⁴²³. Denn es kann zu einer Vielzahl an Verwirklichungen kommen, die der gut gemeinten Intention des Wunsches entgegenstehen: Die Idealität des Wunsches und die Realität seiner Erfüllung stünden disparat zueinander.
SKS 5, 18 / 2ER43, 384 f. SKS 5, 18 f. / 2ER43, 385. SKS 5, 26 f. / 2ER43, 394 f. SKS 5, 27 / 2ER43, 395.
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Eine solche Disparatheit von Idealität und Realität ist die Strukturbestimmung dessen, was die Nachschrift als ‚Schuld‘ kennzeichnet; diese wiederum ist die Bedingung der Möglichkeit von Reue als der schon in den Brocken erwähnte Wunsch, ‚eine Wirklichkeit aufzuheben‘.⁴²⁴ Die Reue erscheint hier nicht als nur ein beliebiges Phänomen neben anderen. In ihr kommt das zum Ausdruck, was Climacus im ‚Zwischenspiel‘ die „Verdoppelung“ des Werdens nennt; diese unterscheidet nun „das Geschichtliche im strengeren Sinne“ vom Historischen im Allgemeinen. Gemeint ist nicht mehr nur eine grundsätzlich zeitliche Strukturiertheit faktischen Seins, sondern eine reflektierende Verhältnissetzung des Individuums zur eigenen Zeitlichkeit und den damit einhergehenden Konsequenzen: der Prozess ethischer Selbstverständigung als „die Möglichkeit des Werdens innerhalb seines eigenen Werdens.“⁴²⁵ Dies entspricht dann aber bereits demjenigen Verständnis ethischer Selbstverständigungspraxis, das die Climacus-Schriften im Anschluss an die Einführung des Begriffs des Ethischen durch die Ironie-Schrift als wesentliche Aufgabe menschlichen Lebens herausstellen: Die von Kierkegaard gegen Fichte und die Romantiker in Stellung gebrachte Aufgabe der Auseinandersetzung mit einer stets aufs neue herausfordernden geschichtlichen Wirklichkeit bedarf nicht so sehr zunächst, als vielmehr immer auch zugleich – dies ist die Pointe der ClimacusSchriften – der Auseinandersetzung mit der eigenen, individuellen geschichtlichen Existenz. So ist mit der Erfahrung der Reue und ihrem Verhältnis zur Schuld auch der ausgezeichnete Modus der Erfahrung der eigenen Freiheit benannt, sodass das besondere geschichtliche Werden des Einzelnen, d. h. sein freiheitlich-ursächliches Handeln stets mit der nicht zu delegierenden Verantwortung für dieses Handeln einhergeht. Dies ist dann zuletzt aber auch das, worauf das Christentum Climacus zufolge in besonderer Weise aufmerksam zu machen in der Lage ist als „die einzige geschichtliche Erscheinung, welche dem Geschichtlichen zum Trotz, ja eben vermöge des Geschichtlichen, dem Einzelnen für sein ewiges Bewußtsein hat Ausgangspunkt sein wollen, ihn anders als bloß geschichtlich hat interessieren wollen, ihm seine Seligkeit hat gründen wollen auf sein Verhältnis zu etwas Ge-
Vgl. dazu die Formalbestimmung von Schuld als der „offenbare Widerspruch…von ‚Idealität‘ und ‚Realität‘“ und ihr Verhältnis zur Reue in Esser 1963, 55 ff.Vgl. auch Winter 2016, insbes. 125 ff. SKS 4, 276 / PB, 72 f.Vgl. Crites 1972, 185: „Kierkegaard assumes that human beings are subject to a peculiar form of becoming. …[H]e distinguishes the fully ‚tensed‘ temporality of past, present, and future which qualifies a human form of existence from the indefinite succession to which all physical things are subject.“
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schichtlichem.“⁴²⁶ Denn auch „[d]ie Erwartung einer ewigen Seligkeit“ als das spezifisch christliche Heilsversprechen steht nach Kierkegaard im Dienste des Ethischen: sie soll, so formuliert er in einer Erbaulichen Rede von 1844, d. h. zeitgleich zu den Brocken, „einem Menschen helfen sich selbst zu verstehen in der Zeitlichkeit“⁴²⁷. Ein solches Verständnis vollzieht sich nun aber nicht mehr im Modus eines pragmatisch-praktischen Glaubens, oder wie Climacus schreibt, eines Glaubens „in allgemeinem Sinne“⁴²⁸. Ein solcher ist zwar durchaus ‚Organ für das Historische‘, bleibt auf dieses Historische, gleichwie auf sein Komplement eines praktischen Zweifels, jedoch ausschließlich propositional gerichtet, er versteht dieses Historische lediglich „in erster Potenz“⁴²⁹ als sich gegenüber. Erst mit dem religiösen Glauben, dem Glauben „in besonderem Sinne“⁴³⁰, scheint ein solches Verständnis der eigenen Zeitlichkeit, mithin der eigenen Existenz, erst möglich zu werden, insofern ein solcher Glaube über den Weg des Verhältnisses zu etwas Historischem auf die ihm eigene Dialektik von Zeitlichkeit und Ewigkeit – nun nicht verstanden als äußerlicher Gegensatz von historischen Sachverhalten und mathematisch-logischen Sachverhalten, sondern als innerer Widerspruch von Gebundenheit und Freiheit im Menschen selbst – verweist. In diesem Sinne leitet Climacus nun die Nachschrift wie folgt ein und bringt damit die zentrale Frage auf den Punkt, die durch die Brocken und ihren Rekurs auf Jacobis Argument eines wesentlichen Unterschieds von Grund und Ursache vorbereitet worden ist: Ich, Johannes Climacus, hier in der Stadt geboren, nun 30 Jahre alt, und recht und schlecht ein Mensch, so wie die meisten Leute, nehme an, daß mir sowohl wie einem Dienstmädchen und einem Professor ein höchstes Gut in Aussicht steht, das ewige Seligkeit genannt wird; ich habe gehört, daß einem das Christentum dieses Gut bedingt; nun frage ich: Wie komme ich in ein Verhältnis zu dieser Lehre?⁴³¹
SKS 4, 305 / PB, 106. SKS 5, 256 / 3ER44, 170. SKS 4, 286 / PB, 84. Ebd. Ebd. SKS 7, 25 / AUN 1, 14.
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3.1.5 Exkurs: Jacobis Argument von Grund und Ursache und das Problem einer ‚ewigen Zeit‘ Wie funktioniert das Argument eines wesentlichen Unterschieds von Grund und Ursache nun bei Jacobi selbst und wie ist es entsprechend um die Adäquatheit von dessen Anverwandlung durch Climacus bestellt? Es ist bereits angemerkt worden, dass auch Jacobi mit diesem Argument eine zunächst sprachliche Ebene adressiert. Dieser widme ich mich im Zuge dieses Exkurses erneut und nun auch ausführlicher (1), um von dorther die Sachebene des Problems einer ‚ewigen Zeit‘ in den Blick zu nehmen (2). Anhand dieser Sachebene lässt sich dann ein Unterschied zur Behandlung des Sachproblems der Zeit durch Climacus ausmachen, der strukturanalog zu demjenigen Unterschied zu verstehen ist, der bereits in den sachlichen Vorbemerkungen zum Unterschied des jeweiligen Vernunftverständnisses herausgestellt worden ist (3). (1) „Alle Philosophie ist ‚Sprachkritik‘.“⁴³² So lautet ein wohlbekanntes Diktum aus Wittgensteins Tractatus logico-philosophicus, das als Programmformel nicht nur seines frühen, sondern ebenso sehr seines späten Denkens gelten kann. „Die Philosophie“, heißt es dann in diesem Sinne in den Philosophischen Untersuchungen, „ist ein Kampf gegen die Verhexung unseres Verstandes durch die Mittel der Sprache.“⁴³³ Ganz so radikal, wie es der Tractatus formuliert, sieht es Jacobi nicht. Philosophie ist nicht ausschließlich Sprachkritik. Gleichwohl gehen Philosophie und Sprachkritik stets Hand in Hand. So war Jacobi seit Beginn seiner philosophischen Tätigkeit ganz im Sinne des Wittgensteins der Philosophischen Untersuchungen sensibel für Möglichkeiten des Missverstehens und der Verstellung dessen, was er als das ‚Wahre‘ ins Zentrum seiner Überlegungen stellt: Er war sensibel für das „Vernunft- und Sprachverwirrende“⁴³⁴ einer philosophischen „Schulsprache“⁴³⁵, die die Anbindung an die alltäglichen Erfahrungen der Menschen, und mit ihnen an den alltäglichen Gebrauch der Sprache, der auf diesen Erfahrungen beruht, verloren hat.⁴³⁶ Problematisch wird der Verlust eines solchen Erfahrungsbezugs vor allem dann, wenn eine auf diese Weise abstrakte Sprache, die, gleichwie die Mathe-
TLP 4.0031. Zit. n. Wittgenstein 1963, 33. PU 109. Zit. n. Wittgenstein 2003, 81. JWA 1,1, 222. JWA 2,1, 369 f.; JWA 5,1, 37. „Und so behaupte ich, und werde behaupten“, schreibt Jacobi in den Spinozabriefen entsprechend: „Wir erschaffen und wir unterrichten uns nicht selbst; sind auf keine Weise a priori, und können nichts a priori wissen oder thun; nichts erfahren – ohne Erfahrung.“ (JWA 1,1, 130)
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matik, mit „blos identische[n] Sätze[n]“ operiert, deren „absolute Allgemeinheit und Notwendigkeit“ gerade in dieser ihrer „Unabhängigkeit von Erfahrung“ begründet liegt, den so völlig zuwiderlaufenden Anspruch erhebt, lebensweltliche Erfahrungsgehalte als so und so allgemeingültig und ihrem notwendigen Wesen nach erklären zu können. „In diesem Felde“, das dem vergeblichen Versuch gleichkommt, „Brillen erfinden zu wollen, mit denen man ohne Augen sieht – und besser!“, hat sich, so Jacobi, „die Splendida miseria unseres Erkenntnisvermögens durch Abstraction und Sprache vorzüglich gezeigt, und eine Menge Täuschung und Mißverständnisse entstehen lassen“⁴³⁷. Darauf gilt es aufmerksam zu machen. Zwar hat Jacobi dem Ansatz einer Philosophie als Sprachkritik letztlich nie die durchaus angedachte „eigene ausführliche Abhandlung“ gewidmet. Er hat aber ein bemerkenswertes Beispiel dafür gegeben, wie man die „Möglichkeit“ besagter Vernunft- und Sprachverwirrung „vollkommen begreift, wenn man den Functionen der Sprache bei unseren Vernunftschlüßen auf den Grund gekommen ist“⁴³⁸– ein Beispiel, das dann auch in wesentlichem Maße zur Begeisterung für Jacobi geführt hat, zu der sich Kierkegaard-Climacus bekennt. Das Beispiel, auf das ich anspiele, ist zugleich Jacobis zentraler Einwand gegen den Spinozismus. Dieser mache sich nämlich in der Folge seines Erklärungsprogramms der unzulässigen Vermischung des „Begriff[s] der Ursache mit dem Begriffe des Grundes“⁴³⁹ schuldig. Was Jacobi zunächst tut, um ‚den Funktionen der Sprache bei unseren Vernunftschlüssen auf den Grund zu kommen‘ und von dort aus diesen zentralen Einwand zu stützen, ist die Operation eines Vernunftschlusses selbst in den Blick zu nehmen. Er tut dies anhand eines Beispiels aus dem Gebiet der Geometrie. Was passiert, so lässt sich seine Frage im David Hume formulieren, wenn wir aus dem
JWA 1,1, 130. Ebd. JWA 1,1, 255.Wie bereits in der Einleitung bemerkt, hat erstmalig Birgit Sandkaulen dieses als das für Jacobi zentrale Argument in den Fokus der Forschung gerückt und es als Schlüsselargument zum Verständnis von Jacobis Vernunftkritik ausgewiesen (Sandkaulen 2000). Neben seiner Schrift David Hume über den Glauben oder Idealismus und Realismus. Ein Gespräch (1787) formuliert Jacobi dieses Argument insbesondere in der ‚Beilage VII‘ zur zweiten Auflage der Spinozabriefe (1789) erneut, die Birgit Sandkaulen an zuvor genannter Stelle auch als Jacobis ‚heimliches Hauptwerk‘ bezeichnet und umfassend analysiert. Da die wie gesehen auch für Climacus zentrale Zusammenführung dieses Arguments mit dem Sachproblem der Zeit, im Falle Jacobis genauer mit dem Gedanken einer ‚ewigen Zeit‘, so nur in der ‚Beilage VII‘ zu finden ist, ist davon auszugehen, dass dies Kierkegaards Quelle für diesen gesamten Argumentationskomplex um die Begriffe von Grund und Ursache ist, obwohl sich in Kierkegaards Exemplar aus Jacobis Werkausgabe dort ebenso wenig Anstreichungen und Anmerkungen finden wie im David Hume.
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Begriff des Dreiecks als eine von drei geraden Linien begrenzte Fläche dessen Eigenschaft ableiten, drei Innenwinkel zu besitzen? Zwar sind die „[d]rey Linien, die einen Raum einschließen,…der Grund, das principium essendi, compositionis, der in einem Triangel befindlichen Winkel. Der Triangel aber ist nicht vor den drey Winkeln da, sondern beyde sind zugleich in demselben untheilbaren Augenblick vorhanden“⁴⁴⁰, nämlich im Begriff des Dreiecks. „Und so verhält es sich überall, wo wir eine Verknüpfung von Grund und Folge wahrnehmen.“⁴⁴¹ Was hier also passiert, ist lediglich die Bewusstwerdung „des Mannichfaltigen in einer Vorstellung“⁴⁴², mithin die bloße Explikation des semantischen Gehalts eines Begriffs in Form der logischen Operation einer Ableitung. Weil dies aber „succesiv geschieht“ und sowohl in Form der Wahrnehmung eines logisch operierenden Erkenntnissubjekts als auch in Form des sprachlichen Ausdrucks einer solchen Wahrnehmung nicht anders geschehen kann, „und eine gewisse Zeit darüber verfließt, so verwechseln wir dieses Werden eines Begriffs mit dem Werden der Dinge selbst“⁴⁴³. Das ‚Werden der Dinge‘ ist aber keine auf diese Art nur in der Idealität der Vorstellung vorfindliche Sukzession. Das ‚Werden der Dinge‘ ist „würkliche Folge“⁴⁴⁴ eines bestimmten Sachverhalts aus einem zeitlich real von diesem unterschiedenen, d. h. vorgängigen, anderen Sachverhalt. Und es ist dies unabhängig vom erkennenden Subjekt, insofern ein solches Subjekt für Jacobi lediglich eine sekundäre Verkürzung eines seine erstpersonale Realität gleichursprünglich mit der Realität einer ihm begegnenden Welt erfahrenden Individuums darstellt: Das Leben des in diesem Sinne „natürlichen Menschen“ vollzieht sich auf Basis der „gleiche[n] Gewißheit dieser zwei Sätze: Ich bin, und es sind Dinge außer mir“⁴⁴⁵. Und da es sich dann bei diesen ‚Dingen außer mir‘ nicht um unbelebte Objekte, sondern um primär andere individuelle Personen handelt, ein wie auch immer auszubuchstabierendes bewusstseinstheoretisches Schema von vorstellendem Subjekt und vorgestelltem Objekt durch den lebensweltlichen Erfahrungszusammenhang von „Ich“ und „Du“⁴⁴⁶ wenn nicht zu ersetzen, so doch aber zu fundieren ist, bedingt ein solcher Erfahrungszusammenhang, der dann der Zusammenhang der Erfahrung personaler
JWA 2,1, 50. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. JWA 2,1, 194. JWA 1,1, 116; JWA 2,1, 38.
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3 Hauptteil: Die existenzielle Ethik der Climacus-Schriften
Interaktion ist, die Begriffe Ursache und Wirkung; diese sind handlungsgenetische Begriffe und implizieren Freiheit.⁴⁴⁷ Dazu ist erstens folgende Bemerkung zu machen. Der Aufbau des sprachlichen Ausdrucks, mit dem wir das eine wie auch das andere Verhältnis zu bezeichnen versuchen, d. h. einerseits der Ausdruck von Grund und Folge sowie andererseits derjenige von Ursache und Wirkung, ist in gewisser Hinsicht derselbe. Wir haben es je mit zwei Relata zutun, von denen das eine Relatum in einer Abhängigkeitsbeziehung zu dem anderen steht: die logische Folge ist abhängig von ihrem logischen Grund so wie die reale Wirkung abhängig ist von ihrer realen Ursache. Dies führt dazu, dass wir geneigt sind, den einen Ausdruck für den anderen zu gebrauchen und umgekehrt – dies ist nicht nur bei Spinoza zu beobachten, sondern auch in Jacobis eigener Rede von einer ‚würklichen Folge‘.⁴⁴⁸ Eine solche „Vereinigung“ der sprachlichen Ausdrücke im Gebrauch ist nun auch nicht per se „unzulässig; wenn nur“ – dies ist der zweite und für Jacobi entscheidende Punkt – „keinen Augenblick vergessen wird, was jedem ins besondere zum Grunde liegt, und ihn zu einem möglichen Begriffe machte“⁴⁴⁹. Dies ist insbesondere für den Fall des handlungsgenetischen Ursprungs des UrsacheWirkungs-Verhältnisses von entscheidender Bedeutung. Denn – dies ist noch einmal zu betonen – das dem Spinozanischen Rationalismus essenzielle Verfahren ist dasjenige der Erklärung qua Letztbegründung, d. h. dasjenige der Rückführung eines jeden Phänomens innerhalb der lebensweltlichen Sphäre der Modi auf die ihm zugrunde liegende Wirkursache der einen göttlichen Substanz. Von dort her ergibt sich überhaupt erst die Notwendigkeit einer Immanenzstruktur monistischer Metaphysik: das ‚hen kai pan‘ ist das nur konsequent zu Ende gedachte, von Jacobi gegenüber Lessing als „Geist des Spinozismus“ apostrophierte „Uralte: a nihilo nihil fit“⁴⁵⁰.
Vgl. dazu vor allem Sandkaulen 2019a, 135 – 167, insbes. 154– 156. Die hier und im Folgenden hervorgehobene Sensibilität Jacobis auf den Sprachgebrauch wird insbesondere auch in einem anderen, nämlich den Zusammenhang des Gebrauchs des Ausdrucks ‚Offenbarung‘ deutlich, den Jacobi zunächst nicht religiös, sondern im Kontext seiner Position eines ‚entschiedenen Realismus‘ verstanden wissen will: „Ein solcher entschiedener Realist“, so heißt es im David Hume, „wie soll er das Mittel benennen, wodurch ihm die Gewißheit von äusseren Gegenständen, als Dingen an sich, zu Theil wird? Er hat nichts, worauf sein Urtheil sich stützen könnte, als die Sache selbst; nichts als das Factum, daß die Dinge würklich vor ihm stehen. Kann er sich mit einem schicklichern Worte, als dem Worte Offenbarung, hierüber ausdrücken; ist nicht hier vielmehr die Wurzel dieses Worts, die Quelle seines Gebrauchs zu suchen?“ (JWA 2,1, 32) JWA 1,1, 256. JWA 1,1, 18.
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Ein solches Verfahren der Erklärung qua Letztbegründung führt nun jedoch zu einer Vereinigung als Vermischung, die als solche den maßgeblichen Unterschied der Genese nicht nur vergisst, sondern geradezu vergessen machen muss, wenn es erfolgreich sein soll. In diesem Sinne ist die Vereinigung sehr wohl ein entscheidendes Problem. Als Vermischung ist sie gleichbedeutend mit der „Auflösung“ des einen Begriffs (der Ursache) in den anderen Begriff (des Grundes), indem jener nämlich „zu einem blos logischen Wesen“⁴⁵¹ gemacht wird. Die andere Gebrauchsvariante, und mit ihr diejenigen Erfahrungsgehalte, der sie entstammt, verliert angesichts einer solchen Logifizierung des Ursache-Begriffs ihre eigene Dignität. Und in der Tat bekennt Spinoza ganz in diesem Sinne, mit dem von Jacobi so bezeichneten ‚Werden der Dinge‘ insbesondere „menschliche Handlungen“ wie ewige Wahrheiten von letztlich mathematisch-logischer Natur, d. h. so betrachten zu wollen, „als ginge es um Linien, Flächen oder Körper“⁴⁵². *** Hier gilt es kurz einzuhalten. Denn bis zu dieser Stelle ist das Argument eines Unterschieds von Grund und Ursache auch von Climacus verstanden und wenngleich nicht in gleicher Ausführlichkeit, so doch unübersehbar in seine Überlegungen installiert worden. Dies betrifft nicht zuletzt die Übereinstimmung im Verständnis eines Grund-Folge-Verhältnisses als Verhältnis mathematischer Begriffe und logisch-diskursiver Ableitung ihrer immanenten Eigenschaften, wie sie den epistemologischen Erörterungen der Brocken zum Unterschied von ewiger und historischer Erkenntnis abzulesen ist. In diesem Sinne wird auch die Vermischung von Grund und Ursache als das vor allem auch sprachlich vermittelte Problem einer Logifizierung des Ursache-Begriffs verstanden. Dass dies im Falle Jacobis jedoch nur die eine Seite der Medaille darstellt, darauf komme ich gleich noch zu sprechen. Die entscheidende Inspiration für sein Projekt einer existenziellen Ethik, die Climacus aus diesem Argument zieht, ist nun jedoch vor allem die, dass er sich mit dem Begriff der Ursache und seiner durch Jacobi aufgewiesenen Verknüpfung mit der Freiheit des Menschen in Absetzung von Mathematik und Logik auf die Sphäre individuellen Handelns verwiesen findet, um diese nicht nur mithilfe der Kategorien von Möglichkeit und Wirklichkeit modalontologisch, sondern auch und damit zusammenhängend hinsichtlich ihrer Zeitlichkeitsstruktur näher zu bestimmen. Und dies ist sicher nichts, was an Jacobis eigener Intention vorbeigeht. Ganz im Gegenteil geht es auch Jacobi in seiner Betonung der Freiheit letztinstanzlich
JWA 1,1, 256. E3praef.
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nicht bloß um das „Vermögen eine Handlung schlechterdings anzufangen“⁴⁵³, gleichwie es Climacus nicht bloß um „das Abbrechen des Zusammenhangs“ umfassender und zureichender Erklärung geht – dies ist lediglich „der erste Ausdruck des Werdens“⁴⁵⁴ in kritischer Opposition zum Rationalismus. Beiden geht es um die mit der Erfahrung der Freiheit ermöglichte Reflexion auf die eigene, zeitliche und darin letztlich erst und überhaupt nur persönliche Existenz. Nicht nur lässt Kierkegaard Climacus sich genau mit Blick auf diesen entscheidenden Gedanken emphatisch zu Jacobi als Vorläufer seines eigenen Denkens bekennen. Kierkegaard und Jacobi stehen einander in dieser Sache sogar noch näher, als Kierkegaard selbst dies gesehen hat – dies wird im Folgenden mit Blick auf Jacobis Roman Woldemar noch deutlich werden. Denn nicht nur geht es Jacobi um das unmittelbare Personsein des Menschen, wie es bereits in der Dringlichkeit des Gefühls gegen Fichte zum Thema geworden ist. Wie aus seinen Zufälligen Ergießungen eines einsamen Denkers in Briefen an vertraute Freunde (1793) hervorgeht, zielt auch er letztlich ab auf ein näherhin „[p]ersönliches Bewußtsein“ im Sinne einer komplexen „Persönlichkeit“, die er als „ein[en] aus Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zusammengesetzte[n]“, mithin reflexiv und über die Auseinandersetzung mit Erfahrungen der Negativität erst zu gewinnenden „Begriff“ von sich selbst versteht: „Indem wir diesen Begriff erzeugen, erzeugen wir uns selbst; indem wir ihn festhalten und fortsetzen, erhalten wir uns. Von einem nicht also bedingtem, nicht zeitlichem Leben…haben wir keine Vorstellung.“⁴⁵⁵ Nichtsdestotrotz: Aus Jacobis Perspektive verlässt Climacus den Argumentationsgang um die Begriffe von Grund und Ursache zu früh und bekommt so dessen eigentliche Pointe gar nicht in den Blick, wenn er sich vor dem Hintergrund der Brocken mit der Nachschrift nun schnellstmöglich daran begibt, eine Handlungstheorie vorzulegen. Darum wird es im anschließenden Kapitel gehen. Hier genügt der Hinweis, dass Gründe dann nurmehr als Motive und Rechtfertigungen einer Handlung eine Rolle spielen; Zeit nurmehr als individuelle Geschichtlichkeit, d. h. als die letztlich ethische Aufgabe begegnet, sich handelnd zur Zeitlichkeit der individuellen historischen Existenz in ein freiheitlich zu verantwortendes und zugleich verantwortbares Verhältnis zu setzen. Zwar bemerkt auch Climacus wie beschrieben, dass mit der Verwandlung des Begriffs der Ursache in eine Kategorie metaphysischer Immanenz, wie sie Jacobi im Spinozismus diagnostiziert, Zeit und Freiheit nicht völlig verschwinden, so als wäre keine Rede mehr davon; vielmehr geraten sie zu nurmehr „blinde[m] Lärm“, zu „Einbildung“
JWA 2,1, 157. SKS 4, 282 / PB, 80. JWA 5,1, 204.
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und „Hexerei“⁴⁵⁶. Einen Grund, weshalb es sich jedoch so verhält, dass Zeit und Freiheit trotz aller programmatisch betriebener Vermischung der Begriffe von Grund und Ursache nicht nur bei Spinoza, sondern auch in den hegelianistischen Exponenten rationalistischer Systemphilosophie immer noch auffindbar sind, gibt Climacus nicht. Getreu dem Ausspruch des pseudonymen Verfassers von Der Begriff Angst, Vigilius Haufniensis: „dem sei nun wie es wolle; laß die Logik zusehen, wie sie sich selber hilft“⁴⁵⁷, scheint dies auch für Climacus letztlich nicht weiter von Interesse zu sein. Das Gegenteil gilt für Jacobi. Sein Argument greift gemäß seines doppelphilosophischen Ansatzes sehr viel tiefer in die innere Logik des Spinozanischen Systems, indem es nun auch die systeminterne Dialektik des Sachproblems der Zeit anhand des ungereimten Begriffes einer ‚ewigen Zeit‘ expliziert. Was hat es damit auf sich? (2) Um dieses Problem einer ‚ewigen Zeit‘ zu verstehen, gilt es noch einmal bei der Diagnose der Vermischung von Grund und Ursache anzusetzen. Besieht man Jacobis Argument genau, dann liegt seine Pointe bereits an dieser Stelle darin, dass mit der Logifizierung des Ursache-Begriffs das letzte Wort längst noch nicht gesprochen ist, die von Spinoza programmatisch betriebene Auflösung des Begriffs der Ursache in den bloß logischen Begriff des Grundes mithin de facto gar nicht gelingt – und dies in maßgeblich dreifacher Hinsicht. Sie gelingt erstens deshalb nicht, insofern Spinoza seinerseits über den Begriff der Ursache immer schon verfügen muss, um ihn unter den Primat des Satzes des zureichenden Grundes stellen und logisch überformen zu können. Indem dieser Begriff der Ursache wie gesehen ein genuin handlungsgenetischer Begriff ist, der aus der Erfahrung unseres freiheitlichen Handelns erwächst, muss Spinoza zweitens auch den Erfahrungsgehalt der Freiheit in dem Maße voraussetzen, wie er von vornherein mit dem Begriff der Ursache operiert. Und da mit der Erfahrung der Freiheit die Erfahrung der eigenen Wirksamkeit in der Welt gemeint ist, d. h. die Erfahrung, eine reale Veränderung in der Welt herbeizuführen, etwas genuin Neues zu schaffen, das in seiner Qualität in nichts Vorherigem bereits impliziert ist, hat Spinoza zuletzt drittens ebenso sehr wie zuvor den Begriff der Ursache und die Erfahrung der Freiheit die Erfahrung der Zeit zu seiner Voraussetzung. Stellt man all diese Aspekte in Rechnung, dann wird klar, weshalb es sich bei dem Begriff der Ursache um einen irreduziblen Begriff handelt, der nicht in den Begriff des Grundes aufzulösen ist, wie sehr man sich auch darum bemüht:
SKS 4, 277 / PB, 74. SKS 4, 385 / BA, 83.
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3 Hauptteil: Die existenzielle Ethik der Climacus-Schriften
Deshalb nämlich, da es sich bei den Erfahrungsgehalten von Freiheit und Zeitlichkeit, die diesen Begriff bedingen, in gleicher Weise um irreduzible und damit metaphysisch prioritäre Erfahrungsgehalte handelt, ohne die wir nicht nur nicht über einen solchen Begriff der Ursache verfügten, sondern deren Annihilierung nichts weniger als die Destruktion unseres alltäglichen Verständnishorizonts unserer Selbst und der Welt zur Folge hätte. Nicht zuletzt aus diesem Grund geht es Spinoza dann auch in keiner Weise darum, die Realität zeitlicher Existenz schlicht zu leugnen und sie essentialistisch zur Ewigkeit einer zeitlosen Substanz zu verklären. So unterscheidet Spinoza sogar explizit zwei Arten der Wirklichkeit modaler Existenz: Der realen und essenziellen Wirklichkeit in Gott wird in gleichen Maßen die aktuale Wirklichkeit in Zeit und Raum zur Seite gestellt: „Dinge werden von uns auf zwei Weisen als wirklich begriffen: entweder insofern wir sie als existierend in Beziehung auf eine gewisse Zeit und einen gewissen Raum begreifen oder insofern wir sie als in Gott enthalten und aus der Notwendigkeit der göttlichen Natur folgend begreifen.“⁴⁵⁸ Die aktuale, zeitliche und räumliche Wirklichkeit, die dann auch die konkrete Wirklichkeit des Körpers ist, verschwindet durch die vernünftige Einsicht in die essenzielle und göttliche Wirklichkeit keineswegs, sondern ist dieser Erkenntnisform gar nicht, bzw. gerade nicht als zeitliche, räumliche und damit körperliche Wirklichkeit, zugänglich; sie bleibt somit angesichts einer Erkenntnis ‚sub specie aeternitatis‘ gerade bestehen: Insofern der Geist die gegenwärtige Existenz seines Körpers begreift, begreift er Dauer, die von Zeitlichkeit her bestimmt werden kann, und allein in dem Maße kommt ihm Macht zu, Dinge in Beziehung auf Zeitlichkeit zu begreifen…. Also hat der Geist in diesem Maße nicht die Gewalt, Dinge unter einen Aspekt von Ewigkeit zu begreifen. Er hat sie vielmehr, weil es in der Natur der Vernunft liegt, Dinge unter einem Aspekt von Ewigkeit zu begreifen…, und es auch zur Natur des Geistes gehört, die Essenz des Körpers unter einem Aspekt von Ewigkeit zu begreifen…, und außer diesen beiden [Idee und Körper] nicht anders zur Essenz des Geistes gehört…. Also kommt die in Frage stehende Macht, Dinge unter einem Aspekt von Ewigkeit zu begreifen, dem Geist nur insofern zu, als er die Essenz des Körpers unter einem Aspekt von Ewigkeit begreift.⁴⁵⁹
Über diese Unterscheidung ist sich Jacobi sehr wohl im Klaren⁴⁶⁰ und markiert vor deren Hintergrund gerade das Problem nicht der unmittelbaren Verursachung
E5p29s. E5p29d. Gegenteiliges gilt, wie Sandkaulen 2019a, 271– 287 herausstellt, für Hegel, der in seiner gegen Jacobi gerichteten Spinoza-Deutung in Glauben und Wissen (1802) genau einen oben beschriebenen simplen Essentialismus Spinozas behauptet.
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eines jeweiligen endlichen Modus durch einen anderen endlichen Modus, sondern das mit dem Gedanken einer Erkenntnis ‚sub specie aeternitatis‘ zusammengehende Konzept einer mittelbaren Begründung eines jeden Modus durch die göttliche Substanz. Dieses mittelbare Begründungsverhältnis dann essentieller Wirklichkeit bei gleichzeitiger unmittelbarer Verursachung auf der Ebene aktualer Wirklichkeit erzeugt Jacobi zufolge den ungereimten Begriff einer ‚ewigen Zeit‘. Dies geht am deutlichsten aus einer Ergänzung hervor, die er anlässlich seiner Werkausgabe von 1819 der damit nunmehr dritten Auflage der Spinozabriefe beifügt: „Spinoza“, so heißt es dort ausführlich, läugnet…ein gewordenes Werden der einzelnen Dinge, keineswegs aber ein nichtgewordenes, Anfang- und Endloses Werden, ein wahrhaft wirkliches Entstehen und Vergehen derselben, obgleich nur in einem ewigen, in sich selbst kreisenden, Flusse. Die einzelnen Dinge, lehrt Spinoza ausdrücklich, entspringen nicht unmittelbar aus dem Unendlichen, sondern jedes einzelne Ding setzt andere einzelne Dinge voraus bis ins Unendliche. Es entspringen daher die einzelnen Dinge aus Gott nur auf eine ewige und unendliche, nicht auf eine vorübergehende, endliche und vergängliche Weise; denn so entspringen sie bloß eines aus dem anderen, indem sie gegenseitig sich erzeugen und zerstören, und in ihrem ewigen Daseyn darum nicht weniger unwandelbar verharren.⁴⁶¹
Natürlich nicht wortwörtlich, sondern in Folge seines Erklärungsprogramms der Sache nach zwangsläufig – und in diesem Sinne „[u]nwidersprechlich“ – „behauptete Spinoza also das wirkliche Daseyn einer ewigen Zeitlichkeit, ein Anfangloses, aber wirkliches und wahrhaftes Entstehen und Vergehen endlicher wirklicher und wahrhafter einzelner Wesen in einer nothwendigen Folge.“⁴⁶² Es ist also das im Anschluss an den programmatischen Versuch der Vermischung von Grund und Ursache gerade nicht gelöste, sondern in die Aporie eines solch ungereimten Begriffs getriebene Problem der Integration der Zeitlichkeit in den Komplex umfassender Erklärung, an dem die gesamte Metaphysik Spinozas letztlich scheitert.⁴⁶³ (3) Ein letzter Aspekt ist an dieser Stelle noch einzufügen. Anhand des ungereimten Begriffs einer ewigen Zeit lässt sich also ausweisen, dass die mit der Vermischung von Grund und Ursache angestrebte Logifizierung des UrsacheBegriffs nicht gelingt, die handlungs genetisch-freiheitliche Qualität des UrsacheBegriffs diesem Logifizierungsstreben vielmehr immer schon vorausgesetzt ist. Und genau in dem Maße, wie Spinoza dann auch die zeitliche Wirklichkeit im
JWA 1,1, 252. Ebd. Diese von mir hier nur in ihren groben Zügen erörterte Diagnose Jacobis stellt Sandkaulen 2000, 133 – 169 in aller Ausführlichkeit dar.
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Zuge der lebenspraktischen Dimension seiner Ethik gerade im Blick behält und behalten muss, und sich von dorther in die Aporie einer ewigen Zeit verstrickt, stellt sich sein gesamtes Projekt strukturanalog dazu als Ausdruck derjenigen Selbstverständigungspraxis des Menschen über sich selbst und seine Lebensform dar, die Jacobi in der ‚Beilage VII‘ als substantive Vernunft bezeichnet hat. Wie in den sachlichen Vorbemerkungen zu diesem Kapitel angekündigt, spiegelt sich die im Zuge der Historiogenese instrumenteller Rationalität zur Sprache gebrachte Dialektik einer doppelten Vernunft entsprechend auch hier im Detail der Diagnose einer Vermischung von Grund und Ursache und der Aporie des Begriffs einer ‚ewigen Zeit‘: Die Herausbildung einer adjektiven Vernunft als instrumenteller Rationalität war Jacobi zufolge immer schon Ausdruck der viel fundamentaleren Selbstverständigungspraxis substantiver Vernunft, ging jedoch zugleich mit der Tendenz einher, dieses Bedingungsverhältnis umzukehren und die unmittelbare Erfahrung freiheitlichen Handelns dem Anspruch rationaler Erklärung zu unterwerfen. Dass dies jedoch nie vollständig gelingen kann, die freiheitliche Qualität menschlicher Selbstverständigungspraxis sich mithin nie vollends instrumenteller Rationalität unterwerfen lässt, entspricht dem Befund, dass die Erfahrung der Zeitlichkeit nicht nur nicht aus dem Projekt des Rationalismus zu tilgen, sondern sich umgekehrt in dem paradox-aporetischen Begriff einer ‚ewigen Zeit‘ als irreduzibel geltend macht und damit das ganze, im Geiste eines solchen Rationalismus entworfene System aufsprengt. Damit ist deutlich geworden, inwiefern hier ein Unterschied dazu besteht, wie das Problem der Zeit in den Climacus-Schriften, insbesondere in den Brocken, behandelt wird. Entsprechend seines auf Rationalität reduzierten Vernunftverständnisses und der damit zusammenhängenden Disjunktion von Denken und Wirklichkeit, Rationalität und Freiheit, kommt Zeit für Climacus nicht als Indikator eines systeminternen Selbstwiderspruchs in den Blick, sondern als jedem System genuin äußerliches, und gerade deshalb unverfügbares Charakteristikum historischer Sachverhalte und geschichtlicher Existenz. Damit fehlt Climacus jedoch die Voraussetzung zum Verständnis dessen, was Jacobi Lessing gegenüber als die im System selbst zu verortende „elastische Stelle“ apostrophiert, die einen jeden aus dem System „fortschwingt“⁴⁶⁴, der willens ist, auf sie zu treten. Die systemkritische Figur des Salto mortale, mit der Jacobi entsprechend diejenige Praxis einer Korrektur der Bedingungsverhältnisse von adjektiver und substantiver Vernunft, von Rationalität und Freiheit, bezeichnet, wird im Folgenden Gegenstand der Auseinandersetzung in der Nachschrift sein, mithilfe derer Climacus
JWA 1,1, 30.
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sein Projekt einer existenziellen Ethik weiter ausarbeitet und scharfstellt – und dies, trotz all der dort geäußerten Kritik an Jacobi, nicht weniger als zuvor mithilfe des Arguments von Grund und Ursache. Jedoch – so viel sei an dieser Stelle bereits gesagt: Vor dem Hintergrund der Climacus’schen Disjunktion von Rationalität und Freiheit und der entsprechenden Gewichtsverlagerung auf dem Bereich der Freiheit, die sich in der Ausarbeitung einer Handlungstheorie niederschlägt, wird auch sein Verständnis der hier nun entscheidenden Kategorie des Sprungs in wesentlicher Hinsicht von Jacobis Verständnis des Salto mortale abweichen.
3.1.6 Zwischenfazit Mit den Philosophischen Brocken wurde zunächst einmal ganz grundsätzlich die Frage nach der Möglichkeit einer ewigen Seligkeit als die Frage nach dem Verhältnis zu einer bestimmten Form der Wahrheit aufgewiesen – zu einer Wahrheit nämlich, die dann, wie es zum Ende der Brocken auch von ihrem Verfasser Johannes Climacus expliziert zugestanden wird, im dezidiert christlichen Sinne kein Abstraktum, sondern der ganz konkrete, in der Person Jesus von Nazareth Mensch gewordene und damit in die Zeit und die Geschichte eingetretene Gott ist. Eine solche Wahrheit ist somit nicht mathematisch-logische Wahrheit, sondern – dies ist die hier zentrale Unterscheidung – historische Wirklichkeit. Dem korrelierten die in den Brocken nun detaillierter unternommenen Untersuchungen der modalontologischen Eigenschaften von mathematisch-logischen Sachverhalten auf der einen und historischen Sachverhalten auf der anderen Seite sowie der aus diesen jeweiligen Eigenschaften resultierenden erkenntnistheoretischen Konsequenzen. Hier hat sich, entgegen nahezu aller bisherigen Interpretationen dieser Untersuchungen, Jacobis Argument eines wesentlichen Unterschieds von Grund und Ursache als für Climacus entscheidende Inspiration zur systematischen Entwicklung seiner zentralen Punkte erwiesen. Dies waren im Wesentlichen die fünf folgenden: (1) Unter mathematisch-logischen Sachverhalten sind nach Climacus logische Ableitungen einer oder mehrerer Eigenschaften aus einem mathematischen Begriff zu verstehen – etwa die Ableitung der für jedes Dreieck geltenden Winkelsumme von 180 Grad aus dem Begriff des Dreiecks. Ein solches Verhältnis von mathematischem Begriff und logischer Ableitung der daraus folgenden Eigenschaften bezeichnet in modaler Hinsicht ein Verhältnis der Notwendigkeit und ist sprachlich als ein Bedingungsverhältnis von Grund und Folge zu beschreiben. Historische Sachverhalte sind demgegenüber nicht notwendig bestehende Verhältnisse. In modaler Hinsicht bezeichnen sie das Verhältnis einer bestimmten Wirklichkeit zu einer anderen Wirklichkeit, d. h. etwa einer Tatsache oder eines
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Ereignisses, das (a) zu einem Zeitpunkt zuvor nicht wirklich, sondern bloß möglich war, und (b) bedingt durch eine andere real zu unterscheidende Tatsache oder ein Ereignis verwirklicht worden ist. Die sprachlich adäquate Bezeichnung eines solchen Bedingungsverhältnisses ist entgegen derjenigen von Grund und Folge diejenige von Ursache und Wirkung. (2) Dieser modalen Eigenschaftsbestimmung entspricht eine ontologische Eigenschaftsbestimmung: Notwendige Sachverhalte implizieren ontologische Immanenz, sie, wie Climacus schreibt, ‚sind‘ schlechterdings, da sie sich als logische Ableitung und sprachliche Explikation einer notwendigen Folge aus einem Grund lediglich ‚zu sich selbst‘ und ‚sich auf eine und dieselbe Art zu sich selbst‘ verhalten. Historische Sachverhalte sind demgegenüber nicht schlechterdings ‚seiende‘, sondern ‚gewordene‘ Sachverhalte, implizieren mithin keine ontologische Immanenz, sondern Transzendenz, d. h. hier: Der modal beschriebene Übergang von Möglichkeit zu Wirklichkeit impliziert sowohl zeitliche Sukzession als auch die Kontingenz der als Wirkung einer real von ihr unterschiedenen Ursache wirklich gewordenen Möglichkeit. (3) Die erkenntnistheoretischen Konsequenzen sind nun die Folgenden: Mathematisch-logische Sachverhalte sind dem epistemischen Subjekt in Form des Wissens zugänglich, da sie als bloß logische Explikationen des semantischen Gehalts eines mathematischen Begriffs, sowohl hinsichtlich dieses Begriffs als des logischen Grundes als auch hinsichtlich des explizierten semantischen Gehalts als der logisch abgeleiteten Folge der Sphäre reinen Denkens entstammen und erst nachträglich auf empirische Gegenstände – etwa real existierende Dreiecke –, deren historische Eigenschaft nicht von Belang sind, angewendet werden. Allein mathematisch-logische Sachverhalte sind damit im strengen Sinne wahr und nur sie können – dies ist eine zunächst marginale und in den Brocken nicht weiter ausgeführte Konsequenz – Gegenstände einer Wissenschaft werden, die sich in Form eines Systems ausgestalten lässt.⁴⁶⁵ Für historische Sachverhalte, die als historische Sachverhalte in den Blick genommen werden, gilt dies nicht. Wenngleich auch hier nicht von zentraler Bedeutung, wird der Begriff des Systems in der Nachschrift doch wichtiger als in den Brocken, insofern sich die dort im Blick auf Spinoza explizierte Rationalitätskritik hier zu einer Systemkritik verlängert, die dann auch für Climacus genuin hegelianistische Elemente integriert. Dazu später mehr. Hier möchte ich lediglich auf Folgendes hinweisen: Anders als für Hegel (vgl. z. B. GW 20, 56 [Enz. (1830), § 14]) sind Wissenschaft und System für Kierkegaard keine koextensiven Begriffe. Denn er würde weder den Geschichts- noch den Naturwissenschaften ihren Wissenschaftscharakter absprechen, obgleich sie, wie oben angesprochen, historische Sachverhalte zu ihrem Gegenstand haben. Zugleich wäre es merkwürdig zu behaupten, dass Gott, für den laut Climacus das „Dasein“ durchaus „ein System“ bildet (SKS 7, 114 / AUN 1, 111), das genuin menschliche, aus Mangel an Erkenntnis auf Erkenntnis abzielende Projekt einer Wissenschaft betreibt.
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Die ihnen eigene, aus den ontologischen Eigenschaften von Zeitlichkeit und Kontingenz resultierende epistemische Ungewissheit initiiert einen Zweifel, der als praktischer Zweifel nur durch sein Komplement eines ebenso praktischen Glaubens augenblicksweise außer Kraft gesetzt werden kann. (4) Bei Jacobi wie auch bei Climacus wurde die wesentliche Unterscheidung von Grund und Ursache als Zentralargument zum Aufweis einer sowohl sprachlichen als auch sachlichen Unzulässigkeit eingeführt, die sich zwangsläufig dann einstellt, wenn der Anspruch auf ein Wissen, wie es allein für den Fall mathematisch-logischer Sachverhalte möglich ist, auf den Bereich historischer Sachverhalte ausgedehnt wird, mithin alles Reale einer Erklärung nach mathematischlogischem Vorbild zugänglich gemacht werden soll. Ein solcher Anspruch wird – auch darin sind sich Jacobi und Climacus einig – als Kennzeichen eines verabsolutierten Rationalismus in paradigmatischer, da konsequentester Weise von Spinoza verfolgt, der als dann notwendiges Prinzip der Letztbegründung alles Realen einen Gott installiert, der in seinem Begriff alles Reale impliziert. Damit ist jedoch nichts gewonnen, da ein solcher Gott – dies war Climacus’ Pointe in seiner Kritik des Spinozanischen Gottesbeweises – bloßer Begriff im mathematisch-logischen Sinne bleibt, die Ausdehnung eines mathematisch-logischen Erklärungsanspruchs auf den Bereich historischer Sachverhalte mithin nicht rechtfertigt. Vielmehr werden umgekehrt diejenigen Sachverhalte, die mithilfe eines solchen Begriffs erklärt werden sollen, zu nurmehr mathematisch-logischen Sachverhalten degradiert. Mit den entscheidenden Phänomenen historischer Sachverhalte, die aus ihren genuinen ontologischen Eigenschaften der Zeitlichkeit und Kontingenz resultieren, kann ein in diesem Sinne verabsolutierter Rationalismus – dies war der zentrale Punkt Jacobis, der bei Climacus so nicht mehr in den Blick kam – nur aporetisch umgehen: Er zieht nicht nur die Konsequenz einer letztlich widersprüchlichen Begrifflichkeit nach nicht, sondern offenbart damit zugleich die Irreduzibilität von Freiheit und Zeitlichkeit in Form einer systeminternen Selbstwidersprüchlichkeit auf ontologisch-metaphysischer Ebene. (5) Der aus all dem resultierende letzte Punkt, der sich in den Brocken lediglich andeutete und somit den Übergang zur Nachschrift markiert, ist nun jedoch der entscheidende: Nicht nur sind allgemein sämtliche historische Sachverhalte adäquat als ein Verhältnis von Ursache und Wirkung zu beschreiben. Auch der Einzelne erfährt sich innerhalb der Sphäre des Historischen als eine Ursache, die in der Welt wirksam ist. Da eine solche Wirksamkeit mit Blick auf eine konkrete Wirklichkeit zwar unveränderlich, mit Blick auf die Möglichkeit einer zukünftigen Wirklichkeit aber nicht vorhersagbar ist, d. h. nicht der Notwendigkeit unterliegt, wie sie für mathematisch-logische Sachverhalte gilt, ist eine solche Wirksamkeit in der Welt eine freie Wirksamkeit. Zugleich ist sie jedoch
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bedingt, denn sie unterliegt gerade deshalb nicht der Notwendigkeit mathematisch-logischer Sachverhalte, da ihr als Wirksamkeit innerhalb des Historischen die zentralen Eigenschaft historischer Sachverhalte, das sind: Zeitlichkeit und Kontingenz, zukommen. Der Einzelne erfährt sich, so drückt Climacus diesen Zusammenhang in den Brocken aus, als „bedingt freiwirkende Ursache“⁴⁶⁶. Mit dem Phänomen der Reue – auch dies deuteten die Brocken nur an – kam nun die Möglichkeit für den Einzelnen in den Blick, auf diese seine bedingt freie Wirksamkeit und die damit zusammengehenden Bedingungen der Zeitlichkeit und Kontingenz seiner eigenen historischen Existenz zu reflektieren. Dies ist eine erste und entscheidende Bedingung des Ethischen, wie es Climacus versteht: Der Anspruch an den Einzelnen, ‚all seine Aufmerksamkeit darauf zu richten, dass er existierend ist‘, heißt nun genauer: ‚sich selbst verstehen in der Zeitlichkeit‘. Dass es dem Einzelnen auf diese Weise möglich ist, die eigene Zeitlichkeit zum Thema zu machen, ist Grund dafür, dass Climacus vor allem in den Titelfragen der Brocken davon spricht, dass dem Menschen etwas Geschichtliches ‚nicht nur geschichtlich interessieren‘ kann, sondern für ihn von ‚ewiger‘ Bedeutung ist, insofern sich sein ‚ewiges Bewusstsein‘ darauf gründet: Dasjenige Geschichtliche, das ein solches Interesse bewirkt, ist die historische Menschwerdung Gottes, da sie den Menschen erstens auf die nunmehr eigene Zeitlichkeit und Kontingenz aufmerksam macht und in der Reflexion auf die eigene Zeitlichkeit ein nicht mehr nur zeitliches, sondern ewiges Bewusstsein, als zunächst Bewusstsein von der eigenen Zeitlichkeit, möglich macht; dies tut sie zweitens in ausgezeichneter Weise deshalb, weil sie diese Dialektik von Zeitlichkeit und Ewigkeit selbst in der Person des menschgewordenen Gottes verkörpert.
3.2 Kierkegaard und Jacobi II: Die Abschließende unwissenschaftliche Nachschrift zu den Philosophischen Brocken (1846) und Jacobis Widerspruchsfigur des Salto mortale 3.2.1 Von den Brocken zur Nachschrift: Die Nachschrift als ‚ethische Untersuchung‘ Aus diesen so zusammengefassten Punkten folgt zweierlei: (1) Die existenzielle Ethik ist eine Ethik personalen Selbstseins, da mit der Möglichkeit eines Verhältnisses zu Gott und der durch dieses Verhältnis bedingten SKS 4, 276 / PB, 73.
3.2 Kierkegaard und Jacobi II
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Möglichkeit einer ewigen Seligkeit zugleich die Möglichkeit eines Verhältnisses zum eigenen Selbst, mithin die Möglichkeit zu einer gelingenden Konstitution dieses eigenen Selbst als individueller Persönlichkeit und moralischem Charakter überhaupt erst gegeben ist. „Die Ethik“, so Climacus in diesem Sinne, „richtet sich auf das Individuum, und ethisch verstanden ist es die Aufgabe jedes Individuums, ein ganzer Mensch zu werden“⁴⁶⁷; näherhin heißt dies, „daß ich meine ganze Existenz…handelnd umbilde“⁴⁶⁸, um sie letztlich „in ein Zeugnis von ihr [sc. der eigenen ewigen Seligkeit] zu verwandeln.“⁴⁶⁹ (2) Diese existenzielle Ethik personalen Selbstseins ist eine im Kern religiöschristliche Ethik, da sie zu einem wesentlichen Teil durch ein Verhältnis des Menschen zum in der Person Jesus von Nazareth Mensch gewordenen Gott bedingt ist. Nicht nur stellt Climacus in der Einleitung zur Nachschrift die in diesem Sinne zentrale Frage: „Wie ich, Johannes Climacus, der Seligkeit teilhaftig werden kann, die das Christentum verheißt.“⁴⁷⁰ Er betont auch im weiteren Verlauf dieser Schrift, dass das durch die Selbstoffenbarung Gottes bedingte Selbstverhältnis zugleich umgekehrt die Selbstoffenbarung des Menschen vor Gott ist: dass „alle ethische Entwicklung darin besteht, vor Gott offenbar zu werden“⁴⁷¹, ja mehr noch, dass in dem „Möglichkeitsverhältnis, das jede existierende Individualität zu Gott hat“, sogar die „Lebenskraft im Ethischen“⁴⁷² liegt. Bevor ich mich im nachfolgenden dritten Hauptkapitel diesem Charakter der existentiellen Ethik als religiöser Ethik personalen Selbstseins – und vor allem auch ihrem Unterschied zur Auffassung des Religiösen bei Jacobi – widme, gilt es in diesem Kapitel einen Zwischenschritt einzuschalten: Während insbesondere das ‚Zwischenspiel‘ der Brocken in dezidiert „philosophischem Sinne“ abgefasst ist, unternimmt die Nachschrift nun den entscheidenden, mit den Brocken nur angedeuteten Wechsel in der Perspektive: „hier stehen wir nun“, so Climacus, „in einer ethischen Untersuchung“⁴⁷³. Nicht mehr wird hier die Sphäre geschichtlicher Wirklichkeit derjenigen des erklärenden Denkens disjunktiv gegenübergestellt. Vielmehr wird jene als Sphäre individuellen Handelns selbst zum zentralen Untersuchungsgegenstand. Da aber auch eine solch ethische Untersuchung individuellen Handelns von Johannes Climacus unternommen wird, der – ich erinnere an seine Selbstbeschreibung im ‚Vorwort‘
SKS 7, 316 / AUN 2, 50. SKS 7, 356 / AUN 2, 96. SKS 7, 359 / AUN 2, 100. SKS 7, 26 / AUN 1, 15. SKS 7, 146 / AUN 1, 149 f. SKS 7, 145 / AUN 1, 146. SKS 7, 364 / AUN 2, 105.
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3 Hauptteil: Die existenzielle Ethik der Climacus-Schriften
der Brocken – „in des Gedanken Dienst“⁴⁷⁴ steht, mithin auch im Ethischen durchaus philosophisch zu Werke geht, haben wir es im Folgenenden zunächst mit einer philosophischen Handlungstheorie als Theorie generischer Subjektivität zu tun.⁴⁷⁵ Die erste und zentrale Kategorie dieser seiner Handlungstheorie ist diejenige des Sprungs, die Climacus in erneuter, nun kritischer Auseinandersetzung mit Jacobi, genauer mit dessen praktischer Argumentationsfigur des Salto mortale, nicht nur zur Darstellung bringt, sondern in ihrer entscheidenden Funktion und wesentlichen Ergänzungsbedürftigkeit erst eigentlich scharf zu stellen in der Lage ist. Jacobi liefert Climacus also nicht nur das entscheidende Argument für die sachliche Unterscheidung zwischen einem Grund-Folge-Verhältnis mathematisch-logischer Wahrheit und einem Ursache-Wirkung-Verhältnis historischer Wirklichkeit, mit der die Brocken die existenzielle Ethik der Climacus-Schriften ontologisch fundieren. Er ist auch derjenige unter den modernen Autoren, dem in der Ausarbeitung des strukturellen Zentrums der existenziellen Ethik die maßgebliche Rolle zukommt: In der Thematisierung individuellen Handelns und der darin mit Jacobi gewonnenen handlungstheoretischen Grundbegriffe wird erstens geklärt, wie es zu verstehen ist, dass der Mensch sich als ‚bedingt frei wirkende Ursache‘ in der Welt erfährt, um von dort aus zweitens adäquat bestimmen zu können, wie der ethische Anspruch, die eigene Existenz ‚handelnd umzubilden‘, überhaupt nur verwirklicht werden kann.⁴⁷⁶
SKS 4, 217 / PB, 5. M. Jaime Ferreira (Ferreira 2010, insbes. 10 ff.) bezeichnet die Nachschrift, genauer ihren entscheidenden zweiten Teil, als eine Theorie generischer Subjektivität, konzentriert sich in ihrer Analyse jedoch vorrangig auf den Begriff des Pathos. Dieser ist in der Tat aufs Engste mit Climacus’ Auffassung individuellen Handelns verknüpft, insofern „das existenzielle Pathos Handlung ist, oder“ – und damit ist die von mir oben bereits erwähnte Dimension personaler Selbstkonstitution und moralischer Charakterbildung angesprochen – „die Umbildung der Existenz.“ (SKS 7, 392 / AUN 2, 138) Dabei lässt sie die strukturelle Näherbestimmung eines so pathetischen Handelns mithilfe der Kategorie des Sprungs außen vor. Zwar widmet Ferreira sich an anderer Stelle (Ferreira 1998) gesondert der Kategorie des Sprungs, jedoch ohne Beachtung der in diesem Zusammenhang essentiellen Auseinandersetzung mit Jacobi. Vielmehr nimmt sie hier Lessing als den maßgeblichen Gesprächspartner wahr (ebd., 211 ff.), was – wie sich noch zeigen wird – zu kurz greift, da Lessing für Climacus zwar einen ersten Anlass für eine Diskussion dieser Kategorie liefert, er diese dann jedoch sachlich mit Jacobi und nicht mit Lessing führt. Zum Komplex der Handlungstheorie scheint mir bereits jetzt eine Vorbemerkung vonnöten: Im Folgenden wird es hauptsächlich darum gehen, menschliches Handeln und die durch Handlung sich konstituierende Praxis menschlichen Lebens in ihrer für Climacus wesentlichen Qualität des Leidens herauszustellen – nicht im Sinne einer bloßen Passivität, sondern im Sinne eines negativen Empfindens. Dies ist insbesondere deshalb wichtig, weil es diese Negativität ist, die Climacus mit seinem ersten Kritikpunkt an Jacobis Salto mortale adressiert. Neben einer
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Im sachlichen Anschluss daran widmet sich Climacus demjenigen Komplex, der hier zunächst noch ganz unspezifisch als Kommunikations- oder Mitteilungstheorie zu fassen ist. Nur dann, so kann man vorgreifend sagen, wenn menschliches Handeln auch als wesentlich kommunikatives Handeln verstanden wird und von dorther die Form zwischenmenschlicher Kommunikation selbst zum Thema wird, wie sie nicht nur, aber auch als literarische Mitteilung eines hier zu Wort kommenden pseudonymen Autors an einen Leser von Relevanz ist, kann dem Anspruch des Ethischen genüge getan werden. So wird in der Nachschrift letztlich nicht nur der Komplex der Handlungstheorie, sondern von dorther auch derjenige der Mitteilungstheorie – das ist meine umfassende These hier, die ich in diesem Kapitel plausibilisieren werde – im Ausgang von Climacus’ erneuter Auseinandersetzung mit Jacobi entfaltet.
3.2.2 Sprung und Sprungkritik I: Die Handlungstheorie der Nachschrift Die Handlungstheorie der Nachschrift und mit ihr die Entwicklung und Näherbestimmung des Sprungs als handlungstheoretische Kategorie ist folglich der zentrale Bestandteil einer neuen Denkbewegung innerhalb der Climacus-Schriften.Während es Climacus in allen zuvor dargestellten Etappen (im Entwurf zweier
solchen fundamentalen Qualität menschlicher Lebenspraxis kommt dem Leiden für Climacus eine weitere Funktion zu: als „wesentlicher Ausdruck des existenziellen Pathos“ (SKS 7, 392 / AUN 2, 138) ist das Leiden zugleich die Kategorie des Übergangs zum dann „entscheidende[n] Ausdruck des existenziellen Pathos“ (SKS 7, 477 / AUN 2, 235), namentlich der Schuld. Diesen beiden Bestimmungen des Leidens und der Schuld geht die Bestimmung der Resignation als der „anfängliche Ausdruck des existenziellen Pathos“ (SKS 7, 352 / AUN 2, 92) voran; zusammen machen sie diejenige Form menschlichen Existierens aus, die Climacus unter der Überschrift der ‚Religiosität A‘ fasst und als wesentlich pathetisch kennzeichnet. So wichtig im Folgenden die Bestimmungen des Leidens und der Schuld noch ganz unabhängig von der Frage sein werden, inwiefern es sich hierbei bereits um eine Form der Religiosität handelt, so wenig werde ich mich mit der Bestimmung der Resignation beschäftigen. Ich werde vielmehr – und auf diesen Punkt zielt diese Vorbemerkung ab – eine andere Bestimmung mit in den Komplex von Leiden und Schuld hineinnehmen, die sich dieser von Climacus vorgenommenen und deshalb auch in der Forschungsliteratur zu Nachschrift bereits nahezu klassisch gewordenen Dreiteilung (vgl. dazu beispielhaft Law 1997) entzieht: namentlich die bereits zuvor angesprochene Bestimmung der Reue. Damit möchte ich nicht nur der Statik einer allzu schematischen Interpretation menschlicher Existenz vorbeugen, die von Climacus wie von Kierkegaard insgesamt wesentlich dynamisch verstanden wird. Die neben der Resignation bisher eher weniger beachtete Rolle der Reue insbesondere in ihrem Verhältnis zur Schuld ist darüber hinaus besonders zu betonen, um die mit Climacus’ erstem Kritikpunkt an Jacobi gerichtete Kritik adäquat bewerten zu können. Dazu im Folgenden mehr.
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Wahrheitstheorien, in der Kritik an Spinozas ontologischem Gottesbeweis und zu einem großen Teil auch in der auf den Unterschied von Grund und Ursache zulaufenden Modalontologie des ‚Zwischenspiels‘ der Brocken) darum ging, das eigene Projekt einer existenziellen Ethik nach außen hin abzugrenzen, folgt nun die eigentliche, nach innen gerichtete Elaboration dieser existenziellen Ethik selbst. Damit wechseln nun auch die Autoren, mit denen Climacus zum Zwecke einer solchen nach innen gerichteten Elaboration seines eigenen Projekts das Gespräch aufnimmt. Zwar war ihm Trendelenburg, um noch einmal das für diesen Kontext wichtigste Beispiel zu nennen, ein durchaus entscheidender Gewährsmann in der nach außen gerichteten Abgrenzungsbewegung, indem dieser nicht nur, wie es in Kierkegaards Notizen heißt, den Gedanken eines indirekten, negativen Beweisverfahrens ins Zentrum seiner Erläuterungen zur aristotelischen Logik stellt⁴⁷⁷, sondern auch – darauf rekurriert dann die Nachschrift – eine für Climacus im Grundsatz richtige Kritik der vermeintlichen Vorausetzungslosigkeit der Hegel’schen Logik vorbringt.⁴⁷⁸ Da all dies im Falle Trendelenburgs jedoch gerade nicht dazu führt, dass dieser von dort her den Bereich des Logischen verlässt, um den Blick auf den Einzelnen und sein alltägliches Handeln zu richten, mithin „gar nicht aufmerksam zu sein [scheint] auf den Sprung“⁴⁷⁹, spielt er für die nun ethische Untersuchung der Nachschrift keine Rolle mehr. So ist es demgegenüber dann zunächst Lessing, der Climacus’ Interesse weckt als jemand, der zumindest auf den Sprung „aufmerksam war. Nur schade“, so bedauert Climacus sogleich, „daß er diesen Gedanken selbst nicht hat verfolgen wollen“⁴⁸⁰. Wer diesen Gedanken indes selbst hat verfolgen wollen, mithin den erneut entscheidenden Gesprächspartner für Climacus darstellt, ist nun jedoch klar. Über Lessing kommt Climacus erneut zu Jacobi, der ihm über die Begriffe von Ursache und Wirkung nicht nur den Bereich individuellen Handelns als Sphäre der Freiheit vorgezeichnet hat, sondern nun auch gerade gegenüber dem hier enttäuschenden Lessing die Kategorie des Sprungs in Form seiner berühmt gewordenen Figur des Salto mortale zum zentralen Thema macht.⁴⁸¹
Vgl. SKS 18, 225, JJ:266 / DSKE 2, 232. Vgl. SKS 7, 106 ff. / AUN 1, 101 ff. SKS 18, 225, JJ:266 / DSKE 2, 233. SKS 7, 103 / AUN 1, 98. Arnold B. Come schreibt: „[I]n 1843, while reading J. G. [sic] Jacobi’s Sämtliche Werke, he [sc. Kierkegaard] learned about Lessing’s use of the ‘leap.’ He had been reading Lessing since his university days (especially in regard to literary theory), but now turned to his essay Über den Beweis des Geistes und der Kraft (in his Sämtliche Schriften) and gains stimulus for his insights for a more sophisticated concept of the leap.“ (Come 1995, 242 f.) Eine solche Reihenfolge erscheint
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Dies im Blick zu haben ist von entscheidender Bedeutung. Denn wenngleich es letztlich nur so „scheinen“ könnte, „als würde schließlich J[acobi] der Erfinder des Sprungs“⁴⁸² in Climacus’ Sinne und dieser am Ende nicht unerhebliche Einwände gegen Jacobis Verständnis des Sprungs vorbringt, sind es nichtsdestotrotz genau diese Einwände sowie die ihnen vorgängige Auseinandersetzung mit Jacobis Salto mortale, mit deren Hilfe Climacus sein eigenes Sprung-Verständnis überhaupt erst näherbestimmt und zur Darstellung bringt. Dazu nun genauer.⁴⁸³ Climacus formuliert im Wesentlichen zwei Kritikpunkte an Jacobis Salto mortale, die in folgender Passage zusammengefasst sind: Erstens ist sich J[acobi] eigentlich nicht klar darüber, wo der Sprung im wesentlichen hingehört. Sein Salto mortale dürfte wohl nur der Akt der Subjektivierung bezogen auf die Objektivität Spinozas sein, nicht der Übergang vom Ewigen zum Historischen. Ferner ist er sich dialektisch auch nicht klar über den Sprung, daß dieser sich nämlich nicht direkt dozieren oder mitteilen läßt, eben weil er der Akt der Isolierung ist und für das, was sich gerade nicht denken läßt, es dem einzelnen anheimstellt, ob er sich kraft des Absurden entschließen will, es gläubig anzunehmen.⁴⁸⁴
Der erste Kritikpunkt – so lässt sich an dieser Stelle bereits sagen, ohne sofort zu spezifizieren, was das genau heißt – ist ein sachlicher Kritikpunkt, wohingegen der zweite auf eine bestimmte Form der ‚Dialektik‘, d. h. hier auf die Form der Mitteilung zielt; gegenüber dem ersten sachlichen Kritikpunkt ist dieser zweite Kri-
mir wenig plausibel, stößt man doch bei der Lektüre von Jacobis Werken nicht zuerst auf Lessings, sondern auf Jacobis eigene Auffassung des Sprungs. Da, wie Come demgegenüber richtig bemerkt, die Lektüre Lessings bereits zur Zeit des Studiums, und damit sehr viel früher eingesetzt hat als diejenige Jacobis, erscheint mir der hier von mir vorgeschlagene umgekehrte Fall sehr viel plausibler. SKS 7, 98 / AUN 1, 93. Ich konzentriere mich im Folgenden nur auf die wesentlichen Punkte der Kritik an Jacobis Salto mortale und gehe nicht insgesamt auf die ausführliche, mehrere Seiten umfassende Rekapitulation des Lessing-Gesprächs (vgl SKS 7, 97 ff. / AUN 1, 92 ff.) ein, die – dies sei hier nur nochmal zur Betonung der Ausführlichkeit von Kierkegaards Beschäftigung mit Jacobi hervorgehoben – auch auf weitere Passagen aus den Spinozabriefen ausgreift; so werden etwa ‚Mendelssohns Erinnerungen‘ wörtlich zitiert (SKS 7, 101 f. / AUN 1, 96 f.; vgl. JWA 1,1, 175); und auch auf den geschilderten Besuch Jacobis und Lessings bei Gleim wird wörtlich Bezug genommen (SKS 7, 101 / AUN 1, 96; vgl. JWA 1,1, 34). SKS 7, 98 / AUN 1, 93. Diese zwei Kritikpunkte nimmt auch Anders Moe Rasmussen zum Aufhänger seines erstmalig das Verhältnis Kierkegaards zu Jacobi gesondert thematisierenden und darin sehr verdienstvollen Aufsatzes zur Sprungthematik (vgl. Rasmussen 2009, insbes. 38 – 40); Rasmussen weist, wie bereits im Zusammenhang der Rolle Jacobis für die Brocken erwähnt, auch hier auf entscheidende Punkte hin, berührt diese letztlich jedoch – wie es von einer Pionierarbeit in Aufsatzlänge aber auch nicht anders erwartet werden kann – nur oberflächlich.
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tikpunkt – zumindest vorderhand – ein methodologischer. Trotz dieser auf den ersten Blick klaren Einteilung erweist sich die interne Strukturierung der wietergehenden sachlichen Implikationen beider, auch des vorderhand methodologischen Kritikpunkts, sowie ihre wechselseitige Bezogenheit aufeinander als überaus komplex. Dies gilt insbesondere für den ersten Kritikpunkt, da dieser – ganz im Gegenteil zum zweiten Kritikpunkt – nicht weiter erläutert wird. Mit ihm möchte ich beginnen; er beinhaltet wesentlich folgende Aspekte: (1) Die Grundkritik ist eine sachliche: Jacobi sei sich ‚nicht klar darüber, wo der Sprung im wesentlichen hingehört‘, d. h. als wesentliche Kategorie welchen Sachbereichs er Climacus zufolge zu gelten hat. (2) Den seiner Ansicht nach entscheidenden Sachbereich bestimmt Climacus hier als den ‚Übergang vom Ewigen zum Historischen‘. (3) Demgegenüber verstehe Jacobi den Sprung ‚nur als den Akt der Subjektivierung bezogen auf die Objektivität Spinozas‘. Was dies genau heißen soll, ist im Folgenden zu klären. Dazu beginne ich mit (3). Dieser Aspekt beinhaltet nun wiederum drei Aspekte, die es einzeln in den Blick zu nehmen gilt, um sich von dorther dem unter (1) und (2) genannten Aspekten zu nähern: (4) Jacobis Salto mortale ist bezogen auf die ‚Objektivität Spinozas‘. (5) Er ist dies als ‚Akt der Subjektivierung‘. (6) Das für Climacus zum Wesentlichen seines ersten Kritikpunkts hinleitende Problem mit dieser Konstellation eines auf die ‚Objektivität Spinozas‘ bezogenen ‚Akts der Subjektivierung‘ ist, dass Jacobis Salto mortale ‚nur‘ dies ist, sein Sprungverständnis sich also auf den Bereich dieser Konstellation beschränkt. Diese Aspekte sind um einen letzten zu ergänzen, der, wie ich letztlich zeigen werde, die eigentliche Pointe des ersten Kritikpunktes an Jacobis Salto mortale ausmacht: (7) Indem Jacobis Salto mortale sich auf den Bereich der Konstellation eines ‚Aktes der Subjektivierung‘ auf der einen und der ‚Objektivität Spinozas‘ auf der anderen Seite beschränkt, verfehlt er nicht nur den für Climacus entscheidenden Sachbereich eines ‚Übergangs vom Ewigen zum Historischen‘, sondern verfehlt ihn in seiner wesentlichen Eigenschaft als pathetischer Übergang: Jacobi legt mithin, den „pathetischen Akzent auf die unrichtige Stelle“⁴⁸⁵.
SKS 7, 98 / AUN 1, 92.
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Ich widme mich zunächst dem Aspekt (4), gehe dann über zu Aspekt (5) und widme mich dann den Aspekten (6) und (7). D. h. ich beginne damit, das sich von der Rationalitätskritik der Brocken zur Systemkritik erweiterte Setting der Nachschrift zu umreißen. Zwar gehört dieses, gleichwie die Rationalitätskritik der Brocken zuvor, zu dem Bereich derjenigen Überlegungen, die Climacus ‚in philosophischem Sinne‘ und zum Zweck der Abgrenzung seines eigentlichen Projekts nach außen anstellt; es ist der ‚ethischen Untersuchung‘ der Nachschrift, die das eigene Projekt nach innen hin scharf stellt, entsprechend sachlich untergeordnet. Nichtsdestotrotz wird nur dann vollends klar, was Climacus hier unter (6) und (7) an Jacobis Salto mortale kritisiert und von dieser Kritik ausgehend unter (2) als wesentlichen Aspekt seines eigenen Sprung-Verständnisses ausweist, wenn deutlich wird, dass er nicht nur mit Jacobis Unternehmen einer in Form eines Widerspruchspraxis unternommenen Systemkritik, für das die Figur des Salto mortale als ‚Akt der Subjektivierung‘ steht (5), sondern auch mit den Eigenschaften des so zu kritisierenden Systems einverstanden ist, das hier unter der ‚Objektivität Spinozas‘ subsummiert wird (4). 3.2.2.1 Die ‚Objektivität Spinozas‘: Das systemkritische Setting der Nachschrift Ich gehe in drei Schritten vor, um das systemkritische Setting der Nachschrift zu umreißen. In einem ersten Schritt (1) werde ich die Frage nach dem Adressaten dieser Systemkritik aufwerfen. Hier wird sich nicht – wie üblich mit Blick auf die Nachschrift – Hegel oder der dänische Hegelianismus, sondern ein in Kontinuität mit der Zentralstellung Spinozas in den Brocken unter dem Paradigma des Spinozanischen Rationalismus verstandenes System nahelegen.⁴⁸⁶ In einem zweiten Schritt (2) ist es dann nötig, einen erneuten Blick auf Kierkegaards Verhältnis zu Spinoza zu werfen, um die Ausführungen zu Climacus’ Kritik an Spinozas Gottesbeweis zu ergänzen und diese These zu stützen. In einem dritten Schritt (3) gilt es dann zuletzt die aus diesen Überlegungen abzuleitenden strukturellen Eigenschaften zu benennen, die Climacus zufolge einem jeden System zukommen, sodass ich dazu übergehen kann, Climacus’ Kritik an Jacobis Salto mortale sowie sein eigenes Sprung-Verständnis adäquat in den Blick zu nehmen.
Noch einmal: Einzig Klaus Schäfer bemerkt richtig, dass sich für Kierkegaard durch die Vermittlung Jacobis das Denken Spinozas „als die radikale, also über die idealistischen Systementwürfe hinaus sachlich ausschlaggebende Gestalt der vom Cogito her ansetzenden neuzeitlichen Metaphysik dar[stellt].“ (Schäfer 1968, 121) Zugleich verkennt er – wie bereits aufgeführt – die damit sachlich korrelierende Affirmation des Jacobi’schen Zentralargument gegen Spinoza, wie es im ‚Zwischenspiel‘ der Brocken begegnet, in eklatanter Weise.
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(1) Ausgehend von der maßgeblichen Zweiteilung der Nachschrift in ein ‚subjektives Problem‘ einerseits und ein ‚objektives Problem‘ andererseits, vor deren Hintergrund dann natürlich das ‚subjektive Problem‘ auf die Notwendigkeit einer näherhin ‚ethischen Untersuchung‘ abzielt, liegt es nahe, einen Adressaten der hier vorgebrachten Systemkritik in dem diese erneut disjunktive Anlage der Schrift unterminierenden, da die jeweils einzunehmenden Perspektiven in Eins setzenden Konzept eines ‚Subjekt-Objekt‘ zu sehen, auf das Climacus häufig Bezug nimmt. Und es ist in der Tat auch gar nicht so sehr eine objektive Betrachtungsweise als solche, die sich, wie sich aus einem oberflächlichen Blick auf besagte Zweiteilung zunächst vielleicht ergeben mag, hier als kritikwürdig erweist. Sie hat für Climacus in bestimmten Sachbereichen – man denke vorrangig an die bereits im Kapitel zuvor angesprochene Wissenschaft der Mathematik – durchaus, und dort sogar gerade, ihre Berechtigung. Dies geht aus seiner Rede von „zwei Verhältnisse[n]“ der Reflexion hervor, die nicht als solche in Frage zu stellen sind, jedoch „auseinander“ gehalten werden müssen, und durch „die Existenz selbst, die Existenz selbst im Frager, der ja existiert“, Climacus zufolge in der Tat auch auseinander gehalten werden; alles andere stellt eine nachträgliche und unzulässige Vermischung dar: „Für die objektive Reflexion wird die Wahrheit ein Objektives, ein Gegenstand, und es geht darum, vom Subjekt abzusehen, für die subjektive Reflexion wird die Wahrheit die Aneignung, die Innerlichkeit, die Subjektivität, und hier geht es darum, sich gerade existierend in die Subjektivität zu vertiefen.“⁴⁸⁷ „Aber was dann?“, fragt er nicht ohne Ironie: Sollen wir dann bei dieser Disjunktion verharren? Oder bietet hier nicht die Mediation ihren gütigen Beistand an, so daß die Wahrheit das Subjekt-Objekt wird? Warum nicht? Aber kann denn die Mediation auch dem Existierenden, solange er existiert, dazu verhelfen, selbst die Mediation zu werden, die ja sub specie aeterni ist, während der arme Existierende existierend ist? Es kann doch nichts nützen, einen Menschen zum Narren zu halten, ihn mit dem Subjekt-Objekt zu locken, wenn er selbst verhindert ist, in den Zustand zu kommen, wo er dazu in ein Verhältnis kommen kann, und zwar dadurch verhindert, daß er selbst durch sein Existieren im Werden ist.⁴⁸⁸
Liest man hier genau, so wird klar, wer oder was mit besagtem Konzept des ‚Subjekt-Objekt‘ zu assoziieren ist. Zwar spiegelt sich in Climacus’ kritischen Einwänden durchaus die bereits zum Auftakt dieser Arbeit aufgezeigte, früh einsetzende Fichte-Kritik Kierkegaards, wenn auch er die Frage stellt, wie „sich überhaupt das empirische Ich zu dem reinen Ich-Ich“⁴⁸⁹ verhalte. Es ist aber nicht
SKS 7, 176 / AUN 1, 182. SKS 7, 176 / AUN 1, 182 f. SKS 7, 113 / AUN 1, 110.
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Fichte – und weniger noch Schelling –, den Climacus hier ins Visier nimmt, indem er gegen das Konzept eines ‚Subjekt-Objekt‘ opponiert.⁴⁹⁰ Es handelt sich vielmehr – die Unterordnung der für Climacus genuin spekulativen Methode der ‚Mediation‘ unter die eindeutig mit Spinoza zu assoziierende Perspektive ‚sub specie aeterni‘ könnte sprechender nicht sein – um einen vom Paradigma des Spinozanischen Rationalismus her gelesenen Hegelianismus, um einen Hegelianismus also, der, wie Kierkegaard im bereits zitierten Berliner Brief an seinen Lehrer F. C. Sibbern betont, nichts mehr ist als ein letztlich ‚verfeinerter Spinozismus‘. (2) Wie Climacus eine solche Unterordnung strukturell begründet wird sich gleich zeigen. Zunächst seien noch einige Bemerkungen zum Verhältnis Kierkegaards zu Spinoza ergänzt. Zwar kommt Spinoza in den Brocken eine zentrale Rolle als paradigmatischer Vertreter eines verabsolutierten Rationalismus zu. Doch dass dieser Spinozanische Rationalismus auch in der Nachschrift weiterhin als ein solches Paradigma fungiert, ist gar nicht so klar. Zwei Gründe lassen dies auf den ersten Blick fraglich erscheinen. Wenngleich auch hier nicht als Selbstzweck, sondern nur zur Abgrenzung des eigenen Projekts einer existenziellen Ethik nach außen unternommen, nimmt die Rationalitätskritik, die Climacus in den Brocken begonnen hat, in der Nachschrift nicht nur erneut einigen Raum ein. Vielmehr erweitert sie sich hier zu einer umfassenderen Systemkritik, die als solche nun auch eindeutig mit der Philosophie Hegels zu assoziierende und z.T. bereits angesprochene Elemente in sich integriert – etwa die mit dem Ausdruck ‚Mediation‘ bezeichnete spekulative Methode oder die auf diese Methode abzielende, mit Trendelenburg als Gewährsmann geführte Kritik einer in die Logik integrierten Bewegung. Mehr noch ist es durchaus plausibel insbesondere die hier vorfindlichen kritischen Bemerkungen zur Methode der Mediation als eine Reaktion auf die spezifischen zeitgenössischen Debatten im Umfeld des dänischen Hegelianismus, genauer als Reaktion auf die zwischen Hans Lassen Martensen und Jacob Peter Mynster ausgetragene Debatte zum Verhältnis von Rationalismus und Supranaturalismus und der Rolle des Prinzips vom ausgeschlossenen Dritten zu lesen.⁴⁹¹
Beide Behauptungen finden sich z. B. in den Kommentaren zur auch von mir verwendeten deutschen Übersetzung von Hans Martin Junghans (siehe AUN 1, 323 [Anm. 289] sowie AUN 1, 338 [Anm. 450]). So Stewart 2003, insbes. 510 – 515. Daraus folgt, wie sich im Folgenden zeigen wird, jedoch weder, dass die entsprechenden Kritikpunkte nicht auch Hegels Philosophie selbst treffen, noch, dass ein dann so kritisiertes Systemdenken, das sowohl Hegel als auch die Vertreter des dänischen Hegelianismus umfasst, seine wesentliche Charakteristik nicht von woanders her – na-
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Des Weiteren ist Kierkegaards Haltung zu Spinoza gar nicht so eindeutig kritisch, wie die Ausführungen zu dessen Gottesbeweis in den Brocken nahelegen. Unter denjenigen Autoren, die Kierkegaard zur philosophischen Fundierung seiner Überlegungen heranzieht, nimmt Spinoza eine vielmehr ambivalente Rolle ein. Denn einerseits schätzt Kierkegaard die an antike Traditionen anknüpfende Frage nach einer gelingenden Lebensführung, die nicht nur dem Climacus’schen Projekt einer existenziellen Ethik, sondern auch Spinozas Denken insgesamt zugrunde liegt. Dies geht aus einem Journaleintrag aus dem Jahr 1846, dem Erscheinungsjahr der Nachschrift, hervor. Eine solche Frage nach einer gelingenden Lebensführung hebt an von der Einsicht – so heißt es dort –, dass längst noch nicht geklärt ist, was der Mensch „tun soll (ethisch) in der Welt“⁴⁹², sodass er fortschreiten könnte zu einer Form nurmehr ausschließlich theoretischer Wissenschaft, die dieser Frage völlig desinteressiert gegenüberstünde. Diese Einsicht findet Kierkegaard, wie er sodann in einer Randnotiz bemerkt, „so simpel und natürlich“⁴⁹³ zu Beginn von Spinozas Abhandlung über die Verbesserung des Verstandes formuliert: „Nachdem die Erfahrung mich gelehrt hat“ – so lautet die Passage dort, auf die Kierkegaard Bezug nimmt –, daß alles, was im gewöhnlichen Leben sich häufig uns bietet, eitel und wertlos ist, da ich sah, daß alles, was und vor welchem ich mich fürchtete, nur insofern Gutes und Schlimmes in sich enthielt, als die Seele davon bewegt wurde, so beschloß ich endlich nachzuforschen, ob es etwas gebe, durch das ich, wenn ich es gefunden und erlangt, eine beständige und vollkommene Freude auf immerdar genießen könne.⁴⁹⁴
Ein weiterer Punkt spricht ebenfalls für eine Wertschätzung Spinozas. Dass eine solche Nachforschung nach den Bedingungen eines gelingenden Lebens in ‚beständiger und vollkommener Freude‘ nämlich kein leichtes Unterfangen ist, sondern die Gefahr des Scheiterns allem voran in Form eines nicht zu überwindenden Zweifels stets miteinschließt, der dann kein methodischer, sondern ein existenzieller Zweifel ist, habe Spinoza, im Gegensatz zu Descartes, ebenfalls erkannt. Nicht die Möglichkeit eines zwar gesicherten, nichtsdestotrotz bloß theo-
mentlich vom für Kierkegaard wie für Climacus paradigmatischen Rationalismus Spinozas – empfängt. Diese Aspekte, auf die es mir im Folgenden ankommen wird und die, wie ich meine, zu einem Verständnis der Climacus-Schriften sehr viel entscheidender sind als die Rekonstruktion des historischen Anlasses von Climacus’ kritischen Einlassungen, fehlen in Stewarts ansonsten in vielerlei Hinsicht ausführlichen Erörterungen gänzlich. SKS 18, 286, JJ:437 / DSKE 2, 297. SKS 18, 286, JJ:437a / DSKE 2, 297. Spinoza 1977, 3.
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retischen Wissens, sondern die Möglichkeit umfassender, und d. h. vor allem praktischer Glückseligkeit stehe hier auf dem Spiel. In diesem Sinne hat Kierkegaard ein Zitat Spinozas zum Motto seiner frühen, unvollendet gebliebenen Lehrerzählung Johannes Climacus oder De omnibus dubitandum est gewählt. Er zitiert erneut die Abhandlung über die Verbesserung des Verstandes: Ich spreche von dem echten Zweifel im Gemüte und nicht von jenem, den wir so häufig sich ereignen sehn, da nämlich, wo einer, obwohl sein Sinn nicht zweifelt, mit Worten versichert, daß er zweifle: denn dergleichen läßt sich nicht durch eine Methode berichtigen, sondern gehört eher in die Erforschung und Berichtigung des Eigensinns.⁴⁹⁵
Der ausschlaggebende Punkt ist nun aber der Folgende: Gerade mit Blick auf diesen existenziellen Zweifel muss Kierkegaard Spinozas Unternehmen letztinstanzlich äußerst kritisch gegenüberstehen, die formulierte Frage nach einer gelingenden Lebensführung allein mit dem Mittel der Ratio, und d. h. in Form einer dann doch, und sogar streng, wissenschaftlich operierenden Philosophie, beantworten zu wollen. Entsprechend folgen diesen wertschätzenden Bemerkungen zwei weitere, nun essenziell kritische Notizen zu Spinoza.⁴⁹⁶ Diese, ebenfalls im Jahr 1846 verfasst, fungieren nicht nur, wie Kierkegaard explizit vermerkt, als Erläuterungen dessen, was in der im selben Jahr veröffentlichen Nachschrift verhandelt wird. Die umfangreichere dieser Notizen, die – mit der Überschrift „Spinozas Ethik.“⁴⁹⁷ versehen – Kierkegaards ausführlichste Einlassung zu Spinoza nach den bereits angeführten Passagen in den Brocken darstellt, spannt den Bogen sogar bis zu dieser ersten der beiden Climacus-Schriften zurück und greift zunächst einen Gedanken auf, der bereits dort formuliert worden ist: „Es ist völlig richtig“, so heißt es in der Notiz, „dass die Wahrheit aus sich selbst heraus verstanden werden muss, und dass deshalb alle fingierten Unter-
PB, 109. Kierkegaard gibt dieses wie auch das zweite, dem 1. Brief des Paulus an Timotheus entnommene Motto dieser Lehrerzählung in der Originalsprache wieder (vgl. SKS 15, 15 f.). Ich zitiere hier die Übersetzung, die Emanuel Hirsch vermutlich selbst angefertigt und seiner Übersetzung von Johannes Climacus oder De omnibus dubitandum est vorangestellt hat. In der oben bereits zitierten Übersetzung der Abhandlung über die Verbesserung des Verstandes von Carl Gebhardt lautet die entsprechende Stelle folgendermaßen: „Ich rede vom wirklichen Zweifeln im Geiste und nicht von jenem, das wir hier und da finden und bei dem einer bloß mit Worten sagt, er zweifle, obwohl er im Geiste gar nicht zweifelt. Es ist ja nicht Aufgabe der Methode, das zu berichtigen, vielmehr gehört das zur Untersuchung über den Eigensinn und seine Berichtigung.“ (Spinoza 1977, 37) Es handelt sich hierbei genauer um die Notiz Not13:39 vom März 1846 und den parallelen Journaleintrag JJ:39 aus demselben Jahr. SKS 19, 404, Not13:39 / DSKE 3, 442.
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stützungsmittel, mit denen man sie besser und leichter verstehen will, Sinnestäuschungen sind“⁴⁹⁸. Dieser Gedanke der Wahrheit als „Norm ihrer selbst und des Falschen“⁴⁹⁹, den Spinoza in seiner Ethik formuliert, gilt nicht nur für das Bedingungsverhältnis von Wissen und Gewissheit, wie es Climacus in Übereinstimmung mit Spinoza für den Sachbereich mathematisch-logischer Wahrheit annimmt.⁵⁰⁰ Auch im Hinblick auf die in der Menschwerdung sich vollziehende Selbstoffenbarung Gottes gilt für Climacus in ebenso unmissverständlichem Rekurs auf diesen Gedanken, dass eine so verstandene Wahrheit in gleichem Maße „das Kennzeichen ihrer selbst und des Verkehrten (index sui et falsi)“ bzw. „Kennzeichen und Richter [ihrer] selbst und des Verkehrten (index et judex sui et falsi)“⁵⁰¹ ist– wohlgemerkt mit der bereits in den Brocken gänzlich un-Spinozanischen Pointe, dass selbst das Ärgernis-nehmen des Verstandes an der Unverfügbarkeit dieser Form der göttlichen Wahrheit keiner eigenen, wenn auch negativen Erkenntnisleistung entspringt, sondern ein dem Verstand durch die Selbstoffenbarung Gottes allererst ermöglichtes Verständnis ihrer Grenzen und damit letztlich ihrer selbst darstellt.⁵⁰² Besagte ausführlichere Notiz zu Spinoza knüpft nun nicht nur an den zuvor im Blick auf die frühe Lehrerzählung Johannes Climacus vorgebrachten existenziellen Zweifel an, indem sie im Folgenden davon spricht, dass, gleichwie die Wahrheit aus sich selbst heraus verstanden, auch „der Tugend um ihrer selbst willen nachgestrebt werden [muss].“⁵⁰³ Mit der Chiffre der Tugend ist vielmehr der gesamte Bereich des Ethischen umfasst, den die Climacus-Schriften als zugleich Aufgabe und Wirklichkeit des letztlich je persönlichen Lebens thematisieren. Und mit Blick auf die ethische Wirklichkeit dieses je persönlichen Lebens gilt dann auch – so heißt es in einem oben bereits angeführten Journaleintrag weiter –: „[D]ie ethische Besinnung war es ja, was zuerst gefordert werden sollte – und da würde vielleicht die ganze Wissenschaft stranden. Sein persönliches Leben hat
Ebd. E2p43schol. Vgl. zu dem oben zur mathematisch-logischen ‚Erkenntnis des Ewigen‘ Ausgeführten die diesen Gedanken der Wahrheit als ‚Norm ihrer selbst und des Falschen‘ erläuternden Sätze Spinozas: „Wer kann wissen, daß er irgendeine Sache einsieht, wenn er nicht vorher die Sache einsieht? D. h.: Wer kann wissen, irgendeiner Sache gewiß zu sein, wenn er nicht vorher dieser Sache gewiß ist.“ (E2p43schol.) SKS 4, 254 f. / PB, 48. Anders also als bei Kant ist die ‚reine Vernunft‘ hier nicht sowohl Subjekt als auch Objekt einer kritischen Prüfung. SKS 19, 403, Not13:39 / DSKE 3, 442.
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denn der Wissenschaftler in ganz anderen Kategorien als seinen wissenschaftlichen, aber gerade jene ersteren wären ja die wichtigsten.“⁵⁰⁴ In diesem Sinne ‚strandet‘ dann aber insbesondere auch Spinoza, denn gerade er verfährt hinsichtlich der tatsächlichen Gewichtung der jeweiligen Kategorien genau andersherum, indem er seinem rationalistischen, auf umfassende Erklärung zielenden Programm gemäß vermeint, die für die Frage ethischen Handelns entscheidende causa finalis von vornherein durch die Letztbegründende causa immanens ersetzen zu können. Dieses Problem hat Climacus mit seiner Kritik am Spinozanischen Gottesbeweis und mit seiner Inanspruchnahme des Jacobi’schen Arguments eines Unterschieds von Grund und Ursache bereits umfangreich adressiert. Aber mehr noch: Spinoza mache sich, so die letztliche Pointe in den kritischen Notizen, einer ‚Doppelheit‘, d. h. eine Inkonsistenz schuldig, die der Vermischung von Grund und Ursache strukturell entspricht: „Spinoza“, so formuliert Kierkegaard dort, spricht ja selbst von einem Weg zu dieser perfectio [sc. im Sinne eines Strebens nach Tugend um ihrer selbst willen]; er definiert selbst laetitia als transitio in perfectionem und urgiert gerade transitio, also den Übergang, die Bewegung. Aber hier liegt eben die Doppelheit. Das Erste gibt, sub specie aeterni gesehen, die Immanenz. Aber wenn Spinoza von wirklichen Individuen sprechen will, was er ja tut, dann muss er eo ipso einräumen, dass das Maximum doch bleibt, dies [in abstracto⁵⁰⁵] zu wissen, und in einem Approximieren dahin zu streben, aber wohlgemerkt in der Existenz, die gerade die Teleologie gibt, indem sie die Acquiescentia in se ipso der Immanenz ausscheidet, und durch ihr Werden das Entgegengesetzte hervorbringt: einen nisus, einen Drang, und dadurch Interesse.⁵⁰⁶
Ein ethisches Streben nach Tugend im Sinne des Ideals der intellektuellen Einsicht des Individuums in den umfassenden Wirkzusammenhang alles Realen ist Kierkegaard zufolge nur unter der Prämisse möglich, dass dieser Wirkzusammenhang für sich genommen bereits umfassend einsichtig gemacht worden ist: die Perspektive auf eine mögliche ‚perfectio‘ muss durch die Immanenz zuvorderst gegeben sein. Das letztlich ethisch adressierte Individuum ist nurmehr aufgefordert, diese Perspektive, die eine Perspektive ‚sub specie aeterni‘ ist, auf sich selbst und sein eigenes Streben zu applizieren. Spinoza selbst muss allerdings bereits zugestehen, dass es sich hierbei um ein Ideal gelingenden Lebens handelt, dem sich das Individuum stets nur annähern kann, da es sich um ein rein intellektuelles, ‚in abstracto‘ zu ‚wissendes‘ Ideal handelt, dem sich die für Spinoza in der Hauptsache affektive Bedingtheit dieses Individuums selbst stets zu
SKS 18, 286, JJ:437 / DSKE 2, 297, meine Hervorh. So lautet eine an dieser Stelle von Kierkegaards Hand beigefügte Randbemerkung. SKS 19, 403, Not13:39 / DSKE 3, 442.
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3 Hauptteil: Die existenzielle Ethik der Climacus-Schriften
einem gewissen Maße entgegensetzt: Nicht nur bestreitet Spinoza Kierkegaard zufolge, dass der Mensch von Natur aus – Kierkegaard schreibt „ursprünglich“⁵⁰⁷– tugendhaft ist, sondern behauptet sogar auch, dass die erst durch intellektuelle Übung zu erreichende Tugendhaftigkeit des „Weise[n]“ de facto „ebenso schwierig wie selten“⁵⁰⁸ ist. Kierkegaard geht nun noch einen Schritt weiter und behauptet mit seinen Ausführungen, dass sich ein solches Ideal der intellektuellen Einsicht nicht nur nicht vollständig, sondern grundsätzlich gar nicht erreichen lässt, da ein existierendes Individuum die zu dieser Einsicht geforderte Umkehr nicht zu leisten vermag. Es kann die geforderte Perspektive ‚sub specie aeterni‘ nicht auf sich selbst und sein eigenes Streben applizieren, da dieses sein Streben, d. h. sein Interesse an dem Gelingen der eigenen Lebensführung, exakt diejenigen Momente als für sich wesentlich zum Ausdruck bringt, die es mithilfe dieser geforderten Perspektive als unwesentlich zu durchschauen gilt: die bereits bekannten Momente der Zeitlichkeit und der Kontingenz des je individuellen Handelns. Diese sind auch hier Bedingungen des in den Brocken so betitelten ‚besonderen geschichtlichen Werdens‘ des Menschen und der in der Nachschrift ins Zentrum gerückten ethischen Wirklichkeit des Individuums. Und so ist dann auch die in der Nachschrift vorderhand an den Hegelianismus adressierte und durch die zeitgenössischen Debatten seiner dänischen Vertreter motivierte Systemkritik eine im Kern an Spinoza gerichtete Kritik. Und obwohl Spinoza mit Blick auf das Individuum also die zumindest richtige Frage an den Anfang seines Philosophierens stellt und es erst der hegelianische Philosoph ist, der, so formuliert Climacus in seinem bereits einleitend zitierten Bekenntnis zu Jacobi, sein persönliches Leben und damit zugleich „sich selbst“ gänzlich „vergißt über dem Studium des Systems“⁵⁰⁹, findet sich dieses Problem der Selbstvergessenheit des Individuums gegenüber der von ihm betriebenen Wissenschaft nicht erst im Hegelianismus, sondern bereits im Spinozanischen Rationalismus angelegt, der in der einzig konsequenten Form einer Metaphysik der Immanenz dann auch für Climacus weiterhin und in Kontinuität zu seinen Ausführungen in den Brocken als Paradigma eines jeden systematischen Denkens fungiert: „denn in phantastischem Sinne geschieht alles systematische Denken sub specie aeterni“⁵¹⁰. (3) Diese Zusammenführung von Spinozismus und Hegelianismus unter der Überschrift der gemeinsamen Perspektive ‚sub specie aeterni‘ wird von Climacus
Ebd. E5p42schol. SKS 7, 186 / AUN 1, 243, meine Hervorh. SKS 7, 159 / AUN 1, 162, meine Hervorh.
3.2 Kierkegaard und Jacobi II
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nun dadurch begründet, dass er zwei Strukturmerkmale identifiziert, die dieser Perspektive wesentlich zugrunde liegen, und damit nicht nur der Spinozismus, sondern letztlich auch der Hegelianismus diesen Strukturmerkmalen verpflichtet sei: Climacus vertritt die Auffassung, dass ein jedes philosophische System erstens auf einer Letztbegründung geschichtlicher Wirklichkeit basiert, und somit Ausdruck eines genuin rationalistischen Unternehmens ist. Zweitens – dies folgt aus der Prämisse der Letztbegründung und stellt die in der Nachschrift erfolgende Erweiterung dieses schon in den Brocken adressierten Aspekts dar – nimmt nicht nur das System selbst die Form der Abgeschlossenheit an, sondern bedarf einer Perspektive auf die zu begründenden Phänomene geschichtlicher Wirklichkeit, die diese Wirklichkeit selbst bereits als eine abgeschlossene Wirklichkeit voraussetzt. Das erste Merkmal der Letztbegründung ergibt sich aus der mit Jacobi vorgebrachten Argumentation gegen eine Rückführung historischer Sachverhalte auf einen ‚Grund‘ im mathematisch-logischen Sinne, d. h. im Sinne des Satzes des zureichenden Grundes. Diese im zentralen ‚Zwischenspiel‘ der Brocken vorgebrachte Argumentation wird, wie bereits gezeigt, auch in der Nachschrift aufgegriffen, indem dort der Gedanke einer problematischen Vermischung des Begriffs der Ursache mit demjenigen des Grundes vor dem Hintergrund der für den Rationalismus notwendigen Bedingung ontologischer Immanenz artikuliert wird: In der Anwendung der Perspektive ‚sub specie aeterni‘ auf die Sphäre des Historischen sieht „[d]er Betrachter…die Weltgeschichte in rein metaphysischen Bestimmungen, und er sieht sie spekulativ als die Immanenz von Ursache und Wirkung, Grund und Folge.“⁵¹¹ Dies geschieht jedoch auf Kosten des Begriffs der Ursache und der mit diesem Begriff adressierten freiheitlichen Qualität individuellen Handelns, sodass der sich selbst ursächlich wirksam erfahrende Einzelne unter einer solchen Perspektive ‚sub specie aeterni‘ zu einer nurmehr „entseelte[n] historische[n] Individualität“, d. h. zu einer „metaphysischen Bestimmung“ degradiert wird: zu einer „kategoriale[n] Benennung des in der Immanenz gedachten“ – und damit neutralisierten – „Verhältnisses von Ursache und Wirkung.“⁵¹² Das zweite Merkmal der Abgeschlossenheit wird nun explizit erst in der Nachschrift ergänzt. Am pointiertesten geschieht dies in folgender Passage, in der
SKS 7, 144 / AUN 1, 145. SKS 7, 137 / AUN 1, 137.
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3 Hauptteil: Die existenzielle Ethik der Climacus-Schriften
nun die Engführung der Sphäre des Historischen auf das besondere geschichtliche Werden des Individuums mithilfe des Ausdrucks ‚Dasein‘ angezeigt wird:⁵¹³ System und Abgeschlossenheit entsprechen einander; Dasein aber ist gerade das Entgegengesetzte. Abstrakt gesehen lassen sich System und Dasein nicht zusammendenken, weil der systematische Gedanke, um das Dasein zu denken, es als aufgehoben, also nicht als daseiend denken muß. Dasein ist das Spatiierende, das auseinanderhält; das Systematische ist die Abgeschlossenheit, die zusammenschließt.⁵¹⁴
Hier bestimmt Climacus nicht nur die von Spinoza geforderte Perspektive auf die geschichtliche Wirklichkeit des Individuums als Perspektive, die die Abgeschlossenheit dieser Wirklichkeit voraussetzt. Er verweist hier zudem auf den Hegelianismus, genauer auf den letzten, dritten Abschnitt der Hegel’schen Begriffslogik, wenn er davon spricht, dass hier das ‚Systematische‘ im Sinne Hegels eine solche Abgeschlossenheit durch aktives ‚Zusammenschließen‘ zugleich als gegeben behauptet.⁵¹⁵ Denn das am Anfang der Wissenschaft der Logik mit der unbestimmten Unmittelbarkeit des reinen Seins bereits als „Forderung“ angelegte telos der „Realisierung des Begriffs“⁵¹⁶ ist für Hegel in der Tat kein bloßes Ideal, wie es sich dem Erkennen in Form der Idee des Wahren und dem Wollen in Form der Idee des
Nicht nur wird sich später Heidegger in Sein und Zeit dieses Ausdrucks bedienen, um sein ebenfalls durch Kierkegaard beeinflusstes Verständnis des Selbstseins des Menschen zu bezeichnen, jedoch, wie so häufig, ohne seinen Kierkegaard-Bezug an dieser Stelle auszuweisen – erst in den jüngst veröffentlichen Schwarzen Heften erfahren wir diesbezüglich mehr (vgl. dazu Thonhauser 2016, 276 ff.). Es ist darüber hinaus nicht unwahrscheinlich, dass Kierkegaard selbst diesen Ausdruck seiner Auseinandersetzung mit Jacobis Spinoza-Kritik verdankt, im Zuge derer Jacobi gerade das auch von Climacus hier wie in den Brocken vorgebrachte wesentliche Merkmal der Letztbegründung erstmalig mit der Formel eines „Seyns in allem Daseyn“ (JWA 1,1, 39) markiert. Gegenüber einer solchen Letztbegründung qua ‚Sein‘ sei es jedoch „das größeste Verdienst des Forschers“, so Jacobis programmatische Formulierung, „Daseyn zu enthüllen, und zu offenbaren“ (JWA 1,1, 29). SKS 7, 114 / AUN 1, 111. Die These, dass Climacus hier auf die Begriffslogik (und d. h. auf Hegel selbst und nicht nur seine dänischen Epigonen) zielt, wird auch dadurch gestützt, dass die absolute Methode, in Form derer sich die absolute Idee zum Ende der Begriffslogik selbst zum Thema macht und die von Climacus in der Nachschrift adressierte Abgeschlossenheit des Systems herstellt, bereits in einer Anmerkung in den Brocken, und dort explizit mit Rekurs auf die Wissenschaft der Logik, angesprochen wird: „Die absolute Methode“, so Climacus dort, „welche Hegels Erfindung ist, ist schon in der Logik eine schwierige Sache, ja eine gleißende Tautologie, welche dem wissenschaftlichen Aberglauben zu Diensten gewesen ist mit mancherlei Zeichen und wunderlichen Taten.“ (SKS 4, 277 / PB, 74) GW 12, 240.
3.2 Kierkegaard und Jacobi II
145
Guten entzieht.⁵¹⁷ Es wird am Ende der Logik in Form der absoluten Idee erreicht; diese, so Hegel in der Begriffslogik, ist „der Begriff, der sich durch das Andersseyn realisirt, und durch Aufheben dieser Realität mit sich zusammengegangen, und seine absolute Realität, seine einfache Beziehung auf sich hergestellt hat“. Damit ist „[d]ieses Resultat…die Wahrheit“⁵¹⁸ – und zwar diejenige Wahrheit, die Hegel bereits in der Vorrede zur Phänomenologie des Geistes programmatisch als das „Wahre“ des „Ganze[n]“ angekündigt hatte: Die Wahrheit als die „Substanz“, die, als sich in ihrer Substantialität vollkommen durchsichtige Substanz, „eben so sehr Subject“⁵¹⁹ ist. Insofern ist die absolute Idee als Resultat der Logik nicht nur „ebensosehr Unmittelbarkeit als Vermittlung“, „sondern eben als diese Einheit“ – als die Einheit von Substanz und Subjekt, von Unmittelbarkeit und Vermittlung – „die sich mit sich selbst vermittelnde Bewegung und Tätigkeit“⁵²⁰: die absolute Idee ist zugleich absolute Methode. Mit diesem Resultat der Einheit von absoluter Idee und absoluter Methode ist trotz der nun erst in den Blick kommenden „anderen“, d. h. realphilosophischen, „Sphäre und Wissenschaft“⁵²¹, die Abgeschlossenheit des philosophischen Systems nicht nur gewährleistet, sondern bereits gegeben – die Abgeschlossenheit desjenigen Systems nämlich, zu dem sich die absolute Methode zuletzt und damit schlussendlich „erweitert“, insofern sie selbst als „Inhalt des Erkennens…in den Kreis der Betrachtung eintritt“⁵²², dessen Form sie zugleich ist. „Vermöge“ dieser so aufgezeigten „Natur der Methode stellt sich die Wissenschaft als ein in sich geschlungener“ – und damit geschlossener – „Kreis dar, in dessen Anfang, den einfachen Grund, die Vermittlung das Ende zurückschlingt; dabei ist dieser Kreis“ zwar durchaus „ein Kreis von Kreisen“⁵²³, der in diesem Sinne noch weitere, dann realphilosophische Ausdifferenzierungen zulässt. Diese bleiben jedoch stets interne Ausdifferenzierungen der nurmehr explizit „[a]bgeleitete[n] und [e]rwiesene[n]“⁵²⁴ Einheit von Form und Inhalt, d. h. der Immanenz begreifenden Denkens selbst. Dieser Gedanke einer am Ende der Wissenschaft der Logik gegebenen Abgeschlossenheit des philosophischen Systems ist der für Climacus zentrale Grundgedanke der Hegel’schen Philosophie als solcher – und er ist in Kontinuität mit
Vgl. Siep 2018, 657. GW 12, 248. GW 9, 18 f. GW 12, 248. GW 12, 253. GW 12, 249. GW 12, 252. GW 12, 249.
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3 Hauptteil: Die existenzielle Ethik der Climacus-Schriften
dem Spinozismus, nicht als dessen „einzige und wahrhafte Widerlegung“ (GW 12,15) zu verstehen.⁵²⁵ Damit hat Climacus m. E. ganz recht, insofern eine solche Abgeschlossenheit eine Konsequenz des Anspruchs einer umfassenden Erklärung qua Letztbegründung darstellt.⁵²⁶ Dass dieser Anspruch derjenige Spinozas ist, dies ist bereits ausreichend dargelegt worden. Aber auch Hegel ist in der oben anhand der Begriffslogik aufgewiesenen Betonung der Abgeschlossenheit seines Systems in der Einheit von absoluter Idee und absoluter Methode dem Gedanken der Letztbegründung verpflichtet. Ähnlich wie Spinoza, dem es letztlich auch um die intellektuelle Einsicht des epistemischen Subjekts geht, zu deren Zweck er eine ontologische Fundierung alles Wirklichen in der einen göttlichen Substanz annehmen muss, verfolgt auch Hegel das Projekt der Letztbegründung im Sinne eines Projekts umfassender Erklärung, das sich folglich nicht in Form einer Vielzahl verschiedener, gleichberechtigt nebeneinander stehender Erklärungen für verschiedene Phänomene erfüllt, sondern in der teleologischen Ausrichtung seines Systems auf die Idee als Realisierung des Begriffs eine und als solche zureichende Erklärung für alle Phänomene zu liefern beabsichtigt. Diese Erklärung gründet zwar ihrerseits nicht auf einem ihr äußerlichen und ontologisch vorgängigen ‚Wesen‘ aller Wirklichkeit,⁵²⁷ sondern besteht Hegel zufolge im Prozess dieser Erklärung selbst, sodass bei Hegel von umfassender und letztgültiger Erklärung zwar erst – dann aber sehr wohl – gesprochen werden kann, wenn die fortgesetzte Methode spekulativer Dialektik als letzten Schritt ihrer kategorialen Entfaltung in der abso-
Ich habe einleitend behauptet, dass sich das Jacobi-Verständnis, das Kierkegaard mit den Ausführungen seiner Climacus-Schriften zum Ausdruck bringt, in bestimmter Hinsicht als dasjenige herausstellen wird, das durch die Arbeit Birgit Sandkaulens erst wieder ins Bewusstsein philosophischer Forschung hat gerückt werden müssen. Hier zeigt sich nun des Weiteren, dass Climacus implizit auch diejenige These vertritt, auf die Birgit Sandkaulen ebenfalls mehrfach aufmerksam gemacht hat: die These nämlich, dass mit Jacobis Rekonstruktion des Spinozismus „zugleich auch der idealistischen Philosophie das System-Modell“ – hier repräsentiert durch das Merkmal der Abgeschlossenheit – „antizipatorisch angewiesen [ist], das sich“ – und das ist auch das für Climacus entscheidende – „variieren, aber nicht strukturell überbieten läßt.“ (Sandkaulen 2000, 50) Mit Blick auf Hegel vgl. insbesondere auch Sandkaulen 2008 und Sandkaulen 2019, 317– 335. Hinsichtlich seiner Hegel-Interpretation lässt sich Climacus folglich in eine Traditionslinie einordnen, die Stephen Houlgate von Marx bis Charles Taylor aufspannt (Houlgate 1999, 8 f.). Auf ein solches ontologisches Verständnis von Letztbegründung zielt Stephen Houlgates Ablehnung eines Verständnisses von Hegels Philosophie als eine Form von ‚foundationalism‘, die er zusammenbringt mit dem Gedanken eines ontologischen Dualismus, wenn er schreibt: „Hegel breaks definitely with dualism and foundationalism: He proves that the essence of things does not underlie being as ist foundation, but is immanent in being, indeed is identical with being itself.“ (Houlgate 1999, 31)
3.2 Kierkegaard und Jacobi II
147
luten Idee sich selbst als dann entsprechend ebenso absolute Methode zum Thema gemacht hat.⁵²⁸ Hegels letztbegründender Grund ist folglich kein Ursprung, aus dem heraus, kein Prinzip, mithilfe dessen alles – dann, in einem sekundären Schritt – zu erklären ist. Vielmehr ist dadurch, dass sich am Ende vermittels eines dynamisch angereicherten ‚Rückgangs in den Grund‘ alles zureichend erklärt hat, zugleich die prinzipielle Erklärbarkeit von allem aufgewiesen worden. In diesem Sinne gilt: „Was vernünftig ist“, was sich also in einer solchen systematisch-geschlossenen Darstellung hat erfassen, d. h. qua ‚Rückgang in den Grund‘ letztgültig hat begründen lassen, „ist wirklich“⁵²⁹. Indem Hegel und mit ihm der Hegelianismus in der systematischen Ausgestaltung des rationalistischen Erklärungsanspruchs eine in der Spinozanischen Perspektive ‚sub specie aeterni‘ geforderten Abgeschlossenheit nicht mehr nur voraussetzt, sondern am Ende als gegeben behauptet, „tritt nun eine Täuschung, eine Sinnestäuschung ein, die auch die Brocken aufzuzeigen suchten und worauf ich verweisen muß“, so Climacus in direktem Anschluss, „namentlich hinsichtlich der Frage, ob das Vergangene notwendiger sei als das Zukünftige“⁵³⁰ – hinsichtlich derjenigen Frage also, die im Zentrum des ‚Zwischenspiels‘ mit Jacobis Argument eines Unterschieds von Grund und Ursache entschieden abschlägig beantwortet worden ist. Eine solche Behauptung der Abgeschlossenheit bedeutet Climacus zufolge trotz aller dynamischen Anreicherung also keinen Fortschritt, und schon gar keine Widerlegung des Spinozismus, sondern bleibt vielmehr in Kontinuität mit diesem dem Gedanken einer Letztbegründung alles Wirklichen verpflichtet. Der Hegelianismus gerät lediglich – dies ist der für Climacus nun einzig auszumachende Unterschied – zu einer qua Methode „deklamierenden“, d. h. zu einer nach aller Kunst sich selbst vortragenden „Immanenztheorie“⁵³¹. Eine solche Deklamation in Form des „immanente[n] Übergang[s]“ von einer zur nächsten Bestimmung innerhalb der Logik ist jedoch „eine Schimäre, eine Einbildung“⁵³² und ein Hegelianer muss sich letztlich in gleicher Weise wie Spinoza folgende Fragen stellen lassen: Ob nicht die Ewigkeit für einen Existierenden – nicht die Ewigkeit, sondern das Zukünftige ist, und die Ewigkeit nur für den Ewigen ist, der nicht im Werden ist? Man frage ihn, ob er auf folgende Fragen antworten kann, d. h. wenn eine solche Frage sich an ihn richten läßt, ob
Vgl. Schäfer 2002, 244. Vgl. auch Pleines 1992. In explizitem Rekurs auf den Satz des zureichenden Grundes liest jüngst auch Kreines 2015 das Hegel’sche Projekt als ein Projekt der Letztbegründung. GW 14,1, 14. SKS 7, 114 / AUN 1, 111. SKS 7, 138 / AUN 1, 138. SKS 7, 269 / AUN 1, 291.
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3 Hauptteil: Die existenzielle Ethik der Climacus-Schriften
das, daß man das Existieren soweit als möglich aufgibt, um unter der Form der Ewigkeit (sub specie aeterni) zu sein, etwas ist, was ihm widerfährt, oder etwas, was man kraft eines Beschlusses [Beslutning] tut, ob es vielleicht sogar etwas ist, was man tun soll? Denn soll man es tun, so ist eo ipso ein Entweder/Oder (aut – aut) etabliert, selbst im Verhältnis dazu, unter der Form der Ewigkeit (sub specie aeterni) zu sein. Oder ob er unter der Form der Ewigkeit (sub specie aeterni) geboren wurde und seit der Zeit unter der Form der Ewigkeit (sub specie aeterni) dahinlebte, und daher nicht einmal verstehen kann, was das ist, wonach ich frage, da er niemals mit etwas Zukünftigem zu tun gehabt oder irgendeine Entscheidung [Afgjørelse] erfahren hat? In dem Falle sehe ich ja wohl ein, daß es kein Mensch ist, mit dem ich zu reden die Ehre habe.⁵³³
3.2.2.2 Der ‚Akt der Subjektivierung‘: Der Sprung als Systemwiderspruch Diese zwei wesentlichen Eigenschaften einer jeden Systemphilosophie – Letztbegründung und Abgeschlossenheit – stehen dem Anspruch des Ethischen entgegen, da sie es in ihrer umfassenden Applikation nicht zulassen, dass die Phänomene menschlichen Handelns in ihrer für das Individuum entscheidenden, nämlich herausfordernden Qualität in den Blick kommen. Diese herausfordernde Qualität hatte der frühe Kierkegaard bereits in erstaunlicher sachlicher Nähe zu Jacobi gegen Fichte und die durch ihn beeinflussten Romantiker als die Herausforderung geschichtlicher Wirklichkeit überhaupt in Stellung gebracht. Mit der in den Climacus-Schriften nun auch explizit mithilfe Jacobis unternommen philosophischen Fundierung dieses Gedankens sowie dessen insbesondere in der Nachschrift vorfindlichen Zuspitzung auf die Subjektivitäts- und damit vor allem Handlungsstrukturen der besonderen geschichtlichen Wirklichkeit menschlicher Existenz führt Climacus die diesen Eigenschaften exakt entsprechenden Gegenkategorien ein. Denn dass einem Rationalismus, der sein Vorhaben umfassender Erklärung nicht anders als in Form eines Systems ausgestalten kann, die geschichtliche Wirklichkeit des Menschen im Sinne seines individuellen und freiheitlichen Handelns unzugänglich bleibt, liegt genau darin begründet, dass diesem individuellen Handeln im Wesentlichen zwei konträre strukturelle Eigenschaften zukommen, nämlich Absichtlichkeit und Offenheit. Diese finden sich wieder in den nun von Climacus ins Zentrum seiner Betrachtung gestellten handlungstheoretischen Elementen der Entscheidung und der Wiederholung: „Für den Existierenden“, so schreibt er in der Nachschrift, sind gerade nicht Letztbegründung und Abgeschlossenheit die adäquaten Bestimmungen. Das „Maß der Bewegung“ menschlichen Daseins als ethische Praxis sind „die Entscheidung [Afgjørelse] und die Wiederholung“⁵³⁴ – und diese sind aufs Engste mit der Ka-
SKS 7, 279 / AUN 2, 6 f. SKS 7, 284 / AUN 2, 13.
3.2 Kierkegaard und Jacobi II
149
tegorie des Sprungs, und damit auch mit der Kritik an Jacobis Salto mortale, verknüpft. Zunächst komme ich aber zu dem, was Climacus unter einem ‚Akt der Subjektivierung‘ versteht, d. h. ich komme zu einer ersten Bedeutung des Elements der Entscheidung und einer darin liegenden, vor aller Kritik zu betonenden Übereinstimmung mit Jacobis Verständnis seines Salto mortale: Der Ausdruck der Entscheidung (Afgjørelse) begegnet, wenn auch nicht als dessen Synonym, so doch in engstem Verbund mit dem Ausdruck des Be- bzw. Entschlusses (Beslutning); ein Be- bzw. Entschluss stellt für Climacus einen Sonderfall der Entscheidung dar. So in der oben ausführlich zitierten Passage, in der ich bereits auf die jeweiligen dänischen Ausdrücke hingewiesen habe: Wenn Climacus dort die Frage danach, ob die Einnahme einer Abgeschlossenheit voraussetzenden und darin auf dem Gedanken der Letztbegründung fußenden Perspektive ‚sub specie aeterni‘ nicht bereits eines Beschlusses (Beslutning) bedürfe, der als Sonderfall auf die Entscheidung (Afgjørelse) als allgemeines Konstituens menschlichen Existierens verweist, – in natürlich ironischem Sinne – unbeantwortet lässt, so ist er umgekehrt sehr deutlich darin, dass die von ihm vorgetragene rationalitäts- und systemkritische Argumentation ihrerseits in wesentlichem Maße auf einem solchen Be- bzw. Entschluss beruht. Damit stellt sie bereits eine nicht zu unterschlagene Form eines Sprungs dar. Denn wenn sich Kierkegaard in seinen Notizen gerade darin von Trendelenburg enttäuscht zeigt, dass dieser nicht aufmerksam ist auf den Sprung, dann genau deshalb, weil es sich seiner Auffassung nach nicht nur bei dem entscheidenden negativen und darin indirekten Beweis, d. h. bei dem Nachweis der Insuffizienz logischen Schließens im Falle der Aneignung geschichtlicher Wirklichkeit, sondern bereits bei der einem solchen Nachweis zugrunde liegenden Überzeugung einer der Ratio unzugänglichen Bewegung des Werdens menschlicher Existenz, um eine durch einen Be- bzw. Entschluss zum Ausdruck gebrachte Überzeugung handelt. Diese kann gerade nicht mit Beispielen aus der Mathematik erläutert werden, da sie bereits wesentlich auf den Bereich des Ethischen verweist. Dies ist deshalb so, da ein solcher Beschluss zugleich bereits einen Akt der Freiheit bezeichnet, in Form dessen eine Betonung der Bewegung des Werdens menschlicher Existenz überhaupt nur stattfinden kann, wenn sie sich der Ratio und mit ihr der Form logischer Ableitung entzieht – um einen Akt der Freiheit also, der dann nur adäquat mit dem Ausdruck des Sprungs zu beschreiben ist. Damit ist Climacus aber nicht nur hinsichtlich der ‚Objektivität Spinozas‘, also hinsichtlich derjenigen wesentlichen Eigenschaften von Letztbegründung und Abgeschlossenheit, die wie dem Spinozanischen in gleicher Weise dem Hegel’schen System zugrunde liegen, mit Jacobi einer Meinung, sondern auch hinsichtlich dieser ersten Zusammenführung des handlungstheoretischen Elements
150
3 Hauptteil: Die existenzielle Ethik der Climacus-Schriften
der Entscheidung im Sinne eines Be- bzw. Entschlusses mit der Kategorie des Sprungs. Denn in dieser Zusammenführung spiegelt sich nun exakt diejenige Bedeutung des Sprungs als eines systemwidersprechenden Aktes wider, die auch Jacobi mit seiner Figur des Salto mortale im Auge hat und die Climacus entsprechend korrekt als ‚Akt der Subjektivierung‘ bezeichnet. Darin liegt nun genauer zweierlei: (1) die Betonung des Aktcharakters des Sprungs – dies ist ein im Wesentlichen struktureller Punkt – sowie (2) die Betonung dieses Aktes als Subjektivierung – dies ist der gegen die Objektivität sowohl des Spinozismus als auch des Hegelianismus gerichtete inhaltliche Punkt. (1) Bereits in den erkenntnistheoretischen Überlegungen der Brocken kommt die Kategorie des Sprungs zur Sprache, insofern sie als zunächst rein struktureller Gegenbegriff zum Verfahren des Rationalismus erstens das „Abbrechen des Zusammenhangs“⁵³⁵ erklärender Letztbegründung markiert und zugleich zweitens für die bereits hier essentielle praktische Dimension des zunächst noch gänzlich unreligiös zu verstehenden Glaubens einsteht, dessen „Schluß“ ja gerade „nicht Schluß [Slutning] sondern Entschluß [Beslutning]“⁵³⁶ ist. Gerade das ‚Loslassen‘ des Versuchs eines kontinuierlichen und geschlossenen Beweises im Sinne eines individuellen Aktes, als „meine Zutat“, ist bereits ein „Sprung“⁵³⁷. Diesen Aktcharakter betont auch Jacobi, wenn er die eigentümliche Form seiner Kritik am Spinozismus gegenüber Mendelssohn zu erläutern versucht: Der „würklichen Lehre des Spinoza“ sei als konsequente Durchführung des Rationalismus nicht mit ihren eigenen Mitteln, d. h. mit Hilfe rein logischer Argumentation beizukommen, sie sei mithin „unwiderleglich“, jedoch „nicht unwidersprechlich“⁵³⁸. Die Figur des Salto mortale, die Jacobi Lessing gegenüber mit den Worten beschreibt, „daß ich aus dem Fatalismus unmittelbar gegen den Fatalismus, und gegen alles, was mit ihm verknüpft ist, schließe“⁵³⁹, ist entsprechend ebenso wenig wie Climacus’ Sprung eine logische Schlussfigur, sondern gleichsam ‚Entschluss‘, d. h. performativer Akt derjenigen Freiheit, die das Spinozanische System genuin ausschließt.⁵⁴⁰
SKS 4, 282 / PB, 80. SKS 4, 283 / PB, 80. SKS 4, 248 / PB, 40 f. JWA 1,1, 290. JWA 1,1, 20, meine Hervorh. Auf den Aktcharakter von Jacobis Salto mortale als strukturellen Konterpart zu Spinozas Projekt umfassender Erklärung qua Letztbegründung hat insbesondere Birgit Sandkaulen insistiert, indem sie Jacobis Sprungfigur als einen „Akt des Widerspruchs“ kennzeichnet, „den man in dem Maße grundlos nennen muß, wie er selber nach dem ‚Satze des Grundes‘…bewußt nicht verfährt.“ (Sandkaulen 2000, 31) Vgl. dazu auch Koch 2019, xiv.
3.2 Kierkegaard und Jacobi II
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(2) Damit hängt aber ein weiterer Aspekt zusammen, den Climacus mit der nun näherhin inhaltlich gefüllten Substantivierung eines Tätigkeitswortes, mit der gegen die starre ‚Objektivität Spinozas‘ in Stellung gebrachten ‚Subjektivierung‘, bezeichnet. Als eine solche gilt ihm Jacobis Salto mortale, der in diesem Aspekt zu würdigen ist, da er damit auf die Fokussierung des Ethischen in der Nachschrift verweist. Er ist Ausdruck und Umsetzung derjenigen Überzeugung Jacobis, die Climacus in seinem Bekenntnis zu Jacobi emphatisch hervorhebt: „daß die Existenz längere und tiefere Bedeutung haben muß als die paar Jahre, in denen man sich selbst vergißt über dem Studium des Systems.“⁵⁴¹ Denn eine Systemkritik in der oben umrissenen Form zu artikulieren ist selbst bereits Bestandteil existenziell-ethischer Praxis. Der so verfahrende Systemkritiker legt damit nicht erst die argumentative Grundlage eines möglichen Entzugs vom Anspruch umfassender Erklärung, sondern hat sich diesem Anspruch bereits wesentlich entzogen, da eine Aufmerksamkeit auf die Eigenschaften des eigenen Handelns bereits vorausgesetzt ist, um die entsprechenden Eigenschaften des Systems als diesen wesentlich entgegenstehend ausweisen zu können. Denn wenn es die entscheidende Gefahr ist, ‚sich selbst zu vergessen über dem Studium des Systems‘, dann beschreibt das Projekt der Climacus-Schriften gerade auch in den Teilen seiner Systemkritik den Versuch des Aufmerksam-bleibens auf die ursprünglich bewussten Spezifika des eigenen individuellen Existierens.Von dort her gilt es ein jedes Systemdenken danach zu befragen, inwiefern es diese Spezifika in ihrer Bedeutsamkeit für den Einzelnen und seine Aufgabe ethischer Selbstverständigung in Geltung halten kann oder sie nicht vielmehr dieser ihrer Bedeutsamkeit beraubt. Und so ist dann auch für Jacobi das Bewusstsein der eigenen Freiheit bereits Voraussetzung für die kritische Rekonstruktion des Spinozismus. Ausgehend von der ‚lebendigen Überzeugung‘, „daß ich thue was ich denke, anstatt, daß ich nur denken sollte was ich thue“⁵⁴², ist die Herausstellung der systeminternen Widersprüchlichkeit des Spinozismus überhaupt erst möglich, die als „elastische Stelle“⁵⁴³ zu betreten – wie Lessing im Gespräch mit Jacobi bemerkt – bereits eines Sprunges bedarf.⁵⁴⁴ Zum Verständnis dieses Sprungs, sowie der ‚elastischen
SKS 7, 277 / AUN 1, 243. JWA 1,1, 28. JWA 1,1, 30. Dass es neben der Kritik an Jacobis Salto mortale eine solche im Rückblick auf die Brocken zu explizierende Übereinstimmung zwischen Climacus und Jacobi gibt, bemerkt auch Gloria Dell’Eva in ihrer jüngst erschienenen Studie zu Kierkegaards Sprungbegriff (Dell’Eva 2020), ohne dies jedoch en detail mit der Affirmation des Jacobi’schen Zentralarguments im ‚Zwischenspiel‘ der Brocken und den daraus folgenden Konsequenzen für dessen Funktion einer philosophischen
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3 Hauptteil: Die existenzielle Ethik der Climacus-Schriften
Stelle‘ des systeminternen Widerspruchs einer ‚ewigen Zeit‘, mangelt es Climacus wie gezeigt vor allem an den anthropologischen und begrifflichen Voraussetzungen. Seine Erörterungen der Sprungthematik gehen von hier an in eine entsprechend andere Richtung und entfalten sich im Folgenden anhand einer JacobiKritik. Die weiteren Bedeutungsvarianten seines Sprunges haben dann auch nichts zu tun mit dem Jacobi’schen Vorhaben einer Korrektur der Bedingungsverhältnisse von adjektiver und substantiver Vernunft, sondern zielen ab auf den Komplex alltäglichen Handelns in seiner Unabhängigkeit von jedem kritischen Bezug auf ein rationalistisches System.
Fundierung all derjenigen ethisch-praktischen Aspekte in Verbindung zu bringen, die Climacus dann in der Nachschrift zum entscheidenden Thema macht; zu lapidar heißt es bei Dell’Eva: „So wie Jacobi sich aus den Konsequenzen der Philosophie Spinozas und ihrem Alles-erklären-Wollen durch einen Salto mortale rettet, dessen ersten [sic] Phase auch ein Sprung ist“ – die akrobatiktheoretischen Überlegungen, von denen her die Autorin den Salto mortale sowohl bei Jacobi als auch bei Kierkegaard zu verstehen versucht, seien hier beiseitegelassen –, „so rettet sich auch Kierkegaard aus den Konsequenzen jener Attitüde, die alles – sowohl das christologische Paradox als auch das Dasein Gottes – beweisen will, durch einen Sprung.“ (Dell’Eva 2020, 229) Darüber hinaus besteht das eigentliche Problem der Studie Dell’Evas jedoch in dreierlei: Erstens in ihrer unpräzisen Überblendung der Vielzahl von Bedeutungen des Sprungbegriffs, die nicht nur in Kierkegaards Gesamtwerk (vgl. dazu Schreiber 2014), sondern auch in den Climacus-Schriften auszumachen sind, und deren Verkürzung auf die Bedeutung eines ‚Sprungs in den Glauben‘. Eine solche Überblendung und Verkürzung geht dann zweitens zusammen mit der schlichtweg falschen Behauptung, auch Jacobi, verfolge ein entsprechend religiöses Projekt, drücke mithin die „Abhängigkeitsbeziehung des Menschen zum Schöpfer…durch die Metaphorik des Salto mortale aus“ (Dell’Eva 2020, 230). Diese Behauptung basiert auf dem völlig unzulässigen Kurzschluss, den Sprung als Modus der von Jacobi vorgebrachten Spinoza-Kritik über die Motivation dieser Kritik, die aus der lebenspraktischen Erfahrung des eigenen freiheitlichen Personseins resultiert, mit dem von Jacobi geäußerten Glauben „an eine verständige persönliche Ursache der Welt“ (JWA 1,1, 22) zu verknüpfen. Hier bleibt nicht nur zu fragen, welche Bedeutung einem solchen Glauben und der Religion in Jacobis Denken zukommen. Vielmehr gilt es, die sachlichen Kontexte der Systemkritik und der Religionsphilosophie Jacobis bei aller Verwobenheit zu unterscheiden, um nicht in eine Auffassung von Jacobis Salto mortale als Sprung ‚in den Abgrund der göttlichen Barmherzigkeit‘ (Fr. Schlegel), mithin von seinem Denken insgesamt als einen religiös-schwärmerischen Irrationalismus zurückzufallen – eine Auffassung, die, wie Brady Bowman jüngst hervorgehoben hat, durch die neuere Jacobi-Forschung längst korrigiert worden ist (vgl. Bowman 2019, 1025). Damit ist drittens – nicht nur zum rechten Verständnis beider, Jacobis wie Kierkegaards, sondern auch und vor allem zum rechten Verständnis der sachlichen Verbundenheit ihres Denkens – darauf zu achten, dass, anders als Dell’Eva herauszustellen versucht, insbesondere „die Metapher des Salto mortale bei beiden“ gerade nicht „genau dasselbe zum Ausdruck bringt.“ (Dell’Eva 2020, 222) Vgl. dazu auch meine ausführlichere Auseinandersetzung mit der Studie Dell’Evas in Feldmeier 2021b.
3.2 Kierkegaard und Jacobi II
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3.2.2.3 Das einschränkende Adverb ‚nur‘: Climacus’ erster Kritikpunkt an Jacobis Salto mortale Nachdem nun klar geworden ist, dass Climacus mit Jacobi nichtsdestotrotz zumindest hinsichtlich der zu widersprechenden ‚Objektivität Spinozas‘, aber auch hinsichtlich des ‚Aktes der Subjektivierung‘ als einzig adäquatem Modus der Kritik einverstanden ist, gilt es nun zunächst zu verstehen, weshalb Climacus hier einschränkend formuliert, dass Jacobis Salto mortale ‚nur‘ ein solcher ‚Akt der Subjektivierung bezogen auf die Objektivität Spinozas‘ sei. Nach der ersten und in Übereinstimmung mit Jacobi vorgebrachten Bedeutungsvariante des Sprungs als Be- bzw. Entschluss kommt damit die Bedeutung des Sprungs als Entscheidung im umfassenderen und für Climacus eigentlichen Sinne (Afgjørelse) in den Blick. Denn nicht nur bemerkt Climacus kritisch gegenüber Lessings Rede vom „garstige[n] breite[n] Graben, über den ich nicht kommen kann, so oft und ernstlich ich auch den Sprung versucht habe“: „Ganz nahe an etwas gewesen zu sein hat schon eine komische Seite, aber ganz nahe daran gewesen zu sein, den Sprung zu machen, ist überhaupt nichts, gerade weil der Sprung die Kategorie der Entscheidung [Afgjørelse] ist.“⁵⁴⁵ Auch liegt eine zentrale Pointe seiner Kritik an Jacobis Salto mortale darin, „daß der Sprung, wie schon öfter bemerkt, die Entscheidung [Afgjørelsen] ist“⁵⁴⁶. Was ist gemeint? Ähnlich wie Jacobi, der die Zweckursache gegen die Spinozanische Reduktion eines jeden Phänomens auf seine Wirkursache als Konstituens menschlicher Freiheit betont, geht es Climacus im Folgenden erstens darum, menschliches Handeln als wesentlich auf einer im Bewusstsein der eigenen Freiheit generierten Absicht zu verstehen. Damit entzieht sich – das ist die bereits erwähnte Pointe dieses Gedankens – menschliches Handeln genuin dem Letztbegründungsanspruch des Rationalismus. Zweitens verschiebt sich damit Climacus’ Aufmerksamkeit weg von einer Unterscheidung eines Grund-Folge-Verhältnisses und eines Ursache-WirkungVerhältnisses hin zu diesem Ursache-Wirkung-Verhältnis und seiner internen Bestimmungen selbst. Climacus fragt nun, wie genau sich menschliches Handeln unabhängig von jeder philosophischen Systemkritik als alltägliches Handeln mithilfe dieser Kategorien von Ursache und Wirkung verstehen lässt. Und damit kommen wir nun zu dem, was sich als Climacus’ Handlungstheorie im engeren Sinne bezeichnen lässt.⁵⁴⁷ SKS 7, 97 / AUN 1, 91. SKS 7, 100 / AUN 1, 95. Explizit von einer Handlungstheorie im Werk Kierkegaards spricht vor allem C. Stephen Evans (Evans 2006, 311– 326) und – mit Blick auf die Schrift Der Liebe Tun, auf die ich zum Ende des dritten Hauptkapitels noch eingehen werde – Ulrich Lincoln (Lincoln 1998).
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3 Hauptteil: Die existenzielle Ethik der Climacus-Schriften
Mit der Betonung eines intentional-absichtsvollen Handelns rückt sein Fokus näherhin drittens auf die Seite der Verursachung als die zunächst der Wirkung einer Handlung gegenüber entscheidendere. Damit geht es ihm entgegen einer äußerlichen, deskriptiven Perspektive (einer Perspektive der ‚dritten Person‘) auf die Wirkungen menschlichen Handelns, die die Voraussetzungen des Zustandekommens solcher Wirkungen im Individuum unbeachtet lässt, um die phänomenale Perspektive des Individuums selbst (eine Perspektive der ‚ersten Person‘) auf diese Voraussetzungen der eigenen Wirksamkeit in der Welt. Allein diese Perspektive entspricht dem ethischen Anspruch auf Aufmerksamkeit auf das eigene Existieren: „Was ethisch die Tat zu derjenigen des Individuums macht, ist die Absicht; aber diese ist es gerade nicht, die mit in das Welthistorische hineinkommt….Welthistorisch sehe ich die Wirkung, ethisch sehe ich die Absicht.“⁵⁴⁸ Anders als Jacobi ist der Sprung für Climacus nun eine wesentliche Kategorie zum Verständnis eines in diesem Sinne alltäglichen Handelns, mithin eine wesentliche Kategorie zum Selbstverständnis des handelnd existierenden Einzelnen. Für Jacobi hingegen – dies ist der durch das einschränkende Adverb ‚nur‘ ausgedrückte Gedanke – erschöpfe sich die Aufmerksamkeit auf den Sprung in der Bedeutung des systemwidersprechenden Aktes des Be- bzw. Entschlusses. Dies sei letztlich zu wenig und Jacobis Handlungsbegriff mithin unterbestimmt. Denn indem ein solcher systemwidersprechender Akt des Be- bzw. Entschlusses in all seiner Praxis immer und fundamental auf die zu widersprechende Theoriekonzeption eines Rationalismus und Systemdenkens nicht nur bezogen, sondern auch angewiesen bleibe, komme das für Climacus entscheidende alltägliche, d. h. von einer solchen systemkritischen Konstellation unabhängige Handeln und der darauf sich richtende Anspruch ethisch-existenzieller Selbstverständigung letztlich nicht ausreichend in den Blick. Nun ist es sicher richtig, dass Jacobi mit seinem Salto mortale eine lediglich systemwidersprechende Figur und keine grundsätzlich handlungstheoretische Kategorie im Auge hat. Sein Sprung ist als Akt des „Übersetzen[s] aus dem Verstandesgleise“⁵⁴⁹ eine Reaktion auf einen Rationalismus, der in seiner verabsolutierten Form zwar die Bedrohung v. a. des Fatalismus impliziert; und diese Bedrohung hat – wenn man ihr unterläge – durchaus auch erhebliche Auswirkungen auf das Verständnis unseres alltäglichen Handelns und damit unseres Selbstseins. Aber diese Bedrohung des Fatalismus entspringt in der Tat nicht genuin dieser Sphäre des Alltäglichen, sodass auch ein sich ihr widersetzender Sprung dort keinen Ort hat.
SKS 7, 144 / AUN 1, 145. JWA 1,1, 348.
3.2 Kierkegaard und Jacobi II
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Das heißt jedoch nicht, dass Jacobi sämtliche für Climacus wesentlichen Handlungscharakteristika unbeachtet lässt. Auch Jacobi betont zum einen den besonderen Absichtscharakter von Handlungen: „Ein absichtloses Verursachen“, so schreibt er in den Göttlichen Dingen, „ist ein blindes Thun, kein Handeln. Wir sagen, nicht von der Natur, daß sie handle, sondern nur, daß sie wirke.“⁵⁵⁰ Zum anderen hebt auch er das Moment der Entscheidung über den Kontext reiner Systemkritik als volitionales Handlungscharakteristikum hervor, das wir – auch dies hat Jacobi hier im Blick – dem erstpersonal-phänomenalen Bewusstsein der eigenen Wirksamkeit in der Welt entnehmen. So heißt es in der ‚Beilage VII‘ zu den Spinozabriefen: Wir besitzen aber, ungeachtet unserer Endlichkeit und Natursclaverey – oder scheinen wenigstens durch das Bewußtseyn unserer Selbstthätigkeit bei der Ausübung unseres Willens, ein Analogon des Übernatürlichen, das ist des nicht mechanisch wirkenden Wesens in uns zu besitzen. Und da wir nicht im Stande sind, überhaupt uns einen möglichen Anfang irgendeiner Veränderung, ausser einen solchen, welcher durch eine innere Entschließung oder Selbstbestimmung bewirkt wird, wirklich vorzustellen: so hat der bloße Instinct der Vernunft schon alle rohe Völker angetrieben, jede Veränderung, die sie entstehen sahen, als eine Handlung zu betrachten, und sie auf ein lebendiges, selbstthätiges Wesen zu beziehen.⁵⁵¹
Was Jacobi nun erstens jedoch nicht unternimmt, ist der Aufweis der internen Bezogenheit bereits dieser Elemente von Absichtlichkeit und Entscheidung in Form einer systematisierenden Theorie menschlichen Handelns. Dies stünde auch seinem Programm des ‚Dasein-enthüllens‘ entgegen, so wie es Kierkegaards Aufmerksam-machen auf des Lesers Verantwortung zum eigenen Urteilen entgegenstünde, sodass dies lediglich aus der (dann auch verkürzten⁵⁵²) Perspektive des philosophisch verfahrenden Pseudonyms Johannes Climacus als ein Mangel angesehen werden könnte. Sehr viel wichtiger ist dann folglich zweitens – und dies ist die eigentliche, sehr viel diffizilere und letztlich über diese pseudonyme Binnenperspektive hinausweisende Pointe dieses ersten Kritikpunkts an Jacobis Salto mortale –, dass ihm die wesentliche Unzulänglichkeit eines Verständnisses menschlichen Handelns, das allein dessen Elemente der Absichtlichkeit und der Entscheidung berücksichtigt, entgehe. Und dies hängt in bestimmter Weise mit Jacobis Verständnis des Salto mortale als Akt des Systemwiderspruchs zusam-
JWA 3, 101. JWA 1,1, 262. Insofern es sich dann nämlich um eine Verabsolutierung dieser lediglich ersten Instanz in der sehr viel komplexeren Anlage der Climacus-Schriften handelte, die die im Folgenden noch darzustellende, die rein philosophische perspektive aufhebende Perspektive der Mitteilungsdialektik außer Acht lässt.
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men. Denn als ein solcher ist Jacobis Sprung zwar ‚unvermeidlich‘⁵⁵³ – wie gesehen ist einem verabsolutierten Rationalismus mit seinen eigenen Mittel der Logik gerade nicht beizukommen; er ist zugleich aber einmalig: Ist besagtes ‚Übersetzen aus dem Verstandesgleise‘ einmal gelungen, bedarf es keiner Wiederholung. So kann Jacobi in einem späten Brief an J. Neeb auch entsprechend konstatieren, dass man jenseits aller Kritik „wieder fest und gesund auf die Füße zu stehen kommt.“⁵⁵⁴ Damit fehle Jacobi aber zugleich der Sinn für die entscheidenden negativen Momente menschlichen Existierens, die nicht nur eine genauere Analyse des die menschliche Existenz qualifizierenden Handlungsbegriffs motivieren, sondern näherhin die Ergänzung der Entscheidung durch die Wiederholung als zweites ‚Maß der Bewegung‘ erzwingen. Kurzum: Indem das Lessing-Gespräch in der Darlegung des Salto mortale als eines ausschließlich systemwidersprechenden Aktes kulminiere, lege Jacobi ‚den pathetischen Akzent auf die unrichtige Stelle‘. Um diese Pointe des erstens Kritikpunkts an Jacobis Salto mortale umfassend zu verstehen, ist es nun vonnöten, einen genauen Blick auf die Handlungstheorie zu werfen, die Climacus in der Nachschrift entwirft, mithin die Frage zu beantworten, inwiefern der Sprung für ihn anders als bei Jacobi eine unabdingbare Kategorie zum Verständnis sowohl alltäglichen Handelns als auch einer existenziell-ethischen Selbstverständigungspraxis darstellt. 3.2.2.4 Inneres und äußeres Handeln, Entscheidung und Wiederholung: Die Handlungstheorie der Nachschrift und die Pointe des ersten Kritikpunkts an Jacobis Salto mortale Gegen das rationalistische und jede systematische Ausgestaltung einer Wissenschaft bedingende Vorhaben der Letztbegründung betont Climacus die individuellem Handeln wesentliche Eigenschaft der Absichtlichkeit. Individuelles Handeln – dies will er damit sagen – lässt sich nicht erklären, indem es auf einen letzten und damit zureichenden Grund zurückgeführt wird. Es lässt sich – insbesondere für das handelnde Individuum selbst – nur verständlich machen, indem zuerst und in besonderer Weise auf den Prozess der Genese einer Absicht Acht gegeben wird, auf eine Orientierung des Handelnden auf individuelle Zwecke also, die vor dem Hintergrund einer Erklärung qua Letztbegründung als unwesentlich, im Falle Spinozas als Bestandteil bloßer Vorstellung, zu gelten hat. Bereits mit diesen ersten Gedanken nimmt Climacus – wie wohlgemerkt Jacobi zuvor – entscheidende Punkte in der Analyse der Grammatik menschlichen Vgl. JWA 1,1, 348. Briefwechsel II, 466.
3.2 Kierkegaard und Jacobi II
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Handelns vorweg, wie sie auch in zeitgenössischen Diskussionen philosophischer Handlungstheorie wiederzufinden sind.⁵⁵⁵ Hier wird erstens Absichtlichkeit als das spezifische Charakteristikum expliziert, durch das sich Handlungen von anderen beobachtbaren und beschreibbaren – wie Climacus sagt: ‚welthistorischen‘ – Ereignissen unterscheiden. Näherhin werden zweitens Absichten als erstpersönliche, d. h. im korrekten Gebrauch des Personalpronomens ‚ich‘ zu formulierende praktische Selbstzuschreibungen verstanden. Sie gelten entsprechend in wesentlicher Hinsicht als Redehandlungen und vollziehen sich innerhalb derjenigen Sphäre, die Climacus in der Nachschrift mit dem Ausdruck „Handeln der Innerlichkeit“ oder „Handeln im Innern“⁵⁵⁶ fasst. Die darauffolgende Umsetzung einer Absicht in die Tat bezeichnet Climacus mit dem komplementären Begriff des „Handeln[s] im Äußeren“⁵⁵⁷. Die Handlungstheorie der Nachschrift ist nun im Wesentlichen eine Explikation der Dialektik dieser beiden Sphären des inneren und des äußeren Handelns. Zunächst legt Climacus den Fokus auf die Sphäre des inneren Handelns, mithin auf den dort zu verortenden Prozess der Genese einer Absicht. Dieser Prozess beinhaltet nun genauer zweierlei: (1) rationale Deliberation im Sinne eines Abwägens von Gründen; (2) eine Entscheidung als Abbruch eines solchen Abwägungsprozesses und Fassen einer Absicht. (1) Zunächst zum Prozess rationaler Deliberation. Um diesen Aspekt zu verstehen, darf man sich nicht irreleiten lassen und eine zu starke Betonung darauf legen, dass sich Climacus gegen eine primäre Orientierung des Einzelnen auf die Wirkungen seines Handelns im Sinne von ‚welthistorisch‘ beobachtbaren und darin letztlich von Dritten zu beurteilenden Resultaten wendet. Zwar äußert sich Climacus durchaus wie folgt: Die wahre ethische Begeisterung wurzelt darin, mit äußerster Kraft zu wollen, aber zugleich erhoben in die Sphäre göttlichen Scherzes, niemals daran zu denken, ob man dadurch etwas ausrichtet oder nicht. Sobald der Wille danach zu schielen anfängt, beginnt das Individuum unsittlich zu werden: Die Energie des Willens erschlafft und sie entwickelt sich abnorm zu einem ungesunden, unethischen, lohnsüchtigen Streben, das, selbst wenn es das Große ausführt, es nicht ethisch ausführt⁵⁵⁸.
Mit einer solchen, durchaus doppelsinnigen Äußerung geht es Climacus einerseits darum, eine vorschnelle normative Aneignung überkommener Wert- und Sittlichkeitsvorstellungen und von dort aus auch die vorschnelle Begründung des
Zum Folgenden vgl. Quante 2020, 62– 74. SKS 7, 394 / AUN 2, 141. SKS 7, 393 / AUN 2, 140. SKS 7, 126 f. / AUN 1, 124.
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eigenen moralischen Urteilens sowohl über sich als auch über andere zu vermeiden. Zugleich geht es ihm anderseits darum, einem subjektivistischen Werterelativismus vorzubeugen, der analog zu einer vermeintlich zu beziehenden Perspektive ‚sub specie aeterni‘ die eigene Endlichkeit im Sinne der Einbettung in eine intersubjektive und soziale Umwelt künstlich außer Acht lässt, mithin nur einer ‚Sphäre göttlichen Scherzes‘ entstammen kann.⁵⁵⁹ Im Horizont der für ihn unabdingbar wichtigen erstpersonal-phänomenalen Perspektive auf die Voraussetzungen der eigenen Wirksamkeit in der Welt, die eine intersubjektiv-normative Perspektive auf diese eigene Wirksamkeit in gewisser Weise bedingt – dazu später mehr im Zusammenhang des Religiösen –, ist er sich durchaus über die gleichsam unabdingbar wichtige Rolle im Klaren, die dem Abwägen von Gründen, zu denen natürlich auch die Konsequenzen einer Handlung gehören, im Prozess der Genese einer Absicht zukommt. Dies wurde bereits durch den Seitenblick auf Kierkegaards erste Erbauliche Rede von 1843 deutlich, die zum Abschluss des vorangegangenen Kapitels zur Erläuterung des Phänomens der Reue herangezogen worden war: „Indem nun der Gedanke in das Kommende sich vertieft“, so hieß es dort, „fährt er in der Irre mit seinem rastlosen Streben, dem Rätselhaften eine Erklärung zu entwinden oder zu entlocken; spähend hastet er von einer Möglichkeit zur andern, doch vergeblich“⁵⁶⁰. Der bloß auf mögliche Wirkungen des eigenen Handelns gerichtete, „[d]urch den fortwährenden Umgang mit dem Welthistorischen verwöhnt,…einzig und allein das Bedeutungsvolle“ anvisierende Blick, so Climacus in der Nachschrift entsprechend, „macht…ungeeignet zum Handeln.“⁵⁶¹ Dies heißt nun aber gerade nicht, dass man sich im Prozess der Genese einer Absicht eines Abwägens von Gründen enthalten könne, geschweige denn sollte. Der entscheidende Punkt ist vielmehr, dass ein solch rationaler Deliberationsvorgang allein nicht dazu befähigt, eine konkrete Handlungsabsicht zu generieren, geschweige denn diese Absicht auch in die Tat umzusetzen. Wenngleich nicht hinreichend, ist er doch aber notwendige Voraussetzung des Handelns, da er dem Einzelnen überhaupt erst einen Inhalt vorgibt, zu dem er sich als Möglichkeit verhalten kann: „Die Wirklichkeit“ im Sinne der hier entscheidenden ethischen Wirklichkeit des Individuums, „ist nicht
Solche Nuancen in den Formulierungen nicht nur in den Climacus-Schriften übersieht etwa die (mittlerweile immerhin in der Kierkegaard-Forschung als überholt geltende) KierkegaardInterpretation Theodor W. Adornos (Adorno 1974), die Kierkegaard eine Konstruktion ästhetischer, der Sphäre des Sozialen sich entziehender Innerlichkeit unterstellt. Einen ähnlichen Vorwurf (von dem Adorno nicht unbeeinflusst gewesen sein dürfte) formuliert bereits Georg Lukács gegen Kierkegaard (vgl. Lukács 1962, 234). SKS 5, 19 / 2ER43, 385. SKS 7, 126 f. / AUN 1, 124.
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die äußere Handlung“, d. h. die Umsetzung einer Absicht in die Tat, die dann eine beobachtbare Wirkung zeitigt, aber auch nicht das Abwägen von Gründen im Sinne von etwas bloß „Gedachte[m]“, „sondern ein Inneres, in welchen das Individuum die Möglichkeit aufhebt und sich mit dem Gedachten identifiziert, um darin zu existieren. Das ist Handlung.“⁵⁶² (2) Mit diesem hier qua ‚Identifikation‘ angesprochenen „Grenzgebiet (Konfinium)“⁵⁶³ zwischen Gedachtem und Tat, das Climacus zufolge nun erstmalig als eigentliches Handeln prädiziert werden kann, kommt die Entscheidung ins Spiel. Sie ist erstens dasjenige Element inneren Handelns, das den potenziell unendlichen Prozess rationalen Abwägens von Gründen zum Stehen bringt und das Fassen einer konkreten Absicht als ‚Identifikation‘ mit dem Gedachten der Möglichkeit einer Wirkung meiner Handlung möglich macht. Damit bezeichnet auch eine solche Entscheidung das „Abbrechen des Zusammenhangs“⁵⁶⁴ rein rationaler Begründung, mithin einen Akt des Willens und einen Sprung.⁵⁶⁵ Sie ist aber mehr als nur systemkritischer Beschluss, insofern die Form der Begründung, die es hier zu ‚beschließen‘ gilt, nicht eine Form theoretisch-metaphysischer Letztbegründung menschlichen Handelns überhaupt darstellt – ich erinnere an Spinozas Vorhaben, menschliches Handeln ‚wie Linien, Flächen und Körper‘, mithin mathematisch-logisch zu erklären. Vielmehr haben wir es hier mit dem Versuch der Begründung im Sinne der Rechtfertigung einer konkreten Handlung zu tun, der in der Not unternommen wird, sich als Individuum angesichts der Herausforderung begegnender Wirklichkeit irgendwie verhalten zu müssen.⁵⁶⁶
SKS 7, 310 / AUN 2, 42. Dem korreliert Climacus’ Abwehr allein des in seinem Sinne abstrakten Denkens, nicht des Denkens überhaupt: „Was ist abstraktes Denken?“, fragt er und gibt zur Antwort: „Es ist das Denken, wo es keinen Denkenden gibt. Es sieht ab von allem anderen als dem Gedachten, und nur der Gedanke ist, in seinem eigenen Medium.“ Jedoch – und das ist wichtig zu beachten: „Die Existenz ist nicht gedankenlos; aber in der Existenz ist der Gedanke in einem fremden Medium.“ (SKS 7, 303 / AUN 2,35) SKS 7, 310 / AUN 2, 42. SKS 4, 282 / PB, 80. Vgl. C. Stephen Evans’ Überlegungen zu Kierkegaards Handlungstheorie, in denen er diese von mir bis zu diesem Punkt hervorgehobenen Aspekte auch im Kontrast sowohl zu Aristoteles als auch zu zeitgenössischen Entwürfen philosophischer Handlungstheorie, wie etwa von Donald Davidson, veranschaulicht (Evans 2006, 311– 326). Den unabweislichen Bezug zu Jacobi, den diese Handlungstheorie in ihrer ständigen Rücksicht auf die Frage, inwiefern wir es hier mit einer Form des Sprungs zu tun haben, die dessen Bedeutung als systemwidersprechender Akt übersteigt, bemerkt Evans jedoch an keiner Stelle, wie er auch in seinem Kommentar zu den Brocken die dort entscheidende Rolle von Jacobis Argument eines Unterschieds von Grund und Ursache nicht im Blick hat (vgl. Evans 1992). Mit der Betonung der Entscheidung als Sprung, d. h. als wesentlich diskontinuierliches Element innerhalb menschlicher Entscheidungsbildung nimmt Climacus auch speziellere Dis-
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Dieses dialektische Verhältnis von innerem und äußerem Handeln, in dem das äußere Handeln erst durch das innere Handeln der Entscheidung eine eigene Dignität gewinnt, zugleich aber immer schon in Form des Abwägens von Gründen für diese Entscheidung, d. h. auch in Form des Einbeziehens äußerer Konsequenzen, im inneren Handeln gegenwärtig ist, das innere Handeln mithin in keiner Weise reine Willkür bezeichnet, erläutert Climacus anhand eines Beispiels aus der Kirchengeschichte. Im Blick auf Luthers Weigerung, gegenüber Kaiser Karl V. seine Thesen zu widerrufen, schreibt Climacus: Das Äußere an Luthers Handlung ist, daß er auf dem Reichstag zu Worms auftrat; aber von dem Augenblick an, wo er mit der leidenschaftlichen Entscheidung seiner ganzen Subjektivität darin existierte, zu wollen; als jedes Möglichkeitsverhältnis zu dieser Handlung von ihm als Anfechtung betrachtet werden mußte: da hatte er gehandelt.⁵⁶⁷
Nun schildert dieses Beispiel, so betont Climacus selbst, „eine Handlung in ganz ausgesprochenem Sinne (sensu eminenti)“⁵⁶⁸. Luthers Entscheidung – so darf man ihn hier verstehen – hatte nicht nur weitreichende ‚welthistorische‘ Konsequenzen; er war vielmehr standhaft in seiner Entscheidung. Damit sind die Konsequenzen hier bereits mit im Spiel, insofern sie als mögliche Gründe für eine Revision dieser Entscheidung ausgeschlossen werden: ein durch solche Konsequenzen erneut bedingtes ‚Möglichkeitsverhältnis‘ zu seiner Entscheidung hieße ‚Anfechtung‘. Bemerkenswert ist nun aber das Folgende: Es geht Climacus nämlich darüber hinaus auch und mit Blick auf Handlungen in weniger ‚ausgesprochenem Sinne‘, d. h. im Blick auf das alltägliche Handeln eines jeden Einzelnen, sogar in nicht unerheblichem Maße um die Reflexion des äußeren Handelns nicht bloß in Form der Antizipation möglicher, sondern auch in Form der Auseinandersetzung mit wirklich eingetretenen Konsequenzen. Dies ist einer dieser Luther-Passage kommentierenden Fußnote zu entnehmen.⁵⁶⁹ Hier führt
kussionen philosophischer Handlungstheorie vorweg, die im Rahmen einer sogenannten Theorie rationaler Entscheidung (rational choice theory) diskutiert werden. So verfolgt in jüngerer Zeit etwa L. A. Paul einen m. E. ähnlichen Gedanken wie Climacus hier, wenn sie den Prozess rein rationaler Entscheidungsbildung als nicht nur quantitativ, sondern im Blick auf sogenannte ‚personally tranformative experiences‘ auch als qualitativ unzulänglich herausstellt (vgl. Paul 2014). SKS 7, 311 / AUN 2, 44. Ebd. Mit der Kommentierung dieser Luther-Passage durch eine Fußnote, in der es entgegen der herausragenden Qualität der Handlung Luthers um das eigentlich wichtige, alltägliche Handeln des sehr viel krisenanfälligeren ‚normalen‘ Menschen geht, wiederholt Johannes Climacus eine Verhältnisbestimmung im Kleinen, die ein anderer Johannes, nämlich Johannes de Silentio, in
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Climacus, wie schon in der ersten Erbaulichen Rede von 1843 und in den Brocken, die Luther vielleicht abgegangene – darüber ließe sich diskutieren –, einem jeden anderen aber sicher wohlbekannte Erfahrung der Reue an, um nun diesen Aspekt zu beleuchten: Überhaupt ist das Verhältnis der gedachten Handlung und der wirklichen (im innerlichen Sinne) daran kenntlich, daß in bezug auf die erstere jede weitere Überlegung und Erwägung als willkommen angesehen werden muß, während sie für die letztere als Anfechtung zu betrachten ist; und zeigt sie (die Erwägung) desungeachtet als so bedeutungsvoll, daß sie respektiert wird, so bedeutet das, daß ihr (der Handlung) Weg durch die Reue führt. Indem ich überlege, besteht die Kunst eben darin, jede Möglichkeit zu denken; in dem Augenblick wo ich gehandelt habe (im innerlichen Sinne) besteht die Wandlung darin, daß es nun meine Aufgabe ist, mich gegen weiteres Überlegen zu wehren, ausgenommen insoweit, als nicht die Reue etwas wieder umgetan fordert.⁵⁷⁰
Diese Überlegungen reichen nun aus, um zumindest in einer ersten Hinsicht zu verstehen, was es mit Climacus’ erstem Kritikpunkt an Jacobis Salto mortale auf sich hat und vor allem inwiefern Jacobi damit, wie Climacus beklagt, ‚den pathetischen Akzent auf die unrichtige Stelle legt‘. Bereits die Erfahrung der Not, sich angesichts einer begegnenden Wirklichkeit verhalten zu müssen, führt dazu, dass Climacus den phänomenalen Charakter des inneren Handelns, dessen Element der Entscheidung als eine Reaktion auf diese Not zu verstehen ist, als „Leiden“ kennzeichnet; darin liegt das Spezifikum des „existenzielle[n] Pathos“ als „Handlung“⁵⁷¹: „das Handeln der Innerlichkeit ist Leiden.“⁵⁷² Die mir begegnende Wirklichkeit als geschichtliche Wirklichkeit, nicht als eine Wirklichkeit, die qua Denken im Status reiner Möglichkeit verbleibt, fordert ein Verhalten, mithin eine Entscheidung. Der Mensch als selbst geschichtlich Existierender kann sich gegenüber dieser Herausforderung des größerem Maßstab in die grundsätzliche Strukturanlage seiner Schrift Furcht und Zittern (1843) integriert, wenn er insbesondere der Ausnahmegestalt des Abraham gegenüber den Gedanken ins Spiel bringt, dass der gesuchte „Glaubensritter“ ein womöglich ganz unscheinbarer Mensch ist: „Wüßte ich…, wo solch ein Glaubensritter lebte, so würde ich, so wie ich geh und steh, mich auf den Weg zu ihm machen….Wie gesagt, ich habe keinen solchen gefunden, immerhin kann ich ihn mir denken. Da ist er. Die Bekanntschaft wird gemacht, ich werde ihm vorgestellt. In dem Moment, wo ich ihn in Augenschein nehme, schüttle ich, in eben diesem Augenblick, ihn von mir ab, [NB:] tue selbst einen Sprung rückwärts, schlage die Hände zusammen und sage halblaut: ‚Herrgott! Das ist der Mensch, das ist er wirklich? Er sieht ja aus wie ein Rottmeister.‘“ (SKS 4, 133 / FZ, 37 f.) D. h. wie jemand, der in Dänemark zu Kierkegaards Lebzeiten – könnte es profaner sein? – die Steuern eintreibt. SKS 7, 311 / AUN 2, 44 f. SKS 7, 392 / AUN 2, 138. SKS 7, 394 / AUN 2, 141.
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Geschichtlichen nicht auf den Standpunkt reinen Denkens zurückziehen, der es zuließe, potenziell unendlich über alle möglichen Gründe für und wider ein bestimmtes Verhalten zu räsonieren. Bereits hier, mit Blick auf das innere Handeln, legt Jacobi den ‚pathetischen Akzent‘, den für Climacus bereits der Sprung als Entscheidung markiert, auf die falsche Stelle, wenn sein Verständnis des Sprungs in Bezogenheit von System und Systemkritik verbleibt und nicht als eines derjenigen Elemente erkannt wird, das das alltägliche Handeln des Einzelnen maßgeblich bestimmt. Aber auch in einer zweiten Hinsicht ist Handeln für Climacus ein existenziellpathetischer Vorgang. Diese Hinsicht hat sich über den Weg der verschiedenen Bezugnahmen auf das Phänomen der Reue bereits angedeutet und gipfelt nun in dem zweiten zentralen Element alltäglichen Handelns: der Wiederholung. Bereits in der Erläuterung der Reue im Seitenblick auf Kierkegaards erste Erbauliche Rede von 1843 kam als entscheidendes Moment die Zeitdimension des Zukünftigen in den Blick. Auch die Systemkritik der Nachschrift leitete auf das Zukünftige hin, insofern Climacus erstens an Spinozismus und Hegelianismus gleichermaßen die Frage richtete, ob nicht eine Perspektive ‚sub specie aeterni‘ bereits eines Beschlusses bedürfe, mithin eine Form die menschliche Freiheit in dem Maße zur Voraussetzung habe, wie es ihr Anliegen sei, diese Freiheit als bloße Vorstellung auszuweisen. Von dort aus kam er zweitens auf den Gedanken der Entscheidung zu sprechen: Die Entscheidung als Kennzeichen des Menschlichen entspringe, dies war der Punkt in der oben zitierten Passage, der Herausforderung durch das Zukünftige. „Aber das ist wirklich zu viel verlangt“, so heißt es dann an späterer Stelle in der Nachschrift, daß etwas, was zu erwarten ist, ganz sicher sein soll; denn das Futurische und das Präsentische haben gerade einen kleinen Augenblick zwischen sich, welcher macht, daß man das Futurische erwarten kann, der es aber unmöglich macht, in dem Gegenwärtigen (in praesenti) volle Sicherheit zu haben. Das präsentische Verhältnis zu einem Futurum ist eo ipso das der Unsicherheit und darum ganz richtig das der Erwartung. Unter spekulativem Gesichtspunkt gilt, daß ich das Ewige nach rückwärts hin erinnernd erreichen kann; es gilt, daß der Ewige sich direkt zum Ewigen verhält; aber ein Existierender kann sich nach vorn hin nur zum Ewigen als zu dem Futurischen verhalten.⁵⁷³
Mit dieser Passage knüpft Climacus nicht nur an die bereits erwähnten Aspekte an – an die Ungewissheit des Zukünftigen und die Vergeblichkeit des Versuchs, diesbezüglich vollumfängliche Gewissheit zu erlangen, es quasi ‚voraussagen‘ zu wollen, sowie an das Zukünftige als denjenigen Modus der Zeitlichkeit, der eine Entscheidung herausfordert. Er schlägt auch den Bogen bis zum unmittelbaren SKS 7, 385 f. / AUN 2, 131.
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Anfang der Brocken, genauer zu dem dort dem christlichen Wahrheitsmodell gegenübergestellten idealistischen Wahrheitsmodell, in dem Erkenntnis qua Anamnesis vorgestellt wird. Zugleich – und dies ist nun der entscheidende neue Aspekt, der in dieser vielfältigen Bezugskonstellation hinzukommt – weist dieser nunmehr doppelte Rekurs auf die idealistische Anamnesis-Lehre unmittelbar – zumindest für mit Kierkegaards Schriften vertraute Leser – auf das Element der Wiederholung hin. Denn dieses wurde bereits in der gleichnamigen Schrift Die Wiederholung, die Kierkegaard 1843 unter dem gleichsam sprechenden Pseudonym Constantin Constantius veröffentlichte, folgendermaßen zur Sprache gebracht: „Wiederholung ist ein entscheidender Ausdruck für das, was ‚Erinnerung‘ bei den Griechen gewesen ist. Gleich wie diese also gelehrt haben, daß alles Erkennen ein sich Erinnern sei, ebenso wird die neuere Philosophie lehren“ – und man darf getrost davon ausgehen, dass sich Kierkegaard hier via Constantin Constantius selbst adressiert –, „daß das ganze Leben eine Wiederholung ist.“⁵⁷⁴ So ist es nur konsequent, dass Kierkegaard Johannes Climacus die Wiederholung als zweites ‚Maß der Bewegung‘ menschlicher Existenz wiederaufnehmen lässt, das der Entscheidung zur Seite steht. Sie fungiert – analog zum Verhältnis der Entscheidung zum rationalistischen Anspruch auf Letztbegründung – als der Abgeschlossenheit entgegengesetzt, die ein jedes auf Letztbegründung fußendes System zum Kennzeichen hat. Handeln heißt mit Blick auf die hier entscheidende Zeitdimension des Zukünftigen, nicht nur erstens, dass der Einzelne zu einer Entscheidung gezwungen ist und sich nicht in ein potenziell unendliches Abwägen von Gründen zurückziehen kann; Handeln heißt auch zweitens, dass, wenn eine qua Entscheidung gefasste Absicht nun auch in die Tat umzusetzen ist, nicht nur die Gefahr des Scheiterns besteht, sondern es selbst im Fall des Gelingens dieser Umsetzung stets der Wiederholung des gesamten Prozess der Genese einer Absicht und der Umsetzung derselben in die Tat bedarf. Denn der Einzelne ist nie frei von der oben beschriebenen Not, sich einer begegnenden Wirklichkeit gegenüber verhalten zu müssen, mithin nie frei von der Verantwortung, sich zu entscheiden. Damit ist die Wiederholung dasjenige handlungstheoretische Element, das der charakteristischen Offenheit menschlicher Existenz Rechnung trägt, die mit der oben genannten wesentlichen, durch das Zukünftige bedingten Ungewissheit bereits angesprochen wurde. Das menschliche Dasein kommt in seiner existenziell-praktischen Dimension nie zum Stillstand, es befindet sich in einer Art beständigen Werdens, das Climacus bereits in den Brocken
SKS 4, 9 / W, 3.
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als dessen „besondere[s] geschichtliche[s] Werden“⁵⁷⁵ herausgestellt hat und das sich, wie es nun in der Nachschrift heißt, „dem Fertigsein entzieht.“⁵⁷⁶ Dieser Punkt ist noch einmal zu betonen: Mit der Not, sich gegenüber einer begegnenden Wirklichkeit verhalten zu müssen, ist zwar ganz wesentlich, aber nicht ausschließlich die Not zur Entscheidung gemeint; ebenso sehr gehört dazu, die qua Entscheidung gefasste Absicht auch in die Tat umsetzen zu müssen. Menschliches Handeln ist nicht nur als inneres Handeln auf das äußere Handeln angewiesen, insofern dieses als Ort zu antizipierender Konsequenzen in den Prozess des Abwägens von Gründen miteinbezogen ist. Mit der geforderten Umsetzung einer Absicht in die Tat ist das äußere Handeln in ganz eigener Dignität Bestandteil der umfassenden Grammatik menschlichen Handelns. Damit ist das äußere Handeln zugleich derjenige Ort, an dem vor allem die Möglichkeit des Scheiterns entsprechender Umsetzung zur Gefahr wird, da dies der Ort ist, mit dem sich der Einzelne in die konkrete Auseinandersetzung mit seiner dinglichen, vor allem aber mitmenschlich-sozialen Umwelt begibt. Nicht nur die Form menschlichen Existierens, seine genuine Zeitlichkeit, sondern auch die in diesem Sinne inhaltliche Fülle bedingt letztlich die so entscheidende Ungewissheit, vor deren Hintergrund das Leben des Einzelnen, wie Climacus häufig betont, nicht anders als ein Wagnis zu verstehen ist: „Wagen [at vove]“ – man beachte hier die Wahl des Tätigkeitswortes – „ist das Korrelat zur Ungewißheit“⁵⁷⁷; entsprechend ist menschliches Existieren nicht „Wissen und Schwätzen“, sondern die „Anstrengung des Handelns und des Wagnisses“⁵⁷⁸. Aber mehr noch: Nicht nur ist ein solches Scheitern eine mögliche Gefahr; in vielen, wenn nicht gar den meisten Fällen, ist es wesentliches Element der Wirklichkeit menschlicher Handlungs- und damit Lebenspraxis. Und das ist ein bei aller Betonung des inneren Handelns und der Entscheidung wohl zu beachtender Punkt. Denn erst die Erfahrung der Wirklichkeit meines Scheiterns in der Welt ermöglicht das, was Climacus – und mit ihm, wie gesehen, Kierkegaard insgesamt – mithilfe des Phänomens der Reue in den Blick zu nehmen versucht
SKS 4, 276 / PB, 73. SKS 7, 363 / AUN 2, 105. Trotz aller in diesem Kontext maßgeblichen Kritik an Jacobis Salto mortale, hat Climacus folglich auch weiterhin dasselbe im Auge, auf das auch Jacobi in seiner Kritik einer reinen Metaphysik der Immanenz zielt: „ein ‚endliches Dasein‘, das sich im Horizont des Werdens, des Entstehens, der Veränderung eigentlich als zeitlich verfaßtes Dasein darstellt und sich im Horizont des a nihilo nihil fit, wonach ‚das Werden ebenso wenig geworden sein oder angefangen haben kann als das Sein‘, so zugleich nicht mehr darstellen kann.“ (Sandkaulen 2000, 101) SKS 7, 386 / AUN 2, 131. SKS 7, 388 / AUN 2, 133.
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hat: dass die Reue „etwas wieder umgetan fordert.“⁵⁷⁹ Was hier aber ‚umgetan‘ werden soll, kann natürlich nicht die eingetretene, dann negative Konsequenz sein, die das Gefühl der Reue bedingt – ein solcher Gedanke wäre so fehlgeleitet, wie die Zukunft in allen ihren Konsequenzen voraussagen zu wollen. ‚Umtun‘ kann und muss das handelnde Individuum nur sich selbst. Damit ist dann aber auch die für Climacus entscheidende ethische Aufgabe benannt, die nun vor allem auch deshalb eine wesentlich pathetische ist, da sie aufs Engste zusammenhängt mit der über die Not der Entscheidung hinausgehenden Erfahrung des Leidens am eigenen Scheitern in der Welt. Insbesondere hierin kommt dann erst das Interesse des Menschen an seiner eigenen Person zum Ausdruck, das in jeder rationalisierenden und darin drittpersonalen Perspektive auf das eigene Leben künstlich verläugnet werden müsste: „Ethisch ist das höchste Pathos das der Interessiertheit (welche dadurch ausgedrückt wird, daß ich meine ganze Existenz entsprechend dem Gegenstand des Interesse handelnd umbilde)“⁵⁸⁰. Das ethische Existieren als sich selbst handelnd umbilden bezeichnet folglich nicht so sehr die bloße Entscheidung als solche, sondern den stets zu wiederholenden Gesamtprozess des inneren Handelns, des Abwägens von Gründen und des Fassens einer konkreten Absicht qua Entscheidung, der dann nicht nur deshalb zu wiederholen ist, weil es stets neu begegnende Herausforderungen innerhalb der Sphäre geschichtlicher Wirklichkeit als solcher gibt. Vielmehr ist gerade das individuelle Scheitern gegenüber diesen Herausforderungen, die dann eine Form der Wiederholung als Reflexionsprozess auf das eigene Selbstsein bedingt: auf die Zwecke, die ich mir als freiheitlich handelndes Individuum setzte und verfolge, vor allem aber darauf, was eine entsprechende Zwecksetzung mir über mich selbst und meine Persönlichkeit sagt. So kommt nicht so sehr über das Element der Entscheidung als vielmehr über dasjenige der Wiederholung eine erste, neben der bisher vorrangig phänomenalen Perspektive auf das eigene Handeln dezidiert normative Perspektive hinzu: Die von Climacus ins Zentrum seiner ethischen Untersuchung gestellten „Lebensaufgabe: zu leben“ wird im Sinne einer solchen Selbstverständigungs- und Selbstumbildungspraxis dann gerade verfehlt, wenn man „sich nie selbst wiederholt“ und „die Vertiefung der Wiederholung in den eigenen
SKS 7, 311 / AUN 2, 45. Vgl. hier nun die dazu gegebene Anmerkung des Übersetzers der Nachschrift in Kierkegaards Gesammelten Werken, Hans Martin Junghans: „umgetan: dän. gjort om (gjort gesperrt gedruckt, um eben das Tun hervorzuheben); das deutsche ummachen bedeutet ja auch: etwas umarbeiten, verändern; in den dänischen Schulen gebraucht man das Verbum im Unterricht im Sinne von etwas noch einmal, anders und besser machen.“ (AUN 2, 357 [Anm. 161]) SKS 7, 356 / AUN 2, 96.
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Gedanken verachtet“⁵⁸¹. Und so ist dann auch vorrangig die Wiederholung als „die der Individualität eigene Wiederholung“, als „die Wiederholung sensu eminentiori…das tiefste Interesse der Freiheit“⁵⁸². Damit kommt dann aber auch eine weitere Sinndimension des Sprungs in dem Blick: Nicht mehr ist der Sprung nur als ein wesentliches Moment inneren Handelns zu verstehen, als rein rationaler Deliberation entgegengesetzte Entscheidung. Vor dem Hintergrund eines innerhalb der Sphäre äußeren Handelns erlebten Scheiterns und der sich daraus ergebenden Ergänzungsbedürftigkeit der Entscheidung durch die Wiederholung bezeichnet der Sprung für Climacus nun vor allem einen Akt des Perspektivwechsels auf die eigene Existenz in letztlich sowohl individueller als auch zwischenmenschlicher⁵⁸³ Hinsicht. Über den Weg
SKS 7, 152 / AUN 1, 154. Pap. IV B 111; 270. Auf diese Bedeutung der Wiederholung für Kierkegaards Freiheitsverständnis hat vor allem Dorothea Glöckner hingewiesen (vgl. Glöckner 1998, 12– 48; hier insbes. 16). Die prägnanteste Formulierung des hier von mir hervorgehobenen Gedankens einer Verschränkung von Freiheit und Selbstsein legt Kierkegaard nicht Johannes Climacus, sondern dem Gerichtsrat Wilhelm, dem pseudonymen Verfasser des zweiten Teils von Entweder – Oder, in den Mund: „[W]as ist denn dies, mein Selbst?“, fragt Wilhelm und gibt zur Antwort: „[E]s ist das Abstrakteste von allem, welches doch in sich zugleich das Konkreteste von allem ist – es ist die Freiheit.“ (SKS 3, 205 / EO 2, 227 f.) Die Auffassung Wilhelms, dass es dem Einzelnen aus eigener Kraft und qua willentlicher Aneignung eines bürgerlichen Pflichtenkanons, vorrangig in den Bereichen von Ehe und Beruf, möglich ist, dieses eigene Selbstsein zu realisieren, mithin aus eigener Kraft ein umfassend gelingendes Leben zu führen, stellt Climacus zumindest in Frage, indem er die christliche Verheißung einer ewigen Seligkeit als für ihn zumindest mögliche Antwort auf die Frage nach einer gelingenden Lebensführung diskutiert. Der sich von der anderen, nämlich dezidiert christlich-religiösen Seite dieser Frage widmende Anti-Climacus kann mit sehr viel stärker Emphase und nicht mehr nur ‚hypothetisch‘ die Überzeugung von der Angewiesenheit des Menschen auf einen ihm transzendenten Gott, der eine ewige Seligkeit verheißt, an den Anfang seiner Analysen der Verfallsformen menschlichen Selbstseins setzen: „Ein…abgeleitetes, gesetztes Verhältnis ist des Menschen Selbst“, so lautet eine oft zitierte Passage aus Die Krankheit zum Tode, „ein Verhältnis, das sich zu sich selbst verhält, und, indem es sich zu sich selbst verhält, zu einem Anderen sich verhält. …Folgendes ist nämlich die Formel, welche den Zustand des Selbst beschreibt, wenn die Verzweiflung ganz und gar ausgetilgt ist: indem es sich zu sich selbst verhält, und indem es es selbst sein will, gründet sich das Selbst durchsichtig in der Macht, welche es gesetzt hat.“ (SKS 11, 129 f. / KT, 9 f.) Dass dieser, in Kierkegaards Denken mitunter immer noch unterschätzte Aspekt der Zwischen- und dann vor allem auch Mitmenschlichkeit bereits in der Nachschrift angelegt ist, sei hier bereits durch folgendes Zitat angezeigt, das auch die bereits in einem oben zitierten JournalEintrag zu Spinoza aufgeworfene Unterscheidung von Wissenschaft und Ethik erneut und in ähnlichem Wortlaut reproduziert: „Das Ethische ist und bleibt die höchste Aufgabe, die jedem Menschen gesetzt ist. Man darf auch von einem, der die Wissenschaft pflegt, verlangen, daß er sich selbst ethisch verstanden habe, ehe er sich seinem Fache widmet; daß er während aller seiner Arbeit fortfährt, ethisch sich selbst zu verstehen, weil das Ethische das ewige Atemholen und,
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eines qua Wiederholung neu gewonnenen Verständnisses des Sprungs versteht Climacus dann auch menschliches Handeln nicht etwa nur oder vorrangig als den Prozess des voraussetzungslosen und darin freiheitlichen Anfangens einer Kausalreihe.⁵⁸⁴ Vielmehr verlagert er diesen Gedanken von freiheitlichem Handeln als ‚einen Anfang-machen‘ in die Innerlichkeit des Individuums hinein, das einen immer neuen Anfang mit sich selbst macht bzw. machen muss, und erst in der Reflexion auf die eigene Unfreiheit, im Bewusstsein der Krisenanfälligkeit des eigenen Selbst und des Problemcharakters der eigenen Persönlichkeit, eigentliche Freiheit gewinnen kann.⁵⁸⁵ Ein so verstandener Sprung als Perspektivwechsel auf die eigene Existenz gipfelt für Climacus als „Sprung[] vom Nicht-Glaubenden zum Glaubenden“⁵⁸⁶ in einer letztlich christlich-religiösen Perspektive. Denn auf die Bedeutsamkeit einer solchen „subjektive[n] Reflexion“, bei der es „darum [geht], sich gerade existierend in die Subjektivität zu vertiefen“⁵⁸⁷, weist für Climacus gerade das christliche Heilsversprechen einer ewigen Seligkeit hin – dies kann er nun, nach der Darle-
mitten in der Einsamkeit, die versöhnende Zusammengehörigkeit mit jedem Menschen ist“ (SKS 7, 141 / AUN 1, 141 f.).Während sich die Nachschrift, wie sich im Folgenden weiter zeigen wird, auch in der Bestimmung der christlichen Religiosität auf eine Formalbestimmung konzentrieren wird, die für den Nicht-Christen Climacus stets nur eine Möglichkeit des Existierens bleibt, ist es dann Kierkegaard selbst, der in eigenem Namen und im Anschluss an die Climacus-Schriften mit Der Liebe Tun (1847) vor allem auch die mit der Auseinandersetzung der mitmenschlich-sozialen Umwelt ins Spiel kommende inhaltliche Fülle des Glaubens, mithin den Glauben als Verwirklichung einer Existenzmöglichkeit, in den Blick nimmt. Dazu später mehr. Vermittelt durch die Erfahrung des Leidens verstehe Climacus, so bringt auch Dorothea Glöckner diesen Gedanken auf den Punkt, „das Handeln nicht mehr als einen Prozeß, der vom Individuum voraussetzungslos begonnen werden kann. Um etwas verändern zu können, sei es nun die Welt oder die eigene Existenz, muß zuvor dieses Zu-Verändernde eine Angriffsstelle bieten, eine Bruchstelle haben, von der aus die Veränderung ansetzen kann.“ (Glöckner 1998, 69) Hierin kommt bei Climacus dasjenige Charakteristische an Kierkegaards Denken zum Vorschein, für das Michael Theunissen den Ausdruck eines ‚dialektischen Negativismus‘ geprägt hat und der im Wesentlichen besagt, dass erstens Lebenspraxis nur im Modus ihres Scheitern gelingen sowie zweitens – dies ist laut Theunissen dann näherhin Kierkegaards ‚negativistische Methode‘ in der Darstellung,vor allem in Die Krankheit zum Tode – dieser praktische Umstand nur in der theoretischen Analyse der (vor allem auch eigenen) Formen der Selbsttäuschung, d. h. der eigenen Verzweiflung, durchschaut werden kann (vgl. insbes. Theunissen 1991). Umso verwunderlicher ist allerdings, dass Theunissen, der ja einen gleichsam hellen Blick auf Jacobis Bedeutung für die gesamte Epoche der klassischen deutschen Philosophie hatte – man denke an seinen Ausspruch von Jacobi als die ‚graue Eminenz hinter dem deutschen Idealismus‘ (vgl. Theunissen 1996, 115) – dessen Relevanz für den ‚nachidealistischen‘ Kierkegaard, wie sie hier vor allem in den Climacus-Schriften zum Ausdruck kommt, nicht erkannt hat. SKS 7, 21 / AUN 1, 10. SKS 7, 176 / AUN 1, 182.
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gung seiner handlungstheoretischen Überlegungen, die qua Scheitern und Wiederholung ihre Pointe in der Charakterisierung der Existenz als Wagnis finden, ausführlich herausstellen: [D]ie ewige Seligkeit, als das absolute Gut, [hat] die Merkwürdigkeit, daß es sich einzig und allein durch die Weise, wie es erworben wird, definieren läßt, während andere Güter, eben weil die Art ihres Erwerbs zufällig oder doch relativ dialektisch ist, durch das Gut selbst definiert werden müssen. Geld z. B. kann sowohl erarbeitet als auch ohne Arbeit erworben werden, und beidemal wieder auf mannigfach verschiedene Weise, aber Geld bleibt doch dasselbe Gut. Auch Wissen z. B. ist auf verschiedene Weise zu erwerben, je nach Talent und äußeren Umständen; es läßt sich daher nicht durch die Art des Erwerbs definieren. Von der ewigen Seligkeit aber läßt sich nichts anderes sagen, als daß sie das Gut ist, das dadurch erlangt wird, daß man absolut alles wagt. …Und darum ist die Rede von diesem Gut so kurz; denn da ist nichts weiter zu sagen als: wage alles! Da sind keine Anekdoten zu erzählen, wie Peter durch Arbeiten reich geworden sei und Paul durch Lotteriespielen und Hans durch Erbschaft und Matthias durch Geldveränderung und Christoph durch Kauf eines Möbels bei einem Altwarenhändler usw. Aber in einem anderen Sinne ist die Rede so lang, ja die längste von allen Reden, weil alles zu wagen eine Durchsichtigkeit des Bewußtseins (seiner selbst) erfordert, die nur sehr langsam erworben wird.⁵⁸⁸
Damit ist nun zuletzt auch klar, dass es letztinstanzlich richtig ist, sich mit Climacus’ Diktum, das er gegen Jacobis Salto mortale vorbringt, beim Sprung handle es sich um den ‚Übergang vom Ewigen zum Historischen‘, auf den christlichen Glauben an die historische Offenbarung Gottes verwiesen zu finden⁵⁸⁹ – dazu im folgenden Kapitel mehr. Der ‚Übergang vom Ewigen zum Historischen‘ bezeichnet zunächst aber ganz allgemein eine Grundstruktur ethischer Selbstverständigungspraxis, die der christlichen Existenz nicht genuin eigen ist, sondern vielmehr ihre Strukturbedingung darstellt, gleichwie sie die Strukturbedingung darstellt der noch näher zu erörternden nicht-christlichen ‚Religiosität A‘. Gemeint ist das Folgende: Der Sprung als Perspektivwechsel auf die eigene Existenz, die Climacus beschreibt (und Kierkegaard mit dieser Beschreibung beim Leser der Climacus-Schriften zu evozieren beabsichtigt), ist zunächst einmal ein ‚Übergang vom Historischen zum Ewigen‘, indem er erstens strukturlogisch eine Reflexion auf das eigene historische, im Sinne der Brocken zeitliche und kontingente Handeln bezeichnet, die sich der dem eindirektionalen und darin unmittelbaren Handlungsvollzug entzieht, und zweitens diesem Handeln (nicht erst im Blick auf das christliche Heilsversprechen, sondern bereits im Blick auf die Aufgabe ethischer Selbstverständigung als solcher) sachlich eine qualitativ andere, nicht mehr nur relative, sondern absolute Bedeutung beimisst bezüglich der Frage nach der SKS 7, 388 f. / AUN 2, 134. So Sandkaulen 2000, 143. Vgl. auch Rasmussen 2009, 38.
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Möglichkeit gelingenden Lebens. Wenn dieses Handeln aber in diesem Sinne absolute Bedeutung gewinnt, dann folgt daraus, dass es zugleich immer wieder auch der umgekehrten Bewegung bedarf: es bedarf des ‚Übergangs vom Ewigen zum Historischen‘, d. h. des nach der Reflexion auf das eigene Handeln immer wieder neuen Hinauswagens in dieses Handeln selbst – und dies sogar in entscheidendem Maße, so lässt sich folgern; denn warum sonst ist es gerade diese Bewegung aus der Innerlichkeit hinaus in das äußerlich Historische, der Welt und vor allem der Menschen, die Climacus hier Jacobi gegenüber andeutet und die Kierkegaard letztlich sogar betont? Bevor dem näher nachgegangen werden kann, gilt es zuerst danach zu fragen, inwiefern dieser nun verständlich gemachte erste Kritikpunkt an Jacobis Salto mortale in all seinen Implikationen, d. h. vor allem hinsichtlich der impliziten Kritik, Jacobi verfüge über keinen Sinn für die Krisenanfälligkeit des Subjekts und seiner personalen Selbstkonstitution, gerechtfertigt ist. Dazu bedarf es eines Exkurses zu Jacobis Roman Woldemar. 3.2.2.5 Exkurs: Negativität und Krise in Jacobis Woldemar (1796) Trifft dieser implizite Vorwurf, der sich bisher allein aus dem ersten Kritikpunkt an Jacobis Salto mortale ergeben hat, überhaupt? Dass Jacobi lediglich den freiheitlichen Akt des Systemwiderspruchs in dezidierter Weise als Sprung versteht, ist richtig. Ebenso verfügt er nicht eigens über den Begriff der Wiederholung als explizit handlungstheoretisches Element. Dass daraus jedoch folgt, dass er keinen Sinn hat für die von Climacus über die Begriffe des Scheiterns und Leidens ins Auge gefassten negativen Aspekte alltäglichen Handelns und die damit einhergehende Krisenanfälligkeit des Subjekts und seiner personalen Selbstkonstitution ist zu bezweifeln. Insbesondere dann, wenn man auf Jacobis Roman Woldemar (1796⁵⁹⁰) schaut. Dass Kierkegaard diesen Roman Jacobis nicht nur als Bestandteil seiner Jacobi-Werkausgabe besessen, sondern auch gelesen hat, davon zeugt das dem Woldemar entnommene und bereits in den rezeptionshistorischen Vorbemerkungen angeführte Motto des ersten Teils von Entweder – Oder. Dass Kierkegaard neben den philosophischen Schriften Jacobis auch dessen literarische Werke, mithin auch den Woldemar, als literarische Werke geschätzt hat, dies lässt sich nur vermuten. Dafür spricht allerdings der Umstand, dass Kierkegaard Johannes
Dieser Roman erscheint erstmalig 1779 vollständig unter dem Titel Woldemar. Eine Seltenheit aus der Naturgeschichte; 1794 wird zunächst eine ergänzende Beilage veröffentlicht, bevor dann 1796 der Woldemar selbst in einer zweiten und verbesserten Auflage publiziert wird. Auf diese, da letztgültige Auflage von 1796 werde ich mich im Folgenden ausschließlich beziehen.
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Climacus seine Wertschätzung Jacobis nicht nur im Zusammenhang seiner philosophischen Erörterungen zum Ausdruck bringen lässt, sondern, wenngleich in einer nur kurzen Bemerkung, auch auf dessen Lyrizität zu sprechen kommt: In seiner „Beredsamkeit“, die Climacus durchaus ambivalent betrachtet – dazu ausführlicher mit Blick auf den zweiten Kritikpunkt an Jacobis Salto mortale –, stehe Jacobi doch letztlich nicht nur „an Kernhaftigkeit und Inhalt“, sondern auch an „lyrischem Wallen und Sieden bisweilen im Range mit Shakespeare“⁵⁹¹. Über eine solche Stilfrage hinaus ist es sicher nicht verfehlt, auch der Sache nach davon auszugehen, dass Jacobis literarisches und darin zugleich philosophisches Programm, das er mit seinem schriftstellerischen Gesamtwerk verfolgt, nicht nur die Zustimmung Climacus’, sondern auch und sehr viel umfänglicher die Zustimmung Kierkegaards erfahren haben dürfte: Seiner Programmformel vom ‚Dasein enthüllen‘ gemäß geht es ihm darum – so betont Jacobi erstmalig in der ‚Vorrede‘ zu seinem ersten Roman Allwill (1792) und wiederholt im Woldemar gleichwie im ‚Vorbericht‘ zur dritten Auflage der Spinozabriefe (1819) –, „Menschheit wie sie ist, erklärlich oder unerklärlich, auf das gewissenhafteste vor Augen [zu] stellen“⁵⁹². Gleichwie Kierkegaards Anliegen der vielfältigen Veranschaulichung menschlicher Lebensentwürfe sich in der konkreten Form der Verwendung verschiedenster Pseudonyme und der Darstellung von Charakteren niederschlägt, bedingt auch Jacobis Programm „die Methode des Vortrags“, die der Sache folglich nicht äußerlich, sondern ihr genuin zugehört: „[I]ch ging“, so schreibt Jacobi rückblickend auf sein Werk, „darstellend zu Werke, konnte nicht anders, wollte nicht anders.“⁵⁹³ SKS 7, 99 / AUN 1, 94. Und Shakespeare, dies ist unzweifelhaft, steht bei Kierkegaard in höchstem Ansehen als „der Dichter aller Dichter“ (SKS 11, 154 / KT, 35), „großer Shakespeare“ (SKS 4, 154 / FZ, 66), „unsterblicher Shakespeare“ (SKS 6, 206 / SLW, 232). JWA 6,1, 89; JWA 1,1, 348; vgl. JWA 7,1, 207. JWA 1,1, 351 f. Der im Blick auf Jacobis Romane zu konstatierende (nahezu) blinde Fleck Kierkegaards ist gerade auch in Bezug auf die Climacus-Schriften so verwunderlich, da insbesondere auch die Nachschrift gar nicht so sehr eine theoretische Abhandlung darstellt – wenngleich sie, entgegen anderer Schriften Kierkegaards, durchaus diesen Eindruck erwecken kann und auch soll.Vielmehr bringt sie ihrerseits – darauf macht Edward F. Mooney aufmerksam – eine Art des Dramas zur Aufführung, „the drama of realizing personality“: „[W]e can watch personality become realized in the text as it models aspects of what human life can be. Various characters or figures – Socrates, the subjective thinker, the assistant professor, the declaiming parson“ – und man muss ergänzen: nicht zuletzt Johannes Climacus selbst – „personify moral themes.“ Dem entspricht dann auch ganz das nicht auf Erklärung, sondern auf Verstehen und, von dort aus, letztlich auf Bildung und Erbauung des Lesers abzielende Anliegen Kierkegaards: die Nachschrift – so nochmal Mooney – „allows us to resonate with ideas in the way we resonate with figures on stage.“ (Mooney 2008, 39) Vgl. dazu noch einmal die bereits einleitend angeführte These Robert C. Roberts’: „that Kierkegaard does not have a theory in the sense ethics professors
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Während der Allwill, Jacobis erster Roman, im Kern jedoch dem Anspruch des allgemein Gültigen nachhänge und als letztlich philosophische Abstraktion „mit Dichtung blos umgeben“ sei, gehe es im Woldemar, wie Jacobi betont, ganz und gar um das Konkrete individueller Existenz, um „die Darstellung einer Begebenheit“⁵⁹⁴. Und mit dieser Begebenheit ist nun in der Tat – und ganz im Climacus’schen Sinne – das Konkrete einer existenziellen Krise personalen Selbstseins angesprochen, deren Strukturbedingungen im Handeln die Nachschrift ausführlich freilegt.⁵⁹⁵ So ist es der Protagonist Woldemar, der, wie Jacobi zum Ende des
are supposed to, and what he is doing in his writings is better thought of as a conceptual exploration, within a given moral tradition (Christianity), that expresses, seeks, and seeks to engender wisdom.“ (Roberts 2008, 73) Über diesen Weg einer Reflexion auf die Darstellungsform von Philosophie ist dann zuletzt aber nicht erst von Kierkegaard, sondern in bestimmter Weise schon von Jacobi her eine Traditionslinie existenziell-ethischen Denkens in der Moderne zu ziehen, die wenn nicht bis zu Stanley Cavell, so doch mindestens bis zum späten Wittgenstein führt, der m. E. nicht nur immerzu auch ein wesentlich ethisches Programm verfolgt, sondern auch die hier angesprochene Darstellungsform einer Dramaturgie individueller Charaktere in den Mikrodialogen seiner Philosophischen Untersuchungen in bis dahin nicht gekannter Weise verdichtet. Eine umfassende Studie zu dieser Traditionslinie steht insgesamt noch aus. Das Verhältnis JacobiWittgenstein nimmt erstmalig und bisher einzig Gottfried Gabriel (Gabriel 2004) in den Blick. JWA 7,1, 207. Wie sehr dies mit Kierkegaards Anliegen übereinstimmt, dem einzelnen Leser die Verantwortung des eigenen Urteilens und damit zugleich die nicht zu delegierende Aufgabe der eigenen Lebensführung zu Bewusstsein zu bringen, wird noch einmal deutlich, wenn man sich folgende Einsicht vergegenwärtigt, die Wilhelm von Humboldt bereits in der Rezension zur ersten Auflage des Woldemar artikuliert: Wenn die „wichtigsten“, d. h. vor allem auch moralischen „Ueberzeugungen…auf unmittelbarer Anschauung [beruhen]“, kann es nur darum gehen, „daß ich den andern in eben jene Lage versetze, in der ich selbst einer solchen Anschauung teilhaftig, mir einer solchen Thatsache bewußt wurde“ – nicht um im anderen eine ebensolche Überzeugung zu wecken, sondern um ihn zum Urteil überhaupt erst zu befähigen; so gelte insbesondere für den Woldemar, „daß man weniger über Menschheit räsonniren hört, als Personen, deren jede wenigstens in Einer Hinsicht ein Repräsentant der Menschheit heißen kann, in interessanten Situationen selbst tätig erblickt.“ (JBW I,10, 374 f.) Ich werde Jacobi im Folgenden also darin ernstnehmen, dass ich davon absehe, die im Woldemar geschilderte ‚Begebenheit‘ der Krise von den theoretisch-philosophischen Einlassungen dieses Romans, allem voran zu Aristoteles, her zu verstehen. Indem ich den Woldemar also nicht ‚als mit Dichtung bloß umgeben‘, sondern dezidiert als philosophischen Roman zu lesen versuche, werde ich mich am tatsächlichen Inhalt, sogar mehr noch: am Plot der Schilderung orientieren und verfolge nicht die Absicht einer vom Inhalt zum großen Teil abstrahierenden Theoretisierung und ideengeschichtlichen Einordnung des Geschilderten, wie sie Jürgen Stolzenberg (Stolzenberg 2004) im Blick auf sowohl aristotelisch-tugendethische als auch kantischpflichtethische Elemente, aber auch Christoph Halbig (Halbig 2021) gegen die Überlegungen Stolzenbergs in stärkerer Betonung platonistisch-perfektionalistischer Elemente im Woldemar unternommen hat. Dass ich neben den Überlegungen Birgit Sandkaulens zum Woldemar
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erstens Teils des Romans andeutet, „an sich selbst Dinge erfahren“ muss, „die er keinem Seher geglaubt hätte, und wodurch er…auf einem langsamen äusserst schmerzhaften Wege erst zu einer tieferen Selbsterkenntniß“⁵⁹⁶ gelangt. Und nicht nur Henriette, die als Gegenüber Woldemars sowohl an der Lösung, zunächst aber vor allem an der Verschärfung der Krise dieses „in sich Gescheuchten“⁵⁹⁷ beteiligt ist, bestätigt dieses Thema des Romans, indem sie das Streben menschlichen Existierens mit der Formulierung folgender Fragen auf den Punkt bringt: „Wie entgehen wir also der Vergänglichkeit in unserm Thun und Dichten? Wie retten wir unser Selbst; wie das Selbst derer, womit wir Ein Herz, Eine Seele auszumachen streben?“⁵⁹⁸ Auch Woldemar erkennt dies am Ende als das Wesentliche auch seines ganz persönlichen Strebens an: „Dies war mein Zustand: Ich suchte mich selbst“⁵⁹⁹. Um nun zu zeigen, inwiefern sich in der Entfaltung dieses Themas einer Krise personalen Selbtseins sehr wohl ein Bewusstsein für die negativen Aspekte menschlichen Handelns zum Ausdruck bringt, das Climacus Jacobi implizit abspricht, ist es nötig, sich auf zwei Aspekte dieser Krise zu konzentrieren, die auch im Blick auf die Nachschrift als wesentlich herausgestellt wurden: (1) Auch die Krise Woldemars ist keine Krise eines sich der sozialen Interaktion ent- und in die eigene Innerlichkeit zurückziehenden Subjekts, sondern vollzieht sich insbesondere in ihrer Genese, aber auch in ihrer Auflösung in der Auseinandersetzung mit der zwischenmenschlich-sozialen Umwelt, ist mithin Ausdruck einer komplexen Dialektik von Innerlichkeit und Äußerlichkeit als Kennzeichen menschlichen Handelns: „Alle lebendigen Wesen“ – in diesen Worten, die Jacobi der Figur des Dorenburg in den Mund legt, kommt dies beispielhaft zum Ausdruck – „ergötzen sich an dem Gefühl des ihnen beywohnenden Guten, und dem Menschen ist das Daseyn dadurch angenehm, daß er fühlt, was gut ist: Wir sind aber nur durch die Aeusserungen unserer Thätigkeit – durch Handeln und Bewußtseyn.“⁶⁰⁰ (2) Daraus folgt, dass die Krise Woldemars zweitens gleichermaßen zu einem vertieften Selbstverhältnis als Reflexionsverhältnis führt, das sich entsprechend dieser Dialektik nicht nur im Bewusstsein, sondern auch in der wechselseitigen Artikulation der Revisionsbedürftigkeit sowohl des eigenen Selbstverständnisses als auch des daraus resultierenden Verhältnisses zum je-
(Sandkaulen 2019a, 119 – 134) nichtsdestotrotz zur perfektionistischen Lesart Christoph Halbigs tendiere, wird zum Ende dieses Exkurses deutlich werden. JWA 7,1, 323. JWA 7,1, 224. JWA 7,1, 413. JWA 7,1, 458. JWA 7,1, 444.
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weiligen Gegenüber gründet – eine Artikulation, die auch bei Jacobi erst und zumindest im Woldemar auch ausschließlich im Modus der Reue möglich ist. (1) Dass die Krise personalen Selbstseins und der mit ihr und durch sie thematisierte Prozess menschlicher Selbstverständigungspraxis überhaupt in wesentlichem Maße als ein Prozess der Auseinandersetzung des individuellen Subjekts mit der zwischenmenschlich-sozialen Umwelt zu verstehen ist, in die dieses Subjekt eingebettet ist, wird bereits in der Exposition des Protagonisten Woldemar deutlich, die Jacobi ganz zu Beginn seines Romans vornimmt. Woldemar wird hier gleich zu Anfang als ein in dreifacher Hinsicht widersprüchlicher Charakter präsentiert:⁶⁰¹ (a) Zunächst begegnet Woldemar als „unschuldig“ und „gut“⁶⁰², innerlich jedoch oszillierend zwischen unmittelbarer Affektion und reflektiertem Nachdenken; eine aus dieser Unruhe resultierende „innere[] Schwermuth“ erscheint als sein wesentlicher Charakterzug und ist gleichsam Grund einer gewissen Sorge seines älteren Bruders Biderthal: Durch eine sonderbare Vereinigung von Ungestüm und Stille, von Trotz und Nachgiebigkeit hatte sich der jüngere Bruder schon in seiner Kindheit ausgezeichnet. Heftig ergriff sein Herz alles, wovon es berührt wurde, und sog es in sich mit langen Zügen. Sobald sich Gedanken in ihm bilden konnten, wurde jede Empfindung in ihm Gedanke, und jeder Gedanke wieder Empfindung.⁶⁰³
Da es Jacobi am Ende, wie sich noch zeigen wird, gerade nicht darum geht, diese Widersprüchlichkeiten aufzulösen, entspricht der Charakter des Woldemar bereits zu Beginn des Romans sehr viel weniger dem Ideal einer ‚schönen Seele‘, wie es etwa Schiller entwirft, wenn er schreibt: „Eine schöne Seele nennt man es, wenn sich das sittliche Gefühl aller Empfindungen des Menschen endlich bis zu dem Grad versichert hat, daß es dem Affekt die Leitung des Willens ohne Scheu überlassen darf, und nie Gefahr läuft, mit den Entscheidungen desselben im Widerspruch zu stehen“ (Schiller 1962, 287, meine Hervorh.), als vielmehr dem in ‚transzendentaler Obdachlosigkeit‘ unaufhebbar beschädigten Subjekt der Moderne, dem es nurmehr darum gehen kann, sich in ein Verhältnis zu dieser seiner Beschädigung zu setzen (vgl. dazu v. a. und immer noch Lukács 91984). JWA 7,1, 217. JWA 7,1, 216. Es ist auffällig, dass bereits dieser Aspekt, der noch am ehesten als ein Aspekt ‚reiner‘ Innerlichkeit angesehen werden könnte, dem Leser durch eine dritte Figur, den Bruder Biderthal, mitgeteilt wird. Dies kann als ein Hinweis darauf gelesen werden, dass die gesamte Sphäre inneren Handelns nicht erst bei Kierkegaard – darauf komme ich noch zu sprechen –, sondern zumindest implizit auch bei Jacobi mit dem Problem ihrer Kommunizierbarkeit zusammen zu denken ist, oder anders formuliert: alles, auch inneres Handeln bereits kommunikatives Handeln ist, das sich nicht nur der Frage nach Verstehbarkeit aussetzen muss, sondern genuin daraufhin angelegt ist.
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3 Hauptteil: Die existenzielle Ethik der Climacus-Schriften
(b) Sodann wird Woldemar eine weitergehende Widersprüchlichkeit bescheinigt, diesmal ein Missverhältnis einer so beschriebenen Innerlichkeit zu seinem nun äußerlichen Verhalten. Dies wird besonders deutlich in Henriettes erster Reaktion auf Woldemar, dessen vordergründige Eitelkeit und Oberflächlichkeit in so grundsätzlichem Gegensatz zu dem tiefen, zugleich empfindsamen und reflektierten Charakter steht, den Biderthal geschildert hat: „Woher“, fragt Henriette, dies Äusserliche eines abgeglätteten Weltmannes, alle diese zur größten Fertigkeit gediehenen Künste des Scheins, die man nicht ohne anhaltenden Fleiß, mühsame Aufmerksamkeit, vielen Zeitverlust, lange Anstrengung und Uebung erwirbt; zumal wenn man nicht von Kindheit an dazu gewöhnt, darinn erzogen wurde – woher dies alles an dem Hasser des Nichtigen, an dem Hochgesinnten? Wie konnte er in kleinen Dingen so groß werden? – Ist sein Herz getheilt? – Welche Theilung wäre dies? Es schauderte Henriette bey diesem Gedanken.⁶⁰⁴
(c) Woldemar ist aber nicht nur in sich selbst und hinsichtlich des Verhältnisses seiner Innerlichkeit zu seinem äußerlichen Verhalten widersprüchlich; auch dieses äußerliche Verhalten ist für sich genommen alles andere als eindeutig. Woldemar schwankt vielmehr in der Art, wie er Menschen begegnet, enttäuscht Erwartungen und ist auch hier getrieben von einem Hin- und Her aus Empfindung und Reflexion; der ‚in sich Gescheuchte‘ ist nicht nur sich selbst, sondern zugleich auch „unter den Menschen wie ein Fremdling“⁶⁰⁵. Entsprechend schnell wandelt sich auch sein öffentliches Ansehen unter den Leuten: In seinen öffentlichen Verhältnissen zeichnete sich Woldemar mit vieler Würde aus. Seine Geschicklichkeit, sein Fleiß, seine Rechtschaffenheit, der Nachdruck womit er zu reden und zu handeln wußte, seine gute Art sich in schwierigen Fällen zu benehmen, verschafften ihm bald ein überwiegendes unbestrittenes Ansehen. Das Einnehmende seines Wesens vermehrte den Eindruck und machte ihn allgemeiner; man bewarb sich mit Eifersucht um seine nähere Bekanntschaft, um seinen Umgang. Aber von dieser Seite waren alle Versuche, alle Künste an ihm vergeblich, und dies stimmte bald die gute Meynung, die man sich von ihm gemacht hatte, sehr herab. Man fand nun, daß er im Grunde von einer verdrießlichen Gemüthsart, abgeschmackt hochmüthig, ungenießbar, ohne wahre Lebensart – ein Grillenfänger sey.⁶⁰⁶
Nun ist es diese Sphäre des Äußerlichen, aus der heraus der Anstoß erfolgt, der Woldemar in die Krise stürzt. Dazu zunächst ein genauerer Blick auf die sich bis dahin entwickelte Beziehung Woldemars zu Henriette: Wenngleich schon ganz zu
JWA 7,1, 224 f. JWA 7,1, 363. JWA 7,1, 227.
3.2 Kierkegaard und Jacobi II
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Beginn und fast bis zum Ende Biderthal eine Heirat zwischen Woldemar und Henriette bewirken will, ist für diese beiden schnell klar, dass ihr Verhältnis dasjenige der Freundschaft ist. Dies beinhaltet jedoch weitaus mehr Konfliktpotential als auf den ersten Blick erscheinen mag. Denn nicht nur sperrt sich Woldemar hier dem Vorhaben seines Bruders; mit der Debatte über Liebes- und Freundschaftsverhältnisse wird zugleich auch die Frage nach dem grundsätzlichen Verhältnis von Freund- und Geschwisterschaft ganz neu gestellt:⁶⁰⁷ Während Biderthal bei Gelegenheit äußert: „es ist doch keine rechte Freundschaft, als nur unter zwey solchen Brüdern!“⁶⁰⁸ – und damit sich selbst und Woldemar im Auge hat –, ist es für Woldemar gerade umgekehrt die Freundin Henriette, die ihm als solche erst zum eigentlichen Bruder, zu „Bruder Heinrich“⁶⁰⁹, wird.⁶¹⁰ Nichtdestotrotz wird diese fixe Idee Biderthals von einer Heirat Woldemars und Henriettes virulent; und es ist vor allem Hornich, Henriettes Vater, der durch diesen Gedanken beunruhigt wird. Denn wenngleich wankelmütig in seinem Urteil über Woldemar, setzt sich ihm, als Verkörperung einer merkantilen Ratio und Verfechter „alle[r] Tugenden der Kargheit“⁶¹¹, der Eindruck fest,Woldemar sei „ein Mensch von durch und durch verkehrtem Sinn, ohne Gesetz und Gott, ein wahrer Freygeist…. Dabei hitzig, ausschweifend, unbesonnen … Kurz“, so seine drastischen Worte an Henriette, „ich weiß kein Unglück, das du nicht mit ihm zu befahren hättest; du wärest verloren für diese Welt, und wahrscheinlich auch für jene.“⁶¹² Und so ringt der sterbende Vater der mitfühlenden Tochter letztlich das Versprechen ab, Woldemar unter keinen Umständen zu heiraten – obwohl dies, wie gesagt, nie ernstlich zur Debatte stand. Über Umwege und aus zweiter Hand erfährt Woldemar von diesem Versprechen gegen ihn und gerät dadurch nicht nur in einen Zweifel über die Freundschaft mit Henriette, sondern, damit gleichbedeutend, auch in einen Zweifel über
Es erscheint mir lohnenswert darüber nachzudenken, inwiefern Jacobis Woldemar über diesen Gedanken nicht nur anschlussfähig an aktuelle Diskussion um die Frage nach dem Verhältnis von Individuum und Geschlecht (vgl. dazu JWA 7,1, 361: „Henriette war mir eben so wenig Mädchen als Mann; sie war mir Henriette.“), sondern auch anschlussfähig an weiterführende Diskussionen ist, die sich der Frage nach Recht auf und Relevanz von so etwas wie einer ‚family of choice‘ widmen, verstanden als „commitment of chosen, rather than fixed, relationships and ties of intimacy, care and support“ (Ribbens McCarthy/Edwards 2011, 56). JWA 7,1, 217. JWA 7,1, 325. Die Zentralstellung des Freundschaftsthemas im Woldemar hat erstmalig und mit Bezug auf das Freundschaftsverständnis Derridas Birgit Sandkaulen (Sandkaulen 2019a, 119 – 134) herausgestellt. JWA 7,1, 212. JWA 7,1, 343.
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3 Hauptteil: Die existenzielle Ethik der Climacus-Schriften
sich selbst. Die Frage nach der Möglichkeit gelingender Selbstkonstitution stellt sich ihm erneut und in dramatischerer Weise als zuvor. Inwiefern sich damit auch aus Jacobis Sicht ein Reflexionsprozess auf das eigene Selbst einstellt, der strukturell durchaus demjenigen Perspektivwechsel auf die eigene Existenz entspricht, der zuletzt als eine Bedeutungsvariante des Sprungs bei Climacus in den Blick kam, ohne zugleich in der von diesem anvisierte christlich-religiöse Perspektive zu gipfeln – dazu gleich mehr. Hier ist noch der letzte Hinweis darauf zu geben, dass sich nicht nur die bisher beschriebene Genese, sondern auch die Auflösung der Krise, in die Woldemar gerät, in der Auseinandersetzung mit seiner zwischenmenschlich-sozialen Umwelt vollzieht. Hier sind es erneut vorrangig Biderthal und Henriette – der ‚Freundesbruder‘ und die ‚Bruderfreundin‘ – die Woldemar zu der Revision seines Freundschafts-, aber auch seines Geschwisterverständnisses, und damit letztlich vor allem seines Selbstverständnisses führen, ihm, wie Jacobi es an einer Stelle Henriette in den Mund legt, „mit Gewalt Licht über sich selbst…verschaffen.“⁶¹³ Wie dies geschieht, ist nunmehr als ein struktureller Punkt herauszustellen. (2) Nicht nur die Genese dieser Krise Woldemars vollzieht sich innerhalb einer komplexen Dialektik von Innerlichkeit und Äußerlichkeit, von subjektivem Empfinden und reflexiver Auseinandersetzung mit Empfindungen und Erwartungen anderer. Insbesondere auch die Auflösung dieser Krise und das aus ihr resultierende Bewusstsein der Revisionsbedürftigkeit sowohl des eigenen Selbstverständnisses als auch des Verhältnisses zu anderen ist kein reiner Prozess der Kontemplation Woldemars auf das zuvor Geschehene, sondern ist erneut und in entscheidendem Maße bedingt durch äußerliche Faktoren. Denn Woldemars Zweifel an der Freundschaft und die Zerrüttung seines Bildes von Henriette zieht noch lange nicht die Zerrüttung des eigenen Selbstbildes nach sich. Indem er erkennen muss: „Henriette ist mir ein Anderer; Henriette ist wider mich“⁶¹⁴, erkennt er einzig, dass „auch sie nicht [ist] – was ich schon lange zu suchen aufgegeben hatte; – was ich endlich – gefunden zu haben meinte: – nicht die Eine, die Meine.“⁶¹⁵ Woldemars „alte[r] Traum“ von Freundschaft bleibt als Ideal von Einheit intakt, in der die vermeidliche Unvollkommenheit der Individualität aufgehoben wird, die alle an ihm selbst erfahrene Widersprüchlichkeit zu bedingen scheint; er verhärtet sich zunächst sogar in dieser Vorstellung, dass „zwey Menschen…Eins werden und bleiben könnten“⁶¹⁶.
JWA 7,1, 410. JWA 7,1, 385. JWA 7,1, 393. JWA 7,1, 355 f.
3.2 Kierkegaard und Jacobi II
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Wenngleich weiterhin unaufgelöst, spricht aus dieser Idealvorstellung von Freundschaft als Einheit bereits das existenzielle Bedürfnis nach dem anderen. Dieses Bedürfnis ist als ein Bedürfnis nach Einheit und Aufhebung von Individualität jedoch missverstanden. Dass das über den anderen zu konstituierende Selbstverhältnis nur dann gelingen kann, wenn der andere als anderer, d. h. als Person, als Mensch „mit Nahmen“⁶¹⁷, nicht nur erkannt, sondern auch anerkannt wird, wird Woldemar erst in der erneuten Konfrontation mit Henriette klar. Denn auch Henriette hat in der umgekehrten Konfrontation mit Woldemar und seinem sich ihr gegenüber verändertem Verhalten eine Entwicklung durchlaufen. Und um welche Entwicklung es sich hier genau handelt, ist von entscheidender Bedeutung. Ist Henriette sich anfangs unsicher, woraus Woldemars zunehmende Distanz ihr gegenüber resultiert, so ist ihr nach der Entdeckung, dass Woldemar von ihrem Versprechen gegen eine Heirat mit ihm erfahren hat, klar, dass allein dies der Grund für sein verändertes Verhalten sein kann. Im Anschluss an diese Entdeckung strebt sie nun aber nicht sogleich die Aufklärung der Sache im Gespräch, gar die Rechtfertigung ihres Handelns vor Woldemar an. Vielmehr durchlebt Henriette – und damit als erster Charakter noch vor Woldemar – die Revision des eigenen Selbstverständnisses – und zwar in genau der Weise, wie sie nicht nur Climacus, sondern Kierkegaard in vielen seiner Schriften herausstellt: sie empfindet Reue. Das anfängliche Unverständnis der Sachlage – „Warum wollte er sie aus seinem Herzen verstoßen?…Oh Gott! rief sie aus: ich bin ja unschuldig!“⁶¹⁸ – wandelt sich in Verständnis im Moment des Eingeständnisses der eigenen Schuld: „sie selbst hatte gefehlt“⁶¹⁹. Erst damit ist die Möglichkeit der Auflösung nicht nur ihrer eigenen Sorge, sondern auch der Krise Woldemars gegeben: „[W]ie leicht“, so kann Henriette erst im existenziellen Modus der Reue sprechen, „wird mir nun mein Geschäft, da ich Verzeihung zu suchen, ein Bekenntniß abzulegen habe; da ich die größte Schuld auf mich legen darf.“⁶²⁰ Mit Blick auf den von Jacobi angedeuteten ‚langsamen äußerst schmerzhaften Weg‘, der Woldemar ‚erst zu einer tieferen Selbsterkenntnis‘ führt, ist dieser Punkt entschieden zu betonen: Erst durch Henriettes Kommunikation der Einsicht in die Revisionsbedürftigkeit des eigenen Selbst, die zugleich bereits wesentlicher Ausdruck und Bestandteil dieses Revisionsprozesses ist, gelingt es auch Woldemar eine neue, distanziertere Perspektive auf sein eigenes Selbst einzunehmen
JWA 3, 51. JWA 7,1, 401. JWA 7,1, 407. JWA 7,1, 411.
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3 Hauptteil: Die existenzielle Ethik der Climacus-Schriften
und damit zu allererst auch die Geltung seines Ideals von Freundschaft in Frage zu stellen: „Bey den Worten Bekenntniß, Verzeihung, Hoffnung verwandelte sich Woldemars ganze Gestalt, als hätten so viele Zauberschläge ihn berührt“⁶²¹, und er kann nun Henriette gegenüber die Einsicht artikulieren: „[D]ie Ursache meiner Erbitterung war nicht in Dir, sie war allein in mir selbst.“⁶²² Aber auch dies ist nicht Jacobis letztes Wort, insofern die neu gewonnene Einsicht in die jeweils eigene Schuld nicht missverstanden werden darf als das über die gegenseitige Versöhnung vermittelte Resultat einer Versöhnung Woldemars mit sich; nur kurz dauern „Heiterkeit“, „Zuversicht“ und „innere Ruhe“⁶²³ an, die Henriette neu an Woldemar wahrnimmt. Denn zuletzt bittet auch Biderthal Woldemar um Verzeihung seines ständigen Drängens auf die Heirat mit Henriette, das die äußeren Umstände von Woldemars Krise ja überhaupt erst bereitet hat. Daraufhin erkennt Woldemar, dass auch die ihm zuvor nur verworren gegenwärtige Vorstellung einer durch die Versöhnung mit Henriette gegebenen Restitution seines ursprünglich ‚unschuldigen‘ und ‚guten‘ Selbst letztlich nicht weniger eine Selbsttäuschung war als das Festhalten am Ideal von Freundschaft als Einheit: Ja, es war eine Lüge was ich Biderthalen schrieb –: Henriette hätte gesiegt. Ich habe gesiegt; nicht Henriette. – – Sie sprach von einem Bekenntnisse das sie ablegen, von Verzeihung, die sie bey mir suchen wollte: Da frohlockte mein Hochmuth, legte sich meine Wuth. Darum allein hatte ich ja gewüthet, daß meinem Eigenwillen, meiner Selbstsucht dies Opfer gebracht würde …⁶²⁴
Erst hier ergibt sich die eigentliche Möglichkeit der Auflösung der Krise und damit die Möglichkeit einer gelingenden Selbstkonstitution Woldemars: in der doppelten Konfrontation mit der Reue und dem Schuldeingeständnis – sowohl Henriettes als auch Biderthals. Der andere als personales Gegenüber ist kein einzelner, einziger anderer, an dem weiterhin alles hinge – wenn auch nicht mehr im Modus der Identifikation. Es ist vielmehr eine Vielzahl von Personen im Spiel, denen allen als je einzelnes Gegenüber eine unabdingbare Rolle im Selbstverständigungsprozess des Subjekts zukommt – neben der Rolle der beiden hier angesprochenen Charaktere von Henriette und Biderthal wäre an anderer Stelle vor allem auch nach der Rolle von Allwina, Woldemars Ehefrau, zu fragen. Entscheidend ist hier, dass sich sowohl das Freundschaftsverhältnis von Woldemar und Henriette als auch das Geschwisterverhältnis von Woldemar und Biderthal
JWA 7,1, 454. JWA 7,1, 475. JWA 7,1, 459. JWA 7,1, 462 f.
3.2 Kierkegaard und Jacobi II
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erst im Modus der Reue und im wechselseitigen Eingeständnis von Schuld als ein sehr viel realistischeres und damit auch robusteres Verhältnis der „Nähe in Distanz“⁶²⁵ restituiert. Damit hat Jacobi nicht nur kompositorisch die zu Beginn des Romans aufgespannte Konstellation eines Spannungsverhältnisses von Freundund Geschwisterschaft umfassend eingeholt. Auch in thematischer Hinsicht ist erst von diesem Ende her eine gelingende Konstitution eines Selbst zu denken möglich, das als ein robustes Selbst die eigene Krisenanfällig nicht verleugnet, sondern eine neue Standfestigkeit angesichts weiterhin zu erwartender Krisen gewinnt.⁶²⁶ Eine solche Möglichkeit gelingender Selbstkonstitution bedeutet zugleich aber auch – und dies ist der letzte entscheidende Gedanke innerhalb dieses Exkurses zum Woldemar – die Möglichkeit moralischer Vervollkommnung: Mit der Möglichkeit des Selbstseins ist zugleich die Möglichkeit des Selbstwerdens – und d. h. die Möglichkeit eines ‚besseren Selbst‘ gegeben, auf das Jacobi in seinem Roman vielfach zu sprechen kommt⁶²⁷, am ausdrücklichsten in dem zum Ende ausgesprochenen Wunsch Woldemars: „Ich war nicht gut, Henriette! – Ich will es werden“⁶²⁸. Beides, Selbstsein und Selbstwerden – dies ist die Pointe des Wol-
Diesen Ausdruck verdanke ich den Überlegungen Birgit Sandkaulens zum Woldemar, die eine solche „Nähe in Distanz“ als das maßgebliche Modell zum Verständnis des Freundschaftsverhältnisses zwischen Woldemar und Henriette herausarbeitet (vgl. Sandkaulen 2019a, insbes. 132). Ich verstehe den hier vorgestellten Ansatz zur Interpretation des Woldemars als eine Fortsetzung dieses m. E. entscheidenden Gedankens. Versteht man den Woldemar in dieser von mir im Anschluss an die Interpretation Birgit Sandkaulens vorgeschlagene Weise, dann muss Werner Euler entschieden widersprochen werden, der in seiner jüngst veröffentlichten, ausladenden, der Kritik Friedrich Schlegels jedoch nichts Wesentliches hinzufügenden Auseinandersetzung mit dem Woldemar konstatiert, dass dieser Roman Jacobis „sowohl inhaltlich unvollkommen [ist] als auch der Darstellung nach keine Einheit von Inhalt und Form erreicht: ‚Die Erzählung endigt[‘]“, so zitiert Euler dann Schlegel, „[‚]mit einer unaufgelösten Dissonanz. Woldemars Inneres und Äußeres ist unheilbar zerrüttet‘.“ (Euler 2021, 156) Entgegen einem solchen Urteil erlaubt es m. E. insbesondere der Blick von Kierkegaard her, diese ‚unaufgelöste Dissonanz‘ in beschriebener Weise als eine in freiheitlicher Verantwortung für die eigene Existenz affirmierte und angeeignete Dissonanz des eigenen Selbst zu verstehen. Darin liegt dann nicht nur der Rückbezug zur anfänglich noch gänzlich unmittelbaren und unreflektierten Widersprüchlichkeit im Charakter Woldemars, der den Roman in formaler Hinsicht sehr wohl zu einem geschlossenen Ganzen macht, sondern insbesondere auch – darauf habe ich bereits hingewiesen – das inhaltliche Kennzeichen der Modernität dieses Romans. Vgl. JWA 7,1, 222; 235; 269. JWA 7,1, 464. Damit scheint mir (in grundsätzlicher Übereinstimmung mit der bereits angeführten, gegen eine sowohl aristotelisch-tugendethische als auch eine kantisch-pflichtethische Lesart neu ansetzenden Interpretation Christoph Halbigs) dem Woldemar eine Variante des Perfektionismus zu unterliegen, die nicht nur in bestimmter Weise bis zu Platon zurück-, sondern
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3 Hauptteil: Die existenzielle Ethik der Climacus-Schriften
demar und Jacobis Botschaft an den Leser – ist erstens ein- und dasselbe; zweitens aber kann beides nur in der Auseinandersetzung, im Austausch, im Dialog mit einer Vielzahl anderer gelingen, die mir als Personen und Mitmenschen begegnen. Der Woldemar bringt zu Darstellung, was es in lebenspraktischer Hinsicht heißt, dass, wie Jacobi bereits in der ersten Auflage der Spinozabriefe formuliert: „ohne Du,…das Ich unmöglich [ist].“⁶²⁹
3.2.3 Sprung und Sprungkritik II: Die Mitteilungstheorie der Nachschrift Wenngleich es also stimmt, dass Jacobi sowohl lediglich den Akt des Systemwiderspruchs als Sprung versteht als auch nicht eigens über die Kategorie der Wiederholung als handlungstheoretisches Element verfügt, zeigt sich im Woldemar, dass Jacobi sehr wohl das von Climacus über dieses Element der Wiederholung adressierte Problem der Negativität innerhalb menschlicher Lebenspraxis und näherhin der Krisenanfälligkeit personalen Selbstseins im Blick hat. Mehr noch bringt dieser Roman nicht nur eine entsprechende Krise, sondern auch die Möglichkeit ihrer Auflösung auf eine Weise zur Darstellung, die der von Climacus in der Nachschrift vorgenommen handlungstheoretischen Strukturbestimmung sowohl einer solchen Krise als auch der Möglichkeit ihrer Auflösung entspricht: Die Krise personalen Selbstseins ergibt sich aus einer komplexen Dialektik von Innerlichkeit des kritischen Subjekts und Äußerlichkeit der mitmenschlich-sozialem Umwelt, in die es eingebettet ist; die Möglichkeit der Auflösung der Krise ist erst und ausschließlich im Modus der Reue gegeben, die wiederum aus einer entsprechenden Konfrontation mit einer Vielzahl von Personen resultiert und
vor allem auch bis zu Stanley Cavell weiterverfolgt und insbesondere mit dessen Überlegungen zum Filmgenre der sogenannten ‚Wiederverheiratungskomödie‘ (‚comedy of remarriage‘) in ein fruchtbares Gespräch gebracht (und dann anders, als Halbig behauptet, als eine durchaus konsistente Version des Perfektionismus bezeichnet) werden kann. Denn Cavells Ansatz eines ‚moralischen Perfektionismus‘ (‚moral perfectionism‘), wie er ihn aus den Analysen ebendieser Komödien, aber auch klassisch-literarischer Texte wie etwa Ibsens Nora, destilliert, ist durch exakt diejenigen zwei Leitmotive bestimmt, die nun über Kierkegaard vor allem in Jacobis Woldemar augenfällig geworden sind: „Das erste Motiv besagt“, so heißt es in Cavells Cities of Words, „dass das – in sich selbst befangene, zu sich selbst strebende – menschliche Selbst stets im Werden ist, quasi auf einer Reise, und sich stets mit einem Fuss schon in einem weiteren Stadium befindet. … Das zweite Leitmotiv besagt, dass der andere, demgegenüber ich Worte verwenden kann, in denen ich mich selbst auszudrücken gelernt habe, der Freund ist – eine Figur, die als Ziel der Reise vorkommen kann, aber auch als Anlass und Begleitung.“ (Cavell 2010, 56 f.) JWA 1,1, 116.
3.2 Kierkegaard und Jacobi II
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nicht nur das Bewusstsein der Schuld, sondern auch dessen Artikulation diesen Personen gegenüber bedingt. Damit ist nun aber nicht nur das Phänomen der Reue in seiner Komplexität sehr viel konziser zur Darstellung gebracht worden, als es mithilfe der bisher angeführten und zumeist nur verstreuten Bemerkungen, die Kierkegaards Werk dazu beinhaltet, möglich ist.⁶³⁰ Zudem bringt Jacobi über den Gedanken einer notwendigen Artikulation des eigenen Schuldbewusstseins einen Aspekt ins Spiel, der von Climacus noch gar nicht dem ersten, sondern erst dem zweiten Kritikpunkt an Jacobis Salto mortale zuzugehören scheint, namentlich den Aspekt der Kommunikation existenzieller Innerlichkeit. 3.2.3.1 Sprung als ‚Akt der Isolation‘: Climacus’ zweiter Kritikpunkt an Jacobis Salto mortale Der nun wichtige Aspekt der Kommunikation existenzieller Innerlichkeit kommt bei Climacus nun mit seinem zweiten Kritikpunkt an Jacobis Salto mortale ins Spiel: Jacobi sei sich nicht nur „nicht klar darüber, wo der Sprung hingehört“ – dazu ist nun ausreichend viel gesagt worden. Er sei sich darüber hinaus „dialektisch auch nicht klar über den Sprung“, was sich zunächst einmal darauf bezieht, dass der Sprung, wie ihn Climacus nun versteht, „sich nämlich nicht direkt dozieren oder mitteilen läßt“⁶³¹. Auf den ersten Blick ist entsprechend auch hier zu konstatieren, dass Climacus Jacobi zu Unrecht kritisiert, indem er etwas einklagt, das Jacobi zwar erneut nicht mit seiner Sprungfigur in Verbindung bringt, aber nichtsdestotrotz sehr wohl im Auge hat, wenn es doch ohne Zweifel als ein entscheidendes Element im Woldemar auszumachen ist. Gleichwohl lässt sich gerade auch mit Blick auf den Woldemar, genauer auf dessen Darstellungsform des Romans, dafür argumentieren, dass der hier geäußerte Kritikpunkt in einer nicht unwesentlichen Hinsicht trifft. Eine solche Argumentation, die für die hier vorderhand methodologisch-
Anders verhielte es sich mit Blick auf die umfänglichste Behandlung dieses Themenkomplexes von Reue und Schuld, die Kierkegaard in der ‚Leidensgeschichte‘ des Pseudonyms Quidam vorlegt. Diese, von einem wiederum anderen Pseudonym, Frater Taciturnus, unter der Überschrift ‚„Schuldig?“ – „Nicht Schuldig?“‘ wiedergegeben, macht mehr als die Hälfte von Stadien auf des Lebens Weg aus und ist hier deshalb auch aus ökonomischen, in der Hauptsache aber methodischen Gründen unberücksichtigt geblieben: wie einleitend bemerkt, beschränke ich mich in der vorliegenden Untersuchung im Wesentlichen auf die existenzielle Ethik der Climacus-Schriften. Zur komplexen Anlage und der Bedeutung von ‚„Schuldig?“ – „Nicht Schuldig?“‘ innerhalb der Stadien sowie des umfassenden Sachbereichs des Ethisch-Religiösen bei Kierkegaard, zu dem auch die hier fokussierte existenzielle Ethik der Climacus-Schriften gehört, vgl. Davenport 2000. SKS 7, 98 / AUN 1, 93.
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3 Hauptteil: Die existenzielle Ethik der Climacus-Schriften
mitteilungstheoretisch intendierte Kritik spricht, wird sich dann jedoch als lediglich äußerliche Kritik erweisen, da sie den mit diesem zweiten Kritikpunkt des Weiteren intendierten sachlichen, auf das Christlich-Religiöse abzielenden Aspekt voraussetzt: Der von Climacus wesentlich als Perspektivwechsel auf die eigene Existenz verstandene Sprung ist nämlich deshalb nicht mitzuteilen, „weil er der Akt der Isolation ist und für das, was sich gerade nicht denken läßt, es dem einzelnen anheimstellt, ob er sich kraft des Absurden entschließen will, es gläubig anzunehmen.“⁶³² So ist sich Jacobi letztlich vor allem deshalb ‚dialektisch nicht klar über den Sprung‘, weil die so adressierte Dialektik der Mitteilung aufs Engste verknüpft ist mit Climacus’ Auffassung von der paradox-dialektischen Religiosität als bestmögliche Form ethischer Selbstverständigungspraxis und Jacobi diese Auffassung – darum wird es im letzten Hauptkapitel dieser Arbeit gehen – nicht teilt. Bevor ich aber dazu komme, gilt es zunächst, den methodologisch-mitteilungstheoretischen Aspekt des zweiten Kritikpunktes an Jacobis Salto mortale zu untersuchen. Zunächst ist noch einmal zu betonen, dass sich Climacus und Jacobi erstens einig sind, insofern es beiden in ihren umfangreichen schriftstellerischen Bemühungen stets und im Wesentlichen um die freiheitliche Lebenspraxis des je Einzelnen geht. Dies ist für Jacobi nun auch mit Blick auf den Woldemar zu konstatieren. Zweitens stimmen sie darin überein – und dies ist keineswegs ein Zufall, sondern resultiert, wie gesehen, aus Climacus’ dezidierter Jacobi-Rezeption –, dass diese von beiden ins Zentrum ihrer Bemühungen gestellte Lebenspraxis sich einem rein rationalen, dem Satz des zureichenden Grundes verpflichteten Zugriff genuin entzieht und durch ein philosophisch-wissenschaftliches System uneinholbar bleibt. Für Jacobi folgt daraus die Unzulänglichkeit einer entsprechend wissenschaftlich-theoretischen Darstellungsform, weshalb es des Ausgriffs auf die erzählende Form des Romans – und nicht etwa auf den bloß fragmentarisch verbleibenden Aphorismus – bedarf, um der Fülle des Konkreten und der Einzigartigkeit des Lebens gerecht zu werden, die für die Person, die dieses Leben führt, stets in Form einer, nämlich ihrer Lebensgeschichte begegnet.⁶³³ Climacus geht nun jedoch einen entscheidenden Schritt weiter als Jacobi, indem für ihn die dem rein rationalen Zugriff unverfügbare Lebenspraxis nicht nur einer anderen
Ebd. Während Climacus in dieser Hinsicht nur implizit mit Jacobi übereinstimmt, nimmt Kierkegaard an anderer Stelle, nämlich über sein Pseudonym William Afham in Stadien auf des Lebens Weg, auch in diesem Zusammenhang explizit Bezug auf Jacobi und betont so ein weiteres Mal und in sachlich anderer Akzentuierung seine Wertschätzung für Jacobi. Dies habe ich an anderer Stelle versucht herauszustellen (vgl. Feldmeier 2019).
3.2 Kierkegaard und Jacobi II
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Darstellungsform bedarf, sondern sich ganz grundsätzlich jeder Form der Darstellung entzieht, insofern sie sprachlich vermittelte Darstellung ist. Wenngleich nicht in so starker Identifikation, wie sie später etwa Wittgenstein vornehmen wird, ist Sprache für Climacus doch in engstem Verbund mit jeder Form eines dann nicht wie bisher vorrangig mathematisch-logischen zu verstehenden Denkens ein zwangsläufig abstraktes Medium. Sprache ist immer schon durch das Denken und dessen Idealität vermittelt – dies formuliert Kierkegaard schon früh in seiner unvollendet gebliebenen Erzählung Johannes Climacus oder De omnibus dubitandum est: Die Unmittelbarkeit ist die Realität, die Sprache ist die Idealität, das Bewußtsein ist der Widerspruch. In dem Augenblick, da ich die Realität aussage, ist der Widerspruch da; denn was ich sage, ist die Idealität. …Insofern das Gesagte ein Ausdruck für die Realität sein soll, habe ich diese zur Idealität ins Verhältnis gesetzt, insofern das Gesagte ein von mir Erzeugtes ist, habe ich die Idealität zur Realität ins Verhältnis gesetzt⁶³⁴.
Und gleichwie wir auf diese Weise immer schon sprachlich operieren und niemals über einen völlig unvermittelten Zugang zu dieser hier als ‚Unmittelbarkeit‘ bezeichneten Realität verfügen, sind wir, wie Climacus dann in der Nachschrift gegenüber aller Kritik am abstrakten Denken betont, nicht nur ‚existierend‘, sondern immer auch ‚existierende Denker‘: Was ist abstraktes Denken? Es ist das Denken, wo es keinen Denkenden gibt. Es sieht ab von allem anderen als dem Gedanken, und nur der Gedanke ist, in seinem eigenen Medium. Die Existenz ist nicht gedankenlos; aber in der Existenz ist der Gedanke in einem fremden Medium.Was soll es da heißen, in der Sprache des abstrakten Denkens nach der Wirklichkeit in der Bedeutung von Existenz zu fragen, da die Abstraktion gerade davon absieht? – Was ist konkretes Denken? Es ist das Denken, wo es einen Denkenden gibt und ein bestimmtes Etwas (in der Bedeutung von etwas Einzelnem), das gedacht wird; wo die Existenz dem existierenden Denker den Gedanken, die Zeit und den Raum gibt.⁶³⁵
Dieses Bewusstsein von einer solchen, an den ‚Idealismus‘ des Denkens gebundenen Unfähigkeit einer gleichsam ‚idealistischen‘ Sprache, die Realität menschlicher Lebenspraxis unmittelbar abzubilden, kann für Climacus nun nicht zur Konsequenz haben, über diese Lebenspraxis vollends zu schweigen – wie es nebenbei bemerkt auch der pseudonyme Verfasser von Furcht und Zittern, Johannes de Silentio, seinem Namen ganz zuwider gerade nicht tut, indem er sich dem Gedanken einer sprachlich-kommunikativen Inkommensurabilität des religiösen Glaubens in der dezidiert sprachlichen Form ‚dialektischer Lyrik‘ – so der SKS 15, 55 / PB, 155. SKS 7, 303 / AUN 2, 35.
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3 Hauptteil: Die existenzielle Ethik der Climacus-Schriften
Untertitel seiner Schrift – zumindest anzunähern versucht.⁶³⁶ Angesichts einer solchen Unzulänglichkeit von Sprache reicht es Climacus zufolge weder aus, auf eine zumindest ‚weniger unzulängliche‘ Darstellungsform auszugreifen, wie es Jacobi tut, noch mithilfe dieser Darstellungsform – so Johannes de Silentio – diese sprachliche Unzulänglichkeit selbst in bestimmter Weise zum Thema zu machen. Für Climacus muss es vielmehr darum gehen, mit der sprachlichen Darstellung deren Unzulänglichkeit sowohl (1) methodisch in Anschlag zu bringen als auch (2) methodologisch zu reflektieren: methodisch in Anschlag zu bringen, insofern die Unzulänglichkeit von Sprache in Form eines schriftstellerischen Stils, der das wesentlich Pathetische menschlicher Existenz ironisch bricht, reflexiv eingeholt wird;⁶³⁷ methodologisch zu reflektieren, insofern dieser Stil selbst zum Thema gemacht und so sich und dem Leser parallel zur Anwendung dieses Stils über diesen Stil mitteilungstheoretisch Rechenschaft abgelegt wird. Dies geschieht in der Nachschrift – wie auch andernorts in Kierkegaards Gesamtwerk – unter dem Rubrum einer sogenannten Theorie der ‚indirekten Mitteilung‘.⁶³⁸ Eine solche Theorie der indirekten Mitteilung steht ihrer Anwendung jedoch nicht gegenüber, ist ihr mithin nie entzogen, sondern immer auch Gegenstand derselben, wozu dann (3) letztlich auch gehört, die gesamte Nachschrift zu widerrufen. Mit einem solchen Widerruf dann auch der gesamten methodologischen Reflexion auf die methodische Anwendung der indirekten Mitteilung qua Stil will Climacus den Leser praktisch dazu befähigen, wovon er zuvor nur theoretisch gesprochen hat: „aufmerksam [zu sein] auf die Dialektik der Mitteilung“; dies sei, so seine Überzeugung, gegenüber dem „objektive[n] Denken“ ein wesentliches Kennzeichen des „subjektive[n] existierende[n] Denkers“⁶³⁹, der sich der Aufgabe des Ethischen, sich selbst in Existenz zu verstehen, stellt.
Der thematische Aufhänger der in Furcht und Zittern gestellten, sprachlich-kommunikativ konnotierten Frage nach einer ‚teleologischen Suspension des Ethischen‘ ist bekanntermaßen die biblische Erzählung von der an Abraham ergangenen Forderung Gottes, seinen Sohn Isaak zu opfern. Diesen Stil im Spannungsverhältnis von Pathos und Ironie, wie er sich im Ausgang von Kierkegaards ‚Ultimatum‘, dem letzten Stück des zweiten Teils von Entweder – Oder, entwickeln und gegen einseitige Niederschläge in den von Kierkegaard beeinflussten Werken Peter Handkes (Die Wiederholung) und Jonathan Littels (Die Wohlgesinnten) scharfstellen lassen, widmet sich jüngst Markus Kleinert (Kleinert 2021). Ich werde mich im Folgenden auf die für meinen Gedankengang entscheidenden Aspekte der Theorie der indirekten Mitteilung in den Climacus-Schriften konzentrieren, um die Zentralstellung der Auseinandersetzung mit Jacobi auch für diesen Zusammenhang herauszustellen. Eine ausführliche Studie zur indirekten Mitteilung in Kierkegaards Gesamtwerk hat Philipp Schwab (Schwab 2012) vorgelegt. SKS 7, 73 / AUN 1, 65.
3.2 Kierkegaard und Jacobi II
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Bereits hier ist also klar, dass erneut über die in der Nachschrift geführte Auseinandersetzung mit Jacobi ein ganz wesentliches Element nicht nur des Climacus’schen, sondern des Kierkegaard’schen Denkens insgesamt in den Blick rückt: Nicht ‚im luftleeren Raum‘, sondern in sachlicher Anbindung an seine Kritik an Jacobis Salto mortale bringt Climacus den zentralen Gedanken einer notwendig zu beachtenden Dialektik der Mitteilung menschlicher Existenz zur Sprache. Das gilt allem voran für eine Passage in der Nachschrift, die dann auch entsprechend überschrieben ist: „Der subjektiv existierende Denker ist aufmerksam auf die Dialektik der Mitteilung.“⁶⁴⁰ Diese Passage übernimmt nicht nur eine in den entscheidenden zweiten, ‚ethischen‘ Teil der Nachschrift einleitende Funktion. Sie stellt zudem die erste explizite methodologische Reflexion auf die Dialektik der Mitteilung nicht nur innerhalb der Nachschrift, sondern innerhalb des Kierkegaard’schen Gesamtwerks dar und ist deshalb in ihrer Bedeutung nicht zu unterschätzen.⁶⁴¹ Sie ist aber bereits in ihrer Bezeichnung als eine, wie Climacus unterscheidet, nicht ‚wirkliche‘, sondern wohlgemerkt bloß ‚mögliche‘ These Lessings⁶⁴², nicht aus den Schriften Lessings selbst, sondern allein von Jacobis Lessing-Gespräch her zu verstehen. Denn dort, in seiner Antwort auf Jacobi, begegnet Lessing als derjenige ‚subjektive existierende Denker‘, der anders als der hier uneindeutig verbleibende Jacobi ein zumindest rudimentäres Bewusstsein für die Unzulänglichkeit direkter Mitteilung existenzieller Innerlichkeit zu erkennen gibt. Die Auseinandersetzung mit Jacobi ist und bleibt hier die entscheidende Wegscheide in Climacus’ Näherbestimmung des eigenen Projekts einer existenziellen Ethik.⁶⁴³ Wie genau führt Climacus seinen zweiten Kritikpunkt an Jacobis Salto mortale nun also aus? Das ist nicht unerheblich, um im Anschluss daran genauer zu sehen, wie er den oben genannten drei Momenten einer geforderten Aufmerksamkeit auf die Dialektik der Mitteilung in seinem eignen Werk gerecht wird. Als
Ebd. Darauf weist auch Schwab 2012, 87 hin. Vgl. SKS 7, 72 / AUN 1, 64. Bemerkenswert ist darüber hinaus auch, dass es der Abschnitt zur dritten, dann in der Tat ‚wirklichen‘ These Lessings: „daß zufällige geschichtliche Wahrheiten nie Beweis für ewige Vernunftwahrheiten werden können; sowie, daß der Übergang, wodurch man auf eine geschichtliche Nachricht eine ewige Wahrheit gründen will, ein Sprung sei“ (SKS 7, 92 / AUN 1, 86) ist, in dem Climacus dann seine Auseinandersetzung mit Jacobis Salto mortale einschaltet. Dies zeugt nicht nur von der chiastischen Komposition dieser Thesen-Abschnitte, indem hier über Jacobi die dritte auf die erste Lessing-These Bezug nimmt. Climacus verweis den Leser damit zugleich auch auf die Brocken zurück, die in ihren Titelfragen auf genau diese dritte Lessing-These rekurrieren, nur um in ihrem zentralen ‚Zwischenspiel‘ nicht Lessing, sondern Jacobi und dessen Argument eines Unterschieds von Grund und Ursache zu installieren.
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entscheidende Momente der Aufmerksamkeit auf die Dialektik der Mitteilung wurden benannt: (1) methodische Reflexion sprachlicher Unzulänglichkeit in Form eines pathetisch-ironischen Stils; (2) methodologische Reflexion dieser Anwendung in Form einer Theorie indirekter Mitteilung; sowie (3) Reflexion auf diese Theorie durch die erneute Anwendung indirekter Mitteilung nicht mehr nur Form eines schriftstellerischen Stils, sondern in Form eines das Gesamtwerk der Nachschrift architektonisch abschließenden Widerrufs derselben und mit ihr letztlich auch der unter (1) gefasste Notwendigkeit der Methode als auch der unter (2) gefassten Triftigkeit der Methodologie. Da Jacobi diese mehrfach und auf verschiedenen Ebenen sich wiederholende „Doppelreflexion“⁶⁴⁴ auf Sprache und Mitteilung nicht vollzieht – so darf man Climacus’ Aussage in seinem Bekenntnis zu Jacobi nun verstehen – stehe „seine dialektische Gewandtheit nicht im Verhältnis…zu seiner edlen Begeisterung“⁶⁴⁵, mit der er seinen Leser ja gleichermaßen im Namen der Freiheit aufmerksam machen will auf das ihm eigene Menschliche, ‚erklärlich oder unerklärlich‘. Dieses Missverhältnis von ‚dialektischer Gewandtheit‘ und ‚Begeisterung‘ komme nun in Jacobis Gespräch mit Lessing zum Vorschein. Dies ist der Kontext, auf den Climacus mit seinem zweiten Kritikpunkt Bezug nimmt. Dort ist es vor allem eine laut Climacus auszumachende Uneindeutigkeit Jacobis, die den eigentlichen Hinweis auf das entscheidende Problem liefert. Denn einerseits scheint Jacobi Lessing zuweilen „vermittels der Beredsamkeit dazu verhelfen [zu wollen], den Sprung zu machen“ – und „[g]esetzt, Jacobi hätte selbst den Sprung gemacht, gesetzt ferner, er könnte mit Hilfe der Beredsamkeit einen Lernenden dazu überreden, ihn zu machen: dann bekäme ja der Lernende ein direktes Verhältnis zu J[acobi] und käme also selbst nicht dazu, den Sprung zu machen.“⁶⁴⁶ Andererseits gibt er Lessing auf dessen Bitte: „‚Nehmen Sie mich mit – wenn es angeht.‘“ zur Antwort: „‚Wenn Sie nur auf die elastische Stelle treten wollen, die mich fortschwingt, so geht es von selbst.‘“⁶⁴⁷ – und „[d]as Gute“ an dieser Antwort sei gerade, dass Jacobi hier „kein direktes Verhältnis, keine direkte Gemeinschaft im Sprunge haben will.“⁶⁴⁸ Zwar lässt sich also sagen, dass Jacobi durchaus aufmerksam ist auf die komplexe Dialektik von Innerlichkeit und Äußerlichkeit, die kennzeichnend ist für menschliche Lebenspraxis sowie auf die gerade auch hinsichtlich der negativen Momente einer solchen Praxis notwendigen Artikulation einer existenziel
SKS 7, 73 f. / AUN 1, 65. SKS 7, 227 / AUN 1, 243. SKS 7, 98 f. / AUN 1, 93. SKS 7, 100 / AUN 1, 94 f.; vgl. JWA 1,1, 30. SKS 7, 100 / AUN 1, 95, meine Hervorh.
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len Innerlichkeit. Was Climacus zufolge jedoch fehlt, ist der nächste Schritt, von dieser Notwendigkeit der Artikulation her Kommunikation überhaupt und mit ihr Sprache als unabdingbares Medium dieser Kommunikation zu thematisieren und diesen gesamten Komplex angesichts einer genuinen Unzulänglichkeit von Sprache überhaupt zu problematisieren.⁶⁴⁹ Wenngleich Lessing zuvor enttäuscht hat und es ihm gegenüber Jacobi zuzurechnen war, aufmerksam auf den Sprung gewesen zu sein und diesen zugleich nicht nur in Form konzeptueller Überlegungen zum adäquaten Modus von Systemkritik weiterverfolgt, sondern darin eine solche Systemkritik qua Freiheit auch praktiziert zu haben, scheint Lessing nun umgekehrt gerade diese besondere Rolle von Sprache geahnt zu haben, die Jacobis Aufmerksamkeit entgeht. Dies lasse sich zumindest aus seiner Erwiderung auf Jacobi schließen. Während nämlich Jacobi im Bewusstsein der Bedeutsamkeit der eigenen Freiheit innerhalb des Spinozanischen Systems eine ‚elastische Stelle‘ auszumachen in der Lage ist, von der her sich diesem System widersprechen lasse, bemerke Lessing nicht nur, dass es zum Tritt auf diese Stelle bereits eines Sprunges bedürfe, sondern beteuert zugleich und in, wie Climacus anmerkt, durchaus sokratischer Manier,⁶⁵⁰ dass er gerade diesen Sprung seinen „alten Beinen“ und seinem „schweren Kopfe nicht mehr zumuten darf“⁶⁵¹: „Hier ist Lessing mithilfe des Dialektischen ironisch, während die letzte Redewendung ganz das sokratische Kolorit hat – von Essen und Trinken, Ärzten und Packeseln u. dergl. zu reden, item auch von seinen alten Beinen und seinem schweren Kopfe.“⁶⁵² Lessing erkenne mithin „sehr gut, daß der Sprung, als das Entscheidende, qualitativ dialektisch ist und keinen approximierenden Übergang zu Dieser Aspekt der Problematisierung von sprachlicher Kommunikation ist entscheidend zum Verständnis von Climacus’ zweitem Kritikpunkt an Jacobis Sprung, da er die Affirmation und Integration von Jacobis Argument eines Unterschieds von Grund und Ursache in den Brocken ja, wie gesehen, gerade auch vor dem Hintergrund der sprachkritischen Aspekte dieses Arguments unternimmt. Jacob Howland (Howland 2010) weist in seinen Überlegungen zur Nachschrift auf den grundsätzlichen Zusammenhang hin, in den Climacus Lessing und Sokrates bringt: beide gelten Climacus als Beispiele eines existenziellen Denkers. Obwohl Howland durchaus auf den zweiten Kritikpunkt Bezug nimmt (vgl. ebd., 117), den Climacus gegen Jacobis Salto mortale formuliert und aus dessen Kontext dieser Zusammenhang zwischen Sokrates und Lessing u. a. ersichtlich wird, bemerkt er nicht, dass es nicht so sehr Lessing ‚an sich‘, sondern Lessing in seiner Erwiderung auf das ihm durch Jacobi vorgegebene Problem des Spinozismus ist, der in ‚sokratischem Kolorit‘ eine Ahnung vom Problemcharakter sprachlicher Kommunikation bekundet. Hier gilt es, wie ich bereits betont habe, genau zu sein: Nicht Lessing, sondern Jacobis Lessing-Gespräch und die darin geführte Auseinandersetzung um Jacobis Salto mortale ist die nach wie vor zentrale Wegscheide in Climacus’ Näherbestimmung seiner eigenen Position einer existenziellen Ethik. SKS 7, 100 / AUN 1, 95; vgl. JWA 1,1, 30. SKS 7, 100 / AUN 1, 95.
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läßt“ – und diese seine Erkenntnis drücke sich nun insbesondere darin aus, dass er sich des Sprunges nicht nur verweigere, sondern dies in Form eines „Scherz[es]“⁶⁵³ tue. Damit wird der Sprung als nicht mehr nur systemwidersprechender Akt, sondern als „Akt der Isolation“⁶⁵⁴ zunächst sprachlich kenntlich gemacht, indem der mit dem Anspruch ethischer Selbstverständigung gegebene „Zwang zur Isolation“⁶⁵⁵, d. h. zur nicht zu delegierenden Übernahme der Verantwortung für das Gelingen und Nichtgelingen des eigenen Selbst- und damit auch Weltverhältnisses, sich niederschlägt in der Anwendung eines sprachlichen Stils, der diese Überzeugung entsprechend indirekt zu kommunizieren beabsichtigt. Damit ist das erste Moment einer umfassenden Aufmerksamkeit auf die Dialektik der Mitteilung gegeben, das oben angeführt worden ist: Aufmerksam sein auf die Dialektik der Mitteilung heißt, die Unzulänglichkeit einer sprachlichen Darstellung existenzieller Innerlichkeit bei gleichzeitigem Bewusstsein der Notwendigkeit ihrer sprachlichen Artikulation methodisch, d. h. in der Anwendung eines pathetisch-ironischen Sprachstils zum Ausdruck zu bringen. Damit ist man die Passage zur ersten Lessing-These verwiesen. Bevor ich mich aber dieser Passage, mithin dem darin verhandelten, oben genannten zweiten, methodologisch-theoretischen Moment der Aufmerksamkeit auf die Dialektik der Mitteilung widme, ist ein genauerer Blick auf eine andere, erzählerische Passage zu werfen, in der Climacus nun selbst dem zunächst erstgenanntem Moment der Anwendung eines pathetisch-ironischen Stils gerecht wird.⁶⁵⁶ 3.2.3.2 Climacus’ Methode eines pathetisch-ironischen Stils: Eine Friedhofserzählung Zunächst ein paar wenige, aber wichtige Vorbemerkungen: Besagte erzählerische Passage schiebt Climacus nach fast der Hälfte der Nachschrift ein. Nicht nur ist diese kompositorische Zentralstellung mit Absicht gewählt; auch der Anschluss dieser Passage an theoretische Erörterungen, die den bereits in den Brocken mit dem Begriff des Paradox aufgebrachten Gedanken der Insuffizienz logischer
Ebd., meine Hervorh. SKS 7, 98 / AUN 1, 93. SKS 7, 99 / AUN 1, 94. Vgl. auch die Ausführungen Edward F. Mooneys (Mooney 2010), der die folgende Passage über ihre mitteilungs- und kommunikationstheoretischen Elemente, die für mich im Fokus stehen werden, hinaus und vor dem Hintergrund des umfassenderen szenischen Settings von Ort (Friedhof), Zeit (Abenddämmerung) und einer daraus resultierenden ambivalent-angstvollen Stimmung auch als einen Beitrag zur Diskussion über den Begriff des Erhabenen liest. Zum Begriff des Erhabenen bei Kierkegaard vgl. auch Pattison 1998.
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Kennzeichnung und der Unvollständigkeit allgemeinsprachlicher Erfassung geschichtlicher Wirklichkeit resümieren, ist kein Zufall. Wenngleich ich diesen Gedanken auch hier noch beiseitelasse und erst in den Ausführungen zur sogenannten ‚paradox-christlichen Religiosität B‘ darauf eingehen werde, ist bereits hier ein genauerer Blick auf die von Climacus eingeschobene Erzählung vonnöten. Dies hat in der Hauptsache drei Gründe: Anhand dieser Erzählung lässt sich nicht nur erstens der pathetisch-ironische Stil, den Climacus selbst zur Anwendung bringt, veranschaulichen; es werden zweitens auch einige der bisher als wesentlich ausgewiesenen Strukturmomente existenziell-ethischer Praxis wie in einem Knotenpunkt zusammengeführt und zeigen so gerade anhand der autobiographischen Erzählung einer alltäglichen Begebenheit ihre Zusammengehörigkeit: Climacus spricht hier nicht mehr ‚philosophisch‘ über die menschliche Existenz, sondern begegnet selbst als Existierender; drittens – und dies ist insbesondere hinsichtlich einer adäquaten Bewertung der anschließend zu untersuchenden Passage zur ersten Lessing-These von entscheidender Wichtigkeit – ist diese Erzählung in der Darstellung der Passage zur ersten Lessing-These zwar nach-, in der Sache aber vorgeordnet: die methodologisch-theoretische Thematisierung der Mitteilungsdialektik bestimmt nicht Climacus’ Beobachtungen menschlicher Existenzdynamik, sondern ergibt sich aus der Erfahrung dieser Dynamik und der ihr wesentlichen Problematik der Kommunikation. Gerade auf diesen letztgenannten Punkt einer existenziellen Bedingtheit der Mitteilungstheorie in den Climacus-Schriften ist man bereits hingewiesen, wenn man die oben beschriebene sachliche Anbindung der ersten Lessing-These an Climacus’ Kritik an Jacobis Salto mortale erkennt. Denn der dort artikulierte erste Kritikpunkt adressiert ja gerade die Dynamik menschlicher Existenz, wie sie Climacus in Form der dargestellten Handlungstheorie strukturell abzubilden beabsichtigt. Erst von dieser Dynamik her ist dann auch der zweite, auf die Dialektik sprachlicher Mitteilung abzielende Kritikpunkt zu formulieren. Worum geht es in dieser Erzählung nun aber genau? In der ‚Einleitung‘ der Nachschrift hat Climacus die ihn leitende Frage folgendermaßen formuliert: „Wie ich, Johannes Climacus, der Seligkeit teilhaftig werden kann, die das Christentum verheißt.“⁶⁵⁷ Mittlerweile ist bereits deutlich geworden, inwiefern Climacus gerade diese auf das christliche Heilsversprechen zugespitzte Frage als nicht nur eine, sondern die wesentliche Frage ethisch-existenzieller Selbstverständigung ausmachen kann: Die ewige Seligkeit als dasjenige Gut, das „sich einzig und allein durch die Weise, wie es erworben wird, definieren läßt“, verweist den Menschen auf sich, stellt an ihn die Forderung, aufmerksam zu sein auf seine eigene Existenz,
SKS 7, 26 / AUN 1, 15.
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und befähigt ihn auf diese Weise zur „Durchsichtigkeit des Bewußtseins (seiner selbst)“⁶⁵⁸. Dass dieses sein Selbst ein wesentlich historisches ist und in dieser unüberwindlichen Historizität, d. h. in der Zeitlichkeit und Kontingenz menschlicher Existenz, die Schwierigkeit begründet liegt, ein über diese Zeitlichkeit und Kontingenz hinausgehendes, d. h. ein ewiges im Sinne eines – nicht notwendigen, sondern bedeutungsvollen und darin gelingenden, da der Zufälligkeit enthobenen Verhältnisses zu gewinnen, dies wird in besonderer Weise dadurch angezeigt, dass eine so zu verstehende ewige Seligkeit über den Weg des Verhältnisses zu etwas Historischem, nämlich dem in der Zeit Mensch gewordenen Gott, zu erwerben ist. Diese sowohl strukturellen als auch sachlichen Überlegungen sind trotz ihres Anspruchs auf durchaus allgemeine Geltung zugleich wesentlich subjektiv, genauer: biographisch, lebensgeschichtlich begründet – darauf weist nicht nur die von Climacus mit Absicht in der ersten Person formulierte, sondern auch in eigenem Namen vorgebrachte Frage nach der Möglichkeit ewiger Seligkeit hin: Nicht erweist sich das Christentum per se und in Absehung von der eigenen Person, sondern nur im je konkreten Bezug auf die eigene Person als existenziell-ethisch relevant. Und den konkreten Bezug zu seiner Person, den Sitz dieser Frage im eigenen Leben, schildert Climacus wie folgt: Während eines Spaziergangs auf einem Friedhof wird Climacus unbemerkt Zeuge einer Szene, die sich an einem noch frischen Grab zwischen einem „Greis mit schlohweißen Haaren“ und einem „Kind, ein[em] Knabe[n] von ungefähr zehn Jahren“ abspielt: „Aus dem Gespräch erfuhr ich“, so gibt Climacus Auskunft, „daß der kleine Knabe ein Enkel des Greises war, und der, dessen Grab sie besuchten, der Vater des Knaben.“ Neben der Trauer über den Verlust des eigenen Sohnes und über die Lage des Enkels, der nun zur Weise geworden war – „die ganze übrige Familie“ war bereits „ausgestorben“, aber auch der Großvater würde nicht mehr lange leben – beschäftigt den Alten jedoch noch etwas anderes: Der Verstorbene, dies entnimmt Climacus dessen „halblaut bei sich selbst“ gesprochenen Worten, habe sich in den letzten Jahren zu einem Anhänger der „modernen christlichen Spekulation“ gewandelt, was im Alten trotz des zugegebenen Unverständnisses eines solchen Denkens den bedrückenden Zweifel weckt, ob er damit den Glauben an Jesu Christi nicht „fahren [ge]lassen“ habe. Denn eine wissenschaftliche Betrachtung des Christentums könne, so gelehrt sie auch sein möge, den einfachen und vor allem persönlichen Glauben daran nicht ersetzen, dass „ein Gott im Himmel sei, nach dem alles, was Vater heißt im Himmel und auf
SKS 7, 388 f. / AUN 2, 134.
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Erden, den Namen habe, und daß es einen Namen gebe, in dem das Heil sei, den Namen Jesu Christi.“⁶⁵⁹ In dieser seiner Sorge um das Seelenheil des Sohnes wendet der Alte sich nun seinem Enkel zu und beginnt ihn darüber zu belehren, daß es eine Weisheit gebe, die an dem Glauben vorbeifliegen wolle, daß es jenseits des Glaubens eine weite Strecke Landes, den blauen Bergen gleich, gebe, ein scheinbares Festland, das für die Augen des Sterblichen wie eine Gewißheit aussehe, die höher sei als die des Glaubens, daß aber der Glaubende diese Luftspiegelung fürchte, wie der Schiffer die ähnliche auf See fürchte, daß das nur ein Schein der Ewigkeit sei, in dem der Sterbliche sich nicht aufhalten könne, und daß er, wenn er sich dennoch dahinein starre, den Glauben verliere.⁶⁶⁰
Aber nicht nur belehrt er seinen Enkel auf diese Weise, er verlangt ihm auch den Schwur ab, niemals denselben Fehler wie sein Vater zu begehen, damit in des Großvaters Augen zumindest die Seele des Kindes des Heils sicher sei: „[G]elobst du beim Anblick meines Alters und meiner grauen Haare“, so hebt er an, gelobst du bei der Feierlichkeit dieser geheiligten Stätte, bei dem Gott, dessen Namen du doch anrufen gelernt hast, beim Namen Jesu Christi, in dem allein das Heil ist: gelobst du mir, daß du an diesem Glauben im Leben und im Sterben festhalten willst, daß du dich von keinem Blendwerk, wie auch immer die Gestalt der Welt sich verändern möge, betrügen lassen willst, gelobst du mir das?⁶⁶¹
Und der Enkel gelobt, wie es der Großvater fordert: „Von dem Eindruck überwältigt, warf sich der Kleine auf die Knie, der Greis aber richtete ihn auf und drückte ihn an seine Brust.“⁶⁶² In dieser so von Climacus geschilderten Szene, finden sich Gedanken veranschaulicht, die nicht nur im Laufe der bisherigen Untersuchung der ClimacusSchriften, sondern auch von Kierkegaards Denken insgesamt, wie es bisher Gegenstand dieser Arbeit war, begegneten: die Evokation der existenziellen Bedeutsamkeit der Rede von Zeitlichkeit und Ewigkeit im Kontext der konkreten Erfahrungen der Sterblichkeit und des Todes und der Sorge angesichts der Ungewissheit einer unsterblichen Seele; der Unterschied einer objektiv-theoretischen und in diesem Sinne unbeteiligten Betrachtung entsprechend bedeutsamer Sachverhalte gegenüber einer erstpersonal-praktischen Aneignung dieser Sachverhalte als subjektive ‚Wahrheit für mich‘; vor allem aber – und dies ist der
SKS 7, 215 ff. / AUN 1, 229 ff. SKS 7, 216 / AUN 1, 230. SKS 7, 217 / AUN 1, 230. Ebd.
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maßgebliche Kontext dieser Szene und dessen, was ihr folgt – wird hier das Scheitern einer direkten Kommunikation einer solchen subjektiven Wahrheit, mithin die darin intendierte Erwirkung der entsprechenden Aneignung durch das Gegenüber, geschildert – das also, worauf Climacus in seiner Kritik an Jacobis Salto mortale bereits abhob: Zunächst haben bereits der verstorbene Sohn und dessen greiser Vater nicht nur aufgrund eines vermeintlich unterschiedlichen intellektuellen Fassungsvermögens, sondern vielmehr aufgrund eines unterschiedlichen Lebensentwurfs und der entsprechend unterschiedlichen Wertvorstellung einander verschlossen gegenübergestanden, vor deren Hintergrund für den einen als „Verirrung“ erscheinen kann, was für den anderen vielleicht nicht nur „Gelehrsamkeit“⁶⁶³, sondern sinnstiftend war. Sodann ist es aber diese Verschlossenheit dem Sohn gegenüber, die den Großvater nun auch unsensibel für die Trauer des Enkels sein lässt, der in diesem Augenblick einer Menge, aber sicher nicht der Belehrung über die vielleicht zu erwartende Verdammnis des eigenen Vaters bedarf. So kann das Kind nicht nur aufgrund mangelnder Reife, sondern vor allem aufgrund der ausschließlichen Beschäftigung des Großvaters mit sich und der Blindheit für sein Gegenüber nicht verstehen, was der Großvater ihm sagt und von ihm verlangt, sodass man es letztlich „dichterisch eine Unwahrscheinlichkeit nennen müßte“, wäre es, wie Climacus beteuert, nicht tatsächlich so geschehen: „daß ein Greis in einem Kinde seinen einzigen Vertrauten hat und daß einem Kinde ein heiliges Gelübde, ein Eid abgefordert wird.“⁶⁶⁴ In anderer, nämlich indirekter Weise scheint diese Rede des Großvaters nun aber doch zu wirken, denn die Kommunikation scheint gerade darin zu gelingen, dass sie in direkter Weise scheitert: Denn letztlich ist es Climacus, der als Dritter, zunächst unbeteiligter Beobachter dieser Szene in ungekanntem Maße betroffen ist und die Bedeutsamkeit des Gesagten nicht vor dem Hintergrund seines Inhalts, sondern vor dem Hintergrund seiner misslingenden Form zu verstehen scheint; er versteht gerade das sich in der Rede des Großvaters ausdrückende Unverstandensein der jeweils anderen, des Sohnes und des Enkels: „Obgleich nur Zuschauer oder Zeuge, war ich doch tief ergriffen; in dem einen Augenblick war mir’s, als sei ich selbst der junge Mann, den der Vater mit Entsetzen begrub, in dem nächsten war mir’s, als sei ich das Kind, das durch das heilige Gelübde gebunden wurde.“⁶⁶⁵ Er versteht mithin die Bedeutsamkeit der Suche nach einer nicht objektiven, sondern subjektiven Wahrheit, die es nicht zu wissen, sondern in praktischer
SKS 7, 216 / AUN 1, 230. SKS 7, 217 / AUN 1, 231. Ebd.
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Umbildung des eigenen Lebensvollzugs und Selbstverständnisses anzueignen gilt. Indem er nämlich versteht, dass eine solche Aneignung erstens in der Verantwortung des je Einzelnen liegt und in diesem Sinne einen ‚Akt der Isolation‘ darstellt, der sich nicht in der direkten Form eines Verhältnisses, wie es etwa in der beobachteten Szene zwischen Großvater und Enkel zum Ausdruck kommt, vollzieht. So ist Climacus zwar ergriffen: Indes fühlte ich mich nicht getrieben hervorzustürzen, um dem alten Manne gerührt meine Teilnahme zu bezeugen, indem ich ihm etwa unter Tränen und mit zitternder Stimme versicherte, daß ich diese Szene niemals vergessen werde, oder wohl gar ihn aufforderte, auch mich in Eid zu nehmen; denn nur vorschnelle Menschen, unfruchtbare Wolken und Regenböen sind mit nichts eiliger als mit dem Eidablegen; weil sie nämlich nicht vermögen ihn auch zu halten, deshalb müssen sie ihn beständig ablegen.⁶⁶⁶
Zugleich bedarf ein solcher ‚Akt der Isolation‘ sehr wohl zweitens – auch das versteht Climacus im Moment seiner Ergriffenheit – der Beständigkeit in Form einer ständigen Wiederholung; die Aneignung subjektiver Wahrheit seines Selbstund Weltverhältnisses ist mithin fortwährender Prozess: Ich für meinen Teil bin der Ansicht, daß ‚diesen Eindruck niemals vergessen wollen‘ etwas anderes ist, als einmal in einem feierlichen Augenblick zu sagen ‚das will ich niemals vergessen‘: ersteres ist die Innerlichkeit, das zweite jedoch vielleicht nur die momentane Innerlichkeit. Und wenn man es wirklich niemals vergißt, so hält man die Feierlichkeit, womit man es gesagt hat, nicht für so wichtig, da die fortwährende Feierlichkeit, mit der man sich täglich daran hindert, es zu vergessen, die wahre Feierlichkeit ist.⁶⁶⁷
Ein solch ständig zu wiederholender ‚Akt der Isolation‘ kann nun auch dem Leser nicht in direkter Form vermittelt werden. Vielmehr würde auf diese Weise, etwa durch die Form eines wie oben beschriebenen Gelübdes, der Leser gerade nicht als Einzelner die Verantwortung für diesen Akt übernehmen, sondern ihn auf die Annahme der Berechtigung der Forderung dieses Gelübdes gründen, indem er dieser Forderung erstens nur dann und deshalb nachkäme, wenn er anerkennte, dass der Fordernde mit Recht diese Forderung an ihn stellt, und dieses Recht ihm zweitens nicht aufgrund eines Verstehens dessen, worin sich wiederum dieses Recht gründet, sondern allein aufgrund der Evokation von Autorität vermittelt wird. In diesem Sinne versteht der Enkel seinen Großvater nicht und spricht kein Gelübde, sondern legt es dadurch ab, dass er ‚von dem Eindruck überwältigt‘ sich vor dem Großvater ‚auf die Knie wirft‘.
SKS 7, 217 f. / AUN 1, 231. SKS 7, 218 / AUN 1, 231 f.
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Um einen solchen ‚Kniefall‘ des Lesers zu vermeiden, spielt Climacus die Bedeutsamkeit seines eigenen Aktes der Verantwortungsübernahme gleich wieder herunter, nachdem er sie zuvor noch mit nicht wenig Emphase beteuert hat. Und hierin zeigt sich nun die Besonderheit seines ironisch gebrochenen Stils. So erscheint ihm, wie er schreibt, „[d]er ehrwürdige Greis mit seinem Glauben“ gleich einem Kleinanleger oder Bausparer gerade darin „als eine absolut berechtigte Individualität“, dass ihm „das Dasein dadurch unrecht tat, daß die moderne Spekulation, gleich einer Geldwertveränderung, die Eigentumssicherheit des Glaubens zweifelhaft machte.“ Und auch Climacus’ Bericht über die näherhin inhaltliche Ausrichtung seiner nun neu erkannten Verantwortung fällt nicht weniger unbedeutsam und profan aus: „Ich dachte da ungefähr so“, resümiert er: „Du hast doch nun die Zerstreuungen des Lebens satt, hast genug von den Mädchen, die du doch nur im Vorbeigehen liebst; du musst etwas haben, das deine ganze Zeit ganz ausfüllen kann; hier ist es“ – die beobachtete Szene hat es vorgegeben –: „herauszufinden, wo das Mißverstehen zwischen der Spekulation und dem Christentum liegt.“ Ein solches Projekt, das also mehr als ein Zeitvertreib denn als wirkliche Lebensaufgabe erscheint, sage ihm folglich auch in der Art zu „wie ein verwickelter Kriminalfall, in dem sich stark kreuzende Verhältnisse es schwer gemacht haben, hinter die Wahrheit zu kommen.“ Handelt es sich bei Climacus am Ende also weniger um den Protagonisten eines existenzialistischen Dramas, der einem über seine Darbietung hinaus etwas über das eigene Leben zu sagen hat, als vielmehr um die so oft schrullige Hauptfigur trivialer Unterhaltungsliteratur, die ohne Sorge wieder vergessen werden kann, wenn der Fall gelöst und das Buch durchgelesen ist? Der Leser wird bereits hier verunsichert zurückgelassen, denn der anfängliche Ernst in der Rede von einem ‚Akt der‘ und einem ‚Zwang zur Isolation‘ weicht zuletzt einer schelmischen Freude am Versteckspiel vor der eigenen Hauswirtin: „So war also dies mein Entschluß.“ – hiermit endet die eingeschobene Erzählung: „Ich habe meiner Treu niemals zu einem Menschen davon geredet, und ich bin sicher, daß meine Wirtin keine Veränderung an mir bemerkt hat, weder an demselben Abend noch am Tage darauf.“⁶⁶⁸ 3.2.3.3 Climacus’ Methodologie der indirekten Mitteilung: Die erste Lessing-These Neben einer solchen methodischen Anwendung eines das wesentliche Pathos menschlicher Existenz ironisch brechenden Stils unternimmt Climacus zugleich zahlreiche Reflexionen auf die Dialektik der Mitteilung, wie sie sich aus der so SKS 7, 219 / AUN 1, 233.
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erzählerisch veranschaulichten Dialektik von Scheitern und Gelingen zwischenmenschlicher Kommunikation ergibt, und macht damit die Frage nach der Möglichkeit gelingender Existenzmitteilung eigens zum Thema seines schriftstellerischen Projekts. Dies geschieht in der Nachschrift in beschrieben prominenter Weise unter der Überschrift der ersten Lessing-These. Auch mit diesem Abschnitt verfolgt Climacus letztlich diejenige Intention einer auf praktische Verantwortung zielenden Befreiung des Lesers, die bereits die Anwendung seines pathetisch-ironischen Stils motiviert. Denn nicht nur die erste Lessing-These, sondern schon der vorgelagerte Auftakt zum gesamten Kapitel: ‚Mögliche und wirkliche Thesen von Lessing‘ ist gekennzeichnet durch ein schnelles Oszillieren, durch ein nahezu unverständliches Hin und Her, Lessing die folgenden Thesen sowohl zuzuschreiben als auch abzusprechen, nur um im selben Atemzug hauptsächlich die eigene Autorität in dieser Sache in Zweifel zu ziehen und den Leser in seiner Haltung zu ihm, Climacus, als Autor in der Schwebe zu halten. Um Lessing, dies ist bei aller Unklarheit dann aber zumindest mehr als deutlich, geht es eigentlich nicht: „Ohne denn zu wagen“, so hebt Climacus also absichtlich irritierend an – Ohne denn zu wagen, mich auf Lessing zu berufen, ohne zu wagen, ihn mit Bestimmtheit als Gewährsmann anzugeben, ohne jemand zu verpflichten, pflichtschuldigst wegen seiner Berühmtheit es verstehen zu wollen oder zu versichern, daß er es verstanden habe, was den Verstehenden in eine bedenkliche Beziehung zu meiner Unberühmtheit bringt, die wohl etwas ebenso Abschreckendes an sich hat wie Lessings Berühmtheit etwas Anziehendes: gedenke ich nun darzustellen, was ich – hol mich der Teufel – auf Lessing zurückführe, ohne sicher zu sein, daß er sich dazu bekennt; was ihm in schabernackischer Ausgelassenheit unterzuschieben ich mich versucht fühlen könnte, daß er es nämlich gesagt habe, wenn auch nicht direkt; wofür ich ihm in voller Bewunderung danken zu dürfen in anderer Weise schwärmerisch wünschen könnte; was ich wiederum mit stolzem Auf-das-Meine-halten und Selbstgefühl nur aus Generosität auf ihn zurückführe; und womit ich dann wieder fürchte, ihn zu beleidigen und zu beschweren, wenn ich seinen Namen damit in Verbindung bringe.⁶⁶⁹
Der eigentliche Abschnitt zur ersten Lessing-These läuft dann entsprechend analog zur autobiographischen Erzählung auf den Kerngedanken indirekter Mitteilung hinaus, indem dieser Gedanke hier erstens mithilfe eines nun zwar dezidiert hypothetisch konstruierten Beispiels vorgestellt wird, dieses Beispiel aber erneut ein Beispiel des Scheiterns direkter Kommunikation ist. Diesmal wird der Gedanke zweitens jedoch nicht über einen erzählten Inhalt veranschaulicht, sondern eigens zum Thema gemacht, sowie vor allem drittens – und damit anders
SKS 7, 72 / AUN 1, 64.
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als in der veranschaulichenden Erzählung – ausschließlich negativ zum Thema gemacht. Mehr noch: Die indirekte Mitteilung kann nicht anders als ausschließlich negativ zum Thema gemacht werden, da sie sich als eine Form der literarischen Praxis, die durch die Praxis menschlichen Existierens bedingt ist, dem hier nun methodologisch-theoretischen Zugriff zweiter Ordnung genuin entzieht. Die Dialektik der Mitteilung ist in diesem Sinne ‚negative Dialektik‘:⁶⁷⁰ ein Äquivalent zu Climacus’ gelingendem Verständnis der scheiternden Kommunikation des Großvaters gibt es auf dieser Reflexionsebene nicht, wenngleich diese methodologisch-theoretische Reflexionsebene einen wesentlichen Teil der umfassend existenziell-ethischen Praxis von Climacus’ schriftstellerischer Tätigkeit darstellt: Gesetzt also, es wäre die Lebensanschauung eines religiös existierenden Subjekts, daß man keine Schüler haben dürfe, daß das Verrat gegen Gott sowohl als auch gegen die Menschen sei; gesetzt, er wäre etwas dumm (denn gehört schon ein wenig mehr als Ehrlichkeit dazu, um durch die Welt zu kommen, so ist Dummheit immer vonnöten, um so recht sein Glück zu machen und so recht von vielen verstanden zu werden) und sagte das direkt mit Salbung und Pathos: was dann? Ja, dann würde er verstanden werden, und es würden sich bald zehn melden, die, nur um einmal in der Woche umsonst rasiert zu werden, mit der Verkündigung dieser Lehre ein Engagement suchen würden, d. h. er hätte das überaus große Glück gehabt, zur weiteren Bestätigung seiner Lehre Schüler zu bekommen, die diese Lehre annähmen und verbreiteten, daß man keine Schüler haben dürfe.⁶⁷¹
Was es gegenüber diesem hier thematisierten Scheitern direkter Kommunikation mit der Kommunikationsform der indirekten Mitteilung auf sich hat – eine solche Erörterung erwartet man eigentlich von so etwas wie einer Methodologie –, erfährt man entsprechend nicht.⁶⁷² Ein solches Ausschweigen darüber, wie die indirekte Mitteilung als Methode existenziell-ethischer Überlegungen eines subjektiven existierenden Denkers positiv zu bestimmen sei, ist Climacus zufolge aber nicht nur hinsichtlich ihres Charakters einer literarischen Praxis, sondern letztlich vor allem deshalb einzig adäquat, da eine solche literarische Praxis durch die Praxis menschlichen Lebens bedingt ist, zu der gerade auch das subjektiv existierende
Zur bewusst evozierten, im Zuge dieser Arbeit jedoch nicht weiter nachzuverfolgenden Frage nach einer Beeinflussung Adornos durch Kierkegaard vgl. Angermann 2014. SKS 7, 75 f. / AUN 1, 67. In diesem Sinne kommentiert auch Philipp Schwab das oben zitierte Beispiel eines ‚religiös existierenden Subjekts‘ wie folgt: „Das Beispiel illustriert den Betrug der direkten Mitteilung: Die direkte Aussage hat unweigerlich zur Folge, das in ihr Ausgesagte zu verfälschen und ins Gegenteil zu verkehren. Entscheidend ist aber nun die Form dieses Beispiels. Die scherzende Drastik des Bildes verschleiert nämlich, dass dem Leser dasjenige, worum es ‚eigentlich geht‘, gar nicht mitgeteilt wird: Wie eine Mitteilung sich in diesem ‚Fall‘ widerspruchslos zu gestalten hätte wird nicht gesagt.“ (Schwab 2012, 108)
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Denken gehört; die indirekte Mitteilung ist dessen sprachliche Umsetzung. Denn „[w]ährend das objektive Denken gegen das denkende Subjekt und dessen Existenz gleichgültig ist, ist der subjektive Denker als existierender wesentlich an seinem eigenen Denken interessiert und existiert in ihm“ – sein Denken ist nicht sekundär-theoretischer Zugriff auf seine primäre, nun jedoch vergegenständlichte Lebenspraxis, sondern genuiner Modus dieser seiner Lebenspraxis selbst. Deshalb hat sein Denken eine andere Art von Reflexion, nämlich die der Innerlichkeit, die des Besitzes, wodurch es diesem Subjekt und keinem anderen angehört. Während das objektive Denken alles aufs Resultat abstellt und der ganzen Menschheit zum Betrügen durch Abschreiben und Hersagen des Resultats und des Fazits verhilft, stellt das subjektive Denken
– und hier nun spannt Climacus den Bogen zurück zu dem, was er mit Jacobi im ‚Zwischenspiel‘ der Brocken ontologisch fundiert und in der Nachschrift bisher vorrangig handlungstheoretisch weitergedacht hat – alles auf das Werden ab und läßt das Resultat aus, teils weil es eben dem Denker gehört, da er den Weg hat, teils weil er als Existierender ständig im Werden ist, was ja jeder Mensch ist, der sich nicht wie ein Narr dazu hat verleiten lassen, objektiv zu werden, oder dazu, unmenschlicherweise die Spekulation zu werden.⁶⁷³
Die indirekte Mitteilung ist damit die adäquate Methode der Kommunikation des Sprungs als ‚Akt der Isolation‘, insofern sie im ständigen Entzug eines direkten Verhältnisses dem Kommunikationsempfänger gerade auch in der methodologischen Reflexion auf sich selbst ein „Geheimnis“ von der Art bleibt, das Climacus zum Ende des Abschnitts zur ersten Lessing-These als „wesentliches Geheimnis“ allein durch die sokratische Mäeutik gewahrt sieht – hier reicht dann auch Lessings Ironie nicht mehr hin: Es ist ein zufälliges Geheimnis, daß keiner weiß, was in einem Jahr geschieht; denn wenn es geschehen ist, wird man es direkt verstehen können. Wenn dagegen Sokrates sich durch seinen Dämon von jedem Verhältnis isolierte und z. B. posito annahm, daß jeder so handeln müsse, so würde eine solche Anschauung vom Leben wesentlich ein Geheimnis bleiben, denn sie ließe sich nicht direkt mitteilen. Das Höchste, was er vermochte, war, künstlerisch mäeutisch einem anderen negativ zu demselben zu verhelfen. All das Subjektive, das sich durch seine dialektische Innerlichkeit der direkten Form der Äußerung entzieht, ist ein wesentliches Geheimnis.⁶⁷⁴
SKS 7, 73 / AUN 1, 65. SKS 7, 80 / AUN 1, 72.
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3 Hauptteil: Die existenzielle Ethik der Climacus-Schriften
3.2.3.4 Der Widerruf von Methode und Methodologie: Climacus’ ‚Verständigung mit dem Leser‘ Bei all dem bleibt es jedoch nicht. Sprachliche Irritation und die Verunsicherung des Lesers stellen, gleichwie die sich ‚geheimnisvoll‘ entziehende Methodologie einer indirekten Mitteilungsdialektik, keinen Selbstzweck dar. Denn letztlich beruht „der springende Punkt der Mitteilung gerade darauf…, den anderen“, wie Climacus betont, „frei zu machen“⁶⁷⁵, weshalb es dann auch trotz aller Irritation und Verunsicherung durchaus und explizit eines Verständnisses seiner Schriften bedarf. Dabei handelt es sich jedoch um ein Verständnis, das sich, so führt Climacus nicht weniger irritierend aus, in letzter Instanz als ein Verständnis des Widerrufs dieser seiner Schriften ausdrücken und bewähren muss – des Widerrufs also, den Climacus in Analogie zur katholischen Druckerlaubnis des Imprimatur der Nachschrift anhängt: Wie man in katholischen Büchern, besonders aus älterer Zeit, zuhinterst im Buche eine zusätzliche Bemerkung findet, die den Leser darüber unterrichtet, daß alles in Übereinstimmung mit der Lehre der heiligen allgemeinen Mutterkirche verstanden werden soll: so enthält was ich schreibe, zugleich eine Nachricht darüber, daß alles so verstanden werden soll, daß es widerrufen ist; daß das Buch nicht nur einen Schluß hat, sondern obendrein einen Widerruf.⁶⁷⁶
Ein solcher Widerruf ist nun jedoch kein Zeichen des Hochmuts, der eine sich gegen momentane Widerstände über die Zeit behauptende Richtigkeit des Dargestellten eigenhändig vorwegnehmen möchte.⁶⁷⁷ Auch ein abschließender Scherz ist nicht intendiert, insofern dieser den Leser nach oft mühevoller Lektüre bloß versöhnlich stimmen soll. Climacus’ ‚Humor‘ zielt darauf ab, den Ernst und damit das vielmehr Unversöhnliche der Sache überhaupt erst eigentlich herauszustellen. Denn das Verständnis, das er sich bei seinem Leser erhofft, ist ein Verständnis dessen, „daß das Verständnis das Widerrufen ist“⁶⁷⁸. Auf diese Formulierung ist nun genau Acht zu geben: Das Widerrufen bedarf nicht nur des Verständnisses des Lesers, sondern ist selbst Akt des Verständnisses, namentlich des Verfassers Johannes Climacus. Dasjenige Verständnis, das das Widerrufen als Verständnis versteht, versteht mithin, dass das gesamte schriftstellerische Projekt der Climacus-Schriften nicht nur das Ethische als Prozess menschlicher Selbstverstän SKS 7, 74 / AUN 1, 66. SKS 7, 562 / AUN 2, 333. Man denke hier, so assoziiert Alastair Hannay (Hannay 2010, 45 f.) kurz, an die Vorwegnahme eines Widerrufs, wie er Galileo Galilei aufgezwungen worden war. SKS 7, 563 / AUN 2, 335.
3.2 Kierkegaard und Jacobi II
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digungspraxis zum Thema hat, sondern darin zugleich immer schon den individuellen Versuch des Vollzugs einer solchen Praxis darstellt. Das erhoffte Verständnis zielt also, wie der angehangene Widerruf dann auch überschrieben ist, auf die ‚Verständigung mit dem Leser‘, d. h. auf die Kommunikation zweier Individuen, zweier Personen. Der Leser, der verstehen kann, „daß das Verstehen das Widerrufen ist“, kann folglich auch verstehen, „daß ein Buch schreiben und es widerrufen etwas anderes ist, als es zu schreiben unterlassen“⁶⁷⁹, insofern der Akt des Schreibens für den Schreibenden unabdingbar war. Noch 1849 notiert Kierkegaard unter der Überschrift ‚Über mein schriftstellerisches Werk.‘ das Folgende und betont darin gerade die Bedeutsamkeit der personalen Verfasserschaft auch seiner pseudonymen Schriften, insbesondere der Nachschrift: Die Heterogenität muss unbedingt festgehalten werden, dass es hier einen Verfasser gibt, dass es nicht objektiv eine Sache ist, aber dass es eine Sache ist, mit der ein Einzelner allein stand, dafür gelitten hat usw. Aber wie man nicht verstanden hat, dass Abschl. Nachschrift komisch angelegt ist, dass dies gerade Ernst ist – und wie man dann glaubt, die Sache zu verbessern, indem man einzelne Thesen nimmt und ins Dozierende überträgt: so endet es wohl auch damit, dass man mich im Dienste erneuter Verwirrung wie eine Sache behandelt und alles ins Objektive überträgt, es zu dem Neuen macht, dass es hier eine neue Lehre gibt, statt dass das Neue darin besteht, dass hier Persönlichkeit zur Geltung kommt.⁶⁸⁰
Wozu jedoch war das Schreiben des nun Widerrufenen unabdingbar? Zur Einsicht in die Unzulänglichkeit auch dieser dann zwar indirekt mitgeteilten, letztlich jedoch noch immer zu abstrakten, da immer noch vorrangig sprachlich vermittelten Form der Selbstverständigungspraxis. Wenn mit ewiger Seligkeit, von der in den Climacus-Schriften die Rede ist, erstens gemeint ist: ‚sich selbst verstehen in der Zeitlichkeit‘, die Forderung des Ethischen jedoch zweitens näherhin darin besteht, die eigene Existenz in ein ‚Zeugnis‘ von diesem sich-selbst-Verstehen zu verwandeln⁶⁸¹, dann ist dazu nicht nur der Modus dieser, sondern jeder Rede letztlich ungeeignet. Denn die Rede davon, die eigne Existenz in ein Zeugnis der ewigen Seligkeit zu verwandeln, zielt auf eine praktische Zeugenschaft, die selbst nicht mehr vorrangig sprachlich-praktisch operiert – wenngleich, wie gesagt, der sprachlich-kommunikative Aspekt menschlicher Praxis de facto nie ausgeklammert werden kann. Dieser muss jedoch als ein nurmehr sekundärer Aspekt ver-
Ebd. SKS 22, 310, NB13:61 / DSKE 6, 357. Vgl. SKS 7, 359 / AUN 2, 100.
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3 Hauptteil: Die existenzielle Ethik der Climacus-Schriften
standen werden: praktische Zeugenschaft von der ewigen Seligkeit bedarf der Verkörperung durch die Tat. ⁶⁸² Und auch der in diesem neuen Modus der Tat bezeugte ‚Inhalt‘ bekommt einen neuen Namen: Während es im Modus der Rede vom Ethischen um eine
Komplementär zum Nicht-Christen Climacus betont dies der dezidierte Christ Anti-Climacus, insofern er herausstellt, dass das ‚Christ-werden‘, um das es auch Climacus geht, nichts Praktisches von der Art ist, das in Form theoretischer Erörterungen eingeholt werden kann, sondern der lebens- und damit auch alltagspraktischen ‚Einübung‘ bedarf. Anti-Climacus ist dann aber in dem Maße ‚außerordentlicher‘ Christ (vgl. SKS 22, 128, NB11:204 / DSKE 6, 143), wie er eine solche alltägliche Einübung nicht so sehr vollzieht als vielmehr zum Zweck ihrer Anleitung erneut darüber schreibt. (Zum Verständnis von Anti-Climacus’ Einübung im Christentum (1850) als genuin evangelisches, d. h. nicht auf eine sich aus dem Alltag herausziehende contemplatio, sondern auf die tentatio, auf das Festhalten des Eingeübten in der Anfechtung des Alltags, ausgerichtetes Exerzitium vgl. Haizmann 2010.) Zu diesem auch durch Anti-Climacus zu thematisierenden Verhältnis des Außerordentlichen zum Alltäglichen vgl. auch die bereits angeführte Verhältnisbestimmung Abrahams, der in Furcht und Zittern als ‚Vaters des Glaubens‘ eine Ausnahme darstellt, zum eigentlichen ‚Ritter des Glaubens‘, der in seiner unscheinbaren Alltäglichkeit von einem ‚Rottmeister‘, d. h. einem Steuerbeamten, nicht zu unterscheiden ist. Eine m. E. bemerkenswerte Sensibilität für den hier anvisierten Zusammenhang von Theorie und Praxis bei Kierkegaard findet sich erneut bei Wittgenstein. Neben der bereits angeführten Äußerung Moritz Schlick gegenüber, dass das von Climacus mit dem Begriff des Paradox adressierte ‚Anrennen gegen die Grenzen der Sprache‘ das eigentlich Ethische ausmache, findet sich auch in Wittgensteins Tractatus ein ‚Widerruf‘, der nicht nur in der Wahl des Sprachbildes der Leiter seine Verpflichtung auf die Climacus-Schriften Kierkegaards zu erkennen gibt: „Meine Sätze erläutern dadurch, daß sie der, welcher mich versteht, am Ende als unsinnig erkennt, wenn er durch sie – auf ihnen – über sie hinausgestiegen ist. (Er muß sozusagen die Leiter wegwerfen, nachdem er auf ihr hinaufgestiegen ist.) Er muß die Sätze überwinden, dann sieht er die Welt richtig.“ (TLP 6.54, zit. n. Wittgenstein 1963, 83) Aber mehr noch: Gerade das nicht mehr primär sprachlich-praktische Tun, das sowohl bei Climacus als auch bei Anti-Climacus nur negativ, da immer noch in Form der Rede, Thema ist, macht letztlich auch den wesentlichen Gegenstand der Philosophie Wittgensteins aus, die dann – zumindest in ihrer frühen Form – gerade als eine Theorie der Logik Ethik ist. So lautet eine bekannte Bemerkung Wittgensteins an seinen Verleger Ludwig von Ficker: „der Sinn des Buches [sc. des Tractatus] ist ein Ethischer. Ich wollte einmal in das Vorwort einen Satz geben, der nun tatsächlich nicht darin steht, den ich Ihnen aber jetzt schreibe, weil er Ihnen vielleicht ein Schlüssel sein wird: Ich wollte nämlich schreiben, mein Werk bestehe aus zwei Teilen: aus dem, der hier vorliegt, und aus alledem, was ich nicht geschrieben habe. Und gerade dieser zweite Teil ist der Wichtige.“ (Zit. nach Wittgenstein 1969, 35) Einen dementsprechenden Versuch praktischer Zeugenschaft, einen Versuch der Verkörperung dieser Einsicht der theoretisch uneinholbaren Bedeutung der Lebenspraxis durch die Tat, hat Wittgenstein dann auch selbst unternommen, indem er nach der Abfassung und Veröffentlichung des Tractatus zunächst Volksschullehrer wurde, um, wie er sagte, „bei kärglichem Lohne“ vielleicht einmal „als anständiger Mensch [zu] sterben“ (zit. nach Wünsche 1985, 182). Zum Verhältnis des ‚Schlusses‘ des Tractatus zum Widerruf der Nachschrift vgl. insbes. die ausführliche Darstellung in Schönbaumsfeld 2007. Vgl. auch Hannay 2010, 54– 57.
3.2 Kierkegaard und Jacobi II
201
Selbstverständigungspraxis ging, hier trotz aller von Climacus unternommener Rationalitätskritik also noch immer das kognitive Element überwiegt, verweist der Widerruf am Ende der Nachschrift darauf, dass es sich beim Ethischen letztlich um eine Selbstverständigungspraxis handeln muss. Die Verkörperung der ewigen Seligkeit durch die Tat ist ein Tun: der ‚Liebe Tun‘. Nur ein solches ist für Kierkegaard der eigentliche Ausdruck christlicher Religiosität, sodass diese nicht die Überwindung, sondern die erst eigentliche Vertiefung des Ethischen bedeutet, wie es die Climacus-Schriften zum Thema haben. Und dies insbesondere in folgender Hinsicht: Anders als eine Ethik der Selbstverständigung (zu der dann auch, aber nicht ausschließlich die Praxis des Liebens gehört) erkennt eine Ethik der Liebe, die die Praxis des Liebens als ausgezeichnete und letztlich erst eigentliche Praxis der Selbstverständigung behauptet, den Bezug auf den Mitmenschen als nicht nur geliebten, sondern auch selbst liebenden Anderen als das ihr Wesentliche. Im Sinne einer solch vertiefenden Kontinuität von Ethik und Religiosität sind dann auch diejenigen konkreten Phänomene der Liebe, die Kierkegaard 1847, nur ein Jahr nach Veröffentlichung der Nachschrift, in eigenem Namen unter dem Titel Der Liebe Tun in den Blick nimmt, durch das, was Climacus unter den Begriff einer christlich-paradoxen Religiosität (der sogenannten ‚Religiosität B‘) fasst, strukturell begründet. Diesem Gedanken widmet sich das nun folgende letzte Hauptkapitel meiner Arbeit. Vor den Erörterungen zur Climacus’ strukturellem Verständnis von Religiosität sowie Kierkegaards phänomenaler Anknüpfung daran gilt es dort, zentrale Aspekte von Jacobis Religionsphilosophie konzentriert darzustellen. Trotz aller zuzugestehender Gemeinsamkeiten, die sogar über Kierkegaards eigene Affirmation Jacobis hinausreichen, kristallisieren dort, im Kontext des jeweiligen Verständnisses von Religion und Religiosität die ebenfalls nicht zu leugnenden Unterschiede beider. Denn obwohl letztlich auch Jacobi in weiterer Ausgestaltung seines hier bisher mit dem Woldemar aufgebrachten Gedankens einer genuinen Dialogizität des Menschen den Begriff der Liebe ins Feld führt, um Religion als eine dann vor allem sittliche Praxis stark zu machen, wird diese bei ihm grundsätzlich anders, nämlich positiv-anthropologisch, begründet. Kierkegaard hingegen – dies wird sich in der Gegenüberstellung zeigen – verfährt gerade umgekehrt: sein christlich-paradoxes Verständnis von Religiosität bedingt seine letztlich negative Anthropologie. 3.2.3.5 Exkurs: Abstrakte und unmittelbare Sprache bei Jacobi Zunächst muss jedoch noch einmal der Blick auf Jacobi fallen und die Frage gestellt werden, ob Climacus’ zweiter Kritikpunkt, Jacobi fehle es an Aufmerksamkeit auf die Unzulänglichkeit sprachlicher Kommunikation zur Vermittlung existenziell bedeutsamer Gehalte, trifft. Auch hier lautet die Antwort Nein, inso-
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3 Hauptteil: Die existenzielle Ethik der Climacus-Schriften
fern Jacobi letztlich auch hier einem anderen anthropologischen Grundmodell einer doppelten Vernunft folgt und für ihn sprachliche Kommunikation vor diesem Hintergrund nicht im gleichen, fundamentalen Sinn dem Problem der eigenen Unzulänglichkeit ausgesetzt ist, auf das es dann aufmerksam zu sein gelte. Climacus’ Kritik wird sich bereits hier, nicht erst in der sachlichen Ausrichtung auf den Bereich der Religiosität, als bloß äußerlich erweisen. Drei Aspekte sind diesbezüglich hervorzuheben: Jacobi ist sich (1) durchaus der Unzulänglichkeit bestimmter Sprachformen, allen voran einer abstrakten Begriffssprache bewusst. Dies lässt sich als der rationalitäts- und damit zugleich sprachkritische Aspekt der Jacobi’schen Sprachphilosophie bezeichnen. Gleichwie aber der adjektiv-instrumentellen Rationalität, mit deren Herausbildung auch die Herausbildung einer abstrakten Sprachform einhergeht, eine substantive Vernunft zugrunde liegt, erlaubt auch die abstrakteste Sprache bei aller Verstellung (2) stets den Rückbezug auf eine Form der unmittelbaren Sprache, aus der sie überhaupt erst erwachsen ist. Und diese unmittelbare Sprache stellt als, wie Jacobi formuliert, „natürliche[]“ „Menschensprache“⁶⁸³ ein ganz anderes Fundament gelingenden Verstehens bereit, das im Kierkegaard-Climacus’schen Modell, gleichwie eine substantive Vernunft, keinen Ort hat. Dies kann als der sprachanthropologische Aspekt der Jacobi’schen Sprachphilosophie bezeichnet werden. Aus diesem sprachanthropologischen Aspekt lässt sich zuletzt (3) der Grundgedanke einer Poetologie ableiten, die ganz im Gegensatz zu ClimacusKierkegaard als eine Theorie direkter Mitteilung verstanden werden kann, die Jacobis Methode literarischer Darstellung insbesondere in seinen Romanen entspricht. (1) Wie bereits dargelegt worden, fasst Jacobi unter dem Rubrum einer substantiven Vernunft die genuin menschliche Praxis der Selbstverständigung des Einzelnen über sich selbst und seine Kultur, seine Lebensform. Demgegenüber bildet die sogenannte adjektive Vernunft lediglich eine, wenngleich nicht nur nützliche, sondern auch unvermeidliche, da dem Zweck der Selbsterhaltung dienende Form dieser Selbstverständigungspraxis: In der Herausbildung einer adjektiven Vernunft als instrumenteller Rationalität wird der Mensch zum und versteht sich selbst zugleich als animal rationale, dem die einstmals okkulten Qualitäten einer bedrohlichen Natur durchsichtig und damit beherrschbar geworden sind.
JWA 5,1, 208 f.
3.2 Kierkegaard und Jacobi II
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Im Zuge dieses Prozesses spielt nun auch die Herausbildung von Sprache eine wesentliche Rolle.⁶⁸⁴ Rationale Durchdringung und die damit aufscheinende Möglichkeit einer umfassenden Erklärung alles Realen (die dann im Spinozismus wie gesehen nur scheinbar zur Gänze verwirklicht wurde) geht einher mit dem „Bedürfniß der Abtraction und Sprache“ und hat die Herausbildung einer „Vernunftwelt“ zur Folge, „worin Zeichen und Worte die Stelle der Substanzen und Kräfte vertreten“⁶⁸⁵, die zuvor dunkel und bedrohlich waren. Diesen Gedanken der ‚Beilage VII‘, auf den ich bereits in den sachlichen Vorbemerkungen zum ersten Hauptkapitel hingewiesen habe, nimmt Jacobi vier Jahre später, 1793, in seinen Zufälligen Ergießungen eines einsamen Denkers in Briefen an vertraute Freunde wieder auf und entfaltet ihn im dortigen ‚Zweiten Brief an Ernestine F***‘ ausführlicher. Dort weist Jacobi zunächst darauf hin, dass ebenso wie die Ausbildung instrumenteller Rationalität als Mittel der Selbsterhaltung auch die Ausbildung einer Sprache, die den unmittelbaren Erfahrungsgehalten des Lebens eine Form und Gestalt gibt, nicht nur nützlich ist, sondern auch unvermeidlich geschieht: „Eine Form und Gestalt müssen alle Dinge haben, und einem Dinge alle Gestalt nehmen, hieße so viel als es vernichten.“⁶⁸⁶ Dies gilt auch für die Begriffe, zu denen der Mensch seine unmittelbaren Vorstellungen von der Natur und seiner Umwelt mithilfe der adjektiven Vernunft umbildet und die er kategorisiert: „Offenbar…entspringt die Gewalt der Worte und Zeichen jedesmal, näher oder entfernter, aus einem Begriffe; ihre Kraft ist die Kraft des Begriffes. Der Begriff selbst hingegen kann seine Kraft unmittelbar nicht äussern; er muß sie einem Zeichen oder Worte anvertrauen.“⁶⁸⁷ So wie aber mit der rationalen Durchdringung der Natur die problematische Tendenz mehr und mehr virulent wurde, den Ursprung dieser Durchdringung in der freiheitlichen Praxis menschlicher Selbstverständigung zu verstellen, um Freiheit vielmehr umgekehrt dem Anspruch der Erklärbarkeit zu unterwerfen, birgt auch die abstrakte Sprache die Gefahr der Verstellung und Verkehrung der hier vorliegenden Bedingungsverhältnisse. Darauf habe ich bereits im Blick auf die sprachliche Konnotation des Arguments eines wesentlichen Unterschieds von Grund und Ursache aufmerksam gemacht. Der dort formulierte Gedanke des
Vgl. dazu auch die grundsätzliche Überlegung, in der Eduard Allwills Briefesammlung (1792) beigefügten ‚Zugabe. An Erhard O**‘, es bedürfe insgesamt einer „Kritik der Sprache, die eine Metakritik der Vernunft sein würde, um uns alle über Metaphysik eines Sinnes werden zu lassen.“ (JWA 6,1, 241) JWA 1,1, 249. JWA 5,1, 209. JWA 5,1, 206.
204
3 Hauptteil: Die existenzielle Ethik der Climacus-Schriften
Verwirrungspotenzials einer sich dann bis hin zu einer philosophischen Schulsprache ausbildenden abstrakten Sprache, die die Anbindung an die alltäglichen Erfahrungen der Menschen, und mit ihnen an den alltäglichen Gebrauch der Sprache, der auf diesen Erfahrungen beruht, verloren hat, kehrt in den Zufälligen Ergießungen wieder, wenn Jacobi dort formuliert: So wie Vernunft bey dem sinnlichen Wesen eintritt, übermannt die sinnlichen Vorstellungen und Empfindungen – Gedanke; er verwandelt, er verschlingt sie. Triebe und Leidenschaften nehmen ihre Richtung nach Begriffen, mit denen über alles geurtheilt, nach denen alles bestimmt wird. Da aber Begriffe nur vermittelst der, mit ihnen verknüpften, Zeichen festgehalten, fortgeleitet, ausgebreitet werden können; so sind die Zeichen von Natur im Besitz eines gefährlichen Einflusses, der sich vermehrt, so wie sie selbst sich vermehren, und immer willkührlicher werden. Allmählig gewinnen sie die Oberhand; Worte gelten für Begriffe, es entsteht eine Fertigkeit zu denken ohne zu verstehen, und eben so zu wünschen und zu wollen; eine Fertigkeit der willkührlichen Verknüpfungen im ganzen Gebiete des Denkens und Begehrens.⁶⁸⁸
Überhaupt wohnt jeder Sprache, so Jacobi, eine solche nicht aufzulösende, widerstreitende Tendenz inne, die er mit der klassischen Unterscheidung von ‚Geist‘ und ‚Buchstabe‘ umschreibt: Diese oder jene einzelne, besondre, laß mich sagen positive und formelle Menschensprache, kann geschickter als die andre seyn, den Geist des Menschen ausser ihm darzustellen, ihm als Werkzeug zu dienen, ihn zu vertreten; aber keine kann zu der Vollkommenheit gelangen, daß sie – nun in und durch sich selbst lebendig, an und für sich selbst verständlich – das todte und tödtende des Buchstabens nicht mehr an sich hätte. Dieser ist und bleibt, wie alles Körperliche, in sich finster und leblos. Schrift und Sprache, getrennt vom Leben der Menschen, sind nicht Schrift nicht Sprache mehr, sind nur formlose Züge, sinnlose Laute.⁶⁸⁹
(2) Entscheidend ist nun jedoch, dass dies erneut nur die eine Seite der Medaille darstellt und Jacobi den Climacus’schen Gedanken einer fundamentalen Unzulänglichkeit von Sprache überhaupt und einer genuin problematischen Kommunikation existenziell bedeutsamer Gehalte letztlich nicht teilt. Denn sein anthropologisches Grundmodell, das die adjektiv-instrumentelle Vernunft als Ausdruck menschlicher Selbstverständigungspraxis in die fundamentalere Disposition einer substantiven Vernunft integriert, hält mit dieser Integration zugleich eine Climacus völlig fremde, genuin menschliche Möglichkeit bereit, der Gefahr der Verstellung und Verwirrung durch eine abstrakte Sprache zu entgehen, wenn nur dem entsprechenden Bedingungsverhältnis adäquat Rechnung getra JWA 5,1, 205. JWA 5,1, 209.
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205
gen wird. Zwei Punkte sind hier zu verdeutlichen, um zu verstehen, was Jacobi vor Augen hat. (a) Jacobi entwirft zunächst eine komplexe Verknüpfung von individuellem Personsein und sprachlichem Ausdruck, die ich in wenigen Zügen nachzeichnen möchte: Trägt man dem Bedingungsverhältnis von substantiver und adjektiver Vernunft adäquat Rechnung, dann bemerkt man auch im Kontext der Sprache erstens, dass „[j]edes Zeichen…sich nothwendig doch auf etwas bezeichnetes [bezieht]; jeder Gebrauch muß einen von ihm selbst verschiedenen Ursprung haben; jedes Wort irgend einen Sinn. Ein ganz leeres Wort ist“ – analog zu einer völligen Logifizierung des Ursache-Begriffs – letztlich „ein Unding; nicht einmal ein ganz leerer Schall ist möglich.“⁶⁹⁰ Indem dieses durch ein Zeichen Bezeichnete als Begriff sich zweitens in letzter Instanz auf das Unmittelbare und Einzelne der Wahrnehmung gründet⁶⁹¹ und die Gesamtheit unserer in diesem Sinne irreduziblen Wahrnehmungen (nicht die uns zur Verfügung stehenden Begriffe) drittens das konstituiert, was wir unser persönliches Bewusstsein nennen, kommt in und mit Sprache viertens ganz fundamental und vor jeder verabsolutierten Abstraktion unser individuelles Personsein selbst zum Ausdruck: Sprache, so formuliert Jacobi im David Hume, ist „ein articuliertes Echo“ unserer selbst, das „im Bewußtseyn laut wird“; auf diese Weise „erhebt sich über die Empfindung das Wort“, ohne sie sich jedoch zu unterwerfen; „es erscheinet, was wir Vernunft, es erscheinet, was wir Person nennen.“⁶⁹² (b) Nun ist damit jedoch noch längst nicht alles getan, so als reichte die bloße Besinnung auf die Bedingungsverhältnisse von substantiver und adjektiver Vernunft, von Personsein und Sprache, aus, um jedes Missverstehen zwischen den Menschen zu beheben und jedem Scheitern eines Gesprächs für die Zukunft vorzubeugen. Parallel zum Verständnis eines personalen Selbst im Woldemar, das sich nicht in einem ontologisch immer schon gegebenen und entsprechend epistemisch prinzipiell immer schon zugänglichen Selbstsein erschöpft, sondern sich vielmehr anti-substanzialistisch im Prozess der kontinuierlichen Herausbildung einer individuellen Persönlichkeit und eines Charakters angesichts der Er-
JWA 5,1, 206. Vgl. dazu die in den Göttlichen Dingen erneut zur Sprache gebrachte Tendenz zur Verkehrung der Bedingungsverhältnisse von Verstand und Vernunft, von Wahrnehmung, Begriff- und Sprachbildung: „Auch im Verstande entstehet das Allgemeine erst nach dem Einzelnen, der Begriff erst nach der Wahrnehmung. Aber so wie der Begriff entstanden ist, erhebt er sich über die Wahrnehmung, betrachtet was er unter sich befaßt, die Unendlichkeit des verschiedenen Einzelnen, als aus ihm entsprungen; sich selbst und seinen Sohn, das Wort, als den Grund und die Ursache der Wesen.“ (JWA 3, 111) JWA 2,1, 86.
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3 Hauptteil: Die existenzielle Ethik der Climacus-Schriften
fahrungen von Negativität und Krise, im Prozess des Selbstwerdens, realisiert, kommt nun auch der Sprache eine entscheidende Funktion innerhalb dieses Selbstwerdungsprozesses zu. Gleichwie es im Woldemar zentral darum ging, dass ein solcher Prozess nicht einsam, in Ablösung von anderen Personen, sondern nur in der immer wieder neu anzugehenden, dialogischen Zuwendung zu ihnen und im Aushalten der mit einer solchen Zuwendung immer auch einhergehenden Widersprüchlichkeit gelingen kann, ist nun auch Sprache für Jacobi nicht nur ein, sondern das entscheidende Medium dieser Zuwendung: „Seit länger als zwanzig Jahren“, schreibt Jacobi bereits 1784 an Herder, „bin ich überzeugt, daß keine That geschehen kann, als durch das Wort.“⁶⁹³ Eine entsprechende Zusammenführung von personaler Selbstwerdung und Sprache unter der Überschrift der Dialogizität unternimmt Jacobi dann auch in einer direkten Anmerkung zur zuvor angeführten Stelle aus dem David Hume, die lautet: „Das Ich und das Du wird gleich bei der ersten Wahrnehmung unterschiedenen. Aber in demselben Maaße wie das Du deutlicher wird, wird auch das Ich deutlicher. – Es entsteht Begriff, Wort, Person.“⁶⁹⁴ Mit anderen Worten: Die immer wieder neu anzugehende Auseinandersetzung mit anderen und das darauf angewiesene, da darin sich konstituierende Selbstsein vollzieht sich ganz wesentlich im Gespräch. Damit ist dann aber auch klar, dass gegenüber einer jeden zuvor bereits erwähnten einzelnen und besonderen Sprache, die durch die nicht aufzulösende Widersprüchlichkeit von ‚Geist‘ und ‚Buchstabe‘ bestimmt ist, die hier nun anvisierte „natürliche[]“ Sprache als eigentliche „Menschensprache“⁶⁹⁵, unter deren Voraussetzung ein solches Gespräch dann auch gelingen kann, ihrerseits von einer solchen Widersprüchlichkeit nicht einfach befreit ist. Nicht geht es hier um so etwas wie eine paradiesische Ursprache, auf die man zurückgreifen könnte, wie es überhaupt nicht um eine metaphysisch-idealistische ‚Hinterwelt‘ geht, die den Phänomenen und der Sprache zugrunde läge. Ganz im Gegenteil scheint trotz aller unabweislichen Widersprüchlichkeit und damit auch Unzulänglichkeit sprachlicher Kommunikation gerade in dem Gedanken ein „Licht der Hoffnung“ auf, „daß nur Entwickelung des Lebens, Entwickelung der Wahrheit ist; beyde, Wahrheit und Leben, Eins und Dasselbe.“⁶⁹⁶ Das heißt, dass der lebendige Sprachgebrauch und die jeweilige Lebensform, der er entspringt, gerade nicht zu hintergehen, gleichwie die ‚natürliche Geschichte spekulativer Vernunft‘, die die ‚Beilage VII‘ nachzeichnet, nicht rückgängig zu machen ist.Vielmehr ist beides in der Verwobenheit miteinander nicht nur als Voraussetzung aufgeklärter Selbst
JBW I,3, 329. JWA 2,1, 86. JWA, 5,1, 208 f. JWA 5,1, 207.
3.2 Kierkegaard und Jacobi II
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verständigungspraxis anzuerkennen, sondern als Horizont dieser Praxis in ihren kritischen Prozess mit einzubeziehen. So wie Selbstsein nur im Selbstwerden sich realisiert, kommt der Einzelne für Jacobi im Gespräch mit anderen selbst erst recht zur Sprache, lernt zu verstehen und zugleich mit eigener Stimme zu sprechen.⁶⁹⁷ Worin liegt nun aber der Unterschied zu Climacus-Kierkegaard mit Blick auf Sprache und Kommunikation im Detail begründet? Anders gefragt: Worin konkretisiert sich die anthropologische Dimension einer auch in den Grenzen der Sprache wirksamen und das Gelingen sprachlicher Kommunikation prinzipiell ermöglichenden substantiven Vernunft hier, im Kontext der Sprache selbst? Dazu ist noch einmal hervorzuheben: Im ständigen Prozess nicht nur der dialogischen Auseinandersetzung mit anderen, sondern auch im Prozess der ständigen Auseinandersetzung mit den Unzulänglichkeiten, vor allem aber den Möglichkeiten der zugleich eigenen und gemeinschaftlichen Sprache, entzieht sich die eigene Person nicht so sehr, als dass sie vielmehr zum Ausdruck kommt. Und dies geschieht bei Jacobi, genauer in Jacobis schriftstellerischem Gesamtwerk, nun anders als bei Climacus-Kierkegaard nicht über den Weg einer komplexen indirekten Mitteilung qua vielfach gebrochener literarischer Darstellung und ironisch-pathetischer Stilwendungen, sondern gerade in literarischer Darstellung ganz unmittelbar. Nicht nur seine philosophischen Schriften, sondern insbesondere seine (nicht weniger philosophischen) Romane stehen unter der Programmformel, die Jacobi Lessing gegenüber formuliert: „Nach meinem Urtheil ist das größeste Verdienst des Forschers, Daseyn zu enthüllen, und zu offenbaren“⁶⁹⁸. Wie bereits mehrfach erwähnt, ist diese Programmformel zusammen zu lesen mit der zunächst in der ‚Vorrede‘ zum Allwill von 1792 formulierten, dann 1819 als der Auch in dieser sprachphilosophischen Fortführung des Gedankens eines dialogisch-prozessualen Selbstverständnisses aus dem Woldemar lässt sich, wie bereits an diesbezüglicher Stelle angemerkt, eine Parallele zum Denken Stanley Cavells erkennen. Dazu sei daran erinnert, dass Cavell als erstes Leitmotiv seines moralischen Perfektionismus angab: „dass das – in sich befangene, zu sich selbst strebende – menschliche Selbst stets im Werden ist, quasi auf einer Reise“, und sogleich als zweites Leitmotiv hinzufügt, „dass der andere, dem gegenüber ich Worte verwenden kann, in denen ich mich selbst ausdrücken gelernt habe, der Freund ist – eine Figur, die als Ziel der Reise vorkommen kann, aber auch als Anlass und Begleitung.“ (Cavell 2010, 56 f.) Hier ist nun ein drittes Motiv zu ergänzen, das für Cavell stets mit zu dieser ‚Reise‘ des menschlichen Selbst dazugehört: das Motiv einer Suche nach der eigenen, authentischen und als solche verstehbaren und anzuerkennenden Stimme. So spricht er in A Pitch of Philosophy (dt.: Die andere Stimme) etwa von der gleichzeitigen „Möglichkeit und Notwendigkeit…, mir die Sprache zu eigen zu machen, meine Stimme zu finden“, sowie von der damit zugleich einhergehenden „beständige[n] Befürchtung, sie nicht zu finden oder nicht zu erkennen, oder die, daß sie nicht anerkannt wird.“ Dies, so Cavell, ist das „Problem des Plagiats in der menschlichen Identität.“ (Cavell 2002, 70) JWA 1,1, 29, meine Hervorh.
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„ächte[] und allgemeine[] Schlüssel“ für sein Gesamtwerk wiederholten Absicht, „Menschheit wie sie ist, erklärlich oder unerklärlich, auf das gewissenhafteste vor Augen [zu] stellen“⁶⁹⁹. ‚Vor Augen stellen‘, ‚enthüllen‘ und ‚offenbaren‘ – wenn, wie Jacobi schreibt, letztlich ‚keine That geschehen kann, als durch das Wort‘, dann geht es ihm gerade in seinen Romanen mit der Enthüllung des Daseins zugleich also auch um die Sichtbarmachung des in der Sprache liegenden Potenzials zwischenmenschlichen Verstehens. Dass dies überhaupt möglich ist, liegt in derjenigen Sprachform begründet, der Jacobi zufolge unsere näherhin verbale Sprache nicht nur erwächst, sondern die diese immer auch begleitet und erst eigentlich zu einer ‚Menschensprache‘ macht: in der nonverbalen Sprache des Körpers, insbesondere der menschlichen Physiognomie und Mimik.⁷⁰⁰ In ‚Ueber eine Weissagung Lichtenbergs‘ in den Göttlichen Dingen formuliert Jacobi diesen Punkt am prägnantesten, indem er schreibt, dass „auf dem Angesichte des Menschen die verborgene, unsichtbare Seele, sichtbar sich ausdrückt; hervordringt; unbegreiflich sich mittheilt, und durch diese geheimnißvolle Mittheilung Rede und Verständniß der Rede zuerst gebiert“⁷⁰¹. (3) Daraus lässt sich dann auch der Grundgedanke einer Poetologie ableiten, der Jacobis literarischer Methode entspricht. Diese fasst er im ‚Vorbericht‘ zur Werkausgabe der Spinozabriefe von 1819 und damit letztgültig unter dem Ausdruck der ‚Darstellung‘: „Aus der Sache gestaltet sich allemal die Methode des Vortrags. …[I]ch ging darstellend zu Werke, konnte nicht anders, wollte nicht anders.“⁷⁰² So ist Sprache, wenn sie nicht verabsolutiert-abstrakt, sondern in Anbindung an den je individuellen Ausdruck des eigenen Körpers und des eigenen Angesichts natürliche Sprache ist, nicht bloß der tote Buchstabe eines einst lebendigen Geistes, sondern die nun „angemessene“⁷⁰³ Gestalt menschlichen Ausdrucks. Und über diesen Weg kann dem Menschen dann – nicht nur, aber auch – in den Figuren eines Romans, durch deren Sprache und Gespräch, ein „Bild“ gegeben werden, „das ihm gleich ist“⁷⁰⁴ und das er deshalb, nicht trotz, sondern gerade wegen seiner Widersprüchlichkeit, unmittelbar und direkt verstehen kann. Für Jacobi kann nur so der Mensch als Leser seinerseits mit diesen
JWA 6,1, 89; JWA 1,1, 348, meine Hervorh. Insbesondere auf diesen Aspekt macht jüngst Guido Frilli (Frilli 2020) aufmerksam, dessen erhellender Darstellung von Jacobis Sprachverständnis meine Ausführungen in diesem Exkurs insgesamt verpflichtet sind. JWA 3, 11. JWA 1,1, 351 f. JWA 5,1, 209. JWA 5,1, 208.
3.2 Kierkegaard und Jacobi II
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Figuren ins Gespräch kommen, um daran zu wachsen: um – mit Woldemar, wie Woldemar – „auf einem langsamen äussert schmerzhaften Wege…zu einer tieferen Selbsterkenntniß“⁷⁰⁵ zu gelangen.⁷⁰⁶ Zuletzt noch zweierlei, um den Fortgang der Arbeit zu verdeutlichen: Obwohl ich diesen Aspekt zuletzt betont habe, um sowohl an den Exkurs zum Woldemar anzuknüpfen als auch den Unterschied zu Climacus’-Kierkegaards Theorie einer indirekten Mitteilung stärker deutlich zu machen, haben wir es hier erstens nicht ausschließlich mit einer Poetologie zu tun, die sich im Anschluss an das letzte Zitat als eine ‚Poetologie des Bildes‘ bezeichnen ließe. Für Jacobi gilt ganz grundsätzlich: „Wie mit dem Worte, so mit der Wahrheit. …Ganz und rein kann der Mensch die Wahrheit nicht empfangen; er sieht sie nur im Bilde, in einem Bilde das ihm gleich ist.“⁷⁰⁷ In diesem Sinne sind nicht nur Romanfiguren, sondern ist letztlich ein jeder Mensch dem Menschen ein solches Bild, das ihm gleich ist. Überall, so formuliert Jacobi diesen Gedanken erneut im ‚Vorbericht‘ von 1819, „[w]o starke Persönlichkeit hervortritt, da wird in ihr und durch sie die Richtung zum Uebersinnlichen … am entschiedensten zur Sprache gebracht.“⁷⁰⁸ Zum Übersinnlichen – das heißt zunächst zur Möglichkeit, sich freiheitlich und damit unbedingt über die eigene Bedingtheit, die eigene animalische Natur und ihre Eingebundenheit und den Zusammenhang reiner Naturkausalität, zu erheben. Auf diese metaphysische Dimension in der Erfahrung des Unbedingten habe ich bereits in den sachlichen Vorbemerkungen zum ersten Kapitel hingewiesen. Nun bezeichnet Jacobi diese Erfahrung des Unbedingten zugleich als die Erfahrung des Göttlichen – und dies ist der zweite zuletzt wichtige Punkt –: „Wo starke Persönlichkeit hervortritt, da wird in ihr und durch sie die Richtung zum Uebersinnlichen und die Ueberzeugung von Gott am entschiedensten zur Sprache gebracht.“⁷⁰⁹ Insofern wir es hier aber wie gesehen um einen letztlich anthropologisch begründeten Typus des unmittelbaren und direkten Verstehens zu tun
JWA 7,1, 323. Auch Frilli beleuchtet zum Ende seiner Überlegungen den Zusammenhang einer nonverbalen Sprache des Körpers, insbesondere der Mimik, mit einer dann angemessenen verbalen ‚Gestalt‘ menschlichen Ausdrucks und Jacobis auf die Direktheit und Unmittelbarkeit der Erfahrung abzielenden Methode der ‚Darstellung‘, die er mit der klassisch-rhetorischen Figur der ‚Hypotyposis‘ in Verbindung bringt: „It is here helpful to recall that Darstellung, exhibition or presentation, is introduced in German 18th Century philosophy – emblematically in Herder’s Plastik – as the translation of the classical rhetorical notion of hypotyposis, which indicated – for example in Quintilian’s Institutio Oratoria – a description so vivid that the audience forgets to be listening to words, and directly sees the narrated events.“ (Frilli 2020, 73) JWA 5,1, 208. JWA 1,1, 341. Ebd.
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3 Hauptteil: Die existenzielle Ethik der Climacus-Schriften
haben, dem dann auch diese Erfahrung des Göttlichen entspricht, ja mehr noch: demgemäß unmittelbares Selbstverstehen und unmittelbare Erfahrung des Göttlichen im Gedanken einer Offenbarung, gar Menschwerdung Gottes „in uns“⁷¹⁰ – und das heißt: in jedem von uns – zusammenfällt, kristallisieren sich an dieser Stelle die bisher aufgewiesenen Unterschiede zum christlich-religiösen Denken Kierkegaards. Für Kierkegaard, wie auch für Climacus – dies haben bisher insbesondere die Brocken gezeigt –, ist die Menschwerdung Gottes nicht nur ausschließlich auf die konkrete historische Person Jesu von Nazareth beschränkt.Wie im Folgenden anhand der Nachschrift, aber auch anhand von Der Liebe Tun, zu zeigen ist, basiert dieses Denken auf dem fundamental entgegengesetzten anthropologischen Modell eines durch Sünde beeinträchtigen und von dorther auf die Gnade Gottes angewiesenen Menschen, dem deshalb sowohl ein unmittelbares Verstehen seiner selbst als auch eine unmittelbare und selbstimmanente Offenbarung Gottes genuin unmöglich ist.
3.2.4 Zwischenfazit Mit dem Übergang von den Brocken zur Nachschrift findet ein entscheidender Wechsel in der Perspektive statt: Die Brocken sind, wie Climacus formuliert, in ‚philosophischem Sinne‘ abgefasst und dienen, allem voran mit ihrem zentralen ‚Zwischenspiel‘ und der dortigen Explikation der modalontologischen Struktur historischer Sachverhalte, der Fundierung der sich mit der Nachschrift anschließenden ‚ethischen Untersuchung‘; diese bildet den Kern der existenziellen Ethik der Climacus-Schriften. Vor diesem Hintergrund ist im zweiten Kapitel insbesondere das Folgende herausgestellt worden: Gleichwie dem Jacobi’schen Argument eines wesentlichen Unterschieds von Grund und Ursache eine unverzichtbare Rolle zum Verständnis des ‚Zwischenspiels‘ der Brocken zukam, war es nun erneut Jacobi, den Climacus als den entscheidenden Gesprächspartner zur internen Elaboration der eigenen Position einer existenziellen Ethik heranzog. Dies geschah im Wesentlichen in zweierlei Hinsicht: (1) Im Ausgang von einer nun nicht mehr umfänglich affirmativen Bezugnahme auf Jacobi, sondern von einer kritischen Auseinandersetzung mit Jacobis Verständnis des Salto mortale als freiheitlicher Akt des Systemwiderspruchs, konnte Climacus die für ihn maßgeblichen Elemente menschlichen Handelns herausarbeiten: menschliches Handeln ist in seiner eigentümlichen Dialektik von
JWA 3, 42.
3.2 Kierkegaard und Jacobi II
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Innerlichkeit und Äußerlichkeit bestimmt durch die Elemente (a) der Entscheidung und (b) der Wiederholung. Beide Elemente weisen auf ein je unterschiedliches Verständnis dessen hin, was mit der Kategorie des Sprungs bezeichnet werden kann und muss, wenn mit ihr die Sphäre menschlichen Handelns als Sphäre menschlicher Freiheit verstanden und bestimmt werden soll. Eine jede dieser Verständnisweisen schließt zwar an die von Jacobi in Form seiner Figur des Salto mortale vorgebrachte an, übersteigt sie aber in für Climacus entscheidendem Maße: Während (a) die Entscheidung selbst als ein Sprung zu verstehen ist, der hier nicht mehr den Zusammenhang metaphysischer Letztbegründung, sondern den Zusammenhang handlungstheoretischer Rechtfertigung durch Gründe ab- und damit durchbricht, resultiert (b) die Wiederholung aus der Wirklichkeit des Scheiterns menschlichen Handelns in der Auseinandersetzung mit der mitmenschlich-sozialen Umwelt. Dieses Scheitern bedingt als moralisches Scheitern die Empfindung von Schuld im Modus der Reue, kennzeichnet menschliches Handeln damit erstens als wesentlich pathetisch, verlangt darüber hinaus vor allem aber zweitens eine ständige Neubewertung des eigenen Handelns als Bedingung der Möglichkeit eines Perspektivwechsels auf die eigene Existenz. Diesen Perspektivwechsel will Climacus letztlich ebenfalls als einen Sprung, nämlich als ‚Sprung des Nicht-Glaubenden zum Glaubenden‘ verstanden wissen. Zwar sind dies in der Tat zwei Verständnisweisen der Kategorie des Sprungs – so ist diesem Gedankengang der Nachschrift erwidert worden –, über die Jacobi nicht explizit verfügt; der darin implizierte Vorwurf, er verfüge deshalb ebenso wenig über einen Sinn für die anhand der Phänomene des Scheiterns, der Schuld und der Reue diskutierten negativen Aspekte menschlichen Handelns musste mit Blick auf Jacobis Woldemar zurückgewiesen werden. Denn dieser Roman schildert nicht nur den Prozess einer existenziellen Krise und die Möglichkeit ihrer Auflösung; er tut dies auch in bemerkenswerter Übereinstimmung mit den von Climacus herausgestellten negativen Strukturmomenten menschlichen Handelns. (2) Über diese zentralen handlungstheoretischen Überlegungen hinaus eröffnete die in der Nachschrift geführte Auseinandersetzung mit Jacobi einen weiteren wesentlichen Sachhorizont der existenziellen Ethik der Climacus-Schriften, namentlich denjenigen der Kommunikations- bzw. Mitteilungstheorie. In der Betonung des handlungstheoretischen Elements der Entscheidung, mithin der Sphäre der Innerlichkeit als entscheidende Bedingung der Möglichkeit der Aneignung bestimmter Wahrheiten als subjektive Wahrheiten ‚für mich‘, bezeichnet der Sprung für Climacus einen ‚Akt der Isolation‘. Als ein solcher kann dieser nicht nur nicht delegiert, sondern auch nicht durch direkte sprachliche Kommunikation in seinem Bedeutungsgehalt vermittelt werden. Dazu bedarf es Climacus zufolge einer indirekten Form der Mitteilung, die in der Nachschrift über die drei Etappen (a) einer methodischen Anwendung dieser Einsicht in Form eines ironisch-pathetischen
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3 Hauptteil: Die existenzielle Ethik der Climacus-Schriften
Stils, (b) einer methodologisch-mitteilungstheoretischen Reflexion auf diesen Stil und das in ihm zum Ausdruck kommende Problem sprachlicher Kommunikation, sowie (c) eines Widerrufs der gesamten Nachschrift inklusive methodischen Stils und methodologischer Mitteilungstheorie nachverfolgt werden. Jacobi, so der von Climacus im Zuge dessen erhobene Vorwurf, lasse eine solche Aufmerksamkeit auf das umfassende Problem sprachlicher Kommunikation subjektiv-erstpersönlicher Wahrheit und eine dadurch bedingte Dialektik der Mitteilung vermissen, indem er Lessing gegenüber uneindeutig sei: mal scheine er ihn zum Sprung verhelfen zu wollen, mal weise er die Möglichkeit eines hier direkten Kommunikations- und damit auch Mitteilungsverhältnisses entschieden zurück. Auch dieser Kritikpunkt konnte als ein lediglich äußerlicher zurückgewiesen werden, insofern Jacobi auf Grundlage seines anthropologischen Grundmodells einer doppelten Vernunft nicht nur über seine Sprachkritik, sondern auch über eine dann näherhin sprachanthropologisch begründete Theorie unmittelbaren Verstehens verfügt, von der her sich auch eine Theorie direkter Mitteilung in Form einer ‚Poetologie des Bildes‘ ableiten lässt. Nichtsdestotrotz – dies kann als das beachtenswerte Resultat des zweiten Hauptkapitels festgehalten werden – ist Jacobi erneut und gerade auch über den Weg einer nun kritischen Auseinandersetzung der sachlich entscheidende und zur internen Elaboration der eigenen Position unabdingbare Gesprächspartner für Climacus.
3.3 Kierkegaard und Jacobi III: Religion und Religiosität bei Jacobi und Kierkegaard Während Jacobi einem positiv-anthropologischen Modell einer doppelten Vernunft folgt, das eine genuin menschliche Möglichkeit sprachlicher Kommunikation und zwischenmenschlichen Verstehens impliziert, folgt Climacus einer negativen Anthropologie, die ein solches Verstehen erschwert und die Kommunikation existenziell bedeutsamer Gehalte auf direktem Wege unmöglich macht. Wie auch Climacus’ Sprung letztlich darauf abzielt, „das, was sich…nicht denken läßt,…kraft des Absurden…gläubig anzunehmen“⁷¹¹, und damit bereits auf diese Dimension verweist, ist Climacus’ negative Anthropologie letztinstanzlich christlich-religiös bedingt: Nicht nur zwischenmenschliches Verstehen, sondern auch die darauf wesentlich angewiesene Praxis existenziellen Selbstverständnisses, mithin die Möglichkeit eines gelingenden und guten Lebens, ist durch die Sünde verstellt.
SKS 7, 98 / AUN 1, 93.
3.3 Kierkegaard und Jacobi III
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Um diesen letztlich wesentlichen Unterschied zu Jacobi scharf zu stellen, bedarf es zunächst der konzentrierten Darstellung der hier entscheidenden und auf die anthropologische Problemstellung zugespitzten Aspekte des religionsphilosophischen Denkens Jacobis.
3.3.1 Die natürliche Religiosität des Menschen und Religion als sittlich-perfektionistische Praxis: Aspekte der Religionsphilosophie Jacobis Zunächst eine kurze Vorbemerkung zur hier anvisierten Darstellung zentraler Aspekte von Jacobis Religionsphilosophie. Ich behaupte nicht nur, dass sich in Jacobis Denken Elemente ausmachen lassen, die sich als Elemente einer Religionsphilosophie bezeichnen lassen. Ich behaupte zugleich und darüber hinaus, dass Jacobi sich selbst als einen ‚religiösen Denker‘ verstanden wissen wollte. Worauf ich damit dezidiert nicht abziele, ist ein wie auch immer ausfallendes privates Bekenntnis Jacobis zu einer bestimmten positiven Religion oder gar Konfession. Mir geht es vielmehr um die Frage, inwiefern Religiosität im Sinne eines individuellen Glaubens sowie Religion im Sinne einer überindividuellen Praxis als wesentlich systematische Themen seines philosophischen Denkens zu gelten haben. Dass dies – insbesondere ersteres – so ist, betont Jacobi selbst mehrfach und zuletzt im ‚Vorbericht‘, den er 1819, d. h. im Jahr seines Todes, für die Werkausgabe der Spinozabriefe verfasst hat: „Von jeher“, heißt es dort, war mein philosophisches Nachdenken nicht absichtlos, sondern hatte ein bestimmtes Ziel vor Augen. Sogar um bloße Selbstverständigung, welche, über ihre Richtung unbekümmert, bald hie und dort anhebt, bald hiehin und dorthin sich wendet; um sie allein war es mir nicht zu thun; ich wollte über Etwas zu Verstande kommen; nämlich über die mir eingeborne Andacht zu einem unbekannten Gott. ⁷¹²
Seine Philosophie charakterisiert Jacobi nicht nur als ein genuin „persönliches“ „Nachdenken und Mittheilen“, das stets durch dieses ursprüngliche Gottesverhältnis geleitet ist; sie sei insbesondere in ihrer entsprechenden inhaltlichen Ausrichtung sogar selbst „Religion“, indem sie – so versteht Jacobi diesen Ausdruck hier – „nicht nach Wahrheit überhaupt – einem Ungedanken, wie Daseyn
JWA 1,1, 339.
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3 Hauptteil: Die existenzielle Ethik der Climacus-Schriften
oder Wirklichkeit überhaupt – sondern nach einer bestimmten, Kopf und Herz befriedigenden Wahrheit“⁷¹³ strebt. Dass ein solches Streben nach einer ‚Kopf und Herz befriedigenden Wahrheit‘ bei Kierkegaard auf Resonanz gestoßen sein dürfte, der, wie gesehen, schon seit seinen frühen Journalen das eigene Denken als Ausdruck des Bedürfnisses nach einer praktischen Selbstverständigung über eine subjektive Wahrheit ‚für mich‘ versteht, ist wahrscheinlich. Jedoch unterscheidet sich Jacobis Auffassung von Religion und Religiosität in zwei wesentlichen Hinsichten von derjenigen Kierkegaards.Während eine praktische Selbstverständigung über subjektive Wahrheit des je Einzelnen für Kierkegaard gleichwie für Climacus letztlich ausschließlich im Modus christlicher Religiosität gelingen kann, versteht Jacobi Religion erstens als vollendete Form einer sittlich-humanen Praxis, die wesentlich von der christlichen Religion unabhängig ist, ja dieser in ihrer Ausformung als positives Kirchenchristentum in bestimmter Weise sogar entgegensteht. Dies liegt zweitens darin begründet, dass ihm der nun individuelle religiöse Glauben, von dem eine solche überindividuelle religiöse Praxis ausgeht, als die Aneignung einer inneren Offenbarung gilt: „Eine Offenbarung durch äußerliche Erscheinungen, sie mögen heißen wie sie wollen“, stellt Jacobi in den Göttlichen Dingen nicht nur gegen die Schelling’sche Auffassung einer spinozistisch-naturalistischen, sondern auch gegen die christliche Auffassung einer historisch-inkarnatorischen Gotteserkenntnis heraus, „kann sich höchstens zur innern ursprünglichen nur verhalten, wie sich Sprache zur Vernunft verhält.“⁷¹⁴ An diesen Gedanken einer inneren Offenbarung, möchte ich nun anknüpfen, um von dorther aufzuzeigen, dass Jacobi so etwas wie eine natürliche Religiosität des Menschen behauptet (1). Diese ist abzugrenzen von einem näherhin religiösen Bewusstsein, das sich anders als eine natürliche Religiosität aus dem konkreten Überlieferungszusammenhang positiver, hier christlicher Religion speist (2). Gegenüber einem solchen religiösen Bewusstsein steht Jacobis Auffassung einer natürlichen Religiosität dann nicht nur in systematischer Kontinuität mit seinem an der Person und der Freiheit des Menschen orientierten Denken, sodass von einem Bruch und einem Rückfall in durch ihn selbst eigentlich längst überholte konservativ-religiösen Werte letztlich keine Rede sein kann.⁷¹⁵ Mit dieser Auffassung ist dann auch der Kristallisationspunkt der wesentlichen Unterschiede zwischen Jacobi und Climacus-Kierkegaard markiert (3), auf deren Verständnis von Religiosität dann im Folgenden näher eingegangen werden kann.
Ebd. JWA 3, 42. So zu lesen bei George di Giovanni (vgl. di Giovanni 1994, 43).
3.3 Kierkegaard und Jacobi III
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(1) Zuerst ist zu bemerken, dass der Begriff der Offenbarung, gleichwie der Begriff des Glaubens – darauf habe ich bereits hingewiesen –, in Jacobis Denken eine primär epistemische Funktion einnimmt und darin grundsätzlich unabhängig ist von jeder religiösen Konnotation. Bereits in der ersten Auflage der Spinozabriefe (1785) gebraucht Jacobi den Begriff der Offenbarung in diesem Sinne, wenn er schreibt: „Wir können nur Aehnlichkeiten demonstrieren; und jeder Erweis setzt etwas schon Erwiesenes zum voraus, wovon das Prinzipium Offenbarung ist.“⁷¹⁶ Zwei Jahre später betont er dann im David Hume (1787) gerade gegen den Vorwurf, er binde mit den Begriffen von Glaube und Offenbarung die Möglichkeit epistemischen Wissens an eine religiöse Bedingung, dass er den Begriff der Offenbarung nicht nur im Kontext seiner nicht religiösen, sondern erkenntnistheoretischen Position eines ‚entschiedenen Realismus‘ verstanden wissen will; ein solches Verständnis liege zudem im allgemeinen Sprachgebrauch begründet: Ein solcher entschiedener Realist, wie soll er das Mittel benennen, wodurch ihm die Gewißheit von äusseren Gegenständen, als Dingen an sich, zu Theil wird? Er hat nichts, worauf sein Urtheil sich stützen könnte, als die Sache selbst; nichts als das Factum, daß die Dinge würklich vor ihm stehen. Kann er sich mit einem schicklichern Worte, als dem Worte Offenbarung, hierüber ausdrücken; ist nicht hier vielmehr die Wurzel dieses Worts, die Quelle seines Gebrauchs zu suchen?⁷¹⁷
So eindeutig es in diesen Passagen ist, dass die Rede von einer Offenbarung sich hier in keiner Weise auf den religiösen Gedanken einer Offenbarung Gottes bezieht, dieser Begriff mithin gänzlich unabhängig von einem solchen Gedanken von Jacobi eingeführt wird, gewinnt der Begriff der Offenbarung an späterer Stelle aber durchaus eine entsprechend religiöse Konnotation hinzu. In Jacobis Schrift Von den göttlichen Dingen und ihrer Offenbarung (1811) heißt es: Nach Gottes Bilde geschaffen, Gott in uns und über uns; Urbild und Abbild, getrennt und doch in unzertrennlicher Verbindung; das ist die Kunde, die wir von ihm haben, und die einzig mögliche; damit offenbart sich Gott dem Menschen lebendig, fortgehend, für alle Zeiten. Eine Offenbarung durch äußerliche Erscheinungen, sie mögen heißen wie sie wollen, kann sich höchstens zur innern ursprünglichen nur verhalten, wie sich Sprache zur Vernunft verhält.⁷¹⁸
JWA 1,1, 124. JWA 2,1, 32. JWA 3, 42.
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3 Hauptteil: Die existenzielle Ethik der Climacus-Schriften
Insbesondere im Ausgang von diesem Zitat lässt sich dafür argumentieren, dass Jacobi eine Form natürlicher Religiosität des Menschen behauptet. M. E. ist dies zunächst in struktureller Hinsicht der hier angemessene Begriff, insofern er zu verstehen ist als eine Form der Verwiesenheit des Menschen auf eine Erfahrung des Göttlichen. Diese Verwiesenheit ist im Falle Jacobi eine natürliche, insofern sie anthropologisch begründet ist in der substantiv-vernünftigen Praxis menschlicher Selbst- und Weltverständigung, in dem Vollzug des Menschen, sich zu sich selbst, seinem Mitmenschen und seiner Lebensform in dialogisches Verhältnis zu setzen. In diesem Sinne ist „der Glaube an einen Gott…Instinkt. Er ist dem Menschen natürlich, wie seine aufgerichtete Stellung.“⁷¹⁹ Um dies zu erläutern und zugleich direkt an die vorangegangenen Überlegungen zur Sprachphilosophie Jacobis anzuknüpfen, sei zunächst mit derjenigen Bestimmung begonnen, auf die der letzte Teilsatz in der oben zitierten Passage aus den Göttlichen Dingen hinweist. Diese Bestimmung ist indes keine bloß letzte, randständige, sondern trifft vielmehr bereits direkt in den Kern der Sache: Analog zum Verhältnis von substantiver Vernunft und Sprache bestimmt Jacobi hier nämlich das Verhältnis einer Offenbarung ‚durch äußerliche Erscheinungen‘ zu einer ‚inneren ursprünglichen‘ Offenbarung Gottes als ein Abbildungsverhältnis: Eine jede dem Menschen äußerliche Erscheinung, in welcher Gestalt auch immer sie begegnet – dazu gleich mehr –, kann, wenn überhaupt nur in einem sekundären, vermittelten Sinn als Offenbarung gelten. Nämlich nur dann, wenn sie das Subjekt der Wahrnehmung dieser Erscheinung, d. h. den Menschen selbst, auf eine andere, unmittelbare und als solche dann nicht mehr extrovertierte, sondern introvertierte Wahrnehmung rückverweist, auf die Wahrnehmung einer primären und prioritären ‚inneren ursprünglichen‘ Offenbarung. Der Gott ‚über uns‘ ist lediglich ‚Abbild‘ – mit diesem Gedanken setzt die obige Passage entsprechend ein –, in welcher Version einer welchen positiven Religion auch immer. Er verweist uns lediglich zurück auf den Gott ‚in uns‘ als sein ‚Urbild‘, ohne das wir das Abbild als Abbild, den Gott ‚über uns‘ als Gott, überhaupt nicht erkennen könnten, gleichwie wir nie dazu in der Lage wären, eine Sprache auszubilden und einander zu verstehen, wenn wir nicht genuin über eine substantive Vernunft verfügten: „Den Gott also haben wir, der in uns Mensch wurde, und einen anderen
JWA 3, 13. Hier wird deutlich, dass Kierkegaard nicht nur vor dem Hintergrund seiner eigenen, sondern auch vor dem Hintergrund von Jacobis Auffassung von Religiosität zurecht irritiert den Satz aus Jacobis ‚Vorrede‘ von 1819 kommentiert, der Glaube sei nicht, „wie die Wissenschaft, Jedermanns Ding, das heisst, nicht jedwedem, der sich nur gehörig anstrengen will, mittheilbar.“ (Pap. V C 13:3; vgl. JWA 1,1, 349)
3.3 Kierkegaard und Jacobi III
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zu erkennen ist nicht möglich, auch nicht durch besseren Unterricht; denn wie sollten wir diesen Unterricht nur verstehen?“⁷²⁰ Mit dieser Verwiesenheitsstruktur geht ein weiterer Gedanke zusammen, der nun den Inhalt dieser ‚inneren ursprünglichen‘ Offenbarung in drei Hinsichten näherbestimmt. (a) Die metaphysische Dimension der Erfahrung des Unbedingten, von der bereits die Rede war und die bisher als die Erfahrung der individuellen Freiheit angesichts der eigenen physischen und animalischen Naturbedingtheit charakterisiert war, setzt sich fort in der hier beschriebenen Erfahrung der Verwiesenheit auf Gott und ordnet Jacobis Gottesbegriff somit ein in den sachlichen Kontext seiner Philosophie der Freiheit und der Person. Der Mensch ist als endliches Wesen bedingt durch ein doppeltes Außer ihm: eine Natur unter, und einem Gott über ihm. In und durch sich allein seyn, kann nur Gott, der absolut vollkommene. Ihn unterscheidet die menschliche Seele von der Natur, wie sie, durch Freyheit über die Natur sich erhebend, sich selbst von ihm unterscheidet: durch Geistesbewusstseyn wird ihr Gottesahndung.⁷²¹
(b) Indem der Gott ‚über uns‘ auf das Urbild des Gottes ‚in uns‘ verweist, kann mit der hier benannten ‚Gottesahndung‘ erneut kein transzendenter Gott im Sinne positiver Religion gemeint sein. Vielmehr fungiert der Ausdruck nun näherhin als Chiffre für den Orientierungspunkt eines Strebens nach einer sozialen Realisierung der eigenen Freiheit und der damit einhergehenden individuellen Vervollkommnung – als Chiffre für den Orientierungspunkt eines umfassend gelingenden und guten Lebens.⁷²² Gott ist in diesem Sinne zu verstehen als das ‚höchste Gut‘ und Religion gilt Jacobi als auf dieses Gut bezogene Form sittlicher Praxis: „Was, sich selbst vernehmend, Freyheit inne wird, und Gottes inne wird als des höchsten Gutes; was Sittlichkeit stiftend Religion offenbart, Religion offenbarend Sittlichkeit stiftet, beydes unzertrennlich: das ist der Geist“⁷²³ – diejenige genuin
JWA 3, 42. JWA 3, 40. Vgl. zu diesem Gedanken folgende Passage aus den Göttlichen Dingen: „Freyheit können wir uns nur insofern zuschreiben, als wir uns einer jedem Widerstande gewachsenen Kraft in uns zum Guten bewußt sind. Warum diese Kraft, die der Geist selbst des Menschen – das Vermögen in ihm ist, wodurch er sein Leben in sich selbst hat – dennoch nicht jeden Widerstand überwindet; also uns nicht wirklich frey seyn, sondern nur nach Freyheit annähernd, streben läßt, ist ein undurchdringliches Geheimniß. Es ist das Geheimniß der Schöpfung; der Vereinigung des Endlichen mit dem Unendlichen; des Daseyns einzelner persönlicher Wesen.“ (JWA 3, 65) JWA 3, 41.
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3 Hauptteil: Die existenzielle Ethik der Climacus-Schriften
menschliche Praxis des Selbst- und Weltverstehens also, die bereits in der ‚Beilage VII‘ mit diesem und dem Begriff einer substantiven Vernunft zur Sprache kam. (c) Indem mit einem solchen ‚höchsten Gut‘ folglich weder die Kantische Vereinigung von Sittlichkeit und Glückseligkeit gemeint ist, die nur über den Weg des Postulates einer unsterblichen Seele im Interessensbereich des Menschen zu halten ist,⁷²⁴ noch die von Jacobi selbst installierte Rede von Sittlichkeit auf eine universale „Moralität“ abzielt, die sich in der „Wirkung einer kalten, leeren Maxime“⁷²⁵ erschöpft, sondern auf die im Woldemar zur Darstellung gebrachte kommunikative und darin überhaupt nur lebendige Praxis des Dialogs einander als Personen anerkennender Individuen, muss für Jacobi auch der Gott, der auf den hin eine solche Praxis sich orientiert, als ein individueller, persönlicher, und in diesem Sinne lebendiger Gott verstanden werden: als der Gott des Theismus. Nicht nur ist dies der Leitgedanke in der Auseinandersetzung mit Schelling im Kontext der Göttlichen Dinge. Jacobi hebt bereits in seinem Brief an Fichte den Theismus im Sinne des Glaubens an einen persönlichen Gott als den „natürlichen Glauben“ der „natürlichen Vernunft“⁷²⁶ hervor – als die natürliche Religiosität des Menschen also, die seiner substantiv-vernünftigen Anlage als Geist entspricht und aus diesem Grund – dann gegen Schelling gewendet – gerade kein „abgeschmackter Götze, ein die Vernunft entehrendes Unding“⁷²⁷ ist. So scheut Jacobi dann auch keineswegs einen Anthropomorphismus, sondern kommt einem möglichen Vorwurf geradezu zuvor und eignet sich diesen Begriff seinerseits an: der wahre Theismus muss sogar, wie er in einem Brief von 1812 an Chr. Weiß explizit betont, ein „Anthropotheismus“⁷²⁸ sein, wenn er nicht mit dem Begriff eines lebendigen Gottes zugleich „die ganze lebendige Natur des Menschen“⁷²⁹ preisgeben will. (2) In welchem Verhältnis steht nun eine solche Form einer natürlichen Religiosität zum näherhin religiösen Bewusstsein, wie es sich aus dem konkreten Überlieferungszusammenhang positiver, hier christlicher Religion speist?⁷³⁰ We-
Zu Jacobis Kritik an Kants Postulatenlehre im Kontext von sowohl Kants als auch Jacobis eigener Religionsphilosophie vgl. Feldmeier 2021. JWA 2,1, 329. JWA 2,1, 193. JWA 3, 99. JNB 2, 99. JWA 1,1, 260. Zur Frage einer möglichen Integration nicht nur eines religiösen Bewusstseins, sondern auch eines Materialismus positiver Religion in das Projekt der Aufklärung, wie es nicht nur in Kants, sondern insbesondere auch in Jacobis Religionsphilosophie verkörpert ist, vgl. insgesamt Schick 2019.Vgl. dazu auch Koch 2021, der zurecht ergänzt, dass nicht nur die Frage der Möglichkeit einer solchen Integration aus der Perspektive des religiösen Bewusstseins gestellt werden muss, son-
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der, so ist mit Jacobi zu antworten, handelt es sich hier um ein Verhältnis der Abhängigkeit, noch um ein Verhältnis der Ausrichtung: Die natürliche Religiosität als Aneignung der Erfahrung des Unbedingten, die mich als ‚innere ursprüngliche‘ Offenbarung auf einen persönlichen Gott als Orientierungspunkt eines gelingenden und guten Lebens verweist, ist weder aus dem Überlieferungszusammenhang des Christentums her gedacht, noch läuft sie in irgendeiner Weise auf eine christliche Konnotierung hinaus. Zwar bekennt sich Jacobi in bestimmter Weise durchaus zum Christentum⁷³¹, betont aber noch 1819, im Jahr seines Todes, dass damit in keiner Weise das „sichtbare Kirchenthum“ gemeint ist; gerade auch dieses „will den Verstand abrichten, ihn die Wahrheit erfinden, mit Händen greifen lassen, will Gott machen.“⁷³² Ein solches ‚Kirchenchristentum‘ sei am Ende keinen Deut besser als die „Abgötterey“ der „bloßen Vernunftreligion“⁷³³. Dem gegenüber geht es Jacobi um das, was er als die „unsichtbare Kirche“ sowohl der Philosophie als auch des Christentums bezeichnen kann, um eine „Gemeinschaft der Gläubigen“⁷³⁴, mit der er sich einig weiß in der Berufung auf ein unabweisbares unüberwindliches Gefühl als ersten und unmittelbaren Grund aller Philosophie und Religion; auf ein Gefühl, welches den Menschen gewahren und inne werden läßt: er habe einen Sinn für das Übersinnliche. Diesen Sinn nenne ich Vernunft, zum Unterschiede von den Sinnen für die sichtbare Welt. Nur wo Selbstseyn und Persönlichkeit… vorhanden, kann eine solche Berufung und mit ihr Vernunft sich kund geben.⁷³⁵
In dieser hier hervorgehobenen Vernunft, die zugleich verstanden wird als das Vermögen des Vernehmens der eigenen personalen Freiheit⁷³⁶ und die diese dern auch umgekehrt die Frage danach, ob dies von Jacobi überhaupt gewollt wird. M. E. machen die im Folgenden von mir umrissenen Überlegungen Jacobis bereits ausreichend deutlich, dass dies nicht der Fall ist. Vgl. JWA 3, 17 f. JWA 1,1, 353. JBW I,5, 213. JWA 1,1, 353. JWA 1,1, 341. Diesen Aspekt einer gegen die Verabsolutierung des Verstandes in Stellung zu bringende Vernunft betont Jacobi insbesondere in seinem Brief an Fichte. In diesem Zusammenhang kam dieser Aspekt auch in der vorliegenden Arbeit bereits zur Sprache. Hier sei entsprechend an die diesbezüglich einschlägigste Formulierung Jacobis erinnert: „Von Vernunft ist die Wurzel, Vernehmen“ (JWA 2,1, 201), heißt es im Brief an Fichte.Was aber wird vernommen? In einem Eintrag in seiner Kladde VII präzisiert Jacobi: „Das Vernünftige Wesen besteht im Vernehmen seiner selbst“ (Denkbücher 2, 268), d. h. im Vernehmen der eigenen personalen Freiheit im Handeln. So manifestiert sich ein solches Vernehmen der eigenen Freiheit, wie Jacobi bereits im Gespräch mit Lessing bemerkt, in der „lebendige[n] Überzeugung, als daß ich thue was ich denke, anstatt, daß ich nur denken sollte was ich thue.“ (JWA 1,1, 28)
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Freiheit nicht nur individuell, sondern auch sozial realisierende Praxis menschlicher Selbstverständigung,⁷³⁷ als die dialogisch-prozessuale Ausbildung von zugleich ‚Geistesbewusstsein‘ und ‚Gottesahndung‘, liegt dann auch die Möglichkeit des Verständnisses sekundärer Offenbarungen ‚durch äußerliche Erscheinungen‘ begründet: Nur auf der Grundlage des Vernehmens der eigenen Freiheit und des eigenen Personseins, kann dort, „[w]o starke Persönlichkeit“ auch außer mir „hervortritt,…in ihr und durch sie die Richtung zum Uebersinnlichen und die Ueberzeugung von Gott…zur Sprache gebracht“ und verstanden werden. „Sokrates, Christus, Fenelon, beweisen mir mit ihrer Persönlichkeit den Gott welchen ich anbete“⁷³⁸. Diesen Gedanken aus dem ‚Vorbericht‘ von 1819 betont Jacobi bereits 1811 in den Göttlichen Dingen, wenn er im Anschluss an den Gedanken einer „Bewunderung jener großen Menschen, eines Confucius, eines Sokrates, und selbst Christus“ fragt: „[W]ie kommt die Bewunderung jener großen Menschen…in den Sinn und Geist des Bewunderers?“ Seine Antwort lautet: „Die großen Männer geben mir…nicht das Maß, womit ich sie und das Gute messe, sondern ich habe dieses Maß, einen ursprünglichen, unabhängigen Erkenntnißgrund des Guten in mir selbst, und könnte, wenn es nicht so wäre, unmöglich vom Guten je etwas erfahren.“⁷³⁹ (3) Nach diesen Erörterungen dürfte nun ausreichend klar geworden sein, inwiefern eine solche religionsphilosophische Grundposition natürlicher Religiosität mit der dezidiert christlichen Position der Climacus-Schriften unvereinbar ist. Nicht deshalb nämlich, da Climacus Jacobi etwa unrechtmäßig in seine Überlegungen zur Geschichtlichkeit menschlicher Existenz und alltäglichen Handelns einschaltet, da mit Geschichtlichkeit hier immer schon und ausschließlich die historische Menschwerdung Gottes in Jesus von Nazareth gemeint sei. Hier ist Jacobi – wenn auch in seinen Pointen letztlich nicht verstanden und z.T. missinterpretiert – sehr wohl am rechten Ort, da Climacus mit seinen Analysen des Geschichtlichen gerade auf die generische Geschichtlichkeit und, darin inbegriffen, auf die Freiheit individueller Akteure abzielt, auf die es in der Tat
Dieser Aspekt von nicht mehr so sehr gegeneinander in Stellung gebrachter Vermögen von Verstand und Vernunft, sondern einer den Verstand als adjektive Vernunft in die individuelle wie kulturelle Selbstverständigungspraxis integrierenden substantiven Vernunft stellt Jacobi, wie mehrfach im Zuge der vorliegenden Arbeit bemerkt, insbesondere in der ‚Beilage VII‘ zur zweiten Auflage der Spinozabriefe ins Zentrum seiner Überlegungen. Substantive Vernunft, so die hierzu einschlägige Formulierung, wird verstanden als „das Prinzip der Erkenntniß überhaupt“, sie ist „der Geist, woraus die ganze lebendige Natur des Menschen gemacht ist: durch sie besteht der Mensch; er ist eine Form, die sie angenommen hat.“ (JWA 1,1, 260) JWA 1,1, 341 f. JWA 3, 43.
3.3 Kierkegaard und Jacobi III
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auch Jacobi ankommt. Der Scheidepunkt ist vielmehr der, dass all diese Analysen, die Climacus vorlegt, trotz ihrer generischen Dimension im Dienste eines Projektes stehen, das einem anderen Rahmenmodell verpflichtet ist. Und dieses Rahmenmodell ist dasjenige christliche, das mit der disjunktiven Anlage der Brocken von vornherein und ganz fundamental demjenigen Modell entgegengestellt wird, das als idealistisches Wahrheitsmodell bezeichnet worden ist und dem, wie hier nun deutlich wird, letztlich auch Jacobi folgt. Wenn nach diesem Modell gilt, dass „ein jeder Mensch sich selbst der Mittelpunkt [ist], und die ganze Welt…allein in der Beziehung auf ihn einen Mittelpunkt [gewinnt], weil seine Selbsterkenntnis Gotteserkenntnis ist“⁷⁴⁰, und „[d]ie Wahrheit…solchermaßen nicht in ihn hineingebracht [wird], sondern…in ihm gewesen [ist]“⁷⁴¹, dann entspricht das genau der Jacobi’schen Rede davon, „daß, um Gott und sein Wohlgefallen zu suchen, man ihn und was ihm wohlgefalle, schon voraus im Herzen und Geiste haben müsse; denn was uns nicht auf irgendeine Weise schon bekannt ist, können wir nicht suchen, nicht tiefer erforschen.“⁷⁴² Mit Rekurs auf Matthias Claudius bekennt sich Jacobi zu der Überzeugung: „‚Man muß schon wissen, wo man hinsteigen will, ehe man die Leiter ansetzt.‘“⁷⁴³ Über ein solches Wissen verfügt nicht nur Climacus nicht, der bereits zu Beginn der Brocken unmissverständlich klarstellt, dass die in dieser Schrift verhandelte Frage nach einer geschichtlichen Möglichkeitsbedingung ewiger Seligkeit „getan wird von dem Unwissenden, der nicht einmal weiß, was dazu Veranlassung gegeben hat, daß er dergestalt fragt.“⁷⁴⁴ Gemäß dem christlichen Wahrheitsmodell gilt dies von jedem Menschen: Dieser „muß denn also bestimmt sein als außerhalb der Wahrheit…, oder als Unwahrheit. Er ist somit die Unwahrheit.“⁷⁴⁵ Beide Modelle sind nun jedoch keine bloß erkenntnistheoretischen Modelle, in denen es ausschließlich um die Frage nach Wahrheit und Wissen geht. Dies ist noch nicht einmal vorrangig der Fall. Beide Modelle sind in ihrer letzten und hier entscheidenden Instanz anthropologische Modelle, denen es in der Ausrichtung auf die existenziell-ethische Frage nach den Bedingungen der Möglichkeit gelingender Lebensführung und praktischer Selbstverständigung um die fundamentale Fähigkeit oder Unfähigkeit des Menschen zu gutem Handeln geht. Für Jacobi ist wie gesehen klar, dass der Mensch über einen ‚ursprünglichen, unabhängigen Erkenntnißgrund des Guten in sich selbst‘ verfügt. Für Climacus hin-
SKS 4, 220 / PB, 9. SKS 4, 218 / PB, 7. JWA 3, 41. JWA 3, 39. SKS 4, 218 / PB, 7. SKS 4, 223 / PB, 12.
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3 Hauptteil: Die existenzielle Ethik der Climacus-Schriften
gegen ist ein solcher Erkenntnisgrund im Menschen gerade nicht gegeben: „Die Unwahrheit ist denn also nicht bloß außerhalb der Wahrheit, sondern ist polemisch wider die Wahrheit, und das wird ausgedrückt durch den Satz, daß er [sc. der Mensch] selber die Bedingung verscherzt hat und verscherzt.“⁷⁴⁶ So kann denn auch Christus nicht verstanden werden als einer unter vielen ‚großen Menschen‘, die den Einzelnen durch den Ausdruck ‚starker Persönlichkeit‘ nurmehr auf das eigene ursprüngliche Personsein und die Fähigkeit zur Freiheit und zum Guten verweisen. Er muss verstanden werden als der „Lehrer“, der allein und einzig „der Gott selbst“ ist, „welcher als Veranlassung wirkend, veranlaßt, daß der Lernende daran erinnert wird, er sei die Unwahrheit, und sei es durch eigene Schuld. Aber diesen Zustand, die Unwahrheit sein und es sein durch eigene Schuld, wie können wir ihn wohl nennen?“, fragt Climacus bereits in den Brocken und liefert mit der Antwort sogleich die Pointe auch der Nachschrift: „Laßt uns ihn Sünde nennen.“⁷⁴⁷ Für Jacobi hingegen ist dies eine nicht nur nicht zweckdienliche, sondern letztlich sogar gefährliche Position. Ein solcher hier formulierte negativ-anthropologische Grundgedanke eines fundamental korrumpierten Menschseins erschwert mit der Verstellung der ursprünglichen Fähigkeit zum Guten zugleich auch die sowohl individuelle als auch soziale Realisierung dieser Fähigkeit, mithin des Guten selbst. Dies geht hervor aus seiner expliziten Zurückweisung des biblischen Sündenfallmotivs: Wie anzunehmen sei, mithilfe eines solchen Motivs und einer aus diesem Motiv gewonnenen Theorie vom Ursprunge des Irrthums, der Ungewißheit und des Zweifels, der Philosophie aus der Noth geholfen, und die wahre Erkenntniß aus dem Brunnen in welchen sie verschüttet worden, wieder hervor gezogen und auf den ihr gebührenden Thron gesetzt werde, ist mir vollkommen unbegreiflich. …[D]ie Annahme eines hintennach in die Schöpfung eingetretenen Verderbens [ist] nur ein Mittel der Verzweiflung…, welches zu ergreifen die Vernunft höchstens zuläßt, keineswegs aber anräth, noch viel weniger gebietet; denn das hintennach eintreten des Verderbens in die Schöpfung ist zum wenigstens ebenso unbegreiflich, als das Daseyn des Uebels und seine Beschaffenheit Zweifel im Verstande erregt, die keine Philosophie bisher ganz zu heben im Stande war, so wird auch jene Annahme sie zu heben, und uns eine erste vollkommen genügende, mithin allein ächte Philosophie zu verschaffen nicht vermögen.⁷⁴⁸
Nicht im Blick auf eine mögliche theoretische Begründung des Übels in der Welt (und einen damit vermeintlich zu rechtfertigenden Glauben an die Güte Gottes),
SKS 4, 224 / PB, 13. Ebd. JWA 3, 147 f.
3.3 Kierkegaard und Jacobi III
223
sondern im Blick auf eine mögliche praktische, d. h. ethische Verbesserung und Vervollkommnung des Einzelnen sowie der Gesellschaft, in der er lebt, muss vielmehr – so insistiert Jacobi im Rekurs auf ein Hamann-Zitat – eine positive Anthropologie, mithin eine optimistische Perspektive auf die Fähigkeiten des Menschen bestimmend sein: „Anstatt also zu fragen: wo kommt das Unvollkommene, Nichtige und Böse her? sollten wir die Frage vielmehr umkehren, und uns wundern, daß endliche Geschöpfe fähig sind, nach Wahrheit zu fragen, das Gute sich selbst zu gebieten und auf Glückseligkeit Anspruch zu machen“⁷⁴⁹ – und, so muss man hier ergänzen: aus sich heraus zur gegenseitigen Anerkennung und Liebe fähig sind, in der alle hier behandelten Aspekte zusammenlaufen. Und damit ist ein letztes Mal auf den Woldemar zurückzukommen. Denn im Woldemar – in Jacobis praktischem Hauptwerk – wird die Liebe nicht wie im christlichen Verständnis (und so im Folgenden auch bei Kierkegaard) verstanden als Antwort auf eine ihr vorgängige gnadenhafte Liebe Gottes zum Menschen, derer dieser aufgrund seiner Korrumpiertheit qua Sünde bedarf. Sie wird vielmehr im Sinne einer dem Menschen „angeborne[n] Liebe“⁷⁵⁰ als die Bedingung der Möglichkeit moralisch guten Handelns und gelingender Lebensführung bestimmt, indem mit ihr die immanente Spannung des Individuums, das in der Ausrichtung auf den personalen Anderen nach einem besseren Selbst strebt, als eine ursprüngliche Bedürfnisstruktur ausgewiesen wird. Diese Bedürfnisstruktur erwächst aus einer Diskrepanz zwischen Besitz und Begehren, zwischen Selbstsein und Selbstwerden, geht Jacobi zufolge jedem reflexiven Urteil und jedem rationalen Abwägungsprozess von Gründen voran: „Die angeborne Liebe des Anständigen, ihre Thätigkeit, ist die natürliche Tugend des Menschen, seine besondre eigenthümliche Lebenskraft, durch welche der Mensch, als Mensch, ist oder nicht ist.“⁷⁵¹ Aber auch hier – und damit komme ich zum Ende meiner Überlegungen zu Jacobi – liegt kein schlicht essentialistisches oder substantialistisches Verständnis einer immer schon gegebenen und angeborenen Tugendhaftigkeit vor, auf die im Horizont prinzipieller Verfügung bloß zurückgegriffen werden kann und soll. Vielmehr geht es Jacobis erneut um eine prozessuale Praxis: Als ‚Tätigkeit‘ ist die ‚angeborene Liebe‘ wesentlich ‚Anlage‘ und bedarf der Verwirklichung in der stetigen Praxis des interpersonalen, freundschaftlichen Dialogs und der Ausrichtung des Lebens auf die Möglichkeit seines Gelingens: „Ich bin wohin ich strebte!“, diese seine Pointe legt Jacobi Dorenburg in den Mund:
JWA 3, 146. JWA 7,1, 445. Ebd.
224
3 Hauptteil: Die existenzielle Ethik der Climacus-Schriften
Da wo ich behaupten kann: – Daß wer an Freundschaft glaubt, nothwendig auch an Tugend, an ein Vermögen der Göttlichkeit im Menschen glauben muß; und daß wer an ein solches Vermögen, oder an Tugend nicht glaubt, unmöglich an wahre eigentliche Freundschaft glauben kann. Denn beyde gründen sich auf Eine und Dieselbe Anlage zu uneigennütziger, freyer, unmittelbarer, und darum unveränderlicher Liebe.⁷⁵²
3.3.2 Die paradox-christliche Religiosität als Pointe der Nachschrift Wie verhält es sich entgegen einer solchen, in der prozessualen Praxis der Freundschaft und Liebe aufgehenden, natürlichen Religiosität mit Climacus’ und dann auch Kierkegaards Verständnis von Religiosität? Das Projekt der Climacus-Schriften ist das Projekt einer existenziellen Ethik. Der Anspruch des Ethischen, den Climacus insbesondere in der Nachschrift ins Zentrum seiner Untersuchung stellt und von dem her sich die Bezeichnung einer existenziellen Ethik rechtfertigt, wurde bisher bestimmt als der an das je einzelne Individuum gerichtete Anspruch, aufmerksam zu sein auf das eigene Existieren. Ein solches Aufmerksam-sein beschränkt sich für Climacus – dies ist im vorangegangenen Hauptkapitel deutlich geworden – nicht bloß auf die Herausstellung philosophischer, d. h. vor allem ontologischer Bestimmungen menschlicher Existenz. Entscheidender noch ist die Betonung der stets neu herausfordernden Qualität von Negativitätserfahrungen innerhalb des praktischen Vollzugs des je eigenen Existierens – von Climacus adressiert durch die Phänomene des Scheiterns, der Reue und der Schuld. Im Blick auf ein über diese Phänomene erfahrenes Leiden an der eigenen Existenz kann Climacus davon sprechen, dass das die Existenz wesentlich konstituierende Handeln des Menschen – Existenzvollzug ist für Climacus wesentlich Handlungsvollzug – bestimmt ist durch ein „existenzielles Pathos“⁷⁵³. Insbesondere dieser letztgenannte Aspekt ist für Climacus bereits ein Kennzeichen einer bestimmten Form der Religiosität: der sogenannten ‚Religiosität A‘. Obwohl noch nicht die eigentlich christliche Religiosität, ist diese durchaus „in Wahrheit das Religiöse“, indem sie erstens dem Anspruch des Ethischen gerecht wird, „das Ethische durchlaufen und in sich hat“⁷⁵⁴, wie Climacus schreibt. Das Religiöse überwindet das Ethische folglich nicht, lässt es nicht ‚hinter sich‘, sondern bleibt ihm wesentlich verpflichtet. Zugleich wird aber zweitens das Ziel des ethischen Anspruchs, das Ziel nämlich der praktischen Selbstverständigung
JWA 7,1, 447. SKS 7, 352 / AUN 2, 92. SKS 7, 353 / AUN 2, 93.
3.3 Kierkegaard und Jacobi III
225
des letztlich moralisch handelnden Subjekts über die Bedingungen der Möglichkeit des Gelingens eines solchen Handelns, mithin des Gelingens des eines Lebens als solches, mithilfe der religiösen Kategorie einer ewigen Seligkeit verstanden. Diese wurde bisher lediglich formal durch den Modus des Wagnisses bestimmt, in dem sich das eigene Existieren vollzieht, wenn der Einzelne durch die Erfahrung des Leidens an der eigenen Existenz zu dem Bewusstsein gelangt ist, dass er ein genuines Interesse an der eigenen Existenz und ihres praktischen Gelingens hat. Die religiöse Rede von einer ewigen Seligkeit verweist hier folglich nicht auf ein wie auch immer zu verstehenden Jenseits, sondern fungiert vielmehr im Sinne einer präsentischen Eschatologie als Index für die diesem Interesse korrespondierende Hoffnung auf die Möglichkeit gelingender Lebensführung.⁷⁵⁵ Wie also das Religiöse das Ethische in sich hat, gilt umgekehrt auch hier „das Möglichkeitsverhältnis, das jede existierende Individualität zu Gott hat“, als „Lebenskraft im Ethischen“⁷⁵⁶. Das impliziert zweierlei: Erst ein solches Verhältnis zu einer ewigen Seligkeit verstanden als Ausdruck des unhintergehbaren und irreduziblen Interesses des Menschen am Gelingen des je eigenen Lebens entzieht den Prozess der ethischen Selbstverständigung nicht nur dem notwendig überindividuellen und darin reduktionistischen Zugriff rationaler Wissenschaft, dem, wie gesehen, für Climacus letztlich auch der Hegelianismus verpflichtet bleibt. Erst so verstanden geht er zudem nicht auf in einer Form der Ästhetisierung als Poetisierung des eigenen Lebens, wie sie Kierkegaard schon früh bei den an Fichte anknüpfenden Romantikern kritisiert hat. Darauf habe ich im Auftakt zu dieser Arbeit hingewiesen. Auch Climacus greift diese Kritik auf, wenn er schreibt: Im Verhältnis zu einer ewigen Seligkeit als dem absoluten Gut bedeutet Pathos nicht Worte, sondern meint, daß diese Vorstellung den Existierenden in seiner ganzen Existenz umbildet. Das ästhetische Pathos drückt sich im Worte aus und kann in seiner Wahrheit bezeichnen, daß das Individuum sich selbst verläßt, um sich in die Idee zu verlieren, während das existenzielle Pathos sich dadurch ergibt, daß die Idee sich zur Existenz des Individuums umschaffend verhält.⁷⁵⁷
Nun stellt diese Form der ‚Religiosität A‘ für Climacus einen zwar entscheidenden, jedoch nicht den letzten Schritt auf dem Weg dahin dar, nicht nur eine „in
Das heißt jedoch nicht, dass für Kierkegaard an anderer Stelle nicht auch die Vorstellung einer ewigen Seligkeit im Sinne eines Lebens nach dem Tod eine Rolle spielt. Darauf weist insbesondere Gordon Marino (Marino 1985) hin. SKS 7, 145 / AUN 1, 146, meine Hervorh. SKS 7, 352 f. / AUN 2, 92 f.
226
3 Hauptteil: Die existenzielle Ethik der Climacus-Schriften
Wahrheit große ethische Individualität“⁷⁵⁸, sondern überhaupt ein „ganzer Mensch zu werden“⁷⁵⁹. Die existenzielle Ethik der Climacus-Schriften gipfelt vielmehr in der Darstellung der sogenannten ‚Religiosität B‘, die als nun dezidiert christlich-paradoxe Religiosität dann auch den finalen Bogen zurück zu den Brocken schlägt. Aber nicht nur das. Auch diese letzte Etappe in der Ausgestaltung dieser existenziellen Ethik steht, wie schon die entscheidenden Etappen zuvor, in einem unabweislichen Bezug zu Climacus vielgestaltiger, sowohl affirmativer als auch kritischer Auseinandersetzung mit Jacobi. In Bezug auf die in der Nachschrift geführt kritische Auseinandersetzung mit Jacobi steht sie deshalb, da Climacus mit seinem zweiten Kritikpunkt an Jacobis Salto mortale bereits auf diesen Komplex einer an die Brocken anknüpfenden christlich-paradoxen Religiosität verweist; dort heißt es nämlich, dass der Sprung sich nicht nur deshalb einer direkten Mitteilung entzieht, weil er ethisch gesehen „der Akt der Isolierung ist“, sondern auch in epistemischer Hinsicht „für das, was sich gerade nicht denken läßt, es dem einzelnen anheimstellt, ob er sich kraft des Absurden entschließen will, es gläubig anzunehmen.“⁷⁶⁰ Sehr viel bemerkenswerter ist allerdings der Bezug auf die vor allem in den Brocken vorfindliche, sich aber, wie gezeigt, bis in die Nachschrift fortsetzende Affirmation Jacobis. Denn trotz der nun relevanten und bei Jacobi so eindeutig nicht zu findenden Bedeutungsvariante des Sprungs als ‚Sprung des Nicht-Glaubenden zum Glaubenden‘ im christlichen Sinne, steht die ‚Religiosität B‘ mit ihrem wesentlichen Kennzeichen eines „Bruch[s] mit der Immanenz“⁷⁶¹ nicht nur in Kontinuität mit der Kategorie des Sprungs,⁷⁶² sondern auch und insbesondere mit Climacus’ vollumfänglicher Bestätigung und Inanspruchnahme des Arguments eines Unterschieds von Grund und Ursache. Wie schon im Blick auf den Sprung gilt hier noch einmal mehr, dass trotz aller Unterschiede in der jeweiligen Rede vom Religiösen und ihrer Implikationen in dieser Hinsicht eine Anknüpfung an und Weiterentwicklung von Jacobis richtiger und wichtiger Intuition der Inkompatibilität einer jeglichen, wie im Woldemar zu sehen war letztlich auch moralisch-praktischen Immanenztheorie menschlichen
SKS 7, 127 / AUN 1, 125. SKS 7, 316 / AUN 2, 50. SKS 7, 98 / AUN 1, 93. SKS 7, 519 / AUN 2, 283. Vgl. dazu die Anmerkung des Übersetzers der von mir benutzen deutschen Ausgabe der Nachschrift, Hans Martin Junghans: „der Bruch: dän. Bruddet, Zustand des Gebrochenseins (Handlung des Brechens, Zerbrechens). ‚Bruch‘ steht in Analogie zum früheren ‚Sprung‘ und bedeutet dessen äußerste Konsequenz.“ (AUN 2, 403 [Anm. 755])
3.3 Kierkegaard und Jacobi III
227
Handelns mit den Erfahrungen des freiheitlich handelnden Individuums selbst zu verzeichnen ist. Bevor ich nun zur Darstellung der wesentlichen Strukturmomente der ‚Religiosität B‘ sowie ihrer phänomenalen Ausgestaltung in Kierkegaards Der Liebe Tun komme, gilt es zunächst noch einen Blick auf einen entscheidenden Schritt innerhalb der Entwicklung der ‚Religiosität A‘ zu werfen, der diese als „Ausgangspunkt (terminus a quo)“⁷⁶³ für die ‚Religiosität B‘ ausweist und die maßgebliche Gelenkstelle im Übergang zur ‚Religiosität B‘ – oder besser und mit Jacobi gesprochen: die ‚elastische Stelle‘ zum Absprung zu ihr – markiert: die von Climacus so bezeichnete „Totalität des Schuldbewußtseins“⁷⁶⁴. 3.3.2.1 Die Totalität des Schuldbewusstseins Anders als relative Güter, wie etwa Reichtum, war die ewige Seligkeit als das höchste Gut von Climacus einzig durch die Art und Weise bestimmt worden, wie der Einzelne sich handelnd zu ihr verhält. Damit ist sie gegenüber bloß relativen Zielen, die konkrete Handlungen bedingen, das „absolute Telos“, das die Art und Weise, man könnte auch sagen: die Qualität, unseres Handelns überhaupt bedingt. Die ethische Aufgabe einer fortwährenden Praxis individueller Selbstverständigung kann Climacus folglich auch bezeichnen als die Aufgabe, „sich zugleich absolut zu seinem absoluten Telos und relativ zu den relativen (Zielen) zu verhalten.“⁷⁶⁵ Aber nicht nur eine solche Bestimmung ewiger Seligkeit, sondern auch eine solche Formulierung der Aufgabe des Ethischen ist – dies gesteht Climacus selbst zu – letztlich zu abstrakt, um der konkreten Existenz des je Einzelnen, an den sich diese Aufgabe richtet, hinreichend entsprechen zu können. Erst mit der Erfahrung des Leidens und der Schuld im Verhältnis zu einem anderen Menschen wird die Aufgabe, „sich selbst zu verstehen in der Zeitlichkeit“⁷⁶⁶, für diesen greifbar und bekommt, vermittelt über den Problemcharakter der eigenen Existenz und der Krisenanfälligkeit nicht mehr nur des Selbst, sondern auch (und damit aufs Engste verbunden) zwischenmenschlicher Beziehungen, einen Sinn: Die Aufgabe sah so erhaben aus, und man dachte: gleich um gleich; wie die Aufgabe ist, so muß auch wohl der sein, der sie realisieren soll, dann aber kam die Existenz mit dem einen Aber nach dem anderen, dann kam das Leiden als nähere Bestimmung, und man dachte, ja, darein muß ein armer Existierender sich finden, da er in der Existenz ist, dann aber kam die
SKS 7, 507 / AUN 2, 269. SKS 7, 508 / AUN 2, 270. SKS 7, 477 / AUN 2, 235. SKS 5, 256 / 3ER44, 170.
228
3 Hauptteil: Die existenzielle Ethik der Climacus-Schriften
Schuld als die entscheidende Bestimmung: nun ist der Existierende erst recht in Angst und Pein, d. h.: nun ist er im Existenzmedium.⁷⁶⁷
Diese Einsicht und das daraus folgende „Zurückrufen der Aufgabe zum Konkreten“ durch das sie angehende Subjekt ist nun gerade diejenige Art der „Vertiefung in die Existenz“⁷⁶⁸, auf die es Climacus mit seinem ethischen Projekt ankommt. Denn im Ausgang von einer konkreten Schuld entdeckt der Einzelne die Schuld als das „wesentliche Verhältnis eines Existierenden in der Existenz“, d. h. als die „Totalbestimmung“⁷⁶⁹ seines Menschseins. Das heißt dann aber: Die Priorität der totalen Schuld ist keine empirische Bestimmung, keine Gesamtsumme (alles in allem – summa summarum); denn numerisch kommt niemals eine Totalitätsbestimmung heraus. Die Totalität der Schuld entsteht dadurch für das Individuum, daß es seine Schuld, und wäre es auch nur eine einzige, und wäre es auch nur die allerunbedeutendste, mit dem Verhältnis zu einer ewigen Seligkeit zusammensetzt.⁷⁷⁰
Die Totalität der Schuld ist vielmehr transzendentale Bestimmung⁷⁷¹ – und dies in einem doppelten Sinne: Erstens ist es die Totalität der Schuld als menschliche Grundbestimmung, „die es in letzter Instanz möglich macht, daß einer in dem Einzelnen schuldig oder nicht-schuldig sein kann.“⁷⁷² Gleichwie die wiederholte Erfahrung freiheitlicher Entscheidung in die Einsicht münden muss, grundsätzlich frei zu sein, um wirklich frei zu sein – die Rede von einer nur partikularen und/oder rein zufälligen Freiheit im Moment einer je einzelnen Handlung wäre gerade keine Freiheit –, so muss auch die wiederholte Erfahrung der Schuld die Einsicht einer tieferen und grundsätzlichen Schuld zur Folge haben, um eine jede konkrete Schuld wesentlich verantworten zu können und sie nicht etwa durch eine wie auch immer geartete Form der Genugtuung abgegolten zu glauben. Dies entspräche, wie Climacus erläutert, dem Denken eines Kindes: So ist kindisches Wesen in bezug auf das Denken daran kenntlich, daß es nur gelegentlich denkt, durch dieses oder jenes veranlaßt, und dann wieder über noch etwas anderes; daran kenntlich, daß es im tiefsten Grunde nicht einen Gedanken hat, sondern viele Gedanken. Das kindische Wesen in bezug auf das Schuldbewußtsein nimmt an, daß er heute in diesem oder
SKS 7, 478 / AUN 2, 236 f. SKS 7, 479 / AUN 2, 237. SKS 7, 480 / AUN 2, 238 f. SKS 7, 481 / AUN 2, 239. Zum Ausdruck einer transzendentalen Schuld (‚transcendental guilt‘) vgl. Westphal 1992, 172 f. SKS 7, 480 f. / AUN 2, 239.
3.3 Kierkegaard und Jacobi III
229
jenem schuldig ist; dann vergehen wieder acht Tage, wo er unschuldig ist, aber dann am neunten Tag ging es wieder schief.⁷⁷³
In einem solchen Verharren auf der Ebene von nur einzelnen, je konkreten Situationen des Schuldig-werdens gewinnt der Mensch, so Climacus’ Auffassung, keine tiefergehende und kritische Perspektive auf sich und die Art und Weise seines Lebensvollzugs als solchem, sondern ist lediglich mit der Möglichkeit und dem Maß der Genugtuung einer je konkreten Schuld beschäftigt; es geht ihm mithin wie dem Kind stets nur darum, „von neuem anzufangen, wieder ein liebes Kind zu sein“⁷⁷⁴. Die Totalität der Schuld ist daran anschließend in einem zweiten Sinne transzendental, insofern sie in Form des Schuldbewusstseins die Einsicht in die eigene Unfähigkeit darstellt, aus eigener Kraft ein umfassend gelingendes Leben zu führen. Und gerade darin ist sie paradoxerweise die Bedingung der Möglichkeit gelingender Lebensführung. Erst in diesem Sinne ist die Schuld für Climacus gegenüber dem unbestimmt-negativen Empfindens des Leidens die ‚entscheidende‘ Bestimmung des existenziellen Pathos: Im Ausgang von der konkreten Schulderfahrung im Modus der Reue ist der Einzelne über die Einsicht in die Totalität seiner Schuld erst dazu befähigt, in erneuter Perspektive auf die konkrete Schuld für diese Schuld, wie für alle vergangenen und zukünftigen, dauerhaft Verantwortung zu übernehmen, sie als seine Schuld zu er-, vor allem aber zu bekennen. Insofern also die Totalität der Schuld als Ermöglichungsgrund von Verantwortung zu gelten hat, ist dann auch das nun sehr viel konkretere Leiden an dieser Totalität im Modus des Schuldbewusstseins der erst eigentliche Ausdruck der Komplexität menschlicher Freiheit: [I]n dem Leiden des Schuldbewußtseins ist die Schuld wieder zugleich das Lindernde und das Nagende, das Lindernde, weil sie der Ausdruck der Freiheit ist, wie dieser in der ethischreligiösen Sphäre sein kann, wo das Positive am Negativen kenntlich ist, die Freiheit an der Schuld, nicht ästhetisch direkt kenntlich: die Freiheit kenntlich an der Freiheit.⁷⁷⁵
Die Totalität der Schuld und das Schuldbewusstsein sind allerdings nur notwendige, nicht hinreichende Bedingungen der Möglichkeit gelingender Lebensführung. Zwar ist die Totalität der Schuld die höchste Form der ‚Vertiefung in die Existenz‘; wäre sie jedoch das letzte Ziel menschlicher Selbstverständigung, verbliebe der sich der Totalität seiner Schuld bewusste Einzelne letztlich in einer
SKS 7, 482 / AUN 2, 241. SKS 7, 484 / AUN 2, 243. SKS 7, 485 / AUN 2, 244.
230
3 Hauptteil: Die existenzielle Ethik der Climacus-Schriften
Form der Immanenz – nun nicht mehr verstanden als die Immanenz einer metaphysisch letztbegründeten und damit abgeschlossenen Wirklichkeit, in der der Einzelne als Einzelner keinen Ort hat, wohl aber verstanden als die Immanenz seiner eigenen subjektiven Innerlichkeit. Gegenüber der Empfindung des Leidens als unmittelbare und unbestimmte Reaktion auf die Wirklichkeit des eigenen Scheiterns sowie der Erfahrung konkreter Schuld im Modus der Reue besteht das nun tiefere Bewusstsein von der Totalität der Schuld genauer darin, dass der Einzelne „entscheidend verändert ist“⁷⁷⁶. Er ist verändert hinsichtlich dessen, wie er sich und die Art und Weise seines Lebensvollzugs versteht und bewertet –, „während doch die Identität des Subjekts darin liegt, daß er selbst es ist, der sich dessen dadurch bewußt wird, daß er die Schuld mit dem Verhältnis zu einer ewigen Seligkeit“, d. h. mit der Möglichkeit gelingender Lebensführung, „zusammensetzt.“⁷⁷⁷ Vor dem Hintergrund einer solchen Strukturbestimmung subjektiver Immanenz kann Climacus in Anspielung auf die zu Beginn der Brocken einander gegenübergestellten Wahrheitstheorien davon sprechen, dass das Bewusstsein der Totalität der Schuld „das ewige Erinnern an die Schuld“⁷⁷⁸ ist. Denn es handelt sich hierbei um die durch den einzelnen reflexiv bewirkte Einsicht in die bisher zwar unbewusste, jetzt stets vorhandene Grundkonstitution seiner selbst als Mensch; jede ‚empirische Bestimmung‘ konkreter Schuld, mithin jeder andere, dem gegenüber er sich schuldig gemacht hat, war hierzu bloß zufälliger Anlass. Aber wie auch in den Brocken einer idealistischen die christliche Wahrheitstheorie folgt, folgt auch hier einer so verstandenen ‚Religiosität A‘, die ihre höchste Entwicklung in der Immanenz der Totalität des Schuldbewusstseins erreicht, die ‚Religiosität B‘ als christlich-paradoxe Religiosität. Anders jedoch als in den Brocken, wo beide Wahrheitstheorien vorderhand lediglich hypothetisch entworfen und einander disjunktiv gegenüberstellt wurden, bauen die beiden Formen der Religiosität in der Nachschrift aufeinander auf, die ‚Religiosität A‘ fungiert, wie bereits erwähnt, als terminus a quo für die ‚Religiosität B‘. Das in ihr gewonnene Schuldbewusstsein ist notwendige Bedingung einer gelingenden Lebensführung, für das das entsprechend komplementäre Sündenbewusstsein, wie es in der ‚Religiosität B‘ gewonnen wird, die hinreichende Bedingung darstellt. Dazu nun.
Ebd. Ebd., meine Hervorh. SKS 7, 484 / AUN 2, 243.
3.3 Kierkegaard und Jacobi III
231
3.3.2.2 Vom Schuldbewusstsein zum Sündenbewusstsein als wesentliches Kennzeichen der christlich-paradoxen ‚Religiosität B‘ Zunächst sei auch hier die Bemerkung vorangeschickt, dass auch mit der nun zu behandelnden ‚Religiosität B‘ der Bereich des Ethischen keineswegs verlassen ist, wie er über den Gang dieser Arbeit als wesentlich für die existenzielle Ethik der Climacus-Schriften verstanden worden ist. Auch der mit dem Ausdruck ‚Religiosität B‘ bezeichnete christliche Glaube verfügt über nicht nur über eine, sondern über die wesentlich „ethische Bestimmung“: Aus verschiedenen Gründen – mit dem Gedanken eines paradoxen und deshalb Ärgernis erregenden Gegenstands eines solchen Glaubens werden ich den hier wichtigsten noch besprechen – wird der christliche Glaube „mit Recht zum Allerschwierigsten gemacht, aber qualitativ-dialektisch, d. h. gleich schwierig für alle“⁷⁷⁹. Auch hier gilt mit unverändertem Nachdruck: „Das Ethische hat mit den einzelnen Menschen zu tun, und wohlgemerkt mit jedem Einzelnen.“⁷⁸⁰ Auf ihn richtet sich gerade auch die christliche Religiosität als höchste Form ethischen Existierens, indem es auch in ihr „ethisch verstanden…die Aufgabe jedes Individuums [ist], ein ganzer Mensch zu werden.“⁷⁸¹ Des Weiteren ist nun zu beachten, dass Climacus keineswegs so naiv ist, die existenziellen Konsequenzen der bisher vorgestellten Strukturlogik von Selbstverständigung und totalem Schuldbewusstsein unbeachtet zu lassen. Während sein Konterpart Anti-Climacus das Verharren im kindlichen Gedanken der Genugtuung konkreter Schuld als eine Form der Verzweiflung ansehen würde – als
SKS 7, 541 / AUN 2, 309, meine Hervorh. SKS 7, 191 f. / AUN 2, 21, meine Hervorh. SKS 7, 316 / AUN 2, 50. Dies ist nicht nur deshalb zu beachten, um das Projekt der ClimacusSchriften recht zu verstehen, sondern auch deshalb, da es dieser Zusammenhang der Betonung des Ethischen im Religiösen ist, in dem nun auch Climacus explizit darauf insistiert, dass der Glaube grundsätzlich missverstanden wird, wenn er „etwas ganz Außerordentliches und Seltenes, ‚nicht gerade jedermanns Ding‘, kurz und gut:…Differenz-Genialität“ (SKS 7, 541 / AUN 2, 309) darstellen soll. Damit spiegelt sich genau an dieser Stelle der kritische Eintrag, den Kierkegaard handschriftlich in sein Exemplar des Bandes IV,1 von Jacobis Werken vorgenommen hat, und zeugt davon, dass auch bis hinein in diese Pointe der Nachschrift eine zumindest immer auch mit Jacobi geführte implizite Auseinandersetzung anzunehmen nicht unwahrscheinlich ist. Kierkegaard – um dies auch an dieser Stelle anzuführen – kommentiert hier folgenden Satz aus Jacobis ‚Vorbericht‘ von 1819: „Der Glaube ist nicht, wie die Wissenschaft, Jedermanns Ding, das heisst, nicht jedwedem, der sich nur gehörig anstrengen will, mittheilbar.“ (Pap.V C 13:3; vgl. JWA 1,1,349) Sein Kommentar lautet: „So bleibt der Glaube nur wieder die Genialität, dem Einzelnen vorbehalten, gleichsam Schellings Genialität im Handeln [Genialitet i at handle]. Auf diese Weise verhält es sich, so oft man beschäftigt ist, eine Totalanschauung zuwege zu bringen, und da lässt man eine solche Meinung sich einschleichen“ (Pap. V C 13:4, meine Übers.).
232
3 Hauptteil: Die existenzielle Ethik der Climacus-Schriften
diejenige Verzweiflung, ‚verzweifelt nicht man selbst sein zu wollen‘⁷⁸² –, die dem Betroffenen zumeist gar nicht bewusst ist, sieht Climacus mit dem Bewusstsein der Schuld zwar nicht die Notwendigkeit, sehr wohl aber die Möglichkeit gegeben, „daß dieses ewige Erinnern [an die Schuld] zum Wahnsinn oder zum Tode führen kann.“⁷⁸³ Denn wenn mit der ewigen Seligkeit die Möglichkeit gelingender Lebensführung gemeint ist, dann gilt es zu beachten: „Im ewigen Erinnern des Schuldbewußtseins verhält sich der Existierende zu einer ewigen Seligkeit, doch nicht in der Weise, daß er hier nun direkt näher gekommen wäre; denn nun ist er im Gegenteil so weit wie möglich entfernt“⁷⁸⁴. Die durch diesen Gedanken bedingte Hoffnungslosigkeit, die einen Menschen angesichts der Einsicht in die Totalität seiner Schuld und die genuine Unfähigkeit, aus eigener Kraft ein gelingendes Leben zu führen, befallen kann, findet der Christ Anti-Climacus in einem JesusWort adressiert; dieses macht er zum Thema der ersten der drei Schriften, die von Kierkegaard unter dem Titel Einübung im Christentum (1850) zusammengefasst und herausgegeben sind: „Kommet her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch Ruhe geben.“⁷⁸⁵ Für Climacus liegt die Antwort auf die Hoffnungslosigkeit und die Möglichkeit von Wahnsinn und Tod ebenfalls in dem Verhältnis des Menschen zur Person Jesu als dem in der Zeit Mensch gewordenen Gott gegeben, den er bereits in den Brocken jedoch nicht aus christlich-religiöser, sondern philosophischer Perspektive als das ‚absolute Paradox‘ und das ‚Absurde‘ bestimmt hat. Wie diese Bestimmung näher zu verstehen ist, dazu komme ich im folgenden Abschnitt. Zunächst gilt es zu betonen, dass mit einem solchen Verhältnis des Menschen zum Gott in der Zeit das eintritt, was Climacus ontologisch als „Bruch mit der Immanenz“⁷⁸⁶ und handlungstheoretisch als „Sprung[] vom Nicht-Glaubenden zum Glaubenden“⁷⁸⁷ fasst. Dass es Climacus in letzter Instanz um dieses Verständnis des Sprungs als eines entscheidenden Perspektivwechsels auf die eigene Existenz geht, dies wurde bereits mit seinem zweiten Kritikpunkt an Jacobis Salto mortale deutlich, in dem es hieß, dass der Sprung sich vor allem auch deshalb nicht direkt mitteilen lässt, „weil er…für das, was sich gerade nicht denken läßt, es dem einzelnen anheimstellt, ob er sich kraft des Absurden ent-
Vgl. SKS 11, 165 ff. / KT, 47 ff. SKS 7, 487 / AUN 2, 246. SKS 7, 486 / AUN 2, 246, meine Hervorh. SKS 12, 21 / EC, 7; vgl. Mt 11,28. SKS 7, 519 / AUN 2, 283. SKS 7, 21 / AUN 1, 10.
3.3 Kierkegaard und Jacobi III
233
schließen will, es gläubig anzunehmen.“⁷⁸⁸ Was aber ist dies, das hier gläubig anzunehmen dem Einzelnen anheimgestellt ist? Erstens ist es die qualitative Umwertung der Totalität der eigenen Schuld – nicht in Unschuld, sondern in Sünde. Darauf deuteten ebenfalls bereits die Brocken hin, wenn sie Sokrates trotz aller zugestandenen Menschen- und Selbstkenntnis den Mangel an Sündenbewusstsein attestieren, der den entscheidenden Unterschied zwischen einem idealistischen und christlichen Verständnis von Wahrheit markiert. Denn es ist „[d]as Sündenbewußtsein, welches freilich er ebensowenig einen anderen Menschen lehren konnte wie ein anderer Mensch ihn, sondern der Gott allein – falls er Lehrer sein wollte. Aber das wollte der Gott ja, so wie wir es gedichtet haben“, heißt es dort noch unter dem Vorbehalt der Hypothese, „und wollte, um es zu sein, dem Einzelnen gleich sein, damit dieser ihn ganz verstehen könne.“⁷⁸⁹ Die Nachschrift führt diesen Gedanken weiter aus anhand der Unterscheidung einer letztlich in der Immanenz der eigenen Subjektivität verharrenden und diese bis in ihre äußerste – negative – Möglichkeit des totalen Schuldbewusstseins getriebenen ‚Religiosität A‘ und einer ‚Religiosität B‘, in der die immanente „Identität des Subjekts“ dadurch „gebrochen [ist]“, dass der Einzelne nicht mehr qua Reflexion auf sein eigenes Menschsein ein Schuldbewusstsein generiert, sondern sich dieses Schuld- in ein Sündenbewusstsein wandelt und er diese seine wesentliche Sünde „von außen zu wissen bekommt“⁷⁹⁰: „Das heißt“, so fasst Climacus diesen Gedanken zusammen, das Schuldbewußtsein als wesentliches liegt doch noch in der Immanenz, und ist verschieden vom Sündenbewußtsein. Im Schuldbewußtsein ist es dasselbe Subjekt, das durch das Zusammenhalten der Schuld mit dem Verständnis zu einer ewigen Seligkeit wesentlich schuldig wird, aber die Identität des Subjekts ist doch derart, daß die Schuld das Subjekt nicht zu einem anderen macht, welches der Ausdruck für den Bruch ist. Der Bruch aber, worin die paradoxe Akzentuierung der Existenz liegt, kann im Verhältnis zwischen einem Existierenden und dem Ewigen nicht eintreten, weil das Ewige den Existierenden überall umschließt, und das Mißverhältnis [sc. von zugleich Aufgabe und Unfähigkeit, ein gelingendes Leben zu führen] daher in der Immanenz bleibt. Soll sich der Bruch konstituieren, muß das Ewige sich selbst als ein Zeitliches, als in der Zeit, als Historisches bestimmen, wodurch der Existierende und das Ewige in der Zeit die Ewigkeit zwischen sich bekommen. Dies ist das Paradox⁷⁹¹.
Damit ist dann aber auch ein zweiter Aspekt dessen impliziert, was dem Einzelnen gläubig anzunehmen anheimgestellt ist. Denn wenn es von der Schuld heißt, dass
SKS 7, 98 / AUN 1, 93. SKS 4, 252 / PB, 45. SKS 7, 485 / AUN 2, 244, meine Hervorh. SKS 7, 483 f. / AUN 2, 242 f.
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3 Hauptteil: Die existenzielle Ethik der Climacus-Schriften
sie ‚das Subjekt nicht zu einem anderen macht‘, dann gilt von der Sünde gerade das Umgekehrte: in und mit ihr ist der Mensch ein anderer – und zwar in einer doppelten Hinsicht. Nicht nur ist der Mensch nun wesentlich Sünder. Zugleich ermöglicht die ihm zu Bewusstsein gebrachte qualitative Umwertung seiner Schuld in Sünde die ihm in der Schuld unmöglich gewordene Hoffnung auf eine gelingende Lebensführung. Im nun gegebenen Verständnis seiner selbst als Sünder gilt nicht mehr die Unmöglichkeit, aus sich selbst heraus ein gelingendes Leben zu führen, als das letzte Wort. Vielmehr eröffnet sich nun die neue und überhaupt erst eigentliche Möglichkeit gelingender Lebensführung durch das (und in dem) Verhältnis zu einem von ihm unterschiedenen Gott. Mit dem Verständnis des eigenen Selbstseins als Sünder-sein ist zugleich – dies ist die sachliche Pointe der existenziellen Ethik der Climacus-Schriften – das Verständnis des eigenen Selbstseins als Sein in der Gnade gegeben. In diesem Sinne ist das Sündenbewusstsein anders als das Schuldbewusstsein „der Ausdruck für die paradoxe Verwandlung der Existenz.“⁷⁹² Das Sündenbewusstsein muss dem christlich-religiösen Menschen damit gerade als das Erbauliche im Sinne der Restitution von Hoffnung gelten: „In der Religiosität B ist das Erbauliche ein Etwas außerhalb des Individuums; das Individuum findet die Erbauung nicht dadurch, daß es das Gottesverhältnis in sich findet, sondern verhält sich zu etwas außerhalb seiner, um Erbauung zu finden.“⁷⁹³ Und ganz im Gegensatz zu der Rede vom religiösen Glauben bei Jacobi liegt dieses Erbauliche mithin darin, „[z]u verstehen, daß ein Mensch nichts vermag“⁷⁹⁴, und zugleich das „Entscheidende“, wie Anti-Climacus in erneutem Rekurs auf das Neue Testament⁷⁹⁵ formuliert, im Auge zu behalten: alles ist möglich bei Gott. Dies ist ewig wahr, und mithin wahr in jedem Augenblick. Man sagt es wohl so hin im Alltagsleben, und im Alltagsleben sagt man es so hin, jedoch die Entscheidung fällt erst, wenn der Mensch zum Äußersten gebracht ist, so daß da menschlich gesprochen keine Möglichkeit mehr ist. Dann gilt es, ob er glauben will, daß alles möglich ist bei Gott, das heißt, ob er glauben will.⁷⁹⁶
Climacus vermeidet einen solchen Rekurs auf das Neue Testament sowie er es vermeidet, „weitere christliche Bestimmungen heranzuziehen“, denn – dies ist seine Überzeugung – „sie wurzeln doch alle in dieser einen und lassen sich
SKS 7, 530 / AUN 2, 296. SKS 7, 510 / AUN 2, 272. SKS 7, 349 / AUN 2, 88. Vgl. Mt 19,26; Lk 1,37. SKS 11, 153 / KT, 35.
3.3 Kierkegaard und Jacobi III
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konsequent aus ihr ableiten“: „daß der Glaubende in der Zeit durch das Verhältnis zu etwas Historischem seiner ewigen Seligkeit gewiß wird.“⁷⁹⁷ Beide, Climacus und Anti-Climacus, sind sich jedoch darin einig, dass die ‚paradoxe Verwandlung der Existenz‘, die für den Einzelnen darin besteht, dass ihm die eigene Schuld als Sünde bewusst gemacht wird, ihren Ausdruck im Modus des Glaubens findet. Dieser Glaube ist dann nicht mehr der bloß epistemische Glaube, der „Glaube in allgemeinem Sinne“⁷⁹⁸, der in den Brocken als Modus des Führwahrhaltens historischer Sachverhalte zu Sprache kam. Dieser Glaube ist der Glaube im christlichreligiösen Sinne, der in den Brocken so bezeichnete „Glaube in besonderem Sinne“⁷⁹⁹. Dieser ist selbst nicht nur paradoxer Glaube aus dem Grund, dass der Bedeutungsgehalt dessen, was hier geglaubt wird, widersprüchlich ist: dass dem Einzelnen das Bewusstsein der eigenen Sünde das höchste Maß an Erbauung bedeutet. Er ist primär deshalb paradoxer Glaube, da ein solch paradoxer Bedeutungsgehalt bedingt ist durch den Gegenstand dieses Glaubens, der dem Einzelnen diesen Bedeutungsgehalt überhaupt erst mitteilt: durch den in der Zeit Mensch gewordenen Gott; dieser ist – so die Überschrift des dritten Kapitels der Brocken – ‚das schlechthinnige Paradox‘. Was hat es nun damit auf sich? 3.3.2.3 Paradox und Ärgernis: epistemische Sünde und transformativer Glaube I Die erstmalig in den Brocken vorfindliche Rede vom Mensch gewordenen Gott als Paradox und dessen Qualifizierung als „absurd“⁸⁰⁰, die dann auch in der Nachschrift an der prominenten Stelle des zweiten Kritikpunktes an Jacobis Salto mortale wiederkehrt, gehört in den nun vorgestellten Komplex von Sünde und der in der Gnade gegebenen Erlösung des Menschen von der Hoffnungslosigkeit angesichts seiner Schuld. Innerhalb dieses Komplexes – darauf ist nun zu achten – sind zwei Hinsichten zu unterscheiden, in denen der Mensch als zugleich Sünder und Erlöster anzusehen ist. Schon früh notiert Kierkegaard in sein Journal: „[W]enn ich etwas vom Essentiellsten im Christentum festhalten will, nämlich die Erlösung, so muss sie sich, sofern sie wirklich etwas sein soll, auf den ganzen Menschen erstrecken. Oder sollte ich mir seine moralischen Fähigkeiten mangelhaft und seine Erkenntnis dagegen unbeschadet vorstellen?“⁸⁰¹ Die Sünde – so lautet der hier formulierte Gedanke – hat nicht nur einen moralisch-praktischen,
SKS 7, 336 / AUN 2, 73. SKS 4, 286 / PB, 84. Ebd. SKS 4, 256 / PB, 49. SKS 17, 30, AA:13 / DSKE 1, 31.
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3 Hauptteil: Die existenzielle Ethik der Climacus-Schriften
sondern auch einen epistemischen Effekt auf den Menschen.⁸⁰² Dazu ist zunächst Folgendes im Blick zu behalten, um Climacus und mit ihm Kierkegaard nicht vorschnell als einen Irrationalisten abzuweisen.⁸⁰³ Zwar ist nicht zu unterschlagen, dass Climacus in polemischen Auswüchsen seiner nicht zuletzt mithilfe von Jacobis Argument eines Unterschieds von Grund und Ursache an sich wohl begründeten Kritik verabsolutierter Rationalität beispielsweise von einem „Martyrium des Glaubens“ spricht, in dem es darum gehe, „seinen Verstand zu kreuzigen“⁸⁰⁴. Und auch diejenige Bedeutungsvariante des Sprungs, die Climacus mit seinem zweiten Kritikpunkt an Jacobis Salto mortale geltend macht, kann den Gedanken eines vorliegenden Irrationalismus evozieren, wenn dort davon die Rede ist, dass der Sprung als ein Akt der Entscheidung „kraft des Absurden“⁸⁰⁵ zu verstehen ist. Bei genauer Betrachtung zeigt sich jedoch, dass insbesondere dieser Begriff des Absurden nicht unabhängig vom oder gar in Entgegensetzung zum Verstand, sondern gerade mithilfe des Verstandes, ja sogar als ein genuiner Verstandesbegriff entwickelt wird. Inwiefern? Der Begriff des Absurden fungiert im Wesentlichen als Qualifizierung des Paradox, insofern er die Eigenschaft des in der christlichen Lehre vom Mensch gewordenen Gott behaupteten widersprüchlichen Sachverhalts einer gleichzeitigen „Ewigsetzung des Geschichtlichen“ und „Geschichtlichsetzung des Ewigen“⁸⁰⁶ bezeichnet, sich dem Verstand und dessen Versuchen, diesen Sachverhalt in Begriffe zu fassen, zu entziehen. Dies ist jedoch nicht deshalb der Fall, weil es sich dabei um einen logisch-widersprüchlichen Sachverhalt handelt. Es handelt sich dabei also nicht, wie Kierkegaard notiert, um „Unsinn“, der vonseiten des Verstandes als schlichtweg irrational abqualifiziert werden könnte: Das Absurde, das Paradox ist solcherart zusammengesetzt, dass die Vernunft es keineswegs aus eigener Kraft in Unsinn auflösen und zeigen kann, dass es Unsinn ist; nein, es ist ein Zeichen, ein Rätsel, ein Rätsel der Zusammensetzung, von welchem die Vernunft sagen
Dieser in der sowohl theologischen als auch religionsphilosophischen Diskussion des Sündenbegriffs oft noch immer vernachlässigte Gedanke einer epistemischen Dimension der Sünde geht – darauf hat Merold Westphal (Westphal 1990) hingewiesen – bis auf Paulus zurück. Einen Überblick über sowohl historische als auch aktuelle Positionen in der Diskussion einer epistemischen Dimension der Sünde bis zu Alvin Plantinga liefert Moroney 1999. Zur immer noch vieldiskutierten Position Plantingas vgl. darüber hinaus Vahid 2019. Wie etwa Garelick 1965, Blanshard 1969 oder Pojman 1984. Gegen eine solche Lesart Kierkegaards als Irrationalisten argumentiert v. a. Evans 2006, 117– 132. Zum Folgenden vgl. darüber hinaus auch Evans 1983, 212– 219 und Evans 1992, 97– 104. SKS 7, 508 / AUN 2, 270. SKS 7, 98 / AUN 1, 93. SKS 4, 263 / PB, 58.
3.3 Kierkegaard und Jacobi III
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muss: lösen kann ich es nicht, es ist nicht zu begreifen, daraus folgt jedoch überhaupt nicht, dass es Unsinn ist.⁸⁰⁷
Sehr wohl gibt Climacus ein Beispiel für einen tatsächlich logischen, da formalen Selbstwiderspruch. Zu Beginn der Brocken ist – daran ist hier zu erinnern – in Form eines Gedankenexperiments, des sogenannten ‚Denkprojekts‘, aus der Augenblicksprämisse abgeleitet worden, dass ein zum idealistischen Wahrheitsmodell alternatives Modell davon ausgehen muss, dass dem Wahrheitssuchenden, dem Schüler, nicht nur die Wahrheit selbst, sondern auch die Verstehensbedingung dieser Wahrheit vom Lehrer selbst mitgegeben werden muss. Climacus führt nun weiter aus, dass dies auch über die Zeit und Generationenabfolge der Schüler, oder wie es hier nun bereits unverhohlener auf den christlichen Charakter des alternativen Wahrheitsmodells abzielend heißt, der Jünger hinaus gilt. Wäre dies nicht der Fall, so würde sich das so entworfene Alternativmodell eines logischen Widerspruchs schuldig machen: Laßt uns annehmen, es verhalte sich anders, die gleichzeitige Generation von Jüngern habe von dem Gotte die Bedingung empfangen, und nun hätten die folgenden Generationen die Bedingung von diesen zu empfangen; was würde daraus folgen?…[S]oll der Gleichzeitige dem Späteren die Bedingung mitgeben so kommt dieser dazu an ihn zu glauben. Von ihm empfängt er die Bedingung und damit wird der Gleichzeitige für den Späteren der Gegenstand des Glaubens; denn der, von welchem der Einzelne die Bedingung empfängt, eben der ist eben damit…des Glaubens Gegenstand und ist der Gott.⁸⁰⁸
Jedoch: Eine solche „Sinnlosigkeit“, fährt Climacus fort – oder, um den Ausdruck der zuvor zitierten Notiz zu gebrauchen: ein solcher ‚Unsinn‘ – laßt sich nicht denken, und das in einem anderen Sinne, als wenn wir von jener Tatsache [sc. dem Paradox des Mensch gewordenen Gottes] und von des Einzelnen Verhältnis zu dem Gotte sagen, daß dies sich nicht denken lasse. Unsere hypothetische Annahme jener Tatsache und des Verhältnisses des Einzelnen zu dem Gotte enthält keinen Selbstwiderspruch…. Jener sinnlose Folgesatz hingegen enthält einen Selbstwiderspruch, der sich nicht damit begnügt eine Ungereimtheit festzustellen, wie unsere hypothetische Annahme es ist, sondern innerhalb dieser Ungereimtheit bringt sie einen Selbstwiderspruch hervor, daß nämlich für den Gleichzeitigen der Gott der Gott sei; aber der Gleichzeitige wiederum der Gott für den Dritten.⁸⁰⁹
Pap. X-2 A 354, meine Übers. SKS 4, 297 f. / PB, 97 f. SKS 4, 298 / PB, 98.
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3 Hauptteil: Die existenzielle Ethik der Climacus-Schriften
Das Paradox ist demnach nicht deshalb absurd, weil sich in ihm ein logischer Widerspruch ausdrückt. Die Kennzeichnung ‚logischer Widerspruch‘ im Sinne eines formalen Selbstwiderspruchs stellt eine genuin rationale Kennzeichnung dar und ist das Resultat eines rational verfügbaren Wissens über einen Begriff qua Definition. So ist etwa der Begriff eines quadratischen Kreises ein selbstwidersprüchlicher Begriff, da er impliziert, dass alle Punkte einer jeden konkreten Form, die diesen Begriff verkörpert, zugleich gleich weit und nicht gleich weit vom Mittelpunkt dieser Form entfernt wären. Entsprechend fußt auch die Suffizienz des hier entscheidenden Denkprinzips des Satzes vom ausgeschlossenen Widerspruch auf der Basis eines vorhandenen Wissens über einen Begriff qua Definition. Mithin ist der Ausweis eines logischen Widerspruchs das Resultat der erfolgreichen Anwendung des Denkprinzips des Satzes vom ausgeschlossenen Widerspruch und die Kennzeichnung ‚logischer Widerspruch‘ ist gerechtfertigt. Eine Wahrheit, die dadurch definiert ist, dass der Lehrer dieser Wahrheit einem Schüler nicht nur diese Wahrheit selbst, sondern auch ihre Verstehensbedingung mitgeben muss, ist dann als selbstwidersprüchlich auszuweisen, wenn sie wie im oben geschilderten Fall implizierte, dass zugleich nicht der Lehrer, sondern ein Schüler einem Schüler die Verstehensbedingung dieser Wahrheit mitgeben kann. Der Widerspruch einer gleichzeitigen ‚Ewigsetzung des Geschichtlichen‘ und ‚Geschichtlichsetzung des Ewigen‘ ist jedoch nicht von dieser Art, da hier kein Gottesbegriff zu Verfügung steht, dessen Definition eine solche Gleichzeitigkeit ausschließt. Das Denkprinzip des Satzes vom ausgeschlossenen Widerspruch steht für Climacus folglich unabdingbar in Geltung – gerade auch zum Verständnis des widersprüchlichen Charakters und der absurden Qualität des Paradox. Denn in einer nun zu bestimmenden ersten Hinsicht erweist sich das Paradox gerade darin als absurd, dass dieses unabdingbar in Geltung stehende Denkprinzip sich als insuffizient erweist, mithin der Verstand keine Kennzeichnung bereit hält die hier gerechtfertigter Weise zu applizieren wäre: „Dieser Mensch ist zugleich der Gott. Woher weiß ich das?“, fragt Climacus und antwortet in diesem Sinne: „Ja, wissen kann ich es nicht, denn dann müsste ich den Gott und die Verschiedenheit kennen; und die Verschiedenheit kenne ich nicht“⁸¹⁰, denn sie ist dasjenige, „wofür man kein Kennzeichen hat“⁸¹¹. Die Rede von einer ‚Kreuzigung des Verstandes‘ ist folglich irreführend, insofern es hier vielmehr darum geht, die Geltung der rationalen Denkgesetze anzuerkennen und von ihnen Gebrauch zu machen, um dann jedoch ihre Insuffizienz im vorliegenden Fall zu bemerken. Darauf weist Climacus in der Nachschrift nachdrücklich hin:
SKS 4, 250 / PB, 43. SKS 4, 249 / PB, 42.
3.3 Kierkegaard und Jacobi III
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Der gläubige Christ hat sowohl als auch gebraucht er seinen Verstand, respektiert das Allgemein-Menschliche, erklärt es nicht mit Mangel an Verstand, wenn jemand nicht Christ wird, aber im Verhältnis zum Christentum glaubt er gegen den Verstand und gebraucht auch hier den Verstand – um darauf aufzupassen, daß er gegen den Verstand glaubt.⁸¹²
Er „kann sehr wohl Verstand haben (ja er muß ihn sogar haben, um gegen den Verstand zu glauben)“⁸¹³. Das Paradox ist mithin absurd für den oder aus der Perspektive des Verstandes, genauer aus der Perspektive des noch ausschließlich von seinem Verstand Gebrauch machenden und in diesen Sinne noch auf ein Wissen von Gott abzielenden Menschen: „Wenn ich glaube“, so notiert Kierkegaard dem entgegen, „ist sicherlich weder der Glaube noch der Inhalt des Glaubens das Absurde, oh, nein, nein – aber ich verstehe sehr gut, dass für denjenigen, der nicht glaubt, der Glaube und der Inhalt des Glaubens das Absurde ist“⁸¹⁴. Ein weiterer Punkt ist nun von Bedeutung: Indem die in dem Paradox der Menschwerdung sich vollziehende Selbstoffenbarung Gottes für den Verstand absurd ist, erschließt sich dem Einzelnen erst im Verhältnis zur ihr ein für den Verstand allein unverfügbares Charakteristikum seiner selbst, eine ihm selbst genuin eingeschriebene paradoxe Tendenz. Diese stellt überhaupt erst die Bedingung der Möglichkeit einer Verabsolutierung der Rationalität dar, wie sie Climacus mit Jacobi in der Metaphysik Spinozas paradigmatisch vorgebildet sieht. Diese Tendenz bezeichnet Climacus als „des Denkens höchstes Paradox: etwas entdecken zu wollen, das es selbst nicht denken kann.“⁸¹⁵ Eine solche Rede impliziert – dies ist entscheidend für ein umfassendes Verständnis der epistemischen Dimension der Sünde – dass sich das ‚Allgemein-Menschliche‘, wie es an oben zitierter Stelle in der Nachschrift heißt, nicht in den bisher diskutierten kognitiv-rationalen Aspekten erschöpft. Wenn es für Climacus in seiner existenziellen Ethik zu keiner Zeit um ein allgemeines Erkenntnissubjekt geht, das mithilfe seines ebenso allgemeinen Verstandesvermögens den Versuch unternimmt Selbst- und damit Gotteserkenntnis zu gewinnen, es sich bei allen solchen Erkenntnisbemühungen vielmehr stets um die Bemühungen eines konkreten Individuums handelt, die aus konkreten Umständen und aus dem konkreten Interesse am Gelingen des eigenen Lebens unternommen werden, dann ist auch die Ratio den Affekten weder entgegengesetzt noch entzogen. Ganz im Gegenteil ist sie ein bloßer Teilaspekt des „ganze[n] Mensch[en]“⁸¹⁶, zu dem das am Gelingen des
SKS 7, 516 / AUN 2, 279 f. SKS 7, 516 / AUN 2, 279, meine Hervorh. Pap. X-6 B 68, meine Übers. SKS 4, 243 / PB, 35. SKS 7, 316 / AUN 2, 50.
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eigenen Lebens interessierte Individuum im Sinne des Ethischen sich bilden soll, und durch dessen Affekte wesentlich mitbestimmt und gefärbt. Climacus bezeichnet die oben so benannte paradoxe Tendenz des Denkens entsprechend als „des Verstandes paradoxe Leidenschaft“⁸¹⁷. Damit bedingt die Selbstoffenbarung eines dem Verstand genuin unverfügbaren Gottes aber nicht nur die Möglichkeit der kognitiv-rationalen Einsicht in die dem Verstand selbst eingeschriebene paradoxe Tendenz. Sie beinhaltet zugleich auch das Potential eines affektiv-emotionalen ‚Ärgernisses am Paradox‘ – so die Überschrift der ‚Beilage‘ zum dritten Kapitel der Brocken –, indem sich der in seinem Erkenntnisinteresse unbefriedigte und in seiner Erkenntnisleidenschaft gekränkte Einzelne gegen einen solchen Gott empört. Und erst in einer solchen Empörung ist Gott für den Menschen im dann wortwörtlichen Sinne paradox, weil er über eine bestimmte Erwartung des Menschen (hier: rationaler Gotteserkenntnis) hinausweist (παρά δόξα). Damit liegt dann aber gerade im Ärgernis als affektiv-emotionalem Modus der Einsicht in die Unmöglichkeit rationaler Gotteserkenntnis ein eigenes und erst eigentliches Wahrheitspotential begründet, das dann im Glauben realisiert wird. Die von Climacus mit der Rede vom Ärgernis bezeichnete Empörung des rein auf den Verstand setzenden Einzelnen hat folglich ein ebensolches Wahrheitspotential und eine argumentative Kraft, wie die Empörung des Einzelnen gegen das Vorhaben einer Bestimmung seiner selbst durch den reinen Verstand, wie sie mit Jacobis Kritik an Fichtes Idealismus zur Sprache kam: so darf gerade „das Ärgernis betrachtet werden als mittelbare Probe auf die Richtigkeit des Paradoxes“⁸¹⁸. Der in epistemischer Hinsicht erlösende Effekt des im Glauben ‚kraft des Absurden‘ erworbenen Sündenbewusstseins zielt entsprechend nicht ab auf die Umwandlung des epistemischen Status des Menschen von einem Unwissenden zu einem Wissenden von Gott und sich selbst. Vielmehr ist im Glauben ein „Verhältnis des Verstehens“⁸¹⁹ der eigenen Unwissenheit und des sich dem rationalen Wissensanspruch entziehenden Gottes gegeben, das nun auch in Auswirkung auf die affektive Dimension eines solchen Verstehens nicht mehr empörend wirkt. „[I]n gutem Einverständnis mit dem Verstand“, der mit der Einsicht in die eigene Tendenz, die Grenze seiner Erkenntnisfähigkeit zu überschreiten, diese Grenze zugleich anerkennt, ist der Glaube eine nun „glückliche Leidenschaft“⁸²⁰: „Wofern
SKS 4, 244 / PB, 36, meine Hervorh. SKS 4, 255 / PB, 48. Zum Wahrheitspotential der Affekte vgl. auch die zuletzt erschienene, an Kierkegaard orientierte und zugleich über ihn hinausgehende Studie von Rick Anthony Furtak (Furtak 2018). SKS 4, 240 / PB, 32. SKS 4, 257 / PB, 51.
3.3 Kierkegaard und Jacobi III
241
das Paradox und der Verstand aufeinander stoßen im gemeinsamen Verständnis ihrer Verschiedenheit, so“ – kann Climacus sogar formulieren – „ist der Zusammenstoß glücklich wie das Liebesverständnis“⁸²¹. 3.3.2.4 Der Schmerz der Sympathie und die Liebe: moralische Sünde und transformativer Glaube II Sündenbewusstsein und die Möglichkeit des Ärgernisses – dies sind die ersten zwei maßgeblichen Charakteristika der christlichen ‚Religiosität B‘, die Climacus zum Ende der Nachschrift noch einmal hervorhebt. Diese ‚Religiosität B‘ bezeichnet er auch als die gegenüber der pathetischen ‚Religiosität A‘ erst eigentlich dialektische Religiosität. Zwar ist die ‚Religiosität A‘ „keineswegs undialektisch“⁸²². Jedoch zielt ihre Dialektik ab auf die „Vertiefungen der Verinnerlichung“⁸²³, weshalb sie auch in ihrem Höchstmaß der Totalität der Schuld in der Immanenz der Subjektivität verbleibt. Die ‚Religiosität B‘ hingegen hat, wie Climacus formuliert, „das Dialektische an zweiter Stelle“, d. h. es geht in ihr nicht mehr um Momente subjekt-immanenter Selbstverständigung, sondern um Momente der Selbstverständigung, die nach dem ‚Bruch‘ mit der Immanenz der Subjektivität durch „ein bestimmtes Etwas“⁸²⁴, nämlich den in der Zeit Mensch gewordenen Gott, bedingt werden und sich im Vollzug eines persönlichen Verhältnisses zu diesem, d. h. in einem Verhältnis nach Außen, realisieren. In diesem Sinne sind sowohl das Sündenbewusstsein als auch die Möglichkeit des Ärgernisses Momente des „Rückwirken[s] des Dialektischen in dem Pathetischen zu verschärftem Pathos und die gleichzeitigen Momente dieses Pathos“⁸²⁵: Schuldbewusstsein verschärft sich zu Sündenbewusstsein und das Leiden an der Erfahrung des Scheiterns verschärft sich zum Ärgernis an dem Gott, in und mit dem die im Scheitern erfahrene eigene Insuffizienz absolut gesetzt wird. Diesen beiden ersten Momenten eines verschärften, nun christlich-religiösen Pathos folgt nun jedoch noch ein entscheidendes drittes Moment: der „Schmerz der Sympathie“⁸²⁶. Anders als im Falle des Sündenbewusstseins und der Möglichkeit des Ärgernisses hat dieses letzte Moment kein Korrelat innerhalb der Momente der immanenten ‚Religiosität A‘, sondern ist selbst das Korrelat zu dieser Religiosität als ganzer in ihrer Form der Selbstbezüglichkeit. Die ‚Religio SKS 4, 253 / PB, 46. Zur affektiv-emotionalen Dimension sowohl rationaler Erkenntnis als auch religiösen Glaubens in den Climacus-Schriften vgl. insbesondere Roberts 1997. SKS 7, 505 f. / AUN 2, 267. Ebd. Ebd. SKS 7, 529 / AUN 2, 295. SKS 7, 532 / AUN 2, 299.
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3 Hauptteil: Die existenzielle Ethik der Climacus-Schriften
sität B‘ weist zuletzt also über diese Selbstbezüglichkeit der ‚Religiosität A‘ hinaus und öffnet über den Weg des Verhältnisses zu einem dem Menschen äußerlichen, geschichtlichen und in diesem Sinne transzendenten Gott den Blick auf den Mitmenschen und das Verhältnis zu diesem. Dieses Verhältnis ist vor dem Hintergrund eines ethisch verstandenen Verhältnisses der praktischen Selbstverständigung des Einzelnen ein nun näherhin moralisches Verhältnis, auf das das ethisch-praktische Selbstverhältnis in letzter Instanz angewiesen ist, um zu gelingen: ethisch-praktische Selbstverständigung als Prozess der Persönlichkeitsbildung und moralisch-praktische Charakterbildung im Verhältnis zum Mitmenschen bedingen einander wechselseitig. Auf dieses moralisch-praktische Verhältnis zum Mitmenschen kann Climacus aber nur noch einen Fingerzeig geben, indem er seine Erörterungen mit der Frage enden lässt, ob ein solches entsprechend ‚sympathetisches‘ Verhältnis nicht immer ein ‚schmerzhaftes‘ sein muss, wenn es auf Grundlage der nun in ihren Strukturmomenten bestimmten christlichen Religiosität entstehen soll: weil der Glaubende nicht wie der Religiöse A latent mit jedem Menschen als (qua) Menschen sympathisiert und sympathisieren kann, sondern wesentlich nur mit den Christen. Wer mit der ganzen Leidenschaft seiner Seele seine ewige Seligkeit auf einer Bedingung begründet, die in dem Verhältnis zu etwas Historischem besteht, kann diese Bedingung natürlich nicht gleichzeitig als Narretei ansehen. …Für den Glaubenden gilt, daß es außerhalb dieser Bedingung die Seligkeit nicht gibt, und für ihn gilt, oder es kann für ihn dahin kommen, zu gelten, daß er Vater und Mutter hassen muß. Denn heißt es nicht gleichsam sie hassen, wenn er seine Seligkeit an die Bedingung geknüpft hat, von der er weiß, daß sie sie nicht annehmen? Und ist das nicht eine entsetzliche Verschärfung des Pathos im Verhältnis zu einer ewigen Seligkeit? Und gesetzt dieser Vater und diese Mutter oder diese Geliebte wären gestorben, ohne ihre Seligkeit auf dieser Bedingung begründet zu haben! Oder wenn sie lebten, er sie aber nicht gewinnen könnte! Er kann bis zum letzten alles für sie tun wollen, alle Pflichten eines treuen Sohnes und eines treuen Liebhabers mit der größten Begeisterung erfüllen, auf diese Weise zu hassen gebietet das Christentum nicht; und doch, wenn diese Bedingung sie trennt, sie für ewig trennt: ist das nicht, als haßte er sie?⁸²⁷
Während Climacus’ sachliche Erörterungen in der Nachschrift mit dieser Frage enden, widmet Kierkegaard eine komplette Schrift ihrer Beantwortung, auf die hier zuletzt noch einzugehen ist: Der Liebe Tun. Diese Schrift ist nicht allein vor dem Hintergrund der zeitlichen Nähe – sie erscheint 1847, im Jahr nach Veröffentlichung der Nachschrift – als ein Komplement zu den Climacus-Schriften anzusehen. Dafür sprechen vor allem auch sachliche Gründe, die insbesondere dann deutlich werden, wenn man diejenigen Aspekte vor Augen hat, die durch den jeweiligen Bezug auf Jacobi als für die existenzielle Ethik der Climacus SKS 7, 532 f. / AUN 2, 299 f.
3.3 Kierkegaard und Jacobi III
243
Schriften entscheidend markiert sind und hier als die Aspekte (1) des Adressaten, (2) der Form und (3) des Inhalts dieser Schrift zu spezifizieren sind. (1) In der Nachschrift betont Climacus die Verbundenheit mit Jacobi insbesondere im Bewusstsein der Bedeutsamkeit der Existenz des Individuums gegenüber einer verabsolutierten Rationalität, die sich in Form einer Systemphilosophie ausgestaltet. In den Climacus-Schriften gehört es mithin nicht nur zur wesentlichen Bestimmung des dort verhandelten Ethischen, dieses Individuum zu adressieren. Darüber hinaus setzen die Climacus-Schriften dieses in ihnen thematische Individuum als interessierten Leser zugleich immer auch voraus und sind in diesem Sinne selbst ein genuin ethisches Projekt.⁸²⁸ Während eine solche Voraussetzung in den Climacus-Schriften zumeist implizit verbleibt und erst dann explizit wird, wenn Climacus in seiner ‚Verständigung mit dem Leser‘ die gesamte Nachschrift widerruft, spricht Kierkegaard in der Der Liebe Tun, den individuellen Leser schon im ‚Vorwort‘ direkt als „‚[j]enen einzelne[n]‘“⁸²⁹ an und ruft in zur eigenverantwortlichen Lektüre auf. Aber nicht nur das. (2) Dieser individuelle Leser ist nicht nur zur eigenverantwortlichen Lektüre aufgerufen, sondern soll durch sie auch in die Lage versetzt werden, dem zu verantwortenden Urteil über das von ihm Gelesene gemäß handeln zu können. Als notwendige Bedingung dazu gilt in Der Liebe Tun wie schon zuvor in den Climacus-Schriften die Aufmerksamkeit auf die Bestimmungen des eigenen Existierens. Dies drückt sich darin aus, dass Kierkegaard Der Liebe Tun als eine Sammlung von „Erwägungen in Form von Reden“⁸³⁰ konzipiert hat. Denn im Gegensatz zu einer genuinen Rede, der anderen literarischen Form also, die Kierkegaard stets unter eigenem Namen veröffentlicht hat, setzt eine „Erwägung“ – dies hält Kierkegaard in seinen Notizen fest – keine Begriffsbestimmungen als gegeben und verstanden voraus; sie darf daher nicht so sehr rühren, abmildern beruhigen, überreden wie wecken und die Mschen reizen und das Denken schärfen. Der Augenblick der Erwägung ist ja auch vor der Handlung, und es gilt daher, all die Momente recht in Bewegung zu setzen. Die Erwägung soll eine ‚Bremse‘, ihr Kolorit daher ein ganz anderes sein als das der erbaulichen Rede, die in Stimmung ruht, während die Erwägung in gutem Sinne ungeduldig sein soll, feurig in Stimmung. Ironie ist hier vonnöten und auch ein bedeutenderer Bestandteil Komik. Man darf auch gern zwischendurch einmal ein wenig lachen, wenn bloß der Gedanke umso deutlicher und schlagender wird. Eine erbauliche Rede über Liebe setzt voraus, dass die Mschen im Wesentlichen wissen, was Liebe
Ebenso wie sie – dies sei noch einmal hervorgehoben – von einem gleichsam interessierten Verfasser stammen und damit auch in dieser Hinsicht ein genuin ethisches Projekt, nämlich der existenziell-ethischen Selbstverständigung des Johannes Climacus, darstellen. SKS 9, 11 / LT, 5. SKS 9, 7 / LT, 1.
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3 Hauptteil: Die existenzielle Ethik der Climacus-Schriften
ist, und versucht nun, sie für sie zu gewinnen, sie zu bewegen. Aber dies ist wahrlich nicht der Fall. Daher muss ‚die Erwägung‘ sie erst aus dem Kellerschacht hervorholen, sie aufwecken, sie mit der Dialektik der Wahrheit auf ihrem gemächlichen Gedanken-Gang hinund herwenden.⁸³¹
Mit dieser Reflexion auf die hier angemessene, nämlich insbesondere mithilfe des sprachlichen Mittels der Ironie beunruhigende und darin ‚aufweckende‘ Form der ‚Erwägung‘ ist zugleich auch die Frage angesprochen, die in den ClimacusSchriften in der Auseinandersetzung mit Jacobi, genauer in Climacus’ zweitem Kritikpunkt an dessen Salto mortale adressiert wird: die über das Problem menschlicher Kommunikation via Sprache sich stellende Frage nach der Möglichkeit einer sprachlich-literarischen Mitteilung des christlichen Glaubens und der Verantwortung des Autors im Verhältnis zu seinem in die eigene Verantwortung zu setzenden Lesers. Wenngleich nun nicht mehr unter einem Pseudonym veröffentlicht, setzt Der Liebe Tun doch auch in dieser Hinsicht der vor allem auch eigenen Aufmerksamkeit auf die Dialektik der Mitteilung das ethisch-existenzielle Projekt der Climacus-Schriften fort.⁸³² (3) Zuletzt ist Der Liebe Tun jedoch nicht nur hinsichtlich der Form, sondern auch hinsichtlich des Inhalts eine Fortsetzung der Climacus-Schriften und ihrer Auseinandersetzung mit Jacobi. Denn einerseits ist diese Schrift das notwendige Komplement zur Nachschrift, insofern Kierkegaard hier Climacus’ Frage, ob aus einer dann exklusivistisch verstanden christlichen Religiosität nicht Hass gegenüber Nicht-Christen resultieren müsse, dezidiert mit Nein beantwortet und demgegenüber die inklusive Liebe als die wahrhaft christliche Haltung dem Mitmenschen gegenüber in Zentrum stellt. Andererseits aber steht diese verneinende und in diesem Sinne diskontinuierliche Erwiderung auf Climacus zugleich in unabweisbarer Kontinuität zu dessen Betonung menschlichen Handelns: Die hier vorliegenden ‚Erwägungen‘, so spezifiziert Kierkegaard im ‚Vorwort‘ nämlich, „handeln…nicht von – ‚der Liebe‘, sondern von – ‚der Liebe Tun‘.“⁸³³ Damit setzen sie genau den Weg fort, den Climacus mit den Brocken eingeschlagen hat, indem er mit der Affirmation und Inanspruchnahme von Jacobis Argument eines wesentlichen Unterschieds von Grund und Ursache die Ebene der Erfahrung ur SKS 20, 211, NB2:176 / DSKE 4, 239. Dem Verhältnis von Der Liebe Tun zur Dialektik der Mitteilung, wie sie Kierkegaard nicht nur in der Nachschrift, sondern insbesondere auch in seinen ebenfalls 1847 verfassten Notizen zu einer möglichen Vorlesungsreihe zu diesem Thema behandelt, widmet sich ausführlicher Bühler 2002. SKS 9, 11 / LT, 5, meine Hervorh. Dazu hier nun noch einmal der Hinweis auf die ausführlicheren Überlegungen zur Handlungstheorie in Der Liebe Tun, die Ulrich Lincoln (Lincoln 1998) anstellt.
3.3 Kierkegaard und Jacobi III
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sächlichen Handelns als Sphäre menschlicher Freiheit zum Thema seiner existenziellen Ethik gemacht hat. Aber mehr noch. Mit der Nachschrift hat Climacus dann in erneuter, nun kritischer Auseinandersetzung mit Jacobis Salto mortale den Sprung als maßgebliche Kategorie eines solchen freiheitlichen Handelns herausgestellt. Und die verschiedenen Bedeutungsvarianten des Sprungs haben sich für Climacus ergeben aus einer komplexen Dialektik zwischen innerem und äußerem Handeln, die bei aller Betonung der Innerlichkeit auch in den Climacus-Schriften immer schon das handelnd zu beziehende Verhältnis zum anderen implizierte. In Der Liebe Tun kommt nun dieser Aspekt eines handelnd zu beziehenden Verhältnisses zum anderen zentral in den Blick – das Verhältnis also, das mit dem Woldemar gegen Climacus’ Kritik an Jacobi bereits hervorzuheben war.⁸³⁴ Während der Woldemar, wie oben dargelegt, als eine erzählerische Ausgestaltung desjenigen Satzes zu lesen ist, mit dem Jacobi seine Konzeption menschlicher Selbstwerdung und Persönlichkeitsbildung auf den Punkt bringt: „ohne Du, ist das Ich unmöglich“⁸³⁵, so nimmt nun auch Kierkegaard exakt ein solch interpersonales Verhältnis von ‚Ich‘ und ‚Du‘ in den Fokus und analysiert dessen innere Dialektik als ein Liebesverhältnis: „Verwunderlich“, so heißt es in einer der ‚Erwägungen‘, die unter der Überschrift ‚Die Liebe suchet nicht ihr Eigenes‘ die im Woldemar vorgebrachte Kritik einer Vermischung von Interpersonalität und Identität mithilfe des Gedankens von Eigentums- und Besitzansprüchen reformuliert – Verwunderlich, da gibt es ein Du und ein Ich, und kein Mein und Dein! Denn ohne Du und Ich keine Liebe, und mit Mein und Dein keine Liebe; aber Mein und Dein (diese besitzanzeigenden Fürwörter) sind ja von Du und Ich abgeleitet, und scheinen also überall dort sein zu müssen, wo Du und Ich sind. Das ist auch überall der Fall, nur nicht in der Liebe, sie ist eine Umwälzung von Grund auf.⁸³⁶
Anders gesagt: Erst mit der nun folgenden Betonung der Intersubjektivität existenzieller Ethik wird die Aufgabe derselben als die Aufgabe einer stets zu wiederholenden „Doppelbewegung“ deutlich – darauf weist insbesondere Pia Søltoft hin: „Daß man die Innerlichkeit der Subjektivität in sich selbst gewonnen hat, besagt, daß diese Innerlichkeit sich existenziell im Verhältnis zum anderen fortsetzt. Die Richtung nach innen und nach außen dürfen also nicht getrennt werden. Die Richtung nach innen und nach außen sind die strukturelle Bewegung in der kontinuierlichen Aufgabe, die bestimmend ist für die wahre Subjektivität. Eine Aufgabe, die dann nicht gelöst werden kann, wenn von ihrer intersubjektiven Bestimmtheit abgesehen wird.“ (Søltoft 2002, 89) JWA 1,1, 116. SKS 9, 265 / LT, 294.
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Anders jedoch als im Woldemar wird das interpersonale Verhältnis zwischen einem ‚Ich‘ und einem ‚Du‘ von Kierkegaard nicht als ein dialogisches Verhältnis der Freundschaft verstanden, sondern als ein trialogisches Verhältnis, das sich für den Einzelnen zwischen den Polen der Gottes- und der Nächstenliebe aufspannt und – dem Gedanken der Wiederholung gemäß – als ein solches immer wieder neu zu realisieren ist.⁸³⁷ Damit knüpft Kierkegaard insofern an Climacus an, als sich ein solches Verhältnis insbesondere im Blick auf die Gottesliebe nicht im Modus des Wissens – Gottesliebe drückt sich für Kierkegaard keineswegs aus in dem Versuch eines Gottesbeweises –, sondern nur im Modus des Glaubens realisieren lässt. Ein solcher Glaube ist dann auch hier zunächst epistemisch transformativ, insofern er als Glaube an die Liebe Gottes zum Menschen die Aneignung und Aktualisierung der epistemischen Voraussetzung für einen Glauben an die Möglichkeit gelingender zwischenmenschlicher Liebe bedeutet.⁸³⁸ Mit diesem Gedanken eröffnet Kierkegaard nicht nur die erste seiner ‚Erörterungen‘: „Wofern es so wäre, wie dünkelhafte Klugheit meint – stolz, daß sie sich nicht betrügen läßt –, daß man nicht glauben dürfte, was man nicht mit seinem sinnlichen Auge sehen kann“, liest man dort, „dann müßte man es vor allem bleiben lassen, an die Liebe zu glauben.“⁸³⁹ Den Gedanken der vorgängigen Liebe Gottes zum Menschen, die als Bedingung der Möglichkeit zwischenmenschlicher Liebe durch die Liebe des Menschen zu Gott im Glauben angeeignet und aktualisiert werden muss, kommt insbesondere auch in dem der gesamten Schrift vorangestellten ‚Gebet‘ zum Ausdruck. Während die Climacus-Schriften im Gedanken der Sünde ihre Pointe haben und die darin implizierte Gnade in der Rede vom ‚Erbaulichen‘ des Sündenbewusstseins nur streifen, steht Der Liebe Tun damit nicht nur von vornherein unter dem Vorzeichen göttlicher Gnade.⁸⁴⁰ Anders als Climacus vermeidet Kierkegaard nun auch keineswegs die Verwendung ‚christlicher Bestimmungen‘, sondern richtet sein Gebet dezidiert an den trinitarischen Gott: Wie sollte man auf rechte Art von Liebe reden können, falls du vergessen wärst, du Gott der Liebe, von dem alle Liebe herkommt im Himmel und auf Erden; du, der nichts schonte,
Dass dem Begriff der Wiederholung nicht nur im umfassenden Kontext von Kierkegaards Freiheits-, sondern auch im spezifischen Kontext seines Versöhnungsverständnisses, wie es in der Gottesliebe grundgelegt ist, eine entscheidende Rolle zukommt, hat ebenfalls Dorothea Glöckner (Glöckner 1996) herausgestellt. Vgl. Lincoln 2002, 4 f. SKS 9, 13 / LT, 7. Auch M. Jamie Ferreira (Ferreira 2001,17 ff.) hebt diesen Gedanken hervor und bringt ihn Verbindung mit der lutherischen Lehre von der Priorität der Gnade. Zum Verhältnis Kierkegaards zu Luther und seiner Theologie vgl. Kim/Rasmussen 2009.
3.3 Kierkegaard und Jacobi III
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sondern alles in Liebe hingab; du, der du Liebe bist, so daß der Liebende ist, was er ist, nur durch Bleiben in dir! Wie sollte man auf rechte Art von Liebe reden können, falls du vergessen wärst, du, der offenbar gemacht hat, was Liebe ist, du unser Heiland und Versöhner, der sich selbst hingab, um alle zu erlösen! Wie sollte man auf rechte Art von Liebe reden können, falls du vergessen wärst, du Geist der Liebe, der nichts von ihm selber nimmt, sondern an jenes Opfer der Liebe erinnert, den Glaubenden erinnert, daß er lieben solle, wie er geliebt ist und seinen Nächsten wie sich selbst!⁸⁴¹
Aber ein solcher Glaube an die Liebe Gottes ist nun nicht mehr nur epistemisch transformativ, insofern er den Glauben an die Möglichkeit gelingender zwischenmenschlicher Liebe bedingt. Er ist darüber hinaus auch moralisch transformativ. Denn wie bereits erwähnt, geht es Kierkegaard im Wesentlichen um ‚der Liebe Tun‘, um eine Liebespraxis also, die eine moralische Praxis ist, insofern sie nicht nur als Ganze, sondern auch in den sie konstituierenden Einzelhandlungen als gut oder schlecht zu beurteilen ist. Das gilt für eine konkrete Handlung als (vermeintlicher) Ausdruck der Liebe des Menschen zu Gott, insbesondere aber für eine konkrete Handlung, die im Horizont der Gottesliebe Ausdruck der Liebe des Menschen zu seinem Nächsten zu sein beansprucht. Liebe fungiert hier im Sinne des Neuen Testaments als streng normative Kategorie, als Pflicht: „Du sollst deinen Nächsten lieben als dich selbst.“⁸⁴² Der Glaube an die Liebe Gottes stellt jedoch nicht nur das Kriterium der in diesem Sinne moralischen Beurteilung bereit, sondern bedingt darüber hinaus überhaupt erst die Möglichkeit eines in diesem Sinne moralisch guten Handelns, vor deren Hintergrund eine entsprechende Beurteilung nur Sinn macht. Jedoch geht es Kierkegaard mit einer solchen Charakterisierung der Liebe als Pflicht anders als etwa Kant nicht darum, dass mit der Erfahrung dieser Pflicht nicht nur die Verbindlichkeit der Liebe, sondern zugleich auch die Möglichkeit ihrer Realisierung verbürgt ist.⁸⁴³ Mit der Rede vom Pflichtcharakter der Liebe zielt Kierkegaard vielmehr erneut auf ein das alltägliche Selbstverständnis des Menschen irritierendes Potenzial der Gottesoffenbarung ab, wie es auch in Form des Paradox für den vermeintlich suisuffizienten Verstand als Möglichkeit des Ärgernisses angelegt ist: „denn menschlich gesprochen ist es ja doch das Sonderbarste, fast einem Spotte gleich“, wenn einem Menschen gesagt wird, „er solle tun,
SKS 9, 12 / LT, 6. SKS 9, 24 / LT, 21, meine Hervorh.; vgl. Mt 22,39. Dieser Zusammenhang der Gleichursprünglichkeit der Erfahrung des Sittengesetztes als Pflicht und der Möglichkeit der Realisierung desselben spricht sich aus in dem seit G. H. v. Wright so genannten „Kantischen Prinzip“ (Wright 1979, 114): ‚Du kannst, denn du sollst.‘ Zu Kierkegaards Kritik dieses ‚Prinzips‘ vgl. Schulz 2014, 239 – 266 sowie 202– 222.
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was sein einziger Wunsch war“⁸⁴⁴: zu lieben. Damit geht es hier nicht um die Möglichkeit einer transzendentalen Begründung universaler Moral, sondern um die Möglichkeit existenziell-ethischer Selbstverständigung in Form der Aufklärung des Individuums über Implikationen seines vermeintlich moralischen Handelns:⁸⁴⁵ ‚Wenn mir geboten wird, zu lieben, obwohl ich doch längst schon liebe‘, so ließe sich die hier entscheidende Frage formulieren, ‚liebe ich dann recht und wahrhaft?‘⁸⁴⁶ Die Rechtfertigung der Behauptung eines nun auch in diesem Sinne moralisch transformativen Glaubens an die vorgängige Liebe Gottes erfolgt in Der Liebe Tun mithin erneut phänomenal-negativistisch: Kierkegaard unternimmt auch hier den Aufweis der durch den Leser erfahrbaren negativen Aspekte gegenwärtiger Liebespraxis. Wenngleich er also den christlich-trialogischen Liebesbegriff in der Darstellung voranstellt, gewinnt dieser erst vor dem Hintergrund der Phänomenanalysen den Charakter einer Möglichkeitsbedingung gelingender Lebensführung.⁸⁴⁷
SKS 9, 49 / LT, 48 f. Kierkegaards existenzielle Ethik ist darüber hinaus nicht nur von Kant, sondern, wie Robert C. Roberts herausstellt, von jeder Art der sowohl universalistischen als auch partikularistischen Versuchen der Moralbegründung, wie sie etwa in sogenannten ‚Divine-Command-Ethics‘ vorliegen, abzugrenzen. Dem gegenüber argumentiert Roberts überzeugend dafür, sie in die Nähe einer Weisheitslehre christlich-antiker Tradition zu stellen: „The aim of Kierkegaard’s conceptual exploration is not to secure the foundations of morality, but to facilitate the development of Christian wisdom in his reader, wisdom about love in the Christian tradition; and this wisdom is a ‘reflection’ of love itself. …Kierkegaard does not aim to make love (or more broadly, the concept of a virtue) the basic concept in a system of ethical concepts, as though the system was the telos of the thought; the clarification of the concept of love is itself the aim of his deliberations, with the further aim that the reader’s mind and heart should be transformed with the aid of this clarification.“ (Roberts 2008, 83 f.) Nicht nur Der Liebe Tun, sondern mit dieser Schrift als Komplement zu den ClimacusSchriften ist Kierkegaards (und nicht mehr nur Climacus’) existenzielle Ethik als Ganze mit dem gleichzusetzen, was Arne Grøn im Rückgriff auf eine Unterscheidung aus Der Begriff Angst als Kierkegaards ‚zweite Ethik‘ bezeichnet: „Die erste Ethik“, so Vigilius Haufniensis dort, „ignoriert die Sünde, die zweite Ethik hat die Wirklichkeit der Sünde innerhalb ihres Bereichs.“ (SKS 4, 330 / BA, 21) Dies heißt, so erläutert Grøn: Kierkegaards ‚zweite Ethik‘ ist als eine Ethik der Liebe „eine Ethik der Kritik des moralischen Selbstbewußtseins“, in und mit der sich das adressierte Individuum die Fragen stellt: „Mit welcher Vorstellung von mir selbst handle ich? Wie stelle ich mich mit dem, wie ich mich zu einem anderen verhalte, zu mir selbst?“ (Grøn 1998, 367) Wenn Kierkegaard seinen Phänomenanalysen also die Behauptung voranstellt: „Nur wenn es Pflicht ist zu lieben, nur dann ist die Liebe gegen jegliche Veränderung ewig gesichert; ewig freigemacht in seliger Unabhängigkeit; gegen Verzweiflung ewig glücklich gesichert.“ (SKS 9, 36 / LT, 34), dann fungiert diese nicht als Prämisse für die, sondern als (für den Leser mögliche) Konklusion aus den Phänomenanalysen. Damit ist ihre inverse Stellung analog zur Stellung der von Anti-Climacus zu Beginn von Die Krankheit zum Tode aufgestellte Behauptung über die Struktur
3.3 Kierkegaard und Jacobi III
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Aber mehr noch. Nicht nur entspricht ein solches Verfahren demjenigen, das Climacus im Zuge der Erörterung des wesentlich pathetischen Charakters alltäglichen Handelns angewendet hat. Die Phänomenanalysen in Der Liebe Tun knüpfen auch sachlich an die Climacus-Schriften an, insofern die in ihnen herausgestellten negativen Aspekte der Liebe als menschliche Liebe resultieren aus den Eigenschaften, die menschlichem Handeln schlechterdings zukommen, da es sich notwendigerweise in der Sphäre des Historischen vollzieht. Die modalontologische Bestimmung historischer Sachverhalte überhaupt, die Climacus im ‚Zwischenspiel‘ der Brocken vornimmt, fungiert auch hier als Fundament: Die negativen Aspekte gegenwärtiger Liebespraxis sind bedingt durch ihre Zeitlichkeit und Kontingenz. Im Falle der Liebe drücken sich diese Eigenschaften aus in den Phänomenen ihrer Veränderlichkeit: Die „unmittelbare“, da nicht auf ihre negativen Aspekte aufmerksame und somit auch nicht bewusst auf die Möglichkeitsbedingungen ihres Gelingens reflektierende „Liebe“ – so leitet Kierkegaard aus seinen Beobachtungen ab – hat zwar im Sinne der schönen Einbildung das Ewige in sich, aber sie ist nicht bewusst auf das Ewige gegründet, und deshalb kann sie sich verändern. Selbst wenn sie sich nicht veränderte, sie kann sich doch verändern, denn sie ist ja das Glückliche; aber vom Glücklichen gilt, was vom Glücke gilt, was, wenn man das Ewige denkt, nicht ohne Wehmut gedacht werden kann, wie man denn auch mit Schaudern gesagt hat: ‚Das Glück ist, wenn es gewesen ist.‘ Das will heißen, solange es bestanden hat oder dagewesen ist, war eine Veränderung möglich; erst wenn es etwas Vergangenes geworden ist, kann man sagen, es habe Bestand. ‚Man preist keinen Menschen glücklich, solange er lebt‘; solange er lebt, kann nämlich das Glück sich verändern, erst wenn er tot ist, und das Glück ihn nicht verlassen hat, während er lebte, erst dann zeigt sich, daß er – glücklich gewesen ist.⁸⁴⁸
Den hier wesentlichen Unterschied fasst Kierkegaard auch genauer als Unterschied zwischen dem „Bestehen“ und der „Beständigkeit“ der Liebe: Was keine Veränderung erlitten hat, hat zwar Bestehen, hat aber keine Beständigkeit; sofern es Bestehen hat, ist es da, aber sofern es nicht in der Veränderung Beständigkeit gewonnen hat, kann es nicht gleichzeitig werden mit sich selbst, und ist dann entweder glückselig unwissend über dieses Mißverhältnis oder gestimmt in Wehmut. Denn das Ewige ist das Einzige, was mit jeglicher Zeit gleichzeitig sein und werden und bleiben kann; die Zeitlichkeit hingegen sondert sich in sich selbst, und das Gegenwärtige kann nicht gleichzeitig werden mit dem Zukünftigen, noch das Zukünftige mit dem Vergangenen, oder das Vergangene mit dem Gegenwärtigen. Von dem, was durch das Erleiden der Veränderung Be-
gelingender Selbstkonstitution (vgl. SKS 11, 129 f. / KT, 8 ff.) zu verstehen, die sich sachlich ebenso erst aus den Verzweiflungsanalysen ergibt, die ihr folgen. SKS 9, 38 f. / LT, 36 f.
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3 Hauptteil: Die existenzielle Ethik der Climacus-Schriften
ständigkeit gewonnen hat, kann man deshalb nicht bloß, wenn es bestanden hat, sagen ‚es hat bestanden‘, sondern man kann sagen ‚es hat Bestand gehabt, während es bestanden hat‘.⁸⁴⁹
Nur mit der immer wieder neu zu gewinnenden Gleichzeitigkeit des Zeitlichen mit dem Ewigen, d. h. der bewussten Aneignung der Gottesliebe als Bedingung der Möglichkeit des Gelingens zwischenmenschlicher Liebe, ist diese Liebe der Veränderlichkeit entzogen und ihr Gelingen ist nicht mehr nur zufällig. Solange sowohl freundschaftliche als auch romantische Liebe unmittelbar im oben genannten Sinne verbleiben, mithin nicht zugleich und wesentlich in der Gottesliebe sich gründende Formen der Nächstenliebe sind, laufen sie stets Gefahr – so nun die konkreteren Beobachtungen Kierkegaards – in Gleichgültigkeit, schlimmer noch in Eifersucht oder Hass umzuschlagen. Denn das Bestehen unmittelbarer Liebe ist neben anderen Faktoren wesentlich abhängig von der Erwiderung dieser Liebe durch den anderen, die jedoch als menschliche Erwiderung in gleicher Weise zufällig und veränderlich ist: Es könnte scheinen, als sei jene unmittelbare Liebe die stärkere, weil sie das Doppelte tun kann, weil sie sowohl lieben als auch hassen kann; es könnte scheinen, als habe sie eine ganz andere Macht über ihren Gegenstand, wenn sie sagt: ‚Willst du mich nicht lieben, so werde ich dich hassen‘; jedoch ist dies nur ein Sinnentrug. Denn ist wohl das Verändertsein eine stärkere Macht als die Unveränderlichkeit; und wer ist der Stärkere, der, welcher sagt: ‚Willst du mich nicht lieben, dann werde ich dich hassen‘, oder der, welcher sagt: ‚Wirst du mich hassen, so werde ich doch fortfahren, dich zu lieben‘? Ja gewiß, es ist erschreckend und grauenhaft, daß die Liebe sich in Haß verändert, aber für wen ist das eigentlich grauenhaft, doch wohl für den Betreffenden selbst, dem es geschah, daß seine Liebe sich in Haß veränderte!⁸⁵⁰
Damit birgt nun aber die Liebe als nicht nur eine, sondern die für Kierkegaard erst eigentliche Form ethisch-existenzieller Selbstverständigungspraxis sogar in besonderer Weise die Gefahr der Verzweiflung, d. h. nicht nur des Misslingens der eigenen Selbstverständigung, sondern des damit einhergehenden Selbstverlustes. Diesen Gedanken führt Kierkegaard in einer ausführlichen Passage aus, die den Keim der Verzweiflungsanalysen enthält, die Anti-Climacus zwei Jahre später in Die Krankheit zum Tode vornimmt und damit den Blick erneut und in noch schärferem Fokus als Climacus zuvor auf den Einzelnen als sich in Sünde stets selbst Verfehlender und mehr und mehr Verlierender wirft:
SKS 9, 39 / LT, 37. SKS 9, 42 / LT, 40 f.
3.3 Kierkegaard und Jacobi III
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Die unmittelbare Liebe ist somit verzweifelt; aber wenn sie glücklich wird, wie es heißt, so ist ihr verborgen, daß sie verzweifelt ist; wenn sie unglücklich wird, wird es offenbar, daß sie – verzweifelt war. Die Liebe hingegen, welche die Veränderung der Ewigkeit erlitten hat, indem sie Pflicht ward, kann niemals verzweifeln, eben weil sie niemals verzweifelt ist. Verzweiflung ist nämlich nicht etwas, was einem Menschen zustoßen kann, eine Begebenheit ebenso wie Glück und Unglück. Verzweiflung ist ein Mißverhältnis im Innersten seines Wesens – so weit, so tief kann kein Schicksal, keine Begebenheit eingreifen, sie können es nur offenbar machen, daß das Mißverhältnis – da war. Deshalb gibt es nur eine einzige Sicherheit wider Verzweiflung: daß man die Veränderung der Ewigkeit erleidet durch das ‚soll‘ der Pflicht; ein jener, der diese Veränderung nicht erlitten hat, ist verzweifelt; Glück und Gunst des Schicksals können das Verbergen; Unglück und Ungunst des Schicksals hingegen können ihn nicht, wie er glaubt, zur Verzweiflung bringen, sondern können es nur offenbar machen, daß er – verzweifelt war. Soweit man anders redet, geschieht das, weil man auf eine leichtfertige Weise die höchsten Begriffe verwechselt. Was nämlich einen Menschen zur Verzweiflung bringt, ist nicht das Unglück, sondern ist die Tatsache, daß ihm das Ewige fehlt; Verzweiflung heißt, daß einem Menschen das Ewige fehlt; Verzweiflung heißt, daß er nicht die Veränderung der Ewigkeit erlitten hat durch das ‚soll‘ der Pflicht. Verzweiflung ist also nicht der Verlust des Geliebten, das ist das Unglück, der Schmerz, das Leiden; sondern die Verzweiflung ist das Fehlen des Ewigen.⁸⁵¹
So ist zwar die in der Gottesliebe sich gründende Nächstenliebe „nicht von Unglück befreit, aber sie ist gerettet vor Verzweiflung, in Glück und Unglück gleichermaßen gerettet vor Verzweiflung“⁸⁵², da sie den Liebenden davor bewahrt, dass seine Liebe zu Gleichgültigkeit oder Hass verkommt. Ein auf diese Weise im Gottesverhältnis sicher gegründetes Verhältnis zum Nächsten ist dann aber auch gleichbedeutend mit einem ebenso sicher gegründeten Selbstverhältnis: „Sich selbst auf die rechte Weise zu lieben und den Nächsten zu lieben, entspricht einander ganz und gar, ist im Grunde eines und dasselbe.“⁸⁵³ So zu lieben bedeutet folglich eine, wie Climacus schreibt, „in Wahrheit große ethische Individualität“⁸⁵⁴, ein „ganzer“ und letztlich guter „Mensch zu werden“⁸⁵⁵, dem es gelingt, die eigene Existenz derart umzubilden, dass sie ein Zeugnis wird von der ewigen Seligkeit durch die Tat. So zu lieben ist dann aber gleichsam nichts, mit dem man irgendwann ‚fertig‘ wäre, sondern vielmehr „die höchste Aufgabe, die jedem Menschen gestellt ist, eine Aufgabe, die auch für das längste Leben ausreichen kann“⁸⁵⁶.
SKS 9, 47 f. / LT, 47. SKS 9, 49 / LT, 49. SKS 9, 30 / LT, 27. SKS 7, 127 / AUN 1, 125. SKS 7, 316 / AUN 2, 50. SKS 7, 147 / AUN 1, 148.
4 Fazit In der Einleitung zu dieser Arbeit habe ich davon gesprochen, dass nicht nur ein Einfluss Jacobis auf Kierkegaard unabweislich auszumachen ist. Nach ausführlicher Lektüre seiner Schriften erkennt Kierkegaard Jacobi vielmehr selbst als einen Vorläufer seines eigenen Denkens an und drückt dies am deutlichsten in seinem begeisterten Bekenntnis zu Jacobi aus, das er seinem Pseudonym Johannes Climacus in den Mund legt. Ausgehend von diesem Befund konnte in einem Auftakt-Kapitel gezeigt werden, dass diese Begeisterung völlig nachvollziehbar und nur folgerichtig erscheint, da Kierkegaard bereits zur Zeit seiner frühen Journale und Aufzeichnungen aus den Jahren 1835 und 1836 sowie in seiner akademischen Qualifikationsschrift Über den Begriff der Ironie (1841) eine Fichte-Kritik entwickelt, die noch ohne nähere Kenntnis Jacobis zu dieser Zeit dessen Fichte-Kritik in bemerkenswerter Weise entspricht. Die durch die eigene Lebenspraxis motivierte und in diesem Sinne engagiert-interessierte Stellungnahme gegen die Marginalisierung des Einzelnen als Individuum und Person und der damit einhergehenden Irreduzibilität der eigenen Freiheitserfahrung bildet bereits hier den gemeinsamen Fluchtpunkt beider. In den Folgejahren seiner eigentlichen, vor allem ‚ästhetischen‘ Schriftstellerei bis 1846 setzt sich Kierkegaard dann nicht nur entsprechend intensiv mit Jacobis Denken auseinander, wie es ihm durch dessen Werkausgabe umfassend zugänglich war. Es konnte gezeigt werden, dass er darüber hinaus zentrale Gedanken seiner eigenen philosophischen Position in nicht unerheblichem Maße erst in der Auseinandersetzung mit Argumenten und Argumentationsfiguren Jacobis entwickelt und schärft. Die in Kierkegaards Schriften sowie in seinen Journalen und Aufzeichnungen vorfindlichen Referenzen auf Jacobi stellen folglich keine bloß historischen Reminiszenzen dar, sondern markieren systematisch entscheidende Gelenkstellen in der Entwicklung und Entfaltung seines eigenen Denkens. Wie im Hauptteil dieser Arbeit ausgewiesen werden konnte, gilt dies innerhalb des Kierkegaard’schen Werkes allem voran für dessen sogenannte ClimacusSchriften, d. h. für die Philosophischen Brocken (1843) und deren Abschließende unwissenschaftliche Nachschrift (1846). In diesen Schriften finden sich nicht nur die meisten direkten und expliziten Referenzen auf Jacobi. Mit der in ihnen entwickelten Position einer existenziellen Ethik personalen Selbstseins stellen diese erstens auch den Theorie und Praxis umgreifenden Kontext philosophischer Überlegungen dar, in denen Kierkegaard mit Jacobi zentrale Gedanken seiner Frühphase systematisch ausarbeitet. Umgekehrt ermöglicht der Blick auf diese so https://doi.org/10.1515/9783110989540-005
4 Fazit
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entscheidenden Referenzen auf Jacobi zweitens, die Climacus-Schriften überhaupt erst adäquat als den in seinen wesentlichen Etappen stringenten und damit einheitlich an der Frage nach der Möglichkeit freiheitlich-praktischer Selbstverständigung des Menschen orientierten Entwurf einer existenziellen Ethik anzuerkennen. Von der Kierkegaard-Forschung bisher nahezu unbehandelt, ist hier Jacobis Argument eines wesentlichen Unterschieds von Grund und Ursache von entscheidender Bedeutung. Dies konnte im ersten Kapitel des Hauptteils gezeigt werden. Insbesondere in den Brocken, aber auch in der Nachschrift, wird dieses Argument in zum Teil expliziter Referenz auf Jacobi installiert und dient dem hier zu Wort kommenden Pseudonym Johannes Climacus der philosophischen Fundierung seiner existenziell-ethischen Position in Form einer modalontologischen Eigenschaftsbestimmung von historischen Sachverhalten überhaupt. In Abgrenzung von mathematisch-logischen Sachverhalten, deren Eigenschaften der Notwendigkeit und Ewigkeit nun nicht mehr nur durch den Fichte’schen Idealismus, sondern in Übereinstimmung mit Jacobi vor allem auch durch den Spinozanischen Rationalismus paradigmatisch verabsolutiert werden, fokussiert Climacus über den von Jacobi in diesem Kontext vorgegebenen Begriff der Ursache das kontingente, zeitlich bedingte, darin aber erst eigentlich freie und verantwortliche Handeln des Einzelnen. Erst vor diesem Hintergrund ist dann der in der Nachschrift prominent installierte Rekurs auf Jacobi und auf dessen Sprungfigur des Salto mortale zu verstehen und zu bewerten. Als durchaus kritischer Rekurs formuliert, ist er grundsätzlich einzuordnen in den übergreifend affirmativen Zusammenhang der mit dem Argument eines Unterschieds von Grund und Ursache unternommenen Fundierung der existenziellen Ethik der Climacus-Schriften. Die erst mit der Arbeit Birgit Sandkaulens in das Bewusstsein philosophischer Forschung gerückte Bedeutsamkeit dieses Arguments nicht nur für Jacobis eigenes, sondern für ein jedes Denken, das gegenüber einer verabsolutierten Rationalität die individuelle Erfahrung des Einzelnen als unhintergehbar in Stellung zu bringen und damit dessen Personsein und dessen Freiheit ernst zu nehmen beabsichtigt, stand – dies ist mit dieser Arbeit deutlich geworden – für Kierkegaard zu keiner Zeit infrage. Aber mehr noch: Im zweiten Hauptkapitel konnte mit der Zurückweisung der impliziten Kritik, Jacobis Handlungsbegriff sei in dem Maße unterbestimmt, als er die für Climacus entscheidenden Momente von Negativität nur unzureichend miteinbegreife, gezeigt werden, dass Kierkegaard dem Jacobi’schen Denken noch sehr viel nähersteht, als er selbst dies gesehen zu haben scheint. Nicht in den theoretischen Schriften, wohl aber in seinem Roman Woldemar (1796) nimmt Jacobi den für Climacus’ wie auch für Kierkegaards Negativitätsanalysen zentralen Gedanken der intersubjektiv bedingten Erfahrung von Schuld im Modus der
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4 Fazit
Reue vorweg und verweist mit der Betonung der Notwendigkeit der Artikulation dieser Schuld zumindest bereits auf den von Kierkegaard dann eigens thematisierten Komplex einer Theorie der Mitteilung existenzieller Innerlichkeit. Von dort ausgehend galt es zuletzt noch auf den entscheidenden Kristallisationspunkt der Unterschiede zwischen Jacobi und Kierkegaard hinzuweisen. Der existenziell-ethische Anspruch praktischer Selbstverständigung erfüllt sich für Climacus-Kierkegaard letztlich nur hinreichend in Form einer dezidiert christlichen Religiosität. Diese Überzeugung bildet bereits die Prämisse der Brocken, in der Nachschrift wird sie von Climacus als solche expliziert und die christliche Religiosität eigens thematisch, um dann von Kierkegaard im Anschluss daran in Der Liebe Tun (1847) unter eigenem Namen aufgegriffen und in anderer, nämlich auf Phänomene der Liebespraxis gewendeter Perspektive bekräftigt zu werden. Für Jacobi – darauf war im dritten Hauptkapitel aufmerksam zu machen – gilt dies nicht. Auch wenn er wie zuletzt Kierkegaard den Begriff der Liebe ins Zentrum seiner dann auch religionsphilosophischen Überlegungen rückt, übersetzt Jacobi anders als Climacus-Kierkegaard an keiner Stelle den im Woldemar behandelten Begriff der Schuld in den negativ-anthropologischen Begriff der Sünde, der dann die für Kierkegaards religiöses Denken insgesamt so zentrale Angewiesenheit auf die dem Menschen transzendente Offenbarung Gottes im Menschen Jesus von Nazareth bedingt. Für Jacobi bleibt stets die in Form einer inneren Offenbarung zugängliche und in diesem Sinne dann auch religiös zu verstehende Gewissheit des dem Menschen genuin eigene Göttliche und Gute leitend. Auf der Basis dieser Gewissheit, so Jacobis Überzeugung, ist der Mensch dann auch grundsätzlich fähig zu einer überindividuell-sozialen Praxis wechselseitiger Anerkennung, die dann umfassend als Religion, jedoch in fundamentaler Weise nicht als genuin christlich, zu bezeichnen ist.
5 Literatur- und Siglenverzeichnis Søren Aabye Kierkegaard DSKE SKS Pap. B
Deutsche Søren Kierkegaard Edition, Bd. 1 – 6, hrsg. v. Niels Jørgen Cappelørn [u. a.], Berlin [u. a.] 2005 ff. Søren Kierkegaards Skrifter, Bd. 1 – 28, hrsg. v. Niels Jørgen Cappelørn [u. a.], Kopenhagen 1997 – 2013. Søren Kierkegaards Papirer, Bd. I – XI–3, 2. erw. Ausg. hrsg. v. Niels Thulstrup [u. a.], Kopenhagen 1968 – 78. Sören Kierkegaard. Briefe, unter Mitarbeit v. Rose Hirsch ausgewählt, neugeordnet u. übersetzt v. Emanuel Hirsch. Düsseldorf 1955.
Kierkegaards Schriften werden in deutscher Übersetzung n. Sören Kierkegaard: Gesammelte Werke, 36. Abt. in 26 Bdn. u. Registerbd. (Abt. 37), übers. u. hrsg. v. Emanuel Hirsch [u. a.], Düsseldorf/Köln 1950 – 69 unter Verwendung folgender Siglen: 2ER43 AUN1 AUN2 BA EO1 FZ KT LT PB SLW W
Zwei Erbauliche Reden 16. V. 1843, Abt. 3/Bd. 2. Abschließende unwissenschaftliche Nachschrift zu den Philosophischen Brocken, 1. Teil, Abt. 16,1/Bd. 10. Abschließende unwissenschaftliche Nachschrift zu den Philosophischen Brocken, 2. Teil, Abt. 16,2/Bd. 11. Der Begriff Angst, Abt. 11/Bd. 7. Entweder – Oder, 1. Teil, Abt. 1/Bd. 1. Furcht und Zittern, Abt. 4/Bd. 3. Die Krankheit zum Tode, Abt. 24/Bd. 17. Der Liebe Tun, Abt. 19/Bd. 14. Philosophische Brocken/De omnibus dubitandum est, Abt. 10/Bd. 6. Stadien auf des Lebens Weg, Abt. 15/Bd. 9. Die Wiederholung, Abt. 5/ Bd. 4.
Friedrich Heinrich Jacobi JBW
JNB
JWA
Briefwechsel. Gesamtausgabe, begr. v. Michael Brüggen u. Siegfried Sudhof, hg. v. Walter Jaeschke u. Birgit Sandkaulen. Stuttgart-Bad-Cannstatt 1981 ff. Aus F. H. Jacobi’ Nachlaß. Ungedruckte Briefe von und an Jacobi und Andere. Nebst ungedruckten Gedichten von Goethe und Lenz, hg. v. Rudolf Zoeppritz. 2 Bde. Leipzig 1869. Werke. Gesantausgabe, hg. v. Klaus Hammacher u. Walter Jaeschke, Hamburg 1998 ff.
https://doi.org/10.1515/9783110989540-006
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5 Literatur- und Siglenverzeichnis
Denkbücher
Die Denkbücher Friedrich Heinrich Jacobis. 2. Bde, hg. v. Sophia Victoria Krebs. Stuttgart-Bad Cannstatt. 2020. Briefwechsel I – II Friedrich Heinrich Jacobi’s auserlesener Briefwechsel, zwei Bände, hg. v. Fr. Roth, Leipzig 1825 – 27.
Sonstige Siglen GA WL 1804 GW
Fichte, J. G. 1964 ff. Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, hg. v. Reinhard Lauth [u. a.]. Stuttgart-Bad Cannstatt. Fichte, J. G. 1986. Die Wissenschaftslehre. Zweiter Vortrag in Jahre 1804, hg. v. Reinhard Laut u. Joachim Widman. Hamburg. Hegel, G. W. F. 1968 ff. Gesammelte Werke, in Verbindung mit der Deutschen Forschungsgemeinschaft hg. v. der Nordrhein-Wesfälischen Akademie der Wissenschaften und Künste. Hamburg.
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Register Abgeschlossenheit 143 – 149, 163 Abraham 161, 184, 200 Absichtlichkeit, Absicht 2 f., 28 f., 33, 48, 74, 148, 153 – 159, 163 – 165, 171, 188, 190, 208 Adorno, T. W. 158, 196 Aneignung 12, 35, 41 f., 48, 56, 58, 65, 67, 69 – 71, 81, 136, 149, 157, 166, 191, 193, 211, 214, 219, 246, 250 Angermann, A. 196 Anselm v. Canterbury 78 Ärgernis 140, 231, 235, 240 f., 247 Aristoteles 84 – 88, 92, 159, 171 Augenblick 26, 64 – 66, 97, 99, 103, 105 f., 117 f., 160 – 162, 183, 192 f., 234, 237, 243 Äußerlichkeit 172, 174, 176, 180, 186, 211 Bartuschat, W. 58, 80 Baum, G. 10 Beck, A. F. 70 Bickmann, C. 50 Blanshard, B. 236 Bowman, B. 152 Brøchner, H. 12 Bromand, J. 73 f. Bühler, P. 244 Burgess, A. J. 50 Caterus, J. 80 Cavell, S. 45, 171, 180, 207 Christentum 41, 46 f., 59 – 63, 67, 69 – 71, 78, 113 f., 129, 189 f., 194, 200, 219, 232, 235, 239, 242 Claudius, M. 3, 221 Come, A. B. 84, 132 f. Conant, J. 72 Crites, S. 113 Curley, E. 80 Davenport, J. J. 181 Davidson, D. 159 Dell’Eva, G. 2, 151 f. https://doi.org/10.1515/9783110989540-007
Denken 2 – 6, 8, 10, 12, 14 – 18, 20 f., 23, 27, 32, 38, 42 f., 45, 47 – 51, 53, 55, 57, 59 – 62, 67, 69, 72, 82 f., 87 – 90, 92, 96 f., 102, 104, 108, 115, 120, 124, 126, 129, 135, 138, 142, 145, 152, 159, 162, 166 f., 171, 183, 185, 190 f., 197, 204, 207, 210, 213 – 215, 228, 239 f., 243, 252 – 254 – Denker 1, 5, 9, 11, 26, 34, 47, 59 f., 91, 120, 159, 183 – 185, 187, 196 f., 203, 213 Derrida, J. 175 Descartes, R. 8, 37, 57, 79 f., 138 di Giovanni, G. 214 Edwards, R. 175 Emmanuel, S. M. 110 Endlichkeit 22 f., 26, 36, 70, 94, 155, 158 Entscheidung 30, 36 f., 148 – 150, 153, 155 – 157, 159 – 166, 211, 228, 234, 236 – Entschluss, Beschluss 93, 110, 148 – 150, 153 f., 159, 162, 194 Esser, A. 113 Ethische, das 7, 19, 25, 27, 33, 41 f., 44, 59, 61, 91, 97, 101 f., 110, 113 f., 128 – 131, 138, 140 f., 148 f., 151 f., 154, 157, 166, 184, 189 f., 198 – 201, 224 – 227, 229, 231, 240, 242 – 244, 250 – existenzielle Ethik 3, 5, 11, 16, 21, 25, 44 – 46, 60, 72, 80, 86, 93, 102, 110, 119, 125, 128 – 130, 132, 137 – 140, 156, 166, 171, 181, 185, 187, 196, 200 f., 210 f., 224, 226, 231, 234, 239, 242 f., 245, 248, 252 f. Euler, W. 179 Evans, C. S. 50, 65, 73, 153, 159, 236 Ewigkeit, ewig 20, 25, 36, 40 f., 45, 62, 64 f., 70, 83, 96 f., 102 – 104, 106 f., 114, 119, 122 f., 128, 133 f., 140, 147 f., 162, 166, 168 f., 185, 189 – 191, 227, 230, 232 f., 236, 238, 242, 249 – 251, 253 Existenz 1, 6, 9, 11, 27, 36, 42, 44 – 46, 51, 58 – 60, 67, 69 – 71, 73, 75, 77 – 79, 82 f., 92, 95 f., 102, 113 f., 120, 122, 124, 128 –
266
Register
131, 136, 141, 148 f., 151, 154, 156, 159, 161 – 168, 171 f., 176, 179, 182 – 185, 189, 194, 196 f., 199, 211, 220, 224 f., 227 – 229, 231 – 235, 243, 251 Feldmeier, M. 36, 152, 182, 218 Fénelon, F. 220 Ferreira, M. J. 16, 63, 72, 130, 246 Fichte, J. G. 2, 5 – 7, 11, 16 – 23, 25 – 41, 43 f., 48, 51 f., 55, 58, 61 f., 67, 70 f., 81 f., 86, 89, 92, 113, 120, 136 f., 148, 218 f., 225, 240, 252 f. Ficker, L. v. 200 Freiheit 3, 5, 7, 21 f., 26, 30 – 33, 35 f., 39, 44, 48, 51 – 53, 58, 60, 70, 72, 79, 83, 86, 90 f., 93, 99 f., 102, 110, 113 f., 118 – 124, 127 f., 130, 132, 143, 148 – 153, 162 f., 165 – 167, 169, 182, 186 f., 198, 203, 209, 211, 214, 217, 219 f., 222, 227 – 229, 245, 252 f. Freundschaft 12, 175 – 180, 207, 224, 246 Fries, J. F. 34 Frilli, G. 208 f. Furtak, R. A. 240 Gabriel, G. 171 Galilei, G. 198 Garelick, H. M. 236 Gebhardt, C. 139 Gefühl 5, 18, 22, 34 f., 38 f., 52, 54, 120, 165, 172 f., 219 Geschichte, geschichtlich 19, 21 f., 24 – 26, 41, 44, 59 – 62, 65 – 67, 69 – 73, 81 – 83, 90, 92 f., 95, 97, 101 – 103, 107, 110, 113, 120, 124, 128 f., 142 – 144, 148 f., 161 f., 164 f., 185, 189, 220 f., 236, 238, 242 Gewissheit 42, 104, 106, 140, 162, 254 Glaube 3, 10, 14, 45, 52 – 54, 93, 109 – 111, 114, 116, 122, 127, 150, 152, 167 f., 183, 190 f., 194, 200, 213 – 216, 218, 222, 231, 234 – 237, 239 – 241, 244, 246 – 248 Gleim, J. W. L. 133 Glöckner, D. 166 f., 246 Gnade 210, 234 f., 246 Gottesbeweis 61, 71 – 75, 77 – 82, 84, 92, 96, 100, 104, 127, 132, 135, 138, 141, 246
Green, R. M. 7, 75 Greve, W. 70 Grøn, A. 248 Grund 2 – 4, 8 – 11, 13, 20, 29, 32 f., 35 f., 46, 48 f., 51, 53, 57 – 60, 65 f., 72, 74, 81 – 83, 87, 91, 93 f., 97 – 103, 105, 114 – 116, 118 – 123, 125 – 128, 130, 132, 141, 143, 145, 147, 150, 153, 156 – 160, 163 – 165, 173, 181 f., 185, 187, 203, 205, 210, 218 f., 223, 226, 231, 235 f., 244 f., 253 Habermas, J. 58 Haizmann, A. 200 Halbig, C. 171 f., 179 f. Hall, R. L. 45 Hamann, J. G. 223 Handke, P. 184 Handlung, Handeln 4, 14, 19, 22, 26, 28 – 30, 33, 40, 52 f., 55, 58 f., 86, 99 f., 102 f., 110, 112 f., 119 – 121, 124, 129 – 132, 141 – 143, 148, 151 – 169, 171 – 173, 177, 210 f., 219 – 221, 223 – 228, 231, 243 – 245, 247 – 249, 253 Hannay, A. 198, 200 Hegel, G. W. F. 2, 6 f., 12, 15 f., 23 – 27, 35, 49 – 51, 58, 61, 87 – 91, 94 – 96, 103 f., 108, 122, 126, 132, 135, 137, 144 – 147, 149 Heiberg, J. L. 3 Heidegger, M. 6, 72, 144 Hennigfeld, J. 7 Henrich, D. 37, 48, 79, 90 Heraklit 25 Herder, J. G. 206, 209 Hermanni, F. 76 Hirsch, E. 6, 39, 46, 139 Historische, das 1, 60 f., 64, 69, 102, 105 – 108, 110, 112 – 114, 119, 124 – 128, 130, 133 f., 143 f., 168 f., 190, 210, 220, 235 f., 242, 249 Houlgate, S. 88, 146 Howland, J. 187 Hügli, A. 104 Hühn, L. 6 f., 23 Hüttemann, A. 93 Hutter, A. 6
Register
Ibsen, H. 180 Immanenz 28, 50, 90, 94, 100 – 102, 104, 118 – 120, 126, 141 – 143, 145 – 147, 164, 223, 226, 230, 232 f., 241 Inkarnation, Menschwerdung Gottes 60, 66, 69, 71, 78, 81, 125, 128, 140, 210, 214, 220, 239 Innerlichkeit 1, 11, 136, 157 f., 161, 167, 169, 172 – 174, 176, 180 f., 185 f., 188, 193, 197, 211, 230, 245, 254 Ironie 17 – 19, 21 – 26, 28, 39, 41 – 44, 61, 65 – 67, 69 – 71, 97, 113, 136, 184, 186 – 189, 194 f., 197, 207, 211, 243 f., 252 Isaak 184 Jesus von Nazareth, Jesus Christus 3, 46, 60, 69, 125, 129, 190 f., 210, 220, 222, 232, 254 Jonkers, P. 49 Junghans, H. M. 137, 165, 226 Kangas, D. J. 7 Kant, I. 5, 7, 15 f., 19, 27, 48, 54, 73 – 79, 93, 140, 218, 247 f. Karl V. 160 Kierkegaard, P. C. 17 Kim, D. Y.-J. 246 Kleinert, M. 23, 184 Knappe, U. 7 Knappik, F. 84, 86 Koch, O. 23, 38 f., 150, 218 Kodalle, K.-M. 2, 8 Konfuzius (Confucius) 220 Kontingenz 36, 106, 126 – 128, 142, 190, 249 Kosch, M. 7 Kreines, J. 147 Kreis, G. 73 f. Krise 4, 167, 169, 171 – 174, 176 – 178, 180, 206, 211, 227 Lachmann, H. J. 89 Law, D. R. 61, 131 Leben, Lebenspraxis 3, 5 f., 8, 13, 18 – 20, 24, 26 f., 30 f., 33, 36 f., 41 – 43, 45 – 47, 51, 56, 67, 69 – 71, 90, 92, 97, 109 f., 113, 117, 120, 124, 130 f., 138 – 142, 152, 163 –
267
167, 169, 171, 180 – 183, 186, 190 f., 194, 196 f., 200, 203 f., 206, 212, 217, 219, 221, 223, 225, 229 f., 232 – 234, 239 f., 248, 251 f. Leibniz, G. W. 8, 57 Leiden 130 f., 161, 165, 167, 169, 224 f., 227, 229 f., 241, 251 – Pathos 130 f., 134, 156, 161 f., 165, 184, 186, 188 f., 194 – 196, 211, 224 f., 229, 241 f., 249 Leidenschaft 26, 49, 110, 204, 240, 242 Lessing, G. E. 9, 13, 29, 48, 52, 81, 97, 118, 124, 130, 132 f., 150 f., 153, 156, 185 – 189, 194 f., 197, 207, 212, 219 Letztbegründung 20, 22, 33, 67, 81 – 83, 96 – 98, 105, 108, 118 f., 127, 141, 143 f., 146 – 150, 156, 159, 163, 211 Liebe 11, 29 – 32, 46, 153, 167, 175, 201, 210, 223 f., 227, 241 – 251, 254 Lincoln, U. 153, 244, 246 Littel, J. 184 Logik, logisch 29, 49 f., 65 – 67, 69, 71 f., 74 – 77, 80 f., 86, 88 – 91, 94 – 96, 98 – 106, 108 f., 114, 117 – 119, 121, 125 – 128, 130, 132, 137, 140, 143 – 145, 147, 149 f., 156, 159, 183, 188, 200, 236 – 238, 253 – Hegel’sche, spekulative Logik, Spekulation 6, 70, 88, 90, 101 f., 108, 190, 194, 197 Løkke, H. 85 f. Löwith, K. 6 Lübcke, P. 60 Luckner, A. 6, 21 Lukács, G. 158, 173 Luther, M. 160 f., 246 Marino, G. D. 225 Martensen, H. L. 3, 15, 61, 137 Marx, K. 146 Mendelssohn, M. 74, 110, 133, 150 Miles, T. 110 Mitteilung, Kommunikation 4, 58, 64, 131, 133, 155, 173, 177, 180 – 189, 192, 194 – 199, 201 f., 204, 206 f., 209, 211 f., 226, 244, 254 Modalontologie, modalontologisch 8, 11, 60, 65, 73, 82 – 84, 86, 91, 103, 111, 125, 132, 210, 249, 253
268
Register
Möglichkeit, möglich 3, 15 f., 20, 22, 47, 63, 65, 69, 72, 75 – 77, 79, 82, 84 – 86, 89, 91 f., 94, 96, 100, 103 – 105, 107 f., 111 – 113, 116, 119, 125 – 129, 138 f., 141, 158 – 161, 164, 166 f., 169, 176 – 180, 185, 190, 195, 203 f., 207, 209, 211 f., 215, 218, 220 – 223, 225, 229 f., 232 – 234, 239 – 241, 244, 246 – 248, 250, 253 Møller, P. M. 86 Mooney, E. F. 170, 188 Moroney, S. K. 236 Mynster, J. P. 137 Negativität 4, 19, 21 f., 24, 26 f., 120, 130, 169, 180, 206, 224, 253 Nientied, M. 72 Nietzsche, F. 6 Notwendigkeit, notwendig 3, 8, 20, 41, 48 f., 67, 69, 72, 74, 79, 81 – 86, 92 f., 98, 101, 105 f., 108 f., 111, 116, 118, 122, 125 – 128, 136, 143, 181, 186 – 188, 190, 207, 232, 253 f. Nun, K. 12 Offenbarung 3, 7, 17, 55, 69, 78, 95, 118, 129, 140, 168, 210, 214 – 217, 219, 239 f., 254 Offenheit 148, 163 Ostritsch, S. 6, 21 Paradox 49, 71 f., 96, 152, 188, 200, 232 f., 235 – 241, 247 Pattison, G. 188 Paul, J. 23, 38 Paul, L. A. 160 Paulus 139, 236 Person, Personsein 16, 26, 30 – 38, 52, 64, 117, 120, 125, 128 f., 152, 154, 165, 171, 177 f., 180 – 182, 190, 199, 205 – 207, 210, 214, 217 f., 220, 222, 232, 252 f. – Persönlichkeit, Charakter 16, 30 – 32, 34 – 37, 40, 43, 95, 120, 129 f., 165, 167, 196, 199, 205, 209, 219 f., 222, 238, 242, 245, 249 Pflicht 247 f., 251 Piety, M. G. 104 Plantinga, A. 236
Platon 50, 61 – 64, 179 Pleines, J.-E. 147 Pojman, L. 236 Purkarthofer, R. 13, 43, 84 Quante, M. 31, 157 Quintilian 209 Ramazzotto, N. 7 Rapic, S. 7 Rasmussen, A. M. 2, 6, 8 – 10, 47, 84, 133, 168 Rasmussen, J. D. S. 246 Religion, Religiosität 11, 14, 30, 52, 69, 129, 131, 152, 158, 167 f., 181 f., 189, 201 f., 212 – 214, 216 – 220, 224 – 227, 230 f., 233 f., 241 f., 244, 254 Reue 14, 111, 113, 128, 131, 158, 161 f., 164, 173, 177 f., 180 f., 211, 224, 229 f., 254 Ribbens McCarthy, J. 175 Roberts, R. C. 45, 170 f., 241, 248 Rohde, H. P. 12 Rowe, W. L. 78 Sandkaulen, B. 2, 10, 16, 30, 34, 37, 39 f., 42, 48, 53 – 55, 57 f., 108 f., 116, 118, 122 f., 146, 150, 164, 168, 171 f., 175, 179, 253 Sartre, J.-P. 37 Schäfer, K. 8, 91, 135 Schäfer, R. 147 Scheitern 18, 40, 73, 138, 163 – 169, 192, 195 f., 205, 211, 224, 230, 241 Schelling, F. W. J. 2, 6 – 8, 12, 14 – 17, 95 f., 137, 214, 218, 231 Schick, S. 56, 218 Schiller, F. 173 Schlegel, F. 18 f., 152, 179 Schleiermacher, F. D. E. 62 Schlick, M. 72, 200 Schmidt, J. 89 f. Scholtz, G. 2 Schönbaumsfeld, G. 72, 200 Schreiber, G. 13, 152 Schuld 113, 131, 177 – 179, 181, 211, 222, 224, 227 – 231, 233, 235, 241, 253 f. – Schuldbewusstsein 181, 227 – 234, 241
Register
Schulz, H. 6, 15, 42, 63, 65, 91, 108 f., 247 Schwab, P. 6 f., 184 f., 196 Sein – Dasein 1, 6, 24 – 26, 29, 40, 44, 52, 54, 57 f., 73, 75 – 80, 94, 99, 104, 108, 123, 126, 144, 148, 152, 155, 163 f., 170, 172, 194, 207 f., 213, 217, 222 – faktisches Sein 81 – 84, 92, 95, 101, 103 – 105, 107 – 109, 113 – ideelles Sein 78, 82, 84, 92 f., 100, 103 f., 107 f. Selbst 16, 43 f., 55, 122, 129 f., 166 f., 169, 172, 176 – 180, 188, 190, 193, 205, 207, 216, 218, 223, 227, 239, 249 – Selbstsein 16 – 18, 34 – 37, 39, 43, 128 f., 144, 154, 165 f., 171, 173, 179 f., 205 – 207, 223, 234, 252 – Selbstverständigung 18, 42 f., 46, 51, 55, 57 – 59, 67, 70, 82 f., 92, 102, 113, 124, 151, 154, 156, 165, 168, 172 f., 176 – 178, 182, 188 f., 193, 199, 201 – 204, 207, 212 – 214, 220 f., 224 f., 227, 229, 231, 241 – 243, 248, 250, 253 f. – Selbstwerden 179, 206 f., 223 Shakespeare, W. 170 Sibbern, F. C. 95, 137 Siep, L. 25 f., 145 Sokrates 17, 19, 23 f., 37, 41, 44, 63 f., 66, 187, 197, 220, 233 Sölch, D. 6 Solger, K. W. F. 18 Søltoft, P. 245 Spinoza, B. 4 f., 8, 27, 34, 37 f., 47 f., 51, 56 – 58, 61 f., 71 f., 74, 79 – 86, 92, 96 – 98, 100 f., 103 – 105, 107 f., 118 f., 121 – 123, 126 f., 132 – 135, 137 – 142, 144, 146 f., 149 – 153, 156, 159, 166, 239 Sprache 4, 55, 71 f., 75 f., 83 f., 94 – 96, 98 – 100, 103, 115 – 119, 124 – 127, 150, 163, 183 f., 186 – 189, 199 – 209, 212, 214 – 216, 218 – 220, 235, 240, 244 Sprung 2, 9, 13, 91, 125, 130 – 135, 148 – 154, 156, 159, 161 f., 166 – 169, 176, 180 – 182, 185 – 187, 197, 211 f., 226, 232, 236, 245 – Salto mortale 2 – 4, 8 f., 11, 59, 94, 124 f., 128, 130, 132 – 135, 149 – 156, 161, 164,
269
168 – 170, 181 f., 185, 187, 189, 192, 210 f., 226, 232, 235 f., 244 f., 253 Stern, K. 73 Stewart, J. 6 f., 12, 25, 61, 70, 137 f. Stolzenberg, J. 7, 171 Sünde 3 f., 14, 210, 212, 222 f., 233 – 236, 239, 241, 246, 248, 250, 254 – Sündenbewusstsein 230 f., 233 f., 240 f., 246 System, Systemphilosophie 1, 5 f., 8 – 10, 16, 20, 22, 25, 32, 41 – 44, 47 f., 51, 96, 98, 100, 104, 108, 121, 124, 126, 135, 142 – 146, 148 – 152, 154, 162 f., 182, 187, 243 – Systemkritik, Systemwiderspruch 2 f., 8, 91, 124, 126, 135 – 137, 142, 149 – 156, 159, 162, 169, 180, 187 f., 210 Taylor, C. 146 Theunissen, M. 70, 167 Thompson, C. L. 61 Thonhauser, G. 144 Thulstrup, N. 96 Tieck, L. 18 f. Trendelenburg, F. A. 84, 86 – 92, 94, 132, 137, 149 Turnball, J. 50 Unbedingte, das 3, 8, 14, 53 f., 87, 209, 217, 219 Ursache 2 – 4, 8 – 11, 46, 48, 51, 53, 57 – 60, 65, 72, 74, 82 f., 91, 93 f., 97 – 103, 105, 114 – 116, 118 – 121, 123, 125 – 127, 130, 132, 141, 143, 147, 152 f., 159, 178, 185, 187, 203, 205, 210, 226, 236, 244, 253 Vahid, H. 236 Verantwortung 22, 26, 32, 44 f., 66, 110, 113, 155, 163, 171, 179, 188, 193 – 195, 229, 243 f. Vernunft 3, 7, 32, 34 f., 40, 46 f., 49 – 59, 73, 77 f., 93, 115 f., 122, 124, 140, 152, 155, 202 – 207, 212, 214 – 216, 218 – 220, 222, 236 Verstand, Ratio 4, 17 f., 34, 39, 41, 43, 45, 49 f., 52 – 54, 56 – 58, 60, 66 – 69, 71, 73, 76, 82 f., 97, 100, 103, 105, 110, 115, 124,
270
Register
139 f., 149, 157 – 160, 166, 175, 182, 203, 205, 219 f., 223, 225, 236, 238 – 241, 247 – Rationalismus 47, 49, 51, 57, 74, 81, 95, 98, 100 – 102, 118, 120 f., 124, 127, 135, 137 f., 141 – 143, 147 f., 150, 153 f., 156, 163, 253 – Rationalität 9, 52 f., 59, 71, 124 – 126, 135, 137, 201 – 203, 236, 239, 243, 253 Verzweiflung 36 – 39, 43, 166 f., 222, 231, 248 – 251 Victor, O. 6 Waaler, A. 85 f. Wagnis 164, 168 Waismann, F. 72 Walsh, S. 16 Weiß, C. 218 Werden 25, 48 f., 51, 70, 72, 83 – 86, 88 – 95, 97, 105 – 107, 109 f., 113, 117, 119 f., 123, 136, 141 f., 144, 147, 149, 163 f., 180, 197, 207 – Bewegung 19, 24, 26, 36, 38, 47, 49, 85 f., 88 – 91, 94, 99, 137, 141, 145, 148 f., 156, 163, 169, 243, 245 Werder, K. 94 – 96 Westphal, M. 67, 228, 236 Widerspruch 50, 69, 79, 113 f., 127, 135, 151, 173 f., 176, 179, 183, 206, 208, 236, 238 – Satz vom (ausgeschlossenen) Widerspruch 69, 87, 238 Wiederholung 86, 148, 156, 162 f., 165 f., 168 f., 180, 184, 193, 211, 246 Wilke, M. 7 Winter, R. 113
Wirklichkeit, wirklich 7 f., 16 – 22, 25 – 28, 30, 32 f., 36, 41, 43 f., 51, 56 f., 59 – 62, 65 – 67, 69 – 72, 76, 81 – 83, 85 f., 88 – 90, 92 f., 95, 97 f., 100, 108, 111, 113, 119, 122 – 127, 129 f., 140, 142 – 144, 146 – 149, 158 f., 161, 163 – 165, 183, 189, 211, 214, 230, 248 Wissen 17 f., 25, 28 – 30, 32, 34, 38, 43 – 45, 52, 62, 64, 77, 88 – 90, 93, 98, 104, 106 – 110, 115, 118, 122, 126 f., 139 – 141, 164, 168, 192, 211, 213, 215, 221, 233, 238 – 240, 243, 246 – Gewissheit 52 – 54, 77, 81, 104, 110, 117 f., 140, 191, 215, 235, 250 – Wissenschaft 6, 14, 20 – 22, 28 f., 31 – 33, 35, 38, 41 – 45, 58, 73, 90, 95, 102, 108, 126, 136, 138 – 140, 142, 144 f., 156, 166, 182, 190, 216, 225, 231 Wittgenstein, L. 71 f., 76, 115, 171, 183, 200 Wolsing, P. 23 Wright, G. H. v. 247 Wünsche, K. 111, 200 Young, E.
13
Zeit, Zeitlichkeit, zeitlich 6, 9 – 11, 15 f., 31, 36, 41, 43, 47, 64 f., 69 – 71, 83, 85, 87, 94 – 97, 102 f., 105 f., 110 – 117, 120 – 128, 133, 142, 144, 148, 152, 160, 162 – 164, 168, 183, 188, 190 f., 194, 198 f., 227, 232 f., 235, 237, 239, 241, 249, 253 Zöller, G. 20 Zweifel 15, 54, 69, 80, 86, 93, 107 – 110, 127, 138 – 140, 175 f., 181, 190, 195, 222