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German Pages [144] Year 1992
HYPOMNEMATA 97
V&R
HYPOMNEMATA U N T E R S U C H U N G E N ZUR A N T I K E U N D ZU I H R E M N A C H L E B E N
Herausgegeben von Albrecht Dihle/Siegmar Döpp/Christian Habicht Hugh Lloyd-Jones/Günther Patzig
HEFT 97
V A N D E N H O E C K & R U P R E C H T IN G Ö T T I N G E N
HANS BERNSDORFF
Zur Rolle des Aussehens im homerischen Menschenbild
V A N D E N H O E C K & R U P R E C H T IN G Ö T T I N G E N
Verantwortlicher Herausgeber: Günther Patzig
Die Deutsche Bibliothek -
ClP-Einheitsaufnahme
Bernsdorff, Hans: Zur Rolle des Aussehens im homerischen Menschenbild / Hans Bernsdorff. - Göttingen : Vandenhoeck und Ruprecht, 1992 (Hypomnemata ; H. 97) Zugl.: Göttingen, Univ., Diss., 1990 u.d.T.: Bernsdorff, Hans: Untersuchungen zur Rolle des Aussehens im Menschenbild der homerischen Epen ISBN 3-525-25196-3 NE: GT
D 7 © Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1992 Printed in Germany. - Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmung und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Herstellung: Hubert & Co.. Göttingen
Für Birgit Wahl
Vorwort Die vorliegende Arbeit ist die überarbeitete Fassung meiner Dissertation "Untersuchungen zur Rolle des Aussehens im Menschenbild der homerischen Epen", die im Sommersemester 1990 vom Fachbereich Historisch-Philologische Wissenschaften der Georg-August-Universität Göttingen angenommen wurde. Mein Dank gilt zunächst meinen Eltern, die mich während meines ganzen Studiums ideel und materiell unterstützten. Ferner danke ich den Mitarbeitern des Lexikons des frühgriechischen Epos für die Erlaubnis, ihre Zettelkästen benutzen zu dürfen. Herr Matthias Wellstein und vor allem Frau Irene von König teilten dankenswerterweise die Mühe des Korrekturlesens mit mir. Den Herausgebern der "Hypomnemata", besonders Herrn Prof. Dr. Günther Patzig, danke ich für die Aufnahme meiner Arbeit in diese Reihe. Dem Fachbereich Historisch-Philologische Wissenschaften der Universität Göttingen gebührt Dank für die Gewährung eines Druckkostenzuschusses. Herr Prof. Dr. Klaus Nickau übernahm das Korreferat und forderte meine Dissertation durch seine verständnisvolle Kritik. Dafür möchte ich ihm herzlich danken. Mein besonderer Dank gilt aber Herrn Prof. Dr. Carl Joachim Classen, meinem Doktorvater. Er hat diese Untersuchung von ihren Anfängen an betreut und stand mir dabei mit seinem Rat, seiner Kritik und seiner Ermutigung stets hilfreich zur Seite.
Göttingen, im März 1992
H. B.
Inhalt Vorwort
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Inhalt
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1. Einleitung
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2. Verbindung äußerlicher und nicht-äußerlicher Qualitäten 2.1. Definition des Gegenstandes 2.2. Ilias 2.2.1. Überblick 2.2.2. Beschreibung nach Werteverhältnissen 2.2.2.1. Kombination + / + 2.2.2.2. Kombination + / 2.2.2.3. Kombination - / + 2.2.2.4. Kombination -/2.2.3. Zusammenfassung 2.2.4. Die Menschenzeichnung in der Teichoskopie 2.3. Odyssee 2.3.1. Überblick 2.3.2. Beschreibung nach Werteverhältnissen 2.3.2.1. Kombination + / + 2.3.2.2. Kombination + / 2.3.2.3. Kombination - / + 2.3.2.4. Kombination -/2.3.3. Zusammenfassung 2.4. Zum Gebrauch von είδος und καλός in Ilias undOdyssee ....
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2 . 5 . φρένας
'ένδον
έίσας
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3. Veränderung der menschlichen Gestalt
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4. Zusammenfassung und Ausblick
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5. Literatur
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Anhang: Tabellen und Indices
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(Eigennamen
in Großbuchstaben
die im Literaturverzeichnis
dienen als aufgelöst
Siglen,
werden.)
1. Einleitung In den Erga spricht Hesiod folgende Ermahnung aus: σε δε μή τι νόος κατελεγχέτω είδος1. D i e knappe Formulierung verdunkelt den genauen Sinn der Passage, doch scheint wenigstens soviel klar zu sein: der Dichter sieht die Möglichkeit, daß νόος und είδος zueinander in Widerspruch treten und der Schluß von äußeren Qualitäten auf innere zu einem falschen Ergebnis führt. D e r Widerspruch zwischen Gestalt und wahrem W e s e n des Menschen ist ein T o p o s der antiken Literatur 2 , für den der Hesiodvers einen frühen und berühmten Beleg liefert. Aber kann er auch als der früheste Beleg gelten 3 ? Konkreter gefragt: stellen schon die homerischen Epen ein solches Verhältnis zwischen menschlichem Inneren und Äußeren dar? Existiert dieses Problem überhaupt für Dichtungen, in deren Welt, w i e uns eine weitverbreitete Literaturgeschichte 4 lehren zu können glaubt, "die äußeren und inneren V o r z ü g e eines Menschen
' Hes. erg. 714, v.l. νόον. Gewissermaßen ein "mythisches Paradebeispiel" für einen derartigen Widerspruch gibt Hesiod mit der Schilderung der Pandora. Die Erga stellen den Kontrast zwischen ihrer schönen Gestalt (63: παρϋενικής καλόν είδος έπήρατον, 65: χάριν χρνσέην, 71: παρϋένω αϊδοίη ϊκελον) und ihrem schlechten Inneren (67: κύνεόν τε νόον και επίκλοπον ήΰος, 78: ψεύόεά ϋ' αίμνλίους τε λόγους και έπίκλοπον ηϋος) ausführlich dar. Dieser Widerspruch ist in der Theogonie (585) nur in dem Oxymoron καλόν κακόν ausgedrückt (vgl. KRAFFT 47-9). Das wohl berühmteste Beispiel ist Archil, fr. 114 W. (60 D.). Außerdem ist mit FRANKEL 174 Anm. 7 auf Tyrt. 10, 9 W. (6, 9 G.-P.), Theogn. 128 und Demokrit (VS 68 В 195) zu verweisen. Daneben noch nach TREU 10-1 Plat. Symp. 216 c. Ich weise noch auf Phokylides fr. 11 G.-P. (Πολλοί τοι όοκέουσι σαόφρονες έμμεναι άνδρες, συν κόσμω στείχοντες, έλαφρόνοοί περ έόντες) und Eur. Or. 918 (μορφή μεν ουκ ενωπός, ανδρείος δ' άνήρ) hin. Von den Gefahren eines άνάσκητον κάλλος handelt ausführlich Galen Protr. 8 (ed. Kühn 1, 15-20). 3 In der Frage des zeitlichen Verhältnisses zwischen den homerischen Epen und Hesiod folge ich KRAFFT, der die Priorität von Ilias und Odyssee m.E. sehr wahrscheinlich gemacht hat. 4 LESKY GgrL 136. Diese These vertritt Lesky auch an anderer Stelle: "Da [angesichts der Thersitesgestalt] erinnern wir uns an einen anderen Aufbegehrenden, den Dichter Archilochos, für den ein Offizier kleinwüchsig und krummbeinig sein kann (Fragment 60 Diehl). Bei Homer aber sind äußere und innere Vorzüge noch ungetrennt." (A. Lesky: Epos, Epyllion und Lehrgedicht. In: Neues Handbuch der Literaturwissenschaft. Hrsg.: K. v. See. Bd. 2: Griechische Literatur. Hrsg.: E. Vogt. Wiesbaden 1981. 19-72, 25). 2
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1. Einleitung
untrennbar verbunden" sind? D i e Sichtweise, die der letzten Frage zugrunde liegt, erweist sich bei aufmerksamer Lektüre Homers als recht oberflächlich. Einen H i n w e i s darauf, daß die Vorstellung H e s i o d s auch Homer nicht fremd ist, finden wir schon in den ЬТ-Scholien zu Γ 3 9 , die auf den Ergavers als verwandten Gedanken verweisen. Auch v i e l e moderne Homerinterpreten haben längst auf Stellen aufmerksam gemacht, an denen Gestalt und W e s e n homerischer Figuren in Widerspruch zueinander stehen. MARG beschäftigt sich 56-8 knapp mit dem Verhältnis von "Gestalt" und "Sinn" des Menschen in den homerischen Epen. Mit drei Stellen versucht er, die positive Entsprechung beider Bereiche als epische Eigenart zu belegen. Freilich zeige sich an ϋ 166-8, daß "die Selbstverständlichkeit des idealen Menschenbildes einer realistischen Betrachtungsweise zu weichen" beginne. Diese Entwicklung nennt MARG 56 "typisch für die Odyssee", ohne allerdings weitere Belege dafür zu geben. PASQUALI 163 stellt schon für die Ilias fest: "la bellezza non corrisponde spesso a un valore intimo" und führt dafür einzelne Belege, vor allem die Charakterisierung des Paris als είδος άριστε, auf (151). ME1WES, der den Gebrauch von καλός und κόάλος in Ilias, Odyssee und Homerischen Hymnen untersucht, streift das Problem bei der Interpretation von Stellen, an denen eines der beiden Wörter in Verbindung mit Bezeichnungen für innere Werte steht. Im allgemeinen lasse sich hier eine Übereinstimmung beider Werte feststellen, καλός und κάλλος korrespondiere mit Werten wie Kraft und kriegerischer Tüchtigkeit (MEIWES 3-4, 5-6, 11, 28) bei Frauen mit "έργα und φρένες (44). Abweichungen (von MEIWES 72 als "sekundär" interpretiert) seien nur in der Argosepisode (p 307-10), bei Nireus (B 673) und bei Paris (Γ 44-5) zu finden. MEIWES 134 betont aber, daß die Diskrepanz im ersten Fall "nur vorsichtig in Form einer Frage" beschrieben werde, und daß bei den beiden iliadischen Figuren die Veräußerlichung ihrer Schönheit sich darin niederschlage, daß die Bezeichnung der Person mit καλός zugunsten eines Superlatives bzw. der Wendung καλόν είδος ειιι vermieden werde. TREU 11 schließt sich PASQUALI an. Darüber hinaus stellt er die Untersuchung eines mit dem Problem verwandten Einzelaspektes an (11-7): Aus seiner Beobachtung, daß Ausdrücke für "Innen", die sich auf das Geistig-Seelische beziehen, nicht aber mit einer Lokalisierung in einem Organ (wie έν'ι στήϋεσσή verbunden sind, fast ausschließlich in der Odyssee vorkommen, folgert er, daß erst das jüngere Epos das Bewußtsein habe für ein Innen des Menschen, das seine "zentrale geistige Mitte" ist (11). RUSSOs Aufsatz versucht zu zeigen, daß Archilochos mit seinem Ideal eines unansehnlichen, aber mutigen Offiziers, der einem nur äußerlich prächtigen vorzuziehen sei (fr. 114 W.), keineswegs in Widerspruch zum Menschenbild der Odyssee tritt. Neben anderen Beispielen führt er S. 150-2 die Figur des Eurybates an (τ 246-8), den er als genaues Vorbild für den favorisierten Offizier nachzuweisen versucht. SNELL EdG 61 (mit Anm. 9) geht bei seiner Interpretation desselben Archilochosfragmentes auf einige Homerstellen ein, die einen Gegensatz beider Aspekte beschreiben, und versucht, eine Radikalisierung der lyrischen Sichtweise herauszustellen. Für DONLAN 6 gilt bei Homer (eine Unterscheidung zwischen beiden Epen nimmt er nicht vor) "external appearance as an index of human worth". Als Belege führt er Passagen an, in denen die königliche Identität einer Person von einem anderen an ihrem Äußeren abgelesen werde (Γ 170, ρ 416, ν 194, ω 253; vgl. dazu die Bemerkungen in Abschnitt 4 meiner Arbeit). Als besonders ein-
1. Einleitung
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drückliches Beispiel gilt DONLAN die Thersitesgestalt, an der sich der niedrige soziale Status in einem häßlichen Aussehen manifestiere. Schließlich trete die Bedeutung der äußeren Erscheinung auch darin zutage, daß Odysseus seine Identität unter der Maske eines Bettlers verbirgt. Selbst nach vollbrachtem Freiermord zweifelt Penelope ψ 94-5 (vgl. auch 115-6) mit Blick auf die Bettlerkleidung, ob es sich wirklich um Odysseus handelt. Entsprechend bestehe in der homerischen Gesellschaft das höchste Ideal in einer Verbindung körperlicher und geistiger Vorzüge. Freilich sei auch das Bewufltsein vorhanden, daß dieses Ideal nur von wenigen vollkommen erreicht werde. Somit sei bereits in den homerischen Gedichten "the tension ... between 'mere' appearance and the reality of accomplishment" zu beobachten (DONLAN 7 mit Verweis auf Ε 787, θ 228 und die Parisdarstellung).
Der größere Teil der hier referierten Arbeiten behandelt Homer im Rahmen einer Darstellung größerer kultur- oder literaturhistorischer Zusammenhänge (MARG, SNELL, DONLAN). Entsprechend knapp und auf eine Gesamtsicht Homers zielend sind dabei auch ihre Bemerkungen zur Rolle des Aussehens gehalten. Sie bemühen sich darum, die Übereinstimmung äußerer und innerer Aspekte des Menschen für die homerischen Gedichte insgesamt als charakteristisch darzustellen, wobei sie einzelne Abweichungen vermerken. Die Aufsätze PASQUALIs und RUSSOs nehmen eine Gegenposition dazu ein, indem sie die Möglichkeit eines Auseinanderklaffens beider Aspekte des Menschenbildes bereits bei Homer betonen. Aber auch ihr Verfahren bedient sich nur einzelner Beispiele. In der vorliegenden Untersuchung möchte ich mich dem Problem auf einem anderen Wege nähern. Zum einen soll der Blick auf Homer konzentriert werden: es geht nicht darum, das spezifisch Homerische gegenüber späteren ästhetischen Anschauungen des Griechentums herauszustellen, sondern die verschiedenen Sichtweisen, die innerhalb von Ilias und Odyssee begegnen, zu erfassen und zu erklären. Natürlich kann auch von einer Arbeit, die sich auf Homer beschränkt, nicht erwartet werden, daß sie ein so facettenreiches Thema wie die Rolle des Aussehens im Verhältnis zu inneren Qualitäten vollständig erfaßt. Ich habe darum eine Methode angewandt, die mir einen geeigneten Mittelweg zwischen uferloser Materialanhäufung und unsystematischer Einzel interpretation darzustellen scheint und einen breiten Einblick in das Menschenbild der Dichtung verspricht. Es sollen festumrissene Klassen solcher Ausdrücke gesammelt und interpretiert werden, von denen zu erwarten ist, daß mögliche Veränderungen des Menschenbildes in ihnen Niederschlag finden. Welche Textpassagen können nun als Gegenstand der Interpretation dienen? Aus Hesiods Vers spricht Mißtrauen gegen das είδος, das ganz
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1. Einleitung
anders sein kann als der νόος. Worin besteht diese Andersartigkeit? Darüber schweigt der knappe Text, aber wir dürfen annehmen: vor allem darin, daß das είδος besser ist als der νόος. Für unsere Homeruntersuchung empfiehlt es sich also, zunächst Stellen zu untersuchen, an denen innere und äußere Qualitäten eines Menschen zusammen beschrieben werden. Dabei ist besonders darauf zu achten, wie die innere und äußere Eigenschaft - nach den aus den homerischen Epen entnehmbaren Maßstäben - jeweils zu beurteilen ist oder beurteilt wird. Nun genügt es sicherlich nicht, Stellen dieses Inhalts nur zu sammeln, das Werteverhältnis äußerer und innerer Eigenschaften festzuhalten und dann gewissermaßen statistisch auszuwerten. Die Passagen müssen vielmehr auch in ihrem Kontext gesehen werden. So ist eine Gegenüberstellung in direkter Rede anders zu beurteilen als in erzählenden Abschnitten. Wir dürfen außerdem hoffen, daß uns eine Berücksichtigung des Kontextes Kriterien an die Hand gibt, mit denen wir unterschiedliche Sichtweisen der einzelnen Stellen klären können. Mancher Leser mag bereits Unbehagen empfunden haben angesichts von Begriffspaaren wie "Außen - Innen", "Aussehen - Wesen", die bislang ohne genaue Bestimmung gebraucht wurden. In der Tat ist es angesichts der Flut von menschlichen Eigenschaften, die in den homerischen Epen beschrieben werden, notwendig, den Begriff "Aussehen" zu definieren. Die Bestimmung dieses und einiger anderer in der Arbeit verwendeter Termini wird in Abschnitt 2.1. vorgenommen. Da es eines meiner Hauptanliegen ist, mögliche Unterschiede zwischen Ilias und Odyssee deutlich zu machen, wird die Untersuchung der Ausdrücke in Abschnitt 2. für jedes Epos getrennt durchgeführt. Ein relativ großer Teil der einschlägigen Passagen stammt aus der Teichoskopie. Bei der Prüfung des Kontextes ergab sich, daß diese Häufung kein Zufall ist. Vielmehr zeigt sich die Episode als ganze vom Motiv "Aussehen - Wesen des Menschen" bestimmt. Die vielfältigen Bezüge, die in diesem Zusammenhang zu beobachten sind, können nur im Rahmen einer gesonderten Interpretation der gesamten Episode dargestellt werden. Der Abschnitt 2.2.4. ("Die Menschenzeichnung in der Teichoskopie") soll daher als Ergänzung zu den vorangegangenen Teilen 2.2.2. und 2.2.3. gelesen werden. In den angeschlossenen Abschnitten 2.4. und 2.5. behandele ich zwei Probleme, die sich unmittelbar aus den vorangegangenen Teilen der Arbeit ergeben haben. Zunächst geht es um die Frage, wie Ilias
1. Einleitung
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und Odyssee Ausdrücke, mit denen sie solche Schönheit bezeichnen, der negativ zu bewertende nicht-äußerliche Eigenschaften gegenüberstehen, in anderen Zusammenhängen gebrauchen. Die W e n d u n g φρίνας 'ένδον έίσας taucht nur in Gegenüberstellungen mit äußerlichen Qualitäten auf. Diese Beobachtung f ü r die alte Diskussion um die Bedeutung des Ausdrucks fruchtbar zu machen, versuche ich in Abschnitt 2.5. Der zweite - allerdings wesentlich kürzere - Hauptteil der Arbeit (Abschnitt 3.) beschäftigt sich nicht mit einzelnen Ausdrücken, sondern mit einem Handlungselement, den Verwandlungen, oder etwas allgemeiner gefaßt, den Veränderungen der menschlichen Gestalt. Ausmaß und Art solcher Veränderungen prägen wesentlich die Rolle, die dem Aussehen in seinem Verhältnis zu anderen Eigenschaften des Menschen in der Dichtung verliehen werden, und verdienen daher in unserem Zusammenhang besondere Beachtung.
2. Verbindung äußerlicher und nicht-äußerlicher Qualitäten 2.1. Definition des Gegenstandes In diesem Abschnitt sollen alle Passagen behandelt werden, in denen auf engem Raum einer Person oder Personengruppe eine oder mehrere zum Aussehen gehörende Qualitäten und eine oder mehrere Qualitäten, die nicht zum Aussehen gehören, beigelegt werden. In dieser Eingrenzung des Untersuchungsgegenstandes sind zwei Punkte erläuterungsbedürftig: a) Wie weit ist der Begriff des Aussehens zu fassen? b) Wann stehen zwei Ausdrücke auf engem Raum nebeneinander? Zu a): Zum Aussehen werden im folgenden nur dauernde Eigenschaften des Menschen gezählt. Daher umfaßt der Begriff nur einen Teil dessen, was man an einem Menschen sehen kann. So ist zum Beispiel der Bereich der Mimik und Gestik ausgeschlossen, weil es sich dabei um zeitlich begrenzte Phänomene handelt 5 . Ferner muß davor gewarnt werden, die Antithese "Aussehen - Nicht-Aussehen" als Gegensatz "Körper - Geist" zu verstehen. Denn nicht alles, was körperlich ist, gehört damit auch zum Aussehen des Menschen. Vor dem Hintergrund dieser Begriffsunterscheidung ist nun zu fragen, ob die in den homerischen Epen, besonders in der Ilias, so wichtige Eigenschaft der Körperkraft (σθένος, βίη, κΊκυς, κράτος, όνναμις) als Teil des Aussehens betrachtet werden soll. Sagen wir nicht, jemand sehe stark aus? Kann man jemandem die Kraft nicht ansehen? Hier gilt es, sich nicht von der Sprache in die Irre führen zu lassen. Wir sagen auch, daß je-
5 Darum finden Stellen wie N 279-80: τον μεν yap те κακόν τρέπεται χρώς άλλνδις άλλη, ούόέ οι άτρέμας ήσϋαι έρητύετ' εν φρεσ'ι ϋνμός keine Berücksichtigung. Die Frage nach dem Verhältnis von Gesten und innerer Verfassung bei den homerischen Menschen behandelt E. S. Evans (Literary Portraiture in Ancient Epic. HSPh 58-9 [1948], 189-217). Sie weist dabei besonders auf die bedeutende Rolle hin, die der Blick in den homerischen Epen als sichtbarer Ausdruck innerer Zustände spielt. Auf Passagen, die unsere Fragestellung, also das Verhältnis von permanenten äußeren Eigenschaften des Menschen zu nicht-äußerlichen, betreffen, geht sie nicht weiter ein, sondern beläßt es bei dem Hinweis, daß in der späteren physiognomischen Literatur die Thersites-Episode und die Antwort des Odysseus an Euryalos (ϋ 167-77) als Beispiel benutzt werden.
2.1. Definition des Gegenstandes
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mand gütig oder intelligent aussieht, würden aber nicht meinen, daß Güte oder Intelligenz zum Aussehen gehört. In dem Satz: "Er sieht intelligent aus." liegt eine verkürzte Redeweise vor. In Wirklichkeit ziehen wir aus bestimmten Aussehensmerkmalen (Denkerfalten/Brille) Schlüsse auf die geistigen Fähigkeiten. Prinzipiell nicht anders liegen die Dinge, wenn es um Körperstärke geht. Hier wird aus Körpergröße, Muskelumfang und ähnlichem auf Stärke geschlossen. Der Schluß mag öfter 6 richtig sein als im Falle eines Schlusses von Denkerfalten auf Intelligenz; das berechtigt uns aber keineswegs, Stärke selbst als Teil des Aussehens zu betrachten. Ebensowenig zählen natürlich die "äußeren Güter" Reichtum, vornehme Abkunft und sozialer Status zum Bereich des Aussehens; für sie gilt das gleiche wie für die Stärke: sie können sich im Aussehen zeigen, sind aber selbst nicht Teile des Aussehens. Es hilft vielleicht, sich den Begriff des Aussehens auf folgende Weise klar zu machen: Eine zum Aussehen gehörende Qualität muß prinzipiell auch einer Leiche beigelegt werden können. So läßt sich sagen: "die Leiche ist groß, schön, häßlich, gut gebaut", nicht aber: "die Leiche ist stark, mutig, gütig, von vornehmer A b k u n f t " . Das bedeutet natürlich nicht, daß alle Qualitäten, die einer Leiche beigelegt werden können, zum Aussehen gehören. Es wird deutlich, daß der Begriff des Aussehens, wenn man ihn exakt verwendet, nur einen ziemlich schmalen Bereich von Qualitäten umfaßt. Entsprechend groß und mannigfaltig ist der Bereich menschlicher Eigenschaften, die nicht zum Aussehen gehören. Dazu zählen zum Beispiel Intelligenz, physische Leistungsfähigkeit, sozialer Status, Vermögensverhältnisse. Diese Unterscheidungen mögen auf begrifflicher Ebene klar sein: Termini dafür zu finden, deren Anwendung auch von der Umgangssprache einleuchtet, ist schwierig. Ich nehme daher folgende stipulative Definition vor:
6 Ein homerisches Beispiel für einen möglichen Fehlschluß in diesem Bereich liegt in Γ 43-5 vor (Hektor zu Paris:)
η πον καγχαλόωσι κάρη κομόωντες 'Αχαιοί, φάντες άριστήα πρόμον εμμεναι, ο'ννεκα καλόν είδος επ', άλλ' ουκ εστί βίη φρεσίν ουδέ τις αλκή. Zu Vers 45 vgl. die Bemerkung Ε.-Μ. Hamms (LfgrE Bd. I, Sp. 496, 69-70): "'körperliche und geistige Kampfkraft' (φρεσίν gehört dem Sinne nach zu άλκή), ..."
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2. Verbindung äußerlicher und nicht-äußerlicher Qualitäten
Unter "Aussehen" einer Person verstehe ich die Summe der Qualitäten, die an dem Körper der Person ohne eine Aktivität des Trägers unmittelbar optisch wahrnehmbar sind. Diese Qualitäten nenne ich "äußerliche (äußere) Qualitäten". Alle übrigen Qualitäten eines Menschen nenne ich "nicht-äußerliche (nicht-äußere) Qualitäten". Strenggenommen entsteht überall dort eine Beziehung zwischen beiden Gruppen, wo einer Gestalt des Epos, die vorher bereits mit Qualitäten der einen Art bezeichnet wurde, eine Qualität der anderen Art beigelegt wird. Wenn z.B. Achill in A 131 ϋεοείκελος und in Ψ 168 μεγάϋνμος heißt, so sind damit eine äußere und eine nicht-äußere Qualität an einem Menschen hervorgehoben und damit in Beziehung zueinander gesetzt. Wir wollen unsere Untersuchung aber auf solche Passagen beschränken, in denen der Dichter beide Aspekte direkt miteinander konfrontiert, indem er zwei entsprechende Begriffe in engem Kontext einer Person oder Personengruppe beilegt. Da an solchen Stellen die Gegenübersetzung der Qualitäten offenbar ein Hauptanliegen ist, dürfen wir sie als zentral für unsere Fragestellung ansehen und können schon aus ihnen allgemeine Schlüsse über das Verhältnis beider Aspekte im homerischen Menschenbild ziehen. Darunter fallen zunächst Stellen, an denen die Begriffe unmittelbar aufeinander folgen. Aber natürlich kann vom Dichter eine Gegenüberstellung der beiden Aspekte auch dort angestrebt sein, wo Verse anderen Inhalts zwischen den entsprechenden Ausdrücken stehen. Schließlich müssen wir auch mit Passagen rechnen, in denen von den zwei Eigenschaften nur eine ausdrücklich bezeichnet ist und die andere dem Kontext entnommen werden kann. So bezeichnet Agamemnon die Griechen in θ 228 als είδος άγητοί. Die gegenübergestellte nicht-äußere Qualität dazu muß man aus 234-5: νϋν ό' σύδ' ενός άξιοι είμεν "Εκχορος erschließen. Die nun folgenden Abschnitte 2.2. und 2.3. beschäftigen sich - nach Ilias und Odyssee getrennt - mit den Ausdrücken, die den eben formulierten Kriterien genügen. Dabei beziehe ich mich auf die im Anhang enthaltene Tabelle, in der die einschlägigen Passagen folgendermaßen präsentiert werden: Neben Angaben zu Situation, Sprecher und beschriebener Person findet sich eine Spalte "Qualitäten": hier wird der griechische Text nicht genau zitiert; vielmehr habe ich nur die entscheidenden Begriffe so ausgewählt und angeordnet, daß die Gegenüberstellung von äußeren und nicht-äußeren Qualitäten einerseits und gegebenenfalls ihrer Bewertung andererseits klar herauskommt. Be-
2.1. Definition des Gegenstandes
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griffe, die von Homer nicht genannt werden, sich aber aus dem Kontext entnehmen lassen, habe ich deutsch formuliert. Außerdem findet sich auch eine Spalte "Werteverhältnis". Diese Bezeichnung bedarf näherer Erklärung. W i e sich aus den einleitenden Überlegungen ergeben hat, ist ein wichtiger Aspekt bei der Betrachtung des Verhältnisses zwischen äußerlichen und nicht-äußerlichen Qualitäten die Frage, ob die beiden Bereiche im Einklang oder im Widerspruch zueinander stehen. Ein Widerspruch im strengen Sinne läge bei Ausdrücken der folgenden Art vor: "Die Person X sieht aus, als ob sie die nicht-äußerliche Qualität a hat, sie hat sie in Wirklichkeit aber nicht." Solche Widersprüche im strengeren Sinne verdienen zwar Beachtung und sind gesondert hervorzuheben, doch sollen zunächst Widersprüche und Einklänge in einem weniger strengen Sinne ermittelt werden. Dabei geht es darum, wie eine jede Qualität nach homerischen Maßstäben zu beurteilen ist. Ist die eine negativ, die andere positiv zu bewerten, so bezeichne ich dies als "Diskrepanz" oder "Widerspruch". Entsprechendes gilt für "Einklang" oder "Übereinstimmung". Der Einfachheit halber werde ich im folgenden "positive/negative Qualität" statt "nach homerischen Maßstäben positiv/negativ zu beurteilende Qualität" sagen. Die demnach möglichen vier Werteverhältnisse bezeichne ich in der Tabelle und gelegentlich auch im folgenden Text mit den Symbolen + / + , + / - , -/ + , -/-, wobei das jeweils linke Symbol die äußere, das jeweils rechte Symbol die nicht-äußere Qualität betrifft.
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2. Verbindung äußerlicher und nicht-äußerlicher Qualitäten
2 . 2 . Ilias
2.2.7. Überblick Schon an dieser Stelle können wir einige allgemeinere Beobachtungen zu der Frage formulieren, wie die Ilias nicht-äußere und äußere Eigenschaften nebeneinander hervorhebt. Zunächst fällt auf, daß ausschließlich Menschen in dieser Weise charakterisiert werden. Auch Ω 3Ί6-Ί stellt davon keine Ausnahme dar, weil Hermes dort die Gestalt eines Menschen angenommen hat. Zum zweiten lehrt ein Blick auf die Spalte "Werteverhältnisse", daß in der Ilias alle möglichen Kombinationen repräsentiert sind, wenn auch mit sehr unterschiedlicher Häufigkeit. Die weitaus größte Gruppe bilden Ausdrücke der Kombination + / + , gefolgt von der Gruppe + / - . Negative äußere Qualitäten erscheinen dagegen mit zwei Stellen höchst selten. In der Einleitung haben wir dem Werteverhältnis zwischen den Qualitäten eine besondere Bedeutung zugemessen. Wir wollen unsere weiteren Beobachtungen der Passagen daher auch differenziert nach den vier vorkommenden Kombinationen durchführen, um mögliche Eigenarten der einzelnen Gruppen herausarbeiten zu können.
2.2.2. Beschreibung nach 2.2.2.1.
Kombination
Werteverhältnissen
+/+
Den größten Anteil an Ausdrücken, die das Nebeneinander positiver äußerer und positiver nicht-äußerer Eigenschaften bezeichnen, nimmt mit acht Belegstellen die Wendung ήνς те μέγας τε ein. Sie taucht meistens in der Erzählung auf. Nur in Γ 167 und 226 gibt Priamos damit seinen Eindruck von Agamemnon und Aias während der Teichoskopie wieder. Der ήνς τε μέγας τε Ausdruck gehört in der Ilias also ausschließlich sachlich erzählenden oder beschreibenden Kontexten an. Es überrascht, diese so positive Wendung selten auf die hervorragenden Helden des Epos angewendet zu sehen. Bis auf zwei Ausnahmen, die auch hier die beiden Teichoskopiestellen bilden, tragen
2.2. Ilias
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"kleine Kämpfer" die Bezeichnung 7 . Zudem ist es bemerkenswert, daß vier von sechs dieser Krieger nicht etwa im Moment eines eigenen Triumphes so genannt werden, sondern unmittelbar bevor sie einem Gegner zum Opfer fallen 8 . Die Wendung wird also besonders gern dann herangezogen, wenn im Zusammenhang mit dem Tod eines Kriegers die Hinfälligkeit menschlicher Vorzüge angedeutet werden soll. Besonders deutlich wird dies an dem Vers Λ 221, in dessen Kontext (225) auch von der prangenden Jugend, in der das Opfer nach Troja kam, die Rede ist. Die übrigen neun Bezeichnungen der Gruppe + / + unterscheiden sich von den eben behandelten Stellen dadurch, daß sie in der Mehrzahl von Personen des Epos gebraucht werden. Nur die Passagen N 431-2, Ρ 279-80 und Ω 631-2 (hier beschreibt der Dichter freilich Priamos' Bewunderung für Achill) befinden sich außerhalb von Reden. Wie schon bei ήνς τε μέγας τε zeigt sich die Tendenz, daß häufig an Nebenpersonen eine positive Übereinstimmung der Eigenschaften hervorgehoben wird 9 . Von den bedeutenden Helden werden Aias zweimal (H 288-9, Ρ 279-80) und Achill dreimal (Φ 108-9, 316, Ω 631-2) in dieser Weise beschrieben. Die Tendenz, durch eine Qualifizierung des Musters + / + die Hinfälligkeit des Menschen herauszustellen, konnte schon an der Verwendung von ήνς τε μέγας τε beobachtet werden. Unter den übrigen Ausdrücken der Kategorie läßt sich Ähnliches feststellen. Allerdings liegt keine Beschränkung auf Nebenfiguren vor. In Φ 107-13 verdeutlicht Achill dem um Gnade flehenden Lykaon, daß es für den Menschen unmöglich sei, dem Tod zu entrinnen. Sogar ihn (Achill) werde seine Schönheit und edle Abkunft 1 0 nicht davor bewahren. In Φ 316 versichert der Flußgott Skamandros dem Bruder Simoeis, daß Achill seine
7 В 653, Ε 628: Tlepolemos, Ζ 8: Akamas, Λ 221: Iphidamas, У 457: Demuchos, Ψ 664: Epeios, vgl. L f g r E s.v. έύς Bd. II, Sp. 811, 32-3 ( H . W . Nordheider). 8
Ε 628, Ζ 8, Λ 221, У 457.
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А 115: Chryseis, Ζ 156: Bellerophon, Ν 432: Hippodameia, Ω 376 Hermes als Jüngling. Niemand wird es M E I W E S 5, Anm. 1 angesichts der Bedeutungsvielfalt des Wortes v e r w e h r e n , "dies άγαϋός nicht bloß soziologisch zu verstehen ..." . Freilich gibt es der Text m.E. nicht her, die Qualität des Adjektivs in der weiteren Bedeutung auf den Sohn zu übertragen, wie M E I W E S 5 es tut. Er sieht an dieser Stelle die W e r t e άγαϋός und καλός [sich] eminent vereinigen". Auch in der Ilias ist es bekanntlich nicht zwingend, daß sich gute Eigenschaften des Vaters auf den Sohn vererben (z.B. Priamos - Paris!).
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2. Verbindung äußerlicher und nicht-äußerlicher Qualitäten
Kraft, Gestalt und Waffen im bevorstehenden Kampfe nicht helfen werden 1 1 . In ähnlichem Sinne ist N 431-2 zu interpretieren. Hier trägt die Beschreibung Hippodameias dazu bei, ihren Gatten Alkathoos kurz vor dem Kampfestod in seiner glanzvollen und vornehmen Stellung innerhalb der trojanischen Nobilität hervorzuheben. Diese Stelle gehört natürlich auch eng mit Λ 114-5 zusammen, wo ebenfalls der Wert einer Frau mit dem Hinweis auf ihre Schönheit und ihre handwerklichen Fähigkeiten betont werden soll. An der Stelle des Α wird die Charakterisierung allerdings nicht vom Erzähler, sondern von Agamemnon vorgenommen, der in der Heeresversammlung durch die positive Beschreibung der Chryseis einerseits sein Verhalten gegenüber ihrem Vater verständlich machen will, das so katastrophale Folgen für das Griechenheer hatte. Andererseits muß er, nicht zuletzt in Hinblick auf die Forderung nach Schadensersatz (A 118-20), das Opfer, das er mit der Rückgabe des Mädchens bringt, als möglichst groß darstellen. Auch in / 128-30 dient ein Ausdruck dieser Art dazu, den Wert von Frauen hervorzuheben. Daß hier "Wert" durchaus in einem materiellen Sinne verstanden werden muß, zeigt der Kontext: der Hinweis auf die sieben auf Lesbos erbeuteten Frauen bildet den Schluß einer Liste mit Geschenken, die Agamemnon Achill zur Versöhnung geben will; zuvor werden Sachen und Tiere genannt. I 389-90 unterscheidet sich von allen anderen hier untersuchten Ausdrücken dadurch, daß das Hervorragen einer Person im äußerlichen und nicht-äußerlichen Bereich nur hypothetisch formuliert wird: Achill lehnt das Angebot ab, die Tochter des Agamemnon zu heiraten, selbst wenn sie es an Schönheit mit Aphrodite und an handwerklichen Fähigkeiten mit Athene aufnähme. Die Verwendung zeigt, daß die Verbindung beider Aspekte als besonders geeignet empfunden wird, ein Idealbild zu beschreiben. Eine andere Gruppe von Stellen läßt sich dadurch charakterisieren, daß ihnen einander ähnliche Situationen zugrunde liegen. Zwei einander bekannte Feinde, die durch j e verschiedene Umstände nun kampflos miteinander konfrontiert sind 1 2 , oder zwei Personen, die einander 11
Die wiederholte Anwendung des Gedankens auf Achill läßt sich damit erklären, daß er neben seinen hervorragenden Qualitäten vor allem durch die immer wieder erwähnte Bestimmung, noch vor Ilion zu fallen (z.B. Τ 416-7, Φ 277-8, Χ 359-60), charakterisiert wird. 12
Η 288-9, Ω 631-2.
2.2. Ilias
23
nicht kennen 13 , treffen aufeinander, wobei einer am anderen die entsprechenden Eigenschaften bemerkt. Es sei hervorgehoben, daß an keiner dieser drei Stellen die positive nicht-äußerliche Eigenschaft des Unbekannten oder bislang durch Feindschaft Distanzierten vom anderen durch bloße optische Wahrnehmung erfaßt zu werden scheint. In Η 289 ist πινυτψ als verallgemeinerndes Kompliment zu verstehen, mit dem Hektor Aias seine Anerkennung dafür ausspricht, daß er ihm den Befehl zum abendlichen Aufbruch der Heere überlassen hat. Auch dem πίπνυσαι τε νόω, das Priamus Ω 377 an den in einen Knaben verwandelten Hermes richtet, geht eine Rede des Gelobten voraus (362-71), die sich durch mancherlei vernünftige Ratschläge auszeichnet. Diese Stellen können also nicht als Beleg dafür dienen, daß nach homerischer Auffassung nicht-äußerliche Vorzüge eines Menschen sich augenfällig äußern. In Ζ 156 dient der Hinweis auf die Qualitäten des Bellerophon wahrscheinlich dazu, das Begehren der Anteia (160-1) zu erklären. Es mag überraschen, daß nur ein Ausdruck der Kategorie + / + , nämlich Ρ 279-80, sich im Rahmen einer Aristie findet. Die positive Einheit von äußerlichen und nicht-äußerlichen Qualitäten, die man als typisch heldische Eigenschaft anzusehen geneigt ist, wird in der hervorragenden Darstellungsform heldischen Wirkens also vergleichsweise selten explizit hervorgehoben. Überhaupt läßt sich als Ergebnis der bisherigen Untersuchung festhalten, daß unter den verschiedenen Funktionen, die die Ausdrücke der Kategorie + / + in der Ilias erfüllen, die Verherrlichung des Helden nur einen geringen Anteil hat 14 . An vielen Stellen dienen sie vielmehr dazu, die Ohnmacht und Hinfälligkeit des Menschen angesichts des Todes vorzuführen. Von besonderer Wichtigkeit für die Untersuchung des homerischen Menschenbildes ist schließlich noch die Frage, wie positive äußere und positive nicht-äußere Eigenschaften sprachlich miteinander verknüpft werden. Daran kann überprüft werden, ob nach homerischer Vorstellung äußere und nicht-äußere Eigenschaften in einem Abhängigkeitsverhältnis zueinander stehen.
Wenn es z.B. einen Satz wie: "Achill ist schön, denn er ist gut" gibt, muß er als Beleg dafür gewertet werden, daß positive nicht-äußere Qualitäten an einem Menschen als Grund für positive äußere angesehen werden.
13
Ω 376.
14
Neben Ρ 279-80 sind Γ 167, 226, Η 288-9 und Ω 631-2 darunter einzuordnen.
24
2. Verbindung äußerlicher und nicht-äußerlicher Qualitäten
In der überwiegenden Mehrzahl der zitierten Fälle läßt sich aus der sprachlichen Formulierung kein Hinweis auf ein Abhängigkeitsverhältnis zwischen beiden Aspekten entnehmen, da hier die Verknüpfung in Form einer kopulativen Beiordnung erfolgt 1 5 . Ebenso muß Ρ 279-80 beurteilt werden, wo ein δέ die Verbindung herstellt. Allein an A 115: (Chryseis ist nicht geringer als KlytaimneStra ...) ov δέμας ονδέ φνήν, οντ' äp φρένας οντέ τι 'έργα kann untersucht werden, ob das äp eine Folgerung ausdrückt. AHC z. St. fassen die Partikel offenbar in diesem Sinne auf, wenn sie οντ' äp κτέ mit "weder [wie man danach vermuten kann] ..." paraphrasieren. Doch der homerische Gebrauch von äp(a) scheint mir eine solche Interpretation zu verbieten. Gewiß kann die Partikel eine Folge bezeichnen, aber dann handelt es sich um "Abfolgen von Handlungen in der Regel ders. Pers. (meist Abläufe üblicher Art oder zielgerichteter Folgen von Handlungsschritten ...)" 1 6 . Man wird vielmehr ein äp(a) des Typus sehen, der "bei zweiten und weiteren Gliedern von Reihungen und Gegenüberstellungen ...[,] oft in katalogartigen Reihungen" 1 7 steht. Die Syntax von A 115 verdient allerdings noch in einer anderen Hinsicht Beachtung. Die vier accusativi limitationis werden in zwei Gruppen gegliedert: ονδέ verbindet δέμας und φνήν, φρένας und 'έργα sind durch οντε ... οντε verklammert, beide Paare sind, wie wir gesehen haben, aufzählend nebeneinander gestellt 18 . Die Penthemimeres verdeutlicht die syntaktische Gliederung zusätzlich. Wichtig ist nun, daß diese strenge Zweiteilung äußere und nicht-äußere Aspekte des Menschen von einander trennt. Wir können also feststellen, daß das Bewußtsein für die Verschiedenheit der Bereiche sich bei Homer sogar an Stellen offenbart, wo die Konformität beider Aspekte hervorgehoben wird.
15 Neben allen ήνς τε μέγας τε-Stellen: Ζ 156, Я 288-9, Ν 431-2, Φ 316 Ω 376 u. 632. 16 LfgrE s.v. άρα Brandt).
Bd. I, Sp. 1151, 45-7 (J. Grimm, H . W . Nordheider,
17
LfgrE a . a . O . , Sp. 1150, 17-8 u. 22, in diesem Sinne auch KG 2, 289.
18
vgl. KG ebd.
Η.
2 . 2 . Ilias 2 . 2 . 2 . 2 . Kombination
25
+/-
W e n n an d e n untersuchten S t e l l e n e i n e D i s k r e p a n z z w i s c h e n äußeren und n i c h t - ä u ß e r e n Qualitäten b e s c h r i e b e n w i r d , s o g e s c h i e h t das in der ü b e r w i e g e n d e n Mehrzahl der F ä l l e durch d i e
Gegenüberstellung
p o s i t i v e r äußerer Qualitäten und n e g a t i v e r nicht-äußerer. D i e
umge-
kehrte K o m b i n a t i o n k o m m t mit nur z w e i B e i s p i e l e n sehr viel s e l t e n e r v o r . D i e S t e l l e n , d i e e i n e K o m b i n a t i o n + /- b e s c h r e i b e n , ähneln s i c h inhaltlich w e i t g e h e n d : alle s e c h s halten S c h ö n h e i t g e g e n
mangelnde
Kampfestugend. D i e Charakterisierung d e s N i r e u s v o n S y m e in В 6 7 3 - 5 (er wird nur an d i e s e r S t e l l e e r w ä h n t ) n i m m t in der G r u p p e + / - e i n e S o n d e r s t e l l u n g e i n , w e i l hier der D i c h t e r s e l b s t spricht. Im R a h m e n d e s S c h i f f s k a t a l o g e s hebt er an N i r e u s e i n e h e r a u s r a g e n d e S c h ö n h e i t h e r v o r , d i e nur n o c h
von
Achill
übertroffen werde.
Qualität steht mit άλαπαδνός
Dieser
eine negative
positiven
nicht-äußerliche
äußeren gegen-
ü b e r 1 9 . H i e r liegt a l s o o f f e n b a r e i n e D i s k r e p a n z z w i s c h e n b e i d e n B e reichen vor20. D i e anderen f ü n f Vertreter der G r u p p e (Γ 3 9 , Ε 7 8 7 , θ 2 2 8 , Ν 7 6 9 , Ρ
142) w e i s e n b e s o n d e r s im F o r m a l e n z a h l r e i c h e
Gemeinsamkeiten
auf. D i e V e r s e sind j e w e i l s nach e i n e m f e s t e n s y n t a k t i s c h e n
Muster
19 Hinter der nur einmaligen Erwähnung des Nireus vermutet Galen (Protr. 8, ed. Kühn 1, 17) eine moralisierende Absicht Homers: διά τονϋ' απαξ αντον μόνον έμνημόνενσεν "Ομηρος εν νεών καταλόγω, προς έπίδειξιν, έμοί όοκεΊ, της των καλλίστων ανδρών άχρηστίας, οταν αντόϊς νπάρχη μηδέν άλλο των εις τον βίον χρησίμων. Dazu kann nur festgehalten werden, daß Homer bei der Schilderung der Parisgestalt dieses Verfahren nicht angewandt hat. 20
Es ist besonders bemerkenswert, daß die Schönheit des Nireus (im Gegensatz zu der des Paris, s.u.) gerade mit κάλλιστος beschrieben wird. MEIWES 134 spricht angesichts der Verbindung des Adjektives mit άλαπαδνός von einem "Auseinanderklaffen ... der sonst zusammengehörigen Werte". Aus der Singularität schließt er auf ein junges Alter der Stelle. Man sollte nicht übersehen, daß die Echtheit von Teilen der Nireus-Passage oft in Zweifel gezogen wurde. Als Grund für Zenodots Athetese von В 673 und 675 nimmt NICKAU 181 inhaltliche Erwägungen an, die er aber als nicht überzeugend zurückweist. Jedoch bleiben andere unleugbare Eigentümlichkeiten der Verse, die für Zenodots Entscheidung sprechen. Zum einen bezeichnet auch NICKAU 181 Anm. 44 die doppelte Enanalepse in Anapherstellung als "singulär". Außerdem möchte ich darauf aufmerksam machen, daß άλαπαδνός hier in einer für Homer sonst ungebräuchlichen Weise verwendet wird. In beiden Epen findet sich das Adjektiv nur dreimal von Menschen (sonst, in Verbindung mit σΰένος von Göttern oder Tieren). In Gegensatz zu В 675 bezieht es sich in Δ 305 und 330 auf militärische Verbände. Die Anwendung auf einen einzelnen Menschen, noch dazu ohne den Zusatz von σΰένος, kommt also sonst nicht vor.
26
2. Verbindung äußerlicher und nicht-äußerlicher Qualitäten
gestaltet. Ein vorangestellter accusativus limitationis είδος wird, wenn eine einzelne Person gemeint ist, durch άριστε, bei einem Kollektiv durch άγητοί ergänzt. Der durch den Kontext geforderte Sinn läßt sich im Deutschen am besten durch die Übersetzung "nur an Aussehen Bester/Bewunderungswürdiger" wiedergeben21. Schließlich finden sich alle diese Anreden in Schlachtsituationen. Eine isolierte Betrachtung der einzelnen Verse, wie wir sie bisher vorgenommen haben, reicht für unsere Fragestellung allerdings nicht aus. Denn da sich alle diese Stellen in direkter Rede befinden, können wir sie nicht ohne weiteres als Elemente homerischer Menschenzeichnung auffassen. Vielmehr müssen wir in einer genauen Prüfung der einzelnen Kontexte untersuchen, ob die in der Anrede vorgenommene Beurteilung in den erzählenden Teilen bestätigt wird. Im Buch Ε werden die Griechen zwar bedrängt, aber doch nur, weil Ares ihnen gegenübersteht. Vielmehr stellt Homer an den Adressaten der Anrede kurz zuvor durch den Vergleich mit Löwen und Ebern (782-3) ihre Gewalt heraus. Auch im θ ist nur von einer Bedrängnis, nicht aber von Flucht oder Feigheit die Rede. Zudem wird in beiden Fällen eine hilfreiche Absicht des Redners erwähnt (Ε 779, θ 219), der Tadel kann mithin nicht als Intention des Dichters selbst angesehen werden. Wir stellen also fest, das an den beiden Stellen Ε 787 und θ 228 der Vorwurf einer Diskrepanz zwischen Aussehen und Kampfestugend nicht der Beurteilung des Erzählers entspricht. Der Leser gewinnt den Eindruck, daß die Anrede είδος άγητοί gewählt wird, weil sie in der Kampfparänese offenbar besondere Wirkung hat22, nicht aber, weil sie die Realität objektiv wiedergäbe23. 21 Treffend beschreibt J. Latacz (Kratylos 21 [1976], 130) den Sinn der Ausdrücke: "der überpointierte Lobpreis des äußeren Wertes [είδος άγητοί] wird als Negation des inneren Wertes eingesetzt." Er verweist auf Tyrt. fr. 10, 9 W. (6, 9 G.-P.) - hier liegt also auch der Zusammenhang einer Kampfparänese vor! wo ein ähnlicher Gebrauch von είδος zu beobachten ist: [deijenige, der seine Stadt im Stich gelassen hat: κατά δ' άγλαον είδος ελέγχει.] Zur Formulierung dieser Stelle vgl. Hes. erg. 714 und oben S. 11. 22 Diese Vermutung läßt sich aufgrund der in Ε 792 beschriebenen Wirkung auf die Griechen anstellen. J. Latacz (Kampfparänese, Kampfdarstellung und Kampfwirklichkeit in der Ilias, bei Kallinos und Tyrtaios. Zetemata 66. München 1977. 246) hebt hervor, daß ψόγοι "besonders effektvolle Überredungsmittel der Kampfparänese" darstellen können. Zum "unbegründeten Vorwurf der Minderwertigkeit" als Mittel der Kampfparänese vgl. FRANKEL DuPh 171 mit Anm. 1, der auf Δ 371-400 und auf Kallinos fr. 1, 1-4 W./G.-P. verweist. 23 In seiner Auseinandersetzung mit Agamemnon wirft Achill dem Heerführer vor, er habe die Augen eines Hundes und das Herz eines Hirsches {A 225: οΐνοβαρές,
2 . 2 . Ilias
27
Im Falle von Γ 39, Ν 769 und Ρ 142 weist der der Rede in der Erzählung jeweils vorangehende Vers darauf hin, daß hier der Abwertung des Angeredeten ein größeres Gewicht zukommt 2 4 . Das zeigt sich auch darin, daß die Angesprochenen hier, anders als in Ε 792 und θ 219, antworten und sich gegen die Vorwürfe zur Wehr setzen 2 5 . Im Gegensatz zu Ε 787 und θ 228 bezieht sich in Ρ 142 der Vorwurf είδος 'άριστε auf ein deutliches Fehlverhalten des Adressaten: Hektor war schon damit beschäftigt gewesen, den toten Patroklos vom Schlachtfeld zu ziehen (126-7). Doch als Aias heranstürmt, weicht er zurück, läßt den Leichnam liegen und trägt nur die Waffen als Beute heraus. Glaukos wirft ihm nun vor, mit diesem Verhalten die Möglichkeit vergeben zu haben, den Leichnam des Sarpedon gegen den des Patroklos auszutauschen (142-68). In seiner Antwort streitet Hektor den Tatbestand der Flucht nicht ab, verwahrt sich allerdings gegen den Verdacht, aus Furcht geflohen zu sein. Vielmehr sei die wechselnde Gunst des Zeus dafür verantwortlich zu machen (176-8). Mit 179-80: ϊόε έργον, ήέ πανημέριος κακός έσσομαι, ώς αγορεύεις wertet er sein Ver-
κυνός ομματ' 'έχων, κραόίην ό' έλάφοιο). Das meint, daß Agamemnon nach außen frech wirkt, aber über einen feigen Charakter verfügt. Es wird also ein Widerspruch zwischen äußeren und nicht-äußeren Qualitäten hergestellt. Allerdings können wir diesen Widerspruch nicht mit den Kategorien "positive/negative Qualität" fassen (daher ist die Stelle nicht in der Tabelle aufgeführt). Denn auch die "Hundsäugigkeit" ist ja eine negative Qualität. Doch trotz ihrer Andersartigkeit müssen wir die Stelle ähnlich wie z.B. Ε 787 beurteilen: auch der hier enthaltene Vorwurf findet im Kontext keine Bestätigung, sondern scheint, gerade weil er neben der unsachlichen Beschimpfung οίνοβαρές steht, allein dem χόλος Achills entsprungen zu sein. Der Hörer/Leser dürfte Agamemnons Anspruch auf Briseis zwar für selbstherrlich, nicht aber für feige halten. SNELL EdG 61 Anm. 9 bemerkt zu der Stelle, daß hier - im Gegensatz zu Arch. fr. 114 W. - "noch keine 'Spannung'" vorliege (ohne weiter zu erläutern, was er damit meint), "sondern nur das Nebeneinander verschiedener Organe". Aber ein Gegensatz zwischen dem äußerlichen Organ "Augen" und dem nicht-äußerlichen Organ "Herz", die sich in ihren Qualitäten widersprechen, ist doch unleugbar. In dieser Auffassung fühle ich mich auch durch Fränkels Interpretation der Stelle (AJPh 60 [1939], 478 Anm. 9) bestärkt, auf die SNELL verweist, als bestätige sie seine These von der fehlenden Spannung: "This utterance implies not only a discrimination between two organs but even a stratification, as κραόίη stands for Agamemnon's real self." 24
Γ 38: νείκεσσεν ... αίσχροΊς έπέεσσι, Ν 768: προσέφη αίσχρόϊς έπέεσσι, Ρ 141: χαλεπώ ήνίπαπε μνϋω. Vergleiche dagegen Ε 784: ενϋα στάσ ήνσε ϋεά λενκώλενος Ήρη. 25
Γ 64-6, Ν 775-80, Ρ 170-82.
28
2. Verbindung äußerlicher und nicht-äußerlicher Qualitäten
halten dagegen deutlich ab 2 6 . Jedoch gilt die von Glaukos festgestellte Diskrepanz nur für einen zeitlich engen Rahmen. Denn schon in seiner Erwiderung kündigt Hektor an, er werde die Scharte auswetzen (179-82), und tatsächlich sehen wir darauf einen Hektor in (von Zeus verliehener) Bestform (210-2, vgl. 206-8), unter dessen Führung die Trojaner den toten Patroklos zeitweise wieder in ihre Gewalt bringen können (274-5). Glaukos trifft mit seinem Tadel also keine dauernde Eigenschaft Hektors. In Γ 39 finden wir Hektor nicht als Kritisierten, sondern als Kritiker, der seinem Bruder Paris ein εϊόος άριστε vorhält. Der Zusammenhang der Stelle zeigt gewisse Ähnlichkeiten mit der Passage u r a f 142. Auch hier wird der Tadel durch eine Flucht vor dem Feind veranlaßt (Γ 21-37). Gleichfalls spricht ein Mann der eigenen Seite die Scheltrede (39-58). Schließlich veranlaßt der Tadel auch Paris dazu, Kampfbereitschaft zu zeigen: in 67-75 erklärt er sich dazu bereit, einen Zweikampf mit Menelaos zu wagen. Betrachtet man den Inhalt der Hektorrede genauer, so werden aber auch Unterschiede deutlich: während Glaukos den Vorwurf, Hektors Schönheit habe keine Entsprechung in seiner Kampfestugend, nur in der Anrede äußert, führt Hektor diesen Vorwurf gegenüber Paris im Verlaufe seiner Rede weiter aus. So beschreibt er in 43-5, wie die Griechen über Paris' Feigheit höhnen, da sie sehen, daß sie sich in der Annahme getäuscht haben, der Priamide sei wegen seiner Schönheit auch wehrhaft 2 7 . In 54-5 führt Hektor seinem Bruder vor Augen, daß ihm seine Schönheit im Kampf mit einem Mann wie Menelaos nichts nützen werde. Diese Ausführlichkeit trennt die Hektorrede auch von allen anderen Stellen der Gruppe + / - : nirgendwo sonst wird der Vorwurf der Anrede ausgeführt. Die Besonderheit läßt sich leicht damit erklären, daß Paris wesentlich durch sein Äußeres charakterisiert ist. Auch eine negative Charakteristik, wie sie die Hektorrede darstellt, legt deshalb viel Gewicht auf diesen Aspekt. Aber auch der Kontext weist bei genauer Prüfung wesentliche Unterschiede zur Passage des Ρ auf. Im Gegensatz zu Hektor, vor dem wir Menelaos in Ρ 108 fliehen sehen, ist von
26 Denn mit der darin enthaltenen Absicht, sich nicht den ganzen Tag als κακός zu erweisen, gibt er zu, wenigstens für einen kurzen Zeitraum κακός gewesen zu sein. 27
Hier taucht deutlich wie nirgendwo sonst in der llias der Schluß von äußerlichen auf nicht-äußerliche Qualitäten auf. Dabei ist zu bedenken, daß dieser Schluß als fehlerhaft vorgeführt wird. Eine gewisse Skepsis des Dichters gegen ein uneingeschränktes Vertrauen in das menschliche Aussehen ist also unverkennbar.
2 . 2 . Ilias
29
einer Kampftätigkeit des Paris vor seiner Flucht nicht die Rede. Seine Aktivität beschränkt sich darauf, zum Kampfe herauszufordern (Γ 19-20). Auch die Kampfesleistungen nach der Scheltrede wirken nicht so, wie wir es für Hektor im Kampf um den Leichnam des Patroklos festgestellt haben. Paris meldet sich zwar freiwillig zum Duell mit Menelaos, erweist sich aber im Kampf von Anfang an als der Schwächere 2 8 . Seine Niederlage gibt Paris selbst später vor Helena zu (Γ 439). Zumindest für den engeren Kontext können wir also feststellen, daß der Tadel des Hektor in Γ 39 teilweise bestätigt zu werden scheint 2 9 . Gilt dies nun auch für die gesamte Zeichnung des Paris in der Ilias? Hier zeigt sich kein einheitliches Bild. Zum einen verbieten es zahlreiche Stellen, in Paris einen bloßen Schwächling zu sehen, der zu keiner Kampfesleistung fähig ist. So hören wir in N 660-72, daß er, wie es auch die untadeligen Helden zu tun pflegen, Rache für einen vom Feind getöteten Gastfreund übt. In N 765-7 kommt er seinen Aufgaben als Anführer nicht anders nach als Aias in Ρ 116-7 3 0 . Außerdem finden wir ihn als Anführer neben solchen glänzenden Helden wie Aineias oder Agenor genannt (M 93, N 489-91). Sein Auftreten im Kampf wird mit Gleichnissen illustriert, die auch von Hektor und Achill gebraucht werden (Z 506-11 = О 263-8, Ζ 513 = Τ 398). In Η
28 Durch die parallele Struktur der Verse 346-9 und 355-60 kommt dies sehr deutlich heraus: Paris Lanze bleibt in Menelaos' Schild stecken (348-9), der Wurf des Menelaos ist allein deshalb nicht tödlich, weil Paris ausweicht (360). Ab 369 ist die Unterlegenheit des Paris dann ganz offenkundig: nur das Eingreifen Aphrodites rettet ihn.
" Von einer vollständigen Bestätigung läßt sich aus zwei Gründen nicht sprechen. Paris ist Menelaos an Stärke unterlegen; das muß aber noch nicht bedeuten, daß er überhaupt keine βίη besitzt, wie Hektor es ihm 45 vorwirft. Außerdem finden wir in der Kampfdarstellung keine Anzeichen für eine fehlende άλκή. in Und doch kritisiert Hektor seinen Bruder in N 769 mit den gleichen Worten wie in Γ 39. Paris weist den Vorwurf entsprechend empört zurück (775). An dieser Stelle findet die vorgeworfene Diskrepanz im unmittelbaren Kontext der Erzählung also keine Bestätigung. Daher wurden auch Zweifel an der Echtheit der Schmähworte Hektars gegen Paris geäußert (vgl. AHC Anh. z. St. Heft 5, S. 46). C. Michel (Erläuterungen zum N der Ilias. Heidelberg 1971, 128-9) verteidigt die Hektorworte zu Recht, indem er sie aus einer feindlichen "Grundstimmung" der Trojaner gegenüber dem am Kriege Schuldigen erklärt, die auch ohne eine konkrete Verfehlung des Paris zum Ausdruck gebracht werden kann (vgl. Hektors Verwünschung in Ζ 281-5). Zur Frage, ob N 769 mit dem ganzen Parisbild der Ilias übereinstimmt, vgl. die folgenden Ausführungen zu Γ 39.
30
2. Verbindung äußerlicher und nicht-äußerlicher Qualitäten
2-3 scheint seine Kampfeslust nicht weniger stark ausgeprägt zu sein als die seines Bruders. Gerade die Beurteilung des Paris durch Hektor zeigt eine merkwürdige Ambivalenz. Neben stark abwertenden Äußerungen findet sich doch auch Anerkennung für den Bruder. So hebt Hektor - offensichtlich dadurch versöhnlich gestimmt, daß Paris seine Ankündigung aus Ζ 337-41 wahrgemacht hat und dem Bruder in die Schlacht folgt - in Ζ 521-3 hervor, daß Paris αλκιμος sei, aber nicht die Bereitschaft besitze, entsprechend zu handeln. In N 788 läßt sich Hektor offenbar von der Verteidigung des Bruders gegen seinen Vorwurf mangelnder Kampfestugend überzeugen (παρ'επεισεν). Trotz solchen Zügen, die der Charakterisierung είδος άριστε widersprechen, führen andere Passagen zu einer negativen Beurteilung seiner Kampfesqualitäten. Abgesehen von Γ 18-9, wo er die Griechen mit der Lanze herausfordert und Γ 346-7 - hier versucht er vergeblich, mit der Lanze den Schild des Menelaos zu durchbohren - ist Paris nur mit dem Bogen bewaffnet. Gewiß gibt es in der Ilias auch Bogenschützen, die nicht zwielichtig wie Paris sind, doch haftet dieser Waffe der Geruch des Hinterhältigen und Feigen an 31 . Im Zusammenhang mit Paris wird das besonders in einer Scheltrede deutlich, die der durch einen Pfeilschuß des Priamiden verletzte Diomedes Λ 385-95 spricht. Das Schimpfwort τοξότα steht zu Beginn, in 386-7 wird das Kämpfen mit Pfeil und Bogen dann ausführlich abgewertet: ei μεν δη άντίβιον
συν τενχεσι
ουκ αν τοι χραίσμησι
πειρηϋείης,
βιός και ταριρέες
ιοί.
Auch wenn wir also keine durchgängig unheroische Zeichnung des Paris konstatieren, registrieren wir doch auch außerhalb des Γ unübersehbare Makel an seiner Kampfestugend. Findet die von Hektor vorgeworfene Diskrepanz also in der Ilias weitgehende Bestätigung? Dieser Schluß wäre voreilig, weil wir erst eine, die nicht-äußerliche Seite, an Paris geprüft haben. Es empfiehlt sich jedoch, alle anderen Stellen der Ilias zu untersuchen, in denen das Äußere des Paris beschrieben wird 32 . Am häufigsten charakterisiert der Dichter die Gestalt des Paris durch das Epitheton ϋεοειδής. Dieses Adjektiv wird in der Ilias nie31 Bezeichnend N 313-4, wo Idomeneus den Teukros άριστος 'Αχαιών τοξοσύνη nennt, aber gleich άγαΰός όέ και έν σταόίη νσμίνη hinzufügt. Wahrscheinlich geschieht das, weil die erste Qualität allein nicht ausgereicht hätte. 32 Ν 169 braucht dabei als Doublette von Γ 39 keine Berücksichtigung zu finden.
2.2. Ilias
31
mandem so oft beigelegt wie Paris. Es findet sich freilich auch bei anderen Männern, auffälligerweise meist einzelnen Trojanern oder deren Hilfskämpfern. Nur selten tragen es Griechen 33 . Achill wird zweimal mit dem ähnlichen ϋεοείκελος bezeichnet. Wir stellen also fest, daß mit ϋεοειδής Paris eine hervorragende, nicht näher bezeichnete äußere Qualität beigelegt wird, die allerdings auch andere Personen aufweisen. Neben dem Epitheton finden sich jedoch einige Passagen, die weitergehende Schlüsse über Paris' Äußeres zulassen. In der bereits erwähnten Rede seines Bruders Γ 39-57 ist 54 von τά δ ώρα Αφροδίτης die Rede, die Paris im Kampf nichts nützen würden. 55a expliziert diesen allgemeinen Begriff durch die Apposition: ή τε κόμη то τε είδος. An der Gestalt des Paris wird hier hervorgehoben, daß sie ein Geschenk Aphrodites sei. Seine Schönheit wird hier also allein in einer erotischen Dimension gesehen. Noch deutlicher zeigt sich diese besondere Qualität in Γ 392-4, wo Aphrodite der Helena die Schönheit ihres trojanischen Gatten ausmalt: ουδέ κε φαίης όνδρι μαχεσσάμενσν τόν γ' έλϋεϊν, άλλα χορόνδε ερχεσϋ', ήέ χοροΐο νέον λήγοντα καϋίζειν.
An dieser Charakterisierung ist zweierlei bemerkenswert. Zum einen spricht Aphrodite von einer Schönheit, die sich trotz dem Kampfe zeigt, also einer Schönheit, die ganz und gar unkriegerisch ist, weil sie durch die Strapazen des Kampfes eigentlich verloren gehen müßte. Wie anders erscheint dagegen die Schönheit Hektors, die von den Griechen an seinem Leichnam bewundert wird (X 369-71) 34 . Zum anderen beschreibt Aphrodite die Schönheit ihres Schützlings als die eines Tänzers. Ein reizender Tänzer mag auf Frauen anziehend wirken, nach heroischen Maßstäben gilt diese Eigenschaft aber als Ausweis von Weichheit. Dies lehrt z.B. Ω 261, wo Priamus in Trauer über den Verlust seines besten Sohnes die Minderwertigkeit der übri-
Von 27 Stellen entfallen 12 auf Paris, 9 auf Priamus, 4 auf einzelne Trojaner oder Bundesgenossen und nur 2 auf einzelne Griechen (5 623: ein nur an dieser Stelle erwähnter Polyxeinos; Τ 327: Neoptolemos, von Aristophanes und Aristarch athetiert). 34 Bezeichnenderweise wird Paris' Schönheit während eines Kampfes nie erwähnt (sieht man von der Verwendung des Epithetons ΰεοειόής in Λ 581 ab), allerdings auch nicht eine besondere körperliche Weichheit. Die Einschätzung der bT-Scholien
zu Γ 371: άπαλήν υπό δειρήν: ώς έπι γυναικός ειπεν ουκ εϊωϋνίας κόρνϋα φορείν kann angesichts von Ν 202 und -Σ177, wo von der απαλή δειρή auch anderer Männer die Rede ist, nicht geteilt werden.
32
2. Verbindung äußerlicher und nicht-äußerlicher Qualitäten
gen herausstellt, indem er sie als ψενσταί τ' όρχησταί те, χοροιτνπίησιν 'άριστοι beschimpft 3 5 . Aufmerksamkeit verdient in unserem Z u s a m menhang der Ausdruck, mit dem Aphrodite in Γ 392 die unmittelbare optische Erscheinung des Paris in Worte faßt. Die Tatsache, daß Paris vor Schönheit glänzt, kann noch nicht als besondere Qualität aufgefaßt werden, da in der Ilias auch sonst der Glanz einer Person hervorgehoben wird 3 6 . Das Besondere der Charakterisierung zeigt sich erst, wenn man die Wortwahl der Beschreibung ins Auge faßt: Das Verbum στίλßetv taucht in der Ilias überhaupt nur noch Σ 596 auf, von den Röcken der tanzenden Mädchen in der Schildbeschreibung. Das Adjektiv στιλπνός benutzt die Ilias einmal, von den Tautropfen, die die W o l k e abgibt, mit der sich Hera und Zeus auf ihrem Liebeslager zudecken (Ξ 351). στιλπνός oder ein verwandtes Wort wird also in der Ilias nur im Zusammenhang mit Paris von einem Menschen gesagt 3 7 . Außerdem findet sich das Verbum oder das abgeleitete Adjektiv nur in erotischem Kontext. Wir stellen daher fest, daß die Gestalt des Paris auch hier in einer besonderen Weise in ihrer erotischen Wirksamkeit charakterisiert wird und damit eigenständige Z ü g e im Vergleich mit der Schönheit anderer Männer erhält. Man wird vielleicht einwenden, daß die hier interpretierten Stellen keine objektiven Darstellungen sind: so muß Aphrodite im Γ ihre Beschreibung des Paris besonders erotisch färben, um Helenas Begehren erwecken zu können. Entscheidend aber scheint mir, daß die Schönheit des Paris überhaupt nur an diesen Stellen geschildert wird und ihm Z ü g e einer konventionell heroischen Schönheit (beispielsweise durch Bezeichnungen wie μέγας oder ενρνς ώμοισιν) nirgends beigelegt werden 3 8 .
35 Als unheroischer, dem Kampf entgegengesetzter Bereich erscheint der Tanz auch О 508 und Π 617.
Vgl. die Verbindung von άγλαός oder φαίόιμος mit γιna (z.B. Τ 385, N 435) und mit Heroennamen (z.B. I 434, X 274). Ferner ist auf die Wendung άγλαός (z.B. В 736) zu verweisen.
νίός
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Anders in der Odyssee: hier wird der Titelheld nach der Verschönerung durch Athene am Strande der Phäaken als στίλβων (ζ 237a) bezeichnet. Daß auch hier ein erotischer Kontext vorliegt, beweist 237b: ϋηέίτο όέ κούρη. Glanz als Äußerungsform von körperlicher Schönheit ist der Ilias abgesehen von Γ 392 fremd. Dagegen weisen die Odyssee das Motiv noch σ 192 und die Homerischen Hymnen Aphr. 89-90, 174, Dem. 278-80 auf. 38 Die Wendung Γ 371: άηαλήν νπό όεφήν kann zu solchen Zügen nicht gerechnet werden, weil sie auch im Zusammenhang mit Frauen auftaucht (z.B. von Briseis Τ 285). Ein weiterer Hinweis auf das Aussehen des Paris läßt sich aus Diomedes' tadelnder Anrede κέρα άγλαέ (Λ 385) ziehen, wenn man mit den Α-Scholien in κέρα
2 . 2 . Ilias
33
Wenden wir uns nun wieder unserer Ausgangsfrage zu: trifft der Hinweis auf eine Diskrepanz zwischen Schönheit und mangelnder Kampfestugend, die Hektor in seinen Tadelreden Γ 39 und N 769 gebraucht, eine Eigenschaft, die sich an Paris auch sonst beobachten läßt? Ich meine, nach unserer Durchmusterung der einschlägigen Stellen müssen wir diese Frage negativ beantworten. Denn überall dort, wo Paris' Schönheit ausführlicher als durch das Epitheton ϋεοειδής beschrieben wird, zeigt sie eine andere Qualität als die sonst in der Ilias beschriebene Schönheit von Männern. Der Leser lernt sie als verweichlichte, blendende und verführende Eigenschaft kennen, die er nach Maßstäben der Ilias überhaupt nicht positiv bewerten kann 39 .
eine Metapher für eine kunstvoll geflochtene Frisur sieht (andere Interpreten fassen das Wort als Metonymie für "Bogen" auf, zur Diskussion vgl. ARCH. НОМ. Bd. 1, Kap. В 3). Nun ist wichtig, daß künstliche Frisuren in der Ilias sonst nur an Frauen (neben der Toilette der Hera in Ξ 176 ist hier auf die Epitheta ενπλόκαμος und καλλιπλόκαμος zu verweisen, die ausschließlich auf göttliche und sterbliche Frauen angewendet werden) und einem Trojaner (Euphorbos Ρ 52, vielleicht auch am Karerfürsten Amphimachos В 872, vgl. ARCH. НОМ. ebd.) hervorgehoben werden. Allgemein scheint unter Männern die χαίτη, die kunstlose "Mähne", üblich zu sein (A 529, Ψ 141, vgl. К 15, ίσος έαντώ (Β 29, suppl. Schneidewin). 197
φρεσι πενκαλίμησιν θ 366, £ Ί 6 5 , Ο 81, Υ 35; πνκινάς φρένας Ξ 294. Λ 103, Ρ 83, 499, 573; der einzige Odysseebeleg findet sich in dem bereits von Aristarch athetierten Verspaar δ 661-2 = A 103-4; zur Unterstützung der Athctese vgl. St. West in Η WH zu δ 661-2. 198
2.5. ψρενας ένδον έίσας
99
Instrumentalis 1 9 9 . Als Belege für die von TREU angenommene Ausdrucksweise kön-
nen aus der Odyssee allein die Adjektive άρτίφρων (nur ω 261) und χαλίφρων^® angeführt werden, όφτίφρυ/ν ist wahrscheinlich verbales Rektionskompositum zur Wurzel ά ρ , wobei eine intransitive Bedeutung des Vordergliedes anzunehmen ist: "gut gefügt" (C. Calame a.a.O. 212-3). Diese Verbindung ist auf die Grundvorstellung zurückzuführen, "daß die φρένες fest z u s a m m e n h a l t e n " 2 0 ' ; χαλίφρων läftt sich als Antonym dazu auffassen (C. Calame a.a.O. 215, Anm. 32). Obwohl also einigen wenigen Odysseewendungen die Vorstellung einer materiellen Qualität der φρένες (im Sinne eines psychischen Organs) zugrunde liegt, bleibt doch festzuhalten, daß im jüngeren Epos entsprechende Ausdrücke auf die φρένες selbst nie angewandt werden. Diese Eigenart scheint mir dagegenzusprechen, in der auf die Odyssee beschränkten
Wendung φρένας ένδον έίσας eine materielle Qualifizierung zu sehen.
Außerdem verweist TREU auf Simonides fr. 542, 1-3 P.: ανδρ' άγαϋόν μεν άλαϋέως γενέσϋαι χαλεπόν χερσίν τε και ποσί και νόω τετράγωνον ϊχνεν ψόγου τετνγμένον, wo geistige Vollkommenheit ebenfalls durch einen Begriff verdeutlicht wird, der eigentlich äußeres Gleichmaß beschreibt. Hierbei ist freilich zu beachten, daß bei Simonides τετράγωνον nicht allein auf νόω, sondern auch auf die Körperteile χερσίν und ποσί bezogen wird. TREUs Hinweis auf lateinisch Quadratus ist nicht hilfreich; denn wenn sich das Adjektiv auf Menschen bezieht, so betrifft es laut OLD nur den Körperbau 202 . Im Gegensatz zu TREU sehen AHC a.a.O. und LfgrE a.a.O. als unmittelbares Vorbild für die Wendung die häufige Verbindung von νηνς und ει σος (9x Ilias, Юх Odyssee). Für diese Annahme spricht, daß die Verbindung gerade im Akkusativ Plural νηας έίσας, der wie φρένας ενόον έίσας immer am Versende steht, besonders häufig vorkommt ( l l x ) . Unter den übrigen Verbindungen mit εισος finden sich nur zwei Stellen im Akkusativ Plural 203 , νηας έίσας hebt an Schiffen zunächst die "Ausgewogenheit" hervor (so bezeichnete Schiffe haben also keine Schlagseite). Eine Stelle wie ε 175 macht deutlich, daß damit auch ein materieller Aspekt des Schiffes, seine gleichmäßige
199 Vgl. L f g r E Bd. I, Sp. 1179, 68-77 (H. Vos - Ε. M . Voigt), mit gutem Hinweis auf Μ 105. С. Calames Paraphrase (MH 34 [1977], 214): "dessen φρένες nicht vollkommen dicht zusammenhalten" ist ungenau.
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