Europäisches Unternehmens- und Kapitalmarktrecht: Grundlagen, Stand und Entwicklung nebst Texten und Materialien [5th rev. ed.] 9783110269369, 9783899490565

European company law has been significantly further developed in the past few years: regulations on the European company

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Table of contents :
Verzeichnis häufig zitierter Kommentare, Handbücher, Lehrbücher und Monographien
Abkürzungsverzeichnis
1. Teil: Das Europäische Unternehmens- und Kapitalmarktrecht
1. Kapitel: Grundlagen
§ 1 Überblick
I. Die Bedeutung des Europäischen Unternehmensrechts
II. Der Begriff des Europäischen Unternehmensrechts
III. Die Texte
IV. Rechtsentwicklung
§ 2 Die Rechtsgrundlagen der Europäisierung des Unternehmensrechts, insbesondere die Rechtsangleichung
I. Rechtsangleichung, nicht Rechtsvereinheitlichung
II. Grundlagen der Rechtsangleichung
1. Art. 50 Abs. 2 lit. g AEU
2. Art. 114 AEU
3. Art. 352 AEU
4. Art. 288 Abs. 5 AEU
III. Problemlösung durch Staatsvertrag
§ 3 Instrumente und Folgen europäischer Rechtsetzung
I. Anwendungsvorrang des Unionsrechts
II. Verordnungen
1. Rechtswirkungen
2. Folgen für den nationalen Gesetzgeber
III. Richtlinien
1. Die Umsetzung der Richtlinie in nationales Recht
2. Verletzung der Pflicht zur Umsetzung
3. Rechtspflicht zum stand still und spätere Abweichungen des nationalen Gesetzgebers
4. Die Vorwirkung von Richtlinien
5. Rechtsangleichung und strengere Lösungen des nationalen Rechts
6. Die Bedeutung der Richtlinien für das Verständnis der zu ihrer Umsetzung erlassenen Gesetze
7. Zur Auslegung des angeglichenen nationalen Rechts
8. Die Funktion des EuGH bei der Umsetzung und Anwendung der Richtlinien
9. Die überschießende Umsetzung von Richtlinien
10. Zusammenfassung
IV. (Staatengerichtete) Beschlüsse
V. Empfehlungen
VI. Exkurs: Delegierte Rechtssetzung und Komitologieverfahren
1. Delegierte Rechtssetzung nach Art. 202 EG
2. Neuordnung in Art. 290, 291 AEU
VII. Das Zusammenwirken von EuGH und nationalen Gerichten bei der Anwendung des europäischen Rechts
1. Überblick
2. Vorlagerecht und Vorlagepflicht
3. Folgepflicht
2. Kapitel: Stand und Realität des Europäischen Unternehmensrechts
§ 4 Die Niederlassungsfreiheit
I. Gründungsfreiheit
II. Wahlfreiheit
III. Beteiligungsfreiheit
IV. Diskriminierungsverbot
V. Gleichstellung von natürlichen Personen mit Gesellschaften im Rahmen der Niederlassungsfreiheit
1. Unmittelbare Niederlassung von Gesellschaften (Einrichtung von Agenturen und Zweigniederlassungen)
2. Mittelbare Niederlassung von Gesellschaften durch Gründung von Tochtergesellschaften
3. Mittelbare Niederlassung durch Beteiligung an anderen Gesellschaften
4. Sitzverlegung von Gesellschaften über die Grenze
5. Verschmelzung von Gesellschaften über die Grenze
6. Einbringung von Aktiva (und Passiva) über die Grenze
7. VI. Zusammenfassung
§ 5 Die Anerkennung von Gesellschaften in Europa
§ 6 Die grenzüberschreitende Mobilität und Umstrukturierung von Gesellschaften in der EU und dem EWR
I. Überblick
II. Hintergrund: Mangelnde Harmonisierung des Internationalen Gesellschaftsrechts
III. Bisherige legislatorische (Harmonisierungs-)Bemühungen
1. Übereinkommen auf der Basis von Art. 220 EWG/293 EG a.F.
2. Sitzverlegungsrichtlinie
3. Grenzüberschreitende Sitzverlegung bei den europäischen Gesellschaftsformen
IV. Die Entwicklung der EuGH-Judikatur von Daily Mail bis Cartesio
1. Daily Mail (1988)
2. Centros (1999)
3. Überseering (2002)
4. Inspire Art (2003)
5. Sevic (2005)
6. Cartesio (2008)
7. VALE (2011?)
V. Konsequenzen für die (Anerkennung und) Mobilität von Gesellschaften in Europa: der status quo
1. Sitzverlegung
2. Grenzüberschreitende Verschmelzung
3. Grenzüberschreitende Spaltung
4. Resümee
VI. Ausblick
1. Fortführung der EuGH-Rechtsprechung
2. Sitzverlegungs-RL?
3. Harmonisierung des Internationalen Gesellschaftsrechts?
4. Weitere rechtspolitische Desiderata
§ 7 Die handelsrechtliche Publizität in Europa
I. Handelsregisterpublizität
II. Die Rechnungslegungspublizität
§ 8 Das harmonisierte „europäisierte“ Recht der (nationalen) AG in Europa
I. Überblick
1. Modernisierung durch Angleichung
2. Unterschiedliche Wirkungen durch unterschiedliche Fakten
II. Die Gründung der Aktiengesellschaft
1. Satzung
2. Gründungspublizität
III. Nichtigkeit
IV. Satzungsänderung
V. Das Grundkapital
1. Überblick
2. Ziffer des Kapitals
3. Die reale Kapitalaufbringung
4. Kapitalerhaltung
5. Der Erwerb eigener Aktien
6. Die Kapitalerhöhung
7. Kapitalherabsetzung und Einziehung
VI. Persönliche Haftung / Trennungsprinzip
VII. Vertretung der Aktiengesellschaft und Schutz der Vertragspartner
VIII. Verschmelzung und Spaltung
1. Überblick
2. Die (nationale) Verschmelzung
3. Die Spaltung 1
4. Internationale Verschmelzung
IX. Die Mitgliedschaft (Aktie) und die Ausübung der Aktionärsrechte
1. Überblick
2. Einzelne in den Richtlinien angesprochene Rechte und Pflichten
3. Rechte in der Hauptversammlung
4. Die Aktie und ihre Ausgestaltung
X. Übernahmeangebote
§ 9 Die bislang (noch) nicht harmonisierten (nicht „europäisierten“) Teile der nationalen Aktienrechte
I. Organe und Organzuständigkeiten in der AG
II. Liquidation
III. Identitätswahrender Rechtsformwechsel
IV. Verbundene Unternehmen und Konzerne
§ 10 Die handelsrechtliche Rechnungslegung, Prüfung und Publizität in Europa
I. Überblick
II. Der Zustand heute
III. Rechtsformübergreifender Ansatz und Einteilung in Größenklassen
IV. Die Reformen im 21. Jahrhundert und ihre Auswirkungen
1. Fair Value-Richtlinie
2. IFRS-VO
3. Modernisierungs-RL
4. Die Abschlussprüfer-RL 2006/43/EG
5. Änderungs-RL 2006/46/EG
6. Umsetzung in Deutschland
V. Heutige Gesamtsituation aus deutscher Perspektive
VI. Weitere Reformbestrebungen
§ 11 Die GmbH in Europa
I. Überblick
II. Die „Europäisierung“ der GmbH
III. Übersicht: AG und GmbH im EU/EWR-Raum
1. EU-Mitgliedstaaten
2. EWR-Mitgliedstaaten
§ 12 Die Einpersonen-Kapitalgesellschaft in Europa (insbesondere: Einpersonen-GmbH)
I. Überblick
II. Einzelheiten
1. Zwei Lösungen für die GmbH
2. Einpersonen-Aktiengesellschaft
III. Zusammenfassung
§ 13 Mitbestimmung und unternehmensrechtlich relevante Arbeitnehmerrechte in Europa
I. Die Problematik der Mitbestimmung
II. Das Mitbestimmungsmodell von SE-VO, SCE-VO und 10. RL
1. Überblick
2. Die Lösung der unternehmerischen Mitbestimmung in der SE
3. Das SE-Modell als Basismodell für andere europäische Rechtsakte
III. Informationsrechte
1. Betriebsübergangs-RL
2. EBR-RL
3. Rahmen-RL 2002/14/EG
IV. Übergang der Arbeitsverhältnisse
V. Zusammenfassung und Ausblick
§ 14 Europäische Rechtsformen
I. Überblick
II. Die EWIV
III. Die Europäische Aktiengesellschaft (Societas Europaea – SE)
IV. Die Europäische Genossenschaft (Societas Cooperativa Europaea - SCE)
V. Die Europäische Privatgesellschaft (Societas Privata Europaea – SPE)
VI. Weitere Europäische Rechtsformen
§ 15 „Goldene Aktien“ („Golden Shares“)
I. Einleitung
II. Gestaltungsvarianten
III. „Goldene Aktien“ als Beschränkungen der Kapitalverkehrsund/oder der Niederlassungsfreiheit
1. Abgrenzung und Verhältnis von Kapitalverkehrs- und Niederlassungsfreiheit
2. Nationale Maßnahme
3. Beschränkung
4. Keine Berufung auf die Eigentumsordnung
IV. Rechtfertigungsgründe
1. Öffentliche Sicherheit (Art. 52 Abs. 1, 65 Abs. 1 lit. b AEU)
2. Art. 106 Abs. 2 AEU
3. Zwingende Gründe des Allgemeininteresses
4. Verhältnismäßigkeit
V. Ausblick: Kontrolle des gesamten nationalen Gesellschaftsrechts am Maßstab der Kapitalverkehrs- und Niederlassungsfreiheit?
§ 16 Europäisches Insolvenzrecht: Die EuInsVO
I. Überblick
II. Anwendungsbereich
III. Internationale Zuständigkeit
1. Hauptinsolvenzverfahren (Art. 3 Abs. 1)
2. Partikularinsolvenzverfahren
3. Annexzuständigkeiten (Art. 3 EuInsVO analog)
IV. Anwendbares Recht
1. Grundsatz: lex fori concursus
2. Sonderanknüpfungen
V. Gegenseitige Anerkennung von Insolvenzverfahren
1. Anerkennung und Wirkungen der Eröffnungsentscheidung
2. Anerkennung und Vollstreckung sonstiger Entscheidungen (Art. 25)
3. Ordre public-Vorbehalt (Art. 26)
VI. Sekundärinsolvenzverfahren (Art. 27-38)
1. Verfahrenseröffnung und anwendbares Recht
2. Koordinierung von Haupt- und Sekundärinsolvenzverfahren
VII. Unterrichtung der Gläubiger und Anmeldung ihrer Forderungen
VIII. Fundstellenverzeichnis
3. Kapitel: Europäisches Kapitalmarktrecht
§ 17 Kapitalmarktrecht in der EU und dem EWR
I. Einführung
1. Überblick
2. Der Europäische Kapitalmarkt
3. Das Europäisches Kapitalmarktrecht
4. Kapitalmarktrecht und Gesellschaftsrecht
5. Beschleunigte Rechtsetzung im Europäischen Kapitalmarktrecht durch das Lamfalussy-Verfahren
II. Überblick über die europäische Kapitalmarktinfrastruktur
1. Einführung
2. Kapitalmarktprodukte
3. Handelsplätze
4. Handelssysteme
5. Marktteilnehmer
III. Das Europäische Markteintrittsrecht
1. Die Bedeutung des Prospekts
2. Historischer Überblick
3. Vorgaben der Prospekt-RL
IV. Das Europäische Kapitalmarktverhaltensrecht
1. Überblick
2. Das europäische Marktmissbrauchsverbot
3. Die europäischen Publizitätspflichten
V. Die europäische Regulierung der Finanzintermediäre: Wertpapierdienstleistungsunternehmen und Investmentfonds
1. Wertpapierdienstleistungsunternehmen („Wertpapierfirmen“)
2. Investmentfonds
VI. Die europäische Regulierung der Informationsintermediäre: Ratingagenturen
1. Die Genese der Rating-VO
2. Geltungsbereich
3. Regulatorische Anforderungen nach der Rating-VO
4. Bewertung, Kritik und Ausblick
VII. Kapitalmarktaufsicht im Europäischen Finanzaufsichtssystem (ESFS)
1. Entwicklungsgeschichte
2. Das Europäische Finanzaufsichtssystem (ESFS) im Überblick
3. Die Makroaufsicht durch den Europäischen Ausschuss für Systemrisiken (ESRB)
4. Mikroaufsicht durch die ESA und nationalen Aufsichtsbehörden
5. Evalution des ESFS
VIII. Ausblick
1. Das Programm der Kommission für eine umfassende Reform der europäischen Finanzmarktregulierung
2. Resümee
4. Kapitel: Perspektiven des Europäischen Unternehmensrechts
§ 18 Der Aktionsplan der Kommission aus dem Jahr 2003 – Inhalt, Umsetzung und Perspektiven der weiteren Entwicklung des Europäischen Gesellschaftsrechts
I. Einführung und Überblick
II. Der Aktionsplan 2003 im Überblick
III. Maßnahmen im Bereich der Corporate Governance und ihre Realisierung
1. Allgemeiner Ansatz
2. Einzelmaßnahmen
3. Fortentwicklung und neue Vorschläge in den Grünbüchern 2010 und 2011 und dem Entwurf für eine CRD IV-RL
IV. Die Maßnahmen im Bereich des sonstigen Gesellschaftsrechts und ihre Realisierung
1. Kapitalerhaltung und -änderung
2. Unternehmensgruppen und -pyramiden
3. Umstrukturierung
4. EU-Rechtsformen
5. Transparenz nationaler Rechtsformen
V. Resümee zum Aktionsplan 2003
VI. Ausblick: Die Vorschläge der Reflection Group als Auftakt für eine neue Reformphase
1. Reflection Group und EU Company Law Conference 2011 als Auftakt für eine neue Reformphase
2. Die Vorschläge der Reflection Group
3. Fazit und Perspektiven für die Zukunft
VII. Fundstellenverzeichnis
2. Teil: Texte mit Erläuterungen zum Unternehmens- und Kapitalmarktrecht in Europa
1. Kapitel: Gesellschaftsrechtliche Richtlinien
§ 19 Die Publizitätsrichtlinie (1. Richtlinie)
I. Überblick
II. Anwendungsbereich
III. Wesentlicher Inhalt
1. Handelsrechtliche Publizität
2. Gültigkeit der von der Gesellschaft eingegangenen Verpflichtungen gegenüber Dritten
3. Nichtigkeit und Vernichtbarkeit von Gesellschaften (Art. 11–13)
IV. Fundstellenverzeichnis
Text der 1. (Publizitäts-)RL (RL 2009/101/EG)
§ 20 Die Kapitalrichtlinie (2. Richtlinie)
I. Überblick
1. Inhalt und Grundgedanken im Überblick
2. Änderungs-Richtlinien
3. Umsetzung in Deutschland
II. Anwendungsbereich
III. Wesentlicher Inhalt
1. Regelung betreffend die Gründung der Aktiengesellschaft (Art. 2-5)
2. Grundkapital
3. Kapitalaufbringung
4. Kapitalerhaltung
5. Kapitaländerungen (Art. 25-40)
6. Abweichungsmöglichkeiten gem. Art. 41
7. Das Gleichbehandlungsgebot als Leitmotiv, Art. 42
IV. Reformdebatte
V. Fundstellenverzeichnis
Text der 2. (Kapital-)RL (RL 77/91/EWG)
§ 21 Die Fusionsrichtlinie (3. Richtlinie)
I. Überblick
II. Anwendungsbereich
III. Erfasste Verschmelzungsvorgänge (Art. 2–4)
1. Art. 2: Regelungsauftrag
2. Verschmelzung durch Aufnahme und durch Neugründung (Art. 3 und 4)
3. Sonderfall: Liquidationsgesellschaften (Art. 3 Abs. 2, Art. 4 Abs. 2)
4. Fusionsähnliche Vorgänge (Art. 31)
IV. Das Verschmelzungsverfahren bei der Verschmelzung durch Aufnahme (Kapitel III, Art. 5-22)
1. Überblick
2. Der Verschmelzungsplan und seine Offenlegung (Art. 5 f.)
3. Verschmelzungsbericht (Art. 9)
4. Verschmelzungsprüfung (Art. 10)
5. Verschmelzungsbeschlüsse
6. Rechtmäßigkeitskontrolle, Wirksamwerden und Offenlegung
V. Rechtsfolgen der Verschmelzung (Art. 19)
1. Universalsukzession (Gesamtrechtsnachfolge) (Art. 19 Abs. 1 lit. a)
2. „Aktientausch“ (Art. 19 Abs. 1 lit. b)
3. Erlöschen der übertragenden Gesellschaft(en) (Art. 19 Abs. 1 lit. c)
4. Umsetzung im deutschen Recht
VI. Nichtigkeit und Bestandsschutz (Art. 22)
VII. Haftungsvorschriften (Art. 20, 21)
VIII. Schutz der (Minderheits-)Aktionäre, Arbeitnehmer und Gläubiger
1. Schutz der (Minderheits-)Aktionäre
2. Schutz der Arbeitnehmer (Art. 12)
3. Schutz der Gläubiger (Art. 13-15)
IX. Verschmelzung durch Neugründung (Kapitel IV, Art. 23)
X. Konzernverschmelzungen (Art. 24-31)
1. Verschmelzung einer 100 %igen Tochter (Art. 24-26)
2. Verschmelzung einer mindestens 90 %igen Tochter (Art. 27-29)
XI. Fundstellenverzeichnis
Text der 3. (Fusions-)RL (RL 2011/35/EU)
§ 22 Die Spaltungsrichtlinie (6. Richtlinie)
I. Überblick
II. Anwendungsbereich
III. Erfasste Spaltungsvorgänge
1. Spaltung durch Übernahme und Spaltung durch Gründung neuer Gesellschaften
2. Verhältniswahrende und nicht-verhältniswahrende Spaltungen
3. Sonderfall: Liquidationsgesellschaften (Art. 2 Abs. 2, 21 Abs. 2)
4. Sonderfall: Spaltung ohne Auflösung der gespaltenen Gesellschaft (Art. 25)
5. Umsetzung in Deutschland
IV. Das Verfahren bei der Spaltung durch Übernahme
1. Überblick
2. Der Spaltungsplan und seine Offenlegung (Art. 3 f.)
3. Spaltungsbericht (Art. 7)
4. Spaltungsprüfung (Art. 8)
5. Spaltungsbeschlüsse
6. Rechtmäßigkeitskontrolle, Wirksamwerden und Offenlegung
V. Rechtsfolgen der Spaltung (Art. 17)
1. (Partielle) Universalsukzession (Art. 17 Abs. 1 lit. a)
2. „Aktientausch“ (Art. 17 Abs. 1 lit. b)
3. Erlöschen der gespaltenen Gesellschaft (Art. 17 Abs. 1 lit. c)
4. Umsetzung im deutschen Recht
VI. Nichtigkeit und Bestandsschutz (Art. 19)
VII. Haftungsvorschriften (Art. 18)
VIII. Schutz der (Minderheits-)Aktionäre, Arbeitnehmer und Gläubiger
1. Schutz der (Minderheits-)Aktionäre
2. Schutz der Arbeitnehmer (Art. 11)
3. Schutz der Gläubiger (Art. 12 f.)
IX. Spaltung durch Gründung neuer Gesellschaften
X. Konzernspaltung (Art. 20)
XI. Spaltung unter Aufsicht eines Gerichts (Art. 23)
1. Hintergrund der Sonderregelung
2. Befugnis des Gerichts zur Befreiung von bestimmten verfahrensrechtlichen Anforderungen (Art. 23)
3. Spezielle Mitgliedstaatenoption bezüglich des Gläubigerschutzes (Art. 12 Abs. 3 S. 3)
4. Keine Umsetzung in Deutschland
XII. Fundstellenverzeichnis
Text der 6. (Spaltungs-)RL (RL 82/891/EWG)
§ 23 Die internationale Fusionsrichtlinie (10. Richtlinie)
I. Überblick
II. Anwendungsbereich
1. Grenzüberschreitende Verschmelzung von EU-/EWR- Kapitalgesellschaften
2. Limitierung der zulässigen Verschmelzungskombinationen (Art. 4 Abs. 1 lit. a)
3. Umsetzung in Deutschland
III. Grundkonzeption
IV. Das Verschmelzungsverfahren im Einzelnen
1. Der Verschmelzungsplan und seine Offenlegung
2. Verschmelzungsbericht (Art. 7)
3. Verschmelzungsprüfung (Art. 8)
4. Verschmelzungsbeschlüsse (Art. 9)
5. Rechtmäßigkeitskontrolle, Wirksamwerden und Offenlegung
V. Rechtsfolgen der Verschmelzung (Art. 14)
1. Universalsukzession (Art. 14 Abs. 1 lit. a, Abs. 2 lit. a)
2. „Anteilstausch“ (Art. 14 Abs. 1 lit. b, Abs. 2 lit. b)
3. Erlöschen der übertragenden bzw. sich verschmelzenden Gesellschaft(en) (Art. 14 Abs. 1 lit. c, Abs. 2 lit. c)
4. Deutsches Recht
VI. Bestandsschutz (Art. 17)
VII. Haftung der Organe und Sachverständigen
VIII. Konzernverschmelzungen (Art. 15)
1. Verschmelzung einer 100%igen Tochter (Art. 15 Abs. 1)
2. Verschmelzung einer mindestens 90%igen Tochter
3. Deutsches Recht
IX. Schutz der (Minderheits-)Gesellschafter und Gläubiger
1. Schutz der (Minderheits-)Gesellschafter (Art. 4 Abs. 2 S. 2)
2. Schutz der Gläubiger
X. Einspruchsrecht zum Schutz öffentlicher Interessen (Art. 4 Abs. 1 lit. b S. 2)
XI. Beteiligung der Arbeitnehmer (Art. 16)
1. Betriebliche Mitbestimmung
2. Unternehmerische Mitbestimmung
3. Deutsches Recht
XII. Fundstellenverzeichnis
Text der 10. RL (RL 2005/56/EG)
§ 24 Die Jahresabschluss-(Bilanz-)Richtlinie (4. Richtlinie)
I. Überblick
II. Inhalt
1. Größenspezifische Unterschiede
2. Gliederung, Bilanzierungsgrundsätze und Bewertung
3. Prüfung
4. Publizität
III. Fundstellenverzeichnis
Text der 4. (Bilanz-)RL (RL 78/660/EWG)
§ 25 Die Konzernbilanzrichtlinie (7. Richtlinie)
I. Überblick
II. Die 7. (Konzernbilanz-)RL und die IFRS
III. Inhalt der Richtlinie
1. Voraussetzungen der Konsolidierungspflicht
2. Bestandteile sowie Art und Weise der Konzernrechnungslegung
3. Prüfung
4. Publizität
IV. Fundstellenverzeichnis
Text der 7. (Konzernbilanz-)RL (RL 83/349/EWG)
§ 26 Die IFRS-Verordnung
I. Entstehung und Entwicklung
II. Konzernbilanz nach IAS/IFRS
III. Verfahren der Übernahme und Anwendung der IAS/IFRS
IV. Bilanzierung nach fair value
V. Exkurs: IFRS für KMU?
VI. Fundstellenverzeichnis
Text der IFRS-VO (VO 1606/2002)
§ 27 Die Abschlussprüferrichtlinie
I. Überblick
II. Inhalt
1. Grundkonzept: Fortführung und Ausbau der Harmonisierung im Bereich Abschlussprüfung
2. Die wichtigsten Neuerungen im Einzelnen
III. Reformpläne: Das Grünbuch vom 13.10.2010
IV. Fundstellenverzeichnis
Text der Abschlussprüfer-RL (RL 2006/43/EG)
§ 28 Die Zweigniederlassungsrichtlinie (11. Richtlinie)
I. Überblick
II. Anwendungsbereich
1. Zweigniederlassungen ausländischer Kapitalgesellschaften im EU/EWR-Gebiet (Art. 1 Abs. 1, 7 Abs. 1)
2. Beschränkung auf registerrechtliche Offenlegungspflichten
III. Offenlegungspflichten
1. Regelungskonzeption
2. Publizitätsobjekte
3. Publizitätsinstrumente
4. Sprachenregime
5. Publizitätswirkungen
6. Publizitätsverpflichtete
7. Änderungen im Zuge der geplanten Verknüpfung der Unternehmensregister
IV. Sanktionen
V. Fundstellenverzeichnis
Text der 11. (Zweigniederlassungs-)RL (RL 89/666/EWG)
§ 29 Die Einpersonengesellschaftsrichtlinie (12. Richtlinie)
I. Überblick
II. Anwendungsbereich
III. Reichweite des Gebots der Zulassung der Einpersonengesellschaft
1. Originäre und „nachträgliche“ Einpersonengesellschaft (Art. 2 Abs. 1)
2. Alternative: Einpersonen-Unternehmen mit beschränkter Haftung (Art. 7)
3. Zulässige Einschränkungen
IV. Spezielle Schutznormen
1. Publizität der „nachträglichen“ Einpersonengesellschaft (Art. 3)
2. Beschlussfassung in der Einpersonengesellschaft (Art. 4)
3. Insichgeschäfte (Art. 5)
V. Fundstellenverzeichnis
Text der 12. (Einpersonengesellschafts-)RL (RL 2009/102/EG)
§ 30 Die Übernahmerichtlinie (13. Richtlinie)
I. Überblick
II. Anwendungsbereich (Art. 1)
III. Allgemeine Grundsätze (Art. 3)
IV. Prinzipielle Mindest-, aber partielle Maximalharmonisierung
V. Aufsichtsstelle und anwendbares Recht (Art. 4)
1. Aufsichtsstelle (Art. 4 Abs. 1)
2. Zuständigkeitsverteilung und anwendbares Recht (Art. 4 Abs. 2)
VI. Pflichtangebot (Art. 5)
1. Ratio
2. Auslösungstatbestand: Kontrollerlangung
3. Inhalt des Pflichtangebots
VII. Verfahrens- und Transparenzvorschriften (Art. 6-8, 13 f.)
1. Information über Angebote (Art. 6)
2. Annahmefrist (Art. 7)
3. 3. Bekanntmachung (Art. 8)
4. Weitere Verfahrensregeln (Art. 13)
5. Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmervertreter (Art. 14)
VIII. Zulässigkeitsrahmen für Abwehrmaßnahmen und Transparenz für Aktionäre und Kapitalmarkt (Art. 9-12)
1. Hintergründe und Grundstruktur der Regelung
2. Neutralitätspflicht, Durchbrechungsregel und „Optionsmodell“
3. Transparenz für Aktionäre und Kapitalmarkt
IX. Squeeze-out und Sell-out (Art. 15 f.)
1. Hintergründe, ratio und Grundstruktur
2. Squeeze-out (Art. 15)
3. Sell-out (Art. 16)
X. Sanktionen (Art. 17)
XI. Fundstellenverzeichnis
Text der Übernahme-RL (RL 2004/25/EG)
§ 31 Die Aktionärsrechterichtlinie
I. Überblick
II. Anwendungsbereich
1. Rechte der Stimmrechtsaktionäre börsennotierter Gesellschaften (Art. 1 Abs. 1)
2. Keine autonome Definition der Aktionärseigenschaft
3. Ausnahmeoptionen für die Mitgliedstaaten (Art. 1 Abs. 3)
III. Mindestcharakter (Art. 3)
IV. Leitmotiv: Gleichbehandlung der Aktionäre
V. Mindeststandards für Hauptversammlungen
1. Einberufung der Hauptversammlung (Art. 5 und 6)
2. Voraussetzungen für dem Zugang zur Hauptversammlung (Art. 7)
3. Teilnahme und Stimmrechtsausübung „in absentia“
4. Fragerecht (Art. 9)
5. Stimmrechtsvertretung (Art. 10, 11)
6. Beseitigung bestimmter Hemmnisse betreffend Intermediäre
7. Feststellung und Veröffentlichung der Abstimmungsergebnisse (Art. 14)
VI. Fundstellenverzeichnis
Text der Aktionsrechte-RL (RL 2007/36/EG)
§ 32 Das Projekt einer Sitzverlegungsrichtlinie (14. Richtlinie)
I. Überblick
II. Der Vorentwurf von 1997
1. Hintergrund
2. Wesentlicher Inhalt
3. Reaktionen in Praxis und Schrifttum
III. Weitere Entwicklung
1. Aktionsplan 2003, Konsultation 2004 und Impact Assessment 2007
2. Die Entschließung des Europäischen Parlaments vom März 2009
3. Die Thesen des Arbeitskreises Europäisches Unternehmensrecht vom Januar 2011
4. Der Bericht der Reflection Group
IV. Ausblick
V. Fundstellenverzeichnis
Anhang
Vorentwurf eines Richtlinienvorschlags zur Verlegung des Gesellschaftssitzes innerhalb der EU (Dok. XV/6002/97)
2. Kapitel: Kapitalmarktrechtliche Rechtsakte
§ 33 Die MiFID
I. Überblick
II. Inhalt
1. Anwendungsbereich
2. Zulassung von Wertpapierfirmen
3. Wohlverhaltensregeln
4. Rechte von Wertpapierfirmen
5. Geregelte Märkte
6. Behördenzuständigkeit und -kooperation
III. Umsetzung in Deutschland
IV. Fundstellenverzeichnis
Text der MiFID (RL 2004/39/EG)
§ 34 Die Prospektrichtlinie
I. Überblick
II. Inhalt
1. Anwendungsbereich
2. Prospektpflicht
3. Anforderungen an den Prospekt
4. Gültigkeit des Prospekts
5. Europäischer Pass
6. Sprachenregelung
7. Emittenten aus Drittstaaten
8. Aufsichtsbehörden
9. Prospekthaftung
III. Umsetzung in Deutschland
IV. Fundstellenverzeichnis
Text der Prospekt-RL (RL 2003/71/EG)
§ 35 Die Marktmissbrauchsrichtlinie (Market Abuse Directive - MAD)
I. Überblick
II. Inhalt
1. Anwendungsbereich
2. Die beiden Varianten des Verbots des Marktmissbrauchs
3. Kontrollmechanismen
4. Ad-hoc-Publizität und Regelung zu directors' dealings als Präventionsinstrumente
5. Sanktionen
III. Umsetzung in Deutschland
IV. Fundstellenverzeichnis
Text der MAD (RL 2003/6/EG)
§ 36 Die Transparenzrichtlinie
I. Überblick
II. Inhalt
1. Anwendungsbereich
2. Herkunftslandprinzip und Mindestharmonisierung
3. Publizitätskomplexe
4. Publizitätsmodalitäten
5. Emittenten aus Drittstaaten (Art. 23)
6. Zuständige Behörden
7. Sanktionen und Rechtsschutz
III. Umsetzung in Deutschland
IV. Fundstellenverzeichnis
Text der Transparenz-RL (RL 2004/109/EG)
§ 37 Die ESMA-Verordnung
I. Überblick
II. Inhalt
1. Errichtung und Rechtsstellung der ESMA
2. Aufgaben und Befugnisse der ESMA
3. Organisation
4. Gemeinsame Gremien der ESA
5. Rechtsbehelfe
6. Finanzvorschriften und allgemeine Bestimmungen
III. Fundstellenverzeichnis
Text der ESMA-VO (VO 1095/2010)
3. Kapitel: Arbeitnehmerrichtlinien
§ 38 Die Betriebsübergangsrichtlinie
I. Überblick
II. Wesentlicher Inhalt
1. Überblick
2. Anwendungsbereich
3. Tatbestand des Betriebsübergangs
4. Rechtsfolgen
III. Fundstellenverzeichnis
Text der Betriebsübergangs-RL (RL 2001/23/EG)
§ 39 Die Richtlinie über den Europäischen Betriebsrat
I. Überblick und Entstehungsgeschichte
II. Wesentlicher Inhalt der RL
1. Überblick
2. Anwendungs- und Regelungsbereich
3. Verhandlungsverfahren
4. Auffanglösung
5. Sonstige Bestimmungen
III. Fundstellenverzeichnis
Text der EBR-RL (RL 2009/38/EG)
4. Kapitel: Europäische Rechtsformen
§ 40 Die Europäische Wirtschaftliche Interessenvereinigung (EWIV)
I. Überblick
II. Anwendbares Recht
III. Rechtsnatur
IV. Zweck
1. Zweckbeschränkung
2. Kooperationszweck (Art. 3 Abs. 1)
3. Ausdrückliche Verbote (Art. 3 Abs. 2)
4. Kapitalmarktsperre (Art. 23)
5. Sanktionen
V. Sitz
1. Sitzfestlegung (Art. 12)
2. Sitzverlegung (Art. 13 und 14)
VI. Gründung
1. Überblick
2. Gründungsvertrag
3. Registereintragung
4. Gründungspublizität
5. Handelndenhaftung (Art. 9 Abs. 2)
VII. Publizität
1. Publizitätsinstrumente
2. Publizitätsobjekte
3. Publizitätswirkungen
VIII. Organisationsverfassung
1. Überblick
2. Die gemeinschaftlich handelnden Mitglieder
3. Geschäftsführer
4. Fakultative Organe
IX. Mitgliedschaft
1. Mitgliederkreis und -zahl (Art. 4)
2. Rechte und Pflichten der Mitglieder
3. Veränderungen im Mitgliederkreis
X. Finanzverfassung
XI. Haftungsverfassung
1. Haftung der EWIV
2. Haftung der Mitglieder
XII. Nichtigkeit, Auflösung, Abwicklung und Insolvenz
1. Nichtigkeit (Art. 15)
2. Auflösung
3. Abwicklung (Liquidation)
4. Insolvenz
XIII. Steuerrecht
XIV. Fundstellenverzeichnis
Text der EWIV-VO (VO 2137/85)
§ 41 Die Europäische Aktiengesellschaft (Societas Europaea - SE)
I. Einleitung
1. Eine kurze Skizze zur (un)endlichen Geschichte der SE
2. Umsetzung in Deutschland
3. Erste praktische Erfahrungen mit der SE
II. Allgemeine Charakteristika der SE
1. Rechtsnatur
2. Firma und Rechtsformzusatz
3. Sitz
4. Publizität
III. Das auf die SE anwendbare Recht
1. Die SE-VO als Rahmenregelung
2. Regelungsbereich der SE-VO
3. Die Verweisungssystematik der SE-VO
IV. Gründung der SE
1. Grundkonzeption des numerus clausus der Gründungsvarianten
2. Die Gründungsvarianten im Einzelnen
3. Haftung und Rechtsnatur im Gründungsstadium
V. Finanzverfassung
1. Grundlagen und Grundkonzeption
2. Mindestbetrag und Währung des Grundkapitals
3. Die Generalverweisungen in Art. 5 und Art. 15 Abs. 1 und die sich daraus ergebende Finanzverfassung der SE im Übrigen
4. Exkurs: Die börsennotierte SE
VI. Organisationsverfassung
1. Grundstruktur
2. Leitungsverfassung
3. Hauptversammlung
VII. Rechnungslegung
VIII. Reorganisation bestehender SE
1. Sitzverlegung
2. Verschmelzung
3. Spaltung 1
4. Formwechsel
5. Beteiligung an einer SE-Gründung
IX. Liquidation und Insolvenz
1. Auflösung, Liquidation, Zahlungseinstellung, etc
2. Insolvenz
X. Beteiligung der Arbeitnehmer
1. Allgemeines
2. Verhandlungsverfahren
3. Auffanglösung
4. Sonderfälle
5. Evaluation und Reformbedarf
XI. Steuerrecht
XII. Fundstellenverzeichnis
Text der SE-VO (VO 2157/2001)
Text der SE-RL (RL 2001/86/EG)
§ 42 Die Europäische Genossenschaft (Societas Cooperativa Europaea – SCE)
I. Überblick
II. Allgemeine Charakteristika der SCE
III. Das auf die SCE anwendbare Recht
IV. Satzung
V. Gründung einer SCE
1. Numerus clausus der Gründungsvarianten
2. Die einzelnen Gründungsvarianten im Überblick
3. Haftung und Rechtsnatur im Gründungsstadium
VI. Finanzverfassung
1. Grundkonzeption
2. Geschäftsanteile
3. Mindestkapital
4. Kapitalaufbringung
5. Kapitalveränderungen
6. Kapitalerhaltung
7. Wertpapiere und Schuldverschreibungen
8. Verwendung des Betriebsergebnisses
VII. Mitgliedschaft
1. Mitgliederkreis
2. Erwerb und Verlust der Mitgliedschaft
3. Rechte, Pflichten und Haftung der Mitglieder
VIII. Organisationsverfassung
1. Grundstruktur
2. Leitungsverfassung
3. Generalversammlung
IX. Rechnungslegung und genossenschaftliche Pflichtprüfung
X. Reorganisation bestehender SCE
1. Sitzverlegung
2. Verschmelzung, Spaltung, Formwechsel
XI. Liquidation und Insolvenz
XII. Beteiligung der Arbeitnehmer
XIII. Steuerrecht
XIV. Fundstellenverzeichnis
Text der SCE-VO (VO 1435/2003)
Text der SCE-RL (RL 2003/72/EG)
§ 43 Das Projekt der Europäischen Privatgesellschaft (Societas Privata Europaea - SPE)
I. Der steinige Weg zur SPE-VO
II. Motive für die Schaffung einer SPE als „kleine Schwester“ der SE
III. Allgemeine Charakteristika der SPE
1. Rechtsnatur
2. Firma und Rechtsformzusatz
3. Sitz
IV. Anwendbares Recht und Satzung der SPE
1. Grundkonzeption: „Vollstatut“, aber Flexibilität im Innenverhältnis
2. Regelungsbereich der SPE-VO
3. Die „Rechtsquellenpyramide“ des Art. 4
4. Insbesondere: Die Satzung der SPE
V. Gründung
1. Gründungsvarianten
2. Eintragung und Gründungspublizität
3. Exkurs: (Laufende) Publizität (Art. 9a, 10 Abs. 4, 11)
4. Haftung und Rechtsnatur im Gründungsstadium
VI. Geschäftsanteile und Mitgliedschaft
1. Terminologie und Dogmatik
2. Ausgestaltung der Geschäftsanteile
3. Gesellschafterverzeichnis (Art. 15)
4. Übertragung von Geschäftsanteilen (Art. 16)
5. Teilung, Zusammenlegung, Neudenominierung
6. . Austritt und Ausschluss von Gesellschaftern
7. Informationsrecht der Gesellschafter (Art. 29)
8. Gleichbehandlungsgebot
VII. Finanzverfassung
1. Währung des Stammkapitals
2. Mindestbetrag des Stammkapitals
3. Kapitalaufbringung (Art. 19 und 20)
4. Kapitalerhaltung
5. Kapitaländerungen
VIII. Organisationsverfassung
1. Grundkonzept: weitgehende Autonomie und Flexibilität
2. Gesellschafterversammlung
3. Geschäftsführungsorgan
4. Etwaiges Aufsichtsorgan
IX. Rechnungslegung
X. Reorganisation bestehender SPE
1. Satzungssitzverlegung
2. Formwechsel, Verschmelzung, Spaltung (Art. 40)
XI. Auflösung, Nichtigkeit und Insolvenz
1. Auflösung (Art. 41 Abs. 1, 3)
2. Liquidation, vorläufige Zahlungseinstellung etc
3. Insolvenz
4. Nichtigkeit
XII. Beteiligung der Arbeitnehmer
1. Die Mitbestimmungsfrage als „neuralgischer Punkt“
2. Grundstruktur der Regelungen zur Mitbestimmung in Art. 35-35d
3. Verhandlungsverfahren und Mitbestimmungsvereinbarung (Art. 35a-35c)
4. Auffanglösung (Art. 35d)
5. Unterrichtung und Anhörung, sonstige Arbeitnehmerrechte
XIII. Steuerrecht
XIV. Sanktionen (Art. 45)
XV. Fundstellenverzeichnis
Text des SPE-VOE-HU3 (Dok. 10611/11)
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Europäisches Unternehmens- und Kapitalmarktrecht: Grundlagen, Stand und Entwicklung nebst Texten und Materialien [5th rev. ed.]
 9783110269369, 9783899490565

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Europäisches Unternehmens- und Kapitalmarktrecht 5. Auflage ZGR-Sonderheft 1 · Teil 1

Begründet von Marcus Lutter und Herbert Wiedemann Herausgegeben von Holger Fleischer, Wulf Goette, Heribert Hirte, Peter Hommelhoff, Klaus J. Hopt, Gerd Krieger, Hanno Merkt, Hans-Joachim Priester, Marc Philippe Weller

Sonderheft 1 · Teil 1

De Gruyter

Grundlagen, Stand und Entwicklung nebst Texten und Materialien von Marcus Lutter, Walter Bayer, Jessica Schmidt

5., völlig neu bearbeitete und erweiterte Auflage

De Gruyter

Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Marcus Lutter, Universität Bonn; Prof. Dr. Walter Bayer, Universität Jena; Dr. Jessica Schmidt, LL.M., Universität Jena

Zitiervorschlag: Lutter/Bayer/J. Schmidt, EuropUR, 5. Aufl. 2012, § x Rn. y

ISBN 978-3-89949-056-5 e-ISBN 978-3-11-026936-9

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2012 Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, Berlin/Boston Datenkonvertierung/Satz: Werksatz Schmidt & Schulz GmbH, Gräfenhainichen ∞ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com

Vorwort Ein Europäisches Unternehmensrecht gibt es bei herkömmlicher Betrachtung (fast) nicht: HGB, AktG und GmbHG sind deutsche Gesetze, nicht anders als WpHG und WpÜG. Aber alle diese nationalen Gesetze sind durch Europa und die europäische Gesetzgebung geprägt, teils sogar durch Europa überhaupt erst veranlasst. Das hat gewichtige Auswirkungen für das Verständnis und die Auslegung dieses nationalen Rechts und das erlaubt seine besondere Darstellung, ja erfordert sie. Denn der nationale Rechtsanwender muss wissen, ob die von ihm herangezogene Norm rein nationalen Ursprungs ist oder europäisch geprägt; und er muss wissen, was diese europäische Prägung für seine Arbeit bedeutet. Das ist die Aufgabe dieses Buches, das zuletzt in 4. Auflage vor 15 Jahren erschienen ist. Seither hat sich das Europäische Unternehmens- und Kapitalmarktrecht geradezu explosionsartig fortentwickelt und Versuche, es einzufangen, wurden laufend überholt. Daher musste an zwei Stellen angesetzt werden: Einerseits war der Umfang des Buches auf seinen Kernbereich zu konzentrieren; dazu musste auf seine bisherigen Teile zu den Banken und Finanzinstituten, zu Investmentgesellschaften sowie zu den Steuer-Richtlinien verzichtet, andererseits die Darstellung des zentralen Unternehmens- und Kapitalmarktrechts ausgeweitet werden. Das Buch musste daher von Anfang bis Ende praktisch neu geschrieben werden. Und schließlich galt es, den Kreis der Arbeiter an diesem Buch zu erweitern; das ist mit Walter Bayer und Jessica Schmidt glücklich gelungen. Im Übrigen haben wir die Konzeption dieses Buches nicht verändert. Es besteht nach wie vor aus einem systematischen Teil, in dem der heutige Stand des Europäischen Unternehmens- und Kapitalmarktrechts dargestellt wird, und einem 2. Teil, in dem die maßgebenden europäischen Rechtsakte abgedruckt und erläutert werden. Das Buch entspricht in allen seinen Teilen dem Stand vom 1. August 2011; das gilt nicht nur für die Rechtsprechung und Literatur, sondern auch für die hier abgedruckten Texte: Änderungen und Ergänzungen dieser Texte sind bis zum genannten Stichtag in sie integriert. Die kürzlich erschienene 4. Auflage des Europäischen Gesellschaftsrechts von Habersack/Verse konnten wir leider nicht mehr berücksichtigen. Alle Benutzer dieses Buches bitten wir herzlich um Kritik und Anregung. Bonn und Jena, im Oktober 2011

Walter Bayer

Jessica Schmidt

Marcus Lutter

VI

Vorwort

Prof. Dr. Walter Bayer Carl-Zeiss-Str. 3 07743 Jena e-mail: [email protected]

Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Marcus Lutter Adenauerallee 24–42 53113 Bonn e-mail: [email protected]

Dr. Jessica Schmidt, LL.M. Carl-Zeiss-Str. 3 07743 Jena e-mail: [email protected]

Inhaltsübersicht

1. Teil: Das Europäische Unternehmens- und Kapitalmarktrecht 1. Kapitel: Grundlagen §1 §2 §3

Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Rechtsgrundlagen der Europäisierung des Unternehmensrechts, insbesondere die Rechtsangleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . Instrumente und Folgen europäischer Rechtsetzung . . . . . . . . .

3 7 12

2. Kapitel: Stand und Realität des Europäischen Unternehmensrechts §4 §5 §6 §7 §8 §9 § 10 § 11 § 12 § 13 § 14 § 15 § 16

Die Niederlassungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Anerkennung von Gesellschaften in Europa . . . . . . . . . . . Die grenzüberschreitende Mobilität und Umstrukturierung von Gesellschaften in der EU und dem EWR . . . . . . . . . . . . . . . . Die handelsrechtliche Publizität in Europa . . . . . . . . . . . . . . . Das harmonisierte „europäisierte“ Recht der (nationalen) AG in Europa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die bislang (noch) nicht harmonisierten (nicht „europäisierten“) Teile der nationalen Aktienrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die handelsrechtliche Rechnungslegung, Prüfung und Publizität in Europa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die GmbH in Europa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Einpersonen-Kapitalgesellschaft in Europa (insbesondere: Einpersonen-GmbH) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mitbestimmung und unternehmensrechtlich relevante Arbeitnehmerrechte in Europa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Europäische Rechtsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . „Goldene Aktien“ („Golden Shares“) . . . . . . . . . . . . . . . . . Europäisches Insolvenzrecht: Die EuInsVO . . . . . . . . . . . . . .

54 64 66 114 117 140 145 156 161 163 168 171 196

3. Kapitel: Europäisches Kapitalmarktrecht § 17

Kapitalmarktrecht in der EU und dem EWR . . . . . . . . . . . . . .

232

4. Kapitel: Perspektiven des Europäischen Unternehmensrechts § 18

Der Aktionsplan der Kommission aus dem Jahr 2003 – Inhalt, Umsetzung und Perspektiven der weiteren Entwicklung des Europäischen Gesellschaftsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

355

VIII

Inhaltsübersicht

2. Teil: Texte mit Erläuterungen zum Unternehmens- und Kapitalmarktrecht in Europa 1. Kapitel: Gesellschaftsrechtliche Richtlinien § 19 § 20 § 21 § 22 § 23 § 24 § 25 § 26 § 27 § 28 § 29 § 30 § 31 § 32

Die Publizitätsrichtlinie (1. Richtlinie) . . . . . . . . . . Die Kapitalrichtlinie (2. Richtlinie) . . . . . . . . . . . . Die Fusionsrichtlinie (3. Richtlinie) . . . . . . . . . . . . Die Spaltungsrichtlinie (6. Richtlinie) . . . . . . . . . . . Die internationale Fusionsrichtlinie (10. Richtlinie) . . . Die Jahresabschluss-(Bilanz-)Richtlinie (4. Richtlinie) . Die Konzernbilanzrichtlinie (7. Richtlinie) . . . . . . . . Die IFRS-Verordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Abschlussprüferrichtlinie . . . . . . . . . . . . . . . Die Zweigniederlassungsrichtlinie (11. Richtlinie) . . . . Die Einpersonengesellschaftsrichtlinie (12. Richtlinie) . . Die Übernahmerichtlinie (13. Richtlinie) . . . . . . . . . Die Aktionärsrechterichtlinie . . . . . . . . . . . . . . . Das Projekt einer Sitzverlegungsrichtlinie (14. Richtlinie)

. . . . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . . . . .

417 463 586 656 703 779 819 849 859 898 938 961 1056 1107

Die MiFID . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Prospektrichtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Marktmissbrauchsrichtlinie (Market Abuse Directive – MAD) Die Transparenzrichtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die ESMA-Verordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . .

1128 1191 1234 1262 1303

Die Betriebsübergangsrichtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Richtlinie über den Europäischen Betriebsrat . . . . . . . . . . .

1357 1381

2. Kapitel: Kapitalmarktrechtliche Rechtsakte § 33 § 34 § 35 § 36 § 37

3. Kapitel: Arbeitnehmerrichtlinien § 38 § 39

4. Kapitel: Europäische Rechtsformen § 40 § 41 § 42 § 43

Die Europäische Wirtschaftliche Interessenvereinigung (EWIV) . . Die Europäische Aktiengesellschaft (Societas Europaea – SE) . . . Die Europäische Genossenschaft (Societas Cooperativa Europaea – SCE) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Projekt der Europäischen Privatgesellschaft (Societas Privata Europaea – SPE) . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. .

1415 1454

.

1582

.

1666

Inhaltsverzeichnis

Verzeichnis häufig zitierter Kommentare, Handbücher, Lehrbücher und Monographien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

XXXI XXXV

1. Teil: Das Europäische Unternehmens- und Kapitalmarktrecht 1. Kapitel: Grundlagen §1

Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Bedeutung des Europäischen Unternehmensrechts II. Der Begriff des Europäischen Unternehmensrechts . . III. Die Texte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Rechtsentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . .

. . . . .

. . . . .

3 3 4 6 6

§2

Die Rechtsgrundlagen der Europäisierung des Unternehmensrechts, insbesondere die Rechtsangleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Rechtsangleichung, nicht Rechtsvereinheitlichung . . . . . . II. Grundlagen der Rechtsangleichung . . . . . . . . . . . . . . . 1. Art. 50 Abs. 2 lit. g AEU . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Art. 114 AEU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Art. 352 AEU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Art. 288 Abs. 5 AEU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Problemlösung durch Staatsvertrag . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . . . . .

. . . . . . . .

7 7 9 9 10 11 11 12

Instrumente und Folgen europäischer Rechtsetzung . . . . . . . . . . I. Anwendungsvorrang des Unionsrechts . . . . . . . . . . . . . . II. Verordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Rechtswirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Folgen für den nationalen Gesetzgeber . . . . . . . . . . . III. Richtlinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Umsetzung der Richtlinie in nationales Recht . . . . . 2. Verletzung der Pflicht zur Umsetzung . . . . . . . . . . . . 3. Rechtspflicht zum stand still und spätere Abweichungen des nationalen Gesetzgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die Vorwirkung von Richtlinien . . . . . . . . . . . . . . . 5. Rechtsangleichung und strengere Lösungen des nationalen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Die Bedeutung der Richtlinien für das Verständnis der zu ihrer Umsetzung erlassenen Gesetze . . . . . . . . . . . . . 7. Zur Auslegung des angeglichenen nationalen Rechts . . . .

. . . . . . . .

12 13 15 15 16 16 17 18

. .

25 28

.

31

. .

34 34

§3

. . . . .

. . . . .

. . . . .

X

Inhaltsverzeichnis

IV. V. VI.

VII.

8. Die Funktion des EuGH bei der Umsetzung und Anwendung der Richtlinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9. Die überschießende Umsetzung von Richtlinien . . . . . . . 10. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (Staatengerichtete) Beschlüsse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Empfehlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Exkurs: Delegierte Rechtssetzung und Komitologieverfahren . . 1. Delegierte Rechtssetzung nach Art. 202 EG . . . . . . . . . . 2. Neuordnung in Art. 290, 291 AEU . . . . . . . . . . . . . . Das Zusammenwirken von EuGH und nationalen Gerichten bei der Anwendung des europäischen Rechts . . . . . . . . . . . . . 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vorlagerecht und Vorlagepflicht . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Folgepflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

39 41 44 44 44 46 46 47 48 48 49 53

2. Kapitel: Stand und Realität des Europäischen Unternehmensrechts §4

Die Niederlassungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Gründungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Wahlfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Beteiligungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Diskriminierungsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Gleichstellung von natürlichen Personen mit Gesellschaften im Rahmen der Niederlassungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Unmittelbare Niederlassung von Gesellschaften (Einrichtung von Agenturen und Zweigniederlassungen) . . . . . . . . . . 2. Mittelbare Niederlassung von Gesellschaften durch Gründung von Tochtergesellschaften . . . . . . . . . . . . . 3. Mittelbare Niederlassung durch Beteiligung an anderen Gesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Sitzverlegung von Gesellschaften über die Grenze . . . . . . 5. Verschmelzung von Gesellschaften über die Grenze . . . . . 6. Einbringung von Aktiva (und Passiva) über die Grenze . . . VI. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

§5

Die Anerkennung von Gesellschaften in Europa . . . . . . . . . . . . .

§6

Die grenzüberschreitende Mobilität und Umstrukturierung von Gesellschaften in der EU und dem EWR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Hintergrund: Mangelnde Harmonisierung des Internationalen Gesellschaftsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Bisherige legislatorische (Harmonisierungs-)Bemühungen . . . . 1. Übereinkommen auf der Basis von Art. 220 EWG/293 EG a.F. 2. Sitzverlegungsrichtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

54 55 55 56 58 58 59 61 61 62 62 63 64 64 66 68 69 71 71 73

XI

Inhaltsverzeichnis

3. Grenzüberschreitende Sitzverlegung bei den europäischen Gesellschaftsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Die Entwicklung der EuGH-Judikatur von Daily Mail bis Cartesio . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Daily Mail (1988) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Centros (1999) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Überseering (2002) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Inspire Art (2003) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Sevic (2005) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Cartesio (2008) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. VALE (2011?) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Konsequenzen für die (Anerkennung und) Mobilität von Gesellschaften in Europa: der status quo . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Sitzverlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Grenzüberschreitende Verschmelzung . . . . . . . . . . . . . 3. Grenzüberschreitende Spaltung . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Fortführung der EuGH-Rechtsprechung . . . . . . . . . . . 2. Sitzverlegungs-RL? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Harmonisierung des Internationalen Gesellschaftsrechts? . . 4. Weitere rechtspolitische Desiderata . . . . . . . . . . . . . .

92 92 107 110 112 112 112 112 113 113

§7

Die handelsrechtliche Publizität in Europa . . . . . . . . . . . . . . . . I. Handelsregisterpublizität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Rechnungslegungspublizität . . . . . . . . . . . . . . . . . .

114 114 116

§8

Das harmonisierte „europäisierte“ Recht der (nationalen) AG in Europa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Modernisierung durch Angleichung . . . . . . . . . . . . . 2. Unterschiedliche Wirkungen durch unterschiedliche Fakten II. Die Gründung der Aktiengesellschaft . . . . . . . . . . . . . . 1. Satzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gründungspublizität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Nichtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Satzungsänderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Das Grundkapital . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ziffer des Kapitals . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die reale Kapitalaufbringung . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Kapitalerhaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Der Erwerb eigener Aktien . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Die Kapitalerhöhung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Kapitalherabsetzung und Einziehung . . . . . . . . . . . .

117 117 117 118 119 119 120 120 121 121 121 123 123 125 125 127 130

. . . . . . . . . . . . . . . .

74 74 74 76 78 80 85 87 92

XII

§9

Inhaltsverzeichnis

VI. Persönliche Haftung / Trennungsprinzip . . . . . . . . . . . . . . VII. Vertretung der Aktiengesellschaft und Schutz der Vertragspartner VIII. Verschmelzung und Spaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die (nationale) Verschmelzung . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Spaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Internationale Verschmelzung . . . . . . . . . . . . . . . . . IX. Die Mitgliedschaft (Aktie) und die Ausübung der Aktionärsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Einzelne in den Richtlinien angesprochene Rechte und Pflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Rechte in der Hauptversammlung . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die Aktie und ihre Ausgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . X. Übernahmeangebote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

137 137 138 138

Die bislang (noch) nicht harmonisierten (nicht „europäisierten“) Teile der nationalen Aktienrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Organe und Organzuständigkeiten in der AG . . . . . . . II. Liquidation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Identitätswahrender Rechtsformwechsel . . . . . . . . . . IV. Verbundene Unternehmen und Konzerne . . . . . . . . .

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140 140 142 142 143

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131 132 133 133 134 135 135 136 136

§ 10 Die handelsrechtliche Rechnungslegung, Prüfung und Publizität in Europa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Der Zustand heute . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Rechtsformübergreifender Ansatz und Einteilung in Größenklassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Die Reformen im 21. Jahrhundert und ihre Auswirkungen . . 1. Fair Value-Richtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. IFRS-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Modernisierungs-RL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die Abschlussprüfer-RL 2006/43/EG . . . . . . . . . . . 5. Änderungs-RL 2006/46/EG . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Umsetzung in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Heutige Gesamtsituation aus deutscher Perspektive . . . . . VI. Weitere Reformbestrebungen . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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145 146 147

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§ 11 Die GmbH in Europa . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die „Europäisierung“ der GmbH . . . . . . . . III. Übersicht: AG und GmbH im EU/EWR-Raum 1. EU-Mitgliedstaaten . . . . . . . . . . . . . 2. EWR-Mitgliedstaaten . . . . . . . . . . . .

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156 156 156 158 158 160

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XIII

Inhaltsverzeichnis

§ 12 Die Einpersonen-Kapitalgesellschaft in Europa (insbesondere: Einpersonen-GmbH) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Einzelheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zwei Lösungen für die GmbH . . . . . . . . . . . . 2. Einpersonen-Aktiengesellschaft . . . . . . . . . . . III. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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§ 13 Mitbestimmung und unternehmensrechtlich relevante Arbeitnehmerrechte in Europa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Problematik der Mitbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . II. Das Mitbestimmungsmodell von SE-VO, SCE-VO und 10. RL . 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Lösung der unternehmerischen Mitbestimmung in der SE 3. Das SE-Modell als Basismodell für andere europäische Rechtsakte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Informationsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Betriebsübergangs-RL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. EBR-RL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Rahmen-RL 2002/14/EG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Übergang der Arbeitsverhältnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Zusammenfassung und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 14 Europäische Rechtsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die EWIV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Europäische Aktiengesellschaft (Societas Europaea – SE) . IV. Die Europäische Genossenschaft (Societas Cooperativa Europaea – SCE) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Die Europäische Privatgesellschaft (Societas Privata Europaea – SPE) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Weitere Europäische Rechtsformen . . . . . . . . . . . . . . . . § 15 „Goldene Aktien“ („Golden Shares“) . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Gestaltungsvarianten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. „Goldene Aktien“ als Beschränkungen der Kapitalverkehrsund/oder der Niederlassungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . 1. Abgrenzung und Verhältnis von Kapitalverkehrs- und Niederlassungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Nationale Maßnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Beschränkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Keine Berufung auf die Eigentumsordnung . . . . . . . . . IV. Rechtfertigungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Öffentliche Sicherheit (Art. 52 Abs. 1, 65 Abs. 1 lit. b AEU)

161 161 161 161 162 163 163 163 164 164 165 166 166 166 166 167 167 168

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168 168 169 170

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171 171

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175 178 181 184 185 185

XIV

Inhaltsverzeichnis

2. Art. 106 Abs. 2 AEU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zwingende Gründe des Allgemeininteresses . . . . . . . . . 4. Verhältnismäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Ausblick: Kontrolle des gesamten nationalen Gesellschaftsrechts am Maßstab der Kapitalverkehrs- und Niederlassungsfreiheit? .

187 187 190

§ 16 Europäisches Insolvenzrecht: Die EuInsVO . . . . . . . . . . . . . . . I. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Internationale Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Hauptinsolvenzverfahren (Art. 3 Abs. 1) . . . . . . . . . . . 2. Partikularinsolvenzverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Annexzuständigkeiten (Art. 3 EuInsVO analog) . . . . . . . IV. Anwendbares Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Grundsatz: lex fori concursus . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Sonderanknüpfungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Gegenseitige Anerkennung von Insolvenzverfahren . . . . . . . 1. Anerkennung und Wirkungen der Eröffnungsentscheidung . 2. Anerkennung und Vollstreckung sonstiger Entscheidungen (Art. 25) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Ordre public-Vorbehalt (Art. 26) . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Sekundärinsolvenzverfahren (Art. 27–38) . . . . . . . . . . . . . 1. Verfahrenseröffnung und anwendbares Recht . . . . . . . . . 2. Koordinierung von Haupt- und Sekundärinsolvenzverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Unterrichtung der Gläubiger und Anmeldung ihrer Forderungen VIII. Fundstellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

196 200 203 204 204 211 213 215 215 216 218 218

192

222 223 225 225 226 229 230

3. Kapitel: Europäisches Kapitalmarktrecht § 17 Kapitalmarktrecht in der EU und dem EWR . . . . . . . . . . . . . . . I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Europäische Kapitalmarkt . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Das Europäisches Kapitalmarktrecht . . . . . . . . . . . . . 4. Kapitalmarktrecht und Gesellschaftsrecht . . . . . . . . . . . 5. Beschleunigte Rechtsetzung im Europäischen Kapitalmarktrecht durch das Lamfalussy-Verfahren . . . . . . . . . . . . . II. Überblick über die europäische Kapitalmarktinfrastruktur . . . . 1. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kapitalmarktprodukte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Handelsplätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Handelssysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Marktteilnehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

232 232 232 233 235 243 251 255 255 256 256 262 263

XV

Inhaltsverzeichnis

III. Das Europäische Markteintrittsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Bedeutung des Prospekts . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Historischer Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Vorgaben der Prospekt-RL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Das Europäische Kapitalmarktverhaltensrecht . . . . . . . . . . . 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das europäische Marktmissbrauchsverbot . . . . . . . . . . . 3. Die europäischen Publizitätspflichten . . . . . . . . . . . . . V. Die europäische Regulierung der Finanzintermediäre: Wertpapierdienstleistungsunternehmen und Investmentfonds . . 1. Wertpapierdienstleistungsunternehmen („Wertpapierfirmen“) 2. Investmentfonds . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Die europäische Regulierung der Informationsintermediäre: Ratingagenturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Genese der Rating-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Geltungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Regulatorische Anforderungen nach der Rating-VO . . . . . 4. Bewertung, Kritik und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Kapitalmarktaufsicht im Europäischen Finanzaufsichtssystem (ESFS) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Entwicklungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das Europäische Finanzaufsichtssystem (ESFS) im Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Makroaufsicht durch den Europäischen Ausschuss für Systemrisiken (ESRB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Mikroaufsicht durch die ESA und nationalen Aufsichtsbehörden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Evalution des ESFS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VIII. Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das Programm der Kommission für eine umfassende Reform der europäischen Finanzmarktregulierung . . . . . . 2. Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

267 268 268 269 274 274 274 284 302 303 311 318 318 320 320 320 322 322 326 328 333 344 347 347 354

4. Kapitel: Perspektiven des Europäischen Unternehmensrechts § 18 Der Aktionsplan der Kommission aus dem Jahr 2003 – Inhalt, Umsetzung und Perspektiven der weiteren Entwicklung des Europäischen Gesellschaftsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Einführung und Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Der Aktionsplan 2003 im Überblick . . . . . . . . . . . . . III. Maßnahmen im Bereich der Corporate Governance und ihre Realisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeiner Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Einzelmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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355 356 359

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361 361 362

XVI

Inhaltsverzeichnis

IV.

V. VI.

VII.

3. Fortentwicklung und neue Vorschläge in den Grünbüchern 2010 und 2011 und dem Entwurf für eine CRD IV-RL . . Die Maßnahmen im Bereich des sonstigen Gesellschaftsrechts und ihre Realisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Kapitalerhaltung und -änderung . . . . . . . . . . . . . . . 2. Unternehmensgruppen und -pyramiden . . . . . . . . . . . 3. Umstrukturierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. EU-Rechtsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Transparenz nationaler Rechtsformen . . . . . . . . . . . . Resümee zum Aktionsplan 2003 . . . . . . . . . . . . . . . . . Ausblick: Die Vorschläge der Reflection Group als Auftakt für eine neue Reformphase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Reflection Group und EU Company Law Conference 2011 als Auftakt für eine neue Reformphase . . . . . . . . . . . . 2. Die Vorschläge der Reflection Group . . . . . . . . . . . . 3. Fazit und Perspektiven für die Zukunft . . . . . . . . . . . Fundstellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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398 398 399 400 401 404 405

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405

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405 405 410 410

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417 418 421 421 421

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448 453

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2. Teil: Texte mit Erläuterungen zum Unternehmens- und Kapitalmarktrecht in Europa 1. Kapitel: Gesellschaftsrechtliche Richtlinien § 19 Die Publizitätsrichtlinie (1. Richtlinie) . . . . . . . . . . . . . I. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Wesentlicher Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Handelsrechtliche Publizität . . . . . . . . . . . . . 2. Gültigkeit der von der Gesellschaft eingegangenen Verpflichtungen gegenüber Dritten . . . . . . . . . 3. Nichtigkeit und Vernichtbarkeit von Gesellschaften (Art. 11–13) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Fundstellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Text der 1. (Publizitäts-)RL (RL 2009/101/EG)

§ 20 Die Kapitalrichtlinie (2. Richtlinie) . . . . . . . . . I. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Inhalt und Grundgedanken im Überblick 2. Änderungs-Richtlinien . . . . . . . . . . 3. Umsetzung in Deutschland . . . . . . . . II. Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . III. Wesentlicher Inhalt . . . . . . . . . . . . . . .

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463 465 465 467 468 469 471

XVII

Inhaltsverzeichnis

1. Regelung betreffend die Gründung der Aktiengesellschaft (Art. 2–5) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Grundkapital . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Kapitalaufbringung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Kapitalerhaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Kapitaländerungen (Art. 25–40) . . . . . . . . . . . . . . 6. Abweichungsmöglichkeiten gem. Art. 41 . . . . . . . . . 7. Das Gleichbehandlungsgebot als Leitmotiv, Art. 42 . . . IV. Reformdebatte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Fundstellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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471 477 480 502 535 564 565 567 569

Text der 2. (Kapital-)RL (RL 77/91/EWG) . . . . . . . . . . . . . . . .

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§ 21 Die Fusionsrichtlinie (3. Richtlinie) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Erfasste Verschmelzungsvorgänge (Art. 2–4) . . . . . . . . . . . 1. Art. 2: Regelungsauftrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verschmelzung durch Aufnahme und durch Neugründung (Art. 3 und 4) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Sonderfall: Liquidationsgesellschaften (Art. 3 Abs. 2, Art. 4 Abs. 2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Fusionsähnliche Vorgänge (Art. 31) . . . . . . . . . . . . . . IV. Das Verschmelzungsverfahren bei der Verschmelzung durch Aufnahme (Kapitel III, Art. 5–22) . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Verschmelzungsplan und seine Offenlegung (Art. 5 f.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Verschmelzungsbericht (Art. 9) . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Verschmelzungsprüfung (Art. 10) . . . . . . . . . . . . . . . 5. Verschmelzungsbeschlüsse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Rechtmäßigkeitskontrolle, Wirksamwerden und Offenlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Rechtsfolgen der Verschmelzung (Art. 19) . . . . . . . . . . . . . 1. Universalsukzession (Gesamtrechtsnachfolge) (Art. 19 Abs. 1 lit. a) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. „Aktientausch“ (Art. 19 Abs. 1 lit. b) . . . . . . . . . . . . . 3. Erlöschen der übertragenden Gesellschaft(en) (Art. 19 Abs. 1 lit. c) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Umsetzung im deutschen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Nichtigkeit und Bestandsschutz (Art. 22) . . . . . . . . . . . . . VII. Haftungsvorschriften (Art. 20, 21) . . . . . . . . . . . . . . . . . VIII. Schutz der (Minderheits-)Aktionäre, Arbeitnehmer und Gläubiger 1. Schutz der (Minderheits-)Aktionäre . . . . . . . . . . . . . .

586 587 590 591 591 592 594 595 596 596 596 602 605 609 616 618 618 619 621 621 621 624 626 626

XVIII

Inhaltsverzeichnis

2. Schutz der Arbeitnehmer (Art. 12) . . . . . . . . . . . 3. Schutz der Gläubiger (Art. 13–15) . . . . . . . . . . . IX. Verschmelzung durch Neugründung (Kapitel IV, Art. 23) X. Konzernverschmelzungen (Art. 24–31) . . . . . . . . . . 1. Verschmelzung einer 100 %igen Tochter (Art. 24–26) 2. Verschmelzung einer mindestens 90 %igen Tochter (Art. 27–29) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XI. Fundstellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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628 629 634 636 637

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640 642

Text der 3. (Fusions-)RL (RL 2011/35/EU) . . . . . . . . . . . . . . . .

645

§ 22 Die Spaltungsrichtlinie (6. Richtlinie) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Erfasste Spaltungsvorgänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Spaltung durch Übernahme und Spaltung durch Gründung neuer Gesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verhältniswahrende und nicht-verhältniswahrende Spaltungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Sonderfall: Liquidationsgesellschaften (Art. 2 Abs. 2, 21 Abs. 2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Sonderfall: Spaltung ohne Auflösung der gespaltenen Gesellschaft (Art. 25) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Umsetzung in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Das Verfahren bei der Spaltung durch Übernahme . . . . . . . . 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Spaltungsplan und seine Offenlegung (Art. 3 f.) . . . . . 3. Spaltungsbericht (Art. 7) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Spaltungsprüfung (Art. 8) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Spaltungsbeschlüsse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Rechtmäßigkeitskontrolle, Wirksamwerden und Offenlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Rechtsfolgen der Spaltung (Art. 17) . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. (Partielle) Universalsukzession (Art. 17 Abs. 1 lit. a) . . . . . 2. „Aktientausch“ (Art. 17 Abs. 1 lit. b) . . . . . . . . . . . . . 3. Erlöschen der gespaltenen Gesellschaft (Art. 17 Abs. 1 lit. c) 4. Umsetzung im deutschen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Nichtigkeit und Bestandsschutz (Art. 19) . . . . . . . . . . . . . VII. Haftungsvorschriften (Art. 18) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VIII. Schutz der (Minderheits-)Aktionäre, Arbeitnehmer und Gläubiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Schutz der (Minderheits-)Aktionäre . . . . . . . . . . . . . . 2. Schutz der Arbeitnehmer (Art. 11) . . . . . . . . . . . . . . . 3. Schutz der Gläubiger (Art. 12 f.) . . . . . . . . . . . . . . . .

656 656 659 660 660 661 662 662 664 664 664 665 668 671 674 675 677 677 677 678 678 679 680 681 681 683 683

XIX

Inhaltsverzeichnis

IX. Spaltung durch Gründung neuer Gesellschaften . . . . . . . . X. Konzernspaltung (Art. 20) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XI. Spaltung unter Aufsicht eines Gerichts (Art. 23) . . . . . . . . 1. Hintergrund der Sonderregelung . . . . . . . . . . . . . . 2. Befugnis des Gerichts zur Befreiung von bestimmten verfahrensrechtlichen Anforderungen (Art. 23) . . . . . . 3. Spezielle Mitgliedstaatenoption bezüglich des Gläubigerschutzes (Art. 12 Abs. 3 S. 3) . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Keine Umsetzung in Deutschland . . . . . . . . . . . . . XII. Fundstellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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688 690 692 692

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692

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693 694 694

Text der 6. (Spaltungs-)RL (RL 82/891/EWG) . . . . . . . . . . . . . .

695

§ 23 Die internationale Fusionsrichtlinie (10. Richtlinie) . . . . . . . . . . I. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Grenzüberschreitende Verschmelzung von EU-/EWRKapitalgesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Limitierung der zulässigen Verschmelzungskombinationen (Art. 4 Abs. 1 lit. a) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Umsetzung in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Grundkonzeption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Das Verschmelzungsverfahren im Einzelnen . . . . . . . . . . . 1. Der Verschmelzungsplan und seine Offenlegung . . . . . . 2. Verschmelzungsbericht (Art. 7) . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Verschmelzungsprüfung (Art. 8) . . . . . . . . . . . . . . . 4. Verschmelzungsbeschlüsse (Art. 9) . . . . . . . . . . . . . . 5. Rechtmäßigkeitskontrolle, Wirksamwerden und Offenlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Rechtsfolgen der Verschmelzung (Art. 14) . . . . . . . . . . . . 1. Universalsukzession (Art. 14 Abs. 1 lit. a, Abs. 2 lit. a) . . . 2. „Anteilstausch“ (Art. 14 Abs. 1 lit. b, Abs. 2 lit. b) . . . . . 3. Erlöschen der übertragenden bzw. sich verschmelzenden Gesellschaft(en) (Art. 14 Abs. 1 lit. c, Abs. 2 lit. c) . . . . . 4. Deutsches Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Bestandsschutz (Art. 17) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Haftung der Organe und Sachverständigen . . . . . . . . . . . VIII. Konzernverschmelzungen (Art. 15) . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Verschmelzung einer 100%igen Tochter (Art. 15 Abs. 1) . . 2. Verschmelzung einer mindestens 90%igen Tochter . . . . . 3. Deutsches Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX. Schutz der (Minderheits-)Gesellschafter und Gläubiger . . . . 1. Schutz der (Minderheits-)Gesellschafter (Art. 4 Abs. 2 S. 2) 2. Schutz der Gläubiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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703 705 708

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708

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714 715 716 717 717 727 733 738

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742 749 750 750

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751 751 752 752 753 753 754 755 755 756 761

XX

Inhaltsverzeichnis

X. Einspruchsrecht zum Schutz öffentlicher Interessen (Art. 4 Abs. 1 lit. b S. 2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XI. Beteiligung der Arbeitnehmer (Art. 16) . . . . . . . . . . . . . . 1. Betriebliche Mitbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Unternehmerische Mitbestimmung . . . . . . . . . . . . . . 3. Deutsches Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XII. Fundstellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

764 764 765 765 768 768

Text der 10. RL (RL 2005/56/EG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

770

§ 24 Die Jahresabschluss-(Bilanz-)Richtlinie (4. Richtlinie) . . . . . I. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Größenspezifische Unterschiede . . . . . . . . . . . . 2. Gliederung, Bilanzierungsgrundsätze und Bewertung 3. Prüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Publizität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Fundstellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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779 780 784 784 785 786 787 787

Text der 4. (Bilanz-)RL (RL 78/660/EWG) . . . . . . . . . . . . . . . .

791

§ 25 Die Konzernbilanzrichtlinie (7. Richtlinie) . . . . . . . . . . . . . . I. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die 7. (Konzernbilanz-)RL und die IFRS . . . . . . . . . . . III. Inhalt der Richtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Voraussetzungen der Konsolidierungspflicht . . . . . . . 2. Bestandteile sowie Art und Weise der Konzernrechnungslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Prüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Publizität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Fundstellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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819 820 821 823 823

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825 825 826 826

Text der 7. (Konzernbilanz-)RL (RL 83/349/EWG) . . . . . . . . . . .

829

§ 26 Die IFRS-Verordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Entstehung und Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . II. Konzernbilanz nach IAS/IFRS . . . . . . . . . . . . . . . III. Verfahren der Übernahme und Anwendung der IAS/IFRS IV. Bilanzierung nach fair value . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Exkurs: IFRS für KMU? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Fundstellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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849 850 851 852 852 853 854

Text der IFRS-VO (VO 1606/2002) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

855

§ 27 Die Abschlussprüferrichtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

859 860

XXI

Inhaltsverzeichnis

II. Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Grundkonzept: Fortführung und Ausbau der Harmonisierung im Bereich Abschlussprüfung . . . . . . . . . . 2. Die wichtigsten Neuerungen im Einzelnen . . . . . . . III. Reformpläne: Das Grünbuch vom 13.10.2010 . . . . . . . . IV. Fundstellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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862

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862 863 871 873

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875

§ 28 Die Zweigniederlassungsrichtlinie (11. Richtlinie) . . . . . . . . . . . . I. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zweigniederlassungen ausländischer Kapitalgesellschaften im EU/EWR-Gebiet (Art. 1 Abs. 1, 7 Abs. 1) . . . . . . . . . . 2. Beschränkung auf registerrechtliche Offenlegungspflichten . III. Offenlegungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Regelungskonzeption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Publizitätsobjekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Publizitätsinstrumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Sprachenregime . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Publizitätswirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Publizitätsverpflichtete . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Änderungen im Zuge der geplanten Verknüpfung der Unternehmensregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Sanktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Fundstellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

898 899 902 902 904 904 904 905 924 929 930 931

Text der 11. (Zweigniederlassungs-)RL (RL 89/666/EWG) . . . . . . .

934

§ 29 Die Einpersonengesellschaftsrichtlinie (12. Richtlinie) . . . . . . . . . . I. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Reichweite des Gebots der Zulassung der Einpersonengesellschaft 1. Originäre und „nachträgliche“ Einpersonengesellschaft (Art. 2 Abs. 1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Alternative: Einpersonen-Unternehmen mit beschränkter Haftung (Art. 7) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zulässige Einschränkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Spezielle Schutznormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Publizität der „nachträglichen“ Einpersonengesellschaft (Art. 3) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Beschlussfassung in der Einpersonengesellschaft (Art. 4) . . . 3. Insichgeschäfte (Art. 5) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Fundstellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

938 938 941 943

949 951 953 955

Text der 12. (Einpersonengesellschafts-)RL (RL 2009/102/EG) . . . . .

956

Text der Abschlussprüfer-RL (RL 2006/43/EG)

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931 931 932

943 944 945 949

XXII

Inhaltsverzeichnis

§ 30 Die Übernahmerichtlinie (13. Richtlinie) . . . . . . . . . . . . . . . . I. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Anwendungsbereich (Art. 1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Allgemeine Grundsätze (Art. 3) . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Prinzipielle Mindest-, aber partielle Maximalharmonisierung . V. Aufsichtsstelle und anwendbares Recht (Art. 4) . . . . . . . . . 1. Aufsichtsstelle (Art. 4 Abs. 1) . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zuständigkeitsverteilung und anwendbares Recht (Art. 4 Abs. 2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Pflichtangebot (Art. 5) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ratio . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Auslösungstatbestand: Kontrollerlangung . . . . . . . . . . 3. Inhalt des Pflichtangebots . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Verfahrens- und Transparenzvorschriften (Art. 6–8, 13 f.) . . . 1. Information über Angebote (Art. 6) . . . . . . . . . . . . . 2. Annahmefrist (Art. 7) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Bekanntmachung (Art. 8) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Weitere Verfahrensregeln (Art. 13) . . . . . . . . . . . . . . 5. Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmervertreter (Art. 14) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VIII. Zulässigkeitsrahmen für Abwehrmaßnahmen und Transparenz für Aktionäre und Kapitalmarkt (Art. 9–12) . . . . . . . . . . . 1. Hintergründe und Grundstruktur der Regelung . . . . . . 2. Neutralitätspflicht, Durchbrechungsregel und „Optionsmodell“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Transparenz für Aktionäre und Kapitalmarkt . . . . . . . . IX. Squeeze-out und Sell-out (Art. 15 f.) . . . . . . . . . . . . . . . 1. Hintergründe, ratio und Grundstruktur . . . . . . . . . . . 2. Squeeze-out (Art. 15) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Sell-out (Art. 16) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . X. Sanktionen (Art. 17) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XI. Fundstellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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961 964 970 971 973 973 973

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976 978 978 980 986 991 991 995 995 996

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996

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997 997

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999 1021 1027 1027 1028 1037 1040 1041

Text der Übernahme-RL (RL 2004/25/EG) . . . . . . . . . . . . . . . .

1043

§ 31 Die Aktionärsrechterichtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Rechte der Stimmrechtsaktionäre börsennotierter Gesellschaften (Art. 1 Abs. 1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Keine autonome Definition der Aktionärseigenschaft . . 3. Ausnahmeoptionen für die Mitgliedstaaten (Art. 1 Abs. 3) III. Mindestcharakter (Art. 3) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Leitmotiv: Gleichbehandlung der Aktionäre . . . . . . . . . .

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1056 1057 1059

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1059 1060 1061 1061 1062

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XXIII

Inhaltsverzeichnis

V. Mindeststandards für Hauptversammlungen . . . . . . . . . . 1. Einberufung der Hauptversammlung (Art. 5 und 6) . . . 2. Voraussetzungen für dem Zugang zur Hauptversammlung (Art. 7) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Teilnahme und Stimmrechtsausübung „in absentia“ . . . 4. Fragerecht (Art. 9) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Stimmrechtsvertretung (Art. 10, 11) . . . . . . . . . . . . 6. Beseitigung bestimmter Hemmnisse betreffend Intermediäre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Feststellung und Veröffentlichung der Abstimmungsergebnisse (Art. 14) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Fundstellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1062 1062

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1070 1072 1077 1080

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1090

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1094 1097

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1098

§ 32 Das Projekt einer Sitzverlegungsrichtlinie (14. Richtlinie) . . . . . . . . I. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Der Vorentwurf von 1997 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Wesentlicher Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Reaktionen in Praxis und Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . III. Weitere Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Aktionsplan 2003, Konsultation 2004 und Impact Assessment 2007 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Entschließung des Europäischen Parlaments vom März 2009 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Thesen des Arbeitskreises Europäisches Unternehmensrecht vom Januar 2011 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Der Bericht der Reflection Group . . . . . . . . . . . . . . . IV. Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Fundstellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1107 1108 1108 1108 1110 1114 1115

Text der Aktionsrechte-RL (RL 2007/36/EG)

1115 1117 1118 1120 1120 1121

Anhang Vorentwurf eines Richtlinienvorschlags zur Verlegung des Gesellschaftssitzes innerhalb der EU (Dok. XV/6002/97) . . . . . . . . . . . . . . . 1122

2. Kapitel: Kapitalmarktrechtliche Rechtsakte § 33 Die MiFID . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . II. Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Anwendungsbereich . . . . . . . 2. Zulassung von Wertpapierfirmen 3. Wohlverhaltensregeln . . . . . . 4. Rechte von Wertpapierfirmen . .

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1128 1129 1132 1132 1133 1133 1134

XXIV

Inhaltsverzeichnis

5. Geregelte Märkte . . . . . . . . . . . . . 6. Behördenzuständigkeit und -kooperation III. Umsetzung in Deutschland . . . . . . . . . . IV. Fundstellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . .

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1135 1135 1135 1136

Text der MiFID (RL 2004/39/EG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1138

§ 34 Die Prospektrichtlinie . . . . . . . . . . . . I. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . II. Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Anwendungsbereich . . . . . . . 2. Prospektpflicht . . . . . . . . . . 3. Anforderungen an den Prospekt 4. Gültigkeit des Prospekts . . . . 5. Europäischer Pass . . . . . . . . 6. Sprachenregelung . . . . . . . . 7. Emittenten aus Drittstaaten . . . 8. Aufsichtsbehörden . . . . . . . . 9. Prospekthaftung . . . . . . . . . III. Umsetzung in Deutschland . . . . . IV. Fundstellenverzeichnis . . . . . . . . Text der Prospekt-RL (RL 2003/71/EG)

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1191 1192 1196 1196 1196 1197 1197 1197 1198 1198 1199 1199 1199 1200

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1203

§ 35 Die Marktmissbrauchsrichtlinie (Market Abuse Directive – MAD) . I. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die beiden Varianten des Verbots des Marktmissbrauchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Kontrollmechanismen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Ad-hoc-Publizität und Regelung zu directors’ dealings als Präventionsinstrumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Sanktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Umsetzung in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Fundstellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Text der MAD (RL 2003/6/EG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1250

§ 36 Die Transparenzrichtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Herkunftslandprinzip und Mindestharmonisierung 3. Publizitätskomplexe . . . . . . . . . . . . . . . . .

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XXV

Inhaltsverzeichnis

4. Publizitätsmodalitäten . . . . . . . . 5. Emittenten aus Drittstaaten (Art. 23) 6. Zuständige Behörden . . . . . . . . 7. Sanktionen und Rechtsschutz . . . . III. Umsetzung in Deutschland . . . . . . . IV. Fundstellenverzeichnis . . . . . . . . . .

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1272 1274 1274 1274 1275 1276

Text der Transparenz-RL (RL 2004/109/EG) . . . . . . . . . . . . . . .

1279

§ 37 Die ESMA-Verordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Errichtung und Rechtsstellung der ESMA . . . . . 2. Aufgaben und Befugnisse der ESMA . . . . . . . 3. Organisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Gemeinsame Gremien der ESA . . . . . . . . . . . 5. Rechtsbehelfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Finanzvorschriften und allgemeine Bestimmungen III. Fundstellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . Text der ESMA-VO (VO 1095/2010)

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1303 1304 1306 1306 1308 1312 1314 1315 1315 1316

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1317

3. Kapitel: Arbeitnehmerrichtlinien § 38 Die Betriebsübergangsrichtlinie . . . . . . . I. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . II. Wesentlicher Inhalt . . . . . . . . . . 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . 2. Anwendungsbereich . . . . . . . . 3. Tatbestand des Betriebsübergangs 4. Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . III. Fundstellenverzeichnis . . . . . . . . .

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1357 1359 1361 1361 1361 1363 1368 1374

Text der Betriebsübergangs-RL (RL 2001/23/EG) . . . . . . . . . . . .

1375

§ 39 Die Richtlinie über den Europäischen Betriebsrat I. Überblick und Entstehungsgeschichte . . II. Wesentlicher Inhalt der RL . . . . . . . . 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Anwendungs- und Regelungsbereich 3. Verhandlungsverfahren . . . . . . . . 4. Auffanglösung . . . . . . . . . . . . . 5. Sonstige Bestimmungen . . . . . . . . III. Fundstellenverzeichnis . . . . . . . . . . .

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1381 1382 1386 1386 1386 1389 1392 1395 1397

Text der EBR-RL (RL 2009/38/EG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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XXVI

Inhaltsverzeichnis

4. Kapitel: Europäische Rechtsformen § 40 Die Europäische Wirtschaftliche Interessenvereinigung (EWIV) I. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Anwendbares Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Rechtsnatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Zweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zweckbeschränkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kooperationszweck (Art. 3 Abs. 1) . . . . . . . . . . 3. Ausdrückliche Verbote (Art. 3 Abs. 2) . . . . . . . . . 4. Kapitalmarktsperre (Art. 23) . . . . . . . . . . . . . . 5. Sanktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Sitz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Sitzfestlegung (Art. 12) . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Sitzverlegung (Art. 13 und 14) . . . . . . . . . . . . . VI. Gründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gründungsvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Registereintragung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Gründungspublizität . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Handelndenhaftung (Art. 9 Abs. 2) . . . . . . . . . . VII. Publizität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Publizitätsinstrumente . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Publizitätsobjekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Publizitätswirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . VIII. Organisationsverfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die gemeinschaftlich handelnden Mitglieder . . . . . 3. Geschäftsführer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Fakultative Organe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX. Mitgliedschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Mitgliederkreis und -zahl (Art. 4) . . . . . . . . . . . 2. Rechte und Pflichten der Mitglieder . . . . . . . . . . 3. Veränderungen im Mitgliederkreis . . . . . . . . . . . X. Finanzverfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XI. Haftungsverfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Haftung der EWIV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Haftung der Mitglieder . . . . . . . . . . . . . . . . . XII. Nichtigkeit, Auflösung, Abwicklung und Insolvenz . . . 1. Nichtigkeit (Art. 15) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Auflösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Abwicklung (Liquidation) . . . . . . . . . . . . . . . 4. Insolvenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XIII. Steuerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1415 1416 1418 1419 1420 1420 1420 1421 1423 1423 1423 1423 1424 1425 1425 1425 1426 1427 1427 1427 1427 1428 1428 1429 1429 1429 1431 1433 1433 1433 1435 1436 1438 1438 1438 1438 1441 1441 1441 1442 1443 1444

XXVII

Inhaltsverzeichnis

XIV. Fundstellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1444

Text der EWIV-VO (VO 2137/85) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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§ 41 Die Europäische Aktiengesellschaft (Societas Europaea – SE) . . . I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Eine kurze Skizze zur (un)endlichen Geschichte der SE 2. Umsetzung in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Erste praktische Erfahrungen mit der SE . . . . . . . . II. Allgemeine Charakteristika der SE . . . . . . . . . . . . . . 1. Rechtsnatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Firma und Rechtsformzusatz . . . . . . . . . . . . . . . 3. Sitz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Publizität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Das auf die SE anwendbare Recht . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die SE-VO als Rahmenregelung . . . . . . . . . . . . . 2. Regelungsbereich der SE-VO . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Verweisungssystematik der SE-VO . . . . . . . . . IV. Gründung der SE . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Grundkonzeption des numerus clausus der Gründungsvarianten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Gründungsvarianten im Einzelnen . . . . . . . . . 3. Haftung und Rechtsnatur im Gründungsstadium . . . . V. Finanzverfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Grundlagen und Grundkonzeption . . . . . . . . . . . 2. Mindestbetrag und Währung des Grundkapitals . . . . 3. Die Generalverweisungen in Art. 5 und Art. 15 Abs. 1 und die sich daraus ergebende Finanzverfassung der SE im Übrigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Exkurs: Die börsennotierte SE . . . . . . . . . . . . . . VI. Organisationsverfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Grundstruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Leitungsverfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Hauptversammlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Rechnungslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VIII. Reorganisation bestehender SE . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Sitzverlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verschmelzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Spaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Formwechsel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Beteiligung an einer SE-Gründung . . . . . . . . . . . . IX. Liquidation und Insolvenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Auflösung, Liquidation, Zahlungseinstellung, etc. . . . 2. Insolvenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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XXVIII

Inhaltsverzeichnis

X. Beteiligung der Arbeitnehmer . . 1. Allgemeines . . . . . . . . . 2. Verhandlungsverfahren . . . 3. Auffanglösung . . . . . . . . 4. Sonderfälle . . . . . . . . . . 5. Evaluation und Reformbedarf XI. Steuerrecht . . . . . . . . . . . . XII. Fundstellenverzeichnis . . . . . .

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1541 1541 1542 1543 1545 1547 1548 1549

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Text der SE-RL (RL 2001/86/EG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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§ 42 Die Europäische Genossenschaft (Societas Cooperativa Europaea – SCE) I. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Allgemeine Charakteristika der SCE . . . . . . . . . . . . . . . . III. Das auf die SCE anwendbare Recht . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Satzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Gründung einer SCE . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Numerus clausus der Gründungsvarianten . . . . . . . . . . 2. Die einzelnen Gründungsvarianten im Überblick . . . . . . . 3. Haftung und Rechtsnatur im Gründungsstadium . . . . . . . VI. Finanzverfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Grundkonzeption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Geschäftsanteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Mindestkapital . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Kapitalaufbringung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Kapitalveränderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Kapitalerhaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Wertpapiere und Schuldverschreibungen . . . . . . . . . . . 8. Verwendung des Betriebsergebnisses . . . . . . . . . . . . . . VII. Mitgliedschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Mitgliederkreis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Erwerb und Verlust der Mitgliedschaft . . . . . . . . . . . . 3. Rechte, Pflichten und Haftung der Mitglieder . . . . . . . . . VIII. Organisationsverfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Grundstruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Leitungsverfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Generalversammlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX. Rechnungslegung und genossenschaftliche Pflichtprüfung . . . . X. Reorganisation bestehender SCE . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Sitzverlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verschmelzung, Spaltung, Formwechsel . . . . . . . . . . . . XI. Liquidation und Insolvenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XII. Beteiligung der Arbeitnehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1582 1583 1586 1588 1589 1590 1590 1591 1596 1596 1596 1597 1597 1598 1599 1599 1600 1600 1600 1600 1602 1604 1605 1605 1605 1617 1623 1624 1624 1625 1626 1626

Text der SE-VO (VO 2157/2001)

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XXIX

Inhaltsverzeichnis

XIII. Steuerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XIV. Fundstellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1628 1628

Text der SCE-VO (VO 1435/2003)

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1630

Text der SCE-RL (RL 2003/72/EG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1653

§ 43 Das Projekt der Europäischen Privatgesellschaft (Societas Privata Europaea – SPE) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Der steinige Weg zur SPE-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Motive für die Schaffung einer SPE als „kleine Schwester“ der SE . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Allgemeine Charakteristika der SPE . . . . . . . . . . . . . . . 1. Rechtsnatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Firma und Rechtsformzusatz . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Sitz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Anwendbares Recht und Satzung der SPE . . . . . . . . . . . . 1. Grundkonzeption: „Vollstatut“, aber Flexibilität im Innenverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Regelungsbereich der SPE-VO . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die „Rechtsquellenpyramide“ des Art. 4 . . . . . . . . . . 4. Insbesondere: Die Satzung der SPE . . . . . . . . . . . . . V. Gründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gründungsvarianten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Eintragung und Gründungspublizität . . . . . . . . . . . . 3. Exkurs: (Laufende) Publizität (Art. 9a, 10 Abs. 4, 11) . . . 4. Haftung und Rechtsnatur im Gründungsstadium . . . . . . VI. Geschäftsanteile und Mitgliedschaft . . . . . . . . . . . . . . . 1. Terminologie und Dogmatik . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ausgestaltung der Geschäftsanteile . . . . . . . . . . . . . . 3. Gesellschafterverzeichnis (Art. 15) . . . . . . . . . . . . . . 4. Übertragung von Geschäftsanteilen (Art. 16) . . . . . . . . 5. Teilung, Zusammenlegung, Neudenominierung . . . . . . . 6. Austritt und Ausschluss von Gesellschaftern . . . . . . . . 7. Informationsrecht der Gesellschafter (Art. 29) . . . . . . . 8. Gleichbehandlungsgebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Finanzverfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Währung des Stammkapitals . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Mindestbetrag des Stammkapitals . . . . . . . . . . . . . . 3. Kapitalaufbringung (Art. 19 und 20) . . . . . . . . . . . . . 4. Kapitalerhaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Kapitaländerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VIII. Organisationsverfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Grundkonzept: weitgehende Autonomie und Flexibilität . 2. Gesellschafterversammlung . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1666 1668

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1672 1673 1673 1674 1675 1677

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1677 1678 1678 1680 1683 1683 1688 1689 1690 1691 1691 1692 1693 1694 1695 1695 1695 1696 1697 1697 1697 1698 1701 1706 1710 1710 1710

XXX

Inhaltsverzeichnis

. . . . . . . . . . . . .

1715 1722 1723 1723 1723 1726 1726 1726 1726 1726 1726 1727 1727

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1728

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1729 1730 1731 1731 1732 1732

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1734

Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1759

IX. X.

XI.

XII.

XIII. XIV. XV.

3. Geschäftsführungsorgan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Etwaiges Aufsichtsorgan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rechnungslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Reorganisation bestehender SPE . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Satzungssitzverlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Formwechsel, Verschmelzung, Spaltung (Art. 40) . . . . . Auflösung, Nichtigkeit und Insolvenz . . . . . . . . . . . . . . 1. Auflösung (Art. 41 Abs. 1, 3) . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Liquidation, vorläufige Zahlungseinstellung etc. . . . . . . 3. Insolvenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Nichtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beteiligung der Arbeitnehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Mitbestimmungsfrage als „neuralgischer Punkt“ . . . . 2. Grundstruktur der Regelungen zur Mitbestimmung in Art. 35–35d . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Verhandlungsverfahren und Mitbestimmungsvereinbarung (Art. 35a–35c) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Auffanglösung (Art. 35d) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Unterrichtung und Anhörung, sonstige Arbeitnehmerrechte Steuerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sanktionen (Art. 45) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fundstellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Text des SPE-VOE-HU3 (Dok. 10611/11)

Verzeichnis häufiger zitierter Kommentare, Handbücher, Lehrbücher und Monographien Assmann, Heinz-Dieter/Schneider, Uwe H. (Hrsg.), Wertpapierhandelsgesetz, 5. Aufl. 2009 Assmann, Heinz-Dieter/Schlitt, Michael/von Kopp-Colomb, Wolf(Hrsg.), Wertpapierprospektgesetz Verkaufsprospektgesetz, Kommentar, 2. Aufl. 2010 Baldamus, Ernst-August, Reform der Kapitalrichtlinie, 2002 Baumbach, Adolf/Hopt, Klaus J., HGB, 34. Aufl. 2010 Bayer, Walter/Habersack, Mathias (Hrsg.), Aktienrecht im Wandel, 2007 Beck’scher Bilanz-Kommentar, 7. Aufl. 2010 Behrens, Frithjof Olaf, Die grenzüberschreitende Verschmelzung nach der Richtlinie 2005/ 56/EG (Verschmelzungsrichtlinie), 2007 Behrens, Peter (Hrsg.), Die Gesellschaft mit beschränkter Haftung im internationalen und europäischen Recht, 2. Aufl. 1997 Beutel, David, Der neue rechtliche Rahmen grenzüberschreitender Verschmelzungen in der EU, 2008 Blanpain, Roger, European Labour Law, 2010 Blanke, Thomas, Europäisches Betriebsräte-Gesetz, 2. Aufl. 2006 [zit.: Blanke, EBRG, 2. Aufl. 2006] Calliess, Christian/Ruffert, Matthias, EUV/AEUV, 4. Aufl. 2011 Conac, Pierre-Henri (éd.), Fusions transfrontalières de sociétés, 2011 Dauses, Manfred A. (Hrsg.), Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, 27. EL 2010 Davies, Paul, Gower and Davies’ Principles on Modern Company Law, 8. Aufl. 2008 Dorresteijn, Adriaan/Monteiro, Tiago/Teichmann, Christoph/Werlauff, Erik, European Corporate Law, 2. Aufl. 2009 Drinkuth, Henrik, Die Kapitalrichtlinie – Mindest- oder Höchstnorm?, 1998 Edwards, Vanessa, EC Company Law, 1999 [zit.: Edwards] Erfurter Kommentar z. Arbeitsrecht, 11. Aufl. 2011 Fischer-Zernin, Cornelius, Der Rechtsangleichungserfolg der Ersten gesellschaftsrechtlichen Richtlinie der EWG, 1986 Frankfurter Kommentar zum WpÜG, 3. Aufl. 2008 Frankfurter Kommentar zur Insolvenzordnung [Bearbeiter und Aufl. jeweils angegeben] [zit.: FK-InsO] Frenzel, Ralf, Grenzüberschreitende Verschmelzung von Kapitalgesellschaften, 2008 Fuchs, Andreas (Hrsg.), WpHG, 2009 Fuchs, Maximilian/Marhold, Franz, Europäisches Arbeitsrecht, 3. Aufl. 2010 Ganske, Joachim, Das Recht der Europäischen wirtschaftlichen Interessenvereinigung (EWIV), 1988 Gemeinschaftskommentar zum Betriebsverfassungsgesetz [Bearbeiter und Aufl. jeweils angegeben] [zit.: GK-BetrVG] Grabitz, Eberhard/Hilf, Meinhard, Das Recht der Europäischen Union, 40. Aufl. 2009 Grabitz, Eberhard/Hilf, Meinhard /Nettesheim, Martin, Das Recht der Europäischen Union, 43. Aufl. 2011 Grohmann, Uwe, Das Informationsmodell im Europäischen Gesellschaftsrecht, 2006 Großkommentar zum Aktiengesetz [Bearbeiter und Aufl. jeweils angegeben] [zit.: GroßkommAktG]

XXXII

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Abkürzungsverzeichnis a.A. a.a.O. a.E. a.F. AAK ABlEG ABlEU Abs. abw. AC AcP ADD ADHGB AEU AG

AGB AIF AIFM AJCL AJLE AktÄndG AktG AktRÄG All ER allg. Alt. Am. J. Comp. L. AMF Anh. Anm. Ann. Surv. Int’l & Comp. L. AnSVG AnwBl. AP ARÄG ArbEGAnpG ArbG ArbGeb

andere(r) Ansicht am angegebenen Ort am Ende alte Fassung Arbeitskreis Aktien- und Kapitalmarktrecht Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften (ab 1.2.2003: ABlEU – Amtsblatt der Europäischen Union) Amtsblatt der Europäischen Union (bis 31.1.2003: ABlEG – Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften) Absatz/Absätze abweichend Law Reports: Appeal Cases (2nd series: 1875–90; 3rd series: 1891 – current) Archiv für die civilistische Praxis Addendum Allgemeines Deutsches Handelsgesetzbuch Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union Aktiengesellschaft oder Die Aktiengesellschaft [Zeitschrift] oder Amtsgericht Allgemeine Geschäftsbedingungen Alternative Investment Fund Alternative Investment Fund Manager American Journal of Comparative Law Asian Journal of Law and Economics Gesetz zur Änderung des Aktiengesetzes Aktiengesetz Aktienrechts-Änderungsgesetz All England law reports (1936 – heute) allgemein Alternative American Journal of Comparative Law Autorité des Marchés Financiers [franz. Finanzaufsichtsbehörde] Anhang Anmerkung Annual Survey of International and Comparative Law Gesetz zur Verbesserung des Anlegerschutzes (Anlegerschutzverbesserungsgesetz) Anwaltsblatt Nachschlagewerk des Bundesarbeitsgerichts – Arbeitsrechtliche Praxis Aktienrechtsänderungsgesetz [Österreich] Gesetz über die Gleichbehandlung von Männern und Frauen am Arbeitsplatz und über die Erhaltung von Ansprüchen bei Betriebsübergang (Arbeitsrechtliches EG-Anpassungsgesetz) Arbeitsgericht Der Arbeitgeber [Zeitschrift]

XXXVI arg. ArGe Art. ARTE ARUG ARZ AStG AStV AT AuA Aufl. AuR ausf. Ausn. AWD AWV Az. B.F.L.R. BAA BaFin BAG BAnz. BAWe BayObLG BayObLGZ BB BCC Bd. BDA BdB BDI BE Bearb. BeckRS Begr. BegrRA BegrRegE Beil. BERR bes. betr. BetrAVG

Abkürzungsverzeichnis

argumentum Arbeitsgemeinschaft Artikel Association Relative à la Télévision Européenne Gesetz zur Umsetzung der Aktionärsrechterichtlinie Allgemeine Register und Gerichtsstandsbestimmungen [Registerzeichen Zivilsachen BGH] Gesetz über die Besteuerung bei Auslandsbeziehungen Ausschuss der Ständigen Vertreter der Mitgliedstaaten Österreich Arbeit und Arbeitsrecht [Zeitschrift] Auflage Arbeit und Recht [Zeitschrift] ausführlich Ausnahme(n) Außenwirtschaftsdienst des Betriebs-Beraters [Zeitschrift] Verordnung zur Durchführung des Außenwirtschaftsgesetzes Aktenzeichen Banking and Finance Law Review Bundesausgleichsamt oder British Airports Authority Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht Bundesarbeitsgericht Bundesanzeiger Bundesaufsichtsamt für den Wertpapierhandel Bayerisches Oberstes Landesgericht Entscheidungen des Bayerischen Obersten Landesgerichts in Zivilsachen Betriebs-Berater [Zeitschrift] British Company Cases Band Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände Bundesverband deutscher Banken Bundesverband der Deutschen Industrie e.V. Belgien Bearbeiter oder Bearbeitung Beck-Rechtsprechung Begründung Begründung Rechtsausschuss Begründung Regierungsentwurf Beilage Department for Business, Enterprise and Regulatory Reform [UK: Ministerium für Handel, Unternehmen und regulatorische Reform, 2007–2009, Vorläufer von BIS] besonders betreffend oder betrifft Gesetz zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung

Abkürzungsverzeichnis

BetrVG BeurkG BFH BFHE BFuP BG BGB BGBl. BGH BGHZ BilMoG BilReG BiRiLiG BIS

BKR BLR BMJ BNotK BNotO BOE BörsG BörsZulG BörsZulV BPIR BRAO BRD BR-Drs. BReg. Brook. J. Int’l L. BRZ BSG Bsp. BT-Drs. BT-PlPr. Bull. Bull. Joly BullEG Bus. L. Int’l BuW BV BVerfG BVerfGE BVG BvG BvR

XXXVII

Betriebsverfassungsgesetz Beurkundungsgesetz Bundesfinanzhof Sammlung der Entscheidungen des Bundesfinanzhofs Betriebswirtschaftliche Forschung und Praxis [Zeitschrift] Bulgarien Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Zivilsachen Gesetz zur Modernisierung des Bilanzrechts (Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz – BilMoG) Bilanzrechtsreform-Gesetz Bilanzrichtliniengesetz Bank for International Settlement oder Department for Business, Innovation and Skills [UK: Ministerium für Handel, Innovation und Qualifikationen, seit 2009 Nachfolger von BERR] Zeitschrift für Bank- und Kapitalmarktrecht Business Law Review Bundesministerium der Justiz Bundesnotarkammer Bundesnotarordnung Boletín Oficial del Estado [spanisches Gesetz- und Amtsblatt] Börsengesetz Börsenzulassungsgesetz Börsenzulassungsverordnung Bankruptcy and Personal Insolvency Reports Bundesrechtsanwaltsordnung Bundesrepublik Deutschland Bundesratsdrucksache Bundesregierung Brooklyn Journal of International Law Zeitschrift für Bilanzierung und Rechnungswesen Bundessozialgericht Beispiel Bundestagsdrucksache Plenarprotokoll Bundestag Bulletin Bulletin Joly Sociétés Bulletin der Europäischen Gemeinschaften Business Law International [Zeitschrift] Betrieb und Wirtschaft [Zeitschrift] Besloten vennootschap met beperkte aansprakelijkheid [niederländische Parallelform zur GmbH] Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (amtliche Sammlung) Besonderes Verhandlungsgremium Verfassungsstreitigkeiten zwischen Bund und Ländern [Registerzeichen BVerfG] Verfassungsbeschwerden [Registerzeichen BVerfG]

XXXVIII

Abkürzungsverzeichnis

BWNotZ BYU L. Rev. bzgl. bzw.

Zeitschrift für das Notariat in Baden-Württemberg Brigham Young University Law Review bezüglich beziehungsweise

C

Dokumente im Zusammenhang mit Beschlüssen oder Entscheidungen, die die Kommission in eigener Verantwortung erlässt (in der dt. Fassung: „K“) Code de commerce [franz. Handelsgesetzbuch] culpa in contrahendo Common Market Law Review Compliance Officer Bulletin Companies Act California Law Review Cour de Cassation, chambre criminelle Companies (Cross-Border Mergers) Regulations central counterparty [zentrale Gegenpartei] Corporate Compliance Zeitschrift Cahiers de droit européen Credit Default Swaps Communauté économique européenne [Europäische Wirtschaftsgemeinschaft] Chief Executive Officer Comité économique et social européen [Europäischer Wirtschaftsund Sozialausschuss – EWSA] Committee of European Securities Regulators [Ausschuss der europäischen Wertpapierregulierungsbehörden] Corporate Finance Law [Zeitschrift] Corporate Governance Advisory Group Law Reports: Chancery (1st series: 1865–1875; 2nd series: 1875–90; 3rd series: 1891 – current) Law Reports Chancery Appeals (1865–1875) chapter [Kapitel] Cambridge Law Journal Command Paper Capital Markets Law Journal Common Market Law Review Comisión Nacional de Energía [spanische Energieaufsichtsbehörde] Conseil national du patronat français [französischer Unternehmerverband, Vorläufer von MEDEF] The Company Lawyer [Zeitschrift] Company Company Law Newsletter Columbia Journal of European Law Legislativvorschläge und sonstige Mitteilungen der Kommission an den Rat und/oder an die anderen Organe sowie die entsprechenden vorbereitenden Dokumente. Dokumente der Kommission für die anderen Organe (Legislativvorschläge, Mitteilungen, Berichte usw.) (dt. Fassung: „KOM“) centre of main interests [Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen] Cornell International Law Journal Computer und Recht [Zeitschrift]

C. com. c.i.c. C.M.L. Rev. C.O.B. CA Cal. L. Rev. Cass. crim. CBMR CCP CCZ CDE CDS CEE CEO CESE CESR CFL CGAG Ch Ch App ch. CLJ Cm. CMLJ CMLR CNE CNPF Co Law Co. Co. L.N. Colum. J. Eur. L. COM

COMI Cornell Int’l L. J. CR

Abkürzungsverzeichnis

CRD CREDA CSES CY CZ D. D. Lg. d.h. D.R. DAI DAV DAX DB DBW DCF DCGK DE dergl. ders. Dez. DG MARKT DGB dies. diesbzgl. DIHK DiskE Diss. DJT DK DL DM DMBilG DNotI DNotV DNotZ Dok. DPCI Dr. DRB Dres. DrittelbG DRiZ DRL DRS DStR DStZ dt. DTI

XXXIX

Capital Requirements Directive [Kapitaladäquanzrichtlinie] Centre de recherche sur le droit des affaires de la Chambre de commerce et d’industrie de Paris Centre for Strategy and Evaluation Services Zypern Tschechische Republik Recueil Dalloz [Zeitschrift] decreto legislativo das heißt Diário da República [portugiesisches Amtsblatt] Deutsches Aktieninstitut Deutscher Anwaltverein Deutscher Aktienindex Der Betrieb [Zeitschrift] Die Betriebswirtschaft [Zeitschrift] Discounted Cash-Flow Deutscher Corporate Governance Kodex Deutschland dergleichen derselbe Dezember Directorate General Internal Market and Services [Generaldirektion Binnenmarkt und Dienstleistungen] Deutscher Gewerkschaftsbund dieselbe(n) diesbezüglich Deutscher Industrie- und Handelskammertag Diskussionsentwurf Dissertation Deutscher Juristentag Dänemark Decreto-Lei Deutsche Mark Gesetz über die Eröffnungsbilanz in Deutscher Mark und die Kapitalneufestsetzung Deutsches Notarinstitut Deutscher Notarverein Deutsche Notar-Zeitschrift Dokument [insbesondere: Ratsdokument] Droit et pratique du commerce international [Zeitschrift] Doktor Deutscher Richterbund Doctores Gesetz über die Drittelbeteiligung der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat Deutsche Richterzeitung Durchführungsrichtlinie Deutsche Rechnungslegungs Standards Deutsches Steuerrecht [Zeitschrift] Deutsche Steuer-Zeitung deutsch Department of Trade and Industry [UK: Handels- und Industrieministerium, 1983–2007, Vorläufer von BERR]

XL

Abkürzungsverzeichnis

DVBl. DVO DWiR DZWiR

Deutsches Verwaltungsblatt Durchführungsverordnung Deutsche Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Deutsche Zeitschrift für Wirtschaftsrecht

E.L. Rev. e.V. EBA EBLR EBOR EBR EBRG EC ECFR ECGF ECGI ECJ ECL ECON

European Law Review eingetragener Verein European Banking Authority / Europäische Bankenaufsichtsbehörde European Business Law Review European Business Organization Law Review Europäischer Betriebsrat Gesetz über Europäische Betriebsräte European Communities [Europäische Gemeinschaften] European Company and Financial Law Review Europäisches Corporate Governance Forum European Corporate Governance Institute European Court of Justice [Europäischer Gerichtshof] European Company Law [Zeitschrift] Committee on Economic and Monetary Affairs [Ausschuss für Wirtschaft und Währung (Europäisches Parlament)] European Currency Unit [Europäische Währungseinheit, Nachfolgerin der ERE und (zumindest i.w.S.) Vorläuferin des Euro] editor [Herausgeber] editors [Herausgeber] Estland European Economic Area [Europäischer Wirtschaftsraum] European Economic Community [Europäische Wirtschaftsgemeinschaft] European Economic Interest Grouping [englische Bezeichnung der EWIV] Entscheidungen der Finanzgerichte European Financial Reporting Advisory Group European Free Trade Association [Europäische Freihandelsassoziation] eingetragene Genossenschaft Europäische Gemeinschaft(en) oder EG-Vertrag (Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft) Einführungsgesetz zum Aktiengesetz Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch Einführungsgesetz zur Insolvenzordnung Gesetz über das elektronische Handelsregister und Genossenschaftsregister sowie das Unternehmensregister Einführung Einleitung European Insurance and Occupational Pensions Authority [Europäische Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung] Estabelecimento mercantil individual de responsabilidade limitada [portugiesisches Einpersonen-Unternehmen mit beschränkter Haftung] Griechenland European Model Company Act

ECU ed. eds. EE EEA EEC EEIG EFG EFRAG EFTA eG EG EGAktG EGBGB EGInsO EHUG Einf. Einl. EIOPA EIRL EL EMCA

Abkürzungsverzeichnis

EMRK endg. engl. entspr. EP EPG ERCL ERE Erl. ERPL ES ESA ESFS ESMA ESME ESRB EStG ESUG ESZB etc. ETUC EU EuG EUGGES EuGH EuGVÜ EuGVVO EuInsVO EuLF EuR Euro. Law. EuroBilG

EU-UstB EU-VerschG EuZ EuZVO

XLI

Europäische Menschenrechtskonvention endgültig englisch entsprechend Europäisches Parlament Europäische Privatgesellschaft [= Societas Privata Europaea – SPE] European Review of Contract Law Europäische Rechnungseinheit [Vorläufer des ECU] Erläuterung European Review of Public Law Spanien European Supervisory Authorities [Europäische Aufsichtsbehörden] European System of Financial Supervision [Europäisches System der Finanzaufsicht] European Securities and Markets Authority [Europäische Wertpapierund Marktaufsichtsbehörde] European Securities Markets Expert Group [Expertengruppe Europäische Wertpapiermärkte] European Systemic Risk Board [Europäischer Ausschuss für Systemrisiken] Einkommenssteuergesetz Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen Europäisches System der Zentralbanken et cetera [und so weiter] European Trade Union Conferedation [Europäischer Gewerkschaftsbund] Europäische Union oder Vertrag über die Europäische Union Gericht [seit dem Vertrag von Lissabon heißt das Gericht erster Instanz offiziell nur noch „Gericht“] Europäische Gegenseitigkeitsgesellschaft Europäischer Gerichtshof Europäisches Gerichtsstands- und Vollstreckungsübereinkommen VO (EG) Nr. 44/2001 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen Europäische Insolvenzverordnung The European Legal Forum [Zeitschrift] Europarecht [Zeitschrift] European Lawyer [Zeitschrift] Gesetz zur Anpassung bilanzrechtlicher Bestimmungen an die Einführung des Euro, zur Erleichterung der Publizität für Zweigniederlassungen ausländischer Unternehmen sowie zur Einführung einer Qualitätskontrolle für genossenschaftliche Prüfungsverbände (EuroBilanzgesetz) EU-Umsatz-Steuer-Berater [Zeitschrift] Bundesgesetz über die grenzüberschreitende Verschmelzung von Kapitalgesellschaften in der Europäischen Union (EU-Verschmelzungsgesetz – EU-VerschG) [Österreich] Zeitschrift für Europarecht VO (EG) Nr. 1393/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 13.11.2007 über die Zustellung gerichtlicher und außergericht-

XLII

EuZW evtl. EWCA Civ EWG EWHC EWiR EWIV EWR EWS EWSA EzA EZB f. FamFG FAQ FAZ FD-HGR FDP FEMM ff. FGG FGG-RG FGPrax FI FICOD FinAnV FinDAG FKVO FMS FMStBG FMStG Fn. Fordham L. Rev. FR franz.

Abkürzungsverzeichnis

licher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten („Zustellung von Schriftstücken“) Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht eventuell Court of Appeal (Civil Division) (media neutral citation) [neutrale Fundstelle für Entscheidung der Zivilabteilung des Court of Appeal] Europäische Wirtschaftsgemeinschaft High Court of England and Wales (media neutral citation) [neutrale Fundstelle für Entscheidungen des High Court] Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht [Zeitschrift] Europäische Wirtschaftliche Interessenvereinigung Europäischer Wirtschaftsraum Europäisches Wirtschafts- und Steuerrecht [Zeitschrift] Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss Entscheidungen zum Arbeitsrecht Europäische Zentralbank folgende Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit frequently asked questions [häufig gestellte Fragen] Frankfurter Allgemeine Zeitung Fachdienst Handels- und Gesellschaftsrecht [Zeitschrift] Freie Demokratische Partei Committee on Women’s Rights and Gender Equality [Ausschuss für die Rechte der Frau und die Gleichstellung der Geschlechter (Europäisches Parlament)] fortfolgende Gesetz über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit Gesetz zur Reform des Verfahrens in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FGG-Reformgesetz – FGG-RG) Praxis der freiwilligen Gerichtsbarkeit [Zeitschrift] Finnland Financial Conglomerates Directive [Finanzkonglomerate-RL] Verordnung über die Analyse von Finanzinstrumenten (Finanzanalyseverordnung – FinAnV) Finanzdienstleistungsaufsichtsgesetz Verordnung (EG) Nr. 139/2004 des Rates v. 20.1.2004 über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen („EG-Fusionskontrollverordnung“) Finanzmarktstabilisierungsfonds Gesetz zur Beschleunigung und Vereinfachung des Erwerbs von Anteilen an sowie Risikopositionen von Unternehmen des Finanzsektors durch den Fonds „Finanzmarktstabilisierungsfonds – FMS“ Finanzmarktstabilisierungsgesetz Fußnote(n) Fordham Law Review Finanz-Rundschau oder Frankreich französisch

Abkürzungsverzeichnis

FRUG FS FSAP FSB fstk G.U. G20 GA GaJICL GATS Gazz. Uff. GBO GbR GD GDV GEIE gem. GenG

XLIII

Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie über Märkte für Finanzinstrumente und der Durchführungsrichtlinie der Kommission (Finanzmarktrichtlinie-Umsetzungsgesetz) Festschrift Financial Services Action Plan [Aktionsplan für Finanzdienstleistungen] Financial Stability Board finanzen.steuern kompakt [Zeitschrift]

GG ggf. GIE GLJ GmbH GmbHG GmbHR GPR grds. GRUR GS GuV GVG GWB GWR

Gazzetta ufficiale della Repubblica italiana [italienisches Amtsblatt] Gruppe der zwanzig wichtigsten Industrie- und Schwellenländer Generalanwalt/Generalanwältin Georgia Journal of International and Comparative Law Allgemeines Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen Gazetta Ufficiale della Repubblica Italiana [italienisches Amtsblatt] Grundbuchordnung Gesellschaft bürgerlichen Rechts Generaldirektion [der Europäischen Kommission] Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft groupement européen d’intérêt économique [franz. Name der EWIV] gemäß Gesetz betreffend die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften (Genossenschaftsgesetz) GeS aktuell – Zeitschrift für Gesellschafts- und Steuerrecht Bundesgesetz über den Ausschluss von Minderheitsgesellschaftern (Gesellschafter-Ausschlussgesetz – GesAusG) [Österreich] Zeitschrift für Gesellschaftsrecht Zeitschrift für Gesellschafts- und Unternehmensrecht Gewerbearchiv [Zeitschrift] Gewerbesteuergesetz Global Financial Markets (Working Papers Series, abrufbar unter http://www.gfinm.de/index.php/working-papers) Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland gegebenenfalls groupement d’intérêt économique German Law Journal Gesellschaft mit beschränkter Haftung Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung GmbH-Rundschau Zeitschrift für Gemeinschaftsprivatrecht grundsätzlich Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht [Zeitschrift] Gedächtnisschrift Gewinn- und Verlustrechnung Gerichtsverfassungsgesetz Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen Gesellschafts- und Wirtschaftsrecht [Zeitschrift]

h.L. h.M. Harv. Int’l L.J. Hdb. HGB

herrschende Lehre herrschende Meinung Harvard International Law Journal Handbuch Handelsgesetzbuch

GeS GesAusG GesR GesRZ GewArch GewStG GFinM

XLIV

Abkürzungsverzeichnis

HGB-E HK HLJ Hous. J. Int’l L. HRB HRefG Hrsg. HRV Hs. HU

Handelsgesetzbuch (Entwurf) Handkommentar Hertfordshire Law Journal Houston Journal of International Law Handelsregister Abteilung B Handelsrechtsreformgesetz Herausgeber Handelsregisterverordnung Halbsatz Ungarn

I.B.L.J. i.d.F. i.d.F.d. i.d.F.v. i.d.R. i.d.S. i.E.

International Business Law Journal in der Fassung in der Fassung der/s in der Fassung von/m in der Regel in diesem Sinne im Ergebnis oder im Einzelnen im engeren Sinne in Höhe der/s in Höhe von International Litigation Procedure [Entscheidungssammlung] im Rahmen der/s im Rahmen einer/s im Rahmen von im Sinne der/s im Sinne einer/s im Übrigen in Verbindung mit im weiteren Sinne Insolvency Act International Accounting Standards International Accounting Standards Board International Accouting Standards Committee ibidem [ebenda, ebendort] International Company and Commercial Law Review International & Comparative Law Quarterly Institut der Wirtschaftsprüfer Irland International Financial Law Review International Financial Reporting Standards International Insolvency Law Review Institute for Law and Finance Industrial Law Journal Incorporated [Abkürzung bei (public) corporation] inklusive insbesondere Insolvenzordnung Insolvency Intelligence [Zeitschrift] International Journal of Comparative Labour Law and Industrial Relations

i.e.S. i.H.d. i.H.v. I.L.Pr. i.R.d. i.R.e. i.R.v. i.S.d. i.S.e. i.Ü. i.V.m. i.w.S. IA IAS IASB IASC ibid. ICCLR ICLQ IDW IE IFLR IFRS IILR ILF ILJ Inc. inkl. insbes. InsO Insolv. Int. Int J Comp LLIR

Abkürzungsverzeichnis

Int’l L. Int’l Fin. L. Rev. Intertax IntGesR IntHGesR IntInsNeuRG IntInsR InvÄndG InvG InvModG IP IPR IPrax IPRG IRZ IS ISD IStR IT IWB IWF J. Bankr. L. & Prac. J. Comp. Bus. & Cap. Market L. J. Int’l L. J.F.R. & C. J.I.B.L.R. JA JbItalR JbJZW JBL JBl. JCLS JCMS JCP JCP CI JCP E JO JOIC JöR JORF Journal UEC JR JT jurisPR-HaGesR JuS

XLV

International Lawyer [Zeitschrift] International Financial Law Review International Tax Review Internationales Gesellschaftsrecht Internationales Handels- und Gesellschaftsrecht Gesetz zur Neuregelung des Internationalen Insolvenzrechts Internationales Insolvenzrecht Gesetz zur Änderung des Investmentgesetzes und zur Anpassung anderer Vorschriften Investmentgesetz Investmentmodernisierungsgesetz Commission information à la presse [Kürzel für Pressemitteilungen der Europäischen Kommission] Internationales Privatrecht Praxis des Internationalen Privat- und Verfahrensrechts [Zeitschrift] Bundesgesetz vom 18. Dezember 1987 über das Internationale Privatrecht (IPRG) [Schweiz] Zeitschrift für Internationale Rechnungslegung Island Investment Services Directive [Wertpapierdienstleistungs-RL] Internationales Steuerrecht [Zeitschrift] Italien Internationale Wirtschaftsbriefe [Zeitschrift] Internationaler Währungsfonds Journal of Bankruptcy Law and Practice Journal of Comparative Business and Capital Market Law Journal of International Law Journal of Financial Regulation and Compliance Journal of International Banking Law and Regulation Juristische Arbeitsblätter [Zeitschrift] Jahrbuch für Italienisches Recht Jahrbuch Junger Zivilrechtswissenschaftler Journal of Business Law Juristische Blätter [Zeitschrift] Journal of Corporate Law Studies Journal of Common Market Studies Jurisclasseur périodique (Semaine juridique) [Zeitschrift] Jurisclasseur périodique (Semaine juridique) édition „Commerce et industrie“ [Zeitschrift] Jurisclasseur périodique (Semaine juridique) édition „Entreprise“ [Zeitschrift] Journal officiel Journal of Investment Compliance Jahrbuch des öffentlichen Rechts Journal officiel de la République française [franz. Amtsblatt] Journal de l’Union européenne des experts comptables économiques et financiers Juristische Rundschau [Zeitschrift] Journal des tribunaux juris Praxisreport Handels- und Gesellschaftsrecht Juristische Schulung [Zeitschrift]

XLVI

Abkürzungsverzeichnis

JW JZ

Juristische Wochenschrift Juristenzeitung

K

Dokumente im Zusammenhang mit Beschlüssen oder Entscheidungen, die die Kommission in eigener Verantwortung erlässt (in der englischen Fassung: „C“) Kapitel Gesetz zur Durchführung der Richtlinie des Rates der Europäischen Union zur Änderung der Bilanz- und der Konzernabschlussrichtlinie hinsichtlich ihres Anwendungsbereichs (90/605/EWG), zur Verbesserung der Offenlegung von Jahresabschlüssen und zur Änderung anderer handelsrechtlicher Bestimmungen v. 24.2.2000 (Kapitalgesellschaften- und Co-Richtlinie-Gesetz – KapCoRiLiG) RL 90/604/EWG des Rates v. 8.11.1990 zur Änderung der Richtlinie 78/660/EWG über den Jahresabschluß und der Richtlinie 83/349/EWG über den konsolidierten Abschluß hinsichtlich der Ausnahme für kleine und mittlere Gesellschaften sowie der Offenlegung von Abschlüssen in Ecu [Kapitalgesellschaften- und Co-RL] Gesetz über die Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln und über die Verschmelzung von Gesellschaften mit beschränkter Haftung Gesetz über Musterverfahren in kapitalmarktrechtlichen Streitigkeiten (Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz – KapMuG) Gesetz zur Durchführung der Zweiten Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaften zur Koordinierung des Gesellschaftsrechts Korlátolt felelősségű társaság [= ungarische Parallelform zur GmbH] Kommanditgesellschaft Kommanditgesellschaft auf Aktien Kleine und mittlere Unternehmen Legislativvorschläge und sonstige Mitteilungen der Kommission an den Rat und/oder an die anderen Organe sowie die entsprechenden vorbereitenden Dokumente. Dokumente der Kommission für die anderen Organe (Legislativvorschläge, Mitteilungen, Berichte usw.) (englische Fassung: „COM“) Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich Der Konzern [Zeitschrift] Gesetz zur Durchführung der Ersten Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaften zur Koordinierung des Gesellschaftsrechts Kapitalmarktorientierte Rechnungslegung [Zeitschrift] Gesetz über die Kosten in Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit Gesetz zur Reorganisation von Kreditinstituten (KreditinstituteReorganisationsgesetz – KredReorgG) kritisch Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft Kölner Schriften zum Europarecht Körperschaftssteuergesetz Kölner Schrift zum Wirtschaftsrecht Zeitschrift für Insolvenzrecht

Kap. KapCoRiLiG

KapCo-RL

KapErhG KapMuG KapRiLiG Kft KG KGaA KMU KOM

KonTraG Konzern KoordG KoR KostO KredReorgG krit. KritV KSE KStG KSzW KTS

Abkürzungsverzeichnis

KuMaKV KWG LAnpG LBOs LG LI LIEI lit. LL.M. LLC LLP LM LMK LQR LR … CP LR … QB LT Ltd. LU LV M&A m. Anm. m.w.N. m.W.v. m.z.w.N. MAD MaKonV max. MBCA mbH MDR MEDEF MEP MgVG Mich. J. Int’l L. Mich. L. Rev. MiFID MiFID-DRL MiFID-DVO mind. Mio.

XLVII

Verordnung zur Konkretisierung des Verbotes der Kurs- und Marktpreismanipulation Gesetz über das Kreditwesen (Kreditwesengesetz – KWG) Gesetz über die strukturelle Anpassung der Landwirtschaft an die soziale und ökologische Marktwirtschaft in der Deutschen Demokratischen Republik leveraged buyout Landgericht Liechtenstein Legal Issues of Economic Integration [Zeitschrift] littera [Buchstabe] Master of Laws limited liability company limited liability partnership Lindenmaier-Möhring, Kommentierte BGH-Rechtsprechung [Loseblatt] beck-fachdienst Zivilrecht – LMK Law Quarterly Review Law Reports: Court of Common Pleas (1st series: 1865–75, 2nd series: 1875–1880) Law Reports: Queen’s Bench (1st series: 1865–1875; 2nd series: 1875–90; 3rd series: 1891) Law Times Reports (1859–1947) oder Litauen Limited Luxemburg Lettland Mergers & Acquisitions mit Anmerkung mit weiteren Nachweisen mit Wirkung vom mit zahlreichen weiteren Nachweisen Market Abuse Directive [Marktmissbrauchs-RL] Marktmanipulations-Konkretisierungsverordnung – MaKonV maximal Model Business Corporation Act mit beschränkter Haftung Monatsschrift für deutsches Recht Mouvement des entreprises de France [französischer Unternehmerverband] Mitglied des Europäischen Parlaments Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen Michigan Journal of International Law Michigan Law Review Richtlinie über Märkte für Finanzinstrumente MiFID-Durchführungsrichtlinie MiFID-Durchführungsverordnung mindestens Million

XLVIII MitbestG MittBayNot MLR MMR MoMiG MontanMitbestG MS MT MTF n. N.B. n.F. N.Y. n° NaStraG NCJILCR Neubearb. NewCo NILR NJOZ NJW NJW-RR NL NLJ NO No. NotBZ Nov. Nr. NRW NStZ núm. NV NZA NZG NZI O o. o. ä. öAktG öBGBl. OGAW oHG

Abkürzungsverzeichnis

Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer Mitteilungen des Bayerischen Notarvereins, der Notarkasse und der Landesnotarkammer Bayern Modern Law Review Multimedia und Recht [Zeitschrift] Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in den Aufsichtsräten und Vorständen der Unternehmen des Bergbaus und der Eisen und Stahl erzeugenden Industrie Mitgliedstaat(en) Malta multilaterale Handelssysteme (multilateral trading facilities) numéro [Nummer] nota bene neue Fassung New York numéro [Nummer] Gesetz zur Namensaktie und zur Erleichterung der Stimmrechtsausübung North Carolina Journal of International Law and Commercial Regulation Neubearbeitung new company [neu gegründete Gesellschaft] Netherlands International Law Review Neue Juristische Online Zeitschrift Neue Juristische Wochenschrift NJW-Rechtsprechungs-Report Zivilrecht Niederlande New Law Journal Norwegen number [Nummer] Zeitschrift für die notarielle Beratungs- und Beurkundungspraxis November Nummer Nordrhein-Westfalen Neue Zeitschrift für Strafrecht número [Nummer] naamloze vennotschap [niederländische Parallelform der AG] Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht Neue Zeitschrift für das Recht der Insolvenz und Sanierung Aktenzeichen: Allgemeine Zivilsachen 1. Instanz oben oder oder oder ähnliches österreichisches Aktiengesetz österreichisches Bundesgesetzblatt Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren offene Handelsgesellschaft

Abkürzungsverzeichnis

ÖJT ÖJZ Okt. OLG OLGR

XLIX

Owi OWiG

Österreichischer Juristentag Österreichische Juristen-Zeitung Oktober Oberlandesgericht Die Rechtsprechung der Oberlandesgerichte auf dem Gebiet des Zivilrechts Entscheidungen der Oberlandesgerichte in Zivilsachen einschließlich der freiwilligen Gerichtsbarkeit Office des publications de l’Union européenne [Amt für Veröffentlichungen der Europäischen Union] over the counter [außerbörslich] Bundesgesetz über die Umwandlung von Handelsgesellschaften (UmwG) [Österreich] Bußgeldsachen [Registerzeichen] Gesetz über Ordnungswidrigkeiten

p. PfandBG PGR PL plc PM Prof. Prospekt-RL-UG PT

page(s) [Seite(n)] Pfandbriefgesetz Personen- und Gesellschaftsrecht (Liechtenstein) Polen public limited company Pressemitteilung Professor Prospektrichtlinie-Umsetzungsgesetz Portugal

QB

Law Reports: Queen’s Bench (1st series: 1865–1875; 2nd series: 1875–90; 3rd series: 1891)

r. RA RabelsZ RdA RdF RDUE RdW RE RefE RegBegr. RegE REIT REITG

regulation Rechtsanwalt Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht Recht der Arbeit [Zeitschrift] Recht der Finanzwirtschaft [Zeitschrift] Revue du Droit de l’Union Européenne Das Recht der Wirtschaft [Zeitschrift] Rechnungseinheiten Referentenentwurf Begründung Regierungsentwurf Regierungsentwurf Real Estate Investment Trust Gesetz über deutsche Immobilien-Aktiengesellschaften mit börsennotierten Anteilen (REIT-Gesetz – REITG) Überarbeitung Revue critique de droit international privé Revue pratique des sociétés civiles et commerciales Revue des sociétés Reichsfinanzhof Reichsgericht Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen Revue de droit international et de droit comparé Gesetz zur Begrenzung der mit Finanzinvestitionen verbundenen Risiken (Risikobegrenzungsgesetz)

OLGZ OPOCE OTC öUmwG

REV Rev. crit. DIP Rev. prat. soc. Rev. Soc. RFH RG RGZ RIDC RisikobegrenzungsG

L RIW RL RL-E Rn. RNotZ RO Rom I Rom II Rpfleger rr. Rs. Rspr. RTD civ. RTD com. RTD eur. RW Rz. S. s. S.A. S.a.r.l. S.A.S. s.o. s.u. SA SARL Scan. Stud. SCE SCEAG SCEBG SCEEG SCE-VO Sch. scil. SE SEAG

Abkürzungsverzeichnis

Recht der Internationalen Wirtschaft [Zeitschrift] Richtlinie Richtlinienentwurf Randnummer(n) Rheinische Notar-Zeitschrift Rumänien VO (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 17.6.2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht VO (EG) Nr. 864/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 11.7.2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht Der deutsche Rechtspfleger [Zeitschrift] regulations Rechtssache Rechtsprechung Revue trimestrielle de droit civil Revue trimestrielle de droit commercial et de droit économique Revue trimestrielle de droit européen Rechtskundig weekblad Randziffer(n) Seite/Satz siehe oder section société anonyme [franz. Parallelform der AG] société à responsabilité limitée [franz. Parallelform der GmbH] société par actions simplifiée [franz. Rechtsform einer vereinfachten Aktiengesellschaft] siehe oben siehe unten société anonyme [franz. Parallelform der AG] société à responsabilité limitée [franz. Parallelform der GmbH] Scandinavian Studies in Law [Zeitschrift] Societas Cooperativa Europaea (Europäische Genossenschaft) Gesetz zur Ausführung der Verordnung (EG) Nr. 1435/2003 des Rates vom 22. Juli 2003 über das Statut der Europäischen Genossenschaft (SCE) Gesetz über die Beteiligung der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen in einer Europäischen Genossenschaft Gesetz zur Einführung der Europäischen Genossenschaft und zur Änderung des Genossenschaftsrechts VO (EG) Nr. 1435/2003 des Rates v. 22.7.2003 über das Statut der Europäischen Genossenschaft (SCE) Schedule [Anhang] scilicet [d.h., nämlich] Societas Europaea (Europäische Aktiengesellschaft) oder Schweden Gesetz zur Ausführung der Verordnung (EG) Nr. 2157/2001 des Rates vom 8. Oktober 2001 über das Statut der Europäischen Gesellschaft (SE)

Abkürzungsverzeichnis

SEBG SEC

sec. SEEG SEG SEK SE-RL SE-RLE SEStEG SE-VO SE-VOE SI SK Slg. SLIM SME SMN SMS sog. SPD SPE SPE-VOE SPRL SPRL-S SpruchG Sps. SpTrUG SR Srl ss. st. st. Rspr. Stan. J. L. Bus. & Fin. Stbg

LI

Gesetz über die Beteiligung der Arbeitnehmer in einer Europäischen Gesellschaft Securities and Exchange Commission [US-Börsenaufsichtsbehörde] oder Dokumente der Kommission, die nicht zu den Kategorien „C“, „COM“, „PV“ oder „OJ“ gehören (in der dt. Fassung: „SEK“) section Gesetz zur Einführung der Europäischen Gesellschaft (SE) Statut der Europäischen Gesellschaft (Societas Europaea – SE) – SE-Gesetz [Österreich] Dokumente der Kommission, die nicht zu den Kategorien „K“, „KOM“, „PV“ oder „OJ“ gehören (in der engl. Fassung: „SEC“) RL 2001/86/EG des Rates v. 8.10.2001 zur Ergänzung des Statuts der Europäischen Gesellschaft hinsichtlich der Beteiligung der Arbeitnehmer Entwurf der SE-RL Gesetz über steuerliche Begleitmaßnahmen zur Einführung der Europäischen Gesellschaft und zur Änderung weiterer steuerrechtlicher Vorschriften VO (EG) Nr. 2157/2001 des Rates v. 8.10.2001 über das Statut der Europäischen Gesellschaft (SE) Entwurf der SE-VO Slowenien Slowakei Sammlung der Entscheidungen des EuGH und des EuG Simpler Legislation for the Internal Market small and medium-sized enterprises [kleine und mittlere Unternehmen – KMU] Single Market News [vierteljährlicher Newsletter der Kommission, abrufbar unter http://ec.europa.eu/internal_market/smn/index_de.htm] Short Message Service [über das Mobilfunknetz versandte geschriebene Kurznachricht] so genannte(n) Sozialdemokratische Partei Deutschlands Societas Privata Europaea (Europäische Privatgesellschaft) Entwurf der SPE-VO société privée à responsabilité limitée [belgische Parallelform der GmbH] société privée à responsabilité limitée „Starter“ [vereinfachte Form der SPRL] Gesetz über das gesellschaftsrechtliche Spruchverfahren (Spruchverfahrensgesetz) Spiegelstrich Gesetz über die Spaltung der von der Treuhandanstalt verwalteten Unternehmen (SpTrUG) Status:Recht [Zeitschrift] società a responsabilità limitata [italienische Parallelform der GmbH] sections ständig(e) ständige Rechtsprechung Stanford Journal of Law, Business and Finance Die Steuerberatung [Zeitschrift]

LII StGB str. StückAG StuW sublit. SZIER SZW TDG teilw. Tex. Int’ L. J. TFEU

Abkürzungsverzeichnis

Strafgesetzbuch streitig Gesetz über die Zulassung von Stückaktien Steuer und Wirtschaft [Zeitschrift] sublittera (Unterbuchstabe) Schweizerische Zeitschrift für internationales und europäisches Recht Schweizerische Zeitschrift für Wirtschafts- und Finanzmarktrecht Teledienstegesetz teilweise Texas International Law Journal Treaty on the Functioning of the European Union [Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union] Thüringer Oberlandesgericht Telemediengesetz Tagesordnungspunkt(e) Transnational Law & Contemporary Problems [Zeitschrift]

ThürOLG TMG TOP Transnat’l L. & Contemp. Probs. TranspRLDV Transparenzrichtlinie-Durchführungsverordnung TransPuG Gesetz zur weiteren Reform des Aktien- und Bilanzrechts, zu Transparenz und Publizität (Transparenz- und Publizitätsgesetz) TUG Transparenzrichtlinie-Umsetzungsgesetz TVVS Maandblad vor ondernemingrecht en rechtspersonen U u.

U. Pa. J. Bus. L. u.a. u.ä. U.S. U.S.C. u.U. ÜbG UBGG ÜbUG UG UK UMAG UmwÄndG UmwG unstr. Unterabs. unzutr.

Berufung in Zivilsachen [Registerzeichen] und oder unten oder unter University of Pennsylvania Journal of Business Law unter anderem oder und andere und ähnliche United States of America [Vereinigte Staaten von Amerika] United States Code (Code of Laws of the United States of America) [Sammlung und Kodifikation des allgemeinen und permanenten Bundesrechts der Vereinigten Staaten] unter Umständen Übernahmegesetz [Österreich] Gesetz über Unternehmensbeteiligungsgesellschaften Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetz Unternehmergesellschaft United Kingdom [Vereinigtes Königreich] Gesetz zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Anfechtungsrechts Gesetz zur Änderung des Umwandlungsgesetzes Umwandlungsgesetz unstreitig Unterabsatz unzutreffend

Abkürzungsverzeichnis

URN ursprgl. USA usw. Utrecht L. Rev. UWG v v. v.a. VA Va. L. Rev. VAG Vand. J. Transnat’l L. Var. Verf. VerkProspG VerkProspV VerschmRiLiG VersR Verw. VG vgl. VGR VO VOE Vol. Voraufl. Vorb./Vorbem. VorstAG VorstOG vs. VVaG VW W WBl. WFBV WiB WiRo Wis. Int’l L. J. WM WP WpAIV WpDVerOV WPg WpHG

LIII

unique reference number [einzigartige Referenznummer, bei offiziellen Dokumenten von Ministerien aus dem UK] ursprünglich United States of America und so weiter Utrecht Law Review Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb versus [gegen] von/vom vor allem Verwaltungsakt Virginia Law Review Gesetz über die Beaufsichtigung der Versicherungsunternehmen (Versicherungsaufsichtsgesetz – VAG) Vanderbilt Journal of Transnational Law Variante Verfasser(in) Wertpapier-Verkaufsprospektgesetz (Verkaufsprospektgesetz) Verordnung über Wertpapier-Verkaufsprospekte (VerkaufsprospektVerordnung) Gesetz zur Durchführung der Dritten Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaft zur Koordinierung des Gesellschaftsrechts (Verschmelzungsrichtlinie-Gesetz) Versicherungsrecht [Zeitschrift] Die Verwaltung [Zeitschrift] Verwaltungsgericht vergleiche Gesellschaftsrechtliche Vereinigung Verordnung Verordnungsentwurf Volume [(Buch)Band] Vorauflage Vorbemerkung(en) Gesetz zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung Vorstandsvergütungs-Offenlegungsgesetz versus Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit Volkswagen Beschwerden in Zivilsachen [Registerzeichen] Wirtschaftsrechtliche Blätter [Zeitschrift] Wet van 17 december 1997 op de formeel buitenlandse vennootschappen Wirtschaftliche Beratung [Zeitschrift] Wirtschaft und Recht in Osteuropa [Zeitschrift] Wisconsin International Law Journal Wertpapiermitteilungen [Zeitschrift] Wirtschaftsprüfer Wertpapierhandelsanzeige- und Insiderverzeichnisverordnung Wertpapierdienstleistungs-Verhaltens- und Organisationsverordnung Die Wirtschaftsprüfung [Zeitschrift] Wertpapierhandelsgesetz

LIV WPK-mitt. WPO WpPG WpÜG

Abkürzungsverzeichnis

WWU

Wirtschaftsprüferkammer-Mitteilungen Wirtschaftsprüferordnung Wertpapierprospektgesetz Gesetz zur Regelung von öffentlichen Angeboten zum Erwerb von Wertpapieren und von Unternehmensübernahmen WpÜG-Angebotsverordnung Entwurf des WpÜG Wettbewerb in Recht und Praxis [Zeitschrift] Entscheidungssammlung zum Wirtschafts- und Bankrecht Wirtschaft und Wettbewerb [Zeitschrift] Wirtschaft und Wettbewerb/Entscheidungssammlung zum Kartellrecht Wirtschafts- und Währungsunion

YEL

Yearbook of European Law

z. z.B. z.T. z.Z. Zaaknr. ZAP ZB

zum/zur zum Beispiel zum Teil zur Zeit Zaaknummer [niederländische Nummer einer Rechtssache] Zeitschrift für die Anwaltspraxis Beschwerden, Rechtsbeschwerden, weitere Beschwerden, Beschwerden gegen die Nichtzulassung der Revision nach dem BEG [Registerzeichen Zivilsachen BGH] Zeitschrift für Bankrecht und Bankwirtschaft Zeitschrift für Corporate Governance Zeitschrift für europäisches Sozial- und Arbeitsrecht Zeitschrift für europäisches Privatrecht Zeitschrift für Europarechtliche Studien Schriftenreihe des Zentrums für Europäisches Wirtschaftsrecht der Universität Bonn Zeitschrift für Arbeitsrecht Schmalenbachs Zeitschrift für betriebswirtschaftliche Forschung Zeitschrift für das gesamte Genossenschaftswesen Zeitschrift für öffentliche und gemeinwirtschaftliche Unternehmen Zeitschrift für Finanzmarktrecht Zeitschrift für Europarecht, internationales Privatrecht und Rechtsvergleichung Zeitschrift für Gesetzgebung Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht Ziffer(n) Zeitschrift für das gesamte Insolvenzrecht Zeitschrift für Wirtschaftsrecht zitiert Zeitschrift für die Notarpraxis Zivilprozessordnung Revisionen, Beschwerden gegen die Nichtzulassung der Revision, Anträge auf Zulassung der Sprungrevision, Berufungen in Patentsachen [Registerzeichen Zivilsachen BGH] Zeitschrift für Rechtspolitik Zivilsenat

WpÜGAV WpÜG-E WRP WuB WuW WuW/E

ZBB ZCG ZESAR ZEuP ZEuS ZEW ZfA ZfbF ZfgG ZfögU ZFR ZfRV ZG ZGR ZHR Ziff. ZInsO ZIP zit. ZNotP ZPO ZR ZRP ZS

Abkürzungsverzeichnis

ZschR zust. zutr. ZVglRWiss ZVI zzgl. ZZP ZZPInt

Zeitschrift für Schweizer Recht zustimmend zutreffend Zeitschrift für vergleichende Rechtswissenschaft Zeitschrift für Verbraucher- und Privat-Insolvenzrecht zuzüglich Zeitschrift für Zivilprozeß Zeitschrift für Zivilprozeß international

LV

1. Teil: Das Europäische Unternehmensund Kapitalmarktrecht

1. Kapitel: Grundlagen § 1 Überblick I. Die Bedeutung des Europäischen Unternehmensrechts Das Unternehmensrecht ist wie kaum eine andere Rechtsmaterie einem stetigen 1 Wandel unterworfen. Dieser geht teils auf Eigeninitiativen der Nationalstaaten zurück und ist insofern selbstveranlasst. Teils geben aber auch Rechtsakte aus „Europa“ den Anstoß zur Gesetzgebung. Mittlerweile hat diese Form der Fremdveranlassung nationaler gesetzgeberischer Maßnahmen ein solches Ausmaß angenommen, dass ein Unternehmensrecht ohne europäischen Einfluss nicht mehr denkbar erscheint. Das Tableau der europäischen Rechtsakte auf dem Gebiet des Unternehmensrechts ist während der vergangenen Jahrzehnte stetig angewachsen und hat in der Sache zu erheblichen Veränderungen geführt. Als Beleg für die seit der Vorauflage ungebrochen hohe Aktivität des europäischen Normgebers auf dem Gebiet des Unternehmensrechts seien nur genannt: Die Kapitalmarktpublizitäts-RL1, die MarktmissbrauchsRL (Market Abuse Directive – MAD, dazu § 35), die Prospekt-RL (dazu § 34), die MiFID (zu § 33), die Transparenz-RL (dazu § 36), die Übernahme-RL (dazu § 30), die 10. RL betreffend die grenzüberschreitende Verschmelzung (dazu § 23), die neue Abschlussprüfer-RL (dazu § 27), die Aktionärsrechte-RL (dazu § 31), die Europäische Insolvenzverordnung (EuInsVO, dazu § 16), die SE-VO (dazu § 41), die SCE-VO (dazu § 42) und die Rechtsakte zur Errichtung des Europäischen Finanzaufsichtssystems (ESFS, dazu § 17 Rn. 263 ff. sowie § 36). Vergegenwärtigt man sich die Tatsache, dass die Europäische Union im Jahre 1958 2 als Europäische Wirtschaftsgemeinschaft gegründet wurde und diese sich die Schaffung eines einheitlichen europäischen Binnenmarktes auf die Fahnen geschrieben hatte, verwundert es nicht, dass sich gerade das Unternehmensrecht als erstes und wichtigstes Feld der Rechtsangleichung herausgebildet hat. Heute kann es als diejenige Materie des Privatrechts bezeichnet werden, deren Europäisierung am weitesten fortgeschritten ist. Für den Rechtsanwender ist die Kenntnis des Unionsrechts im Allgemeinen und 3 des Europäischen Unternehmensrechts im Speziellen nicht nur wegen seiner praktischen Bedeutung unerlässlich. Die Normen des europäischen Rechts beeinflussen über ihre teilweise unmittelbare Geltung und das Gebot der europarechtskonformen Auslegung auch den materiellen Gehalt nationaler Rechtsnormen (näher dazu § 3).

1 RL 2001/34/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 28.5.2001 über die Zulassung von Wertpapieren zur amtlichen Börsennotierung und über die hinsichtlich dieser Wertpapiere zu veröffentlichenden Informationen, ABlEG v. 6.7.2001, L 184/1.

4

Grundlagen

II. Der Begriff des Europäischen Unternehmensrechts 4 Der Terminus „Europäisches Unternehmensrecht“ 2 mag den Eindruck hervorrufen, es handele sich um ein in sich geschlossenes Rechtsgebiet. In dem klassischen und geläufigen Sinne einer gesetzlichen Gesamtregelung und einer systematischen Ordnung gibt es ein Europäisches Unternehmensrecht aber nicht. Dennoch ist es zulässig, davon zu sprechen. Denn wie in frühen Zeiten der nationalen Rechte, in denen es auch keine systematischen Gesetze über die Gesellschaften gab, sondern allenfalls verstreute Einzelregelungen, so entwickelt sich auch das Europäische Unternehmensrecht aus einzelnen Teilen, aus Sandbänken und Dünen, die mehr und mehr zur Insel zusammenwachsen und Anschluss an das feste Land suchen. Europäisches Unternehmensrecht ist also nicht ein großer kodifikatorischer Wurf wie z.B. das deutsche Bürgerliche Gesetzbuch (BGB), sondern eklektisch anmutende Einzelregelungen, die aber mehr und mehr zu einem Ganzen zusammenwachsen. Für den Bereich des Kapitalmarktrechts scheint sogar die Aussage zutreffend, dass durch die Kapitalmarktpublizitäts-RL, die MAD (dazu § 35), die Prospekt-RL (dazu § 34), die MiFID (dazu § 33), die Übernahme-RL (dazu § 30) und die Transparenz-RL (dazu § 36) sowie die Rechtsakte zur Errichtung des Europäischen Finanzaufsichtssystems (ESFS, dazu § 17 Rn. 263 ff. sowie § 36) im Verlaufe des letzten Jahrzehnts der Anschluss an das Festland gelungen ist. 5 Eine Systematisierung des Europäischen Unternehmensrechts kann nach den von diesem Begriff erfassten Rechtsgebieten erfolgen, wobei teilweise besondere Problembereiche auf der Agenda der europäischen Institutionen stehen: (1) Gesellschaftsrecht, insbesondere: – die inhaltliche Harmonisierung und Koordinierung des nationalen Gesellschaftsrechts (v.a. der Aktiengesellschaft), – die Herstellung der rechtlichen Möglichkeit für nationale Gesellschaften, über die einzelstaatlichen Grenzen hinweg Niederlassungen zu errichten, Tochtergesellschaften zu gründen, zu fusionieren und ihren Sitz zu verlegen, – die Schaffung supranationaler Rechtsformen; (2) Kapitalmarktrecht, insbesondere: – die Gewährleistung umfassender Primär- und Sekundärmarkttransparenz, – die Regelung von Übernahmeangeboten, – das Verbot des Marktmissbrauchs, – die Finanzmarktaufsicht; (3) Bankrecht, insbesondere die Regelung der Eigenkapitalausstattung von Banken (Stichwort: Basel II und Basel III); (4) Steuerrecht, insbesondere Fragen der Besteuerung von Unternehmen in grenzüberschreitenden Sachverhalten; (5) Bilanzrecht, insbesondere die Schaffung gemeinsamer sowie die Anwendung internationaler Rechnungslegungsstandards in der Europäischen Union;

2 Vgl. auch die gelungene Darstellung von Kilian, Europäisches Wirtschaftsrecht, 4. Aufl. 2010, Rn. 22 ff. zum Begriff „Europäisches Wirtschaftsrecht“.

Überblick

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(6) Insolvenzrecht; (7) Kartellrecht, insbesondere die Sicherung des Wettbewerbs durch Fusionskontrolle; (8) Wettbewerbsrecht, insbesondere der Schutz der Verbraucher vor irreführender Werbung; (9) Gewerblicher Rechtsschutz, insbesondere der gemeinsame Schutz von Marken und Patenten.

Dieses breite Spektrum eines „europäischen“ Unternehmensrechts beruht zum klei- 6 neren Teil auf unmittelbar geltenden Normen europäischen Typs (Verordnungen nach Art. 288 Abs. 2 AEU [G Art. 249 Abs. 2 EG]), zum größeren Teil auf der EU-weiten Beeinflussung der nationalen Unternehmensrechte durch Richtlinien nach Art. 288 Abs. 3 AEU (G Art. 249 Abs. 3 EG). Der noch in der Vorauflage enthaltene Hinweis, es gebe nur wenige unmittelbar 7 und allgemein geltende gesellschaftsrechtliche Normen europäischen Typs, lässt sich mittlerweile nicht mehr aufrecht erhalten. Insbesondere die Schaffung supranationaler Rechtsformen im Wege der Verordnung hat seither große Fortschritte gemacht: Zur 1985 geschaffenen Europäischen Wirtschaftlichen Interessenvereinigung (EWIV, dazu § 40) haben sich die Europäische Aktiengesellschaft (Societas Europaea – SE, dazu § 41) und die Europäische Genossenschaft (Societas Cooperativa Europaea – SCE, dazu § 42) gesellt; darüber hinaus hat die Kommission 2008 einen Vorschlag für eine Verordnung über die Europäische Privatgesellschaft (Societas Privata Europaea – SPE) 3 unterbreitet (dazu § 43). Auch die IFRS-VO (dazu § 26), die FKVO 4 und die schon erwähnte EuInsVO (dazu § 16) sind in diesem Zusammenhang zu nennen. Somit ist auch das Regelungsinstrument der Verordnung von Bedeutung. Das ändert gleichwohl im Ergebnis nichts an der Tatsache, dass die Richtlinie das Hauptinstrument der Rechtsangleichung war, ist und bleibt (zu RL und VO als Regelungsinstrument ausf. § 3). Wie obige Ausführungen zeigen, ist „europäisch“ die einheitliche Bezeichnung 8 für rechtlich durchaus unterschiedliche Sachverhalte, und auch „Unternehmensrecht“ muss hier pars pro toto verstanden werden. Diesem weiten Begriff des „Europäischen Unternehmensrechts“ folgt dieses Buch. Europäisches Unternehmensrecht lässt sich demnach definieren als die Gesamtheit der Regelungen europäischen Typs, die eines der oben genannten Rechtsgebiete betreffen, die aber bei Weitem nicht alle berücksichtigt werden konnten. Dieses Buch folgt mithin einem Teil dieses weiten Begriffs mit Gesellschaftsrecht, Insolvenzrecht, Kapitalmarktrecht und einigen hierfür relevanten Teilen des europäischen Arbeitsrechts.

3 Vorschlag für eine Verordnung des Rates über das Statut der Europäischen Privatgesellschaft, 25.6.2008, KOM(2008) 396. 4 VO (EG) Nr. 139/2004 des Rates v. 20.1.2004 über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen („EG-Fusionskontrollverordnung“), ABlEU v. 29.1.2004, L 24/1.

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Grundlagen

III. Die Texte 9 Die hier abgedruckten Texte sind von ganz eigenartiger Rechtsqualität (näher zum Ganzen noch § 3). 10 Zunächst gibt es Normen europäischen Rechts, die allgemeines und unmittelbar geltendes Recht europäischer Qualität schaffen (Verordnungen nach Art. 288 Abs. 2 AEU); Normadressat ist hier jeder Bürger jedes Mitgliedstaates. Tritt es in Kraft, so verdrängt dieses europäische Recht etwa entgegenstehendes nationales Recht. Doch schwimmen diese Normen wie Inseln im Ozean der nationalen Rechte; sie sind ohne die Auffüllung ihrer Lücken durch nationales Recht nicht lebensfähig, wirken aber ihrerseits auf das Verständnis des sie umgebenden nationalen Rechts durchaus ein. Es liegt auf der Hand, dass gerade diese Texte verfügbar sein müssen. 11 Für einen weiteren und im Bereich des Unternehmensrechts besonders wichtigen Teil des europäischen Rechts ist zwar die unmittelbare Rechtswirkung gegeben, nicht ohne Weiteres aber die allgemeine Geltung (Richtlinien nach Art. 288 Abs. 3 AEU); diese Normen richten sich zunächst nur an die mitgliedstaatlichen Gesetzgeber und verpflichten diese zu legislativen Maßnahmen auf der Ebene ihres nationalen Rechts. Die Texte dieser Richtlinien sind daher von entscheidender Bedeutung für die Auslegung der auf ihnen beruhenden nationalen Normen. Diese europarechtskonforme Auslegung nationaler Vorschriften ist darüber hinaus so stark unionsbezogen, dass sie vom EuGH in hohem Maße beeinflusst werden kann. Und schließlich können gerade diese Normen mit der Zeit und unter bestimmten weiteren Voraussetzungen allgemeine Geltung gewinnen („self executing“ der Richtlinien), etwa entgegenstehendes nationales Recht verdrängen oder Lücken des nationalen Rechts mit Normen europäischer Qualität füllen. Grund genug, sich ihrer Texte zu vergewissern. Das nicht zuletzt ist das Anliegen dieses Buches.

IV. Rechtsentwicklung 12 Im Jahre 2001 legte ein „Ausschuss der Weisen“ unter Vorsitz von Alexandre Lamfalussy seinen Schlussbericht über die Regulierung der Europäischen Wertpapiermärkte vor, in dem er zur Bekämpfung der Ineffizienz auf den europäischen Finanzmärkten und zur Vereinfachung und Beschleunigung des europäischen Gesetzgebungsprozesses die Implementierung eines vierstufigen Rechtsetzungsverfahrens empfahl. Das auf dieser Basis geschaffene sog. Lamfalussy-Verfahren, das später über den Wertpapiersektor hinaus auch auf den Banken- und Versicherungssektor ausgedehnt und jüngst signifikant modifiziert wurde (näher zum Ganzen § 17 Rn. 44 ff.), hat für die Rechtssetzungspraxis eminente Bedeutung erlangt. 13 Selbstverständlich sind die europäischen Rechtsakte nicht nur Ergebnisse einer fernen „Brüsseler Bürokratie“, sondern kommen unter maßgeblicher Einwirkung der nationalen fachlichen und politischen Instanzen zustande. Daraus lassen sich häufig Anhaltspunkte gewinnen für die Richtung, in der sich auch die rein nationale Gesetzgebung entwickeln könnte: Wie auch im europäischen Ausland so werden auch

Rechtsgrundlagen der Europäisierung des Unternehmensrechts

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in Deutschland europäische Maßnahmen nicht selten antizipiert, d.h. nationale Reformen in einer bestimmten Richtung eingeleitet, deren Festlegung durch europäische Maßnahmen erwartet wird, deren politische Initiative aber national, nicht europäisch determiniert sein soll. Schließlich ist zu bedenken, dass jede Maßnahme des europäischen Gesetzgebers 14 Daten setzt, die den Gestaltungsspielraum der mitgliedstaatlichen Gesetzgeber im betreffenden Regelungsbereich beschränken. Das gilt insbesondere für die hier abgedruckten Richtlinientexte: Ist die in ihnen festgelegte Umsetzungsfrist von üblicherweise 24 Monaten abgelaufen, so erzeugen diese Richtlinien in ihrem Regelungsbereich ein Gebot des stand still für den nationalen Gesetzgeber mit der Folge, dass diesem die Gesetzgebungskompetenz über immer weitere Bereiche des Unternehmensrechts verlorengeht. Die hier abgedruckten Texte geben also Auskunft darüber, in welchen Bereichen bereits heute und in welchen künftig eine nationale Gesetzgebung und damit auch eine rein nationale Reform des Unternehmensrechts nicht mehr möglich ist (näher dazu § 3 Rn. 3 ff., 30 ff.).

§ 2 Die Rechtsgrundlagen der Europäisierung des Unternehmensrechts, insbesondere die Rechtsangleichung I. Rechtsangleichung, nicht Rechtsvereinheitlichung Die Bedeutung und Grenzen der Texte, insbesondere der Richtlinien und der durch sie 1 bewirkten Rechtsangleichung, werden erst vor dem Regelungshintergrund des AEU (Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union), welcher weitestgehend an die Stelle des EG (Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft) getreten ist, selbst deutlich, steht doch das europäische Sekundärrecht im Dienste des Primärrechts 1. Der Vertrag schafft mit rechtlichen Mitteln auf dem Gebiet von inzwischen 27 Mit- 2 gliedstaaten die rechtlichen und tatsächlichen Verhältnisse eines Marktes, des Binnenmarktes der EU; Ziel ist eine Gestaltung der wirtschaftlichen Daten so, wie wenn es sich um ein einheitliches Staatsgebiet handelte. Daher beschränkt sich der Vertrag nicht auf die Abschaffung der Zölle und der mengenmäßigen Beschränkungen sowie auf die Herstellung eines gemeinsamen Außenzolls (Zollunion), sondern entwickelt auch in anderen wirtschaftlichen Beziehungen – freier Verkehr von Waren, Personen,

1 Vgl. Habersack § 1 Rn. 2; s. auch Kilian, Europäisches Wirtschaftsrecht, 4. Aufl. 2010, Rn. 103: „Um die Aufgabe zu erfüllen, einen Binnenmarkt zu errichten (Art. 3 Abs. 3 S. 1 EU) und eine wettbewerbsfähige soziale Marktwirtschaft (Art. 3 Abs. 3 S. 2 EU) ohne Beschränkungen des Waren-, Dienstleistungs-, Personen- und Kapitalverkehrs zu schaffen (Art. 26 Abs. 2 AEU), sieht (Art. 288 AEU) einen enumerativen Katalog von Rechtssetzungsakten der Organe vor.“

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Grundlagen

Dienstleistungen und Kapital zwischen den Mitgliedstaaten (vgl. Art. 4 Abs. 2 lit. a und Art. 26 Abs. 2 AEU) – binnenmarktmäßige Verhältnisse. Seit nunmehr einem halben Jahrhundert betreiben und verwirklichen die Organe der Europäischen Union deshalb auch ein breit angelegtes Gesetzgebungsprogramm nicht nur auf den zentralen Gebieten der Zölle, Abgaben und Marktordnungen, sondern weithin auch im Bereich der vier Grundfreiheiten des AEU. 3 Diese Rechte und Freiheiten stehen den natürlichen Personen ebenso wie den juristischen Personen und Personenhandelsgesellschaften (vgl. Art. 54, 62 AEU) auf dem ganzen Gebiet der Union zu, also z.B. den Arbeitnehmern und freiberuflich Tätigen ebenso wie den privaten Unternehmen. Diese aber bleiben nationale Unternehmen. Ebenso wenig wie der AEU die Staatsangehörigkeit der natürlichen Personen tangiert (s. aber die Einführung einer Unionsbürgerschaft in Art. 20 ff. AEU 2), ändert er das national bestimmte Personalstatut der Unternehmen. Ziel des AEU ist also ein einheitlicher Markt; die Subjekte dieses Marktes aber, Personen und Unternehmen, bleiben national bestimmt: Recht des Marktes und Recht der Marktsubjekte decken sich nicht. Hieraus ergeben sich notwendigerweise Spannungen, die ihre Schwerpunkte in den Bereichen des Gläubigerschutzes im weitesten Sinne (Warenund Geldkreditgeber), des Anlegerschutzes, des Schutzes der Arbeitnehmer und bei den Problemen der Wettbewerbsgleichheit haben. 4 Die Beseitigung dieser Spannungen im Wege der Rechtsvereinheitlichung hätte nahe gelegen. Tatsächlich aber hat der AEU (ebenso wie bereits zuvor der EG) nur beschränkte Ziele (Binnenmarkt); die Unabhängigkeit der Mitgliedstaaten besteht daher in weitem Umfange fort. Mit Rücksicht darauf beschränken sich die Regeln des Vertrags darauf, die Deckung von räumlicher Ausdehnung des Marktes und Einheitlichkeit des Unternehmensrechts nur für die offensichtlich notwendigen Bereiche und nur für deren materiellen Regelungsgehalt, nicht auch für die formellen Regelungswege vorzuschreiben. Rechtsangleichung statt Rechtsvereinheitlichung war das Zauberwort des hier angestrebten Kompromisses: Die Bestimmung der materiellen Ziele sollte den Organen der Union, insbesondere dem Rat, obliegen, die Ausführung dieser Ziele auf beliebigen förmlichen Lösungswegen hingegen den nationalen Gesetzgebern. 5 So betont Art. 5 Abs. 2 EU, dass die Union nur innerhalb der Grenzen der ihr in diesem Vertrag zugewiesenen Befugnisse und gesetzten Ziele tätig wird. Art. 5 Abs. 3 EU bringt den Grundsatz der Subsidiarität unionsrechtlicher Regelung für solche Bereiche, die nicht in die ausschließliche Zuständigkeit der Union fallen, zum Ausdruck. Schließlich bestimmt Art. 3 Abs. 1 lit. b AEU, dass die Union nur für solche Wettbewerbsregelungen die ausschließliche Zuständigkeit besitzt, welche für das Funktionieren des Binnenmarktes erforderlich sind. Eine vollumfängliche Ermächtigung zum Erlass von Rechtsakten ist der Union durch den AEU mithin nicht erteilt worden; es gilt vielmehr das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung (Art. 5 Abs. 1 Satz 1

2 Zu deren Bedeutung und Auswirkungen vgl. Herdegen, Europarecht, 13. Aufl. 2011, § 12.

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EU): Zur Angleichung der mitgliedstaatlichen Rechtsvorschriften – und damit auch des Unternehmensrechts der Mitgliedstaaten – bedarf die Union einer Ermächtigungsgrundlage.3

II. Grundlagen der Rechtsangleichung 1. Art. 50 Abs. 2 lit. g AEU Zentrale Vorschrift der Rechtsangleichung im Unternehmensrecht ist Art. 50 Abs. 2 6 lit. g AEU, wonach „sie [Europäisches Parlament, Rat und Kommission] insbesondere soweit erforderlich, die Schutzbestimmungen koordinieren, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Sinne des Artikels 54 Absatz 2 im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter vorgeschrieben sind, um diese Bestimmungen gleichwertig zu gestalten.“

In dieser Vorschrift wird die Tendenz des AEU erkennbar, die Eingriffe in das 7 nationale Unternehmensrecht unter Beachtung seiner historischen und systematischen Besonderheiten zu vollziehen und ihren Umfang an den Bedürfnissen der Union und ihren Zielen auszurichten. Nicht Rechtsvereinheitlichung, sondern Angleichung des nationalen Rechts ist daher das Ziel des AEU in diesem Bereich, d.h. weder Rechtseinheit durch einheitliches nationales Recht noch gar durch ein (internationales) europäisches Unternehmensrecht. Über die Zweckmäßigkeit und Praktikabilität der Rechtsangleichung auf der Basis 8 von Art. 50 Abs. 2 lit. g AEU [G Art. 44 Abs. 2 lit. g EG] ist seit Inkrafttreten des EG ebenso intensiv diskutiert worden wie über die Fragen des möglichen Umfangs und der einzelnen Voraussetzungen einer konkreten Angleichungsmaßnahme. So standen sich hinsichtlich der Bestimmung der sachlichen Reichweite von Art. 50 Abs. 2 lit. g AEU [G Art. 44 Abs. 2 lit. g EG] von Anfang an zwei Ansichten gegenüber. Nach der einen Auffassung sollten die entscheidenden Interpretationsgrundlagen aus der Stellung der Norm im Kapitel 2 „Das Niederlassungsrecht“ gewonnen werden. Eine Koordinierung der gesellschaftsrechtlichen Schutzvorschriften sollte deshalb nur zulässig sein, wenn sie zur Aufhebung von Niederlassungsbeschränkungen notwendig ist. Die Kommission hatte demgegenüber von Anfang an – vom Europäischen Parlament und vom Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss unterstützt – eine auch auf die sonstigen Ziele des AEU/EG ausgerichtete Auslegung vertreten und sich auf den Standpunkt gestellt, dass die Koordinierung auf der Grundlage von Art. 50 Abs. 2 lit. g AEU/Art. 44 Abs. 2 lit. g EG sogar über den Rahmen des herkömmlichen Gesellschaftsrechts hinaus ausgedehnt werden könne. Der EuGH hat sich in seinem

3 Näher zum Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung Bast/von Bogdandy in: Grabitz/ Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, 43. Aufl. 2011, Art. 5 EU Rn. 13 ff.; Herdegen (Fn. 2), § 8 Rn. 59 f.; Lienbacher in: Schwarze, EU-Kommentar, 2. Aufl. 2009, Art. 5 EG Rn. 9 ff.

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Grundlagen

Daihatsu-Urteil 4 der Auffassung der Kommission angeschlossen. Zum einen sei Art. 44 Abs. 2 lit. g EG in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 lit. h EG zu sehen, wonach die Tätigkeit der Gemeinschaft die Angleichung der nationalen Rechtsvorschriften umfasst, soweit dies für das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes erforderlich ist. Zum anderen sei in Art. 44 Abs. 2 lit. g EG vom Ziel des Schutzes der Interessen Dritter ganz allgemein die Rede, ohne dass insoweit einzelne Gruppen unterschieden oder ausgeschlossen würden. 9 Nach Art. 50 Abs. 2 lit. g AEU [G Art. 44 Abs. 2 lit. g EG] steht die Ermächtigung zur Koordination der Schutzbestimmungen unter dem Vorbehalt der Erforderlichkeit. Legt man die Ermächtigungsgrundlage mit dem EuGH allerdings weit aus, so hat sich das Merkmal der Erforderlichkeit auch auf Maßnahmen zur Angleichung des sonstigen Gesellschaftsrechts zu beziehen.

2. Art. 114 AEU 10 Art. 50 Abs. 2 lit. g AEU ermächtigt nur zum Erlass von Richtlinien. Zum Erlass von Verordnungen bedarf es demnach einer anderen Ermächtigungsgrundlage. In Betracht kommen insbesondere Art. 114 AEU und Art. 352 AEU (dazu u. Rn. 12 f.). Welche dieser beiden Normen Anwendung findet, ist v.a. im Hinblick auf die Verfahrensrechte des Europäischen Parlaments von Bedeutung. Während Art. 114 Abs. 1 AEU im Wege des Verweises („ordentliches Gesetzgebungsverfahren“) auf Art. 289 Abs. 1, 294 AEU eine weitreichende Beteiligung des EP am Rechtsetzungsprozess statuiert, sieht Art. 352 Abs. 1 AEU lediglich ein Zustimmungsbedürfnis des EP vor; dieses ersetzt das frühere Anhörungsrecht des EP (Art. 308 EG). Im Zusammenhang mit der Verabschiedung der auf Art. 308 EG (G Art. 352 AEU) gestützten SCE-VO (dazu § 42) hatte das EP in Anbetracht dieser Tatsache den EuGH angerufen, der sich allerdings der Auffassung des Rates anschloss, dass nicht Art. 95 EG (G Art. 114 AEU), sondern Art. 308 EG (G Art. 352 AEU) die richtige Ermächtigungsgrundlage für die SCE-VO sei 5 (vgl. dazu noch § 42 Rn. 1). 11 Ein Beispiel für die Heranziehung von Art. 114 Abs. 1 AEU (G Art. 95 Abs. 1 EG) als Ermächtigungsgrundlage ist die IFRS-VO (dazu § 26). Auch einige Richtlinien (z.B. Transparenz-RL [dazu § 36], Aktionärsrechte-RL [dazu § 31]) weisen Art. 114 Abs. 1 AEU (G Art. 95 Abs. 1 EG) neben Art. 50 Abs. 2 lit. g AEU (G Art. 44 Abs. 2 lit. g EG) als Ermächtigungsgrundlage aus.

4 EuGH v. 4.12.1997, Verband deutscher Daihatsu-Händler e.V. ./. Daihatsu Deutschland GmbH, Rs. C-97/96, Slg. 1997, I-6843 = NJW 1998, 129. Näher dazu Crezelius ZGR 1999, 252 ff.; de Weerth BB 1998, 366 ff.; Hirte NJW 1999, 36 ff.; Leible ZHR 162 (1998), 594 ff.; Luttermann EuZW 1998, 264 ff.; aus der Lehrbuchliteratur knapp Grundmann Rn. 98; Habersack § 3 Rn. 36 f. 5 EuGH v. 2.5.2006, Europäisches Parlament ./. Rat der Europäischen Union, Rs. C-436/03, Slg. 2006, I-3733.

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3. Art. 352 AEU Art. 50 Abs. 2 lit. g AEU (G Art. 44 Abs. 2 lit. g EG) und Art. 114 Abs. 1 AEU 12 (G Art. 95 Abs. 1 EG) haben jeweils zwei gedankliche Voraussetzungen: (1) Eine mindestens ungefähre Vorstellung der Verfasser des EG/AEU von möglichen Problemen im Zusammenhang mit der Verwirklichung der Gemeinschaft, sowie nun auch der Union, und ihrer Ziele. Nach dieser Vorstellung bestand die Gefahr darin, dass unterschiedliche rechtliche Daten das Funktionieren des gemeinsamen Marktes im Allgemeinen und die konkrete Verwirklichung seiner Freiheiten behindern; (2) eine beträchtliche Divergenz der national-rechtlichen Lösungen. Nicht erfasst sind also solche Fälle, in denen die Verwirklichung der Ziele des Binnenmarktes neue, so nicht erwartete Probleme entstehen lässt, deren Beseitigung zudem neue, bislang weder im Unionsrecht (früheren Gemeinschaftsrecht) noch in den nationalen Rechten existente rechtliche Formen und Mittel erfordert. Für diese, mit dem Ablauf der Zeit und insbesondere der zeitlichen Entfernung zum Vertragsschluss immer häufigeren Fälle sieht Art. 352 Abs. 1 AEU eine Globalermächtigung der Unionsorgane zur Rechtsetzung auch in Form von Verordnungen vor: „Erscheint ein Tätigwerden der Union im Rahmen der in den Verträgen festgelegten Politikbereiche erforderlich, um eines der Ziele der Verträge zu verwirklichen, und sind in den Verträgen die hierfür erforderlichen Befugnisse nicht vorgesehen, so erlässt der Rat einstimmig auf Vorschlag der Kommission und nach Zustimmung des Europäischen Parlaments die geeigneten Vorschriften. Werden diese Vorschriften vom Rat gemäß einem besonderen Gesetzgebungsverfahren erlassen, so beschließt er ebenfalls einstimmig auf Vorschlag der Kommission und nach Zustimmung des Europäischen Parlaments.“

Diese kompetenzerweiternde Norm ist in ihren Voraussetzungen und in ihrem Um- 13 fang im Einzelnen sehr umstritten. Dennoch sind mittlerweile eine beachtliche Zahl von Rechtsakten auf der Grundlage von Art. 352 Abs. 1 AEU (G Art. 308 EG) erlassen worden, v.a. die Verordnungen zur Schaffung supranationaler Rechtsformen – EWIVVO (dazu § 40), SE-VO (dazu § 41), SCE-VO (dazu § 42) sowie die geplante SPE-VO (dazu § 43) –, aber auch die FKVO 6.

4. Art. 288 Abs. 5 AEU Die Kommission kann Empfehlungen oder Stellungnahmen (Art. 288 Abs. 5 AEU) 14 abgeben, soweit der Vertrag dies ausdrücklich vorsieht oder soweit die Kommission dies für notwendig erachtet (für Empfehlungen ausdrücklich in Art. 292 S. 4 AEU festgehalten). Zur Abgabe von Empfehlungen oder Stellungnahmen bedarf es also nicht zwingend einer gesonderten Ermächtigungsgrundlage, so dass insofern eine Durchbrechung des oben beschriebenen Prinzips der begrenzten Einzelermächtigung

6 VO (EG) Nr. 139/2004 des Rates v. 20.1.2004 über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen („EG-Fusionskontrollverordnung“), ABlEU v. 29.1.2004, L 24/1.

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Grundlagen

vorliegt. Die Empfehlungen und Stellungnahmen sind zwar nicht verbindlich (Art. 288 Abs. 5 AEU), entfalten aber gleichwohl gewisse normative Wirkungen 7. 15 Die Kommission hat auch auf dem Gebiet des Unternehmensrechts bereits von diesem Mittel der Einflussnahme Gebrauch gemacht (vgl. dazu § 3 Rn. 68).

III. Problemlösung durch Staatsvertrag 16 Die noch in Art. 293 EG [G Art. 220 EWG] vorgesehene Möglichkeit, Fusionen und Sitzverlegungen über die Grenze in einen anderen Mitgliedstaat, die Beseitigung der Doppelbesteuerung sowie die Anerkennung von Gesellschaften eines Mitgliedstaates auf dem Gebiet eines anderen Mitgliedstaates im Wege zwischenstaatlicher Kooperation in der Form des Staatsvertrages zu regeln, fand in den neuen AEU keinen Einlass mehr. Als einer der Gründe hierfür kann der erhebliche Koordinationsaufwand des Art. 293 EG angesehen werden, auf Grund dessen dieses Instrument der Angleichung allenfalls eine Nebenrolle im europäischen Integrationsprozess gespielt hat.8

§ 3 Instrumente und Folgen europäischer Rechtsetzung Literatur: Bach, Albrecht, Direkte Wirkungen von EG-Richtlinien, JZ 1990, 1108; Brechmann, Winfried, Die richtlinienkonforme Auslegung, 1994; Brück, Michael, Das Vorabentscheidungsverfahren vor dem EuGH als Bestandteil des deutschen Zivilprozesses, 2001; Burger, Simon, Verantwortung und Verantwortlichkeit für die Umsetzung supranationalen Rechts im Bundesstaat, 2010; von Danwitz, Thomas, Rechtswirkungen von Richtlinien in der neueren Rechtsprechung des EuGH, JZ 2007, 697; Dauses, Manfred A., Das Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 177 EG-Vertrag, 2. Auflage 1995; Ehricke, Ulrich, Die richtlinienkonforme und die gemeinschaftsrechtskonforme Auslegung nationalen Rechts, AcP 59 (1995) 598; ders., Die richtlinienkonforme Auslegung nationalen Rechts vor Ende der Umsetzungsfrist einer Richtlinie, EuZW 1999, 553; Everling, Ulrich, Das Vorabentscheidungsverfahren vor dem Gerichtshof der EG, 1986; ders., Zur Funktion des Gerichtshofs bei der Rechtsangleichung in der Europäischen Gemeinschaft, in: Leßmann, Herbert (Hrsg.), Festschrift für Rudolf Lukes, 1989, S. 359; Fisahn, Andreas/Mushoff, Tobias, Vorwirkung und unmittelbare Wirkung Europäischer Richtlinien, EuR 2005, 222; Frenz, Walter, Die Vorwirkung von Richtlinien, EWS 2011, 33; Gronen, Vera, Die „Vorwirkung“ von EG-Richtlinien, 2006; Grundmann, Stefan, Richtlinienkonforme Auslegung im Bereich des Privatrechts – insbesondere der Kanon der nationalen Auslegungsmethoden als Grenze?, ZEuP 1996, 399; Habersack, Mathias/Meyer, Christian, Die überschießende Umsetzung von Richtlinien, JZ 1999, 913; Höpfner, Clemens/Rüthers, Bernd, Grundlagen einer europäischen Methodenlehre, AcP 209 (2009) 1; Hommelhoff, Peter, Die Rolle der nationalen Gerichte bei der Europäisierung des Privatrechts, in: Canaris, Claus-Wilhelm u.a. (Hrsg.), Festgabe 50 Jahre Bundesgerichtshof 7 EuGH v. 13.12.1989, Grimaldi, Rs. C-322/88, Slg. 1989, 4407, Rn. 18; EuGH v. 21.1.1993, Deutsche Shell AG, Rs. C-188/91, Slg. 1993, I-363, Rn. 18. 8 Vgl. zum Scheitern eines Anerkennungsabkommens § 6 Rn. 8 ff.; auch die internationale Verschmelzung sollte ursprünglich durch Staatsvertrag geregelt werden, vgl. § 23 Rn. 1.

Instrumente und Folgen europäischer Rechtsetzung

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2000, S. 89; Jäger, Torsten, Überschießende Richtlinienumsetzung im Privatrecht, 2006; Kokott, Juliane/Sobotta, Christoph, Die Pflicht zur Vorlage an den Europäischen Gerichtshof und die Folgen ihrer Verletzung, JZ 2006, 633; Kroll-Ludwigs, Kathrin/Ludwigs, Markus, Die richtlinienkonforme Rechtsfortbildung im Gesamtsystem der Richtlinienwirkung, ZJS 2009, 7; Kühling, Jürgen, Vorwirkung von EG-Richtlinien bei der Anwendung nationalen Rechts – Interpretationsfreiheit für Judikative und Exekutive?, DVBl. 2006, 857; Langenbucher, Katja, Vorüberlegungen zu einer Europarechtlichen Methodenlehre, JbJZW 1999, S. 65; Leisner, Walter Georg, Die subjektiv-historische Auslegung des Gemeinschaftsrechts – Der „Wille des Gesetzgebers“ in der Judikatur des EuGH, EuR 2007, 689; Lutter, Marcus, Zur überschießenden Umsetzung von Richtlinien der EU, in: Söllner, Alfred u.a. (Hrsg.), Gedächtnisschrift für Meinhard Heinze, München 2005, S. 571; ders., Die Auslegung angeglichenen Rechts, JZ 1992, 593; Mayer, Christian/Schürnbrand, Jan, Einheitlich oder gespalten? – Zur Auslegung nationalen Rechts bei überschießender Umsetzung von Richtlinien, JZ 2004, 545; Merkt, Hanno, Europäische Rechtsetzung und strengeres autonomes Recht – Zur Auslegung von Gemeinschaftsnormen als Mindeststandards, RabelsZ 61 (1997) 645; Mörsdorf, Oliver, Unmittelbare Anwendung von EG-Richtlinien zwischen Privaten nach der Rechtsprechung des EuGH, EuR 2009, 219; Pfeiffer, Thomas, Keine Beschwerde gegen EuGHVorlagen?, NJW 1994, 1996; ders., Richtlinienkonforme Auslegung gegen den Wortlaut des nationalen Rechts – Die Quelle-Folgeentscheidung des BGH, NJW 2009, 412; Piekenbrock, Andreas, Vorlagen an den EuGH nach Art. 267 AEUV im Privatrecht, EuR 2011, 317; Potacs, Michael, Effet utile als Auslegungsgrundsatz, EuR 2009, 465; Pötters, Stephan/Christensen, Ralph, Richtlinienkonforme Rechtsfortbildung und Wortlautgrenze, JZ 2011, 387; Riesenhuber, Karl/Domröse, Ronny, Richtlinienkonforme Rechtsfindung und nationale Methodenlehre, RIW 2005, 47; Roth, Wulf-Henning, Die richtlinienkonforme Auslegung, EWS 2005, 385; ders., Europäisches Recht und nationales Recht, in: Canaris, Claus-Wilhelm u.a. (Hrsg.), Festgabe 50 Jahre Bundesgerichtshof 2000, S. 847; ders., The Importance of the Instruments Provided for in the Treaties for Developing a European Legal Method, in Neergaard/Nielsen/Roseberry (Hrsg.), European Legal Method, Kopenhagen 2011, S. 75 ff.; Röthel, Anne, Vorwirkung von Richtlinien: viel Lärm um Selbstverständliches, ZEuP 2009, 34; Schliesky, Utz, Die Vorwirkung von gemeinschaftsrechtlichen Richtlinien, DVBl 2003, 631; Schnorbus, York, Autonome Harmonisierung in den Mitgliedstaaten durch die Inkorporation von Gemeinschaftsrecht, AcP 65 (2001) 654 ff.; Sperber, Christian, Die Grundlage richtlinienkonformer Rechtsfortbildung im Zivilrecht, EWS 2009, 358; Streinz, Rudolf, Gemeinschaftsrecht bricht nationales Recht, in: Köbler, Gerhard (Hrsg.), Europas universale rechtsordnungspolitische Aufgabe im Recht des dritten Jahrtausends: Festschrift für Alfred Söllner zum 70. Geburtstag, 2000, S. 1139; Veil, Rüdiger, Rechtsprinzipien und Regelungskonzepte im europäischen Gesellschaftsrecht, in: Hommelhoff, Peter/Rawert, Peter/Schmidt, Karsten (Hrsg.), Festschrift für Hans-Joachim Priester zum 70. Geburtstag, 2007, S. 799; Weller, Marc-Philippe, Handels- und Gesellschaftsrecht, in: Gebauer, Martin/Wiedmann, Thomas (Hrsg.), Zivilrecht unter europäischem Einfluss, 2. Auflage 2010, § 21.

I. Anwendungsvorrang des Unionsrechts Auch ohne eine entsprechende ausdrückliche Verankerung im Verfassungsrecht des 1 Mitgliedstaates (wie z.B. in den Niederlanden 1 oder in Irland 2) besteht heute Konsens über den grundsätzlichen Vorrang des Unionsrechts 3 gegenüber dem nationalen 1 Vgl. Art. 94 Grondwet (Vorrang internationaler Verträge). 2 Vgl. Art. 29.4.10 Constitution of Ireland. 3 Seit dem Vertrag von Lissabon wird das Recht der Europäischen Union einheitlich als Unionsrecht bezeichnet.

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Recht der Mitgliedstaaten: Unionsrecht bricht nationales Recht 4. Diese von H. P. Ipsen 5 begründete Lehre war in den Anfangsjahren der Europäischen Gemeinschaften nicht unumstritten. So hat insbesondere die italienische Corte Costituzionale versucht, dem nationalen Gesetzgeber wenigstens eine Art Freistellungs- oder Aufhebungsbefugnis über Art und Umfang des verdrängten eigenen Rechts zu sichern 6. In der deutschen Lehre hat diese Haltung des italienischen Verfassungsgerichtshofs keine Gefolgschaft gefunden 7, und heute ist die Kontroverse zumindest aus europarechtlicher Perspektive geklärt 8: Tritt zwischen einer Norm des Unionsrechts und einer Norm des nationalen Rechts eine Kollision auf, genießt das Unionsrecht Vorrang gegenüber nationalem Recht gleich welcher Art, also auch gegenüber nationalem Verfassungsrecht 9. Maßgeblich geprägt wurde diese Sichtweise durch das wegweisende Urteil in der Rs. Costa/ENEL10, in dem der EuGH zur Begründung eines Vorrangs des Unionsrechts insbesondere auf die Autonomie der Unionsrechtsordnung und die Sicherung der Funktionsfähigkeit der Union (effet utile) abstellte. 2 Der Vorrang des Unionsrechts ist dabei kein Geltungsvorrang, sondern (nur) ein Anwendungsvorrang: Kollidierendes mitgliedstaatliches Recht verliert also nicht seine Gültigkeit, sondern wird lediglich unanwendbar.11 Dem entspricht es, wenn der EuGH aus dem Vorrang des Unionsrechts die Pflicht der zuständigen mitgliedstaat-

4 Vgl. dazu Everling DVBl. 1985, 1201 ff.; Hasselbach JZ 1997, 942 ff.; Herdegen, Europarecht, 13. Aufl. 2011, § 10 Rn. 1 ff.; Nettesheim in: Grabitz/Hilf, Das Recht der Europäischen Union, 40. Aufl. 2009, Art. 249 EG Rn. 37 ff.; Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht, 4. Aufl. 2009, § 11 Rn. 4 ff.; Streinz FS Söllner, 2000, S. 1139 ff. 5 Vgl. insbes. H. P. Ipsen, Das Verhältnis des Rechts der Europäischen Gemeinschaften zum nationalen Recht, in: Aktuelle Fragen des Europäischen Gemeinschaftsrechts, 1965, S. 1 ff. 6 Corte Costituzionale v. 30.10.1975 – Nr. 232, EuR 1976, 246 m. Anm. Feustel. 7 Vgl. H. P. Ipsen EuR 1979, 223, 236; Fuß, GS Sasse, 1981, Bd. 1, S. 171, 185 ff.; s. auch Oppermann/Classen/Nettesheim (Fn. 4), § 11 Rn. 26 8 Zur mitgliedstaatlichen Perspektive, also zur Anerkennung des Vorranganspruchs des Unionsrechts durch die Organe der Mitgliedstaaten, vgl. Nettesheim (Fn. 4), Art. 249 EG Rn. 43 ff.; Oppermann/Classen/Nettesheim (Fn. 4), § 11 Rn. 15 ff.; Streinz, Europarecht, 8. Aufl. 2008, Rn. 224 ff. 9 Vgl. EuGH v. 17.12.1970, Internationale Handelsgesellschaft, Rs. C-11/70, Slg. 1970, 1125, Rn. 3; Herdegen (Fn. 4), § 10 Rn. 1; Nettesheim (Fn. 4), Art. 249 EG Rn. 41; G. Schmidt in: von der Groeben/Schwarze, Kommentar zum EU-/EG-Vertrag, 6. Aufl. 2003, Art. 249 EG Rn. 3; Schroeder in: Streinz, EUV/EGV, 2003, Art. 249 EG Rn. 44. 10 EuGH. v. 15.7.1964, Costa ./. E.N.E.L., Rs. 6/64, Slg. 1964, 1253; in st. Rspr. bestätigt, vgl. nur EuGH v. 9.3.1978, Simmenthal, Rs. 106/77, Slg. 1978, 629, Rn. 17 ff.; EuGH v. 19.6.1990, Factortame, Rs. C-213/89, Slg. 1990, I-2433, Rn. 20 f.; EuGH v. 18.9.2003, Morellato, Rs. C-416/00, Slg. 2003, I-9343, Rn. 43 ff. 11 Vgl. EuGH v. 9.3.1978, Simmenthal, Rs. 106/77, Slg. 1978, 629, Rn. 17/18, der das entgegenstehende nationale Recht für „ohne weiteres unanwendbar“ erklärt, also bewusst und betont nicht von Nichtigkeit spricht; s. dazu auch Biervert in: Schwarze, EU-Kommentar, 2. Aufl. 2009, Art. 249 EG Rn. 6; Haratsch/Koenig/Pechstein, Europarecht, 7. Aufl. 2010, Rn. 187; Nettesheim (Fn. 4), Art. 249 EG Rn. 42; Oppermann/Classen/Nettesheim (Fn. 4), § 11 Rn. 27 ff.; Ruffert in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 4. Aufl. 2011, Art. 1 AEU Rn. 18.

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lichen Stellen ableitet, den Normen des Unionsrechts volle Wirksamkeit zu verschaffen und evtl. entgegenstehende nationale Vorschriften nicht anzuwenden.12 Gültigkeit behält die mitgliedstaatliche Vorschrift allerdings in Sachverhaltskonstellationen, in denen das Unionsrecht keine Regelungszuständigkeit beansprucht.

II. Verordnungen Die hier behandelten Verordnungen des Rates auf der Basis von Art. 114 AEU 3 (G Art. 95 EG) oder Art. 352 AEU (G Art. 308 EG) zeitigen, einmal beschlossen, nach Art. 288 Abs. 2 AEU (G Art. 249 Abs. 2 EG) klare Rechtsfolgen: „Die Verordnung hat allgemeine Geltung. Sie ist in allen ihren Teilen verbindlich und gilt unmittelbar in jedem Mitgliedstaat.“

1. Rechtswirkungen Vergleichbar der konkurrierenden Gesetzgebung im Geltungsbereich des Grund- 4 gesetzes (Art. 72 GG) schafft die Verordnung verbindliches, unmittelbares und einheitliches Recht mit Wirkung für und gegen jeden Unionsbürger auf dem gesamten Gebiet der Union13, und zwar ohne jeden zusätzlichen Akt des nationalen Gesetzgebers 14. Zugleich verdrängt die Verordnung entgegenstehendes nationales Recht der 5 Mitgliedstaaten nach dem oben (Rn. 2) beschriebenen Grundsatz vom (Anwendungs-) Vorrang des Unionsrechts. Auch für diese Verdrängung entgegenstehenden nationalen Rechts ist keine Maßnahme der nationalen Organe, keine nationale „Umsetzung“, erforderlich. Vom Augenblick ihres Inkrafttretens und im Rahmen ihres sachlichen Anwendungsbereiches hat der nationale Rechtsanwender (Richter, Verwaltungsbeamter etc.) nur noch die Verordnung und nicht mehr sein nationales Recht zu beachten. In gleicher Weise wie die Verordnung entgegenstehendes nationales Recht mit 6 ihrem Inkrafttreten verdrängt, verhindert sie auch die (wirksame) Entstehung künftigen nationalen Rechts, das ihrer Anweisung entgegenstehen würde: Solches nationales Recht partizipiert nicht an der lex posterior-Regel, die Recht gleichen Ranges 12 EuGH v. 28.6.2001, Kommission ./. Italien, Rs. C-118/00, Slg. 2001, I-5063, Rn. 52 f.; EuGH v. 18.9.2003, Morellato, Rs. C-416/00, Slg. 2003, I-9343, Rn. 43 ff. 13 Zu den Merkmalen der Verordnung im Einzelnen vgl. Biervert (Fn. 11), Art. 249 EG Rn. 17 ff.; Burger, Verantwortung und Verantwortlichkeit für die Umsetzung supranationalen Rechts im Bundesstaat, 2010, S. 81 f.; Hobe, Europarecht, 5. Aufl. 2010, § 10 Rn. 23 ff.; Oppermann/Classen/Nettesheim (Fn. 4), § 10 Rn. 82 ff.; Ruffert (Fn. 11), Art. 288 AEU Rn. 16 ff.; Schroeder (Fn. 9), Art. 249 EG Rn. 52 ff.; Streinz (Fn. 8), Rn. 426 ff. 14 Zusätzliche Akte sind nur erforderlich, wenn die Verordnung bewusst Lücken zur Ausfüllung durch den nationalen Gesetzgeber mit nationalem Recht lässt, wie dies z.B. bei der EWIV, der SE und der SCE geradezu überbordend geschehen ist (vgl. dazu näher § 40 Rn. 5 ff., § 41 Rn. 22 ff., § 42 Rn. 11 ff.).

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voraussetzt; die Verordnung aber schafft im Verhältnis zum nationalen Recht höherrangiges Recht, das also auch wieder nur durch den europäischen Gesetzgeber aufgehoben oder abgeändert werden kann.15 Auch das wiederum ist eine Folge ipso iure und bedarf keiner besonderen Feststellung durch nationale legislative Organe oder ein nationales Verfassungsgericht: Das spätere und entgegenstehende nationale Recht ist wirkungslos (unanwendbar) 16.

2. Folgen für den nationalen Gesetzgeber 7 Hat der europäische Gesetzgeber daher z.B. erst einmal die Einführung etwa der Europäischen Privatgesellschaft (SPE, dazu ausf. § 43) beschlossen, kann die Existenz dieser Rechtsform vom nationalen Gesetzgeber für sein Gebiet weder beseitigt noch verändert noch die Subjektivität und Tätigkeit dieser Gesellschaften auf seinem Gebiet beseitigt oder beschränkt werden. Das gilt heute schon so und mit diesen rechtlichen Wirkungen für die anderen supranationalen Rechtsformen und die europäische Fusionskontrolle. Der EuGH sichert in seiner Rechtsprechung nachdrücklich die Unmittelbarkeit und den Vorrang dieser Art des europäischen Rechts auf dem gesamten Gebiet des Unionsrechts.

III. Richtlinien 8 Praktisch ungleich bedeutsamer für die Frage nach den rechtlichen Folgen europäischer Rechtsetzung als die Verordnung ist zumindest im Kontext des Unternehmensrechts die Richtlinie.17 Sie ist – wie die stattliche Zahl der bereits abgeschlossenen und der noch vorgesehenen Maßnahmen zeigt – das wichtigste Instrument der Rechtsangleichung. Nach Art. 288 Abs. 3 AEU (G Art. 249 Abs. 3 EG) ist sie „für jeden Mitgliedstaat, an den sie gerichtet wird, hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich, überlässt jedoch den innerstaatlichen Stellen die Wahl der Form und der Mittel.“ Die Gesetzgeber der Mitgliedstaaten sind aus dieser Vorschrift von Rechts 15 EuGH v. 9.3.1978, Simmenthal, Rs. 106/77, Slg. 1978, 629, Rn. 17 ff., s. auch Nettesheim (Fn. 4), Art. 249 EG Rn. 41; Schroeder (Fn. 9), Art. 249 EG Rn. 45. 16 Ausdrücklich bestätigt wurde dies etwa in EuGH v. 22.11.2005, Mangold, Rs. C-144/04, Slg. 2005, I-9981; zur Problematik des „ausbrechenden Rechtsakts“ („ultra-vires-Akte“) jüngst: BVerfG NJW 2010, 3422, 3427 („Honeywell“) = EuR 2011, 226 m. Anm. Proelß; s. dazu ferner etwa auch Classen JZ 2010, 1186 ff.; Folz EuZA 2011, 308 ff.; Pötters/Traut EuR 2011, 580 ff.; Sauer EuZW 2010, 94 ff.; Schroeder FS G. H. Roth, 2011, S. 735, 744 ff.; Streinz FS G. H. Roth, 2011, S. 823 ff.; Winterhoff AnwBl. 2011, 506 ff. 17 S. aber zur großen Bedeutung der Verordnung im Allgemeinen: Nettesheim (Fn. 4), Art. 249 EG Rn. 110: „hervorragende Bedeutung als Instrument der Integration“; Schroeder (Fn. 9), Art. 249 EG Rn. 53: „Ihre systematisch hervorgehobene Stellung in Art. 249 Abs. 2 EGV entspricht der großen praktischen Bedeutung der Verordnung, die als Standardform des gemeinschaftlichen Handelns zu bezeichnen ist.“; nach Schroeder (Fn. 9), Art. 249 EG Rn. 67 macht die Richtlinie weniger als 10 % aller Rechtsakte der Union aus. Kritisch zu dieser Entwicklung Oppermann/Classen/Nettesheim (Fn. 4), § 10 Rn. 97.

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wegen verpflichtet, ihr nationales Recht nach den Vorgaben der Richtlinie zu ändern, soweit es diesen nicht schon entspricht. Auf der einen Seite ist das zwar gerade der Zweck dieses komplizierten Verfahrens 9 der Kooperation zwischen zwei Gesetzgebern – dem europäischen Gesetzgeber und dem jeweiligen nationalen Gesetzgeber –, und der der Richtlinie eigene und der Verordnung fehlende Kompromisscharakter dürfte gleichzeitig auch maßgeblicher Grund für das Übergewicht zugunsten dieses Regelungsinstruments auf dem Gebiet des Unternehmensrechts sein. Auf der anderen Seite jedoch hat dieses zweistufige Verfahren eine Reihe von weiterreichenden Folgen und führt darüber hinaus zu einer Reihe von schwierigen Rechtsfragen.18 1. Die Umsetzung der Richtlinie in nationales Recht Die Richtlinie ist an die Mitgliedstaaten der Union adressiert und schafft – zunächst – 10 nur Rechtspflichten in Bezug auf sie oder einzelne von ihnen19. Diese haben ihr nationales materielles Recht so zu ändern, dass es künftig dem in der Richtlinie formulierten Ziel entspricht. Die Rechtspflicht besteht also nur dann und nur insoweit, als das betreffende nationale Recht hinter dem Ziel der Richtlinie zurückbleibt. So waren etwa sehr viele materielle Regelungsziele der 2. (Kapital-)RL (dazu ausf. § 20) längst Standard des deutschen Aktienrechts, so dass der Anpassungsbedarf insgesamt vergleichsweise gering war (vgl. auch § 20 Rn. 10). I.Ü. ist der nationale Gesetzgeber frei, in welcher Form er die Anpassung seines nationalen Rechts vollzieht. Diese „Formfreiheit“ hat vielfältige Aspekte 20: Zunächst einmal bestimmt der nationale Gesetzgeber nach den Regeln seines Ver- 11 fassungsrechts, ob die Umsetzung durch förmliches Gesetz – so für den Bereich des Gesellschaftsrechts regelmäßig in Deutschland – oder durch Verordnung – so z.B. meistens in Frankreich – erfolgt. Gerade hier bestehen in Europa die vielfältigsten Unterschiede. Sodann hat der nationale Gesetzgeber über die rechtstechnisch zweckmäßigste 12 Form der Umsetzung zu entscheiden. Auch hier sind die Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten beträchtlich. Einige Länder ergänzen und ändern an entsprechender Stelle die Vorschriften ihrer unternehmens- und gesellschaftsrechtlichen Kodifikationen – so etwa Deutschland bei der Umsetzung der ersten gesellschaftsrechtlichen Richtlinien durch Änderungen und Ergänzungen des HGB, des AktG und des GmbHG 21 –,

18 Prägnant zu den Vor- und Nachteilen des Regelungsinstruments der Richtlinie: Habersack § 3 Rn. 42 f. 19 Vgl. etwa die 6. (Spaltungs-)RL, die nur diejenigen Mitgliedstaaten aktuell verpflichtet, die in ihrer Rechtsordnung die Figur der Spaltung einer Aktiengesellschaft kennen oder einführen (vgl. § 22 Rn. 3). 20 Näher zum Folgenden und zu den Grenzen der Wahlfreiheit Burger (Fn. 13), S. 83 ff.; Nettesheim (Fn. 4), Art. 249 EG Rn. 139 ff., 152; Ruffert (Fn. 11), Art. 288 AEU Rn. 32 ff. 21 Vgl. etwa zur Umsetzung der 1. (Publizitäts-)RL: § 19 Rn. 8; der 2. (Kapital-)RL: § 20 Rn. 10 f.

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andere Länder fassen die Änderungen und Ergänzungen in Sondergesetzen zusammen. Den sehr unterschiedlichen Techniken der Normsetzung in den Mitgliedstaaten sind also keine Schranken gesetzt. 13 Wie wichtig aber die Frage der Form unter rechtpolitischen Gesichtspunkten werden kann, hat Deutschland im Zusammenhang mit der Umsetzung der 4. (Bilanz-)RL (dazu § 24) und 7. (Konzernbilanz-)RL (dazu § 25) erlebt. Während die Bundesregierung stets eine Zusammenfassung der Regeln über die kaufmännische Rechnungslegung im HGB vorgeschlagen und dann auch nur noch mit vereinzelten rechtsformspezifischen Sonderregeln im AktG, GmbHG und GenG verwirklich hat (vgl. § 10 Rn. 1, § 24 Rn. 5, § 25 Rn. 7), haben damals starke politische Kräfte auf eine Umsetzung durch Schaffung jeweils vollständiger und in sich autonomer rechtsformspezifischer Abschnitte (nur) im AktG, GmbHG und GenG gedrungen, also auch ohne einen „Allgemeinen Teil“ im HGB. Von den Richtlinien her gesehen war Deutschland völlig frei, welchen Weg es hier wählen wollte. 14 Schließlich bestimmt der nationale Gesetzgeber auch die sprachliche Form der Umsetzung. Er ist also nicht etwa gezwungen, die Richtlinie in ihren oft sehr detaillierten Formulierungen wörtlich zu übernehmen – so sehr das natürlich die Überprüfung der Frage vereinfacht, ob er das durch die Richtlinie verpflichtend vorgegebene Ziel erreicht hat oder dahinter zurückgeblieben ist. Andererseits ist es naturgemäß sachlich wichtig und richtig, wenn die Änderung des nationalen Rechts auch in der nationalen Nomenklatur unter Verwendung der eigenen Rechtsbegriffe erfolgt: Auch das mindert Unklarheiten bei der Auslegung und Anwendung des geänderten nationalen Rechts.22 2. Verletzung der Pflicht zur Umsetzung 15 Alle Richtlinien bestimmen eine Frist, bis zu deren Ablauf die Umsetzung in nationales Recht erfolgt sein muss, und sie verpflichten die Mitgliedstaaten, die Kommission von dem Vollzug der Richtlinie in Kenntnis zu setzen. Dieses „Muss“ ist Inhalt der Rechtspflicht aus Art. 288 Abs. 3 AEU (G Art. 249 Abs. 3 EG), ihre Überschreitung ist Verletzung dieser Rechtspflicht aus dem Vertrag. a) Feststellung der Vertragsverletzung, Art. 258 AEU (G Art. 226 EG) 16 Stellt die Kommission von sich aus fest, dass die Richtlinie nicht oder nicht vollständig innerhalb der Frist umgesetzt worden ist, oder erhält sie durch eine Beschwerde natürlicher oder juristischer Personen davon Kenntnis 23, so bittet sie die betreffende 22 Werden die Texte der Richtlinien – die stets in amtlicher und verbindlicher Form auch in der eigenen Sprache vorliegen – wörtlich in den Text der nationalen Norm übernommen, liegt die „richtlinienkonforme Auslegung“ natürlich besonders nahe; dazu näher u. Rn. 48 ff. 23 Näher dazu Burger (Fn. 13), S. 129 ff.; Borchardt in: Lenz/Borchardt (Hrsg.), EU-Verträge, 5. Aufl. 2010, Art. 258 AEU Rn. 8 ff.; Gaitanides in: von der Groeben/Schwarze, Kommentar zum EU-/EG-Vertrag, 6. Aufl. 2003, Art. 226 EG Rn. 19; Pechstein, EUProzessrecht, 4. Aufl. 2011, Rn. 256 ff.

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Regierung – zumeist jedoch erst nach einem informellen Vorverfahren 24 – in einem Mahnschreiben um einen Bericht (Art. 258 Abs. 1 Hs. 2 AEU [G 226 Abs. 1 Hs. 2 EG]) 25. Bleibt die Kommission auch nach Ablauf der im Mahnschreiben gesetzten Äußerungsfrist bei ihrer Auffassung, der Mitgliedstaat verstoße gegen Unionsrecht, richtet sie an den betreffenden Mitgliedstaat eine begründete Stellungnahme (Art. 258 Abs. 1 Hs. 1 AEU [G Art. 226 Abs. 1 Hs. 1 EG]), in der sie auf die Vertragsverletzung hinweist und eine letzte Frist zur Umsetzung gibt.26 Führt auch das nicht zum Erfolg, so kann die Kommission ein Verfahren beim EuGH einleiten mit dem Ziel einer förmlichen Feststellung der Vertragsverletzung. Dieses Prozedere ist bei Fristüberschreitungen häufiger zu beobachten.27 Hatte sich die Wirkung eines solchen Urteils des EuGH lange Zeit auf die Feststellung beschränkt, so kann seit einer Änderung im Vertrag von Maastricht vom EuGH eine Geldbuße gegen den renitenten Mitgliedstaat verhängt werden, wenn der betreffende Mitgliedstaat dem Urteil des EuGH nicht nachgekommen ist, Art. 260 Abs. 2 Unterabs. 2 AEU (G Art. 228 Abs. 2 Unterabs. 3 EG).28

b) Unmittelbare Wirkung von Richtlinienvorschriften nach Ablauf der Umsetzungsfrist Die soeben geschilderte Sanktion aus Art. 258, 260 AEU (G Art. 226, 228 EG) hat über 17 die förmliche Feststellung der Vertragsverletzung und die etwa verhängte Geldbuße hinaus im Hinblick auf die angestrebte nationale Gesetzgebung keine weiteren Wirkungen. Das hatte zur Folge, dass Mitgliedstaaten bei der Umsetzung ihnen „unangenehmer“ Richtlinien zeitlich sehr hinhaltend verfuhren. Manchmal fanden sich auch in den nationalen Parlamenten einfach nicht die erforderlichen Beschlussmehrheiten zur Anpassung des nationalen Rechts. Daher stellte man sich schon relativ früh die

24 Zu diesem vgl. Burger (Fn. 13), S. 132; Borchardt in: Dauses (Hrsg.), Handbuch des EUWirtschaftsrechts, 27. EL 2010, P I Rn. 27; Cremer in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 4. Aufl. 2011, Art. 258 Rn. 1; Ehricke in: Streinz, EUV/EGV, 2003, Art. 226 EG Rn. 16; Oppermann/Classen/Nettesheim (Fn. 4), § 14 Rn. 26; Schwarze, EU-Kommentar, 2. Aufl. 2009, Art. 226 EG Rn. 11. 25 Näher zum Mahnschreiben Burgi in: Rengeling/Midekke/Gellermann, Handbuch des Rechtschutzes in der EU, 2. Aufl. 2003, § 6 Rn. 11 ff.; Pechstein (Fn. 23), Rn. 271 ff. 26 Burger (Fn. 13), S. 131 f. weist darauf hin, dass die Klageerhebung aus Sicht der Kommission „letztes Mittel“ sein muss. Näher dazu Burgi (Fn. 25) § 6 Rn. 17 ff.; Cremer (Fn. 24), Art. 258 AEU Rn. 15 ff.; Ehricke (Fn. 24), Art. 226 EG Rn. 22 ff.; U. Karpenstein in: Grabitz/Hilf, Das Recht der Europäischen Union, 40. Aufl. 2009, Art. 226 EG Rn. 49 ff. 27 Vgl. etwa EuGH v. 1.3.1983, Kommission ./. Italien, Rs. C-300/81, Slg. 1983, 449; EuGH v. 1.3.1983, Kommission ./. Belgien, Rs. C-301/81, Slg. 1983, 467; EuGH v. 22.4.1999, Kommission ./. Deutschland, Rs. C-272/97, Slg. 1999, I-2175. 28 Monographisch dazu Heidig, Die Verhängung von Zwangsgeldern und Pauschalbeträgen gegen die Mitgliedstaaten der EG – das Sanktionsverfahren nach Art. 228 Abs. 2 EGV, 2001.

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Frage, ob Richtlinien nach Ablauf der Umsetzungsfrist nicht weitergehende rechtliche Wirkungen entfalten oder doch entfalten können.29 Das ist tatsächlich der Fall. 18 Der AEU-Vertrag (bzw. früher der EG-Vertrag bzw. EWG-Vertrag), seine Wirkungen und seine Realität beruhen entscheidend auf dem Gedanken gleicher Chancen und Lasten auf dem ganzen Gebiet der Union. Würden nun die so wichtigen Elemente der Gleichheit von der individuellen legislativen Bereitschaft der 27 Mitgliedstaaten abhängen, wäre die Union in ihrem Vollzug ungemein gefährdet. Deshalb hat der EuGH zunächst einmal die zentralen Regeln des Vertrages selbst (z.B. Zollfreiheit, Verbot mengenmäßiger Beschränkungen, Diskriminierungsverbot) nach Ablauf der für sie jeweils geltenden Umsetzungsfristen für unmittelbar geltendes und höherrangiges europäisches Recht erklärt, das keiner wie auch immer gearteten weiteren Umsetzung bedarf und verdrängende Wirkung bezüglich des entgegenstehenden nationalen Rechts hat.30 Rechtsprechung und Verwaltung der Mitgliedstaaten haben sich – zunächst zögernd, dann einheitlich – dieser Betrachtung angeschlossen. 19 Auf den gleichen Grundgedanken beruhten dann die Lehre und Rechtsprechung vom Vorrang auch des sekundären Unionsrechts (dazu bereits o. Rn. 1 ff.). Auch hier hat der EuGH ohne Zögern und Zaudern für die Durchsetzung votiert; und auch hier hat er letztlich die Gefolgschaft der nationalen Gerichte und der nationalen Praxis gefunden. 20 Schließlich ist der EuGH noch einen Schritt weiter gegangen: Die Richtlinie ist das im Vertrag für die Sicherung der Wettbewerbsgleichheit und der Freizügigkeit sowie das für die Harmonisierung der Abgaben (Steuern) vorgesehene Instrument der Rechtsetzung. Werden nun ihre Regeln von einzelnen Mitgliedstaaten verletzt, so wird die angestrebte Verbesserung der Chancen- und Wettbewerbsgleichheit nicht nur verfehlt, sondern u.U. sogar konterkariert. Haben etwa bisher alle Mitgliedstaaten in unterschiedlichem Maße Gebühren für Einfuhrkontrollen erhoben, schreibt dann eine Richtlinie deren Beseitigung vor und kommen dem 25 Staaten nach, zwei jedoch nicht, so tritt in Bezug auf die beiden vertragsuntreuen Staaten eine erhebliche Verschärfung der Wettbewerbsverzerrung auf (die Exporteure der beiden vertragsuntreuen Staaten profitieren von der Richtlinie, weil sie bei der Einfuhr in andere Mitgliedstaaten keine Gebühren mehr zahlen müssen; die Exporteure der 25 vertragstreuen Staaten hingegen erleiden beträchtliche Nachteile, weil sie beim Import in die

29 Dazu vgl. Constantinesco, Die unmittelbare Anwendbarkeit von Gemeinschaftsnormen und der Rechtsschutz von Einzelpersonen im Recht der EWG, 1969; Everling, FS Carstens, 1984, Bd. 1, S. 95 ff.; H. P. Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, 1972, S. 124 f.; Lutter ZZP 86 (1973) 107, 142 ff.; Oldenbourg, Die unmittelbare Wirkung von EG-Richtlinien im innerstaatlichen Bereich, 1984; Steindorff AG 1988, 57 ff.; Heim, Unmittelbare Wirkung von EG-Richtlinien im deutschen und französischen Recht am Beispiel des Umweltrechts, 1999. 30 So die berühmten Urteile EuGH v. 5.2.1963, van Gend & Loos, Rs. 26/62, Slg. 1962, 3, 24 ff.; EuGH v. 15.7.1964, Costa ./. E.N.E.L., Rs. 6/64, Slg. 1964, 1253; EuGH v. 16.6.1966, Lütticke, Rs. 57/65, Slg. 1966, 258, 265 ff. = EuR 1966, 354 m. Anm. H. P. Ipsen.

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vertragsuntreuen Staaten Einfuhrkontrollgebühren zu entrichten haben). Das kann nicht Sinn und Ziel europäischer Rechtsetzung durch Richtlinien sein; ihr Kooperationsangebot an die nationalen Gesetzgeber würde sich in eine gefährliche Schwäche der Rechtsordnung der Union verwandeln. Daher hat der EuGH – obwohl der Wortlaut des Art. 288 Abs. 3 AEU (G Art. 249 Abs. 3 EG) dem entgegenzustehen scheint 31 – Richtlinienvorschriften 32 frühzeitig unter bestimmten Voraussetzungen unmittelbare Wirkung zuerkannt 33: Erforderlich ist erstens der Ablauf der zur Umsetzung bestimmten Frist, zweitens eine Nichtumsetzung oder unzutreffende Umsetzung der Richtlinie, und drittens können nur solche Vorschriften unmittelbare Wirkung entfalten, die inhaltlich unbedingt und hinreichend genau formuliert sind.34 Inhaltlich unbedingt ist eine Bestimmung dann, wenn sie weder mit einem Vorbehalt noch mit einer Bedingung versehen ist und keiner weiteren Maßnahme der Organe der Mitgliedstaaten oder der Union bedarf, m.a.W.: wenn ihr unmittelbar vollziehbare und den Bürger entlastende oder gegenüber dem Staat berechtigende Rechtssätze zu entnehmen sind, Rechtssätze also, die keiner weiteren rechtstechnischen Umsetzung bedürfen.35 Hinreichend genau ist eine Vorschrift, wenn sich ihr Rechtsgehalt mit der erforderlichen Sicherheit ermitteln lässt.36 Das ist insbesondere dort der Fall, wo die

31 Vgl. Grundmann Rn. 152; Nettesheim (Fn. 4), Art. 249 EG Rn. 154 f.; Oppermann/Classen/Nettesheim (Fn. 4), § 10 Rn. 111; Ruffert (Fn. 11), Art. 288 AEU Rn. 47 ff.; s. aber auch Schroeder (Fn. 9), Art. 249 EG Rn. 102, der kein Problem der Vereinbarkeit mit Art. 249 Abs. 3 EG (G Art. 288 Abs. 3 AEU) erblickt. 32 Nicht Richtlinien schlechthin, sondern nur einzelnen Richtlinienbestimmungen, vgl. EuGH v. 6.10.1970, Franz Grad, Rs. 9/70, Slg. 1970, 825, Rn. 6; EuGH v. 19.1.1982, Becker, Rs. C-8/81, Slg. 1982, 53, Rn. 27 ff. 33 Zu Entscheidungen nach Art. 249 Abs. 4 EG (G Art. 288 Abs. 4 AEU) schon EuGH v. 6.10.1970, Franz Grad, Rs. 9/70, Slg. 1970, 825, Rn. 5 ff.; EuGH v. 21.10.1970, Transports Lesage, Rs. C-20/70, Slg. 1970, 861, Rn. 5 ff.; zu Richtlinien nach Art. 249 Abs. 3 EG (G Art. 288 Abs. 3 AEU): EuGH v. 4.12.1974, van Duyn, Rs. C-41/74, Slg. 1974, 1337, Rn. 12 ff.; EuGH v. 5.4.1979, Ratti, Rs. C-148/78, Slg. 1979, 1629, Rn. 18 ff.; EuGH v. 19.1.1982, Becker, Rs. C-8/81, Slg. 1982, 53, Rn. 21 ff.; EuGH v. 22.2.1984, Kloppenburg, Rs. C-70/83, Slg. 1984, 1075, Rn. 3; EuGH v. 28.3.1990, Waldrich, Rs. C-38/88, Slg. 1990, I-1447, Rn. 8 f.; EuGH v. 14.7.1994, Faccini Dori, Rs. C-91/92, Slg. 1994, I-3325, Rn. 12 ff.; EuGH v. 18.10.2001, Gharehveran, Rs. C-441/99, Slg. 2001, I-7687, Rn. 44 f. 34 Näher zu den einzelnen Voraussetzungen: Ruffert (Fn. 11), Art. 288 AEU Rn. 51 ff.; Schroeder (Fn. 9), Art. 249 EG Rn. 106 ff.; s. auch Haratsch/Koenig/Pechstein (Fn. 11), Rn. 388 ff.; Herdegen (Fn. 4), § 8 Rn. 45 ff.; Langenbucher in: Langenbucher (Hrsg.), Europarechtliche Bezüge des Privatrechts, 2. Aufl. 2008, § 1 Rn. 53 ff.; Oppermann/Classen/Nettesheim (Fn. 4), § 10 Rn. 114 ff. (jeweils m.w.N.). 35 Vgl. EuGH v. 3.4.1968, Molkerei-Zentrale Westfalen/Lippe, Rs. C-28/67, Slg. 1968, S. 215, 230 f.; EuGH v. 4.12.1974, van Duyn, Rs. C-41/74, Slg. 1974, 1337, Rn. 13 f.; EuGH v. 12.5.1987, Traen, Rs. C-372/85 bis C-374/85, Slg. 1987, 2141, Rn. 25; EuGH v. 23.2.1994, Comitato di coordinamento per la difesa della Cava, Rs. C-236/92, Slg. 1994, I-483, Rn. 9. 36 Vgl. EuGH v. 22.9.1983, Auer, Rs. C-271/82, Slg. 1983, 2727, Rn. 16; EuGH v. 26.2.1986, Marshall, Rs. C-152/84, Slg. 1986, 723, Rn. 52; EuGH v. 23.2.1994, Comitato di coordinamento per la difesa della Cava, Rs. C-236/92, Slg. 1994, I-483, Rn. 10.

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Grundlagen

betreffende Richtlinienbestimmung bestimmte Lasten beseitigt 37 oder klare, aus sich selbst heraus vollziehbare Anweisungen enthält 38. 21 Wenngleich diese Rechtsprechung des EuGH sowohl in ihrer Substanz als auch in ihren Details zeitweise sehr umstritten war 39, findet sie mittlerweile in Literatur 40 und mitgliedstaatlicher Rechtsprechung 41 gleichermaßen uneingeschränkte Zustimmung. Dem BFH, der in der Anerkennung einer unmittelbaren Wirkung von Richtlinienbestimmungen eine unzulässige Überschreitung der Grenzen sah, die der EG-Vertrag zwischen der Richtlinie und der Verordnung als der ausdrücklich unmittelbar geltenden Rechtshandlung der Union setzt 42, ist das BVerfG entgegengetreten und hat die Befugnis des EuGH zu dieser Fortentwicklung des Regelungsinstruments der Richtlinie ausdrücklich anerkannt 43. 22 Festzuhalten ist somit: Der rechtliche Charakter der Richtlinie ist dahin zu verstehen, dass sie nur während der Umsetzungsfrist allein den nationalen Gesetzgeber verpflichtet, nach deren Ablauf aber zu allgemeinem europäischen Recht mit verdrängender Wirkung gegenüber entgegenstehendem nationalen Recht erstarkt, sofern die oben genannten Voraussetzungen gegeben sind. 23 Die Lehre von der unmittelbaren Wirkung der Richtlinie nach Ablauf der Umsetzungsfrist hat Bedeutung sowohl für die bislang wichtigsten Fälle der gänzlichen Nichtumsetzung als auch für solche Fälle, in denen die Umsetzung unvollständig geschah.44 37 Bsp.: EuGH v. 6.10.1970, Franz Grad, Rs. 9/70, Slg. 1970, 825 (Aufhebung aller umsatzsteuerähnlichen zusätzlichen Abgaben neben der Mehrwertsteuer); EuGH v. 19.1.1982, Becker, Rs. C-8/81, Slg. 1982, 53 (Aufhebung der Umsatzsteuer auf die Geschäfte der Kreditvermittler durch die 6. Umsatzsteuer-RL (dazu noch u. Rn. 26 f.)). 38 Bsp.: In der Ausweisungsverfügung bezüglich des Bürgers aus einem anderen Mitgliedstaat müssen die Gründe der Ausweisung angegeben werden, Art. 6 RL 64/221/EWG (RL 64/221/EWG des Rates vom 25.2.1964 zur Koordinierung der Sondervorschriften für die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern, soweit sie aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit gerechtfertigt sind, ABlEG v. 4.4.1964, 56/850); dazu Conseil d’État v. 22.12.1978, EuR 1979, 292 m. Anm. Bieber. 39 Vgl. aus dem deutschen Schrifttum Herber ZHR 144 (1980) 47, 63 ff.; ders., FS Döllerer, 1988, S. 225 ff.; Zuleeg ZGR 1980, 466, 478 f.; zur energischen Gegenmeinung des französischen Conseil d’État vgl. EuR 1979, 292 mit Anm. Bieber; Everling, FS Carstens, 1984, Bd. 1, S. 95, 104 ff.; vgl. auch die präzisierenden Entscheidungen Conseil d’État v. 23.3.1984, RTD eur. 1984, 342; Conseil d’État v. 7.12.1984, RTD eur. 1985, 187. 40 Bach JZ 1990, 1108 ff.; Götz NJW 1992, 1849, 1855 f.; Jarass NJW 1990, 2420; Nettesheim (Fn. 4), Art. 249 EG Rn. 157; Schroeder (Fn. 9), Art. 249 EG Rn. 102. 41 Vgl. für Deutschland BVerwGE 70, 41, 49; BVerwGE 74, 241, 247. 42 BFHE 133, 470, 471 f.; dazu Dänzer-Vanotti BB 1982, 1106 ff.; Meier BB 1981, 1883 ff.; Voss RIW 1982, 570 ff.; der BFH hielt trotz mehrerer klarstellender Entscheidungen des EuGH zunächst an seiner Rspr. fest, vgl. BFHE 143, 383, 386 ff.; s. dazu Burger (Fn. 13), S. 91 f. 43 BVerfGE 75, 223, 240 ff.; dazu Hilf EuR 1988, 1. 44 So verhielt es sich in dem vom französischen Conseil d’État entschiedenen Fall (Fn. 38): Die Richtlinie zum Problem der Kontrolle und Ausweisung von Marktbürgern war zwar im französischen Recht implementiert worden, jedoch ohne die in Art. 6 der RL 64/221/EWG (Fn. 38) expressis verbis getroffene Regel, dass die Gründe der Ausweisung

Instrumente und Folgen europäischer Rechtsetzung

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Darüber hinaus hat der EuGH zu Recht entschieden, dass die unmittelbare Wir- 24 kung nicht von der Pflicht zur Umsetzung der Richtlinie suspendiert 45; das ergibt sich schon aus dem Erfordernis der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit im betreffenden nationalen Recht. Der EuGH spricht übrigens in seinen neueren Urteilen zu diesem Themenkom- 25 plex betont nicht mehr von einer „unmittelbaren Wirkung“, sondern davon, dass sich der einzelne Marktbürger gegenüber dem entgegenstehenden nationalen Recht „auf die Richtlinie berufen“ könne46, wenn diese ihrem Inhalt nach unbedingt und hinreichend genau sei. Da aber diese „Berufung“ zur Nichtanwendbarkeit formell fortbestehenden nationalen Rechts und zur Entscheidung auf der Basis der Richtliniennorm führt, liegt in dieser Änderung der Formulierung keine Änderung in der Sache selbst. Sie liegt allerdings auf einer Linie mit der Auffassung des Gerichtshofs, dass es insoweit nur um für den Bürger günstige Rechtswirkungen geht, also nicht um ihn belastende 47, und nur um Wirkungen im Verhältnis zur öffentlichen Hand, also nicht um Wirkungen im Verhältnis der Bürger untereinander (keine unmittelbare horizontale Wirkung der Richtlinie) 48. Die Frage einer mittelbaren horizontalen Richtlinienwirkung ist in ihren Einzelheiten freilich äußerst umstritten.49

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angegeben werden müssen. Nach der vom EuGH und von der mittlerweile ganz h.L. vertretenen Auffassung ist diese Bestimmung (heute: Art. 30 Abs. 2 RL 2004/38/EG) in allen 27 Mitgliedstaaten geltendes, von Verwaltung und Gerichten zu beachtendes Recht, unabhängig von Wortlaut und Inhalt der betreffenden nationalen Umsetzung. EuGH v. 1.3.1983, Kommission ./. Belgien, Rs. C-301/81, Slg. 1983, 467, Rn. 13; EuGH v. 25.7.1991, Emmott, Rs. C-208/90, Slg. 1991, I-4269, Rn. 20 ff. EuGH v. 19.1.1982, Becker, Rs. C-8/81, Slg. 1982, 53, Rn. 22 ff.; EuGH v. 26.2.1986, Marshall, Rs. C-152/84, Slg. 1986, 723, Rn. 46 ff.; EuGH v. 14.7.1994, Faccini Dori, Rs. C-91/92, Slg. 1994, I-3325, Rn. 20. Vgl. EuGH v. 26.2.1986, Marshall, Rs. C-152/84, Slg. 1986, 723; EuGH v. 11.7.1996, MPA Pharma GmbH ./. Rhône-Poulenc Pharma GmbH, Rs. C-232/94, Slg. 1996, I-3671, Rn. 12, EuGH v. 26.9.1996, Arcaro, Rs. C-168/95, Slg. 1996, I-4705, Rn. 36; EuGH v. 7.1.2004, Delena Wells, Rs. C-201/02, Slg. 2004, I-723, Rn. 56. Vgl. EuGH v. 11.6.1987, Pretore di Salò, Rs. C-14/86, Slg. 1987, 2545, Rn. 19; EuGH v. 14.7.1994, Faccini Dori, Rs. C-91/92, Slg. 1994, I-3325, Rn. 23 f.; dazu auch Burger (Fn. 13), S. 93 f.; Habersack § 3 Rn. 45 f. m.w.N.; Haratsch/Koenig/Pechstein (Fn. 11), Rn. 393; Langenbucher (Fn. 34), § 1 Rn. 69 ff.; Streinz (Fn. 8), Rn. 447 ff. S. etwa EuGH v. 7.1.2004, Delena Wells, Rs. C-201/02, Slg. 2004, I-723, Rn. 57, wonach dem Einzelnen die Berufung auf eine Richtlinienvorschrift gegenüber dem Mitgliedstaat nicht deswegen versagt werden kann, weil dies negative Auswirkungen auf die Rechte Dritter hat, selbst wenn diese gewiss sind; EuGH v. 22.11.2005, Mangold, Rs. C-144/04, Slg. 2005, I-9981, Rn. 55 ff., wo Art. 6 Abs. 1 der RL 2000/78/EG (RL 2000/78/EG des Rates v. 27.11.2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf, ABlEG v. 2.12.2000, L 303/16) im Privatrechtsverhältnis zur Anwendung gebracht wird; daran zweifelnd Mörsdorf EuR 2009, 219 ff.; eingehend zur Diskussion Ruffert (Fn. 11), Art. 288 AEU Rn. 63 ff. m.w.N. zu sämtlichen Ansichten; ferner Bauer/Arnold, NJW 2006, 6, 9 f.; Haratsch/Koenig/Pechstein (Fn. 11), Rn. 394; Herdegen (Fn. 4), § 8 Rn. 51; Oppermann/Classen/Nettesheim (Fn. 4), § 10 Rn. 124.

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Grundlagen

c) Die Bedeutung der unmittelbaren Wirkung nicht umgesetzter Richtlinien im Unternehmensrecht 26 Die große praktische Bedeutung dieser Lehre von der unmittelbaren Wirkung von Richtlinienvorschriften im nationalen Recht wird einerseits am Fall Becker (dazu u. Rn. 27), andererseits am Fall Marleasing (dazu u. Rn. 28) besonders deutlich. 27 Im Fall Becker 50 hatte der deutsche Gesetzgeber die 6. Umsatzsteuer-RL51 erst verspätet zum 1.1.1980 statt zum 1.1.1977 umgesetzt. Nach dieser Richtlinie waren u.a. die Umsätze von Kreditvermittlern steuerfrei zu stellen. Das Finanzamt Münster verlangte von Frau Becker dennoch und entsprechend dem noch (förmlich) weiterhin geltenden deutschen Recht korrekt für 1979 Umsatzsteuer, das Finanzgericht Münster legte nach Art. 234 Abs. 2 EG (G Art. 267 Abs. 2 AEU) vor und der EuGH entschied, dass die entgegenstehende Vorschrift des deutschen Steuerrechts Frau Becker gegenüber unanwendbar sei. 28 Im Fall Marleasing 52 (dazu auch noch § 19 Rn. 87 f.) hatte der spanische Gesetzgeber nach seinem Beitritt zur (damaligen) EG entgegen der ihm eingeräumten Frist sein nationales Recht noch nicht den Bestimmungen der 1. (Publizitäts-)RL (dazu § 19) angepasst. Dieses (alte) nationale Recht kannte vielfältige Gründe für die Nichtigkeit einer Gesellschaft. Darauf berief sich die Partei eines Zivilverfahrens, was, wäre Art. 11 der 1. (Publizitäts-)RL (heute in der kodifizierten Fassung Art. 12, dazu näher § 19 Rn. 85 ff.) bereits umgesetzt worden, nicht möglich gewesen wäre. Da es um das Rechtsverhältnis unter zwei Bürgern, also um eine horizontale Wirkung der Richtlinienbestimmung ging, lehnte der EuGH die unmittelbare (verdrängende) Wirkung von Art. 11 ab53, kam jedoch mit anderer Begründung – der Pflicht des nationalen Richters zur richtlinienkonformen Auslegung – letztlich zum gleichen Ergebnis. d) Schadensersatz 29 Kann die Lehre von der unmittelbaren Wirkung von Richtlinien nicht zum Erfolg führen, etwa weil das horizontale Verhältnis zum Mitbürger angesprochen ist 54 oder weil die verlorene Zeit nicht mehr eingeholt werden kann 55, so schuldet der säumige 50 EuGH v. 19.1.1982, Becker, Rs. C-8/81, Slg. 1982, 53; dazu Millarg EuR 1982, 66 ff. 51 Sechste RL 77/388/EWG des Rates vom 17.5.1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage, ABlEG v. 13.6.1977, L 145/1. 52 EuGH v. 13.11.1990, Marleasing SA ./. Comercial Internacional de Alimentacion SA, Rs. C-106/89, Slg. 1990, I-4135; dazu Brechmann, Die richtlinienkonforme Auslegung, 1994, S. 66 ff.; Klinke ZGR 1993, 1, 19 ff.; Lutter JZ 1992, 593 ff.; Samara-Krispis/Steindorff (1992) 29 C.M.L. Rev. 615, 616 ff.; Stuyck/Wytinck (1991) 28 C.M.L. Rev. 205 ff. 53 EuGH v. 13.11.1990, Marleasing SA ./. Comercial Internacional de Alimentacion SA, Rs. C-106/89, Slg. 1990, I-4135, Rn. 6. 54 Hätte im Fall Marleasing nicht die richtlinienkonforme Auslegung zum Erfolg geführt (s.o. Rn. 28), so wäre der Kläger trotz der Richtlinie benachteiligt geblieben. 55 So hatte Deutschland es versäumt, die in Art. 7 Pauschalreise-RL (RL 90/314/EWG des Rates v. 13.6.1990 über Pauschalreisen, ABlEG v. 23.6.1990, L 158/59) geregelte Pflicht

Instrumente und Folgen europäischer Rechtsetzung

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Mitgliedstaat nach der Rechtsprechung des EuGH den betroffenen Bürgern Ersatz ihres etwaigen Schadens. Das ist vom EuGH in der Entscheidung Francovich aus dem Jahre 199156 entwickelt und in der Dillenkofer-Entscheidung zugunsten deutscher Pauschalreisender 57 sowie einer ganzen Reihe weiterer Entscheidungen 58 ausdrücklich bestätigt worden.59

3. Rechtspflicht zum stand still und spätere Abweichungen des nationalen Gesetzgebers a) Pflicht und Folgen ihrer Verletzung Soll Rechtsangleichung Erfolg haben, darf sich ihre Wirkung nicht im Moment der 30 Angleichung erschöpfen, sondern muss auf Dauer wirken, den status quo der einmal erreichten Angleichung bewahren. Diesem Bedürfnis entspricht die wichtige Erkenntnis, dass Angleichungsvorschriften die Mitgliedstaaten nicht nur ad hoc zu einer entsprechenden Änderung ihrer Rechtsordnung verpflichten, sondern – nach dieser Änderung – auch ein stand still bezüglich der angeglichenen Materie insoweit gebieten, als sich eine neuerliche Änderung gegen das Angleichungsziel der Richtlinie bewegt.60 Richtlinien entfalten mithin eine Sperrwirkung für den nationalen Gesetz-

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zur Versicherung gegen den Ausfall des Reiseveranstalters fristgerecht bis zum 31.12.1992 umzusetzen. Viele deutsche Pauschalreisende konnten wegen der Insolvenz einiger Reiseveranstalter ihre Reise nicht antreten bzw. mussten auf eigene Kosten von ihrem Ferienort zurückkehren. Da ihnen die bereits gezahlten Beträge nicht erstattet wurden, erlitten sie hohe Schäden, vgl. den Vorlagebeschluss des LG Bonn NJW 1994, 2489 und EuGH v. 8.10.1996, Dillenkofer, Rs. C-178/94, C-179/94, C-188/94, C-189/94 u. C-190/94, Slg. 1996, I-4845. EuGH v. 19.11.1991, Francovich, Rs. C-6/90 u. C-9/90, Slg. 1991, I-5357, Rn. 33 ff. EuGH v. 8.10.1996, Dillenkofer, Rs. C-178/94, C-179/94, C-188/94, C-189/94 u. C-190/94, Slg. 1996, I-4845; s. auch EuGH v. 16.12.1993, Wagner Miret, Rs. C-334/92, Slg. 1993, I-6911, Rn. 22 = ZEuP 1995, 105 m. Anm. Abele. Vgl. etwa EuGH v. 7.3.1996, El Corte Inglés, Rs. C-192/94, Slg. 1996, I-1281, Rn. 22; EuGH v. 17.10.1996, Denkavit, Rs. C-283/94, C-291/94 u. C-292/94, Slg. 1996, I-5063, Rn. 47 ff.; EuGH v. 25.11.2010, Fuß, Rs. C-429/09, NZA 2011, 53, Rn. 45 ff. Allg. zur Haftung der Mitgliedstaaten für die Verletzung von Unionsrecht: EuGH v. 5.3.1996, Brasserie du Pêcheur, Rs. C-46/93 und C-48/93, Slg. 1996, I-1029; EuGH v. 30.9.2003, Köbler, Rs. C-224/01, Slg. 2003, I-10239; EuGH v. 13.6.2006, Traghetti del Mediterraneo, Rs. C-173/03, Slg. 2006, I-5177; Albers, Die Haftung der Bundesrepublik Deutschland für die Nichtumsetzung von EG-Richtlinien, 1995; Herdegen (Fn. 4), § 10 Rn. 8 f.; Langenbucher (Fn. 34), § 1 Rn. 114 ff.; Oppermann/Classen/Nettesheim (Fn. 4), § 15 Rn. 13 ff. Undeutlich, aber wohl in Richtung einer vollständigen, dauerhaften Wirksamkeit zu verstehen, vgl. von Danwitz in: Dauses (Hrsg.), Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, 27. EL 2010, B II Rn. 43; Lutter EuR 1975, 44, 52; ders., FS Ferid, 1978, S. 599, 615 ff.; Nettesheim (Fn. 4), Art. 249 EG Rn. 150; Oppermann/Classen/Nettesheim (Fn. 4), § 10 Rn. 109; Schroeder (Fn. 6), Art. 249 EG Rn. 80; Schwarz Rn. 233; Streinz FS Söllner, 2000, S. 1139, 1149 ff.

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Grundlagen

geber, wenn dieser seiner Umsetzungsverpflichtung nachgekommen ist. Diese Sperrwirkung bedarf allerdings keiner besonderen Herleitung, sondern ergibt sich ohne Weiteres aus dem Vorrang der Richtlinie, der von den Mitgliedstaaten mit deren Inkrafttreten zu beachten ist.61 31 Die Pflicht zum stand still hat zwei Aspekte: •



Einmal verletzen Mitgliedstaaten ihre Pflichten aus dem Vertrag, wenn sie den durch die Rechtsangleichung geschaffenen Zustand der Gleichwertigkeit gegen den Inhalt der betreffenden Richtlinie durch (neues) nationales Recht zu beseitigen versuchen. Der Kommission stehen insofern wiederum die Befugnisse aus Art. 258, 260 AEU (G Art. 226, 228 EG) (dazu o. Rn. 16) in gleicher Weise zu, wie wenn die Richtlinie nicht oder nicht vollständig umgesetzt worden wäre. Zum anderen aber ist zu fragen, ob diese Pflichtverletzung nicht Auswirkungen auch auf die vertragswidrige nationale Rechtsetzung selbst hat. Das ist tatsächlich nach den gleichen Regeln der Fall, wie sie soeben zur verdrängenden Wirkung der Richtlinie nach Ablauf der Umsetzungsfrist dargelegt wurden. In diesem Rahmen hat die Richtlinie dann die gleiche Wirkung wie eine Verordnung: Das neue, richtlinienwidrige nationale Recht entfaltet keine Wirkungen; es bleibt beim bisherigen, durch die ursprüngliche Umsetzung erreichten nationalen Rechtszustand.62

32 Auch diese Aussagen sind keineswegs nur theoretischer Natur. Im Fall Karella (dazu auch noch § 20 Rn. 159, 231) hatte der EuGH im Kontext der 2. (Kapital-)RL (dazu ausf. § 20) über genau dieses Problem zu befinden63: Im Rahmen seiner Gesetzgebung zur Sanierung von Unternehmen hatte der griechische Gesetzgeber nach Erlass und Umsetzung dieser Richtlinie Vorschriften geschaffen, die es einer Behörde erlaubten, über eine Kapitalerhöhung einer in der Sanierung befindlichen Aktiengesellschaft zu entscheiden. Das verstieß eindeutig gegen Art. 25 Abs. 1 der 2. (Kapital-)RL, welcher die alleinige Zuständigkeit der Hauptversammlung für solche Maßnahmen betont (dazu näher § 20 Rn. 157 ff.). Der EuGH erlaubte dem klagenden Aktionär, sich auf diese Richtlinienvorschrift mit verdrängender Wirkung gegenüber dem späteren nationalen Recht zu berufen, das insoweit wirkungslos blieb. Allerdings ging es auch hier um die Befugnis einer staatlichen Einrichtung, nicht um die einer Privatperson, also um eine vertikale, nicht um eine horizontale Rechtsbeziehung.

61 Ebenso Nettesheim (Fn. 4), Art. 249 EG Rn. 150; Schroeder (Fn. 6), Art. 249 EG Rn. 80. 62 Ebenso Schwarz, Rn. 235; anders noch Lutter ZZP 86 (1973) 107, 147: „Das heißt aber nicht, daß deshalb die bisherige nationale Rechtslage fortgilt; insoweit – also zur Aufhebung einer bestimmten nationalen Rechtslage – bleibt der nationale Gesetzgeber souverän. Aber in die so entstehende Lücke zwischen aufgehobenem alten und keine Wirkungen entfaltenden neuem nationalen Recht fließt unmittelbar wirkendes europäisches Recht aus der Richtlinie in gleicher Weise, wie wenn die Richtlinie überhaupt noch nicht in nationales Recht umgesetzt worden wäre“; vgl. ferner Everling FS R. Schmidt, 1976, S. 165, 174 f. 63 EuGH v. 30.5.1991, Karella, Rs. C-19/90 u. C-20/90, Slg. 1991, I-2691.

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b) Stand still-Gebot und sein Einfluss auf die europäische Rechtsetzung Die soeben dargestellten Wirkungen der Unionsmaßnahme „Richtlinie“ sind erfor- 33 derlich um ihres Zweckes willen. Darauf stellt der EuGH zu Recht ab. Auf der anderen Seite bedeutet diese Folge aber, dass die Mitgliedstaaten ihre Rechtsordnung im gegenständlichen Umfang der Richtlinie nicht mehr ändern dürfen und auch gar nicht mehr ändern können. Bedenkt man diese in sich schlüssige und aus dem Ziel der Rechtsangleichung auch notwendige Folge, so bedeutet dies zugleich, dass im gleichen Umfange, wie die Angleichung stattfindet, die bislang nationale materielle Gesetzgebungskompetenz auf die Union übergeht. Denkt man aber weiter, in welch raschem Rhythmus die Staaten heute zu immer neuen Anpassungen und Änderungen im Bereich ihres Gesellschafts- und Unternehmensrechts gezwungen sind, so ist evident, dass der vertretbare („erforderliche“) Umfang der Rechtsangleichung auch unter dem Maß an Festschreibung der nationalen Unternehmensrechte gesehen werden muss, das dem politischen Stand der Union entspricht. Die Kommission hatte das Problem schon recht früh erkannt und z.B. bereits 34 in Art. 53 Abs. 2 der 4. (Bilanz-)RL (zu dieser § 24) und Art. 50 der 7. (Konzernbilanz-)RL (zu dieser § 25) explizite Überprüfungsklauseln eingebaut, die für eine rechtzeitige Überprüfung der getroffenen Lösungen und ihrer Wirkungen in der Praxis sorgen sollten – ganz offensichtlich ein erster Schritt zur Vorbereitung einer etwa erforderlichen Änderung der eigenen Gesetzgebung, wiederum durch Richtlinien. Von dieser Änderungsmöglichkeit und – da jetzt nur noch die Organe der EU zuständig sind – Änderungsnotwendigkeit wurde mit den Richtlinien zur Anpassung und Erleichterung der Bilanzpublizität dann auch umfänglich Gebrauch gemacht (vgl. dazu § 24 Rn. 3, § 25 Rn. 4). In ihrem „Better Regulation“-Aktionsplan aus dem Jahr 2002 64 hat die Kommission sich dann ausdrücklich dazu verpflichtet, v.a. in Bereichen, die einem raschen technologischen Wandel unterliegen, eine Überprüfungsklausel in ihre Rechtsvorschläge aufzunehmen, um so die regelmäßige Aktualisierung und Anpassung der Rechtsvorschriften zu gewährleisten.65 Ein besonders prachtvolles Exemplar hiervon enthält etwa die MiFID (dazu § 33): Ihr Art. 65 verpflichtet in Abs. 1–4 die Kommission zunächst zur Berichterstattung gegenüber dem EP und dem Rat und ermächtigt sie anschließend in Abs. 5, auf der Grundlage dieser Berichte Änderungen der Richtlinie vorzuschlagen. Ähnliche (wenngleich weniger ausführliche) Überprüfungs- bzw. Revisionsklauseln finden sich aber auch in (fast) allen anderen neueren gesellschafts- und kapitalmarktrechtlichen Richtlinien 66. 64 Allgemein zur „Better Regulation“-Initiative und ihren Auswirkungen speziell im Bereich des Europäischen Gesellschaftsrechts: Weber-Rey ECFR 2007, 370 ff. 65 Vgl. Mitteilung der Kommission, Aktionsplan „Vereinfachung und Verbesserung des Regelungsumfelds“, KOM(2002) 278, S. 8. 66 Vgl. Art. 31 Prospekt-RL (dazu § 34 Rn. 4); Art. 17a MAD (dazu § 35 Rn. 5); Art. 33 Transparenz-RL (dazu § 36 Rn. 5); Art. 20 Übernahme-RL (dazu § 30 Rn. 8); Art. 18 der 10. RL (dazu § 23 Rn. 7); Art. 48 Abs. 3 Abschlussprüfer-RL (zu dieser § 27); bei der Kodifizierung der „älteren“ Richtlinien werden zudem nunmehr ebenfalls teilweise Revisionsklauseln aufgenommen, vgl. etwa Art. 15 der 1. (Publizitäts-)RL (zu dieser § 19).

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4. Die Vorwirkung von Richtlinien a) Bedeutung für den nationalen Gesetzgeber 35 Neben den Fragen der Wirkung der Richtlinie nach Ablauf der Umsetzungsfrist und den Folgen einer Nichtumsetzung oder verspäteten Umsetzung in nationales Recht ist für den mitgliedstaatlichen Gesetzgeber von besonderem Interesse, ob eine in Kraft getretene 67 Richtlinie bereits vor Ablauf der Umsetzungsfrist gewisse Wirkungen entfalten kann.68 Der EuGH hat sich in der unter dem Schlagwort „Vorwirkung von Richtlinien“ geführten Diskussion bereits im Jahre 1997 in der Grundsatzentscheidung Inter-Environnement Wallonie 69 positioniert und – argumentativ gestützt auf Art. 10 Abs. 2, 249 Abs. 3 EG 70 (G Art. 4 Abs. 3 S. 2 EU, 288 Abs. 3 AEU) – solche Vorwirkungen von Richtlinien mit den Worten anerkannt, schon vor Ablauf der Umsetzungsfrist bestehe für die Mitgliedstaaten die Pflicht, den Erlass von Vorschriften zu unterlassen, die geeignet sind, das in der Richtlinie vorgeschriebene Ziel ernstlich in Frage zu stellen. 36 Dabei darf der Begriff der Vorwirkung nicht i.S.e. Stillhalteverpflichtung dergestalt verstanden werden, die den Mitgliedstaaten den Erlass von mit der Richtlinie unvereinbaren Bestimmungen schlechthin verbietet.71 Die in der Richtlinie genannte Umsetzungsfrist verpflichtet die Mitgliedstaaten zur rechtzeitigen Umsetzung, belässt ihnen während dieser jedoch die vollständige Handlungsfreiheit. In dem Erlass von mit dem Richtlinienziel unvereinbaren Vorschriften vor Ablauf der Umsetzungsfrist kann daher kein Verstoß gegen die Umsetzungsverpflichtung erblickt werden, sofern der Mitgliedstaat die vollständige Erreichung des Richtlinienziels mit Ablauf der Umsetzungsfrist sicherstellt (z.B. durch ein automatisches Außerkrafttreten der

67 Zu „Frühwirkungen“ einer noch nicht in Kraft getretenen Richtlinie Ehricke ZIP 2001, 1311, 1312 f.; Gronen, Die „Vorwirkung“ von EG-Richtlinien, 2006, S. 16 ff.; gegen eine solche Hofmann in: Riesenhuber (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, 2. Aufl. 2010, § 16 Rn. 6. 68 Vgl. dazu Burger (Fn. 13), S. 89 f.; Ehricke EuZW 1999, 553 ff.; ders., ZIP 2001, 1311, 1313 ff.; Fisahn/Mushoff EuR 2005, 222 ff.; Frenz EWS 2011, 33 ff.; Gronen (Fn. 19), S. 75 ff.; Haratsch/Koenig/Pechstein (Fn. 11), Rn. 387; Herdegen (Fn. 4), § 8 Rn. 38; Hofmann (Fn. 67), § 16 Rn. 7 ff.; Kühling DVBl. 2006, 857 ff.; Langenbucher (Fn. 34), § 1 Rn. 100 ff.; Röthel ZEuP 2009, 34 ff.; Schliesky DVBl. 2003, 631 ff.; Streinz (Fn. 8), Rn. 458, 460; Weiß DVBl. 1998, 568 ff. 69 EuGH v. 18.12.1997, Inter-Environnement Wallonie, Rs. C-129/96, Slg. 1997, I-7411. 70 Dazu Schliesky DVBl. 2003, 631, 636 ff.; nach Röthel ZEuP 2009, 34 gehören Vorwirkungen von Richtlinien inzwischen zum gesicherten Spektrum der Richtlinienwirkungen (s. auch die Überschrift ihres Beitrags „Vorwirkung von Richtlinien: viel Lärm um Selbstverständliches“). 71 So aber noch die Kommission im Fall Inter-Environnement, vgl. EuGH v. 18.12.1997, Inter-Environnement Wallonie, Rs. C-129/96, Slg. 1997, I-7411, Rn. 37; wie hier Burger (Fn. 13), S. 89 f.; zumindest missverständlich auch Hobe (Fn. 13), § 10 Rn. 30: Vorwirkung insofern, als vor der Umsetzung der Richtlinie keine ihrem Regelungsgehalt entgegenstehenden nationalen Vorschriften erlassen werden dürfen.

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entsprechenden Bestimmungen72). In der Literatur hat sich für die so verstandene Art der Vorwirkung der Begriff des „Frustrationsverbots“ durchgesetzt.73 In diesem Sinne ist auch die Rechtsprechung des Gerichtshofs zu verstehen, der seinen grundsätzlichen Standpunkt in weiteren Urteilen bekräftigt hat.74 Im Kontext des Europäischen Unternehmensrechts ging es jüngst in der HRE-Vorlage des LG München I 75 um einen potentiellen Verstoß gegen das Frustrationsverbot; die Vorlage wurde allerdings vom EuGH bereits als unzulässig abgewiesen 76 (vgl. noch u. Rn. 78; näher § 31 Rn. 21).

b) Bedeutung für die Rechtsauslegung Über das Problem der Vorwirkung von Richtlinien für den nationalen Gesetzgeber 37 hinaus reicht die Frage, ob Vorwirkungen auch im Hinblick auf die Rechtsauslegung nationaler Gerichte bestehen.77 Hat der nationale Gesetzgeber den sich aus der Richtlinie ergebenden Umsetzungsauftrag bereits vor Ablauf der Umsetzungsfrist erfüllt, sind die mitgliedstaatlichen Gerichte zur richtlinienkonformen Auslegung der nationalen Bestimmungen (allg. zu dieser noch u. Rn. 48 ff.) verpflichtet – wenngleich aus nationaler, nicht aus unionsrechtlicher Warte.78 Ungleich schwieriger zu beurteilen ist die Konstellation, dass ein mitgliedstaat- 38 liches Gericht nationales Recht auszulegen hat, das schon vor Inkrafttreten der Richt72 S. aber auch EuGH v. 22.11.2005, Mangold, Rs. C-144/04, Slg. 2005, I-9981, wo der Gerichtshof – überzeugend – § 14 Abs. 3 TzBfG a.F. für nicht mit dem Richtlinienziel vereinbar hielt, obwohl die Vorschrift mit Ablauf der (zusätzlichen) Umsetzungsfrist außer Kraft treten sollte, da diese Regelung auch nach ihrem Außerkrafttreten dem Richtlinienziel zuwiderlaufende Nachwirkungen hatte; ähnlich schon Ehricke ZIP 2001, 1311, 1316 f.; kritisch Hetmeier in: Lenz/Borchardt (Hrsg.), EU-Verträge, 5. Aufl. 2010, Art. 288 EG Rn. 12; zur Mangold-Entscheidung s. Hofmann (Fn. 60), § 16 Rn. 11 ff., 19; Kühling DVBl. 2006, 857, 859 f.; Röthel ZEuP 2009, 34, 38 f. 73 Vgl. Bayer/J. Schmidt EWiR 2010, 289, 290; von Danwitz JZ 2007, 697, 700; Ehricke ZIP 2001, 1311, 1314; Fisahn/Mushoff EuR 2005, 222, 226; Forsthoff DStR 2006, 613, 617; Haratsch/Koenig/Pechstein (Fn. 11), Rn. 387; Klein FS Everling, 1995, Bd. I, S. 641, 645 f.; Kühling DVBl. 2006, 857, 858 f.; Leible/Sosnitza NJW 1998, 2507, 2508; Röthel ZEuP 2009, 34, 37; Weiß DVBl. 1998, 568, 572 ff. 74 EuGH v. 8.5.2003, ATRAL, Rs. C-14/02, Slg. 2003, I-4431, Rn. 58; EuGH v. 5.2.2004, Rieser, Rs. C-157/02, Slg. 2004, I-1477, Rn. 66; EuGH v. 4.7.2006, Adeneler, Rs. C-212/04, Slg. 2006, I-6057, Rn. 121. 75 LG München ZIP 2010, 779 m. Anm. Bayer/J. Schmidt EWiR 2010, 289 f. 76 EuGH v. 24.3.2011, HRE, Rs. C-194/10, ZIP 2011, 1002. 77 Dazu Canaris, FS Bydlinski, 2002, S. 47, 74 ff.; Ehricke EuZW 1999, 553, 554 ff.; Forsthoff DStR 2006, 613, 617 f.; Gronen (Fn. 19), S. 103 ff.; Hofmann (Fn. 60), § 16 Rn. 26 ff.; Lutter JZ 1992, 593, 605; Röthel ZEuP 2009, 34, 47 ff.; Sack WRP 1998, 241, 242 ff.; Streinz (Fn. 8), Rn. 458. 78 Vgl. Canaris, FS Bydlinski, 2002, S. 47, 75; Ehricke EuZW 1999, 553, 554; Hofmann (Fn. 60), § 16 Rn. 27 f.; Kroll-Ludwigs/Ludwigs ZJS 2009, 7, 10; Langenbucher (Fn. 34), § 1 Rn. 100; Leible/Sosnitza NJW 1998, 2507, 2508; Lutter JZ 1992, 593, 605; W.-H. Roth EWS 2005, 385, 387.

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linie bestand und in deren Regelungsbereich fällt, vom nationalen Gesetzgeber allerdings noch unangetastet geblieben ist. In der Rs. „Adeneler“ erstreckte der EuGH das Frustrationsverbot vom nationalen Gesetzgeber auf die mitgliedstaatlichen Gerichte: Diese müssten ab dem Zeitpunkt des Inkrafttretens einer Richtlinie es soweit wie möglich unterlassen, das innerstaatliche Recht auf eine Weise auszulegen, die die Erreichung des mit der Richtlinie verfolgten Ziels nach Ablauf der Umsetzungsfrist ernsthaft gefährden würde.79 Wenngleich vom Gerichtshof nicht explizit angesprochen, wird dem mitgliedstaatlichen Gericht überwiegend das Recht zur richtlinienkonformen Auslegung des nationalen Rechts vor Ablauf der Umsetzungsfrist zuerkannt.80 Auch der BGH nimmt ein solches Recht ausdrücklich für sich in Anspruch.81 39 Die Geltung des Frustrationsverbots auch für nationale Gerichte bedeutet aber gleichzeitig, dass diese auf Grund Unionsrechts 82 zur richtlinienkonformen Auslegung des nationalen Rechts verpflichtet sein können, nämlich dann, wenn anderenfalls die Erreichung des mit der Richtlinie verfolgten Ziels nach Ablauf der Umsetzungsfrist ernsthaft gefährdet würde.83 Dies kann insbesondere dann virulent werden,

79 EuGH v. 4.7.2006, Adeneler, Rs. C-212/04, Slg. 2006, I-6057, Rn. 122 f.; s. auch Röthel ZEuP 2009, 34, 47 ff. 80 Canaris FS Bydlinski, 2002, S. 75 f.; von Danwitz JZ 2007, 697, 701; Forsthoff DStR 2006, 613, 617; Menke WRP 1998, 811, 813 f.; Ruffert (Fn. 11), Art. 288 AEU Rn. 80; Sack WRP 1998, 241, 243 f.; im Grunde auch Frenz EWS 2011, 33, 37; Nettesheim (Fn. 4), Art. 249 EG Rn. 153; Schroeder (Fn. 6), Art. 249 EG Rn. 130; differenzierend Lutter JZ 1992, 593, 605; a.A. Ehricke EuZW 1999, 553, 555 ff.; Gronen (Fn. 19), S. 119 ff. 81 BGHZ 138, 55, 59 f. („Testpreis-Angebot“); dazu etwa Leible/Sosnitza NJW 1998, 2507; Menke WRP 1998, 811. Davon zu sondern ist die Frage, ob die RL 97/55/EG (RL 97/55/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 6.10.1997 zur Änderung der RL 84/450/EWG über irreführende Werbung zwecks Einbeziehung der vergleichenden Werbung, ABlEG v. 23.10.1997, L 290/18) auf Grund dieser höchstrichterlichen Rechtsprechung als umgesetzt angesehen werden konnte, so dass es eines gesetzgeberischen Aktes nicht mehr bedurfte, vgl. EuGH v. 26.6.2003, Kommission ./. Frankreich, Rs. C-233/00, Slg. 2003, I-6625, Rn. 76, wonach eine förmliche Übernahme der Bestimmungen der Richtlinie in eine ausdrückliche spezifische Rechtsvorschrift nicht immer erforderlich ist, da der Umsetzung einer Richtlinie je nach ihrem Inhalt durch einen allgemeinen rechtlichen Kontext Genüge getan sein kann; s. auch Ehricke EuZW 1999, 553, 557 ff.; Hofmann (Fn. 60), § 16 Rn. 44 ff.; Nettesheim (Fn. 4), Art. 249 EG Rn. 141; Sack WRP 1998, 241, 244. 82 Das Frustrationsverbot hat der EuGH aus Art. 10 Abs. 2, 249 Abs. 3 EG (G Art. 4 Abs. 3 S. 2 EU, 288 Abs. 3 AEU) und aus der Richtlinie selbst hergeleitet; es ist daher unionsrechtlichen Ursprungs. Gleiches muss für die aus dem Frustrationsverbot herzuleitende (aber auch auf dessen Geltungsbereich beschränkte) Pflicht nationaler Gerichte zur richtlinienkonformen Auslegung des nationalen Rechts gelten; so wohl auch Röthel ZEuP 2009, 34, 50. Gegen eine Herleitung aus dem Unionsrecht Leible/Sosnitza NJW 1998, 2507, 2508 mit Fn. 17; Ruffert (Fn. 11), Art. 288 AEU Rn. 80. 83 Ebenso Röthel ZEuP 2009, 34, 50; Schroeder (Fn. 6), Art. 249 EG Rn. 130; ähnlich Langenbucher (Fn. 34), § 1 Rn. 102; prinzipiell gegen eine vorwirkende Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung von Danwitz JZ 2007, 697, 701; Kroll-Ludwigs/Ludwigs ZJS 2009, 7, 10; Lutter JZ 1992, 593, 605; Menke WRP 1998, 811, 814 f.; Nettesheim (Fn. 4), Art. 249 EG Rn. 153; W.-H. Roth, EWS 2005, 385, 387; Ruffert (Fn. 11), Art. 288 AEU Rn. 80.

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wenn der Regelungsgehalt der Richtlinie einen traditionell durch Richterrecht geprägten Bereich betrifft und daher nicht zu erwarten ist, dass der Gesetzgeber die Richtlinie überhaupt oder fristgerecht umsetzen wird. Würde sich das mitgliedstaatliche Gericht in einer solchen Situation einer richtlinienkonformen Auslegung verschließen, wäre die Erreichung der Richtlinienziele ernsthaft gefährdet, sofern nicht ausnahmsweise zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung feststeht, dass die Frage vor Ablauf der Umsetzungsfrist erneut Gegenstand eines gerichtlichen Verfahrens sein wird.84

5. Rechtsangleichung und strengere Lösungen des nationalen Rechts a) Rechtsangleichung Die Angleichung des Unternehmensrechts ist nicht legislatorischer Selbstzweck, son- 40 dern Funktion der übrigen Ziele und Freiheiten des Vertrages, hier speziell der Niederlassungsfreiheit, der Sicherheit des Rechtsverkehrs (Freiheit des Handels) und der gleichen Chancen im Wettbewerb. Rechtsangleichung ist weiterhin nicht Rechtsvereinheitlichung: Es ist gerade das Charakteristikum der Rechtsangleichung, dass sie nur Gleichwertigkeit der Lösungen erstrebt und daher – wo immer nur möglich – Unterschiede belässt. Daher bedürfen unterschiedliche Lösungen gleichen Wertes auch nicht der Angleichung; so sind etwa unter dem Gesichtspunkt von Niederlassungsfreiheit und Rechtssicherheit die Organisation der Verwaltung einer Aktiengesellschaft in Vorstand/Aufsichtsrat einerseits und conseil d’administration bzw. board of directors andererseits gleichwertig. In diesem Rahmen ist es dann aber auch Aufgabe der Rechtsangleichung, den für erforderlich gehaltenen Mindestrahmen zu sichern; das geschieht durch das Angleichungsgebot und die oben bereits erörterte Pflicht zum stand still mit allen Folgen einer etwaigen Verletzung.

b) Strengere Lösungen des nationalen Rechts Nun ist festzustellen, dass in vielen Fällen strengere Vorschriften des nationalen 41 Rechts unangetastet bleiben; das führt zu der weiteren Frage, ob im angeglichenen Bereich strengere Regeln des nationalen Rechts fortbestehen oder ggf. auch neu geschaffen werden können.85 84 Ähnlich Hofmann (Fn. 60), § 16 Rn. 52 f.; insofern auch Leible/Sosnitza NJW 1998, 2507, 2508 mit Fn. 17 (allerdings Herleitung aus dem nationalen Recht); s. ferner Röthel ZEuP 2009, 34, 53 f., die eine Befugnis des nationalen Gerichts zur „Vorberücksichtigung“ von Richtlinien insbesondere bei der Konkretisierung von Generalklauseln (wie § 1 UWG a.F.) für praktisch bedeutsam hält. 85 Eingehend dazu Lutter FS Everling, 1995, Bd. I, S. 765 ff.; Merkt RabelsZ 61 (1997) 647 ff.; Steindorff, EuZW 1990, 251 ff.; s. auch Grundmann, Rn. 149 f.; Habersack § 3 Rn. 55 ff.; detailliert zu Fällen der 2. (Kapital-)RL: Weller, in: Gebauer, Martin/Wiedmann, Thomas (Hrsg.), Zivilrecht unter europäischem Einfluss, 2. Auflage 2010, Kap. 21 Rn. 47 f.; Schwarz Rn. 238 ff.

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Soweit der Wortlaut der Richtlinien strengere Vorschriften des nationalen Rechts ausdrücklich zulässt, handelt es sich um den Bereich, in dem die Organe der Union die Gleichwertigkeit auch i.R.d. fortbestehenden Unterschiede bejahen; insoweit steht den Unionsorganen ein Beurteilungsermessen zu, da „Gleichwertigkeit“ eine Bewertung der gesamten normativen Situation erfordert und zulässt, innerhalb derer argumentativ ein bestimmter Bereich nicht mehr stärker eingrenzbar ist.86 Daraus folgt aber zugleich weiter, dass die Unionsorgane jeweils die Gleichwertigkeit auf Grund ihrer Vorschläge und Beschlüsse festgestellt haben: Die Gleichwertigkeit des jeweiligen Sachbereichs ist die Summe der in eine bestimmte Richtung zu ändernden Regeln und der fortbestehenden Regeln des jeweiligen nationalen Rechts. Diese beiden Teile entsprechen also zusammen der Vorstellung von Gleichwertigkeit. 43 Vor diesem Hintergrund ist die Frage nach einer künftigen Verschärfung sowohl des geänderten als auch des nicht geänderten nationalen Rechts durch nationale Gesetzgebung und Rechtsprechung zu sehen. Verschärfung i.S.v. Verstärkung des normativen Schutzes von Gesellschaftern und Dritten beseitigt die Gleichwertigkeit in einer bestimmten Richtung. Das besagt aber als solches noch nichts. Denn entscheidend ist, ob und welche Gleichwertigkeit das Ziel der Richtlinie überhaupt ist. 44 Diese Überlegungen entsprechen der Tatsache, dass in bestimmten Richtlinienbestimmungen die verschärfende Abweichung ausdrücklich verboten wird, so etwa in Art. 12 der 1. (Publizitäts-)RL (dazu näher § 19 Rn. 85 ff.) oder in Art. 5 Abs. 1 der 2. (Kapital-)RL (dazu § 20 Rn. 23 ff.). Man könnte daraus schließen, dass die Richtlinien i.Ü. – d.h. sofern eine ausdrückliche Regelung fehlt und somit unklar ist, ob es sich um eine abschließende oder offene Maßnahme handelt – ein stand still „nach oben“ nicht gebieten, sondern verschärfende Abweichungen stillschweigend zulassen wollen. Auf der Basis dieser Überlegungen könnte man zu dem Ergebnis kommen, dass ein bestimmtes nationales Recht z.B. Kapitalherabsetzungen oder Sacheinlagen als insgesamt gefährliche Vorgänge vollständig abschaffen könnte. Ein solches Verständnis der Richtlinien trifft im Grundsatz auch zu.87 Bei den hier erwähnten ausdrücklichen Regelungen handelt es sich um besonders neuralgische Fälle; außerdem liegt es in der Natur der betont positiv angeglichenen Normen, dass sie zunächst einmal als Mindestvorschrift gefasst sind; um aber hieraus die Gefahr der Interpretation „nach oben offen“ auszuschalten, lagen ausdrückliche Sperrvorschriften für die Verfasser der Richtlinien nahe. Sie müssen daher im Grundsatz als Fälle ausnahmsweiser Bindung nach oben, also als leges speciales, nicht als Ausprägungen einer allgemeinen Regel verstanden werden. Warum auch sollte der einzelne Mit42

86 Ähnlich Bleckmann ZGR 1992, 364, 373; Merkt RabelsZ 61 (1997) 647, 670 f. 87 S. schon Lutter FS Everling, 1995, Bd. I, S. 765, 776 f.; i.E. ebenso Merkt RabelsZ 61 (1997) 647, 677 ff., der eine Vermutung für den offenen Charakter der fraglichen Richtlinie aus den Prinzipien der begrenzten Einzelermächtigung, der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit herleitet; a.A. Schwarz Rn. 240, nach dem es keine Vermutung dafür geben kann, dass Richtlinienvorschriften im Gesellschaftsrecht grundsätzlich Mindestvorschriften sind, da es auch Ziel der Richtlinien sei, gegenläufige Interessen auszugleichen.

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gliedstaat seinen Minderheitenschutz nicht verstärken können, solange nur die Niederlassungsfreiheit und die Wettbewerbsfreiheit nicht tangiert werden? 88 Damit ergibt sich, dass strengere Vorschriften und sonstige Regeln des natio- 45 nalen Rechts im Regelungsbereich einer solchen Richtlinie (z.B. herrschende Praxis, Rechtsprechung), die bereits bei Erlass dieser Richtlinie vorhanden sind, auf jeden Fall fortbestehen können 89; ihre Existenz war dem europäischen Gesetzgeber bekannt, ihre Nicht-Einbeziehung in Angleichungsgebote bedeutet demzufolge die Akzeptanz ihres Fortbestandes. Auch die Neueinführung strengerer Vorschriften durch Gesetzgebung oder 46 Rechtsprechung widersprechen im hier erörterten Bereich des Unternehmensrechts auch ohne ausdrückliche Erlaubnis in einer Richtlinie nicht notwendig dem Gebot des stand still. Maßgeblich ist vielmehr das Verständnis und die Auslegung der jeweiligen Richtlinienbestimmung90: Kommt es ihr auf Gleichwertigkeit in beiden Richtungen an oder geht es nur um die Sicherung eines Mindeststandards? Im ersten Fall würde die positiv erreichte Gleichwertigkeit so, wie sie vom europäischen Gesetzgeber vorgestellt war, wieder zerstört; insoweit ist die angeglichene Rechtsmaterie festgelegt.91 Das hat zur Folge, dass nur noch die Unionsorgane, nicht aber die einzelnen Mitgliedstaaten Änderungen an der einmal angeglichenen Rechtsmaterie vornehmen können: Da sie „nach oben“ wie „nach unten“ gebunden sind, haben die Mitgliedstaaten keinen Gestaltungsspielraum mehr; die Gesetzgebungshoheit geht auch insoweit praktisch auf die Union über. Im letzteren Fall hingegen bleibt der nationale Gesetzgeber frei, bestimmte Regelungen strenger zu treffen. So muss man etwa annehmen, dass es dem europäischen Gesetzgeber mit Art. 29 der 2. (Kapital-)RL (dazu näher § 20 Rn. 184 ff.) darauf ankam, europaweit überhaupt ein Bezugsrecht zumindest im Falle von Kapitalerhöhungen gegen Bareinlage zu gewährleisten (in Belgien z.B. war dies noch im Jahre 1976 keineswegs selbstverständlich92) und seinen Ausschluss an die Einhaltung bestimmter formeller Voraussetzungen zu knüpfen. Der EuGH hat daher in der Rs. Siemens/Nold auch ausdrücklich entschieden, dass die 2. (Kapital-)RL es den Mitgliedstaaten freistellt, ein Bezugsrecht (zusätzlich) auch für Kapitalerhöhungen gegen Sacheinlagen vorzusehen sowie den Bezugsrechtsausschluss (zusätzlich) auch einer materiellen Kontrolle zu unterwerfen93 (näher zum Ganzen § 20 Rn. 187, 200).

88 Zu dieser Frage s. auch Merkt RabelsZ 61 (1997) 647, 679. 89 Vgl. Lutter/Gehling WM 1989, 1445, 1456 ff.; der BGH folgt dieser Beurteilung, vgl. BGHZ 110, 47 „IBH/Lemmerz“; a.A. Steindorff EuZW 1990, 251. 90 Vgl. EuGH v. 19.11.1996, Siemens AG ./. Henry Nold, Rs. C-42/95, Slg. 1996, I-6017, Rn. 13 ff.; an diese Entscheidung anknüpfend Grundmann Rn. 149; ferner Habersack § 3 Rn. 57; Schwarz, Rn. 241. 91 Vgl. Bleckmann ZGR 1992, 364, 372; s. aber auch ders., RIW 1987, 929, 932 ff. 92 Vgl. zur Einführung des gesetzlichen Bezugsrechts in Belgien im Zuge der Umsetzung der 2. (Kapital-)RL: Wymeersch AG 1998, 382, 386 ff. 93 Vgl. EuGH v. 19.11.1996, Siemens AG ./. Henry Nold, Rs. C-42/95, Slg. 1996, I-6017, Rn. 13 ff.

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Grundlagen

6. Die Bedeutung der Richtlinien für das Verständnis der zu ihrer Umsetzung erlassenen Gesetze 47 Bei Gesetzen zur Umsetzung von Rechtsangleichungsrichtlinien handelt es sich um nationale Normen, deren Verständnis und Auslegung nachdrücklich durch das europäische Recht der Richtlinien, welches sie veranlasst hat, bestimmt werden. Zugleich dokumentieren diese nationalen Texte denjenigen Bereich nationalen Rechts, über den der Gesetzgeber nicht mehr nach eigenem Belieben verfügen kann. Schon formell unterliegt er aus den betreffenden Richtlinien und im gegenständlichen Bereich von Richtlinie und Umsetzungsgesetz einer Informationspflicht gegenüber den Organen der Union (so etwa ausdrücklich Art. 14 der 1. (Publizitäts-)RL [zu dieser ausf. § 19] und Art. 43 Abs. 1, Abs. 3 der 2. (Kapital-)RL [zu dieser ausf. § 20]). Darüber hinaus verletzt der Gesetzgeber seine Vertragspflichten, wenn er die so geschaffene Angleichungsebene verlässt, und läuft außerdem Gefahr, wirkungsloses nationales Recht zu schaffen (vgl. dazu bereits o. Rn. 30 ff.).

7. Zur Auslegung des angeglichenen nationalen Rechts94 a) Praktische Bedeutung 48 Abgesehen von der vollständigen Neuschaffung des Dritten Buches des HGB zur kaufmännischen Rechnungslegung, zu Jahresabschluss, Prüfung und Publizität mit über 100 Paragraphen in Umsetzung der 4. (Bilanz-)RL (dazu ausf. § 24) und 7. (Konzernbilanz-)RL (dazu ausf. § 25), wurde allein das AktG in mehr als 100 Einzelfällen geändert und ergänzt. Dabei entstehen ausgesprochen schwierige Gemengelagen von Normen rein nationalen Rechts und solchen europäisch geprägten nationalen Rechts. Für die Auslegung sind beide Normengruppen – soweit irgend möglich – getrennt zu halten95; denn für die Auslegung des europäisch geprägten Rechts gel94 Vgl. dazu Bleckmann ZGR 1992, 364 ff.; Brechmann, Die richtlinienkonforme Auslegung, 1994; Di Fabio NJW 1990, 947 ff.; Ehricke RabelsZ 59 (1995) 598 ff.; Everling ZGR 1992, 376 ff.; Herdegen (Fn. 4), § 8 Rn. 41 ff.; Grundmann ZEuP 1996, 399 ff.; Lutter JZ 1992, 593 ff.; Möllers FS Wolf, 2011, S. 669 ff.; Riesenhuber/Domröse RIW 2005, 47 ff.; W.-H. Roth EWS 2005, 385 ff.; ausf. zum Problemfeld der Auslegung des deutschen Gesellschaftsrechts im Einflussbereich der gesellschaftsrechtlichen Richtlinien: Weller (Fn. 85), Kap. 21 Rn. 39 ff.; W.-H. Roth in: Riesenhuber (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, 2. Aufl. 2010, § 14; Schnorbus AcP 201 (2001) 860 ff.; Schwarz Rn. 242 ff.; Streinz (Fn. 8), Rn. 454 ff. 95 Mit zunehmender Dauer bereitet dies immer größere technische Schwierigkeiten. So beruht das UmwG aus dem Jahre 1994 mit seinen Vorschriften zur Verschmelzung und Spaltung von Aktiengesellschaften auf der 3. (Fusions-)RL (dazu ausf. § 21) und 6. (Spaltungs-)RL (dazu ausf. § 22), sowie nun auch der 10. RL (dazu ausf. § 23), ist i.Ü. aber – z.B. für formwechselnde Umwandlung und Ausgliederung – rein nationaler Natur. Darüber hinaus sind die Vorschriften zu Verschmelzung und Spaltung weitgehend rechtsformneutral gehalten, betreffen also z.B. auch die GmbH und gehen insoweit über die Richtlinien hinaus.

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ten überwiegend andere Grundsätze, nämlich (1) die Pflicht zu richtlinienkonformer Auslegung 96 und (2) die Pflicht zur Vorlage an den EuGH nach Art. 267 AEU (G Art. 234 EG) immer dann, wenn Fragen zur Auslegung der Richtlinie entstehen (dazu u. Rn. 75 ff.).

b) Die einzelnen Auslegungsaspekte Wurde das nationale Recht auf Grund der Richtlinie geändert, so beruhen die neuen 49 nationalen Vorschriften auf dem Vollzug einer verpflichtenden Anweisung des europäischen Rechts, Art. 288 Abs. 3 AEU (G Art. 249 Abs. 3 EG). Daher ist zunächst davon auszugehen, dass der nationale Gesetzgeber eben diese Rechtspflicht korrekt und vollständig erfüllen wollte.97 Basis dieses objektivierten Gesetzgebungswillens ist der Richtlinientext und der in ihm manifestierte Wille des europäischen Gesetzgebers. Der Richtlinientext bestimmt daher entscheidend das Verständnis der auf ihm beruhenden nationalen Norm.98 Zu seinem Verständnis können und müssen daher auch die Materialien und Erwägungsgründe der Richtlinie zu Rate gezogen werden, einschließlich der hier besonders wichtigen Protokollerklärungen der Beteiligten im Entscheidungsprozess: Sie bestimmen den Hintergrund der Richtlinie und damit zugleich auch den objektivierten Willen des nationalen Gesetzgebers. Wird daher i.R.d. Auslegung festgestellt, dass der Text des nationalen Gesetzes (möglicherweise) hinter dem europäischen Gesetzgebungsziel zurückbleibt und ist ein ausdrücklicher Wille des nationalen Gesetzgebers für diese Beschränkung nicht erkennbar, so muss zunächst eine extensive Auslegung des nationalen Textes versucht werden.99 Das Pro-

96 So in st. Rspr. der EuGH unter Hinweis auf Art. 10 EG (G Art. 5 EWG G Art. 4 Abs. 3 EU): EuGH v. 10.4.1984, von Colson und Kamann, Rs. C-14/83, Slg. 1984, 1891, Rn. 26 EuGH v. 7.11.1989, Nijman, Rs. C-125/88, Slg. 1989, 3533, Rn. 6; EuGH v. 13.11.1990, Marleasing SA ./. Comercial Internacional de Alimentacion SA, Rs. C-106/89, Slg. 1990, I-4135, Rn. 8; EuGH v. 5.10.2004, Pfeiffer, Rs. C-397/01 bis C-403/01, Slg. 2004, I-8835, Rn. 113 f. 97 Vgl. EuGH v. 5.10.2004, Pfeiffer, Rs. C-397/01 bis C-403/01, Slg. 2004, I-8835, Rn. 112; Schnorbus AcP 201 (2001) 860, 880 ff. (Vermutung für eine korrekte und vollständige Umsetzung der Richtlinie in nationales Recht); s. dazu auch W.-H. Roth EWS 2005, 385, 389. 98 Näher zur Auslegung des Unionsrechts Bleckmann/Pieper in: Dauses, EU-Wirtschaftsrecht, 27. EL 2010, B I Rn. 5 ff.; Grundmann/Riesenhuber JuS 2001, 529 ff.; Langenbucher (Fn. 34), § 1 Rn. 5 ff.; Oppermann/Classen/Nettesheim (Fn. 4), § 10 Rn. 165 ff.; Riesenhuber in: Riesenhuber (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, 2. Aufl. 2010, § 11; zur Auslegung der Richtlinie im Speziellen: Lutter JZ 1992, 593, 598 ff.; knapper Habersack § 3 Rn. 50; W.-H. Roth FG 50 Jahre BGH, 2000, Bd. 2, S. 847, 872 ff. 99 In diesem Sinne wohl auch BGH WM 1974, 510, 512; s. auch EuGH v. 10.4.1984, von Colson und Kamann, Rs. C-14/83, Slg. 1984, 1891, Rn. 28; EuGH v. 13.11.1990, Marleasing SA ./. Comercial Internacional de Alimentacion SA, Rs. C-106/89, Slg. 1990, I-4135, Rn. 8; EuGH v. 5.10.2004, Pfeiffer, Rs. C-397/01 bis C-403/01, Slg. 2004, I-8835, Rn. 116; s. auch Lutter JZ 1992, 593, 604 ff.; Schnorbus AcP 201 (2001) 860, 882 f.

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blem kann sich dabei auch in umgekehrter Weise stellen: Beseitigt das Umsetzungsgesetz im Widerspruch zum europäischen Gesetzgebungsziel eine Belastung nicht, so muss eine teleologische Reduktion versucht werden.100 50 Eine richtlinienkonforme Auslegung ist allerdings nur insoweit geboten, als die nationalen Vorschriften überhaupt Auslegungsspielräume lassen; eine Auslegung contra legem ist also nicht Gegenstand der Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung101 (s. dazu auch noch u. Rn. 54). Kann aber die Lücke zwischen der festgestellten Anforderung des europäischen Rechts und ihrer Erfüllung durch den nationalen Gesetzgeber nicht im Wege der richtlinienkonformen Auslegung des nationalen Rechts geschlossen werden, ist anschließend zu fragen, ob die legislative Differenz, die Lücke zwischen europäischem Anspruch und nationaler Wirklichkeit, durch die unmittelbare Wirkung der Richtlinie (dazu o. Rn. 17 ff.) geschlossen werden kann, ob also die Richtlinie mit dem von ihr intendierten Inhalt insoweit unmittelbar anwendbares, lückenfüllendes oder verdrängendes Recht geworden ist.102 Dabei muss man aber auch hier – wie schon beim Problem der gänzlichen Nicht-Umsetzung – annehmen, dass das nur für eine Begünstigung des Bürgers, nicht aber für zusätzliche Lasten gilt: Insoweit bleibt dann nur das Vertragsverletzungsverfahren nach Art. 258 AEU (G Art. 226 EG) (dazu o. Rn. 16) oder der Schadensersatzanspruch des frustrierten Bürgers gegen den säumigen Mitgliedstaat nach der Francovich-Doktrin (dazu o. Rn. 29). 51 Lässt sich die festgestellte Divergenz zwischen europäischem Anspruch und nationalem Recht auf keinem der beiden erörterten Wege beseitigen, so bleibt immer noch die Möglichkeit, die Differenz als ungewollte, aber durch unmittelbare Auslegung und unmittelbare Wirkung nicht zu schließende Regelungslücke zu interpretieren; in sie strömt dann als Lösung für das nationale die gewollte Wirkung des europäischen Rechts ein.

100 So auch der BFHE 132, 319, 321. 101 Dazu Canaris FS Bydlinski, 2002, S. 47, 91 ff.; Habersack § 3 Rn. 49; Langenbucher (Fn. 34), § 1 Rn. 89 ff.; Nettesheim (Fn. 4), Art. 249 EG Rn. 153; Schroeder (Fn. 6), Art. 249 EG Rn. 128 f.; Streinz (Fn. 8), Rn. 456; vgl. schon die Formulierung in EuGH v. 14.7.1994, Faccini Dori, Rs. C-91/92, Slg. 1994, I-3325, Rn. 26: „[…] muss ein nationales Gericht, soweit es bei der Anwendung des nationalen Rechts […] dieses Recht auszulegen hat, seine Auslegung soweit wie möglich [Hervorhebung d. Verf.] am Wortlaut und Zweck der Richtlinie ausrichten, um das mit der Richtlinie verfolgte Ziel zu erreichen und auf diese Weise Artikel 189 Absatz 3 EWG-Vertrag [G Art. 249 Abs. 3 EG G Art. 288 Abs. 3 AEU] nachzukommen“; unmissverständlich EuGH v. 16.6.2005, Pupino, Rs. C-105/03, Slg. 2005, I-5285, Rn. 47: „Mit anderen Worten darf der Grundsatz konformer Auslegung nicht zu einer Auslegung contra legem des nationalen Rechts führen“; s. ferner etwa jüngst auch EuGH v. 10.3.2011, Deutsche Lufthansa AG ./. Gertraud Kumpan, Rs. C-109/09, EuZW 2011, 305, Rn. 54: „die Verpflichtung des nationalen Richters, bei der Auslegung und Anwendung der einschlägigen Vorschriften des innerstaatlichen Rechts den Inhalt einer Richtlinie heranzuziehen … darf nicht als Grundlage für eine Auslegung contra legem des nationalen Rechts dienen“. 102 Streinz (Fn. 8), Rn. 456 bezeichnet den Unterschied zwischen richtlinienkonformer Auslegung und unmittelbarer Wirkung von Richtlinienvorschriften als „teilweise fließend“.

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c) Auslegung bei nicht geändertem Gesetzestext Die soeben erörterten Auslegungsmomente sind auch dann zu beachten, wenn der 52 Text des nationalen Rechts zwar im Regelungsbereich der Richtlinie liegt, aber im Vollzugstext unverändert geblieben ist, weil etwa – tatsächlich oder nach den Vorstellungen des nationalen Gesetzgebers – das geltende nationale Recht insoweit den Anforderungen der Richtlinie bereits entsprach: Sowohl im Bereich der finalen Auslegung dieses unveränderten nationalen Textes wie bei Überlegungen zur Lücke und ihrer Ausfüllung durch die Richtlinie selbst sind dann die obigen Erwägungen zu beachten. Sie überlagern den alten Text und bringen ihn, auch ohne Veränderung, in die Dimension des europäischen Rechts (self executing-Bedeutung mindestens i.R.d. Auslegung der nationalen Texte).103

d) Richtlinienkonforme Rechtsfortbildung Im Zuge der Quelle-Entscheidungen des EuGH 104 und des BGH 105 ist jüngst das Pro- 53 blem der richtlinienkonformen Rechtsfortbildung in das Bewusstsein der wissenschaftlichen Diskussion gerückt. Es geht dabei um die Frage, ob neben der Pflicht des mitgliedstaatlichen Rechtsanwenders zur richtlinienkonformen Auslegung (i.e.S.) ein Recht oder sogar eine Pflicht zur richtlinienkonformen Rechtsfortbildung besteht. Dies hatte der BGH in seiner Quelle-Entscheidung ausdrücklich bejaht und § 439 Abs. 4 BGB im Lichte des Art. 3 Verbrauchsgüterkauf-RL106 dahingehend teleologisch reduziert, dass die dort in Bezug genommenen Rücktrittsvorschriften nur für die Rückgewähr der mangelhaften Sache selbst gelten, nicht aber zu einem Anspruch des Verkäufers gegen den Käufer auf Herausgabe der gezogenen Nutzungen oder auf Wertersatz für die Nutzung der mangelhaften Sache führen.107 Dies verdient im Grundsatz Zustimmung: Der Begriff der richtlinienkonformen 54 Auslegung ist autonom zu verstehen und bezieht neben der Auslegung (i.e.S.) auch die Rechtsfortbildung ein.108 Wenn der EuGH die Grenze der Pflicht zur richtlinien103 Ein geradezu klassisches Beispiel dafür ist § 71d S. 2 u. 3 AktG: Nach der ursprünglichen Fassung der 2. (Kapital-)RL war nur der Aktiengesellschaft selbst der Erwerb eigener Aktien verboten (vgl. dazu § 20 Rn. 149). Im damaligen deutschen Recht galt das Verbot aber auch für von dieser Aktiengesellschaft abhängige Unternehmen. Das wurde aufrecht erhalten und textlich nicht geändert, als auch die EG das Verbot durch die Änderungs-RL 92/191/EWG entsprechend ausweitete (dazu näher § 20 Rn. 5, 149 ff.). Seitdem sind § 71d S. 2 u. 3 AktG europäisch zu verstehen und auszulegen. 104 EuGH v. 17.4.2008, Quelle, Rs. C-404/06, Slg. 2008, I-2685. 105 BGH NJW 2006, 3200 (Vorlagebeschluss); BGH NJW 2009, 427 (Nachfolgeentscheidung). 106 RL 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 25.5.1999 zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter, ABlEG v. 7.7.1999, L 171/12. 107 BGH NJW 2009, 427 („Quelle“). 108 Vgl. BGH NJW 2009, 427, 428 f. („Quelle“); OGH ÖJZ 2011, 603, 604 f.; Canaris FS Bydlinski, 2002, S. 47, 81 f.; Kaiser ZEuS 2010, 219, 231 ff., 239 f.; Kroll-Ludwigs/

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konformen Auslegung dort zieht, wo sie nur unter Überschreitung des klaren Wortlauts der mitgliedstaatlichen Vorschrift möglich wäre109, bezieht er durch dieses Verbot des contra legem-Judizierens dementsprechend den Bereich in das Gebot zur richtlinienkonformen Auslegung ein, in dem eine richterliche Rechtsfindung nach nationalen Methoden zulässig ist, also auch den Bereich der Rechtsfortbildung. Denn der Gerichtshof betont in st. Rspr. ausdrücklich, dass der „Grundsatz der unionsrechtskonformen Auslegung verlangt …, dass die nationalen Gerichte unter Berücksichtigung des gesamten innerstaatlichen Rechts und unter Anwendung der danach anerkannten Auslegungsmethoden alles tun, was in ihrer Zuständigkeit liegt, um die volle Wirksamkeit der fraglichen Richtlinie zu gewährleisten und zu einem Ergebnis zu gelangen, das mit dem von der Richtlinie verfolgten Ziel übereinstimmt“.110 M.a.W.: Um seiner Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung zu genügen, muss das mitgliedstaatliche Gericht u.U. auch zum Mittel der Rechtsfortbildung greifen; lässt sich auf diesem Wege das Ziel der Richtlinie erreichen, liegt darin keine Auslegung contra legem.111 Insofern war der BGH zur richtlinienkonformen Rechtsfortbildung nicht nur berechtigt, sondern sogar verpflichtet. Ob eine solche im konkreten Fall angesichts der Historie des § 439 Abs. 4 BGB auch wirklich begründbar war, ist kontrovers diskutiert worden112, hier jedoch nicht zu vertiefen. Für die Zukunft hat sich diese konkrete Frage ohnehin erledigt, denn der Gesetzgeber hat inzwischen reagiert und in

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Ludwigs ZJS 2009, 7, 12; Möllers FS Wolf, 2011, S. 669, 679 ff.; Möllers/Möhring JZ 2008, 919, 922; Perner ÖJZ 2011, 621, 622; Pötters/Christensen JZ 2011, 387, 391 ff.; W.-H. Roth EWS 2005, 385, 388; Sperber EWS 2009, 358; für ein enges, auf die Auslegung i.e.S. beschränktes Verständnis des unionsrechtlichen Auslegungsbegriffs: Ehricke ZIP 2004, 1025, 1029 f.; Habersack/Mayer WM 2002, 253, 256; wohl auch Fischinger EuZW 2008, 312, 313; Hummel EuZW 2007, 268 f. Vgl. EuGH v. 16.6.2005, Pupino, Rs. C-105/03, Slg. 2005, I-5285, Rn. 47; EuGH v. 4.7.2006, Adeneler, Rs. C-212/04, Slg. 2006, I-6057, Rn. 110; EuGH v. 10.3.2011, Deutsche Lufthansa AG ./. Gertraud Kumpan, Rs. C-109/09, EuZW 2011, 305, Rn. 54. Vgl. EuGH v. 4.7.2006, Adeneler, Rs. C-212/04, Slg. 2006, I-6057, Rn. 111; EuGH v. 23.4.2009, Angelidaki, Rs. C-378/07 bis C-380/07, Slg. 2009, I-3071, Rn. 200; EuGH v. 10.3.2011, Deutsche Lufthansa AG ./. Gertraud Kumpan, Rs. C-109/09, EuZW 2011, 305, Rn. 55. Vgl. BGH NJW 2009, 427, 428 ff. („Quelle“); OGH ÖJZ 2011, 603, 604 f.; Canaris FS Bydlinski, 2002, S. 47, 81 f.; Heimermann ZGS 2009, 211, 213 f.; Herresthal NJW 2008, 2475, 2477; Kroll-Ludwigs/Ludwigs ZJS 2009, 123, 124; Perner ÖJZ 2011, 621, 622; Pfeiffer NJW 2009, 412, 413; W.-H. Roth EWS 2005, 385, 393; Sperber EWS 2009, 358, 361; Thüsing ZIP 2004, 2301, 2305; a.A. die in Fn. 108 zur Gegenansicht Genannten. Dafür BGH NJW 2009, 427, 429 f. („Quelle“); Herresthal NJW 2008, 2475, 2477; Heimermann ZGS 2009, 211, 213 f.; Herrler/Tomasic BB 2008, 1245, 1248; Kroll-Ludwigs/Ludwigs ZJS 2009, 123, 125 ff.; Möllers/Möhring JZ 2008, 919, 921 ff.; Pfeiffer NJW 2009, 412, 413; Rott (2008) 1 ERPL 119, 1126 f.; Schwab JuS 2002, 630, 636; dagegen noch BGH NJW 2006, 3200, 3201 (Vorlagebeschluss): Ablehnung einer einschränkenden Auslegung des § 439 Abs. 4 BGB unter Hinweis auf den eindeutig erklärten Willen des Gesetzgebers (dazu Kroll-Ludwigs/Ludwigs ZJS 2009, 123, 125); ablehnend etwa auch Freitag EuR 2009, 796, 798 ff.; Grosche/Höft NJW 2009, 2416, 2417; Höpfner/Rüthers AcP 209 (2009) 1, 34 f.; St. Lorenz NJW 2007, 1, 6; Pötters/Christensen JZ 2011, 387, 392 ff.; Sperber EWS 2009, 358, 359; Witt NJW 2006, 3322, 3324.

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§ 474 Abs. 2 S. 1 BGB n.F.113 ausdrücklich bestimmt, dass § 439 Abs. 4 BGB auf Verbrauchsgüterkaufverträge mit der Maßgabe anzuwenden ist, dass Nutzungen nicht herauszugeben oder durch ihren Wert zu ersetzen sind. Gerade für das Europäische Unternehmensrecht hat die ganze Thematik der 55 richtlinienkonformen Rechtsfortbildung immense Bedeutung, denn es ist keineswegs selten, dass der nationale Gesetzgeber bei der Schaffung neuer oder Änderung bestehender Rechtsvorschriften zwar erkennbar bestrebt ist, europäischen Vorgaben Rechnung zu tragen, dabei aber entweder deren genaue Bedeutung verkennt oder einzelne Vorgaben schlicht übersieht. Markantes Beispiel im deutschen Recht ist der Umfang der Wertprüfung bei Sacheinlagen; hier bedarf es einer richtlinienkonforme Auslegung der § 34 Abs. 1 Nr. 2 AktG (ggf. i.V.m. §§ 183 Abs. 3, 194 Abs. 4, 205 Abs. 5 AktG) dahingehend, dass die Werthaltigkeitsprüfung sich auch auf ein etwaiges Agio erstrecken muss (dazu ausf. § 20 Rn. 47, 50, 173, 180). Weitere Beispiele: § 6 Rn. 75, § 28 Rn. 58, § 30 Rn. 36, 120 Fn. 496, 143.

8. Die Funktion des EuGH bei der Umsetzung und Anwendung der Richtlinien Gerade bei der Umsetzung von Richtlinien kommt dem EuGH und seinen Auf- 56 gaben besondere Bedeutung zu: Einmal kann die Kommission, wie schon erwähnt (vgl. o. Rn. 16), gem. Art. 258 AEU (G Art. 226 EG) im Wege des Vertragsverletzungsverfahrens gegen einen Mitgliedstaat, der seiner Pflicht zur Umsetzung ganz oder teilweise nicht nachkommt, vorgehen. Darüber hinaus entscheidet der EuGH nach Art. 267 AEU (G Art. 234 EG) im Wege der Vorabentscheidung über die Auslegung von Handlungen der Organe der Union, v.a. auch über das von ihnen gesetzte Recht (Verordnungen und Richtlinien). Diese Kompetenz ist verbunden mit entsprechenden Befugnissen der nationalen 57 Gerichte. Wird nämlich vor diesen eine Frage zu einer Richtlinie maßgebend (erheblich) für die Entscheidung eines Rechtsstreits, so können alle Instanzgerichte die Frage dem EuGH vorlegen, während das in der Sache letztinstanzliche Gericht – also v.a. BGH, BVerwG, BAG, BSG sowie BFH – vorlegen muss114 (näher zu Vorlagerecht und Vorlagepflicht u. Rn. 75 ff.). Praktisch kann eine solche Vorfrage in doppelter Weise entstehen: Zunächst einmal dann, wenn sich eine Partei vor dem nationalen Gericht auf die 58 self executing-Wirkung der Richtlinie beruft. Der EuGH hat dann über die Existenz unmittelbaren und allgemein geltenden europäischen Rechts zu entscheiden; bejaht er diese Existenz, so hat er ggf. auch über die sich anschließenden Probleme hinsichtlich

113 Eingeführt m.W.v. 16.12.2008 durch Gesetz zur Durchführung des Übereinkommens vom 30. Oktober 2007 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen und zur Änderung des Bürgerlichen Gesetzbuchs v. 10.12.2008, BGBl. I, 2399. 114 Übrigens auch das BVerfG, wenn eine Frage des europäischen Rechts vor ihm entscheidungserheblich wird, vgl. BVerfGE 52, 187, 201.

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der Auslegung der Richtlinie, also den genauen Inhalt dieses vorrangigen allgemeinen europäischen Rechts, zu befinden.115 59 Zum anderen ist über eine Vorfrage zu entscheiden, wenn sich Zweifel zum Verständnis der Richtlinie selbst ergeben, dieses Verständnis aber seinerseits entscheidend ist für die Auslegung und Anwendung des darauf beruhenden nationalen Rechts.116 So hatte sich etwa zu §§ 8 Abs. 3, 10 Abs. 1 S. 2 GmbHG in der Neufassung durch das KoordG117 (heute: §§ 8 Abs. 4, 10 Abs. 1 S. 2 GmbHG), mit denen Art. 2 lit. d der 1. (Publizitäts-)RL in das deutsche Recht umgesetzt wurden (vgl. dazu § 19 Rn. 32), die Frage ergeben, ob Vertretungsverhältnisse in einer GmbH selbst dann ausdrücklich offen zu legen sind, wenn sie sich unmittelbar aus dem Gesetz ergeben. Der BGH 118 ging in der Rs. Haaga zunächst einmal davon aus, dass der Gesetzgeber die Richtlinie vollständig und vorbehaltlos umsetzen wollte. Damit wurde der Inhalt der Richtlinie selbst maßgebend.119 Auch ihn aber befand der BGH – zu Recht – insoweit für auslegungsbedürftig, so dass die Frage nach Art. 234 Abs. 3 EG (G Art. 267 Abs. 3 AEU) dem EuGH zur Vorabentscheidung vorzulegen war. Dieser nahm die Vorlage an und beantwortete die Frage zur Auslegung der Richtlinie 120, die – und das ist der hier entscheidende Schritt – der BGH sodann seiner Auslegung des deutschen Rechts „richtlinienkonform“ zu Grunde legte121 (vgl. zum Ganzen auch noch § 19 Rn. 32). 60 Es handelt sich also um einen sehr komplexen, zweistufigen Auslegungsprozess: Zunächst befindet das nationale Gericht das auf der Richtlinie beruhende nationale Recht für auslegungsbedürftig und sieht in der Richtlinie ein entscheidendes Auslegungsmittel. Sodann erscheint ihm auch die Richtlinie selbst der Auslegung bedürftig; diese Frage gibt das nationale Gericht dann an den EuGH zur Vorabentscheidung weiter. Dazu kann auch die Frage gehören, ob die Richtlinie den Fortbestand von strengerem nationalen Recht duldet oder aber dieses gar mit Ablauf der Umsetzungsfrist außer Kraft getreten ist. Solches strengeres Recht kann auch auf einer gefestigten Rechtsprechung beruhen; auch das ist Recht, und das Angleichungsgebot der Richtlinie beschränkt sich nicht auf geschriebenes (kodifiziertes) Recht.122

115 So geschehen in EuGH v. 19.1.1982, Becker, Rs. C-8/81, Slg. 1982, 53. 116 Dementsprechend nimmt der EuGH Vorlagen nationaler Gerichte in st. Rspr. nur an, wenn diese ihm die Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefrage dartun können, dazu näher u. Rn. 78. 117 Gesetz zur Durchführung der Ersten Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaften zur Koordinierung des Gesellschaftsrechts v. 15.8.1969, BGBl. I, S. 1146. 118 BGH WM 1974, 510 (Vorlagebeschluss). 119 Vgl. ebenso Lawson J. in International Sales & Agencies Ltd v Marcus [1982] 3 All E.R. 551, para. 21; anders aber Lord Denning in Phonogram Ltd. v Lane [1982] Q.B. 938, 943; eingehend Lutter JZ 1992, 593, 598 ff. 120 EuGH v. 12.11.1974, Firma Friedrich Haaga GmbH, Rs. 32/74, Slg. 1974, 1201; umgesetzt in BGHZ 63, 263. 121 Gleichermaßen EuGH v. 10.4.1984, von Colson und Kamann, Rs. C-14/83, Slg. 1984, 1891, Rn. 28: „Es ist Sache des nationalen Gerichts, das zur Durchführung der Richtlinie erlassene Gesetz […] in Übereinstimmung mit den Anforderungen des Gemeinschaftsrechts auszulegen und anzuwenden.“ 122 Näher dazu Lutter FS Everling, 1995, Bd. I, S. 765 ff.

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Der EuGH befindet über das europäische Recht und seinen Inhalt. Dazu muss er 61 seinerseits dieses Recht auslegen. Dabei folgt er im Prinzip dem bekannten Auslegungskanon von Wortlaut, Entstehung, Systematik und Telos. Während diese Elemente in der Methodik des deutschen Rechts gleichrangig sind, stellt der EuGH v.a. auf die jeder Richtlinie vorangestellten Erwägungsgründe und den Telos der Norm ab und betont dabei speziell den Gedanken des effet utile des Unionsrechts123; i.E. führt das zu einer eigenständigen europarechtlichen Auslegungsmethode124.125

9. Die überschießende Umsetzung von Richtlinien Besondere Probleme im Zusammenhang mit der Auslegung und dem Vorabentschei- 62 dungsverfahren stellen sich bei der sog. überschießenden Umsetzung von Richtlinien.126 Dabei bezieht der nationale Gesetzgeber auch solche Sachverhalte in die der Umsetzung der Richtlinie dienenden Vorschriften ein, die von der Richtlinie an sich nicht erfasst werden; der nationale Gesetzgeber geht also über den Anwendungsbereich der Richtlinie hinaus.127 Als Paradebeispiel 128 im deutschen Unternehmensrecht mag das UmwG von 1994 dienen, das die 3. (Fusions-)RL (dazu § 21) und die 6. (Spaltungs-)RL (dazu § 22) gleich in doppelter Hinsicht überschießend umgesetzt hat: Zum einen gelten die Richtlinien nur für die Verschmelzung (3. RL/Zweites Buch des UmwG) bzw. die Spaltung (6. RL/Drittes Buch des UmwG), das UmwG hingegen darüber hinaus auch für die Vermögensübertragung (Viertes Buch) und den Formwechsel (Fünftes Buch); zum anderen ist das UmwG rechtsformneutral ausgestaltet und betrifft nicht – wie die 3. RL (vgl. § 21 Rn. 7) und die 6. RL (vgl. § 22 Rn. 6) – lediglich die Umwandlungen von Aktiengesellschaften. 123 Vgl. speziell dazu etwa Everling JZ 2000, 217, 223; Potacs EuR 2009, 465 ff.; Streinz FS Everling, 1995, Bd. II, S. 1491 ff.; Seyr, Der effet utile in der Rechtsprechung des EuGH, 2007. 124 Vgl. Herresthal ZEuP 2009, 600 ff.; für die Gleichgewichtung der Auslegungsmethoden jedoch etwa Leisner EuR 2007, 689, 699 ff. 125 Näher zum Ganzen: Riesenhuber (Fn. 98), § 11; Mayer in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, 43. Aufl. 2011, Art. 19 EU Rn. 53 ff. (jeweils m.z.w.N.). 126 Näher dazu Bärenz DB 2003, 375 ff.; Burmeister/Staebe EuR 2009, 444 ff.; Drexl FS Heldrich, 2005, S. 67 ff.; Habersack/Mayer in: Riesenhuber (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, 2. Aufl. 2010, § 15; dies. JZ 1999, 913 ff.; Hess RabelsZ 66 (2002) 470, 484 ff.; Hommelhoff FG 50 Jahre BGH, 2000, Bd. 2, S. 889, 913 ff.; Koch JZ 2006, 277, 279 ff.; Lutter GS Heinze, 2005, S. 571 ff.; Mayer/Schürnbrand JZ 2004, 545; Schnorbus RabelsZ 65 (2001) 654 ff.; monographisch Brandner, Die überschießende Umsetzung von Richtlinien, 2003; Jäger, Überschießende Richtlinienumsetzung im Privatrecht, 2006. 127 Damit ist die überschießende Richtlinienumsetzung vom sog. gold plating abzugrenzen, bei dem der nationale Gesetzgeber nicht über den Anwendungungsbereich der Richtlinie hinausgeht, sondern lediglich die für einen bestimmten Sachbereich getroffenen Regelungen der Richtlinie inhaltlich verschärft; dazu Burmeister/Staebe EuR 2009, 444, 445, 455, die die überschießende Richtlinienumsetzung als „unechtes gold plating“ bezeichnen. 128 Für weitere Beispiele s. Brandner (Fn. 126), S. 15 ff.; Drexl FS Heldrich, 2005, S. 70 ff.; Habersack/Mayer JZ 1999, 913, 914 f.; Jäger (Fn. 126), S. 83 ff.

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Grundlagen

Nach dem zuvor Gesagten stellt sich zunächst die Frage, ob der mitgliedstaatliche Rechtsanwender auch die über den Regelungsbereich der Richtlinie hinausgehende mitgliedstaatliche Regelung richtlinienkonform auszulegen hat. Aus Sicht des Unionsrechts wird man dies verneinen müssen: Unterwirft das Unionsrecht einen bestimmten Sachbereich nicht dem Anwendungsbereich einer Richtlinie, so kann es eine richtlinienkonforme Auslegung des nationalen Rechts insofern nicht verlangen.129 In dieselbe Richtung weist auch die Rechtsprechung des EuGH: Dieser betonte zwar in den Rs. Leur-Bloem und Giloy, dass ein klares Interesse der EU an einheitlicher Auslegung bestehe.130 Gleichwohl kann daraus nicht der Schluss gezogen werden, damit habe er eine unionsrechtliche Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung auch des überschießenden Teils der nationalen Regelung begründen wollen.131 Denn im gleichen Atemzug erkennt der EuGH an, dass für die Berücksichtigung der Grenzen, die der nationale Gesetzgeber der Anwendung des Unionsrechts auf rein innerstaatliche Sachverhalte setzen wollte, das nationale Recht gilt, so dass dafür ausschließlich die Gerichte des Mitgliedstaats zuständig sind.132 Sehr deutlich kommt diese Sichtweise des Gerichtshofs in seinem ICI-Urteil zum Ausdruck, wonach das nationale Gericht nach dem Unionsrecht nicht zur unionsrechtskonformen Auslegung verpflichtet ist, wenn der Rechtsstreit einen Sachverhalt betrifft, der nicht in den Anwendungsbereich des Unionsrechts fällt.133 Wenngleich sich somit eine unionsrechtliche Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung auch des überschießenden Teils der nationalen Regelung nicht herleiten lässt, so kann sich eine solche doch aus dem nationalen Recht ergeben.134 Dazu bedarf es der Auslegung der betreffenden nationalen Vorschriften

129 Vgl. Habersack/Mayer (Fn. 126), § 15 Rn. 25 ff., 35; Höpfner/Rüthers AcP 209 (2009) 1, 29; Kroll-Ludwigs/Ludwigs ZJS 2009, 7, 9; Langenbucher (Fn. 34), § 1 Rn. 105; Lutter GS Heinze, 2005, S. 571, 575; Mayer/Schürnbrand JZ 2004, 545, 548; Piekenbrock EuR 2011, 317, 350 f.; Nettesheim (Fn. 4), Art. 249 EG Rn. 151; Schnorbus RabelsZ 65 (2001) 654, 685 f.; Schroeder (Fn. 6), Art. 249 EG Rn. 131; ähnlich Hommelhoff FG 50 Jahre BGH, 2000, Bd. 2, S. 889, 915: „Freilich reicht dies Gebot [richtlinienkonformer Auslegung, Anm. d. Verf.] nur soweit wie die Richtlinie selbst, aber nicht über deren Anwendungsbereich hinaus.“; i.E. auch Brandner (Fn. 126), S. 101; Jäger (Fn. 126), S. 107 ff.; a.A. Ernst in: MünchKommBGB, 5. Aufl. 2007, Vor § 275 Rn. 23; W.-H. Roth FG 50 Jahre BGH, 2000, Bd. 2, S. 847, 883 f.; wohl auch Schwarz Rn. 264; eine unionsrechtliche Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung auf Art. 10 Abs. 2 EG (G Art. 4 Abs. 3 EU) stützend Drexl FS Heldrich, 2005, S. 67, 83 f. 130 EuGH v. 17.7.1997, Leur-Bloem, Rs. C-28/95, Slg. 1997, I-4161, Rn. 32; EuGH v. 17.7.1997, Giloy, Rs. C-130/95, Slg. 1997, I-4291, Rn. 28; ähnlich auch schon EuGH v. 18.10.1990, Dzodzi, Rs. C-297/88 u. C-197/89, Slg. 1990, I-3763, Rn. 37. 131 So aber Ernst (Fn. 129), Vor § 275 Rn. 23; W.-H. Roth FG 50 Jahre BGH, 2000, Bd. 2, S. 847, 883 f.; ebenso – obwohl grundsätzlich der auch hier vertretenen Ansicht folgend – Brandner (Fn. 126), S. 100 f. 132 EuGH v. 17.7.1997, Leur-Bloem, Rs. C-28/95, Slg. 1997, Rn. 33. 133 EuGH v. 16.7.1998, Imperial Chemical Industries plc (ICI), Rs. C-264/96, Slg. 1998, I-4695, Rn. 34. 134 Ebenso Bärenz DB 2003, 375 f.; Höpfner/Rüthers AcP 209 (2009) 1, 29 f.; Kroll-Ludwigs/ Ludwigs ZJS 2009, 7, 9; Langenbucher (Fn. 34), § 1 Rn. 108 ff.; Lutter GS Heinze, 2005, S. 571, 575 ff.; Piekenbrock EuR 2011, 317, 350 f.; W.-H. Roth FG 50 Jahre BGH, 2000,

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nach dem bekannten Kanon der Auslegungsmittel, um den gesetzgeberischen Willen zu ermitteln. Im Zweifel, d.h. beim Fehlen gegenteiliger Anhaltspunkte, ist davon auszugehen, dass der Gesetzgeber die gleiche Lösung für die europäisch verpflichtenden und die darüber hinausgehenden Sachverhalte wollte.135 Eine unterschiedliche Behandlung der beiden Sachverhalte durch den Rechtsanwender ist dann nicht gerechtfertigt, ihm eine gespaltene Auslegung mithin verwehrt. Von der Frage einer einheitlichen oder gespaltenen Auslegung zu separieren ist 64 die Frage, ob auch hinsichtlich der die Richtlinie in überschießender Weise umsetzenden nationalen Regelungen das Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 267 AEU (G Art. 234 EG) eröffnet sein kann. Teilweise wird in derart gelagerten Fällen bereits die Zuständigkeit des EuGH in Zweifel gezogen.136 Dem entspricht es, wenn manche Stimmen in der Literatur den nationalen Gerichten die Vorlageberechtigung nach Art. 267 Abs. 2 AEU (G Art. 234 Abs. 2 EG) absprechen.137 Richtig dürfte indes Folgendes sein: Kommt das nationale Gericht zum Ergebnis, dass die Auslegung der Richtlinie für das Verständnis der überschießenden nationalen Norm von Bedeutung – also eine einheitliche Auslegung geboten – und für das Verfahren entscheidungserheblich ist, kann es dem EuGH eine entsprechende Frage vorlegen.138 Bringt man diesen Gedanken konsequent zu Ende, wird man bei letztinstanzlichen Gerichten sogar eine Vorlagepflicht annehmen müssen139 (allg. zur Vorlagepflicht und den Ausnahmen hiervon noch näher u. Rn. 79 ff.).

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Bd. 2, S. 883; Schulte-Nölke, ZGS 2006, 201; a.A. Habersack/Mayer (Fn. 126), § 15 Rn. 36 f.; Mayer/Schürnbrand JZ 2004, 545, 549 f.; Jäger (Fn. 126), S. 128 ff., der aber gleichwohl eine Berücksichtigung der Richtlinie bei der Auslegung der Normen im überschießenden Sachverhalt für möglich hält, S. 142 ff.; s. aus der Rspr. zum UmwG einerseits OLG Stuttgart AG 1997, 136, 137; BayObLG AG 1999, 185, 187 f. (gespaltene Auslegung); andererseits OLG Naumburg GmbHR 1997, 1152, 1155 (einheitliche Auslegung). Vgl. Brandner (Fn. 126), S. 105 ff.; Habersack/Mayer (Fn. 126), § 15 Rn. 39 ff.; Höpfner/Rüthers AcP 209 (2009) 1, 29 f.; Jäger (Fn. 126), S. 155 f.; Mayer/Schürnbrand JZ 2004, 545, 551; Lutter GS Heinze, 2005, S. 571, 575 ff.; gegen eine solche Zweifelsregel Herdegen WM 2005, 1921, 1930; Nettesheim (Fn. 4), Art. 249 EG Rn. 151. GA Jacobs, Schlussanträge v. 17.9.1996, Leur-Bloem, Rs. C-28/95 u. C-130/95, Slg. 1997, I-4161 Rn. 47 ff.; GA Jacobs, Schlussanträge v. 15.11.2001, BIAO, Rs. C-306/99, Slg. 2003, I-1 Rn. 58 ff.; Hommelhoff FG 50 Jahre BGH, 2000, Bd. 2, S. 894, 921; damit sympathisierend auch Grigoleit/Herresthal JZ 2003, 118, 119. Habersack § 3 Rn. 54; Habersack/Mayer (Fn. 126), § 15 Rn. 52 ff. I.d.S. auch der EuGH, der Vorlagen mitgliedstaatlicher Gerichte in st. Rspr. zur Entscheidung annimmt, vgl. EuGH v. 26.9.1985, Thomasdünger, Rs. C-166/84, Slg. 1985, 3001, Rn. 11; EuGH v. 18.10.1990, Dzodzi, Rs. C-297/88 u. C-197/89, Slg. 1990, I-3763, Rn. 29 ff.; EuGH v. 17.7.1997, Leur-Bloem, Rs. C-28/95, Slg. 1997, Rn. 16 ff.; EuGH v. 7.1.2003, BIAO, Rs. C-306/99, Slg. 2003, I-1, Rn. 88 ff.; aus der Literatur ebenso Brandner (Fn. 126), S. 125 ff.; Drexl FS Heldrich, 2005, S. 67, 76 f.; Hess RabelsZ 66 (2002) 470, 486; Höpfner/Rüthers AcP 209 (2009) 1, 30; Jäger (Fn. 126), S. 173 ff., 223; Piekenbrock EuR 2011, 317, 351; Lutter GS Heinze, 2005, S. 571, 582 f.; Nettesheim (Fn. 4), Art. 249 EG Rn. 151; Schnorbus RabelsZ 65 (2001) 654, 695 ff.; vgl. auch die Konstellation in BGHZ 150, 248. So auch Drexl FS Heldrich, 2005, S. 67, 82; Ernst (Fn. 129), Vor § 275 Rn. 23; Hess RabelsZ 66 (2002) 470, 487 f. (Herleitung aus dem nationalen Recht); Jäger (Fn. 126),

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Grundlagen

10. Zusammenfassung 65 Mit den zuletzt angesprochenen Aspekten – europäische Überlagerung des nationalen Textes und Auslegungszuständigkeit des EuGH – wird noch einmal deutlich, in welchem Maße sich der Charakter eines nationalen Gesetzes im Angleichungsbereich einer solchen Richtlinie qualitativ verändert: Es unterscheidet sich künftig grundlegend von „normalen“ Gesetzen europaferner Materien. Aber auch innerhalb des Gesetzes muss zwischen angeglichenen und nicht angeglichenen Normen unterschieden werden; da wir in Deutschland die erforderlichen Änderungen an und in den Gesetzen selbst vornehmen und auf diese Weise solche „Gemengelagen“ schaffen, gilt das in besonderem Maße etwa für das AktG, das Dritte Buch des HGB, das UmwG und das WpHG, in Teilen auch für das GmbHG und das KWG.

IV. (Staatengerichtete) Beschlüsse 66 Staatengerichtete Beschlüsse nach Art. 288 Abs. 4 AEU (G Art. 249 Abs. 4 EG) folgen dem Recht der Richtlinien140; sie unterscheiden sich von ihnen nur dadurch, dass sie betont an einzelne Mitgliedstaaten gerichtet sind und nicht allgemein an alle.

V. Empfehlungen 67 Empfehlungen nach Art. 288 Abs. 5 AEU (G Art. 249 Abs. 5 EG) sind, wie der Vertrag selbst formuliert, „nicht verbindlich“. Gleichwohl gehören sie zum geltenden Unionsrecht, dessen Rechtsquellensystem im Gegensatz zum traditionellen Rechtsbegriff auch bestimmte Formen unverbindlichen Handelns umfasst.141 Nach der Rechtsprechung des EuGH sind Empfehlungen – obwohl unverbindlich – jedoch nicht als rechtlich völlig wirkungslos anzusehen: Sie sind von den nationalen Gerichten bei der Entscheidung der bei ihnen anhängigen Rechtstreitigkeiten zu berücksichtigen, insbesondere dann, wenn sie Aufschluss über die Auslegung von zu ihrer

S. 224 ff.; Lutter GS Heinze, 2005, S. 571, 583 f.; Piekenbrock EuR 2011, 317, 351 (Herleitung aus dem nationalen Recht); Schnorbus RabelsZ 65 (2001) 654, 699 f.; a.A. Brandner (Fn. 126), S. 134 f., der die Frage nach einer Vorlagepflicht letztinstanzlicher Gerichte von der materiellen Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung abhängig macht; Habersack § 3 Rn. 54; Hommelhoff, FG 50 Jahre BGH, 2000, Bd. 2, S. 889, 920 f. unter Hinweis auf den Zweck des Vorabentscheidungsverfahrens. 140 Das wird besonders deutlich, wenn man bedenkt, dass das erste Leberpfennig-Urteil des EuGH (EuGH v. 6.10.1970, Franz Grad, Rs. 9/70, Slg. 1970, 825) auf einer an Deutschland gerichteten Entscheidung der Kommission beruht; seine eigentliche Bedeutung aber hat das Urteil im Bereich der Richtlinie entfaltet. S. auch Oppermann/Classen/Nettesheim (Fn. 1), § 10 Rn. 131 f., denen zufolge Entscheidungen „richtliniennahe“ normative Elemente aufweisen. 141 Schroeder (Fn. 6), Art. 249 EG Rn. 139; s. auch Ruffert (Fn. 11), Art. 288 AEU Rn. 15.

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Durchführung erlassenen innerstaatlichen Rechtsvorschriften geben oder wenn sie verbindliche unionsrechtliche Vorschriften ergänzen sollen.142 Auch können sie den einzelnen nationalen Gesetzgeber dazu veranlassen, sein nationales Recht zu ändern.143 Tut er das, ist die Empfehlung Material der rein innerstaatlichen Auslegung des neuen innerstaatlichen Rechts, an welcher der EuGH nicht beteiligt ist. Von der ebenfalls unverbindlichen Stellungnahme unterscheidet sich die Empfehlung dadurch, dass sie unmittelbar auf eine Verhaltenssteuerung abzielt, während die Stellungnahme eine sachverständige oder politische Meinungsäußerung enthält.144 Empfehlungen haben im Europäischen Unternehmensrecht über lange Jahre hin- 68 weg keine wirkliche Rolle gespielt. Das hat sich seit dem Aktionsplan von 2003 (dazu ausf. § 18) deutlich geändert. Angesichts der oft großen Schwierigkeiten bei dem erforderlichen Zusammenwirken von Kommission, EP und Rat im Zusammenhang mit der Verabschiedung einer Richtlinie145 hat die Kommission ihre Politik geändert und versucht jetzt zunehmend, mit Hilfe von Empfehlungen146 Einfluss auf bestimmte unternehmensrechtliche Fragen in den Mitgliedstaaten zu nehmen (vgl. zum regulatorischen Grundansatz nach dem Aktionsplan noch näher § 18 Rn. 9 ff.). Das gilt etwa für die Pflicht zur Veröffentlichung von Vorstandsgehältern147 und die Zusammensetzung und Unabhängigkeit der Aufsichtsräte 148. Die Kommission ist mit dieser 142 Vgl. EuGH v. 13.12.1989, Grimaldi, Rs. C-322/88, Slg. 1989, 4407, Rn. 18; EuGH v. 21.1.1993, Deutsche Shell AG, Rs. C-188/91, Slg. 1993, I-363, Rn. 18; EuGH v. 11.9.2003, Altair Chimica/ENEL, Rs. C-207/01, Slg. 2003, I-8875, Rn. 41. Darin wird vereinzelt eine Rechtsfortbildung gegen den Vertragstext gesehen, vgl. Ruffert (Fn. 11), Art. 288 AEU Rn. 95. 143 Zu den psychologischen und politischen Wirkungen der Empfehlungen vgl. Nettesheim (Fn. 4), Art. 249 EG Rn. 216. 144 Habersack § 3 Rn. 60; Ruffert (Fn. 11), Art. 288 AEU Rn. 96; von der G. Schmidt (Fn. 9), Art. 249 EG Rn. 47; Schroeder (Fn. 6), Art. 249 EG Rn. 143; a.A. Biervert (Fn. 11), Art. 249 EG Rn. 35; Nettesheim (Fn. 4), Art. 249 EG Rn. 209, nach denen der Unterschied darin liegen soll, dass Empfehlungen i.d.R. auf einen eigenen Entschluss eines Unionsorgans zurück gehen, während Stellungnahmen als Reaktion auf eine fremde Initiative erfolgen. 145 Man denke nur daran, dass die Verabschiedung der Übernahme-RL (dazu ausf. § 30) von der Vorlage des ersten Richtlinienentwurfs durch die Kommission 1989 bis zur Verabschiedung durch den Ministerrat 15 Jahre gebraucht hat (der sog. Pennington-Bericht mit einem inoffiziellen Vorentwurf datiert sogar schon von 1974; näher zur Historie der RL § 30 Rn. 1 ff.). 146 Die Empfehlung kann von der Kommission allein verabschiedet werden, vgl. Art. 17 Abs. 1 EU (früher Art. 211 Sps. 2 EG). 147 Empfehlung 2004/913/EG der Kommission v. 14.12.2004 zur Einführung einer angemessenen Regelung für die Vergütung von Mitgliedern der Unternehmensleitung börsennotierter Gesellschaften, ABlEU v. 29.12.2004, L 385/55; Empfehlung 2009/384/EG der Kommission v. 30.4.2009 zur Vergütungspolitik im Finanzdienstleistungssektor, ABlEU v. 15.5.2009, L 120/22; Empfehlung 2009/385/EG der Kommission v. 30.4.2009 zur Ergänzung der Empfehlungen 2004/913/EG und 2005/162/EG zur Regelung der Vergütung von Mitgliedern der Unternehmensleitung börsennotierter Gesellschaften, ABlEU v. 15.5.2009, L 120/28. Näher dazu § 18 Rn. 47 ff. 148 Empfehlung 2005/162/EG der Kommission v. 15.2.2005 zu den Aufgaben von nicht geschäftsführenden Direktoren/Aufsichtsratsmitgliedern börsennotierter Gesellschaften

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Grundlagen

Politik recht erfolgreich149, nicht zuletzt auch deshalb, weil sie nicht unbedingt die Umsetzung in nationales Recht erwartet, sondern meist auch mit der Aufnahme ihrer Empfehlung in einen nationalen Corporate Governance Kodex zufrieden ist150.

VI. Exkurs: Delegierte Rechtssetzung und Komitologieverfahren 69 Eine wichtige Rolle in der Praxis der EU-Rechtssetzung spielt schließlich die delegierte Rechtssetzung, deren System durch den Vertrag von Lissabon allerdings grundlegend neu geordnet wurde.

1. Delegierte Rechtssetzung nach Art. 202 EG 70 Nach Art. 202 Sps. 3 EG konnte der Rat der Kommission in den von ihm angenommen Rechtsakten Durchführungsbefugnisse übertragen und bestimmte Modalitäten für deren Ausübung festlegen.151 Dabei wurden zwecks Beratung und Kontrolle der Kommission regelmäßig Ausschüsse aus Vertretern der Mitgliedstaaten eingesetzt.152 Eine allgemeine nähere Ausgestaltung dieses Ausschuss- bzw. Komitologieverfahrens153 erfolgte durch die sog. Komitologiebeschlüsse des Rates: Zunächst durch den Beschluss 87/373/EWG154, der dann durch den Beschluss 1999/468/EG155 abgelöst wurde, welcher wiederum durch den Beschluss 2006/512/EG156 signifikant modifiziert wurde. Nach dem Komitologiebeschluss 1999/468/EG i.d.F.d. Beschlusses 2006/512/EG gab es vier Varianten des Komitologieverfahrens: Das Beratungsver-

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sowie zu den Ausschüssen des Verwaltungs-/Aufsichtsrats, ABlEU v. 25.2.2005, L 52/51; ergänzt durch Empfehlung 2009/385/EG (Fn. 147). Näher dazu § 18 Rn. 18 ff. Vgl. Lutter EuZW 2009, 799 ff.; näher zum Ganzen noch § 18 Rn. 9 ff., 18 ff. In Deutschland also der Deutsche Corporate Governance Kodex (DCGK); dazu Ringleb/Kremer/Lutter/v. Werder, DCGK, 4. Aufl. 2010. Dazu näher Krajewski/Rösslein in: Grabitz/Hilfs, Recht der Europäischen Union, 40. Aufl. 2009, Vorbem. vor Art. 250–252 Rn. 32 ff. m.w.N. Vgl. Krajewski/Rösslein (Fn. 151), Vorbem. vor Art. 250–252 Rn. 33. Von franz. comité (= Ausschuss). Beschluss 87/373/EWG des Rates v. 13.7.1987 zur Festlegung der Modalitäten für die Ausübung der der Kommission übertragenen Durchführungsbefugnisse, ABlEG v. 18.7.1987, L 197/33. Beschluss 1999/468/EG des Rates v. 28.6.1999 zur Festlegung der Modalitäten für die Ausübung der der Kommission übertragenen Durchführungsbefugnisse, ABlEG v. 17.7.1999, L 184/23. Beschluss 2006/512/EG des Rates v. 17.7.2006 zur Änderung des Beschlusses 1999/ 468/EG zur Festlegung der Modalitäten für die Ausübung der der Kommission übertragenen Durchführungsbefugnisse, ABlEU v. 22.7.2006, L 200/11. Vgl. dazu Fuhrmann DÖV 2007, 464 ff.; Leixner BMF Working Paper 1/2010 (abrufbar unter https://www. bmf.gv.at/publikationen/downloads/workingpapers/wp_1_2010_v2.pdf?q=working paper Leixner), S. 15 ff.

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fahren (Art. 3), das Verwaltungsverfahren (Art. 4), das Regelungsverfahren (Art. 5) und das Regelungsverfahren mit Kontrolle (Art. 5a).157

2. Neuordnung in Art. 290, 291 AEU Durch den Lissabon-Vertrag wurde das System der abgeleiteten Rechtssetzungs- 71 befugnisse der Kommission neu geordnet.158 Es gibt nun zwei Formen abgeleiteter Rechtssetzung:

a) Verfahren delegierter Rechtssetzung (Art. 290 AEU) Gem. Art. 290 Abs. 1 S. 1 AEU kann der Kommission durch einen Gesetzgebungsakt 72 die Befugnis übertragen werden, Rechtsakte ohne Gesetzescharakter mit allgemeiner Geltung zur Ergänzung oder Änderung bestimmter nicht wesentlicher Vorschriften des betreffenden Gesetzgebungsaktes zu erlassen. Dabei werden Ziele, Inhalt, Geltungsbereich und Dauer der Befugnisübertragung ausdrücklich festgelegt (S. 2). Der Gesetzgeber kann die Wahrnehmung der Befugnisübertragung durch ein Widerrufs- und/oder Einspruchsrecht kontrollieren (vgl. Art. 290 Abs. 2).

b) Verfahren der Durchführungsrechtssetzung (Art. 291 AEU) Die Durchführung der verbindlichen Rechtsakte der EU obliegt gem. Art. 291 Abs. 1 73 grundsätzlich den Mitgliedstaaten.159 Wenn es jedoch einheitlicher Bedingungen für die Durchführung bedarf, so werden mit diesen Rechtsakten (die dann als sog. Basisrechtsakte bezeichnet werden) der Kommission (bzw. in Sonderfällen dem Rat) Durchführungsbefugnisse übertragen (Art. 291 Abs. 2). Die auf dieser Basis erlassenen Durchführungsrechtsakte sind im Interesse der Transparenz160 ausdrücklich als solche zu bezeichnen (Art. 291 Abs. 4). Gem. Art. 291 Abs. 3 legen das EP und der Rat durch Verordnung im Voraus all- 74 gemeine Regeln und Grundsätze fest, nach denen die Mitgliedstaaten die Wahrnehmung der Durchführungsbefugnisse durch die Kommission kontrollieren. Dies ist Anfang 2011 in Form der sog. Komitologie-VO 161 geschehen, die am 1.3.2011 in

157 Näher dazu Härtel, Handbuch europäische Rechtssetzung, 2006, § 11 Rn. 33 ff.; Krajewski/Rösslein (Fn. 151), Vorbem. vor Art. 250–252 Rn. 34 ff.; Ruffert (Fn. 11), Art. 291 AEU Rn. 14 ff. 158 Ausf. dazu Leixner (Fn. 156), S. 34 ff.; Möllers/von Achenbach EuR 2011, 39 ff. 159 Vgl. zur Konzeption des Art. 291: Ruffert (Fn. 11), Art. 291 AEU Rn. 1 f. 160 Vgl. Ruffert (Fn. 11), Art. 291 AEU Rn. 11. 161 VO (EU) Nr. 182/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 16.2.2011 zur Festlegung der allgemeinen Regeln und Grundsätze, nach denen die Mitgliedstaaten die Wahrnehmung der Durchführungsbefugnisse durch die Kommission kontrollieren, ABlEU v. 28.2.2011, L 55/13. Vgl. dazu Vellen EU-UStB 2011, 40, 45.

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Grundlagen

Kraft trat. Sie sieht nur noch zwei Varianten des Komitologieverfahrens vor: Das Beratungsverfahren (Art. 4) und das Prüfverfahren (Art. 5); letzteres tritt an die Stelle der bisherigen Varianten des Verwaltungs- und Regelungsverfahrens (vgl. dazu o. Rn. 70).162 Nach der Übergangsregelung in Art. 13 Komitologie-VO gelten Bezugnahmen in Basisrechtsakten auf den Komitologiebeschluss 1999/468/EG grundsätzlich als Bezugnahmen auf die entsprechenden Verfahren163 nach der Komitologie-VO.164 Art. 5a des Komitologiebeschlusses 1999/468/EG (Regelungsverfahren mit Kontrolle) gilt allerdings vorläufig fort, soweit bestehende Basisrechtsakte – wie etwa die IFRS-VO (dazu § 26 Rn. 6), die Abschlussprüfer-RL (dazu § 27 Rn. 8, 11) oder die ÜbernahmeRL (dazu § 30 Rn. 52) – auf ihn verweisen (vgl. Art. 12 S. 2).

VII. Das Zusammenwirken von EuGH und nationalen Gerichten bei der Anwendung des europäischen Rechts 1. Überblick 75 Der EU-Vertrag hat bewusst darauf verzichtet, in das System des Rechtsschutzes und der Rechtsverwirklichung einzugreifen. Diese staatliche Aufgabe ist nahezu vollständig bei den Mitgliedstaaten verblieben und dort – nach den Regeln der jeweiligen nationalen Verfassung und entsprechend der nationalen Organisation der Rechtsprechung – den Gerichten zugewiesen.165 Damit allein aber hätte die Gefahr vielfach divergierender Entscheidungen seitens der nationalen Gerichte bestanden. Daher wurde das besondere Vorlageverfahren nach Art. 267 AEU (G Art. 234 EG) (dazu auch bereits o. Rn. 56 ff.) statuiert, das dem EuGH die Kompetenz zur verbindlichen Auslegung des europäischen Rechts auf Grund entsprechender Vorlagen der nationalen Gerichte zuweist, nicht aber die Kompetenz zur Entscheidung der Sache selbst.

162 Vgl. dazu KOM(2010) 83, S. 4. Graphische Darstellung des neuen Komitologieverfahrens in der PM des Rates v. 14.2.2001, Dok. 6378/11, S. 3. 163 Bezugnahmen auf das Beratungsverfahren nach Art. 3 Beschluss 1999/468/EG gelten also solche auf das Beratungsverfahren nach Art. 4 (Art. 13 Abs. 1 lit. a); Bezugnahmen auf das Verwaltungsverfahren nach Art. 4 Beschluss 1999/468/EG gelten als solche auf das Prüfverfahren nach Art. 5 (Art. 13 Abs. 1 lit. b); Bezugnahmen auf das Regelungsverfahren nach Art. 5 Beschluss 1999/468/EG gelten mit bestimmten Modifikationen ebenfalls als solche auf das Prüfverfahren nach Art. 5 (Art. 13 Abs. 1 lit. c). 164 Vgl. auch Erwägungsgrund 21. 165 Nur wenige Fälle, v.a. Maßnahmen der Kommission selbst (nach deutschem Rechtsverständnis „Verwaltungsakte“) – unterliegen der Kontrolle unmittelbar durch den EuGH. Dies sind insbesondere Maßnahmen im Bereich der Art. 101, 102 AEU, vgl. Art. 16 FKVO (VO (EG) Nr. 139/2004 des Rates v. 20.1.2004 über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen („EG-Fusionskontrollverordnung“), ABlEU v. 29.1.2004, L 24/1) und Art. 31 VO (EG) Nr. 1/2003 des Rates vom 16.12.2002 zur Durchführung der in den Artikeln 81 und 82 des Vertrags niedergelegten Wettbewerbsregeln, ABlEG v. 4.1.2003, L 1/1.

Instrumente und Folgen europäischer Rechtsetzung

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Den nationalen Gerichten obliegt also zunächst einmal die Anwendung und 76 Pflege des europäischen Rechts. Sie haben sich dabei in den vergangenen Jahrzehnten große Verdienste erworben und haben v.a. in hohem Maße der Versuchung widerstanden, die Entwicklung und Auslegung des europäischen Rechts allein, also ohne die zum Schutze der Rechtseinheit notwendige Einschaltung des EuGH, vorzunehmen. In aller Regel haben die nationalen Gerichte ihr Verständnis des europäischen Rechts in entsprechenden Vorlagefragen an den EuGH niedergelegt und damit zugleich die Chance der Einheit und der einheitlichen Anwendung des europäischen Rechts gefördert. Die Wahrung der Einheit des europäischen Rechts in Auslegung und Anwendung ohne eigene revisionsrechtliche Spruchkompetenz ist heute die zentrale Kompetenz des EuGH und Art. 267 AEU daher von herausragender Bedeutung.166

2. Vorlagerecht und Vorlagepflicht a) Vorlagerecht, Vorlagepflicht und Sanktionen Vorlageberechtigt ist jedes Gericht eines Mitgliedstaats. Der Gerichtsbegriff in 77 Art. 267 AEU ist ein autonom unionsrechtlicher, der vom EuGH jedoch relativ weit ausgelegt wird; dabei stellt er in st. Rspr. speziell auf folgende Kriterien ab: gesetzliche Grundlage der Einrichtung, ständiger Charakter, obligatorische Gerichtsbarkeit, streitiges Verfahren, Anwendung von Rechtsnormen und Unabhängigkeit.167 „Gericht“ i.S.d. Art. 267 AEU sind damit z.B. auch öffentlich-rechtliche gerichtsähnliche Schiedsgerichte168, nicht aber private Schiedsgerichte (§§ 1025 ff. ZPO)169.170 Ein deutsches Gericht kann dabei i.Ü. an einer Vorlage auch nicht auf Grund eines 166 Der EuGH achtet daher auch sehr auf ein „partnerschaftliches“ Verhältnis zu den nationalen Gerichten und vermeidet jede Formulierung, die als Usurpation einer Kompetenz zur „Superrevision“ missverstanden werden könnte, s. etwa EuGH v. 18.10.1990, Dzodzi, Rs. C-297/88 u. C-197/89, Slg. 1990, I-3763, Rn. 33; EuGH v. 13.3.2001, Preussen Elektra, Rs. C-379/98, Slg. 2001, I-2099, Rn. 38; vgl. dazu Rodríguez Iglesias NJW 2000, 1889, 1890 f.; allgemeiner zur Funktion des EuGH bei der Rechtsangleichung: Everling FS Lukes, 1989, S. 359. 167 Vgl. EuGH v. 17.9.1997, Dorsch Consult, Rs. C-54/96, Slg. 1997, I-4961, Rn. 23; EuGH v. 27.4.2006, Standesamt Stadt Niebüll, Rs. C-96/04, Slg. 2006, I-3561, Rn. 12; EuGH v. 16.12.2008, Cartesio Oktató és Szolgáltató bt, Rs. C-210/06, Slg. 2008, I-9641, Rn. 55. 168 Vgl. EuGH v. 30.6.1966, Vaassen-Göbbels, Rs. C-61/65, Slg. 1966, S. 584, 601 f.; EuGH v. 17.10.1989, Danfoss, Rs. C-109/88, Slg. 1989, 3199, Rn. 7 ff. 169 Vgl. EuGH v. 23.3.1982, Nordsee, Rs. C-102/81, Slg. 1982, 1095, Rn. 9 ff. S. auch Dauses, Das Vorabentscheidungsverfahren nach Artikel 177 EG-Vertrag, 2. Aufl. 1995, S. 84 ff.; Everling, Das Vorabentscheidungsverfahren vor dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaft, 1986, S. 35 ff.; Middeke in: Rengeling/Midekke/Gellermann, Handbuch des Rechtschutzes in der EU, 2. Aufl. 2003, § 10 Rn. 20 ff.; Pechstein (Fn. 23), Rn. 796 ff. 170 Vgl. zur Kasuistik weiter U. Karpenstein (Fn. 26), Art. 234 EG Rn. 15 ff.; Piekenbrock EuR 2011, 317, 326 ff.; Wegener in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 4. Aufl. 2011, Art. 267 AEU Rn. 18 ff. m.z.w.N.

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Grundlagen

Rechtsmittels gegen seinen Beschluss durch das instanzhöhere Gericht gehindert werden; der Vorlagebeschluss und der mit ihm verbundene Aussetzungsbeschluss sind durch Rechtsmittel nicht anfechtbar, da § 252 ZPO einen Verfahrensstillstand voraussetzt, der Beschluss zur Vorlage an den EuGH hingegen das Verfahren im Hinblick auf eine schlussendliche Entscheidung fördert.171 Allerdings ist gegen die Entscheidung des Gerichts, in der es eine Vorlage an den EuGH abgelehnt hat, nach § 511 Abs. 4 Nr. 1 ZPO bzw. § 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO die Berufung bzw. die Revision zuzulassen, wenn dargelegt wird, dass in einem zukünftigen Revisionsverfahren zur Auslegung einer entscheidungsrelevanten unionsrechtlichen Regelung voraussichtlich gem. Art. 267 Abs. 3 AEU eine Vorabentscheidung des EuGH einzuholen sein wird und die Rechtssache daher grundsätzliche Bedeutung hat.172 78 Grundvoraussetzung für die Zulässigkeit einer Vorlage ist aber stets die Entscheidungserheblichkeit. Nach st. Rspr. des EuGH ist es zwar grundsätzlich Sache des mit dem Rechtsstreit befassten nationalen Gerichts im Hinblick auf die Besonderheiten der Rechtssache sowohl die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung für den Erlass eines Urteils als auch die Erheblichkeit der dem Gerichtshof von ihm vorgelegten Fragen zu beurteilen.173 Der EuGH behält sich allerdings ausdrücklich vor, die näheren Umstände der Vorlage zu prüfen und Vorlagen als unzulässig zurückzuweisen, wenn offensichtlich ist, dass die Auslegung einer Vorschrift des Unionsrechts in keinem Zusammenhang mit der Realität oder dem Gegenstand des Rechtsstreits steht, oder wenn das Problem hypothetischer Natur ist174 – so geschehen etwa in den 171 So die h.M., vgl. OLG Köln WRP 1977, 734; BFHE 132, 217; Dauses (Fn. 169), S. 95 f.; Gehrlein in: MünchKommZPO, 3. Aufl. 2008, § 252 Rn. 17; Greger in: Zöller, ZPO, 28. Aufl. 2010, § 252 Rn. 1b; K. Schmidt FS Lüke, 1997, S. 721, 735 ff.; Stadler in: Musielak, ZPO, 8. Aufl. 2011, § 252 Rn. 1; sehr früh bereits Schumann ZZP 78 (1965) 77, 112 f.; Tomuschat, Die gerichtliche Vorabentscheidung nach den Verträgen über die Europäischen Gemeinschaften, 1964, S. 138 ff.; ferner Lutter ZZP 86 (1973) 107, 132; a.A. BFHE 110, 12; Brück, Das Vorabentscheidungsverfahren vor dem Europäischen Gerichtshof als Bestandteil des deutschen Zivilprozesses, 2001, S. 137 ff.; Pfeiffer NJW 1994, 1996 ff. 172 BVerwG NJW 1988, 664; BGH BeckRS 2003, 01439; Borchardt (Fn. 23), Art. 267 AEU Rn. 52; Heßler in: in: Zöller, ZPO, 28. Aufl. 2010, § 544 ZPO Rn. 5a; Rimmelspacher in: MünchKommZPO, 3. Aufl. 2007, § 511 Rn. 68; Schumann ZZP 78 (1965) 77, 113; Wenzel in: MünchKommZPO, 3. Aufl. 2007, § 543 Rn. 6; a.A. Ehricke (Fn. 24), Art. 234 EG Rn. 48; nach K. Schmidt FS Lüke, 1997, S. 712, 737 bestimmt nicht die Möglichkeit einer Vorlage an den EuGH allein, sondern die Rechtssache selbst – also die klärungsbedürftige Frage des Unionsrechts – die grundsätzliche Bedeutung des Rechtsmittels; s. auch BVerwG NJOZ 2007, 4547, wo das Gericht die Revision nicht zugelassen hat, da einer Rechtssache dann keine grundsätzliche Bedeutung i.S.d. § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO (G § 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO) zukomme, wenn sie auslaufendes oder ausgelaufenes Recht betreffe. 173 Vgl. EuGH v. 13.3.2001, PreussenElektra AG, Rs. C-379/98, Slg. 2001, I-2099, Rn. 38; EuGH v. 6.12.2001, Clean Car Autoservice, Rs. C-472/99, Slg. 2001, I-9687, Rn. 13; EuGH v. 24.3.2011, HRE, Rs. C-194/10, ZIP 2011, 1002, Rn. 29. 174 Vgl. EuGH v. 15.12.1995, Bosman, Rs. C-415/93, Slg. 1995, I-4921, Rn. 61; EuGH v. 30.9.2003, Kamer van Koophandel en Fabrieken voor Amsterdam v. Inspire Art Ltd., Rs. C-167/01, Slg. 2003, I-10155, Rn. 45; EuGH v. 24.3.2011, HRE, Rs. C-194/10, ZIP 2011, 1002, Rn. 31.

Instrumente und Folgen europäischer Rechtsetzung

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Rs. Meilicke 175 (dazu näher § 20 Rn. 41, 69 ff.) oder jüngst HRE 176 (dazu bereits o. Rn. 36 sowie näher § 31 Rn. 21).177 Eine Vorlagepflicht trifft grundsätzlich nur letztinstanzliche Gerichte, d.h. Ge- 79 richte deren Entscheidungen selbst nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden können (vgl. Art. 267 Abs. 3 AEU).178 Nach der Rspr. des EuGH sind aber ausnahmsweise auch nicht letztinstanzliche Gerichte vorlagepflichtig, wenn sie von der Ungültigkeit einer Norm des Unionsrechts überzeugt sind und diese deshalb nicht anwenden wollen.179 Kommt ein Gericht seiner Pflicht zur Vorlage nicht nach, so stellt dies nach 80 st. Rspr. des BVerfG eine Verletzung des grundrechtsgleichen Gebots des gesetzlichen Richters aus Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG dar, denn auch der EuGH ist gesetzlicher Richter i.S.d. Norm.180 Um nicht die Funktion eines „Superkontrollorgans“ anzunehmen181, überprüft das BVerfG allerdings nur, ob die Auslegung und Anwendung des Art. 267 AEU bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz bestimmenden Gedanken nicht mehr verständlich erscheint und offensichtlich unhaltbar ist (Willkürmaßstab).182 Eine offensichtlich unhaltbare Handhabung der Vorlagepflicht nimmt es dabei insbesondere in Fällen einer grundsätzlichen Verkennung der Vorlagepflicht oder eines bewussten Abweichens ohne Vorlagebereitschaft an; in Fällen einer sog. Unvollständigkeit der Rechtsprechung (d.h. wenn zu einer entscheidungserheblichen Frage des Unionsrechts keine EuGH-Rechtsprechung vorliegt oder die vorliegende Rechtsprechung die Frage möglicherweise nicht erschöpfend beantwortet oder eine Fortentwicklung der EuGH-Judikatur nicht nur als entfernte Möglichkeit erscheint), nimmt das BVerfG eine Verletzung des Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG dagegen nur dann an, wenn das Gericht den ihm in solchen Fällen notwendig zukommenden Beurteilungsrahmen in unvertretbarer Weise überschritten hat.183

175 EuGH v. 16.7.1992, Wienand Meilicke ./. ADV/ORGA F.A. Meyer AG, Rs. C-83/91, Slg. 1992, I-4871; speziell zu diesem Aspekt des Falles Lutter ZIP 1995, 648. 176 EuGH v. 24.3.2011, HRE, Rs. C-194/10, ZIP 2011, 1002. 177 Weitere Beispiele bei Wegener (Fn. 170), Art. 267 AEU Rn. 23. 178 Näher zum Begriff U. Karpenstein (Fn. 26), Art. 234 EG Rn. 51 ff.; Piekenbrock EuR 2011, 317, 331 ff.; Wegener (Fn. 170), Art. 267 AEU Rn. 26 f. (jeweils m.z.w.N.). 179 Vgl. EuGH v. 22.10.1987, Foto Frost, Rs. C-314/85, Slg. 1987, 4199, Rn. 11 ff. 180 BVerfGE 73, 339, 366 ff. („Solange II“); BVerfG NJW 1988, 1459; BVerfG NVwZ 1991, 53, 57 f.; BVerfG NVwZ 2001, 1148, 1149; BVerfG NJW 2010, 3422, 3427 („Honeywell“); BVerfG NJW 2011, 288 f.; BVerfG NJW 2011, 1427, 1431 f. 181 I.d.S. ausdrücklich etwa BVerfG NVwZ 2001, 1148, 1150; BVerfG NJW 2007, 1521 („wird das BVerfG jedoch nicht zu einem Kontrollorgan, das jeden einem Gericht unterlaufenden Verfahrensfehler korrigieren müsste“). 182 Vgl. BVerfG NVwZ 1991, 53, 58; BVerfG NJW 2010, 3422, 3427 („Honeywell“); BVerfG NJW 2011, 288; BVerfG NJW 2011, 1427, 1431. 183 Vgl. BVerfG NVwZ 1991, 53, 58; BVerfG NJW 2010, 3422, 3427 („Honeywell“); BVerfG NJW 2011, 288; BVerfG NJW 2011, 1427, 1431.

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Grundlagen

b) Ausnahmen von der Vorlagepflicht aa) Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes 81 In Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes besteht nach der Rspr. des EuGH keine Vorlagepflicht, wenn in einem ordentlichen Verfahren zur Hauptsache eine erneute Prüfung jeder im summarischen Verfahren nur vorläufig entschiedenen Rechtsfrage möglich ist.184

bb) C.I.L.F.I.T.-Judikatur (insbesondere: acte clair-Doktrin) 82 In seiner grundlegenden C.I.L.F.I.T.-Entscheidung aus dem Jahr 1982 185 hat der EuGH darüber hinaus drei weitere Fallgruppen anerkannt, in denen eine Vorlage ausnahmsweise entbehrlich ist, weil der innere Grund der Vorlagepflicht entfallen ist und diese damit letztlich sinnlos erscheint: • • •

Wenn bereits eine gesicherte Rechtsprechung des EuGH vorliegt, durch die die betreffende Rechtsfrage gelöst ist.186 Wenn die gestellte Frage tatsächlich bereits in einem gleichgelagerten Fall Gegenstand einer Vorabentscheidung gewesen ist (acte éclairé)187. Wenn die richtige Anwendung des Unionsrechts derart offenkundig ist, dass für einen vernünftigen Zweifel keinerlei Raum bleibt (sog. acte clair-Doktrin).188 Dieser Aspekt muss allerdings mit großer Zurückhaltung gesehen und mit großer Subtilität gehandhabt werden und ist keinesfalls gegeben, wenn der EuGH selbst in anderer Weise entschieden hat.189

83 Der BGH hat sich bereits in einer Reihe von Urteilen auf die acte clair-Doktrin berufen.190 Als Beispiele seien insoweit insbesondere genannt: Die Entscheidung Kochs/

184 Vgl. EuGH v. 24.5.1977, Hoffmann-La Roche AG ./. Centrafarm, Rs. 107/76, Slg. 1977, 958, Rn. 5; EuGH v. 27.10.1982, Morson u.a., Rs. 35 u. 36/82, Slg. 1982, 3723, Rn. 8 f. 185 Grundlegend EuGH v. 6.10.1982, C.I.L.F.I.T., Rs. 283/81, Slg. 1982, 3415, Rn. 13 ff. = EuR 1983, 161 m. Anm. Millarg; guter Überblick bei U. Karpenstein (Fn. 26), Art. 249 EG Rn. 54 ff. 186 Vgl. EuGH v. 6.10.1982, C.I.L.F.I.T., Rs. 283/81, Slg. 1982, 3415, Rn. 14; EuGH v. 4.11.1997, Parfums Christian Dior, Rs. C-337/95, Slg. 1997, I-6013, Rn. 29. 187 Vgl. EuGH v. 27.3.1963, Da Costa, Rs. 28/62 bis 30/62, Slg. 1962, 60, 81; EuGH v. 6.10.1982, C.I.L.F.I.T., Rs. 283/81, Slg. 1982, 3415, Rn. 13; EuGH v. 4.11.1997, Parfums Christian Dior, Rs. C-337/95, Slg. 1997, I-6013, Rn. 29. 188 Vgl. grundlegend EuGH v. 6.10.1982, C.I.L.F.I.T., Rs. 283/81, Slg. 1982, 3415, Rn. 16; aus jüngerer Zeit EuGH v. 15.9.2005, Intermodal Transports BV ./. Staatssecretaris van Financiën, Rs. C-495/03, Slg. 2005, I-8151, Rn. 38 ff. 189 Dennoch haben der französische Conseil d’État (vgl. o. Fn. 39) und der deutsche BFH (vgl. o. Fn. 42) früher gerade in dieser Weise argumentiert. 190 Anschaulicher Überblick jüngst bei Fleischer GWR 2011, 201 ff.

Instrumente und Folgen europäischer Rechtsetzung

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Adler 191 betreffend die Auslegung der Umsetzung von Art. 9 der 3. (Fusions-)RL (dazu näher § 21 Rn. 42 ff.) in § 340 AktG a.F. (heute § 8 UmwG); die Entscheidung Mangusta/Commerzbank I 192 betreffend das Bestehen einer Berichtspflicht im Falle der Ausnutzung eines genehmigten Kapitals mit Bezugsrechtsausschluss (dazu näher § 20 Rn. 201), die Entscheidung Sachsenmilch IV 193 betreffend § 23 Abs. 3 Nr. 6 AktG und Art. 2 lit. d der 2. (Kapital-)RL (dazu näher § 20 Rn. 16 f.) und schließlich v.a. auch die konsistente Ablehnung einer Vorlagepflicht im Hinblick auf die Problematik der Vereinbarkeit der Rechtsfigur der „verdeckten Sacheinlage“ mit den Vorgaben der 2. (Kapital-)RL194 (dazu näher § 20 Rn. 69 ff.).

3. Folgepflicht Obgleich dies in Art. 267 AEU selbst nicht ausdrücklich geregelt ist, folgt jedenfalls 84 aus der Rechtskraft des Tenors195 sowie insbesondere aus Sinn und Zweck des Vorlageverfahrens, dass das vorlegende Gericht und die anderen mit demselben Verfahrensgegenstand befassten Gerichte an die vom EuGH vorgenommene Auslegung gebunden sind.196 Von BVerfG197 und BGH 198 ist dies bereits seit langem anerkannt.

191 192 193 194 195 196

197 198

BGH NJW 1989, 2689 („Kochs/Adler“). BGH ZIP 2005, 2205 („Mangusta/Commerzbank I“). BGH NZG 2002, 817 („Sachsenmilch IV“). Vgl. BGH NJW 1990, 982, 987 f.; BGH NJW 1992, 2222, 2227; BGH DStR 1994, 512; BGH DStR 2006, 2326. Vgl. Art. 65 VerfO-EuGH. Vgl. EuGH v. 24.6.1969, Milch-, Fett- und Eierkontor GmbH, Rs. 29/68, Slg. 1969, 165, Rn. 3; EuGH v. 3.2.1977, Benedetti, Rs. 52/76, Slg. 1977, 163, Rn. 26/27; EuGH v. 5.3.1986, Wünsche Handelsgesellschaft, Rs. 69/85, Slg. 1986, 947, Rn. 13; EuGH v. 14.12.2000, Fazenda Pública, Rs. C-446/98, Slg. 2000, I-11435, Rn. 49. Vgl. zu den Wirkungen eines Vorabentscheidungsurteils weiter U. Karpenstein (Fn. 26), Art. 234 EG Rn. 94 ff.; Pechstein (Fn. 23), Rn. 862 ff; Wegener (Fn. 170), Art. 267 AEU Rn. 47 ff. (jeweils m.z.w.N.). Vgl. bereits BVerfGE 73, 339, 370 („Solange II“). Vgl. etwa BGH NJW 1994, 2607; BGH NJW 2003, 1461 („Überseering II“).

2. Kapitel: Stand und Realität des Europäischen Unternehmensrechts

Literatur: Bayer, Walter, Aktuelle Entwicklungen im Europäischen Gesellschaftsrecht, BB 2004, 1; Bayer, Walter/Schmidt, Jessica, Aktuelle Entwicklungen im Europäischen Gesellschaftsrecht (2004–2007), BB 2008, 454; dies., BB-Rechtsprechungs- und Gesetzgebungsreport im Europäischen Gesellschaftsrecht 2008/09, BB 2010, 387; dies., Überlagerungen des deutschen Aktienrechts durch das Europäische Unternehmensrecht: Eine Bilanz von 1968 bis zur Gegenwart, in: Bayer, Walter/Habersack, Mathias (Hrsg.), Aktienrecht im Wandel, Bd. 1, 2007, Kap. 18; Dorresteijn, Adriaan/Monteiro, Tiago/Teichmann, Christoph/Werlauff, Erik, European Corporate Law, 2. Aufl. 2009; Edwards, Vanessa, EC Company Law, 1999; Grundmann, Stefan, Europäisches Unternehmensrecht, 2. Aufl. 2011; Habersack, Mathias, Europäisches Gesellschaftsrecht, 3. Aufl. 2006; Lutter, Marcus, „Überseering“ und die Folgen, BB 2003, 7; Lutter, Marcus/Drygala, Tim, Internationale Verschmelzungen in Europa, JZ 2006, 770; Schwarz, Günther Christian, Europäisches Gesellschaftsrecht, 2000; Werlauff, Erik, EU-Company Law, 2. Aufl. 2003; Zimmer, Daniel, Internationales Gesellschaftsrecht, in: Schmidt, Karsten/Lutter, Marcus (Hrsg.), Aktiengesetz, Bd. I, 2. Aufl. 2010.

§ 4 Die Niederlassungsfreiheit 1 Magna Charta des Unternehmensrechts in Europa ist die Niederlassungsfreiheit. Hierzu bestimmt Art. 49 AEU (ursprünglich: Art. 52 EWG, dann Art. 43 EG): Die Beschränkungen der freien Niederlassung von Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats sind nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen verboten. Das Gleiche gilt für Beschränkungen der Gründung von Agenturen, Zweigniederlassungen oder Tochtergesellschaften durch Angehörige eines Mitgliedstaats, die im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats ansässig sind. Vorbehaltlich des Kapitels über den Kapitalverkehr umfasst die Niederlassungsfreiheit die Aufnahme und Ausübung selbstständiger Erwerbstätigkeiten sowie die Gründung und Leitung von Unternehmen, insbesondere von Gesellschaften im Sinne des Artikels 54 Absatz 2, nach den Bestimmungen des Aufnahmestaats für seine eigenen Angehörigen.

Art. 31 EWR1 enthält eine inhaltlich kongruente 2 Regelung für den Europäischen Wirtschaftsraum.3 1 Art. 31 Abs. 1 EWR lautet: „Im Rahmen dieses Abkommens unterliegt die freie Niederlassung von Staatsangehörigen eines EG-Mitgliedstaats oder eines EFTA-Staates im Hoheitsgebiet eines dieser Staaten keinen Beschränkungen. Das gilt gleichermassen für die Gründung von Agenturen, Zweigniederlassungen oder Tochtergesellschaften durch Angehörige eines EG-Mitgliedstaats oder eines EFTA-Staates, die im Hoheitsgebiet eines dieser Staaten ansässig sind. Vorbehaltlich des Kapitels 4 umfasst die Niederlassungsfreiheit die Aufnahme und Ausübung selbständiger Erwerbstätigkeiten sowie die Gründung und Leitung von Unternehmen, insbesondere von Gesellschaften im Sinne des Artikels 34 Absatz 2, nach den Bestimmungen des Aufnahmestaats für seine eigenen Angehörigen.“

Die Niederlassungsfreiheit

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Dies bedeutet heute: I. Gründungsfreiheit Jeder EU-Bürger kann sich überall in der Gemeinschaft frei niederlassen und dort 2 eine selbstständige wirtschaftliche Erwerbstätigkeit aufnehmen und ausüben. Er kann auch nach den Regeln des dortigen allgemeinen nationalen Rechts (Sachrechts) ein Unternehmen gründen (sog. primäre Niederlassungsfreiheit) 4 – z.B. in Deutschland ein Franzose durch Niederlassung als Einzelkaufmann, ein Spanier durch Gründung einer Einpersonen-GmbH mit einem Griechen als Geschäftsführer, ein Engländer und ein Däne durch Errichtung einer OHG oder KG etc. Beschränkungen spezieller Art darf es nicht geben und gibt es auch tatsächlich nicht (mehr); denn Art. 49 AEU (G Art. 43 EG) verbietet jede Diskriminierung nach der Nationalität (vgl. zur Niederlassungsfreiheit als Diskriminierungsverbot auch noch u. Rn. 10); daher gelten schlicht die allgemeinen Regeln des betreffenden nationalen Unternehmensrechts.

II. Wahlfreiheit Jedem EU-Bürger steht die Wahl unter den am frei gewählten Ort allgemein verfüg- 3 baren Organisationsformen offen. Das bedeutet: kein Land kann sagen: Ihr EU-Bürger dürft zwar kommen und hier tätig werden, aber nur in der Rechtsform meiner nationalen Aktiengesellschaft.5 Tatsächlich steht jedem EU-Bürger also auch die freie Wahl unter den am betreffenden Ort bestehenden unternehmerischen Organisationsformen so offen, wie dem Staatsangehörigen des betreffenden Landes selbst (strikte Behandlung wie ein Inländer). Art. 49 Abs. 1 S. 2 AEU betont das in diesem Zusammenhang, indem die einzelnen Formen der sekundären Niederlassungsfrei-

2 Vgl. EuGH v. 23.2.2006, Keller Holding, Rs. C-471/04, Slg. 2006, I-2107, Rn. 49; EuGH v. 26.10.2006, Kommission ./. Portugal, Rs. C-345/05, Slg. 2006, I-10633, Rn. 41; EuGH v. 18.1.2007, Kommission ./. Schweden, Rs. C-104/06, Slg. 2007, I-671, Rn. 32; EuGH v. 5.7.2007, Kommission ./. Belgien, Rs. C-522/04, Slg. 2007, I-5701, Rn. 76; EuGH v. 23.10.2008, Wannsee, Rs. C-157/07, Slg. 2008, 8061, Rn. 24. Davon geht auch der EFTAGerichtshof aus, der in st. Rspr. auf die Judikatur des EuGH rekurriert, vgl. nur EFTA-GH v. 10.12.1998, Herbert Rainford-Towning, Rs. E-3/98, Reports 1998, 207; EFTA-GH v. 7.5.2008, Seabrokers ./. Staten v/Skattedirektoratet, Rs. E-7/07, Reports 2008, 174. 3 Soweit nicht anders vermerkt, gelten die folgenden Ausführungen zu Art. 49 AEU daher entsprechend auch für EWR-Sachverhalte. 4 Vgl. zum Begriff W. H. Roth in Dauses, EU-Wirtschaftsrecht, 27. EL 2010, E. I Rn. 53; Müller-Graff in: Streinz, EUV/EGV, 2003, Art. 43 EG Rn. 8, eingehend zur Gründungsfreiheit Schön FS Priester, 2007, S. 737 ff. 5 EuGH v. 29.4.2004, Kommission ./. Portugal, Rs. C-171/02, Slg. 2004, I-5645, Rn. 42: Unvereinbarkeit der Bedingung, dass ausländische Wirtschaftsteilnehmer zur Ausübung der privaten Sicherheitsdienste die Rechtsform einer juristischen Person haben müssen, mit Art. 43 EG (jetzt: Art. 49 AEU).

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heit 6 – Agentur, Zweigniederlassung, Tochtergesellschaft – ausdrücklich hervorgehoben werden.7 Diese Wahlfreiheit darf auch durch diskriminierende Steuerbestimmungen nicht eingeschränkt werden.8

III. Beteiligungsfreiheit 4 Der einzelne EU-Bürger ist aber auch nicht nur auf Neugründungen zur Verwirklichung seiner Niederlassungsfreiheit angewiesen, sondern kann sich – wiederum „wie ein Inländer“ – am frei gewählten Ort an bereits bestehenden Unternehmen dieses Ortes und wiederum nach den Regeln des betreffenden nationalen Rechts beteiligen. Der Erwerb von Geschäftsanteilen, der eine schlichte Kapitalinvestition darstellt (sog. Portfolioinvestition), ist keine Niederlassung, sondern unterliegt nach der EuGHRechtsprechung grundsätzlich nur den Bestimmungen über den freien Kapitalverkehr (Art. 63 Abs. 1 AEU [G Art. 56 Abs. 1 EG]). Wenn die Beteiligung jedoch einen hinreichenden („gewissen“) Einfluss auf die Geschicke der Gesellschaft verleiht, sind parallel auch die Bestimmungen über die Niederlassungsfreiheit anwendbar (sog. Direktinvestitionen). Ausf. zu Abgrenzung und Verhältnis von Kapitalverkehrs- und Niederlassungsfreiheit bei § 15 Rn. 3 ff. 5 Auch bei der Beteiligungsfreiheit sind im Grundsatz weder unmittelbare noch mittelbare Beschränkungen noch Sonderbehandlungen (zum Charakter der Niederlassungsfreiheit als Diskriminierungsverbot noch u. Rn. 10) möglich.9 6 Unmittelbare Beschränkungen: Zwar erlaubt Art. 52 AEU (G Art. 46 EG) Einschränkungen dieser Freiheit (nur) aus Gründen der „öffentlichen Sicherheit“ (öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit). Damit sind hier gleiche Kriterien maßgebend wie bei dem „berühmten“ Art. 36 AEU (G Art. 30 EG) im Zusammenhang mit der Warenverkehrsfreiheit. Und das bedeutet, dass der EuGH etwaige nationalen Beschränkungen streng nach den Kriterien der Erforderlichkeit, Verhältnismäßigkeit und Angemessenheit kontrolliert. Vgl. zur Rechtfertigung von Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung noch

6 Allg. zur Differenzierung zwischen primärer Niederlassungsfreiheit (dazu auch schon o. Rn. 2) und sekundärer Niederlassungsfreiheit nur Bröhmer in: Calliess/Ruffert, EUV/ AEUV, 4. Auflage 2011, Art. 49 AEU Rn. 17 f.; W.-H. Roth (Fn. 4), E I 54 f. 7 Auch die Wahlfreiheit zwischen einzelnen Niederlassungsformen (Wahlfreiheit zwischen Ausübung der Tätigkeit in Form eines Tochterunternehmens, einer Zweigniederlassung, einer Agentur oder einer Geschäftsstelle) wird durch Art. 49 Abs. 1 AEU (G Art. 43 Abs. 1 EG) umfasst, so etwa EuGH v. 6.6.1996, Kommission ./. Italien, Rs. C-101/94, Slg. 1996 I-2691, Rn. 8, 28. 8 So ausdrücklich EuGH v. 28.1.1986, Kommission ./. Frankreich, Rs. 270/83, Slg. 1986, 273; EuGH v. 21.9.1999, Saint-Gobain, Rs. C-307/97, Slg. 1999, I-6161. 9 Grundlegend zur Niederlassungsfreiheit als Beschränkungsverbot: EuGH v. 31.3.1993, Kraus, Rs. C-19/92, Slg. 1993, I-1663; EuGH v. 30.11.1995, Gebhard, Rs. C-55/94, Slg. 1995, I-4165; vgl. jüngst etwa EuGH v. 21.10.2010, Idryma Typou, Rs. C-81/09, ZIP 2010, 2493, Rn. 54.

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näher § 15 Rn. 14 ff.; zur Rechtfertigung aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses (sog. Gebhard-Formel) näher § 15 Rn. 18 ff. Mittelbare Beschränkungen kämen v.a. durch eine auf nationalem Recht oder 7 Verwaltungspraxis beruhende „Schlechterbehandlung“ von Unternehmen mit ausländischer Beteiligung 10 oder schon deren Verhinderung mit anderen rechtlichen Mitteln in Betracht, z.B. ein staatliches Vorkaufrecht auf solche Beteiligungen, das dann praktisch nur beim Erwerb durch Ausländer ausgeübt wird. Obwohl eine solche Praxis unionsrechtswidrig ist, gab es immer wieder Fälle einer mittelbaren „Schlechterbehandlung“. Ein prägnantes Beispiel dafür war seinerzeit der sog. „Commerzbankfall“: 11 8 Nach dem britischen Steuerrecht hatte jeder steuerpflichtige Bürger und jedes steuerpflichtige Unternehmen, dem Steuern zu erstatten sind, Anspruch auf einen Zuschlag von 8,25 % pauschalierter Zinsen. Dieser Zuschlag stand aber erstattungsberechtigten Gläubigern nicht zu, wenn sie im UK nicht ansässig waren. Im Ausgangsfall hatte die Zweigniederlassung London der Commerzbank AG mit Sitz in Deutschland einen solchen Erstattungsanspruch und verlangte auch den Zuschlag. Die britische Steuerbehörde lehnte ab. Der EuGH hat daraufhin in seinem Urteil vom 13.7.1993 die Gelegenheit wahrgenommen, solche versteckten Hindernisse gegenüber der freien Niederlassung für EG-rechtswidrig zu erklären: „18 Eine nationale Vorschrift wie die in Rede stehende enthält eine Ungleichbehandlung. Wenn nämlich einer nichtansässigen Gesellschaft das Recht auf den Zuschlag zur Steuerrückzahlung verweigert wird, auf den ansässige Gesellschaften stets einen Anspruch haben, so wird sie diesen gegenüber benachteiligt. 19 Der Umstand, daß die Steuerbefreiung, die zu der Rückzahlung führte, den nichtansässigen Gesellschaften vorbehalten war, kann nicht eine allgemeine Ausschlußvorschrift rechtfertigen. Diese Vorschrift ist daher diskriminierend. 20 Aufgrund dieser Erwägungen ist dem vorlegenden Gericht zu antworten, daß die Artikel 52 und 58 EWG-Vertrag [heute: Art. 49, 54 AEU] es verbieten, daß nach dem Recht eines Mitgliedstaats Zuschläge zur Rückzahlung nicht geschuldeter Steuern Gesellschaften, die ihren steuerlichen Sitz in diesem Staat haben, gewährt, Gesellschaften, die ihren steuerlichen Sitz in einem anderen Mitgliedstaat haben, jedoch verweigert werden. Der Umstand, daß die letztgenannten Gesellschaften nicht von der Steuer befreit gewesen wären, wenn sie in diesem Staat ansässig gewesen wären, ist insoweit unerheblich. 21 Da Rechtsvorschriften wie die, um die es im Ausgangsverfahren geht, gegen die Artikel 52 und 58 EWG-Vertrag [heute: Art. 49, 54 AEU] verstossen, erübrigt sich die Prüfung ihrer Vereinbarkeit mit den Artikeln 5 und 7 [heute: Art. 4 Abs. 3 EU und Art. 18 AEU].“

10 Vgl. EuGH v. 14.10.2004, Kommission ./. Niederlande, Rs. C-299/02, Slg. 2004, I-9761 (Unvereinbarkeit mit Art. 43 EG [G Art. 49 AEU] der Bedingung zur Registrierung eines Schiffes in den Niederlanden, welche darin bestand, dass ein Teil der Anteilseigner einer Gesellschaft der Gemeinschaft, die Eigentümerin des Schiffes ist, die EG-/EWR-Angehörigkeit besitzen müssen); EuGH v. 12.6.1997, Kommission ./. Irland, Rs. C-151/96, Slg. 1997, I-3327 (Beschränkung des Rechts auf Eintragung von Schiffen im nationalen irischen Register auf Schiffe, die ganz oder teilweise der Regierung, einem Staatsminister, einem irischen Staatsangehörigen oder einer juristischen Person irischen Rechts gehören). 11 EuGH v. 13.7.1993, Commerzbank AG, Rs. C-330/91, Slg. 1993, I-4017.

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9 Das bedeutet: Schon das subjektive Recht jedes Unternehmens in Europa auf freie Niederlassung aus Art. 49 und 54 AEU (auch in Form von [Zweig-]Niederlassungen, also ohne ansässig zu werden) wird durch solche Ungleichbehandlungen verletzt; eines Rückgriffs auf das allgemeine Diskriminierungsverbot aus Art. 18 AEU bedarf es gar nicht. IV. Diskriminierungsverbot 10 Neben dem Verbot unmittelbarer und mittelbarer Beschränkungen der soeben erörterten Art bedeutet die Niederlassungsfreiheit aber – in Konkretisierung des allgemeinen Diskriminierungsverbots des Art. 18 AEU 12 – auch ein spezielles Diskriminierungsverbot13: EU-Ausländer müssen wie Inländer behandelt werden. Anders gewendet: der EU-Bürger ausländischer Nationalität ist im nationalen Unternehmensrecht Inländer. Daher darf eine britische Gesellschaft mit britischen Gesellschaftern nicht anders behandelt werden als eine solche mit spanischen Gesellschaftern; das hat der EuGH schon in seinen berühmten Urteilen im britisch-spanischen FischereiStreit von 1991 nachdrücklich betont.14

V. Gleichstellung von natürlichen Personen mit Gesellschaften im Rahmen der Niederlassungsfreiheit 11 Für das Unternehmensrecht entscheidend ist Art. 54 AEU (G Art. 48 EG). Diese Vorschrift bezieht die Gesellschaften des nationalen Rechts vollständig in diese Freiheiten ein mit der Formulierung: Für die Anwendung dieses Kapitels stehen die nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats gegründeten Gesellschaften, die ihren satzungsmäßigen Sitz, ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung innerhalb der Union haben, den natürlichen Personen gleich, die Angehörige der Mitgliedstaaten sind. Als Gesellschaften gelten die Gesellschaften des bürgerlichen Rechts und des Handelsrechts einschließlich der Genossenschaften und die sonstigen juristischen Personen des öffentlichen und privaten Rechts mit Ausnahme derjenigen, die keinen Erwerbszweck verfolgen.

12 Vgl. zum Verhältnis von Art. 49 AEU und Art. 18 AEU: Bröhmer (Fn. 6), Art. 49 AEU Rn. 19; Forsthoff in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, 43. Aufl. 2011, Art. 49 AEU Rn. 77. 13 Anfänglich wurde die Niederlassungsfreiheit sogar ausschließlich als Diskriminierungsverbot interpretiert; heute ist aber allgemein anerkannt, dass sie auch ein Beschränkungsverbot enthält; grundlegend insoweit: EuGH v. 31.3.1993, Kraus, Rs. C-19/92, Slg. 1993, I-1663; EuGH v. 30.11.1995, Gebhard, Rs. C-55/94, Slg. 1995, I-4165; ausf. zur Entwicklung der Judikatur: Bröhmer (Fn. 6), Art. 49 AEU Rn. 19 ff.; Forsthoff (Fn. 12), Art. 49 AEU Rn. 88 ff. (jeweils m.z.w.N.). 14 EuGH v. 25.7.1991, Factortame, Rs. C-221/89, Slg. 1991, I-3905; EuGH v. 4.10.1991, Kommission ./. Vereinigtes Königreich, Rs. C-246/89, Slg. 1991, I-4585; s. ferner auch EuGH v. 12.6.1997, Kommission ./. Irland, Rs. C-151/96, Slg. 1997, I-3327.

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Art. 34 EWR15 enthält eine inhaltlich kongruente16 Regelung für den Europäischen Wirtschaftsraum. Unter Art. 54 AEU fallen alle Vereinigungen, die eine bestimmte, in Art. 54 Abs. 1 12 AEU genannte Verknüpfung mit der Union haben und einen wirtschaftlichen Erwerbszweck verfolgen. An dieser Gewährleistung nehmen aus deutscher Sicht neben der GbR sowie allen Handelsgesellschaften, einschließlich der Genossenschaften, auch juristische Personen des öffentlichen Rechts teil (dazu zählen nicht nur die öffentlichen Unternehmen, die als Gesellschaften des Privatrechts gegründet sind, sondern auch Körperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechts, Gemeinden, Länder oder der Staat selbst, soweit sie eine wirtschaftliche Tätigkeit betreiben) sowie auch nicht- oder teilrechtsfähige Gesellschaften.17 Für diese Gesellschaften bedeuten diese ihnen persönlich zuerkannten Freiheiten nahezu das Gleiche wie beim Einzelkaufmann, nämlich:

1. Unmittelbare Niederlassung von Gesellschaften (Einrichtung von Agenturen und Zweigniederlassungen) Die Freiheit zur unmittelbaren Niederlassung kann in sehr einfacher Weise durch die 13 überall und unbeschränkt (und unbeschränkbar) erlaubte Einrichtung von unselbstständigen Agenturen und Zweigniederlassungen ausgeübt werden. Wie eine deutsche Gesellschaft im gesamten Gebiet Deutschlands Verkaufs- und Serviceagenturen, aber auch Zweigniederlassungen errichten und sich damit über den Ort ihres Sitzes hinaus „körperlich“ beliebig ausdehnen kann, so kann sie das im gesamten Gebiet der EU und ohne irgendwelche Beschränkungen über das hinaus, was auch der Inländer am betreffenden Ort bei Aufnahme der entsprechenden Tätigkeit beachten muss (z.B. Anmeldung bei der örtlichen Gewerbeaufsicht, bei der örtlichen Kaufmannschaft, beim örtlich zuständigen Finanzamt). Auf diesem Hintergrund ist die 11. (Zweigniederlassungs-)RL (dazu ausf. § 28) zu sehen: Sie geht ganz selbstverständlich davon aus, dass Unternehmen aus EU/EWR-Ländern in jedem (anderen) EU/EWR-Land eine oder mehrere Zweigniederlassungen errichten können und koordiniert die dafür

15 Art. 34 EWR lautet: „Für die Anwendung dieses Kapitels stehen die nach den Rechtsvorschriften eines EGMitgliedstaats oder eines EFTA-Staates gegründeten Gesellschaften, die ihren satzungsmässigen Sitz, ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung im Hoheitsgebiet der Vertragsparteien haben, den natürlichen Personen gleich, die Angehörige der EG-Mitgliedstaaten oder der EFTA-Staaten sind. Als Gesellschaften gelten die Gesellschaften des bürgerlichen Rechts und des Handelsrechts einschließlich der Genossenschaften und die sonstigen juristischen Personen des öffentlichen und privaten Rechts mit Ausnahme derjenigen, die keinen Erwerbszweck verfolgen.“ 16 Vgl. die Nachweise in Fn. 2. Soweit nicht anders vermerkt, gelten die folgenden Ausführungen zu Art. 49, 54 AEU daher entsprechend auf Grund von Art. 31, 34 EWR auch für EWR-Sachverhalte. 17 Vgl. nur Bröhmer (Fn. 6), Art. 54 AEU Rn. 2 ff.; W.-H. Roth (Fn. 4), E I 70.

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erforderliche Publizität in Anlehnung an die Regeln der 1. (Publizitäts-)RL (zu dieser ausf. § 19). Aber auch diese Regeln verlangen nicht mehr, sondern eher weniger als für die Errichtung einer Zweigniederlassung eines inländischen Unternehmens im Inland selbst verlangt wird.18 Beschränkend und somit grundsätzlich verboten sind daher Regelungen, die die grenzüberschreitende Errichtung einer Sekundärniederlassung verhindern (z.B. Verbot einer Zweitniederlassung) 19 oder unverhältnismäßig erschweren (z.B. durch Registrierungserfordernisse 20 oder Gebührenvorschüsse, soweit diese die tatsächlichen Verwaltungskosten übersteigen21). 14 Die Reichweite der Niederlassungsfreiheit hinsichtlich der Einrichtung von Zweigniederlassungen hat der EuGH in der berühmten Entscheidung in der Rs. Centros v. 9.3.1999 22 konkretisiert (dazu auch noch ausf. § 6 Rn. 19 ff.). Ein dänisches Ehepaar hatte in England eine private limited company, eben die Centros Ltd., gegründet und in Dänemark die Eintragung einer Zweigniederlassung beantragt. Dies wurde von den zuständigen Behörden verweigert, und zwar mit der Begründung, dass die Gesellschaft in England keine Geschäftstätigkeit ausübe und allein zur Umgehung der strengen dänischen Gründungsvorschriften errichtet worden sei und in Wirklichkeit nicht die Gründung einer Zweig-, sondern einer Hauptniederlassung erstrebe. Der EuGH hat diese „Scheinauslandsgesellschaft“23 als Zweigniederlassung eingestuft, in der Ablehnung der Eintragung einer Zweigniederlassung einen Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit gesehen und festgestellt, dass ein Mitgliedstaat die Eintragung einer Zweigniederlassung einer nach dem Recht eines anderen Mitgliedstaats, in dem sie ihren Sitz hat, errichteten Gesellschaft nicht verweigern kann.24 Die Ausnützung günstiger Gründungsbedingungen begründet nach der Rechtsprechung des EuGH keinen Missbrauch der Niederlassungsfreiheit; dies gilt selbst dann, wenn die Gesellschaft an ihrem Satzungssitz keine Geschäftstätigkeit ausübt und die Gründung einer Gesellschaft im Ausland nur der Umgehung der strengen inländischen Gründungsvorschriften dient.25 18 Die Umsetzung der 11. (Zweigniederlassungs-)RL ist daher auch im unmittelbaren Zusammenhang mit den Regeln zur inländischen Zweigniederlassung in den §§ 13 ff. HGB erfolgt; näher zur Umsetzung bei § 28 Rn. 4; allg. zu §§ 13 ff. HGB: Bayer in: Lutter/ Hommelhoff, GmbHG, 17. Aufl. 2009, Anh. I zu § 4a. 19 EuGH v. 12.7.1984, Klopp, Rs. 107/83, Slg. 1984, 2971. 20 Vgl. EuGH v. 14.10.2004, Kommission ./. Niederlande, Rs. C-299/02, Slg. 2004, I-9761 (dazu auch bereits o. Fn. 10). 21 Vgl. EuGH v. 1.6.2006, innoventif Limited, Rs. C-453/04, Slg. 2006, I-4929; zu diesem Urteil J. Schmidt NZG 2006, 899 ff.; näher auch noch § 28 Rn. 40. 22 EuGH v. 9.3.1999, Centros Ltd. v. Erhvervs- og Selskabsstyrelsen, Rs. C-212/97, Slg. 1999, I-1459. Dazu etwa Behrens IPrax 1999, 323 ff.; Kieninger ZGR 1999, 724 ff.; W.-H. Roth ZGR 2000, 311 ff.; Ulmer JZ 1999, 662 ff.; Werlauff ZIP 1999, 867 ff.; Zimmer ZHR 164 (2000) 23 ff. 23 Vgl. zu diesem Begriff Altmeppen in: MünchKommAktG, 2. Aufl. 2006, Bd. 9/2, B Kap. 1 Rn. 1 ff. m.w.N. 24 EuGH v. 9.3.1999, Centros Ltd. v. Erhvervs- og Selskabsstyrelsen, Rs. C-212/97, Slg. 1999, I-1459, Rn. 30. 25 EuGH v. 9.3.1999, Centros Ltd. v. Erhvervs- og Selskabsstyrelsen, Rs. C-212/97, Slg. 1999, I-1459, Rn. 27. Kritisch dazu Grigoleit, Auswirkungen der europäischen Niederlas-

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2. Mittelbare Niederlassung von Gesellschaften durch Gründung von Tochtergesellschaften Die Gesellschaften können – und tun es in sehr großem Umfange – von der Nieder- 15 lassungsfreiheit auch dadurch Gebrauch machen, dass sie am frei gewählten Ort Tochtergesellschaften gründen. Dabei sind sie naturgemäß an die Regeln des dort geltenden nationalen Unternehmensrechts gebunden, das für sie unverändert und insbesondere ohne Erschwerungen und Veränderungen gegenüber Inländern gilt. Vor allem aber gibt es heute in der EU nicht mehr die anderwärts noch häufige Vorschrift, dass ein Inländer bzw. ein inländisches Unternehmen an der Gründung beteiligt sein muss. Im Gegenteil: Nach Erlass und Umsetzung der 12. (Einpersonengesellschafts-)RL (dazu ausf. § 29) kann die Gründung der Tochter heute vielfach auch als Einpersonen-Gründung von der betreffenden deutschen Gesellschaft selbst und allein vorgenommen werden 26 ; i.Ü. genügt auch bei der Aktiengesellschaft – soweit nicht auch schon bei ihr, wie jetzt in Deutschland, die Einpersonen-Gründung möglich ist – die Mitwirkung anderer natürlicher oder juristischer Personen welcher Nationalität auch immer. Dieses System der Tochtergesellschaften wird von der Praxis gegenüber allen anderen Formen der Niederlassung bevorzugt und funktioniert heute ohne erkennbare Schwierigkeiten. Es führt allerdings zur Entstehung sehr vieler kleiner und mittelgroßer Konzerne: In der EU ist dadurch der Konzern die legale Normalität, nicht etwa die Ausnahme. Die gleichen Regeln gelten für die Besetzung der Organe: Auch an der Ge- 16 schäftsführung müssen heute – und anders als etwa noch immer in der Schweiz – keine Inländer mehr beteiligt sein.27 Es ist rechtliche Normalität, wenn die Tochtergesellschaft eines deutschen Unternehmens in Paris von einem Italiener geleitet wird.

3. Mittelbare Niederlassung durch Beteiligung an anderen Gesellschaften Auch hier gilt ganz das Gleiche wie für die natürliche Person: Die Gesellschaften kön- 17 nen sich an einem bereits bestehenden Unternehmen im EU-Ausland beteiligen, wobei sie die für einen solchen Vorgang geltenden allgemeinen Regeln des betreffenden nationalen Rechts naturgemäß und wie jedes inländische Unternehmen zu beachten haben (z.B. Form des Erwerbs, Zustimmung anderer Gesellschafter, Anzeige bei Behörden). Rechtliche Besonderheiten aus der Tatsache, dass es sich beim Erwerber um ein Unternehmen ausländischen Rechts handelt, darf es nicht geben. Unstreitig unionsrechtswidrig und wirkungslos wäre also die Bestimmung eines nationalen

sungsfreiheit auf das Gesellschaftsrecht, in: Neuner (Hrsg.), Grundrechte und Privatrecht aus rechtsvergleichender Sicht, 2007, S. 265, 273 ff. 26 Zu den „gefährlichen“ Ausnahmen auf Grund von Art. 2 Abs. 2 der 12. (Einpersonengesellschafts-)RL näher § 29 Rn. 16 ff. 27 Vgl. EuGH v. 14.10.2004, Kommission ./. Niederlande, Rs. C-299/02, Slg. 2004, I-9761 (dazu auch bereits o. Fn. 10).

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Rechts, wonach sich deutsche GmbH an Aktiengesellschaften dieses Landes nicht beteiligen dürfen bzw. hierzu einer Erlaubnis der staatlichen Wirtschaftsbehörde bedürfen oder Gesellschafter der eigenen Nationalität haben müssen (vgl. auch bereits o. Fn. 10). Dies hat der EuGH bereits in einer seiner ersten „Goldene Aktien“-Entscheidungen, dem Urteil in der Rs. Kommission ./. Portugal vom 4.6.2002 28, ausdrücklich bestätigt. In diesem Fall hatte Portugal den Anteilsbesitz ausländischer Anleger an ehemals staatlichen Unternehmen durch nationale Regelung auf 25 % des Gesellschaftskapitals begrenzt. Dies stellte eine offene Diskriminierung und Ungleichbehandlung dar und wurde vom EuGH für unzulässig erklärt.29 Ausf. zu den „Goldenen Aktien“ bei § 15.

4. Sitzverlegung von Gesellschaften über die Grenze 18 Ausf. zu Niederlassungsfreiheit und grenzüberschreitender Sitzverlegung bei § 6 Rn. 46 ff.; zum Projekt einer Sitzverlegungs-RL: § 32.

5. Verschmelzung von Gesellschaften über die Grenze 19 Die gleichen rechtlichen Schranken wie bei der Sitzverlegung über die Grenze galten lange auch für die Verschmelzung über die Grenze. Auch sie gehört zur Niederlassungsfreiheit – das ist (heute) unstreitig; aber auch ihr standen nach in Deutschland h.M. die gleichen Regeln des deutschen Rechts entgegen, welche in gleicher Weise wie bei der Sitzverlegung die rechtliche Möglichkeit zur „Weg-Fusion“ verhinderten.30 Diese verfehlte Ansicht herrschte, bis ihr die Entscheidung des EuGH in der Rs. Sevic 31 ein Ende setzte (dazu auch noch ausf. § 6 Rn. 32 ff.). Darin stellte der EuGH fest, dass die grenzüberschreitende Verschmelzung in den Anwendungsbereich der gemäß Art. 49, 54 AEU (G Art. 43, 48 EG) garantierten Niederlassungsfreiheit fällt.32 Die

28 EuGH v. 4.6.2002, Kommission ./. Portugiesische Republik, Rs. C-367/98, Slg. 2002, I-4731. 29 EuGH v. 4.6.2002, Kommission ./. Portugiesische Republik, Rs. C-367/98, Slg. 2002, I-4731, Rn. 40. Der EuGH hat zwar bei der Prüfung auf die „näher liegende“ und unmittelbar betroffene Kapitalverkehrsfreiheit abgestellt; das Ergebnis wäre jedoch dasselbe gewesen, wenn er seine Entscheidung (auch) auf die Niederlassungsfreiheit gestützt hätte, zust. Grundmann/Möslein ZGR 2003, 317, 328. Näher zur Abgrenzung von Kapitalverkehrs- und Niederlassungsfreiheit allgemein sowie speziell im Kontext der „Goldene Aktien“-Judikatur § 15 Rn. 3 ff. 30 Eingehend dazu mit allen Nachweisen die Referate von Behrens, Kronke und Lutter auf dem 3. Bonner Europa-Symposion, ZGR 1994, 1 ff. 31 EuGH v. 13.12.2005, SEVIC Systems AG, Rs. C-411/03, Slg. 2005, I-10805. Dazu insbesondere Bayer/J. Schmidt ZIP 2006, 210 ff.; Lutter/Drygala JZ 2006, 770 ff.; weiteres Schrifttum bei § 6 Rn. 33. 32 EuGH v. 13.12.2005, SEVIC Systems AG, Rs. C-411/03, Slg. 2005, I-10805, Rn. 19.

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generelle Verweigerung der Eintragung einer grenzüberschreitenden Verschmelzung stellt einen Verstoß gegen diese Vorschriften dar. Zwar sind zwingende Gründe des Allgemeininteresses (der Schutz von Gläubigern, Minderheitsgesellschaftern und Arbeitnehmern sowie die Wirksamkeit der Steueraufsicht) anzuerkennen, sie rechtfertigen aber nicht eine generelle Nichtzulassung der Verschmelzung über die Grenze.33 Erfasst ist dabei richtiger Ansicht nach sowohl die Hinein- als auch die Hinausverschmelzung.34 Der europäische Gesetzgeber hatte bereits knapp 2 Monate vor dem Urteil zudem endlich auch die sog. internationale Fusions-RL (10. RL) (dazu ausf. § 23) verabschiedet. Sie wurde mit dem 2. UmwÄndG 35 und dem MgVG 36 in deutsches Recht umgesetzt (näher dazu § 23 Rn. 8) mit der Folge, dass deutsche Gesellschaften nun rechtssicher mit anderen Gesellschaften aus dem EU/EWR-Raum grenzüberschreitend verschmelzen können. Richtlinie und Umsetzung betreffen aber nur Kapitalgesellschaften (vgl. näher § 23 Rn. 10 ff.). Vor dem Hintergrund der Niederlassungsfreiheit haben aber auch Personengesellschaften das Recht, sich entsprechend den Grundsätzen der Sevic-Entscheidung grenzüberschreitend zu verschmelzen (dazu näher § 6 Rn. 72 ff.).

6. Einbringung von Aktiva (und Passiva) über die Grenze Hinsichtlich der Einbringung von Aktiva und Passiva aus einer in Deutschland be- 20 stehenden Gesellschaft in eine bestehende oder noch zu gründende Gesellschaft in einem anderen EU-Land gegen Entgelt oder Beteiligung gilt Folgendes: Hier gibt es keinerlei Beschränkungen, im Gegenteil: Der Vorgang ist in Ausführung der Fusionssteuer-RL37 heute steuerneutral, d.h. er löst keine steuerliche Gewinnrealisierung im Inland aus.38

33 EuGH v. 13.12.2005, SEVIC Systems AG, Rs. C-411/03, Slg. 2005, I-10805, Rn. 28, 30. 34 Vgl. Bayer/J. Schmidt ZIP 2006, 210, 211; Lutter/Drygala JZ 2006, 770, 771; s. ferner die Nachweise bei § 6 Rn. 72. 35 Zweites Gesetz zur Änderung des Umwandlungsgesetzes v. 19.4.2007, BGBl. I, S. 542. 36 Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei einer grenzüberschreitenden Verschmelzung (MgVG) = Art. 1 des Gesetzes zur Umsetzung der Regelungen über die grenzüberschreitende Verschmelzung von Kapitalgesellschaften aus verschiedenen Mitgliedstaaten v. 21.12.2006, BGBl. I, 3332. 37 RL 90/434/EWG des Rates v. 23.7.1990 über das gemeinsame Steuersystem für Fusionen, Spaltungen, die Einbringung von Unternehmensteilen und den Austausch von Anteilen, die Gesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten betreffen, ABlEG v. 20.8.1990, L 225/1; jetzt kodifiziert als RL 2009/133/EG des Rates v. 19.10.2009 über das gemeinsame Steuersystem für Fusionen, Spaltungen, Abspaltungen, die Einbringung von Unternehmensteilen und den Austausch von Anteilen, die Gesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten betreffen, sowie für die Verlegung des Sitzes einer Europäischen Gesellschaft oder einer Europäischen Genossenschaft von einem Mitgliedstaat in einen anderen Mitgliedstaat, ABlEU v. 25.11.2009, L 310/34. 38 Vgl. dazu die Referate von Sarrazin und Thömmes auf dem 3. Bonner Europa-Symposium: ZGR 1994, 66 ff. u. 75 ff.

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Möglich ist also, dass das Unternehmen der deutschen Bau-GmbH als Sacheinlage in eine französische SA39 gegen Aktien eingebracht und diese mithin Eigentümerin, Gläubigerin und Schuldnerin aller weiterhin in Deutschland belegenen Aktiva und Passiva der deutschen GmbH wird, während sich die deutsche GmbH auf die Verwaltung ihrer Aktien an der französischen SA beschränkt. Auf den Vorgang ist selbstverständlich § 613a BGB anwendbar mit der Folge, dass alle Mitarbeiter der deutschen Bau-GmbH Mitarbeiter der französischer SA werden, wenn sie dem Übergang des Arbeitsverhältnisses nicht widersprechen. Die französische SA wird zweckmäßigerweise das – weiterhin in Deutschland belegene – Baugeschäft als (Zweig-)Niederlassung betreiben. Auf diese Weise ist im Wege der Einzelrechtsnachfolge – alle Aktiva und Passiva müssen nach den je für sie geltenden (hier: deutschen) Rechtsregeln auf die französische SA übertragen werden – und steuerneutral eine faktische Fusion (bei Aufnahme in eine aktive französische SA) bzw. faktische Sitzverlegung (bei Aufnahme in eine dafür gleichzeitig neu gegründete SA) möglich. Für die Gründung bzw. Kapitalerhöhung der französischen SA gilt französisches Recht, für die erforderlichen Beschlüsse der Gesellschafterversammlung der deutschen GmbH deutsches Recht; diese letztere besteht als Inhaberin der Aktien an der französischen SA fort.

VI. Zusammenfassung 22 Die Niederlassungsfreiheit für Unternehmer und Unternehmen eines EU/EWRLandes in anderen EU/EWR-Ländern ist in einem geradezu staunenswerten Maße verwirklicht. EU/EWR-angehörige Unternehmen können sich in den dargestellten Formen bei uns in Deutschland und deutsche Unternehmen in jedem EU/EWR-Land niederlassen, beteiligen und verschmelzen.

§ 5 Die Anerkennung von Gesellschaften in Europa 1 Die in § 4 erörterten Formen und Möglichkeiten der Niederlassung insbesondere von juristischen Personen des Handelsrechts aus dem EU/EWR-Ausland in Deutschland und aus Deutschland in anderen EU/EWR-Mitgliedstaaten könnten in der dargestellten Weise nicht so problemlos funktionieren, wenn die ausländische Gesellschaft Schwierigkeiten mit ihrer Anerkennung als juristische Person (oder jedenfalls als selbstständige Trägerin von Rechten und Pflichten wie oHG und KG) hätte. Denn dann müsste sie bei allen Konflikten im betreffenden Ausland fürchten, als de lege gar nicht existent angesehen zu werden. Aus diesen Gründen war schon sehr früh (1968) von den damals noch 6 Mitgliedstaaten der EWG ein Abkommen über die wechsel-

39 Société anonyme; vgl. die Liste der nationalen Rechtsformen bei § 11 Rn. 6.

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seitige Anerkennung von Gesellschaften 1 ausgearbeitet und unterzeichnet, nie aber von allen (wohl aber von Deutschland! 2) ratifiziert worden (dazu näher § 6 Rn. 8 ff.). Immerhin wurden aber die Regeln zur Registrierung bzw. Hinterlegung und Publizierung von Gründungsurkunden/Statuten bereits 1968 durch die 1. (Publizitäts-)RL (dazu ausf. § 19 Rn. 12 ff.) angeglichen, so dass Instrumente zum Nachweis der Existenz dieser Gebilde heute überall zur Verfügung stehen (z.B. in Deutschland: Auszug aus dem Handelsregister). Deutsche Personenhandelsgesellschaften (oHG und KG) und deutsche juristische Personen des Handelsrechts wie AG, GmbH und Genossenschaft werden heute – vorausgesetzt sie sind im Handels-/Genossenschaftsregister eingetragen – im EU/EWR-Ausland ebenso fraglos anerkannt, wie es das deutsche Recht mit ausländischen Gesellschaften aus EU/EWR-Mitgliedstaaten heute tut.3 Diese Praxis wird durch Art. 49, 54 AEU (bzw. Art. 31, 34 EWR) abgesichert: 2 Gesellschaften, die in einem Mitgliedstaat und nach dessen Regeln Rechtsfähigkeit oder zumindest die Fähigkeit erlangt haben, Träger von Rechten und Pflichten zu sein (wie z.B. oHG und KG), müssen nach diesen Normen in jedem anderen EU- und EWR-Mitgliedstaat als rechtsfähig angesehen und behandelt werden. Das hat der EuGH in der Überseering-Entscheidung (dazu noch näher § 6 Rn. 23 ff.) klar und deutlich gesagt 4: Eine Gesellschaft, die in einem EU-Mitgliedstaat wirksam gegründet worden ist und dort ihren satzungsmäßigen Sitz hat, genießt auf Grund der Art. 49, 54 AEU das Recht, als Gesellschaft des Gründungsrechts in anderen Mitgliedstaaten der EU von ihrer Niederlassungsfreiheit Gebrauch zu machen. Eine pauschale Nichtanerkennung der Gesellschaft und das damit verbundene Erfordernis, die Gesellschaft im EU-Mitgliedstaat neu zu gründen, hat der EuGH für mit der Niederlassungsfreiheit unvereinbar erklärt, weil das einer Negierung der Niederlassungsfreiheit gleichkäme.5 Das entspricht inzwischen auch der Praxis der deutschen Gerichte, die Auslandsgesellschaften aus diesen Ländern nun problemlos als Kläger und Beklagte akzeptieren.6 Im Geltungsbereich des AEU und im EWR bedürfen mithin Gesellschaften kei- 3 ner besonderen Anerkennung. Sie müssen ihre Existenz ggf. durch einen entsprechen-

1 Übereinkommen über die gegenseitige Anerkennung von Gesellschaften und juristischen Personen, BT-Drs. VI/1976, S. 3 ff.; auch abgedruckt in Voraufl. S. 698 ff. 2 Gesetz zu dem Übereinkommen vom 29. Februar 1968 über die gegenseitige Anerkennung von Gesellschaften und juristischen Personen v. 18.5.1972, BGBl. II, 369. 3 Vgl. die Nachweise unten in Fn. 6. 4 Für eine derartige kollisionsrechtliche Interpretation des Urteils die wohl h.M., vgl. Behrens IPrax 2004, 20, 25; Eidenmüller ZIP 2002, 2233, 2241; Leible/Hoffmann RIW 2002, 925, 928; Lutter BB 2003, 7, 9; Weller in: MünchKommGmbHG, 1. Aufl. 2010, Einl. Rn. 355; a.A. Großerichter FS Sonnenberger, 2004, S. 369, 380 ff.; Kindler in: MünchKommBGB, 5. Aufl. 2010, IntHGesR Rn. 116 ff.; vgl. zum Ganzen auch noch bei § 6 Rn. 26, 50 ff. 5 EuGH v. 5.11.2002, Überseering BV v Nordic Construction Company Baumanagement GmbH (NCC), Rs. C-208/00, Slg. 2002, I-9919, Rn. 80 ff., 92 ff. 6 BGH NJW 2003, 1461 („Überseering II“); BGH BB 2004, 2432, 2433; BGH BB 2005, 1016; BGH NJW 2005, 3351 („Liechtenstein“); BGH BeckRS 2009, 28205; BGH NStZ 2010, 632; anders aber der BGH BB 2009, 14 („Trabrennbahn“) für eine schweizerische AG; zu dieser misslichen kollisionsrechtlichen Spaltung näher § 6 Rn. 50 ff.

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den Auszug aus dem für sie zuständigen Register nachweisen – mehr nicht. Sie leben dann innerhalb der EU und des EWR an jedem Ort nach ihrem heimischen Recht. Dasselbe gilt auf Grund eines besonderen bilateralen Vertrages 7 für US-amerikanische Gesellschaften in Deutschland und für deutsche Gesellschaften in den USA (dazu auch noch § 6 Rn. 50).8

§ 6 Die grenzüberschreitende Mobilität und Umstrukturierung von Gesellschaften in der EU und dem EWR Literatur: [Auf Grund der Fülle von Literatur beschränken sich die folgenden Angaben auf das aktuelle Schrifttum nach dem Cartesio-Urteil des EuGH; i.Ü. wird auf die umfangreichen Angaben in den Fußnoten verwiesen.] Autenne, Alexia/Navez, Edouard-Jean, Cartesio – Les contour incertains de la mobilité transfrontalière des sociétés revisités, RTD com. 2009, 91; Balthasar, Stephan, Gesellschaftsstatut und Gläubigerschutz: ein Plädoyer für die Gründungstheorie, RIW 2009, 221; Barthel, Dirk, Das Recht zum rechtsformwechselnden Umzug – zum Vorlagebeschluss des Obersten Gerichts Ungarn vom 17.6.2010 (EuGH Rs. C-378/10), EWS 2011, 131; ders., Die Niederlassungsfreiheit der Gesellschaften nach EuGH „Cartesio“ – Suche nach dem Gleichgewicht zwischen Wettbewerb im Binnenmarkt und nationalstaatlicher Regelungsautonomie, EWS 2010, 316; Bayer, Walter/Schmidt, Jessica, Grenzüberschreitende Sitzverlegung und grenzüberschreitende Restrukturierungen nach MoMiG, Cartesio und Trabrennbahn. Europäischer Rahmen, deutsche lex lata und rechtspolitische Desiderata, ZHR 173 (2009) 735; dies. BB-Rechtsprechungs- und Gesetzgebungsreport im Europäischen Gesellschaftsrecht 2008/09, BB 2010, 387; Bollacher, Philipp, Keine Verletzung der Niederlassungsfreiheit durch nationale Beschränkungen des Wegzugs, RIW 2009, 150; Borg-Barthet, Justin, European private international law of companies after Cartesio, (2009) 58 ICLQ 1020; Brakalova, Maria/Barth, Daniel, Nationale Beschränkungen des Wegzugs von Gesellschaften innerhalb der EU bleiben zulässig, DB 2009, 213; Bungert, Hartwin/Schneider, Christof Alexander, Grenzüberschreitende Verschmelzung unter Beteiligung von Personengesellschaften, in: Baums, Theodor/ Hutter, Stephan (Hrsg.), Gedächtnisschrift für Michael Gruson, 2009, S. 37; Cerioni, Luca, The cross-border mobility of companies within the European Community after the Cartesio ruling of the ECJ, [2010] JBL 311; Dammann, Reinhard/Wynaendts, Laurence/Nader, Rita, La renaissance inattendue de la théorie du siège réel, D. 2009, 574; Däubler, Wolfgang/Heuschmid, Johannes, Cartesio und MoMiG – Sitzverlagerung ins Ausland und Unternehmensmitbestimmung, NZG 2009, 493; Eckert, Georg, Sitzverlegung von Gesellschaften nach der Cartesio-Entscheidung des EuGH, GesRZ 2009, 139; Franz, Alexander, Internationales Gesellschaftsrecht und deutsche Kapitalgesellschaften im In- und Ausland, BB 2009, 1250; Frenzel, Ralf, Immer noch keine Wegzugsfreiheit für Gesellschaften im Europäischen Binnenmarkt – die Cartesio-Entscheidung des EuGH, EWS 2009, 158; Frobenius, Tilmann, „Cartesio“: Partielle Wegzugsfreiheit für Gesellschaften in Europa, DStR 2009, 487; Gerner-

7 Freundschafts-, Handels- und Schiffahrtsvertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika v. 29.10.1954, BGBl. 1956 II, 487. 8 Vgl. BGH BB 2002, 1227, 1228; BGH BB 2003, 810; BGH NZG 2004, 1001 f.; BGH NZG 2005, 44 f.; BGH NJW-RR 2007, 574, 575; Bayer in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 17. Aufl. 2009, § 4a Rn. 9; Bayer/J. Schmidt ZHR 173 (2009) 735, 739; Kindler (Fn. 4), IntHGesR Rn. 313 ff.

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I. Überblick 1 Vor dem Hintergrund, dass die Mobilität von Gesellschaften ein wesentliches und essentielles Element eines funktionierenden Binnenmarktes ist 1, hat das Primärrecht die Niederlassungsfreiheit seit jeher nicht nur für natürliche Personen, sondern auch für Gesellschaften garantiert (ursprünglich: Art. 52, 58 EWG, dann Art. 43, 48 EG, jetzt Art. 49, 54 AEU, dazu bereits § 4 Rn. 11 ff.). Tatsächlich bestanden insoweit allerdings von Anfang an erhebliche Hindernisse. Diese resultierten insbesondere auch daraus, dass das Internationale Gesellschaftsrecht (= Gesellschaftskollisionsrecht) bis heute nicht harmonisiert ist und die Mitgliedstaaten insoweit traditionell im Wesentlichen zwei entgegengesetzten Ansätzen folgen (Gründungstheorie v. Sitztheorie, dazu näher u. Rn. 4 ff.).2 Der bereits in den 1960er Jahren unternommene Versuch, diese Problematik durch ein völkerrechtliches Übereinkommen über die Anerkennung von Gesellschaften zu lösen (dazu näher u. Rn. 8 ff.), scheiterte ebenso wie 1 Vgl. nur Entschließung des EP v. 10.3.2009, ABlEU v. 1.4.2010, C 87 E/5, Erwägungsgrund B („Verlagerung von Gesellschaften über Grenzen hinweg einer der Kernbestandteile der Vollendung des Binnenmarktes“); Mörsdorf EuZW 2009, 97. 2 Vgl. nur SEC(2007) 1707, S. 8.

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ein 1997 vorgelegter Vorentwurf für eine Sitzverlegungsrichtlinie (dazu näher u. Rn. 11 sowie § 32 Rn. 4 ff.). Auch die Hoffnung auf den EuGH schien zunächst aussichtslos, nachdem vom Gerichtshof in der Daily Mail-Entscheidung aus dem Jahr 1988 (dazu näher u. Rn. 14 ff.) eine englische Regelung, welche die Verlegung des Verwaltungssitzes ins Ausland von der Zustimmung des Finanzministeriums abhängig gemacht hatte, ausdrücklich gebilligt wurde. Letztlich war es dann aber doch der EuGH, welcher – ganz im Sinne seiner Rolle 2 als „Motor der Integration“ – der Mobilität von Gesellschaften in Europa mit einer Reihe spektakulärer „Hammerschläge“ Bahn brach. Die mit dem Centros-Urteil aus dem Jahr 1999 beginnende Entscheidungslinie, die sich in den Leitentscheidungen Überseering, Inspire Art und Sevic fortsetzte und ihren – allerdings wohl nur vorläufigen – Abschluss im Cartesio-Urteil aus dem Jahr 2008 fand (dazu ausf. u. Rn. 19 ff.), hatte nicht nur geradezu revolutionäre Folgen für die Mobilität der Gesellschaften. Sie war zugleich auch Auslöser für einen „Wettbewerb der Gesellschaftsrechte“ in Europa, der für viele Mitgliedstaaten (nicht zuletzt auch für Deutschland) Anlass zu einer Modernisierung ihres nationalen Gesellschaftsrechts war (dazu näher u. Rn. 31). Nach wie vor verbleiben allerdings zahlreiche offene Fragen, welche für die Praxis 3 zu erheblicher Rechtsunsicherheit führen und auch durch eine weitere Festigung und Ausziselierung der EuGH-Judikatur kaum zufriedenstellend gelöst werden können werden. Die Projekte einer Sitzverlegungs-RL und der Harmonisierung des Gesellschaftskollisionsrechts haben daher keineswegs an Bedeutung verloren, sondern sind im Gegenteil erneut ganz oben auf die Agenda rechtspolitischer Desiderata und Planungen für eine weitere Harmonisierung im Bereich des Europäischen Unternehmensrechts gerückt (dazu näher u. Rn. 81 ff.).

II. Hintergrund: Mangelnde Harmonisierung des Internationalen Gesellschaftsrechts Die Mobilität der Gesellschaften im Binnenmarkt stößt nicht nur auf sach-, sondern 4 vor allem auch auf kollisionsrechtliche Hürden, die ihre Ursache darin haben, dass die Mitgliedstaaten im Bereich des Gesellschaftskollisionsrechts traditionell unterschiedlichen Ansätzen folgen. Insoweit stehen sich im Wesentlichen zwei große Lager 3 gegenüber: Sitztheorie- und Gründungstheoriestaaten. Nach der Sitztheorie ist Gesellschaftsstatut das Recht des Staates, in dem die Ge- 5 sellschaft ihren effektiven Verwaltungssitz hat. Diese Theorie etablierte sich 4 etwa in

3 Näher zu den verschiedenen Varianten und Spielarten von Sitz- und Gründungstheorie sowie vermittelnden Lehren: Altmeppen in: MünchKommBGB, 2. Aufl. 2006, Bd. 9b, B. Kap. 2 Rn. 35 ff.; Kindler in: MünchKommBGB, 5. Aufl. 2010, IntHGesR Rn. 359 ff.; Zimmer RabelsZ 67 (2003) 298, 299 ff. (jeweils m.z.w.N.). 4 Zu den historischen Wurzeln der Sitztheorie näher Großfeld FS Westermann, 1974, S. 199, 203 ff.

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Frankreich 5, Belgien6, Luxemburg 7 und Österreich 8, und auch in Deutschland war sie traditionell kollisionsrechtlicher Ausgangspunkt9. Klassische Rechtfertigung für diese Sitzanknüpfung ist, dass die meisten Gesellschafter, Gläubiger und Arbeitnehmer typischerweise im Sitzstaat lokalisiert sind und deshalb dessen Schutzinteressen Rechnung getragen werden müsse 10, indem ihm durch die Sitzanknüpfung quasi ein „Wächteramt“ eingeräumt wird11. 6 Nach der Gründungstheorie ist Gesellschaftsstatut dagegen das Recht, nach dem die Gesellschaft gegründet wurde. Dieser im 18. Jahrhundert in Großbritannien mit Blick auf die praktischen Bedürfnisse des British Empire entwickelte 12 Ansatz hat sich vor allem im anglo-amerikanischen Rechtskreis durchgesetzt (u.a. Großbritannien13, Irland14, USA15); ihm folgen aber etwa auch die Niederlande 16, Ungarn 17 und Liech-

5 Vgl. bereits Art. 3 Loi n° 66-537 du 24 juillet 1966 sur les sociétés commerciales, JORF du 26 juillet 1966, p. 6402; jetzt Art. L210-3 C. com. Zur Entwicklung in der Judikatur des 19. Jahrhunderts Großfeld FS Westermann, 1974, S. 199, 208 ff. 6 Vgl. bereits Art. 128, 129 Loi du 18 mai 1873 sur les sociétés commerciales (abgedruckt bei Großfeld FS Westermann, 1974, S. 199, 211 Fn. 81; dt. Übersetzung bei Großfeld, Internationales und Europäisches Unternehmensrecht, 2. Aufl. 1995, D. § 1 II. 1., S. 38 f.); jetzt Art. 110, 111 Loi portant le Code de droit international privé du 16 Juillet 2004, M. B. v. 27.7.2004, 57344, dazu Pertegas IPrax 2006, 53 ff. 7 Art. 159 Loi du 10 août 1915 concernant les sociétés commerciales. 8 § 10 IPRG. 9 Grundlegend: RG JW 1904, 231 f.; vgl. auch bereits RG JW 1884, 271 Nr. 24; s. ferner etwa RGZ 117, 215, 217; RGZ 159, 33, 46; BGH NJW 1957, 1433, 1434; BGH NJW 1970, 998, 999; BGH NJW 1981, 522, 525; BGH NJW 1986, 2194, 2195; BGH NZG 2000, 926; BGH NJW 2002, 3539; Kindler (Fn. 3), IntHGesR Rn. 420 m.w.N. Zur historischen Entwicklung Großfeld FS Westermann, 1974, S. 213 ff. 10 Vgl. Altmeppen (Fn. 3), B. Kap. 2 Rn. 39; Kindler (Fn. 3.), IntHGesR Rn. 421; Ebke ZVglRWiss 110 (2011) 2, 8; Großfeld RabelsZ 31 (1967), 1, 22 f. 11 Vgl. Altmeppen (Fn. 3), B. Kap. 2 Rn. 39; Großfeld in: Staudinger, BGB, 13. Bearb. 1998, IntGesR Rn. 41; Kindler (Fn. 3), IntHGesR Rn. 423. 12 Die Gründungstheorie ermöglichte es, auch Kapitalgesellschaften, die überwiegend oder ausschließlich in den Kolonien tätig wurden, nach britischem Recht zu inkorporieren und zu führen, vgl. Kindler (Fn. 3), IntHGesR Rn. 359; Leible in: Michalski, GmbHG, 2. Aufl. 2010, IntGesR Rn. 7; näher zu den historischen Wurzeln der Gründungstheorie Großfeld FS H. Westermann, 1974, 199, 200 ff. 13 Vgl. La Banque Internationale de Commerce de Petrograd v Goukassow [1923] 2 K. B. 682; Lazard Bros & Co v Midland Bank Ltd [1933] A.C. 289; Gasque v IRC [1940] 2 KB 80; Carl Zeiss Stiftung v Rayner & Keeler Ltd [1967] 1 A.C. 853; Janred v ENIT [1989] 2 All ER 444; s. ferner auch schon Dutch West-India Company v Van Moses (1724) 1 Str. 612 und Henriques v Dutch West India Co. (1728) LD Raym. 1533; Überblick bei Prentice [2004] EBLR 631 ff. 14 Vgl. Randelzhofer/Forsthoff in: Grabitz/Hilf, Das Recht der Europäischen Union, 40. Aufl. 2009, Art. 48 EG Rn. 4; Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen im Europäischen Binnenmarkt, S. 2002, S. 118. 15 Vgl. First Nat. City Bank v Banco Para El Comercio Exterior De Duba, 462 U.S. 611, 621 (1983); Edgar v MITE Corp., 457 U.S. 624, 645 (1982); z.B. für Delaware: VantagePoint Partners 1996 v Examen, Inc., 871 A. 2d 1108 (2005); für New York: Lancaster v Amsterdam Imp. Co. 140 N.Y. 576 (1894); für Rhode Island: Oakdale Mfg. Co. v Garst, 18 R. I. 484 (1894); für Kalifornien: Vaughn v LJ Intern., Inc., 174 Cal.App. 4th 213 (2009); Kansas:

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tenstein 18. Vorteile der Gründungstheorie sind insbesondere die Rechtssicherheit durch die Anknüpfung an den relativ leicht feststellbaren Satzungssitz/Registrierungsort 19 sowie die den Gründern eröffnete Rechtswahlfreiheit 20. In der Praxis ergeben sich aus diesen divergierenden Anknüpfungspunkten erheb- 7 liche Probleme für die grenzüberschreitende Tätigkeit und Mobilität von Gesellschaften im Binnenmarkt. Begründet eine in einem Gründungstheoriestaat inkorporierte Gesellschaft ihren effektiven Verwaltungssitz in einem Sitztheoriestaat oder verlegt sie diesen später in einen solchen, so wird sie zwar von ihrem Heimatstaat weiterhin als Gesellschaft nach seinem Recht anerkannt und behandelt. Der Sitztheoriestaat, in dem sich der effektive Verwaltungssitz befindet bzw. in den derselbe verlegt wird, behandelt die Gesellschaft jedoch – je nach der konkreten Ausgestaltung von IPR und Sachrecht – entweder als rechtliches Nullum oder qualifiziert sie in eine Gesellschaftsform seines eigenen Rechts um21.22 Es kommt also zu einer sog. „Statutenverdopplung“, die mit einer Vielzahl diffiziler und praktisch kaum lösbarer Probleme (z.B. im Prozess- und Vollstreckungsrecht oder bezüglich der Vertretung) verbunden ist.23

III. Bisherige legislatorische (Harmonisierungs-)Bemühungen 1. Übereinkommen auf der Basis von Art. 220 EWG/293 EG a.F. Die Problematik war auf europäischer Ebene schon früh erkannt worden 24 und sollte 8 ursprünglich durch ein Übereinkommen gelöst werden: Art. 220 EWG/Art. 293 EG sah explizit vor, dass die Mitgliedstaaten „soweit erforderlich“ untereinander Ver-

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State ex rel. Godard v Topeka Water Co., 61 Kan. 547 (1900). S. ferner REST 2d CONFL § 297 sowie Merkt/Göthel, US-amerikanisches Gesellschaftsrecht, 2. Aufl. 2006, Rn. 184. Art. 2 Wet van 17 december 1997, houdende regels van internationaal privaatrecht met betrekking tot corporaties (Wet conflictenrecht corporaties), dazu Kramer IPrax 2007, 54, 57. Die Niederlande wechselten durch Gesetz v. 25.7.1959 zur Gründungstheorie, vgl. Goldman-Bericht, BT-Drs. VI/1976, S. 21, 23; Stein (1970) 68 Mich. L. Rev. 1327, 1330. Vgl. Korom/Metzinger ECFR 2009, 125, 143. Art. 232 Personen- und Gesellschaftsrecht (PGR) v. 20.1.1926 i.d.F. seit 1997; Überblick zur Rechtsentwicklung in Liechtenstein bei Kieninger (Fn. 14), S. 118 Fn. 88 m.w.N. Vgl. Altmeppen (Fn. 3), B. Kap. 2 Rn. 50; Leible (Fn. 12), IntGesR Rn. 9. Vgl. Altmeppen (Fn. 3), B. Kap. 2 Rn. 50; Leible (Fn. 12), IntGesR Rn. 9. So etwa die Konsequenz aus der „Wechselbalgtheorie“ des BGH, vgl. dazu noch näher u. Rn. 24 ff., 52. Vgl. bereits Goldman-Bericht (dazu noch u. Rn. 9), BT-Drs. VI/1976, S. 21, 23. Vgl. nur Bayer/J. Schmidt ZHR 173 (2009) 735, 741; Binz/Mayer BB 2005, 2361, 2363 ff.; Ebke ZVglRWiss 110 (2011) 2, 29; Hamann ELR 2009, 186, 188 f.; Hellgardt/Illmer NZG 2009, 94 ff.; Kieninger NJW 2009, 292, 293; Lamsa BB 2009, 16, 17 f.; Lieder/Kliebisch BB 2009, 338, 341; J. Schmidt WuB II Q. § 4a GmbHG 1.09; Weller IPrax 2009, 202, 208; ders. FS Goette, 2011, S. 583, 593 ff. Die Frage der „ausländischen juristischen Personen“ hatte bereits 1928 auf der Tagesordnung der Haager Konferenz für das internationale Privatrecht gestanden; sie wurde dann auf der 7. Tagung 1951 erörtert und basierend darauf wurde am 1.6.1956 das Haager Über-

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handlungen einleiten, um die gegenseitige Anerkennung von Gesellschaften i.S.d. Art. 58 Abs. 2 EWG/Art. 48 Abs. 2 EG sicherzustellen (vgl. auch bereits § 2 Rn. 16). 9 Gestützt hierauf unterzeichneten die damaligen 6 Mitgliedstaaten am 29.2.1968 ein maßgeblich auf Vorarbeiten von Beitzke 25 und insbesondere einer Arbeitsgruppe unter dem Vorsitz von Goldman26 beruhendes Übereinkommen über die gegenseitige Anerkennung von Gesellschaften und juristischen Personen 27, das allerdings nie in Kraft trat, weil die Niederlande die Ratifizierung verweigerten28. Das Übereinkommen folgte zwar im Ausgangspunkt der Gründungstheorie (Art. 1 und 2). Sein Regelungsgehalt beschränkte sich jedoch – zumindest nach h.M.29 – ausschließlich auf die Anerkennung der Rechts-, Geschäfts- und Handlungsfähigkeit nach dem Gründungsrecht (Art. 6); i.Ü. sollte die Bestimmung des Personalstatuts dagegen weiterhin dem jeweiligen nationalen IPR der Mitgliedstaaten überlassen bleiben. Zudem wurde die prinzipielle Gründungsanknüpfung durch eine Reihe von Ausnahmen durchbrochen. So gestattete Art. 4 den Vertragsstaaten insbesondere, auf Gesellschaften, die ihren tatsächlichen Sitz in ihrem Hoheitsgebiet haben, aber in einem anderen Vertragsstaat gegründet worden waren, die zwingenden Vorschriften ihres eigenen Rechts anzuwenden (kodifizierte also eine Art „Überlagerungstheorie“30). 10 Letztlich hätte das Übereinkommen somit wohl ohnehin nur sehr begrenzten Wert gehabt.31 Nach seinem Scheitern wurde der Weg, die Anerkennungs- und Mobi-

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einkommen über die Anerkennung der Rechtspersönlichkeit von ausländischen Gesellschaften, anderen Personenverbindungen und Stiftungen (abgedruckt in RabelsZ 17 (1952), 270 ff.) abgeschlossen. Es trat allerdings nie in Kraft, weil es nicht von der erforderlichen Zahl von Staaten ratifiziert wurde, vgl. Goldman-Bericht, BT-Drs. VI/1976, S. 21, 23; Leible (Fn. 12), IntGesR Rn. 50. Beitzke, Rechtsgutachten über Art. 220 Unterabsatz 3 des Römischen Vertrages (EWGKommission 4958/IV/62-D), auszugsweise veröffentlicht in ZHR 127 (1965) 1 ff. Goldman-Bericht, BT-Drs. VI/1976, S. 21 ff. = RTD eur. 1968, 405 ff. BT-Drs. VI/1976, S. 3 ff.; auch abgedruckt in Voraufl. S. 698 ff. Dazu etwa Beitzke AWD 1968, 91 ff.; Drobnig AG 1973, 90 ff., 125 ff.; ders. DB 1967, 1207 ff.; ders. ZHR 129 (1967) 93 ff.; Gessler DB 1967, 324 ff.; Goldman RabelsZ 31 (1967) 201 ff.; ders. (1968) 6 C.M.L. Rev. 104 ff.; Houin RTD eur. 1965, 11, 20 ff.; Stein (1970) 68 Mich. L. Rev. 1327, 1337 ff.; aus jüngerer Sicht Mansel RabelsZ 70 (2006) 651, 670 f.; umfangreiche Hinweise speziell auch zum ausländischen Schrifttum bei Drobnig DB 1973, 90, 91. Vgl. Kindler (Fn. 3), IntHGesR Rn. 98; Leible (Fn. 12), IntGesR Rn. 51; Sandrock/Austmann RIW 1989, 249, 251 f. Deutschland hatte dagegen zugestimmt: Gesetz zu dem Übereinkommen vom 29. Februar 1968 über die gegenseitige Anerkennung von Gesellschaften und juristischen Personen v. 18.5.1972, BGBl. II, 369. Vgl. Denkschrift der Bundesregierung, BT-Drs. VI/1976, S. 18, 19; Drobnig DB 1967, 1207; ders. AG 1973, 125, 128; ders. ZHR 129 (1967) 93, 110 ff.; Gessler DB 1967, 324, 325; Goldman RabelsZ 31 (1967) 201, 206 f.; ders. (1968) 6 C.M.L. Rev. 104, 108 f.; a.A. Beitzke AWD 1968, 91, 95; Santa Maria, European Economic Law, 2nd ed. 2009, S. 10; Stein (1970) 68 Mich. L. Rev. 1327, 1346; Überblick zum Meinungstand bei Drobnig AG 1973, 125, 127 f. m.w.N. Vgl. Leible (Fn. 12), IntGesR Rn. 53; Schwarz Rn. 1422. Vgl. kritisch auch Drobnig AG 1973, 125, 131; ders. DB 1967, 1207, 1210; ders. ZHR 129 (1967) 93, 119; Gessler DB 1967, 324 ff.; Leible (Fn. 12), IntGesR Rn. 53; Schwarz Rn. 1419; Stein (1970) 68 Mich. L. Rev. 1327, 1352; sowie bereits Voraufl. S. 696.

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litätsproblematik mittels Übereinkommens zu lösen, nicht mehr weiterverfolgt; durch den Vertrag von Lissabon wurde die Vorschrift des Art. 293 EG inzwischen sogar aufgehoben (vgl. bereits § 2 Rn. 16). 2. Sitzverlegungsrichtlinie Mitte der 1990er Jahre startete die Kommission dann einen neuen Anlauf, um die Mo- 11 bilität der Gesellschaften im Binnenmarkt zu verbessern – allerdings mit einem völlig anderen Ansatz: Statt einer kollisionsrechtlichen Harmonisierung auf der Basis eines Übereinkommens favorisierte man nun eine Lösung auf rein sachrechtlicher Ebene durch eine 14.Gesellschaftsrechtliche Richtlinie zur grenzüberschreitenden Sitzverlegung. Der hierzu 1997 präsentierte Vorentwurf 32 stieß sofort auf lebhaftes Interesse. Dann geriet das Projekt aber immer wieder ins Stocken. Auf Empfehlung der High Level Group33 nahm die Kommission es zwar als Priorität in den Aktionsplan aus dem Jahr 2003 (vgl. dazu noch § 18 Rn. 90) auf und führte 2004 eine Konsultation durch; 2007 wurden die Arbeiten dann jedoch gestoppt. Der sowohl in Schrifttum 34 und Praxis 35 als auch vom EP 36 nachdrücklich geltend gemachte Forderung nach einer Wiederaufnahme ist die Kommission bislang nicht nachgekommen. Nachdem nun jedoch auch die Reflection Group dringend eine EU-Regelung zur grenzüberschreitenden Sitzverlegung gefordert hat 37, erscheint eine baldige „Wiederbelebung“ des Projekts durchaus wahrscheinlich (zum Ganzen noch u. Rn. 82 sowie ausf. § 32). 32 Vorentwurf für eine Vierzehnte Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Verlegung des Sitzes einer Gesellschaft in einen anderen Mitgliedstaat mit Wechsel des für die Gesellschaft maßgebenden Rechts, Dok. XV/6002/97, abgedruckt in ZIP 1997, 1721 ff. und ZGR 1999, 157 ff. sowie bei § 32. 33 Allg. zur High Level Group und ihren Vorschlägen bei § 18 Rn. 6. 34 Vgl. Arbeitskreis Europäisches Unternehmensrecht NZG 2011, 98 ff.; Autenne/Navez RTD com. 2009, 91, 124; Bayer/J. Schmidt ZHR 173 (2009) 735, 770; dies. BB 2010, 387, 392; Dammann/Wynaendt/Nader D. 2009, 574, 575; Grundmann Rn. 835; Herrler DNotZ 2009, 484, 490; Johnston/Syrpis (2009) 34 E. L. Rev. 378, 401; Korom/Metzinger ECFR 2009, 125, 159 f.; Leible FS G. H. Roth, 2011, S. 447, 460; Leible/Hoffmann BB 2009, 58, 62; Menjucq JCP 2009.II.10027; Müller-Graff EWS 2009, 489, 494; Neye FS Schwark, 2009, S. 231, 240; Otte/Rietschel GmbHR 2009, 983, 988; Paefgen WM 2009, 529, 532; Ratka/Rauter WBl. 2009, 62, 64; Ratka/Wolfbauer ZfRV 2009, 57, 64; Szydlo ECFR 2010, 414, 441 ff.; C. Teichmann ZIP 2009, 493, 495; C. Teichmann/Ptak RIW 2010, 817, 819; Timmermans ERPL 2010, 549, 566; Trüten EuZ 2009, 68, 74; Vossestein (2009) 6 ECL 115, 123; ders. (2008) 4 Utrecht L. Rev. 53, 58 ff.; Wilhelmi JZ 2009, 411, 413; Wicke GPR 2010, 238, 240; Wykaert/Jenné in: Koen/Hopt (eds.), The European company law action plan revisited, 2010, S. 287, 318; Wymeersch (2007) 8 EBOR 161, 169; Zimmer/Naendrup NJW 2009, 545, 548. 35 Vgl. BDI, Stellungnahme zum Stockholmer Programm, Dok. Nr. D 0306, abrufbar unter www.bdi.eu, S. 5 f. 36 Entschließung des Europäischen Parlaments v. 10.3.2009 mit Empfehlungen an die Kommission zur grenzüberschreitenden Verlegung von eingetragenen Gesellschaftssitzen, ABlEU v. 1.4.2010, C 87 E/5. 37 Vgl. Report of the Reflection Group On the Future of EU Company Law, 5.4.2011 (abrufbar unter http://ec.europa.eu/internal_market/company/docs/modern/reflectiongroup_

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3. Grenzüberschreitende Sitzverlegung bei den europäischen Gesellschaftsformen 12 Waren die legislatorischen Bemühungen um eine Verbesserung der Mobilität von nationalen Gesellschaften im Binnenmarkt somit bislang nicht von Erfolg gekrönt, so ist es aber doch zumindest gelungen, die europäischen Rechtsformen EWIV, SE und SCE „europaweit“ mobil auszugestalten: Sowohl die EWIV-VO (Art. 14, dazu § 40 Rn. 24) als auch die SE-VO (Art. 8, dazu § 41 Rn. 170 ff.) und die SCE-VO (Art. 7, dazu § 42 Rn. 107) sehen spezielle Verfahrensregelungen für eine grenzüberschreitende Sitzverlegung vor, und auch für die SPE ist Entsprechendes geplant (dazu § 43 Rn. 161 ff.).

IV. Die Entwicklung der EuGH-Judikatur von Daily Mail bis Cartesio 13 Der Mobilität der nationalen Gesellschaftsformen hat allerdings in den letzten Jahren der EuGH mit einer Reihe spektakulärer „Hammerschläge“ Bahn gebrochen.

1. Daily Mail (1988) 14 Den Auftakt hierzu bildete die Daily Mail-Entscheidung aus dem Jahr 1988 38. Die nach britischem Recht gegründete Daily Mail and General Trust plc wollte den Sitz ihrer Geschäftsleitung aus steuerlichen Gründen in die Niederlande verlegen. S. 482(1)(a) Income and Corporation Taxes Act 1970 verbot es juristischen Personen jedoch, ihren (steuerlichen) Sitz im UK ohne Zustimmung des Finanzministeriums aufzugeben. Daily Mail sah in diesem Erfordernis eine Verletzung von Art. 52, 58 EWG (G Art. 49, 54 AEU) und erhob Klage zum High Court, der die Sache dem EuGH vorlegte. 15 Der Gerichtshof verneinte indes eine Verletzung der Niederlassungsfreiheit; „beim derzeitigen Stand des Gemeinschaftsrechts“ gewährten Art. 52, 58 EWG (G Art. 49, 54 AEU) einer Gesellschaft, die nach dem Recht eines Mitgliedstaats gegründet ist und in diesem ihren satzungsmäßigen Sitz hat, nicht das Recht, den Sitz ihrer Geschäftsleitung in einen anderen Mitgliedstaat zu verlegen.39

report_en.pdf), S. 20 ff. Allgemein zur Reflection Group und ihren Vorschlägen bei § 18 Rn. 5, 100 ff. 38 EuGH v. 27.9.1988, The Queen v H. M. Treasury and Commissioners of Inland Revenue, ex parte Daily Mail and General Trust plc, Rs. C-81/87, Slg. 1988, 5483. Dazu Behrens IPrax 1989, 354 ff.; Ebenroth/Eyles DB 1989, 363, 372, 413 ff.; Ebke/Gockel (1990) 24 Int’l L. 239, 245 ff.; Großfeld/König RIW 1992, 433, 434 ff.; Klinke ZGR 1993, 1, 6 f.; Knobbe-Keuk DB 1990, 2573, 2579; dies. ZHR 154 (1990) 325, 332 f.; Lever (1989) 26 C.M.L.Rev. 327 ff.; Meilicke RIW 1990, 449 ff.; Sandrock RIW 1989, 505, 511; Sandrock/Austmann RIW 1989, 249 ff.; Schmitthoff [1988] JBL 454 f. 39 EuGH v. 27.9.1988, The Queen v H. M. Treasury and Commissioners of Inland Revenue, ex parte Daily Mail and General Trust plc, Rs. C-81/87, Slg. 1988, 5483, Rn. 25.

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Im Rahmen seiner Begründung verwies der Gerichtshof zunächst darauf, dass Ge- 16 sellschaften – anders als natürliche Personen – ein Geschöpf einer nationalen Rechtsordnung seien: „Jenseits der jeweiligen nationalen Rechtsordnung, die ihre Gründung und Existenz regelt, haben sie keine Realität“.40 Diesem heute als „Geschöpftheorie“ 41 bekannten Grundverständnis, auf das der EuGH später in Überseering (dazu u. Rn. 23 ff.) und Cartesio (dazu u. Rn. 37 ff.) wieder rekurrierte, kommt für die gesamte Judikatur grundlegende Bedeutung zu.42 Weiter führte der EuGH unter expliziter Bezugnahme auf die drei alternativen 17 Anknüpfungskriterien in Art. 58 Abs. 2 EWG (G Art. 54 Abs. 2 AEU) sowie die Vorschrift des Art. 220 EWG (G Art. 293 EG, dazu näher bereits o. Rn. 8) aus, dass der EWG-Vertrag die Unterschiede in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten hinsichtlich der für Gesellschaften erforderlichen Anknüpfung sowie der Möglichkeit und ggf. der Modalitäten einer grenzüberschreitenden Verlegung des Satzungs- oder Verwaltungssitzes als Probleme betrachte, die durch die Bestimmungen über die Niederlassungsfreiheit nicht gelöst seien, sondern einer Lösung im Wege der Rechtssetzung oder des Vertragsschlusses bedürften, was bislang aber noch nicht erfolgt sei.43 Die Hoffnung auf ein „Machtwort“ des EuGH zugunsten der Mobilität von Ge- 18 sellschaften im Binnenmarkt schien damit zunächst zerschlagen. Daily Mail wurde verbreitet als generelle höchstrichterliche Billigung der Sitztheorie interpretiert 44; einige lasen aus ihr gar eine allgemeine Bereichsausnahme („Niederlassungsfreiheitresistenz“) für das Gesellschaftskollisionsrecht45. Es verwundert daher nicht, dass die Entscheidung teilweise auf heftige Kritik stieß 46; letztlich schien damit das gesamte Europäische Unternehmensrecht in einer Sackgasse 47.

40 EuGH v. 27.9.1988, The Queen v H. M. Treasury and Commissioners of Inland Revenue, ex parte Daily Mail and General Trust plc, Rs. C-81/87, Slg. 1988, 5483, Rn. 19. 41 Vgl. Bayer/J. Schmidt ZHR 173 (2009) 735, 742; dies. BB 2010, 387, 391; Eidenmüller in: Eidenmüller (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften im deutschen Recht, 2004, § 4 Rn. 86; Rehm, ebenda, § 2 Rn. 61. Die Metapher der „creature of law“ ist allerdings keineswegs neu; der U.S. Supreme Court verwendete sie z.B. bereits in Bank of Augusta v Earle, 38 U.S. 519 (1839), vgl. dazu Ebke ZVglRWiss 110 (2011) 2, 9 f. 42 Vgl. nur Bayer/J. Schmidt ZHR 173 (2009) 735, 742. 43 EuGH v. 27.9.1988, The Queen v H. M. Treasury and Commissioners of Inland Revenue, ex parte Daily Mail and General Trust plc, Rs. C-81/87, Slg. 1988, 5483, Rn. 20 ff. 44 Vgl. BayObLG NJW-RR 1993, 43, 44; BayObLG NZG 1998, 936; OLG Hamm EuZW 1998, 31, 32; Ebenroth/Auer GmbHR 1994, 16, 20; Ebenroth/Wilken JZ 1991, 1014, 1018; Großfeld/König RIW 1992, 433, 435; Großfeld/Luttermann JZ 1989, 386, 387; Kindler NJW 1993, 3301, 330; ders. NJW 1999, 1993, 1997; a.A. Knobbe-Keuk DB 1990, 2573, 2579; dies. ZHR 154 (1990) 325, 332 f.; Meilicke RIW 1990, 449, 450; Sandrock/Austmann RIW 1989, 249, 250, 253. 45 Vgl. Kindler NJW 1999, 1993, 1997; Klinke ZGR 1993, 1, 7. 46 Vgl. Behrens IPrax 1989, 354, 361; Lutter ZGR 1994, 87, 90 f.; Knobbe-Keuk DB 1990, 2573, 2579; dies. ZHR 154 (1990) 325, 332 f. („überflüssigen allgemeinen integrationsfeindlichen Aussagen“); W.-H. Roth RabelsZ 55 (1991) 623, 647; Sandrock RIW 1989, 505, 511 („Konsequenzen sind unannehmbar“). 47 Vgl. Lutter ZGR 1994, 87, 90 f. m.w.N.

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2. Centros (1999) 19 Mit dem Centros-Urteil aus dem Jahr 1999 48 wendete sich dann jedoch das Blatt. Die Centros Ltd., eine in England und Wales registrierte Limited, die von zwei dänischen Staatsangehörigen errichtet worden war und in England keinerlei Geschäftstätigkeit entfaltet hatte, hatte 1992 die Eintragung einer Zweigniederlassung in Dänemark beantragt. Die dänischen Behörden verweigerten jedoch die Eintragung: Centros beabsichtige in Wirklichkeit, eine Hauptniederlassung zu errichten und damit insbesondere die dänischen Mindestkapitalvorschriften zu umgehen; zudem sei die Verweigerung der Eintragung zum Schutz der Gläubiger und zur Bekämpfung betrügerischen Bankrotts erforderlich. Centros legte unter Berufung auf Art. 52, 58 EWG (G Art. 49, 54 AEU) Rechtsmittel ein und das dänische Gericht legte die Sache dem EuGH vor. 20 Der Gerichtshof entschied, dass die Verweigerung der Eintragung einer Zweigniederlassung einer Gesellschaft, die ihren Satzungssitz in einem anderen Mitgliedstaat hat, eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit darstellt.49 Die Mitgliedstaaten seien zwar berechtigt, Maßnahmen zur Verhinderung von Missbrauch zu treffen.50 Das Recht, eine Gesellschaft nach dem Recht eines Mitgliedstaats zu errichten und in anderen Mitgliedstaaten Zweigniederlassungen zu gründen, folge jedoch im Binnenmarkt unmittelbar aus der vom EG-Vertrag gewährleisteten Niederlassungsfreiheit; damit könne es für sich allein keine missbräuchliche Ausnutzung derselben darstellen, wenn ein Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats, der eine Gesellschaft gründen möchte, diese in dem Mitgliedstaat errichtet, dessen gesellschaftsrecht-

48 EuGH v. 9.3.1999, Centros Ltd. v. Erhvervs- og Selskabsstyrelsen, Rs. C-212/97, Slg. 1999, I-1459. Dazu Behrens (2000) 1 EBOR 125 ff.; ders. (2001) 2 EBOR 159 ff.; ders. IPrax 1999, 323 ff.; ders. IPrax 2000, 384 ff.; Borges RIW 2000, 167 ff.; Brödermann ZZPInt 4 (1999), 259 ff.; Bungert DB 1999, 1841 ff.; Carruthers/Villiers [2000] EBLR 91 ff.; Cascante RIW 1999, 448 f.; Cunha/Cabral (2000) 25 E. L. Rev. 157 ff.; Dautzenberg FR 1999, 451 ff.; Ebke JZ 1999, 656 ff.; Freitag EuZW 1999, 267 ff.; Gravir [2001] EBLR 146 ff.; Halbhuber (2001) 38 C.M.L.Rev. 1385, 1395 ff.; Hansen (2001) 2 EBOR 141 ff.; ders. [2002] EBLR 85 ff; Hemeling VGR 2 (2000), S. 217 ff.; Heymann Rev. crit. DIP 2006, 667 ff.; Hillmann VGR 2 (2000), S. 231 ff.; Kiem VGR 2 (2000), S. 199 ff.; Kieninger ZGR 1999, 724 ff.; Kindler VGR 2 (2000), S. 88 ff.; ders. NJW 1999, 1993 ff.; Koblenzer EWS 1999, 418 ff.; Koppensteiner VGR 2 (2000), S. 151 ff.; Korn/Thaler WBl. 1999, 247 ff.; Kuehrer [2001] EBLR 110 ff.; Lange DNotZ 1999, 599 ff.; Lauterfeld [2001] EBLR 79 ff.; Leible NZG 1999, 300; Looijestijn-Clearie (2000) 49 ICLQ 621 ff.; Luby RTD com. 2000, 224 ff.; dies. J.D.I. 2004, 482 ff.; Lutter ERT 2000, 60, 68 ff.; Merkt VGR 2 (2000), S. 112 ff.; Mülbert/Schmolke ZVglRWiss 100 (2001) 233, 249 ff.; Parleani Rev. soc. 1999, 391 ff.; Rose (2001) 11 Transnat’l L. & Contemp. Probs. 121 ff.; G. Roth ZIP 1999, 861 ff.; W.-H. Roth ZGR 2000, 311 ff.; Roussos [2001] EBLR 7, 12 ff.; Sandrock BB 1999, 1337 ff.; Steindorff JZ 1999, 1140 ff.; Sonnenberger/Großerichter RIW 1999, 721 ff.; Thorn IPrax 2001, 102 ff.; Ulmer JZ 1999, 662 ff.; Werlauff ZIP 1999, 867 ff.; Wouters (2001) 2 EBOR 101 ff.; Wymeersch FS Buxbaum, 2000, S. 629 ff.; Zimmer ZHR 164 (2000) 23 ff. 49 EuGH v. 9.3.1999, Centros Ltd. v. Erhvervs- og Selskabsstyrelsen, Rs. C-212/97, Slg. 1999, I-1459, Rn. 21 f. 50 EuGH v. 9.3.1999, Centros Ltd. v. Erhvervs- og Selskabsstyrelsen, Rs. C-212/97, Slg. 1999, I-1459, Rn. 24.

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liche Vorschriften ihm die größte Freiheit lassen, und er dann in anderen Mitgliedstaaten Zweigniederlassungen gründet.51 Dass das Gesellschaftsrecht nicht voll harmonisiert sei, sei dabei unerheblich.52 Zudem habe der Gerichtshof bereits in der Rs. Segers 53 entschieden, dass es noch kein missbräuchliches und betrügerisches Verhalten belege, dass eine Gesellschaft in dem Mitgliedstaat, in dem sie ihren Satzungssitz hat, keine Geschäftstätigkeiten entfaltet und ihre Tätigkeit ausschließlich im Mitgliedstaat ihrer Zweigniederlassung ausübt.54 Die Verweigerung der Eintragung sei auch nicht durch zwingende Gründe des 21 Allgemeininteresses55 gerechtfertigt.56 Sie sei zur Erreichung des Ziels des Gläubigerschutzes schon nicht geeignet, denn die dänischen Gläubiger wären ebenso gefährdet gewesen, wenn die Gesellschaft eine Geschäftstätigkeit im UK entfaltet hätte (und dann wäre die Eintragung erfolgt).57 Da die Gesellschaft als Gesellschaft englischen Rechts, nicht als Gesellschaft dänischen Rechts, auftrete, sei den Gläubigern auch bekannt, dass sie nicht den dänischen Gründungsvorschriften unterliegt; zudem seien sie auch durch die mittels der 4. (Bilanz-)RL (dazu ausf. § 24) und 11. (Zweigniederlassungs-)RL (dazu § 28) etablierten gemeinschaftsrechtlichen Schutzvorschriften geschützt.58 I.Ü. seien auch mildere Maßnahmen denkbar, etwa die Einräumung eines Anspruchs auf Sicherheitsleistung.59 Auch die Bekämpfung von Betrügereien könne es jedenfalls nicht rechtfertigen, die Eintragung einer Zweigniederlassung einer in einem anderen Mitgliedstaat registrierten Gesellschaft gänzlich zu verweigern.60 Bedeutung und Tragweite der Centros-Entscheidung wurden zunächst recht 22 unterschiedlich interpretiert. Während einige Gerichte und Autoren die Auffassung vertraten, dass sie im Hinblick auf die Sitztheorie keinerlei Neuerungen bringe (sondern insofern auch weiterhin Daily Mail maßgebend sei) 61, sahen andere in ihr eine

51 EuGH v. 9.3.1999, Centros Ltd. v. Erhvervs- og Selskabsstyrelsen, Rs. C-212/97, Slg. 1999, I-1459, Rn. 27. 52 EuGH v. 9.3.1999, Centros Ltd. v. Erhvervs- og Selskabsstyrelsen, Rs. C-212/97, Slg. 1999, I-1459, Rn. 28. 53 EuGH v. 10.7.1986, Segers, Rs. 79/85, Slg. 1986, 2375, Rn. 29. 54 EuGH v. 9.3.1999, Centros Ltd. v. Erhvervs- og Selskabsstyrelsen, Rs. C-212/97, Slg. 1999, I-1459, Rn. 29. 55 Zur Rechtfertigung von Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses (sog. Gebhard-Formel) noch näher § 15 Rn. 18 ff. 56 EuGH v. 9.3.1999, Centros Ltd. v. Erhvervs- og Selskabsstyrelsen, Rs. C-212/97, Slg. 1999, I-1459, Rn. 35. 57 EuGH v. 9.3.1999, Centros Ltd. v. Erhvervs- og Selskabsstyrelsen, Rs. C-212/97, Slg. 1999, I-1459, Rn. 35. 58 EuGH v. 9.3.1999, Centros Ltd. v. Erhvervs- og Selskabsstyrelsen, Rs. C-212/97, Slg. 1999, I-1459, Rn. 36. 59 EuGH v. 9.3.1999, Centros Ltd. v. Erhvervs- og Selskabsstyrelsen, Rs. C-212/97, Slg. 1999, I-1459, Rn. 37. 60 EuGH v. 9.3.1999, Centros Ltd. v. Erhvervs- og Selskabsstyrelsen, Rs. C-212/97, Slg. 1999, I-1459, Rn. 38. 61 I.d.S. etwa LG Potsdam ZIP 1999, 2021, 2022; OLG Brandenburg ZIP 2000, 1616, 1617; AG Lüneburg IPrax 2003, 266; Ebke JZ 1999, 656, 660; Görk GmbHR 1999, 793, 796 ff.; Kindler VGR 2 (2000), S. 87, 108 ff.; ders. NJW 1999, 1993, 1997 ff.; Kuehrer [2001] EBLR

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klare und unmissverständliche Absage an die Sitztheorie 62. Zwischen diesen beiden Polen gab es aber auch viele, die in Centros zwar nicht das Ende, aber doch eine (mehr oder weniger) empfindliche Einschränkung der Sitztheorie sahen.63

3. Überseering (2002) 23 Der nächste „Hammerschlag“ kam mit dem Überseering-Urteil v. 6.11.2002.64 Die Überseering BV, eine in den Niederlanden inkorporierte Gesellschaft, hatte 1990 ein Grundstück in Düsseldorf erworben und 1992 die deutsche Nordic Construction Company Baumanagement GmbH (NCC) mit der Sanierungsarbeiten auf diesem Grundstück beauftragt. 1994 wurden sämtliche Geschäftsanteile an Überseering BV durch zwei in Düsseldorf wohnhafte deutsche Staatsangehörige erworben. 1996 erhob Überseering BV vor dem LG Düsseldorf Klage auf Schadensersatz gegen NCC wegen angeblicher Baumängel. Nachdem LG 65 und OLG Düsseldorf 66 die Klage bzw.

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110, 115, 117; Looijestijn-Clearie (2000) 49 ICLQ 621, 638, 641; W.-H. Roth ZGR 2000, 311, 338; Sonnenberger/Großerichter RIW 1999, 721, 726, 732; Sørensen/Neville (2000) 6 Colum. J. Eur. L. 181, 190. Nachweise aus dem dänischen Schrifttum bei Hansen (2001) 2 EBOR 141, 146. I.d.S. etwa OGH NZG 2000, 36, 38; Behrens (2000) 1 EBOR 125, 139 f.; ders. (2001) 2 EBOR 159, 160; ders. IPrax 1999, 323, 326; ders. IPrax 2000, 384; Dautzenberg FR 1999, 451 („Todesstoß”); Freitag EuZW 1999, 267, 269; Hansen (2001) 2 EBOR 141, 146 (m.w.N. aus dem dänischen Schrifttum); Kieninger ZGR 1999, 724, 745 f.; Koppensteiner VGR 2 (2000), S. 151, 182 ff.; Lutter ERT 2000, 60, 69 f.; Roussos [2001] EBLR 7, 13; Sandrock BB 1999, 1337, 1341 f.; Werlauff ZIP 1999, 867, 874 f.; ders. [2001] EBLR 2, 3; Zimmer ZHR 164 (2000) 23, 36. I.d.S. etwa Borges RIW 2000, 167, 178; Bungert DB 1999, 1841, 1843; Göttsche DStR 1999, 1403, 1405 f.; Hemeling VGR 2 (2000), S. 217, 220 f.; Leible NZG 1999, 300, 301; Parleani Rev. soc. 1999, 391, 395 ff.; Rose (2001) 11 Transnat’l L. & Contemp. Probs. 121, 126; G. Roth ZIP 1999, 861, 863, 867; Thorn IPrax 2001, 102, 110; Wymeersch FS Buxbaum, 2000, S. 629, 647; vgl. ferner auch Carruthers/Villiers [2000] EBLR 91, 93, 100 („preference for the incorporation principle“). EuGH v. 5.11.2002, Überseering BV v Nordic Construction Company Baumanagement GmbH (NCC), Rs. C-208/00, Slg. 2002, I-9919. Dazu Andenas (2003) 119 LQR 221 ff.; Baelz/Baldwin (2002) 3 GLJ No. 12; Behrens IPrax 2003, 193 ff.; Deininger IStR 2003, 214 ff.; Dubovizkaja GmbHR 2003, 694 ff.; Dyrberg (2003) 28 E.L.Rev. 528 ff.; Ebke JZ 2003, 927 ff.; Eidenmüller ZIP 2002, 2233 ff.; Großerichter DStR 2003, 159 ff.; Halbhuber ZEuP 2003, 418 ff.; Heidenhain NZG 2002, 1141 ff.; Heiss ZfRV 2003, 90 ff.; Hirte EWS 2002, 573 ff.; Kallmeyer DB 2002, 2521 ff.; Kersting NZG 2003, 9 ff.; Kindler NJW 2003, 1073 ff.; Lagarde Rev. crit. DIP 2003, 524 ff.; Leible/Hoffmann RIW 2002, 925 ff.; dies. ZIP 2003, 925 ff.; Lombardo (2003) 4 EBOR 301 ff.; Lutter BB 2003, 7 ff.; Meilicke GmbHR 2003, 793 ff.; Merkt RIW 2003, 458 ff.; Micheler (2003) 52 ICLQ 521 ff.; Nemeth WBl. 2003, 149 ff.; Omar (2005) 16 ICCLR 18 ff.; Paefgen WM 2003, 561 ff.; Panopoulos CDE 2007, 697 ff.; Pfeiffer ZZPInt 7 (2002) 307 ff.; Rehberg IPrax 2003, 175 ff.; W.-H. Roth IPrax 2003, 117 ff.; Schanze/Jüttner AG 2003, 30 ff.; Schulz NJW 2003, 2705 ff.; von Halen WM 2003, 571 ff.; Wernicke EuZW 2000, 758 ff.; Wertenbruch NZG 2003, 618 ff.; Zimmer BB 2003, 1 ff. LG Düsseldorf v. 5.11.1997 – 5 O 132/96. OLG Düsseldorf JZ 2000, 203 m. Anm. Ebke.

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Berufung mit der Begründung ab- bzw. zurückgewiesen hatten, dass Überseering BV als Gesellschaft niederländischen Rechts in Deutschland nicht rechts- und parteifähig sei, legte der VII. ZS des BGH die Sache dem EuGH vor 67. Nachdem GA Colomer die Aberkennung der Klagemöglichkeit in seinen Schluss- 24 anträgen v. 4.12.200168 als Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit qualifiziert hatte, unternahm der II. ZS des BGH im sog. Jersey-Urteil v. 1.7.2002 69 einen letzten Versuch zur Rettung der Sitztheorie, indem er – aufbauend auf Vorarbeiten aus dem Schrifttum 70 – entschied, dass eine nach ausländischem Recht gegründete Gesellschaft mit Hauptverwaltungssitz in Deutschland nicht als rechtliches Nullum, sondern als rechtsfähige Personengesellschaft zu behandeln und damit rechts- und parteifähig sei (sog. „Wechselbalgtheorie“ 71,72). Auf diesen „Rettungsversuch“73 ging der EuGH allerdings in seinem Urteil nicht 25 bzw. jedenfalls nicht ausdrücklich ein. Er entschied vielmehr, dass es einer auch durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses 74 nicht zu rechtfertigenden „Negierung der Niederlassungsfreiheit“ gleichkomme, einer Gesellschaft, die in einem anderen Mitgliedstaat ordnungsgemäß gegründet worden ist und dort ihren satzungsmäßigen Sitz hat, die Rechtsfähigkeit und damit die Parteifähigkeit abzusprechen.75 Der Zuzugsstaat sei vielmehr – wie der EuGH sogar explizit in den 2. Leitsatz aufnahm – auf Grund der Niederlassungsfreiheit verpflichtet, „die Rechtsfähigkeit und damit die Parteifähigkeit zu achten, die diese Gesellschaft nach dem Recht ihres Gründungsstaats besitzt“.76

67 BGH NZG 2000, 926 („Überseering I“). Dazu Altmeppen DStR 2000, 1061 ff.; Behrens (2001) 2 EBOR 159, 166 ff.; Ebke (2000) 48 Am. J. Comp. L. 623, 652 ff.; Forsthoff DB 2000, 1109 ff.; Kindler RIW 2000, 649 ff.; Meilicke GmbHR 2000, 693 ff.; W.-H. Roth ZIP 2000, 1597 ff.; Walden EWS 2001, 256 ff.; Zimmer BB 2000, 1361 ff. 68 GA Colomer, Schlussanträge v. 4.12.2001, Überseering BV v Nordic Construction Company Baumanagement GmbH (NCC), Rs. C-208/00, Slg. 2002, I-9919. Dazu Forsthoff BB 2002, 318 ff.; von Halen EWS 2002, 107 ff. 69 BGH NZG 2002, 1009 („Jersey“). Dazu Emde EWiR 2002, 1763 f.; Knapp DNotZ 2003, 85, 89 f. 70 Vgl. Altmeppen DStR 2000, 1061, 1063 f.; Forsthoff DB 2000, 1109; Kindler RIW 2000, 649, 650 f.; Rehbinder IPrax 1985, 32; Zimmer BB 2000, 1361, 1363 f. 71 Der Begriff geht zurück auf Forsthoff DB 2002, 2471, 2476 und Paefgen DZWiR 2003, 441, 444; vgl. auch Bayer/J. Schmidt ZHR 173 (2009) 735, 740 sowie Weller FS Goette, 2011, S. 583, 584. 72 Diese Lösung war auch vom VII. ZS im Rahmen der Beratungen zur Überseering-Vorlage diskutiert, letztlich aber verworfen worden, vgl. den Bericht über den Vortrag von Thode bei Rehberg IPrax 2003, 175, 178. 73 Vgl. Bayer BB 2003, 2357, 2362; Bayer/J. Schmidt ZHR 173 (2009) 735, 740; Heidenhain NZG 2002, 1141, 1142; J. Schmidt WuB II Q. § 4a GmbHG 1.09. 74 Zur Rechtfertigung von Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses (sog. Gebhard-Formel) noch näher § 15 Rn. 18 ff. 75 EuGH v. 5.11.2002, Überseering BV v Nordic Construction Company Baumanagement GmbH (NCC), Rs. C-208/00, Slg. 2002, I-9919, Rn. 92 f. 76 EuGH v. 5.11.2002, Überseering BV v Nordic Construction Company Baumanagement GmbH (NCC), Rs. C-208/00, Slg. 2002, I-9919, Rn. 95 und 2. Leitsatz.

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Die kollisionsrechtliche Debatte vermochte diese Feststellung indes nicht zu beenden. Ein Teil des Schrifttums 77 und erste instanzgerichtliche Entscheidungen78 vertraten weiterhin die Auffassung, dass der Niederlassungsfreiheit Genüge getan sei, wenn die ausländische Gesellschaft – entsprechend der im Jersey-Urteil höchstrichterlich bestätigten „Wechselbalgtheorie“ (vgl. o. Rn. 24) – in eine Personengesellschaft nach deutschem Recht umqualifiziert und als solche als rechts- und parteifähig anerkannt werde. Ganz überwiegend wurde die Entscheidung, speziell der 2. Leitsatz, jedoch dahingehend verstanden, dass die Rechts- und Parteifähigkeit nach dem Gründungsstatut zu achten, d.h. (zumindest insoweit) die Gründungstheorie anzuwenden sei.79 Dem schloss sich dann auch der VII. ZS des BGH in seiner ÜberseeringNachfolgeentscheidung an.80

4. Inspire Art (2003) 27 Den endgültigen „Dammbruch“ brachte dann das Inspire Art-Urteil v. 30.9.2003 81, das die inzwischen schon legendäre Entscheidungstrias Centros - Überseering - Inspire Art komplettierte. Die Inspire Art Ltd. war nach englischem Recht gegründet worden,

77 Vgl. Großerichter DStR 2003, 159, 166; Kindler NJW 2003, 1073, 1076 f.; Neye EWiR 2002, 1003, 1004; s. ferner auch Ringe IPrax 2003, 117, 122 ff. (nicht abschließend geklärt) sowie Hübner NotBZ 2002, 464, 466 (Fortgeltung der Sitztheorie bei Aufweichung des gesellschaftsrechtlichen Typenzwangs möglich). 78 LG Frankenthal NJW 2003, 762 (aufgehoben durch OLG Zweibrücken BB 2003, 864). 79 Vgl. Baelz/Baldwin (2002) 3 GLJ No. 12 paras. 22 ff.; Behrens IPrax 2003, 193, 206; Dubovizkaja GmbHR 2003, 694, 697; Ebke JZ 2003, 927, 929; Eidenmüller ZIP 2002, 2233, 2244; Halbhuber ZEuP 2003, 418, 430 f.; Heidenhain NZG 2002, 1141, 1143; Heiss ZfRV 2003, 90, 96; Kersting NZG 2003, 9; Lagarde Rev. crit. DIP 2003, 524, 528 ff.; Leible/Hoffmann RIW 2002, 925, 934; dies. ZIP 2003, 925, 926; Lutter BB 2003, 7, 9; Nemeth WBl. 2003, 149, 154 f.; Paefgen WM 2003, 561, 570; Pfeiffer ZZPInt 7 (2002) 307, 314 ff.; Schanze/Jüttner AG 2003, 30, 32 f.; Schulz NJW 2003, 2705, 2708; von Halen WM 2003, 571, 575 f.; Wernicke EuZW 2000, 758, 761; Zimmer BB 2003, 1, 4 f. 80 BGH NJW 2003, 1461 („Überseering II“). 81 EuGH v. 30.9.2003, Kamer van Koophandel en Fabrieken voor Amsterdam v. Inspire Art Ltd., Rs. C-167/01, Slg. 2003, I-10155. Dazu Altmeppen NJW 2004, 97 ff.; Bayer BB 2003, 2357 ff.; ders. AG 2004, 534 ff.; Behrens IPrax 2004, 20 ff.; Binge/Thölke DNotZ 2004, 21 ff.; Bitter WM 2004, 2190 ff.; Campos Nave NZG 2004, 897 ff.; de Kluiver ECFR 2004, 121 ff.; Ebke FS Thode, 2005, S. 593 ff.; Eidenmüller/Rehm ZGR 2004, 159 ff.; Hausmann GS Blomeyer, 2004, S. 579 ff.; Hirsch NZG 2003, 1100 ff.; Hirt [2004] EBLR 1189 ff.; Hirte EWS 2003, 521 ff.; Horn NJW 2004, 893 ff.; Kanzleiter DNotZ 2003, 885 ff.; Kersting/Schindler RdW 2003, 621 ff.; Kieninger ZEuP 2004, 685 ff.; Kindler NZG 2003, 1086 ff.; Kirchner/Painter/Kaal ECFR 2005, 159 ff.; Leible/Hoffmann EuZW 2003, 677 ff.; Looijestijn-Clearie (2004) 5 EBOR 389 ff.; Luby JCP 2004.II.10002; Maul/ C. Schmidt BB 2003, 2297 ff.; Meilicke GmbHR 2003, 1271 ff.; Menjucq J.D.I. 2004, 923 ff.; Muir Watt Rev. crit. DIP 2004, 173 ff.; Müller-Bonanni GmbHR 2003, 1235 ff.; Paefgen ZIP 2004, 2253 ff.; Pataut D. 2004, 491 ff.; Rehberg EuLF 2004, 1 ff.; Riegger ZGR 2004, 510 ff.; Schanze/Jüttner AG 2003, 661 ff.; K. Schmidt ZHR 168 (2004) 493 ff.; Seifert GewArch 2003, 18 ff.; Sester/Cárdenas ECFR 2005, 398 ff.; Spindler/Berner RIW 2003, 949 ff.; dies. RIW 2004, 8 ff.; Vaccaro [2005] EBLR 1348, 1355 ff.; von Hase BuW

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hatte ihren Satzungssitz in Folkestone, übte ihre Geschäftstätigkeit, den Verkauf von Kunstgegenständen, aber ausschließlich mittels einer Zweigniederlassung in Amsterdam aus. Das niederländische Gesetz über formal ausländische Gesellschaften (WFBV) 82 erlegte sog. „formal-ausländischen Gesellschaften“ 83 bestimmte Offenlegungspflichten auf. Zudem verlangte es ein gezeichnetes Kapital mindestens i.H.d. für niederländische Gesellschaften vorgeschriebenen Mindestkapitals; andernfalls sollten die Geschäftsführer gesamtschuldnerisch für alle Gesellschaftsverbindlichkeiten haften. Nachdem Inspire Art Ltd. sich gegen die Versuche der niederländischen Behörden, die Restriktionen des WFBV durchzusetzen, gewehrt hatte, legte das Kantongerecht Amsterdam die Sache schließlich dem EuGH vor. Der Gerichtshof stellte zunächst fest, dass die im WFVB vorgesehenen Offen- 28 legungspflichten einen Verstoß gegen die 11. (Zweigniederlassungs-)RL darstellten, soweit sie Zweigniederlassungen einer nach dem Recht eines anderen Mitgliedstaats gegründeten Gesellschaft Offenlegungspflichten auferlegten, die in der RL nicht vorgesehen sind (dazu noch näher § 28 Rn. 11 f.). Die Vorschriften betreffend das Mindestkapital und die persönliche Haftung der 29 Geschäftsführer qualifizierte der EuGH als weder durch Art. 46 EG (G 52 AEU) 84 noch durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses85 gerechtfertigte Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit.86 Eine Rechtfertigung durch den Gläubigerschutz scheide schon deshalb aus, weil Inspire Art als Gesellschaft englischen Rechts und nicht als niederländische Gesellschaft auftrete und potentielle Gläubiger somit hinreichend darüber unterrichtet seien, dass sie u.a. bezüglich Mindestkapital und Geschäftsführerhaftung anderen Regeln als niederländische Gesellschaften unterliegt; zudem seien sie auch durch die mit der 4. (Bilanz-)RL (dazu § 24) und 11. (Zweigniederlassungs-)RL (dazu § 28) etablierten gemeinschaftsrechtlichen Schutzvorschriften geschützt.87 Wie schon im Centros-Urteil (dazu o. Rn. 19 ff.), auf das er insoweit auch explizit rekurrierte, setzte der EuGH also – im Einklang mit der generellen Grundkonzeption des Europäischen Unternehmensrechts – primär auf „Schutz durch

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2003, 944 ff.; Veit/Wichert AG 2004, 15 ff.; Wachter GmbHR 2003, 1254 ff.; ders. GmbHR 2004, 88 ff.; Weller DStR 2003, 1800 ff.; Wetzler GPR 2004, 84 ff.; Ziemons ZIP 2003, 1913 ff.; Zimmer NJW 2003, 3585 ff. Wet van 17 december 1997 op de formeel buitenlandse vennootschappen, Staatsblad 1997, 697. Definiert in Art. 1 als „nach einem anderen als dem niederländischen Recht gegründete Kapitalgesellschaft mit eigener Rechtspersönlichkeit, die ihre Tätigkeit vollständig oder nahezu vollständig in den Niederlanden ausüben und daneben keine tatsächliche Bindung an den Staat hat, in dem das Recht gilt, nach dem sie gegründet wurde“. Näher zur Rechtfertigung von Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit aus Gründen der öffentlichen Sicherheit gem. Art. 52 Abs. 1 AEU bei § 15 Rn. 14 ff. Zur Rechtfertigung von Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses (sog. Gebhard-Formel) noch näher § 15 Rn. 18 ff. EuGH v. 30.9.2003, Kamer van Koophandel en Fabrieken voor Amsterdam v. Inspire Art Ltd., Rs. C-167/01, Slg. 2003, I-10155, Rn. 142. EuGH v. 30.9.2003, Kamer van Koophandel en Fabrieken voor Amsterdam v. Inspire Art Ltd., Rs. C-167/01, Slg. 2003, I-10155, Rn. 135.

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Transparenz“ (sog. Informationsmodell, vgl. dazu auch noch § 18 Rn. 9; § 19 Rn. 4; § 21 Rn. 24, 112; § 22 Rn. 23, 81; § 23 Rn. 26, 129 f.; § 30 Rn. 16; § 41 Rn. 47).88 Unter ausdrücklicher Bezugnahme auf Centros betonte er zudem sowohl im Hinblick auf die Frage des Vorliegens einer Beschränkung als auch einer eventuellen Rechtfertigung, dass die Gründe, aus denen eine Gesellschaft in einem anderen Mitgliedstaat errichtet wurde, sowie der Umstand, dass sie ihre Tätigkeit ausschließlich oder nahezu ausschließlich im Mitgliedstaat der Zweigniederlassung ausübt, ihr nicht das Recht nehmen, sich auf die Niederlassungsfreiheit zu berufen, soweit im konkreten Fall kein Missbrauch nachgewiesen ist.89 30 Vor dem Hintergrund dieses unmissverständlichen „Machtworts“ des Gerichtshofs vollzogen die deutsche Rechtsprechung90 und die ganz h.L.91 in der Folgezeit in Bezug auf die rechtliche Behandlung von EU- und EWR-Gesellschaften nun endgültig den – schon unter dem Eindruck des Überseering-Urteils begonnenen (vgl. o. Rn. 26) – Wechsel zur Gründungstheorie. Eine ähnliche Entwicklung lässt sich aber auch in anderen Mitgliedstaaten, die traditionell der Sitztheorie folgten, beobachten: In Österreich z.B. war der OGH im Hinblick auf EU-Gesellschaften bereits nach Centros zur Gründungstheorie umgeschwenkt92. Aber auch in Frankreich geht die neuere Lehre überwiegend davon aus, dass die Rechtsverhältnisse von EU-ausländischen Gesellschaften grundsätzlich nach dem Recht des Inkorporationsstaats zu beurteilen sind93. In Belgien wurde die Sitztheorie zwar erst 2004 neu kodifiziert94, im Schrifttum setzt sich allerdings ebenfalls zunehmend die Ansicht durch, dass EU-/EWR-Gesellschaften nach ihrem Gründungsstatut zu beurteilen sind.95 31 Die Entscheidungstrias Centros – Überseering – Inspire Art hatte aber vor allem auch immense praktische Auswirkungen: I.R.d. damit eröffneten Wettbewerbs der Rechtsordnungen96 bedienten sich immer mehr deutsche Gründer anstelle der deut88 Vgl. auch Leible (Fn. 12), IntGesR Rn. 32. 89 EuGH v. 30.9.2003, Kamer van Koophandel en Fabrieken voor Amsterdam v. Inspire Art Ltd., Rs. C-167/01, Slg. 2003, I-10155, Rn. 95 f., 106, 137 ff. 90 BGH BB 2004, 2432, 2433; BGH BB 2005, 1016; BGH NJW 2005, 3351 („Liechtenstein“); BGH BB 2009, 14 („Trabrennbahn“); BGH BeckRS 2009, 28205; BGH NStZ 2010, 632. 91 Vgl. nur Bayer in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 17. Aufl. 2009, § 4a Rn. 9; Habersack in: MünchKommAktG, 3. Aufl. 2010, Einl. Rn. 98; Hüffer AktG, 9. Aufl. 2010, § 1 Rn. 31; Lutter in: Lutter/Winter (Hrsg.), UmwG, 4. Aufl. 2009, Einl. Rn. 45; Sonnenberger in: MünchKommBGB, 5. Aufl. 2010, Einl. Rn. 140; Winkler von Mohrenfels in: Staudinger, BGB, Neubearb. 2007, Art. 11 EGBGB Rn. 116; partiell abw. jedoch nach wie vor Kindler NZG 2003, 1086, 1088 ff.; ders. (Fn. 3), IntHGesR Rn. 428. 92 Vgl. OGH NZG 2000, 36, 38; s. ferner OGH v. 29.4.2004 – 6 Ob 44/04w; OGH GesRZ 2007, 429. 93 Vgl. dazu Lagarde Rev. crit. DIP 2003, 524, 528 ff.; Menjucq J. D. I. 2004, 923, 928 f.; ders. FS Wymeersch, 2009, S. 124, 125 ff.; ders. FS Hopt, 2010, S. 3167, 3172 f.; Muir Watt Rev. crit. DIP 2004, 173, 177; Pataut D. 2004, 491, 492 f. 94 S.o. Fn. 6. 95 Vgl. Autenne/Navez RTD com. 2009, 91, 119 f.; Pasteger JT 2009, 794, 796; Wautelet Rev. prat. soc. 2006, 5, 22 ff. (jeweils m.w.N.). 96 Vgl. nur Bayer BB 2003, 2357; Eidenmüller ZIP 2002, 2233.

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schen GmbH EU-ausländischer Rechtsformen, speziell der englischen Limited, die insbesondere wegen der relativ einfachen Gründung und des Fehlens eines Mindestkapitals attraktiv erschien. Die Limited mit Verwaltungssitz in Deutschland erlebte mit rund 46.000 Gründungen bis Ende 200697 einen regelrechten „Boom“. Dieser warf nicht nur vielfältige rechtliche Fragen und Probleme auf, die Gerichte, Praktiker und Wissenschaft intensiv beschäftigten.98 Er veranlasste vielmehr auch den deutschen Gesetzgeber, das deutsche GmbH-Recht mit dem am 1.11.2008 in Kraft getretenen MoMiG99 umfassend zu modernisieren, um die GmbH insgesamt international (wieder) wettbewerbsfähig zu machen100 und der Limited speziell mit der neuen Unternehmergesellschaft (UG) eine deutsche Alternative entgegen zu setzen101 – was inzwischen auch erfolgreich war102. Ähnliche Entwicklungen sind aber auch in anderen Mitgliedstaaten zu verzeichnen.103 So erlebte man etwa auch in den Niederlanden104, Belgien105 Österreich106 und den skandinavischen Ländern107 einen deutlichen Trend zur Limited, der Anstoß für Reformen gab. In Schweden108 und Finnland 109 erfolgten bereits 2006 umfassende Gesellschaftsrechtsreformen, um die nationalen Gesellschaften flexibler und wettbewerbsfähiger zu machen; Dänemark zog 2009/10 nach.110 In Belgien wurde 2010 eine spezielle „SPRL-S“ („Starter“) eingeführt, für die – ähnlich wie für die deutsche UG – bereits ein Stammkapital von 1 Euro genügt, die 97 Vgl. Westhoff GmbHR 2007, 474. Eine Erhebung von Bayer/Hoffmann hat zudem gezeigt, dass fast 50 % der befragten GmbH-Gründer die Limited als Alternative zumindest in Erwägung zogen, vgl. Bayer/Hoffmann GmbHR 2007, 414, 415. 98 Überblick mit zahlreichen Nachweisen zum kaum mehr überschaubaren Schrifttum bei Bayer (Fn. 91), Anh II zu § 4a. 99 Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG) v. 23.10.2008, BGBl. I, 2026. 100 Vgl. BegrRegE z. MoMiG, BR-Drs. 354/07, S. 1, 56, 60, 130. 101 Vgl. „Die deutsche Antwort“, FAZ v. 24.5.2007, S. 13. Gegenüberstellung von UG und Limited bei J. Schmidt (2008) 9 GLJ 1093 ff. m.w.N. 102 Die Zahl der UG übertrifft inzwischen die Zahl der in Deutschland eingetragenen Zweigniederlassungen von Limiteds, vgl. Bayer/Hoffmann GmbHR 2009, R358, R359; s. ferner auch Bayer/Hoffmann GmbHR 2010, R161. 103 Liste der jeweiligen nationalen Parallelformen zu AG und GmbH bei § 11 Rn. 6 ff. 104 Vgl. Bratton/McCahery/Vermeulen (2009) 57 Am. J. Comp. L. 347, 374 ff.; Pellé (2009) 4 Utrecht L. Rev. 6, 10. 105 Vgl. dazu Fn. 112. 106 Vgl. nur Bachner/Gasser ZfRV 2009, 113, 114; Ratka/Rauter WBl. 2009, 62 f. Rechtstatsachen bei Traar/Kantner in: Bachner (Hrsg.), GmbH-Reform, 2008, S. 53 ff. 107 Vgl. Kjelland/Teigen/Sjåfjell (2011) 8 ECL 32, 36. 108 Aktiebolagslag (2005:551). Vgl. dazu Ministry of Justice Schweden, New Companies Act, Fact Sheet, Mai 2005, abrufbar unter http://www.sweden.gov.se/content/1/c6/04/ 38/73/2827e973.pdf; Fuchs Mtwebana [2011] EBLR 237, 253; Nicolaysen RIW 2005, 884 ff.; bereits zum Entwurf: Foerster/Dejmek ZVglRWiss 101 (2002) 309 ff. 109 Osakeyhtiölaki 21.7.2006/624. Englische Übersetzung abrufbar unter http://www. finlex.fi/fi/laki/kaannokset/2006/en20060624.pdf. Dazu Fuchs Mtwebana [2011] EBLR 237, 253; Miettinen RIW 2006, 812 ff. 110 Lov nr. 470 af 12/06/2009. Lov om aktie- og anpartsselskaber (selskabsloven), bei Drucklegung aktuelle Fassung (mit zwischenzeitlich erfolgten Änderungen) abrufbar unter https://www.retsinformation.dk/Forms/R0710.aspx?id=135933. Vgl. dazu Christensen

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dafür aber bestimmten Restriktionen111 unterliegt.112 Frankreich hatte das Mindestkapital für die SARL bereits 2003 abgeschafft 113, 2011 wurde mit dem EIRL zudem sogar für Einzelunternehmer die Möglichkeit geschaffen, mit beschränkter Haftung tätig zu werden114 (vgl. dazu auch noch § 29 Rn. 15 Fn. 49). Auch in Spanien war bereits 2003 die SLNE (Sociedad Limitada Nueva Empressa) (sog. „Blitz-GmbH“) als einer vereinfachten Variante der SRL (Sociedad de Responsabilidad Limitada) eingeführt worden, die bei Verwendung einer relativ rigiden Mustersatzung eine Eintragung innerhalb max. 48 Stunden ermöglicht.115 In den Niederlanden liegt seit 2009 ein Entwurf für ein Reformgesetz vor, mit dem die BV 116 attraktiver gemacht werden soll,117 in Norwegen laufen Vorarbeiten, die noch 2011 in einen Gesetzesentwurf münden sollen 118 und in Österreich wird zumindest schon seit geraumer Zeit intensiv über eine GmbH-Reform diskutiert 119.

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FS Hopt, 2010, S. 3321 ff.; Fuchs Mtwebana [2011] EBLR 237, 255 f.; Hansen (2009) 10 EBOR 73 ff.; ders. (2010) 11 EBOR 87 ff.; Werlauff (2009) 6 ECL 160 ff. Vgl. zu den Restriktionen des belgischen Rechts für Einpersonengesellschaften sowie speziell die SPRL-S noch § 29 Rn. 24 Fn. 89. Loi modifiant le Code des sociétés et prévoyant des modalités de la société privée à responsabilité limitée „Starter“ v. 12.1.2010 (Moniteur Belge v. 26.1.2010, S. 3158). In der Gesetzesbegründung werden als Motive für die Schaffung dieser neuen Form speziell das Ziel der Erleichterung der Gesellschaftsgründung für (junge) Unternehmer genannt sowie die Absicht, der Praxis der Nutzung ausländischer Rechtsformen durch belgische Unternehmer entgegen zu treten, vgl. Chambre des représentants de Belgique, Projet de loi modifiant le Code des sociétés et prévoyant les modalités de la société privée à responsabilité limitée Starter, 20.10.2009, Doc. 52-2211/1 (http://www.lachambre.be/ FLWB/pdf/52/2211/52K2211001.pdf), S. 3 f. Art. L223-2 C. com. überlässt die Festlegung des Gesellschaftskapitals der SARL heute vollständig der Satzung; die Mindestkapitalpflicht wurde 2003 abgeschafft durch das Loi n° 2003-721 du 1er août 2003 pour l’initiative économique, JORF n°179 du 5 août 2003, p. 13449, vgl. dazu etwa Meyer/Ludwig GmbHR 2005, 346 ff. m.w.N. Loi n° 2010-658 du 15 juin 2010 relative à l’entrepreneur individuel à responsabilité limitée, JORF du 16 juin 2010, p. 10984; dazu etwa Gladel D. 2010, 560; Marmoz D. 2010, 1570 ff.; Peifer GmbHR 2010, 972 ff.; Wedemann RabelsZ 75 (2011) 541, 545 ff. Ley 7/2003, de 1 de abril, de la sociedad limitada Nueva Empresa por la que se modifica la Ley 2/1995, de 23 de marzo, de Sociedades de Responsabilidad Limitada (BOE 79 de 2/4/2003). Vgl. dazu näher Embid Irujo RIW 2004, 760 ff.; Pons (2003) 14 ICCLR N28 ff. Heute geregelt in Art. 434 ff. Ley de Sociedades de Capital (geschaffen durch Real Decreto Legislativo 1/2010, de 2 de julio, por el que se aprueba el texto refundido de la Ley de Sociedades de Capital, BOE 161 de 3/7/2010). Besloten vennootschap met beperkte aansprakelijkheid (= niederländische „GmbH“), vgl. die Liste der nationalen Rechtsformen bei § 11 Rn. 6. Vgl. zur Reform in den Niederlanden: Boschma/Lennarts/Schutte-Veenstra (2007) 8 EBOR 567 ff.; Bratton/McCahery/Vermeulen (2009) 57 Am. J. Comp. L. 347, 382 ff.; Fuchs Mtwebana [2011] EBLR 237, 256; van den Braak (2010) 6 Utrecht L. Rev. 1, 3; Wooldridge (2008) 29 Co Law 371 ff. Die Tweede Kamer der Staten-Generaal verabschiedete am 15.12.2009 den Entwurf für ein Wet vereenvoudiging en flexibilisering bv-recht (aktueller Stand unter http://www.eerstekamer.nl/wetsvoorstel/31058_wet_vereenvoudiging_en). Vgl. Kjelland/Teigen/Sjåfjell (2011) 8 ECL 32, 36. Die Initialzündung bildete das Gutachten von Kalss/Schauer für den 16. ÖJT 2006 (Kalss/Schauer, Die Reform des Österreichischen Kapitalgesellschaftsrechts, 16. ÖJT

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5. Sevic (2005) Vor dem Hintergrund, dass die 10. RL (dazu § 23) damals noch nicht verabschiedet 32 war, befeuerte die Trias Centros – Überseering – Inspire Art auch die schon seit längerem geführte 120 Diskussion um die Frage, ob die grenzüberschreitende Verschmelzung vom Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit erfasst ist. Nachdem der österreichische OGH dies jedenfalls für den Sonderfall der übertragenden Umwandlung nach §§ 2 ff. öUmwG bejaht hatte 121, wurde in der Rs. Sevic schließlich auch der EuGH mit der Problematik befasst. Gegenstand war die Verschmelzung der luxemburgischen Security Vision Concept SA auf die deutsche Sevic Systems AG, deren Eintragung das AG Neuwied unter Berufung auf § 1 Abs. 1 UmwG („Rechtsträger mit Sitz im Inland“) abgelehnt hatte. Das im Wege der Beschwerde hiergegen angerufene LG Koblenz legte daraufhin dem EuGH die Frage vor, ob diese Auslegung des § 1 Abs. 1 UmwG mit der Niederlassungsfreiheit vereinbar sei 122. Der Gerichtshof beantwortete dies in seinem Urteil v. 13.12.2005 123 – ebenso 33 wie zuvor bereits GA Tizzano 124 – mit einem klaren Nein. Während der GA sich

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2006, Bd. II/1); zum Ganzen auch Bachner (Hrsg.), GmbH-Reform, 2008; Bruckbauer GeS 2009, 4, 11 ff.; Fantur GeS 2011, 49; Krejci FS K. Schmidt, 2009, S. 981 ff. Die zuletzt für Anfang 2011 angekündigte Vorlage eines Gesetzentwurfs (vgl. Fritz/Lechner, „Die GmbH light kommt Anfang 2011“, Wirtschaftsblatt v. 27.9.2010) ist allerdings noch immer nicht erfolgt. Nach Auskunft des österreichischen BMJ von Ende Mai 2011 wird jedoch weiterhin an dem Entwurf gearbeitet. Zur (kontroversen) Frage einer Übertragung der UG nach Österreich: Bayer/Hoffmann GeS 2011, 104 ff. Vgl. dazu bereits Behrens ZGR 1994, 1, 15 ff.; Kepplinger WBl. 2000, 485, 486, 493 f.; Koppensteiner RabelsZ 39 (1975) 405, 423; Kronke ZGR 1994, 26, 30 ff.; Lawall IStR 1998, 345, 346; Lutter ZGR 1994, 87, 91; ders. in: Lutter (Hrsg.), UmwG, 2. Aufl. 2000, § 1 Rn. 9 f. OGH IPrax 2004, 128 („Touristik“). Dazu Bittner GesRZ 2003, 163; Doralt GesRZ 2004, 26 ff.; Paefgen IPrax 2004, 132 ff.; Rüffler GesRZ 2004, 3 ff.; Schenk/Scheibeck RIW 2004, 673 ff. LG Koblenz NZG 2003, 1124. Dazu Beul IStR 2003, 737 f.; Drygala ZIP 2005, 1995 ff.; Jung GPR 2004, 87 ff.; Kloster GmbHR 2003, 1413 ff.; Paefgen GmbHR 2004, 463, 470 ff. EuGH v. 13.12.2005, SEVIC Systems AG, Rs. C-411/03, Slg. 2005, I-10805. Dazu Andenas (2006) 7 Co Law 33 f.; Angelette (2006) 92 Va. L. Rev. 1189, 1209 ff.; Bayer BB 7/2006, I; Bayer/J. Schmidt ZIP 2006, 210 ff.; dies. BB 2008, 454, 459; Behrens (2006) 43 C.M.L. Rev. 1669 ff.; Bungert BB 2006, 53 ff.; Capelli RMCUE 2007, 458 ff.; Dammann JCP 2006.II.10077; Decher Konzern 2006, 805, 809 ff.; Doralt IPrax 2006, 572 ff.; Dötsch/Pung Konzern 2006, 258 ff.; Hansen [2007] EBLR 181, 187 ff.; Kallmeyer/Kappes AG 2006, 224 ff.; Kieninger EWS 2006, 49 ff.; Koppensteiner GesRZ 2006, 111 ff.; Krause/Kulpa ZHR 171 (2007) 38 ff.; Kubak, Grenzüberschreitende Verschmelzungen zwischen Personenhandelsgesellschaften aus Deutschland und anderen EG-Mitgliedstaaten im Lichte der Grundfreiheiten, 2010, S. 47 ff.; Leible/Hoffmann RIW 2006, 161 ff.; Limmer ZNotP 2007, 242, 244 ff.; Louven/Dettmeier/Pöschke Beil. zu BB 13/ 2006, 1, 3 ff.; Luby D. 2006, 451 ff.; Lutter/Drygala JZ 2006, 770 ff.; Mason/Ramanna Euro. Law. 2006, n° 57, 50; Moran (2007) 15 ISLR 147, 152 ff.; Oechsler NJW 2006, 812 ff.; Papadopoulos (2011) 36 E. L. Rev. 71 ff.; Pieper (2009) 30 Co Law 169, 172 f.; Priemayer WBl. 2006, 119 f.; Rieder GeS 2006, 4 ff.; Rønfeldt/Werlauff (2006) 3 ECL

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noch recht ausführlich mit den pro- und contra-Argumenten auseinandergesetzt hatte 125, war es für den EuGH offenbar relativ klar, dass auch grenzüberschreitende Verschmelzungen vom Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit erfasst sind: Sie entsprächen „wie andere Gesellschaftsumwandlungen den Zusammenarbeits- und Umgestaltungsbedürfnissen von Gesellschaften mit Sitz in verschiedenen Mitgliedstaaten“ und stellten „besondere, für das reibungslose Funktionieren des Binnenmarktes wichtige Modalitäten der Ausübung der Niederlassungsfreiheit“ dar.126 34 Auch im Hinblick auf die Feststellung einer Beschränkung fasste der EuGH sich – anders als der GA127 – relativ knapp und stellte schlicht auf die in der deutschen Praxis liegende Diskriminierung (unterschiedliche Behandlung je nachdem, ob es sich um eine innerstaatliche oder grenzüberschreitende Verschmelzung handelt) ab.128 35 Diese Beschränkung sei auch nicht durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses129 – als in diesem Kontext zumindest grundsätzlich einschlägig nennt der EuGH speziell den Schutz der Interessen von Gläubigern, Minderheitsgesellschaftern und Arbeitnehmern sowie die Wahrung der Wirksamkeit der Steueraufsicht und der Lauterkeit des Handelsverkehrs 130 – gerechtfertigt. Denn die deutsche Praxis einer generellen Verweigerung der Eintragung sei jedenfalls nicht erforderlich, da sie grenzüberschreitende Verschmelzungen auch dann verhindert, wenn die genannten Interessen gar nicht bedroht sind.131 36 Entgegen dem Vorbringen der deutschen und niederländischen Regierung sah der EuGH aber insbesondere auch in dem Umstand, dass die – zwischenzeitlich verabschiedete – 10. RL (dazu ausf. § 23) z.Z. des Abschlusses des Verschmelzungsvertrags noch nicht beschlossen und z.Z. der Urteilsverkündung noch nicht umgesetzt war,

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125 ff.; Schindler ECFR 2006, 109 ff.; Schön ECFR 2006, 122, 140 ff.; Sedemund BB 2006, 519 ff.; Siems (2007) 8 EBOR 307 ff.; Storm (2006) 3 ECL 130 ff.; C. Teichmann ZIP 2006, 355 ff.; Thiermann, Grenzüberschreitende Verschmelzungen deutscher Gesellschaften, 2010, S. 239 ff.; Ugliano [2007] EBLR 585, 592 ff. GA Tizzano, Schlussanträge v. 7.7.2005, SEVIC Systems AG, Rs. C-411/03, Slg. 2005, I-10805. Dazu Andenas (2006) 27 Co Law 1; Drygala ZIP 2005, 1995 ff.; Geyrhalter/ Weber NZG 2005, 837 ff.; Heckschen NotBZ 2005, 315 ff.; Kuntz EuZW 2005, 524 ff.; Sinewe DB 2005, 2061 ff. GA Tizzano, Schlussanträge v. 7.7.2005, SEVIC Systems AG, Rs. C-411/03, Slg. 2005, I-10805, Rn. 18–42. EuGH v. 13.12.2005, SEVIC Systems AG, Rs. C-411/03, Slg. 2005, I-10805, Rn. 19. GA Tizzano war in seinen Schlussanträgen explizit auf die Differenzierung zwischen „Zuzugs-“ und „Wegzugsbeschränkungen“ eingegangen, hatte beide als Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit qualifiziert (Rn. 45) und damit die Hoffnung auf ein entsprechendes klares Votum des EuGH – und damit letztlich ein „overruling“ von Daily Mail (dazu o. Rn. 14 ff.) – genährt, dazu noch näher u. Rn. 37. EuGH v. 13.12.2005, SEVIC Systems AG, Rs. C-411/03, Slg. 2005, I-10805, Rn. 22 f. Zur Rechtfertigung von Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses (sog. Gebhard-Formel) noch näher § 15 Rn. 18 ff. EuGH v. 13.12.2005, SEVIC Systems AG, Rs. C-411/03, Slg. 2005, I-10805, Rn. 28. EuGH v. 13.12.2005, SEVIC Systems AG, Rs. C-411/03, Slg. 2005, I-10805, Rn. 30.

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keinen Grund für eine Verweigerung: Gemeinschaftsrechtliche Harmonisierungsvorschriften wären zwar „gewiss hilfreich“, seien aber keine Vorbedingung für die Durchführung der Niederlassungsfreiheit.132

6. Cartesio (2008) Nachdem der EuGH seine mobilitätsfreundliche Linie auch in Sevic konsequent fort- 37 gesetzt hatte, wallte die nach Daily Mail nie wirklich zur Ruhe gekommene Debatte um die „Wegzugsfreiheit“ immer mehr auf. Im Schrifttum setzte sich zunehmend die Auffassung durch, dass die – vom EuGH schließlich explizit auf den „gegenwärtigen Stand des Gemeinschaftsrechts“ des Jahres 1988 (!) bezogene – Daily Mail-Doktrin damit endgültig überholt sei und eine Differenzierung zwischen Zuzugs- und Wegzugsfällen sich auf Grund der zwischenzeitlichen Entwicklungen nicht mehr aufrecht erhalten lasse.133 Gestützt wurde diese These insbesondere auch auf das steuerrechtliche Urteil in der Rs. Lasteyrie du Saillant vom 11.3.2004 134, in dem der Gerichtshof eine französische Regelung, nach der latente Wertsteigerungen besteuert wurden, wenn eine steuerpflichtige natürliche Person ihren Wohnsitz ins Ausland verlegte, für unvereinbar mit der Niederlassungsfreiheit erklärt hatte.135 Zudem hatte auch GA Tizzano in seinen Schlussanträgen in Sevic explizit die Auffassung vertreten, dass die Niederlassungsfreiheit sowohl Zuzugs- als auch Wegzugsbeschränkungen verbiete.136 Die Rs. Cartesio gab dem EuGH schließlich Gelegenheit zur Klärung der Proble- 38 matik. Cartesio, eine nach ungarischem Recht gegründete betéti társaság (Komman-

132 EuGH v. 13.12.2005, SEVIC Systems AG, Rs. C-411/03, Slg. 2005, I-10805, Rn. 26. 133 I.d.S. etwa Behrens IPrax 2003, 193, 205; Campos Nave BB 2005, 2660, 2663; Doralt IPrax 2006, 572, 575; Ebke FS Thode, 2005, S. 593, 601; Mucciarelli (2008) 9 EBOR 267, 296 ff.; W.-H. Roth FS Heldrich, 2005, S. 973, 985 ff.; Schön ECFR 2006, 122, 138; Szydlo ERPL 2008, 973, 993 f.; Weng EWS 2008, 264, 271 f. 134 EuGH v. 11.3.2004, Hughes de Lasteyrie du Saillant v. Ministére d l’Économie, des Finances et de l’Industrie, Rs. C-9/02, Slg. 2004, I-2409. Dazu Aigner/Tissot SWI 2004, 293 ff.; Angelette (2006) 92 Va. L. Rev. 1189, 1206 ff.; Bayer/J. Schmidt BB 2008, 454, 458; Campos Nave BB 2005, 2660 ff.; Eicker/Schwind EWS 2004, 181 ff.; Franz EuZW 2004, 270 ff.; Kleinert/Probst NJW 2004, 2425 ff.; Kraft/Müller RIW 2004, 366 ff.; Reimer/ Rust EWS 2004, 207 ff.; Schaumburg DB 2005, 1129, 1131; Schießl NJW 2005, 849, 853; Schindler IStR 2004, 300 ff.; Schnitger BB 2004, 804 ff.; Wassermeyer GmbHR 2004, 613 ff. 135 N. B.: Als Reaktion auf dieses Urteil leitete die Kommission gegen Deutschland ein Vertragsverletzungsverfahren ein, das zu einer Novellierung der vergleichbaren Regelung in § 6 AStG durch das SEStEG (Gesetz über steuerliche Begleitmaßnahmen zur Einführung der Europäischen Gesellschaft und zur Änderung weiterer steuerrechtlicher Vorschriften (SEStEG) v. 7.12.2006, BGBl. I, 2782, dazu auch noch § 41 Rn. 198) führte, vgl. Bayer/J. Schmidt BB 2008, 454, 458; Elicker in: Blümich, EStG – KStG – GewStG, 109. EL 2011, § 6 AStG Rn. 3 ff. m.w.N. 136 GA Tizzano, Schlussanträge v. 7.7.2005, SEVIC Systems AG, Rs. C-411/03, Slg. 2005, I-10805, Rn. 45. S. auch bereits o. Fn. 127.

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ditgesellschaft), wollte ihren tatsächlichen Sitz 137 von Ungarn nach Italien verlegen, aber in Ungarn registriert bleiben und weiterhin ungarischem Recht unterliegen. Das ungarische Registergericht verweigerte die Eintragung mit der Begründung, dass eine in Ungarn gegründete Gesellschaft nach ungarischem Recht ihren Sitz nicht unter Beibehaltung des ungarischen Personalstatuts ins Ausland verlegen könne. Das mit der Berufung gegen diese Entscheidung befasste Regionalgericht Szeged 138 legte die Sache schließlich dem EuGH vor. 39 GA Maduro bejahte in seinen Schlussanträgen vom 22.5.2008 139 einen Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit. Die Rechtsprechung des Gerichtshofs habe sich seit Daily Mail erheblich weiterentwickelt 140, so dass man beim nunmehr erreichten Stand des Gemeinschaftsrechts nicht mehr argumentieren könne, dass es den Mitgliedstaaten frei stehe, den Wegzug einer Gesellschaft mit der – wie er abschließend schon fast theatralisch formulierte – „Todesstrafe“ zu sanktionieren141. 40 Die genau gegenteilige Entscheidung des EuGH in seinem Urteil v. 16.12.2008 142 war daher nicht zuletzt deshalb ebenso Aufsehen erregend wie für viele auch völlig

137 In der ungarischen Originalfassung der Vorlage wird der – nach damaligem ungarischen Recht mit ganz spezfischen Implikationen verbundene – Begriff „székhely“ benutzt, was im Verlaufe des Verfahrens für einige Verwirrung sorgte, ausf. dazu Bayer/J. Schmidt ZHR 173 (2009) 735, 755 f. m.w.N. 138 Regionalgericht Szeged (Ungarn) v. 20.4.2006, Cartesio, ABlEU v. 15.7.2006, C 165/17 = ZIP 2006, 1536; dazu Behme BB 2008, 70, 71; Fleischer/Schmolke JZ 2008, 233, 235; Frenzel EWS 2008, 130 ff.; Neye EWiR 2006, 459 f.; Schmidtbleicher BB 2007, 613 ff. 139 GA Maduro, Schlussanträge v. 22.5.2008, Cartesio Oktató és Szolgáltató bt, Rs. C-210/06, Slg. 2008, I-9641. Dazu Bartman (2008) 5 ECL 172; Behme/Nohlen NZG 2008, 496 ff.; Campos Nave BB 2008, 1410 ff.; Deak EC Tax Review 2008, 250 ff.; Grohmann/Gruschinske EuZW 2008, 463 ff.; Nemessányi ZfRV 2008, 264 ff.; Neye FS Schwark, 2009, S. 231, 235 ff.; Richter IStR 2008, 719 ff.; Ringe ZIP 2008, 1072 ff.; Szydlo ERPL 2008, 973 ff.; Weng EWS 2008, 264 ff.; Wilhelmi DB 2008, 1611 ff.; Wooldridge (2009) 30 Co Law 145 f. 140 GA Maduro, Schlussanträge v. 22.5.2008, Cartesio Oktató és Szolgáltató bt, Rs. C-210/06, Slg. 2008, I-9641, Rn. 27 ff. 141 GA Maduro, Schlussanträge v. 22.5.2008, Cartesio Oktató és Szolgáltató bt, Rs. C-210/06, Slg. 2008, I-9641, Rn. 31. 142 EuGH v. 16.12.2008, Cartesio Oktató és Szolgáltató bt, Rs. C-210/06, Slg. 2008, I-9641. Dazu Armour/Ringe (2011) 48 C.M.L. Rev. 125, 138 ff.; Autenne/Navez RTD com. 2009, 91 ff.; Bayer/J. Schmidt ZHR 173 (2009) 735 ff.; dies. BB 2010, 387, 391 f.; Bollacher RIW 2009, 150 ff.; Borg-Barthet (2009) 58 ICLQ 1020 ff.; Brakalova/Barth DB 2009, 213 ff.; Cains ERPL 2010, 569 ff.; Campos Nave BB 2009, 870 ff.; Cerioni [2010] JBL 311 ff.; Cornette de Saint-Cyr JCP E 2009, 1286; Dammann/Wynaendt/Nader D. 2009, 574 ff.; Däubler/Heuschmid NZG 2009, 493 ff.; Eckert GesRZ 2009, 47 ff.; ders. GesRZ 2009, 139, 145 ff.; Freitas da Costa RDUE 2009, 127 ff.; Gerner-Beuerle/Schillig (2010) 59 ICLQ 303 ff.; Hennrichs/Pöschke/von der Laage/Klavina WM 2009, 2009 ff.; Herrler DNotZ 2009, 484 ff.; HJI Panayi (2009) 28 YEL 123, 162 ff.; Johnston/Syrpis (2009) 34 E. L. Rev. 378 ff.; Kindler NZG 2009, 130 ff.; Knof/Mock ZIP 2009, 30 ff.; Kobelt GmbHR 2009, 808 ff.; Korom/Metzinger ECFR 2009, 125 ff.; Kovar D. 2009, 465 ff.; Kubat Erk [2010] EBLR 414, 423 ff.; Leible/Hoffmann BB 2009, 58 ff.; Meilicke GmbHR 2009, 92 ff.; Mélin JCP E 2009, 1208; Menjucq JCP 2009.II.10027; Otte/Rietschel GmbHR 2009, 983 ff.; Paefgen WM 2009, 529 ff.; Parleani Rev. soc. 2009, 150 ff.;

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überraschend. Der Gerichtshof entschied nämlich, dass der „Wegzug“ – genauer: die Verlegung des Verwaltungssitzes in einen anderen Mitgliedstaat unter Beibehaltung der Eigenschaft als Gesellschaft nach dem nationalen Recht des Gründungsstaats – nicht durch die Niederlassungsfreiheit gem. Art. 49, 54 AEU geschützt ist. Unter Anknüpfung an sein bereits im Daily Mail-Urteil entwickeltes Grundverständnis der Gesellschaften als Geschöpfe der jeweiligen nationalen Rechtsordnung, jenseits derer sie „keine Realität“ haben143, führte er erneut aus, dass der EG-Vertrag (inzwischen AEU-Vertrag) die unterschiedlichen Formen der gesellschaftsrechtlichen Anknüpfung in den nationalen Rechtsordnungen als ein im Wege der Rechtssetzung oder des Vertragsschlusses zu lösendes Problem betrachte, wozu es jedoch bislang nicht gekommen ist144. Die Anforderungen, die eine Gesellschaft erfüllen muss, um als Gesellschaft eines bestimmten Mitgliedstaats zu gelten, seien beim gegenwärtigen Stand des Gemeinschaftsrechts eine allein nach dem nationalen Recht zu beantwortende Vorfrage: Nur wenn und soweit diese Vorfrage auf nationaler Ebene positiv beantwortet wird, ist der Anwendungsbereich der Art. 43, 48 EG (G 49, 54 AEU) überhaupt eröffnet; nur in diesem Fall kommt die betreffende Gesellschaft in den Genuss der Niederlassungsfreiheit.145 Somit bestimme ausschließlich der jeweilige Mitgliedstaat über die Anknüpfungstatsachen, die eine Gesellschaft aufweisen muss, um als nach seinem innerstaatlichen Recht gegründet angesehen werden zu können; weiterhin aber auch über die Voraussetzungen, die für den Erhalt der Eigenschaft verlangt werden.146 Nach Ansicht des Gerichtshof kommt den Mitgliedstaaten also auch beim inzwi- 41 schen erreichten Stand des Unionsrechts die alleinige Definitionsautonomie darüber zu, wie stark das „territoriale“ Band ihrer Gesellschaften zu ihrem Hoheitsgebiet sein muss, d.h. insbesondere, ob sie lediglich „formal“ statutarisch innerhalb seines Hoheitsgebiets ansässig sein müssen (Gründungstheorie) oder ob die Qualifizierung als nationale Gesellschaft darüber hinaus daran gekoppelt ist, dass sich dort auch der tatsächliche Verwaltungssitz befindet (Sitztheorie).147 Die Mitgliedstaaten haben somit letztlich auch das Recht, ihre Gesellschaften dadurch quasi „einzumauern“, dass sie

143 144 145 146 147

Pasteger JT 2009, 794; Petronella [2010] EBLR 245 ff.; Ratka/Wolfbauer ZfRV 2009, 57 ff.; Schmidt-Kessel GPR 2009, 26 ff.; Sethe/Winzer WM 2009, 536 ff.; Szudoczky Intertax 2009, 346 ff.; Szydlo (2009) 46 C.M.L. Rev. 703 ff.; ders. ECFR 2010, 414, 426 ff.; C. Teichmann ZIP 2009, 393 ff.; Timmermans ERPL 2010, 549, 553 ff.; Trüten EuZ 2009, 68 ff.; Valk (2010) 6 Utrecht L. Rev. 151 ff.; Vossestein (2009) 6 ECL 115 ff.; Werner GmbHR 2009, 191 ff.; Wilhelmi JZ 2009, 411 ff.; Zimmer/Naendrup NJW 2009, 545 ff. EuGH v. 16.12.2008, Cartesio Oktató és Szolgáltató bt, Rs. C-210/06, Slg. 2008, I-9641, Rn. 104. EuGH v. 16.12.2008, Cartesio Oktató és Szolgáltató bt, Rs. C-210/06, Slg. 2008, I-9641, Rn. 108. EuGH v. 16.12.2008, Cartesio Oktató és Szolgáltató bt, Rs. C-210/06, Slg. 2008, I-9641, Rn. 109. EuGH v. 16.12.2008, Cartesio Oktató és Szolgáltató bt, Rs. C-210/06, Slg. 2008, I-9641, Rn. 110. Vgl. Bayer/J. Schmidt ZHR 173 (2009) 735, 742; dies. BB 2010, 387, 391; s. ferner auch Grundmann Rn. 789.

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den Versuch des Wegzugs mit der Auflösung (oder in der Terminologie von GA Maduro: der „Todesstrafe“) sanktionieren.148 42 Die Argumentation des EuGH, die im Schrifttum teils heftige Kritik erfahren hat 149, mag im Detail sicherlich angreifbar sein150: So lässt sich Art. 54 AEU durchaus auch anders interpretieren151; auch ist der vom Gerichtshof angestellte Vergleich mit der Verleihung der Staatsangehörigkeit an natürliche Personen zumindest etwas schief 152, und der Verweis auf die Notwendigkeit einer Regelung durch einen unionsrechtlichen Rechtsakt steht in einem gewissen Spannungsverhältnis zur expliziten Ablehnung eines solchen „Rechtssetzungsvorbehalts“ im Sevic-Urteil (vgl. o. Rn. 36)153. Zudem hat sich der „gegenwärtige Stand des Gemeinschaftsrechts“ (jetzt „Unionsrecht“) – wie GA Maduro in seinen Schlussanträgen zu Recht betont hat 154 – seit dem Daily Mail-Urteil doch ganz erheblich weiterentwickelt.155 Zumindest aus rechtspolitischer Perspektive erscheint die Differenzierung zwischen Zuzug und Wegzug i.Ü. wenig überzeugend156, zumal die den Mitgliedstaaten für den Fall des Wegzugsversuchs eingeräumte „Lizenz zum Töten“ nur schwerlich mit dem Binnenmarktideal in Einklang zu bringen ist157. Akzeptiert man indes die Grundprämissen des EuGH, so stellt sich das Cartesio-Urteil letztlich als nicht nur in sich konsequente, sondern vor allem auch als folgerichtige und systemkonsistente Fortführung der durch Daily Mail begründeten Rechtsprechungslinie dar.158

148 Vgl. Bayer/J. Schmidt ZHR 173 (2009) 735, 742; dies. BB 2010, 387, 391. 149 Die Entscheidung wurde verbreitet als „Rückschlag“ für die freie Sitzverlegung (Brakalova/Barth DB 2009, 213, 217) bzw. die Niederlassungsfreiheit (Otte EWS 2009, 38, 39) gebrandmarkt; andere sprachen von einem „stepping twenty years backwards“ (Kußmaul/Ruiner/Richter (2009) 6 ECL 246, 253). 150 Vgl. Bayer/J. Schmidt ZHR 173 (2009) 735, 743; dies. BB 2010, 387, 391. 151 Vgl. Bayer/J. Schmidt ZHR 173 (2009) 735, 743; Frenzel EWS 2009, 158, 160; Frobenius DStR 2009, 487, 489; Knof/Mock ZIP 2009, 30, 31; Korom/Metzinger ECFR 2009, 125, 150 ff.; Mörsdorf EuZW 2009, 97, 99; Paefgen WM 2009, 529, 533 f.; Szydlo (2009) 46 C.M.L.Rev. 703, 714 ff.; C. Teichmann ZIP 2009, 393, 398 ff.; Timmermans ERPL 2010, 549, 554; Wilhelmi JZ 2009, 411 f. 152 Vgl. Bayer/J. Schmidt ZHR 173 (2009) 735, 743; Frenzel EWS 2009, 158, 160 f.; Leible/ Hoffmann BB 2009, 58, 59 f.; Paefgen WM 2009, 529, 533 f.; Sethe/Winzer WM 2009, 536, 538; Zimmer/Naendrup NJW 2009, 545, 546. 153 Vgl. Bayer/J. Schmidt ZHR 173 (2009) 735, 743; Frenzel EWS 2009, 158, 162; Hennrichs/Pöschke/von der Laage/Klavina WM 2009, 2009, 2014; Trüten EuZ 2009, 68, 73. 154 GA Maduro, Schlussanträge v. 22.5.2008, Cartesio Oktató és Szolgáltató bt, Rs. C-210/06, Slg. 2008, I-9641, Rn. 27. 155 Vgl. Bayer/J. Schmidt ZHR 173 (2009) 735, 743; Frenzel EWS 2009, 158, 161 f.; Knof/ Mock ZIP 2009, 30, 31; Pießkalla EuZW 2009, 82, 83. 156 Vgl. Bayer/J. Schmidt ZHR 173 (2009) 735, 743; dies. BB 2010, 387, 391; Behme/Nohlen BB 2009, 13, 14; Hennrichs/Pöschke/von der Laage/Klavina WM 2009, 2009, 2012 f.; Kußmaul/Richter/Ruiner EWS 2009, 1, 5; Petronella [2010] EBLR 245, 263 ff.; Sethe/Winzer WM 2009, 536, 540; Szydlo (2009) 46 C.M.L. Rev. 703, 718 f.; Trüten EuZ 2009, 68, 72. 157 Vgl. Bayer/J. Schmidt ZHR 173 (2009) 735, 743 f.; dies. BB 2010, 387, 391; Bollacher RIW 2009, 150, 153. 158 Vgl. Bayer/J. Schmidt ZHR 173 (2009) 735, 744; dies. BB 2010, 387, 391; Barthel EWS 2010, 316, 330; Grundmann Rn. 789; Hennrichs/Pöschke/von der Laage/Klavina WM

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Obgleich es in Cartesio im Kern nur um die Verlegung des operativen Geschäfts- 43 sitzes ins Ausland ging 159, brachte der EuGH mit einem – relativ ausführlichen und für den Gerichtshof an sich ungewöhnlichen160 – obiter dictum auch frischen Wind in die seit langem kontrovers diskutierte Frage der Möglichkeit einer identitätswahrenden grenzüberschreitenden Satzungssitzverlegung. Er stellte nämlich ausdrücklich – wenn auch eben nur obiter – fest, dass der Fall, dass eine „Gesellschaft aus einem Mitgliedstaat in einen anderen Mitgliedstaat unter Änderung des anwendbaren Rechts verlegt und dabei in eine dem Recht des zweiten Mitgliedstaats unterliegende Gesellschaftsform umgewandelt wird“, in den Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit fällt.161 Die Befugnis der Mitgliedstaaten zur Determination der kollisionsrechtlichen Anknüpfung (vgl. o. Rn. 41) rechtfertige es nicht, „dass der Gründungsmitgliedstaat die Gesellschaft dadurch, dass er ihre Auflösung und Liquidation verlangt, daran hindert, sich in eine Gesellschaft nach dem nationalen Recht dieses anderen Mitgliedstaats umzuwandeln, soweit dies nach diesem Recht möglich ist“.162 Ein „solches Hemmnis“ stelle „eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit dar …, die, wenn sie nicht zwingenden Gründen des Allgemeininteresses entspricht, nach Art. 43 EG (G Art. 49 AEU) verboten“ sei.163 Beabsichtigt die Gesellschaft also, ihr „Rechtskleid“ im Zuge der „Verlegungs-Operation“ zu wechseln, so darf der Wegzugsstaat dies nicht pauschal verhindern (d.h. mit der „Auflösung und Liquidation“ sanktionieren), sondern nur solchen Beschränkungen unterwerfen, die aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt 164 sind. Welche Beschränkungen damit im Einzelnen zulässig sind, hat der Gerichtshof allerdings ebenso wenig näher konturiert wie die genaue Bedeutung des von ihm aufgestellten Vorbehalts der Zulässigkeit der statutenwechselnden Sitzverlegung nach dem Recht des Zuzugsstaats; beide Fragenkomplexe sind daher im Schrifttum Gegenstand intensiver und teils kontroverser Diskussion (dazu noch näher u. Rn. 60 ff.).

159 160 161 162 163 164

2009, 2009, 2013; Meilicke GmbHR 2009, 92, 93; Mélin JCP E 2009, 1208; Menjucq JCP 2009.II.10027; Schmidt-Kessel GPR 2009, 26, 29; Sethe/Winzer WM 2009, 536, 538; Wilhelmi JZ 2009, 411, 413. Vgl. zu in diesem Zusammenhang im Laufe des Verfahrens aufgetretenen Missverständnissen bereits o. Fn. 137 sowie ausf. Bayer/J. Schmidt ZHR 173 (2009) 735, 755 f. m.w.N. Vgl. zu den Hintergründen Bayer/J. Schmidt ZHR 173 (2009) 735, 755 f. EuGH v. 16.12.2008, Cartesio Oktató és Szolgáltató bt, Rs. C-210/06, Slg. 2008, I-9641, Rn. 111. EuGH v. 16.12.2008, Cartesio Oktató és Szolgáltató bt, Rs. C-210/06, Slg. 2008, I-9641, Rn. 112. EuGH v. 16.12.2008, Cartesio Oktató és Szolgáltató bt, Rs. C-210/06, Slg. 2008, I-9641, Rn. 113. Zur Rechtfertigung von Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses (sog. Gebhard-Formel) noch näher § 15 Rn. 18 ff.

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7. VALE (2011?) 44 Weitere Klarheit könnte diesbezüglich aber die derzeit anhängige Vorlage in der Rs. VALE bringen, in der es genau um den Umfang der Regelungsautonomie des Zuzugsstaats im Falle einer grenzüberschreitenden statutenwechselnden Sitzverlegung geht. Im Ausgangsfall wollte die nach italienischem Recht gegründete und in Rom registrierte VALE COSTRUZIONI Srl 165 ihren Sitz nach Ungarn verlegen und zugleich in die ungarische Rechtsform der Kft 166 wechseln. Nachdem die Eintragung sowohl vom ungarischen Handelsregister als auch in der Beschwerdeinstanz abgelehnt worden war, beschloss das Oberste Gericht von Ungarn schließlich die Vorlage der Sache an den EuGH. Gegenstand der insgesamt 4 Vorlagefragen ist im Wesentlichen, ob die ungarische Praxis mit der Niederlassungsfreiheit vereinbar ist und insbesondere, ob der Aufnahmestaat von der Gesellschaft die Erfüllung sämtlicher Erfordernisse verlangen darf, die nach seinem Recht für innerstaatliche Umwandlungen vorgesehen sind 167.

V. Konsequenzen für die (Anerkennung und) Mobilität von Gesellschaften in Europa: der status quo 45 Der status quo des Rechtsrahmens für grenzüberschreitende Sitzverlegungen und Restrukturierungen in Europa – sowie speziell auch aus deutscher Perspektive – sieht damit wie folgt aus: 1. Sitzverlegung a) Verwaltungssitzverlegung aa) Zuzug (1) EU-Recht 46 Hinsichtlich des „Zuzugs“ ergeben sich aus der Entscheidungstrias Centros – Überseering – Inspire Art folgende Grundsätze: Eine Gesellschaft, die nach dem Recht des Mitgliedstaats, in dem sie ihren Satzungssitz hat, ordnungsgemäß gegründet wurde und die ihren Verwaltungssitz in einen anderen Mitgliedstaat verlegt, ist vom Zuzugsstaat auf Grund der Art. 49, 54 AEU als rechtsfähig (und parteifähig) anzuer-

165 Società a responsabilità limitata (= italienische „GmbH“), vgl. die Liste der nationalen Rechtsformen bei § 11 Rn. 6. 166 Korlátolt felelősségű társaság (= ungarische „GmbH“), vgl. die Liste der nationalen Rechtsformen bei § 11 Rn. 6. 167 Magyar Köztársaság Legfelsőbb Bírósága (Oberstes Gericht von Ungarn) v. 17.6.2010, ZIP 2010, 1956 (anhängig beim EuGH als Rs. C-378/10). Dazu Armour/Ringe (2011) 48 C.M.L. Rev. 125, 141; Barthel EWS 2011, 131 ff.; Korom/Metzinger ECFR 2009, 125, 156 f.; Neye EWiR 2010, 625 f.

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kennen (Überseering, dazu o. Rn. 23 ff.). Ebenso ist es zulässig, dass eine nach dem Recht des Mitgliedstaats, in dem sie ihren Satzungssitz hat, ordnungsgemäß gegründete Gesellschaft ihre Geschäftstätigkeit von Anfang an ausschließlich mittels einer „Zweigniederlassung“ (die dann faktisch die Hauptverwaltung ist) in einem anderen Mitgliedstaat ausübt; dies stellt für sich allein noch keine missbräuchliche Ausübung der Niederlassungsfreiheit dar (Centros, dazu o. Rn. 19 ff.). Der Aufnahmestaat darf die Errichtung einer solchen „Zweigniederlassung“ auch 47 nicht von der Einhaltung der im innerstaatlichen Recht für die Gründung einer Gesellschaft bezüglich des Mindestkapitals und der Haftung der Geschäftsführer vorgesehenen Vorschriften abhängig machen (Inspire Art, dazu o. Rn. 27 ff.). Sonderregeln für solche „Scheinauslandsgesellschaften“ sind vielmehr generell nur zulässig, wenn sie durch einen der geschriebenen Rechtfertigungsgründe des AEU oder durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses168 gerechtfertigt sind (Inspire Art, dazu o. Rn. 27 ff.); daneben kann die Berufung auf die Niederlassungsfreiheit ausnahmsweise unzulässig sein, wenn im konkreten Einzelfall ein Missbrauch nachgewiesen ist (Centros, Inspire Art, dazu o. Rn. 19 ff., 27 ff.). Wegen des generellen Gleichlaufs von Art. 49, 54 AEU und Art. 31, 34 EWR 48 (dazu bereits § 4 Rn. 1, 11) gelten diese Grundsätze nicht nur für EU-, sondern auch für EWR-Gesellschaften.169 Für Zuzugsfälle hat der EuGH damit de facto das „Herkunftslandprinzip“ 49 („europarechtliche Gründungstheorie“) 170 etabliert: Mit dem Verwaltungssitz „zuziehende“ EU/EWR-ausländische Gesellschaften sind vom Aufnahmestaat „als solche“ anzuerkennen, und zwar grundsätzlich genau so und in der Form, wie sie „nach dem Recht des Gründungsstaats“ 171 ausgestaltet sind. Unter welchen Voraussetzungen in bestimmten Fällen nach Maßgabe speziell der „Gebhard-Formel“ 172 oder ggf. des Missbrauchsvorbehalts ausnahmsweise doch bestimmte Schutzvorschriften des Zuzugsstaats (speziell zugunsten von Gläubigern und Minderheitsgesellschaftern) zur Anwendung gebracht werden können, hat der EuGH bislang indes noch nicht näher konkretisiert.

168 Zur Rechtfertigung von Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses (sog. Gebhard-Formel) noch näher § 15 Rn. 18 ff. 169 Vgl. BGH NJW 2005, 3351 („Liechtenstein“); BGH BB 2009, 14, 15 („Trabrennbahn“); BGH BeckRS 209, 28205; OLG Frankfurt IPrax 2004, 56; Baudenbacher/Buschle IPrax 2004, 26, 29 ff.; Bayer/J. Schmidt ZHR 173 (2009) 735, 738; Fingerhuth/Rumpf IPrax 2008, 90, 91; Leible (Fn. 12), IntGesR Rn. 60; Weiss/Seifert ZGR 2009, 542, 575. 170 Vgl. Bayer (Fn. 91), § 4a Rn. 11; Bayer/J. Schmidt ZHR 173 (2009) 735, 739; Eidenmüller JZ 2004, 24, 25; Grundmann Rn. 785; Leible RIW 2004, 531, 534; ders. FS G. H. Roth, 2011, S. 447, 450; Leible/Hoffmann ZIP 2003, 925, 926; Weller FS Goette, 2011, S. 583, 587 f. 171 EuGH v. 5.11.2002, Überseering BV v Nordic Construction Company Baumanagement GmbH (NCC), Rs. C-208/00, Slg. 2002, I-9919, Rn. 95. 172 Zur Rechtfertigung von Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses (sog. Gebhard-Formel) noch näher § 15 Rn. 18 ff.

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(2) Deutsches Recht 50 Unter dem Eindruck der EuGH-Judikatur wenden nun auch die deutsche Rechtsprechung 173 und die h.L.174 jedenfalls in Bezug auf nach dem Recht von EU- und EWR-Staaten gegründete Gesellschaften die Gründungstheorie an (vgl. bereits o. Rn. 30 sowie § 5 Rn. 2). Zudem gilt die Gründungstheorie in Bezug auf Gesellschaften aus Drittstaaten, im Verhältnis zu denen auf Grund eines Staatsvertrages eine Pflicht zur Gründungsanknüpfung besteht, so etwa insbesondere im Verhältnis zu den USA in Form des Freundschafts-, Handels- und Schifffahrtsvertrages von 1954175,176 (vgl. auch bereits § 5 Rn. 3). 51 Gesellschaften aus EU-/EWR-Staaten oder den USA, die ihren Verwaltungssitz von Anfang an im Inland haben oder nachträglich hierher verlegen, werden also als solche anerkannt. Ihr Gesellschaftsstatut richtet sich nach dem ausländischen Gründungsrecht, und zwar grundsätzlich in Bezug auf die gesamten materiellen Regeln, nach denen die Gesellschaft „entsteht, lebt und vergeht“ 177, d.h. Gründung mit Kapitalaufbringung und -erhaltung, innere Verfassung, Vertretung nach außen, Haftung, Auflösung, etc.178 Höchst streitig und bislang nur rudimentär ausjudiziert ist allerdings, ob und inwieweit Sonderanknüpfungen zulässig sind, d.h. inwieweit das ausländische Recht zur Schließung von Schutzlücken punktuell durch Rechtsinstitute des deutschen Rechts ergänzt bzw. überlagert oder verdrängt werden darf, speziell im Wege einer insolvenz- oder deliktsrechtlichen Anknüpfung bestimmter Regeln. Insoweit toben seit Jahren teilweise regelrechte „Schlachten“ um die „richtige“ Qualifikation (z.B. in Bezug auf die Existenzvernichtungs-179 und Insolvenzverschleppungshaftung180 sowie die Sonderregeln für Gesellschafterdarlehen 181), die allerdings leider

173 BGH NJW 2003, 1461 („Überseering II“); BGH BB 2004, 2432, 2433; BGH BB 2005, 1016; BGH NJW 2005, 3351 („Liechtenstein“); BGH BB 2009, 14 („Trabrennbahn“); BGH BeckRS 2009, 28205; BGH NStZ 2010, 632. 174 Vgl. die Nachweise in Fn. 91. 175 Freundschafts-, Handels- und Schiffahrtsvertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika v. 29.10.1954, BGBl. 1956 II, 487. 176 Vgl. BGH BB 2002, 1227, 1228; BGH BB 2003, 810; BGH NZG 2004, 1001 f.; BGH NZG 2005, 44 f.; BGH NJW-RR 2007, 574, 575; Bayer (Fn. 91), § 4a Rn. 9; Bayer/ J. Schmidt ZHR 173 (2009) 735, 739; Leible (Fn. 91), IntGesR Rn. 63 ff. m.w.N. 177 So die klassische Formulierung des Umfangs des Gesellschaftsstatuts in BGHZ 25, 134, 144. 178 Vgl. Bayer/J. Schmidt ZHR 173 (2009) 735, 739 f. Ausf. allg. zur Reichweite des Gesellschaftsstatuts: Kindler (Fn. 3), IntHGesR Rn. 543 ff. m.w.N. 179 Zum Streitstand: Bayer (Fn. 91), Anh II zu § 4a Rn. 41 m.w.N. 180 Zum Streitstand: Bayer (Fn. 91), Anh II zu § 4a Rn. 62 m.w.N. 181 Die §§ 39 Abs. 1 Nr. 5, 44a, 135 InsO n.F. sollen nach dem erklärten Willen des Gesetzgebers (vgl. BegrRegE z. MoMiG, BR-Drs. 354/07, S. 58), ersten gerichtlichen Entscheidungen (OLG Köln ZIP 2010, 2016 [zu § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO]; AG Hamburg NZG 2009, 131, 132 [zu § 135 InsO]; tendenziell auch OLG Naumburg BeckRS 2010, 29926); s. ferner nun tendenziell obiter auch BGH ZIP 2011, 1775, 1778) und der überwiegenden Ansicht im Schrifttum (vgl. etwa Altmeppen in: Roth/Altmeppen, GmbHG, 6. Aufl. 2009, Anh §§ 32a, b Rn. 75; Habersack in: Staub, HGB, 5. Aufl. 2009, § 129 Anh Rn. 9;

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manchmal den Blick darauf verstellen, dass sich die Anwendung deutscher Vorschriften unabhängig von ihrer kollisionsrechtlichen Qualifikation stets am Maßstab der Art. 49, 54 AEU messen lassen muss.182 Hinsichtlich der Einzelheiten kann hier indes schon aus Platzgründen nur auf die einschlägige Spezialliteratur verwiesen werden. Im Hinblick auf sog. Drittstaaten hat der BGH dagegen im viel beachteten Trab- 52 rennbahn-Urteil ausdrücklich weiterhin an der Sitztheorie festgehalten, wenngleich in der im sog. Jersey-Urteil (dazu o. Rn. 24) entwickelten modifizierten Form, d.h. die betreffenden Gesellschaften werden in eine deutsche oHG bzw. GbR umqualifiziert und können zumindest als solche am Rechtsverkehr teilnehmen (sog. „Wechselbalgtheorie“).183 Dies hat er inzwischen durch weitere Urteile bestätigt184, und auch die Instanzgerichte 185 folgen dem. Diese „gespaltene Lösung“ sieht sich allerdings erheblicher Kritik ausgesetzt. 53 Denn sie führt nicht nur dazu, dass über den ausländischen Gesellschaftern stets das „Damoklesschwert“ der persönlichen Haftung schwebt 186; sofern der Registerstaat der Gründungstheorie folgt, kommt es darüber hinaus zu einer sog. „Statutenverdopplung“, die mit einer Vielzahl diffiziler und praktisch kaum lösbarer Probleme (z.B. im Prozess- und Vollstreckungsrecht oder bezüglich der Vertretung) verbunden ist 187 (vgl. auch bereits o. Rn. 7). Nicht zuletzt im Interesse der gerade im Bereich des IPR essentiellen Aspekte der Rechtssicherheit und Praktikabilität wird daher im Schrifttum zu Recht verbreitet ein genereller Übergang zur Gründungstheorie gefordert.188 Der hiergegen immer wieder vorgebrachte Einwand eines drohenden race to

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Kindler (Fn. 3), IntHGesR Rn. 735 ff.) insolvenzrechtlich zu qualifizieren sein; kritisch jedoch etwa Zahrte ZInsO 2009, 223 ff. Ob der „Kunstgriff“ der Verlagerung in die InsO vor dem EuGH stand halten wird, bleibt abzuwarten; vgl. zum Ganzen auch Bayer (Fn. 91), Anh II zu § 4a Rn. 16 m.w.N. Vgl. Bayer (Fn. 91), § 4a Rn. 14; Bayer/J. Schmidt ZHR 173 (2009) 735, 740; Kieninger RabelsZ 73 (2009) 607, 614; Schillig ZVglRWiss 106 (2007) 299, 306; ders. ZVglRWiss 106 (2007) 484, 488. BGH BB 2009, 14 („Trabrennbahn“, betreffend die Schweiz), dazu Bayer/J. Schmidt ZHR 173 (2009) 735, 740 ff.; Ebke ZVglRWiss 110 (2011) 2, 27 ff.; Fleischer/Wedemann AcP 209 (2009) 597, 610; Hamann ELR 2009, 186 ff.; Hellgardt/Illmer NZG 2009, 94 ff.; Kieninger NJW 2009, 292 f.; Kindler IPrax 2009, 189 ff.; Koch/Eickmann AG 2009, 73 ff.; Lamsa BB 2009, 16 ff.; Lieder/Kliebisch BB 2009, 338 ff.; J. Schmidt WuB II Q. § 4a GmbHG 1.09; dies. EWIR 2009, 175, 176; Schnyder GPR 2009, 227 ff.; C. Teichmann, in: C. Teichmann/Hermanns (Hrsg.), Aktuelle Entwicklungen im Gesellschaftsrecht, 2009, S. 52, 59 f.; Wachter GmbHR 2009, 140 ff.; Weller IPrax 2009, 202 ff.; Werner GmbHR 2009, 191 ff. S. ferner auch die Parallelentscheidung BGH BeckRS 2009, 01192. BGH NZG 2009, 1106 (British Columbia); BGH ZIP 2009, 2385 (Singapur), dazu Lieder/Kliebisch EWiR 2010, 117 f.; BGH NZG 2010, 712 (Schweiz). Vgl. etwa OLG Düsseldorf GmbHR 2010, 591, 593 (Schweiz); AG Hagen BeckRS 2010, 16844 (Isle of Man). Vgl. Bayer/J. Schmidt ZHR 173 (2009) 735, 741; Gottschalk ZIP 2009, 948, 950; Lamsa BB 2009, 16, 17; Lieder/Kliebisch BB 2009, 338, 341; J. Schmidt WuB II Q. § 4a GmbHG 1.09; dies. EWIR 2009, 175, 176; Weller IPrax 2009, 202, 207 f. Vgl. die Nachweise in Fn. 23. Dafür Bayer/J. Schmidt ZHR 173 (2009) 735, 773; Ebke FS Thode, 2005, S. 593, 610 ff.; Eidenmüller ZIP 2002, 2233, 2244; Handelsrechtsausschuss des DAV Stellungnahme

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the bottom, verbunden mit einer Preisgabe des Gläubiger- und Minderheitenschutzes, ist nicht stichhaltig:189 Den schutzwürdigen Interessen von Gläubigern, Minderheitsgesellschaftern und Rechtsverkehr kann durch Sonderanknüpfungen, spezielle Verkehrsschutzregelungen oder ggf. den allgemeinen ordre public-Vorbehalt Rechnung getragen werden.190 Das BMJ hatte daher bereits im Januar 2008 einen RefE für eine IPR-Novelle vorgelegt 191, der – aufbauend auf Vorarbeiten des Deutschen Rates für IPR192 – einen generellen Übergang zur Gründungstheorie vorsah (Art. 10 EGBGBRefE), dann aber auf Grund des Widerstands von Gewerkschaften193 und Bundesarbeitsministerium (der sich übrigens gerade an der – im RefE bewusst ausgesparten (!) – Mitbestimmungsfrage entzündet hatte) auf Eis gelegt wurde194. Dem Vernehmen nach soll allerdings noch im Verlauf der 17. Legislaturperiode ein neuer Anlauf gestartet werden, was nachdrücklich zu begrüßen wäre. bb) Wegzug (1) EU-Recht 54 Im Gegensatz zum Zuzug ist der Wegzug – genauer: die Verlegung des Verwaltungssitzes in einen anderen Mitgliedstaat unter Beibehaltung der Eigenschaft als Gesellschaft nach dem nationalen Recht des Gründungsstaats – nach dem Grundsatzurteil

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13/2008, S. 4; Hellgardt/Illmer NZG 2009, 94, 96; Kieninger ZEuP 2004, 685, 702 f.; Leible (Fn. 12), IntGesR Rn. 46 f.; Leible/Hoffmann BB 2009, 58, 62; Lieder/Kliebisch BB 2009, 338, 343; Paefgen WM 2009, 529, 534 f.; J. Schmidt WuB II Q. § 4a GmbHG 1.09; dies. EWIR 2009, 175, 176; C. Teichmann (2008) 5 ECL 189. Vgl. Bayer/J. Schmidt ZHR 173 (2009) 735, 773; Kieninger NJW 2009, 292, 293; dies. RabelsZ 73 (2009) 607, 621 ff.; Lieder/Kliebisch BB 2009, 338, 341 ff.; J. Schmidt WuB II Q. § 4a GmbHG 1.09; dies. EWIR 2009, 175, 176. Vgl. Bayer/J. Schmidt ZHR 173 (2009) 735, 773; Balthasar RIW 2009, 221, 225 ff.; Elsing JR 2009, 510, 512; Franz BB 2009, 1250, 1259; Handelsrechtsausschuss des DAV Stellungnahme 13/2008, S. 4; Kieninger RabelsZ 73 (2009) 607, 622; dies. NJW 2009, 292, 293; Lieder/Kliebisch BB 2009, 338, 342; Paefgen WM 2009, 529, 535; J. Schmidt WuB II Q. § 4a GmbHG 1.09; dies. EWIR 2009, 175, 176; Schnyder GPR 2009, 227, 228 f.; Wagner/Timm IPrax 2008, 81, 85. Referentenentwurf Gesetz zum Internationalen Privatrecht der Gesellschaften, Vereine und juristischen Personen, abrufbar unter http://beck-aktuell.beck.de/sites/default/files/ rsw/upload/Beck_Aktuell/Referentenentwurf-IGR.pdf. Dazu Altenhain/Wietz NZG 2008, 569 ff.; Bayer (Fn. 91), § 4a Rn. 14 ff.; Bayer/J. Schmidt ZHR 173 (2009) 735, 741 f., 762, 772 f.; Bollacher RIW 2008, 200 ff.; Clausnitzer DNotZ 2008, 484 ff.; Franz BB 2009, 1250, 1255 ff.; Köster ZRP 2008, 214 ff.; Leuering ZRP 2008, 73, 75 ff.; Rotheimer NZG 2008, 181 ff.; Schneider BB 2008, 566 ff.; C. Teichmann (2008) 5 ECL 189 ff.; Wagner/Timm IPrax 2008, 81 ff. Sonnenberger (Hrsg.), Vorschläge und Berichte zur Reform des europäischen und deutschen internationalen Gesellschaftsrechts, 2007; Sonnenberger/Bauer RIW 4/2006, Beil. 1, S. 1 ff. Vgl. nur den Beitrag der Justitiarin des DGB Seyboth AuR 2008, 132 ff. Vgl. Bayer/J. Schmidt ZHR 173 (2009) 735, 742; J. Schmidt WuB II Q. § 4a GmbHG 1.09; dies. EWIR 2009, 175, 176.

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des EuGH in der Rs. Cartesio (dazu o. Rn. 37 ff.) nicht durch die Niederlassungsfreiheit gem. Art. 49, 54 AEU geschützt. Die Mitgliedstaaten haben also das Recht, ihre Gesellschaften dadurch quasi „einzumauern“, dass sie den Versuch des Wegzugs mit der Auflösung sanktionieren. (2) Deutsches Recht Das deutsche Recht ließ die Verlegung des Verwaltungssitzes einer deutschen GmbH 55 oder AG ins Ausland traditionell nicht zu (so jedenfalls die ganz h.M. in Rechtsprechung und Lehre); der Verlegungsbeschluss wurde entweder als nichtig angesehen195 oder als Auflösungsbeschluss interpretiert 196.197 Mit der Neufassung von § 4a GmbHG und § 5 AktG durch das MoMiG hat 56 sich die Rechtslage jedoch komplett geändert. Im Schrifttum wird zwar teilweise die Auffassung vertreten, dass es sich um rein sachrechtliche Regelungen handele und der Wegzug einer deutschen GmbH bzw. AG bis zu einer vollständigen Aufgabe der Sitztheorie auch weiterhin nicht möglich sei.198 Dies vermag jedoch angesichts des erklärten gesetzgeberischen Willens, deutschen Gesellschaften die Begründung/Verlegung des Verwaltungssitzes im/ins Ausland zu ermöglichen 199, nicht zu überzeugen. § 4a GmbHG und § 5 AktG kommt vielmehr auch kollisionsrechtliche Bedeutung zu.200 Zumindest aus der Perspektive des deutschen Rechts können deutsche GmbH und AG ihren Verwaltungssitz folglich nun von Anfang an im Ausland begründen oder ihn jederzeit später in einen anderen Staat verlegen.201 Tatsächlich kann dies 195 Heider in: MünchKommAktG, 3. Aufl. 2008, § 5 Rn. 66; Kögel GmbHR 1998, 1108, 1113; einschränkend Spahlinger/Wegen, IntGesR, 2005, Rn. 452. 196 RGZ 7, 68, 70; RGZ 88, 53, 55; RGZ 107, 94, 97; BayObLG AG 1992, 456, 457; OLG Hamm GmbHR 1997, 848; OLG Düsseldorf NZG 2001, 506; OLG Hamm NZG 2001, 562, 563; Großfeld (Fn. 11), IntGesR Rn. 634; einschränkend Kindler Konzern 2007, 811, 813 f. (nur bei Verlegung in Sitztheoriestaat). 197 Näher zum Ganzen sowie zu den kollisions- und sachrechtlichen Begründungen: Bayer/J. Schmidt ZHR 173 (2009) 735, 744 ff. m.w.N. 198 So Eidenmüller ZGR 2007, 168, 204; Hirte NZG 2008, 761, 766; Kindler IPrax 2009, 189, 198; Peters GmbHR 2008, 245, 249; Preuß GmbHR 2007, 57, 62; Ries AnwBl. 2008, 695, 697; Weng EWS 2008, 264, 267; Werner GmbHR 2009, 191, 195 f. 199 Vgl. BegrRegE z. MoMiG, BR-Drs. 354/07, S. 65. 200 Ausf. Bayer/J. Schmidt ZHR 173 (2009) 735, 749 ff.; ebenso Bayer (Fn. 91), § 4a Rn. 15; Däubler/Heuschmid NZG 2009, 493, 494; Handelsrechtsausschuss des DAV NZG 2007, 211, 212; Herrler DNotZ 2009, 484, 489; Hoffmann ZIP 2007, 1581, 1585 ff.; Kobelt GmbHR 2009, 808, 811; Knof/Mock GmbHR 2007, 852, 856; Körber/Kliebisch JuS 2008, 1041, 1044; Leible (Fn. 12), IntGesR Rn. 177; ders. FS G. H. Roth, 2011, S. 447, 455 f.; Leible/Hoffmann BB 2009, 58, 62 f.; C. Teichmann/Ptak RIW 2010, 817, 820; Wälzholz MittBayNot 2008, 425, 432; für eine Beschränkung auf EU-Mitgliedstaaten allerdings Paefgen WM 2009, 529, 530 f. 201 Bayer (Fn. 91), § 4a Rn. 15; Bayer/J. Schmidt ZHR 173 (2009) 735, 751; s. ferner die Nachweise in Fn. 200; ebenso i.E. (allerdings ohne nähere Ausführungen zur kollisionsrechtlichen Problematik): Campos Nave BB 2009, 870, 871; Däubler/Heuschmid NZG 2009, 493, 494; Knof/Mock ZIP 2009, 30, 32; Leitzen NZG 2009, 728, 729; Leuering ZRP 2008, 73, 77; Seibert/Decker ZIP 2008, 1208, 1209 f.; C. Teichmann ZIP 2009, 393, 401.

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allerdings nur dann funktionieren, wenn auch das (Kollisions-)Recht des Aufnahmestaats „mitspielt“: In EU/EWR-Staaten muss eine deutsche GmbH oder AG bereits auf Grund der neueren EuGH-Judikatur (Centros, Überseering, Inspire Art, dazu o. Rn. 19 ff.) als solche anerkannt werden. Unproblematisch ist auch eine Verwaltungssitznahme bzw. -verlegung in einen/m Drittstaat, welcher der Gründungstheorie folgt.202 Bei Drittstaaten, die der Sitztheorie folgen und im Verhältnis zu denen auch keine speziellen Staatsverträge bestehen, kann es allerdings zu einer „Statutenverdopplung“ mit all ihren misslichen Konsequenzen (dazu bereits o. Rn. 7, 53) kommen.203 57 Bei Personengesellschaften gehen Rspr.204 und wohl (noch) h.L.205 dagegen nach wie vor davon aus, dass der Sitz unabhängig von den Bestimmungen des Gesellschaftsvertrages stets am Ort der effektiven Hauptverwaltung zu lokalisieren ist; die Verlegung ins Ausland führt zur Auflösung und Liquidation der Gesellschaft. Eine im Vordringen befindliche Ansicht spricht sich jedoch vor dem Hintergrund der §§ 4a GmbHG, 5 AktG n.F. dafür aus, auch bei Personengesellschaften eine freie Verwaltungssitznahme bzw. -verlegung, insbesondere auch im/ins Ausland, zuzulassen.206

202 Vgl. Bayer (Fn. 91), § 4a Rn. 15; Bayer/J. Schmidt ZHR 173 (2009) 735, 751 f.; Koch in: Staub, HGB, 5. Aufl. 2009, § 13h Rn. 29; Leible (Fn. 12), IntGesR Rn. 177; Tebben RNotZ 2008, 441, 447; C. Teichmann ZIP 2009, 393, 401. 203 Vgl. Bayer (Fn. 91), § 4a Rn. 15; Bayer/J. Schmidt ZHR 173 (2009) 735, 752; Leible (Fn. 12), IntGesR Rn. 177; Koch (Fn. 202), § 13h Rn. 29; Lutter in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 17. Aufl. 2009, Einl. Rn. 69; Tebben RNotZ 2008, 441, 447; Wicke GPR 2010, 238, 240. 204 Allgemein zur Verortung des Sitzes am Ort der effektiven Hauptverwaltung: BGH WM 1957, 999, 1000; BGH WM 1969, 293, 294; KG NJW 1955, 1442, 1443; KG WM 1956, 582; OLG Celle WM 1962, 1330; KG WM 1967, 150; speziell zur Auflösung infolge einer Sitzverlegung ins Ausland: OLG Karlsruhe BeckRS 2008, 06653. Offenlassend jedoch BGH NZG 2009, 1106. 205 Vgl. Ammon/Ries in: Röhricht/Graf von Westphalen, HGB, 3. Aufl. 2008, § 13h HGB Rn. 14; Krafka in: MünchKommHGB, 3. Aufl. 2010, § 13h Rn. 17; Kindler (Fn. 3), IntHGesR Rn. 526; Langhein in: MünchKommHGB, 3. Aufl. 2011, § 106 Rn. 30; Pentz in: Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, 2. Aufl. 2008, § 13h Rn. 43. 206 Dafür Fingerhut/Rumpf IPRax 2008, 90, 93 f.; Hopt in: Baumbach/Hopt, HGB, 34. Aufl. 2010, § 106 Rn. 8; Koch ZHR 173 (2009) 101 ff.; von Gerkan/Haas in: Röhricht/Graf von Westphalen, HGB, 3. Aufl. 2008, § 106 Rn. 11; Wertenbruch in: Ebenroth/Boujong/ Joost/Strohn, 2. Aufl. 2008, § 105 Rn. 213; Zimmer/Naendrup NJW 2009, 545, 548; tendenziell positiv auch C. Teichmann ZIP 2009, 393, 402; s. ferner auch schon Ulmer in: Staub, HGB, 4. Aufl. 1988, § 106 Rn. 20; zumindest für die Zulässigkeit der nachträglichen Verlegung des Verwaltungssitzes ins Ausland: Thiermann ZIP 2011, 988, 989 ff.

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b) Satzungssitzverlegung („grenzüberschreitender Formwechsel“) aa) EU-Recht (1) Schutz durch die Niederlassungsfreiheit Nach dem obiter dictum des EuGH in Cartesio (dazu o. Rn. 43 ff.) fällt die Sitzverle- 58 gung unter Wechsel des anwendbaren Rechts („grenzüberschreitender Formwechsel“) in den Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit. Beabsichtigt die Gesellschaft, ihr „Rechtskleid“ im Zuge der „Verlegungs-Operation“ zu wechsel, so darf der Wegzugsstaat diesen grenzüberschreitenden Formwechsel nicht pauschal verhindern (d.h. mit der Auflösung und Liquidation sanktionieren), sondern nur solchen Beschränkungen unterwerfen, die nach Maßgabe der sog. „Gebhard-Formel“ aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt sind207. Im Schrifttum wird die Reichweite dieses obiter dictum zwar teilweise auf den Fall 59 reduziert, dass zugleich auch der Verwaltungssitz verlegt wird; die isolierte Satzungssitzverlegung (isolierter grenzüberschreitender Rechtsformwechsel) sei mangels Mobilitätskomponente kein niederlassungsrelevanter Vorgang.208 Gegen eine derart restriktive Interpretation spricht jedoch, dass der Gerichtshof in der maßgeblichen Passage des Cartesio-Urteils 209 an keiner Stelle die Begriffe „Satzungssitz“ oder „Verwaltungssitz“ verwendet, sondern ganz allgemein darauf abstellt, dass „eine Gesellschaft … verlegt wird“ 210. Entscheidendes Kriterium dafür, ob eine „Verlegungs-Operation“ in den Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit fällt, ist für den EuGH ganz offenbar gerade nicht, ob der Satzungs- und/oder der Verwaltungssitz verlegt wird, sondern vielmehr allein, ob hiermit zugleich ein Wechsel des anwendbaren Rechts erfolgen soll.211 Dies fügt sich i.Ü. auch nahtlos in die Grundkonzeption des Gerichtshofs ein: Prinzipiell steht dem jeweiligen Mitgliedstaat die alleinige Definitionsautonomie darüber zu, wie stark das „territoriale Band“ seiner Gesellschaften zu seinem Hoheitsgebiet sein muss (vgl. bereits o. Rn. 41). In dem Moment, in dem die Gesellschaft dieses rechtliche Band mit dem Wegzugsstaat jedoch löst, endet auch die Definitionsautonomie desselben; 212 sie kommt vielmehr fortan ausschließlich dem Aufnahmestaat, in dessen „Rechtskleid“ die Gesellschaft nun geschlüpft ist, zu. Nur wenn

207 Zur Rechtfertigung von Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses (sog. Gebhard-Formel) noch näher § 15 Rn. 18 ff. 208 I.d.S. Eckert GesRZ 2009, 139, 147; Kindler (Fn. 3), IntHGesR Rn. 531; Leible (Fn. 12), IntGesR Rn. 35; ders. FS G. H. Roth, 2011, S. 447, 454 f.; Leible/Hoffmann BB 2009, 58, 61 f.; Vorbehalte auch bei Cerioni [2010] JBL 311, 334, 332 f. 209 Vgl. EuGH v. 16.12.2008, Cartesio Oktató és Szolgáltató bt, Rs. C-210/06, Slg. 2008, I-9641, Rn. 111–113. 210 Ausf. zur Terminologie des EuGH: Bayer/J. Schmidt ZHR 173 (2009) 735, 755 ff. m.w.N. 211 Vgl. Bayer/J. Schmidt ZHR 173 (2009) 735, 756; Grundmann Rn. 790; Kovar D. 2009, 465, 469; Schmidt-Kessel GPR 2009, 26, 29; C. Teichmann ZIP 2009, 393, 394. 212 Vgl. Bayer/J. Schmidt ZHR 173 (2009) 735, 756.

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dieser die Belegenheit des Verwaltungssitzes in seinem Hoheitsgebiet als Voraussetzung für die Eigenschaft als „seine“ Gesellschaft verlangt, muss die „VerlegungsOperation“ auch mit einer Verwaltungssitzverlegung einhergehen; lässt der Aufnahmestaat es dagegen zu, dass der Verwaltungssitz „seiner“ Gesellschaften außerhalb seines Hoheitsgebiets liegt, so darf der Wegzugsstaat die – dann in einer isolierten Verlegung des Satzungssitzes bestehende – „Verlegung“ nicht verbieten.213 Gegen die These, dass die isolierte Satzungssitzverlegung generell nicht geschützt sei, spricht i.Ü. auch folgendes argumentum ad absurdum: Der Wegzugsstaat dürfte dann nämlich zwar verlangen, dass die Gesellschaft nicht nur ihren Satzungs-, sondern auch ihren Verwaltungssitz verlegt; soweit der Zuzugsstaat jedoch keinen Verwaltungssitz in seinem Territorium verlangt, könnte die Gesellschaft ihren Verwaltungssitz sofort wieder zurück verlegen und dies müsste vom Wegzugsstaat nach Maßgabe der EuGH-Judikatur in Centros, Überseering und Inspire Art akzeptiert werden (vgl. bereits o. Rn. 46 ff.).214

(2) Beschränkungen seitens des Wegzugsstaats 60 Welchen Beschränkungen der Wegzugsstaat die statutenwechselnde Sitzverlegung im Einzelnen unterwerfen darf, hat der EuGH leider nicht näher konturiert. Als zwingende Gründe des Allgemeininteresses kommen aber nach st. Rspr. insbesondere der Schutz der Gläubiger 215, der Minderheitsgesellschafter 216 und der Arbeitnehmer 217 sowie auch des Fiskus 218 in Betracht (vgl. auch noch § 15 Rn. 19 ff.). Bedeutsame Anhaltspunkte dafür, welche Schutzinstrumente auf dem Prüfstand des Gerichtshofs

213 I.d.S. auch Autenne/Navez RTD com. 2009, 91, 113 ff., 123; Barthel EWS 2010, 316, 326; Grundmann Rn. 799; Schmidt-Kessel GPR 2009, 26, 29; C. Teichmann ZIP 2009, 393, 394; s. ferner auch Dammann/Wynaendt/Nader D. 2009, 574, 575; Mörsdorf EuZW 2009, 97, 102; Parleani Rev. soc. 2009, 150, 160 f.; Wilhelmi JZ 2009, 411, 413; abw. jedoch Szydlo ECFR 2010, 414, 439. 214 Vgl. ähnlich auch Kieninger RabelsZ 73 (2009) 607, 618. 215 Vgl. EuGH v. 5.11.2002, Überseering BV v Nordic Construction Company Baumanagement GmbH (NCC), Rs. C-208/00, Slg. 2002, I-9919, Rn. 92; EuGH v. 30.9.2003, Kamer van Koophandel en Fabrieken voor Amsterdam v. Inspire Art Ltd., Rs. C-167/01, Slg. 2003, I-10155, Rn. 132, 142; EuGH v. 13.12.2005, SEVIC Systems AG, Rs. C-411/03, Slg. 2005, I-10805, Rn. 28. 216 Vgl. EuGH v. 5.11.2002, Überseering BV v Nordic Construction Company Baumanagement GmbH (NCC), Rs. C-208/00, Slg. 2002, I-9919, Rn. 92; EuGH v. 13.12.2005, SEVIC Systems AG, Rs. C-411/03, Slg. 2005, I-10805, Rn. 28; EuGH v. 23.10.2007, Kommission ./. Bundesrepublik Deutschland, Rs. C-112/05, Slg. 2007, I-8995 („VW“), Rn. 77. 217 Vgl. EuGH v. 5.11.2002, Überseering BV v Nordic Construction Company Baumanagement GmbH (NCC), Rs. C-208/00, Slg. 2002, I-9919, Rn. 92; EuGH v. 13.12.2005, SEVIC Systems AG, Rs. C-411/03, Slg. 2005, I-10805, Rn. 28; EuGH v. 23.10.2007, Kommission ./. Bundesrepublik Deutschland, Rs. C-112/05, Slg. 2007, I-8995 („VW“), Rn. 74. 218 Vgl. EuGH v. 29.3.2007, Rewe Zentralfinanz eG ./. Finanzamt Köln-Mitte, Rs. C-347/04, Slg. 2007, I-2647, Rn. 62 (Gewährleistung der steuerlichen Kohärenz); EuGH v. 15.5.1997, Futura Participations SA und Singer ./. Administration des contributions, Rs. C-250/95, Slg. 1997, I-2471, Rn. 31 (Wirksamkeit der Steueraufsicht).

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(wohl) standhalten würden, liefert zudem der Acquis communautaire gesellschaftsrechtlicher Verordnungen und Richtlinien, die grenzüberschreitende Restrukturierungen regeln, speziell SE-VO und SE-RL (dazu § 41), SCE-VO und SCE-RL (dazu § 42) und 10. RL (dazu § 23).219 Verfahrensrechtliche Vorgaben entsprechend dem all diesen Rechtsinstrumen- 61 ten zu Grunde liegenden „europäischen Modell für Strukturmaßnahmen“ (vgl. § 23 Rn. 3, 26; § 41 Rn. 36, 50, 63, 171, 180; § 42 Rn. 22) dürften daher auch für den Fall der statutenwechselnden Sitzverlegung gerechtfertigt sein.220 Darüber hinaus dürften die Mitgliedstaaten auch befugt sein, besondere Vorschriften zu erlassen, um einen angemessenen Schutz derjenigen Minderheitsgesellschafter, die sich gegen eine statutenwechselnde Sitzverlegung aussprechen, zu gewährleisten (vgl. Art. 8 Abs. 5, 24 Abs. 2, 32 SE-VO [dazu § 41 Rn. 47, 59, 174]; Art. 28 Abs. 2 SCE-VO [dazu § 42 Rn. 28]; Art. 4 Abs. 2 S. 2 der 10. RL [dazu § 23 Rn. 131 ff.]).221 Weiterhin ist davon auszugehen, dass die Mitgliedstaaten ein angemessenes System zum Schutz der Gläubiger der Gesellschaft etablieren dürfen (vgl. Art. 8 Abs. 7 SE-VO [dazu § 41 Rn. 173], Art. 7 Abs. 7 SCE-VO [dazu § 42 Rn. 107]), insbesondere in Form der Einräumung eines Anspruchs auf Sicherheitsleistung (vgl. Art. 24 Abs. 1 SE-VO [dazu § 41 Rn. 46], Art. 4 Abs. 2 S. 1 i.V.m. Art. 4 Abs. 1 lit. b S. 1 der 10. RL [dazu § 23 Rn. 141], jeweils i.V.m. Art. 13 der 3. (Fusions-)RL [dazu § 21 Rn. 117 ff.]).222 Deutlich problematischer ist allerdings die Frage, ob und inwieweit der Wegzugs- 62 staat die statutenwechselnde Sitzverlegung vom Erhalt der Arbeitnehmermitbestimmung abhängig machen kann.223 Zwar ist entgegen einer teilweise im Schrifttum vertretenen Auffassung 224 grundsätzlich auch die unternehmerische Mitbestimmung als ein Element des vom EuGH explizit als zwingender Grund des Allgemeininteresses anerkannten 225 „Schutzes der Arbeitnehmer“ anzusehen (dafür sprechen nicht zuletzt die mitbestimmungsrechtlichen Regelungen in der SE-RL [dazu § 41 Rn. 186 ff.], der SCE-RL [dazu § 42 Rn. 113 ff.], Art. 16 der 10. RL [dazu § 23 Rn. 147 ff.] und dem SPE-VOE [dazu § 43 Rn. 172 ff.]) 226. Zu berücksichtigen ist jedoch, dass eine statu-

219 Vgl. Bayer/J. Schmidt ZHR 173 (2009) 735, 757; dies. BB 2010, 387, 391; Eckert GesRZ 2009, 139, 147 f.; Szydlo ECFR 2010, 414, 433 f. 220 Vgl. Bayer/J. Schmidt ZHR 173 (2009) 735, 757. 221 Vgl. Bayer/J. Schmidt ZHR 173 (2009) 735, 757 f.; Eckert GesRZ 2009, 139, 148; Meilicke GmbHR 2009, 92, 94; C. Teichmann ZIP 2009, 393, 403; Zimmer/Naendrup NJW 2009, 545, 546. 222 Vgl. Bayer/J. Schmidt ZHR 173 (2009) 735, 758; Eckert GesRZ 2009, 139, 147 f.; Johnston/Syrpis (2009) 34 E. L. Rev. 378, 387 f.; 399 f.; Meilicke GmbHR 2009, 92, 94; Mörsdorf EuZW 2009, 97, 101; Paefgen WM 2009, 529, 533; C. Teichmann ZIP 2009, 393, 403; Zimmer/Naendrup NJW 2009, 545, 547. 223 Dafür Eckert GesRZ 2009, 139, 148. 224 Vgl. Behme/Nohlen BB 2009, 13, 14; Meilicke GmbHR 2009, 92, 94. 225 Vgl. o. Rn. 60 sowie noch § 15 Rn. 19. 226 Vgl. Bayer AG 2004, 534, 537; ders. BB 2003, 2357, 2365; Bayer/J. Schmidt ZHR 173 (2009) 735, 758; Eidenmüller/Rehm ZGR 2004, 159, 186; Henssler GS Heinze, 2005, S. 333, 353; Kieninger EWS 2006, 49, 53; W.-H. Roth GS Heinze, 2005, S. 709, 723; Thüsing ZIP 2004, 381, 385 ff.; Weiss/Seifert ZGR 2009, 542, 557.

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tenwechselnde Sitzverlegung in vielen Fällen faktisch unmöglich sein könnte, wenn der Wegzugsstaat sie generell von der Beibehaltung des Mitbestimmungssystems abhängig machen könnte, denn dieses wird sich häufig nicht oder nur äußerst schwierig in die Leitungsverfassung nach dem Recht des Zuzugsstaats integrieren lassen.227 Als Lösungsweg kommt hier möglicherweise das in SE-RL, SCE-RL und 10. RL vorgesehene Verhandlungsmodell (dazu näher § 41 Rn. 186 ff., § 42 Rn. 113 ff., § 23 Rn. 151) in Betracht.228 Damit dieses wirklich funktioniert, müssen aber auch im Zuzugsstaat (sowie ggf. in anderen (Mitglieds-)staaten, in denen die Gesellschaft Arbeitnehmer hat) entsprechende und kompatible Regelungen existieren 229 – woran es jedoch bislang fehlt. 63 Schließlich darf der Wegzugsstaat insbesondere auch keine unverhältnismäßigen steuerlichen Hürden errichten; insoweit können die Vorgaben für grenzüberschreitende Sitzverlegungen von SE und SCE in Art. 12 ff. der Fusionssteuer-RL230 (dazu noch § 41 Rn. 198, § 42 Rn. 115) als Leitlinie dienen231.

(3) Umfang der Regelungsautonomie des Zuzugsstaats 64 Der EuGH stellt die Möglichkeit der statutenwechselnden Sitzverlegung zudem unter den Vorbehalt der Zulässigkeit nach dem Recht des Zuzugsstaats (vgl. o. Rn. 43). Entgegen mancher Äußerungen im Schrifttum bedeutet dies indes nicht, dass es dem Zuzugsstaat völlig frei stünde, ob und unter welchen Voraussetzungen er einen grenzüberschreitenden Formwechsel zulässt.232 Denn dies wäre mit der extensiven Auslegung des Schutzbereichs der Niederlassungsfreiheit im Sevic-Urteil (dazu o. Rn. 33), wonach dieser nicht nur grenzüberschreitende Sitzverlegungen, sondern auch „andere Gesellschaftsumwandlungen“ erfasst, nicht zu vereinbaren. Wenn und soweit ein Mitgliedstaat für seine nationalen Rechtsformen einen identitätswahrenden Formwechsel zulässt, muss er dies daher auch für die entsprechenden grenzüberschrei-

227 Vgl. Bayer/J. Schmidt ZHR 173 (2009) 735, 758. 228 Vgl. Bayer/J. Schmidt ZHR 173 (2009) 735, 758 f.; i.d.S. wohl auch Eckert GesRZ 2009, 47, 49; Ratka/Wolfbauer ZfRV 2009, 57, 63 f.; vgl. zum Verhandlungsmodell als „comprehensive code für employee protection“ auch Armour/Ringe (2011) 48 C.M.L. Rev. 125, 165; zweifelnd aber C. Teichmann ZIP 2009, 393, 403. 229 Vgl. Bayer/J. Schmidt ZHR 173 (2009) 735, 759; Otte/Rietschel GmbHR 2009, 983, 986; C. Teichmann ZIP 2009, 393, 403. 230 RL 2009/133/EG des Rates v. 19.10.2009 über das gemeinsame Steuersystem für Fusionen, Spaltungen, Abspaltungen, die Einbringung von Unternehmensteilen und den Austausch von Anteilen, die Gesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten betreffen, sowie für die Verlegung des Sitzes einer Europäischen Gesellschaft oder einer Europäischen Genossenschaft von einem Mitgliedstaat in einen anderen Mitgliedstaat, ABlEU v. 25.11.2009, L 310/34. 231 Vgl. Bayer/J. Schmidt ZHR 173 (2009) 735, 759. 232 I.d.S. jedoch offenbar Frenzel EWS 2009, 158, 160, 164; Johnston/Syrpis (2009) 34 E. L. Rev. 378, 387; Korom/Metzinger ECFR 2009, 125, 156; Paefgen WM 2009, 529, 532.

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tenden Konstellationen tun.233 So muss z.B. das englische Recht, das eine „re-registration“ einer Ltd. in eine plc sowie umgekehrt einer plc in eine Ltd. gestattet 234, auch den grenzüberschreitenden Formwechsel einer AG in eine Ltd. oder einer GmbH in eine plc gestatten.235 Sofern eine nationale Rechtsform Zielrechtsträger eines nationalen Formwechsels sein kann, muss aber auch ein „rechtsformkongruenter“ transnationaler Formwechsel zugelassen werden (z.B. AG in plc oder GmbH in Ltd.): Denn auch wenn auf nationaler Ebene logischerweise keine entsprechenden Regelungen existieren (Verfahrensregeln für den Formwechsel einer plc in eine plc wären geradezu abstrus!), läge in der Verweigerung entsprechender transnationaler Formwechsel eine speziell mit Blick auf den Telos der Niederlassungsfreiheit und den effet utile des Unionsrechts unzulässige Diskriminierung; wenn die Mitgliedstaaten rechtsforminkongruente transnationale Formwechsel zulassen müssen, so muss dies a maiore ad minus auch für rechtsformkongruente transnationale Formwechsel gelten.236

(4) Spezialkonstellation: „Formwechsel“ in Personengesellschaft Weiterhin wird man Cartesio wohl so interpretieren müssen, dass der Wegzugsstaat 65 die statutenwechselnde Sitzverlegung auch dann nur durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigten 237 Beschränkungen unterwerfen darf, wenn der Zuzugsstaat die Gesellschaft – unabhängig von speziellen umwandlungsrechtlichen Regelungen – zumindest als Personengesellschaft akzeptieren würde.238 Dabei handelt es sich zwar höchstwahrscheinlich nicht um die Konstellation, die der EuGH vor Augen hatte – zumal die Umwandlung in eine Personengesellschaft für die meisten Kapitalgesellschaften (schon wegen der Haftungsfolgen) nur in den seltensten Fällen attraktiv erscheinen wird. Indes hat der Gerichtshof die Anwendung der Niederlassungsfreiheit aber eben gerade nicht davon abhängig gemacht, in welcher Form der

233 Vgl. Bayer/J. Schmidt ZHR 173 (2009) 735, 759 f.; dies. BB 2010, 387, 392; Barthel EWS 2011, 131, 134; Grundmann Rn. 790; Hennrichs/Pöschke/von der Laage/Klavina WM 2009, 2009, 2012; Mörsdorf EuZW 2009, 97, 100; Otte/Rietschel GmbHR 2009, 983, 984 f.; Ratka/Wolfbauer ZfRV 2009, 393, 402; Szydlo (2009) 46 C.M.L. Rev. 703, 721; C. Teichmann ZIP 2009, 393, 402; C. Teichmann/Ptak RIW 2010, 817, 819; Wicke GPR 2010, 238, 240; Zimmer/Naendrup NJW 2009, 545, 548; s. ferner (allerdings unter Berufung auf Inspire Art) auch Behme/Nohlen BB 2009, 13, 14. Sogar für eine generelle Verpflichtung zur Zulassung offenbar Vossestein (2009) 6 ECL 115, 121; offenbar weitergehend auch Cerioni [2010] JBL 311, 328 f. 234 Vgl. ss. 90 ff. bzw. 97 ff. CA 2006. 235 Vgl. Bayer/J. Schmidt ZHR 173 (2009) 735, 760. 236 Vgl. Bayer/J. Schmidt ZHR 173 (2009) 735, 760. 237 Zur Rechtfertigung von Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses (sog. Gebhard-Formel) noch näher § 15 Rn. 18 ff. 238 Vgl. Bayer/J. Schmidt ZHR 173 (2009) 735, 761 f.; Barthel EWS 2010, 316, 325 f.; Leible/ Hoffmann BB 2009, 58, 60 f.; Otte/Rietschel GmbHR 2009, 983, 985; Zimmer/Naendrup NJW 2009, 545, 548.

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Zuzugsstaat die Gesellschaft „aufnimmt“.239 Sofern der Zuzugsstaat in seinem nationalen Recht keinen Formwechsel kennt – und daher mit Blick auf das Sevic-Urteil auch keinen grenzüberschreitenden Formwechsel zulassen muss (vgl. o. Rn. 64) –, aber zumindest einen Zuzug unter gleichzeitiger Umwandlung in eine Personengesellschaft nach seinem Recht akzeptieren würde, so ist auch in diesem Fall der Schutzbereich der Art. 49, 54 AEU eröffnet.

bb) Deutsches Recht (1) „Herausformwechsel“ 66 Das deutsche Recht kann nach Cartesio nicht länger an der bisherigen generellen Verweigerung grenzüberschreitender Formwechsel 240 festhalten. Anders als bislang muss vielmehr zum einen der „Herausformwechsel“ einer deutschen Gesellschaft, d.h. die statutenwechselnde Satzungssitzverlegung ins Ausland, prinzipiell zugelassen werden, sofern der „Zuzug“ nach dem Recht des jeweiligen EU-/EWR-Aufnahmestaats möglich ist.241 Der Beschluss über die Verlegung des Satzungssitzes ins Ausland darf daher nicht mehr als nichtig angesehen 242 bzw. als Auflösungsbeschluss interpretiert 243 werden.244 § 4a GmbHG und § 5 AktG sind dahin auszulegen, dass ein Satzungssitz im Inland nur solange erforderlich ist, als die Gesellschaft eine solche deutschen Rechts bleiben möchte.245 Auch ohne ausdrückliche Kodifizierung im 239 Vgl. Bayer/J. Schmidt ZHR 173 (2009) 735, 761; Leible/Hoffmann BB 2009, 58, 60. 240 Vgl. zur bisherigen Rechtslage Bayer/J. Schmidt ZHR 173 (2009) 735, 761 m.z.w.N. 241 Vgl. Bayer/J. Schmidt ZHR 173 (2009) 735, 762; dies. BB 2010, 387, 392; Behme/Nohlen BB 2009, 13, 14; Frenzel EWS 2009, 158, 163 f.; Hennrichs/Pöschke/von der Laage/Klavina WM 2009, 2009, 2015; Herrler DNotZ 2009, 484, 490; Hüffer, AktG, 9. Aufl. 2010, § 5 Rn. 13; Leible FS G. H. Roth, 2011, S. 447, 452 f.; Leible/Hoffmann BB 2009, 58, 62; Otte/Rietschel GmbHR 2009, 983, 985; Paefgen WM 2009, 529, 532; KK-UmwG/ Simon/Rubner, 2009, Vor §§ 122a ff. Rn. 56; C. Teichmann ZIP 2009, 393, 402; Zimmer/Naendrup NJW 2009, 454, 458; a.A. Däubler/Heuschmid NZG 2009, 493, 495; Kindler (Fn. 3), IntHGesR Rn. 531; Koch (Fn. 202), § 13h Rn. 30; Marsch-Barner in: Kallmeyer, UmwG, 4. Aufl. 2010, Vorbem. §§ 122a ff. Rn. 14. 242 So RGZ 7, 68, 70; RGZ 88, 53, 55; RGZ 107, 94, 97; BayObLG AG 1992, 456, 457; OLG Hamm GmbHR 1997, 848; OLG Düsseldorf NZG 2001, 506; OLG Hamm NZG 2001, 562, 563; Großfeld (Fn. 11), IntGesR Rn. 652 ff. 243 So noch Hüffer, AktG, 8. Aufl. 2008, § 5 Rn. 12; Kindler in: MünchKommBGB, 4. Aufl. 2006, IntGesR Rn. 510; Krafka in: MünchKommHGB, 2. Aufl. 2005, § 13h Rn. 15. Offenlassend OLG München BB 2007, 2247 f.; BayObLG BB 2004, 570, 571; OLG Brandenburg BB 2005, 849, 850; vgl. zuletzt auch BGH NJW 2008, 2914 m. Anm. Bayer/ J. Schmidt LMK 269203 (allerdings für eine nachträglich unzulässige Sitzwahl im Inland). 244 Vgl. Bayer/J. Schmidt ZHR 173 (2009) 735, 762; Hüffer (Fn. 241), § 5 Rn. 13; Leible/ Hoffmann BB 2009, 58, 62; C. Teichmann ZIP 2009, 393, 402; Zimmer/Naendrup NJW 2009, 545, 548 f.; a.A. (weiterhin Nichtigkeit des Verlegungsbeschlusses) Kindler (Fn. 3), IntHGesR Rn. 532; Koch (Fn. 202), § 13h Rn. 31. 245 Vgl. Bayer/J. Schmidt ZHR 173 (2009) 735, 762; Otte/Rietschel GmbHR 2009, 983, 985; Wilhelmi JZ 2009, 411, 413; Zimmer/Naendrup NJW 2009, 545, 549.

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EGBGB (wie sie der IPR-RefE [dazu o. Rn. 53] als Art. 10b EGBGB vorgesehen ist) ist zudem bereits jetzt davon auszugehen, dass der statutenwechselnden Verlegung des Satzungssitzes ins Ausland auch kollisionsrechtlich nichts entgegen steht, wenn der Zuzugsstaat bereit ist, die Gesellschaft zu akzeptieren; das bislang auf die etwaige gleichzeitige Verwaltungssitzverlegung gestützte Gegenargument ist nach Zulassung eines ausländischen Verwaltungssitzes durch das MoMiG und dem jedenfalls insoweit erfolgten Übergang zur Gründungstheorie (vgl. o. Rn. 56) nicht mehr tragfähig.246 Um dem sich aus Cartesio ergebenden Gebot der Zulassung des „Herausform- 67 wechsels“ tatsächlich gerecht zu werden, bedarf es jedoch darüber hinaus auch der Schaffung eines klaren verfahrensrechtlichen Rahmens, der in den Grenzen des nach der „Gebhard-Formel“ Zulässigen 247 auch den legitimen Interessen von Gläubigern, Minderheitsgesellschaftern und Arbeitnehmern Rechnung trägt.248 Leitbild hierfür könnten u.a. auch die entsprechenden Regelungen im neuen spanischen Gesetz über strukturelle Änderungen von Handelsgesellschaften 249 sein.250 Bis dahin wird man sich wohl einstweilen mit einer europarechtskonformen Auslegung des § 1 Abs. 1 UmwG 251 und einer entsprechenden Anwendung der §§ 190 ff. UmwG 252 behelfen müssen. Den sich aus dem transnationalen Charakter ergebenden Besonderheiten kann dabei durch eine vorsichtige partielle Analogie zu Art. 8 SE-VO, §§ 12 ff. SEAG (dazu näher § 41 Rn. 170 ff.) und §§ 122a ff. UmwG (dazu näher in § 23) Rechnung getragen werden.253

246 Vgl. Bayer/J. Schmidt ZHR 173 (2009) 735, 762 f. 247 Zur Rechtfertigung von Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses (sog. Gebhard-Formel) noch näher § 15 Rn. 18 ff. 248 Vgl. Bayer (Fn. 91), § 4a Rn. 17; Bayer/J. Schmidt ZHR 173 (2009) 735, 763; Herrler DNotZ 2009, 484, 490 f.; Leible FS G. H. Roth, 2011, S. 447, 453; Leible/Hoffmann BB 2009, 58, 62; Meilicke GmbHR 2009, 92, 94 ff.; C. Teichmann ZIP 2009, 393, 403; für eine Regelung auch Frobenius DStR 2009, 487, 492; Hennrichs/Pöschke/von der Laage/Klavina WM 2009, 2009, 2015; Otte/Rietschel GmbHR 2009, 983, 986; Paefgen WM 2009, 529, 533. 249 Ley 3/2009 de 3 de abril sobre modificaciones estructurales de las sociedades mercantiles, BOE 82 v. 4.4.2009. Dazu Fischer RIW 2009, 435 ff.; Marcos (2011) 8 ECL 41, 42 f.; Torres (2009) 20 ICCLR N8 ff. Das luxemburgische Recht lässt einen grenzüberschreitenden Formwechsel sogar bereits seit Jahrzehnten zu, vgl. Art. 67-1 Loi du 10 août 1915; dazu Behrens RIW 1986, 590, 591 f.; J. Schmidt DB 2006, 2221, 2222. 250 Vgl. Bayer/J. Schmidt ZHR 173 (2009) 735, 763; Leible/Hoffmann BB 2009, 58, 62. 251 Vgl. Bayer/J. Schmidt ZHR 173 (2009) 735, 763. 252 Vgl. Bayer/J. Schmidt ZHR 173 (2009) 735, 763; Otte/Rietschel GmbHR 2009, 983, 986. 253 Vgl. Bayer/J. Schmidt ZHR 173 (2009) 735, 763. Für eine Heranziehung der hierin zum Ausdruck kommenden Wertungen bzw. eine Analogie auch Hennrichs/Pöschke/von der Laage/Klavina WM 2009, 2009, 2015; Herrler DNotZ 2009, 484, 489, 491; Otte/Rietschel GmbHR 2009, 983, 986; Paefgen WM 2009, 529, 533; C. Teichmann ZIP 2009, 393, 403; C. Teichmann/Ptak RIW 2010, 817, 820; s. ferner schon Lutter/Drygala in: Lutter (Hrsg.), UmwG, 4. Aufl. 2009, § 1 Rn. 19 f.; vgl. für Österreich auch Eckert GesRZ 2009, 47, 49; ders. GesRZ 2009, 139, 147 (Analogie zu §§ 12 f., 14 öSEG)

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Schließlich werden aber auch die steuerlichen Rahmenbedingungen europarechtskonform ausgestaltet werden müssen; die derzeitige Regelung in § 12 KStG dürfte insoweit eine unzulässige Beschränkung darstellen254.

(2) „Hereinformwechsel“ 69 Aus Cartesio i.V.m. Sevic (vgl. o. Rn. 64) folgt für das deutsche Recht aber auch das Gebot der Zulassung des „Hereinformwechsels“ von EU/EWR-Gesellschaften in die in § 191 Abs. 2 UmwG genannten Zielrechtsträger.255 § 1 Abs. 1 UmwG ist auch insofern europarechtskonform auszulegen.256 Für das Verfahren gelten grundsätzlich die §§ 190 ff. UmwG entsprechend, wobei i.R.d. § 191 Abs. 1 UmwG auf die jeweils kongruenten ausländischen Rechtsformen abzustellen ist.257 Da die §§ 190 ff. UmwG nicht auf die Spezifika des grenzüberschreitenden Formwechsels abgestimmt sind, ist auch insoweit eine partielle Analogie zu Art. 8 SE-VO, §§ 12 ff. SEAG (dazu näher § 41 Rn. 170 ff.) und §§ 122a ff. UmwG (dazu näher in § 23) geboten.258 Angesichts des hiermit verbundenen erheblichen Unsicherheitspotentials wäre aber auch hierfür eine baldige spezielle gesetzliche Regelung nach dem Vorbild der §§ 122a ff. UmwG zu wünschen.259

254 Vgl. Bayer/J. Schmidt ZHR 173 (2009) 735, 763; Campos Nave BB 2009, 872, 873; Frobenius DStR 2009, 487, 490; Otte/Rietschel GmbHR 2009, 983, 987; zweifelnd auch Knop DZWiR 2009, 147, 152; s. ferner Dourado/Pistone Intertax 2009, 342, 344 f.; Zimmer/Naendrup NJW 2009, 545, 549; a.A. Gebert/Fingerhuth IStR 2009, 445, 448. 255 Vgl. Bayer/J. Schmidt ZHR 173 (2009) 735, 764; dies. BB 2010, 387, 392; Otte/Rietschel GmbHR 2009, 983, 986 f.; C. Teichmann/Ptak RIW 2010, 817, 822; Zimmer/Naendrup NJW 2009, 545, 549; abw. jedoch Kindler (Fn. 3), IntHGesR Rn. 535 f.; Koch (Fn. 202), § 13h Rn. 35. 256 Vgl. Bayer/J. Schmidt ZHR 173 (2009) 735, 764; Hennrichs/Pöschke/von der Laage/Klavina WM 2009, 2009, 2015; Zimmer/Naendrup NJW 2009, 545, 549. 257 Vgl. Bayer/J. Schmidt ZHR 173 (2009) 735, 764; s. ferner auch schon Jaensch EWS 2007, 97, 102 ff. 258 Vgl. Bayer/J. Schmidt ZHR 173 (2009) 735, 764. Für eine Heranziehung der hierin zum Ausdruck kommenden Wertungen bzw. eine Analogie auch Hennrichs/Pöschke/von der Laage/Klavina WM 2009, 2009, 2015; Herrler DNotZ 2009, 484, 489, 491; Otte/Rietschel GmbHR 2009, 983, 986; Paefgen WM 2009, 529, 533; C. Teichmann ZIP 2009, 393, 403; C. Teichmann/Ptak RIW 2010, 817, 822 f.; s. ferner schon Lutter/Drygala in: Lutter (Hrsg.), UmwG, 4. Aufl. 2009, § 1 Rn. 19 f. 259 Vgl. Bayer/J. Schmidt ZHR 173 (2009) 735, 764; dies. BB 2010, 387, 392. Für eine baldige gesetzliche Regelung auch Hennrichs/Pöschke/von der Laage/Klavina WM 2009, 2009, 2015; Leible FS G. H. Roth, 2011, S. 447, 453; Leible/Hoffmann BB 2009, 58, 63; Meilicke GmbHR 2009, 92, 94; Otte/Rietschel GmbHR 2009, 983, 986 f.; Zimmer/Naendrup NJW 2009, 545, 549.

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2. Grenzüberschreitende Verschmelzung a) Kapitalgesellschaften aa) EU-Recht Für die grenzüberschreitende Verschmelzung von Kapitalgesellschaften aus verschie- 70 denen EU-/EWR-Mitgliedsstaaten ist auf EU-Ebene mit der 10. RL (dazu ausf. § 23) ein klarer Rechtsrahmen geschaffen worden, der inzwischen260 auch in allen Mitgliedstaaten in nationales Recht umgesetzt wurde.

bb) Deutsches Recht In Deutschland erfolgte die Umsetzung der 10. RL durch das 2. UmwÄndG 261, das 71 die neuen §§ 122a ff. UmwG einfügte (näher § 23 Rn. 8). Korrespondierend mit der RL ist deren Anwendungsbereich allerdings auf die grenzüberschreitende Verschmelzung deutscher Kapitalgesellschaften mit solchen aus EU-/EWR-Mitgliedstaaten beschränkt;262 im Hinblick auf Drittstaaten (inklusive der USA263) besteht weiterhin erhebliche Rechtsunsicherheit.264 b) Personengesellschaften aa) EU-Recht Personengesellschaften sind zwar nicht von der 10. RL erfasst (vgl. § 23 Rn. 11). Nach 72 ganz h.M.265 genießen jedoch auch sie – soweit sie Gesellschaften i.S.d. Art. 54 AEU sind (dazu § 4 Rn. 11 f.) – auf Grund des Sevic-Urteils (dazu o. Rn. 32 ff.) „Verschmelzungsfreiheit“ auf der Basis der Art. 49, 54 AEU. Geschützt ist insoweit richti260 Vgl. zur verspäteten Umsetzung in vielen Mitgliedstaaten § 23 Rn. 8 Fn. 25. 261 Zweites Gesetz zur Änderung des Umwandlungsgesetzes v. 19.4.2007, BGBl. I, S. 542. 262 Vgl. BegrRegE z. 2. UmwÄndG, BR-Drs. 548/06, S. 30; Bayer in: Lutter (Hrsg.), UmwG, 4. Aufl. 2009, § 122b Rn. 8, 11; Bayer/J. Schmidt ZHR 173 (2009) 735, 765 m.w.N. 263 Entgegen einer teilweise vertretenen Auffassung sind die §§ 122a ff. UmwG insoweit nicht anwendbar, vgl. Bayer/J. Schmidt ZHR 173 (2009) 735, 765; Bayer (Fn. 262), § 122b Rn. 11 m.w.N. 264 Vgl. Bayer/J. Schmidt ZHR 173 (2009) 735, 765. 265 Vgl. Bayer (Fn. 262), § 122a Rn. 13; Bayer/J. Schmidt ZIP 2006, 210, 212; dies. BB 2008, 454, 459; dies. ZHR 173 (2009) 735, 765; Bungert/Schneider GS Gruson, 2009, S. 37; Doralt IPrax 2006, 572, 576; Heckschen in: Widmann/Mayer, UmwG (Stand: 120. EL 2011), Vor §§ 122a ff. Rn. 14; Hörtnagl in: Schmitt/Hörtnagl/Stratz, UmwG, 5. Auflage 2009, § 1 Rn. 50; Kindler (Fn. 3), IntHGesR Rn. 902; Lutter/Drygala (Fn. 253), § 1 Rn. 9; Marsch-Barner in: Kallmeyer, UmwG, 4. Aufl. 2010, Vorbem. §§ 122a ff. Rn. 9; Menjucq in: Conac (éd.), Fusions transfrontalières de sociétés, 2011, S. 15, 17; Herrler EuZW 2007, 295, 299; Papadopoulos (2011) 36 E. L. Rev. 71, 87; J. Vetter AG 2006, 613, 616; Weiss/ Wöhlert WM 2007, 580, 583.

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ger Ansicht nach nicht nur die Hinein-, sondern auch die Herausverschmelzung; dies wurde schon vor Cartesio (dazu o. Rn. 37 ff.) überwiegend so gesehen 266 und wird durch das dortige obiter dictum des EuGH weiter untermauert 267. Denn auch im Falle der grenzüberschreitenden Herausverschmelzung streift die sich verschmelzende Gesellschaft – bildlich gesprochen – das Rechtskleid ihrer Heimatrechtsordnung ab (so dass die Definitionsautonomie des Heimatmitgliedstaats endet); nur streift sie sich nicht alleine ein neues Rechtskleid (des Aufnahmestaats) über, sondern schlüpft mit unter das Rechtskleid der aufnehmenden bzw. neu gegründeten Gesellschaft.268 73 Da der EuGH in Sevic allerdings nur die generelle Zulässigkeit der Verschmelzung festgestellt, die näheren Einzelheiten des Verschmelzungsverfahrens jedoch nicht näher konturiert hat, herrscht derzeit diesbezüglich erhebliche Rechtsunsicherheit.269

bb) Deutsches Recht 74 Im deutschen Recht existieren keine speziellen Vorschriften für die grenzüberschreitende Verschmelzung von Personengesellschaften. Der Gesetzgeber hat es i.R.d. Legislativverfahrens zum 2. UmwÄndG 270 (dazu näher § 23 Rn. 8, 25) ungeachtet nachdrücklicher Forderungen aus der Wissenschaft und Praxis 271 ausdrücklich abgelehnt, den Anwendungsbereich der §§ 122a ff. UmwG auch auf Personengesellschaften zu erstrecken und stattdessen einen kollisionsrechtlichen Regelungsansatz favori-

266 Kantongerecht Amsterdam DB 2007, 677; Bayer (Fn. 262), § 122a Rn. 11; ders. (Fn. 91), Anh II zu § 4a Rn. 58; Bayer/J. Schmidt ZIP 2006, 210, 211; dies. BB 2008, 454, 459; Behrens (2006) 43 C.M.L. Rev. 1686; Bungert BB 2006, 53, 56; Doralt IPrax 2006, 572, 575; Kieninger EWS 2006, 49, 51 f.; Krause/Kulpa ZHR 171 (2007) 38, 45; Lutter/Drygala JZ 2006, 770, 771; Meilicke/Rabback GmbHR 2006, 123, 125 f.; Priemayer WBl. 2006, 119, 120; Reichert Konzern 2006, 821, 834; Schindler ECFR 2006, 109, 117; Schön ECFR 2006, 122, 142; C. Teichmann ZIP 2006, 355, 358; Thümmel/Hack Konzern 2009, 1, 3; Vossestein (2006) 3 ECL 177, 178; a.A. Kindler Konzern 2008, 811, 818 f.; Leible/ Hoffmann RIW 2006, 161, 165 f.; zurückhaltend auch Papadopoulos (2011) 36 E. L. Rev. 71, 83. 267 Vgl. Bayer/J. Schmidt ZHR 173 (2009) 735, 766; ebenso nach Cartesio auch: Frenzel EWS 2009, 158, 163; Grundmann Rn. 787, 807; Herrler DNotZ 2009, 484, 488; MarschBarner (Fn. 265), Vorbem. §§ 122a ff. Rn. 10; Schmidt-Kessel GPR 2009, 26, 29; Sethe/Winzer WM 2009, 539, 539; Simon/Rubner (Fn. 241), Vor §§ 122a ff. Rn. 37, 48 ff.; a.A. Kindler (Fn. 3), IntHGesR Rn. 896 ff.; Leible (Fn. 12), IntGesR Rn. 34 f., 214. 268 Vgl. Bayer/J. Schmidt ZHR 173 (2009) 735, 766. 269 Vgl. Bayer/J. Schmidt ZHR 173 (2009) 735, 766. 270 Fn. 261. 271 Vgl. Bayer/J. Schmidt NZG 2006, 841; Drinhausen/Keinath BB 2006, 725, 732; Handelsrechtsausschuss des DAV NZG 2006, 737, 740; Kallmeyer GmbHR 2006, 418, 420; Kiem WM 2006, 1091, 1094; Louven ZIP 2006, 2021, 2023 f.; J. Vetter AG 2006, 613, 616 f.

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siert.272 Art. 10a EGBGB-RefE, der im Wesentlichen eine Kodifizierung der kollisionsrechtlichen Vereinigungstheorie vorsah 273, liegt jedoch derzeit – wie der gesamte IPR-RefE – auf Eis (vgl. bereits o. Rn. 53). Auch ohne spezielle kollisionsrechtliche Regelung ist indes davon auszugehen, 75 dass sich Voraussetzungen, Verfahren und Wirkungen einer grenzüberschreitenden Verschmelzung von Personengesellschaften entsprechend der kollisionsrechtlichen Vereinigungstheorie 274 nach dem Personalstatut der jeweiligen Gesellschaft richtet; es kommt folglich zu einer Kumulation der beteiligten Rechtsordnungen, wobei sich jeweils das strengste Recht durchsetzt.275 Da das Zusammentreffen der betreffenden Rechtsordnungen indes häufig zu Friktionen führt, ergeben sich damit für die Praxis ganz erhebliche Rechtsunsicherheiten, die durch das Fehlen spezieller deutscher materiellrechtlicher Regelungen noch potenziert werden. Einige plädieren insoweit für eine Analogie zu den §§ 122a ff. UmwG 276 oder eine Orientierung an den Vorschriften der 10. RL277; andere wollen dagegen schlicht die §§ 2 ff., 39 ff. UmwG betreffend die Verschmelzung von Personenhandelsgesellschaften anwenden 278. Vorzugswürdig erscheint indes eine vermittelnde Lösung i.d.S., dass zwar grundsätzlich die §§ 2 ff., 39 ff. UmwG gelten, diese jedoch im Hinblick auf die spezifischen Aspekte transnationaler Fusionen durch eine (partielle) Analogie zu den §§ 122a ff. UmwG zu ergänzen sind.279 Damit kann sowohl dem grenzüberschreitenden Charakter der Verschmelzung als auch den sich aus der Beteiligung von Personengesellschaften ergebenden Besonderheiten Rechnung getragen werden.280 Da die §§ 122a ff. UmwG nur partiell analog herangezogen werden, relativiert sich zudem auch das sich aus der legislatorischen Konzeption ergebende Gegenargument 281, 282, welches i.Ü. nicht zu272 Vgl. BegrRegE z. 2. UmwÄndG, BR-Drs. 548/06, S. 20. 273 Näher Bollacher RIW 2008, 200, 203; Heckschen (Fn. 200), Rn. 367; Leuering ZRP 2008, 73, 76; Wagner/Timm IPrax 2008, 81, 88. 274 Dazu allg. Kindler (Fn. 3), IntHGesR Rn. 874 ff.; Leible (Fn. 12), IntGesR Rn. 204 ff. (jeweils m.w.N.). 275 Bayer (Fn. 262), § 122a Rn. 13; Bayer/J. Schmidt ZHR 173 (2009) 735, 766 f.; Bungert/ Schneider GS Gruson, 2009, S. 37, 38 f.; Drinhausen in: Semler/Stengel, UmwG, 2. Aufl. 2007, Einl. C Rn. 16, 36; Kieninger EWS 2006, 49, 50 f.; Krause/Kulpa ZHR 171 (2007) 38, 49 ff.; Lutter/Drygala (Fn. 253), § 1 Rn. 21 ff.; Marsch-Barner (Fn. 265), Vorbem. §§ 122a ff. Rn. 12; Simon/Rubner Konzern 2006, 835, 842. 276 Dafür Lutter/Drygala (Fn. 253), § 1 Rn. 18, 20; Thümmel/Hack Konzern 2009, 1, 5; Veit/Wichert AG 2004, 14, 18. 277 Dafür Lutter/Drygala JZ 2006, 770, 776; vgl. auch Oechsler NJW 2006, 812 f. 278 Dafür i.E. Drinhausen (Fn. 275), Einl. C Rn. 38 f.; Louven/Dettmeier/Pöschke Beil. zu BB 13/2006, 1, 5; ebenso wohl auch Gesell/Krömker DB 2006, 2558, 2560; Geyrhalter/ Weber DStR 2006, 146, 147 f.; Spahlinger/Wegen NZG 2006, 721, 727. 279 Bayer/J. Schmidt ZHR 173 (2009) 735, 767; ähnlich auch Bungert/Schneider GS Gruson, 2009, S. 37, 41; Marsch-Barner (Fn. 265), Vorbem. §§ 122a ff. Rn. 12; Simon/Rubner Konzern 2006, 835, 843; für eine entsprechende Lösung de lege ferenda auch Veil Konzern 2007, 98, 105; J. Vetter AG 2006, 613, 616 f. 280 Vgl. Bayer/J. Schmidt ZHR 173 (2009) 735, 769 f. 281 Im Hinblick darauf kritisch bezüglich einer Anwendung der §§ 122a ff. UmwG: Bungert/Schneider GS Gruson, 2009, S. 37, 40; Drinhausen (Fn. 275), Einl. C Rn. 40. 282 Vgl. Bayer/J. Schmidt ZHR 173 (2009) 735, 767.

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letzt vor dem Hintergrund des „Quelle“-Urteils des BGH 283 auch dadurch entkräftet wird, dass sich der Gesetzgeber den aus Sevic (dazu o. Rn. 32 ff.) ergebenden Anforderungen ganz offensichtlich bewusst war und diese erfüllen wollte (wenn auch mittels einer kollisionsrechtlichen Lösung, die aber letztlich auch ein materiellrechtliches Fundament braucht) 284. Letztlich ist freilich auch dies auf Grund der verbleibenden Unsicherheiten im Vergleich zu einer – dringend anzuratenden – gesetzlichen Regelung nur eine suboptimale „Hilfslösung“.285

3. Grenzüberschreitende Spaltung a) EU-Recht 76 Ein spezieller Rechtsrahmen für grenzüberschreitende Spaltungen fehlt bislang auf EU-Ebene; die 6. (Spaltungs-)RL betrifft ausschließlich nationale Spaltungen (vgl. § 22 Rn. 7). Nach inzwischen h.M. ergibt sich die prinzipielle Zulässigkeit grenzüberschreitender Spaltungen (sowohl von Kapital- als auch von Personengesellschaften und sowohl in Form der Hinein- als auch der Herausspaltung) angesichts der extensiven Diktion des Gerichtshofs im Sevic-Urteil (dazu o. Rn. 33) aber bereits unmittelbar aus Art. 49, 54 AEU.286 Dies korrespondiert auch mit der in Cartesio (dazu o. Rn. 37 ff.) manifestierten Grundkonzeption des EuGH, denn auch im Falle der grenzüberschreitenden Spaltung kommt es zumindest für den abgespaltenen Teil der Gesellschaft zu einem Statutenwechsel.287 Ohne nähere Konturierung des verfahrensrechtlichen Rahmens durch den Gerichtshof oder eine spezielle Richtlinie sind auch grenzüberschreitende Spaltungen allerdings einstweilen mit erheblichen Unsicherheitsfaktoren behaftet.288

283 284 285 286

BGH NJW 2009, 427 („Quelle“). Vgl. näher dazu bereits § 3 Rn. 53 ff. Vgl. Bayer/J. Schmidt ZHR 173 (2009) 735, 768. Vgl. Bayer/J. Schmidt ZHR 173 (2009) 735, 768. Vgl. Bayer (Fn. 91), Anh II zu § 4a Rn. 59; Bayer/J. Schmidt ZHR 173 (2009) 735, 768; dies. BB 2008, 454, 459; Decher Konzern 2006, 805, 810; Doralt IPrax 2006, 572, 576; Grundmann Rn. 787; Herrler EuZW 2007, 295, 299 f.; Kallmeyer/Kappes AG 2006, 224, 234 ff.; Krause/Kulpa ZHR 171 (2007) 38, 46 f.; Leible/Hoffmann RIW 2006, 161, 165; Lutter/Drygala (Fn. 253), § 1 Rn. 11; Marsch-Barner (Fn. 265), Vorbem. §§ 122a ff. Rn. 11; Meilicke/Rabback GmbHR 2006, 123, 126; Papadopoulos (2011) 36 E. L. Rev. 71, 83 f.; Rønfeldt/Werlauff (2006) 3 ECL 125, 127; Simon/Rubner (Fn. 241), Vor §§ 122a ff. Rn. 53; Storm (2006) 3 ECL 130, 134; Vossestein (2006) 3 ECL 177, 179. 287 Vgl. Bayer/J. Schmidt ZHR 173 (2009) 735, 768; s. ferner auch Herrler DNotZ 2009, 484, 488. 288 Vgl. Bayer/J. Schmidt ZHR 173 (2009) 735, 768.

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b) Deutsches Recht Das deutsche Recht kennt bislang ebenfalls keine speziellen Regelungen für grenz- 77 überschreitende Spaltungen. I.R.d. Legislativverfahrens zum 2. UmwÄndG 289 hat der Gesetzgeber mittels der ausdrücklichen Beschränkung der Verweisung in § 125 S. 1 UmwG auf den 1.–9. Abschnitt des Zweiten Buchs sogar explizit klargestellt, dass er die §§ 122a ff. UmwG gerade nicht (entsprechend) auf grenzüberschreitende Spaltungen angewendet wissen will.290 Vielmehr favorisiert er offenbar auch insoweit einen kollisionsrechtlichen Regelungsansatz, denn Art. 10a EGBGB-RefE 291 sieht die Kodifikation der kollisionsrechtlichen Vereinigungstheorie auch für Spaltungen vor.292 Aus Sevic und Cartesio folgt jedoch, dass deutschen Gesellschaften auf Grund der 78 Art. 49, 54 AEU grundsätzlich ein Recht auf Beteiligung an grenzüberschreitenden Spaltungen zusteht.293 Letztlich ergibt sich somit dieselbe Problematik wie bei der grenzüberschreitenden Verschmelzung von Personengesellschaften (dazu o. Rn. 74 f.), die – bis zu einer hoffentlich baldigen Regelung auf EU- und/oder nationaler Ebene – nach denselben Grundsätzen zu lösen ist.294 § 1 Abs. 1 UmwG ist insoweit europarechtskonform auszulegen.295 Voraussetzungen, Verfahren und Wirkungen grenzüberschreitender Spaltungen richten sich entsprechend der kollisionsrechtlichen Vereinigungstheorie nach dem Personalstatut der jeweiligen Gesellschaft; i.R.d. hieraus resultierenden Kumulation der beteiligten Rechtsordnungen setzt sich das jeweils strengste Recht durch.296 Auf materiellrechtlicher Ebene gelten für die beteiligte(n) deutsche(n) Gesellschaft(en) grundsätzlich die §§ 123 ff. UmwG, hinsichtlich der spezifisch transnationalen Aspekte sind jedoch partiell die §§ 122a ff. UmwG analog heranzuziehen.297

289 Fn. 261. 290 Vgl. BegrRegE z. 2. UmwÄndG, BR-Drs. 548/06, S. 40; Bayer/J. Schmidt ZHR 173 (2009) 735, 769. S. dazu auch Bayer (Fn. 262), § 122a Rn. 15; Drinhausen (Fn. 275), § 122a Rn. 6; Heckschen (Fn. 265), § 122a Rn. 20; Louven ZIP 2006, 2021, 2023 f.; Simon/Rubner Konzern 2006, 835, 843. 291 Vgl. dazu die Nachweise in Fn. 273. 292 Vgl. Bayer/J. Schmidt ZHR 173 (2009) 735, 769. 293 Vgl. Bayer/J. Schmidt ZHR 173 (2009) 735, 769 sowie o. Rn. 76. 294 Vgl. Bayer/J. Schmidt ZHR 173 (2009) 735, 769. 295 Vgl. Bayer/J. Schmidt ZHR 173 (2009) 735, 769; Drinhausen (Fn. 275), Einl. C Rn. 38; Lutter/Drygala (Fn. 253), § 1 Rn. 17. 296 Vgl. Bayer/J. Schmidt ZHR 173 (2009) 735, 769; Drinhausen (Fn. 275), Einl. C Rn. 36; Lutter/Drygala (Fn. 253), § 1 Rn. 21 ff. 297 Vgl. Bayer/J. Schmidt ZHR 173 (2009) 735, 769; ähnlich auch Marsch-Barner (Fn. 265), Vorbem. §§ 122a ff. Rn. 12; Simon/Rubner Konzern 2006, 835, 843; für eine vergleichbare Lösung de lege ferenda auch Veil Konzern 2007, 98, 105. Für eine Analogie zu §§ 122a ff. UmwG: Lutter/Drygala (Fn. 253), § 1 Rn. 19 f.; für eine Analogie zur 3., 6. und 10. RL Kallmeyer/Kappes AG 2006, 224, 234.

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4. Resümee 79 Insgesamt ist somit zu konstatieren, dass der EuGH die Mobilität der Gesellschaften im EU-/EWR-Raum mit seiner neueren Judikatur um Lichtjahre vorangebracht und geradezu revolutioniert hat. In Kombination mit der neuen 10. RL (dazu § 23), den Restrukturierungsmöglichen auf Grund der SE-VO (dazu § 41) und der SCE-VO (dazu § 42) sowie den Liberalisierungsbestrebungen vieler nationaler Gesetzgeber – einschließlich des deutschen – sind den Gesellschaften im Binnenmarkt heute bereits ganz erhebliche Freiheiten eröffnet. 80 Vollständig realisiert ist das den Art. 49, 54 AEU zu Grunde liegende Idealbild einer umfassenden Niederlassungsfreiheit der Gesellschaften im Binnenmarkt damit jedoch noch nicht. Auf Grund der aufgezeigten zahlreichen Regelungslücken, Widersprüche und nicht abschließend geklärten Auslegungs- und Anwendungsfragen existiert bislang weder auf europäischer noch auf nationaler Ebene ein wirklich konsistentes und stimmiges System.298 Für den europäischen Gesetzgeber und den EuGH, aber auch für die nationalen Gesetzgeber (speziell auch den deutschen), bleibt insoweit noch viel zu tun.

VI. Ausblick 1. Fortführung der EuGH-Rechtsprechung 81 Eine erste Gelegenheit, seine Judikatur weiter zu präzisieren und konsolidieren bietet dem EuGH die Rs. VALE (dazu bereits o. Rn. 44). Es bleibt jedoch zu hoffen, dass die nationalen Gerichte und die Kommission dem Gerichtshof durch weitere Vorlageersuchen bzw. Klagen auch in Zukunft noch mehr Gelegenheit dazu geben.

2. Sitzverlegungs-RL? 82 Die Arbeiten an der Sitzverlegungs-RL (dazu noch ausf. § 32) sind zwar derzeit gestoppt (vgl. o. Rn. 11). EP, Praxis und Schrifttum fordern jedoch zu Recht eine baldige Wiederaufnahme (vgl. o. Rn. 11 sowie § 32 Rn. 22, 30). Nachdem sich nun auch die Reflection Group diesen Forderungen angeschlossen hat 299, erscheint eine baldige „Wiederbelebung“ des Projekts durchaus wahrscheinlich (zum Ganzen noch ausf. § 32 Rn. 19 ff.).

298 Vgl. Bayer/J. Schmidt ZHR 173 (2009) 735, 770, 774. 299 Vgl. Bericht Reflection Group (Fn. 37), S. 20 ff. Allgemein zur Reflection Group und ihren Vorschlägen noch § 18 Rn. 5, 100 ff.

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3. Harmonisierung des Internationalen Gesellschaftsrechts? Der Aktionsplan der Kommission zur Umsetzung des Stockholmer Programms sieht 83 für 2014 die Vorlage eines Grünbuchs zum Gesellschaftskollisionsrecht vor.300 Auch die Reflection Group hat in ihrem Bericht vom April 2011 zu einer Debatte über eine Harmonisierung aufgerufen 301 (vgl. dazu noch § 18 Rn. 102). Zumindest langfristig wird es daher hoffentlich doch noch endlich zu einer Harmonisierung in diesem Bereich kommen.302

4. Weitere rechtspolitische Desiderata a) EU-Ebene Im Interesse eines konsistenten Systems mit umfassender europaweiter Mobilität für 84 alle Gesellschaften i.S.d. Art. 54 Abs. 2 AEU wäre es weiterhin unbedingt wünschenswert, bald eine Richtlinie zur grenzüberschreitenden Spaltung sowie zur grenzüberschreitenden Verschmelzung von Personengesellschaften zu verabschieden; ggf. könnte insofern auch die 10. RL erweitert werden.303 In diese Richtung gehen auch die Vorschläge der Reflection Group, die sich in ihrem Bericht vom April 2011 (dazu allg. § 18 Rn. 5, 100 ff.) ebenfalls für einen Ausbau der 10. RL zu einer allgemeinen RL über die grenzüberschreitende Mobilität von Kapitalgesellschaften ausgesprochen hat, die dann neben der Verschmelzung auch die Spaltung und Sitzverlegung regeln soll und später ggf. auch auf andere Gesellschaftsformen erweitert werden könnte.304 Elementarer Bestandteil eines europäischen Binnenmarktes mit grenzüberschrei- 85 tender Mobilität von Gesellschaften i.w.S. ist ferner auch die Komplettierung des Kreises der europäischen Rechtsformen; daher sollte auch die SPE-VO (dazu näher § 43) sobald wie möglich verabschiedet werden.305

b) Deutsches Recht Zum Tätigwerden aufgerufen ist aber auch der deutsche Gesetzgeber: Ganz oben auf 86 der Agenda rechtspolitischer Desiderata stehen insofern die bereits mit dem IPRRefE 2008 (dazu o. Rn. 53) angestoßene Kodifizierung des Internationalen Gesell-

300 KOM(2010) 171, S. 26. 301 Vgl. Bericht Reflection Group (Fn. 37), S. 23 f. Allgemein zur Reflection Group und ihren Vorschlägen noch § 18 Rn. 5, 100 ff. 302 Vgl. dazu auch Bayer/J. Schmidt ZHR 173 (2009) 735, 770 f.; dies. BB 2010, 387, 394 f. 303 Vgl. Bayer/J. Schmidt ZHR 173 (2009) 735, 771. 304 Vgl. Bericht Reflection Group (Fn. 37), S. 20 ff. 305 Vgl. Bayer/J. Schmidt ZHR 173 (2009) 735, 771.

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schaftsrechts im EGBGB sowie eine Novellierung des UmwG in Form einer Ergänzung der materiellrechtlichen Regelungen für die grenzüberschreitende Verschmelzung von Personengesellschaften, die grenzüberschreitende Spaltung und den grenzüberschreitenden Formwechsel.306

§ 7 Die handelsrechtliche Publizität in Europa Literatur: Fischer-Zernin, Cornelius, Der Rechtsangleichungserfolg der Ersten gesellschaftsrechtlichen Richtlinie der EWG, 1986; Grohmann, Uwe, Das Informationsmodell im Europäischen Gesellschaftsrecht, 2006; Gustavus, Eckhart, Handelsregister-Anmeldungen, 7. Aufl. 2009 (mit Nachtrag 2011); Lutter, Marcus, Die Eintragung von EU-Auslandsgesellschaften im Deutschen Handelsregister, in: Lutter, Marcus (Hrsg.), Europäische Auslandsgesellschaften in Deutschland, 2005, S. 1 ff.; Scholz, Oliver, Die Einführung elektronischer Handelsregister im Europarecht, EuZW 2004, 172. S. ferner auch die Literatur- und Rechtsprechungsnachweise bei § 19 und § 28.

1 Im Wirtschaftsverkehr soll die EU wie ein einziges Land sein. Das setzt voraus, dass die wesentlichen Daten über die Wirtschaftssubjekte europaweit nach einheitlichen Standards kurzfristig verfügbar sind. Jedermann soll sich nicht nur in Düsseldorf, sondern ebenso in London, Athen und Palermo über seine potentiellen Vertragspartner auf einfachstem Wege informieren können. Diesem Grundbedürfnis des Wirtschaftsverkehrs wurde bereits 1968 durch die 1. (Publizitäts-)RL (dazu § 19) Rechnung getragen. Sie wurde inzwischen durch die Änderungs-RL 2003/58/EG grundlegend überarbeitet und dem elektronischen Zeitalter angepasst (dazu näher § 19 Rn. 5). Künftig sollen die bislang separaten nationalen Register zudem miteinander verknüpft werden (dazu näher § 19 Rn. 7, 16).

I. Handelsregisterpublizität 2 Seit Erlass und Umsetzung der 1. (Publizitäts-)RL (dazu § 19) ist in Europa sichergestellt, dass bestimmte Mindestangaben über die juristischen Personen des Handelsrechts für jedermann verfügbar sind: Firma, Sitz, Höhe des Kapitals und Person der organschaftlichen Vertreter sowie die Art ihrer Vertretungsmacht (Einzel- oder Gesamtvertretungsmacht) müssen in einem Register eingetragen oder hinterlegt und zudem veröffentlicht werden (Art. 2 ff. der 1. (Publizitäts-)RL, dazu § 19 Rn. 14, 28 ff.). Hinzu kommt, dass Ort und Nummer des Registers auf der Geschäftskorrespondenz anzugeben sind, so dass jeder, der mit dieser Gesellschaft in Kontakt kommt, leicht die Möglichkeit eigener Feststellungen und Überprüfungen hat (Art. 5 der 1. (Publizitäts-)RL, dazu § 19 Rn. 24 f.). Und schließlich ist dieses Ganze europaweit verbunden mit dem, was wir in Deutschland negative Publizität nennen: Die Gesellschaft kann

306 Näher Bayer/J. Schmidt ZHR 173 (2009) 735, 772 ff.

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sich auf eintragungs-/hinterlegungspflichtige, aber nicht eingetragene/hinterlegte Angaben zu Lasten gutgläubiger Dritter nicht berufen (Art. 3 Abs. 6, Abs. 7 Unterabs. 3 der 1. (Publizitäts-)RL/§ 15 HGB, dazu § 19 Rn. 44 ff.). Auf Grund der bereits erwähnten Änderungs-RL 2003/58/EG sind heute alle offenlegungspflichtigen Daten über eine Gesellschaft über eine sie betreffende „Akte“ elektronisch verfügbar (Art. 3 Abs. 1–3 der RL, dazu § 19 Rn. 14 f.). Ferner kann jedermann eine Kopie sämtlicher Unterlagen in Papier- oder elektronischer Form verlangen (Art. 3 Abs. 4 der 1. (Publizitäts-)RL, dazu § 19 Rn. 22). Nehmen im europäischen Ausland wirksam gegründete und dort mit ihrem Sat- 3 zungssitz im Register eingetragene Gesellschaften im Inland eine auf eine gewisse Dauer angelegte wirtschaftliche Betätigung vor, so sind sie auf Grund der 11. (Zweigniederlassungs-)RL (dazu § 28) – unabhängig von der Existenz einer Hauptniederlassung – als Zweigniederlassungen im Sinne der §§ 13d–13g HGB zu behandeln1. Das hat zur Folge, dass sie sich nach den Regeln der §§ 13d–13g HGB beim örtlich zuständigen Handelsregister anmelden und eintragen lassen können und müssen2. Kommen sie dieser Pflicht nicht nach, können sie vom Registergericht nach § 14 HGB durch Festsetzung von Zwangsgeld dazu angehalten werden. Eine persönliche Haftung der Geschäftsführer bzw. Vorstände der fraglichen Auslandsgesellschaften vor der gebotenen Eintragung in das deutsche Handelsregister entsprechend §§ 11 Abs. 2 GmbHG, 41 Abs. 1 S. 2 AktG kommt mangels Analogiefähigkeit allerdings nicht in Betracht 3. Darüber hinaus: Sind Gesellschaften ausländischen Rechts in Deutschland tätig, 4 so besteht für den deutschen Handels- und Wirtschaftsverkehr ein besonderes Bedürfnis nach Information über diese Gesellschaften, ihr Tätigkeitsfeld und die für sie vertretungsberechtigten Personen. Diesem Informationsbedürfnis haben Auslandsgesellschaften auf Grund der 11. (Zweigniederlassungs-)RL i.R.d. Handelsregisterund Rechnungslegungspublizität nachzukommen (dazu ausf. § 28). Zur Umsetzung der Änderungs-RL 2003/58/EG zur 1. (Publizitäts-)RL (dazu § 19 5 Rn. 5) und der Transparenz-RL (dazu § 36) ist in Deutschland am 1.1.2007 das Gesetz über das elektronische Handelsregister und Genossenschaftsregister sowie das Unternehmensregister (EHUG) 4 in Kraft getreten (dazu auch noch näher § 19 Rn. 8). Darin wurde die Schaffung eines zentralen Unternehmensregisters (§ 8b HGB) geregelt und es ist auf diese Weise ein neues Gesamtsystem zur Registrierung und Veröffentlichung von Gesellschafts- und Unternehmensdaten entstanden. Der Verkehr mit dem Han-

1 BGH NJW 2005, 1648, 1649; KG GmbHR 2004, 116; Leible/Hoffmann EuZW 2003, 677, 680; Bayer in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 17. Aufl. 2009, Anh. II zu § 4a Rn. 19 m.w.N. Ausf. zum Ganzen Lutter in: Lutter (Hrsg.), Europäische Auslandsgesellschaften in Deutschland, 2005, S. 1 ff. S. ferner auch noch § 28 Rn. 8. 2 Eingehend dazu Bayer (Fn. 1), Anh. I zu § 4a Rn. 8 ff. 3 BGH NJW 2005, 1648. Näher zur Problematik Lutter (Fn. 1), S. 1, 9 ff. S. zum Ganzen auch noch näher bei § 28 Rn. 94. 4 Gesetz über elektronische Handelsregister und Genossenschaftsregister sowie das Unternehmensregister (EHUG) v. 10.11.2006, BGBl. I, 2553.

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delsregister erfolgt seither nur noch elektronisch, § 12 HGB. Da jede Anmeldung zum Handelsregister in Deutschland 5 aber nach wie vor der öffentlichen Beglaubigung bedarf (§ 12 Abs. 1 S. 1 HGB), läuft dieser Verkehr in der Praxis insgesamt über den beglaubigenden Notar. 6 Europaweit kann heute jedermann auf elektronischem Wege auf die derart im In- und Ausland gespeicherten Daten über die Gesellschaften und Unternehmen zugreifen (vgl. bereits o. Rn. 2 sowie § 19 Rn. 2).

II. Die Rechnungslegungspublizität 7 Für die Publizität der Rechnungslegung gilt auf Grund von Art. 2 lit. f der 1. (Publizitäts-RL) (dazu § 19 Rn. 34 f.), Art. 47 ff. der 4. (Bilanz-)RL (dazu § 24 Rn. 19 f.), Art. 38 f. der 7. (Konzernbilanz-)RL (dazu § 25 Rn. 23 f.) im Prinzip das Gleiche wie für die Unternehmensdaten: Die Rechnungslegungsdaten sind elektronisch verfügbar (vgl. dazu noch § 19 Rn. 14 f., 18 f., 22; § 24 Rn. 19 f.; § 25 Rn. 23 f.). Nach § 325 HGB ist der Jahresabschluss mit Lagebericht und Anhang sowie dem Testat des Abschlussprüfers in elektronischer Form zum elektronischen Bundesanzeiger einzureichen und steht dort dann jedermann im In- und Ausland zur Einsicht offen. Das Gleiche gilt in den anderen EU- und EWR-Ländern, so dass auch diese Daten europaweit jederzeit und überall abrufbar sind. 8 Für inländische Zweigniederlassungen ausländischer Kapitalgesellschaften (mit oder ohne Hauptsitz im Ausland) bestimmt § 325a HGB in Umsetzung von Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 lit. g, 3, 7 Abs. 1, 8 lit. j, 9 der 11. (Zweigniederlassungs-)RL (dazu § 28 Rn. 23 ff., 57, 70 ff.), dass für deren Abschlusspublizität im elektronischen Bundesanzeiger die nach dem Recht der Hauptniederlassung erstellten Rechnungslegungsunterlagen ausreichend sind. Die Unterlagen sind an sich in deutscher Sprache beim elektronischen Bundesanzeiger einzureichen. Soweit die Amtssprache der Hauptniederlassung aber nicht Deutsch ist, können die Unterlagen auch in englischer Sprache in einer vom Register der Hauptniederlassung beglaubigten Abschrift oder, wenn eine dem Register vergleichbare Einrichtung nicht vorhanden oder diese nicht zur Beglaubigung befugt ist, in einer von einem Wirtschaftsprüfer bescheinigten Abschrift eingereicht werden, verbunden mit der Erklärung, dass entweder eine dem Register vergleichbare Einrichtung nicht vorhanden oder diese nicht zu Beglaubigung befugt ist.

5 Anders als in vielen Nachbarländern wie etwa insbesondere Frankreich oder dem UK.

Das harmonisierte „europäisierte“ Recht der (nationalen) AG in Europa

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§ 8 Das harmonisierte „europäisierte“ Recht der (nationalen) AG in Europa I. Überblick 1. Modernisierung durch Angleichung Die Aktienrechte in Europa waren einst sehr verschieden und beruhten auf sehr 1 verschiedenen Prinzipien. So waren Recht und Erscheinung der company limited by shares des englischen und irischen Rechts weit entfernt von den deutschen und romanischen Aktienrechten, diese wiederum verschieden vom niederländischen Recht etc. Hier haben die 1. (Publizitäts-)RL (dazu § 19) und 2. (Kapital-)RL (dazu § 20), aber auch die 3. (Fusions-)RL (dazu § 21) und 6. (Spaltungs-)RL (dazu § 22) geradezu grundstürzend eingegriffen, die Erscheinungsformen und Prinzipien einander stark angenähert und insgesamt zu einem eindrucksvollen Modernisierungsschub im Aktienrecht geführt. Dabei hatten diese Richtlinien sowohl unmittelbare wie mittelbare Effekte, wobei letztere mindestens ebenso entscheidend waren wie erstere. Man bedenke: Ohne diese Richtlinien gäbe es die heute durchgängige Zweiteilung in Aktienrecht einerseits, GmbH-Recht andererseits nicht.1 Die Niederlande 2 und Dänemark 3 haben die GmbH überhaupt erst in diesen Zu- 2 sammenhängen in ihr Recht eingefügt, Schweden 4 und Finnland 5 differenzieren nun zwischen publikt aktiebolag und privat aktiebolag (dazu noch § 11 Rn. 7) und Spanien hat sein Recht der Kapitalgesellschaften nach dem Beitritt zur EU grundlegend geändert und modernisiert 6. 1 Liste der nationalen Parallelformen zu AG und GmbH bei § 11 Rn. 6 ff. 2 Die Besloten vennootschappen (BV) (G GmbH) wurde in den Niederlanden eingeführt durch das Wet houdende regeling van de besloten vennootschappen met beperkte aansprakelijkheid v. 3.5.1971 (Stb. 1971, 286), vgl. dazu Lutter FS Sanders, 1972, S. 81 ff.; Sanders AG 1971, 389, 393 f.; Stein ZHR 138 (1974) 101, 104, 112 ff.; van der Grinten/ Honée/Gotzen in: Lutter (Hrsg.), Die Gründung einer Tochtergesellschaft im Ausland, 3. Aufl. 1995, S. 504, 505 f. Sie ist heute geregelt in Boek 2 Titel 5 Burgerlijk Wetboek. 3 Die anpartsselskab (ApS) (G GmbH) wurde in Dänemark eingeführt durch das Anpartsselskabsloven, Lov Nr. 371 af 13. Uni 1973; vgl. dazu Gomard in: Lutter (Hrsg.), Die Gründung einer Tochtergesellschaft im Ausland, 3. Aufl. 1995, S. 180, 183 ff. Die ApS ist heute geregelt im Lov nr. 470 af 12/06/2009. Lov om aktie- og anpartsselskaber (selskabsloven), bei Drucklegung aktuelle Fassung (mit zwischenzeitlich erfolgten Änderungen) abrufbar unter https://www.retsinformation.dk/Forms/R0710.aspx?id=135933 (zur Reform in Dänemark bereits § 6 Rn. 31). 4 Vgl. heute Kap. 1 § 2 Aktiebolagslag (2005:551); zuvor: Kap. 1 § 2 Aktiebolagslag (1975: 1385). Die Anpassungen im schwedischen Recht erfolgten durch das Lag (1994:802) om ändring i aktiebolagslagen (1975:1385), dazu Skøg in: Lutter (Hrsg.), Die Gründung einer Tochtergesellschaft im Ausland, 3. Aufl. 1995, S. 628, 632 f. 5 Vgl. heute DEL I Kap. 1 § 1(1) Aktiebolagslag (624/2006). 6 Durch Ley 2/1995, de 23 de marzo, de Sociedades de Responsabilidad Limitada. Dazu Fischer RIW 1996, 12 ff.; Meyer GmbHR 1995, 435 ff.; s. ferner auch Irujo/Bochóns in: Lutter (Hrsg.), Die Gründung einer Tochtergesellschaft im Ausland, 3. Aufl. 1995, S. 762, 766 f. Seit 2010 geregelt im Ley de Sociedades de Capital (geschaffen durch Real Decreto

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Noch grundlegender änderte aber das UK im Kontext dieser Richtlinien sein company law. Traditionell prägend war die public limited company (plc [G AG]). Die private limited company (Ltd. [G GmbH]) wurde erst durch den Companies (Consolidation) Act 19087 eingeführt und da für sie bestimmte Erleichterungen galten, war man ursprünglich darum bemüht, den Zugang zu ihr möglichst zu beschränken8.9 Im Zuge der Umsetzung der 2. (Kapital-)RL (dazu § 20) durch den Companies Act 1980 10 wurde das Verhältnis genau umgekehrt:11 Basis ist nun die private limited company, der Status als public limited company ist an die Erfüllung bestimmter Voraussetzungen (insbesondere: Mindestkapital 12) gebunden13. Beide Varianten der limited company werden aber weiterhin – anders als in Deutschland – einheitlich in einem einzigen Gesetz, heute dem Companies Act 2006 (CA 2006) 14 geregelt (sog. „single act approach“) 15. 4 Modernisierung und Standardisierung des Rechts der Kapitalgesellschaften im EU/EWR-Raum sind dementsprechend die rechtlichen Folgen dieser Maßnahmen aus Brüssel.16 3

2. Unterschiedliche Wirkungen durch unterschiedliche Fakten 5 Der in der Rechtswirklichkeit erreichte tatsächliche Stand der Europäisierung der nationalen Aktienrechte hängt i.Ü. von einem Faktum ab, das sich der Angleichung entzieht: der Verbreitung der verschiedenen Gesellschaftsformen in den einzelnen Mitgliedsstaaten. In Deutschland, Frankreich und dem UK übersteigt die Zahl der „GmbH“ diejenige der „AG“ um ein Vielfaches: So stehen in Deutschland rund

7 8

9 10 11 12 13 14 15 16

Legislativo 1/2010, de 2 de julio, por el que se aprueba el texto refundido de la Ley de Sociedades de Capital, BOE 161 de 3/7/2010). Companies (Consolidation) Act 1908 (c. 69). Voraussetzungen für die Qualifizierung als private limited company war nach s. 121(1) Companies (Consolidation) Act 1908, dass die Gesellschaft (a) die Übertragung ihrer Anteile beschränkte, (b) die Zahl ihrer Gesellschafter auf höchstens 50 begrenzte, und (c) das öffentliche Angebot ihrer Anteile und Schuldverschreibungen untersagte. Vgl. Davies, Gower and Davies‘ Principles on Modern Company Law, 8. Aufl. 2008, 1–10. Näher zur Einführung der private limited company im UK: Schmitthoff FS Sanders, 1972, S. 183 ff. m.z.w.N. Companies Act 1980 (c. 22). Vgl. nur Davies (Fn. 9), 1–10; Palmer’s Company Law 1.114. S. 763(1) CA 2006: 50.000 £ (zuvor: s. 118(1) CA 1985). Vgl. s. 4 CA 2006 (zuvor: s. 1(3) CA 1985). Companies Act 2006 (c. 46). Vgl. dazu Davies (Fn. 9), 1–10; J. Schmidt, „Deutsche“ vs. „britische“ Societas Europaea (SE), 2006, S. 106. Ausf. zum Entwicklungsprozess der Harmonisierung der nationalen Aktienrechte: Bayer/ J. Schmidt, Überlagerungen des deutschen Aktienrechts durch das Europäische Unternehmensrecht: Eine Bilanz von 1968 bis zur Gegenwart, in: Bayer/Habersack (Hrsg.), Aktienrecht im Wandel, Bd. 1, 2007, Kap. 18 Rn. 1 ff.; speziell zur Entwicklung seit dem Aktionsplan 2003 noch ausf. in § 18. Zu den historischen Grundlagen und Wurzeln bis zurück ins Altertum instruktiv Fleckner FS Hopt, 2010, S. 659, 665 ff.

Das harmonisierte „europäisierte“ Recht der (nationalen) AG in Europa

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17.000 AG rund 1 Mio. GmbH gegenüber 17, in Frankreich rund 59.000 SA rund 1,3 Mio. SARL18 und im UK rund 9.300 plc rund 2,7 Mio. Ltd.19; der Anteil der „AG“ an der Gesamtzahl beträgt also nur 1,6 % (Deutschland) bzw. 4,4 % (Frankreich) bzw. 0,3 % (UK). In Luxemburg und Belgien ist der zahlenmäßige Anteil der „AG“ dagegen traditionell 20 weitaus höher: So existieren in Luxemburg rund 8.400 SA gegenüber 10.800 SARL21, in Belgien rund 64.500 SA gegenüber 80.594 SARL22; der Anteil der SA an der Gesamtzahl liegt hier also bei rund 43,7 % bzw. 44,4 %. Das zahlenmäßige Verhältnis von „AG“ und „GmbH“ ist überdies in allen Mitgliedstaaten keineswegs statisch, sondern verändert sich im Laufe der Zeit auf Grund verschiedenster interner und externer Faktoren auch: In Deutschland z.B. lag der Anteil der AG an der Gesamtzahl von AG und GmbH 1980 noch bei 0,8 %23, 1995 gar bei 0,5 %24. Dieses – noch dazu stetig variierende – rechtstatsächliche Bild hat nicht nur erhebliche Bedeutung für die praktische Relevanz des harmonisierten Rechts der Aktiengesellschaft, sondern natürlich auch für die immer wieder diskutierte Frage, ob auch die Angleichung des GmbH-Rechts weiter forciert werden sollte 25 (vgl. dazu auch noch § 11 Rn. 2 ff.). II. Die Gründung der Aktiengesellschaft 1. Satzung Sowohl die 1. (Publizitäts-)RL (dazu § 19) als auch die 2. (Kapital-)RL (dazu § 20) 6 enthalten sehr eingehende Vorgaben für die Gründung von Aktiengesellschaften in Europa, lassen den nationalen Gesetzgebern aber durchaus Spielraum für Eigenheiten. So muss die Satzung, der Errichtungsakt 26 bzw. ggf. ein gesondertes Schriftstück die vielfältigen Angaben nach Art. 2 und 3 der 2. (Kapital-)RL enthalten (dazu

17 17.170 AG und 1.044.466 GmbH zum 1.1.2011; Quelle: Kornblum GmbHR 2011, 692, 693. Näher zur zahlenmäßigen Entwicklung von AG und GmbH in Deutschland Bayer Gutachten E zum 67. Deutschen Juristentag, 2008, E 21. 18 59.046 SA und 1.283.959 SARL zum 1.1.2009; Quelle: INSEE, Entreprises selon l’activité et la forme juridique (abrufbar unter http://www.insee.fr/fr/themes/tableau.asp?reg_id= 0&ref_id=NATnon09222). 19 2.711.651 companies, davon 9.336 plc und 2.702.315 Ltd, zum 29.5.2011; Quelle: Companies House, Montly Statistics, May 2011 (abrufbar unter http://www.companieshouse. gov.uk/about/busRegArchive/businessRegisterStatisticsMay2011.pdf). 20 Die große Zahl von SA dürfte wohl primär steuerliche Gründe haben, vgl. Wymeersch ECFR 2009, 71, 72. 21 8.392 SA und 10.804 SARL; Quelle: Wymeersch ECFR 2009, 71, 73. 22 64.456 SA und 80.594 SARL; Quelle: Wymeersch ECFR 2009, 71, 73. 23 Vgl. Bayer (Fn. 17), E 21. 24 Vgl. Lutter AG 1995, 309; ders. in: De Kluiver/Van Gerven (eds.), The European Private Company?, 1995, S. 201. 25 Dazu (sehr kritisch) Lutter AG 1995, 309; ders. (Fn. 24), S. 201 ff. 26 Vgl. zu den Hintergründen der – in vielen europäischen Rechtsakten anzutreffenden – Differenzierung zwischen Satzung und Errichtungsakt bei § 19 Rn. 29 Fn. 68.

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näher § 20 Rn. 14 ff.); neben Gegenstand, Firma und Sitz sowie der Höhe des Kapitals sind hier v.a. die notwendigen Angaben zur Art der Aktien (Inhaber-/Namensaktien, Nennbetrags-/Stückaktien, ggf. Aktiengattungen) und die etwaigen Beschränkungen ihrer Übertragbarkeit (z.B. in Deutschland vinkulierte Namensaktien) zu nennen. Ferner verlangt die 2. (Kapital-)RL z.B. auch Angaben zur Höhe der Gründungskosten und zu etwaigen Gründervorteilen (Art. 3 lit. j u. k, dazu noch § 20 Rn. 18).

2. Gründungspublizität 7 Schon die bereits 1968 verabschiedete 1. (Publizitäts-)RL (dazu § 19) hatte die Gründungs- und Satzungspublizität zum zentralen Gegenstand. Durch den Verweis der Art. 2 und 3 der 2. (Kapital-)RL (dazu § 20 Rn. 14 ff.) auf Art. 3 dieser RL wird sichergestellt, dass die soeben genannten Mindestangaben in Satzung/Errichtungsakt/gesondertem Dokument auch auf einem der beiden zugelassenen Wege (Registereintragung oder Hinterlegung) für jeden Dritten einsehbar und verfügbar zu halten sowie mittels eines Amtsblatts oder einer zentralen elektronischen Plattform zu veröffentlichen sind (zu diesen Publizitätsinstrumenten bereits § 7 Rn. 2 sowie ausf. § 19 Rn. 13 ff.). 8 Die Modernisierung der 1. (Publizitäts-)RL durch die Änderungs-RL 2003/58/ EG wurde in Deutschland zum 1.1.2007 durch das EHUG 27 umgesetzt. Damit wurde nicht nur die Einreichung der Unterlagen und die Führung der Handels-, Genossenschafts- und Partnerschaftsregister elektronisiert, sondern durch das neu geschaffene Unternehmensregister auch eine zentrale Stelle geschaffen, an der alle offenlegungspflichtigen Unternehmensdaten elektronisch abgerufen werden können; zudem wurde ein Amtsverfahren – verbunden mit einer Prüf- und Meldepflicht des elektronischen Bundesanzeigers – zur Sanktionierung von Verstößen eingeführt (ausf. zum Ganzen § 19 Rn. 8, 17, 21, 23, 36).

III. Nichtigkeit 9 Die Regeln zur Nichtigkeit einer Gesellschaft wegen rechtlicher Mängel bei ihrer Gründung waren im Europa der frühen EG-Zeit sehr unterschiedlich und kaum überschaubar. Der Sachverhalt der EuGH-Entscheidung Marleasing 28 (dazu bereits § 3 Rn. 28 sowie noch § 19 Rn. 87 f.) erinnert daran. Daher war die Zurückdrängung dieser rechtlichen Erscheinung auf wenige und ganz gravierende Fälle, ihre Kontrolle durch die Gerichte und die Abwicklung der verbleibenden Fälle nach den Regeln der Liquidation das zweite große Anliegen der 1. (Publizitäts-)RL. Auf Grund ihrer

27 Gesetz über elektronische Handelsregister und Genossenschaftsregister sowie das Unternehmensregister (EHUG) v. 10.11.2006, BGBl. I, 2553. Schrifttum bei § 19 Rn. 8. 28 EuGH v. 13.11.1990, Marleasing SA ./. Comercial Internacional de Alimentacion SA, Rs. C-106/89, Slg. 1990, I-4135.

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Art. 11 ff. (dazu näher § 19 Rn. 81 ff.) ist das heute europaweit gelungene Wirklichkeit: Kein Gläubiger einer Aktiengesellschaft muss mehr fürchten, dass sich sein Vertragspartner trotz Eintragung in bzw. Hinterlegung bei einem Register „in Luft auflösen“ könnte. IV. Satzungsänderung Die Satzungsänderung sollte ursprünglich allgemein in Art. 37 ff. der 5. (Struk- 10 tur-)RL (dazu § 9 Rn. 1 f.) geregelt werden. Dieses Angleichungsvorhaben wurde allerdings im Aktionsplan 2003 endgültig zugunsten punktueller Maßnahmen aufgegeben (näher dazu § 18 Rn. 9). Doch ist die Höhe des Kapitals nach Art. 2 lit. c der 2. (Kapital-)RL notwendiger 11 Gegenstand der Satzung (dazu § 20 Rn. 16); daher mussten jedenfalls Regeln betreffend die Kapitalerhöhung und Kapitalherabsetzung schon in der 2. (Kapital-)RL getroffen werden (Art. 25 ff. bzw. Art. 30 ff., dazu ausf. § 20 Rn. 156 ff., 204 ff.). Sie schreiben für diese Maßnahmen die ausschließliche Zuständigkeit der Hauptversammlung fest und verlangen für bestimmte Entscheidungen eine qualifizierte Mehrheit; gefordert wird zudem die Einhaltung der gleichen Publizitätsregeln wie bei der Gründung (Eintragung im bzw. Hinterlegung beim Register und Veröffentlichung mittels eines Amtsblatts oder einer zentralen elektronischen Plattform gem. Art. 3 der 1. (Publizitäts-)RL, dazu bereits o. Rn. 7, § 7 Rn. 2 sowie ausf. § 19 Rn. 13 ff.). Näher dazu noch u. Rn. 25 ff., 29 ff. sowie ausf. § 20 Rn. 156 ff., 204 ff. Daneben bestimmt schon die 1. (Publizitäts-)RL, dass nach jeder Satzungsände- 12 rung – gleich wie sie nach nationalem Recht i.Ü. zustande kommt – ihre Publizitätsregeln zu beachten sind und - damals eine Novität im deutschen Recht – jeweils eine Neufassung der gesamten Satzung einzureichen und bekannt zu machen ist (Art. 2 lit. c, umgesetzt durch § 181 Abs. 1 S. 2 AktG und § 54 Abs. 1 S. 2 GmbHG, dazu § 19 Rn. 29). V. Das Grundkapital 1. Überblick Bei Vorbereitung der 2. (Kapital-RL) (dazu § 20) mit ihren zentralen Regeln zum 13 Kapital waren nur die sechs kontinentalen Gründungsländer Belgien, Deutschland, Frankreich, Italien, Luxemburg und Niederlande Mitglieder der damaligen EWG. In deren Rechten war die Idee des festen Kapitals (dazu auch noch § 20 Rn. 3, 26) seit einem Jahrhundert verankert; insofern ging es hier nur um vielfältige Details, nicht aber um das Prinzip 29. Mit dem Beitritt des UK und Irlands änderte sich das grund29 Dazu Lutter, Kapital, Sicherung der Kapitalaufbringung und Kapitalerhaltung in den Aktien- und GmbH-Rechten der EWG, 1964; zur Umsetzung der 2. (Kapital-)RL ins deutsche Recht ausf. Lösekrug, Die Umsetzung der Kapital-, Verschmelzungs- und Spaltungsrichtlinie der EG in das nationale deutsche Recht, 2004, S. 76 ff.

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legend, da deren traditionsreichem Aktienrecht die Figur des festen Grundkapitals unbekannt war. Beide Länder haben aber den Verhandlungsstand der 2. (Kapital-)RL akzeptiert und die RL später umgehend nach ihrem Erlass i.R.e. grundstürzenden Reform ihres company law umgesetzt 30 (vgl. auch bereits o. Rn. 3). Gleiches ist später dann auch in Spanien 31 und Portugal 32 geschehen, deren Rechten zwar die Figur des festen Grundkapitals durchaus bekannt, aber viel weniger ausgeprägt und ausgefeilt war. 14 Inzwischen ist das Modell des festen Kapitals in Europa allerdings in die Kritik geraten und wird stark diskutiert (dazu noch ausf. § 20 Rn. 236 ff.). Von der Kommission wurde eine Arbeitsgruppe zur Vereinfachung der Regelungen für den Binnenmarkt, die sog. SLIM-Gruppe33 eingesetzt, die 1999 Vorschläge zur Modifizierung der 2. (Kapital-)RL gemacht hat 34. Diese Vorschläge wurden von der High Level Group unter Vorsitz des niederländischen Professors Winter (zu dieser noch näher § 18 Rn. 6) geprüft und überarbeitet 35 und 2006 von der Kommission weitestgehend in die Änderungs-RL 2006/68/EG übernommen; dabei wurde das bestehende System des festen Kapitals beibehalten, allerdings in einzelnen Punkten gelockert (näher § 20 Rn. 6, 54 ff., 107 ff., 135 ff.). 15 Die grundsätzliche Diskussion36 um das feste Kapital war damit aber noch nicht erledigt. In ihrem Aktionsplan 2003 (dazu allg. § 18) hat die Kommission die Möglichkeit der Einführung eines alternativen Modells angesprochen und dazu Ende 2006 eine Machbarkeitsstudie an KPMG vergeben. Nachdem diese 37 vorgelegt worden war,

30 In Irland erfolgte die Umsetzung durch den The Companies (Amendment) Act, 1983 (No. 13); im UK durch den Companies Act 1980 (vgl. dazu bereits o. Rn. 3). Vgl. zum Ganzen auch: Gansen, Harmonisierung der Kapitalaufbringung im englischen und deutschen Kapitalgesellschaftsrecht, 1992, 24 f. 31 Ley 19/1989, de 25 de julio, de reforma parcial y adaptación de la legislación mercantil a las Directivas de la comunidad Económica Europea (CEE) en materia de Sociedades, BOE 178 de 27/7/1989, p. 24085. 32 DL n° 262/86 de 02 de Setembro. Aprova o Código das Sociedades Comerciais. D.R. I Série n. 201 de 02/09/86, p. 2293. 33 SLIM = Simpler Legislation for the Internal Market; allg. zur SLIM-Initiative die Webseite der Kommission: http://ec.europa.eu/internal_market/simplification/index_de.htm. 34 Empfehlungen der Arbeitsgruppe zur Vereinfachung des Gesellschaftsrechts bezüglich der Vereinfachung der Ersten und Zweiten Gesellschaftsrechts-Richtlinie (abrufbar unter http://ec.europa.eu/internal_market/company/docs/official/6037de.pdf; auch abgedruckt in ZIP 1999, 1944 ff.); dazu ausf. Baldamus, Reform der Kapitalrichtlinie, 2002; Drygala AG 2001, 291ff; Maul ZEW 146 (2005) 37 ff. 35 Bericht der Hochrangigen Gruppe von Experten auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts über moderne gesellschaftsrechtliche Rahmenbedingungen in Europa, 4.11.2002 (http:// ec.europa.eu/internal_market/company/docs/modern/report_de.pdf). 36 Vgl. dazu insbesondere Lutter (Hrsg.), Das Kapital der Aktiengesellschaft in Europa, 2006; weitere Nachweise bei § 20 Rn. 238 f. 37 KPMG, Feasibility study on an alternative to the capital maintenance regime established by the Second Company Law Directive 77/91/EEC of 13 December 1976 and an examination of the impact on profit distribution of the new EU accounting regime, abrufbar unter: http://ec.europa.eu/internal_market/company/docs/capital/feasbility/study_en.pdf.

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erklärte die Kommission Anfang 2008, dass zunächst keine weiteren Änderungen der RL geplant seien38 (näher zum Ganzen § 18 Rn. 82 f., § 20 Rn. 236 ff.).

2. Ziffer des Kapitals Das Kapital ist zunächst nur eine Ziffer in der jeweiligen Landeswährung, die aber 16 notwendiger Bestandteil jeder Satzung einer Aktiengesellschaft in Europa ist (vgl. Art. 2 lit. c der 2. (Kapital-)RL, dazu § 20 Rn. 16), nach Art. 6 Abs. 1 der 2. (Kapital-)RL mindestens 25.000 Euro betragen (dazu näher § 20 Rn. 27) und exakt der Summe der Nennbeträge der ausgegebenen Aktien entsprechen muss (gezeichnetes Kapital). Als notwendiger Teil der Satzung nimmt die Ziffer des Grundkapitals am gesamten System der Publizität teil (vgl. bereits o. Rn. 6 ff., 10 ff.).

3. Die reale Kapitalaufbringung Diese Ziffer des gezeichneten Kapitals (in Deutschland: Grundkapital; im UK und 17 Irland: subscribed capital; in Frankreich, Belgien und Luxemburg: capital social; in Italien: capitale sociale; in den Niederlanden: geplaatst kapitaal etc.) erlangt ihre materielle Bedeutung erst durch die Regeln zur Kapitalaufbringung, d.h. zur vermögensmäßigen Unterlegung dieser Ziffer. Dafür gilt heute nun in allen Rechten der EU und des EWR der Grundsatz, dass der Aktiengesellschaft im Rahmen ihrer Gründung Vermögen mindestens in Höhe der Kapitalziffer zukommen muss, das sog. Gebot der realen Kapitalaufbringung 39. Ausdruck findet es u.a. im Gebot der Vollzeichnung des Kapitals in Art. 6 (dazu § 20 Rn. 27), dem Verbot der Selbstzeichnung des Art. 18 (dazu § 20 Rn. 103 ff.) und dem Verbot der Unterpari-Emission des Art. 8 Abs. 1 (dazu § 20 Rn. 35) sowie dem Verbot des Erlasses von Einlageverpflichtungen des Art. 12 (dazu § 20 Rn. 33) der 2. (Kapital-)RL. Darüber hinaus gilt europaweit die Pflicht zur sofortigen baren Einzahlung von mindestens einem Viertel aller Bareinlagen (Art. 9 Abs. 1 der 2. (Kapital-)RL, dazu § 20 Rn. 42). Sacheinlagen unterliegen grundsätzlich einer Überprüfung ihres Wertes durch 18 unabhängige Sachverständige (Art. 10 der 2. (Kapital-)RL, dazu § 20 Rn. 45 ff.). Hierdurch soll sichergestellt werden, dass diese Leistungen auf das Kapital auch tatsächlich einen objektiv festgestellten Wert mindestens in Höhe des Nennbetrages bzw. rechnerischen Wertes der dafür ausgegebenen Aktien haben. Durch die Änderungs-RL

38 Vgl. das Positionspapier der GD Binnenmarkt und Dienstleistungen (abrufbar unter: www.ec.europa.eu/internal_market/company/docs/capital/feasbility/markt-position_en. pdf), S. 2; s. zum Ganzen auch Bayer/J. Schmidt BB 2008, 454, 458. 39 Zum Begriff Lutter (Fn. 29), S. 42 ff. sowie Bayer, Grundkapital, Kapitalaufbringung, Kapitalerhaltung, in: Bayer/Habersack (Hrsg.), Aktienrecht im Wandel, 2007, Bd. 2, Kap. 17 Rn. 2; ders. in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 17. Aufl. 2009, § 5 Rn. 1, § 19 Rn. 1 ff. S. ferner auch noch bei § 20 Rn. 32.

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2006/68/EG (dazu § 20 Rn. 6) ist den Mitgliedstaaten allerdings das Recht eingeräumt worden, in bestimmten Fällen von der Verpflichtung zur Überprüfung des Wertes abzuweichen (Art. 10a, 10b der 2. (Kapital-)RL, dazu § 20 Rn. 54 ff.); hiervon hat der deutsche Gesetzgeber auch Gebrauch gemacht (§§ 33a, 37a AktG n.F., dazu § 20 Rn. 61). Diese Regeln werden während eines Zeitraums von 2 Jahren nach der Gründung durch Vorschriften zur sog. Nachgründung (Erwerb von Gegenständen von einem Gründer zu einem Preis von mindestens 10 % des gezeichneten Kapitals) flankiert (Art. 11 der 2. (Kapital-)RL, dazu § 20 Rn. 62 ff.). Sacheinlagen müssen innerhalb von 5 Jahren nach der Gründung bzw. der Genehmigung zur Aufnahme der Geschäftstätigkeit vollständig geleistet werden (Art. 9 Abs. 2 der 2. (Kapital-)RL, dazu § 20 Rn. 43); Arbeits- und Dienstleistungen sind ausgeschlossen (Art. 7 S. 2 der 2. (Kapital-)RL, dazu § 20 Rn. 38). 19 Der gesamte Regelungskomplex zur realen Kapitalaufbringung lässt in den nationalen Aktienrechten noch viele weitere Fragen entstehen. Das gilt insbesondere für das deutsche Recht mit seinem Aufrechnungsverbot des § 66 Abs. 1 S. 2 AktG 40 und seinen von Lehre und Rechtsprechung entwickelten Regeln zur verdeckten Sacheinlage 41. Diese Aspekte sind in der 2. (Kapital-)RL nicht angesprochen. Daraus hat sich sehr rasch die Folgefrage ergeben, ob die Regeln der 2. (Kapital-)RL den Charakter von Mindestvorschriften haben mit der Folge, dass weitergehende nationale Regeln möglich bleiben, oder ob es zugleich Höchstvorschriften sind, die weitergehende nationale Regeln ausschließen. Die Meinungen in der Literatur sind geteilt 42; GA Tesauro folgte in seinen Schlussanträgen in der Rs. Meilicke der These von den Höchstvorschriften 43, wir sehen die Regeln der 2. (Kapital-)RL hingegen – im Einklang mit der h.L. in Deutschland – als Mindestvorschriften an 44. Der EuGH hat dazu noch nicht allgemein entschieden, aber zumindest Art. 29 Abs. 1, 4 und 5 der 2. (Kapital-)RL als Mindestregelung angesehen 45 (dazu u. Rn. 27 sowie näher § 20 Rn. 187, 199 f.). Insoweit bleiben also derzeit nicht unerhebliche Unterschiede im Recht der Kapitalaufbringung im EU/EWR-Raum i.S.v. allgemein geltenden Standards einerseits und einzelnen nationalen Verschärfungen andererseits.

40 Dazu Bayer in: MünchKommAktG, 3. Aufl. 2008, § 66 Rn. 33 ff. m.z.w.N.; s. ferner auch KK-AktG/Lutter, 2. Aufl. 1988, § 66 Rn. 31 ff. 41 Vgl. dazu KK-AktG/Lutter, 2. Aufl. 1995, § 183 Rn. 68 ff. sowie Lutter Rev. soc. 1991, 331 ff. Zur Neugestaltung der Rechtsfolgen der verdeckten Sacheinlage in § 27 Abs. 3 AktG bei § 20 Rn. 72. 42 Vgl. die ausf. Nachweise bei § 20 Rn. 70 f. 43 GA Tesauro, Schlussanträge v. 8.4.1992, Wienand Meilicke ./. ADV/ORGA F.A. Meyer AG, Rs. C-83/91, Slg. 1992, I-4871, Rn. 20 f. 44 Vgl. Bayer in: K. Schmidt/Lutter, AktG, 2. Aufl. 2010, § 27 Rn. 57; Bayer/Lieder GWR 2010, 296465; Bayer/J. Schmidt ZGR 2009, 805, 832 f.; dies. (Fn. 16), Rn. 34; Lutter (Fn. 41), § 183 Rn. 68; ders. FS Everling, 1995, S. 765 ff.; ders. EWiR 1990, 223, 224; Lutter/Gehling WM 1989, 1445, 1456 ff. 45 Vgl. EuGH v. 19.11.1996, Siemens AG ./. Henry Nold, Rs. C-42/95, Slg. 1996, I-6017; EuGH v. 18.12.2008, Kommission ./. Spanien, Rs. C-338/06, Slg. 2008, I-10139, Rn. 26.

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4. Kapitalerhaltung Der in Frankreich im 19. Jahrhundert entwickelte, von den anderen kontinentalen 20 Rechten übernommene Gedanke der intangibilité du capital besagt, dass Ausschüttungen an die Aktionäre nicht vorgenommen werden dürfen, wenn und insoweit „… bei Abschluß des letzten Geschäftsjahres das Nettoaktivvermögen, wie es der Jahresabschluß ausweist, den Betrag des gezeichneten Kapitals zuzüglich der Rücklagen, deren Ausschüttung das Gesetz oder die Satzung nicht gestattet, durch eine solche Ausschüttung unterschreitet oder unterschreiten würde.“

So formuliert es heute ausdrücklich Art. 15 Abs. 1 lit. a der 2. (Kapital-)RL (dazu noch näher § 20 Rn. 80). Die RL formuliert den Kapitalerhaltungsgrundsatz für die nationalen Aktienrechte also nach dem Prinzip des § 30 GmbHG und nicht nach dem (sehr viel weitergehenden) Prinzip des § 57 AktG: Gebunden ist nur ein Teil des Vermögens der betreffenden AG, nicht ihr gesamtes Vermögen (vgl. auch noch § 20 Rn. 80). Damit ist dieser in einer langen Geschichte des Rechts der Kapitalgesellschaften des europäischen Kontinents entwickelte Grundsatz heute für den gesamten EU/EWR-Raum im dargelegten Umfang festgelegt 46. Das deutsche Recht geht aber auch hier deutlich über den Standard der 2. (Kapital-)RL hinaus 47 (vgl. auch noch § 20 Rn. 88 ff.). Und die Gültigkeit dieser weitergehenden Normen, insbesondere also der §§ 57 und 66 AktG, hat – soweit ersichtlich – noch niemand in Zweifel gezogen 48. Unzulässig erfolgte Ausschüttungen müssen von Aktionären, die beim Emp- 21 fang bösgläubig waren, zurückgewährt werden (Art. 16 der 2. (Kapital-)RL, dazu näher § 20 Rn. 92 ff.). Auch hier versteht die Lehre in Deutschland die Umsetzung in § 62 AktG (dazu noch näher § 20 Rn. 95) als Rückeinlageanspruch, der – wie der Einlageanspruch selbst – besonderen Kautelen unterliegt (insbesondere Erlassverbot) 49.

5. Der Erwerb eigener Aktien Kauft die AG ihre eigenen Aktien auf, so kann das den Grundsatz der Kapital- 22 erhaltung und die Integrität des Kapitals berühren – wie überhaupt dieser Vorgang bis zur Vermögenslosigkeit der Gesellschaft führen kann: Statt Geld und sonstigem Vermögen hat sie am Ende nur noch wertloses Papier (Aktien) in ihrem Tresor 50. Darüber hinaus entstehen aber auch vielfältige interne Probleme: Entweder verfügt die AG selbst über die mit den Aktien verbundenen Mitgliedschaftsrechte – dann würde ihre Verwaltung sich selbst kontrollieren; oder diese Rechte ruhen – dann können sich

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Vgl. bereits Lutter (Fn. 29), S. 332 ff. Dazu ausf. Mülbert FS Lutter, S. 535 ff. Für Richtlinienkonformität auch Habersack § 6 Rn. 36; Schwarz Rn. 596. Vgl. bereits Lutter (Fn. 29), S. 367 ff; Lutter (Fn. 40), § 62 Rn. 28; s. ferner nur Bayer (Fn. 40), § 62 Rn. 7, 55, 79; Fleischer in: K. Schmidt/Lutter, AktG, 2. Aufl. 2010, § 62 Rn. 5 m.w.N. 50 Vgl. bereits Lutter (Fn. 29), S. 430 ff.

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die Mehrheitsverhältnisse in der Gesellschaft ändern: A hat 46 %, B 44 % und C 10 %; erwirbt jetzt die AG die Aktien von C, so ist A Mehrheitsgesellschafter (vgl. zu den charakteristischen Gefahren des Erwerbs eigener Aktien auch noch § 20 Rn. 100). 23 Daher verbietet die 2. (Kapital-)RL den originären Erwerb eigener Aktien generell (Art. 18, dazu § 20 Rn. 103 ff.) und gestattet den derivativen Erwerb eigener Aktien nur in Ausnahmefällen, die allerdings durch die Änderungs-RL 2006/68/EG (dazu allg. bereits o. Rn. 14 sowie § 20 Rn. 6) weiter aufgeweicht wurden. Für die Ausnahmefälle gelten vielfältige und komplizierte Kautelen (ausf. zum Ganzen § 20 Rn. 107 ff.): •









Art. 19 Abs. 2 und 3 (dazu näher § 20 Rn. 112, 117) sowie Art. 20 (dazu näher § 20 Rn. 121 ff.) sehen spezielle Ausnahmen vor, wie sie im deutschen Recht dem Katalog des § 71 Abs. 1 AktG entsprechen (insbesondere Erwerb zur Abwehr eines schweren Schadens, zur Weitergabe an Arbeitnehmer, zur Abfindung von Gesellschaftern). Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 1 S. 2 lit. a S. 1 erlaubt darüber hinaus eine allgemeine Ausnahme, wenn die Hauptversammlung die Verwaltung ausdrücklich ermächtigt; durch die Änderungs-RL 2006/68/EG wurde die maximale Ermächtigungsdauer von 18 Monaten auf 5 Jahre erhöht (dazu näher § 20 Rn. 110 ff.). Von dieser Möglichkeit hatte der deutsche Gesetzgeber zunächst keinen Gebrauch gemacht; er hat jedoch inzwischen seine Meinung dazu geändert und 1994 mit dem neuen § 71 Abs. 1 Nr. 7 AktG eine entsprechende Erlaubnis zunächst nur für Kreditinstitute geschaffen und dann 1998 durch die Einführung des neuen § 71 Abs. 1 Nr. 8 AktG weiter liberalisiert; 2009 wurde die maximale Ermächtigungsdauer entsprechend der Änderungs-RL 2006/68/EG auf 5 Jahre erhöht (näher zum Ganzen § 20 Rn. 126). Der Erwerb eigener Aktien ist darüber hinaus auch – außer in den Fällen des Art. 20 (dazu näher § 20 Rn. 121) – nur erlaubt, wenn er aus frei verfügbaren Mitteln – Mitteln also, die nach Art. 15 Abs. 1 lit. a und b (vgl. dazu bereits o. Rn. 20 sowie näher § 20 Rn. 80 ff.) auch an die Aktionäre hätten ausgeschüttet werden können – finanziert werden kann (Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 1 S. 2 lit. b, dazu näher § 20 Rn. 113) und nur bei voll eingezahlten Aktien (Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 1 S. 2 lit. c, dazu näher § 20 Rn. 115). Darüber hinaus wird dieses prinzipielle Erwerbsverbot auf Personen ausgedehnt, die für Rechnung der AG handeln (vgl. Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 1 S. 1) sowie auf den Erwerb durch Tochtergesellschaften (Art. 24a, dazu näher § 20 Rn. 149 ff.). Schließlich neutralisiert die 2. (Kapital-)RL nach Art. 22 Abs. 1 lit. a (dazu § 20 Rn. 132) alle mit diesen Aktien verbundenen Stimmrechte während der Besitzdauer der AG bzw. gleichgestellter Personen; die AG hat also europaweit aus eigenen Aktien kein Stimmrecht und kann dieses mithin weder durch Abtretung aktualisieren noch durch Bevollmächtigte ausüben lassen. In Deutschland bestimmt § 71b AktG darüber hinaus, dass die AG aus eigenen Aktien keinerlei Mitgliedschaftsrechte hat, also weder ein Bezugsrecht noch Dividendenansprüche (vgl. dazu noch § 20 Rn. 133).

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Aktiviert die AG die eigenen Aktien in ihrer Bilanz – wozu sie durchaus berechtigt ist – so muss sie diesen aktiven Posten durch eine gleich hohe und auf die Dauer ihres Aktienbesitzes gebundene Rücklage neutralisieren, damit nicht – rechnerisch betrachtet – immer wieder die gleichen Beträge angeblich freier Mittel zu immer neuen Erwerben eigener Aktien verwandt werden können, Art. 22 Abs. 1 lit. b (dazu näher § 20 Rn. 114, 132). Zur Umsetzung in Deutschland: § 20 Rn. 127, 133. Über den Erwerb und die Veräußerung eigener Aktien und den am Ende eines Geschäftsjahres gehaltenen Bestand sowie die Gründe dafür und die gezahlten Preise hat die Verwaltung im Lagebericht ihren Aktionären und der Öffentlichkeit zu berichten, Art. 22 Abs. 2 (dazu näher § 20 Rn. 132). Auf diese Weise wird jedenfalls ein Mindestmaß an ex-post-Kontrolle der Verwaltung wiederum europaweit gesichert.

Eine weitere Regel wird oft in diesem Zusammenhang genannt (und steht auch bei uns 24 mitten in den Vorschriften zu den eigenen Aktien), hat aber mit dem Kapitalschutz nichts, wohl aber mit Vermögensschutz im weiteren Sinne zu tun und mit dem Verbot an die Verwaltung, sich in die Zusammensetzung ihrer Aktionäre einzumischen: Das Verbot an die AG und ihre Verwaltung, beim Erwerb ihrer Aktien durch Dritte Finanzhilfe zu leisten (sog. Verbot der financial assistance): Art. 23 der 2. (Kapital-)RL, im deutschen Recht § 71a Abs. 1 S. 1 AktG. Diese aus dem englischen Recht stammende 51 Vorschrift war für die meisten kontinentalen Rechte neu, auch und gerade für das deutsche Recht. Das strikte Verbot wurde nun durch die Änderungs-RL 2006/68/EG aufgeweicht: Den Mitgliedstaaten wird erlaubt, unter bestimmten in der RL aufgeführten Bedingungen die Unterstützung des Erwerbs eigener Aktien durch Dritte seitens der Gesellschaft zuzulassen (ausf. dazu § 20 Rn. 135 ff.). Der neue Art. 23a enthält eine Sonderregelung für die besonders brisanten Fälle der Gewährung von financial assistance an Mitglieder des Verwaltungs- oder Leitungsorgans der Gesellschaft, ein sie beherrschendes Unternehmen oder die Mitglieder des Verwaltungs-/ Leitungsorgans eines solchen (dazu näher § 20 Rn. 143). Der deutsche Gesetzgeber hat von diesen Möglichkeiten keinen Gebrauch gemacht und es beim Verbot der financial assistance belassen (näher dazu § 20 Rn. 145).

6. Die Kapitalerhöhung Als Änderung eines notwendigen Bestandteils der Satzung ist jede Kapitalerhöhung 25 zunächst einmal Satzungsänderung und folgt deren Regeln (dazu o. Rn. 10 ff.), kann also nur durch die Hauptversammlung beschlossen werden (Art. 25 Abs. 1 S. 1 der

51 Vgl. die Nachweise bei § 20 Rn. 135. Ausf. monographisch zu Art. 23 und seiner Umsetzung insbesondere Brosius, Die finanzielle Unterstützung des Erwerbs eigener Aktien, 2011; Schroeder, Finanzielle Unterstützung des Aktienerwerbs, 1995; Pühler, Die Verbote der Finanzierung des Beteiligungserwerbs durch Dritte, 1995.

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2. (Kapital-)RL, dazu ausf. § 20 Rn. 157 ff.) 52. Sie ist darüber hinaus eine Art von Zusatzgründung mit Ausweitung des Kapitals, so dass die Regeln zur Aufbringung des Kapitals in ähnlicher Weise hier zu beachten sind; insofern ergeben sich für die Kapitalerhöhung und ihre Durchführung keine wesentlichen Besonderheiten (Art. 26–28 der 2. (Kapital-)RL, dazu ausf. § 20 Rn. 170 ff.). 26 Von großer Bedeutung aber ist, dass Art. 29 Abs. 1 der 2. (Kapital-)RL das Bezugsrecht der Altaktionäre 53 bei jeder Barkapitalerhöhung 54 europaweit festschreibt (ausf. dazu § 20 Rn. 183 ff.). Dieses wichtige mitgliedschaftliche Recht ist in dreifacher Weise geschützt: (1) Es kann durch die Satzung nicht allgemein ausgeschlossen werden (Art. 29 Abs. 4 S. 1, dazu § 20 Rn. 196), (2) es kann nur durch einen Beschluss der Hauptversammlung mit qualifizierter Mehrheit speziell abbedungen werden (Art. 29 Abs. 4 und 5, dazu näher § 20 Rn. 195 ff.) und (3) das Recht zum Ausschluss kann zwar i.R.e. genehmigten Kapitals (dazu noch u. Rn. 28 sowie ausf. § 20 Rn. 166 f.) auf die Verwaltung übertragen werden, aber auch nur durch einen speziellen und wiederum eine qualifizierte Mehrheit erfordernden Beschluss der Hauptversammlung (Art. 29 Abs. 5, dazu näher § 20 Rn. 198). 27 Unklar war aber lange, ob neben der Einhaltung dieser Formalien auch materielle Voraussetzungen erfüllt sein müssen. Die 2. (Kapital-)RL verlangt zwar einen schriftlichen Bericht des Verwaltungs-/Leitungsorgans, in dem die Gründe für den Ausschluss angegeben und der Ausgabekurs genannt und begründet werden muss (Art. 29 Abs. 4 S. 3, dazu näher § 20 Rn. 197); zudem muss das Leitungs-/Verwaltungsorgan den Grundsatz der Gleichbehandlung nach Art. 42 der 2. (Kapital-)RL55 (dazu ausf. § 20 Rn. 233 f.) beachten, darf also die jungen Aktien nicht etwa einzelnen Aktionären

52 Der EuGH hat diese alleinige Zuständigkeit der Hauptversammlung mehrfach bestätigt und gegen nationale Sonderwege (Behörden bei Sanierung o.ä.) ausdrücklich geschützt: EuGH v. 30.5.1991, Karella, Rs. C-19/90 und C-20/90, Slg. 1991, I-2691; EuGH v. 24.3.1992, Eleftheras Evangelikis, Rs. C-381/89, Slg. 1992, I-2111; EuGH v. 12.11.1992, Kerafina, Rs. C-134/91 u. C-135/91, Slg. 1992, I-5699; EuGH v. 12.3.1996, Pafitis, Rs. C-441/93, Slg. 1996, I-1347; EuGH v. 12.5.1998, Kefalas, Rs. C-367/06, Slg. 1998, I-2843; EuGH v. 23.3.2000, Diamantis, Rs. C-373/97, Slg. 2000 I-1705. Unter diesem Aspekt ist § 3 FMStBG problematisch, vgl. dazu näher § 20 Rn. 159. 53 Eine nationale Regelung, wonach auch die Inhaber von Wandelschuldverschreibungen dieses Recht haben, ist unzulässig: EuGH v. 18.12.2008, Kommission ./. Spanien, Rs. C-338/06, Slg. 2008, I-10139, Rn. 38 ff. Das schliesst aber einen ad hoc-Ausschluss des Bezugsrechts zugunsten der Gläubiger von Wandelschuldverschreibungen nicht aus; vgl. EuGH, a.a.O., Rn. 50 ff.; dazu auch bereits Lutter (Fn. 41), § 221 Rn. 66; s. ferner nur Habersack in: MünchKommAktG, 3. Aufl. 2011, § 221 Rn. 171. 54 Das Bezugsrecht bei Kapitalerhöhungen gegen Sacheinlagen ist in vielen Mitgliedstaaten traditionell nicht vorgesehen, z.B. im UK (heute: ss. 561, 565 CA 2006, zuvor s. 89 CA 1985), in Italien (Art. 2441 Abs. 4 Codice civile) oder in Frankreich (Art. L225-132 C. com.). Vgl. auch GA Tesauro, Schlussanträge v. Siemens AG ./. Henry Nold, Rs. C-42/95, Slg. 1996, I-6017, Rn. 13 Fn. 12. 55 Vgl. zur Umsetzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes in § 53a AktG auch KK-AktG/ Lutter/Zöllner, 2. Aufl. 1988, § 53a Rn. 8 ff. und KK-AktG/Drygala, 3. Aufl. 2011, § 53a Rn. 11 ff.

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„zuschanzen“. Es stellte sich jedoch die Frage, ob die Rechtsprechung des BGH 56, wonach der Bezugsrechtsausschluss einer strengen, am Verhältnismäßigkeitsprinzip zu messenden Inhaltskontrolle i.S.e. sachlichen Rechtfertigung zu unterstellen ist – und zwar unabhängig davon, ob es sich um eine Bar- oder eine Sachkapitalerhöhung handelt – mit der RL vereinbar ist. Diese Problematik veranlasste den BGH in der Rs. Siemens/Nold zu einer Vorlage 57 an den EuGH, der daraufhin feststellte 58, dass die 2. (Kapital-)RL dem nationalen Recht eines Mitgliedstaates nicht entgegensteht, das die Rechtmäßigkeit des Beschlusses, durch den das Bezugsrecht der Aktionäre bei Sachkapitalerhöhungen ausgeschlossen wird, einer Inhaltskontrolle i.S.d. BGH unterwirft; beim Ausschluss des Bezugsrechts sind strengere Regeln des nationalen Rechts mithin zulässig (dazu auch bereits § 3 Rn. 46 sowie noch näher § 20 Rn. 200). Von großem Gewicht ist schließlich auch die Möglichkeit des genehmigten Kapi- 28 tals, also die zeitlich (5 Jahre) und auch der Höhe nach (vgl. im deutschen Recht: § 202 Abs. 3 S. 1 AktG) beschränkte Möglichkeit, die Verwaltung zur Erhöhung des Kapitals zu ermächtigen, Art. 25 Abs. 2 der 2. (Kapital-)RL (dazu näher § 20 Rn. 166 f.).59 Dabei kann das zuständige Organ nach Art. 29 Abs. 5 der 2. (Kapital-)RL zusätzlich ermächtigt werden, das Bezugsrecht zu beschränken oder auszuschließen (dazu näher § 20 Rn. 198). Nach der neueren BGH-Rechtsprechung 60 kann die Hauptversammlung das Bezugsrecht der Aktionäre i.R.d. genehmigten Kapitals ausschließen oder den Vorstand zu dem Bezugsrechtsausschluss ermächtigen, wenn die Maßnahme, zu deren Durchführung der Vorstand ermächtigt werden soll, im wohlverstandenen Interesse der Gesellschaft liegt und der Hauptversammlung allgemein und in abstrakter Form bekannt gegeben wird. Doch haben die Minderheitsgesellschafter bei rechtswidriger Ausübung die Möglichkeit einer einstweiligen Verfügung und, wenn sie damit zu spät kommen, die Möglichkeit einer entsprechenden Feststellungsklage gegen die Gesellschaft 61 (vgl. zum Ganzen auch noch § 20 Rn. 201 f.).

56 Vgl. dazu BGHZ 71, 40 („Kali + Salz“), BGHZ 83, 319, 321 ff. („ Philipp Holzmann“) sowie BGHZ 125, 239, 241 („Deutsche Bank“) mit Anm. Lutter; für das genehmigte Kapital BGHZ 136, 133 („Siemens/Nold“) mit Anm. Lutter. Vgl. zur Entwicklung auch ausf. Bayer in: MünchKommAktG, 3. Aufl. 2011, § 203 Rn. 61 ff., 97 ff. m.z.w.N. 57 BGH ZIP 1995, 372 m. Anm. Lutter ZIP 1995, 648 ff.; s. auch Jasper WiB 1995, 465 ff.; Hirte DB 1995, 1113 ff. 58 EuGH v. 19.11.1996, Siemens AG ./. Henry Nold, Rs. C-42/95, Slg. 1996, I-6017. 59 Ausf. Bayer (Fn. 55), § 202 Rn. 1 ff. m.z.w.N. 60 Grundlegend BGHZ 136, 133 („Siemens/Nold“) m. Anm. Lutter JZ 1998, 50 ff.; vgl. dazu auch Volhard AG 1998, 397 ff.; Kindler ZGR 1998, 35, 64. Siehe ferner auch BGHZ 144, 290 („Adidas“). Fortentwickelt durch BGH ZIP 2005, 2205 („Mangusta/Commerzbank I“) und BGH ZIP 2005, 2207 („Mangusta/Commerzbank II“), vgl. dazu etwa Bungert BB 2005, 2757 ff.; Busch NZG 2006, 81 ff.; Krämer/Kiefner ZIP 2006, 301, 305 ff.; Kubis DStR 2006, 188 ff.; Paschos DB 2005, 2731 ff.; Waclawik ZIP 2006, 397 ff. 61 BGH ZIP 2005, 2207 („Mangusta/Commerzbank II“) m. Anm. Lutter, JZ 2007, 371 f.; s. ferner auch die Nachweise in Fn. 60.

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7. Kapitalherabsetzung und Einziehung 29 Art. 30 der 2. (Kapital-)RL erlaubt ausdrücklich die Kapitalherabsetzung durch einen Hauptversammlungsbeschluss mit qualifizierter Mehrheit i.S.d. Art. 40 (dazu ausf. § 20 Rn. 205 ff.). Art. 15 Abs. 1 lit. a der 2. (Kapital-)RL formuliert dabei ebenso ausdrücklich, dass die Kapitalherabsetzung als einzige Ausnahme vom allgemeinen Verbot der Kapitalrückzahlung zu sehen ist. Das ist richtig; denn der Erwerb eigener Aktien, sonst ebenfalls eine Gefahr für das Kapital, kann nach den Regeln der 2. (Kapital-)RL eben nur aus freien, ausschüttungsfähigen Mitteln erfolgen (vgl. bereits o. Rn. 23 sowie ausf. § 20 Rn. 113), während es bei der Kapitalherabsetzung gerade um den Eingriff in diesen geschützten Bereich geht. 30 Dieser Eingriff ist daher auch nur möglich, wenn den Gläubigern noch nicht fälliger Forderungen vorzeitige Erfüllung oder Sicherheit geleistet wird, Art. 32 der 2. (Kapital-)RL (dazu näher § 20 Rn. 210 ff.). Das entspricht seit eh und je dem Standard der kontinentalen Rechte.62 Die 2. (Kapital-)RL ist aber in anderer Hinsicht „moderner“ als etwa das deutsche Recht. Dieses gewährt jedem Gläubiger eines noch nicht fälligen Anspruchs einen Anspruch auf Sicherheit, und zwar unabhängig von der Frage, ob anderweitige Sicherheiten bestehen und wie sich die allgemeine Vermögenslage der Gesellschaft darstellt; eine Schranke ist hier also nur der allgemeine Rechtsmissbrauch63. Demgegenüber formuliert die 2. (Kapital-)RL heute in Art. 32 Abs. 1 Unterabs. 1 S. 2: „Die Mitgliedstaaten können dieses Recht [scil.: Anspruch auf Sicherheit] nur dann ausschließen, wenn der Gläubiger bereits angemessene Sicherheiten hat oder wenn diese Sicherheiten in Anbetracht des Gesellschaftsvermögens nicht notwendig sind.“

Außerdem wurde durch die Änderungs-RL 2006/68/EG der Gläubigerschutz (zumindest partiell) vereinheitlicht: So heißt es nun im neuen Art. 32 Abs. 1 Unterabs. 2, dass die Mitgliedstaaten den Gläubigern das Recht einräumen müssen, bei der zuständigen Verwaltungsbehörde oder dem zuständigen Gericht angemessene Sicherheiten zu beantragen, wenn sie glaubhaft machen können, dass die Befriedigung ihrer Forderungen durch die Herabsetzung des gezeichneten Kapitals gefährdet ist und sie von der Gesellschaft keine angemessenen Sicherheiten erhalten haben (dazu näher § 20 Rn. 212). Das gezeichnete Kapital darf grundsätzlich nicht unter das Mindestkapital 31 herabgesetzt werden; die Mitgliedstaaten haben jedoch die Möglichkeit eine Herabsetzung zuzulassen, wenn mit dem Beschluss über die Herabsetzung gleichzeitig die Erhöhung des gezeichneten Kapitals auf den Mindestbeitrag erfolgt (Art. 34 der 2. (Kapital-)RL, dazu näher § 20 Rn. 218). Von dieser Möglichkeit hat der deutsche Gesetzgeber in § 228 AktG Gebrauch gemacht (vgl. dazu auch noch § 20 Rn. 219).

62 Vgl. bereits Lutter (Fn. 29), S. 384 ff. 63 Vgl. bereits Lutter (Fn. 41), § 225 Rn. 25 ff., 29; s. ferner Hüffer, AktG, 9. Aufl. 2010, § 225 Rn. 8; Veil in: K. Schmidt/Lutter, AktG, 2. Aufl. 2010, § 225 Rn. 13.

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Hinzuweisen ist auch auf die von Art. 33 der 2. (Kapital-)RL eröffnete Möglich- 32 keit einer vereinfachten Kapitalherabsetzung zu Sanierungszwecken (dazu näher § 20 Rn. 216 f.). Die Einziehung wird in Art. 36 f. der 2. (Kapital-)RL (dazu näher § 20 Rn. 223 ff.) – 33 wie seit eh und je auch im deutschen Recht (§§ 237 ff. AktG) – als Erscheinungsform der Kapitalherabsetzung geregelt. Das ist korrekt. Für den Fall der Zwangseinziehung verlangt die RL zum Schutz des betroffenen Aktionärs – ebenfalls wie schon immer im deutschen Recht (vgl. § 237 Abs. 1 S. 2 AktG) – die entsprechende Regelung in der Satzung vor Zeichnung (Entstehung) der betreffenden Aktien (Art. 36 Abs. 1 lit. a, dazu noch § 20 Rn. 223). Das lässt die Frage entstehen, ob hierdurch bei Aktien, welche diese Voraussetzung nicht erfüllen, der Ausschluss eines Aktionärs durch Einziehung auch dann verboten ist, wenn ein wichtiger Grund in seiner Person vorliegt. Im deutschen Recht könnte dieses Ergebnis – Zulässigkeit der Zwangseinziehung trotz fehlender Regelung in der Satzung bei Vorliegen eines wichtigen Grundes – durch Auslegung gewonnen werden, da der „wichtige Grund“ ein allgemeines und vorrangiges Prinzip des Korporationsrechts ist 64. Entscheidend aber ist hier nicht das deutsche Recht, sondern das Verständnis der 2. (Kapital-)RL; diese aber enthält in ihrem Art. 36 Abs. 1 lit. a ebenso wie das deutsche Recht in § 237 AktG keinen hilfreichen Hinweis. Zur Lösung unserer Frage über das Verständnis der RL aber befindet (nur) der EuGH; entscheidend wird daher sein, ob er den „wichtigen Grund“ als allgemein geltendes Prinzip des europäischen Korporationsrechts überhaupt und speziell in diesem Zusammenhang akzeptiert. Die Einziehung eigener Aktien der Gesellschaft oder eines mit ihr verbundenen Unternehmens ist auch ohne Regelung in der Satzung zulässig (Art. 37 der 2. (Kapital-)RL, dazu § 20 Rn. 225); Gleiches gilt für die Einziehung mit Zustimmung des Aktionärs (arg. ex Art. 36 Abs. 1 lit. b der 2. (Kapital-)RL, dazu § 20 Rn. 223).

VI. Persönliche Haftung / Trennungsprinzip Der grundsätzliche Ausschluss der persönlichen Haftung von Aktionären für die 34 Verbindlichkeiten „ihrer“ AG, das sog. Trennungsprinzip, ist in den nationalen Aktienrechten selbstverständlich. Im deutschen Recht ist es in § 1 Abs. 1 S. 2 AktG ausdrücklich formuliert, ähnlich auch im UK in s. 3 CA 2006 65 und in Frankreich in Art. L225-1 C. com. Dennoch enthält das europäische Recht dazu keine allgemeine Aussage. Anhalts- 35 punkte finden sich zwar in Erwägungsgrund 3 der ursprünglichen Fassung der 1. (Publizitäts-)RL66 sowie in Art. 7 der 12. (Einpersonengesellschafts-)RL (dazu § 29 Rn. 15); 64 Dazu Lutter (Fn. 41), § 237 Rn. 118 ff. Insgesamt zur Bedeutung allgemeiner Rechtsprinzipien im europäischen Recht Lutter FS Everling, 1995, S. 765 ff. 65 Grundlegend bereits die berühmte Entscheidung Salomon v A Salomon and Co Ltd [1897] AC 22. 66 Erwägungsgrund 3 der ursprünglichen Fassung der RL (68/151/EWG) lautete: „Auf diesen Gebieten müssen Vorschriften der Gemeinschaft … erlassen werden, da diese Gesell-

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zudem wird das Trennungsprinzip für die SE ausdrücklich in Art. 1 Abs. 2 S. 2 SEVO normiert (vgl. dazu noch § 41 Rn. 10). Der EuGH hat jedoch in seinem Urteil in der Rs. Idryma Typou v. 21.10.2010 67 (dazu auch noch § 15 Rn. 29, § 19 Rn. 11) klargestellt, dass die 1. (Publizitäts-)RL keinen allgemeinen Grundsatz des Europäischen Gesellschaftsrechts, dass die Haftung eines Aktionärs/Gesellschafters einer von ihr erfassten Kapitalgesellschaftsform für Gesellschaftsverbindlichkeiten unter allen Umständen ausgeschlossen ist, etabliert. Ein derart gravierender Eingriff in die nationalen Gesellschaftsrechte, der jegliche Form der Durchgriffshaftung a priori ausschließen würde, war mit der 1. (Publizitäts-)RL in der Tat niemals intendiert, zumal der europäische Gesetzgeber andernorts – z.B. Erwägungsgrund 5 sowie Art. 2 Abs. 2 der 12. (Einpersonengesellschafts-)RL (dazu § 29 Rn. 11 f., 16 ff.) – selbst von der Zulässigkeit von Durchbrechungen ausgeht.68 Zugleich hat der Gerichtshof aber auch entschieden, dass im nationalen Recht vorgesehene Durchgriffshaftungstatbestände sich ggf. an Art. 49, 63 AEU messen lassen müssen (allg. zur Kontrolle des nationalen Rechts anhand der Art. 49, 63 AEU noch § 15 Rn. 27 ff.). Im konkreten Fall befand er die fragliche griechische Regelung, derzufolge Verstöße gegen Vorschriften für den Betrieb von TV-Sendern nicht nur gegen die Betreibergesellschaften, sondern auch gegen alle mit mehr als 2,5 % beteiligten Aktionäre derselben verhängt werden können, für unverhältnismäßig.69 Das Europäische Gesellschaftsrecht geht also zwar konzeptionell vom Trennungsprinzip aus, gestattet es den Mitgliedstaaten aber – in den Grenzen der Art. 49, 63 AEU – Durchgriffshaftungstatbestände vorzusehen.

VII. Vertretung der Aktiengesellschaft und Schutz der Vertragspartner 36 Dem deutschen Recht ist die unbeschränkte und unbeschränkbare Vertretungsmacht des Vorstandes seit langem selbstverständlich, §§ 78 Abs. 1 S. 1, 82 Abs. 1 AktG (ebenso für den GmbH-Geschäftsführer §§ 35 Abs. 1 S. 1, 37 Abs. 2 GmbHG). Das galt für die anderen Rechte und insbesondere für das britische Recht so nicht. Vor allem die berühmte ultra vires doctrine ließ Rechtsgeschäfte jenseits des Unternehmensgegenstandes ohne rechtliche Wirkung 70. Hier Sicherheit für den Rechtsverkehr zu schaffen, war das dritte Anliegen der 1. (Publizitäts-)RL (vgl. auch § 19 Rn. 2). Sie legt in ihrem Art. 9 zunächst einmal den Grundsatz der sog. negativen Publizität (vgl. im deutschen Recht: § 15 Abs. 1 und 2 HGB) für die Mitglieder des Vertre-

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schaften zum Schutze Dritter lediglich das Gesellschaftsvermögen zur Verfügung stellen.“ Er wurde jedoch nicht in die kodifizierte Fassung (RL 2009/101/EG, zur Kodifikation noch § 19 Rn. 6) übernommen. EuGH v. 21.10.2010, Idryma Typou, Rs. C-81/09, ZIP 2010, 2493. Dazu Eckert GesRZ 2011, 176 f.; Möslein NZG 2011, 174 f.; Rüffler GeS 2011, 99 ff.; J. Schmidt EWiR 2010, 693 f. Vgl. J. Schmidt EWiR 2010, 693, 694; s. ferner auch GA Trstenjak, Schlussanträge v. 2.6.2010, Idryma Typou, Rs. C-81/09, Rn. 53 ff. Zustimmend und näher zum Sachverhalt J. Schmidt EWiR 2010, 693 f. Vgl. dazu nur Davies (Fn. 9), 7-2; Palmer’s Company Law 2.612 ff. (jeweils m.w.N.).

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tungsorgans einer Aktiengesellschaft fest: Sind diese entsprechend den Regeln der Art. 2 ff. der RL publiziert (dazu bereits § 7 Rn. 2 sowie ausf. § 19 Rn. 13 ff.), so kann sich die Gesellschaft auf Mängel ihrer Bestellung oder ihre zwischenzeitliche Abberufung nicht berufen, es sei denn, sie beweist die Kenntnis des Dritten von diesem Tatbestand. Demgegenüber kann sich der Dritte durchaus auch auf die richtige, im Register nicht vermeldete Rechtslage berufen (Art. 3 Abs. 7 Unterabs. 3 analog); der Dritte kann sich also etwa auf die inzwischen erfolgte Bestellung eines neuen und mithin vertretungsberechtigten Vorstandsmitgliedes berufen, das noch nicht im Register eingetragen ist. Näher zum Ganzen bei § 19 Rn. 44 ff. Darüber hinaus bestimmt Art. 10 Abs. 1 Unterabs. 1 die grundsätzliche Unbe- 37 schränktheit (dazu näher § 19 Rn. 70 ff.) und Art. 10 Abs. 2 der 1. RL die Unbeschränkbarkeit der Vertretungsmacht der Vertretungsorgane (dazu näher § 19 Rn. 70, 75) – dem deutschen Korporationsrecht, wie soeben schon erwähnt, seit langem vertraute Regeln (vgl. dazu § 19 Rn. 70). Die Unbeschränktheit der Vertretungsmacht gilt dabei grundsätzlich auch für 38 Rechtshandlungen jenseits des Unternehmensgegenstandes, oder in der Terminologie des englischen Rechts: Rechtshandlungen ultra vires (vgl. Art. 10 Abs. 1 Unterabs. 1). Hier kann das nationale Recht allerdings vorsehen, dass Kenntnis oder Kennenmüssen des Dritten von der Überschreitung des Unternehmensgegenstandes ihm schadet (Art. 10 Abs. 1 Unterabs. 2, dazu näher § 19 Rn. 73). Das deutsche Recht hat von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch gemacht, im UK war die gesamte Problematik Auslöser heftiger Kontroversen (vgl. dazu näher § 19 Rn. 74). Zum Sonderproblem des Missbrauchs der Vertretungsmacht näher § 19 Rn. 77. Die Sicherheit des Rechtsverkehrs durch umfassende Zurechnung des Handelns 39 von Organvertretern einer Aktiengesellschaft an diese ist mithin gewährleistet; die im deutschen Recht ausgeprägten Standards des Registerschutzes und der sachlich unbeschränkten und unbeschränkbaren Vertretungsmacht der Mitglieder des Vertretungsorgans gelten heute europaweit.

VIII. Verschmelzung und Spaltung 1. Überblick Überraschend früh 71 haben sich die Organe der Gemeinschaft der Maßnahmen für 40 sog. Strukturänderung (nationale und grenzüberschreitende Verschmelzung sowie Spaltung) angenommen. Dabei wurden die Regeln der 3. (Fusions-RL) (dazu § 21) zur (nationalen) Verschmelzung als verpflichtend gestaltet (dazu u. Rn. 41 ff.). Die zur Spaltung in der 6. (Spaltungs-)RL (dazu § 22) wurden hingegen von der Grundentscheidung des nationalen Gesetzgebers abhängig gemacht, ob er die Spaltung in sei-

71 Vgl. zur Historie der 3. (Fusions-)RL, 6. (Spaltungs-)RL und 10. RL: § 21 Rn. 1, § 22 Rn. 1 und § 23 Rn. 1 f.

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nem Recht überhaupt verwirklichen wolle (dazu u. Rn. 44). Tatsächlich ist das aber in sehr vielen Mitgliedstaaten geschehen: Neben Deutschland (§§ 123 ff. UmwG, zur Umsetzung in Deutschland noch näher § 22 Rn. 5) z.B. auch im UK72, in Tschechien 73 und in Polen 74; in Frankreich hatte die Spaltung ohnehin bereits Tradition 75. Nach über 30 Jahren langwieriger Bemühungen (dazu näher § 23 Rn. 1 f.) ist es dem europäischen Gesetzgeber im Jahre 2005 schließlich auch gelungen, mit der 10. RL (dazu § 23) eine europäische Regelung für grenzüberschreitende Verschmelzungen von Kapitalgesellschaften zu schaffen (dazu u. Rn. 45 ff.).

2. Die (nationale) Verschmelzung 41 Durch die Art. 2 ff. der 3. (Fusions-)RL (dazu ausf. § 21 Rn. 10 ff.) ist das Prinzip der Verschmelzung – Übergang aller Aktiva und Passiva auf eine aufnehmende (bereits bestehende oder noch zu gründende) Gesellschaft gegen Gewährung von Aktien durch diese und Erlöschen der übertragenden Gesellschaft(en) ohne Liquidation – europaweit verbindlich und verpflichtend festgelegt. Rechtsordnungen, welche diese Rechtsfigur in ihrem Aktienrecht noch nicht kannten, waren verpflichtet, das Institut der Verschmelzung in ihr nationales Recht einzuführen. Die Verschmelzung mit ihrem Übergang aller Aktiva und Passiva uno actu auf die aufnehmende Gesellschaft gehört heutzutage zu den allgemeinen Standards der Aktienrechte in Europa. 42 I. Ü. sieht die 3. (Fusions-)RL selbst einen sehr breiten und umfassenden Schutz der Gläubiger und Minderheitsaktionäre vor. Das reicht von dem erforderlichen Beschluss der Hauptversammlung aller beteiligten Gesellschaften mit qualifizierter Mehrheit (Art. 7, dazu näher § 21 Rn. 76 ff.) über die umfassende Information der Aktionäre mit Berichten und Auskünften der beteiligten Verwaltungen (insbesondere: Art. 9, 11, dazu näher § 21 Rn. 42 ff., 64 ff.) und der Prüfung des Umtauschverhältnisses durch unabhängige Sachverständige (Art. 10, dazu näher § 21 Rn. 51 ff.) bis zur Rechtmäßigkeitskontrolle (Art. 16, dazu näher § 21 Rn. 83 ff.). Zudem enthalten Art. 13 ff. spezielle Mindeststandards für den Schutz der Gläubiger (dazu näher § 21 Rn. 117 ff.) und die Mitgliedstaaten können darüber hinaus spezielle Regelungen zum Schutz der Minderheitsaktionäre schaffen (dazu näher § 21 Rn. 113). 43 Diese Regeln der 3. (Fusions-)RL haben dazu geführt, dass es heute in allen nationalen Rechten nicht nur die Verschmelzung gibt, sondern dass sich diese auf einem hohen Standard des Gläubiger- und Minderheitenschutzes verwirklicht. Auch

72 Ursprünglich: s. 427A CA 1985 i.V.m. Sch. 15A CA 1985 (eingefügt durch The Companies (Mergers and Divisions) Regulations 1987, SI 1987/1991); heute: ss. 919 ff. CA 2006, dazu Davies (Fn. 9), 29-9 ff. 73 Vgl. dazu Bohata WiRO 2008, 87, 88. 74 Vgl. zur Einführung der Spaltung in Polen Lewandowski/Kwasnicki WiRO 2004, 234 ff. 75 Zunächst geregelt in Art. 371 ff. Loi n° 66-537 du 24 juillet 1966 sur les sociétés commerciales, JORF du 26 juillet 1966, p. 6402 (vgl. dazu aus deutscher Sicht: Bärmann ZVglRWiss 81 (1982) 251 ff.; ders., Europäische Integration im Gesellschaftsrecht, 1970, S. 254 f.), heute in Art. L236-1 ff. C. com.

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das deutsche Recht hat dem durch ziemlich umfangreiche Änderungen der damaligen Verschmelzungsvorschriften im AktG (§§ 339 ff. AktG a.F.) Rechnung tragen müssen und tut das nunmehr auch in §§ 2 ff. UmwG (näher dazu § 21 Rn. 5).

3. Die Spaltung Die in der 6. (Spaltungs-)RL (dazu § 22) geregelte Spaltung ist das Gegenmodell zur 44 Verschmelzung und hat das französische Recht zum Vorbild, das sie seit 1966 kennt 76. Grundelement ist auch hier die Verwirklichung im Wege der Gesamtrechtsnachfolge in die abgespaltenen Teile (näher § 22 Rn. 12, 69 f.). Die Prinzipien – Erfordernis der Entscheidung durch die Hauptversammlungen der beteiligten Gesellschaften mit qualifizierter Mehrheit, umfassende Information der Aktionäre und der Hauptversammlungen, Prüfung durch Sachverständige und Gläubigerschutz – entsprechen den Regeln zur Verschmelzung (näher zum Ganzen § 22 Rn. 23 ff.). Während die Einführung der Verschmelzung als Rechtsfigur für die nationalen Aktienrechte verpflichtend war, gilt das für die Spaltung nicht; wird sie aber – wie in Deutschland erstmals generell 1994 durch das UmwG (vgl. dazu § 22 Rn. 5) – in das nationale Recht eingeführt, müssen die Vorgaben der 6. (Spaltungs-RL) beachtet werden (näher § 22 Rn. 3). Auch die Rechtsfigur der Spaltung gehört damit zu den allgemeinen Standards der Aktienrechte in Europa.

4. Internationale Verschmelzung Mit der sog. Internationalen Fusions-RL (10. RL) vom 26.10.2005 (dazu § 23) will 45 der europäische Gesetzgeber die Mobilität der Gesellschaften in Europa stärken und die grenzüberschreitende Verschmelzung von EU/EWR-Kapitalgesellschaften, die dem Recht verschiedener Mitgliedstaaten unterliegen, erleichtern. Damit können Kapitalgesellschaften innerhalb des gesamten EU/EWR-Raums miteinander fusionieren, was seit langem nachdrücklich gefordert worden war. Die RL verpflichtet sämtliche Mitgliedstaaten, die grenzüberschreitende Verschmelzung einer Kapitalgesellschaft aus einem Mitgliedstaat mit einer Kapitalgesellschaft aus einem anderen Mitgliedstaat zu gestatten, wenn das innerstaatliche Recht der betreffenden Mitgliedstaaten Verschmelzungen zwischen Unternehmen solcher Rechtsformen erlaubt; sofern also ein Mitgliedstaat einer Gesellschaft die innerstaatliche Verschmelzung ermöglicht (was nach der 3. (Fusions-)RL zwar zwingend für die AG, nicht aber für die GmbH gilt, vgl. auch bereits o. Rn. 41 sowie § 21 Rn. 7 f., 11), so muss er ihr auch die Beteiligung an einer grenzüberschreitenden Verschmelzung gestatten (näher § 23 Rn. 9 ff.).

76 Siehe dazu Fn. 75.

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Bei der 10. RL handelt es sich um eine europäische Rahmenregelung, die europaweit ein einheitliches Grundgerüst für den Verfahrensablauf einer grenzüberschreitenden Verschmelzung zwischen Kapitalgesellschaften vorgegeben hat. Dazu gehören folgende, von der 3. (Fusions-)RL und der 6. (Spaltungs-)RL übernommene und bekannte „Grundbausteine“ des „europäischen Modells für Strukturmaßnahmen“: Der Plan, der Bericht, die sachverständige Prüfung und der Gesellschafterbeschluss; aber auch i.Ü. lehnt sich die 10. RL konzeptionell an die Vorschriften der 3. (Fusions-)RL sowie diejenigen der SE-VO und der SCE-VO an (näher zur Konzeption: § 23 Rn. 26 f.; zum Verschmelzungsverfahren auf Grund der RL: § 23 Rn. 29 ff.). 47 Vor dem Hintergrund der Aussage des EuGH in seiner Sevic-Entscheidung 77, dass die grenzüberschreitende Verschmelzung als Bestandteil der Niederlassungsfreiheit den Gesellschaften nicht generell verweigert werden darf (dazu bereits ausf. § 6 Rn. 32 ff.), liegt die besondere Bedeutung der 10. RL gerade in der Schaffung des einheitlichen Rechtsrahmens für einen solchen Vorgang und in der Harmonisierung des Verschmelzungsverfahrens. Denn der EuGH hat in Sevic keine Vorgaben gemacht, wie eine grenzüberschreitende Verschmelzung auf Basis der Niederlassungsfreiheit verfahrensrechtlich erfolgen soll. Erst die 10. RL schafft den gebotenen Rechtsrahmen, so dass die Gesellschaften in Europa von ihrer (primärrechtlichen) Niederlassungsfreiheit in Form der grenzüberschreitenden Verschmelzung rechtssicher auf Grund des sekundärrechtlich harmonisierten Verschmelzungsverfahrens Gebrauch machen können. Nach der Umsetzung der 10. RL in den Mitgliedstaaten gehört auch dieses Rechtsinstitut mittlerweile zu den allgemeinen Standards der Aktienrechte in Europa. Der deutsche Gesetzgeber ist bei der Umsetzung der 10. RL mit gutem Beispiel vorangegangen 78 und hat den gesellschaftsrechtlichen Teil durch das 2. UmwÄndG 79 und die mitbestimmungsrechtlichen Vorschriften durch das MgVG 80 umgesetzt (näher § 23 Rn. 8). 46

IX. Die Mitgliedschaft (Aktie) und die Ausübung der Aktionärsrechte 1. Überblick 48 „Aktie“ hat bekanntlich eine doppelte Bedeutung: Sie ist zum einen die zusammenfassende Bezeichnung für alle Rechte und Pflichten ihres Inhabers in der Gesellschaft, also die sog. Mitgliedschaft. Sie ist darüber hinaus Gegenstand, bei entsprechender Verbriefung bewegliche Sache. In dieser letzteren Bedeutung wird sie üblicherweise nicht im Aktienrecht, sondern im allgemeinen Zivilrecht oder im besonderen Wertpapierrecht geregelt; dem entspricht auch das europäische RL-Recht, das sie durchaus 77 EuGH v. 13.12.2005, SEVIC Systems AG, Rs. C-411/03, Slg. 2005, I-10805. Dazu Bayer/J. Schmidt ZIP 2006, 210 ff.; dies. BB 2008, 454, 459; Lutter/Drygala JZ 2006, 770 ff.; weiteres Schrifttum bei § 6 Rn. 33. 78 Eine ganze Reihe von anderen Mitgliedstaaten setzte die RL dagegen erst verspätet um, vgl. dazu § 23 Rn. 8 Fn. 25. 79 Zweites Gesetz zur Änderung des Umwandlungsgesetzes v. 19.4.2007, BGBl. I, 542. 80 Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei einer grenzüberschreitenden Verschmelzung (MgVG) v. 21.12.2006, BGBl. I, 3332.

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erwähnt (so häufig in der 2. (Kapital-)RL), aber als Gegenstand (bislang) nicht regelt – was sich allerdings i.R.d. derzeit geplanten Securities Law Directive (dazu § 31 Rn. 9, 108) demnächst ändern könnte. In ihrer Eigenschaft als Mitgliedschaft aber ist die Aktie eine rechtswissenschaft- 49 lich systematische Figur, insoweit also ebenfalls nicht besonders geregelt. Die nationalen Regelungen beschränken sich hier auf die einzelnen Rechte (Vermögensrechte: Dividende, Liquidationsanteil, Bezugsrecht; Mitverwaltungsrechte: Stimmrecht und Informationsrecht) und Pflichten (Einlagepflicht, Treuepflicht). 2. Einzelne in den Richtlinien angesprochene Rechte und Pflichten Die bis Mitte der 2000er Jahre verabschiedeten Richtlinien halten sich in Bezug auf die 50 Rechte der Aktionäre insoweit betont zurück: Weder Gewinnanspruch noch Liquidationsanspruch, weder Stimmrecht noch Anfechtungsrecht werden angesprochen. Ausnahmen hiervon gelten für das Bezugsrecht bei der Kapitalerhöhung (Art. 29 der 2. (Kapital-)RL, dazu bereits o. Rn. 26 f. sowie ausf. § 20 Rn. 183 ff.) und das Informationsrecht bei Fusion und Spaltung (Art. 11 der 3. (Fusions-)RL [dazu § 21 Rn. 64 ff.] und Art. 9 der 6. (Spaltungs-)RL [dazu § 22 Rn. 55]). Von grundlegender Bedeutung für die Stellung eines Aktionärs in seiner Gesellschaft ist aber sein Anspruch auf Gleichbehandlung durch alle Organe der betreffenden Gesellschaft: Dieser so zentrale und wichtige Grundsatz ist für den Regelungsbereich der 2. (Kapital-)RL in deren Art. 42 festgeschrieben (dazu näher § 20 Rn. 233 f.), für den Regelungsbereich der Aktionärsrechte-RL in deren Art. 4 (dazu näher § 31 Rn. 14). Er galt – ungeschrieben – schon seit langem im deutschen Aktienrecht, ist aber auf Grund der 2. (Kapital-)RL dann in § 53a AktG festgeschrieben worden (dazu § 20 Rn. 235). Wichtigste und neben seiner Pflicht zu gesellschaftlicher Treue 81 einzige Pflicht 51 des Aktionärs ist seine Pflicht zur Leistung der übernommenen Einlage; hierzu enthält die 2. (Kapital-)RL umfangreiche Regelungen (dazu o. Rn. 17 ff. sowie ausf. § 20 Rn. 32 ff., 170 ff.). 3. Rechte in der Hauptversammlung Diese wenig ergiebige Situation hat sich mit der Aktionärsrechte-RL vom 11.7.2007 52 (dazu § 31) und deren Umsetzung im ARUG 82 hinsichtlich der Sicherung und Ausübung von Aktionärsrechten in der Hauptversammlung börsennotierter Aktiengesellschaften deutlich geändert – allerdings eben nicht für die Aktionäre aller Aktiengesellschaften, sondern nur für die an der Börse gelisteten (näher zum Anwendungsbereich § 31 Rn. 5 ff.). Der deutsche Gesetzgeber hat eine Reihe der Regelungen aber auch auf nicht börsennotierte AG ausgedehnt (näher § 31 Rn. 13). 81 Dazu fanden sich Hinweise im Vorschlag einer 5. (Struktur-)RL, zu dieser näher § 9 Rn. 1 f. 82 Gesetz zur Umsetzung der Aktionärsrechterichtlinie (ARUG) v. 30.7.2009, BGBl. I, 2479.

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Die RL betrifft zwar die Mitgliedschaftsrechte Teilnahme-, Informations-, Redeund Stimmrecht. Eigentliches Ziel aber ist die Sicherung des europäischen Kapitalmarkts durch Beseitigung der wesentlichen Hindernisse für die grenzüberschreitende Ausübung dieser Aktionärsrechte: Es soll, was bis dahin – jedenfalls nicht ohne Weiteres – der Fall war, dem Aktionär im UK möglich sein, seine Rechte in der Hauptversammlung seiner griechischen AG in Athen oder seiner portugiesischen AG in Lissabon auszuüben oder doch jedenfalls ausüben zu lassen (vgl. § 31 Rn. 2). 54 Zunächst wird dazu auch für den Regelungsbereich dieser RL der Gleichbehandlungsgrundsatz betont (Art. 4, dazu näher § 31 Rn. 14; vgl. auch bereits o. Rn. 50). Zu den wichtigsten Inhalten der RL gehört zunächst die durch Art. 5 Abs. 1 Unterabs. 1 etablierte Grundregel, dass die Einberufung spätestens am 21. Tag vor der Hauptversammlung erfolgen muss (näher § 31 Rn. 17 ff.); außerdem regelt Art. 5 auch Einberufungsmedium (Abs. 2, dazu näher § 31 Rn. 22 ff.) und Mindestinhalt der Einberufung (Abs. 3, dazu näher § 31 Rn. 26 ff.). Darüber hinaus muss es ein Minderheitenrecht auf Ergänzung der Tagesordnung und auf Einbringung von Beschlussvorlagen geben (Art. 6, dazu näher § 31 Rn. 37 ff.). Vor allem aber muss es den Gesellschaften nun in allen Mitgliedstaaten gestattet sein, die Teilnahme und Abstimmung auf elektronischem Wege zu ermöglichen (Art. 8, dazu näher § 31 Rn. 48 ff.) und auch eine Abstimmung per Brief zuzulassen (Art. 12, dazu näher § 31 Rn. 48, 51 ff.). Ferner gewährleistet die RL das Fragerecht des Aktionärs und die Antwortpflicht der Verwaltung (Art. 9, dazu näher § 31 Rn. 56 ff.) sowie die Möglichkeit zur Stimmrechtsvertretung (Art. 10 f., dazu näher § 31 Rn. 61 ff.). 53

4. Die Aktie und ihre Ausgestaltung 55 Aber auch über die Ausgestaltung der Aktien sagen die bisher verabschiedeten Richtlinien nichts; das sollte zum Programm der gescheiterten 5. (Struktur-)RL (dazu näher § 9 Rn. 1 f.) gehören. Daher sind heute auch Mehrstimmrechtsaktien europarechtlich durchaus noch möglich (vgl. zu den Überlegungen bezüglich einer Regelung der „one share, one vote“-Thematik noch § 18 Rn. 15 f.); und auch die Frage, ob es Namensaktien und Inhaberaktien oder etwa nur Namensaktien gibt und wie diese übertragen und belastet werden, bleibt weiterhin allein der Regelung des jeweiligen nationalen Rechts (= Recht der Gesellschaft, welche die Aktien ausgegeben hat) überlassen. Die Übertragung von Aktien könnte allerdings demnächst (zumindest partiell) in der geplanten Securities Law Directive (dazu bereits o. Rn. 48 sowie näher bei § 31 Rn. 9, 108) geregelt werden. X. Übernahmeangebote 56 Mit der Übernahme-RL v. 21.4.2004 (dazu § 30) ist es dem europäischen Gesetzgeber gelungen, nach jahrzehntelanger Debatte und mehreren gescheiterten Anläufen (vgl. zur bis in die 1970er Jahre zurückreichende Historie der RL näher § 30 Rn. 1 ff.) den Bereich des Übernahmerechts jedenfalls teilweise zu harmonisieren. Die Übernahme-

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RL zielt darauf ab, durch Mindestvorgaben für Angebote zur Übernahme von Unternehmen im EU/EWR-Raum für Klarheit, Transparenz und Rechtssicherheit bei Übernahmevorgängen im Interesse aller Beteiligten, auch der Minderheitsaktionäre, zu sorgen. Ziel der RL ist zunächst die Schaffung einer Regelung freiwilliger Übernahmeangebote und eines fairen, den Grundsatz der Gleichbehandlung aller Aktionäre (Art. 3 Abs. 1 lit. a Hs. 1, dazu näher § 30 Rn. 15) berücksichtigenden Übernahmeverfahrens, vgl. die Verfahrens- und Transparenzvorschriften in Art. 6–8, 10, 13 f. (dazu ausf. § 30 Rn. 48 ff.). Ein weiteres Ziel besteht in der Gewährleistung eines Mindestschutzes für Minderheitsaktionäre börsennotierter Gesellschaften beim Erwerb einer Mehrheitsposition eines Dritten durch das Institut des Pflichtangebots bei Erreichen einer von den Mitgliedstaaten festzulegenden Kontrollmehrheit (Art. 5, dazu ausf. § 30 Rn. 28 ff.). Zudem regelt die RL den Zulässigkeitsrahmen für Abwehrmaßnahmen: Sie enthält ein übernahmerechtliches Verhinderungsverbot (Neutralitätspflicht, Art. 9, dazu ausf. § 30 Rn. 68 ff.) und darüber hinaus eine sog. Durchbrechungsregel, wonach u.a. satzungsmäßige Beschränkungen der Übertragung von Aktien gegenüber dem Bieter unter bestimmten Voraussetzungen keine Wirkung entfalten (Art. 11, dazu ausf. § 30 Rn. 77 ff.). Diese beiden Regeln haben jedoch keinen obligatorischen Charakter, sondern wurden durch Art. 12 der RL zur Disposition der Mitgliedstaaten gestellt (sog. Optionsmodell): Die Mitgliedstaaten behielten das Recht, „ihren“ Gesellschaften die Anwendung des Verhinderungsverbots und die Durchbrechungsregel nicht zwingend vorzuschreiben („opt out“); sie müssen jedoch den Unternehmen die Möglichkeit einräumen, diese Regelungen dennoch zur Anwendung zu bringen (sog. „opt in“) (ausf. zum Ganzen § 30 Rn. 90 ff.). Einen weiteren Kernpunkt der Übernahme-RL bilden die Regelungen zum Squeeze-out (Ausschluss von Minderheitsaktionären) und Sell-out (Andienungsrecht) in Art. 15 und 16 (dazu ausf. § 30 Rn. 121 ff.). Für den deutschen Gesetzgeber bedeutete die Übernahme-RL die Notwendigkeit einer wesentlichen Reform des WpÜG, die durch das Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetz v. 8.7.2006 83 erfolgt ist (vgl. dazu § 30 Rn. 7). Er hat sich dabei entschieden, von dem Recht zum „opt out“ gem. Art. 12 RL (dazu o. Rn. 59 sowie ausf. § 30 Rn. 90 ff.) Gebrauch zu machen. Das europäische Verhinderungsverbot (§ 33a WpÜG) und die europäische Durchbrechungsregel (§ 33b WpÜG) gelten daher nur, wenn die Gesellschaft sich durch entsprechende Satzungsänderung für ihre Anwendung entscheidet (näher § 30 Rn. 105 ff.). Neu eingeführt worden sind darüber hinaus die Vorschriften zum übernahmespezifischen Squeeze-out und Sell-out in §§ 39a ff. WpÜG (näher § 30 Rn. 129 ff., 153).

83 Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2004/25/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 betreffend Übernahmeangebote (Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetz) v. 8.7.2006, BGBl. I, 1426.

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Wie der im Februar 2007 veröffentlichte Bericht über die Umsetzung der Übernahme-RL84 verdeutlicht, haben die Mitgliedstaaten von den in der RL vorgesehenen Optionen und Ausnahmen Gebrauch gemacht und durch eine protektionistische Umsetzung der RL sogar die Rolle des Managements gestärkt, um die Übernahme seitens des Bieters zu verhindern. Als Fazit stellte die Kommission in ihrem Bericht fest, dass auf dem europäischen Übernahmemarkt eher neue Hindernisse geschaffen als alte beseitigt worden sind. Es wurde sogar erwogen, die für 2011 vorgesehene Revision der Übernahme-RL vorzuziehen; das aber ist nicht geschehen (s. dazu noch § 30 Rn. 8).

§ 9 Die bislang (noch) nicht harmonisierten (nicht „europäisierten“) Teile der nationalen Aktienrechte I. Organe und Organzuständigkeiten in der AG 1 Orientiert man sich am Aufbau der nationalen Aktiengesetze bzw. der nationalen Gesetze über die Handelsgesellschaften oder an den Lehrbüchern dazu, so sind weite Teile davon heute schon durch Richtlinienrecht europäisch erfasst: Gründung und Fehlerhaftigkeit der Gründung, Kapitalaufbringung und Kapitalerhaltung, Kapitalerhöhung und Kapitalherabsetzung, Organvertretung und Publizität, Fusion und Spaltung, Aktionärsrechte, Übernahmeangebote sind „europäisiert“ (vgl. dazu § 8). Die Regeln zu den Organen der Aktiengesellschaft, ihrer Bildung, Zuständigkeit und Haftung sowie die Organisation der Hauptversammlung, inkl. des Stimmrechts der Aktionäre) sollte dagegen Gegenstand einer seit langem geplanten 5. (Struktur-)RL1 sein, für die bereits 1972 ein erster Vorschlag 2 vorgelegt wurde. Dieser scheiterte

84 Commission of the European Communities, Report on the implementation of the Directive on Takeover Bids, SEC(2007) 268. Dazu Bayer/J. Schmidt BB 2008, 454, 455. 1 Vgl. dazu Abeltshauser, Strukturalternativen für eine europäische Unternehmensverfassung – eine rechtsvergleichende Untersuchung zum 5. Gesellschaftsrechtlichen EG-Richtlinienvorschlag, 1990; ders. (1990) 11 Mich. J. Int’l L. 1235 ff.; Boyle (1992) 13 Co Law 6 ff.; Brönner BFuP 1981, 504 ff.; Conlon (1975) 24 ICLQ 348 ff.; Conrad (1991) 89 Mich. L. Rev. 2150, 2182 ff.; Dine (1989) 38 ICLQ 547 ff.; Dine/Du Plessis [1997] JBL 23 ff.; Forster FS Werner, 1984, S. 131 ff.; Grundmann Rn. 366 ff.; Kaminski WPg 1972, 633 ff.; Kolvenbach DB 1983, 2235 ff.; H.-P. Müller DB 1977, 1883 ff.; Murphy (1985) 7 Hous. J. Int’l L. 215; Pipkorn ZGR 1985, 567 ff.; Sonnenberger AG 1974, 1 ff. u. 33 ff.; Temple Lang (1975) 12 C.M.L. Rev. 155 ff., 345 ff.; Weynand KritV 77 (1994) 90, 102 ff.; Westermann RabelsZ 48 (1984) 123, 160 ff.; Wiesner AG 1996, 390, 392 f. 2 Vorschlag einer fünften Richtlinie zur Koordinierung der Schutzbestimmungen, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Sinne des Artikels 58 Absatz 2 des Vertrages im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter hinsichtlich der Struktur der Aktiengesellschaft sowie der Befugnisse und Verpflichtungen ihrer Organe vorgeschrieben sind, KOM(72) 887 = BR-Drs. 562/72. Abgedruckt in 1. Aufl., S. 99 ff.

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jedoch – ebenso wie die geänderten Entwürfe von 1983 3, 1990 4 und 19915 – an den kontroversen Problemen der unternehmerischen Mitbestimmung. Die Kommission ließ zwar 1996 von Ernst & Young einen Bericht 6 mit neuen Vor- 2 schlägen ausarbeiten; dieser stieß jedoch überwiegend auf Ablehnung 7. Das Vorhaben einer umfassenden Regelung der Organisationsverfassung der Aktiengesellschaft wird daher auch durch die Kommission nicht weiter verfolgt.8 Entsprechend der mit dem Aktionsplan 2003 9 (dazu näher § 18) endgültig vollzogenen konzeptionellen Wende (Konzentration auf Kernpunkte statt „Vollharmonisierung“, vgl. näher § 18 Rn. 9) hat sich die Kommission vielmehr auch in diesem Bereich für das Konzept der Regelung einzelner, punktueller Maßnahmen entschieden. Ein Ausschnitt aus dem Bereich der Struktur der Aktiengesellschaft, das Stimm- und Teilnahmerecht der Aktionäre an der Hauptversammlung und seine grenzüberschreitende Ausübung, wurde in der Aktionärsrechte-RL gemeinschaftsrechtlich geregelt (dazu bereits o. § 8 Rn. 9, 14 sowie ausf. § 31). Weitere Elemente, nämlich die Vergütung der Organmitglieder sowie die Aufgaben von nicht geschäftsführenden Direktoren/Aufsichtsratsmitgliedern börsennotierter Gesellschaften sowie Ausschüsse des Verwaltungs-/Aufsichtsrats, wurden 2004/05 zum Gegenstand von Empfehlungen 10 gemacht, die 2009 durch weitere Empfehlungen 11 ergänzt wurden (dazu ausf. § 18 Rn. 18 ff., 47 ff.); i.R.d. aktuellen Reformagenda werden aber noch weitere Maßnahmen in diesem Bereich erwogen (näher dazu § 18 Rn. 72 ff., 105). Im Aktionsplan 2003 war darüber hinaus auch die Ein-

3 Geänderter Vorschlag einer fünften Richtlinie des Rates nach Artikel 54 Absatz 3 Buchstabe g) des Vertrages über die Struktur der Aktiengesellschaft sowie die Befugnisse und Verpflichtungen ihrer Organe, KOM(83) 185 = BR-Drs. 10/467. 4 Zweite Änderung zum Vorschlag für eine fünfte Richtlinie des Rates nach Artikel 54 EWG-Vertrag über die Struktur der Aktiengesellschaft sowie die Befugnisse und Verpflichtungen ihrer Organe, KOM(90) 629. 5 Dritte Änderung des Vorschlags für eine fünfte Richtlinie des Rates nach Artikel 54 EWG-Vertrag über die Struktur der Aktiengesellschaft sowie die Befugnisse und Verpflichtungen ihrer Organe, KOM(91) 372. Abgedruckt in Voraufl. S. 176 ff. 6 European Commission, The Simplification of the Operating Regulations for Public Limited Companies in the European Union, Final Report, 1996. 7 Vgl. nur Hopt ZIP 1998, 96, 101 ff.; Lutter AG 1997, 538 ff. 8 Die Vorschläge wurden 2001 offiziell zurückgezogen, vgl. KOM(2001) 763, S. 22. 9 Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament. Modernisierung des Gesellschaftsrechts und Verbesserung der Corporate Governance in der Europäischen Union – Aktionsplan, 21.5.2003, KOM(2003) 284. 10 Empfehlung 2004/913/EG der Kommission v. 14.12.2004 zur Einführung einer angemessenen Regelung für die Vergütung von Mitgliedern der Unternehmensleitung börsennotierter Gesellschaften, ABlEU v. 29.12.2004, L 385/55; Empfehlung 2005/162/EG der Kommission v. 15.2.2005 zu den Aufgaben von nicht geschäftsführenden Direktoren/ Aufsichtsratsmitgliedern börsennotierter Gesellschaften sowie zu den Ausschüssen des Verwaltungs-/Aufsichtsrats, ABlEU v. 25.2.2005, L 52/51. 11 Empfehlung 2009/384/EG der Kommission v. 30.4.2009 zur Vergütungspolitik im Finanzdienstleistungssektor, ABlEU v. 15.5.2009, L 120/22; Empfehlung 2009/385/EG der Kommission v. 30.4.2009 zur Ergänzung der Empfehlungen 2004/913/EG und 2005/162/ EG zur Regelung der Vergütung von Mitgliedern der Unternehmensleitung börsennotierter Gesellschaften, ABlEU v. 15.5.2009, L 120/28.

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führung des Wahlrechts zwischen monistischem und dualistischem System der Unternehmensführung für alle börsennotierten Gesellschaften vorgesehen; 12 dieses Projekt wurde zwar zunächst nicht weiterverfolgt, die Idee aber durch die Reflection Group in ihrem Bericht vom April 2011 erneut aufgegriffen13 (näher dazu § 18 Rn. 67 f., 105). II. Liquidation 3 Nicht „europäisiert“ ist auch die Liquidation von Gesellschaften. Zu ihr liegt zwar der Vorentwurf einer Richtlinie aus dem Jahre 1987 14 vor. Dieses Vorhaben wurde jedoch im Aktionsplan 2003 (dazu ausf. § 18) nicht einmal mehr erwähnt; auch i.R.d. aktuellen Reforminitiative (dazu näher § 18 Rn. 5, 100 ff.) wurde es nicht wieder aufgegriffen. III. Identitätswahrender Rechtsformwechsel 4 Nicht gemeinschaftsrechtlich geregelt ist weiterhin die grenzüberschreitende Verlegung des Satzungssitzes (grenzüberschreitender Formwechsel). 1997 wurde von der Kommission zwar ein Vorentwurf für eine Vierzehnte Richtlinie über die Verlegung des Sitzes einer Gesellschaft in einen anderen Mitgliedstaat mit Wechsel des für die Gesellschaft maßgebenden Rechts 15 präsentiert. Wie bereits bei § 6 Rn. 11, 82 dargelegt, ist es jedoch bislang trotz nachdrücklicher Forderungen sowohl in Schrifttum und Praxis als auch seitens des EP nicht zur Vorlage eines offiziellen Entwurfs gekommen; nachdem nun jedoch auch die Reflection Group dringend eine EU-Regelung zur grenzüberschreitenden Sitzverlegung gefordert hat 16, erscheint eine baldige „Wiederbelebung“ des Projekts durchaus wahrscheinlich (vgl. bereits § 6 Rn. 82 sowie ausf. zum Ganzen § 32).

12 Vgl. Aktionsplan (Fn. 9), 3.1.3 (S. 18 f.) und Anh. 1 (S. 29). 13 Vgl. Report of the Reflection Group On the Future of EU Company Law, 5.4.2011 (abrufbar unter http://ec.europa.eu/internal_market/company/docs/modern/reflectiongroup_ report_en.pdf), S. 55. Dazu J. Schmidt GmbHR 2011, R177, R178. Allgemein zur Reflection Group und ihren Vorschlägen bei § 18 Rn. 5, 100 ff. 14 Vorentwurf für eine Richtlinie auf der Grundlage von Art. 54 Abs. 3 lit. g des Vertrags über die Auflösung und Abwicklung von Aktiengesellschaften, Kommanditgesellschaften auf Aktien und Gesellschaften mit beschränkter Haftung, DOK XV/43/87-DE; abgedruckt mit Erläuterungen in Voraufl. S. 299 ff. Vgl. dazu auch Grundmann Rn. 134. 15 Vorentwurf für eine Vierzehnte Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Verlegung des Sitzes einer Gesellschaft in einen anderen Mitgliedstaat mit Wechsel des für die Gesellschaft maßgebenden Rechts, Dok. XV/6002/97, abgedruckt in ZIP 1997, 1721 ff. und ZGR 1999, 157 ff. sowie bei § 32. 16 Vgl. Bericht Reflection Group (Fn. 13), S. 20 ff. Dazu J. Schmidt GmbHR 2011, R177. Allgemein zur Reflection Group und ihren Vorschlägen bei § 18 Rn. 5, 100 ff.

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IV. Verbundene Unternehmen und Konzerne Nicht „europäisiert“ ist auch der weite und schwierige Bereich der verbundenen 5 Unternehmen. Abgesehen von ihrer Berücksichtigung i.R.d. 2. (Kapital-)RL (eigene Aktien: Verbot des Erwerbs durch abhängige Unternehmen, dazu bereits § 8 Rn. 23 sowie näher § 20 Rn. 149 ff.), i.R.d. Rechnungslegung (7. (Konzernbilanz-)RL: Konzernabschluss, dazu § 25), bei der verpflichtenden Einrichtung eines Europäischen Betriebsrats (dazu § 39) sowie i.R.d. Übernahme-RL (mittelbarer Konzerneingangsschutz zugunsten der Minderheitsaktionäre in Form des Pflichtangebots, dazu näher § 30 Rn. 28 ff.) sind alle Versuche einer materiellen Ordnung durch Rechtsangleichung bislang gescheitert.17 Der Vorentwurf einer 9. (Konzernrechts-)RL aus den Jahren 1974/197518 und der revidierte Vorentwurf aus dem Jahre 1984 19, die eine umfassende Harmonisierung des Konzernrechts vorsahen, erwiesen sich als nicht konsensfähig. Ebenso scheiterte auch ein weiterer Vorstoß des aus Konzernrechtsexperten aus verschiedenen Mitgliedstaaten bestehenden Forum Europaeum Konzernrecht aus dem Jahr 199820, das für eine bloße Kernbereichsharmonisierung sowie eine Orientierung an der französischen Rozenblum-Doktrin 21 plädiert hatte.22 Die Kommission hat die Konzernrechtsangleichung (bislang) nicht mehr aufgegriffen (vgl. auch noch u. Rn. 7). Heutzutage gilt die 9. (Konzernrechts-)RL nach allgemeiner Ansicht als tot und hat keine Chance auf eine Realisierung.23 17 Vgl. zusammenfassend zur Entwicklung des Konzernrechts i.w.S. auf europäischer Ebene Hopt ZHR 171 (2007) 199 ff. 18 Vorentwurf einer Richtlinie auf der Grundlage des Artikels 54 Abs. 3 g) des EWG-Vertrages zur Angleichung des Konzernrechts, Dok. XI/328/74-D und Dok. XI/593/75-D (abgedruckt in 2. Aufl. 1984, S. 187 ff.). Dazu Brachvogel ZGR 1980, 486, 507 ff.; Immenga EuR 1978, 242 ff.; Schilling ZGR 1978, 415 ff.; Wooldridge [1982] JBL 272, 279 f. 19 Vorentwurf für eine Neunte Richtlinie auf der Grundlage von Art. 54 Abs. 3 Buchstabe g) des EWG-Vertrages über die Verbindungen zwischen Unternehmen, insbesondere über Konzerne, DOK Nr. III/1639/84 (abgedruckt in Voraufl. S. 244 ff. und ZGR 1985, 446 ff.). Dazu Böhlhoff/Budde (1984) 6 J. Comp. Bus. & Cap. Market L. 163 ff.; Farmery BLR 1986, 88 f.; Gleichmann AG 1988, 159, 161 ff.; Hommelhoff FS Fleck, 1988, S. 125 ff.; Immenga RabelsZ 48 (1984) 48 ff.; Lutter ZGR 1985, 444 f.; K.-H. Maul DB 1985, 1749 ff.; ders. BB 1985, 897 ff.; Slagter ZGR 1992, 400 ff.; Wienke ArbGeb 1985, 888 f.; Wiesner ArbGeb 1985, 884 ff. 20 Forum Europaeum Konzernrecht ZGR 1998, 674 ff. (englische Fassung: (1999) 36 C.M.L. Rev. 7 ff.). Der Autor Lutter gehörte dem Steering Committee an. 21 Grundlegend Cass. crim. v. 4.2.1985, n° 84-91581, JCP E, 1985.II.14614. Näher zur Rozenblum-Doktrin aus deutscher Sicht etwa Lutter FS Kellermann, 1991, S. 257, 260 ff.; S. Maul NZG 1998, 965, 966; Schön RabelsZ 64 (2000), 1, 22 f. 22 Vgl. zu den Vorschlägen auch: Embid Irujo RabelsZ 69 (2005), 723, 738; Halbhuber ZEuP 2002, 236, 255 ff.; Hopt EuZW 1999, 577; ders. in: Baums/Hopt/Horn (Hrsg.), Capital Markets and Business Law in Europe, 2000, S. 299 ff.; ders. in: Basedow/Drobnig/Ellger (Hrsg.), Aufbruch nach Europa. 75 Jahre Max-Planck-Institut für Privatrecht, 2001, S. 17 ff.; ders. ZHR 171 (2007) 199, 213 ff.; Lutter (1999) 36 C.M.L. Rev. 1 ff.; Windbichler (2000) 1 EBOR 265 ff. 23 Vgl. Bayer/J. Schmidt, Überlagerungen des deutschen Aktienrechts durch das Europäische Unternehmensrecht: Eine Bilanz von 1968 bis zur Gegenwart, in: Bayer/Habersack

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Der Gedanke, dass der Konzern eine wichtige, häufige und insbesondere auch legale Form der Organisation von Unternehmen ist 24, hat sich in den nationalen Rechtsordnungen zwar teilweise durchgesetzt. Die Probleme mit der Konzernrechtsangleichung scheinen jedoch daraus zu resultieren, dass die Regelungsvorstellungen dazu – also das „Wie“ dieser rechtlichen Ordnung – sehr verschieden sein können. Sie reichen vom Konzerneingangsschutz (z.B. deutsches und portugiesisches Recht des Vertragskonzerns, aber auch deutscher faktischer GmbH-Konzern 25) über die laufende Kontrolle der Konzernführung (deutsches Aktienrecht der §§ 311 ff. AktG) bis zur pauschalen Haftung der Obergesellschaft für die Schulden ihrer Tochter 26. Über ein systematisch kodifiziertes Aktienkonzernrecht verfügen in Europa lediglich Deutschland und Portugal 27, so dass ein kodifiziertes Konzernrecht als ein „deutsches Spezifikum“ gilt 28. Einzelne Länder wie Slowenien, Kroatien, Tschechien und Ungarn besitzen Teilkodifikationen.29 Über ein teilweise kodifiziertes Konzernrecht verfügt seit dem Inkrafttreten der umfassenden Reform des Gesellschaftsrechts am 1.1.2004 auch Italien.30 Andere europäische Länder, bei denen selbstverständlich auch Konzerne und die mit ihnen verbundenen Probleme des Gläubiger- und Minderheitenschutzes vorhanden sind, enthalten in ihren Rechtsordnungen lediglich punktuelle Regelungen und versuchen den Problemen des Konzerns mit Hilfe der allgemeinen Institute des Zivil-, Gesellschafts- und Insolvenzrechts zu begegnen.31

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(Hrsg.), Aktienrecht im Wandel, Bd. 1, 2007, Kap. 18 Rn. 12; Grundmann Rn. 1004; Hopt in: Basedow/Drobnig/Ellger (Hrsg.), Aufbruch nach Europa. 75 Jahre Max-Planck-Institut für Privatrecht, 2001, S. 17, 19; Lutter in: Hopt/Jessel-Holst/Pistor (Hrsg.), Unternehmensgruppen in mittel- und osteuropäischen Ländern, 2003, S. 79, 82, 88; J. Schmidt, Grenzüberschreitende Unternehmensverbindungen – 48. DJT (1970) –, in: Bayer (Hrsg.), Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht in den Beratungen des Deutschen Juristentages, 2010, S. 313, 324. Dazu nur Lutter ZGR 1987, 324 ff. Vgl. dazu allg. bereits Lutter/Timm NJW 1982, 409 f. So z.B. Schmitthoff [1978] JBL 218 ff.; so aber auch die früheren Vorschläge der Kommission zur sog. „organischen Konzernverfassung“, vgl. dazu 1. Aufl. S. 47 ff. sowie Geßler in: Lutter (Hrsg.), Die Europäische Aktiengesellschaft, 2. Aufl. 1978, S. 277, 295 ff. Título VI (Art. 481 ff.) (Sociedades coligadas) des portugiesischen Código das Sociedades Comerciais, eingefügt durch DL n.º 262/86, de 02 de Setembro. Zum portugiesischen Konzernrecht: Lutter/Overrath ZGR 1991, 394 ff.; Scheltdorf, Der Konzern im portugiesischen Código das sociedades comerciais und seine Parallelen im deutschen Recht, 2000. Vgl. Kalss ZHR 171 (2007) 146 ff. Außerhalb Europas verfügt über konzernrechtliche Regelungen nach dem deutschen Vorbild aber z.B. auch Brasilien, vgl. dazu Konder in: Lutter (Hrsg.), Konzernrecht im Ausland, 1994, S. 32 ff.; Zeitoune, Gläubigerschutz im brasilianischen und deutschen Aktien-Konzernrecht, 1993. S. dazu Kalss ZGR 2000, 819, 863 sowie die Länderberichte in Hopt/Jessel-Holst/Pistor (Hrsg.), Unternehmensgruppen in mittel- und osteuropäischen Ländern, 2003. Art. 2497 ff. Codice civile; eingefügt durch D. Lg. 17 gennaio 2003, n. 6. Zur Reform des italienischen Gesellschafts- und Konzernrechts: Hartl NZG 2003, 667 ff.; Steinhauer EuZW 2004, 364 ff.; Oelkers Der Konzern 2007, 570 ff.; speziell zum Konzernrecht ferner auch Embid Irujo (2005) 6 EBOR 65, 83 ff.; ders. RabelsZ 69 (2005) 724, 730. S. die Darstellung der einzelnen Rechtsordnungen bei Hommelhoff/Hopt/Lutter (Hrsg.), Konzernrecht und Kapitalmarktrecht, 2001; Lutter (Hrsg.), Konzernrecht im Ausland,

Die handelsrechtliche Rechnungslegung, Prüfung und Publizität in Europa

145

Die Kommission hat sich in ihrem Aktionsplan 200332 (dazu ausf. § 18) „offiziell“ 7 von dem Vorhaben einer umfassenden Harmonisierung des Konzernrechts der AG distanziert; statt eine komplexe Richtlinie über verbundene Unternehmen zu erlassen, sollten punktuell einheitliche Regeln für einzelne und besonders wichtige Gruppenprobleme geschaffen werden; die im Aktionsplan präsentierten Vorschläge wurden allerdings bislang nur partiell verwirklicht (dazu näher § 18 Rn. 9, 84 ff.). Die Reflection Group hat die Thematik in ihrem Bericht vom April 2011 jedoch erneut aufgegriffen und einige neue Ideen lanciert 33 (dazu näher § 18 Rn. 106).

§ 10 Die handelsrechtliche Rechnungslegung, Prüfung und Publizität in Europa Literatur: Asche, Michael, Europäisches Bilanzrecht und nationales Gesellschaftsrecht, 2007; Bayer, Walter/Schmidt, Jessica, Aktuelle Entwicklungen im Europäischen Gesellschaftsrecht (2004–2007), BB 2008, 454; dies., BB-Rechtsprechungs- und Gesetzgebungsreport im Europäischen Gesellschaftsrecht 2008/09, BB 2010, 387; BDI (Hrsg.), Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz, BDI-Drs. 447, 2010; Biebel, Reinhard, Generalüberholung der EG-Bilanzrichtlinien – Was ist in Bezug auf die Überarbeitung der 4. und 7. Richtlinie zu erwarten?, SR 2008, 389; Bieker, Marcus/Schmidt, Lars, Der Vorschlag der Europäischen Kommission zur Änderung der Bilanzrichtlinien – Darstellung und Beurteilung des Umsetzungsbedarfs für den deutschen Gesetzgeber –, KoR 2002, 206; Böcking, Hans-Joachim/Gros, Marius, Ausgewählte Änderungen im Jahres- und Konzernabschluss durch das BilMoG, Konzern, 2009, 355; dies., Internationalisierung der Rechnungslegung und Corporate Governance, in: Grundmann, Stefan u.a. (Hrsg.), Festschrift für Klaus J. Hopt zum 70. Geburtstag am 24. August 2010, 2010, S. 413; Bräuer, Michael, Die Pflicht zur Offenlegung der Rechnungslegung – Plädoyer für die Beibehaltung auch für Klein(st)unternehmen, NZG 2011, 53; Busse von Colbe, Walther, Vorschlag der EG-Kommission zur Anpassung der Bilanzrichtlinien an die IAS – Abschied von der Harmonisierung?, BB 2002, 1530; Busse von Colbe, Walther/SchurbohmEbneth, Anne, Neue Vorschriften für den Konzernabschluss nach dem Entwurf für ein BilMoG, BB 2008, 98; Ernst, Christoph/Seidler, Holger, Der Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Bilanzrechts, ZGR 2008, 631; dies., Gesetz zur Modernisierung des Bilanzrechts nach der Verabschiedung durch den Bundestag, BB 2009, 766; Hommel, Michael/Berndt, Thomas, Wertaufhellung und funktionales Abschlussstichtagsprinzip, DStR 2000, 1745; Huemer, Daniela, Bilanzrichtlinie i.d.F. der Modernisierungsrichtlinie: Finanzielle Leistungsindikatoren im (neuen) Lagebericht – Aus für größenabhängige Erleichterungen?, EWS 2006, 351; Kirsch, Hans-Jürgen/Scheele, Alexander, Die Auswirkungen der Modernisierungsrichtlinie auf die (Konzern-)Lageberichterstattung, WPg 2004, 1; Küting, Karlheinz, Europäisches Bilanzrecht und Internationalisierung der Rechnungslegung, BB

1994; Gause, Europäisches Konzernrecht im Vergleich, 2000 (mit Abdruck der wesentlichen Vorschriften in deutscher Übersetzung). S. ferner auch Embid Irujo (2005) 6 EBOR 65 ff. 32 Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament. Modernisierung des Gesellschaftsrechts und Verbesserung der Corporate Governance in der Europäischen Union – Aktionsplan, 21.5.2003, KOM(2003) 284, 3.3. 33 Vgl. Bericht Reflection Group (Fn. 13), S. 59 ff. Dazu J. Schmidt GmbHR 2011, R177, R178.

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Stand und Realität des Europäischen Unternehmensrechts

1993, 30; Lanfermann, Georg/Maul, Silja, Änderung der EU-Rechnungslegungsrichtlinien, BB 2006, 2011; Lehne, Klaus-Heiner/Kuck, Sebastian, Änderungsrichtlinie zu den Richtlinien hinsichtlich der Jahresabschlüsse bestimmter Arten von Unternehmen und konsolidierter Abschlüsse (Richtlinie) – Inhalt und Genese in der ersten Lesung, GPR 2005, 82; Lentfer, Thies/Weber Stefan C., Das Corporate Governance Statement als neues Publizitätsinstrument, DB 2006, 2357; dies., Das EU-Corporate Governance-Statement: Bedeutung für den Aufsichtsrat, Aufsichtsrat 11/2006, 6; Niehus, Rudolf J., Der Vorschlag für eine „Modernisierung“ der Bilanzrichtlinien – Überblick und erste Wertung –, DB 2002, 1385; Niemeier, Wilhelm, Die Steigerung der Aussagekraft des handelsrechtlichen Jahresabschlusses durch die Änderungen der 4. und 7. Richtlinie, WPg 2006, 173; Schruff, Wienand, Stand und Perspektiven des Europäischen Bilanzrechts, ZEW 184 (2011) 1; Zwirner, Christian, Das neue deutsche Bilanzrecht nach BilMoG: Umfassende Reformierung – Ein Überblick über die neuen Regelungen –, NZG 2009, 530. Vgl. ferner auch die Nachweise bei §§ 24–27.

I. Überblick 1 Mit weitem Abstand der größte legislative Angleichungsaufwand wurde der handelsrechtlichen Rechnungslegung mit der 4. (Bilanz-)RL (dazu § 24), der 7. (Konzernbilanz-)RL (dazu § 25) und der 8. RL, seit 2006 der Abschlussprüfer-RL (dazu § 27), gewidmet. Ihre Umsetzung in deutsches Recht hat zu einem eigenen Buch im HGB mit über hundert Paragraphen geführt. Die Pflicht des Kaufmanns zur Buchführung und zu alljährlicher Bilanzierung hat überall in Europa eine lange Tradition; ihre „Europäisierung“ war zunächst nichts Besonderes. Entscheidend für das Unternehmensrecht in Europa waren aber die europaweite Festlegung der Pflicht zur Aufstellung eines Konzernabschlusses (7. (Konzernbilanz-)RL), die Pflicht zur Prüfung von Jahresabschluss und Konzernabschluss durch unabhängige und sachverständige Prüfer (4. (Bilanz-), 7. (Konzernbilanz-)und Abschlussprüfer-RL – ausgenommen „kleine“ Gesellschaften) – sowie deren Publizität durch Einreichung beim Register und (bei großen Gesellschaften) Veröffentlichungen in einem Amtsblatt. Diese europaweiten Regeln haben zu einer energischen Modernisierung und Standardisierung des Rechts der Kapitalgesellschaften in Europa geführt und wurden als Durchbruch für den einheitlichen europäischen Binnenmarkt verstanden. Leider wurde bald klar, dass der englische Gedanke eines true and fair view und 2 das kontinentale Prinzip der Vorsicht sowie höchst divergierende Steuerregeln von der erhofften Einheit wenig übrig gelassen haben. Als dann Mitte der 1990er Jahre deutsche und andere europäische Unternehmen an den amerikanischen Kapitalmarkt gingen und andererseits die europäischen Märkte um Investoren insbesondere aus den USA warben, zeigte sich rasch, dass diese Regeln und insbesondere die zum Konzernabschluss nicht wettbewerbsfähig waren, sondern internationalisiert werden mussten. So kam es 2002 zur Verabschiedung der IFRS-VO betreffend den Konzernabschluss kapitalmarktorientierter Unternehmen nach den sog. International Financial Reporting Standards (IFRS) [bis 31.3.2001: International Accounting Standards (IAS)] (dazu ausf. § 26). Die IFRS-VO verdrängt in ihrem Anwendungsbereich die 7. (Konzernbilanz-)RL und deren nationale Umsetzungen und erlaubt es den Mitgliedsländern

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zudem, auch nicht kapitalmarktorientierten Unternehmen die Aufstellung ihres Konzernabschluss nach IFRS/IAS (statt nach den umgesetzten nationalen Regeln – in Deutschland: §§ 290 ff. HGB) vorzuschreiben oder zu gestatten (näher u. Rn. 9 sowie § 26 Rn. 3 f.). Damit entstand eine starke Divergenz zwischen den Prinzipien des Einzelabschlusses nach den Regeln der 4. (Bilanz-)RL und dem Konzernabschluss nach internationalen Standards. Dem versucht die EU mit drei Anpassungs-RL von 2001, 2003 und 2006 (dazu u. Rn. 7, 11, 13 ff.) gegenzusteuern, der deutsche Gesetzgeber folgte zunächst im Bilanzrechtsreformgesetz (BilReG) von 2004 (dazu u. Rn. 19 f.) und v.a. im Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz (BilMoG) von 2009 (dazu u. Rn. 21). Für den Einzelabschluss sind aber in Deutschland nach wie vor die harmonisierten Regeln des HGB verpflichtend anwendbar (dazu näher § 25 Rn. 9, § 26 Rn. 5).1

II. Der Zustand heute Der auf diese ungemein aufwendige Weise europaweit erreichte Zustand der Bilanz- 3 rechtsharmonisierung ist gekennzeichnet durch die Dualität von Einzel- und Konzernabschluss. Für ersteren bleibt es bei der konservativ-gläubigerschützenden kontinentaleuropäischen Linie, wonach sich die Bewertung der Aktiva nach Anschaffungs- oder Herstellungskosten minus Abschreibungen richtet und nur realisierte Gewinne ausgeschüttet werden dürfen. Der Konzernabschluss hingegen dient der Information von Markt und Gesellschaftern und folgt daher dem Fair Value-Prinzip (Zeitwertprinzip) und kann somit nicht Grundlage für eine Ausschüttung sein: sein Ergebnis ist und bleibt Information. Weder die vielen Änderungsrechtsakte (dazu u. Rn. 7 ff.) noch das BilReG (dazu u. Rn. 19 f.) und das BilMoG (dazu u. Rn. 21) haben daran etwas geändert, doch sind die verbalen Angaben im Einzelabschluss heute sehr viel zahlreicher und informativer als vor 30 Jahren. Das gilt insbesondere für sog. außerbilanzielle Geschäfte inkl. sog. Zweckgesellschaften (dazu u. Rn. 17): Damit ist ein wesentlicher Mangel, der mit zur Finanzkrise geführt hat, beseitigt.

III. Rechtsformübergreifender Ansatz und Einteilung in Größenklassen Diese Regeln zur Rechnungslegung, Prüfung und Publizität gelten für alle Kapital- 4 gesellschaften, also in Deutschland für AG, KGaA und GmbH sowie die GmbH & Co. KG. Sie sind also rechtsformübergreifend konzipiert (und so auch im HGB umgesetzt), dafür größenabhängig geregelt: Die Anforderungen an den Jahresabschluss, also die Bilanz, die Gewinn- und Verlustrechnung und den Lagebericht, deren Zwang zur Prüfung und die Art der Publizität sind unterschieden nach kleinen, mittelgroßen und großen Gesellschaften (Art. 11 und 27 der 4. (Bilanz-)RL [dazu noch § 24

1 Zum Ganzen Merkt in: Baumbach/Hopt, HGB, 34. Aufl. 2010, Einl. vor § 238 Rn. 167 ff.

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Rn. 6 ff.] bzw. §§ 267, 276, 288, 293, 326, 327 HGB), wobei die dafür maßgebenden Zahlen in regelmäßigen Abständen angepasst werden 2. Von besonderer Bedeutung sind dabei außer Vereinfachungen im Jahresabschluss selbst für kleine und mittelgroße Gesellschaften vor allem der Verzicht auf die Prüfung bei kleinen Gesellschaften sowie Erleichterungen im Hinblick auf die Publizität (zu den Erleichterungen im Einzelnen bei § 24 Rn. 10 ff.). 5 Die heute gültige Einteilung in kleine, mittelgroße und große Gesellschaften in Deutschland 3 ergibt sich aus der folgenden Übersicht 4, wobei jeweils zwei Kriterien erfüllt sein müssen, damit eine Gesellschaft der betreffenden Kategorie unterfällt; kapitalmarktorientierte Kapitalgesellschaften (§ 264d HGB) werden stets als große Gesellschaft behandelt (s. auch noch § 24 Rn. 6 ff.). Kriterium

Bilanzsumme

Umsatzerlöse (in Euro)

Arbeitnehmer

≤ 4,84 Mio.

≤ 9,68 Mio.

≤ 50

4,84–19,25 Mio.

9,68–38,5 Mio.

51–250

> 19,25 Mio.

> 38,5 Mio.

> 250

Größenklasse kleine KapGes (§ 267 I HGB) mittelgroße KapGes (§ 267 II HGB) große KapGes (§ 267 III HGB)

6 Demnächst könnte allerdings eventuell eine weitere Größenklasse hinzugekommen, die der sog. Kleinstunternehmen (microentities). Die Kommission hat bereits im Februar 2009 einen Vorschlag für eine Änderung der 4. (Bilanz-)RL (dazu § 24) vorgelegt, mit der den Mitgliedstaaten die Option eingeräumt werden sollte, Kleinstunternehmen (microentities) vollständig vom Anwendungsbereich der RL auszunehmen.5 Eine solche generelle Ausnahme stieß jedoch – speziell auf Grund ihrer nur optionalen Natur – auf Widerstand.6 Die am 30.5.2011 im Rat erzielte politische Einigung 7 sieht deshalb keine generelle Ausnahme, sondern nur noch bestimmte – aller-

2 Übersicht über die RL betreffend Änderungen der Schwellenwerte bei § 24 Rn. 3. 3 Der deutsche Gesetzgeber hat die monetären Schwellen gegenüber der 4. (Bilanz-)RL unter Berufung auf deren Art. 12 Abs. 2 um 10 % erhöht, vgl. BegrRegE z. BilMoG, BR-Drs. 344/08, S. 138; s. ferner auch bereits BegrRegE z. BilReG, BT-Drs. 15/3419, S. 29. Kritisch zur Richtlinienkonformität Arbeitskreis Bilanzrecht der Hochschullehrer Rechtswissenschaft BB 2004, 546, 547. 4 Berechnet nach der sog. Nettomethode (ohne Mehrwertsteuer). Vgl. zur Berechnung nach Netto- und Bruttomethode etwa Kozikowski/Ritter in: Beck’scher Bilanz-Kommentar, 7. Aufl. 2010, § 293 HGB Rn. 12. 5 Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 78/660/EWG des Rates über den Jahresabschluss von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen im Hinblick auf Kleinstunternehmen, KOM(2009) 83. Dazu Bayer/ J. Schmidt BB 2010, 387, 389; Zwirner BRZ 2009, 1630 ff. 6 Vgl. etwa Dok. 13114/09, S. 2; Bayer/J. Schmidt BB 2010, 387, 389; s. zum Ganzen ferner auch Bräuer NZG 2011, 53 ff. 7 Dok. 10642/11 (vom Rat am 30.5.2011 angenommen, vgl. 10547/11, S. 8 f.); bei Drucklegung stand die 2. Lesung im EP noch aus.

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dings sehr weitgehende – Erleichterungen vor (z.B. Befreiung von der Verpflichtung zur Offenlegung des Jahresabschlusses, dazu noch § 19 Rn. 35); zudem wurden die monetären Schwellenwerte gegenüber dem KOM-Vorschlag halbiert 8.

IV. Die Reformen im 21. Jahrhundert und ihre Auswirkungen 1. Fair Value-Richtlinie Zentraler Gegenstand der Fair Value-RL v. 27.9.20019 ist die Einführung des Wert- 7 ansatzes von Vermögensgegenständen zum Zeitwert (fair value) (statt zu den ursprünglichen Anschaffungskosten gem. Art. 32 der 4. (Bilanz-)RL), jedoch beschränkt auf Finanzinstrumente.10 In die 4. (Bilanz-)RL wurde dazu ein neuer Abschnitt (Abschnitt 7a, Art. 42a–42d) eingefügt, in dem die Begriffe „Zeitwert“ und „Finanzinstrument“ definiert werden; zudem wurde durch die Erfolgswirksamkeit deren (Neu-)Bewertung festgeschrieben.

2. IFRS-VO Zu Beginn der 1990er Jahre setzte sich die Erkenntnis durch, dass die EG-Bilanz- 8 richtlinien weder zu einer einheitlichen noch zu einer international anerkannten Rechnungslegung führen.11 Große Unternehmen der Gemeinschaft, die Kapital auf internationalen Kapitalmärkten aufnehmen wollten, waren gezwungen, zusätzliche Jahresabschlüsse nach internationalen Regeln (vornehmlich US-GAAP und IAS) aufzustellen.12 Zudem verlangten die Kapitalmärkte mehr und in manchen Fällen andere Informationen als Jahresabschlüsse auf Grundlage der EG-Bilanzrichtlinien sie vermittelten; Ursache waren die wenig detaillierten Rechnungslegungsgrundsätze der EG-Bilanzrichtlinien sowie ihre vielfältigen Wahlrechte, durch welche die Vergleichbarkeit mehrerer auf ihrer Grundlage erstellter Abschlüsse miteinander kaum gewährleistet war.13 Die insbesondere auf Art. 95 Abs. 1 EG (G Art. 114 Abs. 1 AEU)

8 Ein Kleinstunternehmen soll nun vorliegen, wenn mindestens 2 der 3 folgenden Schwellenwerte nicht überschritten werden: Bilanzsumme 250.000 Euro, Nettoumsatzerlöse 500.000 Euro, 10 Arbeitnehmer. 9 RL 2001/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 27.9.2001 zur Änderung der Richtlinien 78/660/EWG, 83/349/EWG und 86/635/EWG des Rates im Hinblick auf die im Jahresabschluss bzw. im konsolidierten Abschluss von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen und von Banken und anderen Finanzinstituten zulässigen Wertansätze, ABlEG v. 27.10.2001, L 283/28. Vgl. zum Entwurf (KOM(2000) 80): Hommel/Berndt DStR 2000, 1745 ff.; IDW WPg 2000, 611 ff. 10 Vgl. Asche, Michael, Europäisches Bilanzrecht und nationales Gesellschaftsrecht, 2007, S. 94; Habersack § 8 Rn. 6. 11 Vgl. Asche (Fn. 10), S. 96. 12 Vgl. Asche (Fn. 10), S. 97; Habersack § 8 Rn. 57. 13 Vgl. Asche (Fn. 10), S. 97.

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gestützte IFRS-VO ist somit vor dem Hintergrund zu sehen, dass die Rechnungslegungsrichtlinien – bedingt v.a. durch die vielfältigen Wahlrechte und den Verzicht auf eine Auflösung des Widerstreits zwischen Vorsichtsprinzip und dem Gebot eines true and fair view – keine substanzielle Rechtsangleichung auf dem Gebiet des Bilanzrechts und damit keine Vergleichbarkeit der Abschlüsse herbeigeführt haben.14 9 Daher wurde in der am 19.7.2002 verabschiedeten sog. IFRS-VO (dazu § 26) für kapitalmarktorientierte Gesellschaften die Anwendung der durch das IASB (International Accounting Standards Board15; bis 31.3.2001: International Accounting Standards Committee [IASC]) entwickelten International Financial Reporting Standards 16 (IFRS; bis 31.3.2001: International Accounting Standards [IAS]) 17 vorgeschrieben. Kapitalmarktorientierte Gesellschaften haben ihren konsolidierten Abschluss somit für das am oder nach dem 1.1.2005 18 beginnende Geschäftsjahr und alle nachfolgenden Geschäftsjahre nach Maßgabe der in das europäische Recht überführten Rechnungslegungsstandards (und damit nicht mehr nach Maßgabe der 7. (Konzernbilanz-)RL) aufzustellen (Art. 4, dazu noch § 26 Rn. 3). Gem. Art. 5 können die Mitgliedstaaten diese Pflicht auf die konsolidierten Abschlüsse nicht kapitalmarktorientierter Unternehmen und auf Jahresabschlüsse erweitern (dazu noch § 26 Rn. 4). Die 7. (Konzernbilanz-)RL findet insoweit also keine Anwendung mehr19 (vgl. dazu auch noch § 25 Rn. 9, § 26 Rn. 3 f.). 10 Jedenfalls für die Konzernrechnungslegung kapitalmarktorientierter Gesellschaften hat sich mit der IFRS-VO ein doppelter Paradigmenwechsel vollzogen: Zum einen sind die IAS/IFRS, soweit sie durch die Kommission anerkannt sind, rechtsverbindliche Bilanzierungsregeln; zum anderen wird die Konzernrechnungslegung primär auf Information und informationsgestützten Selbstschutz der Investoren und Marktteilnehmer gerichtet.20

3. Modernisierungs-RL 11 Zweck der sog. Modernisierungs-RL v. 18.6.2003 21 war es, Inkompatibilitäten zwischen den bestehenden EG-Bilanzrichtlinien und den IAS/IFRS zu beseitigen (vgl. 14 Vgl. Habersack § 8 Rn. 57. 15 Webseite: http://www.ifrs.org/Home.htm. 16 Sämtliche IAS/IFRS sind (nach kostenloser Registrierung) abrufbar über die Webseite des IASB: http://www.ifrs.org/IFRSs/IFRS.htm. 17 Zum institutionellen Rahmen der IFRS anschaulich Pellens/Fülbier/Gassen/Sellhorn, Internationale Rechnungslegung, 8. Aufl. 2011, S. 85 ff. m.z.w.N. 18 S. aber die Übergangsbestimmungen in Art. 9. 19 Vgl. Grundmann Rn. 600; Habersack § 8 Rn. 57; s. ferner auch Knorr/Buchheim/ M. Schmidt BB 2005, 2399 ff. 20 Vgl. Habersack § 8 Rn. 57. 21 RL 2003/51/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 18.6.2003 zur Änderung der Richtlinien 78/660/EWG, 83/349/EWG, 86/635/EWG und 91/674/EWG über den Jahresabschluss und den konsolidierten Abschluss von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen, von Banken und anderen Finanzinstituten sowie von Versicherungsunterneh-

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insbes. Erwägungsgründe 6 und 15) und damit eine weitergehende Annäherung der Bilanzrichtlinien an internationale Rechnungslegungsstandards zu bewirken.22 Nach dieser RL sollen u.a. Jahres- und konsolidierte Abschlüsse um Kapitalflussrechnung, Segmentberichterstattung und Eigenkapitalveränderungsrechnung ergänzt und die Gliederung von Bilanz und Gewinn- und Verlustrechnung flexibilisiert werden.23 Darüber hinaus wird die Berichterstattung in Anhang und Lagebericht (und auch im Bestätigungsvermerk des Abschlussprüfers, Art. 51a) deutlich erweitert und zusätzliche Wahlrechte der Mitgliedstaaten eingeführt (vgl. u.a. Art. 2 Abs. 1 S. 3, Art. 4 Abs. 6, Art. 8 S. 2, Art. 10a, Art. 22 S. 3 der 4. (Bilanz-)RL).

4. Die Abschlussprüfer-RL 2006/43/EG Die ursprüngliche 8. RL 84/253/EWG aus dem Jahr 1984 24 wurde durch die neue 12 Abschlussprüfer-RL 2006/43/EG (dazu § 27) ersetzt. Die europäischen Vorgaben zur Abschlussprüfung wurden durch diese Richtlinie vollständig neu gefasst und deutlich ausgebaut.25 Kernpunkte waren u.a. verschärfte Berufspflichten zur Sicherung von Unabhängigkeit und Qualität, Regelungen zur Aufsicht und internationalen Kooperation, zum Verfahren der Prüfung sowie aus deutscher Sicht speziell auch die in Art. 41 normierte Pflicht zur Einrichtung eines Prüfungsausschusses (audit committee) für Unternehmen von öffentlichem Interesse (ausf. zur RL § 27).

5. Änderungs-RL 2006/46/EG Rechtspolitischer Hintergrund der Änderungs-RL 2006/46/EG v. 14.6.2006 26 (dazu 13 auch noch § 18 Rn. 13, 85; § 24 Rn. 3) waren Bilanzskandale wie Enron, Worldcom und Parmalat; die gesetzgeberischen Reaktionen auf diese Ereignisse zielten insge-

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men, ABlEU v. 17.7.2003, L 178/16. Dazu Huemer EWS 2006, 351 ff.; Kirsch/Scheele WPg 2004, 1 ff.; zum Entwurf (KOM(2002) 259): Bieker/L. Schmidt KoR 2002, 206 ff.; Busse von Colbe BB 2002, 1530 ff.; IDW WPg 2001, 983, 987 ff.; Niehus DB 2002, 1385 ff.; s. ferner im Vorfeld bereits Busse von Colbe KoR 2001, 199 ff. Vgl. Asche (Fn. 10), S. 95; Grundmann Rn. 504; Habersack § 8 Rn. 6. Vgl. Asche (Fn. 10), S. 95. Achte RL 84/253/EWG des Rates v. 10.4.1984 aufgrund von Artikel 54 Absatz 3 Buchstabe g) des Vertrages über die Zulassung der mit der Pflichtprüfung der Rechnungslegungsunterlagen beauftragten Personen, ABlEG v. 12.5.1984, L 126/20. Vgl. Bayer/J. Schmidt BB 2008, 454, 457; Grundmann Rn. 581; Habersack § 8 Rn. 63. RL 2006/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 14.6.2006 zur Änderung der Richtlinien des Rates 78/660/EWG über den Jahresabschluss von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen, 83/349/EWG über den konsolidierten Abschluss, 86/635/EWG über den Jahresabschluss und den konsolidierten Abschluss von Banken und anderen Finanzinstituten und 91/674/EWG über den Jahresabschluss und den konsolidierten Abschluss von Versicherungsunternehmen, ABlEU v. 16.8.2006, L 224/1. Dazu Bayer/ J. Schmidt BB 2008, 454, 457; Lanfermann/S. Maul BB 2006, 2011 ff.; Lentfer/Weber DB 2006, 2357 f.; S. Maul WM 2004, 2146 ff. Niemeier WPg 2006, 173 ff.; zum Entwurf (KOM(2004) 725): IDW WPg 2005, 176; Lehne/Kuck GPR 2005, 82 ff.

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samt darauf, das Vertrauen in die Richtigkeit und Vollständigkeit der Rechnungslegung zu stärken.27 Regelungsschwerpunkte waren Folgende: Für alle Gesellschaften wurde in einem neuen Abschnitt 10A (Art. 50b und 50c) der 4. (Bilanz-)RL (dazu § 24) und einem neuen Abschnitt 3A (Art. 36a und 36b) der 7. (Konzernbilanz-)RL (dazu § 25) europaweit ein Mindestrahmen der Verantwortung und Haftung der Organe für die Rechnungslegung etabliert.28 So wird zum einen festgeschrieben, dass die Mitglieder der Verwaltungs-, Leitungs- und Aufsichtsorgane der Gesellschaft kollektiv für die Abschlüsse und wesentliche Nichtfinanzinformationen verantwortlich sind. Zum anderen wurde in Art. 60a der 4. (Bilanz-)RL und Art. 48 der 7. (Konzernbilanz-)RL eine allgemeine Sanktionsregelung eingeführt, wonach die Mitgliedstaaten wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktionen für Verstöße gegen die RL-Vorgaben vorsehen müssen. Diese Regelungen schreiben allerdings lediglich das als Mindeststandard fest, was in Deutschland schon bisher dem Standard entsprach.29 Vgl. zum Ganzen noch § 18 Rn. 13. Durch das neue Corporate Governance-Statement (Art. 46a der 4. (Bilanz-)RL) als Lageberichtsteil soll ferner das Vertrauen in die Integrität der Unternehmensführung von Kapitalmarktunternehmen gestärkt werden.30 Diese Erklärung ist auch von Unternehmen abzugeben, die keine Aktien, sondern nur sonstige Wertpapiere an einem geregelten Markt handeln lassen.31 Vgl. dazu noch § 18 Rn. 13. Im Interesse einer weiteren Annäherung an die Rechnungslegung nach IAS/ IFRS 32 wurden durch die Pflichten zur Offenlegung von Geschäften mit nahe stehenden Unternehmen und Personen (related party transactions) im Anhang erweitert; die Angabepflicht wurde allerdings auf Transaktionen begrenzt, die wesentlich sind und zu marktunüblichen Bedingungen durchgeführt werden (neuer Art. 43 Abs. 1 Nr. 7b der 4. (Bilanz-)RL und neuer Art. 34 Nr. 7b der 7. (Konzernbilanz-)RL).33 Vgl. dazu noch § 18 Rn. 85. Um die Vollständigkeit und ein erhöhtes Maß an Transparenz bei der Finanzberichterstattung des Jahresabschlusses sicherzustellen34, wurde mit den neuen Art. 43 Abs. 1 Nr. 7a der 4. (Bilanz-)RL und Art. 34 Nr. 7a der 7. (Konzernbilanz-)RL An-

27 Vgl. KOM(2004) 725, S. 4 f.; Lanfermann/S. Maul BB 2006, 2011; Niemeier WPg 2006, 173. 28 Vgl. dazu Erwägungsgründe 2 und 3 der Änderungs-RL 2006/46/EG (Fn. 26); Lanfermann/S. Maul BB 2006, 2011, 2014; Lentfer/Weber DB 2006, 2357, 2358; Niemeier WPg 2006, 173, 183 f. 29 Vgl. Lanfermann/S. Maul BB 2006, 2011, 2014; Lentfer/Weber DB 2006, 2357 f.; Niemeier WPg 2006, 173, 184. 30 Vgl. Erwägungsgrund 10 der Änderungs-RL 2006/46/EG (Fn. 26). 31 Näher zum Ganzen Lanfermann/S. Maul BB 2006, 2011 f.; Lentfer/Weber DB 2006, 2357, 2358 f.; dies. Aufsichtsrat 11/2008, 6 ff.; Niemeyer WPg 2006, 173, 178 ff. 32 Vgl. Erwägungsgrund 6 der Änderungs-RL 2006/46/EG (Fn. 26) sowie KOM(2004) 725, S. 5. 33 Näher dazu Lanfermann/S. Maul BB 2006, 2011, 2013 f.; Lentfer/Weber DB 2006, 2357, 2358 f.; Niemeyer WPg 2006, 173, 181 f. 34 Vgl. Erwägungsgründe 1 und 9 der Änderungs-RL 2006/46/EG (Fn. 26) sowie KOM(2004) 725, S. 6.

Die handelsrechtliche Rechnungslegung, Prüfung und Publizität in Europa

153

gabepflichten für bestimmte außerbilanzielle Geschäfte eingeführt.35 So soll die Aussagequalität gesteigert werden, indem erstens nicht nur finanzielle Verpflichtungen erfasst werden, sondern auch außerbilanzielle Geschäfte (z.B. Finanzierungszweckgesellschaften [special purpose vehicles], Offshore-Geschäfte, Forderungsverbriefung über gesonderte Gesellschaften oder nicht rechtsfähige Einrichtungen 36), zweitens statt einer wenig aussagekräftigen Gesamtzahl nun auch Art und Zweck solcher Geschäfte und ihrer finanziellen Auswirkungen anzugeben sind und drittens statt ausschließlich über Belastungen nun auch über wesentliche Risiken und Vorteile berichtet werden muss.37 Vgl. dazu noch § 18 Rn. 85. Schließlich erfolgte – außerhalb des regulären 5-Jahres Turnus gem. Art. 53 der 18 4. (Bilanz-)RL38 – eine Erhöhung der Schwellenwerte für Bilanzsumme und Umsatzerlöse in Art. 11 und 27 der 4. (Bilanz-)RL.39 6. Umsetzung in Deutschland a) Bilanzrechtsreformgesetz (BilReG) v. 4.12.2004 Das Bilanzrechtsreformgesetz (BilReG) v. 4.12.2004 40 diente nicht nur der Aus- 19 führung der IFRS-VO, sondern darüber hinaus auch der Umsetzung der Fair ValueRL (dazu o. Rn. 7), der Modernisierungs-RL (dazu o. Rn. 11), und der Änderungs-RL 2003/38/EG 41.42 Es brachte zunächst eine Anhebung der Schwellenwerte der §§ 267, 35 Dazu näher Lanfermann/S. Maul BB 2006, 2011, 2012 f.; Lentfer/Weber DB 2006, 2357; Niemeyer WPg 2006, 173, 176 ff. 36 Vgl. Erwägungsgrund 9 der Änderungs-RL 2006/46/EG (Fn. 26) (dort auch weitere Beispiele). 37 Vgl. Niemeier WPg 2006, 173, 177. 38 Hintergrund waren Befürchtungen einiger Mitgliedstaaten vor zu großen Belastungen von KMU durch die neuen Offenlegungspflichten; auf Vorschlag der niederländischen Delegation wurden deshalb als Kompromiss die Schwellenwerte außerturnusmäßig erhöht, vgl. dazu Dok. 9028/05, S. 3. 39 Dazu näher Lanfermann/S. Maul BB 2006, 2011, 2014 f.; Niemeyer WPg 2006, 173, 184 f. 40 Gesetz zur Einführung internationaler Rechnungslegungsstandards und zur Sicherung der Qualität der Abschlussprüfung (Bilanzrechtsreformgesetz – BilReG) v. 4.12.2004, BGBl. I, 3166. Dazu Arbeitskreis Bilanzrecht der Hochschullehrer Rechtswissenschaft BB 2004, 546 ff.; Böcking Beil. zu BB 20/2005, 5 ff.; Busse von Colbe BB 2004, 2063 ff.; Göhner BB 2005, 207 ff.; Großfeld NZG 2004, 393 ff.; Handelsrechtsausschuss des DAV NZG 2004, 412 ff.; Heininger/Bertram DB 2004, 1737 ff.; Hoffmann/Lüdenbach GmbHR 2004, 145 ff.; Hülsmann DStR 2005, 166 ff.; Hüttche DStR 2004, 1189 ff.; Hüttemann BB 2004, 203 ff.; Jakob BB 2005, 2455 ff.; Kaiser DB 2005, 2309 ff.; Kajüter BB 2004, 427 ff.; Lenz BB 2004, 707 ff.; ders. BB 2004, 1951 ff.; Meyer DStR 2005, 41 ff.; ders. DStR 2004, 971 ff.; Peemöller/Oehler BB 2004, 1158 ff.; Pfitzer/Orth/Hettich DStR 2004, 328 ff.; Pfitzer/Oser/Orth DB 2004, 2593 ff.; Scheffler AG 2004, R82 ff.; Steinmeyer/Freidank BB 2005, 2512 ff.; Wolf DStR 2005, 438 ff.; Wulf/Klein/Azaiz DStR 2005, 260 ff. u. 299 ff. 41 RL 2003/38/EG des Rates v. 13.5.2003 zur Änderung der Richtlinie 78/660/EWG über den Jahresabschluss von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen hinsichtlich der in Euro ausgedrückten Beträge, ABlEU v. 15.5.2003, L 120/22. 42 Vgl. BegrRegE z. BilReG, BR-Drs. 15/3419, S. 1.

154

Stand und Realität des Europäischen Unternehmensrechts

293 HGB und eine Ausweitung der Berichtspflichten gem. §§ 289, 314 HGB; zudem wurde durch den neuen § 315a HGB für kapitalmarktorientierte Gesellschaften die Pflicht und für nicht kapitalmarktorientierte Gesellschaften das Recht eingeführt, den Konzernabschluss nach IFRS aufzustellen (dazu noch § 26 Rn. 5). 20 Zudem hat die BRD durch das BilReG, das Abschlussprüferaufsichtsgesetz (APAG) v. 27.12.2004 43 und das Berufsaufsichtsreformgesetz (BARefG) v. 3.9.2007 44 wesentliche Vorgaben der neuen Abschlussprüfer-RL (dazu o. Rn. 12 sowie ausf. § 27) bereits vorab erfüllt.45 So war durch das BilReG insbesondere bereits eine Neufassung des § 319 HGB und die Einfügung eines neuen § 319a HGB mit dem Ziel einer Stärkung der Unabhängigkeit des Abschlussprüfers erfolgt (vgl. dazu noch § 27 Rn. 10).46 Ferner waren auch bereits eine Reihe von Änderungen im AktG erfolgt, insbesondere etwa die Neufassung des § 243 Abs. 3 AktG (Ausschluss der Anfechtung, soweit Ersetzungsverfahren nach § 318 Abs. 3 HGB möglich ist, speziell bei Geltendmachung von Befangenheit des Abschlussprüfers 47) 48 und des § 256 Abs. 1 Nr. 3 AktG (Klarstellung, dass Befangenheit des Abschlussprüfers nicht zur Nichtigkeit des festgestellten Jahresabschlusses führt) 49.

b) Das Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz (BilMoG) 21 Das Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz (BilMoG) v. 25.5.2009 50 – der jüngste Meilenstein i.R.d. „Bilanzrechtsreform in Permanenz“ 51 – mit seinen vielen, vielen Änderun-

43 Gesetz zur Fortentwicklung der Berufsaufsicht über Abschlussprüfer in der Wirtschaftsprüferordnung (Abschlussprüferaufsichtsgesetz – APAG) v. 27.12.2004, BGBl. I, 3846. Dazu Heininger WPg 2008, 535 ff. 44 Gesetz zur Stärkung der Berufsaufsicht und zur Reform berufsrechtlicher Regelungen in der Wirtschaftsprüferordnung (Berufsaufsichtsreformgesetz – BARefG) v. 3.9.2007, BGBl. I, 2178. Dazu Heininger WPg 2008, 535 ff.; Marten/Köhler/Paulitschek Beil. zu BB 17/2006, 23 ff.; Naumann/Feld WPg 2006, 873, 875 ff. 45 Vgl. BegrRegE z. BilMoG, BR-Drs. 344/08, S. 84; Grundmann Rn. 581; Habersack § 8 Rn. 67. 46 Vgl. BegrRegE z. BilReG, BT-Drs. 15/3419, S. 21, 25 ff., 35 ff.; Habersack § 8 Rn. 67; Hülsmann DStR 2005, 166. 47 Dieser durch das BilReG als Nr. 2 eingefügte Ausschlussgrund findet sich seit dem BilMoG (Fn. 50) in Nr. 3. 48 Vgl. dazu BegrRegE z. BilReG, BT-Drs. 15/3419, S. 54 f. 49 Vgl. dazu BegrRegE z. BilReG, BT-Drs. 15/3419, S. 55; Habersack § 8 Rn. 67; Hüffer in: MünchKommAktG, 3. Aufl. 2011, § 256 Rn. 31. 50 Gesetz zur Modernisierung des Bilanzrechts (Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz – BilMoG) v. 25.5.2009, BGBl. I, 1102. Aus dem – kaum mehr zu überschauenden – Schrifttum etwa: Petersen/Zwirner, Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz, 2009; Ernst/Seidler BB 2009, 766 ff.; Hennrichs FS K. Schmidt, 2009, S. 581 ff.; ders. GmbHR 2010, 17 ff.; Kort ZGR 2010, 440 ff.; Kropff ZIP 2009, 1137 ff.; Kühnberger BB 2011, 1387 ff.; Küting/Seel Beil. zu DStR 26/2009, 37 ff.; Lüdenbach/Freitag BB 2009, 1230 ff.; Melcher/Mattheus Beil. zu DB 23/2009, 77 ff.; Melcher/Schaier Beil. zu DB 23/2009, 4 ff.; Meyer DStR 2009, 762 ff.; Oechsler AG 2010, 105 ff.; Oser/Roß/Wader/Drögemüller WPg 2009, 573 ff.; Wiese/

Die handelsrechtliche Rechnungslegung, Prüfung und Publizität in Europa

155

gen im 3. Buch des HGB dient neben vielen rein nationalen Zielen der Vereinfachung und Erleichterung von Buchführung und Bilanzierung auch der Umsetzung der Änderungs-RL 2006/46/EG (dazu o. Rn. 13 ff.) sowie der weiteren Umsetzung der neuen Abschlussprüfer-RL (dazu o. Rn. 12 sowie ausf. § 27).

V. Heutige Gesamtsituation aus deutscher Perspektive Der sog. Einzelabschluss jedes Kaufmanns, jeder handelsrechtlichen Gesellschaft und 22 insbesondere jeder GmbH, AG oder Genossenschaft bestehend aus Bilanz, Gewinnund Verlustrechnung, Anhang und Lagebericht ist nach den harmonisierten Regeln der §§ 242 ff. HGB aufzustellen und ggf. zu prüfen und zu publizieren. Der Konzernabschluss – bestehend aus Konzernbilanz, Konzern-Gewinn- und 23 Verlustrechnung, Konzernanhang und Konzernlagebericht – von kapitalmarktorientierten Muttergesellschaften richtet sich nach der IFRS-VO und ihren AusführungsVO (dazu ausf. § 26) und ist zu prüfen und zu publizieren. Nicht kapitalmarktorientierte Gesellschaften dürfen ihren Konzernabschluss ebenfalls nach diesen Regeln erstellen. I. Ü. richtet sich der Konzernabschluss nach den harmonisierten Regeln der §§ 290 ff. HGB.

VI. Weitere Reformbestrebungen Die „Bilanzrechtsreform in Permanenz“ 52 auf europäischer Ebene geht jedoch weiter: 24 Die Kommission arbeitet bereits seit einiger Zeit an einer „Generalüberholung“ der 4. (Bilanz-)RL (dazu § 24) und 7. (Konzernbilanz-)RL (dazu § 25), im Rahmen derer diese unter dem Motto „Think small first“ vereinfacht werden sollen.53 Hierzu wurde bereits im Frühjahr 2009 eine Konsultation durchgeführt.54 Nachdem das IASB dann jedoch im Juli 2009 spezielle IFRS für KMU, die sog. „IFRS for SME“ (dazu noch § 26 Rn. 8) vorgelegt hatte, wurde die ursprünglich schon für Ende 2009 angekündigte Vorlage eines RL-Entwurfs verschoben, weil die Kommission auch die „IFRS for SME“ in den allgemeinen Reformprozess miteinbeziehen wollte 55. Nach Durch-

51 52 53 54 55

Lukas GmbHR 2009, 561 ff.; Zülch/Hoffmann DB 2009, 745 ff.; Zwirner NZG 2009, 530 ff.; ders. BB 2009, 2302 ff.; Schrifttum speziell zum Prüfungsausschuss und „unabhängigen Finanzexperten“ bei § 27 Rn. 19. Vgl. J. Schmidt, in: Bayer (Hrsg.), Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht in den Beratungen des Deutschen Juristentages, 2010, S. 407, 482. Vgl. J. Schmidt (Fn. 51), S. 407, 481. Vgl. dazu Bayer/J. Schmidt BB 2010, 387, 389; Biebel SR 2008, 389; Schruff ZEW 184 (2011) 1, 9. Konsultationsdokument und -ergebnisse abrufbar unter http://ec.europa.eu/internal_ market/accounting/sme_accounting/review_directives_en.htm. Vgl. Bayer/J. Schmidt BB 2010, 387, 389. Stellungnahme der Kommission vom Juli 2009 abrufbar unter http://ec.europa.eu/internal_market/accounting/docs/20090723_update_ accounting_review_en.pdf.

156

Stand und Realität des Europäischen Unternehmensrechts

führung einer Konsultation betreffend eine etwaige Übernahme der „IFRS for SME“ 2009/10 (dazu § 26 Rn. 8) wurde die Vorlage eines RL-Entwurfs für eine allgemeine Überarbeitung der 4. (Bilanz-)RL und 7. (Konzernbilanz-)RL in das Arbeitsprogramm der Kommission für 2011 aufgenommen 56, war jedoch bei Drucklegung noch nicht erfolgt. 25 Im Vorgriff auf diese große Revision hatte die Kommission bereits im Februar 2009 den bereits oben (Rn. 6) erwähnten Vorschlag für eine Änderung der 4. (Bilanz-)RL (dazu § 24) in Bezug auf Kleinstunternehmen (microentities) 57 vorgelegt; wie ausgeführt, befand sich dieser bei Drucklegung jedoch noch im Legislativverfahren.

§ 11 Die GmbH in Europa Literatur: Behrens, Peter, Die Gesellschaft mit beschränkter Haftung im internationalen und europäischen Recht, 2. Aufl. 1997; Thomas, Richard (ed.), Company Law in Europe (Stand: 56. EL 2011); Lutter, Marcus, Limited Liability Company and Private Company, in: Conard, Alfred/Vagts, Detlev (eds.), International Encyclopedia of Comparative Law, Vol. XIII/1, 2006; Süß, Rembert/Wachter, Thomas, Handbuch des Internationalen GmbH-Rechts, 2. Aufl. 2011; Westermann, Harm Peter, Die GmbH in der nationalen und internationalen Konkurrenz der Rechtsformen, GmbHR 2005, 4.

I. Überblick 1 Alle EU-Mitgliedstaaten regeln in ihrem nationalen Recht die Aktiengesellschaft, (fast) alle aber auch die GmbH (vgl. u. Rn. 5 ff.). Diese ist typischerweise gekennzeichnet durch den Ausschluss der persönlichen Haftung ihrer Gesellschafter (vgl. zum Grundsatz der Haftungsbeschränkung bereits allg. § 8 Rn. 34 f.), durch ein insgesamt einfacheres und liberaleres Recht, größere Vertragsfreiheit insbesondere bei der Ausgestaltung des Innenverhältnisses der Mitglieder untereinander und ihres Verhältnisses zur GmbH selbst sowie die fehlende Börsenfähigkeit.1

II. Die „Europäisierung“ der GmbH 2 Das europäisierte nationale Recht der Unternehmen betrifft (fast) immer die Aktiengesellschaft des jeweiligen nationalen Rechts, aber nur teilweise die GmbH: Die 1. (Publizitäts-)RL über die handelsrechtliche Publizität, die Beschränkung der Nich-

56 Vgl. Arbeitsprogramm der Kommission für 2011, KOM(2010) 608, S. 15 f.; s. ferner den Annex hierzu: COM(2010) 623 Vol. II, S. 35. 57 Fn. 5. 1 Vgl. im Einzelnen die Länderberichte bei Süß/Wachter, Handbuch des Internationalen GmbH-Rechts, 2. Aufl. 2011; Thomas (ed.), Company Law in Europe (Stand: 56. EL 2011).

Die GmbH in Europa

157

tigkeitsgründe und die (unbeschränkte) Vertretungsmacht der Organe (dazu bereits § 7, § 8 Rn. 9, 36 ff., sowie ausf. § 19), die 4. (Bilanz-)RL über den Jahresabschluss (dazu bereits § 10 Rn. 1 ff. sowie ausf. § 25), die 7. (Konzernbilanz-)RL betreffend den konsolidierten Abschluss (dazu bereits § 10 Rn. 1 ff. sowie ausf. § 25) sowie die 11. (Zweigniederlassungs-)RL über die handelsrechtliche Publizität von Zweigniederlassungen (dazu § 28) gelten auch für die GmbH, die Regeln der 12. (Einpersonengesellschafts-)RL (dazu § 29) sogar vor allem für die GmbH. Auch die 10. RL über grenzüberschreitende Verschmelzungen (dazu § 23) gilt für die GmbH, da sie sich am Gesellschaftsbegriff der 1. (Publizitäts-)RL orientiert (näher § 23 Rn. 13 ff.). Hingegen gilt für die GmbH bislang nicht die 2. (Kapital-)RL (Gründungsregeln und Kapital, dazu § 20) und nicht die 3. (Fusions-)RL (dazu § 21) und 6. (Spaltungs-)RL (dazu § 22); auch die Vorgaben zu den Gesellschafterrechten in der AktionärsrechteRL (dazu § 31) sind – wie der Name schon sagt – ausschließlich auf die AG beschränkt. Insgesamt bedeutet das: Der Kern des Rechts der nationalen GmbH ist bislang 3 nicht „europäisiert“ und unterliegt daher gerade in den Bereichen des Kapitals (so existiert etwa im UK2 oder in Frankreich 3 kein Mindestkapitalerfordernis), der Gründungsregeln (große Unterschiede beim Mindestinhalt der Satzung; i.d.R. keine Kontrolle von Sacheinlagen) und bei der Mitgliedschaft (teilweise gesetzlich zwingende Abtretungsbeschränkungen und teilweise Höchstzahl von Gesellschaftern) großen Unterschieden in den nationalen Rechten.4 Insoweit ist der internationale rechtsgeschäftliche Verkehr zwar durch die handelsrechtliche Publizität und die unbeschränkte und unbeschränkbare Vertretungsmacht der Vertretungsorgane geschützt, nicht aber durch einheitliche Grundregeln zum Kapital. Und außerdem gibt es keine Standards der Mitgliedschaft. Als Bürger eines EU/EWR-Mitgliedstaats kann man zwar nicht am Erwerb eines Geschäftsanteiles gehindert werden, welche Rechte und Pflichten aber damit verbunden sind – und insbesondere damit auch: welche Risiken –, bestimmt sich jedoch allein nach dem nicht koordinierten nationalen Recht. Bereits vor geraumer Zeit wurde in der Kommission über die Frage beraten, ob 4 und ggf. in welchem Umfang die 2. (Kapital-)RL auf die GmbH ausgedehnt werden kann und soll.5 Hieraus hat sich aber bisher noch keine Änderung ergeben. Zwar

2 Ss. 761, 763 CA 2006 sehen explizit nur für die public limited company ein Mindestkapital (50.000 £) vor. Vgl. nur Davies, Gower and Davies’ Principles on Modern Company Law, 8. Aufl. 2008, 11-4, 11-5. 3 Art. L223-2 C. com. überlässt die Festlegung des Gesellschaftskapitals der SARL heute vollständig der Satzung; die Mindestkapitalpflicht wurde 2003 abgeschafft durch das Loi n° 2003-721 du 1er août 2003 pour l’initiative économique, JORF n°179 du 5 août 2003, 13449, vgl. dazu etwa Meyer/Ludwig GmbHR 2005, 346 ff. m.w.N. 4 Vgl. Lutter, Limited Liability Company and Private Company, in: Conard, Alfred/Vagts, Detlev (eds.), International Encyclopedia of Comparative Law, Vol. XIII/1, 2006; ders. FS 100 Jahre GmbH-Gesetz, 1992, S. 49 ff.; die Vorteile der Diversität betonend: Grundmann Rn. 1157 ff. 5 Vgl. dazu De Kluiver/van Gerven (Hrsg.), The European Private Company?, 1995, sowie Lutter AG 1995, 309.

158

Stand und Realität des Europäischen Unternehmensrechts

bietet sich nach der neueren Judikatur des EuGH zur Niederlassungsfreiheit (Centros, Überseering, Inspire Art, Cartesio, dazu ausf. § 6 Rn. 19 ff.) auch eine Zweigniederlassung als Niederlassung im europäischen Ausland an, doch ist hier das Vertrauen der Bürger für unterschiedliche Rechtsformen zu gewinnen, so dass insgesamt die Schaffung allgemeiner Mindeststandards, gerade für das Kapital, vorzuziehen wäre 6. Die Chancen dafür aber stehen derzeit wohl – nicht zuletzt auch vor dem Hintergrund der Reformdiskussion zur 2. (Kapital-)RL7 (dazu bereits § 8 Rn. 14 f. sowie näher § 20 Rn. 236 ff.) – nicht gut. 5 Neben der sekundärrechtlichen Angleichung des GmbH-Rechts ist mittlerweile ein verstärkter Wettbewerbsdruck zwischen den unterschiedlichen Rechtsformen in Europa entstanden8 (vgl. dazu auch bereits § 6 Rn. 31), so dass auch hierdurch langsam eine Annäherung der GmbH-Rechte erfolgen wird 9. Eine wichtige Entwicklung in diesem Zusammenhang ist die Initiative zur Schaffung einer Europäischen Privatgesellschaft (SPE) (dazu § 18 Rn. 93 sowie ausf. § 43). Sollte es dazu kommen, sind die obigen Überlegungen zur weiteren Angleichung der nationalen GmbH-Rechte zumindest partiell obsolet. III. Übersicht: AG und GmbH im EU/EWR-Raum 1. EU-Mitgliedstaaten 6 Derzeit existieren in den EU-Mitgliedstaaten folgende Parallelformen zu AG bzw. GmbH: EU-Mitgliedstaat

„AG“ société anonyme

„GmbH“

Belgien

BE

société privée à responsabilité limitée

Bulgarien

BG

akcionerno druΩest´o

druΩestvo s ogranihena otgovornost

Tschechische Republik

CZ

akciová společnost

společnost s ručením omezeným

6 Vgl. Lutter ZGR 2000, 1, 9 f. 7 Dazu grundlegend Lutter (Hrsg.), Das Kapital der Aktiengesellschaft in Europa, 2006. 8 Vgl. dazu Dannemann in: Schröder (Hrsg.), Die GmbH im europäischen Vergleich, 2005, S. 1 ff.; Wachter, ebenda, S. 27 ff.; Dirksmeier/Schabert BB 2006, 1517 ff.; Leuering ZRP 2006, 201 ff.; Lutter Beil. zu BB 37/2006, 2 ff.; Meyer/Ludwig GmbHR 2005, 346 ff.; Niemeier ZIP 2006, 2237 f.; Ries AnwBl. 2005, 53 ff.; Wachter GmbHR 2005, 717 ff.; Westhoff GmbHR 2006, 526 ff.; Wulfetange Beil. zu BB 37/2006, 19 ff.; Zypries Beil. zu BB 37/2006, 1. 9 So hat etwa Frankreich im Hinblick auf die englische Limited 2003 auf das Mindestkapitalerfordernis für die SARL verzichtet (vgl. bereits o. Fn. 3). Deutschland folgte 2008 mit der Einführung der Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt) (§ 5a GmbHG), dazu nur Lutter in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 17. Aufl. 2009, § 5a Rn. 1 ff. m.w.N. Ähnlich soll z.B. auch in den Niederlanden i.R.d. derzeitigen Gesellschaftsrechtsreform (dazu bereits § 6 Rn. 31) das Mindestkapitalerfordernis für die BV abgeschafft werden.

159

Die GmbH in Europa

EU-Mitgliedstaat

„AG“

„GmbH“

Dänemark

DK aktieselskab

anpartsselskab

Deutschland

DE

Aktiengesellschaft

Gesellschaft mit beschränkter Haftung

Estland

EE

aktsiaselts

osaühing

Irland

IE

public limited company

private limited company

Griechenland

EL

anånumh etairía

Etaireía periorisménhv eujúnhv

Spanien

ES

sociedad anónima

sociedad de responsabilidad limitada

Frankreich

FR

société anonyme

société à responsabilité limitée

Italien

IT

società per azioni

società a responsabilità limitata

Zypern

CY

Dhmósiev etaireíev periorisménhv eujúnhv me metocév, dhmósiev etaireíev periorisménhv eujúnhv me eggúhsh pou diajétoun metocikókefálaio

idiwtikä etaireía periorisménhv eujúnhv me metocév ä me eggúhsh

Lettland

LV

akciju sabiedrība

sabiedrība ar ierobežotu atbildību

Litauen

LT

akcinė bendrovė

uždaroji akcinė bendrovė

Luxemburg

LU

société anonyme

Ungarn

HU részvénytársaság

korlátolt felelősségű társaság

Malta

MT kumpanija pubblika/ public limited liability company

kumpannija privata/private limited liability company

Niederlande

NL

naamloze vennotschap

besloten vennootschap met beperkte aansprakelijkheid

Österreich

AT

Aktiengesellschaft

Gesellschaft mit beschränkter Haftung

Polen

PL

spółka akcyjna

spółka z ograniczoną odpowiedzialnością

Portugal

PT

sociedade anónima

Rumänien

RO societate pe act¸ iuni

Slowenien

SI

delniška družba

družba z omejeno odgovornostjo

Slowakei

SK

akciová spoločnosť

spoločnosťs ručením obmedzeným

société à responsabilité limitée

sociedade por quotas societate cu ra˘spundere limitata˘

Finnland

FI

osakeyhtiö/aktiebolag



Schweden

SE

aktiebolag



United Kingdom

UK public limited company

private limited company

In Schweden und Finnland existiert keine spezielle, der GmbH vergleichbare Rechts- 7 form, sondern nur die – der Aktiengesellschaft entsprechende – Rechtsform der aktiebolag. Im Zuge der Anpassung des nationalen Rechts an europäische Vorgaben

160

Stand und Realität des Europäischen Unternehmensrechts

erfolgten jedoch sowohl in Schweden 10 als auch in Finnland 11 Anpassungen insofern, als nunmehr zwischen der publikt aktiebolag und privat aktiebolag differenziert wird.12 8 Eine Sonderstellung nimmt aber etwa auch das UK ein: public limited company (plc) und private limited company (Ltd.) werden dort – anders als in Deutschland – einheitlich in einem einzigen Gesetz, heute dem Companies Act 2006 (CA 2006)13, geregelt (sog. „single act approach“) 14 und traditionell lediglich als zwei Varianten derselben Grundform verstanden 15 (vgl. auch bereits § 8 Rn. 3). Ähnliches gilt auch für Rechtsordnungen, die sich eng an das englische Recht anlehnen, wie etwa das irische 16 oder das zypriotische Recht 17.

2. EWR-Mitgliedstaaten 9 In den EWR-Mitgliedstaaten existieren folgende Parallelformen zu AG und GmbH: EWR-Mitgliedstaat Island

„AG“

„GmbH“

IS

hlutafélag

einkahlutafélag

Liechtenstein

LI

Aktiengesellschaft

Gesellschaft mit beschränkter Haftung

Norwegen

NO allmennaksjeselskap

aksjeselskap

10 Vgl. heute Kap. 1 § 2 Aktiebolagslag (2005:551); zuvor: Kap. 1 § 2 Aktiebolagslag (1975: 1385). Die Anpassungen im schwedischen Recht erfolgten durch das Lag (1994:802) om ändring i aktiebolagslagen (1975:1385), dazu Skøg in: Lutter (Hrsg.), Die Gründung einer Tochtergesellschaft im Ausland, 3. Aufl. 1995, S. 628, 632 f. 11 Vgl. heute DEL I Kap. 1 § 1(1) Aktiebolagslag (624/2006). 12 Vgl. dazu Foerster/Kastner, Schweden, in: Süß/Wachter, Handbuch des Internationalen GmbH-Rechts, 2. Aufl. 2011, Rn. 2, 5; Hansen, Nordic Company Law, 2003, S. 23 f., 25 f., 28 f.; Faber, Finnland, in: Süß/Wachter, Handbuch des Internationalen GmbH-Rechts, 2. Aufl. 2011, Rn. 2 ff.; Skøg (Fn. 10), S. 628, 632 f. 13 Companies Act 2006 (c. 46). 14 Vgl. dazu Davies (Fn. 2), 1–10; J. Schmidt, „Deutsche“ vs. „britische“ Societas Europaea (SE), 2006, S. 106. 15 Vg. Palmer’s Company Law 2.103; J. Schmidt (Fn. 14), S. 106. 16 Zum irischen Gesellschaftsrecht: Keane, Company Law in Ireland, 3. Aufl. 2006. 17 Zum zypriotischen Gesellschaftsrecht: Neocleous, Introduction to Cyprus law, 2000, ch. 9.

Die Einpersonen-Kapitalgesellschaft in Europa

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§ 12 Die Einpersonen-Kapitalgesellschaft in Europa (insbesondere: Einpersonen-GmbH) Literatur: Schrifttum bei § 29.

I. Überblick Ungewöhnlich große Unterschiede bestanden in Europa bei der rechtlichen Behand- 1 lung der Einpersonen-Kapitalgesellschaft.1 Während in den romanischen Rechten (besonders Frankreich, Spanien, Portugal, Griechenland) der Vertragsgedanke auch im Recht der Kapitalgesellschaften bestimmend war – eine Betrachtung, welche die Einpersonen-Gesellschaft als „undenkbar“ ausschloss wie heute noch in Deutschland die Einpersonen-oHG –, war sie für andere Länder Normalität (Dänemark, Deutschland, Niederlande, Österreich), für Dritte ein Haftungsfall (Italien, UK) (vgl. dazu noch § 29 Rn. 1). So war es tatsächlich erforderlich, aber auch eine beachtliche Leistung, als im Jahre 1989 die 12. (Einpersonengesellschafts-)RL (ursprünglich RL 89/667/EWG, jetzt kodifiziert als RL 2009/102/EG, dazu ausf. § 29) verabschiedet wurde. Diese verpflichtet die Mitgliedstaaten dazu, die Gründung und die nachträgliche Entstehung von Einpersonen-GmbH anzuerkennen (näher § 29 Rn. 6, 10 ff.).

II. Einzelheiten 1. Zwei Lösungen für die GmbH Auf Grund der 12. (Einpersonengesellschafts-)RL haben die Mitgliedstaaten zwei 2 Möglichkeiten: (1) Zulassung der Einpersonen-GmbH (dazu u. Rn. 3 f. sowie ausf. § 29 Rn. 6, 10 ff.), (2) Einführung eines speziellen Einpersonen-Unternehmens mit beschränkter Haftung (dazu u. Rn. 5 sowie § 29 Rn. 15).

a) Alternative 1: Zulassung der Einpersonen-GmbH Als erste Möglichkeit können die Mitgliedstaaten die Einpersonen-GmbH (inkl. der 3 Einpersonengründung) zulassen, wie es das deutsche Recht seit der GmbH-Novelle von 1980 2 tut. Dies tun inzwischen auch nahezu alle EU- und EWR-Mitgliedstaaten 3; eine Ausnahme bildet allerdings speziell Portugal (dazu noch u. Rn. 5 sowie § 29 1 S. im Einzelnen: Wolany GmbHR 1962, 77, 79; Lutter FS Brandner, 1996, S. 81, 84. 2 Gesetz zur Änderung des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung und anderer handelsrechtlicher Vorschriften v. 4.7.1980, BGBl. I, 836. 3 Vgl. zu den einzelnen Mitgliedstaaten: Behrens, Die Gesellschaft mit beschränkter Haftung im internationalen und europäischen Recht, 2. Aufl. 1997; Breidenbach (Hrsg.), Handbuch Wirtschaft und Recht in Osteuropa (Stand: 98. EL 2011); Süß/Wachter (Hrsg.), Handbuch des internationalen GmbH-Rechts, 2. Aufl. 2011; Thomas (ed.), Company Law in Europe (Stand: 56. EL 2011).

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Stand und Realität des Europäischen Unternehmensrechts

Rn. 15). In diesem Fall ist die Tatsache der Einpersonengesellschaft inkl. der Person des einzigen Gesellschafters offen zu legen und es gelten förmliche Besonderheiten für die von ihm gefassten Beschlüsse und für die Verträge zwischen ihm und seiner GmbH (näher § 29 Rn. 11, 25 ff.). I. Ü. gilt grundsätzlich das allgemeine GmbHRecht weiter, insbesondere der reguläre Ausschluss der persönlichen Haftung des einzigen Gesellschafters für die Schulden der GmbH. 4 Außerordentlich merkwürdig aus der Sicht des deutschen Rechts muten einige Besonderheiten an, die von Art. 2 Abs. 2 der 12. (Einpersonengesellschafts-)RL ausdrücklich erlaubt werden. Danach können vom nationalen Recht besondere Bestimmungen oder Sanktionen eingeführt werden, wenn (a) eine natürliche Person einziger Gesellschafter von mehreren Gesellschaften ist oder (b) eine Einpersonengesellschaft oder eine andere juristische Person einziger Gesellschafter einer Gesellschaft ist (näher dazu noch § 29 Rn. 16 ff.). Damit können vom nationalen Recht EinpersonenKonzerne und insbesondere 100%ige Tochtergesellschaften juristischer Personen ausgeschaltet oder diskriminiert werden. Wie die einleitenden Worte von Art. 2 Abs. 2 mit der Formulierung „Bis zur Koordinierung der einzelstaatlichen Vorschriften für das Konzernrecht …“ ergeben, handelt es sich hier tatsächlich um „Konzern-Vermeidungs-Regeln“. Sie scheitern naturgemäß in der Praxis an der überall bestehenden Möglichkeit, dass sich eine zweite Person mit einer Splitterbeteiligung (und in aller Regel: als Treuhänder) beteiligt.4 Gerade diese Regelung zeigt, wie notwendig jedenfalls auf Dauer eine Harmonisierung des Konzernrechts ist. Trotz der evidenten Schwäche der Regelung haben einige Mitgliedstaaten davon aber tatsächlich Gebrauch gemacht, so z.B. Belgien, Frankreich, Italien oder Polen (näher § 29 Rn. 24).5 b) Alternative 2: Einführung eines speziellen Einpersonen-Unternehmens mit beschränkter Haftung 5 Statt der Zulassung als Einpersonen-GmbH i.R.d. des allgemeinen nationalen GmbH- Rechts (nochmals: wie in Deutschland) können die Mitgliedsländer aber auch ein spezielles Einpersonen-Unternehmen 6 einführen, wobei der Ausschluss persönlicher Haftung gegeben sein muss (Art. 7 der 12. (Einpersonengesellschafts-)RL, dazu näher § 29 Rn. 15). Dieser Lösung folgt speziell das portugiesische Recht (dazu näher § 29 Rn. 15). 2. Einpersonen-Aktiengesellschaft 6 Akzeptiert das innerstaatliche Recht auch die Einpersonen-AG, so hat es die besonderen Vorgaben der 12. (Einpersonengesellschafts-)RL nach deren Art. 6 ebenfalls zu beachten; die Zulassung einer Einpersonen-AG ist nicht zwingend, geschieht sie aber, so sind die Vorgaben der RL umzusetzen (näher § 29 Rn. 8). Dem ist die deut4 Dies ist auch nach der RL weiterhin zulässig, vgl. § 29 Rn. 13. 5 Vgl. eingehend dazu auch bereits Lutter FS Brandner, 1996, S. 81 ff. 6 Für die Einführung eines solchen im deutschen Recht schon Schilling JZ 1953, 161, 165 ff.

Mitbestimmung und unternehmensrechtlich relevante Arbeitnehmerrechte in Europa 163

sche Gesetzgebung mit der Einführung auch der Einpersonengründung für AG im Gesetz für die kleine AG v. 2.8.1994 7 gefolgt 8 (dazu noch näher § 29 Rn. 9). Eine Einpersonengründung von AG erlauben aber heute etwa auch Luxemburg, die Niederlande, Polen, Schweden und das UK (vgl. § 29 Rn. 8). III. Zusammenfassung Sieht man von der – aus deutscher Perspektive merkwürdig anmutenden – Erlaubnis 7 des Art. 2 Abs. 2 der 12. (Einpersonengesellschafts-)RL (die gerade keine Pflicht ist und daher auch in den meisten Mitgliedsländern nicht verwirklicht wird) und dem Versuch einer Verhinderung von Einpersonen-Konzernbildungen ab, so ist die Einpersonen-GmbH heute im gesamten EU/EWR-Raum rechtliche und praktische Realität. Wollen sich allerdings bereits bestehende Unternehmen als juristische Personen mit Einpersonengründungen in anderen EU/EWR-Staaten niederlassen, so müssen sie sich vergewissern, ob dort von den Restriktionsmöglichkeiten gem. Art. 2 Abs. 2 der 12. (Einpersonengesellschafts-)RL Gebrauch gemacht worden ist. Das Gleiche gilt für natürliche Personen, die bereits – wo auch immer – Alleingesellschafter einer GmbH oder AG sind. Insoweit verbleiben bei aller Liberalität gegenüber der Einpersonen-GmbH erhebliche Risiken aus dem jeweiligen nationalen Recht.

§ 13 Mitbestimmung und unternehmensrechtlich relevante Arbeitnehmerrechte in Europa Literatur: Allg. zum Europäischen Arbeitsrecht: Blanpain, Roger, European Labour Law, 2010; Fuchs, Maximilian/Marhold, Franz, Europäisches Arbeitsrecht, 3. Aufl. 2010; Riesenhuber, Karl, Europäisches Arbeitsrecht, 2009; Thüsing, Gregor, Europäisches Arbeitsrecht, 2008. Literatur zur 10. RL bei § 23, zur SE-RL bei § 41, zur BÜ-RL bei § 38, zur EBR-RL bei § 39.

I. Die Problematik der Mitbestimmung Zwei Fragen sind auf Grund der äußerst unterschiedlichen nationalen Philosophien 1 und Konzeptionen im Europäischen Unternehmensrecht bis heute stark umstritten: Die Prinzipien des materiellen Rechts der verbundenen Unternehmen (Konzernrecht, dazu bereits § 9 Rn. 5 ff.) und die unternehmerische Mitbestimmung.1 An den Mei7 Gesetz für kleine Aktiengesellschaften und zur Deregulierung des Aktienrechts v. 2.8.1994, BGBl. I, 1961. 8 S. hierzu Lutter FS Vieregge, 1995, S. 603 ff. 1 Dazu Kolvenbach ZEW 7 (1991), ferner Großfeld/Erlinghagen JZ 1993, 217 ff.; zu den jüngsten Entwicklungen rund um die Arbeitnehmermitbestimmung Henssler GesRZ 2011, 6 ff.

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Stand und Realität des Europäischen Unternehmensrechts

nungsverschiedenheiten um letztere ist die 5. (Struktur-RL) über die Organisation der Aktiengesellschaft in Europa gescheitert (vgl. bereits § 9 Rn. 1 f.). 2 Doch wurde immerhin nach Jahrzehnten ein Kompromiss gefunden zur Mitbestimmung in der Europäischen Aktiengesellschaft (Societas Europaea – SE) und für die grenzüberschreitende Verschmelzung: Die SE-VO (dazu § 41) konnte Ende 2004 in Kraft treten und mit der Einigung zur SE war auch der Weg frei für die RL über die grenzüberschreitende Verschmelzung von Kapitalgesellschaften (10. RL, dazu § 23), die Ende 2005 verabschiedet wurde. Der erforderliche Kompromiss zur Mitbestimmung fand seinen Ausdruck jeweils in einem besonderen Regelungsspielraum für die nationalen Gesetzgeber: Die Frage der Mitbestimmung in der SE wurde in eine ergänzende Richtlinie, die SE-RL, gefasst (näher § 41 Rn. 186 ff.), die in Deutschland in das SE-Beteiligungsgesetz (SEBG, dazu § 41 Rn. 8, 186) mündete und im Zuge der Umsetzung der 10. RL wurde das Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei einer grenzüberschreitenden Verschmelzung (MgVG, dazu § 23 Rn. 8, 152) erlassen. Mit einigen Unterschieden im Detail ist nun jeweils eine Verhandlungslösung mit Auffangregelung für die Mitbestimmung maßgeblich. Der Streit um die Mitbestimmung verhinderte mithin zwar eine für alle Mitgliedstaaten einheitlich geregelte SE. Doch bei allem Bedauern, dass keine viel weiter harmonisierte europäische Lösung gefunden wurde: Grenzüberschreitende Verschmelzung sowie SE können in diesem Buch endlich als Rechtswirklichkeit beschrieben werden. 3 Eine Europäisierung des Gedankens der Mitbestimmung zeichnet sich mithin nur langsam ab; doch steht die unternehmerische Mitbestimmung nicht mehr unüberwindlich vor weiteren Meilensteinen auf dem Weg zu einem harmonisierten Europäischen Unternehmensrecht. So lässt beispielsweise der für die SE gefundene Kompromiss trotz allem darauf hoffen, dass auch die Europäische Privatgesellschaft (SPE) in Bälde Wirklichkeit wird (dazu ausf. § 43). Die Mitbestimmungsproblematik im Allgemeinen steht aber auch auf der Agenda der aktuellen Reformdiskussion: Sie wurde von der Reflection Group in ihrem Bericht vom April 2011 explizit aufgegriffen 2 (dazu näher § 18 Rn. 105) und auch auf der EU-Gesellschaftsrechtskonferenz im Mai 2011 – erneut äußerst kontrovers – diskutiert 3, so dass man gespannt sein darf, welchen Kurs die Kommission insoweit in Zukunft einschlagen wird. II. Das Mitbestimmungsmodell von SE-VO, SCE-VO und 10. RL 1. Überblick 4 So wenig das Thema Mitbestimmung wegen der vollkommen unterschiedlichen Philosophien in den Mitgliedstaaten für die allgemeine Rechtsangleichung Bedeutung erlangen konnte, so klar war andererseits, dass für die europäischen Rechtsformen 2 Vgl. Report of the Reflection Group On the Future of EU Company Law, 5.4.2011 (abrufbar unter http://ec.europa.eu/internal_market/company/docs/modern/reflectiongroup_ report_en.pdf), S. 53 ff. Allgemein zur Reflection Group und ihren Vorschlägen bei § 18 Rn. 5, 100 ff. 3 Vgl. dazu J. Schmidt GmbHR 2011, R177, R178.

Mitbestimmung und unternehmensrechtlich relevante Arbeitnehmerrechte in Europa 165

EWIV (dazu § 40), SE (dazu § 41) und SCE (dazu § 42) sowie die internationale Verschmelzung (10. RL, dazu § 23) eine Lösung gefunden werden musste und für die anstehende SPE (dazu § 43) ebenfalls gefunden werden muss. Bei der EWIV ist man einer Lösung noch ausgewichen, indem man sie so vielfältig 5 beschränkt hat, dass sie als Rechtsform eines „normalen“ Unternehmens ausscheidet (näher § 40 Rn. 3, 11 ff.). Diese Taktik war bei der SE nicht möglich und deshalb haben die Arbeiten an ihr auch über 40 Jahre gedauert.4

2. Die Lösung der unternehmerischen Mitbestimmung in der SE Der entscheidende Durchbruch bei den Verhandlungen zur SE gelang im „Wunder von Nizza“ 5 (vgl. auch noch § 41 Rn. 5), weil man sich auf eine Drei-Stufen-Lösung verständigen konnte6 (näher zur Mitbestimmung bei der SE noch § 41 Rn. 186 ff.): Auf der 1. Stufe sind natürliche Personen von der Gründung einer SE ausgeschlossen: Gründer einer SE können nur AG und SE sowie – allerdings nur bei bestimmten Gründungsvarianten – auch GmbH und rechtlich konfigurierte Marktakteure i.S.d. Art. 54 Abs. 2 AEU sein (vgl. im Einzelnen § 41 Rn. 30, 182). Damit steht der status quo der – nationalrechtlichen – Mitbestimmung für die Auffanglösung der 3. Stufe (dazu u. Rn. 9) fest. Auf der 2. Stufe verlangt die SE-RL die Bildung eines sog. Besonderen Verhandlungsgremiums (BVG) aus den Arbeitnehmern der an der Gründung beteiligten Gesellschaften. Die ausführenden Vorschriften dazu sind – speziell auch in Deutschland – unerhört kompliziert 7 und sollen die Proportionalität der Nationalitäten im BVG sicherstellen. Dieses BVG führt sodann Verhandlungen mit den Leitungs- bzw. Verwaltungsorganen der an der Gründung der SE beteiligten Gesellschaften über die Mitbestimmung in der künftigen SE (vgl. zu den verschiedenen möglichen Resultaten der Verhandlungen § 41 Rn. 189). Die Haupt- bzw. Gesellschafterversammlungen der an der Gründung der SE beteiligten Gesellschaften können sich im Falle der Verschmelzungs- oder Holdinggründung die Zustimmung zu einer etwaigen Vereinbarung vorbehalten (Art. 23 Abs. 2 S. 2, 32 Abs. 6 S. 3 SE-VO, dazu § 41 Rn. 41, 54). Kommt es innerhalb der maßgeblichen Frist von grundsätzlich 6 Monaten (die aber auf bis zu 1 Jahr verlängert werden kann, vgl. § 41 Rn. 189) nicht zu einer Vereinbarung zwischen den Leitungen der beteiligten Gesellschaften und dem BVG oder wird diese Vereinbarung von einer Haupt- oder Gesellschafterversammlung einer der beteiligten Gesellschaften abgelehnt, so kommt es in der 3. Stufe zur sog. Auffang4 Zur Entstehungsgeschichte vgl. § 41 Rn. 1 ff. und ausf. Lutter in: Lutter/Hommelhoff, SE-Kommentar, 2008, Einl. Rn. 7 ff.; J. Schmidt, „Deutsche“ vs. „britische“ Societas Europaea (SE), 2006, S. 52 ff. (jeweils m.z.w.N.). 5 So Hirte NZG 2002, 1 f. 6 Eingehend zur Grundkonzeption des Mitbestimmungskonzepts bei der SE jüngst: Henssler GesRZ 2011, 6, 7 ff. 7 Vgl. nur die Kommentierung der §§ 5 ff. SEBG von Oetker in: Lutter/Hommelhoff, SEKommentar, 2008.

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lösung, im Rahmen derer sich der Umfang der unternehmerischen Mitbestimmung in der (künftigen) SE nach der Art der Gründung und dem bisherigen Mitbestimmungslevel in den beteiligten Gesellschaften richtet (näher dazu § 41 Rn. 190 ff.).

3. Das SE-Modell als Basismodell für andere europäische Rechtsakte 10 Das Modell der SE-RL wurde sodann – mit genossenschaftsspezifischen Modifikationen – auch auf die SCE übertragen (vgl. zur Arbeitnehmerbeteiligung nach der SCE-RL näher § 42 Rn. 113 f.) sowie – mit einigen durchaus signifikanten Liberalisierungen – auch auf die grenzüberschreitende Verschmelzung nach der 10. RL (dazu näher § 23 Rn. 147 ff.). Auch der Entwurf für eine SPE-VO baut nunmehr auf dem SE-Modell auf, allerdings ebenfalls mit einer Reihe signifikanter „SPE-spezifischer“ Modifikationen (dazu näher § 43 Rn. 172 ff.). Das SE-Modell ist damit letztlich zum „Basismodell“ für das europäischen Mitbestimmungsrecht avanciert.8

III. Informationsrechte 1. Betriebsübergangs-RL 11 Schon sehr früh (1977) sind mit der Betriebsübergangs-RL (BÜ-LR) (dazu noch u. Rn. 16 f. sowie ausf. § 38) spezielle Informationsrechte der Arbeitnehmer beim Betriebsübergang geschaffen worden, die auf Grund ausdrücklicher Verweisung in Art. 12 der 3. (Fusions-)RL (dazu § 21 Rn. 115) und Art. 11 der 6. (Spaltungs-)RL (dazu § 22 Rn. 85) auch für die Verschmelzung und Spaltung gelten. Sowohl Veräußerer als auch Erwerber treffen gem. Art. 7 der BÜ-RL umfassende Informations- und Konsultationspflichten gegenüber den Arbeitnehmervertretern bzw. subsidiär den Arbeitnehmern selbst (ausf. § 38 Rn. 33 ff.).

2. EBR-RL 12 Sehr viel weitergehende allgemeine Informations- und Anhörungsrechte der Arbeitnehmer in international tätigen Unternehmen und Konzernen hat die RL über Europäische Betriebsräte (EBR-RL) von 1994, die 2009 neu gefasst wurde, gebracht (dazu ausf. § 39). Ihr Ansatz ist das europaweit erfolgreiche System der Betriebsräte, das damit seine erste europäische Verfestigung erlebte. Allerdings: Durch die RL werden nicht etwa die Zuständigkeiten der nationalen Betriebsräte „internationalisiert“, d.h. über die Grenze hin ausgedehnt, sondern es wird ein neues Arbeitnehmerorgan mit Vertretern aus allen Unternehmen des betreffenden Konzerns im EU/EWR-Raum geschaffen.

8 Vgl. ähnlich auch Henssler GesRZ 2011, 6, 7 f.

Mitbestimmung und unternehmensrechtlich relevante Arbeitnehmerrechte in Europa 167

3. Rahmen-RL 2002/14/EG Als wirklicher „Durchbruch zu einer europäischen Betriebsverfassung“9 wurde viel- 13 fach die Rahmen-RL 2002/14/EG über Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer 10 bezeichnet. Aus ihr ergeben sich für Arbeitnehmervertreter umfassende Informations- und Konsultationsrechte. Sie ergänzen die spezifischen Rechte bei Massenentlassungen, beim Betriebsübergang sowie die Europäischer Betriebsräte. Die Informations- und Konsultationsrechte nach der Rahmen-RL umfassen gem. 14 Art. 4 Abs. 2 Unterrichtung und Anhörung zu: (a) der jüngsten Entwicklung und der wahrscheinlichen Weiterentwicklung der Tätigkeit und der wirtschaftlichen Situation des Unternehmens oder des Betriebs; (b) Beschäftigungssituation, Beschäftigungsstruktur und wahrscheinlicher Beschäftigungsentwicklung im Unternehmen oder Betrieb sowie ggf. geplanten antizipativen Maßnahmen, insbesondere bei einer Bedrohung für die Beschäftigung; (c) Entscheidungen, die wesentliche Veränderungen der Arbeitsorganisation oder der Arbeitsverträge mit sich bringen können, einschließlich Massenentlassungen und Betriebsübergänge. Das hierdurch entstandene allgemeine System von Unterrichtung und Anhörung 15 war für einige Mitgliedstaaten gänzlich neu.11 Doch selbst für den „Weltmeister in Sachen Mitbestimmung“12 aus Deutschland, der die in der RL gesetzten Mindeststandards teils deutlich übertrifft, könnte – entgegen der Rechtsauffassung der Bundesregierung – noch Umsetzungsbedarf bestehen.13

IV. Übergang der Arbeitsverhältnisse Die bereits angesprochene Betriebsübergangs-RL (BÜ-RL, dazu ausf. § 38) hat ne- 16 ben Informationsrechten aber vor allem den Fortbestand der Arbeitsverhältnisse bei Betriebsübergang, Verschmelzung und Spaltung europaweit festgeschrieben, wobei es völlig gleichgültig ist, ob der Erwerber ein in- oder ausländisches Unternehmen ist. Sie ist in Deutschland insbesondere durch § 613a BGB umgesetzt (näher § 38 Rn. 6). 9 Reichhold NZA 2003, 289; Thüsing, Europäisches Arbeitsrecht, 2008, § 10 Rn. 46. 10 RL 2002/14/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 11.3.2002 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer in der Europäischen Gemeinschaft, ABlEG v. 23.3.2002, L 80/29. Dazu Blanpain, European Labour Law, 2010, Rn. 1964 ff.; Fuchs/Marhold, Europäisches Arbeitsrecht, 3. Aufl. 2010, S. 294 ff.; Riesenhuber, Europäisches Arbeitsrecht, 2009, § 27; Thüsing (Fn. 9), § 10 Rn. 46 ff.; s. ferner Bonin AuR 2004, 321 ff.; Franzen FS Birk, 2008, S. 97 ff.; Brors, Das System der Arbeitnehmer-Beteiligungs-Richtlinien, 2005; Reichold NZA 2003, 289 ff.; Schäfer, Der europäische Rahmen für die Arbeitnehmermitwirkung, 2005; Wedde AiB 2005, 265 ff.; Weiss NZA 2003, 177, 182 ff.; Woodridge (2003) 24 Co Law 182 ff. 11 Vgl. Thüsing (Fn. 9), § 10 Rn. 47 m.w.N. 12 Vgl. Thüsing (Fn. 9), § 10 Rn. 47 m.w.N. 13 Vgl. näher Reichhold NZA 2003, 289 ff.; sowie umfassend zum Ganzen: Thüsing (Fn. 9), § 10 Rn. 46 ff.

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Stand und Realität des Europäischen Unternehmensrechts

Die BÜ-RL ist unternehmensrechtlich von großer Bedeutung , weil sie die Vertragsfreiheit bei der Veräußerung von Unternehmen oder Unternehmensteilen bzw. Betrieben oder Betriebsteilen öffentlichen oder privaten Rechts wesentlich beschränkt: Der Erwerber muss die bisher im Betrieb Beschäftigten übernehmen, kann den ipso iure-Übergang ihrer Arbeitsverhältnisse auf sich nicht verhindern. Wie weit dieses Prinzip in den Augen des EuGH reicht und wie weit daher auch § 613a BGB richtlinienkonform zu verstehen war,14 gab und gibt indes erheblichen Grund zur Sorge (näher, speziell zur Problematik der sog. Funktionsnachfolge, bei § 38 Rn. 6). V. Zusammenfassung und Ausblick

18 Man muss heute in Europa zwischen der unternehmerischen Mitbestimmung einerseits und sonstigen Arbeitnehmerrechten wie Freizügigkeit, Diskriminierungsschutz, Schutz bei Betriebsübergang und Massenentlassung sowie Information und Konsultation andererseits unterscheiden. Während bei der unternehmerischen Mitbestimmung die nationalen Lösungen sakrosankt sind und jedem Gedanken an eine Angleichung entgegenstehen, ist Europa bei den anderen Arbeitnehmerrechten durchaus flexibel und nimmt – wie etwa beim Diskriminierungsschutz – durchaus eine Vorreiterrolle ein. In diesen für die Arbeitnehmer wichtigen Bereichen kann man also mit weiteren unionsrechtlichen Maßnahmen rechnen. Bei der unternehmerischen Mitbestimmung wird es dagegen wohl bei den sehr unterschiedlichen nationalen Lösungen bleiben – von „Null-Mitbestimmung“ (wie etwa im UK) bis zur paritätischen Mitbestimmung in Deutschland –, die dann auch als Auffangmodelle für europäische Unternehmensformen zur Anwendung kommen. Allenfalls die europäische „Erfindung“ der Verhandlungslösung (SE, SCE, grenzüberschreitende Verschmelzung) könnte in die nationalen Mitbestimmungsrechte Eingang finden; entsprechende Vorschläge gibt es etwa in Deutschland 15.

§ 14 Europäische Rechtsformen Literatur: Schrifttum zur EWIV bei § 40, zur SE bei § 41, zur SCE bei § 42, zur SPE bei § 43.

I. Überblick 1 Die fortbestehende Nationalität der Gesellschaften und ihre Prägung durch das nationale Recht verbunden mit der Niederlassungsfreiheit führen naturgemäß zu ständigem Import fremden Rechts in die eigene und ständigem Export eigenen Rechts in 14 Zur richtlinienkonformen Auslegung bereits bei § 3 Rn. 48 ff.; s. ferner eingehend Lutter JZ 1992, 593, 604 ff. 15 Vgl. insbesondere Arbeitskreis Unternehmerische Mitbestimmung ZIP 2009, 885 ff. (diesem gehörte auch der Autor Lutter an); Hommelhoff ZGR 2010, 48 ff.

Europäische Rechtsformen

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fremde Rechtsordnungen: Die Niederlassung der italienischen SpA1 in Deutschland lebt nach italienischem, die Niederlassung der deutschen X-AG in Mailand nach deutschem Recht und die vielen englischen Limiteds in Deutschland (dazu bereits § 6 Rn. 50 f.) nach englischem Recht. Auf diesem Phänomen beruht der Gedanke der Rechtsangleichung: Nicht die Zuständigkeit des nationalen Rechts wird in Frage gestellt, aber seine Unterschiede werden vermindert. Und das ist in einem breiten Umfange jedenfalls für die AG tatsächlich auch geschehen (vgl. § 8). Aber das Phänomen der nationalen Unternehmen und ihres nationalen Rechts bleibt – auch nach Rechtsangleichung lebt die Niederlassung der X-AG in Mailand nach deutschem Recht; nur: die Unterschiede sind weniger gravierend. Diese rechtliche Situation kann insgesamt nur überwunden werden durch Unter- 2 nehmensformen, die nicht mehr nach nationalem, sondern aus europäischem, also unmittelbar aus (vorrangigem) EU-Recht leben – also echte „Europäische Rechtsformen“. Auf diesem Gedanken beruhen Maßnahmen der Kommission und des Rates, die 1985 zur Schaffung der Europäischen Wirtschaftlichen Interessenvereinigung (EWIV, dazu u. Rn. 3 f.), 2001 zur Europäischen Aktiengesellschaft (Societas Europaea – SE, dazu u. Rn. 5 ff.) und 2003 zur Europäischen Genossenschaft (Societas Cooperativa Europaea – SCE, dazu u. Rn. 9) geführt haben; (Zumindest bei Drucklegung) noch im status nascendi befindet sich dagegen das Projekt einer Europäischen Privatgesellschaft (Societas Privata Europaea – SPE, dazu u. Rn. 11). Daneben existieren aber auch Bestrebungen zur Schaffung noch weiterer spezieller Europäischer Rechtsformen (dazu u. Rn. 12).

II. Die EWIV Die Europäische Wirtschaftliche Interessenvereinigung (EWIV) ist aus deutscher 3 Sicht eher ein Missverständnis. Sie geht auf ein Vorbild des französischen Rechts zurück, das groupement d’intérêt économique (GIE), das seinerseits in Frankreich erforderlich geworden war wegen der Schranken, denen die französische société civile im Gegensatz zur deutschen BGB-Gesellschaft unterworfen war und ist (zur Historie der EWIV näher § 40 Rn. 1). Wegen ihres flexiblen Charakters versprach man sich in Brüssel viel von ihr. Tatsächlich ist sie keine eigentliche Unternehmensform geworden, sondern ein Instrument der grenzüberschreitenden Kooperation. Denn sie unterliegt – u.a. im Hinblick auf die Mitbestimmungsproblematik – ungewöhnlich vielen Schranken. So darf sie nur Hilfstätigkeiten zur Tätigkeit ihrer Mitglieder erfüllen und ihr Zweck darf nicht darauf gerichtet sein, Gewinn für sich selbst zu erzielen (näher § 40 Rn. 11 ff.). Zudem darf sie nicht mehr als 500 Arbeitnehmer haben (dazu § 40 Rn. 16), keine Konzernleitung ausüben (dazu § 40 Rn. 14) und sich nicht öffentlich an den Kapitalmarkt wenden (dazu § 40 Rn. 19). Darüber hinaus ist weniger als

1 Società per azioni, vgl. die Liste der jeweiligen nationalen Parallelformen zu AG und GmbH bei § 11 Rn. 6 ff.

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Stand und Realität des Europäischen Unternehmensrechts

50 % des auf sie anwendbaren Rechts europäisch, weit mehr als die Hälfte wird vom nationalen Recht des Sitzstaats bestimmt (in Deutschland gilt insoweit subsidiär oHG-Recht) (näher dazu § 40 Rn. 5 ff.). Und schließlich: Die Partner einer EWIV haften gesamtschuldnerisch für deren Verbindlichkeiten (dazu näher § 40 Rn. 72 ff.). 4 Die EWIV ist indes nicht völlig erfolglos – vom TV-Sender ARTE bis zu internationalen Anwaltssozietäten finden sich Beispiele für ihre Verwendung (zur rechtstatsächlichen Nutzung noch § 40 Rn. 3). Mit dem Gedanken eines europäischen Unternehmensträgers nach Art der SE aber ist sie nicht einmal in Ansätzen vergleichbar.

III. Die Europäische Aktiengesellschaft (Societas Europaea – SE) 5 Sage und schreibe mehr als 4 Jahrzehnte hat es gebraucht, die SE zu schaffen 2 – oft genug galt das Projekt als gescheitert und oft hat sich ihr Bild in dieser Zeit geändert, vom Vollstatut im ersten offiziellen Vorschlag des Jahres 1970 bis zur Rahmenordnung der verabschiedeten Fassung von 2001 (näher zur Historie der SE § 41 Rn. 1 ff.). 6 Ganz anders als die EWIV ist die SE aber Unternehmensträger, ist selbständige und unbeschränkte Rechtsform für Unternehmen aller Art (vgl. auch § 41 Rn. 10 f.). Sie ist hinsichtlich ihres Tätigkeitsbereichs nicht beschränkt, steht für unternehmerische Vorhaben ebenso zur Verfügung wie für soziale und gemeinnützige Zwecke (vgl. § 41 Rn. 11). Sie tritt damit neben die und in Konkurrenz zu den Rechtsformen nationalen Rechts wie die deutsche AG, die französische SA und die englische plc etc 3. Auch sie lebt allerdings aus einem „mixtum compositum“ aus europäischem und nationalem Recht (näher zur „Rechtsquellenpyramide“ der SE § 41 Rn. 22 ff.) und kann zudem z.B. nicht einfach durch natürliche Personen gegründet werden (vgl. § 41 Rn. 30). Sie hat aber auch erhebliche Vorteile, wie speziell die Wahl zwischen monistischer und dualistischer Verfassung (dazu § 41 Rn. 94 ff.), die Möglichkeit der Festlegung der Mitbestimmung durch Vereinbarung mit den Arbeitnehmern (dazu § 41 Rn. 186 ff.) und das „europäische Label“ SE (dazu § 41 Rn. 12). 7 In den nun knapp 7 Jahren ihrer Existenz ist die SE – wie die stetig wachsende Zahl von Gründungen und der Umstand, dass sich auch bekannte „Branchenriesen“ für die SE entscheiden, zeigt – eine durchaus erfolgreiche Rechtsform geworden (näher zur rechtstatsächlichen Entwicklung § 41 Rn. 9). 8 Eine ausführliche Darstellung der SE findet sich in § 41.

2 Eddy Wymeersch hat dazu gesagt: „No subject in company law has required more efforts, involved more man-hours and received more attention than the Statute for a European Company or Societas Europaea (SE)“ (vgl. Wymeersch, Company Law in Europe and European Company Law, in: Referate für den 1. Europäischen Juristentag, 2001, S. 87, 139). 3 Vgl. die Liste der jeweiligen nationalen Parallelformen zu AG und GmbH bei § 11 Rn. 6 ff.

„Goldene Aktien“ („Golden Shares“)

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IV. Die Europäische Genossenschaft (Societas Cooperativa Europaea – SCE) Ebenso wie die SE ist auch die – speziell für den Genossenschaftssektor gedachte – 9 SCE eine selbständige Rechtsform (vgl. § 42 Rn. 2, 6 f.), die aus einem „mixtum compositum“ aus europäischem und nationalem Recht lebt (näher zur „Rechtsquellenpyramide“ der SCE § 42 Rn. 11 ff.). Auch sie tritt neben die Rechtsformen nationalen Rechts und insbesondere die nationalen Genossenschaften und die nationalen Genossenschaftsrechte. Im Gegensatz zur SE ist das Interesse an der SCE aber (bislang) verhalten (Rechtstsachen bei § 42 Rn. 5); ihre Vorteile werden als gering eingeschätzt, die Gemengelage aus europäischem und nationalem Recht als unerhört komplex und daher speziell für den Genossenschaftssektor unpraktisch. 10 Eine ausführliche Darstellung der SCE findet sich in § 42.

V. Die Europäische Privatgesellschaft (Societas Privata Europaea – SPE) Der Kreis der europäischen Rechtsformen könnte demnächst um eine GmbH-recht- 11 lich inspirierte „kleine Schwester“ für die SE erweitert werden, die SPE. Die Kommission hat hierfür 2008 einen offiziellen VO-Vorschlag vorgelegt; bis zur Drucklegung war es allerdings nicht gelungen, im Rat eine Einigung zu erzielen. Eine ausf. Darstellung von Entwicklung und derzeitigem Stand des SPE-Projekts findet sich in § 43 (s. ferner auch § 18 Rn. 93 f.).

VI. Weitere Europäische Rechtsformen Die Planungen zur Kreation einer „Familie“ Europäischer Rechtsformen reichten 12 und reichen aber noch weiter: Die Arbeiten am Projekt eines Europäischen Vereins (European Association – EA) und einer Europäischen Gegenseitigkeitsgesellschaft (Société Mutuelle Européenne – SME) wurden zwar 2005 eingestellt (vgl. dazu näher § 18 Rn. 95), könnten aber möglicherweise i.R.d. 2011 gestarteten neuen Reforminitiative (dazu allg. § 18 Rn. 5, 100 ff.) wieder aufgegriffen werden (vgl. dazu § 18 Rn. 95, 104). Auf der Agenda steht zudem die mögliche Schaffung einer Europäischen Stiftung (European Foundation – EF), dazu näher § 18 Rn. 96, 104.

§ 15 „Goldene Aktien“ („Golden Shares“) Literatur: Adolff, Johannes, Turn of the tide?: The “Golden Share” judgments of the European Court of Justice and the liberalization of the European capital marktes, (2002) 3 (8) GLJ; Arlt, Marie-Agnes/Rabl, Thomas, Kapitalverkehrsfreiheit – Unzulässigkeit von Golden Shares nach dem deutschen Volkswagengesetz, GesRZ 2008, 16; Armbrüster, Christian, „Golden Shares“ und die Grundfreiheiten des EG-Vertrages – EuGH, NJW 2002, 2303, 2305, 2306, JuS 2003, 224; Artés, Alberto, Advancing harmonization: Should the ECJ apply golden

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shares’ standards to national company law?, [2009] EBLR 457; Bayer, Walter, Zulässige und unzulässige Einschränkungen der europäischen Grundfreiheiten im Gesellschaftsrecht, BB 2002, 2289; Frenz, Walter, Goldene Aktien nach der 3. Portugal-Entscheidung, EWS 2011, 125; Grundmann, Stefan/Möslein, Florian, Die Golden Shares Grundsatzentscheidungen des Europäischen Gerichtshofs, BKR 2002, 758; dies., Die Goldene Aktie. Staatskontrollrechte in Europa und wirtschaftspolitische Bewertung, ZGR 2003, 317; Holle, Philipp Maximilian, Der „Fall VW“ – ein gemeinschaftsrechtlicher Dauerbrenner, AG 2010, 14; Käseberg, Thorsten/ Kuhn, Anja, „Patriotisme économique“ vs. Fair Play – Grenzen von Maßnahmen der Mitgliedstaaten bei grenzüberschreitenden Zusammenschlüssen, AG 2007, 65; Kerber, Markus, Staatliche Aktionärsprivilegien weiterhin ungeklärt – Anmerkungen zum Urteil des EuGH, NZG 2007, 942 –, NZG 2008, 9; Kilian, Wolfgang, Vereinbarkeit des VW-Gesetzes mit Europarecht, NJW 2007, 3469; ders., Verstößt das VW-Gesetz gegen die Kapitalverkehrsfreiheit?, NJW 2007, 1508; ders., Vom sinkenden Wert der „Goldenen Aktien“, NJW 2003, 2653; Kömpf, Anja, Staatseinfluss auf die Volkswagen AG, 2010; Krause, Hartmut, Von „goldenen Aktien“, dem VW-Gesetz und der Übernahmerichtlinie, NJW 2002, 2747; Lieder, Jan, Staatliche Sonderrechte in Aktiengesellschaften – Zulässigkeit nach deutschem Aktienrecht und europäischem Gemeinschaftsrecht, ZHR 172 (2008) 306; Möslein, Florian, Inhaltskontrolle aktienrechtlicher Entsendungsrechte: Europäische Anforderungen und Ausgestaltung im deutschen Aktienrecht, AG 2007, 770; ders., Kapitalverkehrsfreiheit und Gesellschaftsrecht, ZIP 2007, 208; Neumann, Kay-Uwe/Ogorek, Markus, Das aktienrechtliche Entsenderecht auf dem Prüfstand der Kapitalverkehrsfreiheit – Überlegungen anlässlich der Entscheidung des OLG Hamm v. 31.3.2008, NZG 2008, 914 – ThyssenKrupp –, NZG 2008, 892; Oechsler, Jürgen, Erlaubte Gestaltungen im Anwendungsbereich des Art. 56 I EG – Zugleich zur Entscheidung EuGH, NZG 2006, 942 – Golden Shares VI, NZG 2007, 161; O’Grady Putek, Christine, Limited but not lost: A comment on the ECJ’s golden shares decisions, (2004) 72 Fordham L. Rev. 2219; Pläster, Sebastian, Nach VW und Golden Shares VII: Ein Krake namens Kapitalverkehrsfreiheit?, EWS 2008, 173; Rapp-Jung, Barbara/Bartosch, Andreas, Das neue VW-Gesetz im Spiegel der Kapitalverkehrsfreiheit – Droht wirklich ein neues Vertragsverletzungsverfahren?, BB 2009, 2210; Reichert, Jochem, Golden Shares und andere Schutzmechanismen – Ergänzungen oder Alternativen zu staatlichen Eingriffsrechten, in: Bitter, Georg u.a. (Hrsg.), Festschrift für Karsten Schmidt, 2009, S. 1341; Remien, Oliver, Kapitalverkehrsfreiheit und Privatrecht in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, in: Dammann, Jens/Grunsky, Wolfgang/Pfeiffer, Thomas (Hrsg.), Gedächtnisschrift für Manfred Wolf, 2011, S. 717; Rickford, Jonathan, Free movement of capital and protectionism after Volkswagen and Viking Line, in: Tison, Michael (ed.), Perspectives in company law and financial regulation: essays in honours of Eddy Wymeersch, 2009, S. 61; Ringe, Wolf-Georg, Company law and free movement of capital, (2010) 69 CLJ 378; ders., Nichts ist vor ihm sicher? Allgemeines Gesellschaftsrecht im Visier des EuGH, in: Baum, Harald u.a. (Hrsg.), Perspektiven des Wirtschaftsrechts. Beiträge für Klaus J. Hopt aus Anlass seiner Emeritierung, 2008, S. 217; Ruge, Reinhard, Goldene Aktien und EG-Recht, EuZW 2002, 421; Rühland, Philipp, Die Rechtsprechung des EuGH zu Golden Shares und der Markt für Unternehmenskontrolle, in: Baum, Harald u.a. (Hrsg.), Perspektiven des Wirtschaftsrechts. Beiträge für Klaus J. Hopt aus Anlass seiner Emeritierung, 2008, S. 501; Sander, Florian, Höchststimmrechte und Kapitalverkehrsfreiheit nach der VW-Gesetz-Entscheidung – Psychologisiert der EuGH den Schutzbereich des Art. 56 EG?, EuZW 2008, 33; ders., Volkswagen vor dem EuGH – der Schutzbereich der Kapitalverkehrsfreiheit am Scheideweg, EuZW 2005, 106; Schall, Alexander, Kapitalsystem und Europarecht – allgemeiner Verhältnismäßigkeitsvorbehalt im Zeichen der Niederlassungsfreiheit, in: Herlinghaus, Andreas u.a. (Hrsg.), Festschrift für Wienand Meilicke, 2010, S. 651; Sołtysińki, Stanisław, Golden Shares: Recent Developments in E.C.J. jurisprudence and Member States legislation, in: Grundmann, Stefan u.a. (Hrsg.), Festschrift für Klaus J. Hopt zum 70. Geburtstag am 24. August 2010, 2010, S. 2571; Spindler, Gerald, Deutsches Gesellschaftsrecht in der Zange zwischen Inspire Art und Golden Shares?, RIW 2003, 850; Stöber, Michael, Goldene Aktien und Kapitalverkehrsfreiheit in Europa, NZG

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2010, 977; Teichmann, Christoph/Heise, Elisabeth, Das VW-Urteil des EuGH und seine Folgen, BB 2007, 2577; Van Bekkum, Jaron/Kloosterman, Joost/Winter, Jaap, Golden Shares and European Company Law: the implications of Volkswagen, (2008) 5 ECL 6; Verse, Dirk A., Aktienrechtliche Entsendungsrechte am Maßstab des Gleichbehandlungsgrundsatzes und der Kapitalverkehrsfreiheit, ZIP 2008, 1754; ders., Das VW-Urteil und seine Folgen, GPR 2008, 31; Vossestein, Gert-Jan, Volkswagen: the state of affairs of golden shares, general company law and European free movement of capital, ECFR 2008, 115; Weiss, Michael, Staatlicher Schutz vor Investitionen nach dem Urteil zum VW-Gesetz, EWS 2008, 13; Wellige, Kristian, Weg mit dem VW-Gesetz!, EuZW 2003, 427; Zumbansen, Peer/Saam, Daniel, The ECJ, Volkswagen and European Corporate Law: Reshaping the European varieties of capitalism, (2007) 8 GLJ 1027. Rechtsprechung: EuGH: EuGH v. 23.5.2000, Kommission ./. Italienische Republik, Rs. C-58/99, Slg. 2000, I-3811 („ENI I“) EuGH v. 4.6.2002, Kommission ./. Portugiesische Republik, Rs. C-367/98, Slg. 2002, I-4731 EuGH v. 4.6.2002, Kommission./. Französische Republik, Rs. C-483/99, Slg. 2002, I-4781 („Elf-Aquitaine“) EuGH v. 4.6.2002, Kommission ./. Königreich Belgien, Rs. C-503/99, Slg. 2002, I-4809 („S.N.T.C.“) EuGH v. 13.5.2003, Kommission./. Königreich Spanien, Rs. C-463/00, Slg. 2003, I-4581 („ENDESA“) EuGH v. 13.5.2003, Kommission ./. Vereinigtes Königreich Großbritannien und Nordirland, Rs. C-98/01, Slg. 2003, I-4641 („BAA“) EuGH v. 2.6.2005, Kommission ./. Italienische Republik, Rs. C-174/04, Slg. 2005, I-4933 EuGH v. 28.9.2006, Kommission ./. Königreich der Niederlande, Rs. C-282/04 u. C-283/04, Slg. 2006, I-9141 („KPN/TPG“) EuGH v. 23.10.2007, Kommission ./. Bundesrepublik Deutschland, Rs. C-112/05, Slg. 2007, I-8995 („VW“) EuGH v. 6.12.2007, Federconsumatori u.a. ./. Comune di Milano, Rs. C-463/04 u. C-464/04, Slg. 2007, I-10419 („Comune di Milano“) EuGH v. 17.7.2008, Kommission ./. Königreich Spanien, Rs. C-207/07, Slg. 2008, I-111 („E.ON/ENDESA“) EuGH v. 26.3.2009, Kommission ./. Italienische Republik, Rs. C-326/07, Slg. 2009, I-2291 („ENI II“) EuGH v. 21.10.2010, Idryma Typou, Rs. C-81/09, ZIP 2010, 2493 EuGH v. 8.7.2010, Kommission ./. Portugiesische Republik, Rs. C-171/08, WM 2010, 1362 („Portugal Telecom“) EuGH v. 11.11.2010, Kommission ./. Portugiesische Republik, Rs. C-543/08, EuZW 2011, 17 („Energias de Portugal“) Nationale Gerichte: LG Essen v. 29.6.2007 – 45 O 15/07, AG 2007, 797 („ThyssenKrupp“) OLG Hamm v. 31.3.2008 – 8 U 222/07, NZG 2008, 914 („ThyssenKrupp“) LG Hannover v. 27.11.2008 – 21 O 61/08, ZIP 2009, 666 („VW“) BGH v. 8.6.2009 – II ZR 111/08, ZIP 2009, 1565 („ThyssenKrupp“)

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I. Einleitung 1 Im Zuge der in den 1980er Jahren beginnenden und stetig zunehmenden Bestrebungen zur Privatisierung wichtiger Industriezweige waren und sind die Mitgliedstaaten vielfach darum bemüht, sich auch weiterhin zumindest ein Mindestmaß an Einfluss zu sichern und bedien(t)en sich hierzu häufig des Instruments sog. „Goldener Aktien“ („Golden Shares“). Solche – in den verschiedensten Varianten (vgl. dazu näher u. Rn. 2, 11) anzutreffenden – staatlichen Sonderrechte stehen indes in einem immanenten Spannungsverhältnis zur Niederlassungs- und Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 49, 63 AEU). Die Kommission warnte daher bereits in einer Mitteilung aus dem Jahre 1997 1, dass sie die Einhaltung der Grundfreiheiten in diesem Bereich genau überwachen werde. In der Folgezeit begann sie dann auch tatsächlich damit, gegen eine ganze Reihe von Mitgliedstaaten Vertragsverletzungsverfahren einzuleiten, die in vielen Fällen auch in Klagen zum EuGH mündeten. Ein erstes Urteil aus dem Jahr 2000 2 fand zunächst kaum Beachtung, mit drei Aufsehen erregenden Urteilen v. 4.6.2002 3 rückten die „Goldenen Aktien“ dann jedoch schlagartig in den Fokus der praktischen und wissenschaftlichen Aufmerksamkeit. Der EuGH hat seine Judikatur inzwischen in einer ganzen Reihe weiterer, teils auch mit Blick auf die praktischen Folgen spektakulärer Entscheidungen (aus deutscher Sicht insbesondere das VW-Urteil 4, dazu näher u. Rn. 7, 11, 21 f., 23) gefestigt und näher ausziseliert, wobei er – abgesehen von einer einzigen Ausnahme 5 – in allen Fällen einen Verstoß gegen die Kapitalverkehrsund/oder Niederlassungsfreiheit feststellte.

1 Mitteilung der Kommission über bestimmte rechtliche Aspekte von Investitionen innerhalb der EU, ABlEG v. 19.7.1997, C 220/15. 2 EuGH v. 23.5.2000, Kommission ./. Italienische Republik, Rs. C-58/99, Slg. 2000, I-3811 („ENI I“). 3 EuGH v. 4.6.2002, Kommission ./. Portugiesische Republik, Rs. C-367/98, Slg. 2002, I-4731; EuGH v. 4.6.2002, Kommission ./. Französische Republik, Rs. C-483/99, Slg. 2002, I-4781 („Elf-Aquitaine“); EuGH v. 4.6.2002, Kommission ./. Königreich Belgien, Rs. C-503/99, Slg. 2002, I-4809 („S.N.T.C.“). Dazu Adolff (2002) 3 (8) GLJ; Bayer BB 2002, 2289 ff.; ders. BB 2004, 1, 2 f.; Fleischer (2003) 40 C.M.L. Rev. 493; Grundmann/Möslein BKR 2002, 758 ff.; dies. ZGR 2003, 317 ff.; Krause NJW 2002, 2747 ff.; O’Grady Putek (2004) 72 Fordham L. Rev. 2219, 2255 ff.; Weil/Lustig EuLF 2002, 277 ff. 4 EuGH v. 23.10.2007, Kommission ./. Bundesrepublik Deutschland, Rs. C-112/05, Slg. 2007, I-8995 („VW“). Dazu Bayer/J. Schmidt BB 2008, 454, 459 f.; Kerber NZG 2008, 9 ff.; Kilian NJW 2007, 3469 ff.; Lieder ZHR 172 (2008), 306 ff.; Pläster EWS 2008, 173 ff.; Rickford FS Wymeersch, 2009, S. 61, 76 ff.; Ringe (2010) 69 CLJ 378, 385 ff.; C. Teichmann/Heise BB 2007, 2577 ff.; Van Bekkum/Kloosterman/Winter (2008) 5 ECL 6 ff.; Verse GPR 2008, 31 ff.; Vossestein ECFR 2008, 115 ff.; Weiss EWS 2008, 13 ff.; J. Winter FS Wymeersch, 2009, S. 43, 52 ff.; Zumbansen/Saam (2007) 8 GLJ 1027 ff. 5 EuGH v. 4.6.2002, Kommission ./. Königreich Belgien, Rs. C-503/99, Slg. 2002, I-4809 („S.N.T.C.“).

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II. Gestaltungsvarianten „Goldene Aktien“ i.w.S. umfassen ein ganzes Spektrum von Varianten von Sonder- 2 rechten staatlicher Stellen betreffend bestimmte Unternehmen oder Kategorien von Unternehmen. Gegenstand der Judikatur des EuGH waren bislang z.B. Entsenderechte in die Gesellschaftsorgane6, Vetorechte bei bestimmten gesellschaftsinternen Entscheidungen 7 sowie Genehmigungserfordernisse 8 oder Widerspruchsrechte 9 beim Erwerb bestimmter Beteiligungen (ausf. Kasuistik u. Rn. 11). Typischerweise sind solche Sonderrechte mit der Eigenschaft der jeweiligen staatlichen Stelle als Aktionär/ Anteilsinhaber verknüpft („Goldene Aktien“ i.e.S.); der Begriff der „Goldenen Aktien“ i.w.S. umfasst aber auch Konstellationen, in denen dies nicht der Fall ist 10.11

III. „Goldene Aktien“ als Beschränkungen der Kapitalverkehrs- und/oder der Niederlassungsfreiheit 1. Abgrenzung und Verhältnis von Kapitalverkehrs- und Niederlassungsfreiheit „Goldene Aktien“ sind sowohl mit Blick auf die Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 63 3 AEU) als auch mit Blick auf die Niederlassungsfreiheit (Art. 49 AEU) problematisch. Die Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 63 AEU) erfasst nämlich nicht nur sog. Port-

6 S. etwa EuGH v. 28.9.2006, Kommission ./. Königreich der Niederlande, Rs. C-282/04 u. C-283/04, Slg. 2006, I-9141 („KPN/TPG“); EuGH v. 23.10.2007, Kommission ./. Bundesrepublik Deutschland, Rs. C-112/05, Slg. 2007, I-8995 („VW“); EuGH v. 6.12.2007, Federconsumatori u.a. ./. Comune di Milano, Rs. C-463/04 u. C-464/04, Slg. 2007, I-10419 („Comune di Milano“); EuGH v. 8.7.2010, Kommission ./. Portugiesische Republik, Rs. C-171/08, WM 2010, 1362 („Portugal Telecom“); EuGH v. 11.11.2010, Kommission ./. Portugiesische Republik, Rs. C-543/08, EuZW 2011, 17 („Energias de Portugal“). 7 S. etwa EuGH v. 4.6.2002, Kommission ./. Französische Republik, Rs. C-483/99, Slg. 2002, I-4781 („Elf-Aquitaine“); EuGH v. 4.6.2002, Kommission ./. Königreich Belgien, Rs. C-503/99, Slg. 2002, I-4809 („S.N.T.C.“); EuGH v. 8.7.2010, Kommission ./. Portugiesische Republik, Rs. C-171/08, WM 2010, 1362 („Portugal Telecom“); EuGH v. 11.11.2010, Kommission ./. Portugiesische Republik, Rs. C-543/08, EuZW 2011, 17 („Energias de Portugal“). 8 S. etwa EuGH v. 4.6.2002, Kommission./. Französische Republik, Rs. C-483/99, Slg. 2002, I-4781 („Elf-Aquitaine“); EuGH v. 13.5.2003, Kommission./. Königreich Spanien, Rs. C-463/00, Slg. 2003, I-4581 („ENDESA“). 9 S. EuGH v. 4.6.2002, Kommission ./. Königreich Belgien, Rs. C-503/99, Slg. 2002, I-4809 („S.N.T.C.“). 10 S. etwa die Fälle EuGH v. 23.5.2000, Kommission ./. Italienische Republik, Rs. C-58/99, Slg. 2000, I-3811 („ENI I“); EuGH v. 4.6.2002, Kommission ./. Portugiesische Republik, Rs. C-367/98, Slg. 2002, I-4731; EuGH v. 17.7.2008, Kommission ./. Königreich Spanien, Rs. C-207/07, Slg. 2008, I-111 („E.ON/ENDESA“). 11 Vgl. auch Adolff (2002) 3 (8) GLJ Rn. 8; Andenas/Gütt/Pannier [2005] EBLR 757, 782 f.; Artés [2009] EBLR 457, 459 f.; Grundmann/Möslein ZGR 2003, 317, 318 f., 322 f.; Sotiropoulos FS Georgiades, 2006, S. 711, 721; Van Bekkum/Kloosterman/Winter (2008) 5 ECL 6, 7.

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folioinvestitionen, d.h. Investitionen in Form des Erwerbs von Wertpapieren auf dem Kapitalmarkt allein in der Absicht der Geldanlage, ohne auf die Verwaltung und Kontrolle des Unternehmens Einfluss nehmen zu wollen, sondern auch sog. Direktinvestitionen, d.h. Investitionen in Form der Beteiligung an einem Unternehmen durch Besitz von Aktien, die die Möglichkeit verschaffen, sich tatsächlich an der Verwaltung und der Kontrolle des Unternehmens zu beteiligen.12 Damit überlappt sich der sachliche Anwendungsbereich der Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 63 AEU) aber zumindest partiell mit demjenigen der Niederlassungsfreiheit (Art. 49 AEU), denn dieser erfasst auch nationale Vorschriften, die anzuwenden sind, wenn ein Angehöriger des betreffenden Mitgliedstaats am Kapital einer Gesellschaft mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat eine Beteiligung hält, die es ihm ermöglicht, einen sicheren Einfluss auf die Entscheidungen dieser Gesellschaft auszuüben und deren Tätigkeiten zu bestimmen.13 Ein „sicherer Einfluss“ i.d.S. liegt jedenfalls bei einer 100 %-Beteiligung vor 14, je nach den Umständen kann allerdings auch eine geringere (unmittelbare oder mittelbare, ggf. auch von mehreren gemeinsam agierenden und/oder familiär verbundenen Personen gemeinsam gehaltene15) Beteiligung, insbesondere auch deutlich unterhalb einer Mehrheitsbeteiligung, genügen16. So hat der EuGH etwa jüngst in der Rs. Idryma Typou 25 % für ausreichend erachtet 17. 4 Wie die sich damit ergebende Konkurrenzproblematik zu lösen ist, wird äußerst kontrovers diskutiert. Das Meinungsspektrum reicht insoweit vom Postulat einer alternativen Exklusivität18, über die Annahme eines Vorrangs19 oder umgekehrt einer

12 Vgl. EuGH v. 28.9.2006, Kommission ./. Königreich der Niederlande, Rs. C-282/04 u. C-283/04, Slg. 2006, I-9141 („KPN/TPG“), Rn. 19; EuGH v. 8.7.2010, Kommission ./. Portugiesische Republik, Rs. C-171/08, WM 2010, 1362 („Portugal Telecom“), Rn. 49; EuGH v. 21.10.2010, Idryma Typou, Rs. C-81/09, ZIP 2010, 2493, Rn. 48; EuGH v. 11.11.2010, Kommission ./. Portugiesische Republik, Rs. C-543/08, EuZW 2011, 17 („Energias de Portugal“), Rn. 46. 13 Vgl. EuGH v. 23.10.2007, Kommission ./. Bundesrepublik Deutschland, Rs. C-112/05, Slg. 2007, I-8995 („VW“), Rn. 13; EuGH v. 26.3.2009, Kommission ./. Italienische Republik, Rs. C-326/07, Slg. 2009, I-2291 („ENI II“), Rn. 34; EuGH v. 21.10.2010, Idryma Typou, Rs. C-81/09, ZIP 2010, 2493, Rn. 47; EuGH v. 11.11.2010, Kommission ./. Portugiesische Republik, Rs. C-543/08, EuZW 2011, 17 („Energias de Portugal“), Rn. 41. 14 Vgl. EuGH v. 13.4.2000, Baars, Rs. C-251/98, Slg. 2000, I-2787, Rn. 26; EuGH v. 29.3. 2007, Rewe Zentralfinanz eG ./. Finanzamt Köln-Mitte, Rs. C-347/04, Slg. 2007, I-2647, Rn. 23; EuGH v. 2.10.2008, Heinrich Bauer Verlag BeteiligungsGmbH ./. Finanzamt für Großunternehmen in Hamburg, Rs. C-360/06, Slg. 2008, I-7333, Rn. 29. 15 Vgl. EuGH v. 6.12.2007, Columbus Container Services BVBA & Co. ./. Finanzamt Bielefeld-Innenstadt, Rs. C-298/05, Slg. 2007, I-10451 (sämtliche Anteile direkt oder indirekt durch Angehörige derselben Familie, die einvernehmlich handeln, gehalten). 16 Vgl. etwa EuGH v. 10.5.2007, Lasertec, Rs. C-492/04, Slg. 2007, I-3775, Rn. 23 (jedenfalls bei 2/3); EuGH v. 22.12.2008, État belge – SPF Finances ./. Truck Center SA, Rs. C-282/07, Slg. 2008, I-10767, Rn. 28 (jedenfalls bei 48 %). 17 EuGH v. 21.10.2010, Idryma Typou, Rs. C-81/09, ZIP 2010, 2493, Rn. 51; vgl. ferner auch schon EuGH v. 10.5.2007, Lasertec, Rs. C-492/04, Slg. 2007, I-3775, Rn. 22 f. 18 Vgl. Ohler WM 1996, 1801, 1804; vgl. ferner auch Rust DStR 2009, 2568, 2570. 19 Vgl. Fischer ZEuS 2000, 391, 401; ferner offenbar auch Artés [2009] EBLR 457, 462; Armbrüster JuS 2003, 224, 226 f.

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Subsidiarität 20 der Kapitalverkehrsfreiheit bis hin zur verbreiteten Annahme einer parallelen Anwendbarkeit beider Grundfreiheiten 21. Teilweise wird auch vertreten, dass dort, wo beide Schutzbereiche sich überlappen, auf den Schwerpunkt abzustellen sei.22 Die Judikatur des EuGH ist ebenfalls uneinheitlich. In den ersten „Goldene Ak- 5 tien“-Entscheidungen hatte der Gerichtshof sich nahezu ausnahmslos auf die Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 56 EG G Art. 63 AEU) konzentriert; soweit auch ein Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit (Art. 43 EG G Art. 49 AEU) geltend gemacht worden war, hatte er eine gesonderte Prüfung in fast allen Fällen23 mit der Begründung abgelehnt, dass etwaige Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit nur eine „unmittelbare Folge der … Hindernisse für den freien Kapitalverkehr“ seien.24 In den Ent-

20 Vgl. Freitag EWS 1997, 186, 189 ff.; Bachlechner ZEuS 1998, 519, 531; für einen Vorrang der Niederlassungsfreiheit bei Vorliegen eines spezifischen Beherrschungsverhältnisses: Dölker/Ribbrock BB 2007, 1928, 1930 ff.; bei wesentlichen Beteiligungen: Sedemund/ Laboranowitsch DStZ 2008, 414, 420. 21 Vgl. Armour/Ringe (2011) 48 C.M.L. Rev. 125, 143 f.; Bayer BB 2002, 2289, 2290; Bayer/ Ohler ZG 2008, 12, 23; Bröhmer in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 4. Aufl. 2011, Art. 63 AEU Rn. 30 ff.; Fleischer (2003) 40 C.M.L. Rev. 493, 498; Frenz, Handbuch Europarecht 1, 2004, Rn. 2770; ders. EWS 2011, 125, 128; Grundmann Rn. 176; Kömpf, Staatseinfluss auf die Volkswagen AG, 2010, S. 209; Kainer ZHR 168 (2004) 542, 553 f.; Lieder ZHR 172 (2008) 306, 315 f.; Pießkalla EuZW 2009, 463 f.; Ringe (2010) 69 CLJ 378, 382; Roth ZBB 2009, 257, 263 ff.; Rüffler GeS 2011, 99, 100; Schäfer/Voland EWS 2008, 166, 170; J. Schmidt EWiR 2008, 585, 586; Tiedje/Troberg in: von der Groeben/Schwarze, Kommentar zum EU-/EG-Vertrag, 6. Auflage 2003, Art. 43 EG Rn. 18, 26; Tippelhofer/ Lohmann IStR 2008, 857, 864; Weller in: Gebauer, Martin/Wiedmann, Thomas (Hrsg.), Zivilrecht unter europäischem Einfluss, 2. Auflage 2010, Kap. 21 Rn. 16. 22 Vgl. GA Alber, Schlussanträge v. 14.10.2009, Baars, Rs. C-251/98, Slg. 2000, I-2787, Rn. 26 ff.; Arndt/Fischer/Fetzer, Europarecht, 10. Aufl. 2010, Rn. 577; Germelmann EuZW 2008, 596, 600; Ress/Ukrow in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, 43. Auflage 2011, Art. 63 AEU Rn. 230 ff.; Schmahl WuB II N Art. 56 EGV 1.02; s. ferner auch (allerdings noch weiter differenzierend): Nettesheim ZHR 172 (2008) 729, 743 ff. sowie Zorn IStR 2010, 190, 194 („Theorie der Maßgeblichkeit des konkreten Sachverhalts“); tendenziell wohl auch von der Brocke FS Spiegelberger, 2009, S. 1671, 1680 f. 23 In der frühen Entscheidung ENI (EuGH v. 23.5.2000, Kommission ./. Italienische Republik, Rs. C-58/99, Slg. 2000, I-3811) wurde jedoch – allerdings ohne nähere Ausführungen zum Konkurrenzverhältnis – ein Verstoß gegen beide Grundfreiheiten festgestellt; im Fall VW wurde die Klage, soweit sie auf einen Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit gestützt war, bereits mangels eines diesbezüglichen substantiierten Vortrags der Kommission abgewiesen (vgl. EuGH v. 23.10.2007, Kommission ./. Bundesrepublik Deutschland, Rs. C-112/05, Slg. 2007, I-8995, Rn. 15 f.). 24 Vgl. EuGH v. 4.6.2002, Kommission ./. Portugiesische Republik, Rs. C-367/98, Slg. 2002, I-4731, Rn. 56; EuGH v. 4.6.2002, Kommission./. Französische Republik, Rs. C-483/99, Slg. 2002, I-4781 („Elf-Aquitaine“), Rn. 56; EuGH v. 13.5.2003, Kommission./. Königreich Spanien, Rs. C-463/00, Slg. 2003, I-4581 („ENDESA“), Rn. 86; EuGH v. 13.5.2003, Kommission ./. Vereinigtes Königreich Großbritannien und Nordirland, Rs. C-98/01, Slg. 2003, I-4641 („BAA“), Rn. 52; EuGH v. 28.9.2006, Kommission ./. Königreich der Niederlande, Rs. C-282/04 u. C-283/04, Slg. 2006, I-9141 („KPN/TPG“), Rn. 43.

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Stand und Realität des Europäischen Unternehmensrechts

scheidungen E.ON/ENDESA v. 17.7.2008 25 und ENI II v. 26.3.2009 26 stellte die 3. Kammer dann jedoch in Bezug auf die fraglichen nationalen Regelungen, die jeweils unabhängig vom Umfang der Beteiligung eines Aktionärs galten, ausdrücklich einen Verstoß sowohl gegen die Niederlassungs- als auch gegen die Kapitalverkehrsfreiheit fest. Auf derselben Linie liegt auch die – allerdings keine „Goldene Aktien“-Konstellation betreffende – Idryma Typou-Entscheidung der 2. Kammer v. 21.10.2010 27. Die 1. Kammer kehrte dann jedoch in den Urteilen Portugal Telecom v. 8.7.2010 28 und Energias de Portugal v. 11.10.2010 29 wieder zur früheren Position zurück, wonach eine gesonderte Prüfung der Niederlassungsfreiheit nicht erforderlich sei. Vollends offenbar wird das Fehlen einer klaren Linie 30, wenn man auch die übrige Judikatur des Gerichtshof, speziell auch zum Steuerrecht, mit in den Blick nimmt: Dort hat er nämlich in einer Reihe von Entscheidungen auf der Basis einer Art „Schwerpunktbetrachtung“ jeweils ausschließlich eine der beiden Grundfreiheiten zum Prüfungsmaßstab erklärt 31.

2. Nationale Maßnahme 6 Das für das Eingreifen der Kapitalverkehrs- und/oder Niederlassungsfreiheit grundlegende Erfordernis des Vorliegens einer „nationalen Maßnahme“ interpretiert der EuGH auch in seiner „Goldenen Aktien“-Rechtsprechung mit Blick auf den effet utile des Unionsrechts und die Verhinderung einer „Flucht ins Privatrecht“ grundsätzlich extensiv. Am Maßstab dieser Grundfreiheiten messen lassen müssen sich nicht nur staatliche Sonderrechte, die unmittelbar in einem Gesetz oder sonst in

25 EuGH v. 17.7.2008, Kommission ./. Königreich Spanien, Rs. C-207/07, Slg. 2008, I-111 („E.ON/ENDESA“). Dazu Bayer/J. Schmidt BB 2010, 387, 393; J. Schmidt EWiR 2008, 585 f.; Nohlen/Repasi EWS 2008, 424 f. 26 EuGH v. 26.3.2009, Kommission ./. Italienische Republik, Rs. C-326/07, Slg. 2009, I-2291 („ENI II“). 27 EuGH v. 21.10.2010, Idryma Typou, Rs. C-81/09, ZIP 2010, 2493. Dazu J. Schmidt EWiR 2010, 693 f. 28 EuGH v. 8.7.2010, Kommission ./. Portugiesische Republik, Rs. C-171/08, WM 2010, 1362 („Portugal Telecom“), Rn. 80. Dazu Müller-Michaels BB 2010, 2395 f.; Paal LMK 2010, 307158; Purnhagen EuZW 2010, 706 f.; Sonder EWiR 2010, 739 f.; Stöber NZG 2010, 977 ff. 29 EuGH v. 11.11.2010, Kommission ./. Portugiesische Republik, Rs. C-543/08, EuZW 2011, 17 („Energias de Portugal“), Rn. 99. Dazu Rubner GWR 2010, 310959. 30 Vgl. etwa auch von der Brocke FS Spiegelberger, 2009, S. 1671: „Mehr Verwirrung als klare Linien“. 31 Vgl. EuGH v. 18.7.2007, Oy AA, Rs. C-231/05, Slg. 2007, I-6373, Rn. 23 (Regelungen betreffend Beziehungen innerhalb einer Unternehmensgruppe betreffen vorwiegend die Niederlassungsfreiheit); EuGH v. 25.10.2007, Geurts, Rs. C-464/05, Slg. 2007, I-9325, Rn. 16 (Erbschaftssteuerbefreiung für Familienunternehmen betrifft vorwiegend Niederlassungsfreiheit); EuGH v. 17.9.2009, Glaxo Wellcome GmbH & Co. KG ./. Finanzamt München II, Rs. C-182/08, Slg. 2009, I-8591, Rn. 50 f. (Vorrang des den freien Kapitalverkehr betreffenden Aspekts einer nationalen Steuerregelung).

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rechtssatzförmiger Weise niedergelegt sind.32 Dem Staat als „nationale Maßnahme“ zurechenbar können vielmehr auch in der Satzung einer Gesellschaft verankerte Sonderregelungen sein. Der Gerichtshof qualifiziert auch solche statutarischen Sonderregelungen als „nationale Maßnahme“, sofern der Staat sie im Zuge der Privatisierung zu einer Zeit, als er die Gesellschaft (noch) kontrollierte, speziell geschaffen hat, insbesondere, wenn er dabei zielgerichtet durch gesetzliche oder statutarische Regelungen sichergestellt hat, dass die Sonderrechte ohne seine Zustimmung nicht oder nur sehr schwer wieder geändert oder abgeschafft werden können33. Vom Gerichtshof bislang noch nicht ausdrücklich entschieden – vor dem Hinter- 7 grund des Falls VW aber speziell im deutschen Schrifttum heftig diskutiert – sind dagegen Konstellationen, in denen Sonderrechte oder sonstige potentiell beschränkende statutarische Regelungen von den Aktionären privatautonom und ausschließlich auf der Basis der allgemeinen gesellschaftsrechtlichen Instrumentarien geschaffen werden. Jedenfalls für den Fall, dass solche Sonderrechte ausschließlich private Aktionäre begünstigten (z.B. Entsenderechte wie im Fall ThyssenKrupp) fehlt es aber eindeutig an einer „nationalen Maßnahme“.34 Aber auch für den Fall, dass Begünstigter der Staat ist, wird man eine „nationale Maßnahme“ zumindest dann verneinen müssen, wenn der Staat sich i.R.d. Einführung einer solchen Sonderregelung keiner speziellen Befugnisse (egal ob kraft staatlicher Hoheitsmacht oder auf der Basis bereits bestehender „Goldener Aktien“), sondern lediglich der allgemeinen gesellschaftsrechtlichen Instrumentarien bedient hat.35 Daher dürfte auch die nun bei VW gewählte Methode, das Entsenderecht zugunsten des Landes Niedersachsen – das als

32 Der EuGH hat diesbezüglich im VW-Urteil ausdrücklich klargestellt, dass es dabei irrelevant ist, wenn solche gesetzlichen Regelungen (zunächst) nur eine privatrechtliche Vereinbarung wiedergeben, denn dies ändere nichts an ihrem Charakter als Gesetz und damit als Akt öffentlicher Gewalt, vgl. EuGH v. 23.10.2007, Kommission ./. Bundesrepublik Deutschland, Rs. C-112/05, Slg. 2007, I-8995, Rn. 26 ff. 33 Vgl. EuGH v. 28.9.2006, Kommission ./. Königreich der Niederlande, Rs. C-282/04 u. C-283/04, Slg. 2006, I-9141 („KPN/TPG“), Rn. 22, 25 (Aufnahme der Sonderaktien in die Satzung im Zuge der Privatisierung, Einziehung nur mit Einverständnis des Staates); EuGH v. 8.7.2010, Kommission ./. Portugiesische Republik, Rs. C-171/08, WM 2010, 1362 („Portugal Telecom“), Rn. 52 ff. und EuGH v. 11.11.2010, Kommission ./. Portugiesische Republik, Rs. C-543/08, EuZW 2011, 17 („Energias de Portugal“), Rn. 50 ff. (Schaffung der Satzungsbestimmungen in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit einer hierzu ermächtigenden gesetzlichen Regelung und zu einer Zeit, als der Staat die Gesellschaft kontrollierte; Sonderaktien nicht übertragbar) 34 Vgl. BGH ZIP 2009, 1565 f. („ThyssenKrupp“) sowie bereits die Vorinstanzen OLG Hamm NZG 2008, 914, 917; LG Essen AG 2007, 797, 798; vgl. ferner auch Bayer/Ohler ZG 2008, 12, 29; Bayer/J. Schmidt BB 2008, 454, 460; dies. BB 2010, 387, 394; Lieder ZHR 172 (2008) 306, 311 f.; Neumann/Ogorek NZG 2008, 893, 894 f.; Reichert FS K. Schmidt, 2009, S. 1341, 1355; Remien FS Wolf, 2011, S. 717, 721 f.; Rühland FS Hopt, 2008, S. 501, 518 f.; Seeling/Zwickel BB 2008, 622, 623; Spindler RIW 2003, 850, 854; Stöber NZG 2010, 977, 979; C. Teichmann/Heise BB 2007, 2577, 2581; Verse GPR 2008, 31, 35; Weller (Fn. 21), Kap. 21 Rn. 19. 35 Vgl. auch Bayer/J. Schmidt BB 2008, 454, 460; dies. BB 2010, 387, 394; Lieder ZHR 172 (2008) 306, 311 f.; Reichert FS K. Schmidt, 2009, S. 1341, 1355.

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Folge der EuGH-Entscheidung Ende 2008 aus dem VW-Gesetz gestrichen wurde 36 – mittels eines satzungsändernden Hauptversammlungsbeschlusses, an dem das Land nur im Rahmen seiner ihm wie jedem Aktionär zustehenden Befugnisse mitgewirkt hat, nochmals ausdrücklich und nur noch allein in der Satzung 37 zu verankern, aus unionsrechtlicher Sicht zulässig sein.38 8 Eine Kontrolle auch solcher Konstellationen am Maßstab der Kapitalverkehrsund Niederlassungsfreiheit ließe sich wohl nur auf der Basis der Annahme einer unmittelbaren Drittwirkung dieser Grundfreiheiten begründen. Der EuGH hat jedoch – soweit ersichtlich – bislang in keinem Fall eine unmittelbare Drittwirkung der Kapitalverkehrsfreiheit angenommen. Auch eine Bindung Privater an die Niederlassungsfreiheit hat er bislang nur in Sonderkonstellationen bejaht, nämlich für kollektive Maßnahmen einer Gewerkschaft 39, also in einem Fall einer sog. „intermediären Gewalt“, für welche der EuGH auch bei anderen Grundfreiheiten ausnahmsweise eine unmittelbare Drittwirkung bejaht 40. Im Schrifttum wird eine unmittelbare Drittwirkung ebenfalls ganz überwiegend abgelehnt.41 Insbesondere lässt sich die Satzungsregelung privatrechtlich verfasster (Kapital-)Gesellschaften entgegen einer im Schrifttum vereinzelt vertreteten Ansicht 42 auf Grund der völlig unterschiedlichen Interessenlage auch nicht mit den ganz spezifisch gelagerten Sonderkonstellationen sog. „intermediärer Gewalten“ gleichsetzen.43

36 Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Überführung der Anteilsrechte an der Volkswagenwerk Gesellschaft mit beschränkter Haftung in private Hand v. 8.12.2008, BGBl. I, 2369. 37 Vgl. § 11 Abs. 1 S. 2 der VW-Satzung i.d.F.v. Mai 2011 (http://www.volkswagenag.com/ vwag/vwcorp/content/de/investor_relations/corporate_governance/satzung.html. 38 Vgl. Bayer/J. Schmidt BB 2008, 454, 460; dies. BB 2010, 387, 394; a.A. Holle AG 2010, 14, 20 f. 39 Vgl. EuGH v. 11.12.2007, Viking Line, Rs. C-438/05, Slg. 2007, I-10779. Vgl. ferner auch bereits EuGH v. 19.2.2002, Wouters, Rs. C-309/99, Slg. 2002, I-1577, Rn. 120 ff. (Regelungen einer Rechtsanwaltskammer, Anwendbarkeit der Niederlassungsfreiheit letztlich aber offen gelassen, da jedenfalls gerechtfertigt). 40 Vgl. EuGH v. 12.12.1974, Walrave, Rs. 36/74, Slg. 1974, 1405, Rn. 20/24; EuGH v. 6.6.2000, Angonese, Rs. C-281/98, Slg. 2000, I-4139, Rn. 31; EuGH v. 17.7.2008, Raccanelli, Rs. C-94/07, Slg. 2008, I-5939, Rn. 43. 41 Vgl. für die Kapitalverkehrsfreiheit: Birkemeyer EuR 2010, 662, 676 f.; Frenz (Fn. 21), Rn. 2802; Lieder ZHR 172 (2008) 306, 318; Neumann/Ogorek NZG 2008, 893, 895 f.; Ogorek/von der Linden BB 2008, 1139, 1140; Pläster EWS 2008, 175 f.; Remien FS Wolf, 2011, S. 717, 722; Seeling/Zwickel BB 2008, 622, 623; Spindler RIW 2003, 850, 854; Verse GPR 2008, 31, 35; für die Niederlassungsfreiheit etwa: Roth in: Dauses (Hrsg.), Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, 27. EL 2010, E. I. Rn. 30; Frenz (Fn. 21), Rn. 1878; zumindest in ihrer Ausprägung als Beschränkungsverbot auch Birkemeyer EuR 2010, 662, 673 ff.; Forsthoff in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, 43. Auflage 2011, Art. 45 AEU Rn. 170. 42 Vgl. Möslein ZIP 2007, 208, 214; ders. AG 2007, 770, 774; s. ferner auch Müller-Graff EWS 2009, 489, 495 („keineswegs ausgeschlossen“). 43 Ebenso Neumann/Ogorek NZG 2008, 892, 896; Spindler RIW 2003, 850, 854; s. ferner auch Remien FS Wolf, 2011, S. 717, 721 f.; Ringe FS Hopt, 2008, S. 217, 226; ders. (2010)

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3. Beschränkung Sowohl die Kapitalverkehrs-(Art. 63 AEU) 44 als auch die Niederlassungsfreiheit 9 (Art. 49 AEU) 45 enthalten nach st. Rspr. des EuGH nicht nur ein Diskriminierungs-, sondern auch ein allgemeines Beschränkungsverbot (vgl. auch bereits § 4 Rn. 5 ff., 10). Nationale Regelungen sind „Beschränkungen“ der Kapitalverkehrsfreiheit, wenn sie geeignet sind, den Erwerb von Aktien der betreffenden Unternehmen zu verhindern oder zu beschränken oder aber Investoren aus anderen Mitgliedstaaten davon abzuschrecken, in das Kapital dieser Unternehmen zu investieren.46 Beschränkungen i.S.d. Art. 49 AEU sind alle Maßnahmen, welche die Ausübung der Niederlassungsfreiheit verbieten, behindern oder weniger attraktiv machen.47 Nicht abschließend entschieden hat der EuGH die im Schrifttum intensiv disku- 10 tierte und vielfach bejahte 48 Frage, ob (und ggf. unter welchen Voraussetzungen) die zur Warenverkehrsfreiheit entwickelten „Keck“-Grundsätze 49 – nach denen bloße „Handelsmodalitäten“ keine Beschränkung darstellen, sofern sie unterschiedslos gelten und alle betroffenen Wirtschaftsteilnehmer rechtlich wie tatsächlich in gleicher Weise berühren – auch auf die Kapitalverkehrs- und/oder Niederlassungsfreiheit übertragen werden können. Der Gerichtshof hat einen Transfer zwar in einer Reihe von Entscheidungen erwogen und scheint im Grundsatz auch zu einer prinzipiellen Übertragbarkeit zu tendieren; letztlich verneinte er aber in allen Fällen bereits das

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69 CLJ 378, 393; vgl. zur ganzen Problematik i.Ü. auch Kemperink/Stuyck (2008) 45 C.M.L. Rev. 93, 118 f., 130; Rickford FS Wymeersch, 2009, S. 61, 86 ff. Vgl. EuGH v. 23.10.2007, Kommission ./. Bundesrepublik Deutschland, Rs. C-112/05, Slg. 2007, I-8995 („VW“), Rn. 17; EuGH v. 8.7.2010, Kommission ./. Portugiesische Republik, Rs. C-171/08, WM 2010, 1362 („Portugal Telecom“), Rn. 48; EuGH v. 11.11.2010, Kommission ./. Portugiesische Republik, Rs. C-543/08, EuZW 2011, 17 („Energias de Portugal“), Rn. 45. Grundlegend: EuGH v. 31.3.1993, Kraus, Rs. C-19/92, Slg. 1993, I-1663; EuGH v. 30.11.1995, Gebhard, Rs. C-55/94, Slg. 1995, I-4165; vgl. jüngst etwa EuGH v. 21.10.2010, Idryma Typou, Rs. C-81/09, ZIP 2010, 2493, Rn. 54. EuGH v. 21.10.2010, Idryma Typou, Rs. C-81/09, ZIP 2010, 2493, Rn. 55; EuGH v. 8.7.2010, Kommission ./. Portugiesische Republik, Rs. C-171/08, WM 2010, 1362 („Portugal Telecom“), Rn. 50; EuGH v. 11.11.2010, Kommission ./. Portugiesische Republik, Rs. C-543/08, EuZW 2011, 17 („Energias de Portugal“), Rn. 47. EuGH v. 5.10.2004, CaixaBank France ./. Ministère de l’Économie, des Finances et de l’Industrie, Rs. C-442/02, Slg. 2004, I-8961, Rn. 11; EuGH v. 28.4.2009, Kommission ./. Italienische Republik, Rs. C-518/06, Slg. 2009, I-3491, Rn. 62; EuGH v. 21.10.2010, Idryma Typou, Rs. C-81/09, ZIP 2010, 2493, Rn. 54. Vgl. Frenz (Fn. 21), Rn. 2799; ders. EWS 2011, 125, 130; Neumann/Ogorek NZG 2008, 892, 893 f.; Rapp-Jung/Bartosch BB 2009, 2210, 2214; Remien FS Wolf, 2011, S. 717, 719; Rüffler GeS 2011, 99, 101 f.; Spindler RIW 2003, 850, 853; Wellige EuZW 2003, 429, 431 ff.; s. ferner auch Ohler WM 1996, 1801, 1806 („naheliegend“); kritisch dagegen etwa Sander EuZW 2005, 106, 108; Schall FS Meilicke, 2010, S. 651, 655 ff. Für ein Abstellen auf die Wirkungen einer Maßnahme („effects-test“): Ringe (2010) 69 CLJ 378, 393, 404 ff. Grundlegend: EuGH v. 24.11.1993, Keck und Mithouard, Rs. C-267/91 u. C-268/91, Slg. 1993, I-6097.

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Vorliegen der Voraussetzungen und brauchte sich daher nicht abschließend festzulegen.50 11 Kasuistik: Als Beschränkung hat der EuGH bislang u.a. folgende Regelungen qualifiziert: • •



Höchstgrenzen für die Beteiligung ausländischer Unternehmen51; Erfordernis einer vorherigen behördlichen/ministeriellen Genehmigung für den Erwerb von Beteiligungen in bestimmter Höhe,52 die Übertragung bestimmter Aktiva53, Strukturentscheidungen54, bestimmte Satzungsänderungen55, eine Änderung des Gesellschaftszwecks56 oder sonstige Verwaltungsentscheidungen57; Staatliches Einspruchs-/Widerspruchsrecht gegen den Erwerb von Beteiligungen in bestimmter Höhe58, die Übertragung bestimmter Aktiva oder deren Verwen-

50 Vgl. zur Kapitalverkehrsfreiheit: EuGH v. 13.5.2003, Kommission ./. Königreich Spanien, Rs. C-463/00, Slg. 2003, I-4581 („ENDESA“), Rn. 59 ff. (Marktzugangsregelung); EuGH v. 13.5.2003, Kommission ./. Vereinigtes Königreich Großbritannien und Nordirland, Rs. C-98/01, Slg. 2003, I-4641 („BAA“), Rn. 45 ff. (Marktzugangsregelung); EuGH v. 8.7.2010, Kommission ./. Portugiesische Republik, Rs. C-171/08, WM 2010, 1362 („Portugal Telecom“), Rn. 65 ff. (Marktzugangsregelung); EuGH v. 11.11.2010, Kommission ./. Portugiesische Republik, Rs. C-543/08, EuZW 2011, 17 („Energias de Portugal“), Rn. 66 ff. (Marktzugangsregelung); zur Kapitalverkehrs- und Niederlassungsfreiheit: EuGH v. 21.10.2010, Idryma Typou, Rs. C-81/09, ZIP 2010, 2493, Rn. 58 ff. (Beeinträchtigung des Marktzugangs und abschreckende Wirkung auf ausländische Investoren). 51 Vgl. EuGH v. 4.6.2002, Kommission ./. Portugiesische Republik, Rs. C-367/98, Slg. 2002, I-4731, Rn. 42. 52 Vgl. EuGH v. 4.6.2002, Kommission ./. Portugiesische Republik, Rs. C-367/98, Slg. 2002, I-4731, Rn. 43 ff.; EuGH v. 4.6.2002, Kommission ./. Französische Republik, Rs. C-483/99, Slg. 2002, I-4781 („Elf-Aquitaine“), Rn. 38 ff.; EuGH v. 13.5.2003, Kommission ./. Königreich Spanien, Rs. C-463/00, Slg. 2003, I-4581 („ENDESA“), Rn. 54 ff.; EuGH v. 13.5.2003, Kommission ./. Vereinigtes Königreich Großbritannien und Nordirland, Rs. C-98/01, Slg. 2003, I-4641 („BAA“), Rn. 41 ff.; EuGH v. 17.7.2008, Kommission ./. Königreich Spanien, Rs. C-207/07, Slg. 2008, I-111 („E.ON/ENDESA“), Rn. 38 f., 62. 53 Vgl. EuGH v. 13.5.2003, Kommission ./. Königreich Spanien, Rs. C-463/00, Slg. 2003, I-4581 („ENDESA“), Rn. 54 ff.; EuGH v. 13.5.2003, Kommission ./. Vereinigtes Königreich Großbritannien und Nordirland, Rs. C-98/01, Slg. 2003, I-4641 („BAA“), Rn. 41 ff.; EuGH v. 17.7.2008, Kommission ./. Königreich Spanien, Rs. C-207/07, Slg. 2008, I-111 („E.ON/ENDESA“), Rn. 38 f., 62. 54 Vgl. EuGH v. 13.5.2003, Kommission ./. Königreich Spanien, Rs. C-463/00, Slg. 2003, I-4581 („ENDESA“), Rn. 39 ff. (Auflösung, Spaltung oder Verschmelzung); EuGH v. 13.5.2003, Kommission ./. Vereinigtes Königreich Großbritannien und Nordirland, Rs. C-98/01, Slg. 2003, I-4641 („BAA“), Rn. 41 ff. (freiwillige Abwicklung oder Auflösung); EuGH v. 28.9. 2006, Kommission ./. Königreich der Niederlande, Rs. C-282/04 u. C-283/04, Slg. 2006, I-9141 („KPN/TPG“), Rn. 23 ff. (Auflösung, Verschmelzung, Spaltung). 55 Vgl. EuGH v. 28.9.2006, Kommission ./. Königreich der Niederlande, Rs. C-282/04 u. C-283/04, Slg. 2006, I-9141 („KPN/TPG“), Rn. 23 ff. 56 Vgl. EuGH v. 13.5.2003, Kommission ./. Königreich Spanien, Rs. C-463/00, Slg. 2003, I-4581 („ENDESA“), Rn. 39 ff.; EuGH v. 28.9.2006, Kommission ./. Königreich der Niederlande, Rs. C-282/04 u. C-283/04, Slg. 2006, I-9141 („KPN/TPG“), Rn. 23 ff. 57 Vgl. EuGH v. 28.9.2006, Kommission ./. Königreich der Niederlande, Rs. C-282/04 u. C-283/04, Slg. 2006, I-9141 („KPN/TPG“), Rn. 23 ff. 58 Vgl. EuGH v. 26.3.2009, Kommission ./. Italienische Republik, Rs. C-326/07, Slg. 2009, I-2291 („ENI II“), Rn. 40.

„Goldene Aktien“ („Golden Shares“)

• • •



• •

183

dung als Sicherheit 59, Strukturentscheidungen60, bestimmte Satzungsänderungen 61, eine Änderung des Gesellschaftszwecks62 oder bestimmte Verwaltungsentscheidungen63; Regelung, dass bestimmte wesentliche Hauptversammlungsbeschlüsse nicht gegen die Stimmen der vom Staat gehaltenen Aktien beschlossen werden können64; Recht des Staates zur Entsendung von Mitgliedern in den Aufsichtsrat (VW) 65; Nationale Vorschrift, nach der die Satzung einer AG einer an dieser beteiligten staatlichen Stelle das Recht zur unmittelbaren Bestellung eines oder mehrerer Verwaltungsratsmitglieder einräumen kann (dass für die Realisierung zunächst noch ein satzungsändernder Hauptversammlungsbeschluss erforderlich ist, ändert nach Ansicht des EuGH nichts am restriktiven Charakter) 66; Spezielle Rechte für die vom Staat gehaltenen Aktien im Zusammenhang mit der Wahl der Mitglieder des Verwaltungsrats67 oder zur unmittelbaren Bestimmung eines Verwaltungsratsmitglieds68; Höchststimmrechte, von denen der Staat ausgenommen ist 69; Höchststimmrecht von 20 % und Festlegung der Sperrminorität von 20 % bei staatlicher Beteiligung i.H.v. 20 % (VW)70. Das VW-Urteil wird insoweit verbreitet so interpretiert, dass der EuGH beide Regelungen des VW-Gesetzes nur in

59 Vgl. EuGH v. 4.6.2002, Kommission ./. Königreich Belgien, Rs. C-503/99, Slg. 2002, I-4809 („S.N.T.C.“), Rn. 39 ff. 60 Vgl. EuGH v. 26.3.2009, Kommission ./. Italienische Republik, Rs. C-326/07, Slg. 2009, I-2291 („ENI II“), Rn. 40 (Auflösung, Zusammenschluss, Aufspaltung). 61 Vgl. EuGH v. 26.3.2009, Kommission ./. Italienische Republik, Rs. C-326/07, Slg. 2009, I-2291 („ENI II“), Rn. 40. 62 Vgl. EuGH v. 26.3.2009, Kommission ./. Italienische Republik, Rs. C-326/07, Slg. 2009, I-2291 („ENI II“), Rn. 40. 63 Vgl. EuGH v. 4.6.2002, Kommission ./. Königreich Belgien, Rs. C-503/99, Slg. 2002, I-4809 („S.N.T.C.“), Rn. 39 ff.; EuGH v. 13.5.2003, Kommission ./. Königreich Spanien, Rs. C-463/00, Slg. 2003, I-4581 („ENDESA“), Rn. 54 ff.; EuGH v. 26.3.2009, Kommission ./. Italienische Republik, Rs. C-326/07, Slg. 2009, I-2291 („ENI II“), Rn. 40. 64 Vgl. EuGH v. 8.7.2010, Kommission ./. Portugiesische Republik, Rs. C-171/08, WM 2010, 1362 („Portugal Telecom“), Rn. 57 ff.; EuGH v. 11.11.2010, Kommission ./. Portugiesische Republik, Rs. C-543/08 („Energias de Portugal“), Rn. 54 ff. 65 Vgl. EuGH v. 23.10.2007, Kommission ./. Bundesrepublik Deutschland, Rs. C-112/05, Slg. 2007, I-8995 („VW“), Rn. 59 ff. 66 Vgl. EuGH v. 6.12.2007, Federconsumatori u.a. ./. Comune di Milano, Rs. C-463/04 u. C-464/04, Slg. 2007, I-10419 („Comune di Milano“), Rn. 22 ff. 67 Vgl. EuGH v. 8.7.2010, Kommission ./. Portugiesische Republik, Rs. C-171/08, WM 2010, 1362 („Portugal Telecom“), Rn. 57 ff. 68 Vgl. EuGH v. 11.11.2010, Kommission ./. Portugiesische Republik, Rs. C-543/08 („Energias de Portugal“), Rn. 59 ff. 69 Vgl. EuGH v. 11.11.2010, Kommission ./. Portugiesische Republik, Rs. C-543/08 („Energias de Portugal“), Rn. 58. 70 Vgl. EuGH v. 23.10.2007, Kommission ./. Bundesrepublik Deutschland, Rs. C-112/05, Slg. 2007, I-8995 („VW“).

184

Stand und Realität des Europäischen Unternehmensrechts

ihrer Kombination als Beschränkung qualifiziert habe.71 Deutschland hat daher bislang nur die Begrenzung des Stimmrechts aufgehoben; die Sperrminorität ließ die VW-Gesetz-Novelle v. 8.12.2008 72 dagegen unangetastet. Liest man das Urteil jedoch genau, so erscheint diese Lesart nicht überzeugend; der EuGH hat vielmehr beide Regelungen auch jeweils separat als Beschränkung qualifiziert.73 Die Kommission hat deshalb noch im Juni 2008 – also noch während des laufenden Gesetzgebungsverfahrens zur VW-Gesetz-Novelle – ein weiteres Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet.74 Allerdings wurde dessen Fortführung im April 2009 vor dem Hintergrund der bevorstehenden Europawahlen einstweilen vertagt 75; eine Wiederaufnahme wurde zwar ausdrücklich vorbehalten, erscheint aber angesichts der politischen Gegebenheiten zumindest derzeit eher unwahrscheinlich. 4. Keine Berufung auf die Eigentumsordnung 12 Wie der EuGH bereits früh klargestellt hat, können sich die Mitgliedstaaten auch nicht – wie in den ersten Verfahren noch von GA Colomer 76 und teils auch im Schrifttum 77 vertreten – auf den in Art. 345 AEU normierten Grundsatz der Eigentumsneutralität der Verträge berufen, denn nach st. Rspr. führt dieser nicht dazu, dass die in den Mitgliedstaaten bestehende Eigentumsordnung den Grundprinzipien des Vertrags entzogen ist, d.h. er kann keine Beeinträchtigung der im Vertrag vorgesehenen Freiheiten rechtfertigen.78

71 So auch das Verständnis der Bundesregierung, vgl. Pressemitteilung des BMJ v. 30.1.2009; BegrRegE z. VW-Gesetz-Novelle, BR-Drs. 552/08, S. 2; ebenso LG Hannover ZIP 2009, 666; Arlt/Rabl GesRZ 2008, 16; Rapp-Jung/Bartosch BB 2009, 2210, 2212 ff. 72 Fn. 36. 73 Vgl. Bayer/J. Schmidt BB 2010, 387, 394; Lieder ZHR 172 (2008) 306, 338; Rühland FS Hopt, 2008, S. 501, 513 f.; Verse GPR 2008, 31, 33; Weiss EWS 2008, 13, 16; s. ferner auch die Stellungnahme des früheren GA Alber, FAZ v. 24.4.2008, S. 14 sowie Frenz EWS 2011, 125, 127; Holle AG 2010, 14, 18, 22. Zur Problematik i.Ü. auch Kömpf (Fn. 21), S. 277, 282 ff.; Rickford FS Wymeersch, 2009, S. 61, 78 ff. 74 Vgl. IP/08/873. 75 Vgl. Handelsblatt v. 16.4.2009, S. 5; Bayer/J. Schmidt BB 2010, 387, 394. 76 Vgl. GA Colomer, Schlussanträge v. 3.7.2001, Kommission ./. Portugiesische Republik, Kommission ./. Französische Republik, Kommission ./. Königreich Belgien, Rs. C-367/98, C-483/99 u. C-503/99, Slg. 2001, I-4731, Rn. 39 ff. 77 So etwa Ruge EuZW 2003, 540, 542; Spindler RIW 2003, 850, 853; zumindest partiell auch Müller-Graff EWS 2009, 489, 497; s. ferner auch Sołtysińki FS Hopt, 2010, S. 2571, 2581 ff., 2594; Gesetzesentwurf der Fraktion DIE LINKE, BT-Drs. 16/8449, S. 1; dagegen jedoch Bayer BB 2004, 1, 3; Ebke/Traub EWS 2002, 335, 337; Grundmann/Möslein ZGR 2003, 317, 337 f.; Kerber NZG 2008, 9, 12; Kömpf (Fn. 21), S. 258; Lieder ZHR 172 (2008) 306, 313; C. Teichmann/Heise BB 2007, 2577, 2580; Weiss EWS 2008, 13, 17; Wellige EuZW 2003, 429, 430. 78 Vgl. EuGH v. 4.6.2002, Kommission ./. Portugiesische Republik, Rs. C-367/98, Slg. 2002, I-4731, Rn. 48; EuGH v. 4.6.2002, Kommission ./. Französische Republik, Rs. C-483/99, Slg. 2002, I-4781 („Elf-Aquitaine“), Rn. 44; EuGH v. 4.6.2002, Kommission ./. Königreich Belgien, Rs. C-503/99, Slg. 2002, I-4809 („S.N.T.C.“), Rn. 44; EuGH v. 13.5.2003, Kommission ./. Königreich Spanien, Rs. C-463/00, Slg. 2003, I-4581 („ENDESA“), Rn. 67;

„Goldene Aktien“ („Golden Shares“)

185

IV. Rechtfertigungsgründe Auch für mit „Goldenen Aktien“ verbundene Beschränkungen der Kapitalverkehrs- 13 und/oder Niederlassungsfreiheit gelten selbstverständlich die allgemeinen geschriebenen und ungeschriebenen Rechtfertigungsgründe. Nicht zuletzt vor dem Hintergrund der extensiven Interpretation des Beschränkungsbegriffs durch den EuGH waren und sind die Mitgliedstaaten daher verständlicherweise auch sehr kreativ in ihren Bemühungen, diese für ihre „Goldenen Aktien“ fruchtbar zu machen. Der EuGH legt die Rechtfertigungsgründe aber speziell auch im Bereich der „Goldenen Aktien“ sehr restriktiv aus, nicht nur im Hinblick auf die Grundtatbestände der von den Mitgliedstaaten primär geltend gemachten „öffentlichen Sicherheit“ (dazu Rn. 14 ff.) und der „zwingenden Gründe des Allgemeininteresses“ (dazu u. Rn. 18 ff.), sondern speziell auch bezüglich der für beide Rechtfertigungsgründe erforderlichen Verhältnismäßigkeit der Maßnahme (dazu u. Rn. 23 ff.). Diesen hohen Anforderungen vermochte bislang lediglich eine einzige „Goldene Aktie“ – die belgische Widerspruchsregelung im Fall S.N.T.C.79 – zu genügen. In allen anderen Fällen erteilte der EuGH sämtlichen von den Mitgliedstaaten geltend gemachten Rechtfertigungsversuchen eine klare Absage.

1. Öffentliche Sicherheit (Art. 52 Abs. 1, 65 Abs. 1 lit. b AEU) Als Gründe der öffentlichen Sicherheit i.S.v. Art. 52 Abs. 1, 65 Abs. 1 lit. b AEU hat 14 der EuGH i.R.d. „Goldenen Aktien“-Rechtsprechung insbesondere die Sicherstellung der Energieversorgung 80 (speziell Erdöl 81 und Elektrizität 82) sowie des Telekommunikationsnetzes 83 im Krisen-, Kriegs- oder Terrorfall anerkannt.

79 80

81

82 83

EuGH v. 8.7.2010, Kommission ./. Portugiesische Republik, Rs. C-171/08, WM 2010, 1362 („Portugal Telecom“), Rn. 64. EuGH v. 4.6.2002, Kommission ./. Königreich Belgien, Rs. C-503/99, Slg. 2002, I-4809 („S.N.T.C.“). Vgl. EuGH v. 4.6.2002, Kommission ./. Königreich Belgien, Rs. C-503/99, Slg. 2002, I-4809 („S.N.T.C.“), Rn. 46; EuGH v. 2.6.2005, Kommission ./. Italienische Republik, Rs. C-174/04, Slg. 2005, I-4933, Rn. 40; EuGH v. 17.7.2008, Kommission ./. Königreich Spanien, Rs. C-207/07, Slg. 2008, I-111 („E.ON/ENDESA“), Rn. 46; EuGH v. 26.3.2009, Kommission ./. Italienische Republik, Rs. C-326/07, Slg. 2009, I-2291 („ENI II“), Rn. 45, 69; EuGH v. 11.11.2010, Kommission ./. Portugiesische Republik, Rs. C-543/08 („Energias de Portugal“), Rn. 84. Vgl. EuGH v. 4.6.2002, Kommission ./. Französische Republik, Rs. C-483/99, Slg. 2002, I-4781 („Elf-Aquitaine“), Rn. 47; EuGH v. 13.5.2003, Kommission ./. Königreich Spanien, Rs. C-463/00, Slg. 2003, I-4581 („ENDESA“), Rn. 71; EuGH v. 26.3.2009, Kommission ./. Italienische Republik, Rs. C-326/07, Slg. 2009, I-2291 („ENI II“), Rn. 69. Vgl. EuGH v. 13.5.2003, Kommission ./. Königreich Spanien, Rs. C-463/00, Slg. 2003, I-4581 („ENDESA“), Rn. 71; EuGH v. 26.3.2009, Kommission ./. Italienische Republik, Rs. C-326/07, Slg. 2009, I-2291 („ENI II“), Rn. 69. Vgl. EuGH v. 13.5.2003, Kommission ./. Königreich Spanien, Rs. C-463/00, Slg. 2003, I-4581 („ENDESA“), Rn. 71; EuGH v. 26.3.2009, Kommission ./. Italienische Republik,

186

Stand und Realität des Europäischen Unternehmensrechts

Als Ausnahme von den Grundfreiheiten sind die Erfordernisse der öffentlichen Sicherheit jedoch nach st. Rspr. eng auszulegen, so dass ihre Tragweite nicht von jedem Mitgliedstaat einseitig ohne Nachprüfung durch die Organe der Union bestimmt werden kann; eine Berufung auf die öffentliche Sicherheit ist nur möglich, wenn eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung vorliegt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt.84 In der E.ON/ENDESA-Entscheidung v. 17.7.2008 hat der EuGH entschieden, dass der bloße Erwerb einer mehr als 10%igen oder in sonstiger Weise einen wesentlichen Einfluss verschaffenden Beteiligung an einem Unternehmen, das einer regulierten Tätigkeit im Energiesektor nachgeht, oder von Aktiva, die für die Tätigkeit eines solchen Unternehmens notwendig sind, nicht per se als eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung für die Sicherheit der Energieversorgung angesehen werden kann.85 16 Zudem setzt die Rechtfertigung voraus, dass die nationale Regelung geeignet ist, die Verwirklichung des mit ihr verfolgten Ziel zu gewährleisten und nicht über das hinausgeht, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist, also dem Kriterium der Verhältnismäßigkeit entspricht 86; dazu näher u. Rn. 23 ff. 15

Rs. C-326/07, Slg. 2009, I-2291 („ENI II“), Rn. 69; EuGH v. 8.7.2010, Kommission ./. Portugiesische Republik, Rs. C-171/08, WM 2010, 1362 („Portugal Telecom“), Rn. 72. 84 Vgl. EuGH v. 4.6.2002, Kommission ./. Französische Republik, Rs. C-483/99, Slg. 2002, I-4781 („Elf-Aquitaine“), Rn. 48; EuGH v. 4.6.2002, Kommission ./. Königreich Belgien, Rs. C-503/99, Slg. 2002, I-4809 („S.N.T.C.“), Rn. 47; EuGH v. 13.5.2003, Kommission ./. Königreich Spanien, Rs. C-463/00, Slg. 2003, I-4581 („ENDESA“), Rn. 72; EuGH v. 17.7.2008, Kommission ./. Königreich Spanien, Rs. C-207/07, Slg. 2008, I-111 („E.ON/ENDESA“), Rn. 47; EuGH v. 26.3.2009, Kommission ./. Italienische Republik, Rs. C-326/07, Slg. 2009, I-2291 („ENI II“), Rn. 70; EuGH v. 8.7.2010, Kommission ./. Portugiesische Republik, Rs. C-171/08, WM 2010, 1362 („Portugal Telecom“), Rn. 73; EuGH v. 11.11.2010, Kommission ./. Portugiesische Republik, Rs. C-543/08 („Energias de Portugal“), Rn. 85. 85 Vgl. EuGH v. 17.7.2008, Kommission ./. Königreich Spanien, Rs. C-207/07, Slg. 2008, I-111 („E.ON/ENDESA“), Rn. 51; vgl. dazu die Nachweise in Fn. 25; bestätigt durch EuGH v. 26.3.2009, Kommission ./. Italienische Republik, Rs. C-326/07, Slg. 2009, I-2291 („ENI II“), Rn. 48. 86 Vgl. EuGH v. 4.6.2002, Kommission ./. Portugiesische Republik, Rs. C-367/98, Slg. 2002, I-4731, Rn. 49; EuGH v. 4.6.2002, Kommission./. Französische Republik, Rs. C-483/99, Slg. 2002, I-4781 („Elf-Aquitaine“), Rn. 45; EuGH v. 4.6.2002, Kommission ./. Königreich Belgien, Rs. C-503/99, Slg. 2002, I-4809 („S.N.T.C.“), Rn. 48; EuGH v. 13.5.2003, Kommission ./. Königreich Spanien, Rs. C-463/00, Slg. 2003, I-4581 („ENDESA“), Rn. 68; EuGH v. 28.9.2006, Kommission ./. Königreich der Niederlande, Rs. C-282/04 u. C-283/04, Slg. 2006, I-9141 („KPN/TPG“), Rn. 33; EuGH v. 23.10.2007, Kommission ./. Bundesrepublik Deutschland, Rs. C-112/05, Slg. 2007, I-8995 („VW“), Rn. 73; EuGH v. 17.7.2008, Kommission ./. Königreich Spanien, Rs. C-207/07, Slg. 2008, I-111 („E.ON/ENDESA“), Rn. 48; EuGH v. 26.3.2009, Kommission ./. Italienische Republik, Rs. C-326/07, Slg. 2009, I-2291 („ENI II“), Rn. 42; EuGH v. 11.11.2010, Kommission ./. Portugiesische Republik, Rs. C-543/08 („Energias de Portugal“), Rn. 83.

„Goldene Aktien“ („Golden Shares“)

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2. Art. 106 Abs. 2 AEU Eine Rechtfertigung „Goldener Aktien“ durch Art. 106 Abs. 2 AEU hat der EuGH 17 in der Rs. Energias de Portugal generell abgelehnt.87 Denn danach kann zwar die Übertragung besonderer oder ausschließlicher Rechte auf ein Unternehmen, das mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse betraut ist, gerechtfertigt werden. Bei den „Goldene Aktien“ geht es aber gerade nicht um die Übertragung von Sonderrechten auf ein Unternehmen, sondern vielmehr um die Einräumung von Sonderrechten des Staates in Bezug auf ein Unternehmen, insbesondere als Aktionär desselben.88

3. Zwingende Gründe des Allgemeininteresses Eine Rechtfertigung durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses ist dagegen 18 prinzipiell möglich. Nach inzwischen st. Rspr. können Beschränkungen sowohl der Niederlassungs-89 als auch Kapitalverkehrsfreiheit 90 nicht nur durch die geschriebenen Rechtfertigungsgründe, sondern auch durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt werden, sofern die nationale Regelung geeignet ist, die Verwirklichung des mit ihr verfolgten Ziels zu gewährleisten und nicht über das hinausgeht, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist, also dem Kriterium der Verhältnismäßigkeit entspricht (sog. Gebhard-Formel). Als zwingende Gründe des Allgemeininteresses hat der EuGH im Zusammen- 19 hang mit „Goldenen Aktien“ insbesondere anerkannt: die Gewährleistung einer Dienstleistung von allgemeinem Interesse wie des postalischen Universaldienstes91,

87 EuGH v. 11.11.2010, Kommission ./. Portugiesische Republik, Rs. C-543/08 („Energias de Portugal“), Rn. 93 ff. 88 Vgl. EuGH v. 11.11.2010, Kommission ./. Portugiesische Republik, Rs. C-543/08 („Energias de Portugal“), Rn. 95; Frenz EWS 2011, 125, 131. 89 Vgl. grundlegend: EuGH v. 31.3.1993, Kraus, Rs. C-19/92, Slg. 1993, I-1663, Rn. 32; EuGH v. 30.11.1995, Gebhard, Rs. C-55/94, Slg. 1995, I-4165, Rn. 37; vgl. weiter etwa EuGH v. 13.12.2005, SEVIC Systems AG, Rs. C-411/03, Slg. 2005, I-10805, Rn. 23; EuGH v. 30.9.2003, Kamer van Koophandel en Fabrieken voor Amsterdam v. Inspire Art Ltd., Rs. C-167/01, Slg. 2003, I-10155, Rn. 133. 90 Vgl. EuGH v. 4.6.2002, Kommission ./. Portugiesische Republik, Rs. C-367/98, Slg. 2002, I-4731, Rn. 49; EuGH v. 4.6.2002, Kommission./. Französische Republik, Rs. C-483/99, Slg. 2002, I-4781 („Elf-Aquitaine“), Rn. 45; EuGH v. 13.5.2003, Kommission ./. Königreich Spanien, Rs. C-463/00, Slg. 2003, I-4581 („ENDESA“), Rn. 68; EuGH v. 28.9.2006, Kommission ./. Königreich der Niederlande, Rs. C-282/04 u. C-283/04, Slg. 2006, I-9141 („KPN/TPG“), Rn. 33; EuGH v. 23.10.2007, Kommission ./. Bundesrepublik Deutschland, Rs. C-112/05, Slg. 2007, I-8995 („VW“), Rn. 73; EuGH v. 26.3.2009, Kommission ./. Italienische Republik, Rs. C-326/07, Slg. 2009, I-2291 („ENI II“), Rn. 42; EuGH v. 11.11.2010, Kommission ./. Portugiesische Republik, Rs. C-543/08 („Energias de Portugal“), Rn. 83. 91 Vgl. EuGH v. 28.9.2006, Kommission ./. Königreich der Niederlande, Rs. C-282/04 u. C-283/04, Slg. 2006, I-9141 („KPN/TPG“), Rn. 38.

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Stand und Realität des Europäischen Unternehmensrechts

den Schutz der Interessen von Arbeitnehmern92 und von Minderheitsgesellschaftern93. In anderem Kontext vom EuGH als „zwingende Gründe des Allgemeininteresses“ anerkannt und potentiell relevant mit Blick auf „Goldene Aktien“ sind etwa der Verbraucherschutz94, der Schutz der Gläubiger95 oder der Lauterkeit des Handelsverkehrs96, die Aufrechterhaltung des guten Rufes des nationalen Finanzsektors97 oder auch der Umweltschutz98. 20 Wirtschaftliche Gründe können eine Beeinträchtigung der Kapitalverkehrsund/oder Niederlassungsfreiheit dagegen generell nicht rechtfertigen.99 Dazu gehören nach der Rechtsprechung insbesondere auch allgemeine finanzielle Interessen eines Mitgliedstaats100, das Ziel der Wahl eines strategischen Partners101, einer Stärkung der Wettbewerbsstruktur des fraglichen Marktes102 oder der Modernisierung und Stärkung der Leistungsfähigkeit der Produktionsmittel103, oder auch das Ziel, eine etwaige Störung des Kapitalmarktes zu verhindern104.

92 Vgl. EuGH v. 23.10.2007, Kommission ./. Bundesrepublik Deutschland, Rs. C-112/05, Slg. 2007, I-8995 („VW“), Rn. 74. 93 Vgl. EuGH v. 23.10.2007, Kommission ./. Bundesrepublik Deutschland, Rs. C-112/05, Slg. 2007, I-8995 („VW“), Rn. 77. 94 Vgl. EuGH v. 24.3.1994, Her Majesty’s Customs and Excise ./. Gerhart Schindler und Jörg Schindler, Rs. C-275/92, Slg. 1994, I-1039, Rn. 58; EuGH v. 3.6.2010, Ladbrokes Betting & Gaming Ltd und Ladbrokes International Ltd ./. Stichting de Nationale Sporttotalisator, Rs. C-258/08, EuZW 2010, 593, Rn. 18. 95 Vgl. EuGH v. 5.11.2002, Überseering BV v Nordic Construction Company Baumanagement GmbH (NCC), Rs. C-208/00, Slg. 2002, I-9919, Rn. 92; EuGH v. 30.9.2003, Kamer van Koophandel en Fabrieken voor Amsterdam v. Inspire Art Ltd., Rs. C-167/01, Slg. 2003, I-10155, Rn. 132, 142; EuGH v. 13.12.2005, SEVIC Systems AG, Rs. C-411/03, Slg. 2005, I-10805, Rn. 28. 96 Vgl. EuGH v. 30.9.2003, Kamer van Koophandel en Fabrieken voor Amsterdam v. Inspire Art Ltd., Rs. C-167/01, Slg. 2003, I-10155, Rn. 132, 142; EuGH v. 13.12.2005, SEVIC Systems AG, Rs. C-411/03, Slg. 2005, I-10805, Rn. 28. 97 Vgl. EuGH v. 10.5.1995, Alpine Investments BV ./. Minister van Financiën, Rs. C.-384/93, Slg. 1995, I-1141, Rn. 44. 98 Vgl. EuGH v. 20.9.1988, Kommission ./. Königreich Dänemark, Rs. 302/86, Slg. 1988, 4607, Rn. 9; EuGH v. 4.6.2009, Åklagaren ./. Percy Mickelsson und Joakim Roos, Rs. C-142/05, Slg. 2009, I-4273, Rn. 32. 99 Vgl. EuGH v. 4.6.2002, Kommission ./. Portugiesische Republik, Rs. C-367/98, Slg. 2002, I-4731, Rn. 52. 100 Vgl. EuGH v. 4.6.2002, Kommission ./. Portugiesische Republik, Rs. C-367/98, Slg. 2002, I-4731, Rn. 52. 101 Vgl. EuGH v. 4.6.2002, Kommission ./. Portugiesische Republik, Rs. C-367/98, Slg. 2002, I-4731, Rn. 52. 102 Vgl. EuGH v. 4.6.2002, Kommission ./. Portugiesische Republik, Rs. C-367/98, Slg. 2002, I-4731, Rn. 52; EuGH v. 2.6.2005, Kommission ./. Italienische Republik, Rs. C-174/04, Slg. 2005, I-4933, Rn. 37; EuGH v. 8.7.2010, Kommission ./. Portugiesische Republik, Rs. C-171/08, WM 2010, 1362 („Portugal Telecom“), Rn. 70. 103 Vgl. EuGH v. 4.6.2002, Kommission ./. Portugiesische Republik, Rs. C-367/98, Slg. 2002, I-4731, Rn. 52. 104 Vgl. EuGH v. 8.7.2010, Kommission ./. Portugiesische Republik, Rs. C-171/08, WM 2010, 1362 („Portugal Telecom“), Rn. 71.

„Goldene Aktien“ („Golden Shares“)

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Ob allein die große Bedeutung eines Unternehmens auf Grund seiner Größe, 21 wirtschaftlichen Relevanz und der von ihm beschäftigen hohen Zahl von Arbeitnehmern einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses begründen kann – wie es Deutschland in Bezug auf VW geltend gemacht hatte105 – hat der EuGH offen gelassen, da Deutschland insoweit jedenfalls seiner Darlegungslast bezüglich der Verhältnismäßigkeit nicht genügt habe (s. dazu noch u. Rn. 23)106. Auf die im Schrifttum in Bezug auf VW diskutierte Frage, ob die Wissenschafts- 22 förderung (bei VW durch die VolkswagenStiftung) ein zwingender Grund des Allgemeininteresses ist107, gingen im Verfahren (offenbar mangels entsprechenden Vortrags der Bundesregierung) weder der Generalanwalt noch der Gerichtshof ein. Angesichts der hohen Bedeutung, welche die EU der Wissenschaftsförderung generell beimisst108, wird man sie zwar prinzipiell bejahen müssen.109 Im Fall VW erscheint die Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit allgemeiner, sich auf das gesamte Unternehmen VW erstreckender Sonderrechte zugunsten des Landes Niedersachsen zur Erreichung des Ziels der Wissenschaftsförderung durch die VolkswagenStiftung indes nicht überzeugend.110, 111

105 Vgl. EuGH v. 23.10.2007, Kommission ./. Bundesrepublik Deutschland, Rs. C-112/05, Slg. 2007, I-8995 („VW“), Rn. 70. Kritisch dazu etwa Bayer BB 2004, 1, 3; Käseberg/ Kuhn AG 2007, 65, 72; Krause NJW 2002, 2747, 2751; Weiss EWS 2008, 13, 17. 106 Vgl. EuGH v. 23.10.2007, Kommission ./. Bundesrepublik Deutschland, Rs. C-112/05, Slg. 2007, I-8995 („VW“), Rn. 80. 107 Vgl. dazu Armbrüster JuS 2003, 224, 227; Kilian NJW 2002, 3599 ff.; ders. NJW 2007, 1508, 1510; ders. NJW 2007, 3469, 3470; Oechsler NZG 2007, 161, 165; Reich EuZW 2007, 132, 133; Spindler RIW 2003, 850, 857; Verse GPR 2008, 31, 34. 108 Gem. Art. 179 Abs. 1 AEU gehört die Schaffung eines europäischen Raums der Forschung und die Unterstützung von Forschungsmaßnahmen ausdrücklich zu den Zielen der Union. 109 Vgl. Kilian NJW 2002, 3599, 3601; ders. NJW 2007, 1508, 1510; ders. NJW 2007, 3469, 3470; Kömpf (Fn. 21), S. 269; Reich EuZW 2007, 132, 133; Spindler RIW 2003, 850, 857; zweifelnd jedoch Armbrüster JuS 2003, 224, 227; Verse GPR 2008, 31, 34; zumindest für den Fall VW ablehnend auch Oechsler NZG 2007, 161, 165. 110 Dies insbesondere auch, weil die VolkswagenStiftung nur mittelbar und teilweise durch VW finanziert wird, nämlich dadurch, dass der Erlös aus der ursprünglichen Privatisierung und die laufenden Gewinnansprüche aus den ursprünglich dem Bund und dem Land Niedersachsen, jetzt nur noch dem Land Niedersachsen, verbliebenen Anteilen als Vermögen in die Stiftung eingebracht wurden (vgl. Vertrag über die Regelung der Rechtsverhältnisse bei der Volkswagenwerk Gesellschaft mit beschränkter Haftung und über die Errichtung einer „Stiftung Volkswagenwerk“ vom 11./12.11.1959, BGBl. I 1960, 301, Anlage S. 302); die Erträge aus den laufenden Gewinnansprüchen machen heute aber nur noch einen Teil der jährlichen Einnahmen der VolkswagenStiftung aus. 111 Vgl. auch Armbrüster JuS 2003, 224, 227; Käseberg/Kuhn AG 2007, 65, 72; Kömpf (Fn. 21), S. 270 ff.; Sander EuZW 2005, 106, 109; Spindler RIW 2003, 850, 857; Verse GPR 2008, 31, 34; für eine Rechtfertigung jedoch Kilian NJW 2002, 3599, 3601; ders. NJW 2003, 2653, 2655; ders. NJW 2007, 1508, 1510; ders. NJW 2007, 3469, 3470.

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Stand und Realität des Europäischen Unternehmensrechts

4. Verhältnismäßigkeit a) Darlegungslast 23 Die Darlegungslast für die Verhältnismäßigkeit einer nationalen Maßnahme obliegt dem jeweiligen Mitgliedstaat: Der Gerichtshof verlangt, dass der Mitgliedstaat die genauen Gründe darlegt, aus denen seine Auffassung folgt, dass eine bestimmte Maßnahme zur Verwirklichung des jeweiligen Ziels geeignet und erforderlich ist.112 Wie hoch die Ansprüche des EuGH insoweit sind, bekam im VW-Urteil insbesondere auch Deutschland zu spüren: Denn der Gerichtshof hielt den deutschen Vortrag hinsichtlich keines der geltend gemachten Rechtfertigungsgründe für ausreichend. Deutschland habe nicht dargelegt, weshalb es zum Schutz der Interessen der Minderheitsaktionäre und der Arbeitnehmer von VW geeignet und erforderlich sein solle, beim Kapital von VW eine stärkere und unabänderbare Position öffentlicher Akteure aufrecht zu erhalten, zumal die Arbeitnehmer nach der deutschen Mitbestimmungsregelung ohnehin im Aufsichtsrat vertreten sind.113 Auch die von Deutschland vorgebrachten Argumente im Hinblick auf die Größe und Bedeutung von VW als Unternehmen und Arbeitgeber und die mit dem VW-Gesetz verbundenen sozial-, regionalund industriepolitisch verfolgten Ziele genügten dem EuGH – der der Anerkennung eines zwingenden Grundes des Allgemeininteresses insofern ohnehin ersichtlich kritisch gegenüberstand (vgl. bereits o. Rn. 21) – nicht: auch insoweit habe Deutschland nicht hinreichend dargelegt, weshalb gerade die beanstandeten Regelungen hierfür geeignet und erforderlich seien.

b) Strenge Maßstäbe 24 Der EuGH legt aber vor allem auch bei der materiellen Verhältnismäßigkeitskontrolle strenge Maßstäbe an. Zunächst müssen die Sonderrechte ausschließlich auf den Bereich beschränkt sein, der zur Realisierung eines zwingenden Grundes des Allgemeininteresses dient. So erklärte der EuGH etwa im niederländischen Fall KPN/TPG die Sonderrechte u.a. deshalb für unverhältnismäßig, weil sie nicht auf die Tätigkeit der TPG als Erbringerin eines postalischen Universaldienstes beschränkt waren.114 Ähn-

112 Vgl. EuGH v. 2.6.2005, Kommission ./. Italienische Republik, Rs. C-174/04, Slg. 2005, I-4933, Rn. 41; EuGH v. 23.10.2007, Kommission ./. Bundesrepublik Deutschland, Rs. C-112/05, Slg. 2007, I-8995 („VW“), Rn. 74, 78, 80; EuGH v. 17.7.2008, Kommission ./. Königreich Spanien, Rs. C-207/07, Slg. 2008, I-111 („E.ON/ENDESA“), Rn. 57; EuGH v. 8.7.2010, Kommission ./. Portugiesische Republik, Rs. C-171/08, WM 2010, 1362 („Portugal Telecom“), Rn. 74; EuGH v. 11.11.2010, Kommission ./. Portugiesische Republik, Rs. C-543/08 („Energias de Portugal“), Rn. 87. 113 Vgl. EuGH v. 23.10.2007, Kommission ./. Bundesrepublik Deutschland, Rs. C-112/05, Slg. 2007, I-8995 („VW“), Rn. 74 ff. 114 Vgl. EuGH v. 28.9.2006, Kommission ./. Königreich der Niederlande, Rs. C-282/04 u. C-283/04, Slg. 2006, I-9141 („KPN/TPG“), Rn. 40. Zu dieser Entscheidung: Käseberg/

„Goldene Aktien“ („Golden Shares“)

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lich beanstandete er im Fall E.ON/ENDESA, dass die Befugnisse der staatlichen Genehmigungsbehörde CNE nicht auf den Grund der Gewährleistung der Sicherheit der Energieversorgung begrenzt waren, sondern der CNE auch die Berücksichtigung anderer Ziele der Energiepolitik gestatteten.115 Weiterhin verlangt der EuGH generell, dass die Ausübung jeglicher Sonderrechte 25 an das Vorliegen spezifischer, genau formulierter und objektiver Kriterien gebunden ist; es darf kein derart weiter Wertungsspielraum bestehen, dass ihrer Ausübung quasi Ermessenscharakter zukommt.116 Hieran scheiterten etwa die Sonderrechte Italiens in den Fällen Comune di Milano117 und ENI II 118 und Portugals in den Fällen Portugal Telecom119 und Energias de Portugal 120. Besonders kritisch steht der EuGH Systemen vorheriger Genehmigung gegen- 26 über.121 Im Fall E.ON/ENDESA äußerte er bereits erhebliche Bedenken gegen die generelle Eignung eines solchen Systems, da es die Versorgungssicherheit nicht garantieren könne, wenn sich eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung für die öffentliche Sicherheit erst nach Erteilung der Genehmigung ergibt.122 Zudem erachtet er eine nachträgliche Widerspruchsregelung grundsätzlich als weniger einschneidend, d.h. als milderes Mittel.123 In jedem Fall verlangt der EuGH aber sowohl für Systeme vorheriger Genehmigung124 als auch für solche eines nachträglichen

115 116

117 118 119 120 121 122 123

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Kuhn AG 2009, 65, 68; Möslein ZIP 2007, 208 ff.; Oechsler NZG 2007, 161 ff.; Pießkalla EuZW 2006, 724 f.; Rickford FS Wymeersch, 2009, S. 61, 72 ff.; Weber NJW 2007, 3688, 3695 f. Vgl. EuGH v. 17.7.2008, Kommission ./. Königreich Spanien, Rs. C-207/07, Slg. 2008, I-111 („E.ON/ENDESA“), Rn. 55; vgl. dazu die Nachweise in Fn. 25. Vgl. EuGH v. 26.3.2009, Kommission ./. Italienische Republik, Rs. C-326/07, Slg. 2009, I-2291 („ENI II“), Rn. 52, 72; EuGH v. 8.7.2010, Kommission ./. Portugiesische Republik, Rs. C-171/08, WM 2010, 1362 („Portugal Telecom“), Rn. 76; EuGH v. 11.11.2010, Kommission ./. Portugiesische Republik, Rs. C-543/08 („Energias de Portugal“), Rn. 90. Vgl. EuGH v. 6.12.2007, Federconsumatori u.a. ./. Comune di Milano, Rs. C-463/04 u. C-464/04, Slg. 2007, I-10419 („Comune di Milano“), Rn. 42. Vgl. EuGH v. 26.3.2009, Kommission ./. Italienische Republik, Rs. C-326/07, Slg. 2009, I-2291 („ENI II“), Rn. 51 ff., 72. Vgl. EuGH v. 8.7.2010, Kommission ./. Portugiesische Republik, Rs. C-171/08, WM 2010, 1362 („Portugal Telecom“), Rn. 75 ff. Vgl. EuGH v. 11.11.2010, Kommission ./. Portugiesische Republik, Rs. C-543/08 („Energias de Portugal“), Rn. 90 ff. Vgl. auch Rühland FS Hopt, 2008, S. 501, 510, 515; J. Schmidt EWiR 2008, 585, 586; Weiss EWS 2008, 13, 20. Vgl. EuGH v. 17.7.2008, Kommission ./. Königreich Spanien, Rs. C-207/07, Slg. 2008, I-111 („E.ON/ENDESA“), Rn. 52 ff.; vgl. dazu die Nachweise in Fn. 25. Vgl. EuGH v. 4.6.2002, Kommission ./. Portugiesische Republik, Rs. C-367/98, Slg. 2002, I-4731, Rn. 50; EuGH v. 4.6.2002, Kommission ./. Französische Republik, Rs. C-483/99, Slg. 2002, I-4781 („Elf-Aquitaine“), Rn. 46; EuGH v. 4.6.2002, Kommission ./. Königreich Belgien, Rs. C-503/99, Slg. 2002, I-4809 („S.N.T.C.“), Rn. 49; EuGH v. 13.5.2003, Kommission ./. Königreich Spanien, Rs. C-463/00, Slg. 2003, I-4581 („ENDESA“), Rn. 69, 78; EuGH v. 17.7.2008, Kommission ./. Königreich Spanien, Rs. C-207/07, Slg. 2008, I-111 („E.ON/ENDESA“), Rn. 48. Vgl. EuGH v. 4.6.2002, Kommission ./. Portugiesische Republik, Rs. C-367/98, Slg. 2002, I-4731, Rn. 50; EuGH v. 4.6.2002, Kommission ./. Französische Republik, Rs. C-483/99,

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Stand und Realität des Europäischen Unternehmensrechts

Widerspruchs125, dass sie auf objektiven und nicht diskriminierenden Kriterien beruhen, die den betroffenen Unternehmen im Voraus bekannt sind, weiterhin muss jedem Betroffenen der Rechtsweg offen stehen. Diesen hohen Standard sah der Gerichtshof bislang bei keinem der von ihm geprüften Systeme vorheriger Genehmigung als gewahrt an.126 Nur bei der nachträglichen Widerspruchsregelung im belgischen Fall S.N.T.C., die auf bestimmte Entscheidungen beschränkt war, Eingriffe nur bei Beeinträchtigung energiepolitischer Ziele und mit einer förmlichen Begründung erlaubte und zudem eine wirksame gerichtliche Kontrolle vorsah, bejahte er bislang die Verhältnismäßigkeit.127

V. Ausblick: Kontrolle des gesamten nationalen Gesellschaftsrechts am Maßstab der Kapitalverkehrs- und Niederlassungsfreiheit? 27 Vor dem Hintergrund der „Goldene Aktien“-Judikatur wird schon seit längerem diskutiert, ob der EuGH damit die Tür zu einer umfassenden Kontrolle des gesamten nationalen Gesellschaftsrechts anhand der Art. 49, 63 AEU geöffnet hat.128

125 126

127 128

Slg. 2002, I-4781 („Elf-Aquitaine“), Rn. 46; EuGH v. 13.5.2003, Kommission ./. Königreich Spanien, Rs. C-463/00, Slg. 2003, I-4581 („ENDESA“), Rn. 69; EuGH v. 17.7.2008, Kommission ./. Königreich Spanien, Rs. C-207/07, Slg. 2008, I-111 („E.ON/ENDESA“), Rn. 48. Vgl. EuGH v. 4.6.2002, Kommission ./. Königreich Belgien, Rs. C-503/99, Slg. 2002, I-4809 („S.N.T.C.“), Rn. 50 ff.; EuGH v. 4.6.2002, Kommission ./. Französische Republik, Rs. C-483/99, Slg. 2002, I-4781 („Elf-Aquitaine“), Rn. 52. Vgl. EuGH v. 4.6.2002, Kommission ./. Französische Republik, Rs. C-483/99, Slg. 2002, I-4781 („Elf-Aquitaine“), Rn. 50 f.; EuGH v. 13.5.2003, Kommission ./. Königreich Spanien, Rs. C-463/00, Slg. 2003, I-4581 („ENDESA“), Rn. 74 ff.; EuGH v. 17.7.2008, Kommission ./. Königreich Spanien, Rs. C-207/07, Slg. 2008, I-111 („E.ON/ENDESA“), Rn. 55 ff. Im Fall EuGH v. 4.6.2002, Kommission ./. Portugiesische Republik, Rs. C-367/98, Slg. 2002, I-4731, scheiterte die Rechtfertigung sogar bereits an der bloßen Geltendmachung wirtschaftlicher Interessen (vgl. Rn. 52), und im Fall BAA (EuGH v. 13.5.2003, Kommission ./. Vereinigtes Königreich Großbritannien und Nordirland, Rs. C-98/01, Slg. 2003, I-4641) hatte das UK sich erst gar nicht auf eine Rechtfertigung durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses berufen (vgl. Rn. 49). Vgl. EuGH v. 4.6.2002, Kommission ./. Königreich Belgien, Rs. C-503/99, Slg. 2002, I-4809 („S.N.T.C.“), Rn. 50 ff. Vgl. dazu Andenas/Gütt/Pannier [2005] EBLR 757, 783 ff.; Armour/Ringe (2011) 48 C.M.L. Rev. 125, 148 f.; Artés [2009] EBLR 457, 470 ff.; Bayer BB 2002, 2289, 2290 f.; ders. BB 2004, 1, 3 f.; Eckert GesRZ 2011, 176 f.; Fleischer (2003) 40 C.M.L. Rev. 493, 501; Grundmann/Möslein ZGR 2003, 317, 350 ff.; Haberer, Zwingendes Kapitalgesellschaftsrecht, 2009, S. 305 ff.; Möslein ZIP 2007, 208, 213 ff.; Müller-Graff EWS 2009, 489, 495 ff.; Pläster EWS 2008, 175, 176 ff.; Ringe FS Hopt, 2008, S. 217 ff.; ders. (2010) 69 CLJ 378, 399 ff.; Schall FS Meilicke, 2010, S. 651 ff.; J. Schmidt EWiR 2010, 693, 694; Sotiropoulos FS Georgiades, 2006, S. 711, 724 ff.; C. Teichmann/Heise BB 2007, 2577, 2581; Van Bekkum/Kloosterman/Winter (2008) 5 ECL 6, 10 ff.; Vossestein ECFR 2008, 115, 131 f.; Weller (Fn. 21), Kap. 21 Rn. 19. S. ferner speziell zu der Frage einer mittelbaren Drittwirkung der Kapitalverkehrs- und Niederlassungsfreiheit dergestalt, dass der nationale Gesetzgeber dazu verpflichtet ist, sein Gesellschaftsrecht so auszugestalten,

„Goldene Aktien“ („Golden Shares“)

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Dass einer allgemeinen „materiellen Qualitätskontrolle“129 des nationalen Gesellschaftsrechts, wie sie im Schrifttum teils zumindest für möglich gehalten wird, erhebliche Brisanz und Sprengkraft zukommen würde, kann nicht genug betont werden. Tatsächlich gibt es indes insbesondere zwei Entscheidungen aus jüngerer Zeit, die darauf hindeuten, dass der EuGH die Kontrolle des nationalen Gesellschaftsrechts offenbar keineswegs auf Regelungen und Maßnahmen, die dem Staat Sonderrechte einräumen, beschränken will: Im Fall Kommission ./. Italien aus dem Jahr 2005130 ging es um das Decreto-legge 28 192/2001131, das die automatische Aussetzung der Stimmrechte, die mit Beteiligungen von mehr als 2 % am Gesellschaftskapital von im Elektrizitäts- und Gassektor tätigen Gesellschaften verbunden waren, vorsah, wenn diese Beteiligungen von nicht auf organisierten Kapitalmärkten notierten öffentlichen Unternehmen erworben wurden, die eine beherrschende Stellung einnahmen. Der EuGH qualifizierte dies als nicht gerechtfertigte Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit; insbesondere habe Italien nicht dargetan, weshalb eine Beschränkung der Stimmrechte, die nur auf eine genau festgelegte Kategorie öffentlicher Unternehmen zielt, zur Gewährleistung der Energieversorgung in Italien unerlässlich sei.132 Gegenstand der Entscheidung Idryma Typou v. 21.10.2010 133 war das griechische 29 Gesetz Nr. 2328/1995 über das Privatfernsehen, das vorsah, dass Geldbußen für Verstöße gegen Vorschriften für den Betrieb von TV-Sendern nicht nur gegen die jeweilige Betreibergesellschaft, sondern auch gegen alle mit mehr als 2,5 % beteiligte Aktionäre derselben verhängt werden konnten. Auch hier ging es also nicht um eine „Goldene Aktien“-Konstellation oder eine Sonderregelung für (Schein-)Auslandsgesellschaften (wie etwa in Inspire Art, dazu § 6 Rn. 27 ff.), sondern um eine allgemeine gesellschaftsrechtliche Haftungsregelung. Der EuGH sah in ihr eine nicht gerechtfertigte Beschränkung sowohl der Kapitalverkehrs- als auch der Niederlassungsfreiheit. Insbesondere verneinte er auch eine Rechtfertigung durch das – grundsätzlich als legitim anzuerkennende – Ziel, die Einhaltung der Rechtsvorschriften und Standesregeln für Journalisten zu bewirken; eine unbeschränkte Haftung aller Aktionäre unabhängig von einer TV-Tätigkeit sei unverhältnismäßig.

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dass Beeinträchtigungen durch Private verhindert werden: Andenas/Gütt/Pannier [2005] EBLR 757, 777 f.; Möslein AG 2007, 770, 774 ff.; Neumann/Ogorek NZG 2008, 892, 896 f.; Ringe (2010) 69 CLJ 378, 393 f.; Spindler RIW 2003, 850, 858; Veil ZIP 2008, 1754, 1759 ff.; Verse GPR 2008, 31, 35. Vgl. Ringe (2010) 69 CLJ 378, 399: „substantive control“ or „quality control“. EuGH v. 2.6.2005, Kommission ./. Italienische Republik, Rs. C-174/04, Slg. 2005, I-4933. Dazu Kilian EuZW 2005, 440 f.; Klees EWiR 2010, 597 f. Decreto-legge 192/2001, Disposizioni urgenti per salvaguardare i processi di liberalizzazione e privatizzazione di specifici settori dei servizi pubblici, G.U. n. 120 del 25 maggio 2001. Vgl. EuGH v. 2.6.2005, Kommission ./. Italienische Republik, Rs. C-174/04, Slg. 2005, I-4933, Rn. 40. EuGH v. 21.10.2010, Idryma Typou, Rs. C-81/09, ZIP 2010, 2493. Dazu Eckert GesRZ 2011, 176 f.; Möslein NZG 2011, 174 f.; Rüffler GeS 2011, 99 ff.; J. Schmidt EWiR 2010, 693 f.

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Ob damit tatsächlich – wie teilweise befürchtet – die „Büchse der Pandora“ einer generellen „materiellen Qualitätskontrolle“ des gesamten nationalen Gesellschaftsrechts geöffnet wurde, bleibt gleichwohl abzuwarten.134 31 Zum einen lässt sich einer Reihe neuerer Entscheidungen des Gerichtshofs – nicht zuletzt auch dem besagten Idryma Typou-Urteil135 – entnehmen, dass der EuGH einer Übertragung der „Keck“-Grundsätze auch auf die Kapitalverkehrs- und Niederlassungsfreiheit grundsätzlich durchaus offen, wenn nicht gar positiv gegenübersteht (vgl. bereits o. Rn. 10): Mit einer Ausgrenzung rein tätigkeitsbezogener Beschränkungen („Modalitäten“) wäre bereits ein großer Bereich nationaler Regelungsautonomie gewahrt. 32 Zum anderen wird der EuGH aber jedenfalls auch im Hinblick auf die Rechtfertigung möglicher Beschränkungen kaum umhin kommen, dem nationalen (Gesellschaftsrechts-)Gesetzgeber hinsichtlich der Ausgestaltung des allgemeinen nationalen Gesellschaftsrechts eine gewisse Einschätzungsprärogative zuzugestehen.136 Dies nicht zuletzt deshalb, weil das nationale Gesellschaftsrecht eben gerade nicht umfassend harmonisiert ist (dazu schon § 8 und § 9 sowie noch u. Rn. 34). Tatsächlich betont der Gerichtshof denn auch in st. Rspr., dass es in denjenigen Bereichen, in denen (noch) keine Unionsrechtsharmonisierung besteht, grundsätzlich Sache der Mitgliedstaaten ist, zu entscheiden, auf welchem Niveau sie den Schutz legitimer Interessen sicherstellen wollen – wenn auch eben nur in dem vom AEU vorgesehenen Rahmen und insbesondere nur unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit.137 33 In diesem Kontext ist weiterhin zu berücksichtigen, dass sowohl die Entscheidung Kommission ./. Italien als auch Idryma Typou jeweils ganz spezifische Sonderkonstellationen betrafen. In der ersten ging es um eine – wie die italienische Regierung sogar ausdrücklich einräumte – protektionistische Regelung zum Schutz des italienischen Energiesektors vor „wettbewerbswidrigen Angriffen“ öffentlicher Unternehmen aus anderen Mitgliedstaaten138, die damit geradezu in diametralem Widerspruch zum allgemeinen Ziel eines Abbaus derartiger nationaler „Schutzwälle“ (wie sie nicht zuletzt auch insbesondere mit „Goldenen Aktien“ verbunden sind) stand. Die nationale Regelung im Fall Idryma Typou hatte zwar keine bzw. zumindest nicht eine der30

134 Vgl. auch J. Schmidt EWiR 2010, 693, 694. 135 Vgl. dazu J. Schmidt EWiR 2010, 693, 694. 136 Vgl. auch Grundmann/Möslein ZGR 2003, 317, 349 f.; Möslein AG 2007, 770, 775; Schall FS Meilicke, 2010, S. 651, 654; Seeling/Zwickel BB 2008, 622, 623; Spindler RIW 2003, 850, 858. 137 Vgl. EuGH v. 28.9.2006, Kommission ./. Königreich der Niederlande, Rs. C-282/04 u. C-283/04, Slg. 2006, I-9141 („KPN/TPG“), Rn. 33; EuGH v. 23.10.2007, Kommission ./. Bundesrepublik Deutschland, Rs. C-112/05, Slg. 2007, I-8995 („VW“), Rn. 73; EuGH v. 26.3.2009, Kommission ./. Italienische Republik, Rs. C-326/07, Slg. 2009, I-2291 („ENI II“), Rn. 42. 138 Vgl. EuGH v. 2.6.2005, Kommission ./. Italienische Republik, Rs. C-174/04, Slg. 2005, I-4933, Rn. 36.

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art intensive protektionistische Zielsetzung139; als – noch dazu sektorspezifische – Ausnahme von dem im Kapitalgesellschaftsrecht fundamentalen Trennungsprinzip kam ihr aber dennoch unzweifelhaft ein besonderer Charakter zu, der Raum für „distinguishing“ lässt.140 Schließlich darf auch der – bereits angesprochene (o. Rn. 32) – Stand der unions- 34 rechtlichen Harmonisierung des Gesellschaftsrechts nicht aus dem Blick genommen werden. Dies bedeutet zum einen, dass dort, wo unionsrechtliche Harmonisierungsmaßnahmen bereits einen gewissen Schutz legitimer Interessen vorsehen, grundsätzlich141 kein Raum mehr für eine Kontrolle am Maßstab der Grundfreiheiten bleibt, da die unionsrechtlichen Anforderungen und Standards durch die jeweilige Harmonisierungsmaßnahme bereits abschließend konkretisiert sind.142 Zum anderen darf aber insbesondere auch nicht vergessen werden, dass viele – wenn nicht gar die meisten – der bisherigen Harmonisierungsmaßnahmen im Bereich des Gesellschaftsrechts in vielen Punkten bewusst Lücken gelassen haben, deren autonome Füllung gerade dem nationalen Gesetzgeber überlassen bleiben sollte. Ein Paradebeispiel hierfür ist etwa die Übernahme-RL (dazu § 30),143 die insbesondere die genaue Festlegung der Kontrollschwelle (Art. 5 Abs. 3, dazu § 30 Rn. 31) oder die Anwendung des Verhinderungsverbots und der Durchbrechungsregel (vgl. Art. 9 ff., dazu § 30 Rn. 66 ff.) ausdrücklich dem jeweiligen Mitgliedstaat überlässt. Aber gerade auch die Rs. Idryma Typou zeigt anschaulich das Zusammenspiel und die Interrelation von Harmonisierungsmaßnahmen und Kontrolle am Maßstab der Grundfreiheiten: Wie der EuGH zu Recht und überzeugend ausgeführt hat, etabliert die RL zwar keinen allgemeinen Grundsatz des Europäischen Gesellschaftsrechts, dass die Haftung eines Aktionärs/ Gesellschafters einer von ihr erfassten Kapitalgesellschaftsform für Gesellschaftsverbindlichkeiten unter allen Umständen ausgeschlossen ist (vgl. auch bereits § 8 Rn. 34 f. sowie noch § 19 Rn. 11). Den Mitgliedstaaten ist es also grundsätzlich nicht verwehrt, im nationalen Gesellschaftsrecht Durchgriffshaftungstatbestände vorzu-

139 Auch hier betonte der EuGH allerdings, dass die mit der Regelung verbundene abschreckende Wirkung für Investoren aus anderen Mitgliedstaaten sogar noch größer sei als für solche aus Griechenland, da es für diese schwieriger sei, mit anderen Aktionären Allianzen zu schließen, um die Programmgestaltung zwecks Haftungsvermeidung zu beeinflussen, vgl. EuGH v. 21.10.2010, Idryma Typou, Rs. C-81/09, ZIP 2010, 2493, Rn. 59. 140 Vgl. J. Schmidt EWiR 2010, 693, 694. 141 Vorbehaltlich natürlich des – wohl eher seltenen – Ausnahmefalls, dass eine Harmonisierungsmaßnahme selbst primärrechtswidrig ist. 142 Vgl. die Nachweise in Fn. 137 sowie weiter etwa EuGH v. 12.10.1993, Vanacker und Lesage, Rs. C-37/92, Slg. 1993, I-4947, Rn. 9; EuGH v. 13.12.2001, DaimlerChrysler AG ./. Land Baden-Württemberg, Rs. C-324/99, Slg. 2001, I-9897, Rn. 32; EuGH v. 11.12.2003, Deutscher Apothekerverband eV ./. 0800 DocMorris NV und Jacques Waterval, Rs. C-322/01, Slg. 2003, I-14887, Rn. 64; EuGH v. 1.10.2009, HSBC Holdings plc und Vidacos Nominees Ltd ./. The Commissioners of Her Majesty’s Revenue & Customs, Rs. C-569/07, Slg. 2009, I-9047, Rn. 26. 143 Vgl. auch Andenas/Gütt/Pannier [2005] EBLR 757, 783 ff.; Pläster EWS 2008, 175, 178 ff.; Reichert FS K. Schmidt, 2009, S. 1341, 1355 f.

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sehen; solche müssen sich aber u.U. an den Maßstäben der Art. 49, 63 AEU messen lassen.144 35 Als Fazit bleibt somit festzuhalten: Die Diskussion um eine allgemeine Kontrolle des nationalen Gesellschaftsrechts ist zwar sicherlich alles andere als ein „much ado about nothing“; andererseits sollte man aber auch bei aller gebotenen Vorsicht nicht gleich das „Schreckgespenst“ eines „coup de grâce“ für die Regelungsautonomie der nationalen (Gesellschaftsrechts-)Gesetzgeber an die Wand malen.

§ 16 Europäisches Insolvenzrecht: Die EuInsVO VO (EG) Nr. 1346/2000 des Rates v. 29.5.2000 über Insolvenzverfahren, ABlEG v. 30.6.2000, L 160/1 Literatur: Aasaru, Epp, The desirability of ‘centre of main interests’ as a mechanism for allocating jurisdiction and applicable law in cross-border insolvency law, [2011] EBLR 349; Cranshaw, Friedrich L., Aktuelle Fragen zur europäischen Insolvenzverordnung vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des EuGH, DZWiR 2009, 353; Dammann, Reinhard/Rapp, Alexis, La Cour de cassation sanctionne le forum shopping frauduleux et précise la notion d’ordre public du règlement communautaire n° 1346/2000, D. 2011, 1738; Deipenbrock, Gudula, Das neue europäische Internationale Insolvenzrecht – von der „quantité négligeale“ zu einer „quantité indispensable“, EWS 2001, 113; Duursma-Kepplinger, Henriette-Christine, Aktuelle Entwicklungen zur internationalen Zuständigkeit für Hauptinsolvenzverfahren – Erkenntnisse aus Staubitz-Schreiber und Eurofood, ZIP 2007, 896; Ehricke, Ulrich, Das Verhältnis des Hauptinsolvenzverwalters zum Sekundärinsolvenzverwalter bei grenzüberschreitenden Insolvenzen nach der EuInsVO, ZIP 2005, 1104; ders., Die Zusammenarbeit der Insolvenzverwalter bei grenzüberschreitenden Insolvenzen nach der EuInsVO, WM 2005, 397; ders., Zur Kooperation von Insolvenzgerichten bei grenzüberschreitenden Insolvenzverfahren im Anwendungsbereich der EuInsVO, ZIP 2007, 2395; Eidenmüller, Horst, Abuse of law in the context of European Insolvency Law, ECFR 2009, 1; ders., Europäische Verordnung über Insolvenzverfahren und zukünftiges deutsches internationales Insolvenzrecht, IPrax 2001, 2; ders., Rechtsmissbrauch im Europäischen Insolvenzrecht, KTS 2009, 137; Fehrenbach, Markus, Die prioritätsprinzipswidrige Verfahrenseröffnung im europäischen Insolvenzrecht, IPrax 2009, 51; ders., Die Zuständigkeit für insolvenzrechtliche Annexverfahren, IPrax 2009, 492; Freitag, Robert/Leible, Stefan, Justizkonflikte im Europäischen Internationalen Insolvenzrecht und (k)ein Ende?, RIW 2006, 641; Haß, Detlef/Huber, Peter/Gruber, Urs/Heiderhoff, Bettina, EU-Insolvenzverordnung, 2005; Herchen, Axel, Wer zuerst kommt, mahlt zuerst! – Die Bestellung eines „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwalters als Insolvenzverfahrenseröffnung im Sinne der EuInsVO, NZI 2006, 435; Hess, Burkhard/Laukemann, Björn/Seagon, Christopher, Europäisches Insolvenzrecht nach Eurofood: Methodische Standortbestimmung und praktische Schlussfolgerungen, IPrax 2007, 89; Huber, Peter, Die Europäische Insolvenzverordnung, EuZW 2002, 490; ders., Internationales Insolvenzrecht in Europa, ZZP 114 (2001) 133; Jacoby, Florian, Der ordre public-Vorbehalt beim forum shopping im Insolvenzrecht, GPR 2007, 200; Kammel, Volker, Die Bestimmung der zuständigen Gerichte bei grenzüberschreitenden Konzerninsolvenzen, NZI 2006, 334; Kasolowsky, Boris/Steup, Magdalene, Insolvenz im internationalen Schiedsverfahren – lex arbitri oder lex

144 Vgl. J. Schmidt EWiR 2010, 693, 694.

Europäisches Insolvenzrecht: Die EuInsVO

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OLG Saarbrücken v. 9.4.2009 – 4 W 134/09, EuZW 2009, 710 BGH v. 19.5.2009 – IX ZR 39/06, ZIP 2009, 1287 AG Hildesheim v. 18.6.2009 – 5 I IE 2/09, ZIP 2009, 2070 BGH v. 19.11.2009 – IX ZB 81/09, BeckRS 2009, 88525 BGH v. 17.9.2009 – IX ZB 51/09, BeckRS 2009, 26500 BGH v. 17.9.2009 – IX ZB 81/09, BeckRS 2009, 26363 BGH v. 29.4.2010 – 3 StR 314/09, NJW 2010, 2894 AG Köln v. 12.11.2010 – 71 IN 343/10, ZIP 2011, 631 LAG Frankfurt v. 14.12.2010 – 13 Sa 969/10, ZIP 2011, 289 BGH v. 21.12.2010 – IX ZB 227/09, ZIP 2011, 389 BGH v. 15.11.2010 – NotZ 6/10, ZIP 2011, 284 BGH v. 3.2.2011 – V ZB 54/10, WM 2011, 940 Englische Gerichte (Auswahl): Enron Directo SA, High Court (Ch) v. 4.4.2002 (unveröffentlicht) Geveran Trading Co Ltd v Skjevesland, Registrar Jacques v. 15.7.2002, [2003] BPIR 73 Telia AB v Hilcourt (Docklands) Ltd, High Court (Ch) v. 16.10.2002, [2002] EWHC 2377 (Ch) Skjevesland v Geveran Trading Co Ltd (No. 4), High Court v. 11.11.2002, [2002] EWHC 2898 Crisscross, High Court (Ch) v. 20.5.2003 (unveröffentlicht) Re BRAC Rent-A-Car International, High Court (Ch) v. 7.2.2003, [2003] EWHC (Ch) 128 Ci4net, High Court Leeds v. 20.5.2004, ZIP 2004, 1769 Re Daisytek ISA Ltd., High Court Leeds v. 16.5.2003, [2004] BPIR 30 Re AIM Underwriting Agencies (Ireland) Limited, High Court (Ch) v. 2.7.2004, [2005] I.L.Pr. 22 Re Parkside Flexibles SA, High Court v. 9.2.2005, [2006] BCC 589 MG Rover I, High Court Birmingham v. 18.4.2005, [2005] EWHC 874 (Ch) = NZI 2005, 467 Sendo Limited v Sendo International Limited, High Court v. 29.6.2005, [2005] EWHC 1604 (Ch) Martin Vlieland-Boddy v Clive Vlieland-Boddy, CA v. 27.7.2005, [2005] EWCA Civ 974 = NZI 2005, 571 Re Collins & Aikman Corp Group, High Court (Ch) v. 15.7.2005, [2006] BCC 606 Hans Brochier Ltd. v Exner, High Court (Ch) v. 15.8.2006, [2006] EWHC 2594 (Ch) = NZI 2007, 187 Stojevic v Komercni Banka AS, High Court (Ch) v. 20.12.2006, [2006] EWHC 3447 (Ch) = NZI 2007, 361 Official Receiver v Eichler, High Court (Ch) v. 19.6.2007, [2007] B.P.I.R. 1636 Re Lennox Holdings Plc, High Court (Ch) v. 20.6.2008, [2009] BCC 155 Syska v Vivendi Universal S.A., High Court (Ch) v. 2.10.2008, [2008] EWHC 2155 (Comm.), Re Nortel Networks SA, High Court (Ch) v. 11.2.2009, [2009] EWHC 206 (Ch) = ZIP 2009, 578 Official Receiver v Mitterfellner, Chief Registrar Baister v. 10.6.2009, [2009] B.P.I.R. 1075 Re Stanford International Bank Ltd., High Court (Ch) v. 3.7.2009, [2009] EWHC 1441 (Ch) Syska v Vivendi Universal S.A., CA v. 9.7.2009, [2009] EWCA Civ 677 Hellas II, High Court (Ch) v. 26.11.2009, [2009] EWHC 3199 (Ch) = ZIP 2010, 1816 Pillar Securitisation S.a.r.l. & Ors v Spicer & Shinners, High Court (Ch) v. 1.4.2010, [2010] EWHC 836 (Ch) Byers v Yacht Bull Corporation, High Court (Ch) v. 1.2.2010, [2010] EWHC 133 (Ch) Re Stanford International Bank Ltd., CA v. 25.2.2010, [2010] EWCA Civ 137 In the Matter of Gallery Capital S.A., High Court (Ch) v. 21.4.2010, 2010 WL 4777509 Re Eurodis Electron Plc, High Court v. 19.4.2011, [2011] EWHC 1025 (Ch)

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Französische Gerichte (Auswahl): Tribunal de Commerce de Nanterre v. 15.2.2006, D. 2006, 793 = [2006] BCC 681 („EMTEC“) Cour d’appel de Douai v. 2.5.2006, n° RG 05/06484 und 05/06708 (unveröffentlicht) Tribunal de Commerce de Paris v. 2.8.2006, D. 2006, 2329 („Eurotunnel“) Cour de Cassation v. 27.6.2006, n° 03-19863, Bulletin 2006 IV N° 149 S. 159 Tribunal de Grande Instance de Lure v. 29.3.2006, [2007] BCC 123 („Energotech SARL“) Cour de Cassation v. 9.10.2008, EuLF 2008 II-134 Cour de Cassation v. 28.10.2008, EuLF 2008 II-133 Cour de Cassation v. 15.10.2009, n° 08-17383 Cour d’appel de Colmar v. 31.3.2010, D. 2010, 1262 = ZIP 2010, 1460 Cour de Cassation v. 13.4.2010 („Médiasucre“), ABlEU v. 19.6.2010, C 161/36 Cour de Cassation v. 15.2.2011, n° 09-71436 („HSBC France“) Cour de Cassation v. 15.2.2011, n° 10-13832 („Schmitt“) Österreichische Gerichte (Auswahl): LG Klagenfurth v. 2.7.2004 – 41 S 75/04h, NZI 2004, 677 („Zenith“) OLG Wien v. 9.11.2004 – 28 R 225/04w, NZI 2005, 56 LG Leoben v. 31.8.2005 – 17 S 56/05, NZI 2005, 646 OLG Graz v. 20.10.2005 – 3 R 149/05, NZI 2006, 660 OGH v. 23.2.2005 – 9 Ob 135/04z, IPrax 2007, 225 OGH v. 16.1.2008 – 8 Ob 134/07z OLG Innsbruck v. 8.7.2008 – 1 R 176/08 d, ZIP 2008, 1648 Andere nationale Gerichte (Auswahl): Hoge Raad v. 9.1.2004, Zaaknr. R03/091HR Rechtbank Amsterdam v. 31.1.2007, ZIP 2007, 492 („BenQ Mobile“) Tribunale de Civile e Penale di Parma v. 19.2.2004, Re The Insolvency of Eurofood IFSC Limited, [2004] I.L.Pr. 14 Tribunale de Civile e Penale di Parma v. 15.6.2004, ZIP 2004, 2295 („Deutsche Parmalat GmbH“) Tribunale ordinario di Bari v. 12.10.2009, ABlEU v. 19.12.2009, C 312/21 („Interedil“) Municipal Court Fejer/Székesfehérvár v. 14.6.2004, NZI 2005, 58 („Parmalat Hungary“) LG Patra v. 2.5.2007, ZIP 2007, 1875

I. Überblick 1 Das Internationale Insolvenz(verfahrens-)recht sollte ursprünglich gemeinsam mit dem allgemeinen Internationalen Zivilprozessrecht geregelt werden; wegen der vielfältigen und komplexen insolvenzrechtlichen Sonderprobleme entschied man sich jedoch bereits Anfang der 1960er Jahre für eine separate Regelung.1 Nachdem schon 1963 eine Sachverständigenkommission eingesetzt worden war 2, wurde 1970 ein Vorentwurf 3 und 1980 ein Entwurf für ein EG-Konkursabkommen4 vorgelegt. Angesichts der sehr unterschiedlichen nationalen Insolvenzrechte gelang es jedoch nicht, 1 Vgl. Lemonty, Bericht zum Entwurf eines EG-Konkursabkommens, ZIP 1981, 547. 2 Vgl. Virgós/Schmitt, Report on the Convention on Insolvency Proceedings, Dok. 6500/96, Rn. 3; Kindler in: MünchKommBGB, 5. Aufl. 2010, IntInsR Rn. A 13. 3 Vorentwurf eines Übereinkommens über den Konkurs, Vergleiche und ähnliche Verfahren v. 16.2.1970, Dok. 3327/XIV/1/70. 4 Entwurf eines Übereinkommens über den Konkurs, Vergleiche und ähnliche Verfahren, Dok. III/D/72/80-DE, abgedruckt in ZIP 1980, 582 ff. und 811 ff.

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einen Konsens zu erzielen, so dass die Beratungen 1985 eingestellt wurden.5 Zwischenzeitlich hatte der Europarat eine eigene Initiative gestartet, die in das Istanbuler Übereinkommen von 1990 6 mündete, welches aber von den EG-Mitgliedstaaten nie ratifiziert wurde 7. Bereits 1989 war indes auch auf EG-Ebene ein neuer Anlauf gestartet worden, der nach Vorlage eines ersten Entwurfs im Jahr 1992 8 schließlich 1995 zu einem „Europäischen Übereinkommen über Insolvenzverfahren“9 führte, welches aber letztlich doch scheiterte, weil das UK vor dem Hintergrund des BSE-Streits und der Gibraltarfrage die Zeichnungsfrist auslaufen ließ10. Nachdem dann jedoch mit dem Vertrag von Amsterdam v. 2.10.1997 11 in Art. 61 lit. c, 65 lit. c, 67 EG die Rechtsgrundlagen für eine Verordnung geschaffen worden waren, brachten Deutschland und Finnland den Text des Übereinkommens als Entwurf einer Verordnung in das Rechtssetzungsverfahren ein12. Nach Beteiligung von EWSA13 und EP 14 wurde die EuInsVO 15 dann am 29.5.2000 verabschiedet und trat am 31.5.2002 in Kraft. Ziel der EuInsVO ist es, effiziente und wirksame grenzüberschreitende Insol- 2 venzverfahren zu gewährleisten (vgl. Erwägungsgrund 2) und insbesondere sog. „forum shopping“ zu verhindern (vgl. Erwägungsgrund 4). Um dies zu erreichen, enthält sie Vorschriften zu drei wesentlichen Regelungs- 3 komplexen: • • •

internationale Zuständigkeit für die Eröffnung von Insolvenzverfahren: Art. 3, dazu u. Rn. 14 ff.; anwendbares Recht (sog. lex fori concursus): Art. 4 ff., dazu u. Rn. 33 ff.; automatische Anerkennung von Insolvenzverfahren in anderen Mitgliedstaaten: Art. 16 ff., dazu u. Rn. 45 ff.

5 Vgl. Virgós/Schmitt (Fn. 2), Rn. 3; Kindler (Fn. 2), IntInsR Rn. A 13; Fritz/Bähr DZWiR 2001, 221, 222. 6 European Convention on Certain International Aspects of Bankruptcy, 5.6.1990, European Treaty Series No. 136. 7 Maßgeblich hierfür war insbesondere, dass das Übereinkommen eine Reihe von Vorbehalten zugelassen hätte, die ein großes Risiko für Verzerrungen zwischen den Vertragsstaaten mit sich gebracht hätten, vgl. Reinhart in: MünchKommInsO, 2. Aufl. 2008, Vorbem. Art. 1 EuInsVO Rn. 5; Virgós/Schmitt (Fn. 2), Rn. 4. 8 Entwurf eines EG-Konkursübereinkommens v. 3.4.1992, abgedruckt in ZIP 1992, 1197 ff. 9 Europäisches Übereinkommen über Insolvenzverfahren v. 23.11.1995, abgedruckt in ZIP 1996, 976 ff.; dazu Balz ZIP 1996, 948 ff. 10 Vgl. Reinhart (Fn. 7), Vorbem. Art. 1 EuInsVO Rn. 6; Balz ZIP 1996, 948; Fritz/Bähr DZWiR 2001, 221, 222. 11 Vertrag von Amsterdam zur Änderung des Vertrags über die Europäische Union, der Verträge zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften sowie einiger damit zusammenhängender Rechtsakte, ABlEG v. 10.11.1997, C 340/1. 12 Initiative der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Finnland – dem Rat am 26. Mai 1999 vorgelegt – im Hinblick auf die Annahme einer Verordnung des Rates über Insolvenzverfahren, ABlEG v. 3.8.1999, C 221/8. 13 ABlEG v. 15.3.2000, C 75/1. 14 ABlEG v. 4.12.2000, C 346/80. 15 VO (EG) Nr. 1346/2000 des Rates vom 29.5.2000 über Insolvenzverfahren, ABlEG v. 30.6.2000, L 160/1.

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4 Grundgedanke und Ausgangspunkt des Regelungskonzepts der EuInsVO ist das Universalitätsprinzip, d.h. das Ideal eines einzigen Insolvenzverfahrens, in dem das gesamte – auch das im Ausland belegene – Vermögen des Schuldners erfasst wird, an dem alle Gläubiger beteiligt sind und das in allen anderen Mitgliedstaaten automatisch anerkannt wird.16 Auf Grund der nach wie vor immensen Unterschiede im materiellen Insolvenzrecht der einzelnen Mitgliedstaaten war dieses Ideal jedoch so nicht realisierbar; sie zwangen vielmehr zu einer Durchbrechung des Universalitätsprinzips in zweierlei Hinsicht (vgl. Erwägungsgrund 11): Zum einen durch eine Vielzahl von Sonderanknüpfungen (Art. 5 ff., dazu u. Rn. 36 ff.), zum anderen durch die Zulassung von Partikular- und Sekundärinsolvenzverfahren als Ergänzung zum Hauptinsolvenzverfahren (dazu u. Rn. 24 ff., 61 ff.).17 5 Obgleich erst 2000 verabschiedet, wurde die EuInsVO bereits wiederholt geändert; allerdings handelte es sich jeweils nicht um materielle Änderungen, sondern lediglich um auf Grund des Beitritts neuer Mitgliedstaaten sowie Änderungen im nationalen Insolvenzverfahrensrecht der Mitgliedstaaten erforderliche Anpassungen der Anhänge (vgl. dazu u. Rn. 9) sowie der Liste von Übereinkommen in Art. 44 (dazu u. Rn. 13).18 6 Die „Revisionsklausel“ des Art. 46 sieht allerdings bis spätestens 1.6.2012 explizit einen Bericht über die Anwendung der EuInsVO und ggf. etwaige Änderungsvorschläge vor. Die Kommission hat bereits angekündigt, dass sie 2012 einen Bericht und 2013 einen Vorschlag für eine Änderungs-VO vorlegen will 19 und in Praxis und Schrifttum sind hierfür auch bereits detaillierte Vorschläge unterbreitet worden 20. 7 Parallel dazu gibt es seit einiger Zeit auch Bestrebungen, das materielle Insolvenzrecht – das die EuInsVO grundsätzlich 21 unangetastet lässt – (zumindest partiell) zu harmonisieren. Das EP hat hierzu 2010 eine Studie erstellen lassen 22 und Mitte 16 Vgl. Huber in: Haß/Huber/Gruber/Heiderhoff, EuInsVO, 1. Aufl. 2005, Einl. Rn. 4; Leible/Staudinger KTS 2000, 533, 537 f.; Paulus NZI 2001, 505, 506. 17 Vgl. Deipenbrock EWS 2001, 113, 117; Huber (Fn. 16), Einl. Rn. 4 f.; Paulus NZI 2001, 505, 506 f. 18 Vgl. die Nachweise im Fundstellenverzeichnis. 19 Vgl. Aktionsplan zur Umsetzung des Stockholmer Programms, KOM(2010) 171, S. 26. 20 Vgl. etwa insbesondere die Beiträge von Asimacopoulos, Garcimartín, Ghia, Kolman, Marshall, Moss, Taylor, Tollenaar, Vallender, Veder und Wessels in IILR 2011, 237 ff. sowie die Zusammenfassung der Vorschläge der Teilnehmer der Conference on the Future of the European Insolvency Regulation IILR 2011, 345 ff.; Group for International & European Studies of the Autonomous University of Barcelona IILR 2011, 336 ff.; s. ferner etwa auch bereits Omar (2007) 20 Insolv. Int. 7 ff.; Moss/Paulus (2006) 19 Insolv. Int. 1 ff.; Wessels, Twenty suggestions for a makeover of the EU Insolvency Regulation, 2006, abrufbar unter http://bobwessels.nl/wordpress/wp-content/uploads/2006/10/2006-09-doc4 Twenty Suggestions.pdf 21 Eine der wenigen Sachnormen in der EuInsVO ist aber z.B. Art. 39 (dazu noch u. Rn. 73), vgl. Kindler (Fn. 2), Art. 39 EuInsVO Rn. 1; Reinhart (Fn. 7), Art. 39 EuInsVO Rn. 2; vgl. zu weiteren Sachnormen etwa Kindler (Fn. 2), Vorbem. zu Art. 5 bis 15 EuInsVO Rn. 1 f. 22 INSOL Europe, Harmonisation of Insolvency Law at EU Level, April 2010, abrufbar unter http://www.insol-europe.org/eu-research/harmonisation-of-insolvency-law-at-eu-level/; Zusammenfassung abgedruckt in IILR 2010, 87 ff.

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2011 ein auf die Vorlage eines entsprechenden Legislativaktes gerichtetes Initiativverfahren eingeleitet 23. In Deutschland wurden zur Gewährleistung einer effektiven Anwendung der 8 EuInsVO 24 in Art. 102 § 1–11 EGInsO 25 spezielle Durchführungsbestimmungen geschaffen.

II. Anwendungsbereich Der sachliche Anwendungsbereich der EuInsVO erstreckt sich auf Insolvenzver- 9 fahren, die Art. 1 Abs. 1 legaldefiniert als „Gesamtverfahren, welche die Insolvenz des Schuldners voraussetzen und den vollständigen oder teilweisen Vermögensbeschlag gegen den Schuldner sowie die Bestellung eines Verwalters zur Folge haben“ 26. Aus Gründen der Rechtssicherheit sind die Insolvenzverfahren für jeden Mitgliedstaat in Anh. A abschließend 27 aufgezählt, vgl. Art. 2 lit. a (weshalb auch bei jeder entsprechenden Änderung im nationalen Recht eine Änderung der EuInsVO erforderlich ist, für die Art. 45 ein spezielles „vereinfachtes“ Änderungsverfahren regelt 28, vgl. auch Erwägungsgrund 31). Irrelevant ist, ob es sich bei dem Insolvenzschuldner um eine natürliche oder 10 juristische Person handelt (auch Kaufmannseigenschaft ist nicht erforderlich); Art. 1 Abs. 2 enthält allerdings Bereichsausnahmen für Kreditinstitute, Versicherungsunternehmen, Wertpapierfirmen und OGAW, da für diese Sonderregeln gelten (vgl. Erwägungsgrund 9).29 In räumlicher Hinsicht gilt die EuInsVO in allen Mitgliedstaaten der EU mit 11 Ausnahme Dänemarks30. Eine Ausdehnung auf die EWR-Staaten ist nicht erfolgt.31 23 Verfahrensnummer: 2011/2006(INI). Die EP-Entschließung war bei Drucklegung für November 2010 geplant. 24 Vgl. BegrRegE, BT-Drs. 15/16, S. 12 f. 25 Eingefügt durch Gesetz zur Neuregelung des Internationalen Insolvenzrechts v. 14.3. 2003, BGBl. I, 345. 26 Näher dazu Kindler (Fn. 2), Art. 1 EuInsVO Rn. 4 ff.; Reinhart (Fn. 7), Art. 1 EuInsVO Rn. 4 ff. (jeweils m.w.N.). 27 Vgl. Kindler (Fn. 2), Art. 1 EuInsVO Rn. 3; Reinhart (Fn. 7), Art. 45 EuInsVO Rn. 2; s. ferner auch Virgós/Schmitt (Fn. 2), Rn. 4. 28 Näher dazu Kindler (Fn. 2), Art. 45 EuInsVO Rn. 2 ff.; Reinhart (Fn. 7), Art. 45 EuInsVO Rn. 1 ff. 29 Näher Kindler (Fn. 2), Art. 1 EuInsVO Rn. 12 ff.; Reinhart (Fn. 7), Art. 1 EuInsVO Rn. 8 ff. 30 Maßnahmen nach dem Dritten Teil Titel V AEU (G Dritten Teil Titel IV EG) gelten gem. Protokoll 21 und 22 nicht für Dänemark, das UK und Irland; letztere sind aber zu einem „opt in“ berechtigt und haben hiervon in Bezug auf die EuInsVO auch Gebrauch gemacht, vgl. Erwägungsgründe 32 f. 31 Vgl. Oberhammer FS Koziol, 2010, S. 1239, 1271; s. ferner auch BGH NJW 2010, 2894, 2897 (Liechtenstein); OLG Köln NZI 2001, 380, 381; AG Köln NZI 2008, 390 (Norwegen). Hintergrund ist, dass das EWR-Übereinkommen sich generell nicht auf den Bereich der justiziellen Zusammenarbeit erstreckt.

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Soweit die EuInsVO nicht anwendbar ist, gilt weiterhin das jeweilige Internationale Privatrecht des jeweiligen Mitgliedstaats, in Deutschland also §§ 335 ff. InsO. 12 Äußerst umstritten ist allerdings, ob die Anwendung der EuInsVO über die Belegenheit des COMI (dazu u. Rn. 15 ff.) im EU-Gebiet hinaus zusätzlich auch einen sog. „qualifizierten Gemeinschaftsbezug“ voraussetzt, d.h. ob sie nur dann gilt, wenn der grenzüberschreitende Bezug des Insolvenzverfahrens zu einem anderen EU-Mitgliedstaat besteht 32, oder ob auch ein grenzüberschreitender Bezug zu einem Drittstaat 33 genügt 34. 13 Gem. Art. 44 verdrängt die EuInsVO für „Neufälle“ Übereinkünfte zwischen den Mitgliedstaaten (Abs. 1 und 2); Übereinkünfte mit Drittstaaten haben dagegen Vorrang, soweit ihre Regelungen mit denen der EuInsVO unvereinbar sind (Abs. 3).35 III. Internationale Zuständigkeit 14 Die Regeln zur internationalen Zuständigkeit in Art. 3 EuInsVO differenzieren zwischen grundsätzlich universelle Geltung beanspruchenden Hauptinsolvenzverfahren (Art. 3 Abs. 1, dazu u. Rn. 15 ff.) und in ihrer territorialen Wirkung beschränkten Partikularinsolvenzverfahren (Art. 3 Abs. 2–4, dazu u. Rn. 24 ff.). Die örtliche Zuständigkeit bestimmt sich nach nationalem Recht 36, d.h. in Deutschland gelten Art. 102 § 1 EGInsO, § 3 InsO37. 1. Hauptinsolvenzverfahren (Art. 3 Abs. 1) a) COMI als zentrales Anknüpfungskriterium 15 Zentrales Anknüpfungskriterium der EuInsVO ist das COMI: Für die Eröffnung des Hauptinsolvenzverfahrens sind gem. Art. 3 Abs. 1 S. 1 die Gerichte des Mitgliedstaats international zuständig, in dessen Gebiet der Schuldner den Mittelpunkt seiner 32 So etwa OLG Köln NZI 2001, 380, 381; AG Ludwigsburg ZIP 2006, 1507, 1509; AG Köln NZI 2008, 390; Kindler (Fn. 2), Art. 1 EuInsVO Rn. 28 f.; Duursma-Kepplinger/ Duursma IPrax 2003, 505, 508; Eidenmüller IPrax 2001, 2, 5; Pinterich ZfRV 2008, 221, 225. 33 Hierzu gehört wegen der mangelnden Geltung der EuInsVO auch Dänemark. 34 So etwa Re BRAC Rent-A-Car International, [2003] EWHC (Ch) 128; Ci4net, ZIP 2004, 1769; Re Daisytek ISA Ltd., [2004] BPIR 30; Wenner/Schuster in: FK-InsO, 5. Aufl. 2009, Art. 1 EuInsVO Rn. 9; Haubold IPrax 2003, 34, 35; Huber ZZP 114 (2001) 133, 138 f.; Mankowski in: Kölner Schrift zur Insolvenzordnung, 3. Aufl. 2009, Kap. 47 Rn. 11; Omar (2007) 18 ICCLR 57, 61 ff.; differenzierend Reinhart (Fn. 7), Art. 1 EuInsVO Rn. 15 ff.; Nerlich/Römermann in: Nerlich/Römermann, InsO, 19. EL 2010, Vorbem. EuInsVO Rn. 37 ff. 35 Näher Kindler (Fn. 2), Art. 44 EuInsVO Rn. 1 ff. m.w.N. 36 Vgl. Erwägungsgrund 15 S. 2; Virgós/Schmitt (Fn. 2), Rn. 72; Kindler (Fn. 2), Art. 3 EuInsVO Rn. 1. 37 Vgl. Kindler (Fn. 2), Art. 3 EuInsVO Rn. 1; Reinhart (Fn. 7), Art. 3 EuInsVO Rn. 69 f. m.w.N.

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hauptsächlichen Interessen („centre of main interests“ – COMI) hat. Nach Erwägungsgrund 13 sollte als COMI der Ort gelten, an dem der Schuldner gewöhnlich der Verwaltung seiner Interessen nachgeht und der damit für Dritte feststellbar ist. Für Gesellschaften und juristische Personen etabliert Art. 3 Abs. 1 S. 2 eine widerlegliche Vermutung, dass das COMI sich am Satzungssitz befindet. I.Ü. wird der COMI-Begriff indes – trotz seiner zentralen Bedeutung – nicht näher definiert. Insofern verwundert es kaum, dass seine Interpretation in Schrifttum und Praxis von Anfang an äußerst kontrovers diskutiert wurde und bereits Anlass zu unzähligen Streitigkeiten gab.

b) COMI von Gesellschaften und juristischen Personen Bei Gesellschaften und juristischen Personen normiert Art. 3 Abs. 1 S. 2 zwar eine 16 widerlegliche Vermutung zugunsten des Satzungssitzes. Die genauen Anforderungen an eine Widerlegung waren indes von Anfang an heftig umstritten – insbesondere im Kontext von Konzerninsolvenzen, für die die EuInsVO trotz ihrer immensen wirtschaftlichen Bedeutung vor dem Hintergrund der generell äußerst kontroversen Konzernrechtsproblematik (vgl. auch bereits § 9 Rn. 5 ff.) bewusst keine speziellen Regelungen enthält 38. Letztlich bildeten sich im Wesentlichen zwei divergierende Ansätze heraus. Die 17 „head office functions“-Theorie (auch „mind of management“- oder „parental control“-Doktrin) – die ursprünglich von der englischen Rechtsprechung 39 und Literatur 40 entwickelt wurde, später aber auch in Kontinentaleuropa Anhänger fand 41 –, stellt darauf ab, wo die „head office functions“ ausgeübt, d.h. die strategischen Leitungsentscheidungen getroffen werden. Im Falle von Konzerninsolvenzen bedeutet dies, dass das COMI jeder einzelnen von der Konzernmutter kontrollierten Konzerngesellschaft an der Konzernzentrale verortet wird, so dass de facto ein einheitlicher „Konzerngerichtsstand“ (und damit über Art. 4 Abs. 1 [dazu u. Rn. 33] auch die grundsätzliche Geltung desselben Insolvenzrechts für alle Insolvenzverfahren) er-

38 Vgl. Virgós/Schmitt (Fn. 2), Rn. 76. 39 Enron Directo SA (Ch, 4.4.2002, unveröffentlicht); Re BRAC Rent-A-Car International Inc., [2003] 2 All ER 201; Re Daisytek-ISA Ltd., [2004] BPIR 30; Crisscross (Ch, 20.5.2003, unveröffentlicht); Re AIM Underwriting Agencies (Ireland) Limited, [2005] I.L.Pr. 22; Re Parkside Flexibles SA, [2006] B.C.C. 589; MG Rover I [2005] EWHC 874 (Ch) = NZI 2005, 467; Sendo Limited v Sendo International Limited, [2005] EWHC 1604 (Ch); Re Collins & Aikman Corp Group, [2006] B.C.C. 606. 40 Vgl. Moss/Fletcher/Isaacs, The EC Regulation on Insolvency Proceedings, 1. Aufl. 2002, 8.39; Fletcher (2005) 18 Insolv. Int. 85, 87 ff. 41 Tribunale de Civile e Penale di Parma v. 19.2.2004, Re The Insolvency of Eurofood IFSC Limited, [2004] I.L.Pr. 14; AG München NZI 2004, 450 („Hettlage“); Municipal Court Fejer/Székesfehérvár NZI 2005, 58 („Parmalat Hungary“); Tribunale de Civile e Penale di Parma ZIP 2004, 2295 („Deutsche Parmalat GmbH“); AG Siegen NZI 2004, 673 („Zenith“); AG Offenburg NZI 2004, 673 („HUKLA“); Tribunal de Commerce de Nanterre D. 2006, 793 = [2006] B.C.C. 681 („EMTEC“); Tribunal de Grande Instance de Lure [2007] B.C.C. 123 („Energotech SARL“).

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reicht wird.42 Nach der in der kontinentaleuropäischen Rechtsprechung 43 und Literatur 44 favorisierten „business activity“-Theorie ist das COMI dagegen nach dem Ort der werbenden Tätigkeit zu bestimmen. In der Praxis führten diese beiden diametral entgegengesetzten Ansätze zu einem regelrechten „Insolvenzkrieg“ 45, im Rahmen dessen sich nationale Gerichte teils erbitterte „Machtkämpfe“ lieferten (Paradebeispiel: die berüchtigte „ISA Daisytek-Saga“46) und kontinentaleuropäische Insolvenzrechtler die englischen Gerichte des „Insolvenzimperialismus“ beschuldigten 47. 18 Mit seinem bahnbrechenden Urteil v. 2.5.2006 in der Rs. Eurofood 48 hat der EuGH inzwischen aber zumindest einige grundlegende Orientierungspunkte festgelegt. Er entschied unter Hinweis auf Erwägungsgrund 13, dass die Vermutung zugunsten des Satzungssitzes nur durch objektive und für Dritte feststellbare Elemente widerlegt werden kann.49 Leider machte er aber keine näheren Ausführungen dazu, welche Elemente dies sein können und wer „Dritter“ i.d.S. ist. Allerdings schlug er immerhin zwei wesentliche Leitpfosten ein: 50 Denn einerseits stellte er unmissverständlich fest, dass allein die Tatsache, dass die wirtschaftlichen Entscheidungen einer Gesellschaft von einer Muttergesellschaft in einem anderen Mitgliedstaat kontrolliert werden oder kontrolliert werden können, nicht ausreicht, um die Vermutung zu entkräften.51 Andererseits bezeichnete er sog. „Briefkastengesellschaften“ als Parade42 Vgl. nur Kindler (Fn. 2), Art. 3 EuInsVO Rn. 30; Pannen in: Pannen, EuInsVO, 2007, Art. 3 EuInsVO Rn. 50; J. Schmidt, Eurofood 3 years on: The concept of COMI and ordre public revisited, in: Wessels/Omar (eds.), The European Insolvency Regulation: An Update, 2010, S. 19, 20. 43 AG Mönchengladbach NZI 2004, 383 („WHI Ltd.“); AG Saarbrücken ZIP 2005, 727 („HTB-Orange Ltd.“); AG Weilheim ZIP 2005, 1611 („AvCraft International Ltd.“); AG Hamburg ZIP 2005, 2275; LG Leipzig ZInsO 2006, 378. 44 Vgl. Eidenmüller NJW 2004, 3455, 3456 ff.; Haß/Herweg in Haß/Huber/Gruber/Heiderhoff, EU-Insolvenzverordnung (EuInsVO), 2005, Art. 3 Rn. 15; Herchen ZInsO 2004, 826 ff.; Huber FS Heldrich, 2005, S. 679, 691; Kübler FS Gerhardt, 2004, S. 527, 555 et seq.; Lüer FS Greiner, 2005, S. 201, 208; Pannen (Fn. 42), Art. 3 Rn. 54 ff.; Penzlin/Riedemann NZI 2005, 469, 471; Schilling, Insolvenz einer englischen Limited mit Verwaltungssitz in Deutschland, 2006, S. 92 ff.; Weller ZHR 169 (2005) 570, 581 ff. 45 Vgl. schon Schilling/J. Schmidt ZInsO 2006, 113, 118; dies. EWiR 2006, 15, 16. 46 Vgl. dazu näher Fletcher (2005) 18 Insolv. Int. 85 ff.; Huber FS Heldrich, 2005, p. 679, 682 ff.; Lüer FS Greiner, 2005, p. 201, 203 ff.; Moss (2007) 32 Brook. J. Int’l L. 1005, 1010 ff.; Tirado GPR 2005, 39, 41. 47 S. nur den Bericht von Moss (2007) 32 Brook. J. Int’l L. 1005, 1012 über eine Konferenz in Irland; s. ferner auch Braun, NZI 1/2004, V, VI: „Imperial Forumshopping“; für Zurückhaltung mit der Verwendung solcher Schlagworte jedoch etwa Lüer FS Greiner, 2005, S. 201, 213 f. 48 EuGH v. 2.5.2006, Eurofood IFSC Ltd., Rs. C-341/04, Slg. 2006, I-3813. Dazu etwa Bachmann ECFR 2006, 310 ff.; Beale (2006) 21 JIBLR 487 ff.; Dammann D. 2006, 1752 ff.; Duursma-Kepplinger ZIP 2007, 896 ff.; Fach/Tirado GPR 2007, 40, 43 ff.; Freitag/Leible RIW 2006, 641 ff.; Hess/Laukemann/Seagon IPrax 2007, 89 ff.; Mankowski BB 2006, 1753 ff.; Menjucq JCP 2006 II 10089; Paulus NZG 2006, 609 ff.; J. Schmidt ZIP 2007, 405 ff.; Thole ZEuP 2007, 1137, 1140 ff.; Wittwer ELR 2006, 221 ff. 49 EuGH v. 2.5.2006, Eurofood IFSC Ltd., Rs. C-341/04, Slg. 2006, I-3813, Rn. 31. 50 Vgl. J. Schmidt (Fn. 42), S. 19, 21. 51 EuGH v. 2.5.2006, Eurofood IFSC Ltd., Rs. C-341/04, Slg. 2006, I-3813, Rn. 36.

Europäisches Insolvenzrecht: Die EuInsVO

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beispiel für eine Widerlegung.52 In der Probud-Entscheidung v. 21.1.2010 53 hat er diese Leitlinien nochmals bekräftigt – wenn auch wiederum nicht näher spezifiziert. Vor diesem Hintergrund hat sich die paneuropäische Debatte um die richtige 19 Interpretation des COMI bislang nicht erledigt. Während viele „Eurofood“ als eine klare Absage an die „head office functions“-Doktrin verstehen54, halten andere nach wie vor vehement an ihr fest 55 und wollen der Entscheidung teilweise sogar eine implizite Billigung derselben entnehmen56. Zumindest in ihrer Reinform, wonach eine Widerlegung der Vermutung allein auf der Basis von Konzerninterna möglich sein soll, ist die „mind of management“-Theorie aber jedenfalls mit dem vom EuGH angemahnten ausschließlichen Fokus auf objektive und für Dritte feststellbare Kriterien nicht zu vereinbaren.57 Auch die praktische Umsetzung der vom EuGH vorgegebenen Leitlinien durch die nationalen Gerichte divergiert erheblich:58 Auf der einen Seite gibt es Gerichte, welche die Latte für eine Widerlegung der Vermutung extrem hoch

52 EuGH v. 2.5.2006, Eurofood IFSC Ltd., Rs. C-341/04, Slg. 2006, I-3813, Rn. 35. 53 EuGH v. 21.1.2010, MG Probud, Rs. C-477/07, ZIP 2010, 187. Dazu Bayer/J. Schmidt BB 2010, 387, 394; Dammann/Carole-Brisson D. 2011, 498 ff.; d’Avout D. 2010, 2332 f.; Fichtner BB 2010, 532 f.; Mankowski NZI 2010, 178 f.; Mélin Rev. Soc. 2011, 44 ff.; Piekenbrock KTS 2010, 208, 217 ff.; J. Schmidt EWiR 2010, 77 f. 54 So etwa Breuninger/Ernst GmbHR 2009, 861, 863; Freitag/Leible RIW 2006, 641, 643; Hess/Laukemann/Seagon IPrax 2007, 89, 90; Mankowski BB 2006, 1753, 1759; Menjucq JCP 2006.II.10089 („coup d’arrêt“); Pinterich ZfRV 2008, 221, 226; Ringe (2008) 9 EBOR 579, 589; Sarra [2009] 44 Tex. Int’l L. J. 547, 558; Szydlo [2009] EBLR 747, 765; ders. (2010) 11 EBOR 253, 261; Weller ZGR 2008, 835, 855; zurückhaltender, aber ebenfalls zur Vorsicht mahnend: Beale (2006) 21 J.I.B.L.R. 487, 492 („courts must now place less place on where the ‘mind of management’ is located“); Fach/Tirado GPR 2007, 40, 46 ff.; McCormack (2009) 58 Cam. L. J. 169, 188 ff.; Oberhammer KTS 2009, 27, 32 ff.; Omar (2007) 20 Insolv. Int. 7, 9; Rémery Rev. Soc. 2006, 371, 380 ff.; Wittwer ELR 2006, 221, 224; Vallens JCP E 2006, 1120, 1123. 55 Vgl. Moss (2007) 32 Brook. J. Int’l L. 1005, 1016; ders. (2008) 21 Insolv. Int. 118, 120; ders. (2006) 19 Insolv. Int. 97, 99; ders. (2007) 20 Insolv. Int. 20, 22; ders., New World and Old World – Symphony or Cacophony?, in: Wessels/Omar (eds.), The European Insolvency Regulation: An Update, 2010, S. 145, 148 ff.; Moss/Fletcher/Isaacs, The EC Regulation on Insolvency Proceedings, 2. Aufl. 2009, 8.80, 8.89; Paulus (2007) 20 Insolv. Int. 85, 86; ders. (2008) 17 J. Bankr. L. & Prac. 5 Art. 1; ders. NZI 2008, 1, 2; ders. (2007) 42 Tex. Int’l L. J. 819, 824; ders. (2007) 20 Insolv. Int. 85, 86; s. ferner Lienhard D. 2006, 1286, 1287. 56 I.d.S. etwa Moss (2006) 19 Insolv. Int. 97, 99; ders. (2007) 20 Insolv. Int. 20, 22; s. ferner auch Moss, New World and Old World – Symphony or Cacophony?, in: Wessels/Omar (eds.), The European Insolvency Regulation: An Update, 2010, S. 145, 148 ff.; ders. IILR 2011, 237, 238. 57 Vgl. Eidenmüller ECFR 2009, 1, 24; Fach/Tirado GPR 2007, 40, 46 ff.; Freitag/Leible RIW 2006, 641, 643; Pannen (Fn. 42), Art. 3 Rn. 55; Mankowski BB 2006, 1753, 1755; Menjucq JCP 2006.II.10089; Szydlo [2009] EBLR 747, 765; J. Schmidt EWiR 2009, 571, 572; dies. (Fn. 42), S. 19, 23; Thole ZEuP 2007, 1140, 1142; Weller ZGR 2008, 835, 855 f.; Wessels (2009) 6 ECL 169, 171 f. 58 Überblick zur Judikatur bei J. Schmidt ZIP 2007, 405 ff.; dies. (Fn. 42), S. 19, 23 ff. (jeweils m.z.w.N.).

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ansetzen59, auf der anderen Seite finden sich aber auch eine ganze Reihe von veröffentlichten Entscheidungen, die der Vermutung relativ wenig Gewicht beimessen und/ oder weiterhin mehr oder weniger offen dem reinen „head office functions/mind of management“-Ansatz folgen 60. Einige neuere Entscheidungen 61 aus dem UK (immerhin dem „Mutterland“ dieses Ansatzes) – insbesondere die Urteile von High Court 62 und Court of Appeal63 in der Rs. Stanford, die sich explizit vom „head office functions“-Ansatz distanzieren – lassen allerdings erwarten, dass die „reine“ „head office functions/mind of management“-Doktrin bald endgültig begraben sein wird.64 Nach wie vor besteht aber ganz erhebliche Rechtsunsicherheit, die letztlich nur durch eine weitere Präzisierung der COMI-Kriterien durch den EuGH beseitigt werden kann; entsprechende Vorlagen nationaler Gerichte sind jedenfalls bereits anhängig. Vielversprechend sind insofern speziell die Rs. Médiasucre 65 und Interedil 66. Zu letzterer hat GA Kokott am 10.3.2011 bereits ihre Schlussanträge 67 vorgelegt, in denen sie u.a. das COMI-Kriterium überzeugend dahin präzisiert, dass auch Abwicklungstätigkeit einzubeziehen ist 68 und ein bloßes Abstellen auf die – für Dritte oftmals schwer zu erkennende – Belegenheit des wesentlichen Vermögens ausscheidet. 59 So etwa Rechtbank Amsterdam ZIP 2007, 492 („BenQ Mobile“). Dazu Moss (2008) 21 Insolv. Int. 33, 38 f.; Paulus (2007) 20 Insolv. Int. 85 ff.; Sarra [2009] 44 Tex. Int’l L. J. 547, 558; J. Schmidt (Fn. 42), S. 19, 24; Wessels (2007) 20 Insolv. Int. 103 ff. 60 So etwa Tribunal de Commerce de Paris D. 2006, 2329 („Eurotunnel“), dazu J. Schmidt ZIP 2007, 405, 408; dies. (Fn. 42), S. 19, 25 f. (jeweils m.z.w.N.); Re Nortel Networks SA [2009] EWHC 206 (Ch), dazu J. Schmidt (Fn. 42), S. 19, 25 m.w.N.; Re Lennox Holdings Plc [2009] B.C.C. 155, dazu J. Schmidt (Fn. 42), S. 19, 25; Rajak (2009) 248 Co. L.N. 1, 2 f.; Wessels (2009) 6 ECL 169, 170 f. 61 S. neben den Stanford-Urteilen (Fn. 62 f.) etwa auch Hellas II [2009] EWHC 3199 (Ch) = ZIP 2010, 1816, dazu Knof EWiR 2010, 563 f.; Pillar Securitisation S.a.r.l. & Ors v Spicer & Shinners [2010] EWHC 836 (Ch); In the Matter of Gallery Capital S.A. 2010 WL 4777509; mustergültige Anwendung der Eurofood-Kriterien aber etwa auch in Hans Brochier Ltd. v Exner [2006] EWHC 2594 (Ch) = NZI 2007, 187, dazu J. Schmidt ZIP 2007, 405, 407; dies. (Fn. 42), S. 19, 23 f. m.w.N. 62 Re Stanford International Bank Ltd. [2009] EWHC 1441 (Ch), in dem Lewinson J. auf der Basis von Eurofood Grundprinzipien für die Interpretation des COMI-Kriteriums aufstellte und den „head office functions“-Test ausdrücklich aufgab; dazu J. Schmidt EWiR 2009, 571 f.; Fletcher (2010) 23 Insolv. Int. 26 ff.; Wessels IILR 2010, 2 ff.; ders. (2011) 24 Insolv. Int. 17 ff. 63 Re Stanford International Bank Ltd. [2010] EWCA Civ 137. Während der Chancellor und Hughes LJ den von Lewison J. in erster Instanz aufgestellten COMI-Test explizit billigten, sprach sich Arden LJ allerdings explizit für ein Festhalten am „head office functions“-Test aus. 64 Vgl. J. Schmidt EWiR 2009, 571, 572; dies. (Fn. 42), S. 19, 33. 65 Cour de Cassation v. 13.4.2010 („Médiasucre“), n° 09-12642 = ABlEU v. 19.6.2010, C-161/36, anhängig als Rs. C-191/10. 66 Vgl. Tribunale ordinario di Bari v. 12.10.2009 („Interedil“); dazu Bayer/J. Schmidt BB 2010, 387, 394; J. Schmidt EWiR 2010, 77, 78. 67 GA Kokott, Schlussanträge v. 10.3.2011, Interedil, Rs. C-396/09, ZIP 2011, 918 m. Anm. J. Schmidt EWiR 2011, 345 f. 68 So auch AG Hamburg ZIP 2006, 1642; AG Hamburg ZIP 2006, 1105; Kindler (Fn. 2), Art. 3 EuInsVO Rn. 35; Reinhart (Fn. 7), Art. 3 EuInsVO Rn. 36 f. m.w.N.

Europäisches Insolvenzrecht: Die EuInsVO

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Eine etwaige Präzisierung/Modifizierung des Zuständigkeitskriteriums und/oder 20 eine Sonderregelung für Konzerninsolvenzen stehen aber auch ganz oben auf der Agenda für die anstehende Reform der EuInsVO (vgl. dazu allg. o. Rn. 5). Angesichts der ökonomisch-politischen Brisanz der Thematik und des äußerst breiten Spektrums unterschiedlichster Reformvorschläge 69 erscheint es indes alles andere als sicher, ob sich insoweit ein Konsens erzielen lassen wird.

c) COMI von natürlichen Personen Bei natürlichen Personen ist hinsichtlich des COMI zu differenzieren: Bei gewerblich 21 oder selbständig Tätigen befindet sich das COMI nach allg. Meinung am Ort dieser Tätigkeit.70 Bei reinen Privatpersonen oder unselbständig Tätigen wird teils auf den Wohnsitz 71, wohl überwiegend aber auf den gewöhnlichen Aufenthalt 72 abgestellt. Mit Blick auf die Tatsache, dass beide Termini sowohl im europäischen als auch nationalen Kontext jeweils bereits mit ganz spezifischen Bedeutungen belegt sind, spricht indes vieles dafür, das COMI autonom anhand sämtlicher Umstände des Einzelfalls zu bestimmen.73 Auf dieser Linie liegen auch Entscheidungen von BGH 74, Cour de Cassation75 und anderer Gerichte 76, die ebenfalls ausschließlich auf die jeweiligen Gesamtumstände abstellen und eine Festlegung auf die etablierten Termini „Wohnsitz“ bzw. „gewöhnlicher Aufenthalt“ vermeiden. 69 Überblick m.z.w.N. bei J. Schmidt (Fn. 42), S. 19, 28 f., s. ferner auch die Nachweise in Fn. 20. 70 Vgl. BGH ZIP 2011, 284, 286; BGH BeckRS 2009, 88525; BGH BeckRS 2009, 26363; BGH BeckRS 2009, 26500; BGH BeckRS 2006, 8542; LG München I BeckRS 2009, 26607; AG Köln ZIP 2011, 631 f.; OGH v. 16.1.2008 – 8 Ob 134/07z; Kindler (Fn. 2), Art. 3 EuInsVO Rn. 41; Nerlich in: Nerlich/Römermann, InsO, 21. EL 2011, Art. 3 EuInsVO Rn. 7; Reinhart (Fn. 7), Art. 3 EuInsVO Rn. 44; J. Schmidt ZIP 2007, 405 f.; s. ferner auch Virgós/Schmitt (Fn. 2), Rn. 75. 71 So AG Celle NZI 2005, 410, 411. 72 So Stojevic v Komercni Banka AS [2006] EWHC 3447 (Ch) = NZI 2007, 361; Official Receiver v Eichler [2007] B.P.I.R. 1636; Official Receiver v Mitterfellner [2009] B.P.I.R. 1075; LG Göttingen NZI 2008, 191, 192; AG Hildesheim ZIP 2009, 2070, 2071; AG Köln NZI 2009, 133, 134; AG Köln ZIP 2009, 1242, 1243; Haß/Herweg (Fn. 44), Art. 3 Rn. 38; Kindler (Fn. 2), Art. 3 EuInsVO Rn. 38 ff.; Mankowski (Fn. 31), Kap. 47 Rn. 31; Nerlich (Fn. 70), Art. 3 EuInsVO Rn. 7; Wenner/Schuster (Fn. 34), Art. 3 EuInsVO Rn. 7. Vgl. auch Virgós/Schmitt (Fn. 2), Rn. 75 (die deutsche Fassung „gewöhnlicher Wohnsitz“ ist ein Übersetzungsfehler, vgl. englisch „habitual residence“). 73 Vgl. Reinhart (Fn. 7), Art. 3 EuInsVO Rn. 43; s. ferner auch Hergenröder DZWiR 2009, 309, 314 f. 74 BGH NZI 2008, 121; BGH NZI 2006, 297. 75 Cour de Cassation EuLF 2008 II-133; Cour de Cassation EuLF 2008 II-134; Cour de Cassation v. 15.10.2009, n° 08-17383; Cour de Cassation v. 15.2.2011, n° 10-13832 („Schmitt“) (dazu Dammann/Rapp D. 2011, 1738 ff; Lienhard D. 2011, 589). 76 Martin Vlieland-Boddy v Clive Vlieland-Boddy [2005] EWCA Civ 974 = NZI 2005, 571; Geveran Trading Co Ltd v Skjevesland [2003] BPIR 73; Skjevesland v Geveran Trading Co Ltd (No. 4) [2002] EWHC 2898.

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d) Maßgeblicher Zeitpunkt 22 Mangels ausdrücklicher Regelung in der EuInsVO wurde der maßgebliche Zeitpunkt für die Bestimmung des COMI anfänglich unterschiedlich bestimmt: Während in Deutschland überwiegend auf die Antragstellung abgestellt wurde 77, wurde im UK und den Niederlanden meist der Zeitpunkt der Eröffnungsentscheidung für maßgeblich erachtet 78. Der EuGH entschied diesen Streit in seinem Urteil in der Rs. StaubitzSchreiber v. 17.1.2006 79 überzeugend zugunsten des Zeitpunkts der Antragstellung 80. Es gilt also der Grundsatz „perpetuatio fori“81, d.h. eine spätere Verlegung des COMI führt nicht zu einem Zuständigkeitswechsel. Denn ein solcher stünde in diametralem Widerspruch zu den erklärten Zielen der Verhinderung von „forum shopping“ und der Gewährleistung effizienter und wirksamer Insolvenzverfahren, da Gläubiger und Gerichte sonst Gefahr liefen, „ständig hinter zahlungsunfähigen Schuldnern herlaufen“ zu müssen 82; zudem bietet diese Lösung aber vor allem auch höhere Rechtssicherheit für die Gläubiger.83 Im Falle einer Satzungssitzverlegung kommt es somit für die Vermutung des Art. 3 Abs. 1 S. 2 EuInsVO (dazu o. Rn. 16 ff.) auf den letzten Satzungssitz vor Antragstellung an.84 Bei einer gelöschten Gesellschaft ist das letzte COMI vor der Schließung maßgeblich85 (zur Relevanz von Abwicklungstätigkeit für die Bestimmung des COMI bereits o. Rn. 19). 23 Bislang nicht abschließend geklärt ist hingegen die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen eine COMI-Verlegung vor Antragstellung möglicherweise im Einzelfall unter dem Gesichtspunkt des Rechtsmissbrauchs unbeachtlich sein kann.86 77 Vgl. AG Celle NZI 2005, 410; Mankowski NZI 2005, 575, 576. 78 Vgl. Geveran Trading Co Ltd. v Skjevesland [2003] BPIR 73 und [2003] BCC 391; Martin Vlieland-Boddy v Clive Vlieland-Boddy [2005] EWCA Civ 974 = NZI 2005, 571; Hoge Raad v. 9.1.2004, Zaaknr. R03/091HR; Moss (2005) 18 Insolv. Int. 60. 79 EuGH v. 17.1.2006, Susanne Staubitz-Schreiber, Rs. C-1/04, Slg. 2006, I-701. Dazu etwa Bariatti RabelsZ 73 (2009) 629, 634 ff.; Dammann D. 2006, 1752 ff.; Duursma-Kepplinger ZIP 2007, 896 ff.; Eidenmüller KTS 2009, 137, 154 ff.; Fach/Tirado GPR 2007, 40, 41 ff.; Hess/Laukemann JZ 2006, 671 ff.; Kindler IPrax 2006, 114 ff.; Knof/Mock ZIP 2006, 189 ff.; Mankowski NZI 2006, 154 f.; J. Schmidt ZInsO 2006, 88 ff. 80 Im Anschluss an den EuGH auch BGH NZI 2006, 297; BGH NZI 2007, 344; BGH BeckRS 2009, 26363; BGH BeckRS 2008, 24714; AG Hamburg ZIP 2006, 1105, 1106; AG Hamburg ZIP 2009, 1024; AG Köln NZI 2008, 257, 259 f. („PIN II“); AG Hildesheim ZIP 2009, 2070, 2071; Official Receiver v Eichler [2007] B.P.I.R. 1636; Re Stanford International Bank Ltd. [2010] EWCA Civ 137, Rn. 30. 81 Vgl. Kindler (Fn. 2), Art. 3 EuInsVO Rn. 32; Bayer/J. Schmidt BB 2008, 454, 460; J. Schmidt ZInsO 2008, 88 f. 82 So anschaulich GA Colomer, Schlussanträge v. 6.9.2005, Susanne Staubitz-Schreiber, Rs. C-1/04, Slg. 2006, I-701, Rn. 82. 83 Vgl. EuGH v. 17.1.2006, Susanne Staubitz-Schreiber, Rs. C-1/04, Slg. 2006, I-701, Rn. 25 ff. 84 Vgl. GA Kokott, Schlussanträge v. 10.3.2011, Interedil, Rs. C-396/09, ZIP 2011, 918 Rn. 44 ff.; J. Schmidt EWiR 2011, 345, 346. 85 Vgl. GA Kokott, Schlussanträge v. 10.3.2011, Interedil, Rs. C-396/09, ZIP 2011, 918 Rn. 51 ff.; J. Schmidt EWiR 2011, 345, 346. 86 Vgl. zum Meinungsstand: Kindler (Fn. 2), Art. 3 EuInsVO Rn. 34; Nerlich (Fn. 70), Art. 3 EuInsVO Rn. 43 ff.; Reinhart (Fn. 7), Art. 3 EuInsVO Rn. 52 ff. (jeweils m.w.N.); s. fer-

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Relevant wird dies insbesondere im Kontext der teilweise zu beobachtenden Migration insolvenzgefährdeter Unternehmen in eine „vorteilhaftere“ Jurisdiktion.87,88 Doch auch bei natürlichen Personen wird teils ein regelrechter „Restschuldbefreiungstourismus“ beobachtet, wobei die COMI-Verlegung hier offenbar aber vielfach nur vorgetäuscht wird.89

2. Partikularinsolvenzverfahren Zum Schutz von nicht im Hauptinsolvenzverfahrensstaat ansässigen Gläubigern90 24 ermöglicht die EuInsVO die Eröffnung eines oder mehrerer Partikularinsolvenzverfahren in anderen Mitgliedstaaten, deren Wirkungen aber – anders als die des Hauptinsolvenzverfahrens (vgl. o. Rn. 14) – auf das im jeweiligen Eröffnungsstaat belegene Vermögen des Schuldners beschränkt sind (Art. 3 Abs. 2 S. 2, 27 S. 3). Die EuInsVO differenziert dabei zwischen zwei Arten von Partikularinsolvenz- 25 verfahren: Sekundärinsolvenzverfahren, d.h. solche die nach einem Hauptinsolvenzverfahren eröffnet werden (Art. 3 Abs. 3, dazu u. Rn. 27, 61 ff.), und unabhängige Partikularinsolvenzverfahren (dazu u. Rn. 28). Gemeinsame Voraussetzung für die Eröffnung beider Arten von Partikularinsol- 26 venzverfahren ist, dass der Schuldner eine Niederlassung im Gebiet des fraglichen Mitgliedstaats hat (Art. 3 Abs. 2 S. 1). „Niederlassung“ ist nach der Legaldefinition in Art. 2 lit. h jeder Tätigkeitsort, an dem der Schuldner einer wirtschaftlichen Aktivität von nicht vorübergehender Art nachgeht, die den Einsatz von Personal und Ver-

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ner d’Avoine NZI 2011, 310 ff.; Eidenmüller ECFR 2009, 1, 16 ff.; ders. KTS 2009, 137, 151 ff.; Weller ZGR 2008, 835, 848 ff.; ders. ZIP 2009, 2029, 2032 ff.; ausdrücklich offen gelassen von GA Kokott, Schlussanträge v. 10.3.2011, Interedil, Rs. C-396/09, ZIP 2011, 918 Rn. 48, 72; dazu J. Schmidt EWiR 2011, 345, 346. Prominente Fälle sind etwa Deutsche Nickel AG (dazu etwa Vallender NZI 2007, 129, 131 f.) und Schefenacker AG (dazu etwa Aasaru [2011] EBOR 349, 362 f.; Griffith/Helmig NZI 2008, 418, 419 f.), die jeweils ins UK migrierten, sowie die PIN-Gruppe, die ihr COMI von Luxemburg nach Köln verlegte (vgl. dazu J. Schmidt (Fn. 42), S. 19, 25 Fn. 30 m.z.w.N.). Vgl. dazu Aasaru [2011] EBOR 349, 362 ff.; Breuninger/Ernst GmbHR 2009, 861 ff.; Eidenmüller KTS 2009, 137, 151 f.; Paulus NZI 2008, 1, 2; Ringe (2008) 9 EBOR 579, 584 ff.; Rumberg RIW 2010, 358 ff.; Schwemmer NZI 2009, 355 ff.; Vallender NZI 2007, 129, 130 ff.; Weller ZGR 2008, 835, 836 ff.; s. ferner auch Herman „Abuse of pre-pack deals ‘could turn Britain into an insolvency brothel’“, The Times, 18.1.2010 sowie die empirische Untersuchung von Eidenmüller/Frobenius/Prusko NZI 2010, 545 ff. Vgl. dazu Briggs (2010) 23 Insolv. Int. 28 ff.; d’Avoine NZI 2011, 310 ff.; Dammann/Rapp D. 2011, 1738 ff.; Eidenmüller KTS 2009, 137, 152 ff.; Hergenröder DZWiR 2009, 309 ff.; Mankowski KTS 2011, 185, 200 f.; s. ferner auch Amann „Auf der Flucht vor dem Gläubiger“, FAZ v. 22.7.2009, S. 11; typische Fälle etwa BGH ZIP 2011, 284; BGH BeckRS 2009, 26500; Cour de Cassation v. 15.2.2011, n° 10-13832 („Schmitt“). Vgl. Erwägungsgrund 12 S. 3; Virgós/Schmitt (Fn. 2), Rn. 32; Kindler (Fn. 2), Art. 3 EuInsVO Rn. 54 m.w.N.

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mögenswerten voraussetzt.91 Reines Vermögen ohne Organisationsstruktur genügt also nicht.92 I.R.d. Diskussion um Konzerninsolvenzen (dazu bereits o. Rn. 16 ff.) wird teilweise erwogen, auch eine rechtlich selbständige Tochtergesellschaft als „Niederlassung“ i.d.S. zu qualifizieren93; die ganz h.M.94 lehnt dies jedoch mit Blick auf die Regelungssystematik der EuInsVO und insbesondere den bewussten Verzicht auf eine Regelung für Konzerninsolvenzen zu Recht ab. Streng hiervon zu trennen ist indes die Frage, ob über eine Konzerntochter, für die am Sitz der Mutter ein Hauptinsolvenzverfahren eröffnet wurde, an ihrem Satzungssitz (oder ggf. sonstigen Tätigkeitsort i.S.d. Art. 2 lit. h) ein Sekundärinsolvenzverfahren eröffnet werden kann; dies wird allgemein zu Recht bejaht.95 Maßgeblicher Zeitpunkt für das Vorliegen der Niederlassung muss konsequenterweise ebenfalls derjenige der Antragstellung sein (vgl. in Bezug auf das Hauptinsolvenzverfahren o. Rn. 22 ff.). 27 Sekundärinsolvenzverfahren können gem. Art. 3 Abs. 3 S. 2, 27 S. 2 prinzipiell nur in Form von Liquidationsverfahren (abschließende Auflistung in Anh. B) eröffnet werden. Hintergrund ist, dass eine Koordination zwischen Haupt- und Sekundärsanierungsverfahren als kompliziert und technisch schwer realisierbar angesehen wurde.96 Die EuInsVO durchbricht diesen Grundsatz allerdings für den Fall, dass zunächst ein auf Sanierung gerichtetes unabhängiges Partikularinsolvenzverfahren eröffnet wurde und sich dieses dann erst infolge der Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens in ein Sekundärinsolvenzverfahren umwandelt (dazu auch noch u. Rn. 28): Eine Umwandlung in ein Liquidationsverfahren erfolgt dann nur, wenn dies im Interesse der Gläubiger des Hauptinsolvenzverfahrens liegt und der Hauptinsolvenzverwalter einen entsprechenden Antrag bei dem für das Sekundärinsolvenzverfahren zuständigen Gericht stellt (vgl. Art. 36, 37).97 Für die Durchführung von Sekundärinsolvenzverfahren enthalten die Art. 27–38 umfangreiche Verfahrensregelungen, dazu näher u. Rn. 61 ff.

91 Näher Kindler (Fn. 2), Art. 2 EuInsVO Rn. 23 ff.; Reinhart (Fn. 7), Art. 2 EuInsVO Rn. 25 ff. (jeweils m.w.N.). 92 Vgl. GA Kokott, Schlussanträge v. 10.3.2011, Interedil, Rs. C-396/09, ZIP 2011, 918 Rn. 79; BGH ZIP 2011, 389; Kindler (Fn. 2), Art. 2 EuInsVO Rn. 60; Mankowski EWiR 2011, 185 f.; J. Schmidt EWiR 2011, 345, 346; s. ferner auch Virgós/Schmitt (Fn. 2), Rn. 81. 93 Vgl. Nerlich (Fn. 70), Art. 2 EuInsVO Rn. 19; Paulus ZIP 2002, 729, 730. 94 Vgl. OLG Graz NZI 2006, 660, 662; Telia AB v Hilcourt (Docklands) Ltd [2002] EWHC 2377 (Ch); Ehricke EWS 2002, 101, 104 ff.; Eidenmüller ZHR 169 (2005) 528, 562; Heiderhoff in: Haß/Huber/Gruber/Heiderhoff, EuInsVO, 1. Aufl. 2005, Art. 2 Rn. 8; Kindler (Fn. 2), Art. 2 EuInsVO Rn. 28; Mankowski (Fn. 31), Kap. 47 Rn. 67; Moss/ Fletcher/Isaacs (Fn. 55), 8.39; Wenner/Schuster (Fn. 34), Art. 2 EuInsVO Rn. 24. 95 Vgl. AG Köln NZI 2004, 151, 152 („Automold“); AG Düsseldorf NZG 2004, 426, 427 („ISA Daisytek“); LG Klagenfurth NZI 2004, 677, 678 („Zenith“); Heiderhoff (Fn. 94), Art. 2 Rn. 9; Reinhart (Fn. 7), Art. 2 EuInsVO Rn. 32 f.; Wenner/Schuster (Fn. 34), Art. 2 EuInsVO Rn. 25. 96 Vgl. Virgós/Schmitt (Fn. 2), Rn. 221. 97 Vgl. dazu Kindler (Fn. 2), Art. 3 EuInsVO Rn. 63, Art. 27 EuInsVO Rn. 22 f.; Art. 37 EuInsVO Rn. 1 ff.; Reinhart (Fn. 7), Art. 3 EuInsVO Rn. 75, Art. 27 EuInsVO Rn. 20, Art. 37 EuInsVO Rn. 1 ff. (jeweils m.w.N.).

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Unabhängige Partikularinsolvenzverfahren sind gem. Art. 3 Abs. 4 nur in drei 28 Fällen zulässig:98 (1) Wenn ein Hauptinsolvenzverfahren unmöglich ist, weil hierfür die im COMI-Staat geltenden Bedingungen nicht erfüllt sind (lit. a), (2) auf Antrag eines Gläubigers mit Wohnsitz, gewöhnlichem Aufenthalt oder Sitz im Staat der Niederlassung (lit. b Alt. 1), (3) auf Antrag eines Gläubigers, dessen Forderung auf einer sich aus dem Betrieb dieser Niederlassung ergebenden Verbindlichkeit beruht (lit. b Alt. 2).99 Wird später doch noch ein Hauptinsolvenzverfahren eröffnet, so wandelt sich das unabhängige Partikular- gem. Art. 36 in ein Sekundärinsolvenzverfahren um (vgl. auch bereits o. Rn. 26); soweit dies nach dem Verfahrensstand möglich ist, gelten dann die Art. 31–35 (dazu u. Rn. 66 ff.).

3. Annexzuständigkeiten (Art. 3 EuInsVO analog) Die lange umstrittene Frage nach der internationalen Zuständigkeit für Annexverfah- 29 ren 100 wurde vom EuGH in seinem Urteil in der Rs. Deko Marty Belgium v. 12.2. 2009 101 entschieden: Danach erfasst Art. 3 Abs. 1 auch Klagen, die unmittelbar aus diesem Verfahren hervorgehen und in engem Zusammenhang damit stehen 102. Nur diese – auf der Gourdain/Nadler 103-Judikatur zum EuGVÜ (= Vorläufer der EuGVVO) aufbauende – Lösung wird, wie der Gerichtshof überzeugend darlegt, den Zielen der EuInsVO (dazu o. Rn. 2) gerecht, zumal sie auch durch Art. 25 Abs. 1 Unterabs. 2 (dazu noch u. Rn. 55) bestätigt wird.104 Zu den Annexverfahren i.d.S. gehören nach der Deko Marty-Entscheidung insbesondere Insolvenzanfechtungsklagen.105 In der

98 Vgl. auch Erwägungsgrund 17. 99 Näher zum Ganzen Kindler (Fn. 2), Art. 3 EuInsVO Rn. 70 ff.; Reinhart (Fn. 7), Art. 3 EuInsVO Rn. 76 f. 100 Im Schrifttum wurden im Wesentlichen drei Ansätze vertreten: (1) Rekurs auf nationales Recht, (2) Anwendung der EuGVVO, (3) Geltung von Art. 3 EuInsVO (analog); Überblick zum Meinungsstand im Vorlagebeschluss des BGH NJW 2007, 2512. 101 EuGH v. 12.2.2009, Seagon ./. Deko Marty Belgium, Rs. C-339/07, Slg. 2009, I-767. Dazu Bariatti RabelsZ 73 (2009) 629, 657; Bayer/J. Schmidt BB 2010, 387, 393; Fehrenbach IPrax 2009, 492 ff.; Hau KTS 2009, 382 ff.; Längle ÖJZ 2010, 851, 855 f.; Lennarts (2010) 7 ECL 106 ff.; Mankowski/Willemer RIW 2009, 669 ff.; Mock ZInsO 2009, 470 ff.; Mörsdorf-Schulte ZIP 2009, 1456 ff.; Oberhammer FS Koziol, 2010, S. 1239 ff.; Rajak (2009) 254 Co. L. N. 1 ff.; Thole ZEuP 2010, 904 ff.; West (2009) 22 Insolv. Int. 126 f. 102 EuGH v. 12.2.2009, Seagon ./. Deko Marty Belgium, Rs. C-339/07, Slg. 2009, I-767, Rn. 21. 103 EuGH v. 22.2.1979, Gourdain ./. Nadler, Rs. 133/78, Slg. 1979, 733. 104 Vgl. EuGH v. 12.2.2009, Seagon ./. Deko Marty Belgium, Rs. C-339/07, Slg. 2009, I-767, Rn. 22 ff. 105 EuGH v. 12.2.2009, Seagon ./. Deko Marty Belgium, Rs. C-339/07, Slg. 2009, I-767, Rn. 28. Dabei ist irrelevant, ob es sich beim Anfechtungsgegner um eine juristische Person bzw. Gesellschaft oder um eine natürliche Person handelt, vgl. OLG Saarbrücken EuZW 2009, 710 f.

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Rs. Alpenblume 106 qualifizierte der EuGH ferner auch eine Klage auf Rückforderung von Gesellschaftsanteilen, deren Veräußerung wegen Nichtanerkennung des Verwalterhandelns unwirksam war, als insolvenzbezogen. Als weitere Fallgruppen werden im Schrifttum z.B. Feststellungsklagen zur Insolvenztabelle 107 oder Rangstreitigkeiten genannt.108 Nicht erfasst sind dagegen jedenfalls, wie sich aus dem Urteil des EuGH in der Rs. German Graphics 109 ergibt, auf Eigentumsvorbehalt gestützte Klagen des Vorbehaltsverkäufers gegen den insolventen Vorbehaltskäufer. Ebenfalls nicht unter die EuInsVO, sondern die EuGVVO, fällt nach der englischen Entscheidung Byers v Yacht Bull 110 ferner eine Klage auf Feststellung von beneficial ownership (wirtschaftlichem Eigentum), auch wenn alternativ Ansprüche aus ss. 238, 423 IA 1986 (Anfechtungstatbestände für Verfügungen unter Wert) geltend gemacht werden. Das LG Essen hat dem EuGH die Frage vorgelegt, ob die „Deko Marty“-Rspr. auch dann gilt, wenn parallel Ansprüche aus Kapitalersatzrecht geltend gemacht werden und ob sich die internationale Zuständigkeit hierfür dann ggf. ebenfalls nach der EuInsVO richtet.111 30 Bei dieser Annexzuständigkeit handelt es sich – auch wenn dies vom EuGH nicht ausdrücklich entschieden wurde und teilweise bestritten wird 112 – konstruktiv ebenfalls um eine ausschließliche Zuständigkeit.113 31 Obgleich der EuGH sich im Deko Marty-Urteil ausdrücklich nur auf Art. 3 Abs. 1 bezieht, wird man die Annexzuständigkeit zudem konsequenterweise auch auf Art. 3 Abs. 2 ausdehnen müssen.114

106 EuGH v. 2.7.2009, SCT Industri AB ./. Alpenblume AB, Rs. C-111/08, Slg. 2009, I-5655. Dazu Bayer/J. Schmidt BB 2010, 387, 393; Längle ÖJZ 2010, 851, 856 f.; Mankowski NZI 2009, 571 f.; Oberhammer FS Koziol, 2010, S. 1239, 1263 f.; Piekenbrock KTS 2009, 539 ff.; Wessels (2010) 23 Insolv. Int. 22, 24 f. 107 Offen gelassen von BGH NZG 2011, 273 f.; dazu Haas/Vogel NZG 2011, 455, 456. 108 Überblick über weitere mögliche Fallgruppen bei Kindler (Fn. 2), Art. 3 EuInsVO Rn. 91 m.z.w.N. 109 Vgl. EuGH v. 10.9.2009, German Graphics, Rs. C-292/08, Slg. 2009, I-8421, Rn. 32 ff. Dazu Bayer/J. Schmidt BB 2010, 387, 393; Berends NILR 2010, 423, 435 ff.; Brinkmann IPrax 2010, 324 ff.; d’Avout D. 2010, 2332 ff.; Längle ÖJZ 2010, 851, 857 f.; Lüttringhaus/Weber RIW 2010, 45 ff.; Oberhammer IPrax 2010, 317, 324; Wessels (2010) 23 Insolv. Int. 22 ff. 110 Byers v Yacht Bull Corporation [2010] EWHC 133 (Ch). Dazu Smith (2010) 23 Insolv. Int. 102 ff. 111 LG Essen v. 30.9.2010 – 43 O 129/09, BeckRS 2011, 06041; klarstellende Neufassung: LG Essen v. 25.11.2010 – 43 O 129/09, ZIP 2011, 875; anhängig als Rs. C-494/10 (ABlEU v. 29.1.2011, C 30/13) („Hertie“); dazu Nachmann/Kluth GWR 2011, 316049; Riewe NZI 2011, 318, 319. Zur Problematik ferner auch Stoecker/Zschaler NZI 2010, 757 ff. 112 Für eine nur „relativ ausschließliche Zuständigkeit“ etwa GA Colomer, Schlussanträge v. 16.10.2008, Seagon ./. Deko Marty Belgium, Rs. C-339/07, Slg. 2009, I-767, Rn. 64 ff.; für eine Qualifizierung nur als besondere Zuständigkeit auch Thole ZEuP 2010, 904, 917. 113 Ebenso BGH ZIP 2009, 1287, 1288 f.; Lennarts (2010) 7 ECL 106, 110; Mankowski/ Willemer RIW 2009, 669, 675; Mock ZInsO 2009, 470, 472; Oberhammer FS Koziol, 2010, S. 1239, 1259 f. 114 Vgl. Gottwald/Kolman in: Gottwald, Insolvenzrechts-Handbuch, 4. Aufl. 2010, § 130 Rn. 62; Kindler (Fn. 2), Art. 3 EuInsVO Rn. 85; Mock ZInsO 2009, 470, 474.

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Die örtliche Zuständigkeit deutscher Gerichte für solche Annexverfahren ergibt 32 sich nach dem Deko Marty-Folgeurteil des BGH aus § 19a ZPO i.V.m. § 3 InsO, Art. 102 § 1 EGInsO.115

IV. Anwendbares Recht 1. Grundsatz: lex fori concursus Gem. Art. 4 Abs. 1 gilt für das Insolvenzverfahren und seine Wirkungen grundsätz- 33 lich das Recht des Eröffnungsstaates (sog. lex fori concursus); diese Grundregel gilt nicht nur für Haupt-, sondern auch für Sekundär- und unabhängige Partikularinsolvenzverfahren116. Es handelt sich um eine Sachnormverweisung, d.h. ein Renvoi ist ausgeschlossen.117 Ratio für den damit erzeugten grundsätzlichen Gleichlauf von internationaler Zuständigkeit und anwendbarem Recht ist neben Gründen der Rechtssicherheit, Praktikabilität und Prozessökonomie insbesondere auch die Verhinderung von Forum Shopping (vgl. Erwägungsgrund 4).118 Die Begriffe „Insolvenzverfahren und seine Wirkungen“ sind autonom auszule- 34 gen.119 Zur Erleichterung enthält Art. 4 Abs. 2 einen nicht erschöpfenden120 Katalog von erfassten Materien. Dennoch verbleiben aber eine Vielzahl von Auslegungs- und Abgrenzungs- 35 problemen. Aus deutscher Sicht gehören dazu insbesondere das Recht der Gesellschafterdarlehen121, Ansprüche aus Existenzvernichtungshaftung122 sowie Insolvenzantragspflicht und Insolvenzverschleppungshaftung123. 115 BGH ZIP 2009, 1287. Dazu Fehrenbach IPrax 2009, 492, 497 f.; Hau KTS 2009, 382, 385 f.; Mock NZI 2009, 534 f.; Mörsdorf-Schulte ZIP 2009, 1456 ff. 116 Vgl. Kindler (Fn. 2), Art. 4 EuInsVO Rn. 2; Reinhart (Fn. 7), Art. 4 EuInsVO Rn. 1; Moss/Fletcher/Isaacs (Fn. 55), 8.162; Nerlich (Fn. 70), Art. 4 EuInsVO Rn. 1; Virgós/ Schmitt (Fn. 2), Rn. 89. Für Sekundärinsolvenzverfahren wird dies durch Art. 28 nochmals explizit klargestellt, vgl. Virgós/Schmitt (Fn. 2), Rn. 225; Kindler (Fn. 2), Art. 28 EuInsVO Rn. 2. 117 Vgl. Kindler (Fn. 2), Art. 4 EuInsVO Rn. 1; Moss/Fletcher/Isaacs (Fn. 55), 8.164; Reinhart (Fn. 7), Art. 4 EuInsVO Rn. 1; Nerlich (Fn. 70), Art. 4 EuInsVO Rn. 1; Virgós/ Schmitt (Fn. 2), Rn. 87. 118 Vgl. Kindler (Fn. 2), Art. 4 EuInsVO Rn. 4 f. m.w.N. 119 Statt aller: Reinhart (Fn. 7), Art. 4 EuInsVO Rn. 2. 120 Vgl. EuGH v. 21.1.2010, MG Probud, Rs. C-477/07, ZIP 2010, 187, Rn. 25; Virgós/ Schmitt (Fn. 2), Rn. 91; Kindler (Fn. 2), Art. 4 EuInsVO Rn. 14; Moss/Fletcher/Isaacs (Fn. 55), 8.169; Reinhart (Fn. 7), Art. 4 EuInsVO Rn. 13. 121 Überblick zur Problematik nach „altem“ und „neuem“ deutschen Recht bei Bayer in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 17. Aufl. 2009, Anh II zu § 4a Rn. 16 m.w.N. Die neuen §§ 39 Abs. 1 Nr. 5, 44a, 135 InsO sollen nach dem erklärten Willen des Gesetzgebers (vgl. BegrRegE z. MoMiG, BR-Drs. 354/07, S. 58), der überwiegenden Ansicht im Schrifttum (vgl. etwa Hirte in: Uhlenbruck, InsO, 13. Aufl. 2010, Rn. 60; Huber Beil. ZIP 39/2010, 7, 12; Mankowski NZI 2010, 1004; K. Schmidt Beil. ZIP 39/2010, 15, 25) und ersten instanzgerichtlichen Entscheidungen (OLG Köln ZIP 2010, 2016 [zu § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO]; AG Hamburg NZG 2009, 131, 132 [zu § 135 InsO]; tendenziell auch OLG

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2. Sonderanknüpfungen 36 Vor dem Hintergrund, dass die lex fori concursus mit den Vorschriften anderer Mitgliedstaaten für die Vornahme von Rechtshandlungen kollidieren kann, sehen die Art. 5–15 allerdings im Interesse der Gewährleistung von Vertrauensschutz und Rechtssicherheit eine ganze Reihe von Sonderregelungen und Sonderanknüpfungen vor.124 37 Gem. Art. 5 Abs. 1 bleiben dingliche Rechte Dritter (nicht abschließende Auflistung von Beispielen in Abs. 2) an Gegenständen, die sich z.Z. der Verfahrenseröffnung in einem anderen Mitgliedstaat als dem Eröffnungsstaat befinden, unberührt; Gleiches gilt gem. Abs. 3 für publizitätsabhängige Anwartschaftsrechte.125 Ratio ist die essentielle Bedeutung von Sicherungsrechten im Kreditbereich; insoweit soll der Wirtschaftsverkehr im Belegenheitsstaat geschützt werden.126 Abs. 4 macht allerdings eine Rückausnahme für die Fälle des Art. 4 Abs. 2 S. 2 lit. m; denn wenn das Sicherungsrecht durch eine gläubigerbenachteiligende Handlung eingeräumt wurde, fehlt die Schutzwürdigkeit.127 38 Art. 7 enthält eine Sonderregelung für die Behandlung eines Eigentumsvorbehalts im Falle der Insolvenz von Käufer (Abs. 1) oder Verkäufer (Abs. 2),128 mit der das Vertrauen der Parteien darauf, dass sie ihre Rechte aus dem vereinbarten Eigentumsvorbehalt auch noch in der Insolvenz des anderen Vertragsteils geltend machen können, geschützt werden soll 129. 39 Die Sonderregelung des Art. 6 für die Aufrechnung soll das Vertrauen des Gläubigers in die Aufrechenbarkeit seiner Forderung schützen130: Selbst wenn eine Aufrechnung nach der lex fori concursus unzulässig wäre, darf der Gläubiger (vorbehalt-

122 123 124 125 126 127 128 129 130

Naumburg BeckRS 2010, 29926) insolvenzrechtlich zu qualifizieren sein; s. ferner nun tendenziell obiter auch BGH ZIP 2011, 1775, 1778. Im Schrifttum werden hiergegen jedoch teilweise Bedenken geltend gemacht (vgl. etwa Eidenmüller, FS Canaris II, 2007, S. 49, 68; Zahrte ZInsO 2009, 223 ff.). Letztlich erscheint jedenfalls nicht völlig ausgeschlossen, dass der EuGH – dem die letztverbindliche Entscheidung obliegt – die Vorschriften doch als gesellschaftsrechtlich qualifizieren bzw. ihre Anwendung auch auf Auslandsgesellschaften als Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit werten könnte (vgl. auch Bayer a.a.O. sowie bereits J. Schmidt (2007) 18 ICCLR 306, 310). Zur Problematik nur Bayer (Fn. 121), Anh II zu § 4a Rn. 41 m.w.N. Zur Problematik nur Bayer (Fn. 121), Anh II zu § 4a Rn. 62 m.w.N. Vgl. Erwägungsgrund 24; Virgós/Schmitt (Fn. 2), Rn. 92; Deipenbrock RIW 2001, 113, 116; Huber ZZP 114 (2001) 133, 152. Näher Kindler (Fn. 2), Art. 5 EuInsVO Rn. 3 ff.; Reinhart (Fn. 7), Art. 5 EuInsVO Rn. 2 ff. m.w.N. Vgl. Erwägungsgrund 25; Virgós/Schmitt (Fn. 2), Rn. 97; BGH WM 2011, 940, 942; Kindler (Fn. 2), Art. 5 EuInsVO Rn. 1 f. Vgl. dazu Kindler (Fn. 2), Art. 5 EuInsVO Rn. 29 f.; Reinhart (Fn. 7), Art. 5 EuInsVO Rn. 16. Näher dazu Kindler (Fn. 2), Art. 7 EuInsVO Rn. 1 ff.; Reinhart (Fn. 7), Art. 7 EuInsVO Rn. 1 ff. m.w.N. Vgl. EuGH v. 10.9.2009, German Graphics, Rs. C-292/08, Slg. 2009, I-8421, Rn. 35; Kindler (Fn. 2), Art. 7 EuInsVO Rn. 3; Virgós/Schmitt (Fn. 2), Rn. 112 ff. Vgl. Erwägungsgrund 26; Virgós/Schmitt (Fn. 2), Rn. 109; Reinhart (Fn. 7), Art. 6 EuInsVO Rn. 1.

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lich der Rückausnahme für Fälle des Art. 4 Abs. 2 S. 2 lit. m) aufrechnen, wenn und soweit das Statut der Hauptforderung eine Aufrechnung zulässt.131 Art. 8–10 enthalten Sonderregeln betreffend die Wirkung des Insolvenzverfahrens 40 auf bestimmte Vertragstypen. Für Verträge, die zum Erwerb oder zur Nutzung unbeweglicher Gegenstände berechtigen, gilt insoweit – als Ausdruck des Prinzips des engsten Bezugs und um den Interessen des Lageorts gerecht zu werden 132 – ausschließlich die lex rei sitae.133 Für Rechte und Pflichten der Mitglieder eines Zahlungs-/Abwicklungssystems oder Finanzmarkts gilt gem. Art. 9 das auf das System bzw. den Markt anwendbare Recht (unberührt bleibt aber Art. 5, dazu o. Rn. 37);134 Ratio sind Vertrauensschutz für die System-/Marktteilnehmer und die Wahrung der Effektivität solcher Systeme 135. Für Arbeitsverträge gilt gem. Art. 10 im Interesse des Schutzes von Arbeitnehmern und Arbeitsverhältnissen136 ausschließlich das – gem. Art. 8 Rom I-VO zu bestimmende – Arbeitsvertragsstatut.137 Die Wirkungen des Insolvenzverfahrens auf eintragungspflichtige Rechte rich- 41 ten sich gem. Art. 11 nach dem Recht des Registerstaats (lex libri sitae);138 damit soll das Vertrauen in solche Register gesichert und Kollisionen mit dem Recht des Registerstaats (speziell dem numerus clausus der Sachenrechte) vermieden werden139. Für Gemeinschaftspatente und -marken und ähnliche durch Gemeinschaftsvorschriften begründete Rechte bestimmt Art. 12 mit Rücksicht auf deren besonderen Charakter, dass sie nur in ein Hauptinsolvenzverfahren einbezogen werden können.140 Art. 13 etabliert in Bezug auf gläubigerbenachteiligende Rechtshandlungen eine 42 Vertrauensschutzregelung für den Fall, dass die an sich gem. Art. 4 Abs. 2 S. 2 lit. m geltende lex fori concursus und die lex causae auseinanderfallen: Sofern der Gläubiger nachweisen kann, dass die Rechtshandlung nach der lex causae nicht angreifbar ist, ist die Anfechtung gesperrt.141 131 Näher dazu Kindler (Fn. 2), Art. 6 EuInsVO Rn. 2 ff.; Reinhart (Fn. 7), Art. 6 EuInsVO Rn. 3 ff. m.w.N.; s. ferner zum Ganzen auch Gruschinske EuZW 2011, 171 ff. 132 Vgl. Virgós/Schmitt (Fn. 2), Rn. 118; Huber (Fn. 16), Art. 8 Rn. 2. 133 Näher dazu Kindler (Fn. 2), Art. 8 EuInsVO Rn. 1 ff.; Reinhart (Fn. 7), Art. 8 EuInsVO Rn. 1 ff. m.w.N. 134 Näher dazu Kindler (Fn. 2), Art. 9 EuInsVO Rn. 1 ff.; Reinhart (Fn. 7), Art. 9 EuInsVO Rn. 1 ff. m.w.N. 135 Vgl. Erwägungsgrund 27; Virgós/Schmitt (Fn. 2), Rn. 120; Kindler (Fn. 2), Art. 9 EuInsVO Rn. 3. 136 Vgl. Erwägungsgrund 28; Virgós/Schmitt (Fn. 2), Rn. 125; LAG Frankfurt ZIP 2011, 289, 291 m. Anm. Mankowski NZI 2011, 206 f. und J. Schmidt EWiR 2011, 215 f.; Kindler (Fn. 2), Art. 9 EuInsVO Rn. 2. 137 Näher dazu Kindler (Fn. 2), Art. 10 EuInsVO Rn. 1 ff.; Reinhart (Fn. 7), Art. 10 EuInsVO Rn. 1 ff. m.w.N. 138 Näher dazu Kindler (Fn. 2), Art. 11 EuInsVO Rn. 1 ff.; Reinhart (Fn. 7), Art. 11 EuInsVO Rn. 1 ff. m.w.N. 139 Vgl. Virgós/Schmitt (Fn. 2), Rn. 130; Kindler (Fn. 2), Art. 11 EuInsVO Rn. 2; Reinhart (Fn. 7), Art. 11 EuInsVO Rn. 1. 140 Näher dazu Kindler (Fn. 2), Art. 12 EuInsVO Rn. 1 ff.; Reinhart (Fn. 7), Art. 12 EuInsVO Rn. 1 ff. m.w.N. 141 Näher dazu Kindler (Fn. 2), Art. 13 EuInsVO Rn. 1 ff.; Reinhart (Fn. 7), Art. 13 EuInsVO Rn. 1 ff. m.w.N.

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Zum Schutz des entgeltlichen Dritterwerbers bestimmt Art. 14, dass sich die Wirksamkeit von Rechtshandlungen, mit denen der Insolvenzschuldner nach Verfahrenseröffnung über unbewegliche Gegenstände oder registereintragungspflichtige Schiffe, Luftfahrzeuge oder Wertpapiere verfügt, ausschließlich nach der lex rei sitae bzw. lex libri sitae bestimmt.142 44 Während Art. 4 Abs. 2 S. 2 lit. f explizit klarstellt, dass hinsichtlich der Wirkungen des Insolvenzverfahrens auf Rechtsverfolgungsmaßnahmen einzelner Gläubiger die lex fori concursus gilt 143, etabliert Art. 15 eine Sonderanknüpfung für die Wirkungen auf anhängige Rechtsstreitigkeiten: Nach dem Prinzip der engsten Verbindung 144 und um den Gerichten eine Auseinandersetzung mit ausländischem Prozessrecht zu ersparen145, gilt insoweit ausschließlich146 die lex fori.147 „Rechtsstreit“ i.S.d. Norm ist nach h.M. auch ein Schiedsverfahren.148 43

V. Gegenseitige Anerkennung von Insolvenzverfahren 1. Anerkennung und Wirkungen der Eröffnungsentscheidung a) Automatische Anerkennung und Wirkungserstreckung 45 „Herzstück“149 der EuInsVO ist die automatische Anerkennung EU-ausländischer Insolvenzeröffnungsbeschlüsse: Gem. Art. 16 Abs. 1, 17 Abs. 1 wird die Entscheidung über die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens in einem Mitgliedstaat in allen anderen Mitgliedstaaten ipso iure (d.h. ohne Exequatur oder sonstige Überprü-

142 Näher dazu Kindler (Fn. 2), Art. 14 EuInsVO Rn. 1 ff.; Reinhart (Fn. 7), Art. 14 EuInsVO Rn. 1 ff. m.w.N. 143 Vgl. dazu auch EuGH v. 21.1.2010, MG Probud, Rs. C-477/07, ZIP 2010, 187, Rn. 25. 144 Vgl. Kindler (Fn. 2), Art. 15 EuInsVO Rn. 2. 145 Vgl. OLG Köln ZIP 2007, 2287; s. ferner auch Kindler (Fn. 2), Art. 15 EuInsVO Rn. 2. 146 D.h. insbesondere eine Prozessunterbrechung kann auch dann erfolgen, wenn die lex fori concursus dies nicht vorsieht, vgl. OGH IPrax 2007, 225, 226; Moss/Fletcher/Isaacs (Fn. 55), 8.249. 147 Näher dazu Kindler (Fn. 2), Art. 15 EuInsVO Rn. 1 ff.; Reinhart (Fn. 7), Art. 15 EuInsVO Rn. 1 ff. m.w.N. 148 Vgl. Syska v Vivendi Universal S.A. [2008] EWHC 2155 (Comm.), bestätigt durch [2009] EWCA Civ 677; Geimer in: Geimer/Schütze, Europäisches Zivilverfahrensrecht, 3. Aufl. 2010, Art. 15 EuInsVO Rn. 6; Kindler (Fn. 2), Art. 15 EuInsVO Rn. 3; Reinhart (Fn. 7), Art. 15 EuInsVO Rn. 4; Moss/Fletcher/Isaacs (Fn. 55), 8.242, 8.252 f.; Nacimiento/Biner NJOZ 2009, 4752, 4759 f. Problematisch ist aber, ob hierzu auch die Auswirkungen der Insolvenz auf die Parteifähigkeit im Schiedsverfahren zählen (so High Court und CA im Fall Syska v Vivendi Universal S.A., a.a.O.; Kasolowsky/Steup IPrax 2010, 180, 183; Mankowski ZIP 2010, 2478, 2484; Nacimiento/Biner NJOZ 2009, 4752, 4760) oder ob insoweit das Personalstatut maßgeblich ist (so im Syska-Fall das Schweizerische Bundesgericht ZIP 2010, 2478 [das freilich nicht auf Basis der EuInsVO entschied]); vgl. zum Ganzen ferner auch Fletcher (2009) 22 Insolv. Int. 60 ff. sowie ausf. und überzeugend Mankowski ZIP 2010, 2478 ff. 149 Vgl. Leible/Staudinger KTS 2000, 533, 560.

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fung 150, vgl. auch u. Rn. 46) anerkannt, sobald sie im Staat der Verfahrenseröffnung wirksam ist (sog. Prioritätsprinzip);151 eine Ausnahme ist nur in den engen Grenzen des ordre public-Vorbehalts des Art. 26 (dazu u. Rn. 58 ff.) zulässig152. Basis des damit geltenden Prioritätsprinzips ist – ausweislich Erwägungsgrund 22 – 46 der Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens.153 Diesem ist es – wie der EuGH in den Urteilen Eurofood und Probud betont hat 154 – inhärent, dass die Gerichte bei der Prüfung ihrer internationalen Zuständigkeit alle wesentlichen Verfahrensgarantien beachten, andererseits aber die Gerichte anderer Mitgliedstaaten nicht befugt sind, die vom zuerst eröffnenden Gericht angestellte Beurteilung nochmals zu überprüfen. Sofern einer der Beteiligten der Auffassung ist, dass das eröffnende Gericht seine internationale Zuständigkeit zu Unrecht angenommen hat, muss er sich vielmehr der nach dem Recht des Eröffnungsstaats statthaften Rechtsbehelfe bedienen.155 Sobald aber ein Hauptinsolvenzverfahren wirksam eröffnet ist (egal ob zu Recht oder zu Unrecht), kann in einem anderen Mitgliedstaat nur noch ein Sekundärinsolvenzverfahren eröffnet werden (vgl. auch Art. 16 Abs. 2). Eine gleichwohl erfolgende (nochmalige) Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens ist unwirksam und entfaltet von Anfang an keinerlei Rechtswirkungen.156 Dies gilt insbesondere auch dann, wenn sie in (fahrlässiger) Unkenntnis der ersten Eröffnungsentscheidung erfolgt.157 In der Rs. Probud hat der EuGH unmissverständlich entschieden, dass Ausnahmen vom fundamentalen Prinzip der automatischen Anerkennung nur in den in der EuInsVO ausdrücklich vorgesehenen Fällen (Sekundärinsolvenzverfahren, Sonderanknüpfungen gem. Art. 5–15, Nichtanerkennungsgründe der Art. 25 Abs. 3 und 26 [vgl. dazu noch Rn. 48, 57 ff.]) zulässig sind 158 und sämtliche nicht hiervon gedeckte mitgliedstaatliche Entscheidungen und Maßnahmen ipso iure unwirksam

150 Vgl. Kindler (Fn. 2), Art. 16 EuInsVO Rn. 19; Moss/Fletcher/Isaacs (Fn. 55), 8.255; Reinhart (Fn. 7), Art. 17 EuInsVO Rn. 9. 151 Vgl. EuGH v. 2.5.2006, Eurofood IFSC Ltd., Rs. C-341/04, Slg. 2006, I-3813, Rn. 39; EuGH v. 21.1.2010, MG Probud, Rs. C-477/07, ZIP 2010, 187, Rn. 26. 152 Vgl. EuGH v. 2.5.2006, Eurofood IFSC Ltd., Rs. C-341/04, Slg. 2006, I-3813, Rn. 61; EuGH v. 21.1.2010, MG Probud, Rs. C-477/07, ZIP 2010, 187, Rn. 31 ff. 153 Vgl. EuGH v. 2.5.2006, Eurofood IFSC Ltd., Rs. C-341/04, Slg. 2006, I-3813, Rn. 39; EuGH v. 21.1.2010, MG Probud, Rs. C-477/07, ZIP 2010, 187, Rn. 27. 154 EuGH v. 2.5.2006, Eurofood IFSC Ltd., Rs. C-341/04, Slg. 2006, I-3813, Rn. 41 f.; EuGH v. 21.1.2010, MG Probud, Rs. C-477/07, ZIP 2010, 187, Rn. 29. 155 EuGH v. 2.5.2006, Eurofood IFSC Ltd., Rs. C-341/04, Slg. 2006, I-3813, Rn. 43. 156 Vgl. (jeweils für Eröffnung in Kenntnis der ausländischen Eröffnungsentscheidung): BGH ZIP 2008, 1338; BGH ZIP 2008, 2029; Commandeur in: Nerlich/Römermann, InsO, 21. EL 2011, Art. 102 § 4 EGInsO Rn. 10 f.; Kindler (Fn. 2), Art. 102 § 4 EGInsO Rn. 7; Lüer in: Uhlenbruck, InsO, 13. Aufl. 2010, Art. 102 § 4 EGInsO Rn. 10. 157 Vgl. Fehrenbach IPrax 2009, 51, 53 f.; J. Schmidt EWiR 2008, 491, 492; s. ferner auch Commandeur (Fn. 156), Art. 102 § 4 EGInsO Rn. 10 f. sowie offenbar auch der High Court in Re Eurodis Electron Plc [2011] EWHC 1025 (Ch); a.A. Herchen EWiR 2009, 17, 18. 158 EuGH v. 21.1.2010, MG Probud, Rs. C-477/07, ZIP 2010, 187, Rn. 47.

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sind 159.160 Damit ist insbesondere auch Art. 102 § 4 Abs. 2 EGInsO, wonach die Aufhebung der Verfahrenseröffnung nur ex nunc wirken soll, kraft Anwendungsvorrangs des Unionsrechts (dazu allg. § 3 Rn. 1 ff.) unanwendbar.161 47 Von entscheidender Bedeutung ist damit insbesondere auch, wann eine „Eröffnung eines Insolvenzverfahrens“ i.S.d. Art. 16 Abs. 1, 17 Abs. 1 vorliegt. Der EuGH hat hierzu in Eurofood entschieden, dass hierunter jede Entscheidung fällt, die – unabhängig von ihrer formalen Bezeichnung – folgende drei Kriterien erfüllt: (1) Sie ergeht infolge eines auf die Insolvenz des Schuldners gestützten Antrags auf Eröffnung eines in Anhang A genannten Verfahrens, (2) sie hat den Vermögensbeschlag gegen den Schuldner zur Folge (d.h. der Schuldner verliert die Befugnisse zur Verwaltung seines Vermögens), und (3) durch sie wird ein in Anhang C genannter Verwalter – auch wenn es sich dabei nur um einen vorläufigen Verwalter handelt – bestellt.162 Aus deutscher Perspektive genügt damit nach h.M. nicht nur die Bestellung eines „starken“ 163, sondern auch eines „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwalters 164. b) Wirkungen der Anerkennung aa) Allgemeine Wirkung 48 Gem. Art. 17 Abs. 1 entfaltet die Eröffnungsentscheidung in jedem Mitgliedstaat automatisch diejenigen Wirkungen, die das Recht des Staats der Verfahrenseröffnung dem Verfahren beilegt. Ausnahmen von dieser Wirkungserstreckung sieht die EuInsVO 159 Vgl. EuGH v. 21.1.2010, MG Probud, Rs. C-477/07, ZIP 2010, 187, Rn. 44 („konnten … nicht rechtswirksam … anordnen“). 160 Vgl. Mankowski NZI 2010, 178, 179; J. Schmidt EWiR 2010, 77, 78; Suppliet NotBZ 2010, 137, 138; abw. jedoch Piekenbrock KTS 2010, 208, 221 sowie offenbar auch Lüttringhaus/Weber WuB VII C. Art. 16 EuInsVO 1.10. 161 Vgl. Commandeur (Fn. 156), Art. 102 § 4 EGInsO Rn. 10 f.; Fehrenbach IPrax 2009, 51, 53 f.; J. Schmidt EWiR 2008, 491, 492; s. ferner auch schon Weller IPrax 2004, 412, 417; zumindest für den Fall der Kenntnis des eröffnenden Gerichts von der Hauptinsolvenzverfahrenseröffnung im Ausland auch: BGH ZIP 2008, 1338; BGH ZIP 2008, 2029; Kindler (Fn. 2), Art. 102 § 4 EGInsO Rn. 7; Lüer (Fn. 156), Art. 102 § 4 EGInsO Rn. 10 f.; Mankowski NZI 2008, 575 f. 162 EuGH v. 2.5.2006, Eurofood IFSC Ltd., Rs. C-341/04, Slg. 2006, I-3813, Rn. 54 ff. 163 Jedenfalls „starker“ vorläufiger Insolvenzverwalter genügt: OLG Innsbruck ZIP 2008, 1648; AG Köln NZI 2009, 133, 135; AG Köln ZIP 2009, 1242, 1243 f.; Paulus NZG 2006, 609, 613; a.A. Smid NZI 2009, 150 ff. 164 Vgl. LG Patra ZIP 2007, 1875; Nerlich (Fn. 70), Art. 16 EuInsVO Rn. 9; Herchen NZI 2006, 435, 437; Oberhammer KTS 2009, 27, 54 f.; Reinhart NZI 2009, 73, 74; J. Schmidt ZIP 2007, 405, 406; s. ferner auch schon Schilling/J. Schmidt ZInsO 2006, 113, 114 f.; differenzierend Freitag/Leible RIW 2006, 641, 646; Hess/Laukemann/Seagon IPrax 2007, 89, 94; Knof/Mock ZIP 2006, 911, 912; Mankowski BB 2006, 1753, 1757; Saenger/Klockenbrink EuZW 2006, 363, 366; Thole ZEuP 2007, 1137, 1146; a.A.: Cour d’appel de Colmar D. 2010, 1262 = ZIP 2010, 1460 (allerdings ohne jegliche Bezugnahme auf Eurofood, dazu kritisch Mankowski EWiR 2010, 453, 454; ders. IILR 2011, 109, 110 f.); Brinkmann IPrax 2007, 235, 236; Vallens D. 2010, 1263, 1265; kritisch auch Paulus EWiR 2008, 653, 654; s. ferner auch Hans Brochier Ltd. v Exner [2006] EWHC 2594 (Ch) (allerdings nur obiter).

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nur in zwei Fallgruppen vor: 165 (1) i.R.d. Sonderanknüpfungen der Art. 5–15 (dazu o. Rn. 36 ff.) und (2) im Falle der Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens; dann erstrecken sich die Wirkungen des Hauptinsolvenzverfahrens nicht auf diesen Mitgliedstaat (Art. 17 Abs. 2) 166, die EuInsVO sieht jedoch umfangreiche Regelungen zur Koordinierung von Haupt- und Sekundärinsolvenzverfahren vor, dazu u. Rn. 65 ff.

bb) Befugnisse des Hauptinsolvenzverwalters Wesentliches Element des Systems der automatischen Anerkennung 167 ist ferner, dass 49 sich auch die Befugnisse des Hauptinsolvenzverwalters – wie sich bereits aus Art. 4 Abs. 2 S. 2 lit. c ergibt, in Art. 18 Abs. 1 S. 1 aber nochmals explizit klargestellt wird168 – nach dem Recht des Staats der Eröffnung des Hauptinsolvenzverfahrens (lex fori concursus generalis) richten. Dieser Grundsatz wird allerdings in mehrfacher Hinsicht eingeschränkt:169 50 (1) Durch die Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens (Art. 18 Abs. 1 Hs. 2 Alt. 1; der Hauptinsolvenzverwalter hat aber nach Art. 31 ff. erhebliche Eingriffsmöglichkeiten [näher u. Rn. 65 ff.]; (2) durch entgegenstehende vorläufige Sicherungsmaßnahmen (Art. 18 Abs. 1 Hs. 2 Alt. 2); (3) durch die Art. 5 und 7 (dazu o. Rn. 37 f.) in Bezug auf das Recht zur Entfernung von Massegegenständen aus dem Gebiet anderer Mitgliedstaaten (Art. 18 Abs. 1 S. 2); (4) durch das Recht des Mitgliedstaats, in dessen Territorium er tätig werden will (Art. 18 Abs. 3). Art. 19 erleichtert dem Hauptinsolvenzverwalter den Nachweis seiner Bestellung 51 und damit seiner Handlungsbefugnisse.170

cc) Gewährleistung der Gläubigergleichbehandlung Art. 20 zielt darauf ab, auch im grenzüberschreitenden Rahmen den Grundsatz der 52 Gläubigergleichbehandlung zu gewährleisten: 171 Abs. 1 gibt dem Hauptinsolvenzverwalter vorbehaltlich der Art. 5 und 7 (dazu o. Rn. 37 f.) einen Herausgabeanspruch, wenn ein Gläubiger nach Verfahrenseröffnung noch etwas aus der Masse erlangt hat; Abs. 2 ordnet eine konsolidierte Berechnung der Quote an, wenn ein Gläubiger seine Forderung in mehreren Verfahren anmeldet (dazu noch u. Rn. 68, 73).172 165 Vgl. EuGH v. 21.1.2010, MG Probud, Rs. C-477/07, ZIP 2010, 187, Rn. 42 ff.; Kindler (Fn. 2), Art. 16 EuInsVO Rn. 20 f.; Reinhart (Fn. 7), Art. 17 EuInsVO Rn. 10 f.; J. Schmidt EWiR 2010, 77, 78. 166 Näher zu Art. 17 Abs. 2: Kindler (Fn. 2), Art. 17 EuInsVO Rn. 12 ff. m.w.N. 167 Vgl. Virgós/Schmitt (Fn. 2), Rn. 160; Kindler (Fn. 2), Art. 18 EuInsVO Rn. 2. 168 Vgl. Kindler (Fn. 2), Art. 18 EuInsVO Rn. 4; Reinhart (Fn. 7), Art. 18 EuInsVO Rn. 1. 169 Näher dazu Kindler (Fn. 2), Art. 18 EuInsVO Rn. 10 ff.; Reinhart (Fn. 7), Art. 18 EuInsVO Rn. 11 ff. (jeweils m.z.w.N.). 170 Näher Kindler (Fn. 2), Art. 19 EuInsVO Rn. 1 ff. m.w.N. 171 Vgl. Virgós/Schmitt (Fn. 2), Rn. 171; Kindler (Fn. 2), Art. 20 EuInsVO Rn. 1. 172 Näher dazu Kindler (Fn. 2), Art. 20 EuInsVO Rn. 1 ff.; Reinhart (Fn. 7), Art. 20 EuInsVO Rn. 1 ff.

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c) Publizität 53 Im Interesse eines „Schutzes durch Publizität“ für den Rechts- und Wirtschaftsverkehr 173 räumt die EuInsVO dem Verwalter das Recht ein, die Bekanntmachung (Art. 21) und Registereintragung (Art. 22) der Eröffnung eines Verfahrens in den anderen Mitgliedstaaten auch dann herbeizuführen, wenn der jeweilige Mitgliedstaat von seinem Recht, eine solche obligatorisch zu verlangen (vgl. jeweiliger Abs. 2 174), keinen Gebrauch gemacht hat (jeweiliger Abs. 1). Der deutsche Gesetzgeber hat nur die Bekanntmachung, nicht aber die Registereintragung obligatorisch ausgestaltet (vgl. Art. 102 §§ 5, 6 EGInsO);175 bei Zweigniederlassungen ausländischer Kapitalgesellschaften besteht aber eine Pflicht zur Eintragung in das Handelsregister gem. § 13e Abs. 4 HGB. 54 Bekanntmachung und Registereintragung sind zwar keine Anerkennungs- und Wirkungsvoraussetzungen (vgl. bereits o. Rn. 45) 176. Sie können aber nach Maßgabe des jeweils anwendbaren nationalen Rechts einen gutgläubigen Erwerb vom Insolvenzschuldner verhindern (oder zumindest erschweren).177 Bedeutung hat die Bekanntmachung zudem für die Beweislastverteilung i.R.d. Drittschuldnerschutzes nach Art. 24:178 Danach hat eine in Unkenntnis der Verfahrenseröffnung erfolgende Leistung eines Drittschuldners an den Schuldner (statt an den Verwalter) befreiende Wirkung; vor der Bekanntmachung wird die Unkenntnis, umgekehrt danach die Kenntnis des Drittschuldners vermutet. 2. Anerkennung und Vollstreckung sonstiger Entscheidungen (Art. 25) 55 Art. 25 komplettiert das System der automatischen Anerkennung 179, indem er dieses auch auf die wesentlichen Folgeentscheidungen erstreckt, namentlich (1) Entscheidungen zur Durchführung und Beendigung des Insolvenzverfahrens sowie gerichtlich bestätigte Vergleiche (Abs. 1 Unterabs. 1 S. 1), (2) Entscheidungen, die unmittelbar auf Grund des Insolvenzverfahrens und in engem Zusammenhang damit stehen (sog. Annexentscheidungen, dazu auch bereits o. Rn. 29) (Abs. 1 Unterabs. 2), und (3) Sicherungsmaßnahmen (Abs. 1 Unterabs. 3). 56 Die Vollstreckung dieser Entscheidungen richtet sich gem. Art. 25 Abs. 1 Unterabs. 1 S. 2 nach Art. 38 ff. EuGVVO180. Entscheidungen, die nicht unter Abs. 1 fallen, 173 Vgl. Virgós/Schmitt (Fn. 2), Rn. 177. 174 Eine Bekanntmachung kann allerdings nur dann obligatorisch verlangt werden, wenn der Schuldner in dem Mitgliedstaat eine Niederlassung besitzt. 175 Vgl. dazu BegrRegE z. IntInsNeuRG, BT-Drs. 15/16, S. 15 f. 176 Vgl. auch Virgós/Schmitt (Fn. 2), Rn. 177. 177 Vgl. Kindler (Fn. 2), Art. 22 EuInsVO Rn. 1; Nerlich (Fn. 70), Art. 21 EuInsVO Rn. 3; Reinhart (Fn. 7), Art. 22 EuInsVO Rn. 1. 178 Dazu näher Kindler (Fn. 2), Art. 24 EuInsVO Rn. 1 ff.; Reinhart (Fn. 7), Art. 24 EuInsVO Rn. 1 ff. (jeweils m.w.N.). 179 Vgl. Moss/Fletcher/Isaacs (Fn. 55), 8.315. 180 Der Verweis auf Art. 31–51 EuGVÜ ist gem. Art. 68 EuGVVO als Verweis auf Art. 38– 58 EuGVVO zu lesen.

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unterliegen gem. Art. 25 Abs. 2 der EuGVVO, soweit deren Anwendungsbereich eröffnet ist;181 mit dieser letztlich nur klarstellenden182 Regelung soll gewährleistet werden, dass EuInsVO und EuGVVO lückenlos ineinandergreifen183. Ausnahmen von der automatischen Anerkennung bzw. Vollstreckung sieht die 57 EuInsVO – wie der EuGH in seinem Probud-Urteil betont hat184 – nur in zwei Fällen vor: (1) bei Verstoß gegen den ordre public (Art. 26, dazu u. Rn. 58 ff.), und (2) bei Einschränkungen der persönlichen Freiheit oder des Postgeheimnisses (Art. 25 Abs. 3) 185. 3. Ordre public-Vorbehalt (Art. 26) Gem. Art. 26 darf ein Mitgliedstaat die Anerkennung der Verfahrenseröffnung oder 58 i.R.d. Verfahrens ergangener Entscheidungen sowie deren Vollstreckung verweigern, soweit diese zu einem Ergebnis führt, das offensichtlich mit seiner öffentlichen Ordnung, insbesondere mit den Grundprinzipien oder den verfassungsmäßig garantierten Rechten und Freiheiten des Einzelnen, unvereinbar ist. Der EuGH hat in seinen Urteilen in den Rs. Eurofood und Probud betont, dass dieser ordre public-Vorbehalt als Einschränkung des der EuInsVO zu Grunde liegenden Grundsatzes des gegenseitigen Vertrauens (vgl. dazu bereits o. Rn. 46) auf Ausnahmefälle beschränkt ist.186 Hinsichtlich der inhaltlichen Interpretation rekurriert der Gerichtshof – in erfreulicher systematischer Kohärenz 187 – auf seine Judikatur zur Parallelnorm des Art. 27 EuGVÜ/34 EuGVVO.188 Eine Anwendung der ordre public-Klausel kommt daher nur dann in Betracht, wenn die Anerkennung/Vollstreckung gegen einen wesentlichen Rechtsgrundsatz verstieße und deshalb in einem nicht hinnehmbaren Gegensatz zur Rechtsordnung des Vollstreckungsstaates stünde; bei dem Verstoß muss es sich um eine offensichtliche Verletzung einer in der Rechtsordnung des Vollstreckungsstaats als wesentlich geltenden Rechtsnorm oder einer dort als grundlegend anerkannten Rechts handeln.189

181 Vgl. dazu auch EuGH v. 10.9.2009, German Graphics, Rs. C-292/08, Slg. 2009, I-8421, Rn. 17 ff. 182 Vgl. Lüer (Fn. 156), Art. 25 EuInsVO Rn. 13. 183 Vgl. Virgós/Schmitt (Fn. 2), Rn. 197; Kindler (Fn. 2), Art. 25 EuInsVO Rn. 26 m.w.N. 184 Vgl. EuGH v. 21.1.2010, MG Probud, Rs. C-477/07, ZIP 2010, 187, Rn. 31 ff. 185 Dazu näher Kindler (Fn. 2), Art. 25 EuInsVO Rn. 27 f.; Reinhart (Fn. 7), Art. 25 EuInsVO Rn. 19 f. (jeweils m.w.N.). 186 Vgl. EuGH v. 2.5.2006, Eurofood IFSC Ltd., Rs. C-341/04, Slg. 2006, I-3813, Rn. 61 f.; EuGH v. 21.1.2010, MG Probud, Rs. C-477/07, ZIP 2010, 187, Rn. 34. 187 Vgl. J. Schmidt (Fn. 42), S. 19, 29; s. ferner auch Mankowski KTS 2011, 185, 191. 188 EuGH v. 2.5.2006, Eurofood IFSC Ltd., Rs. C-341/04, Slg. 2006, I-3813, Rn. 62 ff.; EuGH v. 21.1.2010, MG Probud, Rs. C-477/07, ZIP 2010, 187, Rn. 34. 189 Vgl. EuGH v. 28.3.2000, Krombach, Rs. C-7/98, Slg. 2000, I-1935, Rn. 37; EuGH v. 11.5.2000, Renault, Rs. C-38/98, Slg. 2000, I-2973, Rn. 30; EuGH v. 2.5.2006, Eurofood IFSC Ltd., Rs. C-341/04, Slg. 2006, I-3813, Rn. 63 f.; EuGH v. 2.4.2009, Gambazzi, Rs. C-394/07, Slg. 2009, I-2563, Rn. 27; EuGH v. 28.4.2009, Apostolides, Rs. C-420/07, Slg. 2009, I-3571, Rn. 59.

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In Eurofood hat der EuGH ausgeführt, dass ein ordre public-Verstoß insbesondere bei Verletzung des Anspruchs auf ein faires Verfahren, speziell des Rechts auf Übermittlung der Verfahrensunterlagen und des Anspruchs auf rechtliches Gehör, vorliegen kann.190 Die nationalen Gerichte dürfen sich insoweit indes nicht darauf beschränken, ihre eigenen Vorstellungen von der Mündlichkeit des Verfahrens und deren fundamentaler Rolle in der eigenen nationalen Rechtsordnung zu übertragen, sondern müssen vielmehr anhand sämtlicher Umstände des Einzelfalls beurteilen, ob der Verfahrensbeteiligte hinreichend Möglichkeit hatte, gehört zu werden.191 60 Die dezidierte Hervorhebung des Ausnahmecharakters des ordre public-Vorbehalts durch den EuGH hat den Anreiz, dieses Instrument zur „Heimholung“ von Verfahren zu ge- (bzw. miss-)brauchen allerdings nicht völlig beseitigen können. Ein anschauliches Beispiel hierfür ist die Entscheidung des LG Nürnberg im BrochierFall 192, das seine Anwendung u.a. auf das Fehlen einer Entscheidungsbegründung und die (angeblich) fehlende Unabhängigkeit der – nach englischem Recht zulässigerweise durch die directors bestellten – administrators gestützt hat.193 Insgesamt ist jedoch gleichwohl zu konstatieren, dass die meisten nationale Gerichte der vom EuGH geforderten restriktiven Interpretation ersichtlich Rechnung tragen; 194 schöne Beispiele hierfür sind etwa die ISA Daisytek-Entscheidung der Cour de Cassation v. 27.6.2006195 (fehlende Anhörung der Arbeitnehmervertreter vor der Eröffnungsentscheidung begründet keinen Verstoß) und ihre HSBC France-Entscheidung v. 30.6.2011196 (kein Verstoß, wenn das nationale Recht des Eröffnungsstaats dem Gläubiger gestattet, im Wege eines Rechtsmittels geltend zu machen, dass die internationale Zuständigkeit fehlte) oder des OLG Innsbruck v. 8.7.2008 197 (umfassendes nachträgliches rechtliches Gehör nach § 21 Abs. 1 S. 2 InsO genügt für ein faires Verfahren). 59

190 Vgl. EuGH v. 2.5.2006, Eurofood IFSC Ltd., Rs. C-341/04, Slg. 2006, I-3813, Rn. 66; s. ferner auch EuGH v. 2.4.2009, Gambazzi, Rs. C-394/07, Slg. 2009, I-2563, Rn. 28 ff. 191 Vgl. EuGH v. 2.5.2006, Eurofood IFSC Ltd., Rs. C-341/04, Slg. 2006, I-3813, Rn. 68; EuGH v. 2.4.2009, Gambazzi, Rs. C-394/07, Slg. 2009, I-2563, Rn. 40. 192 AG Nürnberg NZI 2007, 185. Dazu Andres/Grund NZI 2007, 137, 139 ff.; Ballmann BB 2007, 1121 ff.; Jacoby GPR 2007, 200, 203 ff.; Kebekus ZIP 2007, 84 ff.; Knof ZInsO 2007, 629, 632 ff.; Menjucq ECFR 2008, 135, 141. 193 Näher J. Schmidt (Fn. 42), S. 19, 31 s. ferner auch Mankowski KTS 2011, 185, 207. 194 Vgl. zum Ganzen auch J. Schmidt (Fn. 42), S. 19, 31 f. 195 Cour de Cassation v. 27.6.2006, n° 03-19863, Bulletin 2006 IV N° 149 S. 159. Dazu Dammann/Podeur (2006) 109 Banque & Droit 3 ff.; Moss (2007) 20 Insolv. Int. 20, 22; J. Schmidt ZIP 2007, 405, 407 f.; dies. (Fn. 42), S. 19, 31 f. 196 Cour de Cassation v. 15.2.2011, n° 09-71436 („HSBC France”). Dazu Dammann/Rapp D. 2011, 1738 ff.; Lienhard D. 2011, 588. 197 OLG Innsbruck ZIP 2008, 1647. Dazu Mankowski NZI 2008, 703 ff.; Paulus EWiR 2008, 653 f.; J. Schmidt (Fn. 42), S. 19, 32.

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VI. Sekundärinsolvenzverfahren (Art. 27–38) 1. Verfahrenseröffnung und anwendbares Recht Voraussetzung für die Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens ist gem. Art. 27 61 S. 1 , dass zuvor in einem anderen Mitgliedstaat ein Hauptinsolvenzverfahren eröffnet wurde, das im Staat des potentiellen Sekundärinsolvenzverfahrens anerkannt wird (dazu o. Rn. 45) und dass das eröffnende Gericht gem. Art. 3 Abs. 2 S. 1 (dazu o. Rn. 26) international zuständig ist.198 Zudem müssen die sonstigen im insoweit maßgeblichen nationalen Recht (vgl. Art. 4, 28, dazu auch o. Rn. 33 ff., u. Rn. 62) normierten Eröffnungsvoraussetzungen erfüllt sein. Nicht zu prüfen ist allerdings das Vorliegen eines Insolvenzgrundes (auch) nach dem Recht des Sekundärinsolvenzstaats; nach der Konzeption der EuInsVO genügt die Eröffnung des Hauptinsolvenzverfahrens.199 Wie Art. 28 klarstellt (an sich ergibt sich dies bereits aus Art. 4, dazu o. Rn. 33 ff.) 200, 62 gilt auch für Sekundärinsolvenzverfahren grundsätzlich das Recht des Eröffnungsstaats (lex fori concursus). Allerdings gelten auch hier die Sonderregeln der Art. 5–15 (dazu o. Rn. 36 ff.), soweit sie tatbestandlich passen; 201 weitere Durchbrechungen des lex fori-Prinzips finden sich in Art. 27 S. 1 Hs. 2 (dazu o. Rn. 61), Art. 29 lit. a (dazu u. Rn. 63), Art. 32 Abs. 1, 39 (dazu u. Rn. 68, 73). Beantragt werden kann die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens nicht nur durch 63 die nach der (potentiellen) lex fori concursus antragsberechtigten Personen und Stellen (Art. 29 lit. b) 202, sondern – mit Blick auf die dominierende Rolle des Hauptinsolvenzverfahrens (vgl. dazu o. auch Rn. 65) 203 – auch durch den Hauptinsolvenzverwalter (Art. 29 lit. a). Streitig ist jedoch, ob dies auch für den vorläufigen Hauptinsolvenzverwalter gilt. Vor dem Hintergrund des Art. 38, der dem vorläufigen Hauptinsolvenzverwalter (nur) ein Recht zur Beantragung von Sicherungsmaßnahmen gibt und entsprechenden Äußerungen im Virgós/Schmitt-Bericht 204, wird dies im Schrifttum verbreitet pauschal verneint.205 Jedenfalls für die Fälle, in denen die Bestellung des vorläufigen Insolvenzverwalters nach den Eurofood-Kriterien bereits die Eröffnung

198 Näher Kindler (Fn. 2), Art. 27 EuInsVO Rn. 8 ff. m.w.N. 199 Vgl. Commandeur (Fn. 156), Art. 27 EuInsVO Rn. 8; Heiderhoff (Fn. 94), Art. 27 Rn. 6; Kindler (Fn. 2), Art. 27 EuInsVO Rn. 20; Pogacar NZI 2011, 46, 47; vgl. ferner auch Virgós/Schmitt (Fn. 2), Rn. 211 f., 217. 200 Vgl. Virgós/Schmitt (Fn. 2), Rn. 225; Kindler (Fn. 2), Art. 28 EuInsVO Rn. 2; Reinhart (Fn. 7), Art. 28 EuInsVO Rn. 4. 201 Commandeur (Fn. 156), Art. 28 EuInsVO Rn. 5; Heiderhoff (Fn. 94), Art. 28 Rn. 4; Kindler (Fn. 2), Art. 28 EuInsVO Rn. 11 ff.; Reinhart (Fn. 7), Art. 28 EuInsVO Rn. 5 ff. 202 Insoweit handelt es sich lediglich um eine klarstellende Regelung zu Art. 4 und 28. 203 Vgl. Virgós/Schmitt (Fn. 2), Rn. 226; Ehricke ZIP 2006, 1104, 1106. 204 Vgl. Virgós/Schmitt (Fn. 2), Rn. 226, 262. 205 Vgl. etwa Commandeur (Fn. 156), Art. 29 EuInsVO Rn. 2 ff.; Heiderhoff (Fn. 94), Art. 29 Rn. 2; Kindler (Fn. 2), Art. 29 EuInsVO Rn. 4.

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eines Hauptinsolvenzverfahrens begründet (dazu o. Rn. 47), erscheint diese Einschränkung allerdings kaum haltbar.206 Insbesondere qualifiziert auch der EuGH den Art. 38 ausdrücklich als eine Sonderregelung für die Fälle, in denen die Bestellung des vorläufigen Hauptinsolvenzverwalters keinen Vermögensbeschlag gegen den Schuldner zur Folge hat und damit noch keine Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens vorliegt; da dieser dann nicht zur Einleitung eines Sekundärinsolvenzverfahrens berechtigt ist, räumt Art. 38 ihm zumindest die Möglichkeit zur Herbeiführung von Sicherungsmaßnahmen im potentiellen Sekundärinsolvenzverfahrensstaat ein.207 64 Nach Art. 30 kann ein Kostenvorschuss verlangt werden, wenn das Recht des Sekundärstaates die Kostendeckung auch bei nationalen Insolvenzverfahren verlangt.208 2. Koordinierung von Haupt- und Sekundärinsolvenzverfahren 65 Um eine effiziente Verwertung der Insolvenzmasse zu gewährleisten, sieht die EuInsVO eine Reihe von Regelungen zur Koordinierung von Haupt- und Sekundärinsolvenzverfahren vor.209 Grundkonzept und Leitbild ist dabei, dass die „dominierende Rolle“ dem Hauptinsolvenzverfahren zukommt,210 Sekundärinsolvenzverfahren aber eine wichtige Stützungsfunktion211 sowie darüber hinaus vor allem auch eine Schutzfunktion zugunsten der Gläubiger im Sekundärinsolvenzstaat erfüllen 212. a) Allgemeine Pflicht zu Informationsaustausch und Kooperation (Art. 31) 66 Als Grundvoraussetzung für eine effektive Koordination normiert Art. 31 Abs. 1 eine gegenseitige Unterrichtungspflicht von Haupt- und Sekundärinsolvenzverwalter in Bezug auf alle Informationen, die für das jeweilige andere Verfahren von Bedeutung sein können.213 Zudem statuiert Art. 31 Abs. 2 eine – allerdings unter dem Vorbehalt der jeweiligen lex fori concursus stehende – Pflicht zur Zusammenarbeit.214 Hinsichtlich der Verwertung wird diese in Art. 31 Abs. 3 mit Blick auf das Primat des Hauptinsolvenzverfahrens dahingehend konkretisiert, dass der Sekundärinsolvenzverwalter 206 207 208 209 210 211

Vgl. auch Reinhart (Fn. 7), Art. 29 EuInsVO Rn. 3. Vgl. EuGH v. 2.5.2006, Eurofood IFSC Ltd., Rs. C-341/04, Slg. 2006, I-3813, Rn. 57. Näher Kindler (Fn. 2), Art. 30 EuInsVO Rn. 1 ff. m.w.N. Vgl. Erwägungsgrund 20 S. 1. Vgl. Erwägungsgrund 20 S. 3. Vgl. Virgós/Schmitt (Fn. 2), Rn. 33; Kindler (Fn. 2), Art. 27 EuInsVO Rn. 3, 5; Mankowski (Fn. 31), Kap. 47 Rn. 175; Ehricke ZIP 2005, 1104, 1106; Pogacar NZI 2011, 46. 212 Vgl. Virgós/Schmitt (Fn. 2), Rn. 32; Kindler (Fn. 2), Art. 27 EuInsVO Rn. 3 f.; Mankowski (Fn. 31), Kap. 47 Rn. 174; Pogacar NZI 2011, 46. 213 Näher Kindler (Fn. 2), Art. 31 EuInsVO Rn. 6 ff.; Reinhart (Fn. 7), Art. 31 EuInsVO Rn. 10 ff. (jeweils m.z.w.N.). 214 Näher Kindler (Fn. 2), Art. 31 EuInsVO Rn. 18 ff.; Reinhart (Fn. 7), Art. 31 EuInsVO Rn. 17 ff.; Ehricke ZIP 2006, 1104, 1108 ff.; Pogacar NZI 2011, 46, 47 f.; Staak NZI 2004, 481, 482 f.

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dem Hauptinsolvenzverwalter die Gelegenheit geben muss, Vorschläge für die Verwertung oder anderweitige Verwendung der Masse zu unterbreiten.215 Die Praxis hat zur weiteren Konkretisierung inzwischen auch Richtlinien entwickelt.216 Zudem bedient sich die Praxis teilweise auch des Instruments sog. protocols (Insolvenzverwalterverträge).217 Eine Informations- und Kooperationspflicht der Gerichte sieht die EuInsVO 67 dagegen nicht vor; auch eine erweiternde Auslegung oder analoge Anwendung der Art. 31 Abs. 1 und 2 218 erscheint insoweit de lege lata ausgeschlossen219. Gleichwohl besteht allerdings weitgehend Konsens, dass eine (informelle) Kooperation der Gerichte grundsätzlich erlaubt und sinnvoll ist.220 De lege ferenda wird daher zu Recht auch verbreitet die Aufnahme einer entsprechenden Regelung in die EuInsVO gefordert.221 Um aber zumindest für deutsche Gerichte Rechtssicherheit zu schaffen, sieht der Anfang 2011 vorgelegte ESUG-RegE 222 in § 348 Abs. 2 InsO-E eine entsprechende Klarstellung vor.

b) Koordinierung der Ausübung von Gläubigerrechten (Art. 32) Gem. Art. 32 Abs. 1 können Gläubiger ihre Forderungen sowohl im Haupt- als auch 68 in einem oder mehreren Sekundärinsolvenzverfahren anmelden (vgl. auch Art. 39, dazu u. Rn. 73), sind also nicht etwa auf die Anmeldung in einem Verfahren be215 Näher Kindler (Fn. 2), Art. 31 EuInsVO Rn. 22 ff.; Reinhart (Fn. 7), Art. 31 EuInsVO Rn. 27 ff.; Ehricke ZIP 2006, 1104, 1107; Pogacar NZI 2011, 46, 47 f. 216 Wessels/Virgós, European Communications and Cooperation Guidelines, 2007. S. ferner auch die von ALI und III entwickelten „Guidelines for Court-to-Court Communications in Cross-Border Cases“ (abrufbar unter http://www.iiiglobal.org/component/ jdownloads/?task=viewcategory&catid=394); dazu Busch/Remmert/Rüntz/Vallender NZI 2010, 417 ff. 217 S. auch Ziff. 12.4 der CoCo-Guidelines (Fn. 216). Näher zum Ganzen: Reinhart (Fn. 7), Art. 31 EuInsVO Rn. 38 ff. m.w.N.; tendenziell kritisch dazu aber etwa Ehricke WM 2005, 397, 402 ff. 218 Dafür etwa OLG Wien NZI 2005, 56, 61; Re Nortel Networks SA, [2009] EWHC 206 (Ch) = ZIP 2009, 578. 219 Vgl. Commandeur (Fn. 156), Art. 31 EuInsVO Rn. 28 f.; Kindler (Fn. 2), Art. 31 EuInsVO Rn. 8; Reinhart (Fn. 7), Art. 31 EuInsVO Rn. 4; Busch/Remmert/Rüntz/Vallender NZI 2010, 417, 418; Ehricke ZIP 2007, 2395, 2400 f.; Mankowski (Fn. 31), Kap. 47 Rn. 211; Staak NZI 2004, 480, 483; Vallender FS Lüer, 2008, S. 479, 480; ders. IILR 2011, 309, 310. 220 Vgl. Commandeur (Fn. 156), Art. 31 EuInsVO Rn. 30; Kindler (Fn. 2), Art. 31 EuInsVO Rn. 8; Reinhart (Fn. 7), Art. 31 EuInsVO Rn. 4; Eidenmüller IPrax 2001, 2, 9; Leible/ Staudinger KTS 2000, 533, 569; Mankowski NZI 2009, 451; Paulus ZIP 2002, 729, 736; Vallender FS Lüer, 2008, S. 479, 485 f., 494 f. 221 Vgl. Leible/Staudinger KTS 2000, 533, 569 f.; Paulus ZIP 2002, 729, 735 f.; Staak NZI 2004, 480, 483; Vallender FS Lüer, 2008, S. 479, 482; ders. IILR 2011, 309, 312; Wessels (2011) 24 Insolv. Int. 65, 73; kein Bedürfnis sieht dagegen etwa Kindler (Fn. 2), Art. 31 EuInsVO Rn. 8; kritisch etwa auch Ehricke ZIP 2007, 2395, 2402 f. 222 Entwurf für ein Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG), BR-Drs. 127/11.

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schränkt (bei Mehrfachanmeldung wird eine konsolidierte Quote berechnet, vgl. o. Rn. 52). Um die Ausübung der Gläubigerrechte zu vereinfachen und die Position der Verwalter in anderen Verfahren zu stärken 223, ermächtigt Art. 32 Abs. 2 die Verwalter zur Anmeldung der Forderungen „ihrer“ Gläubiger im jeweils anderen Verfahren, soweit dies zweckmäßig ist (und vorbehaltlich des Rechts jedes Gläubigers, die Anmeldung abzulehnen oder – soweit dies nach der lex fori concursus zulässig ist – zurückzunehmen).224 Zudem hat jeder Verwalter das Recht, in den anderen Verfahren wie ein Gläubiger mitzuwirken (Art. 32 Abs. 3).225

c) Koordinierung von Verwertung, Verfahrensbeendigung und Überschussverteilung 69 Art. 33–35 betreffend Verwertung, Verfahrensbeendigung und Überschussverteilung bringen nochmals den Vorrang des Hauptinsolvenzverfahrens zum Ausdruck.226 Art. 33 gibt dem Hauptinsolvenzverwalter die Möglichkeit, durch einen entsprechenden Antrag beim Sekundärinsolvenzgericht die vollständige oder teilweise Aussetzung der Verwertung im Sekundärinsolvenzverfahren herbeizuführen, um so zu verhindern, dass Sanierungs- oder sonstige Restrukturierungspläne i.R.d. Hauptinsolvenzverfahrens durch die Verwertung i.R.d. – konzeptionell auf Liquidation angelegten (vgl. o. Rn. 27) – Sekundärinsolvenzverfahrens torpediert werden.227 Der Antrag kann nur abgelehnt werden, wenn die Aussetzung für die Gläubiger des Hauptinsolvenzverfahrens offensichtlich nicht von Interesse ist (Abs. 1 S. 2). Die Aussetzung kann für maximal 3 Monate erfolgen, ist aber beliebig oft verlängerbar (Abs. 1 S. 3 und 4). Das Gericht kann vom Hauptinsolvenzverwalter angemessene Maßnahmen zum Schutz der Interessen der Gläubiger des Sekundärinsolvenzverfahrens oder einzelner Gläubigergruppen verlangen (Abs. 1 S. 1 Hs. 2) und die Aussetzung unter den Voraussetzungen des Abs. 2 ggf. auch aufheben.228 70 Art. 34 Abs. 1 S. 1 gibt dem Hauptinsolvenzverwalter ein Vorschlagsrecht für die Beendigung eines Sekundärinsolvenzverfahrens durch einen Sanierungsplan, Vergleich oder eine andere vergleichbare Maßnahme. Solange die Verwertung nach Art. 33 ausgesetzt ist (dazu o. Rn. 69), steht das Vorschlagsrecht sogar ausschließlich

223 Vgl. Virgós/Schmitt (Fn. 2), Rn. 236; Kindler (Fn. 2), Art. 32 EuInsVO Rn. 8. 224 Näher Kindler (Fn. 2), Art. 32 EuInsVO Rn. 7 ff.; Reinhart (Fn. 7), Art. 32 EuInsVO Rn. 8 ff. (jeweils m.w.N.). 225 Näher Kindler (Fn. 2), Art. 32 EuInsVO Rn. 7 ff.; Reinhart (Fn. 7), Art. 32 EuInsVO Rn. 8 ff. (jeweils m.w.N.). 226 Vgl. Virgós/Schmitt (Fn. 2), Rn. 241, 252; Kindler (Fn. 2), Art. 33 EuInsVO Rn. 3, Art. 34 EuInsVO Rn. 1, Art. 35 EuInsVO Rn. 2; Ehricke ZIP 2006, 1104, 1107. 227 Vgl. OLG Graz NZI 2006, 660, 662; LG Leoben NZI 2005, 646; Commandeur (Fn. 156), Art. 33 EuInsVO Rn. 1; Reinhart (Fn. 7), Art. 33 EuInsVO Rn. 1 m.w.N. 228 Näher zum Ganzen: Kindler (Fn. 2), Art. 33 EuInsVO Rn. 4 ff.; Reinhart (Fn. 7), Art. 31 EuInsVO Rn. 3 ff.; Beck NZI 2006, 609, 611 ff.; de Boer/Wessels, in: Omar (ed.), International Insolvency Law, 2008, S. 185, 196 ff.; Pogacar NZI 2011, 46, 49; Vallender FS Kreft, 2004, S. 565 ff.

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dem Hauptinsolvenzverwalter und – mit dessen Zustimmung – dem Schuldner zu (Art. 34 Abs. 3). Zudem kann eine solche Beendigungsmaßnahme grundsätzlich nur bestätigt werden, wenn der Hauptinsolvenzverwalter zustimmt oder die finanziellen Interessen der Hauptinsolvenzverfahrensgläubiger nicht beeinträchtigt werden (Art. 34 Abs. 1 S. 2). Sofern sich ihre Wirkungen auch auf das nicht vom Sekundärinsolvenzverfahren betroffene Vermögen erstrecken sollen, ist hierfür die Zustimmung aller betroffenen Gläubiger erforderlich (Art. 34 Abs. 2).229 Sofern im Sekundärinsolvenzverfahren ein Überschuss verbleibt, muss der Se- 71 kundärinsolvenzverwalter diesen gem. Art. 35 unverzüglich an den Hauptinsolvenzverwalter auskehren.230

VII. Unterrichtung der Gläubiger und Anmeldung ihrer Forderungen Kapitel IV (Art. 39–42) enthält Vorschriften betreffend die Benachrichtigung der 72 Gläubiger und die Anmeldung ihrer Forderungen, die sowohl für Haupt- als auch für Partikularinsolvenzverfahren gelten 231. Die Anmeldung von Forderungen (dazu auch bereits o. Rn. 68) richtet sich grund- 73 sätzlich nach der lex fori concursus (vgl. Art. 4 Abs. 2 S. 2 lit. h). Im Interesse der Gläubigergleichbehandlung und der Vermeidung von Diskriminierungen räumt Art. 39 aber ausdrücklich auch jedem Gläubiger, der seinen gewöhnlichen Aufenthalt, Wohnsitz oder Sitz in einem anderen Mitgliedstaat 232 als demjenigen der Verfahrenseröffnung hat („EU-ausländische“ Gläubiger), das Recht zur „schriftlichen“ 233 Anmeldung seiner Forderung(en) ein.234 Die zulässigen inhaltlichen Anforderungen werden in Art. 41 abschließend spezifiziert,235 Art. 42 Abs. 2 regelt die Sprache der Anmeldung 236.

229 Näher zu Art. 34: Kindler (Fn. 2), Art. 34 EuInsVO Rn. 1 ff.; Reinhart (Fn. 7), Art. 34 EuInsVO Rn. 1 ff.; de Boer/Wessels (Fn. 228), S. 185, 202 ff.; Pogacar NZI 2011, 46, 49 f. 230 Näher Kindler (Fn. 2), Art. 35 EuInsVO Rn. 1 ff.; Reinhart (Fn. 7), Art. 35 EuInsVO Rn. 1 ff. (jeweils m.z.w.N.). 231 Vgl. Virgós/Schmitt (Fn. 2), Rn. 121. 232 Die Anmeldebefugnis von Gläubigern aus Drittstaaten richtet sich nach dem nationalen Insolvenzrecht des Verfahrensstaates, vgl. Reinhart (Fn. 7), Art. 39 EuInsVO Rn. 8 m.w.N. 233 „Schriftlich“ erfordert insoweit richtiger Ansicht nach keine „Schriftform“ i.S.d. § 126 Abs. 1 BGB; ausreichend ist vielmehr ein Dokument, das nach deutschem Verständnis Textform i.S.d. § 126b BGB entspricht. Vgl. auch Kindler (Fn. 2), Art. 39 EuInsVO Rn. 5 (Anlehnung an Art. 23 Abs. 2 EuGVVO), Wenner/Schuster (Fn. 34), Art. 39 EuInsVO Rn. 6. 234 Näher Kindler (Fn. 2), Art. 39 EuInsVO Rn. 1 ff.; Reinhart (Fn. 7), Art. 39 EuInsVO Rn. 1 ff. (jeweils m.z.w.N.). 235 Dazu näher Kindler (Fn. 2), Art. 41 EuInsVO Rn. 1 ff.; Reinhart (Fn. 7), Art. 41 EuInsVO Rn. 1 ff. (jeweils m.z.w.N.). 236 Dazu näher Kindler (Fn. 2), Art. 42 EuInsVO Rn. 6 ff.; Reinhart (Fn. 7), Art. 42 EuInsVO Rn. 4 ff. (jeweils m.z.w.N.).

230

74

Stand und Realität des europäischen Unternehmensrechts

Art. 40 normiert eine Pflicht zur unverzüglichen Unterrichtung der bekannten „EU-ausländischen“ Gläubiger durch Übersendung eines individuellen Vermerks mit den in Abs. 2 spezifizierten Mindestangaben.237 Ratio ist, dass „ausländische“ Gläubiger typischerweise keinen bzw. schwieriger Zugang zu den von der lex fori concursus vorgesehenen Publizitätsinstrumenten haben 238 und die Publizität nach Art. 21 (dazu o. Rn. 53 f.) alleine nicht als ausreichend erachtet wurde. Die Benachrichtung erfolgt nach Art. 42 Abs. 1 zwar in der/einer Amtssprache des Eröffnungsstaats, muss aber auf einem Formblatt 239 mit einem Warnhinweis in allen EU-Amtssprachen erfolgen.240

VIII. Fundstellenverzeichnis Grundlage:

Art. 67, 81 Abs. 2 lit. a, c AEU [G Art. 61 lit. c, 67 Abs. 1 EG]

Vorschläge/Vorläufer:

Vorentwurf eines Übereinkommens über den Konkurs, Vergleiche und ähnliche Verfahren v. 16.2.1970, Dok. 3327/XIV/ 1/70 Entwurf eines Übereinkommens über den Konkurs, Vergleiche und ähnliche Verfahren, Dok. III/D/72/80-DE, abgedruckt in ZIP 1980, 582 ff. und 811 ff. Entwurf eines EG-Konkursübereinkommens v. 3.4.1992, abgedruckt in ZIP 1992, 1197 ff. Europäisches Übereinkommen über Insolvenzverfahren v. 23.11.1995, abgedruckt in ZIP 1996, 976 ff. Initiative der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Finnland – dem Rat am 26. Mai 1999 vorgelegt – im Hinblick auf die Annahme einer Verordnung des Rates über Insolvenzverfahren, ABlEG v. 3.8.1999, C 221/8

verabschiedete Fassung:

VO (EG) Nr. 1346/2000 des Rates v. 29.5.2000 über Insolvenzverfahren, ABlEG v. 30.6.2000, L 160/1

geändert durch:

Beitrittsakte von 2003, Anhang II Kapitel 18 Abschnitt A, ABlEU v. 23.9.2003, L 236/711 (Estland, Lettland, Litauen, Malta, Polen, Slowakei, Slowenien, Tschechien, Ungarn, Zypern) VO (EG) Nr. 603/2005 des Rates v. 12.4.2005 zur Änderung der Liste von Insolvenzverfahren, Liquidationsverfahren und Verwaltern in den Anhängen A, B und C der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 über Insolvenzverfahren, ABlEU v. 20.4.2005, L 100/1

237 Dazu näher Kindler (Fn. 2), Art. 40 EuInsVO Rn. 1 ff.; Reinhart (Fn. 7), Art. 40 EuInsVO Rn. 1 ff. (jeweils m.z.w.N.). 238 Vgl. Kindler (Fn. 2), Art. 40 EuInsVO Rn. 1; Reinhart (Fn. 7), Art. 40 EuInsVO Rn. 1. 239 Abrufbar unter http://www.bmj.de/DE/Buerger/wirtschaftHandel/ Insolvenzrechtsreform/_doc/Formblatt_Europaeische_Insolvenzverordnung.html. 240 Dazu näher Kindler (Fn. 2), Art. 42 EuInsVO Rn. 3 ff.; Reinhart (Fn. 7), Art. 40 EuInsVO Rn. 2 f. (jeweils m.z.w.N.).

Europäisches Insolvenzrecht: Die EuInsVO

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VO (EG) Nr. 694/2006 des Rates v. 27.4.2006 zur Änderung der Liste von Insolvenzverfahren, Liquidationsverfahren und Verwaltern in den Anhängen A, B und C der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 über Insolvenzverfahren, ABlEU v. 6.5.2006, L 121/1 VO (EG) Nr. 1791/2006 des Rates vom 20.11.2006 zur Anpassung einiger Verordnungen, Beschlüsse und Entscheidungen in den Bereichen freier Warenverkehr, Freizügigkeit, Gesellschaftsrecht, Wettbewerbspolitik, Landwirtschaft (einschließlich des Veterinär- und Pflanzenschutzrechts), Verkehrspolitik, Steuerwesen, Statistik, Energie, Umwelt, Zusammenarbeit in den Bereichen Justiz und Inneres, Zollunion, Außenbeziehungen, Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik und Organe anlässlich des Beitritts Bulgariens und Rumäniens, ABlEU v. 20.12.2006, L 363/1 VO (EG) Nr. 681/2007 des Rates v. 13.6.2007 zur Änderung der Listen von Insolvenzverfahren, Liquidationsverfahren und Verwaltern in den Anhängen A, B und C der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 über Insolvenzverfahren, ABlEU v. 20.6.2007, L 159/1 VO (EG) Nr. 788/2008 des Rates v. 24.7.2008 zur Änderung der Listen von Insolvenzverfahren und Liquidationsverfahren in den Anhängen A und B der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 über Insolvenzverfahren und zur Kodifizierung der Anhänge A, B und C der genannten Verordnung, ABlEU v. 8.8.2008, L 213/1 Durchführungs-VO (EU) Nr. 210/2010 des Rates vom 25.2. 2010 zur Änderung der Listen von Insolvenzverfahren, Liquidationsverfahren und Verwaltern in den Anhängen A, B und C der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 über Insolvenzverfahren und zur Kodifizierung der Anhänge A, B und C der genannten Verordnung, ABlEU v. 13.3.2010, L 65/1 Durchführungs-VO (EU) Nr. 583/2011 des Rates v. 9.6.2011 zur Änderung der Listen von Insolvenzverfahren, Liquidationsverfahren und Verwaltern in den Anhängen A, B und C der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 über Insolvenzverfahren und zur Kodifizierung der Anhänge A, B und C der genannten Verordnung, ABlEU v. 18.6.2011, L 160/52 Umsetzung in Deutschland: Gesetz zur Neuregelung des Internationalen Insolvenzrechts v. 14.3.2003, BGBl. I, 345

3. Kapitel: Europäisches Kapitalmarktrecht § 17 Kapitalmarktrecht in der EU und dem EWR* Literatur: Assmann, Heinz-Dieter, Bank- und Kapitalmarktrecht, in Gebauer/Wiedmann (Hrsg.), Zivilrecht unter europäischem Einfluss, 2. Aufl., 2010, Kap. 22; Assmann, Heinz-Dieter/Buck, Petra, Europäisches Kapitalmarktrecht, EWS 1990, 110, 190 u. 220; Caspari, KarlBurkhard, Allfinanzaufsicht in Europa, ZEW 137 (2003); Deckert, Martina/von Rüden, Jens, Anlegerschutz durch Europäisches Kapitalmarktrecht, EWS 1998, 46; Elster, Nico, Europäisches Kapitalmarktrecht: Recht des Sekundärmarktes, 2002; Fleischer, Holger, Empfiehlt es sich, im Interesse des Anlegerschutzes und zur Förderung des Finanzplatzes Deutschland das Kapitalmarkt- und Börsenrecht neu zu regeln?, Gutachten F zum 64. Deutschen Juristentag, 2002; Foelsch, Martin Eberhard, EU-Aktionsplan für Finanzdienstleistungen und nationale Kapitalmarktreform – Die Entwicklung des Kapitalmarktaufsichtsrechts in den Jahren 2003 bis 2006, BKR 2007, 94; Gerum, Elmar/Mölls, Sascha H./Shen, Chunqian, Kapitalmarktorientierte Rechnungslegung in Deutschland zwischen Anspruch und Realität – Theorie und Empirie, Zfbf 2011, 534; Hopt, Klaus J., Vom Aktien- und Börsenrecht zum Kapitalmarktrecht?, ZHR 141 (1977) 389; ders., 50 Jahre Anlegerschutz und Kapitalmarktrecht: Rückblick und Ausblick, WM 2009, 1873; Horn, Norbert, Europäisches Finanzmarktrecht – Entwicklungsstand und rechtspolitische Aufgaben, 2003; Klöhn, Lars, Kapitalmarktrecht, in: Langenbucher (Hrsg.), Europarechtliche Bezüge des Privatrechts, 2. Aufl. 2008, § 6; Krimphove, Dieter, Gesetzgebung im europäischen Bank- und Kapitalmarktrecht – eine ökonomischhistorische Betrachtung, EuR 2007, 597; Kumpan, Christoph, Die Regulierung außerbörslicher Wertpapierhandelssysteme im deutschen, europäischen und US-amerikanischen Recht, 2006; Langenbucher, Katja, Zur Zulässigkeit parlamentsersetzender Normgebungsverfahren im Europarecht, ZEuP 2002, 265; Merkt, Hanno/Rossbach, Oliver, Zur Einführung: Kapitalmarktrecht, JuS 2003, 217; Möllers, Thomas M. J., Europäische Methoden- und Gesetzgebungslehre im Kapitalmarktrecht – Vollharmonisierung, Generalklausel und soft law im Rahmen des Lamfalussy-Verfahrens als Mittel zur Etablierung von Standards, ZEuP 2008, 480; Mülbert, Peter O., Konzeption des europäischen Kapitalmarktrechts für Wertpapierdienstleistungen, WM 2001, 2085; Pfundt, Dieter/von Rosen, Rüdiger (Hrsg.) Kapitalmarkt im Wandel, 1. Auflage, 2008; Sanio, Jochen, Das IOSCO Multilateral Memorandum of Understanding – Fundament der internationalen Zusammenarbeit in der Wertpapieraufsicht, Festschrift für Uwe H. Schneider, 2011, S. 1061; Schmolke, Klaus Ulrich, Der LamfalussyProzess im Europäischen Kapitalmarktrecht – eine Zwischenbilanz, NZG 2005, 912; ders., Die Einbeziehung des Komitologieverfahrens in den Lamfalussy-Prozess – Zur Forderung des europäischen Parlaments nach mehr Entscheidungsteilhabe, EuR 2006, 432; Schwark, Eberhard, Börsen und Wertpapierhandelsmärkte in der EG, WM 1997, 293; Schneider, Uwe H., Internationales Kapitalmarktrecht, AG 2001, 269; Stünkel, Kerstin, EG-Grundfreiheiten und Kapitalmärkte: Die Auswirkungen der Grundfreiheiten auf die Integration der Sekundärmärkte, 2005; Teichmann, Christoph, Binnenmarktkonformes Gesellschaftsrecht, 2006; Zimmer, Daniel, Finanzmarktrecht – Quo Vadis?, BKR 2004, 421. Vgl. weiterhin auch die Literaturangaben vor Rn. 33 u. Rn. 151, bei §§ 33–37 sowie die umfangreichen Nachweise in den Fußnoten.

I. Einführung 1. Überblick 1 Kapitalmärkte erfüllen heute für die Gesamtwirtschaft überaus wichtige Funktionen, denn sie dienen der Finanzierung von Unternehmen, schaffen Arbeitsplätze, trans* Unter Mitarbeit von Johanna Stenglein.

Kapitalmarktrecht in der EU und dem EWR

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portieren Informationen und tragen zu einer effizienten Allokation von Finanzvermögen bei. Diesen volkswirtschaftlichen Nutzen von Kapitalmärkten haben die Kommission und der europäische Gesetzgeber bereits früh erkannt und seither maßgeblich zur Ausformung des heutigen Kapitalmarktrechts beigetragen.1 Die wichtigsten kapitalmarktrechtlichen EU-Rechtsakte sind heute die RL über 2 Märkte für Finanzinstrumente (Markets in Financial Instruments Directive – MiFID, dazu u. Rn. 55 ff., 208 ff. sowie § 33), die Prospekt-RL (dazu u. Rn. 100 ff. sowie § 34), die Marktmissbrauchs-RL (Market Abuse Directive – MAD, dazu u. Rn. 125 ff., 176 ff., 198 ff. sowie § 35), die Transparenz-RL (dazu u. Rn. 155, 159 ff. sowie § 36) die OGAW-RL (dazu u. Rn. 252 ff.), die AIFM-RL (dazu u. Rn. 243 ff.), die Rating-VO (dazu u. Rn. 318 ff.) sowie die Rechtakte, mit denen das Europäische Finanzaufsichtssystem (ESFS, dazu u. Rn. 263 ff., speziell zur ESMA-VO auch § 37) geschaffen wurde.2 Das Kapitalmarktrecht ist heute einer der am stärksten europäisierten Rechts- 3 bereiche, das europäische Recht hat somit erheblichen Einfluss auf die nationalen Rechte der Mitgliedstaaten genommen.3 Speziell in Deutschland gehen nahezu alle kapitalmarktrechtlichen Regelungen auf europäisches Recht zurück.4 2. Der Europäische Kapitalmarkt a) Der Kapitalmarktbegriff Was unter dem Begriff Kapitalmarkt zu verstehen ist, ist bislang nicht abschließend 4 geklärt.5 Als ein aus der Volkswirtschaft stammender Begriff wird er häufig als ein beson- 5 derer Teil des Finanzmarkts in Abgrenzung zum Geld-, Devisen- und Terminmarkt beschrieben.6 Funktional betrachtet handelt es sich beim Kapitalmarkt um den Markt, auf dem Unternehmen längerfristig Geldvermögen zugeführt wird, das diese für Investitionen nutzen.7 1 Vgl. nur Assmann, in Gebauer/Wiedmann (Hrsg.), Zivilrecht unter europäischem Einfluss, 2. Aufl., 2010, Kap. 22, Rn. 1. 2 Aktuelle Informationen über die kapitalmarktrechtlichen Rechtsakte und Reformvorhaben auf der Webseite der Kommission zum Bereich Finanzdienstleistungen unter http:// ec.europa.eu/internal_market/top_layer/index_24_de.htm. 3 Vgl. nur Buck-Heeb, Kapitalmarktrecht, 4. Aufl. 2010, Rn. 31 ff.; Grunewald/Schlitt, Einführung in das Kapitalmarktrecht, 3. Aufl. 2007, S. 3 f.; Krimphove EuR 2007, 597, 598 ff.; Langenbucher, Aktien- und Kapitalmarktrecht, 2008, § 1 Rn. 36 ff. 4 Vgl. Assmann (Fn. 1), Rn. 44 ff.; ders., in: Assmann/Schütze, Handbuch des Kapitalanlagerechts, 3. Aufl. 2007, § 1 Rn. 56; Klöhn in: Langenbucher (Hrsg.), Europarechtliche Bezüge des Privatrechts, 2. Aufl. 2008, § 6 Rn. 1. 5 Vgl. Lenenbach, Kapitalmarktrecht und kapitalmarktrelevantes Gesellschaftsrecht, 2. Aufl. 2010, Rn. 1.7; Oulds, in: Kümpel/Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, 4. Aufl. 2011, Rn. 14.26. 6 Vgl. Grunewald/Schlitt (Fn. 3), S. 1 f. 7 Vgl. Grunewald/Schlitt (Fn. 3), S. 1 f.; Lenenbach (Fn. 5), Rn. 1.13.

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Europäisches Kapitalmarktrecht

I.R.d. juristischen Terminologie kann zwischen einem Kapitalmarkt im engeren und im weiteren Sinn unterschieden werden:8 Kapitalmarkt i.e.S. meint allein den Wertpapiermarkt, also einen Markt, an dem ein massenhafter, institutionalisierter Handel mit standardisierten Finanzprodukten stattfindet9. Unter den Begriff des Kapitalmarkts i.w.S. fallen darüber hinaus auch der Terminmarkt, auf dem verschiedene Derivate gehandelt werden, und der sog. Graue Kapitalmarkt, auf dem nicht standardisierte Finanzprodukte, wie v.a. GmbH-Anteile und Anteile von Publikumspersonengesellschaften gehandelt werden.10 Für den Begriff des Europäischen Kapitalmarkts bietet sich eine Definition an7 hand der Produkte an, die auf dem Kapitalmarkt gehandelt und vom europäischen Gesetzgeber reguliert werden. Danach ist der Europäische Kapitalmarkt als Markt für Finanzinstrumente zu verstehen, wozu neben übertragbaren Wertpapieren auch Investmentfonds und verschiedene Termingeschäfte zählen.11 6

b) Systematisierung des Kapitalmarkts 8 Der Kapitalmarkt lässt sich sowohl im Hinblick auf die Marktchronologie und seine Funktionen sowie auch nach seinem Organisationsgrad systematisieren. aa) Marktchronologie und Funktionen 9 Rechtstatsächlich lässt sich der Kapitalmarkt in den Primärmarkt und den Sekundärmarkt unterteilen.12 Während auf dem Primärmarkt die erstmalige Ausgabe der Wertpapiere durch die Emittenten an die Anleger erfolgt, findet auf dem Sekundärmarkt der Handel zwischen den Anlegern mit den bereits emittierten Papieren statt. Die Funktion dieser Differenzierung erschöpft sich nicht allein in der formalen Beschreibung der chronologischen Abfolge der Märkte. Sie ermöglicht v.a. auch die Erfassung der mit den beiden Märkten verbundenen unterschiedlichen materiellrechtlichen Problemlagen.13 So ist das Informationsbedürfnis eines Anlegers, der auf dem Primärmarkt erstmals ausgegebene Papiere vom Emittenten erwerben möchte, ein anderes als auf dem Sekundärmarkt, wo das Papier bereits einer ständigen Bewertung durch die Marktteilnehmer unterliegt.14 Informationsasymmetrien zwischen Emittent und Anleger werden demnach in besonderer Weise auf dem Primärmarkt virulent, 8 Vgl. Assmann (Fn. 1), Rn. 36 f.; Oulds (Fn. 5), Rn. 14.26 ff. 9 Ein solches enges Verständnis zeigt der europäische Gesetzgeber etwa in Art. 4 Abs. 1 Nr. 18 MiFID (dazu noch § 33 Rn. 6). 10 Vgl. Lenenbach (Fn. 5), Rn. 1.14 ff.; Oulds (Fn. 5), Rn. 14.27 f., 14.41 ff., 14.50 f. 11 Dies ergibt sich aus dem Anwendungsbereich der MiFID nach Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 4 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 i.V.m. Anh. I Abschnitt C MiFID (dazu noch u. Rn. 56 sowie § 33 Rn. 5 ff.). 12 Vgl. hierzu Lenenbach (Fn. 5), Rn. 1.21 ff.; Oulds (Fn. 5), Rn. 14.62 ff. 13 Vgl. ähnlich Elster, Europäisches Kapitalmarktrecht: Recht des Sekundärmarktes, 2002, S. 3; Stünkel, EG-Grundfreiheiten und Kapitalmärkte, 2005, S. 35. 14 Vgl. Elster (Fn. 13), S. 3.

Kapitalmarktrecht in der EU und dem EWR

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weshalb Ausgangspunkt der europäischen Primärmarktregulierung auch das Prospektrecht ist (dazu u. Rn. 99 ff. sowie § 34). Eine Problematik des Sekundärmarkts ist hingegen z.B. der Insiderhandel (dazu u. Rn. 123 ff. sowie § 35 Rn. 8 ff.).

bb) Organisationsgrad Darüber hinaus lassen sich Kapitalmärkte nach ihrem Organisationsgrad differenzie- 10 ren. Ein hoher Organisationsgrad zeichnet sich durch standardisierte Handelsobjekte, einfache Rechtsübertragung der Handelsobjekte, zeitliche und örtliche Konzentration des Handels, hohe Transparenzanforderungen sowie eine zuverlässige Preisbildung aus.15 Im europäischen Recht ist der geregelte Markt (dazu u. Rn. 58 sowie § 33 Rn. 8) der am stärksten regulierte und in der Folge auch der am stärksten organisierte Markt. Weniger hoch organisiert ist der Interbankenhandel bzw. Handel zwischen institutionellen Anlegern (wie Banken, Versicherungen und Pensionsfonds) über multilatere Handelssysteme (multilateral trading facilities – MTF) oder systematische Internalisierer (systematic internalisers, dazu u. Rn. 72 ff. sowie § 33 Rn. 8). Der am schwächsten organisierte Markt ist der Graue Kapitalmarkt; er unterliegt bislang keiner europäischen Regulierung.16

3. Das Europäisches Kapitalmarktrecht a) Ziel, Instrumente und Konzept der europäischen Regulierung des Kapitalmarkts Ziel der europäischen Kapitalmarktregulierung ist es, die Niederlassungsfreiheit 11 (Art. 49 AEU), Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 63 AEU) und Dienstleistungsfreiheit (Art. 56 AEU) zu verwirklichen17 um auf diese Weise einen europäischen Kapitalbinnenmarkt zu schaffen.18 Hierzu stehen dem europäischen Gesetzgeber zwei Instrumente zur Verfügung: 12 die Realisierung der Grundfreiheiten und die Rechtsangleichung19. Die Durchsetzung der Niederlassungs-, Kapitalverkehrs- und Dienstleistungs- 13 freiheit erfolgt durch den Abbau von Hemmnissen, die die Grundfreiheiten beschränken. Dies erfolgt vor allem durch das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung (sog.

15 Vgl. Grunewald/Schlitt (Fn. 3), S. 5; s. ferner auch Buck-Heeb (Fn. 3), Rn. 76. 16 Vgl. Assmann (Fn. 1), Rn. 42. 17 Vgl. hierzu Buck-Heeb (Fn. 3), Rn. 32; Habersack § 1 Rn. 5; Kilian, Europäisches Wirtschaftsrecht, 1996, Rn. 727; Merkt/Rossbach JuS 2003, 217, 220; Mülbert WM 2001, 2085, 2088 ff.; Stünkel (Fn. 13), S. 44 ff. 18 Vgl. Assmann, in: Assmann/Schütze, Handbuch des Kapitalanlagerechts, 3. Aufl. 2007, § 1 Rn. 55; Stünkel (Fn. 13), S. 43 ff.; Mülbert WM 2001, 2085, 2088. 19 Vgl. Assmann/Buck EWS 1990, 110, 112 ff.; Deckert/von Rüden EWS 1998, 46, 48 f.; Moloney, EC securities regulation, 2. Aufl. 2008, S. 9.

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Europäisches Kapitalmarktrecht

Europäischer Pass).20 Danach unterliegt die Zulassung eines Produkts, einer Tätigkeit oder eines Unternehmens am Kapitalmarkt der Aufsichtsbehörde des Herkunftslandes (Herkunftslandprinzip) und wird von den anderen Mitgliedstaaten anerkannt.21 14 Das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung setzt wiederum gemeinsame Standards voraus. Um einen europäischen Kapitalbinnenmarkt zu realisieren, bedient sich der europäische Gesetzgeber daher auch des Instruments der Rechtsangleichung durch Harmonisierung.22 15 Die allgemeine Harmonisierungskompetenz für die Schaffung eines Binnenmarkts ist in Art. 114 und 115 AEU (G Art. 95 und Art. 94 EG) geregelt. Darüber hinaus bestehen mit Art. 50 und Art. 53 AEU (G Art. 44 und Art. 47 EG) sowie Art. 59 AEU (G Art. 52 EG) spezielle Harmonisierungskompetenzen zur Realisierung der Niederlassungs- bzw. Dienstleistungsfreiheit. Im Europäischen Kapitalmarktrecht beruhen die meisten Rechtsakte auf Art. 114 sowie Art. 50 und Art. 53 AEU.23 16 Ursprünglich verfolgte der europäische Gesetzgeber überwiegend das Konzept der Mindestharmonisierung.24 Mittlerweile werden Rechtsakte jedoch zunehmend in Form von Verordnungen verabschiedet, die unmittelbar gelten und den Mitgliedstaaten somit – anders als Richtlinien – keinen Umsetzungsspielraum lassen (vgl. dazu bereits allg. § 3 Rn. 3 ff.). Aber auch die kapitalmarktrechtlichen Richtlinien werden zunehmend detaillierter, so dass faktisch oft kaum noch ein Umsetzungsspielraum bleibt.25 Eine Steigerung des Detaillierungsgrads bringt außerdem der Erlass technischer Standards in Form von delegierten Rechtsakten und Durchführungsrechtsakten mit sich 26, so dass die Rechtsangleichung insgesamt zunehmend auf eine Vollharmonisierung gerichtet ist 27.

20 Vgl. hierzu Lenenbach (Fn. 5), Rn. 1.115; Stünkel (Fn. 13), S. 48 ff. 21 Vgl. Lenenbach (Fn. 5), Rn. 1.115. 22 Vgl. hierzu Stünkel (Fn. 13), S. 55 ff.; Mülbert WM 2001, 2085, 2092 ff. Des Regelungsinstruments des Europäischen Passes bedienen sich etwa die Prospekt-RL (vgl. Rn. 113 sowie § 34 Rn. 12), die MiFID (vgl. Rn. 212, 221 sowie § 33 Rn. 9), die OGAW-RL (vgl. Rn. 237), die AIFM-RL (vgl. Rn. 248), die Rating-VO (vgl. Rn. 259) und die ÜbernahmeRL (dazu § 30 Rn. 56). 23 Auf Art. 114 AEU beruhen etwa die MAD (dazu u. Rn. 125 ff. sowie § 35), die RatingVO (dazu u. Rn. 254 ff.) und die Rechtsakte zur Schaffung des ESFS (dazu u. Rn. 263 ff., speziell zur ESMA-VO § 37). Auf Art. 53 AEU beruhen die MiFID (dazu u. Rn. 55 ff., 208 ff. sowie § 33) und die OGAW-RL (dazu u. Rn. 232 ff.). Auf Art. 50 und Art. 114 AEU beruhen die Transparenz-RL (dazu u. Rn. 155, 159 ff. sowie § 36) und die ProspektRL (dazu u. Rn. 100 ff. sowie § 34). 24 Vgl. Buck-Heeb (Fn. 3), Rn. 32; Merkt/Rossbach JuS 2003, 217, 220 f.; Möllers FS Horn, 2006, S. 473, 848 f.; ders. ZEuP 2008, 480; Mülbert WM 2001, 2085, 2093 f. 25 So etwa im Hinblick auf die MiFID: Buck-Heeb (Fn. 3), Rn. 32; Weichert/Wenninger WM 2007, 627, 628. 26 Vgl. zur Lamfalussy-Verfahren u. Rn. 44 ff.; speziell zum Entwurf technischer Regulierungs- und Durchführungsstandards durch die ESA u. Rn. 301 sowie in Bezug auf die ESMA § 37 Rn. 7. 27 Vgl. zu diesem Paradigmenwechsel etwa auch Fleischer/Schmolke NZG 2010, 1241, 1243 f.; Möllers FS Horn, 2006, S. 473, 484 ff.; ders. ZEuP 2008, 480 f., 502 ff.; Moloney (2010) 47 C.M.L. Rev. 1317, 1356 f.; dies. (2011) 2 EBOR 41, 53 f.

Kapitalmarktrecht in der EU und dem EWR

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Der europäische Kapitalmarktregulierung liegt kein geschlossenes System zu 17 Grunde. Vielmehr erfolgt die Regulierung reaktiv und punktuell durch sektorbezogene Einzelmaßnahmen.28 Vor diesem Hintergrund ist dem europäischen Gesetzgeber oftmals der Vorwurf der Konzeptlosigkeit gemacht worden.29 Zu seiner Verteidigung lässt sich jedoch anführen, dass das Kapitalmarktrecht überhaupt erst in den letzten Jahren zu einem eigenständigen Rechtsgebiet herangewachsen ist (vgl. zur historischen Entwicklung u. Rn. 18 ff.) und daher auch eine Systembildung damit überhaupt erst möglich war. Vor allem aber ist der beschriebene Regulierungsansatz in den Eigenheiten des europäischen Rechts begründet: So kann der europäische Gesetzgeber wegen des Prinzips der begrenzten Einzelermächtigung (dazu allg. § 2 Rn. 5) nur auf Grund einer speziellen Handlungsermächtigung in einem bestimmten Tätigkeitsfeld zur Erreichung konkreter Ziele tätig werden.30 Damit ist er quasi zu einer punktuellen Vorgehensweise gezwungen.

b) Historischer Überblick über die Entwicklung des Europäischen Kapitalmarktrechts Seinen Ursprung hat das Kapitalmarktrecht im Börsen-, Bank- und Gesellschafts- 18 recht.31 Erst mit zunehmender Bedeutung der Kapitalmärkte für die Wirtschaft wuchs das Querschnittsrecht 32 zu einem selbstständigen Rechtsgebiet heran und ist seit den 1990er Jahren als eigenständiges Rechtsgebiet anerkannt 33.

aa) Beginn der europäischen Kapitalmarktregulierung (1966 bis 1980er) Die Kommission hat früh begonnen, die rechtlichen Voraussetzungen für einen euro- 19 päischen Kapitalmarkt zu schaffen, wie er mit der Freiheit des Kapitalverkehrs und der Dienstleistungsfreiheit von Anfang an in den Verträgen angelegt war.34 So wurden die ersten Pläne bereits im Jahr 1966 mit dem Segré-Bericht 35 vorgelegt. Die nationalen Kapitalmärkte in Kontinentaleuropa waren zu diesem Zeitpunkt noch schwach

28 Vgl. nur Mülbert WM 2001, 2085, 2087 f. 29 Vgl. Assmann/Buck EWS 1990, 110, 110 ff.; Krimphove EuR 2007, 597, 621; Stünkel (Fn. 13), S. 61. 30 Vgl. hierzu näher Mülbert WM 2001, 2085, 2087 f. 31 Vgl. Assmann (Fn. 18), § 1 Rn. 5 ff.; Hopt ZHR 141 (1977), 389 ff.; ders. WM 2009, 1873, 1874; Oulds (Fn. 5), Rn. 14.6. 32 Vgl. U. H. Schneider AG 2001, 269, 271. 33 Vgl. Assmann (Fn. 18), § 1 Rn. 5 ff., 21; Hopt WM 2009, 1873; Lenenbach (Fn. 5), Rn. 1.1. 34 Vgl. zur Entwicklung des Europäischen Kapitalmarktrechts Assmann (Fn. 1), Rn. 36 ff.; Assmann/Buck EWS 1990, 223 ff.; Elster (Fn. 13), S. 4 ff.; Krimphove EuR 2007, 597, 604 ff.; Moloney (Fn. 19), S. 11 ff. 35 Vgl. EWG-Kommission, Der Aufbau eines Europäischen Kapitalmarkts, 1966.

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und nahezu bedeutungslos, denn Unternehmen finanzierten sich überwiegend durch Fremdkapital über Banken.36 So monierten Sachverständige in dem Bericht die schlechte Situation der europäischen Kapitalmärkte und betonten, welche Vorteile ein weiter ausgebildeter und integrierter Kapitalmarkt für die europäische Wirtschaft hätte. In dieser ersten Phase konzentrierte sich der europäische Gesetzgeber auf die 20 Durchdringung der nationalen Kapitalmärkte durch Liberalisierung des Kapitalverkehrs und Harmonisierungsmaßnahmen.37 In diesem Zusammenhang erließ er im Jahr 1979 die Börsenzulassungs-RL38, im Jahr 1980 die Börsenzulassungsprospekt-RL39 und im Jahr 1982 die Halbjahresberichts-RL40 (zu diesen und ihrer Fortentwicklung auch noch § 36 Rn. 1).

bb) Zunehmende Bedeutung der Kapitalmärkte und Verwirklichung des Binnenmarktprojekts (1980er bis 1999) 21 Als Unternehmen aus Europa begannen, an die New Yorker Börse zu streben und ihre Finanzvorstände lernten, die Börse als Finanzierungsquelle zu verstehen, wandelte sich das Finanzierungssystem von Unternehmen von einem durch Banken finanzierten, fremdkapitalorientierten System zunehmend hin zu einem durch den Kapitalmarkt finanzierten, eigenkapitalorientierten System.41 Damit änderte sich die Bedeutung der Kapitalmärkte für die Gesamtwirtschaft völlig. Entsprechend wichtiger wurde auch eine Regulierung auf europäischer Ebene. Im 22 Jahr 1985 verabschiedete die Kommission das Weißbuch zur Vollendung des Binnenmarkts42, das angesichts der zunehmenden Bedeutung der Kapitalmärkte auch die Liberalisierung der Finanzdienste und des Kapitalverkehrs sowie die Schaffung eines

36 Vgl. zum grundsätzlichen Strukturwandel der Finanzierungssysteme Pfundt/von Rosen (Hrsg.) Kapitalmarkt im Wandel, 1. Auflage, 2008, S. 4 ff.; Rudolf in: Habersack/ Mülbert/Schlitt (Hrsg.), Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, 2. Aufl. 2008, § 1 Rn. 1 ff.; Schwark WM 1997, 293, 293. 37 Vgl. Moloney (Fn. 19), S. 11; Schwark WM 1997, 293, 293 f. 38 RL 79/279/EWG des Rates v. 5.3.1979 zur Koordinierung der Bedingungen für die Zulassung von Wertpapieren zur amtlichen Notierung an einer Wertpapierbörse, ABlEG v. 16.3.1979, L 66/21. Dazu näher Voraufl. S. 528 ff. 39 RL 80/390/EWG des Rates v. 17.3.1980 zur Koordinierung der Bedingungen für die Erstellung, die Kontrolle und die Verbreitung des Prospekts, der für die Zulassung von Wertpapieren zur amtlichen Notierung an einer Wertpapierbörse zu veröffentlichen ist, ABlEG v. 17.4.1980, L 100/1. Dazu auch noch § 34 Rn. 1 sowie näher Voraufl. S. 546 ff. 40 RL 82/121/EWG des Rates vom 15.2.1982 über regelmäßige Informationen, die von Gesellschaften zu veröffentlichen sind, deren Aktien zur amtlichen Notierung an einer Wertpapierbörse zugelassen sind, ABlEG v. 20.2.1982, L 48/26. Dazu näher Voraufl. S. 578 ff. 41 Vgl. Assmann (Fn. 1), Rn. 1, 36 f. m.w.N. 42 Vollendung des Binnenmarkts: Weißbuch der Kommission an den Europäischen Rat, KOM(85) 310.

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integrierten Finanzsystems zum Gegenstand hatte 43. Nunmehr standen erstmals kapitalmarktrechtliche Aspekte wie Transparenz und Insiderhandel sowie die Regulierung von Finanzintermediären (wie Investmentfonds und Wertpapierdienstleistungsunternehmen) im Vordergrund.44 Verabschiedet wurden im Zusammenhang mit dem Binnenmarktprogramms im Jahr 1985 die OGAW-RL45 (dazu u. Rn. 232), im Jahr 1988 die Beteiligungstransparenz-RL46 (dazu noch u. Rn. 183 sowie § 36 Rn. 1), im Jahr 1989 die Emissionsprospekt-RL 89/298/EG 47 (dazu auch noch u. Rn. 99 f. sowie § 34 Rn. 1, § 36 Rn. 1) und die Insider-RL48 (dazu noch u. Rn. 176 sowie § 35 Rn. 2) und 1993 die Wertpapierdienstleistungs-RL (Investment Services Directive – ISD, dazu noch u. Rn. 210 sowie § 33 Rn. 1) 49.

cc) Realisierung des Aktionsplans für Finanzdienstleistungen (1999 bis 2005) Ein maßgeblicher Meilenstein für die Entwicklung des Kapitalmarktrechts in Europa 23 war der Aktionsplan für Finanzdienstleistungen (Financial Services Action Plan – FSAP) 50 aus dem Jahr 1999. Er geht zurück auf den Aktionsrahmen 51 zur Verbesserung des Binnenmarkts für Finanzdienstleistungen aus dem Jahr 1998. Der darin bereits abgesteckte Rahmen für die Fortentwicklung des Finanzdienstleistungsrechts wurde mit dem FSAP konkretisiert, indem 42 nach Priorität geordnete Einzelmaßnahmen festlegt wurden. Insgesamt führte der FSAP auf diese Weise zu 26 Richt-

43 Vgl. KOM(85) 310, S. 27 f., 31 f. Der Zeitplan sah Maßnahmen im Bereich der Organismen für gemeinsame Anleihen, die Publizität von bedeutenden Beteiligungen, Prospektvorgaben und die Anlageberatung vor (vgl. Anh. S. 33). 44 Vgl. auch Moloney (Fn. 19), S. 13 f. 45 RL 85/611/EWG des Rates vom 20.12.1985 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften betreffend bestimmte Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren (OGAW), ABlEG v. 31.12.1985, L 375/3; inzwischen aufgehoben und ersetzt durch RL 2009/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.7.2009 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften betreffend bestimmte Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren (OGAW), ABlEU v. 17.11.2009, L 302/32. 46 RL 88/627/EWG des Rates vom 12.12.1988 über die bei Erwerb und Veräußerung einer bedeutenden Beteiligung an einer börsennotierten Gesellschaft zu veröffentlichenden Informationen, ABlEG v. 17.12.1988, L 348/62. 47 RL 89/298/EWG des Rates vom 17.4.1989 zur Koordinierung der Bedingungen für die Erstellung, Kontrolle und Verbreitung des Prospekts, der im Falle öffentlicher Angebote von Wertpapieren zu veröffentlichen ist, ABlEG v. 5.5.1989, L 124/8. Dazu Voraufl. S. 605 ff. 48 RL 89/592/EWG des Rates v. 13.11.1989 zur Koordinierung der Vorschriften betreffend Insider-Geschäfte, ABlEG v. 18.11.1989, L 334/30. 49 RL 93/22/EWG des Rates vom 10.5.1993 über Wertpapierdienstleistungen, ABlEG v. 11.6.1993, L 141/27 (abgedruckt in Voraufl. S. 459 ff.). 50 Mitteilung der Kommission – Umsetzung des Finanzmarktrahmens: Aktionsplan, KOM(1999) 232. Dazu etwa Foelsch BKR 2007, 94 ff.; Moloney (Fn. 19), S. 16 ff.; Stünkel (Fn. 13), S. 59 ff. 51 Mitteilung der Kommission – Finanzdienstleistungen: Abstecken eines Aktionsrahmens, KOM(1998) 625.

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linien, die inzwischen allesamt in nationales Recht umgesetzt worden sind 52, darunter die MiFID (dazu noch u. Rn. 55 ff., 208 ff. sowie § 33), die Prospekt-RL (dazu noch u. Rn. 100 sowie § 34), die MAD (dazu noch u. Rn. 125 ff., 176 ff., 198 ff. sowie § 35) und die Transparenz-RL (dazu noch u. Rn. 155, 159 sowie § 36). Der Großteil der heute geltenden europäischen Vorgaben ist mithin auf den FSAP zurückzuführen.

dd) Phase der Konsolidierung (2005 bis 2007) 24 Im Jahr 2005 legte die Kommission nach weitgehender Umsetzung der FSAP-Maßnahmen ein Grünbuch 53 und ein Weißbuch 54 zur Finanzdienstleistungspolitik der Jahre 2005 bis 2010 vor. Hierin stellte sie fest, dass der Finanzsektor noch über ein erhebliches Wachstumspotential verfüge und die Finanzmärkte einer noch stärkeren Integration bedürften, um effizienter zu sein55. Statt jedoch neue Rechtsetzungsmaßnahmen vorzuschlagen, empfahl die Kommission für die nächsten Jahre eine Phase der Konsolidierung der durch den FSAP bereits erreichten Fortschritte.56 Der Fokus sollte auf die bereits erlassenen Rechtsakte gelegt werden, um ihre Effektivität zu überprüfen und ggf. nachzubessern und um sicherzustellen, dass die erlassenen Rechtsakte richtig umgesetzt würden.57

ee) Reaktionen auf die Finanzkrise (2007 bis heute) 25 Die regulatorische „Ruhephase“ wurde dann jedoch im Jahr 2007 durch die Finanzmarktkrise jäh unterbrochen: Obgleich die Konsolidierungsphase ursprünglich bis zum Jahr 2010 geplant war, geriet der europäische Gesetzgeber nun unter erheblichen Handlungsdruck, um die Funktionsfähigkeit der europäischen Finanzmärkte zu gewährleisten und verlorenes Anlegervertrauen in die Finanzmärkte wiederherzustellen. Da die nationalen Regierungen der Mitgliedstaaten ebenfalls zu einer schnellen Reaktion gezwungen waren, gelang es relativ zügig, Konsens über die verschiedenen Maßnahmen zu erzielen. Nach einer Reihe erster Not- und Sofortmaßnahmen leitete die Kommission eine umfassende Reform der gesamten europäischen Finanzmarktregulierung in die Wege (dazu auch noch u. Rn. 334 ff.). Ein Kernelement war

52 Vgl. Kommission, Transposition of FSAP Directives – State of play as at 25/08/2010, abrufbar unter http://ec.europa.eu/internal_market/finances/docs/actionplan/index/100825transposition_en.pdf. 53 Grünbuch zur Finanzdienstleistungspolitik (2005–2010), 3.5.2005, KOM(2005) 177. 54 Weißbuch zur Finanzdienstleistungspolitik für die Jahre 2005–2010, 1.12.2005, KOM(2005) 629. 55 Vgl. KOM(2005) 629, S. 5. 56 Vgl. KOM(2005) 177, S. 4, ff.; KOM(2005) 629, S. 4. Vgl. hierzu Fischer zu Cramburg AG 2005, R92 f.; Foelsch BKR 2007, 94, 101; Klöhn (Fn. 4), § 6 Rn. 12, 14; Schmolke NZG 2005, 912, 915. 57 Vgl. Moloney (Fn. 19), S. 15.

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dabei speziell die zum 1.1.2011 erfolgte Neuordnung des europäischen Finanzaufsichtssystems (dazu ausf. u. Rn. 263 ff. sowie speziell zur ESMA noch § 37). Weiterhin wurden viele bereits bestehende Rechtsakte novelliert und modernisiert bzw. sollen dies demnächst noch werden (vgl. dazu u. Rn. 336, 339). Darüber hinaus wurden aber auch eine Reihe neue Harmonisierungsmaßnahmen in bislang nicht „europäisierten“ Bereichen ergriffen bzw. in die Wege geleitet, hinsichtlich derer die Finanzkrise Regulierungsbedarf gezeigt hatte, so z.B. die Rating-VO (dazu u. Rn. 254 ff.), die AIFM-RL (dazu u. Rn. 243 ff.) sowie die geplante OTC-VO (dazu u. Rn. 346 ff.) und die geplante RL über Leerverkäufe (dazu u. Rn. 341 ff.). Nach den – äußerst ambitionierten – Plänen der Kommission soll dieser Reformprozess spätestens Ende 2013 abgeschlossen sein (vgl. u. Rn. 334).

c) Regelungsinhalte und Schutzziele des Europäischen Kapitalmarktrechts Unter der Prämisse, dass das Europäische Kapitalmarktrecht im Dienste der Schaf- 26 fung eines europäischen Binnenmarkts steht, kann es umschrieben werden als Summe der Regelungen, die die Rahmenbedingungen für den Handel mit Finanzinstrumenten im Binnenmarkt festlegen.58 Konzeptionell handelt es sich um Marktverfassungsrecht bestehend aus Markt- 27 organisations-, Marktverhaltens- und Marktaufsichtsrecht.59 In materieller Hinsicht stellt das Europäische Kapitalmarktrecht eine Mischung aus öffentlich-, privat- und strafrechtlichen Bestimmungen dar.60 Das Europäische Kapitalmarktrecht ist funktionsbezogen 61 zu verstehen, wobei 28 neben der Schaffung einen Kapitalbinnenmarktes vorrangig zwei Regelungsziele 62 auszumachen sind: Vor allem soll es dem Funktionsschutz dienen, denn Kapitalmärkte erfüllen im Gefüge der Wirtschaftsordnung eine wichtige ökonomische Aufgabe 63.

58 Vgl. Assmann (Fn. 1), Rn. 36; ders. (Fn. 18), § 1 Rn. 55; Assmann/Buck EWS 1990, 110, 114; Deckert/von Rüden EWS, 1998, 46, 46 f.; Elster (Fn. 13), S. 2 f.; Kilian (Fn. 17), Rn. 727; Mülbert WM 2001, 2085, 2086 f.; Stünkel (Fn. 13), S. 39 f. 59 Vgl. Mülbert WM 2001, 2085, 2087. 60 Vgl. Buck-Heeb (Fn. 3), Rn. 40 ff.; Hopt WM 2009, 1873, 1874; s. auch Fleischer ZIP 2006, 451, 458 (Kapitalmarktrecht als Markt-, Verfahrens-, Informations-, Regulierungs- und Querschnittsrecht); ähnlich U. H. Schneider AG 2001, 269, 270 ff. 61 Vgl. allg. zum Zweck des Europäischen Kapitalmarktrechts Klöhn (Fn. 4), § 6 Rn. 13; Mülbert WM 2001, 2085, 2092 f. 62 Vgl. konkret zu den Regelungszielen des Europäischen Kapitalmarktrechts speziell auch die Erwägungsgründe der kapitalmarktrechtlichen RL und VO, z.B. Erwägungsgründe 5, 17, 31, 44 u. 71 der MiFID (zu dieser noch näher u. Rn. 55 ff., 208 ff. sowie § 33); Erwägungsgründe 10, 12, 16 u. 20 der Prospekt-RL (zu dieser noch näher u. Rn. 100 ff. sowie § 34); Erwägungsgründe 2 u. 12 der MAD (zu dieser noch näher u. Rn. 125 ff. sowie § 35); Erwägungsgründe 1, 27, 36 u. 41 der Transparenz-RL (zu dieser noch näher u. Rn. 155, 159 ff. sowie § 36); Erwägungsgründe 1, 7, 55 u. 75 der Rating-VO (zu dieser näher u. Rn. 254 ff.). 63 Vgl. Merkt/Rossbach JuS 2003, 217, 220.

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An effizienten Kapitalmärkten besteht ein öffentliches Interesse, was ihre Veranstaltung zu einer staatlichen Aufgabe macht. Die Funktionsfähigkeit spiegelt sich vor allem in der Markteffizienz wider 64, die sich traditionell in drei Dimensionen darstellen lässt: 65 Während die Allokationseffizienz gewährleistet, dass Ressourcen in ihre produktivste Verwendung gelenkt werden, stellt die operationale Effizienz eine Minimierung der Transaktionskosten beim Handel mit (Kapitalmarkt-)Produkten sicher. Die institutionelle Effizienz garantiert die Rahmenbedingungen, die einen Kapitalmarkt überhaupt erst entstehen lassen, also die Voraussetzungen dafür, dass Anleger ihr Vermögen zur Verfügung stellen; sie wird durch besondere Informationsund Verhaltenspflichten realisiert, die dem Vertrauensschutz dienen. Der Aspekt des Vertrauensschutzes wird vornehmlich dem Anlegerschutz zugeordnet, dem zweiten Schutzziel des Kapitalmarktrechts.66 Hier ist jedoch zu differenzieren zwischen dem Anlegerschutz als Individualschutz (also dem vom Gesetzgeber intendierten Schutz des einzelnen Anlegers) und dem überindividuellen Anlegerschutz, mit dem der Schutz des Anlegerpublikums in der Gesamtheit gemeint ist und der – wie gezeigt – einen besonderen Aspekt des Funktionsschutzes darstellt.67 Größtenteils bezwecken kapitalmarktrechtliche Regelungen die Sicherung der Funktionsfähigkeit des Kapitalmarkts, während der Anlegerschutz letztlich nur einen Rechtsreflex dieses Funktionsschutzes darstellt.68

d) Der Einfluss internationaler Standards auf das Europäische Kapitalmarktrecht 29 Die Rechtsentwicklung des Europäischen Kapitalmarktrechts vollzieht sich nicht autonom, sondern steht unter erheblichen Einfluss internationaler Standardsetter, wie der G20 (dazu u. Rn. 30), des FSB (dazu u. Rn. 31) und der IOSCO (dazu u. Rn. 32), bei denen die EU jeweils vertreten ist. 30 Die G20, die Gruppe der zwanzig wichtigsten Industrie- und Schwellenländer 69, wurde 1999 gegründet, um die wichtigsten Industrienationen zusammenzubringen und ein Forum für die Erörterung und Abstimmung im Hinblick auf Themen, die die

64 Markteffizienz ist Regelungsziel und Regelungsprinzip des Europäischen Kapitalmarktrechts, vgl. Mülbert WM 2001, 2085, 2094. 65 Vgl. hierzu Buck-Heeb (Fn. 3), Rn. 8 ff.; Klöhn (Fn. 4), § 6 Rn. 4 ff.; Lenenbach (Fn. 5), Rn. 1.67 ff.; Oulds (Fn. 5), Rn. 14.141 ff. 66 Vgl. näher zum Anlegerschutz durch das Europäische Kapitalmarktrecht etwa Deckert/ von Rüden EWS, 1998, 46 ff.; Hopt WM 2009, 1873, 1874 f. 67 Vgl. Lenenbach (Fn. 5), Rn. 1.69.; Merkt/Rossbach JuS 2003, 217, 220; Oulds (Fn. 5), Rn. 14.175. 68 Besonders relevant ist die Differenzierung i.R.d. § 823 Abs. 2 BGB. Möchte ein Anleger Schadensersatzansprüche geltend machen, stellt sich die Frage, ob die (kapitalmarktrechtliche) Norm, gegen die verstoßen wurde, ein Schutzgesetz i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB darstellt, mithin drittschützenden Charakter aufweist. Sofern die Regelung letztlich die Funktionsfähigkeit des Kapitalmarkts bezweckt, dient sie der Allgemeinheit und ist nicht drittschützend, so dass auch kein Schutzgesetz i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB gegeben ist. 69 Homepage: http://www.g20.org/.

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globale Wirtschaft betreffen, zu schaffen. Insbesondere in Fragen der Finanzstabilität erfolgt hier auf höchster Ebene ein internationaler Dialog und Austausch. Das FSB (Financial Stability Board) 70 ist ein internationales Gremium, das im 31 Anschluss an das G20-Gipfeltreffen im April 2009 in London von den G20-Staaten als Nachfolger des Financial Stability Forum (FSF) gegründet wurde. Es hat die Aufgabe, auf internationaler Ebene die Arbeit der nationalen Aufsichtsbehörden zu koordinieren sowie effektive Regulierungs- und Aufsichtsstandards zu fördern. Das Sekretariat des FSB ist bei der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) (Bank for International Settlements – BIS) in Basel angesiedelt. Internationale Standards für die Wertpapiermärkte setzt überdies die IOSCO 32 (International Organization of Securities Commissions/Internationalen Vereinigung der Wertpapieraufsichtsbehörden) 71. Sie veröffentlichte 1998 die IOSCO Principles 72, die mittlerweile in allen Wertpapiermärkten als internationaler Regulierungsmaßstab angesehen werden. Die im Jahr 2003 herausgegebene IOSCO Principles Assessment Methodology 73 ermöglicht eine objektive Prüfung, in welchem Maß die IOCSO Principles implementiert sind. Außerdem verständigten sich die IOSCO-Mitglieder bereits im Jahr 2001 auf ein Multilateral Memorandum of Understanding (ISOCO Multilateral MOU) 74, das grenzüberschreitend den Austausch von Informationen unter den intenationalen Regulierern der Wertpapiermärkte fördert 75. Mittlerweile ist das IOSCO Multilateral MOU zum internationalen Maßstab für die Kooperation zwischen den Wertpapieraufsichtsbehörden geworden.76 4. Kapitalmarktrecht und Gesellschaftsrecht Literatur: Albach, Horst/Lutter, Marcus et. al., Deregulierung des Aktienrechts: Das DreiStufen-Modell, 1988; Bayer, Walter, Empfehlen sich besondere Regelungen für börsennotierte und für geschlossene Gesellschaften?, Gutachten E zum 67. Deutschen Juristentag, 2008; Deckert, Martina/von Rüden, Jens, Anlegerschutz durch Europäisches Kapitalmarktrecht, EWS 1998, 46; Eidenmüller, Horst, Kapitalgesellschaftsrecht im Spiegel der ökonomischen Theorie, JZ 2001, 1041; Fleischer, Holger, Schnittmengen des WpÜG mit benachbarten Rechtsmaterien – eine Problemskizze, NZG 2002, 545; ders., Konturen der kapitalmarktrechtlichen Informationsdeliktshaftung – Zugleich Besprechung von BGH, Urt. v. 9.5.2005 –

70 Homepage: http://www.financialstabilityboard.org/. 71 Homepage: http://www.iosco.org/. 72 IOSCO, Objectves and Principles of Securities Regulation (ISOCO Principles), abrufbar unter http://www.iosco.org/library/pubdocs/pdf/IOSCOPD82.pdf. 73 IOSCO, Methodology for Asessing Implementation of the IOSCO Objectives and Priciples of Securities Regulation, abrufbar unter http://www.iosco.org/library/pubdocs/ pdf/IOSCOPD155.pdf. 74 IOSCO, Multilateral Memorandum of Unterstanding concerning Consultation and Cooperation and the Exchange of Information, Mai 2001, abrufbar unter http://www. iosco.org/library/pubdocs/pdf/IOSCOPD126.pdf 75 Vgl. dazu Sanio FS U. H. Schneider, 2011, S. 1061 ff. 76 Vgl. Sanio FS U. H. Schneider, 2011, S. 1061, 1082 f.

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II ZR 287/02, ZIP 2005, 1270 (EM.TV), ZIP 2005, 1805; ders., Das Aktiengesetz von 1965 und das neue Kapitalmarktrecht, ZIP 2006, 451; Garridio García, José M., Company Law and Capital Markets Law, RabelsZ 69 (2005), 761; Habersack, Mathias, Das Aktiengesetz und das europäische Recht, ZIP 2006, 445; Hellgardt, Alexander, Europäisches Kapitalmarktrecht und Corporate Governance. Unternehmensüberwachung als Ziel der Europäischen Kapitalmarktregulierung, in: Baum, Harald u.a. (Hrsg.), Perspektiven des Wirtschaftsrechts. Deutsches, europäisches und internationales Handels-, Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht. Beiträge für Klaus J. Hopt aus Anlass seiner Emeritierung, Berlin, 2008, S. 397; Kübler, Friedrich, Gesellschaftsrecht versus Kapitalmarktrecht – zwei Ansätze?, SZW 1995, 223; Langenbucher, Katja, Kapitalerhaltung und Kapitalmarkthaftung, ZIP 2005, 239; Lutter, Marcus, Gesellschaftsrecht und Kapitalmarkt, in: Lieb, Manfred/Noack, Ulrich/Westermann, Harm Peter (Hrsg.), Festschrift für Wolfgang Zöllner, Bd. I, 1998, S. 363; Merkt, Hanno, Zum Verhältnis von Kapitalmarktrecht und Gesellschaftsrecht in der Diskussion um die Corporate Governance, AG 2003, 126; ders., Die Zukunft der privatrechtlichen Forschung im Unternehmens- und Kapitalmarktrecht, ZGR 2007, 532; Möllers, Thomas M. J., Anlegerschutz durch Aktien- und Kapitalmarktrecht, ZGR 1997, 334; ders., Kapitalmarkttauglichkeit des deutschen Gesellschaftsrechts, AG 1999, 433; ders., Das Verhältnis der Haftung wegen sittenwidriger Schädigung zum gesellschaftsrechtlichen Kapitalerhaltungsgrundsatz – EM.TV und Comroad, BB 2005, 1637; Schäfer, Carsten, Besondere Regelungen für börsennotierte und für nicht börsennotierte Gesellschaften?, NJW 2008, 2536; Staake, Marco, Die Vorverlagerung der Ad-hoc-Publizität bei mehrstufigen Entscheidungsprozessen – Hemmnis oder Gebot einer guten Corporate Governance?, BB 2007, 1573; Wymeersch, Eddy, Gesellschaftsrecht im Wandel: Ursachen und Entwicklungslinien, ZGR 2001, 294.

33 Als Querschnittsrecht ist das Kapitalmarktrecht teilweise eng mit anderen Rechtsgebieten verbunden.77 Dies gilt insbesondere im Bereich des Gesellschaftsrechts für kapitalmarktnahe Gesellschaften.

a) Abgrenzung der Regelungsbereiche 34 Dennoch weisen Kapitalmarkt- und Gesellschaftsrecht signifikante Unterschiede in zweierlei Hinsicht auf: 78 An erster Stelle unterscheiden sich die beiden Rechtsgebiete in ihren (originären) Regelungsgegenständen. Das Gesellschaftsrecht beinhaltet, vereinfacht dargestellt, das Organisationsrecht der Verbände.79 Es regelt Struktur- und Verhaltensnormen im Verband 80 und ist somit in wesentlichen Teilen Innenrecht 81. Regelungsobjekt des Kapitalmarktrechts hingegen ist der Markt, auf dem Kapitalanlagen angeboten und nachgefragt werden82. Als Marktrecht ist es vor allem Wirtschafts-

77 Vgl. Lenenbach (Fn. 5), Rn. 1.4. 78 Vgl. hierzu Garrido García RabelsZ 69 (2005) 761, 775 ff.; Lenenbach (Fn. 5), Rn. 1.116 ff. 79 Vgl. Kübler SZW 1995, 223, 225; Schwark FS Stimpel, S. 1087, 1090; C. Teichmann, Binnenmarktkonformes Gesellschaftsrecht, 2006, S. 18. 80 Vgl. Assmann in: GroßkommAktG, 4. Aufl. 1992, Einl. Rn. 353; Kübler SZW 1995, 223 (225). 81 Vgl. Hopt, ZHR 141 (1977) 389, 390. 82 Vgl. Assmann (Fn. 79), Einl. Rn. 354; Schwark, FS Stimpel, S. 1087, 1091.

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recht 83, dessen Ziel eine optimale Kapitalallokation ist 84. Hauptregelungsinstrument ist dabei die Information des Marktes durch Herstellung von Transparenz und Publizität85. Gesellschaftsinterne Abläufe können auf diese Weise zwar mittelbar beeinflusst werden, grundsätzlich fällt dies jedoch nicht in den genuinen Regelungsbereich des Kapitalmarktrechts, denn hier geht es eben um die Sicherstellung des Funktionierens des Kapitalmarkts.86 Ein zweiter Unterschied findet sich in dogmatischer Hinsicht. Als Verbandsrecht 35 ist das Gesellschaftsrecht weitgehend auf die Rechtsform ausgerichtet.87 Kapitalmarktrecht hingegen ist funktionsbezogen; es richtet sich an alle Marktteilnehmer und ist folglich rechtsformübergreifend.88 Ebenso bestehen Divergenzen in Bezug auf die Regelungsintensität.89 Zwar hat sich das hier in besonderem Maße interessierende Aktienrecht mit seiner in § 23 Abs. 5 AktG niedergelegten Satzungsstrenge in wichtigen Bereichen zu viel kritisiertem90 zwingenden Recht entwickelt. Ausgehend von der Privatautonomie ist das Gesellschaftsrecht jedoch traditionell in weitem Umfang dispositiv. Kapitalmarktrecht dagegen besteht aus zwingendem Recht. Die Einhaltung der kapitalmarktrechtlichen Regeln wird überdies – im Gegensatz zum Gesellschaftsrecht – durch staatliche Aufsicht überwacht.

b) Einfluss des Kapitalmarktrechts auf das Gesellschaftsrecht Die beiden Rechtsgebiete stehen jedoch nicht losgelöst nebeneinander: Ein Kapital- 36 markt wird geprägt durch die auf ihm gehandelten Güter, wie z.B. Aktien. Als Marktrecht nimmt das Europäische Kapitalmarktrecht dabei immer stärkeren Einfluss auf das Gesellschaftsrecht, was auf zwei wesentliche Faktoren zurückzuführen ist: Zum einen musste die extensive Entwicklung des Kapitalmarktrechts in den letzten Jahren unvermeidlich zu einer Kollision mit angrenzenden Rechtsmaterien, wie dem Aktienrecht, führen.91 Zum anderen sind die beiden Rechtsgebiete auf Grund der stetig wachsenden Bedeutung des Kapitalmarkts für Gesellschaften als Finanzierungsquelle92

83 84 85 86 87 88 89 90

91 92

Vgl. Hopt ZHR 141 (1977) 389, 415; Lenenbach (Fn. 5), Rn. 1.118. Vgl. Lenenbach (Fn. 5), Rn. 1.116 m.w.N. Vgl. Kübler SZW 1995, 223, 225. Vgl. Schwark FS Stimpel, S. 1087, 1091. Vgl. Assmann (Fn. 79), Einl. Rn. 353. Vgl. Kübler SZW 1995, 223, 225; Lenenbach (Fn. 5), Rn. 1.117; Schwark FS Stimpel, S. 1087, 1092. Vgl. hierzu Lenenbach (Fn. 5), Rn. 1.118. Vgl. Hirte in: Lutter/Wiedemann (Hrsg.), Gestaltungsfreiheit im Gesellschaftsrecht, 1998, S. 61 ff.; Hopt in Lutter/Wiedemann (Hrsg.), Gestaltungsfreiheit im Gesellschaftsrecht, 1998, S. 123, 144 f.; Mertens ZGR 1994, 426 ff.; Spindler AG 1998, 53 ff.; Eidenmüller JZ 2001, 1041, 1046. Bedeutendste Antriebskraft für den gesellschaftsrechtlichen Wandel ist der Einfluss der Wertpapiermärkte, so Wymeersch ZGR 2001, 294, 299 f., 311 ff. Vgl. Assmann (Fn. 18), § 1 Rn. 22 ff.; Buck-Heeb (Fn. 3), Rn. 2; Habersack § 1 Rn. 5; Hellgardt FS Hopt, 2008, S. 397 ff.; Merkt/Rossbach JuS 2003, 217; Oulds (Fn. 5), Rn. 14.3.

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Europäisches Kapitalmarktrecht

immer mehr miteinander verflochten.93 Das Kapitalmarktrecht greift dabei modifizierend und segmentierend, also nur in kapitalmarktaktive Gesellschaften, ein.94 Dementsprechend wird auch gesetzgebungstechnisch zumeist nach der Börsennotierung differenziert und damit über das anzuwendende Recht entschieden.95 c) Verhältnis der beiden Rechtsgebiete zueinander 37 Das sich auf diese Weise herausbildende Börsengesellschaftsrecht besteht jedoch nicht nur aus speziellen Regelungen des Gesellschaftsrechts. Vielmehr beschreibt es die Interaktionsfläche zwischen Aktienrecht und Kapitalmarktrecht, die vor allem durch kapitalmarktrechtliche Regelungen, wie insbesondere die kapitalmarktbezogenen Informations- und Verhaltenspflichten, geprägt ist. Mit der Entwicklung des Kapitalmarktrechts hin zu einem selbstständigen Regelungskomplex bildet das Börsengesellschaftsrecht als Schnittmengenrecht gesellschafts- und kapitalmarktrechtlicher Vorschriften einen Teilausschnitt des Kapitalmarktrechts ab.96 Obgleich das Kapitalmarktrecht teilweise Funktionen übernimmt, die ursprünglich dem Gesellschaftsrecht

Gesellschaftsrecht

Börsengesellschaftsrecht

Kapitalmarktrecht

Abbildung 1: Börsengesellschaftsrecht als Schnittmengenrecht

93 Buck-Heeb (Fn. 3), Rn. 43: „verknüpft“; Habersack § 1 Rn. 6: „Verzahnung“; Horn, Europäisches Finanzmarktrecht. Entwicklungsstand und rechtspolitische Aufgaben, 2003, S. 51: „vielfältige Querverbindungen und Wechselwirkungen“; Möllers AG 1999, 433, 434: „gegenseitige Wechselwirkung“; C. Teichmann (Fn. 79), S. 19: „teilweise überschneidende Rechtskreise“. 94 Vgl. Lenenbach (Fn. 5), Rn. 1.123 ff.; Lutter, FS Zöllner, S. 363, 372. 95 Ausf. zu den gesetzlichen Differenzierungen zwischen Aktiengesellschaften (speziell zwischen börsennotierten und nicht börsennotierten Gesellschaften) im AktG seit 1994: Bayer, Gutachten E zum 67. Deutschen Juristentag, 2008, E 42 ff. m.z.w.N.; zur Differenzierung in anderen Rechtsordnungen E 66 ff. m.z.w.N. 96 Fleischer ZIP 2006, 451, 455; ähnlich Möllers ZGR 1997, 334.

Kapitalmarktrecht in der EU und dem EWR

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zugeordnet waren97 und das Recht der börsennotierten Gesellschaft immer mehr überlagert98, droht keine „Marginalisierung des Aktienrechts“ durch das Kapitalmarktrecht. Vielmehr kommt es auf das richtige Zusammenspiel der beiden Rechtsgebiete an.99 Auf Grund des Charakters des Börsengesellschaftsrechts als Schnittmengenrecht 38 aktien- und kapitalmarktrechtlicher Vorschriften 100 stellen sich zahlreiche Abstimmungsfragen.101 Während Aktien- und Kapitalmarktrecht in einigen Bereichen, wie dem Anleger- 39 schutz, ähnliche Ziele verfolgen102 und sich eher in den Regelungstechniken unterscheiden103, zeigt sich das Bedürfnis nach besserer Abstimmung dort besonders deutlich, wo die beiden Rechtsgebiete auf Grund unterschiedlicher Zielsetzungen kollidieren. Repräsentativ für einen solchen Zielkonflikt ist im deutschen Recht die Frage 40 nach dem richtigen Veröffentlichungszeitpunkt i.R.d. kapitalmarktrechtlichen Ad-hoc-Publizität nach § 15 WpHG (vgl. zu den europarechtlichen Grundlagen in der MAD näher u. Rn. 175 ff. sowie § 35 Rn. 14 ff.), wenn die Insider-Information aktienrechtlich gem. § 93 Abs. 1 S. 3 AktG der Verschwiegenheitspflicht unterfällt oder nach aktienrechtlicher Kompetenzverteilung eine Geschäftsführungsmaßnahme noch der Zustimmung des Aufsichtsrats bedarf. Während im ersten Fall § 15 WpHG in seinen Folgen schlicht als Begrenzung bzw. gesetzliche Durchbrechung der aktienrechtlichen Verschwiegenheitspflicht verstanden wird 104, stellt sich die Lösung des Konflikts hinsichtlich der mehrstufigen Entscheidungsprozesse 105 diffiziler dar 106: Aus

97 Vgl. C. Teichmann (Fn. 79), S.19. 98 Vgl. Habersack/Schürnbrand in: Bayer/Habersack (Hrsg.), Aktienrecht im Wandel, Bd. 1, 2007, Kap. 17 Rn. 23 ff. 99 Vgl. Fleischer, ZIP 2006, 451, 459. 100 Dazu ausf. auch Bayer (Fn. 95), E 58 ff. 101 Vgl. ausf. Fleischer ZIP 2006, 451, 456 ff., der systematisierend zwischen Regelungsredundanzen, Zieldivergenzen, Funktionsäquivalenzen, Norminterdependenzen, Mitwirkungsingerenzen und Wertungsinterferenzen unterscheidet. 102 Vgl. umfassend Mülbert, Aktiengesellschaft, Unternehmensgruppe und Kapitalmarkt, 1995, S. 54 ff., insbes. S. 103 ff. 103 Vgl. Kübler SZW 1995, 223, 224. 104 Vgl. Hopt in: GroßkommAktG, 4. Aufl. 1999, § 93 Rn. 207; Krieger/Sailer-Coceani in: K. Schmidt/Lutter, AktG, 2. Aufl. 2010, § 93 Rn. 21; Körber in Hdb. Vorstandsrecht, § 10 Rn. 15. 105 Vgl. zum mehrstufigen Entscheidungsprozess ausf. Lutter FS Zöllner, 1998, S. 363, 364 ff. 106 Wobei sich die Problematik nur auf noch ausstehende Entscheidungen des Aufsichtsrats erstreckt, nicht etwa auch der Hauptversammlung, vgl. Assmann in: Assmann/Schneider, WpHG, 5. Aufl. 2009, § 15 Rn. 146 mit der Begründung, dass der Hauptversammlung im Gegensatz zum Aufsichtsrat durch eine Veröffentlichung nicht die Entscheidungsfreiheit genommen würde und die Vertraulichkeit der Insider-Information bis zur Hauptversammlung ohnehin nicht gewährleistet werden könne, da sie spätestens mit der Einladung zur Hauptversammlung bekannt würde.

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Europäisches Kapitalmarktrecht

kapitalmarktrechtlicher Sicht ist eine möglichst frühzeitige Information des Anlegerpublikums wünschenswert. Nach § 13 Abs. 1 S. 3 WpHG kann eine solche Information zukünftige Umstände umfassen, also auch Geschäftsführungsmaßnahmen, die noch der Zustimmung des Aufsichtsorgans bedürfen. Vorausgesetzt die übrigen Anforderungen einer Insider-Information liegen vor (vgl. zur Problematik von InsiderInformation und Ad-hoc-Publizität bei gestreckten Geschehensabläufen auch noch u. Rn. 133 f. sowie § 35 Rn. 8), ergibt sich sodann im Umkehrschluss zu § 15 Abs. 3 WpHG i.V.m. § 6 S. 2 Nr. 2 WpAIV, dass spätestens mit dem Vorstandsbeschluss eine veröffentlichungspflichtige Insider-Information gegeben ist. Die sich hieraus ergebenden Folgen für die aktienrechtliche Kompetenzverteilung sind eklatant: Für den Vorstand kann die frühzeitige Veröffentlichung seiner Entscheidung gesellschaftsrechtlich eine Verletzung seiner Treuepflicht bedeuten, denn er darf den Aufsichtsrat nicht präjudizieren107. Dem Aufsichtsrat wird nicht nur sein Mitentscheidungsrecht abgeschnitten, auch wird seine gesellschaftsrechtliche Überwachungsfunktion erheblich geschwächt. Eine gute Corporate Governance lebt jedoch von einer guten Unternehmensführung und Überwachung. Auch aus kapitalmarktrechtlicher Sicht kann vor diesem Hintergrund eine Schwächung des Aufsichtsrats nicht im Interesse der Anleger sein.108 Als Lösung bietet sich daher das in § 6 S. 2 Nr. 2 WpAIV inkorporierte Regelbeispiel eines berechtigten Interesses für eine verzögerte Veröffentlichung im Sinne des § 15 Abs. 3 S. 1 WpHG an.109 Danach liegt ein berechtigtes Interesse vor, wenn die Interessen des Emittenten an der Geheimhaltung der Information die Interessen des Kapitalmarkts an einer vollständigen und zeitnahen Veröffentlichung überwiegen. Nach § 6 S. 2 Nr. 2 WpAIV kann dies insbesondere der Fall sein, wenn durch das Geschäftsführungsorgan des Emittenten abgeschlossene Verträge oder andere getroffene Entscheidungen zusammen mit der Ankündigung bekannt gegeben werden müssten, dass die für die Wirksamkeit der Maßnahme erforderliche Zustimmung eines anderen Organs des Emittenten noch aussteht und dies die sachgerechte Bewertung der Information durch das Publikum gefährden würde. 41 Inkompatibilitäten zeigen sich an verschiedenen Stellen. Im deutschen Recht liegen z.B. mit § 44 BörsG und §§ 57, 71 AktG einander grundsätzlich widersprechende Normbefehle vor. Für mehr Rechtssicherheit in dieser Hinsicht hat jedoch das EM.TV-Urteil des BGH 110 aus dem Jahr 2005 gesorgt: Hinsichtlich des Verhältnisses der Kapitalmarktinformationshaftung 111 zum aktienrechtlichen Kapitalerhaltungs-

107 Vgl. Lutter FS Zöllner, 1998, S. 363, 366. 108 So auch die BaFin, Emittentenleitfaden, S. 58 (abrufbar unter http://www.bafin.de/ SharedDocs/Downloads/DE/Service/Leitfaeden/emittentenleitfaden_2009,templateId= raw,property=publicationFile.pdf/emittentenleitfaden_2009.pdf). 109 Vgl. BegrRegE z. AnSVG, BR-Drs. 341/04, S. 68. 110 BGH ZIP 2005, 1270 m. Anm. Bayer/Weinmann EWiR 2005, 689 f.; vgl. weiter etwa Fleischer, ZIP 2005, 1805, 1810 f.; Möllers, BB 2005, 1637, 1639 ff. 111 In der Sache ging es um eine deliktische Emittentenhaftung nach § 826 und § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 400 AktG wegen vorsätzlich falscher Ad-hoc-Mitteilung.

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grundsatz112 entschied der BGH, dass der kapitalmarktrechtliche Anlegerschutz vorrangig gegenüber dem Kapitalschutz ist 113 (vgl. zum Ganzen auch noch § 20 Rn. 86, 91).

d) Die Europäische Börsengesellschaft als eigenständiger Gesellschaftstypus? In den europäischen Gesellschaftsrechtsordnungen wird zunehmend zwischen börsen- 42 notierten und nicht börsennotierten Gesellschaften differenziert.114 Dies ist nicht nur als eine Reaktion der nationalen Gesetzgeber auf die tatsächlichen Gegebenheiten – also eine zunehmenden Kapitalmarktorientierung – zurückzuführen, sondern insbesondere auf einen neuen europäischen regulativen Ansatz: Die High Level Group (dazu noch allg. § 18 Rn. 6) empfahl in Bezug auf die Modernisierung des Gesellschaftsrechts entsprechend der heute in der Praxis anzutreffenden Differenzierung nach börsennotierten, offenen und geschlossenen Gesellschaften einen jeweils eigenen Regelungsansatz, wobei für börsennotierte Gesellschaften ein gewisses Maß an einheitlichen, verpflichtenden, detaillierten Regeln gelten solle.115 Dieses Leitbild wurde dann von der Kommission im Aktionsplan 2003 (dazu ausf. § 18) übernommen: Börsennotierte bzw. kapitalmarktorientierte Gesellschaften sollen im Interesse des Anlegerschutzes strengeren und detaillierteren Vorschriften unterliegen, speziell für KMU soll dagegen ein flexibler Rahmen geschaffen werden116 (vgl. auch noch § 18 Rn. 9). Vor diesem Hintergrund sind auch die Empfehlungen zur Vergütung von Mitgliedern der Unternehmensleitung (dazu ausf. § 18 Rn. 47 ff.) und die Aktionärsrechte-RL (dazu ausf. § 31) als Ausdruck der zunehmenden Differenzierung zwischen börsen- und nicht börsennotierten Gesellschaften zu verstehen.117 Diese stärkere Ausrichtung auf die Bedürfnisse des Kapitalmarkts und die damit einher-

112 Vgl. grundsätzlich zum Konflikt von Kapitalerhaltung und Kapitalmarkthaftung Langenbucher ZIP 2005, 239 ff. 113 Es ist zwischen originärem und derivativem Erwerb der Aktien zu unterscheiden: Nur bei letzterem soll die Prospekthaftung Vorrang haben, wenngleich der BGH in einem obiter dictum Zweifel andeutet, ob diese Unterscheidung noch überzeugt, vgl. BGH ZIP 2005, 1270 ff. Ausf. zur gesamten Problematik Bayer in: MünchKommAktG, 3. Aufl. 2008, § 57 Rn. 15 ff. 114 Vgl. Bayer (Fn. 95), E 62 ff., 79 f.; sowie zur wachsenden Differenzierung im österreichischen, schweizerischen, englischen und französischen Gesellschaftsrecht E 66 ff.; Doralt AG 1995, 538, 540: „weltweit“; Habersack ZIP 2006, 445, 448; Hopt (Fn. 90), S. 123, 139; Lenenbach (Fn. 5), Rn. 1.123 ff. 115 Bericht der Hochrangigen Gruppe von Experten auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts über moderne gesellschaftsrechtliche Rahmenbedingungen in Europa, 4.11.2002, abrufbar unter http://ec.europa.eu/internal_market/company/docs/modern/report_de.pdf, S. 6, 36 f. 116 Vgl. Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament. Modernisierung des Gesellschaftsrechts und Verbesserung der Corporate Governance in der Europäischen Union – Aktionsplan, 21.5.2003, KOM(2003) 284, 2.1. 117 Vgl. Bayer (Fn. 95), E 63 f.

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gehende stärkere normative Differenzierung zwischen kapitalmarktnahen und kapitalmarktfernen Gesellschaften stellte für das Europäische Gesellschaftsrecht einen wesentlichen regulativen Paradigmenwechsel dar.118 43 Auch das ursprünglich einheitliche deutsche Aktienrecht ist mit der Herausbildung der kapitalmarktorientierten Gesellschaft als normativem Realtypus nunmehr zunehmend differenzierter119, so dass auf Grund des starken Einflusses des Kapitalmarktrechts auf diesen Gesellschaftstyp die Fortentwicklung eines eigenständigen Börsengesellschaftsrechts zur Diskussion steht120. Gegen diesen Ansatz lässt sich zwar einwenden, dass mit steigendem Unterscheidungsgrad der Gesellschaftsformen der Übergang von nicht börsennotierten Gesellschaften zu börsennotierten Gesellschaften erschwert würde und mit einer Aufweichung der Satzungsstrenge überdies ein Seriositätsverlust der Rechtsform zu befürchten sein könnte.121 Für eine solche Differenzierung spricht indes, dass auf diese Weise Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht dogmatisch besser aufeinander abgestimmt und die börsennotierte Aktiengesellschaft stärker den Bedürfnissen des Kapitalmarkts angepasst werden könnte; kapitalmarktfernen Gesellschaften hingegen könnte unter diesen Umständen ein höheres Maß an Gestaltungsfreiheit eingeräumt werden, denn einer Satzungsstrenge zum Zweck des Anlegerschutzes bedarf es hier nicht.122 Auch im europäischen Wettbewerb der Gesellschaftsrechte wäre das deutsche Aktienrecht mit einer stärkeren Differenzierung konkurrenzfähiger.123 Wenngleich die Rechtsfortbildung des Börsengesellschaftsrechts derzeit wohl noch nicht so weit fortgeschritten ist, dass von einem systemstimmigen Sonderrecht der börsennotierten AG ausgegangen werden könnte 124, so ist doch mit einer solchen Entwicklung zu rechnen 125.

118 Wobei sich diese Differenzierung auch außerhalb des Gesellschaftsrechts zeigt, wie z.B. im Recht der Rechnungslegung, wo mit der IFRS-VO (dazu § 10 Rn. 8 ff. sowie § 26) ein spezieller Rechtsrahmen für den konsoliderten Abschluss kapitalmarktorientierter Gesellschaften geschaffen wurde, vgl. auch Bayer (Fn. 95), E 50 f. 119 Vgl. Habersack/Schürnbrand (Fn. 98), Rn. 71; Fleischer ZIP 2006, 451, 454. 120 Dazu ausf. das Bayer, Gutachten E zum 67. Deutschen Juristentag, 2008, zu der Frage „Empfehlen sich besondere Regelungen für börsennotierte und für geschlossene Gesellschaften?“ und die dazugehörigen Referate von Reto Francioni, Gerd Krieger, Peter O. Mülbert und Eddy Wymeersch. Zusammenfassende Darstellung der Diskussion auf dem 67. DJT bei J. Schmidt (2008) 9 EBOR 637 ff. S. ferner auch Bayer FS Hopt, 2010, 373 ff. Positiv hinsichtlich einer fortschreitenden Unterscheidung auch Group of German Experts on Corporate Law in ZIP 2002, 1310, 1311 f.; Marsch-Barner in: Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, 2. Aufl. 2009, § 1 Rn. 40 ff.; Merkt AG 2003, 126, 128; ders. ZGR 2007, 532, 540; vgl. ebenfalls bereits Albach/Lutter, Deregulierung des Aktienrechts: Das Drei-Stufen-Modell, 1988. 121 Vgl. Schäfer NJW 2008, 2536, 2539. 122 Vgl. umfassend Bayer (Fn. 95), E 81 ff. 123 Vgl. Bayer (Fn. 95), E 87; Assmann (Fn. 79), Rn. 496. 124 Vgl. Bayer (Fn. 95), E 60; Habersack/Schürnbrand (Fn. 98), Rn. 71; Marsch-Barner (Fn. 120), § 1 Rn. 40 f. 125 So Hopt WM 2009, 1873, 1881; Lenenbach (Fn. 5), Rn. 1.124.

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5. Beschleunigte Rechtsetzung im Europäischen Kapitalmarktrecht durch das Lamfalussy-Verfahren Eine Besonderheit im Europäischen Kapitalmarktrecht ist ein beschleunigtes Recht- 44 setzungsverfahren – das Lamfalussy-Verfahren.

a) Historischer Hintergrund und Entwicklung Die Rechtsetzung im Europäischen Kapitalmarktrecht erfolgt weitestgehend als Reak- 45 tion auf Marktgeschehnisse.126 Dies ist insofern problematisch, als die europäischen Rechtsetzungsverfahren auf Grund der teilweise schwierigen Einigungsprozesse i.d.R. eine längere Zeit in Anspruch nehmen und eine – eventuell dringend erforderliche – Regulierung deshalb u.U. erst verspätet erfolgt. Schon aus diesem Grund war ein schnellerer Gesetzgebungsprozess erforderlich. Um die europäische Regulierung im Kapitalmarktrecht voranzutreiben und insbesondere die geplanten FSAP-Maßnahmen (zum FSAP o. Rn. 23) zügig umzusetzen, beauftragte der Rat der Wirtschaftsund Finanzminister der EU (ECOFIN) am 17.7.2000 einen „Ausschuss der Weisen“ unter Vorsitz von Alexandre Lamfalussy, Szenarien vorzuschlagen, um eine größere Konvergenz und Zusammenarbeit zu gewährleisten und neuen Marktentwicklungen Rechnung zu tragen. Der Ausschuss empfahl in seinem Abschlussbericht vom 15.2. 2001 (sog. Lamfalussy-Bericht) ein auf dem Komitologieverfahren (dazu bereits § 3 Rn. 70 ff.) basierendes 4-Stufen-Konzept.127 Der Rat billigte dieses Konzept in einer Entschließung v. 23.3.2001 ausdrücklich und beauftragte die Kommission mit seiner Durchführung;128 nachdem es eine Reihe verfahrensrechtlicher Zusicherungen erhalten hatte129, stimmte im Februar 2002 dann auch das EP ausdrücklich zu 130. Obgleich das Lamfalussy-Verfahren131 von Anfang an immer wieder kritisiert 46 worden war (bemängelt wurden einerseits speziell die mangelnde demokratische Legi-

126 Vgl. dazu Krimphove EuR 2007, 597, 616 ff.; Mülbert WM 2001, 2085, 2087 f. 127 Schlussbericht des Ausschusses der Weisen über die Regulierung der europäischen Wertpapiermärkte, 15.2.2001, abrufbar unter http://ec.europa.eu/internal_market/securities/ docs/lamfalussy/wisemen/final-report-wise-men_de.pdf. 128 Entschließung des Europäischen Rates v. 23.3.2001 über eine wirksamere Regulierung der Wertpapiermärkte in der Europäischen Union, ABlEG v. 11.5.2001, C 138/1. 129 Vgl. dazu näher Leixner BMF Working Paper 1/2010 (abrufbar unter https://www.bmf. gv.at/publikationen/downloads/workingpapers/wp_1_2010_v2.pdf?q=working paper Leixner), S. 15, 19; Schmolke NZG 2005, 912, 913; ders. EuR 2006, 432, 437. 130 Entschließung des Europäischen Parlaments v. 5.2.2002 zu der Umsetzung der Rechtsvorschriften im Bereich der Finanzdienstleistungen, ABlEG v. 21.11.2002, C 284/115. 131 Vgl. zum ursprünglichen Lamfalussy-Verfahren etwa Kasten ZBB 2008, 238 ff.; Klöhn (Fn. 4), § 6 Rn 15; Langenbucher ZEuP 2002, 265 ff.; Leixner (Fn. 129); Lenenbach (Fn. 5), Rn. 1.105 ff.; Möllers ZEuP 2008, 480 ff.; Moloney (Fn. 19), S. 1016 ff.; Schmolke NZG 2005, 912 ff.; ders. EuR 2006, 432 ff.; Siems [2009] EBLR 141, 166 ff.; Snowdon/ Lovegrove (2011) 83 C.O.B. 1 f.

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Europäisches Kapitalmarktrecht

timation der Durchführungsrechtsakte 132 und andererseits die Gefahr der Überregulierung133), wurde es insgesamt überwiegend sehr positiv bewertet 134 und daher 2005 durch die RL 2005/1/EG 135 auch auf den Banken- und Versicherungssektor ausgedehnt, um so die vollständige Integration der Finanzdienstleistungsindustrie voranzutreiben.136 47 Entsprechend der Revisionsklausel in Art. 12 Abs. 3 der RL 2005/1/EG legte die Kommission im November 2007 eine Mitteilung bezüglich der Überprüfung des Lamfalussy-Prozesses 137 vor. Zwischenzeitlich hatte die ursprünglich nur turnusmäßige Überprüfung vor dem Hintergrund der Finanzkrise jedoch eine ganz neue Dynamik erhalten; die Reform des Lamfalussy-Prozesses wurde daher in die allgemeine Neuordnung des Europäischen Finanzaufsichtssystems (dazu näher u. Rn. 263 ff. sowie noch § 37 Rn. 1 f.) einbezogen.138 Auswirkungen auf das Lamfalussy-Verfahren hatte daneben aber auch die Neukonzeption der delegierten Rechtssetzung in Art. 290, 291 AEU und die hieraus resultierende Reform des Komitologieverfahrens (dazu bereits § 3 Rn. 71 ff.). Die 4-stufige Grundkonzeption des Lamfalussy-Verfahrens wurde zwar letztlich im Kern beibehalten, im Detail weist das „neue“ Lamfalussy-Verfahren (Lamfalussy II) jedoch signifikante Unterschiede gegenüber dem „alten“ auf.

b) Der Ablauf des Lamfalussy-Verfahrens heute (Lamfalussy II) 48 Nach dem Lamfalussy II-Verfahren erfolgt die Gesetzgebung im Finanzdienstleistungsbereich in vier Stufen (Levels): • •

Level 1: Erlass eines Basisrechtsakts (dazu u. Rn. 49) Level 2: Erlass von Durchführungsrechtsakten durch die Kommission (dazu u. Rn. 50 ff.)

132 Vgl. etwa Langenbucher ZEuP 2002, 265, 273 ff.; Schmolke EuR 2006, 432, 437 ff.; Zimmer BKR 2004, 421; s. ferner auch Möllers ZEuP 2008, 480, 495 f.; speziell zum Aspekt der mit der Rechtssetzung durch Expertengruppen verbundenen Problematik von Interessenkonflikten etwa Kasten ZBB 2008, 238, 241 ff. m.w.N. 133 Vgl. etwa Hopt ZIP 2005, 461, 472; Zimmer BKR 2004, 421, 422; zum Komplexitätsproblem ferner etwa auch Möllers ZEuP 2008, 480, 504. 134 Vgl. KOM(2005) 177, S. 5; KOM(2007) 727, S. 3; Möllers ZEuP 2008, 480, 504 f. m.w.N. 135 RL 2005/1/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9.3.2005 zur Änderung der Richtlinien 73/239/EWG, 85/611/EWG, 91/675/EWG, 92/49/EWG und 93/6/EWG des Rates sowie der Richtlinien 94/19/EG, 98/78/EG, 2000/12/EG, 2001/ 34/EG, 2002/83/EG und 2002/87/EG des Europäischen Parlaments und des Rates zur Schaffung einer neuen Ausschussstruktur im Finanzdienstleistungsbereich, ABlEU v. 24.3.2005, L 79/9. 136 Vgl. dazu Leixner (Fn. 129), S. 19; Möllers ZEuP 2008, 480, 505. 137 Mitteilung der Kommission. Überprüfung des Lamfalussy-Prozesses. Ausbau der aufsichtlichen Konvergenz, 20.11.2007, KOM(2007) 727. Vgl. dazu Leixner (Fn. 129), S. 23 ff. 138 Ausf. zum gesamten Reformprozess Snowdon/Lovegrove (2011) 83 C.O.B. 1, 5 ff.; Leixner (Fn. 129), S. 23 ff. m.w.N.; s. ferner auch Joosen, European Financial Supervision, GFinM Working Paper No. 6, 2009, S. 4 ff.

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• •

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Level 3: Leitlinien und Empfehlungen durch die ESA (dazu u. Rn. 53) Level 4: Kontrolle der Umsetzung des Basisrechtsakts und der Durchführungsmaßnahmen durch die Kommission und die ESA (dazu u. Rn. 54)

aa) Level 1: Erlass eines Basisrechtsakts Auf der 1. Stufe werden im üblichen Gesetzgebungsverfahren Basisrechtsakte (i.d.R. 49 Richtlinien) erlassen, die jedoch nur einen Regelungsrahmen zum Inhalt haben, also noch näherer Ausführung bedürfen. Als solche „Level-1-RL“ wurden im Bereich des Kapitalmarktrechts insbesondere erlassen: Die MiFID (dazu u. Rn. 55 ff., 208 ff. sowie § 33), die Prospekt-RL (dazu u. Rn. 100 ff. sowie § 34), die MAD (dazu u. Rn. 125 ff., 176 ff., 198 ff. sowie § 35), und die Transparenz-RL (dazu u. Rn. 155, 159 ff. sowie § 36).

bb) Level 2: Erlass von delegierten Rechtsakten und Durchführungsmaßnahmen durch die Kommission in Zusammenarbeit mit den Level-2-Ausschüssen bzw. den ESA Der auf der 1. Stufe erlassene Basisrechtsakt legt auch fest, welche Regelungsbereiche 50 einer näheren Ausführung bedürfen und ermächtigt für diese Bereiche die Kommission, delegierte Rechtsakte und/oder Durchführungsmaßnahmen zu erlassen (vgl. allg. zur Neukonzeption der delegierten Rechtssetzung in Art. 290, 291 AEU bereits § 3 Rn. 71 ff.). Die Basisrechtsakte sehen dann regelmäßig vor, dass die Kommission hierbei 51 durch zu diesem Zweck für die jeweiligen Sektoren speziell geschaffene Ausschüsse, die sog. Level-2-Ausschüsse, unterstützt wird 139. Dies sind für den Wertpapiersektor das European Securities Committee (ESC [Europäischen Wertpapierausschuss – EWA]) 140, für den Bankensektor das European Banking Committee (EBC [Europäischer Bankenausschuss – EBA) 141 und für den Versicherungssektor das European Insurance and Occupational Pensions Committee (EIOPC [Europäischer Ausschuss für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung – AVBA]) 142. Das genaue Verfahren der Zusammenarbeit zwischen Kommission und Level-2-Ausschuss bei Erlass des jeweiligen Durchführungsrechtsaktes richtet sich dann nach den 139 Vgl. z.B. Art. 17 Abs. 1 MAD (zu dieser allg. § 35) oder Art. 27 Abs. 1 Transparenz-RL (zu dieser allg. § 36). 140 Eingesetzt durch: Beschluss 2001/528/EG der Kommission v. 6.6.2001 Einsetzung des Europäischen Wertpapierausschusses, ABlEG v. 13.7.2001, L 191/45. 141 Eingesetzt durch: Beschluss 2004/10/EG der Kommission vom 5.11.2003 zur Einsetzung des Europäischen Bankenausschusses, ABlEG v. 7.1.2004, L 3/36. 142 Eingesetzt durch Beschluss 2004/9/EG der Kommission vom 5.11.2003 zur Einsetzung des Europäischen Ausschusses für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung, ABlEG v. 7.1.2004, L 3/34.

254

Europäisches Kapitalmarktrecht

Vorschriften über die jeweils im Basisrechtsakt in Bezug genommene Variante des Komitologieverfahrens (dazu bereits näher § 3 Rn. 70 ff.), die ggf. durch den jeweiligen Basisrechtsakt noch modifiziert werden. Wertpapiersektor

Bankensektor

Versicherungssektor

Ausschuss

ESC

EBC

EIOPC

Vorsitz

Kommission

Kommission

Kommission

Mitglieder

Hochrangige Vertreter der MS

Hochrangige Vertreter der MS

Hochrangige Vertreter der MS

52 Im Zuge der Neuordnung des Finanzaufsichtssystem haben jedoch auch die ESA – d.h. die ESMA, die EBA und die EIOPA (dazu näher u. Rn. 276, 296 ff., speziell zur ESMA noch § 37) – wichtige Befugnisse auf der 2. Stufe des Lamfalussy II-Verfahrens erhalten. Soweit dies in den jeweiligen Basisrechtsakten vorgesehen ist 143, entwerfen sie technische Regulierungs- und Durchführungsstandards, die dann von der Kommission in Form einer VO oder eines Beschlusses verabschiedet werden (dazu näher u. Rn. 301, speziell in Bezug auf die ESMA noch § 37 Rn. 7). I.R.d. „alten“ Lamfalussy-Verfahrens hatten die früheren Level-3-Ausschüsse (dazu u. Rn. 53) zwar ebenfalls Entwürfe für technische Standards erstellt; die Regelungsentwürfe der ESA haben jedoch auf Grund der engen Grenzen, innerhalb derer die Kommission von den Entwürfen abweichen darf, „quasi-finalen“ Charakter und damit eine ganz andere Qualität (vgl. dazu noch u. Rn. 301 sowie § 37 Rn. 7).

cc) Level 3: Leitlinien und Empfehlungen durch die ESA 53 Auf der 3. Stufe arbeiten die ESA – d.h. die ESMA, die EBA und die EIOPA (dazu näher u. Rn. 276, 296 ff., speziell zur ESMA noch § 37) – Empfehlungen und Leitlinien für die Aufsichtspraxis aus, um eine einheitliche Umsetzung und Anwendung der im Verfahren geschaffenen Rechtsakte in den Mitgliedstaaten sicherzustellen (vgl. dazu auch noch u. Rn. 302 sowie speziell in Bezug auf die ESMA § 37 Rn. 8). Die ESA übernehmen damit die Funktion der bisherigen Level-3-Ausschüsse CESR 144, CEBS 145 und CEIOPS 146 (vgl. auch noch u. Rn. 296, 301 f. sowie § 37 Rn. 1, 8).

143 Die Basisrechtsakte wurden insoweit durch die „Omnibus I“-RL (dazu noch u. Rn. 269 sowie § 33 Rn. 3, § 34 Rn. 5, § 35 Rn. 4, § 36 Rn. 4, 37 Rn. 2) angepasst; weitere Anpassungen sollen durch die „Omnibus II“-RL (dazu noch u. Rn. 270 sowie § 34 Rn. 5) erfolgen. 144 Committee of European Securities Regulators (Ausschuss der Europäischen Wertpapierregulierungsbehörden). Eingesetzt durch Beschluss 2001/527/EG der Kommission vom 6.6.2001 zur Einsetzung des Ausschusses der europäischen Wertpapierregulierungsbehörden, ABlEG v. 13.7.2001, L 191/43. Neuregelung des Rechtsrahmens durch Beschluss 2009/77/EG der Kommission v. 23.1.2009 zur Einsetzung des Ausschusses der europäischen Wertpapierregulierungsbehörden, ABlEU v. 29.1.2009, L 25/18.

255

Kapitalmarktrecht in der EU und dem EWR

Wertpapiersektor

Bankensektor

Versicherungssektor

Level-3-Akteur

ESMA (bis 31.12.2010: CESR)

EBA (bis 31.12.2010: CEBS)

EIOPA (bis 31.12.2010: CEIOPS)

Vorsitz

Steven Maijoor

Andrea Enria

Gabriel Bernardino

Sitz

Paris

London

Frankfurt a.M.

dd) Level 4: Kontrolle der Umsetzung des Basisrechtsakts und der Durchführungsmaßnahmen durch die Kommission und die ESA Um die Durchsetzung der EU-Rechtsvorschriften zu verstärken, prüft die Kommis- 54 sion auf der 4. Stufe als Hüterin der Verträge die fristgemäße und korrekte Umsetzung in das nationale Recht und kann ggf. entsprechende rechtliche Schritte einleiten. I.R.d. neuen Finanzaufsichtssystems wurde aber auch den ESA die Befugnis eingeräumt, mittels eines 3-Stufen-Mechanismus gegen Verletzungen des Unionsrechts vorzugehen (dazu näher u. Rn. 303, speziell in Bezug auf die ESMA auch noch § 37 Rn. 9). II. Überblick über die europäische Kapitalmarktinfrastruktur 1. Einführung Kapitalmarktrecht ist Marktrecht mit der Besonderheit, dass es nicht nur einen, son- 55 dern viele Märkte gibt. Damit auf und unter ihnen gleiche Wettbewerbsbedingungen herrschen, gibt das europäische Kapitalmarktorganisationsrecht eine einheitliche Marktstruktur vor. Die Marktstruktur wird maßgeblich von der im Jahr 2004 erlassenen RL über Märkte für Finanzinstrumente (Markets in Financial Instruments Directive – MiFID) (Text, Literatur, Fundstellennachweise und weitere Erläuterungen in

145 Committee of European Banking Supervisors (Ausschuss der europäischen Bankaufsichtsbehörden). Eingesetzt durch Beschluss 2004/5/EG der Kommission vom 5.11.2003 zur Einsetzung des Ausschusses der europäischen Bankaufsichtsbehörden, ABlEU v. 7.1.2004, L 3/28. Neuregelung des Rechtsrahmens durch Beschluss 2009/78/EG der Kommission vom 23.1.2009 zur Einsetzung des Ausschusses der europäischen Bankaufsichtsbehörden, ABlEU v. 29.1.2009, L 25/23. 146 Committee of European Insurance and Occupational Pensions Supervisors (Ausschuss der Europäischen Aufsichtsbehörden für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung). Eingesetzt durch Beschluss 2004/6/EG der Kommission vom 5.11.2003 zur Einsetzung des Ausschusses der Europäischen Aufsichtsbehörden für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung, ABlEU v. 7.1.2004, L 3/ 30. Neuregelung des Rechtsrahmens durch Beschluss 2009/79/EG der Kommission vom 23.1.2009 zur Einsetzung des Ausschusses der europäischen Aufsichtsbehörden für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung, ABlEU v. 29.1.2009, L 25/28.

256

Europäisches Kapitalmarktrecht

§ 33) bestimmt, die quasi als europäisches „Grundgesetz“ des Wertpapierhandels147 fungiert. Sie reguliert den Wertpapierdienstleistungssektor sowie die börslichen und außerbörslichen Handelsplätze (dazu u. Rn. 57 ff. sowie § 33 Rn. 8), systematisiert die auf den Kapitalmärkten gebräuchlichen Handelssysteme (dazu u. Rn. 77 f.) und klassifiziert Anlegergruppen (dazu u. Rn. 93 ff. sowie § 33 Rn. 11). Überdies liefert die MiFID eine Legaldefinition für übertragbare Wertpapiere, dem Handelsobjekt der Kapitalmärkte (vgl. u. Rn. 56). 2. Kapitalmarktprodukte 56 Kapitalmarktprodukte sind die Produkte, die auf den Kapitalmarkt gehandelt werden. Der europäische Gesetzgeber kennt als Kapitalmarktprodukte die in Anhang I Abschnitt C MiFID genannten Finanzinstrumente. Hierzu zählen unter anderem übertragbare Wertpapiere (legaldefiniert in Art. 4 Abs. 1 Nr. 18 MiFID), Investmentfondsanteile und verschiedene Termingeschäfte (vgl. dazu noch § 33 Rn. 6). 3. Handelsplätze 57 Die MiFID reguliert drei Arten von Handelsplätzen für Finanzinstrumente148: Den geregelten Markt (regulated market, dazu u. Rn. 58 ff.), multilaterale Handelssysteme (multilateral trading facilities – MTF, dazu u. Rn. 68 ff.) und systematische Internalisierer (systematic internalisers, dazu u. Rn. 73 ff.).149 a) Der geregelte Markt aa) Begriffsbestimmung 58 Unter einem geregelten Markt 150 versteht der europäische Gesetzgeber ausweislich der Legaldefinition in Art. 4 Abs. 1 Nr. 14 MiFID ein von einem Marktbetreiber 151 betriebenes und/oder verwaltetes multilaterales System, das eine Vielzahl von Kauf147 Vgl. Fleischer BKR 2006, 389; Grundmann Rn. 737; v. Rosen BB 46/2007, Die erste Seite; s. ferner auch Avgouleas (2005) 18 Transnat’l Law. 179, 191 („constitution“). 148 Zu den von der MiFID erfassten Finanzinstrumenten noch § 33 Rn. 6. 149 Vgl. die Legaldefinition in Art. 2 Nr. 8 MiFID-DVO (dazu § 33 Rn. 2) sowie Erwägungsgrund 34 der MiFID. Zur Kategorisierung der Handelsplätze durch die MiFID etwa: Duve/Keller BB 2006, 2537 ff.; Fleischer BKR 2006, 389, 393; Hirschberg AG 2006, 398, 400 ff.; Klöhn (Fn. 4), § 6 Rn. 17; Seitz, AG 2004, 497 ff.; Spindler/Kasten WM 2006, 1749, 1753 ff.; Thieme, Wertpapierdienstleistungen im Binnenmarkt: von der Wertpapierdienstleistungsrichtlinie zur MiFID, 2008, S. 321 ff. 150 Vgl. dazu etwa Duve/Keller BB 2006, 2537, 2538; Seitz AG 2004, 497, 499 ff.; Holzborn/Israel NJW 2008, 791, 795. 151 Marktbetreiber ist gem. Art. 4 Abs. 1 Nr. 13 S. 1 MiFID eine Person, die das Geschäft eines geregelten Marktes verwaltet und/oder betreibt. Nach S. 2 kann Marktbetreiber aber auch der geregelte Markt selbst sein. Vgl. hierzu etwa Seitz AG 2004, 497, 499.

Kapitalmarktrecht in der EU und dem EWR

257

und Verkaufsinteressen an Finanzinstrumenten, wie übertragbaren Wertpapieren, zusammenführt oder das Zusammenführen fördert. Dies muss nach festgelegten Regeln geschehen und in einer Weise, die zu einem Vertrag in Bezug auf Finanzinstrumente führt. Außerdem bedarf das multilaterale System einer Zulassung und muss gem. den Bestimmungen des Titel III (Art. 36 ff.) MiFID (dazu u. Rn. 63 ff.) funktionieren. bb) Exkurs: Organisierter und regulierter Markt, Börse und Börsenträger im deutschen Recht Das deutsche Recht verwendet für den geregelten Markt eine von den europäischen 59 Begrifflichkeiten abweichende Terminologie: Das multilaterale Handelssystem, das dem geregelten Markt entspricht, wird in der deutschen Rechtsterminologie als der organisierte Markt152 bzw. der regulierte Markt 153 bezeichnet.154 Marktbetreiber der organisierten bzw. regulierten Märkte sind die Börsen.155 Die Besonderheit im deutschen Börsenwesen ist die dualistische Organisations- 60 form. Danach ist zwischen Börse und Börsenträger zu unterscheiden:156 Börsen sind teilrechtsfähige Anstalten des öffentlichen Rechts.157 Auf Grund ihrer bloßen Teilrechtsfähigkeit bedürfen sie eines Trägers als Zurechnungssubjekt, eines sog. Börsenträgers.158 Der rechtliche Status eines Börsenträgers ist der eines Beliehenen 159; Börse und Börsenträger bilden eine Public-Private-Partnership 160. Allein die Börsen sind die Marktveranstalter.161 Die Börsenträger (z.B. die Deutsche Börse AG) hingegen statten die Börsen mit finanziellen, sachlichen und personellen Mitteln aus.162 Der regulierte Markt (bzw. in der europäischen Terminologie der geregelte Markt) 61 ist das gesetzliche Segment der Börsen.163 In Deutschland sind insofern auch die Börsen (als Marktbetreiber) ein geregelter Markt i.S.d. MiFID 164. 152 Legaldefinition in § 2 Abs. 5 WpHG. Dazu etwa Assmann (Fn. 106), § 2 Rn. 158 ff.; Kumpan in: Schwark/Zimmer, KMRK, 4. Auflage 2010, § 2 WpHG Rn. 118 ff. 153 Vgl. §§ 32 f. BörsG. Der regulierte Markt wird vom Gesetz nicht definiert, sondern vorausgesetzt, vgl. zur Neukonzeption BegrRegE z. FRUG, BR-Drs. 833/06, S. 202. 154 Vgl. zur unterschiedlichen Terminologie Klöhn (Fn. 4), § 6 Rn. 25. 155 Vgl. Klöhn (Fn. 4), § 6 Rn. 24. 156 Vgl. Bröcker in: Claussen, Bank- und Börsenrecht, 4. Aufl. 2008, § 6 Rn. 21; Seifert in: Kümpel/Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, 4. Aufl. 2011, Rn. 4.91 ff. 157 Vgl. die Definition in § 2 Abs. 1 BörsG. Dazu Beck in: Schwark/Zimmer, KMRK, 4. Auflage 2010, § 2 BörsG Rn. 1 ff.; Bröcker (Fn. 156), § 6 Rn. 25 f. 158 Vgl. Buck-Heeb (Fn. 3), Rn. 103. 159 Vgl. Buck-Heeb (Fn. 3), Rn. 103; Lenenbach (Fn. 5), Rn. 3.39; Seiffert (Fn. 156), Rn. 4.145 ff. 160 Vgl. Seiffert (Fn. 156), Rn. 4.145 ff. 161 Vgl. Buck-Heeb (Fn. 3), Rn. 98; Grunewald/Schlitt (Fn. 3), S. 183; Lenenbach (Fn. 5), Rn. 3.39. 162 Vgl. § 5 Abs. 1 S. 2 BörsG. Hierzu Lenenbach (Fn. 5), Rn. 3.40 ff.; Seiffert (Fn. 156), Rn. 4.94 ff. 163 Vgl. Grunewald/Schlitt (Fn. 3), S. 190. Darüber hinaus können Börsen ein zweites, privatrechtlich organisiertes Segment einrichten, den Freiverkehr (z.B. der Open Market der Frankfurter Wertpapierbörse), vgl. Grunewald/Schlitt (Fn. 3), S. 190. 164 Auch der Marktbetreiber kann ein geregelter Markt sein, vgl. o. Fn. 151.

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62

Europäisches Kapitalmarktrecht

In Deutschland existieren derzeit 10 geregelte Märkte i.S.d. MiFID.165 Der wichtigste geregelte Markt für Wertpapiere ist die Frankfurter Wertpapierbörse; ihr Börsenträger ist die Deutsche Börse AG.166 cc) Regulative Anforderungen

63 Die MiFID normiert in den Art. 36 ff. (Titel III) für den geregelten Markt eine Reihe von regulativen Anforderungen. Sie betreffen die Zulassung (dazu Rn. 64), die Organisation (dazu Rn. 65) und die Aufsicht (dazu Rn. 66) über den geregelten Markt. 64 Nach der MiFID bedürfen geregelte Märkte einer konstituierend wirkenden 167 Zulassung (vgl. Art. 36 Abs. 1 MiFID). Zuständig für die Zulassung sind von den Mitgliedstaaten zu bestimmende nationale Behörden (Art. 36 Abs. 1 Unterabs. 2 i.V.m. Art. 48 Abs. 1 S. 1 MiFID). Voraussetzung für eine Zulassung ist die Überzeugung der Behörde, dass sowohl der Betreiber als auch die multilateralen Systeme des geregelten Markts zumindest den Anforderungen der MiFID genügen (vgl. Art. 36 Abs. 1 Unterabs. 2 MiFID). In bestimmten Fällen kann den Betreibern eines geregelten Marktes die Zulassung wieder entzogen werden, etwa, wenn die Voraussetzungen, auf denen die Zulassung beruhte, nicht mehr vorliegen (vgl. die Auflistung in Art. 36 Abs. 5 MiFID). 65 Darüber hinaus legt die MiFID eine Reihe von organisatorischen Anforderungen an einen geregelten Markt fest. Diese beziehen sich etwa auf die Leitung eines geregelten Marktes, die u.a. über eine gute Reputation und genügend Erfahrung verfügen muss (Art. 37 Abs. 1 Unterabs. 1 MiFID). Auch den geregelten Markt selbst treffen organisatorische Pflichten (vgl. speziell Art. 39 MiFID). Hierzu zählen etwa die Einrichtung eines angemessenen Risikomanagements (vgl. Art. 39 lit. b MiFID) und die Schaffung eines Compliance-Systems (vgl. Art. 43 MiFID). Ferner müssen geregelte Märkte über klare und transparente Regeln für die Zulassung von Handelsobjekten (vgl. Art. 40 MiFID i.V.m. Art. 35 ff. MiFID-DVO 168) 169 und Handelsteilnehmern (vgl. Art. 42 MiFID) verfügen. Von besonderer Bedeutung sind die Anforderungen zum Niveau der Handelstransparenz beim Handel mit Aktien (Art. 44 f. MiFID i.V.m. Art. 17 ff. und 27 ff. MiFID-DVO 170): 171 I.R.d. Vorhandelstransparenz 165 Vgl. zu den in Europa existierenden geregelten Märkten die von der Kommission gem. Art. 47 MiFID veröffentlichte: Mit Anmerkungen versehene Übersicht über die geregelten Märkte und einzelstaatlichen Rechtsvorschriften zur Umsetzung der entsprechenden Anforderungen der Richtlinie über Märkte für Finanzinstrumente (MiFID) (Richtlinie 2004/39/EG des Europäischen Parlaments und des Rates), ABlEU v. 21.12.2010, C 348/9. 166 Vgl. nur Bröcker (Fn. 156), § 6 Rn. 21; Langenbucher (Fn. 3), § 13 Rn. 5 f. 167 Ist das multilaterale System nicht entsprechend der Vorgaben der MiFID zugelassen, handelt es sich nicht um einen geregelten Markt. 168 Allg. zu dem Durchführungsrechtsakten zur MiFID § 33 Rn. 2. 169 Vgl. dazu etwa Seitz AG 2004, 497, 500. 170 Allg. zu dem Durchführungsrechtsakten zur MiFID § 33 Rn. 2. 171 Vgl. hierzu Duve/Keller BB 2006, 2537, 2537 ff.; Fleischer BKR 2006, 389, 393 f.; Gomber/Hirschmann AG 2006, 777, 780 f.; Hirschberg AG 2006, 398, 404 f.; Kumpan WM 2006, 797, 799 ff.; Seitz AG 2004, 497, 503.

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müssen geregelte Märkte mindestens die aktuellen An- und Verkaufspreise (Geldund Briefkurse) und das Handelsvolumen veröffentlichen (vgl. Art. 44 Abs. 1 Unterabs. 1 MiFID i.V.m. Art. 17 ff., 29 f., 32 ff. und Anh. II Tabelle 1 MiFID-DVO 172). I.R.d. Nachhandelstransparenz sind mindestens Kurs, Umfang und Zeitpunkt der Geschäfte, die in Bezug auf zum Handel zugelassene Aktien abgeschlossen wurden, zu veröffentlichen (vgl. Art. 45 Abs. 1 Unterabs. 1 MiFID i.V.m. Art. 27 ff. MiFID-DVO173). Die MiFID bestimmt schließlich, dass Organisation und Betrieb des geregelten 66 Marktes einer Aufsicht unterliegen (Art. 36 Abs. 2 MiFID, vgl. zum Ganzen auch noch § 33 Rn. 14). Zuständig für die Aufsicht sind von den Mitgliedstaaten zu bestimmende nationale Behörden (vgl. Art. 48 MiFID). Der Umfang der Rechte und Pflichten der Aufsichtsbehörden ist in Art. 49 ff. MiFID geregelt. So sind die Behörden mit allen für die Wahrnehmung ihrer durch die MiFID übertragenen Aufgaben notwendigen Überwachungs- und Ermittlungsbefugnisse auszustatten (vgl. Art. 50 Abs. 1 MiFID). Zugleich sind sie zur grundsätzlichen Zusammenarbeit mit Behörden anderer Mitgliedstaaten verpflichtet (vgl. Art. 56 ff. MiFID) und haben das Berufsgeheimnis zu beachten (vgl. Art. 54 MiFID). In Deutschland sind für die Aufsicht die BaFin sowie die Börsenaufsichtsbehörden der Länder zuständig.174 dd) Die Bedeutung des geregelten Marktes Der geregelte Markt ist der am stärksten regulierte Handelsplatz. Dies ergibt sich 67 nicht nur aus einem Vergleich mit den Anforderungen der MiFID an die anderen Handelsplätzen, sondern insbesondere auch aus einer Gesamtbetrachtung des Europäischen Kapitalmarktrechts: Dieses bezieht sich weitestgehend nur auf den geregelten Markt. So ist z.B. der Anwendungsbereich der Prospekt-RL (vgl. § 34 Rn. 6), der MAD (vgl. § 35 Rn. 6) und der Transparenz-RL (vgl. § 36 Rn. 6) an die Zulassung von Wertpapieren bzw. Finanzinstrumente zum Handeln an einem geregelten Markt geknüpft. Aber auch einige gesellschaftsrechtliche RL, wie etwa die Übernahme-RL (vgl. § 30 Rn. 9) oder die Aktionärsrechte-RL (vgl. § 31 Rn. 5) stellen im Hinblick auf ihren Anwendungsbereich auf dieses Kriterium ab. b) Das multilaterale Handelssystem (MTF) aa) Begriffsbestimmung Ein multilaterales Handelssystem (multilateral trading facility – MTF) ist nach der 68 Legaldefinition in Art. 4 Abs. 1 Nr. 15 MiFID (ebenso wie der geregelte Markt) ein multilaterales System, das eine Vielzahl von Interessen am Kauf und Verkauf von Finanzinstrumenten, wie übertragbaren Wertpapieren, nach festgelegten Regeln zu172 Allg. zu dem Durchführungsrechtsakten zur MiFID § 33 Rn. 2. 173 Allg. zu dem Durchführungsrechtsakten zur MiFID § 33 Rn. 2. 174 Vgl. Kommissions-Übersicht (Fn. 165). Dort sind auch die Aufsichtsbehörden der anderen Mitgliedstaaten aufgelistet.

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Europäisches Kapitalmarktrecht

sammenführt. Wie beim geregelten Markt muss die Interessenszusammenführung zu einem Vertrag führen, allerdings – anders als beim geregelten Markt – nicht unter Einhaltung der Vorschriften Titel III, sondern des Titel II (Art. 5 ff. MiFID) geschehen. 69 Der Betrieb eines MTF stellt eine Wertpapierdienstleistung dar (vgl. Art. 4 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. Anh. I Abschnitt A Nr. 8 MiFID) und kann durch einen Marktbetreiber (wie z.B. eine Börse) oder eine Wertpapierfirma erfolgen. 70 Anders als beim geregelten Markt ist die nähere Ausgestaltung der Zulassungsbedingungen für Handelsprodukte und Handelsteilnehmern dem MTF selbst überlassen. Finanzinstituten, wie Banken, wird auf diese Weise ermöglicht, ein eigenes Handelssystem einzurichten, in dem Wertpapieraufträge von Kunden intern abgewickelt werden. Angesichts der hohen Handelsvolumina von Banken und der an Börsen zu zahlenden Gebühren kann die Einrichtung einer eigenen Handelsplattform eine kostengünstigere Alternative zum Handel an der Börse bieten.175 71 Eines der bekanntesten MTF in Europa ist die Londoner Handelsplattform Turquoise, die ursprünglich durch ein Konsortium von 9 Investmentbanken gegründet wurde und heute mehrheitlich der London Stock Exchange Group (LSEG) sowie daneben 12 führenden Investmentbanken gehört.176

bb) Regulative Anforderungen 72 Titel II (Art. 5 ff.) reguliert die Erbringung von Wertpapierdienstleistungen, indem er Wertpapierdienstleistungsunternehmen einer Zulassungspflicht, organisatorischen und verhaltensbezogenen Anforderungen sowie einer Aufsicht unterwirft (vgl. hierzu ausf. u. Rn. 211 ff. sowie noch § 33 Rn. 9 f.). Da der Betrieb eines MTF eine Wertpapierdienstleistung darstellt (vgl. o. Rn. 69), gelten für ihn schon aus diesem Grund die gleichen Vorschriften wie für andere Wertpapierdienstleistungen, mithin ebenfalls die Vorgaben des Titels II MiFID.177 Wegen seiner besonderen Eigenschaft als Handelsplatz bestehen für MTF in einigen Bereichen jedoch spezielle Regelungen, insbesondere im Bereich der Handelstransparenz 178.

175 Vergleiche zu dem sog. vertikalen Wettbewerb zwischen Börsen und anderen Handelsplattformen etwa Gomber/Hirschmann AG 2006, 777, 782 ff. 176 Homepage mit weiteren Informationen: http://www.tradeturquoise.com/tq_home.shtml. 177 I.Ü. ergibt sich dies auch aus der Legaldefinition in Art. 4 Abs. 1 Nr. 15 MiFID. 178 Vgl. in diesem Zusammenhang insbesondere Art. 26 MiFID. Zur Regulierung von MTF Duve/Keller BB 2006, 2537, 2538; Seitz AG 2004, 497, 501.

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c) Der systematische Internalisierer aa) Begriffsbestimmung Systematische Internalisierer (systematic internalisers) sind nach der Legaldefinition in 73 Art. 4 Abs. 1 Nr. 7 MiFID Wertpapierdienstleistungsunternehmen, die in organisierter und systematischer Weise häufig und regelmäßig Handel für eigene Rechnung durch Ausführung von Kundenaufträgen außerhalb eines geregelten Marktes oder eines MTF betreiben. Es handelt sich um bislang nicht regulierte systematische Eigenhandelsaktivitäten von Wertpapierdienstleistungsunternehmen, die ihre Kundenaufträge bilateral ausführen und nicht, wie es beim geregelten Markt oder MTF der Fall ist, innerhalb eines multilateralen Systems.179 Kriterien zur Festlegung, wann eine bilaterale Handelsaktivität eines Wertpapier- 74 dienstleistungsunternehmens als systematische Internalisierung einzustufen ist und damit dem Regelungsregime der MiFID unterfällt, finden sich in Art. 21 MiFIDDVO 180. Dessen Abs. 1 normiert 3 Kriterien dafür, dass die Tätigkeit organisiert, häufig und systematisch ausgeführt wird: (a) Sie spielt im Geschäftsmodell des Wertpapierdienstleistungsunternehmens eine wesentliche kommerzielle Rolle und wird gem. nichtdiskretionärer Regeln und Verfahren ausgeübt, (b) sie wird von Personal bzw. mittels eines automatisierten technischen Systems ausgeführt, das zu diesem Zweck (aber nicht unbedingt ausschließlich für diesen) vorgesehen ist, (c) sie steht den Kunden auf regelmäßiger und kontinuierlicher Basis zur Verfügung.

bb) Regulative Anforderungen Systematische Internalisierer sind per definitionem Wertpapierdienstleistungsunter- 75 nehmen (vgl. o. Rn. 73), so dass sie – ähnlich wie MTF (dazu o. Rn. 72) – den Anforderungen des Titel II (Art. 5 ff.) MiFID (dazu noch u. Rn. 211 ff. sowie § 33 Rn. 9 f.) genügen müssen.181 Auf Grund ihrer Eigenschaft als Handelsplatz bestehen abweichend zu den übri- 76 gen Arten von Wertpapierdienstleistungsunternehmen für systematische Internalisierer einige spezielle Anforderungen. Diese sind v.a. im Bereich der Handelstransparenz zu finden:182 In Bezug auf Aktien, die an einem geregelten Markt gehandelt werden, unterliegen systematische Internalisierer – ähnlich wie der geregelte Markt und MTF –

179 Vgl. Klöhn (Fn. 4), § 6 Rn. 18 mit Beispiel. 180 Allg. zu dem Durchführungsrechtsakten zur MiFID § 33 Rn. 2. 181 Vgl. zur Regulierung von systematischen Internalisierern Gomber/Hirschmann AG 2006, 777, 780 f.; Hirschberg AG 2006, 398, 404 ff.; Seitz AG 2004, 497, 501 f.; Spindler/Kasten WM 2006, 1749, 1755 f.; umfassend Kumpan, Die Regulierung außerbörslicher Wertpapierhandelssysteme im deutschen, europäischen und US-amerikanischen Recht, 2006, S. 341, 360 ff. und 387 ff. 182 Vgl. hierzu Duve/Keller BB 2006, 2537, 2538 ff.; Fleischer BKR 2006, 389, 394; Hirschberg, AG 2006, 398, 404 f.; Seitz AG 2004, 497, 503 f.

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einer Pflicht zur Vor- und Nachhandelstransparenz (Art. 27 MiFID i.V.m. Art 22 ff. MiFID-DVO 183 bzw. Art. 28 MiFID i.V.m. 27 ff. MiFID-DVO): I.R.d. Vorhandelstransparenz haben sie während der üblichen Handelszeiten regelmäßig und kontinuierlich verbindliche Kursofferten zu veröffentlichen (vgl. Art. 27 Abs. 1 und 3 MiFID i.V.m. Art 22 ff. MiFID-DVO). Die Nachhandelstransparenz umfasst die Veröffentlichung des Umfangs der Geschäfte, sowie der Kurse und des Zeitpunkts, zu dem die Geschäfte zum Abschluss gebracht wurden (vgl. Art. 28 Abs. 1 S. 1 MiFID). 4. Handelssysteme 77 Für den technischen Ablauf des Handels auf den Handelsplätzen unterscheidet das Europäische Kapitalmarktrecht zwischen 4 Handelssystemen (vgl. Art. 17 Abs. 2–5 und Anh. II Tabelle 1 MiFID-DVO 184) 185: •







Orderbuchhandelssystem basierend auf fortlaufenden Auktionen (Abs. 2), d.h. ein System, das mittels eines Orderbuchs und eines Handelsalgorithmus ohne menschliche Intervention Verkaufsorder mit Kaufordern auf der Grundlage des bestmöglichen Preises kontinuierlich zusammenführt; Market-Maker-Handelssystem (Abs. 3), d.h. ein System, bei dem die Geschäfte auf der Grundlage verbindlicher Kursofferten abgeschlossen werden, die den Teilnehmern kontinuierlich zur Verfügung gestellt werden, was die Market-Maker 186 dazu anhält, ständig Kursofferten in einer Größenordnung zu halten, die das Erfordernis für Mitglieder und Teilnehmer, in einer kommerziellen Größenordnung zu handeln, mit den Risiken für die Market-Maker selbst in Einklang bringt; Handelssystem basierend auf periodischen Auktionen (Abs. 4), d.h. ein System, das Aufträge auf der Grundlage einer periodischen Auktion und eines Handelsalgorithmus ohne menschliche Intervention zusammenführt; sonstiges Handelssystem (Abs. 5), d.h. ein hybrides System, das unter zwei oder mehr der drei obigen Rubriken fällt oder bei dem der Preisbildungsprozess anders geartet ist als bei den Systemtypen in den drei obigen Rubriken.

78 Die Unterscheidung der verschiedenen Arten der Handelssysteme spielt etwa i.R.d. Vorhandelstransparenz eine Rolle bei der Frage, welche An- und Verkaufspreise der Wertpapiere veröffentlicht werden müssen (vgl. Art. 17 Abs. 2–5 sowie die Erläuterungen in Anh. II Tabelle 1 MiFID-DVO 187). 183 Allg. zu dem Durchführungsrechtsakten zur MiFID § 33 Rn. 2. 184 Allg. zu dem Durchführungsrechtsakten zur MiFID § 33 Rn. 2. 185 Vgl. Art. 17 Abs. 2–5 MiFID-DVO (allg. zu dieser § 33 Rn. 2). Eine Beschreibung des Systems findest sich in Anh. II Tabelle 1 MiFID-DVO. Zu den Handelssystem vgl. Gomber/Hirschberg AG 2006, 777, 779 f.; Groß § 24 BörsG Rn. 12 ff. 186 Market-Maker ist nach der Legaldefinition in Art. 4 Abs. 1 Nr. 8 MiFID eine Person, die an den Finanzmärkten auf kontinuierlicher Basis ihre Bereitschaft anzeigt, durch den An- und Verkauf von Finanzinstrumenten unter Einsatz des eigenen Kapitals Handel für eigene Rechnung zu von ihr gestellten Kursen zu betreiben. 187 Allg. zu dem Durchführungsrechtsakten zur MiFID § 33 Rn. 2.

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5. Marktteilnehmer Die Kapitalmarktteilnehmer sind die handelnden Rechtssubjekte am Kapitalmarkt. 79 Sie lassen sich unterteilen in „Hersteller“ der Kapitalmarktprodukte (Emittenten, dazu u. Rn. 80 ff.), Finanzintermediäre (dazu u. Rn. 83 ff.), Marktinformanten (Informationsintermediäre, dazu u. Rn. 87 ff.) und Anleger (dazu u. Rn. 92 ff.).

a) Emittenten Diejenigen Marktteilnehmer, die Wertpapiere erstmals ausgeben und in Umlauf 80 bringen, werden als Emittenten bezeichnet.188 In vielen Fällen handelt es sich bei Emittenten um Aktiengesellschaften; Emittenten können jedoch auch andere Rechtspersönlichkeiten sein, wie z.B. andere Kapital- oder Personengesellschaften, öffentliche Körperschaften, Staaten oder sogar Privatpersonen.189 Mit der Ausgabe der Aktien verfolgen Emittenten v.a. den Zweck zusätzliches 81 (Eigen-)Kapital aufzunehmen. Ein Börsengang kann jedoch noch weitere Vorzüge haben, wie z.B. die Steigerung des Bekanntheitsgrads.190 Die europäische kapitalmarktrechtliche Regulierung der Emittenten setzt an drei 82 Stellen an: Dem Marktzugang, verhaltensrechtlichen Anforderungen sowie einer Beaufsichtigung. Sobald Emittenten einen Zugang zum Kapitalmarkt anstreben, unterliegen sie einem strengen Markteintrittsrecht (dazu u. Rn. 97 ff.). Ist der Markteintritt erfolgt, knüpfen sich hieran zahlreiche Verhaltenspflichten, woraus sich ein umfangreiches Marktverhaltensrecht (dazu u. Rn. 117 ff.) ergibt. Um die Einhaltung sowohl des Markteintritts- als auch des Marktverhaltensrechts sicherzustellen, unterliegen Emittenten überdies einer Marktaufsicht (dazu u. Rn. 263 ff.).

b) Finanzintermediäre: Wertpapierdienstleistungsunternehmen („Wertpapierfirmen“) und Investmentfonds Finanzintermediäre vermitteln auf dem Kapitalmarkt Geschäftsabschlüsse sowohl 83 zwischen Emittent und Anleger (Primärmarkt) als auch zwischen Anlegern untereinander (Sekundärmarkt).191 Das Europäische Kapitalmarktrecht reguliert (dazu näher u. Rn. 207 ff.) zwei Gruppen von Finanzintermediären: Wertpapierdienstleistungs-

188 Vgl. die Legaldefinition in Art. 2 Abs. 1 lit. h Prospekt-RL (zu dieser noch u. Rn. 101 ff. sowie § 34): „eine Rechtspersönlichkeit, die Wertpapiere begibt oder zu begeben beabsichtigt“. 189 Vgl. nur Grunewald/Schlitt (Fn. 3), S. 9. 190 Vgl. hierzu Meyer in: Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, 2. Aufl. 2009, § 7 Rn. 4 ff.; Rudolf in: Habersack/Mülbert/Schlitt (Hrsg.), Handbuch der Kapitalmarktinformation, 2008, § 1 (jeweils m.w.N.). 191 Vgl. Langenbucher (Fn. 3), § 14 Rn. 52.

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unternehmen (in der europäischen Terminologie: „Wertpapierfirmen“) und Investmentfonds. 84 Finanzintermediäre sind für den Kapitalmarkt von erheblicher Bedeutung, da sie nicht nur Angebot und Nachfrage zusammenbringen, sondern auch ganz maßgeblich zur Informationseffizienz der Kapitalmärkte beitragen, indem sie im Rahmen ihrer Tätigkeit kapitalmarktrechtliche Informationen analysieren und bewerten.192 Das Ergebnis dieser Analyse und Bewertung ist eine neue kapitalmarktrechtliche Information, die auf Grund des erheblichen Analyse- und Bewertungsaufwands von besonders hoher Qualität ist. Diese neue, hochwertige Information geben Finanzintermediäre mit ihrer Anlageempfehlung an den Anleger weiter. Hierdurch werden besonders qualitätsvolle Informationen in den Kapitalmarkt eingespeist und verbreitet und auf diese Weise Informationsasymmetrien zwischen den Kapitalmarktteilnehmern abgebaut. 85 Die Bedeutung der Finanzintermediäre für die Informationsverarbeitung wird besonders deutlich im Zusammenhang mit Kleinanlegern: Eine Privatperson, die auf dem Kapitalmarkt investieren möchte, kann auf Grund des erheblichen zeitlichen und finanziellen Aufwands im Hinblick auf Informationsbeschaffung und -analyse kaum alle für die Anlageentscheidung relevanten Informationen berücksichtigen – der Privatanleger, der die Informationen selbst studiert und eigenständig eine Anlageentscheidung trifft, ist die Ausnahme. In den meisten Fällen wird die Bewertung der Informationen von Finanzintermediären übernommen, die arbeitsteilig und systematisch alle öffentlich zugänglichen Informationen über den Emittenten und das ausgegebene Wertpapier analysieren.193 86 Aus dieser Beschreibung werden die Gefahren, die von Finanzintermediären ausgehen, deutlich: Anleger verlassen sich bei ihrer Anlageentscheidung auf die Empfehlung der Finanzintermediäre. Bei einer unzulänglichen oder unrichtigen Beratung verlieren sie ihr Vertrauen in den Kapitalmarkt und ziehen ihre Investitionen zurück. Dies wiederum führt zu einem Verlust der für Kapitalmärkte lebensnotwendigen Liquidität und somit zu einer Gefährdung ihrer Funktionsfähigkeit. Um dies zu verhindern, bedarf es eines besonderen Anleger- und Funktionsschutzes (vgl. auch Erwägungsgrund 29 MiFID). Beide Schutzrichtungen sollen durch einen ausdifferenzierten Regulierungsrahmen für Wertpapierdienstleistungsunternehmen und Investmentfonds gewährleistet werden (dazu näher u. Rn. 207 ff.). c) Informationsintermediäre: Ratingagenturen 87 Informationsintermediäre vermitteln gezielt Informationen auf dem Kapitalmarkt. Diese Aufgabe wird v.a. von Ratingagenturen übernommen.194 Ratingagenturen sind 192 Vgl. zur Funktion von Finanzintermediären: Bitz/Stark, Finanzdienstleistungen, 8. Aufl. 2008, S. 4 ff.; Klöhn (Fn. 4), § 6 Rn. 121; Langenbucher (Fn. 3), § 17 Rn. 156; Rott EWS 2008, 21, 22. 193 Vgl. Langenbucher (Fn. 3), § 14 Rn. 52. 194 Vgl. allg. zu Ratingagenturen Göres in: Habersack/Mülbert/Schlitt (Hrsg.), Handbuch der Kapitalmarktinformation, 2008, § 25 m.w.N.

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nach der Legaldefinition in Art. 3 Abs. 1 lit. b Rating-VO (zu dieser näher u. Rn. 254 ff.) Rechtspersönlichkeiten, deren Tätigkeit die gewerbsmäßige Abgabe von Ratings umfasst. Auf dem Markt für Ratings herrscht schon seit langem eine oligopolistische Struktur: Die drei großen Ratingagenturen Standard and Poor’s (S & P), Moody’s und Fitch teilen sich fast den gesamten Markt.195 Ein Rating stellt ein Urteil über die Bonität eines Unternehmens, eines Staates oder eines Finanzinstruments dar.196 Bewertet wird die Bonität, d.h. die Fähigkeit und Bereitschaft eines Unternehmens, seinen Verbindlichkeiten sowohl der Höhe nach als auch termingerecht nachzukommen.197 Ratings stellen hingegen keine Gesamtbeurteilung dar, wie sie etwa Finanzintermediäre im Rahmen ihrer Anlageempfehlung abgeben.198 Ein Rating erfolgt in standardisierter Form anhand eines festgelegten und definierten Einstufungsverfahrens für Ratingkategorien (vgl. Art. 3 Abs. 1 lit. a Rating-VO [zu dieser näher u. Rn. 254 ff.]). Die Bezeichnungen für Ratings variieren je nach Ratingagentur.199 Grundsätzlich gilt: Ein AAA (triple A) steht für die höchste Bonitätsstufe, ein C oder D für die schlechteste Bonitätsstufe. Ratings spielen eine Rolle im Rahmen aufsichtsrechtlicher Dokumentationspflichten von Unternehmen, etwa bei der Dokumentation der Berechnung von Anlagerisiken (vgl. auch Erwägungsgrund 1 Rating-VO [zu dieser näher u. Rn. 254 ff.]).200 Insbesondere werden sie auch bei der Anlageberatung für Kapitalmarkttitel hinzugezogen und bauen auf diese Weise im Hinblick auf die Bonität des in Frage stehenden Anlageprodukts Informationsasymmetrien ab.201 Um Anlegervertrauen und Funktionsfähigkeit der Kapitalmärkte zu schützen, ist die Richtigkeit der Ratings von zentraler Bedeutung (vgl. Erwägungsgrund 1 S. 4

195 Vgl. zur Marktsituation SEC(2008) 745, S. 9 f.; Becker DB 2010, 941; Lerch BKR 2010, 402, 403; s. ferner bereits Vetter, WM 2004, 1701, 1703. 196 Vgl. die Legaldefinition in Art. 3 Abs. 1 lit. a Rating-VO: „ein Bonitätsurteil in Bezug auf ein Unternehmen, einen Schuldtitel oder eine finanzielle Verbindlichkeit, eine Schuldverschreibung, eine Vorzugsaktie oder ein anderes Finanzinstrument oder den Emittenten derartiger Schuldtitel, finanzieller Verbindlichkeiten, Schuldverschreibungen, Vorzugsaktien oder anderer Finanzinstrumente, das anhand eines festgelegten und definierten Einstufungsverfahrens für Ratingkategorien abgegeben wird“. Vgl. auch bereits Pfingsten BKR 2001, 139, 140; Vetter, WM 2004, 1701, 1701. 197 Vgl. Grunewald/Schlitt (Fn. 3), S. 79; Lerch BKR 2010, 402, 403. 198 Ratings geben z.B. keine Auskunft über das Preisleistungsverhältnis eines Wertpapiers. Vgl. in diesem Zusammenhang Brabänder Die Bank 8/2008, 9, 11; Göres (Fn. 194), § 25 Rn. 7 ff.; Heinke, Bonitätsrisiko und Credit Rating festverzinslicher Wertpapiere – Eine empirische Untersuchung am Euromarkt, 1998, S. 17. 199 Vgl. nur die Ratingkategorien von Standard and Poor’s (abrufbar unter http://www. standardandpoors.com/ratings/definitions-and-faqs/en/us) und Moody’s (abrufbar unter http://www.moodys.com/researchdocumentcontentpage.aspx?docid=PBC_79004). 200 Vgl. dazu auch Heinke (Fn. 198), S. 60 ff. 201 Vgl. zur Bedeutung des Ratings: Becker DB 2010, 941; Blaurock ZGR 2007, 603, 608 ff.; Haar in: Hopt/Wohlmannstetter (Hrsg.), Handbuch Corporate Governance von Banken, 2011, S. 223 f.; Lerch BKR 2010, 402; von Schweinitz WM 2008, 953 f.; Vetter WM 2004, 1701, 1701 f.; s. ferner bereits Everling Kreditwesen 1991, 349 ff.

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Rating-VO [zu dieser näher u. Rn. 254 ff.]).202 Eine Regulierung von Ratingagenturen erfolgte in Europa allerdings erst – als Reaktion auf die Finanzkrise – im Jahr 2009 durch die Rating-VO (dazu näher u. Rn. 254 ff.).

d) Anleger 92 Anleger sind Käufer und Verkäufer von Kapitalmarktprodukten.203 Durch ihre Investitionen in Kapitalmarkttitel sorgen sie für Liquidität auf den Märkten; ihr Schutz ist für das Funktionieren von Kapitalmärkten damit von höchster Bedeutung (vgl. bereits o. Rn. 28). 93 Nicht alle Anleger sind jedoch in gleichem Maße schutzbedürftig. Dieser Gedanke findet auch im Europäischen Kapitalmarktrecht Ausdruck: Differenzierend nach dem unterschiedlichen Niveau an Sachverstand 204 unterscheidet es grundsätzlich 205 zwischen zwei Anlegerkategorien, den professionellen Anlegern (dazu u. Rn. 94) und den Kleinanlegern (dazu u. Rn. 95) (vgl. zur Differenzierung in der MiFID auch noch § 33 Rn. 11).206

aa) Professionelle Anleger 94 Professionelle Anleger (professional clients) sind Anleger, die über ausreichend Erfahrung und Sachverstand verfügen, um ihre Anlageentscheidungen eigenständig treffen und die damit verbundenen Risiken angemessen beurteilen zu können (vgl. Art. 4 Abs. 1 Nr. 11 i.V.m. Anh. II MiFID).207 Kriterien, wann ein Anleger professionell einzustufen ist, finden sich in Anh. II MiFID (vgl. auch § 33 Rn. 11). Es handelt sich um institutionelle Anleger, wie z.B. Banken, große Unternehmen, Regierungen oder supranationale Einrichtungen wie die EZB.208 Da bei ihnen ein hohes Maß an

202 Vgl. ferner auch Bauer, Ein Organisationsmodell zur Regulierung der Rating-Agenturen, 2009, S. 60 ff.; Brabänder Die Bank 8/2008, 9; Peters, Die Haftung und die Regulierung von Rating-Agenturen, 2001, S. 26 ff. 203 Vgl. Grunewald/Schlitt (Fn. 3), S. 10; Lenenbach (Fn. 5), Rn. 2.273. 204 Vgl. Erwägungsgrund 16 Prospekt-RL (zu dieser näher u. Rn. 101 ff. sowie § 34); Erwägungsgrund 31 MiFID (zu dieser § 33). 205 Die MiFID kennt als dritte Anlegerkategorie auch noch die sog. geeigneten Gegenparteien (eligible counterparties); bei diesen handelt es sich aber letztlich nur um eine Subkategorie der professionellen Anleger, vgl. § 33 Rn. 11. 206 Vgl. hierzu Buck-Heeb (Fn. 3), Rn. 491; Duve/Keller BB 2006, 2425 ff.; Fleischer BKR 2006, 389, 394; Haines (2007) 28 Co Law 344; Klöhn (Fn. 4), § 6 Rn. 127; Kühne BKR 2005, 275, 277 ff.; Seyfried WM 2006, 1375, 1375 ff.; Spindler/Kasten WM 2006, 1797, 1798; Veil ZBB 2006, 162, 170 f.; Weichert/Wenninger WM 2007, 627, 629. 207 Vgl. auch Art. 2 Abs. 1 lit. e Prospekt-RL: „qualifizierte Anleger“. Hierzu Duve/Keller BB 2006, 2427 f. 208 Vgl. auch Art. 2 Abs. 1 lit. e Prospekt-RL.

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Sachverstand vorausgesetzt werden kann, bedürfen sie eines vergleichsweise geringen Schutzes durch das Europäische Kapitalmarktrecht.209

bb) Kleinanleger Kleinanleger (retail clients) sind alle Anleger, die keine professionellen Anleger sind 95 (vgl. Art. 4 Abs. 1 Nr. 12 MiFID). Es handelt sich typischerweise um private Anleger.210 Auf Grund mangelnder Ressourcen zur Informationsbeschaffung und häufig geringer Sachkunde bedürfen sie eines besonderen Schutzes.

cc) Sinn und Zweck der Differenzierung Die Einordnung der Anleger in die beiden Kategorien hat weniger den Zweck einer 96 formalen Unterscheidung. Vielmehr knüpfen an die beiden Kategorien unterschiedliche materielle Rechtsfolgen an.211 Je nach Schutzbedürftigkeit des jeweiligen Anlegers bestimmen sich konkrete Pflichten. Ein prominentes Beispiel sind die Beratungspflichten von Wertpapierdienstleistungsunternehmen, die – je nachdem, ob es sich um professionelle Kunden oder Kleinanleger handelt – divergieren. Bei Kleinanlegern sind hier im Vergleich zu professionellen Anlegern besonders strenge Vorgaben einzuhalten.212

III. Das Europäische Markteintrittsrecht Das Markteintrittsrecht regelt die Voraussetzungen, unter denen Emittenten mit ihren 97 Kapitalmarkttiteln Zugang zum Kapitalmarkt erhalten.213 Im Europäischen Kapitalmarktrecht wird der Marktzugang durch das in der Prospekt-RL (Text, Literatur, Fundstellennachweise und weitere Erläuterungen in § 34) niedergelegte Prospektrecht reguliert.

209 So besteht z.B. bei einem öffentlichen Angebot von Wertpapieren an ausschließlich qualifizierte Anleger grundsätzlich keine Prospektpflicht, vgl. Art. 3 Abs. 2 lit. a Prospekt-RL (zur Prospektpflicht u. Rn. 102 ff. sowie § 34 Rn. 7). Vgl. zu den über das unterschiedliche Schutzbedürfnis hinausgehenden rechtstatsächlichen, verschiedenartigen Interessenlagen Rudolf (Fn. 190), § 1 Rn. 18 ff. und 23 ff.; Langenbucher (Fn. 3), § 1 Rn. 9 ff. 210 Vgl. zum typischen privaten Anleger etwa Langenbucher (Fn. 3), § 1 Rn. 8. 211 Vgl. hierzu umfassend Duve/Keller BB 2006, 2425, 2430 f.; Kühne BKR 2005, 275, 277 ff.; s. ferner auch die weiteren Nachweise in Fn. 206. 212 Art. 19 MiFID i.V.m. Art. 27 ff. MiFID-DRL (zu dieser allg. § 33 Rn. 2). Vgl. hierzu auch noch § 33 Rn. 12; näher Buck-Heeb (Fn. 3), Rn. 491; Duve/Keller BB 2006, 2425, 2431; Fleischer BKR 2006, 389, 394 f.; Klöhn (Fn. 4), § 6 Rn. 150 ff.; Moloney (2005) 6 EBOR 341, 383 ff.; Seyfried WM 2006, 1375, 1378 ff. 213 Vgl. Langenbucher (Fn. 3), § 1 Rn. 25.

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1. Die Bedeutung des Prospekts 98 Bevor Emittenten Wertpapiere auf dem Kapitalmarkt neu einführen, erstellen sie einen Katalog mit umfangreichen Angaben über das angebotene Wertpapier – einen Prospekt. Für Emittenten hat der Prospekt v.a. eine Werbefunktion: Er kann auf das offerierte Produkt aufmerksam und es bekannt machen. Von noch größerer Bedeutung ist der Prospekt für potentielle Anleger: Für sie es ist ein Informationsdokument, auf dessen Grundlage sie ihre Anlageentscheidung treffen.214 Die Richtigkeit und Vollständigkeit des Prospekts ist daher von zentraler Bedeutung. Bei unrichtigen oder unvollständigen Prospekten besteht die Gefahr, dass die Anleger eine für sie nachteilige Anlageentscheidung treffen. Dies hätte einen Verlust des Anlegervertrauens zur Folge, der wiederum auf Grund des mit ihm verbundenen Verlusts an Investitionen und damit Liquidität eine Gefahr für das Funktionieren der Kapitalmärkte darstellt.215

2. Historischer Überblick 99 Im Prospektrecht ist der europäische Gesetzgeber vergleichsweise früh aktiv geworden (vgl. dazu auch noch § 34 Rn. 1).216 Bereits im Jahr 1980 erließ er die Börsenzulassungsprospekt-RL 80/390/EWG 217. Sie koordinierte die Bedingungen für die Erstellung, die Kontrolle und die Verbreitung des Prospekts, der für die Zulassung von Wertpapieren zur amtlichen Notierung an einer Wertpapierbörse zu veröffentlichen ist (sog. Börsenzulassungsprospekt). Im Jahr 1989 folgte die Emissionsprospekt-RL 89/298/EG 218. Sie harmonisierte die Bedingungen für die Erstellung, Kontrolle und Verbreitung des Prospekts, der im Falle öffentlicher Angebote von Wertpapieren zu veröffentlichen ist (Emissionsprospekt). Die Börsenzulassungsprospekt-RL wurde 2001 zusammen mit anderen kapitalmarktrechtlichen RL in der Kapitalmarktpublizitäts-RL219 (dazu noch u. Rn. 158, 176, 183 sowie § 36 Rn. 1) konsolidiert und kodifiziert. 214 Vgl. zur Doppelfunktion von Prospekten als Vertriebs- und Informationsinstrument Assmann (Fn. 18), § 6 Rn. 13; Meyer in: Habersack/Mülbert/Schlitt (Hrsg.), Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, 2. Aufl. 2008, § 30 Rn. 10; Schlitt/Ponick in: Habersack/Mülbert/Schlitt (Hrsg.), Handbuch der Kapitalmarktinformation, 2008, § 4 Rn. 1 ff. 215 Vgl. Klöhn (Fn. 4), § 6 Rn. 38; Langenbucher (Fn. 3), § 14 Rn. 1. 216 Vgl. zur Entwicklung des europäischen Prospektsrechts bis zur Prospektrichtlinie Moloney (Fn. 19), S. 103. 217 RL 80/390/EWG des Rates v. 17.3.1980 zur Koordinierung der Bedingungen für die Erstellung, die Kontrolle und die Verbreitung des Prospekts, der für die Zulassung von Wertpapieren zur amtlichen Notierung an einer Wertpapierbörse zu veröffentlichen ist, ABlEG v. 17.4.1980, L 100/1. Dazu Voraufl. S. 546 ff. 218 RL 89/298/EWG des Rates vom 17.4.1989 zur Koordinierung der Bedingungen für die Erstellung, Kontrolle und Verbreitung des Prospekts, der im Falle öffentlicher Angebote von Wertpapieren zu veröffentlichen ist, ABlEG v. 5.5.1989, L 124/8. Dazu Voraufl. S. 605 ff. 219 RL 2001/34/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 28.5.2001 über die Zulassung von Wertpapieren zur amtlichen Börsennotierung und über die hinsichtlich dieser Wertpapiere zu veröffentlichenden Informationen, ABlEG v. 6.7.2001, L 184/1.

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Die Emissionsprospekt-RL und die Regelungen betreffend den Börsenzulassungs- 100 prospekt in der Kapitalmarktpublizitäts-RL wurden dann jedoch bereits 2003 wieder durch die Prospekt-RL (Text, Literatur, Fundstellennachweise und weitere Erläuterungen in § 34) aufgehoben und ersetzt (vgl. auch § 34 Rn. 1 f.). Während bislang mit dem Börsenzulassungsprospekt und dem Emissionsprospekt zwei Prospekttypen existierten, gibt es jetzt nur noch einen Prospekttyp 220 (vgl. auch § 34 Rn. 1, 6). Als Rahmen-RL der 2. Generation wurde die Prospekt-RL i.R.d. Lamfalussy-Verfahrens (dazu näher o. Rn. 44 ff.) durch zwei Durchführungs-VO konkretisiert (dazu näher § 34 Rn. 3). Durch die Änderungs-RL 2010/73/EU erfolgten zwischenzeitlich eine Reihe von Modifikationen, speziell Vereinfachungen zwecks Verringerung des Verwaltungsaufwands im Zusammenhang mit der Veröffentlichung eines Prospekts (dazu näher § 34 Rn. 4).

3. Vorgaben der Prospekt-RL Ziel der Prospekt-RL ist die Sicherstellung eines gleichwertigen Anlegerschutz auf 101 Unionsebene (vgl. Erwägungsgrund 20, s. auch noch § 34 Rn. 1). Zu diesem Zweck unterwirft die Prospekt-RL Emittenten von Wertpapieren221, einer Prospektpflicht (dazu u. Rn. 102 ff. sowie § 34 Rn. 7) und harmonisiert die Bedingungen für die Erstellung, die Billigung und die Verbreitung des Prospekts (dazu u. Rn. 105 ff. sowie § 34 Rn. 8 ff.) (vgl. Art. 1 Abs. 1 Prospekt-RL).

a) Prospektpflicht Die Prospektpflicht wird in zwei Situationen ausgelöst (vgl. auch noch § 34 Rn. 7): 222 102 Sie besteht zum einen bei einem öffentlichen Angebot von Wertpapieren (vgl. 103 Art. 3 Abs. 1 Prospekt-RL).223 Dies ist nach der Legaldefinition in Art. 2 Abs. 1 lit. d Prospekt-RL eine Mitteilung an das Publikum in jedweder Form und auf jedwede Art und Weise, die ausreichende Informationen über die Angebotsbedingungen und die anzubietenden Wertpapiere enthält, um einen Anleger in die Lage zu versetzen, sich für den Kauf oder die Zeichnung dieser Wertpapiere zu entscheiden. Ausnahmen von der Prospektpflicht bei einem öffentlichen Angebot von Wertpapieren bestehen bei bestimmten Angebotsformen (vgl. Art. 3 Abs. 2 Prospekt-RL224, etwa gem. lit. a wenn 220 Vgl. auch Grundmann Rn. 658 f.; Langenbucher (Fn. 3), § 14 Rn. 2. 221 Vgl. zu den Ausnahmen nach Art. 1 Abs. 2 noch § 34 Rn. 6. 222 Vgl. näher Crüwell AG 2003, 243, 245 f.; Grundmann Rn. 675 f.; Holzborn/SchwarzGondek BKR 2003, 927, 929 f.; Kunold/Schlitt BB 2004, 501, 503 f.; Wagner Die Bank 2003, 680, 682; Weber NZG 2004, 360, 362 f.; Wiegel, Die Prospektrichtlinie und die Prospektverordnung, 2008, S. 167 ff. 223 Vgl. dazu Wagner Die Bank 2003, 680, 682. 224 Durch die Änderungs-RL 2010/73/EU (dazu § 34 Rn. 4) wurden die Schwellenwerte der Ausnahmefälle in Art. 3 Abs. 2 lit. b, c und d erhöht. Vgl. dazu Maerker/Biedermann RdF 2011, 90, 93 f.

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sich das Angebot ausschließlich an professionelle Anleger richtet) und bei bestimmten Arten von Wertpapieren (Art. 4 Abs. 1 Prospekt-RL225). Zum anderen besteht eine Prospektpflicht bei einer Zulassung von Wertpapieren 104 zum Handel an einem geregelten Markt, der im EU/EWR-Raum gelegen ist oder dort funktioniert (Art. 3 Abs. 3 Prospekt-RL). Ausnahmen von der Prospektpflicht bestehen hier nur bei bestimmten Arten von Wertpapieren (vgl. Art. 4 Abs. 2226 Prospekt-RL).

b) Anforderungen an den Prospekt aa) Formale und inhaltliche Anforderungen 105 Art. 5, 7 und 8 Prospekt-RL regeln Anforderungen an Inhalt, Format und Aufbau des Prospekts, die durch Art. 3 ff., 25 ff. VO 809/2004 227 näher konkretisiert werden.228 Inhaltlich muss ein Prospekt sämtliche Angaben enthalten, die einen Anleger in die Lage versetzen, sich ein fundiertes Urteil über die aktuelle Vermögens-, Finanz-, und Ertragslage sowie die zukünftigen Aussichten eines Emittenten und Wertpapiers bilden zu können (vgl. Art. 5 Abs. 1 Prospekt-RL). Der Prospekt muss alle Angaben zum Emittenten und zu den Wertpapieren, die öffentlich angeboten oder zum Handel an einem geregelten Markt zugelassen werden sollen, enthalten sowie eine Zusammenfassung der Schlüsselinformationen (Art. 5 Abs. 2 Unterabs. 1 Prospekt-RL 229). Die Einzelheiten sind in der VO 809/2004 äußerst detailliert geregelt; diese gibt in Form eines „Baukastensystems“ (building block approach) für die verschiedenen Arten von Emissionen jeweils spezielle Module und Schemata vor, die dann nach den jeweiligen Spezifika der Emission zu kombinieren sind.230

225 Lit. c, d und e wurden durch die Änderungs-RL 2010/73/EU (dazu § 34 Rn. 4) modifiziert. 226 Art. 4 Abs. 2 lit. d wurde durch die Änderungs-RL 2010/73/EU (dazu § 34 Rn. 4) modifiziert. 227 Vgl. zu den Durchführungsrechtsakten zur Prospekt-RL allg. § 34 Rn. 3. 228 Vgl. dazu Cordewener in: Schön (Hrsg.), Rechnungslegung und Wettbewerbsschutz im Europäischen Recht, 2008, S. 105, 203 f.; Crüwell AG 2003, 243, 246 f.; Grundmann Rn. 677 ff.; Holzborn/Schwarz-Gondek BKR 2003, 927, 931 ff.; Klöhn (Fn. 4), § 6 Rn. 43 ff.; von Kopp-Colomb/Lenz AG 2002, 24, 27 f.; Kunold/Schlitt BB 2004, 501, 504 ff.; Sandberger EWS 2004, 297, 299 ff.; Wagner Die Bank 2003, 680, 682 f.; Weber NZG 2004, 360, 363 f.; Wiegel (Fn. 222), S. 211 ff., 315 ff. 229 Die Vorschrift wurde durch die Änderungs-RL 2010/73/EU (dazu § 34 Rn. 4) insbesondere im Hinblick auf die im Prospekt vorzunehmende Zusammenfassung deutlich modifiziert. Nach a.F. war eine Zusammenfassung der „wesentlichen Merkmale und Risiken“ erforderlich, nunmehr sind in der Zusammenfassung „alle Schlüsselinformationen“ (legaldefiniert im neuen Art. 2 Abs. 1 lit. s) darzustellen. Vgl. dazu auch Erwägungsgrund 15 der Änderungs-RL 2010/73/EU. 230 Vgl. dazu näher etwa Grundmann Rn. 679 ff.; Kunold/Schlitt BB 2004, 501, 507 f. sowie ausf. Wiegel (Fn. 222), S. 213 ff.

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Der Prospekt kann als Einzeldokument 231 oder dreiteiliges Dokument 232 (be- 106 stehend aus Registrierungsformular, Wertpapierbeschreibung und Zusammenfassung) veröffentlicht werden (vgl. Art. 5 Abs. 3 u. Art. 12 Prospekt-RL i.V.m. Art. 25 VO 809/2004 233). I.R.d. Art. 11 Prospekt-RL i.V.m. Art. 28 VO 809/2004 sind im Interesse der Vereinfachung 234 auch Verweisungen auf zuvor oder gleichzeitig veröffentlichte Dokumente möglich.235 Der Vereinfachung dient 236 auch die – allerdings nur für bestimmte Emissionen zulässige – Möglichkeit eines sog. Basisprospekts (Art. 2 Abs. 1 lit. r, Art. 5 Abs. 4 Prospekt-RL i.V.m. Art. 26 VO 804/2009).237 bb) Billigung und Veröffentlichung Darüber hinaus enthält die Prospekt-RL in Art. 13, 14 und 16 (bzgl. der Veröffent- 107 lichung konkretisiert durch Art. 29 ff. VO 809/2004 238) Regeln für die Billigung und die Veröffentlichung des Prospekts (vgl. dazu auch noch § 34 Rn. 9).239 Allein die Erstellung eines Prospekts genügt nicht, er muss auch gemäß den Vorgaben der Prospekt-RL gebilligt und veröffentlicht worden sein. Dabei stellt sich die Billigung als eine Vorbedingung für die Veröffentlichung des Prospekts dar (vgl. Art. 13 Abs. 1 Prospekt-RL) und die Veröffentlichung des Prospekts wiederum als eine Vorbedingung für das öffentliche Angebot der Wertpapiere bzw. ihre Zulassung zum Handel am geregelten Markt (vgl. Art. 3 Abs. 1 bzw. 3 Prospekt-RL). Zwecks Billigung haben die Emittenten den Prospekt bei der zuständigen Be- 108 hörde des Herkunftsmitgliedstaats 240 einzureichen. Diese überprüft den Prospekt auf Vollständigkeit, Kohärenz und Verständlichkeit (vgl. die Legaldefinition der Billigung in Art. 2 Abs. 1 lit. q Prospekt-RL); ggf. ist der Prospekt nachzubessern (vgl. Art. 21 Abs. 3 lit. a Prospekt-RL). Nach der Billigung ist der Prospekt zu veröffentlichen (vgl. Art. 13 Abs. 1 Pro- 109 spekt-RL). Zu diesem Zweck ist er bei der zuständigen nationalen Behörde zu hinterlegen und dem Anlegerpublikum so bald wie möglich zur Verfügung zu stellen, auf jeden Fall aber rechtzeitig vor und spätestens mit Beginn eines öffentlichen Angebots bzw. der Zulassung des betreffenden Wertpapiers zum Handel (Art. 14 Abs. 1 Prospekt-RL). Art. 14 Abs. 2 Prospekt-RL, der durch Art. 29 f. VO 809/2004 241 näher 231 232 233 234 235 236 237 238 239

Aufbau spezifiziert in Art. 25 Abs. 1 VO 809/2004, dazu näher Wiegel (Fn. 222), S. 315 f. Vgl. dazu ausf. Wiegel (Fn. 222), S. 321 ff. m.w.N. Vgl. zu den Durchführungsrechtsakten zur Prospekt-RL allg. § 34 Rn. 3. Vgl. Erwägungsgrund 29. Dazu näher Wiegel (Fn. 222), S. 323 ff. m.w.N. Vgl. Erwägungsgrund 24; Grundmann Rn. 687. Dazu näher Wiegel (Fn. 222), S. 316 ff. m.w.N. Vgl. zu den Durchführungsrechtsakten zur Prospekt-RL allg. § 34 Rn. 3. Vgl. hierzu Cordewener (Fn. 228), S. 105, 206; Crüwell AG 2003, 243, 246 f.; Grundmann Rn. 677 ff.; Holzborn/Schwarz-Gondek BKR 2003, 927, 931 ff.; Klöhn (Fn. 4), § 6 Rn. 43 ff.; von Kopp-Colomb/Lenz AG 2002, 24, 27 f.; Kunold/Schlitt BB 2004, 501, 504 ff.; Sandberger EWS 2004, 297, 299 ff.; Wagner Die Bank 2003, 680, 682 f.; Weber NZG 2004, 360, 363 f.; Wiegel (Fn. 222), S. 211 ff., 315 ff. 240 Legaldefinition in Art. 2 Abs. 1 lit. m. 241 Vgl. zu den Durchführungsrechtsakten zur Prospekt-RL allg. § 34 Rn. 3.

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konkretisiert wird, eröffnet für die Veröffentlichung mehrere Varianten: in Zeitungen (lit. a), kostenlos in gedruckter Form (lit. b), auf der Webseite des Emittenten oder des ggf. platzierenden/verkaufenden Finanzintermediärs (lit. c), auf der Webseite des geregelten Marktes (lit. d) oder auf der Webseite der zuständigen Behörde des Herkunftsmitgliedstaats (lit. e); entscheidet sich der Emittent/Verantwortliche für Variante a oder b, „kann“ der Herkunftsmitgliedstaat aber zusätzlich auch eine elektronische Veröffentlichung gem. lit. c verlangen.242 cc) Werbung 110 Art. 15 Prospekt-RL normiert, konkretisiert durch Art. 34 VO 809/2004 243, Rahmenbedingungen für Werbung in Bezug auf Prospekte (vgl. auch § 34 Rn. 10).244 c) Gültigkeit des Prospekts nach der Billigung und Veröffentlichung 111 Gem. Art. 9 Abs. 1 Prospekt-RL ist ein Prospekt 12 Monate lang gültig, sofern er um etwaige gem. Art. 16 erforderliche Nachträge (dazu u. Rn. 112) ergänzt wird; durch die Änderungs-RL 2010/73/EU (dazu § 34 Rn. 4) wurde der Beginn der Geltungsdauer zwecks Erhöhung der Rechtssicherheit 245 an die Billigung des Prospekts (anstatt wie bislang an die Veröffentlichung) geknüpft (vgl. auch § 34 Rn. 11).246 112 Nachträge sind gem. Art. 16 Abs. 1 S. 1 Prospekt-RL erforderlich, wenn zwischen der Billigung des Prospekts und dem endgültigen Schluss des öffentlichen Angebots bzw. der Eröffnung des Handels an einem geregelten Markt ein wichtiger neuer Umstand oder eine wesentliche Unrichtigkeit oder Ungenauigkeit in Bezug auf die im Prospekt enthaltenen Angaben auftritt bzw. festgestellt wird und diese die Bewertung der Wertpapiere beeinflussen könnte.247 113 Art. 17 Prospekt-RL regelt als Herzstück der RL den sog. Europäischen Pass (vgl. auch noch § 34 Rn. 12): 248 Ein von der zuständigen Behörde des Herkunftsmit242 Näher dazu Wiegel (Fn. 222), S. 343 ff. Erwägungsgrund 22 S. 2 RL 2010/73/EU (dazu § 34 Rn. 4) sowie andere Sprachfassungen (z.B. englisch „shall“) sprechen allerdings dafür, dass die Mitgliedstaaten eine zusätzliche elektronische Veröffentlichung verlangen müssen, vgl. Raptis ZFR 2011, 106, 108. 243 Vgl. zu den Durchführungsrechtsakten zur Prospekt-RL allg. § 34 Rn. 3. 244 Näher Crüwell AG 2003, 243, 251; Grundmann Rn. 692; Kunold/Schlitt BB 2004, 501, 511; Revell/Cole (2006) 1 CMLJ 77, 81; Sandberger EWS 2004, 297, 302; Weber NZG 2004, 360, 365; Wiegel (Fn. 222), S. 351 ff. 245 Vgl. Erwägungsgrund 20 RL 2010/73/EU (dazu § 34 Rn. 4). 246 Näher zum Ganzen Crüwell AG 2003, 243, 251; Grundmann Rn. 685 f.; Holzborn/ Schwarz-Gondek BKR 2003, 927, 933; Kunold/Schlitt BB 2004, 501, 509 f.; Wagner Die Bank 2003, 680, 684; Weber NZG 2004, 360, 365; Wiegel (Fn. 222), S. 387 ff. Zu den Neuerungen durch die Änderungs-RL 2010/73/EU (dazu § 34 Rn. 4): Maerker/Biedermann RdF 2011, 90, 95. 247 Vgl. dazu Wagner Die Bank 2003, 680, 681; Wiegel (Fn. 222), S. 363 ff. 248 Näher Crüwell AG 2003, 243, 253; Grundmann Rn. 693 f.; Klöhn (Fn. 4), § 6 Rn. 49 f.; Morris/Machin (2006) 1 CMLJ 205, 206 ff.; Revell/Cole (2006) 1 CMLJ 77, 82 f.; Sandberger EWS 2004, 297, 301.

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gliedstaats gebilligter Prospekt ist einschließlich etwaiger Nachträge in beliebig vielen Aufnahmemitgliedstaaten gültig, sofern eine Notifizierung der ESMA sowie der zuständigen Behörde jedes Aufnahmemitgliedstaats gem. Art. 18 (der hierfür ein spezielles Verfahren unter Verwendung einer sog. Billigkeitsbescheinigung vorsieht 249) erfolgt.250

d) Rechte und Pflichten der zuständigen nationalen Aufsichtsbehörden Gem. Art. 21 Abs. 1 Unterabs. 1 Prospekt-RL haben die Mitgliedstaaten eine zentrale 114 zuständige Verwaltungsbehörde zu benennen, die für die Erfüllung der in der RL festgelegten Pflichten und für die Anwendung der nach ihr erlassenen Bestimmungen zuständig ist.251 In diesem Rahmen regeln Art. 21 ff. Prospekt-RL auch ein Mindestmaß an Rechten und Pflichten der Aufsichtsbehörden.252 Gem. Art. 21 Abs. 3 S. 1 Prospekt-RL ist jede zuständige Behörde mit den zur Erfüllung ihrer Funktionen notwendigen Befugnissen auszustatten; der Katalog von Mindestbefugnissen in S. 2 umfasst z.B. das Recht i.R.d. Billigungsverfahrens die Aufnahme zusätzlicher Angaben zu verlangen, wenn dies der Anlegerschutz gebietet (lit. a). Nach Art. 22 Prospekt-RL sind die Behörden an das Berufsgeheimnis gebunden und zur Zusammenarbeit mit den Behörden der anderen Mitgliedstaaten verpflichtet.

e) Prospekthaftung und Sanktionsmöglichkeiten Gem. Art. 25 Abs. 1 müssen die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass gegen Personen, 115 die eine Missachtung der Umsetzungsvorschriften zur RL zu verantworten haben, angemessene Verwaltungsmaßnahmen getroffen oder Verwaltungssanktionen verhängt werden können; diese müssen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein; daneben steht es den Mitgliedstaaten aber auch frei, ggf. strafrechtliche Sanktionen zu verhängen.253 116 Zur Prospekthaftung s. § 34 Rn. 16.

249 Näher Crüwell AG 2003, 243, 253; Grundmann Rn. 695 f.; Wiegel (Fn. 222), S. 426 f. 250 Vgl. zur rechtstatsächlichen Nutzung des Europäischen Passes den Jahresbericht 2010 der BaFin (abrufbar unter http://www.bafin.de/SharedDocs/Downloads/DE/Service/ Jahresberichte/2010/jb_2010_gesamt, templateId=raw,property=publicationFile.pdf/jb_ 2010_gesamt.pdf), S. 214. 251 Art. 21 Abs. 1 Unterabs. 2 Prospekt-RL gestattet den Mitgliedstaaten allerdings, hinsichtlich der Vorgaben betreffend die Billigung und Veröffentlichung des Prospekts gem. Titel III auch eine andere Verwaltungsbehörde zu benennen, wenn dies nach einzelstaatlichem Recht erforderlich ist. 252 Näher Crüwell AG 2003, 243, 249 f.; Kunold/Schlitt BB 2004, 501, 508 f.; Sandberger EWS 2004, 297, 300. 253 Vgl. aber u. Rn. 340 zu den Plänen für eine Harmonisierung der Sanktionsregelungen im Europäischen Kapitalmarktrecht.

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IV. Das Europäische Kapitalmarktverhaltensrecht 1. Überblick 117 Das Europäische Kapitalmarktverhaltensrecht regelt das Verhalten der Marktteilnehmer am Kapitalmarkt 254, indem es ihnen verschiedene Verhaltenspflichten auferlegt. 118 Zu den Kapitalmarktteilnehmern zählen nicht nur Emittenten und Anleger, sondern auch Wertpapierdienstleistungsunternehmen, Investmentfonds und Ratingagenturen (vgl. o. Rn. 79 ff.). Letztere unterliegen auf Grund ihrer besonderen Funktion als Finanz- bzw. Informationsintermediäre speziellen Verhaltenspflichten (dazu u. Rn. 207 ff., 254 ff.). Das in diesem Abschnitt dargestellte Marktverhaltensrecht betrifft ausschließlich Emittenten und Anleger. 119 Fasst man die verschiedenen Verhaltenspflichten zusammen und systematisiert sie nach Ver- und Geboten, besteht das europäische Kapitalmarktverhaltensrecht aus jeweils einem Ver- und einem Gebot. Verboten ist allein der Marktmissbrauch, d.h. Insiderhandel und Marktmanipulation (dazu u. Rn. 120 ff.). Oberstes Gebot hingegen ist Transparenz i.S.e. umfassenden Information der Marktteilnehmer; insbesondere Emittenten, aber auch Anlegern, obliegen daher zahlreiche Publizitätspflichten (dazu u. Rn. 151 ff.).

2. Das europäische Marktmissbrauchsverbot a) Die beiden Ausprägungen des Marktmissbrauchsverbots: Insiderhandelsverbot und Verbot der Marktmanipulation 120 Das Europäische Kapitalmarktrecht kennt – und verbietet – zwei Formen des Marktmissbrauchs (vgl. auch noch § 35 Rn. 1): Den Insiderhandel (dazu u. Rn. 123 f., 129 ff. sowie § 35 Rn. 8 ff.) und die Marktmanipulation (dazu u. Rn. 122, 141 ff. sowie § 35 Rn. 11 f.). Insiderhandel zeichnet sich dadurch aus, dass Personen Informationsvorsprünge ausnutzen, um schneller als der Markt reagieren zu können und auf diese Weise finanzielle Vorteile zu ziehen.255 Unter Marktmanipulation fallen Verhaltensweisen, bei denen Personen durch irreführende oder unrichtige Informationen auf den Preisbildungsmechanismus am Kapitalmarkt einwirken, um aus den vorhersehbaren Kursentwicklungen profitieren zu können256.

254 Mülbert WM 2001, 2085, 2087. 255 Vgl. Langenbucher (Fn. 3), § 16 Rn. 1. 256 Buck-Heeb (Fn. 3), Rn. 383; Langenbucher (Fn. 3), § 16 Rn. 1.

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b) Ökonomischer Hintergrund der Verbote Der Grund für das Verbot des Marktmissbrauchs liegt in den ökonomischen Auswir- 121 kungen der Marktmanipulation und des Insiderhandels auf den Kapitalmarkt.257

aa) Verbot der Marktmanipulation Börsenkurse für Wertpapiere kommen zustande, indem Kapitalmarktteilnehmer In- 122 formationen, die die Wertpapiere tangieren, bewerten und einpreisen. Werden i.R.e. Marktmanipulation falsche oder irreführende Informationen in den Kapitalmarkt eingespeist, finden unrichtige Informationen Eingang in den Marktpreis. Der Kurs spiegelt dann nicht mehr den wahren Wert eines Wertpapiers wider; der Preisbildungsmechanismus ist gestört.258 Ihre Investitionsentscheidungen treffen Anleger auf der Basis von Informationen; handelt es sich um falsche Informationen, treffen sie Fehlentscheidungen, die sie finanziell schädigen können.259 Als Folge verlieren Anleger ihr Vertrauen in den Kapitalmarkt und entziehen ihm finanzielle Mittel.260 Ein hoher Liquiditätsverlust gefährdet wiederum die Funktionsfähigkeit des Kapitalmarkts. Der Schutz des Preisbildungsmechanismus durch ein Verbot der Marktmanipulation ist daher für das Funktionieren von Kapitalmärkten von essentieller Bedeutung.261

bb) Insiderhandelsverbot Der ökonomische Nutzen von Insiderhandel wird hingegen unterschiedlich beur- 123 teilt.262 Teilweise wird die Ausnutzung von Insiderwissen positiv bewertet: Da ein Insider über den wahren Wert eines Wertpapiers informiert ist, führe ein Insiderhandel dazu, dass die Information umgehend Eingang in den Marktpreis findet, wodurch die Effizienz der Kapitalmärkte gesteigert werde.263

257 Vgl. hierzu Moloney (Fn. 19), S. 923 ff. 258 Vgl. Eichelberger, Das Verbot der Marktmanipulation (§ 20a WpHG), 2006, S. 78; Oechsler FS Wolf, 2011, S. 291, 292 m.w.N. 259 Vgl. KOM(2001) 281, S. 3; Eichelberger (Fn. 258), S. 75 f.; Oechsler FS Wolf, 2011, S. 291, 292. 260 Vgl. Eichelberger (Fn. 258), S. 77. 261 Vgl. Klöhn (Fn. 4), § 6 Rn. 116. 262 Vgl. umfassend zum Insiderhandel aus ökonomischer Sicht Lahmann, Insiderhandel, Ökonomische Analyse eines ordnungspolitischen Dilemmas, 1994; Ott/Schäfer ZBB 1991, 226 ff. 263 Vgl. grundlegend Manne, Insider Trading and the Stock Market, 1966. Gegner dieser Ansicht wenden ein, dass die Tragweite dieses Effekts zu bezweifeln ist, da sich zum einen Über- und Unterreaktionen des Marktes nachweisen lassen und zum anderen fraglich ist, ob das Transaktionsvolumen nur eines Insiders überhaupt genügt, um den Preis nachhaltig zu beeinflussen, vgl. hierzu etwa Hopt ZGR 1991, 17, 25; ders. AG 1995, 353, 357 f.; Kalss/Oppitz/Zollner, Kapitalmarktrecht 1. System, 2005, § 20 Rn. 2.

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Der europäische Gesetzgeber betrachtet Insiderhandel hingegen als Gefahr für das Funktionieren der Kapitalmärkte, welches maßgeblich vom Vertrauen der Anleger abhängt. Dieses Vertrauen erstreckt sich auch auf die Chancengleichheit aller Anleger am Kapitalmarkt.264 Da Insider besser informiert sind als Nichtinsider, haben sie auch bessere Chancen als Nichtinsider, denn durch die Nutzung von InsiderInformationen können sie sich zu Lasten von Nichtinsidern finanzielle Vorteile sichern.265 Verlieren Nichtinsider systematisch Geld an Insider, verlieren sie ihr Vertrauen in den Kapitalmarkt.266 Als Folge des Vertrauensverlusts entziehen sie ihm Liquidität, wodurch seine Funktionsfähigkeit gefährdet wird. Um das Anlegervertrauen in die Marktintegrität zu stärken und die Funktionsfähigkeit der Kapitalmärkte zu gewährleisten, ist daher aus ökonomischer Sicht ein Insiderhandelsverbot notwendig.267

c) Die heutige Regelung in der MAD 125 Das Insiderhandelsverbot und das Verbot der Marktmanipulation werden heute von der Marktmissbrauchs-RL (Market Abuse Directive – MAD) geregelt (Text, Literatur, Fundstellennachweise und weitere Erläuterungen zu Entstehungsgeschichte, Inhalt und Reformbestrebungen in § 35). In Deutschland ist das Insiderhandelsverbot heute in § 14 WpHG, das Verbot der Marktmanipulation in § 20a WpHG normiert (vgl. dazu noch § 35 Rn. 20).

aa) Anwendungsbereich der MAD 126 Die MAD und ihre Durchführungsrechtsakte (dazu § 35 Rn. 3) finden Anwendung auf Finanzinstrumente (vgl. zu diesen bereits o. Rn. 7, 56), die zum Handel auf einem geregelten Markt (dazu o. Rn. 58 ff.) in mindestens einem Mitgliedstaat zugelassen sind oder für die ein entsprechender Antrag auf Zulassung zum Handel auf einem solchen Markt gestellt wurde; 268 ohne Belang ist hingegen, ob das Geschäft selbst auf dem geregelten Markt getätigt wird oder nicht (vgl. Art. 9 Abs. 1 MAD, vgl. auch noch § 35 Rn. 6).269 So findet die MAD etwa auch Anwendung auf Geschäfte mit

264 Vgl. Erwägungsgrund 5 Insider-RL (zu dieser u. Rn. 22 sowie § 35 Rn. 2); Langenbucher (Fn. 3), § 15 Rn. 4. 265 Vgl. hierzu Lenenbach (Fn. 5), Rn. 13.82 ff. 266 Vgl. Fürhoff AG 2003, 80, 81; Klöhn (Fn. 4), § 6 Rn. 100. 267 Vgl. Erwägungsgrund 1 MAD (vgl. zu dieser u. Rn. 125 ff. sowie § 35). 268 Das Insiderhandelsverbot gilt nach Art. 9 Abs. 2 MAD aber auch für jedes Finanzinstrument, das nicht zum Handel auf einem geregelten Markt in einem Mitgliedstaat zugelassen ist, wenn dessen Wert von einem Finanzinstrument i.S.d. Art. 9 Abs. 1 abhängt. 269 Vgl. allg. zum sachlichen Anwendungsbereich der MAD: Dier/Fürhoff AG 2002, 604, 605 f.; Leppert/Stürwald ZBB 2002, 90, 97 f.; Staikouras [2008] EBLR 775, 776 f.; ders. (2008) 35 LIEI 351, 352 ff.

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auf einem geregelten Markt zugelassenen Wertpapieren, die jedoch nicht über den geregelten Markt selbst, sondern über ein MTF (dazu o. Rn. 68 ff.) oder einen systematischen Internalisierer (dazu o. Rn. 73 ff.) getätigt werden; keine Anwendung findet die RL hingegen, wenn die Wertpapiere ausschließlich bei einem MTF zugelassen sind und hierüber gehandelt werden. Art. 7 MAD normiert eine Ausnahme für Geschäfte i.R.d. Geld- und Wechsel- 127 kurspolitik sowie der Verwaltung öffentlicher Schulden (vgl. dazu auch noch § 35 Rn. 6).270 Für bestimmte Verhaltensweisen gilt die sog. Safe Harbour Rule 271 des Art. 8 128 MAD, wonach bestimmte Transaktionen von vornhinein von den Verboten der MAD ausgenommen sind. Hierbei handelt es sich um den Handel mit eigenen Aktien i.R.v. Rückkaufprogrammen und Kursstabilisierungsmaßnahmen, soweit diese Transaktionen im Einklang mit der VO 2273/2003 272 näher spezifizierten Voraussetzungen erfolgen (vgl. auch § 35 Rn. 7).273

bb) Das Insiderhandelsverbot Um Insiderhandel zu verhindern, unterwirft der europäische Gesetzgeber die Markt- 129 teilnehmer in Art. 2 bis 4 MAD einem Insiderhandelsverbot.274 (1) Die Insider-Information Der zentrale Begriff des Insiderrechts ist die Insider-Information (dazu auch noch 130 § 35 Rn. 8) 275, denn sie ist Anknüpfungspunkt für zwei bedeutende Verhaltenspflichten: Die Ad-hoc-Publizität (dazu u. Rn. 175 ff. sowie § 35 Rn. 14 ff.) und das Insider270 Vgl. dazu Erwägungsgrund 32; KOM(2001) 281, S. 9; Leppert/Stürwald ZBB 2002, 90, 97. 271 Vgl. zur angloamerikanischen Rechtsfigur der Safe Harbour Rule etwa Dier/Fürhoff AG 2002, 604, 605. 272 Vgl. zu den Durchführungsrechtsakten zur MAD allg. § 35 Rn. 3. 273 Näher dazu Avgouleas (2005) 18 Transnat’l Law. 179, 207 ff.; ders. (2007) 22 J.I.B.L.R. 153, 156 f.; Dier/Fürhoff AG 2002, 604, 605; Ferrarini (2004) 41 C.M.L. Rev. 711, 735 ff.; 718 ff.; Feuering/Berrar in: Habersack/Mülbert/Schlitt (Hrsg.), Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, 2. Aufl. 2008, § 34 Rn. 13 ff.; Geber/zur Megede BB 2005, 1861 ff.; Hansen [2004] EBLR 183, 211 ff.; Oechsler FS Wolf, 2011, S. 291 ff.; Singhof/ Weber AG 2005, 549, 554 ff. 274 Um auch präventiv vor Insiderhandel zu schützen, verpflichtet der europäische Gesetzgeber die Marktteilnehmer darüber hinaus zu verschiedenen Mitteilungspflichten, vgl. zur Ad-hoc-Publizität u. Rn. 175 ff. sowie § 35 Rn. 14 ff.; zu den directors’ dealings u. Rn. 198 ff. sowie § 35 Rn. 18. 275 Näher zum Begriff Avgouleas (2005) 18 Transnat’l Law. 179, 203 ff.; ders. (2007) 22 J.I.B.L.R. 153, 154 f.; Ferrarini (2004) 41 C.M.L. Rev. 711; Grundmann Rn. 743 ff.; Hansen [2004] EBLR 183, 193 ff.; Hansen/Moalem (2009) 4 CMLJ 323 ff.; Klöhn (Fn. 4), § 6 Rn. 75 ff.; Moloney (Fn. 19), S. 95 ff.; Reynolds/Rutter (2004) 12 J.F.R. & C. 306, 308 f.; Staikouras [2008] EBLR 775, 779 ff.

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handelsverbot. Der europäische Gesetzgeber legaldefiniert die Insider-Information in Art. 1 S. 1 Nr. 1 Unterabs. 1 MAD als „nicht öffentlich bekannte präzise Information, die direkt oder indirekt einen oder mehreren Emittenten von Finanzinstrumenten oder ein oder mehrere Finanzinstrumente betrifft und die, wenn sie öffentlich bekannt würde, geeignet wäre, den Kurs dieser Finanzinstrumente oder den Kurs sich darauf beziehender derivativer Finanzinstrumente erheblich zu beeinflussen“.276 131 Näher präzisiert wird der Begriff der Insider-Information in Art. 1 RL 2003/ 124/EG 277. Nach dessen Abs. 1 ist eine Information dann als präzise anzusehen, wenn damit eine Reihe von Umständen gemeint ist, die bereits existieren oder bei denen man mit hinreichender Wahrscheinlichkeit davon ausgehen kann, dass sie in Zukunft existieren werden, oder ein Ereignis, das bereits eingetreten ist oder mit hinreichender Wahrscheinlichkeit in Zukunft eintreten wird, und diese Information darüber hinaus spezifisch genug ist, dass sie einen Schluss auf die mögliche Auswirkung dieser Reihe von Umständen oder dieses Ereignisses auf die Kurse von Finanzinstrumenten oder damit verbundenen derivativen Finanzinstrumenten zulässt. Abs. 2 konkretisiert weiter, dass damit eine Information gemeint ist, die ein verständiger Anleger wahrscheinlich als Teil der Grundlage seiner Anlageentscheidungen nutzen würde. 132 Unklar ist in diesem Zusammenhang insbesondere, was unter dem Begriff der hinreichenden Wahrscheinlichkeit zu verstehen ist 278, speziell, ob hiermit eine überwiegende oder hohe Wahrscheinlichkeit gemeint ist 279 oder ob in Anlehnung an das US-amerikanische materiality concept die hinreichende Wahrscheinlichkeit anhand eines probability/magnitude-approach zu bestimmen ist 280. Danach kommt es zur Bestimmung der hinreichenden Wahrscheinlichkeit auf das Verhältnis des Maßes der Eintrittswahrscheinlichkeit eines Umstands oder Ereignisses und der Eignung zur Kursbeeinflussung an, so dass es bei einer hohen Eignung zur Kursbeeinflussung genügen kann, wenn der Eintritt eines Umstands oder Ereignisses nicht unwahrscheinlich ist. 133 Unklar und umstritten ist weiterhin insbesondere auch, wie gestreckte Geschehensabläufen, bei denen ein bestimmter Umstand oder ein Ereignis über mehrere Zwischenschritte verwirklicht bzw. herbeigeführt wird, zu beurteilen sind.281 Fraglich ist insoweit, ob nur auf den angestrebten künftigen Umstand bzw. das angestrebte künftige Ereignis abzustellen ist – und demnach bei erreichten Zwischenschritten 276 Art. 1 Nr. 1 Unterabs. 2 und 3 MAD enthalten spezielle Definitionen in Bezug auf Warenderivate bzw. Personen, die mit der Ausführung von Aufträgen betreffend Finanzinstrumente beauftragt sind. 277 Vgl. zu den Durchführungsrechtsakten zur MAD allg. § 35 Rn. 3. 278 Vgl. dazu näher dazu näher Assmann (Fn. 106), § 13 Rn. 25 ff.; Schwark/Kruse in: Schwark, KMRK, 4. Aufl. 2010, § 13 Rn. 11 ff. (jeweils m.z.w.N.). 279 Dem Rechtsanwender wäre mit dieser Formel jedoch kaum geholfen, denn es wird nur ein unbestimmter Rechtsbegriff durch einen anderen ersetzt. 280 Vgl. dazu Fleischer NZG 2007, 401, 405 f.; Hazen, The Law of Securities Regulation, 2005, S. 490; Klöhn NZG 2011, 166, 167. 281 Vgl. hierzu Assmann (Fn. 106), § 13 Rn. 28 ff.; Harbarth, ZIP 2005, 1898, 1900 ff.; Kalss EuZW 2011, 449 f.; Rothenhöfer in: Kümpel/Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, 4. Aufl. 2011, Rn. 3.485 ff.; Schwark/Kruse (Fn. 278), § 13 Rn. 19 ff.

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allein danach zu fragen ist, ob der Eintritt des angestrebten künftigen Umstands bzw. des angestrebten künftigen Ereignisses hinreichend wahrscheinlich ist – oder ob auch bereits erreichte Zwischenschritte eine präzise Information darstellen können, so dass darauf abzustellen ist, ob die erreichten Zwischenschritte bereits kursrelevant sind 282. Auf Grund der BGH-Vorlage in der Rs. DaimlerChrysler 283 (vgl. dazu auch noch 134 § 35 Rn. 8) wird der EuGH demnächst Gelegenheit erhalten, diese beiden Punkte endlich (und hoffentlich abschließend) zu klären. Angesichts des hohen Stellenwerts des Prinzip der umfassenden Information des Marktes im Europäischen Kapitalmarktrecht spricht dabei einiges dafür, dass sich der Gerichtshof im Hinblick auf die Problematik der gestreckten Geschehensabläufe für die zweitgenannte Auslegungsvariante entscheiden wird.284 (2) Adressat des Insiderhandelsverbots Adressat des Insiderhandelsverbots ist jede Person, die über eine Insider-Information 135 verfügt.285 In systematischer Hinsicht differenziert die MAD zwischen Primär- und Sekundärinsidern (vgl. Art. 2, 4 MAD, dazu näher § 35 Rn. 9). Da das Insiderhandelsverbot jedoch i.E. jeden trifft, der über eine Insider-Information verfügt, ist diese Unterscheidung in kapitalmarktrechtlicher Hinsicht ohne weiteren Belang; sie kann jedoch bei der nach den nationalen Rechten der Mitgliedstaaten erfolgenden Sanktionierung von Verstößen gegen das Insiderhandelsverbot (dazu noch u. Rn. 149 f. sowie § 35 Rn. 19) von Bedeutung sein 286. (3) Inhalt des Insiderhandelsverbot Das Insiderhandelsverbot hat drei Ausprägungen (vgl. auch noch § 35 Rn. 10): Das 136 Erwerbs- und Veräußerungsverbot (dazu u. Rn. 137 f.), das Weitergabeverbot (dazu u. Rn. 139) und das Empfehlungs- und Verleitungsverbot (dazu u. Rn. 140).287

282 Vgl. hierzu etwa Fleischer NZG 2007, 401 ff.; Klöhn NZG 2011, 166 ff.; Mennicke NZG 2009, 1059 ff. 283 BGH NZG 2011, 109 = ABlEU v. 9.4.2011, C 113/3 (DaimlerChrysler); anhängig beim EuGH als Rs. C-19/11. Dazu Kalss EuZW 2011, 449 f.; Klöhn NZG 2011, 166 ff.; Kollmorgen/Steinhardt BB 2011, 527 f.; Maier-Reimer/Seulen EWiR 2011, 65 f.; Widder GWR 2011, 313074. Vorangehend im KapMuG-Verfahren: OLG Stuttgart NZG 2007, 352 (dazu Fleischer NZG 2007, 401 ff.; Widder BB 2007, 572 f.); BGH NZG 2008, 300 (dazu Möllers NZG 2008, 330 ff.; Widder BB 2008, 857 f.); OLG Stuttgart NZG 2009, 624 (dazu Mennicke NZG 2009, 1059 ff.; Widder BB 2009, 967 ff.); im Ordnungswidrigkeitenverfahren: AG Frankfurt v. 15.8.2008 – 943 Owi 7411 Js 233764/07 (dazu Widder BB 2008, 2039); OLG Frankfurt ZIP 2009, 563 (dazu Widder EWiR 2009, 287 f.). 284 Vgl. auch Klöhn NZG 2011, 166, 171. 285 Vgl. Vogel in: Assmann/Schneider, WpHG, 5. Aufl. 2009, § 38 Rn. 7. 286 So wird auch im deutschen Recht erst i.R.d. Sanktionen zwischen Primär- und Sekundärinsidern differenziert, vgl. Assmann (Fn. 106), § 12 Rn. 17; Spindler NJW 2004, 3449, 3451; Vogel (Fn. 285), § 38 Rn. 7 ff. 287 Vgl. Dier/Fürhoff AG 2002, 604, 606 f.

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(a) Das Erwerbs- und Veräußerungsverbot 137 Das Insiderhandelsverbot umfasst zunächst ein Erwerbs- und Veräußerungsverbot: Nach Art. 2 Abs. 1 Unterabs. 1 MAD ist es Insidern verboten, unter Nutzung einer Insider-Information für eigene oder fremde Rechnung direkt oder indirekt Finanzinstrumente, auf die sich die Information bezieht, zu erwerben oder zu veräußern oder dies zu versuchen.288 138 Besonders kontrovers wird dabei die Frage diskutiert, inwieweit ein Nutzen der Information ein subjektives Element voraussetzt (vgl. auch noch § 35 Rn. 10). Die wohl h.M.289 in Deutschland nahm bislang an, dass bei Vornahme eines Geschäfts in Kenntnis einer Insider-Information diese Vornahme des Geschäfts zumindest auch durch die Kenntnis der Insider-Information motiviert sein muss. Nach a.A.290 wurde ein solches subjektives Element dagegen nicht für erforderlich gehalten, allein die Vornahme eines Geschäfts in Kenntnis einer Insider-Information verstoße gegen das Insiderhandelsverbot. Der EuGH hat hierzu in seinem viel diskutierten Urteil in der Rs. Spector Photo Group v. 23.12.2009 291 entschieden, dass die Erfüllung der objektiven Tatbestandsmerkmale des Art. 2 Abs. 1 – vorbehaltlich der Wahrung der Verteidigungsrechte und insbesondere des Rechts, diese Vermutung widerlegen zu können – eine „Nutzung“ impliziert. (b) Das Weitergabeverbot 139 Darüber hinaus beinhaltet das Insiderverbot ein Weitergabeverbot (vgl. auch noch § 35 Rn. 10). Nach Art. 3 lit. a MAD dürfen Insider-Informationen nicht an Dritte weitergegeben werden, soweit dies nicht im normalen Rahmen der Ausübung der Arbeit oder des Berufs oder zur Erfüllung der Aufgaben des Insiders geschieht.292 Der

288 Näher Ferrarini (2004) 41 C.M.L. Rev. 711, 728; Klöhn (Fn. 4), § 6 Rn. 103 ff.; Kristen (2005) 2 ECL 13, 18; Staikouras [2008] EBLR 775, 788 ff. 289 Vgl. Assmann (Fn. 106), § 14 R. 25 ff.; Cahn Konzern 2005, 5, 9; Mennicke in Fuchs, WpHG, 2009, § 14 Rn. 52; Lösler in: Habersack/Mülbert/Schlitt (Hrsg.), Handbuch der Kapitalmarktinformation, 2008, § 2 Rn. 48; Spindler NJW 2004, 3449, 3451. 290 Vgl. Dier/Fürhoff AG 2002, 604, 606; Koch DB 2005, 267, 269; KK-WpHG/Pawlik, 2007, § 14 Rn. 25 ff.; Ziemons NZG 2004, 537, 539. 291 EuGH v. 23.12.2009, Spector Photo Group, Rs. C-45/08, BB 2010, 323. Dazu Arden ECFR 2010, 342 ff.; Bussian WM 2011, 8 ff.; Cascante/Bingel NZG 2010, 161 ff.; Forst EWiR 2010, 129 f.; Hansen (2010) 7 ECL 98 ff.; ders. (2011) 2 EBOR 251 ff.; Heusel BKR 2010, 77 ff.; Hopt FS Goette, 2011, S. 179 ff.; Klöhn ECFR 2010, 347 ff.; Langenbucher (2010) 5 CMLJ 452 ff.; Langenbucher/Brenner/Gellings BKR 2010, 133 ff.; Nietsch ZHR 174 (2010) 556 ff.; Opitz BKR 2010, 71 ff.; Rolshoven/Renz/Hense BKR 2010, 74 ff.; Schulz ZIP 2010, 609 ff.; Schwark/Kruse (Fn. 278), § 14 Rn. 16a; Voß BB 2010, 334 f.; Widder BB 2010, 515 ff.; bereits zu den Schlussanträgen von GA Kokott: Cascante/ Bingel AG 2009, 894 ff. 292 Näher Ferrarini (2004) 41 C.M.L. Rev. 711, 729; Klöhn (Fn. 4), § 6 Rn. 109 ff.; Staikouras [2008] EBLR 775, 790 f.; allg. zur Problematik der selektiven Informationsweitergabe: Klöhn FS U.-H. Schneider, 2011, S. 633 ff. m.z.w.N.

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EuGH fordert in diesem Zusammenhang, dass die Informationsweitergabe für die Erfüllung einer Aufgabe unerlässlich ist und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachtet (dazu noch näher § 35 Rn. 10).293 (c) Das Empfehlungs- und Verleitungsverbot Umfasst vom Insiderhandelsverbot ist schließlich auch ein Empfehlungs- und Ver- 140 leitungsverbot (vgl. auch noch § 35 Rn. 10). Nach Art. 3 lit. b MAD ist es Insidern verboten, auf der Grundlage von Insider-Informationen zu empfehlen oder andere Personen zu verleiten, Finanzinstrumente, auf die sich die Information bezieht, zu erwerben oder zu veräußern oder dies von einem Dritten tun zu lassen. cc) Das Verbot der Marktmanipulation Gem. Art. 5 MAD haben die Mitgliedstaaten jedermann zu untersagen, Marktmani- 141 pulation zu betreiben. Welche Handlungen von dem Begriff der Marktmanipulation erfasst werden, be- 142 stimmt der europäische Gesetzgeber in Art. 1 S. 1 Nr. 2 MAD mittels einer umfangreichen Basisdefinition mit erläuternden Beispielen (vgl. dazu auch noch § 35 Rn. 11 f.). Nach der Basisdefinition in Unterabs. 1 ist sowohl die informationsgestützte Marktmanipulation in Form der Verbreitung von Informationen, die falsche oder irreführende Signale in Bezug auf Finanzinstrumente geben (könnten) (lit. c) als auch die handelsgestützte Marktmanipulation durch Geschäfte oder Kauf- bzw. Verkaufsaufträge (lit. a und b) erfasst.294 Bei letzteren wird zwischen drei Varianten differenziert: (1) solche unter Vorspiegelung falscher Tatsachen oder Verwendung sonstiger Kunstgriffe oder Formen der Täuschung (lit. b), (2) solche, die falsche oder irreführende Signale für Angebot, Nachfrage oder Kurs von Finanzinstrumenten geben (könnten) (lit. a Alt. 1), (3) solche, die den Kurs eines oder mehrerer Finanzinstrumente durch eine Person oder mehrere, in Absprache handelnden Personen in der Weise beeinflussen, dass ein anormales oder künstliches Kursniveau erzielt wird (lit. a Alt. 2). Zu dieser 3. Variante hat der EuGH in der Rs. IMC Securities BV entschieden, dass es nach Wortlaut und speziell Telos der RL nicht erforderlich ist, dass der Kurs über einen gewissen Zeitraum hinaus auf einem anormalen oder künstlichen Kursniveau bleibt.295 Als Regelbeispiele nennt Unterabs. 2 das Ausnutzen einer marktbeherrschenden Stellung (Sps. 1), börsenschlussnahe Geschäfte zur Beeinflussung der Schlussnotierung (sog. marking the close, Sps. 2) und die öffentliche Stellungnahme zu Finanzinstru293 EuGH v. 22.11.2005, Groøngaard, Rs. C-384/02, Slg. 2005, I-9939. Dazu Assmann WuB I G 7 Börsen- und Kapitalmarktrecht 3.06; Schwintek EWiR 2006, 155 f. 294 Kategorisierung nach Ferrarini (2004) 41 C.M.L. Rev. 711, 724 ff.; Kristen (2005) 2 ECL 13, 19; Staikouras [2008] EBLR 775, 800 ff.; Vogel (Fn. 285), Vorb. § 20a Rn. 12. Näher zum Ganzen auch Dier/Fürhoff AG 2002, 604, 607 f.; Hansen [2004] EBLR 183, 204 ff.; Reynolds/Rutter (2004) 12 J.F.R. & C. 306, 309. 295 EuGH v. 7.7.2011, IMC Securities BV, Rs. C-445/09, ZIP 2011, 1408. Dazu Klöhn NZG 2011, 934 ff.

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menten bei zuvor eingegangenen (aber verschwiegenen) Geschäften im eigenen Interesse (sog. scalping). Weitere Konkretisierungen finden sich in den beiden Durchführungs-RL zur MAD (vgl. dazu § 35 Rn. 3, 11 f.). dd) Kontrollmechanismen 143 Um die Einhaltung des Marktmissbrauchsverbots zu gewährleisten, sieht die MAD verschiedene Kontrollmechanismen vor (vgl. auch noch § 35 Rn. 13): (1) Überwachung durch nationale Aufsichtsbehörden 144 Ein Instrument, das die Einhaltung der auf Grund der MAD erlassenen nationalen Rechtsvorschriften gewährleisten soll, ist die Überwachung durch nationale Aufsichtsbehörden. Die Mitgliedstaaten sind verpflichtet, zu diesem Zweck eine zuständige Behörde zu benennen (vgl. Art. 11 Abs. 1 MAD) und sie mit allen Aufsichts- und Ermittlungsbefugnissen auszustatten, die zur Ausübung ihrer Tätigkeit erforderlich sind (vgl. Art. 12 Abs. 1 MAD).296 Zu den Aufsichts- und Ermittlungsbefugnissen gehören u.a. umfassende Einsichts- und Auskunftsrechte, das Recht, den Handel mit den betreffenden Finanzinstrumenten auszusetzen, und das Recht ein vorübergehendes Berufsverbot zu beantragen (vgl. Art. 12 Abs. 2 MAD). Neben den Rechten der Aufsichtsbehörde regelt die MAD aber auch Pflichten: So unterliegen Personen, die eine Tätigkeit bei der zuständigen Behörde ausüben, dem Berufsgeheimnis (vgl. Art. 13 MAD) 297; darüber hinaus sind die Aufsichtsbehörden verpflichtet, untereinander und mit der ESMA298 zusammenarbeiten (Art. 15a, 16) 299. In Deutschland ist zuständige Behörde die BaFin (vgl. auch noch § 35 Rn. 20). (2) Insiderverzeichnisse 145 Ein weiteres Mittel zur Sicherstellung der Einhaltung des Insiderhandelsverbots und des Verbots der Marktmanipulation sind Insiderverzeichnisse.300 Emittenten sind verpflichtet, Verzeichnisse über Personen zu führen, die für sie tätig sind und bestimmungsgemäß Zugang zu Insider-Informationen haben; die Verzeichnisse sind regelmäßig zu aktualisieren und auf Anfrage der zuständigen Behörde zu übermitteln (Art. 6 Abs. 3 Unterabs. 3 MAD, konkretisiert durch Art. 5 RL 2004/72/EG 301).302

296 297 298 299 300

Vgl. dazu Dier/Fürhoff AG 2002, 604 ff.; Leppert/Stürwald ZBB 2002, 90, 99. Vgl. dazu Leppert/Stürwald ZBB 2002, 90, 101. Zur ESMA näher u. Rn. 276, 296 ff. sowie § 37. Dazu näher Hansen [2004] EBLR 183, 219 f. Vgl. hierzu Moloney (Fn. 19), S. 976 ff.; kritisch zu Insiderverzeichnissen aber etwa von Ilberg/Neises WM 2002, 635, 647; Ziemons NZG 2004, 537, 540. 301 Vgl. zu den Durchführungsrechtsakten zur MAD allg. § 35 Rn. 3. 302 Dazu näher Hansen [2004] EBLR 183, 217 f.; Reynolds/Rutter (2004) 12 J.F.R. & C. 306, 311; Staikouras (2008) 35 LIEI 351, 362 f.

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(3) Meldepflicht bei verdächtigen Geschäften Zudem bestehen bei verdächtigen Geschäften Meldepflichten: Personen, die beruflich 146 Geschäfte mit Finanzintermediären tätigen, haben unverzüglich die zuständige Behörde zu informieren, wenn sie den begründeten Verdacht haben, dass eine Transaktion ein Insider-Geschäft oder eine Marktmanipulation darstellen könnte (Art. 6 Abs. 9, konkretisiert durch Art. 7–11 RL 2004/72/EG 303).304

(4) Sachgerechte Darbietung von Analysen, Empfehlungen und Statistiken Um Marktmissbrauch zu vermeiden, haben die Mitgliedstaaten außerdem sicherzu- 147 stellen, dass Personen, die Analysen und Empfehlungen für Finanzinstrumente erstellen oder weitergeben, die Information sachgerecht darbieten und etwaige Interessenkonflikte offen legen (vgl. Art. 6 Abs. 5 MAD, näher konkretisiert durch RL 2003/125/EG 305).306 Aber auch öffentliche Stellen, die Statistiken verbreiten, welche die Finanz- 148 märkte erheblich beeinflussen können, sind dazu verpflichtet, dies auf sachgerechte und transparente Weise zu tun (Art. 6 Abs. 8 MAD).

ee) Sanktionen Art. 14 Abs. 1 MAD verpflichtet die Mitgliedstaaten in Konkretisierung des allgemei- 149 nen effet utile-Grundsatzes dafür zu sorgen, dass bei Verstößen gegen die RL-Vorgaben geeignete Verwaltungsmaßnahmen ergriffen oder Verwaltungssanktionen verhängt werden. Die nähere Ausgestaltung wird jedoch vor dem Hintergrund der unterschiedlichen nationalen Regelungstraditionen den Mitgliedstaaten überlassen 307; sie müssen allerdings dafür sorgen, dass die Maßnahmen/Sanktionen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sind. Nach Art. 14 Abs. 4 kann die Verhängung von Sanktionen ggf. auch öffentlich bekannt gegeben werden („name and shame“). Zudem steht es den Mitgliedstaaten frei, daneben auch strafrechtliche Sanktionen vorzusehen (Art. 14 Abs. 1 am Anfang).308

303 304 305 306

Vgl. zu den Durchführungsrechtsakten zur MAD allg. § 35 Rn. 3. Dazu näher Reynolds/Rutter (2004) 12 J.F.R. & C. 306, 313. Vgl. zu den Durchführungsrechtsakten zur MAD allg. § 35 Rn. 3. Dazu näher Avgouleas (2005) 18 Transnat’l Law. 179, 213 ff.; ders. (2007) 22 J.I.B.L.R. 153, 158 f.; Ferrarini (2004) 41 C.M.L. Rev. 711, 734. 307 Vgl. aber u. Rn. 340 zu den Plänen für eine Harmonisierung der Sanktionsregelungen im Europäischen Kapitalmarktrecht. 308 Näher zum gesamten Sanktionensystem: Ferrarini (2004) 41 C.M.L. Rev. 711, 737 ff.; s. ferner auch Leppert/Stürwald ZBB 2002, 90, 102 f.; Seitz BKR 2002, 342, 344; von Ilberg/Neises WM 2002, 635, 646; Vogel (Fn. 285), Vor § 20a Rn. 14. Vgl. zudem auch noch § 35 Rn. 19.

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In Deutschland stellen Verstöße gegen das Insiderhandelsverbot und das Verbot der Marktmanipulation Straftaten (vgl. § 38 Abs. 1 bzw. 2 WpHG) 309 bzw. Ordnungswidrigkeiten (vgl. § 39 Abs. 2 Nr. 3 u. 4 bzw. Abs. 1 Nr. 1 u. 2, Abs. 2 Nr. 11 WpHG) 310 dar. Unter den Voraussetzungen des § 70 StGB ist ein Berufsverbot möglich; nach § 73 StGB kann ggf. die Herausgabe des erzielten Gewinns erzwungen werden.311 3. Die europäischen Publizitätspflichten a) Einführung aa) Publizitätspflichten als Regulierungsinstrument Literatur: Binder, Jens-Hinrich/Broichhausen, Thomas N., Entwicklungslinien und Perspektiven des Europäischen Kapitalmarktrechts, ZBB 2006, 85; Cordewener, Axel, Der europarechtliche Rahmen für Unternehmenspublizität, in: Schön, Wolfgang (Hrsg.), Rechnungslegung und Wettbewerbsschutz im Europäischen Recht, 2008, S. 105; Hopt, Klaus J./Voigt, Hans-Christoph, Prospekt- und Kapitalmarktinformationshaftung, WM 2004, 1801; Eidenmüller, Horst, Der homo oeconomicus und das Schuldrecht: Herausforderungen durch Behavioural Law und Economics, JZ 2005, 216; Hopt, Klaus J., Vom Aktien- und Börsenrecht zum Kapitalmarktrecht – Teil 1: Der international erreichte Stand des Kapitalmarktrechts, ZHR 140 (1977) 201; Korrobkin, Russell B./Ulen, Thomas S., Law and Behavioral Science: Removing the Rationality Assumption from Law and Economics, (2000) 88 Cal. L. Rev. 1053; Möllers, Thomas M. J./Kernchen, Eva, Information Overload am Kapitalmarkt – Plädoyer zur Einführung eines Kurzfinanzberichts auf empirischer, psychologischer und rechtsvergleichender Basis, ZGR 2011, 1; Roth, Günter H., Das Risiko im Wertpapiergeschäft, in: Berger, Klaus-Peter (Hrsg.), Zivil- und Wirtschaftsrecht im europäischen und globalen Kontext: Festschrift für Norbert Horn zum 70. Geburtstag, 2006, S. 835 ff.; Schön, Wolfgang, Zwingendes Recht oder informierte Entscheidung – zu einer (neuen) Grundlage unserer Zivilrechtsordnung, in: Heldrich, Andreas/Prölss, Jürgen/Koller, Ingo (Hrsg.), Festschrift für ClausWilhelm Canaris zum 70. Geburtstag, 2007, S. 1191; Stürner, Rolf, Risikoauslagerung und Informationen in der kompetitiven Marktgesellschaft, in: Heldrich, Andreas/Prölss, Jürgen/ Koller, Ingo (Hrsg.), Festschrift für Claus-Wilhelm Canaris zum 70. Geburtstag, 2007, S. 1489; Warren, Manning Gilbert, Global Harmonisation of Securities Law: The Achievements of the European Communities, (1990) 31 Harv. Int’l L.J. 185.

151 Das zentrale Regulierungsinstrument des Europäischen Kapitalmarktrechts ist die Publizitätspflicht.312 Sie besteht im Hinblick auf verschiedene Sachverhalte, insbesondere für Emittenten, aber auch für Anleger. Das Konzept, das hinter den umfassenden

309 Vgl. dazu KK-WpHG/Altenhain, 2007, § 38 Rn. 34 ff.; Vogel (Fn. 285), § 38 Rn. 4 ff.; Waßmer in: Fuchs, WpHG, 2009, § 38 Rn. 6 ff.; Zimmer/Cloppenburg in: Schwark/Zimmer, KMRK, 4. Aufl. 2010, § 38 Rn. 4 ff. 310 Vgl. dazu Altenhain (Fn. 309), § 39 Rn. 5, 19, 30; Vogel (Fn. 285), § 39 Rn. 6, 13, 22; Waßmer (Fn. 309), § 39 Rn. 9 f., 34 f., 52 f.; Zimmer/Cloppenburg (Fn. 309), § 39 Rn. 7 f., 16 und 26. 311 Vgl. dazu Schwark/Kruse (Fn. 278), § 14 WpHG Rn. 98. 312 Vgl. nur Elster (Fn. 13), S. 323 ff.; Warren (1990) 31 Harv. Int’l L.J. 185, 209 ff.

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Transparenzpflichten steht, ist das sog. Informationsmodell 313, dessen Vorbild die im US-amerikanischen Kapitalmarktrecht vorherrschende disclosure philosophy ist 314. Die Konzepte beruhen auf der Annahme, dass Ineffizienzen von Märkten auf 152 Informationsasymmetrien zurückzuführen sind, die zwischen den verschiedenen Marktteilnehmern herrschen.315 Das Maß an Ungleichgewicht an Informationen wird besonders deutlich im Verhältnis eines Emittenten zum übrigen Anlegerpublikum 316: Emittenten bzw. bei ihnen beschäftigte Personen verfügen i.d.R. gegenüber dem Anlegerpublikum über erhebliche Informationsvorsprünge. Nutzen sie diese für sich und zum Nachteil der anderen Marktteilnehmer aus, verlieren Anleger ihr Vertrauen in die Integrität des Kapitalmarkts und entziehen ihm Liquidität, so dass seine Funktionsfähigkeit gefährdet ist. Auch aus ökonomischen Gründen sind Publizitätspflichten sinnvoll: Solange Wissensvorsprünge Einzelner ausgenutzt werden können, fließt das Kapital eben nicht in die ökonomisch sinnvollste Investition, sondern an den bestinformierten Investor, was zu Allokationsineffizienzen führt 317. Stehen hingegen stets allen Marktteilnehmern ausreichend und zutreffende Informationen zur Verfügung, können die Informationen unmittelbar Eingang in den Marktpreis finden, so dass dieser den „wahren Wert“ eines Gutes widerspiegelt 318 und nicht durch Informationsasymmetrien verzerrt wird 319. Problematisch am Ansatz des Informationsmodells ist, dass es auf der Annahme 153 beruht, dass Anleger die Informationen stets richtig verstehen und dass sie auf der Basis von Informationen rationale Entscheidungen treffen. Forschungsergebnisse der behavioural finance zeigen jedoch, dass in vielen Fällen die Zeit oder ausreichende Kenntnisse fehlen, um die Informationen zutreffend einzuordnen und dass nicht immer rationale, sondern häufig irrationale Entscheidungen getroffen werden.320 Trotz dieser Kritik ist eine umfassende Information der Marktteilnehmer in jedem 154 Fall erforderlich, denn Anleger investieren regelmäßig nur dann auf dem Kapital-

313 Vgl. zum Informationsmodell (auch Transparenzmodell genannt): Cordewener (Fn. 228), S. 105, 199 ff.; Elster (Fn. 13), S. 323 ff.; Grundmann Rn. 228 ff. (speziell 233), 478, 670, 1169; ders. DStR 2004, 232 ff.; Klöhn (Fn. 4), § 6 Rn. 54 f.; Schön FS Canaris, 2007, S. 1191, 1193 ff., 1198 ff. 314 Vgl. hierzu Hopt, ZHR 140 (1976) 201, 204 ff.; ausf. zur Unternehmenspublizität in der US-Rechtsentwicklung Merkt, Unternehmenspublizität, 2001, S. 114 ff. m.z.w.N. 315 Vgl. Lenenbach (Fn. 5), Rn. 11.39 ff. m.w.N.; Schön FS Canaris, 2007, S. 1191, 1205 ff. 316 Erhebliche Informationsungleichgewichte zeigen sich auch zwischen Wertpapierdienstleistungsunternehmen und Anlegern, weshalb für Wertpapierdienstleistungsunternehmen besondere, individuell ausgerichtete Aufklärungspflichten bestehen, vgl. dazu u. Rn. 215 ff. 317 So Lenenbach (Fn. 5), Rn. 11.5. 318 Vgl. Hopt/Voigt WM 2004, 1801, 1802; Klöhn (Fn. 4), § 6 Rn. 6; Langenbucher (Fn. 3), § 17 Rn. 1. 319 Vgl. Langenbucher (Fn. 3), § 17 Rn. 1. 320 Vgl. dazu Eidenmüller JZ 2005, 216, 218 ff; G. H. Roth FS Horn, 2006, S. 835, 840 ff. m.w.N; Korobkin/Ulen (2000) 88 Cal. L. Rev. 1053 ff.; Lenenbach (Fn. 5), Rn. 11.44 ff.; Stürner FS Canaris, 2007, S. 1489, 1491 ff.; ausf. zur Problematik des „information overload“ am Kapitalmarkt jüngst Möllers/Kernchen ZGR 2011, 1 ff.

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markt, wenn sie die Chancen und Risiken für ihre Investitionen kennen. Eine fundierte Anlageentscheidung können sie jedoch erst dann treffen, wenn ihnen ausreichend Informationen zukommen.321 Ohne Publizitätspflichten stünden viele Informationen über den Emittenten und das Kapitalmarktprodukt überhaupt nicht zur Verfügung oder ihre Erlangung wäre mit unverhältnismäßig hohem finanziellen Aufwand verbunden.322 Anleger wären unzureichend informiert, was sich i.d.R. nachteilig auf die Anlageentscheidung auswirkt. Auf Grund möglicher finanzieller Verluste, die auf Informationsdefizite zurückzuführen sind, würden Anleger ihr Vertrauen in die Integrität der Kapitalmärkte verlieren und nicht mehr in sie investieren.323 Die hieraus folgenden Liquiditätsverluste würden den Kapitalmarkt als Institution gefährden. Trotz der genannten Kritikpunkte am Informationsmodell ist eine umfassende Information der Kapitalmarktteilnehmer daher zum Schutz des Anlegervertrauens und der Funktionsfähigkeit von Kapitalmärkten notwendig.

bb) Überblick über die bestehenden Publizitätspflichten 155 Die europäischen kapitalmarktrechtlichen Publizitätspflichten sind in vier Richtlinien normiert: der Transparenz-RL (dazu u. Rn. 158 ff. sowie § 36), der MAD (dazu u. Rn. 176 ff., 198 ff. sowie § 35) der Prospekt-RL (dazu § 34 sowie o. Rn. 101 ff.) und der Übernahme-RL (dazu u. Rn. 206 sowie § 30). Aus der Transparenz-RL ergeben sich die Pflichten zur Finanzberichtspublizität (dazu u. Rn. 158 ff. sowie § 36 Rn. 8 ff.) und zur Beteiligungspublizität (dazu u. Rn. 183 ff. sowie § 36 Rn. 11 ff.) sowie weitere Informationspflichten des Emittenten (dazu u. Rn. 197 sowie Rn. § 36 Rn. 18 ff.). In der MAD finden sich die Regelungen zur Ad-hoc-Publizität (dazu u. Rn. 175 ff. sowie § 35 Rn. 14 ff.), und den directors’ dealings (dazu u. Rn. 198 ff. sowie § 35 Rn. 18). In der Prospekt-RL ist die Prospektpflicht (dazu o. Rn. 102 ff. sowie § 34 Rn. 7) geregelt; zudem war ursprünglich auch ein sog. jährliches Dokument vorgesehen, das aber 2010 abgeschafft wurde (dazu u. Rn. 204 f.). Schließlich beinhaltet auch die Übernahme-RL als eines ihrer kapitalmarktrechtlichen Elemente 324 besondere, im Zusammenhang mit Übernahmen zu beachtende übernahmerechtliche Publizitätspflichten (dazu u. Rn. 206 sowie § 30 Rn. 48 ff., 112 ff.). 156 Die verschiedenen Informationspflichten lassen sich nach regelmäßig wiederkehrenden Informationen und anlassbezogenen Informationen klassifizieren.325 Die Finanzberichtspflichten (sowie früher das jährliche Dokument) fallen in die erste Kategorie, die anderen der genannten Publizitätspflichten in die zweite.

321 Vgl. Hopt/Voigt WM 2004, 1801, 1802; Langenbucher (Fn. 3), § 17 Rn. 1; Lenenbach (Fn. 5), Rn. 11.3. 322 Vgl. Lenenbach (Fn. 5), Rn. 11.3. 323 Vgl. Lenenbach (Fn. 5), Rn. 11.5. 324 Vgl. zur „Janusköpfigkeit“ der konzeptionell auf der Schnittstelle zwischen Kapitalmarkt- und Gesellschaftsrecht liegenden Übernahme-RL noch § 30 Rn. 6. 325 Vgl. statt aller Grundmann Rn. 702.

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Die Transparenzpflichten bestehen ausschließlich im Hinblick auf Wertpapiere 326 157 bzw. Finanzinstrumente 327, die zum Handel an einem geregelten Markt zugelassen sind. Sie gelten also nicht für andere Handelsplätze, wie MTF und systematische Internalisierer (vgl. zu den Handelsplätzen bereits o. Rn. 58 ff.). b) Finanzberichtspflichten (periodische Publizität) aa) Überblick Die Finanzberichtspflichten haben ihren Ursprung in der Börsenzulassungs-RL328 158 und der Halbjahresberichts-RL329 aus den Jahren 1979 bzw. 1982. Die Börsenzulassungs-RL verpflichtete Gesellschaften, deren Aktien oder Schuldverschreibungen zur amtlichen Notierung an einer Wertpapierbörse zugelassen waren (vgl. Art. 1 Abs. 1), dem Publikum den Jahresabschluss und Lagebericht sowie ggf. den Konzernabschluss zur Verfügung zu stellen (vgl. Art. 4 Abs. 2 i.V.m. Schema C Ziff. 4 bzw. Schema D Ziff. 3). Die Halbjahresberichts-RL verpflichtete Gesellschaften, deren Aktien an einer Börse zur amtlichen Notierung zugelassen waren (vgl. Art. 1 Abs. 1), Halbjahresberichte über die Geschäftstätigkeit und die Ergebnisse der ersten sechs Monate eines jeden Geschäftsjahres zu veröffentlichen (vgl. Art. 2). Beide RL wurden 2001 zusammen mit anderen RL (ohne wesentliche materielle Änderungen) in der Kapitalmarktpublizitäts-RL330 (zu dieser bereits o. Rn. 99 f. sowie noch u. Rn. 176, 183) konsolidiert und kodifiziert 331 (vgl. dazu noch § 36 Rn. 1). Im Jahr 2004 wurden die maßgeblichen Regelungen dann – in deutlich erweiterter 159 und modernisierter Form – in die Transparenz-RL (Text, Literatur, Fundstellennachweise und weitere Erläuterungen zu Entstehungsgeschichte, Inhalt und Reformbestrebungen in § 36) überführt, die durch eine Reihe von Durchführungsrechtsakten konkretisiert wird (dazu näher § 36 Rn. 3). Der Anwendungsbereich der Transparenz-RL und ihrer Durchführungsrechts- 160 akte erstreckt sich gem. Art. 1 Abs. 1 ausschließlich auf Emittenten, deren Wertpapiere bereits zum Handel an einem in einem Mitgliedstaat gelegenen oder dort betriebenen geregelten Markt zugelassen sind (vgl. dazu näher § 36 Rn. 6). 326 So die Publizitätspflichten nach der Transparenz-RL (zu diesen u. Rn. 158 ff. sowie § 36 Rn. 8 ff.; zum Anwendungsbereich der Transparenz-RL allg. § 36 Rn. 6), der ProspektRL (zu diesen o. Rn. 102 ff. sowie § 34 Rn. 7 ff.; zum Anwendungsbereich der ProspektRL allg. § 34 Rn. 6) und der Übernahme-RL (zu diesen u. Rn. 206 sowie § 30 Rn. 48 ff., 112 ff.; zum Anwendungsbereich der Übernahme-RL § 30 Rn. 9 ff.). 327 So die Publizitätspflichten nach der MAD (zu diesen u. Rn. 176 ff., 198 ff. sowie § 35 Rn. 14 ff.; zum Anwendungsbereich der MAD allg. § 35 Rn. 6). 328 Fn. 38. 329 RL 82/121/EWG des Rates vom 15.2.1982 über regelmäßige Informationen, die von Gesellschaften zu veröffentlichen sind, deren Aktien zur amtlichen Notierung an einer Wertpapierbörse zugelassen sind, ABlEG v. 20.2.1982, L 48/26. Dazu näher Voraufl. S. 578 ff. 330 Fn. 219. 331 Die Regelungen betreffend die Finanzberichtspflichten in Art. 67 ff. und Art. 70 ff., die Anforderungen an die Veröffentlichung und Bekanntgabe der Informationen in Art. 102.

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Die Umsetzung in Deutschland erfolgte durch das EHUG 332, das TUG 333 und die TranspRLDV 334, die zahlreiche Änderungen speziell im WpHG, der WpAIV 335 und dem HGB mit sich brachten (näher § 36 Rn. 32).

bb) Inhalt und Umfang der Finanzberichtspflichten 162 Die RL sieht drei Arten periodischer Publizitätspflichten vor: Jahresfinanzberichte (dazu u. Rn. 163), Halbjahresfinanzberichte (dazu u. Rn. 164) und Zwischenmitteilungen bzw. Quartalsberichte (dazu u. Rn. 165).

(1) Jahresfinanzberichte 163 Spätestens 4 Monate nach Ablauf jedes Geschäftsjahres haben Emittenten gem. Art. 4 Abs. 1 Transparenz-RL einen Jahresfinanzbericht zu veröffentlichen (dazu auch noch § 36 Rn. 8).336 Dieser umfasst gem. Art. 4 Abs. 2 den geprüften (Konzern-)Abschluss, den (Konzern-)Lagebericht sowie eine Erklärung der beim Emittenten verantwortlichen Personen, in der sie versichern, dass der geprüfte Abschluss und der Lagebericht bestimmten Anforderungen genügen (sog. Bilanzeid 337). Im Hinblick auf Abschluss, Lagebericht und Prüfung nehmen Art. 4 Abs. 3–5 auf die 4. (Bilanz-)RL (dazu § 24), die 7. (Konzernbilanz-)RL (dazu § 25), die IFRS-VO (dazu § 26) und die Abschlussprüfer-RL (dazu § 27) Bezug.

332 Gesetz über elektronische Handelsregister und Genossenschaftsregister sowie das Unternehmensregister (EHUG) v. 10.11.2006, BGBl. I, 2553. Dazu noch § 19 Rn. 8 (dort auch Schrifttum). 333 Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2004/109/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Dezember 2004 zur Harmonisierung der Transparenzanforderungen in Bezug auf Informationen über Emittenten, deren Wertpapiere zum Handel auf einem geregelten Markt zugelassen sind, und zur Änderung der Richtlinie 2001/34/EG (Transparenzrichtlinie-Umsetzungsgesetz – TUG) v. 5.1.2007, BGBl. I, 10. 334 Verordnung zur Umsetzung der Richtlinie 2007/14/EG der Kommission vom 8. März 2007 mit Durchführungsbestimmungen zu bestimmten Vorschriften der Richtlinie 2004/109/EG zur Harmonisierung der Transparenzanforderungen in Bezug auf Informationen über Emittenten, deren Wertpapiere zum Handel an einem geregelten Markt zugelassen sind (Transparenzrichtlinie-Durchführungsverordnung – TranspRLDV) v. 13.3.2008, BGBl. I, 408. 335 Verordnung zur Konkretisierung von Anzeige-, Mitteilungs- und Veröffentlichungspflichten sowie der Pflicht zur Führung von Insiderverzeichnissen nach dem Wertpapierhandelsgesetz (Wertpapierhandelsanzeige- und Insiderverzeichnisverordnung – WpAIV) v. 13.12.2004, BGBl. I, 3376. Zur Schaffung der WpAIV i.R.d. Umsetzung der MAD noch § 35 Rn. 20. 336 Vgl. dazu Cordewener (Fn. 228), S. 105, 208 f.; Fischer-Appelt (2007) 2 CMLJ 133, 135 ff.; Mülbert/Steup WM 2005, 1633, 1652; dies. NZG 2007, 761 f.; Müller/Oulds WM 2007, 573, 578; Veil ZBB 2006, 162, 167. 337 Vgl. zur diesbezüglichen Vorbildfunktion des US-amerikanischen Rechts § 36 Rn. 8 Fn. 37.

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(2) Halbjahresfinanzberichte Um Anleger in die Lage zu versetzen, eine besser fundierte Beurteilung der Lage des 164 Emittenten vorzunehmen 338, haben Emittenten von Aktien oder Schuldtiteln neben dem Jahresfinanzbericht gem. Art. 5 Abs. 1 S. 1 Transparenz-RL auch einen Halbjahresfinanzbericht über die ersten sechs Monate des Geschäftsjahres zu veröffentlichen (dazu auch noch § 36 Rn. 8).339 Dieser umfasst gem. Art. 5 Abs. 2 einen verkürzten (Konzern-)Abschluss 340, einen Zwischenlagebericht 341 sowie eine Erklärung der beim Emittenten verantwortlichen Personen, in der sie versichern, dass bestimmte Anforderungen an den Halbjahresfinanzbericht und den Zwischenlagebericht erfüllt sind (sog. Bilanzeid).

(3) Zwischenmitteilungen oder Quartalsberichte Um pünktlichere und verlässlichere Informationen über das im Laufe des Geschäfts- 165 jahres erzielte Ergebnis zu erhalten, hält der europäische Gesetzgeber für Emittenten von Aktien aber eine noch häufigere Zwischenberichterstattung für erforderlich.342 Emittenten, deren Aktien zum Handel an einem geregelten Markt zugelassen sind, haben gem. Art. 6 Abs. 1 S. 1 Transparenz-RL neben dem Jahresfinanz- und dem Halbjahresbericht zusätzlich in der 1. und 2. Hälfte des Geschäftsjahres jeweils eine Zwischenmitteilung der Geschäftsführung zu veröffentlichen (dazu auch noch § 36 Rn. 8).343 In dieser Zwischenmitteilung sind für den betreffenden Zeitraum die wesentlichen Ereignisse und Transaktionen sowie ihre Auswirkungen auf die Finanzlage des Emittenten und der von ihm kontrollierten Unternehmen zu erläutern; zudem hat eine allgemeine Beschreibung der Finanzlage und des Geschäftsergebnisses des Emittenten sowie der von ihm kontrollierten Unternehmen zu erfolgen (vgl. Art. 6 Abs. 1 S. 4 Transparenz-RL). Nach Art. 6 Abs. 2 Transparenz-RL sind Emittenten allerdings von dieser Pflicht befreit, wenn sie kraft nationalen Rechts oder von sich aus (gleichwertige 344) Quartalsberichte veröffentlichen.

338 Vgl. Erwägungsgrund 11 Transparenz-RL. 339 Vgl. dazu Avgouleas (2005) 18 Transnat’l Law. 179, 222 ff.; ders. (2007) 22 J.I.B.L.R. 153, 162, 163; Cordewener (Fn. 228), S. 105, 209 f.; d’Arcy/Meyer Konzern 2005, 151, 155 f.; Fischer-Appelt (2007) 2 CMLJ 133, 135 ff.; Grundmann Rn. 719 ff.; Hebestreit/Rahe IRZ 2007, 111, 112; Mülbert/Steup NZG 2007, 761, 762; Müller/Oulds WM 2007, 573, 578 f.; Veil ZBB 2006, 162, 167 f.; Villiers (2007) 28 Co Law 257. 340 Näher geregelt in Abs. 3 und Art. 3 RL 2007/14/EG (zu dieser allg. § 36 Rn. 3). 341 Näher geregelt in Abs. 4 und Art. 4 RL 2007/14/EG (zu dieser allg. § 36 Rn. 3). 342 Vgl. Erwägungsgrund 16 Transparenz-RL. 343 Vgl. dazu Cordewener (Fn. 228), S. 105, 210; Fischer-Appelt (2007) 2 CMLJ 133, 141 ff.; d’Arcy/Meyer Konzern 2005, 151, 157 f.; Hebestreit/Rahe IRZ 2007, 111, 112; Veil ZBB 2006, 162, 168. 344 Nach der Ratio der Norm können nur gleichwertige Quartalsberichte Befreiungswirkung haben, vgl. Grundmann Rn. 722.

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(4) Ausnahmen 166 In bestimmten Fällen bestehen Ausnahmen von der Finanzberichtpflicht, vgl. dazu näher § 36 Rn. 9. cc) Art und Weise der Veröffentlichung (1) Dreiaktiges Publikationsregime für „vorgeschriebene Informationen“ 167 Die Transparenz-RL etabliert für sog. „vorgeschriebene Informationen“ ein dreiaktiges Publikationsregime (vgl. auch noch § 36 Rn. 23 ff.). Vorgeschriebene Informationen sind gem. der Legaldefinition in Art. 2 Abs. 1 lit. k Transparenz-RL alle Angaben, die ein Emittent nach der Transparenz-RL, strengeren nationalen Vorschriften i.S.d. Art. 3 Abs. 1 Transparenz-RL (dazu näher § 36 Rn. 23) oder nach Art. 6 MAD (dazu u. Rn. 176 ff., 198 ff. sowie § 35 Rn. 14 ff.) offen legen muss. Zu den Angabepflichten, die sich für Emittenten aus der Transparenz-RL ergeben, zählen neben den soeben (Rn. 162 ff., s. aber auch noch § 36 Rn. 8 ff.) erläuterten Finanzberichtspflichten insbesondere auch die Beteiligungspublizität gem. Art. 9 ff. Transparenz-RL (dazu u. Rn. 183 ff. sowie § 36 Rn. 11 ff.) und die sonstigen Informationspflichten des Emittenten gem. Art. 16 ff. Transparenz-RL (dazu u. Rn. 197 sowie § 36 Rn. 18 ff.). Sie alle stellen folglich „vorgeschriebene Informationen“ i.S.d. Art. 2 Abs. 1 lit. k Transparenz-RL dar und unterliegen daher dem folgenden Veröffentlichungsregime: (2) Veröffentlichung der Information durch „Medien“ 168 Erste „Säule“ des Publikationsregimes ist die Veröffentlichung der Information durch „Medien“ gem. Art. 21 Abs. 1 Transparenz-RL, der durch Art. 12 der RL 2007/14/ EG 345 näher konkretisiert wird (vgl. dazu auch noch § 36 Rn. 24).346 Der Emittent ist verpflichtet, die vorgeschriebenen Informationen in einer Form bekannt zu geben, die in nicht diskriminierender Weise einen schnellen Zugang zu ihnen gewährleistet (S. 1) und darf für den Zugang zu den Informationen keine Gebühren verlangen (S. 2). Er muss für die Veröffentlichung auf Medien zurückzugreifen, bei denen vernünftigerweise davon ausgegangen werden kann, dass sie die Informationen tatsächlich an die Öffentlichkeit in der gesamten Gemeinschaft weiterleiten (S. 3, vgl. zu den im Einzelnen in Betracht kommenden Medien noch § 36 Rn. 24). Dabei hat die Veröffentlichung gem. Art. 12 Abs. 2 S. 1 RL 2007/14/EG im Herkunftsmitgliedstaat und in den anderen Mitgliedstaaten möglichst zeitgleich zu erfolgen (sog. territoriales Diskriminierungsverbot 347). Im Hinblick auf die einzelnen Mitglieder des Anlegerpublikums bestimmt die Transparenz-RL allerdings nicht ausdrücklich, dass die Veröffentlichung gegenüber allen Mitgliedern der Öffentlichkeit gleichzeitig zu erfolgen hat, so 345 Allg. zu dem Durchführungsrechtsakten zur Transparenz-RL § 36 Rn. 3. 346 Vgl. dazu Klöhn (Fn. 4), § 6 Rn. 63 ff.; Mülbert/Steup NZG 2007, 761, 762. 347 Vgl. Klöhn (Fn. 4), § 6 Rn. 64.

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dass insofern fraglich ist, ob auch ein personales Diskriminierungsverbot besteht.348 Mit Blick darauf, dass das Europäische Kapitalmarktrecht stets auf die Information des breiten Anlegerpublikums abgestellt hat 349, spricht aber vieles dafür, dass auch i.R.d. Veröffentlichungsregimes der Transparenz-RL davon auszugehen ist, dass einzelnen Mitgliedern die Informationen nicht früher zur Verfügung gestellt werden dürfen als anderen und mithin auch ein personales Diskriminierungsverbot besteht.350

(3) Weiterleitung der Informationen an ein zentrales Speichersystem Zweitens sind die vorgeschriebenen Informationen an ein „amtlich bestelltes System 169 für die zentrale Speicherung vorgeschriebener Informationen“ weiterzuleiten (Art. 21 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 Transparenz-RL, vgl. dazu auch noch § 36 Rn. 25). In Deutschland erfüllt diese Funktion das Unternehmensregister (vgl. § 36 Rn. 32; allg. zur Einführung des Unternehmensregisters noch § 19 Rn. 8). (4) Hinterlegung der Informationen bei der Aufsichtsbehörde Zeitgleich mit der Veröffentlichung der vorgeschriebenen Informationen sind diese 170 drittens bei der zuständigen Aufsichtsbehörde des Herkunftsmitgliedstaats 351 zu hinterlegen, um diesen eine Kontrollmöglichkeit zu eröffnen; die Behörde kann dann darüber befinden, ob sie diese Information auf ihrer Webseite veröffentlicht (Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 1 Transparenz-RL, vgl. dazu auch noch § 36 Rn. 26). (5) Sprachenregelung Art. 20 Transparenz-RL trifft umfassende Sprachenregelung, dazu näher § 36 Rn. 27.

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dd) Kontrolle durch eine zentrale nationale Aufsichtsbehörde Art. 24 Abs. 1 Transparenz-RL verpflichtet die Mitgliedstaaten, die zentrale Behörde 172 i.S.v. Art. 21 Abs. 1 Prospekt-RL (dazu bereits o. Rn. 114 sowie § 34 Rn. 15) als für die Wahrnehmung der Verpflichtungen auf Grund der Transparenz-RL zentrale zuständige Verwaltungsbehörde zu benennen (vgl. auch noch § 36 Rn. 29). Gem. Art. 24 Abs. 4 Transparenz-RL ist diese mit den zur Erfüllung ihrer Aufgaben notwendigen Befugnissen auszustatten; S. 2 normiert diesbezüglich einen Mindestkatalog (u.a. verschiedene Kontroll- und Überwachungsbefugnisse sowie die Möglichkeit, den Handel mit Wertpapieren auszusetzen oder den Handel an einem geregelten Markt zu verbieten). In Deutschland ist die zuständige Behörde die BaFin (vgl. auch noch § 36 Rn. 32). 348 349 350 351

Vgl. dazu Klöhn (Fn. 4), § 6 Rn. 65. Vgl. dazu nur Klöhn (Fn. 4), § 6 Rn. 65; Möllers ZBB 2003, 390, 393 f. Näher zum Ganzen Klöhn (Fn. 4), § 6 Rn. 65 m.w.N. Vgl. die Legaldefinition in Art. 2 Abs. 1 lit. i Transparenz-RL.

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ee) Sanktionen 173 Die Transparenz-RL normiert selbst keine konkreten Sanktionsvorgaben.352 Art. 28 Abs. 1 verpflichtet die Mitgliedstaaten aber, sicherzustellen, dass bei Verstößen gegen die Verantwortlichen zumindest Verwaltungsmaßnahmen ergriffen oder zivil- und/ oder verwaltungsrechtliche Sanktionen verhängt werden können; diese müssen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein. Daneben können Mitgliedstaaten auch strafrechtliche Sanktionen verhängen. Vgl. zum Ganzen noch § 36 Rn. 30 f. 174 Verstöße gegen die Finanzberichtspflichten werden in Deutschland als Ordnungswidrigkeiten mit einem Bußgeld geahndet (vgl. § 39 Abs. 2 Nr. 2 lit. n–q, Nr. 5 lit. g–i, Nr. 6, Nr. 24, Abs. 4 WpHG). Bei einer unrichtigen Darstellung kommen überdies die Straftatbestände des § 331 Nr. 1 bis 3 HGB bzw. § 400 Abs. 1 Nr. 1 AktG in Betracht.353 Zivilrechtlich ist eine Haftung nach § 826 BGB und § 823 Abs. 2 BGB möglich.354 Als Schutzgesetze sind grundsätzlich die verschiedenen, die richtige Darstellung der Berichte schützenden Vorschriften des HGB sowie § 400 AktG denkbar.355 Der Schutzgesetzcharakter der §§ 37v ff. WpHG ist umstritten.356 c) Ad-hoc-Publizität aa) Sinn und Zweck der Ad-hoc-Publizität 175 Die Finanzberichtspublizität wird ergänzt durch die Ad-hoc-Publizität.357 Anders als bei den regelmäßig zu veröffentlichenden Finanzberichtspflichten handelt es sich hierbei um eine anlassbezogene Publizitätspflicht 358, die ausgelöst wird, sobald Emittenten von Finanzinstrumenten über Insider-Informationen verfügen, die sie unmit352 Vgl. aber u. Rn. 340 zu den Plänen für eine Harmonisierung der Sanktionsregelungen im Europäischen Kapitalmarktrecht. 353 Vgl. Heidelbach/Doleczik in: Schwark/Zimmer, KMRK, 4. Aufl. 2010, § 37v WpHG Rn. 36 f.; Langenbucher (Fn. 3), § 17 Rn. 115; Zimmermann in: Fuchs, WpHG, 2009, Vor §§ 37v bis 37z Rn. 22 f. 354 Vgl. Heidelbach/Doleczik (Fn. 353), § 37v WpHG Rn. 42 ff.; Zimmermann (Fn. 353), Vor §§ 37v bis 37z Rn. 24. 355 Vgl. hierzu näher bei Heidelbach/Doleczik (Fn. 353), § 37v WpHG Rn. 42; KK-WpHG/ Mock, 2007, § 37v Rn. 35 f.; Mülbert/Steup in: Habersack/Mülbert/Schlitt (Hrsg.), Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, 2. Aufl. 2008, § 33 Rn. 237 ff.; dies. WM 2005, 1633, 1645 ff.; Veil ZBB 2006, 162, 168; Zimmermann (Fn. 353), Vor §§ 37v bis 37z Rn. 26 ff. 356 Dafür: Fleischer WM 2006, 2021, 2027; ders. ZIP 2007, 97, 103; Maier-Reimer/Paschos in: Habersack/Mülbert/Schlitt (Hrsg.), Handbuch der Kapitalmarktinformation, 2008, § 29 Rn. 206 ff.; Zimmermann (Fn. 353), Vor §§ 37v bis 37z Rn. 32; dagegen: Heidelbach/ Doleczik (Fn. 353), § 37v Rn. 42 ff.; Mülbert/Steup WM 2005, 1633, 1646. 357 Vgl. zu den europäischen Vorgaben der Ad-hoc-Publizität: Dier/Fürhoff AG 2002, 604, 608; Frowein in: Habersack/Mülbert/Schlitt (Hrsg.), Handbuch der Kapitalmarktinformation, 2008, § 10 Rn. 4; Klöhn (Fn. 4), § 6 Rn. 71 ff.; Leppert/Stürwald ZBB 2002, 90, 95; Moloney (Fn. 19), S. 199. S. ferner die ausf. Literaturangaben zur MAD bei § 35. 358 Vgl. Grundmann Rn. 740; Langenbucher (Fn. 3), § 17 Rn. 18.

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telbar betreffen (vgl. Art. 6 Abs. 1 MAD). Durch die Veröffentlichungspflicht von Insider-Informationen werden kapitalmarktrelevante Informationen den Marktteilnehmern umgehend zu Verfügung gestellt. Dies fördert die Informationseffizienz und die Markttransparenz der Kapitalmärkte.359 Präventiv schützt die Ad-hoc-Publizität auf diese Weise vor Insiderhandel (zum Insiderhandelsverbot bereits o. Rn. 123 f., 129 ff. sowie § 35 Rn. 8 ff.), denn die Informationen stehen nach ihrer Veröffentlichung allen Anlegern zur Verfügung, so dass Wissensvorsprünge einzelner Anleger nicht mehr zu Lasten anderer Anleger ausgenutzt werden können.360 Insgesamt dient die Ad-hocPublizität damit v.a. dem Anlegerschutz und dem Funktionsschutz der Kapitalmärkte.361

bb) Historischer Überblick Die europäische Regelung der Ad-hoc-Publizität hat Ihren Ursprung 362 (vgl. zur 176 Historie auch noch § 35 Rn. 14) in der im Jahr 1979 erlassenen BörsenzulassungsRL363 (zu dieser auch bereits o. Rn. 20, 158 sowie noch § 36 Rn. 1). Danach waren Emittenten von Wertpapieren, die zur amtlichen Notierung zugelassen waren (vgl. Art. 1 Abs. 1), grundsätzlich 364 verpflichtet, das Publikum unverzüglich über neue erhebliche Tatsachen in Kenntnis zu setzen, die in ihrem Tätigkeitsbereich eingetreten und die der breiten Öffentlichkeit nicht bekannt sind, aber wegen ihrer Auswirkung auf ihre Vermögens- und Finanzlage oder auf den allgemeinen Geschäftsverlauf zu einer beträchtlichen Änderung der Kurse ihrer Aktien führen können (Art. 4 Abs. 2 i.V.m. Schema C Ziff. 5 lit. a) 365. Eine Dekade später wurde diese Veröffentlichungspflicht durch Art. 7 Insider-RL366 auf alle Wertpapiere, die zum Handel auf einem staatlich reglementierten Markt zugelassen waren, erweitert. I.R.d. Ersetzung der Börsenzulassungs-RL durch die Kapitalmarktpublizitäts-RL367 (zu dieser bereits o. Rn. 99 f., 158 sowie noch u. Rn. 183 u. § 36 Rn. 1) wurde die Ad-hoc-Publizitäts-

359 Vgl. Assmann (Fn. 106), § 15 Rn. 29; Klöhn (Fn. 4), § 6 Rn. 73; Langenbucher (Fn. 3), § 17 Rn. 18. 360 Vgl. Erwägungsgrund 24 MAD; KOM(2001) 281, S. 8; Assmann (Fn. 106), § 15 Rn. 32 ff.; Frowein (Fn. 357), § 10 Rn. 3; Langenbucher (Fn. 3), § 17 Rn. 18. Vgl. ferner auch bereits die Ausführungen zu Sinn und Zweck des Insiderhandelsverbots o. Rn. 123 f. 361 Vgl. Assmann (Fn. 106), § 15 Rn. 27; Frowein (Fn. 357), § 10 Rn. 3; Langenbucher (Fn. 3), § 17 Rn. 18. 362 Vgl. zur Entwicklung der europäischen Ad-hoc-Publizitätspflicht etwa Assmann (Fn. 106), § 15 Rn. 1 ff.; Pfüller in: Fuchs, WpHG, 2009, § 15 Rn. 3 ff.; Schäfer in: Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, 2. Aufl. 2009, § 14 Rn. 6 ff. 363 Fn. 38. 364 Wenn die Verbreitung geeignet war, den berechtigten Interessen der Gesellschaft zu schaden, konnten die zuständige Stellen die Gesellschaft jedoch von der Pflicht entbinden. 365 Ähnlich für Schuldverschreibungen Art. 4 Abs. 2 i.V.m. Schema D Teil A Ziff. 4 lit. a. 366 Fn. 48. 367 Fn. 219.

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pflicht dann in deren Art. 68 Abs. 1, 81 Abs. 1 überführt. Im Zuge der Schaffung der MAD entschied man sich dann jedoch, sie wegen ihrer Funktion als Präventivinstrument gegen Insiderhandel (vgl. dazu bereits o. Rn. 175 sowie § 35 Rn. 14) als Art. 6 Abs. 1–3 in die MAD zu integrieren 368 (Text, Literatur, Fundstellennachweise und weitere Erläuterungen zu Entstehungsgeschichte und Inhalt der MAD sowie zu Reformbestrebungen in § 35). Durchführungsbestimmungen finden sich in Art. 2 und Art. 3 RL 2003/124/EG 369. 177 In Deutschland ist die Ad-hoc-Publizität heute in § 15 WpHG und §§ 4 ff. WpAIV normiert.

cc) Inhalt und Umfang Ad-hoc-Publizitätspflicht 178 Nach Art. 6 Abs. 1 S. 1 MAD haben die Mitgliedstaaten dafür Sorge zu tragen, dass alle Emittenten von Finanzinstrumenten Insider-Informationen (vgl. zum Begriff bereits o. Rn. 130 ff. sowie noch § 35 Rn. 8), die sie unmittelbar betreffen, so bald wie möglich der Öffentlichkeit bekannt geben (vgl. auch § 35 Rn. 15).370 Modalitäten und Fristen der Veröffentlichung (dazu auch noch § 35 Rn. 17) sind in Art. 2 RL 2003/ 124/EG 371 näher geregelt; nach dessen Abs. 1 S. 1 richtet die sich Art und Weise der Veröffentlichung nach dem Publikationsregime der Transparenz-RL 372 (vgl. dazu o. Rn. 167 ff. sowie § 36 Rn. 23 ff.). Gem. Art. 6 Abs. 1 S. 2 MAD müssen die Emittenten die publizitätspflichtigen Insider-Informationen zudem während eines angemessenen Zeitraums auf ihrer Internetseite anzeigen. 179 Nach Art. 6 Abs. 2 S. 1 MAD 373 (vgl. dazu auch noch § 35 Rn. 15), der durch Art. 3 der RL 2003/124/EG 374 näher konkretisiert wird, darf ein Emittent die Veröffentlichung von Insider-Informationen aufschieben, sofern die Bekanntgabe einer bestimmten Insider-Information den berechtigten Interessen des Emittenten schaden könnte, die Unterlassung der Veröffentlichung nicht geeignet ist, die Öffentlichkeit irrezuführen und der Emittent in der Lage ist, die Vertraulichkeit der Information zu gewährleisten. Optional können die Mitgliedstaaten in diesen Fällen vorsehen, dass

368 Kritisch dazu Grundmann Rn. 732, 740. 369 Vgl. zu den Durchführungsrechtsakten zur MAD allg. § 35 Rn. 3. 370 Näher dazu Avgouleas (2005) 18 Transnat’l Law. 179, 210; ders. (2007) 22 J.I.B.L.R. 153, 157; Ferrarini (2004) 41 C.M.L. Rev. 711, 731 f.; Grimme/von Buttlar WM 2003, 901, 905 ff.; Grundmann Rn. 742 ff.; Hansen [2004] EBLR 183, 199 ff.; Hansen/Moalem (2009) 4 CMLJ 323, 328 ff.; Staikouras (2008) 35 LIEI 351, 355 ff. 371 Vgl. zu den Durchführungsrechtsakten zur MAD allg. § 35 Rn. 3. 372 Der Verweis auf Art. 102 Abs. 1, 103 Kapitalmarktpublizitäts-RL (Fn. 219) ist als Verweis auf Art. 19–21 Transparenz-RL zu lesen, vgl. Art. 32 S. 2 Transparenz-RL. 373 Näher dazu Avgouleas (2005) 18 Transnat’l Law. 179, 210 f.; ders. (2007) 22 J.I.B.L.R. 153, 157; Ferrarini (2004) 41 C.M.L. Rev. 711, 732 f.; Fürhoff AG 2003, 80; Grimme/ von Buttlar WM 2003, 901, 908 f.; Hansen [2004] EBLR 183, 200 ff.; Hansen/Moalem (2009) 4 CMLJ 323, 332 ff.; Klöhn (Fn. 4), § 6 Rn. 87; Staikouras (2008) 35 LIEI 351, 358 f. 374 Vgl. zu den Durchführungsrechtsakten zur MAD allg. § 35 Rn. 3.

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der Emittent die zuständige Behörde unverzüglich von der Entscheidung, die Bekanntgabe der Insider-Information aufzuschieben, zu unterrichten hat (S. 2). Der deutsche Gesetzgeber verlangt in § 15 Abs. 3 S. 3 u. 4 i.V.m. Abs. 4 WpHG eine Vorabmitteilung an die BaFin.375 Eine Ad-hoc-Publizitätspflicht besteht gem. Art. 6 Abs. 3 Unterabs. 1 MAD 376 180 ferner auch, wenn Emittenten oder in ihrem Auftrag handelnde Personen die InsiderInformationen im normalen Rahmen der Erfüllung ihrer Aufgaben an einen Dritten weitergeben (vgl. dazu auch noch § 35 Rn. 16). Erfolgt die Weitergabe der Information absichtlich, hat die Veröffentlichung zeitgleich, bei einer nicht absichtlichen Weitergabe unverzüglich zu erfolgen. Auf diese Weise wird die informationelle Chancengleichheit der Marktteilnehmer gewährleistet.377 Eine Ausnahme hiervon gilt allerdings gem. Unterabs. 2, wenn der Dritte selbst zur Vertraulichkeit verpflichtet ist.

dd) Kontrollmechanismen und Sanktionen Auch hinsichtlich der Ad-hoc-Publizität gelten die allgemeinen Kontrollmechanis- 181 men und Sanktionsregelungen der MAD (dazu bereits o. Rn. 149 sowie § 35 Rn. 19). In Deutschland werden Verstöße gegen die Ad-hoc-Publizität als Ordnungs- 182 widrigkeit mit Geldbußen sanktioniert (vgl. § 39 Abs. 2 Nr. 2 lit. c, Nr. 5 lit. a, Nr. 6, Nr. 7, Abs. 4 WpHG). Sofern die Mitteilungspflicht nicht, nicht richtig, nicht vollständig oder nicht in der vorgeschriebenen Weise erfüllt wird, droht darüber hinaus eine kostenpflichtige Ersatzvornahme durch die BaFin (vgl. § 4 Abs. 6 WpHG).378 In zivilrechtlicher Hinsicht können sich u.U. Schadensersatzansprüche nach §§ 37b, 37c WpHG ergeben (vgl. § 15 Abs. 6 WpHG).379 Eine Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB scheidet hingegen aus, da § 15 WpHG kein Schutzgesetz darstellt.380 In Betracht kommen jedoch Schadensersatzansprüche aus § 826 BGB sowie § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 400 AktG oder § 263 StGB.381

375 Vgl. dazu BegrRegE z. AnSVG, BR-Drs. 341/04, S. 68. 376 Näher dazu Avgouleas (2005) 18 Transnat’l Law. 179, 211 f.; ders. (2007) 22 J.I.B.L.R. 153, 158; Ferrarini (2004) 41 C.M.L. Rev. 711, 733; Hansen [2004] EBLR 183, 204; Hansen/Moalem (2009) 4 CMLJ 323, 334 ff.; Staikouras (2008) 35 LIEI 351, 359 f. 377 Vgl. Assmann (Fn. 106), § 15 Rn. 110; Hansen/Moalem (2009) 4 CMLJ 323, 335. 378 Vgl. Zetzsche in: Schwark/Zimmer, KMRK, 4. Aufl. 2010, § 4 Rn. 67. 379 Vgl. Zimmer/Kruse in: Schwark/Zimmer, KMRK, 4. Aufl. 2010, § 15 Rn. 133. 380 Vgl. Langenbucher (Fn. 3), § 17 Rn. 179; Maier-Reimer/Paschos (Fn. 356), § 29 Rn. 160; KK-WpHG/Möllers/Leisch, 2007, §§ 37b,c Rn. 383, 450 ff; Mülbert/Steup (Fn. 355), § 33 Rn. 213; Sethe in: Assmann/Schneider, WpHG, 5. Aufl. 2009, §§ 37b, 37c Rn. 104. 381 Vgl. Langenbucher (Fn. 3), § 17 Rn. 179; Maier-Reimer/Paschos (Fn. 356), § 29 Rn. 161 ff.; Möllers/Leisch (Fn. 380), §§ 37b, c Rn. 383, 444 ff., 453 ff.; Mülbert/Steup (Fn. 355), § 33 Rn. 214 ff.; Sethe (Fn. 380), §§ 37b, 37c Rn. 105 ff.

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d) Beteiligungspublizität aa) Historischer Überblick 183 Meldepflichten in Bezug auf den Erwerb und die Veräußerung bedeutender Beteiligungen an börsennotierten Aktiengesellschaften wurden auf europäischer Ebene erstmals 1988 mit der Beteiligungstransparenz-RL382 eingeführt (vgl. zur Historie auch noch § 36 Rn. 1).383 Sie sah sowohl Meldepflichten des Erwerbers bzw. des Veräußerers gegenüber der betroffenen Gesellschaft (Art. 4) als auch eine Meldepflicht der betroffenen Gesellschaft gegenüber dem Publikum vor (Art. 10). Im Jahr 2001 wurde die Vorschriften der Beteiligungstransparenz-RL dann (ohne wesentliche materielle Änderungen und zusammen mit den Vorgaben anderer RL) in Art. 85 ff. der Kapitalmarktpublizitäts-RL384 konsolidiert und kodifiziert (vgl. dazu auch bereits o. Rn. 99 f., 158, 176 sowie noch § 36 Rn. 1). Im Jahr 2004 wurden die Vorgaben zur Beteiligungstransparenz dann – in deutlich erweiterter und modernisierter Form – in die Transparenz-RL überführt (vgl. auch noch § 36 Rn. 1; Text, Literatur, Fundstellennachweise und weitere Erläuterungen zur Transparenz-RL in § 36). 184 In Deutschland sind die europäischen Vorgaben betreffend die Beteiligungspublizität durch §§ 21 ff. WpHG und §§ 17 ff. WpAIV umgesetzt (vgl. dazu noch § 36 Rn. 32). bb) Sinn und Zweck der Beteiligungspublizität 185 Für eine Anlageentscheidung können insbesondere auch die Zusammensetzung des Aktionärskreises und der Beherrschungsverhältnisse sowie diesbezügliche Veränderungen von maßgeblichem Interesse sein.385 Prominentes Beispiel ist etwa die Kenntnis über den Aufbau einer wesentlichen Beteiligung zwecks einer Übernahme.386 Die Beteiligungspublizität dient der Schaffung von Transparenz im Hinblick auf die Beteiligungsverhältnisse. Anlegern wird auf diese Weise eine informierte Investitionsentscheidung ermöglicht. Auch wird ihre informationelle Gleichbehandlung gefördert, da durch die Veröffentlichungspflicht Wissensvorsprünge einzelner Anleger abgebaut werden 387 (vgl. auch noch § 36 Rn. 11). Durch die Vorgaben der Transparenz-RL soll also v.a. das Vertrauen der Anleger in den Kapitalmarkt geschützt werden; sie dient dem Anlegerschutz sowie dem Schutz des Kapitalmarkts als Institution (vgl. Erwägungsgründe 1, 2, 18 Transparenz-RL). 382 Fn. 46. 383 Vgl. hierzu Weber-Rey in: Habersack/Mülbert/Schlitt (Hrsg.), Handbuch der Kapitalmarktinformation, 2008, § 23 Rn. 44. Für einen historischen Überblick vgl. auch Dehlinger/Zimmermann in Fuchs, WpHG, 2009, Vor §§ 21 bis 30, Rn. 4 ff. 384 Fn. 219. 385 Vgl. Bayer in: MünchKommAktG, 3. Aufl. 2008 § 22 Anh, § 21 WpHG Rn. 1; Klöhn (Fn. 4), § 6 Rn. 93; Langenbucher (Fn. 3), § 17 Rn. 60; Schneider in: Assmann/Schneider, WpHG, 5. Aufl. 2009, Vor § 21 Rn. 19. 386 Vgl. nur Schneider (Fn. 385), Vor § 21 Rn. 19. 387 Vgl. Klöhn (Fn. 4), § 6 Rn. 93.

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cc) Inhalt und Umfang der Pflicht zur Beteiligungspublizität Bei bedeutenden Beteiligungen sieht die Transparenz-RL sowohl für den Erwerber 186 bzw. Veräußerer (dazu u. Rn. 187 ff.) als auch für den Emittenten (dazu u. Rn. 191 ff.) besondere Publizitätspflichten vor 388 (vgl. dazu auch noch näher § 36 Rn. 11 ff.).

(1) Meldepflichten des Erwerbers oder Veräußerers Erreicht, über- oder unterschreitet ein Aktionär bei einem Erwerb oder einer Ver- 187 äußerung 389 von Aktien, die zum Handel an einem geregelten Markt zugelassenen sind und an die Stimmrechte geknüpft sind, die Schwelle von 5 %, 10 %, 15 %, 20 %, 25 %, 30 %, 50 % oder 75 %390, so hat er gem. Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 1 TransparenzRL dem Emittenten mitzuteilen, welchen Anteil er an den Stimmrechten hält. Art. 10 enthält einen Katalog von Zurechnungstatbeständen, z.B. im Falle des sog. acting in concert (lit. a) 391. Der Inhalt der Mitteilung und das Verfahren für ihre Veröffentlichung werden in Art. 12 Transparenz-RL i.V.m. Art. 7 ff. RL 2007/14/EG 392 festgelegt. Besondere Bestimmungen gelten in Konzernsituationen (dazu noch § 36 Rn. 16). Gem. Art. 13 Transparenz-RL, der durch Art. 11 RL 2007/14/EG 393 näher kon- 188 kretisiert wird, besteht eine Mitteilungspflicht gem. Art. 9 Transparenz-RL außerdem für Personen, die direkt oder indirekt Finanzinstrumente halten, die ihnen das Recht verleihen, auf Eigeninitiative im Rahmen einer förmlichen Vereinbarung 394 Aktien zu erwerben, die mit Stimmrechten verbunden und zum Handel an einem geregelten Markt zugelassen sind. Auf diese Weise wird der Emittent darüber informiert, dass der Inhaber der erfassten Finanzinstrumente in Zukunft mit Stimmrechten verbundene Aktien erwerben wird (im Fall eines Festgeschäfts) bzw. die Möglichkeit hat, diese zu erwerben (im Fall eines Optionsgeschäfts); 395 letztlich soll damit auch ein „Anschleichen“ verhindert werden 396 (vgl. zum Ganzen auch noch § 36 Rn. 12). 388 Vgl. Moloney (Fn. 19), S. 194 ff. 389 Speziell im deutschen Recht ist vor dem Hintergrund des Trennungsprinzips im Hinblick auf die Begriffe „Erwerb“ und „Veräußerung“ fraglich, ob es auf den dinglichen Rechtserwerb ankommt oder der Abschluss des Verpflichtungsgeschäfts genügt. Wortlaut („erreicht, über- oder unterschritten“) und Telos der RL sprechen jedoch maßgeblich für die Notwendigkeit eines dinglichen Rechtserwerbs, vgl. Grundmann Rn. 726; Klöhn (Fn. 4), § 6 Rn. 94. So auch die ganz h.M. im deutschen Recht, vgl. nur Bayer (Fn. 385), § 22 Anh § 21 WpHG Rn. 25. 390 Vgl. zum Mindestnormcharakter dieser Schwellenwerte sowie zu den Optionen nach Art. 9 Abs. 3 noch § 36 Rn. 13. 391 Vgl. zur Umsetzung in § 22 Abs. 2 WpHG: Bayer (Fn. 385), § 22 Anh § 22 WpHG Rn. 38 ff. m.w.N. 392 Allg. zu dem Durchführungsrechtsakten zur Transparenz-RL § 36 Rn. 3. 393 Allg. zu dem Durchführungsrechtsakten zur Transparenz-RL § 36 Rn. 3. 394 Unter einer förmlichen Vereinbarung ist nach Art. 11 Abs. 1 Unterabs. 3 RL 2007/14/ EG eine Vereinbarung zu verstehen, die nach dem anwendbaren Recht verbindlich ist. 395 Vgl. Bayer (Fn. 385), § 22 Anh § 25 WpHG Rn. 1; Dehlinger/Zimmermann (Fn. 383), § 25 Rn. 2. 396 Vgl. zur Umsetzung in § 25 WpHG: BegrRegE z. TUG, BT-Drs. 16/2498, S. 28.

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Zwecks Kontrollmöglichkeit durch die Aufsichtsbehörde sind die dem Emittenten mitzuteilenden Informationen gem. Art. 19 Abs. 3 jeweils gleichzeitig auch bei der zuständigen Aufsichtsbehörde zu hinterlegen (vgl. noch näher § 36 Rn. 16). 190 Ausnahmen von der Meldepflicht bestehen nur in bestimmten Situationen, vgl. dazu näher § 36 Rn. 15. 189

(2) Mitteilungspflichten des Emittenten 191 Der Emittent hat alle auf Grund der Meldepflichten der Aktionäre bzw. Inhaber von Finanzinstrumenten erhaltenen Informationen über die Beteiligungsverhältnisse grundsätzlich397 spätestens 3 Handelstage nach deren Erhalt zu veröffentlichen (Art. 12 Abs. 6 Transparenz-RL); auf diese Weise wird das Anlegerpublikum über die Beteiligungsverhältnisse informiert (vgl. dazu auch noch § 36 Rn. 16). 192 Um die Berechnung der Meldeschwellen (dazu o. Rn. 187 sowie § 36 Rn. 13) zu ermöglichen, sind Emittenten gem. Art. 15 Transparenz-RL außerdem dazu verpflichtet, am Ende jeden Kalendermonats, an dem es zu einer Zu- oder Abnahme von Stimmrechten oder Kapital gekommen ist, die Gesamtzahl der Stimmrechte und das Kapital zu veröffentlichen (vgl. dazu auch noch § 36 Rn. 13). 193 Darüber hinaus unterliegen Emittenten gem. Art. 14 Abs. 1 S. 1 Transparenz-RL einer Publizitätspflicht beim Erwerb oder der Veräußerung eigener Aktien, wenn dieser Anteil die Schwelle von 5 % oder 10 % der Stimmrechte erreicht, über- oder unterschreitet (vgl. dazu noch § 36 Rn. 17). 194 Die vorgenannten Publikationspflichten stellen allesamt „vorgeschriebene Informationen“ i.S.d. Art. 2 Abs. 1 lit. k Transparenz-RL dar (vgl. dazu bereits o. Rn. 167 sowie noch § 36 Rn. 23), so dass die Art und Weise der Veröffentlichung gemäß dem dreiaktigen Publizitätsregime der Transparenz-RL (dazu o. Rn. 167 ff. sowie § 36 Rn. 23 ff.) zu erfolgen hat.

dd) Kontrollmechanismen und Sanktionen 195 Die Kontrolle der Einhaltung der sich aus der Transparenz-RL ergebenden Verpflichtungen erfolgt durch eine zentrale nationale Aufsichtsbehörde, in Deutschland durch die BaFin (vgl. bereits o. Rn. 172 sowie § 36 Rn. 29, 32). 196 Die nähere Ausgestaltungen der Sanktionen ist weitgehend den Mitgliedstaaten überlassen 398 (vgl. bereits o. Rn. 173 sowie noch § 36 Rn. 30 f.). In Deutschland werden sowohl Meldepflichtverstöße von Aktionären bzw. Inhabern von Finanzinstrumenten (vgl. § 39 Abs. 2 Nr. 2 lit. e u. f, Abs. 4 WpHG) als auch von Emittenten (vgl.

397 Ggf. kann aber auch eine Pflicht zur unverzüglichen Ad-hoc-Publizität bestehen (vgl. dazu bereits o. Rn. 175 ff. sowie § 35 Rn. 14 ff.). 398 Vgl. aber u. Rn. 340 zu den Plänen für eine Harmonisierung der Sanktionsregelungen im Europäischen Kapitalmarktrecht.

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§ 39 Abs. 2 Nr. 2 lit. g u. h, Nr. 5 lit. c, Nr. 6, Abs. 4 WpHG) als Ordnungswidrigkeit mit einem Bußgeld geahndet. Aktionäre, die ihrer Meldepflicht nach § 21 Abs. 1 oder Abs. 1a WpHG nicht nachkommen, werden außerdem mit einem zeitweisen Rechtsverlust im Hinblick auf die Ausübung der Rechte aus den betroffenen Aktien sanktioniert (§ 28 WpHG 399). In öffentlich-rechtlicher Hinsicht droht u.U. eine kostenpflichtige Ersatzvornahme durch die BaFin (vgl. § 4 Abs. 6 WpHG). Im Hinblick auf die zivilrechtliche Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen ist umstritten, inwieweit die §§ 21 ff. WpHG Schutzgesetze i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB darstellen.400 e) Sonstige Informationspflichten des Emittenten („Wohlverhaltenspflichten“) Art. 16–18 Transparenz-RL regeln weitere Informationspflichten des Emittenten, 197 die auch als sog. „Wohlverhaltenspflichten“ bezeichnet werden und bei § 36 Rn. 18 ff. näher erläutert werden. In Deutschland sind diese Vorgaben heute in §§ 30a ff. WpHG umgesetzt (vgl. auch noch § 36 Rn. 32).

f) Directors’ dealings aa) Überblick Die Pflicht zur Veröffentlichung von directors’ dealings wurde auf europäischer 198 Ebene erstmals 401 im Jahr 2003 mit der MAD (zu dieser bereits o. Rn. 125 ff., 176 ff. sowie § 35) eingeführt 402. Sie ist heute in Art. 6 Abs. 4 MAD und Art. 6 RL 2004/72/EG 403 geregelt (dazu auch noch § 35 Rn. 18).404 Die deutschen Umsetzungsvorschriften finden sich in § 15a WpHG und §§ 10 ff. WpAIV (vgl. auch § 35 Rn. 20). 399 Vgl. dazu näher Bayer (Fn. 385), § 22 Anh § 28 WpHG Rn. 1 ff. m.w.N. 400 Für eine individualschützende Wirkung etwa: Bayer (Fn. 385), § 22 Anh § 21 WpHG Rn. 2; Schneider (Fn. 385), § 28 Rn. 79 (jeweils m.w.N.). Für einen reinen Funktionsschutz der Kapitalmärkte hingegen etwa Dehlinger/Zimmermann (Fn. 383), Vor §§ 21 bis 30 Rn. 22; Langenbucher (Fn. 3), § 17 Rn 182; Schwark in: Schwark/Zimmer, KMRK, 4. Aufl. 2010, § 26 WpHG Rn. 14 (jeweils m.w.N.). 401 Erste Bestrebungen zur Einführung vergleichbarer Publizitätspflichten gab es allerdings bereits i.R.d. Schaffung der SE (zu dieser ausf. § 41). Der SE-VOE 1975 (dazu § 41 Rn. 2) enthielt in Art. 82 für Organmitglieder und nahe Verwandte bei Geschäften mit Aktien der Gesellschaft einige besondere Verpflichtungen, vgl. dazu näher Pfüller (Fn. 362), § 15a Rn. 11; Sethe (Fn. 380), § 15a Rn. 23. In der letztlich verabschiedeten Fassung der SE-VO findet sich jedoch keine vergleichbare Bestimmung mehr. 402 Die Regelung war im RL-Entwurf noch nicht vorgesehen, sondern fand erst auf Initiative des EP Eingang in die RL, vgl. dazu § 35 Rn. 18. 403 Vgl. zur Entwicklung der RL 2004/72/EG: KK-WpHG/Heinrich, 2007, § 15a Rn. 21; Osterloh, Directors’ Dealings, 2007, S. 54 ff.; Sethe (Fn. 380), § 15a Rn. 25; von Buttlar BB 2003, 2133, 2135 ff. Allg. zu den Durchführungsrechtsakten zur MAD: § 35 Rn. 3. 404 Näher dazu Avgouleas (2005) 18 Transnat’l Law. 179, 212; von Buttlar BB 2003, 2133 ff.; Ferrarini (2004) 41 C.M.L. Rev. 711, 733 f.; Pluskat BKR 2004, 467 ff.; Staikouras (2008) 35 LIEI 351, 363 ff.; Ziemons, NZG 2004, 537, 539; vgl. ferner auch bereits Dier/Fürhoff AG 2002, 604, 608 f.; Leppert/Stürwald ZBB 2002, 90, 93 ff.

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Nach Art. 6 Abs. 4 MAD sind directors’ dealings Eigengeschäfte mit Aktien 405 eines Emittenten oder mit sich darauf beziehenden Derivaten oder anderen Finanzinstrumenten des Emittenten durch Personen, die bei dem Emittenten Führungsaufgaben wahrnehmen oder Dritte, die zu einer solchen Person in einer engen Beziehung stehen.

bb) Sinn und Zweck 200 Die Pflicht zur Veröffentlichung von directors’ dealings beruht auf dem Umstand, dass Führungskräfte auf Grund ihrer Tätigkeit in der Regel über einen erheblichen Informationsvorsprung gegenüber anderen Anlegern betreffend den „wahren Wert“ eines Unternehmens verfügen. Nehmen Führungskräfte Eigengeschäfte vor, haben diese auf dem Kapitalmarkt daher eine hohe Signalwirkung: Der Erwerb von Finanzinstrumenten wird als Indiz für eine Unterbewertung des Unternehmens und alsbald zu erwartende Kursgewinne verstanden, eine Veräußerung hingegen spricht für eine Überbewertung des Unternehmens und demnächst zu erwartende Kursverluste.406 Vor diesem Hintergrund verfolgt die Publizitätspflicht von directors’ dealings mehrere Ziele 407. Auf Grund der Indizwirkung der directors’ dealings fördert sie die Informiertheit der Anleger 408 und damit die informationelle Effizienz der Kapitalmärkte 409. Informationsvorsprünge Einzelner werden zumindest abgeschwächt 410, so dass auch die Anlegergleichbehandlung gefördert wird 411. Darüber hinaus schützt die Veröffentlichungspflicht von directors’ dealings präventiv vor Insiderhandel.412 Insgesamt werden durch sie die Markttransparenz und die Marktintegrität erhöht 413, wodurch das Anlegervertrauen gestärkt wird.

405 Vgl. zum Anwendungsbereich der MAD allg. § 35 Rn. 6 f. 406 Vgl. Fischer zu Cramburg/Hannich in: von Rosen (Hrsg.), Studien des Deutschen Aktieninstituts, Heft 19, Director’s Dealings, S. 9 ff.; Klöhn (Fn. 4), § 6 Rn. 91; Langenbucher (Fn. 3), § 17 Rn. 104; Zimmer/Osterloh in: Schwark/Zimmer, KMRK, 4. Aufl. 2010, § 15a WpHG Rn. 12. 407 Vgl. zusammenfassend Bericht ECON, A5-0069/2002, S. 34; Buck-Heeb (Fn. 3), Rn. 360; Fleischer ZIP 2002, 1217, 1218 ff.; Osterloh (Fn. 403), S. 60 ff.; Pfüller in: Habersack/Mülbert/Schlitt (Hrsg.), Handbuch der Kapitalmarktinformation, 2008, § 22 Rn. 6. 408 Vgl. Erwägungsgrund 26 MAD; Schäfer (Fn. 362), § 15 Rn. 2; Zimmer/Osterloh, in Schwark/Zimmer, KMRK, § 15a WpHG Rn. 12 ff. 409 Vgl. Klöhn (Fn. 4), § 6 Rn. 91. 410 Vgl. Zimmer/Osterloh (Fn. 406), § 15a WpHG Rn. 15. 411 Vgl. Bericht ECON, A5-0069/2002, S. 34; Klöhn (Fn. 4), § 6 Rn. 91; Schäfer (Fn. 362), § 15 Rn. 2; Zimmer/Osterloh (Fn. 406), § 15a WpHG Rn. 15. 412 Vgl. Langenbucher (Fn. 3), § 17 Rn. 104; Schäfer (Fn. 362), § 15 Rn. 2; Zimmer/Osterloh (Fn. 406), § 15a WpHG Rn. 9 ff. 413 Vgl. Erwägungsgrund 7 RL 2004/72/EG (dazu allg. § 35 Rn. 3); Bericht ECON, A5-0069/2002, S. 34; Schäfer (Fn. 362), § 15 Rn. 2; Zimmer/Osterloh (Fn. 406), § 15a WpHG Rn. 16.

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cc) Inhalt und Umfang der Publizitätspflicht von directors’ dealings Sofern directors’ dealings vorliegen, verlangt Art. 6 Abs. 4 MAD Publizität in zwei- 201 facher Hinsicht: Zum einen sind solche Geschäfte entsprechend den in Art. 6 RL 2004/72/EG414 spezifizierten Modalitäten der zuständigen Behörde zu melden; zum anderen müssen die Mitgliedstaaten dafür sorgen, dass diese Informationen zumindest einzeln der Öffentlichkeit sobald wie möglich auf einfache Weise zugänglich gemacht werden (vgl. auch noch § 35 Rn. 18).

dd) Kontrollmechanismen und Sanktionen Auch für directors’ dealing gelten die allgemeinen Regeln der MAD betreffend Kon- 202 trollmechanismen und Sanktionen (dazu o. Rn. 149 sowie § 35 Rn. 19). In Deutschland werden Verstöße gegen die bei directors’ dealings bestehenden 203 Publizitätspflichten als Ordnungswidrigkeit mit einer Geldbuße geahndet (vgl. § 39 Abs. 2 Nr. 2 lit. d, Nr. 5 lit. b, Nr. 6, Abs. 4 WpHG). Ggf. droht außerdem eine kostenpflichtige Ersatzvornahme durch die BaFin (vgl. § 4 Abs. 6 WpHG). Ein zivilrechtlicher Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 2 BGB besteht nach h.M. nicht, da § 15a WpHG kein Schutzgesetz i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB darstellt.415

g) Das jährliches Dokument nach Art. 10 Prospekt-RL a.F. Art. 10 Prospekt-RL a.F.416, der durch Art. 27 VO 809/2004 417 näher konkretisiert 204 und in Deutschland durch § 10 WpPG umgesetzt wurde 418, verpflichtete Emittenten, deren Wertpapiere zum Handel an einem geregelten Markt zugelassen sind, einmal jährlich ein Informationsdokument zu veröffentlichen. Dieses musste alle Informationen enthalten oder auf sie verweisen, die der Emittent in den vorausgegangenen 12 Monaten auf Grund seiner Publizitätspflichten nach dem Gemeinschaftsrecht und den einzelstaatlichen Vorschriften über die Beaufsichtigung von Wertpapieren, Wertpapieremittenten und Wertpapiermärkten zu veröffentlichen hatte. Hierzu zählten z.B. die periodischen Finanzinformationen (dazu o. Rn. 158 ff.) sowie die anlassbezogene Informationen i.R.d. der Ad-hoc-Publizität (dazu o. Rn. 176 ff.) oder der Publizität von directors’ dealings (dazu o. Rn. 198 ff.). Auf diese Weise sollte die regelmäßige Verbreitung leicht verständlicher Informationen sicher gestellt werden (vgl. Erwägungsgrund 27 Prospekt-RL).

414 Vgl. zu den Durchführungsrechtsakten zur MAD allg. § 35 Rn. 3. 415 Vgl. Sethe (Fn. 380), § 15a Rn. 140; Mülbert/Steup (Fn. 355), § 33 Rn. 259. 416 Vgl. dazu etwa Crüwell AG 2003, 243, 252; Grundmann Rn. 686; Sandberger EWS 2004, 297, 302; Wiegel (Fn. 222), S. 387. 417 Vgl. zu den Durchführungsrechtsakten zur Prospekt-RL allg. § 34 Rn. 3. 418 Vgl. BegrRegE z. Prospekt-RL-UG, BR-Drs. 85/05, S. 72.

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Tatsächlich enthielt das jährliche Dokument jedoch eine Fülle an Informationen, die nicht im Zusammenhang stehen und darüber hinaus unterjährig nicht aktualisiert werden mussten – also bereits veraltet und daher irrelevant sein konnten –, so dass die Gefahr bestand, dass Anleger mit Informationen überfrachtet werden und sie nicht richtig einordnen können; sein praktischer Nutzen wurde daher von Anfang an in Frage gestellt.419 Nach Erlass der Transparenz-RL (zu dieser bereits o. Rn. 159 ff. sowie § 36) intensivierte sich die Kritik noch erheblich, denn da nunmehr sämtliche im jährlichen Dokument anzugebende Informationen im jeweiligen zentralen Speichersystem des Mitgliedstaats (dazu o. Rn. 169 sowie § 36 Rn. 25) vorzufinden sind, ist dieses an sich überflüssig geworden und verursachte lediglich hohe Verwaltungskosten.420 Durch die Änderungs-RL 2010/73/EU (zu dieser noch allg. § 34 Rn. 4) wurde Art. 10 Prospekt-RL daher komplett gestrichen.421 § 10 WpPG muss daher bis spätestens 1.7.2012 ebenfalls gestrichen werden.

h) Übernahmerechtliche Verhaltens- und Publizitätspflichten 206 Im Zusammenhang mit Übernahmen etabliert schließlich auch die 2004 erlassene Übernahme-RL (dazu ausf. § 30) zahlreiche kapitalmarktrechtlich relevante Publizitäts- und Verhaltenspflichten (näher dazu speziell § 30 Rn. 48 ff., 112 ff.).

V. Die europäische Regulierung der Finanzintermediäre: Wertpapierdienstleistungsunternehmen und Investmentfonds 207 Ein marktintegres Verhalten von Finanzintermediären ist im Hinblick auf die Gewährleistung von Anlegerschutz und Informationseffizienz auf den Kapitalmärkten von essentieller Bedeutung (vgl. bereits o. Rn 86). Um das Funktionieren der Kapitalmärkte zu gewährleisten, unterwirft der europäische Gesetzgeber Finanzintermediäre daher einem ausdifferenzierten Regelungsregime.422 Dabei ist zwischen Wertpapierdienstleistungsunternehmen (in der europäischen Terminologie: „Wertpapierfirmen“, dazu u. Rn. 208 ff.) und Investmentfonds (dazu u. Rn. 231 ff.) zu differenzieren.

419 Vgl. bereits Crüwell AG 2003, 243, 252. 420 Vgl. Erwägungsgrund 21 RL 2010/73/EU (zu dieser allg. § 34 Rn. 4); KOM(2009) 491, S. 10; Elsen/Jäger BKR 2008, 459, 460; dies. BKR 2010, 97, 99; Frowein (Fn. 357), § 11 Rn. 2; Götze NZG 2007, 570, 574; Heidelbach in: Schwark/Zimmer, KMRK, 4. Aufl. 2010, § 10 WpPG Rn. 6. 421 Vgl. dazu Elsen/Jäger BKR 2010, 97, 99; Grundmann Rn. 686; Kunold in: Assmann/ Schlitt/von Kopp-Colomb, Wertpapierprospektgesetz/Verkaufsprospektgesetz, 2. Aufl. 2010, § 10 Rn. 4 f. 422 Vgl. Hirschberg AG 2006, 398; Kumpan/Hellgardt DB 2006, 1714.

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1. Wertpapierdienstleistungsunternehmen („Wertpapierfirmen“) a) Begriffsbestimmung Ein Wertpapierdienstleistungsunternehmen (in der europäischen Terminologie: „Wert- 208 papierfirma“) ist nach der Legaldefinition in Art. 4 Abs. 1 Nr. 1 Unterabs. 1 MiFID (zu dieser bereits o. Rn. 55 ff. sowie ausf. § 33) jede juristische Person, die im Rahmen ihrer üblichen beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit gewerbsmäßig eine oder mehrere Wertpapierdienstleistungen für Dritte erbringt und/oder eine oder mehrere Anlagetätigkeiten ausübt. Art. 4 Abs. 1 Unterabs. 2 und 3 gestatten den Mitgliedstaaten jedoch, unter bestimmten Voraussetzungen auch Unternehmen, die keine juristischen Personen sind, als „Wertpapierfirmen“ zu definieren. Welche Tätigkeiten als Wertpapierdienstleistungen und Anlagetätigkeiten zu 209 qualifizieren sind, ergibt sich aus Art. 4 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. Anh. I Abschnitt A MiFID i.V.m. Art. 38 f. MiFID-DVO 423. Genannt ist dort z.B. die Ausführung von Aufträgen im Namen von Kunden (Anh. I Abschnitt A Nr. 2 MiFID), die Übernahme der Emission von Finanzinstrumenten und/oder Platzierung von Finanzinstrumenten (Anh. I Abschnitt A Nr. 6, 7 MiFID) und die Anlageberatung (Anh. I Abschnitt A Nr. 5 MiFID) (vgl. zum Ganzen auch noch § 33 Rn. 7). Typische Wertpapierdienstleister sind demnach etwa speziell Banken.

b) Das europäische Regulierungsregime aa) Überblick Der europäische Gesetzgeber hatte bereits im Jahr 1993 mit der Wertpapierdienst- 210 leistungs-RL (Investment Services Directive – ISD) v. 10.5.1993 424 Bedingungen festgelegt, unter denen Wertpapierdienstleistungsunternehmen auf Grundlage von Zulassung, Wohlverhaltensregeln und Aufsicht spezifische Dienstleistungen erbringen konnten. Vor dem Hintergrund der wachsenden Aktivität von Anlegern am Finanzmarkt und der zunehmenden Komplexität von Finanzdienstleistungen erwies die ISD sich jedoch schon bald als dringend nachbesserungsbedürftig; 2004 wurde daher mit der MiFID ein komplett neuer Rechtsrahmen geschaffen (vgl. noch näher § 33 Rn. 1). Über die MiFID hinausgehende Anforderungen an Wertpapierdienstleistungsunternehmen ergeben sich aus verschiedenen anderen finanzmarktrechtlichen RL, speziell der Anlegerentschädigungs-RL (dazu u. Rn. 224 f.), der FICOD (dazu u. Rn. 226 f.), der Geldwäsche-RL (dazu u. Rn. 228) und der CRD (dazu u. Rn. 229 f.).

423 Allg. zu dem Durchführungsrechtsakten zur MiFID § 33 Rn. 2. 424 RL 93/22/EWG des Rates vom 10.5.1993 über Wertpapierdienstleistungen, ABlEG v. 11.6.1993, L 141/27 (abgedruckt in Voraufl. S. 459 ff. mit Erläuterungen auf S. 450 ff.).

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bb) Vorgaben der MiFID und ihrer Durchführungsbestimmungen 211 Die MiFID harmonisiert in Titel II (Art. 5 ff.) die rechtlichen Anforderungen an Wertpapierdienstleistungsunternehmen.425 Regulierungstechnisch setzt sie an zwei Stellen an: (1) einem Zulassungserfordernis (Art. 5 ff. MiFID, dazu u. Rn. 212 ff. sowie § 33 Rn. 9 f.) und (2) Bedingungen für die Ausübung der Tätigkeit von Wertpapierdienstleistungsunternehmen (Art. 16 ff. MiFID, dazu u. Rn. 215 ff. sowie § 33 Rn. 11 f.). Zu letzterem gehören sowohl die Aufsicht über Wertpapierdienstleistungsunternehmen als auch organisatorische Anforderungen und Verhaltensregeln. Darüber hinaus normieren Art. 31 ff. MiFID aber auch Rechte für Wertpapierdienstleistungsunternehmen (dazu u. Rn. 220 ff. sowie § 33 Rn. 13). Nähere Konkretisierungen finden sich betreffend der organisatorischen Anforderungen in der Durchführungs-VO zur MiFID (MiFID-DVO, dazu § 33 Rn. 2) sowie betreffend die Markttransparenz in der Durchführungs-RL zur MiFID (MiFID-DRL, dazu § 33 Rn. 2).

(1) Zulassungserfordernis 212 Sollen Wertpapierdienstleistungen oder Anlagetätigkeiten beruflich oder gewerblich erbracht werden, bedürfen sie einer vorherigen Zulassung (Art. 5 Abs. 1 S. 1 MiFID).426 Diese Zulassung ist im gesamten EU-/EWR-Raum gültig und gestattet einem Wertpapierdienstleistungsunternehmen, Wertpapierdienstleistungen oder Anlagetätigkeiten, für die ihm eine Zulassung erteilt wurde, in der gesamten Gemeinschaft zu erbringen bzw. auszuüben (sog. Europäischer Pass 427, vgl. Art. 6 Abs. 3 MiFID). 213 Zuständig für die Zulassung sind die nach nationalem Recht zuständigen Behörden (vgl. Art. 5 Abs. 1 S. 2 i.V.m. Art. 48 MiFID). Beantragen Wertpapierdienstleistungsunternehmen dort eine Zulassung, unterliegen sie einer umfassenden Informationspflicht über die geplante Tätigkeit und die interne Organisation (vgl. Art. 7 Abs. 2 MiFID). Die Zulassung wird erteilt, wenn der Behörde hinreichend nachgewiesen wurde, dass der Antragsteller sämtliche Vorgaben der MiFID und ihrer Durchführungsrechtsakte erfüllt (Art. 7 Abs. 1 MiFID). Gem. Art. 8 MiFID kann die Zulassung unter bestimmten Voraussetzungen wieder entzogen werden, z.B. wenn sie auf Grund falscher Erklärungen erlangt wurde (lit. b). 214 Im Interesse des Anlegerschutzes 428 etabliert die MiFID eine ganze Reihe von Zulassungsvoraussetzungen (vgl. auch noch § 33 Rn. 10), deren Einhaltung gem. Art. 16 regelmäßig zu überprüfen ist und deren späterer Wegfall zum Entzug der Zu-

425 Überblick bei Klöhn (Fn. 4), § 6 Rn. 121 ff. 426 Vgl. dazu Kühne BKR 2005, 275, 276 f.; Thieme (Fn. 149), S. 347 ff. 427 Vgl. nur IP/04/546; Commission Working Document ESC/28/2007, S. 1 (= Annex 2 zu: CESR, The passport under MiFID, CESR/07-337b); BegrRegE z. FRUG, BR-Drs. 833/06, S. 228 f. 428 Vgl. KOM(2002) 625, S. 27.

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lassung führen kann (Art. 8 lit. c). Zunächst gelten bestimmte personelle Anforderungen in Bezug auf die Personen, die die Geschäfte tatsächlich leiten (Art. 9) sowie in Bezug auf Aktionäre/Mitglieder mit qualifizierten Beteiligungen (Art. 10). Voraussetzung ist weiterhin die Mitgliedschaft in einem Anlegerentschädigungssystem nach der Anlegerschädigungs-RL (zu dieser noch u. Rn. 224 f.) (Art. 11) sowie eine den Anforderungen der CRD entsprechende Anfangskapitalausstattung (Art. 12, dazu noch näher u. Rn. 229 f.). Ferner etabliert Art. 13 eine ganze Reihe organisatorischer Anforderungen, die in Art. 7 f. MiFID-DVO und Art. 5–20 MiFID-DRL429 näher konkretisiert, und für Wertpapierfirmen und Marktbetreiber, die ein MTF betreiben, durch Art. 14 um weitere Punkte ergänzt werden.430

(2) Bedingungen für die Ausübung der Tätigkeit Wollen Wertpapierdienstleistungsunternehmen Dienstleistungen erbringen, müssen 215 sie bei der Ausübung dieser Tätigkeit einen umfassenden Katalog an Bedingungen erfüllen. Zusammenfassend lassen sich die folgenden vier Regelungsschwerpunkte ausmachen:

(a) Aufsicht Erster Regelungsschwerpunkt ist die Überwachung von Wertpapierdienstleistungs- 216 unternehmen (Art. 16 f. MiFID). Zuständig für die Beaufsichtigung sind von den Mitgliedstaaten zu benennende nationale Behörden (vgl. Art. 48 Abs. 1 MiFID, vgl. zur Aufsicht nach der MiFID bereits o. Rn. 66 sowie § 33 Rn. 15). Diese haben Wertpapierdienstleistungsunternehmen in zweierlei Hinsicht zu überwachen: Zum einen müssen sie sicherstellen, dass die Voraussetzungen für die Zulassung (dazu o. Rn. 214 sowie § 33 Rn. 10) jederzeit erfüllt sind (vgl. Art. 16 Abs. 1 u. 2 MiFID). Zum anderen haben sie über die Einhaltung der von der MiFID vorgegebenen Bedingungen für die Ausübung der Tätigkeit von Wertpapierfirmen zu urteilen (vgl. Art. 17 Abs. 1 MiFID). Um eine effektive Überwachung zu ermöglichen, obliegen Wertpapierdienstleistungsunternehmen daher zahlreichen Melde- und Aufzeichnungspflichten (vgl. Art. 16 Abs. 2 S. 2, 25 f. MiFID).431 Die zuständigen Aufsichtsbehörden wiederum sind mit allen Befugnissen auszustatten, die sie zur Wahrnehmung der durch die MiFID übertragenen Aufgaben bedürfen (vgl. Art. 50 MiFID).

429 Allg. zu dem Durchführungsrechtsakten zur MiFID § 33 Rn. 2. 430 Dazu näher Spindler/Kasten AG 2006, 785 ff. 431 Vgl. dazu Kumpan/Hellgardt DB 2006, 1714, 1719; Spindler/Kasten WM 2006, 1797, 1804; dies. AG 2006, 785, 788 f.

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(b) Interessenkonflikte 217 Zweiter wichtiger Regelungskomplex sind die Vorschriften zur Vermeidung von Interessenkonflikten.432 Interessenkonflikte, die sowohl zwischen einem Wertpapierdienstleistungsunternehmen und seinen Kunden als auch zwischen Kunden untereinander auftreten können, können die Interessen des Kunden beeinträchtigen (vgl. Erwägungsgrund 29 MiFID). Bedingung für sowohl für die Zulassung (vgl. Art. 13 Abs. 3) als auch für die Ausübung der Tätigkeit (Art. 18 Abs. 1 MiFID i.V.m. Art. 21 f. MiFID-DRL433) von Wertpapierdienstleistungsunternehmen ist daher, dass sie über eine Organisation verfügen, durch die Interessenkonflikte erkannt werden können. Sofern die organisatorischen oder verwaltungsmäßigen Vorkehrungen nicht ausreichen, um nach vernünftigem Ermessen zu gewährleisten, dass das Risiko der Beeinträchtigung von Kundeninteressen vermieden wird, muss das Wertpapierdienstleistungsunternehmen dem Kunden die allgemeine Art und/oder die Quellen von Interessenkonflikten eindeutig darlegen, bevor es Geschäfte in seinem Namen tätigt (Art. 18 Abs. 2 MiFID i.V.m. Art. 21 f. MiFID-RL).

(c) Weitere Wohlverhaltensregeln 218 Der dritte Regelungsschwerpunkt besteht aus weiteren Wohlverhaltensregeln (Art. 19 ff. MiFID i.V.m. Art. 26 ff., 39 ff., 44 ff. MiFID-DRL434) 435, die speziell dem Anlegerschutz dienen 436. Wertpapierdienstleistungsunternehmen sind verpflichtet im Rahmen ihrer Haupt- und Nebendienstleistungen (vgl. dazu noch § 33 Rn. 7) ehrlich, redlich und professionell im bestmöglichen Kundeninteresse zu handeln (vgl. Art. 19 Abs. 1 i.V.m. Art. 26, 39, 44 f. MiFID-DRL). Werbung darf nicht irreführend sein (vgl. Art. 19 Abs. 2 i.V.m. Art. 27 MiFID-DRL), Informationen an Kunden müssen in verständlicher Form zur Verfügung gestellt werden (vgl. Art. 19 Abs. 3 MiFID i.V.m. Art. 28 ff. MiFID-DRL).437 Insbesondere sind Wertpapierdienstleistungsunternehmen auch verpflichtet, sich über den Kenntnis- und Erfahrungsstand des Kunden im Anlagebereich zu informieren, um ihn dann entsprechend beraten zu können (sog. Informationseinholungspflichten gegen über den Kunden, Art. 19 Abs. 4 u. 5 i.V.m. Art. 35 ff. MiFID-DRL; Sonderregeln über beratungsfreie Ausführung und execution only in

432 Vgl. dazu Duve/Keller BB 2006, 2537, 2541; Ferrarini ERCL 2005, 19, 33 ff.; Fleischer BKR 2006, 389, 396; Kumpan/Hellgardt DB 2006, 1714, 1715 f.; Moloney (2005) 6 EBOR 341, 395 ff.; Spindler/Kasten AG 2006, 785, 789 f.; Thieme (Fn. 149), S. 370 ff. 433 Allg. zu dem Durchführungsrechtsakten zur MiFID § 33 Rn. 2. 434 Allg. zu dem Durchführungsrechtsakten zur MiFID § 33 Rn. 2. 435 Vgl. dazu Duve/Keller BB 2006, 2477, 2477 ff.; Kumpan/Hellgardt DB 2006, 1714 f., 1716 ff.; Seyfried WM 2006, 1375, 1378 ff.; Spindler/Kasten WM 2006, 1797, 1799 ff.; Thieme (Fn. 149), S. 387 ff. 436 Vgl. die Überschrift des Titel II Kapitel II Abschnitt 2 MiFID. 437 Vgl. näher zu den Aufklärungspflichten Weichert/Wenninger WM 2007, 627, 632 ff.

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Art. 19 Abs. 6, Art. 38 MiFID-DRL).438 Für eine bessere Nachvollziehbarkeit und Nachprüfbarkeit der Beratung für den Kunden sorgen Aufzeichnungs- und Berichtspflichten (Art. 19 Abs. 7 u. 8 MiFID i.V.m. Art. 39 ff. MiFID-DRL).439 Bei Kundenaufträgen haben Wertpapierdienstleistungsunternehmen vorbehaltlich einer ausdrücklichen Weisung des Kunden die Pflicht zur kundengünstigsten Ausführung (sog. best execution, Art. 21, Art. 44 ff. MiFID-DRL).440 Hinsichtlich der Bearbeitung von Kundenaufträgen müssen Wertpapierdienstleistungsunternehmen Verfahren anwenden, die eine unverzügliche, redliche und rasche Abwicklung von Aufträgen im Verhältnis zu anderen Kundenaufträgen und Handelsinteressen des Wertpapierdienstleistungsunternehmens gewährleisten (Art. 22 MiFID i.V.m. Art. 47 ff. MiFID-DRL).

(d) Transparenzanforderungen Den letzten Regelungskomplex im Bereich der Ausübungsbedingungen bilden die 219 Vorschriften zur Markttransparenz und -integrität (Art. 25 ff. MiFID i.V.m. Art. 9 ff. MiFID-DVO 441),442 die Wertpapierdienstleistungsunternehmen im Hinblick auf durchgeführte Geschäfte zahlreiche Aufzeichnungs- und Meldepflichten auferlegen. Werden Geschäften mit am geregelten Markt zugelassenen Finanzinstrumenten getätigt, sind alle Einzelheiten dieser Geschäfte so schnell wie möglich, spätestens aber am Ende des folgenden Werktags, den zuständigen Behörden zu melden und zwar unabhängig davon, ob diese Geschäfte über einen geregelten Markt oder auf andere Weise ausgeführt worden sind (Art. 25 Abs. 3 Unterabs. 1 MiFID i.V.m. Art. 13 f. MiFIDDVO 443. Eine besondere Nachhandelstransparenz gilt für Geschäfte mit an einem geregelten Markt zugelassenen Aktien, die außerhalb eines geregelten Markts oder ein MTF 444 abschlossen wurden: In diesen Fällen haben Wertpapierdienstleistungsunternehmen den Umfang der Geschäfte, den Kurs und den Zeitpunkt, zu dem die Geschäfte abgeschlossen wurden, zu veröffentlichen (Art. 28 MiFID i.V.m. Art. 27 ff. MiFID-DVO).

438 Dazu näher Duve/Keller BB 2006, 2477 ff.; Fleischer BKR 2006, 389, 395; Haines (2007) 28 Co Law 344, 345; Klöhn (2009) 10 EBOR 437, 445 ff.; ders. (Fn. 4), § 6 Rn. 157 f.; Seyfried WM 2006, 1375, 1381 ff.; Spindler/Kasten WM 2006, 1797, 1799 f.; Veil ZBB 2003, 162, 169 f.; Weichert/Wenninger WM 2007, 627, 628 ff. 439 Vgl. dazu Duve/Keller BB 2006, 2537, 2541. 440 Dazu näher Avgouleas (2005) 18 Transnat’l Law. 179, 195; Duve/Keller BB 2006, 2477, 2480 ff.; Ferrarini ERCL 2005, 19, 37 ff.; ders. (2007) 2 CMLJ 404 ff.; Gobbo [2009] EBLR 63, 84 f.; Fleischer BKR 2006, 389, 395; Hirschberg AG 2006, 398, 402 ff.; Klöhn (Fn. 4), § 6 Rn. 31; Kumpan/Hellgardt DB 2006, 1714, 1716 ff.; Moloney (2005) 6 EBOR 341, 389 ff.; Spindler/Kasten WM 2006, 1749, 1801 f. 441 Allg. zu dem Durchführungsrechtsakten zur MiFID § 33 Rn. 2. 442 Dazu näher Gobbo [2009] EBLR 63, 77 ff.; Hirschberg AG 2006, 398, 404 f.; Kumpan WM 2006, 797 ff.; Seitz AG 2004, 497, 502 ff.; Thieme (Fn. 149), S. 484 ff. 443 Allg. zu dem Durchführungsrechtsakten zur MiFID § 33 Rn. 2. 444 Für den geregelten Markt und MTF bestehen eigenständige Transparenzvorschriften, vgl. o. Rn. 58 ff. bzw. 68 ff.

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(3) Rechte von Wertpapierdienstleistungsunternehmen 220 Wertpapierdienstleistungsunternehmen unterliegen aber nicht nur Pflichten, ihnen stehen vielmehr gem. Art. 31 ff. MiFID auch Rechte zu (vgl. dazu auch noch § 33 Rn. 13). 221 Ein Teil dieser Rechte stellt letztlich Konkretisierungen von Grundfreiheiten dar: Art. 31 Abs. 1 konkretisiert die Dienstleistungsfreiheit (Art. 56 AEU), indem er die Mitgliedstaaten verpflichtet sicherzustellen, dass jedes Wertpapierdienstleistungsunternehmen, das von den zuständigen Behörden eines anderen Mitgliedstaats zugelassen und beaufsichtigt wird, in ihrem Hoheitsgebiet ungehindert Wertpapierdienstleistungen und/oder Anlagetätigkeiten sowie Nebendienstleistungen erbringen bzw. ausüben kann; in den von der MiFID erfassten Bereichen dürfen Wertpapierdienstleistungsunternehmen keine zusätzlichen Anforderungen auferlegt werden. Art. 32 Abs. 1 MiFID konkretisiert die Niederlassungsfreiheit (Art. 49, 54 AEU), indem er die Mitgliedstaaten verpflichtet zu gewährleisten, dass in ihrem Hoheitsgebiet Wertpapierdienstleistungen und/oder Anlagetätigkeiten sowie Nebendienstleistungen im Einklang mit der MiFID und der Banken-RL445 durch Errichtung einer Zweigniederlassung erbracht bzw. ausgeübt werden können, sofern diese Dienstleistungen oder Tätigkeiten von der vom Herkunftsstaat erteilten Zulassung abgedeckt sind. Die RL folgt damit dem sog. „Herkunftsstaatsprinzip“ und etabliert einen „Europäischen Pass“.446 222 Darüber hinaus normiert die MiFID ein Recht auf den Zugang zu geregelten Märkten (Art. 33), auf Zugang zu zentralen Gegenparteien, Clearing- und Abrechnungssystemen sowie auf Wahl eines Abrechnungssystems (Art. 34) und schließlich auf Abschluss von Vereinbarungen mit einer zentralen Gegenpartei und über Clearing und Abrechnung in Bezug auf MTF (Art. 35).

cc) Weitere Anforderungen 223 Zusätzlich zu den Vorgaben der MiFID ergeben sich für Wertpapierdienstleistungsunternehmen aber auch aus anderen RL, die zwar nicht speziell auf die Regulierung von Wertpapierdienstleistungsunternehmen abzielen, jedoch auf diese Anwendung finden, weitere Anforderungen. Von Bedeutung sind insoweit speziell die Anlegerentschädigungs-RL (dazu u. Rn. 224 f.), die FICOD (dazu u. Rn. 226 f.), die Geldwäsche-RL (dazu u. Rn. 228) und die CRD (dazu u. Rn. 229 f.). 445 RL 2006/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 14.6.2006 über die Aufnahme und Ausübung der Tätigkeit der Kreditinstitute (Neufassung), ABlEU v. 30.6. 2006, L 177/1 (diese ersetzte die alte RL 2000/12/EG; Verweisungen auf die RL 2000/ 12/EG sind gem. Art. 158 Abs. 2 RL 2006/48/EG als Verweise auf die entsprechenden Bestimmungen dieser RL zu lesen). 446 Vgl. IP/04/546; Commission Working Document ESC/28/2007, S. 1 (= Annex 2 zu: CESR, The passport under MiFID, CESR/07-337b); BegrRegE z. FRUG, BT-Drs. 833/06, S. 148, 176; Fett in: Schwark/Zimmer, KMRK, 4. Aufl. 2010, § 36a Rn. 5.

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(1) Anlegerentschädigungs-RL Die Anlegerentschädigungs-RL aus dem Jahr 1997 447 verpflichtet die Mitgliedstaaten 224 dafür zu sorgen, dass in ihrem Hoheitsgebiet mindestens ein System für die Entschädigung der Anleger eingerichtet und amtlich anerkannt wird (vgl. Art. 2 Abs. 1 S. 1) und spezifiziert nähere Anforderungen hierfür. Zumindest Kleinanlegern soll so ein harmonisierter Mindestschutz für den Fall zukommen, dass ein Wertpapierdienstleistungsunternehmen seinen Verpflichtungen nicht nachkommen kann (vgl. Erwägungsgrund 4). Nach Art. 11 MiFID ist die Mitgliedschaft in einem solchen System Zulassungsvoraussetzung für Wertpapierdienstleistungsunternehmen (vgl. bereits o. Rn. 214 sowie § 33 Rn. 10). Im Zuge der generellen Reform des europäischen Finanzmarktrechts (dazu u. 225 Rn. 334 ff.) laufen derzeit die Arbeiten an einer Novellierung der RL. Die Kommission hat hierfür am 12.7.2010 einen Vorschlag 448 vorgelegt, der u.a. eine Anhebung der Entschädigungssumme auf 50.000 Euro pro Anleger vorsieht. (2) FICOD Weitere Anforderungen für Wertpapierdienstleistungsunternehmen ergeben sich aus 226 der Finanzkonglomerate-RL (Financial Conglomerates Directive – FICOD) 449, sofern sie Teil eines Finanzkonglomerates sind. Finanzkonglomerate sind Unternehmensgruppen450, bei denen die einzelnen Unternehmen in verschiedenen Finanzbranchen (z.B. Versicherungs-, Bank- und Wertpapierdienstleistungsbranche) in erheblichem Maße 451 tätig sind (vgl. die Legaldefinition in Art. 2 Nr. 14). Ist ein Wertpapierdienstleistungsunternehmen Teil eines solchen Finanzkonglomerats, werden durch die Finanzkonglomerate-RL über die MiFID hinaus besondere Anforderungen an die Eigenkapitalausstattung (vgl. Art. 6), das Risikomanagement (vgl. Art. 9) und die fachliche Eignung der Geschäftsführung (vgl. Art. 13) gestellt; darüber hinaus unterliegen sie einer zusätzlichen Beaufsichtigung (vgl. Art. 1, 5 Abs. 1). 447 RL 97/9/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 3.3.1997 über Systeme für die Entschädigung der Anleger, ABlEG v. 26.3.1997, L 84/22. Vgl. dazu etwa Kessel AG 1997, 313 ff.; Sethe ZBB 1998, 305 ff. 448 Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 97/9/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über Systeme für die Entschädigung der Anleger, 12.7.2010, KOM(2010) 371. Vgl. dazu Steffen/Sachse ZBB 2011, 33 ff. 449 RL 2002/87/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 16.12.2002 über die zusätzliche Beaufsichtigung der Kreditinstitute, Versicherungsunternehmen und Wertpapierfirmen eines Finanzkonglomerats und zur Änderung der Richtlinien 73/239/EWG, 79/267/EWG, 92/49/EWG, 92/96/EWG, 93/6/EWG und 93/22/EWG des Rates und der Richtlinien 98/78/EG und 2000/12/EG des Europäischen Parlaments und des Rates, ABlEU v. 11.2.2003, L 35/1. Vgl. dazu etwa Heinrich ZBB 2003, 230 ff.; Troberg/Kolassa in: Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, 3. Aufl. 2007, § 136 Rn. 45 ff. 450 Legaldefinition von „Gruppe“ in Art. 2 Nr. 12 f. FICOD. 451 Schwellen für die Bestimmung eines Finanzkonglomerats regelt Art. 3 FICOD.

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Auch die FICOD wird derzeit i.R.d. generellen Reform des europäischen Finanzmarktrechts (dazu u. Rn. 334 ff.) überarbeitet. Die Kommission hat hierfür am 16.8.2010 einen Vorschlag 452 vorgelegt, dessen Hauptziel die Sicherstellung einer angemessenen zusätzlichen Beaufsichtigung durch Beseitigung unbeabsichtigter Lücken ist. (3) Geldwäsche-RL

228 Zahlreiche Pflichten für Wertpapierdienstleistungsunternehmen ergeben sich auch aus der Geldwäsche-RL453, die durch eine Durchführungs-RL454 weiter konkretisiert wird. Um die Nutzung des Finanzsystems für Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung zu verhindern, legt sie fest, welche Handlungen die Tatbestände der Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung erfüllen (Art. 1 Abs. 2 – 5) und gibt den Mitgliedstaaten auf, entsprechende Handlungen zu untersagen (Art. 1 Abs. 1). Zu den gehören von der RL betroffenen Akteuren gehören insbesondere auch Wertpapierdienstleistungsunternehmen (vgl. Art. 2 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. Art. 3 Nr. 2 lit. c). Zum Zweck der Verhinderung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung müssen sie besonderen Sorgfaltspflichten gegenüber ihren Kunden nachkommen (vgl. Art. 6 ff.), wie z.B. der Feststellung der Identität des Kunden (Art. 8 Abs. 1 lit. a). Bei potentieller Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung unterliegen sie Meldepflichten (vgl. Art. 20 ff.). (4) CRD 229 Voraussetzung für die Zulassung eines Wertpapierdienstleistungsunternehmens ist nach Art. 12 MiFID, dass es über ein ausreichendes Anfangskapital gem. den Anforderungen der CRD 455 verfügt (vgl. bereits o. Rn. 214 sowie § 33 Rn. 10). Die CRD 452 Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinien 98/78/EG, 2002/87/EG und 2006/48/EG hinsichtlich der zusätzlichen Beaufsichtigung der Finanzunternehmen eines Finanzkonglomerats, 16.8.2010, KOM(2010) 433. 453 RL 2005/60/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 26.10.2005 zur Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems zum Zwecke der Geldwäsche und der Terrorismusfinanzierung, ABlEU v. 25.11.2005, L 309/15. Vgl. dazu etwa Forster VersR 2007, 181 ff.; Herzog in: Herzog, Geldwäschegesetz, 1. Aufl. 2010, Einl. Rn. 71 ff. Die RL ersetzt die aus dem Jahr 1991 stammende 1. Geldwäsche-RL (RL 91/308/EWG des Rates vom 10.6.1991 zur Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems zum Zwecke der Geldwäsche, ABlEG v. 28.6.1991, L 166/77). 454 RL 2006/70/EG der Kommission vom 1.8.2006 mit Durchführungsbestimmungen für die Richtlinie 2005/60/EG des Europäischen Parlaments und des Rates hinsichtlich der Begriffsbestimmung von politisch exponierte Personen und der Festlegung der technischen Kriterien für vereinfachte Sorgfaltspflichten sowie für die Befreiung in Fällen, in denen nur gelegentlich oder in sehr eingeschränktem Umfang Finanzgeschäfte getätigt werden, ABlEU v. 4.8.2006, L 214/29. 455 RL 2006/49/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 14.6.2006 über die angemessene Eigenkapitalausstattung von Wertpapierfirmen und Kreditinstituten (Neufassung), ABlEG v. 30.6.2006, L 177/201 (sog. Kapitaladäquanz-RL [Capital Requirements Directive – CRD]); Verweise auf die dadurch abgelöste RL 93/6/EWG sind als Verweise

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bestimmt als Mindestvorgabe die Höhe der angemessenen Eigenkapitalanforderungen, ihre Berechnung und ihre Beaufsichtigung (vgl. Art. 1 Abs. 1 S. 1). Als weiteren Schritt zur Schaffung eines gesünderen und sichereren Finanzsys- 230 tems456 hat die Kommission allerdings am 20.7.2011 Vorschläge für ein neues einheitliches Regelwerk für die Bankenregulierung („CRD IV“) vorgelegt, im Rahmen dessen die CRD und die Banken-RL457 durch eine neue RL (betreffend die Zugang zur Tätigkeit von Kreditinstituten und die Beaufsichtigung von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen) 458 und eine VO (betreffend Aufsichtsanforderungen für Kreditinstitute und Wertpapierfirmen) 459 ersetzt werden soll. Mit diesem Gesamtpaket werden insgesamt drei große Ziele verfolgt: Eine bessere Eigenkapitalausstattung der Kreditinstitute, die Schaffung eines neuen Corporate Governance-Rahmens für Kreditinstitute (vgl. dazu auch noch § 18 Rn. 75) sowie insgesamt mehr Transparenz und eine bessere Durchsetzung.460

2. Investmentfonds Hinsichtlich der Regulierung von Investmentfonds unterscheidet das europäische 231 Recht zwischen sog. OGAW (Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren, dazu u. Rn. 232 ff.) und alternativen Anlagen (dazu u. Rn. 243 ff.).

a) Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren (OGAW) aa) Historische Entwicklung des Regelungsrahmens Auf dem Gebiet der Investmentfonds bestanden in der EU anfangs äußerst unter- 232 schiedliche nationale Regelungen. Der europäische Gesetzgeber sah daher Koordinationsbedarf und führte bereits 1985 mit der OGAW-RL 85/611/EG 461 gemeinsame

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auf die entsprechenden Vorschriften dieser RL zu lesen, vgl. Art. 52). Vgl. dazu etwa Mülbert BKR 2006, 349 ff.; Ress/Ukrow in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, 43. Aufl. 2011, Art. 63 AEU Rn. 291. Vgl. IP/11/915. Fn. 445. Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über den Zugang zur Tätigkeit von Kreditinstituten und die Beaufsichtigung von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen und zur Änderung der Richtlinie 2002/87/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über die zusätzliche Beaufsichtigung der Kreditinstitute, Versicherungsunternehmen und Wertpapierfirmen eines Finanzkonglomerats, KOM(2011) 453. Proposal for a Regulation of the European Parliament and of the Council on prudential requirements for credit institutions and investement firms, COM(2011) 452 [dt. Fassung bei Drucklegung noch nicht verfügbar]. Vgl. IP/11/915. RL 85/611/EWG des Rates vom 20.12.1985 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften betreffend bestimmte Organismen für gemeinsame Anlagen in Wert-

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Mindestregelungen bezüglich Zulassung, Aufsicht, Struktur, Geschäftstätigkeit sowie Informationspflichten ein. Angesichts der fortschreitenden Entwicklungen an den Finanzmärkten musste sie in der Folgezeit mehrfach und erheblich geändert werden.462 Um Rechtsklarheit zu schaffen 463 wurde sie daher im Jahr 2009 als RL 2009/ 65/EG 464 (im Folgenden: OGAW-RL) neu gefasst. Durch die „Omnibus I“-RL465 (zu dieser noch u. Rn. 269 sowie § 37 Rn. 2) und die AIFM-RL (dazu u. Rn. 243 ff.) erfolgten jedoch bereits wieder punktuelle Änderungen. Konkretisiert wird die OGAW-RL durch 2 Durchführungs-VO 466 und 2 Durchführungs-RL467. Auf Grund

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papieren (OGAW), ABlEG v. 31.12.1985, L 375/3 (Ausdehnung auf die EWR-Staaten durch Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum – Anhang IX, Nr. 30 [ABlEG v. 3.1.1994, L 1/3]). Dazu Vorauf. S. 619 ff.; s. ferner etwa etwa Binder/Broichhausen ZBB 2006, 85, 93 f.; Bracker Kreditwesen 1988, 318 ff.; Elster (Fn. 13), S. 118 ff.; Grundmann ZBB 1991, 242 ff. Liste der Änderungs-RL in Anh. III Teil A OGAW-RL 2009/65/EG (Fn. 464). Vgl. Erwägungsgrund 1 OGAW-Richtlinie. RL 2009/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.7.2009 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften betreffend bestimmte Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren (OGAW), ABlEU v. 17.11.2009, L 302/32. Ausdehnung auf die EWR-Staaten durch Beschluss des Gemeinsamen EWR-Ausschusses Nr. 120/2010 v. 10.11.2010 zur Änderung von Anhang IX (Finanzdienstleistungen) des EWR-Abkommens, ABlEU v. 3.3.2011, L 58/77. Vgl. dazu Fischer/Lübbehüsen RdF 2011, 254 ff.; Hill (2010) 80 C.O.B. 1, 12 ff.; Jesch/Klebeck BB 2011, 1866, 1868 f.; Patzner EWS 2010, 366 ff.; Patzner/Pätch/Goga IStR 2009, 709 ff.; Ress/Ukrow (Fn. 455), Art. 63 AEU Rn. 313 ff.; Yeoh BLR 2009, 187 ff. RL 2010/78/EU des Europäischen Parlaments und des Rates v. 24.11.2010 zur Änderung der Richtlinien 98/26/EG, 2002/87/EG, 2003/6/EG, 2003/41/EG, 2003/71/EG, 2004/ 39/EG, 2004/109/EG, 2005/60/EG, 2006/48/EG, 2006/49/EG und 2009/65/EG im Hinblick auf die Befugnisse der Europäischen Aufsichtsbehörde (Europäische Bankenaufsichtsbehörde), der Europäischen Aufsichtsbehörde (Europäische Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung) und der Europäischen Aufsichtsbehörde (Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde), ABlEU v. 15.12.2010, L 331/120. VO (EU) Nr. 583/2010 der Kommission v. 1.7.2010 zur Durchführung der Richtlinie 2009/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates im Hinblick auf die wesentlichen Informationen für den Anleger und die Bedingungen, die einzuhalten sind, wenn die wesentlichen Informationen für den Anleger oder der Prospekt auf einem anderen dauerhaften Datenträger als Papier oder auf einer Website zur Verfügung gestellt werden, ABlEU v. 10.7.2010, L 176/1; VO (EU) Nr. 584/2010 der Kommission v. 1.7.2010 zur Durchführung der Richtlinie 2009/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates im Hinblick auf Form und Inhalt des Standardmodells für das Anzeigeschreiben und die OGAW-Bescheinigung, die Nutzung elektronischer Kommunikationsmittel durch die zuständigen Behörden für die Anzeige und die Verfahren für Überprüfungen vor Ort und Ermittlungen sowie für den Informationsaustausch zwischen zuständigen Behörden, ABlEU v. 10.7.2010, L 176/16. RL 2010/42/EU der Kommission v. 1.7.2010 zur Durchführung der Richtlinie 2009/ 65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates in Bezug auf Bestimmungen über Fondsverschmelzungen, Master-Feeder-Strukturen und das Anzeigeverfahren, ABlEU v. 10.7.2010, L 176/28; RL 2010/43/EU der Kommission v. 1.7.2010 zur Durchführung der Richtlinie 2009/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates im Hinblick auf

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dieser umfangreichen Sonderregelungen sind OGAW ausdrücklich vom Anwendungsbereich der MiFID ausgenommen (vgl. Art. 2 Abs. 1 lit. h MiFID).468 In Deutschland wurde die RL 85/611/EG durch das 1. FMFG 469 umgesetzt, die 233 neue OGAW-RL durch das OGAW-IV-UmsG 470.

bb) Anwendungsbereich der OGAW-RL Für die Qualifikation als OGAW i.S.d. RL normiert die Legaldefinition in Art. 1 234 Abs. 2 zwei Voraussetzungen: (a) ausschließlicher Zweck des Organismus muss es sein, beim Publikum beschaffte Gelder für gemeinsame Rechnung nach dem Grundsatz der Risikostreuung in Wertpapieren und/oder anderen in Art. 50 Abs. 1 der RL genannten liquiden Finanzanlagen zu investieren; (b) ihre Anteile müssen auf Verlangen der Anteilsinhaber unmittelbar oder mittelbar zu Lasten des Vermögens des Organismus zurückgenommen oder ausgezahlt werden471. Irrelevant ist dabei gem. Art. 1 Abs. 3, ob die Organismen Vertragsform (von einer 235 Verwaltungsgesellschaft verwaltete Investmentfonds), die Form des Trust („unit trust“) oder die Satzungsform (Investmentgesellschaft) haben. Inhaltlich erfasst die OGAW-RL ausschließlich auf OGAW des offenen Typs; 236 OGAW des geschlossenen Typs (d.h. solche, bei denen die Möglichkeit, jederzeit Anteile zu erwerben und zurückzugeben, beschränkt ist) sind gem. Art. 3 lit. a explizit vom Anwendungsbereich ausgenommen.472

cc) Wesentliche Regelungsinhalte der OGAW-RL Ebenso wie Wertpapierdienstleistungsunternehmen bedürfen auch OGAW (vgl. Art. 5 237 Abs. 1 OGAW-RL), Verwaltungsgesellschaften (vgl. Art. 6 Abs. 1 S. 1 OGAW-RL) und Investmentgesellschaften (vgl. Art. 27 Abs. 1 OGAW-RL) einer Zulassung, die von der zuständigen Behörde des Herkunftsmitgliedstaats erteilt wird und jeweils an die Einhaltung bestimmter Voraussetzungen gebunden ist. Diese betreffen z.B. das

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organisatorische Anforderungen, Interessenkonflikte, Wohlverhalten, Risikomanagement und den Inhalt der Vereinbarung zwischen Verwahrstelle und Verwaltungsgesellschaft, ABlEU v. 10.7.2010, L 176/42. Vgl. auch Erwägungsgrund 15 MiFID; Steffen/Sachse ZBB 2011, 33, 40. Gesetz zur Verbesserung der Rahmenbedingungen der Finanzmärkte (Finanzmarktförderunsgesetz) v. 22.2.1990, BGBl. I, 266. Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2009/65/EG zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften betreffend bestimmte Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren (OGAW-IV-Umsetzungsgesetz) v. 22.6.2011, BGBl. I, 1126. Vgl. dazu Fischer/Lübbehüsen RdF 2011, 254 ff.; Jesch/Klebeck BB 2011, 1866, 1868; Podewils ZBB 2011, 169 ff. Gleichgestellt sind diesen Rücknahmen oder Auszahlungen Handlungen, mit denen ein OGAW sicherstellen will, dass der Kurs seiner Anteile nicht erheblich von deren Nettoinventarwert abweicht. Vgl. auch Erwägungsgrund 5 S. 1.

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Anfangskapital (vgl. für Verwaltungsgesellschaften Art. 7 Abs. 1 lit. a OGAW-RL, für Investmentgesellschaften Art. 29 Abs. 1 Unterabs. 1 OGAW-RL) und die fachliche Qualifikation der Geschäftsleiter (vgl. für Verwaltungsgesellschaften Art. 7 Abs. 1 lit. b OGAW-RL, für Investmentgesellschaften Art. 29 Abs. 1 Unterabs. 2 lit. b OGAW-RL). Ist die Zulassung einmal erteilt, hat sie in jedem Mitgliedstaat Gültigkeit (sog. Europäischer Pass, vgl. Art. 5 Abs. 1 S. 2, Art. 6 Abs. 1 S. 2 OGAW-RL).473 Sie kann jedoch aus verschiedenen Gründen auch wieder entzogen werden (vgl. für Verwaltungsgesellschaften Art. 7 Abs. 5 OGAW-RL, für Investmentgesellschaften Art. 29 Abs. 4 OGAW-RL), etwa wenn sie auf rechtswidrige Weise erlangt wurde (jeweiliger lit. b). Darüber hinaus müssen die Mitgliedstaaten für Verwaltungsgesellschaften (vgl. Art. 14 OGAW-RL) und Investmentgesellschaften (Art. 30 i.V.m. Art. 14 OGAW-RL) bestimmte Wohlverhaltensregeln vorschreiben.474 Dazu gehört etwa die Pflicht, die Tätigkeit mit der gebotenen Sachkenntnis, Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit auszuüben (Art. 14 Abs. 1 S. 2 lit. b OGAW-RL) oder die Pflicht, sich um die Vermeidung von Interessenkonflikten bemühen (Art. 14 Abs. 1 S. 2 lit. d OGAW-RL). Auch die Anlagepolitik von OGAW wird vom europäischen Gesetzgeber reguliert (vgl. Art. 49 ff. OGAW-RL): Neben der Vorgabe der zulässigen Anlagearten (vgl. Art. 50 OGAW-RL) sowie der Bestimmung von Anlagehöchstgrenzen (vgl. Art. 52 ff. OGAW-RL) etabliert Art. 51 OGAW-RL auch eine Pflicht zur Verwendung eines Risikomanagement-Verfahrens. Weiterhin obliegen OGAW gegenüber den Anlegern OGAW besondere Informationspflichten (Art. 68 ff. OGAW-RL i.V.m. VO 583/2010 475). Diese umfassen zum einen die Veröffentlichung eines Prospekts sowie von Jahres- und Halbjahresberichten (vgl. Art. 68 OGAW-RL, näher geregelt in Art. 69 ff. OGAW-RL und VO 583/ 2010 476), daneben aber auch noch zahlreiche weitere Informationspflichten (Art. 76 ff. OGAW-RL). Ferner enthält die OGAW-RL Regelungen zur Verschmelzung von OGAW (Art. 37 ff. OGAW-RL i.V.m. Art. 3 ff. RL 2010/42/EU 477) 478, zu Master-FeederStrukturen479 (Art. 58 ff. OGAW-RL i.V.m. Art. 8 ff. RL 2010/42/EU 480) 481 sowie all473 Vgl. dazu Jesch/Klebeck BB 2011, 1866, 1868; Patzner EWS 2010, 366 f.; Patzner/Pätch/ Goga IStR 2009, 709, 710, 711 f. 474 Konkretisierungen der generalklauselartig formulierten Wohlverhaltensregelungen finden sich in der RL 2010/43/EU (Fn. 467). 475 Fn. 466. 476 Fn. 466. 477 Fn. 467. 478 Vgl. dazu Fischer/Lübbehüsen RdF 2011, 254, 257 f.; Patzner EWS 2010, 366, 367; Patzner/Pätch/Goga IStR 2009, 709, 710, 712 ff.; Riassetto, Fusions transfrontalières d’OPCVM. Les apports de la directive OPCVM IV, in: Conac (éd.), Fusions transfrontalières de sociétés, 2011, S. 143 ff. 479 Eine Master-Feeder-Struktur ist dadurch gekennzeichnet, dass ein Feeder-OGAW sein gesamtes oder nahezu sein gesamtes Vermögen in einen anderen OGAW (= MasterOGAW) investiert, vgl. KOM(2008) 458, S. 9. Dazu Fischer/Lübbehüsen RdF 2011, 254, 258 f. 480 Fn. 467. 481 Vgl. dazu Patzner EWS 2010, 366, 367 f.; Patzner/Pätch/Goga IStR 2009, 709, 710 f.

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gemeinen Verpflichtungen betreffend Kreditaufnahmen, Rücknahme und Auszahlung von Anteilen sowie Leerverkäufe (Art. 83 ff. OGAW-RL). Art. 97 ff. OGAW-RL regeln schließlich die Aufsicht durch die national zustän- 242 digen Aufsichtsbehörden.

b) Alternative Anlagen aa) Entstehung der AIFM-RL Im Bereich der alternativen Anlagen – d.h. solcher Fonds, die nicht unter die OGAW-RL 243 (dazu o. Rn. 232 ff.) fallen (wie z.B. Hedge Fonds und Private Equity) – hatte man auf europäischer Ebene zunächst auf die Selbstheilungskräfte des Marktes vertraut.482 Die Finanzkrise zeigte jedoch, dass insbesondere von Investmentfonds, die Hebeleffekte ausnutzen, Systemrisiken ausgehen können, die die Finanzstabilität erheblich gefährden; angesichts der unzureichenden Regulierung durch die nationalen Rechte der Mitgliedstaaten sah der europäische Gesetzgeber sich daher veranlasst, einen europäischen Rechtsrahmen vorzugeben.483 Die Kommission führte zunächst Ende 2008/ Anfang 2009 eine Konsultation zu Hedgefonds 484 durch und legte dann am 30.4.2009 einen Vorschlag für eine Richtlinie über die Verwalter alternativer Investmentfonds 485 vor. Nach Stellungnahmen von EZB 486 und EWSA487, Beteiligung des EP 488 und An-

482 I.d.S. speziell die Position des früheren Kommissars McCreevy, vgl. SPEECH/06/707, S. 5; SPEECH/05/603, S. 4 f. 483 Vgl. KOM(2009) 207, S. 2, 4. 484 Konsultationsdokument und -ergebnisse abrufbar unter http://ec.europa.eu/internal_ market/consultations/2008/hedge_funds_en.htm. Vgl. dazu Zetzsche NZG 2009, 692 ff. 485 Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Verwalter alternativer Investmentfonds und zur Änderung der Richtlinien 2004/39/EG und 2009/…/EG, KOM(2009) 207. Begleitdokumente: SEC(2009) 576, SEK(2009) 577. Dazu Busby (2010) 25 J.I.B.L.R. 381 ff.; Herbet (2010) 1 I.B.L.J. 102 ff.; Hill (2010) 80 C.O.B. 1, 2 ff.; Kind/Haag DStR 2010, 1526 ff.; Klebeck DStR 2009, 2154 ff.; Mülbert JZ 2010, 834, 838; Mülbert/Wilhelm (2011) 26 B.F.L.R. 187, 216 ff.; Wallach RdF 2011, 80 ff.; Wegman (2009) 6 ECL 150 f. 486 Stellungnahme der Europäischen Zentralbank v. 16.10.2009 zu einem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Verwalter alternativer Investmentfonds und zur Änderung der Richtlinien 2004/39/EG und 2009/…/EG, ABlEU v. 13.11.2009, C 272/1. 487 Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses v. 29.4.2010 zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Verwalter alternativer Investmentfonds und zur Änderung der Richtlinien 2004/39/EG und 2009/…/EG“, ABlEU v. 19.1.2011, C 18/90. 488 Legislative Entschließung des Europäischen Parlaments vom 11.11.2010 zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Verwalter alternativer Investmentfonds und zur Änderung der Richtlinien 2004/39/EG und 2009/…/EG, P7_TA(2010)0393. Vgl. dazu Fischer zu Cramburg NZG 2010, 101; Lamandini (2011) 8 ECL 4 ff.; Snowdon/Lovegrove (2011) 83 C.O.B. 1, 36; Weiser/Jang BB 2011, 1219 ff.; Weitnauer BKR 2011, 143 ff.

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nahme durch den Rat 489 wurde die AIFM-RL490 am 8.6.2011 verabschiedet. Sie ist von den Mitgliedstaaten 491 bis 22.7.2013 umzusetzen. Bis dahin sollen auch die notwendigen Level-2-Durchführungsrechtsakte (allg. zum Lamfalussy-Verfahren bereits o. Rn. 44 ff.) geschaffen werden; die Kommission hat die Arbeiten hierzu bereits aufgenommen.492

bb) Anwendungsbereich 244 Regelungsadressaten der AIFM-RL sind die Verwalter alternativer Investmentfonds (alternative investment fund managers – AIFM), die alternative Investmentfonds (AIF) in der Union verwalten und/oder vertreiben (vgl. Art. 1). 245 Alternativer Investmentfonds (AIF) i.S.d. AIFM-RL ist gem. der Legaldefinition in Art. 4 Abs. 1 lit. a AIFM-RL jeder Organismus für gemeinsame Anlagen einschließlich seiner Teilfonds, der von einer Anzahl von Anlegern Kapital einsammelt, um es gemäß einer festgelegten Anlagestrategie zum Nutzen dieser Anleger zu investieren (sublit. i); ausdrücklich ausgenommen sind aber gem. sublit. ii Organismen, die durch die OGAW-RL (dazu o. Rn. 232) reguliert sind493. Ob es sich um einen offenen oder geschlossenen Fonds handelt, ist dabei ebenso irrelevant, wie ob der AIF in der Vertragsform, der Form des Trusts, der Satzungsform oder irgendeiner anderen Rechtsform errichtet ist und welche Rechtsstruktur er hat (vgl. Art. 2 Abs. 2). 246 Für sog. EU-AIFM (d.h. AIFM mit satzungsmäßigem Sitz in der EU 494) gilt die RL unabhängig davon, ob es sich bei dem/den von ihnen verwalteten AIF um einen „EU-AIF“ 495 handelt oder nicht (vgl. Art. 2 Abs. 1 lit. a). Für Nicht-EU-AIFM gilt die RL dagegen nur, wenn sie einen EU-AIF verwalten (Art. 2 Abs. 1 lit. b) oder einen oder mehrere AIF in der EU vertreiben (wobei es irrelevant ist, ob es sich dabei um einen EU-AIF handelt) (Art. 2 Abs. 1 lit. c). 247 Art. 2 Abs. 3 enthält eine Reihe von Ausnahmen, Art. 3 Abs. 1 normiert ein Konzernprivileg und Art. 3 Abs. 2–5 regeln Erleichterungen für „kleine“ AIFM. 489 PRES/11/145. 490 RL 2011/61/EU des Europäischen Parlaments und des Rates v. 8.6.2011 über die Verwalter alternativer Investmentfonds und zur Änderung der Richtlinien 2003/41/EG und 2009/65/EG und der Verordnungen (EG) Nr. 1060/2009 und (EU) Nr. 1095/2010, ABlEU v. 1.7.2011, L 174/1. Dazu Athanassiou (2011) 26 J.I.B.L.R. 237 ff.; Duncan/ Curtin/Crosignani (2011) 6 CMLJ 326 ff.; Jesch/Klebeck BB 2011, 1866, 1867 ff.; Kramer/Recknagel DB 2011, 2077 ff.; Möllers/Harrer/Krüger WM 2011, 1537 ff.; Spindler/ Tancredi WM 2011, 1393 ff. u. 1441 ff. 491 Eine Ausdehnung des Anwendungsbereichs auch auf die EWR-Staaten war bei Drucklegung (noch) nicht erfolgt. 492 Aktueller Stand abrufbar unter http://ec.europa.eu/internal_market/investment/ alternative_investments_de.htm. 493 Vgl. dazu auch Erwägungsgrund 3; KOM(2009), S. 5 f. 494 Vgl. die Legaldefinition in Art. 4 Abs. 1 lit. l. 495 EU-AIF ist nach der Legaldefinition in Art. 4 Abs. 1 lit. k ein AIF, der nach dem nationalen Recht eines Mitgliedstaats zugelassen oder registriert ist, oder der zumindest seinen Satzungssitz und/oder seine Hauptverwaltung in einem Mitgliedstaat hat.

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cc) Wesentliche Regelungsinhalte der AIFM-RL Gem. Art. 6 Abs. 1 bedürfen AIFM für die Verwaltung von AIF einer Zulassung, die von der zuständigen Behörde des Herkunftsmitgliedstaats erteilt wird (vgl. Art. 7 Abs. 1), an die Erfüllung bestimmter Zulassungsvoraussetzungen (Art. 8 f. AIFM-RL, u.a. auch ein bestimmtes Anfangskapitel sowie ggf. zusätzliche Eigenmittel [Art. 9 AIFM-RL]) gebunden ist und ggf. auch wieder entzogen werden kann (Art. 11 AIFM-RL). Die Zulassung fungiert als „Europäischer Pass“, wobei die Art. 31 ff. AIFM-RL im Detail danach differenzieren, ob es sich um einen EU-AIFM handelt und ob es EU-AIF oder Nicht-EU-AIF geht.496 Kapitel III (Art. 12 ff.) AIFM-RL normiert umfangreiche Bedingungen für die Ausübung der Tätigkeit. Zunächst gelten eine Reihe allgemeiner Verhaltensregeln (Art. 12 ff. AIFM-RL), speziell auch in Bezug auf Vergütung (Art. 13 AIFM-RL), Interessenkonflikte (Art. 14 AIFM-RL) und Risiko- und Liquiditätsmanagement (Art. 15 f. AIFM-RL). Darüber hinaus etabliert die RL aber auch umfassende organisatorische Anforderungen (Art. 18 ff. AIFM-RL), regelt die Übertragung von Funktionen auf Dritte (Art. 20 AIFM-RL) und verpflichtet den AIFM, für jeden von ihm verwalteten AIF eine einzige Verwahrstelle im Einklang mit den in Art. 21 AIFM-RL spezifizierten Anforderungen zu bestellen (Art. 21 Abs. 1 AIFM-RL). Kapitel IV (Art. 22 ff. AIFM-RL) regelt weitreichende Transparenzanforderungen; AIFM müssen nicht nur einen Jahresbericht erstellen (Art. 22 AIFM-RL), sondern unterliegen auch umfassenden Informationspflichten gegenüber den Anlegern (Art. 23 AIFM-RL) und den zuständigen Behörden (Art. 24 AIFM-RL). Spezielle zusätzliche Anforderungen gelten wegen des von ihnen ausgehenden erhöhten Risikos für Marktstabilität und -integrität 497 gem. Art. 25 AIFM-RL für hebelfinanzierte Fonds. Besondere Pflichten gelten darüber hinaus gem. Art. 26 ff. AIFM-RL auch für AIFM, die AIF verwalten, die die Kontrolle über nicht börsennotierte Unternehmen und Emittenten erlangen. Art. 27 AIFM-RL etabliert Mitteilungspflichten beim Erwerb bedeutender Beteiligungen, Art. 28 AIFM-RL Offenlegungspflichten bei Erlangung der Kontrolle und Art. 29 AIFM-RL zusätzliche Angaben im Jahresbericht (zu diesem o. Rn. 250). Damit soll vor dem Hintergrund der „Heuschrecken“Debatte auch in Bezug auf den Beteiligungserwerb an nicht börsennotierten Unternehmen Transparenz im Hinblick auf Beteiligungsquoten sowie Anlagestrategie und -ziele geschaffen werden, da die entsprechenden Informationspflichten nach der Transparenz-RL (dazu o. Rn. 183 ff. sowie § 36 Rn. 11 ff.) und der Übernahme-RL (dazu § 30 Rn. 48 ff., 116 ff.) nur in Bezug auf den Erwerb von Beteiligungen an Unternehmen, deren Wertpapiere zum Handel an einem geregelten Markt zugelassen 496 Vgl. dazu näher Athanassiou (2011) 26 J.I.B.L.R. 237, 239; Duncan/Curtin/Crosignani (2011) 6 CMLJ 326, 350 ff.; Spindler/Tancredi WM 2011, 1441, 1446 ff.; Wallach RdF 2011, 80, 86 ff.; Weiser/Jang BB 2011, 1219, 1224 ff.; s. ferner auch bereits Mülbert/Wilhelm (2011) 26 B.F.L.R. 187, 219 ff. (zum RL-Entwurf). 497 Vgl. Erwägungsgrund 49 S. 1 AIFM-RL; KOM(2009) 207, S. 10.

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sind, gelten.498 Art. 30 AIFM-RL untersagt AIFM darüber hinaus in den ersten 2 Jahren nach Kontrollerlangungen bestimmte Maßnahmen, um so ein „asset stripping“ zu verhindern bzw. zu erschweren.499 Aus Gründen der Verhältnismäßigkeit 500 gelten die Sonderregeln der Art. 27 ff. AIFM-RL allerdings nicht für den Beteiligungserwerb an KMU i.S.v. Art. 2 Abs. 1 Anh. zur Empfehlung 2003/361/EG 501 (vgl. Art. 26 Abs. 2 lit. a AIFM-RL). 253 Kapitel IX (Art. 44 ff.) AIFM-RL enthält schließlich umfassende Regelungen im Hinblick auf die Zuständigkeit und Befugnisse der Aufsichtsbehörden sowie deren Zusammenarbeit untereinander und mit der ESMA (zu dieser noch näher u. Rn. 276, 296 ff. sowie § 37).

VI. Die europäische Regulierung der Informationsintermediäre: Ratingagenturen 1. Die Genese der Rating-VO 254 Im Weißbuch Finanzdienstleistungspolitik 2005 (vgl. dazu o. Rn. 24) 502 und in ihrer Mitteilung über Ratingagenturen v. 23.12.2005 503 hatte die Kommission noch explizit verlautbart, dass im Bereich der Ratingagenturen (zu diesen auch bereits o. Rn. 87 ff.) keine Legislativmaßnahmen geplant seien; der existierende Regelungsrahmen i.V.m. mit dem IOSCO-Kodex 504 sei ausreichend. I.R.d. Finanzkrise 2007/2008 zeigte sich dann jedoch, dass es Ratingagenturen nicht gelungen war, die Verschlechterung der Marktlage in ihren Ratings widerzuspiegeln505, so dass man sich auf europäischer Ebene entschloss, in diesem Bereich doch legislativ tätig zu werden. Die Kommission holte zunächst Stellungnahmen von CESR und ESME ein 506, führte dann im Sommer 2008 eine Konsultation durch 507 und präsentierte schließlich am 12.11.2008 einen Ent498 Vgl. Erwägungsgrund 53 AIFM-RL; KOM(2009) 207, S. 10. 499 Vgl. dazu Erwägungsgrund 57 AIFM-RL; Hooft (2011) 8 ECL 157, 160; Kramer/Recknagel DB 2011, 2077, 2083; Mülbert/Wilhelm (2011) 26 B.F.L.R. 187, 219; Spindler/Tancredi WM 2011, 1441, 1444 ff.; Weitnauer BKR 2011, 143, 146. 500 Vgl. KOM(2009) 207, S. 10. 501 Empfehlung 2003/361/EG der Kommission v. 6.5.2003 betreffend die Definition der Kleinstunternehmen sowie der kleinen und mittleren Unternehmen, ABlEU v. 20.5. 2003, L 124/36. 502 Vgl. KOM(2005) 629, S. 16. 503 Mitteilung der Kommission über Rating-Agenturen, ABlEU v. 11.3.2006, C 59/2, Ziff. 4. 504 IOSCO, Code of Conduct Fundamentals for credit rating agencies (veröffentlicht im September 2003, aktuelle Fassung abrufbar unter http://www.iosco.org/library/ pubdocs/pdf/IOSCOPD180.pdf). Vgl. dazu etwa Blaurock ZGR 2007, 603, 638. 505 Vgl. KOM(2008) 704, S. 3; näher zur Rolle der Ratingagenturen in der Finanzkrise etwa SEC(2008) 2745, S. 6 ff.; Brabänder Die Bank 8/2008, 9 ff.; McVea (2010) 59 ICLQ 701, 708 ff.; Schön/Cortez IRZ 2009, 11 ff.; Siekmann Verw. 2010, 95, 102 ff. 506 Vgl. KOM(2008) 704, S. 3. 507 Konsultationsdokument und -ergebnisse abrufbar unter http://ec.europa.eu/internal_ market/consultations/2008/securities_agencies_en.htm.

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wurf für eine Rating-VO508 Nach Stellungnahmen von EZB 509 und EWSA510, Beteiligung des EP 511 und Annahme durch den Rat 512 wurde die Rating-VO 513 dann am 16.9.2009 verabschiedet.514 Die Aufsicht über die Rating-Agenturen wurde dabei mit Blick auf die noch nicht 255 abgeschlossenen Arbeiten an der Neuordnung des europäischen Finanzaufsichtssystem (dazu bereits o. Rn. 25 sowie noch u. Rn. 263 ff. und § 37 Rn. 1 f.) zunächst 515 nationalen Behörden übertragen (vgl. Art. 22 ff. Rating-VO a.F.). Durch die VO 513/2011516 wurde die ausschließliche Zuständigkeit für die Registrierung und Beaufsichtigung von Ratingagenturen dann zum 1.7.2011 auf die ESMA übertragen (vgl. dazu auch noch § 37 Rn. 4, 13; allg. zur ESMA noch u. Rn. 276, 296 ff. sowie § 37). In Deutschland wurde die Rating-VO durch Ausführungsgesetz v. 14.6.2010 517 256 umgesetzt.

508 Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über Ratingagenturen, 12.11.2008, KOM(2008) 704. Begleitdokumente: SEC(2008) 2745; SEK(2008) 2746. Dazu Lamandini (2009) 6 ECL 131 ff.; Möllers JZ 2009, 861 ff.; Mülbert JZ 2010, 834, 838; Sonder in: Schneuwly (Hrsg.), Aktuelle Regulierungsformen an der Schnittstelle zwischen Wirtschaft und Recht, 2011, S. 27, 37 f. 509 Stellungnahme der Europäischen Zentralbank v. 21.4.2009 zu einem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über Ratingagenturen, ABlEU v. 20.5.2009, C 115/1. 510 Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses v. 13.5.2009 zum Thema „Ratingagenturen“, ABlEU v. 17.11.2009, C 277/117. 511 Legislative Entschließung des Europäischen Parlaments vom 23.4.2009 zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über Ratingagenturen, ABlEU v. 8.7.2010, C 184 E/292. 512 PRES/09/228. 513 VO (EG) Nr. 1060/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16.9.2009 über Ratingagenturen, ABlEU v. 17.11.2009, L 302/1. Dazu Amtenbrink ZEW 179 (2010); Amtenbrink/de Haan (2009) 46 C.M.L. Rev. 1915 ff.; Arora [2010] EBLR 603, 613 ff.; Becker DB 2010, 941 ff.; Deipenbrock RIW 2010, 612 ff.; Gomille GPR 2011, 186 ff.; Lamandini (2009) 6 ECL 131 ff.; Lerch BKR 2010, 402 ff.; McVea (2010) 59 ICLQ 701 ff.; Moloney (2011) 50 ICLQ 521, 525 ff.; Möllers NZG 2010, 285 ff.; ders. (2010) 11 EBOR 379, 392 ff.; Mülbert/Wilhelm (2011) 26 B.F.L.R. 187, 212 ff.; Zimmer, Gutachten G zum 68. Deutschen Juristentag, 2010, G 70 ff. 514 Eine Ausdehnung des Anwendungsbereichs auch auf die EWR-Staaten war bei Drucklegung (noch) nicht erfolgt. 515 Erwägungsgrund 51 und Art. 39 brachten den vorläufigen Charakter von Anfang an klar zum Ausdruck. 516 VO (EU) Nr. 513/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 11.5.2011 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1060/2009 über Ratingagenturen, ABlEU v. 31.5.2011, L 145/30. Vgl. Deipenbrock RIW 8/2011 Die erste Seite; dies. WM 2011, 1829 ff.; zum Entwurf: Baur/Boegel BKR 2011, 177, 185; Deipenbrock RIW 2010, 612, 617 f.; McVea (2010) 59 ICLQ 701, 730; Moloney (2011) 2 EBOR 177, 204 ff.; dies. (2011) 50 ICLQ 521, 527 f. 517 Ausführungsgesetz zur Verordnung (EG) Nr. 1060/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 über Ratingagenturen (Ausführungsgesetz zur EU-Ratingverordnung) v. 14.6.2010, BGBl. I, 786. Vgl. dazu Deipenbrock RIW 2010, 613, 616 f.; zum Entwurf: Zimmer (Fn. 513), G 72.

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2. Geltungsbereich 257 Die Rating-VO gilt gem. Art. 2 Abs. 1 für Ratings (vgl. zum Begriff bereits o. Rn. 88), die von in der Gemeinschaft registrierten Ratingagenturen abgegeben und der Öffentlichkeit bekannt gegeben oder an Abonnenten weitergegeben werden. Art. 2 Abs. 2 normiert allerdings eine Reihe von Ausnahmen, z.B. für private Ratings (lit. a).

3. Regulatorische Anforderungen nach der Rating-VO 258 Die Rating-VO führt harmonisierte Qualitätsanforderungen ein, die die Verlässlichkeit von Ratingtätigkeiten fördern sollen.518 Ratingagenturen haben nunmehr bestimmte Anforderungen im Hinblick auf Integrität, Qualität und Transparenz zu erfüllen. Geregelt werden speziell Unabhängigkeit und Vermeidung von Interessenkonflikten (Art. 6 Rating-VO), Anforderungen an Ratinganalysten, Mitarbeiter und sonstige an der Abgabe von Ratings beteiligte Personen (Art. 7 Rating-VO), Methoden, Modelle und grundlegende Annahmen für Ratings (Art. 8 Rating-VO) sowie die Bekanntgabe und Präsentation von Ratings (Art. 10 Rating-VO). Verlangt werden ferner allgemeine und regelmäßige Bekanntgaben bestimmter Informationen (Art. 11) sowie ein jährlicher Transparenzbericht (Art. 12). 259 Außerdem unterliegen Ratingagenturen einer Registrierungspflicht (Art. 14 Abs. 1 Rating-VO). Registrierungsverfahren, -voraussetzungen etc. sind in Art. 14 ff. Rating-VO näher geregelt. Die Registrierung519 ist gem. Art. 14 Abs. 2 Rating-VO im gesamten Gebiet der Union gültig, sobald der Beschluss der ESMA über die Registrierung der Ratingagentur gem. Art. 16 Abs. 3, 17 Abs. 3 Rating-VO wirksam geworden ist (sog. Europäischer Pass).

4. Bewertung, Kritik und Ausblick 260 Wenngleich es derzeit noch zu früh sein mag, Nutzen und Wert der Rating-VO abschließend zu beurteilen, zeichnet sich schon jetzt ab, dass die Rating-VO auch nach Übertragung der Aufsicht auf die ESMA viele Probleme ungelöst lässt.520 Dessen ist sich auch die Kommission durchaus bewusst. Sie hat deshalb bereits Ende 2010/

518 Vgl. Erwägungsgründe 1, 11 u. 75. Vgl. allgemein zum Bedarf nach Regulierung Bauer, Ein Organisationsmodell zur Regulierung der Rating-Agenturen, 2009, S. 23 ff. 519 Bis zum 6.6.2011 waren nach der von Kommission veröffentlichten Liste insgesamt nur 6 Ratingagenturen registriert (abrufbar unter http://ec.europa.eu/internal_market/ securities/docs/agencies/list_de.pdf). 520 Vgl. etwa auch die kritische Analyse von Amtenbrink ZEW 179 (2010); Amtenbrink/de Haan (2009) 46 C.M.L. Rev. 1915, 1924 ff.; Haar (Fn. 201), S. 223, 229 f.; Lamandini (2009) 6 ECL 131, 133 f.; Lerch BKR 2010, 402, 407 f.; McVea (2010) 59 ICLQ 701, 720 ff.; Zimmer (Fn. 513), G 72 ff.

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Anfang 2011 eine Konsultation521 zum weiteren Vorgehen in Bezug auf Ratingagenturen durchgeführt und am 6.7.2011 einen „Runden Tisch“ 522 veranstaltet. 261 Auf der Agenda stehen für die Zukunft insbesondere folgende Fragen: •



• •

Das Problem des zu großen Vertrauens in Ratings: Ratings werden häufig kritik- und bedenkenlos übernommen; eine selbständige Analyse wird auf Grund unzureichender Informationen und – speziell bei Kleinanlegern – auch auf Grund des mangelnden Sachverstands nicht vorgenommen.523 Überdies wird teilweise auch ihre Aussagekraft überschätzt, indem sie als Gesamtbeurteilung i.S.e. Anlageempfehlung verstanden werden statt ausschließlich als eine Bewertung des Bonitätsrisikos.524 Daran wird – ungeachtet der Warnung des VO-Gebers vor einem „blinden Vertrauen“ in Ratings in Erwägungsgrund 10 S. 3 – auch die Rating-VO kaum etwas ändern, zumindest nicht im positiven Sinn. Sie könnte im Gegenteil u.U. sogar einen noch sorgloseren Umgang mit Ratings bewirken, denn die Regulierung durch die Rating-VO könnte den Anlegern suggerieren, dass sie Ratings nun gänzlich bedenkenlos Vertrauen schenken können. Die Problematik von Interessenkonflikten, die sich aus dem vorherrschenden „issuer pays“-Modell ergeben (d.h. der gängigen Praxis, dass Emittenten die Ratings für ihre Wertpapiere etc. i.d.R. selbst in Auftrag geben und bezahlen, so dass für Ratingagenturen ggf. ein Anreiz besteht, eine möglichst positive Bewertung vorzunehmen, um auch weiterhin Aufträge zu erhalten) 525. Die Regelung des Art. 6 Rating-VO zu Unabhängigkeit und Interessenkonflikten hat insoweit zwar mehr Transparenz gebracht, den Kern des Problems aber nicht angegangen. Insofern werden daher auch Alternativmodelle („investor/subscriber pays“Modell, „payment-upon-results“-Modell, „trading venues pay“-Modell, government-Modell und „public utility“-Modell) erwogen.526 Etwaige Harmonisierung der Haftung von Ratingagenturen (die Rating-VO überlässt dies bislang explizit dem nationalen Recht 527, vgl. Erwägungsgrund 69) 528 Verbesserung des Wettbewerbs im Ratingsektor (vgl. zum Oligopol der großen Ratingagenturen auch bereits o. Rn. 87) 529

521 Public Consultation on Credit Rating Agencies, Konsultationsdokument und -ergebnisse abrufbar unter http://ec.europa.eu/internal_market/consultations/2010/cra_en.htm. 522 Zusammenfassung abrufbar unter http://ec.europa.eu/internal_market/securities/docs/ agencies/roundtable_en.pdf. 523 Vgl. KOM(2011) 453, S. 3, 13; Konsultationsdokument Credit Rating Agencies (Fn. 521), S. 5; Brabänder Die Bank 8/2008, 9, 11; Heinke (Fn. 198), S. 17; Vetter WM 2004, 1701, 1702. 524 Vgl. hierzu Brabänder Die Bank 8/2008, 9, 11. 525 Vgl. dazu Konsultationsdokument Credit Rating Agencies (Fn. 521), S. 26. 526 Vgl. dazu näher Konsultationsdokument Credit Rating Agencies (Fn. 521), S. 27 f. 527 Vgl. zur Haftung von Ratingagenturen nach deutschem Recht etwa Berger/Stempner WM 2010, 2289 ff.; Blaurock ZGR 2007, 603, 627 ff.; Haar NZG 2010, 1281 ff.; von Schweinitz WM 2008, 953 ff. 528 Vgl. dazu näher Konsultationsdokument Credit Rating Agencies (Fn. 521), S. 24 f. 529 Vgl. dazu näher Konsultationsdokument Credit Rating Agencies (Fn. 521), S. 19 ff.

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Europäisches Kapitalmarktrecht

Die spezielle Problematik der Staatsanleihen-Ratings: Die immense Macht, welche den großen Ratingagenturen in diesem Bereich zukommt – und die durch die nationalen Schuldkrisen und die hieraus resultierenden Euro-Turbulenzen im Frühjahr/Sommer 2011 erneut anschaulich demonstriert wurde – soll gebrochen werden.530

262 Den Startschuss für eine weitergehende Regulierung hat die Kommission bereits gegeben: In dem am 20.7.2011 i.R.d. CRD IV-Gesamtpakets vorgelegten Vorschlag für eine neue CRD IV-RL531 (vgl. dazu bereits o. Rn. 230) ist zwecks Verringerung der Bedeutung externer Ratings vorgesehen, dass Kreditinstitute angemessene Schritte einleiten, um für die Berechnung der Eigenmittelanforderungen für das Kreditrisiko auf internen Ratings basierende Ansätze zu entwickeln (vgl. Art. 76 CRD-IV-RL-E) und dass Kreditinstitute über interne Methoden verfügen müssen, anhand derer sie das Kreditrisiko bewerten können, und dass diese sich nicht ausschließlich oder automatisch auf externe Ratings stützen dürfen (vgl. Art. 77 lit. b CRD-IV-RL-E). Eine allgemeine legislative Initiative zur Verbesserung des Rechtsrahmens für Ratingagenturen, im Zuge derer speziell auch die Problematik der Staatsanleihen-Ratings angegangen werden soll, soll noch 2011 folgen.532 Nach Presseberichten wird seitens der Praxis zudem die Gründung einer europäischen Ratingagentur als „Gegengewicht“ zu den „Großen 3“ erwogen.533

VII. Kapitalmarktaufsicht im Europäischen Finanzaufsichtssystem (ESFS) 1. Entwicklungsgeschichte 263 Seit dem 1.1.2011 erfolgt die Aufsicht über die EU-Kapitalmärkte durch das Europäische Finanzaufsichtssystem (European System of Financial Supervision – ESFS) 534, einem Netzverbund aus europäischen und nationalen Aufsichtsbehörden. 264 Zuvor erfolgte die Aufsicht über die europäischen Kapitalmärkte ausschließlich auf nationaler Ebene durch die Aufsichtsbehörden oder Zentralbanken der Mitgliedstaaten.535 Diese folgten zunächst überwiegend einem vertikalen Aufsichtsmodell, mit einer getrennten sektoralen Aufsicht für die Bereiche Banken, Versicherungen und

530 Vgl. dazu dazu näher Konsultationsdokument Credit Rating Agencies (Fn. 521), S. 14 ff. 531 Fn. 458. 532 Vgl. Rede von Kommissar Barnier am 20.7.2011, SPEECH/11/533, S. 5; s. ferner bereits Arbeitsprogramm der Kommission für 2011, COM(2010) 623 Vol. II, S. 2. 533 Vgl. Frühauf, Brüssels schwieriger Kampf gegen das Rating-Oligopol, FAZ v. 25.6.2011, S. 19. S. zu dieser Idee auch Luttermann EWS 2011, 330 ff. 534 Schrifttum zum ESFS und speziell zur ESMA bei § 37. 535 Auf europäischer Ebene existierten zwar die im Zuge des Lamfalussy-Verfahrens geschaffenen Level-3-Ausschüsse CEBS, EIOPS und CESR (vgl. dazu bereits o. Rn. 53). Diese hatten jedoch ausschließlich beratende Funktion und keine Entscheidungsbefugnisse, vgl. dazu nur Wymeersch ECFR 2010, 240, 248 f.

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Wertpapiere.536 Ende der 1990er setzte sich dann jedoch, ausgehend von Reformen im UK537, zunehmend der Trend zu einer Allfinanzaufsicht durch538, bei der die zuvor getrennten Aufsichtsbehörden für die Sektoren Banken, Versicherungen und Wertpapiere zu einer Aufsichtsbehörde zusammengelegt wurden539. Dabei erstreckte sich der Umfang der Aufsicht seit jeher ausschließlich auf die Überwachung der einzelnen Finanzinstitute, also eine alleinige Mikroaufsicht. Eine Aufsicht auf der Makroebene im Hinblick auf Systemrisiken (zum Begriff noch u. Rn. 278) existierte hingegen nicht 540. Eine stärker integrierte Aufsicht war zwar etwa vom EP schon seit langem immer 265 wieder gefordert worden.541 Erst die Finanzkrise der Jahre 2007/08 machte jedoch wirklich eindringlich deutlich, dass ein rein nationales Aufsichtskonzept angesichts der zunehmenden globalen Verflechtung der Kapitalmärkte keine effektive Beaufsichtigung mehr gewährleisten konnte.542 Nicht nur gestaltete sich die Aufsicht bei grenzüberschreitenden Sachverhalten generell als zunehmend schwierig. Die Finanzkrise demonstrierte vielmehr auch nachdrücklich, dass sich Missstände nicht mehr länger im nationalen Alleingang bekämpfen, sondern vielmehr ein gemeinsames Handeln geboten erscheinen lassen – wofür es den nationalen Aufsichtsbehörden der Mitgliedstaaten jedoch bis dato an ausreichender Zusammenarbeit, Koordinierung, Kohärenz und gegenseitigem Vertrauen fehlte.543 Darüber hinaus zeigte die Finanzkrise aber 536 In Deutschland war z.B. für die Bankenaufsicht das Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen (BAKred), für die Aufsicht über das Versicherungswesen das Bundesaufsichtsamt für das Versicherungswesen (BAV) und für die Kapitalmarktaufsicht das Bundesaufsichtsamt für den Wertpapierhandel (BAWe) zuständig. Umfassend zur Entwicklung des Aufsichtsrechts Masciandaro/Quintyn (2009) 6 ECL 187 ff. 537 Im UK wurde die Zuständigkeit für die Bankenaufsicht im Jahr 1998 durch den Bank of England Act 1998 (c. 11) von der Bank of England auf die neu geschaffene Financial Services Authority (FSA) übertragen. Derzeit ist aber als Reaktion auf die Finanzkrise eine große Reform geplant, vgl. HM Treasury, A new approach to financial regulation: the blueprint for reform, Cm 8083, Juni 2011 (abrufbar unter http://www.hm-treasury. gov.uk/d/consult_finreg_new_approach_blueprint.pdf). 538 Vgl. Masciandaro/Quintyn (2009) 6 ECL 187, 189. 539 In Deutschland wurden das BAKred, das BAV und das BAWe durch das FinDAG (Gesetz über die integrierte Finanzdienstleistungsaufsicht v. 22.4.2002, BGBl. I, 1310) organisatorisch unter dem Dach der neu geschaffenen Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) zusammengeführt, vgl. dazu etwa Fricke NVersZ 2002, 337 ff.; Hagemeister WM 2002, 1773. 540 Eine Aufsicht über Systemrisiken auf der Makroebene wurde bislang allenfalls durch die nationalen Zentralbanken ausgeübt, eine institutionalisierte Aufsicht bestand jedoch nicht, vgl. Erwägungsgrund 11 ESRB-VO; Papathanassiou/Zagouras WM 2010, 1584, 1586. Anschauliche nähere Darstellung der Probleme auf Makroebene in SEC(2009) 715, S. 12 ff. 541 Vgl. Entschließung des Europäischen Parlaments v. 13.4.2000 zu der Mitteilung der Kommission „Umsetzung des Finanzmarktrahmens: Aktionsplan“, ABlEG v. 7.2.2001, C 40/453, Ziff. 26 ff.; Entschließung des Europäischen Parlaments v. 21.11.2002 zu den aufsichtsrechtlichen Vorschriften in der Europäischen Union, ABlEG v. 29.1.2004, C 25 E/394, Ziff. 47 ff.; Entschließung des Europäischen Parlaments vom 11.7.2007 zu der Finanzdienstleistungspolitik für die Jahre 2005–2010 – Weißbuch, ABlEU v. 10.7.2008, C 175 E/392, Ziff. 57 ff. 542 Vgl. Erwägungsgrund 1 der EBA-VO/EIOPA-VO/ESMA-VO; KOM(2009) 499, S. 2. 543 Vgl. Mitteilung der Kommission. Europäische Finanzaufsicht, KOM(2009) 252, S. 2.

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auch, dass die von Systemrisiken ausgehende Gefahr für das Funktionieren der Finanzmärkte offensichtlich unterschätzt und völlig unzureichend überwacht worden war.544 266 Vor diesem Hintergrund beauftragte die Kommission im November 2008 eine Hochrangige Expertengruppe für Finanzaufsicht unter Vorsitz von Jacques de Larosière mit der Ausarbeitung von Empfehlungen zur Verbesserung der Finanzaufsicht auf europäischer Ebene. In ihrem Schlussbericht vom 25.2.2009 (sog. de LarosièreBericht 545) sprach sich die de Larosière-Gruppe für die Schaffung eines neuen, europäischen Aufsichtssystems aus: In den Finanzsektoren Banken, Versicherungen und Wertpapiere sollten jeweils europäische Aufsichtsbehörden geschaffen werden, die für die Koordination der nationalen Aufsichtsbehörden zuständig sein und auf diese Weise die Zusammenarbeit der Aufsichtsbehörden in Europa verbessern sollten. Zudem sollte auf europäischer Ebene auch eine institutionalisierte Makroaufsicht errichtet werden, um in Zukunft auch systemischen Risiken ausreichend Rechnung tragen zu können.546 267 Die Kommission leitete daraufhin im März 2009 eine Konsultation zur Finanzmarktaufsicht 547 ein und legte dann in einer Mitteilung zur europäischen Finanzmarktaufsicht 27.5.2009 548 ihre – weitgehend die Vorschläge des de Larosière-Berichts (o. Rn. 266) aufgreifenden – Vorstellungen betreffend die Struktur eines neuen Aufsichtsrahmens dar. 268 Am 23.9.2009 präsentierte sie dann ein Paket von insgesamt 5 Legislativvorschlägen 549 zur Schaffung eines neuen Europäischen Ausschusses für Systemrisiken (Euro544 Vgl. Erwägungsgrund 1 ESRB-VO. 545 Hochrangigen Expertengruppe für Finanzaufsicht, Bericht, 25.2.2009, abrufbar unter http://ec.europa.eu/internal_market/finances/docs/de_larosiere_report_de.pdf. Vgl. dazu etwa Fischer zu Cramburg NZG 2009, 337 f.; Wymeersch ECFR 2010, 240, 250. 546 Vgl. de Larosière-Bericht (Fn. 545), S. 48 ff. 547 Konsultationsdokument und Stellungnahmen abrufbar unter http://ec.europa.eu/ internal_market/consultations/2009/fin_supervision_may_en.htm. 548 Mitteilung der Kommission. Europäische Finanzaufsicht, KOM(2009) 252. 549 Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die gemeinschaftliche Finanzaufsicht auf Makroebene und zur Einsetzung eines Europäischen Ausschusses für Systemrisiken, KOM(2009) 499; Vorschlag für eine Entscheidung des Rates zur Übertragung besonderer Aufgaben im Zusammenhang mit der Funktionsweise des Europäischen Ausschusses für Systemrisiken auf die Europäische Zentralbank, KOM(2009) 500; Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einrichtung einer Europäischen Bankaufsichtsbehörde, KOM(2009) 501; Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einrichtung einer Europäischen Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung, KOM(2009) 502; Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einrichtung einer Europäischen Wertpapieraufsichtsbehörde, KOM(2009) 503. Dazu die Arbeitsdokumente SEC(2009) 1233, SEC(2009) 1234, SEC(2009) 1235. Vgl. zum Ganzen Ferran/Alexander (2010) 35 E.L. Rev. 751 ff.; Hofmann Kreditwesen 2010, 664 ff.; Hopt NZG 2009, 1401, 1404 ff.; Iglesias Rodríguez (2009) 16 Colum. J. Eur. L. online 1 ff.; Lamandini (2009) 6 ECL 197 ff.; Lefterov (2011) 38 LIEI 33 ff.; Lehmann/Manger-Nestler EuZW 2010, 87 ff.; Masciandaro/Quintyn (2009) 6 ECL 187, 191 f.; Möllers NZG 2010, 285 ff.; ders. (2010) 11 EBOR 379, 401 ff.;

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pean Systemic Risk Board – ESRB) für die Überwachung der Stabilität des Finanzsystems (sog. Makroaufsicht) sowie eines Europäischen Systems der Finanzaufsicht (European System of Financial Supervision – ESFS) für die Beaufsichtigung einzelner Finanzinstitute (sog. Mikroaufsicht) – bestehend aus den nationalen Aufsichtsbehörden und drei neuen Europäischen Aufsichtsbehörden (European Supervisory Authorities – ESA): der Europäische Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung (European Insurance and Occupational Pensions Authority – EIOPA), der Europäische Bankenaufsichtsbehörde (European Banking Authority – EBA) und der Europäischen Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (European Securities and Markets Authority – ESMA). Am 26.10.2010 ergänzte sie einen Vorschlag für ein Omnibus-RL zur Anpassung der bestehenden Finanzdienstleistungsrichtlinien (sog. „Omnibus I“-RL) 550. Nach Stellungnahmen von EZB 551 und EWSA552 sowie Lesung im EP 553 und Billi- 269 gung im Rat wurde das gesamte Legislativpaket 554 – ESRB-VO 555, EBA-VO 556,

550

551

552 553 554

555

556

Moloney (2010) 47 C.M.L. Rev. 1317, 1332 ff., 1344 ff.; Partsch ZBB 2010, 72 ff.; SchmitzLippert ECFR 2010, 266, 268 ff.; Siekmann Verw. 2010, 95, 110 ff.; ders. IMFS Working Paper 40 (2010); Sonder (Fn. 508), S. 27, 32 ff.; Wymeersch ECFR 2010, 240 ff. Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinien 1998/26/EG, 2002/87/EG, 2003/6/EG, 2003/41/EG, 2003/71/EG, 2004/ 39/EG, 2004/109/EG, 2005/60/EG, 2006/48/EG, 2006/49/EG und 2009/65/EG im Hinblick auf die Befugnisse der Europäischen Bankaufsichtsbehörde, der Europäischen Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung und der Europäischen Wertpapieraufsichtsbehörde, KOM(2009) 576. Stellungnahme der Europäischen Zentralbank v. 8.1.2010 zu drei Vorschlägen für Verordnungen des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einrichtung einer Europäischen Bankaufsichtsbehörde, einer Europäischen Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung und einer Europäischen Wertpapieraufsichtsbehörde, ABlEU v. 20.1.2010, C 13/1. Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses v. 21.1.2010 zu KOM(2009) 499, KOM(2009) 501, KOM(2009) 502, KOM(2009) 503, ABlEU v. 14.12.2010, C 339/34. Legislative Entschließungen des Europäischen Parlaments vom 22.9.2010: P7_TA(2010) 0334, P7_TA(2010)0335, P7_TA(2010)0336, P7_TA(2010)0337, P7_TA(2010)0338, P7_ TA(2010)0339. Vgl. dazu Baur/Boegl BKR 2011, 177 ff.; Binder GPR 2011, 34 ff.; Lehmann/MangerNestler ZBB 2011, 1 ff.; Mülbert/Wilhelm (2011) 26 B.F.L.R. 187, 197 ff.; Snowdon/ Lovegrove (2011) 83 C.O.B. 1 ff.; Weber-Rey AG 2010, R453 ff.; Weber-Rey/Horak VersR 2011, 452 f.; sowie die Nachweise in Fn. 558 speziell zur ESMA-VO. VO (EU) Nr. 1092/2010 Europäischen Parlaments und des Rates v. 24.11.2010 über die Finanzaufsicht der Europäischen Union auf Makroebene und zur Errichtung eines Europäischen Ausschusses für Systemrisiken, ABlEU v. 15.12.2010, L 331/1. Dazu Papathanassiou/Zagouras WM 2010, 1584 ff. VO (EU) Nr. 1093/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 24.11.2010 zur Errichtung einer Europäischen Aufsichtsbehörde (Europäische Bankenaufsichtsbehörde), zur Änderung des Beschlusses Nr. 716/2009/EG und zur Aufhebung des Beschlusses 2009/78/EG der Kommission, ABlEU v. 15.12.2010, L 331/12.

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EIOPA-VO 557, ESMA-VO 558 (zu dieser noch ausf. § 37), EZB-Aufgaben-VO 559 und „Omnibus I“-RL560 – dann am 24.11.2010 verabschiedet. Errichtung und Arbeitsaufnahme der neuen EIPOA, EBA und ESMA erfolgten zum 1.1.2011. 270 Durch die „Omnibus II“-RL, für die die Kommission am 19.1.2011 einen Vorschlag 561 vorgelegt hat, sollen die noch ausstehenden Anpassungen der Prospekt-RL (dazu noch § 34 Rn. 5) und der „Solvency II“-RL562 erfolgen. 271 Eine Ausdehnung des Anwendungsbereichs auf die EWR-Staaten war bei Drucklegung (noch) nicht erfolgt.

2. Das Europäische Finanzaufsichtssystem (ESFS) im Überblick 272 Das ESFS ist für die Sicherstellung der Aufsicht über das Finanzsystem der Union zuständig (vgl. Art. 1 Abs. 2 ESRB-VO). 273 Die drei Hauptziele des ESFS sind: (1) Die Erhaltung der Finanzstabilität, (2) die Gewährleistung des Vertrauens in das Finanzsystem insgesamt, und (3) die Gewährleistung eines ausreichenden Schutzes der Kunden, die Finanzdienstleistungen in 557 VO (EU) Nr. 1094/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 24.11.2010 zur Errichtung einer Europäischen Aufsichtsbehörde (Europäische Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung), zur Änderung des Beschlusses Nr. 716/2009/EG und zur Aufhebung des Beschlusses 2009/79/EG der Kommission, ABlEU v. 15.12.2010, L 331/48. Vgl. zum Entwurf: Forst VersR 2010, 155 ff. 558 VO (EU) Nr. 1095/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 24.11.2010 zur Errichtung einer Europäischen Aufsichtsbehörde (Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde), zur Änderung des Beschlusses Nr. 716/2009/EG und zur Aufhebung des Beschlusses 2009/77/EG der Kommission, ABlEU v. 15.12.2010, L 331/84. Dazu Hoffmann/Detzen DB 2011, 1261 ff.; Moloney (2011) 2 EBOR 41 ff. u. 177 ff.; dies. (2011) 50 ICLQ 521 ff.; Zülch/Hoffmann/Detzen EWS 2011, 167 ff. 559 VO (EU) Nr. 1096/2010 des Rates vom 17. November 2010 zur Betrauung der Europäischen Zentralbank mit besonderen Aufgaben bezüglich der Arbeitsweise des Europäischen Ausschusses für Systemrisiken, ABlEU v. 15.12.2010, L 331/162. 560 RL 2010/78/EU des Europäischen Parlaments und des Rates v. 24.11.2010 zur Änderung der Richtlinien 98/26/EG, 2002/87/EG, 2003/6/EG, 2003/41/EG, 2003/71/EG, 2004/ 39/EG, 2004/109/EG, 2005/60/EG, 2006/48/EG, 2006/49/EG und 2009/65/EG im Hinblick auf die Befugnisse der Europäischen Aufsichtsbehörde (Europäische Bankenaufsichtsbehörde), der Europäischen Aufsichtsbehörde (Europäische Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung) und der Europäischen Aufsichtsbehörde (Europäische Wertpapier-und Marktaufsichtsbehörde), ABlEU v. 15.12.2010, L 331/120. 561 Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinien 2003/71/EG und 2009/138/EG im Hinblick auf die Befugnisse der Europäischen Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung und der Europäischen Wertpapieraufsichtsbehörde, KOM(2011) 8. Stellungnahme der EZB: ABlEU v. 28.5.2011, C 159/10; Stellungnahme des EWSA: ABlEU v. 23.7.2011, C 218/82. Zum Ganzen: Böhne GmbHR 2011, R58 ff. 562 RL 2009/138/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25.11.2009 betreffend die Aufnahme und Ausübung der Versicherungs- und der Rückversicherungstätigkeit (Solvabilität II), ABlEU v. 17.12.2009, L 335/15.

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Anspruch nehmen (vgl. Art. 2 Abs. 1 EBA-VO, Art. 2 Abs. 1 EIOPA-VO, Art. 2 Abs. 1 ESMA-VO). Um diese Ziele zu erreichen, hat sich der europäische Gesetzgeber für ein 2-Säulen- 274 Aufsichtsmodell mit einer europäischen Aufsicht sowohl auf der Makroebene (dazu näher u. Rn. 275, 278 ff.) als auch auf der Mikroebene (dazu näher u. Rn. 276, 296 ff.) entschieden.563 Dabei erfolgt die Aufsicht nun nicht mehr ausschließlich auf nationaler Ebene, sondern durch ein integriertes Netz nationaler und europäischer Aufsichtsbehörden (vgl. Erwägungsgrund 9 S. 1 EBA-VO, Erwägungsgrund 8 S. 1 EIOPA-VO, Erwägungsgrund 9 S. 1 ESMA-VO). Die Entwicklung der Vorschriften und Standards findet dabei vor allem auf europäischer Ebene statt, die Aufsicht über die Einhaltung der Vorschriften und Standards dagegen überwiegend auf nationaler Ebene.564 a) Makroaufsicht durch den Europäischen Ausschuss für Systemrisiken (ESRB) Zwecks Überwachung von Systemrisiken auf der Makroebene wurde der Europä- 275 ischen Ausschuss für Systemrisiken (European Systemic Risk Board – ESRB) 565 geschaffen. Hierbei handelt es sich um ein auf europäischer Ebene angesiedeltes Gremium mit Sitz in Frankfurt a.M. (vgl. Art. 1 Abs. 1 S. 2 ESRB-VO), das europaweit für die Aufsicht über Systemrisiken zuständig ist. Der ESRB hat Systemrisiken zu ermitteln, vor ihnen zu warnen und ggf. Handlungsempfehlungen auszusprechen; er kann selbst jedoch nicht mit regulatorischen Maßnahmen eingreifen. Näher zum ESRB u. 278 ff.

b) Mikroaufsicht durch die nationalen Aufsichtsbehörden und Europäischen Aufsichtsbehörden (ESA) Die Aufsicht auf der Mikroebene über die einzelnen Finanzmarktteilnehmer erfolgt 276 durch die nationalen Aufsichtsbehörden der Mitgliedstaaten und die neu geschaffenen Europäischen Aufsichtsbehörden (European Supervisory Authorities – ESA): Die Europäische Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung (European Insurance and Occupational Pensions Authority – EIOPA), die Europäische Bankenaufsichtsbehörde (European Banking Authority – EBA) und die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (European Securities and Markets Authority – ESMA). Die Zuständigkeit für die laufende Aufsicht verbleibt dabei grundsätzlich bei den nationalen Aufsichtsbehörden (vgl. dazu noch u. Rn. 323); die ESA sind hingegen für die Koordinierung und Überwachung der nationalen Aufsichtsbehörden sowie die Angleichung der Aufsichtsstandards zuständig (vgl. Erwägungsgrund 9 S. 1 EBA-VO/ESMA-VO, Erwägungsgrund 8 S. 1 EIOPA-VO); 563 Vgl. KOM(2009) 252, S. 3. 564 Vgl. Wymeersch ECFR 2010, 240, 253 („central regulation, national supervision“). 565 Webseite: http://www.esrb.europa.eu/home/html/index.en.html.

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Europäisches Kapitalmarktrecht

in Einzelfällen können sie jedoch auch direkt in das Marktgeschehen eingreifen. Außerdem besteht nunmehr eine exklusive Zuständigkeit der ESMA für die Beaufsichtigung von Ratingagenturen (vgl. bereits o. Rn. 255 sowie noch u. Rn. 307, § 37 Rn. 4, 13). Näher zu den ESA u. Rn. 296 ff., speziell zur ESMA § 37. Schematische Übersicht über das ESFS

277

ESFS

Aufsicht über Systemrisiken (Makroaufsicht)

ESRB

Informationen

Warnungen Empfehlungen

ESA EBA Aufsicht über die einzelnen Finanzmarktteilnehmer (Mikroaufsicht)

Informationen

EIOPA

ESMA

Koordination Aufsichtsstandards Einzelfallentscheidungen

Nationale Aufsichtsbehörden

3. Die Makroaufsicht durch den Europäischen Ausschuss für Systemrisiken (ESRB) 278 Der ESRB ist durch die ESRB-VO und die EZB-Aufgaben-VO zum 1.1.2011566 als Bestandteil des ESFS (vgl. Art. 1 Abs. 2 ESRB-VO) geschaffen worden. Der ESRB ist für die Makroaufsicht über das Finanzsystem zuständig, um einen Beitrag zur Abwendung oder Eindämmung von Systemrisiken für die Finanzstabilität in der Union zu leisten (vgl. Art. 3 Abs. 1 S. 1 und Erwägungsgründe 10, 15 S. 3 Hs. 1 ESRB-VO). „Systemrisiken“ werden in Art. 2 lit. c S. 1 ESRB-VO legaldefiniert als „Risiken einer Beeinträchtigung des Finanzsystems, die das Potenzial schwerwiegender negativer Folgen für den Binnenmarkt und die Realwirtschaft beinhalten“.567 566 Die konstituierende Sitzung fand am 20.1.2011 statt, vgl. PM v. 20.1.2011 (http://www. esrb.europa.eu/news/pr/2011/html/pr110120.en.html). 567 Vgl. dazu näher Ferran/Alexander (2010) 35 E.L. Rev. 751, 770 f.; Lehmann/MangerNestler ZBB 2011, 2, 21. Als typische Beispiele für Systemrisiken werden z.B. genannt:

Kapitalmarktrecht in der EU und dem EWR

329

a) Aufgaben und Befugnisse des ESRB Art. 3 Abs. 2 ESRB-VO weist dem ESRB einen umfangreichen Katalog von Auf- 279 gaben und Befugnissen zu, die dann in Art. 15 ff. ESRB-VO näher spezifiziert werden.568 aa) Informationserhebung und Ermittlung von Systemrisiken Zunächst obliegt dem ESRB eine umfassende Pflicht zur Erhebung und Auswer- 280 tung aller Informationen, die zur Erfassung und Abwendung von Systemrisiken erheblich und erforderlich sind (Art. 3 Abs. 2 lit. a ESRB-VO). Dabei steht die Entscheidung über die Relevanz einer Information ganz im Ermessen des ESRB.569 Art. 15 Abs. 2–7 ESRB-VO regeln entsprechende Mitwirkungspflichten der ESA, des ESZB, der Kommission, der nationalen Aufsichtsbehörden und der nationalen Statistikbehörden.570 Gem. Art. 15 Abs. 1 ESRB-VO versorgt der ESRB die ESA im Gegenzug mit den für die Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlichen Informationen. Auf der Basis der gesammelten Informationen hat der ESRB Systemrisiken zu 281 ermitteln und nach Priorität einzustufen (Art. 3 Abs. 2 lit. b ESRB-VO).

bb) Warnungen und Empfehlungen Im Falle der Feststellung signifikanter Risiken gibt der ESRB Warnungen und ggf. 282 Empfehlungen heraus, ggf. auch für Gesetzgebungsvorhaben (Art. 3 Abs. 2 lit. c u. d, Art. 16 Abs. 1 ESRB-VO). Die Warnungen und Empfehlungen können allgemeiner oder spezifischer Art sein; Adressaten können insbesondere die Union insgesamt, Mitgliedstaaten 571, ESA oder nationale Aufsichtsbehörden sein (Art. 16 Abs. 2 S. 1 ESRB-VO). Möglich sind zudem Empfehlungen zu EU-Rechtsvorschriften an die Kommission (Art. 16 Abs. 2 S. 4 ESRB-VO). Um den Warnungen und Empfehlungen mehr Einfluss und Legitimität zu verleihen 572 werden sie gem. Art. 16 Abs. 3 ESRB-VO

568

569 570 571 572

crowded trades, Herdenverhalten, cross-sector exposure, Hebelwirkungen und Interdepenzen, vgl. Papathanassiou/Zagouras WM 2010, 1584, 1585 Fn. 28 m.w.N. Vgl. zu Aufgaben und Befugnissen des ESRB etwa: Baur/Boegl BKR 2011, 177, 179 f.; Ferran/Alexander (2010) 35 E.L. Rev. 751, 768 ff.; Lehmann-Manger/Nestler ZBB 2011, 2, 22 f.; Moloney (2010) 47 C.M.L. Rev. 1317, 1379 ff.; Papathanassiou/Zagouras WM 2010, 1584, 1586 f.; Siekmann IMFS Working Paper 40 (2010), S. 22 ff.; Snowdon/Lovegrove (2011) 83 C.O.B. 1, 18 ff. Auf diese Weise kann flexibel auf jegliche Gefahrenlagen reagiert werden, vgl. Papathanassiou/Zagouras WM 2010, 1584, 1586. Vgl. dazu Baur/Boegl BKR 2011, 177, 180; Lehmann/Manger-Nestler ZBB 2011, 2, 23; Wymeersch, ECFR 2010, 240, 252. Bei Warnungen/Empfehlungen an eine nationale Aufsichtsbehörde ist auch der betreffende Mitgliedstaat zu unterrichten (Art. 16 Abs. 2 S. 2 ESRB-VO). Vgl. Erwägungsgrund 19 S. 1 ESRB-VO.

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zugleich vertraulich an den Rat und die Kommission übermittelt, sofern sie an eine nationale Aufsichtsbehörde gerichtet sind zudem auch den ESA. 283 Um eine bessere Risikobewertung zu ermöglichen 573, verpflichtet Art. 16 Abs. 4 ESRB-VO den ESRB in Zusammenarbeit mit den anderen ESFS-Teilnehmern einen Farbcode zur Klassifizierung von Risikostufen zu erstellen und i.R.v. Warnungen und Empfehlungen anzuwenden.574 284 Die Warnungen und Empfehlungen des ESRB sind rechtlich zwar nicht unmittelbar bindend.575 Art. 3 Abs. 2 lit. f ESRB-VO verpflichtet den ESRB gleichwohl ausdrücklich zur Überwachung der (etwaigen) Umsetzungsmaßnahmen. Zu diesem Zweck bestimmt Art. 17 Abs. 1 ESRB-VO, dass die Adressaten einer Empfehlung dem ESRB und dem Rat mitzuteilen haben, welche Maßnahmen zur Umsetzung ergriffen worden sind bzw. ein eventuelles Nichthandeln in angemessener Weise zu rechtfertigen haben; die Antworten werden dann ggf. vom ESRB unverzüglich auch vertraulich den ESA zur Kenntnis gebracht. Im Falle der Nichtbefolgung einer Empfehlung bzw. der nicht angemessenen Begründung derselben setzt der ESRB den Adressaten, dem Rat und ggf. die betroffenen ESA vertraulich hiervon in Kenntnis (Art. 17 Abs. 2 ESRBVO). Mittels des Prinzips „act or explain“ 576 sind die Adressaten einer Empfehlung bei deren Nichtbeachtung somit zumindest einem erheblichen politisch-faktischen Druck ausgesetzt, der sie de facto dazu zwingt, entsprechende Umsetzungsmaßnahmen zu ergreifen.577 285 Um den Handlungsdruck zu erhöhen 578, ist nach Art. 18 ESRB-VO ggf. auch eine Veröffentlichung von Warnungen und Empfehlungen möglich. Angesichts der hiermit verbundenen Gefahr nachteiliger Finanzmarktreaktionen579 ist hierfür aber in jedem Einzelfall ein Beschluss des Verwaltungsrats mit qualifizierter Mehrheit erforderlich (Art. 18 Abs. 1 S. 2 i.V.m. Art. 10 Abs. 3 ESRB-VO). Zudem muss dem Rat zuvor Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben werden (Art. 18 Abs. 1 S. 1 ESRB-VO); ferner ist auch der Adressat vorab zu unterrichten, der dann ebenfalls das Recht hat, seine Ansichten und Argumente dazu öffentlich zu äußern (Art. 18 Abs. 2 u. 3 ESRBVO). Art. 17 Abs. 3 ESRB-VO gibt darüber hinaus dem EP das Recht, den Vorsitzen-

573 Vgl. auch Erwägungsgrund 18 ESRB-VO. 574 Vgl. dazu Lehmann/Manger-Nestler ZBB 2011, 2, 22. 575 Vgl. Hopt NZG 2009, 1401, 1405; Ferran/Alexander (2010) 35 E.L. Rev. 751, 774; Lehmann/Manger-Nestler ZBB 2011, 2, 22; Mülbert/Wilhelm (2011) 26 B.F.L.R. 187, 202; Papathanassiou/Zagouras WM 2010, 1584, 1586. 576 Vgl. Baur/Boegl BKR 2011, 177, 179; Ferran/Alexander (2010) 35 E.L. Rev. 751, 774; Hopt NZG 2009, 1401, 1405; Lehmann/Manger-Nestler ZBB 2011, 2, 22; Moloney (2010) 47 C.M.L. Rev. 1317, 1380; Mülbert/Wilhelm (2011) 26 B.F.L.R. 187, 201; Wymeersch ECFR 2010, 240, 251. 577 Vgl. KOM(2009) 499, S. 5 f.; Baur/Boegl BKR 2011, 177, 179 f.; Ferran/Alexander (2010) 35 E.L. Rev. 751, 774 f.; Hopt NZG 2009, 1401, 1405; Lehmann/Manger-Nestler ZBB 2011, 2, 22, 24; Mülbert/Wilhelm (2011) 26 B.F.L.R. 187, 202; Papathanassiou/Zagouras, WM 2010, 1584, 1587; Schmitz-Lippert, ECFR 2010, 266, 269; Siekmann (Fn. 568), S. 25; Wymeersch ECFR 2010, 240, 251. 578 Vgl. Erwägungsgrund 21; KOM(2009) 499, S. 5. 579 Vgl. KOM(2009) 499, S. 5.

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den des ESRB (dazu u. Rn. 290 f.) um eine Erläuterung bezüglich der Nichtbeachtung bzw. nicht hinreichenden Begründung einer veröffentlichten Empfehlung zu ersuchen. Beschließt der Verwaltungsrat dagegen, die Warnung/Empfehlung nicht zu veröffentlichen, verpflichtet Art. 18 Abs. 4 die Adressaten, den Rat und die ESA zur Wahrung der Vertraulichkeit. Neben solchen „allgemeinen“ Warnungen und Empfehlung gem. Art. 3 Abs. 2 286 lit. c u. d ESRB-VO gehört es zudem auch zu den Aufgaben des ESRB, den Rat vertraulich zu warnen, wenn er feststellt, dass eine Krisensituation i.S.v. Art. 18 EBAVO, Art. 18 EIOPA-VO bzw. Art. 18 ESMA-VO (vgl. dazu u. Rn. 304 sowie § 37 Rn. 10) eintreten kann sowie eine Lageeinschätzung für den Rat zu erstellen. cc) Zusammenarbeit mit den anderen Teilnehmern am ESFS Darüber hinaus ist der ESRB verpflichtet, eng mit den anderen Teilnehmern des ESFS 287 zusammenzuarbeiten (vgl. Art. 3 Abs. 2 lit. g ESRB-VO). Dabei obliegt ihm insbesondere auch die Versorgung der ESA mit den für die Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlichen Informationen (Art. 3 Abs. 2 lit. g, 15 Abs. 1 ESRB-VO, dazu auch bereits o. Rn. 280). Zudem soll er in Zusammenarbeit mit den ESA580 insbesondere auch ein gemeinsames Bündel quantitativer und qualitativer Indikatoren zur Ermittlung und Messung des Systemrisikos („Risikosteuerpult“/„risk dashboard“) entwickeln (Art. 3 Abs. 2 lit. g ESRB-VO, vgl. zum Farbcodesystem auch bereits o. Rn. 283). dd) Abstimmung mit internationalen Finanzorganisationen Angesichts der globalen Integration der Finanzmärkte und der hieraus resultierenden 288 Gefahr eines Übergreifen von Finanzkrisen581 verpflichtet Art. 3 Abs. 2 lit. i ESRBVO den ESRB außerdem, seine Tätigkeit in Fragen der Makroaufsicht mit internationalen Finanzorganisationen, insbesondere dem IWF und dem FSB582 sowie den einschlägigen Gremien in Drittländern, abzustimmen. b) Organisation und Struktur des ESRB Im Gegensatz zu den ESA (vgl. u. Rn. 296 sowie § 37 Rn. 3) wurde dem ESRB ange- 289 sichts seiner umfassenden und heiklen Aufgaben bewusst keine Rechtspersönlichkeit zuerkannt.583 Er ist vielmehr als Koordinationsgremium584 konzipiert (vgl. zu den

580 Vgl. auch die korrespondierenden Regelungen in Art. 22 Abs. 2 EBA-VO/EIOPA-VO/ ESMA-VO, dazu u. Rn. 306. 581 Vgl. Erwägungsgrund 7 ESRB-VO. 582 Vgl. zum FSB bereits o. Rn. 31. 583 Vgl. KOM(2009) 499, S. 4; s. ferner auch Erwägungsgrund 15 S. 3 Hs. 2 ESRB-VO; näher zu den Hintergründen Ferran/Alexander (2010) 35 E.L. Rev. 751, 766. 584 Vgl. Lehmann/Manger-Nestler ZBB 2011, 2, 21.

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Koordinationsaufgaben bereits o. Rn. 287), das seine Legitimation aus seinem Reputation für unabhängige Einschätzungen und qualitativ hochwertige Analysen beziehen soll 585. Organe des ESRB sind der Vorsitzende (dazu u. Rn. 291), ein Verwaltungsrat (dazu u. Rn. 292), ein Lenkungsausschuss (dazu u. Rn. 293), ein Sekretariat (dazu u. Rn. 294), ein Beratender Wissenschaftlicher Ausschuss (dazu u. Rn. 295) und ein Beratenden Fachausschuss (dazu u. Rn. 296) (vgl. Art. 4 Abs. 1 ESRB-VO).586 Der Vorsitzende leitet die Sitzungen des Verwaltungsrats und des Lenkungsausschusses (Art. 5 Abs. 5 ESRB-VO) und vertritt den ESRB nach außen (Art. 5 Abs. 8 ESRB-VO). Für die ersten 5 Jahre wurde diese Position kraft Amtes dem Vorsitzenden der EZB 587 zugewiesen, die Nachfolgeregelung für die Folgezeit soll i.R.d. Überprüfung der ESRB-VO nach Art. 20 ESRB-VO festgelegt werden. Erwägungsgrund 12 S. 2 begründet diese – nicht unproblematische 588 – Personalunion von ESRB- und EZB-Vorsitz mit der Schlüsselrolle und der internationalen und internen Glaubwürdigkeit des EZB-Vorsitzenden. Daneben gibt es einen ersten und einen zweiten stellvertretenden Vorsitzenden (vgl. Art. 5 Abs. 2 u. 3 ESRB-VO). Der Verwaltungsrat ist für die Beschlussfassungen des ESRB zuständig (vgl. Art. 4 Abs. 2 ESRB-VO). Als stimmberechtigte Mitglieder gehören ihm der Präsident und Vizepräsident der EZB, die Präsidenten der nationalen Zentralbanken, ein Mitglied der Kommission, die Vorsitzenden von EBA, EIOPA und ESMA, der Vorsitzende und die beiden stellvertretenden Vorsitzenden des Beratenden Wissenschaftlichen Ausschusses und der Vorsitzende des Beratenden Fachausschusses an (Art. 6 Abs. 1 ESRB-VO). Zudem sind je Mitgliedstaat ein hochrangiger Vertreter der zuständigen nationalen Aufsichtsbehörden 589 und der Vorsitzende des WFA Mitglieder des Verwaltungsrates ohne Stimmrecht (Art. 6 Abs. 2 ESRB-VO). Angesichts der Größe (und hieraus resultierenden Schwerfälligkeit) des Verwaltungsrats wird dieser durch einen aus 13 Mitgliedern 590 bestehenden Lenkungsausschuss unterstützt.591 Dieser bereitet die Sitzungen des Verwaltungsrats vor, prüft die

585 Vgl. KOM(2009) 499, S. 4. 586 Vgl. näher zur Organisation Baur/Boegl BKR 2011, 177, 180; Ferran/Alexander (2010) 35 E.L. Rev. 751 , 764 ff.; Hopt NZG 2009, 1401, 1405; Lehmann/Manger-Nestler ZBB 2011, 2, 21 f.; Mülbert/Wilhelm (2011) 26 B.F.L.R. 187, 201 f.; Papathanassiou/Zagouras WM 2010, 1584, 1587 f.; Siekmann (Fn. 568), S. 23 f.; Snowdon/Lovegrove (2011) 83 C.O.B. 1, 18 ff.; Wymeersch ECFR 2010, 240, 251 f. 587 D.h. zunächst Jean-Claude Trichet, ab 1.11.2011 Mario Draghi. 588 Vgl. auch Lehmann/Manger-Nestler ZBB 2011, 2, 21 f.; allg. zur Problematik der engen Anbindung an die EZB noch u. Rn. 330. 589 Sofern sich die nationalen Behörden des jeweiligen Mitgliedstaats nicht auf einen gemeinsamen Vertreter geeinigt haben, gilt insoweit in Abhängigkeit vom besprochenen Sachverhalt das Rotationsprinzip (vgl. Art. 6 Abs. 3 ESRB-VO). 590 Vorsitzender und erster stellvertretender Vorsitzender des ESRB, 4 weitere Mitglieder des Verwaltungsrats, ein Mitglied der Kommission sowie die Vorsitzenden von EBA, EIOPA, ESMA, WFA, Beratendem Wissenschaftlichen Ausschuss und Beratendem Fachausschuss (Art. 11 Abs. 1 ESRB-VO). 591 Vgl. KOM(2009) 499, S. 8.

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zu erörternden Unterlagen und überwacht die Fortschritte der laufenden Arbeiten des ESRB (vgl. Art. 4 Abs. 3 ESRB-VO). Zuständig für die laufenden Arbeit des ESRB ist das Sekretariat (vgl. Art. 4 Abs. 4 294 S. 1 ESRB-VO). Es leistet analytische, statistische, administrative und logistische Unterstützung für den ESRB im Allgemeinen sowie insbesondere auch für den Beratenden Wissenschaftlichen Ausschuss und den Beratenden Fachausschuss (vgl. Art. 4 Abs. 4, 12 Abs. 4, 13 Abs. 4 ESRB-VO, Art. 2 EZB-Aufgaben-VO). Das Sekretariat des ESRB wurde bei der EZB angesiedelt, um dem ESRB so die Möglichkeit zu geben, sich die Fachkenntnisse der EZB auf dem Gebiet der Makroaufsicht und ihre zentrale Stellung im EU-Währungssystem zunutze zu machen.592 Art. 3 Abs. 1 EZB-Aufgaben-VO verpflichtet die EZB ausdrücklich, ausreichende personelle und finanzielle Ressourcen zur Verfügung zu stellen. Zur Beratung und Unterstützung stehen dem ESRB der Beratende Wissenschaft- 295 liche Ausschuss (Art. 12 ESRB-VO) und der Beratende Fachausschuss (Art. 13 ESRB-VO) zur Seite, die auf Verlangen des Vorsitzenden tätig werden (vgl. Art. 12 Abs. 3, 13 Abs. 3 ESRB-VO). Der Beratende Wissenschaftliche Ausschuss, der sich aus externen Experten zusammensetzt (vgl. Art. 12 Abs. 1 ESRB-VO), kann bei Bedarf auch Anhörungen mit Interessengruppen durchführen (Art. 12 Abs. 5 ESRBVO). Der Beratenden Fachausschuss besteht dagegen aus je einem Vertretern der nationalen Zentralbanken und der EZB, der zuständigen nationalen Aufsichtsbehörden, der EBA, der EIOPA, der ESMA, des WFA und des Beratenden Wissenschaftlichen Ausschuss sowie zwei Vertretern der Kommission (Art. 13 Abs. 1 Unterabs. 1 ESRB-VO). Bei Bedarf kann der ESRB darüber hinaus auch die Meinungen einschlägiger privatwirtschaftlicher Akteure einholen (vgl. Art. 14 ESRB-VO).

4. Mikroaufsicht durch die ESA und nationalen Aufsichtsbehörden a) Die Europäischen Aufsichtsbehörden (ESA) Die zum 1.1.2011 neu geschaffenen Europäischen Aufsichtsbehörden (European 296 Supervisory Authorities – ESA) – die EBA, EIOPA und ESMA (zu dieser auch noch ausf. § 37) – sind Einrichtungen der Union mit eigener Rechtspersönlichkeit (vgl. Art. 5 Abs. 1 EBA-VO/EIOPA-VO/ESMA-VO). Sitz der EBA ist London (vgl. Art. 7 EBA-VO), der EIOPA Frankfurt a.M. (vgl. Art. 7 EIOPA-VO) und der ESMA Paris (vgl. Art. 7 ESMA-VO); jeder der drei „großen“ Mitgliedstaaten und Finanzplätze kann sich also mit einer Behörde „schmücken“.593 EBA, EIOPA und ESMA übernehmen zwar (auch) die Funktionen der bisherigen Level-3-Ausschüsse CEBS,

592 Vgl. KOM(2009) 499, S. 5. 593 Vgl. kritisch zu dieser politischen Entscheidung etwa Lehmann/Manger-Nestler EuZW 2010, 87, 89; Möllers NZG 2010, 285, 289. S. dazu ferner auch noch Moloney (2011) 2 EBOR 177, 217.

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CEIOPS bzw. CESR (vgl. dazu bereits o. Rn. 53), sie verfügen aber insgesamt über ein deutlich weiteres Spektrum an Aufgaben und insbesondere auch autonome Entscheidungsbefugnisse. 297 Ziel der ESA ist der Schutz des öffentlichen Interesses, indem sie zur kurz-, mittelund langfristigen Stabilität und Effektivität des Finanzsystems beitragen (vgl. Art. 1 Abs. 5 EBA-VO/ESMA-VO, Art. 1 Abs. 6 EIOPA-VO). 298 Abgesehen von einigen sektorspezifischen Besonderheiten sind EBA, EIOPA und ESMA sowohl hinsichtlich ihrer Aufgaben und Befugnisse (dazu u. Rn. 299) als auch hinsichtlich ihrer Organisation und Struktur (dazu u. Rn. 309 ff.) prinzipiell parallel strukturiert und konzipiert: EBA-VO, EIOPA-VO und ESMA-VO sind in weiten Teilen deckungsgleich. Legislativtechnisch wäre es daher vorzugswürdig gewesen, statt einer „Zersplitterung“ in 3 separate VO einen einheitlichen Rechtsakt mit „allgemeinem“ und „besonderen“ Teilen zu schaffen.594 aa) Aufgaben und Befugnisse der ESA 299 Die Aufgaben und Befugnisse der ESA lassen sich in zwei große Bereiche aufteilen: den Kernbereich der Tätigkeit als Aufsichtsbehörde für den jeweiligen Sektor einerseits (Art. 8 EBA-VO/EIOPA-VO/ESMA-VO, dazu u. Rn. 300 ff.) und Aufgaben im Zusammenhang mit dem Verbraucherschutz und Finanztätigkeiten andererseits (Art. 9 EBA-VO/EIOPA-VO/ESMA-VO, dazu u. Rn. 308). Vgl. dazu in Bezug auf die ESMA auch noch § 37 Rn. 5. (1) Kernbereich der Tätigkeit als Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde 300 Im Kernbereich als Aufsichtsbehörde für den jeweiligen Sektor kommen den ESA folgende Aufgaben und Befugnisse zu (vgl. auch die Kataloge in Art. 8 EBA-VO/ EIOPA-VO/ESMA-VO): (a) Entwurf technischer Regulierungs- und Durchführungsstandards 301 Eines der wesentlichen Ziele, die mit der Schaffung der ESA verfolgt wurden, ist die Harmonisierung der nationalen Aufsichtsstandards und -praktiken zu einem einheitlichen Regelwerk (single rulebook).595 Zu den Aufgaben der ESA gehört daher – i.R.d. 2. Stufe des Lamfalussy II-Verfahrens (dazu bereits o. Rn. 44 ff.) – der Entwurf technischer Regulierungs- und Durchführungsstandards (Art. 8 Abs. 1 lit. a, Abs. 2 lit. a und b, Art. 10–15 EBA-VO/EIOPA-VO/ESMA-VO). Diese werden dann von der Kommission in Form einer VO oder eines Beschlusses verabschiedet (vgl. Art. 10

594 Vgl. auch Lehmann/Manger-Nestler ZBB 2011, 2, 4. 595 Vgl. Erwägungsgrund 8 „Omnibus I“-RL; Erwägungsgrund 22 EBA-VO/ESMA-VO; Erwägungsgrund 21 EIOPA-VO.

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Abs. 4 S. 1, 15 Abs. 4 S. 1 EBA-VO/EIOPA-VO/ESMA-VO).596 Im Gegensatz zu den früheren Entwürfen der CEBS, CEIOPS bzw. CESR haben die Regelungsentwürfe der ESA „quasi-finalen“ Charakter 597: Änderungen durch die Kommission sind nur zulässig, wenn dies aus Gründen des Unionsinteresses erforderlich sind (vgl. Art. 10 Abs. 1 Unterabs. 5 S. 2, Art. 15 Abs. 1 Unterabs. 4 S. 3 EBA-VO/EIOPA-VO/ESMA-VO) und sollen zudem nur in äußerst begrenzten Fällen und unter außergewöhnlichen Umständen erfolgen (vgl. Erwägungsgrund 23 S. 2 EBA-VO/ESMA-VO, Erwägungsgrund 22 S. 2 EIOPA-VO). Vgl. dazu in Bezug auf die ESMA auch noch § 37 Rn. 7. (b) Leitlinien und Empfehlungen Die ESA geben weiterhin – i.R.d. 3. Stufe des Lamfalussy II-Verfahrens (dazu o. 302 Rn. 44 ff.) – Leitlinien und Empfehlungen für die zuständigen Behörden und Finanzmarktteilnehmer heraus (Art. 16 EBA-VO/EIOPA-VO/ESMA-VO).598 Diese sind zwar nicht verbindlich, die Behörden/Finanzmarktteilnehmer müssen aber alle erforderlichen Anstrengung zur Befolgung unternehmen (Abs. 3 Unterabs. 1). Behörden müssen zudem binnen 2 Monaten unter Angabe von Gründen erklären, ob sie ihnen nachkommen (werden) (sog. „act or explain“-Mechanismus 599) und die ESMA veröffentlicht ggf. die Tatsache, dass eine Behörde dies nicht tut (sog. „name and shame“) (Abs. 3 Unterabs. 2 und 3). Vgl. dazu in Bezug auf die ESMA auch noch § 37 Rn. 8. (c) Überwachung der Einhaltung des Unionsrechts Angesichts der Langwierigkeit von Vertragsverletzungsverfahren gem. Art. 258 AEU 303 (zu diesen allg. § 3 Rn. 16) – deren Möglichkeit aber unberührt bleibt 600 – wurde den ESA die Befugnis eingeräumt, mittels eines 3-Stufen-Mechanismus gegen Verletzungen des Unionsrechts vorzugehen (Art. 17 EBA-VO/EIOPA-VO/ESMA-VO, vgl. auch Erwägungsgründe 27–29 EBA-VO/ESMA-VO, Erwägungsgründe 26–28 EIOPAVO; s. dazu in Bezug auf die ESMA auch noch § 37 Rn. 9): 601 596 Vgl. dazu Baur/Boegl BKR 2011, 177, 182 f.; ff.; Lehmann/Manger-Nestler ZBB 2011, 1, 10 ff.; Moloney (2010) 47 C.M.L. Rev. 1317, 1347 ff.; dies. (2011) 2 EBOR 41, 65 ff., 74 ff.; dies. (2011) 2 EBOR 177, 192 f.; dies. (2011) 50 ICLQ 521, 530; Snowdon/Lovegrove (2011) 83 C.O.B. 1, 26 f.; Zülch/Hoffmann/Detzen EWS 2011, 167, 170. 597 Vgl. Zülch/Hoffmann/Detzen EWS 2011, 167, 170; s. ferner auch Moloney (2010) 47 C.M.L. Rev. 1317, 1354 („quasi-rule-making“). 598 Vgl. dazu Baur/Boegl BKR 2011, 177, 183; Lehmann/Manger-Nestler EuZW 2010, 87, 90; dies. ZBB 2011, 1, 13 f.; Moloney (2011) 50 ICLQ 521, 530; Snowdon/Lovegrove (2011) 83 C.O.B. 1, 27; Zülch/Hoffmann/Detzen EWS 2011, 167, 170. 599 Vgl. zur Nutzung des „act or explain“-Mechanismus beim ESRB o. Rn. 284. 600 Vgl. Art. 17 Abs. 6 am Anfang EBA-VO/EIOPA-VO/ESMA-VO; Zülch/Hoffmann/ Detzen EWS 2011, 167, 170. 601 Vgl. dazu Baur/Boegl BKR 2011, 177, 183; Hoffmann/Detzen DB 2011, 1261, 1262; Lehmann/Manger-Nestler ZBB 2011, 1, 14 f.; Moloney (2011) 2 EBOR 177, 198 ff.; dies. (2011) 50 ICLQ 521, 531; Snowdon/Lovegrove (2011) 83 C.O.B. 1, 27; Zülch/Hoffmann/Detzen EWS 2011, 167, 170.

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1. Stufe: Untersuchung durch die EBA/EIOPA/ESMA und Empfehlung an die zuständige Behörde (Abs. 2 und 3); 2. Stufe: Soweit die Empfehlung nicht innerhalb eines Monats befolgt wird, kann die Kommission entsprechend der Empfehlung der EBA/EIOPA/ESMA eine förmliche Stellungnahme erlassen (Abs. 4), woraufhin die Behörde die Kommission und die EBA/EIOPA/ESMA binnen 10 Arbeitstagen über (beabsichtigte) Abhilfemaßnahmen unterrichten muss (Abs. 5) 3. Stufe: Wenn die nationale Behörde der Stellungnahme nicht rechtzeitig nachkommt, kann die EBA/EIOPA/ESMA unter den in Abs. 6 näher spezifizierten Voraussetzungen an einzelne Finanzmarktteilnehmer gerichtete Beschlüsse erlassen, die diese zum Ergreifen von Maßnahmen verpflichten.

(d) Maßnahmen im Krisenfall 304 Erweiterte Befugnisse haben die ESA zwecks Ermöglichung einer raschen Reaktion auf EU-Ebene 602 gem. Art. 18 EBA-VO/EIOPA-VO/ESMA-VO 603 im sog. Krisenfall 604, dessen Vorliegen allerdings zuvor vom Rat im Verfahren nach Abs. 2 verbindlich festgestellt werden muss: Die EBA/EIOPA/ESMA kann dann nationale Behörden durch Beschluss im Einzelfall dazu verpflichten, Maßnahmen zu treffen (Abs. 3) und – sofern diese dem nicht nachkommen – unter den in Abs. 4 näher spezifizierten Voraussetzungen ggf. selbst einzelne Finanzmarktteilnehmer durch Beschluss zum Ergreifen von Maßnahmen verpflichten. Vgl. dazu in Bezug auf die ESMA auch noch § 37 Rn. 10. (e) Schlichtung von Meinungsverschiedenheiten 305 Aufgabe der ESA ist zudem die Schlichtung von Meinungsverschiedenheiten zwischen nationalen Aufsichtsbehörden (Art. 19 EBA-VO/EIOPA-VO/ESMA-VO) oder innerhalb der Aufsichtskollegien (zu diesen noch u. Rn. 306) (Art. 21 Abs. 4 i.V.m. Art. 19 EBA-VO/EIOPA-VO/ESMA-VO). Auch hierfür ist ein 3-StufenMechanismus vorgesehen:605 (1) Schlichtungsphase mit der EBA/EIOPA/ESMA als

602 Vgl. Erwägungsgrund 30 S. 1 EBA-VO/ESMA-VO, Erwägungsgrund 29 S. 1 EIOPAVO. 603 Vgl. dazu Baur/Boegl BKR 2011, 177, 183 f.; Hoffmann/Detzen DB 2011, 1261, 1262; Lehmann/Manger-Nestler ZBB 2011, 1, 15; Moloney (2011) 2 EBOR 177, 199 ff.; Snowdon/Lovegrove (2011) 83 C.O.B. 1, 27; Zülch/Hoffmann/Detzen EWS 2011, 167, 171. 604 Legaldefiniert in Art. 18 Abs. 1 Unterabs. 1 EBA-VO/EIOPA-VO/ESMA-VO. Vgl. zur Rolle des ESRB im Hinblick auf die Feststellung eines solchen Krisenfalls bereits o. Rn. 286. 605 Vgl. dazu Baur/Boegl BKR 2011, 177, 184; Hoffmann/Detzen DB 2011, 1261, 1262; Lehmann/Manger-Nestler ZBB 2011, 1, 15 f.; Moloney (2011) 2 EBOR 177, 199 ff.; Snowdon/Lovegrove (2011) 83 C.O.B. 1, 27 f.; Zülch/Hoffmann/Detzen EWS 2011, 167, 170 f.

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Vermittlerin (Abs. 2), (2) Schlichtungsbeschluss der EBA/EIOPA/ESMA mit verbindlicher Wirkung (Abs. 3), (3) an einzelne Finanzmarktteilnehmer gerichteter Beschluss der EBA/EIOPA/ESMA (Abs. 4). Vgl. dazu in Bezug auf die ESMA auch noch § 37 Rn. 11. (f) Sonstige Aufgaben auf Grund der EBA-VO/EIOPA-VO/ESMA-VO Weiterhin obliegen den ESA folgende Aufgaben und Befugnisse (vgl. dazu in Bezug 306 auf die ESMA auch noch § 37 Rn. 12): •







Beteiligung an Aufsichtskollegien 606 (Art. 21 EBA-VO/EIOPA-VO/ESMAVO)607: Die ESA sollen eine führende Rolle bei der Gewährleistung der einheitlichen und kohärenten Funktionsweise einnehmen 608; Zusammenarbeit mit und Unterstützung des ESRB in Bezug auf die Früherkennung von und Reaktion auf Systemrisiken (Art. 22–24 EBA-VO/EIOPAVO/ESMA-VO) (vgl. dazu auch bereits o. Rn. 287);609 Beteiligung an der Entwicklung kohärenter Sanierungs- und Abwicklungsverfahren für insolvenzbedrohte systemrelevante Finanzmarktteilnehmer (Art. 25, 27 EBA-VO, Art. 25 f. EIOPA-VO, Art. 25, 27 ESMA-VO); bei der EBA zusätzlich Beteiligung an der Entwicklung des Europäisches System der Bankenabwicklungsund Finanzierungsregelungen (Art. 26 EBA-VO); bei der ESMA zusätzlich Beteiligung an der Entwicklung des Europäischen Systems der nationalen Anlegerentschädigungssysteme (Art. 26 ESMA-VO); bei der EIOPA zusätzlich Beteiligung an Verhütung, Management und Bewältigung von Krisen (Art. 27 EIOPA-VO);610 Wahrnehmung von durch die nationalen Behörden an die EBA/EIOPA/ESMA delegierten Aufgaben und Unterstützung der Aufgabendelegation nationaler Behörden untereinander (Art. 28 EBA-VO/EIOPA-VO/ESMA-VO); 611 denkbar wäre eine solche Delegation etwa für die Beaufsichtigung eines Finanzinstituts, das in erheblichen Maße grenzüberschreitend tätig ist;

606 In Art. 131a Banken-RL (Fn. 445) ist z.B. vorgesehen, dass als Instrument für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit von den für die konsolidierte Aufsicht verantwortlichen Behörden Aufsichtskollegien aus den an der Aufsicht über eine Bankengruppe beteiligten Behörden eingerichtet werden (vgl. dazu KOM(2008) 602, S. 9 f.). 607 Vgl. dazu Baur/Boegl BKR 2011, 177, 184; Lehmann/Manger-Nestler ZBB 2011, 1, 16 f.; Snowdon/Lovegrove (2011) 83 C.O.B. 1, 28; Zülch/Hoffmann/Detzen EWS 2011, 167, 171. 608 Vgl. Art. 21 Abs. 2 Unterabs. 1 EBA-VO/EIOPA-VO/ESMA-VO, Erwägungsgrund 36 S. 2 EBA-VO/ESMA-VO, Erwägungsgrund 35 S. 2 EIOPA-VO. 609 Vgl. dazu Baur/Boegl BKR 2011, 177, 184 f.; Lehmann/Manger-Nestler ZBB 2011, 1, 17 f.; Snowdon/Lovegrove (2011) 83 C.O.B. 1, 28. 610 Vgl. dazu (in Bezug auf die EBA): Lehmann/Manger-Nestler ZBB 2011, 1, 18; näher zu den Unterschieden der 3 VO in diesem Bereich Snowdon/Lovegrove (2011) 83 C.O.B. 1, 30 ff. 611 Vgl. dazu auch Erwägungsgrund 39 EBA-VO/ESMA-VO, Erwägungsgrund 38 EIOPAVO; Snowdon/Lovegrove (2011) 83 C.O.B. 1, 29.

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aktive Rolle bei der Schaffung einer gemeinsamen Aufsichtskultur (Art. 29 EBA-VO/EIOPA-VO/ESMA-VO);612 Peer Reviews der Aufsichtstätigkeit der nationalen Aufsichtsbehörden (d.h. Analysen, in denen die Aufsichtsstandards und -praktiken der nationalen Aufsichtsbehörden verglichen werden) (Art. 30 EBA-VO/EIOPA-VO/ESMA-VO); 613 Koordinatorfunktion zwischen den nationalen Behörden, u.a. durch Informationsbeschaffung, -zentralisierung und -bewertung, Vermittlertätigkeit, etc. (Art. 31 EBA-VO/EIOPA-VO/ESMA-VO); 614 Bewertung von Marktentwicklungen (Art. 32 EBA-VO/EIOPA-VO/ESMAVO); 615 Internationale Beziehungen (Art. 33 EBA-VO/EIOPA-VO/ESMA-VO): 616 Die EBA/EIOPA/ESMA kann Kontakte mit Aufsichtsbehörden, zu internationalen Organisationen und den Verwaltungen von Drittstaaten knüpfen und Verwaltungsvereinbarungen mit diesen schließen (Abs. 1); zudem wird sie bei der Vorbereitung von Beschlüssen zur Anerkennung der Gleichwertigkeit der Aufsichtsregeln von Drittstaaten tätig (Abs. 2). Abgabe von Stellungnahmen zu allen in den Zuständigkeitsbereich der jeweiligen ESA fallenden Fragen (Art. 34 Abs. 1 EBA-VO/EIOPA-VO/ESMA-VO); die EBA und EIOPA zudem zur aufsichtsrechtlichen Beurteilung von Zusammenschlüssen und Übernahmen im Banken- bzw. Versicherungssektor (Art. 34 Abs. 2 EBA-VO/EIOPA-VO), die ESMA zudem zur aufsichtsrechtlichen Beurteilung von Beteiligungserwerben gem. Art. 10–10b MiFID 617 (Art. 34 Abs. 2 ESMA-VO); 618 Informationsbeschaffung von den zuständigen Behörden bzw. direkt von Finanzmarkteilnehmern und Versorgung nationaler Behörden mit den zur Aufgabenerfüllung erforderlichen Informationen (Art. 35 EBA-VO/EIOPA-VO/ESMA-VO); 619 Zusammenarbeit mit dem ESRB (Art. 36 Abs. 1 EBA-VO/EIOPA-VO/ESMAVO): Die ESA sind verpflichtet, eng und regelmäßig mit dem ESRB zusammenzuarbeiten (Abs. 1), ihm regelmäßig und rechtzeitig alle erforderlichen Informationen zur Verfügung zu stellen (Abs. 2) und im Falle von Warnungen und Empfehlungen des ESRB (vgl. dazu o. Rn. 282 ff.) entsprechende Abhilfemaßnahmen zu treffen (Abs. 3–6).

612 Vgl. auch Erwägungsgrund 40 EBA-VO/ESMA-VO, Erwägungsgrund 39 EIOPA-VO; Lehmann/Manger-Nestler ZBB 2011, 1, 17. 613 Vgl. auch Erwägungsgrund 41 EBA-VO/ESMA-VO, Erwägungsgrund 40 EIOPA-VO; Lehmann/Manger-Nestler ZBB 2011, 1, 17; Moloney (2011) 2 EBOR 177, 195 ff. 614 Vgl. auch Erwägungsgrund 42 EBA-VO/ESMA-VO, Erwägungsgrund 41 EIOPA-VO; Lehmann/Manger-Nestler ZBB 2011, 1, 18. 615 Vgl. auch Erwägungsgrund 43 EBA-VO/ESMA-VO, Erwägungsgrund 42 EIOPA-VO. 616 Vgl. auch Erwägungsgrund 44 EBA-VO/ESMA-VO, Erwägungsgrund 43 EIOPA-VO; Lehmann/Manger-Nestler ZBB 2011, 1, 17. 617 Zur MiFID bereits o. Rn. 55 ff., 208 ff. sowie ausf. § 33. 618 Vgl. auch Erwägungsgrund 45 EBA-VO/ESMA-VO, Erwägungsgrund 44 EIOPA-VO. 619 Vgl. auch Erwägungsgrund 46 EBA-VO/ESMA-VO, Erwägungsgrund 45 EIOPA-VO; Lehmann/Manger-Nestler ZBB 2011, 1, 18.

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(g) Sonstige Aufgaben auf Grund anderer Rechtsakte Gem. Art. 8 Abs. 1 lit. j EBA-VO/EIOPA-VO/ESMA-VO erfüllen die ESA ferner 307 alle Aufgaben, die ihnen durch andere Rechtsakte übertragen wurden. So wurde etwa insbesondere der ESMA die ausschließliche Zuständigkeit für die Registrierung und Beaufsichtigung von Ratingagenturen übertragen (vgl. dazu bereits o. Rn. 255 sowie noch § 37 Rn. 4, 13). (2) Tätigkeit im Zusammenhang mit Verbraucherschutz und Finanztätigkeiten Neben ihrer „Kern“-Aufsichtstätigkeit übernehmen die ESA eine Führungsrolle bei 308 der Förderung von Transparenz, Einfachheit und Fairness auf dem Markt für Finanzprodukte bzw. -dienstleistungen für Verbraucher (Art. 9 Abs. 1 EBA-VO/EIOPAVO/ESMA-VO). Hierzu wird bei EBA/EIOPA/ESMA jeweils ein Ausschuss für Finanzinnovationen errichtet (Art. 9 Abs. 4 EBA-VO/EIOPA-VO/ESMA-VO).620 Zudem sind die ESA befugt, Warnungen herauszugeben (Art. 9 Abs. 3 EBA-VO/ EIOPA-VO/ESMA-VO) sowie unter den in Art. 9 Abs. 5 EBA-VO/EIOPA-VO/ ESMA-VO näher spezifizierten Voraussetzungen bestimmte Finanztätigkeiten zu verbieten oder zu beschränken621. Vgl. dazu in Bezug auf die ESMA auch noch § 37 Rn. 14. bb) Organisation und Struktur der ESA (1) Organe Die ESA verfügen jeweils über folgende Organe (vgl. Art. 6 EBA-VO/EIOPA-VO/ 309 ESMA-VO; zu den Organen der ESMA auch noch § 37 Rn. 15 ff.):622 Einen Rat der Aufseher (Art. 40 ff. EBA-VO/EIOPA-VO/ESMA-VO, dazu u. Rn. 310), einen Verwaltungsrat (Art. 45 ff. EBA-VO/EIOPA-VO/ESMA-VO, dazu u. Rn. 311), einen Vorsitzenden (Art. 48 ff. EBA-VO/EIOPA-VO/ESMA-VO, dazu u. Rn. 312) und einen Exekutivdirektor (Art. 51 ff. EBA-VO/EIOPA-VO/ESMA-VO, dazu u. Rn. 313). Der Rat der Aufseher (Board of Supervisors) 623 ist das Hauptbeschlussfassungs- 310 organ der EBA/EIOPA/ESMA.624 Er gibt die Leitlinien für die Arbeiten der EBA/ EIOPA/ESMA vor und ist zuständig für den Erlass bzw. die Abgabe der Beschlüsse, 620 Vgl. dazu Hoffmann/Detzen DB 2011, 1261, 1262 f.; Moloney (2011) 2 EBOR 41, 69; Zülch/Hoffmann/Detzen EWS 2011, 167, 171. 621 Vgl. dazu Baur/Boegl BKR 2011, 177, 185; Hoffmann/Detzen DB 2011, 1261, 1263; Moloney (2011) 2 EBOR 177, 203 f.; Snowdon/Lovegrove (2011) 83 C.O.B. 1, 26; Zülch/Hoffmann/Detzen EWS 2011, 167, 171. 622 Graphischer Überblick über die Organstruktur des ESMA bei Zülch/Hoffmann/Detzen EWS 2011, 167, 168. 623 Vgl. dazu Baur/Boegel BKR 2011, 177, 185; Moloney (2011) 2 EBOR 41, 62; Lehmann/Manger-Nestler ZBB 2011, 1, 7 f.; Snowdon/Lovegrove (2011) 83 C.O.B. 1, 23; Zülch/Hoffmann/Detzen EWS 2011, 167, 168 f. 624 Vgl. Erwägungsgrund 52 EBA-VO/EIOPA-VO/ESMA-VO.

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Stellungnahmen, Empfehlung und Ratschläge (Art. 43 Abs. 1 u. 2 EBA-VO/EIOPAVO/ESMA-VO). Zudem beschließt er den Jahresbericht, den Haushaltsplan und das Arbeitsprogramm (vgl. Art. 43 Abs. 4–7 EBA-VO/EIOPA-VO/ESMA-VO). Der Rat der Aufseher besteht jeweils aus den Leitern der nationalen Aufsichtsbehörden für den jeweiligen Sektor sowie (als nicht stimmberechtigte Mitglieder) dem Vorsitzenden der jeweiligen ESA und jeweils einem Vertreter der Kommission, des ESRB und der anderen beiden ESA (vgl. Art. 40 Abs. 1 EBA-VO/EIOPA-VO/ESMA-VO); bei der EBA gehört ihm außerdem ein Vertreter der EZB als nicht stimmberechtigtes Mitglied an (Art. 40 Abs. 1 lit. d EBA-VO). Die Beschlussfassung erfolgt grundsätzlich mit einfacher Mehrheit, für bestimmte Beschlüsse ist aber eine qualifizierte Mehrheit erforderlich (Art. 44 Abs. 1 EBA-VO/EIOPA-VO/ESMA-VO). 311 Der Verwaltungsrat (Management Board) 625 gewährleistet, dass die jeweilige ESA ihren Auftrag ausführt und die ihr zugewiesenen Aufgaben wahrnimmt (Art. 47 Abs. 1 EBA-VO/EIOPA-VO/ESMA-VO). Er ist u.a. zuständig für den Vorschlag des Arbeitsprogramms und des Jahresberichts, hat bestimmte Haushaltsbefugnisse und nimmt die Personalplanung an (vgl. Art. 47 Abs. 2, 4, 6 EBA-VO/EIOPA-VO/ ESMA-VO). Er besteht aus dem Vorsitzenden und 6 von den stimmberechtigten Mitgliedern des Rates der Aufseher aus ihrem Kreis gewählten Mitgliedern (Art. 45 Abs. 1 Unterabs. 1 EBA-VO/EIOPA-VO/ESMA-VO); an den Sitzungen nehmen ferner (allerdings ohne Stimmrecht) der Exekutivdirektor und ein Vertreter der Kommission teil (Art. 45 Abs. 2 Unterabs. 2 EBA-VO/EIOPA-VO/ESMA-VO). 312 Der Vorsitzende (Chairperson) 626, 627, der dieses Amt unabhängig und in Vollzeit ausübt, vertritt die jeweilige ESA nach außen, bereitet die Arbeiten des Rates der Aufseher vor und leitet dessen Sitzungen sowie diejenigen des Verwaltungsrates (Art. 48 Abs. 1 EBA-VO/EIOPA-VO/ESMA-VO). Er wird vom Rat der Aufseher für 5 Jahre (mit der Option einer einmaligen Wiederwahl) gewählt (Art. 48 Abs. 2, 3 EBA-VO/ EIOPA-VO/ESMA-VO). 313 Der Exekutivdirektor (Executive Director) 628, 629, der dieses Amt ebenfalls unabhängig und in Vollzeit ausübt, leitet die ESMA und bereitet die Arbeiten des Verwaltungsrates vor (Art. 51 Abs. 1, 53 Abs. 1 EBA-VO/EIOPA-VO/ESMA-VO). Er trägt

625 Vgl. dazu Baur/Boegel BKR 2011, 177, 185; Lehmann/Manger-Nestler ZBB 2011, 1, 8; Moloney (2011) 2 EBOR 41, 62; Snowdon/Lovegrove (2011) 83 C.O.B. 1, 23; Zülch/ Hoffmann/Detzen EWS 2011, 167, 168 f. 626 EBA-Vorsitzender ist derzeit Andrea Enria, EIOPA-Vorsitzender Gabriel Bernardino und ESMA-Vorsitzender Steven Maijoor. 627 Vgl. dazu Baur/Boegel BKR 2011, 177, 185; Lehmann/Manger-Nestler ZBB 2011, 1, 8; Moloney (2011) 2 EBOR 41, 62; Snowdon/Lovegrove (2011) 83 C.O.B. 1, 23; Zülch/ Hoffmann/Detzen EWS 2011, 167, 168 f. 628 EBA-Exkutivdirektor ist derzeit Adam Farkas, EIOPA-Exekutivdirektor ist derzeit Carlos Montalvo, ESMA-Exekutivdirektorin derzeit Verena Ross. 629 Vgl. dazu Baur/Boegel BKR 2011, 177, 185 f.; Moloney (2011) 2 EBOR 41, 62; Snowdon/Lovegrove (2011) 83 C.O.B. 1, 23; Zülch/Hoffmann/Detzen EWS 2011, 167, 168 f.; zum (parallel geregelten) Exekutivdirektor der EBA: Lehmann/Manger-Nestler ZBB 2011, 1, 8.

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die operative Verantwortung für die Behörde und das Personal, erstellt das Arbeitsprogramm und den Entwurf für den Jahresbericht und den Haushaltsplan (Art. 53 Abs. 2–8 EBA-VO/EIOPA-VO/ESMA-VO). Auch er wird vom Rat der Aufseher für 5 Jahre (mit der Option einer einmaligen Wiederwahl) gewählt (Art. 51 Abs. 2, 3 EBA-VO/EIOPA-VO/ESMA-VO). (2) Organisationsstruktur im Übrigen Zur Erleichterung der Konsultation mit Interessenvertretern im Hinblick auf techni- 314 sche Regulierungs- und Durchführungsstandards (dazu o. Rn. 301) wurden bei den ESA Interessengruppen (Stakeholder Groups) für den jeweiligen Sektor eingesetzt (Art. 37 EBA-VO/EIOPA-VO/ESMA-VO).630 Vgl. dazu in Bezug auf die ESMA noch näher § 37 Rn. 21. Im Interesse einer effizienten praktischen Arbeit kann der Rat der Aufseher zu- 315 dem bestimmte Aufgaben auf den Verwaltungsrat, den Vorsitzenden oder zu diesem Zweck von ihm eingesetzte interne Ausschüsse (committees) und Gremien (panels) delegieren (Art. 41 Abs. 1 EBA-VO/EIOPA-VO/ESMA-VO). Vgl. dazu in Bezug auf die ESMA noch näher § 37 Rn. 20. cc) Rechtsschutz gegen die Beschlüsse der ESA Um wirksamen Rechtsschutz zu gewährleisten 631, wurde durch Art. 60 EBA-VO/ 316 EIOPA-VO/ESMA-VO der spezielle Rechtsbehelf der Beschwerde zum Beschwerdeausschuss (dazu u. Rn. 322) etabliert 632 (vgl. dazu in Bezug auf die ESMA auch noch § 37 Rn. 14). Sie kann von jeder natürlichen oder juristischen Person, einschließlich der nationalen Behörden, gegen Beschlüsse der EBA/EIOPA/ESMA, die entweder an sie adressiert sind, oder von denen sie unmittelbar und individuell betroffen ist, eingelegt werden (Abs. 1). Die Beschwerde hat muss binnen 2 Monaten einlegt werden (Abs. 2 S. 1) und hat grundsätzlich keine aufschiebende Wirkung (Abs. 3). Die Entscheidung des Beschwerdeausschusses, die binnen 2 Monaten ab Einreichung der Beschwerde zu erfolgen hat (Abs. 2 S. 2), ist zu begründen und zu veröffentlichen (Abs. 7). Gegen den Beschluss des Beschwerdeausschusses kann Nichtigkeitsklage gem. Art. 263 Abs. 4 AEU zum EuG (vgl. Art. 256 Abs. 1 S. 1 AEU) erhoben werden (Art. 61 Abs. 1 Alt. 1 EBA-VO/EIOPA-VO/ESMA-VO). In den in Art. 61 EBA-VO/EIOPA-VO/ESMA-VO geregelten Fällen sind auch 317 direkte Klagen zum EuG/EuGH möglich (vgl. dazu in Bezug auf die ESMA näher § 37 Rn. 25).633 630 Vgl. dazu Baur/Boegel BKR 2011, 177, 186; Weber-Rey AG 2011, R235 f.; Zülch/Hoffmann/Detzen EWS 2011, 167, 169. 631 Vgl. Erwägungsgrund 58 EBA-VO/EIOPA-VO/ESMA-VO. 632 Vgl. dazu Baur/Boegel BKR 2011, 177, 186; Lehmann/Manger-Nestler ZBB 2011, 1, 8, 18 f. 633 Vgl. dazu Baur/Boegel BKR 2011, 177, 186; Lehmann/Manger-Nestler ZBB 2011, 1, 8, 19 f.

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Art. 38 EBA-VO/EIOPA-VO/ESMA etabliert darüber hinaus einen besonderen Schutzmechanismus für den Fall, dass ein Mitgliedstaat der Auffassung ist, dass ein Beschluss sich auf seine haushaltspolitische Zuständigkeiten auswirkt.634

b) Gemeinsame Gremien der ESA 319 Gemeinsame Gremien der ESA sind der Gemeinsame Ausschuss der Europäischen Aufsichtsbehörden (dazu u. Rn.320 f.) und der Beschwerdeausschuss (dazu u. Rn. 322).

aa) Der Gemeinsame Ausschuss der Europäischen Aufsichtsbehörden 320 Um eine sektorübergreifende Kohärenz der Aufsichtstätigkeiten von EBA, EIOPA und ESMA sicherzustellen, sind sie zu einer regelmäßigen und engen Zusammenarbeit verpflichtet (vgl. Art. 2 Abs. 3 EBA-VO/EIOPA-VO/ESMA-VO). Zu diesem Zweck wurde – als eigenständiger Bestandteil des ESFS (vgl. Art. 2 Abs. 2 lit. e EBAVO/EIOPA-VO/ESMA-VO) – der Gemeinsame Ausschuss (Joint Committee) der Europäischen Aufsichtsbehörden635 (Art. 54–57 EBA-VO/EIOPA-VO/ESMA-VO) geschaffen. Er dient als gemeinsames Forum der ESA (vgl. Art. 54 Abs. 2 EBA-VO/ EIOPA-VO/ESMA-VO) und soll eine sektorübergreifende Abstimmung insbesondere in Bezug auf Finanzkonglomerate, Rechnungslegung und -prüfung, mikroprudentielle Analysen sektorübergreifender Entwicklungen, Risiken und Schwachstellen in Bezug auf die Finanzstabilität, Anlageprodukte für Kleinanleger, Maßnahmen zur Bekämpfung von Geldwäsche sowie die Beziehungen zum ESRB gewährleisten (vgl. Art. 54 Abs. 2 EBA-VO/EIOPA-VO/ESMA-VO). Insbesondere soll er auch dafür sorgen, dass bei sektorübergreifenden Themen gemeinsame Positionen der ESA herbeigeführt werden und diesbezügliche Maßnahmen, sofern angebracht, gleichzeitig angenommen werden (vgl. Art. 56 EBA-VO/EIOPA-VO/ESMA-VO). 321 Der Gemeinsame Ausschuss setzt sich aus den Vorsitzenden der ESA sowie den Vorsitzenden seiner Unterausschüsse (geregelt in Art. 57 EBA-VO/EIOPA-VO/ ESMA-VO) zusammen (Art. 55 Abs. 1 EBA-VO/EIOPA-VO/ESMA-VO). Er verfügt über eigenes Personal, das von den ESA bereitgestellt wird; diese sind zudem verpflichtet, angemessene Ressourcen, Verwaltungs-, Infrastruktur- und Betriebsaufwendungen bereit zu stellen (vgl. Art. 54 Abs. 3 EBA-VO/EIOPA-VO/ESMA-VO).

634 Vgl. dazu Moloney (2011) 2 EBOR 41, 79; dies. (2011) 2 EBOR 177, 210 f.; dies. (2011) 50 ICLQ 521, 531; Wymeersch ECFR 2010, 240, 261. 635 Vgl. dazu Lehmann/Manger-Nestler EuZW 2010, 87, 88; Snowdon/Lovegrove (2011) 83 C.O.B. 1, 24.

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bb) Beschwerdeausschuss Zweites Gemeinsames Gremium der ESA ist der Beschwerdeausschuss (Board of 322 Appeal) 636 (Art. 58 f. EBA-VO/EIOPA-VO/ESMA-VO), der aus unabhängigen Fachexperten besteht und über Beschwerden gegen Beschlüsse der EBA, EIOPA und ESMA entscheidet (vgl. Art. 60 EBA-VO/ESMA-VO/EIOPA-VO, dazu o. Rn. 316).

c) Nationale Aufsichtsbehörden Die Zuständigkeit für die laufende Aufsicht auf Mikroebene verbleibt auch im neuen 323 Europäischen Finanzaufsichtssystem grundsätzlich bei den nationalen Aufsichtsbehörden (vgl. Erwägungsgrund 9 S. 1 EBA-VO/ESMA-VO, Erwägungsgrund 8 S. 1 EIOPA-VO). Ratio ist, dass sie über den entsprechenden „lokalen Sachverstand“ verfügen und den in ihren Ländern tätigen Institutionen am nächsten sind 637. Indem nur diejenigen Aufsichts- und Koordinationsfunktionen, die auf nationaler Ebene nicht ausreichend realisiert werden können, „hochgezont“ werden, wird darüber hinaus auch dem Subsidiaritätsprinzip und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Rechnung getragen (vgl. Erwägungsgrund 66 EBA-VO/EIOPA-VO/ESMA-VO). Entsprechend dieser Grundkonzeption bestehen in bestimmten Sonderfällen – 324 nämlich dort, wo nationale Maßnahmen gerade nicht mehr ausreichen oder versagen bzw. Koordinierungsbedarf auf europäischer Ebene besteht – auch Befugnisse der ESA für direktes Eingreifen in das Marktgeschehen (vgl. dazu o. Rn. 303 f., 308). Soweit dies notwendig erscheint, kann darüber hinaus für bestimmte Bereiche ggf. auch eine exklusive Aufsichtszuständigkeit einer ESA vorgesehen werden; bislang ist dies allerdings nur im Hinblick auf die Aufsicht über Ratingagenturen durch die ESMA geschehen (vgl. o. Rn. 255 sowie § 37 Rn. 4, 13). Zur Verwirklichung des Ziels der Schaffung eines wirklich „starken und integrier- 325 ten Netzwerks“ nationaler und europäischer Aufsichtsbehörden (vgl. Erwägungsgründe 8 S. 3, 9 S. 1 EBA-VO/ESMA-VO, Erwägungsgründe 7 S. 3, 8 S. 1 EIOPA-VO) etablieren ESRB-VO, EBA-VO, EIOPA-VO und ESMA-VO ergänzend umfassende Kooperationspflichten der einzelnen Akteure (vgl. auch bereits o. Rn. 287, 306, 320). Den nationalen Aufsichtsbehörden obliegen gegenüber dem ESRB und den ESA zahlreiche Mitwirkungspflichten, die insbesondere in der ausreichenden Informationsversorgung der ESA (vgl. o. Rn. 306), der Pflicht zur Umsetzung der von den ESA erlassenen Beschlüsse und sowie der Mitarbeit in den verschiedenen Gremien bestehen. Um eine kohärente Aufsichtspraxis zu schaffen, sind sie außerdem angehalten, die Leitlinien, Warnungen und Empfehlungen der ESA zu befolgen (vgl. zu diesen o. Rn. 302). Im Gegenzug werden den nationalen Aufsichtsbehörden aber auch zahl-

636 Vgl. dazu Lehmann/Manger-Nestler ZBB 2011, 1, 8, 18; Snowdon/Lovegrove (2011) 83 C.O.B. 1, 24; Zülch/Hoffmann/Detzen EWS 2011, 167, 169 f. 637 Vgl. KOM(2009) 501, S. 2; KOM(2009) 502, S. 2; KOM(2009) 503, S. 2.

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reiche Rechte eingeräumt. So sind sie insbesondere nicht nur verpflichtet, die ESA und den ESRB mit Informationen zu versorgen (vgl. o. Rn. 280, 306), sondern erhalten umgekehrt von den ESA (vgl. o. Rn. 306) sowie dem ESRB 638 auch die für die Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlichen Informationen. Zudem gehen mit ihren Mitwirkungspflichten in den einzelnen Gremien zugleich auch korrespondierende Einfluss- und Einwirkungsrechte auf die Regulierungs- und Aufsichtstätigkeit auf europäischer Ebene einher. Speziell durch das Rechtsmittel der Beschwerde (dazu o. Rn. 316) wird ihnen schließlich auch ein effektives Instrument zur Wahrung ihrer Rechte an die Hand gegeben.

5. Evalution des ESFS a) Allgemeines 326 Insgesamt lässt das ESFS eine deutliche Verbesserung der Aufsicht über die europäischen Finanzmärkte erwarten und ist somit grundsätzlich positiv zu bewerten.639 327 Allgemein zu bedenken gilt jedoch, dass die Finanzmärkte nicht an den EU-Grenzen enden, sondern auch global verknüpft sind. Um ein effizientes und stabiles Finanzsystem zu schaffen, ist daher eine globale Abstimmung erforderlich.640 Die Schaffung einer paneuropäischen Aufsicht ist hierfür aber immerhin ein erster wichtiger Schritt, speziell auch, weil die europäischen Institutionen explizit auch zu einer Kooperation mit internationalen Organisationen und Drittstaaten angehalten sind (vgl. dazu o. Rn. 288, 306).641 328 Darüber hinaus wird das Funktionieren des ESFS ganz maßgeblich von der Kooperation der Mitgliedstaaten abhängen, speziell davon, ob und inwieweit diese den europäischen Vorgaben – speziell auch den nicht bindenden Leitlinien, Warnungen und Empfehlungen von ESRB und ESA (vgl. dazu o. Rn. 282 ff., 302) – tatsächlich Folge zu leisten. Dies dürfte insbesondere in Krisenzeiten eine besondere Herausforderung sein – sind nationale Regierungen doch tendenziell häufig gerade in solchen Situation geneigt, den nationalen Interessen Priorität einzuräumen.

638 Die ESRB-VO enthält zwar keine den Art. 35 Abs. 3 EBA-VO/EIOPA-VO/ESMA-VO entsprechende ausdrückliche Regelung betreffend die Informationsweitergabe an die nationalen Aufsichtsbehörden. Auch Art. 1 Abs. 4 ESRB-VO bestimmte jedoch ausdrücklich, dass alle Teilnehmer am ESFS eine angemessene und zuverlässige Weitergabe von Informationen untereinander sicherstellen. Zudem erhalten die nationalen Aufsichtsbehörden jedenfalls auch i.R.d. Empfehlungen/Warnungen des ESRB (dazu o. Rn. 282 ff.) die notwendigen Informationen. 639 Vgl. etwa auch Bundesrat, BT-Drs. 736/09, S. 2; Lamandini (2009) 6 ECL 197, 200; Lehmann/Manger-Nestler EuZW 2010, 87, 92; Partsch ZBB 2010, 72, 76; Wymeersch ECFR 2010, 240, 265. 640 Vgl. Lehmann/Manger-Nestler EuZW 2010, 87, 88, 92. 641 Vgl. dazu auch Lehmann/Manger-Nestler EuZW 2010, 87, 88, 92.

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b) Makroaufsicht Mit der Schaffung des ESRB (dazu ausf. o. Rn. 275, 278 ff.) werden bisherige Lücken 329 im Aufsichtssystem im Bereich der Makroaufsicht auf europäischer Ebene geschlossen; dies war dringend geboten und ist daher nachdrücklich zu begrüßen.642 Letztlich wird es auf Grund der globalen Verknüpfung der Finanzmärkte auch in Bezug auf die Bekämpfung von Systemrisiken entscheidend auf eine effiziente internationale Zusammenarbeit ankommen (vgl. auch bereits o. Rn. 327). Darüber hinaus ist auch die konkrete Ausgestaltung des ESRB in einzelnen 330 Punkten nicht unproblematisch bzw. noch verbesserungsbedürftig. Nicht unbedenklich ist zunächst die enge Anbindung des ESRB an die EZB (vgl. dazu o. Rn. 291, 294); angesichts der insoweit bestehenden Synergieeffekte erscheint dies zwar im Grundsatz sinnvoll, andererseits ist aber nicht auszuschließen, dass hier im Einzelfall Zielund Interessenkonflikte auftreten.643 Problematisch ist weiterhin die Größe des Verwaltungsrates insofern, als sie zu Abstimmungsproblemen und somit zu Ineffizienzen führen kann;644 ob der zusätzliche Lenkungsausschuss insoweit Abhilfe schaffen kann, wird sich in der Praxis erweisen müssen. Schließlich lässt sich – insbesondere in Krisenzeiten – bezweifeln, ob das „act or explain“-Prinzip (dazu o. Rn. 284) allein ausreicht, um die Warnungen und Empfehlungen des ESRB durchzusetzen.645 Die ESRB-VO hat hier aber immerhin insofern vorgebaut, als bei Warnungen/Empfehlungen an Aufsichtsbehörden jeweils zugleich die betreffende ESA in Kenntnis gesetzt wird (vgl. o. Rn. 278), die dann ggf. die notwendigen Maßnahmen ergreifen kann. Auch insofern kommt es also maßgeblich auf eine enge und effektive Kooperation zwischen ESRB und den ESA an. c) Mikroaufsicht Die Grundkonzeption der Mikroaufsicht als „integriertes Netzwerk“ aus den drei 331 ESA (EBA, EIOPA und ESMA) und den nationalen Aufsichtsbehörden ist ebenfalls grundsätzlich positiv zu bewerten. So lässt insbesondere die Schaffung der ESA eine verbesserte Zusammenarbeit und Koordination der nationalen Aufsichtsbehörden646 sowie eine zunehmende Harmonisierung der Aufsichtsstandards erwarten, wodurch 642 Grundsätzlich positiv etwa auch Bundesrat, BT-Drs. 736/09, S. 3; Ferran/Alexander (2010) 35 E.L. Rev. 751, 776; Hopt NZG 2009, 1401, 1408; Papathanassiou/Zagouras WM 2010, 1584, 1588; Partsch ZBB 2010, 72, 76; Lehmann/Manger-Nestler EuZW 2010, 87, 92; Moloney (2010) 47 C.M.L. Rev. 1317, 1381. 643 Vgl. auch Lehmann/Manger-Nestler ZBB 2011, 2, 23; s. ferner auch Hofmann Kreditwesen 2010, 664, 665. 644 Vgl. Ferran/Alexander (2010) 35 E.L. Rev. 751, 765; Hopt NZG 2009, 1401, 1405; Moloney (2010) 47 C.M.L. Rev. 1317, 1381. 645 Vgl. Hopt NZG 2009, 1401, 1405; Lamandini (2009) 6 ECL 197, 200, 201; Partsch ZBB 2010, 72, 74; Snowdon/Lovegrove (2011) 83 C.O.B. 1, 21; abwartend auch Baur/Boegl BKR 2011, 177, 179. 646 Vgl. auch Moloney (2010) 47 C.M.L. Rev. 1317, 1349 f.; Schmitz-Lippert ECFR 2010, 266, 269.

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speziell auch Aufsichtsarbitrage verhindert werden kann647. Anderseits erscheint es sinnvoll, dass der europäische Gesetzgeber sich gegen ein rein zentralistisches und für ein föderalistisches Aufsichtsmodell mit einer Aufsicht sowohl auf europäischer als auch auf nationaler Ebene entschieden hat, da auf diese Weise den Eigenheiten der nationalen Märkte und der bestehenden nationalen Aufsichtspraktiken besser Rechnung getragen werden kann648 – zumal eine vollwertige und umfassende europäische Finanzaufsicht zumindest derzeit politisch ohnehin kaum durchsetzbar wäre. 332 Im Hinblick auf die vertikale Aufteilung der Aufsicht in die Sektoren Banken, Versicherungen und Wertpapiere stellt sich indes die Frage, ob die Aufsicht nicht effizienter wäre, wenn auf europäischer Ebene statt drei ESA nur eine einzige Institution für die Aufsicht über den gesamten Finanzmarkt zuständig wäre. Einen Konsens im Hinblick auf Aufbau, Funktionsweise und Standort einer solchen integrierten Beörde zu erzielen, wäre jedoch wohl erheblich schwieriger gewesen.649 Die Beibehaltung der sektoralen Aufteilung erschien dagegen sowohl politisch als auch administrativ-technisch opportun, weil damit an die bisherige Struktur der Level-3-Ausschüsse CEBS, CESR und CEIOPS angeknüpft werden konnte 650 (vgl. dazu o. Rn. 53, 296); zudem gestattete die Aufteilung auf drei Standorte auch die politisch wichtige Wahrung nationaler Besitzstände651 (vgl. dazu auch bereits o. Rn. 296). Das vertikale Aufsichtsmodell hat i.Ü. jedenfalls den unbestreitbaren Vorteil, dass damit den Besonderheiten des jeweiligen Finanzsektors besser Rechnung getragen werden.652 333 Zumindest nicht unproblematisch ist schließlich die Rechtssetzungskompetenz der EU.653 Zwar ist auch die Schaffung einer eigenständigen Behörde grundsätzlich als Rechtsangleichungsmaßnahme i.S.d. Art. 114 AEU zu qualifizieren.654 Im Schrifttum 647 Vgl. Moloney (2010) 47 C.M.L. Rev. 1317, 1356; Siekmann (Fn. 568), S. 37. Die Verhinderung von Aufsichtsarbitrage gehört explizit zu den Zielen der ESA, vgl. Art. 1 Abs. 5 lit. d EBA-VO/EIOPA-VO/ESMA-VO sowie Erwägungsgründe 11 S. 3, 36 EBA-VO/ ESMA-VO und Erwägungsgründe 10 S. 3, 35 EIOPA-VO. Vgl. zur Problematik der Aufsichtsarbitrage auch bereits de Larosière-Bericht (Fn. 545), S. 31, 33, 44. 648 Vgl. Masciandaro/Quintyn (2009) 6 ECL 187, 191 f.; a.A. Lamandini (2009) 6 ECL 197, 202. 649 Vgl. Moloney (2010) 47 C.M.L. Rev. 1317, 1355; dies. (2011) 2 EBOR 177, 217; WeberRey AG 2010, R453, R 455; Wymeersch ECFR 2010, 240, 254. 650 Vgl. Moloney (2011) 2 EBOR 177, 217; Wymeersch ECFR 2010, 240, 254. 651 Vgl. Lehmann/Manger-Nestler EuZW 2010, 87, 89; Möllers NZG 2010, 285, 289. 652 Vgl. Masciandaro/Quintyn (2009) 6 ECL 187, 192. 653 Vgl. dazu Lefterov (2011) 38 LIEI 33, 41 ff.; Lehmann/Manger-Nestler EuZW 2010, 87, 88; dies. ZBB 2011, 2, 7; Moloney (2011) 2 EBOR 41, 71 ff.; dies. (2011) 2 EBOR 177, 219 ff.; dies. (2011) 50 ICLQ 521, 528 f., 531; Partsch ZBB 2010, 72, 76; Siekmann (Fn. 568), S. 55 ff.; ders. VW 2010, 2010, 95, 111 f. 654 Vgl. KOM(2009) 501, S. 3; KOM(2009) 502, S. 3; KOM(2009) 503, S. 3; Franz/Ehlenz EuZW 2011, 623, 626; Lamandini (2009) 6 ECL 197, 200; Moloney (2010) 47 C.M.L. Rev. 1317, 1340 f.; Papathanassiou/Zagouras WM 2010, 1584, 1585; Partsch ZBB 2010, 72, 75; Siekmann (Fn. 568), S. 56 ff.; Sonder (Fn. 508), S. 27, 41; in Bezug auf den ESRB auch Ferran/Alexander (2010) 35 E.L. Rev. 751, 769 f., 776; vgl. allg. insbesondere auch EuGH v. 2.5.2006, Vereinigtes Königreich Grossbritannien und Nordirland ./. Europäisches Parlament und Rat der Europäischen Union, Rs. C-217/04, Slg. 2006, I-3771 (betreffend die Schaffung der ENISA). Kritisch jedoch etwa Lefterov (2011) 38 LIEI 33, 41 f.

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wird jedoch von namhaften Stimmen mit durchaus gewichtigen Argumenten bezweifelt, ob speziell die direkten Eingriffsbefugnisse der ESA (dazu o. Rn. 303 f., 308) mit den sich aus der Meroni-Rechtsprechung des EuGH 655 ergebenden Anforderungen an die Übertragung von Entscheidungs- und Ausführungsbefugnissen auf „Regulierungsagenturen“ vereinbar sind.656 Angesichts der allgemeinen Kontroverse um die genaue Reichweite dieser Judikatur (speziell mit Blick auf die fallspezifischen Besonderheiten der maßgeblichen Urteile) 657, die inzwischen erfolgte enorme Weiterentwicklung und Evolution des europäischen Rechts und das durch die Finanzkrise anschaulich demonstrierte Bedürfnis für die dringende Notwendigkeit einer effektiven Finanzaufsicht auch und gerade auf europäischer Ebene spricht allerdings vieles dafür, dass der EuGH – der diese Frage einzig letztverbindlich klären kann – die Primärrechtskonformität letztlich bejahen würde.658

VIII. Ausblick 1. Das Programm der Kommission für eine umfassende Reform der europäischen Finanzmarktregulierung a) Überblick Wie bereits (o. Rn. 25) dargelegt, hat die Kommission nach einem ersten Bündel von 334 Not- und Sofortmaßnahmen als Reaktion auf die Finanzkrise 2007/08 zu Recht die Notwendigkeit gesehen, auch die strukturellen Probleme und Defizite der europäischen Finanzmarktregulierung anzugehen und ein umfassendes Reformprogramm aufgelegt. Einen ersten Fahrplan skizzierte sie bereits in ihrer Mitteilung für die Frühjahrstagung des Rates 2009 659, in ihrer Mitteilung über die „Regulierung der Finanzdienstleistungen für ein nachhaltiges Wachstum“ v. 2.6.2010 660 schlug sie dann ein

655 Grundlegend: EuGH v. 13.6.1958, Meroni I, Rs. 9/56, Slg. 1956, 11; s. ferner EuGH v. 17.12.1970, Köster, Rs. 25/70, Slg. 1970, 1161; EuGH v. 5.12.1967, van der Vecht, Rs. 19/67, Slg. 1967, 462; EuGH v. 14.5.1981, Romano/INAMI, Rs. 98/80, Slg. 1981, 1241. 656 Vgl. Chamon (2011) 48 C.M.L. Rev. 1055 ff.; Lefterov (2011) 38 LIEI 33, 49 ff.; Lehmann/Manger-Nestler EuZW 2010, 87, 88; dies. ZBB 2011, 2, 7; Partsch ZBB 2010, 72, 75; Siekmann (Fn. 568), S. 69 ff.; ders. VW 2010, 2010, 95, 111 f. 657 Vgl. dazu ausf. Calliess in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 4. Auflage 2011, Art. 13 EU Rn. 47 ff.; Nettesheim in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, 43. Auflage 2011, Art. 13 EU Rn. 45 ff. (jeweils m.z.w.N.). 658 Für Primärrechtskonformität i.E. auch Häde EuZW 2011, 662, 663 f.; Lamandini (2009) 6 ECL 197, 200, 201 f.; Sonder (Fn. 508), S. 27, 41. 659 Mitteilung für die Frühjahrstagung des Europäischen Rates. Impulse für den Aufschwung in Europa, 4.3.2009, KOM(2009) 114. 660 Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und die Europäische Zentralbank. Regulierung der Finanzdienstleistungen für nachhaltiges Wachstum, 2.6.2010, KOM(2010) 301.

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umfassendes Paket legislativer Maßnahmen vor, die sie 2010/11 initiieren wollte. Im Februar 2011 wurde ein erster Fortschrittsbericht präsentiert.661 Beabsicht ist die Verabschiedung des gesamten Programms durch den europäischen Gesetzgeber bis spätestens 2012 und ein Inkrafttreten sämtlicher Maßnahmen bis spätestens 2013.662 Mit dem Reformprogramm verfolgt die Kommission 4 große Ziele: (1) Größere Transparenz, (2) effektive Aufsicht und Durchsetzung, (3) größere Krisenfestigkeit und Stabilität des Finanzsektors, und (4) mehr Verantwortungsbewusstsein und Verbraucherschutz.663 Zu ihrer Erreichung wurden in Anh. I der Mitteilung v. 2.6.2010 insgesamt 30 Einzelmaßnahmen aufgelistet, für welche die Kommission eine Vorlage entsprechender Vorschläge bis spätestens Ende 2011 ankündigte.664 Ein Teil dieser Vorhaben war zur Zeit der Drucklegung dieses Buchs (Sommer 2011) bereits in die Tat umgesetzt, so insbesondere die CRD III 665, die Vorlage einer Mitteilung über mögliche Formen eines Bankenrettungsfonds 666, die Übertragung der ausschließlichen Aufsichtszuständigkeit über Ratingagenturen auf die ESMA (dazu o. Rn. 255 sowie noch § 37 Rn. 4, 13) und die Vorlage eines Grünbuchs zur Corporate Governance in Finanzinstituten (dazu näher § 18 Rn. 72 ff.). Bei einer ganzen Reihe anderer angekündigten Maßnahmen stand die Realisierung dagegen noch aus, wobei ein Teil davon immerhin bereits in die Wege geleitet war. Aus dem Kreis der noch ausstehenden Reformvorhaben sind insbesondere hervorzuheben: Die Novellierung und Modernisierung zahlreicher bestehender Rechtsakte (dazu u. Rn. 339), die Harmonisierung der Sanktionsregelungen (dazu u. Rn. 340), die Regulierung von Leerverkäufen und CDS (dazu u. Rn. 341 ff.), die Regulierung von OTC-Derivaten (dazu u. Rn. 346 ff.), die Harmonisierung der Regelungen für zentrale Wertpapierverwahrstellen und die Wertpapierabwicklung (dazu u. Rn. 351) sowie die Harmonisierung der Anforderungen an Kleinanlegerprodukte (dazu u. Rn. 352). Die Kommission hat dabei aber zu Recht ausdrücklich betont, dass es angesichts der globalen Verflechtung der internationalen Finanzmärkte im Rahmen sämtlicher Reformen auch einer engen Koordinierung mit den wichtigsten internationalen Partner der EU bedarf und insofern speziell den G20 eine Schlüsselrolle zukommt.667

661 Regulierung der Finanzdienstleistungen für nachhaltiges Wachstum. Fortschrittsbericht – Februar 2011, abrufbar unter http://ec.europa.eu/internal_market/finances/docs/ 110209_progress_report_financial_issues_de.pdf. 662 Vgl. Fortschrittsbericht (Fn. 661), S. 13. 663 Vgl. KOM(2010) 301, S. 4 ff. 664 Vgl. KOM(2010) 301, S. 9 f. (Anh. I). 665 RL 2010/76/EU des Europäischen Parlaments und des Rates v. 24.11.2010 zur Änderung der Richtlinien 2006/48/EG und 2006/49/EG im Hinblick auf die Eigenkapitalanforderungen für Handelsbuch und Wiederverbriefungen und im Hinblick auf die aufsichtliche Überprüfung der Vergütungspolitik, ABlEU v. 14.12.2010, L 329/3. 666 Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und die Europäische Zentralbank, Bankenrettungsfonds, 20.5.2010, KOM(2010) 254. 667 Vgl. KOM(2010) 301, S. 8.

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b) Die wichtigsten für die Zukunft anstehenden Reformmaßnahmen aa) Novellierung und Modernisierung bereits bestehender Rechtsakte Zunächst sollen noch im Laufe des Jahres 2011 verschiedene bereits bestehende 339 Rechtsakte novelliert und modernisiert werden. Hierzu zählen insbesondere die MiFID (vgl. dazu § 33 Rn. 4), die MAD (dazu § 35 Rn. 5), die Rating-VO (vgl. dazu o. Rn. 260 ff.), die Anlegerentschädigungs-RL (vgl. dazu o. Rn. 225), die FICOD (vgl. dazu o. Rn. 227) und die Reform der CRD und der Banken-RL durch das CRD IV-Gesamtpaket (dazu o. Rn. 229).

bb) Harmonisierung der Sanktionsregelungen Als Ergänzung zur Neuordnung des Finanzaufsichtsrahmens (dazu o. Rn. 263 ff.) sol- 340 len nun im Interesse einer effektiven Durchsetzung auch die Sanktionsregelungen für Verstöße gegen Finanzmarktvorschriften harmonisiert werden.668 Diese weisen bislang erhebliche Unterschiede und teils auch substantielle Defizite auf, die nicht nur zu Wettbewerbsverzerrungen führen, sondern sich insbesondere auch nachteilig auf die Marktintegrität und das Anlegervertrauen auswirken.669 Als zentrale Punkte für eine Harmonisierung nannte die Kommission in ihrer Mitteilung v. 8.12.2010 670, mit der zugleich eine Konsultation671 eingeleitet wurde, insbesondere Art, Schwere und Adressaten der Sanktionen, die Pflicht zu ihrer öffentlichen Bekanntmachung sowie die Möglichkeit, nicht nur zivil-, sondern auch strafrechtliche Sanktionen zu verhängen.672 In ihrem nach Abschluss der Konsultation Anfang 2011 veröffentlichten Feedback Statement 673 erklärte die Kommission, dass sie plant, künftig im Zuge der (turnusmäßigen bzw. ggf. auch außerturnusmäßigen) Überarbeitung der einzelnen Rechtsakte einheitliche Mindeststandards für die Ausgestaltung und Anwendung verwaltungsrechtlicher Sanktionen für Verstöße einzuführen; zudem werde sie prüfen, ob und in welchen Fällen ggf. auch strafrechtliche Sanktionen notwendig sind674.

668 Vgl. KOM(2010) 301, S. 6. 669 Vgl. dazu näher KOM(2010) 716, S. 7 ff. 670 Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen. Stärkung der Sanktionsregelungen im Finanzdienstleistungssektor, 8.12.2010, KOM(2010) 716. 671 Ergebnisse abrufbar unter http://ec.europa.eu/internal_market/consultations/2010/ sanctions_en.htm. 672 Vgl. KOM(2010) 716, S. 13 ff. 673 Feedback Statement on public consultation on Commission Communication – Reinforcing sanctioning regimes in the financial sector, abrufbar unter http://ec.europa.eu/ internal_market/consultations/docs/2010/sanctions/feedback_en.pdf. 674 Vgl. Feedback Statement (Fn. 673), S. 5 f.

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cc) Regulierung von Leerverkäufen und CDS 341 Geplant ist weiterhin eine Harmonisierung des Rechtsrahmens für Leerverkäufe (short selling)675 und Credit Default Swaps (CDS) 676. Hintergrund ist, dass auf dem Höhepunkt der Finanzkrise mehrere EU-Mitgliedstaaten (darunter auch Deutschland 677) und die USA Maßnahmen ergriffen, um den Leerverkauf bestimmter oder sämtlicher Wertpapiere zu beschränken oder zu verbieten, weil man Bedenken hatte, dass derartige Leerverkäufe in Krisenzeiten die Abwärtsspirale der Aktienkurse verstärken, dadurch die Lebensfähigkeit der Finanzinstitute bedrohen und zur Entstehung systemischer Risiken führen könnten.678 Beschränkungen für Leerverkäufe von Aktien und/oder CDS waren darüber hinaus in einigen Mitgliedstaaten speziell auch vor dem Hintergrund der Griechenland-Krise und der Rolle, die DerivateTransaktionen, insbesondere CDS hierbei gespielt hatten, eingeführt worden.679 Die aus den teilweise höchst unterschiedlichen Bestimmungen resultierende fragmentarische Rechtslage führte zu erheblichen Unstimmigkeiten und Schwierigkeiten, so dass eine Harmonisierung dringend geboten erschien.680 342 Die Kommission legte daher am 15.9.2010 einen Vorschlag für eine VO über Leerverkäufe und bestimmte Aspekte von CDS 681 vor. Im Mai 2011 konnte bereits eine politische Einigung im Rat erzielt werden.682

675 Allgemein zu Funktionsweise und Erscheinungsformen sowie möglicher Arten der Regelung von Leerverkäufen Mittermeier ZBB 2010, 139 ff. m.w.N. 676 Ein Credit Default Swap (CDS) ist ein Kreditderivat, das ähnlich einer Kreditversicherung funktioniert: Bei einem CDS wird das Ausfallrisiko eines Referenzschuldners vom Verkäufer eines CDS auf den Käufer eines CDS übertragen. Der Verkäufer eines CDS ist somit Sicherungsnehmer und zahlt an den Käufer des CDS eine Risikoprämie. Der Käufer eines CDS ist Sicherungsgeber und verpflichtet sich zur Leistung von Ausgleichszahlungen, sofern der vereinbarte Versicherungsfall eintritt. Vgl. auch die Legaldefinition in Art. 2 Abs. 1 lit. c VO-Entwurf (Fn. 681). Näher Rudolf in: Kümpel/Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, 4. Aufl. 2011, Rn. 19.229 ff.; Lenenbach (Fn. 5), Rn. 9.168 ff. 677 §§ 30h–30j WpHG; eingeführt durch Gesetz zur Vorbeugung gegen missbräuchliche Wertpapier- und Derivategeschäfte v. 21.7.2010, BGBl. I, 945. Dazu etwa Elsas/Johanning/Koziol/Müller/Rudolph/Schiereck Kreditwesen 2010, 747 ff.; Findeisen/Tönningsen WM 2011, 1405 ff.; Liebscher/Ott NZG 2010, 841, 844 f.; Litten/Bell BKR 2011, 314, 316 ff.; Möllers/Christ/Harrer NZG 2010, 1124 ff.; dies. NZG 2010, 1167 ff.; Mock WM 2010, 2248 ff. Zuvor hatte bereits die BaFin ein Verbot und bestimmte Transparenzpflichten angeordnet, vgl. dazu näher Tyrolt/Bingel BB 2010, 1419, 1420 ff.; Zimmer/Beisken WM 2010, 485 ff.; Zimmer (Fn. 513), G 83 ff. m.z.w.N. 678 Vgl. Erwägungsgrund 1 des VO-Entwurfs; KOM(2010) 915, S. 2. 679 Vgl. KOM(2010) 915, S. 2. 680 Vgl. KOM(2010) 915, S. 2. 681 Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über Leerverkäufe und bestimmte Aspekte von Credit Default Swaps, 15.9.2010, KOM(2010) 915. Dazu etwa Findeisen/Tönningsen WM 2011, 1405, 1410 f.; Litten/Bell BKR 2011, 314, 318 ff.; Möllers/Christ/Harrer NZG 2010, 1124 f.; dies. NZG 2010, 1167 ff.; Mülbert/ Wilhelm (2011) 26 B.F.L.R. 187, 225 f.; Snowdon/Lovegrove (2011) 83 C.O.B. 1, 37. 682 Vgl. Dok. 10232/11.

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Der VO-Entwurf sieht zunächst ein zweistufiges Transparenzsystem für signifi- 343 kante Netto-Short-Positionen vor, im Rahmen dessen auf der 1. Stufe (ab 0,2 %) eine Meldung an die zuständigen Aufsichtsbehörden (Art. 5) und auf der 2. Stufe (ab 0,5 %) eine Offenlegung gegenüber der Öffentlichkeit erfolgen muss (Art. 7). Transparenz soll ferner dadurch gewährleistet werden, dass die Handelsplätze ein System zur Kennzeichnung von Leerverkaufsordern entwickeln (Art. 6, sog. flagging). Zur Bewältigung des speziell mit ungedeckten Leerverkäufen verbundenen Risi- 344 kos ist vorgesehen, dass Leerverkäufe nur gestattet sind, wenn der Investor sich die betreffenden Instrumente geliehen, eine Leihvereinbarung getroffen oder von einem Dritten die Zusage erhalten hat, die Instrumente zu lokalisieren und zu reservieren, so dass sie bis zum Fälligkeitsdatum der Geschäftsabwicklung geliefert werden können (Art. 12). Zudem müssen die Handelsplätze gem. Art. 13 sicherstellen, dass geeignete Vorkehrungen für Eindeckungsverfahren (buy in) mit Aktien oder öffentlichen Schuldtiteln bestehen, und dass Geldbußen zu entrichten sind und weitere Leerverkäufe verboten werden, falls die Abwicklung einer Transaktion scheitert. Der VO-Entwurf sieht darüber hinaus in Art. 16 ff. auch umfassende Regelungen 345 betreffend die Eingriffsbefugnisse der Aufsichtsbehörden vor, wobei der ESMA (zu dieser o. Rn. 276, 296 ff. sowie § 37) insofern Koordinierungsfunktion zukommen soll.683 In Ausnahmesituationen und bei signifikantem Kursverfall sind Beschränkungen und als ultima ratio ggf. auch ein Verbot von Leerverkäufen möglich, allerdings jeweils nur zeitlich befristet. dd) Regulierung von OTC-Derivaten und zentralen Gegenparteien Geplant ist außerdem eine Regelung zu außerbörslich („over the counter“ – OTC) ge- 346 handelten Derivaten.684 Da es sich bei solchen OTC-Derivaten um privat ausgehandelte Verträge handelt und die diesbezüglichen Informationen i.d.R. nur den Vertragsparteien vorliegen, besteht insoweit bislang keine hinreichende Transparenz; sie bilden jedoch ein komplexes Netz gegenseitiger Abhängigkeiten, das Art und Höhe der damit verbundenen Risiken schwierig abschätzbar macht und das – wie i.R.d. Finanzkrise deutlich wurde – die Unsicherheiten in Krisenzeiten noch erhöhen und damit die Finanzstabilität gefährden kann.685 Nachdem sich bereits die de Larosière-Gruppe (dazu o. Rn. 266) 686 für eine Regu- 347 lierung des OTC-Derivatehandels ausgesprochen hatte, führte die Kommission 2009 687 und 2010 688 zwei Konsultationen durch und veröffentlichte zudem im Oktober 2009 683 684 685 686 687

Vgl. KOM(2010) 915, S. 9 f. Vgl. umfassend zu OTC-Derivaten Rudolf (Fn. 676), Rn. 19.101 ff. Vgl. Erwägungsgrund 4 OTC-VOE (Fn. 691). Vgl. de Larosière-Bericht (Fn. 545), S. 29. Consultation Document: Possible initiatives to enhance the resilience of OTC Derivatives Markets, 3.7.2009, SEC(2009) 914. Konsultationsergebnisse abrufbar unter http:// ec.europa.eu/internal_market/consultations/2009/derivatives_en.htm. 688 Public Consultation on Derivatives and Market Infrastructures, Konsultationsdokument und -ergebnisse abrufbar unter http://ec.europa.eu/internal_market/consultations/2010/ derivatives_en.htm.

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auch eine Mitteilung zu Derivatenmärkten689. Zwischenzeitlich hatten auch die G20 ausdrücklich für eine Regulierung plädiert.690 Unter Berücksichtigung all dessen legte die Kommission schließlich am 15.9.2010 einen Vorschlag für eine VO über OTCDerivate, zentrale Gegenparteien und Transaktionsregister (OTC-VO) 691 vor. 348 Um den mit OTC-Derivaten verbundenen Risiken entgegen zu wirken, sind darin zunächst Transparenzanforderungen vorgesehen. Finanzielle Gegenparteien (financial counterparties) 692 sollen Geschäfte mit OTC-Derivaten künftig an ein spezielles Transaktionsregister melden müssen (Art. 6 OTC-VOE).693 Für die Registrierung und Kontrolle dieser Transaktionsregister soll die ESMA zuständig sein (vgl. Art. 51 ff. OTC-VOE).694 Nichtfinanzielle Gegenparteien (non-financial counterparties) sollen der Meldepflicht nur bei Überschreiten bestimmter – von der Kommission in Zusammenarbeit der ESMA noch festzulegender – Schwellenwerte unterliegen (vgl. Art. 7 Abs. 1, 3 OTC-VOE).695 349 Um das Ausfallrisiko der Vertragsparteien zu reduzieren, sollen zudem Clearingpflichten696 eingeführt werden.697 Standardisierte 698 OTC-Derivatkontrakte sollen über zentrale Gegenparteien (central counterparties – CCP) abgewickelt werden müssen (Art. 3 ff. OTC-VOE),699 wobei auch diese Clearingpflicht für nichtfinanzielle Gegenparteien wiederum nur bei Überschreiten bestimmter – von der Kommission in 689 Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss, den Ausschuss der Regionen und die Europäische Zentralbank. Gewährleistung effizienter, sicherer und solider Derivatemärkte: Künftige politische Maßnahmen, 20.10.2009, KOM(2009) 563. Dazu Goldschmidt/Rudy Kreditwesen 2010, 268 f.; Meaking (2010) 77 C.O.B. 1, 4 ff.; Trepte/Byentsa CFL 2010, 260, 261 ff.; Yeoh BLR 2010, 264, 269 ff. 690 Vgl. G20 Leaders’ Statement. Pittsburgh Summit, 24./25.9.2009 (http://www.g20.org/ Documents/pittsburgh_summit_leaders_statement_250909.pdf), Ziff. 11; G-20 Toronto Summit Declaration, 26./27.6.2010 (http://www.g20.org/Documents/g20_declaration_ en.pdf), Ziff. 25. 691 Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über OTCDerivate, zentrale Gegenparteien und Transaktionsregister, 15.9.2010, KOM(2010) 484. Vgl. dazu Braithwaite (2011) 12 EBOR 87, 97 ff.; Diekmann/Fleischmann WM 2011, 1105 ff.; Mülbert/Wilhelm (2011) 26 B.F.L.R. 187, 221 ff.; Nietsch/Graef BB 2010, 1361 ff.; Snowdon/Lovegrove (2011) 83 C.O.B. 1, 36 f. 692 Legaldefiniert in Art. 2 Abs. 6 OTC-VOE. 693 Vgl. dazu Diekmann/Fleischmann WM 2011, 1105, 1106. 694 Vgl. dazu Nietsch/Graef BB 2010, 1361, 1363. 695 Vgl. dazu Diekmann/Fleischmann WM 2011, 1105, 1106 f. 696 Clearing ist nach der Legaldefinition in Art. 2 Abs. 3 OTC-VOE der Prozess der Erstellung von Abrechnungspositionen, darunter die Berechnung von Nettopositionen, und der Prozess der Prüfung, ob zur Absicherung des aus einer Transaktion erwachsenden Risikos Finanzinstrumente, Bargeld oder beides zur Verfügung stehen. 697 Vgl. KOM(2010) 484, S. 7. 698 Über die Standardisierung und damit die Qualifizierung zur Clearingpflicht entscheidet gem. Art. 4 OTC-VO die ESMA, die entweder auf Antrag (bottom-up) oder auf Eigeninitiative tätig werden kann (top-down), vgl. KOM(2010) 484, S. 7; Diekmann/Fleischmann WM 2011, 1105, 1106; Mülbert/Wilhelm (2011) 26 B.F.L.R. 187, 222 f. 699 Vgl. dazu näher Diekmann/Fleischmann WM 2011, 1105, 1106; Nietsch/Graef BB 2010, 1361, 1362.

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Zusammenarbeit mit der ESMA noch festzulegender – Schwellenwerte gelten soll (vgl. Art. 7 Abs. 2, 3 OTC-VOE) 700. CCP ist nach der Legaldefinition in Art. 2 Abs. 1 OTC-VOE eine Stelle, die rechtlich zwischen die Gegenparteien der auf einem oder mehreren Märkten gehandelten Kontrakte tritt, somit als Käufer für jeden Verkäufer bzw. als Verkäufer für jeden Käufer fungiert und für den Betrieb eines Clearingsystems zuständig ist.701 CCP garantieren die Erfüllung aller Geschäfte und übernehmen das Ausfallrisiko der Gegenparteien gegen eine Sicherheitsleistung (margin),702 so dass den Gegenparteien eine aufwendige gegenseitige Bonitätsprüfung erspart und das Kontrahentenausfallrisiko reduziert wird 703. Um zu gewährleisten, dass die CCP – bei denen die Ausfallrisiken dann gebün- 350 delt sind – selbst auch tatsächlich sicher und solide sind 704, sieht der OTC-VOE Vorschriften über ihre Zulassung (Art. 10 ff. OTC-VOE) und Beaufsichtigung (Art. 18 ff. OTC-VOE) vor; zudem werden allgemeine organisatorische Anforderungen (Art. 24 ff. OTC-VOE), Wohlverhaltensregeln (Art. 34 ff. OTC-VOE) und aufsichtsrechtliche Anforderungen (Art. 38 ff. OTC-VOE) aufgestellt.705

ee) Harmonisierung der Regelungen für zentrale Wertpapierverwahrstellen und die Wertpapierabwicklung Im Rahmen ihrer Maßnahmen zur Schaffung eines transparenteren und stabileren 351 Finanzsystems bereitet die Kommission zudem einen Legislativvorschlag über zentrale Wertpapierverwahrstellen und die Harmonisierung bestimmter Aspekte der Wertpapierabwicklung vor. Geplant ist ein harmonisierter Rechtsrahmen für Zentralverwahrer mit einer Definition, Regeln für ihre Zulassung und laufende Beaufsichtigung sowie Vorschriften zum Zugang und zur Interoperabilität. Daneben sollen aber auch zentrale Aspekte der Wertpapierabwicklung (speziell Abwicklungsdisziplin und -zeiträume) harmonisiert werden. Die Kommission hat hierzu Anfang 2011 einen Konsultation durchgeführt.706 Ein Legislativvorschlag war ursprünglich für Juni 2011 angekündigt 707, bis zur Drucklegung jedoch noch nicht erfolgt.

700 Vgl. dazu Diekmann/Fleischmann WM 2011, 1105, 1106 f. 701 CCP für an der Frankfurter Wertpapierbörse abgeschlossene Börsengeschäfte ist etwa die Eurex Clearing AG, zu dieser etwa näher Jobst ZBB 2010, 384, 387 ff. 702 Vgl. näher zu CCP: Jobst ZBB 2010, 384 ff. 703 Vgl. zu den wirtschaftlichen Vorteilen einer zentralen Gegenpartei Jobst, ZBB 2010, 384, 385 f. 704 Vgl. Erwägungsgrund 27 OTC-VOE; KOM(2010) 484, S. 10. 705 Vgl. dazu Diekmann/Fleischmann WM 2011, 1105, 1107 f.; Mülbert/Wilhelm (2011) 26 B.F.L.R. 187, 223 ff. 706 Konsultationsdokument und -ergebnisse abrufbar unter http://ec.europa.eu/internal_ market/consultations/2011/csd_en.htm. 707 Vgl. IP/11/29.

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Europäisches Kapitalmarktrecht

ff) Harmonisierte Anforderungen an Kleinanlegerprodukte 352 Das Europäische Kapitalmarktrecht wird neuerdings zunehmend stärker auch auf den Verbraucherschutz fokussiert. So wird z.B. den ESA neben ihrer Kerntätigkeit als Aufsichtsbehörde auch eine führende Rolle im Zusammenhang mit dem Verbraucherschutz zugewiesen (vgl. bereits o. Rn. 308 sowie in Bezug auf die ESMA § 37 Rn. 14). Zum Zweck des Anleger- und Verbraucherschutzes sollen nun auch die Anforderungen an Anlegerinformationen und Vertriebspraktiken in Bezug auf Kleinanlegerprodukte (packaged retail investment products – PRIPs) harmonisiert werden.708 Die Kommission hat hierzu Ende 2010/Anfang 2011 bereits eine Konsultation durchführt 709 und angekündigt, bis Ende 2011 einen Legislativvorschlag vorzulegen710.

2. Resümee 353 Die Kommission hat sich und Europa ein ambitioniertes Reformprogramm auferlegt. Für dessen Realisierung wird es nicht zuletzt auch entscheidend auf die Kooperations- und Mitwirkungsbereitschaft der Mitgliedstaaten ankommen. Da durch die Finanzkrise sämtliche nationale Regierungen erheblich unter Druck geraten sind, dürfte von einem entsprechenden Reformwillen auszugehen sein. 354 Dies wird auch durch die zügige Einigung auf die Schaffung eines neuen, Europäischen Finanzaufsichtssystems (ESFS) bestätigt (ausf. dazu o. Rn. 263 ff.). Neben den Legislativinitiativen der Kommission wird nunmehr insbesondere das ESFS zu einer stetig zunehmenden Harmonisierung beitragen. Von besonderer Bedeutung sind in diesem Kontext v.a. die Befugnis der ESA, maßgeblich zur Entwicklung verbindlicher technischer Standards beizutragen und bei Verstößen gegen das Unionsrechts unmittelbar einzugreifen (dazu o. Rn. 301, 303). 355 Die Kommission hat aber zu Recht betont, dass auch ein noch starkes europäisches Regulierungskonzept zur Gewährleistung eines effizienten Finanzsystems allein nicht ausreicht, sondern auf Grund der globalen Verflechtung der Finanzmärkte eine internationale Abstimmung – speziell i.R.d. G20 – erfolgen muss 711 (vgl. o. Rn. 308).

708 Vgl. KOM(2010) 301, S. 8. 709 Konsultationsdokument und -ergebnisse abrufbar unter http://ec.europa.eu/internal_ market/consultations/2010/prips_en.htm. Vgl. dazu Podewils ZBB 2011, 169, 177 ff. 710 Vgl. KOM(2010) 301, S. 10. 711 Vgl. allg. zur Internationalisierung der EU-Agenda etwa Moloney (2010) 47 C.M.L. Rev. 1317, 1361 ff., 1377 ff.

4. Kapitel: Perspektiven des Europäischen Unternehmensrechts § 18 Der Aktionsplan der Kommission aus dem Jahr 2003 – Inhalt, Umsetzung und Perspektiven der weiteren Entwicklung des Europäischen Gesellschaftsrechts – Literatur: Armour, John/Ringe, Wolf-Georg, European company law 1999–2010: renaissance and crisis, (2011) 48 C.M.L. Rev. 125; Bachmann, Gregor, Der „Europäische Corporate Governance-Rahmen“ – Zum Grünbuch 2011 der Europäischen Kommission –, WM 2011, 1301; Baums, Theodor, Aktuelle Entwicklungen im Europäischen Gesellschaftsrecht, AG 2007, 57; Bayer, Walter, Aktuelle Entwicklungen im Europäischen Gesellschaftsrecht, BB 2004, 1; Bayer, Walter/Schmidt, Jessica, Aktuelle Entwicklungen im Europäischen Gesellschaftsrecht (2004–2007), BB 2008, 454; dies., BB-Rechtsprechungs- und Gesetzgebungsreport im Europäischen Gesellschaftsrecht 2008/09, BB 2010, 387; dies., Überlagerungen des deutschen Aktienrechts durch das Europäische Unternehmensrecht: Eine Bilanz von 1968 bis zur Gegenwart, in: Bayer, Walter/Habersack, Mathias (Hrsg.), Aktienrecht im Wandel, Bd. 1, 2007, Kap. 18; Buschmann, Marco, EU-Grünbuch zur Corporate Governance: Alter Wein in neuen Schläuchen?, NZG 2011, 87; German Experts on Corporate Law, Stellungnahme zum Konsultationsdokument der High Level Group of Company Law Experts on Corporate Law, ZIP 2002, 1310; dies., Stellungnahme zum Report der High Level Group of Company Law Experts on a modern Regulatory Framework for Company Law in Europe, ZIP 2003, 863; Grundmann, Stefan, Die Struktur des Europäischen Gesellschaftsrechts von der Krise zum Boom, ZIP 2004, 2401; Haberer, Thomas, The Road Ahead: Zur Zukunft des europäischen Gesellschaftsrechts, GesRZ 2003, 211; Habersack, Mathias, Das Aktiengesetz und das Europäische Recht, ZIP 2006, 445; ders., Der Aufsichtsrat im Visier der Kommission, ZHR 168 (2004) 373; ders., Europäisches Gesellschaftsrecht im Wandel, NZG 2004, 1; Hopt, Klaus J., Europäische Corporate Governance für Finanzinstitute?, EuZW 2010, 561; ders., Europäisches Gesellschaftsrecht – Der Aktionsplan und die ersten Durchführungsmaßnahmen, in: Crezelius, Georg/Hirte, Heribert/Vieweg, Klaus (Hrsg.), Festschrift für Volker Röhricht zum 65. Geburtstag, 2005, S. 235; ders., European Company Law and Corporate Governance: Where does the Action Plan of the European Commission lead?, ECGI Law Working Paper 52/2005; ders., Modernisierung der Unternehmensleitung und -kontrolle, in: Aderhold u.a. (Hrsg.), Festschrift für Harm Peter Westermann zum 70. Geburtstag, 2008, S. 1039; ders., Europäisches Gesellschaftsrecht und deutsche Unternehmensverfassung, ZIP 2005, 461; Jahn, Joachim, Brüssel knöpft sich die Corporate Governance vor, AG 2011, 454; Jung, Stefanie, Das Grünbuch der Kommission zu einem europäischen Corporate Governance-Rahmen und die Weiterentwicklung des Europäischen Gesellschaftsrechts, BB 2011, 1987; Lenoir, Noëlle/ Conac, Pierre-Henri, Rapport du groupe de réflexion sur le futur du droit européen des sociétés: vers un changement du cap?, D. 2011, 1808; Link, Christian, Die Empfehlung zur Regelung der Vergütung von Mitgliedern der Unternehmensleitung börsennotierter Gesellschaften im Lichte der Rechtslage in Deutschland und Frankreich, GPR 2009, 229; Lutter, Marcus, Die Empfehlungen der Kommission vom 14.12.2004 und 15.2.2005 und ihre Umsetzung in Deutschland, EuZW 2009, 799; ders., Perspektiven des Gesellschaftsrechts in Deutschland und Europa, BB 1/2004, I; ders., The Commission Recommendations of 14 December 2004 and 15 February 2005 and their implemention in Germany, in: Tison, Michael (ed.), Perspectives in company law and financial regulation: essays in honours of Eddy Wymeersch, 2009, S. 132; Maul, Silja, Gesellschaftsrechtliche Entwicklungen in Europa – Bruch mit deutschen Traditionen?, Beil. zu BB 34/2005, 2; dies., Vorschläge der Expertengruppe zur Reform des EU-Gesellschaftsrechts, DB 2003, 27; Maul, Silja/Lanfermann, Georg, EU-Kommission nimmt Empfehlungen zu Corporate Governance an, DB 2004, 2407; dies., Europäische Corporate Governance – Stand der Entwicklungen, BB 2004, 1861; Maul, Silja/Lanfermann, Georg/Eggenhofer, Erich, Aktionsplan der Europäischen Kommission zur Reform des

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Perspektiven des Europäischen Unternehmensrechts

Europäischen Gesellschaftsrechts, BB 2003, 1289; Merkt, Hanno, Die Pluralisierung des europäischen Gesellschaftsrechts, RIW 2004, 1; Neye, Hans-Werner, Die Entwicklung des Europäischen Gesellschaftsrechts im Spiegel der Brüsseler Konsultationsverfahren und Parlamentsentschließungen, in: Hommelhoff, Peter/Rawert, Peter/Schmidt, Karsten (Hrsg.), Festschrift für Hans-Joachim Priester zum 70. Geburtstag, 2007, S. 543; ders., Die Vereinfachung des Europäischen Gesellschaftsrechts: Irrungen und Wirrungen. Ein Bericht, in: Grundmann, Stefan u.a. (Hrsg.), Festschrift für Klaus J. Hopt zum 70. Geburtstag am 24. August 2010, 2010, S. 1079; Scheffler, Eberhard, EU-Grünbuch zur Corporate Governance, AG 2011 R262; Schmidt, Jessica, Neue Phase der Modernisierung des europäischen Gesellschaftsrechts, GmbHR 2011, R177; Spindler, Gerald, Die Empfehlungen der EU für den Aufsichtsrat und ihre deutsche Umsetzung im Corporate Governance Kodex, ZIP 2005, 2033; Tchotourian, Ivan, Synthèse des initiatives européennes en matière de sociétés par actions au cours de l’année 2007: maintien du cap pour une meilleure gouvernance!, (2008) 42 R.J.T.n.s. 483; Teichmann, Christoph, Pay without performance?, Vorstandsvergütung in Deutschland und Europa, GPR 2009, 235; van Hulle, Karel/Maul, Silja, Aktionsplan zur Modernisierung des Gesellschaftsrechts und Stärkung der Corporate Governance, ZGR 2004, 484; Veil, Rüdiger/Brinckmann, Hendrik, Corporate Governance im Europäischen Gesellschaftsrecht, Jura 2007, 366; Weber-Rey, Daniela, Effects of the better regulation approach on European Company Law and Corporate Governance, ECFR 2007, 370; Wiesner, Peter M., Corporate Governance: Aus Brüssel droht das Ende der nationalen Kodizes, BB 35/2004, I; ders., Corporate Governance und kein Ende, ZIP 2003, 977; ders., Neue Brüsseler Impulse für Corporate Governance und Gesellschaftsrecht, BB 2003, 213; Wittig, Arne, Reform der Corporate Governance in Finanzinstituten als Reaktion auf die Finanzkrise – Ein Überblick zu den aktuellen Überlegungen –, WM 2010, 2337; Wollmert, Peter/Oser, Peter/Orth, Christian, Reformüberlegungen zum Corporate Governance Framework in Europa – Würdigung des aktuellen Grünbuchs „Europäischer Corporate Governance-Rahmen“ aus deutscher Sicht –, DB 2011, 1432.

I. Einführung und Überblick 1 Nach der Stagnation der Gesellschaftsrechtsharmonisierung in den 1990er Jahren 1 hat das Europäische Gesellschaftsrecht seit Beginn des neuen Jahrtausends wieder einen regelrechten „Boom“ 2 erlebt – das Tempo, mit dem neue Verordnungen, Richtlinien, Empfehlungen und Grünbücher seitdem aus Brüssel kommen, erscheint manchmal geradezu atemberaubend. Als wesentliche „Wegmarken“ seien insofern etwa genannt: 2001 die SE (dazu § 41), 2003 die SCE (dazu § 42), 2004 die Übernahme-RL (dazu § 30) und die Empfehlung zur Organvergütung (dazu u. Rn. 47 ff.), 2005 die Empfehlung zu den Aufgaben nichtgeschäftsführender Direktoren und zu Ausschüssen (dazu u. Rn. 18 ff.) sowie die 10. RL betreffend die grenzüberschreitende Verschmelzung (dazu u. Rn. 89 sowie ausf. § 23), 2006 die neue Abschlussprüfer-RL (dazu § 27) und die Reform der 4. (Bilanz-)RL und 7. (Konzernbilanz-)RL (dazu u. Rn. 13, 85 sowie ausf. § 10 Rn. 13 ff.), 2007 die Aktionärsrechte-RL (dazu u. Rn. 14 sowie ausf. § 31), 2008 der Vorschlag für eine SPE (dazu u. Rn. 93 f. sowie ausf. § 43), 1 Vgl. zu den Hintergründen nur Bayer/J. Schmidt, Überlagerungen des deutschen Aktienrechts durch das Europäische Unternehmensrecht: Eine Bilanz von 1968 bis zur Gegenwart, in: Bayer/Habersack (Hrsg.), Aktienrecht im Wandel, Bd. 1, 2007, Kap. 18 Rn. 11 f. m.z.w.N. 2 Vgl. Grundmann ZIP 2004, 2401: „von der Krise zum Boom“.

Der Aktionsplan der Kommission aus dem Jahr 2003

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2009 zwei weitere Empfehlungen zur Vergütung (dazu u. Rn. 49 ff.), 2010 das Grünbuch Corporate Governance in Finanzinstituten (dazu näher u. Rn. 72 ff.) und 2011 der RL-Entwurf zur Verknüpfung der Unternehmensregister (dazu § 19 Rn. 7), das Grünbuch zum allgemeinen Corporate Governance-Rahmen (dazu näher u. Rn. 76 ff.) und der Entwurf für ein „CRD IV“-Gesamtpaket (dazu auch bereits § 17 Rn. 230, 262, 339) mit neuen Corporate Governance-Regeln für Finanzinstitute (vgl. dazu u. Rn. 5, 22, 27 f., 30, 34, 39, 41, 43, 54, 61, 75). Ausgangspunkt, Fundament oder zumindest maßgeblicher Neuimpuls für einen 2 Großteil dieser neuen Rechtsakte und Maßnahmen war der – auf Vorarbeiten der High Level Group of Company Law Experts (dazu näher u. Rn. 6) aufbauende – Aktionsplan „Modernisierung des Gesellschaftsrechts und Verbesserung der Corporate Governance in der Europäischen Union“ vom 21.5.20033, in dem die Kommission ein umfassendes und zugleich äußerst ambitioniertes Programm von Reformmaßnahmen abgesteckt hatte. Es ist zwar bis heute nicht gelungen, alle Punkte auch tatsächlich umzusetzen. 3 Schon die Konsultation zum Aktionsplan im Jahr 2003 4 und die 2005/06 durchgeführte Konsultation zu den künftigen Prioritäten des Aktionsplans 5 zeigten vielmehr, dass einige der aufgeführten Projekte entweder als weniger dringlich eingestuft wurden und/oder in rechts- und wirtschaftspolitischer Hinsicht aus den unterschiedlichsten Gründen auf teils erhebliche Vorbehalte stießen. Im Zuge der 2007 gestarteten Initiative für ein vereinfachtes Unternehmens- 4 umfeld 6 wurde dann zwischenzeitlich sogar die Option einer prinzipiellen Konzen-

3 Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament. Modernisierung des Gesellschaftsrechts und Verbesserung der Corporate Governance in der Europäischen Union – Aktionsplan, 21.5.2003, KOM(2003) 284. Dazu Baums AG 2007, 57 f.; Bayer BB 30/2003, I; ders. BB 2004, 1, 5 ff.; Haberer GesRZ 2003, 211 ff.; Habersack NZG 2004, 1 ff.; ders. ZIP 2006, 445, 447 ff.; Hopt ZIP 2005, 461 ff.; ders. FS Röhricht, 2005, S. 235 ff.; Kouloridas/von Lackum (2005) 5 GLJ 1275 ff.; Lutter BB 1/2004, I; S. Maul/Lanfermann/Eggenhofer BB 2003, 1289 ff.; Merkt RIW 2004, 1 ff.; van Hulle/S. Maul ZGR 2004, 484 ff.; Wiesner ZIP 2003, 977 ff. 4 Vgl. Zusammenfassung der Antworten auf die Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament „Modernisierung des Gesellschaftsrechts und Verbesserung der Corporate Governance in der Europäischen Union – Aktionsplan“ (Mai 2003), 15.11.2003, abrufbar unter http://ec.europa.eu/internal_market/company/docs/modern/governanceconsult-responses_de.pdf. 5 Die Konsultation lief vom 20.12.2005 bis 31.3.2006. Konsultationsdokument abrufbar unter http://ec.europa.eu/internal_market/company/docs/consultation/consultation_en.pdf. Die Ergebnisse wurden im Juli 2006 präsentiert: Consultation and Hearing on Future Priorities for the Action Plan on Modernising Company Law and Enhancing Corporate Governance in the European Union, Summary Report, abrufbar unter http://ec.europa.eu/ internal_market/company/docs/consultation/final_report_en.pdf. Dazu Neye FS Priester, 2007, S. 543, 548 ff. 6 Mitteilung der Kommission über ein vereinfachtes Unternehmensumfeld in den Bereichen Gesellschaftsrecht, Rechnungslegung und Abschlussprüfung, KOM(2007) 394. Dazu Bayer/ J. Schmidt BB 2008, 454, 457 f.; Neye FS Hopt, 2010, S. 1079, 1080 ff.; Tchotourian (2008) 42 R.J.T. n.s. 483, 501 ff.; Weber-Rey ECFR 2007, 370, 378 ff., 414 f.

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Perspektiven des Europäischen Unternehmensrechts

tration auf grenzüberschreitende Probleme unter vollständiger Aufhebung der 2., 3., 6. und 12. RL lanciert 7. Die Idee einer solchen „Totalrevision“ – die schließlich die Aufhebung jahrzehntelang bewährter Grundbausteine des europäischen Gesellschaftsrechts und damit einen unverantwortlichen Rückschritt bedeutet hätte 8 – stieß jedoch zu Recht auf derartig massiven Widerstand9, dass sie relativ schnell wieder zugunsten eines auf punktuelle Reformmaßnahmen beschränkten Ansatzes (vgl. zu diesem Grundkonzept noch u. Rn. 9) aufgegeben wurde.10 5 Ungeachtet der zwischenzeitlich erfolgten (ausdrücklichen oder stillschweigenden) Aufgabe mancher Maßnahmen und der partiellen Verschiebung der Prioritäten ist und bleibt der Aktionsplan jedoch auch weiterhin ein Markstein für die gesamte seitdem erfolgte und künftig noch erfolgende europäische Harmonisierung im Bereich des Gesellschaftsrechts. Andererseits gilt nicht zuletzt vor dem Hintergrund aktueller wirtschaftlicher und politischer Entwicklungen unzweifelhaft auch im Europäischen Gesellschaftsrecht die Maxime der „Reform in Permanenz“ 11. Für den Bereich der Corporate Governance hat die Kommission mit dem Grünbuch „Corporate Governance in Finanzinstituten und Vergütungspolitik“ v. 2.6.2010 (Grünbuch 2010)12 (dazu ausf. u. Rn. 72 ff.) und dem Grünbuch „Europäischer Corporate GovernanceRahmen“ v. 5.4.2011 (Grünbuch 2011) 13 (dazu ausf. u. Rn. 76 ff.) bereits eine Reihe neuer Maßnahmen in Aussicht gestellt und für Finanzinstitute i.R.d. am 20.7.2011 präsentierten Entwurfs für eine neue CRD IV-RL14 (dazu auch bereits § 17 Rn. 230, 262, 339) sogar auch bereits Vorschläge für konkrete neue rechtliche Vorgaben vorgelegt (vgl. im Einzelnen u. Rn. 22, 27 f., 30, 34, 39, 41, 43, 54, 61, 75). Knapp 8 Jahre nach Präsentation des Aktionsplans erschien es aber auch an der Zeit, ganz allgemein erneut darüber zu reflektieren, wo die Reise künftig hingehen soll. Die Kommission hat daher Ende 2010 eine „Reflection Group On the Future of EU Company

7 Vgl. KOM(2007) 394, Option 1. Dazu nur Bayer/J. Schmidt BB 2008, 454, 457 f. m.w.N. 8 Vgl. Bayer/J. Schmidt BB 2008, 454, 458; Neye FS Hopt, 2010, S. 1079, 1081 ff. 9 Zusammenfassung der Reaktionen abrufbar unter http://ec.europa.eu/internal_market/ company/docs/simplification/consultation_report_20071219_en.pdf; dezidiert ablehnend auch das EP, vgl. Entschließung des Europäischen Parlaments v. 21.5.2008 zu dem vereinfachten Unternehmensumfeld in den Bereichen Gesellschaftsrecht, Rechnungslegung und Abschlussprüfung, ABlEU v. 19.11.2008, C 279 E/36. 10 Vgl. Bayer/J. Schmidt BB 2008, 454, 457 f. m.w.N. 11 Vgl. das von Zöllner (AG 1994, 336) geprägte und inzwischen geflügelte Wort von der „Aktienrechtsreform in Permanenz“. 12 Grünbuch Corporate Governance in Finanzinstituten und Vergütungspolitik, 2.6.2010, KOM(2010) 284. Literatur in Fn. 291. 13 Grünbuch Europäischer Corporate Governance-Rahmen, 5.4.2011, KOM(2011) 164. Literatur in Fn. 298. 14 Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über den Zugang zur Tätigkeit von Kreditinstituten und die Beaufsichtigung von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen und zur Änderung der Richtlinie 2002/87/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über die zusätzliche Beaufsichtigung der Kreditinstitute, Versicherungsunternehmen und Wertpapierfirmen eines Finanzkonglomerats, KOM(2011) 453.

Der Aktionsplan der Kommission aus dem Jahr 2003

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Law“ 15 mit der Ausarbeitung von Empfehlungen für die weitere Harmonisierung des Gesellschaftsrechts beauftragt. Deren im April 2011 vorgelegten Bericht 16 mit umfangreichen Empfehlungen für ein ganzes Spektrum verschiedenster Maßnahmen präsentierte die Kommission im Mai 2011 offiziell auf einer großen Konferenz zum Thema „European Company Law: the way forward“ 17, die den Auftakt für eine neue Phase der Harmonisierung bilden soll (dazu noch u. Rn. 100). II. Der Aktionsplan 2003 im Überblick Der Aktionsplan und sein wesentlicher Inhalt gehen maßgeblich auf die Empfehlun- 6 gen der High Level Group of Company Law Experts (Winter-Gruppe) 18 zurück. Diese war von der Kommission im September 2001 eingesetzt worden, um zunächst Lösungsvorschläge hinsichtlich der i.R.d. Beratungen zur Übernahme-RL strittigen Punkte zu unterbreiten (dazu näher § 30 Rn. 4 ff.) und anschließend in einer zweiten Phase ganz allgemein den „Rahmen für ein modernes europäisches Gesellschaftsrecht ab[zu]stecken“;19 im April 2002 wurde ihr Mandat als Reaktion auf den Enron-Zusammenbruch auch auf weitere Fragen der Unternehmensverfassung und des Audit erweitert 20. In ihrem am 4.11.2002 vorgelegten Abschlussbericht 21, dem eine breit angelegte Konsultation 22 vorausgegangen war, präsentierte sie einen umfangreichen Katalog von Empfehlungen für die Fortentwicklung des Europäischen Gesellschaftsrechts – speziell im Bereich der Corporate Governance, aber auch bezüglich der The-

15 Mitglieder: José Engrácia Antunes (PT), Theodor Baums (DE), Blanaid Clarke (IE), Pierre-Henric Conac (LU), Luca Enriques (IT), András Hanák (HU), Jesper Lau Hansen (DK), Harm-Jan de Kluiver (NL), Vanessa Knapp (UK), Noëlle Lenoir (FR), Leena Linnainmaa (FI), Stanisław Sołtysińki (PL), Eddy Wymeersch (BE). 16 Report of the Reflection Group On the Future of EU Company Law, 5.4.2011, abrufbar unter http://ec.europa.eu/internal_market/company/docs/modern/reflectiongroup_ report_en. pdf. Vgl. dazu Bachmann WM 2011, 1301 ff.; Jung BB 2011, 1987 ff.; Lenoir/ Conac D. 2011, 1808; J. Schmidt GmbHR 2011, R177 f. 17 Vgl. dazu Bremer NZG 2011, 695; J. Schmidt GmbHR 2011, R177 f. 18 Neben dem Vorsitzenden Jaap Winter (NL) (deshalb auch „Winter-Gruppe“) gehörten der High Level Group an: José Maria Garrido Garcia (ES), Klaus J. Hopt (DE), Jonathan Rickford (UK), Guido Rossi (IT), Jan Schans Christensen (DK) und Joëlle Simon (FR). 19 Vgl. IP/01/1237. 20 Vgl. IP/02/584. 21 Bericht der Hochrangigen Gruppe von Experten auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts über moderne gesellschaftsrechtliche Rahmenbedingungen in Europa, 4.11.2002, abrufbar unter http://ec.europa.eu/internal_market/company/docs/modern/report_de.pdf. Dazu insbesondere die Stellungnahme der German Experts on Corporate Law (Walter Bayer, Holger Fleischer, Michael Hoffmann-Becking, Marcus Lutter, Ulrich Noack, Volker Röhricht, Karsten Schmidt, Peter Ulmer, Herbert Wiedemann, Martin Winter, Wolfgang Zöllner) ZIP 2003, 863 ff. sowie Drygala ZEuP 2004, 337, 344 f.; Haberer GesRZ 2003, 211 ff.; S. Maul DB 2003, 27 ff.; Neye FS Priester, 2007, S. 543, 546 f.; Wiesner BB 2003, 213 ff. 22 Konsultationspapier abrufbar unter http://ec.europa.eu/internal_market/company/docs/ modern/consult_de.pdf. Vgl. dazu insbesondere die Stellungnahme der German Experts on Corporate Law (Fn. 21) ZIP 2002, 1310 ff.; s. ferner Sheik (2003) 24 Co Law 362 ff.

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Perspektiven des Europäischen Unternehmensrechts

menkomplexe Kapitalbildung und -erhaltung, Unternehmensgruppen und -pyramiden, Umstrukturierung sowie der Europäischen Rechtsformen – und empfahl der Kommission nach dem Vorbild des Aktionsplans für Finanzdienstleistungen (FSAP, dazu näher § 17 Rn. 23) 23, 24 auch einen Aktionsplan für den Bereich des Gesellschaftsrechts zu erstellen. 7 Der daraufhin am 21.5.2003 von der Kommission vorgelegte Aktionsplan lehnte sich sowohl konzeptionell als auch materiell eng an die Empfehlungen der High Level Group an (auch wenn diese nicht in allen Einzelheiten übernommen wurden).25 Ausgehend von der zutreffenden Überlegung, dass ein „dynamischer und flexibler Rahmen für Gesellschaftsrecht und Corporate Governance … für eine moderne, dynamische und vernetzte Industriegesellschaft unverzichtbar“ ist, bestand seine erklärte Zielsetzung darin, die globale Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit der EU-Unternehmen zu steigern, die Aktionärsrechte zu stärken, den Schutz Dritter zu verbessern und nicht zuletzt auch dazu beizutragen, das nach der Welle von Corporate Governance-Skandalen 26 erschütterte Vertrauen der Anleger wiederherzustellen.27 8 Hierzu listete er in Anhang 1 ein Bündel von insgesamt 24 Maßnahmen auf, die im Text näher erläutert und teilweise noch weiter ausdifferenziert sowie um zusätzliche Punkte ergänzt werden. Der Aktionsplan differenzierte dabei zwischen kurzfristigen (2003–2005), mittelfristigen (2006–2008) und langfristigen Maßnahmen (ab 2009). Inhaltlich lag der Fokus speziell im Bereich der Corporate Governance (dazu ausf. u. Rn. 10 ff.); daneben wurden aber auch umfangreiche Maßnahmen auf den Gebieten Kapitalerhaltung (dazu näher u. Rn. 82 f.), Unternehmensgruppen und -pyramiden (dazu näher u. Rn. 84 ff.), Umstrukturierung (dazu näher u. Rn. 88 ff.), Europäische Rechtsformen (dazu näher u. Rn. 92 ff.) und Transparenz von nationalen Unternehmensformen (dazu näher u. Rn. 97 f.) angekündigt. 9 Vom Grundansatz her markierte der Aktionsplan ganz offiziell den – schon seit längerem absehbaren – endgültigen Abschied vom ursprünglichen Gedanken der „Vollharmonisierung“28: Das Vorhaben einer 5. (Struktur-)RL (dazu bereits § 9 Rn. 1 f.) wurde überhaupt nicht mehr erwähnt, das Projekt einer 9. (Konzernrechts-)RL (dazu bereits § 9 Rn. 5 ff.) ausdrücklich aufgegeben29.30 Grundkonzept des Aktionsplans ist vielmehr – entsprechend den Prinzipien der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit 31 –

23 Mitteilung der Kommission – Umsetzung des Finanzmarktrahmens: Aktionsplan, KOM(1999) 232. 24 Vgl. zu dessen Vorbildfunktion Hopt FS Röhricht, 2005, S. 235, 236; Hopt/Wymeersch RabelsZ 69 (2005) 611, 612. 25 Vgl. auch Habersack NZG 2004, 1, 2; Hopt FS Röhricht, 2005, S. 235, 236. 26 Insbesondere: Enron und Worldcom; weitere Beispiele bei Bayer BB 2004, 1, 6. 27 Vgl. Aktionsplan (Fn. 3), Einleitung (S. 3). 28 Vgl. dazu Bayer/J. Schmidt (Fn. 1), Rn. 2 m.w.N. 29 Vgl. Aktionsplan (Fn. 3), 3.3. Dafür auch bereits explizit Bericht High Level Group (Fn. 21), S. 102. 30 Vgl. auch Habersack NZG 2004, 1, 2 f.; ders. ZIP 2006, 445, 447; Hopt ZIP 2005, 461, 463; ders. FS Röhricht, 2005, S. 235, 237 f.; Merkt RIW 2004, 1, 2, 5. 31 Vgl. Aktionsplan (Fn. 3), Einleitung (S. 5).

Der Aktionsplan der Kommission aus dem Jahr 2003

361

eine Konzentration auf Kernpunkte.32 Angegangen werden sollen speziell grenzüberschreitende Probleme, soweit erforderlich soll aber auch ein gewisses Maß an Harmonisierung nationaler Fragen erfolgen.33 Leitbild ist ein modernes und flexibles Gesellschaftsrecht, das unter Nutzung moderner Technologien insbesondere auf Information und Offenlegung setzt („Informationsmodell“ 34).35 Zudem soll klar zwischen bestimmten Kategorien von Gesellschaften unterschieden werden: Börsennotierte bzw. kapitalmarktorientierte Gesellschaften sollen im Interesse des Anlegerschutzes strengeren und detaillierteren Vorschriften unterliegen, speziell für KMU soll dagegen ein flexibler Rahmen geschaffen werden.36

III. Maßnahmen im Bereich der Corporate Governance und ihre Realisierung 1. Allgemeiner Ansatz Die neue Grundkonzeption (Konzentration auf Kernpunkte und Transparenz, vgl. 10 o. Rn. 9) spiegelt sich speziell auch im Bereich der Maßnahmen zur Corporate Governance wider. Insbesondere sprach sich die Kommission – in Übereinstimmung mit zahlreichen ablehnenden Stellungnahmen im Vorfeld 37 – zu Recht gegen die Erstellung eines europäischen Corporate Governance Kodex aus.38 Denn auf Grund der höchst unterschiedlichen nationalen gesellschaftsrechtlichen Vorschriften müsste ein solcher entweder viele verschiedene Optionen zulassen oder sich auf abstrakte Grundsätze beschränken, brächte also weder eine wirkliche Verbesserung der Unterneh-

32 Vgl. auch Armour/Ringe (2011) 48 C.M.L. Rev. 125, 150; Habersack NZG 2004, 1, 3; ders. ZIP 2006, 445, 447; Hopt ZIP 2005, 461, 463; ders. FS Röhricht, 2005, S. 235, 238; Merkt RIW 2004, 1, 2, 5; Weber-Rey ECFR 2007, 370, 387. 33 Vgl. Aktionsplan (Fn. 3), 2.2. 34 Allgemein zum „Informationsmodell“ im Europäischen Gesellschaftsrecht auch bereits § 6 Rn. 29 sowie noch § 19 Rn. 4, § 21 Rn. 24, 112, § 22 Rn. 23, 81, § 23 Rn. 26, 129 f., § 30 Rn. 16, § 41 Rn. 47; s. ferner zum „Informationsmodell“ im Europäischen Kapitalmarktrecht § 17 Rn. 51 ff., § 36 Rn. 1. Speziell zum Vorrang von Offenlegungsanforderungen im Bereich der Corporate Governance noch u. Rn. 10. 35 Vgl. Hopt ZIP 2005, 461, 463; ders. FS Röhricht, 2005, S. 235, 238; Merkt ECFR 2004, 3, 23 f.; ders. Zfbf-Sonderheft 55/06, 24, 39; für einen Vorrang von Offenlegungserfordernissen auch bereits nachdrücklich Bericht High Level Group (Fn. 21), S. 34 f., 43. Vgl. speziell zur Betonung der Transparenz im Bereich Corporate Governance: S. Maul/ Lanfermann/Eggenhofer BB 2003, 1289; van Hulle/S. Maul ZGR 2004, 484, 489. 36 Vgl. Aktionsplan (Fn. 3), 2.1; s. ferner bereits Bericht High Level Group (Fn. 21), S. 36 f., 43 f. 37 Vgl. insbesondere Bericht High Level Group (Fn. 21), S. 77 f.; German Experts on Corporate Law (Fn. 21) ZIP 2002, 863, 871 sowie das negative Votum in der von der Kommission in Auftrag gegebenen Studie: Weil, Gotshal & Manges LLP, Comparative Study of Corporate Governance Codes Relevant to the European Union and its Member States, Januar 2002 (abrufbar unter: http://ec.europa.eu/internal_market/company/otherdocs/ index_de.htm), S. 81. 38 Vgl. Aktionsplan (Fn. 3), 3.1 (S. 13 f.).

362

Perspektiven des Europäischen Unternehmensrechts

mensleitung noch eine umfassende Information der Anleger.39 Zudem würde ein Nebeneinander verschiedener nationaler, europäischer und internationaler Vorgaben letztlich auch mehr Verwirrung als Nutzen stiften.40 11 Die Kommission betonte jedoch andererseits, dass in Anbetracht der wachsenden Integration der europäischen Kapitalmärkte eine Harmonisierung in Bezug auf einige grundsätzliche Regeln geboten sei; zudem müsse eine angemessene Koordinierung der Corporate Governance-Kodizes gewährleistet werden.41 Konzeptionell sollten dabei jedoch so weit wie möglich alternative Instrumente statt zwingender Rechtsakte zum Einsatz kommen und Offenlegungsanforderungen der Vorzug gegeben werden42 („Transparenz vor Regulierung“ 43). 2. Einzelmaßnahmen 12 Die Einzelmaßnahmen und der Stand der (bisherigen) Realisierung im Überblick: Maßnahme

Art/Zeitraum

Umsetzung

Verbesserte Offenlegung der Corporate Governance und kollektive Verantwortung der Gesellschaftsorgane

Änderungs-RL (2003–2005)

RL 2006/46/EG zur Änderung 4. + 7. RL (dazu u. Rn. 13, 85 sowie § 10 Rn. 13 ff.)

Integrierter rechtlicher Rahmen zur Stärkung der Aktionärsrechte

RL (2003–2005)

Aktionärsrechte-RL (2007/36/EG) (dazu u. Rn. 14 sowie ausf. § 31)

Untersuchung zu „one share, one vote“

Studie (2006–2008)

Studie 2007 (dazu u. Rn. 16)

Stärkung der Rolle von unabhängigen nicht geschäftsführenden Direktoren und Aufsichtsräten

Empfehlung (2003–2005)

Empfehlung 2005/162/EG (dazu u. Rn. 18 ff.) CRD IV-RLE (dazu u. Rn. 22, 27 f., 30, 34, 39, 41, 43, 75)

Angemessenes Vergütungssystem für Organmitglieder

Empfehlung (2003–2005)

Empfehlung 2004/913/EG (dazu u. Rn. 47 ff.) Empfehlung 2009/384/EG (dazu u. Rn. 19, 49 ff.) Empfehlung 2009/385/EG (dazu u. Rn. 27, 39, 49 ff.) CRD III (dazu u. Rn. 19, 27, 39, 50, 54) CRD IV-RLE (dazu u. Rn. 27, 39, 54, 61, 75)

39 Vgl. Aktionsplan (Fn. 3), 3.1 (S. 14); Bachmann WM 2011, 1301, 1310; German Experts on Corporate Law (Fn. 21), ZIP 2002, 1310, 1314; Haberer GesRZ 2003, 211, 216; Merkt RIW 2004, 1, 5; van Hulle/S. Maul ZGR 2004, 484, 497. 40 Vgl. Aktionsplan (Fn. 3), 3.1 (S. 14); Bayer BB 2004, 1, 6; Wiesner BB 2003, 213, 214. 41 Vgl. Aktionsplan (Fn. 3), 3.1 (S. 14). 42 Vgl. Aktionsplan (Fn. 3), 3.1 (S. 14 Fn. 12). 43 So treffend schon zum Bericht der High Level Group: Wiesner BB 2003, 213.

Der Aktionsplan der Kommission aus dem Jahr 2003

Maßnahme

Art/Zeitraum

Stärkung der Verantwortung der Mitglieder des Leitungsbzw. Verwaltungsorgans (wrongful trading, disqualification)

RL bzw. Änderungs-RL (2006–2008)

(–) (dazu u. Rn. 63 f.)

Verstärkte Offenlegung der Anlage- und Abstimmungsstrategien institutioneller Anleger

RL (2006–2008)

(–) (dazu u. Rn. 65 f.)

Wahlrecht zwischen monistischem und dualistischem System für alle börsennotierten Gesellschaften

RL (2006–2008)

(–) (dazu u. Rn. 67 f.)

Koordinierung der Bemühungen der Mitgliedstaaten zur Verbesserung der Corporate Governance durch ein Europäisches Corporate Governance Forum

Initiative der Kommission (2003–2005)

2004 ECGF (dazu u. Rn. 70) 2005 CGAG (dazu u. Rn. 71)

363

Umsetzung

a) Verbesserte Offenlegung der Corporate Governance und kollektive Verantwortung der Gesellschaftsorgane Als erste kurzfristige Maßnahme (2003–2005) sollte durch eine Änderungs-RL für 13 börsennotierte Gesellschaften die Pflicht zur Aufnahme eines Corporate Governance-Statements in den Jahresabschluss eingeführt werden. Dies erfolgte durch die Ergänzung des Art. 46a in der 4. (Bilanz-)RL durch die RL 2006/46/EG 44 (vgl. dazu auch bereits § 10 Rn. 15); zur Umsetzung wurde in Deutschland durch das BilMoG 45 (vgl. dazu auch bereits § 10 Rn. 21) ein neuer § 289a HGB eingeführt. Korrelierend sollte auch die kollektive Verantwortung aller Mitglieder des Leitungs- bzw. Verwaltungsorgans für finanzielle und wesentliche nicht finanzielle Erklärungen (inkl. des Corporate Governance-Statements) bestätigt werden; auch dies geschah durch die RL 2006/46/EG (Art. 50b, 50c, 60a der 4. (Bilanz-)RL und Art. 36a, 36b, 48 der 7. (Konzernbilanz-)RL, dazu näher § 10 Rn. 14).

44 RL 2006/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14.6.2006 zur Änderung der RL des Rates 78/660/EWG über den Jahresabschluss von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen, 83/349/EWG über den konsolidierten Abschluss, 86/635/EWG über den Jahresabschluss und den konsolidierten Abschluss von Banken und anderen Finanzinstituten und 91/674/EWG über den Jahresabschluss und den konsolidierten Abschluss von Versicherungsunternehmen, ABlEU v. 16.8.2006, L 224/1. 45 Gesetz zur Modernisierung des Bilanzrechts (Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz – BilMoG) v. 25.5.2009, BGBl. I, 1102.

364

Perspektiven des Europäischen Unternehmensrechts

b) Integrierter rechtlicher Rahmen zur Stärkung der Aktionärsrechte 14 Als kurzfristige Priorität (2003–2005) kündigte die Kommission weiterhin einen Vorschlag für eine neue RL zur Schaffung eines integrierten rechtlichen Rahmens zur Stärkung der Aktionärsrechte an, mit dem nicht nur der Zugang der Aktionäre zu Informationen, sondern auch ihre anderen Rechte (Teilnahme-, Frage-, Rede-, Stimmrecht etc.) – insbesondere auch durch den Einsatz moderner Informationstechnologien – verbessert werden sollten. Dies geschah dann mit der 2007 verabschiedeten Aktionärsrechte-RL (dazu ausf. § 31). In dem im April 2011 vorgelegten Grünbuch zum Europäischen Corporate Governance-Rahmen erwägt die Kommission nun allerdings noch eine Reihe weiterer Maßnahmen zur Stärkung der Rechte der (Minderheits-)Aktionäre (dazu noch u. Rn. 80).

c) „One share, one vote“ 15 Im Zusammenhang mit der Stärkung der Aktionärsrechte kündigte die Kommission zudem an, auch das speziell im Kontext der Beratungen zur Übernahme-RL in den Fokus geratene (vgl. dazu noch § 30 Rn. 3, 66, 77) Thema der Proportionalität von Kapital und Kontrolle („one share, one vote“) angehen zu wollen; mittel- bzw. langfristig spreche Vieles dafür, in der EU auf eine echte Aktionärsdemokratie hinzuarbeiten.46 Angesichts der äußerst unterschiedlichen Ansätze in den nationalen Rechtsordnungen sollte jedoch zunächst mittelfristig (2006–2008) eine Studie zu den Folgen eines solchen Ansatzes durchgeführt werden.47 16 Nachdem dies auch i.R.d. Konsultation zu den Prioritäten des Aktionsplans überwiegend befürwortet worden war 48, vergab die Kommission den Auftrag für die Studie an ein Konsortium aus ISS Europe, ECGI und Shearman & Stearling LLP, das dann im Juli 2007 eine ausführliche rechtsvergleichenden Studie 49 präsentierte, die neben 16 EU-Mitgliedstaaten auch Australien, Japan und die USA abdeckte. Nachdem sich das ECGF 50 auf der Basis dieser Studie gegen eine zwingende Vorgabe des „one share, one vote“-Prinzips ausgesprochen hatte 51, gelangte auch die Kommission in ihrer eigenen Folgenabschätzung im Dezember 2007 52 zu dem Ergebnis, dass kein Bedarf für

46 47 48 49

Vgl. Aktionsplan (Fn. 3), 3.1.2 (S. 17). Vgl. Aktionsplan (Fn. 3), 3.1.2 (S. 17) und Anh. 1 (S. 30). Vgl. Consultation and Hearing on Future Priorities – Summary Report (Fn. 5), S. 2, 8. Shearman & Sterling LLP, ISS Europe, ECGI, Report on the Proportionality Principle in the European Union, abrufbar unter http://ec.europa.eu/internal_market/company/ docs/shareholders/study/final_report_en.pdf. Neben dem Bericht ist auch die Studie selbst abrufbar unter http://ec.europa.eu/internal_market/company/shareholders/indexb_ de.htm. 50 Zum ECGF noch allg. u. Rn. 70. 51 ECGF, Statement on Proportionality, 25.8.2007, abrufbar auf der Webseite des ECGF (Fn. 278). 52 Impact Assessment on the Proportionality between Capital and Control in Listed Companies, SEC(2007) 1705.

Der Aktionsplan der Kommission aus dem Jahr 2003

365

legislatorische Maßnahmen auf EU-Ebene bestehe. In Ermangelung empirischer Nachweise für Existenz und Umfang einer Enteignung der Aktionäre wären weitere Maßnahmen vielmehr mit dem Risiko verbunden, Emittenten und kontrollierenden Aktionären erhebliche Kosten aufzuerlegen, ohne dass dem ein verhältnismäßiger Nutzen gegenüberstehe 53.54

d) Stärkung der Rolle von unabhängigen nicht geschäftsführenden Direktoren und Aufsichtsräten aa) Ankündigung im Aktionsplan Im Rahmen der Maßnahmen zur Modernisierung des Leitungs-/Verwaltungsorgans 17 nannte der Aktionsplan als erste kurzfristige Priorität (2003–2005) die Verabschiedung einer Empfehlung zur Stärkung der Rolle von unabhängigen nicht geschäftsführenden Direktoren und Aufsichtsräten, die u.a. Regeln zur Zusammensetzung des board und zur Zuständigkeit für potentiell interessenkonfliktträchtige Entscheidungen sowie Mindeststandards für die Unabhängigkeit von Organmitgliedern und die Einsetzung und Funktion von Nominierungs-, Vergütungs- und Prüfungsausschüssen enthalten sollte.55

bb) Die Empfehlung 2005/162/EG, ihre Umsetzung und weitere Entwicklungen in diesem Bereich (1) Überblick Die Kommission führte hierzu 2004 zunächst eine Konsultation56 durch, veröffent- 18 lichte einen Entwurf 57 und verabschiedete dann auf der Basis der Stellungnahmen hierzu am 15.2.2005 die Empfehlung 2005/162/EG zu den Aufgaben von nicht geschäftsführenden Direktoren/Aufsichtsratsmitgliedern börsennotierter Gesellschaften sowie zu den Ausschüssen des Verwaltungs-/Aufsichtsrats 58. Bereits im Juli 2007 53 Vgl. SEC(2007) 1705, S. 6. 54 Vgl. zum Ganzen auch Bayer/J. Schmidt BB 2008, 454, 456; Weber-Rey ECFR 2007, 370, 404 ff.; Wymeersch FS Hopt, 2010, S. 1565, 1576 f. 55 Vgl. Aktionsplan (Fn. 3), 3.1.3 (S. 18). Dazu näher Bayer BB 2004, 1, 7; Habersack NZG 2004, 1, 5; van Hulle/S. Maul ZGR 2004, 484, 492 f. 56 Konsultationsdokument und Ergebnisse abrufbar unter http://ec.europa.eu/internal_ market/company/independence/index_de.htm. 57 Abrufbar unter http://ec.europa.eu/internal_market/company/docs/independence/draft_ recommendation_en.pdf. Dazu BDI/Bankenverband/DAI/DIHK/GDV NZG 2004, 1052 f.; Habersack ZHR 168 (2004) 373 ff.; Hopt FS Röhricht, 2005, S. 235, 246 ff.; Kouloridas/von Lackum (2005) 5 GLJ 1275, 1280 ff.; S. Maul/Lanfermann BB 2004, 1861 ff.; Wiesner BB 35/2004, I. 58 Empfehlung 2005/162/EG der Kommission vom 15.2.2005 zu den Aufgaben von nicht geschäftsführenden Direktoren/Aufsichtsratsmitgliedern börsennotierter Gesellschaften sowie zu den Ausschüssen des Verwaltungs-/Aufsichtsrats, ABlEU v. 25.2.2005, L 52/51. Da-

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Perspektiven des Europäischen Unternehmensrechts

legte sie dann einen Bericht zur Umsetzung in den Mitgliedstaaten vor 59, der zwar insgesamt einen klaren Trend zu strengeren Corporate Governance-Anforderungen und mehr Transparenz konstatierte, nichtsdestotrotz aber auch eine Reihe fortbestehender Defizite beklagte. 19 Zwischenzeitlich wurde die Empfehlung bereits durch weitere EU-Maßnahmen ergänzt bzw. überlagert. In Bezug auf den Aspekt des Sachverstands im Bereich Abschlussprüfung/Prüfungsausschuss hat Art. 41 der neuen Abschlussprüfer-RL 2006/ 43/EG (zu dieser ausf. § 27, speziell zu Art. 41: § 27 Rn. 18) inzwischen verbindliche Vorgaben geschaffen. Hinsichtlich des Vergütungsausschusses wurde die Empfehlung inzwischen durch Abschnitt III der Empfehlung 2009/385/EG sowie für den Finanzdienstleistungssektor zusätzlich Ziff. 6.4, 8.a der Empfehlung 2009/384/EG (zu beiden u. Rn. 49) und für Finanzinstitute durch die Ergänzungen der Banken-RL60 durch die CRD III 61 ergänzt (dazu u. Rn. 50). Zudem hat die Kommission i.R.d. Entwurfs für eine neue CRD IV-RL bereits weitere Vorgaben für Finanzinstitute vorgeschlagen (dazu näher u. Rn. 27 f., 30, 34, 39, 41, 43, 75) und im Grünbuch 2011 (dazu allg. u. Rn. 76 ff.) für alle börsennotierten Gesellschaften weitere Maßnahmen in diesem Bereich erwogen.

(2) Anwendungsbereich der Empfehlung 2005/162/EG 20 Entsprechend dem allgemeinen Ansatz im Aktionsplan (höhere Regelungsdichte bei börsennotierten Gesellschaften, vgl. o. Rn. 9) gilt die Empfehlung nur für börsennotierte Gesellschaften 62 (Ziff. 1.1); 63 den Mitgliedstaaten steht es aber selbstver-

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zu Habersack ZIP 2006, 445, 449 f.; Hopt ZIP 2005, 461, 467 f.; ders. FS Westermann, 2008, S. 1039, 1041 ff.; Kort ZIP 2008, 717, 724 f.; Lennarts, European Company Law and Conflicts of Interests, in: Bartman, Steef M. (ed.), European Company Law in Accelerated Progress, 2006, S. 83, 85 ff.; Lutter EuZW 2009, 799 ff.; ders. FS Wymeersch, 2009, S. 132 ff.; S. Maul Beil. zu BB 34/2005, 2 ff.; S. Maul/Lanfermann DB 2004, 2407 ff.; Spindler ZIP 2005, 2033 ff.; Tchotourian (2008) 42 R.J.T. n.s. 483, 507 ff.; s. ferner auch das in Fn. 115 aufgeführte Schrifttum speziell zu den Empfehlungen zur Unabhängigkeit (dazu näher u. Rn. 32). Report on the application by the Member States of the EU of the Commission Recommendation on the role of non-executive or supervisory directors of listed companies and on the committees of the (supervisory) board, SEC(2007) 1021. Dazu Bayer/ J. Schmidt BB 2008, 454, 458; Tchotourian (2008) 42 R.J.T. n.s. 483, 510 ff. RL 2006/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 14.6.2006 über die Aufnahme und Ausübung der Tätigkeit der Kreditinstitute (Neufassung), ABlEU v. 30.6. 2006, L 177/1. RL 2010/76/EU des Europäischen Parlaments und des Rates v. 24.11. 2010 zur Änderung der Richtlinien 2006/48/EG und 2006/49/EG im Hinblick auf die Eigenkapitalanforderungen für Handelsbuch und Wiederverbriefungen und im Hinblick auf die aufsichtliche Überprüfung der Vergütungspolitik, ABlEU v. 14.12.2010, L 329/3. Nach der Legaldefinition in Ziff. 2.1 ist „börsennotierte Gesellschaft“ eine Gesellschaft, deren Wertpapiere zum Handel auf einem geregelten Markt i.S.d. MiFID in einem oder mehreren Mitgliedstaaten zugelassen sind; vgl. allg. zur MiFID § 33 sowie bereits 17 Rn. 55 ff., 208 ff.; speziell zum „geregelten Markt“: § 33 Rn. 8, 14, sowie ausf. § 17 Rn. 58 ff. Näher S. Maul Beil. zu BB 34/2005, 2, 3; Spindler ZIP 2005, 2033, 2034.

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ständlich frei, entsprechende Regeln auch für nicht börsennotierte Gesellschaft vorzusehen.64 Die Mitgliedstaaten sollen jeweils Regelungen für die nach ihrem Recht gegründeten Gesellschaften treffen, darüber hinaus im Interesse des Anlegerschutzes65 aber auch für Drittstaatengesellschaften mit Erstnotierung auf einem geregelten Markt in ihrem Territorium.66 Mit Blick auf das Bedürfnis für Flexibilität und die komplexe Natur vieler Fragen 67 stellt Ziff. 1.1 es den Mitgliedstaaten dabei ausdrücklich frei, ob sie die (schließlich ohnehin nicht bindenden) Empfehlungen nach dem „comply or explain“-Prinzip oder durch gesetzliche Regelung umsetzen.

(3) Balance von geschäftsführenden und nicht geschäftsführenden Organmitgliedern Ziff. 3.1 der Empfehlung 2005/162/EG fordert zunächst generell eine Balance von 21 geschäftsführenden und nicht geschäftsführenden Mitgliedern.68 Um einen ordnungsgemäßen Umgang mit Interessenkollisionen zu gewährleisten, verlangt Ziff. 4 für den Verwaltungs-/Aufsichtsrat zudem eine ausreichende Zahl unabhängiger nicht geschäftsführender Mitglieder (zur Unabhängigkeit näher u. Rn. 32).

(4) Kombination chairman/CEO und Wechsel vom Vorstand in den Aufsichtsrat Als problematisch mit Blick auf die notwendige Objektivität (aber auch unter dem 22 Aspekt der „Machtfülle“) erachtet die Kommission jedoch speziell auch die Kombination von chairman und chief executive officer (CEO) im monistischen System sowie den unmittelbaren Wechsel vom chief executive zum chairman (monistisches System) bzw. vom Vorstands- in den Aufsichtsratsvorsitz (dualistisches System). Mit Blick darauf, dass derartige Kombinationen durchaus auch vorteilhaft sein können und die daher auch sehr kontroverse Debatte um die gesamte Problematik wurde allerdings davon abgesehen, ein generelles Verbot zu empfehlen;69 Ziff. 3.2 der Empfehlung 2005/162/EG sieht als „best practice“ aber zumindest Informationen über die getroffenen Schutzvorkehrungen vor. Im Grünbuch 2011 (dazu noch allg. u. Rn. 76 ff.) wird nun allerdings eine zwingende Trennung der Funktionen von chairman und CEO

64 Vgl. Konsultationsdokument (Fn. 56), 2.1.1. 65 Vgl. Erwägungsgrund 6. 66 Letzteres wurde erst auf Anregungen i.R.d. Konsultation (vgl. Konsultationsergebnisse (Fn. 56), S. 6) ergänzt; kritisch dazu jedoch etwa Spindler ZIP 2005, 2033, 2034. 67 Vgl. Erwägungsgrund 4. 68 Die Regelung ist ersichtlich an den UK Combined Code angelehnt (vgl. A3 Main Principle i.d.F.v. 2003; der neue UK Corporate Governance Code 2010 formuliert allerdings etwas anders, vgl. B1). 69 Vgl. Konsultationsdokument (Fn. 56), 2.2.3.

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Perspektiven des Europäischen Unternehmensrechts

erwogen.70 Für Finanzinstitute sieht Art. 86 Abs. 1 S. 2 lit. c CRD IV-RLE71 (dazu noch allg. u. Rn. 75) in Anknüpfung an entsprechende Erwägungen im Grünbuch 201072 (dazu noch allg. u. Rn. 72 ff.) vor, dass die Kombination der Funktionen von chairman und CEO in einer Person künftig einer aufsichtsbehördlichen Genehmigung bedürfen soll. 23 Vor diesem Hintergrund überrascht denn auch nicht, dass die mitgliedstaatlichen Umsetzungen erheblich divergieren.73 In Deutschland wurde und wird die Thematik ebenfalls sehr kontrovers diskutiert. 2005 wurde zunächst nur eine Empfehlung in Ziff. 5.4.4 DCGK aufgenommen, dass der direkte Wechsel nicht die Regel sein und besonders begründet werden sollte 74; mit dem VorStAG 75 wurde dann jedoch 2009 in § 100 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 AktG eine gesetzliche „cooling off“-Periode von 2 Jahren 76 eingeführt 77 und Ziff. 5.4.4 DCGK entsprechend angepasst 78. Für Finanzdienstleistungsinstitute und Versicherungsunternehmen wurde 2009 durch das FM/VAStärkG 79 bestimmt, dass dem Verwaltungs-/Aufsichtsorgan maximal zwei ehemalige Geschäftsleiter angehören dürfen (§ 36 Abs. 3 S. 5 KWG bzw. § 7a Abs. 4 S. 3 VAG).80

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Vgl. KOM(2011) 164, 1. (S. 5 f.). Fn. 14. Vgl. KOM(2010) 284, 5.1 (S. 13 f.). Vgl. im Einzelnen SEC(2007) 1021, 4.2.1 und Annex 2. Vgl. dazu PM der Regierungskommission DCGK v. 2.6.2005 (http://www.corporategovernance-code.de/ger/news/presse-20050602.html); Lieder, Der Aufsichtsrat im Wandel der Zeit, 2006, S. 718 ff. Gesetz zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung (VorstAG) v. 31.7.2009, BGBl. I, 2509. Während Ziff. 5.4.4 DCGK a.F. nur den Wechsel vom Vorstandsvorsitz in den Aufsichtsratsvorsitz bzw. den Vorsitz eines Aufsichtsratsausschusses erfasste, erstreckt sich § 100 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 AktG auf jeglichen Wechsel vom Vorstand in den Aufsichtsrat, enthält allerdings eine Ausnahme für den Fall, dass die Wahl auf Grund eines Aktionärsvorschlags mit einem Quorum von 25 % der Stimmen erfolgt. Dazu näher Bericht Rechtsausschuss, BT-Drs. 16/13433, S. 11; Fleischer NZG 2009, 801, 806; Hoffmann-Becking/Krieger Beil. NZG 26/2009, 1, 7 f.; Krieger FS Hüffer, 2010, S. 521 ff.; Lieder (2010) 11 GLJ 115, 135 ff.; Schulenburg/Brosius WM 2011, 58 ff.; Seibert WM 2009, 1489, 1492 f.; Sünner AG 2010, 111 ff.; Thüsing AG 2009, 517, 528; E. Vetter FS Maier-Reimer, 2010, S. 795, 804 f.; von Werder Zfbf 2011, 48, 57. Vgl. PM der Regierungskommission DCGK v. 19.6.2006 (http://www.corporategovernance-code.de/ger/download/PM_Kodexanpassungen_VorstAG.pdf); Bericht der Regierungskommission Deutscher Corporate Kodex an die Bundesregierung, Nov. 2010 (abrufbar unter http://www.corporate-governance-code.de/ger/download/16122010/ Governance_Bericht_Nov_2010.pdf), S. 30 ff.; Hecker BB 2009, 1654, 1657 f.; Kremer in: Ringleb/Kremer/Lutter/von Werder, DCGK, 4. Aufl. 2010, Rn. 1064 ff.; Lieder (2010) 11 GLJ 115, 138; Weber-Rey WM 2009, 2255, 2262 f. Gesetz zur Stärkung der Finanzmarkt- und Versicherungsaufsicht v. 29.7.2009, BGBl. I, 2305. Vgl. dazu BegrRegE z. FM/VAStärkG, BT-Drs. 16/12783, S. 16; Hasse VersR 2010, 18, 24; Lehrl BKR 2010, 485, 498.

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(5) Bestellung und Entlassung nicht geschäftsführender Direktoren und Aufsichtsratsmitglieder Um eine hinreichend, andererseits aber auch nicht zu häufige „Erneuerung“ zu 24 gewährleisten, empfiehlt Ziff. 10 der Empfehlung 2005/162/EG für nicht geschäftsführende Direktoren und Aufsichtsratsmitglieder eine fixe Bestelldauer (ohne jedoch deren genaue Länge vorzugeben) unter Möglichkeit einer Wiederbestellung. Zudem soll die Entlassung nicht einfacher sein als bei einem geschäftsführenden Direktor bzw. Vorstandsmitglied. Beides ist im deutschen Recht ohnehin seit jeher Standard (vgl. §§ 102, 103 AktG).

(6) Profil der Organmitglieder (a) Fachliche Kompetenz Besondere Bedeutung misst die Empfehlung 2005/162/EG der Gewährleistung der 25 fachlichen Kompetenz der Organmitglieder bei. Vor dem Hintergrund der je nach Unternehmensbranche, -größe etc. höchst unterschiedlichen Anforderungen wurde jedoch bewusst auf spezielle Vorgaben hinsichtlich der generellen Qualifikation aller Organmitglieder verzichtet.81 Ziff. 11.1 sieht allerdings vor, dass die Mitglieder des Verwaltungs-/Aufsichtsrats jedenfalls in ihrer Gesamtheit über die zur ordnungsgemäßen Wahrnehmung ihrer Aufgaben erforderlichen Fachkenntnisse, Urteilsfähigkeiten und Erfahrungen verfügen sollen. Mit Blick darauf soll der Verwaltungs-/Aufsichtsrat selbst im Hinblick auf Struktur und Tätigkeitsfeld der Gesellschaft seine Idealbesetzung festlegen und regelmäßig überprüfen. Neue Organmitglieder sollen eine Art „Einführungslehrgang“ erhalten; ferner soll jährlich die Notwendigkeit einer etwaigen Auffrischung der Kenntnisse geprüft werden (Ziff. 11.3). Ziff. 11.4 empfiehlt die Offenlegung der Kompetenz der Kandidaten im Vorfeld der Bestellung sowie eine jährliche Offenlegung der Kompetenzen aller Organmitglieder. Letzteres ist allerdings mit der Pflicht zu Angaben zur Organzusammensetzung im Corporate Governance-Statement nach Art. 46a der 4. (Bilanz-)RL (dazu bereits o. Rn. 13; näher § 10 Rn. 15) inzwischen sogar zwingend. Besonderheiten gelten allerdings für den Prüfungsausschuss (dazu noch näher u. 26 Rn. 36 ff.): Vor dem Hintergrund der großen Bilanzskandale erschien der Kommission eine spezielle fachliche Qualifikation hier als unabdingbar 82. Ziff. 11.2 empfiehlt daher, dass seine Mitglieder in ihrer Gesamtheit über für die Tätigkeit der Gesellschaft relevante, zeitnahe und einschlägige Kenntnisse im Bereich Finanzen und Rechnungslegung börsennotierter Gesellschaften verfügen. Dies wird allerdings inzwischen durch Art. 41 Abs. 1 S. 3 der neuen Abschlussprüfer-RL 2006/43/EG (zu dieser § 27) über-

81 Vgl. Erwägungsgrund 16 S. 1. 82 Vgl. Erwägungsgrund 16 S. 2.

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lagert, der zwingend mindestens einen sog. „unabhängigen Finanzexperten“ im Prüfungsausschuss vorschreibt (dazu näher § 27 Rn. 18). 27 Ferner gelten auch für den Vergütungsausschuss (dazu noch näher u. Rn. 36 ff.) Besonderheiten: Ziff. 7.1 der Empfehlung 2009/385/EG empfiehlt mindestens einen „Vergütungsexperten“; für Finanzinstitute enthält Anh. V Ziff. 24 der Banken-RL83 in der Neufassung durch die CRD III 84 Vorgaben, die in Art. 91 CRD IV-RLE85 (dazu noch allg. u. Rn. 75) inhaltlich unverändert übernommen werden sollen (zum Ganzen auch noch u. Rn. 39). 28 Im Grünbuch 2011 (dazu noch allg. u. Rn. 76 ff.) werden zudem generell weitere Vorgaben zur fachlichen Qualifikation erwogen.86 Für Finanzinstitute war Ähnliches bereits im Grünbuch 2010 (dazu noch allg. u. Rn. 72 ff.) vorgeschlagen worden87; der CRD IV-RLE88 (dazu noch allg. u. Rn. 75) sieht nun vor, dass sämtliche Organmitglieder 89 allzeit über einen ausreichend guten Leumund verfügen und ausreichende Kenntnisse, Fähigkeiten und Erfahrungen besitzen müssen (Art. 87 Abs. 1 S. 1) und dass das „Leitungsorgan“ 90 kollektiv über die zum Verständnis der Tätigkeiten des Instituts samt seiner Hauptrisiken notwendigen Kenntnisse, Fähigkeiten und Erfahrungen verfügen muss (Art. 87 Abs. 1 S. 2 lit. b) 91. 29 Für das deutsche Recht 92 war das Erfordernis ausreichender Fachkompetenz an sich nichts Neues; es ist spätestens seit dem Hertie-Urteil des BGH 93 allgemein anerkannt 94 und auch der DCGK enthielt in Ziff. 5.4.1 (Abs. 1) S. 1 seit 2002 an eine ent-

83 84 85 86 87 88 89

90 91 92

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Fn. 60. Fn. 61. Fn. 14. Vgl. KOM(2011) 164, 1.1.1 (S. 6 ff.). Vgl. KOM(2010) 284, 5.1 (S. 12 ff.). Fn. 14. Die Vorgaben gelten für sämtliche Mitglieder des „Leitungsorgans“. „Leitungsorgan“ (management body) ist nach der Legaldefinition in Art. 4 Abs. 82 CRD IV-VOE (Fn. 296) “the governing body of an institution, comprising the supervisory and the managerial functions, which has the ultimate decision-making authority and is empowered to set the institution’s strategy, objectives and overall direction”, umfasst also im Falle eines dualistischem Systems sowohl das Leitungsorgan (i.e.S.) als auch das Aufsichtsorgan. Die Terminologie des CRD IV-Gesamtpakets ist insofern insgesamt etwas unglücklich gewählt und sollte vor Verabschiedung des Pakets unbedingt noch einmal überdacht werden. Vgl. zur Bedeutung dieses Begriffs i.R.d. CRD IV-Gesamtpakets o. Fn. 89. Nach Art. 87 Abs. 3 lit. c soll die EBA dies mittels technischer Regulierungsstandards (dazu näher § 17 Rn. 301) näher präzisieren. Vgl. zur seit Ende des 19. Jh. andauernden Debatte um die fachliche Qualifikation der Aufsichtsratsmitglieder in Deutschland: J. Schmidt, Der Aufsichtsrat in der Diskussion – 28. DJT (1906) –, in: Bayer (Hrsg.), Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht in den Beratungen des Deutschen Juristentages, 2010, S. 159, 174, 187 ff. m.z.w.N. sowie ausf. Lieder (Fn. 74), S. 226 f., 723 ff. BGHZ 85, 293 („Hertie“). Vgl. nur Drygala in: K. Schmidt/Lutter, AktG, 2. Aufl. 2010, § 100 Rn. 30 m.w.N.; näher zu den sich daraus ergebenden Anforderungen speziell Lutter DB 2009, 775, 778 f.; ders. EuZW 2009, 799, 801 f.; ders. FS Wymeersch, 2009, S. 132, 139 f.

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sprechende Empfehlung 95. Seit 2010 empfiehlt Ziff. 5.4.1 Abs. 4 DCGK ferner, dass die Gesellschaft die Aufsichtsratsmitglieder bei der Wahrnehmung von Aus- und Fortbildungsmaßnahmen angemessen unterstützen soll.96 Speziell in Bezug auf den Prüfungsausschuss gilt die allgemeine Empfehlung der Bildung „fachlich qualifizierter Ausschüsse“ (Ziff. 5.3.1 S. 1 DCGK) 97, 2005 wurde zudem in Ziff. 5.3.2 ergänzt, dass der Vorsitzende über besondere Kenntnisse und Erfahrungen in der Anwendung von Rechnungslegungsgrundsätzen und internen Kontrollverfahren verfügen soll 98. Art. 41 Abs. 1 Abschlussprüfer-RL 2006/43/EG wurde durch das BilMoG 99 mit den neuen §§ 100 Abs. 5, 107 Abs. 4 AktG umgesetzt;100 außerdem wurde auch Ziff. 5.3.2 DCGK101 angepasst (dazu auch noch u. Rn. 42 sowie § 27 Rn. 19). Für Finanzdienstleistungsinstitute und Versicherungsunternehmen wurde durch das FM/VAStärkG102 sogar generell ein besonderes Sachkundeerfordernis eingeführt (§ 36 Abs. 3 S. 1 KWG bzw. § 7a Abs. 4 S. 1 VAG);103 § 6 Abs. 2 InstitutsVergV 104 enthält darüber hinaus Vorgaben zu den Mitgliedern des Vergütungsausschusses bedeutender Institute (dazu auch noch u. Rn. 42).

(b) Zeitliches Engagement Als essentiell für eine gute Corporate Governance qualifiziert die Empfehlung 2005/ 30 162/EG zudem ein hinreichendes zeitliches Engagement 105. Ziff. 12.1 empfiehlt daher insbesondere auch, dass die Organmitglieder die Zahl ihrer anderweitigen beruflichen Verpflichtungen (speziell andere Organmandate) begrenzen, nach Ziff. 12.2 soll zudem auch insoweit Transparenz geschaffen werden; bestimmte (gesetzliche)

95 Dazu näher Kremer (Fn. 78), Rn. 1014 ff.; Lutter/Krieger, Aufsichtsrat, Rn. 24 f.; zur redaktionellen Neufassung 2010: Hecker/Peters BB 2010, 2251, 2255 f.; Ringleb/Kremer/Lutter/von Werder NZG 2010, 1161, 1165. 96 Vgl. dazu DCGK-Bericht 2010 (Fn. 78), S. 27 f.; Buhleier/Splinter Board 2011, 26, 27; Hecker/Peters BB 2010, 2251, 2256; Kiefner/Friebel AG 2011, R74 f. 97 Vgl. Kremer (Fn. 95), Rn. 1003. 98 Dazu näher Kremer (Fn. 78), Rn. 1005; Lieder NZG 2005, 569, 573 f. 99 Fn. 45. 100 Vgl. dazu die Nachweise in Fn. 155. 101 Näher zu Ziff. 5.3.2 DCGK: Kremer (Fn. 78), Rn. 986 ff. 102 Fn. 79. 103 Vgl. dazu Begr. Finanzausschuss, BT-Drs. 16/13684, S. 40 f.; Berger VersR 2010, 422 ff.; Bürkle VersR 2010, 1005 ff.; Dreher ZGR 2010, 496, 508 ff.; Hasse VersR 2010, 18, 22 ff.; Hilgers/Kurta ZBB 2010, 471 ff.; Hingst/Himmelreich/Krawinkel WM 2009, 2016, 2018 ff.; Lehrl BKR 2010, 485, 493 ff.; Lutter EuZW 2009, 799, 802; Peltzer NZG 2009, 1041, 1042; J. Schmidt (Fn. 92), S. 159, 189. 104 Verordnung über die aufsichtsrechtlichen Anforderungen an Vergütungssysteme von Instituten (Instituts-Vergütungsverordnung – InstitutsVergV) v. 6.10.2010, BGBl. I, 1374. S. dazu Merkblatt der BaFin zur Kontrolle von Mitgliedern von Verwaltungs- und Aufsichtsorganen gemäß KWG und VAG v. 22.2.2010 (abrufbar unter www.bafin.de). 105 Vgl. auch Erwägungsgrund 17.

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Mandatsobergrenzen werden allerdings nicht empfohlen. Solche werden nun aber im Grünbuch 2011 erwogen 106. Für Finanzinstitute sieht jetzt Art. 87 Abs. 1 S. 2 lit. a CRD IV-RLE 107 in Anknüpfung an entsprechende Erwägungen im Grünbuch 2010 108 (dazu noch allg. u. Rn. 72 ff.) zwingende Mandatsobergrenzen 109 vor; zudem bestimmt Art. 87 Abs. 1 S. 1 CRD IV-RLE allgemein, dass alle Organmitglieder der Wahrnehmung ihrer Aufgaben ausreichend Zeit widmen müssen110 (allg. zum CRD IV-RLE noch u. Rn. 75). 31 Im deutschen Recht gelten für Aufsichtsratsmitglieder bereits seit langem111 gesetzliche Mandatsobergrenzen (heute: max. 10, § 100 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 AktG); Ziff. 5.4.5 S. 2 DCGK ist sogar noch strenger 112. Für Finanzdienstleistungsinstitute und Versicherungsunternehmen wurde 2009 durch das FM/VAStärkG113 zudem eine Obergrenze von 5 Kontrollmandaten bei unter BaFin-Aufsicht stehenden Unternehmen eingeführt (§ 36 Abs. 3 S. 6 KWG bzw. § 7a Abs. 4 S. 4 VAG).114 Ferner empfiehlt der DCGK den Aufsichtsratsmitgliedern seit 2002 auch allgemein, auf genügend Zeit zu achten (Ziff. 5.4.3 S. 1 a.F., seit 2005: Ziff. 5.4.5 S. 1).

(c) Unabhängigkeit 32 Besonderes Gewicht legt die Empfehlung 2005/162/EG aber speziell auch auf die Unabhängigkeit der Organmitglieder.115 Angesichts des mangelnden Konsenses über die 106 107 108 109

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Vgl. KOM(2011) 164, 1.2 (S. 9). Fn. 14. Vgl. KOM(2010) 284, 5.1 (S. 13 f.). Entwender (a) max. 1 Leitungs- und 2 Aufsichtsfunktionen, oder (b) max. 4 Aufsichtsfunktionen; Leitungs- und Aufsichtsfunktionen innerhalb derselben Gruppe sind dabei als eine einzige Funktion zu betrachten. Die zuständige Aufsichtsbehörde kann im Einzelfall Ausnahmen gestatten. Die Vorgaben gelten für sämtliche Mitglieder des „Leitungsorgans“; vgl. zur Bedeutung dieses Begriffs i.R.d. CRD IV-Gesamtpakets o. Fn. 89. Gem. Art. 87 Abs. 4 lit. a CRD IV-RLE soll die EBA technische Regulierungsstandards (dazu näher § 17 Rn. 301) zur näheren Präzisierung erarbeiten. Erstmals eingeführt durch Notverordnung v. 19.9.1931 (RGBl. I 1931, 493); vgl. mit Überblick zur historischen Entwicklung J. Schmidt (Fn. 74), S. 159, 185 ff.; ausf. Lieder (Fn. 74), S. 679 ff. (jeweils m.w.N.). Ziff. 5.4.3 a.F. bzw. 5.4.5 a.F.: 5; seit 2009 gem. Ziff. 5.4.5 n.F.: 3; seit 2010 sollen zudem nicht nur Aufsichtsratsmandate in konzernexternen börsennotierten Gesellschaften, sondern auch Mandate in Aufsichtsgremien von Gesellschaften mit vergleichbaren Anforderungen berücksichtigt werden. Vgl. zum Ganzen näher Hecker/Peters BB 2010, 2251, 2256 f.; Jaspers AG 2011, 154, 156 ff.; Kremer (Fn. 78), Rn. 1067 ff.; Ringleb/Kremer/Lutter/von Werder NZG 2010, 1161, 1166. Fn. 79. Vgl. dazu BegrRegE z. FM/VAStärkG, BT-Drs. 16/12783, S. 16; Hasse VersR 2010, 18, 24 f.; Lehrl BKR 2010, 485, 498; Mutter VersR 2011, 48 f. Näher speziell dazu (neben dem in Fn. 58 aufgeführten Schrifttum): Bürgers/Schiha AG 2010, 221, 222 f., 227 ff.; Diekmann/Bidmon NZG 2009, 1087, 1088 f.; Ernst/Seidler ZGR 2008, 631, 666; Habersack AG 2008, 98, 105 f.; Jaspers AG 2009, 607, 609 f.; Kropff

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Bedeutung dieses Begriffs wurde insofern allerdings bewusst von starren Vorgaben abgesehen.116 Ziff. 13.1 normiert zwar eine Legaldefinition der Unabhängigkeit 117, diese ist jedoch ausdrücklich nur als „Zielvorgabe“ zu verstehen 118. Zudem sind auch die in Anhang II zur Konkretisierung enthaltenen ergänzenden (relativ umfangreichen) Leitlinien mit Regelbeispielen 119 mit Blick auf die Komplexität der gesamten Problematik ausdrücklich nicht abschließend und sollen von den Mitgliedstaaten bei der Festlegung von Kriterien für die Beurteilung der Unabhängigkeit nur „Berücksichtigung“ finden (vgl. Ziff. 13.2 S. 1), wobei insbesondere auch den „einzelstaatlichen Gegebenheiten“ Rechnung getragen werden kann (vgl. Anhang II Ziff. 1 S. 5). Vor allem aber soll es grundsätzlich dem Verwaltungs-/Aufsichtsrat selbst überlassen bleiben, festzulegen, was er unter „Unabhängigkeit“ versteht (Ziff. 13.2 S. 2), wobei er sich zwar prinzipiell innerhalb der vom Mitgliedstaat festgelegten Kriterien halten, bei Vorliegen besonderer Umstände aber durchaus auch von diesen abweichen können soll. Flankierend verlangt Ziff. 13.3 eine umfassende Offenlegung (sowohl ad hoc bei der Bestellung als auch generell jährlich).120 Letztlich setzt die Kommission damit auch in puncto Unabhängigkeit auf einen „comply or explain“-Ansatz: Der durch Empfehlung und nationale Regelungen vorgegebene Rahmen ist zwar nicht bindend, wer davon abweicht, muss dies aber öffentlich rechtfertigen.121 Aus deutscher Perspektive war all dies weitgehend neu. Als äußerst brisant er- 33 scheinen mit Blick auf die traditionellen deutschen Unternehmensstrukturen speziell die Einstufung von Anteilseignern mit Kontrollbeteiligung (Anh. II Ziff. 1.d)122 und

116 117

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FS K. Schmidt, 2009, S. 1023, 1026 f.; Lüer FS Maier-Reimer, 2010, S. 385, 391 f.; Staake ZIP 2010, 1013, 1015 f.; E. Vetter ZGR 2010, 751, 781 ff.; ders. FS Maier-Reimer, 2010, S. 795, 799 ff. Vgl. Erwägungsgrund 18. Als „unabhängig“ gilt danach, wer „in keiner geschäftlichen, familiären oder sonstigen Beziehung zu der Gesellschaft, ihrem Mehrheitsaktionär oder deren Geschäftsführung steht, die einen Interessenkonflikt begründet, der sein Urteilsvermögen beeinflussen könnte“. Vgl. Erwägungsgrund 18 S. 3. Dazu näher Habersack AG 2008, 98, 105 f.; Hopt ZIP 2005, 461, 468; ders. FS Westermann, 2008, S. 1039, 1042 ff.; Kremer (Fn. 78), Rn. 1032 ff.; Lieder (Fn. 74), S. 699 ff.; S. Maul Beil. zu BB 34/2005, 2, 4 f.; S. Maul/Lanfermann DB 2004, 2407 f.; Staake ZIP 2010, 1013, 1015 f.; E. Vetter ZGR 2010, 751, 782 ff.; ders. FS Maier-Reimer, 2010, S. 795, 801 ff. Näher S. Maul Beil. zu BB 34/2005, 2, 5. Vgl. auch Spindler ZIP 2005, 2033, 2038. Vgl. Bürgers/Schiha AG 2010, 221, 222, 228 f.; Diekmann/Bidmon NZG 2009, 1087, 1090; Habersack ZHR 168 (2004) 373, 377 f.; ders. AG 2008, 98, 105 f.; ders. FS Goette, 2011, S. 121, 127 f.; Hoffmann-Becking FS Hüffer, 2010, S. 337, 349; Hopt FS Westermann, 2008, S. 1039, 1042; Kremer (Fn. 78), Rn. 1038; Kropff FS K. Schmidt, 2009, S. 1023, 1026 f.; Lieder (Fn. 74), S. 706 f.; ders. NZG 2005, 569, 571; ders. (2010) 11 GLJ 115, 132 f.; Lutter EuZW 2009, 799, 803 f.; ders. FS Wymeersch, 2009, S. 132, 141 ff.; ders. EuZW 2010, 87; S. Maul Beil. zu BB 34/2005, 2, 5; S. Maul/Lanfermann BB 2004, 1861, 1864; Spindler ZIP 2005, 2033, 2041; E. Vetter ZGR 2010, 751, 783 f.; ders. FS Maier-Reimer, 2010, S. 795, 802 f.

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bedeutenden Geschäftspartnern (Anh. II Ziff. 1.e)123 als „nicht unabhängig“ (auf Grund der „deutschen Klausel“ in Anh. II. Ziff. 1.b sind aber zumindest die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat ausdrücklich ausgespart 124). Im Zuge der Umsetzung wurde daher 2005 bewusst darauf verzichtet, die Liste vollständig zu übernehmen; vielmehr wurde in Ziff. 5.4.2 S. 2 DCGK lediglich eine – zudem partiell von Ziff. 13.1 abweichende125 – allgemeine Unabhängigkeitsdefinition126 ergänzt.127 (d) Grünbuch 2010 und CRD IV-RLE sowie Grünbuch 2011: Berufliche, internationale und geschlechterspezifische Diversität 34 Um die Entscheidungsfindung durch Gewährleistung eines breiten Spektrums an Sachverstand noch weiter zu verbessern, wird i.R.d. Grünbuchs 2011 (dazu noch allg. u. Rn. 76 ff.) nun erwogen, auf EU-Ebene auch Vorgaben zur beruflichen, internationalen und geschlechterspezifischen Diversität zu ergänzen.128 Für Finanzinstitute sieht Art. 87 Abs. 2 Unterabs. 2 CRD IV-RLE129 (dazu noch allg. u. Rn. 75) in Anknüpfung an entsprechende Erwägungen im Grünbuch 2010 130 (dazu noch allg. u. Rn. 72 ff.) vor, dass bei der Auswahl der Organmitglieder 131 die Diversität 132 als Kriterium heranzuziehen ist. 35 Besondere Brisanz kommt hierbei unzweifelhaft der Frage der geschlechterspezifischen Diversität zu. Nachdem in einer ganzen Reihe von Mitgliedstaaten 123 Vgl. Hopt FS Westermann, 2008, S. 1039, 1042; Nagel NZG 2007, 166, 169; Spindler ZIP 2005, 2033, 2042 f. 124 Vgl. dazu Kremer (Fn. 78), Rn. 1040; Spindler ZIP 2005, 2033, 2040. 125 Vgl. zu den Unterschieden näher Jaspers AG 2009, 607, 610 f.; Kremer (Fn. 78), Rn. 1037 ff.; Lutter EuZW 2009, 799, 803 f.; ders. FS Wymeersch, 2009, S. 132, 142 f.; Spindler ZIP 2005, 2033, 2039 f. 126 „Ein Aufsichtsratsmitglied ist als unabhängig anzusehen, wenn es in keiner geschäftlichen oder persönlichen Beziehung zu der Gesellschaft oder deren Vorstand steht, die einen Interessenkonflikt begründet.“ 127 Vgl. dazu DCGK-Bericht 2010 (Fn. 78), S. 28 ff., 37; Bürgers/Schiha AG 2010, 221, 223; Diekmann/Bidmon NZG 2009, 1087, 1089 ff.; Hoffmann-Becking FS Hüffer, 2010, S. 337, 349 f.; Hönsch Konzern 2009, 553, 557 f.; Jaspers AG 2009, 610 f.; Lieder NZG 2005, 569, 570 ff.; ders. (2010) 11 GLJ 115, 132 f.; Lüer FS Maier-Reimer, 2010, S. 385, 391 ff.; Lutter EuZW 2009, 799, 803 f.; ders. FS Wymeersch, 2009, S. 132, 142 f.; S. Maul Beil. zu BB 34/2005, 2, 4 f.; Rieder/Holzmann AG 2010, 570, 576; E. Vetter BB 2005, 1689, 1690 ff. 128 Vgl. KOM(2011) 164, 1.1 (S. 6 ff.). Vgl. dazu Bachmann WM 2011, 1301, 1303; Jahn AG 2011, 454, 455; Jung BB 2011, 1987, 1989; Peltzer NZG 2011, 961 f.; Scheffler AG 2011, R262; Wollmert/Oser/Orth DB 2011, 1432, 1435 f. 129 Fn. 14. 130 Vgl. KOM(2010) 284, 5.1 (S. 13 f.). Dazu Buschmann NZG 2011, 87, 90 f.; Wittig WM 2010, 2337 ff. 131 Die Vorgaben gelten für sämtliche Mitglieder des „Leitungsorgans“; vgl. zur Bedeutung dieses Begriffs i.R.d. CRD IV-Gesamtpakets o. Fn. 89. 132 Die Diversität soll sich dabei insbesondere auf Geschlecht, Alter, geografische Herkunft, Ausbildung und beruflichen Hintergrund beziehen. Nach Art. 87 Abs. 4 lit. e CRD IV-RLE soll die EBA technische Regulierungsstandards (dazu näher § 17 Rn. 301) zur näheren Präzisierung erarbeiten.

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bereits eine gesetzliche Frauenquote eingeführt 133 oder zumindest Empfehlungen zum Frauenanteil in den Corporate Governance Kodex 134 aufgenommen wurden (so 2010 auch in Deutschland, vgl. Ziff. 5.1.2 S. 2, 5.4.1 Abs. 2 n.F.135) und in vielen anderen Mitgliedstaaten136 – inkl. Deutschland 137 – über eine Einführung diskutiert wird, will die Kommission im Zusammenhang mit der allgemeinen „Strategie für die Gleichstellung von Frauen und Männern 2010–2015138 auch auf EU-Ebene Maßnahmen 133 In Norwegen gilt seit 2006 für börsennotierte Unternehmen eine 40 %-Quote (dazu näher Frost/Linnainmaa AG 2007, 601, 603 ff.); in Frankreich gilt ab 2014 für börsennotierte und Großunternehmen eine Quote von 20 %, ab 2017 von 40 % (Loi n° 2011-103 du 27 janvier 2011 relative à la représentation équilibrée des femmes et des hommes au sein des conseils d’administration et de surveillance et à l’égalité professionnelle, JORF n° 23 du 28 janvier 2011, p. 1680; dazu François-Poncet/Deilmann/Otte NZG 2011, 450 ff.; Weber-Rey AG 2011, R100); in Spanien gilt ab 2015 eine 40 %-Quote für börsennotierte Unternehmen (vgl. Weber-Rey AG 2011, R100). Am 16.6.2011 hat auch die belgische Abgeordnetenkammer ein Gesetz beschlossen, wonach künftig mind. 1/3 der Mitglieder des Verwaltungsrats von Staats- und börsennotierten Unternehmen ein anderes Geschlecht als die übrigen haben müssen (Projet de Loi modifiant la loi du 21 mars 1991 portant réforme de certaines entreprises publiques économiques, le Code des sociétés et la loi du 19 avril 2002 relative à la rationalisation du fonctionnement et de la gestion de la Loterie Nationale afin de garantir la présence des femmes dans le conseil d’administration des entreprises publiques autonomes, des sociétés cotées et de la Loterie Nationale, abrufbar unter http://www.lachambre.be/FLWB/PDF/53/0211/53K0211012.pdf). 134 In Finnland seit 2003 (dazu näher Frost/Linnainmaa AG 2007, 601, 507 f.), in Schweden seit 2004 (dazu näher Frost/Linnainmaa AG 2007, 601, 606); ferner mittlerweile auch in den Niederlanden und Dänemark (vgl. IP/11/242). 135 Vgl. dazu Bachmann ZIP 2011, 1131, 1132 f.; DCGK-Bericht 2010 (Fn. 78), S. 32 f.; Deilmann/Albrecht AG 2010, 727 ff.; François-Poncet/Deilmann/Otte NZG 2011, 450, 453 f.; Hecker/Peters BB 2010, 2251, 2253 ff.; Hoffmann-Becking ZIP 2011, 1173, 1176; Ihrig/Meder ZIP 2010, 1577 f.; Leisch BB 2011, 1737; Rieder/Holzmann AG 2010, 570, 572 f.; Ringleb/Kremer/Lutter/von Werder NZG 2010, 1161, 1163 ff.; Schubert/Jacobsen WM 2011, 726 ff.; Schulz BB 2010, 2390 ff.; Weber-Rey NZG 2011, 1 ff. Zur tatsächlichen Anwendung: von Werder/Böhme DB 2011, 1345 ff. 136 Vgl. dazu IP/11/242. Vgl. zur Diskussion im UK Villiers (2011) 8 ECL 94 ff. 137 S. die Gesetzesentwürfe von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, BT-Drs. 17/3296, und des Landes NRW, BR-Drs. 87/11, die Anträge von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, BT-Drs. 17/797; SPD, BT-Drs. 17/4683 und DIE LINKE, BT-Drs. 17/4842, die Antwort der BReg. auf eine kleine Anfrage von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, BT-Drs. 17/5056, den „Quotengipfel“ von 30 DAX-Konzernen mit den zuständigen Minister(in) am 30.3.2011 (dazu FAZ v. 31.3.2011, S. 11: „Konzerne geben sich Zielquote für mehr Frauen“), die öffentliche Anhörung im Rechtsausschuss am 11.5.2011 (Stellungnahmen der Sachverständigen abrufbar unter http://www.bundestag.de/bundestag/ausschuesse17/a06/ anhoerungen/archiv/09_Aufsichtsraete/04_Stellungnahmen/index.html) sowie die Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses BT-Drs. 17/6527. Aus dem Schrifttum etwa Bachmann AG 2011, 181, 188 ff.; ders. ZIP 2011, 1131 ff.; BCCG DB 2010, 2786 ff.; Brandt/Thiele AG 2011, 580 ff.; François-Poncet/Deilmann/Otte NZG 2011, 450 ff.; Lutter GesRZ 2011, 145, 147; Papier/Heidebach ZGR 2011, 305 ff.; Redenius-Hövermann ZIP 2010, 660 ff.; Schladebach/Stefanopoulou BB 2010, 1042 ff.; Seibert DB 2009, 1167, 1170; Spindler/Brandt NZG 2011, 401 ff.; Weber-Rey ZRP 2011, 127. 138 Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialauschuss und den Ausschuss der Regionen. Strategie für die Gleichstellung von Frauen und Männern 2010–2015, KOM(2010) 491.

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treffen. Während sich das Grünbuch 2011 insoweit hinsichtlich „Ob“ und „Wie“ etwaiger Maßnahmen (Quote, Zielvorgabe, etc.) noch relativ offen gibt, hat Justizkommissarin Reding alle börsennotierten Unternehmen im März 2011 bereits zur Unterzeichnung einer freiwilligen Selbstverpflichtung, den Frauenanteil bis 2015 auf 30 % und bis 2020 auf 40 % zu erhöhen, aufgefordert; falls bis März 2012 keine wesentlichen Fortschritte erreicht und glaubwürdige Selbstregulierungsinitativen entwickelt worden seien, könne auf ihre „regulatorische Kreativität“ gezählt werden.139 Der Gleichstellungsausschuss des EP hat sich ebenfalls dafür ausgesprochen, ggf. eine Quote einzuführen, falls andere Maßnahmen keine Steigerung des Frauenanteils erreichen.140

(7) Ausschüsse 36 Ein zentraler Schwerpunkt der Empfehlung 2005/162/EG liegt weiterhin in der – nachdrücklich bereits von der High Level Group angeratenen 141 – Einsetzung spezieller Ausschüsse des Verwaltungs-/Aufsichtsrats für Nominierung, Vergütung und Abschlussprüfung (freilich nur, wenn dieser dafür nach nationalem Recht auch zuständig ist) (Ziff. 5). Damit soll die Arbeit speziell in diesen drei besonders interessenkonfliktträchtigen142 Bereichen effizienter gestaltet werden (vgl. Ziff. 5, 6). Im Interesse hinreichender Flexibilität soll es den Gesellschaften allerdings ausdrücklich freistehen, weniger als drei Ausschüsse einzusetzen und die Aufgaben so zuzuordnen, wie sie dies für richtig halten; dies muss dann allerdings genau begründet werden (Ziff. 7.1). Zudem sollen die Funktionen der Ausschüsse bei Gesellschaften mit kleinem Verwaltungs-/Aufsichtsrat auch generell von diesem selbst übernommen werden können (Ziff. 7.2). 37 Die Ausschüsse sollen „in der Regel“ nur beratende Funktion haben; soweit dies nach nationalem Recht zulässig ist und der Verwaltungs-/Aufsichtsrat dies für sinnvoll erachtet, soll er aber auch einen Teil seiner Entscheidungsbefugnisse auf die Ausschüsse übertragen dürfen. Dies soll dann aber ausdrücklich erklärt, genau beschrieben und in vollständig transparenter Weise offen gelegt werden; zudem bleibt die Verantwortung des Gesamtorgans für die Beschlüsse unberührt (vgl. Ziff. 6 und Erwägungsgrund 10 S. 4–6).143 38 Größe, Zusammensetzung, Aufgaben etc. der Ausschüsse werden in Anhang I näher konkretisiert. Alle Ausschüsse sollen grundsätzlich aus mindestens 3 (bei klei-

139 Vgl. IP/11/242 und MEMO/11/124; s. ferner auch Reding ZRP 2011, 127 und SPEECH/ 11/482. 140 Vgl. FEMM, Bericht über Frauen in wirtschaftlichen Führungspositionen, 9.6.2011, A7-0210/2011, Ziff. 16 lit. b. 141 Vgl. Bericht High Level Group (Fn. 21), S. 64 ff. 142 Vgl. Erwägungsgrund 9 S. 1; Bericht High Level Group (Fn. 21), S. 64. 143 Zum Ganzen auch Spindler ZIP 2005, 2033, 2035.

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nem Gesamtorgan: 2) Mitgliedern bestehen (Anh. I, Ziff. 1.1). Diese sollen mehrheitlich unabhängig 144 und beim Vergütungs- und Prüfungsausschuss ausschließlich, beim Nominierungsausschuss zumindest mehrheitlich nicht geschäftsführende Direktoren/ Aufsichtsratsmitglieder sein (Anh. I Ziff. 2.1 Abs. 2, Ziff. 3.1 Abs. 2, Ziff. 4.1). Die genaue Aufgabenstellung soll in einem vom Gesamtorgan erstellten Mandat beschrieben werden (Anh. I Ziff. 1.3); Anh. I Ziff. 2.2, 3.2 und 4.2 enthalten aber jeweils einen Mindestkatalog von Aufgaben für Nominierungs-, Vergütungs- bzw. Prüfungsausschuss. Die Vorgaben zu Einrichtung, Aufgaben, Zusammensetzung und Arbeitsweise des Vergütungsausschusses wurden 2009 durch Abschnitt III der Empfehlung 2009/ 385/EG145 sowie für den Finanzdienstleistungssektor zusätzlich Ziff. 6.4, 8.a der Empfehlung 2009/384/EG ergänzt (dazu auch noch u. Rn. 49). Für Institute von erheblicher Bedeutung sieht Anh. V Ziff. 24 der Banken-RL146 in der Neufassung durch die CRD III 147 (dazu noch allg. u. Rn. 50) die Einrichtung eines Vergütungsausschusses sogar zwingend vor und macht nähere Vorgaben zu seiner konkreten Ausgestaltung; diese Vorgaben sollen in Art. 91 CRD IV-RLE148 inhaltlich unverändert übernommen werden. Einrichtung, Zusammensetzung und Aufgaben eines Prüfungsausschusses wurden inzwischen mit Art. 41 der neuen Abschlussprüfer-RL 2006/43/EG (zu dieser ausf. § 27) sogar verbindlich geregelt (wobei dessen Aufgaben auch durch das Gesamtorgan wahrgenommen werden können), vgl. auch bereits o. Rn. 19, 26 sowie näher § 27 Rn. 18. Für Finanzinstitute sollen nach dem CRD IV-RLE149 (dazu noch allg. u. Rn. 75) in Anknüpfung an entsprechende Erwägungen im Grünbuch 2010 150 (dazu noch allg. u. Rn. 72 ff.) zudem künftig zwingende Vorgaben bezüglich Einrichtung, Zusammensetzung und Aufgaben eines Nominierungsausschusses (Art. 86 Abs. 2) 151 sowie eines Risikoausschusses (Art. 75 Abs. 3 u. 4) gelten. Im deutschen Recht war die Bildung von Ausschüssen schon seit langem zulässig (heute: § 107 Abs. 3 AktG) und gängige Praxis; von einer zwingenden Vorgabe der Bildung bestimmter Ausschüsse wurde aber immer wieder bewusst abgesehen.152 Auch der DCGK hatte zunächst nur einen Prüfungsausschuss empfohlen (Ziff. 5.3.2), 2007 wurde aber eine Empfehlung zur Bildung eines Nominierungsausschusses

144 145 146 147 148 149 150 151

Zum Begriff der „Unabhängigkeit“ o. Rn. 32. Dazu Link GPR 2009, 229, 232 f. Fn. 60. Fn. 61. Fn. 14. Fn. 14. Vgl. KOM(2010) 284, 5.1 (S. 13 f.). Bei „kleinen“ Finanzinstituten können die zuständigen Behörden allerdings einen Dispens erteilen. 152 Überblick zur historischen Entwicklung bei J. Schmidt (Fn. 92), S. 159, 182 ff. m.w.N.; ausf. Lieder (Fn. 74), S. 379 ff., 448 ff., 750 ff.

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ergänzt (Ziff. 5.3.3) 153. Die Vorgaben des Art. 41 Abs. 1 Abschlussprüfer-RL 2006/43/ EG zum Prüfungsausschuss wurden 2009 durch das BilMoG154 mit den neuen §§ 100 Abs. 5, 107 Abs. 4 AktG umgesetzt;155 zudem wurde auch Ziff. 5.3.2 DCGK angepasst 156 (dazu bereits o. Rn. 29 sowie § 27 Rn. 19). Die Einsetzung eines Vergütungsausschusses wird dagegen vom DCGK nicht speziell empfohlen; Ziff. 5.3.4 S. 2 regt lediglich an, die Vergütung der Vorstandsmitglieder zur Behandlung an einen Ausschuss zu überweisen. Üblicherweise wird die Vorstandsvergütung im Personalausschuss oder Präsidium (mit-)behandelt.157 Um die Transparenz der Vergütungsfestsetzung zu verbessern158, wurde durch das VorStAG159 allerdings bestimmt, dass ein solcher Ausschuss im Hinblick auf die Vergütungsfestsetzung – anders als bislang üblich160 – nur noch beratende Funktion haben kann; die Beschlussfassung über die Festsetzung der Vorstandsvergütung ist dem Aufsichtsratsplenum vorbehalten.161 Ziff. 4.2.2 Abs. 1 DCGK, der die Beschlussfassung durch das Plenum immerhin seit 2008 bereits empfohlen hatte, wurde entsprechend angepasst; er sieht darüber hinaus aber auch eine regelmäßige Überprüfung vor.162 Besonderheiten gelten im Finanz-

153 Dazu näher Kremer (Fn. 78), Rn. 1005a ff.; Lutter EuZW 2009, 799, 803. 154 Fn. 45. 155 Vgl. dazu näher OLG München ZIP 2010, 1082 m. Anm. Mense EWiR 2010, 591 f.; Bürgers/Schiha AG 2010, 221, 227 ff.; Diekmann/Bidmon NZG 2009, 1087 ff.; Erchinger/Melcher DB 2008, Beil. 1, 56, 59 f.; dies., DB 2009, Beil. 5, 91, 95 ff.; Ernst/Seidler ZGR 2008, 631, 662 ff.; von Falkenhausen/Kocher ZIP 2009, 1601 ff.; Gesell ZGR 2011, 361 ff.; Habersack FS Goette, 2011, S. 121, 125 ff.; Kropff FS K. Schmidt, 2009, S. 1023 ff.; Lieder (2010) 11 GLJ 115, 140 f.; Lüer FS Maier-Reimer, 2010, S. 385 ff.; Lutter EuZW 2009, 799, 802; Nonnenmacher/Pohle/von Werder DB 2009, 1447 ff.; Rieder/Holzmann AG 2010, 570, 574; J. Schmidt, Die Evolution des deutschen Konzernrechts – 42. DJT (1957) und 59. DJT (1992), in: Bayer (Hrsg.), Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht in den Beratungen des Deutschen Juristentages, 2010, S. 407, 471; dies. (Fn. 92), S. 159, 183 f.; Staake ZIP 2010, 1013 ff.; E. Vetter ZGR 2010, 751 ff.; ders. FS Maier-Reimer, 2010, S. 795 ff.; Weber-Rey AG 2008, 345, 347 ff.; Widmann BB 2009, 2602 ff. 156 Näher zu Ziff. 5.3.2 DCGK Kremer (Fn. 78), Rn. 986 ff. 157 Vgl. Annuß/Theusinger BB 2009, 2434, 2439; Kremer (Fn. 78), Rn. 703; Seibert WM 2009, 1489, 1491. 158 Vgl. BegrRegE z. VorStAG, BT-Drs. 16/12278, S. 6. 159 Fn. 75. 160 Die Praxis, die Beschlussfassung an einen Ausschuss zu delegieren, war speziell vor dem Hintergrund der allgemeinen Diskussion um „Vergütungsexzesse“ zunehmend in die Kritik geraten; als Paradebeispiel diente insofern nicht zuletzt der Fall Mannesmann (Beschluss einer 60 Mio.-DM-Abfindung durch einen 4-Mann-Ausschuss mit 2 positiven Stimmen, einer Enthaltung und einer Absenz), vgl. nur Lutter EuZW 2009, 799, 801. 161 Vgl. dazu Annuß/Theusinger BB 2009, 2434, 2439; Cahn FS Hopt, 2010, S. 431, 445 f.; Fleischer NZG 2009, 801, 804; Hoffmann-Becking/Krieger Beil. NZG 26/2009, 1, 8 f.; Kremer (Fn. 78), Rn. 703b ff.; Lieder (2010) 11 GLJ 115, 142 f.; Lutter EuZW 2009, 799, 801; Sailer-Coceani VGR 15 (2009), S. 141, 142 f.; Seibert WM 2009, 1489, 1491; Thüsing AG 2009, 517, 524. 162 Näher Hecker BB 2009, 1654, 1656 f.; Kremer (Fn. 78), Rn. 703b ff.; Scheffler AG 2009, R439, R440 f.

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und Versicherungssektor: Bedeutende Kreditinstitute müssen einen Vergütungsausschuss einrichten (§ 6 InstitutsVergV 163, 164), Versicherungsunternehmen sollen dies (§ 4 Abs. 7 VersVergV 165, 166).

(8) Selbstevaluation Nach Ziff. 8 der Empfehlung 2005/162/EG sollte der Verwaltungs-/Aufsichtsrat jedes 43 Jahr eine Selbstevaluation vornehmen. Der DCGK sah bereits seit 2002 vor, dass der Aufsichtsrat die Effizienz seiner Tätigkeit regelmäßig überprüfen soll (Ziff. 5.6).167 Im Grünbuch 2011 (dazu noch allg. u. Rn. 76 ff.) wird nun erwogen, alle 3 Jahre zusätzlich eine externe Beurteilung durchführen zu lassen168. Für Finanzinstitute war Ähnliches bereits im Grünbuch 2010 (dazu noch allg. u. Rn. 72 ff.) vorgeschlagen worden169; Art. 86 Abs. 1 Unterabs. 3 CRD IV-RLE170 (zu diesem noch allg. u. Rn. 75) sieht nun aber (nur) eine Verpflichtung zur regelmäßigen Selbstevaluation vor.

(9) Transparenz Gem. Ziff. 9.1 der Empfehlung 2005/162/EG sollte der Verwaltungs-/Aufsichtsrat 44 mindestens einmal jährlich ausreichende Informationen über seine interne Organisation und Verfahren veröffentlichen; dies wird allerdings mittlerweile durch die Pflicht zum Corporate Governance-Statement gem. Art. 46a der 4. (Bilanz-)RL (dazu bereits o. Rn. 13 sowie ausf. § 10 Rn. 15) überlagert.

(10) Kommunikation Gem. Ziff. 9.2 der Empfehlung 2005/162/EG sollte der Verwaltungs-/Aufsichtsrat 45 ferner dafür sorgen, dass die Aktionäre über die Angelegenheiten der Gesellschaft, die Unternehmensstrategie sowie über den Umgang mit Risiken und Interessenkonflikten angemessen informiert werden. Der DCGK empfiehlt eine Information über

163 Fn. 104. 164 Vgl. dazu Heuchemer/Kloft WM 2010, 2241, 2247; Müller-Bonanni/Mehrens NZA 2010, 792, 796; Simon/Koschker BB 2011, 120, 125. 165 Verordnung über die aufsichtsrechtlichen Anforderungen an Vergütungssysteme im Versicherungssektor (Versicherungs-Vergütungsverordnung – VersVergV) v. 6.10.2010, BGBl. I, 1379. 166 Vgl. Simon/Koschker BB 2011, 120, 125. 167 Dazu näher Kremer (Fn. 78), Rn. 1152 ff. 168 Vgl. KOM(2011) 164, 1.3 (S. 9 f.) 169 Vgl. KOM(2010) 284, 5.1 (S. 13 f.). 170 Fn. 14.

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Interessenkonflikte und deren Behandlung i.R.d. Berichts des Aufsichtsrats an die HV (Ziff. 5.5.3 S. 1) 171; zudem enthält er in Ziff. 6 umfangreiche Empfehlungen zur allgemeinen Transparenz gegenüber den Aktionären172.

e) Angemessenes Vergütungssystem für Organmitglieder aa) Ankündigung im Aktionsplan 46 Als weitere kurzfristige Priorität (2003–2005) i.R.d. Maßnahmen zur Modernisierung des Leitungs-/Verwaltungsorgans bezeichnete der Aktionsplan die Verabschiedung einer Empfehlung zur Förderung eines angemessenen Systems für die Vergütung von Direktoren; dies sei „eine der Grundvoraussetzungen dafür, das Vertrauen wiederherzustellen“.173 bb) Die Empfehlungen 2004/913/EG, 2009/384/EG und 2009/385/EG und die Änderung der Banken-RL durch die CRD III (1) Überblick 47 Die Kommission führte auch hierzu 2004 zunächst eine Konsultation174 durch, veröffentlichte einen Entwurf 175 und verabschiedete dann auf der Basis der eingegangenen Stellungnahmen am 14.12.2004 die Empfehlung 2004/913/EG 176 zur Einführung einer angemessenen Regelung für die Vergütung von Mitgliedern der Unternehmensleitung 177 börsennotierter Gesellschaften. Auch in puncto Vergütung hat man sich also entsprechend dem allgemeinen Ansatz des Aktionsplans (vgl. o. Rn. 9) bewusst auf

171 172 173 174

Dazu näher Kremer (Fn. 78), Rn. 1135 ff. Dazu näher Kremer (Fn. 78), Rn. 1201 ff. Vgl. Aktionsplan (Fn. 3), 3.1.3 (S. 18). Konsultationsdokument und Ergebnisse abrufbar unter http://ec.europa.eu/internal_ market/company/directors-remun/index_de.htm. 175 Abrufbar unter http://ec.europa.eu/internal_market/company/docs/directors-remun/ draft-recommendation_en.pdf. Dazu BDI/Bankenverband/DAI/DIHK/GDV NZG 2004, 1052 f.; Hopt FS Röhricht, 2005, S. 235, 245 f.; Kouloridas/von Lackum (2005) 5 GLJ 1275, 1283 ff.; S. Maul/Lanfermann BB 2004, 1861, 1866 f. 176 Empfehlung 2004/913/EG der Kommission v. 14.12.2004 zur Einführung einer angemessenen Regelung für die Vergütung von Mitgliedern der Unternehmensleitung börsennotierter Gesellschaften, ABlEU v. 29.12.2004, L 385/55. Dazu Fleischer/Bedkowski AG 2009, 677, 679; Haberer/Kraus GeS 2010, 10, 11; Habersack ZIP 2006, 445, 448 f.; Hopt ZIP 2005, 461, 466 f.; Lennarts (Fn. 58), S. 83, 85 ff.; Lutter EuZW 2009, 799 ff.; ders. FS Wymeersch, 2009, 132 ff.; S. Maul Beil. zu BB 34/2005, 2, 7 ff.; S. Maul/Lanfermann DB 2004, 2407 ff.; C. Teichmann GPR 2009, 235, 236; Tchotourian (2008) 42 R.J.T. n.s. 483, 508 ff. 177 „Mitglied der Unternehmensleitung“ ist ein Mitglied der Verwaltungs-, Geschäftsführungs- oder Aufsichtsorgane (Ziff. 2.1).

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Vorgaben für börsennotierte Gesellschaften178 beschränkt; „Mitglied der Unternehmensleitung“ i.S.d. Empfehlung ist gem. Ziff. 2.1 ein Mitglied des Verwaltungs-, Geschäftsführungs- oder Aufsichtsorgans. Ebenso wie i.R.d. Empfehlung 2005/162/EG (dazu o. Rn. 20) soll jeder Mitgliedstaat die entsprechenden Regeln für die nach seinem Recht gegründeten Gesellschaften sowie solche mit Erstnotierung auf einem geregelten Markt in seinem Territorium treffen (vgl. Ziff. 1.1, 1.2). Vorgesehen sind im Wesentlichen Maßnahmen in vier Bereichen: (1) Vergütungspolitik (dazu näher u. Rn. 51 ff.), (2) Rolle der Jahreshauptversammlung (dazu näher u. Rn. 56 f.), (3) Offenlegung der individuellen Vergütung (dazu näher u. Rn. 58 f.), (4) Sonderregeln für aktienbezogene Vergütung (dazu näher u. Rn. 60 ff.). In ihrem ebenfalls bereits im Juli 2007 vorgelegten Bericht zur Umsetzung in den 48 Mitgliedstaaten 179 begrüßte die Kommission zwar einerseits die inzwischen verbreitet sehr hohen Offenlegungsstandards in Bezug auf die individuelle Vergütung, beklagte aber andererseits insbesondere die unzureichende Offenlegung der Vergütungspolitik und die verbreitete Skepsis gegenüber der Einbeziehung der Hauptversammlung. Unter dem Eindruck der anhaltenden Finanzkrise verabschiedete die Kommission 49 dann am 30.4.2009 zwei weitere, ergänzende Empfehlungen zur Vergütung: Die Empfehlung 2009/385/EG 180 betreffend alle börsennotierten Gesellschaften und die Empfehlung 2009/384/EG 181 speziell in Bezug auf den Finanzdienstleistungssektor. In ihren hierzu am 2.6.2010 vorgelegten Berichten182 konstatierte sie, dass zwar bereits

178 Nach der Legaldefinition in Ziff. 2.2 ist „börsennotierte Gesellschaft“ eine Gesellschaft, deren Wertpapiere zum Handel auf einem geregelten Markt i.S.d. MiFID zugelassen sind.; vgl. allg. zur MiFID § 33 sowie bereits 17 Rn. 55 ff., 208 ff.; speziell zum „geregelten Markt“: § 33 Rn. 8, 14 sowie ausf. § 17 Rn. 58 ff. 179 Report on the application by Member States of the EU of the Commission Recommendation on directors’ remuneration, SEC(2007) 1022. Dazu IP/07/1147; Bayer/J. Schmidt BB 2008, 454, 458; C. Teichmann GPR 2009, 235, 236; Tchotourian (2008) 42 R.J.T. n.s. 483, 512 ff. 180 Empfehlung 2009/385/EG der Kommission v. 30.4.2009 zur Ergänzung der Empfehlungen 2004/913/EG und 2005/162/EG zur Regelung der Vergütung von Mitgliedern der Unternehmensleitung börsennotierter Gesellschaften, ABlEU v. 15.5.2009, L 120/28. Dazu Arora [2010] EBLR 603, 620 ff.; Bayer/J. Schmidt BB 2010, 387, 391 f.; Haberer/ Kraus GeS 2010, 10, 11; Link GPR 2009, 229 ff.; Lutter EuZW 2009, 799, 804; C. Teichmann GPR 2009, 235, 236 f.; Weber-Rey WM 2009, 2255 f. 181 Empfehlung 2009/384/EG der Kommission v. 30.4.2009 zur Vergütungspolitik im Finanzdienstleistungssektor, ABlEU v. 15.5.2009, L 120/22. Dazu Arora [2010] EBLR 603, 622 ff.; Bayer/J. Schmidt BB 2010, 387, 392; Weber-Rey WM 2009, 2255 f. sowie Antwort der BReg. auf eine kleine Anfrage, BT-Drs. 16/13797. 182 Bericht über die Umsetzung der Empfehlung 2009/385/EG der Kommission zur Ergänzung der Empfehlungen 2004/913/EG und 2005/162/EG zur Regelung der Vergütung von Mitgliedern der Unternehmensleitung börsennotierter Gesellschaften (Empfehlung zur Direktorenvergütung 2009) durch die EU-Mitgliedstaaten, KOM(2010) 285; dazu SEC(2010) 670; Bericht über die Umsetzung der Empfehlung 2009/384/EG der Kommission zur Vergütungspolitik im Finanzdienstleistungssektor (Empfehlung zur Vergütungspolitik im Finanzdienstleistungssektor 2009) durch die EU-Mitgliedstaaten, KOM(2010) 286; dazu SEC(2010) 671.

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Fortschritte erzielt worden seien, eine ganze Reihe von Mitgliedstaaten die Empfehlungen aber nur teilweise umgesetzt haben. 50 In den Grünbüchern 2010 (für Finanzinstitute, dazu allg. Rn. 72 ff.) und 2011 (für alle börsennotierten Gesellschaften, dazu allg. Rn. 76 ff.) wurden deshalb weitere (legislative) Maßnahmen in diesem Bereich angedacht. Für Finanzinstitute wurden durch die CRD III 183 bereits neue Vorgaben geschaffen: Anh. V der Banken-RL184 enthält nun als Ziff. 23 und 24 auch Vorgaben zur Vergütungspolitik, deren Einhaltung der Aufsicht unterliegt (vgl. auch bereits o. Rn. 27, 39). Der CRD IV-RLE (dazu noch allg. u. Rn. 75) sieht vor, diese noch weiter auszubauen (vgl. u. Rn. 54, 61).

(2) Vergütungspolitik (a) Transparenz 51 Erstes zentrales Element der Empfehlung 2004/913/EG ist die Offenlegung des allgemeinen Konzepts für die Vergütung der Mitglieder der Unternehmensleitung in einer „Vergütungserklärung“, die entweder Teil eines eigenständigen Vergütungsberichts sein und/oder in den Jahresabschluss und den Lagebericht oder in den Anhang zum Jahresabschluss aufgenommen werden und zudem auf der Internetseite der Gesellschaft veröffentlicht werden soll (Ziff. 3.1). Sie soll Aufschluss über das generelle Vergütungskonzept der Gesellschaft und dessen Umsetzung im vorangehenden Geschäftsjahr geben (Ziff. 3.2). Ziff. 3.3 enthält einen Katalog von Mindestangaben (u.a. relatives Gewicht von fixen und variablen Komponenten, Erfolgskriterien, etc.), der durch Ziff. 5.2 der Empfehlung 2009/385/EG um weitere Punkte ergänzt wurde. Zudem sollen auch Informationen zur Vertragsgestaltung (Ziff. 3.4) und zum Verfahren der Vergütungsfestlegung (Ziff. 3.5) enthalten sein. Im Grünbuch 2011 (dazu noch allg. u. Rn. 72 ff.) wird nun erwogen, diese Offenlegung – entsprechend der Empfehlung des ECGF 185 – künftig obligatorisch zu machen.186 52 In Deutschland ist Transparenz in Bezug auf die Aufsichtsratsvergütung seit langem bereits dadurch gewährleistet, dass diese gem. § 113 AktG nur in der Satzung festgesetzt oder von der Hauptversammlung bewilligt werden kann.187 1985 wurde mit dem BiRiLiG 188 in § 285 Nr. 9 HGB eine Pflicht zur Angabe der Gesamtbezüge

183 Fn. 61. 184 Fn. 60. 185 ECGF, Statement on Director Remuneration, 23.3.2009 (abrufbar auf der Webseite des ECGF [Fn. 278]), Ziff. 5; allg. zum ECGF u. Rn. 70. 186 Vgl. KOM(2011) 164, 1.4 (S. 11). 187 Vgl. Lutter EuZW 2009, 799, 801; J. Schmidt (Fn. 222), S. 259, 293. 188 Gesetz zur Durchführung der Vierten, Siebenten und Achten Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaften zur Koordinierung des Gesellschaftsrechts (Bilanzrichtlinien-Gesetz – BiRiLiG) v. 19.12.1985, BGBl. I, 2355. Dazu noch § 24 Rn. 5, § 25 Rn. 7.

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aller Organmitglieder im Anhang eingeführt. Durch das VorstOG 189 wurde dann 2005 ein neuer § 289 Abs. 2 Nr. 5 HGB ergänzt, wonach der Lagebericht auf die Grundzüge des Vergütungssystems eingehen soll190. Weiterhin empfiehlt Ziff. 4.2.5 Abs. 1 DCGK seit 2006 eine Offenlegung des Vergütungssystems für die Vorstandsmitglieder in einem Vergütungsbericht als Teil des Corporate Governance-Berichts191; in letzterem soll nach Ziff. 5.4.6 Abs. 3 DCGK zudem auch die Vergütung der Aufsichtsratsmitglieder individualisiert und aufgegliedert nach Bestandteilen ausgewiesen werden192.

(b) Materielle Vorgaben zur Vergütungsstruktur Durch die Empfehlung 2009/385/EG wurden die im Wesentlichen auf die Transpa- 53 renz der Vergütungspolitik fokussierten Vorgaben der Empfehlung 2004/913/EG durch materielle Vorgaben hinsichtlich der Struktur der Vergütung ergänzt, die darauf abzielen, Verhaltensanreize zu schaffen, die einer langfristigen Unternehmensentwicklung dienen193 und eine „Entlohnung von Fehlleistungen“ zu verhindern194. Für variable Vergütungskomponenten sollen deshalb Höchstgrenzen festgelegt werden (Ziff. 3.1). Ihre Auszahlung soll an im Voraus festgelegte, messbare Leistungskriterien geknüpft sein, die der langfristigen Unternehmensentwicklung dienen und auch für die langfristige Wertschöpfung relevante Kriterien nicht finanzieller Art einbeziehen (Ziff. 3.2). Zudem soll die Auszahlung eines Großteils mit Blick auf den Risikohorizont der Leistungskriterien für einen bestimmten Zeitraum195 aufgeschoben werden (Ziff. 3.3) und in die Verträge sollen Klauseln aufgenommen werden, die eine Rückforderung („claw back“) gestatten, wenn variable Vergütungsbestandteile auf der Grundlage offenkundig falscher Daten gezahlt wurden (Ziff. 3.4). Für Abfindungszahlungen („golden parachutes“) soll eine Obergrenze (i.d.R. max. 2 Jahreseinkommen aus der fixen Vergütung) festgesetzt werden; im Falle der Vertragsbeendigung auf Grund unzulänglicher Leistungen sollen sie gar nicht gezahlt werden (Ziff. 3.5). Ähnliches sieht auch die Empfehlung 2009/384/EG für den Finanzdienstleistungs- 54 sektor vor, die Vorgaben sind allerdings sektorspezifisch erweitert und konkretisiert und teilweise auch deutlich strenger (z.B. „claw back“ auch ohne Vertragsklausel, Ziff. 4.6). Im Grünbuch 2010 (dazu noch allg. u. Rn. 72 ff.) wurde sogar erwogen, Abfindungszahlungen auf EU-Ebene verbindlich zu regeln bzw. sogar ganz zu verbie-

189 Gesetz über die Offenlegung der Vorstandsvergütungen (Vorstandsvergütungs-Offenlegungsgesetz – VorstOG) v. 3.8.2005, BGBl. I, S. 2267. 190 Vgl. dazu nur Lutter EuZW 2009, 799, 801; ders. FS Wymeersch, 2009, S. 132, 137 f. 191 Vgl. dazu Lutter EuZW 2009, 799, 801. 192 Die Empfehlung existiert in dieser Form seit 2005 (bis 2009 als Abs. 5.4.7 Abs. 3); ein Ausweis im Anhang zum Konzernabschluss wird aber bereits seit 2002 angeregt, seit 2003 empfohlen. Vgl. näher zum Ganzen Ringleb in: Ringleb/Kremer/Lutter/von Werder, DCGK, 4. Aufl. 2010, Rn. 1102 ff. 193 Vgl. Erwägungsgrund 6 S. 1. 194 Vgl. IP/09/673. 195 Nach Erwägungsgrund 6 S. 4 i.d.R. 3 bis 5 Jahre.

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ten.196 Die Vorgaben in Anh. V Ziff. 23 Banken-RL197 in der Neufassung durch die CRD III 198 bauen auf der Empfehlung 2009/384/EG auf 199, sind aber spezifisch auf den Bankensektor ausgerichtet; sie sollen nun inhaltlich im Wesentlichen unverändert in Art. 88 CRD IV-RLE200 übernommen werden. 55 Das deutsche Recht verfolgt im Hinblick auf die materiellen Anforderungen an die Vergütungsstruktur einen etwas anderen Ansatz,201 insbesondere auch im Hinblick auf die unterschiedlichen Maßstäbe für die Vorstands- und Aufsichtsratsvergütung. Hinsichtlich der Vorstandsvergütung wurde das Kriterium der „Angemessenheit“ in § 87 Abs. 1 S. 1 AktG durch das VorStAG 202 allerdings etwas konkretisiert; zudem betont § 87 Abs. 1 S. 2 AktG nun explizit die Ausrichtung auf eine nachhaltige Unternehmensentwicklung und die Regeln zur Herabsetzung (§ 87 Abs. 2 AktG) wurden verschärft.203 Die entsprechend angepassten Ziff. 4.2.2 und 4.2.3 DCGK konkretisieren dies näher.204 Ziff. 4.2.3 DCGK enthält seit 2007 die Anregung, seit 2008 sogar die Empfehlung eines Abfindungscap von 2 Jahresvergütungen (Abs. 4), für den Sonderfall des „change of control“ aber bis zu 150 % desselben (Abs. 5).205 Für Kreditinstitute und Versicherungsunternehmen gelten seit 2010 Sonderregeln (§§ 3 ff. InstitutsVergV 206, 207 bzw. §§ 3 ff. VersVergV 208, 209). Hinsichtlich der Aufsichtsratsver-

196 197 198 199 200 201 202 203

204

205

206 207 208 209

Vgl. KOM(2010) 284, 5.7 (S. 20). Fn. 60. Fn. 61. Vgl. Erwägungsgrund 13 CRD III. Fn. 14. Vgl. auch C. Teichmann GPR 2009, 235, 238. Fn 75. Vgl. dazu BegrRegE z. VorStAG, BT-Drs. 16/12278, S. 5 f.; Bericht Rechtsausschuss, BT-Drs. 16/13433, S. 10 f.; Bauer/Arnold AG 2009, 717 ff.; Cahn FS Hopt, 2010, 431, 433 ff.; Fleischer NZG 2009, 801, 802 ff.; Hoffmann-Becking/Krieger Beil. NZG 26/2009, 1 ff.; Koch WM 2010, 49 ff.; Mertens AG 2011, 57 ff.; Reichert/Ullrich FS U.-H. Schneider, 2011, S. 1017 ff.; Rieckhoff AG 2010, 617 ff.; Sailer-Coceani VGR 15 (2009), S. 141, 144 ff.; Seibert WM 2009, 1489, 1490 f.; Thüsing AG 2009, 517 ff.; Wagner AG 2010, 774 ff.; Waldenberg/Kaufmann BB 2010, 2257 ff.; Weller NZG 2010, 7 ff.; Wittuhn/Hamann ZGR 2009, 847 ff. Dazu (sowie zur Entwicklung des DCGK in diesem Bereich) näher Ringleb (Fn. 192), Rn. 695 ff.; s. ferner Armbrüster VersR 2011, 1, 3; Hecker BB 2009, 1654, 1656; SailerCoceani VGR 15 (2009), S. 141, 149 f.; van Kann/Keiluweit DB 2009, 2700, 2701; WeberRey WM 2009, 2255, 2257 ff. Dazu näher Hohenstatt/Willemsen NJW 2008, 3462 ff.; Hoffmann-Becking FS Hüffer, 2010, S. 337, 348 f.; Lutter BB 2009, 1874 ff.; Martens FS Hüffer, 2010, S. 647, 654 ff.; Mutter AG 2009, 401 ff.; Ringleb (Fn. 192), Rn. 763a ff.; Tödtmann/Schauer ZIP 2009, 995, 996. Fn. 104. Vgl. dazu Heuchemer/Kloft WM 2010, 2241 ff.; Müller-Bonanni/Mehrens NZA 2010, 792 ff.; Rubner NZG 2010, 1288 ff.; Simon/Koschker BB 2011, 120 ff. Fn. 165. Vgl. dazu Annuß/Theusinger BB 2011, 115, 116 ff.; Armbrüster VersR 2011, 1, 5 ff.; Bartel/ Bilobrk/Zopf BB 2011, 1269, 1271 ff.; Rubner NZG 2010, 1288 ff.; Simon/Koschker BB 2011, 120 ff.

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gütung beschränkt sich das Gesetz aber weiterhin auf die Soll-Vorschrift des § 113 Abs. 1 S. 3 (angemessenes Verhältnis zu Aufgaben und Lage der Gesellschaft) und die Regelung zur Berechnung eines etwaigen Gewinnanteils in § 113 Abs. 3 AktG. Die gesetzliche Regelung wird allerdings seit 2002 durch den DCGK erläutert und präzisiert, der explizit auch eine partiell erfolgsorientierte Vergütung empfiehlt und anregt, dass diese auch auf den langfristigen Unternehmenserfolg bezogene Bestandteile enthalten soll (heute Ziff. 5.4.6).210

(3) Rolle der Jahreshauptversammlung Weiteres zentrales Element der Empfehlung 2004/913/EG ist die Einschaltung der 56 Aktionäre als „Kontrollinstanz“. Dazu muss natürlich zunächst gewährleistet werden, dass diese überhaupt Gelegenheit erhalten, über die Vergütungspolitik zu diskutieren; Ziff. 4.1 fordert deshalb, dass die Vergütungspolitik unabhängig von einem Aktionärsantrag ein eigener Tagesordnungspunkt der Jahreshauptversammlung sein sollte (Ziff. 4.1). Damit diese Diskussion auch auf der Grundlage einer hinreichenden Informationsbasis stattfindet, verlangt Ziff. 7 eine umfassende Information der Aktionäre i.R.e. Mitteilung über den Beschlussantrag auf der Internetseite der Gesellschaft. Vor allem aber soll die Vergütungserklärung der Jahreshauptversammlung gem. Ziff. 4.2 auch zur Beschlussfassung vorgelegt werden („say on pay“).211 Vorbild war insoweit das UK212, wo das „say on pay“ bereits 2002 eingeführt wurde 213. Die Empfehlung stellt es den Mitgliedstaaten insoweit allerdings explizit frei, ob die Abstimmung bindenden oder nur beratenden Charakter hat; zudem sollen die Mitgliedstaaten die Abstimmung auch vom Antrag einer Aktionärsminderheit von 25 % abhängig machen können. Um die Rechenschaftspflicht des Managements weiter zu stärken, empfiehlt Ziff. 6.1 Empfehlung 2009/385/EG ergänzend, dass Aktionäre und insbesondere institutionelle Anleger zur Teilnahme und Abstimmung ermutigt werden sollen. Im Grünbuch 2011 (dazu allg. u. Rn. 76 ff.) wird nun aber sogar angedacht, die Abstimmung entsprechend der Rechtslage im UK und der Empfehlung des ECGF 214 obligatorisch zu machen (wobei sie aber auch weiterhin nur beratenden Charakter haben können soll).215 In Deutschland fällt die Festlegung der Aufsichtsratsvergütung gem. § 113 AktG 57 seit jeher in die ausschließliche Zuständigkeit der Hauptversammlung. Hinsichtlich der Vorstandsvergütung wurde 2009 durch das VorStAG 216 ein (rechtlich nicht ver-

210 211 212 213

Dazu näher Kremer (Fn. 78), Rn. 1077 ff.; Reimsbach BB 2011, 940 ff. Dafür auch bereits nachdrücklich Bericht High Level Group (Fn. 21), S. 69 f. Vgl. Fleischer/Bedkowski AG 2009, 677, 678 f. Ursprünglich eingeführt als s. 241A CA 1985 durch The Directors’ Remuneration Report Regulations 2002, SI 2002/1986; heute s. 439 CA 2006. 214 ECGF (Fn. 185), Ziff. 6; allg. zum ECGF u. Rn. 70. 215 Vgl. KOM(2011) 164, 1.4 (S. 11). 216 Fn. 75.

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bindliches) Vergütungsvotum der Hauptversammlung eingeführt (§ 120 Abs. 4 AktG n.F.) 217; es ist zwar fakultativ, wird aber seit 2010 von Ziff. 2.2.1 Abs. 2 S. 2 DCGK angeregt 218 und in der Praxis auch durchaus genutzt 219.

(4) Offenlegung der individuellen Vergütung 58 Dritter Komplex der Empfehlung 2004/913/EG ist die Offenlegung der individuellen Vergütung der Mitglieder der Unternehmensleitung. Gem. Ziff. 5.1 sollen die Gesamtvergütung und sonstige Leistungen, die den einzelnen Mitgliedern im Laufe des betreffenden Geschäftsjahres gewährt wurden, im Jahresabschluss oder im Anhang dazu oder ggf. im Vergütungsbericht detailliert offen gelegt werden. Zur Konkretisierung enthält die Empfehlung auch eine Liste von Mindestinformationen zur Vergütung und/oder den Honoraren (Ziff. 5.3), aktienbezogenen Vergütungselementen (Ziff. 5.4) und betrieblichen Altersversorgungsregelungen (Ziff. 5.5); soweit nach nationalem Recht bzw. der Satzung zulässig, sollen zudem auch bestimmte Angaben zu Darlehen, Vorschüssen und Bürgschaften an die betreffenden Personen gemacht werden (Ziff. 5.6). Im Grünbuch 2011 (dazu noch allg. u. Rn. 76 ff.) wird nun erwogen, die individuelle Offenlegung künftig – ebenso wie diejenige der Vergütungspolitik (vgl. o. Rn. 51) entsprechend der Empfehlung des ECGF 220 – obligatorisch zu machen.221 59 In Deutschland 222 bestand in Bezug auf die individuelle Vergütung der Aufsichtsratsmitglieder auf Grund von § 113 AktG (Festlegung in der Satzung oder durch Hauptversammlungsbeschluss) schon seit jeher Transparenz.223 Hinsichtlich der Vorstandsvergütung hatte der DCGK zwar bereits seit 2002 eine (2003 zur Empfehlung hochgestufte) Anregung enthalten (Ziff. 4.2.4.),224 obligatorisch wurde die Offenlegung der individuellen Bezüge der Vorstandsmitglieder börsennotierter AG im Anhang bzw. Konzernhang aber erst durch das VorstOG (§§ 285 S. 1 Nr. 9a S. 5–9, 314 217 Dazu Begr. Rechtsausschuss z. VorstAG, BT-Drs. 16/13433, S. 12; Begemann/Laue BB 2009, 2442 ff.; Cahn FS Hopt, 2010, S. 431, 447 f.; Dauner-Lieb/von Preen/Simon DB 2010, 377, 381; Deilmann/Otte DB 2010, 545 ff.; Döll WM 2010, 103 ff.; von Falkenhausen/Kocher AG 2010, 623 ff.; Fleischer AG 2010, 681 ff.; Fleischer/Bedkowski AG 2009, 677 ff.; Hellgardt/Hoger ZGR 2011, 38, 76 f.; Hoffmann/Lieder AG 2011, R135, R137; Hoffmann-Becking/Krieger Beil. NZG 26/2009, 1, 10 f.; Jaspers ZRP 2010, 8, 9 ff.; Lieder/Fischer ECFR 2011, 376, 384 ff.; Lutter EuZW 2009, 799, 801; Schick ZIP 2011, 593 ff.; Schüppen ZIP 2010, 905 ff.; Seibert WM 2009, 1489, 1491 f.; Thüsing AG 2009, 517, 524 f.; E. Vetter ZIP 2009, 2136 ff. 218 Vgl. dazu Hecker/Peters BB 2010, 2251, 2252 f.; Keiluweit DStR 2010, 2251, 2254. 219 Vgl. Deilmann/Otte DB 2010, 545, 547; von Falkenhausen/Kocher AG 2010, 623 ff. 220 ECGF (Fn. 185), Ziff. 5; allg. zum ECGF u. Rn. 70. 221 Vgl. KOM(2011) 164, 1.4 (S. 11). 222 Vgl. zum Ganzen auch Lutter EuZW 2009, 799, 800; J. Schmidt, Grundlegende Reform des Aktienrechts? – 34. DJT (1926) –, in: Bayer (Hrsg.), Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht in den Beratungen des Deutschen Juristentages, 2010, S. 259, 293 f. m.w.N. 223 Vgl. Lutter EuZW 2009, 799, 801; J. Schmidt (Fn. 222), S. 259, 293. 224 Dazu ausf. Ringleb (Fn. 192), Rn. 767 ff.

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Abs. 1 Nr. 6a S. 5–9 HGB) 225; durch das VorstAG 226 wurden die Pflichtangaben dann jüngst sogar noch deutlich erweitert und verschärft (§§ 285 S. 1 Nr. 9a S. 6, 314 Abs. 1 Nr. 6a S. 6 n.F.) 227. Allerdings eröffnet das deutsche Recht auch weiterhin die Option eines „opt out“ von der individualisierten Offenlegung mittels eines qualifizierten Hauptversammlungsbeschlusses (§§ 286 Abs. 5, 314 Abs. 2 S. 2 HGB) 228. (5) Sonderregeln für aktienbezogene Vergütung Vierter wesentlicher Regelungskomplex sind schließlich Sonderregeln für aktienbezo- 60 gene Vergütungselemente, die den mit dieser Vergütungsform verbundenen spezifischen Konflikt- und Missbrauchspotentialen 229 Rechnung tragen sollen. Regelungen230, bei denen die Mitglieder der Unternehmensleitung in Form von Aktien, Aktienoptionen oder sonstigen Rechten auf den Erwerb von Aktien 231 oder in Abhängigkeit vom Aktienkurs 232 vergütet werden, sollen nach Ziff. 6.1 der Empfehlung 2004/913/EG der vorherigen Genehmigung durch die Jahreshauptversammlung, deren Inhalt und Umfang in Ziff. 6.2 und 6.3 näher konkretisiert wird, bedürfen; gleiches soll im Falle erheblicher Änderungen derselben gelten (Ziff. 6.4). Ausdrücklich ausgenommen sind jedoch nach Ziff. 6.6 Regelungen, die allen Mitarbeiten der Gesellschaft oder ihrer Tochtergesellschaften zu vergleichbaren Bedingungen offen stehen und von der Jahreshauptversammlung genehmigt wurden. In Ergänzung dieser formellen Vorgaben wurden durch die Empfehlung 2009/ 61 385/EG auch für aktienbezogene Vergütungselemente materielle Vorgaben ergänzt, die – ebenso wie die allgemeinen materiellen Vorgaben für die Vergütungsstruktur (dazu o. Rn. 53) – eine stärkere Orientierung an der erbrachten Leistung und der lang-

225 Vgl. dazu BegrRegE z. VorstOG, BT-Drs. 15/5577, S. 6 ff.; Bayer ZG 2008, 313, 320 f.; Fleischer DB 2005, 1611 ff.; Leuering/Simon NZG 2005, 945 ff.; Spindler NZG 2005, 689 ff.; van Kann DStR 2005, 1496 ff. 226 Fn. 75. 227 Dazu BegrRegE z. VorstAG, BT-Drs. 16/12278, S. 7; Fleischer NZG 2009, 801, 805 f.; Hoffmann-Becking/Krieger Beil. NZG 26/2009, 1, 12; Seibert WM 2009, 1489, 1492; Thüsing AG 2009, 517, 527 f. 228 Hieran hat auch das VorstAG (Fn. 75) nichts geändert, vgl. Klasen Der Aufsichtsrat 5/2009, 69, 71; van Kann/Keiluweit DStR 2009, 1587, 1591; J. Schmidt (Fn. 222), S. 259, 294 Fn. 256; unzutreffend insofern Inwinkl/Schneider WPg 2009, 971, 977. Rechtstatsachen zum „opt out“ bei Bayer/Renner AG 2007, R532 f. 229 Im Bericht High Level Group (Fn. 21), S. 68, werden als negative Folgen insbesondere genannt: Druck in Bezug auf kurzfristige Ergebnisse, Verlagerung von finanziellem Nutzen und Kontrollrechten sowie Anreiz zu Manipulationen. 230 Genehmigungspflichtig soll die Regelung als solche sein, nicht die in ihrem Rahmen erfolgende Leistungsgewährung zugunsten einzelner Mitglieder der Unternehmensleitung (Ziff. 6.1 S. 2). 231 Soweit nach nationalem Recht bzw. der Satzung zulässig, sollen auch discounted option arrangements der Genehmigungspflicht unterliegen (Ziff. 6.5). 232 Erfasst sind damit auch sog. virtuelle Aktienoptionsprogramme (z.B. phantom stocks, stock appreciation rights), vgl. auch Hopt FS Röhricht, 2005, S. 235, 245; ders. ZIP 2006, 461, 467.

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fristigen Wertschöpfung gewährleisten sollen 233. Gem. Ziff. 4.1 soll ein Mindesterdienungszeitraum von 3 Jahren festgelegt werden; zudem sollen gem. Ziff. 4.2 auch aktienbezogene Vergütungsformen an die Erfüllung im Voraus festgelegter, messbarer Leistungskriterien geknüpft sein. Zwecks Vermeidung von Interessenkonflikten 234 sollen die begünstigten Mitglieder der Unternehmensleitung zumindest eine bestimmte Anzahl Aktien bis zum Ende ihres Mandats halten müssen (Ziff. 4.3). Die Vergütung von nicht geschäftsführenden Direktoren oder Aufsichtsratsmitgliedern soll nach Ziff. 4.4 generell keine Aktienoptionen umfassen; dies dient ebenfalls der Vermeidung von Interessenkonflikten, speziell einer möglichen Beeinträchtigung der Kontrollfunktion 235. Wie bereits im Grünbuch 2010 (dazu noch allg. u. Rn. 72 ff.) angedacht 236, sollen für Finanzinstitute nun mit Art. 90 CRD IV-RLE 237 (dazu noch allg. u. Rn. 75) verbindliche Vorgaben für variable Vergütungsbestandteile fixiert werden. 62 Im deutschen Recht ist das Erfordernis einer Genehmigung der zentralen Eckpunkte von Aktienoptionsplänen für Vorstandsmitglieder durch die Hauptversammlung durch §§ 71 Abs. 1 Nr. 8 S. 5 Hs. 2, 193 Abs. 2 Nr. 4, 221 Abs. 4 S. 2 AktG gewährleistet.238 Ob auch virtuelle Aktienoptionsprogramme eines Hauptversammlungsbeschlusses bedürfen, ist streitig.239 Ziff. 4.2.3 Abs. 3 S. 2–4 DCGK empfehlen einen Bezug auf anspruchsvolle, relevante, nicht nachträglich änderbare Vergleichsparameter und ein Cap für den Fall außerordentlicher Entwicklungen.240 Durch das VorStAG 241 wurde die Mindesthaltefrist des § 193 Abs. 2 Nr. 4 AktG von 2 auf 4 Jahre verdoppelt.242 Aktienoptionsprogramme zugunsten von Aufsichtsratsmitgliedern sind generell unzulässig 243; streitig ist jedoch, ob dies auch für virtuelle Varianten gilt 244. 233 234 235 236 237 238 239 240 241 242 243

244

Vgl. Erwägungsgrund 8 S. 1. Vgl. Erwägungsgrund 8 S. 4. Vgl. SEK(2009) 581, S. 5. Vgl. KOM(2010) 284, 5.7 (S. 20). Fn. 14. Nach 91 Abs. 2 soll die EBA technische Regulierungsstandards (dazu näher § 17 Rn. 301) zur näheren Konkretisierung ausarbeiten. Vgl. auch Lutter EuZW 2009, 799, 800; ders. FS Wymeersch, 2009, S. 132, 134 f.; S. Maul Beil. zu BB 34/2005, 2, 8. Dafür etwa Fuchs in: MünchKommAktG, 3. Aufl. 2011, § 192 Rn. 86; dagegen etwa Spindler in: MünchKommAktG, 3. Aufl. 2008, § 87 Rn. 59. Näher Ringleb (Fn. 192), Rn. 732 ff. Fn. 75. Vgl. dazu BegrRegE z. VorStAG, BT-Drs. 16/12278, S. 5, 7; Fleischer NZG 2009, 801, 803; Hoffmann-Becking/Krieger Beil. NZG 26/2009, 1, 11; Jaeger/Balke ZIP 2010, 1471, 1477 ff.; Mutter AG 2009, R352; Sailer-Coceani VGR 15 (2009), S. 141, 151 ff. Grundlegend: BGH NJW 2004, 1109 („MobilCom“; für Unterlegung mit zurückerworbenen eigenen Aktien und bedingtem Kapital); zur Klarstellung, dass dies auch für die Realisierung mittels Wandel- und Optionsanleihen gilt, wurde durch das UMAG (Gesetz zur Unternehmensintegrität und zur Modernisierung des Anfechtungsrechts (UMAG) v. 22.9.2005, BGBl. I, 2802) in § 221 Abs. 4 S. 2 AktG eine explizite Verweisung auf § 193 Abs. 2 Nr. 4 AktG ergänzt, vgl. BegrRegE z. UMAG, BT-Drs. 15/5092, S. 25. Für Zulässigkeit etwa: Hüffer, AktG, 9. Aufl. 2010, § 113 Rn. 10; dagegen etwa: Drygala in: K. Schmidt/Lutter, AktG, 2. Aufl. 2010, § 113 Rn. 31; Habersack in: MünchKommAktG, 3. Aufl. 2008, § 113 Rn. 19; zur Problematik ferner Lutter/Krieger, Aufsichtsrat, Rn. 851.

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f) Stärkung der Verantwortung der Mitglieder des Leitungsbzw. Verwaltungsorgans I.R.d. Modernisierung des Leitungs-/Verwaltungsorgans sollten schließlich – entspre- 63 chend den Vorschlägen der High Level Group 245 – mittelfristig (2006–2008) in einer RL zwecks Stärkung der Verantwortung der Mitglieder des Leitungs- und Verwaltungsorgans auch eine wrongful trading-Haftung 246 sowie ein EU-weites Verbot der Tätigkeit als Direktor (disqualification) als Strafe für irreführende Unternehmensabschlüsse oder Erklärungen oder sonstige Formen von Fehlverhalten geregelt werden. Nachdem sich jedoch i.R.d. Konsultation zu den Prioritäten des Aktionsplans je- 64 weils mehr als 70 % der Marktteilnehmer gegen derartige Regelungen auf EU-Ebene ausgesprochen hatten, wird das Vorhaben seitdem nicht mehr weiterverfolgt.247 Die Reflection Group hat den Problemkreis nun jedoch wieder aufgegriffen und empfiehlt eine Verbesserung der grenzüberschreitenden Transparenz im Hinblick auf Verbote für die Tätigkeit als Gesellschaftsorgan (disqualification) sowie eine EUEmpfehlung zur Verantwortlichkeit der Gesellschaftsorgane 248 (dazu noch u. Rn. 103, 105). g) Verstärkte Offenlegung der Anlage- und Abstimmungsstrategien institutioneller Anleger Ein weiterer Bereich, in dem der Aktionsplan Handlungsbedarf verortete, waren 65 institutionelle Anleger. Angesichts der bedeutenden Rolle, die diese in einigen Mitgliedstaaten schon seit längerem, zunehmend aber auch in vielen anderen Mitgliedstaaten spielen, schloss sich die Kommission insofern den Empfehlungen der High Level Group 249 an, die sich ebenfalls bereits für eine Regelung über die Offenlegung der Anlage- und Abstimmungsstrategien institutioneller Anleger ausgesprochen hatte.250 Dies sollte allerdings erst mittelfristig (2005–2008) geschehen, weil zunächst die Problematik der grenzüberschreitenden Stimmrechtsausübung (dazu o. Rn. 14) gelöst werden müsse, da nur auf dieser Basis eine effektive Regelung möglich sei.251 245 Vgl. Bericht High Level Group (Fn. 21), S. 73 f. 246 In den deutschen Fassungen ist zwar allgemein von „Insolvenzverschleppungshaftung“ die Rede, der Sache nach sollte sich die Regelung – entsprechend den Vorschlägen der High Level Group (vgl. Fn. 245) – aber an die englische Regelung des wrongful trading (s. 214 IA 1986) und die französische action en comblement du passif (Art. L651-2 C. com.) anlehnen. 247 Vgl. Consultation and Hearing on Future Priorities – Summary Report (Fn. 5), S. 2, 13 ff. 248 Vgl. Bericht Reflection Group (Fn. 16), S. 34, 44 f. 249 Vgl. Bericht High Level Group (Fn. 21), S. 59 ff., 81. 250 Vgl. Aktionsplan (Fn. 3), 3.1.1 (S. 15 f.) und Anh. 1 (S. 29). Dazu Bayer BB 2004, 1, 6; Kouloridas/von Lackum (2005) 5 GLJ 1275, 1291 f.; S. Maul/Lanfermann/Eggenhofer BB 2003, 1289, 1291; van Hulle/S. Maul ZGR 2004, 484, 491. 251 Vgl. Aktionsplan (Fn. 3), 3.1.1 (S. 16).

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Nachdem sich i.R.d. Konsultation zu den Prioritäten des Aktionsplans gezeigt hatte, dass die Meinungen zu diesem Thema sehr gespalten waren,252 wurde zunächst von entsprechenden Maßnahmen abgesehen. Vor dem Hintergrund der Finanzkrise und des nach wie vor mangelnden Engagements vieler, speziell kurzfristig orientierter Anleger wurde die Problematik jedoch im Grünbuch 2010 (dazu noch allg. u. Rn. 72 ff.) erneut aufgegriffen 253; nachdem sich i.R.d. Konsultation eine große Mehrheit für eine obligatorische Offenlegung der Abstimmungsstrategien ausgesprochen hatte 254, wird im Grünbuch 2011 (dazu noch allg. u. Rn. 76) nun 255 eine entsprechende Regelung für alle börsennotierten Gesellschaften erwogen 256; 257 auch die Reflection Group hat sich hierfür ausgesprochen 258.

h) Wahlrecht zwischen monistischem und dualistischem System für alle börsennotierten Gesellschaften 67 Als mittelfristige Priorität (2005–2008) bezeichnete der Aktionsplan ferner – im Anschluss an eine entsprechende Empfehlung der High Level Group 259 – die Einführung des Wahlrechts zwischen monistischem und dualistischem System der Unternehmensführung – wie es gem. Art. 38 lit. b SE-VO bei der SE besteht (dazu § 41 Rn. 94 ff.) – für alle börsennotierten Gesellschaften.260 68 Nachdem sich dann jedoch i.R.d. Konsultation zu den Prioritäten des Aktionsplans nur rund 38 % der Marktteilnehmer für, aber ebenso viele gegen eine solche obligatorische Wahlfreiheit ausgesprochen hatte, wurde das Projekt seitdem nicht mehr weiterverfolgt. Mit Blick auf die sich zunehmend durchsetzende Erkenntnis, dass

252 Vgl. Consultation and Hearing on Future Priorities – Summary Report (Fn. 5), S. 2, 12 f. 253 Vgl. KOM(2010) 284, 5.5 (S. 18). 254 Vgl. Feedback Statement. Summary of Responses to Commission Green Paper on Corporate Governance in Financial Institutions (abrufbar unter http://ec.europa.eu/internal_ market/consultations/docs/2010/governance/feedback_statement_en.pdf), S. 15. 255 Die Frage war zwischenzeitlich auch i.R.d. Konsultation zur Modernisierung der Transparenz-RL (dazu noch § 36 Rn. 5) aufgeworfen worden; das Meinungsbild war dort allerdings eher gespalten, wobei dies allerdings maßgeblich auch daran lag, dass man vielfach der Meinung war, dass es sich der Sache nach nicht um eine Transparenz-, sondern eine Corporate-Governance-Problematik handelt, die (wenn überhaupt) in diesem Kontext geregelt werden sollte, vgl. Feedback Statement. Summary of Responses to the Consultation by DG Internal Market and Services on the Modernisation of the Transparency Directive (2004/109/EC), 17.12.2010 (abrufbar unter http://ec.europa.eu/internal_market/ securities/ docs/transparency/transparency-consultation-summary_en.pdf), S. 24 f. 256 Vgl. KOM(2011) 164, 2.1 (S. 13). Vgl. dazu Bachmann WM 2011, 1301, 1305; Jahn AG 2011, 454, 457, Jung BB 2011, 1987, 1991; Wollmert/Oser/Orth DB 2011, 1432, 1433 f. 257 Für eine Offenlegung (sowie generell zu Vor- und Nachteilen derselben): Fleischer/ Strothotte AG 2011, 221 ff. 258 Vgl. Bericht Reflection Group (Fn. 16), S. 48 f., dazu auch noch u. Rn. 105. 259 Vgl. Bericht High Level Group (Fn. 21), S. 63. 260 Aktionsplan (Fn. 3), 3.1.3 (S. 18 f.) und Anh. 1 (S. 29).

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letztlich keines der beiden Systeme per se überlegen ist 261 (sondern es vielmehr maßgeblich auf die individuellen Bedürfnisse der jeweiligen Gesellschaft ankommt 262) sowie vor dem Hintergrund der positiven Erfahrungen mit einem solchen Wahlrecht in vielen nationalen Rechtsordnungen 263 und nun speziell auch bei der SE (vgl. dazu noch § 41 Rn. 94 ff.) erscheint dies äußerst bedauerlich. Wie nicht zuletzt auch die Paralleldiskussion um die Einführung eines solchen Wahlrechts in Deutschland i.R.d. 67. DJT 2008 264 anschaulich zeigte, scheinen insofern – zumindest derzeit – die reaktionären, auf die Wahrung des eigenen (häufig als überlegen empfundenen) nationalen Systems bedachten Kräfte wohl leider (noch) die Oberhand zu haben. Auf lange Sicht werden sich aber sowohl der europäische als auch der deutsche Gesetzgeber dem vom Vorbild vieler nationaler Rechtsordnungen und speziell der SE ausgehenden Druck zur Schaffung eines generellen Wahlrechts, wie es im Schrifttum 265 und auch vom EP 266 bereits seit langem zu Recht nachdrücklich gefordert wird, kaum entziehen können.267 Jüngst hat sich nun auch die Reflection Group dezidiert dafür ausgesprochen, zumindest nicht börsennotierten Gesellschaften Wahlfreiheit im Hinblick auf die Leitungsstruktur einzuräumen.268

261 Vgl. Baums, Bericht der Regierungskommission „Corporate Governance“, BT-Drs. 14/7515, Rn. 18; Fleischer AcP 204 (2004) 502, 527; Jungmann ECFR 2006, 426, 473; Leyens RabelsZ 67 (2003) 57, 96; Schiessl ZHR 167 (2003) 235, 250; J. Schmidt (Fn. 222), S. 259, 280 f.; dies. (2010) 1 (2) AJLE article 4, 6 f.; C. Teichmann ZGR 2001, 645, 675. 262 Vgl. auch J. Schmidt (2006) 27 Co Law 99, 103; dies. (2010) 1 (2) AJLE article 4, 6 f. 263 Ein Wahlrecht existiert z.B. in Frankreich (monistisches System: art. L 225-16 ff. C. com.; dualistisches System: art. L 225-57 ff. C. com.) und Italien (vgl. zum dort 2004 eingeführten Wahlrecht zwischen sogar drei verschiedenen Strukturen näher Ghezzi/Malberti ECFR 2008, 1 ff. m.w.N.); aber auch im UK besteht auf Grund der weitreichenden Satzungsautonomie die Möglichkeit, sowohl eine monistische als auch eine dualistische Führungsstruktur zu etablieren, vgl. Leyens FS Hopt, 2010, S. 3135, 3140 ff.; J. Schmidt, „Deutsche“ vs. „britische“ Societas Europaea (SE), 2006, S. 477 ff. m.w.N. Rechtsvergleichend etwa Fleischer AcP 204 (2004) 502, 528 ff. 264 Vgl. dazu nur J. Schmidt (2008) 9 EBOR 637, 646 ff. m.w.N.; allg. zum 67. DJT speziell auch Bayer, Stärkere Differenzierungen zwischen börsennotierten und nichtbörsennotierten Aktiengesellschaften? – 67. DJT (2008) –, in: Bayer (Hrsg.), Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht in den Beratungen des Deutschen Juristentages, 2010, S. 693 ff. 265 Für das europäische Recht etwa: Habersack ZIP 2006, 445, 450; Hopt FS Westermann, 2008, S. 1039, 1051 f.; van Hulle/S. Maul ZGR 2004, 484, 494; Wiesner ZIP 2003, 977, 979; für Deutschland etwa Bayer, Gutachten E zum 67. Deutschen Juristentag, 2008, E 113; Eidenmüller/Engert/Hornuf AG 2009, 845, 854; Fleischer AcP 204 (2004) 502, 528; Group of German Experts on Corporate Law ZIP 2003, 863, 869; Handelsrechtsausschuss des DAV ZIP 2003, 1909, 1911; Hopt in: Hommelhoff u.a. (Hrsg.), Corporate Governance, 2002, S. 27, 45 ff.; Lieder (2010) 11 GLJ 115, 157; Schiessl ZHR 167 (2003) 235, 256; J. Schmidt (2008) 9 EBOR 637, 647 f.; dies. (Fn. 222), S. 259, 281 f. 266 Vgl. Entschließung des Europäischen Parlaments zu den jüngsten Entwicklungen und den Perspektiven des Gesellschaftsrechts v. 4.7.2006, ABlEU v. 13.12.2006, C 303 E/114, Ziff. 26. 267 Vgl. für Deutschland: Bayer (Fn. 265), E 113; J. Schmidt (2008) 9 EBOR 637, 648; dies. (Fn. 222), S. 259, 281 f. 268 Vgl. Bericht Reflection Group (Fn. 16), S. 55; dazu auch noch u. Rn. 105.

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i) Koordinierung der Bemühungen der Mitgliedstaaten zur Verbesserung der Corporate Governance durch ein Europäisches Corporate Governance Forum 69 Wie bereits (o. Rn. 11) ausgeführt, betonte die Kommission im Aktionsplan schließlich insbesondere auch, dass – wie auch schon von der High Level Group ausdrücklich empfohlen269 – ergänzend zu spezifischen Maßnahmen auf EU-Ebene auch eine aktive Koordinierung der Bemühungen der Mitgliedstaaten zur Verbesserung der Corporate Governance geboten sei.270 Hierzu sollte kurzfristig (2003–2005) ein aus hochrangigen Vertretern bestehendes Europäisches Corporate Governance Forum einberufen werden.271 Das Europäische Corporate Governance Forum (ECGF) wurde von der Kom70 mission dann mit Beschluss v. 15.10.2004 272 eingesetzt.273 Seine Aufgabe war es gem. Art. 2, im Lichte der Entwicklung der Corporate Governance-Praxis in den Mitgliedstaaten die Annäherung nationaler Corporate Governance-Kodizes zu fördern und die Kommission auf deren Ersuchen oder auf eigene Initiative hin zu Fragen der Corporate Governance-Politik strategisch zu beraten. Gem. Art. 3 bestand es aus maximal 18 von der Kommission für eine Amtszeit von 3 Jahren (Art. 4 S. 1) ernannten Mitgliedern, die über auf europäischer Ebene anerkannte Berufserfahrung und Fachkenntnisse im Hinblick auf Corporate Governance verfügen; den Vorsitz führte ein hochrangiger Vertreter der Kommission, der an den Beratungen des ECGF teilnahm. Bei der Einsetzung des ECGF am 15.10.2004 wurden als Mitglieder 15 Sachverständige mit unterschiedlichem beruflichen Hintergrund (Emittenten, Investoren, Regulierungsbehörden, Abschlussprüfer etc.) aus 12 Mitgliedstaaten (darunter 2 aus Deutschland) ernannt.274 Am 2.7.2008 verlängerte die Kommission das Mandat von 10 Mitgliedern 275 und ernannte 5 neue Mitglieder 276.277 Das ECGF trat 2–4 Mal pro Jahr zusammen 278 und veröffentlichte regelmäßig Erklärungen zu aktuellen Corporate 269 270 271 272 273 274

275 276 277 278

Vgl. Bericht High Level Group (Fn. 21), S. 78 f. Vgl. Aktionsplan (Fn. 3), 3.1.4 (S. 20). Vgl. Aktionsplan (Fn. 3), 3.1.4 (S. 20) und Anh. 1 (S. 29). Beschluss 2004/706/EG der Kommission vom 15.10.2004 zur Einsetzung eines Europäischen Corporate-Governance-Forums, ABlEU v. 22.10.2004, L 321/53. Vgl. dazu auch IP/04/1241; Bayer/J. Schmidt BB 2008, 454, 458; Grundmann Rn. 451. Antonio Borges (PT), Igor Adam Chalupec (PL), Bertrand Collomb (FR), Gerhard Cromme (DE), David Devlin (IE), Emílio Gabaglio (IT), José María Garrido Garcia (ES), Peter Montagnon (UK), Colette Neuville (FR), Roland Oetker (DE), Alastair Ross Goobey (UK), Rolf Skøg (SE), Andreas Trink (EE), Jaap Winter (NL), Eddy Wymeersch (BE). Antonio Borges (PT), Bertrand Collomb (FR), David Devlin (IE), José María Garrido Garcia (ES), Peter Montagnon (UK), Colette Neuville (FR), Roland Oetker (DE), Rolf Skøg (SE), Jaap Winter (NL), Eddy Wymeersch (BE). Bistra Boeva (BG), Niklas Bruun (FI), Klaus-Peter Müller (DE), Trelawny Williams (UK), Marek Sowa (PL). Vgl. IP/08/1081. Dazu auch Bayer/J. Schmidt BB 2010, 387, 391. Protokolle abrufbar auf der Webseite des ECGF (http://ec.europa.eu/internal_market/ company/ecgforum/index_de.htm).

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Governance-Themen (z.B. zum Prinzip „comply or explain“ und zur Managementvergütung) 279 sowie einen Jahresbericht 280. Im Rahmen seiner Beratungen und Stellungnahmen hat es seit seiner Konstitution ganz erheblichen Einfluss auf die seitdem erfolgten und für die Zukunft noch geplanten Maßnahmen im Bereich der Corporate Governance und Gesellschaftsrecht genommen.281 Nachdem sein Mandat im Juli 2011 endete, erklärte die Kommission jedoch, dass es vor dem Hintergrund der neuen Rahmenregelungen für Expertengruppen 282 wohl nicht in der gegenwärtigen Form weitergeführt werden könne; man werde aber prüfen, wie sich Experten im Lichte der Antworten auf das Grünbuch 2011 (dazu ausf. u. Rn. 76 ff.) am besten in die zukünftige Entwicklung der europäischen Corporate Governance einbinden lassen.283 Zur Ergänzung des primär auf strategische Fragen ausgerichteten ECGF setzte die 71 Kommission durch Beschluss v. 28.4.2005 284 eine Corporate Governance Advisory Group (CGAG) ein, deren Aufgabe die technische Beratung der Kommission bei der Ausarbeitung von Maßnahmen im Bereich Corporate Governance und Gesellschaftsrecht war (Art. 2). Sie bestand gem. Art. 3 aus max. 20 von der Kommission für eine Amtszeit von 3 Jahren (Art. 4 S. 1) ernannten Mitgliedern, die der Geschäftswelt, der akademischen Welt oder der Zivilgesellschaft angehören und deren Berufserfahrung und Fachkenntnisse im Bereich Corporate Governance und Gesellschaftsrecht auf europäischer Ebene weithin anerkannt sind; den Vorsitz führte auch hier ein Vertreter der Kommission (Art. 6). Bei der Einsetzung am 28.4.2005 ernannte die Kommission 20 Mitglieder aus 16 Mitgliedstaaten (darunter 2 aus Deutschland).285 Die CGAG traf 279 Die Erklärungen sind auf der Webseite des ECGF (Fn. 278) abrufbar. Weitere Themen waren bislang: Risikomanagement und interne Kontrolle, grenzüberschreitende Stimmrechtsausübung, Proportionalität von Kapital und Kontrolle, grenzüberschreitende Fragen im Bereich von Corporate Governance Kodizes, empty voting, related party transactions und wichtige Transaktionen börsennotierter Unternehmen. Berichte zu einigen der bisherigen Sitzungen bei Becker GmbHR 2005, R261 f.; dies. GmbHR 2005, R416; dies. GmbHR 2006, R129 f.; Fischer zu Cramburg AG 2005, R66; ders. AG 2005, 450. 280 Die Jahresberichte sind ebenfalls über die Webseite des ECGF (Fn. 278) abrufbar. 281 Vgl. zur bisherigen Tätigkeit auch Bayer/J. Schmidt BB 2008, 454, 458; dies. BB 2010, 387, 391. 282 Mitteilung des Präsidenten an die Kommission. Rahmenregelung für Expertengruppen der Kommission: Horizontale Bestimmungen und öffentliches Register, 10.11.2010, K(2010) 7649. 283 Vgl. ECGF, Minutes of the meeting of 9 June 2011 (abrufbar unter http://ec.europa.eu/ internal_market/company/docs/ecgforum/minutes-20110801_en.pdf), S. 4; Mitteilung der Kommission v. 9.8.2011 (abrufbar unter http://ec.europa.eu/internal_market/company/ ecgforum/index_de.htm). 284 Beschluss 2005/380/EG der Kommission v. 28.4.2005 zur Einsetzung einer Gruppe von Nicht-Regierungsexperten für Corporate Governance und Gesellschaftsrecht, ABlEU v. 19.5.2005, L 126/40. 285 Gintautas Barktkus (LT), Theodor Baums (DE), Francesco Chiappetta (IT), Thomas Courtney (IE), Jean-Pierre Hellebuyck (FR), Erich Kandler (AT), Vanessa Knapp (UK), Vratislav Kulhánek (CZ), Jukka Mähönen (FI), Stilpon Nestor (EL), Jesper Bo Nielsen (DK), Josef Okolski (PL), Leonardo Peklar (SI), Colin Perry (UK), Enrique Piñel López (ES), Geert Raaijmakers (NL), Joëlle Simon (FR), Mario Stella-Richter (IT), Daniela Weber-Rey (DE), Patrick Zurstrassen (BE).

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sich 2–3 jährlich und beriet die Kommission bei nahezu allen wichtigen Reformprojekten der letzten Jahre; 286 Schwerpunkte waren u.a. die Managementvergütung und die SPE, für welche die CGAG sogar eine Mustersatzung 287 erarbeitete.288 Im April 2008 wurde das Mandat der CGAG zwar verlängert, allerdings nur bis zum Ende der Wahlperiode am 30.6.2009 289, da man insoweit der Organisationsautonomie des neuen Kommissars nicht vorgreifen wollte.290 Der neue Kommissar Barnier will die CGAG jedoch dem Vernehmen nach nicht reaktivieren; er setzte statt dessen die Reflection Group (dazu o. Rn. 5 sowie u. Rn. 100 ff.) ein.

3. Fortentwicklung und neue Vorschläge in den Grünbüchern 2010 und 2011 und dem Entwurf für eine CRD IV-RL a) Corporate Governance in Finanzinstituten: Grünbuch 2010 und Entwurf für eine CRD IV-RL 72 Das von der Kommission am 2.6.2010 als Reaktion auf die Finanzkrise präsentierte Grünbuch „Corporate Governance in Finanzinstituten und Vergütungspolitik“ 291 zielte darauf ab, in Ergänzung der anderen zur Konsolidierung des Finanzsystems getroffenen bzw. ins Auge gefassten rechtlichen Vorkehrungen speziell auch die Corporate Governance in Finanzinstituten zu verbessern.292 73 Es legte Ansätze für weitere mögliche Maßnahmen speziell in folgenden Bereichen dar 293: •

Verbesserung des Funktionierens und der Zusammensetzung der Verwaltungsbzw. Aufsichtsorgane von Finanzinstituten; erwogen werden u.a.: Mandatsgrenzen (s.o. Rn. 30); zwingende Trennung von chairman und CEO (s.o. Rn. 22); berufliche, internationale und geschlechterspezifische Diversität (s.o. Rn. 34 f.);

286 Die Sitzungsprotokolle sind auf der Webseite der CGAG (http://ec.europa.eu/internal_ market/company/advisory/index_de.htm) abrufbar. 287 Dok. 12124/08. Dazu auch noch § 43 Rn. 30. 288 Vgl. Bayer/J. Schmidt BB 2010, 387, 391. 289 Beschluss 2008/358/EG der Kommission v. 25.4.2008 zur Änderung des Beschlusses 2005/380/EG zur Einsetzung einer Gruppe von Nicht-Regierungsexperten für Corporate Governance und Gesellschaftsrecht, ABlEU v. 7.5.2008, L 120/14. 290 Vgl. Protokoll der Sitzung v. 28.4.2009 (Fn. 286), S. 1; Bayer/J. Schmidt BB 2010, 387, 391. 291 Grünbuch Corporate Governance in Finanzinstituten und Vergütungspolitik, 2.6.2010, KOM(2010) 284 und Begleitdokument SEC(2010) 669. Dazu Armour/Ringe (2011) 48 C.M.L. Rev. 125, 169 ff.; Buschmann NZG 2011, 87 ff.; Hilgers/Kurta ZBB 2010, 471, 477 ff.; Hopt EuZW 2010, 561; Lehrl BKR 2010, 485, 491 f.; Mülbert ZHR 174 (2010) 375, 377 ff; s. ferner die Stellungnahme des EWSA (ABlEU v. 17.3.2011, C 84/13), die Entschließung des EP v. 11.5.2011 zu der Unternehmensführung in Finanzinstituten, P7_TA(2011)0223, und die Stellungnahme des Bundesrates, BR-Drs. 337/10(B). 292 Vgl. KOM(2010) 284, 1. (S. 3). 293 Vgl. auch IP/10/656.

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externe Beurteilung (s.o. Rn. 43); Einrichtung eines Risikoausschusses (s.o. Rn. 40) sowie weitere Maßnahmen in Bezug auf das Risikomanagement; Schaffung einer Risikokultur auf allen Ebenen von Finanzinstituten, um zu gewährleisten, dass den langfristigen Unternehmensinteressen Rechnung getragen wird; erwogen werden u.a. (neben dem bereits o. Rn. 41 genannten Risikoausschuss) eine Stärkung der Stellung des Risikomanagers und eine Verbesserung seiner Kommunikation mit dem Verwaltungs-/Aufsichtsrat; Einbeziehung der Aktionäre, Aufsichtsorgane sowie externer Revisoren in Fragen der Corporate Governance; erwogen werden u.a.: intensivere Kontrolle durch externe Revisoren und Verbesserung der Zusammenarbeit derselben mit den Aufsichtsorganen; intensivere Kontrolle durch die Aufsichtsbehörden (z.B. auch durch Kontrolle der fachlichen und beruflichen Kompetenz der Mitglieder des Verwaltungs-/Aufsichtsrats); obligatorische Offenlegung von Abstimmungsstrategie und -verhalten institutioneller Investoren (s.o. Rn. 66) und Verpflichtung derselben auf einen Kodex; Erleichterung der Identifizierung der Aktionäre sowie weitere Maßnahmen gegen mangelndes Engagement der Aktionäre; Änderung der Vergütungspolitik zwecks Eindämmung unverhältnismäßiger Risikofreudigkeit; erwogen werden u.a. Regelungen zu Aktienoptionen und Abfindungen bzw. u.U. sogar ein generelles Verbot derselben (s.o. Rn. 54, 61) sowie insbesondere auch hinsichtlich diesbezüglicher steuerlicher Vergünstigungen.

I.R.d. auf der Basis dieses Grünbuchs bis 1.9.2010 durchgeführten Konsultation er- 74 hielt die Kommission insgesamt 214 Stellungnahmen 294, aus denen sich ungeachtet der erwartungsgemäß teils sehr unterschiedlichen Meinungen zu verschiedenen Einzelpunkten insgesamt eine nachdrückliche Unterstützung für eine effektivere Aufsicht über die Umsetzung der Prinzipien guter Corporate Governance in Finanzinstituten ergab. Hieran anknüpfend wurden in den am 20.7.2011 präsentierten Entwurf für eine 75 neue CRD IV-RL295 – die zusammen mit der zugleich vorgeschlagenen neuen CRD IV-VO 296 ein neues einheitliches Regelwerk für die Bankenregulierung bilden soll (vgl. dazu bereits § 17 Rn. 230, 262, 339) – umfangreiche neue Vorgaben zur Corporate Governance in Finanzinstituten aufgenommen. Dazu gehören insbesondere: Anforderungen bezüglich der Qualifikation der Organmitglieder (Art. 87 Abs. 1 S. 1, vgl. o. Rn. 28), Erfordernis ausreichenden zeitlichen Engagements und Mandatsobergrenzen für Organmitglieder (Art. 87 Abs. 1 S. 1, S. 2 lit. a, vgl. o. Rn. 30), Diversität als Besetzungskriterium (Art. 87 Abs. 2 Unterabs. 2, vgl. o. Rn. 34), Pflicht zur Einrichtung eines Nominierungsausschusses mit bestimmten Aufgaben (Art. 86 Abs. 2, 294 Stellungnahmen sowie Zusammenfassung der Ergebnisse abrufbar unter http://ec.europa. eu/internal_market/company/modern/corporate_governance_in_financial_institutions_ de.htm. 295 Fn. 14. 296 Proposal for a Regulation of the European Parliament and of the Council on prudential requirements for credit institutions and investement firms, COM(2011) 452 [dt. Fassung bei Drucklegung noch nicht verfügbar].

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vgl. o. Rn. 41) sowie die Pflicht zur regelmäßigen Selbstevaluation (Art. 86 Abs. 1 Unterabs. 3, vgl. o. Rn. 43). Im Interesse eines soliden Risikomanagements 297 soll zudem die Einrichtung eines separaten Risikoausschusses (Art. 75 Abs. 3 u. 4, vgl. o. Rn. 41) sowie einer unabhängigen Risikomanagement-Funktion (Art. 75 Abs. 5) vorgeschrieben werden. b) Allgemeiner Corporate Governance-Rahmen: Grünbuch 2011 76 In Anknüpfung an Grünbuch und Konsultation zur Corporate Governance in Finanzinstituten präsentierte die Kommission am 5.4.2011 ein Grünbuch „Europäischer Corporate Governance-Rahmen“ 298 und leitete eine Konsultation hierzu ein. Im Rahmen dieser Initiative geht es nun darum, die Corporate Governance vor dem Hintergrund der Lehren aus der Finanzkrise nicht nur für Finanzinstitute, sondern für die europäischen Unternehmen allgemein zu verbessern.299 Das Grünbuch ist damit zugleich ein vorweggenommener Teil der mit der Beauftragung der Reflection Group Ende 2010 und der großen Konferenz „European Company Law: the way forward“ im Mai 2011 (dazu bereits o. Rn. 5 sowie näher u. Rn. 100 ff.) eingeleiteten allgemeinen neuen Rahmeninitiative für Maßnahmen zur weiteren Fortentwicklung des Europäischen Gesellschaftsrechts.300 77 Gegenstand des Grünbuchs sind dabei vier Themenkomplexe: (1) Allgemeine Fragen (dazu u. Rn. 78), (2) Verwaltungs- bzw. Aufsichtsrat (dazu u. Rn. 79), (3) Aktionäre (dazu u. Rn. 80) und (4) das „Comply or Explain“-Prinzip (dazu u. Rn. 81). 78 Im Hinblick auf Allgemeine Fragen wird zunächst ganz generell erwogen, ob, inwieweit und nach Maßgabe welcher Kriterien Corporate Governance-Maßnahmen auf EU-Ebene auch die Größe börsennotierter Gesellschaften berücksichtigen sollten und/oder ob künftig auch Maßnahmen für nicht börsennotierte Unternehmen ergriffen werden sollten.301 79 In Bezug auf den Verwaltungs-/Aufsichtsrat präsentiert das Grünbuch eine ganze Palette (potentieller) weiterer Maßnahmen.302 Im Fokus steht dabei zunächst 297 Vgl. KOM(2011) 453, S. 12. 298 Grünbuch Europäischer Corporate Governance-Rahmen, 5.4.2011, KOM(2011) 164. Dazu Bachmann WM 2011, 1301 ff.; Handelsrechtsausschuss des DAV NZG 2011, 936 ff.; Hennrichs GmbHR 2011, R257 f.; Hopt EuZW 2011, 609 f.; Institut für Gesellschaftsrecht der Universität zu Köln NZG 2011, 975 ff.; Jahn AG 2011, 454 ff.; Jung BB 2011, 1987 ff.; Peltzer NZG 2011, 961 ff.; Scheffler AG 2011, R262 ff.; Tomasic (2011) 8 ECL 152 ff.; Wollmert/Oser/Orth DB 2011, 1432 ff.; s. ferner auch die Stellungnahme des Bundesrates, BR-Drs. 189/11(B); Stellungnahme des Bundestages, BT-Drs. 176506 (beschlossen: BT-PlPr. 17/13936); Stellungnahme BDI/BDA, 21.7.2011, BDI D 0451; DAV Stellungnahme 42/2011; Stellungnahme Regierungskommission DCGK (abrufbar unter: http://www.corporate-governance-code.de/ger/download/Stellungnahme_Gruenbuch. pdf). 299 Vgl. KOM(2011) 164, S. 2 f.; IP/11/404. 300 Vgl. KOM(2011) 164, S. 2. 301 Vgl. KOM(2011) 164, S. 4 f. 302 Vgl. KOM(2011) 164, 1. (S. 5 ff.).

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die Zusammensetzung des Verwaltungs-/Aufsichtsrats und insbesondere die Schaffung von EU-Vorgaben zu beruflicher, internationaler und geschlechterspezifischer Diversität (dazu bereits näher o. Rn. 34 f.).303 Erwogen werden darüber hinaus aber auch Mandatsobergrenzen (vgl. bereits o. Rn. 30) 304 sowie eine regelmäßige externe Evaluation (vgl. bereits o. Rn. 43) 305. Weiterer Kernpunkt ist (erneut) die Vergütungsproblematik; insoweit wird insbesondere erwogen, die – bislang nur empfohlene (vgl. ausf. o. Rn. 51 ff.) – Offenlegung der Vergütungspolitik, des Vergütungsberichts und der individuellen Vergütung der Organmitglieder sowie die Abstimmung der Aktionäre über Vergütungspolitik und -bericht künftig obligatorisch zu machen (vgl. auch bereits o. Rn. 51, 56, 58).306 Angedacht werden schließlich auch Maßnahmen zur Verbesserung des Risikomanagements.307 Aber auch in Bezug auf die Aktionäre breitet das Grünbuch eine ganze Kollek- 80 tion weiterer Maßnahmen aus. Wesentliche Probleme und Handlungsbedarf verortet die Kommission dabei zunächst ganz allgemein im Hinblick auf das nach wie vor mangelnde Engagement vieler Aktionäre (insoweit wird speziell auch der bereits im Aktionsplan 2003 enthaltene Vorschlag einer obligatorischen Offenlegung der Abstimmungspolitik institutioneller Investoren wieder aufgegriffen, vgl. auch bereits o. Rn. 66) 308 sowie im kurzfristigen Denken auf den Kapitalmärkten309. Konkret angedacht werden vor diesem Hintergrund dann speziell auch Maßnahmen im Hinblick auf Vermögensverwalter (asset managers), die die Portfolios institutioneller Investoren verwalten, in Form von Regelungen betreffend Anreizstrukturen, Transparenz und Interessenkonflikte; 310 aber auch weitere Maßnahmen zur Erleichterung der Zusammenarbeit der Aktionäre (speziell individueller Anleger) 311. Als weitere mögliche künftige Regelungsbereiche werden der Rechtsrahmen für Berater für die Stimmrechtsvertretung (proxy advisors) 312 sowie eine Verbesserung der Identifizierung der Aktionäre 313 erörtert. Erwogen werden daneben aber auch weitere Maßnahmen zum Schutz der Minderheitsaktionäre; gedacht ist insbesondere an zusätzliche Rechte für die wirksame Vertretung ihrer Interessen (z.B. „Minderheitsvertreter“ im Aufsichts-/ Verwaltungsrat 314) sowie an einen stärkeren Schutz im Hinblick auf related party

303 304 305 306 307 308 309 310 311 312 313 314

Vgl. KOM(2011) 164, 1.1 (S. 6 ff.). Vgl. KOM(2011) 164, 1.2 (S. 9). Vgl. KOM(2011) 164, 1.3 (S. 9 f.). Vgl. KOM(2011) 164, 1.4 (S. 10 f.). Vgl. KOM(2011) 164, 1.5 (S. 11 f.). Vgl. KOM(2011) 164, 2.1 (S. 13). Vgl. KOM(2011) 164, 2.2 (S. 13 f.). Vgl. KOM(2011) 164, 2.3 und 2.4.1 (S. 14 ff.). Vgl. KOM(2011) 164, 2.4 (S. 16 f.). Vgl. KOM(2011) 164, 2.5 (S. 17 f.). Vgl. KOM(2011) 164, 2.6 (S. 18 f.). Vgl. zur Diskussion um die Einführung eines „Minderheitsvertreters“ in Deutschland: Lieder (Fn. 74), S. 734 ff.; J. Schmidt (Fn. 155), S. 407, 452, 454, 458. Zu den Erwägungen im Grünbuch: Bachmann WM 2011, 1301, 1306; Jahn AG 2011, 454, 458; Wollmert/ Oser/Orth DB 2011, 1432, 1434 f.

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transactions.315 In Betracht gezogen werden schließlich aber speziell auch noch Maßnahmen zur Förderung der Kapitalbeteiligung von Arbeitnehmern.316 81 Letzter Themenkomplex des Grünbuchs ist das „Comply or Explain“-Prinzip. Nachdem eine im Auftrag der Kommission erstellte Studie aus dem Jahr 2009 317 insoweit wesentliche Mängel aufgezeigt hatte, sieht die Kommission hier erheblichen Regelungsbedarf speziell im Hinblick auf die Verbesserung der Informationsqualität der Berichte und eine bessere Überwachung. Angedacht wird insoweit insbesondere, die Unternehmen nach schwedischem Vorbild dazu zu verpflichten, im Falle von Abweichungen vom Kodex nicht nur die Gründe hierfür, sondern auch die gewählte Alternativlösung detailliert zu erläutern; zudem wird eine entsprechende Überprüfungskompetenz der Überwachungsbehörden (verbunden mit einem Recht zur Veranlassung einer Vervollständigung) erwogen.318

IV. Die Maßnahmen im Bereich des sonstigen Gesellschaftsrechts und ihre Realisierung 1. Kapitalerhaltung und -änderung 82 I.R.d. angestrebten Maßnahmen im Bereich des sonstigen Gesellschaftsrechts befasste sich der Aktionsplan zuerst mit dem Themenkomplex Kapitalerhaltung und -änderung. Diesbezüglich kündigte die Kommission zunächst als kurzfristige Priorität (2003– 2005) die Vorlage eines auf den Vorschlägen der SLIM-Arbeitsgruppe 319 und der High Level Group 320 basierenden RL-Vorschlags zur Vereinfachung der 2. (Kapital-)RL (dazu allg. § 20) an 321. Darin sollte dann ggf. auch die von der High Level Group im Zusammenhang mit Umstrukturierungsmaßnahmen empfohlene 322 allgemeine (d.h. von einer Übernahme unabhängige) Regelung von Squeeze-out und Sell-out erfolgen.323 Der im Oktober 2004 vorgelegte RL-Vorschlag 324 enthielt dann auch tatsäch-

315 Vgl. KOM(2011) 164, 2.7 (S. 19 f.). 316 Vgl. KOM(2011) 164, 2.8 (S. 20 f.). 317 RiskMetrics Group, Study on Monitoring and Enforcement Practices in Corporate Governance in the the Member States, 23.9.2009, abrufbar unter http://ec.europa.eu/ internal_market/company/ecgforum/studies_de.htm. 318 Vgl. KOM(2011) 164, 3 (S. 21 ff.) 319 Empfehlungen der Arbeitsgruppe zur Vereinfachung des Gesellschaftsrechts bezüglich der Vereinfachung der Ersten und Zweiten Gesellschaftsrechts-Richtlinie (http://ec. europa.eu/internal_market/company/docs/official/6037de.pdf) (auch abgedruckt in ZIP 1999, 1944 ff.), S. 4 ff. 320 Vgl. Bericht High Level Group (Fn. 21), S. 84 ff. 321 Vgl. Aktionsplan (Fn. 3), 3.2 (S. 21) und Anh. 1 (S. 29). 322 Vgl. Bericht High Level Group (Fn. 21), S. 119 ff. 323 Vgl. Aktionsplan (Fn. 3), 3.4 (S. 24). 324 Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 77/91/EWG des Rates in Bezug auf die Gründung von Aktiengesellschaften und die Erhaltung und Änderung ihres Kapitals, KOM(2004) 730.

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lich solche Regelungen (Art. 39a, 39b); diese stießen jedoch sowohl im EP 325 als auch i.R.d. Konsultation zu den Prioritäten 326 auf derart massiven Widerstand, dass sie wieder gestrichen wurden. Die Änderungs-RL 2006/68/EG 327 beschränkte sich vielmehr auf eine deutliche Liberalisierung der Vorschriften über Sacheinlageprüfung, Erwerb eigener Aktien und financial assistance (ausf. dazu § 20 Rn. 5, 54 ff., 107 ff., 135 ff.). In Bezug auf den weitergehenden Vorschlag der High Level Group, ein alter- 83 natives System der Kapitalerhaltung einzuführen, erachtete die Kommission es dagegen zunächst für erforderlich, Ausgestaltung und Nutzen eines solchen zunächst mittelfristig (2006–2008) im Rahmen einer Studie genau zu untersuchen.328 Nachdem diese 329 vorgelegt worden war, erklärte die Kommission Anfang 2008, dass zunächst keine weiteren Änderungen der RL geplant seien 330 (näher zum Ganzen § 20 Rn. 236 ff.).

2. Unternehmensgruppen und -pyramiden Weiterhin kündigte die Kommission im Aktionsplan an, sich auch wieder der Kon- 84 zernproblematik widmen zu wollen. Entsprechend den Vorschlägen der High Level Group 331 sollte dies allerdings nicht etwa durch eine „Wiederbelebung“ des – schon immer äußerst kontroversen – Projekts einer 9. (Konzernrechts-)RL geschehen (vgl. bereits o. Rn. 9; allg. zur 9. RL bereits § 9 Rn. 5 ff.), sondern vielmehr durch punktuelle Regelungen in drei Bereichen:332 Zunächst sollten die Bilanzrichtlinien (dazu allg. § 10, 24, 25) kurzfristig (2003– 85 2005) um weitere Pflichten zur Offenlegung von Gruppenstruktur und gruppeninternen Beziehungen finanzieller und sonstiger Art ergänzt werden.333 Hierzu wurden durch die RL 2006/46/EG 334 Art. 43 Abs. 1 Nr. 7a, 7b der 4. (Bilanz-)RL und

325 Vgl. Bericht Rechtsausschuss, A6-0050/2006, S. 18 ff., 22. 326 Vgl. Consultation and Hearing on Future Priorities – Summary Report (Fn. 5), S. 3, 19 f. 327 RL 2006/68/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6.9.2006 zur Änderung der Richtlinie 77/91 EWG über die Gründung der Aktiengesellschaft sowie die Erhaltung und Änderung ihres Kapitals, ABlEU v. 25.9.2006, L 264/32. 328 Vgl. Aktionsplan (Fn. 3), 3.2 (S. 21) und Anh. 1 (S. 30). 329 KPMG, Feasibility study on an alternative to the capital maintenance regime established by the Second Company Law Directive 77/91/EEC of 13 December 1976 and an examination of the impact on profit distribution of the new EU accounting regime, abrufbar unter: http://ec.europa.eu/internal_market/company/docs/capital/feasbility/study_en. pdf. 330 Vgl. das Positionspapier der GD Binnenmarkt und Dienstleistungen (abrufbar unter: http://ec.europa.eu/internal_market/company/docs/capital/feasbility/markt-position_en. pdf), S. 2; s. zum Ganzen auch Bayer/J. Schmidt BB 2008, 454, 458. 331 Vgl. Bericht High Level Group (Fn. 21), S. 102. 332 Vgl. Aktionsplan (Fn. 3), 3.3 (S. 21 f.). 333 Vgl. Aktionsplan (Fn. 3), 3.3 (S. 22 f.) und Anh. 1 (S. 29). 334 Fn. 44.

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Art. 34 Abs. 7a und 7b der 7. (Konzernbilanz-)RL ergänzt (dazu näher § 10 Rn. 16 f.). Für konsolidierte Abschlüsse kapitalmarktorientierter Gesellschaften schaffen zudem die IAS 24 betreffend related party transactions 335 (s. zur IFRS-VO § 26) Transparenz. 86 Zweitens sollte mittelfristig (2006–2008) eine Rahmenregelung für Unternehmensgruppen geschaffen werden, die Tochtergesellschaften eine abgestimmte Konzernpolitik ermöglicht.336 Dieses Vorhaben stieß jedoch i.R.d. Konsultation zu den Prioritäten auf ganz erheblichen Widerstand 337 und wird seitdem nicht weiterverfolgt. Die Reflection Group hat nun jedoch vorgeschlagen, zu prüfen, ob mit einer EUEmpfehlung zur Anerkennung eines „Gruppeninteresses“ Vorteile verbunden wären 338 (vgl. dazu noch u. Rn. 106). 87 Drittens wurde im Aktionsplan vorgeschlagen, im Anschluss an eine weitere Untersuchung und Sachverständigenanhörung ein Verbot der Börsennotierung missbräuchlicher Pyramidenstrukturen einzuführen.339 Auch dies stieß jedoch i.R.d. Konsultation zu den Prioritäten ganz überwiegend auf Ablehnung 340 und steht deshalb ebenfalls nicht länger auf der Agenda.

3. Umstrukturierung 88 Vor dem Hintergrund der wachsenden Integration des Binnenmarktes und im Einklang mit den immer wieder nachdrücklich geäußerten Forderungen in Wissenschaft und Praxis schrieb sich die Kommission im Aktionsplan ferner insbesondere auch die Verbesserung und Erweiterung der Regeln zur Unternehmensumstrukturierung und -mobilität auf die Fahnen. 89 Als erste kurzfristige Priorität (2003–2005) kündigte sie diesbezüglich einen neuen Vorschlag für eine 10. RL über grenzüberschreitende Verschmelzungen an. Dieser

335 Ursprünglich übernommen durch VO (EG) Nr. 1725/2003 der Kommission v. 29.9. 2003 betreffend die Übernahme bestimmter internationaler Rechnungslegungstandards in Übereinstimmung mit der Verordnung (EG) Nr. 1606/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates, ABlEU v. 13.10.2003, S. 1; zuletzt geändert durch Verordnung (EU) Nr. 632/2010 der Kommission vom 19. Juli 2010 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1126/2008 zur Übernahme bestimmter internationaler Rechnungslegungsstandards gemäß der Verordnung (EG) Nr. 1606/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates im Hinblick auf International Accounting Standard (IAS) 24 und International Financial Reporting Standard (IFRS) 8, ABlEU v. 20.7.2010, L 186/1. 336 Vgl. Aktionsplan (Fn. 3), 3.3 (S. 23) und Anh. 1 (S. 30). Dazu Bayer BB 2004, 1, 9; Habersack NZG 2004, 1, 7 f.; Hopt FS Röhricht, 2005, S. 235, 240; Lennarts (Fn. 58), S. 83, 90 f.; Lutter BB 1/2004, I; Wiesner ZIP 2003, 977, 980. 337 Vgl. Consultation and Hearing on Future Priorities – Summary Report (Fn. 5), S. 3, 22. 338 Vgl. Bericht Reflection Group (Fn. 16), S. 61 ff. 339 Vgl. Aktionsplan (Fn. 3), 3.3 (S. 23) und Anh. 1 (S. 30). Dazu Bayer BB 2004, 1, 9; Haberer GesRZ 2003, 211, 218 f.; Habersack NZG 2004, 1, 9 f.; Hopt FS Röhricht, 2005, S. 235, 240; S. Maul/Lanfermann/Eggenhofer BB 2003, 1289, 1294 f. 340 Vgl. Consultation and Hearing on Future Priorities – Summary Report (Fn. 5), S. 3, 22.

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erfolgte schon am 18.11.2003 341; die RL342 konnte dann bereits am 26.10.2005 verabschiedet werden und ist inzwischen auch in allen Mitgliedstaaten umgesetzt (ausf. dazu § 23). Die als zweite kurzfristige Priorität (2003–2005) angekündigte Vorlage eines (offi- 90 ziellen) Vorschlags für eine 14. RL über die grenzüberschreitende Sitzverlegung ist dagegen – ungeachtet der immer wieder nachdrücklich geäußerten Forderungen in Schrifttum und Praxis sowie speziell auch seitens des EP und nun auch der Reflection Group (vgl. u. Rn. 102) – bedauerlicherweise bis zur Drucklegung dieses Werks noch immer nicht erfolgt (ausf. dazu § 32). Die als mittelfristige Maßnahme (2006–2008) angekündigte Vereinfachung von 91 Umstrukturierungsmaßnahmen durch punktuelle Lockerungen in der 3. (Fusions-)RL (dazu allg. § 21) und 6. (Spaltungs-)-RL (dazu allg. § 22) wurde dagegen inzwischen durch die Änderungs-RL 2007/63/EG 343 sowie die Änderungs-RL 2009/109/EG 344, die zugleich auch die entsprechenden Bestimmungen in der 10. RL anpasste, realisiert (dazu näher § 21 Rn. 4, § 22 Rn. 4, § 23 Rn. 6).

4. EU-Rechtsformen Nachdem die Europäische Aktiengesellschaft (Societas Europaea) mit Verabschie- 92 dung der SE-VO und SE-RL 2001 nach jahrzehntelangen Verhandlungen endlich europäische Realität geworden war (dazu ausf. § 41 Rn. 1 ff.) und auch das Legislativverfahren zu den Rechtsgrundlagen für die Europäische Genossenschaft (Societas Cooperativa Europaea – SCE) bereits kurz vor einem erfolgreichen Abschluss stand 345 (ausf. zur SCE: § 42), kündigte die Kommission im Aktionsplan als weiteren Schwerpunkt für die Zukunft an, auch die Verwirklichung anderer Europäischer Rechtsformen proaktiv vorantreiben zu wollen.

341 Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Verschmelzung von Kapitalgesellschaften aus verschiedenen Mitgliedstaaten, KOM(2003) 703. 342 RL 2005/56/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.10.2005 über die Verschmelzung von Kapitalgesellschaften aus verschiedenen Mitgliedstaaten, ABlEU v. 25.11.2005, L 310/1. 343 RL 2007/63/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 13.11.2007 zur Änderung der Richtlinien 78/855/EWG und 82/891/EWG des Rates hinsichtlich des Erfordernisses der Erstellung eines Berichts durch einen unabhängigen Sachverständigen anlässlich der Verschmelzung oder der Spaltung von Aktiengesellschaften, ABlEU v. 17.11.2007, L 300/47. 344 RL 2009/109/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 16.9.2009 zur Änderung der Richtlinien 77/91/EWG, 78/855/EWG, 82/891/EWG des Rates sowie der Richtlinie 2005/56/EG hinsichtlich der Berichts- und Dokumentationspflicht bei Verschmelzungen und Spaltungen, ABlEU v. 2.10.2009, L 259/14. 345 SCE-VO und SCE-RL wurden am 22.7.2003 vom Rat verabschiedet.

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a) Europäische Privatgesellschaft (Societas Privata Europaea – SPE) 93 Besondere Relevanz wurde insoweit speziell der Europäischen Privatgesellschaft (Societas Privata Europaea – SPE) beigemessen, war die im Rahmen einer privaten Initative geborene Idee der Schaffung einer solchen speziellen Rechtsform für KMU in der Privatwirtschaft doch von Anfang an nicht nur auf immenses Interesse, sondern v.a. auch auf breite Unterstützung gestoßen (dazu noch ausf. § 43 Rn. 1). Im Gegensatz zur High Level Group 346 sah die Kommission insoweit auch keine zwingende Korrelation mit der bzw. Subsidiarität zur 10. RL über die grenzüberschreitende Verschmelzung (dazu o. Rn. 89 sowie ausf. § 23), sondern erklärte ausdrücklich, beide Projekte unabhängig voneinander forcieren zu wollen.347 Ebenso wie die High Level Group erachtete sie es allerdings für erforderlich, zunächst eine Durchführbarkeitsstudie vornehmen zu lassen, was allerdings bereits kurzfristig (2003–2005) (und unabhängig vom Fortgang der Arbeiten an der 10. RL) geschehen sollte.348 Sofern diese die Notwendigkeit eines SPE-Statuts bestätigten sollte, sollte dann mittelfristig (2006–2008) ein Verordnungsvorschlag vorgelegt werden.349 94 In der Folgezeit wurde das SPE-Projekt dann jedoch zunächst immer wieder zurückgestellt; erst 2007 veranstaltete die Kommission schließlich eine Konsultation und präsentierte dann im Juni 2008 einen Verordnungsentwurf 350, dessen äußerst progressive und liberale Linie allerdings bei vielen Mitgliedstaaten auf erhebliche Vorbehalte stieß. In Rat und EP gelang es zwar inzwischen einige Streitpunkte zu klären; bei Drucklegung war jedoch nach wie vor kein endgültiger Konsens erzielt worden (ausf. zum Ganzen: § 43).

b) Sonstige EU-Rechtsformen 95 Weiterhin kündigte die Kommission im Aktionsplan an, auch die bereits eingeleiteten Legislativverfahren zum Europäischen Verein (Europaean Association – EA) 351 und zur Europäischen Gegenseitigkeitsgesellschaft (Société Mutuelle Européenne – SME) 352

346 347 348 349 350

Vgl. Bericht High Level Group (Fn. 21), S. 127, 129. Vgl. Aktionsplan (Fn. 3), 3.5 (S. 25). Vgl. Aktionsplan (Fn. 3), 3.5 (S. 25) und Anh. 1 (S. 29). Vgl. Aktionsplan (Fn. 3), 3.5 (S. 25) und Anh. 1 (S. 30). Vorschlag für eine Verordnung des Rates über das Statut der Europäischen Privatgesellschaft, KOM(2008) 396. 351 Vgl. Vorschlag für eine Verordnung (EWG) des Rates über das Statut des Europäischen Vereins, Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Ergänzung des Statuts des europäischen Vereins hinsichtlich der Rolle der Arbeitnehmer, KOM(91) 273; Geänderte Vorschläge: KOM(93) 252. Zum Ganzen: Grundmann Rn. 1129 ff.; Grünwald GesRZ 2003, 252; Terner ZEuP 2007, 96 ff.; Vieweg FS Werner, 2009, S. 275 ff.; Wagner, Der Europäische Verein, 2000. 352 Vorschlag für eine Verordnung über das Statut der Europäischen Gegenseitigkeitsgesellschaft, Vorschlag für eine Richtlinie zur Ergänzung des Statuts der Europäischen Gegen-

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aktiv unterstützen zu wollen.353 Nachdem es jedoch bei beiden Projekten nicht gelang, Fortschritte zu erzielen, kündigte die Kommission dann aber i.R.d. „Better Regulation“-Strategie 354 2005 an, dass sie die Rücknahme beider Vorschläge beabsichtigte 355 und tat dies dann im März 2006 auch 356. Forderungen des EP nach einer Wiederaufnahme 357 blieben erfolglos.358 Das Projekt einer Europäischen Gegenseitigkeitsgesellschaft wurde aber jüngst von der Reflection Group wieder ins Spiel gebracht 359 (vgl. dazu noch u. Rn. 104). Im Hinblick auf die Idee einer Europäischen Stiftung 360, hinsichtlich deren Rea- 96 lisierbarkeit sich die High Level Group relativ skeptisch gezeigt hatte 361, avisierte auch die Kommission zunächst erst einmal nur die mittelfristige (2006–2008) Durchführung einer Machbarkeitsstudie.362 Nachdem i.R.d. Konsultation zu den Prioritäten des Aktionsplans zahlreiche Stiftungen nochmals nachdrücklich hierauf gedrängt hatten 363, wurde die Studie 364 dann 2007 in Auftrag gegeben und im Februar 2009 offiziell präsentiert. Die Einführung einer Europäischen Stiftung wird darin insgesamt als vor-

353 354

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seitigkeitsgesellschaft hinsichtlich der Rolle der Arbeitnehmer, KOM(91) 273; Geänderte Vorschläge: KOM(93) 252. Zum Ganzen näher Grundmann Rn. 1129 ff.; Grünwald GesRZ 2003, 252. Aktionsplan (Fn. 3), 3.6 (S. 26) und Anh. 1 (S. 29). Grundlegend: Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament. Bessere Rechtssetzung für Wachstum und Arbeitsplätze in der Europäischen Union, KOM(2005) 97. Vgl. speziell zu den Auswirkungen im Bereich Gesellschaftsrecht näher Weber-Rey ECFR 2007, 370 ff. Mitteilung der Kommission. Ergebnis der Überprüfung von Vorschlägen, die sich derzeit im Gesetzgebungsverfahren befinden, KOM(2005) 462, S. 8. Vorschläge der Kommission, die auf ihre allgemeine Relevanz, auf ihre Auswirkungen auf die Wettbewerbsfähigkeit sowie auf sonstige Folgen überprüft und daraufhin zurückgezogen wurden, ABlEU v. 17.3.2006, C 64/3. Vgl. Entschließung des Europäischen Parlaments zu den jüngsten Entwicklungen und den Perspektiven des Gesellschaftsrechts v. 4.7.2006, ABlEU v. 13.12.2006, C 303 E/114, Ziff. 29–31. Vgl. zum Ganzen auch Baums AG 2007, 57, 60; Bayer/J. Schmidt BB 2008, 454, 455; Terner ZEuP 2007, 96 ff.; Weber-Rey AG 2006, R136 ff.; dies. ECFR 2007, 370, 390, 397 f. Vgl. Bericht Reflection Group (Fn. 16), S. 31. Siehe dazu insbesondere den Entwurf des European Foundation Project: Hopt/Walz/ von Hippel/Then (Hrsg.), The European Foundation. A New Legal Approach, 2006; s. ferner Carstensen ZSt 2006, 36, 37 f.; Grundmann Rn. 1129 ff.; von Hippel ZSt 2004, 120 ff.; ders., Europäische Stiftung, in: Basedow/Hopt/Zimmermann, Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts, Bd. I, 2009, S. 475 ff.; Hopt EuZW 2006, 161; Jakob/ Studen ZHR 174 (2010) 61 ff.; Rebsch, Die Europäische Stiftung, 2007, S. 295 ff.; Salole (2008) 11 Int’l J. Not-for-Profit L. 75 ff.; Then/Vahlpahl (2008) 14 Trusts & Trustees 272 ff.; Weitemeyer FS Werner, 2009, S. 288, 301 ff. Vgl. Bericht High Level Group (Fn. 21), S. 133 („kaum zu realisieren“). Vgl. Aktionsplan (Fn. 3), 3.6 (S. 26) und Anh. 1 (S. 30). Vgl. Consultation and Hearing on Future Priorities – Summary Report (Fn. 5), S. 3, 26. Universität Heidelberg/Max Planck Institute for Comparative and International Private Law, Feasibility study for a European Foundation Statute. Final Report. Studie und Anhänge abrufbar unter http://ec.europa.eu/internal_market/company/eufoundation/ index_de.htm.

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zugswürdige Option zur Überwindung der für Stiftungen im Binnenmarkt bestehenden Hindernisse qualifiziert; zudem seien auch viele weitere positive Effekte (z.B. Vorbild- und Anreizfunktion) zu erwarten.365 Die Kommission leitete daraufhin eine Konsultation 366 ein; deren im November 2009 veröffentlichte Ergebnisse zeigen zwar eine nachdrückliche Unterstützung seitens der zahlreichen Konsultationsteilnehmer aus dem gemeinnützigen Bereich, einige Mitgliedstaaten und Wirtschaftsverbände äußerten sich jedoch negativ oder zumindest skeptisch.367 Im Arbeitsprogramm der Kommission für 2011 heißt es dazu, dass die Vorlage eines VO-Entwurfs in Betracht gezogen werde.368 Innerhalb der Reflection Group waren die Meinungen hierzu zwar gespalten, ein Teil der Mitglieder unterstützte das Projekt aber nachdrücklich369 (vgl. dazu noch u. Rn. 104).

5. Transparenz nationaler Rechtsformen 97 Schließlich sollten – allerdings erst mittelfristig (2006–2008) – erhöhte Offenlegungsanforderungen für alle juristischen Personen mit begrenzter Haftung festgelegt werden, wobei es speziell darum gehen sollte, einerseits einen fairen Wettbewerb zu gewährleisten, andererseits aber insbesondere auch einen Missbrauch des Gesellschaftsrechts zu Betrug, Terrorismus oder anderen kriminellen Zwecken zu verhindern.370 98 In puncto Transparenz wurden in den letzten Jahren speziell durch die 2003 erfolgte Modernisierung der 1. (Publizitäts-)RL (dazu näher § 19 Rn. 5) enorme Fortschritte erzielt; ein weiterer „Quantensprung“ ist insofern zudem von der geplanten Verknüpfung der Register zu erwarten (dazu näher § 19 Rn. 7). Aber auch die zahlreichen Reformen und Novellierungen im Europäischen Bilanzrecht (dazu ausf. § 10 Rn. 7 ff., § 24 Rn. 3, § 25 Rn. 4) und im Europäischen Kapitalmarktrecht (Überblick zur Entwicklung seit dem FSAP bei § 17 Rn. 23 ff.) haben die Transparenz ganz erheblich verbessert. Die im Aktionsplan in Anknüpfung an Erwägungen der High Level Group 371 offenbar erwogene Idee einer Ausdehnung des durch die 1. (Publizitäts-)RL geschaffenen Systems auch auf bislang nicht (direkt) erfasste gesellschaftsrechtliche Vehikel (gedacht war scheinbar an Rechtsformen bzw. Vehikel wie die KG, GmbH & Co. KG oder trusts) 372 bzw. eines speziellen Publizitätsrahmens für diese wurde allerdings nicht weiterverfolgt.

365 Vgl. EF-Study (Fn. 364), S. 1. 366 Konsultationsdokument, Ergebnisse und Zusammenfassung der Ergebnisse abrufbar unter http://ec.europa.eu/internal_market/company/eufoundation/index_de.htm. 367 Vgl. Bayer/J. Schmidt BB 2010, 387, 388. 368 Vgl. COM(2010) 623 Vol. II, S. 15. 369 Vgl. Bericht Reflection Group (Fn. 16), S. 31. 370 Vgl. Aktionsplan (Fn. 3), 3.7 (S. 26 f.) und Anh. 1 (S. 30). 371 Vgl. Bericht High Level Group (Fn. 21), S. 134 f. 372 Vgl. Aktionsplan (Fn. 3), 3.7 (S. 26 Fn. 24).

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V. Resümee zum Aktionsplan 2003 Der Aktionsplan 2003 war und ist – wie bereits eingangs (Rn. 2, 5) betont – ein ge- 99 radezu epochaler Meilenstein, der nicht nur endgültig eine wesentliche Kehrtwende im Grundkonzept der gesamten Harmonisierung (Abschied vom historischen Leitbild der „Vollharmonisierung“ und Konzentration auf punktuelle Maßnahmen) markierte (vgl. o. Rn. 9), sondern zugleich auch Ausgangspunkt, Fundament oder zumindest Neuimpuls für nahezu alle seitdem erfolgten und künftig noch erfolgende Maßnahmen zur Harmonisierung des Europäischen Gesellschaftsrechts ist. Zwar wurden (bislang noch) nicht alle der angekündigten Projekte auch tatsächlich realisiert – angesichts der enormen Ambitioniertheit des Aktionsplans wäre dies aber letztlich auch kaum zu erwarten gewesen. Manches wurde mit guten Gründen wieder in die Schublade verbannt, in anderen Punkten hätte man sich einen deutlich schnelleren Fortschritt und etwas mehr Mut der europäischen Akteure gewünscht (speziell etwa bei der 14. (Sitzverlegungs-)RL und der SPE, vgl. dazu o. Rn. 90, 94).

VI. Ausblick: Die Vorschläge der Reflection Group als Auftakt für eine neue Reformphase 1. Reflection Group und EU Company Law Conference 2011 als Auftakt für eine neue Reformphase Mit der Einsetzung der Reflection Group und der EU Company Law Conference 100 2011 (vgl. dazu bereits o. Rn. 5) hat die Kommission nun eine neue Phase eingeläutet: Auf der Agenda der neuen breit angelegten Rahmeninitiative für die Fortentwicklung und Modernisierung des Europäischen Gesellschaftsrechts steht neben dem – bereits durch die Grünbücher 2010 und 2011 (dazu näher o. Rn. 72 ff.) vorweggenommenen – Punkt der weiteren Verbesserung der Corporate Governance insbesondere auch die weitere Verbesserung der Mobilität der Unternehmen und der Ausbau des Kreises der EU-Rechtsformen, eine Fortentwicklung des europäischen Rechtsrahmens für Konzerne sowie die Schaffung eines European Model Company Act (EMCA).

2. Die Vorschläge der Reflection Group a) Grundkonzeption Bezüglich der generellen Grundkonzeption der weiteren Harmonisierung spricht sich 101 die Reflection Group prinzipiell für eine Fortführung des auch schon von der High Level Group und dem Aktionsplan 2003 verfolgten (vgl. o. Rn. 9) Ansatzes einer Fokussierung auf spezifische Probleme unter Beachtung der Grundsätze der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit aus; Leitbild ist und bleibt ein moderner und flexibler gesellschaftsrechtlicher Rahmen, wobei börsennotierte Gesellschaften aber

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Perspektiven des Europäischen Unternehmensrechts

tendenziell strengeren Vorschriften unterworfen werden sollen (allerdings nur, soweit dies auf Grund ihrer spezifischen Besonderheiten erforderlich ist).373 Vor dem Hintergrund der Finanzkrise betont die Reflection Group darüber hinaus speziell auch das Bedürfnis nach Regelungen zur Dämpfung exzessiver Risikobereitschaft.374 Gegenstand des Berichts sind Maßnahmen in drei großen Bereichen: (1) Grenzüberschreitende Mobilität, Transparenz und EU-Rechtsformen (dazu u. Rn. 102 ff.), (2) Beitrag von Corporate Governance und Investoren zur langfristigen Überlebensfähigkeit von Unternehmen (dazu u. Rn. 105) und (3) Konzerne (dazu u. Rn. 106); zudem wird die Schaffung eines European Model Company Act (EMCA) angeregt (dazu u. Rn. 107).

b) Grenzüberschreitende Mobilität, Transparenz und europäische Rechtsformen 102 Im Hinblick auf die grenzüberschreitende Mobilität der Unternehmen plädiert die Reflection Group zunächst für eine baldige Regelung zur grenzüberschreitenden Sitzverlegung sowie zur grenzüberschreitenden Spaltung, entweder in Form separater Richtlinien oder mittels eines Ausbaus der 10. RL (dazu § 23) zu einer „Sammel-RL“ über die grenzüberschreitende Mobilität (vgl. auch bereits § 6 Rn. 82 sowie noch § 32 Rn. 29); 375 zudem sollen auch etwaige steuerliche Hindernisse abgebaut werden.376 Weiterhin wird empfohlen, die 10. RL (dazu § 23) zu novellieren, um eine Reihe i.R.d. praktischen Anwendung aufgetretene Probleme zu beseitigen377. Eine Harmonisierung des Gesellschaftskollisionsrechts (vgl. dazu bereits § 6 Rn. 83) wird nur von einem Teil der Experten befürwortet; die Reflection Group spricht sich aber insgesamt zumindest für eine Debatte über die Vor- und Nachteile der Sitztheorie und ggf. die Durchführung einer rechtsvergleichenden Studie aus.378 103 Als Korrelat zur Verbesserung der grenzüberschreitenden Mobilität ist nach Auffassung der Reflection Group auch eine Verbesserung der grenzüberschreitenden Transparenz erforderlich. Sie begrüßt daher ausdrücklich den RL-Entwurf zur Verknüpfung der nationalen Register (dazu näher § 19 Rn. 7); 379 nach Auffassung der Group könnte nach dessen Umsetzung der Umfang der nach der 11. (Zweigniederlassungs-)RL über das Register der Zweigniederlassung offen zu legenden Informationen (dazu näher § 28 Rn. 11 ff.) reduziert werden380. Mittel- bzw. längerfristig plädiert die Group zudem für eine Verbesserung der grenzüberschreitenden Transparenz im Hinblick auf Verbote für die Tätigkeit als Gesellschaftsorgan (disqualification) sowie sonstiger behördlicher Rügen, Warnungen etc.381 373 374 375 376 377 378 379 380 381

Vgl. Bericht Reflection Group (Fn. 16), S. 8 ff. Literatur zum Bericht o. Fn. 16. Vgl. Bericht Reflection Group (Fn. 16), S. 7 f. Vgl. Bericht Reflection Group (Fn. 16), S. 20 ff. Vgl. Bericht Reflection Group (Fn. 16), S. 25 f. Vgl. Bericht Reflection Group (Fn. 16), S. 27 f. Vgl. Bericht Reflection Group (Fn. 16), S. 23 f. Vgl. Bericht Reflection Group (Fn. 16), S. 32 f. Vgl. Bericht Reflection Group (Fn. 16), S. 33. Vgl. Bericht Reflection Group (Fn. 16), S. 34 f.

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Bezüglich der Schaffung (weiterer) Europäischer Rechtsformen waren die Mei- 104 nungen innerhalb der Gruppe gespalten; Konsens bestand aber immerhin darüber, dass neue EU-Rechtsformen auf der Basis eines praktisch nachweisbaren Bedürfnisses auf Seiten von Unternehmen und Industrie geschaffen werden sollten.382 Diejenigen Mitglieder der Group, die einen Ausbau der Familie Europäischer Rechtsformen generell befürworten, sprachen sich speziell für die Schaffung der SPE (dazu allg. § 43) aus383, sahen aber auch erhebliche Vorteile in der Schaffung einer Europäischen Stiftung (dazu bereits o. Rn. 96) sowie einer Europäischen Gegenseitigkeitsgesellschaft (dazu bereits o. Rn. 95) 384.

c) Beitrag von Corporate Governance und Investoren zur langfristigen Überlebensfähigkeit von Unternehmen Vor dem Hintergrund der Finanzkrise widmet sich die Reflection Group als zweitem 105 Schwerpunkt ausführlich dem Beitrag von Corporate Governance und Investoren zur langfristigen Überlebensfähigkeit von Unternehmen. Diesbezüglich empfiehlt sie zunächst eine Überprüfung der lex lata (speziell der Transparenz- und Offenlegungsvorschriften) sowie die Möglichkeit für alle Gesellschaften, in ihrer Satzung ausdrücklich das Ziel einer nachhaltigen Unternehmensführung festzuschreiben.385 Zur Verbesserung des Risikomanagements in börsennotierten Unternehmen empfiehlt sie eine Erweiterung des Corporate Governance-Statements (dazu o. Rn. 13 sowie näher § 10 Rn. 15) um Informationen über das Risikomanagement sowie eine EUEmpfehlung zur Verantwortlichkeit der Gesellschaftsorgane.386 Zur Förderung eines längerfristigen Engagements von Aktionären schlägt die Reflection Group vor, dass alle Gesellschaften in ihrer Satzung spezielle Vorteile (z.B. größeres Stimmrecht oder höhere Dividende) für langfristige Aktionäre vorsehen können sollen; zudem müssten die EU-Vorgaben zum Insiderhandel und zum acting in concert daraufhin überprüft werden, ob sie insoweit ungerechtfertigte Hindernisse aufbauen.387 In Bezug auf institutionelle Investoren empfiehlt die Group u.a. eine Offenlegung der Abstimmungsstrategien sowie eine regelmäßige Überprüfung ihrer Rolle und Handlungen.388 Weiterhin plädiert sie für weitere Verbesserungen im Hinblick auf die Stimmrechtsausübung von Aktionären (Vereinfachung speziell im Falle einer Kette von Intermediären, obligatorische Zulassung der elektronischen Stimmabgabe 389) und 382 383 384 385 386 387 388 389

Vgl. Bericht Reflection Group (Fn. 16), S. 29. Vgl. Bericht Reflection Group (Fn. 16), S. 30. Vgl. Bericht Reflection Group (Fn. 16), S. 31. Vgl. Bericht Reflection Group (Fn. 16), S. 36 ff. Vgl. Bericht Reflection Group (Fn. 16), S. 39 ff. Vgl. Bericht Reflection Group (Fn. 16), S. 46 f. Vgl. Bericht Reflection Group (Fn. 16), S. 48 f. Art. 8 Abs. 1 Aktionärsrechte-RL verpflichtet die Mitgliedstaaten derzeit lediglich, den Gesellschaften die Zulassung der elektronischen Stimmabgabe zu gestatten, vgl. § 31 Rn. 48 f.

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die Schaffung von Mechanismen, die den Gesellschaften eine Identifizierung ihrer Aktionäre ermöglichen.390 Im Hinblick auf die Rolle des Managements empfiehlt die Reflection Group eine RL, die allen börsennotierten Gesellschaften gestattet, in ihrer Satzung verschiedene Amtsperioden für die directors festzulegen, sog. staggered boards vorzusehen und die freie Abberufbarkeit von directors einzuschränken; mit Blick darauf, dass die Rolle unabhängiger Organmitglieder im Zusammenhang mit der Finanzkrise „nicht unbedingt überzeugend“ gewesen sei, empfiehlt sie zudem eine generelle Evaluation des Rechtsinstituts unabhängiger Organmitglieder und seiner praktischen Funktion.391 In Bezug auf die „Gretchenfrage“ der Arbeitnehmerbeteiligung plädiert die Reflection Group nachdrücklich für eine prinzipiell „mitbestimmungssystemneutrale“ Haltung des europäischen Gesetzgebers.392 Allerdings müsse die Kommission – ggf. im Wege von Vertragsverletzungsverfahren – dafür sorgen, dass nationale Mitbestimmungsregeln ausländische Arbeitnehmer nicht diskriminieren.393 Zudem dürfte es einzelnen Mitgliedstaaten nicht gestattet werden, Harmonisierungsmaßnahmen nur deshalb zu blockieren, weil sie nicht ihren mitbestimmungsrechtlichen Vorstellung entsprechen; ggf. müsse erwogen werden, mit einer derartigen „Blockadehaltung“ konfrontierte EU-Projekte (zumindest zunächst) im Wege des Verfahrens der verstärkten Zusammenarbeit (Art. 20 EU, Art. 326 ff. AEU) zu realisieren.394 Weiterhin empfiehlt die Reflection Group, zumindest nicht börsennotierten Gesellschaften Wahlfreiheit im Hinblick auf die Leitungsstruktur einzuräumen, und zwar nicht nur zwischen monistischem und dualistischem System, sondern auch zugunsten von Hybridformen.395 Ferner wird die Kommission aufgefordert, weitere Vereinfachungsmaßnahmen speziell für KMU zu initiieren.396

d) Konzernrecht 106 Hinsichtlich der seit jeher äußerst umstrittenen Frage von Harmonisierungsmaßnahmen im Bereichs des Konzernrechts 397, welche den dritten Schwerpunkt des Berichts bilden, waren die Meinungen auch innerhalb der Reflection Group ersichtlich gespal-

390 391 392 393 394

395 396 397

Vgl. Bericht Reflection Group (Fn. 16), S. 50. Vgl. Bericht Reflection Group (Fn. 16), S. 51 f. Vgl. Bericht Reflection Group (Fn. 16), S. 53 f. Vgl. Bericht Reflection Group (Fn. 16), S. 53 f.; die Group nimmt insoweit ausdrücklich auf die deutschen Mitbestimmungsvorschriften Bezug. Vgl. Bericht Reflection Group (Fn. 16), S. 53. Auch dies ist unzweifelhaft auf Deutschland gemünzt (vgl. etwa zur von anderen Mitgliedstaaten beklagten „Blockadehaltung“ Deutschlands hinsichtlich der SPE: § 43 Rn. 4, 172; zur Kritik an der „aufgezwungenen Mitbestimmung“ durch SE-RL: § 41 Rn. 197; s. ferner auch Hopt ECGI Law Working Paper 140/2010, S. 14: „Germany has blocked European company law harmonization on this issue for decades“). Vgl. Bericht Reflection Group (Fn. 16), S. 55 f. Vgl. Bericht Reflection Group (Fn. 16), S. 57 f. Vgl. bereits o. Rn. 16; näher zum (gescheiterten) Projekt einer 9. (Konzernrechts-)RL bereits § 9 Rn. 5 ff.

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ten. Dies zeigt sich speziell im Hinblick auf die Erörterungen betreffend mögliche EU-Maßnahmen zur Anerkennung eines „Gruppeninteresses“; die Reflection Group schlägt insoweit letztlich denn auch nur vor, dass die Kommission prüfen solle, ob mit einer diesbezüglichen EU-Empfehlung Vorteile verbunden wären.398 Einig war sich die Reflection Group dagegen hinsichtlich des Bedürfnisses nach einer vereinfachten Einpersonengesellschaft als Vehikel nicht nur für grenzüberschreitende Konzernstrukturen sondern auch für Unternehmensgründer; sie schlägt deshalb vor, entweder in einer separaten RL oder durch Ergänzung der 12. (Einpersonengesellschafts-)RL (dazu ausf. § 29) alle Mitgliedstaaten zur Schaffung einer solchen zu verpflichten und deren wesentliche Eckpunkte zu regeln.399 Als dritten Punkt befasst sich die Reflection Group mit der – schon im Bericht der High Level Group und im Aktionsplan problematisierten (vgl. o. Rn. 84 f.) – Transparenz von Konzernen; insoweit erachtetet sie die in den letzten Jahren geschaffenen EU-Regelungen allerdings grundsätzlich für ausreichend; sie empfiehlt allerdings, im Rahmen einer generellen Überprüfung der Effektivität des Corporate Governance-Statements (dazu bereits o. Rn. 13 sowie § 10 Rn. 15) speziell auch zu prüfen, ob in dieses auch Grundinformationen zu Konzernstruktur und -management aufgenommen werden sollten.400

e) European Model Company Act (EMCA) Schließlich begrüßt die Reflection Group ausdrücklich das 2007 von Prof. Paul Krü- 107 ger Andersen und Prof. Theodor Baums begründete Projekt eines European Model Company Act (EMCA) 401, im Rahmen dessen eine aus Experten aus verschiedenen Mitgliedstaaten (von denen einige auch der Reflection Group angehören) bestehende Arbeitsgruppe nach dem Vorbild des US-amerikanischen „Model Business Corporation Act (MBCA)“ ein Modellkapitalgesellschaftsgesetz ausarbeitet, das als Vorbild für die nationale Gesetzgebung der Mitgliedstaaten dienen soll. Die ersten Entwürfe

398 Vgl. Bericht Reflection Group (Fn. 16), S. 61 ff. 399 Vgl. Bericht Reflection Group (Fn. 16), S. 66 f. Im Interesse der Vereinfachung von Konzernstrukturen und der Erleichterung von Unternehmensgründungen wäre dies sicherlich wünschenswert. Wie die Group selbst einräumt, trägt allerdings an sich bereits die SPE diesen Bedürfnissen Rechnung; der Vorschlag ist wohl nicht zuletzt auch eine Art „kleine Lösung“ für den Fall, dass es nicht zur Verabschiedung der SPE kommen sollte (was z.Z. des Berichts noch nicht klar war). Ob der damit verbundene Eingriff in das nationale GmbH-Recht einfacher zu realisieren wäre als die SPE, erscheint indes durchaus fraglich – zumal darin letztlich auch ein wesentlicher erster Schritt zur grundlegenden Harmonisierung des (bislang weitgehend nicht harmonisierten, vgl. dazu bereits § 11) GmbH-Rechts läge und schon deshalb Vorbehalte bei den Mitgliedstaaten bestehen könnten. Vgl. auch J. Schmidt GmbHR 2011, R177, R178. 400 Vgl. Bericht Reflection Group (Fn. 16), S. 68 ff. 401 Vgl. zum Projekt die Webseite der Arbeitsgruppe (http://www.asb.dk/emca/) sowie Baums ILF Working Paper 75; Cleff (2011) 4 IJPL 156 ff.; Baums/Andersen FS Wymeersch, 2009, S. 5 ff.; Fischer zu Cramburg NZG 2008, 223; s. ferner bereits Andersson (2004) 45 Scan. Stud. 29 ff.

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für die insgesamt 18 Kapitel sollen im Herbst 2011 veröffentlicht werden; Ziel ist letztlich, den EMCA in die Form einer Kommissionsempfehlung zu gießen. Grundkonzeption des EMCA ist – entsprechend dem „single act approach“ des englischen Rechts 402 (dazu bereits § 8 Rn. 3, § 11 Rn. 8) – eine im Ausgangspunkt einheitliche Regelung für alle Formen der Kapitalgesellschaft, im Rahmen derer dann aber für public bzw. listed companies je nach den Spezifika des jeweiligen Reglungskontexts besondere bzw. zusätzliche Vorschriften gelten sollen. Hinsichtlich der Leitungsverfassung soll ein Wahlrecht zwischen verschiedenen Systemen (monistisch, dualistisch, „skandinavisches Modell“) vorgesehen werden.

3. Fazit und Perspektiven für die Zukunft 108 Das Grünbuch 2011 sowie der Bericht der Reflection Group präsentieren ein breites Spektrum unterschiedlichster Maßnahmen zur Modernisierung und Fortentwicklung des Europäischen Gesellschaftsrechts. Neben der Reinitialisierung und Weiterentwicklung zahlreicher „alter“ Projekte finden sich auch eine ganze Reihe neuer und teils äußerst innovativer Vorschläge, von denen einige allerdings – wie bereits die Diskussion auf der EU Company Law Conference im Mai 2011 zeigte 403 – auf teils erhebliche Vorbehalte bei einigen Marktteilnehmern und Mitgliedstaaten stoßen. Es bleibt daher abzuwarten, welche der in den Grünbüchern erwogenen und von der Reflection Group vorgeschlagenen Maßnahmen von der Kommission weiterverfolgt und dann letztlich auch tatsächlich umgesetzt werden. Als Fazit bleibt jedenfalls festzuhalten: Auch im Europäischen Gesellschaftsrecht gilt die Maxime der „Reform in Permanenz“ – und muss dies mit Blick auf neue wirtschaftliche, politische und technologische Entwicklungen auch. Speziell auf der Basis der Vorarbeiten der High Level Group und des Aktionsplans 2003 hat sich das Europäische Gesellschaftsrecht im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts geradezu revolutionär weiterentwickelt. Die neue Reforminitiative 2011 lässt für die nächste Dekade bereits jetzt weitere wichtige „Meilensteine“ erwarten. „The way forward“ bleibt auf jeden Fall spannend!

VII. Fundstellenverzeichnis Richtlinien:

RL 2006/43/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 17.5.2006 über Abschlussprüfungen von Jahresabschlüssen und konsolidierten Abschlüssen, zur Änderung der RL 78/660/EWG und 83/349/EWG des Rates und zur Aufhebung der RL 84/253/ EWG des Rates, ABlEU v. 9.6.2006, L 157/87 RL 2006/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 14.6.2006 zur Änderung der RL des Rates 78/660/EWG über

402 Vgl. dazu Davies, Gower and Davies’ Principles on Modern Company Law, 8. Aufl. 2008, 1–10; J. Schmidt (Fn. 263), S. 106. 403 Vgl. dazu J. Schmidt GmbHR 2011, R177 f.

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den Jahresabschluss von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen, 83/349/EWG über den konsolidierten Abschluss, 86/635/EWG über den Jahresabschluss und den konsolidierten Abschluss von Banken und anderen Finanzinstituten und 91/674/EWG über den Jahresabschluss und den konsolidierten Abschluss von Versicherungsunternehmen, ABlEU v. 16.8.2006, L 224/1 RL 2010/76/EU des Europäischen Parlaments und des Rates v. 24.11.2010 zur Änderung der Richtlinien 2006/48/EG und 2006/49/EG im Hinblick auf die Eigenkapitalanforderungen für Handelsbuch und Wiederverbriefungen und im Hinblick auf die aufsichtliche Überprüfung der Vergütungspolitik, ABlEU v. 14.12. 2010, L 329/3 („CRD III“) High Level Group:

Bericht der Hochrangigen Gruppe von Experten auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts über moderne gesellschaftsrechtliche Rahmenbedingungen in Europa, 4.11.2002, abrufbar unter http://ec.europa.eu/internal_market/company/docs/modern/ report_de.pdf

Dokumente der KOM:

Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament. Modernisierung des Gesellschaftsrechts und Verbesserung der Corporate Governance in der Europäischen Union – Aktionsplan, 21.5.2003, KOM(2003) 284 Beschluss 2004/706/EG der Kommission v. 15.10.2004 zur Einsetzung eines Europäischen Corporate-Governance-Forums, ABlEU v. 22.10.2004, L 321/53 Empfehlung 2004/913/EG der Kommission v. 14.12.2004 zur Einführung einer angemessenen Regelung für die Vergütung von Mitgliedern der Unternehmensleitung börsennotierter Gesellschaften, ABlEU v. 29.12.2004, L 385/55 Empfehlung 2005/162/EG der Kommission v. 15.2.2005 zu den Aufgaben von nicht geschäftsführenden Direktoren /Aufsichtsratsmitgliedern börsennotierter Gesellschaften sowie zu den Ausschüssen des Verwaltungs-/Aufsichtsrats, ABlEU v. 25.2.2005, L 52/51 Beschluss 2005/380/EG der Kommission v. 28.4.2005 zur Einsetzung einer Gruppe von Nicht-Regierungsexperten für Corporate Governance und Gesellschaftsrecht, ABlEU v. 19.5.2005, L 126/40 Consultation and Hearing on Future Priorities for the Action Plan on Modernising Company Law and Enhancing Corporate Governance in the European Union, Summary Report, Juli 2006, abrufbar unter http://ec.europa.eu/internal_market/company/docs/ consultation/final_report_en.pdf Report on the application by the Member States of the EU of the Commission Recommendation on the role of non-executive or supervisory directors of listed companies and on the committees of the (supervisory) board, 13.7.2007, SEC(2007) 1021 Report on the application by Member States of the EU of the Commission Recommendation on directors’ remuneration, 13.7.2007, SEC(2007) 1022 Mitteilung der Kommission über ein vereinfachtes Unternehmensumfeld in den Bereichen Gesellschaftsrecht, Rechnungslegung und Abschlussprüfung, 10.7.2007, KOM(2007) 394

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Impact Assessment on the Proportionality between Capital and Control in Listed Companies, 12.12.2007, SEC(2007) 1705 Synthesis of the reactions received to the Commission Communication on a simplified business environment for companies in the areas of company law, accounting and auditing (COM(2007)394), Dez. 2007, abrufbar unter http://ec.europa.eu/internal_market/ company/docs/simplification/consultation_report_20071219_en. pdf Beschluss 2008/358/EG der Kommission v. 25.4.2008 zur Änderung des Beschlusses 2005/380/EG zur Einsetzung einer Gruppe von Nicht-Regierungsexperten für Corporate Governance und Gesellschaftsrecht, ABlEU v. 7.5.2008, L 120/14 Empfehlung 2009/384/EG der Kommission v. 30.4.2009 zur Vergütungspolitik im Finanzdienstleistungssektor, ABlEU v. 15.5.2009, L 120/22 Empfehlung 2009/385/EG der Kommission v. 30.4.2009 zur Ergänzung der Empfehlungen 2004/913/EG und 2005/162/EG zur Regelung der Vergütung von Mitgliedern der Unternehmensleitung börsennotierter Gesellschaften, ABlEU v. 15.5.2009, L 120/28 Bericht über die Umsetzung der Empfehlung 2009/385/EG der Kommission zur Ergänzung der Empfehlungen 2004/913/EG und 2005/162/EG zur Regelung der Vergütung von Mitgliedern der Unternehmensleitung börsennotierter Gesellschaften (Empfehlung zur Direktorenvergütung 2009) durch die EU-Mitgliedstaaten, 2.6.2010, SEK(2010) 285 Bericht über die Umsetzung der Empfehlung 2009/384/EG der Kommission zur Vergütungspolitik im Finanzdienstleistungssektor (Empfehlung zur Vergütungspolitik im Finanzdienstleistungssektor 2009) durch die EU-Mitgliedstaaten, 2.6.2010, SEK(2010) 286 Grünbuch Corporate Governance in Finanzinstituten und Vergütungspolitik, 2.6.2010, KOM(2010) 284 Grünbuch Europäischer Corporate Governance-Rahmen, 5.4.2011, KOM(2011) 164 Report of the Reflection Group On the Future of EU Company Law, 5.4.2011, abrufbar unter http://ec.europa.eu/internal_market/ company/docs/modern/reflectiongroup_report_en.pdf Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über den Zugang zur Tätigkeit von Kreditinstituten und die Beaufsichtigung von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen und zur Änderung der Richtlinie 2002/87/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über die zusätzliche Beaufsichtigung der Kreditinstitute, Versicherungsunternehmen und Wertpapierfirmen eines Finanzkonglomerats, KOM(2011) 453 Studien:

Shearman & Sterling LLP, ISS Europe, ECGI, Report on the Proportionality Principle in the European Union, 2007, abrufbar unter http://ec.europa.eu/internal_market/company/docs/shareholders/ study/final_report_en.pdf KPMG, Feasibility study on an alternative to the capital maintenance regime established by the Second Company Law Directive 77/91/EEC of 13 December 1976 and an examination of the impact

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on profit distribution of the new EU accounting regime, 2008, abrufbar unter: http://ec.europa.eu/internal_market/company/docs/ capital/feasbility/study_en.pdf Universität Heidelberg/Max Planck Institute for Comparative and International Private Law, 2009, Feasibility study for a European Foundation Statute. Final Report. Studie und Anhänge abrufbar unter http://ec.europa.eu/internal_market/company/eufoundation/ index_de.htm RiskMetrics Group, Study on Monitoring and Enforcement Practices in Corporate Governance in the the Member States, 23.9.2009, abrufbar unter http://ec.europa.eu/internal_market/company/ ecgforum/studies_de.htm

2. Teil: Texte mit Erläuterungen zum Unternehmensund Kapitalmarktrecht in Europa

1. Kapitel: Gesellschaftsrechtliche Richtlinien § 19 Die Publizitätsrichtlinie (1. Richtlinie) RL 2009/101/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 16.9.2009 zur Koordinierung der Schutzbestimmungen, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Sinne des Artikels 48 Absatz 2 des Vertrags im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter vorgeschrieben sind, um diese Bestimmungen gleichwertig zu gestalten, ABlEU v. 1.10.2009, L 258/11 Literatur: Ankele, Jörg, Die Anpassung des deutschen Rechts an die Erste gesellschaftsrechtliche Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaften und ihre Auswirkungen für die GmbH, GmbHR 1969, 52; Bayer, Walter/Schmidt, Jessica, Überlagerungen des deutschen Aktienrechts durch das Europäische Unternehmensrecht: Eine Bilanz von 1968 bis zur Gegenwart, in: Bayer/Habersack, Aktienrecht im Wandel, Bd. 1, 2007, Kapitel 18; Bokelmann, Gunther, Anmeldung und Eintragung der Vertretungsbefugnis von Geschäftsführern und Vorstandsmitgliedern in das Handelsregister nach neuem EWG-Recht, NJW 1969, 2120; Einmahl, Jürgen, Die erste gesellschaftsrechtliche Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaften und ihre Bedeutung für das deutsche Aktienrecht, AG 1969, 131, 167, 210; Fankhauser, Roger, Gemeinschaftsrechtliche Publizitäts- und Kapital-Richtlinie: Anpassungsbedarf des Schweizer Rechts, 2001; Farrar, J.H./Powles, D.G., The effect of section 9 of the European Communities Act 1972 on English company law, (1973) 36 MLR 270; FischerZernin, Cornelius, Der Rechtsangleichungserfolg der Ersten gesellschaftsrechtlichen Richtlinie der EWG, 1986; Grohmann, Uwe, Das Informationsmodell im Europäischen Gesellschaftsrecht, 2006; Gustavus, Eckhart, Die registerrechtlichen Bestimmungen des Gesetzes zur Durchführung der Ersten EWG-Richtlinie zur Koordinierung des Gesellschaftsrechts, BB 1969, 1335; Kalss, Susanne, Die Bedeutung der Publizitäts-, Kapital-, Zweigniederlassungs- und Einpersonengesellschaftsrichtlinie der Europäischen Union für das österreichische Gesellschaftsrecht (AG und GmbH), in: Koppensteiner, Hans-Georg (Hrsg.), Österreichisches und europäisches Wirtschaftsprivatrecht, Teil 1: Gesellschaftsrecht, 1994, S. 119; Kersting, Christian: Die Vorgesellschaft im europäischen Gesellschaftsrecht, 2000; ders., Europäische Vorgaben zur Handelnden-Haftung und zur Haftung in der Vorgesellschaft. Zur Europarechtswidrigkeit des Konzepts der Innenhaftung, GmbHR 2003, 1466; Lutter, Marcus, Die erste Angleichungs-Richtlinie zu Art. 54 Abs. 3 lit. g) EWGV und ihre Bedeutung für das geltende deutsche Unternehmensrecht, EuR 1969, 1; Meyer-Ladewig, Jens, Die Durchführung der Ersten Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaften zur Koordinierung des Gesellschaftsrechts in der Bundesrepublik, MDR 1969, 818; Morse, Geoffrey, The First Directive and United Kingdom company law, (1978) 3 ELR 60; Schemmann, Till, Die Neufassung der ersten gesellschaftsrechtlichen Richtlinie, GPR 2004, 92; Scholz, Oliver, Die Einführung elektronischer Handelsregister im Europarecht, EuZW 2004, 172; van Ommeslaghe, P., La première directive du Conseil du 9 march 1968 en matière de societés, CDE 1969, 495; von Olshausen, Eberhard, Neuerungen im System der handelsrechtlichen Rechtsscheinsgrundsätze, BB 1970, 137; Wooldridge, F., The Harmonization of Company Law: The First and Second Directives of the Council of Ministers of the European Economic Community, [1978] Acta Juridica 327. Rechtsprechung: Europäische Gerichte: EuGH v. 12.11.1974, Firma Friedrich Haaga GmbH, Rs. 32/74, Slg. 1974, 1201 EuGH v. 20.9.1988, Ubbink Isolatie B.V. ./. DAK-EN Wandtechniek B.V., Rs. 136/87, Slg. 1988, 4665

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Gesellschaftsrechtliche Richtlinien

EuGH v. 13.11.1990, Marleasing SA ./. Comercial Internacional de Alimentacion SA, Rs. C-106/89, Slg. 1990, I-4135 EuGH v. 4.12.1997, Verband deutscher Daihatsu-Händler e.V. ./. Daihatsu Deutschland GmbH, Rs. C-97/96, Slg. 1997, I-6843 EuGH v. 16.12.1997, Coöperatieve Rabobank „Vecht en Plassengebied“ BA ./. Erik Aarnoud Minderhoud, Rs. C-104/96, Slg. 1997, I-7211 EuGH v. 29.9.1998, Kommission ./. Deutschland, Rs. C-191/95, Slg. 1998, I-5449 EuGH v. 23.9.2004, Axel Springer AG ./. Zeitungsverlag Niederrhein GmbH & Co. Essen KG und Hans-Jürgen Weske, Rs. C-435/02 u. C-103/03, Slg. 2004, I-8663 EuGH v. 3.5.2005, Berlusconi, Rs. C-387/02, C-403/02 u. C-391/02, Slg. 2005, I-3565 EuG v. 21.6.2006, Manfred Danzer und Hannelore Danzer ./. Rat der Europäischen Union, Rs. T-47/02, Slg. 2006, II-1779 EuGH v. 21.10.2010, Idryma Typou, Rs. C-81/09, ZIP 2010, 2493 Nationale Gerichte: Official Custodian for Charities v Parway Estates Ltd., CA v. 18.4.1984, [1985] Ch 151 BGH v. 12.7.1989 – IVa ARZ (VZ) 9/88, NJW 1989, 2818 Hellmuth, Obata & Kassabaum Inc. v King, High Court v. 29.9.2000, [2000] EWHC Technology 64 EIC Services Ltd. v Phipps, CA v. 30.7.2004, [2004] EWCA Civ 1069 BGH v. 24.11.2005 – III ZR 4/05, NJW 2006, 690

I. Überblick 1 Am 9.3.1968 erließ der Rat nach mehrjährigen Beratungen1 – der erste Vorschlag der Kommission datierte von Anfang 1964 2 – die 1. RL zur Angleichung der nationalen Handels- und Gesellschaftsrechte in den (damals erst sechs) Mitgliedstaaten der EG 3. Mit dieser sog. Publizitäts-RL begann knapp zehn Jahre nach Inkrafttreten der Römischen Verträge ein neuer Abschnitt in der Entwicklung und Ausgestaltung der (damaligen) EWG, betrafen doch alle Maßnahmen bis dahin – abgesehen vom Wettbewerbsrecht – nicht die Materie des Zivil-, Handels- und Gesellschaftsrechts. Sachlich beschäftigt sich die RL mit drei zentralen Regelungsmaterien des Un2 ternehmensrechts, und zwar mit • •

der handelsrechtlichen Publizität und ihren Wirkungen (dazu Rn. 12 ff.), der Wirksamkeit von Organhandlungen juristischer Personen des Handelsrechts gegenüber Dritten (dazu Rn. 56 ff.), und

1 Stellungnahme EWSA: ABlEG v. 27.11.1964, S. 3248; Stellungnahme EP: ABlEG v. 28.5.1966, S. 1519. 2 Vorschlag für eine Richtlinie des Rats zur Koordinierung der Schutzbestimmungen, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Sinne des Artikels 58 Absatz 2 im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter vorgeschrieben sind, um diese Bestimmungen gleichwertig zu gestalten, 21.2.1964, ABlEG v. 27.11.1964, S. 3245 = BT-Drs. IV/2014. Dazu ausf. Bärmann, Europäische Integration im Gesellschaftsrecht, 1970, S. 97 ff. 3 Erste Richtlinie 68/151/EWG des Rates v. 9.3.1968 zur Koordinierung der Schutzbestimmungen, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Sinne des Artikels 58 Absatz 2 des Vertrages im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter vorgeschrieben sind, um diese Bestimmungen gleichwertig zu gestalten, ABlEG v. 14.3.1968, L 65/8.

Die Publizitätsrichtlinie (1. Richtlinie)



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der Nichtigkeit und Vernichtbarkeit von Gesellschaften und ihren Rechtsfolgen (dazu Rn. 81 ff.).

Durch das EWR-Abkommen wurde der Anwendungsbereich der RL m.W.v. 1.1.1994 bzw. 1.1.1995 4 auch auf die EWR-Staaten ausgedehnt.5 In ihrer Funktion als Basisregelung des europäischen Publizitätsrechts6 – und damit zugleich auch als wesentliches Fundament des europäischen „Informationsmodells“ (dazu auch noch § 18 Rn. 9; § 19 Rn. 4; § 21 Rn. 24, 112; § 22 Rn. 23, 81; § 23 Rn. 26, 129 f.; § 30 Rn. 16; § 41 Rn. 47) – wird die 1. RL durch eine ganze Reihe von speziellen Publizitätspflichten auf Grund anderer europäischer Rechtsakte (dazu näher u. Rn. 28) ergänzt.7 Eine wesentliche Modernisierung der RL erfolgte durch die auf die sog. SLIMInitative 8 (dazu auch bereits § 8 Rn. 14, § 18 Rn. 82 sowie noch § 20 Rn. 6) zurückgehende Änderungs-RL 2003/58/EG 9: Sie brachte nicht nur eine Regelung des Sprachenregimes, sondern beförderte das europäische Registerrecht mit der seit dem 1.1.2007 bestehenden Pflicht zur elektronischen Registerführung endlich auch ins elektronische Zeitalter. Die Änderungs-RL 2006/99/EG 10 passte dagegen lediglich Art. 1 an den Beitritt Bulgariens und Rumäniens an; entsprechende Anpassungen waren jeweils auch bei früheren Beitritten neuer Mitgliedstaaten erfolgt 11. I.R.d. allgemeinen Projekts zur Kodifizierung des Acquis communautaire 12 erfolgte m.W.v. 21.10.2009 die Kodifizierung als RL 2009/101/EG 13, wodurch sich teilweise die Nummerierung der Artikel änderte 14.

4 Für Island und Norwegen (sowie für Finnland, Österreich, Schweden, die aber inzwischen zur EU gehören) zum 1.1.1994, für Liechtenstein zum 1.1.1995. 5 Vgl. Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum – Anhang XXII, Nr. 1 (ABlEG v. 3.1.1994, L 1/3). Zur Ausdehnung der kodifizierten Fassung s. Fn. 13. 6 Vgl. Grundmann Rn. 191. 7 Vgl. auch Habersack § 5 Rn. 1, 4. 8 Empfehlungen der Arbeitsgruppe zur Vereinfachung des Gesellschaftsrechts bezüglich der Vereinfachung der Ersten und Zweiten Gesellschaftsrechts-Richtlinie (www.ec. europa.eu/internal_market/company/docs/official/6037de.pdf) (auch abgedruckt in ZIP 1999, 1944 ff.), S. 4 ff. 9 RL 2003/58/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 15.7.2003 zur Änderung der RL 68/151/EWG des Rates in Bezug auf die Offenlegungspflichten von Gesellschaften bestimmter Rechtsform, ABlEU v. 4.9.2003, L 221/13. Ausf. dazu Schemmann GPR 2004, 92; Scholz EuZW 2004, 172. 10 RL 2006/99/EG des Rates v. 20.11.2006 zur Anpassung bestimmter Richtlinien im Bereich Gesellschaftsrecht anlässlich des Beitritts Bulgariens und Rumäniens, ABlEU v. 20.12.2006, L 363/137. 11 Vgl. Fundstellenverzeichnis. 12 Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat. Kodifizierung des Acquis communautaire, KOM(2001) 645; dazu Heydt EuZW 2002, 34. 13 RL 2009/101/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 16.9.2009 zur Koordinierung der Schutzbestimmungen, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Sinne des Artikels 48 Absatz 2 des Vertrags im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter vorgeschrieben sind, um diese Bestimmungen gleichwertig zu gestalten, ABlEU v. 1.10.2009, L 258/11. Ausdehnung auf die EWR-Staaten durch Beschluss des Gemeinsamen EWR-

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Gesellschaftsrechtliche Richtlinien

Der Zugang zu Unternehmensinformationen soll jedoch noch weiter verbessert werden: Die Kommission hat hierzu im November 2009 ein Grünbuch15 und im Februar 2011 einen Entwurf für eine Änderungs-RL zur Verknüpfung der Zentral-, Handels- und Gesellschaftsregister 16 vorgelegt (dazu noch u. Rn. 16), der auch korrespondierende Änderungen in der 10. RL (dazu § 23 Rn. 108) und der 11. (Zweigniederlassungs-)RL (dazu § 28 Rn. 2, 73, 92) vorsieht. 8 Die Umsetzung der RL in Deutschland erfolgte bereits durch Gesetz v. 15.8.1969 (sog. KoordG)17. Da das Modell der RL materiell weitgehend von deutschen Vorbildern geprägt ist18, konnte sich der Gesetzgeber hierbei auf eine Reihe punktueller Änderungen in HGB und AktG beschränken.19 Die infolge der Änderungs-RL 2003/ 58/EG (Rn. 5) notwendigen Änderungen erfolgten m.W.v. 1.1.2007 durch das EHUG 20, durch das nicht nur die elektronische Führung der Handels-, Genossenschafts- und Partnerschaftsregister vorgeschrieben, sondern mit dem in Form des zugleich geschaffenen Unternehmensregisters auch ein „one-stop-shopping“ von Unternehmensdaten ermöglicht wurde (vgl. auch bereits § 7 Rn. 5, § 8 Rn. 8); zudem wurde auch die Bilanzpublizität grundlegend reformiert (dazu u. Rn. 17, 21, 36 sowie § 24 Rn. 20, § 25 Rn. 24). Die Änderungs-RL 2006/99/EG (Rn. 5) erforderte keine speziellen Umsetzungsmaßnahmen. 7

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Ausschusses Nr. 56/2010 v. 30.4.2010 zur Änderung von Anhang XXII (Gesellschaftsrecht) des EWR-Abkommens, ABlEU v. 15.7.2010, L 181/24. Im Folgenden werden die Artikelbezeichnungen der kodifizierten Fassung verwendet; hinsichtlich der entsprechenden Artikel der ursprünglichen Fassung wird auf die Entsprechungstabelle in Anhang II der kodifizierten Fassung verwiesen. Grünbuch Verknüpfung von Unternehmensregistern, KOM(2009) 614. S. dazu auch den Progress Report, SEC(2009) 1492 sowie Bayer/J. Schmidt BB 2010, 387, 388; Grundmann Rn. 263. Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinien 89/666/EWG, 2005/56/EG und 2009/101/EG in Bezug auf die Verknüpfung von Zentral-, Handels- und Gesellschaftsregistern, KOM(2011) 79. Siehe dazu auch die Folgenabschätzung: SEC(2011) 222; Zusammenfassung: SEK(2011) 223. Dazu U. H. Schneider EuZW 2011, 649 f. Gesetz zur Durchführung der Ersten Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaften zur Koordinierung des Gesellschaftsrechts vom 15.8.1969, BGBl. I, 1146. Vgl. Bayer/J. Schmidt, Überlagerungen des deutschen Aktienrechts durch das Europäische Unternehmensrecht: Eine Bilanz von 1968 bis zur Gegenwart, in: Bayer/Habersack (Hrsg.), Aktienrecht im Wandel, Bd. 1, 2007, Kap. 18 Rn. 17; Habersack ZIP 2006, 445, 446. Vgl. Bayer/J. Schmidt (Fn. 18), Rn. 17; Grundmann Rn. 284; Habersack § 5 Rn. 6 Gesetz über elektronische Handelsregister und Genossenschaftsregister sowie das Unternehmensregister (EHUG) v. 10.11.2006, BGBl. I, 2553. Dazu etwa Apfelbaum DNotZ 2007, 166 ff., Kußmaul/Ruiner KoR 2007, 672 ff.; Liebscher/Scharff NJW 2006, 3745 ff.; Noack NZG 2006, 801 ff.; Schlotter BB 2007, 1 ff.; Seibert/Decker DB 2006, 2446 ff.; Spindler WM 2006, 109 ff.

Die Publizitätsrichtlinie (1. Richtlinie)

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II. Anwendungsbereich Die RL betrifft ausschließlich Kapitalgesellschaften. Erwägungsgründe 1 und 2 der 9 ursprünglichen RL-Fassung (o. Rn. 1) begründen dies mit deren häufig grenzüberschreitender Tätigkeit und dem aus der Haftungsbeschränkung auf das Gesellschaftsvermögen resultierenden besonderen Schutzbedürfnis der Gläubiger. Hintergrund war aber v.a. auch, dass eine Angleichung auch im Bereich des Personengesellschaftsrechts im Hinblick auf dessen enge Verzahnung mit dem Privatrecht des jeweiligen Mitgliedstaats als nicht machbar erschien.21 Da der Begriff der „Kapitalgesellschaft“ in Europa nicht einheitlich verwendet 10 wird, hat sich der europäische Gesetzgeber zur exakten Bestimmung des Anwendungsbereichs des Enumerationsprinzips bedient:22 Art. 1 enthält eine (durch Anhang XXII Nr. 1 zum EWR-Abkommen23 für die EWR-Staaten ergänzte) abschließende Auflistung der Kapitalgesellschaftsformen jedes Mitgliedstaats, auf die die RL Anwendung findet (in Deutschland: AG, KGaA und GmbH). Auf Grund von Art. 9 Abs. 1 lit. c ii SE-VO gelten die nationalen Umsetzungsvorschriften darüber hinaus auch für die SE.24 Wie der EuGH in der Rs. Idryma Typou 25 klargestellt hat, etabliert die RL aller- 11 dings keinen allgemeinen Grundsatz des Europäischen Gesellschaftsrechts, dass die Haftung eines Aktionärs/Gesellschafters einer von ihr erfassten Kapitalgesellschaftsform für Gesellschaftsverbindlichkeiten unter allen Umständen ausgeschlossen ist; im nationalen Recht vorgesehene Durchgriffshaftungstatbestände müssen sich aber u.U. an Art. 49, 63 AEU messen lassen (vgl. dazu bereits § 8 Rn. 35; allg. zur Kontrolle des nationalen Rechts anhand der Art. 49, 63 AEU bereits § 15 Rn. 27 ff.).

III. Wesentlicher Inhalt 1. Handelsrechtliche Publizität Kapitel 2 der RL (Art. 2–7) harmonisiert die handelsrechtliche Publizität im Hinblick 12 auf Publizitätsinstrumente, -objekte und -wirkungen.

21 Vgl. Einmahl AG 1969, 131, 132; Fischer-Zernin, Der Rechtsangleichungserfolg der Ersten gesellschaftsrechtlichen Richtlinie der EWG, 1986, S. 31 f. 22 Vgl. Einmahl AG 1969, 131 (insbes. Fn. 8); Grundmann Rn. 194. 23 Fn. 5. 24 Vgl. J. Schmidt, „Deutsche“ vs. „britische“ Societas Europaea (SE), S. 75 m.w.N. Nach Grundmann Rn. 195 soll die RL qua Art. 10 SE-VO sogar direkt für die SE gelten. Art. 10 SE-VO enthält jedoch keine Verweisung, sondern statuiert ein Gleichbehandlungsgebot. 25 EuGH v. 21.10.2010, Idryma Typou, Rs. C-81/09, ZIP 2010, 2493. Dazu Eckert GesRZ 2011, 176 f.; Möslein NZG 2011, 174 f.; Rüffler GeS 2011, 99 ff.; J. Schmidt EWiR 2010, 693 f.

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Gesellschaftsrechtliche Richtlinien

a) Publizitätsinstrumente 13 Das gesamte Publizitätsinstrumentarium der RL basiert auf der Einrichtung von Registern in allen Mitgliedstaaten,26 wobei es diesen gemäß Art. 3 Abs. 1 freisteht, ob sie ein zentrales27 oder dezentrale Handels- und Gesellschaftsregister einrichten 28 (zur geplanten Verknüpfung der einzelstaatlichen Register bereits o. Rn. 7 sowie u. Rn. 16). Die Register und die Bekanntmachung im Amtsblatt (bzw. eine „ebenso wirksame Form der Veröffentlichung“) des betreffenden Mitgliedstaats sind die primären Publizitätsinstrumente 29 im System der RL (Rn. 14 ff.). Als sekundäre Publizitätsmittel sind zusätzlich die Erteilung von „Abschriften“ sowie die Pflicht zu bestimmten Angaben auf der Geschäftskorrespondenz vorgesehen (Rn. 22 ff.).

aa) Primäre Publizitätsinstrumente: Register und Bekanntmachung (1) Register 14 Gem. Art. 3 Abs. 1 ist für jede Gesellschaft beim (zentralen oder zuständigen dezentralen, vgl. o. Rn. 13) Register eine Akte anzulegen. Sämtliche offen zu legenden Urkunden und Angaben (dazu Rn. 28 ff.) sind in dieser Akte zu hinterlegen oder in das Register einzutragen (Art. 3 Abs. 3 Unterabs. 1). Die RL wertet Hinterlegung und Registereintragung also als gleichwertige Alternativen.30 15 Auf Grund der Änderungs-RL 2003/58/EG (Rn. 5) muss die Hinterlegung bzw. Eintragung seit dem 1.1.2007 zwingend in elektronischer Form (vgl. die Legaldefinition in Art. 3 Abs. 2) erfolgen. Parallel dazu müssen die Mitgliedstaaten seitdem auch die Einreichung der jeweiligen Urkunden und Angaben in elektronischer Form zulassen (Art. 3 Abs. 3 Unterabs. 2 S. 1). Sofern der betreffende Mitgliedstaat die elektroni-

26 Vgl. Grundmann Rn. 262. 27 Gemeint: „zentral“ für den jeweiligen Mitgliedstaat (im Gegensatz zur i.R.d. neuen RLVorschlags geplanten zentralen europäischen Plattform, dazu u. Rn. 16). 28 Vgl. zur Registerpraxis in den einzelnen Mitgliedstaaten vor der Änderungs-RL 2003/58/ EG (Rn. 5): Holzborn NJW 2003, 3014, 3015 ff. Einen aktuellen Überblick mit Links zu den nationalen Unternehmensregistern bietet das Europäische Justizportal (e-justice) unter https://e-justice.europa.eu/contentPresentation.do?plang=de&idTaxonomy= 106&idCountry=EU&vmac=hVJVkND4FnhJWOxSmTAIrFvK2oadm2LnDblSoV BQ8jBAwQ8yO54lyeA-nxFcMw9hCAmPoxNuYuY8U0turxBVyQAAHfUAAAFp. Überblick über die wichtigsten elektronischen Handelsregister in Europa bei Westhoff, in: Hirte/Bücker, Grenzüberschreitende Gesellschaften, 2. Aufl. 2006, Anhang B (S. 749). 29 Vgl. zur Differenzierung zwischen primären und sekundären Publizitätsinstrumenten Habersack § 5 Rn. 11, sowie ausf. Fischer-Zernin (Fn. 21), S. 63 f. 30 Vgl. Apfelbaum DNotZ 2008, 712, 713; Bormann/Apfelbaum ZIP 2007, 946, 947; Grohmann, Das Informationsmodell im Europäischen Gesellschaftsrecht, 2006, S. 152; Habersack § 5 Rn. 10; Kalss, in: Koppensteiner (Hrsg.), Österreichisches und europäisches Wirtschaftsprivatrecht, Teil I: Gesellschaftsrecht, S. 119, 132; Lutter EuR 1969, 1, 4; J. Schmidt NZG 2006, 899, 901.

Die Publizitätsrichtlinie (1. Richtlinie)

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sche Einreichung (entsprechend der Option in Art. 3 Abs. 3 Unterabs. 2 S. 2) nicht zwingend ausgestaltet hat, müssen die Register etwaige in Papierform eingereichte Unterlagen in elektronische Form bringen (Art. 3 Abs. 3 Unterabs. 3). Der Anfang 2011 vorgelegte RL-Entwurf zur Verknüpfung der Unternehmens- 16 register (o. Rn. 7) sieht die Verknüpfung der einzelstaatlichen Register mittels eines „elektronischen Netzes“ vor (Art. 4a Abs. 1 RL-E); die offen zu legenden Urkunden und Angaben (dazu u. Rn. 28 ff.) sollen künftig in elektronischer Form über eine von jedem Mitgliedstaat aus zugängliche europäische Plattform erhältlich sein (Art. 3a Abs. 1 RL-E). Zu diesem Zweck sollen die Gesellschaften künftig eine europaweit einheitliche Kennung erhalten (Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 2 RL-E); zudem sollen die Mitgliedstaaten bei jeder Änderung zur Aktualisierung innerhalb von 15 Kalendertagen verpflichtet werden (Art. 2 Abs. 2 RL-E) und es soll bei jeder Datenübertragung erläutert werden, wie rechtsverbindlich die eintragenen Unternehmensinformationen nach dem jeweiligen nationalen Gesellschaftsrecht sind (Art. 3a Abs. 2 RL-E). Die genauen (regelungs-)technischen Modalitäten und Standards sollen von der Kommission in einem delegierten Rechtsakt festgelegt werden (vgl. Art. 4a Abs. 3 i.V.m. Art. 13a–13c RL-E). In Deutschland waren Handelsregister bereits durch das ADHGB von 1861 ge- 17 schaffen worden;31 die ursprüngliche Fassung der RL erforderte insoweit keine Anpassung der Rechtslage 32. Die elektronische Registerführung war aus deutscher Sicht allerdings ein bahnbrechendes Novum 33; sie wurde m.W.v. 1.1.2007 durch das EHUG (Rn. 8) umgesetzt. Seitdem werden die Handelsregister elektronisch geführt (§ 8 Abs. 1 HGB) und Anmeldungen sowie die Einreichung von Dokumenten haben elektronisch zu erfolgen (§ 12 HGB); zudem werden sämtliche zum Handelsregister eingereichten Dokumente und alle Eintragungen auch in das ebenfalls elektronisch geführte Unternehmensregister eingestellt (§ 8b Abs. 2 Nr. 1 HGB). Zugleich wurde aber auch die Bilanzpublizität umfassend reformiert und von den Registergerichten abgekoppelt: Die – gem. Art. 2 lit. f (dazu u. Rn. 34 ff.) offen zu legenden – Rechnungslegungsunterlagen sind nun nicht mehr beim zuständigen Registergericht, sondern in elektronischer Form zentral beim Betreiber des elektronischen Bundesanzeigers einzureichen (§ 325 Abs. 1 S. 1 HGB) und werden dann in das Unternehmensregister eingestellt (§ 8b Abs. 2 Nr. 4 HGB 34) (vgl. dazu auch noch § 24 Rn. 20). Da somit trotz der Aufspaltung bei der Einreichung letztlich sämtliche gem. Art. 2 und nach anderen RL offenlegungspflichtigen Unterlagen und Angaben (dazu ausf. u. Rn. 28 ff.) im Unternehmensregister zusammengeführt werden, ist dieses Regelungsmodell richtlinienkonform; die „eine Akte“ für jede Gesellschaft i.S.d. Art. 3 Abs. 1 und 3 ist nun eben die elektronische Akte im Unternehmensregister.35 31 32 33 34

Vgl. nur Krafka in: MünchKommHGB, 3. Aufl. 2010, § 8 Rn. 2 m.w.N. Vgl. Einmahl AG 1969, 131, 133; Lutter EuR 1969, 1, 12. Vgl. nur Seibert/Decker DB 2006, 2446: „Big Bang“. § 8b Abs. 3 S. 1 Nr. 1 HGB verpflichtet den Betreibers des elektronischen Bundesanzeigers zur Übermittlung an das Unternehmensregister. 35 Vgl. auch BegrRegE z. EHUG, BT-Drs. 16/960, S. 39; Nedden-Boeger FGPrax 2007, 1, 5 f.; Paefgen ZIP 2008, 1653, 1654.

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Gesellschaftsrechtliche Richtlinien

(2) Bekanntmachung 18 Gem. Art. 3 Abs. 5 Unterabs. 1 Satz 1 müssen die offenlegungspflichtigen Urkunden und Angaben in einem Amtsblatt, das durch den jeweiligen Mitgliedstaat bestimmt wird, bekannt gemacht werden. Eine vollständige Wiedergabe des Register- bzw. Akteninhalts ist hierfür allerdings nicht erforderlich; die RL lässt vielmehr auch eine auszugsweise Wiedergabe oder auch nur einen Hinweis auf die Hinterlegung des Dokuments genügen.36 Auf Grund der Novellierung durch die Änderungs-RL 2003/58/EG (Rn. 5) kann das Amts„blatt“ nunmehr auch in elektronischer Form geführt werden (Art. 3 Abs. 5 Unterabs. 1 S. 2). 19 Die Novelle hat den Mitgliedstaaten zudem auch die Option eröffnet, die Bekanntmachung im Amtsblatt durch eine andere „ebenso wirksame Form der Veröffentlichung“ zu ersetzen; erforderlich ist hierfür aber mindestens ein System, mit dem die offen gelegten Informationen chronologisch geordnet über eine zentrale 37 elektronische Plattform zugänglich gemacht werden (Art. 3 Abs. 5 Unterabs. 2).38 Die Kosten für eine solche zentrale elektronische Plattform dürfen die Mitgliedstaaten an die Gesellschaften weitergeben (vgl. Art. 6 Abs. 5 der 3. (Fusions-)RL, dazu auch § 21 Rn. 39 Fn. 106). 20 Art. 3 Abs. 5 etabliert allerdings insgesamt lediglich einen Mindeststandard, d.h. den Mitgliedstaaten steht es frei, weitergehende Veröffentlichungspflichten (z.B. in Tageszeitungen) festzulegen.39 Mit Blick auf die hohen Kosten derartiger Zusatzbekanntmachungen hatte die Kommission zwar im April 2008 i.R.d. Initiative für ein vereinfachtes Unternehmensumfeld (dazu bereits § 18 Rn. 4) vorgeschlagen, die Bekanntmachung mittels einer zentralen elektronischen Plattform von einer bloßen Alternative zum zwingenden Mindeststandard aufzuwerten und weitergehende Veröffentlichungspflichten nach nationalem Recht nur noch insoweit zuzulassen, als sie für die Unternehmen nicht mit zusätzlichen Kosten verbunden sind.40 Dieser Vorschlag scheiterte jedoch am Widerstand einer Reihe von Mitgliedstaaten, die auf den Mehrwert einer „Papierveröffentlichung“ für lokale Gesellschaften und die Bedeutung derselben als Finanzierungsquelle für nationale Zeitungen verwiesen.41

36 Vgl. dazu Grohmann (Fn. 30), S. 157; Grundmann Rn. 266. 37 Gemeint: „zentral“ für den jeweiligen Mitgliedstaat (im Gegensatz zur i.R.d. neuen RLVorschlags geplanten zentralen europäischen Plattform, dazu o. Rn. 16). 38 Siehe dazu Bayer BB 2004, 1, 10; Grohmann (Fn. 30), S. 158; Schemmann GPR 2004, 92, 93; Scholz EuZW 2004, 172, 174. 39 Vgl. SEC(2008) 466, S. 22; Kort AG 2007, 801, 805 f. 40 Vgl. Art. 1 des Vorschlags für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinien 68/151/EWG und 89/666/EWG des Rates im Hinblick auf die Veröffentlichungs- und Übersetzungspflichten von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen, KOM(2008) 194 endg.; s. ferner auch die Folgenabschätzung hierzu: SEK(2008) 467, S. 7 f.; SEC(2008) 466, S. 22 ff. 41 Vgl. Bericht der Kommission über die Anwendung der Grundsätze der Subsidarität und der Verhältnismäßigkeit (16. Bericht „Bessere Rechtssetzung“ 2008), 25.9.2009, KOM(2009) 504, S. 8.

Die Publizitätsrichtlinie (1. Richtlinie)

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Das deutsche Recht verlangte früher zusätzlich zur Bekanntmachung im (Pa- 21 pier-)Bundesanzeiger als Amtsblatt eine Veröffentlichung in mindestens einem anderen Printmedium (§ 10 HGB a.F.). Nach der Neufassung des § 10 HGB durch das EHUG (Rn. 8) erfolgen Bekanntmachungen heute 42 jedoch nur noch in dem von allen Bundesländern hierfür übereinstimmend designierten Registerportal „www.handelsregister.de“; jedenfalls i.V.m. der Zugänglichkeit über das Unternehmensregister (§ 8b HGB, „www.unternehmensregister.de“) erfüllt dieses auch die Anforderungen an eine „zentrale elektronische Plattform“ i.S.d. RL43. Besonderheiten gelten allerdings hinsichtlich der gem. Art. 2 lit. f offen zu legenden Rechnungslegungsunterlagen (dazu u. Rn. 34 ff.): Diese sind nicht nur in das Unternehmensregister einzustellen (§ 8b Abs. 2 Nr. 4 HGB), sondern auch im elektronischen Bundesanzeiger bekannt zu machen (§ 325 Abs. 2 HGB); insofern sind die Vorgaben des Art. 3 Abs. 5 also sogar „doppelt“ erfüllt (Bekanntmachung über das Unternehmensregister als „zentrale elektronische Plattform“ und über den elektronischen Bundesanzeiger als „Amtsblatt“ 44).

bb) Sekundäre Publizitätsinstrumente (1) Recht auf „Abschriften“ Gemäß Art. 3 Abs. 4 muss auf Antrag 45 eine Kopie der offenlegungspflichtigen Unter- 22 lagen erhältlich sein. Dabei hat der Antragsteller die Wahl, ob er eine vollständige oder teilweise, beglaubigte oder unbeglaubigte Kopie in Papier- oder elektronischer Form 46 haben möchte. Antragsberechtigt ist jedermann; 47 eine Beschränkung auf bestimmte Personengruppen oder die Forderung eines „berechtigten Interesses“ ist nach Wort-

42 § 10 HGB n.F. galt zwar bereits ab 1.1.2007, gem. Art. 61 Abs. 4 EGHGB musste jedoch bis zum 31.12.2008 noch zusätzlich in einer Tageszeitung und einem sonstigen Blatt bekannt gemacht werden. 43 Vgl. BegrRegE z. EHUG, BT-Drs. 16/960, S. 44; Krafka (Fn. 31), § 10 Rn. 12; Schaub in: Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, HGB, 2. Aufl. 2008, § 10 Rn. 4; Bayer/J. Schmidt ZIP 2010, 953, 954; Neye/Jäckel AG 2010, 237, 238; Noack NZG 2006, 801, 803; ders. FS Eisenhardt, 2007, S. 475, 477; Paefgen ZIP 2008, 1653, 1654; s. ferner auch BegrRegE z. 3. UmwÄndG, BR-Drs. 485/10, S. 8. 44 Vgl. BegrRegE z. EHUG, BT-Drs. 16/960, S. 48. 45 Dieser muss seit dem 1.1.2007 sowohl in Papier- als auch in elektronischer Form eingereicht werden können. 46 Art. 3 Abs. 4 Unterabs. 2 S. 3 und 4 räumen den Mitgliedstaaten jedoch die Möglichkeit ein, Kopien von vor dem 31.12.2006 eingereichten „Altunterlagen“ nur in Papierform zu erteilen, allerdings begrenzt auf Unterlagen die max. 10 Jahre vor der Antragstellung eingereicht wurden. Vgl. dazu auch Schemmann GPR 2004, 92, 93; Scholz EuZW 2004, 172, 173. Deutschland hat hiervon durch § 9 Abs. 2 HGB Gebrauch gemacht, vgl. BegrRegE z. EHUG, BT-Drs. 16/960, S. 42. 47 Vgl. Grohmann (Fn. 30), S. 155; Grundmann Rn. 265; Leible ZHR 162 (1998), 594, 606; Schmidt-Kessel GPR 2006, 6, 9.

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laut und Ratio der Norm – speziell im Hinblick auf die Ausführungen des EuGH zu den europarechtlichen Offenlegungspflichten in den Entscheidungen Daihatsu 48 und Axel Springer 49 – nicht zulässig.50 Ob damit auch ein Recht auf einen Komplettabruf sämtlicher Registerdaten (insbesondere zu kommerziellen Zwecken) besteht, ist höchst streitig und bislang vom EuGH nicht entschieden.51 Für die Erteilung der Kopie dürfen Gebühren erhoben werden, die allerdings die Verwaltungskosten nicht übersteigen dürfen. Ein Recht auf unmittelbare Einsicht in das Register bzw. die Akte fordert die RL zwar nicht, sie steht einer entsprechenden mitgliedstaatlichen Regelung aber auch nicht entgegen.52 23 Das Recht auf „Abschriften“ hatte in Deutschland bereits eine lange Tradition (vgl. Art. 12 Abs. 2 S. 3 ADHGB, § 9 Abs. 2 HGB 1897), die RL machte lediglich kleinere Modifikationen erforderlich53. Durch das EHUG wurde § 9 HGB umfassend novelliert und gewährleistet nun entsprechend den neuen RL-Vorgaben auch die Möglichkeit elektronischer Kopien.54 Zudem gestattet das deutsche Recht über die Vorgaben der RL hinaus traditionell auch die unmittelbare Einsicht in das Register (§ 9 Abs. 1 HGB, vgl. auch schon Art. 12 Abs. 2 S. 2 ADHGB). (2) Angaben auf der Geschäftskorrespondenz 24 Zweites sekundäres Publizitätsmittel sind die durch Art. 5 vorgeschriebenen Angaben auf Briefen und Bestellscheinen55. Seit der Änderungs-RL 2003/58/EG (Rn. 5) gilt dies unabhängig von deren Form (Papier, Fax, E-Mail, Internet, usw.) 56. Zugleich

48 EuGH v. 4.12.1997, Verband deutscher Daihatsu-Händler e.V. ./. Daihatsu Deutschland GmbH, Rs. C-97/96, Slg. 1997, I-6843. Dazu noch Rn. 36. 49 EuGH v. 23.9.2004, Axel Springer AG ./. Zeitungsverlag Niederrhein GmbH & Co. Essen KG und Hans-Jürgen Weske, Rs. C-435/02 u. C-103/03, Slg. 2004, I-8663. Dazu Kiesel/ Grimm DStR 2004, 2210 ff.; C. H. Schmidt GmbHR 2004, 1512 ff.; Schulze-Osterloh BB 2004, 2461; Volmer EWiR 2004, 1229. S. ferner auch Rn. 35. 50 Vgl. Grohmann (Fn. 30), S. 155; Grundmann Rn. 265; Leible ZHR 162 (1998), 594, 606; Noack BB 2001, 1261, 1263. 51 Dagegen BGH NJW 1989, 2818, 2819 (EuGH-Vorlage abgelehnt); kritisch dazu jedoch Dauner-Lieb/Linke DB 2006, 767, 768 f.; Gustavus GmbHR 1990, 197, 198; Hirte CR 1990, 631, 636 f.; Hopt in: Baumbach/Hopt, HGB, 34. Aufl. 2010, § 9 Rn. 3; Kort AG 2007, 801, 803; Noack BB 2001, 1261, 1263. 52 Fankhauser, Gemeinschaftsrechtliche Publizitäts- und Kapital-Richtlinie, 2001, S. 75; Fischer-Zernin (Fn. 21), S. 72; Grohmann (Fn. 30), S. 152; Habersack § 5 Rn. 11; Kalss (Fn. 30), S. 119, 134; Schwarz Rn. 317. 53 Vgl. BegrRegE z. KoordG, BT-Drs. V/3862, S. 10 (keine Glaubhaftungmachung eines berechtigten Interesses mehr erforderlich; Beglaubigung stets erforderlich, sofern nicht verzichtet wird). 54 Vgl. BegrRegE z. EHUG, BT-Drs. 16/960, S. 41 f. 55 Vgl. zur ursprünglichen Beschränkung auf Briefe und Bestellscheine: Einmahl AG 1969, 131, 134 f.; Fischer-Zernin (Fn. 21), S. 73; Grohmann (Fn. 30), S. 159; Grundmann Rn. 269. 56 Vgl. Begr. KOM, KOM(2002) 279 endg., S. 8. S. ferner (speziell auch mit Bezug auf die deutsche Umsetzung) Apfelbaum DNotZ 2007, 166, 171 f.; Glaus/Gabel BB 2007,

Die Publizitätsrichtlinie (1. Richtlinie)

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wurde die Angabepflicht auf die Webseite der Gesellschaft (falls eine solche existiert57) ausgedehnt; insoweit besteht teilweise eine Konkurrenz mit Art. 5 der E-CommerceRL58, die jedoch sowohl bezüglich des Anwendungsbereichs als auch bezüglich der geforderten Angaben divergiert.59 Gegenstand der Angabepflicht sind Register, Registernummer, Rechtsform, Sat- 25 zungssitz sowie ggf. ein Hinweis auf eine eingeleitete Liquidation. Anhand dieser „Schlüsselinformationen“ kann sich der Rechtsverkehr dann ggf. über das Register weitere Informationen verschaffen.60 Hinsichtlich des Gesellschaftskapitals sieht die RL hingegen keine Angabepflicht vor, da insoweit auf europäischer Ebene keine Einigung erzielt werden konnte.61 Diese Frage bleibt damit dem mitgliedstaatlichen Recht überlassen.62 Die RL selbst begnügt sich mit dem – der Verhinderung von Irreführungen dienenden – Kompromiss, dass im Falle einer Angabe jedenfalls sowohl das gezeichnete als auch das eingezahlte Kapital zu nennen sind.63 Art. 7 lit. b verpflichtet die Mitgliedstaaten, die Einhaltung dieser Vorgaben durch 26 geeignete Sanktionen sicherzustellen (vgl. dazu auch noch Rn. 36). Für das deutsche Recht waren die umfassenden Angabepflichten auf Geschäfts- 27 korrespondenz ein Novum; § 80 AktG musste durch das KoordG (Rn. 8) erheblich erweitert, für die GmbH musste überhaupt erst eine Regelung (§ 35a GmbHG) geschaffen werden.64 Durch das EHUG (Rn. 8) wurde gemäß der Änderungs-RL 2003/58/EG (Rn. 5) klargestellt, dass die Angabepflicht unabhängig von der Form der Korrespondenz gilt.65 Zur Durchsetzung kann ein Zwangsgeld festgesetzt werden (vgl. § 407 Abs. 1 AktG, § 79 GmbHG); ferner droht ggf. eine zivilrechtliche Haftung 66.

57 58

59 60 61 62 63 64 65 66

1744; Hoeren/Pfaff MMR 2007, 207f.; Maaßen/Orlikowski-Wolf BB 2007, 561f.; Meier GmbHR 2007, 922, 923; Schweinoch/Böhlke/Richter CR 2007, 167. Trotz des missverständlichen Wortlautes sollte nicht etwa ein Zwang zur Einrichtung einer Internetpräsenz geschaffen werden, vgl. Begr. KOM, KOM(2002) 279 endg., S. 8; Schemmann GPR 2004, 92, 93. RL 2000/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8.6.2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs im Binnenmarkt („Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr“), ABlEG v. 17.7.2000, L 178/1. Art. 5 wurde in Deutschland durch § 6 TDG a.F., jetzt § 5 TMG, umgesetzt (vgl. BT-Drs. 14/6098, S. 21; BT-Drs. 16/3078, S. 14). Vgl. Begr. KOM, KOM(2002) 279 endg., S. 8. Vgl. Grohmann (Fn. 30), S. 149, 160; Grundmann Rn. 270; Schwarz Rn. 318. Dazu Edwards S. 24; Einmahl AG 1969, 131, 134; Schwarz Rn. 204. Einmahl AG 1969, 131, 134; Grohmann (Fn. 30), S. 143; Schwarz Rn. 204. Der deutsche Gesetzgeber hat sich in § 80 Abs. 1 S. 3 AktG und § 35a Abs. 1 S. 2 GmbHG gegen eine solche Angabepflicht entschieden. Vgl. Grundmann Rn. 270. Vgl. BegrRegE z. KoordG, BT-Drs. V/3862, S. 12, 16; Ankele GmbHR 1969, 52, 55 f.; Einmahl AG 1969, 131, 133 ff.; Kreplin BB 1969, 1112 ff.; Lutter EuR 1969, 1, 12; MeyerLadewig MDR 1969, 818, 819 f. Vgl. BegrRegE z. EHUG, BT-Drs. 16/960, S. 47. S. dazu ferner die Nachweise in Fn. 56. Näher Seibt in: K. Schmidt/Lutter, AktG, 2. Aufl. 2010, § 80 Rn. 11; Kleindiek in: Lutter/ Hommelhoff, GmbHG, 17. Aufl. 2009, § 35a Rn. 6 (jeweils m.w.N.).

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b) Publizitätsobjekte 28 Die der Offenlegung durch die genannten Publizitätsinstrumente unterliegenden Urkunden und Angaben werden in Art. 2 spezifiziert. In diesem Kontext ist jedoch zu betonen, dass diese Enumeration keineswegs einen abschließenden Kanon der europarechtlichen Publizitätsobjekte enthält; sie bildet vielmehr lediglich einen Grundstock, der durch zahlreiche weitere Publizitätspflichten auf Grund anderer europäischer Rechtsinstrumente ergänzt wird67 (vgl. auch bereits o. Rn. 4). Zu nennen sind insbesondere: Art. 2 f. der 2. (Kapital-)RL (dazu § 20 Rn. 14 ff.), Art. 47 der 4. (Bilanz-)RL (dazu § 24 Rn. 19), Art. 38 der 7. (Konzernbilanz-)RL (dazu § 25 Rn. 23), Art. 4 ff. Transparenz-RL (dazu § 36 sowie bereits § 17 Rn. 155, 159 ff.), für Zweigniederlassungen die 11. (Zweigniederlassungs-)RL (dazu § 28) und die speziellen Publizitätspflichten auf Grund der Übernahme-RL (dazu § 30 Rn. 48, 112 ff.), der 3. (Fusions-)RL (dazu § 21), der 6. (Spaltungs-)RL (dazu § 22) sowie der 10. RL betreffend die grenzüberschreitende Verschmelzung (dazu § 23).

aa) Errichtungsakt bzw. Satzung, Art. 2 lit. a–c 29 Offen zu legen ist zunächst der Errichtungsakt und (soweit separat 68) die Satzung (lit. a), jede Änderung derselben (lit. b) sowie jeweils eine konsolidierte Fassung (lit. c). Dadurch soll der Rechtsverkehr sich jederzeit schnell und einfach über den aktuellen Stand der Satzung informieren können.69 Diese umfassende Satzungspublizität war dem deutschen Recht übrigens bis dato unbekannt und führte zur Einfügung der § 181 Abs. 1 S. 2 AktG und § 54 Abs. 1 S. 2 GmbHG.70 30 Inhaltliche Vorgaben für den Errichtungsakt bzw. die Satzung macht die RL allerdings nicht; für Aktiengesellschaften ergeben sich solche jedoch aus Art. 2 und 3 der 2. (Kapital-)RL (dazu § 20 Rn. 14 ff.).

67 Vgl. Grundmann Rn. 246; Habersack § 5 Rn. 12. 68 Hintergrund ist die von manchen europäischen Rechtsordnungen vorgenommene Differenzierung zwischen einer das Außenverhältnis regelnden Gründungsurkunde und einer das Innenverhältnis betreffenden Satzung (vgl. z.B. das memorandum und die articles einer britischen company nach der bis zum 1.10.2009 geltenden Rechtslage, vgl. zur alten Rechtslage Davies, Gower and Davies’ Principles of Modern Company Law, 7. Aufl. 2003, S. 57 f.; zur Rechtslage nach dem CA 2006: Davies, Gower and Davies’ Principles of Modern Company Law, 8. Aufl. 2008, 3-10–3-12, 4-14); s. zum Ganzen ferner auch Dorresteijn/Monteiro/C. Teichmann/Werlauff, European Corporate Law, 2. Aufl. 2009, 5.05c. 69 Vgl. Grundmann Rn. 247. 70 Vgl. dazu näher Bayer/J. Schmidt (Fn. 18), Rn. 18; Einmahl AG 1969, 131, 132; Gustavus BB 1969, 1335, 1336; Schwarz Rn. 306.

Die Publizitätsrichtlinie (1. Richtlinie)

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bb) Organbesetzung, Art. 2 lit. d Publizitätspflichtig sind ferner die Personen sowie die Bestellung und das Ausschei- 31 den der Organmitglieder. Erfasst sind allerdings nach dem eindeutigen Wortlaut nur die gesetzlich vorgeschriebenen Organe 71, die entweder vertretungsbefugt sind oder „an der Verwaltung, Beaufsichtigung oder Kontrolle der Gesellschaft“ teilnehmen. Mit letzterem sollte ausweislich der Materialien das „Aufsichtsorgan“ im dualistischen System erfasst werden (z.B. deutscher Aufsichtsrat, französischer conseil de surveillance), nicht hingegen der Abschlussprüfer.72 Erfasst wird zudem nach der Ratio der Norm auch nur die dem Organ bzw. seinen Mitgliedern zukommende rechtsgeschäftliche bzw. organschaftliche Vertretungsbefugnis, nicht dagegen eine (mögliche) Anscheins- oder Duldungsvollmacht 73 oder rein formale Zeichnungsbefugnisse 74. Anzugeben ist zudem insbesondere auch, ob Einzel- oder Gesamtvertretungs- 32 befugnis (oder eine Mischform 75) besteht. Nach der Entscheidung des EuGH in der Rs. Haaga 76 gilt dies „selbst dann, wenn sich eine solche Befugnis ohne Weiteres aus dem nationalen Recht ergibt“, denn ausländische Geschäftspartner, denen das inländische Gesellschaftsrecht meist nicht näher bekannt sein wird, sollen sich allein durch die Registereinsicht schnell und zuverlässig informieren können.77 In Deutschland waren daher 1969 zur Umsetzung der RL Ergänzungen im AktG (vgl. §§ 37 Abs. 3 Nr. 2 78, 39 Abs. 1 S. 3 79) und GmbHG (§§ 8 Abs. 4 Nr. 2 80, 10 Abs. 1 S. 2) erforderlich.81 71 Vgl. Grohmann (Fn. 30), S. 135; Grundmann Rn. 249; Van Ommeslaghe CDE 1969, 495, 554; Zöllner in: Baumbach/Hueck, GmbHG, 19. Aufl. 2010, § 45 Rn. 22; unzutreffend insofern Reuter FS 100 Jahre GmbHG, 1992, S. 631, 632 f., der auch einen GmbH-Beirat als erfasst ansehen will. 72 Vgl. Edwards S. 21; Van Ommeslaghe CDE 1969, 495, 554 f. 73 Vgl. Edwards S. 26 (zur apparent/ostensible authority nach englischem Recht); anders jedoch Morse (1978) 3 ELR 60, 62, der eine Offenlegungspflicht insofern durchaus in Betracht zieht. 74 Vgl. Antwort der Kommission auf die schriftliche Anfrage Nr. 23/77 von Sir Derek Walker-Smith v. 13.3.1977, ABlEG 1977, C 289/1 (bezogen auf die englischen Vorschriften zur Befugnis zur Beglaubigung des Gesellschaftssiegels [damals: r. 107 Table A CA 1948 G r. 101 Table A CA 1985 G art. 49 Model Articles Ltd. und art. 81 Model Articles plc (SI 2008/3229)]; dazu Edwards S. 26. 75 Vgl. Grohmann (Fn. 30), S. 136. 76 EuGH v. 12.11.1974, Firma Friedrich Haaga GmbH, Rs. 32/74, Slg. 1974, 1201. 77 Vgl. auch BGH NJW 1975, 213, 214; BGH NJW 1983, 1676 f.; BGH NJW-RR 1997, 673; BGH NZG 2007, 595, 596; Grohmann (Fn. 30), S. 137; Grundmann Rn. 249; Habersack § 5 Rn. 12; Schmidt-Kessel GPR 2006, 6, 8. 78 Durch KoordG (Rn. 8) eingefügt als Abs. 2, durch GmbH-Novelle 1980 (BGBl. I, 836) Abs. 3, auf Grund Neufassung durch MoMiG v. 23.10.2008 (BGBl. I, 2026) nun Abs. 3 Nr. 2. 79 Durch KoordG (Rn. 8) eingefügt als Abs. 1 S. 2, durch MoMiG v. 23.10.2008 (BGBl. I, 2026) S. 3. 80 Durch KoordG (Rn. 8) eingefügt als Abs. 3, durch GmbH-Novelle 1980 (BGBl. I, 836) Abs. 4, auf Grund Neufassung durch MoMiG v. 23.10.2008 (BGBl. I, 2026) nun Abs. 4 Nr. 2. 81 Vgl. dazu Ankele GmbHR 1969, 52, 54 f.; Bayer/J. Schmidt (Fn. 18), Rn. 18; Bokelmann NJW 1969, 2120, 2121; Einmahl AG 1969, 131, 132.

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Gesellschaftsrechtliche Richtlinien

cc) Ggf. jährliche Angabe des gezeichneten Kapitals, Art. 2 lit. e 33 Art. 2 lit. e gewährleistet die Publizität des gezeichneten Kapitals auch für den Fall, dass eine Erhöhung des gezeichneten Kapitals nach nationalem Recht keiner Satzungsänderung bedarf (und damit nicht bereits nach lit. a–c offen zu legen ist): Der Betrag des gezeichneten Kapitals ist dann zumindest jährlich offen zu legen.82

dd) Rechnungslegungsunterlagen, Art. 2 lit. f 34 Die in Art. 2 lit. f normierte Rechnungslegungspublizität gehörte im Vorfeld des Erlasses der RL zu den umstrittensten Punkten. Da das Bilanzrecht der Mitgliedstaaten in den 1960er Jahren noch erheblich divergierte, ließ der ursprünglich erzielte Kompromiss GmbH bis zum Erlass der (dann 1978 erlassenen) 4. (Bilanz-)RL (dazu § 24) zunächst außen vor.83 35 In seiner jetzigen Fassung verlangt Art. 2 lit. f für jedes Geschäftsjahr die Offenlegung der Rechnungslegungsunterlagen nach Maßgabe der einschlägigen europäischen RL – nämlich der 4. (Bilanz-)RL (dazu § 24) und 7. (Konzernbilanz-)RL (dazu § 25) sowie der Spezial-RL für Banken 84 und Versicherungsunternehmen 85 –, die jeweils Konkretisierungen hinsichtlich der Offenlegungsmodalitäten enthalten. Diese Rechnungslegungspublizität ist – wie der EuGH in der Rs. Axel Springer 86 und das EuG in der Rs. Danzer 87 ausdrücklich festgestellt haben – mit den Unionsgrundrechten der Meinungsäußerungs- und Berufsfreiheit und dem Eigentumsrecht, dem Gleichbehandlungsgrundsatz sowie dem Schutz persönlicher Daten vereinbar.88 Um Kleinstunternehmen (sog. microentities) zu entlasten, ist jedoch geplant, den Mitgliedstaaten künftig die Option einzuräumen, diese von der allgemeinen Offenlegungspflicht für Jahresabschlüsse zu befreien, sofern die Bilanz bei mindestens einer nationalen Behörde hinterlegt und an das Register übermittelt wird 89 (vgl. dazu auch bereits § 10 Rn. 6).

82 Vgl. Fischer-Zernin (Fn. 21), S. 149 f.; Grundmann Rn. 251. 83 Vgl. hierzu näher Edwards S. 22 f.; Grundmann Rn. 253 ff. 84 RL 86/635/EWG des Rates vom 8.12.1986 über den Jahresabschluß und den konsolidierten Abschluß von Banken und anderen Finanzinstituten, ABlEG v. 31.12.1986, L 372/1. 85 RL 91/674/EWG des Rates vom 19.12.1991 über den Jahresabschluß und den konsoliderten Abschluß von Versicherungsunternehmen, ABlEG v. 31.12.1991, L 374/7. 86 Fn. 49. 87 EuG v. 21.6.2006, Manfred Danzer und Hannelore Danzer ./. Rat der Europäischen Union, Rs. T-47/02, Slg. 2006, II-1779. 88 Ausf. zum Ganzen Cordewener in: Schön (Hrsg.), Rechnungslegung und Wettbewerbsschutz im deutschen und europäischen Recht, 2008, S. 105, 236 ff. m.z.w.N. 89 Vgl. Art. 1 Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 78/660/EWG des Rates über den Jahresabschluss von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen hinsichtlich Kleinstbetrieben – Politische Einigung, Dok. 10642/11 (vom Rat am 30.5.2011 angenommen, vgl. 10547/11, S. 8 f.); bei Drucklegung stand die 2. Lesung im EP noch aus. Zum KOM-Vorschlag (KOM(2009) 83) und

Die Publizitätsrichtlinie (1. Richtlinie)

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Die Einhaltung der Bilanzpublizität wird durch Art. 7 lit. a besonders 90 abge- 36 sichert: Für den Fall des Unterbleibens der Offenlegung müssen im nationalen Recht „geeignete Maßnahmen“ vorgesehen werden91. Die Wahl des konkreten Sanktionsinstrumentariums obliegt damit zwar den Mitgliedstaaten; die Sanktion muss aber jedenfalls „wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein“.92 Dies heißt zwar nicht, dass die Mitgliedstaaten nach dem Vorbild des UK (wo bei beharrlicher Publizitätsverweigerung ggf. sogar die Amtslöschung droht93) europarechtlich verpflichtet wären, „Publizitätssünder“ vollständig von der weiteren Teilnahme am Rechtsverkehr auszuschließen.94 Nicht ausreichend ist aber jedenfalls – wie der EuGH 1997/98 in der Rs. Daihatsu und dem parallelen Vertragsverletzungsverfahren gegen die BRD betreffend § 335a HGB a.F. festgestellt hat – ein Verfahren, bei dem die Sanktion nur auf Antrag bestimmter Personen bzw. Personengruppen verhängt wird; denn die Offenlegung dient gerade dem Zweck, die Informationen „jeder interessierten Person zugänglich zu machen“.95 Der deutsche Gesetzgeber erweiterte das Antragsrecht daraufhin durch das KapCoRiLiG96 auf jedermann.97 Nachdem der Großteil der Unternehmen die Publizitätspflichten jedoch auch weiterhin beharrlich missachtete, wurde durch das EHUG (Rn. 8) ein Amtsverfahren – verbunden mit einer Prüf- und

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den Entwicklungen bis Anfang 2010 bereits Bayer/J. Schmidt BB 2010, 387, 389 m.w.N.; zum Ganzen ferner etwa Bräuer NZG 2011, 53 ff. Auch für die nicht durch eine besondere Sanktionsregelung abgesicherten Vorschriften der RL gilt aber freilich das allgemeine Gebot des effet utile, vgl. Grundmann Rn. 282; Schmidt-Kessel GPR 2006, 6, 16. In der deutschen Fassung heißt es zwar lediglich „androhen“, die englische („provide“) und französische („prévoient“) zeigen jedoch, dass ein bloßes „Androhen“ nicht genügt, sondern tatsächlich auch solche Maßnahmen vorgesehen werden müssen. Vgl. EuGH v. 3.5.2005, Berlusconi, Rs. C-387/02, C-403/02 u. C-391/02, Slg. 2005, I-3565, 369, Rn. 65; GA Cosmas, Schlussanträge v. 3.7.1997, Verband deutscher DaihatsuHändler e.V. ./. Daihatsu Deutschland GmbH, Rs. C-97/96, Slg. 1997, I-6843, Rn. 20; Cordewener (Fn. 88), S. 105, 126 f.; Grundmann Rn. 282 f. Vgl. Bayer in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 17. Aufl. 2009, Anh II zu § 4a Rn. 50, 64; J. Schmidt ZIP 2007, 1712; dies. ZIP 2008, 2400 (jeweils m.w.N.). Vgl. BGH NJW 2006, 690, 691. Vgl. EuGH v. 4.12.1997, Verband deutscher Daihatsu-Händler e.V. ./. Daihatsu Deutschland GmbH, Rs. C-97/96, Slg. 1997, I-6843; EuGH v. 29.9.1998, Kommission ./. Deutschland, Rs. C-191/95, Slg. 1998, I-5449. Dazu Bohl EuZW 1998, 762 f.; Cordewener (Fn. 88), S. 105, 127 f., 148 ff.; Crezelius ZGR 1999, 252 ff.; de Weerth BB 1998, 366 ff.; Dorresteijn/Monteiro/C. Teichmann /Werlauff (Fn. 68), 3.23 f.; Hirte NJW 1999, 36 ff.; Klinke ZGR 2002, 163, 178 f.; Leible ZHR 162 (1998), 594 ff.; Schön JZ 1998, 194 f.; Schulze-Osterloh ZIP 1997, 2157 ff.; Wilken DStR 1998, 215 f. Gesetz zur Durchführung der Richtlinie des Rates der Europäischen Union zur Änderung der Bilanz- und der Konzernabschlussrichtlinie hinsichtlich ihres Anwendungsbereichs (90/605/EWG), zur Verbesserung der Offenlegung von Jahresabschlüssen und zur Änderung anderer handelsrechtlicher Bestimmungen v. 24.2.2000 (Kapitalgesellschaftenund Co-Richtlinie-Gesetz – KapCoRiLiG), BGBl. I, 154. S. dazu auch noch § 24 Rn. 3. Vgl. BegrRegE KapCoRiLiG, BT-Drs. 14/1806, S. 24; Hasselbach NZG 1999, 291, 292; Jansen DStR 1999, 1490 ff.; dies. DStR 2000, 596, 597 f.

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Meldepflicht des elektronischen Bundesanzeigers – eingeführt (§§ 329 Abs. 1 u. 4; 335 HGB n.F.)98. Dieses hat eine deutliche Steigerung der Offenlegungsquote bewirkt 99, so dass die Anforderungen des Art. 7 lit. a jedenfalls nunmehr erfüllt sein dürften 100.

ee) Sitzverlegung, Art. 2 lit. g 37 Gem. Art. 2 lit. g ist jede Verlegung des (Satzungs-)Sitzes 101 der Gesellschaft offen zu legen. Bedeutung hat diese Regelung speziell für Gesellschaften, die keine Aktiengesellschaften sind (bei letzteren ist der Sitz gem. Art. 3 lit. a der 2. (Kapital-)RL in der Satzung, dem Errichtungsakt oder einem gesonderten Schriftstück offen zu legen [vgl. § 20 Rn. 18]; sofern die Offenlegung in der Satzung bzw. dem Errichtungsakt erfolgt, stellt jede Sitzverlegung zugleich eine nach Art. 2 lit. b und c offen zu legende Satzungs-/Errichtungsaktsänderung dar).

ff) Auflösung/Nichtigerklärung/Liquidation, Art. 2 lit. h–k 38 Publizitätspflichtig sind schließlich gem. Art. 2 lit. h–k auch die Auflösung, die gerichtliche Nichtigerklärung, der Abschluss der Liquidation, die Löschung 102 einer Gesellschaft sowie Bestellung, Personalien und Befugnisse 103 der Liquidatoren. Für Gläubiger und Anleger sind diese Ereignisse am Ende des „Lebens“ einer Gesellschaft von eminenter Bedeutung.104

98 Dazu näher Clausnitzer/Blatt GmbHR 2006, 1303, 1307; Grashoff DB 2006, 2641 ff.; Karsten GewArch 2007, 55, 58 f.; Liebscher/Scharff NJW 2006, 3745, 3750 f.; Noack NZG 2006, 801, 805; Schlauß DB 2007, 2191 ff.; ders. DB 2008, 2821 ff.; ders. DB 2010, 153 ff.; Schlotter BB 2007, 1, 4 f.; Stollenwerk/Krieg GmbHR 2008, 575 ff. Zur Verfassungsmäßigkeit der Neuregelung: BVerfG NZG 2009, 515; BVerfG NZG 2009, 874; BVerfG BB 2011, 1136 m. Anm. Kleinmanns; BVerfG v. 24.3.2011 – 1 BvR 555/11 (juris); LG Bonn GmbHR 2008, 95; sehr kritisch dazu Brete GmbHR 2011, R145 f. 99 Von bislang ca. 5 % auf ca. 80 % für das Bilanzgeschäftsjahr 2006 (vgl. BT-Drs. 16/11335, S. 2; PM des BMJ v. 5.3.2009 (www.bmj.de); Schlauß DB 2008, 2821) und über 90 % für die Bilanzgeschäftsjahre 2008 (vgl. Schlauß DB 2010, 153 f.) und 2009 (vgl. Schlauß DB 2011, 805, 806). S. ferner auch die Stellungnahme der BReg., BT-Drs. 17/5028 sowie die empirische Analyse von Henselmann/Kaya WPg 2009, 497 ff. 100 Vgl. BT-Drs. 16/11335, S. 2; Karsten GewArch 2007, 55, 59; Schlauß DB 2008, 2821; Schlotter BB 2007, 4 f. Im Hinblick auf § 335a HGB a.F. wurde dies vielfach bezweifelt, vgl. etwa de Weerth BB 1998, 366, 368; Noack NZG 2006, 801, 805; Schmidt-Kessel GPR 2009, 6, 17; für Europarechtskonformität jedoch etwa Liebscher/Scharff NJW 2006, 3745, 3751. 101 Vgl. englisch: „registered office“. 102 Die Löschung ist allerdings nur offenlegungspflichtig, wenn sie nach dem nationalen Recht Rechtswirkungen auslöst. 103 Sofern diese nicht ausdrücklich und ausschließlich aus dem Gesetz oder der Satzung hervorgehen. 104 Vgl. Grohmann (Fn. 30), S. 147; Grundmann Rn. 260.

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c) Publizitätsverpflichtete Welche Personen (Gesellschaftsorgane, sonstige Vertreter etc.) die Formalitäten der 39 Offenlegung zu erfüllen haben, gibt die RL nicht vor. Art. 6 verpflichtet vielmehr insoweit die Mitgliedstaaten zu einer entsprechenden Regelung.

d) Sprachenregime Durch die Änderungs-RL 2003/58/EG (Rn. 5) wurde mit dem jetzigen Art. 4 endlich 40 auch eine Regelung zur Sprache der Offenlegung eingefügt.105 Abs. 1 kodifiziert zunächst das der RL bislang bereits unausgesprochen zu Grunde liegende Prinzip, dass sich die Sprache der Dokumente grundsätzlich nach den Sprachregelungen des registerführenden Mitgliedstaats richtet 106.107 Gem. Abs. 2 können die Gesellschaften ihre Urkunden und Angaben aber nunmehr zusätzlich zu dieser obligatorischen Offenlegung freiwillig in jeder anderen Amtssprache der Union108 offen legen; der Registerstaat kann lediglich eine Beglaubigung der Übersetzung vorschreiben. Ob auch eine (zusätzliche) Offenlegung in einer Nicht-EU/EWR-Amtssprache zulässig ist, wird gem. Abs. 3 dem jeweiligen Registerstaat überlassen. Im Zuge der geplanten Verknüpfung der nationalen Unternehmensregister (dazu bereits o. Rn. 7, 16) soll mittels delegierter Rechtssetzung auch eine Sprachenregelung für das geplante elektronische Netz erfolgen (vgl. Art. 4a Abs. 3 lit. e RL-E). Das deutsche Handelsregister wird in deutscher Sprache geführt (§ 184 GVG). 41 Der durch das EHUG (Rn. 8) neugefasste § 11 HGB ermöglicht in Abs. 1 S. 1 in Umsetzung von Art. 4 Abs. 2 aber eine zusätzliche freiwillige Offenlegung auch in jeder anderen Amtssprache der EU (wobei EU hier in richtlinienkonformer Auslegung als EU und EWR zu lesen ist); von der Option einer Ausdehnung auch auf NichtEU/EWR-Amtssprachen wurde dagegen bewusst kein Gebrauch gemacht 109. 42 Zur Problematik der Abweichung von Original und Übersetzung unten Rn. 54.

e) Publizitätswirkungen Eigentlicher Kern der gesamten Offenlegungsvorschriften sind die in Art. 3 Abs. 6 43 und 7 geregelten Publizitätswirkungen. Dabei kann zwischen der sog. negativen und der sog. positiven Publizität differenziert werden.110 105 106 107 108

Dazu näher Scholz EuZW 2004, 172, 174; Schemmann GPR 2004, 92, 93 f. Vgl. Begr. KOM, KOM(2002) 279 endg., S. 7; EWSA, ABlEU v. 8.4.2003, C 85/14. Vgl. Scholz EuZW 2004, 172, 174. „Gemeinschaft“ (seit 1.12.2009: „Union“) erfasst hier wegen der Ausdehnung auch auf die EWR-Staaten (o. Rn. 3 und Fn. 13) nicht nur die EU-, sondern auch die EWRStaaten. 109 Vgl. BegrRegE z. EHUG, BT-Drs. 16/960, S. 44. 110 Vgl. Grohmann (Fn. 30), S. 162; Grundmann Rn. 272 ff.; Habersack § 5 Rn. 16 ff.

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aa) Negative Publizität (Art. 3 Abs. 6 und Abs. 7 Unterabs. 3) (1) Berufung des Dritten auf die wahre Rechtslage (Art. 3 Abs. 7 Unterabs. 3) 44 Art. 3 Abs. 7 Unterabs. 3 stellt zunächst klar, dass sich ein Dritter stets auch dann auf publizitätspflichtige Urkunden und Angaben, d.h. die wahre Rechtslage, berufen kann, wenn die Formalitäten der Offenlegung nicht erfüllt worden sind. Dies kann aber selbstverständlich nur insoweit gelten, als die Eintragung/Offenlegung keine konstitutive Bedeutung (wie z.B. die Eintragung einer deutschen AG [vgl. § 41 Abs. 1 S. 1 AktG] oder einer englischen plc [vgl. s. 16(2), (3) CA 2006]) hat; hierauf bezieht sich die Ausnahmeregelung in Hs. 2.111

(2) Berufung der Gesellschaft auf die wahre Rechtslage (Art. 3 Abs. 6) 45 Im Gegensatz dazu kann die Gesellschaft einem Dritten publizitätspflichtige Urkunden und Angaben grundsätzlich erst nach ihrer Bekanntmachung 112 entgegenhalten. Etwas anders gilt nur, wenn die Gesellschaft nachweist, dass die Urkunden/Angaben dem Dritten bekannt waren (Art. 3 Abs. 6 Unterabs. 1). Dem Dritten schadet also insofern – entsprechend dem (auch in anderen Sprachfassungen) klaren Wortlaut und im Umkehrschluss zu Art. 10 Abs. 1 Unterabs. 2 (dazu u. Rn. 73) – lediglich positive Kenntnis.113 Das deutsche Recht entsprach dem mit § 15 Abs. 1 HGB bereits. 46 Für die ersten 15 Tage nach der Bekanntmachung gewährt Art. 3 Abs. 6 Unterabs. 2 dem Dritten darüber hinaus eine Art „Schonfrist“: In Bezug auf Vorgänge in diesem Zeitraum kann die Gesellschaft ihm Urkunden/Angaben auch dann nicht entgegenhalten, wenn er nachweist, dass es ihm unmöglich war, die Urkunden/Angaben zu kennen. Diesen Entlastungsbeweis, an den prinzipiell hohe Anforderungen zu stellen sind 114, dürfte der Dritte allerdings nur in den seltensten Fällen führen können 115. Für das deutsche Recht war diese „Schonfrist“ übrigens ein Novum, das zu einer Neufassung des § 15 Abs. 2 HGB führte.116

111 Vgl. Einmahl AG 1969, 131, 137; Edwards S. 28; Fischer-Zernin (Fn. 21), S. 89 f.; Grundmann Rn. 272; Habersack § 5 Rn. 19; Schmidt-Kessel GPR 2006, 6, 12. 112 Art. 3 Abs. 6 und 7 sprechen etwas umständlich von der „Offenlegung gemäß Abs. 5“. Damit ist die Bekanntmachung gemeint. 113 Ebenso Fankhauser (Fn. 52), S. 78; Schmidt-Kessel GPR 2006, 6, 12 f.; sowie tendenziell auch Edwards S. 29; vgl. ferner Prentice (1973) 89 LQR 518, 536 f. (zur englischen Umsetzung). A.A. jedoch Grohmann (Fn. 30), S. 165; Van Ommeslaghe CDE 1969, 495, 552; Wooldridge [1978] Acta Juridica 327, 330. 114 Vgl. Fischer-Zernin (Fn. 21), S. 89 f.; Van Ommeslaghe CDE 1969, 495, 551. 115 Vgl. den Schulfall für die deutsche Umsetzung in § 15 Abs. 2 HGB: das „eingeschneite Bergdorf“ (vgl. Lutter EuR 1969, 1, 16). Auch dort wird man heutzutage aber oft per Internet Zugang zum Register haben! 116 Näher dazu Einmahl AG 1969, 131, 136; Meyer-Ladewig MDR 1969, 818, 819.

Die Publizitätsrichtlinie (1. Richtlinie)

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bb) Positive Publizität (Art. 3 Abs. 7 Unterabs. 1 und 2) Neben dieser negativen Publizität gewährleistet die RL mit Art. 3 Abs. 7 Unterabs. 1 47 und 2 aber auch, dass der Rechtsverkehr sich grundsätzlich auf den durch die (unrichtige) Bekanntgabe erweckten Anschein einer bestimmten Rechtslage verlassen darf (sog. positive Publizität). Im Hinblick darauf verpflichtet Art. 3 Abs. 7 Unterabs. 1 die Mitgliedstaaten zunächst, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um Divergenzen zwischen Registerinhalt und Bekanntmachung a priori zu verhindern. Kommt es gleichwohl zu einer Abweichung, so kann die Bekanntmachung dem Dritten nicht entgegengehalten werden (Art. 3 Abs. 7 Unterabs. 2 Hs. 1). Umgekehrt kann sich allerdings der Dritte grundsätzlich auf die Bekanntmachung berufen, es sei denn, die Gesellschaft weist nach, dass ihm der Registerinhalt bekannt war (Art. 3 Abs. 7 Unterabs. 2 Hs. 2). (1) Reichweite Die exakte Reichweite dieser Schutzregelung wird seit jeher kontrovers diskutiert. Problematisch ist zunächst das subjektive Element in Hs. 2. Nach dem Wortlaut und im Umkehrschluss zu Art. 10 Abs. 1 Unterabs. 2 (dazu u. Rn. 73) schadet dem Dritten richtigerweise auch hier nur positive Kenntnis von der Unrichtigkeit der Bekanntmachung; ob er auch den Registerinhalt kannte, ist dagegen unerheblich.117 Umstritten ist aber v.a. auch, welche Konstellationen von der Vorschrift eigentlich genau erfasst sind. Richtet man sich ganz streng nach dem Wortlaut, so regelt Art. 3 Abs. 7 Unterabs. 2 eigentlich nur den Fall, dass der Registerinhalt richtig, die Bekanntmachung aber falsch ist.118 Fraglich ist damit zunächst, was gilt, wenn beides (also sowohl der Registerinhalt als auch die Bekanntmachung) falsch ist. A maiore ad minus muss der Dritte auch in diesem Fall geschützt sein: Wenn er sich schon auf die bloß unrichtige Bekanntmachung einer Urkunde/Angabe berufen kann, so muss er dies erst recht können, wenn auch noch die Eintragung falsch ist.119 Umstritten ist aber v.a. der Fall der umgekehrten Abweichung, d.h. dass die Bekanntmachung zwar richtig, der Registerinhalt aber sachlich falsch ist. Einer Auf-

117 Ebenso i.E. Fankhauser (Fn. 52), S. 80; Fischer-Zernin (Fn. 21), S. 87 f.; Grohmann (Fn. 30), S. 167; Grundmann Rn. 277. 118 Vgl. Einmahl AG 1969, 131, 137; Grohmann (Fn. 30), S. 166; Grundmann Rn. 278; Kalss (Fn. 30), S. 119, 161 f.; von Olshausen BB 1970, 137, 139; Wilhelm ZIP 2010, 713, 714 f. So auch die Auslegung des historischen deutschen Gesetzgebers, vgl. BT-Drs. V/3862, S. 11. 119 Einmahl AG 1969, 131, 137; Fankhauser (Fn. 52), S. 84 f.; Grohmann (Fn. 30), S. 166; Grundmann Rn. 278; Schmidt-Kessel GPR 2006, 6, 15. Anders jedoch Schwarz Rn. 321; Wilhelm ZIP 2010, 713, 714 f., nach deren Auffassung Art. 3 Abs. 7 eine sachlich richtige Registereintragung voraussetzt (Schwarz Rn. 322 löst die Problematik jedoch dann zugunsten des Dritten über Art. 3 Abs. 6); i.d.S. wohl auch Habersack § 5 Rn. 18.

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fassung nach soll diese Konstellation (abgesehen von der Sonderregelung für die Organbestellung in Art. 9, dazu Rn. 63 ff.) von der RL nicht erfasst sein, es stehe dem nationalen Gesetzgeber also insoweit frei, Dritte zu schützen oder nicht.120 Dem Geist der RL dürfte jedoch eher die gegenteilige Auffassung 121 entsprechen, denn schließlich wäre es geradezu paradox, das Vertrauen in die Bekanntmachung des Registerinhalts stärker zu schützen als das Vertrauen in den Registerinhalt selbst 122. Dies gilt umso mehr, als die Eintragung im Register unter dem neuen elektronischen Publizitätsregime letztlich ebenso einfach zugänglich ist wie die Bekanntmachung 123 und der neue Art. 4 ebenfalls auf eine Erstreckung des Vertrauensschutzes auch auf den Registerinhalt hindeutet 124. 52 Problematisch ist schließlich, ob der Schutz des Dritten voraussetzt, dass der Gesellschaft die Fehlerhaftigkeit zuzurechnen ist (sog. Veranlassungsprinzip) 125. Rein nach dem Wortlaut könnte man sich durchaus auch auf den Standpunkt stellen, dass der Publizitätsschutz unabhängig von einer „Veranlassung“ durch die Gesellschaft eingreife.126 Zudem ließe sich argumentieren, dass die Gesellschaft grundsätzlich „näher dran“ sei und daher prinzipiell auch das Risiko von Unrichtigkeiten tragen müsse.127 Gleichwohl ginge es jedoch viel zu weit, auch völlig unbeteiligte Gesellschaften den Publizitätswirkungen zu unterwerfen, zumal das Veranlassungsprinzip der RL bei systematisch-teleologischer Betrachtung letztlich immanent ist: Da Eintragung und Bekanntmachung grundsätzlich einen entsprechenden Antrag des Registerpflichtigen voraussetzen, ist anzunehmen, dass der Richtliniengeber generell davon ausging, dass eine Unrichtigkeit letztlich stets auf einer Veranlassung durch die betroffene Gesellschaft beruhen müsse.128

120 Ankele GmbHR 1969, 52, 54; Fischer-Zernin (Fn. 21), 84 f.; Grohmann (Fn. 30), S. 166 f.; Habersack § 5 Rn. 18, 41; Schwarz Rn. 323; Wilhelm ZIP 2010, 713, 714 f. 121 Beuthien FS Reinhardt, 1972, 199, 201 f.; Einmahl AG 1969, 131, 137; Fankhauser (Fn. 52), S. 81 ff.; Lutter EuR 1969, 1, 13 ff.; Paefgen ZIP 2008, 1653, 1658; SchmidtKessel GPR 2006, 6, 15. 122 Einmahl AG 1969, 131, 137. 123 Vgl. Noack FS Eisenhardt, 2007, S. 475, 481; Paefgen ZIP 2008, 1653, 1658; s. ferner auch Schmidt-Kessel GPR 2006, 6, 15. 124 Vgl. Schmidt-Kessel GPR 2006, 6, 15. 125 So Beuthien FS Reinhardt, 1972, 199, 202; Habersack § 5 Rn. 41; Lutter EuR 1969, 1, 16; Schilken AcP 187 (1987) 1, 16; Paefgen ZIP 2008, 1653, 1657; von Olshausen BB 1970, 137, 139; Wilhelm ZIP 2010, 713, 715; a.A. Schmidt-Kessel GPR 2006, 6, 14. 126 Vgl. Grohmann (Fn. 30), S. 166; Grundmann Rn. 278; Habersack § 5 Rn. 40. So i.E. auch Kalss (Fn. 30), S. 119, 165; Schmidt-Kessel GPR 2006, 6, 14. 127 In diese Richtung Grundmann Rn. 278; Schmidt-Kessel GPR 2006, 6, 14. 128 Vgl. Beuthien FS Reinhardt, 1972, 199, 202; Habersack § 5 Rn. 41; Paefgen ZIP 2008, 1653, 1657; Schwarz Rn. 321; von Olshausen BB 1970, 137, 139; Wilhelm ZIP 2010, 713, 715.

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(2) Umsetzung in Deutschland Art. 3 Abs. 7 Unterabs. 2 wurde in Deutschland durch Einfügung des Abs. 3 in § 15 53 HGB umgesetzt (zuvor war die Problematik unrichtiger Eintragungen und/oder Bekanntmachungen ausschließlich über die von Rechtsprechung und Lehre entwickelten Rechtsscheinsgrundsätze gelöst worden129).130 Die Vorschrift ist allerdings seit jeher nahezu denselben Abgrenzungsproblemen unterworfen wie die ihr zu Grunde liegende Norm der RL. Im Hinblick auf die Geltung des Veranlassungsprinzips besteht zwar weitgehender Konsens 131, ebenso auch bezüglich der Anwendung des § 15 Abs. 3 im Falle der sog. „doppelten Unrichtigkeit“ (Eintragung und Bekanntmachung) 132. Ob die Fälle der „umgekehrten Abweichung“ (Bekanntmachung richtig, Registerinhalt falsch) von § 15 Abs. 3 HGB (analog) erfasst sind 133 oder ob hier auch weiterhin nur die allgemeinen Rechtsscheinsgrundsätze eingreifen 134, ist dagegen äußerst umstritten.

cc) Publizitätswirkungen im Falle von Übersetzungen (Art. 4) Als Konsequenz zum durch die Änderungs-RL 2003/58/EG (Rn. 5) eingeführten 54 neuen Sprachenregime (dazu Rn. 40) bedurfte es auch einer Ergänzung der in Art. 3 Abs. 6 und 7 normierten Publizitätswirkungen. Die sich aus der Zulässigkeit einer Offenlegung in anderen Sprachen ergebene Problematik wurde durch Art. 4 Abs. 4 i.S.e. bestmöglichen Schutzes gutgläubiger Dritter gelöst 135: Im Falle einer Abweichung zwischen Original und (freiwillig offen gelegter) Übersetzung kann letztere

129 Vgl. Ankele GmbHR 1969, 52, 54; Einmahl AG 1969, 131, 137 ff.; Meyer-Ladewig MDR 1969, 818, 819; von Olshausen BB 1970, 137 ff. 130 Vgl. Bayer/J. Schmidt (Fn. 18), Rn. 20; Schwarz Rn. 321 sowie die Nachweise in Fn. 129. 131 Ammon/Ries in: Röhricht/Westphalen, HGB, 3. Aufl. 2008, § 15 Rn. 42; Canaris, Handelsrecht, 24. Aufl. 2006, § 5 Rn. 52; Gehrlein in: Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, HGB, 2. Aufl. 2008, § 15 Rn. 31; Hopt (Fn. 51), § 15 Rn. 19; Koch in: Staub, Großkomm. HGB, 5. Aufl. 2009, § 15 Rn. 106 ff.; Paefgen ZIP 2008, 1653, 1657; a.A. jedoch Krebs in: MünchKommHGB, 3. Aufl. 2010, § 15 Rn. 83 ff.; differenzierend K. Schmidt, Handelsrecht, 5. Aufl. 1999, § 14 III 2 d). 132 Vgl. BegrRegE z. KoordG, BT-Drs. V/3862, S. 11; Ammon/Ries (Fn. 131), § 15 Rn. 37 f.; Gehrlein (Fn. 131), § 15 Rn. 27 ff.; Hopt (Fn. 51), § 15 Rn. 18; Krebs (Fn. 131), § 15 Rn. 88; Paefgen ZIP 2008, 1653, 1656; Roth in: Koller/Roth/Morck, HGB, 7. Aufl. 2011, § 15 Rn. 28; Schilken AcP 187 (1987) 1, 17; v. Olshausen BB 1970, 137, 139. 133 So Hopt (Fn. 51), § 15 Rn. 18; Koch (Fn. 131), § 15 Rn. 105; Lutter EuR 1969, 1, 13; Noack FS Eisenhardt, 2007, S. 475, 481; Paefgen ZIP 2008, 1653, 1657 f.; Roth (Fn. 132), § 15 Rn. 28. 134 So BegrRegE z. KoordG, BT-Drs. V/3862, S. 11; Ammon/Ries (Fn. 131), § 15 Rn. 39; Beuthien NJW 1970, 2283 f.; Gehrlein (Fn. 131), § 15 Rn. 30; Krebs (Fn. 131), § 15 Rn. 89; v. Olshausen BB 1970, 137, 144; Schilken AcP 187 (1987) 1, 13; K. Schmidt, Handelsrecht, 5. Aufl. 1999, § 14 III 2 b). 135 Vgl. Begr. KOM, KOM(2002) 279 endg., S. 8. S. ferner zum Ganzen auch Schemmann GPR 2004, 92, 94; Schmidt-Kessel GPR 2006, 6, 14 f.

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Dritten nicht entgegengehalten werden; umgekehrt kann sich jedoch der Dritte auf eine freiwillig offen gelegte Übersetzung berufen, es sei denn, die Gesellschaft weist nach, dass ihm das Original bekannt war. Art. 4 Abs. 4 übernimmt damit das bereits aus Art. 3 Abs. 7 Unterabs. 2 bekannte und bewährte Prinzip, so dass die insoweit entwickelten Auslegungsgrundsätze (s. Rn. 47 ff.) entsprechend herangezogen werden können. 55 Deutschland hat diese erweiterte positive Publizität durch den neuen § 11 Abs. 2 HGB umgesetzt.136

2. Gültigkeit der von der Gesellschaft eingegangenen Verpflichtungen gegenüber Dritten 56 Kapitel 3 der RL (Art. 8–10) regelt unter der Überschrift „Gültigkeit der von der Gesellschaft eingegangenen Verpflichtungen“ die Wirksamkeit von Organhandlungen juristischer Personen des Handelsrechts gegenüber Dritten. Grundgedanke ist, zum Schutz Dritter (also des Rechtsverkehrs) „die Gründe, aus denen im Namen der Gesellschaft eingegangene Verpflichtungen unwirksam sein können, so weit wie möglich zu beschränken“ (vgl. Erwägungsgrund 9). Zu diesem Zweck normiert die RL Schutzvorschriften im Hinblick auf die Haftung für Handeln im Namen der „werdenden“ Gesellschaft (Art. 8, dazu Rn. 57), die Rechtslage bei Bestellungsmängeln (Art. 9, dazu Rn. 63 ff.) und die Vertretungsmacht (Art. 10, dazu Rn. 68 ff.).

a) Handeln im Namen einer in Gründung befindlichen Gesellschaft (Art. 8) 57 Art. 8 dient dem Schutz des Rechtsverkehrs im Hinblick auf Gesellschaften im Gründungsstadium. Zu diesem Zweck ordnet er – basierend auf Vorbildern des deutschen und italienischen Rechts 137 – eine gesamtschuldnerische Haftung derjenigen Personen an, die im Namen der in Gründung befindlichen Gesellschaft handeln. Art. 8 ist – ebenso wie die Parallelregelungen in Art. 9 Abs. 2 EWIV-VO (dazu § 40 Rn. 36), Art. 16 Abs. 2 SE-VO (dazu § 41 Rn. 74 ff.), Art. 18 Abs. 2 SCE-VO (dazu § 42 Rn. 31) – eine reine Haftungsnorm,138 mit der gewährleistet werden soll, dass Dritten in jedem Fall ein haftendes Rechtssubjekt zur Verfügung steht 139. Die Existenz einer 136 Vgl. dazu BegrRegE z. EHUG, BT-Drs. 16/960, S. 45; Liebscher/Scharff NJW 2006, 3745, 3747; Noack FS Eisenhardt, 2007, S. 475, 483 ff.; Paefgen ZIP 2008, 1653, 1658 ff.; Seibert/Decker DB 2006, 2446, 2447 f. 137 Vgl. Edwards S. 31; Habersack § 5 Rn. 21; sowie ferner auch Lutter EuR 1969, 1, 6. Vgl. im deutschen Recht § 41 Abs. 1 S. 2 AktG und § 11 Abs. 2 GmbHG. 138 Vgl. Habersack § 5 Rn. 21; Kalss ZHR 155 (2002), 133, 134; Mülbert/Nienhaus RabelsZ 65 (2001) 513, 521, 528. 139 Vgl. Dorresteijn/Monteiro/C. Teichmann/Werlauff (Fn. 68), 5.14; Fankhauser (Fn. 52), S. 89; Fischer-Zernin (Fn. 21), S. 104; Grohmann (Fn. 30), S. 170; Grundmann Rn. 208; Habersack § 5 Rn. 21; Mülbert/Nienhaus RabelsZ 65 (2001) 513, 525.

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rechtsfähigen Vorgesellschaft i.S.d. deutschen Modells wird damit indessen weder angeordnet 140 noch überhaupt vorausgesetzt.141 Die insoweit bestehenden Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten (Bsp.: im britischen Recht existiert die company vor Eintragung überhaupt nicht 142, im deutschen existiert ab Errichtung eine rechtsfähige Vor-AG bzw. Vor-GmbH 143) 144 werden also durch die RL nicht tangiert. Zu betonen ist ferner, dass es sich bei der Regelung des Art. 8 lediglich um einen Mindeststandard handelt, über den die Mitgliedstaaten hinausgehen können.145 Erfasst wird nicht nur rechtsgeschäftliches, sondern auch rechtsgeschäftsähnliches 58 Handeln146. Umstritten ist jedoch, ob ein Handeln im Namen der künftigen Kapitalgesellschaft erforderlich ist147, oder ob es genügt, wenn im Namen einer „Gesellschaft in Gründung“ oder (sofern eine solche nach dem jeweiligen nationalen Recht existiert) einer „Vorgesellschaft“ gehandelt wird 148. Obgleich der Wortlaut diesbezüglich durchaus eine restriktive Auslegung im erstgenannten Sinne zuließe, spricht die Ratio der Norm doch maßgeblich für die Erfassung auch eines Handelns im Namen einer „Vorgesellschaft“ bzw. „Gesellschaft in Gründung“.149 Eine Begrenzung auf ein Handeln im Namen der künftigen Kapitalgesellschaft würde darüber hinaus zu erheblichen Abgrenzungsschwierigkeiten führen, die Haftung letztlich von bloßen Zufälligkeiten abhängig machen und zudem geradezu einen Anreiz zu Umgehungen bilden.150 Negatives Tatbestandsmerkmal ist, dass die Gesellschaft die sich aus diesen Hand- 59 lungen ergebenden Verpflichtungen nicht übernimmt. Der Begriff der „Übernahme“ ist dabei weit zu verstehen: Erforderlich ist lediglich, dass die entstandene Kapitalgesellschaft dem jeweiligen Gläubiger i.E. mit ihrem Vermögen haftet, unabhängig davon, ob dies kraft gesetzlicher Anordnung oder kraft rechtsgeschäftlicher Übernahme

140 In diese Richtung aber Kersting, Die Vorgesellschaft im europäischen Gesellschaftsrecht, 2000, S. 190 ff.; relativierend jedoch ders. GmbHR 2003, 1466, 1467. 141 Grohmann (Fn. 30), S. 170; Habersack § 5 Rn. 21; Kalss ZHR 155 (2002), 133, 134; dies. (Fn. 30), S. 119, 170; Mülbert/Nienhaus RabelsZ 65 (2001) 513, 521. 142 Vgl. Kelner v Baxter (1866–67) LR 2 CP 174; Davies, Gower and Davies’ Principles on Modern Company Law, 8. Aufl. 2008, 5–7; in deutscher Sprache: J. Schmidt RIW 2006, 827, 829 m.w.N. 143 Siehe nur BGHZ 117, 323, 326 f.; Bayer (Fn. 93), § 11 Rn. 5; Drygala in: K. Schmidt/ Lutter, AktG, 2. Aufl. 2010, § 41 Rn. 3 f.; Hüffer, AktG, 9. Aufl. 2010, § 41 Rn. 3 f. 144 Vgl. zur Rechtslage in weiteren Mitgliedstaaten Dorresteijn/Monteiro/C. Teichmann/ Werlauff (Fn. 68), 5.15a ff. 145 Vgl. Fischer-Zernin (Fn. 21), S. 109; Kalss (Fn. 30), S. 119, 171. 146 Vgl. Hellmuth, Obata & Kassabaum Inc. v King [2000] EWHC Technology 64 Rn. 84; J. Schmidt (Fn. 24), S. 399 Fn. 1656; Twigg-Flesner (2001) 22 Co Law 117, 118. 147 Vgl. Grundmann Rn. 209; Kalss (Fn. 30), S. 119, 170; Mülbert/Nienhaus RabelsZ 65 (2001) 513, 527. 148 Habersack § 5 Rn. 22; Hilpert, Die Gründerhaftung in der Gesellschaft mit beschränkter Haftung in Deutschland, Frankreich und England, S. 108; Kersting (Fn. 140), S. 269. 149 Habersack § 5 Rn. 22; Hilpert (Fn. 148), S. 108; Kersting (Fn. 140), S. 268. 150 Vgl. zur Parallelproblematik bei Art. 16 Abs. 2 SE-VO: J. Schmidt (Fn. 24), S. 400 m.w.N.; sowie bei § 11 GmbHG: Bayer (Fn. 93), § 11 Rn. 27.

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geschieht.151 Die konkrete Ausgestaltung bleibt demgemäß dem jeweiligen nationalen Recht überlassen.152 Dabei steht es den Mitgliedstaaten sogar frei, auf die Regelung einer Übernahme gänzlich zu verzichten153, denn europarechtlicher Mindeststandard ist gemäß Art. 8 allein die Handelndenhaftung (bezüglich derer eine etwaige Übernahme nur ein negatives Tatbestandsmerkmal darstellt).154 60 Dogmatisch ist die Übernahme eine auflösende Bedingung der Haftung, d.h. die Handelndenhaftung entsteht sofort mit Vornahme der betreffenden Handlung, erlischt jedoch, wenn die Gesellschaft die Verbindlichkeit nach ihrer Eintragung „übernimmt“.155 Entschieden abzulehnen ist daher auch die vereinzelt vertretene abweichende Auffassung, dass die Übernahme eine aufschiebende Bedingung darstelle 156: Der mit dieser Konstruktion für den Dritten verbundene Schwebezustand ist mit dem Sinn und Zweck des Art. 8 nicht zu vereinbaren. 61 Liegen die Voraussetzungen des Art. 8 vor, so haften die Handelnden unbegrenzt und gesamtschuldnerisch. Haftungsinhalt ist nach der Ratio der Norm primär Erfüllung.157 Die Haftung ist allerdings – jedenfalls individualvertraglich158 – abdingbar („sofern nichts anderes vereinbart ist“).159 Im Interesse eines effektiven Drittschutzes sind an einen solchen Haftungsausschluss allerdings strenge Anforderung zu stellen: Die bloße Kenntnis des Dritten, dass die Gesellschaft noch nicht eingetragen ist oder das schlichte Auftreten im Namen einer „Gesellschaft in Gründung“ bzw. einer „Vorgesellschaft“ können jedenfalls nicht genügen.160 62 In Deutschland war die von Art. 8 geforderte Handelndenhaftung durch § 41 Abs. 1 S. 2 AktG bzw. § 11 Abs. 2 GmbHG – die schließlich als Vorbilder für Art. 8

151 Vgl. Grundmann Rn. 210; Habersack § 5 Rn. 22; s. ferner auch Dorresteijn/Monteiro/ C. Teichmann /Werlauff (Fn. 68), 3.25, 5.15. 152 Vgl. Fankhauser (Fn. 52), S. 90; Grundmann Rn. 210; Habersack § 5 Rn. 22; Hilpert (Fn. 148), S. 109. Siehe zur Parallelnorm des Art. 16 Abs. 2 SE-VO: Bayer in: K. Schmidt/ Lutter, SE-Kommentar, 2008, Art. 16 Rn. 26; J. Schmidt (Fn. 24), S. 403 m.w.N. 153 A.A. Kersting (Fn. 140), S. 284; Hilpert (Fn. 148), S. 109. 154 Ebenso i.E. Einmahl AG 1969, 167, 168; Fankhauser (Fn. 52), S. 90; Habersack § 5 Rn. 22. 155 Habersack § 5 Rn. 22; Hilpert (Fn. 148), S. 113; Kersting GmbHR 2003, 1466, 1469; Schwarz Rn. 337. 156 So Fankhauser (Fn. 52), S. 90; Fischer-Zernin (Fn. 21), S. 107; Kalss (Fn. 30), S. 119, 171. 157 Ebenso für die Parallelnorm des Art. 16 Abs. 2 SE-VO: Bayer (Fn. 152), Art. 16 Rn. 29; J. Schmidt (Fn. 24), S. 406; Schwarz, SE-VO, 2006, Art. 16 Rn. 38 (jeweils m.w.N.). Anders jedoch Hilpert (Fn. 148), S. 111; Kersting (Fn. 140), S. 272 (Wahlrecht der Mitgliedstaaten zwischen Erfüllungs- und Garantiehaftung). 158 Eine Abbedingung durch AGB dürfte demgegenüber zumindest gegenüber Verbrauchern mit Art. 3 Abs. 1 der RL 93/13/EWG unvereinbar sein. Vgl. zur Parallelnorm des Art. 16 Abs. 2 SE-VO: J. Schmidt (Fn. 24), S. 406; zur Umsetzungsnorm des § 41 Abs. 1 S. 2 AktG: K. Schmidt in: GroßkommAktG, 4. Aufl. 2003, § 41 Rn. 93. 159 Fischer-Zernin (Fn. 21), S. 107 f.; Hilpert (Fn. 148), S. 112; Kalss (Fn. 30), S. 119, 171; Kersting (Fn. 140), S. 277 f. 160 Hilpert (Fn. 148), S. 112; Kersting (Fn. 140), S. 277 f.; vgl. zur Parallelnorm des Art. 16 Abs. 2 SE-VO: J. Schmidt (Fn. 150), S. 406; zur Parallelnorm des Art. 9 Abs. 2 EWIVVO: Manz in: Selbherr/Manz, EWIV-Kommentar, 1995, Art. 9 Rn. 13.

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dienten (vgl. Rn. 57) – bereits vor Inkrafttreten der RL gewährleistet.161 Nach dem heutigen Stand der Dogmatik des Rechts der Vorgesellschaft kommt es zudem im Regelfall zu einer „Übernahme“ der Verbindlichkeit durch die Gesellschaft: Handelt der Geschäftsführer bzw. Vorstand im Rahmen seiner Vertretungsmacht 162, so wird zunächst die (teil-)rechtsfähige Vorgesellschaft verpflichtet. Mit der Eintragung wird die Verbindlichkeit sodann auf Grund der heute allgemein anerkannten Identität von Vor-Gesellschaft und Gesellschaft ipso iure zu einer solchen der Gesellschaft 163.164

b) Bestellungsmängel (Art. 9) Art. 9 schützt den Rechtsverkehr im Hinblick auf Bestellungsmängel 165. Da die Wirk- 63 samkeit einer Organbestellung von Außenstehenden kaum zuverlässig beurteilt werden kann, hielt man insoweit einen besonderen Schutz für geboten.166 Art. 9 bestimmt demgemäß, dass ein Mangel bei der Bestellung eines vertretungsbefugten Organs Dritten nach Erfüllung der Offenlegungsformalitäten nur entgegengehalten werden kann, wenn die Gesellschaft beweist, dass die Dritten den Mangel kannten. Art. 9 ist damit – letztlich rein deklaratorische – lex specialis zu Art. 3 Abs. 6 und 7.167

161 Vgl. Bayer/J. Schmidt (Fn. 18), Rn. 21; Bergmann GmbHR 2003, 563, 569; FischerZernin (Fn. 21), S. 136; Lutter EuR 1969, 1, 6; Schwarz Rn. 340. Vereinzelt wird allerdings die Auffassung vertreten, dass die Konzeption der Verlustdeckungshaftung als Innenhaftung, wie sie von der deutschen Rspr. vertreten wird, gegen Art. 8 verstoße, vgl. Hilpert (Fn. 148), S. 121; Kersting GmbHR 2003, 1466, 1469 ff. 162 Nach h.M. ist die Vertretungsmacht des Vorstands bzw. der Geschäftsführer auf die i.R.d. Gründung notwendigen Maßnahmen begrenzt (BGH NJW 1981, 1373, 1375; Hüffer (Fn. 143), § 41 Rn. 11; Bayer (Fn. 93), § 11 Rn. 14; Drygala (Fn. 143), § 41 Rn. 6; Pentz in: MünchKommAktG, 3. Aufl. 2008, § 41 Rn. 53; a.A. etwa K. Schmidt (Fn. 158), § 41 Rn. 58; Beuthien NJW 1997, 565, 566 f. [unbeschränkte Vertretungsmacht entsprechend § 82 Abs. 1 AktG bzw. § 37 Abs. 2 GmbHG]). Handelt der Vorstand/Geschäftsführer ohne Vertretungsmacht, so ist umstritten, ob § 41 Abs. 1 S. 2 AktG bzw. § 11 Abs. 2 GmbHG lex specialis zu § 179 BGB ist (so Pentz (Fn. 162), § 41 Rn. 135; Hueck/Fastrich in: Baumbach/Hueck, GmbHG, 19. Aufl. 2010, § 11 Rn. 45; a.A.: Beuthien ZIP 1996, 360, 367 Fn. 61; Drygala (Fn. 143), § 41 Rn. 26; Meyer GmbHR 2002, 1176, 1184 f. m.w.N. zum Streitstand). 163 BGH NJW 1981, 1373; BGH NJW 1992, 1824; Pentz (Fn. 162), § 41 Rn. 9, 105 ff.; Bayer (Fn. 93), § 11 Rn. 5. 164 Vgl. auch Habersack § 5 Rn. 22. 165 Die geltende Fassung des Art. 9 bezieht sich ausschließlich auf Bestellungsmängel, der RL-Entwurf hatte dagegen auch Amtsniederlegung und Abberufung erfasst, vgl. Kalss (Fn. 30), S. 119, 162. 166 Vgl. Grohmann (Fn. 30), S. 175; Lutter EuR 1969, 1, 6; Schwarz Rn. 324. Abw. jedoch Habersack § 5 Rn. 24, nach dessen Auffassung Art. 9 insofern eigenständige Bedeutung hat, als er den Dritten auch dann schützt, wenn Eintragung und Bekanntmachung unrichtig sind. Nach der hier vertretenen Auffassung wird jedoch auch der Fall der „doppelten Unrichtigkeit“ bereits von Art. 3 Abs. 7 Unterabs. 2 erfasst (vgl. Rn. 50). 167 Grohmann (Fn. 30), S. 176; Fischer-Zernin (Fn. 21), S. 221; Schmidt-Kessel GPR 2006, 6, 14.

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Voraussetzung für ein Eingreifen des Schutzes des Art. 9 ist nach Sinn und Zweck der Norm, dass ein Bestellungsmangel vorliegt, der nach nationalem Recht dazu führt, dass die Bestellung an sich unwirksam ist.168 Sieht das nationale Recht die Bestellung hingegen trotz des Mangels als wirksam an, so ist Art. 9 von vornherein nicht einschlägig.169 65 Ebenso wie bei Art. 3 Abs. 7 Unterabs. 2 und 3 schadet dem Dritten auch i.R.d. Art. 9 nur positive Kenntnis 170, wobei die Beweislast insofern auch hier die Gesellschaft trifft. Geschützt sind nach der Ratio der Norm freilich nur außenstehende Dritte, nicht hingegen die Organwalter oder Gesellschafter.171 66 Sofern es für ihn günstiger ist, bleibt es einem Dritten analog Art. 3 Abs. 7 Unterabs. 3 aber selbstverständlich unbenommen, sich auf die wahre Rechtslage (d.h. die Unwirksamkeit der Bestellung) zu berufen; alles andere wäre mit der Ratio des Art. 9 und dem Schutzkonzept der RL unvereinbar.172 67 Das deutsche Recht wird diesen Anforderungen durch die allgemeinen Regeln der § 15 Abs. 1 und 2 HGB (als Umsetzung der leges generales Art. 3 Abs. 6 und 7) gerecht. 64

c) Vertretungsmacht (Art. 10) 68 Art. 10 statutiert im Bezug auf die Vertretungsmacht der Gesellschaftsorgane elementare Grundlinien zum Schutz des Rechtsverkehrs. Die Vorschrift gehört unzweifelhaft zu den bedeutensten Eckpunkten der Harmonisierung des Europäischen Gesellschaftsrechts.173

aa) Hintergrund und Grundkonzeption 69 Wirklich verstehen lässt sich die Vorschrift des Art. 10 letztlich nur vor dem Hintergrund der erheblich divergierenden nationalrechtlichen Konzeptionen der Vertretung der Gesellschaft durch ihre Organwalter. Im Wesentlichen lassen sich insoweit zwei Grundmodelle unterscheiden: Die sog. Organtheorie (der traditionell etwa das deutsche, dänische und niederländische Recht folgen) begreift das Handeln der Organwalter als eigenes Handeln der Gesellschaft, während die sog. Mandatstheorie (die etwa für das französische und das italienische, aber auch für das britische Recht

168 Habersack § 5 Rn. 24. 169 Habersack § 5 Rn. 24. Vgl. speziell zur Problematik von Art. 9 und der fehlerhaften Organbestellung im deutschen Recht: Habersack § 5 Rn. 24, Schwarz Rn. 325. 170 Fischer-Zernin (Fn. 21), S. 220. 171 Vgl. Grundmann Rn. 212. Siehe ferner auch Edwards S. 33 (unter Rekurs auf die englischen Vorschriften zum Schutz von „outsiders“ vor Irregularien im internen Management). 172 Ebenso i.E. Grohmann (Fn. 30), S. 176; Fischer-Zernin (Fn. 21), S. 221; Schwarz Rn. 324. 173 Vgl. zur Bedeutung für die Harmonisierung auch Habersack § 4 Rn. 9 und § 5 Rn. 25.

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charakteristisch ist) die Organwalter als Beauftragte der Gesellschaft ansieht.174 Art. 10 ist de facto der Versuch eines Kompromisses zwischen diesen unterschiedlichen Konzepten175, der jedoch letztlich maßgeblich vom deutschen Modell geprägt ist176. Grund hierfür ist, dass dieses i.R.d. Beratungen zur RL auch von den Experten aus den anderen Rechtsordnungen als das den Anforderungen des internationalen Rechtsverkehrs am besten gerecht werdende Modell eingestuft wurde.177 Ausgangspunkt ist der – auch dem deutschen Recht (vgl. §§ 78 Abs. 1 S. 1, 82 70 Abs. 1 AktG; §§ 35 Abs. 1 S. 1, 37 Abs. 2 GmbHG) zu Grunde liegende 178 – Grundsatz der unbeschränkten und unbeschränkbaren Vertretungsmacht (Abs. 1 und 2, dazu u. Rn. 71 ff.).179 Diesen können die Mitgliedstaaten allerdings in gewissem Umfang einschränken; zudem lässt ihnen die RL auch im Hinblick auf die Frage der Einzeloder Gesamtvertretung weitgehenden Spielraum (vgl. Abs. 3, dazu u. Rn. 79 f.).180

bb) Grundsätzliche Unbeschränktheit der Vertretungsmacht (Art. 10 Abs. 1) Gem. Art. 10 Abs. 1 Unterabs. 1 ist die Vertretungsmacht grundsätzlich unbe- 71 schränkt: Dritten gegenüber wird die Gesellschaft durch Handlungen ihrer Organe prinzipiell verpflichtet. Wie sich aus dem Wortlaut („Dritten gegenüber“) und der Ratio der Norm ergibt, gilt dies freilich nur im Verhältnis zu außenstehenden Dritten – nicht aber gegenüber den Gesellschaftern 181 und Organwaltern 182. Die Unbeschränktheit steht allerdings unter dem Vorbehalt der jeweiligen natio- 72 nalen gesetzlichen Zuständigkeitsordnung:183 Eine Verpflichtung der Gesellschaft tritt nicht ein, wenn die betreffenden Handlungen die Befugnisse überschreiten, die den handelnden Organen nach dem Gesetz zugewiesen sind oder zugewiesen werden können (Art. 10 Abs. 1 Unterabs. 1 a.E.). Die genaue Reichweite der Vertretungsmacht ist also durch die RL selbst letztlich nicht vorgegeben – im Hinblick auf die erheblich divergierenden nationalen Regelungen war eine Harmonisierung insoweit

174 Vgl. zum Ganzen auch Dorresteijn/Monteiro/C. Teichmann/Werlauff (Fn. 68), 3.31; Edwards S. 34 ff.; Fankhauser (Fn. 68), S. 92; Grundmann Rn. 213; Habersack § 5 Rn. 25. 175 Vgl. Edwards S. 33; Schmid AG 1998, 127, 129. 176 Vgl. Edwards S. 36; Grundmann Rn. 213 f.; Habersack § 5 Rn. 25; Schmid AG 1998, 127, 129. 177 Einmahl AG 1969, 167, 168 m.w.N. Vgl. ferner auch Grundmann Rn. 213 f. 178 Die unbeschränkte und unbeschränkbare Vertretungsmacht des deutschen Kapitalgesellschaftsrechts geht auf Art. 231 ADHGB zurück, vgl. Fleischer NZG 2005, 529 m.w.N. 179 Einmahl AG 1969, 167, 169 f.; Grundmann Rn. 213; Habersack § 5 Rn. 25; Kalss (Fn. 30), S. 119, 173; Kindler FS Lutter, 483, 485; Lutter EuR 1969, 1, 6. 180 Vgl. Grohmann (Fn. 30), S. 176; Grundmann Rn. 215. 181 Vgl. EIC Services Ltd. v Phipps [2004] EWCA Civ 1069 per Gibson LJ; Fleischer NZG 2005, 529, 534 f.; Grundmann Rn. 215; Habersack § 5 Rn. 28; Schmid AG 1998, 127, 132. 182 Vgl. Habersack § 5 Rn. 28. 183 Vgl. Fankhauser (Fn. 52), S. 94; Fischer-Zernin (Fn. 21), S. 267 f.; Grohmann (Fn. 30), S. 177; Grundmann Rn. 216 f.; Habersack § 5 Rn. 29; Grundmann FS Lutter, 2000, S. 61, 72.

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nicht durchsetzbar.184 Die RL nimmt insofern vielmehr auf das jeweilige nationale Recht Bezug, allerdings mit Hilfe eines durchaus eleganten Kunstgriffs: Die Vertretungsmacht der Organe besteht nicht nur i.R.d. Befugnisse, die ihnen das jeweilige nationale Recht bzw. die Gesellschafter tatsächlich verliehen haben, sondern sie verpflichten die Gesellschaft durch sämtliche Handlungen, zu denen sie hätten befugt werden können – entscheidend ist also die nach nationalem Recht maximal mögliche Vertretungsbefugnis.185 73 Bedeutsam ist ferner, dass Art. 10 Abs. 1 Unterabs. 1 explizit anordnet, dass selbst der Gegenstand des Unternehmens grundsätzlich keine Beschränkung der Vertretungsmacht bildet. Die RL erteilte damit der englischen ultra vires doctrine 186 und dem romanischen Pendant der spécialité statutaire eine prinzipielle Absage (vgl. auch bereits § 8 Rn. 36, 38).187 Allerdings eröffnet sie – getreu ihrem Kompromisscharakter 188 – insoweit letztlich doch noch eine Hintertür: Gem. Art. 10 Abs. 1 Unterabs. 2 können die Mitgliedstaaten vorsehen, dass die Gesellschaft durch Handlungen, die den Rahmen des Unternehmensgegenstandes überschreiten, nicht verpflichtet wird, wenn sie beweist, dass dem Dritten bekannt war, dass die Handlung den Unternehmensgegenstand überschritt oder dass er darüber den Umständen nach nicht in Unkenntnis sein konnte. Eine Bekanntmachung in der Satzung reicht allerdings, wie Art. 10 Abs. 1 Unterabs. 2 a.E. ausdrücklich klarstellt, nicht aus – Art. 10 Abs. 1 Unterabs. 2 ist also insofern lex specialis zu Art. 3 Abs. 6.189 Im Gegensatz zu Art. 3 Abs. 6 Unterabs. 1, Abs. 7 Unterabs. 2 ist aber andererseits keine positive Kenntnis des Dritten erforderlich, vielmehr genügt auch der Nachweis, dass der Dritte über die Überschreitung des Unternehmensgegenstandes „den Umständen nach nicht in Unkenntnis sein konnte“ 190. Damit ist jedoch nicht lediglich einfach fahrlässige Unkenntnis gemeint 191; aus der negativen Formulierung i.V.m. der Ausschlussklausel in Art. 10 Abs. 1 Unterabs. 2 a.E. sowie der Entstehungsgeschichte 192 ergibt sich vielmehr, dass dem Dritten richtigerweise nur grob fahrlässige Unkenntnis schadet 193. 184 Vgl. Einmahl AG 1969, 167, 169; Fischer-Zernin (Fn. 21), S. 267 f.; Habersack § 5 Rn. 29; Schwab ZGR 2000, 446, 449 f. 185 Vgl. Einmahl AG 1969, 167, 169; Fischer-Zernin (Fn. 21), S. 267; Grohmann (Fn. 30), S. 177. 186 Vgl. dazu nur Davies (Fn. 142), 7-2; Palmer’s Company Law 2.612 ff. (jeweils m.w.N.). 187 Vgl. dazu Edwards S. 36 f.; dies. (1995) 16 Co Law 202, 203; Habersack § 5 Rn. 26; Schmid AG 1998, 127, 129; Schwab ZGR 2000, 446, 450. 188 Vgl. Edwards S. 36; dies. (1995) 16 Co Law 202, 203; Fankhauser (Fn. 52), S. 96; Habersack § 5 Rn. 27; näher zur Normengenese insoweit insbesondere Edwards S. 36 f. 189 Näher dazu Edwards S. 40 f. Siehe Official Custodian for Charities v Parway Estates Ltd. [1985] Ch 151 (betreffend die englische Umsetzung). 190 Englisch: „could not in view of the circumstances have been unaware of it“; französisch: „ne pouvait l’ignorer, compte tenu des circonstances“. 191 In diese Richtung jedoch Fischer-Zernin (Fn. 21), S. 296. Siehe ferner auch Kalss (Fn. 30), S. 119, 176 (Festlegung des Fahrlässigkeitsgrades ist Sache des nationalen Gesetzgebers). 192 Vgl. dazu näher Edwards S. 36 f.; dies. (1995) 16 Co Law 202, 203. 193 Ebenso Grohmann EWS 2007, 540, 546; Grundmann Rn. 219; ähnlich auch Habersack § 5 Rn. 27 und Schwarz Rn. 350 (Evidenz) sowie Einmahl AG 1969, 167, 171 („offensichtlich … nicht mehr gedeckt“); Fleischer NZG 2005, 529, 534 (einfache Fahrlässigkeit genügt nicht).

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Da der ultra vires-Gedanke dem deutschen Recht seit jeher fremd war, hat 74 Deutschland von der Option des Art. 10 Abs. 1 Unterabs. 2 erwartungsgemäß keinen Gebrauch gemacht. Andere Mitgliedstaaten haben die Option hingegen genutzt.194 Speziell im UK war die Umsetzung der Vorgaben des Art. 10 Abs. 1 allerdings Gegenstand heftiger Kontroversen195; die letzten Relikte der ultra vires doctrine wurden dort erst mit der Neuregelung in ss. 40 f. CA 2006 beseitigt 196, in Bezug auf Detailaspekte dieser Regelungen verbleiben indes noch eine Reihe ungelöster Fragen 197. cc) Unbeschränkbarkeit der Vertretungsmacht (Art. 10 Abs. 2) Die RL gestaltet die Vertretungsmacht der Organe jedoch nicht nur grundsätzlich 75 unbeschränkt, sondern auch unbeschränkbar aus:198 Gem. Art. 10 Abs. 2 können satzungsmäßige oder auf einem Beschluss der zuständigen Organe beruhende Beschränkungen der Befugnisse der Organe der Gesellschaft Dritten nie entgegengesetzt werden, auch dann nicht, wenn sie bekannt gemacht worden sind. Der Rechtsverkehr braucht sich also um derartige Gesellschaftsinterna nicht zu kümmern, insbesondere obliegen ihm insoweit auch keinerlei Nachforschungspflichten.199 Diese Unbeschränkbarkeit gilt aber selbstverständlich nur im Außenverhältnis; die Bindung der Gesellschaftsorgane im Innenverhältnis an satzungs- und beschlussmäßige Beschränkungen ihrer Geschäftsführungsbefugnis wird durch die RL nicht tangiert.200 dd) Sonderprobleme Neben der richtigen Auslegung der Vorschriften werden im Schrifttum insbesondere 76 auch zwei Sonderkonstellationen diskutiert, die in der RL keine – bzw. jedenfalls keine ausdrückliche – Regelung erfahren haben: Der Missbrauch der Vertretungsmacht (Rn. 77) und die Problematik von Interessenkollisionen (Rn. 78).

194 Vgl. Schwarz Rn. 350; Überblick bei Fischer-Zernin (Fn. 21), S. 296. 195 Vgl. dazu Edwards S. 42 ff.; dies. (1995) 16 Co Law 202, 205 f. (m.z.w.N.); s. ferner Davies (Fn. 142), 7-2 ff. Zur ursprünglichen Umsetzung in s. 9 ECA 1972 insbesondere auch Farrar/Powles (1973) 36 MLR 270 ff.; Green (1984) 47 MLR 671 ff.; Prentice (1973) 89 LQR 518, 523 ff. 196 Vgl. Davies (Fn. 142), 7-2; Davies/Rickford ECFR 2008, 48, 59; s. ferner auch J. Schmidt, Grundlegende Reform des Aktienrechts? – 34. DJT (1926) –, in: Bayer (Hrsg.), Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht in den Beratungen des Deutschen Juristentages, 2010, S. 259, 291. 197 Vgl. dazu näher Davies (Fn. 142), 7-2 ff.; Davies/Rickford ECFR 2008, 59 f.; Palmer’s Company Law 3.306 ff.; aus deutscher Sicht: Möser RIW 2010, 850, 855 ff. 198 Vgl. Fankhauser (Fn. 52), S. 96; Grundmann Rn. 221; Habersack § 5 Rn. 26; Kalss (Fn. 30), S. 119, 174; Kindler FS Lutter, 483, 487; Schwab ZGR 2000, 446, 450. 199 Vgl. Schwarz Rn. 351; Grundmann FS Lutter, 2000, S. 61, 72. S. ferner auch Einmahl AG 1969, 167, 170. 200 Im ersten Entwurf war dies noch explizit klargestellt; vgl. Edwards S. 39; dies. (1995) 16 Co Law 202, 204. S. ferner auch Fankhauser (Fn. 52), S. 97; Kalss (Fn. 30), S. 119, 175; Schwarz Rn. 356.

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(1) Missbrauch der Vertretungsmacht 77 Die Problematik, dass der Organwalter die Grenzen seines rechtlichen „Dürfens“ im Innenverhältnis überschreitet und der Dritte insoweit in irgendeiner Form „bösgläubig“ ist, war in allen Mitgliedstaaten schon vor Verabschiedung der RL bekannt.201 So ist z.B. in Deutschland das Rechtsgeschäft nach den Grundsätzen über den sog. Missbrauch der Vertretungsmacht schwebend unwirksam, wenn der Dritte die Überschreitung der Grenzen der Geschäftsführungsbefugnis kannte oder diese für ihn zumindest evident war.202 Die RL behandelt diese – durchaus praxisrelevante – Problematik gleichwohl nicht ausdrücklich. Bei unbefangener Betrachtung könnte man aus der pauschalen Formulierung in Art. 10 Abs. 2 sogar schließen, dass die Vorschrift die Bindungswirkung des Geschäfts generell auch gegenüber bösgläubigen Dritten fordert 203. Tatsächlich steht die RL einer Einschränkung jedoch sogar nicht nur nicht entgegen, vielmehr werden bösgläubige Dritte insoweit a priori gar nicht vom Schutzbereich der RL erfasst.204 Hierüber bestand i.R.d. Beratungen zur RL i.E. auch Konsens; man einigte sich letztlich jedoch darauf, auf eine Regelung in der RL selbst zu verzichten und die exakten Grenzen des Missbrauchseinwands weiterhin den nationalen Rechtsordnungen zu überlassen.205 Unter Berücksichtigung der Grundkonzeption und des Schutzzwecks der RL sowie im Hinblick auf den Grundsatz des effet utile des Unionsrechts ist allerdings anzunehmen, dass das nationale Recht für eine die Bindungswirkung ausschließende „Bösgläubigkeit“ zumindest die Evidenz der Überschreitung fordern muss, d.h. dass einfache Fahrlässigkeit seitens des Dritten nicht genügen darf.206 Aus deutscher Sicht ist jedenfalls festzuhalten, dass die Lehre vom Missbrauch der Vertretungsmacht richtlinienkonform ist.207 (2) Interessenkollisionen 78 Keine ausdrückliche Regelung enthält die RL ferner zum Problem einer etwaigen Beschränkung der Vertretungsmacht im Falle von Interessenkonflikten – obgleich auch dieses in den meisten nationalen Rechtsordnungen in der einen oder anderen 201 Vgl. näher Fischer-Zernin (Fn. 21), S. 301 ff. 202 Ausf. Hüffer (Fn. 143), § 82 Rn. 7; Seibt (Fn. 66), § 82 Rn. 5 ff.; Kleindiek (Fn. 66), § 35 Rn. 22 ff. (jeweils m.z.w.N.). 203 Vgl. Fleischer NZG 2005, 529, 533 f. 204 Vgl. Bayer/J. Schmidt (Fn. 18), Rn. 21; Habersack § 5 Rn. 28; Schwarz Rn. 356. S. ferner auch Fankhauser (Fn. 52), S. 99; Grohmann (Fn. 30), S. 180. 205 Vgl. Edwards S. 39 f.; dies. (1995) 16 Co Law 202, 204; Fankhauser (Fn. 52), S. 99; Fischer-Zernin (Fn. 21), S. 301 f.; Fleischer NZG 2005, 529, 534. 206 Ebenso Fankhauser (Fn. 52), S. 100; Fleischer NZG 2005, 529, 534; Grohmann (Fn. 30), S. 181; Habersack § 5 Rn. 28; Schmid AG 1998, 127, 131; i.E. wohl auch Werlauff S. 419. Ohne eine solche Einschränkung jedoch offenbar Edwards S. 39 f.; dies. (1995) 16 Co Law 202, 204; Schwarz Rn. 356. 207 Vgl. Bayer/J. Schmidt (Fn. 18), Rn. 21; Fleischer NZG 2005, 529, 534; Habersack, § 5 Rn. 28; Schmid AG 1998, 127, 132; Seibt (Fn. 66), § 82 Rn. 5; i.E. auch Grundmann Rn. 223. Vgl. ferner auch Kindler FS Lutter, 2000, S. 483, 487 ff. (zum italienischen Recht).

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Form bekannt ist (vgl. z.B. im deutschen Recht § 181 BGB, im englischen Recht ss. 177, 182 CA 2006208). Einer Ansicht im Schrifttum zufolge soll ein Dritter durch Art. 10 auch im Falle von Interessenkonflikten und Insichgeschäften geschützt werden, alles andere widerspräche dem Zweck der RL und würde ihren Integrationserfolg zunichte machen.209 Der EuGH hat jedoch in der Rs. Rabobank 210 entschieden, dass „die Frage, ob Handlungen von Mitgliedern von Gesellschaftsorganen, bei deren Vornahme zwischen diesen und der vertretenen Gesellschaft ein Interessenkonflikt bestand, Dritten gegenüber unwirksam sind, nicht in der 1. Richtlinie geregelt ist, sondern in die Zuständigkeit des einzelstaatlichen Gesetzgebers fällt“. Zur Begründung führte das Gericht aus, dass Art. 10 Abs. 1 Unterabs. 1 sowohl seinem Wortlaut als auch seinem Regelungsinhalt nach nur die Beschränkungen der den verschiedenen Organen gesetzlich zugewiesenen Befugnisse betrifft, nicht aber die Koordinierung der einzelstaatlichen Vorschriften bezweckt, die den Fall regeln, dass sich ein Mitglied eines Organs auf Grund seiner persönlichen Situation in einem Interessenkonflikt mit der von ihm vertretenen Gesellschaft befindet. Ebenso wenig betreffe die Vorschrift die Frage, ob ein Dritter auf Grund der Umstände des betreffenden Falles wusste oder wissen musste, dass ein Interessenkonflikt vorlag. Die Entscheidung betraf zwar an sich die Richtlinienkonformität einer niederländischen Vorschrift (Art. 2:256 Burgerlijk Wetboek), lässt sich jedoch ohne Weiteres auch auf das deutsche Pendant in § 181 BGB übertragen.211

ee) Einzel- und/oder Gesamtvertretungsmacht (Art. 10 Abs. 3) Hinsichtlich der Frage der personellen Ausgestaltung der Vertretung – Einzel- bzw. 79 Gesamtvertretung oder gar eine Mischform aus beiden 212 – ist das nationale Recht durch die RL in materieller Hinsicht nicht harmonisiert; die Mitgliedstaaten können

208 Vgl. dazu etwa Davies (Fn. 142), 16–40 ff. m.z.N. Der CA 2006 hat die Rechtslage in Bezug auf Geschäfte der directors mit der Gesellschaft zwar erheblich umgestaltet, die Rechtsprechung hatte hierfür jedoch schon im 19. Jahrhundert Regeln entwickelt, spezielle gesetzliche Regelungen existierten zudem bereits seit 1929, vgl. Davies a.a.O. 16–42. 209 Vgl. Grundmann Rn. 226; Meilicke DB 1999, 785, 787. 210 EuGH v. 16.12.1997, Coöperatieve Rabobank „Vecht en Plassengebied“ BA ./. Erik Aarnoud Minderhoud, Rs. C-104/96, Slg. 1997, I-7211. Dazu Edwards S. 38 f.; Fankhauser (Fn. 52), S. 101 ff.; Grohmann (Fn. 30), S. 181; Habersack § 5 Rn. 30. 211 Ebenso Habersack § 5 Rn. 30; Kindler FS Lutter, S. 483, 486 f.; Klinke ZGR 2002, 163, 180 f. Anders jedoch Meilicke DB 1999, 785, 787 f.; Schwab ZGR 2000, 446, 451 ff., 460 ff., 475 ff. (nach deren Auffassung § 181 BGB insoweit richtlinienwidrig ist). Sehr kritisch zum EuGH-Urteil auch Grohmann (Fn. 30), S. 181 f.; Grundmann Rn. 226. Vgl. zur Problematik um § 181 BGB ferner auch Schmid AG 1998, 127, 131 f. 212 Vgl. zur Gestaltungsvielfalt in den Mitgliedstaaten Schwarz Rn. 345, sowie ausf. FischerZernin (Fn. 21), S. 243 ff., zu den ursprünglichen 6 Mitgliedstaaten Einmahl AG 1969, 167, 171.

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insoweit vielmehr an ihren traditionellen Ausgestaltungen festhalten.213 Art. 10 Abs. 3 enthält lediglich eine publizitätsrechtliche Lösung 214 des Problems von der gesetzlichen Vertretungsregelung abweichender Satzungsregelungen: Wenn das nationale Recht die gesetzliche Regelung betreffend die personelle Organisation der Vertretung satzungsdispositiv ausgestaltet, so kann es auch vorsehen, dass die entsprechende Satzungsbestimmung Dritten nach Maßgabe des Art. 3 (dazu Rn. 43 ff.) entgegengesetzt werden kann. Art. 10 Abs. 3 enthält also insoweit eine Ausnahme von der in Art. 10 Abs. 2 enthaltenen Grundregel, nach der satzungsmäßige Beschränkungen der Organbefugnisse Dritten nicht entgegengehalten werden können (vgl. dazu o. Rn. 75).215 Die Vorschrift erfasst trotz ihres etwas unglücklichen Wortlauts sämtliche Varianten einer von der gesetzlichen Grundregel abweichenden satzungsmäßigen Vertretungsregelung: 216 (1) gesetzliche Einzelvertretung, aber satzungsmäßige Gesamtvertretung; (2) gesetzliche Gesamtvertretung, aber satzungsmäßige Einzelvertretung, sowie (3) alle denkbaren Mischformen (insbesondere auch die sog. unechte bzw. gemischte Gesamtvertretung, denn in Abs. 3 ist nur allgemein von „Personen“, nicht – wie in Abs. 1 und 2 von „Organen“ – die Rede217). Voraussetzung ist aber stets, dass die Satzungsklausel die Vertretungsbefugnis generell – und nicht nur bestimmte Einzelfälle – betrifft.218 80 Deutschland hat – ebenso wie die meisten anderen Mitgliedstaaten 219 – von der Option des Art. 10 Abs. 3 Gebrauch gemacht: Gem. § 78 Abs. 2 S. 1 AktG und § 35 Abs. 2 S. 1 GmbHG ist die grundsätzlich als Gesamtvertretung ausgestaltete Aktivvertretung durch den Vorstand bzw. die Geschäftsführer satzungsdispositiv. Kontrovers diskutiert wird allerdings die Richtlinienkonformität des § 78 Abs. 3 S. 2 AktG (Bestimmung einer abweichenden Vertretungsregelung durch den Aufsichtsrat) 220 und des § 78 Abs. 4 AktG (Einzelermächtigung) 221.

3. Nichtigkeit und Vernichtbarkeit von Gesellschaften (Art. 11–13) 81 Kapitel 4 der RL (Art. 11–13) regelt die Nichtigkeit und Vernichtbarkeit von Gesellschaften. Angesichts der enormen Folgen einer Nichtigerklärung für Gläubiger und Gesellschafter sind die Vorschriften von dem Gedanken geprägt, die Fälle der Nich-

213 214 215 216 217 218 219 220

221

Vgl. Fischer-Zernin (Fn. 21), S. 235; Grohmann (Fn. 30), S. 179; Habersack § 5 Rn. 31. Vgl. Schwarz Rn. 346. Vgl. Edwards S. 45. Vgl. Einmahl AG 1969, 167, 172. Fischer-Zernin (Fn. 21), S. 236 f.; Kalss (Fn. 30), S. 119, 177. S. ferner auch Grohmann (Fn. 30), S. 179. Vgl. Grundmann Rn. 220. Vgl. Schwarz Rn. 346; ausf. Fischer-Zernin (Fn. 21), S. 243 ff. Dafür Habersack § 5 Rn. 31 (eher zurückhaltend jedoch ders. in: GroßkommAktG, 4. Aufl. 2003, § 78 Rn. 42); Hüffer (Fn. 143), § 78 Rn. 14; Spindler in: MünchKommAktG, 3. Aufl. 2008, § 78 Rn. 55; dagegen Einmahl AG 1969, 167, 172 f.; Fischer-Zernin (Fn. 21), S. 245 f.; sowie auch noch Schwarz Rn. 346. Dafür Habersack § 5 Rn. 31; dagegen Schwarz ZHR 166 (2002), 625, 633 ff., 652.

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tigkeit sowie die Rückwirkung und Angreifbarkeit einer Nichtigerklärung im Interesse maximaler Rechtssicherheit sowohl im Innen- als auch im Außenverhältnis soweit wie möglich zu beschränken (vgl. Erwägungsgrund 10).222 Vor dem Hintergrund der erheblich divergierenden nationalen Systeme 223 normiert die RL jedoch auch insoweit lediglich einen Mindeststandard 224, der den Mitgliedstaaten durchaus beachtlichen Spielraum lässt. Sonderregeln gelten im Fall der Neugründung einer Gesellschaft im Wege der nationalen oder grenzüberschreitenden Verschmelzung (vgl. Art. 22 der 3. (Fusions-)RL [dazu § 21 Rn. 99 ff.] bzw. Art. 17 der 10. RL [dazu § 23 Rn. 119]) oder der Spaltung (vgl. Art. 19 der 6. (Spaltungs-)RL, dazu § 22 Rn. 76). Nach der Rechtsprechung des EuGH ist der Anwendungsbereich der Vorschrif- 82 ten des Kapitel 4 allerdings nur dann eröffnet, wenn „Dritte durch die gem. [Kapitel 2] offen gelegten Angaben zu der Annahme veranlasst wurden, es bestehe eine Gesellschaft i.S.d. Ersten Richtlinie“.225 Voraussetzung ist also die tatsächliche oder entsprechend den Vorschriften der RL offen gelegte Existenz der Gesellschaft.226 Nicht vom Schutzbereich erfasst sind dagegen die Fälle, in denen ein Dritter allein auf Grund des Verhaltens von Gesellschaftsorganen und -vertretern auf das Bestehen einer Gesellschaft vertraut oder wenn eine Gesellschaft im nationalen Register lediglich als „in Gründung befindliche Gesellschaft“ erscheint.227

a) Gründungskontrolle (Art. 11) Erste Säule der Nichtigkeitsvorschriften ist das Erfordernis eines Mindestmaßes von 83 Gründungskontrolle, durch die eine Nichtigkeit a priori verhindert werden soll („Nichtigkeitsprophylaxe“ 228).229 Angesichts der äußerst heterogenen Ausgestaltung der Gründungskontrolle in den nationalen Rechtsordnungen konnte man sich i.R.d. Beratungen zur RL allerdings nicht auf ein uniformes System einigen.230 Art. 11 eröff-

222 Vgl. Einmahl AG 1969, 210; Goldmann FS Sanders, 1972, S. 59, 61; Habersack § 5 Rn. 32. 223 Vgl. dazu Edwards S. 46; Fischer-Zernin (Fn. 21), S. 165 ff.; Habersack § 5 Rn. 32. 224 Habersack § 5 Rn. 34; Schwarz Rn. 362. 225 EuGH v. 20.9.1988, Ubbink Isolatie B.V. ./. DAK-EN Wandtechniek B.V., Rs. 136/87, Slg. 1988, 4665. Dazu Dorresteijn/Monteiro/C. Teichmann/Werlauff (Fn. 68), 3.33; Edwards S. 47 f.; Fankhauser (Fn. 52), S. 114; Habersack § 5 Rn. 37. 226 Habersack § 5 Rn. 37; Schwarz Rn. 364. 227 Vgl. EuGH v. 20.9.1988, Ubbink Isolatie B.V. ./. DAK-EN Wandtechniek B.V., Rs. 136/87, Slg. 1988, 4665, Rn. 13, 15. 228 So treffend Grundmann Rn. 198; vgl. ferner auch Grohmann (Fn. 30), S. 185. 229 Vgl. Edwards S. 46; Fischer-Zernin (Fn. 21), S. 164; Grundmann Rn. 200; Habersack § 5 Rn. 33. 230 Vgl. dazu Einmahl AG 1969, 210 f.; Edwards S. 46; Schwarz Rn. 359 sowie ausf. FischerZernin (Fn. 21), S. 165 ff.

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net den Mitgliedstaaten vielmehr zwei alternative Formen der Gründungskontrolle: (1) Eine vorbeugende Verwaltungs- oder gerichtliche Kontrolle der Gesellschaftsgründung oder (2) die öffentliche Beurkundung von Errichtungsakt und Satzung sowie jeder Änderung derselben.231 Die RL verlangt also nicht zwingend eine gerichtliche oder behördliche Gründungskontrolle, sondern lässt die mit einer notariellen Beurkundung verbundene „Richtigkeitsgewähr“ genügen. 84 Das deutsche Recht, das traditionell sowohl eine notarielle Beurkundung (vgl. § 2 Abs. 1 GmbHG, § 23 Abs. 1 AktG) als auch eine gerichtliche Gründungskontrolle vorsieht (vgl. § 9c GmbHG, § 38 AktG), geht über diesen Mindeststandard der RL sogar hinaus.232 Aus französischer Sicht war die Regelung indes durchaus problematisch.233

b) Nichtigkeitsvoraussetzungen (Art. 12) 85 Zweite Säule sind die in Art. 12 normierten Restriktionen für den Eintritt einer Nichtigkeit. Der Begriff der „Nichtigkeit“ ist dabei – wie sich aus S. 2 der Vorschrift ergibt – weit zu verstehen: Erfasst sind sämtliche denkbaren Varianten der (absoluten oder relativen) Nichtigkeit bzw. Inexistenz, die Mitgliedstaaten können die insoweit geltenden Beschränkungen also nicht durch eine bloße „Umetikettierung“ umgehen.234 86 Im Interesse einer gewissen Richtigkeitsgewähr darf die Nichtigkeit gem. Art. 12 S. 1 lit. a nur durch eine gerichtliche Entscheidung ausgesprochen werden. Um unzumutbare Schwebezustände zu vermeiden235, darf das nationale Recht Einsprüche Dritter hiergegen zudem nur binnen einer Frist von maximal sechs Monaten nach Bekanntmachung der Entscheidung zulassen (Art. 13 Abs. 1 S. 2). 87 Vor allem aber enthält Art. 12 S. 1 lit. b eine – wie sich aus S. 2 ergibt – abschließende Aufzählung der möglichen Nichtigkeitsgründe.236 Diese sind gemäß der Grundsatzentscheidung des EuGH in der Rs. Marleasing aus Gründen der

231 Vgl. zum Ganzen: Edwards S. 46; Einmahl AG 1969, 210 f.; Fischer-Zernin (Fn. 21), 164; Grohmann (Fn. 30), S. 185; Grundmann Rn. 200; Habersack § 5 Rn. 33; Kalss (Fn. 30), S. 119, 180. 232 Vgl. Bayer/J. Schmidt (Fn. 18), Rn. 22; Schwarz Rn. 359. 233 Vgl. ausf. Fischer-Zernin (Fn. 21), S. 171 ff. Zur Umsetzung in einigen anderen Mitgliedstaaten: Dorresteijn/Monteiro/C. Teichmann/Werlauff (Fn. 68), 5.06a. 234 Vgl. Einmahl AG 1969, 210, 211; Grohmann (Fn. 30), S. 185; Grundmann Rn. 201; Habersack, § 5 Rn. 36; Kalss (Fn. 30), S. 119, 182. 235 Vgl. Grohmann (Fn. 30), S. 187. 236 Vgl. EuGH v. 13.11.1990, Marleasing SA ./. Comercial Internacional de Alimentacion SA, Rs. C-106/89, Slg. 1990, I-4135, Rn. 10; Edwards S. 46 Fn. 142; Fankhauser (Fn. 52), S. 114 f.; Fischer-Zernin (Fn. 21), S. 161; Goldmann FS Sanders, 1972, S. 59, 61; Grohmann (Fn. 30), S. 186; Kalss (Fn. 30), S. 119, 181; Klinke ZGR 1993, 1, 21; Stuyck/ Wytinck (1991) 28 C.M.L. Rev. 205, 219.

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Rechtssicherheit und des Verkehrsschutzes eng auszulegen.237 Zudem handelt es sich lediglich um einen „Maximalkatalog“, d.h. jeder Mitgliedstaat „kann“ die genannten Nichtigkeitstatbestände in seinem nationalen Recht vorsehen, ist aber andererseits in keiner Weise dazu gezwungen, alle oder bestimmte hiervon zu übernehmen (bzw. überhaupt Nichtigkeitsgründe vorzusehen).238 Dogmatisch enthält der Katalog der zulässigen Nichtigkeitsgründe zwei formelle 88 (sublit. i und iii) sowie vier materielle (sublit. ii, iv, v und vi) Tatbestände.239 Sublit. i bezieht sich auf das Fehlen der in Art. 11 vorgeschriebenen Präventivkontrolle (dazu o. Rn. 83 f.).240 Der in sublit. ii normierte ordre public-Vorbehalt 241 wurde vom EuGH in seinem Urteil in der Rs. Marleasing dahin gehend ausgelegt, dass sich der Ausdruck „tatsächlicher Gegenstand des Unternehmens“ auf den im Errichtungsakt oder in der Satzung beschriebenen Unternehmensgegenstand bezieht.242 Eine Gesellschaft darf also nicht allein deshalb für nichtig erklärt werden, weil ihre tatsächliche Betätigung rechtswidrig ist oder gegen die öffentliche Ordnung verstößt.243 Sublit. iii und iv betreffen Verstöße gegen Kapitalschutzvorschriften, die der europäische Gesetzgeber ersichtlich für besonders gravierend erachtete.244 Sublit. v (Geschäftsunfähigkeit aller Gründungsgesellschafter) verdankt seine Existenz letztlich den – doch etwas kuriosen – Befürchtungen des EWSA um Gesellschaftsgründungen Minderjähriger.245 Sublit. vi ist inzwischen auf Grund von Art. 2 Abs. 1 der 12. (Einpersonengesellschafts-)RL (dazu § 29 Rn. 10 ff.) jedenfalls für die GmbH obsolet und hat nur noch für diejenigen Mitgliedstaaten Bedeutung, die – anders als Deutschland (vgl. § 2 AktG) – bei der AG keine Einpersonengründung zulassen (zur insoweit bestehenden Wahlfreiheit und ihrer Ausübung durch die Mitgliedstaaten: § 29 Rn. 8 sowie auch bereits § 12 Rn. 6); 246

237 EuGH v. 13.11.1990, Marleasing SA ./. Comercial Internacional de Alimentacion SA, Rs. C-106/89, Slg. 1990, I-4135, Rn. 12. Vgl. Grundmann Rn. 204; Habersack § 5 Rn. 35; Klinke ZGR 1993, 1, 21; Schwarz Rn. 361. 238 Vgl. Fankhauser (Fn. 52), S. 115; Goldmann FS Sanders, 1972, S. 59, 61 Fn. 7; Grohmann (Fn. 30), S. 186; Grundmann Rn. 203; Habersack § 5 Rn. 34; Fischer-Zernin (Fn. 21), S. 161; Kalss (Fn. 30), S. 119, 181; Lutter EuR 1969, 1, 18. 239 Vgl. Fischer-Zernin (Fn. 21), S. 160; Kalss (Fn. 30), S. 119, 180; Schwarz Rn. 362. 240 Näher dazu Einmahl AG 1969, 210, 211. 241 Vgl. Grohmann (Fn. 30), S. 187; Grundmann Rn. 204. 242 EuGH v. 13.11.1990, Marleasing SA ./. Comercial Internacional de Alimentacion SA, Rs. C-106/89, Slg. 1990, I-4135, Rn. 12. Vgl. ausf. zu den teilweise divergierenden Sprachfassungen sowie zur abweichenden Stellungnahme von GA Van Gerven: Edwards S. 49 f. 243 Vgl. EuGH v. 13.11.1990, Marleasing SA ./. Comercial Internacional de Alimentacion SA, Rs. C-106/89, Slg. 1990, I-4135, Rn. 11 f.; Fankhauser (Fn. 52), S. 115; Grohmann (Fn. 30), S. 187; Grundmann Rn. 204; Klinke ZGR 1993, 1, 21; Stuyck/Wytinck (1991) 28 C.M.L. Rev. 205, 220; vgl. ferner auch Samara-Krispis/Steindorff (1992) 29 C.M.L. Rev. 615, 616; Lutter JZ 1992, 593, 597, 599. 244 Vgl. Grundmann Rn. 204. S. ferner auch Einmahl AG 1969, 210, 212. 245 Näher dazu Einmahl AG 1969, 210, 212. 246 Vgl. Edwards S. 47 Fn. 143; Fankhauser (Fn. 52), S. 116; Grundmann Rn. 204; Habersack § 5 Rn. 34; Kalss (Fn. 30), S. 119, 181.

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Gesellschaftsrechtliche Richtlinien

für AG wird sublit. vi durch Art. 5 der 2. (Kapital-)RL komplementiert (vgl. dazu § 20 Rn. 23 ff.). 89 Aus deutscher Perspektive bedeutete Art. 12 die Notwendigkeit einer Novellierung der Nichtigkeitstatbestände des Aktien- und GmbH-Rechts: Gemäß den durch zur Umsetzung neu eingeführten §§ 262 Abs. 1 Nr. 5 AktG, 60 Abs. 1 Nr. 5 (seit 1.1.1999: Nr. 6) GmbHG, 144a FGG (seit 1.9.2009 ersetzt durch § 399 FamFG) führen die dort genannten Satzungsmängel nicht mehr zur Nichtigkeit der Gesellschaft (so noch § 275 AktG a.F. bzw. § 75 Abs. 1 GmbHG a.F.), sondern stellen nur noch Gründe für eine gerichtliche Auflösung dar.247

c) Nichtigkeitsfolgen (Art. 13) 90 Dritte Säule der Nichtigkeitsvorschriften sind die in Art. 13 geregelten Nichtigkeitsfolgen. Gem. Art. 13 Abs. 2 bewirkt die Nichtigkeit, dass die Gesellschaft in Liquidation tritt. Dies bedeutet zum einen, dass die Nichtigkeit lediglich ex nunc (also nicht rückwirkend) eintritt,248 zum anderen, dass die Gesellschaft bis zum Abschluss der Liquidation einstweilen – wenngleich nun mit geändertem Zweck – bestehen bleibt 249. Das Liquidationsverfahren selbst richtet sich dabei nach nationalem Recht.250 91 Betreffend das Außenverhältnis bestimmt Art. 13 Abs. 3, dass die Gültigkeit von Verpflichtungen, die vor der Nichtigerklärung eingegangen wurden, durch diese nicht beeinträchtigt wird. Dem Schutz des Rechtsverkehrs dient darüber hinaus auch Art. 13 Abs. 1 S. 1: Die gerichtliche Nichtigerklärung kann Dritten nur nach Maßgabe des Art. 3 (dazu o. Rn. 13 ff.), also prinzipiell nur nach ordnungsgemäßer Eintragung und Bekanntmachung, entgegengehalten werden.251 92 Die Regelung der Wirkungen der Nichtigkeit im Innenverhältnis überlässt die RL dagegen grundsätzlich dem jeweiligen Mitgliedstaat (Art. 13 Abs. 4). Einzige Ausnahme hiervon ist die Gläubigerschutzregelung 252 des Art. 13 Abs. 5, wonach die Gesellschafter zur Einzahlung des gezeichneten, aber noch nicht eingezahlten Kapitals verpflichtet bleiben, soweit dies zur Befriedigung der Gläubiger erforderlich ist.

247 Vgl. dazu Ankele GmbHR 1969, 52, 57; Bayer/J. Schmidt (Fn. 18), Rn. 22; Einmahl AG 1969, 210, 213 f.; Habersack, § 5 Rn. 6 Fn. 10; Lutter EuR 1969, 1, 17; Meyer-Ladewig MDR 1969, 818, 819 f.; Schwarz Rn. 365 248 Vgl. Fankhauser (Fn. 52), S. 116; Fischer-Zernin (Fn. 21), S. 163; Goldmann FS Sanders, 1972, S. 59, 67; Grohmann (Fn. 30), S. 188; Grundmann Rn. 206; Habersack § 5 Rn. 39; Kalss (Fn. 30), S. 119, 183. 249 Vgl. Fischer-Zernin (Fn. 21), S. 163; Grundmann Rn. 206; Habersack § 5 Rn. 39; Kalss (Fn. 30), S. 119, 183. 250 Fankhauser (Fn. 52), S. 116; Grundmann Rn. 206. 251 Vgl. Einmahl AG 1969, 210, 216; Schwarz Rn. 365. S. ferner Grohmann (Fn. 30), S. 187 f.; Grundmann Rn. 206. 252 Vgl. Grohmann (Fn. 30), S. 188; Grundmann Rn. 207; Habersack § 5 Rn. 39.

Die Publizitätsrichtlinie (1. Richtlinie)

453

Das deutsche Recht bedurfte im Hinblick auf die in Art. 13 geregelten Nichtig- 93 keitsfolgen keiner Anpassung, da es den insoweit gestellten Anforderungen bereits entsprach.253 IV. Fundstellenverzeichnis Grundlage:

Art. 50 Abs. 2 lit. g AEU [G Art. 44 Abs. 2 lit. g EG G Art. 54 Abs. 3 lit. g EWG]

Vorschläge:

Vorschlag für eine Richtlinie des Rats zur Koordinierung der Schutzbestimmungen, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Sinne des Artikels 58 Absatz 2 im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter vorgeschrieben sind, um diese Bestimmungen gleichwertig zu gestalten, 21.2.1964, ABlEG v. 27.11.1964, S. 3245 = BT-Drs. IV/2014

verabschiedete Fassung:

Erste Richtlinie 68/151/EWG des Rates v. 9.3.1968 zur Koordinierung der Schutzbestimmungen, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Sinne des Artikels 58 Absatz 2 des Vertrages im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter vorgeschrieben sind, um diese Bestimmungen gleichwertig zu gestalten, ABlEG v. 14.3.1968, L 65/8

geändert durch:

Beitrittsakte von 1972, ABlEG v. 27.3.1972, L 73/14 (Dänemark, Irland, Vereinigtes Königreich) Beitrittsakte von 1979, ABlEG v. 19.11.1979, L 291/17 (Griechenland) Beitrittsakte von 1985, ABlEG v. 15.11.1985, L 302/23 (Spanien und Portugal) Beitrittsakte von 1994, ABlEG v. 29.8.1994, C 241/194 (Finnland, Österreich und Schweden) Beitrittsakte von 2003, ABlEU v. 23.9.2003, L 236/338 (Estland, Lettland, Litauen, Malta, Polen, Slowakei, Slowenien, Tschechien, Ungarn, Zypern) Richtlinie 2003/58/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 15.7.2003 zur Änderung der Richtlinie 68/151/ EWG des Rates in Bezug auf die Offenlegungspflichten von Gesellschaften bestimmter Rechtsform, ABlEU v. 4.9.2003 L 221/13 RL 2006/99/EG des Rates v. 20.11.2006 zur Anpassung bestimmter Richtlinien im Bereich Gesellschaftsrecht anlässlich des Beitritts Bulgariens und Rumäniens, ABlEU v. 20.12.2006, L 363/137

kodifizierte Fassung:

RL 2009/101/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 16.9.2009 zur Koordinierung der Schutzbestimmungen, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Sinne des Artikels 48 Absatz 2 des Vertrags im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter vorgeschrieben sind, um diese Bestimmungen gleichwertig zu gestalten, ABlEU v. 1.10.2009, L 258/11

253 Vgl. Bayer/J. Schmidt (Fn. 18), Rn. 22; Einmahl AG 1969, 210, 217; Meyer-Ladewig MDR 1969, 818, 819.

454

Gesellschaftsrechtliche Richtlinien

Umsetzung in Deutschland: ursprüngliche Umsetzung Gesetz zur Durchführung der Ersten Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaften zur Koordinierung des Gesellschaftsrechts v. 15.8.1969, BGBl. I, 1146 RL 2003/58/EG

Gesetz über elektronische Handelsregister und Genossenschaftsregister sowie das Unternehmensregister (EHUG) v. 10.11.2006, BGBl. I, 2553

RL 2006/99/EG

spezielle Umsetzung nicht erforderlich

Die Publizitätsrichtlinie (1. Richtlinie)

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RICHTLINIE 2009/101/EG DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES vom 16. September 2009 zur Koordinierung der Schutzbestimmungen, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Sinne des Artikels 48 Absatz 2 des Vertrags im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter vorgeschrieben sind, um diese Bestimmungen gleichwertig zu gestalten (kodifizierte Fassung)

DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT UND DER RAT DER EUROPÄISCHEN UNION – gestützt auf den Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, insbesondere auf Artikel 44 Absatz 2 Buchstabe g, gestützt auf das Allgemeine Programm zur Aufhebung der Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit(1), insbesondere auf Titel VI, auf Vorschlag der Kommission, nach Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses(2), gemäß dem Verfahren des Artikels 251 des Vertrags(3), in Erwägung nachstehender Gründe: (1) Die Erste Richtlinie 68/151/EWG des Rates vom 9. März 1968 zur Koordinierung der Schutzbestimmungen, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Sinne des Artikels 58 Absatz 2 des Vertrags im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter vorgeschrieben sind, um diese Bestimmungen gleichwertig zu gestalten(4), wurde mehrfach und erheblich geändert(5). Aus Gründen der Klarheit und der Übersichtlichkeit empfiehlt es sich, die genannte Richtlinie zu kodifizieren. (2) Der Koordinierung der einzelstaatlichen Vorschriften über die Offenlegung, die Wirksamkeit eingegangener Verpflichtungen von Aktiengesellschaften, Kommanditgesellschaften auf Aktien oder Gesellschaften mit beschränkter Haftung sowie die Nichtigkeit dieser Gesellschaften kommt insbesondere zum Schutz der Interessen Dritter eine besondere Bedeutung zu. (3) Die Offenlegung sollte es Dritten erlauben, sich über die wesentlichen Urkunden der Gesellschaft sowie einige sie betreffende Angaben,

(1) ABl. 2 vom 15.1.1962, S. 36/62. (2) ABl. C 204 vom 9.8.2008, S. 25. (3) Stellungnahme des Europäischen Parlaments vom 17. Juni 2008 (noch nicht im Amtsblatt veröffentlicht) und Beschluss des Rates vom 13. Juli 2009. (4) ABl. L 65 vom 14.3.1968, S. 8. (5) Siehe Anhang I Teil A.

insbesondere die Personalien derjenigen, welche die Gesellschaft verpflichten können, zu unterrichten. (4) Gesellschaften sollten unbeschadet der grundlegenden Anforderungen und vorgeschriebenen Formalitäten des einzelstaatlichen Rechts der Mitgliedstaaten die Möglichkeit haben, die erforderlichen Urkunden und Angaben auf Papier oder in elektronischer Form einzureichen. (5) Die betroffenen Parteien sollten in der Lage sein, von dem Register Kopien dieser Urkunden und Angaben sowohl in Papierform als auch in elektronischer Form zu erhalten. (6) Die Mitgliedstaaten sollten das Amtsblatt, in dem die offen zu legenden Urkunden und Angaben bekannt zu machen sind, in Papierform oder in elektronischer Form führen oder Bekanntmachungen durch andere ebenso wirksame Formen vorschreiben können. (7) Der grenzüberschreitende Zugang zu Unternehmensinformationen sollte erleichtert werden, indem zusätzlich zur obligatorischen Offenlegung in einer der im Mitgliedstaat des Unternehmens zugelassenen Sprachen die freiwillige Eintragung der erforderlichen Urkunden und Angaben in weiteren Sprachen gestattet wird. Gutgläubig handelnde Dritte sollten sich auf diese Übersetzungen berufen können. (8) Es sollte klargestellt werden, dass die in der vorliegenden Richtlinie vorgeschriebenen Angaben in allen Briefen und Bestellscheinen der Gesellschaft unabhängig davon zu machen sind, ob sie Papierform oder eine andere Form aufweisen. Im Zuge der technischen Entwicklungen sollte auch vorgesehen werden, dass diese Angaben auf den Webseiten der Gesellschaft zu machen sind. (9) Der Schutz Dritter sollte durch Bestimmungen gewährleistet werden, welche die Gründe, aus denen im Namen der Gesellschaft eingegangene Verpflichtungen unwirksam sein können, so weit wie möglich beschränken. (10) Um die Rechtssicherheit in den Beziehungen zwischen der Gesellschaft und Dritten sowie im Verhältnis der Gesellschafter untereinander zu gewährleisten, ist es erforderlich, die Fälle der

456

Gesellschaftsrechtliche Richtlinien

Nichtigkeit sowie die Rückwirkung der Nichtigerklärung zu beschränken und für den Einspruch Dritter gegen diese Erklärung eine kurze Frist vorzuschreiben. (11) Diese Richtlinie sollte die Verpflichtungen der Mitgliedstaaten hinsichtlich der in Anhang I Teil B genannten Fristen für die Umsetzung der dort genannten Richtlinien in innerstaatliches Recht unberührt lassen – HABEN FOLGENDE RICHTLINIE ERLASSEN:



la cociedad anónima, la sociedad comanditaria por acciones, la sociedad de responsabilidad limitada; –



Artikel 1 Die durch diese Richtlinie vorgeschriebenen Koordinierungsmaßnahmen gelten für die Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten für Gesellschaften folgender Rechtsformen:





naamloze vennootschap,

société anonyme,

commanditaire vennootschap op aandelen,

société en commandite par actions,

personenvennootschap met beperkte aansprakelijkheid;

société de personnes à responsabilité limitée;

in Bulgarien:







in Estland:







in Griechenland: anånumh etairía, etairía periwrisménhß euqúnhß, eterórruqmh katá metocéß etairía;

in Österreich: die Aktiengesellschaft, die Gesellschaft mit beschränkter Haftung;



in Polen: spól/ ka z ograniczona˛ odpowiedzialnos´cia˛, spól/ ka komandytowo-akcyjna, spól/ ka akcyjna;

in Irland: Companies incorporated with limited liability;

in den Niederlanden: naamloze vennootschap, besloten vennootschap met beperkte aansprakelijkheid;

aktsiaselts, osaühing; –

in Malta: kumpannija pubblika/public limited liability company, kumpannija privata/private limited liability company;

die Aktiengesellschaft, die Kommanditgesellschaft auf Aktien, die Gesellschaft mit beschränkter Haftung; –

in Ungarn: részvénytársaság, korlátolt felelo˝sségu˝ társaság;

aktieselskab, kommanditaktieselskab, anpartsselskab; in Deutschland:

in Luxemburg: société anonyme, société en commandite par actions, société à responsabilité limitée;

in der Tschechischen Republik:

in Dänemark:

in Litauen: akcine˙ bendrove˙, uzˇdaroji akcine˙ bendrove˙;

spolecˇ nost s rucˇením omezeny´m, akciová spolecˇnost;



in Lettland: akciju sabiedrı¯ ba, sabiedrı¯ ba ar ierobezˇotu atbildı¯ bu, komanditsabiedrı¯ ba;

in Belgien:





in Zypern: Dhmósieß etaipeíeß periorisménhß euqúnhß me metocéß ä me eggúhsh, idiwtikéß etaireíeß periorisménhß euqúnhß me metocéß ä me eggúhsh;

akcionerno druøestvo, druøestvo, s ogranihena otgovornost, komanditno druøestvo s akcii; –

in Italien: società per azioni, società in accomandita per azioni, società a responsabilità limitata;

ANWENDUNGSBEREICH



in Frankreich: société anonyme, société en commandite par actions, société à responsibilité limitée, société par actions simplifiée;

KAPITEL 1



in Spanien:



in Portugal: a sociedade anónima de responsabilidade limitada, a sociedade em comandita por acções, a sociedade por quotas de responsabilidade limitada;

457

Die Publizitätsrichtlinie (1. Richtlinie) –

in Rumänien: societate pe act¸iuni, societate cu ra˘spundere limitata˘, societate în comandita˘ pe act¸iuni;





in Slowenien: delnisˇka druzˇba, druzˇba z omejeno odgovornostjo, komaditna delnisˇka druzˇba;

g) jede Verlegung des Sitzes der Gesellschaft;

in der Slowakei:

i) die gerichtliche Entscheidung, in der die Nichtigkeit der Gesellschaft ausgesprochen wird;

akciová spolocˇnost’, spolocˇnost’ s rucˇením obmedzeny´m; –

f) die nach Maßgabe der Richtlinien des Rates 78/660/EWG(6), 83/349/EWG(7), 86/635/EWG(8) und 91/674/EWG(9) für jedes Geschäftsjahr offen zu legenden Unterlagen der Rechnungslegung;

in Finnland: yksityinen osakeyhtiö/privat aktiebolag, julkinen osakeyhtiö/publikt aktiebolag;



in Schweden:



im Vereinigten Königreich:

aktiebolag;

companies incorporated with limited liability. KAPITEL 2 OFFENLEGUNG Artikel 2 Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, damit sich die Pflicht zur Offenlegung hinsichtlich der in Artikel 1 genannten Gesellschaften mindestens auf folgende Urkunden und Angaben erstreckt: a) den Errichtungsakt und, falls sie Gegenstand eines gesonderten Aktes ist, die Satzung; b) Änderungen der unter Buchstabe a genannten Akte, einschließlich der Verlängerung der Dauer der Gesellschaft; c) nach jeder Änderung des Errichtungsaktes oder der Satzung den vollständigen Wortlaut des geänderten Aktes in der geltenden Fassung; d) die Bestellung, das Ausscheiden sowie die Personalien derjenigen, die als gesetzlich vorgesehenes Gesellschaftsorgan oder als Mitglieder eines solchen Organs i) befugt sind, die Gesellschaft gerichtlich und außergerichtlich zu vertreten; bei der Offenlegung muss angegeben werden, ob die zur Vertretung der Gesellschaft befugten Personen die Gesellschaft allein oder nur gemeinschaftlich vertreten können; ii) an der Verwaltung, Beaufsichtigung oder Kontrolle der Gesellschaft teilnehmen; e) zumindest jährlich den Betrag des gezeichneten Kapitals, falls der Errichtungsakt oder die Satzung ein genehmigtes Kapital erwähnt und falls die Erhöhung des gezeichneten Kapitals keiner Satzungsänderung bedarf;

h) die Auflösung der Gesellschaft;

j) die Bestellung und die Personalien der Liquidatoren sowie ihre Befugnisse, sofern diese nicht ausdrücklich und ausschließlich aus dem Gesetz oder der Satzung hervorgehen; k) den Abschluss der Liquidation sowie in solchen Mitgliedstaaten, in denen die Löschung Rechtswirkungen auslöst, die Löschung der Gesellschaft im Register. Artikel 3 (1) In jedem Mitgliedstaat wird entweder bei einem zentralen Register oder bei einem Handelsoder Gesellschaftsregister für jede der dort eingetragenen Gesellschaften eine Akte angelegt. (2) Im Sinne dieses Artikels bedeutet der Ausdruck „in elektronischer Form“, dass die Information mittels Geräten für die elektronische Verarbeitung (einschließlich digitaler Kompression) und Speicherung von Daten am Ausgangspunkt gesendet und am Endpunkt empfangen wird und sie vollständig über Draht, über Funk, auf optischem oder anderem elektromagnetischen Wege in der von den Mitgliedstaaten bestimmten Art und Weise gesendet, weitergeleitet und empfangen wird. (3) Alle Urkunden und Angaben, die nach Artikel 2 der Offenlegung unterliegen, sind in dieser Akte zu hinterlegen oder in das Register einzutragen; der Gegenstand der Eintragungen in das Register muss in jedem Fall aus der Akte ersichtlich sein.

(6) Vierte Richtlinie 78/660/EWG des Rates vom 25. Juli 1978 aufgrund von Artikel 54 Absatz 3 Buchstabe g des Vertrags über den Jahresabschluss von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen (ABl. L 222 vom 14.8.1978, S. 11). 7 ( ) Siebente Richtlinie 83/349/EWG des Rates vom 13. Juni 1983 aufgrund von Artikel 54 Absatz 3 Buchstabe g des Vertrags über den konsolidierten Abschluss (ABl. L 193 vom 18.7.1983, S. 1). 8 ( ) Richtlinie 86/635/EWG des Rates vom 8. Dezember 1986 über den Jahresabschluss und den Konsolidierten Abschluss von Banken und anderen Finanzinstituten (ABl. L 372 vom 31.12.1986, S. 1). 9 ( ) Richtlinie 91/674/EWG des Rates vom 19. Dezember 1991 über den Jahresabschluss und den konsolidierten Abschluss von Versicherungsunternehmen (ABl. L 374 vom 31.12.1991, S. 7).

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Gesellschaftsrechtliche Richtlinien

Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass die Gesellschaften und sonstige anmelde- oder mitwirkungspflichtige Personen und Stellen alle Urkunden und Angaben, die nach Artikel 2 der Offenlegung unterliegen, in elektronischer Form einreichen können. Die Mitgliedstaaten können außerdem den Gesellschaften aller oder bestimmter Rechtsformen die Einreichung aller oder eines Teils der betreffenden Urkunden und Angaben in elektronischer Form vorschreiben. Alle in Artikel 2 bezeichneten Urkunden und Angaben, die auf Papier oder in elektronischer Form eingereicht werden, werden in elektronischer Form in der Akte hinterlegt oder in das Register eingetragen. Zu diesem Zweck sorgen die Mitgliedstaaten dafür, dass alle betreffenden Urkunden und Angaben, die auf Papier eingereicht werden, durch das Register in elektronische Form gebracht werden. Die in Artikel 2 bezeichneten Urkunden und Angaben, die bis spätestens zum 31. Dezember 2006 auf Papier eingereicht wurden, müssen nicht automatisch durch das Register in elektronische Form gebracht werden. Die Mitgliedstaaten sorgen jedoch dafür, dass sie nach Eingang eines Antrags auf Offenlegung in elektronischer Form nach den zur Umsetzung von Absatz 4 verabschiedeten Maßnahmen durch das Register in elektronische Form gebracht werden. (4) Eine vollständige oder auszugsweise Kopie der in Artikel 2 bezeichneten Urkunden oder Angaben muss auf Antrag erhältlich sein. Die Anträge bei dem Register können wahlweise auf Papier oder in elektronischer Form gestellt werden. Die Kopien gemäß Unterabsatz 1 müssen von dem Register wahlweise auf Papier oder in elektronischer Form erhältlich sein. Dies gilt für alle schon eingereichten Urkunden und Angaben. Die Mitgliedstaaten können jedoch beschließen, dass alle oder bestimmte Kategorien der spätestens bis zum 31. Dezember 2006 auf Papier eingereichten Urkunden und Angaben von dem Register nicht in elektronischer Form erhältlich sind, wenn sie vor einem bestimmten, dem Datum der Antragstellung vorausgehenden Zeitraum bei dem Register eingereicht wurden. Dieser Zeitraum darf zehn Jahre nicht unterschreiten. Die Gebühren für die Ausstellung einer vollständigen oder auszugsweisen Kopie der in Artikel 2 bezeichneten Urkunden oder Angaben auf Papier oder in elektronischer Form dürfen die Verwaltungskosten nicht übersteigen. Die Richtigkeit der auf Papier ausgestellten Kopien wird beglaubigt, sofern der Antragsteller auf diese Beglaubigung nicht verzichtet. Die Richtigkeit der Kopien in elektronischer Form wird nicht beglaubigt, es sei denn, die Beglaubigung wird vom Antragsteller ausdrücklich verlangt. Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, damit bei der Beglaubigung von Kopien

in elektronischer Form sowohl die Echtheit ihrer Herkunft als auch die Unversehrtheit ihres Inhalts durch die Heranziehung mindestens einer fortgeschrittenen elektronischen Signatur im Sinne des Artikels 2 Nummer 2 der Richtlinie 1999/93/ EG(10) sichergestellt wird. (5) Die in Absatz 3 bezeichneten Urkunden und Angaben sind in einem von dem Mitgliedstaat zu bestimmenden Amtsblatt entweder in Form einer vollständigen oder auszugsweisen Wiedergabe oder in Form eines Hinweises auf die Hinterlegung des Dokuments in der Akte oder auf seine Eintragung in das Register bekannt zu machen. Das von dem Mitgliedstaat zu diesem Zweck bestimmte Amtsblatt kann in elektronischer Form geführt werden. Die Mitgliedstaaten können beschließen, die Bekanntmachung im Amtsblatt durch eine andere ebenso wirksame Form der Veröffentlichung zu ersetzen, die zumindest die Verwendung eines Systems voraussetzt, mit dem die offen gelegten Informationen chronologisch geordnet über eine zentrale elektronische Plattform zugänglich gemacht werden. (6) Die Urkunden und Angaben können Dritten von der Gesellschaft erst nach der Offenlegung gemäß Absatz 5 entgegengehalten werden, es sei denn, die Gesellschaft weist nach, dass die Urkunden oder Angaben den Dritten bekannt waren. Bei Vorgängen, die sich vor dem sechzehnten Tag nach der Offenlegung ereignen, können die Urkunden und Angaben Dritten jedoch nicht entgegengehalten werden, die nachweisen, dass es ihnen unmöglich war, die Urkunden oder Angaben zu kennen. (7) Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, um zu verhindern, dass der Inhalt der nach Absatz 5 offen gelegten Informationen und der Inhalt des Registers oder der Akte voneinander abweichen. Im Fall einer Abweichung kann der nach Absatz 5 offen gelegte Text Dritten jedoch nicht entgegengehalten werden; diese können sich jedoch auf den offen gelegten Text berufen, es sei denn, die Gesellschaft weist nach, dass der in der Akte hinterlegte oder im Register eingetragene Text den Dritten bekannt war. Dritte können sich darüber hinaus stets auf Urkunden und Angaben berufen, für die die Formalitäten der Offenlegung noch nicht erfüllt worden sind, es sei denn, die Urkunden oder Angaben sind mangels Offenlegung nicht wirksam.

(10)

Richtlinie 1999/93/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 1999 über gemeinschaftliche Rahmenbedingungen für elektronische Signaturen (ABl. L 13 vom 19.1.2000, S. 12).

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Die Publizitätsrichtlinie (1. Richtlinie) Artikel 4 (1) Urkunden und Angaben, die nach Artikel 2 der Offenlegung unterliegen, sind in einer der Sprachen zu erstellen und zu hinterlegen, die nach der Sprachregelung, die in dem Mitgliedstaat gilt, in dem die Akte gemäß Artikel 3 Absatz 1 angelegt wird, zulässig sind. (2) Zusätzlich zu der obligatorischen Offenlegung nach Artikel 3 lassen die Mitgliedstaaten die freiwillige Offenlegung der in Artikel 2 bezeichneten Urkunden und Angaben in Übereinstimmung mit Artikel 3 in jeder anderen Amtssprache der Gemeinschaft zu. Die Mitgliedstaaten können vorschreiben, dass die Übersetzung dieser Urkunden und Angaben zu beglaubigen ist. Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, um den Zugang Dritter zu den freiwillig offen gelegten Übersetzungen zu erleichtern. (3) Zusätzlich zu der obligatorischen Offenlegung nach Artikel 3 und der freiwilligen Offenlegung nach Absatz 2 des vorliegenden Artikels können die Mitgliedstaaten die Offenlegung der betreffenden Urkunden und Angaben in Übereinstimmung mit Artikel 3 in jeder anderen Sprache zulassen. Die Mitgliedstaaten können vorschreiben, dass die Übersetzung dieser Urkunden und Angaben zu beglaubigen ist. (4) Im Fall einer Abweichung zwischen den in den Amtssprachen des Registers offen gelegten Urkunden und Angaben und deren freiwillig offen gelegten Übersetzungen können letztere Dritten nicht entgegengehalten werden; diese können sich jedoch auf die freiwillig offen gelegten Übersetzungen berufen, es sei denn, die Gesellschaft weist nach, dass ihnen die Fassung, für die die Offenlegungspflicht gilt, bekannt war.

Artikel 5 Die Mitgliedstaaten schreiben vor, dass auf Briefen und Bestellscheinen, die auf Papier oder in sonstiger Weise erstellt werden, Folgendes anzugeben ist: a) die notwendigen Angaben zur Identifizierung des Registers, bei dem die in Artikel 3 bezeichnete Akte angelegt worden ist, sowie die Nummer der Eintragung der Gesellschaft in dieses Register;

Die Mitgliedstaaten schreiben vor, dass die Webseiten der Gesellschaft zumindest die in Absatz 1 genannten Angaben enthalten sowie gegebenenfalls die Angabe des gezeichneten und eingezahlten Kapitals. Absatz 6 Jeder Mitgliedstaat bestimmt, welche Personen verpflichtet sind, die Formalitäten der Offenlegung zu erfüllen. Absatz 7 Die Mitgliedstaaten drohen geeignete Maßregeln zumindest für den Fall an, a) dass die in Artikel 2 Buchstabe f vorgeschriebene Offenlegung der Rechnungslegungsunterlagen unterbleibt; b) dass die in Artikel 5 vorgesehenen obligatorischen Angaben auf den Geschäftspapieren oder auf der Webseite der Gesellschaft fehlen.

KAPITEL 3 GÜLTIGKEIT DER VON DER GESELLSCHAFT EINGEGANGENEN VERPFLICHTUNGEN Artikel 8 Ist im Namen einer in Gründung befindlichen Gesellschaft gehandelt worden, ehe diese die Rechtsfähigkeit erlangt hat, und übernimmt die Gesellschaft die sich aus diesen Handlungen ergebenden Verpflichtungen nicht, so haften die Personen, die gehandelt haben, aus diesen Handlungen unbeschränkt als Gesamtschuldner, sofern nichts anderes vereinbart worden ist.

Artikel 9 Sind die Formalitäten der Offenlegung hinsichtlich der Personen, die als Organ zur Vertretung der Gesellschaft befugt sind, erfüllt worden, so kann ein Mangel ihrer Bestellung Dritten nur entgegengesetzt werden, wenn die Gesellschaft beweist, dass die Dritten den Mangel kannten.

Artikel 10

b) die Rechtsform und der satzungsmäßige Sitz der Gesellschaft sowie gegebenenfalls, dass sich die Gesellschaft in Liquidation befindet.

(1) Die Gesellschaft wird Dritten gegenüber durch Handlungen ihrer Organe verpflichtet, selbst wenn die Handlungen nicht zum Gegenstand des Unternehmens gehören, es sei denn, dass diese Handlungen die Befugnisse überschreiten, die nach dem Gesetz diesen Organen zugewiesen sind oder zugewiesen werden können.

Wird auf diesen Dokumenten das Gesellschaftskapital angegeben, so ist das gezeichnete und eingezahlte Kapital anzugeben.

Für Handlungen, die den Rahmen des Gegenstands des Unternehmens überschreiten, können die Mitgliedstaaten jedoch vorsehen, dass die Ge-

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Gesellschaftsrechtliche Richtlinien

sellschaft nicht verpflichtet wird, wenn sie beweist, dass dem Dritten bekannt war, dass die Handlung den Unternehmensgegenstand überschritt, oder dass er darüber nach den Umständen nicht in Unkenntnis sein konnte, allein die Bekanntmachung der Satzung reicht zu diesem Beweis nicht aus. (2) Satzungsmäßige oder auf einem Beschluss der zuständigen Organe beruhende Beschränkungen der Befugnisse der Organe der Gesellschaft können Dritten nicht entgegengesetzt werden, auch dann nicht, wenn sie bekannt gemacht worden sind. (3) Kann nach einzelstaatlichen Rechtsvorschriften die Befugnis zur Vertretung der Gesellschaft abweichend von der gesetzlichen Regel auf diesem Gebiet durch die Satzung einer Person allein oder mehreren Personen gemeinschaftlich übertragen werden, so können diese Rechtsvorschriften vorsehen, dass die Satzungsbestimmung, sofern sie die Vertretungsbefugnis generell betrifft, Dritten entgegengesetzt werden kann; nach Artikel 3 bestimmt sich, ob eine solche Satzungsbestimmung Dritten entgegengesetzt werden kann.

KAPITEL 4 NICHTIGKEIT DER GESELLSCHAFT Artikel 11 In allen Mitgliedstaaten, nach deren Rechtsvorschriften die Gesellschaftsgründung keiner vorbeugenden Verwaltungs- oder gerichtlichen Kontrolle unterworfen ist, müssen der Errichtungsakt und die Satzung der Gesellschaft sowie Änderungen dieser Akte öffentlich beurkundet werden. Artikel 12 Die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten können die Nichtigkeit der Gesellschaften nur nach Maßgabe folgender Bedingungen regeln: a) Die Nichtigkeit muss durch gerichtliche Entscheidung ausgesprochen werden; b) die Nichtigkeit kann nur in den unter den Ziffern i bis vi vorgesehenen Fällen ausgesprochen werden: i) wenn der Errichtungsakt fehlt oder wenn entweder die Formalitäten der vorbeugenden Kontrolle oder die Form der öffentlichen Beurkundung nicht beachtet wurden; ii) wenn der tatsächliche Gegenstand des Unternehmens rechtswidrig ist oder gegen die öffentliche Ordnung verstößt; iii) wenn der Errichtungsakt oder die Satzung die Firma der Gesellschaft, die Einlagen, den Betrag des gezeichneten Kapitals oder

den Gegenstand des Unternehmens nicht aufführt; iv) wenn die einzelstaatlichen Rechtsvorschriften über die Mindesteinzahlung auf das Gesellschaftskapital nicht beachtet wurden; v) wenn alle an der Gründung beteiligten Gesellschafter geschäftsunfähig waren; vi) wenn entgegen den für die Gesellschaft geltenden einzelstaatlichen Rechtsvorschriften die Zahl der an der Gründung beteiligten Gesellschafter weniger als zwei betrug. Abgesehen von diesen Nichtigkeitsfällen können die Gesellschaften aus keinem Grund inexistent, absolut oder relativ nichtig sein oder für nichtig erklärt werden. Artikel 13 (1) Nach Artikel 3 bestimmt sich, ob eine gerichtliche Entscheidung, in der die Nichtigkeit ausgesprochen wird, Dritten entgegengesetzt werden kann. Sehen die einzelstaatlichen Rechtsvorschriften einen Einspruch Dritter vor, so ist dieser nur innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach der Bekanntmachung der gerichtlichen Entscheidung zulässig. (2) Die Nichtigkeit bewirkt, dass die Gesellschaft in Liquidation tritt, wie dies bei der Auflösung der Fall sein kann. (3) Unbeschadet der Wirkungen, die sich daraus ergeben, dass sich die Gesellschaft in Liquidation befindet, beeinträchtigt die Nichtigkeit als solche die Gültigkeit von Verpflichtungen nicht, die die Gesellschaft eingegangen ist oder die ihr gegenüber eingegangen wurden. (4) Die Regelung der Wirkungen der Nichtigkeit im Verhältnis der Gesellschafter untereinander bleibt den Rechtsvorschriften jedes Mitgliedstaats überlassen. (5) Die Inhaber von Anteilen oder Aktien bleiben zur Einzahlung des gezeichneten, aber noch nicht eingezahlten Kapitals insoweit verpflichtet, als die den Gläubigern gegenüber eingegangenen Verpflichtungen dies erfordern.

KAPITEL 5 ALLGEMEINE BESTIMMUNGEN Artikel 14 Die Mitgliedstaaten teilen der Kommission den Wortlaut der wichtigsten innerstaatlichen Rechtsvorschriften mit, die sie auf dem unter diese Richtlinie fallenden Gebiet erlassen. Artikel 15 Die Kommission unterbreitet dem Europäischen Parlament und dem Rat spätestens bis zum 1. Ja-

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Die Publizitätsrichtlinie (1. Richtlinie) nuar 2012 einen Bericht und legt gegebenenfalls angesichts der Erfahrungen bei der Umsetzung der in Artikel 2 Buchstabe f und in den Artikeln 3, 4, 5 und 7 vorgesehenen Bestimmungen, ihrer Ziele und der dann anzutreffenden technischen Neuerungen einen Vorschlag zur Änderung der genannten Bestimmungen vor.

Verweisungen auf die aufgehobene Richtlinie gelten als Verweisungen auf die vorliegende Richtlinie und sind nach Maßgabe der Entsprechungstabelle in Anhang II zu lesen.

Artikel 17 Diese Richtlinie tritt am zwanzigsten Tag nach ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union in Kraft.

Artikel 16 Die Richtlinie 68/151/EWG, in der Fassung der in Anhang I Teil A aufgeführten Rechtsakte, wird unbeschadet der Verpflichtungen der Mitgliedstaaten hinsichtlich der in Anhang I Teil B genannten Fristen für die Umsetzung der dort genannten Richtlinien in innerstaatliches Recht aufgehoben.

Artikel 18 Diese Richtlinie ist an die Mitgliedstaaten gerichtet.

ANHANG I

TEIL A Aufgehobene Richtlinie mit ihren nachfolgenden Änderungen (gemäß Artikel 16)

Richtlinie 68/151/EWG des Rates (ABl. L 65 vom 14.3.1968, S. 8) Beitrittsakte von 1972 Anhang I Nummer III H (ABl. L 73 vom 27.3.1972, S. 89) Beitrittsakte von 1979 Anhang I Nummer III C (ABl. L 291 vom 19.11.1979, S. 89) Beitrittsakte von 1985 Anhang I Nummer II D (ABl. L 302 vom 15.11.1985, S. 157) Beitrittsakte von 1994 Anhang I Nummer XI A (ABl. C 241 vom 29.8.1994, S. 194) Richtlinie 2003/58/EG des Europäischen Parlaments und des Rates (ABl. L 221 vom 4.9.2003, S. 13) Beitrittsakte von 2003 Anhang II Nummer I.4.A (ABl. L 236 vom 23.9.2003, S. 338) Richtlinie 2006/99/EG des Rates (ABl. L 363 vom 20.12.2006, S. 137)

Nur Nummer A.1 des Anhangs

462

Gesellschaftsrechtliche Richtlinien TEIL B Fristen für die Umsetzung in innerstaatliches Recht (gemäß Artikel 16) Richtlinie

Frist für die Umsetzung

68/151/EWG

11. September 1969

2003/58/EG

30. Dezember 2006

2006/99/EG

1. Januar 2007

ANHANG II ENTSPRECHUNGSTABELLE Richtlinie 68/151/EWG

Vorliegende Richtlinie

Artikel 1

Artikel 1

Artikel 2

Artikel 2

Artikel 3 Absatz 1

Artikel 3 Absatz 1

Artikel 3 Absatz 2

Artikel 3 Absatz 3

Artikel 3 Absatz 3

Artikel 3 Absatz 4

Artikel 3 Absatz 4

Artikel 3 Absatz 5

Artikel 3 Absatz 5

Artikel 3 Absatz 6

Artikel 3 Absatz 6 Unterabsätze 1 und 2

Artikel 3 Absatz 7 Unterabsätze 1 und 2

Artikel 3 Absatz 7

Artikel 3 Absatz 7 Unterabsatz 3

Artikel 3 Absatz 8

Artikel 3 Absatz 2

Artikel 3a

Artikel 4

Artikel 4

Artikel 5

Artikel 5

Artikel 6

Artikel 6

Artikel 7

Artikel 7

Artikel 8

Artikel 8

Artikel 9

Artikel 9

Artikel 10

Artikel 10

Artikel 11

Artikel 11 Eingangssatz

Artikel 12 Eingangssatz

Artikel 11 Nummer 1

Artikel 12 Buchstabe a

Artikel 11 Nummer 2 Eingangssatz

Artikel 12 Buchstabe b Eingangssatz

Artikel 11 Nummer 2 Buchstaben a bis f

Artikel 12 Buchstabe b Ziffern i bis vi

Artikel 12

Artikel 13

Artikel 13 Absätze 1, 2 und 3



Artikel 13 Absatz 4

Artikel 14

Artikel 14

Artikel 18



Artikel 15



Artikel 16



Artikel 17 Anhang I



Anhang II

Die Kapitalrichtlinie (2. Richtlinie)

463

§ 20 Die Kapitalrichtlinie (2. Richtlinie) Zweite RL 77/91/EWG des Rates v. 13.12.1976 zur Koordinierung der Schutzbestimmungen, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Sinne des Artikels 58 Absatz 2 des Vertrages im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter für die Gründung der Aktiengesellschaft sowie für die Einhaltung und Änderung ihres Kapitals vorgeschrieben sind, um diese Bestimmungen gleichwertig zu gestalten, ABlEG v. 31.1.1977, L 26/1

Literatur: Ankele, Jörg, Zum Vorschlag der Kommission der Europäischen Gemeinschaften für eine Zweite gesellschaftsrechtliche Richtlinie, BB 1970, 988; Bagel, Friderike, Der Ausschluss des Bezugsrechts in Europa, 1999; Baldamus, Ernst-August, Reform der Kapitalrichtlinie, 2002; Bayer, Walter, Grundkapital, Kapitalaufbringung, Kapitalerhaltung, in: Bayer/ Habersack (Hrsg.), Aktienrecht im Wandel, 2007, Bd. 2, Kap. 17; ders., Transparenz und Wertprüfung beim Erwerb von Sacheinlagen durch genehmigtes Kapital, in: Habersack, Mathias u.a. (Hrsg.), Festschrift für Peter Ulmer zum 70. Geburtstag am 2. Januar 2003, 2003, S. 21; ders., Kapitalerhöhung mit Bezugsrechtsausschluss und Vermögensschutz der Aktionäre nach § 255 Abs. 2 AktG, ZHR 163 (1999) 505; ders., Materielle Schranken und Kontrollinstrumente beim Einsatz des genehmigten Kapitals mit Bezugsrechtsausschluss, ZHR 168 (2004) 132; Bayer, Walter/Schmidt, Jessica, Überlagerungen des deutschen Aktienrechts durch das Europäische Unternehmensrecht: Eine Bilanz von 1968 bis zur Gegenwart, in: Bayer, Walter/Habersack, Mathias (Hrsg.), Aktienrecht im Wandel, Bd. 1, 2007, Kap. 18; dies., Die Reform der Kapitalaufbringung bei der Aktiengesellschaft durch das ARUG, ZGR 2009, 805; Bezzenberger, Tilman, Das Kapital der Aktiengesellschaft, 2005; Böttcher, Lars, Die kapitalschutzrechtlichen Aspekte der Aktionärsrechterichtlinie (ARUG), NZG 2008, 481; Brosius, Jan, Die finanzielle Unterstützung des Erwerbs eigener Aktien, 2011; Cahn, Andreas, Die Auswirkungen der Richtlinie zur Änderung der Kapitalrichtlinie auf den Erwerb eigener Aktien, Konzern 2007, 385; Denecker, Jean, La deuxième directive du Conseil des Communautés Européennes relative a la constitution de la société anonyme, au maintien et aux modifications de son capital, Rev. Soc. 1977, 661; Drinkuth, Henrik, Die Kapitalrichtlinie – Mindestoder Höchstnorm?, 1998; Drygala, Tim, Finanzielle Unterstützung des Aktienerwerbs nach der Reform der Kapitalrichtlinie, Konzern 2007, 396; Ebenroth, Carsten Thomas/Kräutter, Thomas, Der Einfluss der 2. gesellschaftsrechtlichen EG-Richtlinie auf die Lehre von der verdeckten Sacheinlage bei der Aktiengesellschaft, DB 1990, 2153; Ebenroth, Carsten Thomas/Neiß, Ellen, Zur Vereinbarkeit der Lehre von der verdeckten Sacheinlage mit EG-Recht, BB 1992, 2085; Ekkenga, Jens, Die Kapitalherabsetzung nach der neuen EG-Kapitalrichtlinie: Änderungen, Ergänzungen und Umsetzungsbedarf, Konzern 2007, 413; Fankhauser, Roger, Gemeinschaftsrechtliche Publizitäts- und Kapital-Richtlinie: Anpassungsbedarf des Schweizer Rechts, 2001; Ferran, Eilís, Simplification of European Company Law on financial assistance, (2005) 6 EBOR 93; Freitag, Robert, „Financial Assistance“ durch die Aktiengesellschaften nach der Reform der Kapitalrichtlinie – (k)ein Freifahrtschein für LBOs?, AG 2007, 157; Fuchs Mtwebana, Katja, The regulation of companies’ capital in the European Union: What is the current state of affairs?, [2011] EBLR 237; Ganske, Joachim, Das Zweite gesellschaftsrechtliche Koordinierungsgesetz vom 13. Dezember 1978, DB 1978, 2461; Habersack, Mathias, Verdeckte Sacheinlage und Hin- und Herzahlen nach dem ARUG – gemeinschaftsrechtlich betrachtet, AG 2009, 557; Hartung, Tom, Financial Assistance, 2010; Herrler, Sebastian/Reymann, Christoph, Die Neuerungen im Aktienrecht durch das ARUG – Unter besonderer Berücksichtigung der Neuregelung zur Hauptversammlung und zur Kapitalaufbringung bei der AG – (Teil 2), DNotZ 2009, 914; Hirte, Heribert, Bezugsrecht, Berichtspflicht, genehmigtes Kapital und europäisches Recht, DStR 2001, 577; Hüffer, Uwe, Harmo-

464

Gesellschaftsrechtliche Richtlinien

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Die Kapitalrichtlinie (2. Richtlinie)

465

verbotswidrige Rückerwerb eigener Aktien: Internationales Privatrecht und europäische Rechtsangleichung, BB 1997, 2593; Ullrich, Christine, Verdeckte Vermögensverlagerungen in den Aktien- und GmbH-Rechten Frankreichs, Belgiens und Deutschlands, 1994; Temple Lang, John, Three EEC Draft Directives on company law – capital, mergers and management, (1972) Irish Jurist 306; Wooldridge, Frank, The Harmonization of Company Law: The First and Second Directives of the Council of Ministers of the European Economic Community, [1978] Acta Juridica 327; Wymeersch, Eddy, Art. 23 of the second company law directive: the prohibition on finanicial assistance to acquire shares of the company, in: Basedow, Jürgen/ Hopt, Klaus J./Kötz, Hein (Hrsg.), Festschrift für Ulrich Drobnig zum siebzigsten Geburtstag, 1998, S. 725; ders., Das Bezugsrecht der alten Aktionäre in der Europäischen Gemeinschaft: eine rechtsvergleichende Untersuchung, AG 1998, 382; ders., Reforming the Second Company Law Directive, Ghent University – Financial Law Institute WP 2006-15. Rechtsprechung: EuGH: EuGH v. 30.5.1991, Karella, Rs. C-19/90 u. C-20/90, Slg. 1991, I-2691 EuGH v. 24.3.1992, Eleftheras Evangelikis, Rs. C-381/89, Slg. 1992, I-2111 EuGH v. 16.7.1992, Wienand Meilicke ./. ADV/ORGA F. A. Meyer AG, Rs. C-83/91, Slg. 1992, I-4871 EuGH v. 12.11.1992, Kerafina, Rs. 134/91 u. C-135/91, Slg. 1992, I-5699 EuGH v. 12.3.1996, Pafitis, Rs. C-441/93, Slg. 1996, I-1347 EuGH v. 19.11.1996, Siemens AG ./. Henry Nold, Rs. C-42/95, Slg. 1996, I-6017 EuGH v. 12.5.1998, Kefalas, Rs. C-367/96, Slg. 1998, I-2843 EuGH v. 23.3.2000, Diamantis, Rs. C-373/97, Slg. 2000, I-1705 EuGH v. 18.12.2008, Kommission ./. Spanien, Rs. C-338/06, Slg. 2008, I-10139 Nationale Gerichte: BGH v. 15.1.1990 – II ZR 164/88, BGHZ 110, 47 BGH v. 9.11.1992 – II ZR 230/91, NJW 1993, 400 BGH v. 15.5.2000 – II ZR 359/98, NZG 2000, 836 („Adidas“) BGH v. 17.12.2001 – II ZR 288/99, NZG 2002, 817 („Sachsenmilch IV“) BGH v. 10.10.2005 – II ZR 148/03, ZIP 2005, 2205 („Mangusta/Commerzbank I“) BGH v. 4.12.2006 – II ZR 305/05, DStR 2006, 2326 It’s a Wrap (UK) Ltd. (in liq.) v Gula, CA v. 11.5.2006, [2006] BCC 626 OLG Dresden v. 18.9.1996 – 12 U 177/95, AG 1996, 565 OLG Hamm v. 13.7.2009 – I-8 W 22/09, AG 2009, 791

I. Überblick 1. Inhalt und Grundgedanken im Überblick Die Kommission legte bereits 1970 einen Vorschlag 1 und 1972 einen geänderten Vor- 1 schlag 2 für eine 2. (Kapital-)RL vor. Veranlasst v.a. durch den zwischenzeitlichen Bei-

1 Vorschlag einer zweiten Richtlinie des Rates zur Koordinierung der Schutzbestimmungen, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Sinne des Artikels 58 Absatz 2 des Vertrages im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter für die Gründung der Aktiengesellschaft sowie für die Einhaltung und Änderungen ihres Kapitals vorgeschrieben sind, 5.3.1970, KOM(70) 232 = BT-Drs. VI/595. 2 Geänderter Vorschlag einer zweiten Richtlinie des Rates zur Koordinierung der Schutzbestimmungen, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Sinne des Artikels 58 Ab-

466

Gesellschaftsrechtliche Richtlinien

tritt von drei neuen Mitgliedstaaten (Dänemark, UK und Irland) erfolgte ihre Verabschiedung aber erst am 13.12.1976 3. Durch das EWR-Abkommen wurde ihr Anwendungsbereich m.W.v. 1.1.1994 bzw. 1.1.1995 4 auch auf die EWR-Staaten ausgedehnt.5 2 Die RL ist von Anfang an als „Kapitalrichtlinie“ bezeichnet worden. Obwohl damit der Schwerpunkt zutreffend hervorgehoben ist, ist die Bezeichnung insgesamt ungenau. Denn einerseits betrifft sie – im Gegensatz zur 1. (Publizitäts-)RL (vgl. § 19 Rn. 8) – nur Aktiengesellschaften (zum Anwendungsbereich näher u. Rn. 12). V.a. die Kapitalregeln des GmbH-Rechts sind also nicht angesprochen. Andererseits geht die RL ihrem Inhalt nach über Fragen des Kapitalschutzes i.e.S. dadurch nicht unwesentlich hinaus, als sie auch allgemeine Fragen der Gründung und des Satzungsinhaltes regelt (dazu näher u. Rn. 14 ff.). 3 Die RL fixiert zunächst einmal das kontinentale System des festen Kapitals auf europäischer Ebene (näher Rn. 26). Sie fordert ein Mindestkapital (Rn. 27) und regelt umfassend die Kapitalaufbringung (Rn. 32 ff.) und Kapitalerhaltung (Rn. 78 ff.) – nämlich die Modalitäten der Leistung von Bar- und Sacheinlagen, den Erwerb eigener Aktien etc. – sowie die Kapitalerhöhung (Rn. 156 ff.) und die Kapitalherabsetzung (Rn. 204 ff.). In Ergänzung zur 1. (Publizitäts-)RL (dazu § 19) spricht sie darüber hinaus noch eine Reihe weiterer elementarer Fragen im Zusammenhang mit der Gründung von Aktiengesellschaften an (Rn. 14 ff.). 4 Grundintention der RL ist der Schutz der Aktionäre 6 und der Gläubiger 7. Daher beinhaltet sie neben primär gläubigerschützenden Regelungen in Form der Implemen-

3

4 5 6

7

satz 2 des Vertrages im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter für die Gründung der Aktiengesellschaft sowie für die Einhaltung und Änderungen ihres Kapitals vorgeschrieben sind, 30.10.1972, KOM(72) 1310. Zweite RL 77/91/EWG des Rates v. 13.12.1976 zur Koordinierung der Schutzbestimmungen, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Sinne des Artikels 58 Absatz 2 des Vertrages im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter für die Gründung der Aktiengesellschaft sowie für die Einhaltung und Änderung ihres Kapitals vorgeschrieben sind, um diese Bestimmungen gleichwertig zu gestalten, ABlEG v. 31.1.1977, L 26/1. Für Island und Norwegen (sowie für Finnland, Österreich, Schweden, die aber inzwischen zur EU gehören) zum 1.1.1994, für Liechtenstein zum 1.1.1995. Vgl. Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum – Anhang XXII, Nr. 2 (ABlEG v. 3.1.1994, L 1/3). Vgl. Erwägungsgrund 2; ebenso Erwägungsgrund 1 der Änderungs-RL 92/101/EWG (Fn. 10); vgl. weiter EuGH v. 30.5.1991, Karella, Rs. C-19/90 u. C-20/90, Slg. 1991, I-2691, Rn. 25; EuGH v. 19.11.1996, Siemens AG ./. Henry Nold, Rs. C-42/95, Slg. 1996, I-6017, Rn. 13; EuGH v. 18.12.2008, Kommission ./. Spanien, Rs. C-338/06, Slg. 2008, I-10139, Rn. 23; Bayer/J. Schmidt, Überlagerungen des deutschen Aktienrechts durch das Europäische Unternehmensrecht: Eine Bilanz von 1968 bis zur Gegenwart, in: Bayer/Habersack (Hrsg.), Aktienrecht im Wandel, Bd. 1, 2007, Kap. 18 Rn. 25; Dorresteijn/Monteiro/ C. Teichmann/Werlauff, European Corporate Law, 2. Aufl., 2009, 3.35; Habersack in: MünchKommAktG, 2. Aufl. 2006, RLGesR Rn. 36; Nobel, Transnationales und Europäisches Aktienrecht, 2006, Kap. 2 Rn. 90; Santella/Turrini (2008) 9 EBOR 427, 430; Winter FS Böckli, 2006, S. 389, 399; Wymeersch, Reforming the Second Company Law Directive, Ghent University – Financial Law Institute WP 2006-15, S. 3. Vgl. Erwägungsgründe 2 u. 4; EuGH v. 18.12.2008, Kommission ./. Spanien, Rs. C-338/06, Slg. 2008, I-10139, Rn. 23; vgl. weiter It’s a Wrap (UK) Ltd. (in liq.) v Gula [2006] BCC

Die Kapitalrichtlinie (2. Richtlinie)

467

tierung des Gleichbehandlungsgebotes (Rn. 233 ff.) und des Schutzes vor einer Verwässerung der Beteiligungsquote (Rn. 183 ff.) auch spezifisch aktionärsschützende Vorschriften, die sich mühelos in den Kontext der principal-agent-Theorie bzw. der Corporate Governance einordnen lassen.8 Daneben bezweckt die RL mittels der in Art. 2 und 3 vorgeschriebenen Satzungspublizität aber auch den Schutz des allgemeinen Rechtsverkehrs.9 2. Änderungs-Richtlinien Seit ihrer Verabschiedung im Jahr 1976 wurde die RL bereits viermal geändert. Die 5 Änderungs-RL 92/101/EWG v. 23.11.199210 führte durch Einfügung eines neuen Art. 24a (dazu Rn. 149 ff.) den Erwerb von Aktien durch Tochtergesellschaften einer speziellen Regelung zu. Deutlich einschneidender war die Änderungs-RL 2006/68/EG v. 6.9.200611, die 6 auf Empfehlungen der SLIM-Arbeitsgruppe aus dem Jahr 1999 12 sowie der High Level Group of Company Law Experts (Winter-Gruppe, zu dieser bereits § 18 Rn. 6) aus dem Jahr 2002 13 aufbaut. Kernpunkte dieser Novellierung waren eine deutliche Liberalisierung der Vorschriften über die Sacheinlageprüfung (Rn. 54 ff.), den Erwerb eigener Aktien (dazu Rn. 107 ff.) und die financial assistance (dazu Rn. 135 ff.).14 Die RL 2006/99/EG 15 passte dagegen lediglich Art. 1 an den Beitritt Bulgariens 7 und Rumäniens an; entsprechende Anpassungen waren jeweils auch bei früheren Beitritten neuer Mitgliedstaaten erfolgt 16.

8 9 10 11 12

13 14 15 16

626, 632 (per Arden LJ); Bayer/J. Schmidt (Fn. 6), Rn. 25; Dorresteijn/Monteiro/C. Teichmann/Werlauff (Fn. 6), 3.35; Grundmann Rn. 318; Habersack § 6 Rn. 3; Santella/Turrini (2008) 9 EBOR 427, 430; Winter (Fn. 6), S. 389, 399; Wymeersch (Fn. 6), S. 3. Bayer/J. Schmidt (Fn. 6), Rn. 25; Grundmann Rn. 319. Vgl. Erwägungsgrund 3; s. weiter Bayer/J. Schmidt (Fn. 6), Rn. 25; Habersack § 6 Rn. 8; Lösekrug, Die Umsetzung der Kapital-, Verschmelzungs- und Spaltungsrichtlinie der EG in das nationale deutsche Recht, 2004, S. 67. RL 92/101/EWG des Rates v. 23.11.1992 zur Änderung der Richtlinie 77/91 EWG über die Gründung der Aktiengesellschaft sowie die Erhaltung und Änderung ihres Kapitals, ABlEG v. 28.11.1992, L 347/64. RL 2006/68/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 6.9.2006 zur Änderung der Richtlinie 77/91/EWG über die Gründung der Aktiengesellschaft sowie die Erhaltung und Änderung ihres Kapitals, ABlEU v. 25.9.2006, L 264/32. Empfehlungen der Arbeitsgruppe zur Vereinfachung des Gesellschaftsrechts bezüglich der Vereinfachung der Ersten und Zweiten Gesellschaftsrechts-Richtlinie (www.ec. europa.eu/internal_market/company/docs/official/6037de.pdf) (auch abgedruckt in ZIP 1999, 1944 ff.), dazu ausf. Baldamus, Reform der Kapitalrichtlinie, 2002. Bericht der Hochrangigen Gruppe von Experten auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts über moderne gesellschaftsrechtliche Rahmenbedingungen in Europa, 4.11.2002, abrufbar unter http://ec.europa.eu/internal_market/company/docs/modern/report_de.pdf. Vgl. Bayer in: MünchKommAktG, 3. Aufl. 2008, § 57 Rn. 247; Bayer/J. Schmidt (Fn. 6), Rn. 85; dies. BB 2008, 454, 457. RL 2006/99/EG des Rates v. 20.11.2006 zur Anpassung bestimmter Richtlinien im Bereich Gesellschaftsrecht anlässlich des Beitritts Bulgariens und Rumäniens, ABlEU v. 20.12.2006, L 363/137. Vgl. Fundstellenverzeichnis.

468

Gesellschaftsrechtliche Richtlinien

Die jüngste Änderungs-RL 2009/109/EG v. 16.9.2009 17 brachte dann (neben einer Anpassung des Art. 1 an Änderungen im finnischen Gesellschaftsrecht) eine punktuelle Deregulierung betreffend das Verhältnis der Sachverständigenberichte über Sacheinlagen bei Gründung und Kapitalerhöhung zu den Sachverständigenberichten i.R.d. Verschmelzungs- und Spaltungsprüfung (näher Rn. 52 f., 175 sowie § 21 Rn. 61, 132; § 22 Rn. 52, 107; § 23 Rn. 77). 9 I.R.d. allgemeinen Projekts zur Kodifizierung des Acquis communautaire18 war zunächst vorgesehen, die RL – ebenso wie bereits die 1. (Publizitäts-)RL (dazu § 19 Rn. 5), die 3. (Fusions-)RL (dazu § 21 Rn. 5) und die 12. (Einpersonengesellschafts-)RL (dazu § 29 Rn. 4) – (nur) zu kodifizieren.19 Nachdem sich dann jedoch aus kompetenzrechtlichen Gründen die Notwendigkeit einer Modifikation des Art. 6 Abs. 3 ergeben hatte (dazu noch u. Rn. 28), legte die Kommission am 1.2.2011 einen Vorschlag für eine Neufassung 20 vor, der sich aber abgesehen von der Änderung in Art. 6 Abs. 3 letztlich weiterhin auf eine Kodifizierung beschränkt. 8

3. Umsetzung in Deutschland 10 Die Umsetzung der RL in Deutschland erfolgte durch das KapRiLiG v. 13.12.1978 21. Der Anpassungsbedarf für das deutsche Aktienrecht, das bereits seit jeher auf dem System des festen Grundkapitals fußte 22, war dabei insgesamt vergleichsweise ge-

17 RL 2009/109/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 16.9.2009 zur Änderung der Richtlinien 77/91/EWG, 78/855/EWG und 82/891/EWG des Rates sowie der Richtlinie 2005/56/EG hinsichtlich der Berichts- und Dokumentationspflicht bei Verschmelzungen und Spaltungen, ABlEU v. 2.10.2009, L 259/14. 18 Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat. Kodifizierung des Acquis communautaire, KOM(2001) 645; dazu Heydt EuZW 2002, 34. 19 Vorschlag für eine Richtlinie …/…/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. […] zur Koordinierung der Schutzbestimmungen, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Sinne des Artikels 48 Absatz 2 des Vertrages im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter für die Gründung der Aktiengesellschaft sowie für die Erhaltung und Änderung ihres Kapitals vorgeschrieben sind, um diese Bestimmungen gleichwertig zu gestalten, 16.9.2008, KOM(2008) 544. Geänderter Vorschlag v. 26.8.2010, KOM(2010) 388. Rücknahme: ABlEU v. 30.7.2011, C 225/6. 20 Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Koordinierung der Schutzbestimmungen, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Sinne des Artikels 54 Absatz 2 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter für die Gründung der Aktiengesellschaft sowie für die Erhaltung und Änderung ihres Kapitals vorgeschrieben sind, um diese Bestimmungen gleichwertig zu gestalten, 1.2.2011, KOM(2011) 29. 21 Gesetz zur Durchführung der Zweiten Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaften zur Koordinierung des Gesellschaftsrechts v. 13.12.1978, BGBl. I, 1959. 22 Vgl. dazu Bayer, Grundkapital, Kapitalaufbringung, Kapitalerhaltung, in: Bayer/Habersack (Hrsg.), Aktienrecht im Wandel, 2007, Bd. 2, Kap. 17 Rn. 1 ff.

Die Kapitalrichtlinie (2. Richtlinie)

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ring 23.24 Einige andere Mitgliedstaaten, wie z.B. insbesondere das UK, waren auf Grund der RL dagegen zu einer grundlegenden Novellierung der Grundstrukturen ihres (Aktien-)Gesellschaftsrechts gezwungen.25 Im Hinblick auf die Änderungs-RL 92/101/EWG (Rn. 5) war eine Umsetzung in 11 das deutsche Recht nicht erforderlich, da entsprechende Regeln hierzulande bereits seit 1937 gelten26 – der heutige § 71d AktG ist auf Grund dieser nachträglichen „Europäisierung“ allerdings nunmehr richtlinienkonform auszulegen27. Die Umsetzung der Änderungs-RL 2006/68/EG (Rn. 6) erfolgte zugleich mit der Umsetzung der Aktionärsrechte-RL (dazu § 31) durch das ARUG28; Deutschland hat dabei von den neuen Optionen allerdings nur partiell Gebrauch gemacht (vgl. Rn. 61, 67, 126, 128, 145, 179). Von den durch die Änderungs-RL 2009/109/EG (Rn. 8) eröffneten Optionen wurde mit dem 3. UmwÄndG29 ebenfalls nur partiell Gebrauch gemacht (vgl. Rn. 53, 182).

II. Anwendungsbereich Im Gegensatz zur 1. (Publizitäts-)RL (dazu § 19 Rn. 8) gilt die RL nicht für alle Kapi- 12 talgesellschaften, sondern ausschließlich für die Aktiengesellschaft sowie die ihr – in Art. 1 Abs. 1 und Anh. XII Nr. 2 zum EWR-Abkommen 30 abschließend aufgezählten – entsprechenden Rechtsformen der anderen Mitgliedstaaten. Erwägungsgrund 1 begründet dies damit, dass eine Harmonisierung bei Aktiengesellschaften besonders wichtig sei, weil deren Tätigkeit häufig grenzüberschreitend sei und in der Wirtschaft der Mitgliedstaaten vorherrsche. Von Bedeutung war jedoch insbesondere auch, dass die Aktiengesellschaft in fast allen Mitgliedstaaten der gesetzlich am weitesten ausgebildete Gesellschaftstyp war und man glaubte, dass eine Harmonisierung in diesem Bereich den Weg für die Angleichung des Rechts der anderen Gesellschaftstypen ebnen würde.31

23 Vgl. Ganske DB 1978, 2461; Hüffer NJW 1979, 1065, 1070; Lutter FS Ferid, 1978, S. 599, 602; Schwarz Rn. 571 24 Ausf. zu Bedeutung und Auswirkungen RL auf das deutsche Aktienrecht: Bayer/ J. Schmidt (Fn. 6), Rn. 24 ff. 25 Vgl. Bayer/J. Schmidt (Fn. 6), Rn. 26; ausf. im Hinblick auf das UK: Edwards S. 51 f. Vgl. ferner auch bereits § 8 Rn. 3. 26 Vgl. Bayer/J. Schmidt (Fn. 6), Rn. 55. 27 Vgl. Bayer/J. Schmidt (Fn. 6), Rn. 55; sowie ausf. Kindl ZEuP 1994, 77, 93 ff. 28 Gesetz zur Umsetzung der Aktionärsrechterichtlinie (ARUG) v. 30.7.2009, BGBl. I, 2479. 29 Drittes Gesetz zur Änderung des Umwandlungsgesetzes v. 11.7.2011, BGBl. I, 1338. 30 Fn. 5. 31 Vgl. RL-E 1970 (Fn. 1), S. 9. S. ferner Edwards S. 52; Lösekrug (Fn. 9), S. 66; Niessen AG 1970, 281, 282. Für eine Ausdehnung etwa Lutter ERT 2000, 60, 70. Näher zur „Europäisierung“ der GmbH bereits § 11.

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Art. 1 Abs. 2 eröffnet den Mitgliedstaaten die Option, die RL auf Investmentgesellschaften mit veränderlichem Kapital (i.S.d. Legaldefinition in Unterabs. 2) sowie auf Genossenschaften, die in einer in Art. 1 Abs. 1 genannten Rechtsform gegründet wurden, nicht anzuwenden. Für erstere war bereits damals eine auf deren spezifische Bedürfnisse angepasste Regelung geplant 32, die dann 1985 mit der OGAW-RL (dazu näher § 17 Rn. 232 ff.) erfolgte. Die Sonderregelung für Genossenschaften in der Rechtsform der AG, die speziell für Frankreich und Italien wichtig war 33, sollte v.a. kleine Genossenschaften vor dem Zwang zur Aufbringung des Mindestkapitals sowie der Rigidität der Kapitalschutzregeln der RL bewahren.34 Die Ausnahme vom Geltungsbereich der RL ist allerdings im Interesse des Gläubigerschutzes an eine entsprechende Publizität gebunden:35 Mitgliedstaaten, die von einer bzw. beiden der genannten Optionen Gebrauch machen, müssen die betreffenden Gesellschaften verpflichten, auf jeglicher in Art. 5 der 1. (Publizitäts-)RL36 genannter Geschäftskorrespondenz 37 (dazu § 19 Rn. 23) die Bezeichnung „Investmentaktiengesellschaft mit veränderlichem Kapital“ bzw. „Genossenschaft“ anzugeben. Der deutsche Gesetzgeber hat nur von der Option in Bezug auf die Investmentaktiengesellschaft mit veränderlichem Kapital (§§ 104 ff. InvG) 38 Gebrauch gemacht 39; für eine Spezialbehandlung von Genossenschaften in der Rechtsform der AG sah man hingegen offenbar keine Veranlassung 40.

32 Vgl. dazu auch RL-E 1970 (Fn. 1), S. 9 f.; Edwards S. 54; Kalss in: Koppensteiner (Hrsg.), Österreichisches und europäisches Wirtschaftsprivatrecht, Bd. 1, 1994, S. 119, 190 f.; Niessen AG 1970, 281, 282 f. 33 Vgl. Edwards S. 54; Nienhaus, Kapitalschutz in der Aktiengesellschaft mit atypischer Zwecksetzung, S. 136. 34 Vgl. Kalss (Fn. 32), S. 119, 191; Mülbert FS Lutter, 2000, S. 535, 548 f.; Nienhaus (Fn. 33), S. 136. 35 Vgl. Nienhaus (Fn. 33), S. 135; Niessen AG 1970, 281, 282. 36 Der Verweis auf Art. 4 der RL 68/151/EWG ist als Verweis auf Art. 5 der kodifizierten Fassung (RL 2009/101/EG) zu lesen, vgl. Art. 16 Abs. 2 RL 2009/101/EG. 37 Der in Art. 2 Abs. 2 verwendete Begriff der „Schriftstücke“ dürfte im Hinblick auf die jüngste Ergänzung des Art. 5 der 1. (Publizitäts-)RL (dazu § 19 Rn. 23) dahingehend auszulegen sein, dass es auch hier nicht mehr auf die Form der Geschäftskorrespondenz ankommt (also auch hier e-mails etc. erfasst sind) und dass – entsprechend dem neuen Unterabs. 3 des Art. 5 der 1. (Publizitäts-)RL – auch auf einer etwaigen Webseite die entsprechende Angabe gemacht werden muss. Nur dies wird der mit Art. 2 Abs. 2 verbundenen Intention gerecht. 38 Eingeführt durch das Gesetz zur Modernisierung des Investmentwesens und zur Besteuerung von Investmentvermögen (Investmentmodernisierungsgesetz) v. 15.12.2003, BGBl. I, 2676. Rechtstatsachen bei Bayer/Hoffmann/Sawada AG 2010, R451 ff. 39 Vgl. BegrRegE z. InvModG, BT-Drs. 15/1553, S. 106; BegrRegE z. InvÄndG, BT-Drs. 16/5576, S. 83. 40 Vgl. Lösekrug (Fn. 9), S. 66; Schwarz Rn. 573.

Die Kapitalrichtlinie (2. Richtlinie)

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III. Wesentlicher Inhalt 1. Regelung betreffend die Gründung der Aktiengesellschaft (Art. 2–5) a) Weitere Mindestangaben in Satzung, Errichtungsakt oder gesondertem Schriftstück (Art. 2 und 3) Art. 2 und 3 enthalten detaillierte Vorgaben darüber, welchen Mindestinhalt die Sat- 14 zung bzw. der Errichtungsakt 41 der Aktiengesellschaft bzw. ein gesondert hiervon offen zu legendes Schriftstück haben muss. Es handelt sich insofern quasi um eine Komplementierung der Offenlegungsvorschriften der 1. (Publizitäts-)RL: Bei Aktiengesellschaften bestimmt das europäische Recht nicht nur, dass die Satzung bzw. der Errichtungsakt überhaupt offen gelegt werden muss (Art. 2 lit. a–c der 1. (Publizitäts-)RL, dazu § 19 Rn. 28), sondern normiert für dieselben in Art. 2 und 3 auch einen Mindestinhalt.42 Damit soll gewährleistet werden, dass die Satzung oder der Errichtungsakt einer AG jedem Interessierten die Möglichkeit bietet, die wesentlichen Merkmale der Gesellschaft zu kennen (vgl. Erwägungsgrund 3). Eine Korrelation besteht aber nicht nur mit Art. 2 lit. a–c, sondern auch mit Art. 12 S. 1 lit. b sublit. iii der 1. (Publizitäts-)RL (dazu § 19 Rn. 86): Indem diese Vorschrift die Nichtigerklärung einer Gesellschaft nur bei Fehlen der dort genannten Angaben gestattet, folgt hieraus im Umkehrschluss zugleich, dass das Fehlen der anderen in Art. 2 und 3 enumerierten Angaben keinen Grund für eine Nichtigerklärung darstellt.43 Zwischen den in Art. 2 und den in Art. 3 genannten Angaben besteht im Hinblick 15 auf die äußere Form der Offenlegung ein wichtiger Unterschied: Nur die in Art. 2 genannten Angaben müssen zwingend in der Satzung oder dem Errichtungsakt offen gelegt werden; bei den in Art. 3 genannten Angaben genügt hingegen die Aufnahme in ein gesondertes Schriftstück, das jedoch nach Maßgabe des Art. 3 der 1. (Publizitäts-)RL44 (dazu § 19 Rn. 13 ff.) offen gelegt werden muss. Diese Differenzierung (die so im RL-Entwurf 1970 noch nicht vorhanden war 45) geht auf eine Initiative der deutschen Delegation zurück; damit soll verhindert werden, dass bestimmte Einzelheiten von eher kurzlebiger Bedeutung in die Satzung bzw. den Errichtungsakt – also

41 Vgl. zu den Hintergründen der – in vielen europäischen Rechtsakten anzutreffenden – Differenzierung zwischen Satzung und Errichtungsakt bei § 19 Rn. 28 Fn. 68. 42 Vgl. Cordewener in: Schön (Hrsg.), Rechnungslegung und Wettbewerbsschutz im deutschen und europäischen Recht, 2008, S. 105, 151 f.; Edwards S. 57; Grundmann FS Lutter, 2000, S. 61, 72; Habersack § 6 Rn. 8; Lösekrug (Fn. 9), S. 67; Niessen AG 1970, 281, 283; Pipkorn ZHR 141 (1977) 330, 345. 43 Vgl. Niessen AG 1970, 281, 283; s. ferner auch Drinkuth, Die Kapitalrichtlinie – Mindestoder Höchstnorm?, 1998, S. 124; Habersack § 6 Rn. 8. 44 Der Verweis auf Art. 3 der RL 68/151/EWG ist als Verweis auf Art. 3 der kodifizierten Fassung (RL 2009/101/EG) zu lesen, vgl. Art. 16 Abs. 2 RL 2009/101/EG. 45 Art. 2 und 3 RL-E 1970 (Fn. 1) differenzierten noch zwischen Angaben, die in der Satzung und solchen, die im Errichtungsakt offen gelegt werden mussten, vgl. dazu Niessen AG 1970, 281, 283.

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Gesellschaftsrechtliche Richtlinien

das Instrument, das die Gesellschaft während ihrer gesamten Existenz beherrscht – aufgenommen werden und dementsprechend bei jeder Änderung wieder neu bekannt gemacht werden müssen.46

aa) Mindestangaben in der Satzung bzw. dem Errichtungsakt, Art. 2 16 Gem. Art. 2 müssen folgende fünf „grundlegende“47 Angaben zwingend in der Satzung oder dem Errichtungsakt enthalten sein: •

Firma und Rechtsform (lit. a) Die gesonderte Angabepflicht der Rechtsform erklärt sich daraus, dass die Rechtsform bzw. ein Rechtsformzusatz nach dem System der RL kein zwingender Firmenbestandteil ist; Art. 1 Abs. 1 S. 2 bestimmt lediglich, dass die Firma eine Bezeichnung enthalten muss, die sich von den für anderen Gesellschaftsformen vorgeschriebenen Bezeichnungen unterscheidet, oder mit einer solchen Bezeichnung verbunden sein muss.48



Gegenstand des Unternehmens (lit. b) Der Unternehmensgegenstand gehört ebenfalls zu den elementaren Charakteristika einer Gesellschaft. Besondere Relevanz hat die diesbezügliche Angabepflicht aber insbesondere in denjenigen Mitgliedstaaten, die von der Option des Art. 10 Abs. 1 Unterabs. 2 der 1. (Publizitäts-)RL (dazu § 19 Rn. 71) Gebrauch gemacht haben.49



Höhe des gezeichneten sowie ggf. des genehmigten Kapitals (lit. c) 50 Zentrale Bedeutung für den Rechtsverkehr hat auch das Kapital der Gesellschaft. Gem. Art. 2 lit. c muss daher das gezeichnete Kapital (d.h. das Kapital i.S.d. Art. 651, dazu Rn. 27) angegeben werden. Hat die Gesellschaft ein genehmigtes Kapital (geregelt in Art. 25 Abs. 2, dazu Rn. 166 f.), so ist dessen Höhe sowie die Höhe des gezeichneten Kapitals im Zeitpunkt der Gründung bzw. der Aufnahme der Geschäftstätigkeit sowie jede Änderung anzugeben.



Bestimmung zu Zahl, Bestellungsverfahren und Kompetenzen der Organmitglieder (lit. d) Hintergrund der Angabepflicht des Art. 2 lit. d bezüglich Zahl, Bestellungsverfahren und Kompetenzen der Organmitglieder ist die nach wie vor nicht erfolgte Harmonisierung der internen Struktur der Aktiengesellschaft (vgl. dazu § 9 Rn. 1 ff.); Art. 2 lit. d soll insofern zumindest einen gewissen Verkehrsschutz

46 Vgl. Edwards S. 59. S. ferner auch Grohmann, Das Informationsmodell im Europäischen Gesellschaftsrecht, 2006, S. 257; Kalss (Fn. 32), S. 119, 195 f. 47 Vgl. Morse (1977) 2 E.L. Rev. 126, 127 („basic“). 48 Vgl. Grohmann (Fn. 46), S. 258; Habersack § 6 Rn. 9. 49 Vgl. Grohmann (Fn. 46), S. 258; Kalss (Fn. 32), S. 119, 198; Niessen AG 1970, 281, 283. 50 Ausf. dazu Grohmann (Fn. 46), S. 260 ff. 51 Vgl. Habersack § 6 Rn. 10; Schwarz Rn. 576 Fn. 557.

Die Kapitalrichtlinie (2. Richtlinie)

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durch Transparenz schaffen.52 Die Pflicht zur Aufnahme in die Satzung besteht allerdings nur insoweit, als sich die vorgenannten Spezifika nicht bereits aus dem Gesetz ergeben – dem Rechtsverkehr wird also zugemutet, sich zumindest über die jeweiligen nationalen gesetzlichen Vorgaben zu informieren.53 Mit den Organen, die mit „Aufsicht und Kontrolle der Gesellschaft betraut sind“ sollte ausweislich einer Protokollerklärung des Rates – ebenso wie bei Art. 2 lit. d der 1. (Publizitäts-)RL (dazu § 19 Rn. 30) – nur das „Aufsichtsorgan“ im dualistischen System erfasst werden (z.B. deutscher Aufsichtsrat, französischer conseil de surveillance), nicht hingegen der Abschlussprüfer.54 Zudem erfasst die Vorschrift nach Sinn und Zweck nur die tatsächliche Verteilung der Zuständigkeiten, nicht hingegen „differenzierte Zwischenbereiche“ wie Zustimmungsvorbehalte zugunsten eines anderen Organs (wie z.B. in § 111 Abs. 4 S. 2 AktG).55 Kontrovers diskutiert wird allerdings die Pflicht zur Angabe der „Bestimmungen, welche die Zahl … [der Organmitglieder] festlegen“. Konsens dürfte zwar jedenfalls insofern bestehen, als damit nicht verlangt wird, dass die Satzung bzw. der Errichtungsakt eine konkrete Zahl angibt, vielmehr genügt auch die Festlegung einer Mindestund Höchstzahl.56 Umstritten ist jedoch, ob auch eine Satzungsregelung, durch die ein anderes Gesellschaftsorgan (z.B. der Aufsichtsrat) zur Festlegung der Zahl der Organmitglieder ermächtigt wird, richtlinienkonform ist.57 Im Hinblick auf den Wortlaut der englischen und französischen Sprachfassung58 sowie die Entstehungsgeschichte und die Ratio der Vorschrift ist dies jedoch i.E. zu bejahen.59 Ein relevantes Schutzdefizit entsteht dadurch nicht, denn der Rechtsverkehr kann die jeweils tatsächliche vorhandene Organgröße in jedem Fall zumindest mittelbar aus den gem. Art. 2 lit. d der 1. (Publizitäts-)RL offen zu legenden Personalien der Mitglieder des Vertretungsorgans (dazu § 19 Rn. 30 f.) entnehmen.60 •

bei befristeten Gesellschaften: Dauer der Gesellschaft (lit. e)

52 Vgl. Habersack § 6 Rn. 11; Kalss (Fn. 32), S. 119, 199. 53 Vgl. Habersack § 6 Rn. 11. 54 Vgl. Edwards S. 58; Fankhauser, Gemeinschaftsrechtliche Publizitäts- und Kapital-Richtlinie: Anpassungsbedarf des Schweizer Rechts, 2001, S. 126. 55 Grundlegend Lutter FS Ferid, 1978, S. 599, 614 f.; ihm folgend Habersack § 6 Rn. 11; Lösekrug (Fn. 9), S. 74; Schwarz Rn. 576. 56 Fankhauser (Fn. 54), S. 126; Grohmann (Fn. 46), S. 259; Habersack § 6 Rn. 12; Schwarz Rn. 576. S. ferner (zur deutschen Umsetzung) auch Ganske DB 1978, 2461, 2462. 57 Dagegen etwa Fankhauser (Fn. 54), S. 126; Habersack § 6 Rn. 12; zweifelnd auch Lutter FS Ferid, 1978, S. 599, 613 Fn. 58a; Röhricht in: GroßkommAktG, 4. Aufl. 1996, § 23 Rn. 160; Singhof WuB II A. § 76 AktG 1.02. 58 Englisch: „the rules governing the number of …“; französisch: „les règles qui déterminent le nombre …“. 59 Vgl. BGH NZG 2002, 817, 818 („Sachsenmilch IV“); Hüffer NJW 1979, 1065, 1066; Lösekrug (Fn. 9), S. 72 f.; W. Müller WPg 1978, 565, 566; Schäfer ZGR 2003, 147, 158 ff.; Schwarz DStR 2002, 1306, 1308 ff. (jeweils auch speziell mit Blick auf die Auslegung von § 23 Abs. 3 Nr. 6 AktG). 60 Vgl. auch Lösekrug (Fn. 9), S. 73; Schwarz DStR 2002, 1306, 1308 f.; dies betont übrigens etwa auch Habersack § 6 Rn. 12, obgleich er i.E. Richtlinienwidrigkeit annimmt.

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17 Das deutsche Recht entsprach diesen Anforderungen bereits weitgehend. Anpassungsbedarf bestand lediglich im Hinblick auf lit. d und auch hier nur im Hinblick auf die „Zahl“ der Organmitglieder; hierzu wurde § 23 Abs. 3 Nr. 6 AktG neu eingefügt.61 Die Angabe der Zuständigkeitsverteilung ergibt sich bei deutschen Aktiengesellschaften auf Grund des in § 23 Abs. 5 AktG verankerten Grundsatzes der Satzungsstrenge bereits aus dem Gesetz62, so dass die RL insoweit keine Angabepflicht gebietet.63

bb) Mindestangaben in der Satzung, dem Errichtungsakt oder einem gesonderten Schriftstück (Art. 3) 18 Art. 3 listet 11 weitere Gegenstände auf, die allerdings nicht zwingend in die Satzung oder den Errichtungsakt aufgenommen werden müssen, sondern die auch in einem gesonderten Schriftstück, das gem. Art. 3 der 1. (Publizitäts-)RL64 (dazu § 19 Rn. 13 ff.) offen gelegt wird, enthalten sein können (vgl. auch bereits o. Rn. 15): •

(Satzungs-)Sitz 65 der Gesellschaft (lit. a)



Nennbetrag der gezeichneten Aktien und zumindest einmal jährlich deren Zahl (lit. b)



Zahl der nennbetragslosen Aktien, soweit das nationale Recht die Ausgabe derartiger Aktien erlaubt (lit. c)



etwaige besondere Übertragbarkeitsbeschränkungen (lit. d)



im Falle mehrerer Aktiengattungen die mit jeder Aktiengattung verbundenen Rechte sowie die diesbezüglichen Angaben gem. lit. b – d (lit. e)



Form der Aktien (nur soweit das nationale Recht sowohl Inhaber- als auch Namensaktien zulässt) und ggf. Vorschriften für ihre Umwandlung (lit. f)



eingezahlter Betrag des gezeichneten Kapitals z.Z. der Gründung bzw. der Erteilung der Genehmigung zur Aufnahme der Geschäftstätigkeit (lit. g)



bei Sacheinlagen: Gegenstand, Inferent und Nennbetrag bzw. Zahl der hierfür gewährten Aktien (lit. h)



Personalien der Gründer bzw. bei juristischen Personen deren Bezeichnung (lit. i)



Gründungskosten (lit. j)



gewährte Sondervorteile (lit. k)

61 Vgl. dazu Bayer/J. Schmidt (Fn. 6), Rn. 28; Ganske DB 1978, 2461 f.; Hüffer NJW 1979, 1065, 1066; Lösekrug (Fn. 9), S. 68; W. Müller WPg 1978, 565, 566; Schwarz Rn. 576. 62 Bei dem Zustimmungsvorbehalt gem. § 111 Abs. 4 S. 2 AktG handelt es sich nicht um eine „Zuständigkeit“ i.S.d. Art. 2 lit. d, da er die Zuständigkeit des Vorstands unberührt lässt (vgl. Rn. 16 und speziell die Nachweise in Fn. 55). 63 Vgl. Habersack § 6 Rn. 11; Lösekrug (Fn. 9), S. 73; Schwarz Rn. 576. 64 Der Verweis auf Art. 3 der RL 68/151/EWG ist als Verweis auf Art. 3 der kodifizierten Fassung (RL 2009/101/EG) zu lesen, vgl. Art. 16 Abs. 2 RL 2009/101/EG. 65 Vgl. englisch: „registered office“.

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Auch diesen Vorgaben entsprach das deutsche Aktienrechts bereits weitgehend. Er- 19 forderlich waren jedoch einige Modifikationen der §§ 23, 24 und 26 AktG.66 § 23 Abs. 2 wurde entsprechend lit. g und i um das Erfordernis der Angabe der Gründer 67 sowie des Betrages des eingezahlten Kapitals ergänzt. Zur Umsetzung von lit. f (Angabe der Form der Aktien) wurde in § 23 Abs. 3 AktG eine neue Nr. 5 eingefügt.68 Ferner war auf Grund von Art. 3 lit. k eine Erweiterung des § 26 Abs. 1 AktG erforderlich: In der Satzung müssen seitdem sämtliche Sondervorteile – unabhängig von der Person des Empfängers 69 – angegeben werden.70

b) Haftung bei Erfordernis einer staatlichen Genehmigung, Art. 4 Art. 4 enthält eine Regelung der Haftung für den Fall, dass das nationale Recht (wie 20 z.B. das britische, das in s. 761 CA 200671 ein sog. trading certificate verlangt) die Aufnahme der Geschäftstätigkeit der Gesellschaft von einer staatlichen Genehmigung abhängig macht. Das nationale Recht muss dann gem. Art. 4 Abs. 1 auch Vorschriften für die Haftung für diejenigen Verbindlichkeiten enthalten, die von der Gesellschaft oder für ihre Rechnung vor der Erteilung oder der Ablehnung einer solchen Genehmigung eingegangen werden.72 Ausgenommen sind gem. Art. 4 Abs. 2 lediglich Verbindlichkeiten aus Verträgen, welche die Gesellschaft unter der Bedingung geschlossen hat, dass ihr die Genehmigung zur Aufnahme der Geschäftstätigkeit erteilt wird. Zu betonen ist, dass Art. 4 ausschließlich die Phase zwischen Entstehung und 21 Erteilung bzw. Ablehnung der Genehmigung zur Aufnahme der Geschäftstätigkeit betrifft, nicht hingegen diejenige vor Entstehung der Gesellschaft – hierfür gilt Art. 8 der 1. (Publizitäts-)RL (dazu § 19 Rn. 56 ff.).73 Für das deutsche Aktienrecht hatte Art. 4 seit jeher allenfalls marginale Rele- 22 vanz.74 Mit der vollständigen Entkoppelung der Eintragung von etwaigen Genehmi-

66 Vgl. Bayer/J. Schmidt (Fn. 6), Rn. 28; Lösekrug (Fn. 9), S. 68; Schwarz Rn. 577. 67 Die Angaben hinsichtlich der Gründer waren allerdings auch zuvor bereits gängige Praxis, vgl. Hüffer NJW 1979, 1065, 1066; W. Müller WPg 1978, 565, 566. 68 § 24 AktG a.F. verlangte in der Satzung nur dann Angaben betreffend die Art der Aktien, wenn voll eingezahlte Aktien als Namensaktien ausgegeben werden sollten, vgl. Ganske DB 1978, 2461; W. Müller WPg 1978, 565, 566. 69 Nach § 26 Abs. 1 AktG a.F. mussten nur Sondervorteile, die Aktionären gewährt wurden, angegeben werden. 70 Infolgedessen konnte die Sonderregelung in § 281 Abs. 3 AktG a.F. (Sondervorteile für den Komplementär einer KGaA) entfallen, vgl. Ganske DB 1978, 2461, 2462; Hüffer NJW 1979, 1065, 1066; W. Müller WPg 1978, 565, 566. 71 Bis 5.4.2006: s. 117 CA 1985. 72 Das britische Recht sieht insoweit z.B. eine gesamtschuldnerische Haftung der directors vor (s. 117(8) CA 1985 bzw. seit 6.4.2008: s. 767(3) CA 2006). 73 Vgl. Habersack § 6 Rn. 14; Fankhauser (Fn. 54), S. 128; Kalss (Fn. 32), S. 119, 212; Lösekrug (Fn. 9), S. 69. 74 Vgl. Bayer/J. Schmidt (Fn. 6), Rn. 27; Habersack § 6 Rn. 14.

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gungserfordernissen durch Streichung des § 37 Abs. 4 Nr. 5 AktG a.F. durch das MoMiG 75 hat die Norm aus deutscher Perspektive nunmehr jegliche Bedeutung verloren.

c) Absinken der Zahl der Aktionäre unter ein etwaiges nationales Minimum, Art. 5 23 Art. 5 betrifft die Problematik des Absinkens der Zahl der Aktionäre unter ein etwaiges nach mitgliedstaatlichem Recht bestehendes Minimum. Eine derartige Mindestzahl sieht etwa bis heute das französische Recht vor 76; ebenso aber bis vor einigen Jahren z.B. auch das luxemburgische 77 und das britische Recht 78. Der europäische Gesetzgeber lässt solche Regelungen grundsätzlich zu: Bei der AG steht es den Mitgliedstaaten – anders als bei der GmbH (vgl. Art. 2 Abs. 1 der 12. (Einpersonengesellschafts-)RL, dazu § 29 Rn. 10 ff. sowie bereits § 12 Rn. 2 ff.) und der durch eine bestehende SE gegründeten Tochter-SE (vgl. Art. 3 Abs. 2 SE-VO, dazu § 41 Rn. 71 ff.) – frei, ob sie die Einpersonengesellschaft zulassen (vgl. Art. 6 der 12. (Einpersonengesellschafts-)RL, dazu § 29 Rn. 8 sowie bereits § 12 Rn. 6). Art. 5 begrenzt jedoch im Interesse von Rechtssicherheit und Vertrauensschutz die Folgen eines etwaigen Absinkens unter eine solche Mindestzahl.79 24 Gem. Art. 5 Abs. 1 darf die Vereinigung aller Aktien in einer Hand oder das Absinken der Gesellschafterzahl unter ein etwaiges nationalrechtliche Minimum nicht ipso iure die Auflösung der Gesellschaft zur Folge haben. Zulässig ist gem. Art. 5 Abs. 2 ausschließlich die Auflösung durch eine gerichtliche Entscheidung (mit der Folge eines Liquidationsverfahrens nach nationalem Recht, vgl. Art. 5 Abs. 3) und dies auch nur nach fruchtlosem Ablauf einer „ausreichenden Frist“ 80 zur Beseitigung des Mangels. Art. 5 komplementiert für Aktiengesellschaften die für alle Kapitalgesellschaften geltende Nichtigkeitsregelung des Art. 12 S. 1 lit. b sublit. vi der 1. (Publizitäts-)RL (dazu § 19 Rn. 88).81

75 Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG) v. 23.10.2008, BGBl. I, 2026. 76 Vgl. Art. L225-1 C. com.: mindestens 7 Gründer. 77 Vgl. Art. 26 Abs. 1 Nr. 1 Loi du 10 août 1915 concernant les sociétés commerciales: mindestens 2 Gründer; seit 2006 (Loi du 25 août 2006) ist auch die Einpersonenpersonengründung zulässig. 78 Vgl. ss. 1(1), 24 CA 1985: mindestens 2 Gründer. Seit 1.10.2009 gilt allerdings die neue s. 7(1) CA 2006, die ausdrücklich auch die Einpersonengründung gestattet. 79 Vgl. Drinkuth (Fn. 43), S. 127; Kalss (Fn. 32), S. 119, 214; Mousoulas Rev. soc. 1990, 395, 398. 80 Art. 5 Abs. 2 RL-E 1970 (Fn. 1) sah noch eine Mindestfrist von 6 Monaten vor, diese wurde jedoch in der endgültigen Fassung der RL durch den unbestimmten Rechtsbegriff der „ausreichenden Frist“ ersetzt. Vgl. zur Auslegung näher Drinkuth (Fn. 43), S. 128. 81 Vgl. Drinkuth (Fn. 43), S. 127; Fankhauser (Fn. 54), S. 128; Grundmann Rn. 327; Habersack § 6 Rn. 15; Kalss (Fn. 32), S. 119, 214.

Die Kapitalrichtlinie (2. Richtlinie)

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Aus deutscher Sicht ist Art. 5 nur von geringer Relevanz: Die originäre Einperso- 25 nengründung einer AG wurde zwar erst durch die Neufassung des § 2 AktG durch das Gesetz für die kleine AG v. 2.8.1994 82 zugelassen, die Zulässigkeit der „nachträglichen“ Einpersonen-AG war aber bereits lange vorher allgemein anerkannt83. Bedeutung hat Art. 5 daher lediglich für den seltenen Fall der sog. „Keinpersonen-AG“.84 2. Grundkapital a) Prinzip des festen Kapitals Wie bereits eingangs (Rn. 3) ausgeführt, basiert die RL insgesamt auf dem kontinen- 26 taleuropäischen Prinzip des festen Grundkapitals,85 d.h. eines satzungsmäßig festgelegten Grundkapitals der Aktiengesellschaft, welches nur im Rahmen einer Kapitalerhöhung oder -herabsetzung verändert werden kann86. Die Anforderung eines bestimmten Mindestkapitals (Rn. 27) ist hingegen per se kein konstitutives Element des Systems des festen Kapitals.87 Es handelt sich hierbei zwar ebenfalls um einen zentralen Baustein des tradierten Konzepts der RL, prinzipiell wäre jedoch durchaus auch ein System des festen Grundkapitals ohne Mindestkapitalerfordernis denkbar.88 Die seit einigen Jahren diskutierte Absenkung bzw. Abschaffung des Mindestkapitalerfordernisses wäre daher jedenfalls kein absoluter Systembruch.89 Allg. zur Reformdebatte Rn. 236 ff. b) Mindestkapital (Art. 6) Art. 6 Abs. 1 verlangt für die Gründung bzw. die Aufnahme der Geschäftstätigkeit die 27 Zeichnung eines Mindestkapitals von 25.000 € 90. Im Gegensatz zum Entwurf von 82 Gesetz für kleine Aktiengesellschaften und zur Deregulierung des Aktienrechts v. 2.8.1994, BGBl. I, 1961. Dazu etwa Heckschen DNotZ 1995, 275 ff.; Lutter AG 1994, 429 ff.; Planck GmbHR 1994, 501 ff. 83 Vgl. schon RGZ 129, 50, 53; BGH NJW 1957, 19, 20; BGH NJW 1957, 181; BGH NJW 1958, 98 (jeweils zum Parallelproblem bei der GmbH); Schlegelberger/Quassowski, AktG, 3. Aufl. 1939, § 2 Rn. 14. 84 Vgl. Habersack § 6 Rn. 15; Lösekrug (Fn. 9), S. 70; Schwarz Rn. 580. Vgl. allgemein zur „Keinpersonen-AG“ (oder auch „Keinmann-AG“) etwa Hüffer in: MünchKommAktG, 3. Aufl. 2011, § 262 Rn. 102. 85 Drinkuth (Fn. 43), S. 129; Grundmann Rn. 330; Habersack (Fn. 6), Rn. 36; Kalss (Fn. 32), 119, 218; Lutter FS Stiefel, S. 505; Nobel (Fn. 6), Kap. 2 Rn. 97; Veil in: Lutter (Hrsg.), Das Kapital der Aktiengesellschaft in Europa, 2006, S. 91, 92. 86 Vgl. Bayer (Fn. 22), Rn. 1; Eidenmüller/Grunewald/Noack in: Lutter (Hrsg.), Das Kapital der Aktiengesellschaft in Europa, 2006, S. 17, 20. 87 Vgl. Bayer (Fn. 22), Rn. 1; Eidenmüller/Grunewald/Noack (Fn. 86), S. 17, 20. 88 Vgl. Eidenmüller/Grunewald/Noack (Fn. 86), S. 17, 20. 89 Vgl. Eidenmüller/Grunewald/Noack (Fn. 86), S. 17, 20. 90 Ursprünglich 25.000 ERE (Europäische Rechnungseinheit). Die ERE wurde durch die VO 3308/80 (ABlEG v. 20.12.1980, L 345/1) m.W.v. 1.1.1981 durch den ECU und dieser durch die VO 1103/97/EG (ABlEG v. 19. 6.1997, L 162/1) m.W.v. 20.6.1997 durch den Euro ersetzt.

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1970, der diesen Betrag zugleich auch als Höchstgrenze vorsah91, handelt es sich hierbei ausdrücklich um eine Mindestregelung, von der die Mitgliedstaaten unbegrenzt nach oben abweichen dürfen.92 Der Betrag von 25.000 € ist letztlich ein historischer Kompromiss zwischen den vor Erlass der RL äußerst unterschiedlichen Anforderungen in den einzelnen Mitgliedstaaten (das UK und Irland verlangten damals gar kein Mindestkapital, in den übrigen Mitgliedstaaten reichte die Spanne von 20.000– 160.000 ERE)93. Heute wird das Mindestkapital zwar weniger als Instrument eines effektiven Gläubigerschutzes, aber nach wie vor als ein wichtiges „Seriositätsanzeichen“ gesehen,94 das „Habenichtse“ von übereilten Gründungen abhalten soll95. Jedenfalls für das Recht der Aktiengesellschaft sollte – trotz der insoweit vielfach geäußerten Kritik (dazu noch ausf. u. Rn. 236 ff.) – auch am Mindestkapital als Baustein des Systems des festen Kapitals festgehalten werden.96 28 Art. 6 Abs. 2 beinhaltet eine – inzwischen überholte 97 – Regelung betreffend Währungsschwankungen.98 Die Anpassungsklausel des Art. 6 Abs. 3 – von der allerdings bislang kein Gebrauch gemacht wurde – verpflichtet den Rat, den Betrag des Mindestkapitals alle 5 Jahre zu überprüfen und ggf. anzupassen; im Zuge der geplanten Neufassung der RL (dazu bereits o. Rn. 9) soll die Überprüfungskompetenz in Art. 6 Abs. 2 RL-E mit Blick auf das die Judikatur des EuGH zur Kompetenzordnung der EU 99 auf das EP und den Rat gemeinsam übertragen werden.

91 Art. 6 Abs. 1 RL-E 1970 (Fn. 1). Die Kommission begründet dies damit, dass nur so der ungehinderte Gebrauch der Niederlassungsfreiheit gewährleistet sei (RL-E 1970 (Fn. 1), S. 10). Kritisch dazu Ankele BB 1970, 988, 990. 92 Edwards S. 60; Eidenmüller/Grunewald/Noack (Fn. 86), S. 17, 34 f.; Fankhauser (Fn. 54), S. 134; Grundmann Rn. 328; Habersack § 6 Rn. 16; Kalss (Fn. 32), S. 119, 218; Lösekrug (Fn. 9), S. 76; Lutter FS Everling, 1995, 765, 768. Einschränkend jedoch Drinkuth (Fn. 43), S. 129, nach dessen Auffassung der Abweichungsspielraum der Mitgliedstaaten durch den Regelungszweck der Norm und die Niederlassungsfreiheit begrenzt ist, wobei er die Grenze in Anlehnung an Art. 4 Abs. 1 SE-VOE 1991 bei etwa 100.000 ERE zieht. 93 Vgl. RL-E 1970 (Fn. 1), S. 10; Edwards S. 60. 94 Bayer/J. Schmidt (Fn. 6), Rn. 29; Eidenmüller FS Heldrich, 2005, S. 581, 593; Grundmann Rn. 328; G. Roth FS Doralt, 2004, S. 479, 482; Merkt ZGR 2004, 305, 317. 95 Bayer/J. Schmidt (Fn. 6), Rn. 29; Pentz/Priester/Schwanna in: Lutter (Hrsg.), Das Kapital der Aktiengesellschaft in Europa, 2006, S. 42, 51 f.; vgl. auch Bericht High Level Group (Fn. 13), S. 88. Dieser Gedanke findet sich auch im RL-E 1970 (Fn. 1), S. 11: Kleinere Unternehmen sollen nicht in der Rechtsform der AG gegründet werden; vgl. dazu Eidenmüller/Grunewald/Noack (Fn. 86), S. 17, 33. 96 Überzeugend Eidenmüller/Grunewald/Noack (Fn. 86), S. 17 ff. m.z.w.N.; vgl. weiter Bayer (Fn. 22), Rn. 4 m.w.N. 97 Sie soll daher im Zuge der geplanten Neufassung der RL (dazu o. Rn. 9) auch gestrichen werden. 98 Bleibt der Betrag des in der nationalen Währung ausgedrückten Mindestkapitals während eines Jahres unter 22.500 €, so erfolgt eine Mitteilung der Kommission über die Notwendigkeit einer Anpassung. Vgl. dazu etwa auch Kalss (Fn. 32), S. 119, 218 f. 99 Insbesondere: EuGH v. 6.5.2008, Europäisches Parlament ./. Rat der Europäischen Union, Rs. C-133/06, Slg. 2008, I-3189. Darin hatte der EuGH erneut bekräftigt, dass die Grundsätze über die Willensbildung der Unionsorgane im Vertrag festgelegt sind und nicht zur Disposition der Mitgliedstaaten oder der Organe selbst stehen (Rn. 54).

Die Kapitalrichtlinie (2. Richtlinie)

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Die Mitgliedstaaten sehen heute für Aktiengesellschaften ein Grundkapital zwi- 29 schen 25.000 € (Slowakei) und 120.000 € (Italien) vor.100 Zudem existieren teilweise höhere Mindestkapitalanforderungen für Aktiengesellschaften, die eine bestimmte Geschäftstätigkeit ausüben. Deutschland sieht ebenfalls seit jeher ein höheres Mindestkapital vor (§ 7 Abs. 1 AktG 1965: 100.000 DM, seit 1999: 50.000 €) 101; zudem gelten auch hierzulande einige Sonderregeln, z.B. für Kreditinstitute,102 Versicherungen 103, Kapitalanlage-104 und Unternehmensbeteiligungsgesellschaften 105, Investment-106 und REIT-Aktiengesellschaften 107.

c) Zerlegung in Aktien Aus Art. 8 Abs. 1 ergibt sich, dass das Grundkapital in Aktien zerlegt sein muss und 30 dass diese einen Anteil am Grundkapital repräsentieren müssen.108 Die RL verlangt allerdings nicht, dass die Aktien unmittelbar auf einen festgelegten Geldwert (Nennbetrag) lauten, sondern es genügt vielmehr auch, dass sich der durch eine Aktie verkörperte Anteil am Grundkapital rechnerisch aus Grundkapital und Anzahl der Aktien bestimmen lässt. Die RL stellt es den Mitgliedstaaten also – wie sich auch aus Art. 3 lit. b und c sowie aus Art. 8 Abs. 1 ergibt – frei, ob sie Nennbetragsaktien und/oder Stückaktien (= sog. unechte nennwertlose Aktien) vorsehen.109 Nicht zulässig sind hingegen sog. echte nennwertlose Aktien 110, wie sie z.B. insbesondere in

100 101 102 103 104 105 106 107 108 109 110

Nach dem AEU ergehen Rechtsakte nach Art. 50 Abs. 2 lit. g AEU (der auch Basis für die RL ist) gem. Art. 50 Abs. 1 AEU im Mitentscheidungsverfahren (Art. 294 AEU), so dass in Art. 6 Abs. 3 (in der Neufassung: Art. 6 Abs. 2) das EP ergänzt werden musste. Vgl. KOM(2011) 29, S. 2 f.; Stellungnahme Juristischer Dienst v. 12.10.2010, Dok. 14967/10, S. 2 f. Vgl. ferner auch die Übersicht bei Dorresteijn/Monteiro/C. Teichmann /Werlauff (Fn. 6), 5.11a. Eine Anpassung war daher lediglich für einige Ausnahmefälle auf der Grundlage von § 44 DMBilG 1949 erforderlich, vgl. dazu Hüffer NJW 1979, 1065, 1070; W. Müller WPg 1978, 565, 574. § 10 KWG, § 2 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 PfandBG. § 53c VAG. § 11 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 InvG. § 2 Abs. 4 S. 1 UBGG. § 97 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 InvG. § 4 REITG. Vgl. Bayer/J. Schmidt (Fn. 6), Rn. 29; Fankhauser (Fn. 54), S. 135; Habersack § 6 Rn. 20; Heider in: MünchKommAktG, 3. Aufl. 2008, § 8 Rn. 22; Nobel (Fn. 6), Kap. 2 Rn. 98. Vgl. Baldamus (Fn. 12), S. 14; Fankhauser (Fn. 54), S. 135; Funke AG 1997, 385, 386; Grundmann Rn. 330; Habersack § 6 Rn. 20; Heider (Fn. 108), § 8 Rn. 51; Kolb/Pöller DStR 1998, 855, 857; Temple Lang (1972) Irish Jurist 306, 309. Vgl. Baldamus (Fn. 12), S. 114; Bayer/J. Schmidt (Fn. 6), Rn. 29; Funke AG 1997, 385, 386; Grundmann Rn. 330; Habersack § 6 Rn. 20 Fn. 41; Heider (Fn. 108), § 8 Rn. 22; Schürmann AG 1998, 3162 Fn. 6; Weiß, Aktionärs- und Gläubigerschutz im System der echten nennwertlosen (Stück-)Aktie, 2007, S. 206 f.; Wymeersch (Fn. 6), S. 6; Ziemons

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den USA verbreitet sind 111. Die SLIM-Arbeitsgruppe hat sich zwar in ihrem Abschlussbericht im Herbst 1999 für die Zulassung echter nennwertloser Aktien ausgesprochen112. Diese Forderung wurde jedoch i.R.d. Änderungs-RL 2006/68/EG (Rn. 6) nicht umgesetzt. 31 Im deutschen Aktienrecht gab es traditionell nur Nennbetragsaktien. Die Einführung von Stückaktien (vgl. jetzt § 8 Abs. 1 AktG n.F.) war zwar bereits in den 20er Jahren diskutiert worden,113 erfolgte jedoch erst 1998 im Zuge der Euro-Umstellung 114.

3. Kapitalaufbringung 32 Art. 7–14 enthalten eine Vielzahl von Schutzregeln, durch die gewährleistet werden soll, dass die Einlagen der Gesellschaft auch tatsächlich zufließen (Grundsatz der realen Kapitalaufbringung) 115. Eckpfeiler sind dabei die Unabdingbarkeit der Einlagepflicht (Art. 12, dazu Rn. 33), das Verbot der Unterpari-Emission (Art. 8 Abs. 1, dazu Rn. 35), die Begrenzung der einlagefähigen Gegenstände (Art. 7, dazu Rn. 37 ff.), Vorgaben zum Zeitpunkt der Einlageleistung (Art. 9, dazu Rn. 42 ff.) sowie Spezialvorschriften für den Fall der Leistung von Sacheinlagen (Art. 10 ff., dazu Rn. 45 ff.).

a) Keine Befreiung von der Einlagepflicht (Art. 12) 33 Einer der ganz wesentlichen Grundsätze der realen Kapitalaufbringung 116 findet sich erst relativ weit hinten, nämlich die in Art. 12 normierte prinzipielle Unabdingbarkeit der Einlagepflicht. Eine Befreiung oder ein Verzicht – egal in welcher Form 117 – ist grundsätzlich nicht zulässig. Eine Entbindung von der Einlagepflicht kann viel-

111 112

113

114 115 116 117

in: K. Schmidt/Lutter, AktG, 2. Aufl. 2010, § 8 Rn. 3. S. ferner auch BegrRegE z. StückAG, BT-Drs. 13/9573, S. 2, 11. Vgl. dazu ausf. Weiß (Fn. 110), S. 30 f. m.w.N. SLIM-Arbeitsgruppe (Fn. 12), S. 10 f. Dazu näher Baldamus (Fn. 12), S. 110 ff. Die High Level Group schlug insofern eine weitere Prüfung vor, vgl. Bericht High Level Group (Fn. 13), S. 89. Zum Ganzen auch Santella/Turrini (2008) 9 EBOR 427, 444 ff.; Wymeersch (Fn. 6), S. 6 f. Vgl. zur Entwicklungsgeschichte der Stückaktie in Deutschland etwa Heider (Fn. 108), § 8 Rn. 14 ff. m.w.N.; s. ferner insbesondere auch J. Schmidt, Grundlegende Reform des Aktienrechts? – 34. DJT (1926) –, in: Bayer (Hrsg.), Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht in den Beratungen des Deutschen Juristentages, 2010, S. 259, 272 ff. Gesetz über die Zulassung von Stückaktien (Stückaktiengesetz – StückAG) v. 25.3.1998, BGBl. I, 590. Dazu Funke AG 1997, 385 ff.; Kolb/Pöller DStR 1998, 855 ff.; Schürmann NJW 1998, 3162 ff. Vgl. Drinkuth (Fn. 43), S. 129; Kalss (Fn. 32), S. 119, 217; Lösekrug (Fn. 9), S. 76. Vgl. bereits RL-E 1970 (Fn. 1), S. 12; Niessen AG 1970, 281, 289. Vgl. dazu auch Drinkuth (Fn. 43), S. 179 f.

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mehr ausschließlich nach Maßgabe der Vorschriften über die Kapitalherabsetzung (Art. 30–40, dazu u. Rn. 204 ff.) erfolgen, im Rahmen derer stets ein Hauptversammlungsbeschluss sowie bestimmte Sicherungsmaßnahmen zugunsten der Gläubiger vorgesehen sind.118 Für Deutschland brachte auch diese Regelung nichts Neues: Das heute in § 66 34 Abs. 1 S. 1 AktG geregelte Befreiungsverbot bildet bereits seit dem HGB von 1897 einen „Eckpfeiler des deutschen Aktienrechts“119.120

b) Verbot der Unterpari-Emission (Art. 8 Abs. 1) Von zentraler Bedeutung für die reale Kapitalaufbringung ist auch das in Art. 8 Abs. 1 35 normierte Verbot der Unterpari-Emission: Die Aktien dürfen nicht unter dem Nennbetrag bzw. dem rechnerischen Wert ausgegeben werden. Eine Abweichung hiervon ist den Mitgliedstaaten durch Art. 8 Abs. 2 lediglich im Hinblick auf sog. professionelle Emittenten gestattet. Eine Überpari-Emmission ist hingegen – wie sich auch aus Art. 10 Abs. 2, wo ausdrücklich von einem Mehrbetrag (Agio) die Rede ist, ableiten lässt – stets zulässig.121 Das Verbot der Unterpari-Emission ist im deutschen Aktienrecht ebenfalls bereits 36 seit dem HGB von 1897 fest verankert und findet sich heute in § 9 Abs. 1 AktG 122.

c) Einlagefähige Gegenstände (Art. 7) Der Gewährleistung der realen Kapitalaufbringung dient auch die in Art. 7 normierte 37 Begrenzung der einlagefähigen Gegenstände. Die RL lässt zwar grundsätzlich sowohl Bar- als auch Sacheinlagen zu (vgl. auch Art. 9 Abs. 2, 10 Abs. 1, dazu Rn. 43, 45 ff.). Gem. Art. 7 S. 1 darf das gezeichnete Kapital aber nur aus Vermögensgegenständen bestehen, deren wirtschaftlicher Wert feststellbar ist. Mit dieser Regelung hat der europäische Gesetzgeber de facto die bis dahin von der deutschen Rechtsprechung123 und Lehre 124 erarbeitete Doktrin zur Sacheinlagefähigkeit auf europäischer Ebene kodifiziert.125 Entsprechend der Harmonisierungsintention der RL ist der Begriff jedoch

118 119 120 121 122

Vgl. Grundmann Rn. 331. Vgl. Flechtheim in: Düringer/Hachenburg, HGB, 3. Aufl. 1932, § 221 Anm. 1. Vgl. auch Bayer (Fn. 14), § 66 Rn. 3 f. m.w.N. Vgl. auch Grundmann Rn. 331. Vgl. zur Entwicklungsgeschichte etwa Heider (Fn. 108), § 9 Rn. 1 f.; s. ferner auch J. Schmidt (Fn. 113), S. 259, 270 ff. 123 Vgl. BGH NJW 1959, 934, 935. 124 Vgl. etwa R. Fischer in: GroßkommAktG, 2. Aufl. 1961, § 20 Anm. 6; Hachenburg, GmbHG, 7. Aufl. 1975, § 5 Rn. 29 ff., 37 ff. 125 Vgl. BegrRegE z. KapRiLiG, BT-Drs. 8/1678, S. 12; Döllerer FS Fleck, 1988, S. 35 f.; Knobbe-Keuk ZGR 1980, 214; Hüffer NJW 1979, 1065, 1067; W. Müller WPg 1978, 565, 567; Röhricht (Fn. 57), § 27 Rn. 17.

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gleichwohl europäisch-autonom auszulegen.126 Erforderlich ist, dass die Einlagen in Gegenständen bestehen müssen, die sich objektiv in Geld bewerten lassen.127 Eine „Vollstreckbarkeit“ des Vermögensgegenstandes ist nicht erforderlich; dieses Kriterium wurde im Hinblick auf das erheblich divergierende nationale Verständnis dieses Begriffes bereits i.R.d. Entwurfs von 1970 ausdrücklich verworfen.128 Ebenso wenig muss der Vermögensgegenstand bilanzierungsfähig sein; der Bilanzierungsfähigkeit mag zwar eine gewisse Indizwirkung beizumessen sein, zwingend erforderlich ist sie jedoch nicht.129 Einlagefähig sind demnach z.B. auch dingliche oder obligatorische Nutzungsrechte.130 Nach der Entwurfsbegründung sollen zudem auch „know how“ oder „good will“ grundsätzlich einlagefähig sein.131 38 Ausdrücklich nicht einlagefähig sind jedoch gem. Art. 7 S. 2 Verpflichtungen zu Arbeits- oder Dienstleistungen. Grund ist, dass deren Bestand und Durchsetzbarkeit generell mit erheblichen Unwägbarkeiten behaftet ist, so dass ein Gläubigerzugriff zumindest wesentlich erschwert ist.132 Das Einlageverbot des Art. 7 S. 2 gilt dabei richtiger Ansicht nach sowohl für Arbeits-/Dienstleistungen der Gesellschafter als auch für solche Dritter.133 Denn der Schutzzweck der Norm (Verbot besonders risikobehafteter Einlagegegenstände) erfasst beide Konstellationen gleichermaßen, zumal sich dem Wortlaut insoweit keinerlei Anhaltspunkte für eine Differenzierung entnehmen lassen.134

126 Vgl. Drinkuth (Fn. 43), S. 139; Hiort BB 2004, 2760, 2765; Meilicke DB 1989, 1067, 1072; Röhricht (Fn. 57), § 27 Rn. 18. Vgl. ferner auch GA Tesauro, Schlussanträge v. 8.4.1992, Wienand Meilicke ./. ADV/ORGA F.A. Meyer AG, Rs. C-83/91, Slg. 1992, I-4871, Rn. 15. 127 Vgl. GA Tesauro, Schlussanträge v. 8.4.1992, Wienand Meilicke ./. ADV/ORGA F.A. Meyer AG, Rs. C-83/91, Slg. 1992, I-4871, Rn. 15. Vgl. auch Drinkuth (Fn. 43), S. 138; Hüffer NJW 1979, 1065, 1067; Kalss (Fn. 32), S. 119, 220; Lösekrug (Fn. 9), S. 80; Röhricht (Fn. 57), § 27 Rn. 20; Schwarz Rn. 586. 128 Vgl. RL-E 1970 (Fn. 1), S. 11. Vgl. dazu auch Drinkuth (Fn. 43), S. 140; Fankhauser (Fn. 54), S. 141; Hiort BB 2004, 2760, 2765; Meilicke DB 1989, 1067, 1072. 129 Vgl. Drinkuth (Fn. 43), S. 139 f.; Hüffer NJW 1979, 1065, 1067; Kalss (Fn. 32), S. 119, 220; Lösekrug (Fn. 9), S. 80 f.; Meilicke DB 1089, 1067, 1075; Röhricht (Fn. 57), § 27 Rn. 21 ff. Ganz anders allerdings Grundmann Rn. 333, nach dessen Auffassung der Streit um die Bilanzierungsfähigkeit irrelevant sein soll. 130 BGH NZG 2000, 836 („Adidas“); Hirte EWiR 2000, 941, 942. Vgl. auch Drinkuth (Fn. 43), S. 140. 131 Vgl. RL-E 1970 (Fn. 1), S. 12. Vgl. dazu auch Edwards S. 67; Fankhauser (Fn. 54), S. 141; Kalss (Fn. 32), S. 119, 220; Schmitthoff (1978) 15 C.M.L. Rev. 43, 49; Temple Lang (1972) Irish Jurist 306, 308. 132 Vgl. Habersack § 6 Rn. 25; Lösekrug (Fn. 9), S. 81; Nobel (Fn. 6), Kap. 2 Rn. 100; Röhricht (Fn. 57), § 27 Rn. 78. Kritisch insoweit Hirte in: Grundmann (Hrsg.), Systembildung und Systemlücken in Kerngebieten des Europäischen Privatrechts, 2000, S. 211, 228. 133 Vgl. Bayer/J. Schmidt (Fn. 6), Rn. 30; Fankhauser (Fn. 54), S. 141; Ganske DB 1978, 2461, 2462; Habersack § 6 Rn. 25; Kalss (Fn. 32), S. 119, 220; Lösekrug (Fn. 9), S. 81; W. Müller WPg 1979, 565, 567; Röhricht (Fn. 57), § 27 Rn. 78; Schwarz, Rn. 586. A. A. Hirte (Fn. 132), S. 211, 228; Hüffer NJW 1979, 1065, 1067; 134 Vgl. Habersack § 6 Rn. 25; Lösekrug (Fn. 9), S. 81; Röhricht (Fn. 57), § 27 Rn. 78; Schwarz Rn. 586.

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Aus deutscher Sicht ergab sich auf Grund von Art. 7 S. 1 zwar an sich nichts 39 Neues, da die dort normierten Anforderungen an die Einlagefähigkeit ja ohnehin der ganz h.M. im deutschen Aktienrecht entsprachen; „zur Sicherheit“ übernahm der Gesetzgeber die Formulierung der RL aber gleichwohl wortwörtlich in den im Zuge der Umsetzung neu eingefügten § 27 Abs. 2 Hs. 1 AktG.135 Komplementär dazu übernahm er in den ebenfalls neuen § 27 Abs. 2 Hs. 2 AktG zudem das in Art. 7 S. 2 normierte Verbot von Arbeits-/Dienstleistungen als Einlagegegenstand. Auch dieses war allerdings schon zuvor – jedenfalls im Hinblick auf Dienstleistungen der Gesellschafter – allgemein anerkannt.136 Für andere Mitgliedstaaten (z.B. das UK137) war gerade letzteres dagegen durchaus eine erhebliche Änderung.

d) Bar- und Sacheinlagen Wie bereits angesprochen (vgl. o. Rn. 3, 37), kann die Kapitalaufbringung nach der RL 40 sowohl durch Bar- als auch durch Sacheinlagen erfolgen. Obgleich nicht ausdrücklich geregelt, dürften darüber hinaus auch sog. gemischte Einlagen (= Nebeneinander von Bar- und Sacheinlage) 138 zulässig sein; hier ist dann jeder Teil separat nach den entsprechenden Regeln zu behandeln 139. Die Differenzierung zwischen Bar- und Sacheinlagen gehört zu den zentralen 41 Weichenstellungen innerhalb der Regelungssystematik der RL. Denn für Sacheinlagen gelten i.R.d. Kapitalaufbringung eine ganze Reihe von Sondervorschriften (dazu Rn. 43, 45 ff.), dafür sieht die RL aber ein Bezugsrecht nur bei Kapitalerhöhungen gegen Bareinlagen zwingend vor (vgl. Rn. 187). Die genaue Abgrenzung zwischen Bar- und Sacheinlage ist jedoch in der RL gleichwohl nicht ausdrücklich geregelt. In den meisten Sprachfassungen wird der Terminus „Sacheinlage“ (anders als an einigen – aber nicht allen – Stellen in der deutschen Version 140) noch nicht einmal verwendet,

135 Vgl. Bayer/J. Schmidt (Fn. 6), Rn. 30; Bork ZHR 154 (1990) 205, 208; Ganske, DB 1978, 2461, 2462; Hüffer NJW 1979, 1065, 1066 f.; W. Müller, WPg 1978, 565, 567. 136 Vgl. Bayer/J. Schmidt (Fn. 6), Rn. 30; s. ferner Hüffer, NJW 1979, 1065, 1067; W. Müller, WPg 1978, 565, 567. 137 Vgl. Morse (1977) 2 E.L. Rev. 126, 128; Wooldridge [1978] Acta Juridica 327, 337. Vgl. zur Entwicklung des englischen Rechts im Hinblick auf die Einlagefähigkeit von Gegenständen etwa Palmer’s Company Law, 5.971 ff. m.w.N. 138 Streng hiervon zu trennen ist die sog. „gemischten Sacheinlage“ (= Einbringung von Vermögenswerten in die AG, die teilweise gegen Gewährung von Aktien der AG, teilweise gegen sonstige Leistungen erfolgt), vgl. dazu etwa Bayer in: K. Schmidt/Lutter, AktG, 2. Aufl. 2010, § 27 Rn. 30 m.w.N. 139 Vgl. zur Parallelproblematik im deutschen Aktienrecht Bayer (Fn. 138), § 27 Rn. 32 m.w.N. 140 Auch in der deutschen Sprachfassung wurde der Begriff „Sacheinlage“ ursprünglich nur in Art. 10 Abs. 4 und 27 Abs. 4 verwendet; in den durch die RL 2006/68/EG (Rn. 6) neu eingeführten Artikeln 10a und 10b (dazu u. Rn. 54 ff.) ist demgegenüber nunmehr durchgängig von „Sacheinlage“ die Rede.

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vielmehr spricht die RL lediglich von „Einlagen, die nicht Bareinlagen sind“ 141. Diese „Auffangdefinition“142 hilft freilich wenig weiter. Einigkeit dürfte wohl jedenfalls insoweit bestehen, als der Begriff der Bareinlage (und damit auch der „Nicht-Bareinlage“) europäisch-autonom zu interpretieren ist.143 Aus dem Fehlen einer Legaldefinition144 eine diesbezüglich bestehende Definitionsautonomie der Mitgliedstaaten ableiten zu wollen, würde Sinn und Zweck der RL diametral zuwiderlaufen, denn dann wäre noch nicht einmal das mit der RL ohnehin nur angestrebte Mindestmaß an Harmonisierung gewährleistet.145 Allgemeiner Konsens dürfte ferner sein, dass jedenfalls sämtliche allgemein anerkannte Zahlungsmittel (Bar- und Buchgeld) „Bareinlage“ sind, während umgekehrt Sachen und Sachgesamtheiten (z.B. Unternehmen), Immaterialgüterrechte, Nutzungsrechte, Wertpapiere etc. „Nicht-Bareinlagen“ darstellen. Heftig umstritten ist jedoch die Klassifizierung von Forderungen als Einlage. Insoweit ist insbesondere auch die Rechtslage in den einzelnen Mitgliedstaaten äußerst unterschiedlich. Während etwa das deutsche 146 oder das luxemburgische 147 Recht Forderungen generell als Sacheinlage qualifizieren, geht das britische Recht hier von einer Bareinlage aus 148. Generalanwalt Tesauro hat in seinen Schlussanträgen in der vom LG Hannover vorgelegten149 Rs. Meilicke angenommen, dass die Einbringung einer Forderung gegen die Gesellschaft jedenfalls dann eine Bareinlage dar-

141 Englisch: „consideration other than in cash“, französisch: „apport autre qu’en numéraire“, italienisch: „conferimento non in contanti“, spanisch: „aportación no dineraria“. 142 Vgl. GA Tesauro, Schlussanträge v. 8.4.1992, Wienand Meilicke ./. ADV/ORGA F.A. Meyer AG, Rs. C-83/91, Slg. 1992, I-4871, Rn. 13. 143 GA Tesauro, Schlussanträge v. 8.4.1992, Wienand Meilicke ./. ADV/ORGA F.A. Meyer AG, Rs. C-83/91, Slg. 1992, I-4871, Rn. 13; ders. FS Meilicke, 2010, S. 714, 725; Drinkuth (Fn. 43), S. 154 ff.; Edwards S. 64; Groß AG 1992, 108, 111; Fankhauser (Fn. 54), S. 142; Meilicke DB 1989, 1067, 1072; ders. DB 1990, 1173, 1175. A.A. jedoch Wiedemann JZ 1997, 1058, 1059. 144 Nachdem die SLIM-Arbeitsgruppe die Sinnhaftigkeit einer Legaldefinition in der RL erörtert hatte (Fn. 12, S. 10), erkläte die Kommission im Jahr 2000, dass sie sich der Forderung nach einer Klärung der Bedeutung des Begriffs der „Sacheinlage“ anschließe (vgl. KOM(2000) 56, S. 4, 6). Der Punkt wurde dann jedoch nicht weiterverfolgt. 145 Vgl. GA Tesauro, Schlussanträge v. 8.4.1992, Wienand Meilicke ./. ADV/ORGA F. A. Meyer AG, Rs. C-83/91, Slg. 1992, I-4871, Rn. 13; ders. FS Meilicke, 2010, S. 714, 725. 146 BGH NJW 1990, 982, 985; Bayer (Fn. 138), § 27 Rn. 14; Hüffer, AktG, 9. Aufl. 2010, § 27 Rn. 18; Pentz in: MünchKommAktG, 3. Aufl. 2008, § 27 Rn. 26 ff.; Röhricht (Fn. 57), § 27 Rn. 71 ff. 147 Vgl. Putz in: Hirte/Bücker, Grenzüberschreitende Gesellschaften, 2. Aufl. 2006, § 8 Rn. 10. 148 Gem. s. 583(3) CA 2006 (bis 30.9.2009: s. 738(2) CA 1985) sind auch die Befreiung der Gesellschaft von einer bezifferten Verbindlichkeit oder ein Versprechen, zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Zukunft eine bestimmte Summe in bar an die Gesellschaft zu bezahlen, eine Bareinlage („cash consideration“). Vgl. dazu die grundlegende Entscheidung In Re Harmony and Montague Tin and Copper Mining Co., Spargo’s Case (1872–73) LR 8 Ch App 407 sowie etwa Davies, Gower and Davies’ Principles of Modern Company Law, 8. Aufl. 2008, 11–14. 149 LG Hannover EuZW 1991, 510.

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stelle, wenn es sich um eine zweifelsfreie, fällige und liquide Forderung handelt 150; für die Erstellung eines (für Sacheinlagen in Art. 10 Abs. 1 vorgesehenen) Wertgutachtens bestehe in diesem Fall kein Bedürfnis 151. Der EuGH hat hierzu bedauerlicherweise nicht Stellung genommen, da er die Vorlage des LG Hannover damals bereits für unzulässig erklärte.152 In der Literatur wird die Frage äußerst kontrovers diskutiert 153, wobei jedenfalls im deutschsprachigen Schrifttum – entsprechend der traditionellen deutschen Auffassung – die Qualifizierung als Sacheinlage überwiegt 154. Hierfür spricht, dass – entgegen der Auffassung des Generalanwalts – auch bei der Einbringung einer Forderung durchaus ein Bedürfnis nach einer besonderen Publizität und einer Werthaltigkeitsprüfung besteht.155 Eine höchstrichterliche oder legislative Klärung – die notwendigerweise entweder die Feststellung der Richtlinienwidrigkeit der deutschen oder der britischen Auffassung zur Folge hätte – ist insoweit in absehbarer Zeit allerdings kaum zu erwarten, wäre aber im Interesse der Harmonisierung sicherlich zu begrüßen.

e) Leistungszeitpunkt der Einlagen (Art. 9) Hinsichtlich des Leistungszeitpunktes differenziert Art. 9 zwischen Bar- und Sach- 42 einlagen. Bei Bareinlagen muss gem. Art. 9 Abs. 1 im Zeitpunkt der Gründung der Gesellschaft bzw. der Erteilung zur Aufnahme ihrer Geschäftstätigkeit mindestens 25 % des Nennbetrages bzw. rechnerischen Wertes 156 (nicht aber eines etwaigen Agios 157) geleistet werden. Wann der Rest des Nennbetrages bzw. rechnerischen Wertes 158 so-

150 GA Tesauro, Schlussanträge v. 8.4.1992, Wienand Meilicke ./. ADV/ORGA F. A. Meyer AG, Rs. C-83/91, Slg. 1992, I-4871, Rn. 14, 23; vgl. auch ders. FS Meilicke, 2010, S. 714, 727 f. 151 GA Tesauro, Schlussanträge v. 8.4.1992, Wienand Meilicke ./. ADV/ORGA F. A. Meyer AG, Rs. C-83/91, Slg. 1992, I-4871, Rn. 14; vgl. auch ders. FS Meilicke, 2010, S. 714, 727 f. 152 EuGH v. 16.7.1992, Wienand Meilicke ./. ADV/ORGA F.A. Meyer AG, Rs. C-83/91, Slg. 1992, I-4871. 153 Für die Qualifizierung als Bareinlage: Edwards S. 64; Meilicke DB 1989, 1067, 1071 ff., 1119 ff.; Werlauff S. 237. So i.E. wohl auch Hirte (Fn. 132), S. 211, 229 f. 154 So Drinkuth (Fn. 43), S. 156 ff., 161; Fankhauser (Fn. 54), S. 143 ff.; Groß AG 1993, 108, 111 f.; Henze in: Grundmann (Hrsg.), Systembildung und Systemlücken in Kerngebieten des Europäischen Privatrechts, 2000, S. 235, 244; Joost ZIP 1992, 1033, 1035; Kindler FS Boujong, 1996, S. 299, 305 ff.; Lösekrug (Fn. 9), S. 107 ff., 110. 155 Ausf. Drinkuth (Fn. 43), S. 159 f.; Groß AG 1993, 108, 111 f.; Kindler Kindler FS Boujong, 1996, S. 299, 305 ff.; Lösekrug (Fn. 9), S. 108 ff. (jeweils m.w.N.). 156 Die 25 %-Quote entsprach etwa dem Durchschnitt der in den nationalen Rechten 1970 vorgesehenen Einzahlungsbeträge, vgl. RL-E 1970 (Fn. 1), S. 11. 157 Argumentum e contrario ex Art. 26 S. 2, vgl. Drinkuth (Fn. 43), S. 151; Edwards S. 61 Fn. 58; Fankhauser (Fn. 54), S. 138; Grundmann Rn. 334; Habersack § 6 Rn. 23; Kalss (Fn. 32), S. 119, 224; Lösekrug (Fn. 9), S. 82. 158 Vgl. Drinkuth (Fn. 43), S. 146 ff.; Habersack § 6 Rn. 23; Kalss (Fn. 32), S. 119, 224; Schwarz Rn. 584.

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wie ein etwaiges Agio159 zu leisten sind, bleibt dem jeweiligen nationalen Recht überlassen. Zudem kann das nationale Recht unter den Voraussetzungen des Art. 41 Abs. 1 (dazu Rn. 231) auch von dem 25 %-Erfordernis des Art. 9 Abs. 1 abweichen. 43 Sacheinlagen müssen gem. Art. 9 Abs. 2 innerhalb von fünf Jahren nach der Gründung bzw. der Genehmigung zur Aufnahme der Geschäftstätigkeit vollständig geleistet werden. Die Leistung von Sacheinlagen kann also nicht beliebig lange hinausgeschoben werden, andererseits ist aber – anders als noch im Entwurf von 1970 vorgesehen160 – nicht zwingend erforderlich, dass sie im Zeitpunkt der Gründung bereits (ganz oder teilweise) erbracht sind. Allerdings handelt es sich auch insoweit lediglich um einen Mindeststandard, so dass es den Mitgliedstaaten frei steht, im nationalen Recht eine strengere Regelung vorzusehen.161 44 Das deutsche Aktienrecht geht – ebenso wie das vieler anderer Mitgliedstaaten 162 – sowohl für Bar- als auch für Sacheinlagen über den Mindeststandard des Art. 9 hinaus.163 Bei Bareinlagen muss gem. § 36a Abs. 1 AktG nicht nur ein Viertel des geringsten Ausgabebetrages, sondern zusätzlich ein etwaiges Agio in voller Höhe eingezahlt werden. Nicht unproblematisch ist insofern aber die neue Regelung zum Hinund Herzahlen in § 27 Abs. 4 AktG (dazu auch noch u. Rn. 74, 146). Denn hier fließt die Einlage wieder an den Inferenten zurück, so dass de facto nur sein Leistungsversprechen eingelegt ist. Bis zu einer verbindlichen Klärung der Problematik durch den EuGH dürfte es sich hier empfehlen, sicherheitshalber in jedem Fall mindestens 25 % des Nennbetrages bzw. rechnerischen Wertes (geringsten Ausgabebetrages) zur freien Verfügung des Vorstands zu leisten und dort zu belassen.164 Im Bezug auf Sacheinlagen war Art. 9 Abs. 2 Anlass für die Einfügung des heutigen § 36a Abs. 2 AktG 165, dessen Auslegung allerdings bis heute heftig umstritten ist. Einer Ansicht nach soll

159 Vgl. Drinkuth (Fn. 43), S. 151 f.; Fankhauser (Fn. 54), S. 137; Habersack § 6 Rn. 23; Kalss (Fn. 32), S. 119, 224; Lösekrug (Fn. 9), S. 82. 160 Gem. Art. 7 Abs. 2 RL-E 1970 (Fn. 1) mussten gegen „Nicht-Bareinlagen“ ausgegebene Aktien voll eingezahlt sein. Dies hätte jedoch bei Sacheinlagen, deren Übertragung eine Umschreibung in einem öffentlichen Register erfordert, sowie bei den damals offenbar v.a. in Belgien als Einlagegegenstand beliebten Sukzessivlieferungsverträgen zu erheblichen Problemen geführt, so dass die Regelung im Laufe des Richtliniengebungsverfahrens wieder verworfen wurde, vgl. BegrRegE z. KapRiLiG, BT-Drs. 8/1678, S. 13; Krebs/Wagner AG 1998, 467, 469. 161 Vgl. Dorresteijn/Monteiro/C. Teichmann/Werlauff (Fn. 6), 5.13b; Drinkuth (Fn. 43), S. 147 f.; Fankhauser (Fn. 54), S. 147; Habersack § 6 Rn. 24; Krebs/Wagner AG 1998, 467, 469; Lösekrug (Fn. 9), S. 85; Schwarz Rn. 588. 162 So verlangt z.B. auch das britische Recht bei Bareinlagen die Volleinzahlung eines etwaigen Agios (vgl. s. 586(1) CA 2006, bis 30.9.2009: s. 101(1) CA 1985). 163 Vgl. dazu auch Bayer/J. Schmidt (Fn. 6), Rn. 31. 164 Vgl. Bayer (Fn. 138), § 27 Rn. 95; KK-AktG/Arnold, 3. Aufl. 2010, § 27 Rn. 133; Bayer/Lieder GWR 2010, 296465; vgl. ferner auch Ekkenga ZIP 2010, 2469, 2471; Habersack AG 2009, 557, 561; Herrler NZG 2010, 407, 410; Herrler/Reymann DNotZ 2009, 914, 927; Hüffer (Fn. 146), § 27 Rn. 44. Für Vereinbarkeit mit Art. 9: Heidinger/ Herrler in: Spindler/Stilz, 2. Aufl. 2010, § 27 Rn. 262. 165 Vgl. Bayer/J. Schmidt (Fn. 6), Rn. 31; W. Müller WPg 1978, 565, 567.

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§ 36a Abs. 2 S. 2 (Leistung binnen fünf Jahren nach Eintragung) nämlich nur den Fall betreffen, dass Gegenstand der Sacheinlage ein Anspruch des Inferenten gegen einen Dritten ist; i.Ü. seien Sacheinlagen gem. S. 1 vollständig vor der Anmeldung zu leisten166. Anderer Ansicht nach behandelt § 36a Abs. 2 S. 2 AktG den Inhalt einer Verpflichtung des Inferenten, die selbst den Gegenstand der Sacheinlage bildet.167 Die Entstehungsgeschichte der Norm sowie die Gesetzesmaterialien streiten allerdings eher für die heute h.M., nach der S. 1 (vollständige Leistung vor Anmeldung) zwar die rechtstechnische Regel ist; für den praktischen Regelfall, dass die Sacheinlageverpflichtung durch ein dingliches Übertragungsgeschäft zu bewirken ist, gilt hingegen S. 2, der den Leistungszeitpunkt entsprechend Art. 9 Abs. 2 auf bis zu fünf Jahre hinausschiebt.168

f) Wertprüfung bei Sacheinlagen Um im Interesse der Aktionäre und Gläubiger zu gewährleisten, dass Sacheinlagen 45 nicht überbewertet werden und somit das Kapital der Gesellschaft tatsächlich durch werthaltige Aktiva gedeckt ist,169 schreibt die RL bei Sacheinlagen grundsätzlich eine Prüfung durch einen oder mehrere unabhängige Sachverständige (Art. 10 Abs. 1 u. 2, dazu Rn. 46 f.) sowie die anschließende Offenlegung des entsprechenden Prüfungsberichts (Art. 10 Abs. 3, dazu Rn. 48) vor. Eine Ausnahmemöglichkeit hiervon war ursprünglich nur für bestimmte konzerninterne Gründungen vorgesehen (Art. 10 Abs. 4, dazu Rn. 51). Durch die 3. (Fusions-)RL (dazu § 21) wurde jedoch eine Dispensoption für Verschmelzungen ergänzt, welche durch die Änderungs-RL 2009/109/EG (o. Rn. 8) auch auf Spaltungsgründungen erstreckt wurde (dazu Rn. 52). Darüber hinaus hat die Änderungs-RL 2006/68/EG (Rn. 6) drei Dispensoptionen für Fälle, in denen bereits anderweitige zuverlässige Anhaltspunkte für die Bewertung vorliegen, eingeführt (dazu Rn. 54 ff.).

166 So KK-AktG/Kraft, 2. Aufl. 1995, § 36a Rn. 9 ff.; Mayer ZHR 154 (1990) 535, 542 ff.; W. Müller WPg 1978, 565, 568. 167 Vgl. Richter ZGR 2009, 721, 726 ff. 168 Bayer/J. Schmidt (Fn. 6), Rn. 31; dies. ZGR 2009, 805, 845; Habersack § 6 Rn. 24; Hüffer (Fn. 146), § 36a Rn 4; Kleindiek in: K. Schmidt/Lutter, AktG, 2. Aufl. 2010, § 36a Rn. 5; Krebs/Wagner AG 1998, 467, 473; Lösekrug (Fn. 9), S. 84 ff.; Pentz (Fn. 146), § 36a Rn. 14 ff.; Röhricht (Fn. 57), § 36a Rn. 6 ff. 169 Vgl. GA Tesauro, Schlussanträge v. 8.4.1992, Wienand Meilicke ./. ADV/ORGA F. A. Meyer AG, Rs. C-83/91, Slg. 1992, I-4871, Rn. 14, 19; SEC(2008) 2486, S. 18; Bayer/J. Schmidt (Fn. 6), Rn. 32; dies. ZIP 2010, 953, 957; Drinkuth (Fn. 43), S. 153; Edwards S. 62; Grundmann Rn. 335; Habersack § 6 Rn. 26; Niessen AG 1970, 281, 287.

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aa) Grundsatz: Wertprüfung durch Sachverständige (Art. 10 Abs. 1–3) 46 Gem. Art. 10 Abs. 1 S. 1 muss bei Sacheinlagen vor der Gründung der Gesellschaft oder dem Zeitpunkt, zu dem sie die Genehmigung zur Aufnahme ihrer Geschäftstätigkeit erhält, durch einen oder mehrere 170 Sachverständige ein besonderer Bericht erstellt werden. Sachverständige können sowohl natürliche als auch juristische Personen oder Gesellschaften sein, das Nähere überlässt die RL insoweit in Art. 10 Abs. 1 S. 2 dem jeweiligen mitgliedstaatlichen Recht. Ebenso wenig verlangt die RL eine besondere Qualifikation der „Sachverständigen“ 171; zwingend vorgeschrieben ist lediglich, dass diese von der Gesellschaft „unabhängig“ sein müssen, wobei auch dies nicht näher definiert wird 172. Die Sachverständigen müssen durch eine Verwaltungsbehörde oder ein Gericht bestellt oder zugelassen sein; auch insoweit bleibt den Mitgliedstaaten also ein weiter Spielraum, der auch durchaus unterschiedlich genutzt wird 173. 47 Hinsichtlich des Inhalts des Berichts (und damit auch des Gegenstandes der Prüfung) stellt Art. 10 Abs. 2 eine Reihe von Mindestanforderungen174 auf. Erforderlich ist eine Beschreibung jeder Einlage, die Nennung der angewandten Bewertungsverfahren sowie die Angabe, ob der ermittelte Wert „wenigstens der Zahl und dem Nennbetrag oder, wenn ein Nennbetrag nicht vorhanden ist, dem rechnerischen Wert und gegebenenfalls dem Mehrbetrag der dafür ausgegebenen Aktien“ entspricht. Die Wertprüfung erstreckt sich damit insbesondere auch auf ein etwaiges Agio.175 48 Gem. Art. 10 Abs. 3 ist der Sachverständigenbericht sodann nach den nationalen Umsetzungsvorschriften zu Art. 3 der 1. (Publizitäts-)RL176 (dazu § 19 Rn. 13 ff.) offen zu legen. Diese Publizität ist einerseits ein wichtiges Informationsinstrument für Aktionäre und Gläubiger, bewirkt aber zugleich auch einen gewissen „psychologi-

170 Die Anzahl der Sachverständigen bleibt dem nationalen Recht (bzw., soweit dies keine Vorgaben macht, der Gesellschaft) überlassen, vgl. Drinkuth (Fn. 43), S. 162. 171 Vgl. Bayer/J. Schmidt ZGR 2009, 805, 811; Grundmann Rn. 336; Fankhauser (Fn. 54), S. 146; Kalss (Fn. 32), S. 119, 227. 172 Vgl. auch Bayer/J. Schmidt ZGR 2009, 805, 811. Zur Problematik auch Notari ECFR 2010, 63, 71. 173 Bsp.: In Deutschland werden die Gründungsprüfer gem. § 33 Abs. 3 S. 2 AktG durch das Gericht bestellt; im UK erfolgt die Bestellung durch die Gesellschaft selbst (vgl. s. 593, 1150 CA 2006, bis 30.9.2009: s. 103(1)(b) CA 1985). 174 Hier ergibt sich bereits aus dem Wortlaut („mindestens“) eindeutig, dass es sich lediglich um einen Mindeststandard handelt, vgl. auch Drinkuth (Fn. 43), S. 163. 175 Ausf. Bayer in MünchKommAktG, 3. Aufl. 2011, § 205 Rn. 20 ff.; ders. (Fn. 138), § 34 Rn. 7; grundlegend ders. FS Ulmer, 2003, S. 21, 32 ff.; vgl. weiter Bayer/J. Schmidt (Fn. 6), Rn. 32; dies. ZGR 2009, 805, 843 f.; Denecker Rev. soc. 1977, 661, 667; Edwards S. 62; Grundmann Rn. 337; Habersack § 6 Rn. 26; Handelsrechtsausschuss des DAV NZG 2008, 534, 534 f., 540; Lösekrug (Fn. 9), S. 86 ff.; Schäfer Konzern 2007, 407, 410; abw. jedoch Kalss (Fn. 32), S. 119, 227. Die Frage spielt in der Praxis v.a. bei Kapitalerhöhungen eine wichtige Rolle, dazu Rn. 173, 179, sowie auch schon Hirte DB 1995, 1113, 1114; Meilicke DB 1996, 513, 514. 176 Der Verweis auf Art. 3 der RL 68/151/EWG ist als Verweis auf Art. 3 der kodifizierten Fassung (RL 2009/101/EG) zu lesen, vgl. Art. 16 Abs. 2 RL 2009/101/EG.

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schen Druck“ auf die Gründer, den Ergebnissen des Sachverständigenberichts – an den sie an sich nicht gebunden sind 177 – zu folgen.178 Eine zusätzliche Bewertungskontrolle durch ein Gericht oder eine Verwaltungs- 49 behörde ist durch die RL nicht vorgeschrieben. Grund hierfür sind die erheblichen Unterschiede der nationalen Systeme zur Gründungskontrolle, die insoweit auch durch die 1. (Publizitäts-)RL nicht harmonisiert wurden179 (vgl. zu den zwei alternativen Formen gem. Art. 11 der 1. (Publzitäts-)RL: § 19 Rn. 81). Zudem wurde in einer zusätzlichen Kontrolle durch Juristen auch nicht unbedingt ein erheblicher Mehrwert gesehen.180 Angesichts des Mindestcharakters der Vorgaben des Art. 10 ist es den Mitgliedstaaten aber auch nicht untersagt, eine zusätzliche gerichtliche Kontrolle (wie z.B. in Deutschland gem. § 38 Abs. 2 S. 2 Alt. 2 AktG) vorzusehen.181 Das deutsche Aktienrecht gewährleistete einen den Vorgaben der Art. 10 Abs. 1 50 bis 3 entsprechenden Schutzstandard im Wesentlichen bereits seit der Aktienrechtsreform von 1937 (vgl. heute §§ 33, 34, 37 Abs. 4 Nr. 4 AktG) 182. Der deutsche Gesetzgeber konnte sich daher im Zuge der Umsetzung der RL darauf beschränken, dem § 34 Abs. 2 AktG einen neuen S. 2 anzufügen, der seitdem – entsprechend der zuvor gängigen Praxis – ausdrücklich festschreibt, dass im Gründungsprüfungsbericht der Gegenstand der Sacheinlage (oder Sachübernahme 183) zu beschreiben sowie anzugeben ist, welche Bewertungsmethoden bei der Ermittlung des Wertes angewandt worden sind.184 Im Hinblick auf Art. 10 Abs. 2 ist § 34 Abs. 1 Nr. 2 AktG trotz seines missverständlichen Wortlauts richtlinienkonform dahingehend auszulegen 185, dass die Werthaltigkeitsprüfung sich auch auf ein etwaiges Agio erstrecken muss.186

177 Vgl. Fankhauser (Fn. 54), S. 146; Grohmann (Fn. 46), S. 274; Niessen AG 1970, 281, 288. 178 Vgl. Fankhauser (Fn. 54), S. 147; Grohmann (Fn. 46), S. 274 f.; Kalss (Fn. 32), S. 119, 227; Niessen AG 1970, 281, 288. 179 Vgl. Niessen AG 1970, 281, 288. 180 Vgl. Drinkuth (Fn. 43), S. 164; Niessen AG 1970, 281, 288. 181 Vgl. auch Drinkuth (Fn. 43), S. 164. 182 Vgl. Pentz (Fn. 146), § 33 Rn. 1, § 34 Rn. 1 f., § 40 Rn. 1. S. ferner auch Bayer/J. Schmidt (Fn. 6), Rn. 32. 183 Zur Problematik der Sachübernahme im deutschen Recht u. Rn. 73. 184 Vgl. zur Einfügung von § 34 Abs. 2 S. 2 AktG: Ganske DB 1978, 2461, 2462; Hüffer NJW 1979, 1065, 1067; W. Müller WPg 1978, 565, 567. S. ferner auch Bayer/J. Schmidt (Fn. 6), Rn. 32; Drinkuth (Fn. 43), S. 152. 185 Der auch i.R.d. ARUG (Fn. 28) unveränderte Wortlaut steht einer richtlinienkonformen Auslegung – insbesondere unter Berücksichtigung des sog. „Quelle“-Urteils des BGH (NJW 2009, 427, dazu bereits näher § 3 Rn. 53 ff.) – nicht entgegen, vgl. Bayer (Fn. 138), § 34 Rn. 7; ders. (Fn. 175), § 205 Rn. 33. 186 Ausf. Bayer FS Ulmer, 2003, S. 21, 33 ff.; ebenso Baldamus (Fn. 12), S. 93; Baums ILF Working Paper 124 (2011), S. 5; Bayer (Fn. 138), § 34 Rn. 7; ders. (Fn. 175), § 205 Rn. 24 ff.; Bayer/J. Schmidt (Fn. 6), Rn. 32; dies. ZGR 2009, 805, 843 f.; Fankhauser (Fn. 54), S. 146; Habersack § 6 Rn. 26; Hoffmann-Becking in: MünchHdB AG, 3. Aufl. 2007, § 4 Rn 25; Krieger in: MünchHdB AG, 3. Aufl. 2007, § 56 Rn 44; Lösekrug (Fn. 9), S. 87 f.; Priester FS Lutter, 2000, S. 617, 622 ff.; Servatius in: Spindler/Stilz, AktG, 2. Aufl. 2010, § 183 Rn. 40 ff.; Veil in: K. Schmidt/Lutter, AktG, 2. Aufl. 2010, § 183 Rn. 26; Wiedemann in: GroßkommAktG, 4. Aufl. 1995, § 183 Rn. 82; Wamser in: Spindler/Stilz, AktG,

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Gesellschaftsrechtliche Richtlinien

bb) Dispensoption bei bestimmten konzerninternen Gründungen (Art. 10 Abs. 4) 51 Art. 10 Abs. 4 gestattet den Mitgliedstaaten bei konzerninternen Gründungen unter bestimmten Voraussetzungen vom Wertprüfungs- und Berichtserfordernis abzusehen. Diese Option187, die im Entwurf von 1970 noch nicht enthalten war, geht auf eine Initiative der niederländischen Delegation zurück und ist auf bestimmte konzerninterne Sachverhalte und Konzernrestrukturierungen zugeschnitten, die die Errichtung einer Tochtergesellschaft durch eine oder mehrere Mütter mit sich bringen.188 Voraussetzung ist, dass mindestens 90 % der Aktien gegen Sacheinlage an eine oder mehrere Gesellschaften ausgegeben werden und die in lit. a–f spezifizierten Voraussetzungen erfüllt sind. Erforderlich ist danach nicht nur ein ausdrücklicher und offen zu legender Verzicht der Gründer auf die Sacheinlageprüfung (lit. a und b), sondern auch die Existenz bzw. Bildung bestimmter Rücklagen durch die Inferenten (lit. c und f) sowie eine zeitweise Garantieübernahme durch dieselben (lit. d und e). Deutschland hat von dieser Option keinen Gebrauch gemacht. cc) Dispensoption bei Verschmelzungen und Spaltungen (Art. 10 Abs. 5) 52 Wenn im Falle der Gründung einer Gesellschaft im Wege der Verschmelzung oder Spaltung ein Bericht eines unabhängigen Sachverständigen über die Verschmelzungsbzw. Spaltungspläne erstellt wird, haben die Mitgliedstaaten gem. Art. 10 Abs. 5 die Möglichkeit, entweder ganz auf das Erfordernis von Sachverständigenprüfung und -bericht gem. Art. 10 zu verzichten (Unterabs. 1) oder die Erstellung beider Berichte durch den- bzw. dieselben Sachverständigen zu gestatten (Unterabs. 2). Eine Dispensoption war zunächst kraft Art. 23 Abs. 4 der 3. (Fusions-)RL nur für Verschmelzungen vorgesehen. Durch die Änderungs-RL 2009/109/EG (Rn. 8) wurde sie nun jedoch auch auf Spaltungen erstreckt, da die Ratio der Vermeidung doppelter Berichterstattung 189 hier gleichermaßen greift 190. Zugleich wurde die Regelung generell in Art. 10 Abs. 5 der 2. RL konzentriert und die bislang nur für Spaltungen speziell geregelte Möglichkeit einer Aufwands- und Kostenreduktion durch Personenidentität

187 188 189 190

2. Aufl. 2010, § 205 Rn. 20. Vgl. weiter aus der WP-Praxis: Angermayer WPg 1998, 914, 915; Penné Die Prüfung der Sacheinlagen nach Aktienrecht, 1984, S. 239 ff.; Schiller AG 1992, 20, 21. A.A. jedoch Gerber in: Spindler/Stilz, AktG, 2. Aufl. 2010, § 34 Rn. 8; Hüffer (Fn. 146), § 34 Rn. 3, § 183 Rn. 16; Pentz (Fn. 146), § 34 Rn. 15; trotz Bedenken auch Peifer in: MünchKommAktG, 3. Aufl. 2011, § 183 Rn. 64 f. Nach dem in allen Sprachfassungen eindeutigen Wortlaut handelt es sich um eine Mitgliedstaatenoption, vgl. Drinkuth (Fn. 43), S. 164 f.; Lösekrug (Fn. 9), S. 77; s. ferner auch Edwards S. 62; Kalss (Fn. 32), S. 119, 227. Vgl. Edwards S. 62. Näher zu Art. 10 Abs. 4 ferner auch Grohmann (Fn. 46), S. 275. Vgl. zu Art. 23 Abs. 4 a.F. der 3. RL: Heenen CDE 1981, 15, 23. Vgl. Erwägungsgrund 9 der RL 2009/109/EG; KOM(2008) 576, S. 4 f., 9; SEC(2008) 2486, S. 31; Bayer/J. Schmidt BB 2010, 387, 389; dies. ZIP 2010, 953, 956; Sandhaus NZG 2009, 41, 45; Schimka/Schörghofer WBl. 2010, 110, 115 f., 117 f.; Teichmann SR 2008, 363.

Die Kapitalrichtlinie (2. Richtlinie)

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der Prüfer (Art. 22 Abs. 4 a.F. der 6. (Spaltungs-)RL) wurde nun ausdrücklich191 auch auf Verschmelzungen erstreckt 192 (vgl. zum Ganzen auch noch § 21 Rn. 132, § 22 Rn. 107, § 23 Rn. 77). Das deutsche Recht macht die Gründungsprüfung traditionell 193 – im Einklang 53 mit der bisherigen europäischen Rechtslage – nur bei der Verschmelzung durch Neugründung entbehrlich (vgl. § 75 Abs. 2 UmwG).194 Der deutsche Gesetzgeber hat durch das 3. UmwÄndG195 zwar die Zulässigkeit einer Identität der Prüfer ausdrücklich klargestellt (§ 75 Abs. 1 S. 2 UmwG n.F.) 196, i.Ü. aber an den bisherigen Regelungen in § 75 Abs. 2 UmwG197 und § 144 UmwG (wonach bei der Spaltung zur Neugründung in jedem Fall zwingend eine Gründungsprüfung erforderlich ist 198) festgehalten199. dd) Dispensoptionen bei zuverlässigen Bezugspunkten für die Bewertung (Art. 10a, 10b) Die erst durch die Änderungs-RL 2006/68/EG (Rn. 6) eingefügte Art. 10a eröffnet 54 den Mitgliedstaaten die Option, in drei weiteren Fallgruppen vom Wertprüfungs- und Berichtserfordernis abzusehen (dazu näher u. Rn. 55 ff.). Er geht zurück auf die Vorschläge der SLIM-Arbeitsgruppe aus dem Jahr 1999 200 und betrifft Konstellationen, in denen bereits eindeutige und zuverlässige Bezugspunkte für die Bewertung vorliegen und demgemäß eine (erneute) aufwendige und kostenintensive Wertprüfung aus Sicht des europäischen Gesetzgebers überflüssig erscheint 201. Im Interesse des Gläubiger-

191 Einer Personenidentität dürfte allerdings auch bislang nichts entgegengestanden haben, vgl. Bayer/J. Schmidt ZIP 2010, 953, 956. 192 Vgl. KOM(2008) 576, S. 9; Astaix D. 2009, 2268, 2269; Bayer/J. Schmidt BB 2010, 387, 389; dies. ZIP 2010, 953, 956; Sandhaus NZG 2009, 41, 45; Schimka/Schörghofer WBl. 2010, 110, 115 f, 117 f. 193 Vgl. bereits § 247 Abs. 4 S. 1 AktG 1937, § 353 Abs. 4 S. 1 AktG 1965. 194 Vgl. dazu Diekmann in: Semler/Stengel, UmwG, 2. Aufl. 2007, § 75 Rn. 4 ff.; Grunewald in: Lutter, UmwG, 4. Aufl. 2009, § 75 Rn. 4. 195 Drittes Gesetz zur Änderung des Umwandlungsgesetzes v. 11.7. 2011, BGBl. I, 1338. 196 Vgl. BegrRegE z. 3. UmwÄndG, BR-Drs. 485/10, S. 14; Bayer/J. Schmidt ZIP 2010, 953, 956; Simon/Merkelbach DB 2011, 1317, 1318. 197 Problematisch ist insoweit, dass § 75 Abs. 2 UmwG den Dispens – anders als die RL – seinem Wortlaut nach selbst dann vorsieht, wenn im konkreten Fall gar keine Verschmelzungsprüfung erfolgt bzw. kein Verschmelzungsprüfungsbericht erstellt wird; insoweit ist eine richtlinienkonforme Auslegung (Reduktion) geboten, vgl. auch bereits Bayer/ J. Schmidt ZIP 2010, 953, 957; zum Problem ferner auch Leitzen DNotZ 2011, 526, 541. 198 Vgl. dazu Schwab in: Lutter, UmwG, 4. Aufl. 2009, § 144 Rn. 5 f. m.w.N. 199 Kritisch dazu Bayer/J. Schmidt ZIP 2010, 953, 956 f. 200 SLIM-Arbeitsgruppe (Fn. 12), S. 4, 9. Dazu Baldamus (Fn. 12), S. 91 f., 97 ff. 201 Vgl. Erwägungsgrund 3 der RL 2006/68/EG (o. Rn. 6); SEK(2004) 1342, S. 2; Bericht High Level Group (Fn. 13), S. 14 f. S. ferner auch Bayer (Fn. 138), § 33a Rn. 1; Bayer/ J. Schmidt ZGR 2009, 805, 807; Grundmann Rn. 338; Hüffer (Fn. 146), § 33a Rn. 1; Nobel (Fn. 6), Kap. 2 Rn. 100; Notari ECFR 2010, 63, 66; Santella/Turrini (2008) 9 EBOR 427, 439; Wymeersch (Fn. 6), S. 13.

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und Aktionärsschutzes ist der Dispens von der Wertprüfung allerdings nur um den Preis erhöhter Publizität, die in Art. 10b Abs. 1 202 näher geregelt ist (dazu näher u. Rn. 60), möglich. Art. 10b Abs. 3 verpflichtet die Mitgliedstaaten zudem explizit, durch geeignete Maßnahmen sicher zu stellen, dass die in Art. 10a und 10b normierten Vorgaben tatsächlich eingehalten werden. (1) Optionalität der Wertprüfung bei Wertpapieren und Geldmarktinstrumenten, Art. 10a Abs. 1 55 Art. 10a Abs. 1 betrifft die Einlage übertragbarer Wertpapiere und Geldmarktinstrumente i.S.v. Art. 4 Abs. 1 Nr. 18 bzw. 19 MiFID (vgl. dazu § 33 Rn. 6). Hier können die Mitgliedstaaten von einer Wertprüfung absehen, wenn die Bewertung zu marktinstrumente während einer bestimmten Zeitspanne vor dem Tag ihrer tatsächlichen Einbringung als Sacheinlage auf einem oder mehreren geregelten Märkten i.S.v. Art. 4 Nr. 14 MiFID (dazu § 17 Rn. 58, § 33 Rn. 8) gehandelt wurden. Zu Grund liegt dem die Erwägung, dass der gewichtete Börsendurchschnittspreis prinzipiell den wahren Wert widerspiegelt und eine spezielle und aufwendige Sachverständigenprüfung damit überflüssig erscheint.203 Die Festlegung der maßgeblichen Zeitspanne bleibt dabei allerdings (anders als noch nach dem Kommissionsvorschlag 204) dem betreffenden Mitgliedstaat überlassen; die RL verlangt lediglich, dass sie „ausreichend“ 205 sein muss. 56 Gem. Unterabs. 2 unterliegt die Dispensoption des Art. 10a Abs. 1 jedoch einer wichtigen Einschränkung: Sofern nämlich der nach Maßgabe des Unterabs. 1 ermittelte Durchschnittspreis durch außergewöhnliche Umstände beeinflusst wird, die eine erhebliche Wertänderung bewirken würden 206, hat das Verwaltungs- bzw. Leitungsorgan eine Neubewertung nach Maßgabe der Art. 10 Abs. 1–3 zu veranlassen. In diesem Fall greift nämlich die im Regelfall bestehende Vermutung, dass der Durchschnittspreis den wahren Wert widerspiegelt, gerade nicht ein.207 „Außergewöhnliche Umstände“ können z.B. im Falle von Marktenge oder Marktmanipulationen 208 vorliegen.209 202 Art. 10b Abs. 2 enthält insoweit eine Sonderregelung für Kapitalerhöhungen, dazu näher Rn. 174. 203 Vgl. SEK(2004) 1342, S. 2; Bayer/J. Schmidt ZGR 2009, 805, 809; Schäfer Konzern 2007, 407. 204 Dieser sah einen Zeitraum von drei Monaten vor, vgl. KOM(2004) 730, S. 10. 205 Dazu näher Schäfer Konzern 2007, 407 f.; Westermann ZHR 172 (2008), 144, 149 f. 206 Hierzu gehört ausdrücklich auch der Fall, dass der Markt illiquide geworden ist. 207 Vgl. Bayer (Fn. 138), § 33a Rn. 7; Bayer/J. Schmidt ZGR 2009, 805, 809; Merkner/Decker NZG 2009, 887, 888. 208 Vgl. zum Verbot von Marktmanipulationen durch die MAD § 17 Rn. 125 ff. sowie § 35 Rn. 8 ff. 209 Vgl. Grundmann Rn. 65 sowie (in Bezug auf die Umsetzung in § 33a Abs. 1 Nr. 1 AktG): BegrRegE z. ARUG, BR-Drs. 847/08, S. 31; Bayer (Fn. 138), § 33a Rn. 8; Bayer/ J. Schmidt ZGR 2009, 805, 810 f.; Merkner/Decker NZG 2009, 887, 889 f.

Die Kapitalrichtlinie (2. Richtlinie)

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(2) Optionalität der Wertprüfung bei anderen Vermögensgegenständen, Art. 10a Abs. 2 und 3 Die Option des Art. 10a Abs. 2 bezweckt die Vermeidung überflüssiger Doppelbe- 57 wertungen 210, indem sie den Mitgliedstaaten gestattet, vom Wertprüfungserfordernis abzusehen, wenn Vermögensgegenstände 211 eingebracht 212 werden, die bereits von einem anerkannten unabhängigen Sachverständigen 213 zum beizulegenden Zeitwert (fair value) 214 bewertet wurden. Voraussetzung ist allerdings, dass diese Bewertung nach den im jeweiligen Mitgliedstaat allgemein anerkannten Bewertungsnormen und -grundsätzen und zu einem Stichtag erfolgte, der nicht mehr als sechs Monate 215 vor dem Tag der tatsächlichen Einbringung liegt. Die „Buchwertklausel“ 216 des Art. 10a Abs. 3 gestattet den Mitgliedstaaten, von 58 einem Wertprüfungserfordernis abzusehen, wenn der beizulegende Zeitwert (fair value) 217 des Vermögensgegenstandes aus der Vermögensaufstellung des gesetzlichen Abschlusses des vorausgegangenen Geschäftsjahres hervorgeht, sofern dieser nach Maßgabe der Abschlussprüfer-RL (dazu § 27) geprüft wurde.218 Die Dispensmöglichkeiten in Art. 10a Abs. 2 und 3 unterliegen allerdings einer 59 Art clausula rebus sic stantibus: 219 Treten neue erhebliche Umstände ein, die eine wesentlicher Änderung des beizulegenden Zeitwerts (fair value) im Zeitpunkt der tatsächlichen Einbringung des Vermögensgegenstandes bewirken würde, so muss das Verwaltungs- bzw. Leitungsorgan eine Neubewertung nach Maßgabe der Art. 10 Abs. 1–3 veranlassen. In Bezug auf die sachverständige Prüfung bei der Gründung sieht die RL allerdings insofern – anders als bei Kapitalerhöhungen (dazu Rn. 174) – kein Erzwingungsrecht einer Aktionärsminderheit vor.220

210 Vgl. Bayer (Fn. 138), § 33a Rn. 10; Bayer/J. Schmidt ZGR 2009, 805, 810; Handelsrechtsausschuss des DAV NZG 2005, 426; Schäfer Konzern 2007, 407, 409; Seibert/Florstedt ZIP 2008, 2145, 2150; Wymeersch (Fn. 6), S. 15. 211 Art. 10a Abs. 2 u. 3 betreffen ausdrücklich nur solche Vermögensgegenstände, die nicht bereits unter Abs. 1 fallen. 212 Zum Begriff der „tatsächlichen Einbringung“ näher Schäfer Konzern 2007, 407, 409; s. ferner auch Notari ECFR 2010, 63, 70. 213 Vgl. dazu näher Notari ECFR 2010, 63, 71. 214 Dazu näher Notari ECFR 2010, 63, 71 f. 215 Im KOM-Vorschlag lag die Grenze noch bei lediglich drei Monaten, vgl. KOM(2004) 730, S. 10. Zur Berechnung der 6-Monats-Frist näher Notari ECFR 2010, 63, 70. 216 Vgl. Handelsrechtsausschuss des DAV NZG 2005, 426. 217 Näher dazu Schäfer Konzern 2007, 407, 409; Westermann ZHR 172 (2008), 144, 151; Wymeersch (Fn. 6), S. 16. 218 Ausf. (und sehr kritisch) zu dieser Option Notari ECFR 2010, 63, 72 ff.; kritisch auch Grundmann Rn. 338 Fn. 64. 219 Vgl. auch Bayer/J. Schmidt ZGR 2009, 805, 811. 220 Vgl. Bayer/J. Schmidt ZGR 2009, 805, 815; Grundmann Rn. 338; Notari ECFR 2010, 63, 70; Schäfer Konzern 2007, 407, 412; unzutreffend insofern van der Elst (2009) 6 ECL 110, 111.

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Gesellschaftsrechtliche Richtlinien

(3) Besondere Publizität gem. Art. 10b Abs. 1 60 Wenn und soweit ein Mitgliedstaat von einer in Art. 10a vorgesehenen Option Gebrauch gemacht hat, gelten gem. Art. 10b Abs. 1 besondere Publizitätsvorschriften, die zumindest einen gewissen „Schutz durch Transparenz“ gewährleisten sollen.221 Danach ist zusätzlich zu den nach Art. 3 lit. h geforderten Angaben (Rn. 18) innerhalb eines Monats nach dem Tag der tatsächlichen Einbringung nach Maßgabe der nationalen Umsetzungsvorschriften zu Art. 3 der 1. (Publizitäts-)RL222 (dazu § 19 Rn. 13 ff.) eine spezielle Erklärung offen zu legen, die die in lit. a–d näher spezifizierten Mindestangaben zu der betreffenden Sacheinlage und ihrer Bewertung enthalten muss.

(4) Umsetzung der Optionen im deutschen Recht 61 Der deutsche Gesetzgeber hat mit dem ARUG 223 durch den neuen § 33a AktG 224 nur von den ersten beiden Mitgliedstaatenoptionen (Art. 10a Abs. 1 und 2) Gebrauch gemacht; die „Buchwertklausel“ des Art. 10a Abs. 3 wurde nicht in das nationale Recht übernommen 225. Die beiden Tatbestände des § 33a Abs. 1 wurden dabei entsprechend den nachdrücklichen Forderungen aus der Praxis 226 bewusst nur als Optionen zugunsten der jeweiligen Gesellschaft ausgestaltet („kann“); dies ist jedoch richtlinienkonform, denn wenn die Mitgliedstaaten in den in Art. 10a spezifizierten Fällen generell auf die Wertprüfung durch Sachverständige verzichten können, so muss es ihnen a maiore ad minus auch frei stehen, ein entsprechendes Wahlrecht zugunsten der Gesellschaften vorzusehen 227. Bei der in Anknüpfung an § 5 WpÜGAV und die Rechtsprechung zu Abfindungszahlungen 228 normierten 229 3-Monats-Frist für die

221 Vgl. dazu auch Bayer/J. Schmidt ZGR 2009, 805, 812, 815; Grohmann (Fn. 46), S. 276 f.; Grundmann Rn. 338. 222 Der Verweis auf Art. 3 der RL 68/151/EWG ist als Verweis auf Art. 3 der kodifizierten Fassung (RL 2009/101/EG) zu lesen, vgl. Art. 16 Abs. 2 RL 2009/101/EG. 223 Fn. 28. 224 Dazu näher Bayer/J. Schmidt ZGR 2009, 805, 808 ff.; Böttcher NZG 2008, 481 ff.; Drinhausen/Keinath BB 2008, 2078 f.; dies. BB 2009, 64 f.; Herrler/Reymann DNotZ 2009, 914, 931 ff.; Klasen BB 2008, 2694, 2697 ff.; Merkner/Decker NZG 2009, 887, 889 ff.; Paschos/Goslar AG 2008, 605, 612 f.; dies. AG 2009, 14, 19 f.; Seibert/Florstedt ZIP 2008, 2145, 2149 f.; Zetzsche Konzern 2008, 321, 329 f. 225 Vgl. dazu Bayer/J. Schmidt ZGR 2009, 805, 807; Grundmann Rn. 338 Fn. 64. Belgien hat aber z.B. davon Gebrauch gemacht, vgl. van der Elst (2009) 6 ECL 110, 111. 226 Vgl. Handelsrechtsausschuss des DAV NZG 2008, 534, 539, 540 f.; Paschos/Goslar AG 2008, 605, 614. 227 Vgl. Bayer (Fn. 138), § 33a Rn. 4; Bayer/J. Schmidt ZGR 2009, 805, 808. 228 Vgl. grundlegend BGH NJW 2001, 2080 („DAT/Altana“); ausdrücklich gebilligt durch BVerfG NJW 2007, 828 („SNI“); BVerfG NJW 2007, 3266, 3268; OLG Stuttgart NZG 2007, 302; KG NZG 2007, 71. 229 Vgl. BegrRegE z. ARUG, BR-Drs. 847/08, S. 30 f.; Bayer/J. Schmidt ZGR 2009, 805, 809; Hüffer (Fn. 146), § 33a Rn. 4.

Die Kapitalrichtlinie (2. Richtlinie)

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Bestimmung des gewichteten Durchschnittspreises von Wertpapieren und Geldmarktinstrumenten (§ 33a Abs. 1 Nr. 1 AktG) handelt es sich um eine richtlinien- und systemkonforme Konkretisierung der Richtlinienvorgabe einer „ausreichenden Zeitspanne“.230 Zweckmäßig und richtlinienkonform ist schließlich auch der vom RLText abweichende Terminus des „ausreichend vorgebildeten und erfahrenen“ Sachverständigen.231 Die speziellen Publizitätsvorgaben gem. Art. 10b Abs. 1 wurden durch den neuen § 37a AktG umgesetzt.232

g) Umgehungsschutz hinsichtlich der Regeln über Sacheinlagen aa) Nachgründungsrecht (Art. 11) Da bereits i.R.d. Vorberatungen zur RL klar war, dass die strengen Vorgaben des Art. 10 62 geradezu eine Einladung zu Umgehungsversuchen darstellten233, wurde in Art. 11 nach dem Vorbild der deutschen Nachgründungsvorschriften234 eine besondere Regelung zum Schutz vor Umgehungen aufgenommen. Sie zielt insbesondere auf den Fall, dass zwar zunächst eine Bargründung durchgeführt wird, das Geld dann aber dazu verwendet wird, von den Gründern Vermögensgegenstände zu einem überhöhten Preis zu erwerben.235 Art. 11 Abs. 1 Unterabs. 1 S. 1 erstreckt das Erfordernis einer Wertprüfung und 63 Offenlegung gem. Art. 10 Abs. 1–3 daher auch auf den Erwerb von Vermögensgegenständen von einem Gründer 236, sofern dieser Erwerb innerhalb von zwei Jahren nach der Gründung bzw. der Genehmigung zur Aufnahme der Geschäftstätigkeit erfolgt und der Gründer hierfür einen Gegenwert erhält, der mindestens 10 % des gezeichneten Kapitals entspricht; außerdem bedarf ein solcher Erwerb der Zustimmung der Hauptversammlung.237

230 Vgl. Bayer (Fn. 138), § 33a Rn. 6; Bayer/J. Schmidt ZGR 2009, 805, 809; Böttcher NZG 2008, 481, 482; Sauter ZIP 2008, 1706, 1709; vgl. auch schon Schäfer Konzern 2007, 407, 408; offenbar zweifelnd dagegen Westermann ZHR 172 (2008) 144, 149 f. 231 Näher Bayer (Fn. 138), § 33a Rn. 10; Bayer/J. Schmidt ZGR 2009, 805, 810 f. 232 Vgl. BegrRegE z. ARUG, BR-Drs. 847/08, S. 32; näher dazu Bayer/J. Schmidt ZGR 2009, 805, 812; Drinhausen/Keinath BB 2008, 2078, 2079 f.; Kleindiek (Fn. 168), § 37a Rn. 1 ff.; Merkner/Decker NZG 2009, 887, 889; Sauter ZIP 2008, 1706, 1710. 233 Vgl. bereits RL-E 1970 (Fn. 1), S. 11. S. ferner Edwards S. 64; Habersack § 6 Rn. 28. 234 Vgl. Bayer/J. Schmidt (Fn. 6), Rn. 33; Edwards S. 64 f.; Habersack § 6 Rn. 28; Henze (Fn. 154), S. 235, 240; Niessen AG 1970, 281, 288; Priester in: GroßkommAktG, 4. Aufl. 2003, § 52 Rn. 9; Schwarz Rn. 590; Werlauff S. 239; Wooldridge [1978] Acta Juridica 327, 337; ausf. M. Schwab, Die Nachgründung im Aktienrecht: Tatbestand, Rechtsfolgen und Verfahren, 2003, S. 44 ff. 235 Vgl. RL-E 1970 (Fn. 1), S. 11; Edwards S. 64; Werlauff S. 239. 236 Exakter: Personen i.S.d. Art. 3 lit. i (dazu o. Rn. 18). 237 Der deutsche Wortlaut ist hier leider auf Grund seiner Syntax etwas missverständlich. Wie sich aus den anderen Sprachfassungen (vgl. z.B. der englischen oder französischen) klar ergibt, sind sowohl Wertprüfung als auch Hauptversammlungsbeschluss nur bei

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Art. 11 Abs. 2 stellt allerdings drei Kategorien von Erwerbsvorgängen ausdrücklich und zwingend238 von der Anwendung des Nachgründungsverfahrens frei: den Erwerb i.R.d. laufenden Geschäfte, den Erwerb auf Anordnung oder unter Aufsicht einer Verwaltungsbehörde oder eines Gerichts sowie den Erwerb an der Börse. Ratio ist, den Geschäftsbetrieb der Gesellschaft nicht zu sehr einzuschränken, zumal speziell in der zweiten und dritten Fallgruppe nur ein sehr geringes Manipulationspotential besteht.239 Nach wie vor nicht abschließend geklärt ist allerdings die – auch hinsichtlich der deutschen Umsetzung in § 52 Abs. 9 AktG (Rn. 67) – umstrittene Frage, ob der „Erwerb im Rahmen der laufenden Geschäfte“ lediglich alltägliche Geschäfte umfasst240 oder (entsprechend § 116 Abs. 1 HGB) alle Geschäfte, die mit einem bestimmten Unternehmenstyp verbunden sind 241. 65 Darüber hinaus ordnet der erst durch die Änderungs-RL 2006/68/EG (Rn. 6) eingefügte Art. 11 Abs. 1 Unterabs. 1 S. 2 die entsprechende Geltung der Art. 10a und 10b an. Damit wird den Mitgliedstaaten die Option eröffnet, in den drei in Art. 10a genannten Fallgruppen (Rn. 55 ff.) vom Erfordernis einer Wertprüfung durch Sachverständige abzusehen, sofern die Publizitätsanforderungen gem. Art. 10b (Rn. 60) gewahrt sind. Fraglich ist allerdings, ob die Mitgliedstaaten in diesen Fällen auch auf den durch Art. 11 geforderten Hauptversammlungsbeschluss verzichten können 242. Dagegen spricht zwar, dass Art. 10a und 10b sich in ihrem genuinen Anwendungsbereich nur auf die Wertprüfung nach Art. 10 Abs. 1–3 beziehen und die Kommission offensichtlich auch davon ausging, dass das Erfordernis der Zustimmung der Hauptversammlung in jedem Fall bestehen bleibe 243. Seinem Wortlaut nach ließe sich Art. 11 Abs. 1 Unterabs. 1 S. 2 jedoch durchaus auch als bloße Tatbestandsverweisung auf die in Art. 10a normierten Ausnahmetatbestände verstehen. Zumal es gerade im Hinblick auf das mit der Änderungs-RL verfolgte Ziel der Liberalisierung und Flexibilisierung nur konsequent wäre, in den genannten Fallgruppen von sämtlichen Nachgründungsrestriktionen – also auch vom Erfordernis des Hauptversammlungsbeschlusses – zu befreien. 64

238 239 240 241 242 243

einem Erwerb innerhalb der 2-Jahres-Frist erforderlich. Wie hier i.E. auch Denecker Rev. soc. 1977, 661, 668 f.; Drinkuth (Fn. 43), S. 165; Edwards S. 65; Kalss (Fn. 32), S. 119, 229 f.; Le Fèvre Rev. soc. 1982, 441, 448; Röhricht (Fn. 57), § 52 Rn. 8; zumindest missverständlich dagegen Grundmann Rn. 340, sowie Nobel (Fn. 6), Kap. 2 Rn. 101. Vgl. Habersack § 6 Rn. 29; Kalss (Fn. 32), S. 119, 230; Lösekrug (Fn. 9), S. 93 f.; Lutter/ Ziemons ZGR 1999, 479, 491. Vgl. Fankhauser (Fn. 54), S. 155; Grundmann Rn. 340; Kalss (Fn. 32), S. 119, 230 f.; s. ferner Bayer (Fn. 138), § 52 Rn. 46 ff.; Pentz (Fn. 146), § 52 Rn. 53; Priester (Fn. 234), § 52 Rn. 91, 97 (jeweils zur deutschen Umsetzungsvorschrift in § 52 Abs. 9 AktG). So Bayer (Fn. 138), § 52 Rn. 46; Priester (Fn. 234), § 52 Rn. 92. So Lutter/Ziemons ZGR 1999, 479, 492, 498; ihnen folgend Dormann/Fromholzer AG 2001, 242, 246; Eisolt DStR 2001, 748, 752; Kalss (Fn. 32), S. 119, 233; Lösekrug (Fn. 9), S. 95 f.; Pentz NZG 2001, 346, 352. Dagegen Handelsrechtsausschuss des DAV NZG 2005, 426, 428. Vgl. SEK(2004) 1342, S. 3.

Die Kapitalrichtlinie (2. Richtlinie)

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Die Mitgliedstaaten können den Nachgründungsschutz aber auch weiter ausdeh- 66 nen. Zum einen handelt es sich bei der 2-Jahres-Frist ausdrücklich um eine Mindestregelung, d.h. die Mitgliedstaaten können die Nachgründungsperiode auch verlängern.244 Zum anderen gestattet Art. 11 Abs. 1 Unterabs. 2 ihnen explizit, Wertprüfungs- und Beschlusserfordernis auch auf den Fall zu erstrecken, dass der Vermögensgegenstand einem Aktionär oder einer anderen Person gehört. Da das Rechtsinstitut der Nachgründung aus dem deutschen Recht übernommen 67 wurde, sah sich der deutsche Gesetzgeber i.R.d. ursprünglichen Umsetzung der RL 1978 nicht einmal zu einer formalen Änderung der Nachgründungsvorschriften in § 52 AktG veranlasst.245 Das deutsche Recht geht insofern zulässigerweise über die RL hinaus, als nach § 52 Abs. 1 S. 1 AktG auch Geschäfte mit Aktionären, die mit mehr als 10 % am Grundkapital beteiligt sind,246 erfasst werden.247 Die Vorschrift ist allerdings insoweit richtlinienwidrig, als sie eine 10 % des Grundkapitals übersteigende Vergütung verlangt, während die RL die Nachgründung bereits ab einem Gegenwert von mindestens 10 % verlangt.248 Richtlinienwidrig ist ferner auch § 52 Abs. 9 AktG: Er enthält zwar infolge der Anpassung durch das NaStraG 249 im Jahr 2001 nun eine richtlinienkonforme Ausnahme für den Erwerb i.R.d. laufenden Geschäfte 250 und den Erwerb an der Börse 251;252 allerdings erfasst er nach wie vor lediglich den „Erwerb in der Zwangsvollstreckung“, während Art. 11 Abs. 2 jeden Erwerb, der auf Anordnung oder unter Aufsicht einer Verwaltungsbehörde oder eines Gerichts erfolgt, ausnimmt.253 Auch

244 Drinkuth (Fn. 43), S. 176 f.; Ebenroth/Kräutter DB 1990, 2153, 2156; Ebenroth/Neiß BB 1992, 2085, 2087; Fankhauser (Fn. 54), S. 156; Kalss (Fn. 32), S. 119, 230; Priester (Fn. 234), § 52 Rn. 8. 245 Die durch Art. 1 Nr. 9 KapRiLiG (Rn. 10) erfolgte Änderung von § 52 AktG war lediglich eine Folgeänderung zur Neufassung von § 27 AktG, vgl. Bayer/J. Schmidt (Fn. 6), Rn. 33 Fn. 141; Hüffer NJW 1979, 1065, 1067; Lösekrug (Fn. 9), S. 90; W. Müller WPg 1978, 565, 568; Priester (Fn. 234), § 52 Rn. 9. 246 Ursprünglich bestand hinsichtlich der Person des Geschäftspartners sogar keinerlei Einschränkung; da dies aber als erhebliches Hindernis speziell für Börsengänge empfunden wurde, entschloss sich der Gesetzgeber i.R.d. NaStraG (Fn. 249) zu einer Begrenzung des Anwendungsbereichs, vgl. BegrRegE z. NaStraG, BT-Drs. 14/4051, S. 10. 247 Vgl. Art. 11 Abs. 1 Unterabs. 2 (o. Rn. 73). 248 Bayer/J. Schmidt (Fn. 6), Rn. 33 Fn. 141; dies. ZGR 2009, 805, 844; Habersack § 6 Rn. 29; Lösekrug (Fn. 9), S. 91 ff.; Pentz NZG 2001, 346, 450; Priester (Fn. 234), § 52 Rn. 10, 51; M. Schwab (Fn. 234), S. 115. 249 Gesetz zur Namensaktie und zur Erleichterung der Stimmrechtsausübung (Namensaktiengesetz – NaStraG), BGBl. I, 123. Die Anpassung erfolgte ausdrücklich im Hinblick auf Art. 11 der RL, vgl. BegrRegE, BT-Drs. 14/4051, S. 10. 250 § 52 Abs. 9 AktG a.F. normierte eine Ausnahme, „wenn der Erwerb der Vermögensgegenstände den Gegenstand des Unternehmens bildet“. 251 Der Erwerb an der Börse war in § 52 Abs. 9 AktG a.F. überhaupt nicht erfasst. 252 Vgl. Dormann/Fromholzer AG 2001, 242, 246; Eisolt DStR 2001, 748, 752; Habersack § 6 Rn. 29; Pentz NZG 2001, 346, 352; Priester (Fn. 234), § 52 Rn. 7, 10, 92, 97. 253 Vgl. Bayer/J. Schmidt ZGR 2009, 805, 844; Priester (Fn. 234), § 52 Rn. 10, 96. Vgl. zur richtlinienkonformen Auslegung insoweit Bayer (Fn. 138), § 52 Rn. 6; Bayer/J. Schmidt ZGR 2009, 805, 844; Lösekrug (Fn. 9), S. 97.

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die jüngste Reform durch das ARUG 254 hat durch die Ergänzungen in § 52 Abs. 4, 6 und 7 AktG lediglich die durch die Änderungs-RL 2006/68/EG (Rn. 6) eingefügten Option einer „vereinfachten“ Nachgründung ohne Wertprüfung umgesetzt 255, die aufgezeigten Mängel i.R.d. „normalen“ Nachgründung jedoch leider nicht beseitigt 256.

bb) Zulässigkeit weitergehenden Umgehungsschutzes nach nationalem Recht 68 Äußerst umstritten ist, ob und inwieweit Art. 11 eine abschließende Regelung des Umgehungsschutzes enthält oder ob (und in welchem Umfang) die Mitgliedstaaten befugt sind, in ihrem nationalen Recht einen darüber hinausgehenden Umgehungsschutz zu gewährleisten. Kontrovers diskutiert werden dabei insbesondere die deutschen Rechtsinstitute der verdeckten Sacheinlage (dazu u. Rn. 69 ff. sowie auch bereits § 8 Rn. 19) und der Sachübernahme (dazu u. Rn. 73), ferner neuerdings auch das Hinund Herzahlen (dazu u. Rn. 74).

(1) Verdeckte Sacheinlage 69 Die Vereinbarkeit des – durch das ARUG 257 nun in § 27 Abs. 3 AktG kodifizierten 258 – deutschen Rechtsinstituts der verdeckten Sacheinlage 259 mit dem europäischen Recht war 1991 in der Rs. Meilicke sogar bereits Gegenstand einer Vorlage des LG Hannover 260 an den EuGH. Der EuGH hielt die Vorlage jedoch bereits für unzulässig,261 so dass es gar nicht mehr zu einer Entscheidung in der Sache kam. 70 Die Verfechter der Richtlinienwidrigkeit des Rechtsinstituts der verdeckten Sacheinlage argumentieren, dass es sich bei Art. 11 (i.V.m. Art. 10, 27 Abs. 2 S. 3) nicht lediglich um Mindestvorgaben handele, sondern vielmehr um eine abschließende Regelung, die ein über die in Art. 11 ausdrücklich vorgesehenen Ausnahmetatbestände hinausgehendes Tätigwerden der nationalen Gesetzgeber ausschlössen.262 Auf dieser Linie lagen auch die Schlussanträge des Generalanwalts Tesauro in der Rs. Meilicke: Jede Rechtsordnung könne zwar ihre allgemeinen Vorschriften (z.B. Rechtsmiss-

254 255 256 257 258 259

Fn. 28. Dazu näher Bayer/J. Schmidt ZGR 2009, 805, 844. Vgl. Bayer/J. Schmidt ZGR 2009, 805, 844. Fn. 28. Dazu ausf. Bayer/J. Schmidt ZGR 2009, 805, 823 ff. Grundlegend BGHZ 110, 47; vgl. weiter BGHZ 118, 83, 93 ff.; 132, 141; BGH NJW 2000, 725, 726; BGHZ 155, 329; BGH DStR 2006, 2326. Vgl. aus der Rspr. des RG bereits: RGZ 121, 99, 102; 157, 213, 224; 167, 99, 108; vgl. zur GmbH auch BGHZ 28, 314; 113, 335. 260 LG Hannover EuZW 1991, 510. 261 EuGH v. 16.7.1992, Wienand Meilicke ./. ADV/ORGA F. A. Meyer AG, Rs. C-83/91, Slg. 1992, I-4871. 262 Vgl. Loos BB 1989, 2147, 2151; Meilicke DB 1989, 1067; ders. DB 1990, 1173, 1176 ff.

Die Kapitalrichtlinie (2. Richtlinie)

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brauch) anwenden, um Gesetzesumgehungen zu ahnden; die nationale Regelung dürfe aber nicht so beschaffen sein, dass eine nach der RL zulässige Transaktion allein deshalb ipso facto als rechtswidrig behandelt wird, weil sie mit der Kapitalerhöhung zusammenhängt.263 Darüber hinaus wird im Schrifttum teilweise sogar ein Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit angenommen.264 Der BGH 265 hält das Rechtsinstitut der verdeckten Sacheinlage jedoch – im Ein- 71 klang mit der h.L.266 – nicht nur für richtlinienkonform, sondern erachtet dies sogar für derart offensichtlich, dass er eine EuGH-Vorlage unter Berufung auf die sog. acte clair-Doktrin 267 (dazu dieser bereits näher § 3 Rn. 82) bereits mehrfach abgelehnt hat.268 Ob deren Voraussetzungen269 tatsächlich erfüllt sind, lässt sich zwar durchaus bezweifeln.270 Das Rechtsinstitut der verdeckten Sacheinlage ist aber jedenfalls i.E. sowohl mit Art. 10 als auch mit Art. 11 vereinbar, da es sich insoweit richtigerweise lediglich um Mindeststandards 271 handelt. Hierfür spricht neben Wortlaut und Systematik 272 insbesondere auch die Entstehungsgeschichte des Art. 11, speziell die Begründung der Kommission zu der dem heutigen Art. 11 entsprechenden Regelung im RL-E 1970: 273 Darin wird ausdrücklich betont, dass sich zwar durchaus „Mittel und

263 GA Tesauro, Schlussanträge v. 8.4.1992, Wienand Meilicke ./. ADV/ORGA F. A. Meyer AG, Rs. C-83/91, Slg. 1992, I-4871, Rn. 21. 264 So Steindorff EuZW 1990, 251, 252 f. 265 BGH NJW 1990, 982, 987 f.; BGH NJW 1992, 2222, 2227; BGH DStR 1994, 512 m. Anm. Goette; BGH DStR 2006, 2326. 266 Vgl. Bayer (Fn. 138), § 27 Rn. 57; Bayer/J. Schmidt (Fn. 6), Rn. 34; Ebenroth/Kräutter DB 1990, 2153, 2157; Drinkuth (Fn. 43), S. 175; Groß AG 1991, 217, 221; Grundmann Rn. 341; Habersack § 6 Rn. 32; Heidinger/Benz in: Spindler/Stilz, AktG, 2. Aufl. 2010, § 27 Rn. 106; Hüffer (Fn. 146), § 27 Rn. 24; Joost ZIP 1990, 549, 565; Kindler FS Boujong, 1996, S. 299, 315; Lösekrug (Fn. 9), S. 103; Lutter FS Everling, 1995, S. 765, 779 f.; Lutter/ Gehling WM 1989, 1445, 1458 f.; Pentz (Fn. 146), § 27 Rn. 87; Weller in: Gebauer, Martin/Wiedmann, Thomas (Hrsg.), Zivilrecht unter europäischem Einfluss, 2. Auflage 2010, Kap. 21 Rn. 47; tendenziell ferner auch Röhricht (Fn. 57), § 27 Rn. 192. 267 Grundlegend EuGH v. 6.10.1982, C.I.L.F.I.T., Rs. 283/81, Slg. 1982, 3415. Vgl. aus jüngerer Zeit EuGH v. 15.9.2005, Intermodal Transports BV ./. Staatssecretaris van Financiën, Rs. C-495/03, Slg. 2005, I-8151, Rn. 38 ff. 268 BGH DStR 2006, 2326. Ebenso bereits zuvor BGH NJW 1990, 982, 987 f.; s. ferner auch BGH NJW 1992, 2222, 2227; BGH DStR 1994, 512 m. Anm. Goette. 269 Der EuGH verlangt immerhin, dass „die richtige Anwendung des Gemeinschaftsrechts derart offenkundig [ist], dass keinerlei Raum für einen vernünftigen Zweifel an der Entscheidung der gestellten Frage bleibt“. 270 Vgl. Bayer/J. Schmidt ZGR 2009, 805, 832; Henze FS 50 Jahre BGH, 2000, S. 143, 153; Joost ZIP 1990, 549, 565. 271 Vgl. auch jüngst dezidiert EuGH v. 30.6.2009, Audiolux, Rs. C-101/08, Slg. 2009, I-9823, Rn. 39: „Die Richtlinie soll nämlich nur ein Mindestmaß des Schutzes für Aktionäre … sicherstellen“. 272 Vgl. BGH NJW 1990, 982, 987; Bayer/J. Schmidt (Fn. 6), Rn. 34; dies. ZGR 2009, 805, 832; Schwarz Rn. 594. 273 Vgl. Bayer/J. Schmidt ZGR 2009, 805, 832; Ebenroth/Neiß BB 1992, 2085, 2088; Fankhauser (Fn. 54), S. 163; Habersack § 6 Rn. 32; Lösekrug (Fn. 9), S. 102; Lutter FS Everling, 1995, S. 765, 779 f.

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Wege finden“ ließen, die Vorschriften über das Sachgründungsverfahren zu umgehen, es könne aber „den nationalen Gesetzgebern, nachdem sie das Verfahren in ihr Recht übernommen haben, überlassen bleiben, es gegebenenfalls noch weiter auszubauen“ 274. Für die Richtlinienkonformität des Rechtsinstituts der verdeckten Sacheinlage spricht aber letztlich v.a. auch der effet utile des Unionsrechts: In Anbetracht dessen, dass der RL ein Umgehungsschutz immanent ist, muss a fortiori auch ein weitergehender Umgehungsschutz durch nationales Recht zulässig sein.275 72 An der Richtlinienkonformität der verdeckten Sacheinlage hat sich i.Ü. auch durch die Neugestaltung der Rechtsfolgen durch § 27 Abs. 3 AktG n.F. (sog. Anrechnungslösung) nichts geändert.276 Denn sieht man Art. 11 richtigerweise lediglich als Mindeststandard i.d.S., dass die Etablierung eines weitergehenden Umgehungsschutzes dem nationalen Recht überlassen bleiben sollte,277 so spricht nichts dagegen, dass das deutsche Recht Umgehungen durch verdeckte Sacheinlagen künftig nur noch in abgeschwächter Form sanktioniert.278

(2) Sachübernahme 73 Kontrovers diskutiert wird ferner die Richtlinienkonformität der im deutschen Aktienrecht tradierten Gleichstellung von Sacheinlagen und Sachübernahmen (= Übernahme von Vermögensgegenständen durch die Gesellschaft, vgl. § 27 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 AktG). Obgleich das Rechtsinstitut der Sachübernahme trotz entsprechender Vorschläge 279 nicht in die RL aufgenommen wurde, hat der deutsche Gesetzgeber hieran ausdrücklich festgehalten. Einer Ansicht nach soll darin jedenfalls insoweit ein Richtlinienverstoß liegen, als auch Rechtsgeschäfte mit einem Erwerbspreis von weniger als 10 % des Grundkapitals erfasst werden, da die 10 %-Grenze in Art. 11 zwingenden

274 Vgl. RL-E 1970 (Fn. 1), S. 11. 275 Vgl. Bayer/J. Schmidt (Fn. 6), Rn. 34; dies. ZGR 2009, 805, 832; vgl. auch Grundmann Rn. 341; Habersack § 6 Rn. 32; Lösekrug (Fn. 9), S. 103. Noch weitergehend Kindler FS Boujong, 1996, S. 299, 315 („nicht nur zulässig, sondern sogar geboten“). 276 Vgl. Bayer/Lieder GWR 2010, 296465; Bayer/J. Schmidt ZGR 2009, 805, 832 f.; Habersack GWR 2009, 129, 132; ders. AG 2009, 557, 560; Heidinger/Benz (Fn. 266), § 27 Rn. 106; Herrler/Reymann DNotZ 2009, 914, 919; s. ferner auch Grundmann Rn. 341 Fn. 71; a.A. jedoch Andrianesis WM 2011, 968, 973. 277 Vgl. Bayer/J. Schmidt (Fn. 6), Rn. 34; dies. ZGR 2009, 805, 832; Lösekrug (Fn. 9), S. 102 f.; Lutter FS Everling, 1995, S. 765, 779 f.; Lutter/Gehling, WM 1989, 1445, 1459. Vgl. ferner auch Kindler FS Boujong, 1996, S. 299, 309. 278 Vgl. Bayer/Lieder GWR 2010, 296465; Bayer/J. Schmidt ZGR 2009, 805, 832 f. So i.E. auch Habersack GWR 2009, 129, 132; ders. AG 2009, 557, 560; ebenso i.E. für die im MoMiG-RegE vorgesehene Differenzhaftung Bormann GmbHR 2007, 897, 901 sowie schon Drinkuth (Fn. 43), S. 175 f. Zweifelnd, ob die Neuregelung überhaupt noch dem Gebot des effet utile genügt gar Heidinger/Benz (Fn. 266), § 27 Rn. 106. 279 Der Anregung von Ankele BB 1970, 988, 990 und Lutter EuR 1975, 44, 56 auf Aufnahme der Sachübernahme in die RL wurde nicht entsprochen; vgl. hierzu auch Meilicke, DB 1990, 1173.

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Charakter habe;280 es bedürfe daher insoweit jedenfalls einer richtlinienkonformen Auslegung 281. Dies vermag jedoch i.E. nicht zu überzeugen. Denn wie bereits erläutert, handelt es sich bei Art. 11 gerade nicht um eine abschließende Regelung des Umgehungsschutzes.282 Auch die deutsche Konzeption der Sachübernahme ist demgemäß richtlinienkonform.283

(3) Hin- und Herzahlen Problematisch im Hinblick auf die Vereinbarkeit mit Art. 10 f. der RL könnte schließ- 74 lich auch die neue Regelung zum „Hin- und Herzahlen“ in § 27 Abs. 4 AktG sein.284 Allerdings ist bereits fraglich, ob ein „Forderungstausch“, wie er aus § 27 Abs. 4 AktG resultiert, überhaupt als „Sacheinlage“ i.S.d. RL zu qualifizieren ist.285 Abgesehen davon spricht einiges dafür, dass das Rechtsinstitut des „Hin- und Herzahlens“ jedenfalls einen – grundsätzlich zulässigen286 – weitergehenden Umgehungsschutz nach nationalem Recht darstellt.287

h) Art. 13 Art. 13 verpflichtet die Mitgliedstaaten die notwendigen Maßnahmen zu treffen, da- 75 mit bei der Umwandlung einer Gesellschaft einer anderen Rechtsform in eine Aktiengesellschaft zumindest die gleichen Garantien gegeben sind, wie sie in den Art. 2 bis 12 enthalten sind. Dadurch soll verhindert werden, dass die Vorschriften der RL zur realen Kapitalaufbringung mittels einer AG-Gründung durch Formwechsel umgangen werden.288 Der ursprünglich offensichtlich als lediglich temporär gedachte Regelungsauftrag des Art. 13 hat allerdings inzwischen wohl endgültigen Charakter angenommen, denn die insoweit angedachte Harmonisierung der nationalen Vorschriften zum Formwechsel ist bislang nicht erfolgt und steht derzeit auch nicht auf der aktuellen Reformagenda (vgl. zur neuen Reforminitiative 2011 bereits ausf. § 18 Rn. 5, 100 ff.).

280 Drinkuth (Fn. 43), S. 178; Habersack § 6 Rn. 32. Für einen zwingenden Charakter der 10 %-Untergrenze auch GA Tesauro, Schlussanträge v. 8.4.1992, Wienand Meilicke ./. ADV/ORGA F. A. Meyer AG, Rs. C-83/91, Slg. 1992, I-4871, Rn. 18; Fankhauser (Fn. 54), S. 155. 281 Drinkuth (Fn. 43), S. 178; Habersack § 6 Rn. 32. 282 Vgl. auch Bayer/J. Schmidt (Fn. 6), Rn. 34; Lösekrug (Fn. 9), S. 115. 283 Bayer/J. Schmidt (Fn. 6), Rn. 34; Lösekrug (Fn. 9), S. 115. 284 Dazu ausf. Bayer/J. Schmidt ZGR 2009, 805, 833 ff. 285 Näher dazu Bayer (Fn. 138), § 27 Rn. 96; Bayer/J. Schmidt ZGR 2009, 805, 840 f.; s. ferner bereits o. Rn. 41. 286 Vgl. o. Rn. 71. 287 Vgl. Bayer (Fn. 138), § 27 Rn. 96; Bayer/J. Schmidt ZGR 2009, 805, 841. 288 Vgl. Drinkuth (Fn. 43), S. 181; Le Fèvre Rev. soc. 1982, 441, 446.

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In Deutschland wurde der Regelungsauftrag des Art. 13 zunächst durch §§ 378, 385 Abs. 2 i.V.m. 378, 385a Abs. 4 AktG a.F.,289 seit 1.1.1995 durch §§ 197 S. 1290, 220 291, 245 Abs. 3 292 UmwG umgesetzt.

i) Art. 14 77 Die den ersten Abschnitt der RL abschließende, rein deklaratorische Vorschrift des Art. 14 stellt lediglich klar, dass die Art. 2–13 die Vorschriften der Mitgliedstaaten über die Zuständigkeit und das Verfahren bei Änderung der Satzung oder des Errichtungsaktes unberührt lassen; diese Materie gehört nämlich schon gar nicht zum Regelungsbereich der RL.293

4. Kapitalerhaltung 78 Zweiter zentraler Regelungsgegenstand der RL sind Vorschriften über die Kapitalerhaltung, die sich insofern letztlich als notwendiges Korrelat zu den strengen Regelungen über die Kapitalaufbringung verstehen lassen: Denn die Schutz- und Garantiefunktion des Grundkapitals für die Gläubiger ist nur dann wirklich gewährleistet, wenn sichergestellt ist, dass das einmal real aufgebrachte Kapital nicht einfach wieder an die Aktionäre zurückfließen kann.294 Das Schutzinstrumentarium der RL ruht dabei auf drei großen Säulen: (1) Der Begrenzung von Ausschüttungen (Rn. 79 ff.), (2) einer Konsultationspflicht bei schweren Verlusten (Rn. 96 ff.), und (3) Restriktionen bezüglicher eigener Aktien der Gesellschaft (Rn. 100 ff.).

a) Ausschüttungen an Aktionäre 79 Grundlage des Kapitalerhaltungskonzepts der RL ist die Begrenzung von Ausschüttungen an Aktionäre gem. Art. 15 (Rn. 80 ff.), die durch die in Art. 16 normierte Rückgewährpflicht (Rn. 92 ff.) auch sanktionsrechtlich abgesichert ist.

289 Vgl. RegE z. UmwG, BT-Drs. 12/6699, S. 141, 150, 157 f.; Bärwaldt in: Semler/Stengel, UmwG, 2. Aufl. 2007, § 197 Rn. 4 f. 290 Vgl. RegE z. UmwG, BT-Drs. 12/6699, S. 141; Bärwaldt (Fn. 289), § 197 Rn. 5; Decher in: Lutter, UmwG, 4. Aufl. 2009, § 197 Rn. 2; Lösekrug (Fn. 9), S. 78; Schwarz DStR 1994, 1694, 1696. 291 Vgl. RegE z. UmwG, BT-Drs. 12/6699, S. 150; Joost in: Lutter, UmwG, 4. Aufl. 2009, § 220 Rn. 1; Schlitt in Semler/Stengel, UmwG, 2. Aufl. 2007, § 220 Rn. 6. 292 Vgl. RegE z. UmwG, BT-Drs. 12/6699, S. 157 f.; Happ/Göthel in: Lutter, UmwG, 4. Aufl. 2009, § 245 Rn. 1. 293 Vgl. Denecker Rev. soc. 1977, 661, 669; Drinkuth (Fn. 43), S. 182. 294 Vgl. Drinkuth (Fn. 43), S. 183; Habersack § 6 Rn. 33; Lösekrug (Fn. 9), S. 117; Niessen AG 1970, 281, 289; Schwarz, Rn. 595.

Die Kapitalrichtlinie (2. Richtlinie)

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aa) Vermögensbindung gem. Art. 15 (1) Ausschüttungsgrenzen gem. Art. 15 Abs. 1 Nach der Grundregel des Art. 15 Abs. 1 lit. a dürfen Ausschüttungen an Aktionäre – 80 abgesehen von Kapitalherabsetzungen 295 – nur erfolgen, wenn bei Abschluss des letzten Geschäftsjahres das Nettoaktivvermögen, wie es der Jahresabschluss ausweist, den Betrag des gezeichneten Kapitals zuzüglich kraft Gesetzes oder Satzung 296 nicht ausschüttungsfähiger Rücklagen, durch eine solche Ausschüttung nicht unterschreitet oder unterschreiten würde (sog. Bilanztest bzw. balance sheet test 297). Art. 15 Abs. 1 lit. b stellt dazu ergänzend klar, dass das gezeichnete Kapital dabei um den noch nicht eingeforderten Betrag zu vermindern ist, sofern letzterer nicht auf der Aktivseite der Bilanz ausgewiesen wird.298 Dadurch soll gewährleistet werden, dass die verschiedenen Möglichkeiten des Ausweises des gezeichneten Kapitals sich bei der Berechnung des ausschüttungsfähigen Betrages nicht auswirken.299 Art. 15 Abs. 1 lit. a beschränkt sich damit letztlich auf einen reinen Kapitalschutz und entspricht daher im Wesentlichen der Lösung des deutschen § 30 GmbHG 300; gebunden ist nur Teil des Vermögens, nicht hingegen – wie bei § 57 AktG – das gesamte Vermögen 301. Konzeptionell ist die Regelung auf das Prinzip vorsichtiger Bilanzierung gegründet 302 und wurde daher auch erst mit der Harmonisierung des Bilanzrechts durch die 4. (Bilanz-)RL (dazu § 24) und 7. (Konzernbilanz-)RL (dazu § 25) wirklich effektiv 303. Art. 15 Abs. 1 lit. c begrenzt den Ausschüttungsbetrag darüber hinaus auf den 81 Bilanzgewinn 304 des abgeschlossenen Geschäftsjahres 305 (sog. Gewinn- und Verlustrechnungstest bzw. earned surplus test 306).

295 Geregelt in Art. 30 ff., dazu u. Rn. 204 ff. 296 Insoweit kritisch Lutter EuR 1975, 44, 57. 297 Vgl. DG MARKT, Results of the external study on the feasibility of an alternative to the Capital Maintenance Regime of the Second Company Law Directive and the impact of the adoption of IFRS on profit distribution, 2008 (abrufbar unter: http://.ec.europa.eu/ internal_market/company/docs/capital/feasbility/markt-position_en.pdf), S. 10; Lanfermann/Röhricht BB 2007, Beil. 5, S. 8, 9; Santella/Turrini (2008) 9 EBOR 427, 446. 298 Vgl. Lösekrug (Fn. 9), S. 117; Grundmann Rn. 342. 299 Leinekugel, Die Sachdividende im deutschen und europäischen Aktienrecht, 2001, S. 15 f.; Veil (Fn. 85), S. 94; Werlauff S. 252 f. 300 Vgl. Habersack § 6 Rn. 33; Kalss (Fn. 32), S. 119, 235; Lösekrug (Fn. 9), S. 121; Lutter EuR 1975, 44, 57. 301 Kalss (Fn. 32), S. 119, 235; Lutter EuR 1975, 44, 57. S. ferner 4. Aufl., S. 50. 302 Vgl. Habersack § 6 Rn. 33; Veil (Fn. 85), S. 91, 95. 303 Vgl. Edwards S. 69. Dies war bereits i.R.d. RL-E 1970 erkannt, damals jedoch bewusst in Kauf genommen worden, vgl. RL-E 1970 (Fn. 1), S. 12; Niessen AG 1970, 281, 289. 304 Vgl. zur Definition des Gewinns in Art. 15 Abs. 1 lit. c: Leinekugel (Fn. 299), S. 18 ff. 305 Fleischer in: Lutter (Hrsg.), Das Kapital der Aktiengesellschaft in Europa, 2006, S. 114, 118; Habersack § 6 Rn. 33; Schön FS Kropff, 1997, S. 285, 293 f.; Veil (Fn. 85), S. 91, 94 f.; ausf. Castellano in: Buttaro/Griffi (Hrsg.), La seconda direttiva CEE in materia societaria, S. 127, 146 ff.; a.A. Schmitthoff (1978) 15 C.M.L. Rev. 43, 51. 306 Vgl. DG MARKT (Fn. 297), S. 10; Lanfermann/Röhricht BB 2007, Beil. 5, S. 8, 9.

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Der Begriff Ausschüttung wird in der RL lediglich dahingehend präzisiert, dass gem. Art. 15 Abs. 1 lit. d insbesondere die Zahlung von Dividenden 307 und von Zinsen für Aktien erfasst ist. I.Ü. wird dieser an sich für das gesamte RL-Regime zentrale Terminus jedoch bedauerlicherweise nicht definiert. Dies hat zu der Kontroverse geführt, ob das Ausschüttungsverbot des Art. 15 auf offene Ausschüttungen begrenzt ist 308 oder ob auch verdeckte Vermögensverlagerungen erfasst sind 309. Für ersteres spricht zwar, dass die Regelbeispiele des Art. 15 Abs. 1 lit. d ausschließlich Fälle offener Gewinnausschüttungen betreffen.310 Teleologische Erwägungen streiten aber gleichwohl maßgeblich für die Gegenansicht. Denn der europäische Gesetzgeber hat die Regelung ausweislich von Erwägungsgrund 4 gerade zu dem Zweck erlassen, „das Kapital als Sicherheit für die Gläubiger zu erhalten“. Sinn und Zweck der Vorschrift entspricht daher nur eine Auslegung, die es den Mitgliedstaaten nicht nur gestattet 311, sondern vielmehr zwingend gebietet, Art. 15 auch auf verdeckte Vermögensverlagerungen anzuwenden 312.

(2) Abschlagszahlungen auf Dividenden, Art. 15 Abs. 2 83 Art. 15 Abs. 2 enthält eine Sonderregelung für den Fall, dass das mitgliedstaatliche Recht Abschlagszahlungen auf Dividenden zulässt. Da hierdurch die strengen Regeln des Art. 15 Abs. 1 umgangen werden könnten, muss das mitgliedstaatliche Recht solche Abschlagszahlungen besonderen Bedingungen unterwerfen.313 Erforderlich ist – parallel zu Art. 15 Abs. 1 – die Aufstellung einer Zwischenbilanz (lit. a) sowie die Einhaltung der in lit. b spezifizierten Ausschüttungsgrenze.

307 Dies umfasst auch Sachdividenden, vgl. Habersack § 6 Rn. 34 sowie ausf. Leinekugel (Fn. 299), S. 11 ff. 308 So Bezzenberger, Das Kapital der Aktiengesellschaft, 2005, S. 259 ff.; Drinkuth (Fn. 43), S. 185; Koll-Möllenhoff, Das Prinzip des festen Grundkapitals im europäischen Gesellschaftsrecht, 2005, S. 159 f.; Lösekrug (Fn. 9), S. 124; Ullrich, Verdeckte Vermögensverlagerungen in den Aktien- und GmbH-Rechten Frankreichs, Belgiens und Deutschlands, 1994, S. 10 ff. m.w.N. 309 So Bayer/Schmidt (Fn. 6), Rn. 37; Fleischer (Fn. 305), S. 114, 120; Fleischer in: K. Schmidt/ Lutter, AktG, 2. Aufl. 2010, § 57 Rn. 7; Grundmann Rn. 343; Habersack § 6 Rn. 36; Mülbert FS Lutter, 2000, S. 535, 545 ff.; Schön FS Kropff, 1997, S. 285, 292 ff.; Veil WM 2003, 2169, 2171; Werlauff S. 175 ff. 310 Vgl. Drinkuth (Fn. 43), S. 185; Lösekrug (Fn. 9), S. 124. 311 So etwa Drinkuth (Fn. 43), S. 188; Grohmann (Fn. 46), S. 279; Lösekrug (Fn. 9), S. 125. 312 Ebenso Bayer/Schmidt (Fn. 6), Rn. 37; Fleischer (Fn. 305), S. 114, 120 (mit rechtsvergleichenden Hinweisen auf S. 121 ff.); ders. WM 2007, 909, 910 f.; Grundmann Rn. 343. I.E. ferner auch Habersack § 6 Rn. 36; Mülbert FS Lutter, 2000, S. 535, 545 ff.; Nienhaus (Fn. 33), S. 127 f.; Schön FS Kropff, 1997, S. 285, 292 ff.; Veil WM 2003, 2169, 2171; Werlauff S. 175 ff. 313 Vgl. Edwards, S. 69.

Die Kapitalrichtlinie (2. Richtlinie)

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(3) Ausnahme für Investmentgesellschaften, Art. 15 Abs. 4 Art. 15 Abs. 4 Unterabs. 1 gestattet den Mitgliedstaaten für Investmentgesellschaften 84 mit festem Kapital (legaldefiniert in Art. 15 Abs. 4 Unterabs. 2) von den Vorgaben des Art. 15 Abs. 1 lit. a abzuweichen. Dadurch soll es ihnen ermöglicht werden, diesen Gesellschaften die verdeckte Einlagenrückgewähr in Form des Aktienrückerwerbs unabhängig von den Ausnahmeregeln der Art. 19 f. (dazu Rn. 107 ff.) zu erlauben.314 Ein Dispens ist allerdings nur zulässig, wenn der Mitgliedstaat sicherstellt, dass die in Unterabs. 3 aufgelisteten Vorgaben 315, durch die zumindest eine gewisse Publizität (lit. a und c) sowie ein rudimentärer Kapitalschutz (lit. b) gewährleistet werden sollen, eingehalten werden.

(4) Sonderproblem: Ausschüttungen im Konzern Äußerst kontrovers diskutiert wird die Frage, ob die Ausschüttungsregeln des Art. 15 85 auch auf konzernangehörige Aktiengesellschaften Anwendung finden316. Dies ist v.a. deshalb brisant, weil das das Recht einiger Mitgliedstaaten wirtschaftlich höchst bedeutsame Konzernprivilegien (z.B. in Deutschland §§ 291 Abs. 3, 311 ff. AktG oder die von der französischen Rechtsprechung entwickelte Rozenblum-Doktrin 317) enthält, deren Europarechtskonformität letztlich mit der Beantwortung dieser „Gretchenfrage“318 steht und fällt. Es sprechen jedoch gewichtige Argumente dafür, dass die RL seit jeher eine ungeschriebene Bereichsausnahme für das Konzernrecht enthält. Denn die RL wurde gerade parallel zu dem – letztlich gescheiterten – Vorhaben einer 9. (Konzernrechts-)RL (dazu § 9 Rn. 5 ff.) vorbereitet und die 1974/75 vorgelegten Vorentwürfe einer solchen 9. RL (vgl. dazu § 9 Rn. 5) basierten gerade auf einem Modell, das konzerninterne Vermögensverlagerungen auf Grund einheitlicher Leitung in Kauf nahm.319 Wird das Konzernrecht aber damit gerade gar nicht von der RL erfasst, so liegen etwaige Konzernprivilegien grundsätzlich in der Einschätzungsprärogative des betreffenden Mitgliedstaats. Selbst wenn man dem nicht folgt, spricht aber

314 Mülbert FS Lutter, 2000, S. 535, 548. 315 Dazu näher Nienhaus (Fn. 33), S. 134 sowie Grohmann (Fn. 46), S. 280 f. 316 So dezidiert Schön (Fn. 305), S. 285, 289 ff.; ferner ders. RabelsZ 2000, 1, 22 ff.; Nienhaus (Fn. 33), S. 218; Werlauff, S. 257. 317 Grundlegend Cass. crim. v. 4.2.1985, n° 84-91581, JCP E, 1985.II.14614. Näher zur Rozenblum-Doktrin aus deutscher Sicht etwa Lutter FS Kellermann, 1991, S. 257, 260 ff.; S. Maul NZG 1998, 965, 966; Schön RabelsZ 64 (2000), 1, 22 f. 318 Vgl. Fleischer (Fn. 305), S. 114, 130. 319 Vgl. Bayer (Fn. 14), § 57 Rn. 150; Bayer/J. Schmidt (Fn. 6), Rn. 39; Fleischer (Fn. 305), S. 114, 132; Habersack ZGR 2003, 724, 733; Lösekrug (Fn. 9), S. 129. Sympathie für eine Bereichsausnahme ferner auch bei Grundmann Rn. 343. S. ferner auch Habersack § 6 Rn. 38 Fn. 90; ders. in: Emmerich/Habersack, Konzernrecht, 6. Aufl. 2010, § 311 Rn. 82.

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vieles dafür, dass solche konzernrechtlichen Regelungen jedenfalls dann europarechtskonform sind, wenn das nationale Recht durch entsprechende Schutz- und Ausgleichsregelungen für einen gleichwertigen Kapitalschutz sorgt.320

(5) Sonderproblem: Emittentenhaftung 86 Als problematisch wurde teilweise auch die Vereinbarkeit der sog. kapitalmarktrechtlichen Emittentenhaftung mit Art. 15 gesehen.321 Diese Bedenken sind jedoch letztlich unbegründet.322 Denn die Begleichung kapitalmarktrechtlicher Schadensersatzansprüche erfüllt schon gar nicht den Tatbestand der Ausschüttung i.S.d. Art. 15.323 Zudem ergibt sich aus Art. 6 Abs. 1 der Prospekt-RL (dazu § 34 Rn. 16) und Art. 7 der Transparenz-RL (dazu § 36 Rn. 10) unzweifelhaft, dass der europäische Gesetzgeber der Emittentenhaftung Vorrang vor der Kapitalerhaltung einräumt.324

(6) Art. 15 Abs. 1 als Mindeststandard 87 Zu betonen ist schließlich, dass Art. 15 Abs. 1 keineswegs eine abschließende Regelung darstellt, sondern vielmehr lediglich einen unionsrechtlichen Mindeststandard etabliert; den Mitgliedstaaten steht es also frei, in ihrem nationalen Recht strengere Regelungen zu treffen.325

320 Vgl. auch Grundmann Rn. 343; s. dazu speziell mit Blick auf das deutsche Recht Rn. 90. 321 Bedenken etwa bei Habersack, Europäisches Gesellschaftsrecht, 2. Aufl. 2003, Rn. 164; Kindler FS Wymeersch, 2009, S. 417, 427 f.; s. ferner auch Bericht der Regierungskommission Corporate Governance, BT-Drs. 14/7515, Rn. 182, 186. 322 Wie hier i.E. auch Bayer/J. Schmidt (Fn. 6), Rn. 40; Fleischer (Fn. 309), § 57 Rn. 67; ders. ZIP 2005, 1805, 1811; Grundmann Rn. 343 (speziell für die Prospekthaftung); Habersack § 6 Rn. 34 (unter ausdrücklicher Aufgabe früherer Bedenken); Langenbucher ZIP 2005, 239, 242; Möllers BB 2005, 1637, 1641 f.; Mülbert JZ 2002, 826, 833 f.; Mülbert/Steup WM 2005, 1633, 1653. 323 Vgl. Fleischer (Fn. 309), § 57 Rn. 67; ders. ZIP 2005, 1805, 1811; Langenbucher ZIP 2005, 239, 242; Mülbert JZ 2002, 826, 833 f.; Mülbert/Steup WM 2005, 1633, 1653. 324 Vgl. Fleischer (Fn. 309), § 57 Rn. 67; ders. ZIP 2005, 1805, 1811; Grundmann Rn. 343; Langenbucher ZIP 2005, 239, 242; Möllers BB 2005, 1637, 1641 f.; Mülbert/Steup WM 2005, 1633, 1653; Zimmer/Grotheer in: Schwark/Zimmer, KMRK, 4. Aufl. 2010, § 37c WpHG Rn. 14; tendenziell ferner auch Gruber JBl. 2007, 2, 11 f.; Rüffler GeS 2010, 4, 9; a.A. Kindler FS Wymeersch, 2009, S. 417, 427 f. 325 Ebenso i.E. auch Bayer/J. Schmidt (Fn. 6), Rn. 41; Bezzenberger (Fn. 308), S. 27; Drinkuth (Fn. 43), S. 188; Grundmann Rn. 343; Habersack § 6 Rn. 36; Lösekrug (Fn. 9), S. 125; Schwarz Rn. 596.

Die Kapitalrichtlinie (2. Richtlinie)

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(7) Umsetzung in Deutschland Das deutsche Aktienrecht entsprach mit § 57 AktG bereits weitgehend dem Standard der RL.326 I.R.d. Umsetzung bedurfte es lediglich der Streichung der in § 57 Abs. 3 AktG a.F. noch vorgesehenen Möglichkeit sog. Bauzinsen327, welche jedoch ohnehin nur von geringer praktischer Relevanz328 waren.329 Auf Grund des Mindestnormcharakters des Art. 15 Abs. 1 (Rn. 87) waren insbesondere auch die – inzwischen durch den durch das MoMiG330 eingeführten „Nichtanwendungsbefehl“ des § 57 Abs. 1 S. 4 AktG obsolet gewordenen – Rechtsprechungsgrundsätze über eigenkapitalersetzende Aktionärsdarlehen 331 richtlinienkonform.332 Die neue insolvenzrechtliche Konzeption ist im Hinblick auf Art. 15 ohnehin unproblematisch. Folgt man der hier vertretenen Annahme einer Bereichsausnahme für das Konzernrecht (Rn. 88), so bestehen ferner auch gegen die Regelungen des deutschen Konzernrechts, speziell die §§ 57 Abs. 1 S. 3, 291 Abs. 3, 311 ff. AktG, keine europarechtlichen Bedenken. I.Ü. sprechen gute Gründe dafür, dass die genannten Regelungen angesichts der mannigfaltigen konzernrechtlichen Schutz- und Ausgleichsregelungen selbst dann unionskonform wären, wenn man den Anwendungsbereich des Art. 15 auch auf Konzernsachverhalte erstrecken wollte.333 Richtlinienkonform ist schließlich auch die in § 44 BörsG, §§ 37b, 37c WpHG angeordnete Haftung der AG im Falle unrichtiger Börsenprospekte bzw. unterlassener oder fehlerhafter Ad-hoc-Mitteilungen (sog. Emittentenhaftung).334

326 Vgl. Bayer/J. Schmidt (Fn. 6), Rn. 38; Habersack § 6 Rn. 36; Schwarz Rn. 596. 327 Dazu ausf. Baums FS Horn, 2006, S. 249 ff; zur Rechtsentwicklung Bayer (Fn. 22), Rn. 125 ff. 328 Vgl. Ganske DB 1978, 2461, 2462 f.; Hüffer NJW 1979, 1065, 1068; W. Müller WPg 1978, 565, 568. 329 Vgl. Bayer/J. Schmidt (Fn. 6), Rn. 38. 330 Fn. 75. 331 Grundlegend: BGHZ 90, 381 („BuM/WestLB“); BGH BB 2005, 1758; ausf. dazu Bayer (Fn. 14), § 57 Rn. 174 ff. 332 Vgl. Bayer/J. Schmidt (Fn. 6), Rn. 41; Habersack § 6 Rn. 36; Lösekrug (Fn. 9), S. 126; Schwarz Rn. 596. 333 Vgl. Bayer/J. Schmidt (Fn. 6), Rn. 39; Bezzenberger (Fn. 308), S. 324 ff.; Habersack § 6 Rn. 38 ff.; ders. (Fn. 319) § 311 Rn. 82; ders. ZGR 2003, 724, 731 ff.; KK-AktG/Koppensteiner, 3. Aufl. 2004, Vorb. § 311 Rn. 7; Nienhaus (Fn. 33), S. 228 ff.; Wimmer-Leonhardt, Konzernhaftungsrecht, 2004, S. 132 f. 334 Vgl. Bayer/J. Schmidt (Fn. 6), Rn. 40; Fleischer ZIP 2005, 1805, 1811; Habersack § 6 Rn. 34; Langenbucher ZIP 2005, 239, 242; Mülbert/Steup WM 2005, 1633, 1653; Mülbert/Assmann in: Assmann/Schneider, WpHG, 5. Aufl. 2009, §§ 37b, 37 Rn. 6; Zimmer/ Grotheer (Fn. 324), § 37c WpHG Rn. 14.

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bb) Rückgewährpflicht (Art. 16) 92 Zur Effektivierung der Ausschüttungssperren des Art. 15 335 ist in Art. 16 als Sanktionsmechanimus eine Rückgewährpflicht der Aktionäre normiert: Ausschüttungen, die entgegen Art. 15 erfolgen, sind von den Aktionären, die sie empfangen haben, zurückzugewähren, wenn die Gesellschaft beweist, dass diesen Aktionären die Unzulässigkeit der an sie erfolgten Ausschüttung bekannt war oder sie darüber nach den Umständen nicht in Unkenntnis sein konnten. 93 Durch die Beschränkung auf bösgläubige Aktionäre und die diesbezügliche Beweislast der Gesellschaft wird die Sanktionswirkung der Rückgewährpflicht zwar deutlich entschärft.336 Der europäische Gesetzgeber hielt diese Einschränkung jedoch im Interesse des Schutzes gutgläubiger Aktionäre für geboten,337 zumal auch das Recht einiger Mitgliedstaaten die Rückgewährpflicht auf bösgläubige Aktionäre beschränkte338. Allerdings handelt es sich bei Art. 16 lediglich um eine Mindestsanktion, d.h. es bleibt den Mitgliedstaaten unbenommen, die Rückgewährpflicht auch auf gutgläubige Aktionäre zu erstrecken.339 94 Nicht abschließend geklärt ist allerdings, ab wann ein Aktionär bösgläubig i.S.d. des Art. 16 ist und somit eine Rückgewähr zwingend ist. Grund hierfür ist die vage Formulierung der RL, wonach es genügt, wenn die Gesellschaft beweist, dass die Aktionäre über die Unzulässigkeit „nach den Umständen nicht in Unkenntnis sein konnten“340. Vereinzelt wird dies als grobe Fahrlässigkeit interpretiert 341, nach der wohl h.M. gebietet die RL eine Rückforderung hingegen bereits bei einfacher Fahrlässigkeit,342 wofür nicht zuletzt auch die Effektivität des Kapitalschutzes spricht. Art. 16 verlangt aber jedenfalls nicht, dass sich der Aktionär eines Verstoßes gegen Art. 15 (bzw. die entsprechenden nationalen Vorschriften) tatsächlich bewusst ist; es

335 Vgl. Drinkuth (Fn. 43), S. 191; Kalss (Fn. 32), S. 119, 236. 336 Vgl. Drinkuth (Fn. 43), S. 191; Fankhauser (Fn. 54), S. 172. 337 Vgl. RL-E 1970 (Fn. 1), S. 12. S. ferner Fankhauser (Fn. 54), S. 172; Habersack § 6 Rn. 36; Niessen AG 1970, 281, 289. 338 So etwa das britische Recht (vgl. grundlegend Moxham v Grant [1900] 1 QB 88 [Rückgewähr, wenn der Aktionär die Umstände, aus denen sich die Unrechtmäßigkeit der Dividendenzahlung ergab, kannte oder hätte kennen müssen]) oder auch das deutsche Recht (vgl. § 62 Abs. 1 S. 1 AktG i.d.F.v. 1965: Rückgewährpflicht bei als Gewinnanteilen oder Zinsen bezogenen Beträgen nur bei Kenntnis oder grob fahrlässiger Unkenntnis). 339 Vgl. Bayer/J. Schmidt (Fn. 6), Rn. 42; Fleischer (Fn. 309), § 62 Rn. 4; Grundmann Rn. 344; Habersack § 6 Rn. 36; Kalss (Fn. 32), S. 119, 236 f.; Werlauff S. 259. 340 Die anderen Sprachfassungen sind ähnlich vage, vgl. z.B. die englische („could not in view of the circumstances have been unaware“) oder die französische („ne pouvaient l’ignorer compte tenu des circonstances“). 341 So offenbar Grundmann Rn. 344. 342 So der auch der deutsche Gesetzgeber, vgl. BegrRegE z. KapRiLiG, BT-Drs. 8/1678, S. 14. Ebenso Bayer/J. Schmidt (Fn. 6), Rn. 42; Fankhauser (Fn. 54), S. 172; Kalss (Fn. 32), S. 119, 236; W. Müller WPg 1978, 565, 568.

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genügt vielmehr, wenn er die Tatsachen, aus denen sich die Unzulässigkeit der Ausschüttung ergibt, kannte oder den Umständen nach hierüber nicht in Unkenntnis sein konnte.343 Art. 16 war für den deutschen Gesetzgeber Anlass für zwei bedeutsame Änderun- 95 gen des § 62 AktG. Zum einen wurde die Rückgewährpflicht des Aktionärs für Gewinnanteile auf einfache Fahrlässigkeit ausgedehnt (§ 62 Abs. 1 S. 2 AktG a.F. verlangte mindestens grobe Fahrlässigkeit).344 Zum anderen wurde die in § 62 Abs. 1 S. 3 AktG a.F. enthaltene Beweislastumkehrung, nach der der Aktionär seine Gutgläubigkeit zu beweisen hatte, ersatzlos gestrichen;345 nach allgemeinen Regeln trägt nunmehr – entsprechend Art. 16 – die Gesellschaft die Beweislast für die Bösgläubigkeit des Aktionärs 346. Das deutsche Recht geht allerdings insgesamt deutlich über den Mindeststandard des Art. 16 hinaus: Denn auf die Gut- bzw. Bösgläubigkeit des Aktionärs kommt es nach § 62 Abs. 1 AktG überhaupt nur dann an, wenn er die Beträge als Gewinnanteile bezogen hat; in allen anderen Fällen ist die Haftung verschuldensunabhängig 347.

b) Konsultationspflicht bei schweren Verlusten Zweite Säule des Kapitalerhaltungskonzepts der RL ist die in Art. 17 geregelte Pflicht 96 zur Konsultation der Hauptversammlung bei „als schwer zu erachtenden Verlusten“, die der deutschen Regelung in § 92 AktG nachgebildet ist348. Ratio ist zum einen der Schutz der Aktionäre, die Gelegenheit erhalten sollen, über das weitere Schicksal der Gesellschaft zu entscheiden,349 zum anderen aber zumindest mittelbar auch derjenige der Gläubiger, denen ein effizientes Krisenmanagement regelmäßig ebenfalls zugute kommen wird.350 343 Vgl. It’s a Wrap (UK) Ltd. (in liq.) v Gula [2006] BCC 626. Dazu Robins (2007) 20 Insolv. Int. 33 ff. 344 Vgl. dazu Bayer/J. Schmidt (Fn. 6), Rn. 42; Ganske DB 1978, 2461, 2463; Hüffer NJW 1979, 1065, 1068; KK-AktG/Lutter, 2. Aufl. 1988, § 62 Rn. 1; W. Müller WPg 1978, 565, 568. 345 Vgl. dazu Bayer/J. Schmidt (Fn. 6), Rn. 42; Fleischer (Fn. 309), § 62 Rn. 25; Ganske DB 1978, 2461, 2463; Hüffer NJW 1979, 1065, 1068; Lösekrug (Fn. 9), S. 132; Lutter (Fn. 344), § 62 Rn. 1; W. Müller WPg 1978, 565, 569. 346 Vgl. Bayer (Fn. 14) § 62 Rn. 71; Bayer/J. Schmidt (Fn. 6), Rn. 42; Drinkuth (Fn. 43), S. 190; Henze in: GroßkommAktG, 4. Aufl. 2000, § 62 Rn. 97; Hüffer (Fn. 146), § 62 Rn. 12; Lösekrug (Fn. 9), S. 132. S. ferner auch BegrRegE z. KapRiLiG, BT-Drs. 8/1678, S. 14. 347 Vgl. Bayer (Fn. 14), § 62 Rn. 7, 57 f.; Bayer/J. Schmidt (Fn. 6), Rn. 42; Drinkuth (Fn. 43), S. 190 f.; Fleischer (Fn. 309), § 62 Rn. 4 f., 21; Hüffer (Fn. 146), § 62 Rn. 2, 11; Lösekrug (Fn. 9), S. 132. 348 Vgl. Bayer/J. Schmidt (Fn. 6), Rn. 43; Edwards S. 67; Schmitthoff (1978) 15 C.M.L. Rev. 43, 52. 349 Vgl. Drinkuth (Fn. 43), S. 192; Grohmann (Fn. 46), S. 279; Habersack § 6 Rn. 42; ders. (Fn. 6), Rn. 41; Kalss/Adensamer/Oelkers in: Lutter (Hrsg.), Das Kapital der Aktiengesellschaft in Europa, 2006, S. 134, 137; Lösekrug (Fn. 9), S. 133; Nobel (Fn. 6), Kap. 2 Rn. 102. 350 Vgl. Drinkuth (Fn. 43), S. 192; Habersack § 6 Rn. 42; Lösekrug (Fn. 9), S. 133.

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Zu betonen ist, dass die Hauptversammlung nicht lediglich informiert werden muss, sondern dass dieser auch eine positive Pflicht auferlegt wird, zu prüfen, ob die Gesellschaft aufzulösen ist oder andere Maßnahmen zu ergreifen sind.351 Anders als noch nach dem RL-E 1970 besteht allerdings keine Pflicht, tatsächlich Maßnahmen zu ergreifen.352 98 Auf Grund der erheblich divergierenden Rechtslage in den Mitgliedstaaten353 stellt Art. 17 aber auch i.Ü. letztlich nur einen Regelungstorso dar.354 So bleibt insbesondere auch der genaue Schwellenwert für einen „als schwer zu erachtenden Verlust“ den Mitgliedstaaten überlassen; Art. 17 Abs. 2 enthält insoweit lediglich die Vorgabe, dass die Schwelle jedenfalls auf nicht mehr als die Hälfte des gezeichneten Kapitals festgesetzt werden darf 355.356 Die Festlegung der exakten Länge der Einberufungsfrist wird den Mitgliedstaaten sogar völlig freigestellt.357 Eine gewisse Grenze ergibt sich insofern allerdings aus dem Gebot des effet utile (vgl. Art. 4 Abs. 3 EU).358 Im Hinblick darauf dürfte die z.B. im dänischen Recht vorgesehene 6-Monats-Frist 359 wohl als absolute Obergrenze anzusehen sein.360 Andererseits spricht aber nichts gegen eine nationale Regelung, die keine exakte Frist, sondern (wie z.B. das deutsche 361 oder österreichische362 Recht) eine Pflicht zur „unverzüglichen“ Einberufung vorsieht; denn damit ist sogar in besonderen Maße gewährleistet, dass die Einberufung so schnell wie möglich erfolgt.363 Schließlich sieht die RL auch keine bestimmten Sank97

351 Vgl. Edwards S. 67; Fankhauser (Fn. 54), S. 174; s. ferner auch Leyte BLR 2004, 84, 85. 352 In Art. 16 RL-E 1970 (Fn. 1) hieß es noch „um die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen oder zu prüfen, ob die Gesellschaft aufzulösen ist“; vgl. dazu RL-E 1970 (Fn. 1), S. 12; Ankele BB 1970, 988, 991; Edwards S. 67; Niessen AG 1970, 281, 290 f.; der EWSA und das EP hielten das jedoch für zu „drakonisch“, vgl. Edwards S. 67. 353 Vgl. dazu RL-E 1970 (Fn. 1), S. 12; Ankele AG 1970, 988, 991; Niessen, AG 1970, 281, 290 f. 354 Vgl. auch Habersack § 6 Rn. 43; Lösekrug (Fn. 9), S. 133; Nobel (Fn. 6), Kap. 2 Rn. 102; Schwarz Rn. 598. 355 Vgl. Drinkuth (Fn. 43), S. 192 f.; Habersack § 6 Rn. 43; Kalss (Fn. 32), S. 119, 238; Kalss/Adensamer/Oelkers (Fn. 349), S. 134, 137. 356 Ausf. rechtsvergleichend zu den im nationalen Recht festgesetzten Schwellenwerten: Kalss/Adensamer/Oelkers (Fn. 349), S. 134 ff. (Zusammenfassung auf S. 176 f.). 357 Vgl. Edwards S. 67; Fankhauser (Fn. 54), S. 172; Habersack § 6 Rn. 43; ders. in: GroßkommAktG, 4. Aufl. 1999, § 92 Rn. 21; Kalss/Adensamer/Oelkers (Fn. 349), S. 134, 137. Nach Kalss (Fn. 32), S. 119, 238 soll dagegen von einer unverzüglichen Einberufung auszugehen sein. 358 Vgl. auch Grundmann Rn. 346. 359 Art. 119 Lov nr. 470 af 12/06/2009. Lov om aktie- og anpartsselskaber (selskabsloven). 360 Soweit in den Mitgliedstaaten eine exakte Frist bestimmt ist, liegt diese überwiegend zwischen 2 und 4 Monaten, Bsp.: 2 Monate in Belgien (Art. 633 Code des Sociétés), 3 Monate in den Niederlanden (Art. 2:108a Burgerlijk Wetboek), 4 Monate in Frankreich (Art. L 225-248 C. com.). 361 § 92 Abs. 1 AktG. 362 § 83 öAktG. 363 Ebenso zum deutschen Recht Habersack § 6 Rn. 44; ders. (Fn. 357), § 92 Rn. 21; Lösekrug (Fn. 9), S. 134. Nach Grohmann (Fn. 46), S. 280 soll sogar nur eine „unverzügliche“ Einberufung der RL genügen.

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tionen für den Fall der Nichtbefolgung der Einberufungspflicht vor.364 Auch insoweit ergibt sich jedoch jedenfalls bereits aus dem Gebot des effet utile (vgl. Art. 4 Abs. 3 EU), dass die Mitgliedstaaten verpflichtet sind, wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktionen zu treffen365.366 Im Hinblick darauf, dass Art. 17 gerade auf dem Vorbild des § 92 Abs. 1 AktG be- 99 ruht, bestand für den deutschen Gesetzgeber diesbezüglich kein Anpassungsbedarf.367 Gleichwohl hat die nunmehr gebotene richtlinienkonforme Auslegung der Vorschrift 368 in Einzelpunkten Anlass zu Kontroversen gegeben. Entgegen einer teilweise vertretenen Ansicht 369 lässt sich aus Art. 17 nach zutreffender und h.M. allerdings nicht ableiten, dass der „Verlust“ i.S.d. § 92 Abs. 1 AktG mit dem Jahresfehlbetrag gleichzusetzen ist;370 maßgeblich ist vielmehr eine Gegenüberstellung des Verlusts mit dem gesamten offen ausgewiesenen Eigenkapital371. Umstritten ist ferner, ob die Sanktionsmechanismen des deutschen Rechts dem Gebot des effet utile genügen. Insoweit spricht viel dafür, dass es der mit Art. 17 intendierte Aktionärsschutz gebietet, § 92 Abs. 1 AktG auch als Schutzgesetz i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB zugunsten der Aktionäre zu interpretieren.372 c) Eigene Aktien Dritte Säule des Kapitalerhaltungsinstrumentariums der RL sind die detaillierten Vor- 100 schriften betreffend die Zeichnung, den Erwerb und das Halten eigener Aktien der Gesellschaft in Art. 18–24a. Mit diesen maßgeblich am common law orientierten 373

364 Vgl. Habersack § 6 Rn. 43; Kalss (Fn. 32), S. 119, 238; Kalss/Adensamer/Oelkers (Fn. 349), S. 134, 137; Nobel (Fn. 6), Kap. 2 Rn. 102; Pipkorn ZHR 141 (1977) 330, 346; Schwarz Rn. 598. S. dazu auch bereits kritisch Lutter EuR 1974, 44, 57 (zum RL-E). 365 Vgl. allg. zur Sanktionspflicht auf Grund des effet utile bei der Umsetzung von Richtlinien: EuGH v. 8.6.1994, Kommission ./. Vereinigtes Königreich, Rs. C-383/92, Slg. 1994, I-2479, Rn. 40; EuGH v. 18.10.2001, Kommission ./. Irland, Rs. C-354/99, Slg. 2001, I-7657, Rn. 46. 366 Ähnlich Grundmann Rn. 346. 367 Vgl. Bayer/J. Schmidt (Fn. 6), Rn. 43; Habersack § 6 Rn. 44; Lösekrug (Fn. 9), S. 133 ff. 368 Vgl. Lösekrug (Fn. 9), S. 133. 369 So Habersack § 6 Rn. 45. 370 Ausf. Fankhauser (Fn. 54), S. 173 f.; Lösekrug (Fn. 9), S. 134 f. 371 BGH AG 1958, 293; Hüffer (Fn. 146), § 92 Rn. 2; Krieger/Sailer-Coceani in: K. Schmidt/ Lutter, AktG, 2. Aufl. 2010, § 92 Rn. 3; Lösekrug (Fn. 9), S. 134 f.; KK-AktG/Mertens/Cahn, 3. Aufl. 2010, § 92 Rn. 8; Spindler in: MünchKommAktG, 3. Aufl. 2008, § 92 Rn. 9; Schwarz Rn. 598 Fn. 675. 372 So Habersack § 6 Rn. 46; in diese Richtung auch Grundmann Rn. 346. Für den Schutzgesetzcharakter zugunsten der Aktionäre (allerdings ohne Referenz zu Art. 17) auch Habersack (Fn. 357), § 92 Rn. 26; Spindler (Fn. 371), § 92 Rn. 17; Wiesner in: MünchHdb AG, 3. Aufl. 2007, § 25 Rn. 56. Dagegen bzw. zweifelnd jedoch Hüffer (Fn. 146), § 92 Rn. 15; Krieger/Sailer-Coceani (Fn. 371), § 92 Rn. 12; Mertens/Cahn (Fn. 371), § 92 Rn. 21. S. ferner auch Lösekrug (Fn. 9), S. 136 (Frage des nationalen Rechts). 373 Vgl. Bayer/J. Schmidt (Fn. 6), Rn. 44; Davies (Fn. 148), 13-7; Drinkuth (Fn. 43), S. 196 f.; Schmitthoff (1978) 15 C.M.L. Rev. 43, 49.

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und äußerst umfangreichen Regelungen will der europäische Gesetzgeber den für den Erwerb und das Halten eigener Aktien charakteristischen Gefahren begegnen.374 Der Erwerb eigener Aktien gefährdet nämlich zum einen den Kapitalschutz: Denn im Falle eines originären Erwerbs fließen der Gesellschaft keine Vermögenswerte zu, so dass die reale Kapitalaufbringung gefährdet ist;375 im Falle eines derivativen Erwerbs stellt sich die Zahlung des Erwerbspreises als eine verbotene Einlagenrückgewähr dar 376. Zum anderen gefährdet das Halten eigener Aktien im Hinblick darauf, dass die Rechte hieraus an sich vom Leitungs- bzw. Verwaltungsorgan ausgeübt werden müssten, aber auch das Kompetenzgefüge der AG.377 101 Die Komplexität der Art. 18–24a resultiert v.a. daraus, dass der europäische Gesetzgeber nicht nur Rücksicht auf eine Reihe in diesem Bereich existierender nationaler Eigenheiten nehmen musste,378 sondern es zudem v.a. auch Sonderregelungen für bestimmte Konstellationen bedurfte, in denen ein Erwerb eigener Aktien konstruktiv unabdingbar oder aus bestimmten Gründen rechtspolitisch oder wirtschaftlich notwendig bzw. erwünscht ist 379. Darüber hinaus wird die Regelungskomplexität nicht zuletzt auch durch die zahlreichen Vorkehrungen gegen potentielle Umgehungsversuche erhöht.380 102 Eine solche Umgehungsschutzregelung ist insbesondere auch der durch die Änderungs-RL 92/101/EWG (Rn. 5) neu eingefügte Art. 24a (dazu u. Rn. 149 ff.). Weitaus einschneidender war allerdings die Novellierung der Art. 19 und 23 durch die Änderungs-RL 2006/68/EG (Rn. 6): Dadurch wurde nicht nur der Rahmen, in dem der Erwerb eigener Aktien gem. Art. 19 zulässig ist (dazu u. Rn. 107 ff.), deutlich erweitert, sondern es wurde durch die Änderung des Art. 23 Abs. 1 und die Einfügung des neuen Art. 23a darüber hinaus auch das grundsätzlich Verbot der sog. financial assistance erheblich relativiert (dazu u. Rn. 135 ff.).

aa) Zeichnung eigener Aktien (Art. 18) 103 Art. 18 Abs. 1 verbietet der Gesellschaft die Zeichnung eigener Aktien. Dieses prinzipielle Verbot des originären Erwerbs eigener Aktien war bereits zuvor ein elementares Grundprinzip der Rechtsordnungen der bei Verabschiedung der RL existierenden Mitgliedstaaten.381 Denn die Zulassung eines originären Erwerbs eigener Aktien

374 Vgl. Habersack § 6 Rn. 47; Lösekrug (Fn. 9), S. 119; Schwarz Rn. 599. 375 Vgl. Drinkuth (Fn. 43), S. 196; Habersack § 6 Rn. 47; Kalss (Fn. 32), S. 119, 239; Lösekrug (Fn. 9), S. 119; Nobel (Fn. 6), Kap. 2 Rn. 103; Schwarz Rn. 599. 376 Vgl. Drinkuth (Fn. 43), S. 196; Lösekrug (Fn. 9), S. 119. 377 Vgl. Grohmann (Fn. 46), S. 284; Habersack § 6 Rn. 47; Lösekrug (Fn. 9), S. 120; Nobel (Fn. 6), Kap. 2 Rn. 311; Schwarz Rn. 599; Temple Lang (1972) Irish Jurist 306, 310. 378 Vgl. Habersack § 6 Rn. 48. 379 Vgl. Grohmann (Fn. 46), S. 283; Habersack § 6 Rn. 48; Nobel (Fn. 6), Kap. 2 Rn. 103. 380 Vgl. Habersack § 6 Rn. 48. 381 Vgl. RL-E 1970 (Fn. 1), S. 12; Ankele BB 1970, 988, 991; Edwards S. 70; Fankhauser (Fn. 54), S. 176.

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wäre nicht nur rechtskonstruktivistisch (die AG wäre zugleich Gläubigerin und Schuldnerin des Einlageanspruchs) 382, sondern v.a. auch im Hinblick auf die reale Kapitalaufbringung äußerst problematisch, da der Gesellschaft in diesem Fall keine Vermögenswerte zufließen.383 Um zu verhindern, dass das strikte Erwerbsverbot durch den Einsatz von Mittels- 104 personen unterlaufen wird,384 bedient sich die RL einer Fiktion: Zeichnet ein Dritter Aktien der Gesellschaft zwar in eigenem Namen, aber für Rechnung der Gesellschaft,385 so bestimmt Art. 18 Abs. 2, dass die Zeichnung als für eigene Rechnung des Zeichners vorgenommen gilt. Der Mittelsmann gilt also selbst als Aktionär und schuldet demgemäß auch die Leistung der Einlage, wobei ihn die Gesellschaft gem. Art. 23 Abs. 1 (dazu Rn. 135 ff.) grundsätzlich nicht finanziell unterstützen darf. Der Verhinderung von Umgehungen dient ferner auch Art. 24a Abs. 1 lit. a386, der das Zeichnungsverbot darüber hinaus auch auf die Zeichnung durch von der Gesellschaft abhängige Kapitalgesellschaften erweitert (dazu näher u. Rn. 149). Im Falle von Verstößen gegen die Vorgaben des Art. 18 (ggf. i.V.m. Art. 24a Abs. 1 105 lit. a) gebietet 387 die RL allerdings nicht etwa die Nichtigkeit des Erwerbs.388 Der europäische Gesetzgeber entschied sich insofern vielmehr für eine geschmeidigere Sanktionsregelung 389 in Form einer Haftung der Gründer bzw. – im Falle der Zeichnung im Rahmen einer Kapitalerhöhung – der Mitglieder des Leitungs- bzw. Verwaltungsorgans: Diese sind gem. Art. 18 Abs. 3 Unterabs. 1 verpflichtet, die Einlagen auf verbotswidrig gezeichnete Aktien zu leisten. Der RL-E 1970 hatte diese Haftung sogar noch verschuldensunabhängig ausgestaltet.390 Der EWSA hielt dies allerdings für zu weitgehend, so dass man sich letztlich auf die nunmehr in Art. 18 Abs. 3 Unterabs. 2 enthaltene Kompromissregelung einigte,391 die es den Mitgliedstaaten gestattet, eine Exkulpationsmöglichkeit vorzusehen392.

382 Vgl. Habersack § 6 Rn. 50; Fankhauser (Fn. 54), S. 176; Kalss (Fn. 32), S. 119, 240; Lösekrug (Fn. 9), S. 120; Niessen AG 1970, 281, 289. 383 Vgl. Drinkuth (Fn. 43), S. 196; Fankhauser (Fn. 54), S. 176; Habersack § 6 Rn. 50; Kalss (Fn. 32), S. 119, 239; Lösekrug (Fn. 9), S. 120. 384 Vgl. RL-E 1970 (Fn. 1), S. 12; Drinkuth (Fn. 43), S. 196; Habersack § 6 Rn. 50; Lösekrug (Fn. 9), S. 138; Niessen AG 1970, 281, 290; Werlauff, S. 260. 385 Derartige Konstruktionen waren übrigens zuvor nicht in allen Mitgliedstaaten untersagt, vgl. RL-E 1970 (Fn. 1), S. 12; Edwards S. 70. 386 Vgl. Fleischer (Fn. 309), § 56 Rn. 6; Habersack § 6 Rn. 51; Kalss (Fn. 32), S. 119, 240. 387 Die RL verwehrt es den Mitgliedstaaten andererseits aber auch nicht, als Sanktion die Nichtigkeit vorzusehen, wie dies z.B. im deutschen Recht (statt aller Hüffer (Fn. 146), § 56 Rn. 4) oder auch im britischen Recht der Fall ist (vgl. s. 658(2)(b) CA 2006, bis 30.9.2009: s. 143(2) CA 1985). 388 Vgl. RL-E 1970 (Fn. 1), S. 12; Edwards S. 70; Kalss (Fn. 32), S. 119, 243, 245. 389 Vgl. RL-E 1970 (Fn. 1), S. 12. 390 Vgl. Art. 17 Abs. 3 RL-E 1970 (Fn. 1). S. dazu Edwards S. 70; Niessen AG 1970, 281, 290. 391 Vgl. Edwards S. 70. 392 Vgl. dazu auch Drinkuth (Fn. 43), S. 197 f.; Kalss (Fn. 32), S. 119, 244; Werlauff S. 261.

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Im deutschen Aktienrecht war das Verbot der Zeichnung eigener Aktien zwar schon lange vor Erlass der RL allgemein anerkannt.393 Art. 18 Abs. 1 war für den deutschen Gesetzgeber jedoch Anlass, es im Zuge der Umsetzung ausdrücklich in § 56 Abs. 1 AktG zu normieren.394 Eine dem Art. 18 Abs. 2 entsprechende Regelung war dem deutschen Aktienrecht ebenfalls bereits länger bekannt;395 sie findet sich heute in § 56 Abs. 3 AktG.396 Ferner erstreckte das deutsche Aktienrecht das Zeichnungsverbot auch schon seit jeher auf die Zeichnung durch abhängige Gesellschaften397 (heute: § 56 Abs. 2 AktG398). Ein Novum war allerdings die durch Art. 18 Abs. 3 gebotene Gründer- bzw. Vorstandshaftung; der im Zuge der Umsetzung neu eingeführte § 56 Abs. 4 AktG sieht diesbezüglich in Ausübung der Mitgliedstaatenoption eine Exkulpationsmöglichkeit vor.399

bb) Derivativer Erwerb eigener Aktien (Art. 19 f.) 107 Ebenso wie dem originären, steht der europäische Gesetzgeber aber auch dem derivativen Erwerb eigener Aktien durchaus kritisch gegenüber. Die Art. 19 und 20 unterwerfen daher auch diesen einer Reihe strenger Kautelen, welche allerdings durch die Änderungs-RL 2006/68/EG (Rn. 6) erheblich gelockert wurden400. Weitere Schranken für den derivativen Erwerb eigener Aktien ergeben sich darüber hinaus jedoch – wie Art. 19 Abs. 1 nunmehr ausdrücklich klarstellt 401 – aus dem Grundsatz der Gleichbehandlung aller Aktionäre (Art. 42, dazu u. Rn. 233 ff.) sowie aus der MAD (dazu § 35 sowie bereits § 17 Rn. 125 ff., 176 ff., 198 ff.), im Rahmen derer jedoch sog. safe harbours für den Handel mit eigenen Aktien i.R.v. Rückkaufprogrammen und Kursstabilisierungsmaßnahmen existieren (dazu näher § 17 Rn. 128, § 35 Rn. 7).

393 Vgl. BegrRegE z. KapRiLiG, BT-Drs. 8/1678, S. 13; s. ferner Bayer/J. Schmidt (Fn. 6), Rn. 45; Fleischer (Fn. 309), § 56 Rn. 4; Ganske DB 1978, 2461, 2462; Hüffer NJW 1979, 1065, 1068; Lösekrug (Fn. 9), S. 139; Lutter (Fn. 344), § 56 Rn. 6; W. Müller WPg 1978, 565, 569. Grundlegend in der Rspr. bereits BGH NJW 1955, 222 (für die GmbH). 394 Vgl. BegrRegE z. KapRiLiG, BT-Drs. 8/1678, S. 13; Bayer/J. Schmidt (Fn. 6), Rn. 45; Ganske DB 1978, 2461, 2462; Lösekrug (Fn. 9), S. 139; W. Müller WPg 1978, 565, 569; Schwarz Rn. 600. 395 Vgl. bereits § 51 Abs. 1 AktG 1937. 396 Vgl. Lösekrug (Fn. 9), S. 140. 397 So schon § 51 Abs. 2 AktG 1937, s. ferner auch schon § 226 Abs. 4 S. 2 HGB i.d.F. von 1931 (dazu näher Huber FS Duden, 1977, S. 137 ff.). Vgl. zum Ganzen Fleischer (Fn. 309), § 56 Rn. 20; Lösekrug (Fn. 9), S. 140. 398 Vgl. Lösekrug (Fn. 9), S. 140. 399 Vgl. dazu BegrRegE z. KapRiLiG, BT-Drs. 8/1678, S. 13; Bayer/J. Schmidt (Fn. 6), Rn. 45; Ganske DB 1978, 2461, 2462; Habersack § 6 Rn. 51; Hüffer NJW 1979, 1065, 1068; Lösekrug (Fn. 9), S. 140; W. Müller WPg 1978, 565, 569. 400 Speziell dazu näher Cahn Konzern 2007, 385 ff.; Oechsler ZHR 170 (2006) 72, 73 ff.; Westermann ZHR 172 (2008), 14, 155 ff. S. ferner auch Bayer/J. Schmidt (Fn. 6), Rn. 85. 401 Diese rein deklaratorische Ergänzung geht auf einen Vorschlag des EP-Rechtsausschusses (A6-0050/2006, S. 12) zurück, vgl. auch Cahn Konzern 2007, 385, 386; Merkt in: GroßkommAktG, 4. Aufl. 2007, § 71 Rn. 133.

Die Kapitalrichtlinie (2. Richtlinie)

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Konzeptionelle Basis der Regelung in Art. 19 f. ist zwar ein grundsätzliches Ver- 108 bot des Erwerbs eigener Aktien402. Dieses ist dann jedoch Gegenstand einer Vielzahl von Ausnahmen für die unterschiedlichsten Fallgestaltungen, welche den Mitgliedstaaten zudem überwiegend auch einen weiten Gestaltungsspielraum lassen. Hintergrund hierfür ist nicht zuletzt, dass es sich auch bei diesem Regelungskomplex letztlich um einen Kompromiss zwischen den divergierenden Grundkonzepten der Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten403 handelt 404. Grundsystematik der Art. 19 und 20 ist folgende: Im Ausgangspunkt ist es den 109 Mitgliedstaaten grundsätzlich freigestellt, ob sie den Erwerb eigener Aktien überhaupt zulassen wollen.405 Soweit sie dies tun, müssen sie ihn aber mindestens den drei in Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 1 S. 2 normierten grundlegenden Bedingungen (dazu u. Rn. 110 ff.) unterwerfen. Darüber hinaus können sie ihn ferner den in Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 genannten Bedingungen unterwerfen (dazu u. Rn. 116 ff.). Art. 20 regelt sodann 10 Fallgruppen, in denen die Mitgliedstaaten Art. 19 nicht anzuwenden brauchen (dazu u. Rn. 121 ff.).

(1) Mindestbedingungen für den Erwerb eigener Aktien (Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 1 S. 2) Wenn und soweit die Mitgliedstaaten den Erwerb eigener Aktien zulassen, so müssen 110 sie diesen grundsätzlich (vgl. zu den Bereichsausnahmen gem. Art. 20 u. Rn. 121 ff.) den in Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 1 S. 2 normierten drei grundlegenden Mindestbedingungen unterwerfen: (1) Hauptversammlungsbeschluss (lit. a S. 1, dazu u. Rn. 111 f.), (2) Begrenzung durch das Nettoaktivvermögen (lit. b, dazu u. Rn. 113 f.) und (3) Beschränkung auf voll eingezahlte Aktien (lit. c, dazu u. Rn. 115). In ihrer ursprünglichen Fassung sah die RL darüber hinaus auch eine Begrenzung der Gesamtwertes der eigenen Aktien auf 10 % des gezeichneten Kapitals vor (Art. 19

402 Drinkuth (Fn. 43), S. 198; Fankhauser (Fn. 54), S. 177; Kalss (Fn. 32), S. 119, 248; Kindl ZEuP 1994, 77, 79; Lösekrug (Fn. 9), S. 141. 403 Nach dem deutschen Konzept war der Erwerb der Aktien auf 10 % des Grundkapitals begrenzt, zuständig war jedoch der Vorstand. Nach dem Konzept der romanischen Rechtsordnungen war hingegen stets ein Hauptversammlungsbeschluss erforderlich, dafür war aber der Erwerb von bis zu 25 % des Grundkapitals möglich. Vgl. dazu RL-E 1970 (Fn. 1), S. 9; Baldamus (Fn. 12), S. 136; Edwards S. 70; Niessen AG 1970, 281, 290. 404 Vgl. RL-E 1970 (Fn. 1), S. 9; Ankele BB 1970, 988, 991; Baldamus (Fn. 12), S. 136; Edwards S. 70 f.; Niessen AG 1970, 281, 290. 405 Drinkuth (Fn. 43), S. 208 ff.; Fankhauser (Fn. 54), S. 177; Kalss (Fn. 32), S. 119, 248; Lösekrug (Fn. 9), S. 141; Skog ZGR 1997, 306, 312. Der EWSA hatte demgegenüber angeregt, den Mitgliedstaaten die grundsätzliche Zulassung des Erwerbs eigener Aktien zwingend vorzuschreiben, vgl. Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Vorschlag einer Zweiten Richtlinie, ABlEG v. 6.9.1971, C 88/4.

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Gesellschaftsrechtliche Richtlinien

Abs. 1 lit. b a.F.). Diese als zu restriktiv 406, überflüssig 407 und willkürlich 408 empfundene Grenze wurde jedoch durch die Änderungs-RL 2006/68/EG (Rn. 6) in eine bloße Mitgliedstaatenoption (Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 lit. i n.F., dazu noch u. Rn. 118) umgestaltet.409

(a) Hauptversammlungsbeschluss (Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 1 S. 2 lit. a S. 1) 111 Die erste obligatorische Mindestvoraussetzung, der Hauptversammlungsbeschluss (Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 1 S. 2 lit. a S. 1) soll eine Kontrolle – speziell auch des Erwerbspreises – durch die Aktionäre gewährleisten410 und sichert zugleich auch das Gleichbehandlungsgebot (Art. 42, dazu u. Rn. 233 ff.) verfahrensrechtlich ab411. Um sicherzustellen, dass die Aktionäre auch eine informierte Entscheidung treffen können412, muss der Beschluss die Einzelheiten des vorgesehenen Erwerbs festlegen, nämlich insbesondere die Höchstzahl der zu erwerbenden Aktien, die Geltungsdauer der Genehmigung sowie im Falle eines entgeltlichen Erwerbs den niedrigsten und höchsten Gegenwert (also Mindest- und Höchstpreis). Der Zeitraum, für den eine solche Genehmigung maximal erteilt werden darf, richtet sich nach nationalem Recht. Die RL legt hierfür lediglich eine Maximaldauer fest, die ursprünglich 18 Monate betrug, entsprechend einem Vorschlag der SLIM-Arbeitsgruppe 413 durch die Änderungs-RL 2006/68/EG (o. Rn. 6) aber auf fünf Jahre verlängert wurde. Grund hierfür war, dass die 18-Monats-Frist die Praxis vor erhebliche Probleme gestellt hatte, zwang sie doch zu einer „Erneuerung“ des Ermächtigungsbeschlusses in jeder ordentlichen Hauptversammlung, was die Planbarkeit und Abwicklung längerfristiger Aktienoptionsprogramme erheblich erschwerte.414 Die neue Höchstgeltungsdauer von fünf Jahren harmonisiert das Recht der eigenen Aktien zudem mit demjenigen des geneh-

406 So SLIM-Arbeitsgruppe (Fn. 12), S. 12. S. ferner auch Kallmeyer AG 2001, 406, 408; Oechsler in: MünchKommAktG, 3. Aufl. 2008, § 71 Rn. 42; ders. ZHR 170 (2006) 72, 77. 407 So SLIM-Arbeitsgruppe (Fn. 12), S. 12; s. ferner auch Baldamus (Fn. 12), S. 169; Grundmann Rn. 348; Kallmeyer AG 2001, 406, 408. 408 So Bericht High Level Group (Fn. 13), S. 91. 409 Vgl. dazu auch Bayer/Hoffmann/Weinmann ZGR 2007, 457, 475; Bayer/J. Schmidt (Fn. 6), Rn. 85; Bezzenberger in: K. Schmidt/Lutter, AktG, 2. Aufl. 2010, § 71 Rn. 14; Cahn Konzern 2007, 385, 387; KK-AktG/Lutter/Drygala, 3. Aufl. 2009, § 71 Rn. 12; Grundmann Rn. 348; Merkt (Fn. 401), § 71 Rn. 128; Oechsler (Fn. 406), § 71 Rn. 41 f.; ders. ZHR 170 (2006) 72, 73 ff.; Westermann ZHR 172 (2008), 144, 157. 410 Vgl. Baldamus (Fn. 12), S. 171; Grohmann (Fn. 46), S. 284; Habersack § 6 Rn. 54. 411 Vgl. Grohmann (Fn. 46), S. 284; Habersack § 6 Rn. 54. 412 Vgl. Baldamus (Fn. 12), S. 171; Grohmann (Fn. 46), S. 284. 413 Vgl. SLIM-Arbeitsgruppe (Fn. 12), S. 12. Dazu kritisch Baldamus (Fn. 12), S. 173 ff. 414 Vgl. SLIM-Arbeitsgruppe (Fn. 12), S. 12; SEK(2004) 1342, S. 3; BegrRegE z. ARUG, BR-Drs. 847/08, S. 36; Cahn Konzern 2007, 385, 393; Kallmeyer AG 2001, 406, 407 f.; Lutter/Drygala (Fn. 409), § 71 Rn. 13; Merkt (Fn. 401), § 71 Rn. 132; Oechsler ZHR 170 (2006) 72, 79 f.; Westermann ZHR 172 (2008) 144, 157; Wymeersch (Fn. 6), S. 18.

Die Kapitalrichtlinie (2. Richtlinie)

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migten Kapitals (vgl. Art. 25 Abs. 2, dazu Rn. 166 f.) und beseitigt damit endlich auch einen bis dato bestehenden Wertungswiderspruch.415 Das Erfordernis des Hauptversammlungsbeschlusses ist allerdings nicht absolut, 112 vielmehr ermächtigt die RL die Mitgliedstaaten in zwei Konstellationen, Ausnahmen hiervon vorzusehen. Zum einen darf nach der von der deutschen Regelung in § 71 Abs. 1 Nr. 1 AktG inspirierten416 „Notstandsregelung“ des Art. 19 Abs. 2 vom Ermächtigungserfordernis abgewichen werden, sofern der Erwerb eigener Aktien notwendig ist, um einen schweren unmittelbar bevorstehenden Schaden von der Gesellschaft abzuwenden; das Verwaltungs- bzw. Leitungsorgan muss dann aber die nächste Hauptversammlung über die Gründe und die Einzelheiten der getätigten Ankäufe (Zahl, Nennbetrag bzw. rechnerischen Wert der Aktien, Anteil am Kapital, Gegenwert) unterrichten. So ist zumindest sichergestellt, dass die Aktionäre nachträglich informiert werden und dann ggf. entsprechende Maßnahmen ergreifen können.417 Die in Art. 19 Abs. 3 normierte Ausnahmemöglichkeit im Hinblick auf Belegschaftsaktien ist dagegen primär sozialpolitisch motiviert 418; sie gestattet den Mitgliedstaaten vom Erfordernis eines Hauptversammlungsbeschlusses abzusehen, wenn die Aktien im Hinblick auf eine Ausgabe an Arbeitnehmer der Gesellschaft oder einer verbundenen Gesellschaft erworben werden.419 Diese Ausgabe muss allerdings innerhalb von 12 Monaten nach Erwerb erfolgen; so soll verhindert werden, dass eine missbräuchliche Nutzung (z.B. zu Zwecken der Kurspflege) erfolgt.420 Art. 19 Abs. 2 und 3 ermächtigen die Mitgliedstaaten ihrem klaren Wortlaut nach jedoch nur zu einer Abweichung von Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 1 lit. a S. 1, also vom Erfordernis eines Hauptversammlungsbeschlusses mit dem dort näher spezifiziertem Inhalt. Die Geltung der weiteren Mindestbedingungen gem. lit. b und c bleibt dagegen ebenso unberührt wie diejenige des abschließenden Katalogs weiterer Regelungsoptionen in Unterabs. 2 (dazu u. Rn. 117).

(b) Begrenzung durch das Nettoaktivvermögen (Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 1 S. 2 lit. b) Zweite obligatorische Mindestbedingung ist gem. Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 1 S. 2 lit. b, 113 dass der Erwerb einschließlich der Aktien, welche die Gesellschaft früher erworben hat und noch hält, sowie der Aktien, die eine Person im eigenen Namen, jedoch für 415 Vgl. SLIM-Arbeitsgruppe (Fn. 12), S. 12; BegrRegE z. ARUG, BR-Drs. 847/08, S. 36; Cahn Konzern 2007, 385, 393; Merkt (Fn. 401), § 71 Rn. 132; Oechsler (Fn. 406), § 71 Rn. 43; ders. ZHR 170 (2006) 72, 80. Kritisch jedoch Baldamus (Fn. 12), S. 174. 416 Vgl. Edwards S. 71; Wooldridge [1978] Acta Juridica 327, 338. 417 Vgl. Grohmann (Fn. 46), S. 285; vgl. zur Ausgleichsfunktion auch BegrRegE z. KapRiLiG, BT-Drs. 8/1678, S. 15; Merkt (Fn. 401), § 71 Rn. 342. 418 Vgl. Drinkuth (Fn. 43), S. 201; Edwards S. 72; Kalss (Fn. 32), S. 119, 250. 419 Näher dazu Drinkuth (Fn. 43), S. 201. 420 Vgl. BegrRegE z. KapRiLiG, BT-Drs. 8/1678, S. 15; Fankhauser (Fn. 54), S. 181; Ganske DB 1978, 2461, 2463; Schwarz Rn. 605.

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Rechnung der Gesellschaft erworben hat, nicht dazu führen darf, dass das Nettoaktivvermögen den in Art. 15 Abs. 1 lit. a und b (dazu o. Rn. 80) genannten Betrag unterschreitet. Die eigenen Aktien müssen also – im Interesse des Gläubigerschutzes421 – aus dem freien, nicht zur Deckung des gezeichneten Kapitals und der Rücklagen erforderlichen Vermögen bezahlt werden können.422 114 Die RL beugt insoweit übrigens auch etwaigen bilanztechnischen Manipulationen vor:423 Art. 9 der 4. (Bilanz-)RL (allg. zu dieser § 24) überlässt es zwar den Mitgliedstaaten, ob eigene Aktien in der Bilanz als Aktiva auszuweisen sind; sofern das mitgliedstaatliche Recht dies vorsieht, muss jedoch gem. Art. 22 Abs. 1 lit. b auf der Passivseite ein gleich hoher Betrag in eine nicht verfügbare Rücklage eingestellt werden. Auf diese Weise wird der Aktivposten für eigene Aktien bilanztechnisch neutralisiert und somit gewährleistet, dass freies Vermögen nicht zum wiederholten Erwerb eigener Aktien eingesetzt wird.424

(c) Beschränkung auf voll eingezahlte Aktien (Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 1 S. 2 lit. c) 115 Drittens schließlich beschränkt die RL den Erwerb eigener Aktien ausdrücklich auf voll eingezahlte Aktien. So wird verhindert, dass der AG durch den Erwerb eigener Aktien Einlageforderungen durch Konfusion verloren gehen.425 Ob ein etwaiges Agio eingezahlt worden ist, ist dagegen irrelevant.426

(2) Optionale Beschränkungen und Auflagen (Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2) (a) Allgemeines 116 Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 enthält einen – erst durch die Änderungs-RL 2006/68/EG (Rn. 6) eingefügten – Katalog von fünf weiteren Bedingungen, denen die Mitgliedstaaten den Erwerb eigener Aktien i.S.d. Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 1 unterwerfen können. Wie sich aus Wortlaut, Systematik und Entstehungsgeschichte 427 der Norm ergibt, handelt es sich hierbei um einen abschließenden Katalog von Regelungs-

421 Vgl. Habersack § 6 Rn. 53. 422 Fankhauser (Fn. 54), S. 179; Grundmann Rn. 348; Habersack § 6 Rn. 53; Lösekrug (Fn. 9), S. 142; Nobel (Fn. 6), Kap. 2 Rn. 105. 423 Vgl. Grohmann (Fn. 46), S. 287; Habersack § 6 Rn. 53; Kalss (Fn. 32), S. 119, 251; Lutter EuR 1975, 44, 58. 424 Vgl. Habersack § 6 Rn. 53; Kalss (Fn. 32), S. 119, 251; Lutter EuR 1975, 44, 58; Merkt (Fn. 401), § 71 Rn. 115; Oechsler AG 2010, 105, 106. 425 Vgl. Lutter EuR 1975, 44, 59; s. ferner zur Umsetzung in § 71 Abs. 2 S. 3 AktG: Lutter/ Drygala (Fn. 409), § 71 Rn. 64; Oechsler (Fn. 406), § 71 Rn. 326. 426 Fankhauser (Fn. 54), S. 179; Kalss (Fn. 32), S. 119, 252. 427 Vgl. SEK(2004) 1342, S. 4: „erschöpfende Liste“.

Die Kapitalrichtlinie (2. Richtlinie)

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optionen428, d.h. die Mitgliedstaaten müssen zwar einerseits keine dieser Bedingungen vorsehen, dürfen den Erwerb eigener Aktien aber andererseits auch keinen anderen als den genannten Bedingungen unterwerfen. Art. 19 Abs. 1 n.F. stellt damit – anders als Art. 19 Abs. 1 a.F. – keine reine Mindestregelung mehr dar, sondern limitiert zugleich auch den Regelungsspielraum der Mitgliedsstaaten hinsichtlich über die Mindestbedingungen hinausgehender Anforderungen.429 Nach Wortlaut und Gesamtsystematik der Art. 19 und 20 gilt dieser abschließende 117 Katalog entgegen einer im Schrifttum vertretenen Auffassung430 auch für die in Art. 19 Abs. 2 und 3 geregelten Konstellationen. Denn anders als Art. 20 ermächtigen Art. 19 Abs. 2 und 3 die Mitgliedstaaten gerade nicht zur generellen Nichtanwendung des Art. 19, sondern ausdrücklich nur zu Abweichungen von Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 1 lit. a, also vom Erfordernis des Hauptversammlungsbeschlusses (vgl. o. Rn. 112). Daraus folgt auch nicht etwa ein Widerspruch zur Liberalisierungsintention der Änderungs-RL 2006/68/EG (Rn. 6) 431; insbesondere ist damit nämlich auch die bislang zwingenden 10 %-Bestandsgrenze nun auch in den Fällen der Art. 19 Abs. 2 und 3 nur noch optional.

(b) Die Optionen im Einzelnen Erste zulässige Bedingung ist die Normierung einer Höchstbestandsgrenze (sub- 118 lit. i),432 die allerdings nicht niedriger als 10 % des gezeichneten Kapitals sein darf (insoweit lebt also quasi die früher in Art. 19 Abs. 1 lit. b a.F. normierte 10 %-Grenze – wenn jetzt auch in optionaler Form – fort, vgl. dazu bereits o. Rn. 110). Bezugspunkt ist der Nennbetrag bzw. rechnerische Wert der erworbenen Aktien einschließlich der Aktien, welche die AG früher erworben hat und noch hält, sowie der Aktien, die eine Person im eigenen Namen, aber für Rechnung der AG erworben hat. „Erworbene Aktien“ bezieht sich dabei auf den jeweiligen Erwerbsvorgang; „früher erworbene Aktien“ umfasst alle von der Gesellschaft zum Zeitpunkt des Erwerbs noch gehaltenen Aktien (unabhängig vom Erwerbstatbestand).433 Sublit. ii ermächtigt die Mitgliedstaaten zur Normierung einer Art Satzungs- 119 klausel-Pflicht dergestalt, dass die Befugnis der Gesellschaft zum Erwerb eigener Aktien, die Höchstzahl der zu erwerbenden Aktien, die Geltungsdauer der Befugnis sowie der höchste bzw. niedrigste Gegenwert in der Satzung oder Gründungsurkunde 428 Ebenso Cahn Konzern 2007, 385, 386, 388, 392; s. ferner auch SEK(2004) 1342, S. 4. 429 Vgl. Cahn Konzern 2007, 385, 386, 391. 430 So Cahn Konzern 2007, 385, 390 ff.; speziell mit Bezug auf Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 lit. i auch: Merkt (Fn. 401), § 71 Rn. 130. 431 So aber Merkt (Fn. 401), § 71 Rn. 130. 432 Ausf. dazu Cahn Konzern 2007, 385, 387 ff.; Westermann ZHR 172 (2008) 144, 158 f. 433 Enger Cahn Konzern 2007, 385, 388 und Merkt (Fn. 401), § 71 Rn. 129, die Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 nur auf den Erwerb auf Grund einer Hauptversammlungsermächtigung beziehen, nicht dagegen – wie hier – auch auf den Tatbestände der Art. 19 Abs. 2 und 3 (dazu bereits o. Rn. 117).

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festzulegen sind. Jede neue Ermächtigung würde damit zugleich eine Satzungsänderung darstellen, so dass jeweils das hierfür im nationalen Recht vorgesehene Verfahren einzuhalten wäre.434 120 Sublit. iii gestattet es den Mitgliedstaaten, den Erwerb an bestimmte Berichtsund Notifizierungsanforderungen zu knüpfen; die Mitgliedstaaten können auf diese Weise also auch einen erhöhten „Schutz durch Transparenz“ gewährleisten. Gem. sublit. iv dürfen die Mitgliedstaaten ferner von bestimmten (von ihnen zu bezeichnenden) Gesellschaften die Nichtigerklärung der erworbenen Aktien und die Bildung einer entsprechenden Rücklage verlangen. Sublit. v schließlich gestattet den Mitgliedstaaten, den Erwerb eigener Aktien der Bedingung zu unterwerfen, dass die Befriedigung von Gläubigerforderungen durch den Erwerb nicht beeinträchtigt wird.435

(3) Bereichsausnahmen (Art. 20) 121 Art. 20 Abs. 1 listet 10 Fallgruppen auf, in denen die Mitgliedstaaten die Vorgaben des Art. 19 überhaupt nicht anzuwenden brauchen. Anders als in den Fällen der Art. 19 Abs. 2 und 3 (Rn. 112) kann also nicht nur auf das Erfordernis eines Hauptversammlungsbeschlusses, sondern auf die Einhaltung aller drei in Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 1 S. 2 normierten Mindestbedingungen (dazu o. Rn. 111 ff.) verzichtet werden.436 Darüber hinaus sind die Mitgliedstaaten in den Fällen des Art. 20 auch nicht an den Katalog zulässiger optionaler Bedingungen in Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 (dazu o. Rn. 116 ff.) gebunden, d.h. sie dürfen den Erwerb eigener Aktien in diesen Fällen auch an andere als die dort aufgeführten Bedingungen knüpfen,437 also z.B. eine Erwerbsgrenze438 oder eine unter der 10 %-Schwelle liegende Bestandsgrenze 439 vorsehen. 122 Art. 20 Abs. 1 lit. a enthält zunächst eine Ausnahmeoption für den Aktienerwerb im Rahmen einer Kapitalherabsetzung oder im Falle des Art. 39; hierfür sieht die RL nämlich in Art. 30 ff. (dazu Rn. 203 ff.) spezielle Schutzregelungen vor. 123 Lit. c und e betreffen Konstellationen, in denen kein bzw. nur ein geringeres Gefährdungspotential für die Kapitalerhaltung besteht: Beim unentgeltlichen Erwerb (lit. c Alt. 1) kommt es von vornherein überhaupt nicht zu einer Einlagenrückgewähr.440 Im Falle des Erwerbs von einem Aktionär, der seine Einlage nicht leistet (lit. e), ist die Einlage ohnehin noch nicht erbracht. Beim Erwerb von Banken oder anderen Finanzinstituten im Wege der Einkaufskommission (lit. c Alt. 2) schließlich

434 435 436 437

Vgl. Cahn Konzern 2007, 385, 395. Dazu näher Cahn Konzern 2007, 385, 395 f. Vgl. (ursprgl. Fassung der RL): Edwards S. 72; Lösekrug (Fn. 9), S. 144. Vgl. Cahn Konzern 2007, 385, 390. S. ferner (zur ursprgl. Fassung der RL) auch Fankhauser (Fn. 54), S. 182. 438 Vgl. Cahn Konzern 2007, 385, 390. 439 Vgl. Cahn Konzern 2007, 385, 391. 440 Vgl. Drinkuth (Fn. 43), S. 203; Oechsler (Fn. 406), § 71 Rn. 164; s. ferner zur Umsetzung in § 71 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 Alt. 1 AktG etwa auch Lutter/Drygala (Fn. 409), § 71 Rn. 220.

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kommt es lediglich zu einem – a priori weniger gefährlichen – Durchgangserwerb 441, zumal die Effektenkommission auch wirtschaftlich durchaus erwünscht ist 442. Den übrigen Ausnahmetatbeständen (lit. b, d, f–h) ist gemeinsam, dass hier ein 124 Erwerb eigener Aktien konstruktiv unabdingbar oder aus bestimmten Gründen rechtspolitisch oder wirtschaftlich notwendig bzw. erwünscht ist.443 So erklärt sich etwa lit. b daraus, dass eine nach nationalem oder europäischem Recht – speziell im Falle der Verschmelzung gem. Art. 29 Abs. 1 lit. a, Abs. 2 lit. a SE-VO (dazu § 41 Rn. 44), Art. 19 Abs. 1 lit. a der 3. (Fusions-)RL (dazu § 21 Rn. 92), Art. 14 Abs. 1 lit. a, Abs. 2 lit. a der 10. RL (dazu näher § 23 Rn. 111) – angeordnete Gesamtrechtsnachfolge nicht am Verbot eigener Aktien scheitern soll.444 Hintergrund von lit. d und f sind die in einigen nationalen Rechtsordnungen bestehenden Schutzvorschriften zugunsten von Minderheitsaktionären im Falle von Restrukturierungen oder Konzernierungen 445, die durch die europarechtlichen Regelungen betreffend den Erwerb eigener Aktien nicht beeinträchtigt werden sollten. Die Mitgliedstaaten können daher von der Anwendung des Art. 19 absehen, wenn Aktien zur Entschädigung von Minderheitsaktionären verbundener Gesellschaften (lit. f) oder auf Grund einer gesetzlichen Verpflichtung oder gerichtlichen Entscheidung zum Schutz von Minderheitsaktionären (lit. d; die RL nennt insoweit beispielhaft u.a. Verschmelzung 446, Formwechsel 447 und grenzüberschreitende Sitzverlegung) erworben werden. Die Ausnahmeoption in lit. g betreffend den Erwerb eigener Aktien bei einer gerichtlichen Versteigerung zum Zwecke der Erfüllung einer Forderung der AG gegen einen Aktionär beruht primär darauf, dass das Zwangsvollstreckungs- und das (materielle448) Insolvenzrecht nicht harmonisiert sind, so dass der europäische Gesetzgeber den Mitgliedstaaten insoweit die nötigen Spielräume lassen wollte.449 Lit. h schließlich trägt den Besonderheiten bei Investmentaktiengesellschaften mit festem Kapital Rechnung: In Kombination mit Art. 15 Abs. 4 (Rn. 84) soll den Mitgliedstaaten dadurch ermöglicht werden, diesen Gesellschaften die verdeckte Einlagenrückgewähr in Form des Aktienrückerwerbs zu erlauben.

441 Drinkuth (Fn. 43), S. 204; s. ferner zur Umsetzung in § 71 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 Alt. 2 AktG etwa auch Lutter/Drygala (Fn. 409), § 71 Rn. 222; Merkt (Fn. 401), § 71 Rn. 223; Oechsler (Fn. 425), § 71 Rn. 168. 442 So wurde etwa auch die deutsche Vorbildregelung in § 71 Abs. 1 Nr. 4 AktG 1965 (heute: § 71 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 Alt. 2 AktG), die auf Art. 215d Abs. 3 ADHGB zurückgeht, gerade zu dem Zweck eingeführt, die Effektenkommission zu erleichtern, vgl. Oechsler (Fn. 406), § 71 Rn. 167. 443 Vgl. Fankhauser (Fn. 54), S. 181 f., 183; Habersack § 6 Rn. 48. 444 Vgl. Drinkuth (Fn. 43), S. 202; s. ferner zur Umsetzung in § 71 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 Alt. 1 AktG: Hüffer (Fn. 146), § 71 Rn. 14 f.; Lutter/Drygala (Fn. 409), § 71 Rn. 88; Oechsler (Fn. 406), § 71 Rn. 171. 445 Vgl. im deutschen Recht §§ 305 Abs. 2 Nr. 1 und 2, 320b Abs. 1 S. 2 AktG. 446 Vgl. im deutschen Recht § 29 Abs. 1 UmwG. 447 Vgl. im deutschen Recht § 207 Abs. 1 UmwG. 448 Das internationale Insolvenzrecht ist inzwischen durch die EuInsVO harmonisiert, dazu § 16. 449 Vgl. Drinkuth (Fn. 43), S. 207.

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Nach Maßgabe nationaler Umsetzungsvorschriften zu Art. 20 Abs. 1 zulässigerweise erworbene Aktien dürfen jedoch (mit Ausnahme der nach Maßgabe von lit. a erworbenen) nicht unbegrenzt von der AG gehalten werden: Gem. Art. 20 Abs. 2 sind sie vielmehr innerhalb einer Frist von maximal 3 Jahren nach Erwerb zu veräußern. Diese Veräußerungspflicht besteht allerdings nur insoweit, als die solchermaßen450 durch die AG direkt oder indirekt (mittels einer Person, die im eigenen Namen, aber für Rechnung der AG handelt) erworbenen Aktien die Schwelle von 10 % des gezeichneten Kapitals überschreiten. Ein Aktienerwerb nach Maßgabe der Optionen des Art. 20 soll also nicht dazu führen, dass eine AG dauerhaft mit mehr als 10 % an sich selbst beteiligt ist 451; inwieweit diese Grenze nach Wegfall der zwingenden 10 %-Grenze in Art. 19 Abs. 1 lit. b a.F. rechtspolitisch noch sinnvoll ist, ist allerdings fraglich. Werden die Aktien nicht innerhalb der 3-Jahres-Frist veräußert, so müssen sie gem. Art. 20 Abs. 3 S. 1 für nichtig erklärt werden. Art. 20 Abs. 3 S. 2 gestattet den Mitgliedstaaten, die Nichtigerklärung von einer entsprechenden Kapitalherabsetzung abhängig zu machen; sofern der Erwerb der für nichtig zu erklärenden Aktien dazu geführt hat, dass das Nettoaktivvermögen unter den in Art. 15 Abs. 1 lit. a und b genannten Betrag (dazu Rn. 80) unterschreitet, müssen sie dies gem. Art. 20 Abs. 3 S. 3 sogar.

(4) Umsetzung in Deutschland 126 Aus deutscher Sicht resultierte aus den Vorgaben der Art. 19 und 20 erheblicher Anpassungsbedarf für das deutsche Aktienrecht.452 An der Systematik der Erwerbsgründe in § 71 Abs. 1 AktG konnte zwar im Grundsatz festgehalten werden.453 Im Hinblick auf Art. 19 Abs. 2 musste jedoch Nr. 1 auf unmittelbar bevorstehende Schäden eingeschränkt werden454 und der Erwerb zum Zwecke der Einkaufskommission (Nr. 4) musste entsprechend Art. 20 Abs. 1 lit. c auf Kreditinstitute begrenzt werden.455 Weiterhin bedurfte es auf Grund von Art. 19 Abs. 2 S. 2 und Abs. 3 S. 2 für die Erwerbstatbestände nach Nr. 1 und Nr. 2 der Ergänzung spezieller Pflichten (§ 71 Abs. 3 S. 1 AktG: Berichtspflicht beim Erwerb zur Schadensabwehr; § 71 Abs. 3 S. 2

450 Vgl. Grundmann Rn. 349; Kalss (Fn. 32), S. 191, 253; Morse (1977) 2 E.L. Rev. 126, 130. 451 Vgl. Fankhauser (Fn. 54), S. 183. 452 Vgl. Bayer/J. Schmidt (Fn. 6), Rn. 46; Lutter/Drygala (Fn. 409), § 71 Rn. 7; vgl. ferner auch Merkt (Fn. 401), § 71 Rn. 116 ff.; Oechsler (Fn. 406), § 71 Rn. 35. 453 Vgl. Bayer/J. Schmidt (Fn. 6), Rn. 46; Bezzenberger (Fn. 409), § 71 Rn. 12; Ganske DB 1978, 2461, 2463; Kindl ZEuP 1994, 77, 82; Merkt (Fn. 401), § 71 Rn. 117. 454 Vgl. Bayer/J. Schmidt (Fn. 6), Rn. 46; Ganske DB 1978, 2461, 2463; Hüffer NJW 1979, 1065, 1068; Kindl ZEuP 1994, 77, 80; Merkt (Fn. 401), § 71 Rn. 165; W. Müller WPg 1978, 565, 569. 455 § 71 Abs. 1 Nr. 4 Alt. 2 AktG 1965 gestattete jeder AG den Erwerb qua Einkaufskommission. Vgl. dazu Bayer/J. Schmidt (Fn. 6), Rn. 46; Ganske DB 1978, 2461, 2463; Hüffer NJW 1979, 2065, 1068; Kindl ZEuP 1994, 77, 82; Merkt (Fn. 401), § 71 Rn. 225; W. Müller WPg 1978, 565, 570.

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AktG: 12-Monats-Frist für Ausgabe von „Arbeitnehmeraktien“).456 Von der Möglichkeit des Erwerbs eigener Aktien auf Grund einer Hauptversammlungsermächtigung (Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 1 lit. a) machte der deutsche Gesetzgeber zunächst keinen Gebrauch. Dies geschah vielmehr erst 1994 durch Ergänzung der Nr. 7 (Handelsbestand eines Kredit-, Finanzdienstleistungsinstituts oder Finanzunternehmens) 457 sowie allgemein 1998 durch Ergänzung der Nr. 8 (Ermächtigungsbeschluss ohne positive Zweckvorgabe für maximal 18 Monate)458.459 Durch das ARUG460 wurde die Ermächtigungsdauer nun im Einklang mit Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 1 S. 2 lit. a n.F. (dazu o. Rn. 111) entsprechend den Bedürfnissen der Praxis auf 5 Jahre ausgedehnt.461 Novelliert werden mussten auf Grund von Art. 19 ferner auch die heute in § 71 127 Abs. 2 geregelten allgemeinen Erwerbs- bzw. Bestandsgrenzen.462 Auf Grund von Art. 19 Abs. 1 lit. d a.F. (G Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 1 S. 2 lit. c n.F.) war zunächst eine Ausdehnung des bis dato auf § 71 Abs. 1 Nr. 4 AktG 1965 beschränkten Volleinzahlungserfordernisses notwendig.463 Eine absolute Neuerung für das deutsche Aktienrecht war aber insbesondere die durch Art. 19 Abs. 1 S. 2 lit. c a.F. (G Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 1 lit. b n.F.) vorgegebene Kapitalgrenze, die die Einführung von § 71 Abs. 2 S. 2 AktG und § 150a AktG a.F. (seit 1.1.1986: § 272 Abs. 4 HGB) erforderlich machte.464 Danach war der Erwerb eigener Aktien nur noch zulässig, wenn die AG auf der Passivseite der Bilanz die notwendige Rücklage für eigene Aktien bilden konnte (vgl. auch Art. 22 Abs. 1 lit. b, dazu Rn. 114). Das BilMoG465 brachte insofern jedoch jüngst einen grundlegenden Systemwechsel: Da eigene Aktien nun nur noch auf der Passivseite der Bilanz ausgewiesen werden (vgl. § 272 Abs. 1a HGB n.F, sog. „Netto-

456 Vgl. Bayer/J. Schmidt (Fn. 6), Rn. 49; Ganske DB 1978, 2461, 2463; Hüffer NJW 1979, 1065, 1069; W. Müller WPg 1978, 565, 569. 457 Eingefügt durch das Gesetz über den Wertpapierhandel und zur Änderung börsenrechtlicher und wertpapierrechtlicher Vorschriften (Zweites Finanzmarktförderungsgesetz) v. 26.7.1994, BGBl. I, 1749. Vgl. dazu etwa Lutter/Drygala (Fn. 409), § 71 Rn. 106 ff.; Riepe DStR 1994, 1236, 1240. 458 Eingefügt durch das Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich (KonTraG) v. 27.4.1998, BGBl. I, 786. Vgl. dazu Claussen DB 1998, 177 ff.; Peltzer WM 1998, 322 ff.; Wiese DB 1998, 609. 459 Vgl. Bayer/J. Schmidt (Fn. 6), Rn. 47. 460 Fn. 28. 461 Vgl. dazu BegrRegE z. ARUG, BR-Drs. 847/08, S. 36; Bosse NZG 2009, 807, 812; Drinhausen/Keinath BB 2009, 64, 70; Herrler/Reymann DNotZ 2009, 914, 933; Paschos/ Goslar AG 2009, 14, 21; Seibert/Florstedt ZIP 2008, 2145, 2150. Die überwiegende Zahl der DAX-Gesellschaften machte davon erwartungsgemäß auch sofort Gebrauch, vgl. Wilm DB 2010, 1685, 1689. 462 Vgl. dazu auch Bayer/J. Schmidt (Fn. 6), Rn. 48. 463 Vgl. Bayer/J. Schmidt (Fn. 6), Rn. 48; Ganske DB 1978, 2461, 2463; Lutter/Drygala (Fn. 409), § 71 Rn. 7; W. Müller WPg 1978, 565, 570. 464 Vgl. Bayer/J. Schmidt (Fn. 6), Rn. 48; Ganske DB 1978, 2461, 2463; Hüffer NJW 1979, 1065, 1068; Kindl ZEuP 1994, 77, 81; Lutter/Drygala (Fn. 409), § 71 Rn. 214; W. Müller WPg 1978, 565, 570; Schwarz Rn. 606. 465 Gesetz zur Modernisierung des Bilanzrechts (Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz – BilMoG) v. 25.5.2009, BGBl. I, 1102. Allg. zum BilMoG näher § 10 Rn. 21.

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ausweis“),466 zwingt Art. 22 Abs. 1 lit. b nicht mehr zur Bildung einer Rücklage; § 71 Abs. 2 S. 2 AktG n.F. bindet den Erwerb daher nur noch an die Möglichkeit der Bildung einer „hypothetischen Rücklage“.467 128 Anpassungsbedarf resultierte schließlich auch aus der zwingenden 10 %-Bestandsgrenze des Art. 19 Abs. 1 lit. b a.F.: Das deutsche Recht kannte eine 10 %-Grenze zwar bereits zuvor, deren Anwendungsbereich musste jedoch ausgedehnt werden.468 Von der durch Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 lit. i (Rn. 118) eröffneten Möglichkeit, die Bestandsgrenze zu erhöhen oder ganz abzuschaffen, hat der Gesetzgeber i.R.d. ARUG469 keinen Gebrauch gemacht. Nicht geändert wurden – trotz im Schrifttum geltend gemachter Bedenken an der Vereinbarkeit mit Art. 19 n.F.470 – auch die Erwerbsgrenzen der § 71 Abs. 1 Nr. 7 und 8 AktG.

cc) Sanktionen bei vorschriftswidrigem Erwerb eigener Aktien, Art. 21 129 Ein Verstoß gegen die Vorschriften der Art. 19 und 20 macht den Erwerb keineswegs automatisch nichtig.471 Nach dem Vorbild des romanischen Rechts472 sanktioniert die RL den vorschriftswidrigen Erwerb eigener Aktien vielmehr primär durch eine Veräußerungspflicht (welche implizit die dingliche Wirksamkeit des Erwerbs voraussetzt 473), gekoppelt mit einem subsidiären Einziehungszwang. Gem. Art. 21 S. 1 müssen unter Verletzung der Art. 19 und 20 erworbene Aktien innerhalb einer Frist von einem Jahr, gerechnet vom Zeitpunkt ihres Erwerbes an, veräußert werden. Geschieht dies nicht, ist Art. 20 Abs. 3 anzuwenden (vgl. Art. 21 S. 2), d.h. die Aktien sind – ggf. i.V.m. einer entsprechenden Kapitalherabsetzung (vgl. Art. 20 Abs. 3 S. 2 und 3, dazu Rn. 125) – für nichtig zu erklären. 130 Für das deutsche Aktienrecht, das den verbotswidrigen Erwerb traditionell sowohl mit der Nichtigkeit des schuldrechtlichen Geschäfts als – im Falle nicht voll eingezahlter Aktien – auch mit derjenigen des dinglichen Geschäfts sanktionierte (vgl.

466 Vgl. dazu BegrRegE z. BilMoG, BR-Drs. 344/08, S. 142. 467 Ausf. Kropff ZIP 2009, 1137, 1140 f.; Kühnberger BB 2011, 1387 f.; Oechsler AG 2010, 105 ff. 468 Nach § 71 Abs. 1 S. 2 AktG a.F. wurden für die Ermittlung der 10 %-Grenze nur die zum Zwecke der Nr. 1 bis 3 bereits früher erworbenen Aktien summiert; nach § 71 Abs. 2 S. 1 AktG n.F. ist der Gesamtbestand eigener Aktien maßgeblich. Vgl. Bayer/ J. Schmidt (Fn. 6), Rn. 48; Ganske DB 1978, 2461, 2463; W. Müller WPg 1978, 565, 570. 469 Fn. 28. 470 Cahn Konzern 2007, 385, 392 f.; Merkt (Fn. 401), § 71 Rn. 131; vgl. ferner auch Paschos/ Goslar AG 2009, 14, 21; Sauter ZIP 2008, 1706, 1710. Für Richtlinienkonformität jedoch Lutter/Drygala (Fn. 409), § 71 Rn. 14. 471 Vgl. Fankhauser (Fn. 54), S. 181; Kalss (Fn. 32), S. 119, 258; Spickhoff BB 1997, 2593, 2601. 472 Vgl. BegrRegE z. KapRiLiG, BT-Drs. 8/1678, S. 14; Bayer/J. Schmidt (Fn. 6), Rn. 51; Ganske DB 1978, 2461, 2463; Kindl ZEuP 1994, 77, 83; Lösekrug (Fn. 9), S. 145. 473 Vgl. Bayer/J. Schmidt (Fn. 6), Rn. 51; Ganske DB 1978, 2461, 2463 f.; Hüffer NJW 1979, 1065, 1069; Kindl ZEuP 1994, 77, 82 ff.; W. Müller WPg 1978, 565, 571.

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§ 71 Abs. 2 AktG 1965), bedeutete dies einen tief greifenden Systemwechsel.474 An der Nichtigkeit des schuldrechtlichen Geschäfts konnte zwar festgehalten werden (heute: § 71 Abs. 4 S. 2 AktG). Durch die RL war der deutsche Gesetzgeber jedoch gezwungen, den Erwerb generell für dinglich wirksam zu erklären (§ 71 Abs. 4 S. 2 AktG)475 sowie die durch die RL vorgegebene Veräußerungs- und Einziehungspflicht zu regeln (§ 71c Abs. 1 und 3 AktG) 476.

dd) Halten eigener Aktien, Art. 22 Die RL regelt aber nicht nur die Voraussetzungen für den Erwerb eigener Aktien so- 131 wie Sanktionen für einen rechtswidrigen Erwerb, vielmehr unterwirft sie im Interesse eines effektiven Schutzes in Art. 22 auch das Halten eigener Aktien einer Reihe von Rahmenbedingungen, die ausdrücklich unabhängig davon gelten, ob die AG eigene Aktien unmittelbar oder mittelbar (d.h. durch eine im eigenen Namen, aber für Rechnung der AG handelnde Person) hält. Nach dem Wortlaut der Vorschrift bestehen die in Art. 22 normierten Restriktionen zwar nur, sofern die nationalen Rechtsvorschriften den Erwerb gestatteten, also im Falle zulässigen Erwerbs. A maiore ad minus müssen sie aber auch dann zur Anwendung kommen, wenn der Erwerb rechtswidrig erfolgte477, denn in diesem Fall besteht erst recht ein Schutzbedürfnis. Zudem handelt es sich ausweislich des eindeutigen Wortlautes des Art. 22 lediglich um einen Mindeststandard,478 d.h. die Mitgliedstaaten dürfen auch weitergehende Auflagen vorsehen. Erste und grundlegende Restriktion ist gem. Art. 22 Abs. 1 lit. a, dass von den mit 132 Aktien verbundenen Rechten in jedem Fall das Stimmrecht aufgehoben ist. Damit wird verhindert, dass die Verwaltung sich letztlich selbst kontrollieren kann.479 Art. 22 Abs. 1 lit. b gewährleistet die Bilanzneutralität eigener Aktien:480 Sofern sie (in Ausübung des den Mitgliedstaaten insoweit nach Art. 9 der 4. (Bilanz-)RL zustehenden Wahlrechts, vgl. dazu bereits o. Rn. 114; allg. zur 4. (Bilanz-)RL § 24) auf der Aktivseite der Bilanz ausgewiesen werden, muss auf der Passivseite ein gleich hoher Betrag in eine nicht verfügbare Rücklage eingestellt werden (vgl. zu Art. 22 Abs. 1 lit. b auch bereits Rn. 114). Drittens schließlich stellt die RL durch die in Art. 22 Abs. 1 lit. c vor-

474 Vgl. BegrRegE z. KapRiLiG, BT-Drs. 8/1678, S. 14; Bayer/J. Schmidt (Fn. 6), Rn. 50. 475 Vgl. Bayer/J. Schmidt (Fn. 6), Rn. 50; Cahn in: Spindler/Stilz, AktG, 2. Aufl. 2010, § 71 Rn. 27; Ganske DB 1978, 2461, 2463; Hüffer NJW 1979, 1065, 1069; Lutter/Drygala (Fn. 409), § 71 Rn. 7; Merkt (Fn. 401), § 71 Rn. 118; W. Müller WPg 1978, 565, 571. 476 Vgl. Ganske DB 1978, 2461, 2464; Hüffer NJW 1979, 1065, 1069; Lutter/Drygala (Fn. 409), § 71 Rn. 7, § 71c Rn. 1; W. Müller WPg 1978, 565, 572 f. 477 Ebenso Grundmann Rn. 351. 478 Vgl. Bayer/J. Schmidt (Fn. 6), Rn. 52; Drinkuth (Fn. 43), S. 213; Edwards S. 72; speziell für lit. a auch: Grohmann (Fn. 46), S. 287; Kalss (Fn. 32), S. 119, 258; Werlauff S. 270. 479 Vgl. Drinkuth (Fn. 43), S. 213; Fankhauser (Fn. 54), S. 185; Grohmann (Fn. 46), S. 287; Grundmann Rn. 351; Wooldridge [1978] Acta Juridica 327, 339. 480 Vgl. RL-E 1970 (Fn. 1), S. 13 f.

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geschriebenen Angaben im Lagebericht auch eine gewisse (ex-post-)Transparenz hinsichtlich der eigenen Aktien sicher.481 133 Das deutsche Aktienrecht geht traditionell über den von Art. 22 Abs. 1 lit. a geforderten Mindeststandard hinaus, denn es versagt der Gesellschaft sogar sämtliche Rechte aus eigenen Aktien (§ 71b AktG n.F. G § 71 Abs. 6 S. 1 AktG a.F.) 482, also etwa auch das Dividenden- und das Bezugsrecht483.484 Ein Novum war allerdings die in Art. 22 Abs. 1 lit. b geforderte Rücklagenbildung im Falle der Aktivierung eigener Anteile (dazu bereits Rn. 127). Neu waren auch die nach Art. 22 Abs. 2 erforderlichen Angaben im Lagebericht; sie machten die Ergänzung des § 160 Abs. 3 Nr. 2 AktG a.F. (heute: § 160 Abs. 1 Nr. 2 AktG) erforderlich.485

ee) Umgehungsschutz 134 Komplementiert und abgesichert werden die Regeln betreffend die Zeichnung, den Erwerb und das Halten eigener Aktien in Art. 18–22 durch eine Reihe von Vorschriften zum Umgehungsschutz, nämlich Vorschriften betreffend die sog. financial assistance (Art. 23, 23a, dazu u. Rn. 135 ff.), zur Inpfandnahme eigener Aktien (Art. 24, dazu u. Rn. 147 f.) sowie zum Erwerb durch Dritte und Tochtergesellschaften (Art. 24a, dazu u. Rn. 149 ff.).

(1) Financial assistance, Art. 23, 23a (a) Ratio und Genese der Regelung 135 Die strengen Vorschriften über den Erwerb eigener Aktien können insbesondere dadurch unterlaufen werden, dass die Gesellschaft den Erwerb ihrer Aktien finanziell unterstützt. Zurückgehend auf eine Initiative der britischen Verhandlungsdelegation 486 sah die ursprüngliche Fassung der RL daher nach dem Vorbild des britischen

481 Vgl. Grohmann (Fn. 46), S. 287 f.; Grundmann Rn. 351. Vgl. auch schon RL-E 1970 (Fn. 1), S. 9. 482 Vgl. zur unveränderten Übernahme dieser Regelung in § 71b AktG: Ganske, DB 1978, 2461, 2464; Hüffer NJW 1979, 1065, 1069; Lutter/Drygala (Fn. 409), § 71b Rn. 1; W. Müller WPg 1978, 565, 572; s. ferner auch Kindl ZEuP 1994, 77, 83. 483 Vgl. dazu näher Hüffer § 71b Rn. 3 ff.; Lutter/Drygala (Fn. 409), § 71b Rn. 10 ff.; Merkt (Fn. 401), § 71 Rn. 14 ff.; Oechsler (Fn. 406), § 71b Rn. 8 ff. 484 Vgl. Bayer/J. Schmidt (Fn. 6), Rn. 52; Drinkuth (Fn. 43), S. 213; Lösekrug (Fn. 9), S. 146; Merkt (Fn. 401), § 71 Rn. 8. 485 Vgl. Bayer/J. Schmidt (Fn. 6), Rn. 52; Ganske DB 1978, 2461, 2464; Hüffer NJW 1979, 1065, 1069; Merkt (Fn. 401), § 71 Rn. 350; W. Müller WPg 1978, 565, 570 f. 486 Vgl. Cahn (Fn. 475), § 71a Rn. 1; Fleischer AG 1996, 494, 495; Drinkuth (Fn. 43), S. 213; Grundmann Rn. 352; Habersack FS Röhricht, 2005, S. 155, 178; ders. FS Hopt, 2010, S. 725; Hartung, Financial Assistance, 2010, S. 33 f.; Oechsler ZHR 170 (2006) 72, 83; Schroeder, Finanzielle Unterstützung des Aktienerwerbs, 1995, S. 17 f.

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Rechts487 ein grundsätzliches Verbot der sog. financial assistance vor: Gem. Art. 23 Abs. 1 a.F. durfte eine Gesellschaft – abgesehen von den engen Ausnahmen in Art. 23 Abs. 2 und 3 a.F. – im Hinblick auf den Erwerb ihrer Aktien durch einen Dritten weder Vorschüsse geben noch Darlehen gewähren noch Sicherheiten leisten. Im Laufe der Zeit wurde dieses starre Verbot jedoch zunehmend kritisiert, 136 v.a. weil es insbesondere im Bereich der LBOs als erhebliches Hindernis gesehen wurde488. Auch die Kommission erkannte schließlich, dass es in ganz bestimmten Fällen durchaus im Interesse der Gesellschaft sein kann, den Erwerb ihrer Aktien durch einen Dritten und damit dessen Aufnahme in die Gesellschaft zu unterstützen.489 Durch die Änderungs-RL 2006/68/EG (Rn. 6) wurden die Vorschriften über die financial assistance daher – aufbauend auf Vorschlägen der SLIM-Arbeitsgruppe aus dem Jahr 1999 490 sowie der High Level Group aus dem Jahr 2002 491 – wesentlich gelockert, damit „Änderungen in den Besitzverhältnissen von Aktiengesellschaften flexibler gestaltet werden können“ (vgl. Erwägungsgrund 5 zur RL 2006/68/EG) 492. Nach Art. 23 und 23a n.F. ist die financial assistance nunmehr nicht länger kraft europäischen Rechts prinzipiell verboten. Art. 23 Abs. 1 n.F. gestattet den Mitgliedstaaten jetzt vielmehr, Aktiengesellschaften die Gewährung von financial assistance unter bestimmten Voraussetzungen zu erlauben (dazu näher u. Rn. 137 ff.) Daneben wurden aber auch die schon bislang bestehenden Ausnahmen in Art. 23 Abs. 2 und 3 beibehalten (dazu u. Rn. 142). Art. 23a n.F. enthält eine Sonderregelung für den Fall von Interessenkonflikten in der Person des Erwerbers (dazu u. Rn. 143).

(b) Tatbestand der financial assistance Art. 23 nennt zwar nur die (unmittelbare oder mittelbare) Zahlung von Vorschüssen, 137 Gewährung von Darlehen oder Leistung von Sicherheiten. Nach h.M. handelte es sich dabei jedoch nicht um einen abschließenden Katalog, sondern vielmehr um einen

487 Vgl. Bayer/J. Schmidt (Fn. 6), Rn. 56; Baldamus (Fn. 12), S. 194; Bezzenberger (Fn. 409), § 71a Rn. 3; Edwards S. 73; Fleischer NZG 2004, 1129, 1133; Ganske DB 1978, 2461, 2464; Habersack FS Röhricht, 2005, S. 155, 168, 178; Hartung (Fn. 486), S. 36; Lutter/Drygala (Fn. 409), § 71a Rn. 1; Merkt (Fn. 401), § 71a Rn. 6; Morse (1977) 2 E.L. Rev. 126, 130; Schmitthoff (1978) 15 C.M.L. Rev. 43, 50; Schroeder (Fn. 486), S. 45 f.; Wooldridge [1978] Acta Juridica 327, 339. Im britischen Recht fand sich das auf einen Vorschlag des Greene Committee zurückgehende Verbot der financial assistance erstmals in s. 45 CA 1929, vgl. Davies (Fn. 148), 13–26; Fleischer AG 1996, 494, 495; Merkt (Fn. 401), § 71a Rn. 6; Wymeersch FS Drobnig, 1998, S. 725, 731. Rechtsvergleichend Pühler, Das Verbot der Anteilsfinanzierung in Belgien, Frankreich und den Niederlanden, 1996. 488 Vgl. Drygala Konzern 2007, 398, 400; Ferran (2005) 6 EBOR 93, 94; Freitag AG 2007, 157, 158; Merkt (Fn. 401), § 71a Rn. 11; Wymeersch FS Drobnig, S. 725, 746; ders. (Fn. 6), S. 20 f. S. ferner auch Oechsler ZHR 170 (2006) 72, 81 f. 489 Vgl. SEK(2004) 1342, S. 5. 490 Vgl. SLIM-Arbeitsgruppe (Fn. 12), S. 12. Dazu näher Baldamus (Fn. 12), S. 192 ff. 491 Vgl. Bericht High Level Group (Fn. 13), S. 92. 492 Vgl. näher zur Genese der Novellierung: Schmolke WM 2005, 1828, 1829 f.

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„offenen Tatbestand mit Regelbeispielen“, d.h. der Regelungskomplex der Art. 23, 23a erfasst über den Wortlaut hinaus sämtliche Formen finanzieller Unterstützungsleistungen (financial assistance).493 138 Umstritten ist, ob Art. 23 nur den derivativen494 oder (zumindest analog) auch den originären Aktienerwerb 495 erfasst.496 Für ersteres spricht zwar der Terminus „Erwerb“ in Art. 23 Abs. 1 Unterabs. 1497 und die systematische Verortung im Regelungskomplex über die Kapitalerhaltung 498. Allerdings erfassen die englischen Vorschriften zur financial assistance (heute: ss. 678 ff. CA 2006), die Vorbild für Art. 23 waren499, traditionell sowohl den derivativen Erwerb (purchase) als auch den originären Erwerb (subscription); der – auch in der englischen Sprachfassung des Art. 23 Abs. 1 Unterabs. 1 benutzte – Begriff der acquisition fungiert insoweit als Oberbegriff.500 Zudem regelt Art. 23 Abs. 1 Unterabs. 5 n.F. nunmehr explizit auch die „Zeichnung“ („subscription“) eigener Aktien im Rahmen einer Kapitalerhöhung.501 Für eine Erfassung auch des originären Erwerbs spricht schließlich auch, dass das Gesellschaftsvermögen hier durch eine financial assistance letztlich ebenso gefährdet wird wie im Falle des derivativen Erwerbs.502 493 Vgl. Bezzenberger (Fn. 409), § 71a Rn. 11 ff.; Drygala Konzern 2007, 396, 397; Schroeder (Fn. 486), S. 174 ff., 186 f.; für § 71a AktG auch: Hüffer (Fn. 146), § 71a Rn. 2; Lutter/ Drygala (Fn. 409), § 71a Rn. 27; Merkt (Fn. 401), § 71a Rn. 28, 41; Oechsler (Fn. 406), § 71a Rn. 19; Singhof NZG 2002, 745, 746; enger jedoch offenbar Davies (Fn. 148), 13–29; Habersack FS Hopt, 2010, S. 725, 743 ff.; a.A. Brosius, Die finanzielle Unterstützung des Erwerbs eigener Aktien, 2011, S. 266 f. 494 So Schroeder (Fn. 486), S. 152 ff.; Bezzenberger (Fn. 409), § 71a Rn. 20; KK-AktG/Lutter, 2. Aufl. 1988, § 71a Rn. 2; Merkt (Fn. 401), § 71a Rn. 43; Oechsler (Fn. 406), § 71a Rn. 15. 495 So Brosius (Fn. 493), S. 78 ff., 283; Drygala Konzern 2007, 396, 405; ders. JZ 2011, 53, 56; Habersack FS Hopt, 2010, S. 725, 739 f.; Lutter/Drygala (Fn. 409), § 71a Rn. 21; für § 71a AktG: Cahn (Fn. 475), § 71a Rn. 16; Cahn/v. Spannenberg in: Spindler/Stilz, AktG, 2. Aufl. 2010, § 56 Rn. 13; Sieger/Hasselbach BB 2004, 60, 62; s. ferner Schmolke WM 2005, 1828, 1829; differenzierend Arnold (Fn. 164), § 27 Rn. 136 (nur originärer Erwerb i.R.d. Kapitalerhöhung); Heidinger/Herrler (Fn. 164), § 27 Rn. 268; Herrler/Reymann DNotZ 2009, 914, 928 ff. (nur bei Änderung der Beteiligungsquoten). 496 Vgl. zu dieser Problematik auch Bayer/Lieder NZG 2010, 86, 91; Bayer/J. Schmidt ZGR 2009, 805, 839 f. 497 Vgl. Bayer/J. Schmidt ZGR 2009, 805, 839; Bezzenberger (Fn. 409), § 71a Rn. 20. 498 Vgl. Bayer/J. Schmidt ZGR 2009, 805, 839; für § 71a AktG auch Herrler/Reymann DNotZ 2009, 914, 929; Merkt (Fn. 401), § 71a Rn. 43; Oechsler (Fn. 406), § 71a Rn. 15. 499 Vgl. bereits o. Rn. 135. 500 S. 54 CA 1948 sprach noch explizit von „purchase or subscription“, in s. 151 CA 1985 wurde dagegen – wie nun auch in s. 678 CA 2006 – der Oberbegriff „acquisition“ verwendet. Vgl. dazu auch Davies (Fn. 148), 13–28. Aus dem deutschen Schrifttum: Bayer/ J. Schmidt ZGR 2009, 805, 839; Cahn/v. Spannenberg (Fn. 495), § 56 Rn. 13; Habersack AG 2009, 557, 562; ders. FS Hopt, 2010, S. 725, 739; Lutter/Drygala (Fn. 409), § 71a Rn. 21. 501 Vgl. Arnold (Fn. 164), § 27 Rn. 135; Bayer/J. Schmidt ZGR 2009, 805, 839 f.; Brosius (Fn. 493), S. 79; Habersack AG 2009, 557, 562; ders. FS Hopt, 2010, S. 725, 739 f.; Heidinger/Herrler (Fn. 164), § 27 Rn. 268; Herrler/Reymann DNotZ 2009, 914, 929; Lutter/ Drygala (Fn. 409), § 71a Rn. 21. 502 Vgl. Cahn/v. Spannenberg (Fn. 495), § 56 Rn. 13; Habersack AG 2009, 557, 562; Sieger/ Hasselbach BB 2004, 60, 62.

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(c) Zulässigkeitsvoraussetzungen Gem. Art. 23 Abs. 1 Unterabs. 1 dürfen die Mitgliedstaaten die Gewährung von 139 financial assistance gestatten, sofern sie diese von der Einhaltung der in Unterabs. 2–5 näher spezifizierten formellen und materiellen Voraussetzungen abhängig machen. Auf diese Weise sollen der notwendige Schutz der Minderheitsaktionäre und Gläubiger gewährleistet und missbräuchliche Praktiken verhindert werden.503 Die formelle Anforderungen504 bestehen gem. Unterabs. 3 aus dem im europä- 140 ischen Gesellschaftsrecht bewährten Schutzinstrumenten Bericht, Hauptversammlungsbeschluss und Publizität: Zunächst muss das Verwaltungs- bzw. Leitungsorgan mittels eines schriftlichen Berichts über die Einzelheiten des Geschäfts informieren (Mindestinhalt: Gründe für das Geschäft, Interesse der Gesellschaft daran, Konditionen, Risiken für Liquidität und Solvenz, Erwerbspreis)505. Die Hauptversammlung muss das Geschäft sodann mit einer qualifizierten Mehrheit i.S.d. Art. 40 506 genehmigen.507 Anschließend 508 muss der Bericht nach Maßgabe der nationalen Umsetzungsvorschriften zu Art. 3 der 1. (Publizitäts-)RL509 (dazu § 19 Rn. 13 ff.) offen gelegt werden. Erst dann darf das Geschäft durchgeführt werden.510 Materielle Voraussetzungen sind ein Drittvergleich (Unterabs. 2), die Erhaltung 141 des Grundkapitals (Unterabs. 4) sowie in bestimmten Fällen die Angemessenheit des Preises (Unterabs. 5). Nach dem in Unterabs. 2 normierten Drittvergleichskriterium (arm’s length principle) 511 müssen die Geschäfte zu „fairen marktüblichen Konditionen“ abgewickelt werden (speziell im Hinblick auf Zinsen und Sicherheiten) und die Bonität des/der Dritten muss in angemessener Weise überprüft worden sein.512 Zweitens muss die jederzeitige Erhaltung des Grundkapitals i.S.d. Art. 15 Abs. 1 lit. a und b (dazu o. Rn. 80) gewährleistet sein513 und die AG muss auf der Passivseite 503 504 505 506

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Vgl. SEK(2004) 1342, S. 5. S. ferner Drygala Konzern 2007, 396, 400. Vgl. zu diesem „Schutz durch Verfahren“ auch Drygala Konzern 2007, 396, 399 f. Näher Brosius (Fn. 493), S. 274 ff. Mindestens 2/3 der vertretenen Stimmen oder des vertretenen gezeichneten Kapitals (Art. 40 Abs. 1); gem. Art. 40 Abs. 2 können die Mitgliedstaaten aber vorsehen, dass eine einfache Stimmenmehrheit ausreicht, sofern mindestens die Hälfte des gezeichneten Kapitals vertreten ist. Kritisch zum Erfordernis eines Hauptversammlungsbeschlusses Ferran (2005) 6 EBOR 93, 96; näher im Einzelnen Brosius (Fn. 493), S. 276 ff. Ungeachtet des insoweit etwas missverständlichen Wortlautes des Unterabs. 3 soll die Offenlegung ausweislich der Materialien erst nach dem Hauptversammlungsbeschluss erfolgen, vgl. SEK(2004) 1342, S. 6. Wie hier i.E. auch Freitag AG 2007, 157, 162; Schmolke WM 2005, 1828, 1835. Der Verweis auf Art. 3 der RL 68/151/EWG ist als Verweis auf Art. 3 der kodifizierten Fassung (RL 2009/101/EG) zu lesen, vgl. Art. 16 Abs. 2 RL 2009/101/EG. Vgl. Freitag AG 2007, 157, 162; Schmolke WM 2005, 1828, 1835. Vgl. Freitag AG 2007, 157, 160. Dazu näher Brosius (Fn. 493), S. 268 f.; Freitag AG 2007, 157, 160; Schmolke WM 2005, 1828, 1832 f. Näher und kritisch dazu Drygala Konzern 2007, 396, 401 f.; Westermann ZHR 172 (2008) 144, 164; s. ferner auch Brosius (Fn. 493), S. 272 ff.

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der Bilanz eine nicht ausschüttbare Rücklage i.H.d. Gesamtbetrages der gewährten financial assistance einstellen (Unterabs. 4).514 Drittens gebietet Unterabs. 5, dass der Erwerb zu einem angemessenen Preis stattfinden muss, wenn ein Dritter mit Hilfe von financial assistance eigene Aktien i.S.v. Art. 19 Abs. 1 erwirbt oder solche i.R.d. Kapitalerhöhung zeichnet; hierdurch sollen die Aktionäre vor einer Verwässerung ihrer Anteile geschützt werden515. Im Entwurf der Änderungs-RL 2006/68/EG 516 war als weitere materielle Voraussetzung außerdem noch eine Liquiditäts- und Solvenzprüfung anhand einer Cash-Flow-Analyse vorgesehen gewesen; dieses unpraktikable und mit erheblichen Unsicherheiten belastete Erfordernis 517 wurde jedoch unter dem Druck heftiger Kritik gestrichen.518 Eine irgendwie geartete besondere „sachliche Rechtfertigung“ für die financial assistance verlangt die RL ebenfalls nicht;519 ebenso wie im Hinblick auf den Bezugsrechtsausschluss (vgl. u. Rn. 200) dürfte aber auch hier entsprechenden nationalrechtlichen Anforderungen nichts entgegenstehen520. 142 Art. 23 Abs. 2 und 3 enthalten drei – schon in der ursprünglichen Fassung der RL enthaltene – Ausnahmetatbestände, in denen die financial assistance ohne die Einhaltung der in Art. 23 Abs. 1 normierten Kautelen zulässig ist. Ausgenommen sind gem. Art. 23 Abs. 3 zunächst Geschäfte im Hinblick auf den Erwerb von Aktien nach Art. 20 Abs. 1 lit. h (Investmentaktiengesellschaften mit festem Kapital, dazu Rn. 124). Zweitens gilt Art. 23 Abs. 1 auch nicht für Rechtsgeschäfte, die i.R.d. laufenden Geschäfte von Banken und anderen Finanzinstituten getätigt werden (Art. 23 Abs. 2 S. 1 Alt. 1); die im Wertpapierhandel tätigen AGs sollten durch die RL keinen Wettbewerbsnachteil erleiden 521. Ausgenommen sind drittens schließlich noch Geschäfte, die im Hinblick auf den Erwerb von Aktien durch Arbeitnehmer der Gesellschaft oder einer mit ihr verbundenen Gesellschaft getätigt werden (Art. 23 Abs. 2 S. 1 Alt. 2); die sozialpolitisch erwünschten Belegschaftsaktien werden also auch insoweit privilegiert. In den Fällen des Art. 23 Abs. 2 ist jedoch zu beachten, dass das Nettoaktivvermögen durch diese Geschäfte nicht unter den in Art. 15 Abs. 1 lit. a (dazu o. Rn. 80) genannten Betrag fallen darf. 143 Der neue Art. 23a betrifft die besonders brisanten Fälle der Gewährung von financial assistance an Mitglieder des Verwaltungs- oder Leitungsorgans der Gesell-

514 Dazu näher Brosius (Fn. 493), S. 269 ff.; Freitag AG 2007, 157, 160 ff. 515 Vgl. SEK(2004) 1342, S. 6; Schmolke WM 2005, 1828, 1836; Wymeersch (Fn. 6), S. 22. Kritisch zur Sinnhaftigkeit dieses Erfordernisses jedoch Brosius (Fn. 493), S. 283 f.; Freitag AG 2007, 157, 160; vgl. ferner auch schon Ferran (2005) 6 EBOR 93, 98. 516 Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 77/91/EWG des Rates in Bezug auf die Gründung von Aktiengesellschaften und die Erhaltung und Änderung ihres Kapitals, KOM(2004) 730. 517 Vgl. Freitag AG 2007, 157, 160 f.; Handelsrechtsausschuss des DAV NZG 2005, 426, 429; IDW WPg 2005, 178, 180; Schmolke WM 2005, 1828, 1833 f. 518 Vgl. Freitag AG 2007, 157, 160 f. 519 Ebenso Brosius (Fn. 493), S. 279 ff.; (zum RL-Entwurf) Schmolke WM 2005, 1828, 1834. 520 Ebenso (zum RL-Entwurf) Schmolke WM 2005, 1828, 1834; a.A. jedoch offenbar Brosius (Fn. 493), S. 279 ff. 521 Vgl. Drinkuth (Fn. 43), S. 215.

Die Kapitalrichtlinie (2. Richtlinie)

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schaft, ein sie beherrschendes Unternehmen oder die Mitglieder des Verwaltungs-/ Leitungsorgans eines solchen. Die hier typischerweise existierenden Interessenkonflikte sollen möglichst vermieden werden.522 Die RL verpflichtet die Mitgliedstaaten daher, durch geeignete Schutzvorkehrungen sicherzustellen, dass ein solches Geschäft dem Wohl der Gesellschaft nicht zuwiderläuft. Hinsichtlich der näheren Ausgestaltung solcher „geeigneter Schutzvorkehrungen“ bleibt für die Mitgliedstaaten freilich ein weiter Spielraum, der letztlich nur durch den Grundsatz des effet utile begrenzt ist. Zu denken wäre aber etwa an Vertretungs- oder Haftungsregelungen.523 Sanktionen für den Fall einer unzulässigen Gewährung von financial assistance 144 enthält die RL nicht; den Mitgliedstaaten bleibt also auch insoweit ein weiter Spielraum.524 Auch diesbezüglich ergibt sich jedoch jedenfalls bereits aus dem Gebot des effet utile (vgl. Art. 4 Abs. 3 EU), dass die Mitgliedstaaten verpflichtet sind, wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktionen zu treffen525.

(d) Umsetzung in Deutschland Für das deutsche Aktienrecht war das – in der ursprünglichen RL-Fassung normierte – 145 Verbot der financial assistance ein echtes Novum.526 Der Gesetzgeber lehnte sich daher bei der Umsetzung in § 71a Abs. 1 AktG eng an den Wortlaut des Art. 23 Abs. 1 a.F. an.527 Von den durch Art. 23, 23a n.F. eröffneten Spielräumen wurde i.R.d. ARUG528 trotz entsprechender Forderungen aus Schrifttum und Praxis 529 auf Grund der rechtspolitischen Brisanz530 kein Gebrauch gemacht.531 Zweifelhaft ist allerdings, ob die durch das ARUG erfolgte Neuregelung der 146 Rechtsfolgen des Hin- und Herzahlens in § 27 Abs. 4 AktG mit Art. 23 vereinbar ist. Beschränkt man den Anwendungsbereich des Art. 23 auf den derivativen Erwerb 522 Vgl. SEK(2004) 1342, S. 6; Brosius (Fn. 493), S. 284 f.; Dorresteijn/Monteiro/C. Teichmann/Werlauff (Fn. 6), 3.41; Grundmann Rn. 352; Schmolke WM 2005, 1828, 1836; Wymeersch (Fn. 6), S. 22. 523 Vgl. auch Schmolke WM 2005, 1828, 1836. 524 Vgl. Kalss (Fn. 32), S. 119, 264; Lösekrug (Fn. 9), S. 148 f.; Wooldridge [1978] Acta Juridica 327, 339. 525 Vgl. allg. zur Sanktionspflicht auf Grund des effet utile bei der Umsetzung von Richtlinien: EuGH v. 8.6.1994, Kommission ./. Vereinigtes Königreich, Rs. C-383/92, Slg. 1994, I-2479, Rn. 40; EuGH v. 18.10.2001, Kommission ./. Irland, Rs. C-354/99, Slg. 2001, I-7657, Rn. 46. 526 Vgl. Bayer/J. Schmidt (Fn. 6), Rn. 56; Habersack § 6 Rn. 56; Lutter/Drygala (Fn. 409), § 71a Rn. 1; Merkt (Fn. 401), § 71a Rn. 5. 527 Vgl. Bayer/J. Schmidt (Fn. 6), Rn. 56; Kindl, ZEuP 1994, 77, 84; W. Müller, WPg 1978, 565, 572; Schwarz, Rn. 610. 528 Fn. 28. 529 Vgl. Paschos/Goslar AG 2009, 605, 617. 530 Vgl. Böttcher NZG 2008, 481, 485; Lutter/Drygala (Fn. 409), § 71a Rn. 5; Seibert/Florstedt ZIP 2008, 2145, 2149. 531 Vgl. dazu auch Begr. Rechtsausschuss, BT-Drs. 16/13098, S. 38. Vgl. zur Umsetzung in anderen Mitgliedstaaten Hooft (2011) 8 ECL 157, 159.

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(vgl. zur Problematik o. Rn. 138), so schließen sich financial assistance und Hin- und Herzahlen bereits tatbestandlich gegenseitig aus.532 Soweit man dagegen auch den originären Erwerb als von Art. 23 erfasst ansieht, wäre in denjenigen Fällen, in denen das Hin- und Herzahlen zugleich eine unzulässige financial assistance darstellt und deshalb kein wirksamer Rückzahlungsanspruch entsteht, jedenfalls auch die Erfüllungswirkung nach § 27 Abs. 4 S. 1 AktG zu verneinen.533

(2) Inpfandnahme, Art. 24 147 Der auf das deutsche Vorbild des § 71 Abs. 3 S. 1 AktG 1965 zurückgehende534 Art. 24 trägt der Tatsache Rechnung, dass auch im Falle der Inpfandnahme eigener Aktien ein charakteristisches Gefährdungspotential besteht 535. Abs. 1 stellt daher die Inpfandnahme eigener Aktien durch die Gesellschaft selbst oder eine im eigenen Namen, aber für Rechnung der Gesellschaft handelnde Person dem Erwerb eigener Aktien gleich. Abs. 2 gestattet 536 den Mitgliedstaaten jedoch, diese Gleichstellung nicht auf die laufenden Geschäfte von Banken und anderen Finanzinstituten zu erstrecken; Hintergrund waren die im Depotgeschäft üblichen Pfandklauseln, die nicht unterbunden werden sollten. Zu beachten ist, dass die Gleichstellung des Abs. 1 sich nur auf die Vorschriften der Art. 19, 20 Abs. 1, 22 und 23, nicht hingegen auf die Sanktionsregelungen in Art. 20 Abs. 2 und 3 sowie Art. 21 erstreckt; die Sanktionierung unzulässiger Inpfandnahme bleibt also den Mitgliedstaaten überlassen537. 148 Aus deutscher Sicht war Art. 24 – wie bereits erwähnt – größtenteils eine europarechtliche Bestätigung des bereits geltenden Rechts. Die frühere Regelung des § 71 Abs. 3 Akt 1965 konnte daher im Wesentlichen unverändert in § 71e AktG übernommen werden538, wobei insbesondere auch am tradierten Sanktionssystem (Nichtigkeit

532 So Bezzenberger (Fn. 409), § 71a Rn. 20; s. ferner auch Arnold (Fn. 164), § 27 Rn. 136 (beschränkt auf originären Erwerb i.R.d. Gründung) sowie tendenziell auch Polley in: Heidel, AktG, 3. Aufl. 2011, § 27 Rn. 76. Vgl. zum Ganzen auch Bayer (Fn. 138), § 27 Rn. 94; Bayer/J. Schmidt ZGR 2009, 805, 840. 533 Zutreffend Begr. Rechtsausschuss, BT-Drs. 16/13098, S. 56; Brosius (Fn. 493), S. 81 f.; Cahn/v. Spannenberg (Fn. 495), § 56 Rn. 13; Habersack AG 2009, 557, 562; ders. FS Hopt, 2010, S. 725, 740; vgl. auch Bayer (Fn. 138), § 27 Rn. 94; Bayer/J. Schmidt ZGR 2009, 805, 840; Heidinger/Herrler (Fn. 164), § 27 Rn. 263; Herrler/Reymann DNotZ 2009, 914, 930; s. ferner auch Ekkenga ZIP 2010, 2469, 2472 (Ausnahme für Transaktionen innerhalb eines Konzernverbunds). 534 Vgl. BegrRegE z. KapRiLiG, BT-Drs. 8/1678, S. 16; Edwards S. 73. 535 Vgl. Drinkuth (Fn. 43), S. 216; Edwards S. 73. 536 Vgl. zum Charakter als Mitgliedstaatenoption auch Drinkuth (Fn. 43), S. 216; Edwards S. 73; Werlauff S. 272. 537 Ebenso i.E. Lösekrug (Fn. 9), S. 147; abw. jedoch Werlauff S. 272 (der von einer Nichtigkeit ausgeht). 538 Vgl. Bayer/J. Schmidt (Fn. 6), Rn. 57; Ganske DB 1978, 2461, 2464; Hüffer NJW 1979, 1065, 1069; Kindl ZEuP 1994, 77, 85; Lutter/Drygala (Fn. 409), § 71e Rn. 4; W. Müller WPg 1978, 565, 570.

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des Erwerbs, soweit die Aktien nicht voll eingezahlt werden) festgehalten werden konnte539. Anpassungsbedarf bestand lediglich im Hinblick auf die Ausnahmemöglichkeit für Banken und Finanzinstitute; letztlich handelte es sich hierbei allerdings nur um eine Klarstellung, da die Beschränkung auf „laufende Geschäfte“ auch bereits zuvor der gängigen Praxis entsprach.540

(3) Erwerb durch Tochtergesellschaften, Art. 24a Eine geradezu „klassische“ Möglichkeit der Umgehung der strikten Regeln betreffend 149 Zeichnung und Erwerb eigener Aktien ist ferner die Zwischenschaltung einer Tochtergesellschaft 541. Die ursprüngliche Fassung der RL enthielt hierfür jedoch gleichwohl keine Regelung, da diese Materie der (damals noch in Planung befindlichen) 9. (Konzernrechts-)RL (dazu § 9 Rn. 5 ff.) vorbehalten werden sollte.542 Nachdem jedoch Anfang der 1990er Jahre das Scheitern dieses ambitionierten Projekts (dazu bereits § 9 Rn. 5 ff.) offenkundig geworden war, beugte sich der europäische Gesetzgeber aber schließlich doch den bereits seit langem geäußerten Forderungen 543 nach einer Regelung und fügte durch die Änderungs-RL 92/101/EWG (Rn. 5) die Vorschrift des Art. 24a ein.544 Kernstück der Regelung ist Art. 24a Abs. 1 lit. a: Die Gleichstellung von Zeich- 150 nung, Erwerb oder Besitz von Aktien der Gesellschaft durch eine „abhängige“ Gesellschaft mit demjenigen der Gesellschaft selbst. Zeichnung, Erwerb und Besitz von Aktien durch eine „abhängige“ Gesellschaft sind also prinzipiell nur dann zulässig, wenn die Gesellschaft die Aktien auch selbst zeichnen, erwerben oder besitzen könnte.545 Erfasst werden jedoch nur „abhängige“ Gesellschaften in einer Rechtsform i.S.d. Art. 1 der 1. (Publizitäts-)RL (dazu § 19 Rn. 8 f.) sowie gem. Art. 24a Abs. 1 lit. b auch Gesellschaften aus Drittstaaten in einer vergleichbaren Rechtsform (also z.B. eine corporation nach dem Recht von Delaware).546 Eine die Gleichstellung auslösende „Abhängigkeit“ liegt gem. Art. 24a Abs. 1 lit. a 151 vor, wenn die Aktiengesellschaft „unmittelbar oder mittelbar über die Mehrheit der Stimmrechte“ der Tochter verfügt oder auf diese „unmittelbar oder mittelbar einen beherrschenden Einfluss“ ausüben kann. Angesichts der mangelnde Harmonisierung des Konzernrechts lässt die RL den Mitgliedstaaten im Hinblick auf die Definition 539 Vgl. Bayer/J. Schmidt (Fn. 6), Rn. 57; Ganske DB 1978, 2461, 2464; Lösekrug (Fn. 9), S. 147; W. Müller WPg 1978, 565, 571. 540 Vgl. BegrRegE z. KapRiLiG, BT-Drs. 8/1678, S. 17; Bayer/J. Schmidt (Fn. 6), Rn. 57; W. Müller WPg 1978, 565, 570. 541 Vgl. Bayer/J. Schmidt (Fn. 6), Rn. 55 542 Vgl. Bayer/J. Schmidt (Fn. 6), Rn. 55; Fankhauser (Fn. 54), S. 189; Lutter/Drygala (Fn. 409), § 71d Rn. 4; Merkt (Fn. 401), § 71d Rn. 3; Pipkorn ZHR 141 (1977) 330, 347. 543 Siehe schon Lutter EuR 1975 44, 59; Temple Lang (1972) Irish Jurist 306, 310. 544 Vgl. Bayer/J. Schmidt (Fn. 6), Rn. 55; Fankhauser (Fn. 54), S. 189; Lutter/Drygala (Fn. 409), § 71d Rn. 4. 545 Vgl. Fankhauser (Fn. 54), S. 189. 546 Vgl. dazu auch Drinkuth (Fn. 43), S. 217 f.; Fankhauser (Fn. 54), S. 191.

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dieser Abhängigkeitstatbestände allerdings einen weiten Spielraum: Abs. 3 räumt den Mitgliedstaaten explizit die Definitionsmacht hinsichtlich derjenigen Fälle ein, in denen von einem beherrschenden Einfluss (lit. a), einer Stimmenmehrheit (lit. c) oder einem mittelbaren beherrschenden Einfluss bzw. einer mittelbaren Stimmenmehrheit (lit. b) ausgegangen werden kann. Begrenzt wird dieses Definitionsrecht lediglich durch die in lit. a genannten Fälle, in denen – soweit vom Definitionsrecht Gebrauch gemacht wird – auf jeden Fall die Möglichkeit der Ausübung eines beherrschenden Einflusses anzunehmen ist.547 152 Ferner gestattet die RL den Mitgliedstaaten in zahlreichen Fällen Ausnahmen von der Gleichstellung. Gem. Abs. 2 ist ein Absehen von der Gleichstellung im Falle der bloß mittelbaren „Abhängigkeit“ (mittelbare Stimmenmehrheit oder mittelbar beherrschender Einfluss) zulässig, sofern der betreffende Mitgliedstaat vorsieht, dass die mit den von der Tochter gehaltenen Aktien verbundenen Stimmrechte ausgesetzt werden. Hier sah man auf europäischer Ebene ein geringeres Gefährdungspotential, so dass eine „flexiblere“ Regelung gerechtfertigt erschien.548 Abs. 4 lit. a gestattet den Mitgliedstaaten eine Ausnahme für den Fall, dass die „abhängige“ Gesellschaft lediglich als mittelbarer Stellvertreter (d.h. im eigenen Namen, aber auf fremde Rechnung) handelt und der mittelbar Vertretene weder die Gesellschaft noch eine andere „abhängige Gesellschaft“ ist; in diesem Fall ist der Kapitalschutz zumindest bei wirtschaftlicher Betrachtung nicht tangiert 549. Die Ausnahmemöglichkeit in Abs. 4 lit. b für bestimmte berufsmäßige Wertpapierhändler trägt dem Umstand Rechnung, dass auch hier eine Beeinträchtigung der Ziele der RL ausgeschlossen erscheint.550 Abs. 5 schließlich gestattet es den Mitgliedstaaten, von einer Gleichstellung abzusehen, wenn der maßgebliche Erwerb vor der Begründung des Abhängigkeitsverhältnisses erfolgte; allerdings muss auch dann das Stimmrecht ausgesetzt werden und die Aktien müssen im Hinblick auf die „Bedingung gem. Art. 19 Abs. 1 lit. b“ berücksichtigt werden (i.R.d. Änderungs-RL 2006/68/EG [Rn. 6] wurde die Anpassung des Verweises leider versäumt; gemeint sein dürfte nun wohl Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 lit. i [vgl. dazu o. Rn. 118]).551 153 Nicht unerheblicher Spielraum wird den Mitgliedstaaten aber auch im Hinblick auf die Sanktionierung von Verstößen eingeräumt: Nach der auf niederländischem Vorbild beruhenden552 Optionsmöglichkeit in Abs. 6 können sie von der Anwendung von Art. 20 Abs. 2 und 3 sowie Art. 21 absehen, sofern das Stimmrecht aus den betreffenden Aktien ausgesetzt und das Leitungs- bzw. Verwaltungsorgan553 der Gesell547 Näher zu Inhalt und Entstehungsgeschichte des Abs. 3: Kindl ZEuP 1994, 77, 88 ff.; s. ferner auch Fankhauser (Fn. 54), S. 190 f.; Schwarz Rn. 613. 548 Vgl. Erwägungsgrund 5 zur RL 92/101/EWG (Rn. 5); s. ferner Drinkuth (Fn. 43), S. 219; Kalss (Fn. 32), S. 119, 258 sowie (kritisch) Kindl ZEuP 1994, 77, 91. 549 Ähnlich Drinkuth (Fn. 43), S. 219. 550 Vgl. Erwägungsgrund 7 der RL 92/101/EWG (Rn. 5). S. ferner auch Drinkuth (Fn. 43), S. 219. 551 Siehe dazu auch Drinkuth (Fn. 43), S. 220. 552 Vgl. Kalss (Fn. 32), S. 119, 259. 553 In der deutschen Fassung heißt es zwar nur „Verwaltungsrat“; hierbei handelt es sich jedoch – wie sich aus den übrigen Sprachfassungen (z.B. englisch: „members of the

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schaft verpflichtet wird, die Aktien zum Erwerbspreis von der Tochter zu erwerben (letzteres ist allerdings nicht erforderlich, wenn die Verwaltung nachweist, dass die Gesellschaft an Zeichnung bzw. Erwerb der Aktien gänzlich unbeteiligt war). Das deutsche Aktienrecht bedurfte auf Grund von Art. 24a keiner Anpassung, 154 da Zeichnung und Erwerb eigener Aktien durch Tochtergesellschaften bereits durch § 71d AktG 554 erfasst waren;555 die Vorschrift ist nun aber freilich richtlinienkonform auszulegen556.

5. Kapitaländerungen (Art. 25–40) Neben den Vorschriften zu Kapitalaufbringung und der Kapitalerhaltung enthält die 155 RL als weiteren wesentlichen Regelungskomplex in den Art. 25–40 auch umfassende Vorschriften über Kapitalerhöhungen und -herabsetzungen, die den nationalen Rechtsordnungen auch insoweit einen – teilweise bis ins Detail gehenden – Rahmen vorgeben.

a) Kapitalerhöhungen, Art. 25–29 Grundintention der umfangreichen Vorschriften über die Kapitalerhöhung in Art. 25–29 156 ist der Schutz der (Alt-)Aktionäre;557 dem Schutz der Gläubiger kommt insoweit eher periphere Bedeutung zu558. Das Schutzkonzept der RL ruht dabei im Wesentlichen auf drei Säulen: Erstens die Kompetenzzuweisung an die Hauptversammlung (Art. 25, dazu u. Rn. 157 ff.), zweitens Vorschriften betreffend die ordnungsgemäße Aufbringung des neuen Kapitals (Art. 26–28, dazu u. Rn. 170 ff.) und drittens das in Art. 29 verankerte Prinzip des Bezugsrechts (dazu u. Rn. 183 ff.).559

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administrative or the management organ“) ergibt – ersichtlich um einen Übersetzungsfehler. Unzutreffend daher Kalss (Fn. 32), S. 119, 259, die davon ausgeht, dass das Optionsrecht auf Gesellschaften mit monistischer Leitungsverfassung beschränkt sei. Vgl. zur Historie der Vorschrift ausf. Huber FS Duden, 1977, S. 137 ff. Vgl. Bayer/J. Schmidt (Fn. 6), Rn. 55; Lösekrug (Fn. 9), S. 149; Merkt (Fn. 401), § 71d Rn. 3; Lutter/Drygala (Fn. 409), § 71d Rn. 4. Vgl. Bayer/J. Schmidt (Fn. 6), Rn. 55; Kindl ZEuP 1994, 77, 93 ff.; Lösekrug (Fn. 9), S. 149; Lutter/Drygala (Fn. 409), § 71d Rn. 4. Vgl. EuGH v. 30.5.1991, Karella, Rs. C-19/90 u. C-20/90, Slg. 1991, I-2691, Rn. 25; EuGH v. 24.3.1992, Eleftheras Evangelikis, Rs. C-381/89, Slg. 1992, I-2111, Rn. 32; EuGH v. 12.5.1998, Kefalas, Rs. C-367/96, Slg. 1998, I-2843, Rn. 28; EuGH v. 12.3.1996, Pafitis, Rs. C-441/93, Slg. 1996, I-1347, Rn. 38; EuGH v. 23.3.2000, Diamantis, Rs. C-373/97, Slg. 2000, I-1705, Rn. 32; Bayer/J. Schmidt (Fn. 6), Rn. 59; Drinkuth (Fn. 43), S. 223; Edwards S. 77; Fankhauser (Fn. 54), S. 198; Grundmann Rn. 353; Habersack § 6 Rn. 58; Kalss (Fn. 32), S. 119, 268. Vgl. Bayer/J. Schmidt (Fn. 6), Rn. 59; Fankhauser (Fn. 54), S. 199. Vgl. Bayer/J. Schmidt (Fn. 6), Rn. 59.

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aa) Hauptversammlungskompetenz (1) Grundsatzzuständigkeit der Hauptversammlung, Art. 25 Abs. 1 (a) Ratio und Anwendungsbereich 157 Gem. Art. 25 Abs. 1 S. 1 muss jede Kapitalerhöhung von der Hauptversammlung beschlossen werden. Diese Grundsatzzuständigkeit der Hauptversammlung soll den Aktionären die Gewähr dafür bieten, dass eine Entscheidung, das Grundkapital zu erhöhen und damit die Proportionen der Anteile der Aktionäre zu verändern, nicht ohne ihre Beteiligung an der Ausübung der Entscheidungsbefugnis der Gesellschaft getroffen wird;560 die Begründung zum RL-E 1970 bezeichnete sie denn auch als „unentbehrliche Garantie“ 561. 158 Nach Wortlaut, Systematik und Ratio handelt es sich hierbei insbesondere auch um eine zwingende Zuständigkeit, die nicht satzungsdispositiv ist (arg. e contrario ex Art. 25 Abs. 2) 562 und von der die Mitgliedstaaten – abgesehen von den Fällen des Art. 41 Abs. 1 (dazu u. Rn. 231) – nicht abweichen dürfen. 159 Wie der EuGH bereits im grundlegenden Karella-Urteil aus dem Jahr 1991563 entschieden und später in den – dasselbe griechische Gesetz betreffenden – Urteilen Eleftheras 564, Kerafina 565, Pafitis 566, Kefalas 567 und Diamantis 568 bestätigt hat 569, sind insbesondere auch Ausnahmebestimmungen im Hinblick auf Sanierungsmaßnahmen in Krisensituationen oder sonstige besondere Fallkonstellationen unzulässig. Denn hierfür hat der europäische Gesetzgeber – wie sich im Umkehrschluss aus Art. 19 Abs. 2 und 3, 40 Abs. 2, 41 Abs. 2 und 43 Abs. 2 sowie mit Blick auf Art. 17 – ergibt, gerade keine Ausnahme oder Abweichungsbefugnis vorgesehen.570 Vor allem aber würde durch derartige Ausnahmen auch das von der RL verfolgte Ziel des

560 EuGH v. 12.5.1998, Kefalas, Rs. C-367/96, Slg. 1998, I-2843, Rn. 28; EuGH v. 23.3.2000, Diamantis, Rs. C-373/97, Slg. 2000, I-1705, Rn. 32. 561 Vgl. RL-E 1970 (Fn. 1), S. 14. 562 Bayer/J. Schmidt (Fn. 6), Rn. 61; Grundmann Rn. 354. 563 EuGH v. 30.5.1991, Karella, Rs. C-19/90 u. C-20/90, Slg. 1991, I-2691, Rn. 25 ff. Dazu Edwards S. 79 f.; Habersack § 6 Rn. 59; Fankhauser (Fn. 54), S. 202 ff.; Samara-Krispis/ Steindorff (1992) 29 C.M.L. Rev. 614 ff.; Tellis EuZW 1992, 657 ff.; Tridimas (1992) 17 E.L.Rev. 158 ff.; Werlauff S. 233. 564 EuGH v. 24.3.1992, Eleftheras Evangelikis, Rs. C-381/89, Slg. 1992, I-2111. 565 EuGH v. 12.11.1992, Kerafina, Rs. C-134/91 u. C-135/91, Slg. 1992, I-5699. 566 EuGH v. 12.3.1996, Pafitis, Rs. C-441/93, Slg. 1996, I-1347; dazu auch Hirte EWiR 1996, 1073 f.; Klinke ZGR 1996, 567, 587 ff. 567 EuGH v. 12.5.1998, Kefalas, Rs. C-367/96, Slg. 1998, I-2843. Dazu Roth EWiR 1998, 907 f. 568 EuGH v. 23.3.2000, Diamantis, Rs. C-373/97, Slg. 2000 I-1705. 569 Generell außerst kritisch zu dieser „Griechenland“-Rspr. Schön ZHR 174 (2010) 155 ff. 570 EuGH v. 30.5.1991, Karella, Rs. C-19/90 u. C-20/90, Slg. 1991, I-2691, Rn. 27 f.; EuGH v. 24.3.1992, Eleftheras Evangelikis, Rs. C-381/89, Slg. 1992, I-2111, Rn. 34 f.

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Schutzes der Aktionäre ernstlich in Frage gestellt.571 Wie der EuGH im Pafitis-Urteil ausdrücklich klargestellt hat, gilt diese Rechtsprechung auch für in finanziellen Schwierigkeiten befindliche AG des Bankensektors.572 Gerade deshalb hat diese Judikatur im Kontext der jüngsten globalen Finanz- und Wirtschaftskrise erneut erhebliche Brisanz gewonnen. Die Situation unterscheidet sich allerdings insofern mit Blick auf die globale und systemische Dimension dieser Krise und den europäischen Konsens über die Notwendigkeit effektiver staatlicher Interventionen („Staatsnotstand“) deutlich von den vom EuGH judizierten Sachverhalten.573 Trotz der insoweit verbreitet geltend gemachten wohlbegründeten Bedenken574 erscheint es daher durchaus möglich, dass tatbestandlich und zeitlich eng begrenzte Ausnahmen von der grundsätzlichen Hauptversammlungszuständigkeit zum Zwecke der schnellen und effektiven Durchführung von Rettungsmaßnahmen zugunsten systemrelevanter Banken – wie sie in Deutschland in § 3 FMStBG575 vorgesehen wurden – vor dem Gerichtshof letztlich Stand halten würden.576 Bislang nicht abschließend geklärt ist weiterhin, ob und inwieweit die Hauptver- 160 sammlungszuständigkeit auch noch nach Eröffnung eines Insolvenz- oder Reorganisationsverfahrens gilt. Gesichert ist insoweit auf Grund der Judikatur des EuGH zwar, dass sie im Falle von Abwicklungsregelungen, die die Gesellschaft zum Schutz der Rechte der Gläubiger einer Zwangsverwaltungsregelung unterstellen, keine Geltung mehr beansprucht.577 Problematisch und umstritten ist jedoch, ob Art. 25 nicht

571 EuGH v. 30.5.1991, Karella, Rs. C-19/90 u. C-20/90, Slg. 1991, I-2691, Rn. 26; EuGH v. 24.3.1992, Eleftheras Evangelikis, Rs. C-381/89, Slg. 1992, I-2111, Rn. 33; EuGH v. 12.3.1996, Pafitis, Rs. C-441/93, Slg. 1996, I-1347, Rn. 39; EuGH v. 23.3.2000, Diamantis, Rs. C-373/97, Slg. 2000, I-1705, Rn. 32. 572 EuGH v. 12.3.1996, Pafitis, Rs. C-441/93, Slg. 1996, I-1347, Rn. 24, 41. 573 Vgl. Bayer (Fn. 175), § 202 Rn. 149; Köndgen ZBB 2009, 142, 147; Krämer/Kiefner AG 2008, R507, R508; Noack AG 2009, 227, 231; Wieneke/Fett NZG 2009, 8, 12. 574 Vgl. Becker/Mock, FMStG, 2009, § 3 FMStBG Rn. 11 ff.; Binder WM 2008, 2340, 2346 f.; Brück/Schalast/Schanz BB 2008, 2526, 2531 f.; Hopt/Fleckner/Kumpan/Steffek WM 2009, 821, 826; Köndgen ZBB 2009, 142, 147; Mock EWiR 2009, 383, 384; Roitzsch/ Wächter DZWiR 2009, 1, 2; Seiler/Wittgens ZIP 2008, 2245, 2248; Spindler DStR 2008, 2268, 2273; Veranneman/Gärtner in: Jaletzky/Veranneman, FMStBG, 2009, § 3 Rn. 11; Verse ZGR 2010, 299, 313; Waclawik ZIP 2008, 2339; Ziemons DB 2008, 2635, 2637 f.; zweifelnd ferner auch LG München I ZIP 2011, 376, 380 (m. Anm. Bayer/J. Schmidt EWiR 2011, 187 f.); Ohler WiVerw 2010, 47, 52. 575 Gesetz zur Beschleunigung und Vereinfachung des Erwerbs von Anteilen an sowie Risikopositionen von Unternehmen des Finanzsektors durch den Fonds „Finanzmarktstabilisierungsfonds – FMS“ (Finanzmarktstabilisierungsbeschleunigungsgesetz) v. 17.10.2008, BGBl. I, 1982. 576 Vgl. Bayer (Fn. 175), § 202 Rn. 149; Köndgen ZBB 2009, 142, 147; Noack AG 2009, 227, 230 f.; Schuster ZGR 2010, 325, 351; Seibert FS Hopt, 2010, S. 2525, 2539 ff.; Wieneke/ Fett NZG 2009, 8, 12; letztlich wohl auch Langenbucher ZGR 2010, 75, 85; s. ferner auch Bayer/J. Schmidt EWiR 2011, 187, 188. 577 Vgl. EuGH v. 30.5.1991, Karella, Rs. C-19/90 u. C-20/90, Slg. 1991, I-2691, Rn. 30; EuGH v. 24.3.1992, Eleftheras Evangelikis, Rs. C-381/89, Slg. 1992, I-2111, Rn. 27; EuGH v. 12.3.1996, Pafitis, Rs. C-441/93, Slg. 1996, I-1347, Rn. 57 ff.

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zumindest für Kapitalerhöhungen zu Sanierungszwecken im Rahmen eines Insolvenz- oder Reorganisationsverfahrens gilt; praktisch relevant wird dies etwa bei einem debt-to-equity-swap i.R.e. Insolvenzplanverfahrens (der RegE zum ESUG 578 sieht nun eine spezielle Regelung in § 225a Abs. 2 InsO vor) oder i.R.e. Reorganisationsverfahrens nach § 9 KredReorgG 579.580 161 Vor dem Hintergrund der gesamten Diskussion hat die Kommission nun im Rahmen ihrer im Januar 2011 eingeleiteten Konsultation über einen möglichen Rahmen für ein europäisches Krisenmanagement im Finanzsektor erwogen, künftig zumindest für Finanzinstitute spezielle Sonder- oder Ausnahmeregelungen zur Bewältigung von Krisenfällen zu schaffen.581

(b) Ggf. Sonderbeschluss von Gattungsaktionären 162 Sind mehrere Gattungen von Aktien vorhanden, so bedarf es gem. Art. 25 Abs. 3 sogar eines gesonderten Beschlusses der Aktionäre jeder Gattung, deren Rechte durch die Maßnahme berührt werden. Die Notwendigkeit derartiger Sonderbeschlüsse erklärt sich daraus, dass sich durch eine Kapitalerhöhung auch das Verhältnis der Aktiengattungen untereinander verschieben kann.582 Wann genau die Rechte von Gattungsaktionären „berührt“ sind, ist allerdings noch nicht abschließend geklärt.583 Irrelevant dürfte aber jedenfalls sein, ob die Aktien Stimmrechte verleihen oder nicht.584

578 Entwurf für ein Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG), BR-Drs. 127/11. Die Regierungsbegründung setzt sich dabei auf S. 26 f. ausführlich der Problematik im Hinblick auf die RL auseinander, bejaht aber i.E. die Richtlinienkonformität. 579 Gesetz zur Reorganisation von Kreditinstituten (Kreditinstitute-Reorganisationsgesetz – KredReorgG) v. 9.12.2010, BGBl. I, 1900. 580 Zu dieser Problematik Bachmann ZBB 2010, 459, 464, 466; Drouven ZIP 2009, 1052; Eidenmüller FS Hopt, 2010, S. 1713, 1728 1730; Eidenmüller/Engert ZIP 2009, 541, 547 f.; H.-F. Müller KTS 2011, 1, 13 f.; Richter ECFR 2009, 358, 361 ff.; K. Schmidt BB 2011, 1603, 1609 f.; Schön ZHR 174 (2010) 155 ff.; Schuster ZGR 2010, 325, 350 f.; Schuster/Westpfahl DB 2011, 221, 228 ff.; Verse ZGR 2010, 299, 313 f.; s. ferner BegrRegE z. KredReorgG BT-Drs. 17/3024, S. 56; BegrRegE z. ESUG, BR-Drs. 127/11, S. 26 f. (dazu bereits Fn. 578); ausf. Hohlbein, Sanierung insolventer Unternehmen durch Private Equity, 2010, S. 521 ff. 581 Vgl. DG MARKT, Technical Details of a possible EU Framework for bank recovery and resolution (abrufbar unter http://ec.europa.eu/internal_market/consultations/docs/ 2011/crisis_management/consultation_paper_en.pdf), S. 93 f. 582 EuGH v. 12.3.1996, Pafitis, Rs. C-441/93, Slg. 1996, I-1347, Rn. 39 ff. 583 Vgl. zu diesem Problem näher Edwards S. 78; Fankhauser (Fn. 54), S. 200; Kalss (Fn. 32), S. 119, 268 f.; Werlauff S. 235. 584 Vgl. näher zur Problematik der Anwendbarkeit von Art. 25 Abs. 3 auf Vorzugsaktionäre: Brause, Stimmrechtslose Vorzugsaktien bei Umwandlungen, 2002, S. 60 ff.; Grundmann Rn. 354; Lösekrug (Fn. 9), S. 158 ff. m.w.N.

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(c) Publizität, Mehrheitserfordernisse Gem. Art. 25 Abs. 1 S. 2 sind der Hauptversammlungsbeschluss585 sowie die Durch- 163 führung der Kapitalerhöhung nach Maßgabe der nationalen Umsetzungsvorschriften zu Art. 3 der 1. (Publizitäts-)RL586 (dazu § 19 Rn. 13 ff.) offen zu legen. Mehrheitserfordernisse sind in Art. 25 zwar nicht geregelt, im Umkehrschluss 164 aus Art. 40 Abs. 1 ergibt sich jedoch, dass eine einfache Stimmenmehrheit genügt.587 Den Mitgliedstaaten steht es insoweit jedoch frei, eine höhere Stimmen- oder ggf. zusätzlich auch eine Kapitalmehrheit vorzusehen.588

(d) Einwand des Rechtsmissbrauchs Bereits mehrfach Gegenstand der Rechtsprechung des EuGH war die Frage, inwie- 165 weit einem Aktionär, der eine Verletzung des Art. 25 Abs. 1 geltend macht, der Einwand des Rechtsmissbrauchs entgegengehalten werden kann.589 Der Gerichtshof hat dies im Hinblick auf die Ratio der Vorschrift nur in sehr engen Grenzen zugelassen. Eine missbräuchlich Ausübung kann einem Aktionär insbesondere nicht allein deshalb zur Last gelegt werden, weil er Minderheitsaktionär ist,590 weil ihm die Sanierung der einer Sanierungsregelung unterliegenden Gesellschaft zu Gute gekommen ist,591 weil er sein Bezugsrecht nicht ausgeübt hat,592 weil er zu den Aktionären gehört, die die Unterstellung der Gesellschaft unter eine für Gesellschaften in ernsten Schwierigkeiten geltende Regelung beantragt haben,593 oder weil er vor der Klageerhebung eine gewisse Zeit hat verstreichen lassen594. In der Rs. Diamantis 595 hat der EuGH die Annahme eines Rechtsmissbrauchs allerdings ausnahmsweise für den Fall als richtlinienkonform anerkannt, dass ein Aktionär sich unter mehreren ihm zur Verfügung

585 Bzw. in den Fällen des Art. 25 Abs. 3 die Beschlüsse. 586 Der Verweis auf Art. 3 der RL 68/151/EWG ist als Verweis auf Art. 3 der kodifizierten Fassung (RL 2009/101/EG) zu lesen, vgl. Art. 16 Abs. 2 RL 2009/101/EG. 587 Vgl. Bayer/J. Schmidt (Fn. 6), Rn. 61; Drinkuth (Fn. 43), S. 224; Grundmann Rn. 353; Habersack § 6 Rn. 61; Lösekrug (Fn. 9), S. 155; Nobel (Fn. 6), Kap. 2 Rn. 110; Werlauff S. 234. 588 Vgl. Drinkuth (Fn. 43), S. 224 ff.; Habersack § 6 Rn. 61; Lösekrug (Fn. 9), S. 156; Nobel (Fn. 6), Kap. 2 Rn. 110. 589 Vgl. dazu Edwards, S. 80 ff.; Grundmann Rn. 353; Fankhauser (Fn. 54), S. 202 ff.; Habersack § 6 Rn. 60; Schwarz Rn. 617. 590 EuGH v. 23.3.2000, Diamantis, Rs. C-373/97, Slg. 2000, I-1705, Rn. 36. 591 EuGH v. 12.5.1998, Kefalas, Rs. C-367/96, Slg. 1998, I-2843, Rn. 23 f.; EuGH v. 12.3.1996, Pafitis, Rs. C-441/93, Slg. 1996, I-1347, Rn. 70; EuGH v. 23.3.2000, Diamantis, Rs. C-373/97, Slg. 2000, I-1705, Rn. 36. 592 EuGH v. 12.5.1998, Kefalas, Rs. C-367/96, Slg. 1998, I-2843, Rn. 26 f.; EuGH v. 23.3. 2000, Diamantis, Rs. C-373/97, Slg. 2000, I-1705, Rn. 36. 593 EuGH v. 23.3.2000, Diamantis, Rs. C-373/97, Slg. 2000, I-1705, Rn. 37. 594 EuGH v. 23.3.2000, Diamantis, Rs. C-373/97, Slg. 2000, I-1705, Rn. 39. 595 EuGH v. 23.3.2000, Diamantis, Rs. C-373/97, Slg. 2000, I-1705, Rn. 43.

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stehenden Rechtsbehelfen für denjenigen entscheidet, der den berechtigten Interessen Dritter einen derart schweren Schaden zufügt, dass er offensichtlich unverhältnismäßig ist. (2) Genehmigtes Kapital, Art. 25 Abs. 2 166 Im Hinblick auf die einem Hauptversammlungsbeschluss immanente Schwerfälligkeit ist es von enormer praktischer Bedeutung, dass die RL in Art. 25 Abs. 2 auch ein sog. genehmigtes Kapital ermöglicht, durch das der Verwaltung die nötige Flexibilität eingeräumt werden kann, um schnell und effektiv auf die sich am Markt bietenden Chancen reagieren zu können.596 Gem. Art. 25 Abs. 2 S. 1 kann die Satzung, der Errichtungsakt oder die Hauptversammlung zu einer Erhöhung des gezeichneten Kapitals bis zu einem Höchstbetrag ermächtigen. Die Festlegung der exakten Höhe des Höchstbetrages bleibt insoweit den Mitgliedstaaten überlassen.597 Im Falle einer Ermächtigung durch die Hauptversammlung ist diese nach Maßgabe der nationalen Umsetzungsvorschriften zu Art. 3 der 1. (Publizitäts-)RL (dazu § 19 Rn. 13 ff.) offen zu legen.598 Der Hauptversammlungsbeschluss bedarf dabei – ebenso wie bei der regulären Kapitalerhöhung (vgl. o. Rn. 164) – der einfachen Stimmenmehrheit (arg. e contrario ex Art. 40 Abs. 1); die Mitgliedstaaten können aber auch insoweit strengere Anforderungen vorsehen. Als zeitliche Obergrenze für eine Ermächtigung sieht Art. 25 Abs. 2 S. 3 eine Maximaldauer von 5 Jahren vor; eine von der Hauptversammlung erteilte Ermächtigung kann allerdings ein- oder mehrmals für einen bestimmten Zeitraum – der jedoch jeweils 5 Jahre nicht überschreiten darf – verlängert werden. Da es sich jedoch auch insoweit lediglich um einen Mindeststandard handelt, steht es den Mitgliedstaaten frei, eine kürzere Maximaldauer oder einen Ausschluss bzw. eine Beschränkung der Erneuerungsmöglichkeit vorzusehen 599 oder sogar vollkommen auf die Möglichkeit eines genehmigten Kapitals zu verzichten600. Hinsichtlich des Fristbeginns macht die RL keine Vorgaben; den Mitgliedstaaten steht es insofern frei, ob sie die Frist bereits mit dem Ermächtigungsbeschluss oder – im Interesse von Systemkonsistenz mit anderen nationalen Regelungen – erst später beginnen lassen.601 167 Sofern eine derartige Satzungs- bzw. Hauptversammlungsermächtigung besteht, kann das nach dem jeweiligen nationalen Recht zuständige Verwaltungsorgan innerhalb der Grenzen des in der Ermächtigung festgelegten Betrages eine Erhöhung des gezeichneten Kapitals beschließen. Die Verwaltung entscheidet also, ob, wann und in welchem Rahmen sie von der Ermächtigung Gebrauch macht. 596 597 598 599

Vgl. Bayer/J. Schmidt (Fn. 6), Rn. 60; Grohmann (Fn. 46), S. 292; Habersack § 6 Rn. 63. Vgl. Drinkuth (Fn. 43), S. 228; Fankhauser (Fn. 54), S. 206; Grundmann Rn. 355. Vgl. Fankhauser (Fn. 54), S. 207; Habersack § 6 Rn. 63; Kalss (Fn. 32), S. 119, 270. Vgl. Drinkuth (Fn. 43), S. 228; Grundmann Rn. 355; Habersack § 6 Rn. 63; Schwarz Rn. 619. Gegen die Möglichkeit einer Verkürzung der 5-Jahres-Frist jedoch (zu Unrecht) Fankhauser (Fn. 54), S. 206. 600 Drinkuth (Fn. 43), S. 229 f.; Habersack § 6 Rn. 63; Schwarz Rn. 619. 601 Vgl. OLG Hamm AG 2009, 791; Bayer (Fn. 175), § 202 Rn. 60; a.A. Hirte in: GroßkommAktG, 4. Aufl. 2001, § 202 Rn. 42, 145; Werlauff S. 231.

Die Kapitalrichtlinie (2. Richtlinie)

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(3) Wandel- und Optionsanleihen, Art. 25 Abs. 4 Gem. dem – auf belgischem Vorbild beruhenden 602 – Art. 25 Abs. 4 gelten die Vor- 168 gaben der Abs. 1–3 auch für die Ausgabe aller Wertpapiere, die in Aktien umgewandelt werden können oder mit einem Bezugsrecht auf Aktien verbunden sind. Ratio ist, dass derartige Wertpapiere, insbesondere sog. Wandel- und Optionsanleihen, künftigen Einfluss auf die Beteiligungsstruktur implizieren (die Ausübung der Rechte aus solchen Wertpapieren konkurriert mit dem Bezugsrecht der Aktionäre) 603, so dass eine Erstreckung der Grundsatzzuständigkeit der Hauptversammlung auch insoweit geboten erscheint.604 Den Vorgaben des Art. 25 Abs. 1–3 unterliegt allerdings ausschließlich die Ausgabe solcher Wertpapiere, nicht hingegen deren Umwandlung oder die Ausübung des Bezugsrechts (Art. 25 Abs. 4 a.E.); insoweit bedarf es keiner Mitwirkung der Hauptversammlung.605

(4) Umsetzung in Deutschland In Deutschland konnte angesichts des insoweit generell sehr liberalen Konzepts der 169 RL unproblematisch am etablierten dreigliedrigen System aus ordentlicher (§§ 182 ff. AktG) und bedingter Kapitalerhöhung (§§ 192 ff. AktG) sowie genehmigtem Kapital (§§ 202 ff. AktG) festgehalten werden.606 Weiterhin konnte auch der traditionell hohe Schutzstandard im Hinblick auf die Mehrheitserfordernisse beibehalten werden: Das deutsche Aktienrecht fordert bei sämtlichen Varianten der Kapitalerhöhung nicht nur eine einfache Stimmenmehrheit (§ 133 Abs. 1 AktG), sondern darüber hinaus auch eine qualifizierte Mehrheit von drei Vierteln des bei der Beschlussfassung vertretenen Grundkapitals (§§ 182 Abs. 1 S. 1, 193 Abs. 1 S. 1, 202 Abs. 2 S. 2 AktG).607 Über den Mindeststandard der RL geht das deutsche Recht ferner auch insoweit hinaus, als das bedingte und das genehmigte Kapital jeweils auf die Hälfte des Grundkapitals beschränkt sind (§§ 192 Abs. 3 S. 1, 202 Abs. 3 S. 1 AktG).608 Die strengen Publizitätsanforderungen des Art. 25 waren aus deutscher Sicht kein Novum; das AktG entsprach diesen Vorgaben bereits (vgl. §§ 184 Abs. 1, 188, 195, 201, 203 Abs. 1 S. 1 AktG).609 Umsetzungsbedarf bestand allerdings im Hinblick auf Art. 25 Abs. 4; im

602 603 604 605 606 607 608 609

Vgl. Edwards S. 79. Vgl. Habersack § 6 Rn. 62; Kalss (Fn. 32), S. 119, 269. Vgl. bereits RL-E 1970 (Fn. 1), S. 14. S. ferner Habersack § 6 Rn. 62. Vgl. Bayer/J. Schmidt (Fn. 6), Rn. 63 Fn. 235; Edwards S. 79; Grundmann Rn. 353; Habersack § 6 Rn. 62. Vgl. Bayer/J. Schmidt (Fn. 6), Rn. 60. Vgl. zur Zulässigkeit höherer Mehrheitserfordernisse bereits oben Rn. 163, 166. Speziell zur Zulässigkeit der deutschen Umsetzung: Bayer/J. Schmidt (Fn. 6), Rn. 60; Habersack § 6 Rn. 61; Lösekrug (Fn. 9), S. 155 f., 164. Vgl. Bayer/J. Schmidt (Fn. 6), Rn. 60; Schwarz Rn. 619. Vgl. Bayer/J. Schmidt (Fn. 6), Rn. 62; Habersack § 6 Rn. 64; Lösekrug (Fn. 9), S. 156 f.

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Hinblick darauf war die Einführung des heutigen § 221 Abs. 2 AktG erforderlich.610 Zur Problematik im Hinblick auf § 3 FMStBG vgl. bereits Rn. 158.

bb) Aufbringung des neuen Kapitals, Art. 26–28 170 Im Hinblick darauf, dass die reale Kapitalaufbringung im Falle einer Kapitalerhöhung grundsätzlich ebenso gewährleistet sein muss wie bei der erstmaligen Aufbringung des Grundkapitals,611 enthalten Art. 26–28 detaillierte Regelungen betreffend die Aufbringung des neuen Kapitals. Diese entsprechen aber angesichts der vergleichbaren Interessenlage auch materiell weitgehend den bereits erläuterten Regeln über die Aufbringung des Gründungskapitals (Art. 9 ff., dazu Rn. 42 ff.).612

(1) Einlagefähigkeit und Leistungszeitpunkt 171 Einlagefähig sind selbstverständlich auch i.R.e. Kapitalerhöhung nur Vermögensgegenstände, deren wirtschaftlicher Wert feststellbar ist, nicht hingegen Verpflichtungen zu Arbeits- oder Dienstleistungen, denn auch insoweit gilt die allgemeine Regelung des Art. 7 (dazu Rn. 37 f.). 172 Die Vorschriften der Art. 26 und 27 Abs. 1 hinsichtlich des Leistungszeitpunktes entsprechen weitgehend denjenigen des Art. 9. Bareinlagen müssen gem. Art. 26 S. 1 in Höhe von mind. 25 % des Nennbetrages bzw. rechnerischen Wertes geleistet werden (vgl. Art. 9 Abs. 1 bei der Gründung, dazu Rn. 42). Ist ein Agio vorgesehen, so muss dieses nach der ausdrücklichen Anordnung in Art. 26 S. 2 – anders als im Falle der Gründung (vgl. Rn. 42) – in voller Höhe geleistet werden.613 Sacheinlagen müssen gem. Art. 27 Abs. 1 – ebenso wie bei der Gründung (vgl. Art. 9 Abs. 2, dazu Rn. 43) – erst innerhalb von 5 Jahren geleistet werden, wobei Anknüpfungspunkt hier freilich der Beschluss über die Erhöhung des gezeichneten Kapitals ist.

(2) Wertprüfung bei Sacheinlagen 173 Im Falle von Sacheinlagen bedarf es gem. Art. 27 Abs. 2 S. 1 grundsätzlich auch bei der Kapitalerhöhung einer Wertprüfung durch einen oder mehrere unabhängige Sachverständige. Diese können – ebenso wie bei der Gründung (Rn. 46) – natürliche

610 Vgl. Bayer/J. Schmidt (Fn. 6), Rn. 63; Ganske DB 1978, 2461, 2465; Hüffer NJW 1979, 1065, 1070; W. Müller WPg 1978, 565, 574; Schwarz Rn. 620. 611 Vgl. bereits RL-E 1970 (Fn. 1), S. 14. S. ferner Schwarz Rn. 618. 612 Vgl. Bayer/J. Schmidt (Fn. 6), Rn. 64; Edwards S. 83; Fankhauser (Fn. 54), S. 207; Grundmann Rn. 356; Habersack § 6 Rn. 65; Nobel (Fn. 6), Kap. 2 Rn. 111. 613 Vgl. auch Edwards S. 83; Fankhauser (Fn. 54), S. 208; Grundmann Rn. 356; Habersack § 6 Rn. 65; Kalss (Fn. 32), S. 119, 273; Werlauff S. 246.

Die Kapitalrichtlinie (2. Richtlinie)

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Personen, juristische Personen oder Gesellschaften sein; sie müssen aber jedenfalls durch eine Verwaltungsbehörde oder ein Gericht bestellt oder zugelassen sein. Hinsichtlich des Inhaltes des Berichts (und damit auch des Gegenstandes der Prüfung) verweist Art. 27 Abs. 2 S. 3 auf Art. 10 Abs. 2 (dazu Rn. 47). Die Wertprüfung erstreckt sich dabei insoweit – ebenso wie richtiger Ansicht nach auch bei der Gründung (Rn. 47) – insbesondere auch darauf, ob ein etwaiges Agio vom Wert der Sacheinlage gedeckt ist; bei der Kapitalerhöhung kann hieran schon im Hinblick auf die ausdrückliche Regelung in Art. 26 S. 2 kein Zweifel bestehen.614 Der Bericht des/der Sachverständigen ist – ebenso wie im Falle der Gründung – nach den nationalen Umsetzungsvorschriften zu Art. 3 der 1. (Publizitäts-)RL615 (dazu § 19 Rn. 13 ff.) offen zu legen (Art. 27 Abs. 2 S. 3 i.V.m. Art. 10 Abs. 3). Die RL lässt allerdings in bestimmten Fällen Ausnahmen vom Wertprüfungs- 174 erfordernis zu: Sie gestattet es nämlich den Mitgliedstaaten, in drei Fallkonstellationen von einer Wertprüfung abzusehen. Erstens erklärt Art. 27 Abs. 2 S. 3 die Mitgliedstaatenoptionen der Art. 10a und 10b für anwendbar (dazu Rn. 54 ff.); die durch die Änderungs-RL 2006/68/EG (Rn. 6) erhöhte Flexibilität wurde konsequenterweise auch auf die Kapitalerhöhung erstreckt.616 Anders als i.R.d. Gründung (vgl. o. Rn. 59) ist für Kapitalerhöhungen in den Fällen des Art. 10a Abs. 2 und 3 jedoch ein Minderheitenrecht (Quorum: 5 % des gezeichneten Kapitals) zur Durchsetzung einer Neubewertung vorgesehen (Art. 10a Abs. 2 Unterabs. 3 bzw. Abs. 3 Unterabs. 2). Ein entsprechender Antrag kann noch bis zum Tag der tatsächlichen Einbringung des Vermögensgegenstandes gestellt werden. Damit dieses Minderheitenrecht auch tatsächlich effektiv wahrgenommen werden kann617, verlangt Art. 10b Abs. 2 S. 1, dass das Datum des Kapitalerhöhungsbeschlusses und die Angaben nach Art. 10b Abs. 1 noch vor Wirksamwerden der Einbringung des Vermögensgegenstandes in einer gesonderten Bekanntmachung gem. Art. 3 der 1. (Publizitäts-)RL618 (dazu § 19 Rn. 13 ff.) offen gelegt werden. Dafür reduziert sich dann aber der Inhalt der Erklärung nach Art. 10b Abs. 1 (dazu o. Rn. 60) darauf, dass seit dieser Offenlegung keine neuen Umstände eingetreten sind. Zweitens können die Mitgliedstaaten gem. Art. 27 Abs. 3 Unterabs. 1 – in 175 Parallele zu Art. 10 Abs. 5 (dazu o. Rn. 52) – von einer Wertprüfung absehen, wenn die Kapitalerhöhung zur Durchführung einer Verschmelzung, einer Spaltung 619 614 Ausf. Bayer (Fn. 175), S. 21, 31 ff.; ebenso Bayer (Fn. 175), § 205 Rn. 22 ff.; Bayer/ J. Schmidt (Fn. 6), Rn. 65; dies. ZGR 2009, 805, 843 f.; Drinkuth (Fn. 43), S. 233; Habersack § 6 Rn. 65; Handelsrechtsausschuss des DAV NZG 2008, 534, 535, 540; Lösekrug (Fn. 9), S. 165 f. 615 Der Verweis auf Art. 3 der RL 68/151/EWG ist als Verweis auf Art. 3 der kodifizierten Fassung (RL 2009/101/EG) zu lesen, vgl. Art. 16 Abs. 2 RL 2009/101/EG. 616 Vgl. dazu SEK(2004) 1342, S. 7. 617 Vgl. Schäfer Konzern 2007, 407, 411. 618 Der Verweis auf Art. 3 der RL 68/151/EWG ist als Verweis auf Art. 3 der kodifizierten Fassung (RL 2009/101/EG) zu lesen, vgl. Art. 16 Abs. 2 RL 2009/101/EG. 619 Die Option wurde erst kürzlich durch die Änderungs-RL 2009/109/EG (Rn. 6) auch auf Spaltungen erstreckt, um die insofern bis dato bestehende Inkonsistenz zu beseitigen, vgl. KOM(2008) 576, S. 4 f., 9; SEC(2008) 2486, S. 31 f.

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oder eines öffentlichen Übernahme- oder Umtauschangebotes zu dem Zweck erfolgt, das Entgelt an die Aktionäre der übertragenden Gesellschaft, der gespaltenen Gesellschaft oder einer Gesellschaft zu leisten, die Gegenstand des öffentlichen Übernahme- oder Umtauschangebots ist. Ratio ist hier die Vermeidung überflüssiger (Doppel-)Bewertungen, da die 3. (Fusions-)RL (dazu § 21 Rn. 51 ff.), die 6. (Spaltungs-)RL (dazu § 22 Rn. 44 ff.), die 10. RL (dazu § 23 Rn. 67 ff.) sowie die Übernahme-RL (dazu § 30) insoweit inzwischen spezielle Prüfungen bzw. sonstige Schutzvorkehrungen vorsehen.620 Im Falle einer Verschmelzung oder Spaltung darf von der Wertprüfung – entsprechend der Ratio der Norm – aber nur abgesehen werden, wenn auch tatsächlich ein Verschmelzungs- bzw. Spaltungsprüfungsbericht erstellt wird 621 (Art. 27 Abs. 3 Unterabs. 2). Gem. Art. 27 Abs. 3 Unterabs. 3 können die Mitgliedstaaten statt eines völligen Verzichts auf die Wertprüfung auch die Erstellung beider Berichte durch den- bzw. dieselben Sachverständigen gestatten.622 176 Drittens schließlich gestattet Art. 27 Abs. 4 den Mitgliedstaaten einen Verzicht auf die Wertprüfung, wenn alle Aktien gegen Sacheinlage durch eine oder mehrere Gesellschaften ausgegeben werden, sofern alle Aktionäre der empfangenden Gesellschaft auf die Erstellung des Sachverständigenberichts verzichtet haben und die Bedingungen in Art. 10 Abs. 4 lit. a–f (dazu o. Rn. 51) erfüllt sind.

(3) Sonstiges 177 Die Vorschriften über die Nachgründung in Art. 11 finden hingegen im Falle einer Kapitalerhöhung keine Anwendung 623, denn Art. 27 Abs. 2 S. 3 verweist explizit lediglich auf Art. 10 Abs. 2 und 3 sowie auf Art. 10a und 10b624. Im Hinblick darauf, dass die RL auch für Kapitalerhöhungen lediglich einen Mindeststandard festlegt, steht es den Mitgliedstaaten allerdings frei, ihre nationalen Nachgründungsvorschriften auch auf Kapitalerhöhungen zu erstrecken.625 Darüber hinaus können sie aber –

620 Vgl. Bayer/J. Schmidt ZIP 2010, 953, 956; Edwards S. 84; Grundmann Rn. 356; s. ferner auch KOM(2008) 576, S. 4 f., 9; SEC(2008) 2486, S. 31 f. 621 Hintergrund sind die in der 3. (Fusions-)RL, 6. (Spaltungs-)RL und 10. RL vorgesehenen Ausnahmen (vgl. dazu § 21 Rn. 59 f., 137, 144; § 22 Rn. 50 f., 106; § 23 Rn. 75 f., 124 f.), vgl. KOM(2008) 576, S. 9; Bayer/J. Schmidt ZIP 2010, 953, 957. 622 Diese Option war ursprünglich ausdrücklich nur für Spaltungen vorgesehen (vgl. Art. 8 Abs. 3 der 6. (Spaltungs-)RL a.F.). Durch die Änderungs-RL 2009/109/EG (Rn. 6) wurde sie aber im Interesse der Regelungskonsistenz in Art. 27 Abs. 3 Unterabs. 3 n.F. konsolidiert und ausdrücklich auch auf Verschmelzungen erstreckt, vgl. KOM(2008) 576, S. 4 f., 9; SEC(2008) 2486, S. 31 f.; Bayer/J. Schmidt ZIP 2010, 953, 956; dies. BB 2010, 387, 389; Sandhaus NZG 2009, 41, 46. Einer Personenidentität dürfte allerdings auch zuvor nichts entgegengestanden haben, vgl. Bayer/J. Schmidt ZIP 2010, 953, 956. 623 Vgl. Drinkuth (Fn. 43), S. 234; Habersack § 6 Rn. 66; Lösekrug (Fn. 9), S. 167; Nobel (Fn. 6), Kap. 2 Rn. 111. 624 Vgl. Drinkuth (Fn. 43), S. 234; Habersack § 6 Rn. 66; Lösekrug (Fn. 9), S. 167; Nobel (Fn. 6), Kap. 2 Rn. 111. 625 Vgl. Drinkuth (Fn. 43), S. 237; Habersack § 6 Rn. 66; Nobel (Fn. 6), Kap. 2 Rn. 111.

Die Kapitalrichtlinie (2. Richtlinie)

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ebenso wie bei der Gesellschaftsgründung (vgl. Rn. 68 ff.) – auch weitergehende Maßnahmen zum Umgehungsschutz vorsehen.626 Art. 28 schließlich betrifft den Fall, dass eine Kapitalerhöhung nicht voll gezeich- 178 net wird. In diesem Fall wird das Kapital nur dann um den Betrag der eingegangenen Zeichnungen erhöht, wenn die Ausgabebedingungen diese Möglichkeit ausdrücklich vorgesehen haben. Das Konzept der RL basiert also auf dem Volleinzahlungsprinzip 627, Abweichungen hiervon sind nur bei ausreichender Transparenz 628 zulässig.

(4) Umsetzung in Deutschland Für das deutsche Aktienrecht bedeuteten die Regelungen in Art. 26 und 27 erheb- 179 lichen Anpassungsbedarf, der letztlich dazu führte, dass das deutsche System der realen Kapitalaufbringung deutlich verbessert wurde629. Die in Art. 27 Abs. 2 vorgeschriebene obligatorische Prüfung sämtlicher Sacheinlagen war aus deutscher Sicht nämlich ein völliges Novum, denn nach dem AktG 1965 war eine Prüfung nur dann durchzuführen, wenn das Registergericht Zweifel an der Werthaltigkeit der Sacheinlage hatte. Die betreffenden Vorschriften der §§ 184 Abs. 3, 188 Abs. 4, 195 Abs. 3 AktG 1965 mussten daher i.R.d. Umsetzung der RL gestrichen werden; stattdessen wurde durch die neu eingefügten §§ 183 Abs. 3, 194 Abs. 4, 205 Abs. 3 (heute Abs. 5) AktG generell die Prüfung von Sacheinlagen angeordnet.630 Auf Grund von Art. 27 Abs. 2 S. 3 i.V.m. Art. 10 Abs. 3 bedurfte es ferner einer Ergänzung der Publizitätspflichten dahingehend, dass auch der Prüfungsbericht beim Handelsregister einzureichen ist (§ 184 Abs. 1 S. 2 AktG i.d.F.d. KapRiLiG [jetzt § 184 Abs. 2 AktG], § 195 Abs. 2 Nr. 1 AktG).631 Mit dem ARUG632 hat der Gesetzgeber nun aber zumindest partiell 633 von den neuen Optionen gem. Art. 27 Abs. 2 S. 3 i.V.m. Art. 10a und 10b Gebrauch gemacht und die Möglichkeit eines „vereinfachten Verfahrens“ ohne externe Wertprüfung unter den Voraussetzungen des neuen § 33a AktG konsequenterweise auch auf alle Varianten der effektiven Kapitalerhöhung erstreckt (§§ 183a

626 Vgl. Drinkuth (Fn. 43), S. 237; Habersack § 6 Rn. 66. 627 Vgl. Fankhauser (Fn. 54), S. 208. S. ferner auch Kalss (Fn. 32), S. 119, 275 f.; Morse (1977) 2 E.L. Rev. 126, 130. 628 Vgl. dazu Grohmann (Fn. 46), S. 295 f. 629 Vgl. Bayer/J. Schmidt (Fn. 6), Rn. 64. Art. 24 RL-E 1970 (Fn. 1) hatte demgegenüber noch vorgesehen, dass die Hauptversammlung über die Gültigkeit entscheiden sollte, wenn die Kapitalerhöhung nicht voll gezeichnet wurde, vgl. dazu näher Edwards S. 84; Fankhauser (Fn. 54), S. 208 f. 630 Vgl. Bayer/J. Schmidt (Fn. 6), Rn. 64; Ganske, DB 1978, 2461, 2465; Hüffer NJW 1979, 1065, 1070; W. Müller WPg 1978, 565, 573. 631 Die durch das KapRiLiG (Rn. 10) eingeführten Zusatzbekanntmachungspflichten in §§ 190 S. 1, 196 S. 1 AktG wurden durch das EHUG m.W.v. 1.1.2007 gestrichen, vgl. dazu BegrRegE z. EHUG, BT-Drs. 16/960, S. 34, 66. 632 Fn. 28. 633 Art. 10a Abs. 3 wurde nicht umgesetzt, vgl. dazu bereits o. Rn. 61.

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Abs. 1, 194 Abs. 5, 205 Abs. 5 Satz 2 AktG n.F.).634 Angesichts der hochkomplexen Verfahrensregelungen bleibt jedoch abzuwarten, ob die Praxis hiervon tatsächlich Gebrauch machen wird.635 180 I.R.d. handwerklichen Umsetzung der Art. 26 f. sind dem deutschen Gesetzgeber allerdings auch eine Reihe grober Fehler unterlaufen636, denn in den §§ 183 Abs. 3, 194 Abs. 4 und § 205 Abs. 3 AktG (nun § 205 Abs. 5 AktG n.F) wurde kein Verweis auf den Prüfungsgegenstand aufgenommen. Der Gesetzgeber behielt einfach die aus dem früheren Aktienrecht übernommene Regelung der fakultativen Prüfung, ob der Wert der Sacheinlage den geringsten Ausgabebetrag erreicht (§§ 184 Abs. 3, 188 Abs. 4, 195 Abs. 3 AktG 1965) in unverändert Form – wenngleich nunmehr als obligatorische Prüfung – bei, bedachte dabei aber nicht, dass Art. 27 Abs. 2 S. 3 i.V.m. Art. 10 Abs. 2 auch eine Prüfung dahingehend erfordern, ob ein etwaiges Agio vom Wert der Sacheinlage gedeckt ist (vgl. Rn. 174). Dieser Fehler wurde bedauerlicherweise auch im Zuge der jüngsten Reform durch das ARUG nicht behoben.637 Es bleibt damit aber jedenfalls weiterhin beim Gebot der – von WP-Praxis 638 und Schrifttum 639 inzwischen weitgehend anerkannten – richtlinienkonformen Auslegung 640 dahingehend, dass sich die Wertprüfung auch auf ein etwaiges Agio erstreckt.

634 Dazu näher Bayer/J. Schmidt ZGR 2009, 805, 814 ff.; Böttcher NZG 2008, 481, 484; Drinhausen/Keinath BB 2008, 2078, 2080; Herrler/Reymann DNotZ 2009, 914, 932 f.; Klasen BB 2008, 2694, 2697 ff.; Merkner/Decker NZG 2009, 887, 889 ff.; Paschos/Goslar AG 2008, 605, 613 f.; Seibert/Florstedt ZIP 2008, 2145, 2150; Zetzsche Konzern 2008, 321, 329 f. 635 Vgl. dazu Bayer/J. Schmidt ZGR 2009, 805, 820 f., 845. S. ferner Bosse NZG 2009, 807, 808; DNotV Stellungnahme zum ARUG-RefE (abrufbar unter www.dnotv.de), S. 12 (ausdrücklich abratend); Handelsrechtsausschuss des DAV NZG 2008, 534, 540 („wertlos“); ders. NZG 2009, 97 f. („kein Anreiz“, „eher abschreckend“); Herrler/Reymann DNotZ 2009, 914, 935; Klasen BB 2008, 2694, 2698 f; Merkner/Decker NZG 2009, 887, 891; Paschos/Goslar AG 2008, 605, 613 f.; dies. AG 2009, 14, 19 f. 636 Vgl. Bayer (Fn. 175), S. 21, 36; Bayer/J. Schmidt (Fn. 6), Rn. 65; Krieger (Fn. 187), § 56 Rn. 49; Hefermehl/Bungeroth in: Geßler, Hefermehl/Eckard/Kropff, AktG, 1994, § 183 Rn. 91 („Wortlaut seltsam undeutlich“); KK-AktG/Lutter, 2. Aufl. 1995, § 183 Rn. 52; kritisch ferner auch Wiedemann (Fn. 186), § 183 Rn. 82. 637 Vgl. dazu Bayer/J. Schmidt ZGR 2009, 805, 843 f. 638 Vgl. Angermayer WPg 1998, 914, 915; Penné, Die Prüfung der Sacheinlagen nach Aktienrecht, 1984, S. 239 ff.; Schiller AG 1992, 20, 21. 639 Vgl. Baums ILF Working Paper 124 (2011), S. 9 f.; Bayer (Fn. 138), § 34 Rn. 7; ders. (Fn. 175), § 205 Rn. 24 ff.; ders. FS Ulmer, 2003, S. 21, 34 ff.; Bayer/J. Schmidt (Fn. 6), Rn. 32; Hoffmann-Becking in MünchHdBAG, 3. Aufl. 2007, § 4 Rn 25; Krieger (Fn. 187), § 56 Rn 49; Lösekrug (Fn. 9), S. 87 f.; Priester FS Lutter, 2000, S. 617, 622 ff; Servatius (Fn. 186), § 183 Rn. 40 ff.; Veil (Fn. 186), § 183 Rn. 26; Wiedemann (Fn. 186), § 183 Rn. 82; Wamser (Fn. 186), § 205 Rn. 20; a.A. Gerber (Fn. 186), § 34 Rn. 8; Hüffer (Fn. 146), § 34 Rn. 3, § 183 Rn. 16; Pentz (Fn. 146), § 34 Rn. 15; trotz Bedenken auch Peifer (Fn. 186), § 183 Rn. 64 f. 640 Der auch i.R.d. ARUG (Fn. 28) unveränderte Wortlaut steht einer richtlinienkonformen Auslegung – insbesondere unter Berücksichtigung des sog. „Quelle“-Urteils des BGH (NJW 2009, 427, dazu bereits näher § 3 Rn. 53 ff.) – nicht entgegen, vgl. Bayer (Fn. 138), § 34 Rn. 7; ders. (Fn. 175), § 205 Rn. 33.

Die Kapitalrichtlinie (2. Richtlinie)

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Die nun kodifizierte Lehre von der verdeckten Sacheinlage sowie das deutsche 181 Rechtsinstitut der Sachübernahme sind aus denselben Gründen wie bei der Gesellschaftsgründung auch i.R.d. Kapitalerhöhung richtlinienkonform (vgl. Rn. 68). Art. 28 hatte aus deutscher Sicht keine Relevanz, denn nach deutschem Aktienrecht ist die Kapitalerhöhung unwirksam, wenn die Aktien nicht voll gezeichnet werden (vgl. § 185 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 AktG).641 182 Zur Umsetzung des Art. 27 Abs. 3 n.F.: § 21 Rn. 62, § 22 Rn. 53, § 23 Rn. 78.

cc) Bezugsrecht, Art. 29 Der auf das Vorbild des deutschen Rechts zurückgehende 642 Art. 29 regelt das eigent- 183 liche Herzstück des Aktionärsschutzes bei Kapitalerhöhungen: Das Bezugsrecht der Aktionäre. Dieses „mitgliedschaftliche Grundrecht“ 643 gewährleistet den (Alt-)Aktionären als Ausfluss des Gleichbehandlungsgebotes (Art. 42, dazu u. Rn. 233 ff.) 644 eine Art „doppelte Besitzstandsgarantie“645: Es eröffnet dem Aktionär nicht nur die Möglichkeit, seine Stimmrechtsquote ungeschmälert aufrecht zu erhalten (Schutz vor Stimmrechtsverwässerung), sondern verhindert zugleich auch den Vermögensverlust, der eintritt, wenn die neuen Aktien unter Wert ausgegeben werden (Schutz vor Vermögensverwässerung).646

(1) Gegenstand und Umfang Grundprinzip des Bezugsrechts ist, dass die neuen Aktien vorzugsweise den (Alt-) 184 Aktionären im Verhältnis zu dem durch ihre Aktien vertretenen Teil des Kapitals angeboten werden müssen (vgl. Art. 29 Abs. 1). Das Bezugsrecht begründet also ein subjektives Recht (aber keine Pflicht!) des Aktionärs auf quotale Teilhabe an der Kapitalerhöhung.647 Es ist insbesondere auch nicht dispositiv: Art. 29 Abs. 4 S. 1 bestimmt ausdrücklich, dass es durch die Satzung oder den Errichtungsakt weder beschränkt noch ausgeschlossen werden kann.

641 Vgl. Lösekrug (Fn. 9), S. 154. 642 Vgl. Edwards S. 85; Schmitthoff (1978) 15 C.M.L. Rev. 43, 53. 643 Vgl. Bayer ZHR 163 (1999) 505, 508; ders. (Fn. 175), § 203 Rn. 49; Wiedemann (Fn. 186), § 186 Rn. 13, 56; Zöllner AG 1994, 336, 341; ders. AG 2002, 585. 644 Vgl. Drinkuth (Fn. 43), S. 240; Grundmann Rn. 357; Kalss (Fn. 32), S. 119, 215; Nobel (Fn. 6), Kap. 2 Rn. 112; Schmitthoff (1978) 15 C.M.L. Rev. 43, 53. 645 Vgl. Bayer ZHR 163 (1999) 505, 508; ders. (Fn. 175), § 203 Rn. 48 m.w.N. 646 Vgl. EuGH v. 18.12.2008, Kommission ./. Spanien, Rs. C-338/06, Slg. 2008, I-10139, Rn. 43; Baldamus (Fn. 12), S. 203; Bayer/J. Schmidt (Fn. 6), Rn. 66; Habersack § 6 Rn. 67; Lösekrug (Fn. 9), S. 172; Nobel (Fn. 6), Kap. 2 Rn. 112; Schön ZHR 174 (2010) 155, 158; Wymeersch AG 1998, 382, 383. 647 Vgl. Fankhauser (Fn. 54), S. 215; Habersack § 6 Rn. 67. S. ferner (zum Bezugsrecht nach deutschem Recht): Hüffer (Fn. 146), § 186 Rn. 4; Peifer (Fn. 186), § 186 Rn. 13 f.

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Gesellschaftsrechtliche Richtlinien

Subjektiv bezugsberechtigt sind ausschließlich die (Alt-)Aktionäre.648 Die Mitgliedstaaten sind auch nicht befugt, die subjektive Berechtigung auf anderer Personen, z.B. die Inhaber von Wandelschuldverschreibungen auszudehnen, denn Art. 29 Abs. 1 gewährt den Aktionären zur Vermeidung des Risikos einer Verwässerung ihrer Beteiligung gerade einen Vorrang gegenüber anderen potentiellen Erwerbern.649 186 Ein Bezugsrecht muss nach der RL aber nicht nur bei der Ausgabe von Aktien bestehen. Art. 29 Abs. 6 erstreckt das Bezugsrecht vielmehr auf die Ausgabe aller Wertpapiere, die in Aktien umgewandelt werden können oder mit einem Bezugsrecht auf Aktien verbunden sind. Erfasst sind also insbesondere auch Wandel- und Optionsanleihen sowie reine Optionsrechte.650 Das Bezugsrecht besteht allerdings nur bei der Ausgabe derartiger Wertpapiere, nicht aber bei der Umwandlung dieser Wertpapiere und der Ausübung des Bezugsrechts aus solchen Wertpapieren (vgl. Art. 29 Abs. 6 Hs. 2). I.Ü. steht es den Mitgliedstaaten frei, den Umfang des Bezugsrechts auch noch weiter auszudehnen, z.B. auf Genussrechte oder Gewinnschuldverschreibungen.651 187 Ganz wesentlich ist ferner, dass die RL nach dem unmissverständlichen Wortlaut des Art. 29 Abs. 1 ein Bezugsrecht nur bei Barkapitalerhöhungen verlangt; für Sachkapitalerhöhungen ist ein Bezugsrecht demgegenüber europarechtlich nicht vorgeschrieben.652 Hintergrund ist, dass ein Bezugsrecht auch bei Sachkapitalerhöhungen in den meisten europäischen Rechtsordnungen653 – wenn überhaupt – traditionell nur bei Barkapitalerhöhungen bestand.654 Der EuGH hat jedoch in seinem grundlegenden Urteil in der Rs. Siemens/Nold ausdrücklich entschieden, dass die RL es den Mitgliedstaaten freistellt, ein Bezugsrecht auch für Kapitalerhöhungen gegen Sacheinlagen vorzusehen.655 185

648 EuGH v. 18.12.2008, Kommission ./. Spanien, Rs. C-338/06, Slg. 2008, I-10139, Rn. 44 ff.; Drinkuth FD-HGR 2009, 274635. 649 EuGH v. 18.12.2008, Kommission ./. Spanien, Rs. C-338/06, Slg. 2008, I-10139, Rn. 43; a.A. Grechenig ECFR 2007, 571, 583 f. 650 Vgl. Habersack § 6 Rn. 68; Lösekrug (Fn. 9), S. 200. 651 Vgl. Habersack § 6 Rn. 68; Lösekrug (Fn. 9), S. 200. 652 Vgl. EuGH v. 19.11.1996, Siemens AG ./. Henry Nold, Rs. C-42/95, Slg. 1996, I-6017, Rn. 15 f. Aus dem Schrifttum: Baldamus (Fn. 12), S. 209 ff.; Bayer/J. Schmidt (Fn. 6), Rn. 67; Edwards S. 85; Grundmann Rn. 358; Habersack § 6 Rn. 68; Henze (Fn. 154), S. 235, 251; Kalss (Fn. 32), S. 119, 276 f.; Lutter ZIP 1995, 648; Meilicke DB 1996, 513, 517; Schuster ZGR 2010, 325, 339; Werlauff S. 239 f.; Wymeersch AG 1998, 382, 383. 653 So etwa in Frankreich (vgl. heute Art. L225-132 C. com.), dem UK (vgl. s. 565 CA 2006, bis 30.9.2009: s. 89(4) CA 1985) oder Italien (vgl. Art. 2441 Abs. 4 Codice Civile). 654 Vgl. Baldamus (Fn. 12), S. 211; Bayer/J. Schmidt (Fn. 6), Rn. 67; Fankhauser (Fn. 54), S. 218; Lösekrug (Fn. 9), S. 171; Lutter ZIP 1995, 648. 655 EuGH v. 19.11.1996, Siemens AG ./. Henry Nold, Rs. C-42/95, Slg. 1996, I-6017, Rn. 18. Dazu Bayer/J. Schmidt (Fn. 6), Rn. 67; Benz (1997) 8 ICCLR C130 f.; Drinkuth (Fn. 43), S. 240 ff.; Edwards S. 86 f.; Fankhauser (Fn. 54), S. 218; Habersack § 6 Rn. 73; Kalss (Fn. 32), S. 119, 277; Lösekrug (Fn. 9), S. 181 ff.; Werlauff S. 240; Wiedemann JZ 1997, 1058 f. Äußerst kritisch jedoch Kindler ZGR 1998, 35, 42 f.

Die Kapitalrichtlinie (2. Richtlinie)

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Art. 29 Abs. 7 regelt einen wirtschaftlich sehr bedeutsamen Sonderfall, das sog. mittelbare Bezugsrecht. In der Praxis ist es nämlich seit langem üblich, dass die jungen Aktien zunächst von einer Emissionsbank (oder einem Emissionskonsortium) gezeichnet werden, welche die Aktien sodann den (Alt-)Aktionären anbietet.656 Erfolgt dieses Angebot nach Maßgabe der Art. 29 Abs. 1–3 (also insbesondere unter Wahrung der formalen Anforderungen des Abs. 3, dazu Rn. 192 ff.), so wertet die RL dies nicht als Bezugsrechtsausschluss. Denn materiell werden die jungen Aktien den (Alt-)Aktionären ja nicht entzogen, sondern sie werden ihnen vielmehr lediglich aus wirtschaftlichen Gründen über einen Dienstleister zugeleitet.657 Art. 29 Abs. 2 regelt zwei spezifische Fälle im Zusammenhang mit der Existenz von verschiedener Aktiengattungen, in denen die Mitgliedstaaten kein bzw. nur ein modifiziertes Bezugsrecht vorsehen können. Lit. a gestattet einen vollständige Ausnahme vom Bezugsrecht bei Aktien, bei denen das Recht auf Teilnahme an Ausschüttungen i.S.d. Art. 15 und/oder am Liquidationserlös eingeschränkt ist. Lit. b eröffnet die Möglichkeit einer Art „gattungsmäßig gestaffelten Bezugsrechts“: Sofern mehrere Aktiengattungen mit unterschiedlichem Stimmrecht oder unterschiedlichem Teilhaberecht am Gewinn bzw. Liquidationserlös bestehen und i.R.d. Kapitalerhöhung nur Aktien einer dieser Gattungen ausgegeben werden, kann vorgesehen werden, dass zunächst die Aktionäre dieser Gattung ihr Bezugsrecht ausüben dürfen. Art. 41 Abs. 1 ermöglicht ferner Ausnahmen im Hinblick auf die Beteiligung von Arbeitnehmern (dazu u. Rn. 231). Aus deutscher Sicht war der auf deutschem Vorbild beruhende Art. 29 im Wesentlichen eine (partielle) europarechtliche Fixierung bereits lange bekannter Grundsätze, wurde das Bezugsrecht hierzulande doch bereits erstmals im Jahr 1900 in § 282 HGB a.F. kodifiziert658. Das deutsche Aktienrecht geht allerdings sogar in mehrfacher Hinsicht – zulässigerweise – über den Mindeststandard der RL (vgl. Rn. 186 f.) hinaus: Zum einen besteht das Bezugsrecht gem. § 186 Abs. 1 AktG generell auch bei Sachkapitalerhöhungen, zum anderen gewährt § 221 Abs. 4 ein Bezugsrecht auch bei der Ausgabe von Genussrechten und Gewinnschuldverschreibungen. Von den Optionsmöglichkeiten des Art. 29 Abs. 2 hat Deutschland keinen Gebrauch gemacht.

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(2) Bezugsangebot und Ausübung des Bezugsrechts, Art. 29 Abs. 3 Die RL regelt aber nicht nur Inhalt und Umfang des Bezugsrechts, sondern stellt in 192 Art. 29 Abs. 3 auch formelle Anforderungen bezüglich des Bezugsangebots und der Ausübung des Bezugsrechts auf. Gem. Art. 29 Abs. 3 S. 1 sind das Angebot zur vorzugsweisen Zeichnung sowie die Bezugsfrist grundsätzlich Gegenstand einer Bekanntmachung im nationalen Amtsblatt i.S.d. 1. (Publizitäts-)RL (dazu § 19 Rn. 13 ff.). Die

656 Vgl. Habersack § 6 Rn. 69; Kalss (Fn. 32), S. 119, 280; Nobel (Fn. 6), Kap. 2 Rn. 112. 657 Vgl. auch Grundmann Rn. 357; Kalss (Fn. 32), S. 119, 279 f. 658 Vgl. Bayer (Fn. 175), § 203 Rn. 48; Peifer (Fn. 186), § 186 Rn. 9; Wiedemann (Fn. 186), § 186 Rn. 3.

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Mitgliedstaaten dürfen jedoch Gesellschaften, die ausschließlich über Namensaktien verfügen, von dieser Bekanntmachungspflicht freistellen, und stattdessen vorsehen, dass alle Aktionäre schriftlich zu unterrichten sind (Art. 29 Abs. 3 S. 2 u. 3). Der EuGH hat diesbezüglich in der Rs. Pafitis entschieden, dass eine Bekanntmachung in Tageszeitungen hierfür nicht genügt, sondern erforderlich ist vielmehr eine einzelne und namentliche Unterrichtung der Namensaktionäre.659 193 Die Festlegung der genauen Bezugsfrist bleibt den Mitgliedstaaten überlassen; die RL sieht in Art. 29 Abs. 3 S. 4 lediglich einen Mindeststandard von mindestens 14 Tagen ab der Bekanntmachung bzw. der Absendung des Schreibens an die Aktionäre vor. Diese Frist soll sowohl der Gesellschaft als auch den Aktionären Rechtssicherheit geben.660 194 Dieses obligatorische Fristsetzungserfordernis war aus deutscher Sicht ein Novum, denn bis dato hatte die Fristsetzung im Ermessen des Vorstands gestanden661. Die notwendige „geringfügige“662 Modifikation des § 186 Abs. 1 S. 2 AktG (Festsetzung einer Ausübungsfrist von mindestens 2 Wochen) sorgte in der deutschen Praxis für einigen Unmut 663. Dem versuchte der Gesetzgeber erst mit dem TransPuG v. 19.7.2002 664 Rechnung zu tragen, indem er in § 186 Abs. 2 S. 2 AktG die Möglichkeit schuf, den Ausgabebetrag erst 3 Tage vor Ablauf der Bezugsfrist endgültig festzusetzen.665 Von der Möglichkeit einer schriftlichen Benachrichtigung der Namensaktionäre hat Deutschland keinen Gebrauch gemacht; erforderlich ist vielmehr in jedem Fall eine Bekanntmachung in den Gesellschaftsblättern, d.h. jedenfalls im e-Bundesanzeiger (§ 186 Abs. 2 S. 1 i.V.m. § 25 S. 1 AktG).

(3) Bezugsrechtsauschluss 195 Der europäische Gesetzgeber hat jedoch auch anerkannt, dass das Bezugsrecht der Aktionäre in Konflikt mit den Finanzierungsinteressen der Gesellschaft treten kann.666 Art. 29 Abs. 4 und 5 eröffnen daher die Möglichkeit, das Bezugsrecht der Aktionäre auszuschließen, binden diesen Ausschluss aber andererseits an strenge Anforderungen. 659 EuGH v. 12.3.1996, Pafitis, Rs. C-441/93, Slg. 1996, I-1347, Rn. 65 f. 660 Vgl. Grundmann Rn. 357; Kalss (Fn. 32), S. 119, 278. 661 Vgl. dazu Bayer/J. Schmidt (Fn. 6), Rn. 69; Hirte (Fn. 132), S. 211, 223; Hüffer NJW 1979, 1065, 1070; W. Müller WPg 1978, 565, 574. 662 Vgl. BegrRegE z. KapRiLiG, BT-Drs. 8/1678, S. 18; Ganske DB 1978, 2461, 2465; W. Müller WPg 1978, 565, 574. 663 Vgl. Bayer/J. Schmidt (Fn. 6), Rn. 69; Heinsius FS Kellermann, 1991, S. 115, 124 ff.; Hirte (Fn. 601), § 202 Rn. 49. 664 Gesetz zur weiteren Reform des Aktien- und Bilanzrechts, zu Transparenz und Publizität (Transparenz- und Publizitätsgesetz) v. 19.7.2002, BGBl. I, 2681. 665 Nach der Begründung zum TransPuG soll Art. 29 Abs. 3 dem nicht entgegenstehen, vgl. BegrRegE z. TransPuG BT-Drs. 14/8769, S. 23. Ebenso (mit ausführlicherer Begründung): Lösekrug (Fn. 9), S. 179 f. 666 Vgl. RL-E 1970 (Fn. 1), S. 15; Stellungnahme des EWSA, ABlEG v. 6.9.1971, C 88/1, S. 5. Näher zu diesem Konflikt etwa Baldamus (Fn. 12), S. 204 ff.

Die Kapitalrichtlinie (2. Richtlinie)

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(a) Formelle Anforderungen Ausgangspunkt der formellen Anforderungen der RL ist, dass ein Ausschluss oder 196 eine Einschränkung des Bezugsrechts bereits durch die Satzung bzw. den Errichtungsakt unzulässig ist (Art. 29 Abs. 4 S. 1). Im Interesse des Aktionärsschutzes 667 bedarf es hierzu vielmehr stets eines publizitätspflichtigen Beschlusses der Hauptversammlung mit qualifizierter Mehrheit. Der Ausschluss kann dabei prinzipiell auf zwei Wegen erfolgen: als Direktausschluss durch die Hauptversammlung (Art. 29 Abs. 4, dazu u. Rn. 197) oder mittels einer sog. Ausschlussermächtigung (Art. 29 Abs. 5, dazu u. Rn. 198). Im Falle des in Art. 29 Abs. 4 geregelten Direktausschlusses wird das Bezugsrecht 197 unmittelbar durch einen Beschluss der Hauptversammlung ausgeschlossen. Um sicherzustellen, dass die Aktionäre dabei eine informierte Entscheidung treffen können668, muss das Verwaltungs- oder Leitungsorgan der Hauptversammlung zuvor einen schriftlichen Bericht über die Gründe für die Beschränkung bzw. den Ausschluss erstatten; ferner ist darin auch der Ausgabekurs zu begründen (Art. 29 Abs. 4 S. 3). Der Beschluss der Hauptversammlung bedarf gem. Art. 29 Abs. 4 S. 4 einer qualifizierten Mehrheit i.S.d. Art. 40, d.h. das nationale Recht muss hierfür grundsätzlich eine Mehrheit von mindestens 2/3 der Stimmen der vertretenen Wertpapiere oder des vertretenen gezeichneten Kapitals verlangen (Art. 40 Abs. 1). Gem. Art. 40 Abs. 2 kann das nationale Recht jedoch auch die einfache Stimmenmehrheit genügen lassen, sofern mindestens die Hälfte des gezeichneten Kapitals vertreten ist. Anschließend ist der Beschluss nach Maßgabe der nationalen Umsetzungsvorschriften zu Art. 3 der 1. (Publizitäts-)RL669 (dazu § 19 Rn. 13 ff.) offen zu legen. Um den Gesellschaften mehr Flexibilität zu eröffnen, ermöglicht Art. 29 Abs. 5 198 alternativ aber auch eine sog. Ausschlussermächtigung: Das nationale Recht kann vorsehen, dass dem zuständigen Gesellschaftsorgan, das zur Entscheidung über die Erhöhung des gezeichneten Kapitals innerhalb der Grenzen des genehmigten Kapitals (dazu Rn. 166 f.) berufen ist, die Befugnis zur Beschränkung oder zum Ausschluss des Bezugsrechts eingeräumt werden kann. Eine solche Ausschlussermächtigung darf aber maximal für denselben Zeitraum wie ein genehmigtes Kapital erteilt werden (Art. 29 Abs. 5 S. 2; vgl. zur zeitlichen Grenze für das genehmigte Kapital o. Rn. 166 f.). Die Ausschlussermächtigung kann entweder durch die Satzung, den Errichtungsakt oder die Hauptversammlung erfolgen. Entscheidet die Hauptversammlung, so bedarf der Beschluss auch hier einer qualifizierten Mehrheit i.S.d. Art. 40 und ist anschließend offen zu legen (Art. 29 Abs. 5 verweist insoweit ausdrücklich auf Abs. 4). Umstritten ist allerdings, ob und inwieweit es im Falle einer derartigen Ausschlussermächtigung durch die Hauptversammlung eines Berichts des Leitungs- bzw. Ver-

667 Vgl. RL-E 1970 (Fn. 1), S. 15. 668 Vgl. Grohmann (Fn. 46), S. 294. 669 Der Verweis auf Art. 3 der RL 68/151/EWG ist als Verweis auf Art. 3 der kodifizierten Fassung (RL 2009/101/EG) zu lesen, vgl. Art. 16 Abs. 2 RL 2009/101/EG.

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waltungsorgans bedarf. Dabei wäre ein Berichtserfordernis hier theoretisch sogar zu zwei Zeitpunkten denkbar:670 Einmal vor der Ausschlussermächtigung und zweitens vor deren späterer Ausübung 671. I.R.d. Vorarbeiten für die Änderungs-RL 2006/68/ EG (Rn. 6) schien die Kommission von einer solchen Berichtspflicht vor der Ausschlussermächtigung ausgehen, denn der RL-Entwurf 672 enthielt einen – im Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens wieder gestrichenen – neuen Abs. 5a, demzufolge das Verwaltungs- bzw. Leitungsorgan börsennotierter Gesellschaften von der Berichtspflicht freigestellt werden sollten, sofern die neuen Aktien zum Marktpreis ausgegeben würden. Wortlaut und Entstehungsgeschichte der Vorschrift sprechen jedoch entscheidend gegen eine europarechtlich obligatorische Berichtspflicht auch im Falle der Ausschlussermächtigung.673 Abs. 5 verweist nämlich gerade nur im Hinblick auf „Beschlussfähigkeit, Mehrheitserfordernisse und Offenlegung“ – nicht hingegen bezüglich der Berichtspflicht – auf Abs. 4.674 Insoweit handelt es sich ausweislich der Entstehungsgeschichte der Vorschrift auch gerade um eine bewusste Entscheidung des europäischen Gesetzgebers.675 199 Die formellen Anforderungen der RL für den Bezugsrechtsausschluss stellen allerdings – wie der EuGH in der Rs. C-338/06 ausdrücklich klargestellt hat 676 – lediglich Mindestanforderungen dar, d.h. es steht den Mitgliedstaaten frei, für den Ausschluss des Bezugsrechts restriktivere Voraussetzungen vorzusehen. So können die Mitgliedstaaten z.B. für den Direktausschluss einen zusätzlichen Bericht über den angemessenen Wert der Aktien vorsehen677 oder das Berichtserfordernis auch auf das genehmigte Kapital ausdehnen678. Das nationale Recht darf die Möglichkeit eines Bezugsrechtsausschlusses andererseits aber nicht völlig ausschließen.679

670 671 672 673

674 675 676 677 678 679

Vgl. nur Bayer (Fn. 186), § 203 Rn. 157, 159. Hierfür Hirte (Fn. 601), § 202 Rn. 47. Fn. 516. Ebenso i.E. BGH ZIP 2005, 2205, 2207 („Mangusta/Commerzbank I“); LG Frankfurt ZIP 1997, 1030, 1034; Baldamus (Fn. 12), S. 216 ff.; Bayer (Fn. 175), S. 21, 29 f.; ders. (Fn. 175), § 203 Rn. 157; Bayer/J. Schmidt (Fn. 6), Rn. 72; Bosse ZIP 2001, 145, 154; Bungert BB 2005, 2757; Fankhauser (Fn. 54), S. 225; Grundmann Rn. 361; Habersack § 6 Rn. 72; Henze (Fn. 154), S. 235, 51; Hofmeister NZG 2000, 713, 716; Kalss (Fn. 32), S. 119, 279; Krämer/Kiefner ZIP 2006, 301, 306; Lösekrug (Fn. 9), S. 186 f.; Waclawik ZIP 2006, 397, 399. Vgl. BGH ZIP 2005, 2205, 2207 („Mangusta/Commerzbank I“); Baldamus (Fn. 12), S. 216 f.; Bayer (Fn. 186), § 203 Rn. 157; Fankhauser (Fn. 54), S. 225; Habersack § 6 Rn. 72; Kalss (Fn. 32), S. 119, 279; Lösekrug (Fn. 9), S. 186 f. Vgl. BGH ZIP 2005, 2205, 2207 („Mangusta/Commerzbank I“) m.w.N.; ausf. Baldamus (Fn. 12), S. 218 f. EuGH v. 18.12.2008, Kommission ./. Spanien, Rs. C-338/06, Slg. 2008, I-10139, Rn. 26. EuGH v. 18.12.2008, Kommission ./. Spanien, Rs. C-338/06, Slg. 2008, I-10139, Rn. 26. Vgl. Fankhauser (Fn. 54), S. 225 f.; Henze (Fn. 154), S. 235, 251; Kalss (Fn. 32), S. 119, 279 f.; Paefgen ZIP 2004, 145, 154. EuGH v. 18.12.2008, Kommission ./. Spanien, Rs. C-338/06, Slg. 2008, I-10139, Rn. 50 ff. Kritisch insoweit Drinkuth FD-HGR 2009, 274635.

Die Kapitalrichtlinie (2. Richtlinie)

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(b) Materielle Anforderungen Gegenstand einer äußerst kontroversen Diskussion war und ist ferner, ob und inwie- 200 weit die RL den Bezugsrechtsausschluss neben den soeben dargestellten formellen Anforderungen auch materiellen Voraussetzungen unterwirft. Einer in der Literatur vertretenen Auffassung zufolge soll die RL zwingend eine Inhaltskontrolle anhand der Maßstäbe „Gesellschaftsinteresse“ und „Gleichbehandlungsgebot“ gebieten.680 Andere gehen davon aus, dass die RL zwar grundsätzlich eine inhaltliche Kontrolle verlange, es jedoch letztlich den Mitgliedstaaten obliege, deren Maßstäbe zu konkretisieren.681 Dem steht jedoch entgegen, dass der Wortlaut des Art. 29 gerade keine Anhaltspunkte für irgendwelche materiellen Voraussetzungen enthält.682 Ebenso wenig ergeben sich solche aus der Entstehungsgeschichte der Norm, zumal es sich bei Art. 29 letztlich ohnehin um einen Kompromiss aus verschiedensten nationalen Einflüssen handelt 683 und die materiellen Anforderungen in den einzelnen Mitgliedstaaten – soweit solche überhaupt existieren684 – äußerst unterschiedlich sind 685. Unzutreffend ist schließlich auch das Argument, dass die in Art. 29 Abs. 4 vorgesehene Berichtspflicht ohne eine materielle Kontrolle keinen Sinn mache686. Denn die Berichtspflicht garantiert schon allein durch die umfassende Information der Aktionäre – unabhängig von irgendwelchen materiellen Aspekten – einen beachtlichen Mindestschutzstandard687 („Schutz durch Information“ – ein im europäischen Gesellschaftsrecht i.Ü. generell favorisiertes Modell 688). Die RL gebietet daher nach alledem keine materielle Kontrolle des Bezugsrechtsausschlusses.689 Andererseits verbietet sie es den Mitglied-

680 So Kindler ZHR 158 (1994) 339, 360, 369; ders. ZGR 1998, 35, 48. So ferner wohl auch Lösekrug (Fn. 9), S. 173 ff. 681 So Drinkuth (Fn. 43), S. 250; ders. IStR 1997, 312, 315; Habersack § 6 Rn. 71; ders. (Fn. 6), Rn. 44; Natterer ZIP 1995, 1481, 1488; Nobel (Fn. 6), Kap. 2 Rn. 115. 682 Vgl. Bayer/J. Schmidt (Fn. 6), Rn. 74. 683 Vgl. Schmitthoff (1978) 15 C.M.L. Rev. 43, 53: „skillful blending of comparative legal material, taken from the laws and practices of several Member States“. 684 So fordert beispielsweise das britische Recht keine irgendwie geartete „sachliche Rechtfertigung“, vgl. J. Schmidt, „Deutsche“ vs. „britische“ SE, 2006, S. 435 m.z.w.N. 685 Rechtsvergleichend Wymeersch AG 1998, 382, 383 ff. sowie monographisch Bagel, Der Ausschluss des Bezugsrechts in Europa, 1999, S. 287 ff. 686 So Drinkuth (Fn. 43), S. 245; Groß EuZW 1994, 395, 399; Habersack § 6 Rn. 70; Lösekrug (Fn. 9), S. 173. 687 Vgl. Bayer/J. Schmidt (Fn. 6), Rn. 74; Grundmann Rn. 360; Kalss (Fn. 32), S. 119, 278 f. 688 Vgl. Bayer/J. Schmidt (Fn. 6), Rn. 74 unter besonderem Hinweis auf die Betonung des Gläubigerschutzes durch Information in der Leitentscheidung Inspire Art (zu dieser ausf. § 6 Rn. 27 ff., speziell zum „Schutz durch Information“ Rn. 29); allg. zum Informationsmodell auch § 18 Rn. 9, § 19 Rn. 4, § 21 Rn. 24, 112, § 22 Rn. 23, 81, § 23 Rn. 26, 129 f., § 30 Rn. 16, § 41 Rn. 47. 689 Vgl. Bayer/J. Schmidt (Fn. 6), Rn. 74; Edwards S. 86 f.; Fankhauser (Fn. 54), S. 222; Grundmann Rn. 360; Kalss (Fn. 32), S. 119, 278; Meilicke DB 1996, 513 ff.; Peifer (Fn. 186), § 186 Rn. 78.

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staaten – wie der EuGH in der Leitentscheidung Siemens/Nold 690 explizit entschieden hat – aber auch nicht, in ihrem nationalen Recht eine solche vorzusehen,691 denn – so wörtlich der EuGH – eine „solche Inhaltskontrolle, die einen verstärkten Schutz der Aktionäre gewährleistet, steht … nicht im Widerspruch zu den Zielen der Zweiten Richtlinie, selbst wenn sie zu Verzögerungen bei der Durchführung der Kapitalerhöhungen führen sollte“692.

(c) Bezugsrechtsausschluss nach deutschem Aktienrecht 201 Das in Art. 29 Abs. 4 normierte Berichtserfordernis war für das deutsche Aktienrecht ein vollkommenes Novum, die Umsetzung in § 186 Abs. 4 S. 2 AktG693 gab bereits Anlass zu einer Vielzahl von Rechtsstreitigkeiten694. Mittels des Verweises in § 203 Abs. 1 S. 1 AktG erstreckt das deutsche Recht die Berichtspflicht auch auf das genehmigte Kapital, wobei nach der grundlegenden Siemens/Nold-Entscheidung des BGH allerdings im Zeitpunkt der Ermächtigung naturgemäß nur eine abstrakt-generelle Berichterstattung erforderlich ist 695. Der im Schrifttum lange postulierten (zusätzlichen) Berichtspflicht vor Ausübung des genehmigten Kapitals696 hat der BGH in der Mangusta/Commerzbank I-Entscheidung 697 eine klare Absage erteilt. 202 Das deutsche Aktienrecht geht i.Ü. in zwei zentralen Punkten über den Mindeststandard der RL hinaus. Erstens stellt es deutlich strengere Mehrheitsanforderungen auf (einfache Stimmenmehrheit plus drei Viertel des vertretenen Grundkapitals, § 133 Abs. 1 AktG i.V.m. § 186 Abs. 3 S. 2 AktG bzw. § 202 Abs. 2 S. 2 AktG698). V.a. aber bedarf der Bezugsrechtsausschluss nach st. Rspr.699 – die in der Leitentschei-

690 EuGH v. 19.11.1996, Siemens AG ./. Henry Nold, Rs. C-42/95, Slg. 1996, I-6017. S. dazu die Nachweise in Fn. 655. 691 Ebenso aus der Literatur: Bayer/J. Schmidt (Fn. 6), Rn. 74; Edwards, S. 87; Fankhauser (Fn. 54), S. 222; Habersack (Fn. 6), Rn. 44; Peifer (Fn. 186), § 186 Rn. 78; Wiedemann JZ 1997, 1058, 1059. 692 EuGH v. 19.11.1996, Siemens AG ./. Henry Nold, Rs. C-42/95, Slg. 1996, I-6017, Rn. 21. 693 Vgl. dazu Hirte DStR 2001, 577, 579; Hüffer NJW 1979, 1065, 1070. 694 Vgl. Bayer/J. Schmidt (Fn. 6), Rn. 71; ausf. Hirte (Fn. 132), S. 211, 223 ff. 695 Grundlegend BGHZ 136, 133 („Siemens/Nold“). Siehe ferner auch BGHZ 144, 290 („Adidas“); Bayer (Fn. 175), § 203 Rn. 160. 696 Dafür Bayer in: MünchKommAktG, 2. Aufl. 2005, § 203 Rn. 161 ff.; ders. (Fn. 175), S. 21, 28 ff.; ders. ZHR 168 (2004), 132, 154 ff.; Hirte (Fn. 601), § 203 Rn. 106 ff.; Meilicke/ Heidel DB 2000, 2358, 2359 ff.; Paefgen ZIP 2004, 149, 153. 697 BGH ZIP 2005, 2205 („Mangusta/Commerzbank I“); vgl. dazu etwa Bungert BB 2005, 2757 ff.; Busch NZG 2006, 81 ff.; Krämer/Kiefner ZIP 2006, 301, 305 ff.; Kubis DStR 2006, 188 ff.; Paschos DB 2005, 2731 ff.; Waclawik ZIP 2006, 397 ff. 698 Beim genehmigten Kapital ergibt sich das Mehrheitserfordernis beim Direktausschluss aus § 203 Abs. 1 S. 1 i.V.m. § 186 Abs. 3 S. 2 AktG, bei der Ausschlussermächtigung aus § 202 Abs. 2 S. 2 AktG, vgl. Bayer (Fn. 175), § 203 Rn. 87, 91 m.w.N. 699 Grundlegend BGHZ 71, 40 („Kali + Salz“); BGHZ 83, 319 („Philipp Holzmann“); BGHZ 136, 133 („Siemens/Nold“).

Die Kapitalrichtlinie (2. Richtlinie)

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dung Siemens/Nold vom EuGH ausdrücklich für richtlinienkonform 700 erklärt wurde (dazu Rn. 200) – grundsätzlich einer sachlichen Rechtfertigung. Soweit diese unter den Voraussetzungen des § 186 Abs. 3 S. 4 AktG (sog. „vereinfachter Bezugsrechtsausschluss“) vermutet wird701, steht die RL – die ja richtiger Ansicht nach gar keine materielle Kontrolle verlangt (vgl. Rn. 200) – dem ebenfalls nicht entgegen.702 Umstritten ist schließlich die Richtlinienkonformität des bedingten Kapitals gem. 203 § 192 AktG, ist hier doch weder ein ausdrücklicher Hauptversammlungsbeschluss über den Ausschluss des Bezugsrechts noch ein Vorstandsbericht erforderlich. In den Fällen der Abs. 2 Nr. 2 handelt es sich allerdings um Sachkapitalerhöhungen, so dass die RL insoweit kein Bezugsrecht gebietet 703 (vgl. Rn. 206). Bei Abs. 2 Nr. 1 ist das Bezugsrecht letztlich gar nicht ausgeschlossen, sondern nur – entsprechend Art. 29 Abs. 6 (dazu Rn. 186) – auf den Zeitpunkt der Ausgabe der Wandelschuldverschreibungen vorverlagert.704 Wirklich problematisch erscheint einzig Abs. 2 Nr. 3, die jedoch durch die Ausnahmevorschrift des Art. 41 Abs. 1 (dazu Rn. 231) gedeckt sein dürfte.705

b) Kapitalherabsetzung Als Korrelat zu den Regeln über die Kapitalerhöhung enthält die RL mit Art. 30 bis 39 204 auch umfassende Vorschriften betreffend ihr Gegenstück, die Kapitalherabsetzung. Hauptintention der RL ist dabei der Schutz der Gläubiger 706, denn durch die Kapitalherabsetzung wird der „Haftungspuffer“ der Gesellschaft verringert. Schutzbedürftig sind aber ferner auch die Aktionäre, da die Kapitalherabsetzung ihre mitgliedschaftlichen Befugnisse beeinträchtigt bzw. ggf. sogar zu deren Entzug führt 707. 700 Vgl. zur Richtlinienkonformität aus der Literatur auch Bayer/J. Schmidt (Fn. 6), Rn. 75; Bagel (Fn. 685), S. 347 ff.; Drinkuth (Fn. 43), S. 246 ff.; Habersack § 6 Rn. 71; Hirte (Fn. 601), § 202 Rn. 50; Hüffer (Fn. 146), § 186 Rn. 34a; Lösekrug (Fn. 9), S. 175, 184; Peifer (Fn. 186), § 186 Rn. 78; Schwarz Rn. 622 f. 701 Vgl. Bayer (Fn. 175), § 203 Rn. 77; Peifer (Fn. 186), § 186 Rn. 88; Wiedemann (Fn. 186), § 186 Rn. 149. 702 Vgl. Bayer/J. Schmidt (Fn. 6), Rn. 76; Grundmann Rn. 360; i.E. ferner grds. auch Drinkuth (Fn. 43), S. 251; Habersack § 6 Rn. 71; Lösekrug (Fn. 9), S. 178 f. 703 Vgl. Lutter ZIP 1997, 1, 8. 704 Vgl. Frey in: GroßkommAktG, 4. Aufl. 2001, § 192 Rn. 122; Lutter ZIP 1997, 1, 8. 705 Ebenso BegrRegE z. KonTraG, BR-Drs. 872/97, S. 64; Bayer/J. Schmidt (Fn. 6), Rn. 73; Hüffer (Fn. 146), § 192 Rn. 18; ders. ZHR 161 (1997) 214, 239 f.; Klahold, Aktienoptionen als Vergütungselement, 1999, S. 250; Spenner, Aktienoptionen als Bestandteil der Vergütung von Vorstandsmitgliedern, 1999, S. 243 f.; Veil (Fn. 186), § 192 Rn. 19 f.; Weiß WM 1999, 353, 360. Für Richtlinienwidrigkeit etwa Friedrichsen, Aktienoptionsprogramme für Führungskräfte, 2000, S. 92 ff.; Frey (Fn. 704), § 192 Rn. 120 m.w.N. 706 Vgl. Bayer/J. Schmidt (Fn. 6), Rn. 74; Drinkuth (Fn. 43), S. 253; Fankhauser (Fn. 54), S. 233; Grohmann (Fn. 46), S. 297; Habersack § 6 Rn. 74; Lösekrug (Fn. 9), S. 203 f.; Schwarz Rn. 626. 707 Vgl. Drinkuth (Fn. 43), S. 253; Grohmann (Fn. 46), S. 297; Habersack § 6 Rn. 74; Lösekrug (Fn. 9), S. 204.

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aa) Hauptversammlungsbeschluss, Art. 30 f. 205 Angesichts der grundlegenden Bedeutung einer Kapitalherabsetzung verlangt Art. 30 hierfür grundsätzlich einen Hauptversammlungsbeschluss. Ausgenommen sind lediglich durch gerichtliche Entscheidungen angeordnete Kapitalherabsetzungen, da hier eine besondere Kontrolle bereits impliziert ist. Ferner sind in den Fällen der Art. 36 (Rn. 223 f.), 37 (Rn. 225 f.) und 41 Abs. 2 (Rn. 232) Ausnahmen möglich. 206 Um zu gewährleisten, dass die Aktionäre eine informierte Entscheidung treffen können, bestimmt Art. 30 Unterabs. 2, dass in der Mitteilung über die Einberufung der Hauptversammlung zumindest der Zweck der Herabsetzung und das Verfahren für ihre Durchführung angegeben werden müssen. Wegen seines Grundlagencharakters bedarf der Beschluss gem. Art. 30 Unterabs. 1 einer qualifizierten Mehrheit i.S.d. Art. 40 (dazu bereits Rn. 197). Anschließend ist der Beschluss (nicht aber seine Durchführung 708) nach Maßgabe der nationalen Umsetzungsvorschriften zu Art. 3 der 1. (Publizitäts-)RL709 (dazu § 19 Rn. 13 ff.) offen zu legen 710. 207 Für den Fall, dass mehrere Gattungen von Aktien existieren, bedarf es gem. Art. 31 eines Sonderbeschlusses der Aktionäre jeder Gattung, deren Rechte durch die Maßnahme berührt 711 werden. 208 Die Problematik etwaiger materieller Anforderungen an eine Kapitalherabsetzung hat in der wissenschaftlichen Diskussion – anders als bei der Kapitalerhöhung (dazu o. Rn. 200) – bislang eher eine untergeordnete Rolle gespielt. Festzustellen ist jedenfalls, dass weder dem Wortlaut noch der Entstehungsgeschichte der Art. 30 ff. irgendwelche Anhaltspunkte dafür zu entnehmen sind, dass eine „Inhaltskontrolle“ europarechtlich geboten ist.712 Andererseits dürfte die RL entsprechenden nationalen Vorschriften auch nicht entgegenstehen,713 wird dadurch der von der RL intendierte Gläubiger- und Aktionärsschutz doch nur verbessert. 209 Das deutsche Recht sieht bei allen drei Varianten der Kapitalherabsetzung – ordentliche (§§ 222 ff. AktG), vereinfachte (§§ 229 ff. AktG) und Kapitalherabsetzung durch Einziehung von Aktien (§ 237 ff. AktG) – den Anforderungen der Art. 30 f. entsprechende Beschluss- und Publizitätspflichten vor (§ 222 Abs. 1 S. 1 AktG verlangt sogar eine Mehrheit von mindestens drei Vierteln des vertretenen Grundkapitals 714). Dass § 222 Abs. 2 AktG einen Sonderbeschluss unabhängig davon verlangt,

708 Vgl. Habersack § 6 Rn. 75. 709 Der Verweis auf Art. 3 der RL 68/151/EWG ist als Verweis auf Art. 3 der kodifizierten Fassung (RL 2009/101/EG) zu lesen, vgl. Art. 16 Abs. 2 RL 2009/101/EG. 710 Dazu näher Grohmann (Fn. 46), S. 298 f. 711 Vgl. zum Kriterium des „berührt werden“ näher Edwards S. 88; Werlauff S. 286. 712 Vgl. OLG Dresden AG 1996, 565, 567; Bayer/J. Schmidt (Fn. 6), Rn. 82; Lösekrug (Fn. 9), S. 207. 713 Vgl. Bayer/J. Schmidt (Fn. 6), Rn. 82; Lösekrug (Fn. 9), S. 207; Schwarz Rn. 626. 714 Sonderbeschlüsse für Gattungsaktionäre sind in § 222 Abs. 2 AktG geregelt. § 229 Abs. 3 AktG (vereinfachte Kapitalherabsetzung) und § 237 Abs. 2 S. 1 AktG (Kapitalherabsetzung durch Einziehung) verweisen auf § 222 Abs. 1 und 2 AktG. Vgl. zur Richtlinienkonformität insoweit auch Lösekrug (Fn. 9), S. 205.

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ob die Rechte der betroffenen Gattungsaktionäre berührt werden, ist richtlinienkonform, da es sich bei Art. 31 lediglich um einen Mindeststandard handelt.715 Die Notwendigkeit einer sachlichen Rechtfertigung für die Kapitalherabsetzung hat der BGH in der Sachsenmilch-Entscheidung eindeutig verneint.716

bb) Gläubigerschutz, Art. 32 f. Zum Schutz der Gläubiger normiert Art. 32 als Mindeststandard 717 einen durch eine 210 Ausschüttungssperre gesicherten Anspruch auf Sicherheitsleistung. Im Hinblick darauf, dass die nationalen Rechtsordnungen in diesem Punkt sehr stark divergierten718, überlässt der europäische Gesetzgeber die nähere Ausgestaltung allerdings weitgehend dem nationalen Recht719. Zudem gestattet Art. 33 zu Sanierungszwecken eine sog. vereinfachte Kapitalherabsetzung ohne Einhaltung des in Art. 32 normierten Gläubigerschutzstandards.

(1) Anspruch auf Sicherheitsleistung und Ausschüttungssperre, Art. 32 Als europäischen Mindeststandard 720 des Gläubigerschutzes bestimmt Art. 32 Abs. 1 211 Unterabs. 1 S. 1, dass zumindest die Gläubiger, deren Forderung vor der Bekanntmachung der Entscheidung über die Herabsetzung entstanden sind, mindestens das Recht haben müssen, eine Sicherheit für die im Zeitpunkt dieser Bekanntmachung noch nicht fälligen Forderungen zu erhalten. Dieses Recht darf nur ausgeschlossen werden, wenn der Gläubiger bereits angemessene Sicherheit hat oder wenn diese Sicherheiten in Anbetracht des Gesellschaftsvermögens nicht notwendig sind (Art. 32 Abs. 1 Unterabs. 1 S. 2). Die Festlegung der konkreten Bedingungen für die Ausübung dieses Rechts auf Sicherheitsleistung obliegt – wie der durch die ÄnderungsRL 2006/68/EG (Rn. 6) eingefügte Art. 32 Abs. 1 Unterabs. 2 S. 1 nun ausdrücklich klarstellt – dem jeweiligen nationalen Recht.

715 Vgl. Drinkuth (Fn. 43), S. 256; Lösekrug (Fn. 9), S. 208. 716 BGHZ 138, 71 („Sachsenmilch“). Gewichtige Stimmen im Schrifttum (vgl. Hüffer (Fn. 146), § 222 Rn. 14; Krieger ZGR 2000, 885, 891 ff.; Oechsler in: MünchKommAktG, 3. Aufl. 2011, § 229 Rn. 28 f.; Sethe in: GroßkommAktG, 4. Aufl. 2011, § 222 Rn. 29) verlangen allerdings zumindest für den vom BGH nicht ausdrücklich entschiedenen Fall einer isolierten vereinfachten Kapitalherabsetzung eine sachliche Rechtfertigung. 717 Vgl. Bayer/J. Schmidt (Fn. 6), Rn. 80; Drinkuth (Fn. 43), S. 256; Oechsler (Fn. 716), § 225 Rn. 2. 718 Vgl. RL-E 1970 (Fn. 1), S. 15; Edwards S. 88; Fankhauser (Fn. 54), S. 233; Niessen AG 1970, 281, 295. 719 Vgl. RL-E 1970 (Fn. 1), S. 15; Bayer/J. Schmidt (Fn. 6), Rn. 80; Drinkuth (Fn. 43), S. 257 ff.; Fankhauser (Fn. 54), S. 234 f.; Kalss (Fn. 32), S. 119, 287; Lösekrug (Fn. 9), S. 204. 720 Siehe die Nachweise in Fn. 717.

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Mit der Änderungs-RL 2006/68/EG (Rn. 6) wurde allerdings auch ein neuer Art. 32 Abs. 1 Unterabs. 2 S. 2 ergänzt, mit dem das Verfahrensrecht zumindest partiell harmonisiert wurde 721. Er verpflichtet die Mitgliedstaaten dafür zu sorgen, dass die Gläubiger das Recht haben, bei der zuständigen Verwaltungsbehörde oder dem zuständigen Gericht angemessene Sicherheiten zu beantragen – allerdings nur dann, wenn sie glaubhaft machen können, dass die Befriedigung ihrer Forderungen durch die Herabsetzung des gezeichneten Kapitals gefährdet ist und sie von der Gesellschaft keine angemessenen Sicherheiten erhalten haben. Die Glaubhaftmachungslast wurde dabei bewusst den Gläubigern auferlegt, um so in Fällen, in denen Gläubiger zu Unrecht Sicherheit verlangen, unnötige Verzögerungen zu vermeiden.722 Bei der Würdigung des berechtigten Interesses der Gläubiger sollen nach der Arbeitsunterlage der Kommission insbesondere auch etwaige Rechte auf vorrangige Befriedigung (z.B. aus einem Insolvenzverfahren oder aus gruppeninternen Bürgschaften) zu berücksichtigen sein.723 213 Zur Absicherung des Rechts auf Sicherheitsleistung verpflichtet Art. 32 Abs. 2 die Mitgliedstaaten vorzuschreiben, dass die Herabsetzung unwirksam ist oder dass keine Zahlungen zugunsten der Aktionäre geleistet werden dürfen, solange den Gläubigern nicht Genüge getan ist oder solange ein Gericht nicht entschieden hat, dass ihrem Antrag nicht entsprochen zu werden braucht. Die Mitgliedstaaten haben also insoweit ein Wahlrecht, ob sie die Nichtleistung bzw. verzögerte Leistung der Sicherheit mit der Unwirksamkeit der Kapitalherabsetzung oder lediglich mit einer Ausschüttungssperre sanktionieren.724 214 Art. 32 Abs. 3 stellt klar, dass die Gläubigerschutzvorschriften des Art. 32 auch dann gelten, wenn die Herabsetzung durch einen vollständigen oder teilweisen Verzicht auf die Leistung von Einlagen der Aktionäre vorgenommen wird. 215 Das deutsche Aktienrecht entsprach bei Verabschiedung der RL bereits dem Schutzstandard des damaligen Art. 32: § 225 AktG gewährt in Abs. 1 einen Anspruch auf Sicherheitsleistung, welcher gem. Abs. 2 S. 1 durch eine Ausschüttungssperre abgesichert ist.725 Der neue Art. 32 Abs. 1 Unterabs. 2 S. 2 führte zu Forderungen nach einer Novellierung der Vorschrift 726, denen der Gesetzgeber jedoch (bislang) nicht nachgekommen ist. Entgegen manchen Stimmen im Schrifttum ist eine Reform europarechtlich auch nicht etwa zwingend geboten. Denn § 225 AktG sieht zwar – anders 212

721 Vgl. SEK(2004) 1342, S. 7; Bayer/J. Schmidt ZIP 2010, 953, 962; Ekkenga Konzern 2007, 413, 414. 722 Vgl. SEK(2004) 1342, S. 7; KOM(2008) 576, S. 5 f.; Bayer/J. Schmidt ZIP 2010, 953, 962; Ekkenga Konzern 2007, 413, 414 f.; Vella/Prentice FS Wymeersch, 2009, S. 279, 298 f.; s. ferner auch C. Teichmann SR 2008, 363. 723 Vgl. SEK(2004) 1342, S. 7. 724 Vgl. Grundmann Rn. 362; Drinkuth (Fn. 43), S. 259. 725 Vgl. Bayer/J. Schmidt (Fn. 6), Rn. 80; Habersack § 6 Rn. 76; Schwarz Rn. 628. 726 Vgl. Ekkenga Konzern 2007, 413, 417 f.; Hüffer (Fn. 146), § 225 Rn. 8; Sethe (Fn. 716), § 225 Rn. 8, 35 Fn. 65; s. ferner auch Veil (Fn. 186), § 225 Rn. 2; Westermann ZHR 172 (2008) 144, 167 f.

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als § 58 GmbHG oder das englische Recht 727 – keinen registerrechtlichen Präventivschutz vor. Der Anspruch der Gläubiger auf Sicherheitsleistung ist jedoch klagbar 728 und damit notfalls auch mittels einstweiliger Verfügung durchsetzbar 729, so dass die Gläubiger bereits das Recht haben, bei einem Gericht angemessene Sicherheiten zu beantragen, wenn die entsprechende Glaubhaftmachung möglich ist. Auch dass das deutsche Recht für den Anspruch auf Sicherheitsleistung keine konkrete Gefährdung verlangt 730, ist richtlinienkonform.731 Denn die RL etabliert prinzipiell nur einen Mindestandard für den Gläubigerschutz (vgl. o. Rn. 210 f.). Auch aus dem neuen Art. 32 Abs. 1 Unterabs. 2 S. 2 lässt sich das Erfordernis einer konkreten Gefährdung nicht herleiten, denn auch dieser etabliert nur einen Mindestandard für die verfahrensmäßige Absicherung (nämlich, dass eine verwaltungsbehördliche/gerichtliche Durchsetzung zumindest dann möglich sein muss, wenn der Gläubiger eine konkrete Gefährdung glaubhaft machen kann).732

(2) Vereinfachte Kapitalherabsetzung, Art. 33 Die auf das deutsche Recht zurückgehende 733 Vorschrift des Art. 33 gestattet den Mit- 216 gliedstaaten von der Anwendung der Gläubigerschutzvorschriften des Art. 32 abzusehen, wenn die Kapitalherabsetzung den Zweck hat, Verluste auszugleichen oder Beträge einer Rücklage zuzuführen (sog. vereinfachte Kapitalherabsetzung). Ratio ist, wirtschaftlich erwünschte Sanierungen zu erleichtern.734 Andererseits darf auch eine solche wirtschaftlich sinnvolle Maßnahme nicht dazu missbraucht werden können, die Rechte der Gläubiger vollständig auszuhöhlen.735 Art. 33 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 schränkt die vereinfachte Kapitalherabsetzung zwecks Rücklagenbildung daher insoweit ein, als die Rücklage infolge dieses Vorgangs nicht mehr als 10 % des herabgesetzten gezeichneten Kapitals betragen darf. Zudem werden auch die Verwendungsmöglichkeiten dieser Rücklage limitiert: Sie darf außer im Falle der Herabsetzung des gezeichneten Kapitals nicht an die Aktionäre ausgeschüttet und nur dazu verwendet

727 Vgl. ss. 641, 645 ff. CA 2006, dazu näher Davies (Fn. 148), 13-3 f. 728 Hüffer (Fn. 146), § 225 Rn. 12; Krieger (Fn. 187), § 60 Rn 46; KK-AktG/Lutter, 2. Aufl. 1995, § 225 Rn. 33; Sethe in: GroßkommAktG, 4. Aufl. 2011, § 225 Rn. 8, 53; s. ferner auch Westermann ZHR 172 (2008) 144, 167. 729 Vgl. für den Parallelanspruch gem. § 22 UmwG: Meier-Reimer in: Semler/Stengel, UmwG, 2. Aufl. 2007, § 22 Rn. 53. 730 Vgl. Hüffer (Fn. 146), § 225 Rn. 8; Marsch-Barner in: Spindler/Stilz, AktG, 2. Aufl. 2010, § 225 Rn. 15; Oechsler (Fn. 716), § 225 Rn. 22; Sethe (Fn. 716), § 225 Rn. 35; Veil (Fn. 186), § 225 Rn. 13. 731 Ebenso Oechsler (Fn. 716), § 225 Rn. 22; anders jedoch offenbar Hüffer (Fn. 146), § 225 Rn. 8; Sethe (Fn. 716), § 225 Rn. 35 Fn. 65. 732 Vgl. auch Oechsler (Fn. 716), § 225 Rn. 22; s. ferner auch Grundmann Rn. 362. 733 Vgl. Bayer/J. Schmidt (Fn. 6), Rn. 80; Edwards S. 88 Fn. 216; Wooldridge [1978] Acta Juridica 327, 341. 734 Vgl. RL-E 1970 (Fn. 1), S. 15; Drinkuth (Fn. 43), S. 260. 735 Vgl. RL-E 1970 (Fn. 1), S. 15; Niessen AG 1970, 281, 296.

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werden, Verluste auszugleichen oder durch Umwandlung von Rücklagen das gezeichnete Kapital zu erhöhen (Art. 33 Abs. 1 S. 2). Schließlich verpflichtet Art. 33 Abs. 2 die Mitgliedstaaten außerdem, mindestens geeignete Maßnahmen vorzuschreiben, damit die aus der Herabsetzung des gezeichneten Kapitals gewonnenen Beträge nicht zu Zahlungen oder Ausschüttungen an die Aktionäre oder zur Befreiung der Aktionäre von der Verpflichtung zur Leistung ihrer Einlagen verwendet werden. 217 Nur auf Grund dieser Sonderregelung in Art. 33 war es dem deutschen Gesetzgeber möglich, das Regime der vereinfachten Kapitalherabsetzung (§§ 229 ff. AktG) beizubehalten.736

cc) Erhalt des Mindestkapitals, Art. 34 218 Art. 34 S. 1 stellt klar, dass das Mindestkapitalerfordernis des Art. 6 (dazu o. Rn. 27 ff.) prinzipiell auch bei der Kapitalherabsetzung zu beachten ist: Das gezeichnete Kapital darf grundsätzlich nicht unter das nach Art. 6 festgelegte Mindestkapital 737 herabgesetzt werden. Art. 34 S. 2 gestattet den Mitgliedstaaten allerdings den – in der Praxis als Sanierungsmittel äußerst bedeutsamen – sog. Kapitalschnitt zuzulassen: Das nationale Recht kann eine Absenkung unter die Mindestkapitalziffer zulassen, wenn zugleich vorgeschrieben ist, dass der Herabsetzungsbeschluss nur dann wirksam wird, wenn das gezeichnete Kapital auf einen Betrag erhöht wird, der zumindest dem vorgeschriebenen Mindestbetrag entspricht. 219 Das deutsche Aktienrecht geht mit § 228 AktG insoweit über den Mindeststandard des Art. 34 hinaus, als es eine Herabsetzung unter den Mindestnennbetrag nur dann gestattet, wenn zugleich eine Barkapitalerhöhung beschlossen wird; eine Sachkapitalerhöhung genügt also – anders als nach der RL – nicht.738

dd) Sonderfälle der Kapitalherabsetzung, Art. 35–38 220 Art. 35–38 enthalten eine Reihe von Sondervorschriften, mit denen der europäische Gesetzgeber einigen speziellen nationalen Rechtsinstituten, die entweder spezifische Formen der Kapitalherabsetzung darstellen oder zumindest der Kapitalherabsetzung sehr ähnliche Wirkungen haben, Rechnung tragen wollte.739

736 Vgl. Bayer/J. Schmidt (Fn. 6), Rn. 80; Lösekrug (Fn. 9), S. 205; Schwarz Rn. 629. 737 Bezugspunkt ist also das nach nationalem Recht festgelegte Mindestkapital, nicht die in Art. 6 normierte Untergrenze von 25.000 €, vgl. Drinkuth (Fn. 43), S. 261; Fankhauser (Fn. 54), S. 235 Fn. 705. 738 Vgl. Bayer/J. Schmidt (Fn. 6), Rn. 79 Rn. 273. 739 Vgl. RL-E 1970 (Fn. 1), S. 16; Bayer/J. Schmidt (Fn. 6), Rn. 81; Edwards S. 89.

Die Kapitalrichtlinie (2. Richtlinie)

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(1) Tilgung des gezeichneten Kapitals durch die Gesellschaft, Art. 35 Art. 35 normiert Mindestgarantien für die im französischen und belgischen Recht 221 entwickelte740 und zumindest i.E. der Herabsetzung vergleichbare Tilgung des gezeichneten Kapitals ohne dessen Herabsetzung. Sofern die Mitgliedstaaten diese zulassen741, müssen sie diesen Vorgang zumindest den in lit. a bis c spezifizierten Bedingungen742 unterwerfen. Danach ist entweder ein qualifizierter Hauptversammlungsbeschluss oder eine Satzungsregelung plus einfachem Hauptversammlungsbeschluss 743 erforderlich (lit. a) und die Tilgung darf nur mit ausschüttungsfähigen Mitteln erfolgen (lit. b). Zudem müssen die betroffenen Aktionäre ihre Rechte gegenüber der Gesellschaft (mit Ausnahme derjenigen auf Einlagenrückgewähr und Dividende) behalten (lit. c). Da das Rechtsinstitut der Tilgung des gezeichneten Kapitals dem deutschen Ak- 222 tienrecht unbekannt ist, hat Art. 35 hierzulande keine Bedeutung.744

(2) Zwangseinziehung, Art. 36 Art. 36 betrifft die für das deutsche Recht typische 745 Kapitalherabsetzung durch 223 Zwangseinziehung von Aktien. Auch diese müssen die Mitgliedstaaten nicht zulassen 746; sofern sie dies tun, sind allerdings die in Art. 36 Abs. 1 lit. a–e spezifizierten Vorgaben zum Schutz der Aktionäre und Gläubiger zu beachten. Zunächst einmal muss die Zwangseinziehung vor der Zeichnung der einzuziehenden Aktien durch die Satzung oder den Errichtungsakt vorgeschrieben oder zugelassen worden sein (lit. a). Wurde sie lediglich zugelassen, so ist – sofern die betroffenen Aktionäre die Zwangseinziehung nicht einstimmig genehmigt haben – ein Hauptversammlungsbeschluss 747 mit einfacher Mehrheit 748 erforderlich (lit. b), der nach Maßgabe der nationalen

740 Vgl. Denecker Rev. soc. 1977, 661, 677; Edwards S. 89; Pipkorn ZHR 141 (1977) 330, 348; Wooldridge [1978] Acta Juridica 327, 341. 741 Hierzu sind sie nicht gezwungen, vgl. auch Drinkuth (Fn. 43), S. 262; Kalss (Fn. 32), S. 119, 289; Werlauff S. 290. 742 Zu diesen näher Grohmann (Fn. 46), S. 300 f. 743 Bei mehreren Aktiengattungen verlangt Art. 38 einen Sonderbeschluss der Gattungsaktionäre, deren Rechte durch die Maßnahme berührt werden. 744 Vgl. Bayer/J. Schmidt (Fn. 6), Rn. 81; Drinkuth (Fn. 43), S. 262; Lösekrug (Fn. 9), S. 205. 745 Vgl. Drinkuth (Fn. 43), S. 262; Edwards S. 89; Pipkorn ZHR 141 (1977) 330, 348; Wooldridge [1978] Acta Juridica 327, 341. 746 Vgl. Drinkuth (Fn. 43), S. 263; Kalss (Fn. 32), S. 119, 289. 747 Bei mehreren Aktiengattungen verlangt Art. 38 einen Sonderbeschluss der Gattungsaktionäre, deren Rechte durch die Maßnahme berührt werden. 748 Art. 36 Abs. 2 bestimmt ausdrücklich, dass Art. 40 nicht anzuwenden ist.

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Gesellschaftsrechtliche Richtlinien

Umsetzungsvorschriften zu Art. 3 der 1. (Publizitäts-)RL749 (dazu § 19 Rn. 13 ff.) offen zu legen ist (lit. e) 750. Weiterhin muss das Gesellschaftsorgan, das über die Zwangseinziehung beschließt, die Bedingungen und Durchführung dieser Maßnahme festlegen, sofern dies nicht bereits in der Satzung oder im Errichtungsakt geschehen ist (lit. c). Schließlich ist – mit Ausnahme der in lit. d geregelten Fälle – grundsätzlich auch das Gläubigerschutzinstrumentarium des Art. 32 (dazu o. Rn. 211 ff.) anzuwenden (lit. d am Anfang). 224 Obgleich Art. 36 an sich speziell auf die Spezifika des deutschen Aktienrechts abzielte, wo die heute in § 237 AktG geregelte Zwangseinziehung eine lange Tradition hat 751, bedurfte es auf Grund von lit. c einer Ergänzung des § 237 Abs. 2 um einen neuen S. 2, wonach die Voraussetzungen für eine Zwangseinziehung und die Einzelheiten ihrer Durchführung in der Satzung oder dem Hauptversammlungsbeschluss festzulegen sind752. (3) Einziehung eigener Aktien, Art. 37 225 Art. 37 enthält eine Sonderregelung für die Herabsetzung des gezeichneten Kapitals durch die Einziehung von Aktien. Hierfür bedarf es stets eines Hauptversammlungsbeschlusses 753 mit einfacher Stimmenmehrheit 754. Dabei ist unerheblich, ob die Aktien direkt durch die Gesellschaft oder mittelbar durch eine im eigenen Namen, aber auf Rechnung der Gesellschaft handelnde Person erworben werden. Zum Schutz der Gläubiger gebietet Art. 37 Abs. 2 grundsätzlich die Anwendung des Art. 32 (dazu Rn. 211 ff.), soweit nicht einer der in Hs. 2 geregelten Fälle – die denjenigen des Art. 37 Abs. 1 lit. d (dazu o. Rn. 223) entsprechen – vorliegt. 226 Im deutschen Aktienrecht verweist § 71c Abs. 3 AktG hinsichtlich der Einziehung eigener Aktien auf § 237 AktG, so dass den Anforderungen des Art. 37 grundsätzlich Genüge getan ist. Kontrovers diskutiert wird jedoch die Vereinbarkeit des durch das KonTraG 755 neu eingefügten § 71 Abs. 1 Nr. 8 S. 6 AktG mit Art. 37 Abs. 1, der immerhin vorschreibt, dass die Einziehung stets durch die Hauptversammlung zu beschließen ist.756 Im Hinblick auf Sinn und Zweck der Vorschrift dürfte

749 Der Verweis auf Art. 3 der RL 68/151/EWG ist als Verweis auf Art. 3 der kodifizierten Fassung (RL 2009/101/EG) zu lesen, vgl. Art. 16 Abs. 2 RL 2009/101/EG. 750 Dazu näher Grohmann (Fn. 46), S. 302. 751 Vgl. zur Entstehungsgeschichte des § 237 AktG: Oechsler (Fn. 716), § 237 Rn. 1 m.w.N. 752 Vgl. BegrRegE z. KapRiLiG, BT-Drs. 8/1678, S. 19; Bayer/J. Schmidt (Fn. 6), Rn. 81; Ganske DB 1978, 2461, 2465; Hüffer NJW 1979, 1065, 1070; W. Müller WPg 1978, 565, 574. 753 Bei mehreren Aktiengattungen verlangt Art. 38 einen Sonderbeschluss der Gattungsaktionäre, deren Rechte durch die Maßnahme berührt werden. 754 Art. 37 Abs. 3 bestimmt ausdrücklich, dass Art. 40 nicht anzuwenden ist. 755 Fn. 458. 756 Einen Richtlinienverstoß sehen etwa Bezzenberger (Fn. 308), S. 35; Habersack FS Lutter, 2000, S. 1329, 1335 f.

Die Kapitalrichtlinie (2. Richtlinie)

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es jedoch ausreichen, dass dieser Beschluss im Falle des § 71 Abs. 1 Nr. 8 S. 6 AktG antizipiert in Form einer Ermächtigung an den Vorstand erfolgt.757

ee) Rückerwerbbare Aktien, Art. 39 Art. 39 schließlich betrifft das vor allem im angloamerikanischen Rechtskreis sehr be- 227 liebte Rechtsinstitut der sog. rückerwerbbaren Aktien (redeemable shares 758), ein äußerst flexibles Gestaltungsinstrument,759 das in Großbritannien bereits 1929 760 eingeführt wurde. Die RL nimmt diese in Art. 20 Abs. 1 lit. a (dazu Rn. 122) ausdrücklich vom Anwendungsbereich der Vorschriften über den Erwerb eigene Aktien aus und unterwirft sie durch Art. 39 einem eigenen Regelungsregime,761 das maßgeblich an den zur Zeit der Verabschiedung der RL existierenden Vorschriften im UK orientiert ist 762. Ebenso wie bei den anderen in Art. 35 ff. geregelten Sonderformen stellt die RL es 228 den Mitgliedstaaten auch im Hinblick auf rückerwerbbare Aktien grundsätzlich frei, ob sie dieses Rechtsinstitut im nationalen Recht zulassen oder nicht.763 Sofern sie dies tun, darf dies jedoch nur unter Beachtung der folgenden, in lit. a–h geregelten Voraussetzungen geschehen: Zunächst einmal dürfen nur vollständig eingezahlte Aktien als rückerwerbbar ausgegeben werden (lit. b). Ferner muss der Rückerwerb vor der Zeichnung in der Satzung oder dem Errichtungsakt zugelassen sein (lit. a), und dort müssen auch die Bedingungen und die Durchführung festgelegt werden (lit. c). Weiterhin begrenzt die RL auch die Finanzierung solcher Rückerwerbe: Gem. lit. d darf der Rückerwerb nur mit Hilfe von gem. Art. 15 Abs. 1 (dazu Rn. 80 ff.) ausschüttungsfähigen Mitteln oder mit Erträgen aus der Ausgabe neuer Aktien, die zum Zwecke dieses Rückerwerbs ausgegeben werden, erfolgen. Im ersteren Fall ist eine nicht ausschüttungsfähige und nur begrenzt verwendbare Rücklage i.H.d. Nennbetrages bzw. rechnerischen Wertes zu bilden (vgl. lit. e und f). Sofern als Folge des

757 Vgl. Bayer/J. Schmidt (Fn. 6), Rn. 83. I.d.S. ferner auch Lutter/Drygala (Fn. 409), § 71 Rn. 196; Martens AG 1996, 337, 345; Merkt (Fn. 401), § 71 Rn. 297; Oechsler (Fn. 406), § 71 Rn. 277. 758 So die Terminologie im UK. In den USA finden sich dagegen v.a. die Bezeichnungen „repurchase“, „buyback“ oder „reacquisition“. 759 Vgl. etwa zu den Gestaltungsoptionen ausf. Escher-Weingart/Kübler ZHR 162 (1998) 537, 546 ff.; näher zur Herausbildung im angloamerikanischen Gesellschaftsrecht Domínguez AG 2004, 487 ff. 760 Vgl. Davies (Fn. 148), 13-9; Domínguez AG 2004, 487. 761 Vgl. speziell zu diesem Aspekt Habersack (Fn. 756), S. 1329, 1335 f.; Werlauff S. 292. 762 Vgl. Edwards S. 89; Morse (1977) 2 E.L. Rev. 126, 131 f.; Schmitthoff (1978) 15 C.M.L. Rev. 43, 51; Wooldridge [1978] Acta Juridica 327, 341. Die damals geltende Vorschrift der s. 58 CA 1984 wurde zwischenzeitlich durch ss. 159, 160 CA 1985 ersetzt, an deren Stelle seit dem 1.10.2009 die neuen und flexibleren ss. 684–689 CA 2006 getreten sind; zu den aktuellen Vorschriften näher Davies (Fn. 148), 13-9 ff. 763 Vgl. Drinkuth (Fn. 43), S. 264; Kalss (Fn. 32), S. 119, 290.

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Gesellschaftsrechtliche Richtlinien

Rückerwerbs die Zahlung eines Mehrbetrages an die Aktionäre vorgesehen ist, sind die Grenzen des lit. g zu beachten. Schließlich sorgt die RL auch hier wieder für die nötige Transparenz, indem durch lit. h die Offenlegung des Rückerwerbs nach Maßgabe der nationalen Umsetzungsvorschriften zu Art. 3 der 1. (Publizitäts-)RL764 (dazu § 19 Rn. 13 ff.) angeordnet wird.765 229 Für das deutsche Aktienrecht hat Art. 39 nur marginale Bedeutung. Die Regierungskommission Corporate Governance hatte zwar 2001 die generelle Einführung rückerwerbbarer Aktien vorgeschlagen766, der Gesetzgeber ist dem jedoch nicht gefolgt, sondern hat rückerwerbbare Aktien lediglich bei der Investmentaktiengesellschaft mit veränderlichem Kapital (dazu bereits o. Rn. 13) ermöglicht (vgl. § 105 InvG) 767.

6. Abweichungsmöglichkeiten gem. Art. 41 230 Mit den in Art. 41 statuierten zahlreichen Abweichungsoptionen verfolgt der europäische Gesetzgeber sozialpolitische Zwecke: Die Mitgliedstaaten sollen die Beteiligung der Arbeitnehmer am Kapital, speziell in Form sog. Belegschaftsaktien, aktiv fördern und zu diesem Zweck auch von bestimmten Vorschriften der RL abweichen können.768 231 Art. 41 Abs. 1 gestattet den Mitgliedstaaten Abweichungen von Art. 9 Abs. 1 (Leistungszeitpunkt für Bareinlagen bei der Kapitalaufbringung, dazu o. Rn. 42), Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 1 lit. a S. 1 (Hauptversammlungsbeschluss für den Erwerb eigener Aktien, dazu o. Rn. 111), Art. 25 (Hauptversammlungskompetenz für Kapitalerhöhungen, dazu o. Rn. 157), Art. 26 (Leistungszeitpunkt für Bareinlagen bei der Kapitalerhöhung, dazu o. Rn. 172) und Art. 29 (Bezugsrecht, dazu o. Rn. 183 ff.). Eine Abweichungsbefugnis besteht jedoch nur insoweit, als dies für den Erlass oder die Anwendung von Vorschriften erforderlich ist, welche die Beteiligung der Arbeitnehmer oder anderer durch einzelstaatliches Recht festgelegter Gruppen von Personen am Kapital der Unternehmen fördern sollen. Diese Parameter hat der EuGH in seinem Urteil in der Rs. Karella 769 näher konkretisiert. Dabei hat er zunächst betont,

764 Der Verweis auf Art. 3 der RL 68/151/EWG ist als Verweis auf Art. 3 der kodifizierten Fassung (RL 2009/101/EG) zu lesen, vgl. Art. 16 Abs. 2 RL 2009/101/EG. 765 Vgl. auch Grohmann (Fn. 46), S. 289 f. 766 Vgl. BT-Drs. 14/7515, S. 106 (Rn. 235 f.). 767 Vgl. Bayer/J. Schmidt (Fn. 6), Rn. 81. Näher zu § 105 InvG etwa Hermanns ZIP 2004, 1297, 1300; Pluskat WM 2005, 772, 775. 768 Vgl. EuGH v. 30.5.1991, Karella, Rs. C-19/90 u. C-20/90, Slg. 1991, I-2691, Rn. 32. S. ferner auch Denecker Rev. soc. 1977, 661, 678; Drinkuth (Fn. 43), S. 267 f.; Fankhauser (Fn. 54), S. 205; Morse (1977) 2 E.L. Rev. 126, 132; Wooldridge [1978] Acta Juridica 327, 341. 769 EuGH v. 30.5.1991, Karella, Rs. C-19/90 u. C-20/90, Slg. 1991, I-2691. Dazu Edwards S. 61; Fankhauser (Fn. 54), S. 205.

Die Kapitalrichtlinie (2. Richtlinie)

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dass entsprechende nationale Regelungen auch tatsächlich in ihrer konkreten Anwendung zur Verwirklichung des Ziels des Art. 41 Abs. 1 – der Beteiligung breiter Kreise der Bevölkerung am Aktienbesitz – beitragen müssen; eine bloße Möglichkeit theoretischer oder sekundärer Natur genügt nicht.770 Ferner hat der Gerichtshof klargestellt, dass sich die Erwähnung „anderer … Gruppen von Personen“ auf die Beteiligung breiter Kreise der Bevölkerung am Aktienbesitz und nicht etwa auf die Übertragung von Aktien auf Kreditinstitute oder öffentlich-rechtliche Einrichtungen (wie sie der in Streit stehenden griechischen Vorschrift zu Grunde lag) bezieht.771 GA Tesauro hatte zuvor in seinen Schlussanträgen – auf die der EuGH insoweit ausdrücklich Bezug nimmt 772 – als konkrete Beispiele Arbeitnehmervereinigungen oder juristische Personen, deren Ziel die Förderung der Beteiligung breiter Kreise der Bevölkerung am Aktienbesitz ist, genannt.773 Umstritten ist hingegen, ob auch Mitglieder der Geschäftsführung zum von Art. 41 Abs. 1 privilegierten Kreis gehören.774 Art. 41 Abs. 2 eröffnet den Mitgliedstaaten die Befugnis zur Nichtanwendung der 232 Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 1 lit. a S. 1 (Hauptversammlungsbeschluss für den Erwerb eigener Aktien, dazu Rn. 111) sowie der Kapitalherabsetzungsvorschriften in Art. 30, 31, 36, 37, 38 und 39 (dazu Rn. 205 ff.) auf Gesellschaften, die auf Grund einer besonderer Regelung neben Kapitalanteilen sog. Arbeitsaktien ausgeben. Voraussetzung ist weiterhin, dass diese Arbeitsaktien zugunsten der Gesamtheit der Arbeitnehmer ausgegeben werden und diese auf der Hauptversammlung der Aktionäre durch Bevollmächtigte mit Stimmrecht vertreten wird. Derartige Arbeitsaktien existieren z.B. im französischen Gesellschaftsrecht.775

7. Das Gleichbehandlungsgebot als Leitmotiv, Art. 42 Last but not least statuiert die RL in Art. 42 – fast schon etwas versteckt – eines ihrer 233 grundlegenden Leitmotive: 776 das Gebot der Gleichbehandlung der Aktionäre, dessen explizite Positivierung auf französischem Vorbild beruht 777. Zahlreiche Einzelvorschriften der RL stellen letztlich lediglich Konkretisierungen dieses Grundsatzes

770 771 772 773 774 775 776 777

EuGH v. 30.5.1991, Karella, Rs. C-19/90 u. C-20/90, Slg. 1991, I-2691, Rn. 33 f. EuGH v. 30.5.1991, Karella, Rs. C-19/90 u. C-20/90, Slg. 1991, I-2691, Rn. 35. EuGH v. 30.5.1991, Karella, Rs. C-19/90 u. C-20/90, Slg. 1991, I-2691, Rn. 35. GA Tesauro, Schlussanträge v. 30.1.1991, Karella, Rs. C-19/90 u. C-20/90, Slg. 1991, I-2691, Rn. 5. Dafür Hüffer ZHR 161 (1997) 214, 239 f.; Kalss (Fn. 32), S. 119, 224; Schmitthoff (1978) 15 C.M.L. Rev. 43, 48; dagegen Fuchs in: MünchKommAktG, 3. Aufl. 2011, § 192 Rn. 114; Lösekrug (Fn. 9), S. 195; Martens FS Ulmer, 2003, S. 399, 410 f. Vgl. Art. L225-259 ff. C. com. (sog. actions de travail). Vgl. auch Denecker Rev. soc. 1977, 661, 678; Pipkorn ZHR 141 (1977) 330, 349. Vgl. Bayer/J. Schmidt (Fn. 6), Rn. 84; Grundmann Rn. 325: „Gleichbehandlung als Grundidee“. Vgl. Denecker Rev. soc. 1977, 661, 679; Henn AG 1985, 240, 242; Kalss (Fn. 32), S. 119, 215 Fn. 356.

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dar,778 so etwa insbesondere das Bezugsrecht der (Alt-)Aktionäre 779 (Art. 29, dazu o. Rn. 183 ff.). 234 Die RL verpflichtet die Mitgliedstaaten allerdings nur zur Sicherstellung der Gleichbehandlung derjenigen Aktionäre, die „sich in denselben Verhältnissen befinden“. Sie gebietet also nur, die Aktionäre unter gleichen Bedingungen gleich zu behandeln, sachlich begründete Differenzierungen sind hingegen zulässig.780 Dabei ist das Gleichbehandlungsgebot nicht lediglich ein reiner Programmsatz 781, vielmehr kommt ihm als fundamentales Leitmotiv gerade auch im Hinblick auf die Auslegung der einzelnen Richtlinienbestimmungen grundlegende Bedeutung zu 782. Insofern hat der Gleichbehandlungsgrundsatz also auch eine gewisse Schrankenfunktion, was die RL nunmehr in Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 1 S. 1 im Hinblick auf den Erwerb eigener Aktien auch explizit statuiert (vgl. o. Rn. 107). Relevant ist der Gleichbehandlungsgrundsatz ferner aber gerade auch im Bereich des Bezugsrechts783 oder der Kapitalaufbringung 784. Wie der EuGH in der Rs. Audiolux 785 entschieden hat, ist er allerdings nicht etwa Ausfluss eines primärrechtlichen allgemeinen Rechtsgrundsatzes der Gleichbehandlung aller Aktionäre (ein solcher existiert gerade nicht, dazu noch näher § 30 Rn. 15). 235 Im deutschen Aktienrecht war die Gleichbehandlung der Aktionäre zwar schon immer eine der grundlegenden – wenn auch ungeschriebenen – Maximen.786 Die RL brachte also keineswegs eine Änderung der materiellen Rechtslage; der deutsche Gesetzgeber entschloss sich jedoch gleichwohl, den Grundsatz der Gleichbehandlung aus Klarstellungsgründen ausdrücklich im hierzu neu geschaffenen § 53a AktG zu kodifizieren.787 Der Anwendungsbereich der Generalklausel des § 53a AktG ist jedoch deutlich weiter als derjenige des Art. 42, denn er erfasst nicht nur den Regelungsbereich der RL788, sondern vielmehr den gesamten mitgliedschaftlichen Bereich.789 778 Vgl. Grundmann Rn. 325; Kalss (Fn. 32), S. 119, 215; Nobel (Fn. 6), Kap. 2 Rn. 121. S. ferner auch Edwards S. 56. 779 Vgl. die Nachweise in Fn. 644. 780 Vgl. auch BGH NJW 1993, 400, 402. 781 Zumindest missverständlich insofern Kalss (Fn. 32), S. 119, 215. 782 Vgl. Kalss (Fn. 32), S. 119, 215. 783 Vgl. dazu bereits o. Rn. 183 sowie etwa Habersack § 6 Rn. 71; Werlauff S. 240 ff. 784 Vgl. Drinkuth (Fn. 43), S. 268; Habersack § 6 Rn. 22. 785 EuGH v. 15.10.2009, Audiolux, Rs. C-101/08, Slg. 2009, I-9823. Schrifttum bei § 30 Rn. 15. 786 S. bereits RGZ 41, 97, 99; 52, 287, 293 f.; BGHZ 33, 175, 186. 787 S. zur Kodifikation des Gleichbehandlungsgebotes in § 53a AktG: BegrRegE z. KapRiLiG, BT-Drs. 8/1678, S. 13; Bayer/J. Schmidt (Fn. 6), Rn. 84; Ganske DB 1978, 2461, 2462; Hüffer NJW 1979, 1065, 1067; W. Müller WPg 1978, 565, 568; Lösekrug (Fn. 9), S. 208 f.; Verse, Der Gleichbehandlungsgrundsatz im Recht der Kapitalgesellschaften, S. 27 ff. Äußerst kritisch Lutter FS Ferid, 1978, S. 599, 606 ff. 788 Vgl. EuGH v. 30.6.2009, Audiolux, Rs. C-101/08, Slg. 2009, I-9823, Rn. 37. 789 Vgl. Bayer/J. Schmidt (Fn. 6), Rn. 84; Bungeroth in: MünchKommAktG, 3. Aufl. 2008, § 53a Rn. 1, 5; KK-AktG/Drygala, 3. Aufl. 2011, § 53a Rn. 10; Habersack § 6 Rn. 7; Lösekrug (Fn. 9), S. 208; KK-AktG/Lutter/Zöllner, 2. Aufl. 1986, § 53a Rn. 7; Verse (Fn. 787), S. 28.

Die Kapitalrichtlinie (2. Richtlinie)

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IV. Reformdebatte Angestoßen durch die SLIM-Initiative Ende der 1990er Jahre 790 und die hierauf aufbauenden Arbeiten der von der Kommission eingesetzten High Level Group (zu dieser bereits allg. § 18 Rn. 6), entbrannte in den letzten Jahren eine breite und äußerst kontroverse Debatte um eine grundlegende Reform der RL. Die High Level Group empfahl in ihrem Abschlussbericht aus dem Jahr 2002, die Praktikabilität eines alternativen Systems der Kapitalerhaltung zu prüfen; dieses sollte das geltende System zwar nicht völlig ersetzen, den Mitgliedstaaten aber als Alternative zum bisherigen System zur Verfügung stehen.791 Kern dieses Alternativsystems war eine zweistufige Ausschüttungskontrolle bestehend aus einem Bilanz- und einem Liquiditätstest.792 Arbeitsgruppen aus verschiedenen Mitgliedstaaten präsentierten in der Folgezeit ebenfalls eine Reihe detaillierter Reformvorschläge.793 Das Modell der britischen Interdisciplinary Group on Capital Maintenance (Rickford-Gruppe) 794 und der Vorschlag der niederländischen Arbeitsgruppe unter dem Vorsitz von Schutte-Veenstra 795 sahen ebenfalls eine zweistufige Ausschüttungskontrolle bestehend aus Bilanz- und Solvenztest vor. Nach dem Modell der Rickford-Gruppe sollten Ausschüttungen letztlich allerdings auch im Falle eines negativen Ergebnisses des Bilanztests zulässig sein, sofern dies entsprechend offen gelegt wurde 796. Die Mitglieder des aus renommierten Wissenschaftlern und Praktikern aus verschiedenen EU-Mitgliedstaaten bestehenden Arbeitskreises „Kapital in Europa“ (Lutter-Gruppe) sprachen sich dagegen dezidiert dafür aus, am Prinzip des festen Grundkapitals einschließlich des bewährten Instrumentariums für Kapitalaufbringung und -erhaltung festzuhalten und nur dort Randkorrekturen vorzunehmen, wo diese im Interesse von Wettbewerbsfähigkeit, Gläubiger- und Aktionärsschutz unabdingbar seien.797 Vor dem Hintergrund dieser völlig konträren Grundpositionen, die sich auch in den zahlreichen anderen wissenschaftlichen Beiträgen zur Thematik 798 widerspiegelten,

790 791 792 793 794 795 796 797 798

S. Fn. 12. Vgl. Bericht High Level Group (Fn. 13), S. 97 f. Vgl. Bericht High Level Group (Fn. 13), S. 94 ff., 100. Überblick bei Lanfermann/Röhricht BB 2007, Beil. 5, S. 8, 10 ff.; Grade/Wouters in: Geens/Hopt, The European Company Law Action Plan revisited, 2010, S. 25, 40 ff. Rickford (ed.), Reforming Capital. Report of the Interdisciplinary Group on Capital Maintenance, [2004] EBLR 919 ff. Schutte-Veenstra/Boschma/Lennarts, Alternative Systems for Capital Protection, 2005 (zur Ausschüttungsregelung: S. 69 ff.). Vgl. Rickford [2004] EBLR 919, 980. Ausf. Lutter (Hrsg.), Das Kapital der Aktiengesellschaft in Europa, 2006; englischsprachig: Lutter (ed.), Legal capital in Europe, 2006. Vgl. etwa Arnold Konzern 2007, 118 ff.; Ballwieser Konzern 2007, 419 ff.; Bezzenberger (Fn. 308), S. 184 ff.; Böcking/Dutzi Konzern 2007, 435 ff.; Daejmert (2009) 30 Co Law 3 ff., 34 ff.; Drygala ZGR 2006, 587 ff.; Engert ZHR 170 (2006) 296 ff.; Ferran ECFR 2006, 178 ff.; Jungmann ZGR 2006, 638 ff.; Kuhner ZGR 2005, 753 ff.; Leyte BLR 2004, 84, 88 ff.; Merkt ZGR 2004, 305 ff.; Miola ECFR 2005, 413 ff.; Mülbert Konzern 2004,

236

237

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239

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Gesellschaftsrechtliche Richtlinien

beschränkte man sich mit der Änderungs-RL 2006/68/EG (Rn. 6) bewusst auf eine punktuelle Deregulierung und stellte die vorgeschlagene „Totalrevision“ unter den Vorbehalt des Ergebnisses einer umfassenden Durchführbarkeitsstudie.799 Während diese Studie noch lief, wurde i.R.d. allgemeinen Diskussion um die Vereinfachung des Unternehmensumfelds seitens der Kommission allerdings zwischenzeitlich sogar erwogen, die RL völlig abzuschaffen 800 (vgl. dazu auch bereits § 18 Rn. 4). Dies stieß jedoch auf vehementen Widerstand 801; selbst viele entschiedene Proponenten eines alternativen Systems der Kapitalerhaltung gingen in ihren Stellungnahmen ungeachtet aller Einzelkritik nicht so weit, eine völlige Aufhebung der RL zu fordern 802. Nach Vorlage des Ergebnisses der Studie 803 Anfang 2008 erklärte die Kommission dann schließlich, dass die Studie zeige, dass das gegenwärtige System der Kapitalerhaltung keine signifikanten operativen Probleme für die Gesellschaften mit sich bringe; für die nähere Zukunft seien daher erst einmal keine weiteren Änderungen der RL geplant 804. Der Vorschlag einer generellen Abschaffung des tradierten Systems des festen Kapitals als europaweit verbindliche Regelung dürfte damit – jedenfalls für die nähere Zukunft – endgültig gescheitert sein.805 So sieht insbesondere auch der Anfang 2011 vorgelegte Vorschlag für eine Neufassung – abgesehen von der technischen Änderung in Art. 6 (dazu o. Rn. 28) – letztlich lediglich eine Kodifizierung vor (vgl. bereits o. Rn. 9).

799 800 801

802 803

804 805

151 ff.; Pellens/Jödicke/A. Schmidt Konzern 2007, 427 ff.; Schön Konzern 2004, 162 ff.; Weiss Konzern 2007, 109 ff.; Westermann ZIP 2005, 1849 ff.; Wymeersch (Fn. 6), S. 1 ff. Dieses zweistufige Vorgehen hatte die Kommission bereits in ihrem Aktionsplan aus dem Jahr 2003 angekündigt (vgl. dazu bereits § 18 Rn. 82 f.). Vgl. KOM(2007) 394, S. 5. I.R.d. Konsultation sprach sich eine große Mehrheit gegen eine Aufhebung der RL aus, vgl. den Consultation Report v. Dez. 2007 (http://ec.europa.eu/internal_market/ company/docs/simplification/consultation_report_20071219_en.pdf), S. 3 ff. S. ferner auch S. Maul SR 2007, 273. Vgl. nur die Stellungnahme von Rickford (abrufbar unter http://circa.europa.eu/Public/ irc/markt/markt_consultations/library?l=/company_law/simplifying_environment/ johnatan_rickfordpdf/_EN_1.0_&a=d). KPMG, Feasibility study on an alternative to the capital maintenance regime established by the Second Company Law Directive 77/91/EEC of 13 December 1976 and an examination of the impact on profit distribution of the new EU accounting regime, 2008, abrufbar unter: http://ec.europa.eu/internal_market/company/docs/capital/feasbility/ study_en.pdf. Dazu Schruff/Lanfermann WPg 2008, 1099 ff. sowie (sehr kritisch) Fuchs Mtwebana [2011] EBLR 237, 239 ff. Vgl. DG MARKT (Fn. 297), S. 2. S. zum Ganzen auch Bayer/J. Schmidt BB 2008, 454, 458; Davies/Rickford ECFR 2008, 239, 264 f.; Fuchs Mtwebana [2011] EBLR 237 ff.

Die Kapitalrichtlinie (2. Richtlinie)

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V. Fundstellenverzeichnis Grundlage:

Art. 50 Abs. 2 lit. g AEU [G Art. 44 Abs. 2 lit. g EG G Art. 54 Abs. 3 lit. g EWG]

Vorschläge:

Vorschlag einer zweiten Richtlinie des Rates zur Koordinierung der Schutzbestimmungen, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Sinne des Artikels 58 Absatz 2 des Vertrages im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter für die Gründung der Aktiengesellschaft sowie für die Einhaltung und Änderungen ihres Kapitals vorgeschrieben sind, 5.3.1970, KOM(70) 232 = BT-Drs. VI/595 Geänderter Vorschlag einer zweiten Richtlinie des Rates zur Koordinierung der Schutzbestimmungen, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Sinne des Artikels 58 Absatz 2 des Vertrages im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter für die Gründung der Aktiengesellschaft sowie für die Einhaltung und Änderungen ihres Kapitals vorgeschrieben sind, 30.10.1972, KOM(72) 1310

verabschiedete Fassung:

Zweite RL 77/91/EWG des Rates v. 13.12.1976 zur Koordinierung der Schutzbestimmungen, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Sinne des Artikels 58 Absatz 2 des Vertrages im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter für die Gründung der Aktiengesellschaft sowie für die Einhaltung und Änderung ihres Kapitals vorgeschrieben sind, um diese Bestimmungen gleichwertig zu gestalten, ABlEG v. 31.1.1977, L 26/1

geändert durch:

Beitrittsakte von 1979, ABlEG v. 19.11.1979, L 291/17 (Griechenland) Beitrittsakte von 1985, ABlEG v. 15.11.1985, L 302/23 (Spanien und Portugal) RL 92/101/EWG des Rates v. 23.11.1992 zur Änderung der Richtlinie 77/91 EWG über die Gründung der Aktiengesellschaft sowie die Erhaltung und Änderung ihres Kapitals, ABlEG v. 28.11.1992, L 347/64 Beitrittsakte von 1994, ABlEG v. 29.8.1994, C 241/194 (Finnland, Österreich und Schweden) Beitrittsakte von 2003, ABlEU v. 23.9.2003, L 236/338 (Estland, Lettland, Litauen, Malta, Polen, Slowakei, Slowenien, Tschechien, Ungarn, Zypern) RL 2006/68/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 6.9.2006 zur Änderung der Richtlinie 77/91/EWG über die Gründung der Aktiengesellschaft sowie die Erhaltung und Änderung ihres Kapitals, ABlEU v. 25.9.2006, L 264/32 RL 2009/109/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 16.9.2009 zur Änderung der Richtlinien 77/91/EWG, 78/855/EWG und 82/891/EWG des Rates sowie der Richtlinie 2005/56/EG hinsichtlich der Berichts- und Dokumentationspflichten bei Verschmelzungen und Spaltungen, ABlEU v. 2.10.2009, L 259/14.

570

Gesellschaftsrechtliche Richtlinien

Umsetzung in Deutschland: ursprüngliche Umsetzung

Gesetz zur Durchführung der Zweiten Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaften zur Koordinierung des Gesellschaftsrechts v. 13.12.1978, BGBl. I, 1959 (KapRiLiG)

Änderungs-RL 92/101/EWG nicht erforderlich (deutsches Recht entsprach bereits den Vorgaben) Änderungs-RL 2006/68/EG

Gesetz zur Umsetzung der Aktionärsrechterichtlinie (ARUG) v. 30.7.2009, BGBl. I, 2479

Änderungs-RL 2009/109/EG Drittes Gesetz zur Änderung des Umwandlungsgesetzes v. 11.7.2011, BGBl. I, 1338

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Die Kapitalrichtlinie (2. Richtlinie)

ZWEITE RICHTLINIE DES RATES vom 13. Dezember 1976 zur Koordinierung der Schutzbestimmungen, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Sinne des Artikels 58 Absatz 2 des Vertrages im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter für die Gründung der Aktiengesellschaft sowie für die Erhaltung und Änderung ihres Kapitals vorgeschrieben sind, um diese Bestimmungen gleichwertig zu gestalten (77/91/EWG)

DER RAT DER SCHAFTEN –

EUROPÄISCHEN

GEMEIN-

gestützt auf den Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, insbesondere auf Artikel 54 Absatz 3 Buchstabe g), auf Vorschlag der Kommission, nach Stellungnahme des Europäischen Parlaments(1), nach Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses(2), in Erwägung nachstehender Gründe: Die Fortführung der Koordinierung, die Artikel 54 Absatz 3 Buchstabe g) sowie das Allgemeine Programm zur Aufhebung der Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit vorsehen und die mit der Richtlinie 68/151/EWG(3) begonnen wurde, ist bei den Aktiengesellschaften besonders wichtig, weil in der Wirtschaft der Mitgliedstaaten die Tätigkeit dieser Gesellschaften vorherrscht und häufig die Grenzen des nationalen Hoheitsgebiets überschreitet. Die Koordinierung der einzelstaatlichen Vorschriften über die Gründung der Aktiengesellschaft sowie die Aufrechterhaltung, die Erhöhung und die Herabsetzung ihres Kapitals ist vor allem bedeutsam, um beim Schutz der Aktionäre einerseits und der Gläubiger der Gesellschaft andererseits ein Mindestmaß an Gleichwertigkeit sicherzustellen. Die Satzung oder der Errichtungsakt einer Aktiengesellschaft muß im Gebiet der Gemeinschaft jedem Interessierten die Möglichkeit bieten, die wesentlichen Merkmale der Gesellschaft und insbesondere die genaue Zusammensetzung des Gesellschaftskapitals zu kennen. Die Gemeinschaft muß deshalb Vorschriften erlassen, um das Kapital als Sicherheit für die Gläubiger zu erhalten, indem insbesondere untersagt wird, daß das Kapital durch nicht geschuldete Ausschüttungen an die Aktionäre verringert wird, und indem die Möglichkeit einer Gesellschaft, eigene Aktien zu erwerben, begrenzt wird.

Im Hinblick auf die in Artikel 54 Absatz 3 Buchstabe g) verfolgten Ziele ist es erforderlich, daß die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten bei Kapitalerhöhungen und Kapitalherabsetzungen die Beachtung der Grundsätze über die Gleichbehandlung der Aktionäre, die sich in denselben Verhältnissen befinden, und den Schutz der Gläubiger von Forderungen, die bereits vor der Entscheidung über die Herabsetzung bestanden, sicherstellen und für die harmonisierte Durchführung dieser Grundsätze Sorge tragen – HAT FOLGENDE RICHTLINIE ERLASSEN: Artikel 1 (1) Die durch diese Richtlinie vorgeschriebenen Maßnahmen der Koordinierung gelten für die Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten für Gesellschaften folgender Rechtsformen: –

in Deutschland: die Aktiengesellschaft



in Belgien: de naamloze vennootschapla société anonyme



in Dänemark: aktieselskabet



in Frankreich: la société anonyme



in Irland: the public company limited by shares und the public company limited by guarantee and having a share capital



in Italien: la società per azioni



in Luxemburg: la société anonyme

(1) ABl. Nr. C 114 vom 11.11.1971, S. 18. (2) ABl. Nr. C 88 vom 6.9.1971, S. 1. (3) ABl. Nr. L 65 vom 14.3.1968, S. 8.



in den Niederlanden: de naamloze vennotschap

572

Gesellschaftsrechtliche Richtlinien



im Vereinigten Königreich: the public company limited by shares und the public company limited by guarantee and having a share capital.



in Griechenland h anånumh etairía



in Spanien: la sociedad anónima



in Portugal: a sociedade anónima de responsabilidade limitada



in Österreich die Aktiengesellschaft



in Finnland: julkinen osakeyhtiö/publikt aktiebolag



in Schweden aktiebolag



in der Tschechischen Republik: akciová spolecˇnost



in Estland: aktsiaselts

Die Firma jeder Gesellschaft der vorgenannten Rechtsformen muß eine Bezeichnung enthalten, die sich von den für andere Gesellschaftsformen vorgeschriebenen Bezeichnungen unterscheidet, oder muß mit einer solchen Bezeichnung verbunden sein. (2) Die Mitgliedstaaten brauchen diese Richtlinie auf Investmentgesellschaften mit veränderlichem Kapital und auf Genossenschaften, die in einer der in Absatz 1 genannten Rechtsformen gegründet worden sind, nicht anzuwenden. Soweit die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten von dieser Möglichkeit Gebrauch machen, verpflichten sie diese Gesellschaften die Bezeichnung „Investmentgesellschaft mit veränderlichem Kapital“ oder „Genossenschaft“ auf allen in Artikel 4 der Richtlinie 68/151/ EWG genannten Schriftstücken anzugeben. Unter Investmentgesellschaften mit veränderlichem Kapital im Sinne dieser Richtlinie sind nur Gesellschaften zu verstehen, – deren Gegenstand es ausschließlich ist, ihre Mittel in verschiedenen Wertpapieren, in verschiedenen Grundstücken oder in anderen Werten anzulegen mit dem einzigen Ziel, das Risiko der Investitionen zu verteilen und ihre Aktionäre an dem Gewinn aus der Verwaltung ihres Vermögens zu beteiligen, – die sich an die Öffentlichkeit wenden, um ihre eigenen Aktien unterzubringen, und



in Zypern: Dhmósiev etaireíev periorisménhv eujúnhv me metocév, dhmósiev etaireíev periorisménhv eujúnhv me eggúhsh pou diajétoun metocikó kefálaio



in Lettland: akciju sabiedrı¯ba

Artikel 2



in Litauen: akcine˙ bendrove˙

Die Satzung oder der Errichtungsakt der Gesellschaft enthält mindestens folgende Angaben:



in Ungarn: nyilvánosan mu˝ködo˝ részvénytársaság



in Malta: kumpanija pubblika/public limited liability company



in Polen: spól/ ka akcyjna



in Slowenien: delnisˇka druzˇba



in der Slowakei: akciová spolocˇ nost’



in Bulgarien:



in Rumänien: societate pe act¸iuni.

akcionerno druøestvo

– deren Satzung bestimmt, daß ihre Aktien in den Grenzen eines Mindest- und eines Höchstkapitals jederzeit von der Gesellschaft ausgegeben, zurückgekauft oder weiterveräußert werden können.

a) die Rechtsform der Gesellschaft und ihre Firma; b) den Gegenstand des Unternehmens; c) – sofern die Gesellschaft kein genehmigtes Kapital hat, die Höhe des gezeichneten Kapitals; – sofern die Gesellschaft ein genehmigtes Kapital hat, die Höhe des genehmigten Kapitals und die Höhe des gekennzeichneten Kapitals im Zeitpunkt der Gründung der Gesellschaft oder der Erteilung der Genehmigung zur Aufnahme ihrer Geschäftstätigkeit sowie bei jeder Änderung des genehmigten Kapitals; Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe e) der Richtlinie 68/151/EWG bleibt unberührt; d) die Bestimmungen, welche die Zahl und die Art und Weise der Bestellung der Mitglieder derjenigen Organe, die mit der Vertretung gegenüber Dritten, mit der Verwaltung, der Leitung, der Aufsicht oder der Kontrolle der Gesellschaft betraut sind, sowie die Verteilung der Zustän-

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Die Kapitalrichtlinie (2. Richtlinie) digkeiten zwischen diesen Organen festlegen, soweit sich dies nicht aus dem Gesetz ergibt; e) die Dauer der Gesellschaft, sofern sie nicht unbestimmt ist. Artikel 3 Die Satzung, der Errichtungsakt oder ein gesondertes Schriftstück, das nach den in den Rechtsvorschriften der einzelnen Mitgliedstaaten gemäß Artikel 3 der Richtlinie 68/151/EWG vorgesehenen Verfahren offenzulegen ist, müssen mindestens folgende Angaben enthalten:

k) jeder besondere Vorteil, der bei der Gründung der Gesellschaft oder bis zu dem Zeitpunkt, zu dem diese die Genehmigung zur Aufnahme ihrer Geschäftstätigkeit erhält, jemandem gewährt wird, der an der Gründung der Gesellschaft oder an Vorgängen beteiligt ist, welche die Genehmigung herbeiführen. Artikel 4

b) den Nennbetrag der gezeichneten Aktien und zumindest jährlich deren Zahl;

(1) Schreiben die Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats vor, daß eine Gesellschaft ihre Geschäftstätigkeit nicht ohne eine entsprechende Genehmigung aufnehmen darf, so müssen sie auch Vorschriften über die Haftung für die Verbindlichkeiten enthalten, die von der Gesellschaft oder für ihre Rechnung vor der Erteilung oder der Ablehnung einer solchen Genehmigung eingegangen werden.

c) die Zahl der gezeichneten Aktien ohne Angabe des Nennbetrags, soweit die einzelstaatlichen Rechtsvorschriften die Ausgabe solcher Aktien erlauben;

(2) Absatz 1 gilt nicht für Verbindlichkeiten aus Verträgen, welche die Gesellschaft unter der Bedingung geschlossen hat, daß ihr die Genehmigung zur Aufnahme der Geschäftstätigkeit erteilt wird.

d) gegebenenfalls die besonderen Bedingungen, welche die Übertragung der Aktien beschränken;

Artikel 5

a) den Sitz der Gesellschaft;

e) sofern es mehrere Gattungen von Aktien gibt; die Angaben unter den Buchstaben b), c) und d) für jede von ihnen und die Angabe der Rechte, die mit den Aktien jeder der Gattungen verbunden sind; f) die Form der Aktien, Namens- oder Inhaberaktien, sofern die einzelstaatlichen Rechtsvorschriften diese beiden Formen vorsehen, sowie alle Vorschriften über deren Umwandlung, es sei denn, daß das Gesetz die Einzelheiten festlegt; g) den eingezahlten Betrag des gezeichneten Kapitals im Zeitpunkt der Gründung der Gesellschaft oder der Erteilung der Genehmigung zur Aufnahme ihrer Geschäftstätigkeit;

(1) Verlangen die Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats für die Gründung einer Gesellschaft das Zusammenwirken mehrerer Gesellschafter, so hat die Vereinigung aller Aktien in einer Hand oder das Absinken der Zahl der Gesellschafter unter die gesetzliche Mindestzahl nach der Gründung der Gesellschaft nicht ohne weiteres deren Auflösung zur Folge. (2) Kann in den Fällen des Absatzes 1 die gerichtliche Auflösung der Gesellschaft nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats ausgesprochen werden, so muß das zuständige Gericht dieser Gesellschaft eine ausreichende Frist einräumen können, um den Mangel zu beheben.

h) den Nennbetrag der Aktien oder, wenn ein Nennbetrag nicht vorhanden ist, die Zahl der Aktien, die als Gegenleistung für eine Einlage ausgegeben werden, die nicht in bar bewirkt wird, sowie den Gegenstand dieser Einlage und den Namen des Einlegers;

(3) Wenn die Auflösung der Gesellschaft durch das Gericht ausgesprochen worden ist, tritt die Gesellschaft in Liquidation.

i) die Personalien der natürlichen Personen oder die Bezeichnung der juristischen Personen oder Gesellschaften, durch die oder in deren Namen die Satzung oder der Errichtungsakt oder, sofern die Gründung der Gesellschaft nicht in einem Vorgang einheitlich erfolgt, die Entwürfe der Satzung oder des Errichtungsaktes unterzeichnet worden sind;

(1) Die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten fordern für die Gründung der Gesellschaft oder für die Erteilung der Genehmigung zur Aufnahme ihrer Geschäftstätigkeit die Zeichnung eines Mindestkapitals, dessen Betrag nicht auf weniger als 25 000 ECU festgesetzt werden darf.

j) mindestens annähernd den Gesamtbetrag aller Kosten, die aus Anlaß der Gründung der Gesellschaft von dieser zu tragen sind oder ihr in Rechnung gestellt werden, und zwar gegebenenfalls auch, wenn sie vor dem Zeitpunkt entstehen, in dem die Gesellschaft die Genehmigung zur Aufnahme ihrer Geschäftstätigkeit erhält;

Artikel 6

Als ECU gilt die Rechnungseinheit, die durch die Entscheidung Nr. 3289/75/EGKS der Kommission(4) festgelegt worden ist. Der Gegenwert in nationaler Währung ist bei der ersten Festsetzung derjenige, welcher am Tag der Annahme dieser Richtlinie gilt. (2) Verändert sich der Gegenwert der ECU in einer nationalen Währung derart, daß der Betrag des in (4) ABl. Nr. L 327 vom 19.12.1975, S. 4.

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Gesellschaftsrechtliche Richtlinien

nationaler Währung ausgedrückten Mindestkapitals während eines Jahres unter dem Wert von 22 500 ECU bleibt, so teilt die Kommission dem betreffenden Mitgliedstaat mit, daß er seine Rechtsvorschriften innerhalb von zwölf Monaten nach Ablauf des genannten Zeitraums den Vorschriften des Absatzes 1 anpassen muß. Der Mitgliedstaat kann jedoch vorsehen, daß die Anpassung seiner Rechtsvorschriften auf bereits bestehende Gesellschaften erst achtzehn Monate nach Inkrafttreten dieser Anpassung anzuwenden ist. (3) Auf Vorschlag der Kommission prüft der Rat alle fünf Jahre die in ECU ausgedrückten Beträge dieses Artikels unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen und monetären Entwicklung in der Gemeinschaft sowie der Tendenzen, die Wahl der in Artikel 1 Absatz 1 bezeichneten Gesellschaftsformen großen und mittleren Unternehmen vorzubehalten, und ändert diese Beträge gegebenenfalls. Artikel 7 Das gezeichnete Kapital darf nur aus Vermögensgegenständen bestehen, deren wirtschaftlicher Wert feststellbar ist. Jedoch können diese Vermögensgegenstände nicht aus Verpflichtungen zu Arbeits- oder Dienstleistungen bestehen. Artikel 8 (1) Die Aktien dürfen nicht unter dem Nennbetrag oder, wenn ein Nennbetrag nicht vorhanden ist, nicht unter dem rechnerischen Wert ausgegeben werden. (2) Die Mitgliedstaaten können jedoch zulassen, daß diejenigen, die sich berufsmäßig mit der Unterbringung von Aktien befassen, weniger als den Gesamtbetrag der Aktien zahlen, die sie bei diesem Vorgang zeichnen. Artikel 9 (1) Die Einlagen auf ausgegebene Aktien müssen im Zeitpunkt der Gründung der Gesellschaft oder der Erteilung der Genehmigung zur Aufnahme ihrer Geschäftstätigkeit in Höhe von mindestens 25 v. H. des Nennbetrags der Aktien oder, wenn ein Nennbetrag nicht vorhanden ist, ihres rechnerischen Wertes geleistet werden. (2) Jedoch müssen Einlagen, die nicht Bareinlagen sind, für Aktien, die im Zeitpunkt der Gründung der Gesellschaft oder im Zeitpunkt der Erteilung der Genehmigung zur Aufnahme ihrer Geschäftstätigkeit ausgegeben werden, innerhalb von fünf Jahren nach diesem Zeitpunkt vollständig geleistet werden. Artikel 10 (1) Die Einlagen, die nicht Bareinlagen sind, sind Gegenstand eines besonderen Berichts, der vor der Gründung der Gesellschaft oder vor dem Zeit-

punkt, zu dem sie die Genehmigung zur Aufnahme ihrer Geschäftstätigkeit erhält, durch einen oder mehrere von ihr unabhängige Sachverständige, die durch eine Verwaltungsbehörde oder ein Gericht bestellt oder zugelassen sind, erstellt wird. Sachverständige können nach den Rechtsvorschriften jedes Mitgliedstaats natürliche Personen, juristische Personen oder Gesellschaften sein. (2) Der Sachverständigenbericht muß mindestens jede Einlage beschreiben, die angewandten Bewertungsverfahren nennen und angeben, ob die Werte, zu denen diese Verfahren führen, wenigstens der Zahl und dem Nennbetrag oder, wenn ein Nennbetrag nicht vorhanden ist, dem rechnerischen Wert und gegebenenfalls dem Mehrbetrag der dafür auszugeben den Aktien entsprechen. (3) Der Sachverständigenbericht ist nach den in den Rechtsvorschriften der einzelnen Mitgliedstaaten gemäß Artikel 3 der Richtlinie 68/151/EWG vorgesehenen Verfahren offenzulegen. (4) Die Mitgliedstaaten brauchen diesen Artikel nicht anzuwenden, wenn 90 v. H. des Nennbetrags oder, wenn ein Nennbetrag nicht vorhanden ist, des rechnerischen Wertes aller Aktien an eine oder mehrere Gesellschaften gegen Sacheinlagen, die nicht Bareinlagen sind, ausgegeben werden und wenn folgende Voraussetzungen erfüllt sind: a) bei der Gesellschaft, an welche die Einlagen geleistet werden, haben die in Artikel 3 Buchstabe i) genannten Personen oder Gesellschaften auf die Erstellung des Sachverständigenberichts verzichtet; b) dieser Verzicht ist nach Absatz 3 offengelegt worden; c) die Gesellschaften, welche die Einlagen leisten, verfügen über Rücklagen, die nach Gesetz oder Satzung nicht ausgeschüttet werden dürfen und deren Höhe mindestens dem Nennbetrag oder, wenn ein Nennbetrag nicht vorhanden ist, dem rechnerischen Wert der gegen solche Einlagen ausgegebenen Aktien entspricht, die nicht Bareinlagen sind; d) die Gesellschaften, welche die Einlagen leisten, verpflichten sich bis zu dem unter Buchstabe c) genannten Betrag, für diejenigen Schulden der empfangenden Gesellschaft einzustehen, die zwischen dem Zeitpunkt der Ausgabe der Aktien gegen Einlagen, die nicht Bareinlagen sind, und einem Jahr nach der Bekanntmachung des Jahresabschlusses dieser Gesellschaft entstehen, der sich auf das Geschäftsjahr bezieht, in dem die Einlagen geleistet worden sind. Jede Übertragung dieser Aktien innerhalb dieser Frist ist unzulässig; e) die unter Buchstabe d) genannte Verpflichtung ist nach Absatz 3 offengelegt worden; f) die Gesellschaften, welche die Einlagen leisten, stellen einen Betrag in Höhe des unter Buchstabe c) genannten Betrags in eine Rücklage ein, die erst ausgeschüttet werden darf nach

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Die Kapitalrichtlinie (2. Richtlinie) Ablauf einer Frist von drei Jahren nach Bekanntmachung des Jahresabschlusses der empfangenden Gesellschaft, der sich auf das Geschäftsjahr bezieht, in dem die Einlagen geleistet worden sind, oder gegebenenfalls nach einem späteren Zeitpunkt, zu dem alle innerhalb der Frist geltend gemachten Ansprüche aus der unter Buchstabe d) genannten Verpflichtung erfüllt sind. (5) Mitgliedstaaten können beschließen, diesen Artikel bei der Bildung einer neuen Gesellschaft im Wege der Verschmelzung oder Spaltung nicht anzuwenden, wenn ein Bericht eines unabhängigen Sachverständigen über die Verschmelzungsoder Spaltungspläne erstellt wird. Beschließen Mitgliedstaaten, diesen Artikel in den in Unterabsatz 1 beschriebenen Fällen anzuwenden, so können sie gestatten, dass der gemäß diesem Artikel erstellte Bericht und der Bericht des unabhängigen Sachverständigen über die Verschmelzungs- oder Spaltungspläne von demselben bzw. denselben Sachverständigen erstellt werden.

Artikel 10a (1) Die Mitgliedstaaten können beschließen, Artikel 10 Absätze 1, 2 und 3 nicht anzuwenden, wenn auf Beschluss des Verwaltungs- oder Leitungsorgans übertragbare Wertpapiere im Sinne von Artikel 4 Absatz 1 Nummer 18 der Richtlinie 2004/39/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 über Märkte für Finanzinstrumente(5), oder Geldmarktinstrumente im Sinne des Artikels 4 Absatz 1 Nummer 19 derselben Richtlinie als Sacheinlage eingebracht werden und diese Wertpapiere oder Geldmarktinstrumente zu dem gewichteten Durchschnittspreis bewertet werden, zu dem sie während einer durch die nationalen Rechtsvorschriften zu bestimmenden aus-reichenden Zeitspanne vor dem Tag ihrer tatsächlichen Einbringung als Sacheinlage auf einem oder mehreren geregelten Märkten im Sinne von Artikel 4 Absatz 1 Nummer 14 der genannten Richtlinie gehandelt wurden. Wurde dieser Preis jedoch durch außergewöhnliche Umstände beeinflusst, die eine erhebliche Änderung des Wertes des Vermögensgegenstandes zum Zeitpunkt seiner tatsächlichen Einbringung bewirken würden, und zwar auch in Fällen, in denen der Markt für diese Wertpapiere oder Geldmarktinstrumente illiquide geworden ist, so veranlasst das Verwaltungs- oder Leitungsorgan eine Neubewertung. Für diese Neubewertung gilt Artikel 10 Absätze 1, 2 und 3. (2) Die Mitgliedstaaten können beschließen, Artikel 10 Absätze 1, 2 und 3 nicht anzuwenden, wenn auf Beschluss des Verwaltungs- oder Leitungs-

(5) ABl. L 145 vom 30.4.2004, S. 1. Zuletzt geändert durch die Richtlinie 2006/31/EG (ABl. L 114 vom 27.4.2006, S. 60).

organs andere Vermögensgegenstände als die in Absatz 1 genannten Wertpapiere und Geldmarktinstrumente als Sacheinlagen eingebracht werden, die bereits von einem anerkannten unabhängigen Sachverständigen zum beizulegenden Zeitwert („fair value“) bewertet wurden, und die folgenden Bedingungen erfüllt sind: a) der beizulegende Zeitwert wird für einen Stichtag ermittelt, der nicht mehr als sechs Monate vor dem Tag der tatsächlichen Einbringung des Vermögensgegenstands liegt; b) die Bewertung wurde nach den in dem Mitgliedstaat für die Art der einzubringenden Vermögensgegenstände allgemein anerkannten Bewertungsnormen und -grundsätzen vorgenommen. Sind neue erhebliche Umstände eingetreten, die eine wesentliche Änderung des beizulegenden Zeitwerts des Vermögensgegenstands zum Zeitpunkt seiner tatsächlichen Einbringung bewirken würden, so veranlasst das Verwaltungs- oder Leitungsorgan eine Neubewertung. Für diese Neubewertung gilt Artikel 10 Absätze 1, 2 und 3. Wurde eine solche Neubewertung nicht vorgenommen, können ein oder mehrere Aktionäre, die am Tag des Beschlusses über eine Kapitalerhöhung zusammengenommen mindestens 5 % des gezeichneten Kapitals der Gesellschaft halten, eine Bewertung durch einen unabhängigen Sachverständigen verlangen; in diesem Fall gilt Artikel 10 Absätze 1, 2 und 3. Dieser oder diese Aktionäre können einen entsprechenden Antrag bis zum Tag der tatsächlichen Einbringung der Vermögensgegenstände stellen, sofern er oder sie am Antragstag immer noch, wie zuvor am Tag des Kapitalerhöhungsbeschlusses, zusammengenommen mindestens 5 % des gezeichneten Kapitals der Gesellschaft hält bzw. halten. (3) Die Mitgliedstaaten können beschließen, Artikel 10 Absätze 1, 2 und 3 nicht anzuwenden, wenn auf Beschluss des Verwaltungs- oder Leitungsorgans andere Vermögensgegenstände als die in Absatz 1 genannten Wertpapiere und Geldmarktinstrumente als Sacheinlagen eingebracht werden, deren beizulegender Zeitwert aus der Vermögensaufstellung des gesetzlichen Abschlusses des vorausgegangenen Geschäftsjahrs hervorgeht, sofern dieser Abschluss nach Maßgabe der Richtlinie 2006/43/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Mai 2006 über Abschlussprüfungen von Jahresabschlüssen und konsolidierten Abschlüssen(6) geprüft wurde. Absatz 2 Unterabsätze 2 und 3 gilt entsprechend. Artikel 10b (1) Werden Sacheinlagen nach Artikel 10a ohne einen Sachverständigenbericht im Sinne von Artikel 10 Absätze 1, 2 und 3 eingebracht, so wird zu-

(6) ABl. L 157 vom 9.6.2006, S. 87.

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sätzlich zu den nach Artikel 3 Buchstabe h geforderten Angaben und innerhalb eines Monats nach dem Tag der tatsächlichen Einbringung der Vermögensgegenstände in einer Erklärung Folgendes offen gelegt: a) eine Beschreibung der betreffenden Sacheinlage; b) ihr Wert, die Quelle dieser Bewertung sowie gegebenenfalls die Bewertungsmethode; c) Angaben darüber, ob der ermittelte Wert wenigstens der Zahl und dem Nennbetrag oder – falls ein Nennbetrag nicht vorhanden ist – dem rechnerischen Wert und gegebenenfalls dem Mehrbetrag der für eine solche Sacheinlage auszugebenden Aktien entspricht; d) eine Erklärung, dass in Bezug auf die ursprüngliche Bewertung keine neuen erheblichen Umstände eingetreten sind. Diese Offenlegung erfolgt nach Artikel 3 der Richtlinie 68/151/EWG nach Maßgabe der Vorschriften jedes Mitgliedstaats. (2) Wird die Einbringung von Sacheinlagen im Zusammenhang mit einer vorgeschlagenen Kapitalerhöhung gemäß Artikel 25 Absatz 2 ohne einen Sachverständigenbericht im Sinne von Artikel 10 Absätze 1, 2 und 3 vorgeschlagen, so werden das Datum des Beschlusses über die Kapitalerhöhung und die Angaben nach Absatz 1 in einer Bekanntmachung gemäß Artikel 3 der Richtlinie 68/151/ EWG nach Maßgabe der Vorschriften jedes Mitgliedstaats offen gelegt, bevor die Einbringung des Vermögensgegenstands als Sacheinlage wirksam wird. In diesem Falle beschränkt sich die in Absatz 1 genannte Erklärung darauf, dass seit der Offenlegung in der genannten Bekanntmachung keine neuen Umstände eingetreten sind. (3) Jeder Mitgliedstaat stellt durch geeignete Maßnahmen sicher, dass das in Artikel 10a und in dem vorliegenden Artikel beschriebene Verfahren eingehalten wird, wenn Sacheinlagen ohne einen Sachverständigenbericht nach Artikel 10 Absätze 1, 2 und 3 eingebracht werden. Artikel 11 (1) Der Erwerb jedes Vermögensgegenstands, der einer unter Artikel 3 Buchstabe i) fallenden Person oder Gesellschaft gehört, durch die Gesellschaft für einen Gegenwert von mindestens 1/10 des gezeichneten Kapitals muß Gegenstand einer Prüfung und Offenlegung entsprechend der in Artikel 10 Absätze 1, 2 und 3 vorgesehenen sein; er unterliegt der Zustimmung der Hauptversammlung, falls er vor Ablauf einer Frist erfolgt, die in den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften auf mindestens zwei Jahre nach der Gründung der Gesellschaft oder nach dem Zeitpunkt festzusetzen ist, in dem die Gesellschaft die Genehmigung zur Aufnahme ihrer Geschäftstätigkeit erhält. Die Artikel 10a und 10b gelten entsprechend.

Die Mitgliedstaaten können die Anwendung dieser Vorschriften auch vorsehen, wenn der Vermögensgegenstand einem Aktionär oder einer anderen Person gehört. (2) Absatz 1 ist weder auf den Erwerb im Rahmen der laufenden Geschäfte der Gesellschaft noch auf den Erwerb, der auf Anordnung oder unter Aufsicht einer Verwaltungsbehörde oder eines Gerichts erfolgt, noch auf den Erwerb an der Börse anzuwenden. Artikel 12 Unbeschadet der Vorschriften über die Herabsetzung des gezeichneten Kapitals dürfen die Aktionäre nicht von der Verpflichtung befreit werden, ihre Einlage zu leisten. Artikel 13 Bis zur späteren Koordinierung der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften treffen die Mitgliedstaaten die notwendigen Maßnahmen, damit zumindest gleiche Garantien, wie sie in den Artikeln 2 bis 12 vorgesehen sind, bei der Umwandlung einer Gesellschaft einer anderen Rechtsform in eine Aktiengesellschaft gegeben sind. Artikel 14 Die Artikel 2 bis 13 lassen die Vorschriften der Mitgliedstaaten über die Zuständigkeit und das Verfahren bei Änderungen der Satzung oder des Errichtungsaktes unberührt. Artikel 15 (1) a) Ausgenommen in den Fällen einer Kapitalherabsetzung darf keine Ausschüttung an die Aktionäre erfolgen, wenn bei Abschluß des letzten Geschäftsjahres das Nettoaktivvermögen, wie es der Jahresabschluß ausweist, den Betrag des gezeichneten Kapitals zuzüglich der Rücklagen, deren Ausschüttung das Gesetz oder die Satzung nicht gestattet, durch eine solche Ausschüttung unterschreitet oder unterschreiten würde. b) Der Betrag des unter Buchstabe a) genannten gezeichneten Kapitals wird um den Betrag des gezeichneten Kapitals, der noch nicht eingefordert ist, vermindert, sofern der letztere nicht auf der Aktivseite der Bilanz ausgewiesen wird. c) Der Betrag einer Ausschüttung an die Aktionäre darf den Betrag des Ergebnisses des letzten abgeschlossenen Geschäftsjahres, zuzüglich des Gewinnvortrags und der Entnahmen aus hierfür verfügbaren Rücklagen, jedoch vermindert um die Verluste aus früheren Geschäftsjahren sowie um die Beträge, die nach Gesetz oder Satzung in Rücklagen eingestellt worden sind, nicht überschreiten.

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Die Kapitalrichtlinie (2. Richtlinie) d) Der Begriff „Ausschüttung“ unter den Buchstaben a) und c) umfaßt insbesondere die Zahlung von Dividenden und von Zinsen für Aktien. (2) Gestatten die Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats Abschlagszahlungen auf Dividenden, so unterwerfen sie diese mindestens folgenden Bedingungen: a) Eine Zwischenbilanz wird erstellt, aus der hervorgeht, daß für die Ausschüttungen genügend Mittel zur Verfügung stehen; b) der auszuschüttende Betrag darf den Betrag des Ergebnisses, das seit dem Ende des letzten Geschäftsjahres, für das der Jahresabschluß aufgestellt worden ist, erzielt worden ist, zuzüglich des Gewinnvortrags und der Entnahmen aus hierfür verfügbaren Rücklagen, jedoch vermindert um die Verluste aus früheren Geschäftsjahren sowie um die nach Gesetz oder Satzung in eine Rücklage einzustellenden Beträge, nicht überschreiten. (3) Die Absätze 1 und 2 berühren nicht die Vorschriften der Mitgliedstaaten über die Erhöhung des gezeichneten Kapitals aus Gesellschaftsmitteln. (4) Die Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats können von Absatz 1 Buchstabe a) für lnvestmentgesellschaften mit festem Kapital abweichen. Unter Investmentgesellschaften mit festem Kapital im Sinne dieses Absatzes sind nur Gesellschaften zu verstehen, – deren Gegenstand es ausschließlich ist, ihre Mittel in verschiedenen Wertpapieren, in verschiedenen Grundstücken oder in anderen Werten anzulegen mit dem einzigen Ziel, das Risiko der Investitionen zu verteilen und ihre Aktionäre an dem Gewinn aus der Verwaltung ihres Vermögens zu beteiligen, und – die sich an die Öffentlichkeit wenden, um ihre eigenen Aktien unterzubringen. Soweit die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten von dieser Möglichkeit Gebrauch machen, a) verpflichten sie diese Gesellschaften, die Bezeichnung „Investmentgesellschaft“ auf allen in Artikel 4 der Richtlinie 68/151/EWG genannten Schriftstücken anzugeben; b) gestatten sie es einer solchen Gesellschaft, deren Nettoaktivvermögen den in Absatz 1 Buchstabe a) beschriebenen Betrag unterschreitet, nicht, eine Ausschüttung an die Aktionäre vorzunehmen, wenn bei Abschluß des letzten Geschäftsjahres das gesamte Aktivvermögen, wie es der Jahresabschluß ausweist, den eineinhalbfachen Betrag der gesamten Verbindlichkeiten der Gesellschaft, wie sie der Jahresabschluß ausweist, durch eine solche Ausschüttung unterschreitet oder unterschreiten würde; c) verpflichten sie diese Gesellschaften, die eine Ausschüttung vornehmen, wenn ihr Nettoaktivvermögen den in Absatz 1 Buchstabe a) be-

schriebenen Betrag unterschreitet, einen entsprechenden Vermerk in den Jahresabschluß aufzunehmen. Artikel 16 Jede Ausschüttung, die entgegen Artikel 15 erfolgt, ist von den Aktionären, die sie empfangen haben, zurückzugewähren, wenn die Gesellschaft beweist, daß diesen Aktionären die Unzulässigkeit der an sie erfolgten Ausschüttung bekannt war oder sie darüber nach den Umständen nicht in Unkenntnis sein konnten. Artikel 17 (1) Bei schweren Verlusten des gezeichneten Kapitals muß die Hauptversammlung innerhalb einer durch die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten zu bestimmenden Frist einberufen werden, um zu prüfen, ob die Gesellschaft aufzulösen ist oder andere Maßnahmen zu ergreifen sind. (2) Die Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats können die Höhe des als schwer zu erachtenden Verlustes im Sinne des Absatzes 1 nicht auf mehr als die Hälfte des gezeichneten Kapitals festsetzen. Artikel 18 (1) Die Gesellschaft darf keine eigenen Aktien zeichnen. (2) Sind die Aktien der Gesellschaft durch eine Person gezeichnet worden, die im eigenen Namen, aber für Rechnung der Gesellschaft handelt, so gilt die Zeichnung als für eigene Rechnung des Zeichners vorgenommen. (3) Die in Artikel 3 Buchstabe i) genannten Personen oder Gesellschaften oder, im Falle der Erhöhung des gezeichneten Kapitals, die Mitglieder des Verwaltungs- oder Leitungsorgans sind verpflichtet, die Einlagen auf Aktien zu leisten, die unter Verstoß gegen den vorliegenden Artikel gezeichnet worden sind. Die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten können jedoch vorsehen, daß jeder Betroffene sich von dieser Verpflichtung befreien kann, indem er beweist, daß ihn persönlich kein Verschulden trifft. Artikel 19 (1) Unbeschadet des Grundsatzes der Gleichbehandlung aller Aktionäre, die sich in denselben Verhältnissen befinden und unbeschadet der Richtlinie 2003/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Januar 2003 über Insider-Geschäfte und Marktmanipulation (Marktmissbrauch)(7) kann ein Mitgliedstaat einer Gesellschaft gestatten, ihre (7) ABl. L 96 vom 12.4.2003, S. 16.

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eigenen Aktien entweder selbst oder durch eine im eigenen Namen, aber für Rechnung der Gesellschaft handelnde Person zu erwerben. Insoweit ein solcher Erwerb gestattet ist, knüpfen die Mitgliedstaaten diesen Erwerb an folgende Bedingungen: a) Die Genehmigung für den Erwerb wird von der Hauptversammlung erteilt, welche die Einzelheiten des vorgesehenen Erwerbs und insbesondere die Höchstzahl der zu erwerbenden Aktien, die Geltungsdauer der Genehmigung, die sich nach den nationalen Rechtsvorschriften richtet, dabei aber fünf Jahre nicht überschreiten darf, und bei entgeltlichem Erwerb den niedrigsten und höchsten Gegenwert festlegt. Die Mitglieder des Verwaltungs- oder Leitungsorgans müssen sich davon überzeugen, dass im Zeitpunkt jedes genehmigten Erwerbs die unter den Buchstaben b und c genannten Bedingungen beachtet werden; b) der Erwerb von Aktien einschließlich der Aktien, welche die Gesellschaft früher erworben hat und noch hält, sowie der Aktien, die eine Person im eigenen Namen, jedoch für Rechnung der Gesellschaft erworben hat, darf nicht dazu führen, dass das Nettoaktivvermögen den in Artikel 15 Absatz 1 Buchstaben a und b genannten Betrag unterschreitet; c) der Vorgang darf nur voll eingezahlte Aktien betreffen. Die Mitgliedstaaten können ferner den Erwerb von Aktien im Sinne von Unterabsatz 1 jeder beliebigen der folgenden Bedingungen unterwerfen: i) Der Nennbetrag oder, wenn ein Nennbetrag nicht vorhanden ist, der rechnerische Wert der erworbenen Aktien einschließlich der Aktien, welche die Gesellschaft früher erworben hat und noch hält, sowie der Aktien, die eine Person im eigenen Namen, jedoch für Rechnung der Gesellschaft erworben hat, darf nicht einen von den Mitgliedstaaten zu bestimmenden Höchstwert überschreiten. Dieser Höchstwert darf nicht niedriger als 10 % des gezeichneten Kapitals sein; ii) die Befugnis der Gesellschaft zum Erwerb eigener Aktien im Sinne des Unterabsatzes 1, die Höchstzahl der zu erwerbenden Aktien, die Geltungsdauer der Befugnis und der höchste bzw. der niedrigste Gegenwert werden in der Satzung oder in der Gründungsurkunde festgelegt; iii) die Gesellschaft erfüllt bestimmte Berichts- und Notifizierungsanforderungen; iv) von bestimmten von den Mitgliedstaaten bezeichneten Gesellschaften kann verlangt werden, dass sie erworbene Aktien für nichtig erklären, vorausgesetzt, ein Betrag in Höhe des Nennbetrags der für nichtig erklärten Aktien wird in eine Rücklage eingestellt, die außer im Falle der Herabsetzung des gezeichneten Kapitals nicht an die Aktionäre ausgeschüttet wer-

den darf. Diese Rücklage darf nur zum Zwecke einer Erhöhung des gezeichneten Kapitals durch Umwandlung von Rücklagen verwendet werden; v) die Befriedigung von Gläubigerforderungen wird durch den Erwerb nicht beeinträchtigt. (2) Die Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats können von Absatz 1 Buchstabe a) Satz 1 abweichen, sofern der Erwerb eigener Aktien notwendig ist, um einen schweren unmittelbar bevorstehenden Schaden von der Gesellschaft abzuwenden. In diesem Fall muß die nächste Hauptversammlung durch das Verwaltungs- oder Leitungsorgan über die Gründe und den Zweck der getätigten Ankäufe, über die Zahl und den Nennbetrag oder, wenn ein Nennbetrag nicht vorhanden ist, den rechnerischen Wert der erworbenen Aktien, über deren Anteil am gezeichneten Kapital sowie über den Gegenwert der Aktien unterrichtet werden. (3) Die Mitgliedstaaten brauchen Absatz 1 Buchstabe a) Satz 1 nicht auf Aktien anzuwenden, die von der Gesellschaft selbst oder von einer Person, die im eigenen Namen, aber für Rechnung der Gesellschaft handelt, im Hinblick auf eine Ausgabe an die Arbeitnehmer der Gesellschaft oder an die Arbeitnehmer einer mit dieser verbundenen Gesellschaft erworben werden. Die Ausgabe derartiger Aktien muß innerhalb von zwölf Monaten, vom Erwerb dieser Aktien an gerechnet, erfolgen. Artikel 20 (1) Die Mitgliedstaaten brauchen Artikel 19 nicht anzuwenden a) auf Aktien, die in Durchführung einer Entscheidung über eine Kapitalherabsetzung oder im Falle des Artikels 39 erworben werden; b) auf Aktien, die durch eine Vermögensübertragung im Wege der Gesamtrechtsnachfolge erworben werden; c) auf voll eingezahlte Aktien, die unentgeltlich oder die von Banken und anderen Finanzinstituten auf Grund einer Einkaufskommission erworben werden; d) auf Aktien, die auf Grund einer gesetzlichen Verpflichtung oder einer gerichtlichen Entscheidung zum Schutz der Minderheitsaktionäre, insbesondere im Falle der Verschmelzung, der Änderung des Gegenstands oder der Rechtsform der Gesellschaft, der Verlegung des Sitzes der Gesellschaft ins Ausland oder der Einführung von Beschränkungen der Übertragbarkeit von Aktien erworben werden; e) auf Aktien, die aus der Hand eines Aktionärs erworben werden, weil er seine Einlage nicht leistet; f) auf Aktien, die erworben werden, um Minderheitsaktionäre verbundener Gesellschaften zu entschädigen;

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Die Kapitalrichtlinie (2. Richtlinie) g) auf voll eingezahlte Aktien, die bei einer gerichtlichen Versteigerung zum Zwecke der Erfüllung einer Forderung der Gesellschaft gegen den Eigentümer dieser Aktien erworben werden; h) auf voll eingezahlte Aktien, die von einer Investmentgesellschaft mit festem Kapital im Sinne von Artikel 15 Absatz 4 Unterabsatz 2 ausgegeben worden sind und von dieser oder einer mit ihr verbundenen Gesellschaft auf Wunsch der Anleger erworben werden. Artikel 15 Absatz 4 Unterabsatz 3 Buchstabe a) ist anzuwenden. Dieser Erwerb darf nicht dazu führen, daß das Nettoaktivvermögen den Betrag des gezeichneten Kapitals zuzüglich der Rücklagen, deren Ausschüttung das Gesetz nicht gestattet, unterschreitet. (2) Die in den Fällen des Absatzes 1 Buchstaben b) bis g) erworbenen Aktien müssen jedoch innerhalb einer Frist von höchstens drei Jahren nach ihrem Erwerb veräußert werden, es sei denn, daß der Nennbetrag oder, wenn ein Nennbetrag nicht vorhanden ist, der rechnerische Wert der erworbenen Aktien einschließlich der Aktien, die von einer Person im eigenen Namen, aber für Rechnung der Gesellschaft erworben worden sind, 10 v.H. des gezeichneten Kapitals nicht übersteigt. (3) Werden die Aktien innerhalb der in Absatz 2 festgesetzten Frist nicht veräußert, so müssen sie für nichtig erklärt werden. Die Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats können diese Nichtigerklärung von einer Herabsetzung des gezeichneten Kapitals um einen entsprechenden Betrag abhängig machen. Eine derartige Herabsetzung muß vorgeschrieben werden, soweit der Erwerb von für nichtig zu erklärenden Aktien dazu geführt hat, daß das Nettoaktivvermögen den in Artikel 15 Absatz 1 Buchstaben a und b genannten Betrag unterschreitet. Artikel 21 Die unter Verletzung der Artikel 19 und 20 erworbenen Aktien müssen innerhalb einer Frist von einem Jahr, vom Zeitpunkt ihres Erwerbs an gerechnet, veräußert werden. Geschieht dies nicht, ist Artikel 20 Absatz 3 anzuwenden. Artikel 22 (1) Gestatten die Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats einer Gesellschaft den Erwerb eigener Aktien, sei es selbst, sei es durch eine im eigenen Namen, aber für Rechnung der Gesellschaft handelnde Person, so unterwerfen sie das Halten dieser Aktien jederzeit mindestens folgenden Bedingungen: a) Von den mit Aktien verbundenen Rechten ist in jedem Fall das an eigene Aktien gebundene Stimmrecht aufgehoben; b) werden diese Aktien auf der Aktivseite der Bilanz ausgewiesen, so muß auf der Passivseite

ein gleich hoher Betrag in eine nicht verfügbare Rücklage eingestellt werden. (2) Gestatten die Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats einer Gesellschaft den Erwerb eigener Aktien, sei es selbst, sei es durch eine im eigenen Namen, aber für Rechnung der Gesellschaft handelnde Person, so verlangen sie, daß der Lagebericht der Gesellschaft mindestens folgende Angaben enthält: a) die Gründe für die während des Geschäftsjahres getätigten Ankäufe; b) die Zahl und den Nennbetrag oder, wenn ein Nennbetrag nicht vorhanden ist, den rechnerischen Wert der während des Geschäftsjahres erworbenen und veräußerten Aktien sowie deren Anteil am gezeichneten Kapital; c) bei entgeltlichem Erwerb oder entgeltlicher Veräußerung den Gegenwert der Aktien; d) die Zahl und den Nennbetrag oder, wenn ein Nennbetrag nicht vorhanden ist, den rechnerischen Wert aller erworbenen und gehaltenen Aktien sowie deren Anteil am gezeichneten Kapital. Artikel 23 (1) Wenn ein Mitgliedstaat es einer Gesellschaft gestattet, im Hinblick auf einen Erwerb eigener Aktien durch einen Dritten unmittelbar oder mittelbar Vorschüsse zu zahlen, Darlehen zu gewähren oder Sicherheiten zu leisten, so macht er solche Geschäfte von der Erfüllung der in den Unterabsätzen 2, 3, 4 und 5 genannten Bedingungen abhängig. Die Geschäfte sind unter der Verantwortung des Verwaltungs- oder Leitungsorgans vorzunehmen und müssen zu fairen, marktüblichen Konditionen abgewickelt werden, insbesondere in Bezug auf die der Gesellschaft gezahlten Zinsen und die Sicherheiten, die ihr für die in Unterabsatz 1 genannten Darlehen oder Vorschüsse geleistet werden. Die Kreditwürdigkeit des Dritten oder – im Falle von Geschäften mit einer Vielzahl von Parteien – jeder dieser Parteien muss in angemessener Weise überprüft worden sein. Das Verwaltungs- oder Leitungsorgan legt das Geschäftsvorhaben der Hauptversammlung vorab zur Genehmigung vor; diese wird nach den Vorschriften des Artikels 40 über die Beschlussfähigkeit und die Mehrheit tätig. Das Verwaltungs- oder Leitungsorgan legt der Hauptversammlung einen schriftlichen Bericht vor, aus dem die Gründe für das Geschäft, das Interesse der Gesellschaft an dem Geschäft, die Konditionen des Geschäfts, die mit dem Geschäft verbundenen Risiken für Liquidität und Solvenz der Gesellschaft und der Preis hervorgehen, zu dem der Dritte die Aktien erwerben soll. Dieser Bericht wird gemäß Artikel 3 der Richtlinie 68/151/EWG beim Register zur Offenlegung eingereicht.

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Die Dritten insgesamt gewährte finanzielle Unterstützung darf zu keinem Zeitpunkt dazu führen, dass das Nettoaktivvermögen unter den in Artikel 15 Absatz 1 Buchstaben a und b genannten Betrag absinkt; dabei wird auch jede Verringerung des Nettoaktivvermögens berücksichtigt, die infolge des Erwerbs ihrer eigenen Aktien durch die Gesellschaft oder auf Rechnung der Gesellschaft nach Artikel 19 Absatz 1 möglicherweise eingetreten ist. Die Gesellschaft stellt auf der Passivseite der Bilanz eine nicht ausschüttbare Rücklage in Höhe des Betrags der insgesamt gewährten finanziellen Unterstützung ein. Erwirbt ein Dritter mit finanzieller Unterstützung der Gesellschaft eigene Aktien der Gesellschaft im Sinne von Artikel 19 Absatz 1 oder zeichnet er Aktien, die anlässlich einer Erhöhung des gezeichneten Kapitals emittiert wurden, so muss dieser Erwerb zu einem angemessenen Preis stattfinden. (2) Absatz 1 gilt nicht für Rechtsgeschäfte, die im Rahmen der laufenden Geschäfte der Banken und anderer Finanzinstitute getätigt werden, und auch nicht für Geschäfte, die im Hinblick auf den Erwerb von Aktien durch oder für Arbeitnehmer der Gesellschaft oder einer mit ihr verbundenen Gesellschaft getätigt werden. Diese Geschäfte dürfen jedoch nicht dazu führen, daß das Nettoaktivvermögen der Gesellschaft den in Artikel 15 Absatz 1 Buchstabe a) genannten Betrag unterschreitet. (3) Absatz 1 gilt nicht für Geschäfte, die im Hinblick auf den Erwerb von Aktien nach Artikel 20 Absatz 1 Buchstabe h) getätigt werden. Artikel 23a Für die Fälle, in denen einzelne Mitglieder des Verwaltungs- oder Leitungsorgans der Gesellschaft, die Vertragspartner eines Geschäfts im Sinne des Artikels 23 Absatz 1 ist, oder Mitglieder des Verwaltungs- oder Leitungsorgans eines Mutterunternehmens im Sinne von Artikel 1 der Richtlinie 83/349/EWG des Rates vom 13. Juni 1983 über den konsolidierten Abschluss(8) oder ein solches Mutterunternehmen selbst oder eine Person, die im eigenen Namen, aber für Rechnung dieser Mitglieder oder dieses Unternehmens handelt, zugleich Gegenpartei eines solchen Geschäfts sind, stellen die Mitgliedstaaten durch geeignete Schutzvorkehrungen sicher, dass ein solches Geschäft dem Wohl der Gesellschaft nicht zuwiderläuft. Artikel 24 (1) Die lnpfandnahme eigener Aktien durch die Gesellschaft selbst oder durch eine im eigenen Namen, aber für Rechnung der Gesellschaft handelnde Person ist den in Artikel 19, Artikel 20 Absatz 1 und den Artikeln 22 und 23 genannten Arten des Erwerbs gleichgestellt. (8) ABl. L 193 vom 18.7.1983, S. 1. Zuletzt geändert durch die Richtlinie 2006/43/EG.

(2) Die Mitgliedstaaten brauchen Absatz 1 nicht auf die laufenden Geschäfte von Banken und anderen Finanzinstituten anzuwenden.

Artikel 24a (1) a) Zeichnet, erwirbt oder besitzt eine andere Gesellschaft im Sinne von Artikel 1 der Richtlinie 68/151/EWG Aktien einer Aktiengesellschaft und verfügt die Aktiengesellschaft unmittelbar oder mittelbar über die Mehrheit der Stimmrechte der erstgenannten Gesellschaft oder kann sie auf diese unmittelbar oder mittelbar einen beherrschenden Einfluß ausüben, so wird dieser Sachverhalt so behandelt, als wenn die Aktiengesellschaft selbst die betreffenden Aktien zeichnet, erwirbt oder besitzt. b) Buchstabe a) findet auch Anwendung, wenn die andere Gesellschaft dem Recht eines Drittlands unterliegt und eine Rechtsform besitzt, die den in Artikel 1 der Richtlinie 68/151/EWG genannten Rechtsformen vergleichbar ist. (2) Verfügt die Aktiengesellschaft mittelbar über die Mehrheit der Stimmrechte oder kann sie den beherrschenden Einfluß mittelbar ausüben, so können die Mitgliedstaaten von der Anwendung des Absatzes 1 jedoch absehen, sofern sie vorsehen, daß die mit den Aktien der Aktiengesellschaft, über die die andere Gesellschaft verfügt, verbundenen Stimmrechte ausgesetzt werden. (3) In Ermangelung einer Koordinierung der einzelstaatlichen Vorschriften über das Konzernrecht können die Mitgliedstaaten a) die Fälle definieren, in denen davon ausgegangen wird, daß eine Aktiengesellschaft einen beherrschenden Einfluß auf eine andere Gesellschaft ausüben kann; macht ein Mitgliedstaat von dieser Möglichkeit Gebrauch, so muß sein Recht auf jeden Fall vorsehen, daß die Möglichkeit, beherrschenden Einfluß auszuüben, dann besteht, wenn die Aktiengesellschaft – das Recht hat, die Mehrheit der Mitglieder des Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgans zu bestellen oder abzuberufen und wenn sie gleichzeitig Aktionär oder Gesellschafter der anderen Gesellschaft ist oder – Aktionär oder Gesellschafter der anderen Gesellschaft ist und aufgrund einer mit anderen Aktionären oder Gesellschaftern dieser Gesellschaft getroffenen Vereinbarung allein die Mehrheit der Stimmrechte der Aktionäre oder Gesellschafter dieser Gesellschaft kontrolliert. Die Mitgliedstaaten sind nicht dazu verpflichtet, andere als die in den vorstehenden Gedankenstrichen genannten Fälle vorzusehen; b) die Fälle definieren, in denen davon ausgegangen wird, daß eine Aktiengesellschaft mittelbar

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Die Kapitalrichtlinie (2. Richtlinie) über die Stimmrechte verfügt oder einen beherrschenden Einfluß mittelbar ausüben kann; c) die Umstände präzisieren, bei denen davon ausgegangen wird, daß eine Aktiengesellschaft über die Stimmrechte verfügt. (4) a) Die Mitgliedstaaten können von der Anwendung des Absatzes 1 absehen, wenn die Zeichnung, der Erwerb oder der Besitz auf Rechnung einer anderen Person als des Zeichners, Erwerbers oder Besitzers gehen und die betreffende Person weder die Aktiengesellschaft gemäß Absatz 1 noch eine andere Gesellschaft ist, an der die Aktiengesellschaft unmittelbar oder mittelbar über die Mehrheit der Stimmrechte verfügt oder auf die sie unmittelbar oder mittelbar einen beherrschenden Einfluß ausüben kann. b) Ferner können die Mitgliedstaaten von der Anwendung des Absatzes 1 absehen, wenn die andere Gesellschaft in ihrer Eigenschaft oder im Rahmen ihrer Tätigkeit als berufsmäßiger Wertpapierhändler Aktien zeichnet, erwirbt oder besitzt, sofern sie Mitglied einer in einem Mitgliedstaat ansässigen oder tätigen Wertpapierbörse ist oder von einer für die Beaufsichtigung von berufsmäßigen Wertpapierhändlern – zu denen im Sinne dieser Richtlinie auch Kreditinstitute gehören können – zuständigen Stelle eines Mitgliedstaats zugelassen ist oder beaufsichtigt wird. (5) Die Mitgliedstaaten sind zur Anwendung des Absatzes 1 nicht verpflichtet, wenn die andere Gesellschaft Aktien der Aktiengesellschaft aufgrund eines Erwerbs besitzt, der erfolgte, bevor das Verhältnis zwischen den beiden Gesellschaften den Kriterien des Absatzes 1 entsprach. Die mit den betreffenden Aktien verbundenen Stimmrechte werden jedoch ausgesetzt und die Aktien werden bei der Entscheidung, ob die Bedingung gemäß Artikel 19 Absatz 1 Buchstabe b) erfüllt ist, in Betracht gezogen. (6) Erwirbt die andere Gesellschaft Aktien einer Aktiengesellschaft, so können die Mitgliedstaaten von der Anwendung des Artikels 20 Absätze 2 und 3 sowie des Artikels 21 absehen, sofern sie folgendes vorsehen: a) die Aussetzung der Stimmrechte, die mit den im Besitz der anderen Gesellschaft befindlichen Aktien der Aktiengesellschaft verbunden sind, sowie b) die Verpflichtung für die Mitglieder des Verwaltungsrats der Aktiengesellschaft, von der anderen Gesellschaft die in Artikel 20 Absätze 2 und 3 sowie Artikel 21 genannten Aktien zu dem Preis zurückzuerwerben, zu dem diese andere Gesellschaft sie erworben hatte; diese Sanktion ist lediglich in dem Falle nicht anwendbar, in dem die Verwaltungsratsmitglieder nachweisen, daß die Aktiengesellschaft an der Zeichnung oder dem Erwerb der betreffenden Aktien gänzlich unbeteiligt ist.

Artikel 25 (1) Jede Kapitalerhöhung muß von der Hauptversammlung beschlossen werden. Dieser Beschluß sowie die Durchführung der Erhöhung des gezeichneten Kapitals sind nach den in den Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten gemäß Artikel 3 der Richtlinie 68/151/EWG vorgesehenen Verfahren offenzulegen. (2) Die Satzung, der Errichtungsakt oder die Hauptversammlung, deren Entscheidung gemäß Absatz 1 offenzulegen ist, kann jedoch zu einer Erhöhung des gezeichneten Kapitals bis zu einem Höchstbetrag ermächtigen, den sie unter Beachtung des gegebenenfalls gesetzlich vorgeschriebenen Höchstbetrags festlegt. In den Grenzen des festgelegten Betrags beschließt das hierzu berufene Organ der Gesellschaft gegebenenfalls eine Erhöhung des gezeichneten Kapitals. Diese Ermächtigung des Organs gilt für eine Höchstdauer von fünf Jahren; sie kann von der Hauptversammlung ein oder mehrmals für einen Zeitraum, der jeweils fünf Jahre nicht überschreiten darf, verlängert werden. (3) Sind mehrere Gattungen von Aktien vorhanden, so ist der Beschluß der Hauptversammlung über die Kapitalerhöhung nach Absatz 1 oder die Ermächtigung zu einer Kapitalerhöhung nach Absatz 2 von einer gesonderten Abstimmung zumindest jeder Gattung derjenigen Aktionäre abhängig, deren Rechte durch die Maßnahme berührt werden. (4) Dieser Artikel gilt für die Ausgabe aller Wertpapiere, die in Aktien umgewandelt werden können oder mit einem Bezugsrecht auf Aktien verbunden sind, nicht aber für die Umwandlung dieser Wertpapiere und die Ausübung des Bezugsrechts. Artikel 26 Die Einlagen auf Aktien, die bei einer Erhöhung des gezeichneten Kapitals ausgegeben werden, müssen in Höhe von mindestens 25 v. H. des Nennbetrags der Aktien, oder, wenn ein Nennbetrag nicht vorhanden ist, ihres rechnerischen Wertes geleistet werden. Ist ein Mehrbetrag vorgesehen, muß dieser in voller Höhe gezahlt werden. Artikel 27 (1) Einlagen, die nicht Bareinlagen sind, auf Aktien, die bei einer Erhöhung des gezeichneten Kapitals ausgegeben werden, müssen innerhalb einer Frist von fünf Jahren nach dem Beschluß über die Erhöhung des gezeichneten Kapitals vollständig geleistet werden. (2) Die Einlagen nach Absatz 1 sind Gegenstand eines besonderen Berichts, der durch einen oder mehrere von der Gesellschaft unabhängige Sachverständige, die durch eine Verwaltungsbehörde oder ein Gericht bestellt oder zugelassen sind, vor der Durchführung der Erhöhung des gezeichneten

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Kapitals erstellt wird. Sachverständige können nach den Vorschriften jedes Mitgliedstaats natürliche Personen, juristische Personen oder Gesellschaften sein. Es gelten Artikel 10 Absätze 2 und 3 und die Artikel 10a und 10b. (3) Die Mitgliedstaaten können beschließen, Absatz 2 nicht anzuwenden, wenn die Erhöhung des gezeichneten Kapitals zur Durchführung einer Verschmelzung, einer Spaltung oder eines öffentlichen Übernahme- oder Umtauschangebots zu dem Zweck erfolgt, das Entgelt an die Aktionäre der übertragenden Gesellschaft, der gespalteten Gesellschaft oder der Gesellschaft zu leisten, die Gegenstand des öffentlichen Übernahme- oder Umtauschangebots ist. Im Falle einer Verschmelzung oder Spaltung wenden die Mitgliedstaaten Unterabsatz 1 jedoch nur an, wenn ein Bericht eines unabhängigen Sachverständigen über die Verschmelzungs- oder Spaltungspläne erstellt wird. Beschließen Mitgliedstaaten, Absatz 2 im Falle einer Verschmelzung oder Spaltung anzuwenden, so können sie gestatten, dass der gemäß diesem Artikel erstellte Bericht und der Bericht des unabhängigen Sachverständigen über die Verschmelzungs- oder Spaltungspläne von demselben bzw. denselben Sachverständigen erstellt werden. (4) Die Mitgliedstaaten brauchen Absatz 2 nicht anzuwenden, wenn bei einer Erhöhung des gezeichneten Kapitals alle Aktien gegen Sacheinlage durch eine oder mehrere Gesellschaften ausgegeben werden, sofern alle Aktionäre der empfangenden Gesellschaft auf die Erstellung des Sachverständigenberichts verzichtet haben und die Bedingungen in Artikel 10 Absatz 4 Buchstaben b) bis f) erfüllt sind. Artikel 28 Wird eine Kapitalerhöhung nicht voll gezeichnet, so wird das Kapital nur dann um den Betrag der eingegangenen Zeichnungen erhöht, wenn die Ausgabebedingungen diese Möglichkeit ausdrücklich vorgesehen haben.

b) können gestatten, daß, wenn das gezeichnete Kapital einer Gesellschaft, die mehrere Aktiengattungen hat, bei denen das Stimmrecht oder die Rechte hinsichtlich der Ausschüttung im Sinne des Artikels 15 oder der Verteilung des Gesellschaftsvermögens im Falle der Liquidation unterschiedlich sind, durch Ausgabe neuer Aktien nur in einer dieser Gattungen erhöht wird, die Ausübung des Bezugsrechts durch die Aktionäre der anderen Gattungen erst nach Ausübung dieses Rechts durch die Aktionäre der Gattung erfolgt, in der die neuen Aktien ausgegeben werden. (3) Das Angebot zur vorzugsweisen Zeichnung sowie die Frist, innerhalb deren dieses Recht ausgeübt werden muß, sind Gegenstand einer Bekanntmachung in dem gemäß der Richtlinie 68/151/EWG bestimmten einzelstaatlichen Amtsblatt. Die Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats brauchen jedoch diese Bekanntmachung nicht vorzuschreiben, wenn sämtliche Aktien der Gesellschaft Namensaktien sind. In diesem Fall sind alle Aktionäre schriftlich zu unterrichten. Das Bezugsrecht muß innerhalb einer Frist ausgeübt werden, die nicht kürzer sein darf als vierzehn Tage nach Bekanntmachung des Angebots oder nach Absendung der Schreiben an die Aktionäre. (4) Dieses Bezugsrecht darf durch die Satzung oder den Errichtungsakt weder beschränkt noch ausgeschlossen werden. Dies kann jedoch durch Beschluß der Hauptversammlung geschehen. Das Verwaltungs- oder Leitungsorgan hat der Hauptversammlung einen schriftlichen Bericht über die Gründe für eine Beschränkung oder einen Ausschluß des Bezugsrechts zu erstatten und den vorgeschlagenen Ausgabekurs zu begründen. Die Hauptversammlung entscheidet nach den Vorschriften, die in Artikel 40 über Beschlußfähigkeit und Mehrheitserfordernisse festgelegt sind. Der Beschluß ist nach den in den Rechtsvorschriften der einzelnen Mitgliedstaaten gemäß Artikel 3 der Richtlinie 68/151/EWG vorgesehenen Verfahren offenzulegen.

(2) Die Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats

(5) Die Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats können vorsehen, daß die Satzung, der Errichtungsakt oder die Hauptversammlung, die nach den in Absatz 4 genannten, die Beschlußfähigkeit, Mehrheitserfordernisse und Offenlegung betreffenden Vorschriften entscheidet, dem Organ der Gesellschaft, das zur Entscheidung über die Erhöhung des gezeichneten Kapitals innerhalb der Grenzen des genehmigten Kapitals berufen ist, die Befugnis einräumen kann, das Bezugsrecht zu beschränken oder auszuschließen. Diese Befugnis darf für keinen längeren Zeitraum gelten als die Befugnis nach Artikel 25 Absatz 2.

a) brauchen Absatz 1 nicht auf Aktien anzuwenden, bei denen das Recht eingeschränkt ist, an den Ausschüttungen im Sinne des Artikels 15 und/oder an der Verteilung des Gesellschaftsvermögens im Falle der Liquidation teilzunehmen oder

(6) Die Absätze 1 bis 5 gelten für die Ausgabe aller Wertpapiere, die in Aktien umgewandelt werden können oder mit einem Bezugsrecht auf Aktien verbunden sind, nicht aber für die Umwandlung dieser Wertpapiere und die Ausübung des Bezugsrechts.

Artikel 29 (1) Bei jeder Erhöhung des gezeichneten Kapitals durch Bareinlagen müssen die Aktien vorzugsweise den Aktionären im Verhältnis zu dem durch ihre Aktien vertretenen Teil des Kapitals angeboten werden.

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Die Kapitalrichtlinie (2. Richtlinie) (7) Ein Ausschluß des Bezugsrechts im Sinne der Absätze 4 und 5 liegt nicht vor, wenn die Aktien nach dem Beschluß über die Erhöhung des gezeichneten Kapitals an Banken oder andere Finanzinstitute ausgegeben werden, damit diese sie den Aktionären der Gesellschaft nach Maßgabe der Absätze 1 und 3 anbieten.

(2) Die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten schreiben mindestens weiter vor, daß die Herabsetzung unwirksam ist oder daß keine Zahlungen zugunsten der Aktionäre geleistet werden dürfen, solange den Gläubigern nicht Genüge getan worden ist oder solange ein Gericht nicht entschieden hat, daß ihrem Antrag nicht entsprochen zu werden braucht.

Artikel 30

(3) Dieser Artikel gilt auch, wenn die Herabsetzung des gezeichneten Kapitals durch einen vollständigen oder teilweisen Verzicht auf die Leistung von Einlagen der Aktionäre vorgenommen wird.

Jede Herabsetzung des gezeichneten Kapitals mit Ausnahme der durch eine gerichtliche Entscheidung angeordneten muß zumindest von der Hauptversammlung beschlossen werden, die vorbehaltlich der Artikel 36 und 37 nach den Vorschriften entscheidet, die in Artikel 40 über die Beschlußfähigkeit und die Mehrheitserfordernisse festgelegt sind. Dieser Beschluß ist nach den in den Rechtsvorschriften der einzelnen Mitgliedstaaten gemäß Artikel 3 der Richtlinie 68/151/EWG vorgesehenen Verfahren offenzulegen. In der Mitteilung über die Einberufung der Hauptversammlung müssen zumindest der Zweck der Herabsetzung und das Verfahren für ihre Durchführung angegeben werden. Artikel 31 Sind mehrere Gattungen von Aktien vorhanden, so ist der Beschluß der Hauptversammlung über die Herabsetzung des gezeichneten Kapitals von einer gesonderten Abstimmung zumindest jeder Gattung derjenigen Aktionäre abhängig, deren Rechte durch die Maßnahme berührt werden. Artikel 32 (1) Im Falle einer Herabsetzung des gezeichneten Kapitals haben zumindest die Gläubiger, deren Forderungen vor der Bekanntmachung der Entscheidung über die Herabsetzung entstanden sind, mindestens das Recht, eine Sicherheit für die im Zeitpunkt dieser Bekanntmachung noch nicht fälligen Forderungen zu erhalten. Die Mitgliedstaaten können dieses Recht nur dann ausschließen, wenn der Gläubiger bereits angemessene Sicherheiten hat oder wenn diese Sicherheiten in Anbetracht des Gesellschaftsvermögens nicht notwendig sind. Die Mitgliedstaaten legen fest, unter welchen Bedingungen das in Unterabsatz 1 genannte Recht ausgeübt werden kann. Die Mitgliedstaaten sorgen in jedem Fall dafür, dass die Gläubiger das Recht haben, bei der zuständigen Verwaltungsbehörde oder dem zuständigen Gericht angemessene Sicherheiten zu beantragen, wenn sie glaubhaft machen können, dass die Befriedigung ihrer Forderungen durch die Herabsetzung des gezeichneten Kapitals gefährdet ist und sie von der Gesellschaft keine angemessenen Sicherheiten erhalten haben.

Artikel 33 (1) Die Mitgliedstaaten brauchen Artikel 32 nicht bei einer Herabsetzung des gezeichneten Kapitals anzuwenden, die zum Zweck hat, Verluste auszugleichen oder Beträge einer Rücklage zuzuführen, unter der Voraussetzung, daß infolge dieses Vorgangs der Betrag dieser Rücklage nicht 10 v. H. des herabgesetzten gezeichneten Kapitals übersteigt. Diese Rücklage darf außer im Falle der Herabsetzung des gezeichneten Kapitals nicht an die Aktionäre ausgeschüttet werden; sie darf ferner nur dazu verwendet werden, Verluste auszugleichen oder durch Umwandlung von Rücklagen das gezeichnete Kapital zu erhöhen, soweit die Mitgliedstaaten einen solchen Vorgang zulassen. (2) Die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten müssen in den Fällen des Absatzes 1 mindestens geeignete Maßnahmen vorschreiben, damit die aus der Herabsetzung des gezeichneten Kapitals gewonnenen Beträge nicht zu Zahlungen oder Ausschüttungen an die Aktionäre oder zur Befreiung der Aktionäre von der Verpflichtung zur Leistung ihrer Einlagen verwendet werden. Artikel 34 Das gezeichnete Kapital darf nicht unter das nach Artikel 6 festgelegte Mindestkapital herabgesetzt werden. Jedoch können die Mitgliedstaaten eine derartige Herabsetzung zulassen, wenn sie zugleich vorschreiben, daß der Beschluß über die Herabsetzung nur dann wirksam wird, wenn das gezeichnete Kapital auf einen Betrag erhöht wird, der zumindest dem vorgeschriebenen Mindestbetrag entspricht. Artikel 35 Lassen die Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats die vollständige oder teilweise Tilgung des gezeichneten Kapitals ohne dessen Herabsetzung zu, so verlangen sie mindestens die Beachtung folgender Voraussetzungen: a) Sofern die Satzung oder der Errichtungsakt die Tilgung vorsieht, wird diese durch die Hauptversammlung beschlossen, die mindestens die allgemeinen Voraussetzungen über Anwesenheit

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und Mehrheit zu beachten hat. Sofern die Satzung oder der Errichtungsakt die Tilgung nicht vorsieht, wird diese durch die Hauptversammlung beschlossen, die mindestens die in Artikel 40 festgelegten Voraussetzungen über Anwesenheit und Mehrheit zu beachten hat. Der Beschluß ist nach den in den Rechtsvorschriften der einzelnen Mitgliedstaaten gemäß Artikel 3 der Richtlinie 68/151/EWG vorgesehenen Verfahren offenzulegen; b) die Tilgung kann nur mit Mitteln erfolgen, die nach Artikel 15 Absatz 1 ausgeschüttet werden dürfen; c) die Aktionäre, deren Aktien getilgt wurden, behalten ihre Rechte gegenüber der Gesellschaft mit Ausnahme der Rechte auf Rückgewähr der Einlagen und auf Teilnahme an der Ausschüttung einer ersten Dividende für nicht getilgte Aktien. Artikel 36 (1) Gestatten die Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats, daß Gesellschaften ihr gezeichnetes Kapital durch Zwangseinziehung von Aktien herabsetzen, so verlangen sie mindestens die Beachtung folgender Voraussetzungen: a) Die Zwangseinziehung ist vor der Zeichnung der einzuziehenden Aktien durch die Satzung oder den Errichtungsakt vorgeschrieben oder zugelassen; b) sofern die Zwangseinziehung durch die Satzung oder den Errichtungsakt lediglich zugelassen ist, wird sie von der Hauptversammlung beschlossen, es sei denn, daß die betroffenen Aktionäre sie einstimmig genehmigt haben; c) das Gesellschaftsorgan, das über die Zwangseinziehung beschließt, legt Bedingungen und Durchführung dieser Maßnahme fest, soweit dies nicht bereits in der Satzung oder im Errichtungsakt geschehen ist; d) Artikel 32 ist anzuwenden, es sei denn, es handelt sich um voll eingezahlte Aktien, die der Gesellschaft unentgeltlich zur Verfügung gestellt oder die mit Hilfe von Mitteln, die nach Artikel 15 Absatz 1 ausgeschüttet werden dürfen, eingezogen werden; in diesen Fällen ist ein Betrag in Höhe des Nennbetrags oder, wenn ein Nennbetrag nicht vorhanden ist, des rechnerischen Wertes aller eingezogenen Aktien in eine Rücklage einzustellen. Diese Rücklage darf, außer im Falle der Herabsetzung des gezeichneten Kapitals, nicht an die Aktionäre ausgeschüttet werden; sie darf nur dazu verwendet werden, Verluste auszugleichen oder durch Umwandlung von Rücklagen das gezeichnete Kapital zu erhöhen, soweit die Mitgliedstaaten einen solchen Vorgang zulassen; e) der Beschluß über die Zwangseinziehung wird nach den in den Rechtsvorschriften der einzelnen Mitgliedstaaten gemäß Artikel 3 der Richt-

linie 68/151/EWG vorgesehenen Verfahren offengelegt. (2) Artikel 30 Absatz 1 sowie die Artikel 31, 33 und 40 sind in den Fällen des Absatzes 1 nicht anzuwenden. Artikel 37 (1) Im Fall der Herabsetzung des gezeichneten Kapitals durch Einziehung von Aktien, die von einer Gesellschaft oder einer im eigenen Namen, aber für Rechnung der Gesellschaft handelnden Person erworben worden sind, muß die Einziehung stets durch die Hauptversammlung beschlossen werden. (2) Artikel 32 ist anzuwenden, es sei denn, es handelt sich um voll eingezahlte Aktien, die unentgeltlich oder mit Mitteln erworben werden, die nach Artikel 15 Absatz 1 ausgeschüttet werden dürfen; in diesen Fällen ist ein Betrag in Höhe des Nennbetrags oder, wenn ein Nennbetrag nicht vorhanden ist, des rechnerischen Wertes aller eingezogenen Aktien in eine Rücklage einzustellen. Diese Rücklage darf, außer im Falle der Herabsetzung des gezeichneten Kapitals, nicht an die Aktionäre ausgeschüttet werden; sie darf nur dazu verwendet werden, Verluste auszugleichen oder durch Umwandlung von Rücklagen das gezeichnete Kapital zu erhöhen, soweit die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten einen solchen Vorgang zulassen. (3) Die Artikel 31, 33 und 40 sind in den Fällen des Absatzes 1 nicht anzuwenden. Artikel 38 In den Fällen des Artikels 35, des Artikels 36 Absatz 1 Buchstabe b) und des Artikels 37 Absatz 1 ist, sofern mehrere Gattungen von Aktien vorhanden sind, der Beschluß der Hauptversammlung über die Bedingungen des gezeichneten Kapitals oder über dessen Herabsetzung durch Einziehung von Aktien von einer gesonderten Abstimmung zumindest jeder Gattung derjenigen Aktionäre abhängig, deren Rechte durch die Maßnahmen berührt werden. Artikel 39 Gestatten die Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats, daß Gesellschaften rückerwerbbare Aktien ausgeben, so verlangen sie für den Rückerwerb dieser Aktien mindestens die Beachtung folgender Voraussetzungen: a) Der Rückerwerb muß vor der Zeichnung der rückerwerbbaren Aktien in der Satzung oder dem Errichtungsakt zugelassen sein; b) diese Aktien müssen vollständig eingezahlt worden sein; c) die Bedingungen und die Durchführung des Rückerwerbs sind in der Satzung oder dem Errichtungsakt festgelegt;

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Die Kapitalrichtlinie (2. Richtlinie) d) der Rückerwerb darf nur mit Hilfe von Mitteln erfolgen, die nach Artikel 15 Absatz 1 ausgeschüttet werden dürfen, oder mit Erträgen aus einer Ausgabe neuer Aktien, die zum Zwecke dieses Rückerwerbs ausgegeben werden; e) ein Betrag in Höhe des Nennbetrags oder, wenn ein Nennbetrag nicht vorhanden ist, des rechnerischen Wertes aller zurückerworbenen Aktien ist in eine Rücklage einzustellen, die, außer im Falle der Herabsetzung des gezeichneten Kapitals, nicht an die Aktionäre ausgeschüttet werden darf; sie darf nur dazu verwendet werden, durch Umwandlung von Rücklagen das gezeichnete Kapital zu erhöhen; f) Buchstabe e) ist nicht anzuwenden, sofern die Aktien mit Hilfe von Erträgen aus einer Ausgabe neuer Aktien zurückerworben werden, die zum Zweck dieses Rückerwerbs ausgegeben werden; g) sofern als Folge des Rückerwerbs die Zahlung eines Mehrbetrags zugunsten der Aktionäre vorgesehen ist, darf dieser nur aus Mitteln entnommen werden, die entweder nach Artikel 15 Absatz 1 ausgeschüttet werden dürfen oder einer anderen als der unter Buchstabe e) genannten Rücklage entnommen werden, die, außer im Falle der Herabsetzung des gezeichneten Kapitals, nicht an die Aktionäre ausgeschüttet werden darf; diese Rücklage darf nur zum Zwecke einer Erhöhung des gezeichneten Kapitals durch Umwandlung von Rücklagen oder zur Deckung der in Artikel 3 Buchstabe j) genannten Kosten oder der Kosten für die Ausgabe von Aktien oder von Schuldverschreibungen oder für die Zahlung eines Mehrbetrags zugunsten der Inhaber von zurückzuerwerbenden Aktien oder Schuldverschreibungen verwendet werden; h) der Rückerwerb ist nach den in den Rechtsvorschriften der einzelnen Mitgliedstaaten gemäß Artikel 3 der Richtlinie 68/151/EWG vorgesehenen Verfahren offenzulegen. Artikel 40 (1) Die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten schreiben vor, daß die in Artikel 29 Absätze 4 und 5 sowie den Artikeln 30, 31, 35 und 38 vorgesehenen Beschlüsse zumindest eine Mehrheit von nicht weniger als zwei Dritteln der Stimmen der vertretenen Wertpapiere oder des vertretenen gezeichneten Kapitals erfordern. (2) Die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten können jedoch vorschreiben, daß die einfache Mehrheit der in Absatz 1 bezeichneten Stimmen ausreicht, sofern mindestens die Hälfte des gezeichneten Kapitals vertreten ist.

Artikel 41 (1) Die Mitgliedstaaten können von Artikel 9 Absatz 1, Artikel 19 Absatz 1 Buchstabe a Satz 1 sowie von den Artikeln 25, 26 und 29 abweichen, soweit dies für den Erlass oder die Anwendung von Vorschriften erforderlich ist, welche die Beteiligung der Arbeitnehmer oder anderer durch einzelstaatliches Recht festgelegter Gruppen von Personen am Kapital der Unternehmen fördern sollen. (2) Die Mitgliedstaaten brauchen Artikel 19 Absatz 1 Buchstabe a) Satz 1 sowie die Artikel 30, 31, 36, 37, 38 und 39 nicht auf Gesellschaften anzuwenden, die auf Grund einer besonderen Regelung neben Kapitalaktien Arbeitsaktien ausgeben, und zwar die letzteren zugunsten der Gesamtheit der Arbeitnehmer, die auf der Hauptversammlung der Aktionäre durch Bevollmächtigte mit Stimmrecht vertreten wird. Artikel 42 Für die Anwendung dieser Richtlinie müssen die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten die Gleichbehandlung der Aktionäre sicherstellen, die sich in denselben Verhältnissen befinden. Artikel 43 (1) Die Mitgliedstaaten erlassen die erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften, um dieser Richtlinie innerhalb von zwei Jahren nach ihrer Bekanntgabe nachzukommen. Sie setzen die Kommission hiervon unverzüglich in Kenntnis. (2) Die Mitgliedstaaten brauchen Artikel 3 Buchstaben g), i), j) und k) nicht auf Gesellschaften anzuwenden, die Inkrafttreten der in Absatz 1 genannten Vorschriften bereits bestehen. Sie können vorsehen, daß die anderen Vorschriften dieser Richtlinie erst 18 Monate nach diesem Zeitpunkt auf diese Gesellschaften anzuwenden sind. Diese Frist kann jedoch, was die Artikel 6 und 9 betrifft, drei Jahre und in bezug auf die „unregistered companies“ im Vereinigten Königreich und Irland fünf Jahre betragen. (3) Die Mitgliedstaaten teilen der Kommission den Wortlaut der wichtigsten Vorschriften des innerstaatlichen Rechts mit, die sie auf dem von dieser Richtlinie erfaßten Gebiet erlassen. Artikel 44 Diese Richtlinie ist an die Mitgliedstaaten gerichtet.

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§ 21 Die Fusionsrichtlinie (3. Richtlinie) RL 2011/35/EU des Europäischen Parlaments und des Rates v. 5.4.2011 über die Verschmelzung von Aktiengesellschaften, ABlEU v. 29.4.2011, L 110/1 Literatur: Barbaso, Fabrizio, The harmonisation of company law with regard to mergers and divisions, [1984] JBL 176; Bayer, Walter/Schmidt, Jessica, Der Referentenentwurf zum 3. UmwÄndG: Vereinfachungen bei Verschmelzungen und Spaltungen und ein neuer verschmelzungsspezifischer Squeeze-out, ZIP 2010, 953; dies., Überlagerungen des deutschen Aktienrechts durch das Europäische Unternehmensrecht: Eine Bilanz von 1968 bis zur Gegenwart, in: Bayer, Walter/Habersack, Mathias (Hrsg.), Aktienrecht im Wandel, Bd. 1, 2007, Kap. 18; Cordoliani, H. F. A., Le droit des fusions et la communauté européenne, JCP 1979.II.13078; Engelmeyer, Cäcilie, Informationsrechte und Verzichtsmöglichkeiten im Umwandlungsgesetz, BB 1998, 330; Freytag, Lars F., Neues zum Recht der Konzernverschmelzung und des Squeeze-out, BB 2010, 1611; Ganske, Joachim, Änderungen des Verschmelzungsrechts, DB 1981, 1551; Grohmann, Uwe, Das Informationsmodell im Europäischen Gesellschaftsrecht, 2006; Grundmann, Stefan (Hrsg.), Systembildung und Systemlücken in Kerngebieten des Europäischen Privatrechts: Gesellschafts-, Arbeits- und Schuldvertragsrecht, 2000; Heenen, J., La directive sur les fusions internes, CDE 1981, 15; Kalss, Susanne, Europarechtliche und verfassungsrechtliche Rahmenbedingungen für das Umwandlungsrecht, JBl. 1995, 420; Keutgen, Guy, La directive européenne sur les fusions nationales, Rev. prat. soc. 1979, 98; Koller, Torsten, Die europäische Harmonisierung des Rechts der Verschmelzung, 2004; Leitzen, Mario, Die Änderungen des Umwandlungsgesetzes durch das Dritte Gesetz zur Änderung des Umwandlungsrechts, DNotZ 2011, 526; Lösekrug, Jens, Die Umsetzung der Kapital-, Verschmelzungs- und Spaltungsrichtlinie der EG in das nationale deutsche Recht, 2004; Loy, Odette, La troisième directive du Conseil des Commnautés européennes du 9 octrobre 1978 concernant les fusions des sociétés anonymes, RTD eur. 1980, 354; Lutter, Marcus, Die Entwicklung des Gesellschaftsrechts in Europa, EuR 1975, 44; ders., Zur überschießenden Umsetzung von Richtlinien der EU, in: Söllner, Alfred u.a. (Hrsg.), Gedächtnisschrift für Meinhard Heinze, 2005, S. 571; Meyer-Ladewig, Jens, Der Kommissionsvorschlag für eine Dritte Richtlinie des Rates zur Koordinierung des Gesellschaftsrechts (Nationale Fusion), BB 1970, 1517; Neye, Hans-Werner/Jäckel, Holger, Umwandlungsrecht zwischen Brüssel und Berlin. Der Referentenentwurf für ein Drittes Gesetz zur Änderung des Umwandlungsrechts, AG 2010, 237; Neye, Hans-Werner/Kraft, Julia, Neuigkeiten beim Umwandlungsrecht, NZG 2011, 681; Priester, Hans-Joachim, Das neue Verschmelzungsrecht, NJW 1983, 1459; Riesenhuber, Karl, Die Verschmelzungsrichtlinie: „Basisrechtsakt für ein Europäisches Recht der Strukturmaßnahmen“ – Zum Schutz durch Information im Europäischen Gesellschaftsrecht, NZG 2004, 15; Schimka, Matthias/Schörghöfer, Paul, Neue europäische Vorgaben für die Berichts- und Dokumentationsplicht bei Verschmelzungen und Spaltungen – Zur Änderung der Fusions-RL, der Spaltungs-RL und der EU-Verschmelzungs-RL sowie der Kapital-RL, WBl. 2010, 109; Schmidt, Jessica, § 123 Abs. 1 AktG i.d.F. des UMAG und §§ 61 Satz 1, 63 Abs. 1 UmwG – ein unbeabsichtigter Richtlinienverstoß, DB 2006, 375; Simon, Stefan/Merkelbach, Matthias, Das Dritte Gesetz zur Änderung des UmwG, DB 2011, 1317; Sonnenberger, Hans Jürgen, Interne Fusion von Aktiengesellschaften im Gemeinsamen Markt, AG 1971, 76; Temple Lang, John, Three EEC Draft Directives on company law – capital, mergers and management, (1972) Irish Jurist 306; Van Ommeslaghe, Pierre, La proposition de troisième directive sur l’harmonisation des fusions des sociétés anonymes, in: Zonderland, Pieter (Hrsg.), Quo vaids, ius societatum? Liber Amicorum Pieter Sanders, 1972, S. 123; ders., Unternehmenskonzentration und Rechtsangleichung in der EWG, ZHR 132 (1969) 201; Wooldridge, Frank, The third directive and the meaning of mergers, (1980) 1 Co Law 75.

Die Fusionsrichtlinie (3. Richtlinie)

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Rechtsprechung: BGH v. 22.5.1989 – II ZR 206/88, NJW 1989, 2689 („Kochs/Adler“) BGH v. 18.12.1989 – II ZR 254/88, NJW-RR 1990, 350 („DAT/Altana II“) BGH v. 29.10.1990 – II ZR 146/89, NJW-RR 1991, 358 („SEN“) BGH v. 18.3.1996 – II ZR 299/94, NJW 1996, 1539 OLG Naumburg v. 12.2.1997 – 10 Wx 1/97, GmbHR 1997, 1152 OLG Hamburg v. 17.8.2007 – 11 U 277/05, DNotZ 2009, 227

I. Überblick Wie der Entwurf der 2. (Kapital-)RL wurde auch der erste Entwurf für die 3. (Fu- 1 sions-)RL zur Harmonisierung der Regeln für die nationale Fusion bereits 1970 1 vorgelegt; zuvor hatte es 1968 zudem auch schon einen inoffiziellen Vorentwurf 2 gegeben. Nach einer Neufassung vom Januar 19733, in der die RL vor allem an den mittlerweile gescheiterten Entwurf eines Abkommens über die internationale Verschmelzung (dazu noch § 23 Rn. 1) angepasst worden war, übermittelte die Kommission nach nochmaligen Änderungswünschen des Europäischen Parlaments 4 Ende 1975 einen zweiten geänderten Vorschlag 5 an den Rat. Dieser verabschiedete die RL6 mit erheblichen Änderungen am 9.10.1978. Durch das EWR-Abkommen wurde ihr Anwendungsbereich m.W.v. 1.1.1994 bzw. 1.1.1995 7 auch auf die EWR-Staaten ausgedehnt.8 Die sehr stark von Einflüssen des romanischen Rechtskreis geprägte 9 RL verfolgt 2 ein doppeltes Harmonisierungsziel (vgl. Erwägungsgrund 4): Zum einen werden alle Mitgliedstaaten verpflichtet, in ihrem nationalen Recht für Aktiengesellschaften das

1 Vorschlag für eine Dritte Richtlinie des Rates zur Koordinierung der Schutzbestimmungen, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Sinne des Artikels 58 Absatz 2 des Vertrages im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter bei Fusionen von Aktiengesellschaften vorgeschrieben sind, 16.6.1970, KOM(70) 633 = ABlEG v. 14.7.1970, C 89/20 = BT-Drs. VI/1027. 2 Les fusions internes. Document de travail n° 6. Avant-projet de directive, 10.4.1968, Dok. 11409/2/XIV/C/68 – F. 3 Erster geänderter Vorschlag v. 4.1.1973, KOM(72) 1668. 4 Entschließung des EP v. 7.4.1975, ABlEG v. 28.4.1975, C 95/12. 5 Zweiter geänderter Vorschlag v. 11.12.1975, KOM(75) 671. 6 Dritte RL 78/855/EWG des Rates v. 9.10.1978 gemäß Art. 54 Absatz 3 Buchstabe g) des Vertrages betreffend die Verschmelzung von Aktiengesellschaften, ABlEG v. 20.10.1978, L 295/36. 7 Für Island und Norwegen (sowie für Finnland, Österreich, Schweden, die aber inzwischen zur EU gehören) zum 1.1.1994, für Liechtenstein zum 1.1.1995. 8 Vgl. Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum – Anhang XXII, Nr. 3 (ABlEG v. 3.1.1994, L 1/3). Zur Ausdehnung der kodifizierten Fassung s. Fn. 19. 9 Vgl. BegrRegE z.VerschmRiLiG, BT-Drs. 9/1065, S. 13; Bayer/J. Schmidt, Überlagerungen des deutschen Aktienrechts durch das Europäische Unternehmensrecht: Eine Bilanz von 1968 bis zur Gegenwart, in: Bayer/Habersack (Hrsg.), Aktienrecht im Wandel, Bd. 1, 2007, Kap. 18 Rn. 88; Lösekrug, Die Umsetzung der Kapital-, Verschmelzungs- und Spaltungsrichtlinie der EG in das nationale deutsche Recht, 2004, S. 213; Priester NJW 1983, 1459.

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Gesellschaftsrechtliche Richtlinien

Rechtsinstitut der Verschmelzung zu verankern und zum anderen werden im Interesse des Schutzes der Aktionäre und Dritter zugleich die Regelungen über das Verschmelzungsverfahren harmonisiert. 3 Wesentliche Bedeutung hat die RL darüber hinaus aber v.a. auch insofern, als mit ihr aus heutiger Sicht das wesentliche Fundament für das europäische Recht der Umstrukturierungen gelegt wurde. Das in den Art. 5 ff. konzipierte Verfahrensinstrumentarium hat sich inzwischen quasi zum „europäischen Modell für Strukturmaßnahmen“ 10 entwickelt, denn auf eben dieser Grundkonzeption basieren auch die 6. (Spaltungs-)RL (vgl. dazu § 22 Rn. 2, 23), die 10. RL betreffend die grenzüberschreitende Verschmelzung (vgl. dazu § 23 Rn. 3, 26) sowie die Verschmelzungsvorschriften der SE-VO (vgl. § 41 Rn. 50) und der SCE-VO (vgl. § 42 Rn. 22). 4 Ungeachtet dieser fundamentalen Bedeutung der RL als „Grundbaustein des europäischen Gesellschaftsrechts“11 wurde i.R.d. allgemeinen Diskussion um die Vereinfachung des Unternehmensumfelds seitens der Kommission im Jahr 2007 kurzzeitig erwogenen, sie völlig abzuschaffen 12 (vgl. dazu bereits § 18 Rn. 4). Dies stieß jedoch zu Recht auf vehementen Widerstand 13, hätte dies doch einen unverantwortlichen Rückschritt für den Harmonisierungsprozess bedeutet, der überdies das gesamte heutige System in seinen Grundfesten erschüttert hätte.14 Man beschloss daher, sich auf eine punktuelle Modernisierung zu beschränken. Durch die RL 2007/63/ EG15 wurde in Art. 10 Abs. 4 die Möglichkeit eines Verzichts auf die Verschmelzungsprüfung normiert (dazu näher Rn. 60). Die RL 2009/109/EG 16 brachte (neben einer Anpassung des Art. 1 an Änderungen im finnischen Gesellschaftsrecht 17) eine deut-

10 Vgl. Bayer/J. Schmidt (Fn. 9), Rn. 7; dies. NJW 2006, 401, 402; dies. BB 2008, 454, 456; vgl. auch Riesenhuber NZG 2004, 15, und ihm folgend Grundmann Rn. 868: „Basisrechtsakt für ein Europäisches Recht der Strukturmaßnahmen“. 11 Vgl. Bayer/J. Schmidt BB 2008, 454, 458. 12 Vgl. Mitteilung der Kommission über ein vereinfachtes Unternehmensumfeld in den Bereichen Gesellschaftsrecht, Rechnungslegung und Abschlussprüfung, KOM(2007) 394, S. 5 f. 13 I.R.d. Konsultation sprach sich eine große Mehrheit gegen eine Aufhebung der RL aus, vgl. den Consultation Report v. Dez. 2007 (http://ec.europa.eu/internal_market/company/ docs/simplification/consultation_report_20071219_en.pdf), S. 3 ff.; ausdrücklich ablehnend auch das EP, vgl. Entschließung des Europäischen Parlaments v. 21.5.2008 zu dem vereinfachten Unternehmensumfeld in den Bereichen Gesellschaftsrecht, Rechnungslegung und Abschlussprüfung, ABlEU v. 19.11.2008, C 279 E/36, Ziff. 3. 14 Vgl. Bayer/J. Schmidt BB 2008, 454, 457 f.; C. Teichmann SR 2007, 272. 15 RL 2007/63/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 13.11.2007 zur Änderung der Richtlinien 78/855/EWG und 82/891/EWG des Rates hinsichtlich des Erfordernisses der Erstellung eines Berichts durch einen unabhängigen Sachverständigen anlässlich der Verschmelzung oder der Spaltung von Aktiengesellschaften, ABlEU v. 17.11.2007, L 300/47. 16 RL 2009/109/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 16.9.2009 zur Änderung der Richtlinien 77/91/EWG, 78/855/EWG, 82/891/EWG des Rates sowie der Richtlinie 2005/56/EG hinsichtlich der Berichts- und Dokumentationspflicht bei Verschmelzungen und Spaltungen, ABlEU v. 2.10.2009, L 259/14. 17 Im Jahr 2006 war Art. 1 bereits mit Blick auf den Beitritt Bulgariens und Rumäniens angepasst worden (RL 2006/99/EG des Rates v. 20.11.2006 zur Anpassung bestimmter

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liche Modernisierung der Berichts- und Dokumentationspflichten, eine Harmonisierung mit den Parallelregelungen in der 2. (Kapital-)RL (dazu § 20), der 6. (Spaltungs-)RL (dazu § 22) und der 10. RL betreffend die grenzüberschreitende Verschmelzung (dazu § 23) sowie eine zwingende Ausgestaltung einiger bislang nur optionaler Erleichterungen für Konzernverschmelzungen (dazu näher Rn. 39, 47, 49, 61, 66 f., 71, 120, 132, 139, 145). I.R.d. allgemeinen Projekts zur Kodifizierung des Acquis communautaire 18 er- 5 folgte m.W.v. 1.7.2011 die Kodifizierung als RL 2011/35/EU 19. Die Umsetzung der RL in Deutschland erfolgte zunächst durch das am 1.1.1983 6 in Kraft getretene VerschmRiLiG 20, mit dem der Gesetzgeber das deutsche Verschmelzungsrecht nicht nur für Aktiengesellschaften, sondern auch für andere – der RL nicht unterworfene Gesellschaftsformen 21 – anpasste 22. Die dringend notwendige Konsolidierung der noch immer über eine Vielzahl von Gesetzen verstreuten Verschmelzungsvorschriften erfolgte jedoch erst mehr als ein Jahrzehnt später durch das am 1.1.1995 in Kraft getretene UmwG 23, welches neben der Verschmelzung auch die Spaltung, die Vermögensübertragung und den Formwechsel regelt (allg. zur überschießenden RL-Umsetzung bereits § 3 Rn. 62 ff.) . Die Änderungs-RL 2006/99/EG 24 betraf Deutschland nicht direkt. Die Änderungs-RL 2007/63/EG (Rn. 4) erforderte ebenfalls keine speziellen Umsetzungsmaßnahmen, da das deutsche Recht dem neuen Art. 10 Abs. 4 (dazu u. Rn. 60) bereits entsprach (s. u. Rn. 62). Die Änderungs-RL 2009/109/EG (Rn. 4) wurde zunächst teilweise durch das ARUG25, der Rest dann (leicht verspätet 26) durch das 3. UmwÄndG 27 umgesetzt (näher u. Rn. 41, 50, 62, 73, 133, 141, 146).

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Richtlinien im Bereich Gesellschaftsrecht anlässlich des Beitritts Bulgariens und Rumäniens, ABlEU v. 20.12.2006, L 363/137). Entsprechende Anpassungen waren jeweils auch bei früheren Beitritten neuer Mitgliedstaaten erfolgt, vgl. Fundstellenverzeichnis. Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat. Kodifizierung des Acquis communautaire, KOM(2001) 645; dazu Heydt EuZW 2002, 34. RL 2011/35/EU des Europäischen Parlaments und des Rates v. 5.4.2011 über die Verschmelzung von Aktiengesellschaften, ABlEU v. 29.4.2011, L 110/1. Die Ausdehnung der kodifizierten Fassung auf den EWR-Raum stand bei Drucklegung noch aus. Gesetz zur Durchführung der Dritten Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaften zur Koordinierung des Gesellschaftsrechts (Verschmelzungsrichtlinie-Gesetz) v. 25.10.1982, BGBl. I, 1425. Modifizierungen erfolgten auch hinsichtlich der für KGaA, GmbH, bergrechtliche Gewerkschaften und Versicherungsvereinen auf Gegenseitigkeit geltenden Verschmelzungsvorschriften (vgl. Art. 1 Nr. 18–25, Art. 5 und 6 VerschmRiLiG) sowie der Vorschriften über die Vermögensübertragung (vgl. Art. 26 und 27 VerschmRiLiG). Vgl. BegrRegE z. VerschmRiLiG, BT-Drs. 9/1065, S. 13 f.; Bayer/J. Schmidt (Fn. 9), Rn. 89; Habersack § 7 Rn. 3; Priester NJW 1983, 1459, 1467; Schwarz Rn. 640. Umwandlungsgesetz (UmwG) v. 28.10.1994, BGBl. I, 3210. Fn. 17. Gesetz zur Umsetzung der Aktionärsrechterichtlinie (ARUG) v. 30.7.2009, BGBl. I, 2479. Die Umsetzungsfrist war bereits am 30.6.2011 abgelaufen (vgl. Art. 6 Abs. 1 der Änderungs-RL 2009/109/EG), das 3. UmwÄndG trat jedoch erst am 15.7.2011 in Kraft. Drittes Gesetz zur Änderung des Umwandlungsgesetzes v. 11.7.2011, BGBl. I, 1338.

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II. Anwendungsbereich 7 Der subjektive Anwendungsbereich der RL ist – ebenso wie derjenige der 2. (Kapital-)RL (dazu § 20 Rn. 12) – auf Aktiengesellschaften, deren jeweilige nationale Formen in Art. 1 Abs. 1 und Anhang XXII Nr. 3 zum EWR-Abkommen 28 abschließend aufgezählt sind, beschränkt. Grund hierfür ist, dass sich die Kommission 1970, als der erste RL-Entwurf vorgelegt wurde, zunächst auf die Koordinierung des Rechts der AG als „bedeutendster und zugleich … juristisch am weitesten ausgebildete[r] Gesellschaftsform“ 29 konzentrieren wollte, wobei man davon ausging, dass eine Harmonisierung in diesem Bereich den Weg für die Angleichung des Rechts der anderen Gesellschaftstypen ebnen würde 30 (vgl. dazu auch bereits § 20 Rn. 12). 8 Zudem betrifft die RL auch nur nationale Verschmelzungen, d.h. Verschmelzungen, bei denen alle daran beteiligten Aktiengesellschaften dem Recht desselben Mitgliedstaats unterliegen (vgl. Art. 2: „Gesellschaften, die ihrem Recht unterliegen“). Die internationale Verschmelzung wurde bewusst ausgespart, denn hierfür war zum Zeitpunkt des Gesetzgebungsverfahrens zur RL bereits ein Übereinkommen nach Art. 220 EWG [G Art. 293 EG, im AEU gestrichen, vgl. dazu bereits § 2 Rn. 16] in Planung,31 welches jedoch letztlich scheiterte – was wiederum dazu führte, dass die internationale Verschmelzung heute in der erst 2005 verabschiedeten Internationalen Fusions-RL (10. RL) geregelt ist (näher hierzu § 23 Rn. 1 f.). 9 Art. 1 Abs. 2 und 3 gestatten den Mitgliedstaaten Ausnahmen für bestimmte Gesellschaftsformen. Mit der in Art. 1 Abs. 2 normierten Möglichkeit einer Nichtanwendung auf Genossenschaften, die in einer der in Art. 1 Abs. 1 genannten Rechtsformen gegründet worden sind, sollte – ähnlich wie mit der Parallelregelung in Art. 1 Abs. 2 der 2. (Kapital-)RL (dazu § 20 Rn. 13) – den Besonderheiten solcher Gesellschaften Rechnung getragen werden 32, was speziell für Frankreich und Italien von großer Bedeutung war 33. Eine Ausnahme ist allerdings im Interesse des Gläubigerschutzes auch hier an eine entsprechende Publizität gebunden34, nämlich die Führung der Bezeichnung „Genossenschaft“ auf jeglicher in Art. 5 der 1. (Publizitäts-)RL genannter Geschäftskorrespondenz (dazu § 19 Rn. 23). Gem. Art. 1 Abs. 3 brauchen die Mitgliedsstaaten die RL zudem nicht anzuwenden, wenn eine oder mehrere der beteiligten

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Fn. 8. Vgl. RL-E 1970 (Fn. 1), S. 9. Vgl. RL-E 1970 (Fn. 1), S. 9. Vgl. RL-E 1970 (Fn. 1), S. 9. S. ferner Edwards S. 92 f.; Keutgen Rev. prat. soc. 1979, 98, 100; Lösekrug (Fn. 9), S. 211; Meyer-Ladewig BB 1970, 1517, 1518; Temple Lang (1972) Irish Jurist 306, 313; Schwarz Rn. 637; Van Ommeslaghe FS Sanders, 1972, S. 123. 32 Vgl. RL-E 1970 (Fn. 1), S. 9. S. ferner Sonnenberger AG 1971, 76, 77. 33 Vgl. Edwards S. 94 Fn. 41; Ganske DB 1981, 1551; Grundmann Rn. 875; Heene CDE 1981, 15; Keutgen Rev. prat. soc. 1979, 98, 100; Lösekrug (Fn. 9), S. 217; Loy RTD eur. 1980, 354, 356; Meyer-Ladewig BB 1970, 1517, 1518; Riesenhuber NZG 2004, 15, 17; Schwarz Rn. 639; Van Ommeslaghe FS Sanders, 1972, S. 123, 125. 34 Vgl. Grohmann, Das Informationsmodell im Europäischen Gesellschaftsrecht, 2006, S. 312; Riesenhuber NZG 2004, 15, 17.

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Gesellschaften Gegenstand eines Konkurs-, Vergleichs- oder ähnlichen Verfahrens sind; nach dem Ratsprotokoll soll hiervon auch das compulsory winding-up nach britischem und irischem Recht erfasst sein 35.

III. Erfasste Verschmelzungsvorgänge (Art. 2–4) Kapitel II (Art. 2–4) der RL enthält zunächst den grundlegenden Regelungsauftrag 10 an die Mitgliedstaaten (Art. 2, dazu u. Rn. 11 f.) sowie Legaldefinitionen der beiden Arten der Verschmelzung, nämlich der Verschmelzung durch Aufnahme (Art. 3) und der Verschmelzung durch Neugründung (Art. 4) (dazu u. Rn. 13 ff.).

1. Art. 2: Regelungsauftrag Art. 2 verpflichtet alle Mitgliedstaaten, für die Gesellschaften, die ihrem Recht unter- 11 liegen, die Verschmelzung durch Aufnahme einer oder mehrerer 36 Gesellschaften durch eine andere und die Verschmelzung durch Gründung einer neuen Gesellschaft zu regeln. Dadurch wird das erste wesentliche Harmonisierungsziel der RL, die Verankerung des Rechtsinstituts der Verschmelzung in allen europäischen Rechtsordnungen (vgl. o. Rn. 2), verwirklicht. Nach italienischem Vorbild 37 muss dabei insbesondere auch die simultane Aufnahme mehrerer Gesellschaften ermöglicht werden. Ergänzt wird Art. 2 durch Art. 24 S. 1 (dazu u. Rn. 135), der die Mitgliedstaaten ausdrücklich auch zur Regelung des Spezialfalls des upstream-mergers einer 100%igen Tochter auf die Mutter (dazu ausf. u. Rn. 134 ff.) verpflichtet. Die Rechtsordnungen der meisten Mitgliedstaaten enthielten zwar bereits zuvor 12 Regelungen über die Verschmelzung.38 In den Niederlanden etwa existierte damals aber nur ein freiwilliger Verhaltenskodex 39, in Belgien und Luxemburg waren lediglich die steuerrechtlichen Aspekte gesetzlich geregelt 40. Aber auch für Deutschland,

35 Vgl. Ratsprotokoll, Dok. R/2337/78, S. 1; Ganske DB 1981, 1551. 36 Die RL spricht in den folgenden Artikeln meist nur im Singular von „der übertragenden Gesellschaft“; mit Blick auf Art. 2 gelten die jeweiligen Regeln aber natürlich entsprechend auch für den Fall mehrerer übertragender Gesellschaften. 37 Vgl. BegrRegE z.VerschmRiLiG, BT-Drs. 9/1065, S. 14; Bayer/J. Schmidt (Fn. 9), Rn. 92; Ganske DB 1981, 1551, 1552; Lösekrug (Fn. 9), S. 218; Priester NJW 1983, 1459, 1460. 38 Im UK und in Irland gab es zwar das Rechtsinstitut der „Verschmelzung“ als solches nicht, die Verbindung zweier Unternehmen ließ sich aber mittels eines sog. scheme of arrangement erreichen, vgl. Davies, Gower and Davies’ Principles of Modern Company Law, 8. Aufl. 2008, 29-2; Edwards S. 116; Temple Lang (1972) Irish Jurist 306, 314; Wooldridge (1980) 1 Co Law 75, 76. 39 Vgl. Ganske DB 1981, 1551 Fn. 7; Hommelhoff/Riesenhuber in: Grundmann (Hrsg.), Systembildung und Systemlücken in Kerngebieten des Europäischen Privatrechts, 2000, S. 259, 266; Schwarz Rn. 637 Fn. 763. 40 Vgl. Barbaso [1984] JBL 176, 178; Edwards S. 92 Fn. 15; Van Ommeslaghe FS Sanders, 1972, S. 123, 127.

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wo die Fusion von Aktiengesellschaften bereits seit 188441 gesetzlich geregelt ist 42, bedeutete Art. 2 eine Neuerung: Die dort vorgesehene Verschmelzung durch simultane Aufnahme mehrerer Gesellschaften existierte im deutschen Recht zuvor nicht 43 und machte u.a. eine Neubestimmung des Zeitpunktes des Wirksamwerdens der Verschmelzung erforderlich (näher u. Rn. 88).44 2. Verschmelzung durch Aufnahme und durch Neugründung (Art. 3 und 4) 13 Die beiden durch Art. 2 vorgegebenen Arten der Verschmelzung – die Verschmelzung durch Aufnahme und die Verschmelzung durch Neugründung – werden in Art. 3 und 4 legaldefiniert. 14 Verschmelzung durch Aufnahme ist gem. Art. 3 Abs. 1 der Vorgang, durch den eine oder mehrere Gesellschaften (= übertragende Gesellschaft(en)) ihr gesamtes Aktiv- und Passivvermögen im Wege der Auflösung ohne Abwicklung auf eine andere Gesellschaft (= übernehmende bzw. aufnehmende Gesellschaft) übertragen, und zwar gegen Gewährung von Aktien der übernehmenden Gesellschaft an die Aktionäre der übertragenden Gesellschaft(en) und ggf. einer baren Zuzahlung von max. 10 % des Nennbetrages bzw. des rechnerischen Wertes der gewährten Aktien. 15 Verschmelzung durch Neugründung ist gem. Art. 4 Abs. 1 der Vorgang, durch den mehrere Gesellschaften (= übertragende Gesellschaften) ihr gesamtes Aktiv- und Passivvermögen im Wege der Auflösung ohne Abwicklung auf eine Gesellschaft, die sie gründen, übertragen, und zwar gegen Gewährung von Aktien der neuen Gesellschaft an die Aktionäre der übertragenden Gesellschaften und ggf. eine bare Zuzahlung von max. 10 % des Nennbetrages bzw. des rechnerischen Wertes der gewährten Aktien. 16 Die drei übereinstimmenden Charakteristika beider Verschmelzungsformen sind also: 45 (1) Gesamtrechtsnachfolge, (2) Auflösung der übertragenden Gesellschaft(en) ohne Liquidation, und (3) Aktientausch sowie ggf. bare Zuzahlung. 41 Vgl. Art. 247 ADHGB. 42 Vgl. zur historischen Entwicklung des Verschmelzungsrechts in Deutschland: KKUmwG/Flume, 2009, Einl. B Rn. 9 ff.; KK-UmwG/Simon, 2009, § 2 Rn. 6 ff.; Lutter in: Lutter, UmwG, 4. Aufl. 2009, Einl. I Rn. 5 ff.; Veil in: Bayer/Habersack (Hrsg.), Aktienrecht im Wandel, Bd. 2, 2007, Kap. 24, Rn. 5 ff. 43 §§ 339 ff. AktG a.F. gestatteten die Beteiligung von mehr als zwei Gesellschaften nur bei der Verschmelzung durch Neugründung. 44 Vgl. dazu BegrRegE z.VerschmRiLiG, BT-Drs. 9/1065, S. 14; Bayer/J. Schmidt (Fn. 9), Rn. 92; Ganske DB 1981, 1551, 1552; Lösekrug (Fn. 9), S. 218; Priester NJW 1983, 1459, 1460. 45 Vgl. Cordoliani JCP 1979.II.13078; Grundmann Rn. 879; Keutgen Rev. prat. soc. 1979, 98, 101; Loy RTD eur. 1980, 354, 359; Nobel, Transnationales und Europäisches Aktienrecht, 2006, Kap. 2 Rn. 214; Riesenhuber NZG 2004, 15, 17. Siehe dazu auch noch u. Rn. 91 bzgl. der Rechtswirkungen gem. Art. 19.

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Der maßgebliche Unterschied zwischen beiden ist, dass die übernehmende Gesell- 17 schaft bei der Verschmelzung durch Aufnahme bereits vorher existiert, während sie bei der Verschmelzung durch Neugründung – wie der Name schon sagt – erst im Zuge der Verschmelzung neu gegründet wird.46 Diese Differenzierung zwischen beiden Varianten ist für die gesamte Systematik der RL von grundlegender Bedeutung. Denn gem. Art. 23 Abs. 1 Unterabs. 1 S. 1 gelten die meisten der in Art. 5–22 normierten Vorschriften über das Verfahren bei der Verschmelzung durch Aufnahme zwar entsprechend auch für die Verschmelzung durch Neugründung, Art. 23 normiert allerdings eine Reihe von Besonderheiten (dazu ausf. Rn. 129 ff.). Mit der Möglichkeit einer baren Zuzahlung trägt die RL der Tatsache Rechnung, 18 dass eine Verschmelzung ohne diese Option in der Praxis auf Grund der unterschiedlichen Wertverhältnisse der Gesellschaften häufig scheitern würde, weil es nur durch solche baren Zuzahlungen möglich ist, sog. „Spitzenbeträge“ auszugleichen.47 Nach Art. 3 Abs. 1 bzw. Art. 4 Abs. 1 müssen die Mitgliedstaaten aber nur bare Zuzahlungen bis max. 10 % des Nennbetrages bzw. des rechnerischen Wertes der gewährten Aktien zulassen;48 Zuzahlungen in einem solch „geringen Umfang“ verändern nach Auffassung des europäischen Gesetzgebers die „Eigenart der Fusion“ nicht.49 Gem. Art. 30 steht es den Mitgliedstaaten allerdings frei, auch Vorgänge zuzulassen, bei denen die bare Zuzahlung 10 % übersteigt. Bei solchen Vorgängen handelt es sich zwar nicht um Verschmelzungen i.S.d. Art. 3 und 4. Um Umgehungen der für die Fusion normierten Schutzbestimmungen zu verhindern 50, verpflichtet die RL die Mitgliedstaaten aber – soweit sie solche Vorgänge zulassen – gleichwohl zur Anwendung der Art. 5–23, 27–29. Nach h.L.51 eröffnet die RL mit Art. 30 übrigens auch die Möglichkeit einer vollständigen „Verschmelzung gegen Geld“. Hierfür sprechen nicht nur die Entstehungsgeschichte der Vorschrift 52, die offenbar auf dänischem Vorbild beruht,53 sondern v.a. auch das Fehlen irgendeiner Obergrenze 54. Der in der deutschen Sprachfassung verwendete Begriff der „Zuzahlung“ steht ebenfalls nicht entgegen, 46 Vgl. Habersack § 6 Rn. 9 f.; Schwarz Rn. 642; Temple Lang (1972) Irish Jurist 306, 314. 47 Vgl. RL-E 1970 (Fn. 1), S. 9; Edwards S. 97; Habersack § 7 Rn. 9; Keutgen Rev. prat. soc. 1979, 98, 101; Riesenhuber NZG 2004, 15, 17; Sonnenberger AG 1971, 76, 77; Van Ommeslaghe FS Sanders, 1972, S. 123, 128. 48 Die 10 %-Grenze orientiert sich u.a. am deutschen Vorbild des § 344 Abs. 2 AktG 1965, vgl. Vorentwurf 1968 (Fn. 2), S. 7; Edwards S. 97; Keutgen Rev. prat. soc. 1979, 98, 101; Loy RTD eur. 1980, 354, 359; Van Ommeslaghe FS Sanders, 1972, S. 123, 128. Zu den historischen Wurzeln der 10 %-Grenze im deutschen Aktienrecht: Flume (Fn. 42), Einl. B Rn. 38. 49 Vgl. RL-E 1970 (Fn. 1), S. 9. 50 Vgl. Erwägungsgrund 9 sowie RL-E 1970 (Fn. 1), S. 10; Edwards S. 98; Habersack § 7 Rn. 12; Keutgen Rev. prat. soc. 1979, 98, 103; Lösekrug (Fn. 9), S. 309; Sonnenberger AG 1971, 76, 82. 51 Vgl. Grundmann Rn. 882; Habersack § 7 Rn. 12; Heenen CDE 1981, 15, 16 ; Kalss JBl. 1995, 420, 423 ff.; Michalopoulos Rev. soc. 1986, 211, 220; Riesenhuber NZG 2004, 15, 17; a.A. Schwarz Rn. 668. 52 Vgl. Kalss JBl. 1995, 420, 424 f. 53 Vgl. Kalss JBl. 1995, 420, 425. 54 Vgl. Kalss JBl. 1995, 420, 424.

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denn aus den anderen Sprachfassungen 55 ergibt sich, dass lediglich allgemein eine „Barzahlung“ – die nicht unbedingt eine „Zusatz“leistung sein muss – gemeint ist.56 I.Ü. wäre es auch geradezu absurd, auf der Gewährung einer (welcher?) Mindestzahl von Aktien zu beharren, da es sich dabei letztlich lediglich um eine durch geschickte Gestaltungen relativ leicht zu unterlaufende Vorgabe handeln würde.57 19 In Deutschland waren die in Art. 3 f. normierten zwei Varianten der Verschmelzung (durch Aufnahme und durch Neugründung) bereits seit dem AktG 1937 58 bekannt.59 Im Hinblick auf die Möglichkeit barer Zuzahlungen hat es der deutsche Gesetzgeber grundsätzlich bei der traditionellen 10 %-Grenze – die ja immerhin Vorbild für die RL-Bestimmung war60 – belassen. § 68 Abs. 3 UmwG gilt allerdings – ebenso wie die Vorgängernorm des § 344 Abs. 2 AktG a.F.61 – nur für im Verschmelzungsvertrag festgesetzte bare Zuzahlungen, nicht dagegen für bare Zuzahlungen auf Grund eines Nachbesserungsanspruchs gem. § 15 UmwG62 (vgl. § 15 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 UmwG). Soweit sich damit insgesamt bare Zuzahlungen von mehr als 10 % ergeben, ist dies jedoch durch Art. 30 gedeckt.63

3. Sonderfall: Liquidationsgesellschaften (Art. 3 Abs. 2, Art. 4 Abs. 2) 20 Nach Art. 3 Abs. 2 und Art. 4 Abs. 2 können die Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats vorsehen, dass eine Verschmelzung auch dann möglich ist, wenn sich eine oder mehrere der übertragende(n) Gesellschaft(en) in Abwicklung befindet bzw. befinden. Mit dieser Option, die auf Vorbildern im deutschen und französischen Recht 64 beruht 65, sollen Sanierungen erleichtert werden 66. Um eine Umgehung der Ausschüt55 Englisch: „cash payment“, französisch: „soulte en espèces“, italienisch: „conguaglio in denaro“, spanisch: „compensación en dinero“. 56 Vgl. Beutel, Der neue rechtliche Rahmen grenzüberschreitender Verschmelzungen in der EU, 2008, S. 149 Fn. 778; Kalss JBl. 1995, 420, 425. 57 Vgl. Grundmann Rn. 882 Fn. 26; Kalss JBl. 1995, 420, 424. 58 Vgl. §§ 233, 247 AktG 1937. Vorbild war das französische Recht gewesen, vgl. Böttcher/ Meilicke, Umwandlung, Verschmelzung und Auflösung, 4. Aufl. 1937, § 247 Rn. 1. 59 Vgl. Flume (Fn. 42), Einl. B Rn. 44; Fronhöfer in: Widmann/Mayer, UmwG (Stand: 120. EL 2011), § 2 Rn. 6; Lutter/Drygala in: Lutter, UmwG, 4. Aufl. 2009, § 2 Rn. 4; Veil (Fn. 42), Rn. 35. 60 Vgl. oben Fn. 48. 61 Vgl. § 352c Abs. 1 S. 2 AktG a.F. 62 Dazu noch u. Rn. 114. 63 Vgl. Lösekrug (Fn. 9), S. 220; Schwarz Rn. 642; s. ferner auch schon Ganske DB 1981, 1551, 1559 Fn. 64. 64 Vgl. § 339 Abs. 2 AktG 1965 und Art. 371 Loi n° 66-537 du 24 juillet 1966 sur les sociétés commerciales, JORF du 26 juillet 1966, p. 6402. 65 Vgl. Vorentwurf 1968 (Fn. 2), S. 8; Edwards S. 97; Keutgen Rev. prat. soc. 1979, 98, 103; Loy RTD eur. 1980, 354, 359; Sonnenberger AG 1971, 76, 77; Van Ommeslaghe FS Sanders, 1972, S. 123, 130. 66 Vgl. Koller, Die europäische Harmonisierung des Rechts der Verschmelzung, 2004, S. 15; zur Umsetzung in § 3 Abs. 3 UmwG: BegrRegE z. UmwG, BT-Drs. 12/6699, S. 82; Fronhöfer (Fn. 59), § 3 Rn. 42; Simon (Fn. 42), § 3 Rn. 52.

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tungsgrenzen des Art. 15 Abs. 1 der 2. (Kapital-)RL (dazu § 20 Rn. 80 ff.) zu verhindern 67, schränkt die RL die Beteiligungsmöglichkeit allerdings insofern ein, als die betreffende Gesellschaft noch nicht mit der Verteilung ihres Vermögens an die Aktionäre begonnen haben darf. Deutschand konnte auf Grund dieser Option an der entsprechenden Regelung in § 339 Abs. 2 AktG a.F., die dann in § 3 Abs. 3 UmwG übernommen wurde 68, festhalten.69 Nicht zulässig ist hingegen die Beteiligung von Liquidationsgesellschaften als 21 übernehmender Rechtsträger; 70 bei Art. 3 Abs. 2 und Art. 4 Abs. 2 handelt es sich um eine abschließende und nicht analogiefähige Sonderregelung 71.

4. Fusionsähnliche Vorgänge (Art. 31) Art. 31 gestattet den Mitgliedstaaten die Zulassung sog. fusionsähnlicher Vorgänge, 22 bei denen nicht alle übertragenden Gesellschaften aufhören zu existieren. Der europäische Gesetzgeber hatte hier etwa die Teilfusion des französischen Rechts (fusionscission) 72 und die verschmelzende Umwandlung gem. § 15 UmwG 1956 73 vor Augen. Um Umgehungen der für die Fusion normierten Schutzbestimmungen zu verhindern74, müssen die Mitgliedstaaten aber auch auf solche fusionsähnlichen Vorgänge – soweit sie sie in ihrem nationalen Recht zulassen – die Art. 5–29 der RL (selbstverständlich mit Ausnahme von Art. 19 Abs. 1 lit. c 75) anwenden. Für das deutsche Recht hat Art. 31 keine Bedeutung: 76 Die verschmelzende Um- 23 wandlung wurde durch das VerschmRiLiG (Rn. 6) abgeschafft (näher u. Rn. 141), § 20 Abs. 1 Nr. 2 UmwG ordnet heute ausnahmslos das Erlöschen des bzw. der übertragenden Rechtsträger an.

67 Vgl. Habersack § 7 Rn. 6; Lösekrug (Fn. 9), S. 219; Lutter/Drygala (Fn. 59), § 3 Rn. 19; Schwarz Rn. 639 Fn. 770. 68 Vgl. BegrRegE z. UmwG, BT-Drs. 12/6699, S. 82. 69 Vgl. Habersack § 7 Rn. 6; Lösekrug (Fn. 9), S. 219; Schwarz Rn. 639. 70 OLG Naumburg GmbHR 1997, 1152, 1155; Stengel in: Semler/Stengel, UmwG, 2. Aufl. 2007, § 3 Rn. 47; H. Schmidt in: Lutter, UmwG, 4. Aufl. 2009, § 39 Rn. 18. 71 S. zur äußerst umstrittenen Frage der Zulässigkeit aufgelöster Rechtsträger als übernehmender Rechtsträger nach dem UmwG Lutter/Drygala (Fn. 59), § 3 Rn. 23 m.w.N. 72 Vgl. Habersack § 7 Rn. 12; Loy RTD eur. 1980, 354, 365; Lutter EuR 1975, 44, 63; MeyerLadewig BB 1970, 1517, 1520; Sonnenberger AG 1971, 76, 82. 73 Vgl. Grundmann Rn. 883; Habersack § 7 Rn. 12; Lutter EuR 1975, 44, 63. 74 Vgl. Erwägungsgrund 9 sowie RL-E 1970 (Fn. 1), S. 10; Edwards S. 98; Lösekrug (Fn. 9), S. 309; Sonnenberger AG 1971, 76, 82. 75 Art. 19 Abs. 1 lit. c regelt das Erlöschen der übertragenden Gesellschaft(en) (näher u. 97), zu dem es bei den fusionsähnlichen Vorgängen i.S.d. Art. 31 gerade nicht kommt. 76 Vgl. Lösekrug (Fn. 9), S. 310; Schwarz Rn. 668.

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IV. Das Verschmelzungsverfahren bei der Verschmelzung durch Aufnahme (Kapitel III, Art. 5–22) 1. Überblick 24 Art. 5–22 enthalten detaillierte Vorgaben betreffend das Verfahren der Verschmelzung durch Aufnahme, die qua Art. 23 weitgehend auch für die Verschmelzung durch Neugründung gelten (ausf. u. Rn. 129 ff.). Die 5 elementaren Grundbausteine des Verschmelzungsverfahrens sind der publizitätspflichtige Verschmelzungsplan (Art. 5 f., dazu u. Rn. 25 ff.), der Verschmelzungsbericht (Art. 9, dazu u. Rn. 42), die Verschmelzungsprüfung (Art. 10, dazu u. Rn. 51 ff.), die Verschmelzungsbeschlüsse (Art. 7 f., dazu u. Rn. 63 ff.) und die Rechtmäßigkeitskontrolle (Art. 16, dazu u. Rn. 83 ff.). Dieses Verfahrensinstrumentarium hat sich – wie bereits eingangs (o. Rn. 3) dargelegt – inzwischen quasi zum „europäischen Modell für Strukturmaßnahmen“ entwickelt, auf dem auch die 6. (Spaltungs-)RL, die 10. RL sowie die Verschmelzungsvorschriften der SE-VO und der SCE-VO basieren. Grundgedanke ist – wie sich auch aus Erwägungsgrund 5 ergibt – der „Schutz durch Information“ (sog. „Informationsmodell“, vgl. dazu auch § 6 Rn. 29; § 18 Rn. 9, § 19 Rn. 4; § 22 Rn. 23, 81; § 23 Rn. 26, 129 f.; § 30 Rn. 16; § 41 Rn. 47 sowie u. Rn. 112).77 Aktionäre und Gläubiger sollen durch die verschiedenen Instrumente im Vorfeld umfassend informiert werden, um zu gewährleisten, dass die Aktionäre eine informierte und fundierte Entscheidung über die Verschmelzung treffen und die Gläubiger entsprechend disponieren können.

2. Der Verschmelzungsplan und seine Offenlegung (Art. 5 f.) a) Verschmelzungsplan (Art. 5) aa) Allgemeines 25 Grundlage des gesamten Verschmelzungsverfahrens ist ein Verschmelzungsplan, in dem die wesentlichen Bedingungen der Fusion festgehalten werden. Mit der Wahl des neutralen Terminus „Verschmelzungsplan“ sollte den insoweit stark divergierenden nationalen Traditionen Rechnung getragen werden.78 In einigen Mitgliedstaaten

77 Vgl. dazu Cordewener in: Schön (Hrsg.), Rechnungslegung und Wettbewerbsschutz im deutschen und europäischen Recht, 2008, S. 105, 158; Grohmann (Fn. 34), S. 320 ff.; Grundmann Rn. 888; ders. FS Lutter, 2000, S. 61, 76 f.; Hommelhoff/Riesenhuber (Fn. 39), S. 259, 272 ff.; Nobel (Fn. 45), Kap. 2 Rn. 218; Riesenhuber NZG 2004, 15, 19 ff.; Veil FS Priester, 2007, S. 799, 805 f. S. ferner auch BegrRegE z.VerschmRiLiG, BT-Drs. 9/1065, S. 14 f.; BGH NJW 1989, 2689, 2690; BGH NJW-RR 1990, 350, 351 f.; BGH NJW-RR 1991, 358, 359; Koller (Fn. 66), S. 142. 78 Vgl. RL-E 1970 (Fn. 1), S. 10; Cordoliani JCP 1979.II.13078; Edwards S. 103; Lösekrug (Fn. 9), S. 222; Sonnenberger AG 1971, 76, 78; Van Ommeslaghe FS Sanders, 1972, S. 123, 130 ff.

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musste der Verschmelzungsvertrag nämlich vor den Hauptversammlungsbeschlüssen geschlossen werden, in anderen dagegen durfte er erst danach geschlossen werden und wieder andere begnügten sich damit, die Zuständigkeit für die Entscheidung über die Fusion der Hauptversammlung zuzuweisen.79 Da aber überall zumindest ein im Ansatz vergleichbares Grundschema existierte, erachtete es der europäische Gesetzgeber als ausreichend, die Koordinierung darauf zu beschränken, dass die wesentlichen Bedingungen der Fusion rechtzeitig vor der Beschlussfassung der Hauptversammlungen in einem besonderen, den Aktionären zugänglichen Dokument festgehalten werden.80

bb) Zuständigkeit für die Aufstellung (Art. 5 Abs. 1) Zuständig für die Aufstellung des Verschmelzungsplans ist gem. Art. 5 Abs. 1 bei 26 monistisch strukturierten Gesellschaften das Verwaltungsorgan, bei dualistisch strukturierten das Leitungsorgan. Die Zuständigkeit innerhalb der betreffenden Organe bestimmt sich sodann nach nationalem Recht.81

cc) Form (Art. 5 Abs. 1) Aus Beweis- und Kontrollgründen 82 verlangt die RL für den Verschmelzungsplan 27 Schriftform 83. Die Mitgliedstaaten können allerdings über diesen Mindeststandard hinaus eine notarielle Beurkundung verlangen und müssen dies gem. Art. 16 Abs. 1 unter bestimmten Voraussetzungen sogar (dazu näher u. Rn. 83 ff.).

dd) Mindestinhalt (Art. 5 Abs. 2) Um sicherzustellen, dass die Aktionäre durch den Verschmelzungsplan tatsächlich 28 alle für eine fundierte Entscheidungsfindung erforderlichen Informationen erhalten, normiert die RL in Art. 5 Abs. 2 einen Katalog von Mindestangaben. Da es sich aus-

79 Vgl. RL-E 1970 (Fn. 1), S. 10; Cordoliani JCP 1979.II.13078; Edwards S. 103; Keutgen Rev. prat. soc. 1979, 98, 104; Meyer-Ladewig BB 1970, 1517, 1518; Sonnenberger AG 1971, 76, 78; Van Ommeslaghe FS Sanders, 1972, S. 123, 130 f. 80 Vgl. RL-E 1970 (Fn. 1), S. 10; Cordoliani JCP 1979.II.13078; Edwards S. 103; Keutgen Rev. prat. soc. 1979, 98, 104; Schwarz Rn. 645; Van Ommeslaghe FS Sanders, 1972, S. 123, 130 ff. 81 Vgl. Grundmann Rn. 889. 82 Vgl. auch Riesenhuber NZG 2004, 15, 19. 83 Da die Vorschrift europäisch-autonom auszulegen ist, dürfte hier keine Schriftform i.S.d. deutschen Verständnisses (also i.S.d. § 126 Abs. 1 BGB) erforderlich sein; ausreichend sein dürfte vielmehr ein Dokument, das nach deutschem Verständnis der Textform i.S.d. § 126b BGB entspricht. Vgl. zur Parallelproblematik beim Verschmelzungsbericht u. Rn. 42 mit Fn. 116, beim Verschmelzungsprüfungsbericht u. Rn. 53 mit Fn. 150; bei der Spaltung § 22 Rn. 25, 36, 44; i.R.d. 10. RL: § 23 Rn. 31, 54, 67; i.R.d. Aktionärsrechte-RL: § 31 Rn. 38, 92.

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weislich des eindeutigen Wortlautes lediglich um einen Mindeststandard handelt, kann das nationale Recht auch weitergehende Anforderungen aufstellen.84 Zudem steht es auch den Gesellschaften grundsätzlich frei, weitere Punkte hinzuzufügen. Im Falle bestimmter Konzernverschmelzungen sind die Angaben nach lit. b–d entbehrlich (näher u. Rn. 136). Gem. lit. a muss der Verschmelzungsplan zunächst die ganz grundlegenden Kenndaten über die an der Verschmelzung beteiligten Gesellschaften enthalten, d.h. Rechtsform, Firma und Sitz (gemeint ist, wie sich aus den anderen Sprachfassungen85 ergibt, der Satzungssitz). Von ganz grundlegender Bedeutung ist ferner auch das nach lit. b anzugebende Umtauschverhältnis der Aktien sowie ggf. die Höhe der baren Zuzahlung. Im Verschmelzungsplan bedarf es zwar insoweit lediglich der schlichten Angabe. Diese wird jedoch durch die Erläuterung und Begründung im Verschmelzungsbericht (Art. 9, dazu u. Rn. 42 f.) sowie das Testat der Verschmelzungsprüfer (Art. 10 Abs. 2, dazu u. Rn. 52 f.) komplementiert.86 Um sicherzustellen, dass die Aktionäre der übertragenden Gesellschaften über den Ablauf und die Modalitäten des Anteilstauschs – dessen konkrete Regelung dem nationalen Recht überlassen bleibt 87 – informiert sind, gehören zu den Pflichtangaben ferner die Einzelheiten der Übertragung der Aktien der übernehmenden Gesellschaft (lit. c). Mit der Verpflichtung zur Angabe des Zeitpunktes der Gewinnberechtigung (lit. d) und des Verschmelzungsstichtages (lit. e) will die RL v.a. den Bedürfnissen der Praxis Rechnung tragen, für die beides von erheblicher Bedeutung ist.88 Sofern von einer übertragenden Gesellschaft Aktien mit Sonderrechten (z.B. hinsichtlich der Ausübung des Stimmrechts oder der Gewinnberechtigung 89) oder andere Wertpapiere als Aktien (z.B. Wandel- oder Gewinnschuldverschreibungen, Genussrechte) ausgegeben wurden, müssen im Verschmelzungsplan gem. lit. f Angaben dazu gemacht werden, welche Rechte die übernehmende Gesellschaft den betreffenden Titelinhabern gewährt oder welche Maßnahmen für diese vorgeschlagenen werden. Lit. g verlangt im Interesse einer umfassenden Transparenz und zwecks Verhinderung von Missbräuchen 90 schließlich noch die Angabe sog. Sondervorteile, d.h. jedes

84 Vgl. BegrRegE z.VerschmRiLiG, BT-Drs. 9/1065, S. 15; Bayer/J. Schmidt (Fn. 9), Rn. 95; dies. NJW 2006, 401, 402; Ganske DB 1981, 1551, 1552; Hommelhoff/Riesenhuber (Fn. 39), S. 259, 273; Keutgen Rev. prat. soc. 1979, 98, 105; Loy RTD eur. 1980, 354, 360; Meyer-Ladewig BB 1970, 1517, 1518; Priester NJW 1983, 1459, 1461; Riesenhuber NZG 2004, 15, 19; Van Ommeslaghe ZHR 132 (1969) 201, 209; ders. FS Sanders, 1972, S. 123, 132. 85 Vgl. englisch: „registered office“, französisch: „siège social“. 86 Vgl. hierzu bereits RL-E 1970 (Fn. 1), S. 10 f. S. ferner auch Riesenhuber NZG 2004, 15, 20. 87 Vgl. Vorentwurf 1968 (Fn. 2), S. 21; Meyer-Ladewig BB 1970, 1517, 1519; Sonnenberger AG 1971, 76, 80; Van Ommeslaghe FS Sanders, 1972, S. 123, 143. 88 Vgl. RL-E 1970 (Fn. 1), S. 11. 89 Vgl. RL-E 1970 (Fn. 1), S. 11. 90 Vgl. Grohmann (Fn. 34), S. 321.

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besonderen Vorteils, der den Sachverständigen i.S.d. Art. 10 Abs. 1 (= Verschmelzungsprüfern) sowie den Mitgliedern der Verwaltungs-, Leitungs-, Aufsichts- oder Kontrollorgane der sich verschmelzenden Gesellschaften gewährt wird. Nach der Ratio der Norm gilt dies unabhängig davon, ob es sich insoweit nach nationalem Recht um ein obligatorisches oder fakultatives Organ handelt.91 Kein „Aufsichtsoder Kontrollorgan“ i.d.S. ist aber jedenfalls der Abschlussprüfer.92 „Besonderer Vorteil“ ist jede Art von Vergünstigung, die anlässlich der Verschmelzung gewährt wird und nicht Gegenleistung für eine erbrachte Tätigkeit ist; 93 nicht hierunter fallen z.B. die üblichen Sachverständigenhonorare94. ee) Umsetzung in Deutschland Angesichts des durch den Terminus „Verschmelzungsplan“ eröffneten Spielraums 35 konnte in Deutschland an dem bewährten Modell 95, das es der Gesellschaft freistellt, ob der Verschmelzungsvertrag oder lediglich sein Entwurf zur Beschlussfassung vorgelegt wird (d.h. dass der Vertrag sowohl vor als auch nach der Beschlussfassung abgeschlossen werden kann), festgehalten werden (vgl. § 340 Abs. 1 AktG a.F. bzw. seit 1.1.1995: § 4 UmwG) 96. Zuständig für den Abschluss ist entsprechend Art. 5 Abs. 1 der RL gem. § 4 Abs. 1 S. 1 UmwG i.V.m. § 78 Abs. 1 S. 1 AktG der Vorstand 97. In formaler Hinsicht geht das deutsche Recht mit der in § 6 UmwG geforderten 36 notariellen Beurkundung im Interesse einer erhöhten Rechtssicherheit und materiellen Richtigkeitsgewähr 98 in zulässiger Weise über den Mindeststandard der RL (vgl. o. Rn. 27 sowie u. Rn. 83 ff.) hinaus (s. dazu noch u. Rn. 86). Die durch Art. 5 Abs. 2 gebotene gesetzliche Fixierung des Mindestinhalts des 37 Verschmelzungsplans – zunächst in § 340 AktG a.F., seit 1.1.1995 in § 5 Abs. 1 UmwG – war aus deutscher Sicht ein Novum 99, wenngleich die geforderten Angaben im We-

91 Vgl. zur Parallelnorm des Art. 20 Abs. 1 lit. g SE-VO (dazu § 41 Rn. 37): Bayer in: Lutter/ Hommelhoff, SE-Kommentar, 2008, Art. 20 Rn. 24 m.w.N. 92 Vgl. Ratsprotokoll, Dok. R/2337/78, S. 1; Grundmann Rn. 890. 93 Vgl. zur Parallelnorm des Art. 20 Abs. 1 lit. g (dazu § 41 Rn. 37): Bayer (Fn. 91), Art. 20 Rn. 24 m.w.N. 94 Vgl. Ratsprotokoll, Dok. R/2337/78, S. 1; BegrRegE z. VerschmRiLiG, BT-Drs. 9/1065, S. 15; zur Parallelnorm des Art. 20 Abs. 1 lit. g (dazu § 41 Rn. 37): Bayer (Fn. 91), Art. 20 Rn. 24 m.w.N. 95 Nach h.M. konnte der Verschmelzungsvertrag auch unter Geltung des § 340 Abs. 1 AktG 1965 erst nach dem Hauptversammlungsbeschluss geschlossen werden, vgl. Godin/Wilhelmi, AktG, 3. Aufl. 1967, § 340 Anm. 2; Priester NJW 1983, 1459, 1460 m.w.N. 96 Vgl. zur Richtlinienkonformität BegrRegE z. VerschmRiLiG, BT-Drs. 9/1065, S. 15; Habersack, § 7 Rn. 22; Lösekrug (Fn. 9), S. 229; Schwarz Rn. 645. 97 Bei der dualistischen SE das Leitungsorgan, bei der monistischen SE gem. § 22 Abs. 6 SEAG (dazu näher § 41 Rn. 143) der Verwaltungsrat. 98 Vgl. Heckschen in: Widmann/Mayer, UmwG (Stand: 120. EL 2011), § 6 Rn. 1; Lutter/ Drygala (Fn. 59), § 6 Rn. 1; Schröer in: Semler/Stengel, UmwG, 2. Aufl. 2007, § 6 Rn. 2. 99 Vgl. Bayer/J. Schmidt (Fn. 9), Rn. 95; Lösekrug (Fn. 9), S. 223; Priester NJW 1983, 1459, 1461.

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sentlichen der bereits vorher geübten Vertragspraxis entsprachen100. § 5 Abs. 1 UmwG geht allerdings nunmehr sogar über den Mindeststandard der RL (vgl. Rn. 28) hinaus, denn als zusätzliche Pflichtinhalte werden gefordert: die Vereinbarung der Vermögensübertragung gegen Anteile (Nr. 2), Angaben zu Rechten, die einzelnen Anteilsinhabern gewährt werden (Nr. 7), Sondervorteile für Abschlussprüfer (Nr. 8) und die Angabe der Folgen der Verschmelzung für die Arbeitnehmer und ihre Vertretungen sowie die insoweit vorgesehenen Maßnahmen (Nr. 9).101

b) Offenlegung des Verschmelzungsplans (Art. 6) 38 Um zu gewährleisten, dass Aktionäre und Gläubiger – aber auch der allgemeine Rechtsverkehr – rechtzeitig und umfassend informiert werden, ist der Verschmelzungsplan offen zu legen.102 Die Offenlegung erfolgt für jede der sich verschmelzenden Gesellschaften gesondert und muss spätestens einen Monat vor dem Tag der Hauptversammlung, die über den Verschmelzungsplan zu beschließen hat, erfolgen. 39 Der Offenlegungsmodus wurde durch die Änderungs-RL 2009/109/EG (Rn. 4) erheblich modernisiert.103 Grundsätzlich erfolgt die Offenlegung gem. Art. 6 Abs. 1 zwar auch weiterhin nach den jeweiligen nationalen Umsetzungsvorschriften zu Art. 3 der 1. (Publizitäts-)RL (dazu ausf. § 19 Rn. 13 ff.). Als Alternative hierzu kann jede der sich verschmelzenden Gesellschaften den Verschmelzungsplan 104 aber auch über ihre 105 Internetseiten publik machen; hierfür muss der Verschmelzungsplan aber spätestens einen Tag vor der über den Verschmelzungsplan beschließenden Hauptversammlung und bis zum Ende derselben für die Öffentlichkeit kostenlos auf der Internetseite der Gesellschaft zugänglich sein (Art. 6 Abs. 2 S. 1). Die Mitgliedstaaten dürfen diesbezüglich zwar im Interesse der Sicherheit der Internetseiten und der Echtheit der Dokumente Erfordernisse und Auflagen vorsehen; diese müssen aber erforderlich und angemessen sein (Art. 6 Abs. 2 S. 2). Anstelle einer Veröffentlichung über die Internetseiten der Gesellschaften können die Mitgliedstaaten gem. Art. 6 Abs. 3 aber auch eine Veröffentlichung über die zentrale elektronische Plattform

100 Vgl. Bayer/J. Schmidt (Fn. 9), Rn. 95; Lösekrug (Fn. 9), S. 223; Mayer in: Widmann/ Mayer, UmwG (Stand: 120. EL 2011), § 5 Rn. 1; Priester NJW 1983, 1459, 1461. 101 Vgl. Bayer/J. Schmidt (Fn. 9), Rn. 95; Lösekrug (Fn. 9), S. 230; Lutter/Drygala (Fn. 59), § 5 Rn. 1; Schröer (Fn. 98), § 5 Rn. 2; s. ferner auch schon BegrRegE z.VerschmRiLiG, BT-Drs. 9/1065, S. 15. 102 Vgl. Grohmann (Fn. 34), S. 321, 325; Grundmann Rn. 891; Riesenhuber NZG 2004, 15, 20 f.; Temple Lang (1972) Irish Jurist 306, 315. 103 Dazu auch Bayer/J. Schmidt BB 2010, 387, 389; Schimka/Schörghofer WBl. 2010, 110 f.; zum Entwurf bereits Sandhaus NZG 2009, 41, 44. 104 Der deutsche Text („Verschmelzungspläne“) ist ein Übersetzungsfehler, vgl. die englische und französische Sprachfassung („draft terms of the merger“/„le projet de fusion“). 105 Eine Zugänglichmachung auf fremden Internetseiten ist nicht zulässig; der entsprechende Passus im RL-E (dazu auch Sandhaus NZG 2009, 41, 44) wurde vom EP gestrichen (vgl. Legislative Entschließung v. 22.4.2009, ABlEU v. 8.7.2010, C 184 E/213).

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gem. Art. 3 Abs. 5 der 1. (Publizitäts-)RL (dazu § 19 Rn. 19) oder andere, von ihnen zu diesem Zweck benannte Internetseiten verlangen. Im letzteren Fall muss allerdings auf der elektronischen Plattform mindestens einen Monat vor der Hauptversammlung ein Verweis, der zu diesen Internetseiten führt, veröffentlicht werden (Art. 6 Abs. 4). Für die Veröffentlichung sowie auf solchen anderen Internetseiten über die zentrale elektronische Plattform und den entsprechenden Verweis dürfen von den Gesellschaften keine spezifischen 106 Gebühren verlangt werden (vgl. Art. 6 Abs. 3 S. 3, Abs. 4 S. 3, Abs. 5). Die praktisch wichtige Regelung der Folgen technischer Störungen bleibt gem. Art. 6 Abs. 6 S. 2 ausdrücklich den Mitgliedstaaten überlassen. Art. 6 Abs. 6 S. 1 gestattet den Mitgliedstaaten außerdem, die Veröffentlichung 107 40 im Internet bzw. auf der zentralen elektronischen Plattform auch noch für einen bestimmten Zeitraum nach der Hauptversammlung zu verlangen. Nach Wortlaut und Systematik der Norm kann dies aber nur von den Gesellschaften verlangt werden, die sich für eine Publikation im Internet bzw. über die zentrale elektronische Plattform entschieden haben.108 Aus deutscher Sicht war die obligatorische Registerpublizität des Verschmel- 41 zungsplans bzw. -vertrages vor der Hauptversammlung ein Novum, das einen neuen § 340d Abs. 1 AktG a.F. erforderlich machte.109 Seit 1.1.1995 bestimmt § 61 S. 1 UmwG, dass der Verschmelzungsvertrag oder sein Entwurf vor der Einberufung der Hauptversammlung, die über die Verschmelzung beschließen soll, zum Handelsregister einzureichen ist; gem. S. 2 erfolgt dann eine Hinweisbekanntmachung110. Da die Einberufungsfrist für die Hauptversammlung nach § 123 Abs. 1 AktG traditionell 1 Monat betrug, war diese Umsetzung ursprünglich auch richtlinienkonform.111 Infolge der durch das UMAG 112 erfolgten Verkürzung der Einberufungsfrist auf 30 Tage entspricht § 61 S. 1 UmwG allerdings gegenwärtig nicht mehr den Vorgaben des Art. 6 Abs. 1; insofern ist eine richtlinienkonforme Auslegung geboten, d.h. in der

106 Unberührt bleibt dagegen die Möglichkeit, die Kosten für die zentrale elektronische Plattform allgemein auf die Gesellschaften umzulegen, Art. 6 Abs. 5 (vgl. dazu auch § 19 Rn. 19). 107 Veröffentlichungsgegenstand ist aber auch hier – trotz des missverständlichen Wortlauts der deutschen Sprachfassung („Informationen … verfügbar zu halten“) – nur der Verschmelzungsplan sowie ggf. der Hinweis nach Art. 6 Abs. 4, nicht dagegen weitergehende Informationen (vgl. die englische und französische Sprachfassung: „maintain the information“/„maintiennent ces informations.“). Vgl. zur Parallelproblematik bei Art. 11 Abs. 4 Unterabs. 3 S. 1 u. Rn. 68. 108 Vgl. zur Parallelproblematik bei Art. 11 Abs. 4 Unterabs. 3 S. 1 u. Rn. 68. 109 Vgl. Bayer/J. Schmidt (Fn. 9), Rn. 95; Lösekrug (Fn. 9), S. 223; Priester NJW 1983, 1459, 1463. 110 Art. 3 Abs. 5 Unterabs. 1 S. 1 der 1. (Publizitäts-)RL lässt eine Hinweisbekanntmachung genügen (vgl. § 19 Rn. 18), diese Umsetzung ist also richtlinienkonform, vgl. BegrRegE z. UmwG, BT-Drs. 12/6699, S. 102; Lösekrug (Fn. 9), S. 224. 111 Vgl. Grunewald in: Lutter, UmwG, 3. Aufl. 2004, § 61 Rn. 2 f.; Habersack § 7 Rn. 40 Fn. 22; Schwarz Fn. 645 Fn. 792; Lösekrug (Fn. 9), S. 223 f. 112 Gesetz zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Anfechtungsrechts (UMAG) vom 27.9.2005, BGBl. I, 2802.

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Praxis sollte in jedem Fall die Monatsfrist gewahrt werden.113 Der deutsche Gesetzgeber hat i.R.d. 3. UmwÄndG (Rn. 6) durch Ausnutzung der Option des Art. 6 Abs. 3 S. 1 an der Regelung in § 61 UmwG festgehalten; mit Blick auf das Verbot der Erhebung spezifischer Gebühren wurden allerdings §§ 79, 79a KostO angepasst.114

3. Verschmelzungsbericht (Art. 9) 42 Zweiter Grundbaustein des Verschmelzungsverfahrens ist der in Art. 9 geregelte Verschmelzungsbericht. Die im Verschmelzungsplan enthaltenen Angaben waren aus Sicht des europäischen Gesetzgebers alleine für eine hinreichende Information der Aktionäre nicht ausreichend.115 Art. 9 Abs. 1 sieht daher vor, dass die Verwaltungsbzw. Leitungsorgane jeder der sich verschmelzenden Gesellschaften einen ausführlichen schriftlichen 116 Bericht erstellen müssen, in dem der Verschmelzungsplan und insbesondere das Umtauschverhältnis der Aktien rechtlich und wirtschaftlich erläutert und begründet werden. Hierbei handelt es sich freilich bereits wesensmäßig nicht um eine objektive und neutrale Darstellung, sondern – und darum geht es letztlich gerade auch – um eine Erläuterung und Begründung aus Sicht der Organe der beteiligten Gesellschaften117 (eine objektive Einschätzung erhalten die Aktionäre durch den Verschmelzungsprüfungsbericht nach Art. 10, dazu ausf. u. Rn. 51 ff.). Kenntnis von dem Verschmelzungsbericht erhalten die Aktionäre durch die Vorabinformation gem. Art. 11 (dazu ausf. Rn. 64 ff.). 43 Der Verschmelzungsbericht muss ausführlich und detailliert 118 sein, er darf sich keinesfalls in der bloßen Wiedergabe des Verschmelzungsplans oder in Pauschalitäten

113 Ausf. J. Schmidt DB 2006, 375 f. Im Anschluss daran auch Bayer/J. Schmidt ZIP 2010, 953, 962; Habersack, § 7 Rn. 22 Fn. 40; Grunewald (Fn. 111), § 61 Rn. 3; Hüffer, AktG, 9. Aufl. 2010, § 123 Rn. 2; Marsch-Barner in: Kallmeyer, 4. Aufl. 2010, § 61 Rn. 2; Rieckers in: Spindler/Stilz, AktG, 2. Aufl. 2010, § 123 Rn. 5; Ziemons in: K. Schmidt/ Lutter, 2. Aufl. 2010, § 123 Rn. 10. 114 Vgl. BegrRegE z. 3. UmwÄndG, BR-Drs. 485/10, S. 8, 15; Bayer/J. Schmidt ZIP 2010, 953, 954; Leitzen DNotZ 2011, 526, 533; Neye/Jäckel AG 2010, 237, 238. 115 Vgl. RL-E 1970 (Fn. 1), S. 11; BegrRegE z. VerschmRiLiG, BT-Drs. 9/1065, S. 15; Cordoliani JCP 1979.II.13078; Grohmann (Fn. 34), S. 322; Keutgen Rev. prat. soc. 1979, 98, 107; Schwarz Rn. 646; Sonnenberger AG 1971, 76, 78. 116 Auf Grund der gebotenen europäisch-autonomen Auslegung dürfte auch hier keine Schriftform i.S.d. deutschen Verständnisses (also i.S.d. § 126 Abs. 1 BGB), sondern nur ein Dokument, das nach deutschem Verständnis der Textform i.S.d. § 126b BGB entspricht, erforderlich sein. Vgl. zur Parallelproblematik beim Verschmelzungsplan o. Rn. 27 mit Fn. 83, beim Verschmelzungsprüfungsbericht u. Rn. 53 mit Fn. 150; bei der Spaltung § 22 Rn. 25, 36, 44; i.R.d. 10. RL: § 23 Rn. 31, 54, 67; i.R.d. Aktionärsrechte-RL: § 31 Rn. 38, 92. Anders als bei Art. 11 Abs. 2 S. 1 Aktionärsrechte-RL handelt es sich hier indes nur um eine Mindestregelung, d.h. die Mitgliedstaaten dürfen auch strengere Anforderungen stellen (z.B. Schriftform i.S.d. § 126 Abs. 1 BGB verlangen). 117 Vgl. Grundmann Rn. 892; Nobel (Fn. 45), Kap. 2 Rn. 220; Riesenhuber NZG 2004, 15, 20. 118 Andere Sprachfassungen betonen eher die Detailliertheit, vgl. englisch „detailed“, französisch „détaillé“, italienisch „dettagliata“.

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erschöpfen. Vielmehr muss er den Aktionären zumindest ein „Plausibilitätskontrolle“ ermöglichen.119 Der Verschmelzungsplan und insbesondere das – für die Aktionäre besonders relevante – Umtauschverhältnis der Aktien müssen sowohl unter rechtlichen als auch unter wirtschaftlichen Aspekten erläutert und begründet werden. Gem. Abs. 1 Unterabs. 2 muss der Bericht außerdem auf besondere Schwierigkeiten bei der Bewertung (vgl. dazu auch u. Rn. 53), soweit solche aufgetreten sind, hinweisen. Hier liegt in der Praxis zumeist der neuralgische Punkt, denn Bewertungsfragen zählen i.d.R. zu den umstrittensten Fragen der gesamten Transaktion. Trotz alledem muss die Erläuterung und Begründung aber für den Durchschnittsaktionär verständlich bleiben,120 denn nur so kann sie ihre Funktion tatsächlich erfüllen. Dem Sinn und Zweck der Vorschrift (Aktionärsschutz) nach handelt es sich bei Art. 9 freilich nur um eine Mindestregelung, d.h. die Mitgliedstaaten können den Verschmelzungsbericht strengeren Anforderungen unterwerfen 121, was auch tatsächlich in vielen Mitgliedstaaten der Fall ist 122. Andererseits ist jedoch davon auszugehen, dass die durch Art. 9 normierte Berichtspflicht jedenfalls dort ihre Grenze findet, wo die Offenlegung bestimmter Tatsachen im Einzelfall ausnahmsweise zu erheblichen Nachteilen für die Gesellschaft – und damit letztlich auch für die Aktionäre – führen könnte.123 Denn in diesem Fall handelt es sich gerade nicht mehr um eine „angemessene“ Information, wie sie die RL ausweislich ihres Erwägungsgrundes 5 vor Augen hat.124 In formaler Hinsicht geht die RL ihrem Wortlaut nach zwar von separaten Berichten für jede der beteiligten Gesellschaften aus; sofern die inhaltlichen Anforderungen gewahrt werden, dürfte der Erstellung eines gemeinsamen Verschmelzungsberichts allerdings nichts entgegenstehen.125 Durch die Änderungs-RL 2009/109/EG (Rn. 4) wurde in Art. 9 Abs. 2 eine Unterrichtungspflicht im Falle wesentlicher Veränderungen des Aktiv- oder Passivvermögens einer beteiligten Gesellschaft zwischen der Aufstellung des Verschmelzungs-

119 Vgl. Koppensteiner FS Semler, 1993, S. 485, 490; zur deutschen Umsetzung in § 8 Abs. 1 S. 1 UmwG: OLG Düsseldorf AG 2007, 363, 365; OLG Düsseldorf NZG 2004, 429, 430; OLG Frankfurt ZIP 2000, 1928, 1930; OLG Hamm ZIP 1999, 793, 794; Lutter/Drygala (Fn. 59), § 8 Rn. 5; Marsch-Barner (Fn. 113), § 8 Rn. 6; grundlegend zur Vorgängerregelung in § 340a AktG a.F. bereits Bayer AG 1988, 323 ff. 120 Vgl. Grundmann Rn. 892; Riesenhuber NZG 2004, 15, 20; zum Durchschnittsaktionär als Adressat auch Veil FS Priester 2007, S. 799, 806. 121 Vgl. Bayer/J. Schmidt (Fn. 9), Rn. 96; Lösekrug (Fn. 9), S. 248; Lutter/Drygala (Fn. 59), § 8 Rn. 59. 122 So etwa das deutsche Recht (vgl. § 8 Abs. 1 S. 1 Hs. 1, S. 2 und S. 3 UmwG, s. dazu auch u. Rn. 50) oder das britische Recht (vgl. s. 908 i.V.m. s. 897(2), (3) CA 2006 [bis 5.4.2008: r. 4(a) Sch. 15B i.V.m. s. 426(2) CA 1985]). 123 Ebenso i.E. Habersack § 7 Rn. 24; Lösekrug (Fn. 9), S. 250; Rodewald BB 1992, 237, 239; J. Schmidt, „Deutsche“ vs. „britische“ SE, 2006, S. 186. 124 Vgl. J. Schmidt (Fn. 123), S. 186. 125 Vgl. Koppensteiner FS Semler, 1993, S. 485, 490; Lösekrug (Fn. 9), S. 249 sowie ausf. Harrer in: Koppensteiner (Hrsg.), Österreichisches und europäisches Wirtschaftsprivatrecht, Bd. 1, 1994, S. 307, 318.

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plans und dem Tag der über diesen beschließenden Hauptversammlung eingeführt.126 Die Verwaltungs- bzw. Leitungsorgane der jeweiligen Gesellschaft müssen dann deren Hauptversammlung sowie die Verwaltungs- bzw. Leitungsorgane der anderen beteiligten Gesellschaften (die dann wiederum ihre Hauptversammlung informieren müssen) entsprechend unterrichten. So soll sichergestellt werden, dass den Aktionären bei der Beschlussfassung solche wesentlichen Wertschwankungen bekannt sind.127 Als „wesentlich“ ist eine Veränderung mit Blick auf die Ratio der Norm anzusehen, wenn sie bei objektiver Beurteilung Anlass gibt, die frühere Unternehmensbewertung zu überprüfen.128 Irrelevant sind dagegen Veränderungen, die aus der fortwährenden Beteiligung des Rechtsträgers am Marktgeschehen herrühren.129 48 Bei Konzernverschmelzungen ist der Verschmelzungsbericht unter bestimmten Voraussetzungen entbehrlich (dazu ausf. u. Rn. 137, 144). 49 Mit der durch die Änderungs-RL 2009/109/EG (Rn. 4) eingefügten – als Option zugunsten der Mitgliedstaaten ausgestalteten – Regelung des Art. 9 Abs. 3 wurde zudem ausdrücklich die Zulässigkeit eines Verzichts auf den Bericht (und/oder die etwaige Unterrichtungspflicht) klargestellt;130 der Verzicht muss allerdings durch alle Aktionäre und Inhaber anderer mit Stimmrecht verbundener Wertpapiere aller an der Verschmelzung beteiligten Gesellschaften erfolgen. 50 Für das deutsche Umwandlungsrecht war das Rechtsinstitut des Verschmelzungsberichts ein absolutes Novum.131 Die Umsetzung erfolgte zunächst in § 340a AktG a.F.132, seit 1.1.1995 in § 8 UmwG 133. Die im Schrifttum teilweise vorgebrachten Bedenken gegen die Richtlinienkonformität dieser Vorschrift sind unbegründet.134 Die Erweiterung der Berichtspflichten durch § 8 Abs. 1 S. 1 Hs. 1, S. 2 und S. 3 UmwG ist auf Grund des Mindestnormcharakters der Vorschrift (s. o. Rn. 44) zu-

126 Die RL wurde insoweit an die 6. (Spaltungs-)RL, die in Art. 7 Abs. 3 (dazu § 22 Rn. 39) seit jeher eine solche Unterrichtungspflicht vorsieht, angeglichen, vgl. KOM(2008) 576, S. 7; Bayer/J. Schmidt BB 2010, 387, 389; dies. ZIP 2010, 953, 955; Marsch-Barner FS Maier-Reimer, 2010, S. 425, 426; Sandhaus NZG 2009, 41, 42; Schimka/Schörghofer WBl. 2010, 110, 111. 127 Vgl. zur deutschen Umsetzung der Parallelnorm des Art. 7 Abs. 3 der 6. (Spaltungs-)RL: BegrRegE z. UmwG, BT-Drs. 12/6699, S. 127. 128 Vgl. Schwab in: Lutter, UmwG, 4. Aufl. 2009, § 143 Rn. 14; Diekmann in: Semler/Stengel, 2. Aufl. 2007, UmwG, § 143 Rn. 7; Marsch-Barner FS Maier-Reimer, 2010, S. 425, 427 f. 129 Vgl. Schwab (Fn. 128), § 143 Rn. 14; Diekmann (Fn. 128), § 143 Rn. 7. 130 Vgl. Astaix D. 2009, 2268, 2269; Bayer/J. Schmidt BB 2010, 387, 389; Sandhaus NZG 2009, 41, 42; Schimka/Schörghofer WBl. 2010, 110, 112. Nach ganz h.M. war ein Verzicht aber auch schon bislang zulässig, vgl. Bayer/J. Schmidt (Fn. 9), Rn. 96; Lutter/Drygala (Fn. 59), § 8 Rn. 49 (jeweils m.w.N., auch zur Gegenansicht). 131 Vgl. Bayer/J. Schmidt (Fn. 9), Rn. 96; Ganske DB 1981, 1551, 1553; Lösekrug (Fn. 9), S. 226; Meyer-Ladewig BB 1970, 1517, 1519; Priester NJW 1983, 1459, 1461. 132 Vgl. dazu BegrRegE z.VerschmRiLiG, BT-Drs. 9/1065, S. 15. 133 Vgl. BegrRegE z. UmwG, BT-Drs. 12/6699, S. 83 f. 134 Vgl. dazu Bayer/J. Schmidt (Fn. 9), Rn. 96 sowie ausf. Lösekrug (Fn. 9), S. 247 ff. m.z.w.N.

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lässig.135 Ferner steht die RL der durch § 8 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 UmwG ermöglichten gemeinsamen Berichterstattung136 ebenso wenig entgegen wie der Einschränkung der Berichtspflicht in § 8 Abs. 2 UmwG137 (vgl. auch o. Rn. 45 f.). Die Zulässigkeit der in § 8 Abs. 3 S. 1 Alt. 1 UmwG normierten Verzichtsmöglichkeit wurde durch den neuen Art. 9 Abs. 3 ausdrücklich klargestellt (vgl. o. Rn. 49)138. Die Unterrichtungspflicht gem. Art. 9 Abs. 2 n.F. wurde durch das 3. UmwÄndG (Rn. 6) in § 64 Abs. 1 S. 2–4 UmwG n.F. ergänzt.139

4. Verschmelzungsprüfung (Art. 10) Dritter Grundbaustein des „europäischen Modells für Strukturmaßnahmen“ (dazu 51 o. Rn. 3, 24) ist die – auf französischem Vorbild beruhende 140 – Verschmelzungsprüfung: Zum Schutz der Aktionäre141 ist der Verschmelzungsplan durch unabhängige Sachverständige zu prüfen und ein Verschmelzungsprüfungsbericht zu erstellen, den die Aktionäre dann i.R.d. Vorabinformation gem. Art. 11 (dazu ausf. u. Rn. 64 ff.) einsehen können. Prüfungsgegenstand ist der Verschmelzungsplan. Dieser ist auf Vollständigkeit 52 und Richtigkeit zu überprüfen.142 Im Zentrum steht dabei die Nachprüfung der Angemessenheit des für die Aktionäre besonders wichtigen Umtauschverhältnisses.143 Nicht Gegenstand der Prüfung ist dagegen die wirtschaftliche Zweckmäßigkeit der Ver-

135 Vgl. Bayer/J. Schmidt (Fn. 9), Rn. 96; Lösekrug (Fn. 9), S. 248; Lutter/Drygala (Fn. 59), § 8 Rn. 61. 136 Vgl. Bayer/J. Schmidt (Fn. 9), Rn. 96; Lösekrug (Fn. 9), S. 249. 137 Vgl. Bayer/J. Schmidt (Fn. 9), Rn. 96; Habersack § 7 Rn. 24; Lösekrug (Fn. 9), S. 250; Rodewald BB 1992, 237, 239; J. Schmidt (Fn. 123), S. 186. 138 Die Regelung war aber nach ganz h.M. auch schon bislang richtlinienkonform, vgl. Bayer/J. Schmidt (Fn. 9), Rn. 96; Habersack § 7 Rn. 24; Lösekrug (Fn. 9), S. 251 ff.; Lutter/Drygala (Fn. 59), § 8 Rn. 49; J. Schmidt (Fn. 123), S. 188 (jeweils m.w.N., auch zur Gegenansicht). 139 Vgl. dazu Bericht Rechtsausschuss z. 3. UmwÄndG, BT-Drs. 17/5930, S. 9; Heckschen NJW 2011, 2390, 2393 f.; Neye/Kraft NZG 2011, 681, 683; Leitzen DNotZ 2011, 526, 528 ff.; Simon/Merkelbach DB 2011, 1317, 1318 f.; Stöber CFL 2011, 266, 271 f. Von der ursprünglich geplanten Ausdehnung auch auf andere Rechtsträger als AG (und SE) (vgl. § 8 Abs. 3 UmwG-E i.d.F.d. RefE und RegE z. 3. UmwÄndG, BR-Drs. 485/10, dazu etwa Bayer/J. Schmidt ZIP 2010, 953, 955) wurde letztlich abgesehen. 140 Vorbild war Art. 377 Loi n° 66-537 (Fn. 64), vgl. Loy RTD eur. 1980, 354, 362; Sonnenberger AG 1971, 76, 78. 141 Vgl. RL-E 1970 (Fn. 1), S. 11; BegrRegE z. 3. UmwÄndG, BR-Drs. 485/10, S. 14; BGH NJW 1989, 2689, 2690; BGH NJW-RR 1990, 350, 351 f.; Bayer/J. Schmidt ZIP 2010, 953, 957; Hommelhoff ZGR 1993, 452, 466. 142 Vgl. Bayer in: Lutter, UmwG, 4. Aufl. 2009, § 122f Rn. 9; Ganske DB 1981, 1551, 1553; Grohmann (Fn. 34), S. 323. 143 Vgl. RL-E 1970 (Fn. 1), S. 11; Bayer (Fn. 142), § 122f Rn. 9; Bayer/J. Schmidt ZIP 2010, 953, 957; Ganske DB 1981, 1551, 1553; Grundmann Rn. 894; Riesenhuber NZG 2004, 15, 20; Veil FS Priester, 2007, S. 799, 806; vgl. zur deutschen Umsetzung in § 9 UmwG auch Lutter/Drygala (Fn. 59), § 9 Rn. 10 m.z.w.N.

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schmelzung144; ihre Beurteilung obliegt vielmehr allein den Aktionären 145. Ferner gebietet die RL – entgegen einer vereinzelt vertretenen Ansicht 146 – auch keine Prüfung des Verschmelzungsberichts.147 Dies lässt sich insbesondere auch nicht aus der Bezugnahme auf den Verschmelzungsplan folgern, denn dieser im Hinblick auf die divergierenden Modelle der nationalen Rechtsordnungen bewusst gewählte neutrale Begriff (vgl. o. Rn. 25) bezieht sich ausschließlich auf das der Hauptversammlung zur Beschlussfassung vorzulegende Grundlagendokument, nicht auf den wirtschaftlichen Gesamtvorgang.148 Den Mitgliedstaaten steht es allerdings frei, im nationalen Recht eine solche Prüfung vorzusehen und so den durch die RL gebotenen Mindestschutz der Aktionäre noch zu verstärken.149 53 Über das Ergebnis der Prüfung ist ein schriftlicher150 Prüfungsbericht zu erstellen, der den in Art. 10 Abs. 2 spezifizierten Mindestinhalt aufweisen muss. Danach müssen die Sachverständigen in jedem Fall erklären, ob das Umtauschverhältnis ihrer Ansicht nach angemessen ist (sog. Testat). Zudem müssen sie zumindest angeben, nach welcher/n Methode(n) das Umtauschverhältnis bestimmt worden ist, ob diese Methode(n) in casu angemessen sind, welche Werte sich bei jeder Methode ergeben und welche relative Bedeutung den einzelnen Methoden beigemessen wurde. Von der Vorgabe einer oder mehrerer bestimmter Bewertungsmethode(n) (z.B. Ertragswertoder DCF-Verfahren) wurde dabei angesichts der ständigen Evolution der Lehre und Praxis auf diesem Gebiet bewusst abgesehen.151 Schließlich ist in dem Bericht auch auf etwaige besondere Schwierigkeiten bei der Bewertung hinzuweisen (z.B. besondere Prognoseschwierigkeiten bei einer Gesellschaft in Sanierung oder einer noch sehr jungen Gesellschaft, Unzugänglichkeit von Informationen für den Prüfer 152).

144 Vgl. Bayer (Fn. 142), § 122f Rn. 9; Ganske DB 1981, 1551, 1553; Lösekrug (Fn. 9), S. 227; Lutter/Drygala (Fn. 59), § 9 Rn. 12. 145 Vgl. Bayer AG 1988, 323, 328; Lutter/Drygala (Fn. 59), § 9 Rn. 12. 146 So Hommelhoff ZGR 1993, 452, 465. 147 Koller (Fn. 66), S. 203; Lösekrug (Fn. 9), S. 254; Lutter/Drygala (Fn. 59), § 9 Rn. 12; Nowotny in: Koppensteiner (Hrsg.), Österreichisches und europäisches Wirtschaftsprivatrecht, Bd. 1, 1994, S. 395, 419; Veil FS Priester, 2007, S. 799, 806; implizit auch Koppensteiner FS Semler, 1993, S. 485, 492. 148 Vgl. Lösekrug (Fn. 9), S. 254; Lutter/Drygala (Fn. 59), § 9 Rn. 12. 149 Vgl. Lösekrug (Fn. 9), S. 254. 150 Auf Grund der gebotenen europäisch-autonomen Auslegung dürfte auch hier keine Schriftform i.S.d. deutschen Verständnisses (also i.S.d. § 126 Abs. 1 BGB), sondern nur ein Dokument, das nach deutschem Verständnis der Textform i.S.d. § 126b BGB entspricht, erforderlich sein. Vgl. zur Parallelproblematik beim Verschmelzungsplan o. Rn. 27 mit Fn. 83, beim Verschmelzungsbericht u. Rn. 42 mit Fn. 116; bei der Spaltung § 22 Rn. 25, 36, 44; i.R.d. 10. RL: § 23 Rn. 31, 54, 67; i.R.d. Aktionärsrechte-RL: § 31 Rn. 38, 92. Anders als bei Art. 11 Abs. 2 S. 1 Aktionärsrechte-RL handelt es sich hier indes nur um eine Mindestregelung, d.h. die Mitgliedstaaten dürfen auch strengere Anforderungen stellen (z.B. Schriftform i.S.d. § 126 Abs. 1 BGB verlangen). 151 Vgl. Ganske DB 1981, 1551, 1553 Fn. 25; Lösekrug (Fn. 9), S. 227; näher Dörner BFuP 1981, 520, 521 ff. 152 Vgl. zur deutschen Umsetzung in § 12 Abs. 2 Nr. 3 UmwG: Lutter/Drygala (Fn. 59), § 12 Rn. 6.

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Die Prüfung erfolgt grundsätzlich separat für jede einzelne an der Verschmel- 54 zung beteiligte Gesellschaft (vgl. Art. 10 Abs. 1 S. 1). Art. 10 Abs. 1 S. 2 gestattet den Mitgliedstaaten jedoch, auch die Möglichkeit einer gemeinsamen Prüfung für alle sich verschmelzenden Gesellschaften vorzusehen.153 A maiore ad minus kann ein Mitgliedstaat es damit bei Verschmelzungen unter Beteiligung von mehr als zwei Gesellschaften auch gestatten, dass nur für einen Teil der an der Verschmelzung beteiligten Gesellschaften eine gemeinsame Prüfung durchgeführt wird. In Bezug auf die Variante der separaten Prüfung haben die Mitgliedstaaten die 55 Wahl, ob sie eine Bestellung des/der Prüfer unmittelbar durch ein Gericht oder eine Verwaltungsbehörde vorsehen, oder ob sie eine Bestellung durch die jeweilige Gesellschaft selbst gestatten (dann muss der Prüfer [bzw. die Prüfer] aber zumindest durch ein Gericht oder eine Verwaltungsbehörde zugelassen sein), Art. 10 Abs. 1 S. 1. Sofern ein Mitgliedstaat eine gemeinsame Verschmelzungsprüfung gestattet (vgl. o. Rn. 54), sind die Prüfer dagegen in jedem Fall – auf gemeinsamen Antrag der Gesellschaften hin – direkt durch ein Gericht oder eine Verwaltungsbehörde (nach Wahl des Mitgliedstaats) zu bestellen, Art. 10 Abs. 1 S. 2. Wie bei der Wertprüfung gem. Art. 10 der 2. (Kapital-)RL (dazu ausf. § 20 56 Rn. 45 ff.) können Sachverständige sowohl natürliche als auch juristische Personen oder Gesellschaften sein, das Nähere überlässt die RL (anders als noch der Vorentwurf 1968 154) insoweit in Art. 10 Abs. 1 S. 3 dem jeweiligen mitgliedstaatlichen Recht. Ebenso wenig verlangt die RL eine besondere Qualifikation der „Sachverständigen“, auch insofern obliegt die Regelung der Einzelheiten dem nationalen Recht.155 Zwingend vorgeschrieben ist allerdings, dass die Sachverständigen von der Gesellschaft „unabhängig“ sein müssen. Auch dies wird allerdings nicht näher definiert, so dass auch insoweit noch Spielraum für die Mitgliedstaaten besteht.156 Obgleich die RL – anders als die Entwürfe 157 – nicht mehr ausdrücklich vorsieht, dass auch Personen, die

153 Art. 5 Abs. 2 Vorentwurf 1968 (Fn. 2) und RL-E 1970 (Fn. 1) hatten nach romanischem Vorbild noch zwingend eine separate Berichterstattung vorgesehen; die Alternative der gemeinsamen Prüfung und Berichterstattung wurde erst auf Initiative der deutschen und britischen Delegation hin ergänzt, vgl. BegrRegE z. VerschmRiLiG, BT-Drs. 9/1065, S. 16; Ganske DB 1981, 1551, 1553; Lösekrug (Fn. 9), S. 226; Priester NJW 1983, 1459, 1461. Kritisch zur Regelung im RL-E 1970 bereits Bericht RA, BT-Drs. VI/3071, S. 2; BRat, BR-Drs. 696/71(B), S. 3. 154 Dieser hatte noch einen speziellen Anhang enthalten, in dem definiert wurde, welche Personen „unabhängige Sachverständige“ sind, vgl. Vorentwurf 1968 (Fn. 2), S. 55. 155 Vgl. Wooldridge (1980) 1 Co Law 75, 77; zur Parallelregelung in Art. 10 der 2. (Kapital-)RL: Bayer/J. Schmidt ZGR 2009, 805, 811; Grundmann Rn. 336; Fankhauser, Gemeinschaftsrechtliche Publizitäts- und Kapital-Richtlinie: Anpassungsbedarf des Schweizer Rechts, 2001, S. 146; Kalss in: Koppensteiner (Hrsg.), Österreichisches und europäisches Wirtschaftsprivatrecht, Bd. 1, 1994, S. 119, 227 sowie § 20 Rn. 46. 156 Vgl. zur Parallelregelung in Art. 10 Abs. 1 der 2. (Kapital-)RL: Bayer/J. Schmidt ZGR 2009, 805, 811. 157 Vgl. Art. 5 Abs. 2 S. 2 RL-E 1970 (Fn. 1), Art. 5 Abs. 2 S. 2 RL-E 1973 (Fn. 3); Art. 5 Abs. 2 S. 2 RL-E 1975 (Fn. 5).

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mit der Abschlussprüfung der betreffenden Gesellschaft befasst sind, Verschmelzungsprüfer sein können, dürfte dem nichts entgegenstehen.158 Damit sie ihre Aufgabe effektiv erfüllen können,159 räumt Art. 10 Abs. 3 den Sachverständigen ein umfassendes Auskunfts- und Nachprüfungsrecht ein: Sie haben das Recht, bei den sich verschmelzenden Gesellschaften (also nicht nur derjenigen, für die sie als Prüfer bestellt sind) alle zweckdienlichen Auskünfte und Unterlagen zu erhalten und alle erforderlichen Nachprüfungen vorzunehmen. Zur Haftung der Sachverständigen ausf. u. Rn. 105 ff. Bei Konzernverschmelzungen sind Verschmelzungsprüfung und -bericht unter bestimmten Voraussetzungen entbehrlich, dazu ausf. u. Rn. 137, 144. Die früher umstrittene 160 Zulässigkeit eines Verzichts auf Verschmelzungsprüfung und -bericht wurde durch die Änderungs-RL 2007/63/EG (Rn. 4) mit dem neuen Art. 10 Abs. 4 161 ausdrücklich klargestellt; nachdem man in Art. 8 Abs. 4 der 10. RL (dazu § 23 Rn. 76) bereits explizit eine Verzichtsmöglichkeit vorgesehen hatte, sah der europäische Gesetzgeber insoweit zu Recht keinen Grund für eine unterschiedliche Behandlung.162 Wie beim Verschmelzungsbericht (dazu o. Rn. 49) muss der Verzicht aber durch alle Aktionäre und Inhaber anderer mit Stimmrecht verbundener Wertpapiere aller an der Verschmelzung beteiligten Gesellschaften erfolgen. Eine ggf. parallel bestehende Pflicht zur Wertprüfung gem. Art. 27 Abs. 2 i.V.m. 10 Abs. 2 und 3 der 2. (Kapital-)RL (dazu § 20 Rn. 173) macht die Verschmelzungsprüfung dagegen nicht automatisch entbehrlich. Allerdings gibt Art. 27 Abs. 3 Kapital-RL n.F. den Mitgliedstaaten die Möglichkeit, in diesem Fall entweder ganz auf das Erfordernis von Sachverständigenprüfung und -bericht gem. der 2. (Kapital-)RL zu verzichten oder die Erstellung beider Berichte durch den- bzw. dieselben Sachverständigen zu gestatten (dazu bereits § 20 Rn. 175; zur Parallelregelung des Art. 10 Abs. 5 der Kapital-RL u. Rn. 132 sowie § 20 Rn. 52). Für das deutsche Recht bedeutete die (grundsätzlich) obligatorische Verschmelzungsprüfung eine gravierende Neuerung.163 Die Umsetzung erfolgte zunächst in

158 Ebenso Cordoliani JCP 1979.II.13078; Edwards S. 106; Keutgen Rev. prat. soc. 1979, 98, 108; Werlauff S. 573; Wooldridge (1980) 1 Co Law 75, 77; zur deutschen Umsetzung auch Bericht RA z. VerschmRiLiG, BT-Drs. 9/1785, S. 23; Hoffmann-Becking FS Fleck, 1988, S. 105, 121; Lutter/Drygala (Fn. 59), § 11 Rn. 4; Müller in: Kallmeyer, UmwG, 4. Aufl. 2010, § 11 Rn. 5; Zeidler in: Semler/Stengel, UmwG, 2. Aufl. 2007, § 11 Rn. 7 (zu beachten ist aber im deutschen Recht die über § 11 Abs. 1 S. 1 UmwG anwendbare „Rotationsklausel“ des § 319a Abs. 1 S. 1 Nr. 4 HGB, zu dieser auch noch § 27 Rn. 10). 159 Vgl. RL-E 1970 (Fn. 1), S. 11; Cordoliani JCP 1979.II.13078; Grundmann Rn. 895; Keutgen Rev. prat. soc. 1979, 98, 108; Riesenhuber NZG 2004, 15, 20. 160 Vgl. nur Bayer/J. Schmidt (Fn. 9), Rn. 97; Lösekrug (Fn. 9), S. 256 (jeweils m.w.N., auch zur Gegenansicht) sowie die Nachweise in Fn. 168. 161 Anders als bei der Parallelregelung des Art. 9 Abs. 3 (dazu o. Rn. 49) handelt es sich hier allerdings nicht lediglich um eine Option zugunsten der Mitgliedstaaten. 162 Vgl. KOM(2007) 91, S. 3; Erwägungsgründe 3 und 4 der RL 2007/63/EG (Rn. 4); Bayer/J. Schmidt BB 2008, 454, 457; Cordewener (Fn. 77), S. 105, 159. 163 Vgl. BegrRegE z.VerschmRiLiG, BT-Drs. 9/1065, S. 15; Bayer/J. Schmidt (Fn. 9), Rn. 97; Lösekrug (Fn. 9), S. 227; Lutter EuR 1975, 44, 61; Meyer-Ladewig BB 1970, 1517, 1519;

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§ 340b AktG a.F.164, seit 1.1.1995 in §§ 60, 9–12 UmwG165. Hinsichtlich der Richtlinienkonformität dieser Vorschriften bestehen i.E. keine Bedenken.166 Richtlinienkonform sind insbesondere auch die Einschränkung des Berichtsinhalts gem. §§ 12 Abs. 3, 8 Abs. 2 UmwG167 sowie die in §§ 9 Abs. 3, 12 Abs. 3 i.V.m. § 8 Abs. 3 S. 1 Alt. 1 UmwG normierte Verzichtsmöglichkeit; letzteres wurde durch Art. 10 Abs. 4 n.F. (vgl. o. Rn. 60) ausdrücklich klargestellt168. Der deutsche Gesetzgeber hat durch das 3. UmwÄndG (Rn. 6) zwar die Zulässigkeit einer Identität der Prüfer ausdrücklich klargestellt (§ 69 Abs. 1 S. 4 UmwG n.F.) 169, i.Ü. aber an der bisherigen Regelung in § 69 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 UmwG 170 festgehalten, welche die Sacheinlageprüfung in den vier dort normierten Fällen obligatorisch macht 171.

5. Verschmelzungsbeschlüsse Vierter Grundbaustein des „europäischen Modells für Strukturmaßnahmen“ (dazu 63 o. Rn. 3, 24) und zugleich ebenfalls zentrales Element des Aktionärsschutzes ist das in Art. 7 (dazu u. Rn. 76 ff.) normierte Erfordernis der Zustimmung der Hauptversammlung jeder der sich verschmelzenden Gesellschaften.

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Priester NJW 1983, 1459, 1461; Sonnenberger AG 1971, 76, 78. In der Praxis war eine Prüfung der Bewertungsrelationen durch Sachverständige allerdings auch schon vorher nicht unüblich, vgl. BegrRegE z. VerschmRiLiG, BT-Drs. 9/1065, S. 15; Priester NJW 1983, 1459, 1461 Fn. 57. Vgl. dazu BegrRegE z.VerschmRiLiG, BT-Drs. 9/1065, S. 15 ff. Vgl. BegrRegE z. UmwG, BT-Drs. 12/6699, S. 84 ff. Ausf. Lösekrug (Fn. 9), S. 253 ff. m.w.N. Vgl. Bayer/J. Schmidt (Fn. 9), Rn. 97; Habersack § 7 Rn. 24; Lösekrug (Fn. 9), S. 260 f. Nach ganz h.M. war die Verzichtsregelung aber auch schon zuvor richtlinienkonform, vgl. Bayer/J. Schmidt (Fn. 9), Rn. 97; Habersack § 7 Rn. 24; Lösekrug (Fn. 9), S. 255; Lutter/Drygala (Fn. 59), § 9 Rn. 18 (jeweils m.w.N., auch zur Gegenansicht). Vgl. BegrRegE z. 3. UmwÄndG, BR-Drs. 485/10, S. 14; Bayer/J. Schmidt ZIP 2010, 953, 956; Diekmann NZG 2010, 489, 490; Heckschen NZG 2010, 1041, 1046; Neye/Jäckel AG 2010, 237, 241; Simon/Merkelbach DB 2011, 1317, 1318; Wagner DStR 2010, 1629, 1631. Problematisch ist insoweit, dass § 69 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 UmwG den Dispens – anders als die RL – seinem Wortlaut nach selbst dann vorsieht, wenn im konkreten Fall gar keine Verschmelzungsprüfung erfolgt bzw. kein Verschmelzungsprüfungsbericht erstellt wird; insoweit ist eine richtlinienkonforme Auslegung (Reduktion) geboten, vgl. auch bereits Bayer/J. Schmidt ZIP 2010, 953, 957. Vgl. BegrRegE z. 3. UmwÄndG, BR-Drs. 485/10, S. 14; Neye/Jäckel AG 2010, 237, 241; kritisch dazu Bayer/J. Schmidt ZIP 2010, 953, 956 f.

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a) Vorabinformation (Art. 11) 64 Um zu gewährleisten, dass die Aktionäre auch tatsächlich eine informierte Entscheidung treffen können172, sieht der auf französischem Vorbild beruhende 173 Art. 11 vor, dass ihnen spätestens einen Monat vor der Hauptversammlung umfangreiche Informationen über das Verschmelzungsprojekt zur Verfügung gestellt werden. Auch insoweit handelt es sich jedoch nur um einen Mindestschutzstandard, d.h. das nationale Recht kann auch weitergehende Informationspflichten vorsehen.174

aa) Informationsmodi 65 Diese Vorabinformation erfolgt gem. Art. 11 Abs. 1 Unterabs. 1 grundsätzlich durch Auslegung der entsprechenden Unterlagen (dazu näher u. Rn. 70) am Satzungssitz 175 der Gesellschaft. Die Auslegung muss mindestens einen Monat vor dem Tag der Hauptversammlung, die über den Verschmelzungsplan zu beschließen hat, erfolgen und muss bis zum Abschluss der Hauptversammlung andauern (arg. ex Art. 11 Abs. 4). Während dieser Zeit hat jeder Aktionär das Recht, von den Unterlagen Kenntnis zu nehmen. Damit dies effektiv geschehen kann, müssen die Auslegungsräume für die Aktionäre zwar nicht rund um die Uhr, aber zumindest zu den üblichen Geschäftszeiten zugänglich sein.176 66 Durch die Änderungs-RL 2009/109/EG (Rn. 4) hat der europäische Gesetzgeber nun jedoch auch den durch die neuen Informationstechnologien eröffneten Möglichkeiten („Internetzeitalter“) Rechnung getragen177: Der neue Art. 11 Abs. 4 Unterabs. 1 S. 1 gestattet den Gesellschaften als Alternative zur physischen Auslegung der Unterlagen nun auch die Veröffentlichung auf ihren Internetseiten. Die Pflicht zur Auslegung in Papierform entfällt jedoch nur, wenn die Dokumente für die Aktionäre während eines fortlaufenden Zeitraums, der mindestens einen Monat vor der Hauptversammlung, die über den Verschmelzungsplan zu beschließen hat, beginnt und nicht vor dem Abschluss der Versammlung endet, auf den Internetseiten der Gesell-

172 Vgl. BegrRegE z.VerschmRiLiG, BT-Drs. 9/1065, S. 14 f.; BGH NJW 1989, 2689, 2690; BGH NJW-RR 1990, 350, 351 f.; Grohmann (Fn. 34), S. 326; Keutgen Rev. prat. soc. 1979, 98, 109; Koppensteiner FS Semler, 1993, S. 485, 493; Loy RTD eur. 1980, 354, 365; Lutter EuR 1975, 44, 60; Riesenhuber NZG 2004, 15, 21. 173 Vgl. Grundmann Rn. 896. 174 Vgl. Ratsprotokoll, Dok. R/2337/78, S. 2; Ganske DB 1981, 1551, 1554. 175 Die deutsche Fassung spricht zwar nur von „Sitz“, aus den anderen Sprachfassung ergibt sich jedoch eindeutig, dass hiermit ausschließlich der Satzungssitz gemeint ist (vgl. englisch: „registered office“, spanisch: „domicilio social“), vgl. auch Bayer/J. Schmidt ZIP 2010, 953, 963; Diekmann (Fn. 128), § 63 Rn. 9; Simon (Fn. 42), § 63 Rn. 24. 176 Vgl. zur deutschen Umsetzung in § 63 UmwG: Diekmann (Fn. 128), § 63 Rn. 8; Grunewald (Fn. 111), § 63 Rn. 2; Marsch-Barner (Fn. 113), § 63 Rn. 2. 177 Vgl. KOM(2008) 576, S. 5; SEC(2008) 2486, S. 22 f.; Bayer/J. Schmidt BB 2010, 387, 389; Bayer/J. Schmidt ZIP 2010, 953, 954; J. Schmidt NZG 2008, 734; Sandhaus NZG 2009, 41, 44 f.; Schimka/Schörghofer WBl. 2010, 110, 112 ff.; C. Teichmann SR 2008, 363.

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schaft zugänglich sind. Die Mitgliedstaaten dürfen für die Alternative der Internetveröffentlichung zwar im Interesse der Sicherheit der Internetseiten und der Echtheit der Dokumente Erfordernisse und Auflagen vorsehen; diese müssen aber erforderlich und angemessen sein (Art. 10 Abs. 4 Unterabs. 1 S. 2). Die Aktionäre haben aber nicht nur ein Recht auf Einsicht, sondern gem. Art. 10 67 Abs. 3 S. 1 auf formlosen Antrag hin auch ein Recht auf Erteilung (vollständiger oder auszugsweiser) kostenloser Abschriften. Auch insoweit erfolgte allerdings durch die Änderungs-RL 2009/109/EG (Rn. 4) eine Anpassung an die modernen Informationstechnologien.178 Gem. Art. 11 Abs. 3 S. 2 können die Informationen dem Aktionär mit seiner Zustimmung auch auf elektronischem Wege bereitgestellt werden. Darüber hinaus befreit Art. 11 Abs. 4 Unterabs. 2 S. 1 die Gesellschaften sogar vollständig von der Pflicht zur Erteilung von (Papier- oder elektronischen) Kopien, wenn die Dokumente gem. Unterabs. 1 im Internet veröffentlicht werden (dazu o. Rn. 66) und die Aktionäre dabei während des gesamten Zeitraums die Möglichkeit haben, alle Dokumente herunterzuladen und auszudrucken. Art. 11 Abs. 4 Unterabs. 3 S. 1 gestattet den Mitgliedstaaten außerdem, von den 68 Gesellschaften zu verlangen, die Dokumente179 auch noch für einen bestimmten Zeitraum nach der Hauptversammlung auf ihren Internetseiten verfügbar zu halten. Nach Wortlaut und Systematik der Regelung kann dies aber nur von solchen Gesellschaften verlangt werden, die sich hinsichtlich der eigentlichen Vorabinformation für eine Internetveröffentlichung entschieden haben.180 Die praktisch wichtige Regelung der Folgen technischer Störungen bleibt auch hier 69 (ebenso wie hinsichtlich der Offenlegung des Verschmelzungsplans, dazu o. Rn. 39) gem. Art. 11 Abs. 4 Unterabs. 3 S. 2 ausdrücklich den Mitgliedstaaten überlassen.

bb) Gegenstand der Vorabinformation Um den Aktionären die Möglichkeit zu geben, sich ein möglichst umfassendes Bild 70 von dem Verschmelzungsprojekt und der Lage der daran beteiligten Gesellschaften zu machen, ist der in Art. 11 Abs. 1 Unterabs. 1 normierte Katalog der Dokumente, die Gegenstand der Vorabinformation sind, relativ umfangreich.181 Er umfasst: • •

den Verschmelzungsplan (lit. a); die Jahresabschlüsse und die Geschäftsberichte der sich verschmelzenden Gesellschaften für die letzten drei Geschäftsjahre (lit. b);

178 Vgl. die Nachweise in Fn. 177. 179 Veröffentlichungsgegenstand sind aber auch hier – trotz des missverständlichen Wortlauts der deutschen Sprachfassung („Informationen … verfügbar zu halten“) – nur die in Art. 11 Abs. 1 spezifizierten Dokumente, nicht zusätzliche Informationen (vgl. die englische und französische Sprachfassung: „maintain the information“/„maintiennent ces informations.“); vgl. zur Parallelproblematik bei Art. 6 Abs. 6 S. 1 o. Rn. 40. 180 Vgl. zur Parallelproblematik bei Art. 6 Abs. 6 S. 1 o. Rn. 40. 181 Vgl. RL-E 1970 (Fn. 1), S. 11.

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• •



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ggf. eine Zwischenbilanz (lit. c, dazu näher u. Rn. 71); die Verschmelzungsberichte (bzw. im Falle der gemeinsamen Berichterstattung: den gemeinsamen Verschmelzungsbericht) gem. Art. 9 (dazu o. Rn. 42 ff.) für alle an der Verschmelzung beteiligte Gesellschaften (soweit diese nicht ausnahmsweise entbehrlich sind, dazu o. Rn. 48 f.) (lit. d); die Verschmelzungsprüfungsberichte (bzw. im Falle der gemeinsamen Prüfung: den Verschmelzungsprüfungsbericht) gem. Art. 10 (dazu o. Rn. 51 ff.) für alle an der Verschmelzung beteiligte Gesellschaften (soweit diese nicht ausnahmsweise entbehrlich sind, dazu o. Rn. 59 f.) (lit. e).

71 Eine Zwischenbilanz ist gem. lit. c nur dann erforderlich, wenn der letzte Jahresabschluss sich auf ein mehr als 6 Monate vor der Aufstellung des Verschmelzungsplans abgelaufenes Geschäftsjahr bezieht (und somit kein hinreichend aktuelles Bild mehr vermittelt 182). Ihr Stichtag darf nicht vor dem ersten Tag des dritten der Aufstellung des Verschmelzungsplans vorausgehenden Monats liegen und sie ist gem. Art. 11 Abs. 2 S. 1 (vorbehaltlich der den Mitgliedstaaten in S. 2 ermöglichten Erleichterungen) grundsätzlich nach denselben Methoden und derselben Gliederung zu erstellen wie die letzte Jahresbilanz. Durch die Änderungs-RL 2009/109/EG (Rn. 4) wurden zur Entlastung der Gesellschaften mit Art. 11 Abs. 1 Unterabs. 2 n.F. allerdings zwei wichtige Erleichterungen eingeführt. Gem. S. 1 können Gesellschaften, die nach Art. 5 Transparenz-RL (dazu § 17 Rn. 164, § 36 Rn. 8) ohnehin einen Halbjahresfinanzbericht veröffentlichen, diesen anstelle einer Zwischenbilanz zugänglich machen.183 Zudem gestattet S. 2 den Mitgliedstaaten vom Erfordernis der Erstellung einer Zwischenbilanz abzusehen, wenn alle Aktionäre und Inhaber anderer mit Stimmrecht verbundener Wertpapiere aller an der Verschmelzung beteiligter Gesellschaften dies beschlossen haben.184

cc) Entbehrlichkeit bei Konzernverschmelzungen 72 Bei Konzernverschmelzungen ist die Vorabinformation in bestimmten Fällen (partiell) entbehrlich, dazu ausf. u. Rn. 137, 144.

182 Vgl. schon Vorentwurf 1968 (Fn. 2), S. 16; Ganske DB 1981, 1551, 1554 Fn. 27; Priester NJW 1983, 1459, 1463; Temple Lang (1972) Irish Jurist 306, 316. 183 Vgl. dazu Erwägungsgrund 8 der RL 2009/109/EG (Rn. 4); SEC(2008) 2486, S. 16 f.; Bayer/J. Schmidt BB 2010, 387, 389; dies. ZIP 2010, 953, 955; Sandhaus NZG 2009, 41, 43; Schimka/Schörghofer WBl. 2010, 110, 112. 184 Die RL wurde insofern mit Art. 10 Abs. 2 der 6. (Spaltungs-)RL (der seit jeher einen Verzicht gestattet, s. dazu auch § 22 Rn. 42) harmonisiert, vgl. Erwägungsgrund 6 der RL 2009/109/EG (Rn. 4); Bayer/J. Schmidt BB 2010, 387, 389; dies. ZIP 2010, 953, 955; Sandhaus NZG 2009, 41, 43; Schimka/Schörghofer WBl. 2010, 110, 112.

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dd) Umsetzung in Deutschland Für das deutsche Recht, das bis dato nur die Auslegung des Verschmelzungsvertrages 73 verlangte (vgl. § 340 Abs. 3 S. 1 AktG 1965), bedeuteten die Vorgaben des Art. 11 eine erhebliche Erweiterung der Vorabinformation,185 die zunächst in § 340d Abs. 2–4 AktG a.F.186, seit 1.1.1995 in § 63 UmwG 187 realisiert wird. Die Erleichterungen hinsichtlich der Auslegung der Unterlagen durch die Änderungs-RL 2009/109/EG (Rn. 4) wurden mit dem ARUG188 im neuen Abs. 4 bereits teilweise (vorauseilend 189) umgesetzt.190 Durch das 3. UmwÄndG (Rn. 6) wurden dann die Möglichkeit einer Übermittlung der Dokumente in elektronischer Form mit Einwilligung des Aktionärs (§§ 63 Abs. 3 S. 2, 62 Abs. 3 S. 7 UmwG n.F.)191, die Option einer Ersetzung der Zwischenbilanz durch einen Halbjahresfinanzbericht gem. § 37w WpHG (§ 63 Abs. 2 S. 6 u. 7 UmwG n.F.) 192 und die Möglichkeit eines Verzichts auf die Zwischenbilanz193 (§ 63 Abs. 2 S. 5 UmwG n.F.) 194 ergänzt. Problematisch ist zunächst die Auslegungs- bzw. Zugänglichkeitsfrist: Kraft der 74 Verweisung auf § 123 Abs. 1 AktG würde diese – auf Grund der Verkürzung der Einberufungsfrist durch das UMAG – an sich nur 30 Tage betragen; insofern ist – ebenso wie bei der Parallelproblematik bei § 61 S. 1 UmwG (dazu o. Rn. 41) – eine richtlinienkonforme Auslegung geboten, d.h. in der Praxis sollte in jedem Falle die in Art. 11 Abs. 1 vorgesehene Monatsfrist gewahrt werden.195

185 Vgl. Bayer/J. Schmidt (Fn. 9), Rn. 98; Priester NJW 1983, 1459, 1463; Lösekrug (Fn. 9), S. 228. 186 Vgl. BegrRegE z.VerschmRiLiG, BT-Drs. 9/1065, S. 17 f. 187 Vgl. BegrRegE z. UmwG, BT-Drs. 12/6699, S. 103. 188 Fn. 25. 189 Speziell zur Problematik der Regelungen vor Erlass der RL: J. Schmidt NZG 2008, 734 ff. 190 Vgl. dazu Arnold Konzern 2009, 88, 90; Drinhausen/Keinath BB 2008, 1238, 1241 f.; Noack NZG 2008, 441, 442 f.; Paschos/Goslar AG 2008, 605, 608; Seibert/Florstedt ZIP 2008, 2145, 2148; Zetzsche Konzern 2008, 321, 323 f. 191 Vgl. dazu BegrRegE z. 3. UmwÄndG, BR-Drs. 485/10, S. 10; Bayer/J. Schmidt ZIP 2010, 953, 954 f.; Diekmann NZG 2010, 489 f.; Heckschen NJW 2011, 2390, 2394; Leitzen DNotZ 2011, 526, 532 f.; Neye/Jäckel AG 2010, 237, 239; Neye/Kraft NZG 2011, 681, 683; Simon/Merkelbach DB 2011, 1317; Stöber CFL 2011, 266, 267 f. 192 Vgl. dazu BegrRegE z. 3. UmwÄndG, BR-Drs. 485/10, S. 13; Bayer/J. Schmidt ZIP 2010, 953, 955; Heckschen NJW 2011, 2390, 2393; Leitzen DNotZ 2011, 526, 540; Neye/Jäckel AG 2010, 237, 239; Simon/Merkelbach DB 2011, 1317, 1318; Stöber CFL 2011, 266, 268; Wagner DStR 2010, 1629, 1630. 193 Ein Verzicht wurde allerdings im Schrifttum verbreitet schon nach bisheriger Rechtslage für zulässig erachtet, vgl. Diekmann (Fn. 128), § 63 Rn. 3; Grunewald (Fn. 111), § 63 Rn. 8; Marsch-Barner (Fn. 113), § 63 Rn. 2. 194 Vgl. dazu BegrRegE z. 3. UmwÄndG, BR-Drs. 485/10, S. 13; Heckschen NJW 2011, 2390, 2393; Leitzen DNotZ 2011, 526, 540; Simon/Merkelbach DB 2011, 1317, 1318; Stöber CFL 2011, 266, 268; Wagner DStR 2010, 1629, 1630. Im RefE war dies noch nicht vorgesehen gewesen, vgl. kritisch dazu Bayer/J. Schmidt ZIP 2010, 953, 955. 195 Ausf. J. Schmidt DB 2006, 375 f. Im Anschluss daran Bayer (Fn. 142), § 122g Rn. 9; Bayer/J. Schmidt ZIP 2010, 953, 963; Lutz BWNotZ 2010, 23, 33.

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Problematisch ist aber auch, dass § 63 Abs. 1 UmwG (ebenso wie bereits zuvor § 340d Abs. 2 AktG a.F.) als Auslegungsort den „Geschäftsraum der Gesellschaft“ vorsieht, worunter nach h.L.196 der Sitz der Hauptverwaltung zu verstehen sein soll. Bis zum MoMiG 197 war dies i.E. relativ unproblematisch, da Satzungs- und Hauptverwaltungssitz auf Grund von § 5 Abs. 2 AktG a.F. regelmäßig übereinstimmten. Spätestens mit der Aufgabe dieses Gleichlaufs durch § 5 AktG n.F.198 (dazu auch bereits § 6 Rn. 56) ist nun jedoch eine richtlinienkonforme Auslegung dahingehend geboten, dass die Auslegung am Satzungssitz der Gesellschaft zu erfolgen hat 199.

b) Hauptversammlungsbeschlüsse (Art. 7) 76 Hinsichtlich der Beschlussfassung selbst beschränkt sich die RL auf die Regelung einiger Kernaspekte und verweist i.Ü. auf das nationale Recht. Hintergrund ist, dass damals noch die Verabschiedung einer allgemeinen 5. (Struktur-)RL, die u.a. auch Regeln zum Ablauf der Hauptversammlung enthalten sollte (vgl. dazu bereits § 9 Rn. 1 f.), geplant war.200 77 Auf Grund der enormen Tragweite der Entscheidung für die Aktionäre 201 müssen die Mitgliedstaaten für den Verschmelzungsbeschluss gem. Art. 7 Abs. 1 Unterabs. 1 S. 2 mindestens eine Zweidrittelmehrheit der bei der Beschlussfassung vertretenen Stimmen oder des vertretenen gezeichneten Kapitals vorsehen. Gem. Unterabs. 1 S. 1 können sie allerdings eine einfache Stimmenmehrheit ausreichen lassen, sofern mindestens die Hälfte des gezeichneten Kapitals vertreten ist.202 78 Wenn die Verschmelzung durch Aufnahme eine Satzungsänderung erfordert (und nur dann), müssen gem. Art. 7 Abs. 1 Unterabs. 1 S. 2 außerdem die jeweiligen nationalen Vorschriften über die Satzungsänderung eingehalten werden.203 Denn der

196 Vgl. Grunewald (Fn. 111), § 63 Rn. 2; Marsch-Barner (Fn. 113), § 63 Rn. 2; Rieger in: Widmann/Mayer, UmwG (Stand: 120. EL 2011), § 63 Rn. 23. 197 Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG) v. 23.10.2008, BGBl. I, 2026. 198 Vgl. BegrRegE z. MoMiG, BR-Drs. 354/07, S. 65, 118. Zum Ganzen nur Bayer/ J. Schmidt ZHR 173 (2009) 735, 746 m.w.N. 199 Bayer/J. Schmidt ZIP 2010, 953, 963. Ebenso i.E. Diekmann (Fn. 128), § 63 Rn. 9; Simon (Fn. 42), § 63 Rn. 24. 200 Vgl. RL-E 1970 (Fn. 1), S. 11; Cordoliani JCP 1979.II.13078; Schwarz Rn. 650; s. ferner auch Van Ommeslaghe FS Sanders, 1972, S. 123, 133. 201 Vgl. Habersack § 7 Rn. 18. 202 Damit sollte denjenigen Rechtsordnungen Rechnung getragen werden, die (wie das französische und italienische Recht) ein Quorum bei Hauptversammlungsbeschlüssen vorsahen, vgl. Ganske DB 1981, 1551, 1554. 203 Nach Art. 4 Vorentwurf 1968 (Fn. 2) und RL-E 1970 (Fn. 1) waren die Vorschriften über die Satzungsänderung in jedem Fall einzuhalten. Mit dem auf Anregung des EWSA (ABlEG v. 6.9.1971, C 88/18, 19) hin ergänzten „gegebenenfalls“ sollte deutlich gemacht werden, dass dies nur dann erforderlich ist, wenn die Verschmelzung tatsächlich eine Änderung der Satzung der Gesellschaft notwendig macht. Vgl. Edwards S. 106; Grundmann

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Verschmelzungsbeschluss erstreckt sich dann gem. Art. 7 Abs. 3 neben dem Verschmelzungsplan auch auf die zu seiner Durchführung erforderlichen Satzungsänderungen (bei der Verschmelzung durch Neugründung ist die Satzung dagegen gem. Art. 23 Abs. 2 stets Beschlussgegenstand, vgl. u. Rn. 131). Sofern mehrere Aktiengattungen existieren, ist gem. Art. 7 Abs. 2 ein Sonder- 79 beschluss zumindest jeder Gattung derjenigen Aktionäre erforderlich, deren Rechte durch die Maßnahme beeinträchtigt werden. Der deutsche Gesetzgeber hat i.R.d. Umsetzung dieser Vorgaben (§ 340c AktG 80 a.F.204, seit 1.1.1995: §§ 13 Abs. 1, 65 UmwG 205) bewusst an dem – über den Mindeststandard der RL hinausgehenden 206 – traditionellen Erfordernis einer einfachen Stimmenmehrheit plus einer Dreiviertel-Kapitalmehrheit (§ 133 Abs. 1 AktG i.V.m. § 65 Abs. 1 S. 1 UmwG [bis 31.12.1994: § 340c Abs. 2 S. 1 AktG a.F.]) 207 festgehalten.208 Das Erfordernis eines etwaigen Sonderbeschlusses der Gattungsaktionäre (Art. 7 Abs. 2, o. Rn. 79) war aus deutscher Sicht ein Novum209; auch insoweit entschloss man sich zu einem über den Mindeststandard der RL hinausgehenden Aktionärsschutz: § 65 Abs. 2 UmwG macht den Sonderbeschluss (ebenso wie bereits § 340c Abs. 3 AktG a.F.) nicht von dem – als zu unbestimmt empfundenen – Erfordernis der Beeinträchtigung der Gattungsaktionäre abhängig.210

c) Entbehrlichkeit des Hauptversammlungsbeschlusses in Sonderfällen Der auf britischen und niederländischen Wunsch zurückgehende 211 Art. 8 gestattet 81 den Mitgliedstaaten auf das Erfordernis des Hauptversammlungsbeschlusses der übernehmenden Gesellschaft zu verzichten und stattdessen nur einer Aktionärsminderheit (Quorum max. 5 %) ein Recht auf Herbeiführung einer Beschlussfassung einzuräumen; dies allerdings nur, wenn der Verschmelzungsplan gem. lit. a offen gelegt und den Aktionären eine Vorabinformation gem. lit. b ermöglicht wird.212 Deutschland hat von dieser Option keinen Gebrauch gemacht.

204 205 206 207 208 209 210 211 212

Rn. 897; Hommelhoff/Riesenhuber (Fn. 39), S. 259, 272; Keutgen Rev. prat. soc. 1979, 98, 106; Lösekrug (Fn. 9), S. 224, 232. Zumindest missverständlich insofern Habersack § 6 Rn. 18; Schwarz Rn. 650. Vgl. BegrRegE z.VerschmRiLiG, BT-Drs. 9/1065, S. 17. Vgl. BegrRegE z. UmwG, BT-Drs. 12/6699, S. 103 f. Vgl. auch BegrRegE z.VerschmRiLiG, BT-Drs. 9/1065, S. 17; Lösekrug (Fn. 9), S. 233. Gem. § 65 Abs. 1 S. 2 UmwG (bis 31.12.1994: § 340c Abs. 2 S. 2 AktG a.F.) kann die Satzung zudem eine größere Kapitalmehrheit und weitere Erfordernisse bestimmen. Vgl. BegrRegE z. VerschmRiLiG, BT-Drs. 9/1065, S. 17. Vgl. BegrRegE z. VerschmRiLiG, BT-Drs. 9/1065, S. 17; Lösekrug (Fn. 9), S. 225; Priester NJW 1983, 1459, 1462. Vgl. BegrRegE z. VerschmRiLiG, BT-Drs. 9/1065, S. 17; Brause, Stimmrechtslose Vorzugsaktien bei Umwandlungen, 2002, S. 21; Lösekrug (Fn. 9), S. 234; Priester NJW 1983, 1459, 1462; zur Zulässigkeit auch Nowotny (Fn. 147), S. 395, 413. Vgl. Ganske DB 1981, 1551, 1554. Vgl. dazu auch Edwards S. 108; Grundmann Rn. 898; Lösekrug (Fn. 9), S. 225.

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Bei Konzernverschmelzungen ist der Hauptversammlungsbeschluss in bestimmten Fällen nicht nur bei übernehmenden, sondern auch bei der/n übertragenden Gesellschaft(en) entbehrlich, dazu näher u. Rn. 138.

6. Rechtmäßigkeitskontrolle, Wirksamwerden und Offenlegung a) Rechtmäßigkeitskontrolle (Art. 16) 83 Zu den Kernelementen des Schutzinstrumentariums der RL gehört schließlich das Erfordernis einer umfassenden Rechtmäßigkeitskontrolle. Mit Blick auf die diesbezüglich äußerst unterschiedlichen nationalen Traditionen 213 lässt Art. 16 den Mitgliedstaaten insofern allerdings die Wahl, ob sie diese mittels einer vorbeugenden gerichtlichen oder verwaltungsbehördlichen Kontrolle oder mittels einer öffentlichen Beurkundung realisieren214. Auch eine Kombination beider Erfordernisse ist zulässig.215 84 Entscheidet sich der Mitgliedstaat für eine vorbeugende gerichtliche oder verwaltungsbehördliche Kontrolle, so muss sich diese auf alle für die Verschmelzung erforderlichen Rechtshandlungen erstrecken (vgl. Art. 16 As. 1 S. 1). 85 Wählt der Mitgliedstaat die Variante der öffentlichen Beurkundung, so sind Beurkundungsgegenstand die Hauptversammlungsniederschriften und ggf. der nach diesen Hauptversammlungen geschlossene Verschmelzungsvertrag (vgl. Art. 16 Abs. 1 S. 1). Ist ausnahmsweise – nach Art. 25 oder 27 (dazu u. Rn. 138, 143) oder weil der Mitgliedstaat von der Option des Art. 8 (zu o. Rn. 81) Gebrauch gemacht hat – keine Billigung durch die Hauptversammlungen aller beteiligten Gesellschaften erforderlich, so ist der Verschmelzungsplan öffentlich zu beurkunden (Art. 16 Abs. 1 S. 2). Auch im Falle der Beurkundungsvariante gewährleistet Art. 16 Abs. 2 zudem eine umfassende formelle und materielle Rechtmäßigkeitskontrolle: 216 Der Notar bzw. die sonstige zuständige Stelle hat das Vorliegen und die Rechtmäßigkeit der Rechtshandlungen und Förmlichkeiten, die der Gesellschaft obliegen, bei der er tätig wird, sowie das Vorliegen und die Rechtmäßigkeit des Verschmelzungsplans zu prüfen und zu bestätigen. 86 Deutschland hat i.R.d. Umsetzung der RL im Interesse eines möglichst umfassenden Schutzes von Aktionären und Rechtsverkehr in zulässiger Weise 217 an der tradi-

213 Vgl. RL-E 1970 (Fn. 1), S. 12; Cordoliani JCP 1979.II.13078; Grundmann Rn. 905. 214 Vgl. RL-E 1970 (Fn. 1), S. 12; Cordoliani JCP 1979.II.13078; Edwards S. 111 f.; Grundmann Rn. 905; Habersack § 7 Rn. 21; Heenen CDE 1981, 15, 24; Hommelhoff/Riesenhuber (Fn. 39), S. 259, 273; Werlauff S. 577. 215 Vgl. RL-E 1970 (Fn. 1), S. 12; Bayer/J. Schmidt (Fn. 9), Rn. 99; Habersack § 7 Rn. 21; Hommelhoff/Riesenhuber (Fn. 39), S. 259, 273 Fn. 69; Lösekrug (Fn. 9), S. 276 f. 216 Vgl. Grundmann Rn. 905; s. ferner auch RL-E 1970 (Fn. 1), S. 12; Grohmann (Fn. 34), S. 325; Heenen CDE 1981, 15, 19; Hommelhoff/Riesenhuber (Fn. 39), S. 259, 273. 217 Vgl. Bayer/J. Schmidt (Fn. 9), Rn. 99; Habersack § 7 Rn. 21; Heckschen (Fn. 98), § 6 Rn. 18.1; Lösekrug (Fn. 9), S. 268, 276 f.; allg. zur Zulässigkeit einer Kumulation auch die Nachweise in Fn. 215.

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tionellen Kumulation von notarieller Beurkundung des Verschmelzungsvertrages (§ 6 UmwG, bis 31.12.1994: § 341 Abs. 1 S. 1 AktG a.F.) und registergerichtlicher Kontrolle 218 festgehalten. b) Zeitpunkt des Wirksamwerdens (Art. 17) Den Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Verschmelzung überlässt Art. 17 dem je- 87 weiligen nationalen Recht, verpflichtet die Mitgliedstaaten im Interesse der Rechtssicherheit aber immerhin zu einer eindeutigen Festlegung219. Von einer Harmonisierung in diesem Punkt wurde auf Grund der stark divergierenden Systeme der Mitgliedstaaten bewusst abgesehen.220 Der deutsche Gesetzgeber sah sich i.R.d. Umsetzung der RL gezwungen, den 88 Zeitpunkt der Wirksamkeit der Verschmelzung neu zu determinieren. Anstelle des früher maßgeblichen Zeitpunktes der Eintragung in das Handelsregister der übertragenden Gesellschaft, der bei der für das deutsche Recht neuen Verschmelzung durch simultane Aufnahme mehrerer Gesellschaften (dazu bereits o. Rn. 12) zu Problemen geführt hätte, wurde nun der Zeitpunkt der Eintragung in das Handelsregister der übernehmenden Gesellschaft für maßgeblich erklärt (§ 346 Abs. 3 S. 1, Abs. 4 S. 1 AktG a.F., seit 1.1.1995: § 20 Abs. 1 UmwG).221

c) Offenlegung (Art. 18) Um den Rechtsverkehr über die Verschmelzung zu unterrichten, gebietet Art. 18 89 Abs. 1 die Offenlegung der Verschmelzung für jede der sich verschmelzenden Gesellschaften in Übereinstimmung mit Art. 3 der 1. (Publizitäts-)RL (dazu näher § 19 Rn. 13 ff.). Als Erleichterung für die Praxis 222 gestattet Art. 18 Abs. 2 dabei, dass die übernehmende Gesellschaft die Offenlegung für die übertragenden Gesellschaften selbst veranlasst.

218 Vgl. dazu Bork in: Lutter, UmwG, 4. Aufl. 2009, § 16 Rn. 5; Grunewald (Fn. 111), § 20 Rn. 6; Schwanna in: Semler/Stengel, UmwG, 2. Aufl. 2007, § 19 Rn. 3 ff.; Zimmermann in: Kallmeyer, UmwG, 4. Aufl. 2010, § 19 Rn. 2 ff. 219 Vgl. RL-E 1970 (Fn. 1), S. 12; Cordoliani JCP 1979.II.13078; Keutgen Rev. prat. soc. 1979, 98, 115; Schwarz Rn. 653. 220 Vgl. RL-E 1970 (Fn. 1), S. 12; Cordoliani JCP 1979.II.13078; Keutgen Rev. prat. soc. 1979, 98, 115; Lösekrug (Fn. 9), S. 268; Meyer-Ladewig BB 1970, 1517, 1519; Schwarz Rn. 653; Tilquin, Traité des fusions et scissions, 1993, n° 41; van Ommeslaghe ZHR 132 (1969) 201, 210. Der Versuch, zumindest drei mögliche Varianten vorzugeben – so Art. 9 RL-E 1973 (Fn. 3) – scheiterte, vgl. Edwards S. 112. 221 Vgl. BegrRegE z. VerschmRiLiG, BT-Drs. 9/1065, S. 14, 18; BegrRegE z. UmwG, BTDrs. 12/6699, S. 91 f.; Bayer/J. Schmidt (Fn. 9), Rn. 92; Ganske DB 1981, 1551, 1552; Lösekrug (Fn. 9), S. 269; Priester NJW 1983, 1459, 1460. 222 Vgl. BegrRegE z. VerschmRiLiG, BT-Drs. 9/1065, S. 18; Ganske DB 1981, 1551, 1556; Grohmann (Fn. 34), S. 330; Grundmann Rn. 906; Lösekrug (Fn. 9), S. 271; Nobel (Fn. 45), Kap. 2 Rn. 225.

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Die von Art. 18 Abs. 1 geforderte Publizität gewährleistete das deutsche Recht bereits zuvor (§ 345 Abs. 1 Akt a.F. i.V.m. § 10 HGB, seit 1.1.1995: §§ 16 Abs. 1 S. 1, 19 Abs. 3 UmwG i.V.m. § 10 HGB).223 Neu eingeführt werden musste allerdings die umfassende Anmeldebefugnis der übernehmenden Gesellschaft (§ 345 Abs. 1 S. 2 AktG a.F., seit 1.1.1995: § 16 Abs. 1 S. 2 UmwG).224

V. Rechtsfolgen der Verschmelzung (Art. 19) 91 Die Rechtsfolgen der Verschmelzung sind in Art. 19 spezifiziert – eine Harmonisierung erschien dem europäischen Gesetzgeber insoweit (zu Recht) „unumgänglich“225. Die Verschmelzung hat danach ipso iure 226 folgende drei zentralen Rechtswirkungen, die letztlich auch das Wesen dieses Rechtsinstituts ausmachen (s. auch bereits o. Rn. 16): (1) Universalsukzession, (2) „Aktientausch“ und (3) Erlöschen der übertragenden Gesellschaft(en).

1. Universalsukzession (Gesamtrechtsnachfolge) (Art. 19 Abs. 1 lit. a) 92 Das gesamte Aktiv- und Passivvermögen der übertragenden Gesellschaft(en) geht – automatisch und ohne dass es hierzu besonderer Förmlichkeiten bedarf 227 – auf die übernehmende Gesellschaft über. Den Beteiligten ist es auch nicht möglich, einzelne Gegenstände hiervon auszunehmen.228 93 Wie Art. 19 Abs. 1 lit. a ausdrücklich klarstellt, gilt die Gesamtrechtsnachfolge nicht nur im Verhältnis der beteiligten Gesellschaften zueinander, sondern grundsätzlich auch im Verhältnis zu Dritten. In Bezug auf letzteres macht Art. 19 Abs. 3 vor dem Hintergrund der mangelnden Harmonisierung des allgemeinen Zivilrechts 229 allerdings eine wichtige Einschränkung für den Fall, dass das jeweilige nationale Recht die Wirksamkeit der Übertragung bestimmter Vermögensgegenstände im Verhältnis zu Dritten von besonderen Förmlichkeiten abhängig macht; solche nationalen Regelungen bleiben ausdrücklich unberührt. Obgleich die deutsche Textfassung insofern

223 Vgl. Lösekrug (Fn. 9), S. 270. 224 Vgl. BegrRegE z. VerschmRiLiG, BT-Drs. 9/1065, S. 18; Lösekrug (Fn. 9), S. 271; Schwarz Rn. 654. 225 Vgl. RL-E 1970 (Fn. 1), S. 12. 226 Vgl. RL-E 1970 (Fn. 1), S. 13; Cordoliani JCP 1979.II.13078; Dorresteijn/Monteiro/ C. Teichmann/Werlauff, European Corporate Law, 2. Aufl., 2009, 3.52; Edwards S. 112; Habersack § 7 Rn. 14; Loy RTD eur. 1980, 354, 363; Vossius in: Widmann/Mayer, UmwG (Stand: 120. EL 2011), § 20 Rn. 26. 227 Vgl. Vorentwurf 1968 (Fn. 2), S. 30; RL-E 1970 (Fn. 1), S. 14; Van Ommeslaghe FS Sanders, 1972, S. 123, 143. 228 Vgl. Habersack § 7 Rn. 13; zu § 20 UmwG: Vossius (Fn. 226), § 20 Rn. 32. 229 Vgl. Lösekrug (Fn. 9), S. 277.

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leider etwas missverständlich ist 230, bezieht sich dieser Vorbehalt nicht auf die materielle Berechtigung selbst, sondern ausschließlich auf die Frage, ob diese vor Erfüllung der betreffenden Formalitäten Dritten entgegenhalten werden kann.231 Der europäische Gesetzgeber hatte hier insbesondere spezielle Formalitäten zur Übertragung von Immobilien und Immobiliarrechten wie die publicité foncière 232 des französischen Rechts vor Augen.233 Als Erleichterung für die Praxis 234 gestattet Art. 19 Abs. 3 S. 2 Teilsatz 1 der übernehmenden Gesellschaft, solche Förmlichkeiten selbst vorzunehmen. Zudem erlauben die auf britischem und irischem Wunsch beruhende 235 Teilsätze 2 und 3 den Mitgliedstaaten, auch der/n übertragenden Gesellschaft(en) zu gestatten, diese Förmlichkeiten während eines begrenzten Zeitraums (max. 6 Monate nach Wirksamwerden der Verschmelzung) zu vollziehen.

2. „Aktientausch“ (Art. 19 Abs. 1 lit. b) Die Aktionäre der übertragenden Gesellschaft(en) werden Aktionäre der überneh- 94 menden Gesellschaft (Art. 19 Abs. 1 lit. b). Der Anteilserwerb vollzieht sich ipso iure; es bedarf – unabhängig vom sonst für die Übertragung geltenden Recht – weder besonderer Übertragungsakte noch einer Dokumentation. Zugleich gehen die Aktien der übertragenden Gesellschaft(en) mit deren Erlöschen (dazu u. Rn. 97) unter. Die Regelung der praktischen Einzelheiten des „Aktientauschs“ bleibt den Mitgliedstaaten überlassen (vgl. bereits o. Rn. 31). Das Schicksal etwaiger Rechte Dritter an den Aktien der übertragenden Gesellschaft(en) wird von der RL zwar nicht ausdrücklich geregelt; dem Konzept der Gesamtrechtsnachfolge entsprechend ist jedoch davon auszugehen, dass sich solche Rechte Dritter ipso iure an den Aktien der übernehmenden Gesellschaft fortsetzen236 – zumal gerade vor dem Hintergrund des allgemeinen Fokus

230 Klarer insofern die englische und französische Fassung: „… special formalities for the transfer … to be effective as against third parties“ / „… formalités particulières pour l’opposabilité aux tiers …“. 231 Vgl. Ganske DB 1981, 1551, 1556; Keutgen Rev. prat. soc. 1979, 98, 114; Loy RTD eur. 1980, 354, 363; Van Ommeslaghe FS Sanders, 1972, S. 123, 143 f.; Vossius (Fn. 226), § 20 Rn. 400 S. 4 Fn. 1, 429 f.; zur Parallelregelung in Art. 29 Abs. 3 SE-VO: Bayer (Fn. 91), Art. 29 Rn. 12; J. Schmidt (Fn. 123), S. 263; Schwarz, SE-Kommentar, 2006, Art. 29 Rn. 8 f. S. ferner schon Goldman, Bericht zum Entwurf eines Übereinkommmens über die Internationale Verschmelzung von Aktiengesellschaften, Beil. 13/73 Bull. EG, Rn. 100. 232 Dazu näher (in deutscher Sprache) Spellenberg FS Lorenz, 1991, S. 779, 790 ff.; ausf. Simler/Delebecque, Les sûretes. La publicité foncière, 5e éd. 2009, S. 721 ff. 233 Vgl. Vorentwurf 1968 (Fn. 2), S. 30; Scheifele (Fn. 231), S. 292; Schwarz (Fn. 231), Art. 29 Rn. 9; Vossius (Fn. 226), § 20 Rn. 400 S. 4 Fn. 1, 430; s. ferner auch Goldman (Fn. 231), Rn. 101. 234 Vgl. Grundmann Rn. 906. 235 Vgl. Ganske DB 1981, 1551, 1556. Beide Staaten haben auch von dieser Möglichkeit auch Gebrauch gemacht, vgl. s. 939(3), (4) CA 2006 (UK) und r. 19(6) SI 137/1987 (Irland). 236 Abw. Vossius (Fn. 226), § 20 Rn. 11 (nicht durch RL vorgegeben).

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der RL auch auf den Schutz der Gläubiger (vgl. dazu o. Rn. 24 sowie u. Rn. 117 ff.) kaum angenommen werden kann, dass der europäische Gesetzgeber den Aktionären auf Kosten der Gläubiger ein derartiges „Geschenk“ machen wollte. 95 Art. 19 Abs. 2 macht allerdings zwei wichtige Ausnahmen vom Anteilserwerb, mit denen – quasi als Prolongation der Art. 19–24a der 2. (Kapital-)RL (dazu ausf. § 20 Rn. 107 ff.) 237 – die Entstehung eigener Aktien verhindert werden soll238. Ausgeschlossen ist der Anteilserwerb danach bei Aktien, die (a) die übernehmende Gesellschaft oder (b) die übertragende Gesellschaft selbst hält; um Umgehungen zu vermeiden, sind zudem jeweils auch Aktien erfasst, die von einer Person für Rechnung der jeweiligen Gesellschaft gehalten werden 239. Außerdem enthält Art. 24 S. 3 ein ausdrückliches Verbot der Anwendung des Art. 19 Abs. 1 lit. b für den Fall des upstream-mergers einer 100%igen Tochter (s. dazu auch u. Rn. 136); letztlich handelt es sich dabei allerdings nur um eine – an sich überflüssige – Klarstellung, da sich die Nichtanwendbarkeit bereits aus Art. 19 Abs. 2 lit. a ergibt 240. 96 Darüber hinaus steht die RL aber auch einem Verzicht von Aktionären auf die Gewährung von Anteilen und insbesondere auch diesbezüglichen nationalen Rechtsvorschriften nicht entgegen.241 Die Anteilsgewährung gehört zwar zu den Strukturelementen der Verschmelzung (vgl. o. Rn. 16, 91). Letztlich liegt ihr Sinn und Zweck aber primär darin, die Aktionäre vor Verlust ihrer Beteiligung zu schützen und auf diesen Schutz müssen die Aktionäre – ähnlich wie es die RL im Hinblick auf die Schutzinstrumente des Verschmelzungsberichts- und der Verschmelzungsprüfung nun ausdrücklich gestattet (vgl. o. Rn. 49, 60) – auch privatautonom verzichten können; für einen „aufgedrängten“ Schutz ist auch insoweit kein vernünftiger Grund ersichtlich.242 Praktische Relevanz kann dies etwa bei der Verschmelzung von Tochtergesellschaften innerhalb eines Konzerns haben.243

237 Vgl. Ganske DB 1981, 1551, 1556; Habersack § 7 Rn. 14; Lösekrug (Fn. 9), S. 270. 238 Vgl. Ganske DB 1981, 1551, 1556; Edwards S. 114; Koller (Fn. 66), S. 35; Lösekrug (Fn. 9), S. 270. 239 Für Rechnung handelnde Personen werden auch i.R.d. Art. 19–24a der 2. (Kapital-)RL grundsätzlich gleichgestellt, vgl. näher § 20 Rn. 113, 118, 125, 131, 147. 240 Vgl. auch Kalss JBl. 1995, 420, 426. 241 Vgl. Grunewald (Fn. 111), § 68 Rn. 4; Heckschen DB 2008, 1363, 1364 f.; Huber, Anteilsgewährpflicht im Umwandlungsrecht?, 2005, S. 49; Lösekrug (Fn. 9), S. 239 f.; MarschBarner (Fn. 113), § 68 Rn. 16; Rieger (Fn. 196), § 68 Rn. 37.1; s. ferner auch Krieger ZGR 1990, 517, 523; a.A. Mayer (Fn. 100), Einf UmwG Rn. 38; Mayer/Weiler MittBayNot 2007, 368, 371; dies. DB 2007, 1235, 1239; Weiler NZG 2008, 527, 528. 242 Vgl. Grunewald (Fn. 111), § 68 Rn. 4; Heckschen DB 2008, 1363, 1365; Huber (Fn. 241), S. 49; Lösekrug (Fn. 9), S. 239 f.; s. ferner auch Krieger ZGR 1990, 517, 523. 243 Vgl. BegrRegE z. 2. UmwÄndG, BT-DRs. 548/08, S. 27; Bayer/J. Schmidt NZG 2006, 841, 845.

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3. Erlöschen der übertragenden Gesellschaft(en) (Art. 19 Abs. 1 lit. c) Die übertragende(n) Gesellschaft(en) erlöschen ipso iure, weitere Rechtsakte (z.B. 97 eine besondere Löschung) sind nicht erforderlich. Auch ein Liquidationsverfahren findet nicht statt (vgl. bereits o. Rn. 14 f.), da sämtliche Aktiva und Passiva ja im Wege der Gesamtrechtsnachfolge auf die übernehmende Gesellschaft übergehen (o. Rn. 92).

4. Umsetzung im deutschen Recht Das deutsche Recht sah die in Art. 19 Abs. 1 angeordneten Rechtsfolgen bereits zuvor 98 in § 346 Abs. 3 S. 1, Abs. 4 AktG 1965 vor;244 die Vorschriften mussten allerdings im Hinblick auf den für das deutsche Recht neuen Fall mehrerer übertragender Gesellschaften (sowie im Hinblick auf den Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Verschmelzung, dazu bereits o. Rn. 12, 88) angepasst werden (vgl. § 346 Abs. 3 S. 1, Abs. 4 AktG i.d.F. VerschmRiLiG).245 Zudem wurde in § 346 Abs. 4 S. 3 Hs. 2 AktG eine dem Art. 19 Abs. 2 entsprechende Regelung ergänzt.246 Von der Option des Art. 19 Abs. 3 S. 2 Teilsatz 2 hat Deutschland keinen Gebrauch gemacht. Die seit 1.1.1995 geltende Regelung in § 20 Abs. 1 Nr. 1–3 UmwG wurde im Wesentlichen lediglich sprachlich vereinfacht und übersichtlicher gegliedert.247 Durch das 2. UmwÄndG248 wurde in § 68 Abs. 1 S. 3 UmwG ein ausdrücklicher Dispens von der Anteilsgewährungspflicht für den Fall, dass alle Anteilsinhaber des übertragenden Rechtsträgers hierauf in notariell beurkundeter Form verzichten, eingeführt.249

VI. Nichtigkeit und Bestandsschutz (Art. 22) Angesichts der erheblichen und praktisch kaum lösbaren Probleme, die mit der Rück- 99 abwicklung einer Verschmelzung („Entschmelzung“) verbunden wären, erschien dem europäischen Gesetzgeber eine Einschränkung der Fälle der Nichtigkeit einer Verschmelzung unabdingbar.250 Wegen der stark divergierenden nationalen Regelungen hielt man eine vollständige Harmonisierung insoweit jedoch für nicht möglich, zumal

244 245 246 247 248 249

Vgl. Ganske DB 1981, 1551, 1556. Vgl. BegrRegE z. VerschmRiLiG, BT-Drs. 9/1065, S. 18. Vgl. BegrRegE z. VerschmRiLiG, BT-Drs. 9/1065, S. 18; Lösekrug (Fn. 9), S. 271. Vgl. BegrRegE z. UmwG, BT-Drs. 12/6699, S. 91. Zweites Gesetz zur Änderung des Umwandlungsgesetzes v. 19.4.2007, BGBl. I, 542. Vgl. dazu Bayer/J. Schmidt NZG 2006, 841, 845; Drinhausen/Keinath BB 2006, 2313, 2315; Haritz/von Wolff GmbHR 2006, 340, 344 f.; Heckschen DNotZ 2007, 444, 449 ff.; Kallmeyer GmbHR 2006, 418, 419; Simon (Fn. 42), § 68 Rn. 39 ff.; Marsch-Barner (Fn. 113), § 68 Rn. 16; Mayer (Fn. 100), Einf UmwG Rn. 34 ff.; Mayer/Weiler MittBayNot 2007, 368, 370 ff.; dies. DB 2007, 1235, 1238 ff.; Rieger (Fn. 196), § 68 Rn. 37 ff.; Roß/Drögemüller DB 2009, 580 ff.; Weiler NZG 2008, 527 ff.; zur Zulässigkeit eines Verzichts o. Rn. 96. 250 Vgl. RL-E 1970 (Fn. 1), S. 14.

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man auch der damals noch geplanten 5. (Struktur-)RL (dazu § 9 Rn. 1 f.) nicht vorgreifen wollte.251 Art. 22 beschränkt sich daher nach dem Vorbild des damaligen Art. 11 (heute Art. 12) der 1. (Publizitäts-)RL (dazu § 19 Rn. 83 ff.) 252 darauf, die Nichtigkeit an strenge verfahrensrechtliche Kautelen zu binden (dazu u. Rn. 102) und einen numerus clausus von Nichtigkeitsgründen (dazu u. Rn. 101) sowie Regelungen zum Schutz des Rechtsverkehrs (dazu u. Rn. 103) zu etablieren. Den Mitgliedstaaten steht es allerdings nach Sinn und Zweck der Regelung frei, die Nichtigkeit an noch strengere Voraussetzungen zu binden oder sogar völlig auszuschließen.253 100 Die Beschränkungen des Art. 22 gelten allerdings nur für i.S.v. Art. 17 (dazu o. Rn. 87) wirksam gewordene Verschmelzungen (vgl. Art. 22 Abs. 1 lit. b) 254; bezüglich der Nichtigerklärung noch nicht vollzogener Verschmelzungen sind die Mitgliedstaaten frei, da sich hier die Rückabwicklungsproblematik nicht in gleicher Weise stellt 255. Unberührt bleiben darüber hinaus gemäß der – auf italienischen Vorschlag eingefügten256 und etwas kryptisch formulierten – Regelung des Art. 22 Abs. 3 Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über eine Nichtigerklärung aus „nichtgesellschaftsrechtlichen“ Gründen; gedacht war dabei speziell an kartell- und fusionskontrollrechtliche Entflechtungen257. 101 Zulässige Nichtigkeitsgründe sind gem. Art. 22 Abs. 1 lit. b, Abs. 2 S. 2 nur das völlige Fehlen einer Rechtmäßigkeitskontrolle nach Art. 16 (dazu o. Rn. 83 ff.) oder die Nichtigkeit oder Anfechtbarkeit des Hauptversammlungsbeschlusses nach innerstaatlichem Recht 258. Die Nichtigerklärung ist allerdings auch in diesen Fällen ausgeschlossen, wenn der Mangel behoben worden ist (Art. 22 Abs. 1 lit. c a.E.259). Um eine solche Heilung zu ermöglichen, muss den Gesellschaften bei behebbaren Mängeln zunächst eine Frist zur Behebung eingeräumt werden, bevor die Nichtigkeit ausgesprochen werden kann (Art. 22 Abs. 1 lit. d, Abs. 2 S. 2) 260.

251 Vgl. RL-E 1970 (Fn. 1), S. 14; Cordoliani JCP 1979.II.13078. 252 Vgl. Vorentwurf 1968 (Fn. 2), S. 35 f.; RL-E 1970 (Fn. 1), S. 14; Grohmann (Fn. 34), S. 319; Priester NJW 1983, 1459, 1464 Fn. 116. 253 Vgl. Habersack § 7 Rn. 27; Heenen CDE 1981, 15, 24; Keutgen Rev. prat. soc. 1979, 98, 116; Koller (Fn. 66), S. 281; Loy RTD eur. 1980, 354, 364; Werlauff S. 579; abw. jedoch Schmid ZGR 1997, 493, 508. 254 Vgl. RL-E 1970 (Fn. 1), S. 15. 255 Vgl. RL-E 1970 (Fn. 1), S. 15; Heenen CDE 1981, 15, 23; Van Ommeslaghe FS Sanders, 1972, S. 123, 147. 256 Vgl. Ganske DB 1981, 1551, 1556 f.; Lösekrug (Fn. 9), S. 281. 257 Vgl. Dorresteijn/Monteiro/C. Teichmann/Werlauff (Fn. 226), 3.52; Ganske DB 1981, 1551, 1556 f.; Lösekrug (Fn. 9), S. 281. 258 Dieser Nichtigkeitsgrund wurde auf Initiative der französischen Verhandlungsdelegation eingeführt, vgl. Ganske DB 1981, 1551, 1557. 259 Art. 22 Abs. 2 S. 2 verweist für die Entscheidung durch eine Verwaltungsbehörde zwar nicht auf Art. 22 Abs. 1 lit. c a.E.; hierbei handelt es sich jedoch ersichtlich um ein Redaktionsversehen. Ist der Mangel behoben, darf daher – wie sich auch aus Art. 22 Abs. 2 S. 3 ergibt – auch eine Verwaltungsbehörde die Verschmelzung nicht mehr für nicht erklären. 260 Die Regelung ist an Art. 5 Abs. 2 der 2. (Kapital-)RL (dazu § 20 Rn. 24) angelehnt, vgl. RL-E 1970 (Fn. 1), S. 15; Edwards S. 115.

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Zudem ist die Nichtigerklärung an strenge verfahrensrechtliche Anforderungen 102 gebunden. Sie darf nur durch eine gerichtliche oder verwaltungsbehördliche 261 Entscheidung ausgesprochen werden; durch eine Verwaltungsbehörde zudem nur, wenn gegen deren Entscheidung ein Rechtsbehelf zu einem Gericht eingelegt werden kann (Art. 22 Abs. 1 lit. a, Abs. 2 S. 1). Zudem kann die Nichtigkeit nur innerhalb von 6 Monaten nach Wirksamwerden der Verschmelzung geltend gemacht werden (Art. 22 Abs. 1 lit. c, Abs. 2 S. 3). Die gerichtliche bzw. verwaltungsbehördliche Entscheidung ist nach den nationalen Umsetzungsvorschriften zu Art. 3 der 1. (Publizitäts-)RL (dazu ausf. § 19 Rn. 13 ff.) offen zu legen (Art. 22 Abs. 1 lit. e, Abs. 2 S. 2). Lässt das nationale Recht einen Einspruch Dritter dagegen zu, so kann dieser nur binnen einer Frist von 6 Monaten nach dieser Offenlegung erhoben werden (Art. 22 Abs. 1 lit. f, Abs. 2 S. 2). Sollte es trotz dieser strengen Anforderungen zu einer Nichtigerklärung kommen, 103 gewährleistet die RL zudem auch den Schutz des Rechtsverkehrs: Die Wirksamkeit von im Zeitraum zwischen Wirksamwerden der Verschmelzung und Nichterklärung begründeten Verpflichtungen zugunsten oder zulasten der übernehmenden Gesellschaft wird durch die Nichterklärung nicht berührt (Art. 22 Abs. 1 lit. g, Abs. 2 S. 2). Zudem haften die an der Verschmelzung beteiligten Gesellschaften als Gesamtschuldner für solche Verpflichtungen (Art. 22 Abs. 1 lit. h, Abs. 2 S. 2). Für Deutschland war Art. 22 Anlass für einen fundamentalen Konzeptionswech- 104 sel 262. Nach dem bis dato geltenden Recht konnten nämlich Mängel der Verschmelzung auch noch nach deren Eintragung zu einer Rückabwicklung führen.263 Eine solche mit nahezu unlösbaren praktischen Problemen verbundene „Entschmelzung“ wurde mit dem durch das VerschmRiLiG (Rn. 6) neu eingefügten § 352a AktG a.F., der dann materiell unverändert in § 20 Abs. 2 UmwG übernommen wurde264 – jedenfalls nach herrschender 265 und einzig richtlinienkonformer 266 Auffassung – generell

261 Die Alternative einer verwaltungsbehördlichen Entscheidung beruht auf italienischem Wunsch, vgl. Ganske DB 1981, 1551, 1556 f.; Lösekrug (Fn. 9), S. 281. 262 Vgl. Bayer/J. Schmidt (Fn. 9), Rn. 100; Priester NJW 1983, 1459, 1465; s. ferner auch BegrRegE z. VerschmRiLiG, BT-Drs. 9/1065, S. 19 f. 263 Vgl. Godin/Wilhelmi, AktG, 3. Aufl. 1967, § 352 Anm. 5; Priester NJW 1983, 1459, 1465. 264 Vgl. BegrRegE z. UmwG, BT-Drs. 12/6699, S. 91 f. 265 OLG Hamburg DNotZ 2009, 227; OLG Frankfurt AG 2003, 641; OLG Frankfurt NZG 2003, 236; BayObLG AG 2000, 130; Bayer/J. Schmidt (Fn. 9), Rn. 93; Grunewald (Fn. 111), § 20 Rn. 71 ff.; Kort AG 2010, 230, 235, 237; Kübler in: Semler/Stengel, UmwG, 2. Aufl. 2007, § 20 Rn. 86; Marsch-Barner (Fn. 113), § 20 Rn. 47; Simon (Fn. 42), § 20 Rn. 52; Vossius (Fn. 226), § 20 Rn. 375 (jeweils m.w.N.). 266 Die von einem Teil der Lehre (so etwa Kiem, Die Eintragung der angefochtenen Verschmelzung, 1991, S. 153 ff.; Kreuznacht, Wirkungen der Eintragung fehlerhafter Verschmelzungen von Aktiengesellschaften und Gesellschaften mit beschränkter Haftung nach § 20 Abs. 2 UmwG, 1998, S. 100; Schmid ZGR 1997, 493, 505 ff., 515 ff.; K. Schmidt ZIP 1998, 181, 187) postulierte Möglichkeit einer ex nunc-Entschmelzung wäre nach der RL nur unter den Voraussetzungen des Art. 22 – denen das deutsche Recht aber gerade nicht entspricht – zulässig, vgl. Bayer/J. Schmidt (Fn. 9), Rn. 93; Habersack § 7 Rn. 27; Lösekrug (Fn. 9), S. 287.

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ausgeschlossen; das deutsche Recht geht also insofern weit über den Mindeststandard der RL (vgl. o. Rn. 99) hinaus267.

VII. Haftungsvorschriften (Art. 20, 21) 105 In Ergänzung zum präventiven „Schutz durch Information“ (vgl. o. Rn. 24) gewährleistet die RL in Art. 20 f. auch einen ex-post-Schutz der Aktionäre 268 durch Haftungsregelungen. Die drohende Haftung soll die Organe und sachverständigen Prüfer zudem zu einer gewissenhaften Erfüllung ihrer (Informations- und Prüfungs-)Pflichten anhalten und dient somit letztlich auch der Effektivierung des „Schutzes durch Information“.269 106 Haftungsadressat sind zum einen gem. Art. 20 die Mitglieder des Verwaltungsoder Leitungsorgans der übertragenden Gesellschaft(en), die einer Haftung für die Verletzung ihrer Pflichten bei der Vorbereitung und beim Vollzug der Verschmelzung (z.B. falsche Angaben im Verschmelzungsbericht) unterworfen werden müssen. Den Mitgliedstaaten steht es jedoch frei, über diesen Mindeststandard hinaus auch ein etwaiges Aufsichtsorgan oder die Mitglieder der Organe der übernehmenden Gesellschaft einer Haftung zu unterwerfen. Gem. Art. 21 muss das nationale Recht zum anderen auch eine Haftung der Sachverständigen, die den Verschmelzungsprüfungsbericht erstellen, für schuldhaftes Verhalten bei der Erfüllung ihrer Aufgaben vorsehen. 107 Die RL verlangt allerdings nur eine Haftung zugunsten der Aktionäre der übertragenden Gesellschaft(en), da diese offenbar als besonders schutzbedürftig angesehen wurden 270. Den Mitgliedstaaten steht es jedoch frei, über diesen Mindeststandard hinaus auch entsprechende Haftungsregeln zugunsten der Aktionäre der übernehmenden Gesellschaft 271, zugunsten der übertragenden Gesellschaft(en) 272 oder der übernehmenden Gesellschaft 273 selbst oder auch zugunsten der Gläubiger 274 vorzusehen.

267 Vgl. BegrRegE z. VerschmRiLiG, BT-Drs. 9/1065, S. 19 f.; Priester NJW 1983, 1459, 1465; Schwarz Rn. 657. 268 Vgl. Grundmann Rn. 907; Nobel (Fn. 45), Kap. 2 Rn. 226; Van Ommeslaghe FS Sanders, 1972, S. 123, 145. 269 Vgl. Grohmann (Fn. 34), S. 329; Habersack § 7 Rn. 19; Hommelhoff/Riesenhuber (Fn. 39), S. 259, 273; Koller (Fn. 66), S. 279 f.; Riesenhuber NZG 2004, 15, 21; Veil FS Priester, 2007, S. 799, 807; s. ferner auch schon RL-E 1970 (Fn. 1), S. 14. 270 Vgl. Grundmann Rn. 907. Kritisch dazu Grohmann (Fn. 34), S. 329. 271 Vgl. Habersack § 7 Rn. 19; Koppensteiner FS Semler, 1993, S. 485, 492; Lösekrug (Fn. 9), S. 282. 272 Vgl. Habersack § 7 Rn. 19; Koppensteiner FS Semler, 1993, S. 485, 492; Lösekrug (Fn. 9), S. 282; Nobel (Fn. 45), Kap. 2 Rn. 226 Fn. 535. Zu diesem Zweck kann das nationale Recht insoweit auch eine Fiktion des Fortbestands der jeweiligen übertragenden Gesellschaft(en) anordnen, vgl. Habersack § 7 Rn. 19; Nobel (Fn. 45), Kap. 2 Rn. 226 Fn. 535; s. ferner auch schon Vorentwurf 1968 (Fn. 2), S. 33. 273 Vgl. Grohmann (Fn. 34), S. 329; Koppensteiner FS Semler, 1993, S. 485, 492; Lösekrug (Fn. 9), S. 282; Van Ommeslaghe FS Sanders, 1972, S. 123, 146. 274 Vgl. Lösekrug (Fn. 9), S. 282.

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Im Hinblick auf die Ausgestaltung der Haftung im Einzelnen macht die RL 108 keine Vorgaben; die noch in Art. 16 des RL-Entwurfs 1970 vorgesehenen „Grundsätze“ 275 wurden nicht in die endgültige Fassung übernommen. Insoweit bleibt den Mitgliedstaaten also ein breiter Spielraum276, z.B. im Hinblick auf die Verjährung277 und Regelungen zur Geltendmachung etwaiger Ansprüche278 sowie insbesondere auch bezüglich der Beweislastverteilung (entgegen manchen Stellungnahmen im Schrifttum lässt sich der Regelung weder entnehmen, dass es sich zwingend um eine Haftung für vermutetes Verschulden handeln muss 279, noch, dass zwingend die Aktionäre die Beweislast tragen müssen 280) 281. Eine gewisse Grenze bildet allerdings der Grundsatz des effet utile, d.h. die Haftung darf nicht so ausgestaltet sein, dass sie faktisch völlig illusorisch ist.282 Im Hinblick auf die Haftung der Organmitglieder entsprach das deutsche Recht 109 mit §§ 349–351 AktG 1965 nicht nur bereits dem Mindeststandard der RL283, sondern ging sogar in mehrfacher Hinsicht über diesen hinaus (Haftung auch des Aufsichtsrats und der Organe der übernehmenden Gesellschaft sowie auch gegenüber der/n übertragenden Gesellschaft(en), den Aktionären der übernehmenden Gesellschaft und den Gläubigern). M.W.v. 1.1.1995 wurde die Regelung inhaltlich im Wesentlichen unverändert in §§ 25–27 UmwG übernommen.284 Gegen die Ausgestaltung der Haftung, speziell die Regelungen zur Verjährung in § 25 Abs. 3 UmwG 285 und zur Geltendmachung durch einen besonderen Vertreter (§ 26 UmwG) 286, bestehen keine Bedenken. Neu eingeführt werden musste dagegen die Haftung der Verschmelzungsprüfer 110 (die Verschmelzungsprüfung war ja aus deutscher Perspektive ohnehin ein Novum, vgl. o. Rn. 62). Im Interesse eines Gleichlaufs mit der Haftung der Organmitglieder ging der deutsche Gesetzgeber dabei mit der Regelung der § 340b Abs. 5 i.V.m. § 168 AktG a.F., die dann m.W.v. 1.1.1995 im Wesentlichen unverändert in § 11 Abs. 2

275 Vgl. dazu auch RL-E 1970 (Fn. 1), S. 15. 276 Vgl. Edwards S. 114; Habersack § 7 Rn. 20; Keutgen Rev. prat. soc. 1979, 98, 116; Koller (Fn. 66), S. 280. 277 Vgl. Habersack § 7 Rn. 20. 278 Vgl. Habersack § 7 Rn. 20. 279 So aber offenbar Grundmann/Möslein, European Company Law, 2007, Rn. 960. 280 So aber Keutgen Rev. prat. soc. 1979, 98, 116. 281 Die in Art. 16 Abs. 2 lit. b S. 2 RL-E 1970 (Fn. 1) vorgesehene Beweislastumkehr war äußerst umstritten und wurde deshalb wieder gestrichen, vgl. Cordoliani JCP 1979.II.13078; Edwards S. 114; Werlauff S. 579. 282 Vgl. auch Habersack § 7 Rn. 20; Koller (Fn. 66), S. 280; Lösekrug (Fn. 9), S. 284. 283 Vgl. Lösekrug (Fn. 9), S. 279; durch das VerschmRiLiG (Rn. 6) erfolgten lediglich redaktionelle Änderungen im Hinblick auf die neue Möglichkeit der simultanen Aufnahme mehrerer Gesellschaften, vgl. BegrRegE z. VerschmRiLiG, BT-Drs. 9/1065, S. 19. 284 Vgl. BegrRegE z. UmwG, BT-Drs. 12/6699, S. 92 f. 285 Vgl. Habersack § 7 Rn. 20; Koller (Fn. 66), S. 301; Lösekrug (Fn. 9), S. 284. 286 Vgl. Habersack § 7 Rn. 20; Koller (Fn. 66), S. 301; Lösekrug (Fn. 9), S. 284 f.

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UmwG i.V.m. § 323 HGB übernommen wurde 287, ebenfalls bewusst über den Mindeststandard der RL hinaus (Haftung auch gegenüber den beteiligten Gesellschaften und den Aktionären der übernehmenden Gesellschaft) 288. Ungeachtet der teilweise im Schrifttum geltend gemachten Bedenken289 ist auch der Haftungshöchstbetrag gem. § 323 Abs. 2 HGB richtlinienkonform.290

VIII. Schutz der (Minderheits-)Aktionäre, Arbeitnehmer und Gläubiger 111 Neben den Interessen der Aktionäre – speziell der Minderheitsaktionäre – berührt eine Verschmelzung auch die Interessen der Arbeitnehmer und Gläubiger. Vor dem Hintergrund der insoweit äußerst unterschiedlichen Regelungsansätze und -konzeptionen in den nationalen Rechtsordnungen werden diese Fragen durch die RL allerdings nur partiell harmonisiert.

1. Schutz der (Minderheits-)Aktionäre 112 Den Schutz der Aktionäre gewährleistet die RL primär mit dem Erfordernis eines qualifizierten Hauptversammlungsbeschlusses (Art. 7, dazu o. Rn. 63, 76 ff.), durch das ihnen – wie auch sonst bei allen grundlegenden Entscheidungen291 – ein (formales) Mitentscheidungsrecht eröffnet wird.292 Zu dessen materialer Absicherung werden den Aktionären aber vor allem auch umfangreiche Informationsrechte eingeräumt (sog. Informationsmodell, dazu bereits o. Rn. 24): Die umfassenden Informationen durch Verschmelzungsplan (Art. 5, dazu o. Rn. 25 ff.), Verschmelzungsbericht (Art. 9, dazu o. Rn. 42 ff.) und Verschmelzungsprüfungsbericht (Art. 10, dazu o. Rn. 51 ff.), die den Aktionären mittels der Offenlegung gem. Art. 6 (dazu o. Rn. 38 ff.) und der Vorabinformation gem. Art. 11 (dazu o. Rn. 64 ff.) spätestens einen Monat vor der

287 Vgl. BegrRegE z. UmwG, BT-Drs. 12/6699, S. 85. 288 Vgl. BegrRegE z. VerschmRiLiG, BT-Drs. 9/1065, S. 17; Lösekrug (Fn. 9), S. 280; Schwarz Rn. 656. Von einer Haftung auch gegenüber den Gläubigern wurde dagegen bewusst abgesehen. 289 Vgl. Habersack § 7 Rn. 20; Koller (Fn. 66), S. 301; s. ferner auch Grundmann Rn. 916. 290 Ausf. Lösekrug (Fn. 9), S. 282 f. Für Zulässigkeit eines Haftungshöchstbetrages auch bereits Wooldridge (1980) 1 Co Law 75, 78. 291 Vgl. Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 1 S. 2 lit. a, 25 Abs. 1 u. 2, 29 Abs. 4 u. 5, 30 der 2. (Kapital-) RL (dazu § 20 Rn. 111, 157, 166, 196 ff.); Art. 5 Abs. 1 der 6. (Spaltungs-)RL (dazu § 22 Rn. 54, 57); Art. 9 Abs. 1 der 10. RL (dazu § 23 Rn. 79, 82); Art. 9, 12 Abs. 2 u. 5 Übernahme-RL (dazu § 30 Rn. 68, 93, 102); Art. 8 Abs. 6, 23 Abs. 1, 32 Abs. 6, 37 Abs. 7, 59, 66 Abs. 6 SE-VO (dazu § 41 Rn. 41, 54, 67, 166, 172, 180), Art. 4 Abs. 8 u. 9, 7 Abs. 6, 27 Abs. 1, 35 Abs. 6, Art. 61 Abs. 4, 76 Abs. 6 SCE-VO (dazu § 42 Rn. 25, 30, 39, 104, 107, 109), Art. 14 Abs. 1, 31 Abs. 1 EWIV-VO (dazu § 40 Rn. 24, 46). 292 Vgl. Habersack § 7 Rn. 16, 18; Riesenhuber NZG 2004, 15, 19; s. ferner auch Grohmann (Fn. 34), S. 328.

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Hauptversammlung zur Verfügung stehen, sollen sicherstellen, dass die Aktionäre von ihrem Mitentscheidungsrecht auch effektiv und in Kenntnis aller relevanten Informationen Gebrauch machen können. Ergänzt und abgesichert wird dieser „Schutz durch Information“ durch die Mindestvorgaben bezüglich der Haftung der Organe und Verschmelzungsprüfer in Art. 20 f. (vgl. bereits o. Rn. 105).293 Weitergehende spezielle Rechte zum Schutz der (Minderheits-)Aktionäre – ins- 113 besondere etwa ein Recht zum Austritt gegen Abfindung (Sell-out), wie es noch der Vorentwurf für ein Abkommen über die internationale Fusion von 1967 (s. zu diesem § 23 Rn. 1) enthalten hatte 294 – sieht die RL nicht vor; speziell im Hinblick auf ein Austrittsrecht sah man bei rein nationalen Verschmelzungen mangels Statutenwechsels kein zwingendes Bedürfnis für eine entsprechende europäische Vorgabe295. Anders als neuere Rechtsakte – speziell Art. 5 Abs. 2 der 6. (Spaltungs-)RL (dazu § 22 Rn. 82), Art. 24 Abs. 2 SE-VO (dazu § 41 Rn. 47), Art. 28 Abs. 2 SCE-VO (dazu § 42 Rn. 28), Art. 4 Abs. 2 S. 2 der 10. RL (dazu § 23 Rn. 131 ff.) – ermächtigt die RL aber auch die Mitgliedstaaten nicht ausdrücklich zum Erlass entsprechender Regelungen. Daraus lässt sich allerdings nicht im Umkehrschluss folgern, dass den Mitgliedstaaten der Erlass derartiger Regelungen untersagt wäre. Die RL überlässt es vielmehr durch ihr Schweigen – nicht zuletzt auch vor dem Hintergrund der insoweit stark divergierenden nationalen Schutzkonzepte – bewusst dem jeweiligen Mitgliedstaat, ob und welche weitergehenden Schutzinstrumente er zugunsten der (Minderheits-)Aktionäre in seinem nationalen Recht vorsieht.296 Dies zeigt insbesondere auch Art. 28 Abs. 1 (dazu noch u. Rn. 144), der sogar gerade voraussetzt, dass die Mitgliedstaaten zur Regelung eines Austrittsrechts gegen Abfindung befugt sind,297 was i.Ü. auch durch eine Protokollerklärung der italienischen Delegation 298 ausdrücklich klargestellt wird. Zudem ergibt sich auch aus Art. 20 Abs. 1 lit. d der 2. (Kapital-)RL (dazu § 20 Rn. 124), dass der europäische Gesetzgeber solche nationalen Regelungen für zulässig erachtet.299 Der deutsche Gesetzgeber hat von dem durch die RL eröffneten Freiraum um- 114 fassend Gebrauch gemacht. Er nahm die Umsetzung der RL zum Anlass, den in der Literatur massiv erhobenen Forderungen nach einer Verbesserung des Minderheitenschutzes300 endlich nachzukommen und führte in § 352c AktG a.F. einen im Spruch-

293 Vgl. Grohmann (Fn. 34), S. 329; Habersack § 7 Rn. 16 f.; Hommelhoff/Riesenhuber (Fn. 39), S. 259, 273, Riesenhuber NZG 2004, 15, 21. 294 Dazu näher Sonnenberger AG 1969, 381, 384. 295 Vgl. Sonnenberger AG 1971, 76, 80. 296 Vgl. Bayer/J. Schmidt (Fn. 9), Rn. 102; Grundmann Rn. 901; s. ferner auch Adolff ZHR 173 (2009) 67, 76 f.; Kalss in: Semler/Stengel, UmwG, 2. Aufl. 2007, § 29 Rn. 3; Koller (Fn. 66), S. 240; Nowotny (Fn. 147), S. 395, 423 f.; Vossius (Fn. 226), § 29 Rn. 10. 297 Vgl. Bayer/J. Schmidt (Fn. 9), Rn. 102; Grundmann Rn. 901 Fn. 54; Vossius (Fn. 226), § 29 Rn. 10. 298 Vgl. Grundmann Rn. 901 Fn. 54; Heenen CDE 1981, 15, 20. 299 Vgl. Kalss (Fn. 296), § 29 Rn. 3. 300 Vgl. etwa die Kritik von Günther AG 1968, 104 ff.; Wiedemann ZGR 1978, 488 ff.

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stellenverfahren geltend zu machenden Anspruch der Aktionäre des übertragenden Rechtsträgers auf Verbesserung des Umtauschverhältnisses ein301, der dann in den heutigen § 15 UmwG übernommen wurde (wobei allerdings das kontraproduktive Widerspruchserfordernis der alten Regelung gestrichen wurde) 302. Parallel dazu gewährt das deutsche Recht über die Vorgaben der RL hinaus traditionell auch einen Anspruch auf Barabfindung, der sich heute 303 in § 29 UmwG findet.304

2. Schutz der Arbeitnehmer (Art. 12) 115 Die Problematik des Schutzes der Arbeitnehmer war i.R.d. Verhandlungen über die RL äußerst umstritten.305 Anfangs war noch ein gesonderter Bericht der Verwaltungsorgane für die Arbeitnehmer der jeweiligen Gesellschaft vorgesehen, in dem speziell die Auswirkungen auf die Arbeitnehmer und die für diese zu treffenden Maßnahmen erläutert werden sollten.306 Diese Regelung gehörte jedoch zu den umstrittensten überhaupt und wurde im Verlaufe des Gesetzgebungsverfahrens mehrfach geändert 307. Letztlich entschloss man sich dann, auf spezielle Vorschriften in der RL selbst zu verzichten und stattdessen in Art. 12 auf die Betriebsübergangs-RL (dazu § 38) zu verweisen.308 Neben bestimmten Informations- und Konsultationspflichten (dazu § 38 Rn. 33 ff.) ist darin insbesondere vorgesehen, dass die Rechte und Pflichten aus einem z.Z. eines „Betriebsübergangs“ durch Verschmelzung (dazu § 38 Rn. 21) bestehenden Arbeitsvertrags auf den „Erwerber“ übergehen (dazu § 38 Rn. 25 ff.) und dass der Übergang als solcher keinen Kündigungsgrund darstellt (dazu § 38 Rn. 30 ff.). Den Mitgliedstaaten steht es jedoch frei, über diesen europarechtlich vorgegebenen Mindestschutz hinausgehende Regelungen zum Schutz der Arbeitnehmer zu treffen, insbesondere auch in Form verschmelzungsspezifischer Informations- und sonstiger Schutzrechte.

301 Vgl. dazu Priester NJW 1983, 1459, 1463; Timm JZ 1982, 403, 410. 302 Vgl. BegrRegE z. UmwG, BT-Drs. 12/6699, S. 87 f.; Bayer/J. Schmidt (Fn. 9), Rn. 102; Bork (Fn. 218), § 15 Rn. 4; Heckschen (Fn. 98), § 15 Rn. 23. 303 Vorläufer war § 33 Abs. 3 KapErhG i.V.m. § 369 Abs. 4, 375 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1 AktG 1965; vgl. auch BegrRegE z. UmwG, BT-Drs. 12/6699, S. 94. 304 Vgl. Bayer/J. Schmidt (Fn. 9), Rn. 102. 305 Vgl. Edwards S. 93; Lösekrug (Fn. 9), S. 211, 264 f.; Lutter EuR 1975, 44, 61; Schwarz Rn. 658. 306 Vgl. Art. 6 RL-E 1970 (Fn. 1). Dazu Haesen AWD 1972, 122 f.; Lutter EuR 1975, 44, 61 f.; Meyer-Ladewig BB 1970, 1517, 1519; Sonnenberger AG 1971, 76, 79; Temple Lang (1972) Irish Jurist 306, 317; Van Ommeslaghe FS Sanders, 1972, S. 123, 135. 307 Vgl. nur die verschiedenen Fassungen des Art. 6 im RL-E 1973 (Fn. 3), der EP-Entschließung von 1975 (Fn. 4) und dem RL-E 1975 (Fn. 5). 308 Vgl. Cordoliani JCP 1979.II.13078; Edwards S. 93; Ganske DB 1981, 1551, 1554; Keutgen Rev. prat. soc. 1979, 98, 109; Lösekrug (Fn. 9), S. 264 f.; Loy RTD eur. 1980, 354, 367 f.; Schwarz Rn. 658.

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Das deutsche Recht hat die Vorgaben der Betriebsübergangs-RL in § 613a BGB 116 umgesetzt (vgl. dazu näher § 38 Rn. 6), dessen zuvor umstrittene Anwendbarkeit auch im Falle der Verschmelzung durch § 324 UmwG ausdrücklich klargestellt wurde 309 (vgl. dazu auch noch § 38 Rn. 6). Zudem wurden durch § 5 Abs. 1 Nr. 9, Abs. 3 UmwG 310 über die Mindestvorgaben der RL hinausgehende verschmelzungsspezifische Informationsregeln zugunsten der Arbeitnehmer eingeführt (vgl. auch bereits o. Rn. 37).

3. Schutz der Gläubiger (Art. 13–15) Im Hinblick auf den Schutz der Gläubiger hat sich der europäische Gesetzgeber ange- 117 sichts der stark divergierenden nationalen Schutzkonzepte 311 und anders als noch im Vorentwurf von 1968 (der noch zwingend einen Anspruch auf Sicherheitsleistung vorgesehen hatte 312) speziell auf Drängen der britischen und irischen Delegationen 313 darauf beschränkt, nur einige elementare Grundsätze zu regeln. Eine völlige Harmonisierung sei nicht erforderlich, zumal man insbesondere auch nicht in nationale Verfahrensvorschriften eingreifen wollte.314

a) Forderungsgläubiger (Art. 13) Art. 13 Abs. 1 verpflichtet die Mitgliedstaaten zunächst einmal ganz grundsätzlich zur 118 Etablierung eines angemessenen Schutzsystems für die Interessen der Gläubiger der sich verschmelzenden Gesellschaften. Geschützt werden müssen 315 allerdings nur die Gläubiger, deren Forderungen vor der Bekanntmachung des Verschmelzungsplans entstanden und zu diesem Zeitpunkt noch nicht fällig 316 sind. Gläubiger, deren

309 Vgl. Bericht Rechtsausschuss z. UmwG, BT-Drs. 12/7850, S. 145; BegrRegE z. SeemGÄndG, BT-Drs. 14/7760, S. 20; Joost in: Lutter, UmwG, 4. Aufl. 2009, § 324 Rn. 1 ff. m.w.N. 310 Dazu näher BegrRegE z. UmwG, BT-Drs. 12/6699, S. 82 f.; Lutter/Drygala (Fn. 59), § 5 Rn. 55 ff., 105 ff. m.z.w.N. 311 Das Spektrum reichte insoweit von einem Einspruchsrecht mit Sperrwirkung bis hin zu einem bloßen Anspruch auf Befriedigung oder Sicherheitsleistung, vgl. Vorentwurf 1968 (Fn. 2), S. 22; RL-E 1970 (Fn. 1), S. 13; Cordoliani JCP 1979.II.13078; Edwards S. 109; Meyer-Ladewig BB 1970, 1517, 1519 f.; Schwarz Rn. 659; Van Ommeslaghe FS Sanders, 1972, S. 123, 137 f. 312 Vgl. Art. 10 Vorentwurf 1968 (Fn. 2). 313 Vgl. BegrRegE z. VerschmRiLiG, BT-Drs. 9/1065, S. 19; Ganske DB 1981, 1551, 1555; Lösekrug (Fn. 9), S. 265. 314 Vgl. RL-E 1970 (Fn. 1), S. 13. 315 Den Mitgliedstaaten steht es aber freilich frei, auch andere Gläubiger zu schützen, vgl. RL-E 1970 (Fn. 1), S. 13. 316 Die deutsche Fassung spricht zwar von „erloschen“, hierbei handelt es sich jedoch um einen offensichtlichen Übersetzungsfehler (vgl. französisch „échues“, englisch „fallen

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Forderungen später entstanden sind, sind nicht schutzbedürftig, da sie bei Begründung der Forderung entweder Kenntnis von der Verschmelzung hatten oder diese auf Grund der Bekanntmachung zumindest hätten haben können.317 Ist der Anspruch bereits fällig, kann er also unmittelbar geltend gemacht werden, erscheint ein zusätzlicher Schutz ebenfalls nicht erforderlich. 119 Anders als noch in den RL-Entwürfen318 hat sich der Schutz nicht nur auf die Gläubiger der übertragenden, sondern auch auf die Gläubiger der übernehmenden Gesellschaft zu erstrecken. Art. 13 Abs. 3 gestattet den Mitgliedstaaten allerdings, für beide Gruppen unterschiedliche Schutzstandards vorzusehen. Hintergrund ist, dass die Gläubiger der übernehmenden Gesellschaft angesichts der Fortexistenz der übernehmenden Gesellschaft als weniger schutzbedürftig angesehen wurden.319 120 Die Festlegung der genauen Modalitäten des „angemessenen Schutzsystems“ obliegt – wie der durch die Änderungs-RL 2009/109/EG (Rn. 4) eingefügte Art. 13 Abs. 2 Unterabs. 2 S. 1 nun ausdrücklich klarstellt – grundsätzlich den Mitgliedstaaten. Art. 13 Abs. 2 Unterabs. 1 gibt lediglich einen Mindestschutzstandard 320 vor: Die Gläubiger müssen zumindest einen Anspruch auf „angemessene Garantien“ haben, wenn die finanzielle Lage der sich verschmelzenden Gesellschaften einen solchen Schutz erforderlich macht 321 und die Gläubiger nicht schon derartige Garantien haben. Die geforderten „angemessenen Garantien“ können sowohl in einem ex post als auch in einem ex ante wirkenden Anspruch auf Sicherheitsleistung bestehen.322 Nach dem Ratsprotokoll ist dem Erfordernis aber auch dann Genüge getan, wenn das Gericht nach nationalem Recht einer Verschmelzung, welche die Interessen der Gläubiger beeinträchtigen würde, nicht zustimmen darf; zudem sollen die Worte „angemessene Garantien“ auch Sondervermögen in Konkurs-, Vergleichs- oder ähnlichen

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due“ sowie die zutreffende Übersetzung in der Parallelnorm des Art. 12 Abs. 1 der 6. (Spaltungs-)RL, dazu § 22 Rn. 88), vgl. Ganske DB 1981, 1551, 1555; Grundmann Rn. 902; Lösekrug (Fn. 9), S. 265; Riesenhuber NZG 2004, 15, 22. Vgl. RL-E 1970 (Fn. 1), S. 13. Vgl. Art. 11 RL-E 1970 (Fn. 1) und RL-E 1973 (Fn. 3). Die Ausdehnung auch auf die Gläubiger der übernehmenden Gesellschaft erfolgte auf Vorschlag Belgiens, vgl. Ganske DB 1981, 1555. S. zur kontroversen Diskussion diesbezüglich auch Edwards S. 110; Keutgen Rev. prat. soc. 1979, 98, 112; Loy RTD eur. 1980, 354, 368; Van Ommeslaghe FS Sanders, 1972, S. 123, 136. Vgl. RL-E 1970 (Fn. 1), S. 13; Cordoliani JCP 1979.II.13078; Edwards S. 110; Werlauff S. 576; Wooldridge (1980) 1 Co Law 75, 78. Vgl. BGH NJW 1996, 1539; Barbaso [1984] JBL 176, 181; Bayer/J. Schmidt (Fn. 9), Rn. 101 Fn. 339; Cordoliani JCP 1979.II.13078; Habersack § 7 Rn. 25; Heenen CDE 1981, 15, 24; Simon (Fn. 42), § 22 Rn. 5; Kalss ZGR 2009, 74, 83; Keutgen Rev. prat. soc. 1979, 98, 110, 112; Loy RTD eur. 1980, 354, 368; Raaijmakers/Olthoff (2008) 5 ECL 305, 306, Riesenhuber NZG 2004, 15, 22. Dies soll nach dem Ratsprotokoll (Dok. R/2337/78, S. 2) nicht der Fall sein, wenn die finanzielle Lage der übernehmden Gesellschaft angemessenen, im nationalen Recht festgelegten Merkmalen der Zahlungsfähigkeit genügt. Vgl. auch Ganske DB 1981, 1551, 1555; Kalss ZGR 2009, 74, 83. Vgl. Ganske DB 1981, 1551, 1555; Kalss ZGR 2009, 74, 83; Tilquin (Fn. 220), n° 41.

Die Fusionsrichtlinie (3. Richtlinie)

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Verfahren erfassen.323 Mit dem durch die Änderungs-RL 2009/109/EG (Rn. 4) ebenfalls eingefügten Art. 13 Abs. 2 Unterabs. 2 S. 2 wurde das Verfahrensrecht allerdings – nach dem Vorbild von Art. 32 Abs. 1 Unterabs. 2 S. 2 der 2. (Kapital-)RL (dazu § 20 Rn. 212) – partiell harmonisiert:324 Die Gläubiger haben nun auch bei einer Verschmelzung das Recht, bei der zuständigen Verwaltungsbehörde oder dem zuständigen Gericht angemessene Sicherheiten zu beantragen, wenn sie glaubhaft machen können, dass die Befriedigung ihrer Forderungen durch die Verschmelzung gefährdet ist und sie von der Gesellschaft keine angemessenen Sicherheiten erhalten haben; die Glaubhaftmachungslast liegt also auch hier bei ihnen325. Um den Vorgaben des Art. 13 gerecht zu werden, musste in Deutschland der bis 121 dato in § 347 Abs. 1 AktG a.F. nur den Gläubigern der übertragenden Gesellschaft gewährte Anspruch auf Sicherheitsleistung grundsätzlich auch auf die Gläubiger der übernehmenden Gesellschaft ausgedehnt werden; da letztere auch dem deutschen Gesetzgeber damals noch weniger schutzwürdig erschienen, gewährte er ihnen den Anspruch auf Sicherheitsleistung unter Ausnutzung der Befugnis aus Art. 13 Abs. 3 aber nur bei Nachweis der Gefährdung der Erfüllung ihrer Forderung durch die Verschmelzung.326 In der Folgezeit setzte sich allerdings die Erkenntnis durch, dass das Gefährdungspotential für die Gläubiger des übernehmenden Rechtsträgers regelmäßig nicht geringer ist, zumal es häufig auch eher von Zufälligkeiten abhängt, welche Gesellschaft übernehmender Rechtsträger ist.327 Mit § 22 UmwG wurden beide Gläubigergruppen daher völlig gleichstellt und die Berechtigung einheitlich nur noch an die Glaubhaftmachung der Gefährdung geknüpft.328 Anders als in der RL fehlt in § 22 UmwG zwar eine ausdrückliche Begrenzung hinsichtlich des Entstehungszeitpunktes der Forderung; nach ganz h.M.329 genügt es jedenfalls, wenn der Anspruch bei Eintragung der Verschmelzung bereits begründet war, d.h. das deutsche Recht geht insoweit in zulässiger Weise über den Mindeststandard der RL (vgl. o. Rn. 118) hinaus.330 Die 6-monatige Ausschlussfrist stellt eine zulässige Konkretisierung der Vorgabe „ange-

323 Dok. R/2337/78, S. 2; vgl. auch Ganske DB 1981, 1551, 1555; Kalss ZGR 2009, 74, 83; Keutgen Rev. prat. soc. 1979, 98, 110. 324 Vgl. dazu KOM(2008) 576, S. 5 f.; Bayer/J. Schmidt BB 2010, 387, 389; dies. ZIP 2010, 953, 962; Sandhaus NZG 2009, 41, 45; Schimka/Schörghofer WBl. 2010, 110, 114. 325 Vgl. Bayer/J. Schmidt ZIP 2010, 953, 962; vgl. auch Schimka/Schörghofer WBl. 2010, 110, 114. 326 Vgl. BegrRegE z. VerschmRiLiG, BT-Drs. 9/1065, S. 19; Lösekrug (Fn. 9), S. 266; Priester NJW 1983, 1459, 1464. 327 Vgl. BegrRegE z. UmwG, BT-Drs. 12/6699, S. 92; Bayer/J. Schmidt (Fn. 9), Rn. 101; Lösekrug (Fn. 9), S. 266 f. 328 Vgl. BegrRegE z. UmwG, BT-Drs. 12/6699, S. 92; Bayer/J. Schmidt (Fn. 9), Rn. 101; Lösekrug (Fn. 9), S. 266 f. 329 Grunewald (Fn. 111), § 22 Rn. 7; Simon (Fn. 42), § 22 Rn. 26; ein Teil des Schrifttums erachtet sogar eine Begründung bis zur Bekanntmachung gem. § 19 Abs. 3 UmwG für ausreichend, so Maier-Reimer in: Semler/Stengel, UmwG, 2. Aufl. 2007, § 22 Rn. 9; Marsch-Barner (Fn. 113), § 22 Rn. 3; differenzierend Vossius (Fn. 226), § 22 Rn. 19. 330 Ausf. Lösekrug (Fn. 9), S. 273 ff.

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messener Garantien“ dar.331 § 22 Abs. 2 UmwG ist mit Blick auf das Ratsprotokoll ebenfalls richtlinienkonform.332 Da der Anspruch auf Sicherheitsleistung klagbar ist und § 22 Abs. 1 S. 2 UmwG zudem ausdrücklich vorsieht, dass die Gläubiger die Gefährdung der Erfüllung ihrer Forderung glaubhaft machen müssen, waren auch im Hinblick auf die Änderungs-RL 2009/109/EG (Rn. 4) keine Anpassungen erforderlich 333 (vgl. zur Parallelproblematik bei Art. 32 Abs. 1 Unterabs. 2 S. 2 der 2. (Kapital-)RL: § 20 Rn. 215).

b) Anleihegläubiger (Art. 14) 122 Für Anleihegläubiger enthält Art. 14 eine Sonderregelung, die denjenigen nationalen Rechtsordnungen (gedacht war speziell an das französische Recht 334) Rechnung trägt, welche die Verschmelzung von der Zustimmung einer Versammlung der Anleihegläubiger abhängig machen; solche nationalen Regelungen bleiben – wie die einleitende Passage ausdrücklich klarstellt – unberührt.335 I.Ü. ist aber auch auf Anleihegläubiger Art. 13 anzuwenden, es sei denn, eine Versammlung der Anleihegläubiger – sofern die einzelstaatlichen Rechtsvorschriften eine solche Versammlung vorsehen – oder jeder einzelne Anleihegläubiger hat der Verschmelzung zugestimmt. Wer „Anleihegläubiger“ i.S.d. Norm ist, bestimmt ausweislich des Ratsprotokolls das jeweilige nationale Recht.336 123 Das deutsche Recht, das bei Verschmelzungen kein Zustimmungserfordernis für eine Versammlung der Anleihegläubiger kennt, hielt auch i.R.d. Umsetzung der RL an der traditionellen Gleichbehandlung der Anleihegläubiger mit den „normalen“ Gläubigern fest; auch für sie gilt § 22 UmwG 337 (bis 31.12.1994: § 347 AktG a.F.).

331 Ausf. Lösekrug (Fn. 9), S. 275 f.; ferner auch Bayer/J. Schmidt (Fn. 9), Rn. 101 Fn. 339; Habersack § 7 Rn. 25; Koller (Fn. 66), S. 329. 332 Vgl. Lösekrug (Fn. 9), S. 267. Vgl. zur Parallelproblematik in Österreich auch Schimka/ Schörghofer WBl. 2010, 110, 114. 333 Vgl. Bayer/J. Schmidt BB 2010, 387, 389; dies. ZIP 2010, 953, 962; ferner (allerdings zurückhaltend) auch Sandhaus NZG 2009, 41, 45. Ebenso i.E. auch BegrRegE z. 3. UmwÄndG, BR-Drs. 485/10, S. 8; Neye/Jäckel AG 2010, 237, 238; Stöber CFL 2011, 266, 272. S. ferner zur Parallelproblematik in Österreich: Schimka/Schörghofer WBl. 2010, 110, 114. 334 Vgl. Art. L 236-13 C. com.; bis 21.9.2000: Art. 380 Loi n°66-537 (Fn. 64). 335 Vgl. RL-E 1970 (Fn. 1), S. 13; Loy RTD eur. 1980, 354, 369; Sonnenberger AG 1971, 76, 81. 336 Dok. R/2337/78, S. 3; vgl. auch Ganske DB 1981, 1551, 1555. 337 Vgl. Bayer/J. Schmidt NJW 2006, 401, 405; Lösekrug (Fn. 9), S. 267.

Die Fusionsrichtlinie (3. Richtlinie)

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c) Inhaber von Sonderrechten (Art. 15) Art. 15 normiert einen besonderen Verwässerungsschutz 338 für die Inhaber von mit Sonderrechten verbundenen Wertpapieren einer übertragenden Gesellschaft. Sie erschienen besonders schutzbedürftig, da sie einerseits von der Verschmelzung besonders betroffen sind, andererseits aber keinen Einfluss auf die Entscheidung über die Verschmelzung nehmen können.339 Mit der relativ unbestimmten Formulierung „Inhaber anderer Wertpapiere als Aktien, die mit Sonderrechten verbunden sind“ sollte offenbar der insoweit erheblichen Variationsbreite in den nationalen Rechtsordnungen Rechnung getragen werden. Nach dem Ratsprotokoll 340 sind darunter „insbesondere die Inhaber von handelund übertragbaren Rechten … zu verstehen, bei denen es sich nicht um Rechte der Gläubiger handelt, auf die bereits in Artikel 13 Bezug genommen wird“. Anhaltspunkte für die Auslegung liefern ferner Art. 13 und 14 RL-E 1970 341, die als erfasste Wertpapiere noch ausdrücklich „Schuldverschreibungen, bei denen ein Umtauschoder Bezugsrecht auf Aktien, ein Vorzugsrecht auf Zeichnung des Gesellschaftskapitals oder ein Anspruch auf Gewinnbeteiligung eingeräumt wird“ und „sonstige Zeichnungsrechte“ sowie „Anteilsscheine[n], die keinen Bruchteil des Grundkapitals darstellen“ und „Genußaktien oder ‚Genußscheine[n]‘“ genannt hatten.342 Nach dem klaren Wortlaut nicht erfasst sind dagegen Vorzugsaktien.343 Inhaber solcher Sonderrechte müssen in der übernehmenden Gesellschaft mindestens gleichwertige Rechte erhalten. Der Begriff der Gleichwertigkeit ist dabei nicht formalrechtlich, sondern wirtschaftlich zu verstehen.344 Nicht erforderlich ist z.B., dass den Inhabern von Wandelschuldverschreibungen in der übernehmenden Gesellschaft eine quotenmäßig identische Beteiligung eingeräumt wird.345 Gem. Art. 5 Abs. 2 lit. f müssen die zu gewährenden Rechte bzw. die vorgeschlagenen Maßnahmen im Verschmelzungsplan angegeben werden (vgl. bereits o. Rn. 33), damit die Betroffenen hierüber rechtzeitig informiert sind. Art. 15 Hs. 2 lässt in zwei Fällen Ausnahmen von der Gewährung gleichwertiger Rechte zu: Zum einen ist sie – gemäß dem Grundsatz „volenti non fit iniuria“ und parallel zu Art. 14 Hs. 2 (dazu o. Rn. 122) – entbehrlich im Falle einer Zustimmung

338 Vgl. BegrRegE z. VerschmRiLiG, BT-Drs. 9/1065, S. 19; Bayer/J. Schmidt (Fn. 9), Rn. 101; Ganske DB 1981, 1551, 1555; Riesenhuber NZG 2004, 15, 22; Vossius (Fn. 226), § 23 Rn. 1. 339 Vgl. Ganske DB 1981, 1551, 1555; Priester NJW 1983, 1459, 1464. 340 Vgl. Dok. R/2337/78, S. 3; BegrRegE z. VerschmRiLiG, BT-Drs. 9/1065, S. 19; Ganske DB 1981, 1551, 1555. 341 Fn. 1. 342 Vgl. auch Edwards S. 110 f. 343 Vgl. Bayer (Fn. 91), Art. 24 Rn. 18; Grunewald (Fn. 111), § 23 Rn. 2; Hüffer FS Lutter, 2000, S. 1227, 1231 ff.; Kalss (Fn. 296), § 23 Rn. 10; Marsch-Barner (Fn. 113), § 23 Rn. 4. 344 Vgl. BegrRegE z. VerschmRiLiG, BT-Drs. 9/1065, S. 19; Ganske DB 1981, 1551, 1555. 345 Vgl. BegrRegE z. VerschmRiLiG, BT-Drs. 9/1065, S. 19; Ganske DB 1981, 1551, 1555.

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zur Rechtsänderung durch eine Versammlung der Rechteinhaber (sofern eine solche Versammlung im nationalen Recht vorgesehen ist) 346 oder durch jeden einzelnen Rechteinhaber. Zum anderen bedarf es ihrer nicht, wenn die Rechteinhaber einen Anspruch auf Rückkauf ihrer Wertpapiere durch die übernehmende Gesellschaft – und so zumindest die Möglichkeit zum „exit“ – haben. 128 Für das deutsche Recht war der durch Art. 15 vorgegebene Verwässerungsschutz zwar neu347, vom Grundgedanken her aber nicht völlig fremd 348. Zur Umsetzung wurde ein neuer § 347a AktG a.F. eingefügt 349, wobei sich der Gesetzgeber mit Blick auf die unbestimmte Formulierung in der RL (dazu o. Rn. 125) entschloss, die im deutschen Recht erfassten Sonderrechte (Wandel- und Gewinnverschreibungen, Genussrechte) – wenn auch nur beispielhaft – ausdrücklich zu nennen.350 Die Regelung wurde dann in § 23 UmwG übernommen.351 Von der Umsetzung der Ausnahmeoptionen des Hs. 2 (Rn. 127) hat der Gesetzgeber bewusst abgesehen.352

IX. Verschmelzung durch Neugründung (Kapitel IV, Art. 23) 129 Wie bereits oben (Rn. 17) dargelegt, gilt das Grundmodell der RL (vgl. dazu o. Rn. 24) grundsätzlich auch für die Verschmelzung durch Neugründung. Der auf dem Vorbild des § 353 AktG a.F. beruhende 353 Art. 23 Abs. 1 Unterabs. 1 S. 1 erklärt die Art. 5–7 und 9–22 ausdrücklich auch für die Verschmelzung durch Neugründung anwendbar, wobei gem. S. 2 unter „sich verschmelzenden Gesellschaften“ oder „übertragender Gesellschaft“ die untergehenden Gesellschaften und unter „übernehmender Gesellschaft“ die neue Gesellschaft zu verstehen ist. Nicht verwiesen wird naturgemäß auf Art. 8 (dazu o. Rn. 81), da es bei der Verschmelzung durch Neugründung keine übernehmende Gesellschaft gibt, deren Zustimmung entbehrlich sein könnte.354 130 Im Hinblick auf die Problematik der Nichtigkeit bzw. Vernichtbarkeit der im Wege der Verschmelzung neu gegründeten Gesellschaft stellt Art. 23 Abs. 1 Unterabs. 1 S. 1 ausdrücklich klar, dass die diesbezüglichen allgemeinen Regeln in Art. 12 f. der 1. (Publizitäts-)RL (dazu § 19 Rn. 85 ff.) unberührt bleiben. Anders als noch

346 Auch hier war wieder speziell an das französische Recht gedacht, vgl. bereits o. Rn. 122. 347 Vgl. Bayer/J. Schmidt (Fn. 9, Rn. 101; Ganske DB 1981, 1551, 1555; Lösekrug (Fn. 9), S. 267; Priester NJW 1983, 1459, 1464. 348 Vgl. Ganske DB 1981, 1551, 1555. 349 Vgl. BegrRegE z. VerschmRiLiG, BT-Drs. 9/1065, S. 19; Bayer/J. Schmidt (Fn. 9), Rn. 101; Lösekrug (Fn. 9), S. 267; Priester NJW 1983, 1459, 1464; Schwarz Rn. 660. 350 Vgl. BegrRegE z. VerschmRiLiG, BT-Drs. 9/1065, S. 19; Lösekrug (Fn. 9), S. 267; für eine Aufzählung bereits Ganske DB 1981, 1551, 1555. 351 Vgl. BegrRegE z. UmwG, BT-Drs. 12/6699, S. 92 f. 352 Vgl. BegrRegE z. VerschmRiLiG, BT-Drs. 9/1065, S. 19; Priester NJW 1983, 1459, 1464. 353 Vgl. BegrRegE z. VerschmRiLiG, BT-Drs. 9/1065, S. 22. 354 Vgl. Lösekrug (Fn. 9), S. 290.

Die Fusionsrichtlinie (3. Richtlinie)

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im RL-E 1970 vorgesehen 355 gilt aber auch bei der Verschmelzung durch Neugründung der besondere verschmelzungsspezifische Bestandsschutz gem. Art. 22, da man die allgemeinen Regeln insofern letztlich offenbar doch nicht für ausreichend erachtete.356 Art. 23 Abs. 1 Unterabs. 2 und Abs. 2 ergänzen die allgemeine Verweisung auf 131 die Regeln über die Verschmelzung durch Aufnahme um zwei wichtige Sonderregeln: Art. 23 Abs. 1 Unterabs. 2 stellt ausdrücklich klar, dass auch auf die neue Gesellschaft Art. 5 Abs. 2 lit. a (dazu o. Rn. 29) anzuwenden ist; denn im Falle der Verschmelzung durch Neugründung ist natürlich nicht nur die Information über Rechtsform, Firma und Sitz der übertragenden Gesellschaften, sondern gerade auch der neuen Gesellschaft essentiell.357 Art. 23 Abs. 2 erstreckt den Gegenstand der Verschmelzungsbeschlüsse (dazu o. Rn. 78) zusätzlich auch auf die Satzung der neuen Gesellschaft (bzw. deren Entwurf), da diese schließlich deren „Verfassung“ bildet. Da die übertragenden Gesellschaften im Falle der Verschmelzung durch Neugrün- 132 dung als „Sacheinlagen“ in die neue Gesellschaft eingebracht werden, sind grundsätzlich die Regeln der 2. (Kapital-)RL über Sacheinlagen (dazu ausf. § 20 Rn. 40 ff.) anzuwenden, insbesondere auch das Erfordernis einer Wertprüfung durch Sachverständige (Art. 10 der 2. (Kapital-)RL, dazu § 20 Rn. 46 ff.).358 Damit kommt es jedoch letztlich zu einer doppelten Prüfung und Berichterstattung: nach Art. 10 der 2. (Kapital-)RL einerseits und Art. 23 i.V.m. 10 der 3. (Fusions-)RL anderseits. Schon die ursprüngliche Fassung der RL gestattete den Mitgliedstaaten daher im Interesse einer Aufwands- und Kostenreduktion durch Art. 23 Abs. 4 a.F., auf Prüfung und Bericht nach Art. 10 der 2. (Kapital-)RL zu verzichten. Durch die Änderungs-RL 2009/109/EG (Rn. 4) wurde diese Dispensoption in Art. 10 Abs. 5 der 2. (Kapital-)RL überführt, der nun als zentrale Regelung (auch im Hinblick auf die Parallelproblematik bei der Spaltung und der grenzüberschreitenden Verschmelzung) fungiert (dazu bereits § 20 Rn. 52 sowie noch § 22 Rn. 107 und § 23 Rn. 77; zur Parallelregelung in Art. 27 Abs. 3 n.F. der 2. (Kapital-)RL bereits § 20 Rn. 175 sowie o. Rn. 61 und § 22 Rn. 52).359 Die Vorschrift eröffnet den Mitgliedstaaten zudem nun ausdrücklich360 auch die – bislang nur für Spaltungen speziell geregelte (dazu § 22 Rn. 107) – Alternative, am Erfordernis auch einer Wertprüfung nach Art. 10 der 2. (Kapital-)RL zwar prinzipiell festzuhalten, aber durch Zulassung einer Identität der jeweiligen Prüfer zumindest eine gewisse Erleichterung zu ermöglichen.361

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Vgl. Art. 19 RL-E 1970 (Fn. 1) (Begründung dazu auf S. 15). Vgl. Lösekrug (Fn. 9), S. 289; Meyer-Ladewig BB 1970, 1517, 1520. Vgl. auch Lösekrug (Fn. 9), S. 290. Vgl. Lösekrug (Fn. 9), S. 290. Vgl. KOM(2008) 576, S. 9; Bayer/J. Schmidt BB 2010, 387, 389; dies. ZIP 2010, 953, 956; Sandhaus NZG 2009, 41, 46; Schimka/Schörghofer WBl. 2010, 110, 115. 360 Einer Personenidentität dürfte allerdings auch bislang nichts entgegengestanden haben, vgl. Bayer/J. Schmidt ZIP 2010, 953, 956, 962. 361 Vgl. Bayer/J. Schmidt BB 2010, 387, 389; Bayer/J. Schmidt ZIP 2010, 953, 956; Sandhaus NZG 2009, 41, 46; Schimka/Schörghofer WBl. 2010, 110, 115.

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Da die „Verweisungslösung“ des Art. 23 auf dem deutschem Vorbild des § 353 AktG a.F.362 beruht (vgl. bereits o. Rn. 129), mussten durch das VerschmRiLiG nur einige Verweisungen angepasst werden.363 Seit 1.1.1995 finden sich die maßgeblichen Vorschriften in §§ 36–38, 73 ff. UmwG, mit den Generalverweisungsnormen in §§ 36 Abs. 1 S. 1, 73 UmwG.364 Art. 23 Abs. 1 Unterabs. 2 wurde zunächst durch §§ 353 Abs. 1, 340 Abs. 2 Nr. 1 AktG a.F.365, seit 1.1.1995 durch §§ 36 Abs. 1 S. 1, 5 Abs. 1 Nr. 1 UmwG umgesetzt 366; die Vorgaben des Art. 23 Abs. 2 waren durch § 353 Abs. 3 Akt a.F. bereits gewährleistet 367, seit 1.1.1995 regelt dies § 37 UmwG 368. Auf Grund der Option des Art. 23 Abs. 4 a.F. (jetzt Art. 10 Abs. 5 S. 1 der 2. (Kapital-RL)) konnte der Gesetzgeber auch an der Entbehrlichkeit der Gründungsprüfung (§ 353 Abs. 4 S. 1 AktG a.F., seit 1.1.1995: § 75 Abs. 2 UmwG) festhalten 369; durch das 3. UmwÄndG (Rn. 6) wurde nun auch die Zulässigkeit einer Identität der Prüfer ausdrücklich klargestellt (vgl. § 75 Abs. 1 S. 2 UmwG n.F.) 370, 371.

X. Konzernverschmelzungen (Art. 24–31) 134 Art. 24–31 enthalten Sonderregelungen zur Erleichterung von Konzernverschmelzungen, allerdings nur für die Fälle des sog. upstream-merger einer 100%igen Tochtergesellschaft (Art. 24–26) oder einer mindestens 90%igen Tochtergesellschaft (Art. 27–29) auf die Mutter. Ratio ist, dass viele verfahrensrechtliche Anforderungen primär dem Schutz außenstehender Aktionäre dienen und daher im Falle der Aufnahme einer 100%igen Tochter keine und im Falle einer mindestens 90%igen Tochter zumindest nur verminderte Bedeutung haben (vgl. u. Rn. 137, 142). Daneben wollte man damit aber wohl insbesondere auch den Bedürfnissen der Praxis Rechnung tragen, für die konzerninterne Verschmelzungen – die in der Praxis nach wie vor den Regelfall darstellen 372 – enorme Bedeutung haben.373

362 363 364 365 366 367 368 369 370

Die Verweisungslösung fand sich allerdings bereits in § 247 AktG 1937. Näher BegrRegE z. VerschmRiLiG, BT-Drs. 9/1065, S. 22; Lösekrug (Fn. 9), S. 290 f. Vgl. BegrRegE z. UmwG, BT-Drs. 12/6699, S. 96 f., 105; Lösekrug (Fn. 9), S. 291 f. BegrRegE z. VerschmRiLiG, BT-Drs. 9/1065, S. 22; Lösekrug (Fn. 9), S. 291 f. Vgl. Lösekrug (Fn. 9), S. 291 f. BegrRegE z. VerschmRiLiG, BT-Drs. 9/1065, S. 22; Lösekrug (Fn. 9), S. 290. Vgl. Lösekrug (Fn. 9), S. 292. Vgl. Lösekrug (Fn. 9), S. 293 f. Vgl. BegrRegE z. 3. UmwÄndG, BR-Drs. 485/10, S. 14; Bayer/J. Schmidt ZIP 2010, 953, 956 f.; Heckschen NZG 2010, 1041, 1046; Wagner DStR 2010, 1629, 1631. 371 Problematisch ist jedoch, dass § 75 Abs. 2 UmwG den Dispens – anders als die RL – seinem Wortlaut nach selbst dann vorsieht, wenn im konkreten Fall gar keine Verschmelzungsprüfung erfolgt bzw. kein Verschmelzungsprüfungsbericht erstellt wird; insoweit ist eine richtlinienkonforme Auslegung (Reduktion) geboten, vgl. auch bereits Bayer/ J. Schmidt ZIP 2010, 953, 957; zum Problem ferner auch Leitzen DNotZ 2011, 526, 541. 372 Vgl. nur Simon (Fn. 42), § 2 Rn. 4; Stengel (Fn. 70), § 2 Rn. 20; und s. schon Lutter/Timm NJW 1982, 409, 413; Priester NJW 1983, 1459, 1465. 373 Vgl. auch Lösekrug (Fn. 9), S. 295; Priester NJW 1983, 1459, 1465; Schwarz Rn. 662, 667.

Die Fusionsrichtlinie (3. Richtlinie)

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1. Verschmelzung einer 100%igen Tochter (Art. 24–26) Art. 24 S. 1 verpflichtet die Mitgliedstaaten zunächst in Ergänzung des allgemeinen Regelungsauftrags des Art. 2 (dazu o. Rn. 11) ausdrücklich, auch den upstreammerger einer 100%igen 374 Tochtergesellschaft (oder mehrerer 100%iger Tochtergesellschaften) auf die Mutter zu regeln. Hintergrund ist, dass es in diesem Fall naturgemäß nicht zur – für die Verschmelzung i.S.d. RL jedoch an sich charakteristischen (vgl. o. Rn. 16, 91, 92) – Gewährung von Aktien kommt (vgl. auch Art. 19 Abs. 2 lit. a, dazu o. Rn. 95 sowie u. Rn. 136), weshalb einige Verhandlungsdelegationen eine entsprechende ausdrückliche Regelung für erforderlich hielten.375 Gem. Art. 24 S. 2 sind auch auf einen solchen upstream-merger einer 100%igen Tochter auf die Mutter grundsätzlich die allgemeinen Regeln des Kapitels III, d.h. der Art. 5–22, anzuwenden. Gem. Art. 24 S. 3 ausgenommen sind jedoch – da ja gerade kein Aktientausch stattfindet (vgl. bereits o. Rn. 95, 136) – Art. 19 Abs. 1 lit. b376 (dazu näher o. Rn. 94) sowie die entsprechenden Angaben im Verschmelzungsplan (Art. 5 Abs. 2 lit. b, c und d; vgl. bereits o. Rn. 28).377 Darüber hinaus besteht bei Konzernverschmelzungen i.S.d. Art. 24 S. 1 aber auch kein Bedürfnis für spezielle Schutzinstrumente zugunsten außenstehender Aktionäre, da solche bei der übertragenden Gesellschaft ja definitionsgemäß gerade nicht existieren.378 Gem. Art. 24 S. 3 ist daher auch kein Verschmelzungsbericht (Art. 9, dazu o. Rn. 42 ff.) und keine Verschmelzungsprüfung (Art. 10, dazu o. Rn. 51 ff.) erforderlich; zudem entfällt konsequenterweise auch die entsprechende Vorabinformation (Art. 11 Abs. 1 lit. d und e, dazu o. Rn. 64 ff.) und die diesbezügliche Haftung der Organe und Sachverständigen (Art. 20 f., dazu o. Rn. 105 ff.). Gem. Art. 25 sind ferner ggf. auch die Hauptversammlungsbeschlüsse (Art. 7, dazu o. Rn. 63, 76 ff.) entbehrlich. Bedingung hierfür ist aber, dass (a) die Offenlegung gem. Art. 6 (dazu o. Rn. 38 ff.) für alle beteiligten Gesellschaften mindestens einen Monat vor der Wirksamkeit der Verschmelzung bewirkt wird, (b) die Aktionäre der übernehmenden Gesellschaft mindestens einen Monat vor dem Wirksamwerden der Verschmelzung die Möglichkeit zur Vorabinformation entsprechend Art. 11 (dazu o. Rn. 64 ff.) haben, und (c) einer Aktionärsminderheit (Quorum max. 5 %) entspre-

374 Erforderlich sind nicht nur 100 % der Aktien, sondern auch aller sonstigen Anteile, die ein Stimmrecht gewähren; damit wurde Besonderheiten des belgischen und luxemburgischen Rechts Rechnung getragen, vgl. Vorentwurf 1968 (Fn. 2), S. 41. 375 Vgl. Vorentwurf 1968 (Fn. 2), S. 40 f.; RL-E 1970 (Fn. 1), S. 10, 15; Cordoliani JCP 1979.II.13078; Ganske DB 1981, 1551, 1557; Meyer-Ladewig BB 1970, 1517, 1520; van Ommeslaghe ZHR 132 (1969) 201, 209. 376 Insoweit handelt es sich allerdings letztlich nur um eine – an sich überflüssige – Klarstellung, da sich dessen Nichtanwendbarkeit bereits aus Art. 19 Abs. 2 lit. a ergibt, vgl. bereits o. Rn. 95. 377 Vgl. Edwards S. 103; Grundmann Rn. 887; Schwarz Rn. 664. 378 Vgl. schon Vorentwurf 1968 (Fn. 2), S. 40; Habersack § 7 Rn. 11; Keutgen Rev. prat. soc. 1979, 98, 118; Lösekrug (Fn. 9), S. 295; Loy RTD eur. 1980, 354, 364.

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chend Art. 8 Abs. 1 lit. c (dazu o. Rn. 81) das Recht auf Herbeiführung einer Beschlussfassung eingeräumt wird. 139 Ursprünglich waren diese Dispensregelungen noch lediglich Optionen für die Mitgliedstaaten (vgl. Art. 24 S. 2379, 25 a.F.) 380, von denen allerdings sehr wenige (vollständig oder auch nur teilweise) Gebrauch machten.381 Auf Grund des hieraus für die betroffenen Unternehmen resultierenden enormen Aufwands und der erheblichen Kosten 382 wurden die Regelungen daher kürzlich durch die Änderungs-RL 2009/109/ EG (Rn. 4) – übrigens trotz des ausdrücklichen Protests der deutschen und österreichischen Delegationen383 – zwingend ausgestaltet.384 140 Der auf britischen und irischen Wunsch zurückgehende 385 Art. 26 gestattet 386 den Mitgliedstaaten, die Erleichterungen der Art. 24 S. 3 und 25 auch auf Fälle auszudehnen, in denen die Aktien und sonstigen stimmberechtigten Anteile der übertragenden Gesellschaft nicht allein von der übernehmenden Gesellschaft, sondern entweder vollständig oder zumindest teilweise auch durch Personen gehalten werden, die diese Aktien oder Anteile im eigenen Namen, aber für Rechnung der übernehmenden Gesellschaft halten – also auf Fälle einer nur „wirtschaftlichen“ 100 %-Beteiligung387.

379 Art. 24 S. 2 a.F. war insofern etwas unglücklich formuliert, denn optional konnten natürlich nur die Ausnahmen von Art. 9, 10, 11 Abs. 1 lit. d und e, 20 und 21 sein; Art. 5 Abs. 2 lit. b–d und Art. 19 Abs. 1 lit. b laufen dagegen in den Fällen des Art. 24 S. 1 ohnehin leer (vgl. auch o. Rn. 136). 380 Vgl. KOM(2008) 576, S. 8; SEC(2008) 2486, S. 33, 67 ff.; Freytag BB 2010, 1611, 1612 f.; Grundmann/Möslein (Fn. 279), Rn. 934; Keutgen Rev. prat. soc. 1979, 98, 118; Lösekrug (Fn. 9), S. 295 ff.; teilweise unzutreffend insofern Habersack § 7 Rn. 11, der von einem zwingenden Charakter des Art. 24 S. 2 a.F. ausgeht. 381 Vgl. KOM(2008) 576, S. 5; SEC(2008) 2486, S. 20 (mit Übersicht über die einzelnen Mitgliedstaaten auf S. 67 f.). 382 Nach Schätzungen der Kommission führt die zwingende Ausgestaltung aller bisherigen Optionen (vgl. dazu auch Rn. 145) in den Art. 24 f., 27 f. EU-weit zu Kosteneinsparungen von ca. 147,21 Mio. €/Jahr, vgl. SEC(2008) 1486, S. 34. 383 Vgl. Dok. 12396/09 ADD 1, S. 8 f.; Neye FS Hopt, 2010, S. 1079, 1086 ff.; Neye/Jäckel AG 2010, 237, 239. Begründet wurde dies mit der Unvereinbarkeit des Entfallens des Hauptversammlungsbeschlusses der übertragenden Gesellschaft mit der Kompetenzverteilung des deutschen und österreichischen Aktienrechts. 384 Vgl. dazu KOM(2008) 576, S. 5; BegrRegE z. 3. UmwÄndG, BR-Drs. 485/10, S. 10; Bayer/J. Schmidt BB 2010, 387, 389; dies. ZIP 2010, 953, 958; Freytag BB 2010, 1611, 1613; Neye/Jäckel AG 2010, 237, 239; Sandhaus NZG 2009, 41, 45; Schimka/Schörghofer WBl. 2010, 110, 115. 385 Vgl. Ganske DB 1981, 1551, 1557. Hintergrund ist, dass Aktien dort sehr häufig durch sog. nominee shareholders (Treuhänder) gehalten werden, vgl. nur Edwards (1998) 19 Co Law 211, 214. 386 I.R.d. Gesetzgebungsverfahrens zur Änderungs-RL 2009/109/EG hatte die Kommission anfänglich vorgeschlagen, auch Art. 26 zwingend auszugestalten (vgl. KOM(2008) 576, S. 14); das EP wollte aber am optionalen Charakter festhalten und strich die Änderung wieder, nachdem insbesondere auch von deutscher Seite Bedenken geltend gemacht worden waren (vgl. EP [Fn. 105]); vgl. auch Bayer/J. Schmidt ZIP 2010, 953, 961 Fn. 137; Neye FS Hopt, 2010, S. 1079, 1088 f.; Neye/Jäckel AG 2010, 237, 238. 387 Vgl. Bayer/J. Schmidt ZIP 2010, 953, 961 f.

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Im deutschen Recht bestanden vor der RL sogar zwei verschiedene Wege für den 141 upstream-merger einer 100%igen Tochter auf die Mutter: die reguläre Verschmelzung gem. §§ 339 ff. AktG a.F. und die sog. verschmelzende Umwandlung gem. §§ 1, 15 UmwG 1956388.389 Letztere wurde wegen ihrer geringen Anforderungen (erforderlich war nur ein Beschluss bei der Tochter und die Eintragung in deren Handelsregister) in der Praxis eindeutig bevorzugt 390, entsprach aber bei Weitem nicht den Anforderungen der RL und wurde deshalb im Zuge des VerschmRiLiG (Rn. 6) – auch um künftig eine Doppelregelung zu vermeiden – ersatzlos gestrichen 391. Die Ausnahme vom Anteilstausch wurde in § 346 Abs. 4 S. 3 Hs. 2 AktG a.F.392, die Entbehrlichkeit der Angaben im Verschmelzungsvertrag im neu eingefügten § 352b Abs. 2 AktG a.F. geregelt 393. I.Ü. machte der Gesetzgeber von den – damals noch optionalen (vgl. o. Rn. 139) – Erleichterungen der Art. 24 S. 2, 25 a.F. allerdings nur partiell Gebrauch: § 352b AktG a.F. machte nur die Verschmelzungsprüfung (nicht aber den Verschmelzungsbericht) 394 und den Hauptversammlungsbeschluss der übernehmenden (nicht aber auch der übertragenden) Gesellschaft 395 entbehrlich. Im UmwG wurde die Ausnahme vom Anteilstausch in § 20 Abs. 1 Nr. 3 S. 1 Hs. 2 UmwG, die Entbehrlichkeit der Angaben in § 5 Abs. 2 UmwG geregelt. Zudem wurde nicht mehr nur die Verschmelzungsprüfung 396, sondern auch der Verschmelzungsbericht397 für entbehrlich erklärt (§§ 8 Abs. 3 S. 1 Alt. 2, 9 Abs. 3 UmwG). § 62 UmwG machte zwar nach wie vor nur den Hauptversammlungsbeschluss der übernehmenden Gesellschaft entbehrlich 398, brachte aber immerhin endlich eine richtlinienkonforme Umsetzung der in Art. 25 normierten Bedingungen399. Der durch die Änderungs-RL 2009/109/EG

388 Gesetz über die Umwandlung von Kapitalgesellschaften und bergrechtlichen Gewerkschaften v. 12.11.1956, BGBl. I, 844. Neubekanntmachung v. 6.11.1969: BGBl I, 2081. 389 Vgl. BegrRegE z. VerschmRiLiG, BT-Drs. 9/1065, S. 24. 390 Vgl. BegrRegE z. VerschmRiLiG, BT-Drs. 9/1065, S. 24 f.; Priester NJW 1983, 1459, 1465 f.; Schwarz Rn. 667. 391 Vgl. BegrRegE z. VerschmRiLiG, BT-Drs. 9/1065, S. 24 ff.; Bayer/J. Schmidt (Fn. 9), Rn. 93; Lösekrug (Fn. 9), S. 219; Priester NJW 1983, 1459, 1466; Schwarz Rn. 644, 667. 392 Vgl. BegrRegE z. VerschmRiLiG, BT-Drs. 9/1065, S. 18. 393 Vgl. BegrRegE z. VerschmRiLiG, BT-Drs. 9/1065, S. 20; Priester NJW 1983, 1459, 1465. 394 Vgl. dazu BegrRegE z. VerschmRiLiG, BT-Drs. 9/1065, S. 20; Lösekrug (Fn. 9), S. 296; Priester NJW 1983, 1459, 1465; gegen einen Verzicht auf den Verschmelzungsbericht bereits Ganske DB 1981, 1551, 1557. 395 Auch dies gelangte (auf Anregung des Bundesrates, vgl. BR-Drs. 344/81(B), S. 8) erst durch den Rechtsausschuss ins Gesetz, vgl. Bericht Rechtsausschuss z. VerschmRiLiG, BT-Drs. 9/1785, S. 24; Priester NJW 1983, 1459, 1465. 396 Vgl. dazu BegrRegE z. UmwG, BT-Drs. 12/6699, S. 84. 397 Allerdings erst durch den Rechtssauschuss, vgl. dazu Bericht Rechtsausschuss z. UmwG, BT-Drs. 12/7850, S. 142. 398 Der RegE hatte dies sogar noch weiter einschränken wollen, der RA kehrte dann auf Druck der Praxis hin aber doch wieder zur Lösung des § 352b AktG a.F. zurück, vgl. Bericht Rechtsausschuss z. UmwG, BT-Drs. 12/7850, S. 142 f.; Diekmann (Fn. 128), § 62 Rn. 3; Grunewald (Fn. 111), § 62 Rn. 1. 399 Vgl. dazu BegrRegE z. UmwG, BT-Drs. 12/6699, S. 103; Habersack FS Horn, 2006, S. 337, 340; Lösekrug (Fn. 9), S. 306 f.; zur Problematik der mangelhaften Umset-

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(Rn. 4) erfolgten zwingenden Ausgestaltung des Art. 25 wurde mit dem 3. UmwÄndG (Rn. 6) durch Einfügung eines neuen § 62 Abs. 4 UmwG Rechnung getragen.400 Von der Option des Art. 26 wird dagegen – offenbar aus Gründen der Rechtssicherheit 401 – auch weiterhin kein Gebrauch gemacht.402

2. Verschmelzung einer mindestens 90%igen Tochter (Art. 27–29) 142 Da die wirtschaftlichen Auswirkungen auf Aktionäre und Gläubiger auch bei upstream-mergers einer zwar nicht 100%igen, aber mindestens 90%igen Tochtergesellschaft (oder mehrerer mindestens 90%iger Tochtergesellschaften) auf die Mutter geringer sind als bei der Verschmelzung unabhängiger Rechtsträger 403, sehen die Art. 27 und 28 auch hierfür Erleichterungen vor, die allerdings nicht ganz so weitgehend sind wie diejenigen für den upstream-merger einer 100%igen Tochter. Art. 29 gestattet den Mitgliedstaaten in Parallele zu Art. 26 (dazu o. Rn. 140) diese Erleichterungen auch auf Fälle einer nur „wirtschaftlichen“ mindestens 90%igen Beteiligung auszudehnen. 143 Nach Art. 27 ist ggf. kein Hauptversammlungsbeschluss der übernehmenden Gesellschaft erforderlich. Die Voraussetzungen für den Dispens entsprechen denjenigen der Parallelregelung des Art. 25 (dazu o. Rn. 138), beziehen sich aber – da das Erfordernis des Hauptversammlungsbeschlusses bei der/den übertragenden Gesellschaft(en) hier anders als bei Art. 25 unberührt bleibt – ausschließlich auf die übernehmende Gesellschaft und deren Aktionäre 404.

400

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402 403 404

zung durch § 352b AktG a.F. ausf. Lehmann DB 1984, 333, 334 ff.; Schmahl NJW 1991, 2610 ff. Vgl. dazu BegrRegE z. 3. UmwÄndG, BR-Drs. 485/10, S. 10 f.; Bericht Rechtsausschuss z. 3. UmwÄndG, BT-Drs. 17/5930, S. 8; Bayer/J. Schmidt ZIP 2010, 953, 958 f.; Diekmann NZG 2010, 489 f.; Freytag BB 2010, 1611, 1612 ff.; ders. BB 2010, 2839, 2840; Frey tag/Müller-Etienne BB 2011, 1731, 1732; Heckschen NZG 2010, 1041, 1043 f.; ders. NJW 2011, 2390, 2391; Ising NZG 2010, 1403, 1405 f.; Leitzen DNotZ 2011, 526, 533 ff.; Neye/Jäckel AG 2010, 237, 239 f.; Simon/Merkelbach DB 2011, 1317, 1319 f.; Stöber CFL 2011, 266, 270 f.; Wagner DStR 2010, 1629, 1630. Nach h.M. erfassen §§ 8 Abs. 3 S. 1 Alt. 2, 9 Abs. 3, 62 UmwG aus Gründen der Rechtssicherheit nur Fälle des unmittelbaren Beteiligungsbesitzes (vgl. Gehling in: Semler/ Stengel, UmwG, 2. Aufl. 2007, § 8 Rn. 74; Habersack FS Horn, 2006, S. 337, 348 f.; Zeidler (Fn. 158), § 9 Rn. 49; Diekmann (Fn. 128), § 62 Rn. 11; Grunewald (Fn. 111), § 62 Rn. 3, jeweils m.w.N.); schon von daher wäre es paradox, eine bloß „wirtschaftliche“ Inhaberstellung genügen zu lassen. Ausdrücklich gegen die Erfassung einer solchen i.E. auch Rieger (Fn. 196), § 62 Rn. 10; Simon (Fn. 42), § 62 Rn. 11 f. Dazu auch (zustimmend) Bayer/J. Schmidt ZIP 2010, 953, 962. Vgl. Erwägungsgrund 10 der RL 2009/109/EG (Rn. 4). Vgl. Lösekrug (Fn. 9), S. 299.

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Nach Art. 28, der auf dem Vorbild der §§ 12, 13, 15 UmwG 1956 405 beruht 406, sind 144 ferner ggf. auch der Verschmelzungsbericht (Art. 9, dazu o. Rn. 42 ff.), die Verschmelzungsprüfung (Art. 10, dazu o. Rn. 51 ff.) und die Vorabinformation gem. Art. 11407 (dazu o. Rn. 64 ff.) entbehrlich. Obgleich hier (anders als in Art. 24 S. 3, dazu o. Rn. 136) nicht ausdrücklich genannt, entfällt dann natürlich konsequenterweise auch die Haftung der Sachverständigen (Art. 21, dazu o. Rn. 105 ff.) sowie der Organe gem. Art. 20 (jedenfalls soweit diese an falsche Angaben im Verschmelzungsbericht anknüpft, vgl. dazu o. Rn. 106). Bedingung für das Entfallen dieser Anforderungen ist jedoch, dass das nationale Recht ein Sell-out-Recht zugunsten der Minderheitsaktionäre vorsieht, d.h. dass die Minderaktionäre der übertragenden Gesellschaft ihre Aktien zu einem deren Wert entsprechenden Entgelt von der übernehmenden Gesellschaft aufkaufen lassen können (lit. a und b) und dass das Entgelt für den Fall, dass hierüber keine Einigung erzielt wird, durch ein Gericht oder eine Verwaltungsbehörde festgesetzt werden kann (lit. c). Insofern kommt es also zu einem Wechsel des Schutzkonzepts: An die Stelle des a-priori-Schutzes durch Information tritt ein ex-post-Schutz durch ein Recht zum exit.408 Ebenso wie Art. 24 S. 2, 25 a.F. (dazu o. Rn. 139) waren auch Art. 27 und 28 ur- 145 sprünglich lediglich Mitgliedstaatenoptionen.409 Im Interesse einer Reduzierung von Aufwand und Kosten für die Unternehmen wurden jedoch auch sie durch die Änderungs-RL 2009/109/EG (Rn. 4) – auch insoweit unter ausdrücklichem Protest der österreichischen und deutschen Delegation410 – zwingend ausgestaltet.411 Allerdings wurde zugleich ein neuer Art. 28 Abs. 2 eingefügt 412, der die Mitgliedstaaten von der Anwendung des Art. 28 Abs. 1 entbindet, wenn die übernehmende Gesellschaft nach

405 Fn. 388. 406 Vgl. Bayer/J. Schmidt ZIP 2010, 953, 960; Ganske DB 1981, 1551, 1557. 407 Im Gegensatz zu Art. 24 S. 3 referenziert Art. 28 ausdrücklich den gesamten Art. 11 (und nicht nur die Angaben nach Art. 11 lit. d und e), vgl. auch Kiefner/Brügel AG 2011, 525, 530. Der Umstand, dass dies i.R.d. kürzlich erfolgten Reform (dazu u. Rn. 145) auch nicht geändert wurde, spricht dafür, dass es sich insoweit auch nicht um ein Redaktionsversehen, sondern um eine bewusste Entscheidung handelt. Endgültige Klarheit hierüber könnte freilich nur eine Entscheidung des EuGH schaffen. 408 Vgl. Bayer/J. Schmidt ZIP 2010, 953, 959; Kalss JBl. 1995, 420, 427. 409 Vgl. KOM(2008) 576, S. 8; SEC(2008) 2486, S. 33, 67 ff.; Bayer/J. Schmidt ZIP 2010, 953, 958; Freytag BB 2010, 1611, 1616; Habersack § 7 Rn. 11; Keutgen Rev. prat. soc. 1979, 98, 118 f.; Kiefner/Brügel AG 2011, 525, 526; Lösekrug (Fn. 9), S. 299 ff. 410 Vgl. Dok. 12396/09 ADD 1, S. 8 f.; Neye FS Hopt, 2010, S. 1079, 1088 ff. Begründet wurde dies damit, dass das in Art. 28 vorgesehene Sell-out-Recht dem deutschen Aktienrecht bislang unbekannt und die Minderheitsaktionäre anderweitig ausreichend abgesichert seien. 411 Vgl. dazu KOM(2008) 576, S. 5; Bayer/J. Schmidt BB 2010, 387, 389; dies. ZIP 2010, 953, 958; Kiefner/Brügel AG 2011, 525, 526; Neye/Jäckel AG 2010, 237, 240; Sandhaus NZG 2009, 41, 45; Schimka/Schörghofer WBl. 2010, 110, 115; Wagner DStR 2010, 1629, 1633; vgl. aber auch Freytag BB 2010, 1611, 1615 ff. 412 Die Regelung war im ursprünglichen Kommissionsentwurf (KOM(2008) 576) noch nicht vorgesehen, sondern wurde erst durch das EP ergänzt (vgl. EP [Fn. 105]); vgl. Bayer/J. Schmidt ZIP 2010, 953, 959.

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nationalem Recht dazu berechtigt ist, ohne ein vorheriges Übernahmeangebot von allen verbleibenden Minderheitsaktionären der übertragenden Gesellschaft(en) zu verlangen, ihr diese Anteile vor der Verschmelzung zu einem angemessenen Preis zu verkaufen, d.h. wenn das nationale Recht der übernehmenden Gesellschaft die Möglichkeit zu einem „pre-merger Squeeze-out“ gibt 413. 146 Deutschland hat Art. 27 zunächst durch § 352b Abs. 1 AktG a.F.414, seit 1.1.1995 durch § 62 UmwG 415 umgesetzt. Art. 28 wurde dagegen nicht umgesetzt; Grund hierfür war wohl nicht zuletzt auch, dass das deutsche Recht nach der im Zuge des VerschmRiLiG (Rn. 6) erfolgten Abschaffung der verschmelzenden Umwandlung (s.o. Rn. 141) ein Austrittsrecht gegen Barabfindung nur noch bei sog. Mischverschmelzungen vorsah, so dass die Voraussetzungen des Art. 28 für den Dispens schon gar nicht gegeben gewesen wären. Mit Blick auf die durch die Hochstufung des Art. 28 zur verbindlichen Vorgabe (vgl. o. Rn. 145) notwendig gewordene Anpassung des deutschen Rechts hat sich der Gesetzgeber mit dem 3. UmwÄndG (Rn. 6) zu Recht 416 für die Option eines verschmelzungsspezifischen Squeeze-out entschieden, der in einem neuen § 62 Abs. 5 UmwG geregelt und verfahrensmäßig weitgehend an §§ 327a ff. AktG angelehnt wurde 417. Von der Option des Art. 29 wird dagegen – ebenso wie bei der Parallelregelung in Art. 26 (vgl. o. Rn. 140 f.) – auch weiterhin kein Gebrauch gemacht.418 XI. Fundstellenverzeichnis Grundlage:

Art. 50 Abs. 2 lit. g AEU [G Art. 44 Abs. 2 lit. g EG G Art. 54 Abs. 3 lit. g EWG]

Vorschläge:

Les fusions internes. Document de travail n° 6. Avant-projet de directive, 10.4.1968, Dok. 11409/2/XIV/C/68 – F

413 Vgl. Bayer/J. Schmidt ZIP 2010, 953, 959; s. ferner auch Austmann NZG 2011, 684, 686; Kiefner/Brügel AG 2011, 525, 526. 414 Auch dies gelangte (auf Anregung des Bundesrates) erst durch den Rechtsausschuss ins Gesetz, vgl. Bericht Rechtsausschuss z. VerschmRiLiG, BT-Drs. 9/1785, S. 24. 415 S. dazu Fn. 398. 416 Dazu ausf. Bayer/J. Schmidt ZIP 2010, 953, 959 f.; ebenso i.E. auch BDI, Stellungnahme v. 30.4.2010 (abrufbar über www.bdi.eu), S. 4; BDI, Stellungnahme v. 3.11.2010 (abrufbar über www.bdi.eu), S. 5; Freytag BB 2010, 1611, 1617; Handelsrechtsausschuss des DAV NZG 2010, 614, 615; Wagner DStR 2010, 1629, 1633. 417 Vgl. dazu BegrRegE z. 3. UmwÄndG, BR-Drs. 485/10, S. 11 ff.; Bericht Rechtsausschuss z. 3. UmwÄndG, BT-Drs. 17/5930, S. 8; Austmann NZG 2011, 684 ff.; Bayer/J. Schmidt ZIP 2010, 953, 960 f.; Bungert/Wettich DB 2010, 2545 ff.; dies. DB 2011, 1500 ff.; Diekmann NZG 2010, 489, 490; Freytag BB 2010, 1611, 1615; ders. BB 2010, 2839, 2841 f.; Freytag/Müller-Etienne BB 2011, 1731 ff.; Göthel ZIP 2011, 1541 ff.; Handelsrechtsausschuss des DAV NZG 2010, 614, 615; Heckschen NZG 2010, 1041, 1044 f.; ders. NJW 2011, 2390, 2391 ff.; Kiefner/Brügel AG 2011, 525 ff.; Klie/Wind/Rödter DStR 2011, 1668 ff.; Leitzen DNotZ 2011, 526, 537 ff.; Neye/Jäckel AG 2010, 237, 240; Neye/Kraft NZG 2011, 681, 682 f.; Rubner CFL 2011, 274 ff.; Simon/Merkelbach DB 2011, 1317, 1320 ff.; Wagner DStR 2010, 1629, 1633 ff. 418 Vgl. dazu (zustimmend) Bayer/J. Schmidt ZIP 2010, 953, 961 f.

Die Fusionsrichtlinie (3. Richtlinie)

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Vorschlag für eine Dritte Richtlinie des Rates zur Koordinierung der Schutzbestimmungen, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Sinne des Artikels 58 Absatz 2 des Vertrages im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter bei Fusionen von Aktiengesellschaften vorgeschrieben sind, 16.6.1970, ABlEG v. 14.7.1970, C 89/20 = BT-Drs. VI/1027 Erster geänderter Vorschlag v. 4.1.1973, KOM(72) 1668 Zweiter geänderter Vorschlag v. 11.12.1975, KOM(75) 671 verabschiedete Fassung:

Dritte RL 78/855/EWG des Rates v. 9.10.1978 gemäß Art. 54 Absatz 3 Buchstabe g) des Vertrages betreffend die Verschmelzung von Aktiengesellschaften, ABlEG v. 20.10.1978, L 295/36.

geändert durch:

Beitrittsakte von 1979, ABlEG v. 19.11.1979, L 291/17 (Griechenland) Beitrittsakte von 1985, ABlEG v. 15.11.1985, L 302/23 (Spanien und Portugal) Beitrittsakte von 1994, ABlEG v. 29.8.1994, C 241/194 (Finnland, Österreich und Schweden) Beitrittsakte von 2003, ABlEU v. 23.9.2003, L 236/338 (Estland, Lettland, Litauen, Malta, Polen, Slowakei, Slowenien, Tschechien, Ungarn, Zypern) RL 2006/99/EG des Rates vom 20.11.2006 zur Anpassung bestimmter Richtlinien im Bereich Gesellschaftsrecht anlässlich des Beitritts Bulgariens und Rumäniens, ABlEU v. 20.12. 2006, L 363/137 RL 2007/63/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 13.11.2007 zur Änderung der Richtlinien 78/855/EWG und 82/891/EWG des Rates hinsichtlich des Erfordernisses der Erstellung eines Berichts durch einen unabhängigen Sachverständigen anlässlich der Verschmelzung oder der Spaltung von Aktiengesellschaften, ABlEU v. 17.11.2007, L 300/47 RL 2009/109/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 16.9.2009 zur Änderung der Richtlinien 77/91/EWG, 78/855/EWG, 82/891/EWG des Rates sowie der Richtlinie 2005/56/EG hinsichtlich der Berichts- und Dokumentationspflicht bei Verschmelzungen und Spaltungen, ABlEU v. 2.10. 2009, L 259/14

kodifizierte Fassung:

RL 2011/35/EU des Europäischen Parlaments und des Rates v. 5.4.2011 über die Verschmelzung von Aktiengesellschaften, ABlEU v. 29.4.2011, L 110/1

Umsetzung in Deutschland: ursprüngliche Umsetzung

Gesetz zur Durchführung der Dritten Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaften zur Koordinierung des Gesellschaftsrechts (Verschmelzungsrichtlinie-Gesetz) v. 25.10.1982, BGBl. I, 1425

644

Gesellschaftsrechtliche Richtlinien

seit 1.1.1995

Umwandlungsgesetz (UmwG) v. 28.10.1994, BGBl. I, 3210

Änderungs-RL 2006/99/EG

spezielle Umsetzung nicht erforderlich (vgl. Rn. 6)

Änderungs-RL 2007/63/EG

spezielle Umsetzung nicht erforderlich (vgl. Rn. 60)

Änderungs-RL 2009/109/EG teilweise durch Gesetz zur Umsetzung der Aktionärsrechterichtlinie (ARUG) v. 30.7.2009, BGBl. I, 2479; Rest durch Drittes Gesetz zur Änderung des Umwandlungsgesetzes v. 11.7.2011, BGBl. I, 1338

Die Fusionsrichtlinie (3. Richtlinie)

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RICHTLINIE 2011/35/EU DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES vom 5. April 2011 über die Verschmelzung von Aktiengesellschaften (kodifizierter Text)

DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT UND DER RAT DER EUROPÄISCHEN UNION – gestützt auf den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, insbesondere auf Artikel 50 Absatz 2 Buchstabe g, auf Vorschlag der Europäischen Kommission, nach Zuleitung des Entwurfs des Gesetzgebungsakts an die nationalen Parlamente, nach Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses(1), gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren(2), in Erwägung nachstehender Gründe: (1) Die Dritte Richtlinie 78/855/EWG des Rates vom 9. Oktober 1978 gemäß Artikel 54 Absatz 3 Buchstabe g des Vertrags betreffend die Verschmelzung von Aktiengesellschaften(3) wurde mehrfach und erheblich geändert(4). Aus Gründen der Klarheit und der Übersichtlichkeit empfiehlt es sich, die genannte Richtlinie zu kodifizieren. (2) Die Koordinierung, die Artikel 50 Absatz 2 Buchstabe g des Vertrags und das Allgemeine Programm zur Aufhebung der Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit(5) vorsehen, wurde mit der Ersten Richtlinie 68/151/EWG des Rates vom 9. März 1968 zur Koordinierung der Schutzbestimmungen, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Sinne des Artikels 58 Absatz 2 des Vertrags im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter vorgeschrieben sind, um diese Bestimmungen gleichwertig zu gestalten(6), begonnen. (3) Diese Koordinierung wurde für die Gründung der Aktiengesellschaft sowie die Erhaltung und Änderung ihres Kapitals durch die Zweite Richtlinie 77/91/EWG des Rates vom 13. Dezember 1976 zur Koordinierung der Schutzbestimmungen, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Sinne

(1) ABl. C 51 vom 17.2.2011, S. 36. (2) Standpunkt des Europäischen Parlaments vom 18. Januar 2011 (noch nicht im Amtsblatt veröffentlicht) und Beschluss des Rates vom 21. März 2011. 3 ( ) ABl. L 295 vom 20.10.1978, S. 36. 4 ( ) Siehe Anhang I, Teil A. (5) ABl. 2 vom 15.1.1962, S. 36/62. (6) ABl. L 65 vom 14.3.1968, S. 8.

des Artikels 58 Absatz 2 des Vertrags im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter für die Gründung der Aktiengesellschaft sowie für die Erhaltung und Änderung ihres Kapitals vorgeschrieben sind, um diese Bestimmungen gleichwertig zu gestalten(7), und für die Jahresabschlüsse von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen durch die Vierte Richtlinie 78/660/EWG des Rates vom 25. Juli 1978 aufgrund von Artikel 54 Absatz 3 Buchstabe g des Vertrags über den Jahresabschluss von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen(8) fortgesetzt. (4) Der Schutz der Interessen von Gesellschaftern und Dritten erfordert es, die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Verschmelzung von Aktiengesellschaften zu koordinieren; gleichzeitig erscheint es zweckmäßig, in die nationalen Rechte der Mitgliedstaaten die Institution der Verschmelzung einzuführen. (5) Im Rahmen der Koordinierung ist es besonders wichtig, die Aktionäre der sich verschmelzenden Gesellschaften angemessen und so objektiv wie möglich zu unterrichten und ihre Rechte in geeigneter Weise zu schützen. Jedoch ist keine Prüfung des Verschmelzungsplans durch unabhängige Sachverständige für die Aktionäre der an der Verschmelzung beteiligten Gesellschaften erforderlich, wenn alle Aktionäre darauf verzichtet haben. (6) Die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Unternehmens- oder Betriebsteilen ist zurzeit durch die Richtlinie 2001/23/EG des Rates vom 12. März 2001 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Unternehmensoder Betriebsteilen(9) geregelt. (7) Die Gläubiger einschließlich der Inhaber von Schuldverschreibungen sowie die Inhaber anderer Rechte der sich verschmelzenden Gesellschaften sollten dagegen geschützt werden, dass sie durch die Verschmelzung Schaden erleiden. (8) Die Offenlegung, wie sie die Richtlinie 2009/101/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 zur Koordinie(7) ABl. L 26 vom 31.1.1977, S. 1. (8) ABl. L 222 vom 14.8.1978, S. 11. (9) ABl. L 82 vom 22.3.2001, S. 16.

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Gesellschaftsrechtliche Richtlinien

rung der Schutzbestimmungen, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Sinne des Artikels 48 Absatz 2 des Vertrags im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter vorgeschrieben sind, um diese Bestimmungen gleichwertig zu gestalten(10) sicherstellt, sollte auf die Maßnahmen zur Durchführung der Verschmelzung ausgedehnt werden, damit hierüber auch Dritte ausreichend unterrichtet werden.



(9) Ferner ist es notwendig, dass die Garantien, die Gesellschaftern und Dritten bei der Durchführung der Verschmelzung gewährt werden, auch für bestimmte andere rechtliche Vorgänge gelten, die in wesentlichen Punkten ähnliche Merkmale wie die Verschmelzung aufweisen, um Umgehungen des Schutzes zu vermeiden.



(10) Schließlich ist es notwendig, die Fälle der Nichtigkeit der Verschmelzung zu beschränken, um die Rechtssicherheit in den Beziehungen zwischen den beteiligten Gesellschaften, zwischen diesen und Dritten sowie unter den Aktionären zu gewährleisten; außerdem muss einerseits der Grundsatz, dass dem Mangel der Verschmelzung so weit wie möglich abgeholfen werden soll, und andererseits eine kurze Frist zur Geltendmachung der Nichtigkeit festgelegt werden. (11) Diese Richtlinie sollte die Verpflichtung der Mitgliedstaaten hinsichtlich der Fristen für die Umsetzung der in Anhang I Teil B aufgeführten Richtlinien in innerstaatliches Recht unberührt lassen –

in Estland: aktsiaselts;



in Irland public companies limited by shares und public companies limited by guarantee having a share capital; in Griechenland: anœnumh etairìa;



in Spanien: la sociedad anónima;



in Frankreich: la société anonyme;



in Italien: la società per azioni;



in Zypern: Dhmósiev etaireíev periorisménhv euqúnhv me metocév, dhmósiev etaireíev periorisménhv euqúnhv me eggúhsh pou diaqétoun metocikó kefálaio;



in Lettland: akciju sabiedrı¯ ba;

HABEN FOLGENDE RICHTLINIE ERLASSEN: –

ANWENDUNGSBEREICH









in Malta: kumpannija pubblika/public limited liability company, kumpannija privata/private limited liability company;

in Belgien:

in Bulgarien:

in Ungarn: részvénytársaság;

la société anonyme/de naamloze vennootschap; –

in Luxemburg: la société anonyme;

Artikel 1 (1) Die durch diese Richtlinie vorgeschriebenen Maßnahmen der Koordinierung gelten für die Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten für Gesellschaften folgender Rechtsformen:

in Litauen: akcine˙ bendrove˙ ;

KAPITEL I



in den Niederlanden: de naamloze vennootschap;

akcionerno gruøestvo; –

in der Tschechischen Republik:



die Aktiengesellschaft;

akciová spolecˇnost; –

in Dänemark:



in Deutschland:



in Portugal: a sociedade anónima;

die Aktiengesellschaft; – (10) ABl. L 258 vom 1.10.2009, S. 11.

in Polen: spól/ ka akcyjna;

aktieselskaber; –

in Österreich:

in Rumänien: societate pe act¸iuni;

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Die Fusionsrichtlinie (3. Richtlinie) –

in Slowenien: delnisˇka druzˇba;



in der Slowakei: akciová spolocˇnost’;



in Finnland: julkinen osakeyhtiö/publikt aktiebolag;



in Schweden: aktiebolag;



Gesellschaften und gegebenenfalls einer baren Zuzahlung, die den zehnten Teil des Nennbetrags oder, wenn ein Nennbetrag nicht vorhanden ist, des rechnerischen Wertes der gewährten Aktien nicht übersteigt. (2) Die Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats können vorsehen, dass die Verschmelzung durch Aufnahme auch dann erfolgen kann, wenn sich eine oder mehrere der übertragenden Gesellschaften in Abwicklung befinden, sofern diese Möglichkeit auf Gesellschaften beschränkt wird, die noch nicht mit der Verteilung ihres Vermögens an ihre Aktionäre begonnen haben.

im Vereinigten Königreich: public companies limited by shares und public companies limited by guarantee having a share capital.

(2) Die Mitgliedstaaten brauchen diese Richtlinie auf Genossenschaften, die in einer der in Absatz 1 genannten Rechtsformen gegründet worden sind, nicht anzuwenden. Soweit die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten von dieser Möglichkeit Gebrauch machen, verpflichten sie diese Gesellschaften, die Bezeichnung „Genossenschaft“ auf allen in Artikel 5 der Richtlinie 2009/101/EG genannten Schriftstücken anzugeben. (3) Die Mitgliedstaaten brauchen diese Richtlinie nicht anzuwenden, wenn eine oder mehrere der übertragenden oder untergehenden Gesellschaften Gegenstand eines Konkurs-, Vergleichs- oder ähnlichen Verfahrens ist bzw. sind.

KAPITEL II REGELUNG DER VERSCHMELZUNG DURCH AUFNAHME EINER ODER MEHRERER GESELLSCHAFTEN DURCH EINE ANDERE GESELLSCHAFT UND DER VERSCHMELZUNG DURCH GRÜNDUNG EINER NEUEN GESELLSCHAFT

Artikel 4 (1) Im Sinne dieser Richtlinie ist die „Verschmelzung durch Gründung einer neuen Gesellschaft“ der Vorgang, durch den mehrere Gesellschaften ihr gesamtes Aktiv- und Passivvermögen im Wege der Auflösung ohne Abwicklung auf eine Gesellschaft, die sie gründen, übertragen, und zwar gegen Gewährung von Aktien der neuen Gesellschaft an ihre Aktionäre und gegebenenfalls einer baren Zuzahlung, die den zehnten Teil des Nennbetrags oder, wenn der Nennbetrag nicht vorhanden ist, des rechnerischen Wertes der gewährten Aktien nicht übersteigt. (2) Die Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats können vorsehen, dass die Verschmelzung durch Gründung einer neuen Gesellschaft auch dann erfolgen kann, wenn sich eine oder mehrere der untergehenden Gesellschaften in Abwicklung befinden, sofern diese Möglichkeit auf Gesellschaften beschränkt wird, die noch nicht mit der Verteilung ihres Vermögens an ihre Aktionäre begonnen haben.

KAPITEL III VERSCHMELZUNG DURCH AUFNAHME

Artikel 2

Artikel 5

Die Mitgliedstaaten regeln für die Gesellschaften, die ihrem Recht unterliegen, die Verschmelzung durch Aufnahme einer oder mehrerer Gesellschaften durch eine andere Gesellschaft und die Verschmelzung durch Gründung einer neuen Gesellschaft.

(1) Die Verwaltungs- oder Leitungsorgane der sich verschmelzenden Gesellschaften erstellen einen schriftlichen Verschmelzungsplan.

Artikel 3 (1) Im Sinne dieser Richtlinie ist die „Verschmelzung durch Aufnahme“ der Vorgang, durch den eine oder mehrere Gesellschaften ihr gesamtes Aktiv- und Passivvermögen im Wege der Auflösung ohne Abwicklung auf eine andere Gesellschaft übertragen, und zwar gegen Gewährung von Aktien der übernehmenden Gesellschaft an die Aktionäre der übertragenden Gesellschaft oder

(2) Der Verschmelzungsplan muss mindestens folgende Angaben enthalten: a) die Rechtsform, die Firma und den Sitz der sich verschmelzenden Gesellschaften; b) das Umtauschverhältnis der Aktien und gegebenenfalls die Höhe der baren Zuzahlung; c) die Einzelheiten hinsichtlich der Übertragung der Aktien der übernehmenden Gesellschaft; d) den Zeitpunkt, von dem an diese Aktien das Recht auf Teilnahme am Gewinn gewähren, sowie alle Besonderheiten in Bezug auf dieses Recht;

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Gesellschaftsrechtliche Richtlinien

e) den Zeitpunkt, von dem an die Handlungen der übertragenden Gesellschaft unter dem Gesichtspunkt der Rechnungslegung als für Rechnung der übernehmenden Gesellschaft vorgenommen gelten; f) die Rechte, welche die übernehmende Gesellschaft den Aktionären mit Sonderrechten und den Inhabern anderer Wertpapiere als Aktien gewährt, oder die für diese Personen vorgeschlagenen Maßnahmen; g) jeden besonderen Vorteil, der den Sachverständigen im Sinne des Artikels 10 Absatz 1 sowie den Mitgliedern der Verwaltungs-, Leitungs-, Aufsichts- oder Kontrollorgane der sich verschmelzenden Gesellschaften gewährt wird.

Artikel 6 Der Verschmelzungsplan ist mindestens einen Monat vor dem Tage der Hauptversammlung, die über den Verschmelzungsplan zu beschließen hat, für jede der sich verschmelzenden Gesellschaften nach den in den Rechtsvorschriften der einzelnen Mitgliedstaaten gemäß Artikel 3 der Richtlinie 2009/101/EG vorgesehenen Verfahren offenzulegen. Jede verschmelzende Gesellschaft ist von der Offenlegungspflicht nach Artikel 3 der Richtlinie 2009/101/EG befreit, wenn sie die Verschmelzungspläne während eines fortlaufenden Zeitraums, der mindestens einen Monat vor dem Tag der Hauptversammlung, die über die Verschmelzungspläne zu beschließen hat, beginnt und nicht vor dem Abschluss dieser Versammlung endet, für die Öffentlichkeit kostenlos auf ihren Internetseiten der Öffentlichkeit zugänglich macht. Die Mitgliedstaaten knüpfen diese Befreiung an keine anderen Erfordernisse und Auflagen als die, die für die Sicherheit der Internetseiten und die Echtheit der Dokumente erforderlich sind, und dürfen solche Erfordernisse und Auflagen nur einführen, soweit sie zur Erreichung dieses Zwecks angemessen sind. Abweichend von Absatz 2 des vorliegenden Artikels können die Mitgliedstaaten verlangen, dass die Veröffentlichung über die zentrale elektronische Plattform gemäß Artikel 3 Absatz 5 der Richtlinie 2009/101/EG erfolgt. Die Mitgliedstaaten können alternativ verlangen, dass die Veröffentlichung auf anderen, von ihnen zu diesem Zweck benannten Internetseiten erfolgt. Machen die Mitgliedstaaten von einer dieser Möglichkeiten Gebrauch, so gewährleisten sie, dass den Gesellschaften für diese Veröffentlichung keine spezifischen Kosten entstehen. Werden andere Internetseiten als die zentrale elektronische Plattform genutzt, wird mindestens einen Monat vor dem Tag der Hauptversammlung auf der zentralen elektronischen Plattform ein Verweis, der zu diesen Internetseiten führt, veröffentlicht. Dieser Verweis enthält auch das Datum der

Veröffentlichung der Verschmelzungspläne im Internet und ist der Öffentlichkeit kostenlos zugänglich. Den Gesellschaften entstehen für diese Veröffentlichung keine spezifischen Kosten. Das Verbot gemäß den Absätzen 3 und 4, von Gesellschaften eine spezifische Gebühr für die Veröffentlichung zu verlangen, lässt die Möglichkeit der Mitgliedstaaten unberührt, die Kosten für die zentrale elektronische Plattform an Gesellschaften weiterzugeben. Die Mitgliedstaaten können von Gesellschaften verlangen, Informationen für einen bestimmten Zeitraum nach der Hauptversammlung auf ihren Internetseiten oder gegebenenfalls auf der zentralen elektronischen Plattform oder den anderen von dem betreffenden Mitgliedstaat benannten Internetseiten verfügbar zu halten. Die Mitgliedstaaten können die Folgen einer vorübergehenden Unterbrechung des Zugriffs auf die Internetseiten und die zentrale elektronische Plattform aufgrund technischer oder sonstiger Ursachen bestimmen.

Artikel 7 (1) Die Verschmelzung bedarf zumindest der Zustimmung der Hauptversammlung jeder der sich verschmelzenden Gesellschaften. Die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten schreiben vor, dass dieser Beschluss zur Zustimmung mindestens eine Mehrheit von nicht weniger als zwei Dritteln der Stimmen der vertretenen Wertpapiere oder des vertretenen gezeichneten Kapitals erfordert. Die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten können jedoch vorschreiben, dass die einfache Mehrheit der in Unterabsatz 1 bezeichneten Stimmen ausreicht, sofern mindestens die Hälfte des gezeichneten Kapitals vertreten ist. Ferner sind gegebenenfalls die Vorschriften über die Satzungsänderung anzuwenden. (2) Sind mehrere Gattungen von Aktien vorhanden, so ist der Beschluss über die Verschmelzung von einer gesonderten Abstimmung zumindest jeder Gattung derjenigen Aktionäre abhängig, deren Rechte durch die Maßnahme beeinträchtigt werden. (3) Der Beschluss erstreckt sich auf die Genehmigung des Verschmelzungsplans und gegebenenfalls auf die zu seiner Durchführung erforderlichen Satzungsänderungen. Artikel 8 Die Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats brauchen die Zustimmung der Hauptversammlung der übernehmenden Gesellschaft nicht vorzuschreiben, wenn folgende Bedingungen erfüllt sind: a) Die in Artikel 6 vorgeschriebene Offenlegung ist für die übernehmende Gesellschaft mindestens einen Monat vor dem Tage derjenigen Hauptversammlung der übertragenden Gesellschaft

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Die Fusionsrichtlinie (3. Richtlinie) oder Gesellschaften, die über den Verschmelzungsplan zu beschließen haben, zu bewirken; b) jeder Aktionär der übernehmenden Gesellschaft hat mindestens einen Monat vor dem unter Buchstabe a genannten Zeitpunkt das Recht, am Sitz der übernehmenden Gesellschaft von den in Artikel 11 Absatz 1 genannten Unterlagen Kenntnis zu nehmen; c) ein oder mehrere Aktionäre der übernehmenden Gesellschaft, die über Aktien in einem Mindestprozentsatz des gezeichneten Kapitals verfügen, müssen das Recht haben, die Einberufung einer Hauptversammlung der übernehmenden Gesellschaft, in der über die Zustimmung zu der Verschmelzung beschlossen wird, zu verlangen; dieser Mindestprozentsatz darf nicht auf mehr als 5 % festgesetzt werden. Die Mitgliedstaaten können jedoch vorsehen, dass die Aktien ohne Stimmrecht von der Berechnung dieses Prozentsatzes ausgenommen sind. Für die Zwecke von Absatz 1 Buchstabe b gilt Artikel 11 Absätze 2, 3 und 4. Artikel 9 (1) Die Verwaltungs- oder Leitungsorgane jeder der sich verschmelzenden Gesellschaften erstellen einen ausführlichen schriftlichen Bericht, in dem der Verschmelzungsplan und insbesondere das Umtauschverhältnis der Aktien rechtlich und wirtschaftlich erläutert und begründet werden. In dem Bericht ist außerdem auf besondere Schwierigkeiten hinzuweisen, die bei der Bewertung aufgetreten sind. (2) Die Verwaltungs- oder Leitungsorgane jeder beteiligten Gesellschaft unterrichten die Hauptversammlung ihrer Gesellschaft, und die Verwaltungsoder Leitungsorgane der anderen beteiligten Gesellschaften, damit diese die Hauptversammlung ihrer Gesellschaft unterrichten können, über jede zwischen der Aufstellung des Verschmelzungsplans und dem Tag der Hauptversammlung, die über den Verschmelzungsplan zu beschließen hat, eingetretene wesentliche Veränderung des Aktivoder Passivvermögens. (3) Die Mitgliedstaaten können vorsehen, dass der in Absatz 1 genannte Bericht und/oder die in Absatz 2 genannten Informationen nicht verlangt werden, wenn alle Aktionäre und Inhaber anderer mit einem Stimmrecht verbundener Wertpapiere aller an der Verschmelzung beteiligten Gesellschaften darauf verzichtet haben. Artikel 10 (1) Für jede der sich verschmelzenden Gesellschaften prüfen ein oder mehrere von diesen unabhängige Sachverständige, welche durch ein Gericht oder eine Verwaltungsbehörde bestellt oder

zugelassen sind, den Verschmelzungsplan und erstellen einen schriftlichen Bericht für die Aktionäre. Die Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats können jedoch die Bestellung eines oder mehrerer unabhängiger Sachverständiger für alle sich verschmelzenden Gesellschaften vorsehen, wenn die Bestellung auf gemeinsamen Antrag dieser Gesellschaften durch ein Gericht oder eine Verwaltungsbehörde erfolgt. Diese Sachverständigen können entsprechend den Rechtsvorschriften jedes Mitgliedstaats sowohl natürliche oder juristische Personen als auch Gesellschaften sein. (2) In dem Bericht nach Absatz 1 müssen die Sachverständigen in jedem Fall erklären, ob das Umtauschverhältnis ihrer a) nach welcher oder welchen Methoden das vorgeschlagene Umtauschverhältnis bestimmt worden ist; b) ob diese Methode oder Methoden im vorliegenden Fall angemessen sind und welche Werte sich bei jeder dieser Methoden ergeben; zugleich ist dazu Stellung zu nehmen, welche relative Bedeutung diesen Methoden bei der Bestimmung des zugrunde gelegten Wertes beigemessen wurde. In dem Bericht ist außerdem auf besondere Schwierigkeiten bei der Bewertung, soweit solche aufgetreten sind, hinzuweisen. (3) Jeder Sachverständige hat das Recht, bei den sich verschmelzenden Gesellschaften alle zweckdienlichen Auskünfte und Unterlagen zu erhalten und alle erforderlichen Nachprüfungen vorzunehmen. (4) Weder die Prüfung des Verschmelzungsplans noch die Erstellung eines Sachverständigenberichts sind erforderlich, wenn alle Aktionäre und Inhaber anderer mit einem Stimmrecht verbundener Wertpapiere aller an der Verschmelzung beteiligten Gesellschaften darauf verzichtet haben.

Artikel 11 (1) Mindestens einen Monat vor dem Tag der Hauptversammlung, die über den Verschmelzungsplan zu beschließen hat, hat jeder Aktionär das Recht, am Sitz der Gesellschaft zumindest von folgenden Unterlagen Kenntnis zu nehmen: a) dem Verschmelzungsplan; b) den Jahresabschlüssen und den Geschäftsberichten der sich verschmelzenden Gesellschaften für die letzten drei Geschäftsjahre; c) gegebenenfalls einer Zwischenbilanz, die für einen Zeitpunkt erstellt ist, der nicht vor dem ersten Tag des dritten der Aufstellung des Verschmelzungsplans vorausgehenden Monats liegen darf, sofern der letzte Jahresabschluss sich auf ein mehr als sechs Monate vor der Aufstellung des Verschmelzungsplans abgelaufenes Geschäftsjahr bezieht;

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Gesellschaftsrechtliche Richtlinien

d) gegebenenfalls den in Artikel 9 vorgesehenen Berichten der Verwaltungs- oder Leitungsorgane der sich verschmelzenden Gesellschaften; e) gegebenenfalls den in Artikel 10 Absatz 1 genannten Berichten. Für die Zwecke von Unterabsatz 1 Buchstabe c braucht keine Zwischenbilanz erstellt zu werden, wenn die Gesellschaft gemäß Artikel 5 der Richtlinie 2004/109/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Dezember 2004 zur Harmonisierung der Transparenzanforderungen in Bezug auf Informationen über Emittenten, deren Wertpapiere zum Handel auf einem geregelten Markt zugelassen sind(11) einen Halbjahresfinanzbericht veröffentlicht und den Aktionären gemäß diesem Absatz zur Verfügung stellt. Ferner können die Mitgliedstaaten vorsehen, dass keine Zwischenbilanz erstellt wird, wenn alle Aktionäre und Inhaber anderer mit einem Stimmrecht verbundener Wertpapiere aller an der Verschmelzung beteiligten Gesellschaften dies beschlossen haben. (2) Die Zwischenbilanz nach Absatz 1 Unterabsatz 1 Buchstabe c ist nach denselben Methoden und in derselben Gliederung zu erstellen wie die letzte Jahresbilanz. Die Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats können jedoch vorsehen, dass a) es nicht erforderlich ist, eine neue körperliche Bestandsaufnahme durchzuführen; b) die Bewertungen der letzten Bilanz nur nach Maßgabe der Bewegungen in den Büchern verändert zu werden brauchen, wobei jedoch zu berücksichtigen sind: – Abschreibungen, Wertberichtigungen und Rückstellungen für die Zwischenzeit, – wesentliche, aus den Büchern nicht ersichtliche Veränderungen der wirklichen Werte. (3) Vollständige oder, falls gewünscht, auszugsweise Abschriften der in Absatz 1 genannten Unterlagen sind jedem Aktionär auf formlosen Antrag kostenlos zu erteilen. Hat der Aktionär diesem Weg der Informationsübermittlung zugestimmt, so können Informationen auf elektronischem Wege bereitgestellt werden. (4) Eine Gesellschaft ist von der Pflicht, die in Absatz 1 genannten Dokumente an ihrem Sitz zur Verfügung zu stellen befreit, wenn sie die betreffenden Dokumente während eines fortlaufenden Zeitraums, der mindestens einen Monat vor dem Tag der Hauptversammlung, die über die Verschmelzungspläne zu beschließen hat, beginnt und nicht vor dem Abschluss der Versammlung endet, auf ihren Internetseiten veröffentlicht. Die Mitgliedstaaten knüpfen diese Befreiung an keine anderen Erfordernisse und Auflagen als die, die für

(11) ABl. L 390 vom 31.12.2004, S. 38.

die Sicherheit der Internetseiten und die Echtheit der Dokumente erforderlich sind, und dürfen solche Erfordernisse und Auflagen nur einführen, soweit sie zur Erreichung dieses Zwecks angemessen sind. Absatz 3 kommt nicht zur Anwendung, wenn die Aktionäre während des gesamten in Unterabsatz 1 genannten Zeitraums auf den Internetseiten die Möglichkeit haben, die in Absatz 1 genannten Dokumente herunterzuladen und auszudrucken. In diesem Fall können die Mitgliedstaaten jedoch vorsehen, dass die Gesellschaft diese Dokumente an ihrem Sitz zur Einsichtnahme durch die Aktionäre zur Verfügung stellt. Die Mitgliedstaaten können von Gesellschaften verlangen, Informationen für einen bestimmten Zeitraum nach der Hauptversammlung auf ihren Internetseiten verfügbar zu halten. Die Mitgliedstaaten können die Folgen einer vorübergehenden Unterbrechung des Zugriffs auf die Internetseiten aufgrund technischer oder sonstiger Ursachen bestimmen.

Artikel 12 Die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer der sich verschmelzenden Gesellschaften wird gemäß der Richtlinie 2001/23/EG geregelt.

Artikel 13 (1) Die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten müssen ein angemessenes Schutzsystem für die Interessen der Gläubiger der sich verschmelzenden Gesellschaften vorsehen, deren Forderungen vor der Bekanntmachung des Verschmelzungsplans entstanden und zum Zeitpunkt dieser Bekanntmachung noch nicht erloschen sind. (2) Zu diesem Zweck sehen die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten zumindest vor, dass diese Gläubiger Anspruch auf angemessene Garantien haben, wenn die finanzielle Lage der sich verschmelzenden Gesellschaften einen solchen Schutz erforderlich macht und die Gläubiger nicht schon derartige Garantien haben. Die Mitgliedstaaten legen die Modalitäten für den in Absatz 1 und Unterabsatz 1 des vorliegenden Absatzes vorgesehenen Schutz fest. Die Mitgliedstaaten gewährleisten in jedem Fall, dass die Gläubiger das Recht haben, bei der zuständigen Verwaltungsbehörde oder dem zuständigen Gericht angemessene Sicherheiten zu beantragen, wenn sie nachweisen können, dass die Befriedigung ihrer Forderungen durch die Verschmelzung gefährdet ist und sie von der Gesellschaft keine angemessenen Sicherheiten erhalten haben. (3) Der Schutz kann für die Gläubiger der übernehmenden Gesellschaft und für die Gläubiger der übertragenden Gesellschaft unterschiedlich sein.

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Die Fusionsrichtlinie (3. Richtlinie) Artikel 14 Unbeschadet der Vorschriften über die gemeinsame Ausübung der Rechte der Anleihegläubiger der sich verschmelzenden Gesellschaften ist Artikel 13 auf diese Gläubiger anzuwenden, es sei denn, eine Versammlung der Anleihegläubiger – sofern die einzelstaatlichen Rechtsvorschriften eine solche Versammlung vorsehen – oder jeder einzelne Anleihegläubiger hat der Verschmelzung zugestimmt. Artikel 15 Die Inhaber anderer Wertpapiere, die mit Sonderrechten verbunden, jedoch keine Aktien sind, müssen in der übernehmenden Gesellschaft Rechte erhalten, die mindestens denen gleichwertig sind, die sie in der übertragenden Gesellschaft hatten, es sei denn, dass eine Versammlung der Inhaber – sofern die einzelstaatlichen Rechtsvorschriften eine solche Versammlung vorsehen – der Änderung dieser Rechte oder dass jeder einzelne Inhaber der Änderung seines Rechts zugestimmt hat oder dass diese Inhaber einen Anspruch auf Rückkauf ihrer Wertpapiere durch die übernehmende Gesellschaft haben. Artikel 16 (1) Falls die Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats für Verschmelzungen eine vorbeugende gerichtliche oder Verwaltungskontrolle der Rechtmäßigkeit nicht vorsehen oder sich diese Kontrolle nicht auf alle für die Verschmelzung erforderlichen Rechtshandlungen erstreckt, sind die Niederschriften der Hauptversammlungen, die über die Verschmelzung beschließen, und gegebenenfalls der nach diesen Hauptversammlungen geschlossene Verschmelzungsvertrag öffentlich zu beurkunden. Falls die Verschmelzung nicht von den Hauptversammlungen aller sich verschmelzenden Gesellschaften gebilligt werden muss, ist der Verschmelzungsplan öffentlich zu beurkunden. (2) Der Notar oder die für die öffentliche Beurkundung zuständige Stelle hat das Vorliegen und die Rechtmäßigkeit der Rechtshandlungen und Förmlichkeiten, die der Gesellschaft obliegen, für die der Notar oder die Stelle tätig wird, sowie das Vorliegen und die Rechtmäßigkeit des Verschmelzungsplans zu prüfen und zu bestätigen.

gesehenen Verfahren in Übereinstimmung mit Artikel 3 der Richtlinie 2009/101/EG offengelegt werden. (2) Die übernehmende Gesellschaft kann die für die übertragende Gesellschaft oder die übertragenden Gesellschaften vorzunehmenden Förmlichkeiten der Offenlegung selbst veranlassen.

Artikel 19 (1) Die Verschmelzung bewirkt ipso jure gleichzeitig Folgendes: a) Sowohl zwischen der übertragenden Gesellschaft und der übernehmenden Gesellschaft als auch gegenüber Dritten geht das gesamte Aktiv- und Passivvermögen der übertragenden Gesellschaft auf die übernehmende Gesellschaft über; b) die Aktionäre der übertragenden Gesellschaft werden Aktionäre der übernehmenden Gesellschaft; c) die übertragende Gesellschaft erlischt. (2) Es werden keine Aktien der übernehmenden Gesellschaft im Austausch für Aktien der übertragenden Gesellschaft begeben, die sich a) im Besitz der übernehmenden Gesellschaft selbst oder einer Person befinden, die im eigenen Namen, aber für Rechnung der Gesellschaft handelt; b) im Besitz der übertragenden Gesellschaft selbst oder einer Person befinden, die im eigenen Namen, aber für Rechnung der Gesellschaft handelt. (3) Unberührt bleiben die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten, die für die Wirksamkeit der Übertragung bestimmter, von der übertragenden Gesellschaft eingebrachter Vermögensgegenstände, Rechte und Pflichten gegenüber Dritten besondere Förmlichkeiten erfordern. Die übernehmende Gesellschaft kann diese Förmlichkeiten selbst veranlassen; die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten können jedoch der übertragenden Gesellschaft gestatten, während eines begrenzten Zeitraums diese Förmlichkeiten weiter zu vollziehen; dieser Zeitraum kann nur in Ausnahmefällen auf mehr als sechs Monate nach dem Zeitpunkt, in dem die Verschmelzung wirksam wird, festgesetzt werden.

Artikel 17 Die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten bestimmen den Zeitpunkt, zu dem die Verschmelzung wirksam wird. Artikel 18 (1) Für jede der sich verschmelzenden Gesellschaften muss die Verschmelzung nach den in den Rechtsvorschriften eines jeden Mitgliedstaats vor-

Artikel 20 Die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten regeln zumindest die zivilrechtliche Haftung der Mitglieder des Verwaltungs- oder Leitungsorgans der übertragenden Gesellschaft gegenüber den Aktionären dieser Gesellschaft für schuldhaftes Verhalten von Mitgliedern dieses Organs bei der Vorbereitung und dem Vollzug der Verschmelzung.

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Gesellschaftsrechtliche Richtlinien Artikel 21

Die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten regeln zumindest die zivilrechtliche Haftung der Sachverständigen, die den in Artikel 10 Absatz 1 vorgesehenen Bericht für die übertragende Gesellschaft erstellen, gegenüber den Aktionären dieser Gesellschaft für schuldhaftes Verhalten dieser Sachverständigen bei der Erfüllung ihrer Aufgaben.

Artikel 22 (1) Die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten können die Nichtigkeit der Verschmelzung von Gesellschaften nur nach Maßgabe folgender Bestimmungen regeln: a) Die Nichtigkeit muss durch gerichtliche Entscheidung ausgesprochen werden; b) für nichtig erklärt werden kann eine im Sinne von Artikel 17 wirksam gewordene Verschmelzung nur wegen Fehlens einer vorbeugenden gerichtlichen oder verwaltungsmäßigen Kontrolle der Rechtmäßigkeit oder einer öffentlichen Beurkundung oder wenn festgestellt wird, dass der Beschluss der Hauptversammlung nach innerstaatlichem Recht nichtig oder anfechtbar ist; c) die Nichtigkeitsklage kann nicht mehr erhoben werden, wenn eine Frist von sechs Monaten verstrichen ist, nachdem die Verschmelzung demjenigen gegenüber wirksam geworden ist, der sich auf die Nichtigkeit beruft, oder wenn der Mangel behoben worden ist; d) kann der Mangel, dessentwegen die Verschmelzung für nichtig erklärt werden kann, behoben werden, so räumt das zuständige Gericht den beteiligten Gesellschaften dazu eine Frist ein; e) die gerichtliche Entscheidung, durch welche die Nichtigkeit der Verschmelzung ausgesprochen wird, wird in Übereinstimmung mit Artikel 3 der Richtlinie 2009/101/EG nach den in den Rechtsvorschriften jedes Mitgliedstaats vorgesehenen Verfahren offengelegt; f) falls die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten gegen die gerichtliche Entscheidung einen Einspruch Dritter vorsehen, so kann dieser Dritte nach Ablauf einer Frist von sechs Monaten seit Offenlegung der gerichtlichen Entscheidung gemäß der Richtlinie 2009/101/EG nicht mehr erhoben werden; g) die gerichtliche Entscheidung, durch welche die Nichtigkeit der Verschmelzung ausgesprochen wird, berührt für sich allein nicht die Wirksamkeit der Verpflichtungen, die vor der Offenlegung der gerichtlichen Entscheidung, jedoch nach dem Zeitpunkt, in dem die Verschmelzung wirksam wird, zu Lasten oder zugunsten der übernehmenden Gesellschaft entstanden sind;

h) die an der Verschmelzung beteiligten Gesellschaften haften als Gesamtschuldner für die in Buchstabe g genannten Verpflichtungen der übernehmenden Gesellschaft. (2) Abweichend von Absatz 1 Buchstabe a können die Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats auch gestatten, dass die Nichtigkeit der Verschmelzung durch eine Verwaltungsbehörde ausgesprochen wird, wenn gegen eine solche Entscheidung ein Rechtsbehelf bei einem Gericht eingelegt werden kann. Absatz 1 Buchstabe b und Buchstaben d bis h gilt für die Verwaltungsbehörde entsprechend. Dieses Nichtigkeitsverfahren kann nach Ablauf einer Frist von 6 Monaten nach dem Zeitpunkt, in dem die Verschmelzung wirksam wird, nicht mehr eingeleitet werden. (3) Unberührt bleiben die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Nichtigkeit einer Verschmelzung, die im Wege einer anderen Kontrolle der Verschmelzung als der vorbeugenden gerichtlichen oder verwaltungsmäßigen Kontrolle der Rechtmäßigkeit ausgesprochen wird. KAPITEL IV VERSCHMELZUNG DURCH GRÜNDUNG EINER NEUEN GESELLSCHAFT Artikel 23 (1) Die Artikel 5, 6 und 7 sowie die Artikel 9 bis 22 der vorliegenden Richtlinie sind unbeschadet der Artikel 12 und 13 der Richtlinie 2009/101/EG auf die Verschmelzung durch Gründung einer neuen Gesellschaft anwendbar. Hierbei sind unter „sich verschmelzenden Gesellschaften“ oder „übertragender Gesellschaft“ die untergehenden Gesellschaften und unter „übernehmender Gesellschaft“ die neue Gesellschaft zu verstehen. Artikel 5 Absatz 2 Buchstabe a der vorliegenden Richtlinie ist auch auf die neue Gesellschaft anzuwenden. (2) Der Verschmelzungsplan und, falls sie Gegenstand eines getrennten Aktes sind, der Errichtungsakt oder der Entwurf des Errichtungsaktes und die Satzung oder der Entwurf der Satzung der neuen Gesellschaft bedürfen der Zustimmung der Hauptversammlung jeder der untergehenden Gesellschaften. KAPITEL V VERSCHMELZUNG EINER GESELLSCHAFT MIT EINER ANDEREN, DER MINDESTENS 90 % DER AKTIEN DER ERSTEREN GEHÖREN Artikel 24 Die Mitgliedstaaten regeln für die Gesellschaften, die ihrem Recht unterliegen, den Vorgang, durch den eine oder mehrere Gesellschaften ihr gesamtes Aktiv- und Passivvermögen im Wege der Auf-

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Die Fusionsrichtlinie (3. Richtlinie) lösung ohne Abwicklung auf eine andere Gesellschaft übertragen, der alle Aktien sowie alle sonstigen Anteile der übertragenden Gesellschaft oder Gesellschaften gehören, die in der Hauptversammlung ein Stimmrecht gewähren. Auf diesen Vorgang sind die Bestimmungen des Kapitels III anzuwenden. Allerdings dürfen die Mitgliedstaaten keine der in Artikel 5 Absatz 2 Buchstaben b, c und d, Artikel 9 und 10, Artikel 11 Absatz 1 Buchstaben d und e, Artikel 19 Absatz 1 Buchstabe b, Artikel 20 sowie Artikel 21 beschriebenen Anforderungen auferlegen.

Artikel 25 Die Mitgliedstaaten dürfen Artikel 7 nicht auf die in Artikel 24 genannten Vorgänge anwenden, wenn folgende Bedingungen erfüllt sind: a) Die in Artikel 6 vorgeschriebene Offenlegung ist für die an dem Vorgang beteiligten Gesellschaften mindestens einen Monat vor dem Zeitpunkt, zu dem der Vorgang wirksam wird, zu bewirken; b) alle Aktionäre der übernehmenden Gesellschaft haben das Recht, mindestens einen Monat vor dem Zeitpunkt, zu dem der Vorgang wirksam wird, am Sitz dieser Gesellschaft von den in Artikel 11 Absatz 1 Buchstaben a, b und c genannten Unterlagen Kenntnis zu nehmen; c) Artikel 8 Absatz 1 Buchstabe c ist anzuwenden. Für die Zwecke von Absatz 1 Buchstabe b des vorliegenden Artikels gilt Artikel 11 Absätze 2, 3 und 4.

Artikel 26 Die Mitgliedstaaten können die Artikel 24 und 25 auf Vorgänge anwenden, durch die eine oder mehrere Gesellschaften ihr gesamtes Aktiv- und Passivvermögen im Wege der Auflösung ohne Abwicklung auf eine andere Gesellschaft übertragen, wenn alle in Artikel 24 genannten Aktien und sonstigen Anteile der übertragenden Gesellschaft oder Gesellschaften der übernehmenden Gesellschaft und/oder Personen gehören, welche diese Aktien und Anteile im eigenen Namen, aber für Rechnung der übernehmenden Gesellschaft besitzen. Artikel 27 Vollzieht eine Gesellschaft, die mindestes 90 %, aber nicht alle Aktien und sonstigen in der Gesellschafterversammlung Stimmrecht gewährenden Anteile der übertragenden Gesellschaft bzw. Gesellschaften hält, eine Verschmelzung im Wege der Aufnahme, so dürfen die Mitgliedstaaten die Genehmigung der Verschmelzung durch die Hauptversammlung der übernehmenden Gesellschaft nicht vorschreiben, wenn die folgenden Bedingungen erfüllt sind:

a) Die in Artikel 6 vorgeschriebene Offenlegung ist für die übernehmende Gesellschaft mindestens einen Monat vor dem Tage derjenigen Hauptversammlung der übertragenden Gesellschaft oder Gesellschaften, die über den Verschmelzungsplan zu beschließen hat bzw. haben, zu bewirken; b) alle Aktionäre der übernehmenden Gesellschaft haben das Recht, mindestens einen Monat vor dem unter Buchstabe a angegebenen Zeitpunkt am Sitz dieser Gesellschaft von den in Artikel 11 Absatz 1 Buchstaben a, b und gegebenenfalls Artikel 11 Absatz 1 Buchstaben c, d und e bezeichneten Unterlagen Kenntnis zu nehmen; c) Artikel 8 Absatz 1 Buchstabe c ist anzuwenden. Für die Zwecke von Absatz 1 Buchstabe b des vorliegenden Artikels gilt Artikel 11 Absätze 2, 3 und 4.

Artikel 28 Die Mitgliedstaaten dürfen die Anforderungen der Artikel 9, 10 und 11 bei Verschmelzungen im Sinne von Artikel 27 nicht auferlegen, wenn folgende Bedingungen erfüllt sind: a) Die Minderheitsaktionäre der übertragenden Gesellschaft können ihre Aktien von der übernehmenden Gesellschaft aufkaufen lassen; b) in diesem Fall haben sie Anspruch auf ein dem Wert ihrer Aktien entsprechendes Entgelt; c) sofern hierüber keine Einigung erzielt wird, muss das Entgelt durch das Gericht oder von einer von dem Mitgliedstaat zu diesem Zweck benannten Verwaltungsbehörde festgesetzt werden können. Die Mitgliedstaaten brauchen den ersten Absatz nicht anzuwenden, wenn die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten die übernehmende Gesellschaft dazu berechtigen, von allen Inhabern der verbleibenden Anteile der zu übernehmenden Gesellschaft oder Gesellschaften ohne ein vorheriges öffentliches Übernahmeangebot zu verlangen, ihr diese Anteile vor der Verschmelzung zu einem angemessenen Preis zu verkaufen. Artikel 29 Die Mitgliedstaaten können die Artikel 27 und 28 auf Vorgänge anwenden, durch die eine oder mehrere Gesellschaften ihr gesamtes Aktiv- und Passivvermögen im Wege der Auflösung ohne Abwicklung auf eine andere Gesellschaft übertragen, wenn 90 % oder mehr, jedoch nicht alle der in Artikel 27 genannten Aktien und sonstigen Anteile der übertragenden Gesellschaft oder Gesellschaften der übernehmenden Gesellschaft und/oder Personen gehören, welche diese Aktien und Anteile im eigenen Namen, aber für Rechnung der übernehmenden Gesellschaft besitzen.

654

Gesellschaftsrechtliche Richtlinien KAPITEL VI

KAPITEL VII

ANDERE DER VERSCHMELZUNG GLEICHGESTELLTE VORGÄNGE

SCHLUSSBESTIMMUNGEN Artikel 32

Artikel 30 Gestatten die Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats für einen der in Artikel 2 vorgesehenen Vorgänge, dass die bare Zuzahlung den Satz von 10 % übersteigt, so sind die Kapitel III und IV sowie die Artikel 27, 28 und 29 anzuwenden. Artikel 31 Gestatten die Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats einen der in den Artikeln 2, 24 oder 30 vorgesehenen Vorgänge, ohne dass alle übertragenden Gesellschaften aufhören zu bestehen, so sind das Kapitel III – mit Ausnahme des Artikels 19 Absatz 1 Buchstabe c – und die Kapitel IV und V anzuwenden.

Die Richtlinie 78/855/EWG, in der Fassung der in Anhang I, Teil A aufgeführten Rechtsakte, wird unbeschadet der Verpflichtung der Mitgliedstaaten hinsichtlich der in Anhang I, Teil B genannten Fristen für die Umsetzung in innerstaatliches Recht aufgehoben. Bezugnahmen auf die aufgehobene Richtlinie gelten als Bezugnahmen auf die vorliegende Richtlinie und sind nach Maßgabe der Entsprechungstabelle in Anhang II zu lesen.

Artikel 33 Diese Richtlinie tritt am 1. Juli 2011 in Kraft.

Artikel 34 Diese Richtlinie ist an die Mitgliedstaaten gerichtet.

ANHANG I TEIL A Aufgehobene Richtlinie mit ihren nachfolgenden Änderungen (gemäß Artikel 16) Richtlinie 78/855/EWG des Rates (ABl. L 295 vom 20.10.1978, S. 36) Beitrittsakte von 1979 Anhang I Nummer III.C (ABl. L 291 vom 19.11.1979, S. 89) Beitrittsakte von 1985 Anhang I Nummer II Buchstabe d (ABl. L 302 vom 15.11.1985, S. 157) Beitrittsakte von 1994 Anhang I Nummer XI.A.3 (ABl. C 241 vom 29.8.1994, S. 194) Beitrittsakte von 2003 Anhang II Nummer 4.A.3 (ABl. L 236 vom 23.9.2003, S. 338) Richtlinie 2006/99/EG des Rates (ABl. L 363 vom 20.12.2006, S. 137)

Nur hinsichtlich der in Artikel 1 und im Anhang, Buchstabe A Nummer 3 enthaltenen Bezugnahme auf die Richtlinie 78/855/EWG

Richtlinie 2007/63/EG des Europäischen Parlaments und des Rates (ABl. L 300 vom 17.11.2007, S. 47)

Nur Artikel 2

Richtlinie 2009/109/EG des Europäischen Parlaments und des Rates (ABl. L 259 vom 2.10.2009, S. 14)

Nur Artikel 2

Die Fusionsrichtlinie (3. Richtlinie) TEIL B Fristen für die Umsetzung in innerstaatliches Recht (gemäß Artikel 32) Richtlinie

Frist für die Umsetzung

78/855/EWG

13. Oktober 1981

2006/99/EG

1. Januar 2007

2007/63/EG

31. Dezember 2008

2009/109/EG

30. Juni 2011

ANHANG II ENTSPRECHUNGSTABELLE

Richtlinie 78/855/EWG

Vorliegende Richtlinie

Artikel 1

Artikel 1

Artikel 2–4

Artikel 2–4

Artikel 5–22

Artikel 5–22

Article 23 Absatz 1

Article 23 Absatz 1 Unterabsatz 1

Article 23 Absatz 2

Article 23 Absatz 1 Unterabsatz 2

Article 23 Absatz 3

Article 23 Absatz 2

Artikel 24–29

Artikel 24–29

Artikel 30–31

Artikel 30–31

Artikel 32





Artikel 32



Artikel 33

Artikel 33

Artikel 34



ANHANG I



ANHANG II

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Gesellschaftsrechtliche Richtlinien

§ 22 Die Spaltungsrichtlinie (6. Richtlinie) Sechste RL 82/891/EWG des Rates v. 17.12.1982 gemäß Artikel 54 Absatz 3 Buchstabe g) des Vertrages betreffend die Spaltung von Aktiengesellschaften, ABlEG v. 31.12.1982, L 378/47 Literatur: Barbaso, Fabrizio, The harmonisation of company law with regard to mergers and divisions, [1984] JBL 176; Bayer, Walter/Schmidt, Jessica, Der Referentenentwurf zum 3. UmwÄndG: Vereinfachungen bei Verschmelzungen und Spaltungen und ein neuer verschmelzungsspezifischer Squeeze-out, ZIP 2010, 953; dies., Überlagerungen des deutschen Aktienrechts durch das Europäische Unternehmensrecht: Eine Bilanz von 1968 bis zur Gegenwart, in: Bayer, Walter/Habersack, Mathias (Hrsg.), Aktienrecht im Wandel, Bd. 1, 2007, Kap. 18; Ços¸tan, Hülya, Subsidiäre solidarische Haftung der an einer Spaltung beteiligten Gesellschaften, RIW 2010, 192; Harrer, Friedrich, Die EG-Gesellschaftsrechtlichen Vorgaben für die Regelung der Verschmelzung und der Spaltung von Aktiengesellschaften, in: Koppensteiner (Hrsg.), Österreichisches und europäisches Wirtschaftsprivatrecht, Bd. 1, 1994, S. 307, Heidenhain, Martin, Fehlerhafte Umsetzung der Spaltungs-Richtlinie, EuZW 1995, 327; Heiss, Manuela, Gläubigerschutz bei der Unternehmensspaltung, DZWiR 1993, 12; Lösekrug, Jens, Die Umsetzung der Kapital-, Verschmelzungs- und Spaltungsrichtlinie der EG in das nationale deutsche Recht, 2004; Schimka, Matthias/Schörghöfer, Paul, Neue europäische Vorgaben für die Berichts- und Dokumentationsplicht bei Verschmelzungen und Spaltungen – Zur Änderung der Fusions-RL, der Spaltungs-RL und der EU-Verschmelzungs-RL sowie der Kapital-RL, WBl. 2010, 109.

I. Überblick 1 Als „Spiegelbild“ der Verschmelzung sollte die Spaltung ursprünglich bereits in der 3. (Fusions-)RL (dazu § 21) geregelt werden: Art. 24 des Vorentwurfs von 1968 1 und Art. 21 der Entwürfe von 1970 2, 1973 3 und 1975 4 für diese sahen jeweils die entsprechende Anwendung der Verschmelzungsvorschriften auf „fusionsähnliche Vorgänge“, worunter insbesondere auch die Spaltung fallen sollte 5, vor. Kurz vor Verabschiedung der 3. (Fusions-)RL entschied der Rat dann jedoch im Juli 1978, dass mit Blick auf die mit einer Spaltung verbundenen besonderen Risiken weiterer Klärungsbedarf bestehe und die Spaltung deshalb in einer eigenständigen RL geregelt werden sollte.6 Nach-

1 Les fusions internes. Document de travail n° 6. Avant-projet de directive, 10.4.1968, Dok. 11409/2/XIV/C/68 – F. 2 Vorschlag für eine Dritte Richtlinie des Rates zur Koordinierung der Schutzbestimmungen, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Sinne des Artikels 58 Absatz 2 des Vertrages im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter bei Fusionen von Aktiengesellschaften vorgeschrieben sind, 16.6.1970, KOM(70) 633 = ABlEG v. 14.7.1970, C 89/20 = BT-Drs. VI/1027. 3 Erster geänderter Vorschlag v. 4.1.1973, KOM(72) 1668. 4 Zweiter geänderter Vorschlag v. 11.12.1975, KOM(75) 671. 5 Vgl. Vorentwurf 1968 (Fn. 1), S. 48 f. 6 Vgl. Dok. R/950/78, S. 32; Barbaso [1984] JBL 176, 177; Edwards S. 91, 99 f.; Lösekrug, Die Umsetzung der Kapital-, Verschmelzungs- und Spaltungsrichtlinie der EG in das nationale

Die Spaltungsrichtlinie (6. Richtlinie)

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dem hierfür bereits im September 1978 ein erster Entwurf 7 vorgelegt worden war, wurde die RL schließlich nach weiteren Beratungen – allerdings ohne weitere Beteiligung des EWSA und des EP 8 – am 17.12.1982 vom Rat verabschiedet 9. Durch das EWR-Abkommen wurde ihr Anwendungsbereich m.W.v. 1.1.1994 bzw. 1.1.1995 10 auch auf die EWR-Staaten ausgedehnt.11 Ziel der RL ist es, den Aktionären12 und Dritten – speziell den Gläubigern13 – bei 2 Spaltungen angesichts der engen Verwandtschaft beider Rechtsinstitute einen gleichwertigen Schutz wie bei Verschmelzungen zu gewähren und so insbesondere auch eine etwaige Umgehung der Standards der 3. (Fusions-)RL zu verhindern (vgl. Erwägungsgrund 4). Verfahrensregelungen und Schutzinstrumentarien entsprechen daher weitgehend denjenigen der 3. (Fusions-)RL,14 die RL erklärt zudem sogar mehrfach Vorschriften derselben für entsprechend anwendbar 15. Das für Verschmelzungen entwickelte „europäische Modell für Strukturmaßnahmen“ (vgl. § 21 Rn. 3, 24) wird also auch auf die eng verwandte Spaltung übertragen.16 Im Gegensatz zur 3. (Fusions-)RL (vgl. § 21 Rn. 2, 11) etabliert die RL allerdings 3 keine Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Regelung des Rechtsinstituts der Spal-

7

8 9 10 11 12 13 14

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deutsche Recht, 2004, S. 313; Loy RTD eur. 1980, 354, 359; Hommelhoff/Riesenhuber in: Grundmann (Hrsg.), Systembildung und Systemlücken in Kerngebieten des Europäischen Privatrechts, 2000, S. 259, 266; Riesenhuber NZG 2004, 15, 16. Projet de directive du Conseil tendant à coordonner les garanties qui sont exigées dans les Etats membres des sociétés, au sens de l’article 58 alinéa 2 du traité, pour protéger les intérêts tant des associés que de tiers, en ce qui concerne les scissions de sociétés anonymes, 20.9.1978, R/2294/78. Trotz heftigen Protests des EP sowie der Niederlande, Irlands und des UK, vgl. Edwards S. 93. Sechste RL 82/891/EWG des Rates v. 17.12.1982 gemäß Artikel 54 Absatz 3 Buchstabe g) des Vertrages betreffend die Spaltung von Aktiengesellschaften, ABlEG v. 31.12.1982, L 378/47. Für Island und Norwegen (sowie für Finnland, Österreich, Schweden, die aber inzwischen zur EU gehören) zum 1.1.1994, für Liechtenstein zum 1.1.1995. Vgl. Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum – Anhang XXII, Nr. 5 (ABlEG v. 3.1.1994, L 1/3). Vgl. zum Ziel des Schutzes der Aktionäre auch Erwägungsgründe 5 und 6; Habersack § 7 Rn. 28; Lösekrug (Fn. 6), S. 313. Vgl. zum Ziel des Gläubigerschutzes auch Erwägungsgrund 8; Habersack § 7 Rn. 28; Lösekrug (Fn. 6), S. 313. Vgl. Barbaso [1984] JBL 176, 178; Bayer/J. Schmidt, Überlagerungen des deutschen Aktienrechts durch das Europäische Unternehmensrecht: Eine Bilanz von 1968 bis zur Gegenwart, in: Bayer/Habersack (Hrsg.), Aktienrecht im Wandel, Bd. 1, 2007, Kap. 18 Rn. 105; Edwards S. 102; Grundmann Rn. 909 (mit sehr schöner Übersicht); Lösekrug (Fn. 6), S. 313; Riesenhuber NZG 2004, 15, 18. Art. 2 Abs. 3 erläutert diesbezüglich, dass „sich verschmelzende Gesellschaften“ als „die an der Spaltung beteiligten Gesellschaften“, „übertragende Gesellschaft“ als „gespaltene Gesellschaft“, „übernehmende Gesellschaft“ als „begünstigte Gesellschaft“ und „Verschmelzungsplan“ als „Spaltungsplan“ zu lesen ist. Vgl. Bayer/J. Schmidt (Fn. 14), Rn. 105; s. ferner auch Habersack § 7 Rn. 42; Hommelhoff/Riesenhuber (Fn. 6), S. 259, 272; Nobel, Transnationales und Europäisches Aktienrecht, 2006, Kap. 2 Rn. 218.

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Gesellschaftsrechtliche Richtlinien

tung im nationalen Recht.17 Hintergrund ist neben der geringeren praktischen Bedeutung der Spaltung wohl nicht zuletzt auch die Entstehungsgeschichte der RL als Umgehungsschutzinstrument und „spin-off “ der 3. (Fusions-)RL18 (vgl. o. Rn. 1 f.). Wenn und soweit19 die Mitgliedstaaten die Spaltung von Aktiengesellschaften (zum Anwendungsbereich ausf. u. Rn. 6) aber zulassen, müssen sie die Vorgaben der RL beachten (vgl. Art. 1, 26 Abs. 1 u. 2).20 4 I.R.d. allgemeinen Diskussion um eine Vereinfachung des Unternehmensumfelds war von der Kommission im Jahr 2007 – ähnlich wie bei der 2. (Kapital-)RL und der 3. (Fusions-)RL – kurzzeitig eine völlige Abschaffung der RL erwogen worden (vgl. dazu auch bereits § 18 Rn. 4, § 21 Rn. 4).21 Hiergegen formierte sich jedoch ebenfalls erheblicher Widerstand 22, so dass man sich schließlich auch hier lediglich auf eine punktuelle Modernisierung beschränkte. Durch die RL 2007/63/EG 23 wurde die Möglichkeit eines Verzichts auf die Spaltungsprüfung vom Erfordernis der Gestattung durch den jeweiligen Mitgliedstaat entbunden (dazu u. Rn. 51). Die RL 2009/109/EG24 brachte eine deutliche Modernisierung der Berichts- und Dokumentationspflichten, eine Harmonisierung mit den Parallelregelungen in der 2. (Kapital-)RL (dazu § 20), 3. (Fusions-)RL (dazu § 21) und 10. RL (dazu § 23) sowie eine zwingende Ausgestaltung einiger bislang nur optionaler Erleichterungen für Konzernspaltungen (dazu näher Rn. 34, 55, 92, 106 f., 109 f.).

17 Vgl. Barbaso [1984] JBL 176, 178; Bayer/J. Schmidt (Fn. 14), Rn. 8, 103; Dorresteijn/Monteiro/C. Teichmann/Werlauff, European Corporate Law, 2. Aufl., 2009, 3.65; Edwards S. 94, 100; Hommelhoff/Riesenhuber (Fn. 6), S. 259, 267; Lösekrug (Fn. 6), S. 313; Mayer in: Widmann/Mayer, UmwG (Stand: 120. EL 2011), Einf UmwG Rn. 104; Nobel (Fn. 16) Kap. 2 Rn. 216; Werlauff S. 592 f. 18 Vgl. auch Hommelhoff/Riesenhuber (Fn. 6), S. 259, 267. 19 Den Mitgliedstaaten steht es insoweit insbesondere auch frei, nur bestimmte Formen der Spaltung (z.B. nur die Spaltung durch Übernahme oder nur die Spaltung durch Neugründung) zuzulassen, vgl. Art. 1 Abs. 1–3. 20 Vgl. die Nachweise in Fn. 17. 21 Vgl. Mitteilung der Kommission über ein vereinfachtes Unternehmensumfeld in den Bereichen Gesellschaftsrecht, Rechnungslegung und Abschlussprüfung, KOM(2007) 394, S. 5 f. 22 I.R.d. Konsultation sprach sich eine große Mehrheit gegen eine Aufhebung der RL aus, vgl. den Consultation Report v. Dez. 2007 (http://ec.europa.eu/internal_market/company/ docs/simplification/consultation_report_20071219_en.pdf), S. 3 ff.; ausdrücklich ablehnend auch das EP, vgl. Entschließung des Europäischen Parlaments v. 21.5.2008 zu dem vereinfachten Unternehmensumfeld in den Bereichen Gesellschaftsrecht, Rechnungslegung und Abschlussprüfung, ABlEU v. 19.11.2008, C 279 E/36, Ziff. 3; vgl. ferner auch Bayer/ J. Schmidt BB 2008, 454, 457 f. 23 RL 2007/63/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 13.11.2007 zur Änderung der Richtlinien 78/855/EWG und 82/891/EWG des Rates hinsichtlich des Erfordernisses der Erstellung eines Berichts durch einen unabhängigen Sachverständigen anlässlich der Verschmelzung oder der Spaltung von Aktiengesellschaften, ABlEU v. 17.11. 2007, L 300/47. 24 RL 2009/109/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 16.9.2009 zur Änderung der Richtlinien 77/91/EWG, 78/855/EWG, 82/891/EWG des Rates sowie der Richtlinie 2005/56/EG hinsichtlich der Berichts- und Dokumentationspflicht bei Verschmelzungen und Spaltungen, ABlEU v. 2.10.2009, L 259/14.

Die Spaltungsrichtlinie (6. Richtlinie)

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Für Deutschland, wo das Rechtsinstitut der Spaltung früher unbekannt war, hatte 5 die RL zunächst keine praktische Bedeutung.25 Ihre Vorgaben wurden vielmehr erst relevant, als der Gesetzgeber sich nach der Wiedervereinigung entschloss, die Spaltung zunächst für einige spezifische Sonderfälle 26 und dann im Zuge der Konsolidierung des gesamten Umwandlungsrechts im UmwG 1994 27 generell zuzulassen.28 Bei der Umsetzung der RL-Vorgaben im Dritten Buch des UmwG (§§ 123 ff.) hat der deutsche Gesetzgeber den weitgehenden Gleichlauf von Fusions- und Spaltungs-RL (vgl. dazu bereits o. Rn. 2 sowie u. Rn. 23) auch regelungstechnisch nachvollzogen: § 125 S. 1 UmwG erklärt die meisten Vorschriften über die Verschmelzung für entsprechend anwendbar.29 Die Änderungs-RL 2007/63/EG (Rn. 4) erforderte ebenfalls keine speziellen Umsetzungsmaßnahmen, da das deutsche Recht einen Verzicht auf die Spaltungsprüfung bereits zuvor zugelassen hatte (vgl. u. Rn. 53). Die ÄnderungsRL 2009/109/EG (Rn. 4) wurde zunächst partiell durch das ARUG 30 (vgl. u. Rn. 56), der Rest dann (leicht verspätet 31) durch das 3. UmwÄndG 32 umgesetzt (näher u. Rn. 43, 53, 108, 111).

II. Anwendungsbereich Der subjektive Anwendungsbereich der RL ist – ebenso wie derjenige der 2. (Kapi- 6 tal-)RL (vgl. § 20 Rn. 12) und der 3. (Fusions-)RL (vgl. § 21 Rn. 7) – auf Aktiengesellschaften beschränkt; Art. 1 verweist insoweit auf die in Art. 1 Abs. 1 der 3. (Fusions-)RL (dazu § 21 Rn. 7) genannten Rechtsformen sowie die in dessen Abs. 2 und 3 normierten Ausnahmen (dazu § 21 Rn. 9).

25 Vgl. Bayer/J. Schmidt (Fn. 14), Rn. 8, 103; Lösekrug (Fn. 6), S. 314; Mayer (Fn. 17), Einf UmwG Rn. 104; H. Schwarz DStR 1994, 1694, 1697. 26 Durch §§ 1 ff. SpTrUG (Gesetz über die Spaltung der von der Treuhandanstalt verwalteten Unternehmen (SpTrUG) v. 5.4.1991, BGBl. I, 854) für Treuhandhandunternehmen in der Rechtsform der AG oder GmbH; durch §§ 4 ff. LAnpG (Gesetz über die strukturelle Anpassung der Landwirtschaft an die soziale und ökologische Marktwirtschaft in der Deutschen Demokratischen Republik, Neubekanntmachung: BGBl. 1991 I, 1418) für landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften; vgl. dazu auch Bayer, Privatisierung und Restrukturierung volkseigener und genossenschaftlicher Unternehmen durch Umwandlung, in: Hommelhoff u.a. (Hrsg.), Gesellschafts- und Umwandlungsrecht in der Bewährung, ZGR-Sonderheft 14 (1998), S. 22 ff. 27 Umwandlungsgesetz (UmwG) v. 28.10.1994, BGBl. I, 3210. 28 Vgl. Bayer/J. Schmidt (Fn. 14), Rn. 8, 103; Mayer (Fn. 17), Einf UmwG Rn. 104; H. Schwarz DStR 1994, 1694, 1697. 29 Vgl. Bayer/J. Schmidt (Fn. 14), Rn. 105; Habersack § 7 Rn. 30; H. Schwarz in: Widmann/Mayer, UmwG (Stand: 120. EL 2011), § 123 Rn. 2; A. Teichmann in: Lutter, UmwG, 4. Aufl. 2009, § 123 Rn. 5, § 125 Rn. 1 ff. 30 Gesetz zur Umsetzung der Aktionärsrechterichtlinie (ARUG) v. 30.7.2009, BGBl. I, 2479. 31 Vgl. dazu § 21 Rn. 6 Fn. 26. 32 Drittes Gesetz zur Änderung des Umwandlungsgesetzes v. 11.7.2011, BGBl. I, 1338.

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Zudem betrifft die RL – parallel zur 3. (Fusions-)RL (vgl. § 21 Rn. 8) – nur nationale Spaltungen, d.h. Spaltungen, bei denen alle daran beteiligten Aktiengesellschaften dem Recht desselben Mitgliedstaats unterliegen (vgl. Art. 1 Abs. 1: „ihrem Recht unterliegenden Gesellschaften“). Ein spezieller europäischer Rechtsrahmen für grenzüberschreitende Spaltungen besteht bislang nicht;33 Gesellschaften bleibt insoweit nur der – allerdings mit erheblicher Rechtsunsicherheit behaftete – Weg, sich unmittelbar auf die Niederlassungsfreiheit (Art. 49, 54 AEU) zu berufen (vgl. zum Schutz der grenzüberschreitenden Spaltung durch dieselbe bereits ausf. § 6 Rn. 76). 8 Der deutsche Gesetzgeber hat sich bei der Schaffung des UmwG mit Blick auf die Bedürfnisse der Praxis34 entschieden, die Spaltung über den Anwendungsbereich der RL hinaus nicht nur für Aktiengesellschaften, sondern auch für alle anderen Rechtsträger, die nach deutschem Recht an einer Verschmelzung beteiligt sein können, sowie einige weitere Rechtsträger, zuzulassen (vgl. § 124 Abs. 1 UmwG). Spezielle materiellrechtliche Regelungen auch zur grenzüberschreitenden Spaltung sieht das deutsche Recht dagegen bis heute nicht vor (vgl. zum Ganzen auch bereits § 6 Rn. 77 f.). 7

III. Erfasste Spaltungsvorgänge 1. Spaltung durch Übernahme und Spaltung durch Gründung neuer Gesellschaften 9 Die RL differenziert – auch insofern parallel zur 3. (Fusions-)RL (vgl. § 21 Rn. 13 ff.) – zwischen zwei verschiedenen Arten der Spaltung: Der Spaltung durch Übernahme und der Spaltung durch Gründung neuer Gesellschaften. Gem. Art. 1 Abs. 3 ist auch eine Kombination beider Arten möglich. 10 Spaltung durch Übernahme ist nach der Legaldefinition in Art. 2 Abs. 1 der Vorgang, durch den eine Gesellschaft ihr gesamtes Aktiv- und Passivvermögen im Wege der Auflösung ohne Abwicklung auf mehrere Gesellschaften überträgt, und zwar gegen Gewährung von Aktien der Gesellschaften, denen die sich aus der Spaltung ergebenden Einlagen zugute kommen (sog. begünstigte Gesellschaften), an die Aktionäre der gespaltenen Gesellschaft und ggf. Gewährung einer baren Zuzahlung von max. 10 % des Nennbetrages bzw. des rechnerischen Wertes der gewährten Aktien. 11 Spaltung durch Gründung neuer Gesellschaften ist nach der Legaldefinition in Art. 21 Abs. 1 der Vorgang, durch den eine Gesellschaft ihr gesamtes Aktiv- und Passivvermögen im Wege der Auflösung ohne Abwicklung auf mehrere neu gegründete Gesellschaften überträgt, und zwar gegen Gewährung von Aktien der begünstigten Gesellschaften an die Aktionäre der gespaltenen Gesellschaft und ggf. Gewährung einer baren Zuzahlung von max. 10 % des Nennbetrages bzw. des rechnerischen Wertes der gewährten Aktien. 33 Für die Schaffung eines speziellen Rechtsrahmens nachdrücklich bereits Bayer/J. Schmidt ZHR 171 (2009) 735, 771 sowie nun auch die Reflection Group (dazu § 18 Rn. 102). 34 Vgl. BegrRegE z. UmwG, BT-Drs. 12/6699, S. 74 f., 116.

Die Spaltungsrichtlinie (6. Richtlinie)

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Die drei übereinstimmenden Charakteristika beider Spaltungsformen sind 12 also:35 (1) partielle Gesamtrechtsnachfolge, (2) Auflösung der gespaltenen Gesellschaft ohne Liquidation, und (3) Aktientausch sowie ggf. bare Zuzahlung. Der maßgebliche Unterschied zwischen beiden ist, dass die begünstigten Gesell- 13 schaften bei der Spaltung durch Übernahme bereits vorher existieren, während sie bei der Spaltung durch Gründung neuer Gesellschaften – wie der Name schon sagt – erst im Zuge der Spaltung neu errichtet werden.36 Diese Differenzierung zwischen beiden Varianten ist für die gesamte Systematik der RL – die auch insofern Spiegelbild der 3. (Fusions-)RL (vgl. § 21 Rn. 17) ist – von grundlegender Bedeutung. Denn gem. Art. 22 Abs. 1 S. 1 gelten die meisten der in Art. 3–19 normierten Vorschriften über das Verfahren bei der Spaltung durch Übernahme zwar entsprechend auch für die Spaltung durch Gründung neuer Gesellschaften, Art. 22 normiert allerdings eine Reihe von Besonderheiten (ausf. u. Rn. 103 ff.). Mit der Möglichkeit einer baren Zuzahlung trägt die RL – ebenso wie die 3. (Fu- 14 sions-)RL (vgl. § 21 Rn. 18) – der Tatsache Rechnung, dass eine Spaltung ohne diese Option in der Praxis häufig scheitern würde, weil es nur so möglich ist, sog. „Spitzenbeträge“ auszugleichen.37 Ebenso wie in der 3. (Fusions-)RL gilt aber auch hier eine Obergrenze von 10 % des Nennbetrages bzw. des rechnerischen Wertes der Aktien. In Parallele zu Art. 30 der 3. (Fusions-)RL (dazu § 21 Rn. 18) stellt Art. 24 es den Mitgliedstaaten allerdings frei, auch Vorgänge zuzulassen, bei denen die bare Zuzahlung 10 % übersteigt; um Umgehungen zu verhindern38, müssen sie auf diese dann jedoch die Kapitel I–III anwenden. Ähnlich wie Art. 30 der 3. (Fusions-)RL eröffnet damit richtiger Ansicht nach auch Art. 24 die Möglichkeit einer vollständigen „Spaltung gegen Geld“.39

2. Verhältniswahrende und nicht-verhältniswahrende Spaltungen Die Spaltung kann nach der RL zum einen als verhältniswahrende Spaltung durch- 15 geführt werden, d.h. alle Aktionäre der gespaltenen Gesellschaft erhalten entsprechend ihrer Beteiligung an dieser Aktien sämtlicher begünstigter Gesellschaften. Wie sich aus Art. 3 Abs. 2 lit. i (dazu u. Rn. 30), Art. 5 Abs. 2 (dazu u. Rn. 82 f.) 16 und Art. 17 Abs. 1 lit. b (dazu u. Rn. 71 ff.) ergibt, müssen die Mitgliedstaaten aber (sofern sie die Spaltung überhaupt zulassen, vgl. o. Rn. 3) auch eine sog. nicht-ver-

35 36 37 38 39

Vgl. Edwards S. 101; Grundmann Rn. 884. Vgl. Edwards S. 101; Habersack § 7 Rn. 34. Vgl. auch Habersack § 7 Rn. 33. Vgl. Dorresteijn/Monteiro/C. Teichmann/Werlauff (Fn. 17), 3.67; Edwards S. 102. Ebenso Grundmann Rn. 885.

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hältniswahrende Spaltung, bei der sich die Beteiligungsquoten verschieben40, gestatten.41 Darunter fällt insbesondere auch eine sog. „Spaltung zu Null“, bei der ein oder mehrere Aktionär(e) der gespaltenen Gesellschaft nur an einer der begünstigten bzw. neuen Gesellschaften beteiligt werden (arg. ex Art. 17 Abs. 1 lit. b42, dazu noch u. Rn. 71).43 Dem mit solchen nicht-verhältniswahrenden Spaltungen verbundenen Eingriff in die Rechte der (Minderheits-)Aktionäre trägt die RL zum einen durch spezielle Transparenzregeln in Form der Angabe des Aufteilungsmaßstabs im Satzungsplan (Art. 3 Abs. 2 lit. i, dazu u. Rn. 30) und seiner Erläuterung im Satzungsbericht (Art. 8 Abs. 1, dazu u. Rn. 36) Rechnung. Zum anderen ermächtigt Art. 5 Abs. 2 die Mitgliedstaaten explizit dazu, den Minderheitsaktionären ein Sell-outRecht einzuräumen (dazu näher u. Rn. 82 f.). Zum Sonderproblem des völligen Verzichts auf die Anteilsgewährung u. Rn. 73. 3. Sonderfall: Liquidationsgesellschaften (Art. 2 Abs. 2, 21 Abs. 2) 17 Kraft der Verweise in Art. 2 Abs. 2 und Art. 21 Abs. 2 auf Art. 3 Abs. 2 bzw. Art. 4 Abs. 2 der 3. (Fusions-)RL (dazu § 21 Rn. 20) können die Mitgliedstaaten eine Spaltung auch dann zulassen, wenn die gespaltene Gesellschaft sich in Abwicklung befindet (allerdings auch hier nur, wenn noch nicht mit der Verteilung des Vermögens an die Aktionäre begonnen wurde). Nicht zulässig ist hingegen die Beteiligung von Liquidationsgesellschaften als begünstigte oder neu gegründete Gesellschaften (zumal letzteres ohnehin kaum denkbar wäre). 4. Sonderfall: Spaltung ohne Auflösung der gespaltenen Gesellschaft (Art. 25) 18 Sofern die Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats auch Vorgänge gestatten, bei denen die gespaltene Gesellschaft nicht aufhört zu bestehen, müssen sie hierauf gem. Art. 25 ebenfalls die Kapitel I–III 44 anwenden. Hierdurch sollen – ähnlich wie mit

40 Maßgeblich ist insoweit bei der Spaltung durch Neugründung ein Vergleich der rechnerischen Beteiligungsquote an der gespaltenen Gesellschaft mit den rechnerischen Beteiligungsquoten an den neuen Gesellschaften; bei der Spaltung durch Übernahme ist Vergleichsmaßstab dagegen die rechnerische Quote an den Aktien, die den Aktionären der gespaltenen Gesellschaft von der aufnehmenden Gesellschaft insgesamt gewährt werden, vgl. zur deutschen Umsetzung: Hörtnagl in: Schmitt/Hörtnagl/Stratz, UmwG, 5. Aufl. 2009, § 128 Rn. 2; Kallmeyer/Sickinger in: Kallmeyer, UmwG, 4. Aufl. 2010, § 128 Rn. 2 f.; Priester in: Lutter, UmwG, 4. Aufl. 2009, § 128 Rn. 8 f.; Schröer in: Semler/Stengel, UmwG, 2. Aufl. 2007, § 128 Rn. 5. 41 Vgl. Edwards S. 104; Grundmann Rn. 911; Habersack § 7 Rn. 37; Lösekrug (Fn. 6), S. 323, 331 f.; Mayer (Fn. 17), § 128 Rn. 1 ff.; KK-UmwG/Simon, 2009, § 128 Rn. 3; Wirth AG 1997, 455, 459; s. ferner auch Barbaso [1984] JBL 176, 180. 42 Die Norm sieht explizit vor, dass die Aktionäre der gespaltenen Gesellschaft „Aktionäre einer oder mehrerer begünstigter Gesellschaften“ werden [Hervorhebung hinzugefügt]. 43 Vgl. Habersack § 7 Rn. 37; Lösekrug (Fn. 6), S. 331; Schwarz Rn. 695. 44 Art. 17 Abs. 1 lit. c (dazu noch u. Rn. 74) ist ausdrücklich ausgenommen, da die gespaltene Gesellschaft fortbesteht; vgl. Lösekrug (Fn. 6), S. 387.

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der Parallelvorschrift des Art. 31 der 3. (Fusions-)RL (dazu § 21 Rn. 22) – Umgehungen der Schutzvorschriften der RL verhindert werden.45 Entgegen einer teilweise im Schrifttum vertretenen Ansicht 46 zielt Art. 25 aller- 19 dings nur auf solche Vorgänge, bei denen das gesamte Aktiv- und Passivvermögen der gespaltenen Gesellschaft übertragen wird.47 Dies ergibt sich bereits eindeutig aus dem Wortlaut der Norm48, der ausdrücklich auf „in Artikel 1 vorgesehene Vorgänge“ Bezug nimmt, zu deren wesensmäßigen Charakteristika gemäß den Legaldefinitionen in Art. 2 Abs. 1 bzw. Art. 21 Abs. 1 (neben Aktientausch und ggf. barer Zuzahlung sowie Auflösung der gespaltenen Gesellschaft) insbesondere auch die Übertragung des gesamten Aktiv- und Passivvermögens der gespaltenen Gesellschaft gehört (dazu bereits o. Rn. 12). Art. 25 verzichtet – ähnlich wie die Parallelnorm des Art. 31 der 3. (Fusions-)RL (dazu näher § 21 Rn. 22) – lediglich auf das Erfordernis der Auflösung der gespaltenen Gesellschaft.49 Nicht von Art. 25 erfasst sind damit insbesondere Vorgänge wie die „Abspaltung“ i.S.d. § 123 Abs. 2 UmwG 50, 51 oder die Ausgliederung i.S.d. § 123 Abs. 3 UmwG52. Es steht den Mitgliedstaaten zwar selbstverständlich frei, in ihrem nationalen Recht auch solche oder andere spaltungsähnliche Vorgänge zu gestatten, sie unterliegen dann aber nicht den Bindungen der RL.53 45 Vgl. Dorresteijn/Monteiro/C. Teichmann/Werlauff (Fn. 17), 3.67; Edwards S. 102; Lösekrug (Fn. 6), S. 389. 46 Vgl. Habersack FS Horn, 2006, S. 337, 352 f.; tendenziell auch (aber zurückhaltend): Grundmann Rn. 885; s. ferner auch die Nachweise in Fn. 51. 47 Bayer/J. Schmidt (Fn. 14), Rn. 104; Lösekrug (Fn. 6), S. 317, 388 ff.; Maier-Reimer in: Semler/Stengel, UmwG, 2. Aufl. 2007, § 133 Rn. 6. 48 Vgl. Bayer/J. Schmidt (Fn. 14), Rn. 104 Fn. 348; Lösekrug (Fn. 6), S. 389; Maier-Reimer (Fn. 47), § 133 Rn. 6. 49 Vgl. Lösekrug (Fn. 6), S. 389 f. 50 BegrRegE z. UmwG, BT-Drs. 12/6699, S. 115; Bayer/J. Schmidt (Fn. 14), Rn. 104 Fn. 348; Hommelhoff/Schwab in: Lutter, UmwG, 3. Aufl. 2004, § 143 Rn. 2, § 146 Rn. 3; Lösekrug (Fn. 6), S. 317, 391; Lutter ZGR 1990, 392, 403; Maier-Reimer (Fn. 47), § 133 Rn. 6; Mayer (Fn. 17), Einf UmwG Rn. 104; Schwab in: Lutter, UmwG, 4. Aufl. 2009, § 127 Rn. 3. 51 Für eine Erfassung auch der Abspaltung jedoch: Bachner/Kodek ZfRV 2011, 19, 25; Ços¸tan RIW 2010, 192, 194; Gehling in: Semler/Stengel, UmwG, 2. Aufl. 2007, § 127 Rn. 4; Habersack FS Horn, 2006, S. 337, 352 f.; Harrer (Fn. 17), S. 307, 365, 371; Heidenhain EuZW 1995, 327, 328; Hörtnagl (Fn. 40), Vor §§ 123–173 Rn. 16; Nobel (Fn. 16) Kap. 2 Rn. 216; Rieger in: Widmann/Mayer, UmwG (Stand: 120. EL 2011), Vor §§ 141–146 Rn. 23; Riesenhuber NZG 2004, 15, 18; Rümker WM-Festgabe Hellner, 1994, S. 73, 74; Tauchert-Nosko, Verschmelzung und Spaltung von Kapitalgesellschaften in Deutschland und Frankreich, S. 1999, S. 17; A. Teichmann (Fn. 29), § 123 Rn. 3; Wirth AG 1997, 455, 459. 52 Bayer/J. Schmidt (Fn. 14), Rn. 104 Fn. 348; Habersack FS Horn, 2006, S. 337, 353; Hommelhoff/Schwab (Fn. 50), § 143 Rn. 2, § 146 Rn. 6; Lösekrug (Fn. 6), S. 317, 398 f.; Lutter ZGR 1990, 392, 403; Maier-Reimer (Fn. 47), § 133 Rn. 6; Mayer (Fn. 17), Einf UmwG Rn. 104; Rieger (Fn. 51), Vor §§ 141–146 Rn. 23; H. Schmidt ZHR-Beiheft 68 (1999) 10, 14; Schuster ZGR 2010, 325, 353; Schwab (Fn. 50), § 127 Rn. 3; Tauchert-Nosko (Fn. 51), S. 17; A. Teichmann (Fn. 29), § 123 Rn. 3. 53 Vgl. Bayer/J. Schmidt (Fn. 14), Rn. 104 Fn. 348; Lösekrug (Fn. 6), S. 390 f., 398 f.; MaierReimer (Fn. 47), § 133 Rn. 6; s. ferner auch Habersack § 7 Rn. 41; Lutter ZGR 1990, 392, 403; Schwab (Fn. 50), § 127 Rn. 3.

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5. Umsetzung in Deutschland 20 Der deutsche Gesetzgeber hat mit dem UmwG nicht nur die Spaltung i.S.d. RL – in der deutschen Terminologie: Aufspaltung (§ 123 Abs. 1 UmwG) – eingeführt. Um deutschen Unternehmen umfassende Restrukturierungsmöglichkeiten zu eröffnen54, hat er vielmehr von dem den Mitgliedstaaten zukommenden Spielraum (vgl. dazu o. Rn. 19) Gebrauch gemacht und als weitere Formen der „Spaltung“ i.w.S. die Abspaltung (§ 123 Abs. 2 UmwG) und die Ausgliederung (§ 123 Abs. 3 UmwG) etabliert und diese dabei mit Blick auf die vergleichbare Interessenlage ungeachtet des Fehlens diesbezüglicher europarechtlicher Vorgaben (vgl. o. Rn. 19) weitgehend denselben Regeln unterworfen wie die Aufspaltung 55. Entsprechend der RL sind sämtliche Varianten der „Spaltung“ sowohl durch Übernahme (in der deutschen Terminologie: zur Aufnahme) als auch durch Gründung neuer Gesellschaften (in der deutschen Terminologie: zur Neugründung) sowie in Form einer Kombination aus beidem möglich (vgl. § 123 UmwG). 21 Ebenso wie bei der Verschmelzung (vgl. § 21 Rn. 20) wurde auch bei der Spaltung von der Option der Beteiligung von Liquidationsgesellschaften (vgl. o. Rn. 17) Gebrauch gemacht, vgl. § 124 Abs. 2 i.V.m. § 3 Abs. 3 UmwG 56. 22 Bezüglich barer Zuzahlungen hat der Gesetzgeber die 10 %-Grenze des § 68 Abs. 3 UmwG qua Verweisung in § 125 S. 1 UmwG auch auf die Spaltung erstreckt.57 Soweit sich auf Grund eines Nachbesserungsanspruchs gem. §§ 125 S. 1, 15 UmwG (dazu noch u. 84) – für den § 68 Abs. 3 UmwG nicht gilt, vgl. § 15 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 UmwG – insgesamt höhere bare Zuzahlungen ergeben, ist dies durch Art. 24 gedeckt.58 IV. Das Verfahren bei der Spaltung durch Übernahme 1. Überblick 23 Die RL enthält in den Art. 3 ff. detaillierte Vorgaben für das Verfahren der Spaltung durch Übernahme, die qua Art. 22 Abs. 1 weitgehend auch für die Spaltung durch Gründung neuer Gesellschaften gelten (ausf. u. Rn. 103 ff.) und auf dem bereits durch die 3. (Fusions-)RL etablierten „europäischen Modell für Strukturmaßnahmen“ mit seinem Fokus auf „Schutz durch Information“ (sog. Informationsmodell) basieren (vgl. bereits o. Rn. 2). Wesentliche Grundbausteine des Verfahrens sind daher auch

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Vgl. BegrRegE z. UmwG, BT-Drs. 12/6699, S. 75. Vgl. BegrRegE z. UmwG, BT-Drs. 12/6699, S. 115. Vgl. dazu BegrRegE z. UmwG, BT-Drs. 12/6699, S. 116; Lösekrug (Fn. 6), S. 318 f. Vgl. nur Lösekrug (Fn. 6), S. 318 f., 387; Schwarz Rn. 679; A. Teichmann (Fn. 29), § 125 Rn. 6, 8. Allerdings gilt § 68 Abs. 3 UmwG nicht für die Ausgliederung zur Aufnahme, da es dort nicht zu einem Aktientausch kommt, vgl. BegrRegE z. UmwG, BT-Drs. 12/6699, S. 117. 58 Vgl. Lösekrug (Fn. 6), S. 319, 387; Schwarz Rn. 679.

Die Spaltungsrichtlinie (6. Richtlinie)

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bei der Spaltung der publizitätspflichtige Spaltungsplan (Art. 3 f., dazu ausf. Rn. 24 ff.), der Spaltungsbericht (Art. 7, dazu ausf. Rn. 36), die Spaltungsprüfung (Art. 8, dazu ausf. Rn. 44 ff.), der Spaltungsbeschluss bzw. die Spaltungsbeschlüsse (Art. 5 f., dazu ausf. Rn. 54 ff.) und die Rechtmäßigkeitskontrolle (Art. 14, dazu ausf. Rn. 62 f.).

2. Der Spaltungsplan und seine Offenlegung (Art. 3 f.) a) Der Spaltungsplan (Art. 3) aa) Allgemeines Grundlage des gesamten Verfahrens ist – analog zur Verschmelzung (vgl. § 21 Rn. 25) – 24 ein Spaltungsplan (auch insoweit wurde bewusst ein neutraler Terminus gewählt), in dem die wesentlichen Bedingungen des Verfahrens festgehalten werden. Zuständig für die Aufstellung sind – ebenso wie bei der Verschmelzung (vgl. § 21 Rn. 26) – die Verwaltungs- oder Leitungsorgane der beteiligten Gesellschaften. bb) Form Ebenso wie der Verschmelzungsplan (vgl. § 21 Rn. 27) bedarf auch der Spaltungsplan 25 aus Beweis- und Kontrollgründen der Schriftform59. Die Mitgliedstaaten können allerdings auch hier über diesen Mindeststandard hinaus eine notarielle Beurkundung verlangen und müssen dies gem. Art. 14 unter bestimmten Voraussetzungen sogar (dazu näher u. Rn. 62). cc) Mindestinhalt Um eine hinreichende Information der Aktionäre zu gewährleisten, ist für den Spal- 26 tungsplan in Art. 3 Abs. 2 ebenfalls ein Mindestinhalt vorgeschrieben. Ebenso wie bei Art. 5 der 3. (Fusions-)RL (vgl. § 21 Rn. 28) können die Mitgliedstaaten jedoch über diesen Mindeststandard hinausgehende Anforderungen stellen und auch die Gesellschaften können weitere Punkte hinzufügen. Inhaltlich ist der vorgegebene Mindestinhalt ebenfalls weitgehend ein Spiegelbild 27 des Mindestinhalts des Verschmelzungsplans:60 Art. 3 Abs. 2 lit. a–g entsprechen

59 Da die Vorschrift europäisch-autonom auszulegen ist dürfte hier keine Schriftform i.S.d. § 126 Abs. 1 BGB erforderlich sein, sondern ein Dokument, das nach deutschem Verständnis der Textform i.S.d. § 126b BGB entspricht. Vgl. zur Parallelproblematik bei beim Spaltungsbericht u. Rn. 36, beim Spaltungsprüfungsbericht u. Rn. 44; i.R.d. 3. (Fusions-)RL: § 21 Rn. 27, 42, 53; i.R.d. 10. RL: § 23 Rn. 31, 54, 67; i.R.d. Aktionärsrechte-RL: § 31 Rn. 38, 92. 60 Vgl. Barbaso [1984] JBL 176, 179; Edwards S. 104; Grohmann, Das Informationsmodell im Europäischen Gesellschaftsrecht, 2006, S. 321 f.; Grundmann Rn. 910; Werlauff S. 589.

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Art. 5 Abs. 2 lit. a–g der 3. (Fusions-)RL (vgl. dazu § 21 Rn. 29 ff.). Zusätzlich stellen Art. 3 Abs. 2 lit. h und i aber zwei besondere, spaltungsspezifische Erfordernisse auf 61: 28 Gem. Art. 3 Abs. 2 lit. h muss der Spaltungsplan eine genaue Beschreibung und Aufteilung der zu übertragenden Aktiva und Passiva enthalten. Denn da das Vermögen des übertragenden Rechtsträgers bei der Spaltung – anders als bei der Verschmelzung – nicht auf einen einzelnen Rechtsträger übergeht, sondern auf mehrere Rechtsträger aufgeteilt wird, muss klar sein, welche Aktiva und Passiva im Wege der partiellen Universalsukzession gem. Art. 17 Abs. 1 lit. a (dazu ausf. u. Rn. 69 ff.) auf welchen Rechtsträger übergehen.62 Mit Blick auf diese Ratio ist es erforderlich, aber auch ausreichend, dass die Beschreibung so genau ist, dass ein sachkundiger Dritter in der Lage ist, eine eindeutige Zuordnung vorzunehmen.63 Inhaltliche Vorgaben für die Aufteilung macht die RL allerdings nicht; insoweit genießen die Parteien weitgehende „Aufteilungsfreiheit“ (sog. „Spaltungsfreiheit“).64 Europarechtlich begrenzt ist die Aufteilungsfreiheit allerdings bei Arbeitsverhältnissen; für diese sieht Art. 3 Abs. 1 der Betriebsübergangs-RL (dazu § 38) einen automatischen Übergang auf den „Erwerber“ vor (vgl. dazu noch u. Rn. 85 sowie § 38 Rn. 25 ff.). Eine immanente Grenze der Aufteilungsfreiheit bilden zudem etwaige einer Aufteilung bestimmter Gegenstände entgegenstehende Regelungen der lex rei sitae.65 Um eine Zuordnung in jedem Fall zu gewährleisten, flankiert die RL die Angabe29 pflicht in Art. 3 Abs. 3 durch eine Auffangregelung für nicht zugeteilte („vergessene“ 66) Gegenstände (die allerdings nach ihrem ausdrücklichen Wortlaut nur eingreift, wenn sich eine Zuteilung auch im Wege der Auslegung nicht feststellen lässt): Handelt es sich um einen Gegenstand des Aktivvermögens, so wird dieser (oder sein Gegenwert) auf alle begünstigten Gesellschaften anteilig im Verhältnis zu dem nach dem Spaltungsplan auf sie entfallenden Nettoaktivvermögen übertragen (lit. a). Für

61 Vgl. Barbaso [1984] JBL 176, 180; Edwards S. 104; Grohmann (Fn. 60), S. 322; Grundmann Rn. 910; Werlauff S. 589. 62 Vgl. Barbaso [1984] JBL 176, 180; Dorresteijn/Monteiro/C. Teichmann/Werlauff (Fn. 17), 3.66; Habersack § 7 Rn. 42; zur deutschen Umsetzung in § 126 Abs. 1 Nr. 9 UmwG: Priester (Fn. 40), § 126 Rn. 46; Schröer in: Semler/Stengel, UmwG, 2. Aufl. 2007, § 126 Rn. 55. 63 Vgl. zur deutschen Umsetzung in § 126 Abs. 1 Nr. 9 UmwG: Priester (Fn. 40), § 126 Rn. 55; Schröer (Fn. 62), § 126 Rn. 61; Simon (Fn. 41), § 126 Rn. 57. 64 Vgl. BegrRegE z. UmwG, BT-Drs. 12/6699, S. 118. 65 So wird z.B. in Deutschland teilweise die Ansicht vertreten, dass das deutsche Recht eine Aufteilung einer Verbindlichkeit auf verschiedene Rechtsträger nicht zulässt (so BegrRegE z. UmwG, BT-Drs. 12/6699, S. 118; Rieble ZIP 1997, 301, 310; a.A. Hörtnagl (Fn. 40), § 131 Rn. 47; Kallmeyer/Sickinger (Fn. 40), § 126 Rn. 25; Mayer (Fn. 17), § 126 Rn. 240 ff.; Priester (Fn. 40), § 126 Rn. 63; Schröer (Fn. 62), § 126 Rn. 68; A. Teichmann (Fn. 29), § 131 Rn. 42). 66 Erfasst sind allerdings auch bewusst ausgesparte Gegenstände oder solche, die sich zwischen Planaufstellung und Wirksamwerden der Spaltung verändert haben, vgl. A. Teichmann (Fn. 29), § 131 Rn. 83.

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„vergessene“ Passiva haften die begünstigten Gesellschaften gem. lit. b S. 1 als Gesamtschuldner, die Mitgliedstaaten können aber nach S. 2 eine Beschränkung der Haftung auf das der jeweiligen Gesellschaft zugeteilte Nettoaktivvermögen vorsehen. Zweites spaltungsspezifisches Erfordernis ist gem. Art. 3 Abs. 2 lit. i die Angabe 30 der Aufteilung der Aktien der begünstigten Gesellschaften67 auf die Aktionäre der gespaltenen Gesellschaft sowie des Aufteilungsmaßstabs. Ratio ist, dass die RL auch eine nicht verhältniswahrende Spaltung zulässt (dazu bereits o. Rn. 16) und dementsprechend die Aufteilung der Anteile im Spaltungsplan fixiert werden muss68 – nicht zuletzt auch, um eine hinreichende Information der (Minderheits-)Aktionäre zu gewährleisten.

dd) Umsetzung in Deutschland Der deutsche Gesetzgeber hat sich mit Blick auf den den Mitgliedstaaten insoweit 31 zukommenden Spielraum (vgl. o. Rn. 24) entschieden, auch für die Spaltung durch Aufnahme69 das traditionelle deutsche Modell eines Vertrages zu übernehmen.70 Zuständig für den Abschluss dieses sog. Spaltungs- und Übernahmevertrages ist im Einklang mit Art. 3 Abs. 1 gem. §§ 125 S. 1, 4 Abs. 1 S. 1 UmwG i.V.m. § 78 Abs. 1 S. 1 AktG der Vorstand71. In formaler Hinsicht ist über den Mindeststandard der RL (dazu o. Rn. 25 sowie u. Rn. 62) hinaus gem. §§ 125 S. 1, 6 UmwG ebenso wie bei der Verschmelzung (vgl. § 21 Rn. 36) eine notarielle Beurkundung erforderlich 72 (s. dazu noch u. Rn. 63). Hinsichtlich des Mindestinhalts des Spaltungs- und Übernahmevertrages ist der 32 Gesetzgeber auch bei der Spaltung bewusst über den Mindeststandard der RL (dazu o. Rn. 26 ff.) hinausgegangen: § 126 Abs. 1 UmwG fordert im Interesse eines Gleichlaufs mit der Verschmelzung in Nr. 2, 7, 8 und 11 die gleichen zusätzlichen Angaben wie § 5 Abs. 1 Nr. 2, 7, 8 und 9 UmwG für den Verschmelzungsvertrag (vgl. dazu § 21 Rn. 37).73

67 Die deutsche Fassung („Aufteilung der begünstigten Gesellschaften“) ist insoweit fehlerhaft übersetzt, vgl. die englischen und französischen Fassungen („the allocations to the shareholders of the company being divided of shares in the recipient companies“/„la répartition aux actionnaires de la société scindée des actions des sociétés bénéficiaires“). S. ferner auch BegrRegE z. UmwG, BT-Drs. 12/6699, S. 118; Lösekrug (Fn. 6), S. 321. 68 Vgl. Barbaso [1984] JBL 176, 180; Werlauff S. 590. 69 Für die Spaltung durch Neugründung sieht § 136 UmwG dagegen konsequenterweise nur einen Spaltungsplan vor, vgl. u. Rn. 108. 70 Vgl. BegrRegE z. UmwG, BT-Drs. 12/6699, S. 118. 71 Bei der dualistischen SE das Leitungsorgan, bei der monistischen SE gem. § 22 Abs. 6 SEAG (dazu näher § 41 Rn. 143) der Verwaltungsrat. 72 Vgl. BegrRegE z. UmwG, BT-Drs. 12/6699, S. 119; Priester (Fn. 40), § 126 Rn. 13; Schröer (Fn. 62), § 126 Rn. 10. 73 Vgl. BegrRegE z. UmwG, BT-Drs. 12/6699, S. 117, 119; s. ferner Lösekrug (Fn. 6), S. 322, 328; Priester (Fn. 40), § 126 Rn. 17 f.; Schwarz Rn. 682.

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Die Auffangregelung des Art. 3 Abs. 3 lit. a für nicht zugeteilte Aktiva wurde in § 131 Abs. 3 UmwG richtlinienkonform umgesetzt.74 Bezüglich der Passiva gibt es zwar keine spezielle Regelung; gem. § 133 Abs. 1 S. 1 UmwG haften die an der Spaltung beteiligten Rechtsträger aber generell als Gesamtschuldner für alle Verbindlichkeit des übertragenden Rechtsträgers (dazu noch u. Rn. 98), so dass den Anforderungen des Art. 3 Abs. 3 lit. b Genüge getan ist.75

b) Offenlegung des Spaltungsplans (Art. 4) 34 Um eine rechtzeitige und umfassende Information von Aktionären, Gläubigern und allgemeinem Rechtsverkehr zu gewährleisten, muss der Spaltungsplan mindestens einen Monat vor dem Tag der Hauptversammlung, die über ihn zu beschließen hat, offen gelegt werden. Die Regelung der Offenlegungsmodi entspricht – einschließlich der durch die Änderungs-RL 2009/109/EG (Rn. 4) erfolgten Modernisierung – der Parallelvorschrift des Art. 6 der 3. (Fusions-)RL, so dass auf die diesbezüglichen Erläuterungen (§ 21 Rn. 38 ff.) verwiesen werden kann. 35 Diesen Gleichlauf hat der deutsche Gesetzgeber dadurch nachvollzogen, dass die Offenlegung schlicht durch Verweisung des § 125 S. 1 auf § 61 UmwG geregelt wurde76, 77; damit ergibt sich allerdings auch hier dieselbe Problematik hinsichtlich der Offenlegungsfrist (dazu ausf. § 21 Rn. 41) 78.

3. Spaltungsbericht (Art. 7) 36 Zweiter Grundbaustein des Verfahrens ist im Interesse einer umfassenden Information der Aktionäre auch bei der Spaltung ein ausführlicher schriftlicher 79 Bericht der Verwaltungs- oder Leitungsorgane jeder der beteiligten Gesellschaften (sog. Spal-

74 Vgl. BegrRegE z. UmwG, BT-Drs. 12/6699, S. 120 f.; Heidenhain EuZW 1995, 327; Kübler in: Semler/Stengel, UmwG, 2. Aufl. 2007, § 131 Rn. 69; Lösekrug (Fn. 6), S. 322; A. Teichmann (Fn. 51), § 131 Rn. 82, 90. 75 Vgl. Heidenhain EuZW 1995, 327; Lösekrug (Fn. 6), S. 322, 328; Schwarz Rn. 683; abw. Tauchert-Nosko (Fn. 51), S. 49 f. 76 Vgl. BegrRegE z. UmwG, BT-Drs. 12/6699, S. 126; Kallmeyer/Sickinger (Fn. 40), § 125 Rn. 69; Lösekrug (Fn. 6), S. 322; Priester (Fn. 40), § 128 Rn. 5. 77 Hieran wurde auch im Zuge des 3. UmwÄndG (Rn. 5), festgehalten, vgl. § 21 Rn. 41. 78 Vgl. dazu auch Bayer/J. Schmidt ZIP 2010, 953, 962. 79 Auf Grund der gebotenen europäisch-autonomen Auslegung dürfte auch hier keine Schriftform i.S.d. § 126 Abs. 1 BGB, sondern nur ein Dokument, das nach deutschem Verständnis der Textform i.S.d. § 126b BGB entspricht, erforderlich sein. Vgl. zur Parallelproblematik beim Spaltungsplan o. Rn. 25, beim Spaltungsprüfungsbericht u. Rn. 44, i.R.d. 3. (Fusions-)RL: § 21 Rn. 27, 42, 53; i.R.d. 10. RL: § 23 Rn. 31, 54, 67; i.R.d. Aktionärsrechte-RL: § 31 Rn. 38, 92. Anders als bei Art. 11 Abs. 2 S. 1 Aktionärsrechte-RL handelt es sich hier indes nur um eine Mindestregelung, d.h. die Mitgliedstaaten dürfen auch strengere Anforderungen stellen (z.B. Schriftform i.S.d. § 126 Abs. 1 BGB verlangen).

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tungsbericht), der den Aktionären im Wege der Vorabinformation gem. Art. 9 zur Kenntnis gebracht wird (dazu u. Rn. 55). Die in Art. 7 normierten Anforderungen an seinen Inhalt, bei denen es sich nach Sinn und Zweck ebenfalls nur um Mindeststandards handelt 80, korrespondieren im Wesentlichen mit denjenigen an den Verschmelzungsbericht gem. Art. 9 der 3. (Fusions-)RL (dazu ausf. § 21 Rn. 42 ff.). Auch hier sind der Spaltungsplan und insbesondere das Umtauschverhältnis der Aktien rechtlich und wirtschaftlich zu erläutern und zu begründen und es ist außerdem auf etwaige besondere Schwierigkeiten bei der Bewertung hinzuweisen. Hinzu kommen allerdings zwei spaltungsspezifische inhaltliche Anforderungen. Zum einen muss insbesondere auch der gem. Art. 3 Abs. 2 lit. i im Spaltungsplan anzugebende (vgl. o. Rn. 30) Maßstab für die Aufteilung der Aktien rechtlich und wirtschaftlich erläutert und begründet werden, was speziell bei der nicht verhältniswahrenden Spaltung (dazu o. Rn. 16) von Bedeutung ist81. Zum anderen ist ggf. (d.h. soweit diese(r) nicht entbehrlich ist/sind, dazu ausf. § 20 Rn. 51 ff., 174 f. sowie u. Rn. 52, 107) auf den/die Wertprüfungsbericht(e) für Sacheinlagen für die begünstigten Gesellschaften sowie das/die Register, bei dem/denen diese(r) Bericht(e) zu hinterlegen ist/sind, hinzuweisen82. Grund für diese spezielle – bei Verschmelzungen nicht bestehende – Hinweispflicht ist, dass auf Grund der spaltungsspezifischen Gefahren auch insoweit eine umfassende Information der Aktionäre gewährleistet sein soll.83 Eine ungeschriebene Grenze findet die Berichtspflicht – ebenso wie beim Ver- 37 schmelzungsbericht (dazu § 21 Rn. 45) – dort, wo die Offenlegung bestimmter Tatsachen im Einzelfall ausnahmsweise zu erheblichen Nachteilen für die Gesellschaft – und damit letztlich auch für die Aktionäre – führen könnte.84 In formaler Hinsicht geht die RL zwar – ebenso wie die 3. (Fusions-)RL – von 38 separaten Berichten für jede der beteiligten Gesellschaften aus; der Erstellung eines gemeinsamen Berichts dürfte jedoch auch hier nichts entgegenstehen (vgl. auch § 21 Rn. 46).85 Im Falle wesentlicher Veränderungen des Aktiv- oder Passivvermögens der 39 gespaltenen Gesellschaft zwischen der Aufstellung des Spaltungsplans und dem Tag der über diesen beschließenden Hauptversammlung sieht Art. 7 Abs. 3 eine Unterrichtungspflicht vor. Anders nach der – erst durch die Änderungs-RL 2009/109/EG

80 Vgl. zur Parallelnorm des Art. 9 der 3. (Fusions-)RL: § 21 Rn. 44. 81 Vgl. zur deutschen Umsetzung in § 127 UmwG: Gehling (Fn. 51), § 127 Rn. 27; Hörtnagl (Fn. 40), § 127 Rn. 6 ff.; Schwab (Fn. 50), § 127 Rn. 32. 82 In der deutschen Fassung heißt es zwar „erwähnen“; die anderen Sprachfassungen (englisch: „disclose“, französisch „mentionne“) sowie speziell die Ratio der Norm sprechen jedoch dafür, dass ein ausdrücklicher spezieller Hinweis und nicht nur eine versteckte beiläufige Erwähnung erforderlich ist; auch die deutsche Umsetzungsvorschrift in § 142 Abs. 2 UmwG verlangt daher einen „Hinweis“. 83 Vgl. BegrRegE BT-Drs. 12/6699, S. 126. 84 Vgl. zur Parallelnorm des Art. 9 der 3. (Fusions-)RL: § 21 Rn. 45. 85 Vgl. Habersack § 7 Rn. 43; Harrer (Fn. 17), S. 307, 367; Rieger (Fn. 51), Vor §§ 141–146 Rn. 19; a.A. Engelmeyer, Die Spaltung von Aktiengesellschaften nach dem neuen Umwandlungsrecht, 1995, S. 19 ff.

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(Rn. 4) eingeführten – Parallelregelung bei der Verschmelzung in Art. 9 Abs. 2 der 3. (Fusions-)RL (dazu § 21 Rn. 47) trifft diese Unterrichtungspflicht bei der Spaltung aber nur die Verwaltungs- oder Leitungsorgane der gespaltenen (und nicht der anderen beteiligten) Gesellschaften, da für das Spaltungsprojekt ausschließlich deren Vermögen relevant ist. Zu unterrichten sind aber auch hier die Hauptversammlung sowie die Verwaltungs- oder Leitungsorgane der anderen beteiligten Gesellschaften (die dann wiederum ihre Hauptversammlung informieren müssen). Zum Kriterium der „Wesentlichkeit“ bereits § 21 Rn. 47, zur Modifikation bei Konzernspaltungen u. Rn. 110. Anders als der Verschmelzungs- ist der Spaltungsbericht – vorbehaltlich eines Verzichts (dazu u. Rn. 42) – auch bei Konzernspaltungen stets erforderlich (vgl. auch noch u. Rn. 109), weil auch dort zumindest der Aufteilungsmaßstab problematisch bleibt und erläuterungsbedürftig ist.86 Entbehrlich ist der Spaltungsbericht allerdings gem. Art. 22 Abs. 5 bei der verhältniswahrenden Spaltung durch Neugründung, vgl. u. Rn. 106. Gem. Art. 10 Abs. 2 können die Mitgliedstaaten einen Verzicht auf den Spaltungsbericht gestatten; dieser muss allerdings – wie bei der Parallelregelung in Art. 9 Abs. 3 der 3. (Fusions-)RL (dazu § 21 Rn. 49) 87 – durch alle Aktionäre und Inhaber anderer mit Stimmrecht verbundener Wertpapiere aller an der Spaltung beteiligten Gesellschaften erfolgen. Die deutsche Umsetzungsvorschrift des § 127 UmwG verweist angesichts der Parallelität der RL-Vorgaben zu Verschmelzungs- und Spaltungsbericht weitgehend auf § 8 UmwG.88 Die Erweiterung der Berichtspflichten durch § 127 S. 1 Hs. 1 UmwG sowie §§ 127 S. 2, 8 Abs. 1 S. 2 und 3 UmwG ist auf Grund des Mindestnormcharakters des Art. 7 (s. o. Rn. 36) richtlinienkonform.89 Mit der RL vereinbar sind auch die durch § 127 S. 1 Hs. 2 UmwG ermöglichte gemeinsame Berichterstattung90 und die Einschränkung der Berichtspflicht qua §§ 127 S. 2, 8 Abs. 2 UmwG91 (vgl. auch o. Rn. 37 f.). Mit §§ 127 S. 2, 8 Abs. 3 S. 1 Alt. 1 UmwG hat der Gesetzgeber von der Option einer Verzichtsmöglichkeit (o. Rn. 42) Gebrauch gemacht. Von der Verweisung des § 127 S. 2 UmwG wäre zwar an sich auch § 8 Abs. 3 S. 1 Alt. 2 UmwG erfasst. Die Norm passt jedoch schon von ihrem Wortlaut her gar nicht auf die – einzig von der RL erfasste (vgl. o. Rn. 19 f.) – Aufspaltung92; i.Ü. wäre angesichts des

86 Vgl. Grundmann Rn. 910; Lösekrug (Fn. 6), S. 342 f.; s. ferner auch Schwab (Fn. 50), § 127 Rn. 54. 87 Anders als bei der Verschmelzung, wo die entsprechende Regelung (nach dem Vorbild des Art. 10) erst durch die Änderungs-RL 2009/109/EG (Rn. 4) eingeführt wurde (vgl. § 21 Rn. 49), war die jetzt in Art. 10 Abs. 2 normierte Verzichtsmöglichkeit bei der Spaltung bereits von Anfang an vorgesehen (ursprünglich Art. 10). 88 Vgl. BegrRegE z. UmwG, BT-Drs. 12/6699, S. 119. 89 Vgl. Lösekrug (Fn. 6), S. 339 f. 90 Vgl. Lösekrug (Fn. 6), S. 340 f. 91 Vgl. Lösekrug (Fn. 6), S. 341; Schwab (Fn. 50), § 127 Rn. 47; Simon (Fn. 41), § 127 Rn. 33. 92 Vgl. Schwab (Fn. 50), § 127 Rn. 54; Simon (Fn. 41), § 127 Rn. 36; für eine Geltung nur für Abspaltung und Ausgliederung auch Gehling (Fn. 51), § 127 Rn. 51; Kallmeyer/Sickinger

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Fehlens einer Dispensnorm für Konzernspaltungen in der RL (vgl. o. Rn. 40) insofern zumindest eine richtlinienkonforme Reduktion der Verweisung geboten93. I.R.d. 3. UmwÄndG (Rn. 5) war zwar zunächst geplant gewesen, dieses Redaktionsversehen durch Neufassung des § 8 Abs. 3 UmwG (als Abs. 4) zu beseitigen94; dies ist jedoch letztlich nicht erfolgt95. Die Hinweispflicht gem. Art. 7 Abs. 2 Unterabs. 2 wurde in § 142 Abs. 2 UmwG umgesetzt.96 Die Unterrichtungspflicht gem. Art. 7 Abs. 3 wurde ursprünglich in § 143 UmwG a.F. umgesetzt,97 nach dem 3. UmwÄndG (Rn. 5) gelten insoweit nun aber § 125 S. 1 i.V.m. § 64 Abs. 1 S. 2–4 n.F. UmwG (dazu bereits § 21 Rn. 50)98.

4. Spaltungsprüfung (Art. 8) Als dritter Grundbaustein des „europäischen Modells für Strukturmaßnahmen“ 44 (dazu o. Rn. 2, 23) hat auch bei der Spaltung zum Schutz der Aktionäre eine Prüfung durch einen oder mehrere unabhängige Sachverständige zu erfolgen, deren schriftlichen99 Prüfungsbericht die Aktionäre dann i.R.d. Vorabinformation gem. Art. 9 (dazu u. Rn. 55) einsehen können. Ebenso wie bei der Verschmelzungsprüfung (dazu § 21 Rn. 54) hat die Prüfung 45 grundsätzlich separat für jede einzelne an der Spaltung beteiligte Gesellschaft zu erfolgen (Art. 8 Abs. 1 S. 1); die Mitgliedstaaten können jedoch auch hier eine gemeinsame Prüfung zulassen (Art. 8 Abs. 1 S. 2). Die Vorgaben des Art. 8 Abs. 1 hin-

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(Fn. 40), § 127 Rn. 16; Lösekrug (Fn. 6), S. 342; nur für die Ausgliederung: Hörtnagl (Fn. 40), § 127 Rn. 21; für eine Geltung auch für die Aufspaltung allerdings Mayer (Fn. 17), § 127 Rn. 64. Vgl. Lösekrug (Fn. 6), S. 342 f.; Schwab (Fn. 50), § 127 Rn. 54. Vgl. dazu (dies begrüßend) Bayer/J. Schmidt ZIP 2010, 953, 956. Der Rechtsausschuss hat die Unterrichtungspflicht gem. Art. 9 Abs. 2 der 3. (Fusions-)RL (dazu § 21 Rn. 47) statt – wie ursprünglich geplant – nicht in § 8 UmwG für alle Rechtsträger, sondern lediglich in § 64 Abs. 1 UmwG n.F. für AG, KGaA und SE umgesetzt (vgl. Bericht Rechtsausschuss z. 3. UmwÄndG, BT-Drs. 17/5930, S. 9); bei der Streichung der geplanten Neufassung des § 8 Abs. 3 UmwG (als Abs. 4) hat er dabei offenbar schlicht übersehen, dass damit auch das Redaktionsversehen beseitigt worden wäre. Vgl. BegrRegE z. UmwG, BT-Drs. 12/6699, S. 126. Vgl. BegrRegE z. UmwG, BT-Drs. 12/6699, S. 127. Vgl. Bericht Rechtsausschuss z. 3. UmwÄndG, BT-Drs. 17/5930, S. 9; Leitzen DNotZ 2011, 526, 529; Neye/Kraft NZG 2011, 681, 683; Stöber CFL 2011, 266, 272. Anders als früher besteht die Unterrichtungspflicht damit zwingend auch nur noch bei AG, KGaA und SE. Auf Grund der gebotenen europäisch-autonomen Auslegung dürfte auch hier keine Schriftform i.S.d. § 126 Abs. 1 BGB, sondern nur ein Dokument, das nach deutschem Verständnis der Textform i.S.d. § 126b BGB entspricht, erforderlich sein. Vgl. zur Parallelproblematik beim Spaltungsplan o. Rn. 25, beim Spaltungsbericht u. Rn. 44, i.R.d. 3. (Fusions-)RL: § 21 Rn. 27, 42, 53; i.R.d. 10. RL: § 23 Rn. 31, 54, 67; i.R.d. Aktionärsrechte-RL: § 31 Rn. 38, 92. Anders als bei Art. 11 Abs. 2 S. 1 Aktionärsrechte-RL handelt es sich hier indes nur um eine Mindestregelung, d.h. die Mitgliedstaaten dürfen auch strengere Anforderungen stellen (z.B. Schriftform i.S.d. § 126 Abs. 1 BGB verlangen).

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sichtlich der Bestellung, Qualifikation und Unabhängigkeit der Prüfer entsprechen ebenfalls denjenigen des Art. 10 Abs. 1 der 3. (Fusions-)RL für die Verschmelzungsprüfung (dazu § 21 Rn. 55 f.). Prüfungsgegenstand ist – parallel zur Verschmelzungsprüfung (vgl. dazu § 21 Rn. 52) – der Spaltungsplan, wobei auch hier der Fokus auf der Nachprüfung des für die Aktionäre essentiellen Umtauschverhältnisses liegt. Nicht zu prüfen ist dagegen – ebenso wie bei der Verschmelzung – die wirtschaftliche Zweckmäßigkeit 100. Ferner gebietet die RL (auch insofern korrespondierend mit der 3. (Fusions-)RL, dazu § 21 Rn. 52) auch keine Prüfung des Spaltungsberichts 101; allerdings spricht hier ebenfalls nichts gegen eine nationale Regelung, welche die Prüfung auch hierauf erstreckt und so den Schutz der Aktionäre intensiviert 102. In Bezug auf den Mindestinhalt des Prüfungsberichts und das Auskunftsrecht der Sachverständigen erklärt Art. 8 Abs. 2 die Regelungen für die Verschmelzung in Art. 10 Abs. 2 und 3 der 3. (Fusions-)RL für entsprechend anwendbar, so dass auf die Erläuterungen hierzu in § 21 Rn. 53, 57 verwiesen werden kann. Zur Haftung der Sachverständigen u. Rn. 78. Anders als bei Verschmelzungen sind Spaltungsprüfung und -bericht (ebenso wie der Spaltungsbericht, dazu o. Rn. 40) – vorbehaltlich eines Verzichts (vgl. u. Rn. 51) – auch bei Konzernspaltungen stets erforderlich (vgl. auch noch u. Rn. 109), weil auch dort zumindest der Aufteilungsmaßstab problematisch bleibt und erläuterungsbedürftig ist.103 Nicht erforderlich ist die Spaltungsprüfung allerdings gem. Art. 22 Abs. 5 bei der verhältniswahrenden Spaltung durch Neugründung, vgl. u. Rn. 106. Gem. Art. 10 Abs. 1 sind Spaltungsprüfung und -bericht entbehrlich, wenn alle Aktionäre und Inhaber anderer mit einem Stimmrecht verbundener Wertpapiere aller an der Spaltung beteiligten Gesellschaften darauf verzichtet haben. Die ursprünglich als Mitgliedstaatenoption ausgestaltete Regelung (vgl. Art. 10 a.F.) wurde durch die Änderungs-RL 2007/63/EG (Rn. 4) im Interesse einer Harmonisierung mit Art. 10 Abs. 4 der 3. (Fusions-)RL n.F. (dazu § 21 Rn. 60) und Art. 8 Abs. 4 der 10. RL (dazu § 23 Rn. 76) zu einer obligatorischen Vorgabe hochgestuft.104 Eine ggf. parallel bestehende Pflicht zur Wertprüfung gem. Art. 27 Abs. 2, 10 Abs. 2 und 3 der 2. (Kapital-)RL (dazu § 20 Rn. 173 ff.) macht die Spaltungsprüfung dagegen nicht automatisch entbehrlich. Allerdings gibt Art. 27 Abs. 3 der 2. (Kapital-)RL n.F. den Mitgliedstaaten die Möglichkeit, in diesem Fall entweder ganz auf das Erfordernis von Sachverständigenprüfung und -bericht gemäß der 2. (Kapital-)RL zu verzichten oder die Erstellung beider Berichte durch den- bzw. dieselben Sachverständigen zu gestatten (dazu bereits § 20 Rn. 175, § 21 Rn. 61 sowie zur Parallelregelung in Art. 10 Abs. 5 der 2. (Kapital-)RL noch u. Rn. 107 sowie § 21 Rn. 132). 100 101 102 103 104

Vgl. Lösekrug (Fn. 6), S. 343. Vgl. Lösekrug (Fn. 6), S. 343. Vgl. Lösekrug (Fn. 6), S. 343. Vgl. Grundmann Rn. 910; Lösekrug (Fn. 6), S. 344 f. Vgl. KOM(2007) 91, S. 2; Bayer/J. Schmidt BB 2008, 454, 457.

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Auf Grund der Parallelität zur Verschmelzungsprüfung hat der deutsche Gesetz- 53 geber die Spaltungsprüfung schlicht durch Verweisung des § 125 S. 1 auf §§ 60, 9–12 UmwG geregelt.105 Ausdrücklich ausgenommen ist allerdings § 9 Abs. 2 UmwG106, d.h. – im Einklang mit der RL (o. Rn. 49) – muss auch bei Konzernspaltungen stets eine Spaltungsprüfung erfolgen 107 (eine Ausnahme würde sich zwar an sich auch aus §§ 125 S. 1, 9 Abs. 3, 8 Abs. 3 S. 1 Alt. 2 UmwG ergeben; bei der Verweisung des § 9 Abs. 3 UmwG auch auf § 8 Abs. 3 S. 1 Alt. 2 UmwG handelt es sich jedoch nach ganz h.M.108 um ein Redaktionsversehen109). Mit §§ 125 S. 1, 9 Abs. 3, 8 Abs. 3 S. 1 Alt. 1 UmwG hat der Gesetzgeber in Umsetzung der Option des Art. 10 a.F. von Anfang an einen Verzicht auf die Spaltungsprüfung zugelassen; durch die Änderungs-RL 2007/63/EG (o. Rn. 4) war daher insoweit keine Änderung veranlasst. Die Einschränkung des Berichtsinhalts gem. §§ 125 S. 1, 12 Abs. 3, 8 Abs. 2 UmwG ist richtlinienkonform.110 Einer Identität der Sacheinlage- und Spaltungsprüfer stand zwar schon bislang nichts entgegen111, durch das 3. UmwÄndG (Rn. 5) wurde die Zulässigkeit nun aber explizit klargestellt (vgl. §§ 125 S. 1, 69 Abs. 1 S. 4 UmwG n.F.)112. Von der durch Art. 27 Abs. 3 n.F. der 2. (Kapital-)RL neu eröffneten Möglichkeit, auf die Sacheinlageprüfung völlig zu verzichten, wenn ein Spaltungsbericht erstellt wird, wurde dagegen kein Gebrauch gemacht, sondern es wurde die Regelung des § 142 Abs. 1 UmwG (wonach eine Gründungsprüfung stets obligatorisch ist) beibehalten.113

105 Vgl. BegrRegE z. UmwG, BT-Drs. 12/6699, S. 119, 126. 106 § 9 Abs. 2 UmwG würde allerdings – ebenso wie § 8 Abs. 3 S. 1 Alt. 2 UmwG (dazu o. Rn. 43) – gar nicht auf die (einzig von der RL erfasste, vgl. o. Rn. 19 f.) Aufspaltung passen. 107 Die in der BegrRegE z. UmwG, BT-Drs. 12/6699, S. 117, vertretene Auffassung, wonach es bei Aufspaltung und Abspaltung stets zu einem Anteilstausch kommt, der eine Prüfung durch Sachverständige erforderlich machen kann, trifft allerdings nicht den Kern der Problematik. Entscheidend ist vielmehr (neben den Vorgaben der RL, dazu o. Rn. 49), dass das Vermögen der gespaltenen Gesellschaft bei der Aufspaltung auf mindestens zwei Gesellschaften aufgeteilt wird und deshalb die jeweiligen Vermögensteile in ihrem Wert festgestellt werden müssen, vgl. Lösekrug (Fn. 6), S. 344; A. Teichmann (Fn. 51), § 125 Rn. 5 Fn. 2. 108 Vgl. Lutter/Drygala in: Lutter, UmwG, 4. Aufl. 2009, § 9 Rn. 19; Mayer (Fn. 17), § 9 Rn. 39; Simon (Fn. 41), § 125 Rn. 10; Stratz in: Schmitt/Hörtnagl/Stratz, UmwG, 5. Aufl. 2009, § 9 Rn. 12. 109 Durch die i.R.d. 3. UmwÄndG (Rn. 5) ursprünglich geplante Neufassung des § 8 Abs. 3 UmwG (als Abs. 4) – von der dann jedoch letztlich doch abgesehen wurde (vgl. bereits o. Rn. 43, speziell Fn. 95) – wäre auch dieses Redaktionsversehen beseitigt worden, vgl. Bayer/J. Schmidt ZIP 2010, 953, 956. 110 Vgl. Lösekrug (Fn. 6), S. 347. S. ferner auch § 21 Rn. 50 zur Parallelproblematik bei der Verschmelzung. 111 Vgl. Bayer/J. Schmidt ZIP 2010, 953, 956 m.w.N. 112 Vgl. BegrRegE z. 3. UmwÄndG, BR-Drs. 485/10, S. 14; Bayer/J. Schmidt ZIP 2010, 953, 956. 113 Kritisch dazu Bayer/J. Schmidt ZIP 2010, 953, 957.

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5. Spaltungsbeschlüsse 54 Als vierter Grundbaustein des „europäischen Modells für Strukturmaßnahmen“ (dazu o. Rn. 2, 23) und zentrales Element des Aktionärsschutzes bedarf die Spaltung gem. Art. 5 Abs. 1 S. 1 der Zustimmung der Hauptversammlung jeder an der Spaltung beteiligten Gesellschaft (dazu näher u. Rn. 57 f.).

a) Vorabinformation (Art. 9) 55 Um den Aktionären eine informierte Entscheidung zu ermöglichen, müssen ihnen gem. Art. 9 auch bei der Spaltung mindestens einen Monat vor dem Tag der Hauptversammlung, die über den Spaltungsplan zu beschließen hat, umfangreiche Informationen über das Spaltungsprojekt zur Verfügung gestellt werden. Die Vorgaben des Art. 9 bezüglich des Gegenstands dieser Vorabinformation und der Informationsmodi – bei denen es sich ebenfalls nur um Mindeststandards handelt – korrespondieren (einschließlich der durch die Änderungs-RL 2009/109/EG (Rn. 4) erfolgten Modernisierung) mit denjenigen des Art. 11 der 3. (Fusions-)RL114, so dass hinsichtlich der Einzelheiten auf die Erläuterungen hierzu (§ 21 Rn. 64 ff.) verwiesen werden kann. Bei der verhältniswahrenden Spaltung durch Neugründung ist allerdings gem. Art. 22 Abs. 5 keine Zwischenbilanz erforderlich, vgl. u. Rn. 106. 56 Auf Grund dieser Parallelität zur Vorabinformation bei der Verschmelzung hat der deutsche Gesetzgeber die Vorgaben des Art. 9 ebenfalls schlicht durch Verweisung des § 125 S. 1 auf § 63 UmwG umgesetzt.115 Damit stellen sich allerdings auch in Bezug auf die Spaltung die bei § 21 Rn. 74 f. erörterten Probleme bzgl. Auslegungs-/Zugänglichkeitsfrist und Auslegungsort.116

b) Hauptversammlungsbeschlüsse (Art. 5 Abs. 1) 57 Die Vorgaben in Bezug auf die Mehrheitserfordernisse für den Hauptversammlungsbeschluss, seinen Gegenstand 117 und die etwaige Erforderlichkeit eines Sonderbeschlusses sind ebenfalls deckungsgleich mit denjenigen für die Verschmelzung: Art. 5

114 Die Mitgliedstaatenoption hinsichtlich der Möglichkeit eines Verzichts auf die Erstellung einer Zwischenbilanz ist bei der Spaltung allerdings nicht unmittelbar in Art. 9, sondern in Art. 10 Abs. 2 geregelt. Hintergrund ist, dass sie hier von Anfang an (ursprünglich in Art. 10 a.F.) vorgesehen war, während sie bei der Verschmelzung erst durch die Änderungs-RL 2009/109/EG (Rn. 4) eingeführt wurde, vgl. § 21 Rn. 71 sowie Bayer/ J. Schmidt BB 2010, 387, 389; s. ferner auch Sandhaus NZG 2009, 41, 43. 115 Vgl. BegrRegE z. UmwG, BT-Drs. 12/6699, S. 126; Lösekrug (Fn. 6), S. 327. 116 Vgl. dazu auch Bayer/J. Schmidt ZIP 2010, 953, 963. 117 Der Begriff „Tragweite“ in der deutschen Fassung ist falsch übersetzt. In der englischen Fassung heißt es „scope“, in der französischen „portée“. Gemeint ist die „Reichweite“ des Beschlusses, also sein Gegenstand.

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Abs. 1 S. 2 erklärt insoweit explizit die Regelungen in Art. 7 der 3. (Fusions-)RL (dazu ausf. § 21 Rn. 76 ff.) für anwendbar. Der deutsche Gesetzgeber folgt dieser Regelungstechnik, indem § 125 S. 1 UmwG 58 auf § 65 UmwG (dazu näher § 21 Rn. 80) verweist.118 Im Falle einer nicht-verhältniswahrenden Spaltung verlangt § 128 S. 1 UmwG allerdings zum Schutz der Minderheitsaktionäre 119 beim übertragenden Rechtsträger (= gespaltene Gesellschaft) einen einstimmigen Beschluss. Dies ist mit den lediglich einen Mindeststandard etablierenden Art. 5 Abs. 1 i.V.m. Art. 7 Abs. 1 der 3. (Fusions-)RL (vgl. dazu § 21 Rn. 76 ff.) vereinbar; 120 s. zur Problematik der Richtlinienkonformität des § 128 S. 1 UmwG mit der RL i.Ü. auch noch u. Rn. 84.

c) Entbehrlichkeit des Hauptversammlungsbeschlusses in Sonderfällen In Parallele zu Art. 8 der 3. (Fusions-)RL (dazu § 21 Rn. 81) gestattet Art. 6 den 59 Mitgliedstaaten auf das Erfordernis des Hauptversammlungsbeschlusses einer begünstigten Gesellschaft zu verzichten und stattdessen nur einer Aktionärsminderheit (Quorum: max. 5 %) ein Recht auf Herbeiführung einer Beschlussfassung einzuräumen; dies allerdings ebenfalls nur, wenn der Spaltungsplan gem. lit. a offen gelegt und den Aktionären eine Vorabinformation gem. lit. b ermöglicht wird. Deutschland hat von dieser Option durch §§ 125 S. 1, 62 Abs. 1–3 UmwG nur 60 partiell Gebrauch gemacht, nämlich nur für den Sonderfall der upstream-Spaltung einer Kapitalgesellschaft, deren Anteile sich zu insgesamt mind. 90 % in der Hand bzw. in den Händen des/der aufnehmenden Gesellschaft(en) befinden.121 Bei Konzernspaltungen ist der Hauptversammlungsbeschluss in bestimmten Fäl- 61 len auch bei der gespaltenen Gesellschaft entbehrlich, dazu näher u. Rn. 110.

6. Rechtmäßigkeitskontrolle, Wirksamwerden und Offenlegung a) Rechtmäßigkeitskontrolle (Art. 14) Zu den Kernelementen des Schutzinstrumentariums gehört schließlich auch bei der 62 Spaltung das Erfordernis einer umfassenden Rechtmäßigkeitskontrolle. Art. 14 erklärt diesbezüglich Art. 16 der 3. (Fusions-)RL (dazu ausf. § 21 Rn. 16 ff.) für entsprechend anwendbar, lässt den Mitgliedstaaten also auch insofern mit Blick auf die unterschiedlichen Traditionen die Wahl, ob sie die Rechtmäßigkeitskontrolle mittels einer

118 Vgl. BegrRegE z. UmwG, BT-Drs. 12/6699, S. 127. 119 Vgl. BegrRegE z. UmwG, BT-Drs. 12/6699, S. 120. 120 Vgl. BegrRegE z. UmwG, BT-Drs. 12/6699, S. 120; Habersack § 7 Rn. 37; Lösekrug (Fn. 6), S. 332; Rieger (Fn. 51), Vor §§ 141–146 Rn. 21; a.A. Heidenhain EuZW 1995, 327, 328. 121 Vgl. Habersack FS Horn, 2006, S. 337, 353 f.; unzutreffend insofern Lösekrug (Fn. 6), S. 324, 373.

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vorbeugenden gerichtlichen oder verwaltungsbehördlichen Kontrolle, mittels einer öffentlichen Beurkundung oder mittels einer Kombination aus beidem realisieren. 63 Deutschland hat im Interesse eines möglichst umfassenden Schutzes von Aktionären und Rechtsverkehr die bei der Verschmelzung traditionelle Kumulation von notarieller Beurkundung (§§ 125 S. 1, 6 UmwG) und registergerichtlicher Kontrolle122 in zulässiger Weise 123 auch für die Spaltung übernommen.

b) Zeitpunkt des Wirksamwerdens (Art. 15) 64 Den Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Spaltung überlässt Art. 15 – ebenso wie die Parallelregelung in Art. 17 der 3. (Fusions-)RL (dazu § 21 Rn. 87) – dem nationalen Recht, verpflichtet die Mitgliedstaaten im Interesse der Rechtssicherheit aber immerhin zu einer eindeutigen Fixierung. 65 Der deutsche Gesetzgeber hat sich mit § 131 Abs. 1 UmwG für die Eintragung in das Register des übertragenden Rechtsträgers als Anknüpfungspunkt entschieden, weil sich hierdurch der maßgebliche Zeitpunkt am einfachsten einheitlich festlegen lasse.124

c) Offenlegung (Art. 16) 66 Um den Rechtsverkehr über die Spaltung zu informieren, gebietet Art. 16 Abs. 1 – in Parallele zu Art. 18 Abs. 1 der 3. (Fusions-)RL (dazu § 21 Rn. 89) – die Offenlegung der Spaltung für jede der an der Spaltung beteiligten Gesellschaften in Übereinstimmung mit Art. 3 der 1. (Publizitäts-)RL125 (dazu näher § 19 Rn. 13 ff.). Als Erleichterung für die Praxis gestattet Art. 16 Abs. 2 dabei (ähnlich wie Art. 18 Abs. 2 der 3. (Fusions-)RL, dazu § 21 Rn. 89), dass jede begünstigte Gesellschaft die Offenlegung für die gespaltene Gesellschaft selbst veranlasst. 67 Auf Grund der Parallelität zu Art. 18 der 3. (Fusions-)RL hat der deutsche Gesetzgeber die Vorgaben des Art. 16 schlicht durch Verweisung des § 125 S. 1 auf §§ 16 Abs. 1 S. 1, 19 Abs. 3 UmwG i.V.m. § 10 HGB (ergänzt um eine spaltungsspezifische Sonderregelung zur Eintragungsreihenfolge in § 130 UmwG) umgesetzt.126 Das sich bereits aus §§ 125 S. 1, 16 Abs. 1 S. 2 UmwG ergebende Anmelderecht jedes übernehmenden Rechtsträgers wurde in § 129 UmwG nochmals ausdrücklich klargestellt.127 122 Vgl. dazu Hörtnagl (Fn. 40), 130 Rn. 10 ff.; Priester (Fn. 40), § 130 Rn. 5; Schwanna in: Semler/Stengel, UmwG, 2. Aufl. 2007, § 130 Rn. 2; Zimmermann in: Kallmeyer, UmwG, 4. Aufl. 2010, § 130 Rn. 2 ff. 123 Vgl. Hommelhoff/Riesenhuber (Fn. 6), S. 259, 273 Fn. 69; Lösekrug (Fn. 6), S. 363. 124 Vgl. BegrRegE z. UmwG, BT-Drs. 12/6699, S. 120; Priester (Fn. 40), § 130 Rn. 4. 125 Der Verweis auf Art. 3 der RL 68/151/EWG ist als Verweis auf Art. 3 der kodifizierten Fassung (RL 2009/101/EG) zu lesen, vgl. Art. 16 Abs. 2 RL 2009/101/EG. 126 Vgl. BegrRegE z. UmwG, BT-Drs. 12/6699, S. 120. 127 Vgl. BegrRegE z. UmwG, BT-Drs. 12/6699, S. 120; Priester (Fn. 40), § 129 Rn. 2; Schwanna (Fn. 122), § 129 Rn. 1; Simon (Fn. 41), § 129 Rn. 2; Zimmermann (Fn. 122), § 129 Rn. 1.

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V. Rechtsfolgen der Spaltung (Art. 17) Die Rechtsfolgen der Spaltung sind in Art. 17 – der weitgehend mit der Parallelrege- 68 lung in Art. 19 der 3. (Fusions-)RL (dazu § 21 Rn. 91 ff.) korrespondiert – geregelt. Die Spaltung hat danach ipso iure folgende drei zentralen Rechtswirkungen, die letztlich auch das Wesen dieses Rechtsinstituts ausmachen (s. auch bereits o. Rn. 12): (1) (Partielle) Universalsukzession (dazu u. Rn. 69 f.), (2) „Aktientausch“ (dazu u. Rn. 71 ff.), und (3) Erlöschen der gespaltenen Gesellschaft (dazu u. Rn. 74).

1. (Partielle) Universalsukzession (Art. 17 Abs. 1 lit. a) Das gesamte Aktiv- und Passivvermögen der gespaltenen Gesellschaft geht – auto- 69 matisch und ohne dass es hierzu besonderer Förmlichkeiten bedarf – anteilig auf die begünstigten Gesellschaften über (sog. partielle Universalsukzession). Maßgeblich ist insoweit grundsätzlich die im Spaltungsplan vorgesehene Aufteilung (vgl. Art. 3 Abs. 2 lit. h, dazu o. Rn. 28), subsidiär die sich aus der Auffangregelung des Art. 3 Abs. 3 (dazu o. Rn. 29) ergebende Aufteilung. Wie Art. 17 Abs. 1 lit. a ausdrücklich klarstellt, gilt die partielle Gesamtrechts- 70 nachfolge nicht nur im Verhältnis der beteiligten Gesellschaften zueinander, sondern grundsätzlich auch im Verhältnis zu Dritten. Vor dem Hintergrund der mangelnden Harmonisierung des allgemeinen Zivilrechts 128 enthält Art. 17 Abs. 3 insoweit allerdings einen dem Art. 19 Abs. 3 der 3. (Fusions-)RL (dazu § 21 Rn. 93) entsprechenden Vorbehalt inklusive korrespondierender Erleichterungen bezüglich der Vollziehung entsprechender im nationalen Recht vorgesehener Förmlichkeiten.

2. „Aktientausch“ (Art. 17 Abs. 1 lit. b) Die Aktionäre der gespaltenen Gesellschaft werden Aktionäre einer oder mehrerer 71 begünstigter Gesellschaften. Maßgeblich ist auch insoweit die im Spaltungsplan vorgesehene Aufteilung (Art. 3 Abs. 2 lit. i, dazu o. Rn. 30). Der Anteilserwerb vollzieht sich ipso iure; es bedarf – unabhängig vom sonst für die Übertragung geltenden Recht – weder besonderer Übertragungsakte noch einer Dokumentation. Zugleich gehen die Aktien der gespaltenen Gesellschaft mit deren Erlöschen (dazu u. Rn. 74) unter. Die Regelung der praktischen Einzelheiten des „Aktientauschs“ bleibt den Mitgliedstaaten überlassen129 (vgl. bereits o. Rn. 27 sowie § 21 Rn. 94). Das Schicksal etwaiger Rechte Dritter an den Aktien der gespaltenen Gesellschaft wird von der RL zwar ebenso wenig ausdrücklich geregelt wie von der 3. (Fusions-)RL; wie dort (vgl. § 21 Rn. 94) ist jedoch dem Konzept der Gesamtrechtsnachfolge entsprechend davon aus-

128 Vgl. Habersack § 7 Rn. 36; Schwarz Rn. 694. 129 Vgl. Habersack § 7 Rn. 37.

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zugehen, dass sich solche Rechte Dritter ipso iure an den Aktien der begünstigten Gesellschaft fortsetzen.130 72 In Parallele zu Art. 19 Abs. 2 der 3. (Fusions-)RL (dazu § 21 Rn. 95) macht Art. 17 Abs. 2 allerdings zwei wichtige Ausnahmen vom Anteilserwerb, mit denen – quasi als Prolongation der Art. 19–24a der 2. (Kapital-)RL (dazu ausf. § 20 Rn. 107 ff.) – die Entstehung eigener Aktien verhindert werden soll131. Ausgeschlossen ist der Anteilserwerb danach bei Aktien, die (a) die jeweilige begünstigte Gesellschaft oder (b) die gespaltene Gesellschaft selbst hält; um Umgehungen zu vermeiden, sind zudem jeweils auch Aktien erfasst, die von einer Person für Rechnung der jeweiligen Gesellschaft gehalten werden132. 73 Ebenso wie die 3. (Fusions-)RL (dazu § 21 Rn. 96) steht die RL darüber hinaus aber auch einem Verzicht von Aktionären auf die Gewährung von Anteilen und insbesondere auch diesbezüglichen nationalen Rechtsvorschriften nicht entgegen.133 Für einen „aufgedrängten“ Schutz ist auch hier kein vernünftiger Grund ersichtlich. Abweichendes ergibt sich i.Ü. auch nicht aus Art. 5 Abs. 2.134

3. Erlöschen der gespaltenen Gesellschaft (Art. 17 Abs. 1 lit. c) 74 Die gespaltene Gesellschaft erlischt ipso iure, weitere Rechtsakte (z.B. eine besondere Löschung) sind nicht erforderlich. Auch ein Liquidationsverfahren findet nicht statt (vgl. bereits o. Rn. 10 ff.), da sämtliche Aktiva und Passiva ja im Wege der partiellen Universalsukzession auf eine oder mehrere begünstigte Gesellschaften übergehen (vgl. o. Rn. 69 f.).

4. Umsetzung im deutschen Recht 75 Der deutsche Gesetzgeber hat die Parallelität der Regelungen in Art. 17 und Art. 19 der 3. (Fusions-)RL dadurch nachvollzogen, dass er die Rechtsfolgen der Spaltung in § 131 Abs. 1 UmwG korrespondierend mit § 20 UmwG geregelt hat.135 In §§ 131 Abs. 1 Nr. 1 S. 2, 132 UmwG a.F. wurde allerdings zunächst ein Vorbehalt bezüglich von Übertragbarkeitshindernissen des allgemeinen Zivilrechts normiert; diese von der

130 Abw. Vossius in: Widmann/Mayer, UmwG (Stand: 120. EL 2011), § 131 Rn. 9 (nicht durch RL vorgegeben). 131 Vgl. Edwards S. 114; Schwarz Rn. 694. 132 Für Rechnung handelnde Personen werden auch i.R.d. Art. 19–24a der 2. (Kapital-)RL grundsätzlich gleichgestellt, vgl. näher § 20 Rn. 113, 118, 125, 131, 147. 133 Vgl. Heckschen DB 2008, 1363, 1364 f.; Lösekrug (Fn. 6), S. 333 ff. 134 Ausf. Heckschen DB 2008, 1363, 1364 f.; Lösekrug (Fn. 6), S. 335; zur Umsetzung in das deutsche Recht auch Priester (Fn. 40), § 128 Rn. 15. 135 Vgl. BegrRegE z. UmwG, BT-Drs. 12/6699, S. 120.

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Praxis heftig kritisierte 136 und auch im Hinblick auf ihre Vereinbarkeit mit der RL problematische 137 „Spaltungsbremse“ wurde jedoch durch das 2. UmwÄndG138 gestrichen139. Zudem wurde in § 68 Abs. 1 S. 3 UmwG ein ausdrücklicher Dispens von der Anteilsgewährungspflicht für den Fall, dass alle Anteilsinhaber des übertragenden Rechtsträgers hierauf in notariell beurkundeter Form verzichten, eingeführt (dazu bereits § 21 Rn. 98), der qua § 125 S. 1 UmwG auch bei der Spaltung gilt.140

VI. Nichtigkeit und Bestandsschutz (Art. 19) Da mit einer „Entspaltung“ ähnliche Probleme verbunden sind wie mit einer „Ent- 76 schmelzung“ (vgl. dazu § 21 Rn. 99), erschien dem europäischen Gesetzgeber eine Einschränkung der Fälle einer Nichtigkeit auch hier zu Recht unabdingbar (vgl. Erwägungsgrund 11). Mit Blick auf die stark divergierenden nationalen Regelungen beschränkte er sich jedoch auch bei der Spaltung darauf, die Nichtigkeit an strenge verfahrensrechtliche Kautelen zu binden und einen numerus clausus von Nichtigkeitsgründen sowie Regelungen zum Schutz des Rechtsverkehrs zu etablieren. Art. 19 korrespondiert insoweit nahezu vollständig mit Art. 22 der 3. (Fusions-)RL141, so dass auf die Ausführungen hierzu in § 21 Rn. 99 ff. verwiesen werden kann. Einzig relevanter Unterschied ist die Haftungsregelung in Art. 19 Abs. 1 lit. h:142 Für die zwischen Wirksamwerden der Spaltung und Offenlegung des Beschlusses über die Nichtigkeit entstandenen Verbindlichkeiten ist zwar auch hier eine gesamtschuldnerische Haftung der beteiligten Gesellschaften vorgesehen; begünstigte Gesellschaften haften aber nur für Verbindlichkeiten zu ihren Lasten, und die Mitgliedstaaten können darüber hinaus eine Beschränkung der Haftung auf den auf die jeweilige begünstigte Gesellschaft übertragenen Teil des Nettoaktivvermögens vorsehen. Ebenso wie bei Art. 22 der 3. (Fusions-)RL handelt es sich i.Ü. auch bei Art. 19 um einen Mindeststandard, d.h. das nationale Recht kann die Nichtigkeit an noch strengere Voraussetzungen binden oder sogar völlig ausschließen.143 136 Vgl. etwa Heidenhain ZIP 1995, 801, 805 („missraten“); Kallmeyer GmbHR 1996, 242, 244 („gesetzestechnisch verunglückt“); Handelsrechtsausschuss des DAV NZG 2000, 802, 806 f. 137 Zur Problematik: Bungert BB 1997, 897, 899; Habersack § 7 Rn. 36; Heidenhain EuZW 1995, 327, 328 f.; Jesch ZHR-Beiheft 68 (1999) 148, 152 ff.; Lösekrug (Fn. 6), S. 364 ff.; Mayer GmbHR 1996, 403, 405; Rieger (Fn. 51), Vor §§ 141–146 Rn. 22 f. 138 Zweites Gesetz zur Änderung des Umwandlungsgesetzes v. 19.4.2007, BGBl. I, 542. 139 Vgl. dazu BegrRegE z. 2. UmwÄndG, BR-Drs. 548/06, S. 41; Bayer/J. Schmidt NZG 2006, 841, 845; Mayer/Weiler MittBayNot 2007, 368, 372 f.; K. Müller NZG 2006, 491 ff.; A. Teichmann (Fn. 51), § 131 Rn. 3 f. m.w.N. 140 Vgl. Heckschen DB 2008, 1363, 1364 ff.; Kallmeyer/Sickinger (Fn. 40), § 125 Rn. 76, § 131 Rn. 13; Mayer/Weiler DB 2007, 1235, 1238; Simon (Fn. 41), § 126 Rn. 29; zur Zulässigkeit eines Verzichts o. Rn. 73; kritisch zur RL-Konformität: Mayer/Weiler DB 2007, 1235, 1239 (allerdings jeweils nur in Bezug auf die 3. (Fusions-)RL). 141 Vgl. Grundmann Rn. 913; Lösekrug (Fn. 6), S. 369, 372. 142 Vgl. auch Edwards S. 116; Grundmann Rn. 913. 143 Vgl. Habersack § 7 Rn. 51; Lösekrug (Fn. 6), S. 372 f.

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Der deutsche Gesetzgeber ist mit § 131 Abs. 2 UmwG in Parallele zu § 20 Abs. 2 UmwG144 (vgl. dazu § 21 Rn. 104) auch bei der Spaltung in zulässiger Weise145 über den Mindeststandard der RL hinausgegangen und hat eine „Entspaltung“ ebenfalls generell ausgeschlossen146.

VII. Haftungsvorschriften (Art. 18) 78 Ebenso wie bei der Verschmelzung (vgl. § 21 Rn. 105 ff.) wird der präventive „Schutz durch Information“ (vgl. dazu bereits o. Rn. 23) auch bei der Spaltung mit Art. 18 durch Haftungsregeln ergänzt und effektiviert. Adressaten der Verschuldenshaftung sind hier – spiegelbildlich zu Art. 20 f. der 3. (Fusions-)RL (dazu § 21 Rn. 106) – zum einen die Mitglieder des Verwaltungs- oder Leitungsorgans der gespaltenen Gesellschaft, zum anderen die Sachverständigen, die den Spaltungsbericht für die gespaltene Gesellschaft erstellen. Ebenso wie bei Art. 20 f. der 3. (Fusions-)RL (vgl. § 21 Rn. 107) handelt es sich aber auch bei Art. 18 um einen Mindeststandard, d.h. den Mitgliedstaaten steht es frei, einerseits auch ein etwaiges Aufsichtsorgan oder die Mitglieder der Organe der begünstigten Gesellschaften einer Haftung zu unterwerfen und/oder andererseits auch Haftungsregeln zugunsten der Aktionäre der begünstigten Gesellschaften, der beteiligten Gesellschaften selbst oder der Gläubiger vorzusehen.147 Ferner macht Art. 18 – ebenso wie Art. 20 f. der 3. (Fusions-)RL (vgl. § 21 Rn. 108) – auch keine konkreten Vorgaben hinsichtlich der Ausgestaltung der Haftung, so dass der insoweit bestehende Spielraum der Mitgliedstaaten148 seine Grenze ebenfalls nur im effet utile findet. 79 Mit Blick auf den Gleichlauf der RL-Vorgaben zur Haftung bei Verschmelzung und Spaltung hat der deutsche Gesetzgeber Art. 18 schlicht durch Verweisung des § 125 S. 1 UmwG auf §§ 25–27 UmwG (Organhaftung) und § 11 Abs. 2 UmwG i.V.m. § 323 HGB (Sachverständigenhaftung) umgesetzt.149 Damit ist er auch bei der Spaltung in zulässiger Weise über den Mindeststandard der RL-Vorgaben hinausgegangen150 (s. dazu auch § 21 Rn. 109 f.).

144 Vgl. BegrRegE z. UmwG, BT-Drs. 12/6699, S. 120. 145 Vgl. Habersack § 7 Rn. 51; Lösekrug (Fn. 6), S. 372 f. 146 Vgl. Hörtnagl (Fn. 40), § 131 Rn. 112 ff.; Kallmeyer/Sickinger (Fn. 40), § 131 Rn. 16; Kübler (Fn. 74), § 131 Rn. 65 ff.; A. Teichmann (Fn. 51), § 131 Rn. 79 ff.; Kort AG 2010, 230, 235, 237; vgl. ferner auch BAG BB 2009, 329, 331; OLG Stuttgart NZG 2004, 463, 465; a.A. Engelmeyer (Fn. 85), S. 371 f.; Wirth, Spaltungen einer eingetragenen Genossenschaft, 1998, S. 253 ff. 147 Vgl. Grohmann (Fn. 60), S. 324. 148 Vgl. dazu auch Edwards S. 114. 149 Vgl. BegrRegE z. UmwG, BT-Drs. 12/6699, S. 122, 126. 150 Vgl. Lösekrug (Fn. 6), S. 370 ff.; Tauchert-Nosko (Fn. 51), S. 112.

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VIII. Schutz der (Minderheits-)Aktionäre, Arbeitnehmer und Gläubiger Ähnlich wie die Verschmelzung berührt natürlich auch die Spaltung neben den Inte- 80 ressen der (Minderheits-)Aktionäre in besonderem Maße auch diejenigen der Arbeitnehmer und Gläubiger. Angesichts der insoweit äußerst unterschiedlichen Regelungsansätze und -konzeptionen in den nationalen Rechtsordnungen sind diese Fragen allerdings auch bei der Spaltung (vgl. zur Verschmelzung § 21 Rn. 111) bewusst nur partiell harmonisiert worden.

1. Schutz der (Minderheits-)Aktionäre Den Schutz der Aktionäre gewährleistet die RL – ebenso wie die 3. (Fusions-)RL 81 (dazu § 21 Rn. 112) – primär mit der Einräumung eines (formalen) Mitentscheidungsrechts in Form des obligatorischen Hauptversammlungsbeschlusses (Art. 5, dazu o. Rn. 54 ff.), zu dessen materialer Absicherung den Aktionären aber umfangreiche Informationsrechte eingeräumt werden (sog. Informationsmodell, dazu o. Rn. 23); zudem wird der „Schutz durch Information“ auch hier durch Mindestvorgaben bzgl. der Haftung der Organe und Spaltungsprüfer ergänzt und effektiviert (Art. 18, dazu o. Rn. 78). Anders als die 3. (Fusions-)RL (vgl. § 21 Rn. 113) enthält die RL darüber hinaus 82 jedoch eine Regelung betreffend einen etwaigen weitergehenden speziellen Schutz der Minderheitsaktionäre, nämlich für den – eine spaltungsspezifische Sonderproblematik darstellenden151 – Fall der nicht-verhältniswahrenden Spaltung (dazu o. Rn. 16). Um dem hiermit verbundenen besonderen Eingriff in die Rechte der Minderheitsaktionäre Rechnung zu tragen, gestattet Art. 5 Abs. 2 S. 1 den Mitgliedstaaten explizit, den Minderheitsaktionären in diesem Fall ein Sell out-Recht einzuräumen. Mindeststandard für dessen Ausgestaltung ist aber gem. Art. 5 Abs. 2 S. 2 und 3, dass die Minderheitsaktionäre einen Anspruch auf eine dem Wert ihrer Aktien entsprechende Gegenleistung (allerdings nicht notwendig in Form einer Barzahlung 152) haben müssen und dass diese, soweit hierüber keine Einigung erzielt wird, durch ein Gericht festgesetzt werden können muss. Aus Art. 5 Abs. 2 S. 1 lässt sich allerdings nicht etwa im Umkehrschluss ableiten, 83 dass die Mitgliedstaaten keine anderen spezifischen Schutzinstrumente zugunsten der Minderheitsaktionäre vorsehen könnten. Vielmehr steht es ihnen auch bei Spaltungen – ebenso wie bei Verschmelzungen (vgl. § 21 Rn. 113) – frei, im nationalen

151 Bei der Verschmelzung geht stets das gesamte Aktiv- und Passivvermögen auf eine Gesellschaft über, so dass sich hier keine vergleichbare Problematik ergibt, vgl. auch Grundmann Rn. 911. 152 Das deutsche „Entgelt“ ist insofern etwas ambivalent; aus der englischen sowie der französischen Sprachfassung („consideration“ bzw. „contrepartie“) ergibt sich jedoch klar, dass schlicht eine „Gegenleistung“ gemeint ist. Wie hier i.E. auch Habersack § 7 Rn. 37; unzutreffend dagegen insofern Schwarz Rn. 695 Fn. 884.

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Recht weitergehende Schutzvorschriften zugunsten der Minderheitsaktionäre vorzusehen153, z.B. ein Austrittsrecht auch bei verhältniswahrenden Spaltungen oder einen Anspruch auf Verbesserung des Umtauschverhältnisses. Art. 5 Abs. 2 stellt lediglich explizit dar, dass das nationale Recht für den Sonderfall der nicht-verhältniswahrenden Spaltung ein Sell-out-Recht etablieren kann und normiert zugleich Mindestanforderungen im Hinblick auf dessen Ausgestaltung. Der Norm kommt aber nicht etwa zugleich auch der Charakter einer Höchstnorm oder gar einer abschließenden Vollharmonisierung des Schutzes der Minderheitsaktionäre zu.154 Dafür spricht nicht zuletzt auch, dass sämtliche nachfolgenden EU-Rechtsakte betreffend Strukturänderungen den Schutz der Minderheitsaktionäre gerade nicht vollständig harmonisieren, sondern es den Mitgliedstaaten ausdrücklich freistellen, spezielle Vorschriften zu erlassen, um einen angemessenen Schutz der Minderheitsaktionäre zu gewährleisten (vgl. Art. 24 Abs. 2 SE-VO (dazu § 41 Rn. 47), Art. 28 Abs. 2 SCE-VO (dazu § 42 Rn. 28), Art. 4 Abs. 2 S. 2 der 10. RL (dazu § 23 Rn. 131 ff.)). 84 Der deutsche Gesetzgeber hat von dem ihm damit zustehenden Freiraum umfassend Gebrauch gemacht und das für die Verschmelzung etablierte, aus Austrittsrecht gegen Barabfindung (§ 29 UmwG) und Nachbesserungsanspruch (§ 15 UmwG) bestehende Minderheitenschutzinstrumentarium qua § 125 S. 1 UmwG auch auf die Spaltung übertragen.155 Für den Sonderfall der nicht-verhältniswahrenden Spaltung wurde ein Sell-out-Recht allerdings nicht für ausreichend erachtet, weil die Minderheitsaktionäre auch dann noch Gefahr laufen würden, aus der Gesellschaft herausgedrängt zu werden; § 128 S. 1 UmwG verlangt deshalb beim übertragenden Rechtsträger (= gespaltene Gesellschaft) einen einstimmigen Beschluss, räumt den Minderheitsaktionären also ein Vetorecht ein.156 Da weder Art. 7 Abs. 1 noch Art. 5 Abs. 2 abschließender Charakter zukommt (vgl. o. Rn. 58, 83), ist auch diese über den Standard der RL hinausgehende Sonderregelung richtlinienkonform.157

153 Ebenso i.E. implizit auch Grundmann Rn. 912. 154 Vgl. auch Brause, Stimmrechtslose Vorzugsaktien bei Umwandlungen, 2002, S. 94; Habersack § 7 Rn. 37; Lösekrug (Fn. 6), S. 332; Tauchert-Nosko (Fn. 51), S. 89 f. 155 § 125 S. 1 UmwG macht nur für (von der RL nicht erfasste, vgl. o. Rn. 19 f.) Ausgliederung eine Ausnahme, weil die Regelungen hier nicht passen, vgl. BegrRegE z. UmwG, BT-Drs. 12/6699, S. 115, 117; vgl. zur Geltung der §§ 15, 29 UmwG i.Ü. nur Kallmeyer/Sickinger (Fn. 40), § 125 Rn. 18, 36. 156 Vgl. BegrRegE z. UmwG, BT-Drs. 12/6699, S. 120. Der DiskE (Beilage Nr. 214a z. BAnz Nr. 214 v. 15.11.1988) hatte dagegen in § 147 noch ein Recht zum Austritt gegen Barabfindung vorgesehen. 157 Vgl. BegrRegE z. UmwG, BT-Drs. 12/6699, S. 120; Brause (Fn. 154), S. 94; Habersack § 7 Rn. 37; Hörtnagl (Fn. 40), § 128 Rn. 1; Lösekrug (Fn. 6), S. 332; Priester (Fn. 40), § 128 Rn. 1; Tauchert-Nosko (Fn. 51), S. 89 f.; tendenziell auch Grundmann Rn. 916 Fn. 78; a.A. Heidenhain EuZW 1995, 327, 328; „erhebliche Zweifel“ auch bei Mayer (Fn. 17), § 128 Rn. 13 ff.

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2. Schutz der Arbeitnehmer (Art. 11) Hinsichtlich des Schutzes der Arbeitnehmer verweist Art. 11 – ebenso wie die Parallel- 85 regelung in Art. 12 der 3. (Fusions-)RL (vgl. dazu § 21 Rn. 115) – auf die Betriebsübergangs-RL (dazu § 38). Das deutsche Recht hat die Vorgaben der Betriebsübergangs-RL in § 613a BGB 86 umgesetzt (vgl. § 38 Rn. 6), dessen zuvor umstrittene Anwendbarkeit auch im Falle der Spaltung durch § 324 UmwG ausdrücklich klargestellt wurde158 (vgl. dazu auch noch § 38 Rn. 6). Zudem wurden in § 126 Abs. 1 Nr. 11, Abs. 3 UmwG159 – in Parallele zu § 5 Abs. 1 Nr. 9, Abs. 3 UmwG – über die Mindestvorgaben der RL hinausgehende spaltungsspezifische Informationsregeln zugunsten der Arbeitnehmer eingeführt (vgl. auch bereits o. Rn. 32) und durch § 134 UmwG wurde für die als besonders kritisch empfundenen Fälle der Betriebsaufspaltung eine Haftungsverschärfung für bestimmte Arbeitnehmeransprüche normiert.160

3. Schutz der Gläubiger (Art. 12 f.) Im Hinblick auf den Schutz der Gläubiger übernehmen Art. 12 f. zwar im Grundsatz 87 das Schutzinstrumentarium der Art. 13–15 der 3. (Fusions-)RL mit seiner Differenzierung zwischen Forderungs- und Anleihegläubigern sowie Inhabern von Sonderrechten (dazu § 21 Rn. 117 ff.), ergänzen dieses jedoch noch um spezielle Regeln betreffend die Haftung der begünstigten Gesellschaften für Verbindlichkeiten der gespaltenen Gesellschaft.161 Seine Legitimation findet dieser zusätzliche Schutz in der erhöhten Gefährdungslage für die Gläubiger, die aus der weitgehenden „Spaltungsfreiheit“ (dazu o. Rn. 28) und der hiermit möglichen „willkürlichen“ Verteilung von Aktiva und Passiva auf die begünstigten Gesellschaften resultiert.162

a) Forderungsgläubiger (Art. 12 Abs. 1–3, 5–7) In Parallele zu Art. 13 Abs. 1 der 3. (Fusions-)RL (dazu § 21 Rn. 118) verpflichtet 88 Art. 12 Abs. 1 die Mitgliedstaaten zunächst einmal ganz grundsätzlich zur Etablierung eines angemessenen Schutzsystems für die Interessen der Gläubiger der an der Spal158 Vgl. Bericht Rechtsausschuss z. UmwG, BT-Drs. 12/7850, S. 145; BegrRegE z. SeemGÄndG, BT-Drs. 14/7760, S. 20; Joost in: Lutter, UmwG, 4. Aufl. 2009, § 324 Rn. 1 ff. m.w.N. 159 Vgl. dazu BegrRegE z. UmwG, BT-Drs. 12/6699, S. 119; Priester (Fn. 40), § 126 Rn. 15 f., 76 ff. m.z.w.N. 160 Vgl. dazu BegrRegE z. UmwG, BT-Drs. 12/6699, S. 122 f.; Schwab (Fn. 50), § 134 Rn. 1 ff. m.z.w.N. 161 Vgl. Barbaso [1984] JBL 176, 182; Edwards S. 110 f.; Grundmann Rn. 912; Hommelhoff/Riesenhuber (Fn. 6), S. 259, 280; Nobel (Fn. 16) Kap. 2 Rn. 224. 162 Vgl. Grundmann Rn. 912; Habersack § 7 Rn. 45; Schwarz Rn. 699; Nobel (Fn. 16) Kap. 2 Rn. 224.

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tung beteiligten Gesellschaften. Geschützt werden müssen163 allerdings auch hier nur Gläubiger, deren Forderungen vor der Bekanntmachung des Spaltungsplans entstanden und zu diesem Zeitpunkt noch nicht fällig164 sind. 89 Bezüglich der konkreten Ausgestaltung dieses „angemessenen Schutzsystems“ eröffnet Art. 12 den Mitgliedstaaten die Wahl zwischen zwei „Schutzpaketen“165, welche gem. Art. 12 Abs. 7 auch miteinander kombiniert werden können (dazu u. Rn. 91 ff.). 90 Ähnlich wie bei der Verschmelzung (dazu § 21 Rn. 119) differenziert der europäische Gesetzgeber hinsichtlich des Schutzstandards dabei zwischen den Gläubigern der gespaltenen Gesellschaft einerseits und den Gläubigern der begünstigten Gesellschaften andererseits.166 Erstere erschienen besonders schutzbedürftig, da sie nicht nur ohne ihr Zutun einen neuen Schuldner erhalten, sondern zudem auch den Risiken einer aus der „Spaltungsfreiheit“ resultierenden ggf. willkürlichen Aufteilung der Aktiva und Passiva ausgesetzt sind (vgl. dazu auch bereits o. Rn. 28, 87). Art. 12 Abs. 4 gestattet den Mitgliedstaaten daher mittels der Verweisung auf Art. 13 Abs. 3 der 3. (Fusions-)RL (dazu § 21 Rn. 119), für die Gläubiger der begünstigten Gesellschaften andere Schutzstandards vorzusehen als für die Gläubiger der gespaltenen Gesellschaft. Darüber hinaus differenziert die RL aber auch selbst zwischen beiden Gläubigergruppen, denn die in beiden „Schutzpaketen“ enthaltenen Haftungstatbestände kommen jeweils nur den Gläubigern der gespaltenen Gesellschaft zugute.

aa) „Schutzpaket 1“: Anspruch auf Sicherheitsleistung und Ausfallhaftung (Art. 12 Abs. 2 u. 3) 91 „Schutzpaket 1“ besteht aus einem Anspruch auf Sicherheitsleistung (Art. 12 Abs. 2, dazu u. Rn. 92) sowie einer Ausfallhaftung der anderen begünstigten Gesellschaften für den Fall, dass die im Spaltungsplan designierte Schuldnerin (sog. Hauptschuldner) nicht leistet (Art. 12 Abs. 3, dazu u. Rn. 93). 92 Der in Art. 12 Abs. 2 normierte Mindeststandard für den Anspruch auf Sicherheitsleistung korrespondierte schon in der ursprünglichen Fassung mit Art. 13 Abs. 2 der 3. (Fusions-)RL und wurde durch die Änderungs-RL 2009/109/EG (Fn. 4) ebenfalls an Art. 32 Abs. 1 Unterabs. 2 S. 2 der 2. (Kapital-)RL (dazu § 20 Rn. 212) angepasst 167. Bzgl. der Einzelheiten kann daher auf § 21 Rn. 120 verwiesen werden; maß163 Den Mitgliedstaaten steht es aber freilich frei, auch andere Gläubiger zu schützen, vgl. RL-E 1970 (Fn. 2), S. 13. 164 Anders als in Art. 13 Abs. 1 der 3. (Fusions-)RL (dazu § 21 Rn. 118) ist das französische „échues“ hier auch richtig mit „fällig“ übersetzt. 165 Vgl. Schwab (Fn. 50), § 133 Rn. 4 ff.; s. ferner auch Ços¸ tan RIW 2010, 192, 193 ff.; Engelmeyer (Fn. 85), S. 375; Simon (Fn. 41), § 133 Rn. 9 f.; Tauchert-Nosko (Fn. 51), S. 185. 166 Dies übersieht Schwab (Fn. 50), § 133 Rn. 142. 167 Vgl. dazu KOM(2008) 576, S. 5 f.; Bayer/J. Schmidt BB 2010, 387, 389; dies. ZIP 2010, 953, 962; Sandhaus NZG 2009, 41, 45; Schimka/Schörghofer WBl. 2010, 110, 116.

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geblich ist hier freilich die finanzielle Lage der gespaltenen Gesellschaft sowie der Gesellschaft, auf die die Verpflichtung nach dem Spaltungsplan übertragen wird. Zweites Element ist die in Art. 13 Abs. 3 S. 1 geregelte Ausfallhaftung der ande- 93 ren begünstigten Gesellschaften: Soweit ein Gläubiger der gespaltenen Gesellschaft von der Gesellschaft, auf welche seine Forderung nach dem Spaltungsplan übertragen wurde, keine Befriedigung erlangt hat, haften die anderen begünstigten Gesellschaften für diese Forderung als Gesamtschuldner. Gem. S. 2 können die Mitgliedstaaten diese Ausfallhaftung allerdings auf das der jeweiligen Gesellschaft zugeteilte Nettoaktivvermögen beschränken. Zudem kann das nationale Recht unter bestimmten Voraussetzungen auf eine Ausfallhaftung verzichten, wenn die Spaltung der Aufsicht eines Gerichts nach Art. 23 unterliegt (dazu ausf. u. Rn. 112 ff.).

bb) „Schutzpaket 2“: Gesamtschuldnerische Haftung (Art. 12 Abs. 6) „Schutzpaket 2“ gewährt den Gläubigern dagegen keinen Anspruch auf Sicherheits- 94 leistung. Dafür muss aber eine generelle – nicht vom Ausfall der „eigentlichen“ Schuldnerin abhängige – gesamtschuldnerische Haftung aller begünstigten Gesellschaften für Verpflichtungen der gespaltenen Gesellschaft bestehen, welche die Mitgliedstaaten auch nicht auf das übernommene Nettoaktivvermögen beschränken können (arg. e contrario ex Art. 13 Abs. 3 S. 2 u. Abs. 7) 168.

cc) Möglichkeit einer Kombination (Art. 12 Abs. 7) Art. 13 Abs. 7 gestattet den Mitgliedstaaten zudem ausdrücklich, die beiden Schutz- 95 pakete miteinander zu kombinieren, d.h. sowohl einen Anspruch auf Sicherheitsleistung als auch eine generelle (nicht subsidiäre) gesamtschuldnerische Haftung aller begünstigten Gesellschaften vorzusehen. Entscheidet sich ein Mitgliedstaat für eine solche Kombination, kann er die generelle gesamtschuldnerische Haftung (anders als bei isolierter Wahl des „Schutzpaket 2“, vgl. o. Rn. 94) auf das der jeweiligen Gesellschaft zugeteilte Nettoaktivvermögen begrenzen.

dd) Umsetzung in Deutschland Der deutsche Gesetzgeber hat sich mit Blick auf die mit einer Spaltung für Gläubiger 96 verbundenen Risiken für eine Kombination beider „Schutzpakete“ entschieden169: § 133 Abs. 1 UmwG sieht nicht nur eine generelle (nicht subsidiäre) gesamtschuld-

168 Vgl. auch Ços¸ tan RIW 2010, 192, 194; Engelmeyer (Fn. 85), S. 375; Habersack § 7 Rn. 47. 169 Vgl. Schwab (Fn. 50), § 133 Rn. 7; zumindest missverständlich insofern Simon (Fn. 41), § 133 Rn. 11, 16.

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nerische Haftung aller beteiligten Gesellschaften für die Verbindlichkeiten des übertragenden Rechtsträgers vor (S. 1), sondern zusätzlich auch einen Anspruch auf Sicherheitsleistung (S. 2). 97 Der Anspruch auf Sicherheitsleistung gem. §§ 133 Abs. 1 S. 2, 125 S. 1, 22 UmwG steht gleichermaßen den Gläubigern des übertragenden und den Gläubigern der übernehmenden Rechtsträger zu170; ebenso wie bei der Verschmelzung (vgl. § 21 Rn. 121) differenziert das UmwG insoweit nicht zwischen beiden Gruppen. Zudem geht das deutsche Recht auch insofern über den Mindeststandard der RL hinaus, als es ausreicht, dass der Anspruch bei Wirksamwerden der Spaltung bereits begründet war (vgl. auch bereits § 21 Rn. 121).171 Die 6-monatige Ausschlussfrist 172 und § 22 Abs. 2 sind richtlinienkonform (vgl. bereits § 21 Rn. 121). Da die RL nicht vorgibt, von wem die „angemessenen Garantien“ zu leisten sind, ist auch die Regelung in Hs. 2, dass Anspruchsgegner ausschließlich derjenige Rechtsträger ist, dem die Forderung zugeteilt wurde (sog. Hauptschuldner), richtlinienkonform; sie stellt sich ebenfalls als zulässige Konkretisierung der Vorgabe „angemessener Garantien“ dar.173 Schließlich waren – ebenso wie bei der Verschmelzung (vgl. § 21 Rn. 121) – auch im Hinblick auf die Änderungs-RL 2009/109/EG (Rn. 4) keine Anpassungen erforderlich.174 98 Die generelle gesamtschuldnerische Haftung175 gem. § 133 Abs. 1 S. 1 UmwG ist der Höhe nach unbeschränkt; der deutsche Gesetzgeber hat von der Option einer Beschränkung auf das Nettoaktivvermögen (Art. 12 Abs. 7, dazu o. Rn. 95) keinen Gebrauch gemacht 176. Zudem wurde der Kreis der geschützten Gläubiger – ebenso wie beim Anspruch auf Sicherheitsleistung (dazu o. Rn. 97) – über den Mindeststandard der RL hinaus auf alle Gläubiger des übertragenden Rechtsträgers erstreckt,

170 171 172 173

Vgl. Schwab (Fn. 50), § 133 Rn. 143. Vgl. Lösekrug (Fn. 6), S. 357 f. Vgl. Lösekrug (Fn. 6), S. 351. Vgl. Lösekrug (Fn. 6), S. 359; Maier-Reimer (Fn. 47), § 133 Rn. 7; zweifelnd jedoch Habersack § 7 Rn. 50 Fn. 91. 174 Vgl. Bayer/J. Schmidt BB 2010, 387, 389; dies. ZIP 2010, 953, 962; ferner (allerdings zurückhaltend) auch Sandhaus NZG 2009, 41, 45. Ebenso i.E. auch BegrRegE z. 3. UmwÄndG, BR-Drs. 485/10, S. 8; Simon (Fn. 41), § 22 Rn. 6; Stöber CFL 2011, 266, 272. 175 Die dogmatische Qualifikation dieser „gesamtschuldnerischen“ Haftung ist allerdings umstritten. Konsens besteht zwar zumindest insoweit, als die mithaftenden begünstigten Gesellschaften untereinander Gesamtschuldner i.S.d. § 421 ff. BGB sind. Streitig ist allerdings die – von der RL nicht präjudizierte (vgl. Habersack FS Bezzenberger, 2000, S. 93, 103 f.; Maier-Reimer (Fn. 47), § 133 Rn. 31; Schwab (Fn. 50), § 133 Rn. 24) – Frage, ob auch im Verhältnis der Mithafter zum Hauptschuldner eine Gesamtschuld i.S.d. §§ 421 ff. BGB vorliegt (so Hörtnagl (Fn. 40), § 133 Rn. 2 ff.; Ihrig ZHR-Beiheft 68 (1999) 80, 85 ff.; Maier-Reimer (Fn. 47), § 133 Rn. 31 ff.) oder ob die Verbindlichkeit des Hauptschuldners und der Mithafter zueinander im Verhältnis der Akzessorietät stehen (so grundlegend Habersack FS Bezzenberger, 2000, S. 93, 96 ff. sowie im Anschluss daran VG Karlsruhe NJOZ 2005, 3275, 3284 f.; Kallmeyer/Sickinger (Fn. 40), § 133 Rn. 3; Schwab (Fn. 50), § 133 Rn. 21 ff.; Schürnbrand, Der Schuldbeitritt zwischen Akzessorietät und Gesamtschuld, 2003, S. 124 f.; Vossius (Fn. 130), § 133 Rn. 25 ff.). 176 Vgl. Bayer/J. Schmidt (Fn. 14), Rn. 106; Habersack § 7 Rn. 48; Lösekrug (Fn. 6), S. S. 359 f.; Simon (Fn. 41), § 133 Rn. 11.

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deren Verbindlichkeiten vor Wirksamwerden der Spaltung begründet worden sind.177 § 133 Abs. 3–5 UmwG sehen allerdings eine zeitliche Beschränkung der Haftung der sog. Mithafter (d.h. derjenigen Gesellschaften, denen die betreffende Verbindlichkeit im Spaltungsplan nicht zugewiesen wurde) auf 5 Jahre 178 vor. Vor dem Hintergrund des durch § 133 UmwG i.Ü. generell umfassend gewährleisteten Schutzes dürfte hiergegen jedoch – jedenfalls bei richtlinienkonformer Auslegung der Norm179 – nichts einzuwenden sein.180

b) Anleihegläubiger (Art. 12 Abs. 4) Korrespondierend mit Art. 14 der 3. (Fusions-)RL erstreckt Art. 12 Abs. 4 den An- 99 wendungsbereich der Gläubigerschutzregeln des Art. 12 grundsätzlich auch auf Anleihegläubiger, trägt allerdings zugleich auch denjenigen nationalen Rechtsordnungen, welche die Spaltung von einer Zustimmung einer Versammlung der Anleihegläubiger abhängig machen, Rechnung (vgl. zur Parallelregelung in Art. 14 Fusions-RL näher § 21 Rn. 122). Das deutsche Recht – dem ein solches Zustimmungserfordernis fremd ist – behan- 100 delt Anleihegläubiger auch bei der Spaltung ebenso wie „normale“ Gläubiger; auch für sie gilt § 133 UmwG.181

c) Inhaber von Sonderrechten (Art. 13) Für die Inhaber von mit Sonderrechten verbundenen Wertpapieren der gespaltenen 101 Gesellschaft normiert Art. 13 einen mit Art. 15 der 3. (Fusions-)RL korrespondierenden besonderen Verwässerungsschutz. Die mindestens gleichwertigen Rechte müssen hier aber in den begünstigten Gesellschaften, denen gegenüber sie ihre Rechte nach dem Spaltungsplan geltend machen können (vgl. hierzu die spezielle Angabepflicht in Art. 3 Abs. 2 lit. h), gewährt werden. I.Ü. kann hinsichtlich der Einzelheiten auf die Ausführungen zur Parallelnorm des Art. 15 der 3. (Fusions-)RL bei § 21 Rn. 124 ff. verwiesen werden.

177 Vgl. Bayer/J. Schmidt (Fn. 14), Rn. 106; Habersack § 7 Rn. 49; Lösekrug (Fn. 6), S. 357 f. 178 Für Versorgungsverpflichtungen nach dem BetrAVG gilt seit dem 2. UmwÄndG (Fn. 138) eine Frist von 10 Jahren. 179 Dazu näher Lösekrug (Fn. 6), S. 362 f.; Schwarz Rn. 700. 180 Vgl. Bayer/J. Schmidt (Fn. 14), Rn. 106; Lösekrug (Fn. 6), S. 362 f.; Schwarz Rn. 700. Generell für Richtlinienkonformität: Maier-Reimer (Fn. 47), § 133 Rn. 7; Schwab (Fn. 50), § 133 Rn. 8; Simon (Fn. 41), § 133 Rn. 12. Einen Richtlinienverstoß sehen dagegen Grundmann Rn. 916; Habersack § 7 Rn. 50; Heidenhain EuZW 1995, 327, 329 f.; Rieger (Fn. 51), Vor §§ 141–146 Rn. 24; Weller in: Gebauer, Martin/Wiedmann, Thomas (Hrsg.), Zivilrecht unter europäischem Einfluss, 2. Auflage 2010, Kap. 21 Rn. 53; allg. gegen die Zulässigkeit einer zeitlichen Beschränkung auch Ços¸ tan RIW 2010, 192, 197. 181 Vgl. Lösekrug (Fn. 6), S. 354.

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Angesichts der parallelen RL-Vorgaben bei Verschmelzung und Spaltung hat der deutsche Gesetzgeber Art. 13 grundsätzlich durch Verweisung des § 125 S. 1 auf § 23 UmwG umgesetzt; für die sich hieraus ergebende Verpflichtung des im Spaltungsplan festgelegten (vgl. § 126 Abs. 1 Nr. 7 UmwG) Hauptschuldners zur Gewährung gleichwertiger Rechte haften allerdings gem. § 133 Abs. 2 S. 1 UmwG auch die anderen beteiligten Rechtsträger als Gesamtschuldner182.183

IX. Spaltung durch Gründung neuer Gesellschaften 103 Im Einklang mit der Regelungstechnik in der 3. (Fusions-)RL (dazu § 21 Rn. 129) gilt das Grundmodell der RL für die Spaltung durch Übernahme grundsätzlich auch für die Spaltung durch Gründung neuer Gesellschaften (vgl. auch bereits o. Rn. 13). Korrespondierend mit der Parallelnorm des Art. 23 Abs. 1 Unterabs. 1 S. 1 der 3. (Fusions-)RL (dazu § 21 Rn. 129) erklärt Art. 22 Abs. 1 S. 1 die Art. 3–5, 7–19 184 ausdrücklich auch für die Spaltung durch Neugründung für anwendbar, wobei gem. Art. 22 Abs. 1 S. 2 unter „an der Spaltung beteiligte Gesellschaften“ die gespaltene Gesellschaft und unter „begünstigte Gesellschaft“ jede der neuen Gesellschaften zu verstehen ist. Nicht verwiesen wird naturgemäß auf Art. 6 (dazu o. Rn. 59), da es bei der Spaltung durch Neugründung keine übernehmende Gesellschaft gibt, deren Zustimmung entbehrlich sein könnte. 104 Im Hinblick auf die Problematik der Nichtigkeit bzw. Vernichtbarkeit der im Wege der Spaltung neu gegründeten Gesellschaften stellt Art. 22 Abs. 1 S. 1 – ebenso wie die Parallelregelung in Art. 23 Abs. 1 Unterabs. 1 S. 1 der 3. (Fusions-)RL (dazu § 21 Rn. 130) – ausdrücklich klar, dass die diesbezüglichen allgemeinen Regeln in Art. 12 f. der 1. (Publizitäts-)RL185 (dazu § 19 Rn. 85 ff.) unberührt bleiben. 105 Art. 22 Abs. 2 und 3 ergänzen die allgemeine Verweisung auf die Regeln über die Spaltung durch Übernahme – in Parallele zu Art. 23 Abs. 1 Unterabs. 2 und Abs. 2 der 3. (Fusions-)RL (dazu § 21 Rn. 131) – um zwei wichtige Sonderregeln: Gem. Art. 22 Abs. 2 sind im Spaltungsplan nicht nur Rechtsform, Firma und Sitz der gespaltenen Gesellschaft (vgl. Art. 3 Abs. 2 lit. a), sondern auch der neuen Gesellschaften anzugeben; denn im Falle der Spaltung durch Neugründung sind diese Informationen

182 Vgl. zum umstrittenen Inhalt dieser „Mithaftung“: Hörtnagl (Fn. 40), § 133 Rn. 27 ff.; Maier-Reimer (Fn. 47), § 133 Rn. 74; Schwab (Fn. 50), § 133 Rn. 132 ff. 183 Vgl. BegrRegE z. UmwG, BT-Drs. 12/6699, S. 122; Lösekrug (Fn. 6), S. 354, 363; Tauchert-Nosko (Fn. 51), S. 197. 184 Der Verweis nur auf „Art. 8 Abs. 1 und 2“ erklärt sich daraus, dass Art. 8 Abs. 3 a.F. (der durch die Änderungs-RL 2009/109/EG (Rn. 4) durch Art. 27 Abs. 3 n.F. der 2. (Kapital-)RL ersetzt wurde, vgl. o. Rn. 52) ausgenommen werden musste, da Art. 22 Abs. 4 a.F. insoweit eine Sonderregelung vorsah (welche wiederum selbst durch die RL 2009/109/EG durch Art. 10 Abs. 5 n.F. der 2. (Kapital-)RL ersetzt wurde, vgl. dazu noch u. Rn. 107). 185 Der Verweis auf Art. 11 f. der RL 68/151/EWG ist als Verweis auf Art. 12 f. der kodifizierten Fassung (RL 2009/101/EG) zu lesen, vgl. Art. 16 Abs. 2 RL 2009/101/EG.

Die Spaltungsrichtlinie (6. Richtlinie)

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natürlich gerade auch im Bezug auf die neuen Gesellschaften essentiell.186 Art. 22 Abs. 3 erstreckt den Gegenstand der Spaltungsbeschlüsse (dazu o. Rn. 57) zusätzlich auch auf die jeweilige Satzung der neuen Gesellschaften (bzw. deren Entwürfe), da diese schließlich deren „Verfassung“ bilden. Art. 22 Abs. 5 enthält schließlich eine Sonderregelung für die verhältniswah- 106 rende Spaltung durch Neugründung, welche durch die Änderungs-RL 2009/109/EG (Rn. 4) von einer bloßen Mitgliedstaatenoption zu einer verbindlichen Regelung hochgestuft und inhaltlich erweitert187 wurde: Die Mitgliedstaaten dürfen hier weder einen Spaltungsbericht noch eine Spaltungsprüfung oder eine Zwischenbilanz verlangen. Ratio ist, dass der Maßstab für die Anteilsaufteilung hier keiner näheren Erläuterung und Begründung bedarf, da die Anteilsquoten fortgeschrieben werden und somit auch keine Unternehmensbewertungen anfallen.188 Da die Aktiva der gespaltenen Gesellschaften im Falle der Spaltung durch Neu- 107 gründung als „Sacheinlagen“ in die neuen Gesellschaften eingebracht werden, sind grundsätzlich die Regeln der 2. (Kapital-)RL über Sacheinlagen (dazu ausf. § 20 Rn. 40 ff.) anzuwenden, insbesondere – sofern es sich nicht um eine verhältniswahrende Spaltung handelt (vgl. Art. 22 Abs. 5, dazu o. Rn. 106) – auch das Erfordernis einer Wertprüfung durch Sachverständige (Art. 10 der 2. (Kapital-)RL, dazu ausf. § 20 Rn. 46 ff.). Damit kommt es jedoch zu einer „Doppelprüfung“: nach Art. 10 der 2. (Kapital-)RL einerseits und Art. 8 der 6. (Spaltungs-)RL andererseits. Schon die ursprüngliche Fassung der RL gestattete den Mitgliedstaaten daher im Interesse einer Aufwands- und Kostenreduktion durch Art. 22 Abs. 4 a.F., beide Prüfungsberichte durch den- bzw. dieselben Sachverständigen erstellen zu lassen. Durch die Änderungs-RL 2009/109/EG (Rn. 4) wurde diese Dispensoption in Art. 10 Abs. 5 der 2. (Kapital-)RL überführt, der nun als zentrale Regelung (auch im Hinblick auf die Parallelproblematik bei der nationalen und der grenzüberschreitenden Verschmelzung) fungiert (dazu bereits § 20 Rn. 52 sowie § 21 Rn. 132 und § 23 Rn. 77; zur Parallelregelung in Art. 27 Abs. 3 n.F. der 2. (Kapital-)RL bereits § 20 Rn. 175, § 21 Rn. 61 sowie o. Rn. 52).189 Die Vorschrift eröffnet den Mitgliedstaaten zudem nun auch die – bis dato nur bei Verschmelzungen vorgesehene (vgl. dazu § 21 Rn. 132) – Option, auf eine Sacheinlageprüfung nach der 2. (Kapital-)RL vollständig zu verzichten, wenn ein Spaltungsprüfungsbericht erstellt wird.190

186 Vgl. auch Lösekrug (Fn. 6), S. 290. 187 Gem. Art. 22 Abs. 5 a.F. durften die Mitgliedstaaten die Nichtanwendung von Art. 8 und Art. 9 Abs. 1 lit. e vorsehen; Art. 22 Abs. 5 n.F. verbietet die Anwendung von Art. 7, Art. 8 und Art. 9 Abs. 1 lit. c, d und e. 188 Vgl. Bayer/J. Schmidt ZIP 2010, 953, 957 f.; Grundmann Rn. 910; s. ferner allgemeiner auch Diekmann NZG 2010, 489, 491; Gehling (Fn. 51), § 127 Rn. 29; Leitzen DNotZ 2011, 526, 541; Schwab (Fn. 50), § 127 Rn. 30; Wagner DStR 2010, 1629, 1631. 189 Vgl. KOM(2008) 576, S. 9; Bayer/J. Schmidt BB 2010, 387, 389; dies. ZIP 2010, 953, 956; Sandhaus NZG 2009, 41, 46; Schimka/Schörghofer WBl. 2010, 110, 116. 190 Vgl. Bayer/J. Schmidt BB 2010, 387, 389; dies. ZIP 2010, 953, 956; Sandhaus NZG 2009, 41, 46; Schimka/Schörghofer WBl. 2010, 110, 116.

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Gesellschaftsrechtliche Richtlinien

Der deutsche Gesetzgeber hat die „Verweisungslösung“ der RL in §§ 135–137 UmwG übernommen.191 Da es bei der Spaltung durch Neugründung naturgemäß nicht möglich ist, einen Spaltungsvertrag zu schließen, tritt an seine Stelle im Einklang mit der RL192 gem. § 136 UmwG ein Spaltungsplan, auf den aber die Vorschriften über den Spaltungsvertrag (mit Ausnahme der nicht passenden §§ 4, 7 UmwG, vgl. § 135 Abs. 1 S. 1 UmwG) entsprechend anzuwenden sind.193 Art. 22 Abs. 2 wird durch §§ 125 S. 1, 5 Abs. 1 Nr. 1 UmwG Genüge getan, Art. 22 Abs. 3 wird durch §§ 125 S. 1, 37 UmwG umgesetzt194. Einer Identität der Sacheinlage- und Spaltungsprüfer stand zwar schon bislang nichts entgegen195, durch das 3. UmwÄndG (Rn. 5) wurde die Zulässigkeit nun aber explizit klargestellt (vgl. §§ 125 S. 1, 75 Abs. 1 S. 2 UmwG n.F.)196. Von der durch Art. 10 Abs. 5 n.F. der 2. (Kapital-)RL neu eröffneten Möglichkeit, auf die Sacheinlageprüfung völlig zu verzichten, wenn ein Spaltungsbericht erstellt wird, wurde dagegen kein Gebrauch gemacht, sondern es wurde die Regelung des § 144 UmwG (wonach eine Gründungsprüfung stets obligatorisch ist) beibehalten.197 Der Umgestaltung des Art. 22 Abs. 5 in eine zwingende Regelung wurde mit dem 3. UmwÄndG (Rn. 5) durch § 143 UmwG n.F. Rechnung getragen.198

X. Konzernspaltung (Art. 20) 109 Ebenso wie bei Verschmelzungen sah der europäische Gesetzgeber zwar prinzipiell auch bei Spaltungen im Konzern ein Bedürfnis für Erleichterungen. Vor dem Hintergrund der mit einer Spaltung verbundenen besonderen Gefahren für Minderheitsaktionäre wurden die Art. 24 ff. der 3. (Fusions-)RL (dazu § 21 Rn. 134 ff.) allerdings offenbar bewusst nicht komplett mutatis mutandis auch für die Spaltung übernommen, sondern die RL beschränkt sich in Art. 20 auf eine (allerdings auch nur partielle und spaltungsspezifisch modifizierte) „Spiegelung“ des Art. 25 der 3. (Fusions-)RL (zu diesem § 21 Rn. 138 f.).199 Durch die Änderungs-RL 2009/109/EG (Rn. 4) wurde 191 Vgl. BegrRegE z. UmwG, BT-Drs. 12/6699, S. 123. 192 Vgl. zur Terminologie sowie zur Differenzierung zwischen Spaltungsvertrag und -plan bereits o. Rn. 24, 31. 193 Vgl. BegrRegE z. UmwG, BT-Drs. 12/6699, S. 123; Lösekrug (Fn. 6), S. 380. 194 Vgl. Lösekrug (Fn. 6), S. 378. 195 Vgl. Bayer/J. Schmidt ZIP 2010, 953, 956; Diekmann in: Semler/Stengel, UmwG, 2. Aufl. 2007, § 144 Rn. 6; Kallmeyer/Sickinger (Fn. 40), § 144 Rn. 3; Lösekrug (Fn. 6), S. 379; Schwab (Fn. 50), § 144 Rn. 4, 12; Simon (Fn. 41), § 144 Rn. 7. 196 Vgl. BegrRegE z. 3. UmwÄndG, BR-Drs. 485/10, S. 14; Bayer/J. Schmidt ZIP 2010, 953, 956; Heckschen NZG 2010, 1041, 1046; Simon/Merkelbach DB 2011, 1317, 1318. 197 Vgl. BegrRegE z. 3. UmwÄndG, BR-Drs. 485/10, S. 14; kritisch dazu Bayer/J. Schmidt ZIP 2010, 953, 957. 198 Vgl. BegrRegE z. 3. UmwÄndG, BR-Drs. 485/10, S. 15; Bayer/J. Schmidt ZIP 2010, 953, 957 f.; Heckschen NJW 2011, 2390, 2395; Leitzen DNotZ 2011, 526, 541; Neye/Jäckel AG 2010, 237, 241; Neye/Kraft NZG 2011, 681, 683 f.; Simon/Merkelbach DB 2011, 1317, 1323; Stöber CFL 2011, 266, 269; Wagner DStR 2010, 1629, 1631. 199 Vgl. dazu auch Grundmann Rn. 909 ff., der speziell auch auf die enorme Komplexität einer etwaigen „Spiegelung“ der Art. 24 ff. Fusions-RL auf die Spaltung hinweist.

Die Spaltungsrichtlinie (6. Richtlinie)

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die Vorschrift allerdings – ebenso wie Art. 24 f., 27 f. der 3. (Fusions-)RL (dazu § 21 Rn. 139, 145) – von einer bloßen Mitgliedstaatenoption zu einer verbindlichen Vorgabe hochgestuft.200 Art. 20 macht den Hauptversammlungsbeschluss der gespaltenen Gesellschaft 201 110 bei einer 100 %-upstream-Spaltung (d.h. wenn den begünstigten Gesellschaften insgesamt alle Aktien sowie alle sonstigen ein Stimmrecht gewährenden Anteile der gespaltenen Gesellschaft gehören 202) entbehrlich. Bedingung hierfür ist aber, dass (a) die Offenlegung gem. Art. 4 (dazu o. Rn. 34) für alle beteiligten Gesellschaften mindestens einen Monat vor dem Wirksamwerden der Spaltung bewirkt wird, und (b) die Aktionäre der beteiligten Gesellschaften mindestens einen Monat vor dem Wirksamwerden der Spaltung die Möglichkeit zur Vorabinformation entsprechend Art. 9 (dazu o. Rn. 55) haben. Zudem modifiziert lit. d auf Grund des Wegfalls des Hauptversammlungsbeschlusses die Unterrichtungspflicht gem. Art. 7 Abs. 3 (dazu o. Rn. 39): Sie greift hier bei allen nach Aufstellung des Spaltungsplans wesentlichen Vermögensveränderungen.203 Entsprechend Art. 25 Abs. 1 lit. c i.V.m. Art. 8 lit. c der 3. (Fusions-)RL (dazu § 21 Rn. 138) sah Art. 20 lit. c ursprünglich auch ein Minderheitenrecht auf Herbeiführung der Beschlussfassung vor; dieses wurde jedoch durch die Änderungs-RL 2009/109/EG (Rn. 4) gestrichen, da in den Fällen des Art. 20 ohnehin alle Aktionäre an der Ausarbeitung des Spaltungsplans beteiligt sind 204. Der deutsche Gesetzgeber hatte von dieser früher nur optionalen (vgl. o. Rn. 109) 111 Regelung zunächst keinen Gebrauch gemacht.205 Auf Grund der Hochstufung zur zwingenden Vorgabe wurde nun jedoch durch das 3. UmwÄndG (Rn. 5) ein neuer § 62 Abs. 4 UmwG eingefügt, der qua § 125 S. 1 UmwG mutatis mutandis auch für die Spaltung 206 gilt.207

200 Vgl. KOM(2008) 576, S. 5; BegrRegE z. 3. UmwÄndG, BR-Drs. 485/10, S. 11; Bayer/ J. Schmidt BB 2010, 387, 389; dies. ZIP 2010, 953, 959; Neye/Jäckel AG 2010, 237, 239 f.; Sandhaus NZG 2009, 41, 45; Schimka/Schörghofer WBl. 2010, 110, 117. 201 Anders als Art. 25 Abs. 3 der 3. (Fusions-)RL (dazu § 21 Rn. 138) bezieht sich die Regelung nicht auf die begünstigten Gesellschaften (vgl. auch Habersack FS Horn, 2006, S. 337, 353); bzgl. deren Hauptversammlungsbeschlüsse besteht aber auch hier die Mitgliedstaatenoption des Art. 6 (dazu o. Rn. 59); vgl. auch Habersack FS Horn, 2006, S. 337, 353. 202 Im Gegensatz zu Art. 26 der 3. (Fusions-)RL (dazu § 21 Rn. 140) sieht die RL insoweit keine Option zur Gleichstellung einer nur „wirtschaftlichen“ Beteiligung vor. 203 Art. 25 der 3. (Fusions-)RL (dazu § 21 Rn. 138) sieht naturgemäß keine entsprechende Modifikation vor, da in den von der Norm erfassten Fällen gem. Art. 24 S. 3 der 3. (Fusions-)RL (dazu § 21 Rn. 137) ohnehin keine Unterrichtung erforderlich ist. 204 Vgl. KOM(2008) 576, S. 8. 205 Vgl. Habersack FS Horn, 2006, S. 337, 353. 206 Im Einklang mit Art. 20 ist die Verweisung insofern so auszulegen, dass nicht nur die Spaltung durch Aufnahme auf eine 100%ige Mutter, sondern auch auf mehrere Mütter, die gemeinsam sämtliche Anteile an der Tochter halten, erfasst ist (insofern etwas missverständlich BegrRegE z. 3. UmwÄndG, BR-Drs. 485/10, S. 11). 207 Vgl. BegrRegE z. 3. UmwÄndG, BR-Drs. 485/10, S. 10 f.; Bericht Rechtsausschuss z. 3. UmwÄndG, BT-Drs. 17/5930, S. 8; Bayer/J. Schmidt ZIP 2010, 953, 959; Freytag BB

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Gesellschaftsrechtliche Richtlinien

XI. Spaltung unter Aufsicht eines Gerichts (Art. 23) 1. Hintergrund der Sonderregelung 112 Art. 23 und Art. 12 Abs. 3 S. 3 enthalten Sonderregelungen für Spaltungen unter Aufsicht eines Gerichts, die als Zugeständnis an das UK eingeführt wurden.208 Hintergrund ist, dass „Verschmelzung“ und „Spaltung“ dem britischen Recht als eigenständige Rechtsinstitute fremd waren; die Verbindung bzw. Trennung von Unternehmen(steilen) wurde dort vielmehr traditionell im Wege der Übernahme (takeover) oder mittels eines sog. scheme of arrangement (ein allgemeines Rechtsinstrument zur Reorganisation der Rechtsverhältnisse einer Gesellschaft mit ihren Gesellschaftern und/oder Gläubigern, das zu seiner Wirksamkeit der gerichtlichen Genehmigung bedarf 209) erreicht 210. Die britische Delegation hatte daher vehement darauf gedrängt, für Spaltungen unter Aufsicht eines Gerichts ein umfangreiches System von Ausnahmen von den Vorschriften der RL vorzusehen, was jedoch von der Kommission und den meisten anderen Mitgliedstaaten abgelehnt wurde, weil man eine im Ermessen des Gerichts stehende Genehmigung nicht als gleichwertig mit den Schutzinstrumenten der RL ansah.211 Als Kompromiss einigte man sich schließlich darauf, in Art. 23 eine – gegenständlich begrenzte – Sonderregelung dahingehend aufzunehmen, dass das Gericht die an der Spaltung beteiligten Gesellschaften unter bestimmten Voraussetzungen von der Anwendung bestimmter Verfahrensvorschriften befreien kann (ausf. u. Rn. 113 ff.), und in Art. 12 Abs. 3 S. 3 eine spezielle Mitgliedstaatenoption bezüglich des Gläubigerschutzes zu ergänzen, die einen Verzicht auf die Ausfallhaftung ermöglicht (dazu bereits o. Rn. 93 sowie u. Rn. 116).212

2. Befugnis des Gerichts zur Befreiung von bestimmten verfahrensrechtlichen Anforderungen (Art. 23) 113 Um zu gewährleisten, dass das Gericht tatsächlich eine effektive Kontrolle des Spaltungsvorgangs ausüben kann, verlangt Art. 23 Abs. 1 zunächst als Grundvoraussetzung, dass das nationale Recht dem Gericht einen Mindeststandard verfahrensrechtlicher Befugnisse einräumt: Es muss nicht nur befugt sein, die Hauptversammlung der Aktionäre und eine Versammlung der Gläubiger jeder beteiligten Gesell-

208 209

210 211 212

2010, 2839; Leitzen DNotZ 2011, 526, 534; Neye/Jäckel AG 2010, 237, 239 f.; Simon/ Merkelbach DB 2011, 1317, 1319 f.; Stöber CFL 2011, 266, 271. Vgl. Barbaso [1984] JBL 176, 183; Edwards S. 101; Grundmann Rn. 909. Heute geregelt in ss. 895 ff. CA 2006, die historischen Wurzeln reichen aber zurück bis zum Joint Stock Companies Arrangement Act 1870, vgl. Davies, Gower and Davies’ Principles of Modern Company Law, 8. Aufl. 2008, 29-2. Überblick über die heutige Regelung bei Davies, a.a.O., 29-1 ff. Vgl. nur Rickford [2005] EBLR 1393, 1395 f.; s. ferner auch bereits § 21 Rn. 12 Fn. 38. Vgl. Barbaso [1984] JBL 176, 183; Edwards S. 101. Vgl. Barbaso [1984] JBL 176, 183; Edwards S. 101.

Die Spaltungsrichtlinie (6. Richtlinie)

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schaft einzuberufen, damit diese über die Spaltung beschließen (lit. a und c), sondern es muss auch kontrollieren können, dass die Aktionäre bzw. Gläubiger die für eine informierte Entscheidungsfindung relevanten Unterlagen rechtzeitig vor der Versammlung erhalten haben (lit. b und d); zudem muss das nationale Recht die Spaltung von der Genehmigung des Gerichts abhängig machen (lit. e). Darüber hinaus stehen die Dispensmöglichkeiten auch nicht im Ermessen des Ge- 114 richts, sondern sind durch Art. 23 Abs. 2 an materielle Voraussetzungen gebunden. Eine Befreiung ist danach generell nur zulässig, wenn das Gericht feststellt, dass die in Art. 23 Abs. 1 lit. b und d bezeichneten Bedingungen erfüllt sind (die Aktionäre bzw. Gläubiger also rechtzeitig die entsprechenden Informationen erhalten haben) und dass den Aktionären und Gläubigern durch die Spaltung kein Schaden entstehen kann. Schließlich kann das Gericht die beteiligten Gesellschaften nicht generell von den 115 verfahrensrechtlichen Anforderungen der RL befreien, sondern ausschließlich von den in Art. 23 Abs. 2 abschließend aufgezählten Regelungen, es gibt also einen numerus clausus von Dispensmöglichkeiten. Befreit werden darf nur von: •

• •

der Offenlegung des Spaltungsplans gem. Art. 4 (dazu o. Rn. 34) – und dies auch nur dann, wenn das „angemessene Schutzsystem“ für die Gläubiger i.S.d. Art. 12 Abs. 1 (dazu o. Rn. 88 ff.) sich auf alle Forderungen, unabhängig von ihrem Entstehungszeitpunkt, erstreckt; sofern ein Mitgliedstaat von der Option des Art. 6 (dazu o. Rn. 59) Gebrauch macht: von der Offenlegung und Vorabinformation gem. Art. 6 lit. a und b; den Anforderungen des Art. 9 im Hinblick auf die Frist und die Modalitäten der Vorabinformation (nicht aber deren Gegenstand).

3. Spezielle Mitgliedstaatenoption bezüglich des Gläubigerschutzes (Art. 12 Abs. 3 S. 3) Wenn die Spaltung einer den Anforderungen des Art. 23 entsprechenden Aufsicht 116 eines Gerichts unterliegt, gestattet Art. 12 Abs. 3 S. 3 (dazu bereits o. Rn. 93) den Mitgliedstaaten außerdem, im Rahmen des „Schutzpakets 1“ für den Gläubigerschutz (dazu o. Rn. 91 ff.) einen Verzicht einer qualifizierten Gläubigermehrheit auf die Ausfallhaftung213 zu gestatten. Der Verzicht muss allerdings in einer Gläubigerversammlung i.S.d. Art. 23 Abs. 1 lit. c (dazu o. Rn. 115) mit einfacher Mehrheit der Gläubiger, die allerdings zugleich mindestens 3/4 des Gesamtbetrages sämtlicher Forderungen repräsentieren muss, gefasst werden; existieren mehrere Gläubigergruppen, ist ein Beschluss mit einer solchen „doppelten Mehrheit“ jeder Gruppe erforderlich.

213 Hintergrund ist, dass Großbritannien eine gesamtschuldnerische Haftung generell ablehnte (vgl. Barbaso [1984] JBL 176, 182). Die Option des Art. 12 Abs. 3 S. 3 ermöglichte es dem britischen Recht, einen Gläubigerschutz ohne eine solche zu erreichen, vgl. die heutige Regelung in s. 940 CA 2006.

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Gesellschaftsrechtliche Richtlinien

4. Keine Umsetzung in Deutschland 117 Deutschland hat von den Option der Art. 12 Abs. 3 S. 3, Art. 23 erwartungsgemäß keinen Gebrauch gemacht, da das UmwG keine dem britischen System vergleichbare gerichtliche Kontrolle von Restrukturierungsvorgängen kennt.

XII. Fundstellenverzeichnis Grundlage:

Art. 50 Abs. 2 lit. g AEU [G Art. 44 Abs. 2 lit. g EG G Art. 54 Abs. 3 lit. g EWG]

Vorschläge:

Les fusions internes. Document de travail n° 6. Avant-projet de directive, 10.4.1968, Dok. 11409/2/XIV/C/68 – F Vorschlag für eine Dritte Richtlinie des Rates zur Koordinierung der Schutzbestimmungen, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Sinne des Artikels 58 Absatz 2 des Vertrages im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter bei Fusionen von Aktiengesellschaften vorgeschrieben sind, 16.6.1970, ABlEG v. 14.7.1970, C 89/20 = BT-Drs. VI/1027 Erster geänderter Vorschlag v. 4.1.1973, KOM(72) 1668 Zweiter geänderter Vorschlag v. 11.12.1975, KOM(75) 671 Projet de directive du Conseil tendant à coordonner les garanties qui sont exigées dans les Etats membres des sociétés, au sens de l’article 58 alinéa 2 du traité, pour protéger les intérêts tant des associés que de tiers, en ce qui concerne les scissions de sociétés anonymes, 20.9.1978, R/2294/78

verabschiedete Fassung:

Sechste RL 82/891/EWG des Rates v. 17.12.1982 gemäß Artikel 54 Absatz 3 Buchstabe g) des Vertrages betreffend die Spaltung von Aktiengesellschaften, ABlEG v. 31.12.1982, L 378/47

geändert durch:

RL 2007/63/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 13.11.2007 zur Änderung der Richtlinien 78/855/EWG und 82/891/EWG des Rates hinsichtlich des Erfordernisses der Erstellung eines Berichts durch einen unabhängigen Sachverständigen anlässlich der Verschmelzung oder der Spaltung von Aktiengesellschaften, ABlEU v. 17.11.2007, L 300/47 RL 2009/109/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 16.9.2009 zur Änderung der Richtlinien 77/91/EWG, 78/855/EWG, 82/891/EWG des Rates sowie der Richtlinie 2005/56/EG hinsichtlich der Berichts- und Dokumentationspflicht bei Verschmelzungen und Spaltungen, ABlEU v. 2.10. 2009, L 259/14

Umsetzung in Deutschland: ursprüngliche Umsetzung

Umwandlungsgesetz (UmwG) v. 28.10.1994, BGBl. I, 3210

Änderungs-RL 2007/63/EG

nicht erforderlich (vgl. Rn. 5, 53)

Änderungs-RL 2009/109/EG teilweise durch Gesetz zur Umsetzung der Aktionärsrechterichtlinie (ARUG) v. 30.7.2009, BGBl. I, 2479; Rest durch Drittes Gesetz zur Änderung des Umwandlungsgesetzes v. 11.7.2011, BGBl. I, 1338

Die Spaltungsrichtlinie (6. Richtlinie)

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SECHSTE RICHTLINIE DES RATES vom 17. Dezember 1982 gemäß Artikel 54 Absatz 3 Buchstabe g) des Vertrages betreffend die Spaltung von Aktiengesellschaften (82/891/EWG)

DER RAT DER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFTEN –

Fall der Spaltung ein gleichwertiger Schutz vorgesehen wird.

gestützt auf den Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, insbesondere auf Artikel 54 Absatz 3 Buchstabe g),

Der Schutz der Interessen von Gesellschaftern und Dritten erfordert es, die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Spaltung von Aktiengesellschaften zu koordinieren, sofern die Mitgliedstaaten die Spaltung zulassen.

auf Vorschlag der Kommission(1), nach Stellungnahme des Europäischen Parlaments(2), nach Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses(3), in Erwägung nachstehender Gründe: Die Koordinierung, die Artikel 54 Absatz 3 Buchstabe g) und das Allgemeine Programm zur Aufhebung der Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit(4) vorsehen, wurde mit der Richtlinie 68/151/EWG(5) begonnen. Diese Koordinierung wurde für die Gründung der Aktiengesellschaft sowie die Erhaltung und Änderung ihres Kapitals durch die Richtlinie 77/91/ EWG(6), für die Jahresabschlüsse von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen durch die Richtlinie 78/660/EWG(7) und für die Verschmelzung von Aktiengesellschaften durch die Richtlinie 78/855/EWG(8) fortgesetzt. Die Richtlinie 78/855/EWG hat nur die Verschmelzung von Aktiengesellschaften und einige gleichgestellte Vorgänge geregelt. Der Vorschlag der Kommission zielte aber auch auf die Spaltung ab. Das Europäische Parlament und der Wirtschaftsund Sozialausschuß befürworten auch eine Regelung dieses Vorgangs. Angesichts der Verwandschaft zwischen Verschmelzung und Spaltung kann eine etwaige Umgehung der durch die Richtlinie 78/855/EWG bezüglich der Verschmelzung eingeräumten Garantien nur dadurch verhindert werden, daß für den

(1) ABl. Nr. C 89 vom 14.7.1970, S. 20. (2) ABl. Nr. C 129 vom 11.12.1972, S. 50, und ABl. Nr. C 95 vom 28.4.1975, S. 12. (3) ABl. Nr. C 88 vom 6.9.1971, S. 18. 4 ( ) ABl. Nr. 2 vom 15.1.1962, S. 36/62. (5) ABl. Nr. L 65 vom 14.3.1968, S. 8. (6) ABl. Nr. L 26 vom 31.1.1977, S. 1. (7) ABl. Nr. L 222 vom 14.8.1978, S. 11. (8) ABl. Nr. L 295 vom 20.10.1978, S. 36.

Im Rahmen der Koordinierung ist es besonders wichtig, die Aktionäre der an der Spaltung beteiligten Gesellschaften angemessen und so objektiv wie möglich zu unterrichten und ihre Rechte in geeigneter Weise zu schützen. Die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Betriebsteilen ist zur Zeit durch die Richtlinie 77/187/EWG(9) geregelt. Die Gläubiger einschließlich der Inhaber von Schuldverschreibungen sowie die Inhaber anderer Rechte der an der Spaltung beteiligten Gesellschaften müssen dagegen geschützt werden, daß sie durch die Spaltung Schaden erleiden. Die Offenlegung, wie sie die Richtlinie 68/151/ EWG vorsieht, muß auf die Maßnahmen zur Durchführung der Spaltung ausgedehnt werden, damit hierüber auch Dritte ausreichend unterrichtet werden. Ferner ist es notwendig, daß die Garantien, die Gesellschaftern und Dritten bei der Durchführung der Spaltung gewährt werden, auch für bestimmte andere rechtliche Vorgänge gelten, die in wesentlichen Punkten ähnliche Merkmale wie die Spaltung aufweisen, um Umgehungen des Schutzes zu vermeiden. Schließlich müssen, um die Rechtssicherheit in den Beziehungen zwischen den an der Spaltung beteiligten Gesellschaften, zwischen diesen und Dritten sowie unter den Aktionären zu gewährleisten, die Fälle der Nichtigkeit der Spaltung beschränkt werden; außerdem müssen der Grundsatz, daß Mängeln der Spaltung soweit wie möglich abgeholfen werden soll, und eine kurze Frist zur Geltendmachung der Nichtigkeit festgelegt werden –

(9) ABl. Nr. L 61 vom 5.3.1977, S. 26.

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Gesellschaftsrechtliche Richtlinien

HAT FOLGENDE RICHTLINIE ERLASSEN: Artikel 1 (1) Gestatten die Mitgliedstaaten für die in Artikel 1 Absatz 1 der Richtlinie 78/855/EWG genannten, ihrem Recht unterliegenden Gesellschaften die in Artikel 2 der vorliegenden Richtlinie beschriebene Spaltung durch Übernahme, so unterwerfen sie diesen Vorgang den Vorschriften des Kapitels I der vorliegenden Richtlinie. (2) Gestatten die Mitgliedstaaten für die in Absatz 1 bezeichneten Gesellschaften die in Artikel 21 definierte Spaltung durch Gründung neuer Gesellschaften, so unterwerfen sie diesen Vorgang den Vorschriften des Kapitels II. (3) Gestatten die Mitgliedstaaten für die in Absatz 1 bezeichneten Gesellschaften den Vorgang, durch den eine Spaltung durch Übernahme im Sinne von Artikel 2 Absatz 1 mit einer Spaltung durch Gründung einer oder mehrerer neuer Gesellschaften im Sinne von Artikel 21 Absatz 1 verbunden wird, so unterwerfen sie diesen Vorgang den Vorschriften des Kapitels I und des Artikels 22. (4) Artikel 1 Absätze 2 und 3 der Richtlinie 78/855/ EWG ist anzuwenden. KAPITEL I Spaltung durch Übernahme Artikel 2 (1) Im Sinne dieser Richtlinie ist die Spaltung durch Übernahme der Vorgang, durch den eine Gesellschaft ihr gesamtes Aktiv- und Passivvermögen im Wege der Auflösung ohne Abwicklung auf mehrere Gesellschaften überträgt, und zwar gegen Gewährung von Aktien der Gesellschaften, denen die sich aus der Spaltung ergebenden Einlagen zugute kommen, – im folgenden „begünstigte Gesellschaften“ genannt – an die Aktionäre der gespaltenen Gesellschaft und gegebenenfalls Gewährung einer baren Zuzahlung, die den zehnten Teil des Nennbetrags oder, wenn ein Nennbetrag nicht vorhanden ist, des rechnerischen Wertes der gewährten Aktien nicht übersteigt. (2) Artikel 3 Absatz 2 der Richtlinie 78/855/EWG ist anzuwenden. (3) Soweit in dieser Richtlinie auf die Richtlinie 78/855/EWG verwiesen wird, bezeichnen der Ausdruck „sich verschmelzende Gesellschaften“ die an der Spaltung beteiligten Gesellschaften, der Ausdruck „übertragende Gesellschaft“ die gespaltene Gesellschaft, der Ausdruck „übernehmende Gesellschaft“ jede begünstigte Gesellschaft und der Ausdruck „Verschmelzungsplan“ den Spaltungsplan. Artikel 3 (1) Die Verwaltungs- oder Leistungsorgane der an der Spaltung beteiligten Gesellschaften erstellen einen schriftlichen Spaltungsplan.

(2) Der Spaltungsplan muß mindestens folgende Angaben enthalten: a) die Rechtsform, die Firma und den Sitz der an der Spaltung beteiligten Gesellschaften, b) das Umtauschverhältnis der Aktien und gegebenenfalls die Höhe der baren Zuzahlung, c) die Einzelheiten hinsichtlich der Übertragung der Aktien der begünstigten Gesellschaften, d) den Zeitpunkt, von dem an diese Aktien das Recht auf Teilnahme am Gewinn gewähren, sowie alle Besonderheiten in bezug auf dieses Recht, e) den Zeitpunkt, von dem an die Handlungen der gespaltenen Gesellschaft unter dem Gesichtspunkt der Rechnungslegung als für Rechnung der einen oder anderen begünstigten Gesellschaft vorgenommen gelten, f) die Rechte, welche die begünstigten Gesellschaften den Aktionären mit Sonderrechten und den Inhabern anderer Wertpapiere als Aktien gewähren, oder die für diese Personen vorgeschlagenen Maßnahmen, g) jeden besonderen Vorteil, der den Sachverständigen im Sinne des Artikels 8 Absatz 1 sowie den Mitgliedern der Verwaltungs-, Leistungs-, Aufsichts- oder Kontrollorgane der an der Spaltung beteiligten Gesellschaften gewährt wird, h) die genaue Beschreibung und Aufteilung der Gegenstände des Aktiv- und Passivvermögens, das an jede der begünstigten Gesellschaften zu übertragen ist, i) die Aufteilung der begünstigten Gesellschaften auf die Aktionäre der gespaltenen Gesellschaft sowie den Aufteilungsmaßstab. (3) a) Wird ein Gegenstand des Aktivvermögens im Spaltungsplan nicht zugeteilt und läßt auch dessen Auslegung eine Entscheidung über die Zuteilung nicht zu, so wird der Gegenstand oder sein Gegenwert auf alle begünstigten Gesellschaften anteilig im Verhältnis zu dem nach dem Spaltungsplan auf sie entfallenden Nettoaktivvermögen übertragen. b) Wird ein Gegenstand des Passivvermögens im Spaltungsplan nicht zugeteilt und läßt auch dessen Auslegung eine Entscheidung über die Zuteilung nicht zu, so haftet jede der begünstigten Gesellschaften als Gesamtschuldner. Die Mitgliedstaaten können vorsehen, daß die gesamtschuldnerische Haftung auf das Nettoaktivvermögen beschränkt wird, das jeder begünstigten Gesellschaft zugeteilt wird. Artikel 4 Der Spaltungsplan ist mindestens einen Monat vor dem Tag der Hauptversammlung, die über den Spaltungsplan zu beschließen hat, für jede der an der Spaltung beteiligten Gesellschaften nach den in den Rechtsvorschriften der einzelnen Mitglied-

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Die Spaltungsrichtlinie (6. Richtlinie) staaten gemäß Artikel 3 der Richtlinie 68/151/ EWG(10) vorgesehenen Verfahren offenzulegen. Jede der verschmelzenden Gesellschaften ist von der Offenlegungspflicht nach Artikel 3 der Richtlinie 68/151/EWG befreit, wenn sie die Spaltungspläne während eines fortlaufenden Zeitraums, der mindestens einen Monat vor dem Tag der Hauptversammlung, die über die Spaltungspläne zu beschließen hat, beginnt und nicht vor dem Abschluss dieser Versammlung endet, für die Öffentlichkeit kostenlos auf ihren Internetseiten veröffentlicht. Die Mitgliedstaaten knüpfen diese Befreiung an keine anderen Erfordernisse und Auflagen als die, die für die Sicherheit der Internetseiten und die Echtheit der Dokumente erforderlich sind, und dürfen solche Erfordernisse und Auflagen nur einführen, soweit sie zur Erreichung dieser Zwecke angemessen sind. Abweichend von Absatz 2 können die Mitgliedstaaten verlangen, dass die Veröffentlichung über die zentrale elektronische Plattform gemäß Artikel 3 Absatz 4 der Richtlinie 68/151/EWG erfolgt. Die Mitgliedstaaten können alternativ verlangen, dass die Veröffentlichung auf anderen, von ihnen zu diesem Zweck benannten Internetseitenerfolgt. Machen die Mitgliedstaaten von einer dieser Möglichkeiten Gebrauch, so gewährleisten sie, dass den Gesellschaften für diese Veröffentlichung keine spezifischen Kosten entstehen. Werden andere Internetseiten als die zentrale elektronische Plattform genutzt, wird mindestens einen Monat vor dem Tag der Hauptversammlung auf der zentralen elektronischen Plattform ein Verweis, der zu diesen Internetseiten führt, veröffentlicht. Dieser Verweis enthält auch das Datum der Veröffentlichung der Spaltungspläne im Internet und ist der Öffentlichkeit kostenlos zugänglich. Den Gesellschaften entstehen für diese Veröffentlichung keine spezifischen Kosten. Das in den Absätzen 3 und 4 genannte Verbot, von Gesellschaften eine spezifische Gebühr für die Veröffentlichung zu verlangen, lässt die Möglichkeit der Mitgliedstaaten unberührt, die Kosten für die zentrale elektronische Plattform an Gesellschaften weiterzugeben. Die Mitgliedstaaten können von Gesellschaften verlangen, Informationen für einen bestimmten Zeitraum nach der Hauptversammlung auf ihren Internetseiten oder gegebenenfalls auf der zentralen elektronischen Plattform oder den anderen von dem betreffenden Mitgliedstaat benannten Internetseiten verfügbar zu halten. Die Mitgliedstaaten können die Folgen einer vorübergehenden Unterbrechung des Zugriffs auf die Internetseiten und die zentrale elektronische Plattform aufgrund technischer oder sonstiger Ursachen bestimmen.

(10) ABl. Nr. L 65 vom 14.3.1968, S. 9.

Artikel 5 (1) Die Spaltung bedarf zumindest der Zustimmung der Hauptversammlung jeder an der Spaltung beteiligten Gesellschaften. Artikel 7 der Richtlinie 78/855/EWG ist bezüglich der für diesen Beschluß erforderlichen Mehrheit, dessen Tragweite sowie des Erfordernisses einer gesonderten Abstimmung anzuwenden. (2) Werden die Aktien der begünstigten Gesellschaften den Aktionären der gespaltenen Gesellschaft nicht im Verhältnis zu ihren Rechten an deren Kapital gewährt, so können die Mitgliedstaaten vorsehen, daß die Minderheitsaktionäre der gespaltenen Gesellschaft ihre Aktien aufkaufen lassen können. In diesem Fall haben sie Anspruch auf ein dem Wert ihrer Aktien entsprechendes Entgelt. Sofern hierüber keine Einigung erzielt wird, muß das Entgelt durch ein Gericht festgesetzt werden können. Artikel 6 Die Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats brauchen die Zustimmung der Hauptversammlung einer begünstigten Gesellschaft nicht vorzuschreiben, wenn folgende Bedingungen erfüllt sind: a) Die in Artikel 4 vorgeschriebene Offenlegung ist für die begünstigte Gesellschaft mindestens einen Monat vor dem Tag derjenigen Hauptversammlung der gespaltenen Gesellschaft, die über den Spaltungsplan zu beschließen hat, zu bewirken; b) jeder Aktionär der begünstigten Gesellschaft hat mindestens einen Monat vor dem unter Buchstabe a) genannten Zeitpunkt das Recht, am Sitz dieser Gesellschaft von den in Artikel 9 Absatz 1 genannten Unterlagen Kenntnis zu nehmen; c) ein oder mehrere Aktionäre der begünstigten Gesellschaft, die über Aktien in einem Mindestprozentsatz des gezeichneten Kapitals verfügen, müssen das Recht haben, die Einberufung einer Hauptversammlung der begünstigten Gesellschaft, in der über die Zustimmung zu der Spaltung beschlossen wird, zu verlangen. Dieser Mindesprozentsatz darf nicht auf mehr als 5 % festgesetzt werden. Die Mitgliedstaaten können jedoch vorsehen, daß die Aktien ohne Stimmrecht von der Berechnung dieses Prozentsatzes ausgenommen sind. Für die Zwecke von Absatz 1 Buchstabe b gilt Artikel 9 Absätze 2, 3 und 4. Artikel 7 (1) Die Verwaltungs- oder Leistungsorgane jeder der an der Spaltung beteiligten Gesellschaften erstellen einen ausführlichen schriftlichen Bericht, in dem der Spaltungsplan, insbesondere das Umtauschverhältnis der Aktien und der Maßstab für

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Gesellschaftsrechtliche Richtlinien

ihre Aufteilung, rechtlich und wirtschaftlich erläutert und begründet wird. (2) In dem Bericht ist außerdem auf besondere Schwierigkeiten bei der Bewertung, soweit solche aufgetreten sind, hinzuweisen. Zu erwähnen sind gegebenenfalls auch die Erstellung des Berichts über die Prüfung der Einlagen, die nicht Bareinlagen sind, nach Artikel 27 Absatz 2 der Richtlinie 77/91/EWG für die begünstigten Gesellschaften sowie das Register, bei dem dieser Bericht zu hinterlegen ist. (3) Die Verwaltungs- oder Leitungsorgane der gespaltenen Gesellschaft sind verpflichtet, über jede zwischen der Aufstellung des Spaltungsplans und dem Tag der Hauptversammlung der gespaltenen Gesellschaft, die über den Spaltungsplan zu beschließen hat, eingetretene wesentliche Veränderung des Aktiv- oder Passivvermögens die Hauptversammlung der gespaltenen Gesellschaft sowie die Verwaltungs- oder Leitungsorgane der begünstigten Gesellschaften zu unterrichten, damit diese die Hauptversammlung ihrer Gesellschaft unterrichten. Artikel 8 (1) Für jede der an der Spaltung beteiligten Gesellschaften prüfen ein oder mehrere von diesen unabhängige Sachverständige, welche durch ein Gericht oder eine Verwaltungsbehörde bestellt oder zugelassen sind, den Spaltungsplan und erstellen einen schriftlichen Bericht für die Aktionäre. Die Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats können jedoch die Bestellung eines oder mehrerer unabhängiger Sachverständiger für alle an der Spaltung beteiligten Gesellschaften vorsehen, wenn die Bestellung auf gemeinsamen Antrag dieser Gesellschaften durch ein Gericht oder eine Verwaltungsbehörde erfolgt. Diese Sachverständigen können entsprechend den Rechtsvorschriften jedes Mitgliedstaats sowohl natürliche oder juristische Personen als auch Gesellschaften sein. (2) Artikel 10 Absätze 2 und 3 der Richtlinie 78/855/EWG ist anzuwenden. (3) –––––––– Artikel 9 (1) Mindestens einen Monat vor dem Tag der Hauptversammlung, die über den Spaltungsplan zu beschließen hat, hat jeder Aktionär das Recht, am Sitz der Gesellschaft zumindest von folgenden Unterlagen Kenntnis zu nehmen: a) dem Spaltungsplan, b) den Jahresabschlüssen und den Geschäftsberichten der an der Spaltung beteiligten Gesellschaften für die letzten drei Geschäftsjahre, c) gegebenenfalls einer Zwischenbilanz, die für einen Zeitpunkt erstellt ist, der nicht vor dem ersten Tag des dritten der Aufstellung des Spaltungsplans vorausgehenden Monats liegen

darf, sofern der letzte Jahresabschluss sich auf ein mehr als sechs Monate vor der Aufstellung des Spaltungsplans abgelaufenes Geschäftsjahr bezieht, d) gegebenenfalls den in Artikel 7 Absatz 1 genannten Berichten der Verwaltungs- oder Leitungsorgane der an der Spaltung beteiligten Gesellschaften, e) gegebenenfalls den in Artikel 8 genannten Berichten. Die Erstellung einer Zwischenbilanz für die Zwecke von Unterabsatz 1 Buchstabe c ist nicht erforderlich, wenn die Gesellschaft gemäß Artikel 5 der Richtlinie 2004/109/EG einen Halbjahresfinanzbericht veröffentlicht und den Aktionären gemäß diesem Absatz zur Verfügung stellt. (2) Die Zwischenbilanz nach Absatz 1 Buchstabe c) ist nach denselben Methoden und in derselben Gliederung zu erstellen wie die letzte Jahresbilanz. Die Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats können jedoch vorsehen, daß a) es nicht erforderlich ist, eine neue körperliche Bestandsaufnahme durchzuführen, b) die Bewertungen der letzten Bilanz nur nach Maßgabe der Bewegungen in den Büchern verändert zu werden brauchen, wobei jedoch zu berücksichtigen sind: – Abschreibungen, Wertberichtigungen und Rückstellungen für die Zwischenzeit, – wesentliche, aus den Büchern nicht ersichtliche Veränderungen der wirklichen Werte. (3) Vollständige oder, falls gewünscht, auszugsweise Abschriften der in Absatz 1 genannten Unterlagen sind jedem Aktionär auf formlosen Antrag kostenlos zu erteilen. Hat der Aktionär diesem Weg der Informationsübermittlung zugestimmt, so können Informationen auf elektronischem Wege bereitgestellt werden. (4) Eine Gesellschaft ist von der Pflicht die in Absatz 1 genannten Dokumente an ihrem Sitz zur Verfügung zu stellen befreit, wenn sie die betreffenden Dokumente während eines fortlaufenden Zeitraums, der mindestens einen Monat vor dem Tag der Hauptversammlung, die über die Spaltungspläne zu beschließen hat, beginnt und nicht vor dem Abschluss dieser Versammlung endet, auf ihren Internetseiten veröffentlicht. Die Mitgliedstaaten knüpfen diese Befreiung an keine anderen Erfordernisse und Auflagen als die, die für die Sicherheit der Internetseiten und die Echtheit der Dokumente erforderlich sind, und nur dann, wenn sie zur Erreichung dieses Zwecks angemessen sind. Absatz 3 kommt nicht zur Anwendung, wenn die Aktionäre während des gesamten in Unterabsatz 1 des vorliegenden Absatzes genannten Zeitraums auf den Internetseiten die Möglichkeit haben, die in Absatz 1 genannten Dokumente herunterzuladen und auszudrucken. In diesem Fall können die Mit-

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Die Spaltungsrichtlinie (6. Richtlinie) gliedstaaten jedoch vorsehen, dass die Gesellschaft diese Dokumente an ihrem Sitz zur Einsichtnahme durch die Aktionäre zur Verfügung stellt.

Forderungen durch die Spaltung gefährdet ist und sie von der Gesellschaft keine angemessenen Sicherheiten erhalten haben.

Die Mitgliedstaaten können von Gesellschaften verlangen, Informationen für einen bestimmten Zeitraum nach der Hauptversammlung auf ihren Internetseiten verfügbar zu halten. Die Mitgliedstaaten können die Folgen einer vorübergehenden Unterbrechung des Zugriffs auf die Internetseiten aufgrund technischer oder sonstiger Ursachen bestimmen.

(3) Soweit ein Gläubiger von der Gesellschaft, auf welche die Verpflichtung nach dem Spaltungsplan übertragen wurde, keine Befriedigung erlangt hat, haften die begünstigten Gesellschaften für diese Verpflichtung als Gesamtschuldner. Die Mitgliedstaaten können diese Haftung auf das jeder dieser Gesellschaften mit Ausnahme der Gesellschaft, auf die die Verpflichtung übertragen wurde, zugeteilte Nettoaktivvermögen beschränken. Sie brauchen diesen Absatz nicht anzuwenden, wenn der Vorgang der Spaltung der Aufsicht eines Gerichtes nach Artikel 23 unterliegt und in einer Versammlung nach Artikel 23 Absatz 1 Buchstabe c) die Mehrzahl der Gläubiger, auf die Dreiviertel des Betrages der Forderungen entfallen, oder die Mehrzahl einer Kategorie von Gläubigern der gespaltenen Gesellschaft, auf die Dreiviertel des Betrages der Forderungen dieser Kategorie entfallen, darauf verzichtet haben, die gesamtschuldnerische Haftung geltend zu machen.

Artikel 10 (1) Weder die in Artikel 8 Absatz 1 vorgesehene Prüfung des Spaltungsplans noch die dort vorgesehene Erstellung eines Sachverständigenberichts sind erforderlich, wenn alle Aktionäre und Inhaber anderer mit einem Stimmrecht verbundener Wertpapiere aller an der Spaltung beteiligten Gesellschaften darauf verzichtet haben. (2) Die Mitgliedstaaten können gestatten, dass Artikel 7 und Artikel 9 Absatz 1 Buchstaben c und d keine Anwendung finden, wenn alle Aktionäre und Inhaber anderer mit einem Stimmrecht verbundener Wertpapiere aller an der Spaltung beteiligten Gesellschaften darauf verzichtet haben. Artikel 11 Die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer der an der Spaltung beteiligten Gesellschaften wird gemäß der Richtlinie 77/187/EWG(11) geregelt. Artikel 12 (1) Die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten müssen ein angemessenes Schutzsystem für die Interessen der Gläubiger der an der Spaltung beteiligten Gesellschaften vorsehen, deren Forderungen vor der Bekanntmachung des Spaltungsplans entstanden und zum Zeitpunkt dieser Bekanntmachung noch nicht fällig sind. (2) Zu diesem Zweck sehen die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten zumindest vor, dass diese Gläubiger Anspruch auf angemessene Garantien haben, wenn die finanzielle Lage der gespaltenen Gesellschaft sowie der Gesellschaft, auf die die Verpflichtung nach dem Spaltungsplan übertragen wird, einen solchen Schutz erforderlich machen und die Gläubiger nicht schon derartige Garantien haben. Die Mitgliedstaaten legen die Modalitäten für den in Absatz 1 und in Unterabsatz 1 des vorliegenden Absatzes vorgesehenen Schutz fest. Die Mitgliedstaaten gewährleisten in jedem Fall, dass die Gläubiger das Recht haben, bei der zuständigen Verwaltungsbehörde oder dem zuständigen Gericht angemessene Sicherheiten zu beantragen, wenn sie nachweisen können, dass die Befriedigung ihrer (11) ABl. Nr. L 61 vom 5.3.1977, S. 26.

(4) Artikel 13 Absatz 3 der Richtlinie 78/855/EWG ist anzuwenden. (5) Unbeschadet der Vorschriften über die gemeinsame Ausübung der Rechte der Anleihegläubiger der an der Spaltung beteiligten Gesellschaften sind die Absätze 1 bis 4 auf diese Gläubiger anzuwenden, es sei denn, eine Versammlung der Anleihegläubiger – sofern die einzelstaatlichen Rechtsvorschriften eine solche Versammlung vorsehen – oder jeder einzelne Anleihegläubiger hat der Spaltung zugestimmt. (6) Die Mitgliedstaaten können vorsehen, daß die begünstigten Gesellschaften für die Verpflichtungen der gespaltenen Gesellschaft als Gesamtschuldner haften. In diesem Fall brauchen sie die vorstehenden Absätze nicht anzuwenden. (7) Verbindet ein Mitgliedstaat das System des Gläubigerschutzes nach den Absätzen 1 bis 5 mit der gesamtschuldnerischen Haftung der begünstigten Gesellschaften nach Absatz 6, so kann er diese Haftung auf das jeder dieser Gesellschaften zugeteilte Nettoaktivvermögen beschränken. Artikel 13 Die Inhaber anderer Wertpapiere, die mit Sonderrechten verbunden, jedoch keine Aktien sind, müssen in den begünstigten Gesellschaften, denen gegenüber ihre Rechte nach dem Spaltungsplan geltend gemacht werden können, Rechte erhalten, die mindestens denen gleichwertig sind, die sie in der gespaltenen Gesellschaft hatten, es sei denn, daß eine Versammlung der Inhaber – sofern die einzelstaatlichen Rechtsvorschriften eine solche Versammlung vorsehen – der Änderung dieser Rechte oder daß jeder einzelne Inhaber der Änderung seines Rechts zugestimmt hat oder daß diese Inhaber einen Anspruch auf Rückkauf ihrer Wertpapiere haben.

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Gesellschaftsrechtliche Richtlinien Artikel 14

Falls die Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats für Spaltungen eine vorbeugende gerichtliche oder verwaltungsmäßige Kontrolle der Rechtmäßigkeit nicht vorsehen oder sich diese Kontrolle nicht auf alle für die Spaltung erforderlichen Rechtshand-lungen erstreckt, ist Artikel 16 der Richtlinie 78/855/EWG anzuwenden. Artikel 15 Die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten bestimmen den Zeitpunkt, zu dem die Spaltung wirksam wird. Artikel 16 (1) Für jede der an der Spaltung beteiligten Gesellschaften muß die Spaltung nach den in den Rechtsvorschriften eines jeden Mitgliedstaates in Übereinstimmung mit Artikel 3 der Richtlinie 68/151/EWG vorgesehenen Verfahren offengelegt werden. (2) Jede begünstigte Gesellschaft kann die für die gespaltene Gesellschaft vorzunehmenden Förmlichkeiten der Offenlegung selbst veranlassen.

Förmlichkeiten erfordern. Die begünstige(n) Gesellschaft(en), der (denen) diese Vermögensgegenstände, Rechte und Pflichten nach dem Spaltungsplan oder nach Artikel 3 Absatz 3 übertragen werden, kann (können) diese Förmlichkeiten selbst veranlassen; die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten können jedoch der gespaltenen Gesellschaft gestatten, während eines begrenzten Zeitraums diese Förmlichkeiten weiter zu vollziehen; dieser Zeitraum kann nur in Ausnahmefällen auf mehr als sechs Monate nach dem Zeitpunkt, in dem die Spaltung wirksam wird, festgesetzt werden. Artikel 18 Die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten regeln zumindest die zivilrechtliche Haftung der Mitglieder des Verwaltungs- oder Leitungsorgans der gespaltenen Gesellschaft gegenüber den Aktionären dieser Gesellschaft für schuldhaftes Verhalten von Mitgliedern dieses Organs bei der Vorbereitung und dem Vollzug der Spaltung sowie die zivilrechtliche Haftung der Sachverständigen, die beauftragt sind, für diese Gesellschaft den in Artikel 8 vorgesehenen Bericht zu erstellen, für schuldhaftes Verhalten bei der Erfüllung ihrer Aufgaben. Artikel 19

Artikel 17 (1) Die Spaltung bewirkt ipso jure gleichzeitig folgendes: a) Sowohl zwischen der gespaltenen Gesellschaft und den begünstigten Gesellschaften als auch gegenüber Dritten geht das gesamte Aktivund Passivvermögen der gespaltenen Gesellschaft auf die begünstigten Gesellschaften über, und zwar entsprechend der im Spaltungsplan oder in Artikel 3 Absatz 3 vorgesehenen Aufteilung; b) Die Aktionäre der gespaltenen Gesellschaft werden entsprechend der im Spaltungsplan vorgesehenen Aufteilung Aktionäre einer oder mehrerer begünstigter Gesellschaften;

(1) Die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten können die Nichtigkeit der Spaltung von Gesellschaften nur nach Maßgabe folgender Bestimmungen regeln: a) Die Nichtigkeit muß durch gerichtliche Entscheidung ausgesprochen werden; b) für nichtig erklärt werden kann eine im Sinne von Artikel 15 wirksam gewordene Spaltung nur wegen Fehlens einer vorbeugenden gerichtlichen oder verwaltungsmäßigen Kontrolle der Rechtmäßigkeit oder einer öffentlichen Beurkundung oder wenn festgestellt wird, daß der Beschluß der Hauptversammlung nach innerstaatlichem Recht nichtig oder anfechtbar ist;

(2) Es werden keine Aktien einer begünstigten Gesellschaft im Austausch für Aktien der gespaltenen Gesellschaft gegeben, die sich

c) die Nichtigkeitsklage kann nicht mehr erhoben werden, wenn eine Frist von sechs Monaten verstrichen ist, nachdem die Spaltung demjenigen gegenüber wirksam geworden ist, der sich auf die Nichtigkeit beruft, oder wenn der Mangel behoben worden ist;

a) im Besitz dieser begünstigten Gesellschaft selbst oder einer Person befinden, die im eigenen Namen, aber für Rechnung der Gesellschaft handelt;

d) kann der Mangel, dessentwegen die Spaltung für nichtig erklärt werden kann, behoben werden, so räumt das zuständige Gericht den beteiligten Gesellschaften dazu eine Frist ein;

b) im Besitz der gespaltenen Gesellschaft selbst oder einer Person befinden, die im eigenen Namen, aber für Rechnung der Gesellschaft handelt.

e) die gerichtliche Entscheidung, durch welche die Nichtigkeit der Spaltung ausgesprochen wird, wird in Übereinstimmung mit Artikel 3 der Richtlinie 68/151/EWG nach den in den Rechtsvorschriften jedes Mitgliedstaats vorgesehenen Verfahren offengelegt;

c) die gespaltene Gesellschaft erlischt.

(3) Unberührt bleiben die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten, die für die Wirksamkeit der Übertragung bestimmter, von der gespaltenen Gesellschaft eingebrachter Vermögensgegenstände, Rechte und Pflichten gegenüber Dritten besondere

f) falls die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten gegen die gerichtliche Entscheidung einen Einspruch Dritter vorsehen, so kann dieser nach

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Die Spaltungsrichtlinie (6. Richtlinie) Ablauf einer Frist von sechs Monaten seit Offenlegung der gerichtlichen Entscheidung gemäß der Richtlinie 68/151/EWG nicht mehr erhoben werden; g) die gerichtliche Entscheidung, durch welche die Nichtigkeit der Spaltung ausgesprochen wird, berührt für sich allein nicht die Wirksamkeit der Verpflichtungen, die vor der Offenlegung der gerichtlichen Entscheidung, jedoch nach dem in Artikel 15 bezeichneten Zeitpunkt, zu Lasten oder zugunsten der begünstigten Gesellschaften entstanden sind; h) jede begünstigte Gesellschaft haftet für die Verpflichtungen zu ihren Lasten, die nach dem Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Spaltung und vor dem Zeitpunkt, zu dem der Beschluß über die Nichtigkeit der Spaltung offengelegt worden ist, entstanden sind. Die gespaltene Gesellschaft haftet ebenfalls für diese Verpflichtungen; die Mitgliedstaaten können vorsehen, daß diese Haftung auf den Teil des Nettoaktivvermögens beschränkt ist, welcher auf die begünstigte Gesellschaft entfällt, zu deren Lasten diese Verpflichtungen entstanden sind. (2) Abweichend von Absatz 1 Buchstabe a) können die Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats auch gestatten, daß die Nichtigkeit der Spaltung durch eine Verwaltungsbehörde ausgesprochen wird, wenn gegen eine solche Entscheidung ein Rechtsbehelf bei einem Gericht eingelegt werden kann. Die Buchstaben b), d), e), f), g) und h) gelten entsprechend für die Verwaltungsbehörde. Dieses Nichtigkeitsverfahren kann nach Ablauf einer Frist von 6 Monaten nach dem in Artikel 15 genannten Zeitpunkt nicht mehr eingeleitet werden. (3) Unberührt bleiben die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Nichtigkeit einer Spaltung, die im Wege einer anderen Kontrolle der Spaltung als der vorbeugenden gerichtlichen oder verwaltungsmäßigen Kontrolle der Rechtmäßigkeit ausgesprochen wird. Artikel 20 Gehören den begünstigten Gesellschaften insgesamt alle Aktien der gespaltenen Gesellschaft sowie alle sonstigen Anteile der gespaltenen Gesellschaft, die in der Hauptversammlung ein Stimmrecht gewähren, so dürfen die Mitgliedstaaten unbeschadet des Artikels 6 keine Zustimmung der Hauptversammlung der gespaltenen Gesellschaft zur Spaltung vorschreiben, wenn folgende Bedingungen erfüllt sind: a) Die in Artikel 4 vorgeschriebene Offenlegung ist für die an dem Vorgang beteiligten Gesellschaften mindestens einen Monat vor dem Zeitpunkt, zu dem der Vorgang wirksam wird, zu bewirken; b) alle Aktionäre der an dem Vorgang beteiligten Gesellschaften haben das Recht, mindestens einen Monat vor dem Zeitpunkt, zu dem der Vorgang wirksam wird, am Sitz ihrer Gesell-

schaft von den in Artikel 9 Absatz 1 bezeichneten Unterlagen Kenntnis zu nehmen; c) –––––––– d) wird eine Hauptversammlung der gespaltenen Gesellschaft, in der über die Zustimmung zur Spaltung beschlossen wird, nicht einberufen, so erstreckt sich die in Artikel 7 Absatz 3 vorgesehene Unterrichtung auf jede nach der Aufstellung des Spaltungsplans eingetretene wesentliche Veränderung des Aktiv- und Passivvermögens. Für die Zwecke von Absatz 1 Buchstabe b gelten Artikel 9 Absätze 2, 3 und 4 sowie Artikel 10. KAPITEL II Spaltung durch Gründung neuer Gesellschaften Artikel 21 (1) Im Sinne dieser Richtlinie ist die Spaltung durch Gründung neuer Gesellschaften der Vorgang, durch den eine Gesellschaft ihr gesamtes Aktiv- und Passivvermögen im Wege der Auflösung ohne Abwicklung auf mehrere neugegründete Gesellschaften überträgt, und zwar gegen Gewährung von Aktien der begünstigten Gesellschaften an die Aktionäre der gespaltenen Gesellschaft und gegebenenfalls Gewährung einer baren Zuzahlung, die den zehnten Teil des Nennbetrags oder, wenn ein Nennbetrag nicht vorhanden ist, des rechnerischen Wertes der gewährten Aktien nicht übersteigt. 2. Artikel 4 Absatz 2 der Richtlinie 78/855/EWG ist anzuwenden. Artikel 22 (1) Die Artikel 3, 4, 5 und 7, Artikel 8 Absätze 1 und 2 und die Artikel 9 bis 19 sind unbeschadet der Artikel 11 und 12 der Richtlinie 68/151/EWG auf die Spaltung durch Gründung neuer Gesellschaften anzuwenden. Für diese Anwendung bedeuten der Ausdruck „an der Spaltung beteiligte Gesellschaften“ die gespaltene Gesellschaft, der Ausdruck „begünstigte Gesellschaft“ jede der neuen Gesellschaften. (2) Der Spaltungsplan erwähnt außer den Angaben nach Artikel 3 Absatz 2 die Rechtsform, die Firma und den Sitz jeder der neuen Gesellschaften. (3) Der Spaltungsplan und, falls sie Gegenstand eines getrennten Aktes sind, der Errichtungsakt oder der Entwurf des Errichtungsaktes und die Satzung oder der Entwurf der Satzung jeder der neuen Gesellschaften bedürfen der Zustimmung der Hauptversammlung der gespaltenen Gesellschaft. (4) –––––––– (5) Die Mitgliedstaaten dürfen nicht vorschreiben, dass die Anforderungen von Artikel 7, Artikel 8 und Artikel 9 Absatz 1 Buchstaben c, d und e Anwendung finden, wenn die Aktien jeder der neuen

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Gesellschaftsrechtliche Richtlinien

Gesellschaften den Aktionären der gespaltenen Gesellschaft im Verhältnis zu ihren Rechten am Kapital dieser Gesellschaft gewährt werden.

KAPITEL IV Andere der Spaltung gleichgestellte Vorgänge Artikel 24

KAPITEL III Spaltung unter Aufsicht eines Gerichtes Artikel 23 (1) Die Mitgliedstaaten können Absatz 2 anwenden, wenn die Spaltung unter der Aufsicht eines Gerichtes erfolgt, das befugt ist, a) die Hauptversammlung der Aktionäre der gespaltenen Gesellschaft einzuberufen, damit sie über die Spaltung beschließt; b) sich zu vergewissern, daß die Aktionäre jeder der an der Spaltung beteiligten Gesellschaften zumindest die in Artikel 9 bezeichneten Unterlagen binnen einer Frist erhalten haben oder sich beschaffen können, die es ihnen ermöglicht, sie rechtzeitig vor dem Tag der Hauptversammlung ihrer Gesellschaft, die über die Spaltung zu beschließen hat, zu prüfen; macht ein Mitgliedstaat von der in Artikel 6 vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch, so muß die Frist ausreichen, um es den Aktionären der begünstigten Gesellschaften zu ermöglichen, die ihnen durch Artikel 6 zuerkannten Rechte auszuüben; c) eine Versammlung der Gläubiger jeder der an der Spaltung beteiligten Gesellschaften einzuberufen, damit sie über die Spaltung beschließt; d) sich zu vergewissern, daß die Gläubiger jeder der an der Spaltung beteiligten Gesellschaften zumindest den Spaltungsplan binnen einer Frist erhalten haben oder sich beschaffen können, die es ihnen ermöglicht, ihn rechtzeitig vor dem unter Buchstabe b) genannten Zeitpunkt zu prüfen; e) den Spaltungsplan zu genehmigen. (2) Stellt das Gericht fest, daß die in Absatz 1 Buchstaben b) und d) bezeichneten Bedingungen erfüllt sind und den Aktionären und den Gläubigern kein Schaden entstehen kann, so kann es die an der Spaltung beteiligten Gesellschaften befreien von der Anwendung a) des Artikels 4 unter der Bedingung, daß das in Artikel 12 Absatz 1 bezeichnete angemessene Schutzsystem für die Interessen der Gläubiger sich auf alle Forderungen erstreckt, unabhängig von dem Zeitpunkt, zu dem sie entstanden sind; b) der in Artikel 6 Buchstaben a) und b) bezeichneten Bedingungen, wenn ein Mitgliedstaat von der in Artikel 6 vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch macht; c) des Artikels 9 hinsichtlich der Frist und der Einzelheiten, die darin für die Möglichkeit festgelegt sind, daß die Aktionäre von den bezeichneten Unterlagen Kenntnis nehmen.

Gestatten die Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats für einen der in Artikel 1 vorgesehenen Vorgänge, daß die bare Zuzahlung den Satz von 10 % übersteigt, so sind die Kapitel I, II und III anzuwenden. Artikel 25 Gestatten die Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats einen der in Artikel 1 vorgesehenen Vorgänge, ohne daß die gespaltene Gesellschaft aufhört zu bestehen, so sind die Kapitel I, II und III mit Ausnahme des Artikels 17 Absatz 1 Buchstabe c) anzuwenden. KAPITEL V Schlußbestimmungen Artikel 26 (1) Die Mitgliedstaaten erlassen vor dem 1. Januar 1986 die erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften, um dieser Richtlinie nachzukommen, soweit sie zu diesem Zeitpunkt Vorgänge, auf die diese Richtlinie anwendbar ist, gestatten. Sie setzen die Kommission unverzüglich davon in Kenntnis. (2) Gestattet ein Mitgliedstaat nach dem in Absatz 1 vorgesehenen Zeitpunkt die Spaltung, so erläßt er die in Absatz 1 genannten Vorschriften an dem Tag, an dem er diesen Vorgang gestattet. Er setzt die Kommission unverzüglich davon in Kenntnis. (3) Für die Anwendung der in Absatz 1 genannten Vorschriften auf die „unregistered companies“ im Vereinigten Königreich und in Irland kann jedoch eine Frist von fünf Jahren vorgesehen werden, die mit Inkrafttreten dieser Vorschriften beginnt. (4) Die Mitgliedstaaten brauchen die Artikel 12 und 13 auf Inhaber von Wandelschuldverschreibungen und anderen Wertpapieren, die in Aktien umgewandelt werden können, nicht anzuwenden, wenn bei Inkrafttreten der Vorschriften nach Absatz 1 oder 2 in den Ausgabebedingungen die Stellung dieser Inhaber bei einer Spaltung vorab festgelegt worden ist. (5) Die Mitgliedstaaten brauchen diese Richtlinie nicht auf Spaltungen oder diesen gleichgestellte Vorgänge anzuwenden, für deren Vorbereitung oder Durchführung eine durch die einzelstaatlichen Rechtsvorschriften vorgesehene Handlung oder Förmlichkeit bereits zum Zeit-punkt des Inkrafttretens der in Absatz 1 oder 2 genannten Vorschriften vorgenommen worden ist. Artikel 27 Diese Richtlinie ist an die Mitgliedstaaten gerichtet.

Die internationale Fusionsrichtlinie (10. Richtlinie)

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§ 23 Die internationale Fusionsrichtlinie (10. Richtlinie) RL 2005/56/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 26.10.2005 über die Verschmelzung von Kapitalgesellschaften aus verschiedenen Mitgliedstaaten, ABlEU v. 25.11.2005, L 310/1

Literatur: Bayer, Walter/Schmidt, Jessica, Der Referentenentwurf zum 3. UmwÄndG: Vereinfachungen bei Verschmelzungen und Spaltungen und ein neuer verschmelzungsspezifischer Squeeze-out, ZIP 2010, 953; dies., Der Regierungsentwurf zur Änderung des Umwandlungsgesetzes. Eine kritische Stellungnahme, NZG 2006, 841; dies., Die neue Richtlinie über die grenzüberschreitende Verschmelzung von Kapitalgesellschaften, NJW 2006, 401; Behrens, Frithjof Olaf, Die grenzüberschreitende Verschmelzung nach der Richtlinie 2005/56/EG (Verschmelzungsrichtlinie), 2007; Beutel, David, Der neue rechtliche Rahmen grenzüberschreitender Verschmelzungen in der EU, 2008; Brocker, Moritz, Die grenzüberschreitende Verschmelzung von Kapitalgesellschaften, BB 2010, 971; Drinhausen, Florian/Keinath, Astrid, Die grenzüberschreitende Verschmelzung inländischer Gesellschaften nach Erlass der Richtlinie zur grenzüberschreitenden Verschmelzung von Kapitalgesellschaften in Europa, RIW 2006, 81; dies., Referentenentwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Umwandlungsgesetzes – Erleichterung grenzüberschreitender Verschmelzungen für deutsche Kapitalgesellschaften?, BB 2006, 725; Frenzel, Ralf, Grenzüberschreitende Verschmelzung von Kapitalgesellschaften, 2008; ders., Grenzüberschreitende Verschmelzung von Kapitalgesellschaften – nach Ablauf der Umsetzungsfrist, RIW 2008, 12; Frischhut, Markus, Grenzüberschreitende Verschmelzungen von Kapitalgesellschaften – ein Überblick über die Zehnte gesellschaftsrechtliche Richtlinie, EWS 2006, 55; Frotz, Stephan/Kaufmann, Alexander, Grenzüberschreitende Verschmelzungen, 2008; Grunewald, Barbara, Der Gläubigerschutz bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen nach dem Entwurf eines zweiten Gesetzes zur Änderung des UmwG, Konzern 2007, 106; Haritz, Detlef/Wolff, Bodo von, Internationalisierung des deutschen Umwandlungsrechts, GmbHR 2006, 340; Heckschen, Heribert, Die Reform des Umwandlungsrechts, DNotZ 2007, 444; Herrler, Sebastian, Ermöglichung grenzüberschreitender Verschmelzungen von Kapitalgesellschaften durch Änderung des Umwandlungsgesetzes – Umsetzung der Verschmelzungsrichtlinie unter Vernachlässigung der primärrechtlichen Rahmenbedingungen, EuZW 2007, 295; Herrler, Sebastian/Schneider, Susanne, Grenzüberschreitende Verschmelzungen von Gesellschaften mit beschränkter Haftung zwischen Deutschland und Österreich, GmbHR 2011, 795; Heuschmid, Johannes, Unternehmensmitbestimmung nach der Richtlinie zur grenzüberschreitenden Verschmelzung von Kapitalgesellschaften, AuR 2006, 184; Inwinkl, Petra, Das österreichische Recht grenzüberschreitender Verschmelzungen, ZfRV 2008, 69; Inwinkl, Petra/Schneider, Georg, Fusionsverbote nach der Internationalen Verschmelzungsrichtlinie 2005/56/EG und dem österreichischen EU-VerschG, RIW 2008, 4; Kallmeyer, Harald, Der gemeinsame Verschmelzungsplan für grenzüberschreitende Verschmelzungen, AG 2007, 472; Kallmeyer, Harald/Kappes, Stephan, Grenzüberschreitende Verschmelzungen und Spaltungen nach SEVIC Systems und der EU-Verschmelzungsrichtlinie, AG 2006, 224; Kaufmann, Alexander, Die grenzüberschreitende Verschmelzung nach dem EU-Verschmelzungsgesetz, RdW 2008, 123; Kiem, Roger, Die Regelung der grenzüberschreitenden Verschmelzung im deutschen Umwandlungsgesetz, WM 2006, 1091; Klein, Stefan, Grenzüberschreitende Verschmelzung von Kapitalgesellschaften, RNotZ 2007, 565; Krause, Nils/Kulpa, Norman, Grenzüberschreitende Verschmelzungen – Vor dem Hintergrund der „Sevic“-Entscheidung und der Reform des deutschen Umwandlungsrechts –, ZHR 171 (2007) 38; Lencou, Dominique/Menjucq, Michel, Les fusions transfrontalières des sociétés de capitaux : enfin une réalité mais des difficultés persistantes!, D. 2009, 886; Leutner, Gerd/Wagner, Thomas, Verabschiedung der EG-Verschmelzungsrichtlinie, GPR 2006, 32; Limmer, Peter, Grenzüberschreitende Umwandlungen nach dem Sevic-Urteil des EuGH und

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den Neuregelungen des UmwG, ZNotP 2007, 242 u. 282; Louven, Christoph, Umsetzung der Verschmelzungsrichtlinie, ZIP 2006, 2021; Louven, Christoph/Dettmeier, Michael/Pöschke, Moritz, Optionen grenzüberschreitender Verschmelzungen innerhalb der EU – gesellschaftsund steuerrechtliche Grundlagen, Beil. zu BB 13/2006, S. 1; Lutz, Timo, Hinweise für den Vertragsgestalter bei einer grenzüberschreitenden Verschmelzung unter dem besonderen Gesichtspunkt der Hinausverschmelzung, BWNotZ 2010, 23; Maul, Silja/Teichmann, Christoph/ Wenz, Martin, Der Richtlinienvorschlag zur grenzüberschreitenden Verschmelzung von Kapitalgesellschaften, BB 2003, 2633; Menjucq, Michel, La directive 2005/56/CE du Parlement européen et du Conseil du 26 octobre 2005 sur les fusions transfrontalières des sociétés de capitaux, in: Conac, Pierre-Henri (éd.), Fusions transfrontalières de sociétés, 2011, S. 15; Müller, Hans-Friedrich, Der Schutz der Minderheitsgesellschafter bei der grenzüberschreitenden Verschmelzung, Konzern 2007, 81; ders., Die grenzüberschreitende Verschmelzung nach dem neuen Richtlinienentwurf der EU-Kommission, ZIP 2004, 1790; ders., Die grenzüberschreitende Verschmelzung nach dem Referentenentwurf des Bundesjustizministeriums, NZG 2006, 286; ders., Internationalisierung des deutschen Umwandlungsrechts: Die Regelung der grenzüberschreitenden Verschmelzung, ZIP 2007, 1081; Nagel, Bernhard, Das Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen (MgVG), NZG 2007, 57; ders., Die Richtlinie zur grenzüberschreitenden Verschmelzung, NZG 2006, 97; Neye, Hans-Werner, Die neue Richtlinie zur grenzüberschreitenden Verschmelzung von Kapitalgesellschaften, ZIP 2005, 1893; Neye, Hans-Werner/Timm, Birte, Die geplante Umsetzung der Richtlinie zur grenzüberschreitenden Verschmelzung von Kapitalgesellschaften im Umwandlungsgesetz, DB 2006, 488; dies., Mehr Mobilität für die GmbH in Europa. Das neue Recht der grenzüberschreitenden Verschmelzungen, GmbHR 2007, 561; Oechsler, Jürgen, Die Richtlinie 2005/56/EG über die Verschmelzung von Kapitalgesellschaften aus verschiedenen Mitgliedstaaten, NZG 2006, 161; Passarge, Malte/Stark, Mario, Gläubigerschutz bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen nach dem Zweiten Gesetz zur Änderung des Umwandlungsgesetzes, GmbHR 2007, 803; Pluskat, Sorika, Der neue Entwurf für eine europäische Verschmelzungsrichtlinie – Transnationale Fusionen in Europa damit in greifbare Nähe gerückt?, EWS 2004, 1; Ratka, Thomas, Die neue Richtlinie zur grenzüberschreitenden Verschmelzung von Kapitalgesellschaften, GeS 2006, 52; Rickford, Jonathan, The proposed tenth company law directive on cross border mergers and its impact in the UK, [2006] EBLR 1393; Schubert, Claudia, Die Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei der grenzüberschreitenden Verschmelzung, RdA 2007, 9; Seifert, Achim, L’implication des travailleurs dans une fusion transfrontalière, in: Conac, Pierre-Henri (éd.), Fusions transfrontalières de sociétés, 2011, S. 122; Simon, Stefan/Rubner, Daniel, Die Umsetzung der Richtlinie über grenzüberschreitende Verschmelzungen ins deutsche Recht, Konzern 2006, 835; Sonnenberger, Hans-Jürgen, Der Vorentwurf eines Abkommens über die internationale Fusion, AG 1969, 381; Teichmann, Christoph, Mitbestimmung und grenzüberschreitende Verschmelzung, Konzern 2007, 89; Thiermann, Christoph, Grenzüberschreitende Verschmelzungen deutscher Gesellschaften, 2010; Ugliano, Arianna, The New Cross-Border Merger Directive: Harmonisation of European Company Law and Free Movement, [2007] EBLR 585; Vetter, Jochen, Die Regelung der grenzüberschreitenden Verschmelzung im UmwG, AG 2006, 613; Weyde, Daniel/Hafemann, Jens, Praxisrelevante gesellschaftsrechtliche und steuerrechtliche Aspekte bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen, in: Herlinghaus, Andreas u.a. (Hrsg.), Festschrift für Wienand Meilicke, 2010, S. 779; Wiesner, Peter M., Die grenzüberschreitende Verschmelzung und der neue Mitbestimmungskompromiss, DB 2005, 91; Wooldridge, Frank, The employee participation provisions of the cross-border mergers directive, (2007) 28 Co Law 118; Wyckaert, Marieke/Geens, Koen, Cross-border mergers and minority protection. An open-ended harmonization, (2008) 4 Utrecht L. Rev. 40.

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I. Überblick Die Schaffung einer speziellen Rechtsgrundlage für grenzüberschreitende Verschmel- 1 zungen war bereits in Art. 220 Sps. 3 des EWG-Vertrages von 1957 1 angelegt, der explizit die Einleitung von Verhandlungen zur Sicherstellung der „Möglichkeit der Verschmelzung von Gesellschaften, die den Rechtsvorschriften verschiedener Mitgliedstaaten unterstehen“ vorsah. Mit Blick darauf beauftragte die Kommission bereits 1965 eine Arbeitsgruppe unter dem Vorsitz von Prof. Berthold Goldman mit der Ausarbeitung eines Vertragsentwurfs und legte dann 1967 2 und 1969 3 zunächst zwei Vorentwürfe und 1972 einen offiziellen Entwurf für ein „Abkommen über die internationale Fusion“ 4 vor. Die Verhandlungen hierüber wurden bis ins Jahr 1980 fortgeführt, konnten jedoch (v.a. auf Grund von Kontroversen hinsichtlich der Mitbestimmung) nie erfolgreich beendet werden.5 Vor diesem Hintergrund und der zwischenzeitlichen Verabschiedung der 3. (Fu- 2 sions-)RL entschloss man sich Mitte der 1980er Jahre, auch die grenzüberschreitende Verschmelzung mittels einer Richtlinie zu regeln (für die im Gegensatz zu einem zwischenstaatlichen Abkommen eine Mehrheitsentscheidung im Rat genügt 6).7 Der von der Kommission 1985 vorgelegte Vorschlag 8 blieb jedoch auf Grund des anhaltenden Streits um die Mitbestimmung ebenfalls im Entwurfsstadium stecken.9 Erst das „Wunder von Nizza“ 10 Ende 2001, mit dem der „gordische Mitbestimmungsknoten“ mit der für die SE gefundenen Verhandlungslösung endlich durchschlagen wurde (vgl. dazu noch § 41 Rn. 5), brachte den Stein wieder ins Rollen: Die Kommission zog den Vorschlag aus dem Jahr 1985 offiziell zurück 11 und legte Ende 2003 einen

1 Ebenso dann Art. 293 Sps. 3 EG; die Regelung wurde jedoch nicht in den AEU übernommen, vgl. dazu bereits § 2 Rn. 16. 2 Dok. 16082/IV/67-F. Vgl. zu den wissenschaftlichen Vorarbeiten Beitzke FS Hallstein, 1966, 14, 15 f. 3 Dok. 5873/XIV/69-F. Dazu Sonnenberger AG 1969, 381 ff. 4 Entwurf eines Übereinkommmens über die Internationale Verschmelzung von Aktiengesellschaften, Dok. 529/XIV/72 = Beil. 13/73 Bull. EG (mit Bericht Goldman) = RabelsZ 39 (1975) 539 ff. = 2. Aufl., S. 351 ff. Dazu Koppensteiner RabelsZ 39 (1975) 405 ff. 5 Vgl. Ganske DB 1985, 581, 583; Kolvenbach DB 1986, 1973, 1975; Neye ZIP 2005, 1893. 6 Vgl. Art. 54 Abs. 3 EWG (dann Art. 44 Abs. 1 i.V.m. Art. 251 EG, nun Art. 50 Abs. 1 i.V.m. Art. 294 AEU). 7 Vgl. Ganske DB 1985, 581; Pluskat EWS 2004, 1, 2; s. auch Voraufl. S. 257 f. 8 Vorschlag einer 10. Richtlinie des Rates nach Artikel 54 Abs. 3 Buchstabe g) des Vertrages über die grenzüberschreitende Verschmelzung von Aktiengesellschaften, KOM(84) 727 = BT-Drs. 10/2856 = Voraufl. S. 261 ff. Dazu Däubler DB 1988, 1850 ff.; Ganske DB 1985, 581 ff. 9 Vgl. Habersack § 7 Rn. 52; S. Maul/C. Teichmann/Wenz BB 2003, 2633; Pluskat EWS 2004, 1, 2 f.; Nagel NZG 2006, 97; Neye ZIP 2005, 1893; Neye/Timm DB 2006, 488; KKUmwG/Simon/Rubner, 2009, Vor §§ 122a ff. Rn. 61; Ugliano [2007] EBLR 585, 587; s. auch Voraufl. S. 257 f. Ausf. zur Kontroverse um den „Mitbestimmungsvorbehalt“ Kolvenbach DB 1986, 1973, 1975 f. m.w.N. 10 Vgl. Hirte NZG 2002, 1 f. 11 KOM(2001) 763, S. 22.

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neuen und modernisierten Entwurf 12 vor. Nach Stellungnahmen von EWSA13 und EP 14 wurde die RL dann schließlich – mit einigen Änderungen – auch vom Rat angenommen 15 und am 26.10.2005 – also nur knapp zwei Monate vor dem Sevic-Urteil 16, mit dem der EuGH ausdrücklich klarstellte, dass die grenzüberschreitende Verschmelzung vom Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit erfasst ist (dazu bereits § 6 Rn. 32 ff.) – verabschiedet 17. Durch Beschluss v. 22.9.2006 wurde ihr Anwendungsbereich auch auf die EWR-Staaten ausgedehnt.18 3 Konzeptionell baut die RL auf der 3. (Fusions-)RL und dem dort verankerten „europäischen Modell für Strukturmaßnahmen“ (dazu § 21 Rn. 3, 24) auf und beschränkt sich darauf, ein europaweit uniformes Grundgerüst für grenzüberschreitende Verschmelzungen zu verankern, das durch das subsidiär anwendbare – durch die 3. (Fusion-)RL zumindest für die Verschmelzung von Aktiengesellschaften harmonisierte – nationale Recht ergänzt wird (näher u. Rn. 26 f.).19 4 Steuerrechtliche Regelungen enthält die RL zwar selbst nicht; die europarechtlichen Rahmenbedingungen für eine steuerneutrale Durchführung grenzüberschreitender Verschmelzungen wurden jedoch bereits 1990 durch die Fusionssteuer-RL20 gelegt.

12 Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Verschmelzung von Kapitalgesellschaften aus verschiedenen Mitgliedstaaten, KOM(2003) 703. 13 Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses v. 28.4.2004 zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Verschmelzung von Kapitalgesellschaften aus verschiedenen Mitgliedstaaten“, ABlEU v. 30.4.2004, C 117/43. 14 Legislative Entschließung des Europäischen Parlaments v. 10.5.2005 zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Verschmelzung von Kapitalgesellschaften aus verschiedenen Mitgliedstaaten, ABlEU v. 20.4.2006, C 92 E/80. 15 Dok. 12404/05 ADD 1, S. 10. 16 EuGH v. 13.12.2005, Sevic Systems AG, Rs. C-411/03, Slg. 2005, I-10805. 17 RL 2005/56/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 26.10.2005 über die Verschmelzung von Kapitalgesellschaften aus verschiedenen Mitgliedstaaten, ABlEU v. 25.11.2005, L 310/1. 18 Beschluss des Gemeinsamen EWR-Ausschusses Nr. 127/2006 v. 22.9.2006 zur Änderung des Anhangs XXII (Gesellschaftsrecht) des EWR-Abkommens, ABlEU v. 30.11.2006, L 333/59. 19 Vgl. Bayer in: Lutter, UmwG, 4. Aufl. 2009, § 122a Rn. 6; Bayer/J. Schmidt NJW 2006, 401, 402; Krause/Kulpa ZHR 171 (2007) 38, 52; Menjucq in: Conac (éd.), Fusions transfrontalières de sociétés, 2011, S. 15, 22 ff. 20 RL 90/434/EWG des Rates v. 23.7.1990 über das gemeinsame Steuersystem für Fusionen, Spaltungen, die Einbringung von Unternehmensteilen und den Austausch von Anteilen, die Gesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten betreffen, ABlEG v. 20.8.1990, L 225/1; jetzt kodifiziert als RL 2009/133/EG des Rates v. 19.10.2009 über das gemeinsame Steuersystem für Fusionen, Spaltungen, Abspaltungen, die Einbringung von Unternehmensteilen und den Austausch von Anteilen, die Gesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten betreffen, sowie für die Verlegung des Sitzes einer Europäischen Gesellschaft oder einer Europäischen Genossenschaft von einem Mitgliedstaat in einen anderen Mitgliedstaat, ABlEU v. 25.11.2009, L 310/34.

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Unberührt lässt die RL die Anwendung des Fusionskontrollrechts, und zwar sowohl auf EG-Ebene durch die FKVO 21 als auch auf nationaler Ebene (vgl. Art. 4 Abs. 1 lit. b S. 3 und Erwägungsgrund 9). Die mit der Änderungs-RL 2009/109/EG 22 erfolgte allgemeine Modernisierung der Berichts- und Dokumentationspflichten für Verschmelzungen und Spaltungen (dazu bereits § 21 Rn. 4, § 22 Rn. 4) brachte auch für die 10. RL einige Neuerungen, die allerdings lediglich punktueller Natur waren (dazu näher u. Rn. 45, 125 Fn. 336). Art. 18 sieht für 2012 eine generelle Überprüfung und ggf. Revision der RL vor. Die Reflection Group hat in ihrem Bericht vom April 201123 (dazu bereits ausf. § 18 Rn. 5, 100 ff.) schon eine Reihe möglicher Änderungen24 vorgeschlagen. Die gesellschaftsrechtlichen Vorgaben der RL wurden in Deutschland 25 durch das 2. UmwÄndG 26 umgesetzt, das einen neuen 10. Abschnitt (§§ 122a–122l UmwG) über die grenzüberschreitende Verschmelzung in den 2. Teil des 2. Buchs des UmwG einfügte27 und damit zugleich (partiell) auch dem Sevic-Urteil des EuGH 28 (dazu bereits § 6 Rn. 32 ff.) Rechnung trug (vgl. dazu auch bereits § 6 Rn. 71, 74). Die Vorgaben des Art. 16 hinsichtlich der Beteiligung der Arbeitnehmer (näher u. Rn. 147 ff.) wurden durch das MgVG 29 in das deutsche Recht transformiert. Die Änderungs-RL

21 VO (EG) Nr. 139/2004 des Rates v. 20.1.2004 über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen („EG-Fusionskontrollverordnung“), ABlEU v. 29.1.2004, L 24/1. 22 RL 2009/109/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 16.9.2009 zur Änderung der Richtlinien 77/91/EWG, 78/855/EWG, 82/891/EWG des Rates sowie der Richtlinie 2005/56/EG hinsichtlich der Berichts- und Dokumentationspflicht bei Verschmelzungen und Spaltungen, ABlEU v. 2.10.2009, L 259/14. 23 Vgl. Report of the Reflection Group On the Future of EU Company Law, 5.4.2011, abrufbar unter http://ec.europa.eu/internal_market/company/docs/modern/ reflectiongroup_report_en.pdf. 24 Genannt werden (vgl. Bericht Reflection Group (Fn. 23), S. 27 f.): Beginn und Länge des Gläubigerschutzes (dazu u. Rn. 141), Fristen für die Rechtmäßigkeitskontrolle (dazu u. Rn. 91 ff.), Klarstellungen bzgl. des Verfahrens in Fällen, in denen ein Hauptversammlungsbeschluss entbehrlich ist (zu diesen u. Rn. 89 f.), ggf. Harmonisierung bzgl. der Bewertungsmethoden sowie ggf. Erweiterung auf andere Formen der Umstrukturierung wie z.B. die Vermögensübertragung. 25 Eine ganze Reihe von Mitgliedstaaten hat die RL allerdings erst mit (teils erheblicher) Verspätung umgesetzt; die Kommission leitete gegen insgesamt 12 Mitgliedstaaten (BE, EL, ES, FR, IT, LT, LU, LV, NL, PT, SE, SI) Vertragsverletzungsverfahren ein (vgl. IP/08/872), gegen 6 davon erhob sie Klage (BE, EL, ES, LU, PT, SE), 3 davon wurden wegen nicht fristgerechter Umsetzung verurteilt (BE [Rs. C-493/08], EL [Rs. C-493/08], SE [Rs. 555/08]); vgl. zum Ganzen auch Bayer/J. Schmidt ZHR 173 (2009) 735, 764 f. Fn. 208. 26 Zweites Gesetz zur Änderung des Umwandlungsgesetzes v. 19.4.2007, BGBl. I, 542. 27 Vgl. zu den Vor- und Nachteilen dieser Regelungstechnik bereits Bayer/J. Schmidt NZG 2006, 841 sowie Bayer (Fn. 19), § 122a Rn. 14 m.z.w.N. 28 Fn. 16. 29 Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei einer grenzüberschreitenden Verschmelzung (MgVG) = Art. 1 des Gesetzes zur Umsetzung der Regelungen über die grenzüberschreitende Verschmelzung von Kapitalgesellschaften aus verschiedenen Mitgliedstaaten v. 21.12.2006, BGBl. I, 3332.

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2009/109/EG (Rn. 6) wurde, soweit sie die 10. RL betrifft, (leicht verspätet 30) durch das 3. UmwÄndG 31 umgesetzt. II. Anwendungsbereich 1. Grenzüberschreitende Verschmelzung von EU-/EWR-Kapitalgesellschaften 9 Der Anwendungsbereich der RL beschränkt sich gem. Art. 1 auf grenzüberschreitende Verschmelzungen von Kapitalgesellschaften aus verschiedenen EU-/EWRMitgliedstaaten. Nicht erfasst sind dagegen andere grenzüberschreitende Umstrukturierungsvorgänge wie grenzüberschreitende Spaltungen 32 (vgl. aber zu deren Zulässigkeit auf Grund des Sevic-Urteils bereits § 6 Rn. 76) oder Formwechsel (= grenzüberschreitende Satzungssitzverlegung, vgl. zu deren Zulässigkeit auf Grund des Cartesio-Urteils bereits § 6 Rn. 43, 58 ff.) 33. a) EU-/EWR-„Kapitalgesellschaft“ aa) Nur EU-/EWR-Gesellschaften 10 Im Einklang mit dem Umfang des Schutzbereichs der Niederlassungsfreiheit gem. Art. 54 Abs. 1 AEU bzw. Art. 34 Abs. 1 EWR gilt die RL nur für grenzüberschreitende Verschmelzungen unter ausschließlicher Beteiligung von Gesellschaften, die nach dem Recht eines EU- oder EWR-Mitgliedstaats gegründet worden sind und ihren satzungsmäßigen Sitz, ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung in der Gemeinschaft haben. Nicht vom Regelungsbereich erfasst sind also transnationale Fusionen, an denen eine oder mehrere Drittstaaten-Gesellschaften beteiligt sind.34 bb) Kapitalgesellschaften (1) Allgemeines 11 Abweichend vom umfassenden Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit gilt die RL allerdings nur für Kapitalgesellschaften, nicht auch für Personengesellschaften35 (vgl. zur umfassenden „Verschmelzungsfreiheit“ auch für Personengesellschaften auf

30 Vgl. dazu § 21 Rn. 6 Fn. 26. 31 Drittes Gesetz zur Änderung des Umwandlungsgesetzes v. 11.7.2011, BGBl. I, 1338. 32 Vgl. Bayer (Fn. 19), § 122a Rn. 3; Drinhausen/Keinath RIW 2006, 81, 86; Neye/Timm GmbHR 2007, 561, 565; Spahlinger/Wegen NZG 2006, 721, 722. 33 Vgl. Bayer (Fn. 19), § 122a Rn. 3; Drinhausen/Keinath RIW 2006, 81, 86; Inwinkl/Schneider RIW 2008, 4, 7; Neye/Timm GmbHR 2007, 561, 565; Spahlinger/Wegen NZG 2006, 721, 722. 34 Vgl. Bayer (Fn. 19), § 122a Rn. 3; Bayer/J. Schmidt NJW 2006, 401; Lencou/Menjucq D. 2009, 886, 889. 35 Vgl. Bayer (Fn. 19), § 122a Rn. 3; Bayer/J. Schmidt NJW 2006, 401; Inwinkl/Schneider RIW 2008, 4, 7; Neye/Timm GmbHR 2007, 561, 565; Pluskat EWS 2004, 1, 4.

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Grund des Sevic-Urteils bereits § 6 Rn. 72). Hintergrund ist, dass man für Personengesellschaften offenbar kein so großes Bedürfnis nach einer speziellen Regelung sah (vgl. Erwägungsgrund 1). Hinzu kommt, dass eine Erweiterung auch auf Personengesellschaften eine ganze Reihe von Sonderproblemen mit sich gebracht hätte, da das gesellschaftsrechtliche Harmonisierungsprogramm – nicht zuletzt auch mit Blick auf die typischerweise sehr enge Verzahnung des Personengesellschaftsrechts mit dem allgemeinen Privatrecht des jeweiligen Mitgliedstaats – von Anfang an auf Kapitalgesellschaften beschränkt war.36 Anders als die ursprünglichen Entwürfe für ein Abkommen und der RL-Entwurf 12 von 1985 (o. Rn. 2) und abweichend von der 3. (Fusions-)RL (vgl. § 21 Rn. 7) beschränkt sich die RL aber nicht nur auf die Verschmelzung von Aktiengesellschaften, sondern erfasst alle Kapitalgesellschaften. Grund für diese Erweiterung ist, dass die RL vor allem auch für KMU – für welche der (Um-)Weg über die SE (dazu § 41) ggf. nicht in Frage kommt bzw. sich zumindest im Einzelfall schwierig gestalten kann37 – die Möglichkeit einer grenzüberschreitenden Kooperation und Reorganisation eröffnen soll.38 Dies ist natürlich nicht nur aus praktischer Perspektive, sondern auch unter dem Aspekt der intendierten Vollendung des Binnenmarktes nachdrücklich zu begrüßen. Regelungs- und umsetzungstechnisch ist diese Erweiterung allerdings nicht unproblematisch.39 Denn die auf der subsidiären Anwendung des nationalen Verschmelzungsrechts beruhende Grundkonzeption der RL (dazu näher u. Rn. 27) führt bei Beteiligung anderer Kapitalgesellschaften als AG auf Grund der insoweit mangelnden Harmonisierung der nationalen Rechtsordnungen zu erhöhtem Friktionspotential.

(2) Legaldefinition (Art. 2 Nr. 1) „Kapitalgesellschaft“ i.S.d. RL40 sind gem. der Legaldefinition in Art. 2 Nr. 1 über 13 den Verweis in lit. a zunächst alle Gesellschaften i.S.d. Art. 1 der 1. (Publizitäts-)RL41 (dazu § 19 Rn. 9 f.). Gem. lit. b ist „Kapitalgesellschaft“ darüber hinaus aber auch jede andere Gesellschaft, die Rechtspersönlichkeit besitzt und über gesondertes Ge-

36 Vgl. diesbezüglich auch schon § 19 Rn. 9; s. ferner auch Ausschuss Internationaler Rechtsverkehr des DAV Stellungnahme 5/2005, S. 6 f. 37 Vgl. zur SE als Option für den Mittelstand noch allg. näher § 41 Rn. 9, 82. 38 Vgl. KOM(2003) 703, S. 3; Louven/Dettmeier/Pöschke Beil. zu BB 13/2006, 1, 13; s. ferner Habersack § 7 Rn. 54. 39 Vgl. auch Frischhut EWS 2006, 55, 57; Koppensteiner GesRZ 2006, 111, 125; Siems (2005) 11 Colum. J. Eur. L. 167, 173. 40 Die Kommission hat am 20.1.2009 eine Übersicht über die erfassten Kapitalgesellschaftsformen sowie die zuständigen Behörden veröffentlicht (abrufbar unter http://ec.europa. eu/internal_market/company/docs/mergers/scope_en.pdf), die allerdings leider nur 16 der derzeit insgesamt 30 EU/EWR-Staaten abdeckt. 41 Der Verweis auf Art. 1 der RL 68/151/EWG ist als Verweis auf Art. 1 der kodifizierten Fassung (RL 2009/101/EG) zu lesen, vgl. Art. 16 Abs. 2 RL 2009/101/EG.

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sellschaftskapital verfügt, das allein für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft haftet, und die nach dem für sie maßgebenden innerstaatlichen Recht Schutzbestimmungen i.S.d. 1. (Publizitäts-)RL im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter einhalten muss. Mit dieser dynamisch ausgestalteten „kleinen Generalklausel“ soll sichergestellt werden, dass sämtliche (nationale oder europäische) Gesellschaftsformen vom Anwendungsbereich erfasst werden, die diese Kriterien bereits erfüllen oder – im Falle neuer Gesellschaftsformen – künftig erfüllen werden (ohne dass es hierfür einer Änderung der RL bedürfte).42 14 „Kapitalgesellschaft“ i.S.d. lit. b ist wegen Art. 9 Abs. 1 lit. c ii und Art. 10 SE-VO insbesondere auch die SE.43 Sofern es sich um eine Verschmelzung zur Neugründung einer SE handelt, werden die RL und die nationalen Umsetzungsvorschriften allerdings nach ganz h.M. durch die Art. 2, 17 ff. SE-VO als insoweit abschließende leges speciales verdrängt.44 An einer grenzüberschreitenden Verschmelzung durch Aufnahme kann sich eine SE dagegen grundsätzlich sowohl als übertragender als auch als übernehmender Rechtsträger beteiligten.45 Denn bei der Verschmelzung durch Aufnahme sind die Art. 2, 17 ff. SE-VO nur für den Fall leges speciales, dass der übernehmende Rechtsträger im Zuge der Verschmelzung seine Rechtsform von der AG hin zur SE verändert.46 15 Ob auch Gegenseitigkeitsgesellschaften wie der deutsche VVaG erfasst sind, erscheint dagegen eher zweifelhaft.47

42 Vgl. Bayer (Fn. 19), § 122b Rn. 5; Bayer/J. Schmidt NJW 2006, 401; Drinhausen in: Semler/Stengel, UmwG, 2. Aufl. 2007, § 122b Rn. 4; Heckschen in: Widmann/Mayer, UmwG (Stand: 120. EL 2011), § 122b Rn. 9, 51 ff.; Menjucq, Droit international et européen des sociétés, 2. Aufl. 2008, Rn. 324; ders. (Fn. 19), S. 15, 19; Neye ZIP 2005, 1893, 1894. 43 Bayer/J. Schmidt NJW 2006, 401; Bayer (Fn. 19), § 122b Rn. 7; Brocker BB 2010, 971, 972; Drinhausen (Fn. 42), § 122b Rn. 4; Habersack § 7 Rn. 56; Heckschen (Fn. 42), Anh. 14 Rn. 11; Inwinkl ZfRV 2008, 69, 72, 75, 77; Krause/Kulpa ZHR 171 (2007) 38, 54; MarschBarner in: Kallmeyer, UmwG, 4. Aufl. 2010, § 122b Rn. 3; Rickford [2005] EBLR 1393, 1411; Simon/Rubner (Fn. 9), § 122b Rn. 7; J. Vetter AG 2006, 613, 615; s. ferner auch BegrRegE z. 2. UmwÄndG, BR-Drs. 548/06, S. 29. 44 Bayer (Fn. 19), § 122b Rn. 7; Drinhausen (Fn. 42), § 122b Rn. 5; Frotz/Kaufmann, Grenzüberschreitende Verschmelzungen, 2008, § 3 EU-VerschG Rn. 6; Grambow/Stadler BB 2010, 977, 978; Heckschen (Fn. 42), Anh. 14 Rn. 528.2; Krause/Kulpa ZHR 171 (2007) 38, 54; Lutz BWNotZ 2010, 23, 26; Marsch-Barner (Fn. 43), § 122b Rn. 3; Simon/Rubner (Fn. 9), § 122b Rn. 9; Thiermann, Grenzüberschreitende Verschmelzungen deutscher Gesellschaften, 2010, S. 201 ff., 216, 219. Vgl. ferner auch Inwinkl/Schneider RIW 2008, 4, 11. 45 Bayer (Fn. 19), § 122b Rn. 7; Drinhausen (Fn. 42), § 122b Rn. 5; Grambow/Stadler BB 2010, 977, 978 f.; Heckschen (Fn. 42), § 122b Rn. 16, 64 ff., 72; Inwinkl ZfRV 2008, 69, 72 ff.; Marsch-Barner (Fn. 43), § 122b Rn. 3; Simon/Rubner (Fn. 9), § 122b Rn. 10 ff.; a.A. Louven ZIP 2006, 2021, 2024; Oechsler NZG 2006, 161 f. 46 Vgl. Bayer (Fn. 19), § 122b Rn. 7; Grambow/Stadler BB 2010, 977, 978 f.; Klein RNotZ 2007, 565, 574; Simon/Rubner (Fn. 9), § 122b Rn. 10. 47 Vgl. Bayer (Fn. 19), § 122b Rn. 6; dafür: Frenzel RIW 2008, 12, 14; Lüttringhaus VersR 2008, 1036, 1040 f.; dagegen Drinhausen (Fn. 42), § 122b Rn. 6; Heckschen (Fn. 42), § 122b Rn. 6; Marsch-Barner (Fn. 43), § 122a Rn. 4.

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(3) „Opt out“-Möglichkeit für Genossenschaften (Art. 3 Abs. 2) Sofern sie die Kriterien des Art. 2 Nr. 1 lit. b erfüllen, sind grundsätzlich auch Genos- 16 senschaften einbezogen.48 Art. 3 Abs. 2 eröffnet den Mitgliedstaaten insoweit allerdings ein „Opt out“-Recht. Hintergrund ist, dass eine Reihe von Mitgliedstaaten 49 wegen der mangelnden Harmonisierung des Genossenschaftsrechts Bedenken geltend gemacht hatten 50; zudem sah man angesichts der Möglichkeit der Gründung einer SCE (dazu § 42) teilweise auch kein praktisches Bedürfnis für eine Beteiligung von Genossenschaften 51.

(4) Ausschluss von OGAW Ausdrücklich vom subjektiven Anwendungsbereich ausgenommen sind gem. Art. 3 17 Abs. 3 sog. Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren (OGAW). Da diese auf Gemeinschaftsebene Spezialvorschriften (vgl. zur OGAW-RL näher § 17 Rn. 232 ff.) unterliegen, wollte der europäische Gesetzgeber auch die entsprechenden Regelungen zur grenzüberschreitenden Verschmelzung ausschließlich diesem speziellen Rahmen vorbehalten.52

b) „Grenzüberschreitende Verschmelzung“ aa) Arten der Verschmelzung Die RL differenziert im Einklang mit der 3. (Fusions-)RL53 zwischen der Verschmel- 18 zung durch Aufnahme und durch Neugründung. Die jeweiligen Legaldefinition in Art. 2 Nr. 2 lit. a (Verschmelzung durch Aufnahme) und lit. b (Verschmelzung durch Neugründung) sind zwar sprachlich etwas modernisiert und mit Blick auf den weite-

48 Vgl. Neye ZIP 2005, 1893, 1895; Neye/Timm DB 2006, 488. 49 Die Regelung geht auf Initiative Deutschlands, Österreich, Frankreichs und des UK zurück, die Genossenschaften komplett vom Anwendungsbereich ausnehmen wollten, vgl. Dok. 7068/04, S. 7. Nachdem einige andere Mitgliedstaaten dies jedoch ablehnten, wurde auf italienischen Vorschlag hin eine „Opt-out“-Regelung nach dem Vorbild des Art. 1 Abs. 2 der 3. (Fusions-)RL (dazu § 21 Rn. 9) aufgenommen, vgl. Dok. 9294/04, S. 7. 50 Vgl. dazu IP/04/1405; Bayer (Fn. 19), § 122b Rn. 15; Drinhausen/Keinath RIW 2006, 81, 82; Klein RNotZ 2007, 565, 576; Ratka GeS 2006, 52, 54; s. zu Österreich auch Frotz/ Kaufmann (Fn. 44), § 3 EU-VerschG Rn. 7. 51 Vgl. Neye ZIP 2005, 1893, 1895. S. ferner auch BegrRegE z. 2. UmwÄndG, BR-DRs. 548/ 06, S. 30. 52 Vgl. Bayer (Fn. 19), § 122b Rn. 16; Drinhausen/Keinath RIW 2006, 81, 82; Frotz/Kaufmann (Fn. 44), § 4 EU-VerschG Rn. 3; Inwinkl/Schneider RIW 2008, 4, 6; H.-F. Müller NZG 2006, 286, 287; Neye ZIP 2005, 1893, 1895. 53 Vgl. auch Grundmann Rn. 925; Habersack § 7 Rn. 58; S. Maul/C. Teichmann/Wenz BB 2003, 2633, 2634; Ugliano [2007] EBLR 585, 600.

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ren Anwendungsbereich der 10. RL (nicht nur AG, sondern alle Kapitalgesellschaften, vgl. o. Rn. 12) um die Variante der „sonstigen Anteile“ erweitert, entsprechen aber der Sache nach Art. 3 Abs. 1 bzw. Art. 4 Abs. 1 der 3. (Fusions-)RL (dazu ausf. § 21 Rn. 13 ff.). 19 Um den Ausgleich sog. „Spitzenbeträge“ zu ermöglichen54, ist insbesondere auch hier eine bare Zuzahlung möglich. Die Legaldefinitionen in Art. 2 Nr. 2 lit. a und b sehen zwar – im Einklang mit Art. 3 Abs. 1 und Art. 4 Abs. 1 der 3. (Fusions-)RL (dazu § 21 Rn. 14 f.) – eine Obergrenze von 10 % des Nennwerts bzw. rechnerischen Werts der Aktien/Anteile vor. Art. 3 Abs. 1 stellt jedoch klar, dass die RL auch dann Anwendung findet, wenn eine (oder mehrere oder alle) der beteiligten Rechtsordnungen höhere bare Zuzahlungen (ggf. auch in unterschiedlicher Höhe) zulässt bzw. zulassen 55 (vgl. zur diesbezüglichen Option in Art. 30 der 3. (Fusions-)RL: § 21 Rn. 18). Hieraus können sich zwar ggf. praktische Probleme ergeben 56; nach Wortlaut und Entstehungsgeschichte 57 ist die Regelung jedoch eindeutig 58. 20 Als dritte Variante nennt Art. 2 Nr. 2 lit. c ausdrücklich den upstream-merger einer 100%igen Tochter auf die Mutter. Damit soll – in Parallele59 zu Art. 24 S. 1 der 3. (Fusions-)RL (dazu § 21 Rn. 135) und Art. 2 lit. a sublit. iii der Fusionssteuer-RL60 – explizit klargestellt werden, dass auch dieser Spezialfall der Verschmelzung durch Aufnahme 61 eine „Verschmelzung“ i.S.d. RL darstellt (auch wenn es hier naturgemäß nicht zu einer Anteilsgewährung kommt).62 21 Im Gegensatz zu der in der 3. (Fusions-)RL etablierten „Verweisungslösung“ (dazu ausf. § 21 Rn. 17, 129 ff.) folgt die RL allerdings dem auch der SE-VO zu Grunde liegenden (dazu § 41 Rn. 36) Modell einer einheitlichen Regelung des Verschmelzungsverfahrens für beide Verschmelzungsarten und differenziert nur in einigen Punkten innerhalb der jeweiligen Regelungen zwischen Verschmelzung durch Aufnahme und Neugründung. 54 Vgl. Neye ZIP 2005, 1893, 1894. 55 Vgl. Bericht EP-Rechtsausschuss, A6-0089/2005, S. 16; s. ferner auch Grundmann Rn. 925. 56 Vgl. Lencou/Menjucq D. 2009, 886, 887; Neye ZIP 2005, 1893, 1894; Oechsler NZG 2006, 161, 162. 57 Die deutsche Delegation hatte Bedenken geäußert; eine Reihe anderer Mitgliedstaaten hatten jedoch ausdrücklich dafür plädiert, die Entscheidung über etwaige Höchstwerte für bare Zuzahlungen aus Gründen der Subsidarität den Mitgliedstaaten zu überlassen, vgl. Dok. 9294/04, S. 6; s. ferner auch Neye ZIP 2005, 1893, 1894. 58 Vgl. Beutel, Der neue rechtliche Rahmen grenzüberschreitender Verschmelzungen in der EU, 2008, S. 150; s. ferner auch Rickford [2005] EBLR 1393, 1402; Ugliano [2007] EBLR 585, 601; zumindest missverständlich dagegen Oechsler NZG 2006, 161, 162, der offenbar für ein Primat der Rechtsordnung der übertragenden Gesellschaft plädiert; abw. auch Frotz/Kaufmann (Fn. 44), § 3 EU-VerschG Rn. 24; Inwinkl/Schneider RIW 2008, 4, 11. 59 Vgl. allg. zum Gleichlauf der Definitionen KOM(2003) 703, S. 5. 60 Fn. 20. 61 Zahlreiche Mitgliedstaaten hielten eine Sonderregelung daher nicht für erforderlich, v.a. auf Wunsch Frankreichs und der Kommission wurde die Regelung jedoch beibehalten, vgl. Dok. 11655/04, S. 7. 62 Vgl. dazu auch Bayer (Fn. 19), § 122b Rn. 20; Beutel (Fn. 58), S. 148.

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bb) Grenzüberschreitender Charakter „Grenzüberschreitend“ i.S.d. RL ist eine Verschmelzung – in Abgrenzung zur natio- 22 nalen Verschmelzung gem. Art. 2 der 3. (Fusions-)RL (dazu § 21 Rn. 8) 63 –, wenn mindestens zwei der Gesellschaften dem Recht verschiedener Mitgliedstaaten unterliegen. Maßgeblich ist also nicht die lokale Verortung der Gesellschaften, sondern das Zusammentreffen von mindestens zwei verschiedenen Gesellschaftsstatuten (Statutendivergenz).64 Angesichts der bislang mangelnden Harmonisierung des Gesellschaftskollisionsrechts (vgl. dazu sowie zu Harmonisierungsplänen bereits § 6 Rn. 83, § 18 Rn. 102) ist diese Anknüpfung an die Statutendivergenz zwar nicht unproblematisch, letztlich jedoch die einzig konsequente und in sich konsistente Lösung zur Abgrenzung des Anwendungsbereichs der RL von dem der 3. (Fusions-)RL. I.Ü. ist die Problematik mit der durch die EuGH-Judikatur für Zuzugsfälle etablierten „europarechtlichen Gründungstheorie“ (dazu ausf. § 6 Rn. 46 ff.) wesentlich „entschärft“: Denn aus ihr folgt, dass die anderen Mitgliedstaaten sog. „Scheinauslandsgesellschaften“ als Gesellschaft nach dem Recht des Heimatstaats (= Registerstaat) anerkennen müssen.65 Eine „grenzüberschreitende“ Verschmelzung liegt damit z.B. auch dann vor, wenn eine nach englischem Recht gegründete Limited mit Verwaltungssitz in Deutschland mit einer deutschen GmbH mit Verwaltungssitz in Deutschland verschmelzen möchte.66 Nicht vom Begriff der „grenzüberschreitenden Verschmelzung“ i.S.d. Art. 1 er- 23 fasst sind dagegen – entgegen einer teilweise im Schrifttum vertretenen Auffassung 67 – Fälle einer Grenzüberschreitung allein durch die NewCo (d.h. einer Verschmelzung durch Neugründung, bei der die übertragenden Gesellschaften derselben und nur die neu gegründete Gesellschaft einer anderen Rechtsordnung unterliegt).68 Denn Art. 1 stellt – anders als noch der Kommissionsentwurf 69 – gerade nicht mehr auf die Sta-

63 Vgl. zum Zusammenspiel von Art. 1 der RL und Art. 2 der 3. (Fusions-)RL auch Grundmann Rn. 923, 926; s. ferner auch Erwägungsgrund 6 des RL-Vorschlags 1985 (Fn. 8). 64 Vgl. zur RL: Frotz/Kaufmann (Fn. 44), § 1 EU-VerschG Rn. 6; Grundmann Rn. 923; zur deutschen Umsetzung in § 122a Abs. 1 UmwG: Bayer (Fn. 19), § 122b Rn. 23; Drinhausen (Fn. 42), § 122a Rn. 10; Frenzel, Grenzüberschreitende Verschmelzung von Kapitalgesellschaften, 2008, S. 126; ders. RIW 2008, 12, 13. 65 Vgl. Bayer (Fn. 19), § 122b Rn. 23; Frotz/Kaufmann (Fn. 44), § 1 EU-VerschG Rn. 6; Grundmann/Möslein, European Company Law, 2007, Rn. 976; s. ferner auch Hörtnagl (Fn. 43), § 122a Rn. 8; Klein RNotZ 2007, 565, 575; Papadopoulos (2011) 36 E.L. Rev. 71, 86 f.; Simon/Rubner (Fn. 9), § 122a Rn. 10 f. 66 Vgl. Bayer (Fn. 19), § 122b Rn. 23; Drinhausen (Fn. 42), § 122a Rn. 10; Heckschen (Fn. 42), § 122a Rn. 78, 87; Lutz BWNotZ 2010, 23, 26; Marsch-Barner (Fn. 43), § 122a Rn. 2; Simon/Rubner (Fn. 9), § 122b Rn. 5. 67 Frotz/Kaufmann (Fn. 64), § 1 EU-VerschG Rn. 6; Habersack § 7 Rn. 57; Oechsler NZG 2006, 161, 162, 166; ferner wohl auch Frischhut EWS 2006, 55, 56; Simon/Rubner (Fn. 9), § 122a Rn. 17 f. 68 Bayer (Fn. 19), § 122a Rn. 25; Frenzel RIW 2008, 12, 14; Heckschen (Fn. 42), § 122a Rn. 6, 55; Klein RNotZ 2007, 565, 573; Marsch-Barner (Fn. 43), § 122a Rn. 4; Spahlinger/Wegen NZG 2006, 721, 722. 69 Vgl. KOM(2003) 703, S. 11.

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tutendivergenz der beteiligten, sondern der sich verschmelzenden Gesellschaften ab.70 Darüber hinaus würde die Einbeziehung der „NewCo-Fälle“ letzten Endes bedeuten, dass der europäische Gesetzgeber damit in verklausulierter Form de facto auch die grenzüberschreitende Satzungssitzverlegung (wenngleich auch nur in Kombination mit einer gleichzeitigen Verschmelzung) zugelassen hätte; dies kann allerdings mit Blick auf den Stand der Diskussion um die Satzungssitzverlegung (dazu ausf. § 6 Rn. 37 ff., 58 ff. sowie § 32) kaum angenommen werden.71 Etwas anderes lässt sich i.Ü. auch nicht aus dem Vergleich mit der Rechtslage bei der SE ableiten: Dort entspricht es zwar ganz h.M., dass die NewCo-SE ihren Satzungssitz in einem anderen Mitgliedstaat als die Gründungsgesellschaften haben kann (vgl. § 41 Rn. 35); Art. 2 Abs. 1 SEVO (dazu § 41 Rn. 32) verlangt aber stets, dass die sich verschmelzenden AG dem Recht verschiedener Mitgliedstaaten unterliegen, also auch eine „Grenzüberschreitung“ auf der Ebene der sich verschmelzenden Gesellschaften.72

2. Limitierung der zulässigen Verschmelzungskombinationen (Art. 4 Abs. 1 lit. a) 24 Art. 4 Abs. 1 lit. a normiert eine grundlegende Einschränkung im Hinblick auf die möglichen Verschmelzungskombinationen: Die RL ermöglicht grenzüberschreitende Verschmelzungen nur zwischen Gesellschaften solcher Rechtsformen, die sich nach dem innerstaatlichen Recht der jeweiligen Mitgliedstaaten verschmelzen dürfen. Diese auf einen Kompromissvorschlag der niederländischen Ratspräsidentschaft zurückgehende73 Schutzklausel soll verhindern, dass die Mitgliedstaaten bei transnationalen Fusionen Kombinationen zulassen müssten, die ihrem nationalen Recht fremd sind.74 Hintergrund ist, dass die nationalen Verschmelzungsrechte durch die 3. (Fusions-)RL nur bezüglich der Verschmelzung unter ausschließlicher Beteiligung von Aktiengesellschaften harmonisiert sind (vgl. § 21 Rn. 7); ob und in welchem verfahrensrechtlichen Rahmen sich auch andere Rechtsformen an einer innerstaatlichen Verschmelzung beteiligen können, ist den Mitgliedstaaten völlig freigestellt. Müsste ein Mitgliedstaat nun aber plötzlich einer Rechtsform, die nach nationalem Recht nicht verschmelzungsfähig ist, die Beteiligung an einer grenzüberschreitenden Verschmelzung gestatten, so ergäben sich ganz erhebliche Probleme: Denn mangels entsprechender Regelungen im nationalen Recht würde die auf der subsidiären Anwendbarkeit des nationalen Verschmelzungsrechts basierende Grundkonzeption der RL (dazu bereits Rn. 3 sowie ausf. u. Rn. 26 f.) in diesen Fällen überhaupt nicht funktionieren bzw. der Mitgliedstaat wäre indirekt gezwungen, erst entsprechende Regelungen zu schaffen.

70 Der EP-Rechtsausschuss hatte den Wortlaut aus Gründen der Klarstellung bewusst abgeändert, vgl. A6-0089/2005, S. 15, 17; Bayer (Fn. 19), § 122a Rn. 25. 71 Vgl. Bayer (Fn. 19), § 122a Rn. 25. 72 Vgl. Bayer (Fn. 19), § 122a Rn. 25. 73 Vgl. Dok. 14060/04, S. 3. 74 Vgl. Bayer (Fn. 19), § 122b Rn. 4; Bayer/J. Schmidt NJW 2006, 401; s. ferner auch Inwinkl/Schneider RIW 2008, 4, 8 f.; Klein RNotZ 2007, 565, 576; Koppensteiner GesRZ 2006, 111, 115; Neye/Timm DB 2006, 488, 489.

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3. Umsetzung in Deutschland Der deutsche Gesetzgeber hat sich mit den Regelungen in §§ 122a Abs. 1, 122b 25 UmwG zum Anwendungsbereich der §§ 122a ff. UmwG über die grenzüberschreitende Verschmelzung eng an die Vorgaben der RL angelehnt und sich trotz entsprechender Forderungen aus Wissenschaft und Praxis 75 gegen eine „überschießende“ Umsetzung der RL-Vorgaben auch für Personengesellschaften entschieden 76 (obgleich auf Grund des Sevic-Urteils auch für diese eine Regelung geboten wäre, vgl. dazu bereits § 6 Rn. 32 ff., 72 f.). Die Legaldefinition der „grenzüberschreitenden Verschmelzung“ in § 122a Abs. 1 UmwG stellt allerdings abweichend von Art. 1 auf die Statutendivergenz der „beteiligten“ Gesellschaften ab und erfasst daher – über den Anwendungsbereich der RL (vgl. o. Rn. 23) hinaus 77 – auch sog. NewCo-Fälle 78 (die aber praktisch freilich nur dann möglich sind, wenn auch die anderen beteiligten Rechtsordnungen sie zulassen79). Die Regelung zum subjektiven Anwendungsbereich in § 122b nimmt in Abs. 1 explizit auf die Legaldefinition des Begriffs „Kapitalgesellschaft“ in Art. 2 Nr. 1 der RL Bezug, Abs. 2 Nr. 2 nimmt in Umsetzung von Art. 3 Abs. 3 OGAW vom Anwendungsbereich aus. Mit Abs. 2 Nr. 1 hat der Gesetzgeber vom „Opt out“-Recht des Art. 3 Abs. 2 (dazu o. Rn. 16) Gebrauch gemacht 80, da er für die Beteiligung von Genossenschaften angesichts der Möglichkeit der Gründung einer SCE (dazu § 42) kein praktisches Bedürfnis sah 81. Die sich aus Art. 4 Abs. 1 lit. a ergebende Grundvoraussetzung der Zulässigkeit der jeweiligen Verschmelzungskombination nach allen beteiligten Rechtsordnungen (vgl. o. Rn. 24) ist in §§ 122a ff. UmwG zwar nicht ausdrücklich normiert, vom deutschen Gesetzgeber aber offenbar als selbstverständlich vorausgesetzt.82 Aus deutscher Perspektive bestehen insoweit (abgesehen vom Ausschluss der Genossenschaften) ohnehin keine Beschränkungen: Deutsche Kapitalgesellschaften können gem. § 122a Abs. 2 i.V.m. § 3 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 4 UmwG sowohl als übertragender als auch als übernehmender oder neuer Rechtsträger an einer Verschmelzung mit Kapitalgesellschaften gleicher oder anderer Rechtsform beteiligt sein.83

75 Vgl. Bayer/J. Schmidt NZG 2006, 841; Handelsrechtsausschuss des DAV NZG 2006, 737, 740; Kallmeyer/Kappes AG 2006, 224, 237; Kiem WM 2006, 1091, 1094; Louven ZIP 2006, 2021, 2023 f.; J. Vetter AG 2006, 613, 616 f. 76 Kritisch dazu Bayer (Fn. 19), § 122b Rn. 3; Bayer/J. Schmidt ZHR 173 (2009) 735, 766, 774. 77 Dies ist auf Grund der generellen Intention der RL, grenzüberschreitende Verschmelzungen möglichst zu erleichtern (vgl. Erwägungsgründe 1 und 2) europarechtlich unbedenklich, vgl. Bayer (Fn. 19), § 122a Rn. 26; Frenzel RIW 2008, 12, 14. 78 Vgl. Bayer (Fn. 19), § 122a Rn. 26; Drinhausen (Fn. 42), § 122a Rn. 10; Frenzel RIW 2008, 12, 14; Hörtnagl (Fn. 43), § 122a Rn. 9; Marsch-Barner (Fn. 43), § 122a Rn. 4; Simon/Rubner (Fn. 9), § 122a Rn. 17 ff.; a.A. Heckschen (Fn. 42), § 122a Rn. 56, 72 f.; Klein RNotZ 2007, 565, 573. 79 Vgl. Bayer (Fn. 19), § 122a Rn. 26; Marsch-Barner (Fn. 43), § 122a Rn. 4. 80 Kritisch dazu Bayer (Fn. 19), § 122b Rn. 15; s. ferner auch Kiem WM 2006, 1091, 1093. 81 Vgl. BegrRegE z. 2. UmwÄndG, BR-DRs. 548/06, S. 30. 82 Vgl. Bayer (Fn. 19), § 122b Rn. 12; s. ferner auch Heckschen (Fn. 42), § 122b Rn. 12. 83 Vgl. Bayer (Fn. 19), § 122b Rn. 12; s. ferner auch H.-F. Müller ZIP 2007, 1081, 1083.

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III. Grundkonzeption 26 Die RL verankert in Art. 5 ff. ein europaweit uniformes Grundgerüst für grenzüberschreitende Verschmelzungen84, das auf dem bereits durch die 3. (Fusions-)RL etablierten (vgl. § 21 Rn. 3, 24) – und dann auch in die 6. (Spaltungs-)RL (dazu § 22 Rn. 2, 23) sowie in modernisierter Form auch in die SE-VO (dazu § 41 Rn. 50) und die SCE-VO (dazu § 42 Rn. 22) übernommenen – „europäischen Modell für Strukturmaßnahmen“ mit seinem Fokus auf „Schutz durch Information“ (sog. Informationsmodell) basiert 85 (vgl. dazu auch § 6 Rn. 29; § 18 Rn. 9; § 19 Rn. 4; § 21 Rn. 24, 112; § 22 Rn. 23, 81; § 30 Rn. 16; § 41 Rn. 47). Grundbausteine des Verschmelzungsverfahrens sind demzufolge auch bei der grenzüberschreitenden Verschmelzung der Verschmelzungsplan und seine Offenlegung (Art. 5 und 6, dazu ausf. u. Rn. 29 ff.), der Verschmelzungsbericht (Art. 7, dazu ausf. u. Rn. 52 ff.), die Verschmelzungsprüfung (Art. 8, dazu ausf. u. Rn. 67 ff.), die Verschmelzungsbeschlüsse (Art. 9, dazu ausf. u. Rn. 79 ff.) und die Rechtmäßigkeitskontrolle (Art. 10 und 11, dazu ausf. u. Rn. 91 ff.). 27 Die verbleibenden Lücken werden durch das nationale Recht ausgefüllt. Die RL beruht – ganz i.S.d. europarechtlichen Subsidaritätsprinzips (Art. 5 Abs. 1 S. 2 u. Abs. 3 EU) und der kollisionsrechtlichen Vereinigungstheorie (dazu auch bereits § 6 Rn. 75) – auf dem Prinzip der subsidiären Anwendbarkeit des jeweiligen nationalen Rechts:86 Wenn und soweit sich aus der RL nichts anderes ergibt, muss jede der an einer grenzüberschreitenden Verschmelzung beteiligten Gesellschaften die Vorschriften und Formalitäten des für sie geltenden innerstaatlichen Rechts einhalten bzw. erledigen (Art. 4 Abs. 1 lit. b S. 1, vgl. auch Erwägungsgrund 3). 28 Der deutsche Gesetzgeber hat diese Grundkonzeption der RL i.R.d. Umsetzung ins deutsche Recht nachvollzogen: 87 §§ 122a ff. UmwG enthalten nur ergänzende Sonderregelungen für grenzüberschreitende Verschmelzungen, i.Ü. sind auf die Beteiligung einer deutschen Kapitalgesellschaft an einer grenzüberschreitenden Verschmelzung kraft des Generalverweises in § 122a Abs. 2 UmwG die Regeln über nationale Verschmelzungen entsprechend anzuwenden 88. 84 Vgl. Bayer (Fn. 19), § 122a Rn. 6; Bayer/J. Schmidt NJW 2006, 401; Klein RNotZ 2007, 565, 571; Krause/Kulpa ZHR 171 (2007) 38, 52; zum RL-Entwurf: S. Maul/C. Teichmann/Wenz BB 2003, 2633 f. 85 Vgl. Bayer (Fn. 19), § 122a Rn. 6; Bayer/J. Schmidt NJW 2006, 401; s. ferner auch Habersack § 7 Rn. 62; Heckschen DNotZ 2007, 444, 454; Klein RNotZ 2007, 565, 571; Oechsler NZG 2006, 161, 163. 86 Vgl. Bayer (Fn. 19), § 122a Rn. 5; Bayer/J. Schmidt NJW 2006, 401, 402; Grundmann Rn. 804, 926; Habersack § 7 Rn. 60; Hansen [2007] EBLR 181, 186; Inwinkl/Schneider RIW 2008, 4, 9; Menjucq (Fn. 19), S. 15, 22; Ratka GeS 2006, 52, 54; Ugliano [2007] EBLR 585, 599; Van Eck/Roelofs (2011) 8 ECL 22 f.; s. ferner bereits zum RL-Entwurf: S. Maul/ C. Teichmann/Wenz BB 2003, 2633, 2634; H.-F. Müller ZIP 2004, 1790, 1792; Rickford [2005] EBLR 1393, 1402. 87 Vgl. Bayer (Fn. 19), § 122a Rn. 27; Bayer/J. Schmidt NZG 2006, 841; Drinhausen (Fn. 42), § 122a Rn. 3; Heckschen (Fn. 42), § 122a Rn. 8; Simon/Rubner (Fn. 9), § 122a Rn. 21. 88 Ausf. zur Reichweite dieses Generalverweises Bayer (Fn. 19), § 122a Rn. 27 ff. m.z.w.N.

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IV. Das Verschmelzungsverfahren im Einzelnen 1. Der Verschmelzungsplan und seine Offenlegung a) Verschmelzungsplan (Art. 5) aa) Allgemeines Grundlage des gesamten Verschmelzungsverfahrens ist auch bei der grenzüberschrei- 29 tenden Verschmelzung der gemeinsame Verschmelzungsplan, in dem die wesentlichen Bedingungen der Fusion verbindlich festgelegt werden. Die RL benutzt hier – wie schon die 3. (Fusions-)RL (vgl. § 21 Rn. 25), die 6. (Spaltungs-)RL (vgl. § 22 Rn. 24), die SE-VO (vgl. § 41 Rn. 37) und die SCE-VO (vgl. § 42 Rn. 23) – mit Blick auf die divergierenden nationalen Traditionen den neutralen Terminus „Plan“. Erforderlich ist also (nur) ein Grundlagendokument i.S.e. gesellschaftsrechtlichen Organisationsaktes89, kein schuldrechtlicher Vertrag90. Den an der Verschmelzung beteiligten Gesellschaften bleibt es allerdings unbenommen, in den Verschmelzungsplan auch schuldrechtliche Vereinbarungen aufzunehmen91 (zur Zulässigkeit fakultativer Inhalte allg. u. Rn. 41) oder ein separates sog. business combination agreement abzuschließen 92.

bb) Zuständigkeit für die Aufstellung Zuständig für die Aufstellung sind gem. Art. 5 S. 1 die Leitungs- oder Verwaltungs- 30 organe der sich verschmelzenden Gesellschaften. Die Zuständigkeit innerhalb der betreffenden Organe bestimmt sich sodann nach nationalem Recht.

cc) Form Im Gegensatz zu Art. 5 Abs. 1 der 3. (Fusions-)RL (dazu § 21 Rn. 27) und Art. 3 31 Abs. 1 der 6. (Spaltungs-)RL (dazu § 22 Rn. 25) fehlt in der deutschen Fassung des Art. 5 zwar das Wort „schriftlich“. Das Erfordernis der Schriftform (allerdings ledig89 Althuber/Vavorvsky GeS 2007, 416, 418; Bayer (Fn. 19), § 122c Rn. 3; Drinhausen (Fn. 42), § 122c Rn. 6; Handelsrechtsausschuss des DAV NZG 206, 737, 740; Mayer in: Widmann/Mayer, UmwG (Stand: 120. EL 2011), § 122c Rn. 15; Marsch-Barner (Fn. 43), § 122c Rn. 4. 90 So aber (zu Unrecht) Forsthoff DStR 2006, 613, 614; Frotz/Kaufmann (Fn. 44), § 5 EU-VerschG Rn. 3c; Krause/Kulpa ZHR 171 (2007) 38, 56; Limmer ZNotP 2007, 242, 251; Simon/Rubner (Fn. 9), § 122c Rn. 5 f., 12 f.; J.Vetter AG 2006, 613, 617. 91 Vgl. Bayer (Fn. 19), § 122c Rn. 4; Drinhausen (Fn. 42), § 122c Rn. 6; Hörtnagl (Fn. 43), § 122c Rn. 5; Klein RNotZ 2007, 565, 579; Lutz BWNotZ 2010, 23, 27; Marsch-Barner (Fn. 43), § 122c Rn. 4; Mayer (Fn. 89), § 122c Rn. 28, 159. 92 Vgl. Bayer (Fn. 19), § 122c Rn. 4; Mayer (Fn. 89), § 122c Rn. 18; vgl. ferner auch Lutz BWNotZ 2010, 23, 27.

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lich i.S.e. textlichen Fixierung entsprechend der Textform i.S.d. § 126b BGB, nicht i.S.d. deutschen Verständnisses der Schriftform i.S.d. § 126 Abs. 1 BGB93) ergibt sich jedoch bereits aus der Natur eines „Plans“ und ist zudem in der französischen Sprachfassung94 sogar ausdrücklich vorgesehen. I.Ü. gilt hinsichtlich etwaiger strengerer Formerfordernisse gem. Art. 4 Abs. 1 lit. b S. 1 das jeweilige nationale Recht der beteiligten Gesellschaften, wobei sich auf Grund der Tatsache, dass es sich bei dem gemeinsamen Verschmelzungsplan um ein einheitliches Dokument handelt, das jeweils strengste Recht durchsetzt.95

dd) Sprache 32 Hinsichtlich der Sprache des Verschmelzungsplans macht die RL keine speziellen Vorgaben, über Art. 4 Abs. 1 lit. b S. 1 gilt also das nationale Recht der jeweiligen beteiligten Gesellschaften (soweit dieses hierfür Vorgaben enthält). Verlangen die beteiligten Rechtsordnungen jeweils ein Dokument in der Landessprache, muss der Verschmelzungsplan also zwei- bzw. mehrsprachig abgefasst werden. Für die Praxis ist aber – nicht zuletzt auch mit Blick auf die Informationsfunktion des Plans – ohnehin generell die Herstellung einer multilingualen Fassung empfehlenswert.96 Im Falle etwaiger Divergenzen zwischen den verschiedenen Sprachfassungen wird man indes nicht schlichtweg von der Maßgeblichkeit der Amtssprache der aus der Verschmelzung hervorgehenden Gesellschaft ausgehen können97; vielmehr fehlt es in derartigen Fällen an der Grundvoraussetzung eines „gemeinsamen“ Verschmelzungsplans, so dass die Eintragung zu verweigern ist 98.

93 Vgl. zur Parallelproblematik beim Verschmelzungsbericht u. Rn. 54, beim Verschmelzungsprüfungsbericht u. Rn. 67; bei der 3. (Fusions-)RL § 21 Rn. 27, 42, 53; bei der 6. (Spaltungs-)RL § 22 Rn. 25, 36, 44; i.R.d. Aktionärsrechte-RL: § 31 Rn. 38, 92. 94 „… établissent par écrit un projet de fusion“ [Hervorhebung hinzugefügt]. Vgl. auch die englische Fassung: „… draw up the common draft terms“. 95 Vgl. Bayer (Fn. 19), § 122c Rn. 3; Bayer/J. Schmidt NJW 2006, 401, 402 f.; Grundmann Rn. 928; Koppensteiner GesRZ 2006, 111, 125; a.A. Frenzel (Fn. 64), S. 218 f. (Formerfordernis gilt nur für die dem jeweilige Recht unterliegenden Gesellschaften); Kallmeyer AG 2007, 472, 475 (Recht der übernehmenden bzw. neuen Gesellschaft maßgeblich; i.d.S. auch Krüger FS Gruson, 2009, 265, 275) und Kallmeyer/Kappes AG 2006, 224, 228, 232 (nach RL zwingend nur Schriftform). 96 Vgl. Bayer (Fn. 19), § 122c Rn. 10; Brocker BB 2010, 971, 973; Freundorfer/Festner GmbHR 2010, 195, 197; Frotz/Kaufmann (Fn. 44), § 5 EU-VerschG Rn. 5; Herrler/ Schneider DStR 2009, 2433, 2434; Klein RNotZ 2007, 565, 588; Krauel/Mense/Wind Konzern 2010, 541, 544; H.-F. Müller ZIP 2007, 1081, 1083; Weyde/Hafemann FS Meilicke, 2010, S. 779, 808. 97 So aber Krause/Kulpa ZHR 171 (2007) 38, 60; Limmer ZNotP 2007, 242, 252; Mayer (Fn. 89), § 122c Rn. 24; Simon/Rubner (Fn. 9), § 122c Rn. 41. 98 Vgl. Bayer (Fn. 19), § 122c Rn. 10; Freundorfer/Festner GmbHR 2010, 195, 197; Klein RNotZ 2007, 565, 588; Krause/Kulpa ZHR 171 (2007) 38, 56; H.-F. Müller ZIP 2007, 1081, 1083 f. Die Praxis empfiehlt deshalb häufig auch, eine vorrangige Sprachfassung festzulegen (so etwa Freundorfer/Festner GmbHR 2010, 195, 198; Klein RNotZ 2007,

Die internationale Fusionsrichtlinie (10. Richtlinie)

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ee) Mindestinhalt (Art. 5 S. 2) Um eine hinreichende Information der Gesellschafter zu gewährleisten, ist auch bei 33 der grenzüberschreitenden Verschmelzung ein Mindestinhalt für den Verschmelzungsplan vorgeschrieben. Der Katalog des Art. 5 S. 2 lehnt sich dabei eng an die Parallelregelungen in Art. 5 Abs. 2 der 3. (Fusions-)RL (dazu § 21 Rn. 28 ff.), Art. 20 Abs. 1 S. 2 SE-VO (dazu § 41 Rn. 37) und Art. 22 Abs. 1 S. 2 SCE-VO (dazu § 42 Rn. 23) an.99 Ohne Vorbild in früheren europäischen Rechtsakten sind allerdings lit. d (dazu u. Rn. 35) sowie lit. k und l (dazu u. Rn. 38 f.). Lit. a–c entsprechen Art. 5 Abs. 2 lit. a–c der 3. (Fusions-)RL (dazu näher § 21 34 Rn. 29 ff.), lit. e–h entsprechen Art. 5 Abs. 2 lit. d–g der 3. (Fusions-)RL (dazu näher § 21 Rn. 32 ff.). Auf Grund ihres auf alle Kapitalgesellschaften erweiterten Anwendungsbereichs (o. Rn. 12) bezieht sich die RL allerdings jeweils nicht nur auf Aktien, sondern auch auf andere Gesellschaftsanteile; zudem bezieht sie sich im Einklang mit dem Modell der einheitlichen Regelung des Verfahrens von Verschmelzung durch Aufnahme und Neugründung (o. Rn. 21) neutral auf die „aus der grenzüberschreitenden Verschmelzung hervorgehende Gesellschaft“. Gem. lit. d sind die voraussichtlichen Auswirkungen der grenzüberschreitenden 35 Verschmelzung auf die Beschäftigung anzugeben. Die Regelung geht auf einen – offensichtlich vom Vorbild des deutschen § 5 Abs. 1 Nr. 9 UmwG und der ähnlichen Regelung in Art. 6 Abs. 3 lit. i Übernahme-RL (dazu § 30 Rn. 53) beeinflussten – Ergänzungswunsch des EP zurück.100 Aus der Gesamtkonzeption des Informationsinstrumentariums der RL ergibt sich, dass Gegenstand der Angabepflicht hier (anders als nach § 5 Abs. 1 Nr. 9 UmwG) nur diejenigen voraussichtlichen Auswirkungen auf die Beschäftigung sind, die für die Gesellschafter selbst relevant sind (z.B. Mitarbeiterzahlen und insofern ggf. zu erwartende Änderungen, Kosten etwaiger Reduktion der Beschäftigtenzahlen, etc.), denn die Arbeitnehmer werden durch den Verschmelzungsbericht (dazu ausf. u. Rn. 52 ff.) speziell informiert.101 Hinsichtlich der Folgen für die Arbeitnehmervertretungen ist lit. j (dazu u. Rn. 37) lex specialis.102

99 100 101

102

565, 588; Krauel/Mense/Wind Konzern 2010, 541, 544; Weyde/Hafemann FS Meilicke, 2010, S. 779, 808 f.). Dies sollte grundsätzlich auch zulässig sein, denn dann existiert eben der „gleichlautende Verschmelzungsplan“ nur in der vorrangigen Sprache (und die anderen Sprachfassung sind bloße „Hilfsfassungen“); sobald jedoch zwei (oder mehrere) der beteiligten Rechtsordnungen zwingend (auch) eine Fassung in der jeweiligen Amtssprache verlangen, wird diese Lösung nicht funktionieren. Vgl. KOM(2003) 703, S. 6; Bayer/J. Schmidt NJW 2006, 401, 402; Drinhausen/Keinath RIW 2006, 81, 83; Menjucq (Fn. 19), S. 15, 23; Neye/Timm DB 2006, 488, 489. Vgl. Art. 3 Abs. 1 lit. d RL-E i.d.F.d. EP (Fn. 14); Bayer (Fn. 19), § 122c Rn. 19; Kiem WM 2006, 1091, 1094; Klein RNotZ 2007, 565, 580; Neye ZIP 2005, 1893, 1895. Vgl. Bayer (Fn. 19), § 122c Rn. 19; zu § 122c Abs. 2 Nr. 4 UmwG: Dzida/Schramm NZG 2008, 521, 526; Klein RNotZ 2007, 565, 580; Lutz BWNotZ 2010, 23, 29; Simon/Rubner (Fn. 9), § 122c Rn. 16 f.; a.A. Drinhausen (Fn. 42), § 122c Rn. 21; J.Vetter AG 2006, 613, 620; Weyde/Hafemann FS Meilicke, 2010, S. 779, 800. Vgl. zur Parallelproblematik im Hinblick auf § 122c Abs. 2 Nr. 4 und 10 UmwG: Bayer (Fn. 19), § 122c Rn. 19 m.w.N.

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Gem. lit. i muss der Verschmelzungsplan nach dem Vorbild von Art. 20 Abs. 1 S. 2 lit. h SE-VO (dazu § 41 Rn. 37) 103 generell (d.h. anders als nach der 3. (Fusions-)RL nicht nur bei der Verschmelzung durch Aufnahme, sondern auch bei der Verschmelzung durch Neugründung 104) die Satzung der aus der Verschmelzung hervorgehenden Gesellschaft enthalten. Damit soll gewährleistet werden, dass die Gesellschafter in jedem Fall hinreichend über den Satzungsinhalt informiert werden; im Hinblick darauf, dass die aus der Verschmelzung hervorgehende Gesellschaft im Falle einer transnationalen Fusion einer (zumindest für einen Teil der Gesellschafter) „fremden“ Rechtsordnung unterliegt, ist dies von eminenter Bedeutung.105 37 Lit. j verlangt nach dem Vorbild von Art. 20 Abs. 1 S. 2 lit. i SE-VO (dazu § 41 Rn. 37) Angaben zum Verfahren der Arbeitnehmerbeteiligung gem. Art. 16, soweit ein solches erforderlich ist („gegebenenfalls“) (dazu näher u. Rn. 150 f.). Ratio ist, die Gesellschafter über das konkrete Verfahren zu informieren; trotz des Terminus „Vereinbarung“ ist daher auch eine etwaige Auffanglösung erfasst.106 Im Hinblick auf die umfangreichen Informationen im Verschmelzungsbericht (dazu u. Rn. 55 ff.) und die Fokussierung des Verschmelzungsplans auf die Information der Gesellschafter ist insoweit – ebenso wie bei Art. 20 Abs. 1 S. 2 lit. i SE-VO (dazu § 41 Rn. 37) – eine Darstellung der Grundzüge als ausreichend zu erachten.107 Angaben über das Ergebnis etwaiger Verhandlungen sind im Verschmelzungsplan ohnehin praktisch nicht möglich, da das Verfahren der Arbeitnehmerbeteiligung erst nach der Offenlegung des Verschmelzungsplans beginnt.108 38 Gem. lit. k, der auf eine französische Initiative zurückgeht 109, sind Angaben zur Bewertung des Aktiv- und Passivvermögens, das auf die aus der grenzüberschreitenden Verschmelzung hervorgehende Gesellschaft übertragen wird, zu machen. Gemeint sind damit jedoch weder Angaben zum Wert der einzelnen i.R.d. Gesamtrechtsnachfolge (dazu u. Rn. 111 ff.) übergehenden Gegenstände noch konkretisierende Angaben zum Umtauschverhältnis oder zur Unternehmensbewertung, sondern Informationen darüber, zu welchen handelsrechtlichen Werten das übertragene Vermögen im Rechnungswesen des übernehmenden Rechtsträgers fortgeführt wird, d.h. 36

103 Vgl. Bayer (Fn. 19), § 122c Rn. 24. 104 Vgl. Bayer (Fn. 19), § 122c Rn. 24. S. zur Rechtslage nach der 3. (Fusions-)RL bereits § 21 Rn. 28 ff., 131. 105 Vgl. Bayer (Fn. 19), § 122c Rn. 24; Drinhausen (Fn. 42), § 122c Rn. 30; Limmer ZNotP 2007, 242, 254; J. Vetter AG 2006, 613, 618. 106 Vgl. zu § 122c Abs. 2 Nr. 10 UmwG: Bayer (Fn. 19), § 122c Rn. 25. 107 Vgl. zu § 122c Abs. 2 Nr. 10 UmwG: Bayer (Fn. 19), § 122c Rn. 25; Willemsen in: Kallmeyer, UmwG, 4. Aufl. 2010, § 122c Rn. 28; s. ferner auch Dzida/Schramm NZG 2008, 521, 527. 108 Vgl. nur Bayer (Fn. 19), § 122c Rn. 25. 109 Vgl. Dok. 9294/04, S. 10; Bayer (Fn. 19), § 122c Rn. 26; Bayer/J. Schmidt NJW 2006, 401; Neye ZIP 2005, 1893, 1895. Vorbild war offensichtlich Art. 254 n° 3 Décret n° 67-236 du 23 mars 1967 sur les sociétés commerciales (JORF du 24 mars 1967, 2843) [seit 27.3.2007: Art. R236-1 n° 3 C. com.).

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ob Buchwerte oder Teil- oder Zwischenwerte angesetzt werden.110 Umstritten ist, ob auch die Angabe genügt, dass die endgültige Festlegung der Bewertung erst im Zusammenhang mit der Aufstellung des Jahresabschlusses des übernehmenden Rechtsträgers erfolgen wird.111 Wortlaut und Entstehungsgeschichte sprechen indes eher gegen die Zulässigkeit einer solchen „Verweisungsklausel“ und auch die Ratio der Norm dürfte eher dahin gehen, bereits im Zeitpunkt der Aufstellung des Verschmelzungsplans endgültig Klarheit über die Ausübung von Bewertungswahlrechten zu schaffen.112 Lit. l, der ebenfalls auf französische Initiative zurückgeht 113, verlangt schließlich 39 die Angabe der Stichtage 114 der Jahresabschlüsse der an der Verschmelzung beteiligten Gesellschaften, die zur Festlegung der Bedingungen der grenzüberschreitenden Verschmelzung verwendet werden. Ratio ist, dass diese Stichtage wirtschaftlich von erheblicher Bedeutung sind, sind doch die letzten Bilanzen speziell im Falle der Buchwertfortführung für die Bestimmung der vom übernehmenden Rechtsträger anzusetzenden Wertansätze des übernommenen Vermögens maßgeblich.115 Erforderlich ist aber ausschließlich die Angabe der Bilanzstichtage; eine Verpflichtung zur Aufnahme des gesamten Jahresabschlusses, wie sie im Schrifttum vereinzelt postuliert wird 116, lässt sich aus der Norm nicht ableiten.117

ff) Ergänzung weiterer Mindestinhalte durch nationales Recht? Umstritten ist, ob der nationale Gesetzgeber befugt ist, zusätzliche Angaben zu 40 fordern. Die h.M. im deutschsprachigen Schrifttum 118 verneint dies. Begründet wird

110 Vgl. Bayer (Fn. 19), § 122c Rn. 26; Brocker BB 2010, 971, 973; Frotz/Kaufmann (Fn. 44), § 5 EU-VerschG Rn. 19a; Kaufmann RdW 2008, 123, 124; Kiem WM 2006, 1091, 1095; Klein RNotZ 2007, 565, 582; Lutz BWNotZ 2010, 23, 30; W. Müller in: Kallmeyer, UmwG, 4. Aufl. 2010, § 122c Rn. 31; J. Vetter AG 2006, 613, 618. 111 So Hörtnagl (Fn. 43), § 122c Rn. 32; Limmer ZNotP 2007, 242, 255; Lutz BWNotZ 2010, 23, 30 f.; J.Vetter AG 2006, 613, 619. 112 Vgl. Bayer (Fn. 19), § 122c Rn. 27; Drinhausen (Fn. 42), § 122c Rn. 36; Frotz/Kaufmann (Fn. 44), § 5 EU-VerschG Rn. 19a; Klein RNotZ 2007, 565, 582; W. Müller (Fn. 110), § 122c Rn. 34; Simon/Rubner Konzern 2006, 835, 838. 113 Vgl. Dok. 9294/04, S. 10; Bayer (Fn. 19), § 122c Rn. 28; Bayer/J. Schmidt NJW 2006, 401; Neye ZIP 2005, 1893, 1895. Vorbild war offensichtlich Art. 254 n° 2 Décret n° 67-236 (Fn. 109) [seit 27.3.2007: Art. R236-1 n° 5 C. com.]. 114 Der Singular in der deutschen Textfassung ist ein Übersetzungsfehler (vgl. die französische und englische Textfassung: „les dates“/„dates“). 115 Bayer (Fn. 19), § 122c Rn; ausf. Klein RNotZ 2007, 565, 583; J.Vetter AG 2006, 613, 619. 116 So Haritz/von Wolff GmbHR 2006, 340, 341. 117 Vgl. Bayer (Fn. 19), § 122c Rn. 28; Drinhausen (Fn. 42), § 122c Rn. 37; Hörtnagl (Fn. 43), § 122c Rn. 34; Klein RNotZ 2007, 565, 583; W. Müller (Fn. 110), § 122c Rn. 36; J. Vetter AG 2006, 613, 619. 118 Vgl. Beutel (Fn. 58), S. 163, 271; Drinhausen (Fn. 42), § 122c Rn. 11, § 122i Rn. 6; Grundmann Rn. 928; Koppensteiner GesRZ 2006, 111, 123 Fn. 127; Krause/Kulpa ZHR 171 (2007) 38, 57; Louven/Dettmeier/Pöschke Beil. zu BB 13/2006, 1, 14.

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dies mit Erwägungsgrund 4 119, dem Vergleich mit der Rechtslage bei der SE 120 sowie dem Erfordernis eines einheitlichen supranationalen Standards, der durch etwaige zusätzliche nationale Erfordernisse gefährdet würde121. Erwägungsgrund 4 ist insofern jedoch nicht eindeutig, denn auch wenn dort speziell hervorgehoben wird, dass die Gesellschaften weitere Angaben vereinbaren können, heißt dies nicht notwendig, dass die Mitgliedstaaten keine weiteren Angabepflichten vorgeben dürfen; man kann dies ebenso gut lediglich als besondere Akzentuierung der Ergänzungsbefugnis der Gesellschaften verstehen.122 Dass der Katalog in der Parallelvorschrift des Art. 20 Abs. 1 S. 2 SE-VO von der ganz h.M. als abschließend angesehen wird (vgl. § 41 Rn. 37), ist ebenfalls kein zwingendes Argument, denn anders als bei der SE-VO handelt es sich hier (nur) um eine RL und zudem ist andererseits bei der Parallelnorm des Art. 5 Abs. 1 der 3. (Fusions-)RL allgemein anerkannt, dass die Mitgliedstaaten weitergehende Anforderungen aufstellen können (vgl. § 21 Rn. 28).123 Schließlich lässt sich auch aus dem grenzüberschreitenden Charakter der Verschmelzung nicht notwendig und zwingend ableiten, dass die Vorgaben zum Mindestinhalt des Verschmelzungsplans einer Ergänzung durch den nationalen Gesetzgeber von vornherein nicht zugänglich wären. Denn die RL beruht schließlich gerade auf dem Prinzip der subsidiären Anwendbarkeit des jeweiligen nationalen Rechts (vgl. o. Rn. 27), eine Kumulierung im Einzelnen ggf. divergierender nationaler Standards ist ihr also von vornherein quasi immanent.124 Abgesehen davon erkennen auch die Proponenten eines abschließenden Charakters ausdrücklich an, dass die Mitgliedstaaten jedenfalls auf der Basis von Art. 4 Abs. 2 S. 2 (dazu ausf. Rn. 131 ff.) zusätzliche Angaben verlangen können125, so dass es letztlich ohnehin keinen homogenen supranationalen Standard gibt. Zudem enthält die RL – anders als Art. 5 Abs. 1 S. 2 RL-E 1985126 – gerade kein ausdrückliches Verbot weitergehender Anforderungen nach nationalem Recht.127 Dies lässt sich auch nicht als schlichtes „Redaktionsversehen“ ansehen, denn die Problematik wurde offensichtlich jedenfalls im Rat ausdrücklich diskutiert 128. Vor diesem Hintergrund schienen auch der österreichische und der britische Gesetzgeber von einer Ergänzungsbefugnis auszugehen, denn sie haben in § 5 Abs. 2 Nr. 3 u. 8 EU-

119 Vgl. Drinhausen (Fn. 42), § 122c Rn. 11; Drinhausen/Keinath BB 2006, 725, 727. 120 Vgl. Beutel (Fn. 58), S. 163; Louven ZIP 2006, 2021, 2025. 121 Vgl. Grundmann Rn. 928; Kallmeyer AG 2007, 472, 474; Louven ZIP 2006, 2021, 2025. 122 Vgl. auch Behrens, Die grenzüberschreitende Verschmelzung nach der Richtlinie 2005/ 56/EG (Verschmelzungsrichtlinie), 2007, S. 92. 123 Vgl. Bayer/J. Schmidt NJW 2006, 401, 402. 124 Vgl. Bayer/J. Schmidt NJW 2006, 401, 402. 125 Vgl. Krause/Kulpa ZHR 171 (2007) 38, 57. So ferner auch ausdrücklich die Kommission i.R.d. Beratungen im Rat, vgl. Dok. 7068/04, S. 9. 126 Fn. 8. 127 Vgl. auch Behrens (Fn. 122), S. 92. 128 Vgl. Dok. 7068/04, S. 9.

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VerschG 129, 130 bzw. r. 7(2)(a)(iii) CBMR131, 132 ausdrücklich weitergehende Angaben verlangt. All dies spricht insgesamt maßgeblich für eine Ergänzungsbefugnis133; abschließend kann dies letztlich freilich nur vom EuGH entschieden werden.

gg) Fakultative Angaben Unstreitig ist jedenfalls, dass die Gesellschaften dem Verschmelzungsplan freiwillig 41 weitere Punkte hinzuzufügen dürfen; dies ergibt sich schon eindeutig aus dem Wortlaut der Norm („muss mindestens“) und wird durch Erwägungsgrund 4 zudem explizit klargestellt.134 In Betracht kommen hier insbesondere auch schuldrechtliche Vereinbarungen (vgl. bereits o. Rn. 29).

hh) Umsetzung in Deutschland Der deutsche Gesetzgeber hat die Aufstellungskompetenz in § 122c Abs. 1 UmwG 42 in Abweichung von der Terminologie der RL dem „Vertretungsorgan“ zugewiesen. Bei AG, KGaA, GmbH und dualistisch verfasster SE ist dies unproblematisch, da hier die Begriffe „Leitungs-“ und „Vertretungsorgan“ i.E. deckungsgleich sind. Bei der monistisch verfassten SE ergeben sich indes Friktionen, denn „Vertretungsorgan“ sind hier gem. § 41 Abs. 1 SEAG die geschäftsführenden Direktoren (vgl. noch § 41 Rn. 147). Dieses offenkundige Redaktionsversehen ist im Wege der richtlinienkonformen Auslegung bzw. Rechtsfortbildung dahingehen zu korrigieren, dass die Aufstellungskompetenz bei der monistischen SE im Einklang mit der RL dem Verwaltungsrat als „Verwaltungsorgan“ zukommt.135

129 Bundesgesetz über die grenzüberschreitende Verschmelzung von Kapitalgesellschaften in der Europäischen Union (EU-Verschmelzungsgesetz – EU-VerschG), öBGBl. I Nr. 72/2007. 130 Nr. 3: Gründe für Nichtgewährung von Anteilen; Nr. 8: Sondervorteile für Abschlussprüfer. Zudem verlangt § 5 Abs. 4 EU-VerschG (insoweit aber auch unter ausdrücklicher Berufung auf Art. 4 Abs. 2, vgl. RegBegr., 171 d.B. (XXIII. GP), S. 11) Angaben zu einem ggf. erforderlichen Barabfindungsangebot. 131 The Companies (Cross-Border Mergers) Regulations 2007, SI 2007/2974. 132 Angabe des Rechts, dem die jeweilige sich verschmelzende Gesellschaft unterliegt. 133 Vgl. Bayer/J. Schmidt NJW 2006, 401, 402; ebenso offenbar auch Simon/Rubner (Fn. 9), § 122c Rn. 7 f. 134 Vgl. Bayer (Fn. 19), § 122c Rn. 30; Bayer/J. Schmidt NJW 2006, 401, 402; Drinhausen (Fn. 42), § 122c Rn. 38; Grundmann Rn. 928; Marsch-Barner (Fn. 43), § 122c Rn. 8. 135 Vgl. Bayer (Fn. 19), § 122c Rn. 6; Marsch-Barner (Fn. 43), § 122c Rn. 5; ebenso i.E. wohl auch Hörtnagl (Fn. 43), § 122c Rn. 8; für eine kumulative Kompetenz von Verwaltungsrat und geschäftsführenden Direktoren jedoch Drinhausen (Fn. 42), § 122c Rn. 9; für eine – evident richtlinienwidrige – ausschließliche Kompetenz der geschäftsführenden Direktoren: Mayer (Fn. 89), § 122c Rn. 22.

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Hinsichtlich des Mindestinhalts des Verschmelzungsplans übernimmt § 122c Abs. 2 UmwG nahezu wortgleich den Katalog des Art. 5 S. 2 lit. a–l der RL.136 Gem. § 122i Abs. 1 S. 1 UmwG ist zudem ein ggf. erforderliches Barabfindungsangebot (dazu noch u. Rn. 140) in den Verschmelzungsplan aufzunehmen. Diese zusätzliche Angabepflicht ist aber jedenfalls durch die spezielle Regelungsermächtigung des Art. 4 Abs. 2 S. 2 (dazu ausf. u. Rn. 131) gedeckt 137, so dass es auf den Streit um die generelle Zulässigkeit weitergehender Angabepflichten nach nationalem Recht (o. Rn. 40) insoweit nicht ankommt.138 44 § 122c Abs. 4 UmwG stellt klar 139, dass der Verschmelzungsplan bei Beteiligung einer deutschen Gesellschaft notariell beurkundet werden muss.140 Hieraus sowie aus der Notwendigkeit der Einreichung beim deutschen Handelsregister (§ 122d UmwG, dazu noch u. Rn. 51) ergibt sich zugleich, dass der Verschmelzungsplan bei Beteiligung einer deutschen Gesellschaft grundsätzlich zumindest auch in deutscher Sprache abgefasst sein muss (vgl. § 5 BeurkG sowie § 488 Abs. 3 FamFG i.V.m. § 184 GVG).141 43

b) Bekanntmachung des Verschmelzungsplans und weiterer Angaben (Art. 6) aa) Offenlegung des Verschmelzungsplans (Art. 6 Abs. 1) 45 Um eine rechtzeitige Information der Aktionäre und Gläubiger – aber auch des allgemeinen Rechtsverkehrs – zu gewährleisten, ist der Verschmelzungsplan auch bei der grenzüberschreitenden Verschmelzung für jede der sich verschmelzenden Gesellschaften spätestens einen Monat vor der Gesellschafterversammlung, die über ihn zu beschließen hat, offen zu legen. Art. 6 Abs. 1 entspricht insoweit – einschließlich der durch die Änderungs-RL 2009/109/EG (Rn. 6) erfolgten Modernisierung – Art. 6 Abs. 1 der 3. (Fusions-)RL, so dass auf die Ausführungen bei § 21 Rn. 38 ff. verwiesen werden kann.

136 Vgl. BegrRegE z. 2. UmwÄndG, BR-Drs. 548/06, S. 31; Bayer (Fn. 19), § 122c Rn. 12. 137 Vgl. Bayer (Fn. 19), § 122c Rn. 29; Drinhausen (Fn. 42), § 122i Rn. 6; Hörtnagl (Fn. 43), § 122i Rn. 7; Klein RNotZ 2007, 565, 583; Lutz BWNotZ 2010, 23, 31; H.-F. Müller ZIP 2007, 1081, 1086; Simon/Rubner (Fn. 9), § 122i Rn. 8 Fn. 9; a.A. Beutel (Fn. 58), S. 272. 138 Vgl. Bayer (Fn. 19), § 122c Rn. 29. 139 An sich ergibt sich dies bereits aus Art. 4 Abs. 1 lit. b S. 1 i.V.m. §§ 122a Abs. 2, 6 UmwG, vgl. Bayer (Fn. 19), § 122c Rn. 7; Bayer/J. Schmidt NZG 2006, 841, 842; Drinhausen/ Keinath BB 2006, 725, 727; Heckschen DNotZ 2007, 444, 457; Klein RNotZ 2007, 565, 583 f.; Krause/Kulpa ZHR 171 (2007) 38, 58. 140 Näher dazu sowie insbesondere auch zur Problematik der Auslandsbeurkundung sowie der Nachbeurkundung: Bayer (Fn. 19), § 122c Rn. 7 ff. m.w.N. 141 Vgl. Bayer (Fn. 19), § 122c Rn. 10; Brocker BB 2010, 971, 973; Heckschen DNotZ 2007, 444, 458; Krauel/Mense/Wind Konzern 2010, 541, 544; Limmer ZNotP 2007, 242, 251; Lutz BWNotZ 2010, 23, 28; Marsch-Barner (Fn. 43), § 122c Rn. 7; Simon/Rubner (Fn. 9), § 122c Rn. 38; Weyde/Hafemann FS Meilicke, 2010, S. 779, 807.

Die internationale Fusionsrichtlinie (10. Richtlinie)

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bb) Bekanntmachung weiterer Angaben (Art. 6 Abs. 2) Gem. Art. 6 Abs. 2, der auf dem Vorbild von Art. 21 SE-VO (dazu § 41 Rn. 38) und Art. 24 Abs. 2 SCE-VO (dazu § 42 Rn. 23) beruht 142, sind darüber hinaus aber auch noch bestimmte weitere Angaben bekannt zu machen und zwar für jede der sich verschmelzenden Gesellschaften im Amtsblatt (Art. 3 Abs. 5 der 1. (Publizitäts-)RL, dazu § 19 Rn. 18 ff.) des Mitgliedstaats, dessen Recht sie unterliegt. Aus dem systematischen Zusammenhang mit Abs. 1 und dem Vergleich mit der Parallelregelung in Art. 24 Abs. 2 SCE-VO (dazu § 42 Rn. 23) ergibt sich, dass diese Bekanntmachung ebenfalls spätestens einen Monat vor der Gesellschafterversammlung, die über den gemeinsamen Verschmelzungsplan beschließen soll, erfolgen muss. Gem. lit. a sind zunächst Rechtsform, Firma und (Satzungs-)Sitz 143 jeder der sich verschmelzenden144 Gesellschaften bekannt zu machen. Durch die die verschmelzenden Gesellschaften individualisierenden Angaben wird nochmals der transnationale Charakter der Verschmelzung verdeutlicht.145 Die gem. lit. b erforderliche Bekanntmachung des Registers, bei dem entsprechend Art. 3 Abs. 3 der 1. (Publizitäts-)RL146 (dazu § 19 Rn. 13 ff.) die Akte der jeweiligen Gesellschaft geführt wird, und der Registernummer erfüllt eine Art „Schlüsselfunktion“, denn sie machen es für den Rechtsverkehr einfacher, weitere Informationen über die an der Verschmelzung beteiligten Gesellschaften zu erhalten.147 Ferner ist gem. lit. c ein Hinweis auf die Modalitäten für die Ausübung der Rechte der Gläubiger und ggf. der Minderheitsgesellschafter der sich verschmelzenden Gesellschaften sowie die Anschrift, unter der vollständige Auskünfte über diese Modalitäten kostenlos eingeholt werden können, bekannt zu machen. Damit soll sichergestellt werden, dass die Gläubiger und Minderheitsgesellschafter auch tatsächlich Kenntnis von ihren Rechten erhalten.148 Die Hinweispflicht bezieht sich dabei – ebenso wie bei der Parallelregelung in Art. 21 lit. c und d SE-VO (dazu § 41 Rn. 38), die allerdings insofern unmissverständlich formuliert ist („betreffenden Ge-

142 Vgl. Bayer/J. Schmidt NJW 2006, 401, 403; Drinhausen/Keinath RIW 2006, 81, 83; Koppensteiner GesRZ 2006, 111, 123; Neye/Timm DB 2006, 488, 489. 143 Dies ergibt sich klar aus den englischen und französischen Sprachfassungen („registered office“/„siège statutaire“), vgl. Bayer (Fn. 19), § 122c Rn. 11. 144 Pfeiffer/Heilmeier GmbHR 2009, 1317, 1319 f. verlangen in Analogie zu Art. 21 lit. e SE-VO (dazu § 41 Rn. 38) auch entsprechende Angaben zu der aus der Verschmelzung hervorgehenden Gesellschaft. Dagegen spricht jedoch, dass die entsprechende Passage im KOM-Entwurf vom EP-Rechtsausschuss offenbar ganz bewusst gestrichen wurde, vgl. A6-0089/2005, S. 21. 145 Vgl. Bayer (Fn. 19), § 122c Rn. 11; Mayer (Fn. 89), § 122c Rn. 11. 146 Der Verweis auf Art. 3 Abs. 2 der RL 68/151/EWG ist als Verweis auf Art. 3 Abs. 3 der kodifizierten Fassung (RL 2009/101/EG) zu lesen, vgl. Art. 16 Abs. 2 RL 2009/101/EG. 147 Vgl. Bayer (Fn. 19), § 122c Rn. 12; Drinhausen (Fn. 42), § 122d Rn. 17; Mayer (Fn. 89), § 122d Rn. 12. 148 Vgl. Bayer (Fn. 19), § 122c Rn. 14; Kaufmann GeS 2009, 175, 178.

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sellschaft“ statt „jeweiligen Gesellschaft“) – entgegen einer vielfach vertretenen Ansicht 149 lediglich auf die Rechte der Gläubiger und Minderheitsgesellschafter derjenigen Gesellschaft, für welche die Bekanntmachung erfolgt.150 Denn Sinn und Zweck der Bekanntmachung ist es ja gerade, die betreffenden Gläubiger bzw. Minderheitsgesellschafter über ihre Rechte (und nicht allgemein über die Bedingungen der Verschmelzung, hierzu dient ja der Verschmelzungsplan) zu informieren.151 „Modalitäten der Ausübung“ bezieht sich auf die jeweiligen speziellen Gläubiger- und Minderheitenschutzrechte auf der Basis von Art. 4 Abs. 2 (dazu u. Rn. 131 ff., 141).152 Nicht gemeint sind dagegen etwaige allgemeine Veränderungen hinsichtlich der Durchsetzung von Gläubigerforderungen infolge der Verschmelzung (z.B. neue Identität und Adresse des Schuldners).153, 154 Aus der Formulierung „Modalitäten der Ausübung“ lässt sich ferner ableiten, dass zumindest eine kurze Erläuterung erforderlich ist; die bloße Wiedergabe der einschlägigen Normen des nationalen Rechts genügt nicht.155 Aus dem Erfordernis der Angabe einer Anschrift ergibt sich ferner mittelbar ein Anspruch der jeweiligen Gläubiger bzw. Minderheitsgesellschafter gegen die betreffende Gesellschaft auf kostenlose Erteilung erschöpfender Auskünfte.156 „Anschrift“ ist richtigerweise i.S.e. postalischen Anschrift zu verstehen; eine – im Vergleich dazu eher „flüchtige“ – Internetadresse dürfte demgegenüber nicht genügen157, zumal der europäische Gesetzgeber in den neueren europäischen Rechtsinstrumenten üblicherweise explizit auf die Möglichkeit einer Nutzung moderner Informationstechnologien hinweist, sofern eine solche bestehen soll.158 50 Der Katalog bekanntmachungspflichtiger Angaben ist indes nicht abschließend; Art. 6 Abs. 2 gestattet den Mitgliedstaaten vielmehr explizit, zusätzliche Anforderungen aufzustellen.159

149 Vgl. Beutel (Fn. 58), S. 169 f.; zu § 122c UmwG: Drinhausen (Fn. 42), § 122d Rn. 18; Marsch-Barner (Fn. 43), § 122d Rn. 2; Simon/Rubner (Fn. 9), § 122d Rn. 11. 150 Vgl. Bayer (Fn. 19), § 122c Rn. 14. Zu den aus der abw. Auffassung resultierenden praktischen Problemen anschaulich Klein RNotZ 2007, 565, 589. 151 Vgl. Bayer (Fn. 19), § 122c Rn. 14. 152 Vgl. Bayer (Fn. 19), § 122c Rn. 15; Drinhausen (Fn. 42), § 122d Rn. 19 f.; Kaufmann GeS 2009, 175, 178 f.; Simon/Rubner (Fn. 9), § 122d Rn. 12. 153 So aber Grunewald Konzern 2007, 106, 107 f. 154 Vgl. Bayer (Fn. 19), § 122c Rn. 15. 155 Vgl. Bayer (Fn. 19), § 122c Rn. 15; Kaufmann GeS 2009, 175, 178; Simon/Rubner (Fn. 9), § 122d Rn. 12. 156 Vgl. Bayer (Fn. 19), § 122c Rn. 16; Mayer (Fn. 89), § 122c Rn. 31. 157 So aber Drinhausen (Fn. 42), § 122d Rn. 18; Hörtnagl (Fn. 43), § 122d Rn. 22; Mayer (Fn. 89), § 122c Rn. 30. 158 Vgl. Bayer (Fn. 19), § 122c Rn. 16; Kaufmann GeS 2009, 175, 179; Marsch-Barner (Fn. 43), § 122d Rn. 2; Simon/Rubner (Fn. 9), § 122d Rn. 15. 159 Vgl. Bayer/J. Schmidt NJW 2006, 401, 403; Ugliano [2007] EBLR 585, 603.

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cc) Umsetzung in Deutschland Art. 6 wurde durch § 122d UmwG umgesetzt; von der Befugnis, die Bekanntmachung 51 noch weitergehender Angaben zu verlangen, wurde dabei nicht Gebrauch gemacht. Die Regelung ist allerdings insofern problematisch, als sie lediglich die Einreichung, nicht aber auch die Bekanntmachung des Verschmelzungsplans und der weiteren Angaben innerhalb eines Monats vor der Gesellschafterversammlung verlangt.160

2. Verschmelzungsbericht (Art. 7) a) Neufokussierung gegenüber der 3. (Fusions-)RL Gem. Art. 7 ist – als zweiter Grundbaustein des „europäischen Modells für Struk- 52 turmaßnahmen“ (dazu o. Rn. 3, 26) – auch bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen ein Verschmelzungsbericht erforderlich. Im RL-E 2003161 fehlte eine entsprechende ausdrückliche Regelung noch, das – in Art. 13 RL-E vorausgesetzte – Erfordernis eines Verschmelzungsberichts ergab sich nur mittelbar qua Art. 2 S. 1 RL-E (dem Vorläufer des heutigen Art. 4 Abs. 1 lit. b S. 1, dazu o. Rn. 27) aus dem durch Art. 9 der 3. (Fusions-)RL (dazu § 21 Rn. 42 ff.) harmonisierten nationalen Recht (und damit nur für AG).162 Der heutige Art. 7 wurde erst i.R.d. weiteren Legislativverfahrens in EP und Rat ergänzt, wobei der Fokus der Verschmelzungsberichts gegenüber demjenigen bei nationalen Fusionen (Art. 9 der 3. (Fusions-)RL, dazu § 21 Rn. 42 ff.) signifikant modifiziert wurde: Auf Drängen des EP 163 wurde der Verschmelzungsbericht bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen nämlich zu einem umfassenden Informationsinstrument nicht nur für die Gesellschafter, sondern auch für die Arbeitnehmer ausgebaut.164 Ein Gläubigerschutz ist mit dem Verschmelzungsbericht dagegen trotz der Berichtspflicht hinsichtlich der Auswirkungen auf die Gläubiger (vgl. u. Rn. 56 ff.) allenfalls mittelbar intendiert, denn der Bericht wird ausschließlich den Gesellschaftern und Arbeitnehmern zugänglich gemacht (dazu u. Rn. 63).165

160 161 162 163

Vgl. Bayer (Fn. 19), § 122d Rn. 7; Bayer/J. Schmidt ZIP 2010, 953, 962 (jeweils m.w.N.). Fn. 12. Vgl. H.-F. Müller ZIP 2004, 1790, 1793. Der Bericht des EP-Rechtsausschusses bezeichnet es als „ein grundlegendes Recht der Arbeitnehmer und ihrer Vertreter, über die (meistens äußerst komplexen, unsicheren und weitreichenden) Konsequenzen einer grenzüberschreitenden Verschmelzung unterrichtet zu werden“, vgl. A6-0089/2005, S. 20. 164 Vgl. Bayer (Fn. 19), § 122e Rn. 1; Bayer/J. Schmidt NJW 2006, 401, 403; dies. NZG 2006, 841, 842; Habersack § 7 Rn. 62; Herrler/Schneider DStR 2009, 2433, 2435; Marsch-Barner (Fn. 43), § 122e Rn. 1; Neye ZIP 2005, 1893, 1896; Simon/Rubner (Fn. 9), § 122e Rn. 3; J.Vetter AG 2006, 613, 620. 165 Vgl. Bayer (Fn. 19), § 122e Rn. 1; i.d.S. wohl auch Grunewald Konzern 2007, 106, 108. Eine Gläubigerschutzfunktion gänzlich verneinend dagegen Drinhausen (Fn. 42), § 122e Rn. 2 Fn. 3; Limmer ZNotP 2007, 282; Simon/Rubner (Fn. 9), § 122e Rn. 4; J.Vetter AG

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b) Separater oder gemeinsamer Verschmelzungsbericht 53 Ebenso wie Art. 9 Abs. 1 der 3. (Fusions-)RL (vgl. § 21 Rn. 46) sieht auch Art. 7 Abs. 1 grundsätzlich einen separaten Verschmelzungsbericht für jede der sich verschmelzenden Gesellschaften vor, der vom Leitungs- oder Verwaltungsorgan der jeweiligen Gesellschaft zu erstellen ist. Hinsichtlich der Zulässigkeit eines gemeinsamen Verschmelzungsberichts fehlt eine ausdrückliche Regelung, so dass insoweit gem. Art. 4 Abs. 1 lit. b S. 1 (dazu o. Rn. 27) das nationale Recht der an der Verschmelzung beteiligten Gesellschaften maßgeblich ist. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der expliziten Zulassung einer gemeinsamen Verschmelzungsprüfung in Art. 8 Abs. 2 (dazu u. Rn. 71): Hieraus lässt sich weder ein allgemeiner Rechtsgedanke der generellen Zulässigkeit gemeinsamer Berichte 166 noch umgekehrt im Wege eines argumentum e contrario die generelle Unzulässigkeit eines gemeinsamen Verschmelzungsberichts167 herleiten.168 Denn auch die die 3. (Fusions-)RL (vgl. § 21 Rn. 54) und die SE-VO (vgl. § 41 Rn. 40) enthalten nur hinsichtlich der gemeinsamen Prüfung, nicht aber hinsichtlich der Erstattung des Verschmelzungsberichts spezielle Regelungen. In beiden Fällen entspricht es indes der h.M. (vgl. § 21 Rn. 46, 50; § 41 Rn. 39), dass die Zulassung einer gemeinsamen Berichterstattung aus Sicht des europäischen Rechts zwar nicht zwingend geboten, andererseits aber auch nicht verboten ist. Eine gemeinsame Berichterstattung ist folglich auch bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen grundsätzlich möglich, aber eben nur, wenn und soweit das nationale Recht sämtlicher an der Verschmelzung beteiligter Gesellschaften sie zulässt.169 c) Form 54 Im Gegensatz zu Art. 9 Abs. 1 der 3. (Fusions-)RL (dazu § 21 Rn. 42) fehlt in Art. 7 zwar das Wort „schriftlich“. Das Erfordernis der Schriftform (allerdings lediglich i.S.e. textlichen Fixierung entsprechend der Textform i.S.d. § 126b BGB, nicht i.S.d. deutschen Verständnisses der Schriftform i.S.d. § 126 Abs. 1 BGB 170) ergibt sich jedoch bereits aus der Natur eines „Berichts“ und dem Erfordernis der Zugänglichmachung an Gesellschafter und Arbeitnehmer (dazu noch u. Rn. 63).

166 167 168 169

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2006, 613, 620; für eine Schutzfunktion zugunsten der Gläubiger zumindest bei der „Hinausverschmelzung“ aber offenbar Frotz/Kaufmann (Fn. 44), § 6 EU-VerschG Rn. 8. So aber Krause/Kulpa ZHR 171 (2007) 38, 62; Limmer ZNotP 2007, 282. So aber Louven ZIP 2006, 2021, 2026; vgl. ferner auch Drinhausen/Keinath BB 2006, 725, 728. Vgl. Bayer (Fn. 19), § 122e Rn. 4; Beutel (Fn. 58), S. 180 f.; Frenzel (Fn. 64), S. 241; Herrler/Schneider GmbHR 2011, 795, 798. Vgl. Bayer (Fn. 19), § 122e Rn. 4; Bayer/J. Schmidt NJW 2006, 401, 402; Frenzel RIW 2008, 12, 17; Herrler EuZW 2007, 295, 296; Herrler/Schneider GmbHR 2011, 795, 798; Lutz BWNotZ 2010, 23, 32; Marsch-Barner (Fn. 43), § 122b Rn. 3; Simon/Rubner (Fn. 9), § 122e Rn. 9; J. Vetter AG 2006, 613, 621. Vgl. zur Parallelproblematik beim Verschmelzungsplan o. Rn. 31, beim Verschmelzungsprüfungsbericht u. Rn. 67; bei der 3. (Fusions-)RL § 21 Rn. 27, 42, 53; bei der 6. (Spaltungs-)RL § 22 Rn. 25, 36, 44; i.R.d. Aktionärsrechte-RL: § 31 Rn. 38, 92.

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d) Inhalt des Berichts Im Hinblick auf den Berichtsinhalt weicht Art. 7 Abs. 1 zunächst insofern vom Wort- 55 laut des Art. 9 Abs. 1 der 3. (Fusions-)RL (dazu § 21 Rn. 42 f.) ab, als hier die „rechtlichen und wirtschaftlichen Aspekte der grenzüberschreitenden Verschmelzung“ zu erläutern und begründen sind, während Art. 9 Abs. 1 der 3. (Fusions-)RL verlangt, dass „der Verschmelzungsplan und insbesondere das Umtauschverhältnis der Aktien rechtlich und wirtschaftlich“ erläutert und begründet werden. Insofern dürfte es sich allerdings – insbesondere auch vor dem Hintergrund der Ratio der Norm und ihrer Entstehungsgeschichte (dazu o. Rn. 52) – lediglich um eine sprachliche Modernisierung handeln, mit der keine materielle Neuausrichtung intendiert ist.171 Gleiches gilt für den Wegfall des expliziten Gebots eines „ausführlichen“ Berichts und des Hinweises auf etwaige besondere Schwierigkeiten bei der Bewertung. Die zu Art. 9 Abs. 1 der 3. (Fusions-)RL entwickelten Auslegungsgrundsätze (dazu § 21 Rn. 42 f.) können insofern folglich grundsätzlich auch auf Art. 7 Abs. 1 übertragen werden. Signifikant erweitert wird der Berichtsinhalt im Vergleich zu Art. 9 Abs. 1 der 56 3. (Fusions-)RL allerdings insofern, als gem. Art. 7 Abs. 1 auch die Auswirkungen der grenzüberschreitenden Verschmelzung auf die Gläubiger und Arbeitnehmer 172 der jeweiligen Gesellschaft (bzw. im Falle eines gemeinsamen Verschmelzungsberichts aller partizipierenden Gesellschaften173) zu erläutern sind. Zu den zu erläuternden Auswirkungen auf die Gläubiger gehören insbesondere 57 der mit der Verschmelzung ggf. verbundene Wechsel des Schuldners sowie dessen (ggf. ausländische) Rechtsform und Haftungsverfassung.174 Weiterhin ergeben sich infolge der Verschmelzung i.d.R. auch Veränderungen hinsichtlich der den Gläubigern zur Verfügung stehenden Haftungsmasse.175 Darüber hinaus dürften aber auch die gem. Art. 4 Abs. 1 lit. b S. 1, Abs. 2 maßgeblichen nationalen Gläubigerschutzvorschriften (dazu ausf. u. Rn. 141) zu erläutern sein.176 Dagegen könnte zwar sprechen, dass eine diesbezügliche Information bereits durch die Bekanntmachung nach Art. 6 Abs. 2 lit. c (dazu o. Rn. 49) erfolgt und der Verschmelzungsbericht zumindest nicht unmittelbar dem Schutz der Gläubiger dient (vgl. o. Rn. 52). Etwaige Sicherheitsleistungen an die Gläubiger können allerdings auch für die Entscheidung der Gesellschafter von erheblicher Bedeutung sein.177

171 Vgl. auch Behrens (Fn. 122), S. 104 f.; anders jedoch offenbar Koppensteiner GesRZ 2006, 111, 123. 172 Die ausdrücklich geforderte Erläuterung der Auswirkungen auf die Gesellschafter ist dagegen keine wirkliche Neuerung, da dies der Sache nach auch nach Art. 9 Abs. 1 der 3. (Fusions-)RL erforderlich ist. 173 Vgl. Bayer (Fn. 19), § 122e Rn. 7. 174 Vgl. Bayer (Fn. 19), § 122e Rn. 8. 175 Vgl. Bayer (Fn. 19), § 122e Rn. 8; Frotz/Kaufmann (Fn. 44), § 6 EU-VerschG Rn. 20a. 176 Vgl. Bayer (Fn. 19), § 122e Rn. 8; Drinhausen (Fn. 42), § 122e Rn. 10; Marsch-Barner (Fn. 43), § 122e Rn. 8. 177 Vgl. Bayer (Fn. 19), § 122e Rn. 8.

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Die zu erläuternden Auswirkungen auf die Arbeitnehmer umfassen zum einen individualrechtliche Auswirkungen wie insbesondere den etwaigen Arbeitgeberwechsel.178 Erfasst werden aber gleichermaßen auch die kollektivrechtlichen Auswirkungen, speziell Änderungen im Hinblick auf die betriebliche und unternehmerische Mitbestimmung.179 Zu erläutern sind ferner aber auch sonstige Maßnahmen betreffend die Arbeitnehmer im Zuge der Verschmelzung, z.B. ein geplanter Personalabbau.180 Im Einzelnen dürften hier – vorbehaltlich der stets im Blick zu behaltenden spezifischen Besonderheiten einer grenzüberschreitenden Verschmelzung und dem europäischen Charakter der Regelung – im Wesentlichen dieselben Grundsätze gelten wie i.R.d. deutschen § 5 Abs. 1 Nr. 9 UmwG181, der hier offensichtlich auch in gewissem Maße Modell stand. 59 Eine weitere Extension des Berichtsinhalts gegenüber Art. 9 der 3. (Fusions-)RL findet sich in Anlehnung an Art. 9 Abs. 5 S. 3 Übernahme-RL (dazu § 30 Rn. 114) 182 in Art. 7 Abs. 3: Danach ist dem Bericht eine Stellungnahme der Vertreter der Arbeitnehmer der Gesellschaft beizufügen, allerdings nur, wenn das nationale Recht eine solche Stellungnahme vorsieht und diese dem Leitungs- oder Verwaltungsorgan nach den maßgeblichen Vorschriften des nationalen Rechts rechtzeitig vorliegt.183 60 Mit Blick auf Systematik und Entstehungsgeschichte handelt es sich bei den Vorgaben des Art. 7 Abs. 1 zum Berichtsinhalt – ebenso wie bei denjenigen der Parallelnorm des Art. 9 Abs. 1 der 3. (Fusions-)RL (dazu § 21 Rn. 44) – allerdings nur um einen Mindeststandard, der durch den nationalen Gesetzgeber noch erweitert werden kann.184 Zudem können selbstverständlich auch die jeweiligen Gesellschaften zusätzliche Informationen aufnehmen. 61 Ebenso wie bei Art. 9 der 3. (Fusions-)RL (dazu § 21 Rn. 45) ist i.Ü. auch hier davon auszugehen, dass die Berichtspflicht jedenfalls dort ihre Grenze findet, wo die Offenlegung bestimmter Tatsachen im Einzelfall ausnahmsweise zu erheblichen Nachteilen für die Gesellschaft – und damit letztlich auch für die Gesellschafter (und Arbeitnehmer) – führen könnte.185 58

178 Vgl. Bayer (Fn. 19), § 122e Rn. 9; Drinhausen (Fn. 42), § 122e Rn. 11; Marsch-Barner (Fn. 43), § 122e Rn. 8; J. Vetter AG 2006, 613, 620. 179 Vgl. Bayer (Fn. 19), § 122e Rn. 9; Drinhausen (Fn. 42), § 122e Rn. 11; Marsch-Barner (Fn. 43), § 122e Rn. 8; J. Vetter AG 2006, 613, 620. 180 Vgl. Bayer (Fn. 19), § 122e Rn. 9; Drinhausen (Fn. 42), § 122e Rn. 11. 181 Vgl. Bayer (Fn. 19), § 122e Rn. 9; Limmer ZNotP 2007, 282, 283; Marsch-Barner (Fn. 43), § 122e Rn. 8. 182 Vgl. Habersack § 7 Rn. 62; Neye/Timm DB 2006, 488, 489. 183 Vgl. auch Drinhausen/Keinath BB 2006, 725, 728; Klein RNotZ 2007, 565, 591; Neye ZIP 2005, 1893, 1896. 184 Vgl. Bayer (Fn. 19), § 122e Rn. 9; Bayer/J. Schmidt NJW 2006, 401, 403. 185 Vgl. Bayer (Fn. 19), § 122e Rn. 10; Bayer/J. Schmidt NJW 2006, 401, 403; s. ferner auch Drinhausen/Keinath BB 2006, 725, 728; Klein RNotZ 2007, 565, 591; Krause/Kulpa ZHR 171 (2007) 38, 61.

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e) Keine spezielle Unterrichtungspflicht Eine spezielle Unterrichtungspflicht bei wesentlichen Veränderungen des Aktiv- oder 62 Passivvermögens einer beteiligten Gesellschaft sieht die RL – anders als Art. 7 Abs. 3 der 6. (Spaltungs-)RL (dazu § 22 Rn. 39) und seit der Änderungs-RL 2009/109/EG (Rn. 6) auch Art. 9 Abs. 2 der 3. (Fusions-)RL (dazu § 21 Rn. 47) – nicht vor. Allerdings ergibt sich für an der Verschmelzung beteiligte AG eine solche Unterrichtungspflicht bereits aus Art. 4 Abs. 1 lit. b S. 1 i.V.m. den nationalen Umsetzungsvorschriften zu Art. 9 Abs. 2 der 3. (Fusions-)RL.

f) Zugänglichmachung Gem. Art. 7 Abs. 2 ist der Bericht den Gesellschaftern und den Vertretern der Ar- 63 beitnehmer oder – wenn es solche Vertreter nicht gibt – den Arbeitnehmern direkt zugänglich zu machen, und zwar spätestens einen Monat vor der Gesellschafterversammlung, die gem. Art. 9 (dazu u. Rn. 79 ff.) über den Verschmelzungsplan beschließt. Auf welche Art und Weise diese Zugänglichmachung zu erfolgen hat, spezifiziert die RL nicht; insofern bleibt den Mitgliedstaaten in den Grenzen des Gebots des effet utile grundsätzlich ein breiter Spielraum (z.B. physische Auslegung oder Publikation auf den Internetseiten der Gesellschaft).186 Sofern es sich bei den beteiligten Gesellschaften um AG handelt, gelten jedoch über Art. 4 Abs. 1 lit. b S. 1 die nationalen Umsetzungsvorschriften zu Art. 11 Abs. 1 lit. d, Abs. 3 u. 4 der 3. (Fusions-)RL (dazu § 21 Rn. 64 ff.), d.h. die Zugänglichmachung gegenüber den Gesellschaftern hat durch Auslegung der Unterlagen bzw. Internetpublikation zu erfolgen.

g) Verzicht Ein Verzicht der Gesellschafter auf den Verschmelzungsbericht wird wegen dessen 64 Schutz- und Informationsfunktion auch zugunsten der Arbeitnehmer verbreitet generell für unzulässig erachtet.187 Hiervon schien auch der europäische Gesetzgeber i.R.d. Änderungs-RL 2009/109/EG auszugehen, denn damit wurde die Zulässigkeit eines Verzichts auf den Verschmelzungsbericht zwar i.R.d. 3. (Fusions-)RL (Art. 9 Abs. 3 n.F., dazu § 21 Rn. 49) ausdrücklich klargestellt, in Art. 7 wurde aber gerade keine entsprechende Regelung aufgenommen.188 Die Schutz- und Informationsfunktion auch zugunsten der Arbeitnehmer kann einem Verzicht allerdings zumindest dann nicht entgegenstehen, wenn dieser entweder mit Zustimmung der Arbeitnehmerseite er186 Vgl. auch Beutel (Fn. 58), S. 185 f. 187 Vgl. Drinhausen/Keinath RIW 2006, 81, 83; Heckschen DNotZ 2007, 444, 459; Kallmeyer/Kappes AG 2006, 224, 232; Krause/Kulpa ZHR 171 (2007) 38, 62; Lutz BWNotZ 2010, 23, 32; H.-F. Müller NZG 2006, 286, 288. 188 Vgl. auch Bayer/J. Schmidt BB 2010, 387, 389; dies. ZIP 2010, 953, 955.

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folgt oder wenn die Gesellschaft gar keine Arbeitnehmer hat.189 Zumindest in diesen Fällen wäre daher an eine Analogie zu Art. 9 Abs. 3 der 3. (Fusions-)RL bzw. eine telologische Reduktion zu denken.

h) Kein Dispens bei Konzernverschmelzungen 65 Abweichend von Art. 24 S. 3 und Art. 28 der 3. (Fusions-)RL sieht Art. 15 (dazu noch u. Rn. 122 ff.) keinen Dispens vor; der Verschmelzungsbericht ist also auch bei Konzernverschmelzungen stets erforderlich190. Vor dem Hintergrund, dass der Verschmelzungsbericht im RL-E 2003 nicht speziell geregelt war (vgl. o. Rn. 52) und auch Art. 15 im Rat kontrovers diskutiert und mehrfach geändert wurde, könnte es sich insoweit allerdings auch um ein Redaktionsversehen handeln.191 Andererseits könnte das Fehlen einer Dispensregelung aber auch auf die Neufokussierung des Verschmelzungsberichts als Schutzinstrument auch zugunsten der Arbeitnehmer (vgl. o. Rn. 52) zurückzuführen sein.192

i) Umsetzung in Deutschland 66 Im deutschen Recht wird Art. 7 dadurch umgesetzt, dass die über § 122a Abs. 2 UmwG anwendbare allgemeine Regelung des § 8 UmwG für grenzüberschreitende Verschmelzungen durch § 122e UmwG ergänzt und modifiziert wird.193 § 122e S. 1 UmwG normiert die sich aus Art. 7 Abs. 1 ergebenden zusätzlichen Anforderungen an den Inhalt des Berichts 194 (dazu o. Rn. 56 ff.). § 122e S. 2 UmwG regelt die Zugänglichmachung des Verschmelzungsberichts an die Gesellschafter sowie die Arbeitnehmer bzw. Arbeitnehmervertretungen durch eine Bezugnahme auf das bewährte Vorabinformationsverfahren gem. § 63 Abs. 1 Nr. 4 UmwG.195 Ein Recht der Arbeitnehmervertreter zur Stellungnahme ist – anders als etwa im englischen 196 und öster-

189 Vgl. Bayer (Fn. 19), § 122e Rn. 13; Klein RNotZ 2007, 565, 592 f.; H.-F. Müller ZIP 2007, 1081, 1084 f.; J.Vetter AG 2006, 613, 620 f.; für eine teleologische Reduktion nur für den Fall, dass keine Arbeitnehmer vorhanden sind: Herrler/Schneider GmbHR 2011, 795, 798; Simon/Rubner Konzern 2006, 835, 838; Kruse/Kruse BB 2010, 3035, 3036; für eine generelle Zulässigkeit des Verzichts noch Bayer/J. Schmidt NJW 2006, 401, 403; Frenzel RIW 2008, 12, 18; Habersack § 7 Rn. 62. 190 Vgl. BegrRegE z. 2. UmwÄndG, BR-Drs. 548/06, S. 32; Bayer (Fn. 19), § 122e Rn. 12. 191 Vgl. Bayer (Fn. 19), § 122e Rn. 14; Frenzel RIW 2008, 12, 18. 192 Vgl. Behrens (Fn. 122), S. 102 f. 193 Vgl. BegrRegE z. 2. UmwÄndG, BR-Drs. 548/06, S. 32; Bayer (Fn. 19), § 122e Rn. 1. 194 Vgl. BegrRegE z. 2. UmwÄndG, BR-Drs. 548/06, S. 32; Bayer (Fn. 19), § 122e Rn. 2 m.w.N. 195 Näher dazu Bayer (Fn. 19), § 122e Rn. 15 ff. m.w.N. 196 Vgl. r. 8(6) CBMR (Fn. 131).

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reichischen197 Recht – nicht vorgesehen.198 § 122e S. 3 UmwG schließt die Anwendung der in § 8 Abs. 3 UmwG normierten Ausnahmen von der Berichtspflicht (Konzernverschmelzungen bzw. Verzicht) mit Blick auf das Fehlen entsprechender Ausnahmetatbestände in der RL (vgl. o. Rn. 65) ausdrücklich aus;199 allerdings wäre insoweit zumindest im Hinblick auf die Zulässigkeit eines Verzichts an eine teleologische Reduktion zu denken, wenn die Arbeitnehmer dem Verzicht zustimmen oder die Gesellschaft gar keine Arbeitnehmer hat 200. Die Erweiterung der Berichtspflichten durch §§ 122a Abs. 2, 8 Abs. 1 S. 1 Hs. 1, S. 2 und S. 3 UmwG ist auf Grund des Mindestnormcharakters der Vorschrift (vgl. o. Rn. 60) zulässig. Ferner steht die RL der durch §§ 122a Abs. 2, 8 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 UmwG ermöglichten gemeinsamen Berichterstattung 201 ebenso wenig entgegen wie der Einschränkung der Berichtspflicht durch §§ 122a Abs. 2, 8 Abs. 2 UmwG 202 (vgl. auch o. Rn. 61).

3. Verschmelzungsprüfung (Art. 8) Als dritter Grundbaustein des „europäischen Modells für Strukturmaßnahmen“ 67 (dazu o. Rn. 3, 26) hat auch bei der grenzüberschreitenden Verschmelzung zum Schutz der Gesellschafter 203 eine Prüfung durch einen oder mehrere unabhängige Sachverständige zu erfolgen, deren schriftlichen 204 Bericht die Gesellschafter dann vor der dem Zustimmungsbeschluss einsehen können (dazu noch u. Rn. 80). Prüfungsgegenstand ist – wie bei der Parallel- und Vorbildregelung des Art. 10 68 der 3. (Fusions-)RL (dazu § 21 Rn. 52) – der Verschmelzungsplan (vgl. Art. 8 Abs. 2),

197 Vgl. § 6 Abs. 1 S. 4 EU-VerschG (Fn. 129). 198 Vgl. auch Drinhausen/Keinath BB 2006, 725, 728; Marsch-Barner (Fn. 43), § 122e Rn. 5; Simon/Rubner (Fn. 9), § 122e Rn. 19. 199 Vgl. BegrRegE z. 2. UmwÄndG, BR-Drs. 548/06, S. 32; Bayer (Fn. 19), § 122e Rn. 12 f. m.w.N. Ebenso etwa auch das österreichische Recht, vgl. § 6 Abs. 1 S. 3 EU-VerschG (Fn. 129) und dazu RegBegr., 171 d.B. (XXIII. GP), S. 12. 200 Vgl. Bayer (Fn. 19), § 122e Rn. 13; Drinhausen (Fn. 42), § 122e Rn. 13; Marsch-Barner (Fn. 43), § 122e Rn. 11; Krauel/Mense/Wind Konzern 2010, 541, 546; Weyde/Hafemann FS Meilicke, 2010, S. 779, 814 f.; für eine teleologische Reduktion nur für den Fall, dass keine Arbeitnehmer vorhanden sind: Simon/Rubner (Fn. 9), § 122e Rn. 11 ff. 201 Vgl. Bayer (Fn. 19), § 122e Rn. 6; Bayer/J. Schmidt NJW 2006, 401, 403; Herrler EuZW 2007, 295, 296; Klein RNotZ 2007, 565, 592; Louven ZIP 2006, 2021, 2026; J.Vetter AG 2006, 613, 621. 202 Vgl. Bayer (Fn. 19), § 122e Rn. 10; Bayer/J. Schmidt NJW 2006, 401, 403; Drinhausen/ Keinath BB 2006, 725, 728; Klein RNotZ 2007, 565, 591; Krause/Kulpa ZHR 171 (2007) 38, 61; H.-F. Müller Konzern 2007, 81, 82. 203 Vgl. Bayer (Fn. 19), § 122f Rn. 1. 204 Auf Grund der gebotenen europäisch-autonomen Auslegung dürfte auch hier keine Schriftform i.S.d. § 126 Abs. 1 BGB, sondern nur ein Dokument, das nach deutschem Verständnis der Textform i.S.d. § 126b BGB entspricht, erforderlich sein. Vgl. zur Parallelproblematik beim Verschmelzungsplan o. Rn. 31, beim Verschmelzungsbericht o. Rn. 54, bei der 3. (Fusions-)RL § 21 Rn. 27, 42, 53; bei der 6. (Spaltungs-)RL § 22 Rn. 25, 36, 44; i.R.d. Aktionärsrechte-RL: § 31 Rn. 38, 92.

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der auch hier auf Vollständigkeit und Richtigkeit zu prüfen ist 205. Der Fokus liegt dabei zudem auch hier speziell auf der Angemessenheit des Umtauschverhältnisses.206 Nicht zu prüfen ist dagegen – wie bei Art. 9 der 3. (Fusions-)RL – die wirtschaftliche Zweckmäßigkeit der Verschmelzung.207 Ferner gebietet die RL – insofern ebenfalls korrespondierend mit der 3. (Fusions-)RL – auch keine Prüfung des Verschmelzungsberichts; 208 allerdings spricht hier ebenfalls nichts gegen eine nationale Regelung, welche die Prüfung auch hierauf erstreckt und so den Schutz der Aktionäre intensiviert. 69 Hinsichtlich des Mindestinhalts des Prüfungsberichts verweist Art. 8 Abs. 3 auf Art. 10 Abs. 2 der 3. (Fusions-)RL (dazu ausf. § 21 Rn. 53). 70 Ebenso wie nach der 3. (Fusions-)RL (vgl. § 21 Rn. 54) erfolgt die Prüfung grundsätzlich separat für jede der sich verschmelzenden Gesellschaften (vgl. Art. 8 Abs. 1). Die Bestellung der Prüfung richtet sich dann gem. Art. 8 Abs. 1 S. 2 nach nationalem Recht 209, das jedoch insofern zumindest für AG durch Art. 10 Abs. 1 S. 1 der 3. (Fusions-)RL (dazu § 21 Rn. 55) partiell harmonisiert ist. 71 Art. 8 Abs. 2 räumt an der Verschmelzung beteiligten Gesellschaften 210 jedoch ein Wahlrecht ein, anstelle von getrennten eine gemeinsame Prüfung durchführen zu lassen. A maiore ad minus dürfte es zudem zulässig sein, bei Verschmelzungen unter Beteiligung von mehr als zwei Gesellschaften nur für einen Teil der Gesellschaften eine gemeinsame Prüfung durchführen zu lassen.211 Ein Antrag auf gemeinsame Prüfung kann in jedem Mitgliedstaat, dessen Recht eine der sich verschmelzenden Gesellschaften oder die aus der grenzüberschreitenden Verschmelzung hervorgehende Gesellschaft unterliegt, gestellt werden (vgl. Art. 8 Abs. 2). Das Antrags- und Bestellungsverfahren (speziell auch, ob die Bestellung direkt durch ein Gericht oder eine Verwaltungsbehörde erfolgt oder ob die Sachverständigen durch die Gesellschaften bestellt und nur gerichtlich bzw. verwaltungsbehördlich 212 zugelassen worden sein müssen) richtet sich dann nach dem nationalen Recht des jeweiligen Staates.213 Jeden-

205 Vgl. Bayer (Fn. 19), § 122f Rn. 9. 206 Vgl. Bayer (Fn. 19), § 122f Rn. 9; Klein RNotZ 2007, 565, 593. Ausf. zur Ermittlung der Verschmelzungswertrelation bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen: Kiem ZGR 2007, 542 ff.; Reuter AG 2007, 881 ff. (jeweils m.z.w.N.). 207 Vgl. Bayer (Fn. 19), § 122f Rn. 10. 208 Vgl. auch Frenzel (Fn. 64), S. 267. 209 Vgl. Bayer/J. Schmidt NJW 2006, 401, 403. 210 Anders als nach der Art. 10 Abs. 1 S. 2 der 3. (Fusions-)RL (dazu § 21 Rn. 54 f.) müssen die Mitgliedstaaten bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen also eine gemeinsame Prüfung gestatten. 211 Vgl. Bayer (Fn. 19), § 122f Rn. 2. 212 Bei der deutschen Sprachfassung, nach der nur eine behördliche Zulassung möglich zu sein scheint, handelt es sich – wie sich aus dem Vergleich mit der englischen und französischen Fassung ergibt – um einen Übersetzungsfehler („… appointed … by a judicial or administrative authority … or approved by such an authority“ / „désignés … par une autorité judiciaire ou administrative … ou agréés par une telle autorité“). 213 Vgl. Bayer (Fn. 19), § 122f Rn. 3; Bayer/J. Schmidt NJW 2006, 401, 403; dies. NZG 2006, 841, 842.

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falls insofern haben die an der Verschmelzung beteiligten Gesellschaften damit – ebenso wie i.R.d. Art. 22 Abs. 1 SE-VO (dazu § 41 Rn. 40) – unstreitig indirekt auch die Möglichkeit einer Rechtswahl.214 Richtiger Ansicht nach gilt dies darüber hinaus aber auch für Gegenstand und Inhalt der Prüfung: Auch diese bestimmen sich – ebenso wie im Parallelfall des Art. 22 Abs. 1 SE-VO (dazu § 41 Rn. 40) und wie in Art. 8 Abs. 3 des RL-E 1985 215 ursprünglich sogar noch ausdrücklich klargestellt worden war 216 – ausschließlich nach dem Recht des gewählten Staats.217 Sofern im Schrifttum eine kumulative Anwendung aller beteiligten Rechtsordnungen postuliert wird 218, kann dem nicht gefolgt werden: Hiermit würde die von der RL durch die Möglichkeit einer gemeinsamen Prüfung intendierte Vereinfachung konterkariert.219 Durch ihren gemeinsamen Antrag bekunden die an der Verschmelzung beteiligten Gesellschaften vielmehr gerade, dass sie sich allein dem Recht des gewählten Staats unterwerfen.220 Die im Schrifttum geäußerten Befürchtungen im Hinblick auf angebliche Umgehungsgefahren221 sind unbegründet: Da Gegenstand und Inhalt der Prüfung europaweit harmonisiert sind (vgl. o. Rn. 68 f.), ist es nicht möglich, durch Wahl eines bestimmten Prüfungsstaats den europarechtlich etablierten obligatorischen Mindeststandard zu umgehen.222 Ebenso wie Art. 10 der 3. (Fusions-)RL (vgl. § 21 Rn. 56) verlangt die RL zwar, 72 dass die Sachverständigen „unabhängig“ sein müssen, definiert dies aber nicht näher, so dass den Mitgliedstaaten ein gewisser Spielraum bleibt. Zudem wird auch hier keine besondere Qualifikation der „Sachverständigen“ verlangt, so dass die Regelung der Einzelheiten insoweit – ebenso wie nach der 3. (Fusions-)RL (dazu § 21 Rn. 56) – dem nationalen Recht obliegt. Korrespondierend mit Art. 10 Abs. 3 der 3. (Fusions-)RL (dazu § 21 Rn. 57) gibt 73 Art. 8 Abs. 3 S. 2 den Sachverständigen ein umfassendes Auskunftsrecht: Sie haben das Recht, von jeder der sich verschmelzenden Gesellschaften alle Auskünfte zu ver-

214 Vgl. Bayer (Fn. 19), § 122f Rn. 3; Bayer/J. Schmidt NJW 2006, 401, 403; dies. NZG 2006, 841, 842; Drinhausen (Fn. 42), § 122f Rn. 5; Hörtnagl (Fn. 43), § 122f Rn. 3; Marsch-Barner (Fn. 43), § 122f Rn. 9 ff. 215 Fn. 8. 216 Vgl. RL-E 1985 (Fn. 8), S. 9 f. 217 Vgl. Bayer (Fn. 19), § 122f Rn. 3; Bayer/J. Schmidt NJW 2006, 401, 403; dies. NZG 2006, 841, 842; Klein RNotZ 2007, 565, 593; H.-F. Müller ZIP 2007, 1081, 1085; ferner offenbar auch Frotz/Kaufmann (Fn. 44), § 7 EU-VerschG Rn. 8a; offen lassend Grundmann Rn. 930. 218 So Drinhausen (Fn. 42), § 122f Rn. 5; Hörtnagl (Fn. 43), § 122f Rn. 3; Mayer (Fn. 89), § 122f Rn. 11. 219 Vgl. Bayer (Fn. 19), § 122f Rn. 3. S. ferner für Art. 22 SE-VO: Bayer in: Lutter/Hommelhoff, SE-Kommentar, 2008, Art. 22 Rn. 6; J. Schmidt, „Deutsche“ vs. „britische“ Societas Europaea (SE), 2006, S. 196 f. 220 Vgl. Bayer (Fn. 19), § 122f Rn. 3. S. ferner für Art. 22 SE-VO: Bayer (Fn. 219), Art. 22 Rn. 6. 221 Vgl. Drinhausen (Fn. 42), § 122f Rn. 5; Mayer (Fn. 89), § 122f Rn. 11. 222 Vgl. Bayer (Fn. 19), § 122f Rn. 3; Marsch-Barner (Fn. 43), § 122f Rn. 10. S. ferner für Art. 22 SE-VO: Bayer (Fn. 219), Art. 22 Rn. 6; J. Schmidt (Fn. 219), S. 197.

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langen, die sie zur Erfüllung ihrer Aufgabe für erforderlich halten. Der von Art. 10 Abs. 3 der 3. (Fusions-)RL abweichende Wortlaut ist – ebenso wie bei Art. 22 Abs. 2 SE-VO (dazu § 41 Rn. 40) – lediglich eine modernere Formulierung, eine inhaltliche Einschränkung ist damit nicht verbunden.223 Insbesondere ist der Begriff „Auskunft“ extensiv auszulegen; die Sachverständigen können nicht nur verbale Informationen, sondern auch Unterlagen verlangen und zudem ggf. selbst Nachprüfungen vornehmen.224 Die Haftung der Sachverständigen richtet sich mangels einer speziellen Regelung in der RL qua Art. 4 Abs. 1 lit. b S. 1 nach dem nationalen (Prüfungs-)Recht, das aber zumindest bezüglich der Verschmelzung von AG durch Art. 21 der 3. (Fusions-)RL (dazu § 21 Rn. 105 ff.) harmonisiert ist. Bei Konzernverschmelzungen sind Verschmelzungsprüfung und -bericht unter bestimmten Voraussetzungen entbehrlich, dazu ausf. u. Rn. 124 f. Art. 8 Abs. 4 gestattet einen Verzicht auf Verschmelzungsprüfung und/oder -bericht, der allerdings durch alle Gesellschafter aller sich verschmelzenden Gesellschaften erfolgen muss. Diese prozedurale Erleichterung, die u.U. erhebliche Kosten sparen kann,225 wurde auf deutsche und österreichische Initiative hin erst im Rat ergänzt226. Sie bildete dann aber bereits wenig später das Vorbild für entsprechende Ergänzungen der 3. (Fusions-) RL und 6. (Spaltungs-)RL durch die Änderungs-RL 2009/109/EG (dazu näher § 21 Rn. 60, § 22 Rn. 51). Die Wahrung einer besonderen Form sieht die RL für den Verzicht nicht vor; insoweit dürfte gem. Art. 4 Abs. 1 lit. b S. 1 das jeweilige nationale Recht maßgeblich sein 227. Eine ggf. parallel bestehende Pflicht zur Wertprüfung gem. Art. 10 bzw. Art. 27, 10 Abs. 2 und 3 der 2. (Kapital-)RL (dazu § 20 Rn. 46 ff., 173 ff.) macht die Verschmelzungsprüfung dagegen nicht automatisch entbehrlich. Allerdings geben Art. 10 Abs. 5 (für die Verschmelzung durch Neugründung) und Art. 27 Abs. 3 der 2. (Kapital-)RL n.F. (für die Verschmelzung durch Aufnahme) den Mitgliedstaaten die Möglichkeit, in diesem Fall entweder ganz auf das Erfordernis von Sachverständigenprüfung und -bericht gemäß der Kapital-RL zu verzichten oder die Erstellung beider Berichte durch den- bzw. dieselben Sachverständigen zu gestatten (s. bereits § 20 Rn. 52, 175). Der deutsche Gesetzgeber konnte sich i.R.d. Umsetzung des Art. 8 auf Grund des weitgehenden Gleichlaufs der Regelung mit Art. 10 der 3. (Fusions-)RL darauf beschränken, in § 122f S. 1 Hs. 1 UmwG im Wesentlichen auf die §§ 9–12 UmwG (mit denen Art. 10 der 3. (Fusions-)RL umgesetzt wird, vgl. § 21 Rn. 52) zu verwei-

223 Vgl. Louven/Dettmeier/Pöschke Beil. zu BB 13/2006, 1, 14; zu Art. 22 SE-VO: Bayer (Fn. 219), Art. 22 Rn. 11; J. Schmidt (Fn. 219), S. 199 (jeweils m.w.N.). 224 Vgl. zu Art. 22 SE-VO: Bayer (Fn. 219), Art. 22 Rn. 11; J. Schmidt (Fn. 219), S. 199 (jeweils m.w.N.). 225 Vgl. nur Neye ZIP 2005, 1893, 1896. 226 Vgl. Dok. 6344/04 S. 3; Dok. 7068/04, S. 11; eine Reihe von Mitgliedstaaten äußerte zunächst Bedenken, konnte dann aber insbesondere auch unter Mitwirkung der niederländischen Ratspräsidentschaft offensichtlich überzeugt werden, vgl. Dok. 14976/04, S. 13. S. auch Neye ZIP 2005, 1893, 1896. 227 Vgl. Bayer (Fn. 19), § 122f Rn. 17; Klein RNotZ 2007, 565, 594; Simon/Rubner (Fn. 9), § 122f Rn. 13; vgl. ferner auch H.-F. Müller Konzern 2007, 81, 83.

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sen.228 Um den Spezifika der RL Rechnung zu tragen, sieht § 122f UmwG allerdings zwei Sonderregelungen vor. § 122f S. 1 Hs. 2 schließt die Anwendbarkeit des – andernfalls über § 122a Abs. 2 UmwG geltenden – § 48 UmwG ausdrücklich aus, da Art. 8 auch bei GmbH (vorbehaltlich eines Verzichts) stets zwingend eine Verschmelzungsprüfung vorschreibt.229 122f S. 2 UmwG bestimmt in Umsetzung von Art. 8 Abs. 1 S. 1 zudem nochmals ausdrücklich, dass der Verschmelzungsprüfungsbericht spätestens einen Monat vor der Gesellschafterversammlung, die über den Verschmelzungsplan beschließt, vorliegen muss.230 Die Vorgaben des Art. 8 werden damit im Wesentlichen richtlinienkonform umgesetzt. Mit der RL vereinbar ist dabei insbesondere auch die Geheimnisschutzregelung gem. §§ 122f S. 1, 12 Abs. 3, 8 Abs. 2 UmwG 231. Gleiches gilt grundsätzlich auch für das sich aus §§ 122f S. 1, 12 Abs. 3, 9 Abs. 3, 8 Abs. 3 S. 2 UmwG ergebende Erfordernis der notariellen Beurkundung eines Verzichts, das jedoch im Wege richtlinienkonformer Auslegung auf die Gesellschafter der beteiligten deutschen Gesellschaften zu beschränken ist232. Die sich aus der Anknüpfung der §§ 122f S. 1, 10 Abs. 2 S. 1 UmwG an den Sitz des übertragenden Rechtsträgers ergebende Regelungslücke für den Fall, dass als übertragende(r) Rechtsträger nur ausländische Gesellschaften beteiligt sind, ist dadurch zu schließen, dass dann eine örtliche Zuständigkeit des LG am Sitz der deutschen übernehmenden Gesellschaft besteht.233 Der deutsche Gesetzgeber hat durch das 3. UmwÄndG (Rn. 8) zwar die Zulässigkeit einer Identität von Sacheinlage- und Verschmelzungsprüfer ausdrücklich klargestellt (§§ 69 Abs. 1 S. 4, 75 Abs. 1 S. 2 UmwG n.F.) 234, i.Ü. aber an den bisherigen Regelungen in §§ 69 Abs. 1 S. 1 Hs. 2, 75 Abs. 2 UmwG 235 festgehalten236 (vgl. dazu auch bereits § 21 Rn. 52, 133). 228 Vgl. Bayer (Fn. 19), § 122f Rn. 1; Drinhausen/Keinath BB 2006, 725, 729; Marsch-Barner (Fn. 43), § 122f Rn. 1. 229 Vgl. BegrRegE z. 2. UmwÄndG, BR-Drs. 548/06, S. 32; Bayer (Fn. 19), § 122f Rn. 18 m.w.N. 230 Vgl. dazu Bayer (Fn. 19), § 122f Rn. 13. 231 Vgl. Bayer (Fn. 19), § 122f Rn. 12. 232 Bayer (Fn. 19), § 122f Rn. 17; ebenso i.E. auch Brocker BB 2010, 971, 974; Frenzel RIW 2008, 12, 19; Hörtnagl (Fn. 43), § 122f Rn. 7; H.-F. Müller Konzern 2007, 81, 83; MarschBarner (Fn. 43), § 122f Rn. 4; Simon/Rubner (Fn. 9), § 122f Rn. 13; a.A. Drinhausen (Fn. 42), § 122f Rn. 7. 233 Vgl. Bayer (Fn. 19), § 122f Rn. 5; Hörtnagl (Fn. 43), § 122f Rn. 3; Marsch-Barner (Fn. 43), § 122f Rn. 8; Simon/Rubner (Fn. 9), § 122f Rn. 4; s. ferner auch Drinhausen (Fn. 42), § 122f Rn. 4. 234 Vgl. BegrRegE z. 3. UmwÄndG, BR-Drs. 485/10, S. 14; Bayer/J. Schmidt ZIP 2010, 953, 956; Diekmann NZG 2010, 489, 490 f.; Heckschen NZG 2010, 1041, 1046; Neye/Jäckel AG 2010, 237, 241; Simon/Merkelbach DB 2011, 1317, 1318. 235 Problematisch ist insoweit, dass §§ 69 Abs. 1 S. 1 Hs. 2, 75 Abs. 2 UmwG den Dispens – anders als die RL – ihrem Wortlaut nach selbst dann vorsehen, wenn im konkreten Fall gar keine Verschmelzungsprüfung erfolgt bzw. kein Verschmelzungsprüfungsbericht erstellt wird; insoweit ist eine richtlinienkonforme Auslegung (Reduktion) geboten, vgl. auch bereits Bayer/J. Schmidt ZIP 2010, 953, 957; zum Problem ferner auch Leitzen DNotZ 2011, 526, 541. 236 Vgl. BegrRegE z. 3. UmwÄndG, BR-Drs. 485/10, S. 14; Neye/Jäckel AG 2010, 237, 241; kritisch dazu Bayer/J. Schmidt ZIP 2010, 953, 956 f.

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4. Verschmelzungsbeschlüsse (Art. 9) 79 Als vierter Grundbaustein des „europäischen Modells für Strukturmaßnahmen“ (dazu o. Rn. 3, 26) und zentrales Element des Gesellschafterschutzes bedarf auch die grenzüberschreitende Verschmelzung gem. Art. 9 Abs. 1 der Zustimmung der Gesellschafterversammlung jeder der sich verschmelzenden Gesellschaften. a) Vorabinformation 80 Anders als die 3. (Fusions-)RL (Art. 11, dazu § 21 Rn. 64 ff.) und die 6. (Spaltungs-)RL (Art. 9, dazu § 22 Rn. 55) enthält die RL keine spezielle Regelung über ein umfassendes Vorabinformationssystem der Gesellschafter. Sie sieht vielmehr lediglich vor, dass die Gesellschafterversammlungen „nach Kenntnisnahme“ der Verschmelzungs- und Verschmelzungsprüfungsberichte beschließen (Art. 9 Abs. 1) und dass der Verschmelzungsbericht den Gesellschaftern spätestens einen Monat vorher zugänglich zu machen ist (Art. 7 Abs. 2, dazu o. Rn. 63). Aus Art. 8 Abs. 1 i.V.m. Art. 9 Abs. 1 lässt sich zudem ableiten, dass auch der Verschmelzungsprüfungsbericht den Gesellschaftern spätestens einen Monat vorher zur Verfügung stehen muss. Nicht vorgesehen ist dagegen eine spezielle Zugänglichmachung des Verschmelzungsplans (dieser ist nur gem. Art. 6 Abs. 1 offen zu legen, dazu o. Rn. 45) oder von Jahresabschlüssen bzw. Zwischenbilanzen. Soweit AG an einer grenzüberschreitenden Verschmelzung beteiligt sind, gelten allerdings über Art. 4 Abs. 1 lit. b S. 1 die nationalen Umsetzungsvorschriften zu Art. 11 der 3. (Fusions-)RL (dazu § 21 Rn. 64 ff.) 237, d.h. Verschmelzungsplan, Jahresabschlüsse und ggf. Zwischenbilanzen sowie Verschmelzungs- und Verschmelzungsprüfungsberichte sind spätestens einen Monat vor der Versammlung auszulegen bzw. via Internet zugänglich zu machen. Bei anderen Kapitalgesellschaften bleibt es dagegen qua Art. 4 Abs. 1 lit. b S. 1 dem nationalen Recht überlassen, die Vorgaben der Art. 7 Abs. 2, 8 Abs. 1, 9 Abs. 1 zu konkretisieren bzw. um weitergehende Informationspflichten zu ergänzen.238 81 Der deutsche Gesetzgeber hat hinsichtlich der Vorabinformation in Umsetzung von Art. 7 Abs. 2 die Sonderregelung in § 122e S. 2 UmwG (dazu o. Rn. 66) geschaffen, i.Ü. gelten gem. § 122a Abs. 2 UmwG die Vorschriften über die Vorabinformation bei nationalen Verschmelzungen, d.h. bei der AG, SE 239, und KGaA240 § 63 UmwG 241 und bei der GmbH §§ 47, 49 Abs. 2 UmwG 242. Im Detail ergeben sich hier 237 238 239 240 241

Vgl. Bayer (Fn. 19), § 122g Rn. 6; Grundmann Rn. 931. Vgl. Bayer (Fn. 19), § 122g Rn. 6. Über Art. 9 Abs. 1 lit. c ii. Über § 78 S. 1 UmwG. Vgl. Bayer (Fn. 19), § 122g Rn. 7 ff.; Brocker BB 2010, 971, 974 f.; Krause/Kulpa ZHR 171 (2007) 38, 64; Marsch-Barner (Fn. 43), § 122g Rn. 8; Simon/Rubner (Fn. 9), § 122f Rn. 6. S. aber zur insoweit gebotenen richtlinienkonformen Auslegung bereits § 21 Rn. 74 f. 242 Vgl. Bayer (Fn. 19), § 122g Rn. 12 ff.; Brocker BB 2010, 971, 974 f.; Herrler/Schneider GmbHR 2011, 795, 799; Krause/Kulpa ZHR 171 (2007) 38, 64; Marsch-Barner (Fn. 43), § 122g Rn. 7, 9; Simon/Rubner (Fn. 9), § 122g Rn. 5.

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allerdings eine Reihe von Unstimmigkeiten und Redundanzen, die baldmöglichst korrigiert werden sollten.243

b) Beschlussfassung Während die 3. (Fusions-)RL und 6. (Spaltungs-)RL zumindest die Kernaspekte der 82 Beschlussfassung harmonisieren, überlässt die 10. RL das gesamte Beschlussfassungsverfahren (d.h. Einberufung, Abstimmungsverfahren, Mehrheitserfordernisse, etc.) über Art. 4 Abs. 1 lit. b S. 1, Abs. 2 S. 1 komplett dem jeweiligen nationalen Recht 244. Für an einer grenzüberschreitenden Verschmelzung beteiligte AG kommen damit allerdings auch die jeweiligen nationalen Umsetzungsvorschriften zu Art. 7 der 3. (Fusions-)RL (dazu ausf. § 21 Rn. 76 ff.) 245 sowie (falls sie börsennotiert sind) auch der Aktionärsrechte-RL (dazu ausf. § 31) zur Anwendung, so dass insofern zumindest eine gewisse Harmonisierung existiert. Für an einer grenzüberschreitenden Verschmelzung beteiligte deutsche Gesell- 83 schaften ergibt sich damit Folgendes: Für die Einberufung gelten bei AG, KGaA und SE §§ 121 ff. AktG 246, bei einer GmbH §§ 49, 51 GmbHG 247. Die Durchführung der Versammlung richtet sich bei AG, KGaA und SE nach §§ 118 ff., 129 ff. AktG, bei einer GmbH nach §§ 47 ff. GmbHG 248. Die erforderliche Mehrheit ergibt sich bei AG aus § 133 Abs. 1 AktG i.V.m. §§ 122a Abs. 2, 65 UmwG 249, bei der KGaA bedarf der Zustimmungsbeschluss zusätzlich der Zustimmung der persönlich haftenden Gesellschafter (§§ 122a Abs. 2, 78 S. 3 UmwG) 250, bei der SE bedarf es wegen Art. 59 Abs. 1 SE-VO (dazu § 41 Rn. 166) zusätzlich zu der gem. §§ 122a Abs. 2, 65 UmwG erforderlichen Kapitalmehrheit einer Stimmenmehrheit von 2/3 251, bei GmbH gelten §§ 122a Abs. 2, 50 Abs. 1 UmwG 252. Gem. §§ 122a Abs. 2, 13 Abs. 3 UmwG bedarf der Zustimmungsbeschluss zudem stets der notariellen Beurkundung.

243 Ausf. Bayer (Fn. 19), § 122g Rn. 6 ff. m.w.N. 244 Vgl. Andenas/Wooldridge S. 495; Bayer/J. Schmidt NJW 2006, 401, 404; Drinhausen/ Keinath RIW 2006, 81, 84; Grundmann Rn. 921; Habersack § 7 Rn. 63; Klein RNotZ 2007, 565, 595; Lencou/Menjucq D. 2009, 886, 889; Neye ZIP 2005, 1893, 1896; Ugliano [2007] EBLR 585, 605. 245 Vgl. Andenas/Wooldridge S. 495; Grundmann Rn. 921; Koppensteiner GesRZ 2006, 111, 123; Ugliano [2007] EBLR 585, 605. 246 Vgl. Bayer (Fn. 19), § 122g Rn. 5; Klein RNotZ 2007, 565, 595. 247 Vgl. Bayer (Fn. 19), § 122g Rn. 5. 248 Vgl. Bayer (Fn. 19), § 122g Rn. 17. 249 Vgl. Bayer (Fn. 19), § 122g Rn. 20; Brocker BB 2010, 971, 974; Hörtnagl (Fn. 43), § 122g Rn. 5; Kiem WM 2006, 1091, 1097; Krause/Kulpa ZHR 171 (2007) 38, 65; Louven/Dettmeier/Pöschke Beil. zu BB 13/2006, 1, 14; Lutz BWNotZ 2010, 23, 33. 250 Vgl. Bayer (Fn. 19), § 122g Rn. 21. 251 Vgl. Bayer (Fn. 19), § 122g Rn. 22. 252 Vgl. Bayer (Fn. 19), § 122g Rn. 23; Brocker BB 2010, 971, 974; Herrler/Schneider GmbHR 2011, 795, 800; Krause/Kulpa ZHR 171 (2007) 38, 65; Marsch-Barner (Fn. 43), § 122g Rn. 10.

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c) Zustimmungsvorbehalt (Art. 9 Abs. 2) 84 Art. 9 Abs. 2 ermöglicht es der Gesellschafterversammlung jeder der sich verschmelzenden Gesellschaften, sich das Recht vorzubehalten, ihre Zustimmung zur Verschmelzung von der Genehmigung der Mitbestimmungsmodalitäten abhängig zu machen. Hintergrund dieses Zustimmungs- bzw. Genehmigungsvorbehalts, der auf dem Vorbild in Art. 23 Abs. 2 S. 2 SE-VO (dazu § 41 Rn. 41) beruht 253, ist, dass für die Verhandlungen über das Mitbestimmungsmodell (sofern solche erforderlich sind, dazu u. Rn. 150 f.) nicht die Gesellschafterversammlung, sondern das Leitungs- bzw. Verwaltungsorgan der Gesellschaft einerseits und das besondere Verhandlungsgremium der Arbeitnehmer andererseits zuständig sind und deren Ausgang im Zeitpunkt des Verschmelzungsbeschlusses häufig noch nicht feststehen wird.254 Die Option eines Zustimmungsvorbehalts erspart den Gesellschaftern das Dilemma, entweder „die Katze im Sack kaufen“ zu müssen oder die Beschlussfassung über die Verschmelzung nicht zeitnah zur Offenlegung des Verschmelzungsplans (mit dem ein ggf. erforderliches Verhandlungsverfahren überhaupt erst offiziell in Gang gesetzt wird) vornehmen zu können.255 Das Mitentscheidungsrecht der Gesellschafter kann so also gesichert werden, ohne den Fortgang des Verschmelzungsverfahrens zu blockieren.256 85 Wie sich aus der weiten Formulierung („Modalitäten“) und der Ratio der Regelung ergibt, erstreckt sich der Genehmigungsvorbehalt auf alle Arten einer zulässigen Mitbestimmungsregelung, d.h. nicht nur auf eine individuelle Vereinbarung, sondern auch auf die Fälle des Eingreifens der Auffangregelung (dazu u. Rn. 150 f.).257 86 Die Erklärung des Vorbehalts wird im Schrifttum teilweise als Teil des Verschmelzungsbeschlusses selbst angesehen, so dass konsequenterweise auch dieselben Mehrheitserfordernisse gelten müssten.258 Dagegen sprechen allerdings die separate Regelung in Art. 9 Abs. 2 und der Umstand, dass dem Vorbehalt selbst kein Grundlagencharakter zukommt; zudem streitet auch der mit dem Vorbehalt intendierte Gesellschafterschutz eher für das Genügen einer einfachen Mehrheit.259 87 Die Erklärung der Genehmigung muss nach dem eindeutigen Wortlaut des Art. 9 Abs. 2 durch ausdrücklichen Beschluss der Gesellschafterversammlung erfolgen, ein konkludentes Handeln oder gar bloße Untätigkeit genügt nicht. Ebenso wie

253 Vgl. Bayer (Fn. 19), § 122g Rn. 2; Bayer/J. Schmidt NJW 2006, 401, 404; Neye ZIP 2005, 1893, 1896. 254 Vgl. Bayer (Fn. 19), § 122g Rn. 2. 255 Vgl. Bayer (Fn. 19), § 122g Rn. 2; Klein RNotZ 2007, 565, 597. 256 Vgl. Bayer (Fn. 19), § 122g Rn. 27; Bayer/J. Schmidt NJW 2006, 401, 404; Drinhausen/ Keinath RIW 2006, 81, 84; Neye ZIP 2005, 1893, 1896; Neye/Timm DB 2006, 488, 489; Ratka GeS 2006, 52, 55. 257 Vgl. Bayer (Fn. 19), § 122g Rn. 28; Habersack § 7 Rn. 64; Oechsler NZG 2006, 161, 163. 258 Vgl. zu § 122g UmwG: Heckschen DNotZ 2007, 444, 463; Klein RNotZ 2007, 565, 597; Limmer ZNotP 2007, 282, 285; H.-F. Müller ZIP 2007, 1081, 1085; Simon/Rubner Konzern 2006, 835, 839; für Österreich: Frotz/Kaufmann (Fn. 44), § 9 EU-VerschG Rn. 10c f. 259 Vgl. Bayer (Fn. 19), § 122g Rn. 30; Drinhausen (Fn. 42), § 122g Rn. 10.

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für die Erklärung des Vorbehalts (vgl. o. Rn. 86) genügt hierfür jedoch richtigerweise eine einfache Mehrheit, da der Vorbehalt – wie sich im Umkehrschluss aus Art. 5 S. 2 lit. j (dazu o. Rn. 37) ergibt – gerade nicht Teil des Verschmelzungsplans 260 ist.261 Eine Delegation der Genehmigung (z.B. auf das Aufsichts- oder Verwaltungsorgan) ist dagegen nicht zulässig 262, denn diese wäre – entgegen einer verbreiteten Ansicht im Schrifttum 263 – keineswegs lediglich ein zulässiges Minus, sondern vielmehr ein in der RL gerade nicht vorgesehenes aliud 264, zumal eine solche Delegation auch in diametralem Gegensatz zur Ratio des Genehmigungsvorbehalts (durch den die Entscheidung gerade von der Verwaltung wegverlagert werden soll, um so die Eigentümerrechte der Gesellschafter zu sichern, vgl. o. Rn. 84) stünde 265. Solange das Mitbestimmungsmodell nicht genehmigt wurde, besteht ein Eintragungshindernis, das von der jeweiligen Kontrollstelle von Amts wegen geprüft wird 266 (vgl. dazu auch noch u. Rn. 91 ff.). Im deutschen Recht wurde der Zustimmungsvorbehalt im Einklang mit Art. 9 88 Abs. 2 in § 122g Abs. 1 UmwG geregelt.267

d) Entbehrlichkeit in Sonderfällen Im Falle eines upstream-mergers einer 100%igen Tochter bedarf es gem. Art. 15 89 Abs. 1 Sps. 2 keines Verschmelzungsbeschlusses der übertragenden Gesellschaft(en), vgl. dazu noch u. Rn. 124. Zudem gestattet Art. 9 Abs. 3, der auf Wunsch einiger Mitgliedstaaten erst im Rat 90 ergänzt wurde 268, den Mitgliedstaaten auf das Erfordernis des Verschmelzungsbeschlusses der übernehmenden Gesellschaft zu verzichten, wenn die Bedingungen des Art. 8 der 3. (Fusions-)RL (dazu § 21 Rn. 81) erfüllt sind.

260 I.d.S. aber (und deshalb für die Geltung desselben Mehrheitserfordernisses): Frenzel RIW 2008, 12, 19 f.; Heckschen DNotZ 2007, 444, 463; vgl. ferner für § 122g UmwG auch Hörtnagl (Fn. 43), § 122g Rn. 10; Marsch-Barner (Fn. 43), § 122g Rn. 18 ff.; Simon/ Rubner (Fn. 9), § 122g Rn. 19. 261 Vgl. Bayer (Fn. 19), § 122g Rn. 33; Drinhausen (Fn. 42), § 122g Rn. 11. 262 Bayer (Fn. 19), § 122g Rn. 34; Frenzel RIW 2008, 12, 20; Marsch-Barner (Fn. 43), § 122g Rn. 19; H.-F. Müller ZIP 2007, 1081, 1085. 263 Vgl. Limmer ZNotP 2007, 282, 285; Simon/Rubner (Fn. 9), § 122g Rn. 18. 264 Vgl. Bayer (Fn. 19), § 122g Rn. 34. 265 Vgl. Bayer (Fn. 19), § 122g Rn. 34; H.-F. Müller ZIP 2007, 1081, 1085. 266 Vgl. Bayer (Fn. 19), § 122g Rn. 31. 267 Dazu ausf. Bayer (Fn. 19), § 122g Rn. 2, 27 ff. 268 Vgl. Dok. 13133/04, S. 13; Neye ZIP 2005, 1893, 1896.

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5. Rechtmäßigkeitskontrolle, Wirksamwerden und Offenlegung a) Rechtsmäßigkeitskontrolle (Art. 10, 11) aa) Die zweistufe Rechtmäßigkeitskontrolle im Überblick 91 Als letztes Kernelement des „europäischen Modells für Strukturmaßnahmen“ (dazu o. Rn. 3, 26) sieht schließlich auch die 10. RL eine umfassende Rechtmäßigkeitskontrolle vor. Anders als nach der 3. (Fusions-)RL (dazu § 21 Rn. 83 ff.) und 6. (Spaltungs-)RL (dazu § 22 Rn. 62) – aber ebenso wie bei der Gründung einer SE (dazu § 41 Rn. 42) oder SCE (dazu § 42 Rn. 26) durch Verschmelzung – erfolgt diese gem. Art. 10 und 11 in zwei Stufen:269 Auf der 1. Stufe (dazu näher u. Rn. 93 f.) wird zunächst im Mitgliedstaat jeder an der Verschmelzung beteiligten Gesellschaft die Einhaltung der diese betreffenden Verfahrensschritte kontrolliert (Art. 10 Abs. 1), d.h. derjenigen Erfordernisse, die ausschließlich die Sphäre der jeweiligen Gesellschaft betreffen. Fällt diese Kontrolle positiv aus, so ist unverzüglich eine entsprechende Bescheinigung auszustellen (Art. 10 Abs. 2, dazu näher u. Rn. 95). Auf der 2. Stufe (dazu näher u. Rn. 96 ff.) erfolgt dann im Mitgliedstaat der aus der grenzüberschreitenden Verschmelzung hervorgehenden Gesellschaft eine Kontrolle im Hinblick auf die eigentliche Durchführung der Verschmelzung sowie ggf. die Gründung der neuen Gesellschaft (Art. 11 Abs. 1). Zu diesem Zweck muss jede der sich verschmelzenden Gesellschaften binnen 6 Monaten bei der Kontrollstelle im „Zielland“ den von ihr genehmigten Verschmelzungsplan sowie „ihre“ Bescheinigung, die für die Kontrollstelle im Zielland Bindungswirkung hat (dazu u. Rn. 101), vorlegen. Erst wenn diese Kontrolle abgeschlossen ist, kann die Verschmelzung gem. Art. 12 wirksam werden (dazu näher u. Rn. 105). 92 Vorteil dieses arbeitsteiligen Modells ist die Parallelität von materiellem Recht und Verfahrensrecht 270, die dem grenzüberschreitenden Charakter der Verschmelzung und der hieraus resultierenden Verzahnung der verschiedenen Rechtsordnungen Rechnung trägt 271. Durch die Einschaltung von Kontrollstellen auf der Ebene der einzelnen beteiligten Gesellschaften wird gewährleistet, dass die Prüfung der Einhaltung des jeweiligen nationalen Rechts mit größerer Sachkunde erfolgt 272 und sich die

269 Vgl. Bayer (Fn. 19), § 122k Rn. 1; Bayer/J. Schmidt NJW 2006, 401, 404; Kallmeyer/Kappes AG 2006, 224, 233; Koppensteiner GesRZ 2006, 111, 124; Louven/Dettmeier/Pöschke Beil. zu BB 13/2006, 1, 14 f.; H.-F. Müller ZIP 2007, 1081, 1087; Neye ZIP 2005, 1893, 1896 f.; Ugliano [2007] EBLR 585, 606. 270 Vgl. Bayer (Fn. 19), § 122k Rn. 2; Grundmann Rn. 935 f.; Vossius in: Widmann/Mayer, UmwG (Stand: 120. EL 2011), § 122k Rn. 3. S. ferner zur Parallelregelung bei der SE § 41 Rn. 42. 271 Vgl. Bayer (Fn. 19), § 122k Rn. 2; Bayer/J. Schmidt NJW 2006, 401, 404; Habersack § 7 Rn. 65. 272 Vgl. Bayer (Fn. 19), § 122k Rn. 2; Heckschen DNotZ 2007, 444, 464. S. ferner zur Parallelregelung bei der SE § 41 Rn. 42.

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einzelnen nationalen Kontrollstellen nicht mit den Details fremder Rechtsordnungen auseinandersetzen müssen 273.

bb) 1. Stufe (Art. 10 Abs. 1) Gem. Art. 10 Abs. 1 erfolgt zunächst für jede der sich verschmelzenden Gesellschaf- 93 ten eine Rechtmäßigkeitskontrolle in demjenigen Mitgliedstaat, dessen Recht sie unterliegt. Die zuständige Kontrollstelle ist vom jeweiligen Mitgliedstaat zu bestimmen, wobei diesem insoweit mit Blick auf die unterschiedlichen Rechtstraditionen freigestellt ist, ob die Kontrolle durch ein Gericht, einen Notar oder eine sonstige Behörde erfolgt.274 Schon mit Blick auf den effet utile muss der jeweilige Mitgliedstaat darüber hinaus natürlich auch den entsprechenden verfahrensrechtlichen Rahmen schaffen. Auf dieser 1. Stufe werden ausschließlich diejenigen Verfahrensabschnitte kon- 94 trolliert, welche die jeweilige Gesellschaft betreffen. Die Prüfung erfolgt dabei sowohl in formeller als auch in materieller Hinsicht.275 Zum Prüfungsprogramm gehören insbesondere: Die Verschmelzungsfähigkeit gem. Art. 2 Abs. 1, 3, 4 Abs. 1 lit. a (dazu o. Rn. 10 ff., 24), der Verschmelzungsplan gem. Art. 5 (dazu o. Rn. 29 ff.) 276, die Ordnungsmäßigkeit der Bekanntmachung gem. Art. 6 (dazu o. Rn. 45 ff.), der Verschmelzungsbericht gem. Art. 7 (dazu o. Rn. 52 ff.), die Verschmelzungsprüfung gem. Art. 8 (dazu o. Rn. 67 ff.), der Verschmelzungsbeschluss gem. Art. 9 Abs. 1 (dazu o. Rn. 79, 82 ff.) und ggf. die Genehmigung des Mitbestimmungsmodells gem. Art. 9 Abs. 2 (dazu o. Rn. 84 ff.) sowie die Beachtung der relevanten Schutzvorschriften zugunsten von Gläubigern und Minderheitsgesellschaftern gem. Art. 4 Abs. 2 (dazu u. Rn. 131 ff., 141) (jeweils i.V.m. den jeweiligen nationalen Rechtsvorschriften).277 Nicht zu prüfen ist dagegen die wirtschaftliche Zweckmäßigkeit der Verschmelzung 278, die Angemessenheit des Umtauschverhältnisses 279 oder ein ggf. nach nationalem Recht erforderliches Abfindungsangebot an die Minderheitsgesellschafter (dazu noch u. Rn. 131 ff.) 280.

273 Vgl. Bayer (Fn. 19), § 122k Rn. 2; Brocker BB 2010, 971, 975; Heckschen DNotZ 2007, 444, 464; Oechsler NZG 2006, 161, 163; Vossius (Fn. 270), § 122k Rn. 4. S. ferner zur Parallelregelung bei der SE § 41 Rn. 42. 274 Vgl. die von der Kommission veröffentlichte (allerdings nur 16 Mitgliedstaaten erfassende) Liste (Fn. 40). 275 Vgl. Bayer (Fn. 19), § 122k Rn. 19. 276 Zu Unrecht abw. insofern Kallmeyer AG 2007, 472, 474. 277 Vgl. Bayer (Fn. 19), § 122k Rn. 18; Vossius (Fn. 270), § 122k Rn. 44 f. i.V.m. 13 ff. 278 Vgl. Bayer (Fn. 19), § 122k Rn. 19; Vossius (Fn. 270), § 122k Rn. 49. 279 Vgl. Bayer (Fn. 19), § 122k Rn. 19; Vossius (Fn. 270), § 122k Rn. 49. 280 Vgl. Bayer (Fn. 19), § 122k Rn. 19; Vossius (Fn. 270), § 122k Rn. 49.

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cc) Verschmelzungsbescheinigung (Art. 10 Abs. 2) 95 Fällt die Kontrolle auf der 1. Stufe positiv aus, so hat die zuständige nationale Kontrollstelle gem. Art. 10 Abs. 2 unverzüglich eine Bescheinigung auszustellen, aus der zweifelsfrei hervorgeht, dass die der Verschmelzung vorangehenden Rechtshandlungen und Formalitäten ordnungsgemäß vollzogen wurden (sog. Verschmelzungsbescheinigung). Umstritten ist, welche formalen Anforderungen an eine derartige Bescheinigung zu stellen sind. Die englische 281 und französische 282 Sprachfassung sprechen eher für einen ausführlicheren Text 283 und auch die der Bescheinigung zukommende Bindungswirkung (dazu u. Rn. 101) streitet eher für die Notwendigkeit von Tatbestand und Gründen 284. Unabdingbarkeit ist aber jedenfalls ein offizielles Dokument, in dem die beteiligten Gesellschaften spezifiziert werden und aus dem eindeutig und klar hervorgeht, dass die jeweilige Gesellschaft sämtliche nach den jeweiligen nationalen Umsetzungsvorschriften erforderlichen Rechtshandlungen und Formalitäten ordnungsgemäß vollzogen hat.

dd) 2. Stufe (Art. 11 Abs. 1) (1) Prüfungsverfahren 96 Nach Abschluss aller Kontrollverfahren 1. Stufe für die sich verschmelzenden Gesellschaften durch Ausstellung der jeweiligen Verschmelzungsbescheinigungen erfolgt gem. Art. 11 Abs. 1 die 2. Stufe der Rechtmäßigkeitskontrolle im Mitgliedstaat, dessen Recht die aus der grenzüberschreitenden Verschmelzung hervorgehende Gesellschaft unterliegt bzw. unterliegen soll. Die hierfür zuständige Kontrollstelle, bei der es sich ebenfalls um ein Gericht, einen Notar oder eine sonstige Behörde handeln kann, ist wiederum vom jeweiligen Mitgliedstaat zu bestimmen 285, der natürlich außerdem auch insoweit den entsprechenden verfahrensrechtlichen Rahmen für ein effektives Kontrollverfahren schaffen muss (vgl. bereits o. Rn. 93). 97 Zum Zwecke dieser Kontrolle hat jede der sich verschmelzenden Gesellschaften den von ihrer Gesellschafterversammlung genehmigten gemeinsamen Verschmelzungsplan sowie „ihre“ Verschmelzungsbescheinigung vorzulegen (Art. 11 Abs. 2). Letztere darf im Zeitpunkt der Einreichung nicht älter als 6 Monate sein (Frist-

281 „… un certificat attestant de façon incontestable l’accomplissement correct des actes et des formalités préalables à la fusion.“ 282 „… a certificate conclusively attesting to the proper completion of the pre-merger acts and formalities.“ 283 Vgl. Vossius (Fn. 270), § 122k Rn. 54 f.; zu Art. 25 Abs. 2 SE-VO: Bayer (Fn. 219), Art. 25 Rn. 15 m.w.N. 284 Vgl. Bayer (Fn. 19), § 122k Rn. 21; Bayer/J. Schmidt NZG 2006, 841, 843; Vossius (Fn. 270), § 122k Rn. 55. 285 Vgl. die von der Kommission veröffentlichte (allerdings nur 16 Mitgliedstaaten erfassende) Liste (Fn. 40).

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beginn: Erteilung für die jeweilige Gesellschaft).286 Ratio dieser beschränkten Geltungsdauer („Verfallsdatum“) ist es, zu gewährleisten, dass das durch die Bescheinigung bindend dokumentierte Prüfungsergebnis (dazu noch u. Rn. 101) hinreichend aktuell ist.287 Wie sich mittelbar aus dem in Art. 11 Abs. 1 vorgegebenen Prüfprogramm (dazu noch u. Rn. 98 ff.) ergibt, ist zudem auch eine etwaige Mitbestimmungsvereinbarung gem. Art. 16 (dazu näher u. Rn. 150 f.) einzureichen. Darüber hinaus kann das jeweilige nationale Recht weitere Vorlage- bzw. Einreichungspflichten vorsehen, um die Wahrung der nach dem jeweiligen nationalen Recht einzuhaltenden weiteren Voraussetzungen (z.B. hinsichtlich der Gründung der neuen Gesellschaft bei der Verschmelzung durch Neugründung oder hinsichtlich des Schutzes der Gläubiger und ggf. der Minderheitsgesellschafter) überprüfen zu können; diese dürfen aber freilich nicht prohibitiv wirken. (2) Prüfungsgegenstände Gegenstand dieser 2. Stufe der Prüfung sind (nur) diejenigen Verfahrensabschnitte, 98 welche die Durchführung der grenzüberschreitenden Verschmelzung betreffen. Handelt es sich um eine Verschmelzung durch Neugründung, so ist zudem zu prüfen, ob die für die Gründung eines Rechtsträgers der jeweiligen Rechtsform geltenden Gründungsvoraussetzungen erfüllt sind.288 Gem. Art. 11 Abs. 1 S. 2 Hs. 1 ist insbesondere auch zu prüfen, ob die sich 99 verschmelzenden Gesellschaften einem gemeinsamen gleich lautenden Verschmelzungsplan zustimmt haben. Nach Wortlaut und Normzweck erfolgt hier allerdings nur noch eine formale Kontrolle, nicht mehr dagegen eine inhaltliche Rechtmäßigkeitskontrolle, denn der Verschmelzungsplan wurde ja für jede sich verschmelzende Gesellschaft bereits i.R.d. Kontrollverfahrens der 1. Stufe auf seine materielle Rechtmäßigkeit hin überprüft (vgl. zur Bindungswirkung der Verschmelzungsbescheinigung noch u. Rn. 101).289 Nach – dem leider etwas missverständlich formulierten – Art. 11 Abs. 1 S. 2 Hs. 2 100 ist ferner insbesondere auch zu prüfen, ob ein ggf. erforderliches Verfahren der Arbeitnehmerbeteiligung in einer in Art. 16 vorgesehenen Weise (dazu ausf. u. Rn. 149 ff.) ordnungsgemäß abgeschlossen wurde.290 Darüber hinaus ist auch zu kontrollieren, ob die Satzung im Einklang mit einer etwaigen Mitbestimmungsregelung steht (arg. ex

286 Vgl. Bayer (Fn. 19), § 122l Rn. 7; Frotz/Kaufmann (Fn. 44), § 15 EU-VerschG Rn. 13; Heckschen DNotZ 2007, 444, 464; Vossius (Fn. 270), § 122k Rn. 65. Für eine Zulässigkeit der Akzeptanz älterer Bescheinigungen aber offensichtlich Drinhausen (Fn. 42), § 122k Rn. 21; Hörtnagl (Fn. 43), § 122k Rn. 21; Zimmermann in: Kallmeyer, UmwG, 4. Aufl. 2010, § 122k Rn. 18. 287 Vgl. Bayer (Fn. 19), § 122l Rn. 7. 288 Vgl. Bayer (Fn. 19), § 122l Rn. 17. 289 Vgl. Bayer (Fn. 19), § 122l Rn. 14; Oechsler NZG 2006, 161, 163; Zimmermann (Fn. 286), § 122l Rn. 21; s. ferner auch Simon/Rubner (Fn. 9), § 122l Rn. 13; zu Unrecht abw. insofern Kallmeyer AG 2007, 472, 474 f. 290 Vgl. Bayer (Fn. 19), § 122l Rn. 15 s. ferner auch Simon/Rubner (Fn. 9), § 122l Rn. 15 f.

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Art. 16 Abs. 3 i.V.m. Art. 12 Abs. 4 SE-VO, dazu noch u. Rn. 150 f.); ansonsten ist erstere ggf. anzupassen.291 101 Nicht Prüfungsgegenstand sind dagegen diejenigen Verfahrensabschnitte, die ausschließlich die einzelnen sich verschmelzenden Gesellschaften betreffen. Das sich noch in der Sphäre der einzelnen sich verschmelzenden Gesellschaften vollziehende Verschmelzungsverfahren wird ausschließlich auf der 1. Stufe der Rechtsmäßigkeitskontrolle durch die hierfür zuständige nationale Kontrollstelle kontrolliert; das Ergebnis wird in der Verschmelzungsbescheinigung, die gem. Art. 11 Abs. 2 bei der Kontrollstelle 2. Stufe einzureichen ist (vgl. o. Rn. 97), dokumentiert. Die für die Prüfung 2. Stufe zuständige nationale Kontrolle ist nicht autorisiert (oder gar verpflichtet), diese Verfahrensschritte einer nochmaligen Kontrolle zu unterziehen.292 Eine erneute Prüfung wäre nicht nur überflüssig 293 und ein Widerspruch zu dem der RL zu Grunde liegenden Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens 294, sondern überdies auch kaum praktikabel, da dann die Beachtung ausländischen Verschmelzungsrechts (bzw. ggf. sogar mehrerer ausländischer Verschmelzungsrechte) kontrolliert werden müsste 295. Vielmehr kommt der Verschmelzungsbescheinigung in Bezug auf die bereits auf der 1. Stufe zu kontrollierenden Verfahrensabschnitte, die noch die jeweilige Sphäre der einzelnen sich verschmelzenden Gesellschaften betreffen, umfassende Bindungswirkung zu.296

ee) Umsetzung in Deutschland 102 Der deutsche Gesetzgeber hat die Rechtmäßigkeitsprüfung für deutsche übertragende Gesellschaften in § 122k UmwG, für deutsche übernehmende bzw. neue Gesellschaften in § 122l UmwG geregelt. Kontrollstelle ist im Einklang mit dem allgemeinen System des UmwG das Registergericht am (Satzungs-)Sitz der jeweiligen Gesellschaft. 103 Das Modell der §§ 122k, 122l UmwG weicht allerdings insofern von Art. 10 f. ab, als bei einer deutschen übernehmenden Gesellschaft nur eine einstufige Rechtmäßigkeitsprüfung (nach § 122l UmwG) erfolgt. Allerdings ist zu bedenken, dass ein Insistieren auf einer Verschmelzungsbescheinigung und einer Aufspaltung in zwei separate Verfahren auch bei der übernehmenden Gesellschaft letztlich nur sinnlose Förmelei wäre; zumindest dann, wenn – wie nach der deutschen Umsetzung – für beide Kontrollstufen dieselbe Kontrollstelle zuständig ist, welche die Verschmel-

291 Vgl. Bayer (Fn. 19), § 122l Rn. 15. 292 Vgl. Bayer (Fn. 19), § 122l Rn. 19; Heckschen DNotZ 2007, 444, 464; Klein RNotZ 2007, 565, 607; Vossius (Fn. 270), § 122l Rn. 30. 293 Vgl. Bayer (Fn. 19), § 122l Rn. 19. 294 Vgl. Bayer (Fn. 19), § 122l Rn. 19. 295 Vgl. Bayer (Fn. 19), § 122l Rn. 19; Heckschen DNotZ 2007, 444, 464. 296 Vgl. Bayer (Fn. 19), § 122l Rn. 19; Bayer/J. Schmidt NJW 2006, 401, 404; dies. NZG 2006, 841, 843; Klein RNotZ 2007, 565, 607; Krauel/Mense/Wind Konzern 2010, 541, 542; Vossius (Fn. 270), § 122l Rn. 30.

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zungsbescheinigung dann letztlich nur für sich selbst ausstellen würde.297 Derartiges kann aber auch vom Richtliniengeber kaum so gewollt gewesen sein, denn Grundgedanke der arbeitsteiligen Aufteilung der Rechtmäßigkeitskontrolle auf zwei Stufen ist es schließlich, dass die nationalen Kontrollstellen sich nicht mit den Details anderer Rechtsordnungen auseinandersetzen müssen sollen, sondern nur mit dem – ihnen vertrauten – eigenen nationalen Recht, wodurch das Verfahren insgesamt erleichtert werden soll (vgl. o. Rn. 92). Ist aber – wie im Falle einer deutschen übernehmenden Gesellschaft – auf beiden Stufen dasselbe nationale Recht anwendbar und dieselbe nationale Kontrollstelle zuständig, so verliert die formale Aufspaltung jeglichen Sinn.298 Die Konzeption der §§ 122k, 122l UmwG widerspricht also zwar dem Wortlaut, nicht aber dem Geist der Art. 10 f. und dürfte daher richtlinienkonform sein.299 Problematisch ist indes, ob § 122k Abs. 2 S. 2 UmwG, wonach die Nachricht über 104 die Eintragung der Verschmelzung im Register als Verschmelzungsbescheinigung gilt, den Vorgaben des Art. 10 Abs. 2 (dazu bereits o. Rn. 95) genügt.300

b) Wirksamwerden (Art. 12) Im Hinblick auf den Zeitpunkt der Wirksamkeit der grenzüberschreitenden Ver- 105 schmelzung beschränkt sich die RL auf eine kollisionsrechtliche Regelung: Maßgeblich ist gem. Art. 12 S. 1 das Recht des Mitgliedstaats, dem die aus der grenzüberschreitenden Verschmelzung hervorgehende Gesellschaft unterliegt.301 Damit stellt die RL zwar einerseits sicher, dass es in diesem Punkt nicht zu Konflikten zwischen den insoweit stark divergierenden nationalen Rechtsordnungen kommt 302, verzichtet aber andererseits – im Einklang mit der 3. (Fusions-)RL und 6. (Spaltungs-)RL (vgl. § 21 Rn. 87, § 22 Rn. 64) – bewusst auf eine materielle Harmonisierung. Um etwaigen Missverständnissen vorzubeugen, stellt Art. 12 S. 2 zudem ausdrücklich klar,

297 Vgl. Bayer (Fn. 19), § 122k Rn. 6; Brocker BB 2010, 971, 976; Klein RNotZ 2007, 565, 607; H.-F. Müller ZIP 2007, 1081, 1088. 298 Vgl. Bayer (Fn. 19), § 122k Rn. 6; Brocker BB 2010, 971, 976; Klein RNotZ 2007, 565, 607; Krause/Kulpa ZHR 171 (2007) 38, 67. 299 Vgl. Bayer (Fn. 19), § 122k Rn. 6; ebenso i.E. Brocker BB 2010, 971, 976; Drinhausen (Fn. 42), § 122k Rn. 1; Freundorfer/Festner GmbHR 2010, 195, 199; Krause/Kulpa ZHR 171 (2007) 38, 67; H.-F. Müller ZIP 2007, 1081, 1088; a.A. Haritz/von Wolff GmbHR 2006, 340, 343; zweifelnd auch Louven ZIP 2006, 2021, 2027 f. 300 Für Richtlinienkonformität: Krause/Kulpa ZHR 171 (2007) 38, 68; Simon/Rubner (Fn. 9), § 122k Rn. 22; zweifelnd: Bayer (Fn. 19), § 122k Rn. 21; Bayer/J. Schmidt NZG 2006, 841, 843; Brocker BB 2010, 971, 975; Freundorfer/Festner GmbHR 2010, 195, 199; Klein RNotZ 2007, 565, 604 f.; Limmer ZNotP 2007, 282, 287; Weyde/Hafemann FS Meilicke, 2010, S. 779, 820. Anschaulich zu den aus § 122k Abs. 2 S. 2 UmwG resultierenden praktischen Problemen: Brocker BB 2010, 971, 975 f.; s. ferner auch Weyde/ Hafemann FS Meilicke, 2010, S. 779, 820. 301 Vgl. auch Bayer (Fn. 19), § 122l Rn. 23; Bayer/J. Schmidt NJW 2006, 401, 404; Grundmann Rn. 936. 302 Vgl. auch Koppensteiner GesRZ 2006, 111, 124.

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dass die Wirksamkeit in jedem Fall erst nach (positivem) Abschluss der zweistufigen Rechtmäßigkeitskontrolle eintreten darf. 106 Unterliegt die übernehmende bzw. neue Gesellschaft dem deutschen Recht, so wird die Verschmelzung gem. §§ 122a Abs. 2, 20 Abs. 1 UmwG mit der Eintragung in dem für sie zuständigen Register wirksam.303

c) Eintragung und Offenlegung (Art. 13) 107 Um den Rechtsverkehr über die Verschmelzung zu unterrichten, gebietet Art. 13 Abs. 1 – in Parallele zu Art. 18 der 3. (Fusions-)RL (dazu § 21 Rn. 89) – die Offenlegung der Verschmelzung für jede der sich verschmelzenden Gesellschaften gem. Art. 3 der 1. (Publizitäts-)RL304 (dazu näher § 19 Rn. 13 ff.). Die Einzelheiten bestimmen sich nach dem nationalen Recht des Mitgliedstaats, dem die jeweilige Gesellschaft unterliegt. 108 Art. 13 Abs. 2, der auf eine Initiative der deutschen Delegation zurückgeht 305 und offensichtlich auf dem Vorbild der §§ 19 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1 UmwG beruht 306, normiert im Interesse der Verfahrenskoordination 307 eine Meldepflicht des Registers, in dem die aus der grenzüberschreitenden Verschmelzung hervorgehende Gesellschaft eingetragen wird, dass die grenzüberschreitende Verschmelzung (mit der dortigen Eintragung, vgl. Art. 12, dazu o. Rn. 105) wirksam geworden ist. Die Meldung hat gem. S. 1 unverzüglich nach der Eintragung und gegenüber allen Registern, bei denen die beteiligten Gesellschaften ihre Unterlagen zu hinterlegen hatten, zu erfolgen. Soweit auf Grund der Verschmelzung eine Löschung der Eintragung einer Gesellschaft erforderlich ist, darf diese gem. S. 2 nicht vor Eingang dieser Meldung erfolgen. Eine darüber hinausgehende Verpflichtung auch zur Übermittlung von Unterlagen zwischen den beteiligten Registern (wie in § 19 Abs. 2 S. 2 UmwG) sieht die RL – angesichts der (bislang) nicht erfolgten Koordinierung und Vernetzung der nationalen Register – jedoch nicht vor. Den Mitgliedstaaten steht es aber selbstverständlich frei, im nationalen Recht im Interesse einer noch weiteren Verbesserung der Verfahrenskoordinierung eine solche Verpflichtung ihres jeweiligen nationalen Registers (nicht aber natürlich der Register der anderen Mitgliedstaaten) zur Übermittlung der Gesellschaftsunterlagen vorzusehen. Im Zuge der geplanten Verknüpfung der Register (dazu

303 Vgl. Bayer (Fn. 19), § 122l Rn. 24; Klein RNotZ 2007, 565, 607; Limmer ZNotP 2007, 282, 287. 304 Der Verweis auf Art. 3 der RL 68/151/EWG ist als Verweis auf Art. 3 der kodifizierten Fassung (RL 2009/101/EG) zu lesen, vgl. Art. 16 Abs. 2 RL 2009/101/EG. 305 Der Antrag wurde zudem auch von Finnland und Spanien unterstützt, vgl. Dok. 7068/04, S. 13; s. ferner Bayer/J. Schmidt NJW 2006, 401, 404; Habersack § 7 Rn. 66; Neye ZIP 2005, 1893, 1897. 306 Vgl. Bayer/J. Schmidt NJW 2006, 401, 404. 307 Vgl. Bayer (Fn. 19), § 122k Rn. 22; Bayer/J. Schmidt NJW 2006, 401, 404; Neye/Timm DB 2006, 488, 490. In der Praxis resultieren jedoch gerade aus der Meldepflicht offenbar jedenfalls derzeit noch Probleme, vgl. Brocker BB 2010, 971, 976.

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bereits § 19 Rn. 7, 16) soll Art. 13 dahingehend ergänzt werden, dass die Mitteilung über das geplante elektronische Netz (Art. 4a Abs. 1 der 1. (Publizitäts-)RL-E) zu erfolgen hat; zudem soll die Kommission mittels eines delegierten Rechtsakts die technischen Standards der Informationsübermittlung und die dabei zu verwendenden Standardformblätter regeln. Im deutschen Recht wurden die Vorgaben des Art. 13 wie folgt umgesetzt: 109 Unterliegt die aus der grenzüberschreitenden Verschmelzung hervorgehende Gesellschaft dem deutschen Recht, so hat das Registergericht die Verschmelzung bzw. die neue Gesellschaft in das Handelsregister einzutragen (vgl. § 122l Abs. 1, 2 UmwG); 308 die Bekanntmachung erfolgt gem. §§ 122a Abs. 2, 19 Abs. 3 UmwG 309. Die Meldepflicht gegenüber den Registern der anderen beteiligten Gesellschaften ist in § 122l Abs. 3 UmwG geregelt, wobei hier im Wege der richtlinienkonformen Auslegung ein „unverzüglich“ hineinzulesen ist 310. Bei deutschen übertragenden Gesellschaften hat deren Registergericht nach Eingang der Mitteilung des Registers der aus der grenzüberschreitenden Verschmelzung hervorgehenden Gesellschaft (Art. 13 Abs. 2, dazu o. Rn. 108) den Tag des Wirksamwerdens zu vermerken (§ 122k Abs. 4 UmwG) und bekannt zu machen (§§ 122a Abs. 2, 19 Abs. 3 UmwG).311 Zudem verpflichtet § 122k Abs. 4 UmwG das Registergericht – über die Vorgaben der RL hinaus 312 – auch zur Übermittlung der bei ihm aufbewahrten elektronischen Dokumente an das Register der aus der Verschmelzung hervorgehenden Gesellschaft.313

V. Rechtsfolgen der Verschmelzung (Art. 14) Die Rechtsfolgen der grenzüberschreitenden Verschmelzung sind in Art. 14 – der 110 weitgehend 314 mit den Parallelregelungen in Art. 19 der 3. (Fusions-)RL (dazu ausf. § 21 Rn. 91 ff.) und Art. 29 SE-VO (dazu ausf. § 41 Rn. 44) korrespondiert – geregelt. Auch die grenzüberschreitende Verschmelzung hat danach folgende drei wesensmäßige und ipso iure eintretenden Rechtswirkungen: (1) Universalsukzession (dazu u. Rn. 111 f.), (2) „Anteilstausch“ (dazu u. Rn. 113 ff.), und (3) Erlöschen der übertragenden Gesellschaft(en) (dazu u. Rn. 117). 308 309 310 311 312 313 314

Vgl. Bayer (Fn. 19), § 122l Rn. 21. Vgl. Bayer (Fn. 19), § 122l Rn. 21. Vgl. Bayer (Fn. 19), § 122l Rn. 22; s. auch schon Bayer/J. Schmidt NJW 2006, 401, 404. Vgl. dazu näher Bayer (Fn. 19), § 122k Rn. 28. Vgl. zur Zulässigkeit derartiger Regelungen bereits o. Rn. 108. Dazu näher Bayer (Fn. 19), § 122k Rn. 29. Da die RL die Verschmelzung durch Aufnahme und durch Neugründung ebenso wie die SE-VO einheitlich (und nicht wie die 3. (Fusions-)RL qua Verweisung) regelt (vgl. dazu bereits o. Rn. 21), regelt Art. 14 (ebenso wie Art. 29 SE-VO) auch die Rechtsfolgen für beide Arten der Verschmelzung (Abs. 1 speziell für die Verschmelzung durch Aufnahme, Abs. 2 speziell für die Verschmelzung durch Neugründung). Im Unterschied zur 3. (Fusions-)RL und zur SE-VO, die nur die Verschmelzung von AG regeln (vgl. § 21 Rn. 7, § 41 Rn. 30), bezieht sich die RL zudem auf Grund ihres weiteren Anwendungsbereich (vgl. o. Rn. 12) generell auf „Gesellschafter“ und „Anteile“.

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1. Universalsukzession (Art. 14 Abs. 1 lit. a, Abs. 2 lit. a) 111 Das gesamte Aktiv- und Passivvermögen der übertragenden Gesellschaft(en) geht – automatisch und ohne dass es hierzu besonderer Förmlichkeiten bedarf – auf die übernehmende bzw. neue Gesellschaft über (Art. 14 Abs. 1 lit. a, Abs. 2 lit. a). 112 Ebenso wie nach der 3. (Fusions-)RL (dazu § 21 Rn. 93) gilt die Gesamtrechtsnachfolge nicht nur im Verhältnis der beteiligten Gesellschaften zueinander, sondern grundsätzlich auch im Verhältnis zu Dritten. Anders als in Art. 19 Abs. 1 lit. a der 3. (Fusions-)RL wird dies zwar – offenbar weil es inzwischen als selbstverständlich angesehen wird – nicht ausdrücklich klargestellt, ergibt sich aber jedenfalls eindeutig aus Art. 14 Abs. 3. Dieser enthält nämlich einen dem Art. 19 Abs. 3 der 3. (Fusions-)RL entsprechenden Vorbehalt zugunsten etwaiger nationaler Vorschriften, welche die Entgegenhaltbarkeit 315 des Rechtsübergangs gegenüber Dritten von der Erfüllung besonderer Formalitäten abhängig machen und bestimmt zugleich – insofern abweichend von Art. 19 Abs. 3 S. 2 der 3. (Fusions-)RL (dazu § 21 Rn. 93) und Art. 29 Abs. 3 SE-VO (dazu § 41 Rn. 44) –, dass solche Formalitäten von der aus der grenzüberschreitenden Verschmelzung hervorgehenden Gesellschaft zu erfüllen sind 316. 113 Art. 14 Abs. 4 stellt nach dem Vorbild des Art. 29 Abs. 4 SE-VO (dazu § 41 Rn. 44) 317 klar 318, dass die Universalsukzession auch die Rechte und Pflichten der sich verschmelzenden Gesellschaften aus Arbeitsverträgen oder Beschäftigungsverhältnissen erfasst.

2. „Anteilstausch“ (Art. 14 Abs. 1 lit. b, Abs. 2 lit. b) 114 Die Gesellschafter der übertragenden Gesellschaft(en) werden Gesellschafter der übernehmenden bzw. neuen Gesellschaft (Art. 14 Abs. 1 lit. b, Abs. 2 lit. b). Der Anteilserwerb vollzieht sich – wie nach Art. 19 Abs. 1 lit. b der 3. (Fusions-)RL (dazu § 21 Rn. 94) – ipso iure; es bedarf – unabhängig vom sonst für die Übertragung geltenden Recht – weder besonderer Übertragungsakte noch einer Dokumentation. Zugleich gehen die Anteile der übertragenden Gesellschaft(en) mit deren Erlöschen (dazu u. Rn. 117) unter. Die praktischen Einzelheiten des „Anteilstauschs“ bestimmen sich gem. Art. 4 Abs. 1 lit. b S. 1 nach nationalem Recht. Das Schicksal etwaiger Rechte Dritter an den Anteilen der sich verschmelzenden Gesellschaften wird von der RL zwar ebenso wenig ausdrücklich geregelt wie von der 3. (Fusions-)RL und der 315 Ebenso wie die Parallelregelungen in Art. 19 Abs. 3 S. 1 der 3. (Fusions-)RL und Art. 29 Abs. 3 SE-VO bezieht sich auch dieser Vorbehalt ausschließlich auf die Entgegenhaltbarkeit gegenüber Dritten, nicht auf die materielle Berechtigung, s. bereits näher bei § 21 Rn. 94. 316 Vgl. auch Frischhut EWS 2006, 57, 58. 317 Vgl. Bayer (Fn. 19), § 122l Rn. 25; Bayer/J. Schmidt NJW 2006, 401, 404; Habersack § 7 Rn. 66. 318 Vgl. zum klarstellenden Charakter Bericht EP-Rechtsausschuss, A6-0089/2005, S. 29; Behrens (Fn. 122), S. 143; Beutel (Fn. 58), S. 219.

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6. (Spaltungs-)RL; wie dort (vgl. § 21 Rn. 94, § 22 Rn. 71) ist jedoch dem Konzept der Gesamtrechtsnachfolge entsprechend davon auszugehen, dass sich solche Rechte Dritter ipso iure an den Anteilen der begünstigten Gesellschaft fortsetzen. In Parallele zu Art. 19 Abs. 2 der 3. (Fusions-)RL (dazu § 21 Rn. 95) macht Art. 14 115 Abs. 5 allerdings zwei wichtige Ausnahmen vom Anteilserwerb, mit denen – quasi als Prolongation der Art. 19–24a der 2. (Kapital-)RL (dazu ausf. § 20 Rn. 107 ff.) – die Entstehung eigener Anteile verhindert werden soll.319 Ausgeschlossen ist der Anteilserwerb danach bei Anteilen, die (a) die übernehmende Gesellschaft oder (b) die übertragende Gesellschaft selbst hält; um Umgehungen zu vermeiden, sind zudem jeweils auch Anteile erfasst, die von einer Person für Rechnung der jeweiligen Gesellschaft gehalten werden320. Darüber hinaus enthält Art. 15 Abs. 1 Sps. 1 ein ausdrückliches Verbot der Anwendung des Art. 14 Abs. 1 lit. b für den Fall des upstream-mergers einer 100%igen Tochter (s. dazu auch u. Rn. 123); letztlich handelt es sich dabei allerdings (ebenso wie bei der Parallelregelung in Art. 24 S. 3 der 3. (Fusions-)RL, dazu § 21 Rn. 95, 136) nur um eine – an sich überflüssige – Klarstellung, da sich die Nichtanwendbarkeit bereits aus Art. 14 Abs. 5 lit. a ergibt. Ebenso wie die 3. (Fusions-)RL (dazu § 21 Rn. 96) und die 6. (Spaltungs-)RL 116 (dazu § 22 Rn. 73) steht die RL darüber hinaus aber auch einem Verzicht von Gesellschaftern auf die Gewährung von Anteilen und insbesondere auch diesbezüglichen nationalen Rechtsvorschriften nicht entgegen.321 Für einen „aufgedrängten“ Schutz ist auch hier kein vernünftiger Grund ersichtlich.

3. Erlöschen der übertragenden bzw. sich verschmelzenden Gesellschaft(en) (Art. 14 Abs. 1 lit. c, Abs. 2 lit. c) Die übertragende(n) bzw. sich verschmelzenden Gesellschaft(en) erlöschen ipso iure, 117 weitere Rechtsakte (z.B. eine besondere Löschung) sind nicht erforderlich. Auch ein Liquidationsverfahren findet nicht statt, da sämtliche Aktiva und Passiva ja im Wege der Gesamtrechtsnachfolge auf die übernehmende bzw. neue Gesellschaft übergehen (vgl. o. Rn. 111). 4. Deutsches Recht Auf Grund des Gleichlaufs von Art. 14 mit Art. 19 der 3. (Fusions-)RL (dazu bereits 118 o. Rn. 110) erfolgt die Umsetzung schlicht durch Verweis des § 122a Abs. 2 UmwG auf § 20 Abs. 1 UmwG.322 319 Vgl. Grundmann Rn. 937. 320 Für Rechnung handelnde Personen werden auch i.R.d. Art. 19–24a der 2. (Kapital-)RL grundsätzlich gleichgestellt, vgl. näher § 20 Rn. 113, 118, 125, 131, 147. 321 Vgl. auch Lutz BWNotZ 2010, 23, 28; zweifelnd jedoch Herrler/Schneider GmbHR 2011, 795, 800. 322 Vgl. Bayer (Fn. 19), § 122l Rn. 25; Handelsrechtsausschuss des DAV NZG 2006, 737, 743; Heckschen DNotZ 2007, 444, 464; Simon/Rubner Konzern 2006, 835, 342.

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VI. Bestandsschutz (Art. 17) 119 Angesichts der erheblichen und praktisch kaum lösbaren Probleme, die mit einer „Entschmelzung“ generell verbunden wären und die im Falle grenzüberschreitender Sachverhalte durch das Zusammentreffen verschiedener Rechtsordnungen noch potenziert werden, hat sich der europäische Gesetzgeber erfreulicherweise entschieden, bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen nicht nur eine Einschränkung der Fälle der Nichtigkeit wie in Art. 22 der 3. (Fusions-)RL (dazu § 21 Rn. 99 ff.) und Art. 19 der 6. (Spaltungs-)RL (dazu § 22 Rn. 76) vorzunehmen. Vielmehr wurde – wenngleich auch erst nach einiger Diskussion im Rat 323 – in Art. 17 pauschal angeordnet, dass die grenzüberschreitende Verschmelzung nicht mehr für nichtig erklärt werden kann, wenn sie nach den nationalen Umsetzungsvorschriften zu Art. 12 (dazu o. Rn. 105) wirksam geworden ist. Mit dieser – im Gegensatz zu Art. 30 SE-VO unmissverständlich formulierten 324 – Regelung wird ein absoluter Bestandsschutz gewährleistet: Eine Rückabwicklung (egal ob ex nunc oder ex tunc) ist generell ausgeschlossen.325 120 Im deutschen Recht bedurfte es insoweit keiner Sonderregelung, da über den Generalverweis in § 122a Abs. 2 UmwG die allgemeine Vorschrift des § 20 Abs. 2 UmwG gilt, die eine „Entschmelzung“ nach zutreffender Ansicht generell ausschließt (vgl. bereits § 21 Rn. 104).326

VII. Haftung der Organe und Sachverständigen 121 Im Gegensatz zur 3. (Fusions-)RL (dazu § 21 Rn. 105 ff.) und zur 6. (Spaltungs-)RL (dazu § 22 Rn. 78) enthält die RL keine speziellen Vorgaben hinsichtlich der Haftung der Gesellschaftsorgane sowie der Sachverständigen. Art. 33 des Entwurfs eines Abkommens von 1972 327 und Art. 14 des RL-E 1985 328 hatten diesbezüglich noch spe-

323 Einige Mitgliedstaaten hatten unter Hinweis auf die weniger restriktiven Art. 22 der 3. (Fusions-)RL und Art. 30 SE-VO zunächst einen Vorbehalt eingelegt (vgl. Dok. 7068/04, S. 15; 9294/04, S. 16); zudem wurden im Verlauf der Beratungen immer wieder andere Formulierungen vorgeschlagen (vgl. Dok. 11655/04, S. 15; 13133/04, S. 17; 14060/04 ADD 1, S. 17). Vor allem seitens der Kommission wurde jedoch betont, dass die Regelung insbesondere auch den Schutz der Interessen von KMU bezwecke und die grenzüberschreitende Verschmelzung zudem ohnehin erst wirksam werden kann, wenn die Rechtmäßigkeitskontrolle abgeschlossen ist (vgl. Dok. 9294/04, S. 16). Vgl. zum Ganzen auch Neye ZIP 2005, 1893, 1898. 324 Vgl. zur Kontroverse um die Auslegung des Art. 30 SE-VO: § 41 Rn. 45. 325 Vgl. Bayer (Fn. 19), § 122l Rn. 25; Bayer/J. Schmidt NJW 2006, 401, 404; Grundmann Rn. 940; s. ferner auch Drinhausen/Keinath BB 2006, 725, 730; Klein RNotZ 2007, 565, 608; zum RL-E: H.-F. Müller ZIP 2004, 1790, 1794; Ugliano [2007] EBLR 585, 606. 326 Vgl. Bayer (Fn. 19), § 122l Rn. 25; Bayer/J. Schmidt NJW 2006, 401, 404; Drinhausen/ Keinath BB 2006, 725, 730; Handelsrechtsausschuss des DAV NZG 2006, 737, 743. 327 Fn. 4. 328 Fn. 8.

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zielle Regelungen vorgesehen, die sich allerdings angesichts der divergierenden nationalen Haftungssysteme 329 letztlich in einem Verweis auf das nationale Recht der jeweiligen Gesellschaft erschöpften und daher in der endgültigen Fassung mit Blick auf den subsidiären Generalverweis in Art. 4 Abs. 1 lit. b S. 1 (dazu näher o. Rn. 27) offenbar für überflüssig erachtet wurden. Bezüglich der Haftung von Organe und Sachverständigen gilt somit gem. Art. 4 Abs. 1 lit. b S. 1 das jeweilige nationale Recht 330, das aber zumindest für AG durch Art. 20 f. der 3. (Fusions-)RL (dazu § 21 Rn. 105 ff.) harmonisiert ist.

VIII. Konzernverschmelzungen (Art. 15) Auf Grund der enormen praktischen Bedeutung von Konzernverschmelzungen und 122 des Umstands, dass viele verfahrensrechtliche Anforderungen, die primär dem Schutz außenstehender Gesellschafter dienen, hier keine bzw. nur verminderte Bedeutung haben 331, enthält die RL – ebenso wie die 3. (Fusions-)RL (vgl. dazu § 21 Rn. 134 ff.) – eine Reihe von Erleichterungen für upstream-merger einer 100%igen (Art. 15 Abs. 1, dazu u. Rn. 123 f.) oder einer mindestens 90%igen (Art. 15 Abs. 2, dazu u. Rn. 125) Tochtergesellschaft. Anders als nach der 3. (Fusions-)RL ist hier aber stets die rechtliche Inhaberschaft der jeweiligen Anteile erforderlich; eine Option, die es den Mitgliedstaaten – wie Art. 26 und 29 der 3. (Fusions-)RL (dazu § 21 Rn. 140, 142) – gestatten würde, auch eine nur „wirtschaftliche“ Beteiligung genügen zu lassen, fehlt. Vor dem Hintergrund der Besonderheiten grenzüberschreitender Verschmelzungen weichen die Erleichterungen zudem auch inhaltlich in einigen Punkten signifikant von Art. 24 ff. der 3. (Fusions-)RL (dazu ausf. § 21 Rn. 134 ff.) ab.

1. Verschmelzung einer 100%igen Tochter (Art. 15 Abs. 1) Da im Falle eines upstream-mergers einer 100%igen Tochter naturgemäß kein 123 Anteilstausch stattfindet, erklärt Art. 15 Abs. 1 Sps. 1 – in Parallele zu Art. 24 S. 3 der 3. (Fusions-)RL (dazu § 21 Rn. 136) – konsequenterweise Art. 14 Abs. 1 lit. b 332 (dazu o. Rn. 114) sowie die entsprechenden Angaben im Verschmelzungsplan (Art. 5 S. 2 lit. b, c u. e, dazu o. Rn. 34) für unanwendbar. Da in diesen Konstellationen kein Bedürfnis für spezielle Schutzinstrumente 124 zugunsten außenstehender Gesellschafter besteht (solche existieren hier ja definitionsgemäß nicht), bestimmt Art. 15 Abs. 1 Sps. 1 zudem – ebenso wie Art. 24 S. 3 der

329 330 331 332

Vgl. Goldman (Fn. 4), Rn. 120. Vgl. Grundmann Rn. 938. Vgl. Krause/Kulpa ZHR 171 (2007) 38, 72. Insoweit handelt es sich allerdings letztlich nur um eine – an sich überflüssige – Klarstellung, da sich dessen Nichtanwendbarkeit bereits aus Art. 14 Abs. 5 lit. a ergibt, vgl. bereits o. Rn. 115.

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3. (Fusions-)RL (dazu § 21 Rn. 137) – dass keine Verschmelzungsprüfung 333 erforderlich ist. Für den Verschmelzungsbericht ist dagegen – im Gegensatz zu Art. 24 S. 3 der 3. (Fusions-)RL (dazu § 21 Rn. 137) – kein Dispens vorgesehen (dazu bereits o. Rn. 65). Eine signifikante Divergenz zur 3. (Fusions-)RL existiert ferner im Hinblick auf die Erforderlichkeit von Verschmelzungsbeschlüssen: Anders als Art. 25 der 3. (Fusions-)RL (dazu § 21 Rn. 138) erklärt Art. 15 Abs. 1 Sps. 2 nur den Verschmelzungsbeschluss der übertragenden Gesellschaft(en) 334 für entbehrlich, dafür aber generell, d.h. anders als Art. 25 der 3. (Fusions-)RL unabhängig von der Einhaltung bestimmter Bedingungen.335 Hinsichtlich des Beschlusses der Gesellschafterversammlung der übernehmenden Gesellschaft gilt dagegen auch bei Konzernverschmelzungen die allgemeine Regelung des Art. 9 Abs. 3 (dazu o. Rn. 90).

2. Verschmelzung einer mindestens 90%igen Tochter 125 Deutliche Unterschiede zum insoweit sehr komplexen Regelungsgeflecht der Art. 27 und 28 der 3. (Fusions-)RL (dazu § 21 Rn. 142 ff.) zeigen sich auch hinsichtlich der Ausgestaltung der Erleichterungen für upstream-merger einer mindestens 90%igen Tochter. Art. 15 Abs. 2 begnügt sich insoweit mit einer kollisionsrechtlichen Regelung: Verschmelzungsprüfung und Verschmelzungsprüfungsbericht sind danach nur insoweit erforderlich, als dies nach den entweder für die übernehmende oder die übertragende Gesellschaft geltenden einzelstaatlichen Rechtsvorschriften vorgesehen ist.336 Ein (bedingter) Dispens vom Verschmelzungsbeschluss der übertragenden Gesellschaft(en) ist dagegen – anders als in Art. 27 der 3. (Fusions-)RL (dazu § 21 Rn. 142 f.) – nicht vorgesehen. Mit Blick auf die Entstehungsgeschichte der Norm und die Tatsache, dass Art. 15 Abs. 1 die Frage der Erforderlichkeit eines Verschmelzungsbeschlusses der übertragenden Gesellschaft(en) für den Fall eines 100 %-upstreammergers explizit regelt, kann insoweit auch kaum ein Redaktionsversehen angenommen werden. Es handelt sich vielmehr ganz offensichtlich um eine bewusste Entscheidung des europäischen Gesetzgebers vor dem Hintergrund der Besonderheiten

333 Anders als Art. 24 S. 3 der 3. (Fusions-)RL (dazu § 21 Rn. 137) fehlt naturgemäß ein spezieller Dispens hinsichtlich der entsprechenden Vorabinformation der Gesellschafter, da die RL eine solche ohnehin nicht speziell regelt (vgl. o. Rn. 80). Maßgeblich ist insoweit gem. Art. 4 Abs. 1 lit. b S. 1 das jeweilige nationale Recht, welches aber im Falle von AG in Umsetzung der Vorgaben der 3. (Fusions-)RL einen entsprechenden Dispens vorsehen wird. 334 Wie sich aus den Materialien ergibt, handelt es sich insoweit um eine bewusste Entscheidung des europäischen Gesetzgebers, vgl. Dok. 9294/04, S. 17; 11655/04, S. 16; 13133/04, S. 18. 335 Vgl. auch Bayer/J. Schmidt ZIP 2010, 953, 959. 336 Der durch die Änderungs-RL 2009/109/EG (o. Rn. 6) eingefügte Zusatz „gemäß der Richtlinie 78/855/EWG“ (= 3. RL) erklärt sich daraus, dass die modernisierte Fassung der 3. (Fusions-)RL nicht (mehr) in allen Fällen zwingend Verschmelzungsprüfung und -bericht verlangt (dazu näher § 21 Rn. 48 f., 59 f.), vgl. KOM(2008) 576, S. 9.

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grenzüberschreitender Verschmelzungen, die speziell auch einen Rekurs via Art. 4 Abs. 1 lit. b S. 1 auf etwaige nationale (ggf. auch in Umsetzung von Art. 27 der 3. (Fusions-)RL erlassene) Dispensvorschriften sperrt.337

3. Deutsches Recht Im deutschen Recht ergibt sich die in Art. 15 Abs. 1 Sps. 1 geregelte Ausnahme vom 126 Anteilstausch im Falle eines 100%igen upstream-mergers aus §§ 122a, 20 Abs. 1 Nr. 3 S. 1 Hs. 2 UmwG, die Entbehrlichkeit der entsprechenden Angaben im Verschmelzungsplan stellt § 122c Abs. 3 UmwG338 klar. Der Dispens von der Verschmelzungsprüfung ergibt sich aus §§ 122f S. 1, 9 Abs. 2 UmwG.339 Mit Blick auf die Nichtexistenz einer Dispensregelung zum Verschmelzungsbericht schließt § 122e S. 3 UmwG die Anwendung des § 8 Abs. 3 UmwG ausdrücklich aus (vgl. bereits o. Rn. 66). Die Entbehrlichkeit des Verschmelzungsbeschlusses bei der/den übertragenden Gesellschaft(en) ist in § 122g Abs. 2 UmwG geregelt.340 Für den Fall eines upstream-mergers einer mind. 90%igen Tochter existieren im 127 deutschen Recht keine Sonderregeln hinsichtlich der Entbehrlichkeit der Verschmelzungsprüfung (vgl. zur Nichtumsetzung des Art. 28 a.F. bzw. Art. 28 Abs. 1 n.F. der 3. (Fusions-)RL näher § 21 Rn. 146); auch hier besteht also nur die Möglichkeit eines Verzichts gem. §§ 122f S. 1, 9 Abs. 3, 8 Abs. 3 S. 1 Alt. 1.

IX. Schutz der (Minderheits-)Gesellschafter und Gläubiger Ebenso wie nationale Verschmelzungen und Spaltungen berührt natürlich auch – oder 128 vielmehr erst recht – eine grenzüberschreitende Verschmelzung in besonderer Weise die Interessen der (Minderheits-)Gesellschafter und Gläubiger. Vor dem Hintergrund der insoweit äußerst unterschiedlichen Regelungsansätze und -konzeptionen in den nationalen Rechtsordnungen einerseits und den spezifischen Problemen einer grenzüberschreitenden Verschmelzung andererseits beschränkt sich die RL insofern jedoch – letztlich ganz in der (bewährten) Tradition der 3. (Fusions-)RL (dazu § 21 Rn. 111 ff.), der 6. (Spaltungs-)RL (dazu § 22 Rn. 80 ff.), der SE-VO (dazu § 41 Rn. 46 ff.) und der SCE-VO (dazu § 42 Rn. 28) – auf eine nur partiell harmonisierende Rahmenregelung, die den Mitgliedstaaten weiten Spielraum lässt.

337 338 339 340

Vgl. auch Bayer (Fn. 19), § 122g Rn. 36. Dazu Bayer (Fn. 19), § 122c Rn. 31 m.w.N. Vgl. Bayer (Fn. 19), § 122f Rn. 14 m.w.N. Dazu Bayer (Fn. 19), § 122g Rn. 35. Von der im RefE z. 3. UmwÄndG geplanten Streichung der Vorschrift wurde nach Kritik aus dem Schrifttum (vgl. Bayer/J. Schmidt ZIP 2010, 953, 959; Freytag BB 2010, 1611, 1613) Abstand genommen.

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1. Schutz der (Minderheits-)Gesellschafter (Art. 4 Abs. 2 S. 2) a) Überblick 129 Hinsichtlich des Schutzes der (Minderheits-)Gesellschafter übernimmt die RL die Konzeption der SE-VO: Europäisches Informationsmodell (dazu bereits o. Rn. 26 sowie u. Rn. 130) in Kombination mit einer ausdrücklichen Regelungsermächtigung zugunsten der Mitgliedstaaten (dazu u. Rn. 131 ff.) und einer Sonderregelung bzgl. des Anwendungsbereichs sog. „Spruchverfahren“ (dazu u. Rn. 135 ff.).

b) Informationsmodell 130 Ebenso wie die 3. (Fusions-)RL (dazu § 21 Rn. 112), die 6. (Spaltungs-)RL (dazu § 22 Rn. 81), die SE-VO (dazu § 41 Rn. 41, 47) und die SCE-VO (dazu § 42 Rn. 25) gewährleistet die RL den Schutz der (Minderheits-)Gesellschafter primär mit der Einräumung eines (formalen) Mitentscheidungsrechts in Form des obligatorischen Beschlusses der Gesellschafterversammlung (Art. 9 Abs. 1, dazu o. Rn. 79, 81 f.), zu dessen materialer Absicherung den Gesellschaftern aber umfangreiche Informationsrechte eingeräumt werden (sog. Informationsmodell, vgl. bereits o. Rn. 26). Eine ergänzende Effektivierung durch Mindestvorgaben bzgl. der Haftung der Organe und Verschmelzungsprüfer besteht allerdings – anders als bei den vorgenannten Rechtsakten – nur mittelbar und partiell, nämlich insoweit als bei an der Verschmelzung beteiligten AG qua Art. 4 Abs. 1 lit. b S. 1 die nationalen Umsetzungsvorschriften zu Art. 20 f. der 3. (Fusions-)RL zur Anwendung kommen (vgl. o. Rn. 121).

c) Regelungsermächtigung gem. Art. 4 Abs. 2 S. 2 131 Den Mitgliedstaaten steht es jedoch – ebenso wie i.R.d. 3. (Fusions-)RL (dazu § 21 Rn. 113), der 6. (Spaltungs-)RL (dazu § 22 Rn. 82 f.), der SE-VO (dazu § 41 Rn. 47) und der SCE-VO (dazu § 42 Rn. 28) – frei, den europäisch vorgegebenen „Schutz durch Information“ für die Gesellschafter „ihrer“ Gesellschaften durch weitergehende Schutzinstrumente zu ergänzen und zu verstärken. Art. 4 Abs. 2 S. 2 ermächtigt sie – korrespondierend mit Art. 24 Abs. 2 SE-VO (dazu § 41 Rn. 47) und Art. 28 Abs. 2 SCE-VO (dazu § 42 Rn. 28) – explizit, Vorschriften zu erlassen, um einen angemessen Schutz der Minderheitsgesellschafter, die die grenzüberschreitende Verschmelzung abgelehnt haben, zu gewährleisten. 132 Jeder Mitgliedstaat darf aber nur Schutzvorschriften zugunsten der Minderheitsgesellschaften von Gesellschaften, die seinem nationalen Recht unterliegen, erlassen 341 – nicht dagegen zugunsten der Minderheitsgesellschafter „fremder“ Gesell-

341 Vgl. zu Art. 24 Abs. 2 SE-VO: Bayer (Fn. 219), Art. 24 SE-VO Rn. 22 m.w.N.

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schaften, selbst wenn mit diesen lediglich Ansprüche gegen inländische Gesellschaften begründet würden342. Irrelevant ist dagegen, ob es sich bei den „eigenen“ Gesellschaften um übertragende oder übernehmende Rechtsträger handelt.343 Hinsichtlich der genauen Ausgestaltung des etwaigen zusätzlichen Minderheiten- 133 schutzes nach nationalem Recht sind die Mitgliedstaaten grundsätzlich frei. In Betracht kommen etwa besondere Informationsrechte oder spezifische Zustimmungsund Mehrheitserfordernisse sowie – wie sich aus Art. 10 Abs. 3 ergibt – insbesondere auch ein Recht auf Austritt gegen Barabfindung oder ein Anspruch auf Verbesserung des Umtauschverhältnisses.344 Der durch das nationale Recht zusätzlich etablierte Schutz muss aber „angemessen“, d.h. verhältnismäßig sein.345 Problematisch wäre insoweit z.B. ein Einstimmigkeitserfordernis.346 Art. 4 Abs. 2 S. 2 ermächtigt zudem nur zum Erlass von Schutzvorschriften zu- 134 gunsten von Minderheitsgesellschaftern, die die grenzüberschreitende Verschmelzung „abgelehnt“ haben. Dies bedeutet allerdings richtiger Ansicht nach nicht, dass das nationale Recht nur Regelungen zugunsten von Gesellschaftern, die gegen die Verschmelzung gestimmt oder Widerspruch gegen den Verschmelzungsbeschluss erhoben haben, vorsehen dürfte. Denn damit wären nationale Schutzsysteme, die einen Anspruch auf Verbesserung des Umtauschverhältnisses gewähren (und diesen entsprechend der Ratio eines solchen Schutzsystems gerade nicht an einen Widerspruch gegen den Verschmelzungsbeschluss binden 347), de facto nicht mehr möglich, obgleich sich aus Art. 10 Abs. 3 unzweifelhaft ergibt, dass der europäische Gesetzgeber bei Art. 4 Abs. 2 S. 2 gerade solche Schutzsysteme vor Augen hatte.348 Die Norm ist daher insoweit – ebenso wie die Parallelregelung in Art. 24 Abs. 2 SE-VO (dazu § 41 Rn. 47) – teleologisch zu reduzieren:349 Ausreichend ist, dass der betreffende Gesellschafter sich mit dem Umtauschverhältnis als einem zentralen Bestandteil der Verschmelzung nicht einverstanden erklärt hat – also die Verschmelzung jedenfalls mit diesem Umtauschverhältnis „ablehnt“; Rechtstechnisch kann dies auch in der Weise erfolgen, dass ein Spruchverfahren eingeleitet oder sich dessen Ergebnis nachträglich zu eigen gemacht wird.350 342 Vgl. zu Art. 24 Abs. 2 SE-VO: Bayer (Fn. 219), Art. 24 SE-VO Rn. 22 m.w.N. 343 Vgl. zu Art. 24 Abs. 2 SE-VO: Bayer (Fn. 219), Art. 24 SE-VO Rn. 22 m.w.N. 344 Vgl. Bayer/J. Schmidt NJW 2006, 401, 405; Herrler/Schneider GmbHR 2011, 795, 804; Wyckaert/Geens (2008) 4 Utrecht L. Rev. 40, 45 ff. 345 Vgl. Adolff ZHR 173 (2009) 67, 80; zu Art. 24 Abs. 2 SE-VO: Bayer (Fn. 219), Art. 24 SE-VO Rn. 24 m.w.N. 346 Vgl. zu Art. 24 Abs. 2 SE-VO: Bayer (Fn. 219), Art. 24 SE-VO Rn. 24; Kalss ZGR 2003, 593, 596 f.; Schwarz, SE-Kommentar, 2006, Art. 24 Rn. 22. 347 Wäre der Anspruch an ein Widerspruchserfordernis gebunden, so wären Gesellschafter, die zwar die Verschmelzung als solche befürworten, aber mit dem Umtauschverhältnis nicht einverstanden sind, zur Ablehnung einer möglicherweise sinnvollen Umstrukturierung gezwungen, wenn sie die Angemessenheit der ihnen angebotenen Gegenleistung prüfen lassen wollen, vgl. Bayer (Fn. 19), § 122h Rn. 18. 348 Vgl. Bayer (Fn. 19), § 122h Rn. 18. 349 Vgl. Bayer (Fn. 19), § 122h Rn. 18. 350 Vgl. Bayer (Fn. 19), § 122h Rn. 18.

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d) Sonderregelung für „Spruchverfahren“ in Art. 10 Abs. 3 135 Die auf Initiative der deutschen und österreichischen Delegation aufgenommene 351 Regelung des Art. 10 Abs. 3 enthält nach dem Vorbild des Art. 25 Abs. 3 SE-VO (dazu § 41 Rn. 47) 352 eine Sonderregelung im Hinblick auf im nationalen Recht auf der Basis von Art. 4 Abs. 2 S. 2 vorgesehene „Spruchverfahren“ (d.h. Verfahren zur Kontrolle und Änderung des Umtauschverhältnisses der Aktien oder sonstigen Anteile oder zur Abfindung von Minderheitsgesellschaftern, die der Eintragung nicht entgegenstehen). Hintergrund ist, dass das im deutschen und österreichischen Recht entwickelte Rechtsinstitut des Spruchverfahrens für andere europäische Rechtsordnungen ein Fremdkörper ist und so ein für alle Seiten akzeptabler Kompromiss gefunden werden musste. Eine uneingeschränkte Zulässigkeit solcher Spruchverfahren auch in Konstellationen, in denen nicht alle beteiligten nationalen Rechtsordnungen ein solches vorsehen, würde nämlich zu einer Ungleichbehandlung der Gesellschafter der sich verschmelzenden Gesellschaften führen: Denn wenn die Gesellschafter einer Gesellschaft, deren nationales Recht ein solches Spruchverfahren vorsieht, auf diesem Wege eine Änderung des Umtauschverhältnisses bzw. eine Erhöhung der Barabfindung zu ihren Gunsten durchsetzen, geht dies letztlich zulasten der Gesellschafter der anderen sich verschmelzenden Gesellschaften, ohne dass diese im Gegenzug selbst von einem solchen Spruchverfahren profitieren könnten.353 Art. 10 Abs. 3 lässt solche Spruchverfahren daher einerseits nur unter eingeschränkten Voraussetzungen zu (dazu u. Rn. 136 f.), gewährleistet aber andererseits, dass es in den Fällen, in denen diese Voraussetzungen erfüllt sind, auch sinnvoll durchgeführt werden kann (dazu u. Rn. 138). 136 Gem. Art. 10 Abs. 3 S. 1 kommen im nationalen Recht vorgesehene Spruchverfahren zum einen dann zur Anwendung, wenn das Recht aller sich verschmelzender Gesellschaften ein solches Spruchverfahren vorsieht, denn dann besteht „Waffengleichheit“. Ausreichend ist allerdings insofern, dass in allen beteiligten Rechtsordnungen für grenzüberschreitende Verschmelzungen ein „Spruchverfahren“ (s.o. Rn. 135) vorgesehen ist. Eine vollständige Übereinstimmung auch hinsichtlich der verfahrensrechtlichen Details kann schon im Hinblick auf die mangelnde Harmonisierung der nationalen Prozessrechte nicht gefordert werden. Art. 10 Abs. 3 S. 1 verlangt insofern nach Ratio und Wortlaut – ebenso wie Art. 25 Abs. 3 SE-VO (dazu § 41 Rn. 47) – keine Deckungsgleichheit, sondern (nur) funktionale Äquivalenz. 137 Ist für grenzüberschreitende Verschmelzungen dagegen nicht in allen beteiligten Rechtsordnungen ein „Spruchverfahren“ vorgesehen, so kommt das in einer der Rechtsordnungen vorgesehene Spruchverfahren nur dann zur Anwendung, wenn die Gesellschaften, deren Recht ein solches Verfahren nicht vorsieht, bei der Zustimmung zum Verschmelzungsplan gem. Art. 9 Abs. 1 (dazu o. Rn. 79, 82) ausdrücklich

351 Vgl. Dok. 6344/04, S. 2 f.; Klein RNotZ 2007, 565, 598; Neye/Timm DB 2006, 488, 489. 352 Vgl. Dok. 6344/04, S. 2 f.; Koppensteiner GesRZ 2006, 111, 124; Neye ZIP 2005, 1893, 1897. 353 Vgl. auch Simon/Rubner (Fn. 9), § 122h Rn. 2.

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akzeptieren, dass ein solches Spruchverfahren durchgeführt werden kann („volenti non fit iniuria“). Nach Wortlaut („bei der Zustimmung zum Verschmelzungsplan“) und Ratio der Norm bedarf diese Zustimmung derselben Mehrheit wie der Verschmelzungsbeschluss (dazu o. Rn. 82).354 Andererseits muss sie aber nicht zwingend mit der Abstimmung über den Verschmelzungsplan verbunden sein, sondern kann alternativ auch in Form einer (zeitgleichen) isolierten Beschlussfassung erfolgen.355 Sind diese Anwendungsvoraussetzungen erfüllt, so wird jedoch andererseits auch 138 gewährleistet, dass das Spruchverfahren tatsächlich sinnvoll durchgeführt werden kann. Art. 10 Abs. 3 S. 2 stellt klar, dass die Anhängigkeit eines solchen Spruchverfahrens der Ausstellung der Verschmelzungsbescheinigung gem. Art. 10 Abs. 2 (dazu o. Rn. 95) nicht entgegensteht; allerdings muss die Bescheinigung gem. S. 3 in solchen Fällen einen entsprechenden Hinweis enthalten. Von essentieller Bedeutung ist aber v.a. die in Art. 10 Abs. 3 S. 4 angeordnete Rechtskrafterstreckung auf die aus der grenzüberschreitenden Verschmelzung hervorgehende Gesellschaft und ihre Gesellschafter; da diese in vielen Fällen einer anderen Rechtsordnung unterliegen wird, war insoweit eine europäische Vorgabe dringend notwendig. Nicht unproblematisch ist allerdings die internationale Zuständigkeit für solche 139 „Spruchverfahren“. Zumindest in den Fällen, in denen nicht alle beteiligten Rechtsordnungen ein „Spruchverfahren“ vorsehen und dessen Anwendbarkeit mithin nur auf Grund der Zustimmung der Gesellschaft(en), deren nationales Recht ein solches nicht vorsieht, gegeben ist (vgl. o. Rn. 136 f.), ergibt sich die internationale Zuständigkeit jedoch mittelbar aus der in Art. 10 Abs. 3 S. 4 angeordneten Bindungswirkung; denn die Zustimmung ist in diesen Fällen zugleich auch als Unterwerfung unter die internationale Zuständigkeit der Gerichte des Mitgliedstaats, in dessen nationalem Recht das Spruchverfahren vorgesehen ist, anzusehen.356 I.Ü. ist auf die allgemeinen Regeln der EuGVVO 357 zu rekurrieren 358, wobei allerdings umstritten ist, ob insofern Art. 2 Abs. 1, 5 Nr. 1a EuGVVO 359 oder Art. 22 Nr. 2 EuGVVO 360 einschlägig ist. Die

354 Vgl. Bayer (Fn. 19), § 122h Rn. 12; Hörtnagl (Fn. 43), § 122h Rn. 7; Simon/Rubner (Fn. 9), § 122h Rn. 8. 355 Vgl. Bayer (Fn. 19), § 122h Rn. 11; Drinhausen (Fn. 42), § 122h Rn. 6; Marsch-Barner (Fn. 43), § 122h Rn. 3. 356 Vgl. Bayer (Fn. 19), § 122h Rn. 21; Marsch-Barner (Fn. 43), § 122h Rn. 3; vgl. ferner auch Oechsler NZG 2006, 161, 165. 357 VO (EG) Nr. 44/2001 des Rates v. 22.12.2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, ABlEU v. 16.1.2001, L 12/1. 358 Vgl. BegrRegE z. 2. UmwÄndG, BR-Drs. 548/06, S. 34; Bayer (Fn. 19), § 122h Rn. 22. 359 So Heckschen (Fn. 42), § 122h Rn. 62; Hörtnagl (Fn. 43), § 122h Rn. 12; Nießen NZG 2006, 441, 443 ff.; Marsch-Barner (Fn. 43), § 122h Rn. 6; Simon/Rubner (Fn. 9), § 122g Rn. 9; Weppner RIW 2011, 144 ff.; vgl. ferner auch Garber ÖJZ 2010, 663, 664. 360 So OGH ÖJZ 2010, 661 (für Spruchverfahren nach Squeeze-out); Drescher in: Spindler/ Stilz, AktG, 2. Aufl. 2010, § 2 SpruchG Rn. 7; Hüffer AktG, 9. Aufl. 2010, § 3 SpruchG Rn. 3; Meilicke/Lochner AG 2010, 23, 31; KK-SpruchG/Wasmann, 1. Aufl. 2005, § 2 Rn. 21; Wedemann AG 2011, 282, 294 f.

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Ratio des Art. 22 Nr. 2 EuGVVO 361 und die funktionale Äquivalenz des Spruchverfahrens mit der Anfechtung des Gesellschafterbeschlusses 362 sprechen allerdings maßgeblich für letzteres.

e) Deutsches Recht 140 Der deutsche Gesetzgeber hat in Ausübung der Ermächtigung des Art. 4 Abs. 2 S. 2 in den §§ 122h, 122i UmwG ein äußerst komplexes Minderheitsschutzsystem nach dem Vorbild der §§ 6, 7 SEAG (dazu § 41 Rn. 47) 363 geschaffen, das an die nationalen Regelungen in §§ 14 f., 29 ff. UmwG angelehnt ist 364. Eckpfeiler sind ein Anspruch auf Verbesserung des Umtauschverhältnisses (§ 122h UmwG) sowie in bestimmten Fällen ein obligatorisches Barabfindungsangebot im Verschmelzungsplan (bei „rechtswechselnden“ Herausverschmelzungen: § 122i UmwG; bei drei- oder mehrseitigen Hereinverschmelzungen, bei denen auch eine deutsche Gesellschaft übertragender Rechtsträger ist: §§ 122a Abs. 2, 29 UmwG 365), jeweils verbunden mit dem Ausschluss von Anfechtungsklagen und dem gleichzeitigen Verweis in ein Spruchverfahren.366 Das Fehlen eines Widerspruchserfordernisses in § 122h UmwG ist richtlinienkonform 367 (vgl. auch bereits o. Rn. 134). Das Schutzsystem der §§ 122h, 122i UmwG ist allerdings – ebenso wie das in §§ 6, 7 SEAG (dazu § 41 Rn. 47) – insgesamt unpraktikabel und in sich widersprüchlich und wird daher in Praxis und Schrifttum zu Recht vielfach kritisiert 368; die insoweit dringend gebotene Reform sollte allerdings nicht isoliert, sondern vielmehr am besten i.R.e. ohnehin seit langem geforderten generellen Reform des Minderheitsschutzsystems 369 erfolgen.

361 Vgl. OGH ÖJZ 2010, 661, 662; Wedemann AG 2011, 282, 294 f. 362 Vgl. OGH ÖJZ 2010, 661, 662; Hüffer (Fn. 360), § 3 SpruchG Rn. 3; Meilicke/Lochner AG 2010, 23, 29 ff.; Wedemann AG 2011, 282, 294 f. 363 Vgl. Bayer (Fn. 19), § 122h Rn. 2; Bayer/J. Schmidt NZG 2006, 841, 483. 364 Vgl. Bayer (Fn. 19), § 122h Rn. 2; Bayer/J. Schmidt NZG 2006, 841, 483. 365 Ausf. dazu Bayer (Fn. 19), § 122i Rn. 8; s. ferner Frenzel (Fn. 64), S. 345 ff. 366 Vgl. Bayer (Fn. 19), § 122h Rn. 2; Bayer/J. Schmidt NZG 2006, 841, 483. 367 Vgl. Bayer (Fn. 19), § 122h Rn. 18. 368 Vgl. Bayer (Fn. 19), § 122h Rn. 4; Bayer/J. Schmidt NZG 206, 841, 844; Handelsrechtsausschuss des DAV NZG 2006, 737, 741; Heckschen (Fn. 42), § 122h Rn. 49 ff., 52, 56; Marsch-Barner (Fn. 43), § 122i Rn. 2; J.Vetter AG 2006, 613, 622 f.; s. ferner auch schon Bayer/J. Schmidt NJW 2006, 401, 406. 369 Vgl. Bayer (Fn. 19), § 122h Rn. 4; Bayer/J. Schmidt NJW 2006, 401, 406; dies. NZG 2006, 841, 844; dies. ZIP 2010, 953, 963. S. ferner insbesondere den Gesetzesvorschlag des Handelsrechtsausschusses des DAV vom Juni 2007 (NZG 2007, 497 ff.) sowie grundlegend Bayer ZHR 163 (1999) 505, 548 ff.; ders. VGR 2 (2000), S. 35, 51 ff.; ders. ZHRSonderheft 71 (2002) 137, 141 ff.; zust. Reichert ZHR-Sonderheft 71 (2002) 165, 187 f.; J.Vetter ZHR 168 (2004) 8, 33 f.; Winter FS Ulmer, 2003, S. 699, 708 ff. m.w.N.

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2. Schutz der Gläubiger a) Forderungs- und Anleihegläubiger (Art. 4 Abs. 2 S. 1) Hinsichtlich des Schutzes der Gläubiger enthält die RL selbst keine speziellen mate- 141 riellen Vorgaben, sondern bestimmt in Art. 4 Abs. 2 S. 1 lediglich, dass zu den in Art. 4 Abs. 1 lit. b S. 1 (dazu o. Rn. 27) genannten Vorschriften und Formalitäten des jeweiligen Gesellschaftsstatuts, welche jede an einer grenzüberschreitenden Verschmelzung beteiligte Gesellschaft einzuhalten hat, insbesondere Bestimmungen über den Schutz der Gläubiger und Anleihegläubiger der sich verschmelzenden Gesellschaften gehören und zwar „angesichts des grenzüberschreitenden Charakters der Verschmelzung“. Dieser Zusatz, der erkennbar auf dem Vorbild von Art. 24 Abs. 1 SE-VO (vgl. dazu § 41 Rn. 46) beruht, in der deutschen Textfassung der RL aber leider evident falsch übersetzt ist – genau wie in der SE-VO müsste es auch hier richtig „unter Berücksichtigung“ statt „angesichts“ heißen370 – wurde erst im Rat 371 eingefügt. Ebenso wie sein Vorbild in Art. 24 Abs. 1 SE-VO wird auch er teilweise 372 – so u.a. offensichtlich auch vom deutschen und österreichischen Gesetzgeber 373 – als Ermächtigung an die Mitgliedstaaten zum Erlass spezieller, von den Regelungen für nationale Verschmelzungen abweichender, Gläubigerschutzvorschriften für grenzüberschreitende Verschmelzungen interpretiert. Dagegen spricht jedoch bereits der klar als kollisionsrechtliche Verweisung formulierte Wortlaut der Regelung, speziell im Vergleich mit dem ausdrücklich als Ermächtigung formulierten und unmittelbar nachfolgenden Art. 4 Abs. 2 S. 2.374 Zudem zeigt auch ein Blick auf die Entstehungsgeschichte der Norm, dass hinsichtlich des Gläubigerschutzes keine Ermächtigung für Sonderregelungen erteilt, sondern vielmehr die – für AG durch Art. 13 ff. der 3. (Fusions-)RL harmonisierten (vgl. dazu § 21 Rn. 117 ff.) – mitgliedstaatlichen Vorschriften für innerstaatliche Verschmelzungen zur Anwendung berufen sein sollten. Art. 9 des RL-E 1985 375 verwies insofern in Abs. 1 ausdrücklich auf Art. 13 f. der 3. (Fusions-)RL und stellte in Abs. 2 unmissverständlich klar, dass Sonderregeln für

370 Vgl. die (insoweit in der RL und der SE-VO identische) englische und französische Fassung: „taking into account“/„compte tenu“; vgl. Bayer/J. Schmidt NJW 2006, 401, 405; Habersack § 7 Rn. 60 Fn. 120. 371 Vgl. Dok. 7068/04, S. 8. 372 Vgl. aus dem Schrifttum etwa Andenas/Wooldridge S. 497; Ugliano [2007] EBLR 585, 607 f.; tendenziell auch Herrler/Schneider GmbHR 2011, 795, 803; s. ferner zur Parallelnorm des Art. 24 Abs. 1 SE-VO: Neye/C. Teichmann AG 2003, 169, 175. 373 Vgl. die speziellen Gläubigerschutzregelungen in § 122j UmwG (dazu BegrRegE z. 2. UmwÄndG, BR-Drs. 548/06, S. 36 sowie noch u. Rn. 143) und § 13 EU-VerschG (dazu RegBegr., 171 d.B. (XXIII. GP), S. 15). 374 Vgl. Bayer (Fn. 19), § 122j Rn. 5; Bayer/J. Schmidt NJW 2006, 401, 405; Drinhausen/Keinath BB 2006, 725, 732; Haritz/von Wolff GmbHR 2006, 340, 343; Herrler EuZW 2007, 295, 297. 375 Fn. 8.

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grenzüberschreitende Verschmelzungen unzulässig sein sollten.376 Diese Klarstellung fand sich dann zwar in Art. 2 S. 2 RL-E 2003 377 nicht mehr, der Sache nach sollte sich insofern jedoch offensichtlich nichts ändern.378 Insbesondere wurde auch ein – offenbar vor dem Hintergrund des Streits um die Interpretation von Art. 24 Abs. 1 SE-VO – von der deutschen und österreichischen Delegation unterbreiteter Vorschlag379, auch hinsichtlich des Gläubigerschutzes eine ausdrückliche Ermächtigung der Mitgliedstaaten für spezielle Schutzvorschriften in den RL-Text aufzunehmen, gerade nicht umgesetzt. Aus dem Zusatz „angesichts des grenzüberschreitenden Charakters der Verschmelzung“ lässt sich demzufolge gerade keine Ermächtigung zum Erlass von Sonderregeln ableiten.380 Vielmehr soll damit – ebenso wie bei Art. 24 Abs. 1 SE-VO (dazu § 41 Rn. 46) – lediglich zum Ausdruck gebracht werden, dass i.R.d. Anwendung der nationalen Gläubigerschutzvorschriften für innerstaatliche Verschmelzungen ggf. eine den Spezifika der Grenzüberschreitung Rechnung tragende materielle Anpassung zu erfolgen hat.381 b) Inhaber von Sonderrechten 142 Obgleich die Inhaber von Sonderrechten in Art. 4 Abs. 2 S. 1 nicht ausdrücklich genannt werden, gelten auch für ihren Schutz mangels spezieller Regelungen382 gem. Art. 4 Abs. 1 lit. b S. 1 die Vorschriften des jeweiligen Gesellschaftsstatuts für nationale Verschmelzungen, welche durch Art. 15 der 3. (Fusions-)RL (dazu § 21 Rn. 124 ff.) zumindest für AG harmonisiert sind. c) Deutsches Recht 143 Der deutsche Gesetzgeber hat in § 122j UmwG nach dem Vorbild von § 8 i.V.m. § 13 SEAG 383 (dazu § 41 Rn. 46) für den Fall, dass die übernehmende bzw. neue Gesell376 Vgl. auch die Begründung zu Art. 9: „Wegen dieser bereits erreichten Rechtsangleichung ist es angemessen, die Gläubiger auf die Weise am besten zu schützen, daß sie sich auf dasselbe Schutzsystem berufen können, das bei einer internen Verschmelzung Anwendung findet“ (RL-E 1985 (Fn. 8), S. 10). 377 Fn. 12. 378 Vgl. auch Grundmann Rn. 934. 379 Vgl. Dok. 6344/04, S. 1 f. Im Verlauf der Verhandlungen wurde der Vorschlag dann auch von Spanien und dem UK ausdrücklich unterstützt, vgl. Dok. 13133/04, S. 9. 380 Vgl. Bayer (Fn. 19), § 122j Rn. 5; Bayer/J. Schmidt NJW 2006, 401, 405. Ebenso i.E. Drinhausen/Keinath BB 2006, 725, 732; Grundmann Rn. 934; Grunewald Konzern 2007, 106, 107; Klein RNotZ 2007, 565, 603; Ratka GeS 2006, 52, 54; Raaijmakers/Olthoff (2008) 5 ECL 305, 307 f.; Rønfeldt/Werlauff (2006) 3 ECL 125, 128; zumindest zweifelnd auch Rickford [2005] EBLR 1393, 1408 f. 381 Vgl. Bayer (Fn. 19), § 122j Rn. 5; Bayer/J. Schmidt NJW 2006, 401, 405; Klein RNotZ 2007, 565, 602 f. 382 Art. 9 Abs. 3 RL-E 1985 (Fn. 8) enthielt insoweit noch eine spezielle modifizierende Verweisung auf Art. 15 der 3. (Fusions-)RL. 383 Vgl. Bayer (Fn. 19), § 122j Rn. 1; Bayer/J. Schmidt NZG 206, 841, 843; Kiem WM 2006, 1091, 1098; Neye/Timm DB 2006, 488, 492; Oechsler NZG 2006, 161, 165.

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schaft nicht dem deutschen Recht unterliegt, einen speziellen vorverlagerten Gläubigerschutz für die Gläubiger und Anleihegläubiger einer an einer grenzüberschreitenden Verschmelzung beteiligten deutschen übertragenden Gesellschaft geschaffen, der durch das Erfordernis der Abgabe einer entsprechenden Versicherung bei der Anmeldung der Verschmelzung (§ 122k Abs. 1 S. 3 UmwG) 384 effektiviert und abgesichert wird 385. Der für innerstaatliche Verschmelzungen in Umsetzung von Art. 13 f. der 3. (Fusions-)RL (vgl. § 21 Rn. 117 ff.) in § 22 UmwG geregelte nachgelagerte Gläubigerschutz soll dagegen nach dem Willen des Gesetzgebers über § 122a Abs. 2 UmwG nur für diejenigen Fälle gelten, die nicht von § 122j UmwG erfasst sind.386 An der Richtlinienkonformität dieser – auch rechtpolitisch verbreitet heftig kritisierten387 – Konzeption bestehen jedoch auf Grund des Umstands, dass dem deutschen Gesetzgeber aus den oben (Rn. 141) erläuterten Gründen die Regelungskompetenz zum Erlass von Sonderregelungen fehlen dürfte, ganz erhebliche Zweifel.388 Es spricht daher viel dafür, dass § 122j UmwG auf Grund des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts (dazu bereits allg. § 3 Rn. 1 f.) unanwendbar ist und demzufolge für alle Gläubiger deutscher Gesellschaften generell nur §§ 122a Abs. 2, 22 UmwG gelten, freilich mit der Maßgabe, dass bei der Rechtsanwendung der grenzüberschreitende Charakter der Verschmelzung zu berücksichtigen ist.389 Für den Schutz von Inhabern von Sonderrechten gelten §§ 122a Abs. 2, 23 144 UmwG.390

384 Dazu näher Bayer (Fn. 19), § 122k Rn. 15 m.w.N. 385 Vgl. Bayer (Fn. 19), § 122j Rn. 2; Klein RNotZ 2007, 565, 602. 386 Vgl. Bayer (Fn. 19), § 122j Rn. 3; Drinhausen (Fn. 42), § 122j Rn. 4; Herrler/Schneider GmbHR 2011, 795, 803; Klein RNotZ 2007, 565, 601; Limmer ZNotP 2007, 282, 288; Marsch-Barner (Fn. 43), § 122j Rn. 4; Passarge/Stark GmbHR 2007, 803, 804. 387 Moniert wird insbesondere, dass eine derartige Vorverlagerung des Gläubigerschutzes angesichts der europaweiten Gewährleistung der Durchsetzung von Forderungen durch die EuGVVO (Fn. 357) nicht gerechtfertigt erscheint und zudem erhebliche Kosten entstehen; zudem wird befürchtet, dass die aus einer nicht ordnungsgemäßen Gläubigersicherung wegen § 122k Abs. 1 S. 3 UmwG resultierende faktische Eintragungssperre geradezu als Einladung an „räuberische Gläubiger“ erscheint; vgl. Bayer (Fn. 19), § 122j Rn. 4; Bayer/J. Schmidt NZG 2006, 841, 843; Handelsrechtsausschuss des DAV NZG 2006, 737, 743; Marsch-Barner (Fn. 43), § 122j Rn. 2; Vossius (Fn. 270), § 122j Rn. 11. 388 Vgl. Bayer (Fn. 19), § 122j Rn. 5; Bayer/J. Schmidt NZG 2006, 841, 843; Marsch-Barner (Fn. 43), § 122j Rn. 3; Weber ZVglRWiss 107 (2008) 193, 221; Vossius (Fn. 270), § 122j Rn. 7; ebenso zur Parallelregelung in Österreich Frotz/Kaufmann (Fn. 44), § 13 EUVerschG Rn. 8. Für RL-Konformität jedoch Krause/Kulpa ZHR 171 (2007) 38, 75; H.-F. Müller ZIP 2007, 1081, 1087; Neye/Timm GmbHR 2007, 561, 564; Passarge/Stark GmbHR 2007, 803, 805. 389 Vgl. Bayer (Fn. 19), § 122j Rn. 6. 390 Vgl. Bayer (Fn. 19), § 122j Rn. 21; Forsthoff DStR 2006, 613, 615.

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X. Einspruchsrecht zum Schutz öffentlicher Interessen (Art. 4 Abs. 1 lit. b S. 2) 145 Art. 4 Abs. 1 lit. b S. 2, der erst auf Initiative des EP-Rechtsausschusses 391 eingefügt wurde, trägt den durch eine Verschmelzung u.U. tangierten öffentlichen Interessen Rechnung. Im Gegensatz zur verwandten Regelung des Art. 19 SE-VO (dazu § 41 Rn. 48) gestattet die Norm den Mitgliedstaaten allerdings nicht, für grenzüberschreitende Verschmelzungen spezielle Einspruchsrechte vorzusehen, sondern erstreckt nur die Reichweite im nationalen Recht für innerstaatliche Verschmelzungen existierender Einspruchsrechte auch auf grenzüberschreitende Verschmelzungen.392 Art. 4 Abs. 1 lit. b S. 3 stellt allerdings klar, dass das die FKVO insoweit Vorrang genießt (vgl. auch Erwägungsgrund 9).393 Zudem müssen entsprechende nationale Einspruchsrechte natürlich auch im Einklang mit dem sonstigen Europarecht, speziell den Grundfreiheiten, stehen.394 146 Im deutschen Recht fallen unter Art. 4 Abs. 1 lit. b S. 2 etwa die Untersagungsbefugnisse nach § 53 AWV 395 (die allerdings im Hinblick auf Art. 49, 54, 63 AEU zumindest nicht unproblematisch sind 396) sowie nach § 14a VAG 397. XI. Beteiligung der Arbeitnehmer (Art. 16) 147 Die Problematik der Beteiligung der Arbeitnehmer, welche schon zum Scheitern des ursprünglich geplanten Übereinkommens und dann des RL-Entwurfs 1985 geführt hatte (vgl. o. Rn. 1 f.), gehörte auch im Verlauf des Legislativverfahrens 2003– 2005 zu den Hauptstreitpunkten. Die schließlich verabschiedete Kompromisslösung 398 be-

391 Vgl. Bericht EP-Rechtsausschuss, A6-0089/2005, S. 17. 392 Vgl. Andenas/Wooldridge S. 497; Bayer/J. Schmidt NJW 2006, 401, 405; Drinhausen/ Keinath RIW 2006, 81, 82 f.; Menjucq (Fn. 42), Rn. 328; Ratka GeS 2006, 52, 54; Rickford [2005] EBLR 1393, 1409 f. 393 Vgl. Neye ZIP 2005, 1893, 1895. 394 Vgl. auch Louven/Dettmeier/Pöschke Beil. zu BB 13/2006, 1, 15. 395 Verordnung zur Durchführung des Außenwirtschaftsgesetzes (Außenwirtschaftsverordnung – AWV), BGBl. I 1993, 1934; § 53 in der jetzigen Fassung eingeführt durch Dreizehntes Gesetz zur Änderung des Außenwirtschaftsgesetzes und der Außenwirtschaftsverordnung v. 18.4.2009, BGBl. I, 770. 396 Zur Problematik: Krause BB 2009, 1082, 1083 f.; H. Müller/Hempel NJW 2009, 1638, 1639 f.; Reinhardt/Pelster NZG 2009, 441, 442 ff.; von Rosenberg/Hilf/Kleppe DB 2009, 831, 832 ff.; Theiselmann (2009) 10 GLJ 1495, 1499; s. ferner zum – inhaltlich z.T. noch erheblich abweichenden – RefE: Bayer/Ohler ZG 2008, 12, 26 ff.; Krolop ZRP 2008, 40, 43 f.; Nettesheim ZHR 172 (2008) 729, 740 ff.; Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Jahresgutachten 2007/2008, Rn. 678 ff.; Schäfer/ Volhard EWS 2008, 166, 169 ff.; Weller ZIP 2008, 857, 861 ff. 397 Vgl. Frenzel (Fn. 64), S. 187 ff.; Lüttringhaus VersR 2008, 1036, 1041. 398 Prägnant Wiesner DB 2005, 91, 92: „trägt die typischen Merkmale eines komplexen Brüssler Kompromisses, der in jahrelangen Debatten verändert, ergänzt und erneut angepasst wurde“.

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steht aus einer Kombination aus Sitzstaatprinzip (dazu u. Rn. 149) und dem Verhandlungsmodell der SE-VO und SE-RL, welches allerdings in einigen Punkten signifikant modifiziert wird (dazu u. Rn. 150 f.).

1. Betriebliche Mitbestimmung Zunächst einmal klammert die RL die betriebliche Mitbestimmung im Gegensatz 148 zur SE-RL (vgl. dazu § 41 Rn. 186 ff.) völlig aus dem Verschmelzungsverfahren aus; insoweit sollen vielmehr von vornherein die nationalen Umsetzungsvorschriften zur RL über Europäische Betriebsräte (EBR-RL)399 (dazu § 39) gelten (vgl. Erwägungsgrund 12 400). Damit wird einerseits das Verschmelzungsverfahren deutlich gestrafft und entschlackt 401, andererseits aber gleichwohl in systemkonformer Weise ein hinreichender Arbeitnehmerschutz gewährleistet 402.

2. Unternehmerische Mitbestimmung Hinsichtlich der unternehmerischen Mitbestimmung gilt im Ausgangspunkt gem. 149 Art. 16 Abs. 1 grundsätzlich das sog. Sitzstaatprinzip, d.h. für die aus der grenzüberschreitenden Verschmelzung hervorgehende Gesellschaft gelten die Mitbestimmungsregelungen des Mitgliedstaats, in dem diese ihren (Satzungs-)Sitz 403 hat.404 Dieses Grundprinzip gewährleistet nicht nur eine Gleichbehandlung mit den anderen in diesem Mitgliedstaat registrierten Gesellschaften, sondern hat v.a. auch den – speziell für KMU bedeutsamen – großen Vorteil der Einfachheit. Wegen der im Falle einer uneingeschränkten Geltung des Sitzstaatprinzips be- 150 fürchteten Anreize für eine „Flucht aus der Mitbestimmung“ erfährt diese Grund-

399 Die Bezugnahme auf die RL 94/45/EG ist heute als solche auf die Neufassung (RL 2009/ 38/EG) zu lesen, vgl. Art. 17 Abs. 2 RL 2009/38/EG. Zur historischen Entwicklung der EBR-RL näher § 39 Rn. 1 ff. 400 Art. 16 Abs. 3 verweist dementsprechend auch gerade nicht auf die entsprechenden Vorschriften der SE-RL sowie insbesondere auch den Ausschluss der EBR-RL in Art. 13 Abs. 1 SE-RL. 401 Vgl. C. Teichmann Konzern 2007, 89, 91. 402 Vgl. auch Kleinsorge in: Nagel/Freis/Kleinsorge, Beteiligung der Arbeitnehmer im Unternehmen auf der Grundlage europäischen Rechts, 2. Aufl. 2009, Einf MgVG Rn. 6. 403 S. die englische und französische Fassung („registered office“/„siège statutaire“); vgl. Forsthoff DStR 2006, 613, 615; Habersack ZHR 171 (2007) 613, 619; Kleinsorge (Fn. 402), Einf MgVG Rn. 9; Seifert, L’implication des travailleurs dans une fusion transfrontalière, in: Conac (éd.), Fusions transfrontalières de sociétés, 2011, S. 122, 134. 404 Vgl. Brandes ZIP 2008, 2193, 2195; Habersack ZHR 171 (2007) 613, 619; Hansen [2007] EBLR 181, 188; Herrler/Schneider GmbHR 2011, 795, 805; Klein RNotZ 2007, 565, 578; Krause/Janko BB 2007, 2194, 2195; Müller-Bonanni/Müntefering NJW 2009, 2347; Seifert (Fn. 403), S. 122, 134; Wiesner DB 2005, 91, 92.

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regel allerdings weitreichende Einschränkungen405: Gem. Art. 16 Abs. 3 gilt nämlich in modifizierter Form das SE-Verhandlungsmodell (dazu näher u. Rn. 151), wenn einer der folgenden, in Art. 16 Abs. 2 normierten drei – sich partiell überschneidenden 406 – Ausnahmetatbestände eingreift 407: •





eine der an der Verschmelzung beteiligten Gesellschaften beschäftigte in den 6 Monaten vor Offenlegung des Verschmelzungsplans gem. Art. 6 (dazu o. Rn. 45) durchschnittlich mehr als 500 Arbeitnehmer und in ihr besteht ein System der Arbeitnehmermitbestimmung i.S.d. Art. 2 lit. k der SE-RL (Art. 16 Abs. 2 Hs. 1); das für die aus der grenzüberschreitenden Verschmelzung hervorgehende Gesellschaft maßgebliche nationale Recht sieht nicht mindestens den gleichen Umfang an Mitbestimmung der Arbeitnehmer vor, wie er in den jeweiligen an der Verschmelzung beteiligten Gesellschaften bestand (Art. 16 Abs. 2 Hs. 2 lit. a); dieses Recht gewährt Arbeitnehmern in Betrieben in anderen Mitgliedstaaten nicht den gleichen Anspruch auf Ausübung von Mitbestimmungsrechten wie denjenigen im (Satzungs-)Sitzstaat (Art. 16 Abs. 2 Hs. 2 lit. b);

151 Ist einer dieser Ausnahmetatbestände erfüllt, so erklärt Art. 16 Abs. 3 weitgehend die Vorschriften des in SE-VO und SE-RL normierten Verhandlungsmodells für anwendbar.408 Allerdings wird dieses nicht eins zu eins übernommen, sondern erfährt vielmehr durch Art. 16 Abs. 4–7 eine Reihe signifikanter Modifikationen. Erwägungsgrund 13 S. 2 begründet dies mit dem strukturellen Unterschied, dass aus der grenzüberschreitenden Verschmelzung anders als im Falle der SE keine europäische, sondern eine nationale Rechtsform hervorgeht.409 Bei einigen Bestimmungen dürfte aber auch eine Rolle gespielt haben, dass die Vorgaben der SE-RL teilweise als unpraktikabel kritisiert worden waren (und werden, vgl. auch § 41 Rn. 197). Die wichtigsten Unterschiede lassen sich wie folgt zusammenfassen: •



Schwellenwert für die Auffangregelung: Abweichend von der SE, wo dieser bei 25 % liegt, greift die Auffangregelung nach der RL erst dann ein, wenn vor der Verschmelzung mindestens einem Drittel der Arbeitnehmer Mitbestimmungsrechte zustanden (Art. 16 Abs. 3 lit. e); letztlich handelt es sich hierbei um einen politischen Kompromiss, der die Abneigung vieler Mitgliedstaaten gegen einen Zwang zum „Import“ fremder Mitbestimmungsmodelle widerspiegelt 410. Anders als bei der SE können die Organe der beteiligten Gesellschaften sich dafür entscheiden, ohne vorherige Verhandlungen unmittelbar die Auffangregelung anzuwenden (Art. 16 Abs. 4 lit. a); mit dieser auf britische Initiative eingefügten 411

405 Überspitzt Brandes ZIP 2008, 2193, 2195: „in sein Gegenteil verkehrt“. 406 Vgl. C. Teichmann Konzern 2007, 89, 91. 407 Dazu näher Heuschmid AuA 2006, 184, 186 f.; Nagel NZG 2006, 97, 98; Seifert (Fn. 403), S. 122, 134 f.; C. Teichmann Konzern 2007, 89, 91 f.; Wooldridge (2007) 28 Co Law 118. 408 Dazu näher Beutel (Fn. 58), S. 239 ff.; Kleinsorge (Fn. 402), Einf MgVG Rn. 14. 409 Kritisch dazu Kleinsorge (Fn. 402), Einf MgVG Rn. 15. 410 Vgl. Kleinsorge (Fn. 402), Einf MgVG Rn. 15, 18; C. Teichmann Konzern 2007, 89, 92; kritisch Röpke DRdA 2006, 68, 69. 411 Vgl. Heuschmid AuA 2006, 184, 188; Wiesner DB 2005, 91, 92.

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Option soll der Praxis ein Weg für eine möglichst zügige Durchführung der Fusion eröffnet werden 412. Umgekehrt kann das Besondere Verhandlungsgremium (BVG) mit einer qualifizierten Mehrheit 413 die Anwendung des Sitzstaatrechts ohne vorherige Verhandlungen (oder unter Abbruch laufender Verhandlungen) beschließen (Art. 16 Abs. 4 lit. b). I.R.d. Auffangregelung dürfen die Mitgliedstaaten den Anteil der Arbeitnehmervertreter im Verwaltungsorgan auf ein Drittel begrenzen (Art. 16 Abs. 4 lit. c); mit dieser auf Drängen der skandinavischen Länder (speziell Dänemark) eingeführten 414 Sonderregelung soll den spezifischen Problemen, die sich i.R.d. Mitbestimmung im monistischen System auf Grund der hieraus resultierenden Partizipation der Arbeitnehmervertreter an unternehmerischen Entscheidungen ergeben, Rechnung getragen werden415. Um die Ausübung der sich auf Grund von Art. 16 ergebenden Mitbestimmungsrechte zu ermöglichen, muss die aus der grenzüberschreitenden Verschmelzung hervorgehende Gesellschaft ggf. eine „mitbestimmungskompatible“ Rechtsform annehmen (Art. 16 Abs. 6). Perpetuierungsklausel: Eine aus einer grenzüberschreitenden Verschmelzung hervorgehende Gesellschaft, die einem System der Arbeitnehmermitbestimmung unterliegt, muss Maßnahmen ergreifen, um sicherzustellen, dass die Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehmer im Falle nachfolgender innerstaatlicher Verschmelzungen innerhalb eines Zeitraums von 3 Jahren 416 nach Wirksamwerden der grenzüberschreitenden Verschmelzung durch entsprechende Anwendung des Art. 16 geschützt werden (Art. 16 Abs. 7). Damit soll eine – v.a. von deutscher Seite befürchtete 417 – „Flucht aus der Mitbestimmung“ verhindert bzw. zumindest erheblich erschwert werden.418

412 Vgl. Brandes ZIP 2008, 2193, 2194, 2196; Heuschmid AuA 2006, 184, 188; Kisker RdA 2006, 206, 211; Menjucq (Fn. 19), S. 15, 25; Pannier [2005] EBLR 1424, 1441; Schubert RdA 2007, 9, 14; Seifert (Fn. 403), S. 122, 138, 141; C. Teichmann Konzern 2007, 89, 92; s. auch Bericht EP-Rechtsausschuss, A6-0089/2005, S. 43: „Dauer von Verhandlungen kann unter bestimmten Bedingungen abschreckend … sein“ sowie die Erörterungen i.R.d. Gruppe Sozialfragen, vgl. Dok. 10934/04, S. 4. 413 Zwei Drittel seiner mindestens zwei Drittel der Arbeitnehmer vertretenden Mitglieder, wobei diese Arbeitnehmer in mindestens zwei verschiedenen Mitgliedstaaten vertreten müssen. 414 Vgl. Kisker RdA 2006, 206, 210; C. Teichmann Konzern 2007, 89, 93; Wiesner DB 2005, 91, 93; s. ferner auch Dok. 10934/04, S. 6 f. 415 Vgl. Habersack, ZHR 171 (2007) 613, 626; Heuschmid AuA 2006, 184, 188; Kisker RdA 2006, 206, 210; C. Teichmann Konzern 2007, 89, 92 f.; Wiesner DB 2005, 91, 92. 416 Zeitweise war im Rat sogar eine unbefristete Perpetuierung angedacht worden, vgl. Dok. 10934/04, S. 14; 11655/04, S. 20; Wiesner DB 2005, 91, 93. 417 Vgl. Louven/Dettmeier/Pöschke Beil. zu BB 13/2006, 1, 15; Wiesner DB 2005, 91, 93. 418 Vgl. Louven/Dettmeier/Pöschke Beil. zu BB 13/2006, 1, 15; Wiesner DB 2005, 91, 93.

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3. Deutsches Recht 152 Der deutsche Gesetzgeber hat die mitbestimmungsrechtlichen Vorgaben der RL durch das MgVG 419 umgesetzt (vgl. bereits o. Rn. 8), das sich in Systematik und Aufbau einerseits an Art. 16, wegen dessen weitgehender Verweisung auf die SE-RL i.Ü. aber maßgeblich am Vorbild des SEBG (dazu § 41 Rn. 186 ff.) orientiert 420. Die Perpetuierungsklausel des Art. 16 Abs. 7 (dazu o. Rn. 151) wurde allerdings in § 30 MgVG nicht mittels eines Wiederauflebens der Verhandlungs- und Auffangregelung, sondern durch Anordnung einer automatischen Fortgeltung der bestehenden Regelungen über die Mitbestimmung umgesetzt; ob diese vom Gesetzgeber mit Gründen der Rechtssicherheit und Praktikabilität begründete421 Konzeption richtlinienkonform ist, erscheint äußerst zweifelhaft 422. Die Frage nach einer Ausübung der Option einer Reduktion der Mitbestimmung auf Drittelparität im monistischen System (Art. 16 Abs. 4 lit. c, dazu o. Rn. 151) stellte sich im Hinblick darauf, dass das deutsche Recht die Mitbestimmung auch bei der GmbH im Aufsichtsrat ansiedelt, von vornherein nicht.423 Die EBR-RL ist im deutschen Recht durch das EBRG424 umgesetzt (dazu näher § 39 Rn. 7). XII. Fundstellenverzeichnis Grundlage:

Art. 50 Abs. 2 lit. g AEU [G Art. 44 Abs. 2 lit. g EG G Art. 54 Abs. 3 lit. g EWG]

Vorschläge:

Entwurf eines Übereinkommmens über die Internationale Verschmelzung von Aktiengesellschaften, Dok. 529/XIV/72 = Beil. 13/73 Bull. EG (mit Bericht Goldman) = RabelsZ 39 (1975) 539 ff. = 2. Aufl., S. 351 ff. Vorschlag einer 10. Richtlinie des Rates nach Artikel 54 Abs. 3 Buchstabe g) des Vertrages über die grenzüberschreitende Verschmelzung von Aktiengesellschaften, KOM(84) 727 = BT-Drs. 10/2856 = Voraufl. S. 261 ff. Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Verschmelzung von Kapitalgesellschaften aus verschiedenen Mitgliedstaaten, 18.11.2003, KOM(2003) 703

419 Fn. 29. 420 Vgl. BegrRegE BT-Drs. 540/06, S. 35; Habersack ZHR 171 (2007) 613, 617 f.; Kleinsorge (Fn. 402), Einf MgVG Rn. 31. 421 Vgl. BegrRegE BT-Drs. 540/06, S. 64. 422 Näher Habersack ZHR 171 (2007) 613, 636 ff.; Schubert RdA 2007, 9, 15 f.; für Richtlinienkonformität dagegen Kleinsorge (Fn. 402), Einf MgVG Rn. 42, § 30 Rn. 8 ff.; s. ferner auch Nagel NZG 2007, 57, 59. 423 Vgl. Habersack ZHR 171 (2007) 613, 626; Nagel NZG 2007, 57, 59; C. Teichmann Konzern 2007, 89, 93. 424 Gesetz über Europäische Betriebsräte (Europäische Betriebsräte-Gesetz – EBRG) v. 28.10.1996, BGBl. I, 1548.

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verabschiedete Fassung:

RL 2005/56/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 26.10.2005 über die Verschmelzung von Kapitalgesellschaften aus verschiedenen Mitgliedstaaten, ABlEU v. 25.11.2005, L 310/1

geändert durch:

RL 2009/109/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 16.9.2009 zur Änderung der Richtlinien 77/91/EWG, 78/855/EWG, 82/891/EWG des Rates sowie der Richtlinie 2005/56/EG hinsichtlich der Berichts- und Dokumentationspflicht bei Verschmelzungen und Spaltungen, ABlEU v. 2.10.2009, L 259/14

Umsetzung in Deutschland: ursprüngliche Umsetzung

Zweites Gesetz zur Änderung des Umwandlungsgesetzes v. 19.4.2007, BGBl. I, 542 Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei einer grenzüberschreitenden Verschmelzung (MgVG) = Art. 1 des Gesetzes zur Umsetzung der Regelungen über die grenzüberschreitende Verschmelzung von Kapitalgesellschaften aus verschiedenen Mitgliedstaaten v. 21.12.2006, BGBl. I, 3332

Änderungs-RL 2009/109/EG Drittes Gesetz zur Änderung des Umwandlungsgesetzes v. 11.7.2011, BGBl. I, 1338

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RICHTLINIE 2005/56/EG DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES vom 26. Oktober 2005 über die Verschmelzung von Kapitalgesellschaften aus verschiedenen Mitgliedstaaten

DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT UND DER RAT DER EUROPÄISCHEN UNION – gestützt auf den Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, insbesondere auf Artikel 44, auf Vorschlag der Kommission, nach Stellungnahme des Europäischen Wirtschaftsund Sozialausschusses(1), gemäß dem Verfahren des Artikels 251 des Vertrags(2), in Erwägung nachstehender Gründe: (1) Bei den europäischen Kapitalgesellschaften besteht ein Bedarf an Kooperation und Reorganisation. Im Hinblick auf Verschmelzungen von Kapitalgesellschaften aus verschiedenen Mitgliedstaaten stoßen sie jedoch innerhalb der Gemeinschaft auf zahlreiche rechtliche und administrative Schwierigkeiten. Daher ist eine gemeinschaftsrechtliche Regelung erforderlich, die eine Verschmelzung von Kapitalgesellschaften unterschiedlicher Rechtsform, die dem Recht verschiedener Mitgliedstaaten unterliegen, erleichtert, um auf diese Weise zur Vollendung und zum reibungslosen Funktionieren des Binnenmarkts beizutragen. (2) Mit dieser Richtlinie wird die grenzüberschreitende Verschmelzung von Kapitalgesellschaften im Sinne dieser Richtlinie erleichtert. Die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten müssen die grenzüberschreitende Verschmelzung einer Kapitalgesellschaft aus einem Mitgliedstaat mit einer Kapitalgesellschaft aus einem anderen Mitgliedstaat gestatten, wenn das innerstaatliche Recht der betreffenden Mitgliedstaaten Verschmelzungen zwischen Unternehmen solcher Rechtsformen erlaubt. (3) Um grenzüberschreitende Verschmelzungen zu erleichtern, sollte vorgesehen werden, dass für jede an einer grenzüberschreitenden Verschmelzung beteiligte Gesellschaft und jeden beteiligten Dritten weiterhin die Vorschriften und Formalitäten des innerstaatlichen Rechts gelten, das im Falle einer innerstaatlichen Verschmelzung anwendbar wäre, sofern diese Richtlinie nichts anderes be(1) ABl. C 117 vom 30.4.2004, S. 43. (2) Stellungnahme des Europäischen Parlaments vom 10. Mai 2005 (noch nicht im Amtsblatt veröffentlicht) und Beschluss des Rates vom 19. September 2005.

stimmt. Die Vorschriften und Formalitäten des innerstaatlichen Rechts, auf die in dieser Richtlinie Bezug genommen wird, sollten keine Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit oder des freien Kapitalverkehrs einführen, es sei denn, derartige Beschränkungen lassen sich im Einklang mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs und insbesondere durch die Erfordernisse des Gemeinwohls rechtfertigen und sind zur Erfüllung solcher vorrangigen Erfordernisse erforderlich und angemessen. (4) Der gemeinsame Plan für die grenzüberschreitende Verschmelzung muss für alle an der grenzüberschreitenden Verschmelzung beteiligten Gesellschaften, die verschiedenen Mitgliedstaaten angehören, gleich lauten. Es sollte daher festgelegt werden, welche Angaben der gemeinsame Verschmelzungsplan mindestens enthalten muss, wobei den Gesellschaften gleichzeitig die Möglichkeit zu geben ist, weitere Angaben zu vereinbaren. (5) Zum Schutz der Interessen der Gesellschafter und Dritter sollte für jede der sich verschmelzenden Gesellschaften sowohl der gemeinsame Plan für die grenzüberschreitende Verschmelzung als auch der Abschluss der grenzüberschreitenden Verschmelzung im entsprechenden öffentlichen Register offen gelegt werden. (6) Die Rechtsvorschriften aller Mitgliedstaaten sollten vorsehen, dass auf einzelstaatlicher Ebene für jede der sich verschmelzenden Gesellschaften von einem oder mehreren Sachverständigen ein Bericht über den gemeinsamen Plan für die grenzüberschreitende Verschmelzung erstellt wird. Um die im Zusammenhang mit einer grenzüberschreitenden Verschmelzung anfallenden Sachverständigenkosten zu begrenzen, sollte die Möglichkeit vorgesehen werden, einen gemeinsamen Bericht für alle Gesellschafter der an einer grenzüberschreitenden Verschmelzung beteiligten Gesellschaften zu erstellen. Die Gesellschafterversammlung jeder Gesellschaft muss dem gemeinsamen Verschmelzungsplan zustimmen. (7) Um grenzüberschreitende Verschmelzungen zu erleichtern, sollte die Kontrolle des Abschlusses und der Rechtmäßigkeit des Beschlussfassungsverfahrens jeder der sich verschmelzenden Gesellschaften von der für die einzelne Gesellschaft jeweils zuständigen einzelstaatlichen Behörde vorgenommen werden, während die Kontrolle des Abschlusses und der Rechtmäßigkeit der grenz-

Die internationale Fusionsrichtlinie (10. Richtlinie) überschreitenden Verschmelzung von der einzelstaatlichen Behörde vorgenommen werden sollte, die für die aus der grenzüberschreitenden Verschmelzung hervorgehende Gesellschaft zuständig ist. Bei dieser einzelstaatlichen Behörde kann es sich um ein Gericht, einen Notar oder jede andere von dem betreffenden Mitgliedstaat benannte Behörde handeln. Es sollte auch festgelegt werden, nach welchem einzelstaatlichen Recht sich der Zeitpunkt bestimmt, zu dem die grenzüberschreitende Verschmelzung wirksam wird, nämlich das Recht, das für die aus der Verschmelzung hervorgehende Gesellschaft maßgebend ist. (8) Zum Schutz der Interessen der Gesellschafter und Dritter sollten die Rechtsfolgen einer grenzüberschreitenden Verschmelzung angegeben werden, wobei danach zu unterscheiden ist, ob es sich bei der aus der Verschmelzung hervorgehenden Gesellschaft um eine übernehmende oder um eine neue Gesellschaft handelt. Im Interesse der Rechtssicherheit sollte vorgeschrieben werden, dass eine grenzüberschreitende Verschmelzung nach ihrem Wirksamwerden nicht mehr für nichtig erklärt werden kann. (9) Diese Richtlinie lässt die Anwendung des Fusionskontrollrechts sowohl auf Ebene der Gemeinschaft durch die Verordnung (EG) Nr. 139/2004(3) als auch auf Ebene der Mitgliedstaaten unberührt. (10) Die für Kreditvermittlungsgesellschaften und andere Finanzgesellschaften geltenden Rechtsvorschriften der Gemeinschaft und die gemäß diesen Rechtsvorschriften erlassenen einzelstaatlichen Vorschriften bleiben von dieser Richtlinie unberührt. (11) Diese Richtlinie lässt die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten unberührt, nach denen anzugeben ist, welches der Ort der Hauptverwaltung oder der Hauptniederlassung der aus der grenzüberschreitenden Verschmelzung hervorgehenden Gesellschaft sein soll. (12) Die Rechte der Arbeitnehmer mit Ausnahme der Mitbestimmungsrechte sollten weiterhin den Vorschriften der Mitgliedstaaten unterliegen, die in der Richtlinie 98/59/EG des Rates vom 20. Juli 1998 über Massenentlassungen(4), der Richtlinie 2001/23/EG des Rates vom 12. März 2001 über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Unternehmens- oder Betriebsteilen(5), der Richtlinie 2002/14/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. März 2002 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer in der Europä-

(3) Verordnung (EG) Nr. 139/2004 des Rates vom 20. Januar 2004 über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen („EG-Fusionskontrollverordnung“) (ABl. L 24 vom 29.1.2004, S. 1). (4) ABl. L 225 vom 12.8.1998, S. 16. 5 ( ) ABl. L 82 vom 22.3.2001, S. 16.

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ischen Gemeinschaft(6) sowie der Richtlinie 94/45/ EG des Rates vom 22. September 1994 über die Einsetzung eines Europäischen Betriebsrats oder die Schaffung eines Verfahrens zur Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer in gemeinschaftsweit operierenden Unternehmen und Unternehmensgruppen(7) genannt sind. (13) Haben die Arbeitnehmer Mitbestimmungsrechte in einer an der Verschmelzung beteiligten Gesellschaft nach Maßgabe dieser Richtlinie und sieht das innerstaatliche Recht des Mitgliedstaats, in dem die aus der grenzüberschreitenden Verschmelzung hervorgehende Gesellschaft ihren Sitz hat, nicht den gleichen Umfang an Mitbestimmung vor wie in den jeweiligen an der Verschmelzung beteiligten Gesellschaften – einschließlich in mit Beschlussfassungsbefugnissen ausgestatteten Ausschüssen des Aufsichtsorgans – oder sieht dieses Recht nicht den gleichen Anspruch auf Ausübung von Mitbestimmungsrechten durch die Arbeitnehmer der aus der grenzüberschreitenden Verschmelzung hervorgehenden Betriebe vor, so muss die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in der aus der grenzüberschreitenden Verschmelzung hervorgehenden Gesellschaft neu geregelt werden. Hierbei sind die Grundsätze und Verfahren der Verordnung (EG) Nr. 2157/2001 des Rates vom 8. Oktober 2001 über das Statut der Europäischen Gesellschaft (SE)(8) und der Richtlinie 2001/86/EG des Rates vom 8. Oktober 2001 zur Ergänzung des Statuts der Europäischen Gesellschaft hinsichtlich der Beteiligung der Arbeitnehmer(9) anzuwenden, jedoch mit den Änderungen, die für notwendig erachtet werden, weil die aus der Verschmelzung hervorgehende Gesellschaft dem einzelstaatlichen Recht des Sitzmitgliedstaats unterliegen wird. Die Mitgliedstaaten können gemäß Artikel 3 Absatz 2 Buchstabe b der Richtlinie 2001/86/EG für eine rasche Aufnahme der in Artikel 16 der vorliegenden Richtlinie vorgesehenen Verhandlungen sorgen, damit Verschmelzungen nicht unnötig verzögert werden. (14) Bei der Ermittlung des Umfangs der Mitbestimmung der Arbeitnehmer in den an der Verschmelzung beteiligten Gesellschaften sollte auch der Anteil der die Arbeitnehmer vertretenden Mitglieder des Leitungsgremiums berücksichtigt werden, das für die Ergebniseinheiten der Gesellschaften zuständig ist, wenn eine Mitbestimmung der Arbeitnehmer besteht. (15) Da das Ziel der beabsichtigten Maßnahme, nämlich die Einführung einer Regelung mit auf innergemeinschaftlicher Ebene anwendbaren einheitlichen Bestimmungen, auf Ebene der Mitgliedstaaten nicht ausreichend verwirklicht werden (6) ABl. L 80 vom 23.3.2002, S. 29. (7) ABl. L 254 vom 30.9.1994, S. 64. Geändert durch die Richtlinie 97/74/EG (ABl. L 10 vom 16.1.1998, S. 22). (8) ABl. L 294 vom 10.11.2001, S. 1. Geändert durch die Verordnung (EG) Nr. 885/2004 (ABl. L 168 vom 1.5.2004, S. 1). (9) ABl. L 294 vom 10.11.2001, S. 22.

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kann und daher wegen des Umfangs und der Auswirkungen der Maßnahme besser auf Gemeinschaftsebene zu erreichen ist, kann die Gemeinschaft im Einklang mit dem in Artikel 5 des Vertrags niedergelegten Subsidiaritätsprinzip tätig werden. Entsprechend dem in demselben Artikel genannten Verhältnismäßigkeitsgrundsatz geht diese Richtlinie nicht über das zur Erreichung dieser Ziele notwendige Maß hinaus. (16) Entsprechend Nummer 34 der Interinstitutionellen Vereinbarung über bessere Rechtsetzung(10) sollte darauf hingewirkt werden, dass die Mitgliedstaaten für ihre eigenen Zwecke und im Interesse der Gemeinschaft eigene Tabellen erstellen, aus denen im Rahmen des Möglichen die Entsprechungen dieser Richtlinie und der Umsetzungsmaßnahmen zu entnehmen sind, und diese veröffentlichen – HABEN FOLGENDE RICHTLINIE ERLASSEN:

Artikel 1 Anwendungsbereich Diese Richtlinie gilt für Verschmelzungen von Kapitalgesellschaften, die nach dem Recht eines Mitgliedstaats gegründet worden sind und ihren satzungsmäßigen Sitz, ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung in der Gemeinschaft haben, sofern mindestens zwei der Gesellschaften dem Recht verschiedener Mitgliedstaaten unterliegen (nachstehend „grenzüberschreitende Verschmelzungen“ genannt).

2. „Verschmelzung“ der Vorgang, durch den a) eine oder mehrere Gesellschaften zum Zeitpunkt ihrer Auflösung ohne Abwicklung ihr gesamtes Aktiv- und Passivvermögen auf eine bereits bestehende Gesellschaft – „übernehmende Gesellschaft“ – gegen Gewährung von Aktien oder sonstigen Anteilen am Gesellschaftskapital der anderen Gesellschaft an ihre eigenen Gesellschafter und gegebenenfalls einer baren Zuzahlung übertragen; die Zuzahlung darf 10 % des Nennwerts oder – bei Fehlen eines solchen – des rechnerischen Werts dieser Aktien oder sonstigen Anteile nicht überschreiten; b) zwei oder mehrere Gesellschaften zum Zeitpunkt ihrer Auflösung ohne Abwicklung ihr gesamtes Aktiv- und Passivvermögen auf eine von ihnen gegründete Gesellschaft – „neue Gesellschaft“ – gegen Gewährung von Aktien oder sonstigen Anteilen am Gesellschaftskapital der neuen Gesellschaft an ihre eigenen Gesellschafter und gegebenenfalls einer baren Zuzahlung übertragen; die Zuzahlung darf 10 % des Nennwerts oder – bei Fehlen eines solchen – des rechnerischen Werts dieser Aktien oder sonstigen Anteile nicht überschreiten; c) eine Gesellschaft zum Zeitpunkt ihrer Auflösung ohne Abwicklung ihr gesamtes Aktiv- und Passivvermögen auf die Gesellschaft überträgt, die sämtliche Aktien oder sonstigen Anteile an ihrem Gesellschaftskapital besitzt.

Artikel 3 Artikel 2

Sonderregeln zum Anwendungsbereich

Begriffsbestimmungen

(1) Ungeachtet des Artikels 2 Nummer 2 findet diese Richtlinie auch dann Anwendung auf grenzüberschreitende Verschmelzungen, wenn die bare Zuzahlung gemäß Artikel 2 Nummer 2 Buchstaben a und b nach dem Recht mindestens eines der beteiligten Mitgliedstaaten 10 % des Nennwerts oder – bei Fehlen eines solchen – des rechnerischen Werts der Aktien oder sonstigen Anteile am Kapital der Gesellschaft, die aus der grenzüberschreitenden Verschmelzung hervorgeht, überschreiten darf.

Im Sinne dieser Richtlinie ist 1. „Kapitalgesellschaft“ a) eine Gesellschaft im Sinne des Artikels 1 der Richtlinie 68/151/EWG(11), oder b) eine Gesellschaft, die Rechtspersönlichkeit besitzt und über gesondertes Gesellschaftskapital verfügt, das allein für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft haftet, und die nach dem für sie maßgebenden innerstaatlichen Recht Schutzbestimmungen im Sinne der Richtlinie 68/151/ EWG im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter einhalten muss.

(10) ABl. C 321 vom 31.12.2003, S. 1. (11) Erste Richtlinie 68/151/EWG des Rates vom 9. März 1968 zur Koordinierung der Schutzbestimmungen, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Sinne des Artikels 58 Absatz 2 des Vertrags im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter vorgeschrieben sind, um diese Bestimmungen gleichwertig zu gestalten (ABl. L 65 vom 14.3.1968, S. 8). Zuletzt geändert durch die Beitrittsakte von 2003.

(2) Die Mitgliedstaaten können beschließen, diese Richtlinie nicht auf grenzüberschreitende Verschmelzungen anzuwenden, an denen eine Genossenschaft beteiligt ist; dies gilt auch dann, wenn diese Genossenschaft unter die Definition des Begriffs „Kapitalgesellschaft“ gemäß Artikel 2 Nummer 1 fällt. (3) Diese Richtlinie gilt nicht für grenzüberschreitende Verschmelzungen, an denen eine Gesellschaft beteiligt ist, deren Zweck es ist, die vom Publikum bei ihr eingelegten Gelder nach dem Grundsatz der Risikostreuung gemeinsam anzulegen und deren Anteile auf Verlangen der Anteilsinhaber unmittelbar oder mittelbar zulasten des

Die internationale Fusionsrichtlinie (10. Richtlinie)

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Vermögens dieser Gesellschaft zurückgenommen oder ausgezahlt werden. Diesen Rücknahmen oder Auszahlungen gleichgestellt sind Handlungen, mit denen eine solche Gesellschaft sicherstellen will, dass der Börsenwert ihrer Anteile nicht erheblich von deren Nettoinventarwert abweicht.

schmelzungsplan“ genannt) auf. Dieser Plan muss mindestens folgende Angaben enthalten:

Artikel 4

b) das Umtauschverhältnis der Aktien oder sonstigen Gesellschaftsanteile und gegebenenfalls die Höhe der baren Zuzahlungen,

Voraussetzungen für grenzüberschreitende Verschmelzungen (1) Sofern diese Richtlinie nicht etwas anderes bestimmt, a) sind grenzüberschreitende Verschmelzungen nur zwischen Gesellschaften solcher Rechtsformen möglich, die sich nach dem innerstaatlichen Recht der jeweiligen Mitgliedstaaten verschmelzen dürfen, b) muss eine Gesellschaft, die sich an einer grenzüberschreitenden Verschmelzung beteiligt, die Vorschriften und Formalitäten des für sie geltenden innerstaatlichen Rechts einhalten bzw. erledigen. Wenn das Recht eines Mitgliedstaats es den Behörden dieses Mitgliedstaats gestattet, eine innerstaatliche Verschmelzung aus Gründen des öffentlichen Interesses zu verbieten, so gilt dies auch für eine grenzüberschreitende Verschmelzung, bei der mindestens eine der an der Verschmelzung beteiligten Gesellschaften dem Recht dieses Mitgliedstaats unterliegt. Diese Bestimmung gilt nicht, soweit Artikel 21 der Verordnung (EG) Nr. 139/2004 anwendbar ist. (2) Zu den in Absatz 1 Buchstabe b genannten Vorschriften und Formalitäten zählen insbesondere Bestimmungen über das die Verschmelzung betreffende Beschlussfassungsverfahren und – angesichts des grenzüberschreitenden Charakters der Verschmelzung – über den Schutz der Gläubiger der sich verschmelzenden Gesellschaften, der Anleihegläubiger und der Inhaber von Aktien oder sonstigen Anteilen sowie über den Schutz der Arbeitnehmer, soweit andere als die in Artikel 16 geregelten Rechte betroffen sind. Ein Mitgliedstaat, dessen Recht die an einer grenzüberschreitenden Verschmelzung beteiligten Gesellschaften unterliegen, kann Vorschriften erlassen, um einen angemessenen Schutz der Minderheitsgesellschafter, die die grenzüberschreitende Verschmelzung abgelehnt haben, zu gewährleisten.

Artikel 5 Gemeinsamer Plan für grenzüberschreitende Verschmelzungen Die Leitungs- oder Verwaltungsorgane der sich verschmelzenden Gesellschaften stellen einen gemeinsamen Plan für die grenzüberschreitende Verschmelzung (nachstehend „gemeinsamer Ver-

a) Rechtsform, Firma und Sitz der sich verschmelzenden Gesellschaften sowie Rechtsform, Firma und Sitz, die für die aus der grenzüberschreitenden Verschmelzung hervorgehende Gesellschaft vorgesehen sind,

c) die Einzelheiten der Übertragung der Aktien oder sonstigen Gesellschaftsanteile der aus der grenzüberschreitenden Verschmelzung hervorgehenden Gesellschaft, d) die voraussichtlichen Auswirkungen der grenzüberschreitenden Verschmelzung auf die Beschäftigung, e) den Zeitpunkt, von dem an diese Aktien oder sonstigen Gesellschaftsanteile deren Inhabern das Recht auf Beteiligung am Gewinn gewähren, sowie alle Besonderheiten, die eine Auswirkung auf dieses Recht haben, f) den Zeitpunkt, von dem an die Handlungen der sich verschmelzenden Gesellschaften unter dem Gesichtspunkt der Rechnungslegung als für Rechnung der aus der grenzüberschreitenden Verschmelzung hervorgehenden Gesellschaft vorgenommen gelten, g) die Rechte, welche die aus der grenzüberschreitenden Verschmelzung hervorgehende Gesellschaft den mit Sonderrechten ausgestatteten Gesellschaftern und den Inhabern von anderen Wertpapieren als Gesellschaftsanteilen gewährt, oder die für diese Personen vorgeschlagenen Maßnahmen, h) etwaige besondere Vorteile, die den Sachverständigen, die den Verschmelzungsplan prüfen, oder den Mitgliedern der Verwaltungs-, Leitungs-, Aufsichts- oder Kontrollorgane der sich verschmelzenden Gesellschaften gewährt werden, i) die Satzung der aus der grenzüberschreitenden Verschmelzung hervorgehenden Gesellschaft, j) gegebenenfalls Angaben zu dem Verfahren, nach dem gemäß Artikel 16 die Einzelheiten über die Beteiligung von Arbeitnehmern an der Festlegung ihrer Mitbestimmungsrechte in der aus der grenzüberschreitenden Verschmelzung hervorgehenden Gesellschaft geregelt werden, k) Angaben zur Bewertung des Aktiv- und Passivvermögens, das auf die aus der grenzüberschreitenden Verschmelzung hervorgehende Gesellschaft übertragen wird, l) den Stichtag der Jahresabschlüsse der an der Verschmelzung beteiligten Gesellschaften, die zur Festlegung der Bedingungen der grenzüberschreitenden Verschmelzung verwendet werden.

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Gesellschaftsrechtliche Richtlinien Artikel 6 Bekanntmachung

(1) Der gemeinsame Verschmelzungsplan muss auf die im innerstaatlichen Recht jedes Mitgliedstaats vorgesehene Weise im Einklang mit Artikel 3 der Richtlinie 68/151/EWG für jede der sich verschmelzenden Gesellschaften spätestens einen Monat vor der Gesellschafterversammlung, auf der darüber zu beschließen ist, bekannt gemacht werden. Jede der verschmelzenden Gesellschaften ist von der Offenlegungspflicht nach Artikel 3 der Richtlinie 68/151/EWG befreit, wenn sie die gemeinsamen Verschmelzungspläne während eines fortlaufenden Zeitraums, der mindestens einen Monat vor dem Tag der Hauptversammlung, die über die gemeinsamen Verschmelzungspläne für die grenzüberschreitende Verschmelzung zu beschließen hat, beginnt, und nicht vor dem Abschluss dieser Versammlung endet, für die Öffentlichkeit kostenlos auf ihren Internetseiten der Öffentlichkeit zugänglich macht. Die Mitgliedstaaten knüpfen diese Befreiung an keine anderen Erfordernisse und Auflagen als die, die für die Sicherheit der Internetseiten und die Echtheit der Dokumente erforderlich sind, und dürfen solche Erfordernisse und Auflagen nur einführen, soweit sie zur Erreichung dieser Zwecke angemessen sind. Abweichend von Unterabsatz 2 können die Mitgliedstaaten verlangen, dass die Veröffentlichung über die zentrale elektronische Plattform gemäß Artikel 3 Absatz 4 der Richtlinie 68/151/EWG erfolgt. Die Mitgliedstaaten können alternativ verlangen, dass die Veröffentlichung auf anderen, von ihnen zu diesem Zweck benannten Internetseiten erfolgt. Machen die Mitgliedstaaten von einer dieser Möglichkeiten Gebrauch, so gewährleisten sie, dass den Gesellschaften für diese Veröffentlichung keine spezifischen Kosten entstehen. Werden andere Internetseiten als die zentrale elektronische Plattform genutzt, wird mindestens einen Monat vor dem Tag der Hauptversammlung auf der zentralen elektronischen Plattform ein Verweis, der zu diesen Internetseiten führt, veröffentlicht. Dieser Verweis enthält auch das Datum der Veröffentlichung der Verschmelzungspläne im Internet und ist der Öffentlichkeit kostenlos zugänglich. Den Gesellschaften entstehen für diese Veröffentlichung keine spezifischen Kosten. Das in den Absätzen 3 und 4 genannte Verbot, von Gesellschaften eine spezifische Gebühr für die Veröffentlichung zu verlangen, lässt die Möglichkeit der Mitgliedstaaten unberührt, die Kosten für die zentrale elektronische Plattform an Gesellschaften weiterzugeben. Die Mitgliedstaaten können von Gesellschaften verlangen, Informationen für einen bestimmten Zeitraum nach der Hauptversammlung auf ihren Internetseiten oder gegebenenfalls auf der zentralen elektronischen Plattform oder den anderen von dem betreffenden Mitgliedstaat benannten Inter-

netseiten verfügbar zu halten. Die Mitgliedstaaten können die Folgen einer vorübergehenden Unterbrechung des Zugriffs auf die Internetseiten und die zentrale elektronische Plattform aufgrund technischer oder sonstiger Ursachen bestimmen. (2) Vorbehaltlich der zusätzlichen Anforderungen des Mitgliedstaats, dessen Recht die betreffende Gesellschaft unterliegt, müssen für jede der sich verschmelzenden Gesellschaften die folgenden Angaben im amtlichen Mitteilungsblatt dieses Mitgliedstaats bekannt gemacht werden: a) Rechtsform, Firma und Sitz jeder der sich verschmelzenden Gesellschaften, b) das Register, bei dem die in Artikel 3 Absatz 2 der Richtlinie 68/151/EWG genannten Urkunden für jede der sich verschmelzenden Gesellschaften hinterlegt worden sind, sowie die Nummer der Eintragung in das Register, c) für jede der sich verschmelzenden Gesellschaften ein Hinweis auf die Modalitäten für die Ausübung der Rechte der Gläubiger und gegebenenfalls der Minderheitsgesellschafter der sich verschmelzenden Gesellschaften sowie die Anschrift, unter der vollständige Auskünfte über diese Modalitäten kostenlos eingeholt werden können. Artikel 7 Bericht des Leitungs- oder Verwaltungsorgans Das Leitungs- oder Verwaltungsorgan jeder der sich verschmelzenden Gesellschaften erstellt einen für die Gesellschafter bestimmten Bericht, in dem die rechtlichen und wirtschaftlichen Aspekte der grenzüberschreitenden Verschmelzung erläutert und begründet und die Auswirkungen der grenzüberschreitenden Verschmelzung auf die Gesellschafter, die Gläubiger und die Arbeitnehmer erläutert werden. Der Bericht ist den Gesellschaftern und den Vertretern der Arbeitnehmer oder – wenn es solche Vertreter nicht gibt – den Arbeitnehmern direkt spätestens einen Monat vor der in Artikel 9 genannten Gesellschafterversammlung zugänglich zu machen. Erhält das Leitungs- oder Verwaltungsorgan einer der sich verschmelzenden Gesellschaften nach Maßgabe der nationalen Rechtsvorschriften rechtzeitig eine Stellungnahme der Vertreter ihrer Arbeitnehmer, so ist diese Stellungnahme dem Bericht anzufügen. Artikel 8 Bericht unabhängiger Sachverständiger (1) Für jede der sich verschmelzenden Gesellschaften wird ein für die Gesellschafter bestimmter Bericht unabhängiger Sachverständiger erstellt, der spätestens einen Monat vor der in Artikel 9

Die internationale Fusionsrichtlinie (10. Richtlinie) genannten Gesellschafterversammlung vorliegen muss. Als Sachverständige können je nach dem Recht der Mitgliedstaaten natürliche Personen oder juristische Personen bestellt werden. (2) Als Alternative zur Heranziehung von Sachverständigen, die für Rechnung jeder der sich verschmelzenden Gesellschaften tätig sind, können ein oder mehrere unabhängige Sachverständige, die auf gemeinsamen Antrag dieser Gesellschaften von einem Gericht oder einer Verwaltungsbehörde des Mitgliedstaats, dessen Recht eine der sich verschmelzenden Gesellschaften oder die aus der grenzüberschreitenden Verschmelzung hervorgehende Gesellschaft unterliegt, dazu bestellt bzw. von einer solchen Behörde zugelassen wurden, den gemeinsamen Verschmelzungsplan prüfen und einen einzigen für alle Gesellschafter bestimmten schriftlichen Bericht erstellen. (3) Der Bericht der Sachverständigen enthält zumindest die Angaben nach Artikel 10 Absatz 2 der Richtlinie 78/855/EWG des Rates vom 9. Oktober 1978 betreffend die Verschmelzung von Aktiengesellschaften(12). Die Sachverständigen haben das Recht, von jeder der sich verschmelzenden Gesellschaften alle Auskünfte zu erlangen, die sie zur Erfüllung ihrer Aufgabe für erforderlich halten. (4) Weder die Prüfung des gemeinsamen Verschmelzungsplans durch unabhängige Sachverständige noch die Erstellung eines Sachverständigenberichts sind erforderlich, wenn alle Gesellschafter aller sich verschmelzenden Gesellschaften darauf verzichten.

Artikel 9 Zustimmung der Gesellschafterversammlung (1) Nach Kenntnisnahme der in Artikel 7 und Artikel 8 genannten Berichte beschließt die Gesellschafterversammlung jeder der sich verschmelzenden Gesellschaften über die Zustimmung zu dem gemeinsamen Verschmelzungsplan. (2) Die Gesellschafterversammlung jeder der sich verschmelzenden Gesellschaften kann die Verschmelzung davon abhängig machen, dass die Modalitäten für die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in der aus der grenzüberschreitenden Verschmelzung hervorgehenden Gesellschaft ausdrücklich von ihr bestätigt werden. (3) In den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats muss nicht die Zustimmung der Gesellschafterversammlung der übernehmenden Gesellschaft vorgeschrieben werden, wenn die Bedingungen des Artikels 8 der Richtlinie 78/855/EWG erfüllt sind.

(12) ABl. L 295 vom 20.10.1978, S. 36. Zuletzt geändert durch die Beitrittsakte von 2003.

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Artikel 10 Vorabbescheinigung (1) Jeder Mitgliedstaat benennt das Gericht, den Notar oder die sonstige zuständige Behörde, die die Rechtmäßigkeit der grenzüberschreitenden Verschmelzung für die Verfahrensabschnitte kontrolliert, welche die sich verschmelzenden Gesellschaften betreffen, die seinem innerstaatlichen Recht unterliegen. (2) In jedem dieser Mitgliedstaaten stellt die nach Absatz 1 benannte Stelle jeder der sich verschmelzenden Gesellschaften, die dem Recht dieses Staates unterliegt, unverzüglich eine Bescheinigung aus, aus der zweifelsfrei hervorgeht, dass die der Verschmelzung vorangehenden Rechtshandlungen und Formalitäten ordnungsgemäß vollzogen wurden. (3) Ist nach dem Recht eines Mitgliedstaats, dem eine sich verschmelzende Gesellschaft unterliegt, ein Verfahren zur Kontrolle und Änderung des Umtauschverhältnisses der Aktien oder sonstigen Anteile oder zur Abfindung von Minderheitsgesellschaftern vorgesehen, das jedoch der Eintragung der grenzüberschreitenden Verschmelzung nicht entgegensteht, so kommt dieses Verfahren nur zur Anwendung, wenn die anderen sich verschmelzenden Gesellschaften in Mitgliedstaaten, die ein solches Verfahren nicht vorsehen, bei der Zustimmung zum Verschmelzungsplan gemäß Artikel 9 Absatz 1 ausdrücklich akzeptieren, dass die Gesellschafter der erstgenannten sich verschmelzenden Gesellschaft ein solches Verfahren bei dem Gericht, das für diese Gesellschaft zuständig ist, beantragen können. In diesem Fall kann die in Absatz 1 genannte Stelle die Bescheinigung nach Absatz 2 auch dann ausstellen, wenn ein solches Verfahren eingeleitet wurde. In der Bescheinigung muss jedoch angegeben werden, dass ein solches Verfahren anhängig ist. Die in dem Verfahren ergehende Entscheidung ist für die aus der grenzüberschreitenden Verschmelzung hervorgehende Gesellschaft und alle ihre Gesellschafter bindend.

Artikel 11 Überprüfung der Rechtmäßigkeit der grenzüberschreitenden Verschmelzung (1) Jeder Mitgliedstaat benennt das Gericht, den Notar oder die sonstige zuständige Behörde, die die Rechtmäßigkeit der grenzüberschreitenden Verschmelzung für die Verfahrensabschnitte kontrolliert, welche die Durchführung der grenzüberschreitenden Verschmelzung und gegebenenfalls die Gründung einer neuen, aus der grenzüberschreitenden Verschmelzung hervorgehenden Gesellschaft betreffen, wenn diese durch die grenzüberschreitende Verschmelzung geschaffene Gesellschaft seinem innerstaatlichen Recht unterliegt. Die betreffende Stelle stellt insbesondere sicher, dass die sich verschmelzenden Gesellschaften

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einem gemeinsamen gleich lautenden Verschmelzungsplan zugestimmt haben, und gegebenenfalls, dass eine Vereinbarung über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer gemäß Artikel 16 geschlossen wurde. (2) Hierzu legt jede der sich verschmelzenden Gesellschaften der in Absatz 1 genannten Stelle die Bescheinigung nach Artikel 10 Absatz 2 innerhalb von sechs Monaten nach ihrer Erteilung sowie den von der Gesellschafterversammlung gemäß Artikel 9 genehmigten gemeinsamen Verschmelzungsplan vor.

Artikel 12 Wirksamwerden der grenzüberschreitenden Verschmelzung Der Zeitpunkt, an dem die grenzüberschreitende Verschmelzung wirksam wird, bestimmt sich nach dem Recht des Mitgliedstaats, dem die aus der grenzüberschreitenden Verschmelzung hervorgehende Gesellschaft unterliegt. Die Verschmelzung kann jedoch erst dann wirksam werden, wenn die Kontrolle nach Artikel 11 abgeschlossen ist.

Artikel 13 Eintragung Nach dem Recht jedes Mitgliedstaats, dem die sich verschmelzenden Gesellschaften unterlagen, bestimmt sich für das Hoheitsgebiet des betreffenden Staates, in welcher Form der Abschluss der grenzüberschreitenden Verschmelzung gemäß Artikel 3 der Richtlinie 68/151/EWG bei dem öffentlichen Register, bei dem jede der an der Verschmelzung beteiligten Gesellschaften ihre Urkunden zu hinterlegen hatte, offen zu legen ist. Das Register, in dem die aus der grenzüberschreitenden Verschmelzung hervorgehende Gesellschaft eingetragen wird, meldet unverzüglich dem Register, bei dem jede der Gesellschaften ihre Unterlagen zu hinterlegen hatte, dass die grenzüberschreitende Verschmelzung wirksam geworden ist. Die Löschung der früheren Eintragung erfolgt gegebenenfalls bei Eingang dieser Meldung, jedoch nicht vorher.

Artikel 14 Wirkungen der grenzüberschreitenden Verschmelzung (1) Die gemäß Artikel 2 Nummer 2 Buchstaben a und c vollzogene grenzüberschreitende Verschmelzung bewirkt ab dem in Artikel 12 genannten Zeitpunkt Folgendes: a) Das gesamte Aktiv- und Passivvermögen der übertragenden Gesellschaft geht auf die übernehmende Gesellschaft über.

b) Die Gesellschafter der übertragenden Gesellschaft werden Gesellschafter der übernehmenden Gesellschaft. c) Die übertragende Gesellschaft erlischt. (2) Die nach Artikel 2 Nummer 2 Buchstabe b vollzogene grenzüberschreitende Verschmelzung bewirkt ab dem in Artikel 12 genannten Zeitpunkt Folgendes: a) Das gesamte Aktiv- und Passivvermögen der sich verschmelzenden Gesellschaften geht auf die neue Gesellschaft über. b) Die Gesellschafter der sich verschmelzenden Gesellschaften werden Gesellschafter der neuen Gesellschaft. c) Die sich verschmelzenden Gesellschaften erlöschen. (3) Schreibt das Recht der Mitgliedstaaten im Falle einer grenzüberschreitenden Verschmelzung von Gesellschaften im Sinne dieser Richtlinie die Erfüllung besonderer Formalitäten vor, bevor die Übertragung bestimmter von den sich verschmelzenden Gesellschaften eingebrachter Vermögensgegenstände, Rechte und Verbindlichkeiten gegenüber Dritten wirksam wird, so sind diese Formalitäten von der aus der grenzüberschreitenden Verschmelzung hervorgehenden Gesellschaft zu erfüllen. (4) Die zum Zeitpunkt des Wirksamwerdens der grenzüberschreitenden Verschmelzung bestehenden Rechte und Pflichten der sich verschmelzenden Gesellschaften aus Arbeitsverträgen oder Beschäftigungsverhältnissen gehen infolge des Wirksamwerdens dieser grenzüberschreitenden Verschmelzung auf die aus der grenzüberschreitenden Verschmelzung hervorgehende Gesellschaft zu dem Zeitpunkt über, zu dem die grenzüberschreitende Verschmelzung wirksam wird. (5) Anteile an der übernehmenden Gesellschaft werden nicht gegen Anteile an der übertragenden Gesellschaft getauscht, wenn diese Anteile a) entweder von der übernehmenden Gesellschaft selbst oder von einer zwar im eigenen Namen, jedoch für Rechnung der übernehmenden Gesellschaft handelnden Person b) oder von der übertragenden Gesellschaft selbst oder von einer zwar im eigenen Namen, jedoch für Rechnung der übertragenden Gesellschaft handelnden Person gehalten werden.

Artikel 15 Vereinfachte Formalitäten (1) Vollzieht eine Gesellschaft, die sämtliche in der Gesellschafterversammlung Stimmrecht gewährenden Aktien und sonstigen Anteile der übertragenden Gesellschaft(en) hält, eine grenzüberschreitende Verschmelzung im Wege der Aufnahme, so

Die internationale Fusionsrichtlinie (10. Richtlinie) – finden Artikel 5 Buchstaben b, c und e, Artikel 8 und Artikel 14 Absatz 1 Buchstabe b keine Anwendung; – findet Artikel 9 Absatz 1 keine Anwendung auf die übertragende(n) Gesellschaft(en). (2) Vollzieht eine Gesellschaft, die mindestens 90 %, aber nicht alle Aktien und sonstigen in der Gesellschafterversammlung Stimmrecht gewährenden Anteile der übertragenden Gesellschaft(en) hält, eine grenzüberschreitende Verschmelzung im Wege der Aufnahme, so sind die Berichte des oder der unabhängigen Sachverständigen sowie die zur Kontrolle notwendigen Unterlagen gemäß der Richtlinie 78/855/EWG nur insoweit erforderlich, als dies nach den entweder für die übernehmende oder die übertragende Gesellschaft geltenden einzelstaatlichen Rechtsvorschriften vorgesehen ist.

Artikel 16 Mitbestimmung der Arbeitnehmer (1) Unbeschadet des Absatzes 2 findet auf die aus der grenzüberschreitenden Verschmelzung hervorgehende Gesellschaft die Regelung für die Arbeitnehmermitbestimmung Anwendung, die gegebenenfalls in dem Mitgliedstaat gilt, in dem diese Gesellschaft ihren Sitz hat. (2) Die Regelung für die Arbeitnehmermitbestimmung, die gegebenenfalls in dem Mitgliedstaat gilt, in dem die aus der grenzüberschreitenden Verschmelzung hervorgehende Gesellschaft ihren Sitz hat, findet jedoch keine Anwendung, wenn in den sechs Monaten vor der Veröffentlichung des in Artikel 6 genannten Verschmelzungsplans mindestens eine der an der Verschmelzung beteiligten Gesellschaften durchschnittlich mehr als 500 Arbeitnehmer beschäftigt und in dieser Gesellschaft ein System der Arbeitnehmermitbestimmung im Sinne des Artikels 2 Buchstabe k der Richtlinie 2001/86/EG besteht, oder wenn das für die aus der grenzüberschreitenden Verschmelzung hervorgehende Gesellschaft maßgebende innerstaatliche Recht a) nicht mindestens den gleichen Umfang an Mitbestimmung der Arbeitnehmer vorsieht, wie er in den jeweiligen an der Verschmelzung beteiligten Gesellschaften bestand, wobei dieser Umfang als der Anteil der die Arbeitnehmer vertretenden Mitglieder des Verwaltungs- oder des Aufsichtsorgans oder ihrer Ausschüsse oder des Leitungsgremiums ausgedrückt wird, das für die Ergebniseinheiten der Gesellschaft zuständig ist, wenn eine Arbeitnehmermitbestimmung besteht, oder b) für Arbeitnehmer in Betrieben der aus der grenzüberschreitenden Verschmelzung hervorgehenden Gesellschaft, die sich in anderen Mitgliedstaaten befinden, nicht den gleichen Anspruch auf Ausübung von Mitbestimmungsrechten vor-

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sieht, wie sie den Arbeitnehmern in demjenigen Mitgliedstaat gewährt werden, in dem die aus der grenzüberschreitenden Verschmelzung hervorgehende Gesellschaft ihren Sitz hat. (3) In den in Absatz 2 genannten Fällen regeln die Mitgliedstaaten die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in der aus der grenzüberschreitenden Verschmelzung hervorgehenden Gesellschaft sowie ihre Mitwirkung an der Festlegung dieser Rechte vorbehaltlich der Absätze 4 bis 7 entsprechend den Grundsätzen und Modalitäten des Artikels 12 Absätze 2, 3 und 4 der Verordnung (EG) Nr. 2157/ 2001 und den nachstehenden Bestimmungen der Richtlinie 2001/86/EG: a) Artikel 3 Absätze 1, 2 und 3, Absatz 4 Unterabsatz 1 erster Gedankenstrich und Unterabsatz 2 sowie Absätze 5 und 7; b) Artikel 4 Absatz 1, Absatz 2 Buchstaben a, g und h sowie Absatz 3; c) Artikel 5; d) Artikel 6; e) Artikel 7 Absatz 1, Absatz 2 Unterabsatz 1 Buchstabe b und Unterabsatz 2 sowie Absatz 3. Für die Zwecke dieser Richtlinie wird jedoch der prozentuale Anteil, der nach Artikel 7 Absatz 2 Unterabsatz 1 Buchstabe b der Richtlinie 2001/ 86/EG für die Anwendung der Auffangregelung des Anhangs Teil 3 jener Richtlinie erforderlich ist, von 25 % auf 33 1/3 % angehoben; f) die Artikel 8, 10 und 12; g) Artikel 13 Absatz 4; h) Anhang, Teil 3 Buchstabe b. (4) Bei der Festlegung der in Absatz 3 genannten Grundsätze und Modalitäten verfahren die Mitgliedstaaten wie folgt: a) Sie gestatten den betreffenden Organen der an der Verschmelzung beteiligten Gesellschaften sich dafür zu entscheiden, die Auffangregelung nach Absatz 3 Buchstabe h, die durch das Recht des Mitgliedstaats, in dem die aus der grenzüberschreitenden Verschmelzung hervorgehende Gesellschaft ihren Sitz haben soll, festgelegt ist, ohne jede vorhergehende Verhandlung unmittelbar anzuwenden und diese Regelung ab dem Zeitpunkt der Eintragung einzuhalten. b) Sie gestatten dem besonderen Verhandlungsgremium, mit der Mehrheit von zwei Dritteln seiner mindestens zwei Drittel der Arbeitnehmer vertretenden Mitglieder, mit der Maßgabe, dass diese Mitglieder Arbeitnehmer in mindestens zwei verschiedenen Mitgliedstaaten vertreten müssen, zu beschließen, dass keine Verhandlungen eröffnet oder bereits eröffnete Verhandlungen beendet werden und die Mitbestimmungsregelung angewandt wird, die in dem Mitgliedstaat gilt, in dem die aus der grenzüberschreitenden Verschmelzung hervorgehende Gesellschaft ihren Sitz haben wird.

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c) Sie können in dem Fall, dass nach vorherigen Verhandlungen die Auffangregelung gilt, und ungeachtet dieser Regelung beschließen, den Anteil der Arbeitnehmervertreter im Verwaltungsorgan der aus der grenzüberschreitenden Verschmelzung hervorgehenden Gesellschaft zu begrenzen. Bestand jedoch das Verwaltungsoder Aufsichtsorgan einer der an der Verschmelzung beteiligten Gesellschaften zu mindestens einem Drittel aus Arbeitnehmervertretern, so darf die Begrenzung in keinem Fall dazu führen, dass die Arbeitnehmervertretung im Verwaltungsorgan weniger als ein Drittel beträgt. (5) Die Ausweitung von Mitbestimmungsrechten auf in anderen Mitgliedstaaten beschäftigte Arbeitnehmer der aus der grenzüberschreitenden Verschmelzung hervorgehenden Gesellschaft gemäß Absatz 2 Buchstabe b verpflichtet die Mitgliedstaaten, die eine solche Ausweitung beschließen, nicht dazu, diese Arbeitnehmer bei der Berechnung der Schwellenwerte für die Beschäftigtenzahl zu berücksichtigen, bei deren Überschreitung Mitbestimmungsrechte nach innerstaatlichem Recht entstehen. (6) Besteht in mindestens einer der an der grenzüberschreitenden Verschmelzung beteiligten Gesellschaften ein System der Arbeitnehmermitbestimmung und soll diese Regelung des Absatzes 2 auf die aus der Verschmelzung hervorgehende Gesellschaft angewandt werden, so ist diese Gesellschaft verpflichtet, eine Rechtsform anzunehmen, die die Ausübung von Mitbestimmungsrechten ermöglicht. (7) Gilt für die aus der grenzüberschreitenden Verschmelzung hervorgehende Gesellschaft ein System der Arbeitnehmermitbestimmung, so ist diese Gesellschaft verpflichtet, Maßnahmen zu ergreifen, um sicherzustellen, dass die Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehmer im Falle nachfolgender innerstaatlicher Verschmelzungen während drei Jahren nach Wirksamwerden der grenzüberschreitenden Verschmelzung durch entsprechende Anwendung der Vorschriften dieses Artikels geschützt werden.

Artikel 17 Gültigkeit Eine grenzüberschreitende Verschmelzung, die nach Artikel 12 wirksam geworden ist, kann nicht mehr für nichtig erklärt werden. Artikel 18 Überprüfung Fünf Jahre nach dem in Artikel 19 Absatz 1 genannten Zeitpunkt überprüft die Kommission diese Richtlinie auf der Grundlage der Erfahrungen bei ihrer Anwendung und schlägt gegebenenfalls eine Änderung vor. Artikel 19 Umsetzung Die Mitgliedstaaten setzen die Rechts- und Verwaltungsvorschriften in Kraft, die erforderlich sind, um dieser Richtlinie spätestens bis zum 15. Dezember 2007 nachzukommen. Wenn die Mitgliedstaaten diese Vorschriften erlassen, nehmen sie in den Vorschriften selbst oder durch einen Hinweis bei der amtlichen Veröffentlichung auf diese Richtlinie Bezug. Die Mitgliedstaaten regeln die Einzelheiten dieser Bezugnahme. Artikel 20 Inkrafttreten Diese Richtlinie tritt am zwanzigsten Tag nach ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union in Kraft. Artikel 21 Adressaten Diese Richtlinie ist an die Mitgliedstaaten gerichtet.

Die Jahresabschluss-(Bilanz-)Richtlinie (4. Richtlinie)

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§ 24 Die Jahresabschluss-(Bilanz-)Richtlinie (4. Richtlinie) Vierte RL 78/660/EWG des Rates v. 25.7.1978 aufgrund von Artikel 54 Absatz 3 Buchstabe g) des Vertrages über den Jahresabschluß von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen, ABlEG v. 14.8.1978, L 222/11 Literatur: Baetge, Jörg/Kirsch, Hans-Jürgen/Thiele, Stefan, Bilanzen, 11. Aufl. 2011; Bartholomew, E.G./Welchman, A.D., The fourth directive: Its effects on the annual accounts of companies in the European Economic Community, 1980; Biener, Herbert, Die Transformation der Mittelstands- und der GmbH & Co.-Richtlinie, WPg 1993, 707; Bird, Peter, What is „a true and fair view“?, [1984] JBL 480; Brönner, Herbert, Die Harmonisierung von Rechnungslegung und Abschlußprüfung in der Europäischen Gemeinschaft (EG) aus der Sicht der Wirtschaftsprüfer, BFuP 1981, 500; Cordoliani, H.F.A., La normalisation communautaire des comptes annuels des sociétés, JCP CI 1979.II.297; Eisele, Wolfgang, Der Jahresabschluß nach dem Bilanzrichtliniegesetz. Strukturmerkmale im Vergleich zur 4. EG-Richtlinie und zum bisher geltenden Recht, BB 1986, 493; Ellrott, Helmut et al. (Hrsg.), Beck’scher Bilanz-Kommentar, 7. Aufl. 2010; Everling, Ulrich, Zur Unzulässigkeit von Übergangsmaßnahmen für Abschlußprüfer bei der Umsetzung der GmbH & Co KG-Richtlinie, ZGR 1993, 153; Jonas, Heinrich H., Die EG-Bilanzrichtlinie: Grundlagen und Anwendung in der Praxis, 1980; Hennrichs, Joachim, Stand und Perspektiven des Europäischen Bilanzrechts, GmbHR 2011, 1065; Kirchner, Christian/Schwartze, Andreas, Umsetzung der EG-Rechnungslegungsrichtlinien in nationales Recht – Die Ausübung der Wahlrechte durch die Mitgliedstaaten –, WPg 1985, 397; Kirsch, Hans-Jürgen, Vom Bilanzrichtlinien-Gesetz zum Transparenz- und Publizitätsgesetz – die Entwicklung der deutschen Bilanzierungsnormen in den vergangenen 20 Jahren –, WPg 2002, 743; Kloos, Gerhard, Die Transformation der 4. EG-Richtlinie (Bilanzrichtlinie) in den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft, 1992; Küntzel, Wolfram, Das neue Bilanzrecht: Grundlagen und Ziele sowie aktien- und steuerrechtliche Probleme der EG-Bilanzrichtlinie, 1982; Moxter, Adolf, Grundwertungen in Bilanzrechtsordnungen – ein Vergleich von überkommenem deutschen Bilanzrecht und Jahresabschlußrichtlinie, in: Budde, Wolfgang Dieter/Moxter, Adolf/Offerhaus, Klaus (Hrsg.), Handelsbilanzen und Steuerbilanzen, Festschrift zum 70. Geburtstag von Prof. Dr. h.c. Heinrich Beisse, 1997, S. 347; ders., Zur Interpretation des True-and-fair-view-Gebots der Jahresabschlußrichtlinie, in: Fischer, Thomas R./Hömberg, Reinhold (Hrsg.), Festschrift zum 60. Geburtstag von Jörg Baetge, Jahresabschluß und Jahresabschlußprüfung, 1997, S. 97; Niehus, Rudolf J., Die Vierte Gesellschaftsrechtliche Richtlinie – Harmonisierung des Jahresabschlusses vor internationalem Hintergrund, WPg 1978, 465; ders., Zur Harmonisierung der Rechnungslegung in der EG, WPg 1987, 248; ders., Zur Transformation der 4. EG-(Bilanz-)Richtlinie in den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft – Überblick und erste Würdigung –, ZGR 1985, 536; Niessen, Hermann, Zur Angleichung des Bilanzrechts in der Europäischen Gemeinschaft, RabelsZ 48 (1984) 81; Nobes, Christopher, The harmonisation of company law relating to the published accounts of companies, (1980) 5 E.L. Rev. 38; Savage, N., Law and Accounting – the Impact of EEC Directives on Company Law (1), (1980) 1 Co Law 24; Schön, Wolfgang, Gesellschafter-, Gläubiger- und Anlegerschutz im Europäischen Bilanzrecht, ZGR 2000, 706; Schruff, Wienand, Stand und Perspektiven des Europäischen Bilanzrechts, ZEW 184 (2011) 1; Strobel, Wilhelm, Die Brüsseler Neuerungen der EG-Bilanzpflichten, Stbg 1988, 386; ders., Weiterführung der EG-Bilanzreform mit der Prüfungspflicht der GmbH & Co.KG, DStR 1993, 1641; de Vallois, C., The Fourth Company Law Directive on the Annual Accounts of Limited Liability Companies, (1979) 4 DPIC 405; Van Hulle, Karel, The EEC Accounting Directives in perspective: problems of harmonization, (1981) 18 C.M.L. Rev. 121.

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Rechtsprechung: Europäische Gerichte: EuGH v. 14.2.1990, Ingfried Hochbaum ./. Kommission, Rs. T-38/89, Slg. 1990, II-43 EuGH v. 27.6.1996, Waltraud Tomberger ./. Gebrüder von der Wettern GmbH, Rs. C-234/94, Slg. 1996, I-3133 EuGH v. 22.4.1999, Kommission ./. Bundesrepublik Deutschland, Rs. C-272/97, Slg. 1999, I-2175 EuGH v. 14.9.1999, DE + ES Bauunternehmung GmbH ./. Finanzamt Bergheim, Rs. C-275/ 97, Slg. 1999, I-5331 EuGH v. 15.1.2002, Lutz GmbH u.a., Rs. C-182/00, Slg. 2000, I-547 EuGH v. 7.1.2003, BIAO, Rs. C-306/99, Slg. 2003, I-1 EuGH v. 23.9.2004, Axel Springer AG ./. Zeitungsverlag Niederrhein GmbH & Co. Essen KG und Hans-Jürgen Weske, Rs. C-435/02 u. C-103/03, Slg. 2004, I-8663 EuGH v. 3.5.2005, Berlusconi, Rs. C-387/02, C-403/02 u. C-391/02, Slg. 2005, I-3565 EuGH v. 4.5.2006, Mulliez u.a., Rs. C-23/03, C-52/03, C-133/03, C-337/03 u. C-473/03, Slg. 2006, I-3923 EuG v. 21.6.2006, Manfred Danzer und Hannelore Danzer ./. Rat der Europäischen Union, Rs. T-47/02, Slg. 2006, II-1779 Nationale Gerichte: BFH v. 28.3.2000 – VIII R 77/96, DB 2000, 1442 OLG München v. 10.8.2005 – 31 Wx 61/05, DB 2005, 2013 BGH v. 24.11.2005 – III ZR 4/05, DB 2006, 92 BFH v. 25.8.2009 – IX R 20/08, DB 2009, 2638 LG Bonn v. 8.12.2010 – 31 T 652/10, AG 2011, 346 BVerfG v. 1.2.2011 – 2 BvR 1236/10, BB 2011, 1136

I. Überblick 1 Die Kommission unterbreitete dem Rat bereits im November 1971 einen Vorschlag für eine 4. RL über den Jahresabschluss von Gesellschaften1; 1974 wurde ein geänderter Vorschlag 2 vorgelegt. Nach ungewöhnlich schwierigen und ständig vom Scheitern bedrohten Verhandlungen konnte die RL schließlich am 25.7.1978 verabschiedet werden 3.

1 Vorschlag einer Vierten Richtlinie (EWG) des Rates aufgrund von Artikel 54 Abs. 3 Buchstabe g zur Koordinierung der Schutzbestimmungen, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter hinsichtlich der Gliederung und des Inhalts des Jahresabschlusses und des Lageberichts sowie hinsichtlich der Bewertungsmethoden und der Offenlegung dieser Dokumente vorgeschrieben sind, 16.11.1971, KOM(71) 1232 = BR-Drs. VI/2875. 2 Geänderter Vorschlag einer Vierten Richtlinie (EWG) des Rates aufgrund von Artikel 54 Abs. 3 Buchstabe g zur Koordinierung der Schutzbestimmungen, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter hinsichtlich der Gliederung und des Inhalts des Jahresabschlusses und des Lageberichts sowie hinsichtlich der Bewertungsmethoden und der Offenlegung dieser Dokumente vorgeschrieben sind, 21.2. 1974, KOM(74) 191. 3 Vierte Richtlinie 78/660/EWG des Rates v. 25.7.1978 aufgrund von Artikel 54 Absatz 3 Buchstabe g) des Vertrages über den Jahresabschluß von Gesellschaften bestimmter Rechts-

Die Jahresabschluss-(Bilanz-)Richtlinie (4. Richtlinie)

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Die 4. (Bilanz-)RL war zu ihrer Zeit das größte Angleichungsvorhaben der Ge- 2 meinschaft und hat – zusammen mit der 7. (Konzernbilanz-)RL (dazu § 25) und 8. RL bzw. seit 2006 der Abschlussprüfer-RL (dazu § 27) – zu einer europaweiten Standardisierung der handelsrechtlichen Rechnungslegung, Prüfung und Publizität der Kapitalgesellschaften AG, GmbH und GmbH & Co. KG auf hohem Niveau geführt, zugleich aber auch zu einer starken Veränderung des deutschen Rechts durch das vollständig neue Dritte Buch des HGB (§§ 238–342e) mit u.a. der Einführung der Prüfung und Publizität auch der GmbH-Abschlüsse. Seit ihrer Verabschiedung hat die RL bereits zahlreiche Änderungen erfahren: 3 Erste Änderungen erfolgten bereits durch die 7. (Konzernbilanz-)RL (dazu § 25) sowie die RL 84/569/EWG4 (Anhebung Schwellenwerte). Die nächsten Modifikationen erfolgten i.R.d. 11. (Zweigniederlassungs-)RL (dazu § 28). Die sog. Mittelstands-RL 90/604/ EWG5 brachte eine Reihe von Erleichterungen für kleine und mittlere Gesellschaften.6 Durch die KapCo-RL 90/605/EWG 7 erfolgte die – lange äußerst umstrittene – Einbeziehung der Kapitalgesellschaften & Co. in den Anwendungsbereich der RL (sowie auch der 7. (Konzernbilanz-)RL).8 Die RL 94/8/EG9 und die RL 1999/60/EG10 brachten jeweils weitere Anhebungen der Schwellenwerte. Die sog. Fair Value-RL11 führte

4 5

6 7 8 9 10 11

formen, ABlEG v. 14.8.1978, L 222/11. Dazu Bartholomew/Welchman, The fourth directive: Its effects on the annual accounts of companies in the European Economic Community, 1980; Bird [1984] JBL 480, 484 f.; Eisele DB 1986, 493 ff.; Jonas, Die EG-Bilanzrichtlinie: Grundlagen und Anwendung in der Praxis, 1980; Kirchner/Schwartze WPg 1985, 397 ff.; Kloos, Die Transformation der 4. EG-Richtlinie (Bilanzrichtlinie) in den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft, 1992; Ladenburg DB 1978, 1361 ff. u. 1409 ff.; Niehus WPg 1978, 465 ff.; ders. ZGR 1985, 536 ff.; ders. WPg 1987, 249 ff.; Niessen RabelsZ 48 (1984) 81 ff.; Nobes (1980) 5 E.L. Rev. 38 ff.; Savage (1980) 1 Co Law 24 ff.; Schön ZGR 2000, 706, 715 ff.; de Vallois (1979) 4 DPIC 405 ff.; Van Hulle (1981) 18 C.M.L. Rev. 121 ff. RL 84/569/EWG des Rates v. 27.11.1984 zur Änderung der in ECU ausgedrückten Beträge der Richtlinie 78/660/EWG, ABlEG v. 4.12.1984, L 314/28. Dazu Brönner BFuP 1981, 500, 502 ff.; Moxter FS Beisse, 1997, S. 347 ff.; ders. FS Baetge, 1997, S. 97 ff. RL 90/604/EWG des Rates v. 8.11.1990 zur Änderung der Richtlinie 78/660/EWG über den Jahresabschluß und der Richtlinie 83/349/EWG über den konsolidierten Abschluß hinsichtlich der Ausnahme für kleine und mittlere Gesellschaften sowie der Offenlegung von Abschlüssen in Ecu, ABlEG v. 16.11.1990, L 317/57. Vgl. dazu Strobel DStR 1993, 1641 ff.; zum Entwurf (KOM(88) 292): Strobel Stbg 1988, 386 ff. Vgl. dazu näher Voraufl. S. 144 f.; s. ferner Biener WPg 1993, 707 ff. RL 90/605/EWG des Rates vom v. 8.11.1990 zur Änderung der Richtlinien 78/660/EWG und 83/349/EWG über den Jahresabschluß bzw. den konsolidierten Abschluß hinsichtlich ihres Anwendungsbereichs, ABlEG v. 16.11.1990, L 317/60. Vgl. dazu näher Voraufl. S. 143 f.; s. ferner: Biener WPg 1993, 707, 709 ff.; Everling ZGR 1993, 153 ff.; Strobel DStR 1993, 1641 ff. RL 94/8/EG des Rates v. 21.3.1994 zur Änderung der in Ecu ausgedrückten Beträge der Richtlinie 78/660/EWG, ABlEG v. 25.3.1994, L 82/33. RL 1999/60/EG des Rates v. 17.6.1999 zur Änderung hinsichtlich der in Ecu ausgedrückten Beträge der Richtlinie 78/660/EWG, ABlEG v. 26.6.1999, L 162/65. RL 2001/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 27.9.2001 zur Änderung der Richtlinien 78/660/EWG, 83/349/EWG und 86/635/EWG des Rates im Hinblick auf die im Jahresabschluss bzw. im konsolidierten Abschluss von Gesellschaften bestimmter

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für Finanzinstrumente den Wertansatz zum Zeitwert (fair value) ein (vgl. dazu bereits § 10 Rn. 7). Durch die RL 2003/38/EG12 wurden die Schwellenwerte erneut turnusmäßig angehoben. Durch die sog. Modernisierungs-RL 2003/51/EG13 erfolgte eine Annäherung der 4. (Bilanz-)RL und 7. (Konzernbilanz-)RL an die internationalen Rechnungslegungsstandards (dazu bereits § 10 Rn. 11). Zu Änderungen der RL führte ferner auch die neue Abschlussprüfer-RL 2006/43/EG (dazu § 27). Signifikante Neuerungen brachte aber auch die Änderungs-RL 2006/46/EG14, mit der vor dem Hintergrund zahlreicher Bilanzskandale das Vertrauen in die Richtigkeit und Vollständigkeit der Rechnungslegung wieder gestärkt werden sollte (dazu bereits näher § 10 Rn. 13 ff.). Mit der RL 2006/99/EG15 erfolgten Anpassungen anlässlich des Beitritts Bulgariens und Rumäniens; entsprechende Anpassungen waren jeweils auch bei früheren Beitritten neuer Mitgliedstaaten erfolgt16. Die letzte Änderung durch die RL 2009/49/EG17 brachte Erleichterungen für mittlere Gesellschaften bei der Offenlegung. Hinzuweisen ist in diesem Kontext schließlich auch auf die IFRS-VO (dazu § 26), die zwar keine unmittelbaren Änderungen der RL mit sich brachte, aber für das Gesamtsystem des Europäischen Bilanzrechts einen gewichtigen Wendepunkt markierte (dazu bereits § 10 Rn. 8 ff. sowie noch § 25 Rn. 8 ff., § 26). Weitere Änderungen stehen aber bereits auf der Agenda: Zum einen Erleichterungen für Kleinstunternehmen, zum anderen eine generelle Revision der 4. (Bilanz-)RL und 7. (Konzernbilanz-)RL (dazu bereits § 10 Rn. 6, 24 f.).

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Rechtsformen und von Banken und anderen Finanzinstituten zulässigen Wertansätze, ABlEG v. 27.10.2001, L 283/28. RL 2003/38/EG des Rates v. 13.5.2003 zur Änderung der Richtlinie 78/660/EWG über den Jahresabschluss von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen hinsichtlich der in Euro ausgedrückten Beträge, ABlEU v. 15.5.2003, L 120/22. RL 2003/51/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 18.6.2003 zur Änderung der Richtlinien 78/660/EWG, 83/349/EWG, 86/635/EWG und 91/674/EWG über den Jahresabschluss und den konsolidierten Abschluss von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen, von Banken und anderen Finanzinstituten sowie von Versicherungsunternehmen, ABlEU v. 17.7.2003, L 178/16. RL 2006/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 14.6.2006 zur Änderung der Richtlinien des Rates 78/660/EWG über den Jahresabschluss von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen, 83/349/EWG über den konsolidierten Abschluss, 86/635/EWG über den Jahresabschluss und den konsolidierten Abschluss von Banken und anderen Finanzinstituten und 91/674/EWG über den Jahresabschluss und den konsolidierten Abschluss von Versicherungsunternehmen, ABlEU v. 16.8.2006, L 224/1. RL 2006/99/EG des Rates v. 20.11.2006 zur Anpassung bestimmter Richtlinien im Bereich Gesellschaftsrecht anlässlich des Beitritts Bulgariens und Rumäniens, ABlEU v. 20.12.2006, L 363/137. Vgl. Fundstellenverzeichnis. Richtlinie 2009/49/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 18.6.2009 zur Änderung der Richtlinien 78/660/EWG und 83/349/EWG des Rates im Hinblick auf bestimmte Angabepflichten mittlerer Gesellschaften sowie die Pflicht zur Erstellung eines konsolidierten Abschlusses, ABlEU v. 26.6.2009, L 164/42.

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Durch das EWR-Abkommen wurde der Anwendungsbereich der RL m.W.v. 4 1.1.1994 bzw. 1.1.1995 18 auch auf die EWR-Staaten ausgedehnt.19 Die Umsetzung der ursprünglichen Fassung der RL (sowie der Änderungen 5 durch die 7. (Konzernbilanz-)RL [dazu § 25] und die RL 84/569/EWG20) erfolgte in Deutschland (verspätet 21) durch das BiRiLiG v. 19.12.198522 (das auch die 7. (Konzernbilanz-)RL und die 8. RL umsetzte, vgl. § 25 Rn. 7, § 27 Rn. 4). Es konzentriert die Regeln zum Jahresabschluss (Bilanz, Gewinn- und Verlustrechnung sowie Anhang) und zum Lagebericht, ihrer Prüfung und Publizität weitestgehend im Dritten Buch des HGB (§§ 238–342e). Zugleich brachte es für das deutsche Recht aber auch beträchtliche Modifikationen in materieller Hinsicht.23 Der deutsche Gesetzgeber hat darin von einigen interessanten Wahlrechten der 4. (Bilanz-)RL Gebrauch gemacht, die zu ganz neuen Lösungen für das damalige deutsche Recht geführt haben; so ist heute z.B. auch die Rechtsform der Aktiengesellschaft in das System der Größenklassen des § 267 HGB (dazu u. Rn. 6 ff.) einbezogen. Im deutschen Recht nachvollzogen werden mussten aber selbstverständlich auch die inzwischen erfolgten zahlreichen Änderungen der RL (dazu o. Rn. 3). Hervorzuheben24 ist hier zunächst das KapCoRiLiG v. 24.2.2000 25, mit dem die KapCo-RL (dazu o. Rn. 3) in das deutsche

18 Für Island und Norwegen (sowie für Finnland, Österreich, Schweden, die aber inzwischen zur EU gehören) zum 1.1.1994, für Liechtenstein zum 1.1.1995. 19 Vgl. Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum – Anhang XXII, Nr. 4 (ABlEG v. 3.1.1994, L 1/3). 20 Fn. 4. 21 Vgl. dazu Bayer/J. Schmidt, Überlagerungen des deutschen Aktienrechts durch das Europäische Unternehmensrecht: Eine Bilanz von 1968 bis zur Gegenwart, in: Bayer/ Habersack (Hrsg.), Aktienrecht im Wandel, Bd. 1, 2007, Kap. 18 Rn. 9 Fn. 30. 22 Gesetz zur Durchführung der Vierten, Siebenten und Achten Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaften zur Koordinierung des Gesellschaftsrechts (Bilanzrichtlinien-Gesetz – BiRiLiG) v. 19.12.1985, BGBl. I, 2355. Dazu Albrecht WPg 1987, 443 ff.; Claussen AG 1986, 145 ff.; Busse von Colbe WPg 1987, 117 ff.; Cronos DB 1987, 105 ff.; Eisele BB 1986, 493 ff.; Emmerich WPg 1986, 698 ff.; Gelhausen AG 1986, 67 ff.; Glade GmbHR 1986, 418 ff.; Goerdeler AnwBl. 1986, 220 ff.; Grewe WPg 1986, 85 ff.; Großfeld NJW 1986, 955 ff.; Helmrich GmbHR 1986, 6 ff.; Hesselmann BB 1987, 1770 ff.; Hommelhoff/Priester ZGR 1986, 463 ff.; Kropff DB 1986, 364 ff.; Lachnit/Freidank DB 1986, 1081 ff.; Liebs GmbHR 1986, 145 ff.; Lück GmbHR 1987, 42 ff.; Lück/Schönbrunn Stbg 1987, 81 ff.; Mann DB 1986, 2199 ff.; Maulbetsch DB 1986, 953 ff.; Meilicke DB 1986, 2445 ff.; Menger GmbHR 1986, 373 ff.; Ordelheide/Hartle GmbHR 1986, 9 ff., 38 ff.; Schaller RIW 1988, 632 ff.; Scheidle BB 1986, 2065 ff.; Schulze-Osterloh ZHR 150 (1986) 403 ff.; ders. ZHR 150 (1986) 532 ff.; Strobel DB 1987, 237 ff.; Wiesner WM 1986, 217 ff.; Wöhe DStR 1987, 3 ff.; Woltmann DB 1986, 1861 ff. 23 Vgl. Bayer/J. Schmidt (Fn. 21), Rn. 9. 24 Vgl. i.Ü. die Zusammenstellung im Fundstellenverzeichnis. 25 Gesetz zur Durchführung der Richtlinie des Rates der Europäischen Union zur Änderung der Bilanz- und der Konzernabschlussrichtlinie hinsichtlich ihres Anwendungsbereichs (90/605/EWG), zur Verbesserung der Offenlegung von Jahresabschlüssen und zur Änderung anderer handelsrechtlicher Bestimmungen (Kapitalgesellschaften- und CoRichtlinie-Gesetz – KapCoRiLiG) v. 24.2.2000, BGBl. I, 154. Dazu etwa Dieckmann GmbHR 2000, 353 ff.; Bihr BB 1999, 1862 ff.; Eisolt/Verdenhalven NZG 2000, 130 ff.;

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Gesellschaftsrechtliche Richtlinien

Recht transformiert wurde (insbesondere: Einfügung der §§ 264a–264c HGB). Die eigentlichen großen Reformgesetze waren aber das BilReG v. 4.12.2004 26 (dazu bereits § 10 Rn. 19) und zuletzt das BilMoG v. 25.5.2009 27 (dazu bereits § 10 Rn. 21).

II. Inhalt 1. Größenspezifische Unterschiede 6 Kennzeichnend für die RL ist die Konzeption einer größenspezifischen Rechnungslegung: Die Bilanzierungsprüfungs- und -publizitätsregeln unterscheiden nicht nach den Rechtsformen AG oder GmbH, sondern allein nach der jeweiligen Unternehmensgröße. Die RL bildet dafür drei Typen von Gesellschaften: die kleine, die mittlere und die große (vgl. auch bereits § 10 Rn. 4 ff. [dort auch zu geplanten Sonderregelungen für microentities]; näher u. Rn. 7 ff.). Diese drei Typen von Gesellschaften unterscheiden sich hinsichtlich der Rechtsfolgen (dazu u. Rn. 10 ff.).

a) Die Größenklassen 7 Die kleine Kapitalgesellschaft darf gem. den zwischenzeitlich erfolgten Änderungen nach der deutschen Umsetzung der Art. 11 und 27 der RL (im Rahmen derer die monetären Schwellenwerte gegenüber der RL unter Berufung auf deren Art. 12 Abs. 2 um 10 % erhöht wurden28 [vgl. auch bereits § 10 Rn. 5 Fn. 3]) zwei der folgenden drei Schwellenwerte nicht überschreiten (§ 267 Abs. 1 HGB): Bilanzsumme 4,84 Mio. Euro; Netto-Umsatzerlöse jährlich 9,68 Mio. Euro und 50 Arbeitnehmer im Jahresdurchschnitt. 8 Die mittelgroße Kapitalgesellschaft hat nach § 267 Abs. 2 HGB eine Bilanzsumme von höchstens 19,25 Mio. Euro, jährliche Umsatzerlöse von nicht mehr als 38,5 Mio. Euro und nicht mehr als 250 Arbeitnehmer im Jahresdurchschnitt. 9 Große Kapitalgesellschaften sind mithin gem. § 267 Abs. 3 HGB solche, die mindestens zwei der soeben genannten Größen im Jahresdurchschnitt überschreiten; darüber hinaus sind alle kapitalmarktorientierten Unternehmen i.S.v. § 264d HGB große Kapitalgesellschaften. Hahn DStR 2001, 1267 f.; Heni DStR 1999, 912 ff.; Jansen DStR 2000, 596 ff.; Luttermann ZIP 2000, 517 ff.; Pawelzik/Theile DStR 2000, 2145 ff.; Scheffler DStR 2000, 529 ff.; Strobel BB 1999, 1854 ff.; Zimmer/Eckhold NJW 2000, 1361 ff. 26 Gesetz zur Einführung internationaler Rechnungslegungsstandards und zur Sicherung der Qualität der Abschlussprüfung (Bilanzrechtsreformgesetz – BilReG) v. 4.12.2004, BGBl. I, 3166. Schrifttum bei § 10 Rn. 19. 27 Gesetz zur Modernisierung des Bilanzrechts (Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz – BilMoG) v. 25.5.2009, BGBl. I, 1102. Schrifttum bei § 10 Rn. 21. 28 Vgl. BegrRegE z. BilMoG, BR-Drs. 344/08, S. 138; s. ferner auch bereits BegrRegE z. BilReG, BT-Drs. 15/3419, S. 29. Kritisch zur Richtlinienkonformität Arbeitskreis Bilanzrecht der Hochschullehrer Rechtswissenschaft BB 2004, 546, 547.

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Die Jahresabschluss-(Bilanz-)Richtlinie (4. Richtlinie)

Kriterium Größenklasse kleine KapGes (§ 267 I HGB) mittelgroße KapGes (§ 267 II HGB) große KapGes (§ 267 III HGB)

Bilanzsumme (in Euro)

Umsatzerlöse (in Euro)

Arbeitnehmer

≤ 4,84 Mio.

≤ 9,68 Mio.

≤ 50

4,84–19,25 Mio.

9,68–38,5 Mio.

51–250

> 19,25 Mio.

> 38,5 Mio.

> 250

b) Rechtsfolgen Für die kleinen Kapitalgesellschaften bestehen nationale Gesetzgebungswahlrechte: 10 Bei der Rechnungslegung können sie von der tiefen Gliederung freigestellt werden (Art. 11), bei der Abschlussprüfung von der obligatorischen Pflichtprüfung (Art. 51 Abs. 2); es kann ein verkürzter Anhang vorgesehen werden (Art. 44 Abs. 2); unter bestimmten Voraussetzungen kann von der Aufstellung eines Lageberichts befreit werden (Art. 46 Abs. 3); ferner können diese Gesellschaften von der Offenlegung der Gewinn- und Verlustrechnung, des Lageberichts und des Berichts des Abschlussprüfers befreit werden (Art. 47 Abs. 2). Darüber hinaus gelten auch für sie definitionsgemäß die Erleichterungsoptionen für mittelgroße Kapitalgesellschaften29 (dazu sogleich Rn. 11). Die mittelgroßen Kapitalgesellschaften unterliegen zwar der obligatorischen 11 Abschlussprüfung (vgl. Art. 51). Auch für sie sind aber Mitgliedstaatenwahlrechte für bestimmte Erleichterungen vorgesehen: So können i.R.d. Gewinn- und Verlustrechnung bestimmte Zusammenfassungen gestattet werden (Art. 27); sie können von bestimmten Angaben im Anhang befreit werden (Art. 45 Abs. 2); zudem können Erleichterungen in Bezug auf die Angaben zu außerbilanziellen Geschäften sowie Geschäften mit nahestehenden Personen im Anhang (Art. 43 Abs. 1 Nr. 7a Unterabs. 2, Nr. 7b Unterabs. 2), für den Lagebericht (Art. 46 Abs. 4), und in Bezug auf die Offenlegung (Art. 47 Abs. 3) vorgesehen werden. Der deutsche Gesetzgeber hat von diesen Wahlmöglichkeiten umfangreich Ge- 12 brauch gemacht (vgl. §§ 266 Abs. 1 S. 3, 274a, 276, 288, 289 Abs. 3, 316 Abs. 1 S. 1, 326, 327 HGB). 2. Gliederung, Bilanzierungsgrundsätze und Bewertung Der Jahresabschluss besteht nach Art. 2 Abs. 1 Unterabs. 1 aus Bilanz (Art. 8–21, 31– 13 42f), Gewinn- und Verlustrechnung (Art. 22–30, 31–42f) und Anhang (Art. 43– 45); darüber hinaus können die Mitgliedstaaten weitere Bestandteile gestatten oder vorschreiben (Unterabs. 2). Neben den – durch Zahlen geprägten – Jahresabschluss tritt – als verbalisierte Darstellung – der Lagebericht (Art. 46).30 29 Vgl. auch Grundmann Rn. 509. 30 Vgl. Edwards S. 148; Grundmann Rn. 557; Habersack § 8 Rn. 25.

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Die RL etabliert eine ganze Reihe von Bilanzierungsgrundsätzen und -zielen, die allerdings teilweise auch in einem gewissen Spannungsfeld zueinander stehen.31 Zu nennen sind insbesondere der Grundsatz der Klarheit und Übersichtlichkeit (Art. 2 Abs. 2) 32, das Gebot des true and fair view (Art. 2 Abs. 3) 33, das Vorsichtsprinzip (Art. 31 Abs. 1 lit. c) 34, das Stetigkeitsprinzip (Art. 3 und Art. 31 Abs. 1 lit. b und f) 35 und der Grundsatz der hinreichenden Genauigkeit und Darstellungstiefe (Art. 4 Abs. 1–3, Art. 5 und 7) 36. 15 Die Bilanzgliederung entspricht hergebrachten kontinentalen Übungen. Hervorzuheben sind das Bruttoprinzip für das Anlage- und Umlaufvermögen (Art. 15). Für die Bewertung gilt grundsätzlich das Anschaffungs- und Herstellungsprinzip sowie bei Wertminderungen das Niederstwertprinzip (Art. 31–42). Wenn also auch im Grundsatz am Anschaffungskostenprinzip festgehalten wird, so wird den Mitgliedstaaten doch ein Gesetzgebungswahlrecht eingeräumt, eine Bewertung nach Wiederbeschaffungskosten oder eine fallweise Neubewertung zuzulassen; die positive Differenz daraus muss jedoch einer Neubewertungsrücklage zugeführt werden, die nur bei einer Realisierung aufgelöst werden darf, aber jederzeit in Kapital umgewandelt werden kann (Art. 33). Deutschland hat auch im BilMoG (dazu allg. § 10 Rn. 21) von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch gemacht. 16 Die Gewinn- und Verlustrechnung kann in Konto- oder Staffelform aufgestellt werden.37 Die Pflichtangaben im Anhang sind außerordentlich umfangreich (Art. 43) und umfassen Angaben wie etwa die Auswirkungen steuerlicher Sonderabschreibungen in der Bilanz (Art. 43 Abs. 1 Nr. 10). 14

3. Prüfung 17 Gem. Art. 51 Abs. 1 unterliegen Jahresabschlüsse einer obligatorischen Abschlussprüfung durch nach den Umsetzungsvorschriften zur Abschlussprüfer-RL38 (dazu § 27) zugelassene Personen; diese müssen zudem auch ein Urteil darüber abgeben, ob der Lagebericht mit dem Jahresabschluss in Einklang steht oder nicht. Gem. Art. 51 Abs. 2 können die Mitgliedstaaten allerdings kleine Kapitalgesellschaften von dieser Pflichtprüfung freistellen (vgl. bereits o. Rn. 10). 18 Die Prüfungspflicht gem. Art. 51 hat in Deutschland dazu geführt, dass auch die Jahresabschlüsse mittelgroßer GmbH prüfungspflichtig wurden. Da diese bis dahin auf freiwilliger Grundlage von Rechtsanwälten und Steuerberatern geprüft worden

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Näher Grundmann Rn. 513 ff.; Habersack § 8 Rn. 29 ff. (jeweils m.w.N.). Vgl. dazu Grundmann Rn. 517; Habersack § 8 Rn. 26. Vgl. dazu Edwards S. 128 ff.; Grundmann Rn. 513 f.; Habersack § 8 Rn. 29. Vgl. dazu Edwards S. 134 ff.; Grundmann Rn. 513 f.; Habersack § 8 Rn. 28 f. Vgl. dazu Grundmann Rn. 518; Habersack § 8 Rn. 27. Vgl. dazu Grundmann Rn. 519. Näher Grundmann Rn. 548. Verweise auf die „alte“ 8. RL 84/253/EWG sind heute als Verweis auf die „neue“ Abschlussprüfer-RL 2006/43/EG zu lesen, vgl. deren Art. 50.

Die Jahresabschluss-(Bilanz-)Richtlinie (4. Richtlinie)

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waren, wurde durch das BiRiLiG (dazu o. Rn. 5) für diese Personen der Berufsstand des „Vereidigten Buchprüfers“ wiedereröffnet und vorgesehen, dass auch vereidigte Buchprüfer Abschlussprüfer von Jahresabschlüssen mittelgroßer GmbH sein können (§ 319 Abs. 1 S. 2 HGB).39 I.Ü. gilt das „reine“ Wirtschaftsprüferprinzip (vgl. auch § 319 Abs. 1 HGB). 4. Publizität Der Jahresabschluss, der Lagebericht und der Bericht des Abschlussprüfers sind gem. 19 Art. 47 Abs. 1 Unterabs. 1 nach dem Verfahren nach Art. 3 der 1. (Publizitäts-)RL40 (dazu ausf. § 19 Rn. 13 ff.) offen zu legen (vgl. auch Art. 2 lit. f der 1. RL, dazu § 19 Rn. 34 ff.). Die Mitgliedstaaten können aber den Lagebericht ausnehmen (Unterabs. 2) sowie bestimmte Erleichterungen für Kapitalgesellschaften & Co sowie für kleine und mittelgroße Kapitalgesellschaften vorsehen (Art. 47 Abs. 1a–3, dazu auch bereits o. Rn. 10 f.). Bis zur Umsetzung der RL durch das BiRiLiG (dazu u. Rn. 5) hatten in Deutsch- 20 land die Handelsregister nur die Einreichung der testierten Jahresabschlüsse von Aktiengesellschaften entgegenzunehmen und zu überwachen. Mit Inkrafttreten des BiRiLiG kamen auf sie zusätzlich die Jahresabschlüsse von sämtlichen GmbH hinzu (heute mehr als 1 Mio.), sowie – mit Inkrafttreten des KapCoRiLiG (dazu o. Rn. 5) – die Abschlüsse aller GmbH & Co. KG, die alle beim Handelsregister am Sitz der Gesellschaft eingereicht werden mussten (§ 325 Abs. 1 S. 1 HGB a.F.) und dort nun jedermann zur Einsicht offen standen (§ 9 HGB). Auf Grund der Reform der 1. (Publizitäts-)RL durch die Änderungs-RL 2003/58/EG (dazu § 19 Rn. 5) wurde die Bilanzpublizität durch das EHUG41 m.W.v. 1.1.2007 jedoch umfassend reformiert und von den Registergerichten abgekoppelt: Die Rechnungslegungsunterlagen sind nun in elektronischer Form zentral beim Betreiber des elektronischen Bundesanzeigers einzureichen (§ 325 Abs. 1 S. 1 HGB) und werden dann in das Unternehmensregister eingestellt (§ 8b Abs. 2 Nr. 4 HGB) (dazu bereits näher § 19 Rn. 17). Zugleich wurde zur Sanktionierung von Verstößen ein Amtsverfahren – verbunden mit einer Prüfund Meldepflicht des elektronischen Bundesanzeigers – eingeführt (§§ 329 Abs. 1 u. 4; 335 HGB n.F.; näher dazu bereits § 19 Rn. 36).

III. Fundstellenverzeichnis Grundlage:

Art. 50 Abs. 2 lit. g AEU [G Art. 44 Abs. 2 lit. g EG G Art. 54 Abs. 3 lit. g EWG]

39 Vgl. Bericht Rechtsausschuss z. BiRiLiG, BT-Drs. 10/4268, S. 92 f., 118, 136 ff. 40 Der Verweis auf Art. 3 der RL 68/151/EWG ist als Verweis auf Art. 3 der kodifizierten Fassung (RL 2009/101/EG) zu lesen, vgl. Art. 16 Abs. 2 RL 2009/101/EG. 41 Gesetz über elektronische Handelsregister und Genossenschaftsregister sowie das Unternehmensregister (EHUG) v. 10.11.2006, BGBl. I, 2553.

788

Gesellschaftsrechtliche Richtlinien

Vorschläge:

Vorschlag einer Vierten Richtlinie (EWG) des Rates aufgrund von Artikel 54 Abs. 3 Buchstabe g zur Koordinierung der Schutzbestimmungen, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter hinsichtlich der Gliederung und des Inhalts des Jahresabschlusses und des Lageberichts sowie hinsichtlich der Bewertungsmethoden und der Offenlegung dieser Dokumente vorgeschrieben sind, 16.11.1971, KOM(71) 1232 = BR-Drs. VI/2875 Geänderter Vorschlag einer Vierten Richtlinie (EWG) des Rates aufgrund von Artikel 54 Abs. 3 Buchstabe g zur Koordinierung der Schutzbestimmungen, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter hinsichtlich der Gliederung und des Inhalts des Jahresabschlusses und des Lageberichts sowie hinsichtlich der Bewertungsmethoden und der Offenlegung dieser Dokumente vorgeschrieben sind, 21.2.1974, KOM(74) 191

verabschiedete Fassung:

Vierte RL 78/660/EWG des Rates v. 25.7.1978 aufgrund von Artikel 54 Absatz 3 Buchstabe g) des Vertrages über den Jahresabschluß von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen, ABlEG v. 14.8.1978, L 222/11

geändert durch:

Beitrittsakte von 1979, ABlEG v. 19.11.1979, L 291/17 (Griechenland) Siebente RL 83/349/EWG des Rates v. 13.6.1983 aufgrund von Artikel 54 Absatz 3 Buchstabe g) des Vertrages über den konsolidierten Abschluß, ABlEG v. 18.7.1983, L 193/1 [7. (Konzernbilanz-)RL] RL 84/569/EWG des Rates v. 27.11.1984 zur Änderung der in ECU ausgedrückten Beträge der Richtlinie 78/660/EWG, ABlEG v. 4.12.1984, L 314/28 Beitrittsakte von 1985, ABlEG v. 15.11.1985, L 302/23 (Spanien und Portugal) Elfte RL 89/666/EWG des Rates v. 21.12.1989 über die Offenlegung von Zweigniederlassungen, die in einem Mitgliedstaat von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen errichtet wurden, die dem Recht eines anderen Staates unterliegen, ABlEG v. 30.12.1989, L 395/36 [11. (Zweigniederlassungs-)RL] RL 90/604/EWG des Rates v. 8.11.1990 zur Änderung der Richtlinie 78/660/EWG über den Jahresabschluß und der Richtlinie 83/349/EWG über den konsolidierten Abschluß hinsichtlich der Ausnahme für kleine und mittlere Gesellschaften sowie der Offenlegung von Abschlüssen in Ecu, ABlEG v. 16.11.1990, L 317/57 [Mittelstands-RL] RL 90/605/EWG des Rates vom v. 8.11.1990 zur Änderung der Richtlinien 78/660/EWG und 83/349/EWG über den Jahresabschluß bzw. den konsolidierten Abschluß hinsichtlich ihres Anwendungsbereichs, ABlEG v. 16.11.1990, L 317/60 [KapCo-RL] RL 94/8/EG des Rates v. 21.3.1994 zur Änderung der in Ecu ausgedrückten Beträge der Richtlinie 78/660/EWG, ABlEG v. 25.3.1994, L 82/33

Die Jahresabschluss-(Bilanz-)Richtlinie (4. Richtlinie)

789

Beitrittsakte von 1994, ABlEG v. 29.8.1994, C 241/194 (Finnland, Österreich und Schweden) RL 1999/60/EG des Rates v. 17.6.1999 zur Änderung hinsichtlich der in Ecu ausgedrückten Beträge der Richtlinie 78/660/ EWG, ABlEG v. 26.6.1999, L 162/65 RL 2001/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 27.9.2001 zur Änderung der Richtlinien 78/660/EWG, 83/349/EWG und 86/635/EWG des Rates im Hinblick auf die im Jahresabschluss bzw. im konsolidierten Abschluss von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen und von Banken und anderen Finanzinstituten zulässigen Wertansätze, ABlEG v. 27.10.2001, L 283/28 [Fair Value-RL] RL 2003/38/EG des Rates v. 13.5.2003 zur Änderung der Richtlinie 78/660/EWG über den Jahresabschluss von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen hinsichtlich der in Euro ausgedrückten Beträge, ABlEU v. 15.5.2003, L 120/22 RL 2003/51/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 18.6.2003 zur Änderung der Richtlinien 78/660/EWG, 83/349/EWG, 86/635/EWG und 91/674/EWG über den Jahresabschluss und den konsolidierten Abschluss von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen, von Banken und anderen Finanzinstituten sowie von Versicherungsunternehmen, ABlEU v. 17.7.2003, L 178/16 [Modernisierungs-RL] Beitrittsakte von 2003, ABlEU v. 23.9.2003, L 236/338 (Estland, Lettland, Litauen, Malta, Polen, Slowakei, Slowenien, Tschechien, Ungarn, Zypern) RL 2006/43/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 17.5.2006 über Abschlussprüfungen von Jahresabschlüssen und konsolidierten Abschlüssen, zur Änderung der Richtlinien 78/660/EWG und 83/349/EWG des Rates und zur Aufhebung der Richtlinie 84/253/EWG des Rates, ABlEU v. 9.6.2006, L 157/87 RL 2006/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 14.6.2006 zur Änderung der Richtlinien des Rates 78/660/ EWG über den Jahresabschluss von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen, 83/349/EWG über den konsolidierten Abschluss, 86/635/EWG über den Jahresabschluss und den konsolidierten Abschluss von Banken und anderen Finanzinstituten und 91/674/EWG über den Jahresabschluss und den konsolidierten Abschluss von Versicherungsunternehmen, ABlEU v. 16.8.2006, L 224/1 RL 2006/99/EG des Rates v. 20.11.2006 zur Anpassung bestimmter Richtlinien im Bereich Gesellschaftsrecht anlässlich des Beitritts Bulgariens und Rumäniens, ABlEU v. 20.12.2006, L 363/137 Richtlinie 2009/49/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 18.6.2009 zur Änderung der Richtlinien 78/660/EWG und 83/349/EWG des Rates im Hinblick auf bestimmte Angabepflichten mittlerer Gesellschaften sowie die Pflicht zur Erstellung eines konsolidierten Abschlusses, ABlEU v. 26.6. 2009, L 164/42

790

Gesellschaftsrechtliche Richtlinien

Umsetzung in Deutschland: ursprüngliche Umsetzung

Gesetz zur Durchführung der Vierten, Siebenten und Achten Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaften zur Koordinierung des Gesellschaftsrechts (Bilanzrichtlinien-Gesetz – BiRiLiG) v. 19.12.1985, BGBl. I, 2355

RL 83/349/EWG

BiRiLiG (s.o.)

RL 84/569/EWG

BiRiLiG (s.o.)

Elfte RL 89/666/EWG

Gesetz zur Durchführung der Elften gesellschaftsrechtlichen Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaften und über Gebäudeversicherungsverhältnisse v. 22.7.1993, BGBl. I, 1282

RL 90/604/EG

Gesetz zur Änderung des D-Markbilanzgesetzes und anderer handelsrechtlicher Bestimmungen v. 25.7.1994, BGBl. I, 1682

RL 90/605/EG

Gesetz zur Durchführung der Richtlinie des Rates der Europäischen Union zur Änderung der Bilanz- und der Konzernabschlussrichtlinie hinsichtlich ihres Anwendungsbereichs (90/605/EWG), zur Verbesserung der Offenlegung von Jahresabschlüssen und zur Änderung anderer handelsrechtlicher Bestimmungen (Kapitalgesellschaften- und Co-Richtlinie-Gesetz – KapCoRiLiG) v. 24.2.2000, BGBl. I, 154

RL 94/8/EG

DM-BilanzG (s.o.)

RL 1999/60/EG

KapCoRiLiG (s.o.)

RL 2001/65/EG

Gesetz zur Einführung internationaler Rechnungslegungsstandards und zur Sicherung der Qualität der Abschlussprüfung (Bilanzrechtsreformgesetz – BilReG) v. 4.12.2004, BGBl. I, 3166

RL 2003/38/EG

BilReG (s.o.)

RL 2003/51/EG

BilReG (s.o.)

RL 2006/43/EG

partiell antizipiert durch: BilReG (s.o.) Gesetz zur Fortentwicklung der Berufsaufsicht über Abschlussprüfer in der Wirtschaftsprüferordnung (Abschlussprüferaufsichtsgesetz – APAG) v. 27.12.2004, BGBl. I, 3846 i.Ü.: Gesetz zur Stärkung der Berufsaufsicht und zur Reform berufsrechtlicher Regelungen in der Wirtschaftsprüferordnung (Berufsaufsichtsreformgesetz – BARefG) v. 3.9.2007, BGBl. I, 2178 Gesetz zur Modernisierung des Bilanzrechts (Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz – BilMoG) v. 25.5.2009, BGBl. I, 1102

RL 2006/46/EG

BilMoG (s.o.)

RL 2006/99/EG

Umsetzung nicht erforderlich

RL 2009/49/EG

BilMoG (s.o.)

Die Jahresabschluss-(Bilanz-)Richtlinie (4. Richtlinie)

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VIERTE RICHTLINIE DES RATES vom 25. Juli 1978 aufgrund von Artikel 54 Absatz 3 Buchstabe g) des Vertrages über den Jahresabschluß von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen (78/660/EWG)

DER RAT DER SCHAFTEN –

EUROPÄISCHEN

GEMEIN-

gestützt auf den Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, insbesondere auf Artikel 54 Absatz 3 Buchstabe g), auf Vorschlag der Kommission, nach Stellungnahme des Europäischen Parlaments(1), nach Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses(2), in Erwägung nachstehender Gründe: Der Koordinierung der einzelstaatlichen Vorschriften über die Gliederung und den Inhalt des Jahresabschlusses und des Lageberichts sowie über die Bewertungsmethoden und die Offenlegung dieser Unterlagen, insbesondere bei der Aktiengesellschaft und der Gesellschaft mit beschränkter Haftung, kommt im Hinblick auf den Schutz der Gesellschafter sowie Dritter besondere Bedeutung zu. Eine gleichzeitige Koordinierung auf diesen Gebieten ist bei den vorgenannten Gesellschaftsformen deswegen erforderlich, weil die Tätigkeit der betreffenden Gesellschaften einerseits häufig über das nationale Hoheitsgebiet hinausreicht und die Gesellschaften andererseits Dritten eine Sicherheit nur durch ihr Gesellschaftsvermögen bieten. Die Notwendigkeit und die Dringlichkeit einer solchen Koordinierung wurden im übrigen durch Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe f) der Richtlinie 68/151/EWG(3) anerkannt und bestätigt. Außerdem ist es erforderlich, daß hinsichtlich des Umfangs der zu veröffentlichenden finanziellen Angaben in der Gemeinschaft gleichwertige rechtliche Mindestbedingungen für miteinander im Wettbewerb stehende Gesellschaften hergestellt werden. Der Jahresabschluß muß ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage der Gesellschaft vermitteln. Zu diesem Zweck müssen für die Aufstellung der Bilanz sowie der Gewinn- und Verlustrechnung zwingend vorgeschriebene Gliederungs(1) ABl. Nr. C 129 vom 11.12.1972, S. 38. (2) ABl. Nr. C 39 vom 7.6.1973, S. 31. (3) ABl. Nr. L 65 vom 14.3.1968, S. 8.

schemata vorgesehen und muß der Mindestinhalt des Anhangs sowie des Lageberichts festgelegt werden. Jedoch können für bestimmte Gesellschaften wegen ihrer geringeren wirtschaftlichen und sozialen Bedeutung Ausnahmen zugelassen werden. Die verschiedenen Bewertungsmethoden müssen, soweit erforderlich, vereinheitlicht werden, um die Vergleichbarkeit und die Gleichwertigkeit der in den Jahresabschlüssen gemachten Angaben zu gewährleisten. Der Jahresabschluß aller Gesellschaften, für die diese Richtlinie gilt, muß gemäß der Richtlinie 68/151/EWG offengelegt werden. Jedoch können auch in dieser Hinsicht Ausnahmen zugunsten kleiner und mittlerer Gesellschaften gemacht werden. Der Jahresabschluß muß von dazu befugten Personen geprüft werden; hinsichtlich dieser Personen werden die für ihre Befähigung zu verlangenden Mindestanforderungen zu einem späteren Zeitpunkt koordiniert werden; lediglich bei kleinen Gesellschaften soll eine Befreiung von dieser Prüfungspflicht möglich sein. Gehört eine Gesellschaft zu einem Konzern, so ist, es wünschenswert, daß der Konzernabschluß, der ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild von der Tätigkeit des Konzerns insgesamt vermittelt, offengelegt wird. Jedoch sind bis zum Inkrafttreten der Richtlinie des Rates über die Konzernabschlüsse Ausnahmen von einzelnen Bestimmungen der vorliegenden Richtlinien notwendig. Um den Schwierigkeiten zu begegnen, die sich aus den gegenwärtigen Rechtsvorschriften einiger Mitgliedstaaten ergeben, muß die Frist, die für die Anwendung einzelner Bestimmungen dieser Richtlinie eingeräumt wird, länger sein als die in solchen Fällen sonst vorgesehene Frist – HAT FOLGENDE RICHTLINIE ERLASSEN:

Artikel 1 (1) Die durch diese Richtlinie vorgeschriebenen Maßnahmen der Koordinierung gelten für die Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten für Gesellschaften folgender Rechtsformen:

792

Gesellschaftsrechtliche Richtlinien

– in der Bundesrepublik Deutschland: die Aktiengesellschaft, die Kommanditgesellschaft auf Aktien, die Gesellschaft mit beschränkter Haftung;

– in Österreich: die Aktiengesellschaft, die Gesellschaft mit beschränkter Haftung; – in Finnland:

– in Belgien: la société anonyme/de naamloze vennootschap, la société en commandite par actions/de commanditaire vennootschap op aandelen, la société de personnes à responsabilité limitée/ de personenvennootschap met beperkte aansprakelijkheid; – in Dänemark: aktieselskaber, kommanditaktieselskaber, anpartsselskaber;

osakeyhtiö/aktiebolag; – in Schweden: aktiebolag; – in der Tschechischen Republik: spolecˇnost s rucˇením omezeny´ m, akciová spolecˇnost; – in Estland: aktsiaselts, osaühing;

– in Frankreich: la société anonyme, la société en commandite par actions, la société à responsabilité limitée;

– in Zypern: Dhmósiev etaireíev periorisménhv euqúnhv me metocév ä me eggúhsh, idiwtikév etaireíev periorisménhv euqúnhv me metocév ä me eggúhsh;

– in Irland: public companies limited by shares or by guarantee, private companies limited by shares or by guarantee; – in Italien: la società per azioni, la società in accomandita per azioni, la società a responsabilità limitata; – in Luxemburg: la société anonyme, la société en commandite par actions, la société à responsabilité limitée; – in den Niederlanden: de naamloze vennootschap, de besloten vennootschap met beperkte aansprakelijkheid; – im Vereinigten Königreich: public companies limited by shares or by guarantee, private companies limited by shares or by guarantee; – in Griechenland: h anånumh etairía, h etairía periwrisménhv euqúnhv, h eterórruqmh katá metocév etairía; – in Spanien: la sociedad anónima, la sociedad comanditaria por acciones, la sociedad de responsabilidad limitada; – in Portugal: a sociedade anónima de responsabilidade limitada, a sociedade em comandita por acções, a sociedade por quotas de responsabilidade limitada;

– in Lettland: akciju sabiedrı¯ ba, sabiedrı¯ ba ar ierobezˇotu atbildı¯ bu; – in Litauen: akcine˙s bendrove˙s, uzˇdarosios akcine˙s bendrove˙s; – in Ungarn: részvénytársaság, korlátolt felelo˝sségu˝ társaság; – in Malta: kumpanija pubblika – public limited liability company,kumpannija privata – private limited liability company, soc˙ jeta in akkomandita bil-kapital maqsum f’azzjonijiet – partnership en commandite with the capital divided into shares; – in Polen: spól/ ka akcyjna, spól/ ka z ograniczona˛ odpowiedzialnos´cia˛, spól/ ka komandytowo-akcyjna; – in Slowenien: delnisˇka druzˇba, druzˇba z omejeno odgovornostjo, komaditna delnisˇka druzˇba; – in der Slowakei: akciová spolocˇnost’, spolocˇnost’ s rucˇením obmedzeny´m; – in Bulgarien:

akcionerno druΩestvo, druΩestvo s ogranihena otgovornost, komanditno druΩestvo s akcii;

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Die Jahresabschluss-(Bilanz-)Richtlinie (4. Richtlinie) – in Rumänien: societate pe act¸iuni, societate cu ra˘spundere limitata˘, societate în comandita˘ pe act¸iuni. Die durch diese Richtlinie vorgeschriebenen Maßnahmen der Koordinierung gelten auch für die Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten für Gesellschaften folgender Rechtsformen: a) in Deutschland: die offene Handelsgesellschaft, die Kommanditgesellschaft; b) in Belgien la société en nom collectif/de vennootschap onder firma, la société en commandite simple/ de gewone commanditaire vennootschap; c) in Dänemark: interessentskaber, kommanditselskaber; d) in Frankreich: la société en nom collectif, la société en commandite simple; e) in Griechenland: h omórruqmov etairía, h eterórruqmov etairía; f) in Spanien: sociedad colectiva, sociedad en comandita simple; g) in Irland: the partnership, the limited partnership, the unlimited company; h) in Italien: la società in nome collettivo, la società in accomandita semplice; i) in Luxemburg: la société en nom collectif, la société en commandite simple; j) in den Niederlanden de vennootschap onder firma, de commanditaire vennootschap; k) in Portugal: sociedade em nome colectivo, sociedade em comandita simples; l) im Vereinigten Königreich: the partnership, the limited partnership, the unlimited company; m) in Österreich: die offene Handelsgesellschaft, die Kommanditgesellschaft;

n) in Finnland: avoin yhtiö/öppet bolag, kommandiittiyhtiö/kommanditbolag; o) in Schweden: handelsbolag, kommanditbolag; p) in der Tschechischen Republik: verˇejná obchodní spolecˇ nost, spolecˇnost, druzˇ stvo;

komanditní

q) in Estland: täisühing, usaldusühing; r) in Zypern: Omórruqmev kai eterórruqmev etaireíev (sunetairismoí); s) in Lettland: pilnsabiedrı¯ ba, komanditsabiedrı¯ ba; t) in Litauen: tikrosios u¯kine˙s bendrijos, komanditine˙s u¯kine˙s bendrijos; u) in Ungarn: közkereseti társaság, betéti társaság, közös vállalat, egyesülés; v) in Malta: Soc˙jeta f’isem kollettiv jew soc˙jeta in akkomandita, bil-kapital li mhux maqsum f’azzjonijiet ¯ andhom responsabbimeta s-soc˙ji kollha li gh lita’ llimitata huma soc˙jetajiet tat-tip deskritt f’sub paragrafu 1 – Partnership en nom collectif or partnership en commandite with capital that is not divided into shares, when all the partners with unlimited liability are partnerships as described in sub-paragraph 1; w) in Polen: spól/ ka jawna, spól/ ka komandytowa; x) in Slowenien: druzˇ ba z neomejeno odgovornostjo, komanditna druzˇ ba; y) in der Slowakei: verejná obchodná spolocˇnost’, komanditná spolocˇnost’; z) in Bulgarien:

sßbiratelno druøestvo;

druΩestvo,

komanditno

(aa) in Romania: asocietate în nume colectiv, societate în comandita˘ simpla˘

794

Gesellschaftsrechtliche Richtlinien

sofern alle ihre unbeschränkt haftenden Gesellschafter Gesellschaften im Sinne von Unterabsatz 1 oder Gesellschaften sind, welche nicht dem Recht eines Mitgliedstaates unterliegen, deren Rechtsform jedoch den Rechtsformen im Sinne der Richtlinie 68/151/EWG vergleichbar ist. Die Richtlinie findet auch auf die Gesellschaftsformen im Sinne von Unterabsatz 2 Anwendung, sofern alle deren unbeschränkt haftenden Gesellschafter eine Rechtsform im Sinne von Unterabsatz 2 oder 1 haben. (2) Bis zu einer späteren Koordinierung können die Mitgliedstaaten von einer Anwendung dieser Richtlinie auf Banken und andere Finanzinstitute sowie auf Versicherungsgesellschaften absehen.

ABSCHNITT 1 Allgemeine Vorschriften Artikel 2 (1) Der Jahresabschluß besteht aus der Bilanz, der Gewinn- und Verlustrechnung und dem Anhang zum Jahresabschluß. Diese Unterlagen bilden eine Einheit. Die Mitgliedstaaten können gestatten oder vorschreiben, dass der Jahresabschluss zusätzlich zu den in Unterabsatz 1 genannten Unterlagen weitere Bestandteile umfasst. (2) Der Jahresabschluß ist klar und übersichtlich aufzustellen; er muß dieser Richtlinie entsprechen. (3) Der Jahresabschluß hat ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage der Gesellschaft zu vermitteln. (4) Reicht die Anwendung dieser Richtlinie nicht aus, um ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild im Sinne des Absatzes 3 zu vermitteln, so sind zusätzliche Angaben zu machen. (5) Ist in Ausnahmefällen die Anwendung einer Vorschrift dieser Richtlinie mit der in Absatz 3 vorgesehenen Verpflichtung unvereinbar, so muß von der betreffenden Vorschrift abgewichen werden, um sicherzustellen, daß ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild im Sinne des Absatzes 3 vermittelt wird. Die Abweichung ist im Anhang anzugeben und hinreichend zu begründen; ihr Einfluß auf die Vermögens-, Finanzund Ertragslage ist darzulegen. Die Mitgliedstaaten können die Ausnahmefälle bezeichnen und die entsprechende Ausnahmeregelung festlegen. (6) Die Mitgliedstaaten können gestatten oder vorschreiben, daß in dem Jahresabschluß neben den Angaben, die aufgrund dieser Richtlinie erforderlich sind, weitere Angaben gemacht werden.

ABSCHNITT 2 Allgemeine Vorschriften über die Bilanz und die Gewinn- und Verlustrechnung Artikel 3 Hinsichtlich der Gliederung der aufeinanderfolgenden Bilanzen und Gewinn- und Verlustrechnungen, insbesondere in der Wahl der Darstellungsform, muß Stetigkeit gewahrt werden. Abweichungen von diesem Grundsatz sind in Ausnahmefällen zulässig. Finden derartige Abweichungen statt, so sind sie im Anhang anzugeben und hinreichend zu begründen. Artikel 4 (1) In der Bilanz sowie in der Gewinn- und Verlustrechnung sind die Posten, die in den Artikeln 9, 10 und 23 bis 26 vorgesehen sind, gesondert und in der angegebenen Reihenfolge auszuweisen. Eine weitere Untergliederung der Posten ist gestattet; dabei ist jedoch die Gliederung der Schemata zu beachten. Neue Posten dürfen hinzugefügt werden, soweit ihr Inhalt nicht von einem der in den Schemata vorgesehenen Posten gedeckt wird. Die Mitgliedstaaten können eine solche weitere Untergliederung oder die Hinzufügung eines neuen Postens vorschreiben. (2) Eine Anpassung der Gliederung, Nomenklatur und Terminologie bei mit arabischen Zahlen versehenen Posten der Bilanz und der Gewinn- und Verlustrechung muß erfolgen, wenn dies aufgrund der Besonderheit des Unternehmens erforderlich ist. Eine solche Anpassung kann von den Mitgliedstaaten für die Unternehmen eines bestimmten Wirtschaftszweigs vorgeschrieben werden. (3) Die mit arabischen Zahlen versehenen Posten der Bilanz und der Gewinn- und Verlustrechnung können zusammengefaßt ausgewiesen werden, a) wenn sie in bezug auf die Zielsetzung des Artikels 2 Absatz 3 einen nicht nennenswerten Betrag darstellen oder b) wenn dadurch die Klarheit vergrößert wird; die zusammengefaßten Posten müssen jedoch gesondert im Anhang ausgewiesen werden. Eine solche Zusammenfassung kann durch die Mitgliedstaaten vorgeschrieben werden. (4) In der Bilanz sowie in der Gewinn- und Verlustrechnung ist zu jedem Posten die entsprechende Zahl des vorhergehenden Geschäftsjahres anzugeben. Die Mitgliedstaaten können vorsehen, daß die Zahl des vorhergehenden Geschäftsjahres angepaßt werden muß, wenn diese Zahlen nicht vergleichbar sind. Besteht diese Vergleichbarkeit nicht und werden die Zahlen gegebenenfalls angepaßt, so ist dies im Anhang anzugeben und hinreichend zu erläutern. (5) Ein Posten der Bilanz oder der Gewinn- und Verlustrechnung, der keine Zahl aufweist, wird

Die Jahresabschluss-(Bilanz-)Richtlinie (4. Richtlinie) nicht aufgeführt, es sei denn, daß im vorhergehenden Geschäftsjahr eine entsprechende Zahl gemäß Absatz 4 ausgewiesen wurde (6) Die Mitgliedstaaten können gestatten oder vorschreiben, dass der Ausweis von Beträgen in Posten der Gewinn- und Verlustrechnung sowie der Bilanz den wirtschaftlichen Gehalt des zugrunde liegenden Geschäftsvorfalls oder der zugrunde liegenden Vereinbarung berücksichtigt. Eine derartige Erlaubnis oder Verpflichtung kann auf bestimmte Gruppen von Gesellschaften und/ oder auf den konsolidierten Abschluss im Sinne der Siebenten Richtlinie 83/349/EWG des Rates vom 13. Juni 1983 über den konsolidierten Abschluss(4) beschränkt werden. Artikel 5 (1) Die Mitgliedstaaten können abweichend von Artikel 4 Absätze 1 und 2 Sondergliederungen für den Jahresabschluß von Investmentgesellschaften sowie von Beteiligungsgesellschaften vorsehen, sofern diese Sondergliederungen ein dem Artikel 2 Absatz 3 entsprechendes Bild von diesen Gesellschaften vermitteln. (2) Als Investmentgesellschaften im Sinne dieser Richtlinie gelten ausschließlich a) Gesellschaften, deren einziger Zweck darin besteht, ihre Mittel in Wertpapieren oder Immobilien verschiedener Art oder in anderen Werten anzulegen mit dem einzigen Ziel, das Risiko der Investitionen zu verteilen und ihre Aktionäre oder Gesellschafter an dem Gewinn aus der Verwaltung ihres Vermögens zu beteiligen; b) Gesellschaften, die mit Investmentgesellschaften verbunden sind, die ein festes Kapital haben, sofern der einzige Zweck dieser verbundenen Gesellschaften darin besteht, voll eingezahlte Aktien, die von diesen Investmentgesellschaften ausgegeben worden sind, zu erwerben, unbeschadet des Artikels 20 Absatz 1 Buchstabe h) der Richtlinie 77/91/EWG(5). (3) Als Beteiligungsgesellschaften im Sinne dieser Richtlinie gelten ausschließlich Gesellschaften, deren einziger Zweck darin besteht, Beteiligungen an anderen Unternehmen zu erwerben sowie die Verwaltung und Verwertung dieser Beteiligungen wahrzunehmen, ohne daß diese Gesellschaften unmittelbar oder mittelbar in die Verwaltung dieser Unternehmen eingreifen, unbeschadet der Rechte, die den Beteiligungsgesellschaften in ihrer Eigenschaft als Aktionärin oder Gesellschafterin zustehen. Die Einhaltung der für die Tätigkeit dieser Gesellschaften bestehenden Beschränkungen muß durch ein Gericht oder eine Verwaltungsbehörde überwacht werden können. (4) ABl. L 193 vom 18.7.1983, S. 1. Zuletzt geändert durch die Richtlinie 2001/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates (ABl. L 283 vom 27.10.2001, S. 28). 5 ( ) ABl. Nr. L 26 vom 31.1.1977, S. 1.

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Artikel 6 Die Mitgliedstaaten können gestatten oder vorschreiben, daß die Gliederung der Bilanz und der Gewinn- und Verlustrechnung für den Ausweis der Verwendung der Ergebnisse angepaßt werden kann.

Artikel 7 Eine Verrechnung zwischen Aktiv- und Passivposten sowie zwischen Aufwands- und Ertragsposten ist unzulässig.

ABSCHNITT 3 Gliederung der Bilanz Artikel 8 Für die Aufstellung der Bilanz sehen die Mitgliedstaaten, eine oder beide der in den Artikeln 9 und 10 vorgesehenen Gliederungen vor. Sieht ein Mitgliedstaat beide Gliederungen vor, so kann er den Gesellschaften die Wahl zwischen diesen Gliederungen überlassen. Die Mitgliedstaaten können den Gesellschaften gestatten oder vorschreiben, die Bilanz statt nach den an anderer Stelle vorgeschriebenen oder gestatteten Gliederungen nach Artikel 10a aufzustellen.

Artikel 9 Aktiva A. Ausstehende Einlagen auf das gezeichnete Kapital davon eingefordert (sofern nicht die einzelstaatlichen Rechtsvorschriften den Ausweis des eingeforderten Kapitals auf der Passivseite vorsehen. In diesem Fall muß derjenige Teil des Kapitals, der eingefordert aber noch nicht eingezahlt ist, entweder unter dem Posten A oder unter dem Posten D. II. 5 auf der Aktivseite ausgewiesen werden).

B. Aufwendungen für die Errichtung und Erweiterung des Unternehmens wie in den entsprechenden einzelstaatlichen Rechtsvorschriften festgelegt und soweit diese eine Aktivierung gestatten. Die einzelstaatlichen Rechtsvorschriften können ebenfalls vorsehen, daß die Aufwendungen für die Errichtung und Erweiterung des Unternehmens als erster Posten unter „Immaterielle Anlagewerte“ ausgewiesen werden.

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Gesellschaftsrechtliche Richtlinien

C. Anlagevermögen

3. Fertige Erzeugnisse und Waren. 4. Geleistete Anzahlungen.

I. Immaterielle Anlagewerte 1. Forschungs- und Entwicklungskosten, soweit die einzelstaatlichen Rechtsvorschriften eine Aktivierung gestatten; 2. Konzessionen, Patente, Lizenzen, Warenzeichen und ähnliche Rechte und Werte, soweit sie a) entgeltlich erworben wurden und nicht unter dem Posten C. I. 3 auszuweisen sind oder

II. Forderungen (Bei den folgenden Posten ist jeweils gesondert anzugeben, in welcher Höhe Forderungen mit einer Restlaufzeit von mehr als einem Jahr enthalten sind) 1. Forderungen aus Lieferungen und Leistungen. 2. Forderungen gegen verbundene Unternehmen.

b) von dem Unternehmen selbst erstellt wurden, soweit die einzelstaatlichen Rechtsvorschriften eine Aktivierung gestatten;

3. Forderungen gegen Unternehmen, mit denen ein Beteiligungsverhältnis besteht.

3. Geschäfts- oder Firmenwert, sofern er entgeltlich erworben wurde;

5. Gezeichnetes Kapital, das eingefordert, aber noch nicht eingezahlt ist (sofern nicht die einzelstaatlichen Rechtsvorschriften den Ausweis des eingeforderten Kapitals unter dem Posten A. auf der Aktivseite vorsehen).

4. Geleistete Anzahlungen. II. Sachanlagen 1. Grundstücke und Bauten. 2. Technische Anlagen und Maschinen. 3. Andere Anlagen, Betriebs- und Geschäftsausstattung. 4. Geleistete Anzahlungen und Anlagen im Bau.

4. Sonstige Forderungen.

6. Rechnungsabgrenzungsposten (sofern nicht die einzelstaatlichen Rechtsvorschriften den Ausweis der Rechnungsabgrenzungsposten unter dem Posten E. auf der Aktivseite vorsehen). III. Wertpapiere 1. Anteile an verbundenen Unternehmen.

2. Forderungen gegen verbundene Unternehmen.

2. Eigene Aktien oder Anteile (unter Angabe ihres Nennbetrages oder, wenn ein Nennbetrag nicht vorhanden ist, ihres rechnerischen Wertes), soweit die einzelstaatlichen Rechtsvorschriften eine Bilanzierung gestatten.

3. Beteiligungen.

3. Sonstige Wertpapiere.

III. Finanzanlagen 1. Anteile an verbundenen Unternehmen.

4. Forderungen gegen Unternehmen, mit denen ein Beteiligungsverhältnis besteht. 5. Wertpapiere des Anlagevermögens.

IV. Guthaben bei Kreditinstituten, Postscheckguthaben, Schecks und Kassenbestand.

6. Sonstige Ausleihungen. 7. Eigene Aktien oder Anteile (unter Angabe ihres Nennbetrages oder, wenn ein Nennbetrag nicht vorhanden ist, ihres rechnerischen Wertes), soweit die einzelstaatlichen Rechtsvorschriften eine Bilanzierung gestatten. D. Umlaufvermögen I. Vorräte 1. Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe. 2. Unfertige Erzeugnisse.

E. Rechnungsabgrenzungsposten (sofern nicht die einzelstaatlichen Rechtsvorschriften den Ausweis der Rechnungsabgrenzungsposten unter den Posten D. II. 6 auf der Aktivseite vorsehen).

F. Verlust des Geschäftsjahres (sofern nicht die einzelstaatlichen Rechtsvorschriften den Ausweis unter dem Posten A. VI auf der Passivseite vorsehen).

Die Jahresabschluss-(Bilanz-)Richtlinie (4. Richtlinie) Passiva A. Eigenkapital I. Gezeichnetes Kapital (sofern nicht die einzelstaatlichen Rechtsvorschriften den Ausweis des eingeforderten Kapitals unter diesem Posten vorsehen. In diesem Fall müssen das gezeichnete und das eingezahlte Kapital gesondert ausgewiesen werden). II. Agio III. Neubewertungsrücklage IV. Rücklagen 1. Gesetzliche Rücklage, soweit einzelstaatliche Rechtsvorschriften die Bildung einer derartigen Rücklage vorschreiben. 2. Rücklage für eigene Aktien oder Anteile, soweit einzelstaatliche Rechtsvorschriften die Bildung einer derartigen Rücklage vorschreiben, unbeschadet des Artikels 22 Absatz 1 Buchstabe b) der Richtlinie 77/91/EWG.

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3. Erhaltene Anzahlungen auf Bestellungen, soweit diese nicht von dem Posten Vorräte offen abgesetzt werden. 4. Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen. 5. Verbindlichkeiten aus Wechseln. 6. Verbindlichkeiten gegenüber verbundenen Unternehmen. 7. Verbindlichkeiten gegenüber Unternehmen, mit denen ein Beteiligungsverhältnis besteht. 8. Sonstige Verbindlichkeiten, davon Verbindlichkeiten aus Steuern und Verbindlichkeiten im Rahmen der sozialen Sicherheit. 9. Rechnungsabgrenzungsposten (sofern nicht die einzelstaatlichen Rechtsvorschriften den Ausweis der Rechnungsabgrenzungsposten unter dem Posten D. auf der Passivseite vorsehen). D. Rechnungsabgrenzungsposten (sofern nicht die einzelstaatlichen Rechtsvorschriften den Ausweis der Rechnungsabgrenzungsposten unter dem Posten C. 9 auf der Passivseite vorsehen).

3. Satzungsmäßige Rücklagen. 4. Sonstige Rücklagen. V. Ergebnisvortrag VI. Ergebnis des Geschäftsjahres (sofern nicht die einzelstaatlichen Rechtsvorschriften den Ausweis dieses Postens unter dem Posten F auf der Aktivseite oder unter dem Posten E auf der Passivseite vorschreiben).

E. Gewinn des Geschäftsjahres (sofern nicht die einzelstaatlichen Rechtsvorschriften den Ausweis unter dem Posten A.Vl auf der Passivseite vorsehen)

Artikel 10 A. Ausstehende Einlagen auf das gezeichnete Kapital davon eingefordert

B. Rückstellungen 1. Rückstellungen für Pensionen und ähnliche Verpflichtungen. 2. Steuerrückstellungen. 3. Sonstige Rückstellungen. C. Verbindlichkeiten (Bei den folgenden Posten ist jeweils gesondert und für diese Posten insgesamt anzugeben, in welcher Höhe Verbindlichkeiten mit einer Restlaufzeit von bis zu einem Jahr und Verbindlichkeiten mit einer Restlaufzeit von mehr als einem Jahr enthalten sind): 1. Anleihen, davon konvertibel. 2. Verbindlichkeiten gegenüber Kreditinstituten.

(sofern nicht die einzelstaatlichen Rechtsvorschriften den Ausweis des eingeforderten Kapitals unter dem Posten L. vorsehen. In diesem Fall muß derjenige Teil des Kapitals, der eingefordert, aber noch nicht eingezahlt ist, entweder unter dem Posten A. oder unter dem Posten D. II. 5 ausgewiesen werden). B. Aufwendungen für die Errichtung und Erweiterung des Unternehmens wie in den entsprechenden einzelstaatlichen Rechtsvorschriften festgelegt und soweit diese eine Aktivierung gestatten. Die einzelstaatlichen Rechtsvorschriften können ebenfalls vorsehen, daß die Aufwendungen für die Errichtung und Erweiterung des Unternehmens als erster Posten unter „Immaterielle Anlagewerte“ ausgewiesen werden.

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Gesellschaftsrechtliche Richtlinien

C. Anlagevermögen I. Immaterielle Anlagewerte 1. Forschungs- und Entwicklungskosten, soweit die einzelstaatlichen Rechtsvorschriften eine Aktivierung gestatten. 2. Konzessionen, Patente, Lizenzen, Warenzeichen und ähnliche Rechte und Werte, soweit sie a) entgeltlich erworben wurden und nicht unter dem Posten C. I. 3 auszuweisen sind oder b) von dem Unternehmen selbst erstellt wurden, soweit die einzelstaatlichen Rechtsvorschriften eine Aktivierung gestatten. 3. Geschäfts- oder Firmenwert, sofern er entgeltlich erworben wurde. 4. Geleistete Anzahlungen. II. Sachanlagen 1. Grundstücke und Bauten.

II. Forderungen (Bei den folgenden Posten ist jeweils gesondert anzugeben, in welcher Höhe Forderungen mit einer Restlaufzeit von mehr als einem Jahr enthalten sind) 1. Forderungen aus Lieferungen und Leistungen. 2. Forderungen gegen verbundene Unternehmen. 3. Forderungen gegen Unternehmen, mit denen ein Beteiligungsverhältnis besteht. 4. Sonstige Forderungen. 5. Gezeichnetes Kapital, das eingefordert, aber noch nicht eingezahlt ist (sofern nicht die einzelstaatlichen Rechtsvorschriften den Ausweis des eingeforderten Kapitals unter dem Posten A. vorsehen). 6. Rechnungsabgrenzungsposten (sofern nicht die einzelstaatlichen Rechtsvorschriften den Ausweis der Rechnungsabgrenzungsposten unter dem Posten E. vorsehen).

2. Technische Anlagen und Maschinen. 3. Andere Anlagen, Betriebs- und Geschäftsausstattung. 4. Geleistete Anzahlungen und Anlagen im Bau. III. Finanzanlagen 1. Anteile an verbundenen Unternehmen. 2. Forderungen gegen verbundene Unternehmen. 3. Beteiligungen. 4. Forderungen gegen Unternehmen, mit denen ein Beteiligungsverhältnis besteht. 5. Wertpapiere des Anlagevermögens. 6. Sonstige Ausleihungen. 7. Eigene Aktien oder Anteile (unter Angabe ihres Nennbetrages oder, wenn ein Nennbetrag nicht vorhanden ist, ihres rechnerischen Wertes), soweit die einzelstaatlichen Rechtsvorschriften eine Bilanzierung gestatten.

III. Wertpapiere 1. Anteile an verbundenen Unternehmen. 2. Eigene Aktien oder Anteile (unter Angabe ihres Nennbetrages oder, wenn ein Nennbetrag nicht vorhanden ist, ihres rechnerischen Wertes), soweit die einzelstaatlichen Rechtsvorschriften eine Bilanzierung gestatten. 3. Sonstige Wertpapiere. IV. Guthaben bei Kreditinstituten, Postscheckguthaben, Schecks und Kassenbestand.

E. Rechnungsabgrenzungsposten (sofern nicht die einzelstaatlichen Rechtsvorschriften den Ausweis der Rechnungsabgrenzungsposten unter dem Posten D. II. 6 vorsehen)

F. Verbindlichkeiten mit einer Restlaufzeit bis zu einem Jahr D. Umlaufvermögen 1. Anleihen, davon konvertibel. I. Vorräte 1. Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe. 2. Unfertige Erzeugnisse. 3. Fertige Erzeugnisse und Waren. 4. Geleistete Anzahlungen.

2. Verbindlichkeiten gegenüber Kreditinstituten. 3. Erhaltene Anzahlungen auf Bestellungen, soweit diese nicht von dem Posten Vorräte offen abgesetzt werden. 4. Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen.

Die Jahresabschluss-(Bilanz-)Richtlinie (4. Richtlinie) 5. Verbindlichkeiten aus Wechseln.

2. Steuerrückstellungen.

6. Verbindlichkeiten gegenüber verbundenen Unternehmen.

3. Sonstige Rückstellungen.

7. Verbindlichkeiten gegenüber Unternehmen, mit denen ein Beteiligungsverhältnis besteht. 8. Sonstige Verbindlichkeiten, davon Verbindlichkeiten aus Steuern und Verbindlichkeiten im Rahmen der sozialen Sicherheit. 9. Rechnungsabgrenzungsposten (sofern nicht die einzelstaatlichen Rechtsvorschriften den Ausweis der Rechnungsabgrenzungsposten unter dem Posten K. vorsehen). G. Umlaufvermögen (einschließlich der Rechnungsabgrenzungsposten, sofern unter Posten E angegeben), das die Verbindlichkeiten mit einer Restlaufzeit von bis zu einem Jahr (einschließlich der Rechnungsabgrenzungsposten, sofern unter Posten K angegeben) übersteigt. H. Gesamtbetrag des Vermögens nach Abzug der Verbindlichkeiten mit einer Restlaufzeit von bis zu einem Jahr. I. Verbindlichkeiten mit einer Restlaufzeit von über einem Jahr. 1. Anleihen, davon konvertibel. 2. Verbindlichkeiten gegenüber Kreditinstituten. 3. Erhaltene Anzahlungen auf Bestellungen, soweit sie nicht von den Vorräten gesondert abgezogen werden. 4. Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen.

K. Rechnungsabgrenzungsposten (sofern nicht die einzelstaatlichen Rechtsvorschriften den Ausweis der Rechnungsabgrenzungsposten unter dem Posten F. 9 oder I. 9 vorsehen) L. Eigenkapital I. Gezeichnetes Kapital (sofern nicht einzelstaatlichen Rechtsvorschriften den Ausweis des eingeforderten Kapitals unter diesem Posten vorsehen. In diesem Fall müssen das gezeichnete und das eingezahlte Kapital gesondert ausgewiesen werden). II. Agio III. Neubewertungsrücklage IV. Rücklagen 1. Gesetzliche Rücklage, soweit einzelstaatliche Rechtsvorschriften die Bildung einer derartigen Rücklage vorschreiben. 2. Rücklage für eigene Aktien oder Anteile, soweit einzelstaatliche Rechtsvorschriften die Bildung einer derartigen Rücklage vorschreiben, unbeschadet des Artikels 22 Absatz 1 Buchstabe b) der Richtlinie 77/91/EWG. 3. Satzungsmäßige Rücklagen. 4. Sonstige Rücklagen.

5. Verbindlichkeiten aus Wechseln.

V. Ergebnisvortrag

6. Verbindlichkeiten gegenüber verbundenen Unternehmen.

VI. Ergebnis des Geschäftsjahres

7. Verbindlichkeiten gegenüber Unternehmen, mit denen ein Beteiligungsverhältnis besteht. 8. Sonstige Verbindlichkeiten, davon Verbindlichkeiten aus Steuern und Verbindlichkeiten im Rahmen der sozialen Sicherheit. 9. Rechnungsabgrenzungsposten (sofern nicht die einzelstaatlichen Rechtsvorschriften den Ausweis der Rechnungsabgrenzungsposten unter dem Posten K. vorsehen).

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Artikel 10a Anstelle der Gliederung der Bilanzposten nach den Artikeln 9 und 10 können die Mitgliedstaaten den Gesellschaften oder bestimmten Gruppen von Gesellschaften gestatten oder vorschreiben, bei der Gliederung zwischen kurz- und langfristigen Posten zu unterscheiden, sofern der vermittelte Informationsgehalt dem nach den Artikeln 9 und 10 geforderten mindestens gleichwertig ist. Artikel 11

J. Rückstellungen 1. Rückstellungen für Pensionen und ähnliche Verpflichtungen.

Die Mitgliedstaaten können zulassen, daß Gesellschaften, bei denen am Bilanzstichtag die Grenzen von zwei der drei folgenden Größenmerkmale, nämlich

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Gesellschaftsrechtliche Richtlinien

– Bilanzsumme: 4 400 000 EUR; – Nettoumsatzerlöse: 8 800 000 EUR; – durchschnittliche Anzahl der während des Geschäftsjahrs Beschäftigten: 50, nicht überschritten werden, eine verkürzte Bilanz aufstellen, in die nur die in den Artikel 9 und 10 vorgesehenen mit Buchstaben und römischen Zahlen bezeichneten Posten aufgenommen werden, wobei die bei dem Posten D. II der Aktiva und dem Posten C. der Passiva des Artikels 9 sowie bei dem Posten D. II des Artikels 10 in Klammern verlangten Angaben gesondert, jedoch zusammengefaßt für jeden betroffenen Posten, zu machen sind. Die Mitgliedstaaten können zulassen, daß Artikel 15 Absatz 3 Buchstabe a) und Absatz 4 nicht für die verkürzte Bilanz gilt. Für jene Mitgliedstaaten, die den Euro nicht eingeführt haben, wird der Betrag in nationaler Währung, der zu dem in Absatz 1 genannten Betrag gleichwertig ist, durch die Anwendung des Umrechnungskurses ermittelt, der gemäß der Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union am Tag des Inkrafttretens jeder Richtlinie gilt, die diese Beträge festsetzt.

Artikel 12 (1) Überschreitet eine Gesellschaft zum Bilanzstichtag die Grenzen von zwei der drei in Artikel 11 genannten Größenmerkmale oder überschreitet sie diese nicht mehr, so wirken sich diese Umstände auf die Anwendung der in dem genannten Artikel vorgesehenen Ausnahmen nur dann aus, wenn sie während zwei aufeinanderfolgenden Geschäftsjahren fortbestanden haben. (2) Bei der Umrechnung in nationale Währungen darf von den in Artikel 11 genannten und in Europäischen Rechnungseinheiten ausgedrückten Beträgen nur um höchstens 10 % nach oben abgewichen werden. (3) Die in Artikel 11 bezeichnete Bilanzsumme setzt sich bei der Gliederung nach Artikel 9 aus den Posten A. bis E. der Aktiva und bei der Gliederung nach Artikel 10 aus den Posten A. bis E. zusammen. Artikel 13 (1) Fällt ein Vermögensgegenstand auf der Aktivoder Passivseite unter mehrere Posten des Gliederungsschemas, so ist die Mitzugehörigkeit zu den anderen Posten bei dem Posten, unter dem er ausgewiesen wird, oder im Anhang zu vermerken, wenn eine solche Angabe zur Aufstellung eines klaren und übersichtlichen Jahresabschlusses nötig ist. (2) Eigene Aktien und Anteile sowie Anteile an verbundenen Unternehmen dürfen nur unter den dafür vorgesehenen Posten ausgewiesen werden.

Artikel 14 Unter der Bilanz oder im Anhang sind, sofern sie nicht auf der Passivseite auszuweisen sind, alle Garantieverpflichtungen, gegliedert nach den Garantiearten, die die einzelstaatlichen Rechtsvorschriften vorsehen, und unter Angabe der gewährten dinglichen Sicherheiten anzugeben. Bestehen die Garantieverpflichtungen gegenüber verbundenen Unternehmen, so ist dies gesondert anzugeben.

ABSCHNITT 4 Vorschriften zu einzelnen Posten der Bilanz Artikel 15 (1) Für die Zuordnung der Vermögenswerte zum Anlage- oder Umlaufvermögen ist ihre Zweckbestimmung maßgebend. (2) Das Anlagevermögen umfaßt die Vermögensgegenstände, die dazu bestimmt sind, dauernd dem Geschäftsbetrieb zu dienen. (3) a) Die Entwicklung der einzelnen Posten des Anlagevermögens ist in der Bilanz oder im Anhang darzustellen. Dabei müssen, ausgehend von den Anschaffungs- oder Herstellungskosten, die Zu- und Abgänge sowie die Umbuchungen in dem Geschäftsjahr, die bis zum Bilanzstichtag vorgenommenen Wertberichtigungen sowie die Zuschreibungen von Wertberichtigungen früherer Geschäftsjahre für jeden Posten des Anlagevermögens gesondert aufgeführt werden. Die Wertberichtigungen sind entweder in der Bilanz von dem betreffenden Posten offen abgesetzt oder im Anhang auszuweisen. b) Wenn zum Zeitpunkt der erstmals nach dieser Richtlinie vorgenommenen Aufstellung des Jahresabschlusses die Anschaffungs- oder Herstellungskosten eines Gegenstandes des Anlagevermögens nicht ohne ungerechtfertigte Kosten oder Verzögerungen festgestellt werden können, kann der Restbuchwert am Anfang des Geschäftsjahres als Anschaffungs- oder Herstellungskosten betrachtet werden. Die Anwendung dieses Buchstabens b) ist im Anhang zu erwähnen. c) Bei Anwendung von Artikel 33 ist der durch Buchstabe a) dieses Absatzes vorgeschriebene Ausweis der Entwicklung der einzelnen Posten des Anlagevermögens aufgrund der neu bewerteten Anschaffungs- oder Herstellungskosten vorzunehmen. (4) Die Vorschriften des Absatzes 3 Buchstaben a) und b) gelten entsprechend für die Darstellung des Postens „Aufwendungen für die Errichtung und Erweiterung des Unternehmens“.

Die Jahresabschluss-(Bilanz-)Richtlinie (4. Richtlinie)

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Artikel 16

Artikel 21

Unter dem Posten „Grundstücke und Bauten“ sind Rechte an Grundstücken sowie grundstücksgleiche Rechte auszuweisen, wie sie das nationale Recht festlegt.

Als Rechnungsabgrenzungsposten auf der Passivseite sind Einnahmen vor dem Abschlußstichtag auszuweisen, soweit sie Erträge für eine bestimmte Zeit nach diesem Tag darstellen, sowie Aufwendungen vor dem Abschlußstichtag, welche erst nach diesem Tag zu Ausgaben führen. Die Mitgliedstaaten können jedoch vorsehen, daß diese Aufwendungen unter den Verbindlichkeiten ausgewiesen werden; erreichen sie einen größeren Umfang, so müssen sie im Anhang näher erläutert werden.

Artikel 17 Beteiligungen im Sinne dieser Richtlinie sind Anteile an anderen Unternehmen, die dazu bestimmt sind, dem eigenen Geschäftsbetrieb durch Herstellung einer dauernden Verbindung zu jenen Unternehmen zu dienen; dabei ist es gleichgültig, ob die Anteile in Wertpapieren verbrieft sind oder nicht. Es wird eine Beteiligung an einer anderen Gesellschaft vermutet, wenn der Anteil an ihrem Kapital über einem Vomhundertsatz liegt, der von den Mitgliedstaaten auf höchstens 20 % festgesetzt werden darf.

Artikel 18 Als Rechnungsabgrenzungsposten auf der Aktivseite sind Ausgaben vor dem Abschlußstichtag auszuweisen, soweit sie Aufwendungen für eine bestimmte Zeit nach diesem Tag darstellen, sowie Erträge, die erst nach dem Abschlußstichtag fällig werden. Die Mitgliedstaaten können jedoch vorsehen, daß diese Erträge unter den Forderungen ausgewiesen werden; erreichen sie einen größeren Umfang, so müssen sie im Anhang näher erläutert werden.

ABSCHNITT 5 Gliederung der Gewinn- und Verlustrechnung Artikel 22 Für die Aufstellung der Gewinn- und Verlustrechnung sehen die Mitgliedstaaten eine oder mehrere der in den Artikeln 23 bis 26 aufgeführten Gliederungen vor. Sieht ein Mitgliedstaat mehrere Gliederungen vor, so kann er den Gesellschaften die Wahl zwischen diesen Gliederungen überlassen. Abweichend von Artikel 2 Absatz 1 können die Mitgliedstaaten allen Gesellschaften oder einzelnen Gruppen von Gesellschaften gestatten oder vorschreiben, anstelle der Gliederung der Posten der Gewinn- und Verlustrechnung nach den Artikeln 23 bis 26 eine Ergebnisrechnung („statement of performance“) aufzustellen, sofern der vermittelte Informationsgehalt dem nach jenen Artikeln geforderten mindestens gleichwertig ist.

Artikel 19 Wertberichtigungen beinhalten alle Wertänderungen von Vermögensgegenständen; sie dienen der Berücksichtigung endgültiger oder nicht endgültiger Wertminderungen, welche am Bilanzstichtag festgestellt werden.

Artikel 23 1. Nettoumsatzerlöse. 2. Veränderung des Bestandes an fertigen und unfertigen Erzeugnissen. 3. Andere aktivierte Eigenleistungen.

Artikel 20 (1) Als Rückstellungen sind ihrer Eigenart nach genau umschriebene Verbindlichkeiten auszuweisen, die am Bilanzstichtag wahrscheinlich oder sicher, aber hinsichtlich ihrer Höhe oder des Zeitpunkts ihres Eintritts unbestimmt sind. (2) Die Mitgliedstaaten können außerdem die Bildung von Rückstellungen für ihrer Eigenart nach genau umschriebene, dem Geschäftsjahr oder einem früheren Geschäftsjahr zuzuordnende Aufwendungen zulassen, die am Bilanzstichtag als wahrscheinlich oder sicher, aber hinsichtlich ihrer Höhe oder dem Zeitpunkt ihres Eintritts unbestimmt sind. (3) Rückstellungen dürfen keine Wertberichtigungen zu Aktivposten darstellen.

4. Sonstige betriebliche Erträge. 5. a) Materialaufwand. b) Sonstige externe Aufwendungen. 6. Personalaufwand: a) Löhne und Gehälter. b) Soziale Aufwendungen, davon für Altersversorgung. 7. a) Wertberichtigungen zu Aufwendungen für die Errichtung und Erweiterung des Unternehmens und zu Sachanlagen und immateriellen Anlagewerten. b) Wertberichtigungen zu Gegenständen des Umlaufvermögens, soweit diese die in dem Unternehmen üblichen Wertberichtigungen überschreiten.

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Gesellschaftsrechtliche Richtlinien

8. Sonstige betriebliche Aufwendungen. 9. Erträge aus Beteiligungen, davon aus verbundenen Unternehmen. 10. Erträge aus sonstigen Wertpapieren und Forderungen des Anlagevermögens, davon aus verbundenen Unternehmen. 11. Sonstige Zinsen und ähnliche Erträge, davon aus verbundenen Unternehmen. 12. Wertberichtigungen zu Finanzanlagen und zu Wertpapieren des Umlaufvermögens. 13. Zinsen und ähnliche Aufwendungen, davon betreffend verbundene Unternehmen. 14. Steuern auf das Ergebnis der normalen Geschäftstätigkeit. 15. Ergebnis der normalen Geschäftstätigkeit nach Abzug der Steuern. 16. Außerordentliche Erträge. 17. Außerordentliche Aufwendungen. 18. Außerordentliches Ergebnis. 19. Steuern auf das außerordentliche Ergebnis. 20. Sonstige Steuern, soweit nicht unter obigen Posten enthalten. 21. Ergebnis des Geschäftsjahres.

9. Ergebnis der normalen Geschäftstätigkeit nach Abzug der Steuern. 10. Außerordentliche Aufwendungen. 11. Steuern auf das außerordentliche Ergebnis. 12. Sonstige Steuern soweit nicht unter obigen Posten enthalten. 13. Ergebnis des Geschäftsjahres. B. Erträge 1. Nettoumsatzerlöse. 2. Erhöhung des Bestandes an fertigen und unfertigen Erzeugnissen. 3. Andere aktivierte Eigenleistungen. 4. Sonstige betriebliche Erträge. 5. Erträge aus Beteiligungen, davon aus verbundenen Unternehmen. 6. Erträge aus sonstigen Wertpapieren und Forderungen des Anlagevermögens, davon aus verbundenen Unternehmen. 7. Sonstige Zinsen und ähnliche Erträge, davon aus verbundenen Unternehmen. 8. Ergebnis der normalen Geschäftstätigkeit nach Abzug der Steuern. 9. Außerordentliche Erträge.

Artikel 24 A. Aufwendungen 1. Verringerung des Bestandes an fertigen und unfertigen Erzeugnissen. 2. a) Materialaufwand. b) Sonstige externe Aufwendungen. 3. Personalaufwand: a) Löhne und Gehälter. b) Soziale Aufwendungen, davon für Altersversorgung. 4. a) Wertberichtigungen zu Aufwendungen für die Errichtung und Erweiterung des Unternehmens und zu Sachanlagen und immateriellen Anlagewerten. b) Wertberichtigungen zu Gegenständen des Umlaufvermögens, soweit diese die in den Unternehmen üblichen Wertberichtigungen überschreiten. 5. Sonstige betriebliche Aufwendungen.

10. Ergebnis des Geschäftsjahres

Artikel 25 1. Nettoumsatzerlöse. 2. Herstellungskosten der zur Erzielung der Umsatzerlöse erbrachten Leistungen (einschließlich der Wertberichtigungen). 3. Bruttoergebnis vom Umsatz. 4. Vertriebskosten (einschließlich der Wertberichtigungen). 5. Allgemeine Verwaltungskosten (einschließlich der Wertberichtigungen). 6. Sonstige betriebliche Erträge. 7. Erträge aus Beteiligungen, davon aus verbundenen Unternehmen. 8. Erträge aus sonstigen Wertpapieren und Forderungen des Anlagevermögens, davon aus verbundenen Unternehmen. 9. Sonstige Zinsen und ähnliche Erträge, davon aus verbundenen Unternehmen.

6. Wertberichtigungen zu Finanzanlagen und zu Wertpapieren des Umlaufvermögens.

10. Wertberichtigungen zu Finanzanlagen und zu Wertpapieren des Umlaufvermögens.

7. Zinsen und ähnliche Aufwendungen, davon an verbundene Unternehmen.

11. Zinsen und ähnliche Aufwendungen, davon an verbundene Unternehmen.

8. Steuern auf das Ergebnis der normalen Geschäftstätigkeit.

12. Steuern auf das Ergebnis der normalen Geschäftstätigkeit.

Die Jahresabschluss-(Bilanz-)Richtlinie (4. Richtlinie) 13. Ergebnis der normalen Geschäftstätigkeit nach Abzug der Steuern.

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Artikel 27

15. Außerordentliche Aufwendungen.

Die Mitgliedstaaten können für Gesellschaften, bei denen am Bilanzstichtag die Grenzen von zwei der drei folgenden Größenmerkmale, nämlich

16. Außerordentliches Ergebnis.

– Bilanzsumme: 17 500 000 EUR,

17. Steuern auf das außerordentliche Ergebnis.

– Nettoumsatzerlöse: 35 000 000 EUR,

18. Sonstige Steuern, soweit nicht unter obigen Posten enthalten.

– durchschnittliche Anzahl der während des Geschäftsjahres Beschäftigten: 250,

19. Ergebnis des Geschäftsjahres.

nicht überschritten werden, folgende Abweichungen von den in den Artikeln 23 bis 26 aufgeführten Gliederungen gestatten:

14. Außerordentliche Erträge.

Artikel 26 A. Aufwendungen 1. Herstellungskosten der zur Erzielung der Umsatzerlöse erbrachten Leistungen (einschließlich der Wertberichtigungen). 2. Vertriebskosten (einschließlich der Wertberichtigungen). 3. Allgemeine Verwaltungskosten (einschließlich der Wertberichtigungen). 4. Wertberichtigungen zu Finanzanlagen und zu Wertpapieren des Umlaufvermögens. 5. Zinsen und ähnliche Aufwendungen, davon an verbundene Unternehmen. 6. Steuern auf das Ergebnis der normalen Geschäftstätigkeit. 7. Ergebnis der normalen Geschäftstätigkeit nach Abzug der Steuern. 8. Außerordentliche Aufwendungen. 9. Steuern auf das außerordentliche Ergebnis. 10. Sonstige Steuern, soweit nicht unter obigen Posten enthalten. 11. Ergebnis des Geschäftsjahres. B. Erträge:

a) in Artikel 23: Zusammenfassung der Posten 1 bis 5 zu einem Posten unter der Bezeichnung „Rohergebnis“; b) in Artikel 24: Zusammenfassung der Posten A.1, A.2 und B.1 bis B.4 zu einem Posten unter der Bezeichnung „Rohertrag“ oder gegebenenfalls „Rohaufwand“; c) in Artikel 25: Zusammenfassung der Posten 1, 2, 3 und 6 zu einem Posten unter der Bezeichnung „Rohergebnis“; d) in Artikel 26: Zusammenfassung der Posten A.1, B.1 und B.2 zu einem Posten unter der Bezeichnung „Rohertrag“ oder gegebenfalls (SIC! gegebenenfalls) „Rohaufwand“. Artikel 12 findet Anwendung. Für jene Mitgliedstaaten, die den Euro nicht eingeführt haben, wird der Betrag in nationaler Währung, der zu dem in Absatz 1 genannten Betrag gleichwertig ist, durch die Anwendung des Umrechnungskurses ermittelt, der gemäß der Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union am Tag des Inkrafttretens der jeder Richtlinie gilt, die diese Beträge festsetzt.

ABSCHNITT 6 Vorschriften zu einzelnen Posten der Gewinn- und Verlustrechnung Artikel 28

1. Nettoumsatzerlöse. 2. Sonstige betriebliche Erträge. 3. Erträge aus Beteiligungen, davon aus verbundenen Unternehmen. 4. Erträge aus sonstigen Wertpapieren und Forderungen des Anlagevermögens, davon aus verbundenen Unternehmen. 5. Sonstige Zinsen und ähnliche Erträge, davon aus verbundenen Unternehmen. 6. Ergebnis der normalen Geschäftstätigkeit nach Abzug der Steuern. 7. Außerordentliche Erträge. 8. Ergebnis des Geschäftsjahres.

Zu den Nettoumsatzerlösen zählen die Erlöse aus dem Verkauf von für die normale Geschäftstätigkeit der Gesellschaft typischen Erzeugnissen und der Erbringung von für die Tätigkeit der Gesellschaft typischen Dienstleistungen nach Abzug von Erlösschmälerungen, der Mehrwertsteuer und anderer unmittelbar auf den Umsatz bezogener Steuern.

Artikel 29 (1) Unter den Posten „Außerordentliche Erträge“ und „Außerordentliche Aufwendungen“ sind Erträge und Aufwendungen zu erfassen, die außerhalb der normalen Geschäftstätigkeit der Gesellschaft anfallen.

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Gesellschaftsrechtliche Richtlinien

(2) Sind die in Absatz 1 genannten Erträge und Aufwendungen für die Beurteilung der Ertragslage nicht von untergeordneter Bedeutung, so sind sie hinsichtlich ihres Betrags und ihrer Art im Anhang zu erläutern. Dies gilt auch für die Erträge und Aufwendungen, die einem anderen Geschäftsjahr zuzurechnen sind. Artikel 30 Die Mitgliedstaaten können zulassen, daß die Steuern auf das Ergebnis der normalen Geschäftstätigkeit und die Steuern auf das außerordentliche Ergebnis zusammengefaßt und in der Gewinn- und Verlustrechnung unter einem Posten ausgewiesen werden, der vor dem Posten „Sonstige Steuern, soweit nicht unter obigem Posten enthalten“ steht. In diesem Fall wird der Posten „Ergebnis der normalen Geschäftstätigkeit nach Abzug der Steuern“ in den Gliederungen der Artikel 23 bis 26 gestrichen. Wird diese Ausnahmeregelung angewandt, so müssen die Gesellschaften im Anhang angeben, in welchem Umfang die Steuern auf das Ergebnis das Ergebnis der normalen Geschäftstätigkeit und das außerordentliche Ergebnis belasten. ABSCHNITT 7 Bewertungsregeln Artikel 31 (1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, daß für die Bewertung der Posten im Jahresabschluß folgende allgemeine Grundsätze gelten: a) Eine Fortsetzung der Unternehmenstätigkeit wird unterstellt. b) In der Anwendung der Bewertungsmethoden soll Stetigkeit bestehen. c) Der Grundsatz der Vorsicht muß in jedem Fall beachtet werden. Das bedeutet insbesondere: aa) Nur die am Bilanzstichtag realisierten Gewinne werden ausgewiesen. bb) Es müssen alle Risiken berücksichtigt werden, die in dem betreffenden Geschäftsjahr oder einem früheren Geschäftsjahr entstanden sind, selbst wenn diese Risiken erst zwischen dem Bilanzstichtag und dem Tag der Aufstellung der Bilanz bekannt geworden sind. cc) Wertminderungen sind unabhängig davon zu berücksichtigen, ob das Geschäftsjahr mit einem Gewinn oder einem Verlust abschließt. d) Aufwendungen und Erträge für das Geschäftsjahr, auf das sich der Jahresabschluß bezieht, müssen berücksichtigt werden, ohne Rücksicht auf den Zeitpunkt der Ausgabe oder Einnahme dieser Aufwendung oder Erträge.

e) Die in den Aktiv- und Passivposten enthaltenen Vermögensgegenstände sind einzeln zu bewerten. f) Die Eröffnungsbilanz eines Geschäftsjahres muß mit der Schlußbilanz des vorhergehenden Geschäftsjahres übereinstimmen. (1a) Zusätzlich zu den nach Absatz 1 Buchstabe c) Unterbuchstabe bb) erfassten Beträgen können die Mitgliedstaaten gestatten oder vorschreiben, dass alle voraussehbaren Risiken und zu vermutenden Verluste berücksichtigt werden, die in dem betreffenden Geschäftsjahr oder einem früheren Geschäftsjahr entstanden sind, selbst wenn diese Risiken oder Verluste erst zwischen dem Bilanzstichtag und dem Tag der Aufstellung der Bilanz bekannt geworden sind. (2) Abweichungen von diesen allgemeinen Grundsätzen sind in Ausnahmefällen zulässig. Die Abweichungen sind im Anhang anzugeben und hinreichend zu begründen; ihr Einfluß auf die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage ist gesondert anzugeben.

Artikel 32 Für die Bewertung der Posten im Jahresabschluß gelten die Artikel 34 bis 42, die die Anschaffungsund Herstellungskosten zur Grundlage haben.

Artikel 33 (1) Die Mitgliedstaaten können gegenüber der Kommission erklären, daß sie sich bis zu einer späteren Koordinierung die Möglichkeit vorbehalten, in Abweichung von Artikel 32 allen Gesellschaften oder einzelnen Gruppen von Gesellschaften zu gestatten oder vorzuschreiben: a) die Bewertung auf der Grundlage des Wiederbeschaffungswertes für Sachanlagen, deren Nutzung zeitlich begrenzt ist, und für Vorräte; b) die Bewertung der Posten im Jahresabschluß, einschließlich des Eigenkapitals, auf der Grundlage anderer Methoden als der unter Buchstabe a) bezeichneten Methode, die der Inflation Rechnung tragen sollen; c) die Neubewertung der Gegenstände des Anlagevermögens. Sehen die einzelstaatlichen Rechtsvorschriften Bewertungsmethoden nach Buchstabe a), b) oder c) vor, so sind der Inhalt, der Anwendungsbereich und das Verfahren dieser Methoden festzulegen. Wird eine solche Methode angewandt, so ist dies unter Angabe der betreffenden Posten der Bilanz und der Gewinn- und Verlustrechnung sowie der für die Berechnung der ausgewiesenen Werte angewandten Methode im Anhang zu erwähnen.

Die Jahresabschluss-(Bilanz-)Richtlinie (4. Richtlinie) (2) a) Bei Anwendung des Absatzes 1 ist der Unterschiedsbetrag welcher sich aus der Bewertung auf der Grundlage der angewandten Methode und der Bewertung nach dem Grundsatz des Artikels 32 ergibt, auf der Passivseite unter dem Posten „Neubewertungsrücklage“ auszuweisen. Die steuerliche Behandlung dieses Postens ist in der Bilanz oder im Anhang zu erläutern. Zur Anwendung des letzten Unterabsatzes von Absatz 1 veröffentlichen die Gesellschaften im Anhang insbesondere eine Übersicht, aus der bei jeder Änderung der Rücklage während des Geschäftsjahres folgendes ersichtlich ist: – der Betrag der Neubewertungsrücklage zu Beginn des Geschäftsjahres; – die Unterschiedsbeträge aus der Neubewertung, die während des Geschäftsjahres auf die Neubewertungsrücklage übertragen worden sind; – die Beträge, die während des Geschäftsjahres in Kapital umgewandelt oder auf andere Weise von der Neubewertungsrücklage übertragen worden sind, sowie die Angabe der Art einer solchen Übertragung; – der Betrag der Neubewertungsrücklage am Ende des Geschäftsjahres. b) Die Neubewertungsrücklage kann jederzeit ganz oder teilweise in Kapital umgewandelt werden. c) Die Neubewertungsrücklage ist aufzulösen, soweit die darin enthaltenen Beträge nicht mehr für die Anwendung der benutzten Bewertungsmethode und die Erfüllung ihres Zwecks erforderlich sind.

805

des Artikels 32 ergebende Betrag der Wertberichtigungen unter den betreffenden Posten in den Gliederungen der Artikel 23 bis 26 ausgewiesen wird und daß die Differenz, die sich aus der nach diesem Artikel vorgenommenen Bewertungsmethode ergibt, in den Gliederungen gesondert ausgewiesen wird. Im übrigen sind die Artikel 34 bis 42 entsprechend anzuwenden. (4) Bei Anwendung von Absatz 1 ist in der Bilanz oder im Anhang für jeden Posten der Bilanz, mit Ausnahme der Vorräte, nach den in den Artikeln 9 und 10 aufgeführten Gliederungen folgendes getrennt auszuweisen: a) entweder der Betrag der Bewertungen nach dem Grundsatz des Artikels 32 und der Betrag der bis zum Bilanzstichtag vorgenommenen Wertberichtigungen b) oder der sich am Bilanzstichtag ergebende Betrag aus der Differenz zwischen der Bewertung nach diesem Artikel und der Bewertung, die sich bei Anwendung des Artikels 32 ergeben würde, sowie gegebenenfalls der Betrag aus zusätzlichen Wertberichtigungen. (5) Unbeschadet von Artikel 52 nimmt der Rat auf Vorschlag der Kommission innerhalb von 7 Jahren nach der Bekanntgabe dieser Richtlinie eine Prüfung und gegebenenfalls eine Änderung dieses Artikels unter Berücksichtigung der Wirtschafts- und Währungsentwicklung in der Gemeinschaft vor.

Artikel 34 (1) a) Soweit die einzelstaatlichen Rechtsvorschriften eine Aktivierung der Aufwendungen für die Errichtung und Erweiterung des Unternehmens gestatten, müssen sie spätestens nach fünf Jahren abgeschrieben sein.

Die Mitgliedstaaten können Vorschriften über die Verwendung der Neubewertungsrücklage vorsehen, sofern Übertragungen aus der Neubewertungsrücklage auf die Gewinn- und Verlustrechnung nur insoweit vorgenommen werden dürfen, als die übertragenen Beträge zu Lasten der Gewinn- und Verlustrechnung verbucht worden sind oder einen tatsächlich realisierten Gewinn darstellen. Diese Beträge sind gesondert, in der Gewinn- und Verlustrechnung auszuweisen. Die Neubewertungsrücklage darf, außer wenn sie einen realisierten Gewinn darstellt, weder unmittelbar noch mittelbar auch nicht zum Teil ausgeschüttet werden.

b) Solange diese Aufwendungen nicht vollständig abgeschrieben worden sind, ist die Ausschüttung von Gewinnen verboten, es sei denn, daß die dafür verfügbaren Rücklagen und der Gewinnvortrag wenigstens so hoch wie der nicht abgeschriebene Teil dieser Aufwendungen sind.

d) Außer in den unter den Buchstaben b) und c) erwähnten Fällen darf die Neubewertungsrücklage nicht aufgelöst werden.

(1) a) Die Gegenstände des Anlagevermögens sind unbeschadet der Buchstaben b) und c) zu den Anschaffungs- oder Herstellungskosten zu bewerten.

(3) Die Wertberichtigungen sind jährlich anhand des für das betreffende Geschäftsjahr zugrunde gelegten Wertes zu berechnen. Die Mitgliedstaaten können jedoch in Abweichung von den Artikeln 4 und 22 gestatten oder vorschreiben, daß nur der sich aus der Anwendung des Grundsatzes

(2) Der Inhalt des Postens „Aufwendungen für die Errichtung und Erweiterung des Unternehmens“ ist im Anhang zu erläutern.

Artikel 35

b) Bei den Gegenständen des Anlagevermögens, deren wirtschaftliche Nutzung zeitlich begrenzt ist, sind die Anschaffungs- und Herstellungskosten um Wertberichtigungen zu vermindern, die so berechnet sind, daß der Wert des Vermö-

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Gesellschaftsrechtliche Richtlinien

gensgegenstandes während dieser Nutzungszeit planmäßig zur Abschreibung gelangt. c) aa) Bei Finanzanlagen können Wertberichtigungen vorgenommen werden, um sie mit dem niedrigeren Wert anzusetzen, der ihnen am Bilanzstichtag beizulegen ist. bb) Bei einem Gegenstand des Anlagevermögens sind ohne Rücksicht darauf, ob seine Nutzung zeitlich begrenzt ist, Wertberichtigungen vorzunehmen, um ihn mit dem niedrigeren Wert anzusetzen, der ihm am Bilanzstichtag beizulegen ist, wenn es sich voraussichtlich um eine dauernde Wertminderung handelt. cc) Die unter den Unterabsätzen aa) und bb) genannten Wertberichtigungen sind in der Gewinn- und Verlustrechnung aufzuführen und gesondert im Anhang anzugeben, wenn sie nicht gesondert in der Gewinnund Verlustrechnung ausgewiesen sind. dd) Der niedrigere Wertansatz nach den Unterabsätzen aa) und bb) darf nicht beibehalten werden, wenn die Gründe der Wertberichtigungen nicht mehr bestehen. d) Wenn bei einem Gegenstand des Anlagevermögens allein für die Anwendung von Steuervorschriften außerordentliche Wertberichtigungen vorgenommen werden, ist der Betrag dieser Wertberichtigungen im Anhang zu erwähnen und hinreichend zu begründen. (2) Zu den Anschaffungskosten gehören neben dem Einkaufspreis auch die Nebenkosten. (3) a) Zu den Herstellungskosten gehören neben den Anschaffungskosten der Roh-, Hilfsund Betriebsstoffe die dem einzelnen Erzeugnis unmittelbar zurechenbaren Kosten. b) Den Herstellungskosten dürfen angemessene Teile der dem einzelnen Erzeugnis nur mittelbar zurechenbaren Kosten, welche auf den Zeitraum der Herstellung entfallen, hinzugerechnet werden. (4) Zinsen für Fremdkapital, das zur Finanzierung der Herstellung von Gegenständen des Anlagevermögens gebraucht wird, dürfen in die Herstellungskosten einbezogen werden, sofern sie auf den Zeitraum der Herstellung entfallen. Ihre Aktivierung ist im Anhang zu erwähnen.

Artikel 36 Die Mitgliedstaaten können abweichend von Artikel 35 Absatz 1 Buchstabe c) Unterabsatz cc) den Investmentgesellschaften im Sinne des Artikels 5 Absatz 2 gestatten, Wertberichtigungen bei Wertpapieren unmittelbar aus dem Eigenkapital vorzunehmen. Die betreffenden Beträge müssen auf der Passivseite der Bilanz gesondert ausgewiesen werden.

Artikel 37 (1) Artikel 34 gilt entsprechend für den Posten „Forschungs- und Entwicklungskosten“. Die Mitgliedstaaten können jedoch für Ausnahmefälle Abweichungen von Artikel 34 Absatz 1 Buchstabe a) gestatten. In diesem Fall können sie auch Abweichungen von Artikel 34 Absatz 1 Buchstabe b) zulassen. Diese Abweichungen sind im Anhang zu erwähnen und hinreichend zu begründen. (2) Artikel 34 Absatz 1 Buchstabe a) gilt entsprechend für den Posten „Geschäfts- oder Firmenwert“. Die Mitgliedstaaten können jedoch Gesellschaften gestatten, ihren Geschäfts- oder Firmenwert im Verlauf eines befristeten Zeitraums von mehr als fünf Jahren planmäßig abzuschreiben, sofern dieser Zeitraum die Nutzungsdauer dieses Gegenstands des Anlagevermögens nicht überschreitet und im Anhang erwähnt und begründet wird.

Artikel 38 Gegenstände des Sachanlagevermögens sowie Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe, die ständig ersetzt werden und deren Gesamtwert für das Unternehmen von nachrangiger Bedeutung ist, können mit einer gleichbleibenden Menge und einem gleichbleibenden Wert angesetzt werden, wenn ihr Bestand in seiner Größe, seinem Wert und seiner Zusammensetzung nur geringfügigen Veränderungen unterliegt.

Artikel 39 (1) a) Gegenstände des Umlaufvermögens sind unbeschadet der Buchstaben b) und c) zu den Anschaffungs- oder Herstellungskosten zu bewerten. b) Bei Gegenständen des Umlaufvermögens sind Wertberichtigungen vorzunehmen, um diese Gegenstände mit dem niedrigeren Marktpreis oder in Sonderfällen mit einem anderen niedrigeren Wert anzusetzen, der ihnen am Bilanzstichtag beizulegen ist. c) Die Mitgliedstaaten können außerordentliche Wertberichtigungen gestatten, soweit diese bei vernünftiger kaufmännischer Beurteilung notwendig sind, um zu verhindern, daß in der nächsten Zukunft der Wertansatz dieser Gegenstände infolge von Wertschwankungen geändert werden muß. Der Betrag dieser Wertberichtigungen ist gesondert in der Gewinnund Verlustrechnung oder im Anhang auszuweisen. d) Der niedrigere Wertansatz nach den Buchstaben b) und c) darf nicht beibehalten werden, wenn die Gründe der Wertberichtigungen nicht mehr bestehen.

Die Jahresabschluss-(Bilanz-)Richtlinie (4. Richtlinie) e) Werden bei einem Gegenstand des Umlaufvermögens außerordentliche Wertberichtigungen allein für die Anwendung von Steuervorschriften vorgenommen, so ist ihre Höhe im Anhang zu erwähnen und hinreichend zu begründen. (2) Für die Feststellung der Anschaffungs- oder Herstellungskosten gilt Artikel 35 Absätze 2 und 3. Die Mitgliedstaaten können auch Artikel 35 Absatz 4 anwenden. Die Vertriebskosten dürfen nicht in die Herstellungskosten einbezogen werden.

Artikel 40 (1) Die Mitgliedstaaten können zulassen, daß die Anschaffungs- oder Herstellungskosten gleichartiger Gegenstände des Vorratsvermögens sowie alle beweglichen Vermögensgegenstände einschließlich der Wertpapiere nach den gewogenen Durchschnittswerten oder aufgrund des „First in – First out (Fifo)“- oder „Last in – First out (Lifo)“-Verfahrens oder eines vergleichbaren Verfahrens berechnet werden. (2) Weist am Bilanzstichtag die Bewertung in der Bilanz wegen der Anwendung der Berechnungsmethoden nach Absatz 1 im Vergleich zu einer Bewertung auf der Grundlage des letzten vor dem Bilanzstichtag bekannten Marktpreises einen beträchtlichen Unterschied auf, so ist dieser Unterschiedsbetrag im Anhang pauschal für die jeweilige Gruppe auszuweisen.

Artikel 41 (1) Ist der Rückzahlungsbetrag von Verbindlichkeiten höher als der erhaltene Betrag, so kann der Unterschiedsbetrag aktiviert werden. Er ist gesondert in der Bilanz oder im Anhang auszuweisen. (2) Dieser Betrag ist jährlich mit einem angemessenen Betrag und spätestens bis zum Zeitpunkt der Rückzahlung der Verbindlichkeiten abzuschreiben.

Artikel 42 Rückstellungen sind nur in Höhe des notwendigen Betrages anzusetzen. Rückstellungen, die in der Bilanz unter dem Posten „Sonstige Rückstellungen“ ausgewiesen werden, sind im Anhang zu erläutern, sofern sie einen gewissen Umfang haben.

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ABSCHNITT 7a Bewertung mit dem beizulegenden Zeitwert Artikel 42a (1) Abweichend von Artikel 32 und vorbehaltlich der Bedingungen der Absätze 2 bis 4 des vorliegenden Artikels gestatten die Mitgliedstaaten allen Gesellschaften oder einzelnen Gruppen von Gesellschaften, Finanzinstrumente einschließlich derivativer Finanzinstrumente mit dem beizulegenden Zeitwert zu bewerten, oder schreiben dies vor. Eine derartige Erlaubnis oder Verpflichtung kann auf konsolidierte Abschlüsse im Sinne der Richtlinie 83/349/EWG beschränkt werden. (2) Für die Zwecke dieser Richtlinie gelten Warenkontrakte, bei denen jede der Vertragsparteien zur Abgeltung in bar oder durch ein anderes Finanzinstrument berechtigt ist, als derivative Finanzinstrumente, es sei denn, sie a) wurden geschlossen, um den für den Kauf, Verkauf oder die eigene Verwendung erwarteten Bedarf der Gesellschaft abzusichern, und dienen weiterhin dazu, b) waren von Anfang an für diesen Zweck bestimmt und c) gelten mit der Lieferung der Ware als abgegolten. (3) Absatz 1 gilt nur für Verbindlichkeiten, die a) als Teil eines Handelsbestands gehalten werden oder b) derivative Finanzinstrumente sind. (4) Der Wertansatz gemäß Absatz 1 wird nicht angewandt auf a) bis zur Fälligkeit gehaltene nicht derivative Finanzinstrumente, b) von der Gesellschaft vergebene Darlehen und von ihr begründete Forderungen, die nicht für Handelszwecke gehalten werden und c) Anteile an Tochtergesellschaften, assoziierten Unternehmen und Jointventures, von der Gesellschaft ausgegebene Eigenkapitalinstrumente, Verträge über eventuelle Gegenleistungen bei einem Unternehmenszusammenschluss sowie andere Finanzinstrumente, die solch spezifische Merkmale aufweisen, dass sie nach gängiger Auffassung bilanzmäßig in anderer Form als andere Finanzinstrumente erfasst werden sollten. (5) Abweichend von Artikel 32 können die Mitgliedstaaten gestatten, dass Aktiv- oder Passivposten, die im Rahmen der Zeitwertbilanzierung von Sicherungsgeschäften als gesichertes Grundgeschäft gelten, oder ein bestimmter Anteil an solchen Aktiv- oder Passivposten mit dem nach diesem System vorgeschriebenen spezifischen Wert angesetzt werden.

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Gesellschaftsrechtliche Richtlinien

(5a) Abweichend von den Bestimmungen der Absätze 3 und 4 können die Mitgliedstaaten im Einklang mit den internationalen Rechnungslegungsstandards, die durch die Verordnung (EG) Nr. 1725/ 2003 vom 29. September 2003 betreffend die Übernahme bestimmter internationaler Rechnungslegungsstandards in Übereinstimmung mit der Verordnung (EG) Nr. 1606/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates(6) in der geänderten Fassung zum 5. September 2006 angenommen wurden, eine Bewertung der Finanzinstrumente zusammen mit den damit in Zusammenhang stehenden Offenlegungspflichten gemäß den internationalen Rechnungslegungsgrundsätzen, die im Einklang mit der Verordnung (EG) Nr. 1606/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. Juli 2002 betreffend die Anwendung internationaler Rechnungslegungsstandards(7) angenommen wurden, zulassen oder vorschreiben.

a) das Finanzinstrument ein Sicherungsinstrument darstellt und im Rahmen einer Bilanzierung von Sicherungsgeschäften erfasst wird, bei der eine Wertänderung nicht oder nur teilweise in der Gewinn- und Verlustrechnung ausgewiesen werden muss, oder b) sie auf eine Wechselkursdifferenz zurückzuführen ist, von der ein monetärer Posten betroffen ist, der Teil der Nettobeteiligung einer Gesellschaft an einer wirtschaftlich selbstständigen ausländischen Teileinheit ist. (2) Die Mitgliedstaaten können zulassen oder vorschreiben, dass eine Wertänderung einer zur Veräußerung verfügbaren Finanzanlage, die kein derivatives Finanzinstrument ist, in der ZeitwertRücklage direkt im Eigenkapital erfasst wird.

Artikel 42b

(3) Die Zeitwert-Rücklage ist anzupassen, wenn die darin ausgewiesenen Beträge nicht mehr für die Anwendung der Absätze 1 und 2 erforderlich sind.

(1) Der beizulegende Zeitwert gemäß Artikel 42a wird nach einer der folgenden Methoden bestimmt:

Artikel 42d

a) Bei Finanzinstrumenten, für die sich ein verlässlicher Markt ohne weiteres ermitteln lässt, entspricht er dem Marktwert. Lässt sich der Marktwert für das Finanzinstrument als Ganzes nicht ohne weiteres bestimmen, wohl aber für seine einzelnen Bestandteile oder für ein gleichartiges Finanzinstrument, so kann der Marktwert des Instruments aus den jeweiligen Marktwerten seiner Bestandteile oder dem Marktwert des gleichartigen Finanzinstruments abgeleitet werden. b) Bei Finanzinstrumenten, für die sich ein verlässlicher Markt nicht ohne weiteres ermitteln lässt, wird dieser Wert mit Hilfe allgemein anerkannter Bewertungsmodelle und -methoden bestimmt. Diese Bewertungsmodelle und -methoden müssen eine angemessene Annäherung an den Marktwert gewährleisten. (2) Finanzinstrumente, die sich nach keiner der in Absatz 1 beschriebenen Methoden verlässlich bewerten lassen, werden gemäß den Artikeln 34 bis 42 bewertet.

Wurden Finanzinstrumente mit dem beizulegenden Zeitwert bewertet, so sind im Anhang folgende Angaben zu machen: a) die zentralen Annahmen, die den Bewertungsmodellen und -methoden bei einer Bestimmung des beizulegenden Zeitwertes nach Artikel 42b Absatz 1 Buchstabe b) zugrunde gelegt wurden, b) für jede Gruppe von Finanzinstrumenten: der beizulegende Zeitwert selbst, die direkt in der Gewinn- und Verlustrechnung ausgewiesenen Wertänderungen sowie die in der ZeitwertRücklage erfassten Änderungen, c) für jede Kategorie derivativer Finanzinstrumente: Umfang und Art der Instrumente einschließlich der wesentlichen Bedingungen, die Höhe, Zeitpunkt und Sicherheit künftiger Zahlungsströme beeinflussen können und d) eine Übersicht über die Bewegungen innerhalb der Zeitwert-Rücklage im Verlauf des Geschäftsjahres.

Artikel 42c (1) Wird ein Finanzinstrument gemäß Artikel 42b bewertet, so ist ungeachtet des Artikels 31 Absatz 1 Buchstabe c) eine Wertänderung in der Gewinnund Verlustrechnung auszuweisen. Die Wertänderung ist allerdings direkt im Eigenkapital in einer Zeitwert-Rücklage zu erfassen, wenn

(6) ABl. L 261 vom 13.10.2003, S. 1. Zuletzt geändert durch die Verordnung (EG) Nr. 108/2006 (ABl. L 24 vom 27.1.2006, S. 1). 7 ( ) ABl. L 243 vom 11.9.2002, S. 1.

Artikel 42e Abweichend von Artikel 32 können die Mitgliedstaaten gestatten oder vorschreiben, dass alle Gesellschaften oder einzelne Gruppen von Gesellschaften bestimmte Arten von Vermögensgegenständen mit Ausnahme von Finanzinstrumenten auf der Grundlage des beizulegenden Zeitwerts („fair value“) bewerten. Eine derartige Erlaubnis oder Verpflichtung kann auf den konsolidierten Abschluss im Sinne der Richtlinie 83/349/EWG beschränkt werden.

Die Jahresabschluss-(Bilanz-)Richtlinie (4. Richtlinie) Artikel 42f Unbeschadet des Artikels 31 Absatz 1 Buchstabe c) können die Mitgliedstaaten gestatten oder vorschreiben, dass alle Gesellschaften oder einzelne Gruppen von Gesellschaften im Fall der Bewertung eines Vermögensgegenstands nach Artikel 42e Wertänderungen in der Gewinn- und Verlustrechnung ausweisen.

ABSCHNITT 8 Inhalt des Anhangs Artikel 43 (1) Im Anhang sind außer den in anderen Bestimmungen dieser Richtlinie vorgeschriebenen Angaben zumindest Angaben zu machen über: 1. die auf die verschiedenen Posten des Jahresabschlusses angewandten Bewertungsmethoden sowie die Methoden zur Berechnung der Wertberichtigungen. Für die in dem Jahresabschluß enthaltenen Werte, welche in fremder Währung lauten oder ursprünglich in fremder Währung lauteten, ist anzugeben, auf welcher Grundlage sie in Landeswährung umgerechnet worden sind; 2. Name und Sitz der Unternehmen, bei denen die Gesellschaft entweder selbst oder durch eine im eigenen Namen, aber für Rechnung der Gesellschaft handelnde Person mit mindestens einem Prozentsatz am Kapital beteiligt ist, den die Mitgliedstaaten auf höchstens 20 % festsetzen dürfen, unter Angabe des Anteils am Kapital sowie der Höhe des Eigenkapitals und des Ergebnisses des letzten Geschäftsjahres, für das das betreffende Unternehmen einen Jahresabschluß festgestellt hat. Diese Angaben können unterbleiben, wenn sie in bezug auf die Zielsetzung des Artikels 2 Absatz 3 von untergeordneter Bedeutung sind. Die Angabe des Eigenkapitals und des Ergebnisses kann ebenfalls unterbleiben, wenn das betreffende Unternehmen seine Bilanz nicht veröffentlicht und es sich mittelbar oder unmittelbar zu weniger als 50 % im Besitz der Gesellschaft befindet; Name, Sitz und Rechtsform der Unternehmen, deren unbeschränkt haftender Gesellschafter die Gesellschaft ist. Diese Angabe kann unterbleiben, wenn sie in bezug auf die Zielsetzung des Artikels 2 Absatz 3 von untergeordneter Bedeutung ist. 3. die Zahl und den Nennbetrag oder, wenn ein Nennbetrag nicht vorhanden ist den rechnerischen Wert der während des Geschäftsjahres im Rahmen eines genehmigten Kapitals gezeichneten Aktien, unbeschadet der Bestimmungen des Artikels 2 Absatz 1 Buchstabe e) der Richtlinie 68/151/EWG und des Artikels 2 Buchstabe c) der Richtlinie, 77/91/EWG über den Betrag dieses Kapitals;

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4. sofern es mehrere Gattungen von Aktien gibt, die Zahl und den Nennbetrag oder, falls ein Nennbetrag nicht vorhanden ist, den rechnerischen Wert für jede von ihnen; 5. das Bestehen von Genußscheinen, Wandelschuldverschreibungen und vergleichbaren Wertpapieren oder Rechten, unter Angabe der Zahl und der Rechte, die sie verbriefen; 6. die Höhe der Verbindlichkeiten der Gesellschaft mit einer Restlaufzeit von mehr als fünf Jahren sowie die Höhe aller Verbindlichkeiten der Gesellschaft, die dinglich gesichert sind, unter Angabe ihrer Art und Form. Diese Angaben sind jeweils gesondert für jeden Posten der Verbindlichkeiten gemäß den in den Artikeln 9, 10 und 10a aufgeführten Gliederungen zu machen; 7. den Gesamtbetrag der finanziellen Verpflichtungen, die nicht in der Bilanz erschienen, sofern diese Angabe für die Beurteilung der Finanzlage von Bedeutung ist. Davon sind Pensionsverpflichtungen und Verpflichtungen gegenüber verbundenen Unternehmen gesondert zu vermerken; 7a. Art und Zweck der Geschäfte der Gesellschaft, die nicht in der Bilanz enthalten sind und ihre finanziellen Auswirkungen auf die Gesellschaft, vorausgesetzt, dass die Risiken und Vorteile, die aus solchen Geschäften entstehen, wesentlich sind, und sofern die Offenlegung derartiger Risiken und Vorteile für die Beurteilung der Finanzlage der Gesellschaft notwendig ist. Die Mitgliedstaaten können es den in Artikel 27 genannten Gesellschaften gestatten, die nach dieser Nummer offen zu legenden Informationen auf die Art und den Zweck der Geschäfte zu beschränken; 7b. Geschäfte der Gesellschaft mit nahe stehenden Unternehmen und Personen, einschließlich Angaben zu deren Wertumfang, zur Art der Beziehung zu den nahe stehenden Unternehmen und Personen sowie weitere Angaben zu den Geschäften, die für die Beurteilung der Finanzlage der Gesellschaft notwendig sind, sofern diese Geschäfte wesentlich sind und unter marktunüblichen Bedingungen zustande gekommen sind. Angaben über Einzelgeschäfte können nach Geschäftsarten zusammengefasst werden, sofern keine getrennten Angaben für die Beurteilung der Auswirkungen von Geschäften mit nahe stehenden Unternehmen und Personen auf die Finanzlage der Gesellschaft benötigt werden. Die Mitgliedstaaten können den in Artikel 27 genannten Gesellschaften gestatten, die nach dieser Nummer verlangten Angaben nicht zu machen, es sei denn, es handelt sich um Unternehmen im Sinne von Artikel 1 Absatz 1 der Richtlinie 77/91/EWG, in diesem Fall können die Mitgliedstaaten die Offenlegung als Mindest-

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Gesellschaftsrechtliche Richtlinien

angabe auf diejenigen Geschäfte beschränken, die direkt oder indirekt geschlossen werden zwischen i) der Gesellschaft und ihren Hauptgesellschaftern, und ii) der Gesellschaft und den Mitgliedern der Verwaltungs-, Leitungs- und Aufsichtsorgane. Die Mitgliedstaaten können Geschäfte zwischen zwei oder mehr Mitgliedern derselben Unternehmensgruppe ausnehmen, sofern die an dem Geschäft beteiligten Tochtergesellschaften hundertprozentige Tochtergesellschaften sind. Der Begriff „nahe stehende Unternehmen und Personen“ ist im Sinne der gemäß Verordnung (EG) Nr. 1606/2002 übernommenen internationalen Rechnungslegungsstandards zu verstehen; 8. die Aufgliederung der Nettoumsatzerlöse im Sinne des Artikels 28 nach Tätigkeitsbereichen sowie nach geographisch bestimmten Märkten soweit sich, unter Berücksichtigung der Organisation des Verkaufs von für die normale Geschäftstätigkeit der Gesellschaft typischen Erzeugnissen und der Erbringung von für die normale Geschäftstätigkeit der Gesellschaft typischen Dienstleistungen, die Tätigkeitsbereiche und geographisch bestimmten Märkte untereinander erheblich unterscheiden; 9. den durchschnittlichen Personalbestand während des Geschäftsjahres getrennt nach Gruppen, sowie, falls sie nicht gesondert in der Gewinn- und Verlustrechnung erscheinen, die gesamten in dem Geschäftsjahr verursachten Personalaufwendungen gemäß Artikel 23 Nummer 6; 10. das Ausmaß, in dem die Berechnung des Jahresergebnisses von einer Bewertung der Posten beeinflußt wurde, die in Abweichung von den Grundsätzen der Artikel 31 und 34 bis 42c während des Geschäftsjahres oder eines früheren Geschäftsjahres im Hinblick auf Steuererleichterungen durchgeführt wurde. Wenn eine solche Bewertung die künftige steuerliche Belastung erheblich beeinflußt, muß dies angegeben werden; 11. den Unterschied zwischen dem Steueraufwand, der dem Geschäftsjahr und den früheren Geschäftsjahren zugerechnet wird, und den für diese Geschäftsjahre gezahlten oder zu zahlenden Steuern, sofern dieser Unterschied für den künftigen Steueraufwand von Bedeutung ist. Dieser Betrag kann auch als Gesamtbetrag in der Bilanz unter einem gesonderten Posten mit entsprechender Bezeichnung ausgewiesen werden; 12. die für ihre Tätigkeit im Geschäftsjahr gewährten Bezüge der Mitglieder der Verwaltungs-,

Geschäftsführungs- oder Aufsichtsorgane sowie die entstandenen oder eingegangenen Pensionsverpflichtungen gegenüber früheren Mitgliedern der genannten Organe. Diese Angaben sind zusammengefaßt für jede dieser Personengruppen zu machen; 13. die Beträge der den Mitgliedern der Verwaltungs- und Geschäftsführungs- oder Aufsichtsorgane gewährten Vorschüsse und Kredite unter Angabe der Zinsen, der wesentlichen Bedingungen und der gegebenenfalls zurückgezahlten Beträge sowie die Garantieverpflichtungen zugunsten dieser Personen. Diese Angaben sind zusammengefaßt für jede dieser Personengruppen zu machen; 14. sofern Finanzinstrumente nicht gemäß Abschnitt 7a mit dem beizulegenden Zeitwert bewertet wurden, a) für jede Kategorie derivativer Finanzinstrumente: i) den beizulegenden Zeitwert der betreffenden Finanzinstrumente, soweit sich dieser nach einer der Methoden gemäß Artikel 42b Absatz 1 ermitteln lässt, ii) Angaben über Umfang und Art der Instrumente und b) für unter Artikel 42a fallende Finanzanlagen, die mit einem Betrag über ihrem beizulegenden Zeitwert ausgewiesen werden, ohne dass von der Möglichkeit Gebrauch gemacht wurde, nach Artikel 35 Absatz 1 Buchstabe c) Unterbuchstabe aa) eine Wertberichtigung vorzunehmen: i) Buchwert und beizulegenden Zeitwert der einzelnen Vermögensgegenstände oder angemessener Gruppierungen dieser einzelnen Vermögensgegenstände und ii) die Gründe für die Nichtherabsetzung des Buchwerts einschließlich der Anhaltspunkte, die die Gesellschaft zu der Überzeugung veranlassen, dass der Buchwert wieder erreicht wird; 15. die Gesamthonorare, die von dem Abschlussprüfer oder der Prüfungsgesellschaft für das Geschäftsjahr berechnet wurden, aufgeschlüsselt nach der Gesamthonorarsumme für die Abschlussprüfung des Jahresabschlusses, der Gesamthonorarsumme für andere Bestätigungsleistungen, der Gesamthonorarsumme für Steuerberatungsleistungen und der Gesamthonorarsumme für sonstige Leistungen. Die Mitgliedstaaten können festlegen, dass diese Bestimmung nicht angewandt wird, wenn das Unternehmen in den konsolidierten Abschluss einbezogen wird, der gemäß Artikel 1 der Richtlinie 83/349/EWG zu erstellen ist, vorausgesetzt, eine derartige Innformation ist in dem konsolidierten Abschluss enthalten.

Die Jahresabschluss-(Bilanz-)Richtlinie (4. Richtlinie) (2) Bis zu einer späteren Koordinierung brauchen die Mitgliedstaaten Absatz 1 Nummer 2 auf Beteiligungsgesellschaften im Sinne von Artikel 5 Absatz 3 nicht anzuwenden. (3) Die Mitgliedstaaten können zulassen, daß die in Absatz 1 Nummer 12 vorgesehenen Angaben nicht gemacht werden, wenn sich anhand dieser Angaben der Status eines bestimmten Mitglieds dieser Organe feststellen läßt.

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ischen Parlaments und des Rates vom 17. Mai 2006 über Abschlussprüfungen von Jahresabschlüssen und konsolidierten Abschlüssen(8) genannten System der öffentlichen Aufsichtsgremien auf dessen Aufforderung übermittelt wird.

ABSCHNITT 9 Inhalt des Lageberichts Artikel 46

Artikel 44 (1) Die Mitgliedstaaten können gestatten, dass die in Artikel 11 bezeichneten Gesellschaften einen verkürzten Anhang aufstellen, der die in Artikel 43 Absatz 1 Nummern 5 bis 12, Nummer 14 Buchstabe a und Nummer 15 verlangten Angaben nicht enthält. Jedoch sind im Anhang zusammengefasst für alle betreffenden Posten die in Artikel 43 Absatz 1 Nummer 6 verlangten Angaben zu machen. (2) Die Mitgliedstaaten können die in Absatz 1 bezeichneten Gesellschaften darüber hinaus von der Verpflichtung befreien, die in Artikel 15 Absatz 3 Buchstabe a) und Absatz 4, den Artikeln 18 und 21 und Artikel 29 Absatz 2, Artikel 30 Absatz 2, Artikel 34 Absatz 2, Artikel 40 Absatz 2 und Artikel 42 Absatz 2 verlangten Angaben zu machen.

(1) a) Der Lagebericht stellt zumindest den Geschäftsverlauf, das Geschäftsergebnis und die Lage der Gesellschaft so dar, dass ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild entsteht, und beschreibt die wesentlichen Risiken und Ungewissheiten, denen sie ausgesetzt ist. Der Lagebericht besteht in einer ausgewogenen und umfassenden Analyse des Geschäftsverlaufs, des Geschäftsergebnisses und der Lage der Gesellschaft, die dem Umfang und der Komplexität der Geschäftstätigkeit angemessen ist.

Artikel 45

b) Soweit dies für das Verständnis des Geschäftsverlaufs, des Geschäftsergebnisses oder der Lage der Gesellschaft erforderlich ist, umfasst die Analyse die wichtigsten finanziellen und – soweit angebracht – nichtfinanziellen Leistungsindikatoren, die für die betreffende Geschäftstätigkeit von Bedeutung sind, einschließlich Informationen in Bezug auf Umwelt- und Arbeitnehmerbelange.

(1) Die Mitgliedstaaten können gestatten, daß die in Artikel 43 Absatz 1 Nummer 2 geforderten Angaben

c) Im Rahmen der Analyse enthält der Lagebericht – soweit angebracht – auch Hinweise auf im Jahresabschluss ausgewiesene Beträge und zusätzliche Erläuterungen dazu.

(3) Artikel 12 ist anzuwenden.

a) in einer Aufstellung gemacht werden, die gemäß Artikel 3 Absätze 1 und 2 der Richtlinie 68/151/EWG hinterlegt wird; im Anhang ist auf diese Aufstellung zu verweisen;

(2) Der Lagebericht soll auch eingehen auf

b) nicht gemacht zu werden brauchen, soweit sie geeignet sind, einem in Artikel 43 Absatz 1 Nummer 2 bezeichneten Unternehmen einen erheblichen Nachteil zuzufügen. Die Mitgliedstaaten können dazu die vorherige Zustimmung einer Verwaltungsbehörde oder eines Gerichts verlangen. Das Unterlassen dieser Angaben ist im Anhang zu erwähnen.

b) die voraussichtliche Entwicklung der Gesellschaft;

(2) Absatz 1 Buchstabe b gilt auch für die in Artikel 43 Absatz 1 Nummer 8 genannte Information. Die Mitgliedstaaten können den in Artikel 27 bezeichneten Gesellschaften gestatten, die Offenlegung der in Artikel 34 Absatz 2 und Artikel 43 Absatz 1 Nummer 8 genannten Angaben zu unterlassen. Die Mitgliedstaaten können ferner den in Artikel 27 bezeichneten Gesellschaften gestatten, die Offenlegung der in Artikel 43 Absatz 1 Nummer 15 genannten Informationen zu unterlassen, vorausgesetzt, dass eine solche Information dem in Artikel 32 der Richtlinie 2006/43/EG des Europä-

a) Vorgänge von besonderer Bedeutung, die nach Schluß des Geschäftsjahres eingetreten sind;

c) den Bereich Forschung und Entwicklung; d) die in Artikel 22 Absatz 2 der Richtlinie 77/91/ EWG bezeichneten Angaben über den Erwerb eigener Aktien; e) bestehende Zweigniederlassungen der Gesellschaft; f) in Bezug auf die Verwendung von Finanzinstrumenten durch die Gesellschaft, sofern dies für die Beurteilung der Vermögens-, Finanzund Ertragslage von Belang ist, – die Risikomanagementziele und -methoden der Gesellschaft, einschließlich ihrer Methoden zur Absicherung aller wichtigen Arten geplanter Transaktionen, die im Rahmen der

(8) ABl. L 157 vom 9.6.2006, S. 87.

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Gesellschaftsrechtliche Richtlinien Bilanzierung von Sicherungsgeschäften verbucht werden, sowie

oder ii anzuwenden, so legt sie die Gründe hierfür dar;

– die Preisänderungs-, Ausfall-, Liquiditätsund Cashflowrisiken, denen die Gesellschaft ausgesetzt ist.

c) eine Beschreibung der wichtigsten Merkmale des internen Kontroll- und des Risikomanagementsystems der Gesellschaft im Hinblick auf den Rechnungslegungsprozess;

(3) Die Mitgliedstaaten können gestatten, daß die in Artikel 11 bezeichneten Gesellschaften nicht zur Aufstellung eines Lageberichtes verpflichtet sind, sofern sie die in Artikel 22 Absatz 2 der Richtlinie 77/91/EWG verlangten Angaben betreffend den Erwerb eigener Aktien im Anhang machen. (4) Es wird den Mitgliedstaaten freigestellt, Gesellschaften, die unter Artikel 27 fallen, von der Verpflichtung gemäß Absatz 1 Buchstabe b) auszunehmen, soweit sie nichtfinanzielle Informationen betrifft. Artikel 46a (1) Eine Gesellschaft, deren Wertpapiere zum Handel an einem geregelten Markt im Sinne des Artikels 4 Absatz 1 Nummer 14 der Richtlinie 2004/39/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 über Märkte für Finanzinstrumente(9) zugelassen sind, nimmt eine Erklärung zur Unternehmensführung in ihren Lagebericht auf. Diese Erklärung bildet einen gesonderten Abschnitt im Lagebericht und enthält zumindest die folgenden Angaben: a) einen Verweis auf i) den Unternehmensführungskodex, dem die Gesellschaft unterliegt, und/oder ii) den Unternehmensführungskodex, den sie gegebenenfalls freiwillig anzuwenden beschlossen hat, und/oder iii) alle relevanten Angaben zu Unternehmensführungspraktiken, die sie über die Anforderungen des nationalen Rechts hinaus anwendet. In den Fällen der Ziffern i und ii gibt die Gesellschaft ferner an, wo die entsprechenden Dokumente öffentlich zugänglich sind; in den Fällen der Ziffer iii macht die Gesellschaft ihre Unternehmensführungspraktiken öffentlich zugänglich; b) soweit eine Gesellschaft im Einklang mit nationalem Recht von einem Unternehmensführungskodex im Sinne von Buchstabe a Ziffer i oder ii abweicht, eine Erklärung, in welchen Punkten und aus welchen Gründen sie von dem Kodex abweicht. Hat die Gesellschaft beschlossen, keine Bestimmungen eines Unternehmensführungskodex im Sinne von Buchstabe a Ziffer i

(9) ABl. L 145 vom 30.4.2004, S. 1.

d) die gemäß Artikel 10 Absatz 1 Buchstaben c, d, f, h und i der Richtlinie 2004/25/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 betreffend Übernahmeangebote(10) geforderten Angaben, sofern das Unternehmen unter diese Richtlinie fällt; e) die Art und Weise der Durchführung der Hauptversammlung und deren wesentliche Befugnisse sowie eine Beschreibung der Aktionärsrechte und der Möglichkeiten ihrer Ausübung, sofern diese Angaben nicht bereits vollständig im nationalen Recht enthalten sind; f) die Zusammensetzung und Arbeitsweise der Verwaltungs-, Leitungs- und Aufsichtsorgane und ihrer Ausschüsse. (2) Die Mitgliedstaaten können gestatten, dass die nach diesem Artikel vorzulegenden Angaben in einem gesonderten Bericht enthalten sind, der zusammen mit dem Lagebericht nach Maßgabe des Artikels 47 offen gelegt wird, oder durch eine Bezugnahme im Lagebericht, falls dieses Dokument auf der Internetseite der Gesellschaft öffentlich zugänglich ist. Im Fall eines gesonderten Berichts kann die Erklärung zur Unternehmensführung einen Verweis auf den Lagebericht enthalten, in dem die nach Absatz 1 Buchstabe d vorzulegenden Angaben zu finden sind. Artikel 51 Absatz 1 Unterabsatz 2 findet Anwendung auf Absatz 1 Buchstaben c und d. Im Hinblick auf die übrigen Informationen muss der Abschlussprüfer nachprüfen, ob die Erklärung zur Unternehmensführung erstellt worden ist. (3) Die Mitgliedstaaten können Gesellschaften, die ausschließlich andere Wertpapiere als zum Handel an einem geregelten Markt im Sinne des Artikels 4 Absatz 1 Nummer 14 der Richtlinie 2004/ 39/EG zugelassene Aktien emittiert haben, von der Anwendung des Absatzes 1 Buchstaben a, b, e und f ausnehmen, es sei denn, dass diese Gesellschaften Aktien emittiert haben, die über ein multilaterales Handelssystem im Sinne des Artikels 4 Absatz 1 Nummer 15 der Richtlinie 2004/39/EG gehandelt werden.

ABSCHNITT 10 Offenlegung Artikel 47 (1) Der ordungsgemäß gebilligte Jahresabschluß und der Lagebericht sowie der Bericht der mit der Abschlußprüfung beauftragten Person sind nach (10) ABl. L 142 vom 30.4.2004, S. 12.

Die Jahresabschluss-(Bilanz-)Richtlinie (4. Richtlinie)

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den in den Rechtsvorschriften der einzelnen Mitgliedstaaten gemäß Artikel 3 der Richtlinie 68/151/ EWG vorgesehenen Verfahren offenzulegen.

(3) Die Mitgliedstaaten können zulassen, daß die in Artikel 27 bezeichneten Gesellschaften folgendes offenlegen:

Die Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaates können jedoch den Lagebericht von der genannten Offenlegung freistellen. In diesem Fall ist der Lagebericht am Sitz der Gesellschaft in dem betreffenden Mitgliedstaat zur Einsichtnahme für jedermann bereitzuhalten. Eine vollständige oder teilweise Ausfertigung dieses Berichts muß auf bloßen Antrag erhältlich sein. Das dafür berechnete Entgelt darf die Verwaltungskosten nicht übersteigen.

a) eine verkürzte Bilanz, welche nur die in den Artikeln 9 und 10 vorgesehenen mit Buchstaben und römischen Zahlen bezeichneten Posten enthält, wobei entweder in der Bilanz oder im Anhang gesondert anzugeben sind:

(1a) Der Mitgliedstaat der in Artikel 1 Absatz 1 Unterabsätze 2 und 3 bezeichneten Gesellschaft (betroffene Gesellschaft) kann diese Gesellschaft von der Pflicht, ihren Abschluß gemäß Artikel 3 der Richtlinie 68/151/EWG zu veröffentlichen, mit der Maßgabe befreien, daß ihr Abschluß am Sitz der Gesellschaft zur Einsicht für jedermann bereitgehalten wird, sofern:

– die Posten C. I. 3, C. II. 1, 2, 3 und 4, C. III. 1, 2, 3, 4 und 7, D. II. 2, 3 und 6, D. III. 1 und 2, F. 1, 2, 6, 7 und 9 sowie I. 1, 2, 6, 7 und 9 des Artikels 10;

a) alle ihre unbeschränkt haftenden Gesellschafter Gesellschaften nach Artikel 1 Absatz 1 Unterabsatz 1 sind, die dem Recht eines anderen Mitgliedstaates als dem Mitgliedstaat der betroffenen Gesellschaft unterliegen, und keine dieser Gesellschaften den Abschluß der betroffenen Gesellschaft mit ihrem eigenen Abschluß veröffentlicht oder b) alle unbeschränkt haftenden Gesellschafter Gesellschaften sind, welche nicht dem Recht eines Mitgliedstaates unterliegen, deren Rechtsform jedoch den Rechtsformen im Sinne der Richtlinie 68/151/EWG vergleichbar ist. Ausfertigungen des Abschlusses müssen auf Antrag erhältlich sein. Das dafür berechnete Entgelt darf die Verwaltungskosten nicht übersteigen. Geeignete Sanktionen sind für den Fall vorzusehen, daß die in diesem Absatz vorgesehene Offenlegung nicht erfolgt. (2) Abweichend von Absatz 1 können die Mitgliedstaaten zulassen, daß die in Artikel 11 bezeichneten Gesellschaften folgendes offenlegen: a) eine verkürzte Bilanz, in die nur die in den Artikeln 9 und 10 vorgesehenen mit Buchstaben und römischen Zahlen bezeichneten Posten aufgenommen werden, wobei die bei dem Posten D. II der Aktiva und dem Posten C. der Passiva des Artikels 9 sowie bei dem Posten D. II des Artikels 10 in Klammern verlangten Angaben gesondert, jedoch zusammengefaßt für alle betreffenden Posten, zu machen sind; b) einen gemäß Artikel 44 gekürzten Anhang. Artikel 12 ist anzuwenden. Die Mitgliedstaaten können diesen Gesellschaften ferner gestatten, die Gewinn- und Verlustrechnung, den Lagebericht sowie den Bericht der mit der Abschlußprüfung beauftragten Person nicht offenzulegen.

– die Posten C. I. 3, C. II. 1, 2, 3 und 4, C. III. 1, 2, 3, 4 und 7, D. II. 2, 3 und 6 und D. III. 1 und 2 der Aktiva sowie C. 1, 2, 6, 7 und 9 der Passiva des Artikels 9;

– die bei den Posten D. II der Aktiva und C. der Passiva des Artikels 9 in Klammern verlangten Angaben, jedoch zusammengefaßt für alle betreffenden Posten und gesondert für die Posten D. II. 2 und 3 der Aktiva sowie C. 1, 2, 6, 7 und 9 der Passiva; – die bei dem Posten D. II des Artikels 10 in Klammern verlangten Angaben, jedoch zusammengefaßt für die betreffenden Posten, und gesondert für die Posten D. II. 2 und 3; b) einen verkürzten Anhang, der die in Artikel 43 Absatz 1 Nummern 5, 6, 8, 10 und 11 verlangten Angaben nicht enthält. Jedoch sind im Anhang die in Artikel 43 Absatz 1 Nummer 6 vorgesehenen Angaben zusammengefaßt für alle betreffenden Posten zu machen. Dieser Absatz berührt nicht die Bestimmungen des Absatzes 1 hinsichtlich der Gewinn- und Verlustrechnung, des Lageberichts sowie des Berichts der mit der Abschlußprüfung beauftragten Person. Artikel 12 ist anzuwenden Artikel 48 Jede vollständige Veröffentlichtung (SIC! Veröffentlichung) des Jahresabschlusses und des Lageberichts ist in der Form und mit dem Wortlaut wiederzugeben, auf deren Grundlage die mit der Abschlußprüfung beauftragte Person ihren Bericht erstellt hat. Der Bestätigungsvermerk muß im vollen Wortlaut beigefügt sein.

Artikel 49 Bei einer unvollständigen Veröffentlichung des Jahresabschlusses ist zu erwähnen, daß es sich um eine gekürzte Wiedergabe handelt; es ist auf das Register hinzuweisen, bei welchem der Jahresabschluß nach Artikel 47 Absatz 1 hinterlegt worden ist. Ist diese Hinterlegung noch nicht erfolgt, so ist dies zu erwähnen. Der Bestätigungsvermerk der mit der Abschlussprüfung beauftragten Person

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Gesellschaftsrechtliche Richtlinien

oder Personen (nachfolgend: „die gesetzlichen Abschlussprüfer“ genannt) darf der Veröffentlichung nicht beigefügt werden, doch ist anzugeben, ob ein uneingeschränkter oder ein eingeschränkter Bestätigungsvermerk erteilt oder aber ein negatives Prüfungsurteil abgegeben wurde oder ob die gesetzlichen Abschlussprüfer nicht in der Lage waren, ein Prüfungsurteil abzugeben. Anzugeben ist ferner, ob der Bestätigungsvermerk auf Umstände verweist, auf die die gesetzlichen Abschlussprüfer in besonderer Weise aufmerksam gemacht haben, ohne den Bestätigungsvermerk einzuschränken.

Artikel 50 Gleichzeitig mit dem Jahresabschluß und in derselben Weise sind offenzulegen – der Vorschlag zur Verwendung des Ergebnisses, – die Verwendung des Ergebnisses, falls diese Angaben nicht im Jahresabschluß enthalten sind.

Artikel 50a Die Jahresabschlüsse können neben der Währung, in der sie aufgestellt wurden, auch in Ecu offengelegt werden. Dabei ist der am Bilanzstichtag gültige Umrechnungskurs zugrunde zu legen. Dieser Kurs ist im Anhang anzugeben.

tungs- und Aufsichtsorgane Anwendung finden, zumindest was deren Haftung gegenüber der Gesellschaft wegen Verletzung der in Artikel 50b genannten Pflicht betrifft.

ABSCHNITT 11 Prüfung Artikel 51 (1) Die Jahresabschlüsse der Gesellschaften werden von einer oder mehreren Personen geprüft, die von den Mitgliedstaaten aufgrund der Achten Richtlinie 84/253/EWG des Rates vom 10. April 1984 über die Zulassung der mit der Pflichtprüfung der Rechnungslegungsunterlagen beauftragten Personen(11) zur Durchführung von gesetzlichen Abschlussprüfungen zugelassen worden sind. Die gesetzlichen Abschlussprüfer geben auch ein Urteil darüber ab, ob der Lagebericht mit dem Jahresabschluss des betreffenden Geschäftsjahres in Einklang steht oder nicht. (2) Die Mitgliedstaaten können die in Artikel 11 bezeichneten Gesellschaften von der in Absatz 1 genannten Verpflichtung befreien. Artikel 12 ist anzuwenden. (3) Im Falle des Absatzes 2 nehmen die Mitgliedstaaten in ihre Rechtsvorschriften geeignete Sanktionen für den Fall auf, daß der Jahresabschluß oder der Lagebericht dieser Gesellschaften nicht nach dieser Richtlinie erstellt sind.

ABSCHNITT 10A

Artikel 51a

Pflicht und Haftung hinsichtlich der Aufstellung und der Veröffentlichung der Jahresabschlüsse und des Lageberichts

(1) Der Bestätigungsvermerk der gesetzlichen Abschlussprüfer umfasst:

Artikel 50b Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die Mitglieder der Verwaltungs-, Leitungs- und Aufsichtsorgane der Gesellschaft kollektiv die Pflicht haben, sicherzustellen, dass der Jahresabschluss, der Lagebericht und, soweit sie gesondert vorgelegt wird, die Erklärung zur Unternehmensführung nach Artikel 46a entsprechend den Anforderungen dieser Richtlinie und gegebenenfalls entsprechend den internationalen Rechnungslegungsstandards, die gemäß der Verordnung (EG) Nr. 1606/2002 angenommen wurden, erstellt und veröffentlicht werden. Diese Organe handeln im Rahmen der ihnen durch nationales Recht übertragenen Zuständigkeiten. Artikel 50c Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die Haftungsbestimmungen ihrer Rechts- und Verwaltungsvorschriften auf die Mitglieder der in Artikel 50b dieser Richtlinie genannten Verwaltungs-, Lei-

a) eine Einleitung, die zumindest angibt, welcher Jahresabschluss Gegenstand der gesetzlichen Abschlussprüfung ist und nach welchen Rechnungslegungsgrundsätzen er aufgestellt wurde; b) eine Beschreibung der Art und des Umfanges der gesetzlichen Abschlussprüfung, die zumindest Angaben über die Prüfungsgrundsätze enthält, nach denen die Prüfung durchgeführt wurde; c) ein Prüfungsurteil, das zweifelsfrei Auskunft darüber gibt, ob der Jahresabschluss nach Auffassung der gesetzlichen Abschlussprüfer im Einklang mit den jeweils maßgebenden Rechnungslegungsgrundsätzen ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild vermittelt und, gegebenenfalls, ob er den gesetzlichen Vorschriften entspricht; das Prüfungsurteil wird entweder als uneingeschränkter oder als eingeschränkter Bestätigungsvermerk oder als negatives Prüfungsurteil erteilt, oder es wird verwei(11) ABl. L 126 vom 12.5.1984, S. 20.

Die Jahresabschluss-(Bilanz-)Richtlinie (4. Richtlinie) gert, falls die gesetzlichen Abschlussprüfer nicht in der Lage sind, ein Prüfungsurteil abzugeben; d) einen Hinweis auf alle Umstände, auf die die gesetzlichen Abschlussprüfer in besonderer Weise aufmerksam machen, ohne den Bestätigungsvermerk einzuschränken; e) ein Urteil darüber, ob der Lagebericht mit dem Jahresabschluss des betreffenden Geschäftsjahres in Einklang steht oder nicht. (2) Der Bestätigungsvermerk ist von den gesetzlichen Abschlussprüfern unter Angabe des Datums zu unterzeichnen.

ABSCHNITT 12 Schlußbestimmungen Artikel 52 (1) Bei der Kommission wird ein Kontaktausschuß eingesetzt, der zur Aufgabe hat, a) unbeschadet der Bestimmungen der Artikel 169 und 170 des Vertrags eine gleichmäßige Anwendung dieser Richtlinie durch eine regelmäßige Abstimmung, insbesondere in konkreten Anwendungsfragen, zu erleichtern; b) die Kommission, falls dies erforderlich sein sollte, bezüglich Ergänzungen oder Änderungen dieser Richtlinie zu beraten. (2) Der Kontaktausschuß setzt sich aus Vertretern der Mitgliedstaaten sowie Vertretern der Kommission zusammen. Der Vorsitz ist von einem Vertreter der Kommission wahrzunehmen. Die Sekretariatsgeschäfte werden von den Dienststellen der Kommission wahrgenommen. (3) Der Vorsitzende beruft den Ausschuß von sich aus oder auf Antrag eines der Mitglieder des Ausschusses ein.

Artikel 53

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Artikel 54 ––––––––––– Artikel 55 (1) Die Mitgliedstaaten erlassen die erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften, um dieser Richtlinie innerhalb von zwei Jahren nach ihrer Bekanntgabe nachzukommen. Sie setzen die Kommission davon unverzüglich in Kenntnis. (2) Die Mitgliedstaaten können vorsehen, daß die in Absatz 1 bezeichneten Vorschriften erst 18 Monate nach dem in Absatz 1 bezeichneten Zeitpunkt anzuwenden sind. Diese 18 Monate können jedoch auf fünf Jahre verlängert werden: a) bei den „unregistered companies“ im Vereinigten Königreich und in Irland; b) für die Anwendung der Artikel 9 und 10 sowie der Artikel 23 bis 26 hinsichtlich der Gliederungen der Bilanz und der Gewinn- und Verlustrechnung, soweit ein Mitgliedstaat in den letzten drei Jahren vor der Bekanntgabe dieser Richtlinie andere Gliederungen für die bezeichneten Unterlagen in Kraft gesetzt hat; c) für die Anwendung der Bestimmungen dieser Richtlinie über die Berechnung und die Bilanzierung von Abschreibungen für Vermögensgegenstände, die unter Artikel 9, Posten C. II. 2 und 3 der Aktiva und unter Artikel 10, Posten C. II. 2 und 3 fallen; d) für die Anwendung von Artikel 47 Absatz 1, außer bei Gesellschaften, die aufgrund von Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe f) der Richtlinie 68/151/EWG bereits zur Offenlegung verpflichtet sind; in diesem Fall findet Artikel 47 Absatz 1 Unterabsatz 2 dieser Richtlinie auf den Jahresabschluß und auf den Bericht der mit der Abschlußprüfung beauftragten Person Anwendung; e) für die Anwendung von Artikel 51 Absatz 1.

(1) ––––––––––– (2) Der Rat prüft auf Vorschlag der Kommission alle fünf Jahre die in Europäischen Rechnungseinheiten ausgedrückten Beträge dieser Richtlinie unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen und monetären Entwicklung in der Gemeinschaft und ändert diese Beträge gegebenenfalls.

Artikel 53a Die Mitgliedstaaten gewähren die in den Artikeln 11, 27, 43 Absatz 1 Nummern 7a und b, 46, 47 und 51 vorgesehenen abweichenden Regelungen nicht im Fall von Gesellschaften, deren Wertpapiere zum Handel an einem geregelten Markt im Sinne des Artikels 4 Absatz 1 Nummer 14 der Richtlinie 2004/39/EG zugelassen sind.

Im übrigen kann diese Frist für die Gesellschaften, deren Hauptzweck die Schiffahrt ist und die im Zeitpunkt des Inkrafttretens der in Absatz 1 bezeichneten Vorschriften bereits gegründet sind, von 18 Monaten auf acht Jahre verlängert werden. (3) Die Mitgliedstaaten teilen der Kommission den Wortlaut der wichtigsten innerstaatlichen Rechtsvorschriften mit, die sie auf dem von dieser Richtlinie erfaßten Gebiet erlassen. Artikel 56 (1) Die Verpflichtung zur Angabe der in den Artikeln 9, 10, 10a und 23 bis 26 vorgesehenen Posten bezüglich verbundener Unternehmen im Sinne des Artikels 41 der Richtlinie 83/349/EWG

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im Jahresabschluß sowie die Verpflichtung, die in Artikel 13 Absatz 2, Artikel 14 und Artikel 43 Absatz 1 Nr. 7 hinsichtlich verbundener Unternehmen vorgesehenen Angaben zu machen, treten zu dem in Artikel 49 Absatz 2 der bezeichneten Richtlinie genannten Zeitpunkt in Kraft. (2) Im Anhang sind auch Angaben zu machen über: a) Name und Sitz des Unternehmens, das den konsolidierten Abschluß für den größten Kreis von Unternehmen aufstellt, dem die Gesellschaft als Tochterunternehmen angehört. b) Name und Sitz des Unternehmens, das den konsolidierten Abschluß für den kleinsten Kreis von Unternehmen aufstellt, der in den unter Buchstabe a) bezeichneten Kreis von Unternehmen einbezogen ist und dem die Gesellschaft als Tochterunternehmen angehört. c) den Ort, wo der konsolidierte Abschluß erhältlich ist, es sei denn, daß ein solcher nicht zur Verfügung steht.

Artikel 57 Unbeschadet der Richtlinien 68/151/EWG und 77/91/EWG brauchen die Mitgliedstaaten die Bestimmungen der vorliegenden Richtlinie über den Inhalt, die Prüfung und die Offenlegung des Jahresabschlusses nicht auf Gesellschaften anzuwenden, die ihrem Recht unterliegen und Tochterunternehmen im Sinne der Richtlinie 83/349/EWG sind, sofern folgende Voraussetzungen erfüllt sind: a) das Mutterunternehmen unterliegt dem Recht eines Mitgliedstaats; b) alle Aktionäre oder Gesellschafter des Tochterunternehmens haben sich mit der bezeichneten Befreiung einverstanden erklärt; diese Erklärung muß für jedes Geschäftsjahr abgegeben werden; c) das Mutterunternehmen hat sich bereit erklärt, für die von dem Tochterunternehmen eingegangenen Verpflichtungen einzustehen; d) die Erklärungen nach Buchstaben b) und c) sind nach den in den Rechtsvorschriften der einzelnen Mitgliedstaaten vorgesehenen Verfahren gemäß Artikel 3 der Richtlinie 68/151/ EWG offenzulegen; e) das Tochterunternehmen ist in den von dem Mutterunternehmen nach der Richtlinie 83/349/ EWG aufgestellten konsolidierten Jahresabschluß einbezogen;

tragten Person werden für das Tochterunternehmen nach den in den Rechtsvorschriften der einzelnen Mitgliedstaaten vorgesehenen Verfahren gemäß Artikel 3 der Richtlinie 68/151/ EWG offengelegt.

Artikel 57a (1) Die Mitgliedstaaten können von den ihrem Recht unterliegenden Gesellschaften nach Artikel 1 Absatz 1 Unterabsatz 1, die unbeschränkt haftende Gesellschafter einer der in Artikel 1 Absatz 1 Unterabsätze 2 und 3 genannten Gesellschaften (betroffene Gesellschaften) sind, verlangen, daß der Abschluß der betroffenen Gesellschaft gemeinsam mit ihrem eigenen Abschluß gemäß dieser Richtlinie aufgestellt, geprüft und offengelegt wird. In diesem Fall gelten die Anforderungen dieser Richtlinie nicht für die betroffene Gesellschaft. (2) Die Mitgliedstaaten brauchen die Bestimmungen dieser Richtlinie nicht auf die betroffene Gesellschaft anzuwenden, sofern a) der Abschluß dieser Gesellschaft im Einklang mit dieser Richtlinie von einer Gesellschaft nach Artikel 1 Absatz 1 Unterabsatz 1, die unbeschränkt haftender Gesellschafter der betroffenen Gesellschaft ist und dem Recht eines anderen Mitgliedstaates unterliegt, aufgestellt, geprüft und offengelegt wird; b) die betroffene Gesellschaft in einen konsolidierten Abschluß einbezogen ist, der im Einklang mit der Richtlinie 83/349/EWG von einem unbeschränkt haftenden Gesellschafter aufgestellt, geprüft und offengelegt wird oder, sofern die betroffene Gesellschaft in den konsolidierten Abschluß einer größeren Gesamtheit von Unternehmen einbezogen ist, der im Einklang mit der Richtlinie 83/349/EWG von einem Mutterunternehmen, das dem Recht eines Mitgliedstaates unterliegt, aufgestellt, geprüft und offengelegt wird. Diese Befreiung ist im Anhang zum konsolidierten Abschluß anzugeben. (3) In diesen Fällen ist die betroffene Gesellschaft gehalten, jedermann auf Anfrage den Namen der Gesellschaft zu nennen, die den Abschluß offenlegt. Artikel 58

f) die bezeichnete Befreiung wird im Anhang des von dem Mutterunternehmen aufgestellten konsolidierten Abschlusses angegeben;

Die Mitgliedstaaten brauchen die Bestimmungen der vorliegenden Richtlinie über die Prüfung und Offenlegung der Gewinn- und Verlustrechnung nicht auf Gesellschaften anzuwenden, die ihrem Recht unterliegen und Mutterunternehmen im Sinne der Richtlinie 83/349/EWG sind, sofern folgende Voraussetzungen erfüllt sind:

g) der unter Buchstabe e) bezeichnete konsolidierte Abschluß, der konsolidierte Lagebericht sowie der Bericht der mit der Prüfung beauf-

a) das Mutterunternehmen stellt einen konsolidierten Abschluß nach der Richtlinie 83/349/EWG auf und ist in diesen Abschluß einbezogen;

Die Jahresabschluss-(Bilanz-)Richtlinie (4. Richtlinie) b) die bezeichnete Befreiung wird im Anhang des Jahresabschlusses des Mutterunternehmens angegeben; c) die bezeichnete Befreiung wird im Anhang des vom Mutterunternehmen aufgestellten konsolidierten Abschlusses angegeben; d) das nach der vorliegenden Richtlinie errechnete Ergebnis des Geschäftsjahres des Mutterunternehmens wird in der Bilanz des Mutterunternehmens ausgewiesen.

Artikel 59 (1) Die Mitgliedstaaten können gestatten oder vorschreiben, daß eine Beteiligung im Sinne des Artikels 17 am Kapital eines Unternehmens, auf dessen Geschäfts- und Finanzpolitik ein maßgeblicher Einfluß ausgeübt wird, in der Bilanz nach den folgenden Absätzen 2 bis 9 je nach Lage des Falles entweder als Unterposten des Postens „Anteile an verbundenen Unternehmen“ oder als Unterposten des Postens „Beteiligungen“ ausgewiesen wird. Es wird vermutet, daß ein Unternehmen einen maßgeblichen Einfluß auf ein anderes Unternehmen ausübt, sofern jenes Unternehmen 20 % oder mehr der Stimmrechte der Aktionäre oder Gesellschafter dieses Unternehmens besitzt. Artikel 2 der Richtlinie 83/349/EWG findet Anwendung. (2) Bei der erstmaligen Anwendung des vorliegenden Artikels auf eine Beteiligung im Sinne von Absatz 1 wird diese in der Bilanz wie folgt ausgewiesen: a) entweder mit dem Buchwert nach Abschnitt 7 oder Abschnitt 7a; dabei wird der Unterschiedsbetrag zwischen diesem Wert und dem Betrag, der dem auf die Beteiligung entfallenden Teil des Eigenkapitals entspricht, in der Bilanz oder im Anhang gesondert ausgewiesen. Bei der Berechnung dieses Unterschiedsbetrags wird der Zeitpunkt der erstmaligen Anwendung dieser Methode zugrunde gelegt; b) oder mit dem Betrag, der dem auf die Beteiligung entfallenden Teil des Eigenkapitals entspricht; dabei, wird der Unterschiedsbetrag zwischen diesem Wert und dem nach den Bewertungsvorschriften des Abschnitts 7 oder des Abschnitts 7a ermittelte Buchwert in der Bilanz oder im Anhang gesondert ausgewiesen. Bei der Berechnung dieses Unterschiedsbetrags wird der Zeitpunkt der erstmaligen Anwendung dieser Methode zugrunde gelegt. c) Die Mitgliedstaaten können die Anwendung nur eines der Buchstaben a) und b) vorschreiben. In der Bilanz oder im Anhang ist anzugeben, ob von Buchstabe a) oder b) Gebrauch gemacht worden ist. d) Die Mitgliedstaaten können ferner im Hinblick auf die Anwendung der Buchstaben a) und b) gestatten oder vorschreiben, daß die Berech-

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nung des Unterschiedsbetrags zum Zeitpunkt des Erwerbs der Beteiligung im Sinne von Absatz 1 erfolgt oder beim Erwerb zu verschiedenen Zeitpunkten zu dem Zeitpunkt, zu dem die Anteile oder Aktien Beteiligungen im Sinne des Absatzes 1 geworden sind. (3) Sind Gegenstände des Aktiv- oder Passivvermögens des Unternehmens, an dem eine Beteiligung nach Absatz 1 besteht, nach anderen Methoden bewertet worden, als sie die Gesellschaft anwendet, die den Jahresabschluß aufstellt, so können diese Vermögenswerte für die Berechnung des Unterschiedsbetrags nach Absatz 2 Buchstabe a) oder Absatz 2 Buchstabe b) nach den Methoden neu bewertet werden, welche die Gesellschaft anwendet, die den Jahresabschluß aufstellt. Wird eine solche Neubewertung nicht vorgenommen, so ist dies im Anhang zu erwähnen. Die Mitgliedstaaten können eine solche Neubewertung vorschreiben. (4) Der Buchwert nach Absatz 2 Buchstabe a) oder der Betrag, der dem auf die Beteiligung entfallenden Teil des Eigenkapitals nach Absatz 2 Buchstabe b) entspricht, wird um die während des Geschäftsjahres eingetretenen Änderungen des auf die Beteiligung entfallenden Eigenkapitals erhöht oder vermindert; er vermindert sich außerdem um den Betrag der auf die Beteiligung entfallenden Dividenden. (5) Sofern ein positiver Unterschiedsbetrag nach Absatz 2 Buchstabe a) oder Absatz 2 Buchstabe b) nicht einer bestimmten Kategorie von Gegenständen des Aktiv- oder Passivvermögens zugerechnet werden kann, wird dieser nach den Vorschriften für den Posten, Firmen- oder Geschäftswert behandelt. (6) a) Der auf die Beteiligung im Sinne von Absatz 1 entfallende Teil des Ergebnisses wird unter einen gesonderten Posten mit entsprechender Bezeichnung in der Gewinn- und Verlustrechnung ausgewiesen. b) Sofern dieser Betrag denjenigen übersteigt, der als Dividende bereits eingegangen ist oder auf deren Zahlung ein Anspruch besteht, ist der Unterschiedsbetrag in eine Rücklage einzustellen, die nicht an die Aktionäre ausgeschüttet werden darf. c) Die Mitgliedstaaten können gestatten oder vorschreiben, daß der auf die Beteiligung im Sinne von Absatz 1 entfallende Teil des Ergebnisses in der Gewinn- und Verlustrechnung nur ausgewiesen wird, soweit er Dividenden entspricht, die bereits eingegangen sind oder auf deren Zahlung ein Anspruch besteht. (7) Die Weglassungen nach Artikel 26 Absatz 1 Buchstabe c) der Richtlinie 83/349/EWG werden nur insoweit vorgenommen, als die betreffenden Tatbestände bekannt oder zugänglich sind. Artikel 26 Absätze 2 und 3 der genannten Richtlinie sind anwendbar.

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Gesellschaftsrechtliche Richtlinien

(8) Sofern das Unternehmen, an dem eine Beteiligung im Sinne von Absatz 1 besteht, einen konsolidierten Abschluß aufstellt, sind die vorstehenden Absätze auf das in diesem konsolidierten Abschluß ausgewiesene Eigenkapital anzuwenden. (9) Auf die Anwendung des vorliegenden Artikels kann verzichtet werden, wenn die Beteiligung im Sinne von Absatz 1 im Hinblick auf die Zielsetzung des Artikels 2 Absatz 3 nur von untergeordneter Bedeutung ist. Artikel 60 Bis zu einer späteren Koordinierung können die Mitgliedstaaten vorsehen, daß die Werte, in denen die Investmentgesellschaften im Sinne des Artikel 5 Absatz 2 ihre Mittel angelegt haben, auf der Grundlage des beizulegenden Zeitwerts („fair value“) bewertet werden. In diesem Falle können die Mitgliedstaaten auch die Investmentgesellschaften mit veränderlichem Kapital davon freistellen, die in Artikel 36 erwähnten Beträge der Wertberichtigungen gesondert auszuweisen. Artikel 60a Die Mitgliedstaaten legen Sanktionen für Verstöße gegen die aufgrund dieser Richtlinie erlassenen nationalen Vorschriften fest und treffen alle zu ihrer Anwendung erforderlichen Maßnahmen. Die vorgesehenen Sanktionen müssen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein.

der betroffenen Unternehmen nicht anzuwenden auf Unternehmen, die ihrem Recht unterliegen und Mutterunternehmen im Sinne der Richtlinie 83/ 349/EWG sind, sofern a) diese Unternehmen in den von dem Mutterunternehmen erstellten konsolidierten Abschluß oder in den konsolidierten Abschluß eines größeren Kreises von Unternehmen nach Artikel 7 Absatz 2 der Richtlinie 83/349/EWG einbezogen worden sind, oder b) die Beteiligungen am Kapital der betroffenen Unternehmen entweder im Jahresabschluß des Mutterunternehmens gemäß Artikel 59 oder in dem konsolidierten Abschluß des Mutterunternehmens nach Artikel 33 der Richtlinie 83/349/ EWG behandelt werden.

Artikel 61a Spätestens zum 1. Juli 2007 überprüft die Kommission die Artikel 42a bis 42f, Artikel 43 Absatz 1 Nummern 10 und 14, Artikel 44 Absatz 1, Artikel 46 Absatz 2 Buchstabe f und Artikel 59 Absatz 2 Buchstaben a und b anhand der Erfahrungen bei der Anwendung der Bestimmungen über die Bewertung mit dem beizulegenden Zeitwert, insbesondere im Hinblick auf IAS 39 in der gemäß der Verordnung (EG) Nr. 1606/2002 angenommenen Fassung, und unter Berücksichtigung der internationalen Entwicklungen im Bereich des Rechnungswesens und legt dem Europäischen Parlament und dem Rat gegebenenfalls einen Vorschlag zur Änderung der genannten Artikel vor.

Artikel 61 Artikel 62 Die Mitgliedstaaten brauchen die Vorschriften des Artikels 43 Absatz 1 Nummer 2 hinsichtlich der Höhe des Eigenkapitals sowie des Ergebnisses

Diese Richtlinie ist an die Mitgliedstaaten gerichtet.

Die Konzernbilanzrichtlinie (7. Richtlinie)

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§ 25 Die Konzernbilanzrichtlinie (7. Richtlinie) Siebente RL 83/349/EWG des Rates v. 13.6.1983 aufgrund von Artikel 54 Absatz 3 Buchstabe g) des Vertrages über den konsolidierten Abschluß, ABlEG v. 18.7.1983, L 193/1 Literatur: Albach, Horst/Klein, Günter (Hrsg.), Harmonisierung der Konzernrechnungslegung in Europa, 1990; Biener, Herbert, Die Konzernrechnungslegung nach der Siebten Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaften über den Konzernabschluss, Beil. zu DB 35/1983; Biener, Herbert/Schatzmann, Jürgen, Konzern-Rechnungslegung. Erläuterungen zur 7. EG-Richtlinie (Konzernbilanzrichtlinie) sowie eine synoptische Darstellung der Entstehung der Richtlinie und weitere Materialien, 1983; Busse von Colbe, Walter/Ordelheide, Dieter/Gebhardt, Günther/Pellens, Bernhard, Konzernabschlüsse, 9. Aufl. 2010; Cooke, T.E., The Seventh Directive – an accountant’s perspective, (1984) 9 E.L. Rev. 143; Küting, Karlheinz/Lam, Siu, Bilanzierungspraxis in Deutschland, DStR 2011, 991; Niehus, Rudolf J., Vor-Bemerkungen zu einer Konzernbilanzrichtlinie, WPg 1984, 285 u. 320; Niessen, Hermann, La proposition de septième directive concernant les comptes du groupe, (1981) 17 CDE 26; ders., Zur Angleichung des Bilanzrechts in der Europäischen Gemeinschaft, RabelsZ 48 (1984) 81; ders., Zur Entstehung eines europäischen Konzernbegriffs für die Rechnungslegung, in: Lanfermann, Josef (Hrsg.), Internationale Rechnungslegung. Festschrift zum 65.Geburtstag von Prof. Dr. Dr. h.c. Hans Havermann, 1995, S. 581; Nobes, Christopher, The harmonisation of company law relating to the published accounts of companies, (1980) 5 E.L. Rev. 38; Pellens, Bernhard/Fülbier, Rolf Uwe/Gassen, Joachim/Sellhorn, Thorsten, Internationale Rechnungslegung, 8. Aufl. 2011; Pennington, Robert, Consolidated accounts: the Seventh Directive, (1984) 5 Co Law 63; Petite, Michel, The conditions for consolidation under the 7th Company Law Directive, (1984) 21 C.M.L. Rev. 81; Pevtchin, G. J., La proposition de septième directive sur les comptes du groupe, (1981) 17 CDE 38; Savage, N., Law and Accounting – the Impact of EEC Directives on Company Law (2), (1980) 1 Co Law 91; Schön, Wolfgang, Gesellschafter-, Gläubiger- und Anlegerschutz im Europäischen Bilanzrecht, ZGR 2000, 706; Timmermans, C.W.A., Les comptes consolidés dans la CEE, (1977) 55 RIDC 341; Van Hulle, Karel, The EEC Accounting Directives in perspective: problems of harmonization, (1981) 18 C.M.L. Rev. 121; Wooldridge, Frank, The EEC Council Seventh Directive on Consolidated Accounts, (1988) 37 ICLQ 714.

Rechtsprechung: EuGH: EuGH v. 22.4.1999, Kommission ./. Bundesrepublik Deutschland, Rs. C-272/97, Slg. 1999, I-2175 EuGH v. 3.5.2005, Berlusconi, Rs. C-387/02, C-403/02 u. C-391/02, Slg. 2005, I-3565 EuGH v. 4.5.2006, Mulliez u.a., Rs. C-23/03, C-52/03, C-133/03, C-337/03 u. C-473/03, Slg. 2006, I-3923 EuGH v. 23.9.2004, Axel Springer AG ./. Zeitungsverlag Niederrhein GmbH & Co. Essen KG und Hans-Jürgen Weske, Rs. C-435/02 u. C-103/03, Slg. 2004, I-8663 EuGH v. 23.9.2010, Kommission ./. Hellenische Republik, Rs. C-24/10, ABlEU v. 20.11.2010, C 317/12 Nationale Gerichte: LG Bonn v. 30.9.2009 – 30 T 849/09, BB 2010, 1208 LG Bonn v. 8.12.2010 – 31 T 652/10, AG 2011, 346

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I. Überblick 1 Die Kommission hatte ihren ersten Vorschlag für eine RL über den konsolidierten Abschluss1 bereits am 28.4.1976 an den Rat übermittelt, legte dann aber auf Grund zahlreicher und teilweise auch sehr kritischer Stellungnahmen am 12.12.1978 einen stark geänderten Vorschlag 2 vor. Auch dieser unterlag jedoch starker Kritik; bis zur Verabschiedung der 7. (Konzernbilanz-)RL am 13.6.19833 erfolgten noch zahlreiche Änderungen. 2 Die europaweite Einführung des konsolidierten Abschlusses mit Anhang und Lagebericht, seiner Prüfung und Publizität war zu ihrer Zeit ein Ereignis – war dieser konsolidierte Abschluss in vielen Mitgliedsländern (anders als im UK und in Deutschland) doch noch unbekannt. Die RL hat darüber hinaus auch die Gruppe und den Konzern als legale Form der Organisation von Unternehmen (mittelbar) anerkannt und gleichzeitig akzeptiert, dass in der Gruppe die Einzelabschlüsse zu irrigen finanziellen Betrachtungen führen können und nur ein Abschluss so, wie wenn die Gruppe ein Unternehmen wäre, zu zuverlässigen Informationen und einem wirklichen true and fair view führen kann. 3 Der konsolidierte Abschluss basiert auf den Einzelabschlüssen der gruppenangehörigen Unternehmen, mithin den in Europa an Vorsicht und Gläubigerschutz orientierten Abschlüssen nach der 4. (Bilanz-)RL (dazu § 24). 4 Auch die 7. (Konzernbilanz-)RL war seit ihrer Verabschiedung bereits Gegenstand zahlreicher Änderungen; mit Ausnahme der Änderungs-RL, die bloße Schwellenwerterhöhungen zum Gegenstand hatten, brachten alle Novellierungen der 4. (Bilanz-)RL auch korrespondierende bzw. teilweise auch weitergehende oder spezifische Novellierungen der 7. (Konzernbilanz-)RL; insoweit sei daher auf die Zusammenstellung in § 24 Rn. 3 sowie auf das Fundstellenverzeichnis am Ende dieses Kapitels verwiesen. I.R.d. geplanten generellen Revision der 4. (Bilanz-)RL und 7. (Konzernbilanz-)RL stehen aber auch für die 7. (Konzernbilanz-)RL bereits weitere Änderungen auf der Agenda (vgl. dazu bereits § 10 Rn. 24 f.).

1 Vorschlag einer 7. Richtlinie aufgrund von Artikel 54 Absatz 3 Buchstabe g) des EWG-Vertrages für den Konzernabschluß, 28.4.1976, KOM(76) 170 = BT-Drs. 7/5221. 2 Geänderter Vorschlag einer 7. Richtlinie aufgrund von Artikel 54 Absatz 3 Buchstabe g) des EWG-Vertrages für den Konzernabschluß, 12.12.1978, KOM(78) 703. Vgl. dazu Niessen (1981) 17 CDE 26 ff.; Nobes (1980) 5 E.L. Rev. 38 ff.; Pevtchin (1981) 17 CDE 38 ff.; Savage (1980) 1 Co Law 91 ff.; Timmermans (1977) 55 RIDC 341 ff.; Van Hulle (1981) 18 C.M.L. Rev. 121, 130 ff. 3 Siebente RL 83/349/EWG des Rates v. 13.6.1983 aufgrund von Artikel 54 Absatz 3 Buchstabe g) des Vertrages über den konsolidierten Abschluß, ABlEG v. 18.7.1983, L 193/1. Dazu Biener Beil. zu DB 35/1983; Biener/Schatzmann, Konzern-Rechnungslegung, 1983; Cooke (1984) 9 E.L. Rev. 143 ff.; Niehus WPg 1984, 285 ff. u. 320 ff.; Niessen RabelsZ 48 (1984) 81 ff.; ders. FS Havermann, 1995, S. 581 ff.; Pennington (1984) 5 Co Law 63 ff.; Petite (1984) 21 C.M.L. Rev. 81 ff.; Schön ZGR 2000, 706, 719 ff.; Wooldridge (1988) 37 ICLQ 714 ff.

Die Konzernbilanzrichtlinie (7. Richtlinie)

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Durch das EWR-Abkommen wurde der Anwendungsbereich der RL m.W.v. 5 1.1.1994 bzw. 1.1.1995 4 auch auf die EWR-Staaten ausgedehnt.5 Einen wesentlichen Wendepunkt bildete aber vor allem auch die IFRS-VO (dazu 6 § 26), die zwar nicht unmittelbar zu Änderungen der RL führte, aber erhebliche Auswirkungen auf ihren Anwendungsbereich und ihre Bedeutung hatte (dazu näher u. Rn. 8 ff. sowie § 26; s. auch bereits § 10 Rn. 8 ff.). Die Umsetzung der ursprünglichen Fassung der RL erfolgte in Deutschland (ver- 7 spätet 6) durch das BiRiLiG v. 19.12.1985 7 (das auch die 4. (Bilanz-)RL und die 8. RL umsetzte, vgl. § 24 Rn. 5, § 27 Rn. 4). Wie bereits bei § 24 Rn. 5 erläutert, brachte es nicht nur eine grundlegende Änderung der Systematik des Bilanzrechts (neues Drittes Buch des HGB), sondern auch beträchtliche Modifikationen in materieller Hinsicht, insbesondere auch eine wesentliche Umgestaltung der Konzernrechnungslegung.8 Die inzwischen erfolgten zahlreichen Änderungen der RL wurden im deutschen Recht jeweils zusammen mit den auf Grund der Änderungen der 4. (Bilanz-)RL notwendigen Anpassungen (vgl. dazu § 24 Rn. 3, 5) nachvollzogen; hervorzuheben9 sind auch hier speziell das KapCoRiLiG v. 24.2.200010, das BilReG v. 4.12.200411 (dazu bereits § 10 Rn. 19) und zuletzt das BilMoG v. 25.5.2009 12 (dazu bereits § 10 Rn. 21).

II. Die 7. (Konzernbilanz-)RL und die IFRS Als große deutsche und europäische Unternehmen in der 2. Hälfte der 1990er Jahre an 8 den amerikanischen Kapitalmarkt gingen und ihre Zulassung speziell an der New Yorker Börse suchten, wurden die konsolidierten Abschlüsse nach den nationalen

4 Für Island und Norwegen (sowie für Finnland, Österreich, Schweden, die aber inzwischen zur EU gehören) zum 1.1.1994, für Liechtenstein zum 1.1.1995. 5 Vgl. Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum – Anhang XXII, Nr. 6 (ABlEG v. 3.1.1994, L 1/3). 6 Vgl. dazu Bayer/J. Schmidt, Überlagerungen des deutschen Aktienrechts durch das Europäische Unternehmensrecht: Eine Bilanz von 1968 bis zur Gegenwart, in: Bayer/Habersack (Hrsg.), Aktienrecht im Wandel, Bd. 1, 2007, Kap. 18 Rn. 9 Fn. 30. 7 Gesetz zur Durchführung der Vierten, Siebenten und Achten Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaften zur Koordinierung des Gesellschaftsrechts (Bilanzrichtlinien-Gesetz – BiRiLiG) v. 19.12.1985, BGBl. I, 2355. 8 Vgl. auch Bayer/J. Schmidt (Fn. 6), Rn. 9 m.w.N. 9 Vgl. i.Ü. die Zusammenstellung im Fundstellenverzeichnis. 10 Gesetz zur Durchführung der Richtlinie des Rates der Europäischen Union zur Änderung der Bilanz- und der Konzernabschlussrichtlinie hinsichtlich ihres Anwendungsbereichs (90/605/EWG), zur Verbesserung der Offenlegung von Jahresabschlüssen und zur Änderung anderer handelsrechtlicher Bestimmungen (Kapitalgesellschaften- und CoRichtlinie-Gesetz – KapCoRiLiG) v. 24.2.2000, BGBl. I, 154. Schrifttum bei § 24 Rn. 5. 11 Gesetz zur Einführung internationaler Rechnungslegungsstandards und zur Sicherung der Qualität der Abschlussprüfung (Bilanzrechtsreformgesetz – BilReG) v. 4.12.2004, BGBl. I, 3166. Schrifttum bei § 10 Rn. 19. 12 Gesetz zur Modernisierung des Bilanzrechts (Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz – BilMoG) v. 25.5.2009, BGBl. I, 1102. Schrifttum bei § 10 Rn. 21.

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Umsetzungsvorschriften zur RL dort nicht anerkannt und stattdessen konsolidierte Abschlüsse nach US-GAAP verlangt. Gleichzeitig zögerten große Investoren aus den USA und dem UK, an kontinentaleuropäischen Kapitalmärkten zu investieren, weil ihnen die europäische konsolidierte Rechnungslegung fremd war und blieb. Die Kommission warb um Verständnis, scheiterte aber. Daher warf sie im Jahr 2000 das Ruder herum und warb auf der Ratstagung in Lissabon am 23./24.3.2000 für den verpflichtenden Übergang der europäischen kapitalmarktorientierten Unternehmen hinsichtlich ihrer konsolidierten Abschlüsse auf internationale Standards, also die IAS/IFRS, und machte dies dann auch zum Gegenstand ihrer Mitteilung v. 13.6.200013 betreffend die Rechnungslegungsstrategie in der EU. Nach Vorlage eines Entwurfs für eine entsprechende Verordnung im Februar 200114 ließ der Rat sich überzeugen und verabschiedete am 19.7.2002 die IFRS-VO (dazu bereits § 10 Rn. 8 ff. sowie ausf. § 26) (nur) für den konsolidierten Abschluss. 9 Gem. Art. 4 IFRS-VO müssen kapitalmarktorientierte Gesellschaften ihren konsolidierten Abschluss für das am oder nach dem 1.1.200515 beginnende Geschäftsjahr und alle nachfolgenden Geschäftsjahre nach Maßgabe der in das europäische Recht überführten internationalen Rechnungslegungsstandards aufzustellen (dazu noch § 26 Rn. 3). Die RL – und die auf ihr beruhenden nationalen Umsetzungsvorschriften (in Deutschland: §§ 290 ff. HGB) – finden auf diese Unternehmensgruppen – mit Ausnahme ganz weniger Vorschriften – keine Anwendung mehr (vgl. § 315a Abs. 1 HGB; s. dazu auch bereits § 10 Rn. 9 sowie noch § 26 Rn. 3, 5). Deutschland hat es auf der Basis des Mitgliedstaatenwahlrechts des Art. 5 IFRS-VO (dazu bereits § 10 Rn. 9 sowie näher § 26 Rn. 4) auch nicht kapitalmarktorientierten Obergesellschaften („Mutterunternehmen“) freigestellt, ihren konsolidierten Abschluss nach der 7. (Konzernbilanz-)RL/§§ 290 ff. HGB oder nach IAS/IFRS aufzustellen (vgl. näher § 26 Rn. 5). Von dieser letzteren Möglichkeit wird von kleineren und mittelgroßen Gruppen in der Praxis kaum Gebrauch gemacht, sie bleiben ganz überwiegend bei den Vorgaben der 7. (Konzernbilanz-)RL und der §§ 290 ff. HGB.16 10 Da jeder konsolidierte Abschluss auf den Einzelabschlüssen der in ihn einbezogenen Unternehmen beruht, man aber einen konsolidierten Abschluss nach IAS/IFRS nicht auf der Basis von Abschlüssen nach der 4. (Bilanz-)RL/HGB erstellen kann, bedeutet das, dass die Einzelabschlüsse hinsichtlich ihrer Aktiva und Passiva auf IFRS umgerechnet werden müssen. De facto müssen diese Gruppen/Konzerne also doppelt bilanzieren. Vor diesem Hintergrund wundert es nicht, dass vielfach auch der Übergang der Einzelabschlüsse auf IAS/IFRS gefordert wird.17 13 Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament. Rechnungslegungsstrategie der EU: Künftiges Vorgehen, 13.6.2000, KOM(2000) 359. Vgl. dazu Großfeld WPg 2001, 133, 134 f.; Luttermann ZIP 2000, 1318 ff. 14 Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates betreffend die Anwendung internationaler Rechnungslegungsgrundsätze, KOM(2001) 80. 15 S. aber die Übergangsbestimmungen in Art. 9. 16 Vgl. Küting/Lam DStR 2011, 991, 994. 17 So etwa Eikenberg, Der Jahresabschluss deutscher und italienischer Kapitalgesellschaften, 2008, S. 19 f.; Naumann Konzern 2007, 422, 423 f.; Schruff/Lanfermann WPg 2008, 1099,

Die Konzernbilanzrichtlinie (7. Richtlinie)

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III. Inhalt der Richtlinie 1. Voraussetzungen der Konsolidierungspflicht a) Control-Konzept und optional Beherrschungskonzept Die Konsolidierungspflicht knüpft nicht – wie im früher geltenden deutschen Recht – 11 an die Zusammenfassung von zwei oder mehr Unternehmen unter einheitlicher Leitung (Konzerntatbestand) an, sondern – entsprechend den damals geltenden britischen Vorschriften – an enumerativ aufgezählte Tatbestände der Beherrschungsmöglichkeit eines Mutterunternehmens über ein oder mehrere Tochterunternehmen; als Kriterien für die Bestimmung der Beherrschungsmöglichkeiten wird dabei abgestellt auf die Stimmenmehrheit, die Möglichkeit der Bestellung der Mehrheit der Organe des Tochterunternehmens und schließlich die Beherrschungsmöglichkeit kraft Vertrages oder Satzung (sog. control-Konzept, Art. 1 Abs. 1).18 Allerdings können die Mitgliedstaaten für Mutterunternehmen, die ihrem Recht 12 unterliegen, gem. Art. 1 Abs. 2 zusätzlich auch eine Konsolidierungspflicht vorsehen, wenn das Mutterunternehmen einen beherrschenden Einfluss auf oder die Kontrolle über das Tochterunternehmen ausüben kann oder tatsächlich ausübt (lit. a) oder das Mutter- und Tochterunternehmen unter einheitlicher Leitung des Mutterunternehmens stehen (lit. b) (sog. Beherrschungskonzept).19 Art. 12 Abs. 1 gestattet darüber hinaus auch die Einbeziehung des Gleichordnungskonzerns.20 Deutschland hat i.R.d. Umsetzung durch das BiRiLiG (dazu o. Rn. 7) von der 13 Option des Art. 1 Abs. 2 Gebrauch gemacht und in § 290 HGB sowohl das controlKonzept (Abs. 2) als auch das Konzept der einheitlichen Leitung (Abs. 1) aufgenommen.21 Mit dem BilMoG (dazu o. Rn. 7 sowie bereits § 10 Rn. 21) erfolgte jedoch ein Konzeptwechsel: Das Konzept der einheitlichen Leitung wurde aufgegeben, künftig wird nur noch auf das control-Konzept abgestellt (§ 290 Abs. 1 HGB n.F.).22

18 19 20 21 22

1109. Hingegen kritisch etwa Ekkenga BB 2001, 2362, 2365; Euler BB 2002, 875 ff.; Schön WPg-Sonderheft 2001, S. 74 ff.; Zabel WPg 2002, 919 ff. Differenzierend etwa Böcking/ Dutzi Konzern 2007, 435, 438 ff.; IDW WPg 2002, 983, 985 ff.; Kirsch, WPg 2002, 743, 752 ff.; Niehus WPg 2001, 737, 742 ff.; Truxius WPg-Sonderheft 2008, S. 89 f.; Zitzelsberger WPg 2001, 1293 ff. Vgl. näher Edwards S. 161 ff.; Grundmann Rn. 569 ff. m.w.N. Vgl. dazu Grundmann Rn. 571. Vgl. Grundmann Rn. 571; Habersack § 8 Rn. 39. Vgl. Kropf DB 1986, 364 ff.; Küting DStR 1987, 347 ff. Vgl. dazu Bericht Rechtsausschuss z. BilMoG, BT-Drs. 16/12407, S. 89; Kozikowski/Ritter in: Beck’scher Bilanz-Kommentar, 7. Aufl. 2010, § 290 Rn. 7 f.; Lüdenbach/Freiberg BB 2009, 1230 ff.; Zülch/Hoffmann DB 2009, 745, 746 f.

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Gesellschaftsrechtliche Richtlinien

b) Sitzunabhängigkeit der Konsolidierung 14 Für die Einbeziehung eines Tochterunternehmens in den konsolidierten Abschluss kommt es gem. Art. 3 nicht auf die Nationalität des Unternehmens an (sog. Weltabschluss) 23 (vgl. im deutschen Recht: § 294 Abs. 1 HGB). c) Erfasste Rechtsformen 15 Die Pflicht zur Aufstellung eines konsolidierten Abschlusses besteht gem. Art. 4 Abs. 1 bereits dann, wenn entweder das Mutterunternehmen oder eines oder mehrere seiner Tochterunternehmen eine der in Unterabs. 1 genannten Kapitalgesellschaften (in Deutschland: AG, KGaA, GmbH) oder eine Kapitalgesellschaft & Co (Unterabs. 2 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 Unterabs. 2 und 3 der 4. (Bilanz-)RL, dazu § 24) ist. Ist dies der Fall, so besteht die Pflicht zur Aufstellung eines konsolidierten Abschluss auch dann, wenn es sich bei dem/den anderen Unternehmen um Personengesellschaften, Einzelpersonen, Stiftungen, Unternehmen in öffentlich-rechtlicher Rechtsform etc. handelt. Art. 4 Abs. 2 erlaubt den Mitgliedstaaten jedoch die Beschränkung auf Muttergesellschaften in der Rechtsform einer der genannten Kapitalgesellschaften oder Kapitalgesellschaften & Co.24 Deutschland hat von diesem Wahlrecht Gebrauch gemacht (vgl. § 290 Abs. 1 HGB sowie den durch das KapCoRiLiG [dazu o. Rn. 7] eingefügten § 264a Abs. 1 HGB). Damit besteht hinsichtlich der zum Abschluss verpflichtenden Gesellschaften für die 4. (Bilanz-RL) und die 7. (Konzernbilanz-)RL eine einheitliche Lösung. d) Befreiende Konzernabschlüsse 16 Da es für die Verpflichtung zur Aufstellung eines konsolidierten Abschlusses gerade nicht auf den Konzerntatbestand ankommt, sondern auf die Kapitalbeteiligung bzw. Beherrschungsmöglichkeit, müssten konsolidierte Abschlüsse an sich auf allen Stufen verbundener Unternehmen erstellt werden (Teilkonzernabschlüsse). Die praktische Folge in Großunternehmen wäre dann die Pflicht zur Aufstellung von 30, ja eventuell 50 oder noch mehr Teilkonzernabschlüssen. Das aber wäre Unfug und daher sieht die RL in Art. 7–11 sehr weitgehende Befreiungsmöglichkeiten (sog. befreiende Konzernabschlüsse) vor.25 Der deutsche Gesetzgeber hat in § 291 HGB entsprechende Regelungen getroffen. e) Mitgliedstaatenoption für Befreiung kleiner und mittelgroßer Konzerne 17 An sich unterliegt jede kleine GmbH mit einer noch so kleinen Tochtergesellschaft irgendwo in der Welt dem Gebot der Konsolidierung. Hier erlaubt Art. 6 die Befreiung von kleinen und mittelgroßen Konzernen i.S.d. Größenmerkmale der Art. 11 und 23 Vgl. Grundmann Rn. 567; Habersack § 8 Rn. 40. 24 Vgl. zu Art. 4 Edwards S. 171 ff.; Grundmann Rn. 567; Habersack § 8 Rn. 41. 25 Vgl. dazu Edwards S. 174 ff.; Grundmann Rn. 572; Habersack § 8 Rn. 41.

Die Konzernbilanzrichtlinie (7. Richtlinie)

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27 der 4. (Bilanz-)RL (dazu bereits § 10 Rn. 4 f., § 24 Rn. 6 ff.).26 Von dieser Möglichkeit hat der deutsche Gesetzgeber in § 293 HGB Gebrauch gemacht. 2. Bestandteile sowie Art und Weise der Konzernrechnungslegung Die Bestandteile der Konzernrechnungslegung sind parallel zu denjenigen der Einzel- 18 rechnungslegung nach der 4. (Bilanz-)RL (dazu § 24 Rn. 13) ausgestaltet:27 Der Konzernabschluss (konsolidierter Abschluss) besteht gem. Art. 16 Abs. 1 Unterabs. 1 aus konsolidierter Bilanz, konsoliderter Gewinn- und Verlustrechnung und Anhang; darüber hinaus können die Mitgliedstaaten weitere Bestandteile gestatten oder vorschreiben (Unterabs. 2). Neben den – durch Zahlen geprägten – Konzernabschluss tritt auch hier – als verbalisierte Darstellung – ein Konzernlagebericht (Art. 36).28 Die Bilanzierungsgrundsätze entsprechen im Wesentlichen denjenigen der 19 4. (Bilanz-)RL (dazu § 24 Rn. 14).29 In Bezug auf die Gliederung der Bilanz sowie der Gewinn- und Verlustrechnung enthält die RL zwar einige Sonderregelungen; i.Ü. verweist Art. 17 Abs. 1 jedoch vollumfänglich auf die 4. (Bilanz-)RL (dazu § 24).30 Die Regeln zum Anhang laufen ebenfalls weitgehend parallel zu denjenigen der 4. (Bilanz-)RL (dazu § 24).31 Art. 26 Abs. 1 S. 1 etabliert den Grundsatz der Vollkonsolidierung: Die Vermö- 20 gens-, Finanz- und Ertragslage der in die Konsolidierung einbezogenen Unternehmen ist so auszuweisen, als ob sie ein einziges Unternehmen wären.32 Wichtige Ausnahmen finden sich aber in Art. 32 f.33 3. Prüfung Gem. Art. 37 Abs. 1 unterliegen Konzernabschlüsse einer obligatorischen Abschluss- 21 prüfung durch nach den Umsetzungsvorschriften zur Abschlussprüfer-RL34 (dazu § 27) zugelassene Personen; diese müssen auch ein Urteil darüber abgeben, ob der konsolidierte Lagebericht mit dem Konzernabschluss in Einklang steht oder nicht. Eine Befreiungsmöglichkeit für kleine Konzerne ist – anders nach der 4. (Bilanz-)RL (dazu § 24 Rn. 10, 17) – nicht vorgesehen. Der deutsche Gesetzgeber hat diese Vorgabe durch § 316 Abs. 2 HGB umge- 22 setzt.35 26 27 28 29 30 31 32

Vgl. dazu Edwards S. 176 f.; Habersack § 8 Rn. 43. Vgl. Grundmann Rn. 573. Vgl. Edwards S. 148; Grundmann Rn. 557; Habersack § 8 Rn. 25. Vgl. Grundmann Rn. 573; Habersack § 8 Rn. 48. Näher Edwards S. 183; Grundmann Rn. 573. Vgl. Grundmann Rn. 580. Vgl. dazu sowie zu den einzelnen Ausprägungen Edwards S. 185 f.; Grundmann Rn. 574 ff.; Habersack § 8 Rn. 50 ff. 33 Dazu näher Cordewener in: Schön (Hrsg.), Rechnungslegung und Wettbewerbsschutz im Europäischen Recht, 2008, S. 105, 187; Grundmann Rn. 579; Habersack § 8 Rn. 53 f. 34 Der Verweis auf die „alte“ 8. (Abschlussprüfer-)RL 84/253/EWG ist heute als Verweis auf die „neue“ 8. (Abschlussprüfer-)RL 2006/43/EG zu lesen, vgl. deren Art. 50. 35 Vgl. Bericht Rechtsausschuss z. BiRiLiG, BT-Drs. 10/4268, S. 118; Habersack § 8 Rn. 56.

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Gesellschaftsrechtliche Richtlinien

4. Publizität 23 Der Konzernabschluss, der konsolidierte Lagebericht und der Bericht des Abschlussprüfers sind gem. Art. 38 Abs. 1 nach dem Verfahren nach Art. 3 der 1. (Publizitäts-)RL36 (dazu ausf. § 19 Rn. 13 ff.) offen zu legen (vgl. auch Art. 2 lit. f der 1. RL, dazu § 19 Rn. 34 ff.). Die Mitgliedstaaten können aber auch hier den Lagebericht ausnehmen (Art. 38 Abs. 2 i.V.m. Art. 47 Abs. 1 Unterabs. 2 der 4. (Bilanz-)RL, dazu § 24 Rn. 10, 19). Erleichterungen für Kapitalgesellschaften & Co sowie für kleine und mittelgroße Kapitalgesellschaften sind dagegen – anders als nach der 4. (Bilanz-)RL (vgl. dazu § 24 Rn. 11, 19) – nicht möglich. 24 Die deutsche Umsetzung dieser Vorgaben erfolgte i.R.d. BiRiLiG (dazu o. Rn. 7) in § 325 Abs. 3 HGB.37 Im Zuge der umfassenden Reform durch das EHUG38 wurde die Bilanzpublizität aber auch für den Konzernabschluss von den Registergerichten abgekoppelt; die Rechnungslegungsunterlagen sind nun in elektronischer Form zentral beim Betreiber des elektronischen Bundesanzeigers einzureichen (§ 325 Abs. 3 i.V.m. Abs. 1 S. 1 HGB) und werden dann in das Unternehmensregister eingestellt (§ 8b Abs. 2 Nr. 4 HGB) (dazu bereits näher § 19 Rn. 17). IV. Fundstellenverzeichnis Grundlage:

Art. 50 Abs. 2 lit. g AEU [G Art. 44 Abs. 2 lit. g EG G Art. 54 Abs. 3 lit. g EWG]

Vorschläge:

Vorschlag einer 7. Richtlinie aufgrund von Artikel 54 Absatz 3 Buchstabe g) des EWG-Vertrages für den Konzernabschluß, 28.4.1976, KOM(76) 170 = BT-Drs. 7/5221 Geänderter Vorschlag einer 7. Richtlinie aufgrund von Artikel 54 Absatz 3 Buchstabe g) des EWG-Vertrages für den Konzernabschluß, 12.12.1978, KOM(78) 703

verabschiedete Fassung:

Siebente RL 83/349/EWG des Rates v. 13.6.1983 aufgrund von Artikel 54 Absatz 3 Buchstabe g) des Vertrages über den konsolidierten Abschluß, ABlEG v. 18.7.1983, L 193/1

geändert durch:

Beitrittsakte von 1985, ABlEG v. 15.11.1985, L 302/23 (Spanien und Portugal) Elfte RL 89/666/EWG des Rates v. 21.12.1989 über die Offenlegung von Zweigniederlassungen, die in einem Mitgliedstaat von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen errichtet wurden, die dem Recht eines anderen Staates unterliegen, ABlEG v. 30.12.1989, L 395/36 [11. (Zweigniederlassungs-)RL] RL 90/604/EWG des Rates v. 8.11.1990 zur Änderung der Richtlinie 78/660/EWG über den Jahresabschluß und der Richtlinie 83/349/EWG über den konsolidierten Abschluß

36 Der Verweis auf Art. 3 der RL 68/151/EWG ist als Verweis auf Art. 3 der kodifizierten Fassung (RL 2009/101/EG) zu lesen, vgl. Art. 16 Abs. 2 RL 2009/101/EG. 37 Vgl. Bericht Rechtsausschuss z. BiRiLiG, BT-Drs. 10/4268, S. 120. 38 Gesetz über elektronische Handelsregister und Genossenschaftsregister sowie das Unternehmensregister (EHUG) v. 10.11.2006, BGBl. I, 2553.

Die Konzernbilanzrichtlinie (7. Richtlinie)

827

hinsichtlich der Ausnahme für kleine und mittlere Gesellschaften sowie der Offenlegung von Abschlüssen in Ecu, ABlEG v. 16.11.1990, L 317/57 [Mittelstands-RL] RL 90/605/EWG des Rates vom v. 8.11.1990 zur Änderung der Richtlinien 78/660/EWG und 83/349/EWG über den Jahresabschluß bzw. den konsolidierten Abschluß hinsichtlich ihres Anwendungsbereichs, ABlEG v. 16.11.1990, L 317/60 [KapCo-RL] Beitrittsakte von 1994, ABlEG v. 29.8.1994, C 241/194 (Finnland, Österreich und Schweden) RL 2001/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 27.9.2001 zur Änderung der Richtlinien 78/660/EWG, 83/349/EWG und 86/635/EWG des Rates im Hinblick auf die im Jahresabschluss bzw. im konsolidierten Abschluss von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen und von Banken und anderen Finanzinstituten zulässigen Wertansätze, ABlEG v. 27.10.2001, L 283/28 [Fair Value-RL] RL 2003/51/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 18.6.2003 zur Änderung der Richtlinien 78/660/EWG, 83/349/EWG, 86/635/EWG und 91/674/EWG über den Jahresabschluss und den konsolidierten Abschluss von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen, von Banken und anderen Finanzinstituten sowie von Versicherungsunternehmen, ABlEU v. 17.7.2003, L 178/16 [Modernisierungs-RL] Beitrittsakte von 2003, ABlEU v. 23.9.2003, L 236/338 (Estland, Lettland, Litauen, Malta, Polen, Slowakei, Slowenien, Tschechien, Ungarn, Zypern) RL 2006/43/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 17.5.2006 über Abschlussprüfungen von Jahresabschlüssen und konsolidierten Abschlüssen, zur Änderung der Richtlinien 78/660/EWG und 83/349/EWG des Rates und zur Aufhebung der Richtlinie 84/253/EWG des Rates, ABlEU v. 9.6.2006, L 157/87 RL 2006/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 14.6.2006 zur Änderung der Richtlinien des Rates 78/660/ EWG über den Jahresabschluss von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen, 83/349/EWG über den konsolidierten Abschluss, 86/635/EWG über den Jahresabschluss und den konsolidierten Abschluss von Banken und anderen Finanzinstituten und 91/674/EWG über den Jahresabschluss und den konsolidierten Abschluss von Versicherungsunternehmen, ABlEU v. 16.8.2006, L 224/1 RL 2006/99/EG des Rates v. 20.11.2006 zur Anpassung bestimmter Richtlinien im Bereich Gesellschaftsrecht anlässlich des Beitritts Bulgariens und Rumäniens, ABlEU v. 20.12.2006, L 363/137 Richtlinie 2009/49/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 18.6.2009 zur Änderung der Richtlinien 78/660/EWG und 83/349/EWG des Rates im Hinblick auf bestimmte Angabepflichten mittlerer Gesellschaften sowie die Pflicht zur

828

Gesellschaftsrechtliche Richtlinien

Erstellung eines konsolidierten Abschlusses, ABlEU v. 26.6. 2009, L 164/42 Umsetzung in Deutschland: ursprüngliche Umsetzung

Gesetz zur Durchführung der Vierten, Siebenten und Achten Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaften zur Koordinierung des Gesellschaftsrechts (Bilanzrichtlinien-Gesetz – BiRiLiG) v. 19.12.1985, BGBl. I, 2355

Beitrittsakte 1985

spezielle Umsetzung nicht erforderlich

Elfte RL 89/666/EWG

Gesetz zur Durchführung der Elften gesellschaftsrechtlichen Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaften und über Gebäudeversicherungsverhältnisse v. 22.7.1993, BGBl. I, 1282

RL 90/604/EG

Gesetz zur Änderung des D-Markbilanzgesetzes und anderer handelsrechtlicher Bestimmungen v. 25.7.1994, BGBl. I, 1682

RL 90/605/EG

Gesetz zur Durchführung der Richtlinie des Rates der Europäischen Union zur Änderung der Bilanz- und der Konzernabschlussrichtlinie hinsichtlich ihres Anwendungsbereichs (90/605/EWG), zur Verbesserung der Offenlegung von Jahresabschlüssen und zur Änderung anderer handelsrechtlicher Bestimmungen (Kapitalgesellschaften- und Co-Richtlinie-Gesetz – KapCoRiLiG) v. 24.2.2000, BGBl. I, 154

Beitrittsakte von 1994

spezielle Umsetzung nicht erforderlich

RL 1999/60/EG

KapCoRiLiG (s.o.)

RL 2001/65/EG

Gesetz zur Einführung internationaler Rechnungslegungsstandards und zur Sicherung der Qualität der Abschlussprüfung (Bilanzrechtsreformgesetz – BilReG) v. 4.12.2004, BGBl. I, 3166

RL 2003/51/EG

BilReG (s.o.)

Beitrittsakte 2003

spezielle Umsetzung nicht erforderlich

RL 2006/43/EG

partiell antizipiert durch: BiLReG (s.o.) Gesetz zur Fortentwicklung der Berufsaufsicht über Abschlussprüfer in der Wirtschaftsprüferordnung (Abschlussprüferaufsichtsgesetz – APAG) v. 27.12.2004, BGBl. I, 3846 i.Ü.: Gesetz zur Stärkung der Berufsaufsicht und zur Reform berufsrechtlicher Regelungen in der Wirtschaftsprüferordnung (Berufsaufsichtsreformgesetz – BARefG) v. 3.9.2007, BGBl. I, 2178 Gesetz zur Modernisierung des Bilanzrechts (Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz – BilMoG) v. 25.5.2009, BGBl. I, 1102

RL 2006/46/EG

BilMoG (s.o.)

RL 2006/99/EG

spezielle Umsetzung nicht erforderlich

RL 2009/49/EG

BilMoG (s.o.)

Die Konzernbilanzrichtlinie (7. Richtlinie)

829

SIEBENTE RICHTLINIE DES RATES vom 13. Juni 1983 aufgrund von Artikel 54 Absatz 3 Buchstabe g) des Vertrages über den konsolidierten Abschluß (83/349/EWG)

DER RAT DER SCHAFTEN –

EUROPÄISCHEN

GEMEIN-

gestützt auf den Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und insbesondere auf Artikel 54 Absatz 3 Buchstabe g), auf Vorschlag der Kommission(1), nach Stellungnahme des Europäischen Parlaments(2), nach Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses(3), in Erwägung nachstehender Gründe: Der Rat hat am 25. Juli 1978 die Richtlinie 78/660/ EWG(4) zur Koordinierung der einzelstaatlichen Vorschriften über den Jahresabschluß von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen erlassen. Eine bedeutende Anzahl von Gesellschaften gehört Unternehmenszusammenschlüssen an. Damit die Informationen über die finanziellen Verhältnisse dieser Unternehmenszusammenschlüsse zur Kenntnis der Gesellschafter und Dritter gebracht wird, muß ein konsolidierter Abschluß erstellt werden. Eine Koordinierung der nationalen Vorschriften über den konsolidierten Abschluß ist daher geboten, um die Vergleichbarkeit und Gleichwertigkeit der Informationen zu verwirklichen.

Interessen, die gegenüber Kapitalgesellschaften bestehen. Dieser Schutz beinhaltet den Grundsatz der Aufstellung eines konsolidierten Abschlusses, wenn eine solche Gesellschaft zu einem Unternehmenszusammenschluß gehört; dieser konsolidierte Abschluß ist zumindest dann zwingend zu erstellen, wenn eine solche Gesellschaft ein Mutterunternehmen ist. In Fällen, in denen ein Tochterunternehmen selbst Mutterunternehmen ist, ist es im Interesse einer vollständigen Information weiterhin erforderlich, einen konsolidierten Abschluß aufzustellen. Indessen kann – beziehungsweise in bestimmten Fällen muß – ein Mutterunternehmen von der Pflicht, einen konsolidierten Teilabschluß aufzustellen, befreit werden, sofern seine Gesellschafter und Dritte hinreichend geschützt sind. Bei Unternehmenszusammenschlüssen, die eine bestimmte Größe nicht überschreiten, ist eine Ausnahme von der Verpflichtung zur Erstellung eines konsolidierten Abschlusses gerechtfertigt. Es ist daher erforderlich, Höchstgrenzen für eine solche Freistellung festzulegen. Daraus ergibt sich, daß die Mitgliedstaaten schon das Überschreiten eines der drei Größenmerkmale für die Nichtanwendung der Ausnahme als ausreichend ansehen oder aber niedrigere Größenmerkmale als die in der Richtlinie vorgesehenen festlegen können.

Die Koordinierung im Bereich des konsolidierten Abschlusses ist abgestellt auf den Schutz der

Der konsolidierte Abschluß muß ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage der insgesamt in die Konsolidierung einbezogenen Unternehmen geben. Zu diesem Zweck muß die Konsolidierung grundsätzlich alle Unternehmen des Zusammenschlusses einbeziehen. Im Rahmen dieser Konsolidierung müssen die betreffenden Gegenstände des Aktiv- und Passivvermögens, die Erträge und Aufwendungen dieser Unternehmen voll in den konso- lidierten Abschluß übernommen werden; dabei sind die Anteile der außerhalb dieses Zusammenschlusses stehenden Personen gesondert anzugeben. Es sind jedoch die erforderlichen Berichtigungen vorzunehmen, um die Auswirkungen finanzieller Beziehungen zwischen den konsolidierten Unternehmen wegzulassen.

(1) (2) (3) (4)

Eine bestimmte Anzahl von Grundsätzen für die Erstellung der konsolidierten Abschlüsse und die Bewertung im Rahmen dieser Abschlüsse müssen festgelegt werden, um sicherzustellen, daß diese übereinstimmende und vergleichbare Vermögens-

Um die Bedingungen der Konsolidierung zu bestimmen, müssen sowohl die Fälle berücksichtigt werden, in denen die Beherrschungsbefugnis auf einer Mehrheit der Stimmrechte beruht, als auch jene, in denen dies aufgrund von Vereinbarungen, sofern sie zulässig sind, geschieht. Den Mitgliedstaaten ist weiterhin zu gestatten, daß sie gegebenenfalls den Fall regeln, daß unter bestimmten Umständen aufgrund einer Minderheitsbeteiligung eine tatsächliche Beherrschung ausgeübt wird. Es ist den Mitgliedstaaten weiterhin die Möglichkeit einzuräumen, den Fall von auf gleichberechtigter Ebene zustandegekommenen Unternehmenszusammenschlüssen zu regeln.

ABl. Nr. C 121 vom 2.6.1976, S. 2. ABl. Nr. C 163 vom 10.7.1978, S. 60. ABl. Nr. C 75 vom 26.3.1977, S. 5. ABl. Nr. L 222 vom 14.8.1978, S. 11.

830

Gesellschaftsrechtliche Richtlinien

werte umfassen, sowohl was die hierauf angewandten Bewertungsmethoden als auch die berücksichtigten Geschäftsjahre angeht. Die Beteiligung am Kapital von Unternehmen, bei denen von der Konsolidierung betroffene Unternehmen einen maßgeblichen Einfluß ausüben, müssen in die konsolidierten Abschlüsse auf der Grundlage der Equity-Methode einbezogen werden. Es ist unentbehrlich, daß der Anhang des konsolidierten Abschlusses genaue Angaben über die zu konsolidierenden Unternehmen enthält. Bestimmte in der Richtlinie 78/660/EWG ursprünglich übergangsweise vorgesehene Ausnahmen können vorbehaltlich einer späteren Überprüfung aufrechterhalten bleiben – HAT FOLGENDE RICHTLINIE ERLASSEN:

1. ABSCHNITT Voraussetzungen für die Aufstellung des konsolidierten Abschlusses Artikel 1 (1) Die Mitgliedstaaten schreiben jedem ihrem Recht unterliegenden Unternehmen vor, einen konsolidierten Abschluß und einen konsolidierten Lagebericht zu erstellen, wenn dieses Unternehmen (Mutterunternehmen) a) die Mehrheit der Stimmrechte der Aktionäre oder Gesellschafter eines Unternehmens (Tochterunternehmens) hat oder b) das Recht hat, die Mehrheit der Mitglieder des Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgans eines Unternehmens (Tochterunternehmens) zu bestellen oder abzuberufen und gleichzeitig Aktionär oder Gesellschafter dieses Unternehmens ist oder c) das Recht hat, auf ein Unternehmen (Tochterunternehmen), dessen Aktionär oder Gesellschafter es ist, einen beherrschenden Einfluß aufgrund eines mit diesem Unternehmen geschlossenen Vertrags oder aufgrund einer Satzungsbestimmung dieses Unternehmens auszuüben, sofern das Recht, dem dieses Tochterunternehmen unterliegt, es zuläßt, daß dieses solchen Verträgen oder Satzungsbestimmungen unterworfen wird. Die Mitgliedstaaten brauchen nicht vorzuschreiben, daß das Mutterunternehmen Aktionär oder Gesellschafter des Tochterunternehmens sein muß. Mitgliedstaaten, deren Recht derartige Verträge oder Satzungsbestimmungen nicht vorsieht, sind nicht gehalten, diese Bestimmungen anzuwenden oder

d) Aktionär oder Gesellschafter eines Unternehmens ist und aa) allein durch die Ausübung seiner Stimmrechte die Mehrheit der Mitglieder des Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgans dieses Unternehmens (Tochterunternehmens), die während des Geschäftsjahres sowie des vorhergehenden Geschäftsjahres bis zur Erstellung des konsolidierten Abschlusses im Amt sind, bestellt worden sind, oder bb) aufgrund einer Vereinbarung mit anderen Aktionären oder Gesellschaftern dieses Unternehmens allein über die Mehrheit der Stimmrechte der Aktionäre oder Gesellschafter dieses Unternehmens (Tochterunternehmens) verfügt. Die Mitgliedstaaten können nähere Bestimmungen über Form und Inhalt einer solchen Vereinbarung treffen. Die Mitgliedstaaten schreiben mindestens die unter Unterbuchstabe bb) angeführte Regelung vor. Sie können die Anwendung von Unterbuchstabe aa) davon abhängig machen, daß auf die Beteiligung 20 % oder mehr der Stimmrechte der Aktionäre oder Gesellschafter entfallen. Unterbuchstabe aa) findet jedoch keine Anwendung, wenn ein anderes Unternehmen gegenüber diesem Tochterunternehmen die Rechte im Sinne der Buchstaben a), b) oder c) hat. (2) Außer in den in Absatz 1 bezeichneten Fällen können die Mitgliedstaaten jedem ihrem Recht unterliegenden Unternehmen die Aufstellung eines konsolidierten Abschlusses und eines konsolidierten Lageberichts vorschreiben, wenn: a) dieses Unternehmen (Mutterunternehmen) einen beherrschenden Einfluss auf oder die Kontrolle über ein anderes Unternehmen (Tochterunternehmen) ausüben kann oder tatsächlich ausübt oder b) dieses Unternehmen (Mutterunternehmen) und ein anderes Unternehmen (Tochterunternehmen) unter einheitlicher Leitung des Mutterunternehmens stehen.

Artikel 2 (1) Bei der Anwendung von Artikel 1 Absatz 1 Buchstaben a), b) und d) sind den Stimm-, Bestellungs- oder Abberufungsrechten des Mutterunternehmens die Rechte eines anderen Tochterunternehmens oder einer Person, die in eigenem Namen, aber für Rechnung des Mutterunternehmens oder eines anderen Tochterunternehmens handelt, hinzuzurechnen.

Die Konzernbilanzrichtlinie (7. Richtlinie) (2) Bei der Anwendung von Artikel 1 Absatz 1 Buchstaben a), b) und d) sind von den in Absatz 1 des vorliegenden Artikels bezeichneten Rechten die Rechte abzuziehen,

c) in Dänemark:

a) die mit Aktien oder Anteilen verbunden sind, die für Rechnung einer anderen Person als das Mutterunternehmen oder ein Tochterunternehmen gehalten werden,

d) in Frankreich:

831

aktieselskaber, kommanditaktieselskaber, anpartsselskaber;

Société anonyme, Société en commandite par actions, Société à responsabilité limitée; e) in Griechenland:

oder b) die mit Aktien oder Anteilen verbunden sind, die als Sicherheit gehalten werden, sofern diese Rechte nach erhaltenen Weisungen ausgeübt werden, oder der Besitz dieser Anteile oder Aktien für das haltende Unternehmen ein laufendes Geschäft im Zusammenhang mit der Gewährung von Darlehen darstellt, sofern die Stimmrechte im Interesse des Sicherungsgebers ausgeübt werden. (3) Für die Anwendung von Artikel 1 Absatz 1 Buchstaben a) und d) sind von der Gesamtheit der Stimmrechte der Aktionäre oder Gesellschafter eines Tochterunternehmens die Stimmrechte abzuziehen, die mit Aktien oder Anteilen verbunden sind, die von diesem Unternehmen selbst, von einem seiner Tochterunternehmen oder von einer im eigenen Namen, aber für Rechnung dieser Unternehmen handelnden Person gehalten werden.

Artikel 3 (1) Das Mutterunternehmen sowie alle seine Tochterunternehmen sind ohne Rücksicht auf deren Sitz zu konsolidieren; Artikel 13 und 15 bleiben unberührt. (2) Für die Anwendung von Absatz 1 gilt jedes Tochterunternehmen eines Tochterunternehmens als das des Mutterunternehmens, das an der Spitze der zu konsolidierenden Unternehmen steht.

h anånumh etairía, h etairía periorisménhv euqúnhv, h etairórruqmh katá metocév etairía; f) in Irland: Public companies limited by shares or by guarantee, Private companies limited by shares or by guarantee; g) in Italien: Società per azioni, Società in accomandita per azioni, Società a responsabilità limitata; h) in Luxemburg: Société anonyme, Société en commandite par actions, Société à responsabilité limitée; i) in den Niederlanden: Naamloze vennootschap, Besloten vennootschap met beperkte aansprakelijkheid; j) im Vereinigten Königreich: Public companies limited by shares or by guarantee, Private companies limited by shares or by guarantee; k) in Spanien: la sociedad anónima, la sociedad comanditaria por acciones, la sociedad de responsabilidad limitada; l) in Portugal:

Artikel 4 (1) Das Mutterunternehmen sowie alle seine Tochterunternehmen sind zu konsolidierende Unternehmen im Sinne dieser Richtlinie, wenn entweder das Mutterunternehmen oder eines oder mehrere seiner Tochterunternehmen eine der folgenden Rechtsformen haben:

a sociedade anónima de responsabilidade limitada, a sociedade em comandita por acções, a sociedade por quotas de responsabilidade limitada; m) in Österreich: die Aktiengesellschaft, die Gesellschaft mit beschränkter Haftung;

a) in Deutschland: Aktiengesellschaft, Kommanditgesellschaft auf Aktien, Gesellschaft mit beschränkter Haftung; b) in Belgien: Société anonyme/Naamloze vennootschap, Société en commandite par actions/Commanditaire vennootschap op aandelen, Société de personnes à responsabilité limitée/Personenvennootschap met beperkte aansprakelijkheid;

n) in Finnland: osakeythiö/aktiebolag; o) in Schweden: aktiebolag; p) in der Tschechischen Republik: spolecˇ nost s rucˇ ením omezeny´ m, akciová spolecˇ nost;

832

Gesellschaftsrechtliche Richtlinien

q) in Estland: aktsiaselts, osaühing; r) in Zypern: Dhmósiev etaireíev periorisménhv euqúnhv me metocév ä me eggúhsh, idiwtikév etaireíev periorisménhv euqúnhv me metocév ä me eggúhsh; s) in Lettland: akciju sabiedrı¯ ba, sabiedrı¯ ba ar ierobezˇotu atbildı¯ bu; t) in Litauen: akcine˙s bendrove˙s, uzˇdarosios akcine˙s bendrove˙s; u) in Ungarn: részvénytársaság, korlátolt felelo˝sségu˝ társaság; v) in Malta: kumpanija pubblika – public limited liability company,kumpannija privata – private limited liability company, soc˙ jeta in akkomandita bil-kapital maqsum f’azzjonijiet – partnership en commandite with the capital divided into shares; w) in Polen: spól/ ka akcyjna, spól/ ka z ograniczona˛ odpowiedzialnos´cia˛, spól/ ka komandytowo-akcyjna; x) in Slowenien: delnisˇka druzˇba, druzˇba z omejeno odgovornostjo, komaditna delnisˇka druzˇba; y) in der Slowakei: akciová spolocˇnost’, spolocˇnost’ s rucˇením obmedzeny´m; z) in Bulgarien:

akcionerno druΩestvo, druΩestvo s ogranihena otgovornost, komanditno druΩestvo s akcii; aa) in Rumänien: societate pe act¸iuni, societate cu ra˘spundere limitata˘, societate ˆın comandita˘ pe act¸iuni. Unterabsatz 1 findet auch Anwendung, wenn entweder das Mutterunternehmen oder eines oder mehrere seiner Tochterunternehmen eine der in Artikel 1 Absatz 1 Unterabsätze 2 oder 3 der Richtlinie 78/660/EWG bezeichneten Rechtsformen haben. (2) Die Mitgliedstaaten können jedoch eine Befreiung von der in Artikel 1 Absatz 1 genannten Verpflichtung vorsehen, wenn das Mutterunternehmen nicht eine der in Absatz 1 des vorliegenden Artikels oder in Artikel 1 Absatz 1 Unterabsätze 2 oder 3

der Richtlinie 78/660/EWG bezeichneten Rechtsformen hat.

Artikel 5 (1) Die Mitgliedstaaten können eine Befreiung von der in Artikel 1 Absatz 1 bezeichneten Verpflichtung vorsehen, wenn das Mutterunternehmen eine Beteiligungsgesellschaft im Sinne des Artikels 5 Absatz 3 der Richtlinie 78/660/EWG ist und a) während des Geschäftsjahres weder mittelbar noch unmittelbar in die Verwaltung des Tochterunternehmens eingegriffen hat, und b) das mit der Beteiligung verbundene Stimmrecht bei der Bestellung eines Mitglieds des Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgans eines Tochterunternehmens während des Geschäftsjahres sowie der fünf vorhergehenden Geschäftsjahre nicht ausgeübt hat oder, falls die Ausübung des Stimmrechts für die Tätigkeit des Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgans des Tochterunternehmens notwendig war, sofern kein mit der Mehrheit der Stimmrechte beteiligter Aktionär oder Gesellschafter des Mutterunternehmens und kein Mitglied des Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgans dieses Unternehmens oder seines mit der Mehrheit der Stimmrechte beteiligten Aktionärs oder Gesellschafters den Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorganen des Tochterunternehmens angehört und die so bestellten Mitglieder dieser Organe ihr Amt ohne Einmischung oder Einflußnahme des Mutterunternehmens oder eines seiner Tochterunternehmen ausgeübt haben und c) Darlehen nur solchen Unternehmen gewährt hat, an denen es eine Beteiligung besitzt. Sind Darlehen an andere Empfänger gegeben worden, so müssen diese bis zum Stichtag des Jahresabschlusses für das vorhergehende Geschäftsjahr zurückgezahlt worden sein, und d) die Befreiung von einer Behörde nach Prüfung der vorstehend aufgeführten Voraussetzungen erteilt worden ist. (2) a) Wird eine Beteiligungsgesellschaft befreit, so findet Artikel 43 Absatz 2 der Richtlinie 78/660/EWG von dem in Artikel 49 Absatz 2 bezeichneten Zeitpunkt an keine Anwendung auf den Jahresabschluß dieser Gesellschaft im Hinblick auf Mehrheitsbeteiligungen an ihren Tochterunternehmen. b) Die für Mehrheitsbeteiligungen nach Artikel 43 Absatz 1 Ziffer 2 der Richtlinie 78/660/EWG vorgeschriebenen Angaben brauchen nicht gemacht zu werden, soweit sie geeignet sind, der Gesellschaft, ihren Aktionären oder Gesellschaftern oder einem ihrer Tochterunternehmen einen erheblichen Nachteil zuzufügen. Die Mitgliedstaaten können dazu die vorherige Zustimmung einer Verwaltungsbe-

Die Konzernbilanzrichtlinie (7. Richtlinie) hörde oder eines Gerichts verlangen. Das Unterlassen dieser Angaben ist im Anhang zu erwähnen.

Artikel 6 (1) Die Mitgliedstaaten können ferner von der in Artikel 1 Absatz 1 bezeichneten Verpflichtung unbeschadet von Artikel 4 Absatz 2 und Artikel 5 befreien, wenn zum Bilanzstichtag des Mutterunternehmens die zu konsolidierenden Unternehmen insgesamt aufgrund ihrer letzten Jahresabschlüsse zwei der drei in Artikel 27 der Richtlinie 78/660/ EWG bezeichneten Größenmerkmale nicht überschreiten. (2) Die Mitgliedstaaten können gestatten oder vorschreiben, daß bei der Berechnung der vorgenannten Größenmerkmale weder die Verrechnung nach Artikel 19 Absatz 1 noch die Weglassung nach Artikel 26 Absatz 1 Buchstaben a) und b) vorgenommen wird. In diesem Fall werden die Größenmerkmale in bezug auf die Bilanzsumme und die Nettoumsatzerlöse um 20 % erhöht. (3) Auf die genannten Größenmerkmale ist Artikel 12 der Richtlinie 78/660/EWG anwendbar. (4) Dieser Artikel findet keine Anwendung, wenn eines der zu konsolidierenden Unternehmen eine Gesellschaft ist, deren Wertpapiere in einem Mitgliedstaat zum Handel an einem geregelten Markt im Sinne des Artikels 1 Nummer 13 der Richtlinie 93/22/EWG des Rates vom 10. Mai 1993 über Wertpapierdienstleistungen(5) zugelassen sind. (5) –––––––––––

Artikel 7 (1) Die Mitgliedstaaten befreien, unbeschadet von Artikel 4 Absatz 2 und der Artikel 5 und 6, jedes ihrem Recht unterliegende Mutterunternehmen, das gleichzeitig Tochterunternehmen ist, von der in Artikel 1 Absatz 1 genannten Verpflichtung, sofern dessen Mutterunternehmen dem Recht eines Mitgliedstaats unterliegt, in den folgenden zwei Fällen: a) das Mutterunternehmen besitzt sämtliche Aktien oder Anteile des befreiten Unternehmens. Die Aktien oder Anteile dieses Unternehmens, die aufgrund einer gesetzlichen oder satzungsmäßigen Verpflichtung von Mitgliedern des Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgans gehalten werden, werden nicht berücksichtigt, b) das Mutterunternehmen besitzt 90 % oder mehr der Aktien oder Anteile des befreiten Unternehmens und die anderen Aktionäre dieses Unternehmens haben der Befreiung zugestimmt. (5) ABl. L 141 vom 11.6.1993, S. 27. Zuletzt geändert durch die Richtlinie 2002/87/EG des Europäischen Parlaments und des Rates (ABl. L 35 vom 11.2.2003, S. 1).

833

(2) Die Befreiung hängt von folgenden Voraussetzungen ab: a) Das befreite Unternehmen sowie alle seine Tochterunternehmen sind unbeschadet der Artikel 13 und 15 in den konsolidierten Abschluß eines größeren Kreises von Unternehmen einbezogen worden, dessen Mutterunternehmen dem Recht eines Mitgliedstaats unterliegt; b) aa) Der unter Buchstabe a) bezeichnete konsolidierte Abschluß und der konsolidierte Lagebericht des größeren Kreises von Unternehmen sind von dem Mutterunternehmen dieses Kreises von Unternehmen im Einklang mit dieser Richtlinie nach dem Recht des Mitgliedstaats erstellt und geprüft worden, dem das Mutterunternehmen unterliegt; bb) der unter Buchstabe a) bezeichnete konsolidierte Abschluß, der konsolidierte Lagebericht nach Unterbuchstabe aa) sowie der Bericht, der mit der Prüfung dieses Abschlusses beauftragten Person und gegebenenfalls die in Artikel 9 bezeichneten Unterlagen sind von dem befreiten Unternehmen nach dem Recht des Mitgliedstaats, dem dieses Unternehmen unterliegt, nach Artikel 38 offengelegt worden. Der betreffende Mitgliedstaat kann vorschreiben, daß die genannten Unterlagen in seiner Amtssprache offengelegt werden und die Übersetzung dieser Unterlagen beglaubigt wird. c) Der Anhang des Jahresabschlusses des befreiten Unternehmens enthält: aa) Name und Sitz des Mutterunternehmens, das den unter Buchstabe a) bezeichneten konsolidierten Abschluß aufstellt, und bb) einen Hinweis auf die Befreiung von der Verpflichtung, einen konsolidierten Abschluß und einen konsolidierten Lagebericht aufzustellen. (3) Dieser Artikel findet keine Anwendung auf Unternehmen, deren Wertpapiere in einem Mitgliedstaat zum Handel an einem geregelten Markt im Sinne des Artikels 1 Nummer 13 der Richtlinie 93/22/EWG zugelassen sind.

Artikel 8 (1) Die Mitgliedstaaten können in den von Artikel 7 Absatz 1 nicht erfaßten Fällen unbeschadet von Artikel 4 Absatz 2 und der Artikel 5 und 6 jedes ihrem Recht unterliegende Mutterunternehmen, das gleichzeitig Tochterunternehmen ist, dessen eigenes Mutterunternehmen dem Recht eines Mitgliedstaats unterliegt, von der in Artikel 1 Absatz 1 genannten Verpflichtung befreien, wenn alle in Artikel 7 Absatz 2 bezeichneten Voraussetzungen erfüllt sind und Aktionäre oder Gesellschafter des befreiten Unternehmens, die einen Mindestpro-

834

Gesellschaftsrechtliche Richtlinien

zentsatz des gezeichneten Kapitals dieses Unternehmens besitzen, nicht spätestens sechs Monate vor dem Ablauf des Geschäftsjahres die Aufstellung eines konsolidierten Abschlusses verlangt haben. Die Mitgliedstaaten dürfen diesen Prozentsatz für Aktiengesellschaften und Kommanditgesellschaften auf Aktien auf nicht höher als 10 % und für Unternehmen in anderer Rechtsform auf nicht höher als 20 % festlegen. (2) Ein Mitgliedstaat kann die Befreiung nicht davon abhängig machen, daß das Mutterunternehmen, das den in Artikel 7 Absatz 2 Buchstabe a) bezeichneten konsolidierten Abschluß aufstellt, ebenfalls seinem Recht unterliegt. (3) Ein Mitgliedstaat kann die Befreiung nicht von Bedingungen bezüglich der Aufstellung und Prüfung des in Artikel 7 Absatz 2 Buchstabe a) bezeichneten konsolidierten Abschlusses abhängig machen. Artikel 9 (1) Die Mitgliedstaaten können die in den Artikeln 7 und 8 vorgesehene Befreiung davon abhängig machen, daß zusätzliche Angaben in Übereinstimmung mit dieser Richtlinie in dem in Artikel 7 Absatz 2 Buchstabe a) genannten konsolidierten Abschluß oder in einer als Anhang beigefügten Unterlage erfolgen, sofern diese Angaben auch von den dem Recht dieses Mitgliedstaats unterliegenden Unternehmen, die zur Aufstellung eines konsolidierten Abschlusses verpflichtet sind und sich in derselben Lage befinden, verlangt werden. (2) Darüber hinaus können die Mitgliedstaaten die Befreiung davon abhängig machen, daß im Anhang zu dem in Artikel 7 Absatz 2 Buchstabe a) bezeichneten konsolidierten Abschluß oder im Jahresabschluß des befreiten Unternehmens für den Kreis von Unternehmen, deren Mutterunternehmen sie von der Aufstellung eines konsolidierten Abschlusses befreien, alle oder einige der folgenden Angaben gemacht werden: – Höhe des Anlagevermögens, – Nettoumsatzerlöse, – Jahresergebnis und Eigenkapital, – Zahl der im Geschäftsjahr durchschnittlich beschäftigten Arbeitnehmer. Artikel 10 Die Artikel 7 bis 9 berühren nicht die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Aufstellung eines konsolidierten Abschlusses oder eines konsolidierten Lageberichts – sofern diese Unterlagen zur Unterrichtung der Arbeitnehmer oder ihrer Vertreter verlangt werden oder – auf Verlangen einer Verwaltungsbehörde oder eines Gerichts für deren Zwecke.

Artikel 11 (1) Die Mitgliedstaaten können unbeschadet von Artikel 4 Absatz 2 und der Artikel 5 und 6 jedes ihrem Recht unterliegende Mutterunternehmen, das gleichzeitig Tochterunternehmen eines nicht dem Recht eines Mitgliedstaats unterliegenden Mutterunternehmens ist, von der in Artikel 1 Absatz 1 genannten Verpflichtung befreien, wenn alle folgenden Voraussetzungen erfüllt sind: a) das befreite Unternehmen sowie alle seine Tochterunternehmen werden unbeschadet der Artikel 13 und 15 in den konsolidierten Abschluß eines größeren Kreises von Unternehmen einbezogen; b) der unter Buchstabe a) bezeichnete konsolidierte Abschluß und gegebenenfalls der konsolidierte Lagebericht sind entweder nach dieser Richtlinie oder derart erstellt worden, daß sie einem nach dieser Richtlinie erstellten konsolidierten Abschluß und konsolidierten Lagebericht gleichwertig sind; c) der unter Buchstabe a) bezeichnete konsolidierte Abschluß ist von einer oder mehreren Personen geprüft worden, die aufgrund des Rechts, dem das Unternehmen unterliegt, das diesen Abschluß aufgestellt hat, zur Prüfung von Jahresabschlüssen zugelassen sind. (2) Artikel 7 Absatz 2 Buchstabe b) Unterbuchstabe bb), Buchstabe c) sowie die Artikel 8 bis 10 finden Anwendung. (3) Ein Mitgliedstaat darf Befreiungen nach dem vorliegenden Artikel nur insoweit vorsehen, als er die gleichen Befreiungen auch nach den Artikeln 7 bis 10 vorsieht.

Artikel 12 (1) Unbeschadet der Artikel 1 bis 10 können die Mitgliedstaaten jedem ihrem Recht unterliegenden Unternehmen vorschreiben, einen konsolidierten Abschluß und einen konsolidierten Lagebericht aufzustellen, wenn a) dieses Unternehmen sowie ein oder mehrere andere Unternehmen, die untereinander nicht in der in Artikel 1 Absatz 1 oder 2 bezeichneten Beziehung stehen, aufgrund eines mit diesem Unternehmen geschlossenen Vertrages oder einer Satzungsbestimmung dieser Unternehmen einer einheitlichen Leitung unterstehen oder b) das Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgan dieses Unternehmens sowie dasjenige eines oder mehrerer Unternehmen, die miteinander nicht in der in Artikel 1 Absatz 1 oder 2 bezeichneten Beziehung stehen, sich mehrheitlich aus denselben Personen zusammensetzen, die während des Geschäftsjahres und bis zur Aufstellung des konsolidierten Abschlusses im Amt sind.

Die Konzernbilanzrichtlinie (7. Richtlinie) (2) Bei Anwendung des Absatzes 1 sind die Unternehmen, die untereinander in der in Absatz 1 bezeichneten Beziehung stehen, sowie jedes ihrer Tochterunternehmen zu konsolidierende Unternehmen im Sinne dieser Richtlinie, sofern eines oder mehrere dieser Unternehmen eine der in Artikel 4 genannten Rechtsformen haben.

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c) die Anteile oder Aktien dieses Unternehmens ausschließlich zum Zwecke ihrer Weiterveräußerung gehalten werden. Artikel 14 –––––––––––

(3) Artikel 3, Artikel 4 Absatz 2, die Artikel 5 und 6, die Artikel 13 bis 28, Artikel 29 Absätze 1, 3, 4 und 5, die Artikel 30 bis 38 sowie Artikel 39 Absatz 2 finden Anwendung auf den konsolidierten Abschluß und konsolidierten Lagebericht nach dem vorliegenden Artikel; die Hinweise auf das Mutterunternehmen sind als Bezugnahme auf die in Absatz 1 bezeichneten Unternehmen anzusehen. Jedoch sind unbeschadet von Artikel 19 Absatz 2 die in den konsolidierten Abschluß einzubeziehenden Posten: „Kapital“, „Agio“, „Neubewertungsrücklage“, „Rücklagen“, „Ergebnisvortrag“ und „Jahresergebnis“ die addierten Beträge der jeweiligen Posten sämtlicher in Absatz 1 bezeichneter Unternehmen.

(1) Sofern ein Mutterunternehmen, das keine gewerbliche Tätigkeit ausübt und keinen Handel treibt, aufgrund einer Vereinbarung mit einem oder mehreren nicht in die Konsolidierung einbezogenen Unternehmen Aktien oder Anteile eines Tochterunternehmens hält, können die Mitgliedstaaten gestatten, daß dieses Mutterunternehmen in Anwendung des Artikels 16 Absatz 3 nicht in die Konsolidierung einbezogen wird.

Artikel 13

(3) Wird von dieser Ausnahme Gebrauch gemacht, ist entweder Artikel 59 der Richtlinie 78/660/EWG auf den Jahresabschluß des Mutterunternehmens anzuwenden oder sind die Angaben, die sich aus einer Anwendung der genannten Vorschrift ergeben würden, im Anhang zu machen.

(1) Ein Unternehmen braucht nicht in die Konsolidierung einbezogen zu werden, wenn es im Hinblick auf die Zielsetzung des Artikels 16 Absatz 3 nur von untergeordneter Bedeutung ist. (2) Entsprechen mehrere Unternehmen den Voraussetzungen des Absatzes 1, so sind diese Unternehmen dennoch in die Konsolidierung einzubeziehen, sofern sie insgesamt im Hinblick auf die Zielsetzung von Artikel 16 Absatz 3 nicht von untergeordneter Bedeutung sind. (2a) Unbeschadet des Artikels 4 Absatz 2 und der Artikel 5 und 6 wird jedes dem Recht eines Mitgliedstaats unterliegende Mutterunternehmen, das nur Tochterunternehmen hat, die für sich und zusammengenommen im Hinblick auf die Zielsetzung des Artikels 16 Absatz 3 von untergeordneter Bedeutung sind, von der in Artikel 1 Absatz 1 festgelegten Pflicht befreit. (3) Außerdem braucht ein Unternehmen auch dann nicht in die Konsolidierung einbezogen zu werden, wenn a) erhebliche und andauernde Beschränkungen aa) die Ausübung der Rechte des Mutterunternehmens in bezug auf Vermögen oder Geschäftsführung dieses Unternehmens oder bb) die Ausübung der einheitlichen Leitung dieses Unternehmens, das in der in Artikel 12. Absatz 1 bezeichneten Beziehung steht, nachhaltig beeinträchtigen, b) die für die Aufstellung eines konsolidierten Beschlusses nach dieser Richtlinie erforderlichen Angaben nicht ohne unverhältnismäßig hohe Kosten oder Verzögerungen zu erhalten sind,

Artikel 15

(2) Der Jahresabschluß des Mutterunternehmens ist dem konsolidierten Abschluß beizufügen.

2. ABSCHNITT Art und Weise der Aufstellung des konsolidierten Abschlusses Artikel 16 (1) Der konsolidierte Abschluß besteht aus der konsolidierten Bilanz, der konsolidierten Gewinnund Verlustrechnung sowie dem Anhang. Diese Unterlagen bilden eine Einheit. Die Mitgliedstaaten können gestatten oder vorschreiben, dass der konsolidierte Abschluss zusätzlich zu den in Unterabsatz 1 genannten Unterlagen weitere Bestandteile umfasst. (2) Der konsolidierte Abschluß ist klar und übersichtlich aufzustellen und hat dieser Richtlinie zu entsprechen. (3) Der konsolidierte Abschluß hat ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage der Gesamtheit der in die Konsolidierung einbezogenen Unternehmen zu vermitteln. (4) Reicht die Anwendung dieser Richtlinie nicht aus, um ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild im Sinne des Absatzes 3 zu vermitteln, so sind zusätzliche Angaben zu machen. (5) Ist in Ausnahmefällen die Anwendung einer Vorschrift der Artikel 17 bis 35 und des Artikels 39 mit der in Absatz 3 vorgesehenen Verpflichtung unvereinbar, so muß von der betreffenden Vorschrift abgewichen werden, damit ein den tatsächlichen

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Verhältnissen entsprechendes Bild im Sinne des Absatzes 3 vermittelt wird. Eine solche Abweichung ist im Anhang zu erwähnen und hinreichend zu begründen; ihr Einfluß auf die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage ist darzulegen. Die Mitgliedstaaten können die Ausnahmefälle bezeichnen und die entsprechende Ausnahmeregelung festlegen. (6) Die Mitgliedstaaten können gestatten oder vorschreiben, daß in dem konsolidierten Abschluß neben den Angaben, die aufgrund der vorliegenden Richtlinie erforderlich sind, weitere Angaben gemacht werden. Artikel 17 (1) Für die Gliederung des konsolidierten Abschlusses gelten die Artikel 3 bis 10a, 13 bis 26 und 28 bis 30 der Richtlinie 78/660/EWG unbeschadet der Bestimmungen der vorliegenden Richtlinie und unter Berücksichtigung der Anpassungen, die sich aus den besonderen Merkmalen eines konsolidierten Abschlusses im Vergleich zum Jahresabschluß zwangsläufig ergeben. (2) Die Mitgliedstaaten können bei Vorliegen besonderer Umstände, die einen unverhältnismäßigen Aufwand erfordern, gestatten, daß die Vorräte in dem konsolidierten Abschluß zusammengefaßt werden. Artikel 18 Die Gegenstände des Aktiv- und Passivvermögens der in die Konsolidierung einbezogenen Unternehmen werden vollständig in die konsolidierte Bilanz übernommen. Artikel 19 (1) Die Buchwerte der Anteile oder Aktien am Kapital der in die Konsolidierung einbezogenen Unternehmen werden mit dem auf sie entfallenden Teil des Eigenkapitals der in die Konsolidierung einbezogenen Unternehmen verrechnet. a) Die Verrechnung erfolgt auf der Grundlage der Buchwerte zu dem Zeitpunkt, zu dem diese Unternehmen erstmalig in die Konsolidierung einbezogen werden. Die sich bei der Verrechnung ergebenden Unterschiedsbeträge werden, soweit möglich, unmittelbar unter Posten der konsolidierten Bilanz verbucht, deren Wert höher oder niedriger ist als ihr Buchwert. b) Die Mitgliedstaaten können gestatten oder vorschreiben, daß die Verrechnung auf der Grundlage der Werte der feststellbaren Aktiva und Passiva des zu konsolidierenden Unternehmens zum Zeitpunkt des Erwerbs der Anteile oder Aktien erfolgt oder, beim Erwerb zu verschiedenen Zeitpunkten, zu dem Zeitpunkt, zu dem das Unternehmen Tochterunternehmen geworden ist.

c) Ein nach Buchstabe a) verbleibender oder nach Buchstabe b) entstehender Unterschiedsbetrag ist in der konsolidierten Bilanz unter einem gesonderten Posten mit entsprechender Bezeichnung auszuweisen. Der Posten, die angewendeten Methoden und wesentliche Änderungen gegenüber dem Vorjahr sind im Anhang zur Bilanz zu erläutern. Läßt ein Mitgliedstaat eine Verrechnung von positiven mit negativen Unterschiedsbeträgen zu, so sind diese ebenfalls im Anhang aufzugliedern. (2) Absatz 1 gilt jedoch nicht für Anteile oder Aktien am Kapital des Mutterunternehmens, die sich im Besitz des Mutterunternehmens selbst oder eines anderen in die Konsolidierung einbezogenen Unternehmens befinden. Diese Anteile oder Aktien werden im konsolidierten Abschluß als eigene Aktien oder Anteile nach der Richtlinie 78/660/EWG betrachtet.

Artikel 20 (1) Die Mitgliedstaaten können gestatten oder vorschreiben, daß der Buchwert der Anteile oder Aktien am Kapital eines in die Konsolidierung einbezogenen Unternehmens nur mit dem auf ihn entfallenden Anteil des Kapitals verrechnet wird, sofern a) die Anteile oder Aktien mindestens 90 v. H. des Nennbetrags oder, falls kein Nennbetrag vorhanden ist, des rechnerischen Wertes der Anteile oder Aktien dieses Unternehmens ausmachen, die keine Anteile im Sinne des Artikels 29 Absatz 2 Buchstabe a) der Richtlinie 77/91/EWG(6) sind, b) der Hundertsatz, auf den in Buchstabe a) Bezug genommen wird, im Wege einer Vereinbarung erreicht wird, die die Ausgabe von Anteilen oder Aktien durch ein in die Konsolidierung einbezogenes Unternehmen vorsieht, c) die in Buchstabe b) bezeichnete Vereinbarung keine Barzahlung vorsieht, die über 10 v. H. des Nennbetrags oder, falls kein Nennbetrag vorhanden ist, des rechnerischen Wertes der ausgegebenen Anteile oder Aktien hinausgeht. (2) Der Unterschiedsbetrag nach Absatz 1 wird je nach Lage des Falles den konsolidierten Rücklagen zugerechnet oder von ihnen abgezogen. (3) Die Anwendung der Methode nach Absatz 1, die sich daraus ergebenden Veränderungen der Rücklagen sowie der Name und Sitz der betreffenden Unternehmen sind im Anhang anzugeben.

(6) ABl. Nr. L 26 vom 31.1.1977, S. 1.

Die Konzernbilanzrichtlinie (7. Richtlinie) Artikel 21 Die Beträge, die den Anteilen oder Aktien entsprechen, welche sich bei konsolidierten Tochterunternehmen im Besitz von anderen Personen als den in die Konsolidierung einbezogenen Unternehmen befinden, werden in der konsolidierten Bilanz unter einem gesonderten Posten mit entsprechender Bezeichnung ausgewiesen.

Artikel 22 Die Aufwendungen und Erträge der in die Konsolidierung einbezogenen Unternehmen werden vollständig in die konsolidierte Gewinn- und Verlustrechnung übernommen.

Artikel 23 Die Beträge aus dem Ergebnis von konsolidierten Tochterunternehmen, die den Aktien oder Anteilen entsprechen, welche sich im Besitz anderer Personen als den in die Konsolidierung einbezogenen Unternehmen befinden, werden in der konsolidierten Gewinn- und Verlustrechnung unter einem gesonderten Posten mit entsprechender Bezeichnung ausgewiesen.

Artikel 24 Der konsolidierte Abschluß ist nach den Grundsätzen der Artikel 25 bis 28 aufzustellen.

Artikel 25 (1) In der Anwendung der Konsolidierungsmethoden soll Stetigkeit bestehen. (2) Abweichungen von Absatz 1 sind in Ausnahmefällen zulässig. Wird von diesen Abweichungen Gebrauch gemacht, so sind sie im Anhang anzugeben und hinreichend zu begründen; ihr Einfluß auf die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage aller in die Konsolidierung einbezogenen Unternehmen ist anzugeben.

Artikel 26 (1) Im konsolidierten Abschluß sind Vermögens-, Finanz- und Ertragslage der in die Konsolidierung einbezogenen Unternehmen so auszuweisen, als ob sie ein einziges Unternehmen wären. Insbesondere werden in dem konsolidierten Abschluß a) Forderungen und Verbindlichkeiten zwischen in die Konsolidierung einbezogenen Unternehmen weggelassen; b) Aufwendungen und Erträge aus Geschäften zwischen in die Konsolidierung einbezogenen Unternehmen weggelassen;

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c) Gewinne und Verluste aus Geschäften zwischen in die Konsolidierung einbezogenen Unternehmen, die in den Buchwert der Aktiva eingehen, weggelassen. Bis zu einer späteren Koordinierung können die Mitgliedstaaten jedoch zulassen, daß diese Weglassungen nach dem auf das Mutterunternehmen entfallenden Anteil am Kapital der einzelnen in die Konsolidierung einbezogenen Tochterunternehmen erfolgen. (2) Die Mitgliedstaaten können Abweichungen von Absatz 1 Buchstabe c) zulassen, wenn das Geschäft zu normalen Marktbedingungen geschlossen wird und die Weglassung des Gewinns oder Verlustes einen unverhältnismäßig hohen Aufwand erfordern würde. Abweichungen von dem Grundsatz sind im Anhang anzugeben und, wenn ihr Einfluß auf die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage aller in die Konsolidierung einbezogenen Unternehmen bedeutend ist, zu erläutern. (3) Abweichungen von Absatz 1 Buchstaben a), b) und c) sind zulässig, wenn die betreffenden Beträge in bezug auf das Ziel des Artikels 16 Absatz 3 nur von untergeordneter Bedeutung sind.

Artikel 27 (1) Der konsolidierte Abschluß wird zum selben Stichtag wie der Jahresabschluß des Mutterunternehmens aufgestellt. (2) Jedoch können die Mitgliedstaaten mit Rücksicht auf den Bilanzstichtag der Mehrzahl oder der bedeutendsten der konsolidierten Unternehmen gestatten oder vorschreiben, daß der konsolidierte Abschluß zu einem anderen Zeitpunkt aufgestellt wird. Wird von dieser Abweichung Gebrauch gemacht, so ist dies im Anhang zum konsolidierten Abschluß anzugeben und hinreichend zu begründen. Außerdem sind Vorgänge von besonderer Bedeutung für die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage eines konsolidierten Unternehmens, die zwischen dem Bilanzstichtag dieses Unternehmens und dem Stichtag des konsolidierten Abschlusses eingetreten sind, zu berücksichtigen oder anzugeben. (3) Liegt der Bilanzstichtag eines Unternehmens um mehr als drei Monate vor dem Stichtag des konsolidierten Abschlusses, so wird dieses Unternehmen aufgrund eines auf den Stichtag des konsolidierten Abschlusses aufgestellten Zwischenabschlusses konsolidiert.

Artikel 28 Hat sich die Zusammensetzung aller in die Konsolidierung einbezogenen Unternehmen im Laufe des Geschäftsjahres erheblich geändert, so sind in den konsolidierten Abschluß Angaben aufzunehmen, die es ermöglichen, die aufeinanderfolgenden konsolidierten Abschlüsse sinnvoll zu vergleichen. Bei einer bedeutenden Änderung können die

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Gesellschaftsrechtliche Richtlinien

Mitgliedstaaten im übrigen vorschreiben oder zulassen, dieser Verpflichtung dadurch nachzukommen, daß eine geänderte Eröffnungsbilanz und eine geänderte Gewinn- und Verlustrechnung aufgestellt werden.

konsolidierten Abschluß übernommen wird, sofern der Betrag der Wertberichtigungen im Anhang zum konsolidierten Abschluß angegeben und hinreichend begründet wird. Artikel 30

Artikel 29 (1) Die in die Konsolidierung einzubeziehenden Gegenstände des Aktiv- und Passivvermögens werden nach einheitlichen Methoden und in Übereinstimmung mit den Abschnitten 7 und 7a und Artikel 60 der Richtlinie 78/660/EWG bewertet. (2) a) Das Unternehmen, das den konsolidierten Abschluß aufstellt, hat dieselben Bewertungsmethoden anzuwenden wie diejenigen, welche es auf seinen eigenen Jahresabschluß anwendet. Jedoch können die Mitgliedstaaten die Anwendung anderer Bewertungsmethoden gestatten oder vorschreiben, soweit diese mit den vorstehend bezeichneten Artikeln der Richtlinie 78/660/EWG übereinstimmen. b) Wird von diesen Abweichungen Gebrauch gemacht, so sind sie im Anhang des konsolidierten Abschlusses anzugeben und hinreichend zu begründen. (3) Sofern in die Konsolidierung einbezogene Gegenstände des Aktiv- und Passivvermögens in den Jahresabschlüssen von in die Konsolidierung einbezogenen Unternehmen nach Methoden bewertet worden sind, die sich von den auf die Konsolidierung angewendeten Methoden unterscheiden, sind diese Vermögensgegenstände nach den letzteren Methoden neuzubewerten, es sei denn, daß das Ergebnis dieser Neubewertung in bezug auf die Zielsetzung des Artikels 16 Absatz 3 nur von untergeordneter Bedeutung ist. Abweichungen von diesem Grundsatz sind in Ausnahmefällen zulässig. Sie sind im Anhang zum konsolidierten Abschluß anzugeben und hinreichend zu begründen. (4) In der konsolidierten Bilanz und in der konsolidierten Gewinn- und Verlustrechnung ist der Konsolidierungsunterschied zwischen dem Steueraufwand, der dem Geschäftsjahr und den früheren Geschäftsjahren zugerechnet wird und den für diese Geschäftsjahre bereits gezahlten oder zu zahlenden Steuern zu berücksichtigen, soweit sich daraus wahrscheinlich für eines der konsolidierten Unternehmen in absehbarer Zukunft ein tatsächlicher Aufwand ergibt. (5) Sofern bei einem in die Konsolidierung einbezogenen Gegenstand des Aktivvermögens eine außerordentliche Wertberichtigung allein für die Anwendung steuerlicher Vorschriften vorgenommen worden ist, darf dieser Vermögensgegenstand erst nach Wegfall dieser Berichtigung in den konsolidierten Abschluß übernommen werden. Jedoch können die Mitgliedstaaten gestatten oder vorschreiben, daß ein solcher Vermögensgegenstand auch ohne Wegfall der Wertberichtigungen in den

(1) Der in Artikel 19 Absatz 1 Buchstabe c) bezeichnete gesonderte Posten, der einem positiven Konsolidierungsunterschied entspricht, wird nach den Vorschriften für den Posten „Geschäfts- oder Firmenwert“ der Richtlinie 78/660/EWG behandelt. (2) Die Mitgliedstaaten können zulassen, daß der positive Konsolidierungsunterschied unmittelbar und offen von Rücklagen abgezogen wird. Artikel 31 Der Betrag unter dem in Artikel 19 Absatz 1 Buchstabe c) bezeichneten Posten, der einem negativen Konsolidierungsunterschied entspricht, darf in die konsolidierte Gewinn- und Verlustrechnung nur übernommen werden, a) wenn dieser Unterschiedsbetrag einer zum Zeitpunkt des Erwerbs erwarteten ungünstigen Entwicklung der künftigen Ergebnisse des betreffenden Unternehmens oder erwarteten Aufwendungen entspricht, soweit sich diese Erwartungen erfüllen, oder b) soweit dieser Unterschiedsbetrag einem realisierten Gewinn entspricht. Artikel 32 (1) Die Mitgliedstaaten können gestatten oder vorschreiben, daß, sofern ein in die Konsolidierung einbezogenes Unternehmen gemeinsam mit einem oder mehreren nicht in die Konsolidierung einbezogenen Unternehmen ein anderes Unternehmen leitet, dieses entsprechend dem Anteil der Rechte, die darin von dem in die Konsolidierung einbezogenen Unternehmen gehalten werden, in den konsolidierten Abschluß einbezogen wird. (2) Die Artikel 13 bis 31 finden sinngemäß auf die in Absatz 1 bezeichnete Quotenkonsolidierung Anwendung. (3) Im Falle der Anwendung des vorliegenden Artikels ist Artikel 33 nicht anzuwenden, wenn das Unternehmen, das einer Quotenkonsolidierung unterliegt, ein assoziiertes Unternehmen im Sinne von Artikel 33 ist. Artikel 33 (1) Wird von einem in die Konsolidierung einbezogenen Unternehmen ein maßgeblicher Einfluß auf die Geschäfts- und Finanzpolitik eines nicht in die

Die Konzernbilanzrichtlinie (7. Richtlinie) Konsolidierung einbezogenen Unternehmens (assoziiertes Unternehmen ausgeübt, an dem eine Beteiligung im Sinne des Artikels 17 der Richtlinie 78/660/EWG besteht, so ist diese Beteiligung in der konsolidierten Bilanz unter einem gesonderten Posten mit entsprechender Bezeichnung auszuweisen. Es wird vermutet, daß ein Unternehmen einen maßgeblichen Einfluß auf ein anderes Unternehmen ausübt, wenn es 20 % oder mehr der Stimmrechte der Aktionäre oder Gesellschafter dieses Unternehmens hat. Artikel 2 findet Anwendung. (2) Bei der erstmaligen Anwendung des vorliegenden Artikels auf eine Beteiligung im Sinne von Absatz 1 wird diese in der konsolidierten Bilanz wie folgt ausgewiesen: a) entweder mit dem Buchwert im Einklang mit den Bewertungsregeln der Richtlinie 78/660/ EWG; dabei wird der Unterschiedsbetrag zwischen diesem Wert und dem Betrag, der dem auf diese Beteiligung entfallenden Teil des Eigenkapitals entspricht, in der konsolidierten Bilanz oder im Anhang gesondert ausgewiesen; dieser Unterschiedsbetrag wird zu dem Zeitpunkt berechnet, zu dem die Methode erstmalig angewendet wird, b) oder mit dem Betrag, der dem auf die Beteiligung entfallenden Teil des Eigenkapitals des assoziierten Unternehmens entspricht; dabei wird der Unterschiedsbetrag zwischen diesem Betrag und dem Buchwert im Einklang mit den Bewertungsregeln der Richtlinie 78/660/EWG in der konsolidierten Bilanz oder im Anhang gesondert ausgewiesen; dieser Unterschiedsbetrag wird zu dem Zeitpunkt berechnet, an dem die Methode erstmalig angewendet wird. c) Die Mitgliedstaaten können die Anwendung nur eines dieser Buchstaben vorschreiben. In der konsolidierten Bilanz oder im Anhang ist anzugeben, ob von Buchstabe a) oder Buchstabe b) Gebrauch gemacht worden ist. d) Ferner können die Mitgliedstaaten für die Anwendung des Buchstabens a) oder b) gestatten oder vorschreiben, daß die Berechnung des Unterschiedsbetrags zum Zeitpunkt des Erwerbs der Anteile oder Aktien erfolgt oder, beim Erwerb zu verschiedenen Zeitpunkten, zu dem Zeitpunkt, zu dem das Unternehmen ein assoziiertes Unternehmen geworden ist. (3) Sind Gegenstände des Aktiv- oder Passivvermögens des assoziierten Unternehmens nach Methoden bewertet worden, die sich von den auf die Konsolidierung nach Artikel 29 Absatz 2 angewendeten Methoden unterscheiden, so können diese Vermögenswerte für die Berechnung des Unterschiedsbetrags nach Absatz 2 Buchstabe a) oder Buchstabe b) des vorliegenden Artikels nach den für die Konsolidierung angewendeten Methoden neu bewertet werden. Wird eine solche Neubewertung nicht vorgenommen, so ist dies im Anhang zu erwähnen. Die Mitgliedstaaten können eine solche Neubewertung vorschreiben.

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(4) Der Buchwert nach Absatz 2 Buchstabe a) oder der Betrag, der dem auf die Beteiligung entfallenden Teil des Eigenkapitals des assoziierten Unternehmens nach Absatz 2 Buchstabe b) entspricht, wird um die während des Geschäftsjahres eingetretene Änderung des auf die Beteiligung entfallenden Teils des Eigenkapitals des assoziierten Unternehmens erhöht oder vermindert; er vermindert sich um den Betrag der auf die Beteiligung entfallenden Dividenden. (5) Kann ein positiver Unterschiedsbetrag nach Absatz 2 Buchstabe a) oder Buchstabe b) nicht einer bestimmten Kategorie von Gegenständen des Aktiv- oder Passivvermögens zugerechnet werden, so wird dieser Betrag nach Artikel 30 und Artikel 39 Absatz 3 behandelt. (6) Der auf die Beteiligung entfallende Teil des Ergebnisses des assoziierten Unternehmens wird unter einen gesonderten Posten mit entsprechender Bezeichnung in der konsolidierten Gewinnund Verlustrechnung ausgewiesen. (7) Die Weglassungen nach Artikel 26 Absatz 1 Buchstabe c) werden nur insoweit vorgenommen, als die betreffenden Tatbestände bekannt oder zugänglich sind. Artikel 26 Absätze 2 und 3 sind anwendbar. (8) Stellt das assoziierte Unternehmen einen konsolidierten Abschluß auf, so sind die vorstehenden Absätze auf das in diesem konsolidierten Abschluß ausgewiesene Eigenkapital anzuwenden. (9) Auf die Anwendung dieses Artikels kann verzichtet werden, wenn die Beteiligung am Kapital des assoziierten Unternehmens im Hinblick auf die Zielsetzung des Artikels 16 Absatz 3 nur von untergeordneter Bedeutung sind (SIC! ist). Artikel 34 Im Anhang sind außer den in anderen Bestimmungen dieser Richtlinie vorgeschriebenen Angaben zumindest Angaben zu machen über 1. die auf die verschiedenen Posten des konsolidierten Abschlusses angewandten Bewertungsmethoden sowie die Methoden zur Berechnung der Wertberichtigungen. Für die in dem konsolidierten Abschluß angegebenen Beträge, welche auf fremde Währung lauten oder ursprünglich auf fremde Währung lauteten, ist anzugeben, auf welcher Grundlage sie in die Währung, in welcher der konsolidierte Abschluß aufgestellt wird, umgerechnet worden sind; 2. a) Name und Sitz der in die Konsolidierung einbezogenen Unternehmen, den Anteil des Kapitals, der in den in die Konsolidierung einbezogenen Unternehmen außer dem Mutterunternehmen von jedem in die Konsolidierung einbezogenen Unternehmen oder durch eine im eigenen Namen, aber für Rechnung dieser Unternehmen handelnde

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Gesellschaftsrechtliche Richtlinien Person gehalten wird, sowie die in Artikel 1 und Artikel 12 Absatz 1 bezeichneten Voraussetzungen, aufgrund deren die Konsolidierung nach Anwendung von Artikel 2 erfolgt ist. Die zuletzt genannte Angabe braucht jedoch nicht gemacht zu werden, wenn die Konsolidierung aufgrund von Artikel 1 Absatz 1 Buchstabe a) erfolgt ist und außerdem Kapitalanteil und Anteil an den Stimmrechten übereinstimmen;

b) die gleichen Angaben sind für die Unternehmen zu machen, die nach Artikel 13 nicht in die Konsolidierung einbezogen worden sind; der Ausschluss der in Artikel 13 bezeichneten Unternehmen ist zu begründen; 3. a) Name und Sitz der Unternehmen, die mit einem in die Konsolidierung einbezogenen Unternehmen im Sinne von Artikel 33 Absatz 1 assoziiert sind, den Anteil ihres Kapitals, der von in die Konsolidierung einbezogenen Unternehmen selbst oder durch eine im eigenen Namen, aber für Rechnung dieser Unternehmen handelnde Person gehalten wird; b) die gleichen Angaben sind für die in Artikel 33 Absatz 9 bezeichneten assoziierten Unternehmen zu machen; außerdem ist die Anwendung dieser Vorschrift zu begründen; 4. Name und Sitz der Unternehmen, die Gegenstand einer Quotenkonsolidierung nach Artikel 32 sind, die Tatbestände, aus denen sich die gemeinsame Leitung ergibt, sowie den Anteil des Kapitals dieser Unternehmen, der von in die Konsolidierung einbezogenen Unternehmen selbst oder durch eine im eigenen Namen, aber für Rechnung dieser Unternehmen handelnde Person gehalten wird; 5. Name und Sitz anderer als der unter den Nummern 2, 3 und 4 bezeichneten Unternehmen, bei denen in die Konsolidierung einbezogene Unternehmen entweder selbst oder durch eine im eigenen Namen, aber für Rechnung dieser Unternehmen handelnde Person mit mindestens einem Prozentsatz am Kapital beteiligt ist, den die Mitgliedstaaten auf höchstens 20 % festsetzen dürfen, unter Angabe des Anteils am Kapital sowie der Höhe des Eigenkapitals und des Ergebnisses des letzten Geschäftsjahres, für das ein Abschluß aufgestellt worden ist. Diese Angaben können unterbleiben, wenn sie in bezug auf die Zielsetzung des Artikels 16 Absatz 3 von untergeordneter Bedeutung sind. Die Angabe des Eigenkapitals und des Ergebnisses kann ebenfalls unterbleiben, wenn das betreffende Unternehmen seine Bilanz nicht offenlegt und es sich indirekt oder direkt zu weniger als 50 % im Besitz der erwähnten Unternehmen befindet; 6. den Gesamtbetrag der in der konsolidierten Bilanz ausgewiesenen Verbindlichkeiten mit einer Restlaufzeit von mehr als fünf Jahren sowie den

Gesamtbetrag der in der konsolidierten Bilanz ausgewiesenen Verbindlichkeiten, die von in die Konsolidierung einbezogenen Unternehmen dinglich gesichert sind, unter Angabe ihrer Art und Form; 7. den Gesamtbetrag der finanziellen Verpflichtungen, die nicht in der konsolidierten Bilanz erscheinen, sofern diese Angabe für die Beurteilung der Finanzlage der Gesamtheit der in die Konsolidierung einbezogenen Unternehmen von Bedeutung ist. Davon sind Pensionsverpflichtungen und Verpflichtungen gegenüber verbundenen Unternehmen, die nicht in die Konsolidierung einbezogen sind, gesondert auszuweisen; 7a. Art und Zweck der nicht in der konsolidierten Bilanz ausgewiesenen Geschäfte und finanzielle Auswirkungen dieser Geschäfte, vorausgesetzt, dass die Risiken und Vorteile, die aus solchen Geschäften entstehen, wesentlich sind, und sofern die Offenlegung derartiger Risiken und Vorteile für die Beurteilung der Finanzlage der in den Konsolidierungskreis einbezogenen Unternehmen als Ganzes erforderlich ist; 7b. Geschäfte – außer gruppeninterne Transaktionen – des Mutterunternehmens oder anderer in den Konsolidierungskreis einbezogenen Unternehmen mit nahe stehenden Unternehmen und Personen, einschließlich Angaben zu deren Wertumfang, zur Art der Beziehung zu den nahe stehenden Unternehmen und Personen sowie weitere Angaben zu den Geschäften, die für die Beurteilung der Finanzlage der in die Konsolidierung einbezogenen Unternehmen als Ganzes notwendig sind, sofern diese Geschäfte wesentlich sind und unter marktunüblichen Bedingungen zustande gekommen sind. Angaben über Einzelgeschäfte können nach Geschäftsarten zusammengefasst werden, sofern keine getrennten Angaben für die Beurteilung der Auswirkungen von Geschäften mit nahe stehenden Unternehmen und Personen auf die Finanzlage der in die Konsolidierung einbezogenen Unternehmen als Ganzes benötigt werden; 8. die Aufgliederung der konsolidierten Nettoumsatzerlöse im Sinne von Artikel 28 der Richtlinie 78/660/EWG nach Tätigkeitsbereichen sowie nach geographisch bestimmten Märkten, soweit sich hinsichtlich der Organisation des Verkaufs von Erzeugnissen und der Erbringung von Dienstleistungen, die der normalen Geschäftstätigkeit sämtlicher in die Konsolidierung einbezogener Unternehmen entsprechen, die Tätigkeitsbereiche und geographisch bestimmten Märkte untereinander erheblich unterscheiden; 9.

a) den durchschnittlichen Personalbestand der in die Konsolidierung einbezogenen Unternehmen während des Geschäftsjahres, getrennt nach Gruppen, sowie, falls sie nicht gesondert in der konsolidierten Gewinn-

Die Konzernbilanzrichtlinie (7. Richtlinie) und Verlustrechnung erscheinen, die in dem Geschäftsjahr verursachten Personalaufwendungen. b) Der durchschnittliche Personalbestand der Unternehmen, auf die Artikel 32 Anwendung findet, während des Geschäftsjahres wird gesondert ausgewiesen; 10. das Ausmaß, in dem die Berechnung des konsolidierten Jahresergebnisses von einer Bewertung der Posten beeinflußt wurde, die in Abweichung von den Grundsätzen der Artikel 31 und 34 bis 42c der Richtlinie 78/660/EWG sowie des Artikels 29 Absatz 5 der vorliegenden Richtlinie während des Geschäftsjahres oder eines früheren Geschäftsjahres im Hinblick auf Steuererleichterungen durchgeführt wurde. Wenn eine solche Bewertung die künftige steuerliche Belastung der Gesamtheit der in die Konsolidierung einbezogenen Unternehmen erheblich beeinflußt, muß dies angegeben werden; 11. den Unterschied zwischen dem Steueraufwand, der in den konsolidierten Gewinn- und Verlustrechnungen des Geschäftsjahres und der vorangegangenen Geschäftsjahre eingesetzt worden ist, und den für diese Geschäftsjahre gezahlten oder zu zahlenden Steuern, sofern dieser Unterschied von Bedeutung für den künftigen Steueraufwand ist. Dieser Betrag kann auch als Gesamtbetrag in der konsolidierten Bilanz unter einem gesonderten Posten mit entsprechender Bezeichnung ausgewiesen werden; 12. die Höhe der Vergütungen, die für das Geschäftsjahr den Mitgliedern des Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgans des Mutterunternehmens für die Wahrnehmung ihrer Aufgaben im Mutterunternehmen und seinen Tochterunternehmen gewährt worden sind, sowie die Höhe der unter denselben Voraussetzungen entstandenen oder eingegangenen Pensionsverpflichtungen gegenüber früheren Mitgliedern der genannten Organe. Diese Angaben sind zusammengefaßt für jede dieser Personengruppen zu machen. Die Mitgliedstaaten können verlangen, daß in die Angaben nach Satz 1 auch Vergütungen für die Wahrnehmung von Aufgaben in Unternehmen einbezogen werden, zu denen Beziehungen im Sinne von Artikel 32 oder von Artikel 33 bestehen; 13. Die Höhe der Vorschüsse und Kredite, die den Mitgliedern des Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgans des Mutterunternehmens von diesem Unternehmen oder einem seiner Tochterunternehmen gewährt worden sind, mit Angabe des Zinssatzes, der wesentlichen Bedingungen und der gegebenenfalls zurückgezahlten Beträge, sowie die Garantieverpflichtungen zugunsten dieser Personen. Diese Angaben sind zusammengefaßt für jede dieser Personengruppe zu machen. Die Mitglied-

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staaten können verlangen, daß die Angaben nach Satz 1 auch für Vorschüsse und Kredite zu machen sind, die von Unternehmen gewährt werden, zu denen Beziehungen im Sinne von Artikel 32 oder von Artikel 33 bestehen. 14. sofern Finanzinstrumente gemäß Abschnitt 7a der Richtlinie 78/660/EWG mit dem beizulegenden Zeitwert bewertet wurden: a) die zentralen Annahmen, die den Bewertungsmodellen und -methoden bei einer Bestimmung des beizulegenden Zeitwertes nach Artikel 42b Absatz 1 Buchstabe b) jener Richtlinie zugrunde gelegt wurden, b) für jede Gruppe von Finanzinstrumenten: den beizulegenden Zeitwert selbst, die direkt in der Gewinn- und Verlustrechnung ausgewiesenen Wertänderungen sowie die gemäß Artikel 42c jener Richtlinie in der Zeitwert-Rücklage erfassten Änderungen, c) für jede Kategorie derivativer Finanzinstrumente: Umfang und Art der Instrumente einschließlich der wesentlichen Bedingungen, die Höhe, Zeitpunkt und Sicherheit künftiger Zahlungsströme beeinflussen können, und d) eine Übersicht über die Bewegungen innerhalb der Zeitwert-Rücklage im Verlauf des Geschäftsjahres. 15. sofern Finanzinstrumente nicht gemäß Abschnitt 7a der Richtlinie 78/660/EWG mit dem beizulegenden Zeitwert bewertet wurden: a) für jede Kategorie derivativer Finanzinstrumente: i) den beizulegenden Zeitwert der betreffenden Finanzinstrumente, soweit sich dieser nach einer der Methoden gemäß Artikel 42b Absatz 1 jener Richtlinie ermitteln lässt, ii) Angaben über Umfang und Art der Instrumente und b) für unter Artikel 42a jener Richtlinie fallende Finanzanlagen, die mit einem Betrag über ihrem beizulegenden Zeitwert ausgewiesen werden, ohne dass von der Möglichkeit Gebrauch gemacht wurde, nach Artikel 35 Absatz 1 Buchstabe c) Unterbuchstabe aa) jener Richtlinie eine Wertberichtigung vorzunehmen: i) Buchwert und beizulegenden Zeitwert der einzelnen Vermögensgegenstände oder angemessener Gruppierungen dieser einzelnen Vermögensgegenstände und ii) die Gründe für die Nichtherabsetzung des Buchwerts einschließlich der Anhaltspunkte, die die Gesellschaft zu der Überzeugung veranlassen, dass der Buchwert wieder erreicht wird.

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16. die Gesamthonorare, die von dem Abschlussprüfer oder der Prüfungsgesellschaft für das Geschäftsjahr berechnet wurden, aufgeschlüsselt nach der Gesamthonorarsumme für die Abschlussprüfung des konsolidierten Abschlusses, der Gesamthonorarsumme für andere Bestätigungsleistungen, der Gesamthonorarsumme für Steuerberatungsleistungen und der Gesamthonorarsumme für sonstige Leistungen.

(2) Der konsolidierte Lagebericht soll auch eingehen auf

Artikel 35

d) die Zahl und den Nennbetrag oder, wenn ein Nennbetrag nicht vorhanden ist, den rechnerischen Wert aller Anteile oder Aktien des Mutterunternehmens, die entweder von diesem Unternehmen selbst, von Tochterunternehmen oder von einer im eigenen Namen, aber für Rechnung dieser Unternehmen handelnden Person gehalten werden. Die Mitgliedstaaten können gestatten oder vorschreiben, daß diese Angaben im Anhang gemacht werden;

(1) Die Mitgliedstaaten könnten gestatten, daß die in Artikel 34 Nummern 2, 3, 4 und 5 geforderten Angaben a) in einer Aufstellung gemacht werden, die nach Artikel 3 Absätze 1 und 2 der Richtlinie 68/151/ EWG hinterlegt wird; im Anhang ist auf diese Aufstellung zu verweisen; b) unterlassen werden, soweit sie geeignet sind, einem in diesen Vorschriften bezeichneten Unternehmen einen erheblichen Nachteil zuzufügen. Die Mitgliedstaaten können dazu die vorherige Zustimmung einer Verwaltungsbehörde oder eines Gerichts verlangen. Das Unterlassen dieser Angaben ist im Anhang zu erwähnen. (2) Absatz 1 Buchstabe b) findet ebenfalls Anwendung auf die in Artikel 34 Nummer 8 geforderten Angaben.

3. ABSCHNITT Konsolidierter Lagebericht Artikel 36 (1) Der konsolidierte Lagebericht stellt zumindest den Geschäftsverlauf, das Geschäftsergebnis und die Lage der Gesamtheit der in die Konsolidierung einbezogenen Unternehmen so dar, dass ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild entsteht, und beschreibt die wesentlichen Risiken und Ungewissheiten, denen sie ausgesetzt sind. Der Lagebericht besteht in einer ausgewogenen und umfassenden Analyse des Geschäftsverlaufs, des Geschäftsergebnisses und der Lage der Gesamtheit der in die Konsolidierung einbezogenen Unternehmen, die dem Umfang und der Komplexität der Geschäftstätigkeit angemessen ist. Soweit dies für das Verständnis des Geschäftsverlaufs, des Geschäftsergebnisses oder der Lage der Unternehmen erforderlich ist, umfasst die Analyse die wichtigsten finanziellen und – soweit angebracht – nichtfinanziellen Leistungsindikatoren, die für die betreffende Geschäftstätigkeit von Bedeutung sind, einschließlich Informationen in Bezug auf Umwelt- und Arbeitnehmerbelange. Im Rahmen der Analyse enthält der konsolidierte Lagebericht – soweit angebracht – auch Hinweise auf im konsolidierten Abschluss ausgewiesene Beträge und zusätzliche Erläuterungen dazu.

a) Ereignisse von besonderer Bedeutung, die nach Abschluß des Geschäftsjahres eingetreten sind; b) die voraussichtliche Entwicklung der Gesamtheit dieser Unternehmen; c) den Bereich Forschung und Entwicklung der Gesamtheit dieser Unternehmen;

e) in Bezug auf die Verwendung von Finanzinstrumenten durch die Unternehmen, sofern dies für die Beurteilung der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage von Belang ist, – die Risikomanagementziele und -methoden der Unternehmen, einschließlich ihrer Methoden zur Absicherung aller wichtigen Arten geplanter Transaktionen, die im Rahmen der Bilanzierung von Sicherungsgeschäften verbucht werden, sowie – bestehende Preisänderungs-, Ausfall-, Liquiditäts- und Cashflowrisiken; f) die wesentlichen Merkmale des internen Kontroll- und des Risikomanagementsystems der Gruppe im Zusammenhang mit der Aufstellung des konsolidierten Abschlusses, sofern die Wertpapiere eines Unternehmens zum Handel an einem geregelten Markt im Sinne von Artikel 4 Absatz 1 Nummer 14 der Richtlinie 2004/39/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 über Märkte für Finanzinstrumente(7) zugelassen sind. Werden der konsolidierte Lagebericht und der Lagebericht in einem einzigen Bericht vorgelegt, so sind diese Angaben in den Abschnitt aufzunehmen, der die Erklärung zur Unternehmensführung gemäß Artikel 46a der Richtlinie 78/660/EWG enthält. Gestattet ein Mitgliedstaat, dass die nach Artikel 46a Absatz 1 der Richtlinie 78/660/EWG vorzulegenden Angaben in einem gesonderten Bericht aufgeführt werden, der zusammen mit dem Jahresabschluss nach Maßgabe des Artikels 47 jener Richtlinie offen gelegt wird, sind auch die Angaben gemäß Unterabsatz 1 Gegenstand des gesonderten Berichts. Artikel 37 Absatz 1 Unterabsatz 2 der vorliegenden Richtlinie findet Anwendung.

(7) ABl. L 145 vom 30.4.2004, S. 1.

Die Konzernbilanzrichtlinie (7. Richtlinie) (3) Ist zusätzlich zu einem Lagebericht ein konsolidierter Lagebericht vorgeschrieben, so können diese beiden Berichte in Form eines einheitlichen Berichts vorgelegt werden. Bei der Erstellung dieses einheitlichen Berichts ist auf Umstände, die für die Gesamtheit der in die Konsolidierung einbezogenen Unternehmen von Bedeutung sind, gegebenenfalls in besonderer Weise aufmerksam zu machen.

ABSCHNITT 3A Pflicht und Haftung hinsichtlich der Aufstellung und Veröffentlichung der konsolidierten Abschlüsse und des konsolidierten Lageberichts Artikel 36a Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die Mitglieder der Verwaltungs-, Leitungs- und Aufsichtsorgane der Unternehmen, die den konsolidierten Abschluss und den konsolidierten Lagebericht erstellen, kollektiv die Pflicht haben, dass der konsolidierte Abschluss, der konsolidierte Lagebericht und, soweit sie gesondert vorgelegt wird, die Erklärung zur Unternehmensführung nach Artikel 46a der Richtlinie 78/660/EWG, entsprechend den Anforderungen der vorliegenden Richtlinie und gegebenenfalls entsprechend den internationalen Rechnungslegungsstandards, die gemäß der Verordnung (EG) Nr. 1606/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. Juli 2002 betreffend die Anwendung internationaler Rechnungslegungsstandards(8) angenommen wurden, erstellt und offen gelegt werden. Diese Organe handeln im Rahmen der ihnen durch nationales Recht übertragenen Zuständigkeiten.

Artikel 36b Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die Haftungsbestimmungen ihrer Rechts- und Verwaltungsvorschriften auf die Mitglieder der in Artikel 36a genannten Verwaltungs-, Leitungs- und Aufsichtsorgane Anwendung finden, zumindest was deren Haftung gegenüber dem Unternehmen, das den konsolidierten Abschluss aufstellt, wegen Verletzung der in Artikel 36a genannten Pflicht betrifft.

4. ABSCHNITT Prüfung des konsolidierten Abschlusses

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Recht das Mutterunternehmen unterliegt, aufgrund der Achten Richtlinie 84/253/EWG des Rates vom 10. April 1984 über die Zulassung der mit der Pflichtprüfung der Rechnungslegungsunterlagen beauftragten Personen(9) zur Durchführung von gesetzlichen Abschlussprüfungen zugelassen worden sind. Die mit der Abschlussprüfung beauftragte(n) Person oder Personen (nachstehend „die gesetzlichen Abschlussprüfer“ genannt) geben auch ein Urteil darüber ab, ob der konsolidierte Lagebericht mit dem konsolidierten Abschluss des betreffenden Geschäftsjahres in Einklang steht oder nicht. (2) Der Bestätigungsvermerk der gesetzlichen Abschlussprüfer umfasst: a) eine Einleitung, die zumindest angibt, welcher konsolidierte Abschluss Gegenstand der gesetzlichen Abschlussprüfung ist und nach welchen Rechnungslegungsgrundsätzen er aufgestellt wurde; b) eine Beschreibung der Art und des Umfangs der gesetzlichen Abschlussprüfung, die zumindest Angaben über die Prüfungsgrundsätze enthält, nach denen die Prüfung durchgeführt wurde; c) ein Prüfungsurteil, das zweifelsfrei Auskunft darüber gibt, ob der konsolidierte Abschluss nach Auffassung der gesetzlichen Abschlussprüfer im Einklang mit den jeweils maßgebenden Rechnungslegungsgrundsätzen ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild vermittelt und, gegebenenfalls, ob er den gesetzlichen Vorschriften entspricht; das Prüfungsurteil wird entweder als uneingeschränkter oder als eingeschränkter Bestätigungsvermerk oder als negatives Prüfungsurteil erteilt, oder es wird verweigert, falls die gesetzlichen Abschlussprüfer nicht in der Lage sind, ein Prüfungsurteil abzugeben; d) einen Hinweis auf alle Umstände, auf die die gesetzlichen Abschlussprüfer in besonderer Weise aufmerksam machen, ohne den Bestätigungsvermerk einzuschränken; e) ein Urteil darüber, ob der konsolidierte Lagebericht mit dem konsolidierten Abschluss des betreffenden Geschäftsjahres in Einklang steht oder nicht. (3) Der Bestätigungsvermerk ist von den gesetzlichen Abschlussprüfern unter Angabe des Datums zu unterzeichnen.

(1) Die konsolidierten Abschlüsse von Gesellschaften werden von einer oder mehreren Personen geprüft, die von dem Mitgliedstaat, dessen

(4) Wird der Jahresabschluss des Mutterunternehmens dem konsolidierten Abschluss beigefügt, so kann der nach diesem Artikel erforderliche Bestätigungsvermerk der gesetzlichen Abschlussprüfer mit dem Bestätigungsvermerk der gesetzlichen Abschlussprüfer bezüglich des Jahresabschlusses

(8) ABl. L 243 vom 11.9.2002, S. 1.

(9) ABl. L 126 vom 12.5.1984, S. 20.

Artikel 37

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Gesellschaftsrechtliche Richtlinien

des Mutterunternehmens verbunden werden, der nach Artikel 51 der Richtlinie 78/660/EWG erforderlich ist.

5. ABSCHNITT Offenlegung des konsolidierten Abschlusses Artikel 38 (1) Der ordnungsgemäß gebilligte konsolidierte Abschluß, der konsolidierte Lagebericht sowie der Bericht der mit der Prüfung des konsolidierten Abschlusses beauftragten Person werden von dem Unternehmen, das den konsolidierten Abschluß aufstellt, nach dem Recht des Mitgliedstaats, dem dieses Unternehmen unterliegt, gemäß Artikel 3 der Richtlinie 68/151/EWG offengelegt. (2) Auf den konsolidierten Lagebericht findet Artikel 47 Absatz 1 Unterabsatz 2 der Richtlinie 78/660/EWG Anwendung. (3) Artikel 47 Absatz 1 Unterabsatz 2 letzter Satz der Richtlinie 78/660/EWG erhält folgende Fassung: „Eine vollständige oder teilweise Ausfertigung dieses Berichts muß auf bloßen Antrag erhältlich sein. Das dafür berechnete Entgelt darf die Verwaltungskosten nicht übersteigen.“ (4) Sofern jedoch das Unternehmen, das den konsolidierten Abschluß aufstellt, nicht in einer der in Artikel 4 genannten Rechtsformen organisiert ist und auch nicht für die in Absatz 1 genannten Unterlagen nach innerstaatlichem Recht der Verpflichtung zu einer Offenlegung unterliegt, die der des Artikels 3 der Richtlinie 68/151/EWG entspricht, muß es zumindest diese Unterlagen an seinem Sitz zur Einsichtnahme für jedermann bereithalten. Ausfertigungen dieser Unterlagen müssen auf blossen Antrag erhältlich sein. Das dafür berechnete Entgelt darf die Verwaltungskosten nicht übersteigen. (5) Die Artikel 48 und 49 der Richtlinie 78/660/ EWG sind anwendbar. (6) Die Mitgliedstaaten sehen geeignete Sanktionen für den Fall vor, daß die in dem vorliegenden Artikel vorgesehene Offenlegung nicht erfolgt. (7) Die Absätze 2 und 3 finden keine Anwendung auf Unternehmen, deren Wertpapiere in einem Mitgliedstaat zum Handel an einem geregelten Markt im Sinne des Artikels 1 Nummer 13 der Richtlinie 93/22/EWG zugelassen sind.

Artikel 38a Der konsolidierte Abschluß kann neben der Währung, in der er aufgestellt wurde, auch in Ecu offengelegt werden. Dabei ist der am Stichtag der konsolidierten Bilanz gültige Umrechnungskurs zugrunde zu legen. Dieser Kurs ist im Anhang anzugeben.

6. ABSCHNITT Übergangsbestimmungen und Schlußbestimmungen Artikel 39 (1) In dem ersten nach dieser Richtlinie aufgestellten konsolidierten Abschluß für eine Gesamtheit von Unternehmen, zwischen denen bereits vor der Anwendung der in Artikel 49 Absatz 1 bezeichneten Vorschriften eine der in Artikel 1 Absatz 1 genannten Beziehungen bestanden hat, können die Mitgliedstaaten gestatten oder vorschreiben, daß für die Anwendung des Artikels 19 Absatz 1 der Buchwert der Anteile oder Aktien sowie der auf sie entfallende Anteil des Eigenkapitals zu einem Zeitpunkt berücksichtigt werden, der nicht später als der Zeitpunkt der ersten Konsolidierung nach dieser Richtlinie liegt. (2) Absatz 1 gilt sinngemäß für die Bewertung von Anteilen oder Aktien oder des auf sie entfallenden Anteils am Eigenkapital eines assoziierten in die Konsolidierung einbezogenen Unternehmens nach Artikel 33 Absatz 2 sowie der Quotenkonsolidierung nach Artikel 32. (3) Entspricht der besondere Posten nach Artikel 19 Absatz 1 einem positiven Konsolidierungsunterschied, der vor dem Tag der Aufstellung des ersten konsolidierten Abschlusses nach dieser Richtlinie aufgetreten ist, so können die Mitgliedstaaten zulassen, daß a) für die Anwendung von Artikel 30 Absatz 1 der befristete Zeitraum von über fünf Jahren nach Artikel 37 Absatz 2 der Richtlinie 78/660/EWG vom Tag der Aufstellung des ersten konsolidierten Abschlusses nach der vorliegenden Richtlinie an berechnet wird und b) für die Anwendung von Artikel 30 Absatz 2 der Abzug von den Rücklagen am Tag der Aufstellung des ersten konsolidierten Abschlusses nach der vorliegenden Richtlinie vorgenommen wird. Artikel 40 (1) Bis zum Ablauf der Fristen für die Anpassung ihres nationalen Rechts an die Richtlinien, die in Ergänzung der Richtlinie 78/660/EWG die Vorschriften über den Jahresabschluß für Banken und andere Finanzinstitute sowie Versicherungsunternehmen angleichen, können die Mitgliedstaaten von den Vorschriften der vorliegenden Richtlinie, welche die Gliederung des konsolidierten Abschlusses und die Art der Bewertung der darin einbezogenen Vermögensgegenstände sowie die Angaben im Anhang betreffen, abweichen a) gegenüber jedem zu konsolidierenden Unternehmen, das eine Bank, ein anderes Finanzinstitut oder ein Versicherungsunternehmen ist, b) wenn die zu konsolidierenden Unternehmen hauptsächlich aus Banken, Finanzinstituten oder Versicherungsunternehmen bestehen.

Die Konzernbilanzrichtlinie (7. Richtlinie) Sie können ferner von Artikel 6 abweichen, jedoch nur hinsichtlich der Anwendung der Grenzen und Größenmerkmale auf die obengenannten Unternehmen. (2) Soweit die Mitgliedstaaten vor der Anwendung der in Artikel 49 Absatz 1 bezeichneten Vorschriften allen Unternehmen, die Banken, andere Finanzinstitute oder Versicherungsunternehmen sind, nicht vorgeschrieben haben, einen konsolidierten Abschluß zu erstellen, können sie bis zur Anwendung einer der in Absatz 1 bezeichneten Richtlinien im nationalen Recht, längstens aber für Geschäftsjahre, die im Jahr 1993 enden, gestatten, a) daß der Eintritt der in Artikel 1 Absatz 1 bezeichneten Verpflichtung für die obengenannten Unternehmen, sofern sie Mutterunternehmen sind, aufgeschoben wird. Dies ist im Jahresabschluß des Mutterunternehmens anzugeben. Außerdem sind im Hinblick auf jedes Tochterunternehmen die in Artikel 43 Absatz 1 Ziffer 2 der Richtlinie 78/660/EWG vorgesehenen Angaben zu machen, b) daß für den Fall, daß ein konsolidierter Abschluß erstellt wird, die obengenannten Unternehmen, sofern sie Tochterunternehmen sind, nicht in die Konsolidierung einbezogen werden; Artikel 33 bleibt unberührt. Die in Artikel 34 Ziffer 2 vorgesehenen Angaben sind im Hinblick auf diese Tochterunternehmen im Anhang zu machen. (3) In den Fällen des Absatzes 2 Buchstabe b) ist der Jahresabschluß oder der konsolidierte Abschluß der betreffenden Tochterunternehmen, sofern er offenzulegen ist, dem konsolidierten Abschluß oder, falls ein solcher nicht vorhanden ist, dem Jahresabschluß des Mutterunternehmens beizufügen, oder der Öffentlichkeit zur Verfügung zu halten. Im letzteren Falle muß eine Abschrift dieser Unterlagen auf bloßen Antrag hin gegen ein Entgelt erhältlich sein, das die Verwaltungskosten hierfür nicht übersteigen darf. Artikel 41 (1) Unternehmen, zwischen denen Beziehungen im Sinne des Artikels 1 Absatz 1 Buchstaben a) und b) sowie Buchstabe d) Unterbuchstabe bb) bestehen, sowie die übrigen Unternehmen, die mit einem der genannten Unternehmen in einer solchen Beziehung stehen, sind verbundene Unternehmen im Sinne der Richtlinie 78/660/EWG sowie der vorliegenden Richtlinie. (1a) Der Begriff „nahe stehende Unternehmen und Personen“ ist im Sinne der gemäß Verordnung (EG) Nr. 1606/2002 übernommenen internationalen Rechnungslegungsstandards zu verstehen. (2) Sofern ein Mitgliedstaat die Verpflichtung, einen konsolidierten Abschluß aufzustellen, nach Artikel 1 Absatz 1 Buchstabe c) oder Buchstabe d) Unterbuchstabe aa) oder nach Artikel 1 Absatz 2 oder nach Artikel 12 Absatz 1 vorschreibt, sind

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auch die Unternehmen, zwischen denen Beziehungen im Sinne der genannten Vorschriften bestehen, sowie die übrigen Unternehmen, die mit einem der genannten Unternehmen in einer solchen Beziehung oder in einer Beziehung im Sinne von Absatz 1 stehen, verbundene Unternehmen im Sinne von Absatz 1. (3) Sofern ein Mitgliedstaat die Verpflichtung, einen konsolidierten Abschluß nach Artikel 1 Absatz 1 Buchstabe c) oder Buchstabe d) Unterbuchstabe aa) oder Artikel 1 Absatz 2 oder nach Artikel 12 Absatz 1 aufzustellen, nicht vorschreibt, kann er dennoch die Anwendung des Absatzes 2 des vorliegenden Artikels vorschreiben. (4) Artikel 2 und Artikel 3 Absatz 2 finden Anwendung. (5) Wendet ein Mitgliedstaat Artikel 4 Absatz 2 an, so kann er verbundene Unternehmen, die Mutterunternehmen sind und von denen aufgrund ihrer Rechtsform vom Mitgliedstaat die Aufstellung eines konsolidierten Abschlusses nach dieser Richtlinie nicht gefordert wird, sowie Mutterunternehmen mit entsprechender Rechtsform von der Anwendung des Absatzes 1 ausnehmen.

Artikel 42 Artikel 56 der Richtlinie 78/660/EWG erhält folgende Fassung: „Artikel 56 (1) Die Verpflichtung zur Angabe der in den Artikeln 9, 10 und 23 bis 26 vorgesehenen Posten bezüglich verbundener Unternehmen im Sinne des Artikels 41 der Richtlinie 83/349/EWG im Jahresabschluß sowie die Verpflichtung, die in Artikel 13 Absatz 2, Artikel 14 und Artikel 43 Absatz 1 Nr. 7 hinsichtlich verbundener Unternehmen vorgesehenen Angaben zu machen, treten zu dem in Artikel 49 Absatz 2 der bezeichneten Richtlinie genannten Zeitpunkt in Kraft. (2) Im Anhang sind auch Angaben zu machen über: a) Name und Sitz des Unternehmens, das den konsolidierten Abschluß für den größten Kreis von Unternehmen aufstellt, dem die Gesellschaft als Tochterunternehmen angehört; b) Name und Sitz des Unternehmens, das den konsolidierten Abschluß für den kleinsten Kreis von Unternehmen aufstellt, der in den unter Buchstabe a) bezeichneten Kreis von Unternehmen einbezogen ist und dem die Gesellschaft als Tochterunternehmen angehört; c) den Ort, wo der konsolidierte Abschluß erhältlich ist, es sei denn, daß ein solcher nicht zur Verfügung steht.“

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Gesellschaftsrechtliche Richtlinien Artikel 43

Artikel 57 der Richtlinie 78/660/EWG erhält folgende Fassung: „Artikel 57 Unbeschadet der Richtlinien 68/151/EWG und 77/91/EWG brauchen die Mitgliedstaaten die Bestimmungen der vorliegenden Richtlinie über den Inhalt, die Prüfung und die Offenlegung des Jahresabschlusses nicht auf Gesellschaften anzuwenden, die ihrem Recht unterliegen und Tochterunternehmen im Sinne der Richtlinie 83/349/EWG sind, sofern folgende Voraussetzungen erfüllt sind: a) das Mutterunternehmen unterliegt Recht eines Mitgliedstaats;

a) das Mutterunternehmen stellt einen konsolidierten Abschluß nach der Richtlinie 83/349/EWG auf und ist in diesen Abschluß einbezogen; b) die bezeichnete Befreiung wird im Anhang des Jahresabschlusses des Mutterunternehmens angegeben; c) die bezeichnete Befreiung wird im Anhang des vom Mutterunternehmen aufgestellten konsolidierten Abschlusses angegeben; d) das nach der vorliegenden Richtlinie errechnete Ergebnis des Geschäftsjahres des Mutterunternehmens wird in der Bilanz des Mutterunternehmens ausgewiesen.“

dem

b) alle Aktionäre oder Gesellschafter des Tochterunternehmens haben sich mit der bezeichneten Befreiung einverstanden erklärt; diese Erklärung muß für jedes Geschäftsjahr abgegeben werden; c) das Mutterunternehmen hat sich bereit erklärt, für die von dem Tochterunternehmen eingegangenen Verpflichtungen einzustehen; d) die Erklärungen nach Buchstaben b) und c) sind nach den in den Rechtsvorschriften der einzelnen Mitgliedstaaten vorgesehenen Verfahren gemäß Artikel 3 der Richtlinie 68/151/ EWG offenzulegen; e) das Tochterunternehmen ist in den von dem Mutterunternehmen nach der Richtlinie 83/349/EWG aufgestellten konsolidierten Jahresabschluß einbezogen; f) die bezeichnete Befreiung wird im Anhang des von dem Mutterunternehmen aufgestellten konsolidierten Abschlusses angegeben; g) der unter Buchstabe e) bezeichnete konsolidierte Abschluß, der konsolidierte Lagebericht sowie der Bericht der mit der Prüfung beauftragten Person werden für das Tochterunternehmen nach den in den Rechtsvorschriften der einzelnen Mitgliedstaaten vorgesehenen Verfahren gemäß Artikel 3 der Richtlinie 68/151/EWG offengelegt.“

Artikel 44 Artikel 58 der Richtlinie 78/660/EWG erhält folgende Fassung: „Artikel 58 Die Mitgliedstaaten brauchen die Bestimmungen der vorliegenden Richtlinie über die Prüfung und Offenlegung der Gewinn- und Verlustrechnung nicht auf Gesellschaften anzuwenden, die ihrem Recht unterliegen und Mutterunternehmen im Sinne der Richtlinie 83/349/ EWG sind, sofern folgende Voraussetzungen erfüllt sind:

Artikel 45 Artikel 59 der Richtlinie 78/660/EWG erhält folgende Fassung: „Artikel 59 (1) Die Mitgliedstaaten können gestatten oder vorschreiben, daß eine Beteiligung im Sinne des Artikels 17 am Kapital eines Unternehmens, auf dessen Geschäfts- und Finanzpolitik ein maßgeblicher Einfluß ausgeübt wird, in der Bilanz nach den folgenden Absätzen 2 bis 9 je nach Lage des Falles entweder als Unterposten des Postens ‚Anteile an verbundenen Unternehmen‘ oder als Unterposten des Postens ‚Beteiligungen‘ ausgewiesen wird. Es wird vermutet, daß ein Unternehmen einen maßgeblichen Einfluß auf ein anderes Unternehmen ausübt, sofern jenes Unternehmen 20 % oder mehr der Stimmrechte der Aktionäre oder Gesellschafter dieses Unternehmens besitzt. Artikel 2 der Richtlinie 83/349/EWG findet Anwendung. (2) Bei der erstmaligen Anwendung des vorliegenden Artikels auf eine Beteiligung im Sinne von Absatz 1 wird diese in der Bilanz wie folgt ausgewiesen: a) entweder mit dem Buchwert nach den Artikeln 31 bis 42; dabei wird der Unterschiedsbetrag zwischen diesem Wert und dem Betrag, der dem auf die Beteiligung entfallenden Teil des Eigenkapitals entspricht, in der Bilanz oder im Anhang gesondert ausgewiesen. Bei der Berechnung dieses Unterschiedsbetrags wird der Zeitpunkt der erstmaligen Anwendung dieser Methode zugrunde gelegt; b) oder mit dem Betrag, der dem auf die Beteiligung entfallenden Teil des Eigenkapitals entspricht; dabei, wird der Unterschiedsbetrag zwischen diesem Wert und dem nach den Bewertungsvorschriften der Artikel 31 bis 42 ermittelte Buchwert in der Bilanz oder im Anhang gesondert ausgewiesen. Bei der Berechnung dieses Unterschiedsbetrags wird der Zeitpunkt der erstmaligen Anwendung dieser Methode zugrunde gelegt.

Die Konzernbilanzrichtlinie (7. Richtlinie)

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c) Die Mitgliedstaaten können die Anwendung nur eines der Buchstaben a) und b) vorschreiben. In der Bilanz oder im Anhang ist anzugeben, ob von Buchstabe a) oder b) Gebrauch gemacht worden ist.

Teil des Ergebnisses in der Gewinn- und Verlustrechnung nur ausgewiesen wird, soweit er Dividenden entspricht, die bereits eingegangen sind oder auf deren Zahlung ein Anspruch besteht.

d) Die Mitgliedstaaten können ferner im Hinblick auf die Anwendung der Buchstaben a) und b) gestatten oder vorschreiben, daß die Berechnung des Unterschiedsbetrags zum Zeitpunkt des Erwerbs der Beteiligung im Sinne von Absatz 1 erfolgt oder beim Erwerb zu verschiedenen Zeitpunkten zu dem Zeitpunkt, zu dem die Anteile oder Aktien Beteiligungen im Sinne des Absatzes 1 geworden sind.

(7) Die Weglassungen nach Artikel 26 Absatz 1 Buchstabe c) der Richtlinie 83/349/EWG werden nur insoweit vorgenommen, als die betreffenden Tatbestände bekannt oder zugänglich sind. Artikel 26 Absätze 2 und 3 der genannten Richtlinie sind anwendbar.

(3) Sind Gegenstände des Aktiv- oder Passivvermögens des Unternehmens, an dem eine Beteiligung nach Absatz 1 besteht, nach anderen Methoden bewertet worden, als sie die Gesellschaft anwendet, die den Jahresabschluß aufstellt, so können diese Vermögenswerte für die Berechnung des Unterschiedsbetrags nach Absatz 2 Buchstabe a) oder Absatz 2 Buchstabe b) nach den Methoden neu bewertet werden, welche die Gesellschaft anwendet, die den Jahresabschluß aufstellt. Wird eine solche Neubewertung nicht vorgenommen, so ist dies im Anhang zu erwähnen. Die Mitgliedstaaten können eine solche Neubewertung vorschreiben. (4) Der Buchwert nach Absatz 2 Buchstabe a) oder der Betrag, der dem auf die Beteiligung entfallenden Teil des Eigenkapitals nach Absatz 2 Buchstabe b) entspricht, wird um die während des Geschäftsjahres eingetretenen Änderungen des auf die Beteiligung entfallenden Eigenkapitals erhöht oder vermindert; er vermindert sich außerdem um den Betrag der auf die Beteiligung entfallenden Dividenden. (5) Sofern ein positiver Unterschiedsbetrag nach Absatz 2 Buchstabe a) oder Absatz 2 Buchstabe b) nicht einer bestimmten Kategorie von Gegenständen des Aktiv- oder Passivvermögens zugerechnet werden kann, wird dieser nach den Vorschriften für den Posten ‚Firmenoder Geschäftswert‘ behandelt. (6) a) Der auf die Beteiligung im Sinne von Absatz 1 entfallende Teil des Ergebnisses wird unter einen gesonderten Posten mit entsprechender Bezeichnung in der Gewinn- und Verlustrechnung ausgewiesen. b) Sofern dieser Betrag denjenigen übersteigt, der als Dividende bereits eingegangen ist oder auf deren Zahlung ein Anspruch besteht, ist der Unterschiedsbetrag in eine Rücklage einzustellen, die nicht an die Aktionäre ausgeschüttet werden darf. c) Die Mitgliedstaaten können gestatten oder vorschreiben, daß der auf die Beteiligung im Sinne von Absatz 1 entfallende

(8) Sofern das Unternehmen, an dem eine Beteiligung im Sinne von Absatz 1 besteht, einen konsolidierten Abschluß aufstellt, sind die vorstehenden Absätze auf das in diesem konsolidierten Abschluß ausgewiesene Eigenkapital anzuwenden. (9) Auf die Anwendung des vorliegenden Artikels kann verzichtet werden, wenn die Beteiligung im Sinne von Absatz 1 im Hinblick auf die Zielsetzung des Artikels 2 Absatz 3 nur von untergeordneter Bedeutung ist.“

Artikel 46 Artikel 61 der Richtlinie 78/660/EWG erhält folgende Fassung: „Artikel 61 Die Mitgliedstaaten brauchen die Vorschriften des Artikels 43 Absatz 1 Nummer 2 hinsichtlich der Höhe des Eigenkapitals sowie des Ergebnisses der betroffenen Unternehmen nicht anzuwenden auf Unternehmen, die ihrem Recht unterliegen und Mutterunternehmen im Sinne der Richtlinie 83/349/EWG sind, sofern a) diese Unternehmen in den von dem Mutterunternehmen erstellten konsolidierten Abschluß oder in den konsolidierten Abschluß eines größeren Kreises von Unternehmen nach Artikel 7 Absatz 2 der Richtlinie 83/349/EWG einbezogen worden sind, oder b) die Beteiligungen am Kapital der betroffenen Unternehmen entweder im Jahresabschluß des Mutterunternehmens gemäß Artikel 59 oder in dem konsolidierten Abschluß des Mutterunternehmens nach Artikel 33 der Richtlinie 83/349/EWG behandelt werden.“

Artikel 47 Der gemäß Artikel 52 der Richtlinie 78/660/EWG eingesetzte Kontaktausschuß hat außerdem folgende Aufgaben: a) unbeschadet der Artikel 169 und 170 des Vertrages eine gleichmäßige Anwendung dieser Richtlinie durch eine regelmäßige Abstimmung, insbesondere in konkreten Anwendungsfragen, zu erleichtern;

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Gesellschaftsrechtliche Richtlinien

b) die Kommission erforderlichenfalls bezüglich Ergänzungen oder Änderungen dieser Richtlinie zu beraten.

Artikel 48 Die Mitgliedstaaten legen Sanktionen für Verstöße gegen die aufgrund dieser Richtlinie erlassenen nationalen Vorschriften fest und treffen alle zu ihrer Anwendung erforderlichen Maßnahmen. Die vorgesehenen Sanktionen müssen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein.

Artikel 50 (1) Der Rat prüft auf Vorschlag der Kommission fünf Jahre nach dem in Artikel 49 Absatz 2 bezeichneten Zeitpunkt unter Berücksichtigung der bei der Anwendung dieser Richtlinie gewonnenen Erfahrungen, der Ziele dieser Richtlinie und der wirtschaftlichen und monetären Lage den Artikel 1 Absatz 1 Buchstabe d) zweiter Unterabsatz, den Artikel 4 Absatz 2, die Artikel 5 und 6, den Artikel 7 Absatz 1 sowie die Artikel 12, 43 und 44 und ändert sie erforderlichenfalls. (2) Absatz 1 läßt Artikel 53 Absatz 2 der Richtlinie 78/660/EWG unberührt.

Artikel 49 (1) Die Mitgliedstaaten erlassen vor dem 1. Januar 1988 die erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften, um dieser Richtlinie nachzukommen. Sie setzen die Kommission unverzüglich davon in Kenntnis. (2) Die Mitgliedstaaten können vorsehen, daß die in Absatz 1 bezeichneten Vorschriften erstmals auf die konsolidierten Abschlüsse des am 1. Januar 1990 oder im Laufe des Jahres 1990 beginnenden Geschäftsjahre anzuwenden sind. (3) Die Mitgliedstaaten teilen der Kommission den Wortlaut der wichtigsten innerstaatlichen Rechtsvorschriften mit, die sie auf dem unter diese Richtlinie fallenden Gebiet erlassen.

Artikel 50a Spätestens zum 1. Januar 2007 überprüft die Kommission Artikel 29 Absatz 1, Artikel 34 Nummern 10, 14 und 15 und Artikel 36 Absatz 2 Buchstabe e) anhand der Erfahrungen bei der Anwendung der Bestimmungen über die Bewertung mit dem beizulegenden Zeitwert und unter Berücksichtigung der internationalen Entwicklungen im Bereich des Rechnungswesens und legt dem Europäischen Parlament und dem Rat gegebenenfalls einen Vorschlag zur Änderung der genannten Artikel vor.

Artikel 51 Diese Richtlinie ist an alle Mitgliedstaaten gerichtet.

Die IFRS-Verordnung

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§ 26 Die IFRS-Verordnung VO (EG) Nr. 1606/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 19.7.2002 betreffend die Anwendung internationaler Rechnungslegungsstandards, ABlEG v. 11.9.2002, L 243/1 Literatur: Ballwieser, Wolfgang, IFRS für nicht kapitalmarktorientierte Unternehmen?, IRZ 2006, 23; Beiersdorf, Kati/Davies, Annette, IASB-Standard for Small and Medium-Sized entities: keine unmittelbare Rechtswirkung in Europa, BB 2006, 987; Böcking, Hans-Joachim, IAS für Konzern- und Einzelabschluss?, WPg 2001, 1433; Buchheim, Regine/Gröner, Susanne/Kühne, Mareike, Übernahme von IAS/IFRS in Europa: Ablauf und Wirkung des Komitologieverfahrens auf die Rechnungslegung, BB 2004, 1783; Busse von Colbe, Walther, Vorschlag der EG-Kommission zur Anpassung der Bilanzrichtlinien an die IAS – Abschied von der Harmonisierung?, BB 2002, 1530; Busse von Colbe, Walter/Ordelheide, Dieter/Gebhardt, Günther/Pellens, Bernhard, Konzernabschlüsse, 9. Aufl. 2010; Dewing, Ian/Russel, Peter O.; Financial Integration in the EU: the First Phase of EU Endorsement of International Accounting Standards, (2008) 46 JCMS 243; Eierle, Brigitte/Haller, Axel/Beiersdorf, Kati, IFRS for SMEs – eine „attraktive“ Alternative für nicht-kapitalmarktorientierte Unternehmen in Deutschland?, DB 2011, 1589; Ekkenga, Jens, Neuordnung des Europäischen Bilanzrechts für börsennotierte Unternehmen: Bedenken gegen die Strategie der EG-Kommission, BB 2001, 2362; Ernst, Christoph, Bilanzrecht: quo vadis? – Die kommende Reform des europäischen Bilanzrechts und die möglichen Auswirkungen auf die deutsche Rechnungslegung –, WPg 2001, 1440; ders., EU-Verordnungsentwurf zur Anwendung von IAS: Europäisches Bilanzrecht vor weitreichenden Änderungen, BB 2001, 823; Göthel, Stephan R., Europäisches Bilanzrecht im Umbruch, DB 2001, 2057; Haag, Maximilian, Chancen und Grenzen einer Vereinheitlichung der Rechnungslegung für nicht-kapitalmarktorientierte Unternehmen in der EU, DStR 2010, 2320; Heintges, Sebastian, Entwicklung der Rechnungslegung nach internationalen Vorschriften – Konsequenzen für deutsche Unternehmen, DB 2006, 1569; Heintzen, Markus, EU-Verordnungsentwurf zur Anwendung von IAS: Kein Verstoß gegen Unionsverfassungsrecht, BB 2001, 825; Hennrichs, Joachim, Stand und Perspektiven des Europäischen Bilanzrechts, GmbHR 2011, 1065; Hommelhoff, Peter/Sokol, Susanne, Internationales Bilanzrecht für den Mittelstand, in: Teichmann, Christoph (Hrsg.), Europa und der Mittelstand, 2010, S. 129; Inwinkl, Petra/Schüle, Bettina, Internationale Rechnungslegungsstandards im Wandel der EU-Rechtssetzungsverfahren, RIW 2006, 807; Kirsch, HansJürgen, Zur Frage der Umsetzung der Mitgliedstaatenwahlrechte der EU-Verordnung zur Anwendung der IAS/IFRS, WPg 2003, 275; Kirsch, Hans-Jürgen/Wirth, Jörn, Rechnungslegung und Prüfungspraxis der DAX-100-Unternehmen – Bestandsaufnahme und Auswirkungen der EU-Verordnung zur Anwendung internationaler Rechnungslegungsstandards –, WPg 2002, 1217; Kleindiek, Detlef, IFRS für KMU und die Gestaltungsaufgaben im europäischen Bilanzrecht, GmbHR 2010, 1333; Knorr, Liesel/Buchheim, Regine/Schmidt, Martin, Konzernrechnungslegungspflicht und Konsolidierungskreis – Wechselwirkungen und Folgen für die Verpflichtung zur Anwendung der IFRS, BB 2005, 2399; Köhler, Annette G., IFRSStandardentwurf für den Mittelstand – Ausgangssituation in Europa und Entwicklungsperspektiven, Beil. zu BB 19/2007, 2; Korth, Michael/Kschammer, Matthias, Untersuchung der EU-Kommission zur Anwendung des IFRS for SMEs, DStR 2010, 1687; Kußmaul, Heinz/ Henkes, Jörg, IFRS für den Mittelstand: Anwender- und Adressatenkreis im Kontext der neuesten Entwicklungen beim SME-Projekt des IASB, BB 2006, 2235; Küting, Karlheinz/ Ranker, Daniel, Tendenzen zur Auslegung der endorsed IFRS als sekundäres Gemeinschaftsrecht, BB 2004, 2510; Lanfermann, Georg, Auswirkungen des geänderten IFRS-Endorsement-Prozesses auf die Unternehmen, BB 2008, 826; Luttermann, Claus, Europäisches Bilanzrecht für mittelständische Gesellschaften: IFRS (for SMEs) als Reformkonzept?, RIW 2010, 417; ders., International Accounting Standards in der Europäischen Union, ZIP 2000,

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1318; Niehus, Rudolf J., „Auch für Einzelabschlüsse gelten grundsätzlich die IAS“? – Ein Beitrag zu den (möglichen) Grenzen einer „Internationalisierung“ der Rechnungslegung im Einzelabschluss –, WPg 2001, 737; ders., EU-Rechnungslegungsstrategie und Gläubigerschutz, WPg 2001, 1209; Oestreicher, Andreas/Sprengel, Christoph, Anwendung von IAS in der EU – Zukunft des Maßgeblichkeitsprinzips und Steuerbelastung, RIW 2001, 889; Oversberg, Thomas, Übernahme der IFRS in Europa: Der Endorsement-Prozess – Status quo und Aussicht, DB 2007, 1597; Pellens, Bernhard/Fülbier, Rolf Uwe/Gassen, Joachim/Sellhorn, Thorsten, Internationale Rechnungslegung, 8. Aufl. 2011; Pellens, Bernhard/Gassen, Joachim, EU-Verordnungsentwurf zur IAS-Konzernrechnungslegung – Gestaltungsmöglichkeiten des deutschen Gesetzgebers –, KoR 2001, 137; Schruff, Wienand, Stand und Perspektiven des Europäischen Bilanzrechts, ZEW 184 (2011) 1; Wüstemann, Jens/Kierzek, Sonja, Das europäische Harmonisierungsprogramm zur Rechnungslegung: Endorsement und Enforcement von IFRS, Beil. zu BB 17/2006, 14.

Rechtsprechung: EuG v. 14.7.2006, Endesa SA ./. Kommission, Rs. T-417/05, Slg. 2006, II-2533 EuG v. 18.3.2009, Shanghai Excell M&E Enterprise Co. Ltd u. Shanghai Adeptech Precision Co. Ltd ./. Rat, Rs. T-299/05, Slg. 2009, II-573

I. Entstehung und Entwicklung 1 Über die Gründe, die zur Schaffung der IFRS-VO geführt haben, wurde bereits bei § 10 Rn. 2, 8 f. und § 25 Rn. 8 berichtet.1 Nach Vorlage eines Vorschlags durch die Kommission am 13.2.20012 und Stellungnahmen von EWSA3 und EP 4 wurde die IFRS-VO am 19.7.2002 verabschiedet 5; durch Beschluss v. 14.3.2003 wurde ihr Anwendungsbereich auf den EWR-Raum ausgedehnt 6. Die Änderungen durch die VO

1 Vgl. ferner auch Merkt in: Baumbach/Hopt, HGB, 34. Aufl. 2010, Einl. vor § 238 Rn. 167 ff.; Pellens/Fülbier/Gassen/Sellhorn, Internationale Rechnungslegung, 8. Aufl. 2011, S. 51 ff. 2 Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates betreffend die Anwendung internationaler Rechnungslegungsgrundsätze, KOM(2001) 80. Dazu Böcking WPg 2001, 1433 ff.; Ekkenga BB 2001, 2362 ff.; Ernst WPg 2001, 1440 ff.; Euler BB 2002, 875 ff.; Göthel DB 2001, 2057 ff.; Heintzen BB 2001, 825 ff.; IDW WPg 2001, 983 ff.; Lüdenbach/Hoffmann DStR 2002, 231 ff.; Niehus WPg 2001, 737, 738 ff.; ders. WPg 2001, 1209 ff.; Oestreicher/Sprengel RIW 2001, 889 ff.; Pellens/Gassen KoR 2001, 137 ff. 3 Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses v. 11.7.2001 zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates betreffend die Anwendung internationaler Rechnungslegungsgrundsätze“, ABlEG v. 17.9.2001, C 260/86. 4 Legislative Entschließung des Europäischen Parlaments v. 12.3.2002 zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates betreffend die Anwendung internationaler Rechnungslegungsgrundsätze, ABlEU v. 27.2.2003, C 47 E/62. 5 VO (EG) Nr. 1606/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 19.7.2002 betreffend die Anwendung internationaler Rechnungslegungsstandards, ABlEG v. 11.9.2002, L 243/1. Dazu Busse von Colbe BB 2002, 1530 f.; Kirsch WPg 2003, 275 ff.; Schulze-Osterloh ZIP 2003, 93 ff.; Zabel WPg 2002, 919 ff.; speziell zu den Auswirkungen auf die DAX100-Unternehmen: Kirsch/Wirth WPg 2002, 1217 ff. 6 Beschluss des Gemeinsamen EWR-Ausschusses Nr. 37/2003 v. 14.3.2003 zur Änderung des Anhangs XXII (Gesellschaftsrecht) des EWR-Abkommens, ABlEU v. 5.6.2003, L 137/44.

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(EG) 297/2008 7 betrafen lediglich die Durchführungsbefugnisse der Kommission. Ergänzt wird die IFRS-VO durch eine große und stetig wachsende Zahl von VO zur Übernahme von IAS/IFRS (dazu noch u. Rn. 6). In Deutschland wurden die notwendigen Ausführungsvorschriften durch das 2 BilReG8 (dazu bereits § 10 Rn. 19) geschaffen (dazu u. Rn. 5).

II. Konzernbilanz nach IAS/IFRS Art. 4 verpflichtet kapitalmarktorientierte Gesellschaften, die dem Recht eines EU/ 3 EWR-Mitgliedstaats unterliegen, ihren konsolidierten Abschluss für das am oder nach dem 1.1.20059 beginnende Geschäftsjahr und alle nachfolgenden Geschäftsjahre nicht mehr nach der 7. (Konzernbilanz-)RL (dazu § 25), sondern nach Maßgabe der nach dem Verfahren des Art. 6 Abs. 2 (dazu u. Rn. 6) in das europäische Recht überführten internationalen Standards der IAS/IFRS (zu diesen bereits § 10 Rn. 9) zu erstellen. Das mehrfache Mitgliedstaatenwahlrecht des Art. 5 erlaubt es den Mitgliedstaa- 4 ten, zu gestatten oder vorzuschreiben, dass auch die Jahresabschlüsse kapitalmarktorientierter Gesellschaften (lit. a) und/oder auch die konsolidierten Abschlüsse und/ oder Jahresabschlüsse nicht kapitalmarktorientierter Gesellschaften (lit. b) nach den im Verfahren nach Art. 6 Abs. 2 (dazu u. Rn. 6) in das europäische Recht übernommenen IAS/IFRS erstellt werden. Deutschland hat zur Ausführung dieser Vorgaben mit dem BilReG (dazu o. Rn. 2 5 sowie bereits allg. § 10 Rn. 19) § 315a HGB als neuen 10. Titel des Unterabschnitts über die Konzernrechnungslegung eingeführt. § 315a Abs. 1 HGB ergänzt Art. 4, indem er bestimmt, welche Vorschriften des HGB ergänzend neben den IAS/IFRS zur Anwendung gelangen, wenn ein Mutterunternehmen durch Art. 4 verpflichtet ist.10 Von dem Wahlrecht des Art. 5 hat Deutschland nur partiell Gebrauch gemacht. § 315a Abs. 3 HGB gestattet – entsprechend Art. 5 lit. b Alt. 1 – auch nicht kapitalmarktorientierten Gesellschaften, ihren Konzernabschluss nach IAS/IFRS zu erstellen.11 Für den Jahresabschluss (Einzelabschluss) verbleibt es dagegen in Deutschland für alle Gesellschaften bei der Pflicht zur Erstellung nach HGB. Nur für die Veröffentlichung darf (zusätzlich) ein Jahresabschluss nach IAS/IFRS erstellt werden: § 325

7 VO (EG) Nr. 297/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 11.3.2008 zur Änderung der VO (EG) Nr. 1606/2002 betreffend die Anwendung internationaler Rechnungslegungsstandards im Hinblick auf die der Kommission übertragenen Durchführungsbefugnisse, ABlEU v. 9.4.2008, L 97/62. Dazu Lanfermann BB 2008, 826 ff. 8 Gesetz zur Einführung internationaler Rechnungslegungsstandards und zur Sicherung der Qualität der Abschlussprüfung (Bilanzrechtsreformgesetz – BilReG) v. 4.12.2004, BGBl. I, 3166. Schrifttum bei § 10 Rn. 19. 9 S. aber die Übergangsbestimmungen in Art. 9. 10 Vgl. BegrRegE z. BilReG, BT-Drs. 15/3419, S. 34; Kozikowski/Ritter in: Beck’scher Bilanz-Kommentar, 7. Aufl. 2010, § 315a HGB Rn. 9. 11 Vgl. dazu BegrRegE z. BilReG, BT-Drs. 15/3419, S. 35, 45.

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Abs. 2a und 2b HGB gestatten es, statt eines Jahresabschlusses nach HGB einen Einzelabschluss nach IAS/IFRS zu veröffentlichen (und sich so besonders nachdrücklich als Unternehmen mit internationaler Rechnungslegung zu präsentieren).12,13

III. Verfahren der Übernahme und Anwendung der IAS/IFRS 6 I.Ü. enthält die VO ein Verfahren zur Übernahme und Anwendung der einzelnen IAS/IFRS.14 Welche IAS/IFRS im Einzelnen übernommen werden, wird von der Kommission im Verfahren nach Art. 3 und 6 festgelegt. Gem. Art. 3 Abs. 1 S. 2 und Art. 6 kommt das Komitologieverfahren nach dem Komitologiebeschluss bzw. der Komitologie-VO (dazu bereits allg. § 3 Rn. 70 ff.) zur Anwendung (sog. Endorsement-Verfahren). IAS/IFRS dürfen nur übernommen werden, wenn sie den Voraussetzungen des Art. 3 Abs. 2 genügen. Die Übernahme erfolgt gem. Art. 3 Abs. 4 in Form einer vollständig in allen Amtssprachen im ABlEU zu veröffentlichenden Kommissions-VO. Auf diesem Wege ist bis heute ein riesiges verpflichtendes Regelwerk entstanden.15

IV. Bilanzierung nach fair value 7 Im Gegensatz zur Bilanzierung nach dem im HGB16 geltenden Prinzip der Anschaffungs- bzw. Herstellungskosten beruht die Bilanzierung nach IFRS auf dem Prinzip des fair value, d.h. dem wahren Wert aller Aktiva und Passiva zum Bilanzzeitpunkt. Das führt einerseits zum Ausweis nicht realisierter (Buch-)Gewinne, andererseits zu sofortiger Realisierung von (Buch-)Verlusten. Das hat in den USA, wo auch der Ein-

12 Vgl. dazu BegrRegE z. BilReG, BT-Drs. 15/3419, S. 45 f.; Kozikowski/Ritter (Fn. 10), § 325 HGB Rn. 56 f.; Kersting in: Staub, HGB, 5. Aufl. 2010, § 325 Rn. 51; Morck in: Koller/Roth/Morck, HGB, 7. Aufl. 2011, § 325 Rn. 5 ff. 13 Nach § 325 HGB i.d.F. d. BilRegG (Fn. 8) bestand diese Option zunächst nur für große Kapitalgesellschaften (§ 267 Abs. 3 HGB), da Abs. 2 (an den Abs. 2a und 2b anknüpfen) nur für diese galt; seit der Neufassung des Abs. 2 durch das EHUG (Gesetz über elektronische Handelsregister und Genossenschaftsregister sowie das Unternehmensregister (EHUG) v. 10.11.2006, BGBl. I, 2553, dazu noch § 19 Rn. 8) gelten Abs. 2a und 2b dagegen – ebenso wie dieser – für alle Kapitalgesellschaften, vgl. auch Kersting (Fn. 12), § 325 Rn. 51. 14 Vgl. dazu Buchheim/Gröner/Kühne BB 2004, 1783 ff.; Busse von Colbe BB 2002, 1530 f.; Inwinkl/Schüle RIW 2006, 807 ff.; Oversberg DB 2007, 1597 ff.; Wüstemann/Kierzek Beil. zu BB 17/2006, 14 ff.; speziell auch zu praktischen Erfahrungen und Problemen: Dewing/Russel (2008) 46 JCMS 243 ff.; speziell zur Auslegung der übernommenen IFRS: Küting/Ranker BB 2004, 2510 ff. 15 Vgl. die aktuelle Übersicht der übernommenen IAS/IFRS unter http://ec.europa.eu/ internal_market/accounting/legal_framework/regulations_adopting_ias_text_de.htm. 16 Überblick zu den wichtigsten Unterschieden zwischen Bilanzierung nach 4. RL/HGB und IAS/IFRS bei Grundmann Rn. 606 ff.; Merkt (Fn. 1), Einl. vor § 238 Rn. 179 ff.

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zelabschluss solchen Regeln folgt, die Bankenkrise der Jahre 2008/2009 wesentlich verstärkt, da die fraglichen Wertpapiere von heute auf morgen wertlos wurden und vollkommen abgeschrieben werden mussten. In Europa konnte dieser Effekt nicht – bzw. nicht in dem Ausmaß – eintreten, da für Fragen der Überschuldung nach den meisten nationalen Rechtsordnungen nur der Einzelabschluss – der überwiegend weiterhin nach den Regeln der 4. (Bilanz-)RL (in Deutschland: HGB) erstellt wird – und nicht der Konzernabschluss maßgebend ist.

V. Exkurs: IFRS für KMU? Nachdem das IASB im Juli 2009 spezielle IFRS für KMU, die sog. „IFRS for SME“17, 8 präsentiert hat, stellt sich auf europäischer Ebene die Frage, ob und ggf. wie diese ebenfalls übernommen werden sollen. Die Kommission hat hierzu 2009/10 eine Konsultation durchgeführt18 und im Mai 2010 ein Stakeholders’ Meeting veranstaltet19; im Juni 2010 wurde eine Analyse der EFRAG zur Kompatibilität der „IFRS for SME“20 mit den EU-Rechnungslegungsrichtlinien veröffentlicht. Konsultation und Stakeholders’ Meeting zeigten – ebenso wie die diesbezüglichen Stellungnahmen im Schrifttum 21 – ein relativ gespaltenes Meinungbild. Man darf daher gespannt sein, was die Kommission im Rahmen ihres für 2011 angekündigten22 – bis zur Drucklegung aber noch nicht erfolgten – Legislativvorschlags für eine Revision der Rechnungslegungsrichtlinien (dazu bereits § 10 Rn. 24 f.) vorlegen wird.

17 Nach (kostenloser) Registrierung abrufbar über die Webseite des IASB: http://eifrs.iasb. org/eifrs/sme/en/IFRSforSMEs2009.pdf. 18 Konsultationsdokument und -ergebnisse abrufbar unter http://ec.europa.eu/internal_ market/accounting/sme_accounting/review_directives_de.htm. Dazu Korth/Kschammer DStR 2010, 1687 ff. 19 Unterlagen abrufbar unter http://ec.europa.eu/internal_market/accounting/sme_ accounting/review_directives_de.htm. 20 EFRAG, Compatibility Analysis: IFRS for SMEs and the EU Accounting Directives, abrufbar unter http://www.efrag.org/Front/n1-548/NewsDetail.aspx. 21 Vgl. Eierle/Haller/Beiersdorf DB 2011, 1589 ff.; Haag DStR 2010, 2320 ff.; Hennrichs GmbHR 2011, 1065, 1069 ff.; Hommelhoff, Peter/Sokol, Susann, Internationales Bilanzrecht für den Mittelstand, in: Teichmann, Christoph (Hrsg.), Europa und der Mittelstand, 2010, S. 129, 142 ff.; Kleindiek GmbHR 2010, 1333 ff.; Luttermann RIW 2010, 417 ff.; Schruff ZEW 184 (2011) 1, 9 f.; s. ferner auch bereits (in Bezug auf den Entwurf): Ballwieser IRZ 2006, 23 ff.; Beiersdorf BB 2006, 1898 ff.; Beiersdorf/Davis BB 2006, 987 ff.; Heintges DB 2006, 1569, 1572 f.; Köhler Beil. zu BB 19/2007, 2 ff.; Kuhn/Friedrich DB 2007, 925 ff.; Kußmaul/Henkes BB 2006, 2235 ff.; Madziar/Tiedje IRZ 2006, 5, 7; Pawelzik DB 2006, 793 ff.; Niehus DB 2006, 2529 ff. 22 Vgl. Arbeitsprogramm der Kommission für 2011, KOM(2010) 608, S. 15 f.; s. ferner den Annex hierzu: COM(2010) 623 Vol. II, S. 35.

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VI. Fundstellenverzeichnis Grundlage:

Art. 114 Abs. 1 AEU [G Art. 95 Abs. 1 EG]

Vorschlag:

Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates betreffend die Anwendung internationaler Rechnungslegungsgrundsätze, 13.2.2001, KOM(2001) 80

verabschiedete Fassung:

VO (EG) Nr. 1606/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 19.7.2002 betreffend die Anwendung internationaler Rechnungslegungsstandards, ABlEG v. 11.9.2002, L 243/1

geändert durch:

VO (EG) Nr. 297/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11.3.2008 zur Änderung der VO (EG) Nr. 1606/ 2002 betreffend die Anwendung internationaler Rechnungslegungsstandards im Hinblick auf die der Kommission übertragenen Durchführungsbefugnisse, ABlEU v. 9.4.2008, L 97/62

Umsetzung in Deutschland: Gesetz zur Einführung internationaler Rechnungslegungsstandards und zur Sicherung der Qualität der Abschlussprüfung (Bilanzrechtsreformgesetz – BilReG) v. 4.12.2004, BGBl. I, 3166.

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VERORDNUNG (EG) Nr. 1606/2002 DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES vom 19. Juli 2002 betreffend die Anwendung internationaler Rechnungslegungsstandards

DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT UND DER RAT DER EUROPÄISCHEN UNION – gestützt auf den Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, insbesondere auf Artikel 95 Absatz 1, auf Vorschlag der Kommission(1), nach Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses(2), gemäß dem Verfahren des Artikels 251 des Vertrags(3), in Erwägung nachstehender Gründe: (1) Auf der Tagung des Europäischen Rates vom 23./24. März 2000 in Lissabon wurde die Notwendigkeit einer schnelleren Vollendung des Binnenmarktes für Finanzdienstleistungen hervorgehoben, das Jahr 2005 als Frist für die Umsetzung des Aktionsplans der Kommission für Finanzdienstleistungen gesetzt und darauf gedrängt, dass Schritte unternommen werden, um die Vergleichbarkeit der Abschlüsse kapitalmarktorientierter Unternehmen zu verbessern. (2) Um zu einer Verbesserung der Funktionsweise des Binnenmarkts beizutragen, müssen kapitalmarktorientierte Unternehmen dazu verpflichtet werden, bei der Aufstellung ihrer konsolidierten Abschlüsse ein einheitliches Regelwerk internationaler Rechnungslegungsstandards von hoher Qualität anzuwenden. Überdies ist es von großer Bedeutung, dass an den Finanzmärkten teilnehmende Unternehmen der Gemeinschaft Rechnungslegungsstandards anwenden, die international anerkannt sind und wirkliche Weltstandards darstellen. Dazu bedarf es einer zunehmenden Konvergenz der derzeitig international angewandten Rechnungslegungsstandards, mit dem Ziel, letztlich zu einem einheitlichen Regelwerk weltweiter Rechnungslegungsstandards zu gelangen. (3) Die Richtlinie 78/660/EWG des Rates vom 25. Juli 1978 über den Jahresabschluss von Gesell-

(1) ABl. C 154 E vom 29.5.2001, S. 285. (2) ABl. C 260 vom 17.9.2001, S. 86. (3) Stellungnahme des Europäischen Parlaments vom 12. März 2002 (noch nicht im Amtsblatt veröffentlicht) und Beschluss des Rates vom 7. Juni 2002.

schaften bestimmter Rechtsformen(4), die Richtlinie 83/349/EWG des Rates vom 13. Juni 1983 über den konsolidierten Abschluss(5), die Richtlinie 86/635/EWG des Rates vom 8. Dezember 1986 über den Jahresabschluss und den konsolidierten Abschluss von Banken und anderen Finanzinstituten(6) und die Richtlinie 91/674/EWG des Rates vom 19. Dezember 1991 über den Jahresabschluss und den konsolidierten Abschluss von Versicherungsunternehmen(7) richten sich auch an kapitalmarktorientierte Gesellschaften in der Gemeinschaft. Die in diesen Richtlinien niedergelegten Rechnungslegungsvorschriften können den hohen Grad an Transparenz und Vergleichbarkeit der Rechnungslegung aller kapitalmarktorientierten Gesellschaften in der Gemeinschaft als unabdingbare Voraussetzung für den Aufbau eines integrierten Kapitalmarkts, der wirksam, reibungslos und effizient funktioniert, nicht gewährleisten. Daher ist es erforderlich, den für kapitalmarktorientierte Gesellschaften geltenden Rechtsrahmen zu ergänzen. (4) Diese Verordnung zielt darauf ab, einen Beitrag zur effizienten und kostengünstigen Funktionsweise des Kapitalmarkts zu leisten. Der Schutz der Anleger und der Erhalt des Vertrauens in die Finanzmärkte sind auch ein wichtiger Aspekt der Vollendung des Binnenmarkts in diesem Bereich. Mit dieser Verordnung wird der freie Kapitalverkehr im Binnenmarkt gestärkt und ein Beitrag dazu geleistet, dass die Unternehmen in der Gemeinschaft in die Lage versetzt werden, auf den gemeinschaftlichen Kapitalmärkten und auf den Weltkapitalmärkten unter gleichen Wettbewerbsbedingungen um Finanzmittel zu konkurrieren. (5) Für die Wettbewerbsfähigkeit der gemeinschaftlichen Kapitalmärkte ist es von großer Bedeutung, dass eine Konvergenz der in Europa auf die Aufstellung von Abschlüssen angewendeten Normen

(4) ABl. L 222 vom 14.8.1978, S. 11. Richtlinie zuletzt geändert durch Richtlinie 2001/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates (ABl. L 283 vom 27.10.2001, S. 28). 5 ( ) ABl. L 193 vom 18.7.1983, S. 1. Richtlinie zuletzt geändert durch Richtlinie 2001/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates. 6 ( ) ABl. L 372 vom 31.12.1986, S. 1. Richtlinie zuletzt geändert durch Richtlinie 2001/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates. (7) ABl. L 374 vom 31.12.1991, S. 7.

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mit internationalen Rechnungslegungsstandards erreicht wird, die weltweit für grenzübergreifende Geschäfte oder für die Zulassung an allen Börsen der Welt genutzt werden können.

(10) Ein Technischer Ausschuss für Rechnungslegung wird die Kommission bei der Bewertung internationaler Rechnungslegungsstandards unterstützen und beraten.

(6) Am 13. Juni 2000 hat die Kommission ihre Mitteilung mit dem Titel „Rechnungslegungsstrategie der EU: Künftiges Vorgehen“ veröffentlicht, in der vorgeschlagen wird, dass alle kapitalmarktorientierten Gesellschaften in der Gemeinschaft ihre konsolidierten Abschlüsse spätestens ab dem Jahr 2005 nach einheitlichen Rechnungslegungsstandards, den „International Accounting Standards“ (IAS), aufstellen.

(11) Der Anerkennungsmechanismus sollte sich der vorgeschlagenen internationalen Rechnungslegungsstandards unverzüglich annehmen und auch die Möglichkeit bieten, über internationale Rechnungslegungsstandards im Kreise der Hauptbetroffenen, insbesondere der nationalen standardsetzenden Gremien für Rechnungslegung, der Aufsichtsbehörden in den Bereichen Wertpapiere, Banken und Versicherungen, der Zentralbanken einschließlich der EZB, der mit der Rechnungslegung befassten Berufsstände sowie der Adressaten und der Aufsteller von Abschlüssen, zu beraten, nachzudenken und Informationen dazu auszutauschen. Der Mechanismus sollte ein Mittel sein, das gemeinsame Verständnis übernommener internationaler Rechnungslegungsstandards in der Gemeinschaft zu fördern.

(7) Die „International Accounting Standards“ (IAS) werden vom „International Accounting Standards Committee“ (IASC) entwickelt, dessen Zweck darin besteht, ein einheitliches Regelwerk weltweiter Rechnungslegungsstandards aufzubauen. Im Anschluss an die Umstrukturierung des IASC hat der neue Board als eine seiner ersten Entscheidungen am 1. April 2001 das IASC in „International Accounting Standards Board“ (IASB) und die IAS mit Blick auf künftige internationale Rechnungslegungsstandards in „International Financial Reporting Standards“ (IFRS) umbenannt. Die Anwendung dieser Standards sollte, so weit wie irgend möglich und sofern sie einen hohen Grad an Transparenz und Vergleichbarkeit der Rechnungslegung in der Gemeinschaft gewährleisten, für alle kapitalmarktorientierten Gesellschaften in der Gemeinschaft zur Pflicht gemacht werden.

(12) Entsprechend dem Verhältnismäßigkeitsprinzip sind die in dieser Verordnung getroffenen Maßnahmen, welche die Anwendung eines einheitlichen Regelwerks von internationalen Rechnungslegungsgrundsätzen für alle kapitalmarktorientierten Gesellschaften vorsehen, notwendig, um das Ziel einer wirksamen und kostengünstigen Funktionsweise der Kapitalmärkte der Gemeinschaft und damit die Vollendung des Binnenmarktes zu erreichen.

(8) Die zur Durchführung dieser Verordnung erforderlichen Maßnahmen sollten gemäß dem Beschluss 1999/468/EG des Rates vom 28. Juni 1999 zur Festlegung der Modalitäten für die Ausübung der der Kommission übertragenen Durchführungsbefugnisse(8) erlassen werden; beim Erlass dieser Maßnahmen sollte die Erklärung zur Umsetzung der Rechtsvorschriften im Bereich der Finanzdienstleistungen, die die Kommission am 5. Februar 2002 vor dem Europäischen Parlament abgegeben hat, gebührend berücksichtigt werden.

(13) Nach demselben Grundsatz ist es erforderlich, dass den Mitgliedstaaten im Hinblick auf Jahresabschlüsse die Wahl gelassen wird, kapitalmarktorientierten Gesellschaften die Aufstellung nach den internationalen Rechnungslegungsstandards, die nach dem Verfahren dieser Verordnung angenommen wurden, zu gestatten oder vorzuschreiben. Die Mitgliedstaaten können diese Möglichkeit bzw. diese Vorschrift auch auf die konsolidierten Abschlüsse und/oder Jahresabschlüsse anderer Gesellschaften ausdehnen.

(9) Die Übernahme eines internationalen Rechnungslegungsstandards zur Anwendung in der Gemeinschaft setzt voraus, dass er erstens die Grundanforderung der genannten Richtlinien des Rates erfüllt, d.h. dass seine Anwendung ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage eines Unternehmens vermittelt – ein Prinzip, das im Lichte der genannten Richtlinien des Rates zu verstehen ist, ohne dass damit eine strenge Einhaltung jeder einzelnen Bestimmung dieser Richtlinien erforderlich wäre; zweitens, dass er gemäß den Schlussfolgerungen des Rates vom 17. Juli 2000 dem europäischen öffentlichen Interesse entspricht und drittens, dass er grundlegende Kriterien hinsichtlich der Informationsqualität erfüllt, die gegeben sein muss, damit die Abschlüsse für die Adressaten von Nutzen sind.

(14) Damit ein Gedankenaustausch erleichtert wird und die Mitgliedstaaten ihre Standpunkte koordinieren können, sollte die Kommission den Regelungsausschuss für Rechnungslegung regelmäßig über laufende Vorhaben, Thesenpapiere, spezielle Recherchen und Exposure Drafts, die vom IASB veröffentlicht werden, sowie über die anschließenden fachlichen Arbeiten des Technischen Ausschusses unterrichten. Ferner ist es wichtig, dass der Regelungsausschuss für Rechnungslegung frühzeitig unterrichtet wird, wenn die Kommission die Übernahme eines internationalen Rechnungslegungsstandards nicht vorschlagen will.

(8) ABl. L 184 vom 17.7.1999, S. 23.

(15) Bei der Erörterung der vom IASB im Rahmen der Entwicklung von internationalen Rechnungslegungsstandards (IFRS und SIC/IFRIC) veröffentlichten Dokumente und Papiere und bei der Ausarbeitung diesbezüglicher Standpunkte sollte die Kommission der Notwendigkeit Rechnung tragen, Wettbewerbsnachteile für die auf dem Welt-

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Die IFRS-Verordnung markt tätigen europäischen Unternehmen zu vermeiden; ferner sollte sie, so weit wie irgend möglich die von den Delegationen im Regelungsausschuss für Rechnungslegung zum Ausdruck gebrachten Ansichten berücksichtigen. Die Kommission wird in den Organen des IASB vertreten sein. (16) Angemessene und strenge Durchsetzungsregelungen sind von zentraler Bedeutung, um das Vertrauen der Anleger in die Finanzmärkte zu stärken. Die Mitgliedstaaten müssen aufgrund von Artikel 10 des Vertrags alle geeigneten Maßnahmen zur Gewährleistung der Einhaltung internationaler Rechnungslegungsstandards treffen. Die Kommission beabsichtigt, sich mit den Mitgliedstaaten insbesondere über den Ausschuss der europäischen Wertpapierregulierungsbehörden (CESR) ins Benehmen zu setzen, um ein gemeinsames Konzept für die Durchsetzung zu entwickeln. (17) Ferner muss den Mitgliedstaaten gestattet werden, die Anwendung bestimmter Vorschriften bis 2007 zu verschieben, und zwar für alle Gemeinschaftsunternehmen, deren Wertpapiere sowohl in der Gemeinschaft als auch in einem Drittland zum Handel in einem geregelten Markt zugelassen sind und die ihren konsolidierten Abschlüssen bereits primär andere international anerkannte Rechnungslegungsgrundsätze zugrunde legen, sowie für Gesellschaften, von denen ausschließlich Schuldtitel zum Handel in einem geregelten Markt zugelassen sind. Es ist jedoch unverzichtbar, dass bis spätestens 2007 die IAS als einheitliches Regelwerk globaler internationaler Rechnungslegungsstandards für alle Gemeinschaftsunternehmen gelten, deren Wertpapiere zum Handel in einem geregelten Gemeinschaftsmarkt zugelassen sind. (18) Um den Mitgliedstaaten und Gesellschaften die zur Anwendung internationaler Rechnungslegungsstandards erforderlichen Anpassungen zu ermöglichen, ist es erforderlich, dass bestimmte Vorschriften erst im Jahr 2005 Anwendung finden. Für die erstmalige Anwendung der IAS durch die Gesellschaften infolge des Inkrafttretens dieser Verordnung sollten geeignete Vorschriften erlassen werden. Diese Vorschriften sollten auf internationaler Ebene ausgearbeitet werden, damit die internationale Anerkennung der festgelegten Lösungen sichergestellt ist – HABEN FOLGENDE VERORDNUNG ERLASSEN: Artikel 1

Artikel 2 Begriffsbestimmungen Im Sinne dieser Verordnung bezeichnen „internationale Rechnungslegungsstandards“ die „International Accounting Standards“ (IAS), die „International Financial Reporting Standards“ (IFRS) und damit verbundene Auslegungen (SIC/IFRICInterpretationen), spätere Änderungen dieser Standards und damit verbundene Auslegungen sowie künftige Standards und damit verbundene Auslegungen, die vom International Accounting Standards Board (IASB) herausgegeben oder angenommen wurden.

Artikel 3 Übernahme und Anwendung internationaler Rechnungslegungsstandards (1) Die Kommission beschließt über die Anwendbarkeit von internationalen Rechnungslegungsstandards in der Gemeinschaft. Diese Maßnahmen zur Änderung nicht wesentlicher Bestimmungen dieser Verordnung durch Ergänzung werden nach dem in Artikel 6 Absatz 2 genannten Regelungsverfahren mit Kontrolle erlassen. (2) Die internationalen Rechnungslegungsstandards können nur übernommen werden, wenn sie – dem Prinzip des Artikels 2 Absatz 3 der Richtlinie 78/660/EWG und des Artikels 16 Absatz 3 der Richtlinie 83/349/EWG nicht zuwiderlaufen sowie dem europäischen öffentlichen Interesse entsprechen und – den Kriterien der Verständlichkeit, Erheblichkeit, Verlässlichkeit und Vergleichbarkeit genügen, die Finanzinformationen erfüllen müssen, um wirtschaftliche Entscheidungen und die Bewertung der Leistung einer Unternehmensleitung zu ermöglichen. (3) Bis zum 31. Dezember 2002 entscheidet die Kommission nach dem Verfahren des Artikels 6 Absatz 2 über die Anwendbarkeit der bei Inkrafttreten dieser Verordnung vorliegenden internationalen Rechnungslegungsstandards in der Gemeinschaft. (4) Übernommene internationale Rechnungslegungsstandards werden als Kommissionsverordnung vollständig in allen Amtssprachen der Gemeinschaft im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften veröffentlicht.

Ziel Gegenstand dieser Verordnung ist die Übernahme und Anwendung internationaler Rechnungslegungsstandards in der Gemeinschaft, mit dem Ziel, die von Gesellschaften im Sinne des Artikels 4 vorgelegten Finanzinformationen zu harmonisieren, um einen hohen Grad an Transparenz und Vergleichbarkeit der Abschlüsse und damit eine effiziente Funktionsweise des Kapitalmarkts in der Gemeinschaft und im Binnenmarkt sicherzustellen.

Artikel 4 Konsolidierte Abschlüsse von kapitalmarktorientierten Gesellschaften Für Geschäftsjahre, die am oder nach dem 1. Januar 2005 beginnen, stellen Gesellschaften, die dem Recht eines Mitgliedstaates unterliegen, ihre konsolidierten Abschlüsse nach den internatio-

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Gesellschaftsrechtliche Richtlinien

nalen Rechnungslegungsstandards auf, die nach dem Verfahren des Artikels 6 Absatz 2 übernommen wurden, wenn am jeweiligen Bilanzstichtag ihre Wertpapiere in einem beliebigen Mitgliedstaat zum Handel in einem geregelten Markt im Sinne des Artikels 1 Absatz 13 der Richtlinie 93/22/EWG des Rates vom 10. Mai 1993 über Wertpapierdienstleistungen(9) zugelassen sind.

nahme von gegebenenfalls aus diesen Vorhaben und Dokumenten hervorgehenden Standards zu erleichtern.

Artikel 5

Mitteilungspflicht

Wahlrecht in Bezug auf Jahresabschlüsse und hinsichtlich nicht kapitalmarktorientierter Gesellschaften

Ergreifen die Mitgliedstaaten Maßnahmen nach Artikel 5, so teilen sie diese der Kommission und den anderen Mitgliedstaaten unverzüglich mit.

(2) Die Kommission erstattet dem Ausschuss gebührend und frühzeitig Bericht, wenn sie die Übernahme eines Standards nicht vorschlagen will. Artikel 8

Die Mitgliedstaaten können gestatten oder vorschreiben, dass a) Gesellschaften im Sinne des Artikels 4 ihre Jahresabschlüsse, b) Gesellschaften, die nicht solche im Sinne des Artikels 4 sind, ihre konsolidierten Abschlüsse und/oder ihre Jahresabschlüsse nach den internationalen Rechnungslegungsstandards aufstellen, die nach dem Verfahren des Artikels 6 Absatz 2 angenommen wurden.

Artikel 6 Ausschussverfahren (1) Die Kommission wird durch einen Regelungsausschuss für Rechnungslegung (im Folgenden „Ausschuss“ genannt) unterstützt. (2) Wird auf diesen Absatz Bezug genommen, so gelten Artikel 5a Absätze 1 bis und Artikel 7 des Beschlusses 1999/468/EG unter Beachtung von dessen Artikel 8. (3) –––––––––

Artikel 9 Übergangsbestimmungen In Abweichung von Artikel 4 können die Mitgliedstaaten vorsehen, dass jener Artikel 4 für Gesellschaften, a) von denen lediglich Schuldtitel zum Handel in einem geregelten Markt eines Mitgliedstaats im Sinne von Artikel 1 Absatz 13 der Richtlinie 93/22/EWG zugelassen sind oder b) deren Wertpapiere zum öffentlichen Handel in einem Nichtmitgliedstaat zugelassen sind und die zu diesem Zweck seit einem Geschäftsjahr, das vor der Veröffentlichung dieser Verordnung im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften begann, international anerkannte Standards anwenden, erst für die Geschäftsjahre Anwendung finden, die am oder nach dem 1. Januar 2007 beginnen. Artikel 10 Unterrichtung und Überprüfung

Artikel 7 Berichterstattung und Koordinierung (1) Die Kommission setzt sich mit dem Ausschuss regelmäßig über den Stand laufender Vorhaben des IASB und über die vom IASB veröffentlichten Dokumente ins Benehmen, um die Standpunkte zu koordinieren und um Erörterungen über die Über(9) ABl. L 141 vom 11.6.1993, S. 27. Richtlinie zuletzt geändert durch die Richtlinie 2000/64/EG des Europäischen Parlaments und des Rates (ABl. L 290 vom 17.11.2000, S. 27).

Die Kommission überprüft die Funktionsweise dieser Verordnung und erstattet dem Europäischen Parlament und dem Rat bis zum 1. Juli 2007 darüber Bericht. Artikel 11 Inkrafttreten Diese Verordnung tritt am dritten Tag nach ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften in Kraft. Diese Verordnung ist in allen ihren Teilen verbindlich und gilt unmittelbar in jedem Mitgliedstaat.

Die Abschlussprüferrichtlinie

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§ 27 Die Abschlussprüferrichtlinie RL 2006/43/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 17.5.2006 über Abschlussprüfungen von Jahresabschlüssen und konsolidierten Abschlüssen, zur Änderung der Richtlinien 78/660/EWG und 83/349/EWG des Rates und zur Aufhebung der Richtlinie 84/253/EWG des Rates, ABlEU v. 9.6.2006, L 157/87 Literatur: Anand, Anita/Moloney, Niamh, Reform of the audit process and the role of shareholder voice: transatlantic perspectives, (2004) 5 EBOR 223; Arbeitskreis Bilanzrecht Hochschullehrer Rechtswissenschaft, Stellungnahme zum Grünbuch der Europäischen Kommission. Weiteres Vorgehen im Bereich der Abschlussprüfung – Lehren aus der Krise, NZG 2011, 176 f.; Arruñada, Benito, Audit failure and the crisis of auditing, (2004) 5 EBOR 635; Beckman, Hans/Nass, Eva C.A., Auditors’ liability in the European Union, (2007) 4 ECL 103; Brönner, Herbert, Die Harmonisierung von Rechnungslegung und Abschlußprüfung in der Europäischen Gemeinschaft (EG) aus der Sicht der Wirtschaftsprüfer, BFuP 1981, 500; Doralt, Walter/Hellgardt, Alexander/Hopt, Klaus J./Leyens, Patrick C./Roth, Markus/Zimmermann, Reinhard, Auditors’ liability and its impact on the European financial markets, (2008) 67 CLJ 62; Eisenhardt, Patrick/Wader, Dominic, Vorschläge zur Fortentwicklung der Abschlussprüfung – Das Grünbuch der EU-Kommission, DStR 2010, 2532; Erchinger, Holger/Melcher, Winfried, Zur Umsetzung der HGB-Modernisierung durch das BilMoG: Neuerungen im Hinblick auf die Abschlussprüfung und die Einrichtung eines Prüfungsausschusses, Beil. 5 zu DB 23/2009, 91; Ebke, Werner F., Die Europäische Union und die Haftung des gesetzlichen Abschlussprüfers: Eine unendliche Geschichte, in: Aderhold u.a. (Hrsg.), Festschrift für Harm Peter Westermann zum 70. Geburtstag, 2008, S. 873; Everling, Ulrich, Zur Unzulässigkeit von Übergangsmaßnahmen für Abschlussprüfer bei der Umsetzung der GmbH & Co. KG-Richtlinie, ZGR 1993, 153; Ferran, Eilís, Three recent developments in auditors’ liability, in: Grundmann, Stefan u.a. (Hrsg.), Festschrift für Klaus J. Hopt zum 70. Geburtstag am 24. August 2010, 2010, S. 645; Feuillet, Pierre, La huitième directive du Conseil des Communautés Européennes et le commissariat aux comptes, Rev. soc. 1984, 709; Hakelmacher, Sebastian, Sind die Wirtschaftsprüfer noch zu retten?, WPg 2011, 201; Heininger, Klaus, Aktuelle Entwicklungen zur ISA-Anwendung in Europa, WPg 2010, 15; Die Abschlussprüferrichtlinie und ihre Folgen – Berufsaufsicht quo vadis?, WPg 2008, 535; Inwinkl, Petra/Kortenbusch, Dennis/Schneider, Georg, Die Abschlussprüferrichtlinie: Rechtliche Umsetzung in das deutsche Recht, Konzern 2008, 215; Kämpfer, Georg/Schmidt, Stefan, Die Auswirkungen der neueren Prüfungsstandards auf die Durchführung von Abschlussprüfungen, WPg 2009, 47; Kämpfer, Georg/Kayser, Harald/Schmidt, Stefan, Das Grünbuch der EUKommission zur Abschlussprüfung, DB 2010, 2457; Klein, Klaus-Günter/Klaas, Helmut, Entwicklung der neuen Abschlussprüferrichtlinie in den Beratungen von Kommission, Ministerrat und Europäischem Parlament, WPg 2006, 885; Klein, Klaus-Günther/Tielmann, Sandra, Die Modernisierung der Abschlussprüferrichtlinie – Vorschlag der EU-Kommission zur Überarbeitung der 8. EU-Richtlinie –, WPg 2004, 501; Köhler, Annette G./Ruhnke, Klaus/Schmidt, Martin, Nutzen der Abschlussprüfung für die Aufsichtsräte – Eine empirische Untersuchung vor dem Hintergrund des Grünbuchs der EU –, DB 2011, 773; Lanfermann, Georg, Berichterstattung des Abschlussprüfers als Element der Corporate Governance, BB 2011, 937; ders., EU-Grünbuch: Kommission hält starr an Prüfermarktdiskussion fest, BB 2011, 489; ders., Modernisierte EU-Richtlinie zur gesetzlichen Abschlussprüfung, DB 2005, 2645; Lanfermann, Georg/Maul, Silja, EU-Prüferrichtlinie: Neue Pflichtanforderungen für Audit Committees, DB 2006, 1505; Max-Planck-Arbeitsgruppe zur Unabhängigkeit der Abschlussprüfer, Stellungnahme zum Grünbuch der Europäischen Kommission „Weiteres Vorgehen im Bereich der Abschlussprüfung: Lehren aus der Krise“, ZIP 2011, 459; Mouthaan, Erik H. J., The audit committee from a European perspective, (2007) 4 ECL 10; Niemann, Walter, Aktuelles aus der Wirtschaftsprüfung für den Mittelstand – das Grünbuch der EU-Kommission, DStR

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Gesellschaftsrechtliche Richtlinien

2010, 2368; Nonnenmacher, Rolf/Pohle, Klaus/von Werder, Axel, Aktuelle Anforderungen an Prüfungsausschüsse – Leitfaden für Prüfungsausschüsse (Audit Committees) unter Berücksichtigung der 8. EU-Richtlinie, DB 2007, 2412; Schmidt, Manfred, Die 8. EU-Richtlinie: Anlass für eine verstärkte Regulierung der Berufsausübung des Wirtschaftsprüfers?, WPg 2005, 203; Tiedje, Jürgen, Die neue EU-Richtlinie zur Abschlussprüfung, WPg 2006, 593; Van Hulle, Karel, The EEC Accounting Directives in perspective: problems of harmonization, (1981) 18 C.M.L. Rev. 121; Van Hulle, Karel/Lanfermann, Georg, Mitteilung der Europäischen Kommission zur Stärkung der Abschlussprüfung, BB 2003, 1323; Velte, Patrick/Lechner, Stéphan/Kusch, Annemarie, Diskussion einer Begrenzung der Abschlussprüferhaftung durch die EU-Kommission – Bestandsaufnahme und kritische Würdigung möglicher Reformmaßnahmen aus nationaler Sicht, DStR 2007, 1494; Vetter, Eberhard, Der Prüfungsausschuss in der AG nach dem BilMoG – Aufgaben und Zusammensetzung –, ZGR 2010, 751; Weber, Dolf, Zur „Modernisierung“ der EU-Abschlussprüferrichtlinie unter dem Gesichtspunkt der Rotation des Abschlussprüfers: Die verpasste Chance, AG 2005, 877; Wiesner, Peter M., In Brüssel werden die Grundlagen der Abschlussprüfung neu geordnet, ZIP 2003, 1186.

Rechtsprechung: EuGH: EuGH v. 25.2.2010, Kommission ./. Spanien, Rs. C-295/09, ABlEU v. 17.4.2010, C 100/9 EuGH v. 25.2.2010, Kommission ./. Österreich, Rs. C-330/09, ABlEU v. 17.4.2010, C 100/10 EuGH v. 15.4.2010, Kommission ./. Irland, Rs. C-294/09, ABlEU v. 5.6.2010, C 148/10 Nationale Gerichte: LG München I v. 5.11.2009 – 5 HKO 15312/09, NZG 2010, 464 OLG München v. 28.4.2010 – 23 U 5517/09, ZIP 2010, 1082 VG Berlin v. 17.9.2010 – 16 K 246.09 (juris) VG Berlin v. 17.9.2010 – 16 K 320.09 (juris) OVG Berlin-Brandenburg v. 15.2.2011 – 12 N 15/10, NVwZ-RR 2011, 479

I. Überblick 1 Die 4. (Bilanz-)RL schreibt in ihrem Art. 51 (dazu § 24 Rn. 17), die 7. (Konzernbilanz-)RL in ihrem Art. 37 (dazu § 25 Rn. 21) die Prüfung des Jahresabschlusses bzw. Konzernabschlusses vor. Beide RL aber schweigen im Hinblick auf die Prüfung des Jahres-/Konzernabschlusses zu einem überaus wichtigen Problem: dem der Qualifikationserfordernisse für den Abschlussprüfer. Diese Lücke wurde – auf der Basis von Entwürfen aus den Jahren 19781 und 19792 – zunächst durch die am 10.4.1984 ver-

1 Vorschlag einer Achten Richtlinie nach Artikel 54 Absatz 3 Buchstabe g des EWG-Vertrages über die Zulassung der mit der Pflichtprüfung des Jahresabschlusses von Kapitalgesellschaften beauftragten Personen, 24.4.1978, KOM(78) 168 = BT-Drs. 8/2013. Dazu Lück DB 1979, 317 ff. 2 Geänderter Vorschlag einer Achten Richtlinie nach Artikel 54 Absatz 3 Buchstabe g des EWG-Vertrages über die Zulassung der mit der Pflichtprüfung des Jahresabschlusses von Kapitalgesellschaften beauftragten Personen, 28.11.1979, KOM(79) 679. Dazu Brönner BFuP 1981, 500, 506 ff.; Van Hulle (1981) 18 C.M.L. Rev. 121, 135 ff.

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abschiedete 8. RL 84/253/EWG 3 (deren Anwendungsbereich durch das EWR-Abkommen auch auf die EWR-Staaten ausgedehnt wurde 4) teilweise gefüllt. Mit dem Inkrafttreten der („neuen“) Abschlussprüfer-RL 2006/43/EG 5 am 2 29.6.2006, deren Anwendungsbereich durch Beschluss v. 8.12.20066 auch auf den EWR-Raum ausgedehnt wurde und deren Umsetzungsfrist am 29.6.2008 ablief 7, wurde die 8. RL 84/253/EWG vollständig ersetzt (vgl. Art. 50). Angestoßen worden war die Modernisierung der 8. RL durch den Aktionsplan Abschlussprüfung v. 21.5. 2003 8, auf den am 16.3.2004 ein offizieller RL-Entwurf 9 der Kommission folgte. Nach Stellungnahme des EWSA10, Zustimmung des EP 11 und Einigung im EU-Finanzministerrat 12 wurde die RL dann am 25.4.2006 vom Rat förmlich angenommen13.

3 Achte RL 84/253/EWG des Rates v. 10.4.1984 aufgrund von Artikel 54 Absatz 3 Buchstabe g) des Vertrages über die Zulassung der mit der Pflichtprüfung der Rechnungslegungsunterlagen beauftragten Personen, ABlEG v. 12.5.1984, L 126/20. Abgedruckt in Voraufl. S. 232 ff. (mit Erläuterungen S. 229 ff.). Dazu Feuillet Rev. soc. 1984, 709 ff.; Nordemann WPg 1989, 671, 674 ff.; Schatzmann RIW 1984, 614 ff. 4 Vgl. Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum – Anhang XXII, Nr. 7 (ABlEG v. 3.1.1994, L 1/3). 5 RL 2006/43/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 17.5.2006 über Abschlussprüfungen von Jahresabschlüssen und konsolidierten Abschlüssen, zur Änderung der Richtlinien 78/660/EWG und 83/349/EWG des Rates und zur Aufhebung der Richtlinie 84/253/EWG des Rates, ABlEU v. 9.6.2006, L 157/87. Dazu Inwinkl/Kortenbusch/ Schneider Konzern 2008, 215 ff.; Klein/Klaas WPg 2006, 885 ff.; Lanfermann/S. Maul DB 2006, 1505 ff.; Mouthaan (2007) 4 ECL 10 ff.; Naumann/Feld WPg 2006, 873 ff.; Nonnenmacher/Pohle/von Werder DB 2007, 2412 ff.; Tiedje WPg 2006, 593 ff. 6 Beschluss des Gemeinsamen EWR-Ausschusses Nr. 160/2006 v. 8.12.2006 zur Änderung des Anhangs XXII (Gesellschaftsrecht) des EWR-Abkommens, ABlEU v. 29.3.2007, L 89/38. 7 Vgl. Art. 53 Abs. 1. 8 Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament. Stärkung der Abschlussprüfung in der EU, 21.5.2003, KOM(2003) 286. Dazu Peemöller BB 25/2003, I; van Hulle/Lanfermann BB 2003, 1323 ff.; Wiesner ZIP 2003, 1186 ff. 9 Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Prüfung des Jahresabschlusses und des konsolidierten Abschlusses und zur Änderung der Richtlinien 78/660/EWG und 83/349/EWG des Rates, 16.3.2004, KOM(2004) 177. Vgl. dazu Anand/Moloney (2004) 5 EBOR 223, 284 ff.; Arruñada, (2004) 5 EBOR 635 ff.; Klein/Tielmann WPg 2004, 501 ff.; Lanfermann DB 2004, 609 ff.; M. Schmidt WPg 2005, 203 ff. 10 Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses v. 15.12.2004 zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Prüfung des Jahresabschlusses und des konsolidierten Abschlusses und zur Änderung der Richtlinien 78/660/EWG und 83/349/EWG des Rates“, ABlEU v. 28.6.2005, C 157/115. 11 Legislative Entschließung des Europäischen Parlaments v. 28.9.2005 zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Prüfung des Jahresabschlusses und des konsolidierten Abschlusses und zur Änderung der Richtlinien 78/660/EWG und 83/349/EWG des Rates, ABlEU v. 21.9.2006, C 227 E/432. 12 Vgl. Dok. 13165/05. Dazu Lanfermann DB 2005, 2645 ff.; Weber AG 2005, 877 ff. 13 Vgl. Dok. 8693/06 ADD 1, S. 5.

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Durch die Änderungs-RL 2008/30/EG 14 erfolgten lediglich technische Anpassungen betreffend das Komitologieverfahren (dazu bereits allg. § 3 Rn. 70 ff.), die keiner Umsetzung in nationales Recht bedurften (vgl. Erwägungsgrund 8). Derzeit laufen jedoch Vorbereitungen für eine umfassendere Reform, dazu ausf. u. Rn. 23 f. 4 Der deutsche Gesetzgeber hatte die 8. RL 84/253/EWG durch das BiRiLiG v. 19.12.198515 (das auch die 4. (Bilanz-)RL und die 7. (Konzernbilanz-)RL umsetzte, vgl. § 24 Rn. 5, § 25 Rn. 7) umgesetzt. Die Vorgaben der neuen Abschlussprüfer-RL hatte er bereits in erheblichem Umfang durch das BilReG v. 4.12.2004 16 (dazu bereits § 10 Rn. 19) und das APAG v. 27.12.2004 17 antizipiert. Die RL selbst erforderte dann nur noch kleinere Neujustierungen18, die mittels des BARefG v. 3.9.2007 19 und des BilMoG vom 25.5.2009 20 (dazu bereits § 10 Rn. 21) erfolgten (vgl. dazu im Einzelnen Rn. 7, 10, 13, 15, 19, 21). 3

II. Inhalt 1. Grundkonzept: Fortführung und Ausbau der Harmonisierung im Bereich Abschlussprüfung 5 Inhaltlich stellt die neue Abschlussprüfer-RL eine Fortführung der 8. RL 84/253/ EWG dar (vgl. bereits o. Rn. 1 f.), allerdings mit zum Teil erheblichen Neuerungen.21 In der Sache geht es weiter um die hohe Kompetenz der Abschlussprüfer und ihre Unabhängigkeit. Bei der Umsetzung dieses Ziels ist jedoch auffällig, dass die RL deutlich weitergehende Regelungen trifft als noch die Vorgänger-RL. So befasst sie

14 RL 2008/30/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 11.3.2008 zur Änderung der Richtlinie 2006/43/EG über Abschlussprüfungen von Jahresabschlüssen und konsolidierten Abschlüssen im Hinblick auf die der Kommission übertragenen Durchführungsbefugnisse, ABlEU v. 20.3.2008, L 81/53. 15 Gesetz zur Durchführung der Vierten, Siebenten und Achten Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaften zur Koordinierung des Gesellschaftsrechts (Bilanzrichtlinien-Gesetz – BiRiLiG) v. 19.12.1985, BGBl. I, 2355. Schrifttum bei § 24 Rn. 5. 16 Gesetz zur Einführung internationaler Rechnungslegungsstandards und zur Sicherung der Qualität der Abschlussprüfung (Bilanzrechtsreformgesetz – BilReG) v. 4.12.2004, BGBl. I, 3166. Schrifttum bei § 10 Rn. 19. 17 Gesetz zur Fortentwicklung der Berufsaufsicht über Abschlussprüfer in der Wirtschaftsprüferordnung (Abschlussprüferaufsichtsgesetz – APAG) v. 27.12.2004, BGBl. I, 3846. Vgl. dazu Heininger WPg 2008, 535 ff. 18 Vgl. auch BegrRegE z. BilMoG, BR-Drs. 344/08, S. 83 f. 19 Gesetz zur Stärkung der Berufsaufsicht und zur Reform berufsrechtlicher Regelungen in der Wirtschaftsprüferordnung (Berufsaufsichtsreformgesetz – BARefG) v. 3.9.2007, BGBl. I, 2178. Vgl. dazu Heininger WPg 2008, 535 ff.; Marten/Köhler/Paulitschek Beil. zu BB 17/2006, 23 ff.; Naumann/Feld WPg 2006, 873, 875 ff. 20 Gesetz zur Modernisierung des Bilanzrechts (Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz – BilMoG) v. 25.5.2009, BGBl. I, 1102. Schrifttum bei § 10 Rn. 21. 21 Vgl. Bayer/J. Schmidt BB 2008, 454, 457; Naumann/Feld WPg 2006, 873, 874; Tiedje WPg 2006, 593.

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sich etwa eingehend mit dem Prüfungsverfahren, der Intensität der öffentlichen Aufsicht über die Abschlussprüfer (dazu u. Rn. 16 f.), der externen Qualitätssicherung (dazu u. Rn. 12 f.) sowie mit der Unabhängigkeit des Abschlussprüfers (dazu u. Rn. 8 ff.). Dieser erhebliche Ausbau der Harmonisierung im Bereich der Abschlussprüfung war insbesondere auch eine Reaktion auf die Bilanzskandale Anfang der 2000er Jahre 22.23 Die Defizite der im Wesentlichen auf Berufszugangsregeln und Berufsgrundsätze beschränkten 8. RL waren freilich schon deutlich früher klar geworden24. 2. Die wichtigsten Neuerungen im Einzelnen a) Befähigungsanforderungen Die Anforderungen an die Befähigung der Abschlussprüfer und Prüfungsgesellschaf- 6 ten werden im Vergleich zur Vorgänger-RL deutlich ausführlicher in Kapitel II (Art. 3–14) geregelt.25 Der Nachweis des erfolgreichen Abschlusses einer Eignungsprüfung auf dem Niveau eines Hochschulabschlusses oder eines entsprechenden Niveaus (Art. 6, vormals Art. 4 der 8. RL) ist dabei erhalten geblieben. Neu waren aber z.B., dass die theoretische Ausbildung nun insbesondere auch Kenntnisse der IAS/IFRS sowie der ISA (dazu noch u. Rn. 11) umfassen (Art. 8 Abs. 1 lit. c und i) muss 26 sowie die in Art. 13 ausdrücklich normierte Pflicht zur Weiterbildung.27 Im deutschen Recht bestand insoweit nur geringer Anpassungsbedarf, dem be- 7 reits vorab durch BilReG 28 und APAG 29 sowie dann durch das BARefG 30 Rechnung getragen wurde. b) Unabhängigkeit Ein Kernpunkt der RL war die Harmonisierung der Unabhängigkeitsanforderungen. 8 Die Art. 22–25 bauen dabei weitgehend auf der Empfehlung 2002/590/EG betreffend Grundprinzipien für die Unabhängigkeit der Abschlussprüfer in der EU 31 auf 32. Nach 22 Insbesondere: Enron und Worldcom; weitere Beispiele bei Bayer BB 2004, 1, 6. 23 Vgl. KOM(2004) 177, S. 2; Grundmann Rn. 581. 24 Vgl. bereits Mitteilung der Kommission betreffend die Abschlußprüfung in der Europäischen Union: künftiges Vorgehen, ABlEG v. 8.5.1998, C 143/12; Grünbuch. Rolle, Stellung und Haftung des Abschlussprüfers in der Europäischen Union, KOM(96) 338; vgl. dazu Peemöller/Keller DStR 1997, 895 ff. 25 Näher Lanfermann DB 2005, 2645 f.; Tiedje WPg 2006, 593, 594 f. 26 Vgl. Lanfermann DB 2005, 2645; Tiedje WPg 2006, 593, 594. 27 Vgl. dazu Lanfermann DB 2005, 2645; Tiedje WPg 2006, 593, 594. 28 Fn. 16. 29 Fn. 17. 30 Fn. 19. 31 Empfehlung 2002/590/EG der Kommission v. 16.5.2002. Unabhängigkeit des Abschlussprüfers in der EU – Grundprinzipien, ABlEG v. 19.7.2002, L 191/22. 32 Vgl. BegrRegE z. BilMoG, BR-Drs. 344/08, S. 83; Klein/Klaas WPg 2006, 885, 889; Lanfermann DB 2005, 2645, 2646.

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Gesellschaftsrechtliche Richtlinien

Art. 22 Abs. 1 müssen Prüfer und Prüfungsgesellschaften bei der Durchführung einer Abschlussprüfung von dem geprüften Unternehmen unabhängig sein und dürfen nicht in dessen Entscheidungsfindung eingebunden sein. Die RL erstreckt das Unabhängigkeitserfordernis jedoch über die Empfehlung hinaus auch auf ein bestehendes Netzwerk 33, dem der Prüfer bzw. die Prüfungsgesellschaft angehört (vgl. Art. 22 Abs. 2 S. 1).34 Art. 22 Abs. 4 i.V.m. Art. 48 Abs. 2a ermächtigt die Kommission, i.R.d. Komitologieverfahrens nach dem Komitologiebeschluss bzw. der Komitologie-VO (dazu bereits allg. § 3 Rn. 70 ff.) Durchführungsmaßnahmen zu erlassen.35 Hervorzuheben sind ferner die Grundprinzipien für Prüfungshonorare in Art. 25.36 9 Zusätzliche Anforderungen gelten für Prüfer und Prüfungsgesellschaften, die Unternehmen von öffentlichem Interesse 37 prüfen. Gem. Art. 40 müssen sie jährlich einen umfassenden Transparenzbericht veröffentlichen, der nicht nur allgemein Einblick in die Verhältnisse des Prüfers/der Prüfungsgesellschaft und ggf. das Netzwerk gibt, sondern insbesondere auch Transparenz hinsichtlich der Wahrung der Unabhängigkeitsanforderungen schaffen soll.38 Weiterhin müssen sie gem. Art. 42 Abs. 1 jährlich schriftlich gegenüber dem Prüfungsausschuss (dazu u. Rn. 18 f.) ihre Unabhängigkeit erklären (lit. a), diesen über gegenüber dem geprüften Unternehmen erbrachte zusätzliche Leistungen informieren (lit. b) und mit ihm Risiken für ihre Unabhängigkeit und diesbezügliche Schutzmaßnahmen erörtern (lit. c). Im Hinblick auf die umstrittene Problematik der internen/externen Rotation – die auch i.R.d. aktuellen Reformbestrebungen erneut kontrovers diskutiert wird39 – beschränkte sich die RL letztlich40 auf die Vorgabe einer internen Rotation: Der verantwortliche Prüfungspartner 41 muss spätestens nach 7 Jahren wechseln und darf das Unternehmen frühestens nach 2 Jahren wieder prüfen (Art. 42 Abs. 2); Erwägungsgrund 26 S. 3 stellt allerdings klar, dass es den Mitgliedstaaten frei steht, zusätzlich auch eine externe Rotation (d.h. eine Auswechslung der Prüfungsgesellschaft) zu verlangen.42 Schließlich normiert Art. 42 Abs. 3 eine cooling off-Periode von 2 Jahren für den Wechsel des

33 Legaldefinition in Art. 2 Nr. 7. 34 Vgl. dazu Inwinkl/Kortenbusch/Schneider Konzern 2008, 215, 216 f.; Klein/Klaas WPg 2006, 885, 886; Lanfermann DB 2005, 2645, 2646; Naumann/Feld WPg 2006, 873, 881 f.; Tiedje WPg 2006, 593, 596. 35 Vgl. dazu Klein/Klaas WPg 2006, 885, 890; Lanfermann DB 2005, 2645, 2646 f.; Tiedje WPg 2006, 593, 596. 36 Vgl. dazu Lanfermann DB 2005, 2645, 2647; Tiedje WPg 2006, 593, 596 f. 37 Legaldefinition in Art. 2 Nr. 13. 38 Vgl. dazu Tiedje WPg 2006, 593, 601. 39 Vgl. Frage 29 des Grünbuchs 2010 (dazu u. Rn. 23 f.). 40 Art. 40 lit. c KOM-Entwurf (Fn. 9) hatte noch ein Mitgliedstaatenwahlrecht zwischen einer internen Rotation mit einer Frist von 5 Jahren und einer externen Rotation mit einer Frist von 7 Jahren vorgesehen, vgl. dazu Lanfermann DB 2004, 609, 611 f.; Niehus DB 2004, 885 ff. 41 Legaldefinition in Art. 2 Nr. 16. 42 Vgl. dazu Habersack NZG 2007, 207, 208, 211; Klein/Klaas WPg 2006, 885, 891; Lanfermann DB 2005, 2645, 2648; Tiedje WPg 2006, 593, 601; Weber AG 2005, 877 ff.

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Prüfers bzw. verantwortlichen Prüfungspartners in eine Führungsposition in dem geprüften Unternehmen. Im deutschen Recht waren die Unabhängigkeitsvorschriften bereits auf der Basis 10 der Empfehlung 2002/590/EG (dazu o. Rn. 8) und des RL-Entwurfs43 durch das BilReG44 umfassend reformiert worden (§§ 319, 319a HGB n.F.). I.R.d. BilMoG 45 waren daher nur noch Ergänzungen46 erforderlich.47 Hervorzuheben ist insoweit speziell die netzweitweite Ausdehnung der Unabhängigkeitsregeln durch § 319b HGB n.F. Eine über die – in Umsetzung von Art. 42 Abs. 2 nun in § 319a Abs. 1 S. 1 Nr. 4 HGB geregelte – Pflicht zur internen Rotation hinausgehende Pflicht auch zur externen Rotation hat der Gesetzgeber weiterhin48 nicht vorgesehen. Die 2jährige cooling off-Periode wurde in § 43 Abs. 3 WPO n.F. geregelt.49

c) Prüfungsstandards Eine weitere Vereinheitlichung erfolgte im Hinblick auf die International Standards 11 on Auditing (ISA). Dabei handelte es sich um internationale Prüfungsgrundsätze, die vom IAASB50, einem privatrechtlich organisierten Standardsetzungsgremium, erarbeitet werden.51 Nach Art. 26 kann ihre Anwendung verbindlich vorgeschrieben werden.52 Dies ist zwar bisher noch nicht geschehen (d.h. bislang gelten noch die nationalen Prüfungsstandards53), doch ist damit zu rechnen. Die Kommission hat nach Evaluation zweier von ihr in Auftrag gegebener Studien54 bereits 2009 eine Konsulta-

43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54

Fn. 9. Fn. 16. Fn. 20. §§ 319a Abs. 1 S. 1 Nr. 4, 319b, 320 Abs. 4, § 321 Abs. 4a HGB; §§ 43 Abs. 3, 51b Abs. 4 S. 2 WPO; § 171 Abs. 1 S. 3 AktG. Vgl. BegrRegE z. BilMoG, BR-Drs. 344/08, S. 83 f. Im BilReG wurde hiervon bewusst abgesehen, da die Nachteile einer solchen Regelung die Vorteile überwiegen und die externe Rotation auch im internationalen Vergleich eher unüblich sei, vgl. BegrRegE z. BilReG, BT-Drs. 15/3419, S. 42. Vgl. BegrRegE z. BilMoG, BR-Drs. 344/08, S. 240. International Auditing and Assurance Standards Board. Webseite: http://ifac.org/ IAASB/. Vgl. auch die Definition in Art. 2 Nr. 11. Vgl. dazu Heininger WPg 2010, 15 ff.; Inwinkl/Kortenbusch/Schneider Konzern 2008, 215, 217 f.; Klein/Klaas WPg 2006, 885, 886 f., 892 f.; Lanfermann DB 2005, 2645, 2647; Naumann/Feld WPg 2006, 873, 883 f.; Tiedje WPg 2006, 593, 597 ff. Vgl. Hopt/Merkt in: Baumbach/Hopt, HGB, 34. Aufl. 2010, § 317 Rn. 11; Erchinger/ Melcher Beil. 5 zu DB 23/2009, 91, 92. Universität Duisburg-Essen, Evaluation of the Possible Adoption of International Standards on Auditing (ISAs) in the EU, Final Report, 12.6.2009; Maastricht Accounting, Auditing and Information Management Research Center (MARC), Evaluation of the differences between International Standards on Auditing (ISA) and the standards of the US Public Company Accounting Oversight Board (PCAOB), Final Report, 20.7.2009; beide abrufbar unter http://ec.europa.eu/internal_market/auditing/isa/index_de.htm.

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tion zur Übernahme der ISA durchgeführt 55 und diesen Fragenkomplex dann anschließend auch in das Grünbuch 2010 (dazu u. Rn. 23) aufgenommen.56 Für die etwaige Anerkennung, die in Form einer VO erfolgt (Art. 26 Abs. 1 S. 2), wird das Komitologieverfahren (dazu bereits allg. § 3 Rn. 70 ff.) zur Anwendung kommen (Art. 26 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 Unterabs. 2 i.V.m. Art. 48 Abs. 2a).

d) Qualitätssicherung 12 Um eine gleich bleibende hohe Prüfungsqualität zu gewährleisten57, sieht Art. 29 vor, dass alle Abschlussprüfer und Prüfungsgesellschaften einem externen Qualitätssicherungssystem unterliegen müssen, das die dort näher spezifizierten Kriterien erfüllt. Die Qualitätssicherungsprüfung hat grundsätzlich mindestens alle 6 Jahre (Art. 29 Abs. 1 lit. h), bei Prüfern oder Prüfungsgesellschaften, die Unternehmen von öffentlichem Interesse58 prüfen, mindestens alle 3 Jahre zu erfolgen (Art. 43). Die Einrichtung solcher Systeme war bereits durch die Empfehlung 2001/256/EG59 empfohlen worden und auf dieser Basis auch in allen Mitgliedstaaten (vgl. zur Rechtslage in Deutschland u. Rn. 13) erfolgt 60. Durch Art. 29 wurden die Anforderungen an solche Systeme nun aber nicht nur verbindlich vorgeschrieben, sondern auch deutlich verschärft.61 Für Prüfer und Prüfungsgesellschaften, die Unternehmen von öffentlichem Interesse prüfen, hat die Kommission in der Empfehlung 2008/362/EG62 zusätzliche Leitlinien nahe gelegt. 13 In Deutschland war ein externes Qualitätssicherungssystem für Wirtschaftsprüfer in Anlehnung an das US-Vorbild 63 bereits durch das WPOÄG v. 19.12.2000 64 eingeführt worden (§§ 57a–57h WPO, § 319 Abs. 2 S. 2 Nr. 2, Abs. 3 Nr. 7 HGB a.F.). Nach Anpassungen durch das BilRegE 65 (§§ 319, 319a HGB n.F.) und das APAG 66

55 Konsultationsdokument und -ergebnisse abrufbar unter http://ec.europa.eu/internal_ market/consultations/2009/isa_en.htm. 56 Vgl. Frage 14 des Grünbuchs 2010 (dazu u. Rn. 23 f.). 57 Vgl. Erwägungsgrund 17 S. 1. 58 Legaldefinition in Art. 2 Nr. 13. 59 Empfehlung 2001/256/EG v. 15.11.2000. Mindestanforderungen an Qualitätssicherungssysteme für die Abschlussprüfung in der EU, ABlEG v. 31.3.2001, L 91/91. 60 Vgl. KOM(2004) 177, S. 7; Tiedje WPg 2006, 593, 599. 61 Vgl. Lanfermann DB 2005, 2645, 2647; Tiedje WPg 2006, 593, 599. 62 Empfehlung 2008/362/EG der Kommission v. 6.5.2008 zur externen Qualitätssicherung bei Abschlussprüfern und Prüfungsgesellschaften, die Unternehmen von öffentlichem Interesse prüfen, ABlEU v. 7.5.2008, L 120/20. Vgl. dazu Heininger WPg 2008, 535, 540 f. 63 Vgl. BegrRegE z. WPOÄG, BR-Drs. 255/00, S. 29. 64 Gesetz zur Änderung von Vorschriften über die Tätigkeit der Wirtschaftsprüfer (Wirtschaftsprüferordnungs-Änderungsgesetz – WPOÄG) v. 19.12.2000, BGBl. I, 1769. 65 Fn. 16. 66 Fn. 17.

Die Abschlussprüferrichtlinie

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(§ 55b WPO n.F., Änderungen in §§ 57a ff. WPO) erfolgten zur Umsetzung der RL durch BARefG67 weitere Neujustierungen (§§ 55b S. 1, 55c WPO n.F., Änderungen in §§ 57a ff. WPO).68

e) Haftung Zwar finden sich in der RL unmittelbar keine Regelungen zur Haftung des Prüfers; 14 Art. 3169 verpflichtete die Kommission jedoch zur Vorlage eines Berichts und ggf. anschließend einer Empfehlung. Die Kommission präsentierte dementsprechend bereits 2006 eine von ihr in Auftrag gegebene Studie 70, führte anschließend eine Konsultation durch 71 und verabschiedete schließlich am 5.6.2008 eine Empfehlung zur Beschränkung der zivilrechtlichen Haftung von Abschlussprüfern und Prüfungsgesellschaften.72 Darin wird zunächst allgemein empfohlen, dass die Haftung außer bei vorsätzlich pflichtwidrigem Handeln beschränkt sein (Ziff. 2) und dass diese Haftungsbegrenzung sowohl gegenüber dem geprüften Unternehmen als auch gegenüber Dritten gelten sollte (Ziff. 3). Anschließend werden drei alternative Methoden der Haftungsbeschränkung empfohlen (Ziff. 5): (a) finanzieller Höchstbetrag („cap“) (oder Formel für dessen Berechnung), (b) Proportionalhaftungsregelung (c) Zulassung einer Haftungsbeschränkungsvereinbarung. Das deutsche Recht verbietet zwar eine vertragliche Haftungsbeschränkung (§ 323 15 Abs. 4 HGB), sieht aber in § 323 Abs. 2 HGB für die Haftung gegenüber der zu prüfenden Gesellschaft bei fahrlässigem Handeln eine Haftungsobergrenze von 1 Mio. Euro bzw. bei Prüfung einer AG, deren Aktien zum Handel im regulierten Markt zugelassen sind, von 4 Mio. Euro vor. Ob diese Haftungsobergrenze auch für die Dritthaftung gilt, ist streitig.73 67 Fn. 19. 68 Überblick zur Entwicklung in Deutschland bei Clauß in: Hense/Ulrich, WPO-Kommentar, 2008, Vor §§ 57a ff. Rn. 1 ff. m.w.N. 69 Vgl. Entstehungsgeschichte der Norm Ebke FS Westermann, 2008, S. 873, 882 ff.; Klein/Klaas WPg 2006, 885, 893; Tiedje WPg 2006, 593, 604 f. 70 London Economics in association with Prof. Ralf Ewert, Study on the Economic Impact of Auditors’ Liability Regimes. Final Report, Sep. 2006, abrufbar unter http://ec.europa.eu/ internal_market/auditing/docs/liability/auditors-final-report_en.pdf. Vgl. dazu Beckman/Nass (2007) 4 ECL 103 ff.; Ebke FS Westermann, 2008, S. 873, 884 ff. 71 Konsultationsdokument und -ergebnisse abrufbar unter http://ec.europa.eu/internal_ market/auditing/liability/index_de.htm. Vgl. dazu Doralt/Hellgardt/Hopt/Leyens/Roth/ Zimmermann (2008) 67 CLJ 62 ff.; Ebke FS Westermann, 2008, S. 873, 888 ff.; Velte/ Lechner/Kusch DStR 2007, 1494 ff. 72 Empfehlung 2008/473/EG der Kommission v. 5.6.2008 zur Beschränkung der zivilrechtlichen Haftung von Abschlussprüfern und Prüfungsgesellschaften, ABlEU v. 21.6.2008, L 162/39. Dazu Ferran FS Westermann, 2010, S. 645, 646 ff.; Schattka GPR 2008, 193 ff. 73 Dafür BGH NJW 1998, 1948, 1951; Winkeljohann/Feldmüller in: Beck’scher BilanzKommentar, 7. Aufl. 2010, § 323 HGB Rn. 193; Schmölz VersR 2009, 1433, 1436; dagegen Habersack/Schürnbrand in: Staub, HGB, 5. Aufl. 2010, § 323 Rn. 61; Hopt/Merkt (Fn. 53), § 323 Rn. 9; Kindler/Otto BB 2006, 1443, 1444.

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f) Aufsicht 16 Anders als ihre Vorgängerin harmonisiert die RL in Art. 32–36 nun auch die öffentliche Aufsicht über Abschlussprüfer und Prüfungsgesellschaften. Angesichts der divergierenden nationalen Ansätze wurde zwar bewusst von der Vorgabe eines detaillierten Modells für die Ausgestaltung abgesehen74, Art. 32 formuliert aber zumindest eine Reihe von Grundprinzipien.75 Nach Art. 34 gilt für die Aufsicht das Herkunftslandprinzip.76 Art. 33 verpflichtet die Mitgliedstaaten allgemein dazu sicherzustellen, dass eine effektive Kooperation der nationalen Aufsichtsstellen möglich ist; Art. 35 regelt speziell die Zusammenarbeit in Bezug auf Zulassung, Registrierung, Qualitätssicherung und Berufsaufsicht.77 17 In Deutschland wurde die Aufsicht über die Wirtschaftsprüferkammern bereits m.W.v. 1.1.2005 durch das APAG 78 auf die damals neu geschaffene berufsstandsunabhängige Abschlussprüferaufsichtskommission (APAK) übertragen (vgl. § 66a WPO). Die zur Umsetzung der RL-Vorgaben i.Ü. erforderlichen Anpassungen erfolgten durch das BARefG v. 3.9.2007 79, das insbesondere eine erhebliche Erweiterung der Befugnisse der APAK brachte 80.81

g) Prüfungsausschuss und „unabhängiger Finanzexperte“ 18 In ihrem Art. 41 (dazu auch bereits § 18 Rn. 19, 26, 29, 40, 42) geht die RL über ihr eigentliches Anliegen einer Sicherung der Qualität der Abschlussprüfung hinaus. Art. 41 Abs. 1 Unterabs. 1 S. 1 verlangt nämlich im Grundsatz für alle Unternehmen von öffentlichem Interesse 82 die Einrichtung eines Prüfungsausschusses (audit committee) 83, der die in Abs. 2–4 spezifizierten Funktionen84 wahrnimmt. Außerdem

74 Vgl. KOM(2004) 177, S. 8. 75 Vgl. dazu Heininger WPg 2008, 535 f.; Lanfermann DB 2005, 2645, 2649; Tiedje WPg 2006, 593, 600. 76 Vgl. dazu Heininger WPg 2008, 535, 536; Tiedje WPg 2006, 593, 600. 77 Vgl. dazu Lanfermann DB 2005, 2645, 2649 f. 78 Fn. 17. 79 Fn. 20. 80 Vgl. dazu Heininger WPg 2008, 535, 537 ff.; Marten/Köhler/Paulitschek Beil. zu BB 17/2006, 23, 28 ff.; Naumann/Feld WPg 2006, 873, 878 ff. 81 Überblick über die Kontrolle nach §§ 57a–57h WPO nach aktueller Rechtslage: Kuhner ZGR 2010, 980, 1003 ff.; zur Rechtsentwicklung bei Grabarse/Wilde in: Hense/Ulrich, WPO-Kommentar, 2008, § 61a Rn. 1 ff. m.w.N. 82 Legaldefinition in Art. 2 Nr. 13. 83 Vgl. dazu Inwinkl/Kortenbusch/Schneider Konzern 2008, 215, 219; Lanfermann DB 2005, 2645, 2649; Lanfermann/S. Maul DB 2006, 1505 f.; Mouthaan (2007) 4 ECL 10 ff.; Nonnenmacher/Pohle/von Werder DB 2007, 2412; Tiedje WPg 2006, 593, 601 f. 84 Vgl. dazu Inwinkl/Kortenbusch/Schneider Konzern 2008, 215, 219; Lanfermann DB 2005, 2645, 2649; ders. BB 2011, 937 f.; Lanfermann/S. Maul DB 2006, 1505, 1508 ff.; Nonnenmacher/Pohle/von Werder DB 2007, 2412 ff.; Tiedje WPg 2006, 593, 602.

Die Abschlussprüferrichtlinie

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muss in diesem Prüfungsausschuss gem. Art. 41 Abs. 1 Unterabs. 1 S. 3 mindestens ein Mitglied unabhängig sein und über Sachverstand in der Rechnungslegung und/oder der Abschlussprüfung verfügen (sog. „unabhängiger Finanzexperte“/„independent financial expert“).85 Art. 41 Abs. 1 Unterabs. 2 eröffnet den Mitgliedstaaten allerdings die Option zu gestatten, dass die dem Prüfungsausschuss zugewiesenen Funktionen durch das Verwaltungs- oder Aufsichtsorgan als Ganzes wahrgenommen werden86; Abs. 5 und 6 enthalten bestimmte Ausnahme- und Befreiungsmöglichkeiten87. All dies hat mit der Abschlussprüfung i.e.S. nichts zu tun, sondern dient der Verbesserung der Corporate Governance börsennaher Gesellschaften mit dem Ziel, ihre eigene interne Leistungsfähigkeit auf dem Gebiet der Rechnungslegung und deren Qualität zu steigern.88 Die RL stuft damit letztlich zumindest einen Ausschnitt der Empfehlungen zum Prüfungsausschuss in der Empfehlung 2005/162/EG89 (dazu näher § 18 Rn. 18 ff.) zu verbindlichen RL-Vorgaben hoch (vgl. auch bereits § 18 Rn. 19). Erwägungsgrund 24 S. 2 ruft die Mitgliedstaaten denn auch explizit dazu auf, diese Empfehlung (ergänzend) zu berücksichtigen 90; so können und sollen etwa insbesondere auch die in Ziff. 13.1 und Anh. II normierten Zielvorgaben und Leitlinien betreffend die „Unabhängigkeit“ (dazu § 18 Rn. 32 f.) für die Interpretation des „unabhängigen Finanzexperten“ herangezogen werden91. Die Vorgaben des Art. 41 wurden in Deutschland 2009 durch das BilMoG92 19 insbesondere mit den neuen §§ 100 Abs. 5, 107 Abs. 4 AktG 93 sowie (als Auffang-

85 Vgl. dazu AKEIÜ DB 2007, 2129, 2130; Lanfermann/S. Maul DB 2006, 1505, 1508. 86 Vgl. auch Erwägungsgrund 24 S. 3. Dazu AKEIÜ DB 2007, 2129; Lanfermann/S. Maul DB 2006, 1505, 1507. 87 Vgl. dazu AKEIÜ DB 2007, 2129 f.; Inwinkl/Kortenbusch/Schneider Konzern 2008, 215, 219; Lanfermann/S. Maul DB 2006, 1505, 1507; Tiedje WPg 2006, 593, 602. 88 Vgl. auch Erwägungsgrund 24 S. 1; KOM(2004) 177, S. 8 f. 89 Empfehlung 2005/162/EG der Kommission vom 15.02.2005 zu den Aufgaben von nicht geschäftsführenden Direktoren/Aufsichtsratsmitgliedern börsennotierter Gesellschaften sowie zu den Ausschüssen des Verwaltungs-/Aufsichtsrats, ABlEU v. 25.2.2005, L 52/51. 90 Die deutsche Sprachfassung „berufen“ ist falsch übersetzt (vgl. englisch: „have regard to“, französisch: „prendre en considération“). 91 Vgl. AKEIÜ DB 2007, 2129, 2130 f.; Habersack FS Goette, 2011, S. 121, 126 f.; Lanfermann/S. Maul DB 2005, 1505, 1508; s. ferner auch BegrRegE z. BilMoG, BR-Drs. 344/08, S. 223 f. 92 Fn. 20. 93 Vgl. dazu näher OLG München ZIP 2010, 1082 m. Anm. Mense EWiR 2010, 591 f.; Bürgers/Schiha AG 2010, 221, 227 ff.; Diekmann/Bidmon NZG 2009, 1087 ff.; Erchinger/ Melcher DB 2008, Beil. 1, 56, 59 f.; dies., DB 2009, Beil. 5, 91, 95 ff.; Ernst/Seidler ZGR 2008, 631, 662 ff.; v. Falkenhausen/Kocher ZIP 2009, 1601 ff.; Gesell ZGR 2011, 361 ff.; Habersack FS Goette, 2011, S. 121, 125 ff.; Kropff FS K. Schmidt, 2009, S. 1023 ff.; Lieder (2010) 11 GLJ 115, 140 f.; Lüer FS Maier-Reimer, 2010, S. 385 ff.; Lutter EuZW 2009, 799, 802; Nonnenmacher/Pohle/v. Werder DB 2009, 1447 ff.; J. Schmidt, Die Evolution des deutschen Konzernrechts – 42. DJT (1957) und 59. DJT (1992), in: Bayer (Hrsg.), Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht in den Beratungen des Deutschen Juristentages, 2010, S. 407, 471; dies. Der Aufsichtsrat in der Diskussion – 28. DJT (1906) –, in: Bayer (Hrsg.), Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht in den Beratungen des Deutschen Juristen-

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norm94) § 324 HGB und eine Reihe weiterer Sonderregelungen95 umgesetzt; zudem wurde auch Ziff. 5.3.2 DCGK angepasst 96 (s. auch bereits § 18 Rn. 29, 42).

h) Internationale Aspekte/Drittstaaten 20 Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass sich in der RL nun auch eingehendere Regelungen im Hinblick auf internationale Aspekte/Drittstaaten finden. Geregelt wird zunächst in Art. 44 die Zulassung von Prüfern aus Drittstaaten: Sie darf auf der Grundlage der Gegenseitigkeit erfolgen, wenn die Prüfer nachweisen können, dass sie Voraussetzungen erfüllen, die denjenigen nach Art. 4, 6–13 gleichwertig sind.97 21 Art. 45 f. regeln die Registrierung und Aufsicht von Prüfern und Prüfungsunternehmen aus Drittstaaten, die für den Jahresabschluss bzw. konsolidierten Abschluss eines außerhalb der Union eingetragenen Unternehmens, dessen übertragbare Wertpapiere zum Handel auf einem geregelten Markt in einem Mitgliedstaat zugelassen sind, einen Bestätigungsvermerk erteilen. Die Registrierung von Prüfungsunternehmen aus Drittstaaten, die Voraussetzung für die rechtliche Wirksamkeit des Bestätigungsvermerks ist (vgl. Art. 45 Abs. 4), darf gem. Art. 45 Abs. 5 nur erfolgen, wenn diese in Bezug auf die dort spezifizierten Punkte Qualitätsstandards erfüllen, die den Anforderungen der RL gleichwertig sind. Nach Art. 46 Abs. 1 können Prüfer und Prüfungsgesellschaften aus Drittstaaten, die gleichwertige unabhängige Aufsichtssysteme haben, von der Registrierung und Aufsicht ausgenommen werden; die Kommission kann gem. Art. 46 Abs. 2 i.V.m. Art. 48 Abs. 2 im Komitologieverfahren nach dem Komitologiebeschluss bzw. der Komitologie-VO (dazu bereits allg. § 3 Rn. 70 ff.) über die Gleichwertigkeit entscheiden. Nachdem die Kommission zunächst mit der Entscheidung 2008/627/EG98 eine Übergangsregelung getroffen hatte, hat sie durch den Beschluss 2011/30/EU v. 19.1.201199 für 10 Drittstaaten die Gleichwertig-

94 95 96 97 98 99

tages, 2010, S. 159, 183 f.; Staake ZIP 2010, 1013 ff.; E. Vetter ZGR 2010, 751 ff.; ders. FS Maier-Reimer, 2010, S. 795 ff.; Weber-Rey AG 2008, 345, 347 ff.; Widmann BB 2009, 2602 ff. Vgl. Hopt/Merkt (Fn. 53), § 324 Rn. 1; Habersack AG 2008, 98, 101 ff.; s. ferner auch BegrRegE z. BilMoG, BR-Drs. 344/08, S. 202. §§ 340k Abs. 5, 341k Abs. 4 HGB n.F.; §§ 124 Abs. 3 S. 2, 171 Abs. 1 S. 3 AktG n.F.; § 52 Abs. 1 S. 1 GmbHG n.F.; §§ 36 Abs. 4, 38 Abs. 1a GenG; § 19 Abs. 1 S. 3, Abs. 4 SCEAG; §§ 27 Abs. 1 S. 4, 34 Abs. 4 S. 4 u. 5 SEAG. Näher zu Ziff. 5.3.2 DCGK Kremer in: Ringleb/Kremer/Lutter/v. Werder, DCGK, 4. Aufl. 2010, Rn. 986 ff. Vgl. dazu Inwinkl/Kortebusch/Schneider Konzern 2008, 215, 220. Entscheidung 2008/627/EG der Kommission v. 29.7.2008 betreffend eine Übergangsfrist für Abschlussprüfungstätigkeiten bestimmter Drittlandabschlussprüfer und -abschlussprüfungsgesellschaften, ABlEU v. 31.7.2008, L 202/70. Beschluss 2011/30/EU der Kommission v. 19.1.2011 über die Gleichwertigkeit bestimmter drittstaatlicher Aufsichts-, Qualitätssicherungs-, Untersuchungs- und Sanktionssysteme für Abschlussprüfer und Abschlussprüfungsgesellschaften und über eine Übergangsfrist für Prüfungstätigkeiten bestimmter drittstaatlicher Abschlussprüfer und Ab-

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keit anerkannt 100 und in Bezug auf 20 weitere Drittstaaten101 eine weitere Übergangsregelung vorgesehen. In Deutschland wurde zur Umsetzung der Art. 45 f. durch das BARefG102 ein neuer § 134 WPO eingeführt.103 Zum anderen wird nun in Art. 47 die Zusammenarbeit mit zuständigen Stellen 22 in Drittstaaten geregelt, speziell der Austausch von Arbeitspapieren und anderen Dokumenten.104 Voraussetzung hierfür ist insbesondere die Angemessenheit 105 der zuständigen Stelle des Drittstaats (vgl. Art. 47 Abs. 1 lit. c), über die die Kommission im Komitologieverfahren (dazu bereits allg. § 3 Rn. 70 ff.) entscheidet (Art. 47 Abs. 3). Bislang erfolgten zwei solche Beschlüsse: Mit dem Beschluss 2010/64/EU 106 wurde die Angemessenheit des Canadian Public Accountability Board, der japanischen Finanzaufsichtsbehörde („Financial Services Agency“) und des japanischen Certified Public Accountants and Auditing Oversight Board anerkannt; mit dem Beschluss 2010/485/ EU107 die Angemessenheit der Australian Securities and Investments Commission, des Public Company Accounting Oversight Board (PCAOB) der USA sowie der Securities and Exchange Commission (SEC) der USA.

III. Reformpläne: Das Grünbuch vom 13.10.2010 Am 13.10.2010 hat die Kommission ein Grünbuch zum Thema „Weiteres Vorgehen 23 im Bereich der Abschlussprüfung: Lehren aus der Krise“108 veröffentlicht und um Stellungnahmen gebeten. Diese sind in reichem Maße erfolgt (688 Stellungnahmen)

100 101 102 103 104 105

106 107 108

schlussprüfungsgesellschaften in der Europäischen Union, ABlEU v. 20.1.2011, L 15/12. Vgl. dazu Böhm GmbHR 2011, R58. Australien, China, Japan, Kanada, Kroatien, Singapur, Südafrika, Südkorea, Schweiz, USA. Abu Dhabi, Ägypten, Bermuda, Brasilien, Dubai International Financial Centre, Guernsey, Hongkong, Indien, Indonesien, Insel Man, Israel, Jersey, Kaimaninseln, Malaysia, Mauritius, Neuseeland, Russland, Taiwan, Thailand, Türkei. Fn. 19. Vgl. BegrRegE z. BARefG, BT-Drs. 16/2858, S. 43 f. Vgl. dazu Lanfermann DB 2005, 2645, 2650; Tiedje WPg 2006, 593, 603. Die deutsche Terminologie ist insofern etwas misslich; es geht eigentlich nicht um die „Angemessenheit der zuständigen Stelle“, sondern darum, dass die zuständige Stelle des Drittstaats die Anforderungen erfüllt, die nach Art. 47 Abs. 3 für angemessen erklärt wurden (vgl. Art. 47 Abs. 1 lit. c). Beschluss 2010/64/EU der Kommission v. 5.2.2010 über die Angemessenheit der zuständigen Stellen bestimmter Drittländer gemäß der Richtlinie 2006/43/EG des Europäischen Parlaments und des Rates, ABlEU v. 6.2.2010, L 35/15. Beschluss 2010/485/EU der Kommission v. 1.9.2010 über die Angemessenheit der zuständigen Stellen Australiens und der Vereinigten Staaten von Amerika gemäß der Richtlinie 2006/43/EG des Europäischen Parlaments und des Rates, ABlEU v. 11.9.2010, L 240/6. Grünbuch. Weiteres Vorgehen im Bereich der Abschlussprüfung: Lehren aus der Krise, 13.10.2010, KOM(2010) 561.

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und von der Kommission inzwischen ausgewertet worden.109 Überhaupt ist das Grünbuch in Praxis und Schrifttum auf breite – teils allerdings auch äußerst kritische – Resonanz110 gestoßen. Der Sache nach geht es der Kommission erneut um die Sicherung der Qualität der Abschlussprüfung und die Unabhängigkeit der Abschlussprüfer. 24 In diesem Kontext wurden von ihr im Grünbuch insgesamt 38 Fragen angesprochen, wobei die Folgenden von besonderem Interesse sein werden: (4) Sind Sie der Auffassung, dass Abschlussprüfungen Gewissheit über die finanzielle Solidität von Unternehmen verschaffen sollten? Können Abschlussprüfer einen solchen Zweck erfüllen? (5) Sollte die verwendete Prüfungsmethode den Nutzern besser erklärt werden, um Erwartungsinkongruenzen vorzubeugen und die Funktion von Abschlussprüfungen zu präzisieren? (11) Sollte der Abschlussprüfer den Interessengruppen regelmäßiger Informationen zur Verfügung stellen? Sollten darüber hinaus die zeitlichen Lücken zwischen Jahresende und dem Zeitpunkt des Prüfungsurteils verkleinert werden? (14) Sollten die ISA EU-weit verbindlich vorgeschrieben werden? Wenn ja, sollte für die Übernahme das gleiche Verfahren gewählt werden wie es derzeit bei den International Financial Reporting Standards (IFRS) angewendet wird? Oder sollte angesichts der weitverbreiteten Nutzung der ISA in der EU alternativ dazu ihre Nutzung weiter durch nicht zwingende Rechtsinstrumente (Empfehlungen, Verhaltenskodex) gefördert werden? (15) Sollten die ISA weiter an die Bedürfnisse von KMU und KMP angepasst werden? (16) Ist die Tatsache, dass der Prüfer vom geprüften Unternehmen bestellt und vergütet wird, problematisch? Welche alternativen Vereinbarungen würden Sie in diesem Zusammenhang empfehlen? (17) Wäre die Bestellung durch einen Dritten in bestimmten Fällen gerechtfertigt? (18) Sollten „Daueraufträge“ für Prüfungsgesellschaften zeitlich begrenzt werden? Wenn ja, wie sollte die Höchstdauer eines Prüfungsauftrages aussehen? (19) Sollte die Erbringung von Nichtprüfungsleistungen durch Prüfungsgesellschaften verboten werden? Sollte ein solches Verbot für alle Prüfungsgesellschaften und ihre Kunden gelten oder nur für bestimmte Typen von Instituten, wie z.B. systemrelevante Finanzinstitute? (20) Sollte die Höchstvergütung, die eine Prüfungsgesellschaft von einem einzigen Kunden erhalten darf, reguliert werden? (28) Könnten ihrer Meinung nach die Schaffung obligatorischer Audit-Konsortien unter Einbeziehung mindestens einer kleineren, systemunrelevanten Prüfungsgesellschaft

109 Stellungnahmen sowie Zusammenfassung abrufbar unter http://ec.europa.eu/internal_ market/consultations/2010/green_paper_audit_en.htm. 110 Vgl. Arbeitskreis Bilanzrecht Hochschullehrer Rechtswissenschaft NZG 2011, 176 f.; Eisenhardt/Wader DStR 2010, 2532 ff.; Hakelmacher WPg 2011, 201 ff.; HakeKämpfer/Kayser/S. Schmidt DB 2010, 2457 ff.; Köhler/Ruhnke/M. Schmidt DB 2011, 773 ff.; Lanfermann BB 2011, 489 f.; ders. BB 2011, 937 ff.; Max-Planck-Arbeitsgruppe zur Unabhängigkeit der Abschlussprüfer ZIP 2011, 459 f.; Niemann DStR 2010, 2368 ff.; Winkeljohann DB 2010, M1.

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als Katalysator für die Dynamik des Audit-Markts wirken und kleineren sowie mittleren Prüfungsgesellschaften eine umfassendere Teilnahme im Segment größerer Audits gestatten? (29) Halten Sie im Hinblick auf die Verstärkung der Struktur der Audit-Märkte einen obligatorischen Prüferwechsel und eine Ausschreibung nach einem bestimmten Zeitraum für angebracht? Wie lang sollte dieser Zeitraum sein? (36) Sollte es eine Schutzzone geben, wenn es um ein mögliches Verbot der Erbringung von Nichtprüfungsleistungen für KMU-Kunden in der Zukunft geht?

Ein Legislativvorschlag wurde von Kommissar Barnier für November 2011 ange- 25 kündigt.111

IV. Fundstellenverzeichnis Grundlage:

Art. 50 Abs. 2 lit. g AEU [G Art. 44 Abs. 2 lit. g EG]

Vorschlag:

Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Prüfung des Jahresabschlusses und des konsolidierten Abschlusses und zur Änderung der Richtlinien 78/660/EWG und 83/349/EWG des Rates, 16.3.2004, KOM(2004) 177

verabschiedete Fassung:

RL 2006/43/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 17.5.2006 über Abschlussprüfungen von Jahresabschlüssen und konsolidierten Abschlüssen, zur Änderung der Richtlinien 78/660/EWG und 83/349/EWG des Rates und zur Aufhebung der Richtlinie 84/253/EWG des Rates, ABlEU v. 9.6. 2006, L 157/87

geändert durch:

RL 2008/30/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 11.3.2008 zur Änderung der Richtlinie 2006/43/EG über Abschlussprüfungen von Jahresabschlüssen und konsolidierten Abschlüssen im Hinblick auf die der Kommission übertragenen Durchführungsbefugnisse, ABlEU v. 20.3.2008, L 81/53

Umsetzung in Deutschland: ursprüngliche Umsetzung

partiell antizipiert durch: Gesetz zur Einführung internationaler Rechnungslegungsstandards und zur Sicherung der Qualität der Abschlussprüfung (Bilanzrechtsreformgesetz – BilReG) v. 4.12.2004, BGBl. I, 3166 Gesetz zur Fortentwicklung der Berufsaufsicht über Abschlussprüfer in der Wirtschaftsprüferordnung (Abschlussprüferaufsichtsgesetz – APAG) v. 27.12.2004, BGBl. I, 3846

111 Vgl. SMN n° 60 (2011 – II), S. 10.

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i.Ü.: Gesetz zur Stärkung der Berufsaufsicht und zur Reform berufsrechtlicher Regelungen in der Wirtschaftsprüferordnung (Berufsaufsichtsreformgesetz – BARefG) v. 3.9.2007, BGBl. I, 2178 Gesetz zur Modernisierung des Bilanzrechts (Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz – BilMoG) v. 25.5.2009, BGBl. I, 1102 RL 2008/30/EG

spezielle Umsetzung nicht erforderlich

Die Abschlussprüferrichtlinie

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RICHTLINIE 2006/43/EG DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES vom 17. Mai 2006 über Abschlussprüfungen von Jahresabschlüssen und konsolidierten Abschlüssen, zur Änderung der Richtlinien 78/660/EWG und 83/349/EWG des Rates und zur Aufhebung der Richtlinie 84/253/EWG des Rates

DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT UND DER RAT DER EUROPÄISCHEN UNION – gestützt auf den Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, insbesondere auf Artikel 44 Absatz 2 Buchstabe g, auf Vorschlag der Kommission, nach Stellungnahme des Europäischen Wirtschaftsund Sozialausschusses(1), nach dem Verfahren des Artikels 251 des Vertrags(2), in Erwägung nachstehender Gründe: (1) Nach der Vierten Richtlinie 78/660/EWG des Rates vom 25. Juli 1978 über den Jahresabschluss von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen(3), der Siebenten Richtlinie 83/349/EWG des Rates vom 13. Juni 1983 über den konsolidierten Abschluss(4), der Richtlinie 86/635/EWG des Rates vom 8. Dezember 1986 über den Jahresabschluss und den konsolidierten Abschluss von Banken und anderen Finanzinstituten(5) und der Richtlinie 91/674/EWG des Rates vom 19. Dezember 1991 über den Jahresabschluss und den konsolidierten Abschluss von Versicherungsunternehmen(6) müssen der Jahresabschluss und der konsolidierte Abschluss von Personen geprüft werden, die zur Durchführung derartiger Prüfungen berechtigt sind. (2) In der Achten Richtlinie 84/253/EWG des Rates vom 10. April 1984 über die Zulassung der mit der Pflichtprüfung der Rechnungslegungsunterlagen beauftragten Personen(7) wurden die Bedingungen für die Zulassung dieser Personen festgelegt.

(1) ABl. C 157 vom 28.6.2005, S. 115. (2) Stellungnahme des Europäischen Parlaments vom 28. September 2005 (noch nicht im Amtsblatt veröffentlicht) und Beschluss des Rates vom 25. April 2006. 3 ( ) ABl. L 222 vom 14.8.1978, S. 11. Zuletzt geändert durch die Richtlinie 2003/51/EG des Europäischen Parlaments und des Rates (ABl. L 178 vom 17.7.2003, S. 16). (4) ABl. L 193 vom 18.7.1983, S. 1. Zuletzt geändert durch die Richtlinie 2003/51/EG. (5) ABl. L 372 vom 31.12.1986, S. 1. Zuletzt geändert durch die Richtlinie 2003/51/EG. (6) ABl. L 374 vom 31.12.1991, S. 7. Geändert durch die Richtlinie 2003/51/EG. (7) ABl. L 126 vom 12.5.1984, S. 20.

(3) Die fehlende Harmonisierung im Bereich der Abschlussprüfung war der Grund dafür, dass die Kommission 1998 in ihrer Mitteilung „Abschlussprüfung in der Europäischen Union: künftiges Vorgehen“(8) die Einsetzung eines Ausschusses für Fragen der Abschlussprüfung vorschlug, der durch enge Zusammenarbeit mit dem Berufsstand der Abschlussprüfer und den Mitgliedstaaten weitere Maßnahmen ausarbeiten sollte. (4) Auf der Grundlage der Arbeiten jenes Ausschusses veröffentlichte die Kommission am 15. November 2000 die Empfehlung „Mindestanforderungen an Qualitätssicherungssysteme für die Abschlussprüfung in der EU“(9) und am 16. Mai 2002 die Empfehlung „Unabhängigkeit des Abschlussprüfers in der EU: Grundprinzipien“(10). (5) Zweck der vorliegenden Richtlinie ist eine Harmonisierung der Anforderungen an die Abschlussprüfung auf hohem Niveau, wenn auch eine vollständige Harmonisierung nicht angestrebt wird. Der Mitgliedstaat, der eine Abschlussprüfung vorschreibt, kann strengere Anforderungen aufstellen, sofern in dieser Richtlinie nichts anderes vorgesehen ist. (6) Alle Befähigungsnachweise, die auf der Grundlage dieser Richtlinie von Abschlussprüfern erworben werden und zur Durchführung von Abschlussprüfungen berechtigen, sollten als gleichwertig betrachtet werden. Die Mitgliedstaaten sollten folglich nicht länger verlangen können, dass die Mehrheit der Stimmrechte an einer Prüfungsgesellschaft von Abschlussprüfern mit Zulassung in diesem Mitgliedstaat gehalten werden oder die Mehrheit der Mitglieder des Verwaltungsoder Leitungsorgans einer Prüfungsgesellschaft in diesem Mitgliedstaat zugelassen sein muss. (7) Die Abschlussprüfung erfordert angemessene Kenntnisse in Bereichen wie dem Gesellschaftsrecht, dem Steuerrecht und dem Sozialrecht. Diese Kenntnisse sollten vor Zulassung eines Abschlussprüfers aus einem anderen Mitgliedstaat geprüft werden. (8) Alle zugelassenen Abschlussprüfer und Prüfungsgesellschaften sollten zum Schutz Dritter in (8) ABl. C 143 vom 8.5.1998, S. 12. (9) ABl. L 91 vom 31.3.2001, S. 91. (10) ABl. L 191 vom 19.7.2002, S. 22.

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ein Register eingetragen werden, das öffentlich zugänglich ist und grundlegende Informationen über Abschlussprüfer und Prüfungsgesellschaften enthält. (9) Abschlussprüfer sollten höchsten ethischen Normen verpflichtet sein. Aus diesem Grund sollten sie Berufsgrundsätzen unterliegen, die sich zumindest auf die Funktion der Abschlussprüfer für das öffentliche Interesse, ihre Integrität und Unparteilichkeit sowie ihre fachliche Eignung und die gebotene Sorgfalt beziehen sollten. Die Funktion eines Abschlussprüfers für das öffentliche Interesse erwächst aus der Tatsache, dass ein breiter Kreis von Personen und Einrichtungen sich auf die Qualität seiner Arbeit verlässt. Eine gute Prüfungsqualität trägt zum ordnungsgemäßen Funktionieren der Märkte bei, indem die Integrität und Effizienz der Abschlüsse erhöht wird. Die Kommission kann Durchführungsmaßnahmen zu Berufsgrundsätzen als Mindeststandard beschließen. Dabei könnten die Grundsätze des Ethik-Kodexes der International Federation of Accountants (IFAC) berücksichtigt werden. (10) Abschlussprüfer und Prüfungsgesellschaften müssen über die Angelegenheiten ihrer Mandanten Stillschweigen bewahren. Sie sollten deshalb an strenge Regeln über die Verschwiegenheit und das Berufsgeheimnis gebunden sein, ohne dass dies der ordnungsgemäßen Durchsetzung dieser Richtlinie im Wege steht. Diese Regeln über die Verschwiegenheit gelten auch für Abschlussprüfer oder Prüfungsgesellschaften, die an einem bestimmten Prüfungsauftrag nicht mehr beteiligt sind. (11) Abschlussprüfer und Prüfungsgesellschaften sollten bei der Durchführung von Abschlussprüfungen unabhängig sein. Sie können das geprüfte Unternehmen über bei der Abschlussprüfung gewonnene Erkenntnisse informieren, sollten jedoch an den internen Entscheidungsprozessen des geprüften Unternehmens nicht mitwirken. Sollten sie in eine Situation kommen, in der die Gefahr für ihre Unabhängigkeit trotz der Schutzmaßnahmen, die zur Eindämmung dieser Gefahr ergriffen wurden, zu groß ist, sollten sie zurücktreten oder das Mandat ablehnen. Die Beurteilung, ob eine Beziehung besteht, die die Unabhängigkeit des Prüfers in Frage stellt, kann anders ausfallen für die Beziehung zwischen dem Prüfer und dem geprüften Unternehmen als für diejenige hinsichtlich dem Netzwerk und dem geprüften Unternehmen. Wenn eine Genossenschaft gemäß Artikel 2 Nummer 14 oder eine ähnliche Einrichtung im Sinne von Artikel 45 der Richtlinie 86/635/EWG nach nationalen Regelungen ein Mitglied einer Prüfungsorganisation ohne Gewinnerzielungsabsicht sein muss oder kann, kann ein objektiver, sachverständiger und informierter Dritter nicht zu dem Schluss gelangen, dass die Unabhängigkeit des Abschlussprüfers oder der Prüfungsgesellschaft durch die Mitgliedschaft bei der Durchführung einer Abschlussprüfung bei einem der Mitglieder gefährdet sein kann, vorausgesetzt, dass die Grundsätze der Unabhän-

gigkeit auf die Abschlussprüfer, die die Abschlussprüfung durchführen, sowie auf die Personen, die gegebenenfalls in der Lage sind, Einfluss auf die Abschlussprüfung zu nehmen, angewandt werden. Beispiele für die Gefahr für die Unabhängigkeit eines Abschlussprüfers oder einer Prüfungsgesellschaft sind eine mittelbare oder unmittelbare finanzielle Beteiligung an dem geprüften Unternehmen und die Erbringung von zusätzlichen prüfungsfremden Leistungen. Ferner kann auch die Höhe des von einem geprüften Unternehmen gezahlten Prüfungshonorars und/oder die Zusammensetzung der Honorare die Unabhängigkeit eines Abschlussprüfers oder einer Prüfungsgesellschaft gefährden. Schutzmaßnahmen zur Eindämmung oder Beseitigung derartiger Risiken umfassen Verbote, Einschränkungen, sonstige Maßnahmen und Verfahren sowie Offenlegungspflichten. Abschlussprüfer und Prüfungsgesellschaften sollten die Erbringung zusätzlicher prüfungsfremder Leistungen, die ihre Unabhängigkeit in Frage stellen, ablehnen. Die Kommission kann als Mindeststandard Durchführungsmaßnahmen zur Unabhängigkeit beschließen. Hierbei könnte die Kommission die Grundsätze berücksichtigen, die sich in der genannten Empfehlung vom 16. Mai 2002 finden. Um die Unabhängigkeit von Abschlussprüfern zu bestimmen, muss der Begriff „Netzwerk“, innerhalb dessen die Abschlussprüfer tätig sind, klargestellt werden. Hierbei sind verschiedene Umstände in Betracht zu ziehen; beispielsweise kann eine Struktur als Netzwerk bezeichnet werden, wenn sie auf Gewinn- oder Kostenteilung ausgerichtet ist. Die Kriterien, die belegen, dass es sich um ein Netzwerk handelt, beispielsweise ob es gewöhnlich gemeinsame Prüfungsmandanten gibt, sollten auf der Grundlage aller zur Verfügung stehenden tatsächlichen Umstände beurteilt und bewertet werden. (12) In Fällen der Selbstprüfung oder des Eigeninteresses sollte die Entscheidung, ob ein Abschlussprüfer oder eine Prüfungsgesellschaft zurücktreten oder einen Prüfungsauftrag in Bezug auf ihre bzw. seine Prüfungsmandanten ablehnen sollte, wenn dies zum Schutz der Unabhängigkeit des Abschlussprüfers oder der Prüfungsgesellschaft zweckmäßig ist, von dem Mitgliedstaat, und nicht von dem Abschlussprüfer oder der Prüfungsgesellschaft, getroffen werden. Allerdings sollte dies nicht zu der Situation führen, dass die Mitgliedstaaten eine allgemeine Pflicht trifft, Abschlussprüfer oder Prüfungsgesellschaften daran zu hindern, für ihre Mandanten prüfungsfremde Leistungen zu erbringen. Für die Entscheidung, ob es in Fällen von Eigeninteresse oder der Selbstprüfung zweckmäßig ist, dass ein Abschlussprüfer oder eine Prüfungsgesellschaft keine Abschlussprüfungen durchführen sollte, um die Unabhängigkeit des Abschlussprüfers oder der Prüfungsgesellschaft zu schützen, sollte die Frage mitberücksichtigt werden, ob das geprüfte Unternehmen von öffentlichem Interesse Wertpapiere ausgegeben hat, die zum Handel auf einem geregelten Markt im Sinne von Artikel 4 Absatz 1 Nummer 14 der Richtlinie

Die Abschlussprüferrichtlinie 2004/39/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 über Märkte für Finanzinstrumente(11) zugelassen sind. (13) Für alle nach Gemeinschaftsrecht vorgeschriebenen Abschlussprüfungen sollte eine gleich bleibend hohe Qualität gewährleistet werden. Alle Abschlussprüfungen sollten deshalb nach internationalen Prüfungsstandards durchgeführt werden. Die Maßnahmen zur Umsetzung dieser Grundsätze in der Gemeinschaft sollten gemäß dem Beschluss 1999/468/EG des Rates vom 28. Juni 1999 zur Festlegung der Modalitäten für die Ausübung der der Kommission übertragenen Durchführungsbefugnisse(12) erlassen werden. Ein Fachausschuss oder eine technische Fachgruppe für Abschlussprüfungen sollte die Kommission bei der Bewertung der fachlichen Fundierung aller internationalen Prüfungsstandards unterstützen, wobei auch das System öffentlicher Aufsichtsgremien der Mitgliedstaaten eingebunden werden sollte. Um ein Höchstmaß an Harmonisierung zu verwirklichen, sollten die Mitgliedstaaten zusätzliche nationale Prüfverfahren vorschreiben oder Anforderungen nur aufstellen dürfen, wenn diese sich aus speziellen, durch den Umfang der Abschlussprüfung von Jahresabschlüssen oder konsolidierten Abschlüssen bedingten nationalen rechtlichen Anforderungen ergeben, d.h., wenn diese Anforderungen durch die bisher angenommenen internationalen Prüfungsstandards nicht abgedeckt werden. Die Mitgliedstaaten sollten diese zusätzlichen Prüfverfahren beibehalten können, bis die Prüfverfahren oder Anforderungen durch nachfolgend angenommene internationale Prüfungsstandards erfasst werden. Schließen die angenommenen internationalen Prüfungsstandards jedoch Prüfverfahren ein, deren Ausführung mit dem nationalen Recht auf Grund spezieller, durch den Umfang der Abschlussprüfung bedingter nationaler Anforderungen in Widerspruch stehen würde, so brauchen die Mitgliedstaaten den in Widerspruch stehenden Teil des internationalen Prüfungsstandards nicht anzuwenden, solange diese Widersprüche bestehen, vorausgesetzt die in Artikel 26 Absatz 3 genannten Maßnahmen werden angewandt. Jeder Zusatz oder jede Nichtanwendung durch einen Mitgliedstaat sollte einen Beitrag zu einem hohen Niveau der Glaubwürdigkeit der Jahresabschlüsse von Unternehmen leisten und dem Gemeinwohl dienen. Dies bedeutet, dass die Mitgliedstaaten beispielsweise einen zusätzlichen Prüfbericht für den Aufsichtsrat oder andere Berichts- und Prüfungsanforderungen vorschreiben können, die auf nationalen Regeln für die Unternehmensleitung beruhen. (14) Die Einführung eines internationalen Prüfungsstandards in der Gemeinschaft durch die Kommission setzt voraus, dass er international allgemein anerkannt ist und unter vollständiger Einbeziehung aller interessierten Kreise in einem offe(11) ABl. L 145 vom 30.4.2004, S. 1. (12) ABl. L 184 vom 17.7.1999, S. 23.

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nen und transparenten Verfahren erstellt wurde, dass er die Glaubwürdigkeit des Jahresabschlusses und des konsolidierten Abschlusses erhöht und dass er dem europäischen Gemeinwohl dient. Die Notwendigkeit der Annahme einer Stellungnahme (International Auditing Practice Statement) als Teil eines Standards sollte von Fall zu Fall gemäß dem Beschluss 1999/468/EG geprüft werden. Die Kommission sollte sicherstellen, dass vor Beginn des Verfahrens zur Annahme eine Prüfung durchgeführt wird, um festzustellen, ob diesen Anforderungen genügt wurde, und erstattet den Mitgliedern des mit dieser Richtlinie eingesetzten Ausschusses über das Ergebnis dieser Prüfung Bericht. (15) Bei einem konsolidierten Abschluss ist es wichtig, die Verantwortlichkeiten der Abschlussprüfer der einzelnen Konzernteile klar voneinander abzugrenzen. Dazu sollte der Konzernabschlussprüfer die volle Verantwortung für den Bestätigungsvermerk tragen. (16) Um die Vergleichbarkeit von Unternehmen, die die gleichen Rechnungslegungsstandards anwenden, zu erhöhen und das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Abschlussprüfung zu stärken, kann die Kommission für die Prüfung eines nach angenommenen internationalen Rechnungslegungsstandards erstellten Jahresabschlusses oder konsolidierten Abschlusses einen einheitlichen Bestätigungsvermerk festlegen, außer wenn ein angemessener Standard für einen solchen Vermerk auf Gemeinschaftsebene festgelegt wurde. (17) Ein gutes Mittel zur Erreichung einer gleich bleibend hohen Prüfungsqualität sind regelmäßige Kontrollen. Abschlussprüfer und Prüfungsgesellschaften sollten deshalb einem von den überprüften Abschlussprüfern und Prüfungsgesellschaften unabhängigen Qualitätssicherungssystem unterliegen. Für die Anwendung des Artikels 29 über die Qualitätssicherungssysteme können die Mitgliedstaaten fordern, dass lediglich die Anforderungen an Prüfungsgesellschaften berücksichtigt werden müssen, wenn einzelne Prüfer eine gemeinsame Qualitätssicherungsmethode verfolgen. Die Mitgliedstaaten können das Qualitätssicherungssystem dergestalt organisieren, dass jeder einzelne Prüfer alle sechs Jahre einer Qualitätssicherungskontrolle unterzogen wird. In dieser Hinsicht sollte die Finanzierung des Qualitätssicherungssystems frei von ungebührlicher Einflussnahme sein. Die Kommission sollte ermächtigt werden, in Fällen, in denen das Vertrauen der Öffentlichkeit in das Qualitätssicherungssystem schwer erschüttert ist, Durchführungsmaßnahmen in Bereichen, die für die Organisation von Qualitätssicherungssystemen und hinsichtlich ihrer Finanzierung bedeutsam sind, zu erlassen. Die öffentlichen Aufsichtssysteme der Mitgliedstaaten sollten ermutigt werden, einen koordinierten Ansatz für die Überprüfung von Qualitätssicherungssystemen zu finden, um den beteiligten Parteien unnötige Belastungen zu ersparen. (18) Untersuchungen und angemessene Sanktionen tragen dazu bei, die unzulängliche Durch-

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führung einer Abschlussprüfung zu verhindern und zu berichtigen. (19) Abschlussprüfer und Prüfungsgesellschaften sind dafür verantwortlich, dass sie ihre Arbeit mit Sorgfalt durchführen, und sollten daher für die finanziellen Schäden, die darauf zurückzuführen sind, dass sie nicht die erforderliche Sorgfalt aufgewendet haben, zur Verantwortung gezogen werden. Die Fähigkeit der Abschlussprüfer und der Prüfungsgesellschaften, eine Berufshaftpflichtversicherung zu erwerben, kann davon abhängig sein, ob sie einer unbeschränkten finanziellen Haftung unterliegen. Diese Fragen beabsichtigt die Kommission unter Berücksichtigung der Tatsache, dass sich die Haftungssysteme der Mitgliedstaaten erheblich unterscheiden können, zu prüfen. (20) Die Mitgliedstaaten sollten ein wirksames öffentliches Aufsichtssystem für Abschlussprüfer und Prüfungsgesellschaften schaffen, bei dem die Aufsicht dem Herkunftsmitgliedstaat übertragen wird. Die Regelungen für öffentliche Aufsichtssysteme sollten eine wirksame Zusammenarbeit hinsichtlich der Aufsichtstätigkeiten der Mitgliedstaaten auf Gemeinschaftsebene ermöglichen. Das öffentliche Aufsichtssystem sollte in der Hand Nichtberufsausübender liegen, die in den für Pflichtprüfungen relevanten Bereichen über entsprechende Kenntnisse verfügen. Bei den Nichtberufsausübenden kann es sich um Experten von außerhalb der Wirtschaftsprüferbranche oder um ehemalige Wirtschaftsprüfer handeln, die ihren Beruf nicht mehr ausüben. Die Mitgliedstaaten können jedoch gestatten, dass eine Minderheit praktizierender Abschlussprüfer führende Positionen im öffentlichen Aufsichtssystem bekleidet. Die zuständigen Aufsichtsstellen sollten zusammenarbeiten, wann immer ihre Aufsichtspflichten gegenüber den von ihnen zugelassenen Abschlussprüfern oder Prüfungsgesellschaften dies erfordern. Eine solche Zusammenarbeit kann wesentlich dazu beitragen, eine gleich bleibend hohe Qualität der Abschlussprüfung in der Gemeinschaft zu gewährleisten. Da es notwendig ist, auf europäischer Ebene eine wirksame Zusammenarbeit und Koordinierung der von den Mitgliedstaaten benannten zuständigen Behörden sicherzustellen, sollte die Benennung einer für die Durchführung der Zusammenarbeit verantwortlichen Stelle einer unmittelbaren Zusammenarbeit jeder einzelnen Behörde mit anderen zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten nicht entgegenstehen. (21) Um zu gewährleisten, dass Artikel 32 Absatz 3 über Grundsätze der öffentlichen Aufsicht beachtet wird, wird bei einem Nichtberufsausübenden davon ausgegangen, dass er in den für die Abschlussprüfung relevanten Bereichen über entsprechende Kenntnisse verfügt, entweder weil er in der Vergangenheit entsprechende fachliche Qualifikationen erworben hat, oder weil er in mindestens einem der in Artikel 8 aufgeführten Bereiche Kenntnisse besitzt. (22) Der Abschlussprüfer bzw. die Prüfungsgesellschaft sollte von der Gesellschafteroder Mitglieder-

versammlung des geprüften Unternehmens bestellt werden. Um die Unabhängigkeit des Prüfers zu schützen, darf eine Abberufung nur möglich sein, wenn triftige Gründe vorliegen und diese der oder den für die öffentliche Aufsicht zuständigen Stelle(n) mitgeteilt werden. (23) Da Unternehmen von öffentlichem Interesse stärker im Blickpunkt der Öffentlichkeit stehen und wirtschaftlich von großer Bedeutung sind, sollten für die Abschlussprüfung ihres Jahresabschlusses oder konsolidierten Abschlusses strengere Anforderungen gelten. (24) Prüfungsausschüsse und ein wirksames internes Kontrollsystem tragen dazu bei, finanzielle und betriebliche Risiken sowie das Risiko von Vorschriftenverstößen auf ein Mindestmaß zu begrenzen und die Qualität der Rechnungslegung zu verbessern. Die Mitgliedstaten können sich auf die Empfehlung der Kommission vom 15. Februar 2005 zu den Aufgaben von nicht geschäftsführenden Direktoren oder Aufsichtsratsmitgliedern börsennotierter Gesellschaften sowie zu den Ausschüssen des Verwaltungsoder Aufsichtsrats(13) berufen, die regelt, wie Prüfungsausschüsse gebildet werden und arbeiten sollten. Die Mitgliedstaaten können festlegen, dass die dem Prüfungsausschuss zugewiesenen Funktionen durch den Verwaltungsoder Aufsichtsrat als Ganzes ausgeübt werden können. Bezüglich der Pflichten des Prüfungsausschusses nach Artikel 41 sollten der Abschlussprüfer oder die Prüfungsgesellschaften in keiner Weise dem Ausschuss untergeordnet sein. (25) Die Mitgliedstaaten können ferner beschließen, auch Unternehmen von öffentlichem Interesse, die Organismen für gemeinsame Anlagen sind, deren Wertpapiere zum Handel auf einem geregelten Markt zugelassen sind, von der Anforderung eines Prüfungsausschusses zu befreien. Diese Möglichkeit berücksichtigt, dass in den Fällen, in denen die Funktionen von Organismen für gemeinsame Anlagen ausschließlich darin bestehen, die Vermögenswerte zusammenzulegen, die Einsetzung eines Prüfungsausschusses nicht immer angebracht ist. Die Abschlüsse und verbundenen Risiken sind nicht mit denen anderer Unternehmen von öffentlichem Interesse vergleichbar. Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren (OGAW) und ihre Verwaltungsunternehmen operieren außerdem in einem fest definierten Regulierungsumfeld und unterliegen besonderen Führungsmechanismen, wie den durch ihre Verwahrstelle durchgeführten Kontrollen. Für die Organismen für gemeinsame Anlagen, die nicht gemäß der Richtlinie 85/611/EWG(14) harmonisiert sind, (13) ABl. L 52 vom 25.2.2005, S. 51. (14) Richtlinie 85/611/EWG des Rates vom 20. Dezember 1985 zur Koordinierung der Rechtsund Verwaltungsvorschriften betreffend bestimmte Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren (OGAW) (ABl. L 375 vom 31.12.1985, S. 3). Zuletzt geändert durch die Richtlinie 2005/1/EG des Europäischen Parlaments und des Rates (ABl. L 79 vom 24.3.2005, S. 9).

Die Abschlussprüferrichtlinie jedoch entsprechenden Schutzmaßnahmen gemäß jener Richtlinie unterliegen, sollte es den Mitgliedstaaten in diesem besonderen Fall gestattet sein, diese gleich zu behandeln wie gemeinschaftsweit harmonisierte Organismen für gemeinsame Anlagen. (26) Zur Stärkung der Unabhängigkeit von Prüfern von Unternehmen von öffentlichem Interesse sollten der oder die für die Prüfung dieser Unternehmen verantwortlichen Prüfungspartner rotieren. Um eine solche Rotation zu organisieren, sollten die Mitgliedstaaten einen Wechsel des oder der für das geprüfte Unternehmen verantwortlichen Prüfungspartner verlangen, während es der Prüfungsgesellschaft, der der oder die verantwortlichen Prüfungspartner angehören, weiterhin gestattet wird, als Abschlussprüfer eines solchen Unternehmens tätig zu sein. Falls es aus Sicht eines Mitgliedstaates zur Erreichung der festgelegten Ziele angebracht ist, kann dieser Mitgliedstaat alternativ unabhängig von Artikel 42 Absatz 2 einen Wechsel der Prüfungsgesellschaft fordern. (27) Aufgrund der Verflechtung der Kapitalmärkte muss auch bei Prüfern aus Drittländern, wenn deren Arbeit den Kapitalmarkt der Gemeinschaft betrifft, eine hohe Qualität sichergestellt werden. Die betroffenen Prüfer sollten registriert sein, damit sie Qualitätssicherungsprüfungen unterliegen und die vorgesehenen Untersuchungen und Sanktionen auf sie angewendet werden können. Bei gegenseitiger Anerkennung sollte es möglich sein, von dieser Auflage abzusehen, wenn die Kommission in Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten die Gleichwertigkeit der betreffenden Regelungen prüft. In jedem Fall sollte ein Unternehmen, das übertragbare Wertpapiere ausgegeben hat, die zum Handel auf einem geregelten Markt im Sinne von Artikel 4 Absatz 1 Nummer 14 der Richtlinie 2004/39/EG zugelassen sind, immer von einem Abschlussprüfer geprüft werden, der entweder in einem Mitgliedstaat registriert ist oder der Aufsicht der zuständigen Stellen des Drittlandes, aus dem er stammt, unterliegt, sofern diesem Drittland von der Kommission oder einem Mitgliedstaat beschieden worden ist, dass es bezüglich der Grundsätze der öffentlichen Aufsicht, der Qualitätssicherungssysteme sowie der Untersuchungssysteme und Sanktionen Anforderungen erfüllt, die denen der Gemeinschaft gleichwertig sind, und sofern diese Vereinbarung auf Gegenseitigkeit beruht. Auch wenn ein Mitgliedstaat das Qualitätssicherungssystem eines Drittlandes als gleichwertig ansehen kann, sollten andere Mitgliedstaaten diese nationale Beurteilung nicht anerkennen müssen, und der Feststellung durch die Kommission sollte dadurch nicht vorgegriffen werden. (28) Die Komplexität von Prüfungen internationaler Konzerne erfordert eine gute Zusammenarbeit zwischen den zuständigen Stellen der Mitgliedstaaten und der betroffenen Drittländer. Die Mitgliedstaaten sollten deshalb sicherstellen, dass die zuständigen nationalen Stellen den zuständigen Stellen von Drittländern den Zugang zu

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Arbeitspapieren und anderen Unterlagen ermöglichen. Um die Rechte der beteiligten Parteien zu schützen und gleichzeitig den Zugang zu diesen Unterlagen und Papieren zu erleichtern, sollten die Mitgliedstaaten den zuständigen Stellen von Drittländern direkten Zugang gewähren dürfen, wenn die zuständige nationale Stelle dagegen keine Einwände erhebt. Eines der einschlägigen Kriterien für die Gewährung des Zugangs ist, ob die zuständigen Behörden in Drittländern Kriterien erfüllen, die von der Kommission als angemessen betrachtet werden. Bis zu einer solchen Entscheidung durch die Kommission können die Mitgliedstaaten, unbeschadet dieser Entscheidung, bewerten, ob diese Kriterien angemessen sind. (29) Die in den Artikeln 36 und 47 erwähnte Weitergabe von Informationen sollte den Regeln für die Übermittlung personenbezogener Daten in Drittländer gemäß der Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. Oktober 1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr(15) entsprechen. (30) Die zur Umsetzung dieser Richtlinie notwendigen Maßnahmen sollten gemäß dem Beschluss 1999/468/EG und unter angemessener Berücksichtigung der Erklärung, die die Kommission am 5. Februar 2002 vor dem Europäischen Parlament zur Umsetzung der Rechtsvorschriften im Bereich der Finanzdienstleistungen abgegeben hat, erlassen werden. (31) Dem Europäischen Parlament sollte ein Zeitraum von drei Monaten nach der ersten Übermittlung eines Entwurfs von Änderungen und Umsetzungsmaßnahmen eingeräumt werden, um ihm die Prüfung und Abgabe einer Stellungnahme zu ermöglichen. In dringenden oder ausreichend begründeten Fällen sollte es möglich sein, diesen Zeitraum zu verkürzen. Wenn innerhalb dieses Zeitraums vom Europäischen Parlament eine Entschließung verabschiedet wird, sollte die Kommission den Entwurf der Änderungen oder Maßnahmen erneut prüfen. (32) Da die Ziele dieser Richtlinie, nämlich die verbindliche Vorgabe eines Satzes internationaler Prüfungsstandards, die Aktualisierung der Ausbildungsvoraussetzungen, die Festlegung von Berufsgrundsätzen und die Gestaltung der Zusammenarbeit zwischen den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten und zwischen diesen und den zuständigen Behörden von Drittländern für die Verbesserung und Harmonisierung der Qualität der Abschlussprüfung in der Gemeinschaft und der Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten sowie zwischen den Mitgliedstaaten und Drittländern und der Stärkung des Vertrauens in die Abschlussprüfung, auf Ebene der Mitgliedstaaten nicht ausreichend verwirklicht wer-

(15) ABl. L 281 vom 23.11.1995, S. 31. Geändert durch die Verordnung (EG) Nr. 1882/2003 (ABl. L 284 vom 31.10.2003, S. 1).

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den können und daher wegen des Umfangs und der Wirkungen dieser Richtlinie besser auf Gemeinschaftsebene zu erreichen sind, kann die Gemeinschaft im Einklang mit dem in Artikel 5 des Vertrags niedergelegten Subsidiaritätsprinzip tätig werden. Entsprechend dem in demselben Artikel genannten Verhältnismäßigkeitsgrundsatz geht diese Richtlinie nicht über das zur Erreichung dieser Ziele erforderliche Maß hinaus. (33) Um das Verhältnis zwischen Abschlussprüfer bzw. Prüfungsgesellschaft und geprüftem Unternehmen transparenter zu gestalten, sollten die Richtlinien 78/660/EWG und 83/349/EWG so geändert werden, dass das Prüfungshonorar sowie die Honorare für Nichtprüfungsleistungen künftig im Anhang zum Jahresabschluss und konsolidierten Abschluss offen gelegt werden müssen. (34) Die Richtlinie 84/253/EWG sollte aufgehoben werden, da sie kein ausreichendes Mittel zur Gewährleistung einer angemessenen Prüfungsinfrastruktur – bestehend aus öffentlicher Aufsicht, Disziplinarregelungen und Qualitätssicherungssystemen – liefert und keine speziellen Bestimmungen zur Zusammenarbeit zwischen den zuständigen Stellen von Mitgliedstaaten und Drittländern enthält. Um Rechtssicherheit zu gewährleisten, besteht ein klares Bedürfnis danach, Abschlussprüfer und Prüfungsgesellschaften, die nach der Richtlinie 84/253/EWG zugelassen wurden, auch im Rahmen dieser Richtlinie als zugelassen anzusehen –

HABEN FOLGENDE RICHTLINIE ERLASSEN:

KAPITEL I GEGENSTAND UND BEGRIFFSBESTIMMUNGEN Artikel 1 Gegenstand Diese Richtlinie regelt die Abschlussprüfung des Jahresabschlusses und des konsolidierten Abschlusses. Artikel 2 Begriffsbestimmungen Für die Zwecke dieser Richtlinie gelten folgende Begriffsbestimmungen: 1. „Abschlussprüfung“ ist eine Prüfung des Jahresabschlusses oder des konsolidierten Abschlusses, die nach Gemeinschaftsrecht vorgeschrieben ist. 2. „Abschlussprüfer“ ist eine natürliche Person, die von den zuständigen Stellen eines Mitgliedstaates nach dieser Richtlinie für die Durchführung von Abschlussprüfungen zugelassen wurde.

3. „Prüfungsgesellschaft“ ist eine juristische Person oder eine sonstige Einrichtung gleich welcher Rechtsform, die von den zuständigen Stellen eines Mitgliedstaats nach dieser Richtlinie für die Durchführung von Abschlussprüfungen zugelassen wurde. 4. „Prüfungsunternehmen aus einem Drittland“ ist ein Unternehmen gleich welcher Rechtsform, das Prüfungen des Jahresabschlusses oder des konsolidierten Abschlusses von in einem Drittland eingetragenen Gesellschaften durchführt. 5. „Prüfer aus einem Drittland“ ist eine natürliche Person, die Prüfungen des Jahresabschlusses oder des konsolidierten Abschlusses von in einem Drittland eingetragenen Gesellschaften durchführt. 6. „Konzernabschlussprüfer“ ist/sind der/die Abschlussprüfer oder die Prüfungsgesellschaft(en), der bzw. die die Abschlussprüfung konsolidierter Abschlüsse durchführt/durchführen. 7. „Netzwerk“ ist die breitere Struktur, – die auf Kooperation ausgerichtet ist und der ein Abschlussprüfer oder eine Prüfungsgesellschaft angehört und – die eindeutig auf Gewinnoder Kostenteilung abzielt oder durch gemeinsames Eigentum, gemeinsame Kontrolle oder gemeinsame Geschäftsführung, gemeinsame Qualitätssicherungsmaßnahmen und -verfahren, eine gemeinsame Geschäftsstrategie, die Verwendung einer gemeinsamen Marke oder durch einen wesentlichen Teil gemeinsamer fachlicher Ressourcen miteinander verbunden ist. 8. „Verbundenes Unternehmen einer Prüfungsgesellschaft“ ist ein Unternehmen gleich welcher Rechtsform, das mit einer Prüfungsgesellschaft durch gemeinsames Eigentum, gemeinsame Kontrolle oder gemeinsame Geschäftsführung verbunden ist. 9. „Bestätigungsvermerk“ ist der in Artikel 51a der Richtlinie 78/660/EWG und Artikel 37 der Richtlinie 83/349/EWG genannte Vermerk des Abschlussprüfers oder der Prüfungsgesellschaft. 10. „Zuständige Stelle“ ist eine durch Gesetz bestimmte Stelle oder Einrichtung, die für die Regulierung und/oder Aufsicht von Abschlussprüfern und Prüfungsgesellschaften oder spezifischen Aspekten davon verantwortlich ist. Wird auf die „zuständige Stelle“ in einem bestimmten Artikel Bezug genommen, bedeutet dies die Bezugnahme auf die Stelle oder die Einrichtung(en), die für die in diesem Artikel erwähnten Aufgaben zuständig ist/sind. 11. „Internationale Prüfungsstandards“ sind die International Standards on Auditing (ISA) und damit zusammenhängende Stellungnahmen

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Die Abschlussprüferrichtlinie und Standards, soweit sie für die Abschlussprüfung relevant sind. 12. „Internationale Rechnungslegungsstandards“ sind die International Accounting Standards (IAS), die International Financial Reporting Standards (IFRS) und die dazugehörigen Interpretationen (SIC/IFRIC), die nachfolgenden Änderungen dieser Standards und der dazugehörigen Interpretationen sowie die vom International Accounting Standards Board (IASB) in Zukunft veröffentlichten oder verabschiedeten Standards und dazugehörigen Interpretationen. 13. „Unternehmen von öffentlichem Interesse“ sind Unternehmen, die unter das Recht eines Mitgliedstaats fallen und deren übertragbare Wertpapiere zum Handel auf einem geregelten Markt eines Mitgliedstaats im Sinne von Artikel 4 Absatz 1 Nummer 14 der Richtlinie 2004/ 39/EG zugelassen sind, Kreditinstitute im Sinne von Artikel 1 Nummer 1 der Richtlinie 2000/12/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. März 2000 über die Aufnahme und Ausübung der Tätigkeit der Kreditinstitute(16) und Versicherungsunternehmen im Sinne von Artikel 2 Absatz 1 der Richtlinie 91/674/EWG. Die Mitgliedstaaten können auch andere Unternehmen zu Unternehmen von öffentlichem Interesse bestimmen, beispielsweise Unternehmen, die aufgrund der Art ihrer Tätigkeit, ihrer Größe oder der Zahl ihrer Beschäftigten von erheblicher öffentlicher Bedeutung sind. 14. „Genossenschaft“ ist die Europäische Genossenschaft im Sinne von Artikel 1 der Verordnung (EG) Nr. 1435/2003 des Rates vom 22. Juli 2003 über das Statut der Europäischen Genossenschaft (SCE)(17) oder jede andere Genossenschaft, für die nach Gemeinschaftsrecht eine Abschlussprüfung vorgeschrieben ist, wie etwa Kreditinstitute im Sinne von Artikel 1 Nummer 1 der Richtlinie 2000/12/EG sowie Versicherungsunternehmen im Sinne von Artikel 2 Absatz 1 der Richtlinie 91/674/EWG. 15. „Nichtberufsausübender“ ist eine natürliche Person, die mindestens drei Jahre vor ihrer Beauftragung mit der öffentlichen Aufsicht keine Abschlussprüfungen durchgeführt hat, keine Stimmrechte in einer Prüfungsgesellschaft gehalten hat, weder Mitglied eines Verwaltungsoder Leitungsorgans einer Prüfungsgesellschaft noch bei einer Prüfungsgesellschaft angestellt war noch in sonstiger Weise mit einer Prüfungsgesellschaft verbunden war.

(16) ABl. L 126 vom 26.5.2000, S. 1. Zuletzt geändert durch die Richtlinie 2006/29/EG der Kommission (ABl. L 70 vom 9.3.2006, S. 50). 17 ( ) ABl. L 207 vom 18.8.2003, S. 1.

16. „Verantwortlicher Prüfungspartner“ ist/sind a) der/die Abschlussprüfer, der/die von einer Prüfungsgesellschaft für ein bestimmtes Prüfungsmandat als für die Durchführung der Abschlussprüfung im Auftrag der Prüfungsgesellschaft vorrangig verantwortlich bestimmt ist/sind; oder b) im Fall einer Konzernabschlussprüfung mindestens der/die Abschlussprüfer, der/die von einer Prüfungsgesellschaft als für die Durchführung der Abschlussprüfung auf Konzernebene vorrangig verantwortlich bestimmt ist/sind, und der/die Abschlussprüfer, der/die als auf der Ebene bedeutender Tochtergesellschaften vorrangig verantwortlich bestimmt ist/sind, oder c) der/die Abschlussprüfer, der/die den Bestätigungsvermerk unterzeichnet/unterzeichnen.

KAPITEL II ZULASSUNG, KONTINUIERLICHE FORTBILDUNG UND GEGENSEITIGE ANERKENNUNG

Artikel 3 Zulassung von Abschlussprüfern und Prüfungsgesellschaften (1) Eine Abschlussprüfung wird ausschließlich von Abschlussprüfern oder Prüfungsgesellschaften durchgeführt, die von dem Mitgliedstaat, der die Abschlussprüfung vorschreibt, zugelassen wurden. (2) Jeder Mitgliedstaat benennt die Stellen, die für die Zulassung von Abschlussprüfern und Prüfungsgesellschaften zuständig sind. Bei diesen Stellen kann es sich auch um Berufsverbände handeln, sofern sie der in Kapitel VIII vorgesehenen öffentlichen Aufsicht unterliegen. (3) Unbeschadet des Artikels 11 lassen die zuständigen Stellen der Mitgliedstaaten nur natürliche Personen zu, die mindestens die in den Artikeln 4 und 6 bis 10 genannten Voraussetzungen erfüllen. (4) Die zuständigen Stellen der Mitgliedstaaten lassen als Prüfungsgesellschaften nur Einrichtungen zu, die die folgenden Voraussetzungen erfüllen: a) Die natürlichen Personen, die für eine Prüfungsgesellschaft Abschlussprüfungen durchführen, müssen zumindest die Voraussetzungen der Artikel 4 und 6 bis 12 erfüllen und in dem betroffenen Mitgliedstaat als Abschlussprüfer zugelassen sein. b) Eine Mehrheit der Stimmrechte in einer Einrichtung muss von Prüfungsgesellschaften, die in

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einem Mitgliedstaat zugelassen sind, oder von natürlichen Personen, die zumindest die Voraussetzungen der Artikel 4 und 6 bis 12 erfüllen, gehalten werden. Die Mitgliedstaaten können bestimmen, dass solche natürliche Personen auch in einem anderen Mitgliedstaat zugelassen sein müssen. Für die Zwecke der Abschlussprüfung von Genossenschaften und ähnlichen Einrichtungen, die in Artikel 45 der Richtlinie 86/635/EWG erwähnt sind, können die Mitgliedstaaten weitere spezifische Bestimmungen im Zusammenhang mit Stimmrechten erlassen. c) Das Verwaltungsoder Leitungsorgan der Einrichtung muss sich mit einer Mehrheit von bis zu 75 % aus Prüfungsgesellschaften mit Zulassung in einem Mitgliedstaat oder natürlichen Personen zusammensetzen, die zumindest die Voraussetzungen der Artikel 4 und 6 bis 12 erfüllen. Die Mitgliedstaaten können bestimmen, dass solche natürlichen Personen auch in einem anderen Mitgliedstaat zugelassen sein müssen. Zählt ein solches Organ nur zwei Mitglieder, so muss eines von ihnen zumindest die Voraussetzungen dieses Buchstabens erfüllen. d) Die Gesellschaft erfüllt die Voraussetzungen des Artikels 4. Die Mitgliedstaaten dürfen nur im Zusammenhang mit Buchstabe c zusätzliche Bedingungen aufstellen. Diese Bedingungen müssen zu den verfolgten Zielen verhältnismäßig sein und dürfen nicht über das hinausgehen, was unbedingt erforderlich ist.

Mitgliedstaats, in dem die Zulassung entzogen wird, diesen Umstand und die Gründe für den Entzug den entsprechenden zuständigen Stellen der Mitgliedstaaten mit, in denen der Abschlussprüfer oder die Prüfungsgesellschaft auch zugelassen ist und die im Register des erstgenannten Mitgliedstaats gemäß Artikel 16 Absatz 1 Buchstabe c registriert sind. Artikel 6 Ausbildung Unbeschadet des Artikels 11 kann eine natürliche Person nur zur Durchführung von Abschlussprüfungen zugelassen werden, wenn sie nach Erlangung der Hochschulreife oder einer entsprechenden Ausbildungsstufe eine theoretische und eine praktische Ausbildung absolviert und sich mit Erfolg einer staatlichen oder staatlich anerkannten beruflichen Eignungsprüfung auf dem Niveau eines Hochschulabschlusses oder eines entsprechenden Niveaus in dem betreffenden Mitgliedstaat unterzogen hat. Artikel 7 Prüfung der beruflichen Eignung Die in Artikel 6 genannte Eignungsprüfung garantiert die erforderlichen theoretischen Kenntnisse auf den für die Abschlussprüfung maßgebenden Sachgebieten sowie die Fähigkeit, diese Kenntnisse praktisch anzuwenden. Diese Prüfung muss zumindest teilweise schriftlich erfolgen.

Artikel 4 Guter Leumund

Artikel 8

Die zuständigen Stellen eines Mitgliedstaats dürfen die Zulassung nur natürlichen oder juristischen Personen mit gutem Leumund erteilen.

Theoretische Prüfung

Artikel 5 Entzug der Zulassung (1) Die Zulassung wird entzogen, wenn der Ruf eines Abschlussprüfers oder einer Prüfungsgesellschaft ernsthaft beschädigt ist. Allerdings können die Mitgliedstaaten einen angemessenen Zeitraum einräumen, innerhalb dessen die Gesellschaft die Anforderungen an einen guten Leumund erfüllen kann. (2) Einer Prüfungsgesellschaft wird die Zulassung entzogen, sobald eine der in Artikel 3 Absatz 4 Buchstaben b und c genannten Anforderungen nicht mehr erfüllt ist. Allerdings können die Mitgliedstaaten einen angemessenen Zeitraum einräumen, innerhalb dessen die Gesellschaft diese Anforderungen erfüllen kann. (3) Wird einem Abschlussprüfer oder einer Prüfungsgesellschaft aus irgendeinem Grund die Zulassung entzogen, teilt die zuständige Behörde des

(1) Die im Rahmen der Eignungsprüfung durchgeführte theoretische Prüfung umfasst insbesondere die folgenden Sachgebiete: a) Theorie und Grundsätze des allgemeinen Rechnungswesens, b) gesetzliche Vorschriften und Grundsätze für die Aufstellung des Jahresabschlusses und des konsolidierten Abschlusses, c) internationale Rechnungslegungsstandards, d) Finanzanalyse, e) Kostenrechnung und betriebliches Rechnungswesen, f) Risikomanagement und interne Kontrolle, g) Prüfungswesen und berufsspezifische Fertigkeiten, h) gesetzliche und standesrechtliche Vorschriften für Abschlussprüfung und Abschlussprüfer, i) internationale Prüfungsstandards, j) Berufsgrundsätze und Unabhängigkeit.

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Die Abschlussprüferrichtlinie (2) Diese Prüfung umfasst zumindest auch die folgenden Sachgebiete, soweit sie für die Abschlussprüfung relevant sind: a) Gesellschaftsrecht und Corporate Governance, b) Rechtsvorschriften über Insolvenz und ähnliche Verfahren, c) Steuerrecht, d) bürgerliches Recht und Handelsrecht, e) Sozialversicherungsund Arbeitsrecht, f) IT- und Computersysteme, g) Betriebswirtschaft, Volkswirtschaft und Finanzwissenschaft, h) Mathematik und Statistik, i) Grundzüge des betrieblichen Finanzwesens. (3) Die Kommission kann die Liste der Sachgebiete, die in der in Absatz 1 genannten theoretischen Prüfung enthalten sein müssen, ändern. Die Kommission wird bei der Annahme dieser Durchführungsmaßnahmen die Entwicklungen im Prüfungswesen und im Berufsstand der Abschlussprüfer berücksichtigen. Diese Maßnahmen zur Änderung nicht wesentlicher Bestimmungen dieser Richtlinie werden nach dem in Artikel 48 Absatz 2a genannten Regelungsverfahren mit Kontrolle erlassen.

Artikel 9 Ausnahmen (1) Abweichend von den Artikeln 7 und 8 können die Mitgliedstaaten vorsehen, dass Personen, die auf einem oder mehreren der in Artikel 8 genannten Sachgebiete eine Hochschuloder gleichwertige Prüfung bestanden oder einen Hochschul- oder gleichwertigen Abschluss erworben haben, von der theoretischen Prüfung in diesen Sachgebieten befreit werden. (2) Abweichend von Artikel 7 können die Mitgliedstaaten vorsehen, dass Personen, die auf einem oder mehreren der in Artikel 8 genannten Sachgebiete einen Hochschul- oder gleichwertigen Abschluss besitzen, von der Prüfung ihrer Fähigkeit, die theoretischen Kenntnisse auf diesen Sachgebieten praktisch anzuwenden, befreit werden, wenn sie auf den betreffenden Gebieten eine praktische Ausbildung absolviert haben, die mit einer staatlich anerkannten Prüfung oder einem staatlich anerkannten Zeugnis abgeschlossen wurde.

geführt, die unter anderem die Prüfung des Jahresabschlusses, des konsolidierten Abschlusses oder ähnlicher Finanzabschlüsse zum Gegenstand hat. Diese praktische Ausbildung wird zu mindestens zwei Dritteln bei einem in einem Mitgliedstaat zugelassenen Abschlussprüfer oder einer in einem Mitgliedstaat zugelassenen Prüfungsgesellschaft absolviert. (2) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die gesamte praktische Ausbildung bei Personen stattfindet, die ausreichende Garantien für ihre Fähigkeit, eine praktische Ausbildung zu gewähren, bieten. Artikel 11 Zulassung aufgrund langjähriger praktischer Erfahrung Ein Mitgliedstaat kann Personen, die die in Artikel 6 festgelegten Voraussetzungen nicht erfüllen, als Abschlussprüfer zulassen, wenn diese nachweisen können, dass sie a) entweder 15 Jahre lang einer beruflichen Tätigkeit nachgegangen sind, die es ihnen ermöglicht hat, auf den Gebieten des Finanzwesens, des Rechts und der Rechnungslegung ausreichende Erfahrungen zu sammeln, und die in Artikel 7 genannte berufliche Eignungsprüfung bestanden haben, b) oder sieben Jahre lang einer beruflichen Tätigkeit auf den genannten Gebieten nachgegangen sind sowie die in Artikel 10 genannte praktische Ausbildung absolviert und die in Artikel 7 genannte berufliche Eignungsprüfung bestanden haben. Artikel 12 Kombination von praktischer und theoretischer Ausbildung (1) Die Mitgliedstaaten können vorsehen, dass Zeiten, in denen eine theoretische Ausbildung auf den in Artikel 8 genannten Sachgebieten absolviert wurde, auf die in Artikel 11 genannten Berufsjahre angerechnet werden, wenn diese Ausbildung mit einer staatlich anerkannten Prüfung abgeschlossen wurde. Diese Ausbildung muss mindestens ein Jahr dauern und darf höchstens mit vier Jahren auf die berufliche Tätigkeit angerechnet werden. (2) Berufstätigkeit und praktische Ausbildung dürfen nicht kürzer sein als die theoretische Ausbildung zusammen mit der in Artikel 10 vorgeschriebenen praktischen Ausbildung.

Artikel 10 Praktische Ausbildung

Artikel 13 Kontinuierliche Fortbildung

(1) Um die Fähigkeit zur praktischen Anwendung der in der Eignungsprüfung getesteten theoretischen Kenntnisse zu gewährleisten, wird eine mindestens dreijährige praktische Ausbildung durch-

Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass Abschlussprüfer sich im Rahmen angemessener Programme kontinuierlich fortbilden müssen, um ihre theoreti-

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schen Kenntnisse und ihre beruflichen Fertigkeiten und Wertmaßstäbe auf einem ausreichend hohen Stand zu halten, und dass ein Missachten dieser Anforderung angemessene Sanktionen im Sinne von Artikel 30 nach sich zieht.

Artikel 14

nach Artikel 3, die Qualitätssicherung nach Artikel 29, die Untersuchungen und Sanktionen gegen Abschlussprüfer und Prüfungsgesellschaften nach Artikel 30 und die öffentliche Aufsicht nach Artikel 32 verantwortlich sind. (4) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass das öffentliche Register spätestens am 29. Juni 2009 in vollem Umfang einsatzfähig ist.

Zulassung von Abschlussprüfern aus anderen Mitgliedstaaten Artikel 16 Die zuständigen Stellen der Mitgliedstaaten legen Verfahren für die Zulassung von Abschlussprüfern, die in anderen Mitgliedstaaten zugelassen sind, fest. Im Rahmen dieser Verfahren darf dem Abschlussprüfer höchstens ein Eignungstest nach Artikel 4 der Richtlinie 89/48/EWG des Rates vom 21. Dezember 1988 über eine allgemeine Regelung zur Anerkennung der Hochschuldiplome, die eine mindestens dreijährige Berufsausbildung abschließen(18), auferlegt werden. Bei diesem Eignungstest, der in einer der nach der in dem betreffenden Mitgliedstaat geltenden Sprachenregelung zugelassenen Sprache durchgeführt wird, wird lediglich überprüft, ob der Abschlussprüfer über eine ausreichende Kenntnis der für die Abschlussprüfung relevanten Rechtsund Verwaltungsvorschriften des betreffenden Mitgliedstaats verfügt.

KAPITEL III REGISTRIERUNG

Registrierung von Abschlussprüfern (1) Für Abschlussprüfer werden im öffentlichen Register zumindest die folgenden Angaben geführt: a) Name, Anschrift und Registrierungsnummer; b) gegebenenfalls Name, Anschrift, InternetAdresse und Registrierungsnummer der Prüfungsgesellschaft(en), bei der/denen der Abschlussprüfer angestellt ist oder der/denen er als Partner angehört oder in ähnlicher Form verbunden ist; c) andere Registrierung(en) als Abschlussprüfer bei den zuständigen Stellen anderer Mitgliedstaaten und als Prüfer in Drittländern, einschließlich des/der Namen(s) der Zulassungsbehörde(n) und gegebenenfalls der Registrierungsnummer(n). (2) Prüfer aus Drittländern, die gemäß Artikel 45 registriert sind, werden im Register eindeutig als solche, und nicht als Abschlussprüfer, geführt.

Artikel 15 Öffentliches Register (1) Jeder Mitgliedstaat stellt sicher, dass zugelassene Abschlussprüfer und Prüfungsgesellschaften gemäß den Artikeln 16 und 17 in ein öffentliches Register eingetragen sind. Unter besonderen Umständen können die Mitgliedstaaten von den Anforderungen dieses Artikels und des Artikels 16 hinsichtlich der Offenlegung absehen. Dies ist aber nur in dem Ausmaß möglich, das notwendig ist, um eine absehbare und ernst zu nehmende Gefahr für die persönliche Sicherheit einer Person zu vermindern. (2) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass alle Abschlussprüfer und Prüfungsgesellschaften in diesem öffentlichen Register unter einer individuellen Nummer geführt werden. Datenspeicherungen des Registers erfolgen elektronisch; die Öffentlichkeit kann auf elektronischem Wege auf das Register zugreifen.

Artikel 17 Registrierung von Prüfungsgesellschaften (1) Für Prüfungsgesellschaften werden im öffentlichen Register zumindest die folgenden Angaben geführt: a) Name, Anschrift und Registrierungsnummer; b) Rechtsform; c) Kontaktmöglichkeiten, Hauptansprechpartner und gegebenenfalls Internetadresse; d) Anschrift jedes Büros in dem Mitgliedstaat; e) Name und Registrierungsnummer aller Abschlussprüfer, die bei der Prüfungsgesellschaft angestellt sind oder als Partner angehören oder in ähnlicher Form mit ihr verbunden sind; f) Namen und Geschäftsadressen aller Eigentümer und Anteilseigner;

(3) Das öffentliche Register enthält ferner Namen und Anschrift der Stellen, die für die Zulassung

g) Namen und Geschäftsadressen aller Mitglieder des Verwaltungsoder Leitungsorgans;

(18) ABl. L 19 vom 24.1.1989, S. 16. Geändert durch die Richtlinie 2001/19/EG des Europäischen Parlaments und des Rates (ABl. L 206 vom 31.7.2001, S. 1).

h) gegebenenfalls ein Hinweis auf Mitgliedschaft in einem Netzwerk sowie eine Liste mit Namen und Anschriften der Mitgliedsgesellschaften und ihrer verbundenen Unternehmen oder ein Hin-

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Die Abschlussprüferrichtlinie weis darauf, wo diese Informationen öffentlich zugänglich sind; i) andere Registrierung(en) als Prüfungsgesellschaft bei den zuständigen Behörden anderer Mitgliedstaaten und als Prüfungsunternehmen in Drittländern, einschließlich des/der Namen(s) der Zulassungsbehörde(n) und gegebenenfalls der Registrierungsnummer(n). (2) Prüfungsunternehmen aus Drittländern, die gemäß Artikel 45 registriert sind, werden im Register eindeutig als solche, und nicht als Prüfungsgesellschaften, geführt. Artikel 18 Aktualisierung des Registers Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass Abschlussprüfer und Prüfungsgesellschaften den für das öffentliche Register zuständigen Stellen jede Änderung der darin geführten Informationen unverzüglich mitteilen. Das Register wird nach einer solchen Mitteilung unverzüglich aktualisiert. Artikel 19 Verantwortlichkeit für die Registrierungsangaben Die nach den Artikeln 16, 17 und 18 den entsprechenden zuständigen Stellen gelieferten Informationen werden vom Abschlussprüfer oder der Prüfungsgesellschaft unterzeichnet. Dies kann, wenn die zuständige Stelle die Übermittlung der Informationen auf elektronischem Weg zulässt, beispielsweise durch eine elektronische Signatur im Sinne von Artikel 2 Nummer 1 der Richtlinie 1999/93/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 1999 über gemeinschaftliche Rahmenbedingungen für elektronische Signaturen(19) geschehen.

KAPITEL IV BERUFSGRUNDSÄTZE, UNABHÄNGIGKEIT, UNPARTEILICHKEIT, VERSCHWIEGENHEIT UND BERUFSGEHEIMNIS Artikel 21 Berufsgrundsätze (1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass alle Abschlussprüfer und Prüfungsgesellschaften an Berufsgrundsätze gebunden sind. Diese Berufsgrundsätze haben zumindest ihre Funktion für das öffentliche Interesse, ihre Integrität und Unparteilichkeit sowie ihre Fachkompetenz und Sorgfalt zum Gegenstand. (2) Um Vertrauen in Abschlussprüfungen und die einheitliche Anwendung des Absatzes 1 des vorliegenden Artikels zu gewährleisten,kann die Kommission grundsatzorientierte Durchführungsmaßnahmen zu Berufsgrundsätzen erlassen. Diese Maßnahmen zur Änderung nicht wesentlicher Bestimmungen dieser Richtlinie durch Ergänzung werden nach dem in Artikel 48 Absatz 2a genannten Regelungsverfahren mit Kontrolle erlassen. Artikel 22 Unabhängigkeit und Unparteilichkeit (1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass Abschlussprüfer und Prüfungsgesellschaften bei der Durchführung einer Abschlussprüfung von dem geprüften Unternehmen unabhängig und nicht in das Treffen von dessen Entscheidungen eingebunden sind.

Die betroffenen Mitgliedstaaten stellen in allen Fällen sicher, dass aus dem Register hervorgeht, ob es sich um eine beglaubigte Übersetzung handelt oder nicht.

(2) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass Abschlussprüfer oder Prüfungsgesellschaften von der Durchführung einer Abschlussprüfung absehen, wenn zwischen ihnen oder ihrem Netzwerk und dem geprüften Unternehmen unmittelbar oder mittelbar eine finanzielle oder geschäftliche Beziehung, ein Beschäftigungsverhältnis oder eine sonstige Verbindung – wozu auch die Erbringung zusätzlicher Leistungen, die keine Prüfungsleistungen sind, zählt – besteht, aus der ein objektiver, verständiger und informierter Dritter den Schluss ziehen würde, dass ihre Unabhängigkeit gefährdet ist. Ist die Unabhängigkeit von Abschlussprüfern oder Prüfungsgesellschaften gefährdet, beispielsweise durch Selbstprüfung, Eigeninteresse, Interessenvertretung, Vertrautheit oder Vertrauensbeziehung oder Einschüchterung, müssen sie diese Risiken durch Schutzmaßnahmen mindern. Sind diese Risiken im Vergleich zu den ergriffenen Schutzmaßnahmen so bedeutsam, dass ihre Unabhängigkeit gefährdet wird, dürfen der Abschlussprüfer oder die Prüfungsgesellschaft bei Selbstprüfung oder Eigeninteresse die Abschlussprüfung nicht durchführen.

(19) ABl. L 13 vom 19.1.2000, S. 12.

Die Mitgliedstaaten stellen darüber hinaus sicher, dass ein Abschlussprüfer oder eine Prüfungs-

Artikel 20 Sprache (1) Die Informationen werden in einer nach der in dem betreffenden Mitgliedstaat geltenden Sprachenregelung zugelassenen Sprache in das öffentliche Register eingegeben. (2) Die Mitgliedstaaten können gestatten, dass die Informationen zusätzlich dazu in einer oder mehreren anderen Amtssprachen der Gemeinschaft in das öffentliche Register eingegeben werden. Die Mitgliedstaaten können zu diesem Zweck eine beglaubigte Übersetzung vorschreiben.

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gesellschaft bei Unternehmen von öffentlichem Interesse in den Fällen von Selbstprüfung oder Eigeninteresse die Abschlussprüfung nicht durchführt, wenn dies zur Wahrung der Unabhängigkeit des Abschlussprüfers oder der Prüfungsgesellschaft angemessen ist. (3) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass Abschlussprüfer oder Prüfungsgesellschaften in ihren Arbeitspapieren alle bedeutsamen Risiken für ihre Unabhängigkeit und die Schutzmaßnahmen, die zur Minderung dieser Risiken ergriffen wurden, dokumentieren. (4) Um das Vertrauen in Abschlussprüfungen und die einheitliche Anwendung der Absätze 1 und 2 des vorliegenden Artikels zu gewährleisten, kann die Kommission zu folgenden Bereichen grundsatzorientierte Durchführungsmaßnahmen annehmen: a) den in Absatz 2 genannten Risiken und Schutzmaßnahmen; b) Situationen, in denen die Risiken gemäß Absatz 2 so groß sind, dass die Unabhängigkeit des Abschlussprüfers oder der Prüfungsgesellschaften gefährdet ist; c) die Frage, ob in Fällen von Selbstprüfung und Eigeninteresse gemäß Absatz 2 Unterabsatz 2 Abschlussprüfungen durchgeführt werden dürfen oder nicht. Die Maßnahmen gemäß Unterabsatz 1 zur Änderung nicht wesentlicher Bestimmungen dieser Richtlinie durch Ergänzung werden nach dem in Artikel 48 Absatz 2a genannten Regelungsverfahren mit Kontrolle erlassen.

(4) Abschlussprüfer oder Prüfungsgesellschaften, die in einem bestimmten Prüfungsmandat nicht mehr tätig sind, und Abschlussprüfer oder Prüfungsgesellschaften eines früheren Abschlusses unterliegen hinsichtlich dieses Prüfungsmandats weiterhin den Bestimmungen der Absätze 1 und 2. Artikel 24 Unabhängigkeit und Unparteilichkeit von Abschlussprüfern, die für eine Prüfungsgesellschaft eine Abschlussprüfung durchführen Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass weder die Eigentümer noch die Anteilseigner einer Prüfungsgesellschaft noch die Mitglieder der Verwaltungs-, Leitungs- und Aufsichtsorgane dieser oder einer verbundenen Gesellschaft in einer Weise in eine Abschlussprüfung eingreifen, die die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit des Abschlussprüfers, der die Abschlussprüfung für die Prüfungsgesellschaft durchführt, gefährdet. Artikel 25 Prüfungshonorare Die Mitgliedstaaten sorgen für eine angemessene Regelung, die gewährleistet, dass die Honorare für Abschlussprüfungen a) nicht von der Erbringung zusätzlicher Leistungen für das geprüfte Unternehmen beeinflusst oder bestimmt werden; b) an keinerlei Bedingungen geknüpft werden dürfen.

Artikel 23 Verschwiegenheitspflicht und Berufsgeheimnis (1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass Abschlussprüfer und Prüfungsgesellschaften in Bezug auf alle Informationen und Unterlagen, zu denen sie bei der Durchführung einer Abschlussprüfung Zugang erhalten, entsprechenden Vorschriften zur Verschwiegenheitspflicht und zum Berufsgeheimnis unterliegen. (2) Die Vorschriften zur Verschwiegenheitspflicht und zum Berufsgeheimnis von Abschlussprüfern und Prüfungsgesellschaften dürfen die Durchsetzung der Bestimmungen dieser Richtlinie nicht erschweren. (3) Wird ein Abschlussprüfer oder eine Prüfungsgesellschaft durch einen anderen Abschlussprüfer oder eine andere Prüfungsgesellschaft ersetzt, gewährt dieser Abschlussprüfer bzw. diese Prüfungsgesellschaft dem neuen Abschlussprüfer bzw. der neuen Prüfungsgesellschaft Zugang zu allen relevanten Informationen über das geprüfte Unternehmen.

KAPITEL V PRÜFUNGSSTANDARDS UND BESTÄTIGUNGSVERMERK Artikel 26 Prüfungsstandards (1) Die Mitgliedstaaten verpflichten die Abschlussprüfer und Prüfungsgesellschaften, Abschlussprüfungen unter Beachtung der von der Kommission nach dem in Artikel 48 Absatz 2a genannten Regelungsverfahren mit Kontrolle angenommenen internationalen Prüfungsstandards durchzuführen. Die Mitgliedstaaten können einen nationalen Prüfungsstandard so lange anwenden, wie die Kommission keinen internationalen Prüfungsstandard, der für denselben Bereich gilt, angenommen hat. Angenommene internationale Prüfungsstandards werden vollständig in jeder der Amtssprachen der Gemeinschaft im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht. (2) Die Kommission kann über die Anwendbarkeit internationaler Prüfungsstandards innerhalb der

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Die Abschlussprüferrichtlinie Gemeinschaft entscheiden. Die Kommission nimmt internationale Prüfungsstandards zur Anwendung in der Gemeinschaft nur an, wenn sie a) in einem einwandfreien Verfahren mit angemessener öffentlicher Aufsicht und Transparenz erstellt wurden und international allgemein anerkannt sind, b) beim Jahresabschluss und beim konsolidierten Abschluss entsprechend den in Artikel 2 Absatz 3 der Richtlinie 78/660/EWG und in Artikel 16 Absatz 3 der Richtlinie 83/349/EWG festgelegten Grundsätzen zu einem hohen Maß an Glaubwürdigkeit und Qualität beitragen und c) dem europäischen Gemeinwohl dienen. Die Maßnahmen gemäß Unterabsatz 1 zur Änderung nicht wesentlicher Bestimmungen dieser Richtlinie durch Ergänzung werden nach dem in Artikel 48 Absatz 2a genannten Regelungsverfahren mit Kontrolle erlassen. (3) Die Mitgliedstaaten dürfen zusätzlich zu den – oder in Ausnahmefällen durch Nichtanwendung von Teilen von – internationalen Prüfungsstandards Prüfverfahren oder Prüfungsanforderungen nur vorschreiben, wenn diese sich aus speziellen, durch den Umfang der Abschlussprüfungen bedingten Anforderungen des nationalen Rechts ergeben. Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass diese zusätzlichen Prüfverfahren oder Prüfungsanforderungen mit den Bestimmungen des Absatzes 2 Buchstaben b und c in Einklang stehen, und setzen die Kommission und die Mitgliedstaaten vor ihrer Annahme über diese in Kenntnis. Die Mitgliedstaaten teilen in den Ausnahmefällen, in denen Teile eines internationalen Prüfungsstandards nicht angewandt werden, ihre besonderen nationalen gesetzlichen Regelungen und die Gründe für deren Beibehaltung mindestens sechs Monate vor deren nationaler Annahme oder, wenn diese Regelungen zum Zeitpunkt der Annahme eines internationalen Prüfungsstandards bereits bestehen, spätestens drei Monate nach Annahme des entsprechenden internationalen Prüfungsstandards der Kommission und den anderen Mitgliedstaaten mit. (4) Die Mitgliedstaaten können zusätzliche Anforderungen im Zusammenhang mit den Abschlussprüfungen von Jahresabschlüssen und konsolidierten Abschlüssen für einen Zeitraum bis zum 29. Juni 2010 vorschreiben.

Artikel 27 Abschlussprüfungen konsolidierter Abschlüsse Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass bei der Abschlussprüfung der konsolidierten Abschlüsse eines Konzerns a) der Konzernabschlussprüfer die volle Verantwortung für den Bestätigungsvermerk zu den konsolidierten Abschlüssen trägt;

b) der Konzernabschlussprüfer eine Prüfung durchführt und die Unterlagen aufbewahrt, die seine Überprüfung der Arbeit eines oder mehrerer Prüfer, Abschlussprüfer, Prüfungsunternehmen aus einem Drittland oder einer oder mehrerer Prüfungsgesellschaften zum Zweck der Konzernabschlussprüfung dokumentieren. Die von dem Konzernabschlussprüfer aufbewahrten Unterlagen müssen so beschaffen sein, dass die entsprechende zuständige Stelle die Arbeit des Konzernabschlussprüfers ordnungsgemäß überprüfen kann; c) der Konzernabschlussprüfer für den Fall, dass ein Teil des Konzerns von Prüfern oder Prüfungsunternehmen aus einem Drittland, das keine Vereinbarung zur Zusammenarbeit gemäß Artikel 47 hat, geprüft wird, dafür verantwortlich ist sicherzustellen, dass den öffentlichen Aufsichtsstellen die Unterlagen über die Arbeit ordnungsgemäß übergeben werden, die von den Prüfern oder Prüfungsunternehmen aus einem Drittland geleistet wurde, einschließlich der Arbeitsdokumente im Zusammenhang mit der Konzernabschlussprüfung. Zur Sicherstellung dieser Aushändigung bewahrt der Konzernabschlussprüfer eine Kopie dieser Unterlagen auf oder vereinbart andernfalls mit den Prüfern oder den Prüfungsunternehmen aus dem Drittland seinen ungehinderten und unbeschränkten Zugang auf Antrag oder trifft sonstige geeignete Maßnahmen. Verhindern rechtliche oder andere Hindernisse, dass die die Prüfung betreffenden Arbeitsunterlagen aus einem Drittland an den Konzernabschlussprüfer weitergegeben werden können, müssen die vom Konzerprüfer aufbewahrten Unterlagen Nachweise dafür enthalten, dass er die geeigneten Verfahren durchgeführt hat, um Zugang zu den Prüfungsunterlagen zu erhalten, und, im Fall anderer als durch die nationale Rechtsetzung entstandener rechtlicher Hindernisse, Nachweise für das Vorhandensein eines Hindernisses.

Artikel 28 Bestätigungsvermerk (1) Wird eine Abschlussprüfung von einer Prüfungsgesellschaft durchgeführt, so wird der Bestätigungsvermerk zumindest von dem oder den Abschlussprüfern, welche die Abschlussprüfung für die Prüfungsgesellschaft durchgeführt haben, unterzeichnet. Unter besonderen Umständen können die Mitgliedstaaten vorsehen, dass diese Unterschrift nicht öffentlich bekannt gemacht werden muss, weil eine solche Offenlegung zu einer absehbaren und ernst zu nehmenden und beträchtlichen Gefahr für die persönliche Sicherheit einer Person führen würde. In jedem Fall müssen die jeweiligen zuständigen Stellen die Namen der beteiligten Personen kennen.

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(2) Unbeschadet des Artikels 51a Absatz 1 der Richtlinie 78/660/EWG und falls die Kommission keinen einheitlichen Standard für Bestätigungsvermerke gemäß Artikel 26 Absatz 1 der vorliegenden Richtlinie festgelegt hat, kann die Kommission einen einheitlichen Standard für Bestätigungsvermerke für Jahresoder konsolidierte Abschlüsse, die nach anerkannten internationalen Rechnungslegungsstandards erstellt wurden, festlegen, um das Vertrauen der Öffentlichkeit in Abschlussprüfungen zu stärken. Diese Maßnahmen zur Änderung nicht wesentlicher Bestimmungen dieser Richtlinie durch Ergänzung werden nach dem in Artikel 48 Absatz 2a genannten Regelungsverfahren mit Kontrolle erlassen.

KAPITEL VI QUALITÄTSSICHERUNG

Artikel 29 Qualitätssicherungssysteme (1) Jeder Mitgliedstaat stellt sicher, dass alle Abschlussprüfer und Prüfungsgesellschaften einem Qualitätssicherungssystem unterliegen, das mindestens die folgenden Kriterien erfüllt: a) Das Qualitätssicherungssystem muss so organisiert sein, dass es von den überprüften Abschlussprüfern und Prüfungsgesellschaften unabhängig ist und der öffentlichen Aufsicht gemäß Kapitel VIII unterliegt; b) die Finanzierung des Qualitätssicherungssystems muss gesichert sein und darf Abschlussprüfern oder Prüfungsgesellschaften keine Möglichkeit zur ungebührlichen Einflussnahme geben; c) das Qualitätssicherungssystem muss über angemessene Ressourcen verfügen; d) die Personen, die die Qualitätssicherungsprüfungen durchführen, müssen über eine angemessene fachliche Ausbildung und einschlägige Erfahrungen auf den Gebieten der Abschlussprüfung und Rechnungslegung verfügen und darüber hinaus eine spezielle Ausbildung für Qualitätssicherungsprüfungen absolviert haben; e) die Personen, die mit Qualitätssicherungsprüfungen betraut werden, sind nach einem objektiven Verfahren auszuwählen, das darauf ausgelegt ist, Interessenkonflikte zwischen den Qualitätssicherungsprüfern und dem überprüften Abschlussprüfer oder der überprüften Prüfungsgesellschaft auszuschließen; f) die Qualitätssicherungsprüfung muss auf der Grundlage angemessener Überprüfungen von ausgewählten Prüfungsunterlagen eine Beurteilung der Einhaltung einschlägiger Prüfungsstandards und Unabhängigkeitsanforderungen,

der Quantität und der Qualität von eingesetzten Ressourcen sowie der berechneten Prüfungshonorare und des internen Qualitätssicherungssystems der Prüfungsgesellschaft umfassen; g) über die Qualitätssicherungsprüfung ist ein Bericht zu erstellen, der die wichtigsten Schlussfolgerungen dieser Prüfung wiedergibt; h) Qualitätssicherungsprüfungen müssen mindestens alle sechs Jahre stattfinden; i) die Gesamtergebnisse des Qualitätssicherungssystems sind jährlich zu veröffentlichen; j) die im Rahmen von Qualitätsprüfungen ausgesprochenen Empfehlungen müssen von dem Abschlussprüfer oder der Prüfungsgesellschaft innerhalb einer angemessenen Frist umgesetzt werden. Wenn die unter Buchstabe j genannten Empfehlungen nicht umgesetzt werden, so werden gegebenenfalls gegen den Abschlussprüfer oder die Prüfungsgesellschaft die in Artikel 30 genannten Disziplinarmaßnahmen oder Sanktionen verhängt. (2) Die Kommission kann Durchführungsmaßnahmen erlassen, um das Vertrauen der Öffentlichkeit in Abschlussprüfungen zu stärken und die einheitliche Anwendung von Absatz 1 Buchstaben a, b und e bis j zu gewährleisten. Diese Maßnahmen zur Änderung nicht wesentlicher Bestimmungen dieser Richtlinie durch Ergänzung werden nach dem in Artikel 48 Absatz 2a genannten Regelungsverfahren mit Kontrolle erlassen.

KAPITEL VII UNTERSUCHUNGEN UND SANKTIONEN

Artikel 30 Untersuchungen und Sanktionen (1) Die Mitgliedstaaten sorgen für wirksame Untersuchungen und Sanktionen, um eine unzureichende Durchführung von Abschlussprüfungen aufzudecken, zu berichtigen und zu verhindern. (2) Unbeschadet der zivilrechtlichen Haftungsvorschriften der Mitgliedstaaten sehen die Mitgliedstaaten wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktionen für Abschlussprüfer und Prüfungsgesellschaften vor, die sich bei der Durchführung von Abschlussprüfungen nicht an die Vorschriften halten, die zur Umsetzung dieser Richtlinie angenommen wurden. (3) Die Mitgliedstaaten sehen vor, dass Maßnahmen und Sanktionen gegen Abschlussprüfer oder Prüfungsgesellschaften in angemessener Weise öffentlich bekannt gemacht werden. Zu den Sanktionen sollte auch die Möglichkeit des Entzugs der Zulassung zählen.

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Die Abschlussprüferrichtlinie Artikel 31 Haftung des Prüfers Die Kommission legt vor dem 1. Januar 2007 einen Bericht über die Auswirkungen der derzeitigen nationalen Haftungsregelungen für Abschlussprüfungen auf die Europäischen Kapitalmärkte und auf die Versicherungsbedingungen für Abschlussprüfer und Prüfungsgesellschaften, einschließlich einer objektiven Analyse der Begrenzungen für finanzielle Haftungen, vor. Die Kommission stützt sich gegebenenfalls auf öffentliche Konsultationen. Die Kommission übermittelt, wenn sie es für angemessen hält, im Ergebnis des Berichts Empfehlungen an die Mitgliedstaaten.

KAPITEL VIII ÖFFENTLICHE AUFSICHT UND GEGENSEITIGE ANERKENNUNG DER MITGLIEDSTAATLICHEN REGELUNGEN

(6) Die öffentliche Aufsicht muss transparent sein. Dazu zählt auch die Veröffentlichung jährlicher Arbeitsprogramme und Tätigkeitsberichte. (7) Die öffentliche Aufsicht muss ausreichend finanziert sein. Die Finanzierung des Systems muss gesichert und frei von ungebührlicher Einflussnahme durch Abschlussprüfer oder Prüfungsgesellschaften sein. Artikel 33 Zusammenarbeit zwischen den für die öffentliche Aufsicht zuständigen Stellen auf Gemeinschaftsebene Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die Regelungen für öffentliche Aufsichtssysteme auf Gemeinschaftsebene eine wirksame Zusammenarbeit bei den Aufsichtstätigkeiten der Mitgliedstaaten ermöglichen. Zu diesem Zweck überträgt jeder Mitgliedstaat einer Einrichtung speziell die Verantwortung für diese Zusammenarbeit. Artikel 34

Artikel 32 Grundsätze der öffentlichen Aufsicht (1) Die Mitgliedstaaten organisieren nach den in den Absätzen 2 bis 7 festgelegten Grundsätzen eine wirksame öffentliche Aufsicht für Abschlussprüfer und Prüfungsgesellschaften. (2) Alle Abschlussprüfer und Prüfungsgesellschaften müssen der öffentlichen Aufsicht unterliegen. (3) Die öffentliche Aufsicht muss in der Hand von Nichtberufsausübenden liegen, die in den für die Abschlussprüfung relevanten Bereichen über entsprechende Kenntnisse verfügen. Die Mitgliedstaaten können jedoch gestatten, dass eine Minderheit der mit der öffentlichen Aufsicht befassten Personen als Abschlussprüfer tätig ist. Alle Personen, die im System der öffentlichen Aufsicht eine führende Position bekleiden, sind in einem unabhängigen und transparenten Verfahren auszuwählen. (4) Die öffentliche Aufsicht muss in letzter Instanz dafür zuständig sein, a) die Zulassung und Registrierung von Abschlussprüfern und Prüfungsgesellschaften zu überwachen, b) die Annahme von Berufsgrundsätzen, von Standards für die interne Qualitätskontrolle von Prüfungsgesellschaften sowie von Prüfungsstandards zu überwachen und c) die kontinuierliche Fortbildung, die Qualitätssicherungssowie die Untersuchungsund Disziplinarsysteme zu überwachen. (5) Die öffentliche Aufsicht muss das Recht haben, bei Bedarf Untersuchungen zu Abschlussprüfern und Prüfungsgesellschaften durchzuführen und geeignete Maßnahmen einzuleiten.

Gegenseitige Anerkennung der mitgliedstaatlichen Regelungen (1) Die Regelungen der Mitgliedstaaten folgen dem Herkunftslandprinzip, das heißt, es gelten die Rechtsvorschriften und Aufsichtsregeln des Mitgliedstaats, in dem der Abschlussprüfer oder die Prüfungsgesellschaft zugelassen ist und das geprüfte Unternehmen seinen eingetragenen Sitz hat. (2) Für die Abschlussprüfung eines konsolidierten Abschlusses darf der Mitgliedstaat, der diese Abschlussprüfung vorschreibt, dem Abschlussprüfer oder der Prüfungsgesellschaft, der bzw. die die Abschlussprüfung einer in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassenen Tochtergesellschaft durchführt, für diese Abschlussprüfung in Bezug auf Registrierung, Qualitätssicherungsprüfung, Prüfungsstandards, Berufsgrundsätze und Unabhängigkeit keine zusätzlichen Anforderungen auferlegen. (3) Werden die Wertpapiere einer Gesellschaft auf einem geregelten Markt eines anderen Mitgliedstaat als dem ihres eingetragenen Sitzes gehandelt, so darf der Mitgliedstaat, in dem die Wertpapiere gehandelt werden, dem Abschlussprüfer oder der Prüfungsgesellschaft, die die Abschlussprüfung des Jahresabschlusses oder des konsolidierten Abschlusses jener Gesellschaft durchführt, in Bezug auf Registrierung, Qualitätssicherungsprüfung, Prüfungsstandards, Berufsgrundsätze und Unabhängigkeit keine zusätzlichen Anforderungen auferlegen. Artikel 35 Benennung der zuständigen Stellen (1) Die Mitgliedstaaten benennen eine oder mehrere für die in dieser Richtlinie vorgesehenen Aufgaben verantwortliche zuständige Stellen. Die Mit-

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Gesellschaftsrechtliche Richtlinien

gliedstaaten unterrichten die Kommission von dieser Benennung.

tigen oder nationale Sicherheitsregeln verletzen könnte,

(2) Die zuständigen Stellen müssen so organisiert sein, dass Interessenkonflikte vermieden werden.

b) aufgrund derselben Handlungen und gegen dieselben Abschlussprüfer und Prüfungsgesellschaften bereits ein Gerichtsverfahren vor den Stellen des ersuchten Mitgliedstaats anhängig ist oder,

Artikel 36 Berufsgeheimnisse und Zusammenarbeit zwischen den zuständigen Regelungsorganen der Mitgliedstaaten (1) Die für die Zulassung, Registrierung, Qualitätssicherung und Berufsaufsicht verantwortlichen zuständigen Stellen der Mitgliedstaaten arbeiten zusammen, wann immer dies für die Wahrnehmung ihrer jeweiligen Zuständigkeiten nach dieser Richtlinie erforderlich ist. Die für die Zulassung, Registrierung, Qualitätssicherung und Berufsaufsicht verantwortlichen zuständigen Stellen der Mitgliedstaaten leisten einander Amtshilfe. Insbesondere tauschen die zuständigen Stellen Informationen aus und arbeiten bei Untersuchungen im Zusammenhang mit der Durchführung von Abschlussprüfungen zusammen. (2) Die Pflicht zur Wahrung des Berufsgeheimnisses gilt für alle Personen, die von zuständigen Stellen beschäftigt werden oder wurden. Informationen, die unter das Berufsgeheimnis fallen, dürfen keiner anderen Person oder Stelle offenbart werden, es sei denn, dies ist durch Gesetze, Verordnungen oder Verwaltungsverfahren eines Mitgliedstaates geregelt. (3) Absatz 2 steht dem Austausch von vertraulichen Informationen zwischen den zuständigen Stellen nicht entgegen. So ausgetauschte Informationen unterliegen der Pflicht zur Wahrung des Berufsgeheimnisses, der Personen unterliegen, die von zuständigen Stellen beschäftigt sind oder waren. (4) Die zuständigen Stellen liefern auf Anfrage unverzüglich alle Informationen, die für die in Absatz 1 genannten Zwecke erforderlich sind. Falls notwendig, leiten die zuständigen Stellen, die eine solche Anfrage erhalten, unverzüglich die zur Sam-mlung der gewünschten Informationen notwendigen Maßnahmen ein. Die auf diesem Wege gelieferten Informationen fallen unter das Berufsgeheimnis, dem die bei der Empfängerstelle zu diesem oder einem früheren Zeitpunkt angestellten Personen unterliegen. Kann die zuständige Stelle die gewünschten Informationen nicht unverzüglich liefern, teilt sie dies der anderen zuständigen Stelle unter Angabe von Gründen mit. Die zuständigen Stellen können sich weigern, einem solchen Auskunftsverlangen zu entsprechen, wenn a) eine Weitergabe der Information die Souveränität, die Sicherheit oder die öffentliche Ordnung des ersuchten Mitgliedstaates beeinträch-

c) gegen dieselben Abschlussprüfer oder Prüfungsgesellschaften aufgrund derselben Handlungen bereits ein rechtskräftiges Urteil der zuständigen Stellen des ersuchten Mitgliedstaats ergangen ist. Unbeschadet ihrer Pflichten in Gerichtsverfahren dürfen die zuständigen Stellen, die nach Absatz 1 Informationen erhalten, diese nur zur Wahrnehmung ihrer in dieser Richtlinie festgelegten Aufgaben sowie bei Verwaltungsoder Gerichtsverfahren, die speziell die Wahrnehmung dieser Aufgaben betreffen, verwenden. (5) Kommt eine zuständige Stelle zu der Überzeugung, dass im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats gegen die Bestimmungen dieser Richtlinie verstoßen wird oder wurde, so teilt sie dies der zuständigen Stelle des anderen Mitgliedstaats so genau wie möglich mit. Die zuständige Stelle des anderen Mitgliedstaats trifft geeignete Maßnahmen. Sie informiert erstere über das Endergebnis und so weit wie möglich über wesentliche Zwischenergebnisse. (6) Die zuständige Stelle eines Mitgliedstaats kann ebenfalls verlangen, dass die zuständige Stelle eines anderen Mitgliedstaats auf dessen Gebiet eine Untersuchung durchführt. Sie kann darüber hinaus verlangen, dass einige ihrer Mitarbeiter die Erlaubnis erhalten, die Mitarbeiter der zuständigen Stelle des anderen Mitgliedstaates im Laufe der Untersuchung zu begleiten. Die Untersuchung unterliegt durchgehend der umfassenden Aufsicht des Mitgliedstaats, in dessen Gebiet sie stattfindet. Die zuständigen Stellen können sich weigern, einer nach Unterabsatz 1 ergangenen Aufforderung zur Durchführung einer Untersuchung oder einer nach Unterabsatz 2 ergangenen Aufforderung, die eigenen Mitarbeiter von Mitarbeitern der zuständigen Stelle eines anderen Mitgliedstaates begleiten zu lassen, nachzukommen, wenn a) eine solche Untersuchung die Souveränität, die Sicherheit oder die öffentliche Ordnung des ersuchten Mitgliedstaats beeinträchtigen könnte, b) aufgrund derselben Handlungen und gegen dieselben Personen bereits ein Gerichtsverfahren vor den Stellen des ersuchten Mitgliedstaats anhängig ist oder, c) gegen die betreffenden Personen aufgrund derselben Handlungen bereits ein rechtskräfti-

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Die Abschlussprüferrichtlinie ges Urteil der zuständigen Stellen des ersuchten Mitgliedstaats ergangen ist. (7) Die Kommission kann zu den in den Absätzen 2 bis 4 des vorliegenden Artikels vorgesehenen Modalitäten für Informationsaustausch und grenzüberschreitende Untersuchungen Durchführungsmaßnahmen zur Erleichterung der Zusammenarbeit zwischen den zuständigen Stellen erlassen. Diese Maßnahmen zur Änderung nicht wesentlicher Bestimmungen dieser Richtlinie durch Ergänzung werden nach dem in Artikel 48 Absatz 2a genannten Regelungsverfahren mit Kontrolle erlassen.

KAPITEL IX BESTELLUNG UND ABBERUFUNG

KAPITEL X BESONDERE BESTIMMUNGEN FÜR DIE ABSCHLUSSPRÜFUNG BEI UNTERNEHMEN VON ÖFFENTLICHEM INTERESSE

Artikel 39 Anwendung auf nicht börsennotierte Unternehmen von öffentlichem Interesse Die Mitgliedstaaten können Unternehmen von öffentlichem Interesse, die keine übertragbaren Wertpapiere ausgegeben haben, die zum Handel auf einem geregelten Markt im Sinne von Artikel 4 Absatz 1 Nummer 14 der Richtlinie 2004/39/EG zugelassen sind, und ihre(n) Abschlussprüfer(n) bzw. Prüfungsgesellschaft(en) von einer oder mehreren Anforderungen dieses Kapitels ausnehmen.

Artikel 37

Artikel 40

Bestellung von Abschlussprüfern oder Prüfungsgesellschaften

Transparenzbericht

(1) Der Abschlussprüfer oder die Prüfungsgesellschaft wird von der Mitgliederoder Gesellschafterversammlung des geprüften Unternehmens bestellt. (2) Die Mitgliedstaaten können alternative Systeme oder Modalitäten für die Bestellung des Abschlussprüfers oder der Prüfungsgesellschaft unter der Voraussetzung zulassen, dass diese Systeme oder Modalitäten darauf ausgerichtet sind, die Unabhängigkeit des Abschlussprüfers oder der Prüfungsgesellschaft von den an der Geschäftsführung beteiligten Mitgliedern des Verwaltungsorgans oder vom Leitungsorgan des geprüften Unternehmens zu gewährleisten.

(1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass Abschlussprüfer und Prüfungsgesellschaften, die bei Unternehmen von öffentlichem Interesse eine oder mehrere Abschlussprüfungen durchführen, auf ihren Websites binnen drei Monaten nach Ende jedes Geschäftsjahres jährliche Transparenzberichte veröffentlichen, die zumindest Folgendes enthalten: a) eine Beschreibung ihrer Rechtsform und Eigentumsverhältnisse; b) für den Fall, dass die Prüfungsgesellschaft einem Netzwerk angehört, eine Beschreibung dieses Netzwerks einschließlich seiner rechtlichen und organisatorischen Struktur; c) eine Beschreibung der Leitungsstruktur der Prüfungsgesellschaft;

Artikel 38 Abberufung und Rücktritt von Abschlussprüfern oder Prüfungsgesellschaften (1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass Abschlussprüfer oder Prüfungsgesellschaften nur bei Vorliegen triftiger Gründe abberufen werden können. Meinungsverschiedenheiten über Bilanzierungsmethoden oder Prüfverfahren sind kein triftiger Grund für eine Abberufung. (2) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass das geprüfte Unternehmen und der Abschlussprüfer bzw. die Prüfungsgesellschaft die für die öffentliche Aufsicht zuständige oder zuständigen Stellen über die Abberufung oder den Rücktritt des Abschlussprüfers bzw. der Prüfungsgesellschaft während der Laufzeit des Auftrags in Kenntnis setzen und eine ausreichende Begründung liefern.

d) eine Beschreibung ihres internen Qualitätssicherungssystems und eine Erklärung des Verwaltungsoder Leitungsorgans zu dessen Wirksamkeit; e) das Datum der letzten Qualitätssicherungsprüfung gemäß Artikel 29; f) eine Liste der Unternehmen von öffentlichem Interesse, für die die Prüfungsgesellschaft im vorangegangenen Geschäftsjahr Abschlussprüfungen durchgeführt hat; g) eine Erklärung darüber, mit welchen Maßnahmen die Prüfungsgesellschaft ihre Unabhängigkeit zu wahren sucht, in der auch bestätigt wird, dass eine interne Überprüfung der Einhaltung von Unabhängigkeitsanforderungen stattgefunden hat; h) eine Erklärung dazu, wie die Prüfungsgesellschaft in Bezug auf die in Artikel 13 genannte kontinuierliche Fortbildung von Abschlussprüfern verfährt;

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Gesellschaftsrechtliche Richtlinien

i) Finanzinformationen, die über die Bedeutung der Prüfungsgesellschaft Aufschluss geben, wie etwa der Gesamtumsatz aufgeschlüsselt nach Honoraren, die für die Abschlussprüfung von Jahresund konsolidierten Abschlüssen gezahlt wurden, und Honoraren, die die Gesellschaft für andere Bestätigungsleistungen, Steuerberatungsleistungen und sonstige Leistungen erhalten hat; j) Angaben darüber, wonach sich die Vergütung der Partner bemisst. Die Mitgliedstaaten können unter besonderen Umständen von den Anforderungen des Buchstabens f absehen, sofern dies notwendig ist, um eine absehbare und ernst zu nehmende Gefahr für die persönliche Sicherheit einer Person zu vermindern. (2) Der Transparenzbericht wird von dem Abschlussprüfer oder der Prüfungsgesellschaft unterzeichnet. Dies kann beispielsweise durch eine elektronische Signatur im Sinne von Artikel 2 Nummer 1 der Richtlinie 1999/93/EG geschehen.

Artikel 41 Prüfungsausschuss (1) Jedes Unternehmen von öffentlichem Interesse hat einen Prüfungsausschuss. Der Mitgliedstaat legt fest, ob Prüfungsausschüsse sich aus nicht an der Geschäftsführung beteiligten unabhängigen Mitgliedern des Verwaltungsorgans und/oder des Aufsichtsorgans des geprüften Unternehmens und/oder Mitgliedern zusammensetzen sollen, die durch Mehrheitsentscheidung von der Gesellschafterversammlung des geprüften Unternehmens bestellt werden. Mindestens ein Mitglied des Prüfungsausschusses muss unabhängig sein und über Sachverstand in Rechnungslegung und/oder Abschlussprüfung verfügen. Die Mitgliedstaaten können gestatten, dass in Unternehmen von öffentlichem Interesse, die unter die Bestimmungen von Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe f der Richtlinie 2003/71/EG(20) fallen, die Aufgaben, die dem Prüfungsausschuss übertragen sind, vom Verwaltungsoder Aufsichtsorgan als Ganzes wahrgenommen werden, vorausgesetzt, dass zumindest der Vorsitzende eines solchen Organs, der geschäftsführendes Mitglied ist, nicht gleichzeitig Vorsitzender des Prüfungsausschusses ist. (2) Unabhängig von der Verantwortung der Mitglieder des Verwaltungs-, Leitungsoder Aufsichtsorgans des geprüften Unternehmens oder anderer Mitglieder, die durch Mehrheitsentscheidung von

(20) Richtlinie 2003/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 betreffend den Prospekt, der beim öffentlichen Angebot von Wertpapieren oder bei deren Zulassung zum Handel zu veröffentlichen ist (ABl. L 345 vom 31.12.2003, S. 64).

der Gesellschafterversammlung oder Aktionärshauptversammlung des geprüften Unternehmens bestellt werden, besteht die Aufgabe des Prüfungsausschusses unter anderem darin, a) den Rechnungslegungsprozess zu überwachen; b) die Wirksamkeit des internen Kontrollsystems, gegebenenfalls des internen Revisionssystems, und des Risikomanagementsystems des Unternehmens zu überwachen; c) die Abschlussprüfung des Jahres- und des konsolidierten Abschlusses zu überwachen; d) die Unabhängigkeit des Abschlussprüfers oder der Prüfungsgesellschaft, insbesondere die von diesen für das geprüfte Unternehmen erbrachten zusätzlichen Leistungen, zu überprüfen und zu überwachen. (3) Bei einem Unternehmen von öffentlichem Interesse stützt sich der Vorschlag des Verwaltungsoder Aufsichtsorgans für die Bestellung eines Abschlussprüfers oder einer Prüfungsgesellschaft auf eine Empfehlung des Prüfungsausschusses. (4) Der Abschlussprüfer oder die Prüfungsgesellschaft berichten dem Prüfungsausschuss über die wichtigsten bei der Abschlussprüfung gewonnenen Erkenntnisse, insbesondere über wesentliche Schwächen bei der internen Kontrolle des Rechnungslegungsprozesses. (5) Die Mitgliedstaaten können zulassen oder beschließen, dass die in den Absätzen 1 bis 4 enthaltenen Bestimmungen nicht auf Unternehmen von öffentlichem Interesse, mit einem Gremium, das einem Prüfungsausschuss obliegenden Aufgaben erfüllt, angewandt werden, das gemäß den in dem Mitgliedstaat geltenden Bestimmungen gebildet wurde und tätig ist, in dem das zu prüfende Unternehmen eingetragen ist. In einem solchen Fall erklärt das Unternehmen, welches Gremium diese Funktionen erfüllt und wie es zusammengesetzt ist. (6) Die Mitgliedstaaten können von der Verpflichtung, einen Prüfungsausschuss zu haben, befreien: a) Unternehmen von öffentlichem Interesse, die Tochterunternehmen im Sinne von Artikel 1 der Richtlinie 83/349/EWG sind, wenn sie auf Konzernebene die Anforderungen der Absätze 1 bis 4 des vorliegenden Artikels erfüllen; b) Unternehmen von öffentlichem Interesse, die im Sinne von Artikel 1 Absatz 2 der Richtlinie 85/611/EWG Organismen für gemeinsame Anlagen sind; die Mitgliedstaaten können ferner Unternehmen von öffentlichem Interesse befreien, deren einziges Ziel in der gemeinsamen Investition von durch die Öffentlichkeit bereitgestelltem Kapital besteht, die nach dem Prinzip der Risikoteilung tätig sind und nicht danach streben, rechtliche oder administrative Kontrolle über einen ihrer Investoren zu erlangen, vor-

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Die Abschlussprüferrichtlinie ausgesetzt dass diese Organismen für gemeinsame Anlagen genehmigt sind und einer Kontrolle durch zuständige Behörden unterliegen und dass sie über eine Verwahrstelle verfügen, die Aufgaben gemäß der Richtlinie 85/611/ EWG ausübt; c) Unternehmen von öffentlichem Interesse, deren ausschließliche Tätigkeit darin besteht, gemäß Artikel 2 Absatz 5 der Verordnung (EG) Nr. 809/ 2004 der Kommission(21) als Emittent von Wertpapieren, die durch Vermögenswerte besichert sind, aufzutreten. In solchen Fällen verlangen die Mitgliedstaaten von dem Unternehmen, öffentlich die Gründe darzulegen, weshalb das Unternehmen es nicht für angebracht hält, entweder einen Prüfungsausschuss zu haben oder ein Verwaltungsoder Aufsichtsorgan mit den Aufgaben eines Prüfungsausschusses zu betrauen; d) Kreditinstitute im Sinne von Artikel 1 Absatz 1 der Richtlinie 2000/12/EG, deren Anteile nicht zum Handel auf einem geregelten Markt eines Mitgliedstaats im Sinne von Artikel 4 Absatz 1 Nummer 14 der Richtlinie 2004/39/EG zugelassen sind und die dauernd oder wiederholt ausschließlich Schuldtitel ausgegeben haben, vorausgesetzt der Gesamtnominalwert aller derartigen Schuldtitel liegt unter 100 000 000 EUR und sie haben keinen Prospekt gemäß der Richtlinie 2003/71/EG veröffentlicht.

mandat abgezogen werden und zur Mitwirkung an der Prüfung des geprüften Unternehmens frühestens nach Ablauf von zwei Jahren wieder berechtigt sind. (3) Der Abschlussprüfer oder der verantwortliche Prüfungspartner, der eine Abschlussprüfung im Auftrag einer Prüfungsgesellschaft durchführt, darf mindestens zwei Jahre, nachdem er als Abschlussprüfer oder verantwortlicher Prüfungspartner von dem Prüfungsmandat zurückgetreten ist, keine wichtige Führungsposition in dem geprüften Unternehmen übernehmen.

Artikel 43 Qualitätssicherung Bei Abschlussprüfern oder Prüfungsgesellschaften, die Abschlussprüfungen bei Unternehmen von öffentlichem Interesse durchführen, hat die in Artikel 29 genannte Qualitätssicherungsprüfung mindestens alle drei Jahre zu erfolgen.

KAPITEL XI INTERNATIONALE ASPEKTE

Artikel 44 Zulassung von Prüfern aus Drittländern

Artikel 42 Unabhängigkeit (1) Zusätzlich zu den in den Artikeln 22 und 24 festgelegten Bestimmungen stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass die Abschlussprüfer oder die Prüfungsgesellschaften, die die Abschlussprüfung eines Unternehmens von öffentlichem Interesse durchführen, a) gegenüber dem Prüfungsausschuss jährlich schriftlich ihre Unabhängigkeit von dem geprüften Unternehmen von öffentlichem Interesse erklären, b) den Prüfungsausschuss jährlich über die von ihnen gegenüber dem geprüften Unternehmen erbrachten zusätzlichen Leistungen informieren und c) mit dem Prüfungsausschuss die Risiken für ihre Unabhängigkeit sowie die von ihnen gemäß Artikel 22 Absatz 3 dokumentierten Schutzmaßnahmen zur Minderung dieser Risiken erörtern. (2) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass der oder die für die Durchführung der Abschlussprüfung im Auftrag der Prüfungsgesellschaft verantwortlichen Prüfungspartner spätestens sieben Jahre nach ihrer Bestellung von diesem Prüfungs-

(21) ABl. L 149 vom 30.4.2004, S. 1.

(1) Auf der Grundlage der Gegenseitigkeit können die zuständigen Stellen eines Mitgliedstaates Prüfer aus Drittländern als Abschlussprüfer zulassen, sofern sie nachweisen können, dass sie Voraussetzungen erfüllen, die denjenigen der Artikel 4 und 6 bis 13 gleichwertig sind. (2) Die zuständige Stelle eines Mitgliedstaats wendet die Anforderungen nach Artikel 14 an, bevor sie Prüfern aus einem Drittland, die die Voraussetzungen von Absatz 1 erfüllen, die Zulassung gewährt.

Artikel 45 Registrierung und Aufsicht von Prüfern und Prüfungsunternehmen aus Drittländern (1) Die zuständigen Stellen der Mitgliedstaaten registrieren gemäß den Artikeln 15 bis 17 jeden Prüfer und jedes Prüfungsunternehmen aus Drittländern, die einen Bestätigungsvermerk erteilen für den Jahresabschluss bzw. konsolidierten Abschluss eines außerhalb der Gemeinschaft eingetragenen Unternehmens, dessen übertragbare Wertpapiere zum Handel auf einem geregelten Markt dieses Mitgliedstaats im Sinne von Artikel 4 Absatz 1 Nummer 14 der Richtlinie 2004/39/EG zugelassen sind, es sei denn, die Gesellschaft hat ausschließlich zum Handel auf einem geregelten

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Gesellschaftsrechtliche Richtlinien

Markt in einem Mitgliedstaat zugelassene Schuldtitel im Sinne von Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe b der Richtlinie 2004/109/EG(22) mit einer Mindeststückelung von 50 000 EUR oder bei Schuldtiteln, die auf eine andere Währung als Euro lauten, mit einer Mindeststückelung, deren Wert am Ausgabetag mindestens 50 000 EUR entspricht, ausgegeben. (2) Artikel 18 und 19 finden Anwendung. (3) Die Mitgliedstaaten unterwerfen die registrierten Prüfer und Prüfungsunternehmen aus Drittländern ihrem Aufsichtssystem, ihrem Qualitätssicherungssystem sowie ihren Untersuchungen und Sanktionen. Ein Mitgliedstaat kann einen registrierten Prüfer oder ein registriertes Prüfungsunternehmen aus Drittländern von der Unterwerfung unter sein Qualitätssicherungssystem ausnehmen, wenn das Qualitätssicherungssystem eines anderen Mitgliedstaats oder eines Drittlands, das als gleichwertig nach Artikel 46 bewertet wurde, bereits während der vorausgegangenen drei Jahre eine Qualitätsprüfung des betreffenden Prüfers bzw. des betreffenden Prüfungsunternehmens des Drittlands durchgeführt hat. (4) Unbeschadet des Artikels 46 haben die in Absatz 1 des vorliegenden Artikels genannten Bestätigungsvermerke zum Jahresabschluss bzw. konsolidierten Abschluss, die von in dem Mitgliedstaat nicht registrierten Prüfern oder Prüfungsunternehmen aus Drittländern erteilt werden, in diesem Mitgliedstaat keinerlei Rechtswirkung. (5) Ein Mitgliedstaat kann ein Prüfungsunternehmen aus einem Drittland nur registrieren, wenn a) es Voraussetzungen erfüllt, die denen des Artikels 3 Absatz 3 gleichwertig sind; b) die Mehrheit der Mitglieder des Verwaltungsbzw. Leitungsorgans des Prüfungsunternehmens aus einem Drittland Voraussetzungen erfüllt, die den Vorgaben der Artikel 4 bis 10 gleichwertig sind; c) der Prüfer aus einem Drittland, der die Prüfung im Auftrag des Prüfungsunternehmens aus einem Drittland durchführt, Voraussetzungen erfüllt, die den Vorgaben der Artikel 4 bis 10 gleichwertig sind; d) die Prüfungen des Jahresabschlusses bzw. konsolidierten Abschlusses nach Absatz 1 in Übereinstimmung mit den internationalen Prüfungsstandards gemäß Artikel 26 und den in den Artikeln 22, 24 und 25 niedergelegten Anforderungen oder gleichwertigen Standards und Anforderungen durchgeführt werden;

(22) Richtlinie 2004/109/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Dezember 2004 zur Harmonisierung der Transparenzanforderungen in Bezug auf Informationen über Emittenten, deren Wertpapiere zum Handel auf einem geregelten Markt zugelassen sind (ABl. L 390 vom 31.12.2004, S. 38).

e) es auf seiner Website einen jährlichen Transparenzbericht veröffentlicht, der die in Artikel 40 genannten Informationen enthält, oder gleichwertige Anforderungen an die Offenlegung erfüllt. (6) Zur Gewährleistung einer einheitlichen Anwendung von Absatz 5 Buchstabe d wird die dort genannte Gleichwertigkeit von der Kommission in Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten beurteilt, und die Kommission entscheidet nach dem in Artikel 48 Absatz 2 genannten Regelungsverfahren über ihr Vorliegen. Die Mitgliedstaaten können die Gleichwertigkeit gemäß Absatz 5 Buchstabe d des vorliegenden Artikels beurteilen, solange die Kommission keine entsprechende Entscheidung getroffen hat. In diesem Zusammenhang kann die Kommission Maßnahmen einleiten, die darauf ausgerichtet sind, allgemeine Kriterien für die Gleichwertigkeit gemäß den Bestimmungen der Artikel 22, 24, 25 und 26 aufzustellen, die gegenüber allen Drittländern angewandt werden und von den Mitgliedstaaten auf einzelstaatlicher Ebene bei der Beurteilung der Gleichwertigkeit angewandt werden müssen. Die Kriterien dürfen nicht strenger sein als die in den Artikeln 22, 24, 25 und 26 enthaltenen Bestimmungen. Diese Maßnahmen zur Änderung nicht wesentlicher Bestimmungen dieser Richtlinie durch Ergänzung werden nach dem in Artikel 48 Absatz 2a genannten Regelungsverfahren mit Kontrolle erlassen. Artikel 46 Ausnahmen bei Gleichwertigkeit (1) Die Mitgliedstaaten können auf der Grundlage der Gegenseitigkeit von den Anforderungen des Artikels 45 Absätze 1 und 3 nur dann absehen oder abweichen, wenn diese Prüfer bzw. Prüfungsunternehmen aus einem Drittland in dem Drittland einer öffentlichen Aufsicht, einem Qualitätssicherungssystem sowie Untersuchungen und Sanktionen unterliegen, die Anforderungen genügen, die denen der Artikel 29, 30 und 32 gleichwertig sind. (2) Zur Gewährleistung einer einheitlichen Anwendung von Absatz 1 wird die dort genannte Gleichwertigkeit von der Kommission in Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten beurteilt, und die Kommission entscheidet nach dem in Artikel 48 Absatz 2 genannten Regelungsverfahren über ihr Vorliegen. Die Mitgliedstaaten können die Gleichwertigkeit gemäß Absatz 1 beurteilen oder sich auf die von anderen Mitgliedstaaten durchgeführten Beurteilungen beziehen, solange die Kommission keine entsprechende Entscheidung getroffen hat. Wenn die Kommission zu dem Schluss kommen sollte, dass die Anforderungen an die Gleichwertigkeit gemäß Absatz 1 nicht erfüllt sind, kann sie für eine angemessene Übergangsperiode den betreffenden Prüfern und Prüfungsunternehmen die Fortsetzung ihrer Prüfungen nach den Bestimmungen des entsprechenden Mitgliedstaats gestatten.

Die Abschlussprüferrichtlinie In diesem Zusammenhang kann die Kommission Maßnahmen einleiten, die darauf ausgerichtet sind, allgemeine Kriterien für die Gleichwertigkeit gemäß den Bestimmungen der Artikel 29, 30, und 32 aufzustellen, die gegenüber allen Drittländern angewandt werden und von den Mitgliedstaaten auf einzelstaatlicher Ebene bei der Beurteilung der Gleichwertigkeit angewandt werden müssen. Die Kriterien dürfen nicht strenger sein als die in den Artikeln 29, 30 und 32 enthaltenen Bestimmungen. Diese Maßnahmen zur Änderung nicht wesentlicher Bestimmungen dieser Richtlinie durch Ergänzung werden nach dem in Artikel 48 Absatz 2a genannten Regelungsverfahren mit Kontrolle erlassen. (3) Die Mitgliedstaaten teilen der Kommission Folgendes mit: a) ihre Beurteilung der Gleichwertigkeit im Sinne von Absatz 2 und b) die Hauptpunkte ihrer Kooperationsvereinbarungen mit öffentlichen Aufsichtssystemen, Qualitätssicherungssystemen sowie Untersuchungen und Sanktionen in Drittländern auf der Grundlage von Absatz 1.

Artikel 47 Zusammenarbeit mit zuständigen Stellen in Drittländern (1) Die Mitgliedstaaten können die Weitergabe von Arbeitspapieren und anderen Dokumenten an die zuständigen Stellen von Drittländern erlauben, sofern a) die Arbeitspapiere oder anderen Dokumente sich auf Prüfungen von Unternehmen, die Wertpapiere in diesem Drittland ausgegeben haben, oder von Unternehmen beziehen, die Teile eines Konzerns sind, der in diesem Drittland einen Konzernabschluss vorlegt; b) die Weitergabe über die zuständige Stelle des Mitgliedstaats an die zuständige Stelle dieses Drittlands auf deren Anforderung erfolgt; c) die zuständige Stelle des betroffenen Drittlands die Anforderungen erfüllt, die nach Absatz 3 als angemessen erklärt wurden; d) auf Grundlage der Gegenseitigkeit Vereinbarungen zur Zusammenarbeit zwischen den betroffenen zuständigen Stellen getroffen wurden; e) die Übermittlung von personenbezogenen Daten in Drittländer in Übereinstimmung mit Kapitel IV der Richtlinie 95/46/EG steht. (2) Die in Absatz 1 Buchstabe d genannten Vereinbarungen zur Zusammenarbeit stellen sicher, dass a) eine Glaubhaftmachung des Zweckes der Anfrage für Arbeitspapiere und sonstige Dokumente durch die zuständigen Stellen erfolgt;

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b) Personen, die durch die zuständigen Stellen des Drittlands beschäftigt werden oder wurden, zur Wahrung des Berufsgeheimnisses verpflichtet sind; c) die zuständigen Stellen des Drittlands die Arbeitspapiere oder sonstigen Dokumente nur für Zwecke der Ausübung ihrer Aufsichtstätigkeit, Qualitätssicherung und Untersuchungen nutzen, die Anforderungen genügen, die denen der Artikel 29, 30 und 32 gleichwertig sind; d) die Anfrage von zuständigen Stelle für Arbeitspapiere oder sonstige Dokumente verweigert werden kann, falls – die Bereitstellung dieser Arbeitspapiere oder Dokumente die Souveränität, die Sicherheit oder die öffentliche Ordnung der Gemeinschaft oder des ersuchten Mitgliedstaates beeinträchtigen würde oder, – aufgrund derselben Handlungen und gegen dieselben Personen bereits ein Gerichtsverfahren vor den Stellen des ersuchten Mitgliedstaates anhängig ist. (3) Zur Gewährleistung einer einheitlichen Anwendung von Absatz 1 Buchstabe c wird die dort genannte Angemessenheit von der Kommission in Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten beurteilt, und die Kommission entscheidet nach dem in Artikel 48 Absatz 2 genannten Regelungsverfahren über ihr Vorliegen. Die Mitgliedstaaten treffen die notwendigen Maßnahmen, um die Entscheidung der Kommission zu beachten. Diese Beurteilung der Angemessenheit beruht auf den Anforderungen des Artikels 36 oder im Wesentlichen gleichwertigen funktionalen Ergebnissen. Maßnahmen, die in diesem Zusammenhang zur Änderung nicht wesentlicher Bestimmungen dieser Richtlinie durch Ergänzung getroffen werden und die die Erleichterung der Zusammenarbeit zwischen den zuständigen Behörden betreffen, werden nach dem in Artikel 48 Absatz 2a genannten Regelungsverfahren mit Kontrolle erlassen. (4) In außergewöhnlichen Fällen können Mitgliedstaaten in Abweichung von Absatz 1 erlauben, dass von ihnen zugelassene Abschlussprüfer und Prüfungsgesellschaften direkt Arbeitspapiere und sonstige Dokumente an die zuständigen Stellen eines Drittlandes weitergeben, vorausgesetzt, dass a) Untersuchungen von den zuständigen Stellen in diesem Drittland eingeleitet wurden; b) die Weitergabe nicht in Widerspruch zu den Verpflichtungen steht, die Abschlussprüfer oder Prüfungsgesellschaften im Hinblick auf die Weitergabe von Arbeitspapieren und sonstigen Dokumenten an die zuständige Stelle des Mitgliedstaates zu beachten haben; c) Vereinbarungen zur Zusammenarbeit mit den zuständigen Stellen dieses Drittlands bestehen, die den zuständigen Stellen der Mitgliedstaaten gegenseitigen direkten Zugang zu Arbeitspapie-

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Gesellschaftsrechtliche Richtlinien

ren und sonstigen Dokumenten von Prüfungsgesellschaften dieses Drittlands erlauben;

Artikel 49 Änderung der Richtlinie 78/660/EWG und der Richtlinie 83/349/EWG

d) die anfragende zuständige Stelle des Drittlands vorab die zuständige Stelle des Mitgliedstaats von jeder direkten Anfrage von Informationen unter Angabe von Gründen in Kenntnis setzt;

(1) Die Richtlinie 78/660/EWG wird wie folgt geändert:

e) die in Absatz 2 genannten Bedingungen eingehalten werden.

a) Dem Artikel 43 Absatz 1 wird folgende Nummer angefügt:

(5) Die Kommission kann die in Absatz 4 des vorliegenden Artikels genannten außergewöhnlichen Fälle festlegen, um die Zusammenarbeit zwischen den zuständigen Stellen zu erleichtern und eine einheitliche Anwendung des Absatzes 4 des vorliegenden Artikels sicherzustellen. Diese Maßnahmen zur Änderung nicht wesentlicher Bestimmungen dieser Richtlinie durch Ergänzung werden nach dem in Artikel 48 Absatz 2a genannten Regelungsverfahren mit Kontrolle erlassen. (6) Die Mitgliedstaaten teilen der Kommission die in den Absätzen 1 und 4 genannten Vereinbarungen zur Zusammenarbeit mit.

KAPITEL XII ÜBERGANGS- UND SCHLUSSBESTIMMUNGEN

„15. die Gesamthonorare, die von dem Abschlussprüfer oder der Prüfungsgesellschaft für das Geschäftsjahr berechnet wurden, aufgeschlüsselt nach der Gesamthonorarsumme für die Abschlussprüfung des Jahresabschlusses, der Gesamthonorarsumme für andere Bestätigungsleistungen, der Gesamthonorarsumme für Steuerberatungsleistungen und der Gesamthonorarsumme für sonstige Leistungen. Die Mitgliedstaaten können festlegen, dass diese Bestimmung nicht angewandt wird, wenn das Unternehmen in den konsolidierten Abschluss einbezogen wird, der gemäß Artikel 1 der Richtlinie 83/349/ EWG zu erstellen ist, vorausgesetzt, eine derartige Innformation ist in dem konsolidierten Abschluss enthalten.“ b) Artikel 44 Absatz 1 erhält folgende Fassung:

Artikel 48 Ausschussverfahren (1) Die Kommission wird von einem Ausschuss (nachstehend „Ausschuss“ genannt) unterstützt. (2) Wird auf diesen Absatz Bezug genommen, so gelten die Artikel 5 und 7 des Beschlusses 1999/ 468/EG unter Beachtung von dessen Artikel 8. Der Zeitraum nach Artikel 5 Absatz 6 des Beschlusses 1999/468/EG wird auf drei Monate festgesetzt. (2a) Wird auf diesen Absatz Bezug genommen, so gelten Artikel 5a Absätze 1 bis 4 und Artikel 7 des Beschlusses 1999/468/EG unter Beachtung von dessen Artikel 8. (3) Bis 31. Dezember 2010 und danach mindestens alle drei Jahre überprüft die Kommission die Vorschriften für ihre Durchführungsbefugnisse und legt dem Europäischen Parlament und dem Rat einen Bericht über das Funktionieren dieser Befugnisse vor. In dem Bericht wird insbesondere geprüft, ob die Kommission Änderungen zu dieser Richtlinie vorschlagen muss, um den angemessenen Umfang der ihr übertragenen Durchführungsbefugnisse zu gewährleisten. Die Schlussfolgerung, ob eine Änderung erforderlich ist oder nicht, muss eine detaillierte Begründung enthalten. Erforderlichenfalls wird dem Bericht ein Legislativvorschlag zur Änderung der Vorschriften für die Übertragung der Durchführungsbefugnisse an die Kommission beigefügt.

„(1) Die Mitgliedstaaten können gestatten, dass die in Artikel 11 bezeichneten Gesellschaften einen verkürzten Anhang aufstellen, der die in Artikel 43 Absatz 1 Nummern 5 bis 12, Nummer 14 Buchstabe a und Nummer 15 verlangten Angaben nicht enthält. Jedoch sind im Anhang zusammengefasst für alle betreffenden Posten die in Artikel 43 Absatz 1 Nummer 6 verlangten Angaben zu machen.“ c) Artikel 45 Absatz 2 erhält folgende Fassung: „(2) Absatz 1 Buchstabe b gilt auch für die in Artikel 43 Absatz 1 Nummer 8 genannte Information. Die Mitgliedstaaten können den in Artikel 27 bezeichneten Gesellschaften gestatten, die Offenlegung der in Artikel 43 Absatz 1 Nummer 8 genannten Informationen zu unterlassen. Die Mitgliedstaaten können ferner den in Artikel 27 bezeichneten Gesellschaften gestatten, die Offenlegung der in Artikel 43 Absatz 1 Nummer 15 genannten Informationen zu unterlassen, vorausgesetzt, dass eine solche Information dem in Artikel 32 der Richtlinie 2006/43/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Mai 2006 über Abschlussprüfungen von Jahresabschlüssen und konsolidierten Abschlüssen(*) genannten System der öffentlichen Aufsichtsgremien auf dessen Aufforderung übermittelt wird.

(*) ABl. L 157 vom 9.6.2006, S. 87.“

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Die Abschlussprüferrichtlinie (2) In Artikel 34 der Richtlinie 83/349/EWG wird folgende Nummer angefügt: „16. die Gesamthonorare, die von dem Abschlussprüfer oder der Prüfungsgesellschaft für das Geschäftsjahr berechnet wurden, aufgeschlüsselt nach der Gesamthonorarsumme für die Abschlussprüfung des konsolidierten Abschlusses, der Gesamthonorarsumme für andere Bestätigungsleistungen, der Gesamthonorarsumme für Steuerberatungsleistungen und der Gesamthonorarsumme für sonstige Leistungen.“

Artikel 50 Aufhebung der Richtlinie 84/253/EWG Die Richtlinie 84/253/EWG wird mit Wirkung vom 29. Juni 2006 aufgehoben. Bezugnahmen auf die aufgehobene Richtlinie gelten als Bezugnahmen auf diese Richtlinie.

Artikel 51 Übergangsbestimmung Abschlussprüfer oder Prüfungsgesellschaften, denen die zuständigen Stellen der Mitgliedstaaten gemäß der Richtlinie 84/253/EWG vor Inkrafttreten der in Artikel 53 Absatz 1 genannten Bestimmungen die Zulassung erteilt haben, gelten als gemäß dieser Richtlinie zugelassen.

Artikel 52 Mindestharmonisierung Die Mitgliedstaaten, die eine Abschlussprüfung vorschreiben, können, wenn in dieser Richtlinie nicht anders vorgeschrieben, strengere Anforderungen aufstellen.

Artikel 53 Umsetzung (1) Die Mitgliedstaaten erlassen und veröffentlichen bis zum 29. Juni 2008 die Rechtsvorschriften, die erforderlich sind, um dieser Richtlinie nachzukommen. Sie setzen die Kommission unverzüglich davon in Kenntnis. (2) Bei Erlass dieser Vorschriften nehmen die Mitgliedstaaten in den Vorschriften selbst oder durch einen Hinweis bei der amtlichen Veröffentlichung auf diese Richtlinie Bezug. Die Mitgliedstaaten regeln die Einzelheiten dieser Bezugnahme. (3) Die Mitgliedstaaten teilen der Kommission den Wortlaut der wichtigsten innerstaatlichen Rechtsvorschriften mit, die sie auf dem unter diese Richtlinie fallenden Gebiet erlassen.

Artikel 54 Inkrafttreten Diese Richtlinie tritt am zwanzigsten Tag nach ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union in Kraft.

Artikel 55 Adressaten Diese Richtlinie ist an die Mitgliedstaaten gerichtet.

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Gesellschaftsrechtliche Richtlinien

§ 28 Die Zweigniederlassungsrichtlinie (11. Richtlinie) Elfte RL 89/666/EWG des Rates v. 21.12.1989 über die Offenlegung von Zweigniederlassungen, die in einem Mitgliedstaat von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen errichtet wurden, die dem Recht eines anderen Staates unterliegen, ABlEG v. 30.12.1989, L 395/36 Literatur: Eidenmüller, Horst/Rehberg, Markus, Rechnungslegung von Auslandsgesellschaften, ZVglRWiss 105 (2006) 427; García, Rafael Arenas, Rechnungslegungspflichten der Zweigniederlassungen von ausländischen Gesellschaften, RIW 2000, 590; Hahnefeld, Ute, Neue Regelungen zur Offenlegung bei Zweigniederlassungen – Inkrafttreten des Gesetzes zur Umsetzung der Elften gesellschaftsrechtlichen EG-Richtlinie –, DStR 1993, 1596; Heidinger, Andreas, Der „ständige Vertreter“ der Zweigniederlassung einer ausländischen Kapitalgesellschaft, MittBayNot 1998, 72; Heinze, Stefan, Einreichungs- und Nachweispflichten bei nachträglichen Handelsregisteranmeldungen betreffend Zweigniederlassungen ausländischer Kapitalgesellschaften, RNotZ 2009, 586; Henselmann, Klaus/Kaya, Devrimi/Meichelbeck, Hugo, Vermeidung der Jahresabschlusspublizität durch Auslandsgesellschaften. Das Zweigniederlassungsmodell als strategischer Handlungsansatz, ZCG 2010, 100; Kettler, Joachim, Die Offenlegungspflichten für Zweigniederlassungen ausländischer Unternehmen, 2002; Kindler, Peter, Neue Offenlegungspflichten für Zweigniederlassungen ausländischer Kapitalgesellschaften – Zur Umsetzung der Elften gesellschaftsrechtlichen Richtlinie der EG in deutsches Recht, NJW 1993, 3301; Plesse, Frank, Neuregelung des Rechts der Offenlegung von Zweigniederlassungen. Gesetzesentwurf zur Umsetzung der Elften gesellschaftsrechtlichen EG-Richtlinie in deutsches Recht, DStR 1993, 133; Schmidt, Jessica, Innovation durch „Innoventif“? Die EuGH-Entscheidung „Innoventif“ und die Eintragung der Zweigniederlassung einer englischen Limited ins deutsche Handelsregister, NZG 2006, 899; Seibert, Ulrich, Die Umsetzung der Zweigniederlassungs-Richtlinie der EG in deutsches Recht, GmbHR 1992, 738; ders., Neuordnung des Rechts der Zweigniederlassung im HGB, DB 1993, 1705; Voigt, Eurydice, Das Handelsrecht der Zweigniederlassung, 2010.

Rechtsprechung: EuGH: EuGH v. 22.11.1978, Somafer SA ./. Saar-Ferngas AG, Rs. 33/78, Slg. 1978, 2183 EuGH v. 10.7.1986, D.H.M. Segers ./. Bestuur van de Bedrijfsvereniging voor Bank- en Verzekeringswezen, Groothandel en Vrije Beroepen, Rs. 79/85, Slg. 1986, 2375 EuGH v. 9.3.1999, Centros Ltd. v. Erhvervs- og Selskabsstyrelsen, Rs. C-212/97, Slg. 1999, I-1459 EuGH v. 30.9.2003, Kamer van Koophandel en Fabrieken voor Amsterdam v. Inspire Art Ltd., Rs. C-167/01, Slg. 2003, I-10155 EuGH v. 1.6.2006, Innoventif Limited, Rs. C-453/04, Slg. 2006, I-4929 Nationale Gerichte: LG Gießen v. 22.11.2004 – 6 T 23/04, DB 2005, 2808 BGH v. 14.3.2005 – II ZR 5/03, NJW 2005, 1648 ThürOLG v. 9.9.2005 – 6 W 302/05, DNotZ 2006, 153 OLG Hamm v. 28.6.2005 – 15 W 159/05, NZG 2005, 930 OLG Frankfurt v. 29.12.2005 – 20 W 315/05, ZIP 2006, 333 OLG Düsseldorf v. 21.2.2006 – I 3 Wx 210/05, NZG 2006, 317 LG Chemnitz v. 8.3.2006 – 2 HK T 431/05, NZG 2006, 517 ThürOLG v. 9.3.2006 – 6 W 693/05, ZIP 2006, 708 OLG München v. 4.5.2006 – 31 Wx 023/06, NZG 2006, 512

Die Zweigniederlassungsrichtlinie (11. Richtlinie)

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OLG Celle v. 1.12.2006 – 9 W 91/06, ZIP 2007, 71 BGH v. 7.5.2007 – II ZB 7/06, NJW 2007, 2328 OLG Schleswig v. 9.1.2008 – 2 W 278/07, GmbHR 2008, 1042 OLG München v. 14.2.2008 – 31 Wx 67/07, NZG 2008, 342 OLG Düsseldorf v. 26.10.2009 – 3 Wx 142/09, NZG 2009, 1355

I. Überblick Die 11. (Zweigniederlassungs-)RL komplettiert das durch die 1. (Publizitäts-) (dazu 1 § 19), 2. (Kapital-) (dazu § 20), 4. (Bilanz-)RL (dazu § 24) und 7. (Konzernbilanz-)RL (dazu § 25) begründete europäische Publizitätssystem durch Etablierung harmonisierter Offenlegungsstandards auch für Zweigniederlassungen.1 Damit trägt der europäische Gesetzgeber dem Umstand Rechnung, dass die Gesellschaften ihre sekundäre Niederlassungsfreiheit (Art. 49, 54 AEU) nicht nur durch die Gründung von Tochtergesellschaften, sondern auch von Zweigniederlassungen ausüben dürfen (vgl. bereits § 4 Rn. 3), diese jedoch – anders als Tochtergesellschaften, die selbst Gesellschaften i.S.d. 1. (Publizitäts-)RL, 4. (Bilanz-)RL und 7. (Konzernbilanz-)RL sind – von den durch diese Richtlinien etablierten Publizitätspflichten nicht erfasst werden.2 Der erste RL-Entwurf wurde von der Kommission bereits am 23.7.1986 präsen- 2 tiert 3. Auf Grund einer Reihe von Änderungswünschen seitens des EWSA4 und des EP 5 legte die Kommission dann jedoch 28.3.1988 einen geänderten 6 und am 16.11.1989 einen nochmals überprüften 7 RL-Entwurf vor, auf Basis dessen der Rat die

1 Vgl. Habersack § 5 Rn. 54; Schwarz Rn. 370. 2 Vgl. Erwägungsgrund 3; KOM(86) 397, S. 3; Habersack § 5 Rn. 43. 3 Vorschlag für eine elfte Richtlinie des Rates aufgrund von Art. 54 Absatz 3 Buchstabe g) des Vertrages über die Offenlegung von Zweigniederlassungen, die in einem Mitgliedstaat von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen gegründet werden, die dem Recht eines anderen Staates unterliegen, 23.7.1986, KOM(86) 397 = BT-Drs. 10/6066. 4 Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses v. 24.9.1987 zu dem „Vorschlag für eine 11. Richtlinie des Rates aufgrund von Art. 54 Absatz 3 Buchstabe g) des Vertrages über die Offenlegung von Zweigniederlassungen, die in einem Mitgliedstaat von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen gegründet werden, die dem Recht eines anderen Staates unterliegen“, ABlEG v. 30.11.1987, C 319/61. 5 Legislative Entschließung mit der Stellungnahme des Europäischen Parlaments v. 18.11. 1987 gemäß Artikel 149 Absatz 2 Buchstabe a) EWG-Vertrag zu dem Vorschlag der Kommission an den Rat für eine Elfe Richtlinie aufgrund von Artikel 54 Absatz 3 Buchstabe g) des Vertrages ueber die Offenlegung von Zweigniederlassungen, die in einem Mitgliedstaat von Gesellschaften bestimmter Rechstformen gegründet werden, die dem Recht eines anderen Staates unterliegen, ABlEG v. 21.12.1987, C 345/76. 6 Geänderter Vorschlag für eine Elfte Richtlinie des Rates aufgrund von Art. 54 Absatz 3 Buchstabe g) des Vertrages über die Offenlegung von Zweigniederlassungen, die in einem Mitgliedstaat von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen gegründet werden, die dem Recht eines anderen Staates, 28.3.1988, KOM(88) 153. 7 Überprüfter Vorschlag für eine Elfte Richtlinie des Rates aufgrund von Art. 54 Absatz 3 Buchstabe g) des Vertrages über die Offenlegung von Zweigniederlassungen, die in einem Mitgliedstaat von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen gegründet werden, die dem

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Gesellschaftsrechtliche Richtlinien

RL dann – gemeinsam mit der 12. (Einpersonengesellschafts-)RL (dazu § 29) – am 21.12.1989 verabschiedete8. Durch das EWR-Abkommen wurde ihr Anwendungsbereich m.W.v. 1.1.1994 bzw. 1.1.19959 auch auf die EWR-Staaten ausgedehnt.10 Im Zuge der geplanten Verknüpfung der Unternehmensregister (dazu bereits § 19 Rn. 7, 16) ist vorgesehen, künftig auch die Registerinformationen der Gesellschaften und ihrer Zweigniederlassungen besser miteinander zu koordinieren (näher u. Rn. 73, 92). 3 Durch die Harmonisierung der Offenlegungspflichten für Zweigniederlassungen verfolgt die RL ein doppeltes Schutzziel:11 Einerseits sollen hiermit die Ausübung der Niederlassungsfreiheit mittels der Einrichtung von Zweigniederlassungen in anderen Mitgliedstaaten erleichtert werden, da Unternehmen nun europaweit vergleichbare Standards erwarten können.12 Andererseits soll aber auch gewährleistet werden, dass Dritte, die nicht mit einer Tochtergesellschaften, sondern über eine Zweigniederlassung mit einer ausländischen Gesellschaft in Kontakt treten, ebenfalls einen hinreichenden Schutz durch Publizität genießen.13 4 In Deutschland wurde die RL m.W.v. 1.11.1993 – und damit verspätet (die Umsetzung hätte bis spätestens 1.1.1993 erfolgen müssen, vgl. Art. 16 Abs. 2) – durch das 11.-RL-Gesetz v. 23.7.199314 umgesetzt, wobei die Gelegenheit genutzt wurde, die bis dato über mehrere Gesetze verstreuten15 Vorschriften über Zweigniederlassungen in den §§ 13 ff. HGB zu konsolidieren.16 Die Vorgaben der RL erforderten aber auch auf materieller Ebene erhebliche Änderungen: Speziell der Rechtsrahmen für inländische

8

9 10 11 12 13 14 15 16

Recht eines anderen Staates unterliegen, 16.11.1989, KOM(89) 528 = ABlEG v. 8.12.1989, C 309/9. Elfte Richtlinie 89/666/EWG des Rates vom 21.12.1989 über die Offenlegung von Zweigniederlassungen, die in einem Mitgliedstaat von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen errichtet wurden, die dem Recht eines anderen Staates unterliegen, ABlEG v. 30.12.1989, L 395/36. Für Island und Norwegen (sowie für Finnland, Österreich, Schweden, die aber inzwischen zur EU gehören) zum 1.1.1994, für Liechtenstein zum 1.1.1995. Vgl. Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum – Anhang XXII, Nr. 8 (ABlEG v. 3.1.1994, L 1/3). Vgl. OLG Düsseldorf NZG 2009, 1355, 1356; Cordewener in: Schön (Hrsg.), Rechnungslegung und Wettbewerbsschutz im deutschen und europäischen Recht, 2008, S. 105, 154; Grundmann Rn. 816; Habersack § 5 Rn. 44; Leible/Hoffmann EuZW 2003, 677, 678. Vgl. Erwägungsgrund 5; KOM(86) 397, S. 4; Habersack § 5 Rn. 44s. ferner auch EuGH v. 30.9.2003, Kamer van Koophandel en Fabrieken voor Amsterdam v. Inspire Art Ltd., Rs. C-167/01, Slg. 2003, I-10155, Rn. 68; s. ferner die Nachweise in Fn. 12. Vgl. Erwägungsgrund 6; KOM(86) 397, S. 4; s. ferner die Nachweise in Fn. 12. Gesetz zur Durchführung der Elften gesellschaftsrechtlichen Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaften und über Gebäudeversicherungsverhältnisse v. 22.7.1993, BGBl. I, 1282. §§ 13–13c HGB a.F., §§ 42–44 AktG a.F., § 12 GmbHG a.F. Vgl. BegrRegE z. 11.-RL-Gesetz, BT-Drs. 12/3908, Bayer/J. Schmidt, Überlagerungen des deutschen Aktienrechts durch das Europäische Unternehmensrecht: Eine Bilanz von 1968 bis zur Gegenwart, in: Bayer/Habersack (Hrsg.), Aktienrecht im Wandel, Bd. 1, 2007, Kap. 18 Rn. 107; Kindler NJW 1993, 3301, 3302; Seibert GmbHR 1992, 738, 739; Voigt, Das Handelsrecht der Zweigniederlassung, 2010, S. 32.

Die Zweigniederlassungsrichtlinie (11. Richtlinie)

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Zweigniederlassungen ausländischer Gesellschaften wurde durch die damals geschaffenen §§ 13d–13g, 325a, 335 S. 1 Nr. 7 (heute: Abs. 1 S. 1 Nr. 2) HGB, § 80 Abs. 4 AktG, § 35a Abs. 4 GmbHG komplett neu gestaltet.17 Die damals neu eingeführten Vorschriften wurden inzwischen jedoch bereits vielfach – wenngleich jeweils nur punktuell – novelliert18; zuletzt insbesondere durch das EHUG19 (dazu noch u. Rn. 39, 48, 75, 77, 94 sowie allg. bereits § 19 Rn. 8) und das MoMiG 20 (dazu noch u. Rn. 19, 27, 34, 44). An der Grundsystematik 21 hat sich jedoch nichts geändert: Die Grundnorm des § 13d HGB enthält allgemeine Vorschriften für alle Zweigniederlassungen eines Rechtsträgers mit Sitz im Ausland (geht also insoweit über den Anwendungsbereich der RL [vgl. dazu u. Rn. 5 ff.] hinaus). Diese werden in § 13e HGB durch Sonderregelungen erster Ebene für Zweigniederlassungen von Kapitalgesellschaften ergänzt. §§ 13f, 13g HGB normieren dann auf einer zweiten Ebene Sonderbestimmungen für Zweigniederlassungen von AG, KGaA22 und SE 23 (§ 13f HGB) bzw. von GmbH (§ 13g HGB). Nicht in die §§ 13d–13g HGB, sondern systematisch stimmig in den jeweiligen Regelungskontext integriert sind allerdings die Sondervor-

17 Vgl. Bayer/J. Schmidt (Fn. 16), Rn. 107. 18 Gesetz zur Anpassung des EWR-Ausführungsgesetzes v. 27.9.1993, BGBl. I, 1666; Gesetz zur Durchführung der Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaften über den Jahresabschluß und den konsolidierten Abschluß von Versicherungsunternehmen (Versicherungsbilanzrichtlinie-Gesetz) v. 24.6.1994, BGBl. I, 1377; Einführungsgesetz zur Insolvenzordnung (EGInsO) v. 5.10.1994, BGBl. I, 2911; Gesetz zur Durchführung der Richtlinie des Rates der Europäischen Union zur Änderung der Bilanz- und der Konzernbilanzrichtlinie hinsichtlich ihres Anwendungsbereichs (90/605/EWG), zur Verbesserung der Offenlegung von Jahresabschlüssen und zur Änderung anderer handelsrechtlicher Bestimmungen (Kapitalgesellschaften- und Co-Richtlinie-Gesetz – KapCoRiLiG) v. 24.2.2000, BGBl. I, 154; Gesetz zur Neuregelung des Kaufmanns- und Firmenrechts und zur Änderung anderer handelsrechtlicher Vorschriften (Handelsrechtsreformgesetz – HRefG) v. 22.6.1998, BGBl. I, 1474; Gesetz zur Namensaktie und zur Erleichterung der Stimmrechtsausübung (Namensaktiengesetz – NaStraG) v. 18.1.2001, BGBl. I, 123; Gesetz zur Anpassung bilanzrechtlicher Bestimmungen an die Einführung des Euro, zur Erleichterung der Publizität für Zweigniederlassungen ausländischer Unternehmen sowie zur Einführung einer Qualitätskontrolle für genossenschaftliche Prüfungsverbände (Euro-Bilanzgesetz) v. 10.12.2001, BGBl. I, 3414; Zweites Gesetz zur Änderung des Pflichtversicherungsgesetzes und anderer versicherungsrechtlicher Vorschriften v. 10.12. 2007, BGBl. I, 2833; Gesetz zur Reform des Verfahrens in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FGG-Reformgesetz – FGG-RG) v. 17.12. 2008, BGBl. I, 2586; Gesetz zur Modernisierung des Bilanzrechts (Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz – BilMoG) v. 25.5.2009, BGBl. I, 1102. 19 Gesetz über elektronische Handelsregister und Genossenschaftsregister sowie das Unternehmensregister (EHUG) v. 10.11.2006, BGBl. I, 2553. 20 Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG) v. 23.10.2008, BGBl. I, 2026. 21 Vgl. dazu auch BegrRegE z. 11.-RL-Gesetz, BT-Drs. 12/3908, S. 15 ff.; Hopt in: Baumbach/Hopt, HGB, 34. Aufl. 2010, § 13d Rn. 1; Koch in Staub, Großkommentar HGB, 5. Aufl. 2009, § 13d Rn. 3; Pentz in: MünchKommAktG, 3. Aufl. 2008, Anh § 45 AktG § 13d HGB Rn. 6; Seibert GmbHR 1992, 738, 740. 22 Vgl. § 13f Abs. 7 HGB. 23 Qua Art. 9 Abs. 1 lit. c ii SE-VO (dazu näher § 41 Rn. 25).

902

Gesellschaftsrechtliche Richtlinien

schriften betreffend die Offenlegung der Rechnungslegungsunterlagen (§§ 325a, 335 HGB) und die Angaben auf Geschäftskorrespondenz (§§ 80 Abs. 4 AktG, 35a Abs. 4 GmbHG).

II. Anwendungsbereich 1. Zweigniederlassungen ausländischer Kapitalgesellschaften im EU/EWR-Gebiet (Art. 1 Abs. 1, 7 Abs. 1) 5 Im Einklang mit dem Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit gem. Art. 49, 54 AEU gilt die RL ausschließlich für Zweigniederlassungen im Gebiet eines EU- bzw. EWR-Mitgliedstaats (vgl. Art. 1 Abs. 1, 7 Abs. 1); nicht erfasst sind dagegen – mangels Binnenmarktrelevanz und Regelungskompetenz – solche im Gebiet von Drittstaaten. 6 Entsprechend Art. 49, 54 AEU gilt die RL zudem nur für Zweigniederlassungen einer ausländischen Gesellschaft, d.h. einer Gesellschaft, die dem Recht eines anderen Staats unterliegt, als dem, in dem sich die Zweigniederlassung befindet (vgl. Art. 1 Abs. 1, 7 Abs. 1). Die Regelung etwaiger Offenlegungspflichten von Zweigniederlassungen inländischer Gesellschaften bleibt dagegen den Mitgliedstaaten überlassen, weil man insoweit kein wirkliches Bedürfnis für eine Harmonisierung sah.24 Allerdings erfasst die RL zwecks Vermeidung von Diskriminierungen25 nicht nur Zweigniederlassungen von EU/EWR-Gesellschaften (Art. 1–6, dazu ausf. u. Rn. 11 ff., 70 ff.), sondern auch solche von Gesellschaften aus Drittstaaten. Da letztere jedoch nicht den Harmonisierungsmaßnahmen des Unionsrechts unterliegen, gelten für sie Sonderregeln (Art. 7–10, dazu ausf. u. Rn. 49 ff., 70 ff.).26 7 Korrelierend mit dem Anwendungsbereich der 1. (Publizitäts-)RL (dazu § 19 Rn. 9 f.), der 4. (Bilanz-)RL (dazu § 24) und der 7. Konzernbilanz-(RL) (dazu § 25) beschränkt sich der Geltungsbereich der RL darüber hinaus auf Zweigniederlassungen von EU-/EWR-Gesellschaften, auf welche die 1. (Publizitäts-)RL27 Anwendung findet (dazu § 19 Rn. 9 f.) sowie damit vergleichbare Rechtsformen aus Drittstaaten (vgl. Art. 1 Abs. 1, 7 Abs. 1) – sie gilt also nur für Zweigniederlassungen von Kapitalgesellschaften. Im Hinblick auf Kapitalgesellschaften aus Drittstaaten hat der europäische Gesetzgeber aus Gründen der Praktikabilität bewusst von der Aufnahme einer Liste nach dem Vorbild des Art. 1 der 1. (Publizitäts-)RL (dazu § 19 Rn. 10) abgesehen (die Erstellung einer solchen wäre nicht nur äußerst aufwendig gewesen, sondern die Liste hätte auch ständig angepasst werden müssen) und stattdessen schlicht auf das Kriterium der „Vergleichbarkeit“ mit den Rechtsformen i.S.d. Art. 1

24 25 26 27

Vgl. KOM(86) 397, S. 3; Habersack § 5 Rn. 49. Vgl. Erwägungsgrund 11 S. 1; KOM(86) 397, S. 5. Vgl. Erwägungsgrund 11 S. 2; KOM(86) 397, S. 5 f. Der Verweis auf die RL 68/151/EWG ist als Verweis auf die kodifizierte Fassung (RL 2009/101/EG) zu lesen, vgl. Art. 16 Abs. 2 RL 2009/101/EG.

Die Zweigniederlassungsrichtlinie (11. Richtlinie)

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der 1. (Publizitäts-)RL (dazu § 19 Rn. 9 f.) abgestellt.28 Maßgeblich dürfte insoweit – analog Art. 2 Nr. 1 lit. b der 10. RL (dazu § 23 Rn. 13 ff.) – sein, dass die Drittstaatengesellschaft Rechtspersönlichkeit besitzt und über ein gesondertes Gesellschaftskapital verfügt, das allein für die Verbindlichkeiten der Gesellschaften haftet. Anders als i.R.d. Art. 2 Nr. 1 lit. b der 10. RL wird man allerdings hier nicht verlangen dürfen, dass die Gesellschaften nach dem für sie maßgeblichen Recht Schutzbestimmungen i.S.d. der 1. (Publizitäts-)RL einhalten muss; denn Art. 8 lit. d (dazu u. Rn. 53) und Art. 9 Abs. 1 (dazu u. Rn. 57) gehen ganz offensichtlich davon aus, dass dies ggf. nicht der Fall ist. Vor allem aber stünde es auch in eklatantem Widerspruch zur Ratio der RL, gerade solche Gesellschaften vom Anwendungsbereich auszunehmen, die auch nach ihrem Heimatrecht keinen (bzw. keinen dem EU-Standard äquivalenten) Publizitätspflichten unterliegen; vielmehr muss die RL für diese erst recht gelten. Vergleichbar sind damit z.B. die japanische kabushiki kaisa 29 oder die US-amerikanischen Rechtsformen der limited liability company (LLC) 30 und der public corporation (Inc.)31 nach dem jeweiligen bundestaatlichen Recht. Der zentrale Begriff der Zweigniederlassung wird in der RL zwar nicht definiert. 8 Die Begründung zum ersten RL-Entwurf hebt jedoch zum einen hervor, dass die Zweigniederlassung im Gegensatz zur Tochtergesellschaft keine eigene Rechtspersönlichkeit besitzt32 und nimmt i.Ü. explizit Bezug auf die Judikatur des EuGH 33. Dieser hat in der grundlegenden Somafer-Entscheidung ausgeführt, dass mit dem Begriff der Zweigniederlassung „ein Mittelpunkt geschäftlicher Tätigkeit gemeint [ist], der auf Dauer als Außenstelle eines Stammhauses hervortritt, eine Geschäftsführung hat und sachlich so ausgestattet ist, dass er in der Weise Geschäfte mit Dritten betreiben kann, dass diese, obgleich sie wissen, dass möglicherweise ein Rechtsverhältnis mit dem im Ausland ansässigen Stammhaus begründet wird, sich nicht unmittelbar an dieses zu wenden brauchen“34. In den Rs. Segers, Centros und Inspire Art hat der Gerichtshof zudem klargestellt, dass eine Zweigniederlassung i.S.d. Art. 49, 54 AEU bzw. der RL auch dann vorliegt, wenn die Gesellschaft ihre Tätigkeit hauptsächlich oder ausschließlich von dort aus ausübt, es sich also faktisch um die Hauptniederlassung handelt.35

28 Vgl. KOM(86) 397, S. 11. 29 Seit 2006 differenziert das japanische Recht nicht mehr zwischen AG und GmbH, sondern kennt nur noch die AG (kabushiki kaisha) als reine Kapitalgesellschaft, vgl. Bayer in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 17. Aufl. 2009, Anh I zu § 4a Rn. 9 m.w.N. 30 Vgl. zu § 13e HGB: Bayer (Fn. 29), Anh I zu § 4a Rn. 9 m.w.N. 31 Vgl. zu § 13e HGB: Koch (Fn. 21), § 13e Rn. 11; Krafka in: MünchKommHGB, 3. Aufl. 2010, § 13e Rn. 6. 32 Vgl. KOM(86) 397, S. 2. 33 Vgl. KOM(86) 397, S. 1. 34 Grundlegend: EuGH v. 22.11.1978, Somafer SA ./. Saar-Ferngas AG, Rs. 33/78, Slg. 1978, 2183, Rn. 12; s. ferner EuGH v. 18.3.1981, Blanckaert & Willems PVBA ./. Luise Trost, Rs. 139/80, Slg. 1981, 819, Rn. 9 ff.; EuGH v. 6.4.1995, Lloyd’s Register of Shipping ./. Société Campenon Bernard, Rs. C-439/93, Slg. 1995, I-961, Rn. 18 f. 35 EuGH v. 10.7.1986, D.H.M. Segers ./. Bestuur van de Bedrijfsvereniging voor Bank- en Verzekeringswezen, Groothandel en Vrije Beroepen, Rs. 79/85, Slg. 1986, 2375, Rn. 16; EuGH v. 9.3.1999, Centros Ltd. v. Erhvervs- og Selskabsstyrelsen, Rs. C-212/97, Slg. 1999,

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2. Beschränkung auf registerrechtliche Offenlegungspflichten 9 Der Regelungsbereich der RL beschränkt sich – korrelierend mit Art. 2 ff. der 1. (Publizitäts-)RL (dazu § 19 Rn. 12 ff.), Art. 2 f. der 2. (Kapital-)RL (dazu § 20 Rn. 14 ff.), Art. 47 ff. der 4. (Bilanz-)RL (dazu § 24 Rn. 19) und Art. 38 f. der 7. (Konzernbilanz-)RL (dazu § 25 Rn. 23) (zur „Ergänzungsfunktion“ der RL bereits o. Rn. 1) – auf registerrechtliche Offenlegungspflichten zum Zwecke der Schaffung von Transparenz über gesellschaftsrechtliche Verhältnisse. Erwägungsgrund 12 stellt explizit klar, dass Informationspflichten, denen die Zweigniederlassungen auf Grund anderer Vorschriften unterliegen, unberührt bleiben und nennt insoweit beispielhaft sozialrechtliche, steuerrechtliche und statistische Informationspflichten.36

III. Offenlegungspflichten 1. Regelungskonzeption 10 Wie bereits oben (Rn. 6) ausgeführt, differenziert die RL hinsichtlich der Offenlegungspflichten zwischen Zweigniederlassungen von Gesellschaften aus EU/EWRMitgliedstaaten (Art. 1–6, dazu u. Rn. 11 ff.) und solchen aus Drittstaaten (Art. 7– 10, dazu u. Rn. 49 ff.). Grund ist, dass die RL hinsichtlich ersterer weitgehend auf der Harmonisierung der nationalen Rechtsvorschriften durch die 1. (Publizitäts-) (dazu § 19), 2. (Kapital-) (dazu § 20), 4. (Bilanz-)RL (dazu § 24) und 7. (Konzernbilanz-)RL (dazu § 25) aufbauen konnte, was bei letzteren naturgemäß nicht möglich war.37 Inhaltlich und konzeptionell laufen die Offenlegungsregelungen für Zweigniederlassungen aus EU/EWR-Mitgliedstaaten und solchen aus Drittstaaten allerdings weitgehend parallel: Im Hinblick auf Publizitätsinstrumente, Sprachenregime und Publizitätswirkungen sind die Regelungen nahezu identisch und können daher gemeinsam dargestellt werden (u. Rn. 70 ff.); lediglich bezüglich der Publizitätsobjekte bestehen in einigen Punkten signifikante Abweichungen.38

I-1459, Rn. 29; EuGH v. 30.9.2003, Kamer van Koophandel en Fabrieken voor Amsterdam v. Inspire Art Ltd., Rs. C-167/01, Slg. 2003, I-10155, Rn. 96. Vgl. dazu auch Bayer (Fn. 29), Anh II zu § 4a Rn. 19 m.z.w.N. 36 Vgl. auch EuGH v. 30.9.2003, Kamer van Koophandel en Fabrieken voor Amsterdam v. Inspire Art Ltd., Rs. C-167/01, Slg. 2003, I-10155, Rn. 69; Grundmann Rn. 829 Fn. 26. 37 Vgl. Erwägungsgrund 11 S. 2; KOM(86) 397, S. 5 f. 38 Vgl. auch Grundmann Rn. 826, 832.

Die Zweigniederlassungsrichtlinie (11. Richtlinie)

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2. Publizitätsobjekte a) Zweigniederlassungen von Gesellschaften aus EU/EWR-Mitgliedstaaten (Art. 2) aa) Abschließender Katalog von Publizitätsobjekten Hinsichtlich der Publizitätsobjekte differenziert Art. 2 zwischen solchen, die obliga- 11 torisch offen gelegt werden müssen (Art. 2 Abs. 1, dazu u. Rn. 13 ff.) und solchen, hinsichtlich derer es dem Mitgliedstaat, in dem sich die jeweilige Zweigniederlassung befindet, freisteht, ob er eine Offenlegung verlangt (Art. 2 Abs. 2, dazu u. Rn. 37 ff.). Wie der EuGH in der Rs. Inspire Art ausdrücklich klargestellt hat, ist der durch Art. 2 etablierte Katalog abschließend.39 Dies war nicht nur bereits in der Begründung zum ersten RL-Entwurf ausdrücklich betont worden 40, sondern ergibt sich auch eindeutig aus Wortlaut und Systematik der Norm. Denn zum einen ist Art. 2 – anders als die Parallelvorschrift des Art. 8 (dazu u. Rn. 49) – gerade nicht als Mindestregelung formuliert 41. Zum anderen würde die explizite Differenzierung zwischen obligatorischen (Abs. 1) und optionalen Publizitätsgegenständen (Abs. 2) keinen Sinn ergeben, wenn es den Mitgliedstaaten freistünde, darüber hinaus noch die Offenlegung weitergehender Angaben zu fordern.42 I.Ü. gebietet insbesondere auch die Ratio der Norm – die Erleichterung der Ausübung der Niederlassungsfreiheit mittels der Einrichtung von Zweigniederlassungen durch Etablierung einheitlicher Offenlegungsstandards (vgl. o. Rn. 3) – die Annahme eine erschöpfenden Regelung.43 Abschließend ist der Katalog andererseits aber nach Wortlaut, Systematik, Genese 12 und Ratio nur im Hinblick auf Angaben, deren Offenlegung den Zweigniederlassungen von dem jeweiligen Mitgliedstaat vorgeschrieben werden muss (Abs. 1) bzw. darf (Abs. 2). Weitergehenden nationalen Regelungen, die es einer Zweigniederlassung lediglich gestatten, im eigenen Interesse und/oder im Interesse der Gläubiger freiwillig weitere Angaben offen zu legen, steht die RL dagegen nicht entgegen.

39 EuGH v. 30.9.2003, Kamer van Koophandel en Fabrieken voor Amsterdam v. Inspire Art Ltd., Rs. C-167/01, Slg. 2003, I-10155, Rn. 67 ff.; vgl. weiter OLG Hamm NZG 2005, 930, 931; OLG Frankfurt ZIP 2006, 333, 334; Edwards S. 214; Eidenmüller/Rehberg ZVglRWiss 105 (2006) 427, 431, 436; Kettler, Die Offenlegungspflichten für Zweigniederlassungen ausländischer Unternehmen, 2002, S. 40; Leible/Hoffmann EuZW 2003, 677, 680; K. Schmidt, in: Lutter (Hrsg.), Europäische Auslandsgesellschaften in Deutschland, 2005, S. 15, 22. 40 Vgl. KOM(86) 397, S. 9. 41 Vgl. Edwards S. 214; Leible/Hoffmann EuZW 2003, 677, 680. 42 Vgl. EuGH v. 30.9.2003, Kamer van Koophandel en Fabrieken voor Amsterdam v. Inspire Art Ltd., Rs. C-167/01, Slg. 2003, I-10155, Rn. 70. 43 Vgl. KOM(86) 397, S. 9; EuGH v. 30.9.2003, Kamer van Koophandel en Fabrieken voor Amsterdam v. Inspire Art Ltd., Rs. C-167/01, Slg. 2003, I-10155, Rn. 69.

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bb) Obligatorische Publizitätsobjekte (Art. 2 Abs. 1) 13 Bei den obligatorischen Publizitätsobjekten lassen sich zwei Kategorien unterscheiden:44 (1) diejenigen, die die Gesellschaft selbst betreffen (dazu u. Rn. 14 ff.) und (2) diejenigen, die die Zweigniederlassung betreffen (dazu u. Rn. 26).

(1) Betreffend die Gesellschaft selbst 14 Die die Gesellschaft selbst betreffenden obligatorischen Publizitätsobjekte beschränken sich auf die zentralen Grunddaten und Unterlagen. Denn da eine umfassende Publizität insoweit bereits durch Art. 2 ff. der 1. (Publizitäts-)RL (dazu § 19 Rn. 12 ff.) – ergänzt durch Art. 47 ff. der 4. (Bilanz-)RL (dazu § 24 Rn. 19) und Art. 38 f. 7. (Konzernbilanz-)RL (dazu § 25 Rn. 23) sowie für AG Art. 2 f. der 2. (Kapital-)RL (dazu § 20 Rn. 14 ff.) – gewährleistet ist, konnte die RL insoweit hierauf aufbauen: Bei der Zweigniederlassung ist daher nicht mehr eine (nochmalige) komplette Offenlegung sämtlicher nach den genannten Unionsrechtsakten publizitätspflichtiger Angaben, sondern nur noch der wesentlichen Grund- und Eckdaten erforderlich.45

(a) Firma und Rechtsform (lit. d Hs. 1); Register- und Registernummer (lit. c) 15 Um überhaupt eine Identifikation der Gesellschaft zu ermöglichen, ist als Grundinformation gem. lit. d Hs. 1 zunächst die Angabe von Firma und Rechtsform erforderlich. Anknüpfend an die Publizitäts-RL muss zudem das Register, bei dem die in Art. 3 der 1. (Publizitäts-)RL46 bezeichnete Akte (dazu § 19 Rn. 13 ff.) für die Gesellschaft angelegt worden ist, und die entsprechende Registernummer offen gelegt werden. Anhand dieser zentralen „Schlüsselinformationen“ kann sich der mit der Zweigniederlassung in Kontakt Tretende dann ggf. über das Register weitere Informationen über die Gesellschaft verschaffen.47 16 Im deutschen Recht sind diese Vorgaben heute in § 13f Abs. 3 HGB (AG, KGaA, SE) bzw. § 13g Abs. 3 HGB (GmbH) i.V.m. § 13e Abs. 2 S. 5 Nr. 1 (Register und Registernummer) u. Nr. 2 (Rechtsform) sowie § 13f Abs. 3 HGB i.V.m. § 39 Abs. 1 S. 1 AktG (Firma AG, KGaA, SE) und § 13g Abs. 3 HGB i.V.m. § 10 Abs. 1 S. 1 GmbHG (Firma GmbH) umgesetzt.

44 Vgl. KOM(86) 397, S. 7 ff.; Grundmann Rn. 829. 45 Vgl. Erwägungsgrund 8; KOM(86) 397, S. 8 f. 46 Der Verweis auf Art. 3 RL 68/151/EWG ist als Verweis auf Art. 3 der kodifizierten Fassung (RL 2009/101/EG) zu lesen, vgl. Art. 16 Abs. 2 RL 2009/101/EG 47 Vgl. auch Grundmann Rn. 829. Ein ähnliches Konzept liegt etwa auch Art. 5 der 1. (Publizitäts-)RL zu Grunde, vgl. § 19 Rn. 24 f.

Die Zweigniederlassungsrichtlinie (11. Richtlinie)

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(b) Angaben zu Vertretungsorganen (lit. e Sps. 1) Offen zu legen sind nach lit. e Sps. 1 weiterhin die Bestellung, das Ausscheiden und die 17 Personalien derjenigen, die als gesetzlich vorgeschriebenes Organ oder als Mitglied eines solchen Organs zur gerichtlichen und außergerichtlichen Vertretung der Gesellschaft befugt sind. Da die Offenlegung „gemäß der Offenlegung … nach [Art. 2 lit. d der 1. (Publizitäts-)RL]“ 48 zu erfolgen hat, ist auch anzugeben, ob Einzel- oder Gesamtvertretungsbefugnis besteht.49 Diese Informationen werden zwar gem. Art. 2 lit. d der 1. (Publizitäts-)RL ohnehin für die Gesellschaft über deren Register offen gelegt; da die Kenntnis der vertretungsberechtigten Personen jedoch speziell auch für Dritte, die über die Zweigniederlassung mit der Gesellschaft in Kontakt treten, von eminenter Bedeutung ist, erschien dem europäischen Gesetzgeber hier eine (nochmalige) spezielle Offenlegung auch über das Register der Zweigniederlassung angebracht.50 Nicht nochmals offen zu legen sind hier allerdings die nach Art. 2 lit. d der 1. (Publizitäts-)RL erforderlichen Informationen bzgl. der Organe, die „an der Verwaltung, Beaufsichtigung oder Kontrolle der Gesellschaft“ teilnehmen; insoweit erschien die Zugänglichkeit über das Register der Gesellschaft ausreichend. I.Ü. kann hinsichtlich der Einzelheiten auf die Ausführungen zu Art. 2 lit. d der 1. (Publizitäts-)RL (§ 19 Rn. 31 f.) Bezug genommen werden. Das deutsche Recht setzt diese Vorgaben heute in §§ 13f Abs. 3 u. 5 HGB i.V.m. 18 §§ 39 Abs. 1, 81 Abs. 1 u. 2 AktG (AG, KGaA, SE) und § 13g Abs. 3 u. 5 HGB i.V.m. §§ 10 Abs. 1, 39 Abs. 1 u. 2 GmbHG um. Die durch das MoMiG51 neu gefassten § 13f Abs. 2 S. 2, Abs. 5 HGB i.V.m. 19 §§ 37 Abs. 2, 81 Abs. 3 AktG (AG, KGaA, SE) bzw. § 13g Abs. 2 S. 2, Abs. 5 HGB i.V.m. §§ 8 Abs. 3, 39 Abs. 3 GmbHG verlangen zudem zusätzlich die Abgabe einer Versicherung hinsichtlich des Nichtvorliegens von Bestellungshindernissen i.S.v. §§ 76 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 u. 3 sowie S. 3 AktG bzw. § 6 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 u. 3 sowie S. 3 GmbHG in der Person der Vertretungsorgane. Denn der zugleich neu eingeführte § 13e Abs. 3 S. 2 HGB erstreckt diese Bestellungshindernisse – freilich nur in Bezug auf eine inländische Zweigniederlassung – auch auf die gesetzlichen Vertreter ausländischer Gesellschaften. Damit soll – im Anschluss an ein Grundsatzurteil des BGH52 – verhindert werden, dass sie durch die Gründung sog. „Scheinauslandsgesellschaften“ unterlaufen werden53. Entgegen der im Schrifttum teilweise geltend gemachten Bedenken54 liegt hierin kein Verstoß gegen die RL55, denn der abschließende

48 Der Verweis auf Art. 2 Abs. 1 RL 68/151/EWG ist als Verweis auf Art. 2 der kodifizierten Fassung (RL 2009/101/EG) zu lesen, vgl. Art. 16 Abs. 2 RL 2009/101/EG. 49 Vgl. Edwards S. 215 Fn. 31. 50 Vgl. KOM(86) 397, S. 8. 51 Fn. 20. 52 BGH NJW 2007, 2328. Dazu Bayer/J. Schmidt WuB II Q. § 6 GmbHG 1.07. 53 Vgl. BegrRegE z. MoMiG, BR-Drs. 354/07, S. 113. 54 Vgl. Bauer/Großerichter NZG 2008, 253, 256 f.; Mödl RNotZ 2008, 1, 6; Wachter GmbHR 2006, 796, 798. 55 Ebenso i.e. Belgorodski/Friske WM 2011, 251, 253; Voigt (Fn. 16), S. 197 f.

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Charakter des Art. 2 (vgl. o. Rn. 11) beschränkt sich – im Einklang mit dem allgemeinen Regelungsbereich der RL (dazu o. Rn. 9) – auf registerrechtliche Offenlegungspflichten zum Zwecke der Schaffung von Transparenz über gesellschaftsrechtliche Verhältnisse. Die Versicherungspflicht bezweckt aber nicht die Schaffung von Transparenz für den Rechtsverkehr, sondern stellt lediglich eine Annex- und Durchsetzungsregelung zu den durch § 13e Abs. 3 S. 2 HGB n.F. etablierten persönlichen Anforderungen an die gesetzlichen Vertreter der ausländischen Gesellschaft für die Errichtung einer inländischen Zweigniederlassung dar und liegt damit außerhalb des Regelungsbereichs der RL56. Die eigentliche europarechtliche Problematik besteht vielmehr in der Frage der Vereinbarkeit der damit errichteten Zugangshindernisse mit der Niederlassungsfreiheit gem. Art. 49, 54 AEU.57 Auch insoweit liegt jedoch kein Verstoß vor, denn obgleich in der Regelung unzweifelhaft eine Beschränkung liegt, ist diese doch durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses 58 – nämlich den Schutz (potentieller) Gläubiger 59, indem der Betrieb von Zweigniederlassungen von Gesellschaften mit ungeeigneten gesetzlichen Vertretern verhindert wird – gerechtfertigt.60

(c) Angaben im Falle von Liquidation bzw. Insolvenz etc. (lit. f) 20 Da auch eine etwaige Liquidation der Gesellschaft für Dritte, die mit dieser über die Zweigniederlassung in Kontakt treten, von erheblicher Bedeutung ist, gebietet der auf Vorschlag des EWSA61 ergänzte lit. f Sps. 1 auch insoweit die nochmalige Offenlegung der gem. Art. 2 lit. h, j und k der 1. (Publizitäts-)RL über das Register der Gesellschaft selbst offen zu legenden Angaben (dazu § 19 Rn. 38) über das Register der Zweigniederlassung. 21 Zudem ist nach dem erst in der letzten Phase des Legislativverfahrens im Rat ergänzten lit. f Sps. 2 auch offen zu legen, falls über die Gesellschaft ein Konkurs-, Ver-

56 Vgl. auch BegrRegE z. MoMiG, BR-Drs. 354/07, S. 114; ThürOLG ZIP 2006, 708, 711; Belgorodski/Friske WM 2011, 251, 253. 57 Einen Verstoß bejahend Belgorodski/Friske WM 2011, 251, 253 ff.; Wachter GmbHR 2006, 796, 798 f. 58 Zur Rechtfertigung von Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses (sog. Gebhard-Formel) bereits näher § 15 Rn. 18 ff. 59 Ausdrücklich vom EuGH als zwingender Grund des Allgemeininteresses anerkannt, vgl. nur EuGH v. 5.11.2002, Überseering BV ./. Nordic Construction Company Baumanagement GmbH (NCC), Rs. C-208/00, Slg. 2002, I-9919, Rn. 92; EuGH v. 30.9.2003, Kamer van Koophandel en Fabrieken voor Amsterdam v. Inspire Art Ltd., Rs. C-167/01, Slg. 2003, I-10155, Rn. 123; EuGH v. 13.12.2005, Sevic Systems AG, Rs. C-411/03, Slg. 2005, I-10805, Rn. 28. S. ferner auch bereits § 6 Rn. 35, § 15 Rn. 19. 60 Vgl. auch BegrRegE z. MoMiG, BR-Drs. 354/07, S. 115; Hopt (Fn. 21), § 13e Rn. 3; Voigt (Fn. 16), S. 197; s. ferner auch Seibert ZIP 2006, 1157, 1168 sowie bereits BGH NJW 2007, 2328, 2330; ThürOLG ZIP 2006, 708, 711; Bayer/J. Schmidt WuB II Q. § 6 GmbHG 1.07; Eidenmüller/Rehberg NJW 2008, 28, 30 f.; Melchior AnwBl. 2011, 20, 21. 61 Vgl. EWSA, ABlEG v. 30.11.1987, C 319/61, Ziff. 7.2.

Die Zweigniederlassungsrichtlinie (11. Richtlinie)

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gleichs- oder ähnliches Verfahren eröffnet wird. Hierzu enthält die 1. (Publizitäts-)RL zwar keine Komplementärregelung; eine etwaige Insolvenz erschien jedoch gleichwohl als so bedeutendes Datum, dass auch insoweit – nicht zuletzt auch mit Blick auf die Vergleichbarkeit mit einer Liquidation – eine Offenlegung geboten erschien. Zudem waren bereits damals die heutigen Regelungen der Art. 21, 22 EuInsVO über die Bekanntmachung und Registereintragung einer Insolvenzeröffnung (dazu § 16 Rn. 53 f.) in Vorbereitung62, als deren Ergänzung die Vorschrift zu verstehen ist. Lit. f Sps. 1 wird im deutschen Recht durch § 13f Abs. 5 HGB i.V.m. §§ 263 S. 1, 22 266 Abs. 1 und 2, 273 Abs. 1 S. 1 AktG (AG, KGaA, SE) und § 13g Abs. 5 HGB i.V.m. §§ 65 Abs. 1 S. 1, 67 Abs. 1 und 2, 74 Abs. 1 S. 1 GmbHG (GmbH) umgesetzt; die Offenlegungspflicht bzgl. einer etwaigen Insolvenz ergibt sich aus § 13e Abs. 4 HGB.

(d) Rechnungslegungsunterlagen (lit. g i.V.m. Art. 3) (aa) Allgemeines Von wesentlicher Bedeutung für Dritte, die über die Zweigniederlassung mit der Ge- 23 sellschaft in Kontakt treten, sind schließlich deren Rechnungslegungsunterlagen. Gem. lit. g sind daher auch diese (nochmals) bei der Zweigniederlassung offen zu legen, allerdings gem. Art. 3 nur wenn und insoweit als sie nach dem Recht des Mitgliedstaats, dem die Gesellschaft unterliegt, im Einklang mit der 4. (Bilanz-)RL (dazu § 24), 7. (Konzernbilanz)RL (dazu § 25) und 8. (Abschlussprüfer-)RL63 (dazu § 17) geprüft und offen gelegt worden sind. Die RL fährt damit eine angemessene und systemkonforme Kompromisslinie zwischen den vor ihrer Verabschiedung sehr unterschiedlichen nationalen Rechtsordnungen64: Sie gewährleistet einerseits die Zugänglichkeit einer dem EU-Standard entsprechenden Bilanzpublizität auch unmittelbar über die Zweigniederlassung, verlangt aber andererseits – im Gegensatz zu einigen nationalen Rechtsordnungen vor ihrer Verabschiedung – nicht die Erstellung spezieller „Zweigniederlassungsbilanzen“.65

62 Damals noch als Art. 13 f. des Entwurfs eines EG-Konkursabkommens, abgedruckt in ZIP 1992, 1197 (dazu auch bereits § 16 Rn. 1). 63 Der Verweis auf die RL 84/253/EWG ist als Verweis auf die RL 2006/43/EG zu lesen, vgl. Art. 50 RL 2006/43/EG. 64 Vgl. dazu KOM(86) 397, S. 9 f. 65 Vgl. KOM(86) 397, S. 9 f.; s. ferner Bayer (Fn. 29), Anh II zu § 4a Rn. 51; Cordewener (Fn. 11), S. 105, 155; Grundmann Rn. 830; Habersack § 5 Rn. 56; Schumann ZIP 2007, 1189, 1191.

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Gesellschaftsrechtliche Richtlinien

(bb) Sonderregeln für Kredit- und Finanzinstitute sowie Versicherungsgesellschaften (Art. 14) 24 Explizit ausgenommen von der Offenlegungspflicht gem. lit. g i.V.m. Art. 3 sind allerdings gem. Art. 14 Zweigniederlassungen von Kredit- und Finanzinstituten sowie Versicherungsgesellschaften. Für sie gelten – im Einklang mit dem generellen Regelungskonzept des Europäischen Bilanzrechts – ausschließlich66 die einschlägigen Offenlegungsvorschriften der Bankbilanz-RL67 und der ZweigniederlassungsbilanzRL68 bzw. der Versicherungsbilanz-RL69.70

(cc) Deutsches Recht 25 Für das deutsche Recht war die Bilanzpublizität auch über das Register der Zweigniederlassung eine wesentliche Neuerung71; zur Umsetzung der RL-Vorgaben wurde ein neuer § 325a Abs. 1 HGB (dazu auch noch u. Rn. 58, 77, 86) eingefügt72. Offenbar vor dem Hintergrund der damals noch generell ganz herrschenden Sitztheorie (vgl. zur diesbezüglichen Rechtsentwicklung bereits ausf. § 6 Rn. 5, 13, 50 ff.) stellt die Norm allerdings abweichend von der RL nicht auf die „Gesellschaft“, sondern auf die „Hauptniederlassung“ ab.73 Dies ist im Wege der richtlinienkonformen Auslegung zu korrigieren74, d.h. offen zu legen sind die nach dem Gesellschaftsstatut erstellten Rechnungslegungsunterlagen der Gesellschaft (wobei sich das Gesellschaftsstatut nach den allgemeinen Grundsätzen des deutschen IPR bestimmt 75, dazu näher § 6 Rn. 50 ff.). § 325a Abs. 2 HGB nimmt Zweigniederlassungen von Kreditinstituten i.S.d. § 340 HGB sowie von Versicherungsunternehmen i.S.d. § 341 HGB ausdrück66 Die Formulierung des Art. 14 Abs. 2 als Mitgliedstaatenoption erklärt sich daraus, dass die Versicherungsbilanz-RL (Fn. 69) damals noch nicht verabschiedet war. 67 RL 86/635/EWG des Rates v. 8.12.1986 über den Jahresabschluß und den konsolidierten Abschluß von Banken und anderen Finanzinstituten, ABlEG v. 31.12.1986, L 372/1. 68 RL 89/117/EWG des Rates vom 13.2.1989 über die Pflichten der in einem Mitgliedstaat eingerichteten Zweigniederlassungen von Kreditinstituten und Finanzinstituten mit Sitz außerhalb dieses Mitgliedstaats zur Offenlegung von Jahresabschlußunterlagen, ABlEG v. 16.2.1989, L 44/40. 69 RL 91/674/EWG des Rates v. 19.12.1991 über den Jahresabschluß und den konsolidierten Abschluß von Versicherungsunternehmen, ABlEG v. 31.12.1991, L 374/7. 70 Vgl. auch KOM(86) 397, S. 14; Edwards S. 214; Grundmann Rn. 824. 71 Bis dato war eine spezielle Bilanzpublizität nur für bestimmte Zweigniederlassungen ausländischer Kreditinstitute (§ 340l Abs. 2 S. 2 HGB a.F.) und Versicherungsunternehmen (§§ 106 Abs. 2, 110a Abs. 2 S. 2 und 3 VAG a.F.) verlangt worden, vgl. auch BegrRegE z. 11.-RL-Gesetz, BT-Drs. 12/3908, S. 19. 72 Vgl. BegrRegE z. 11.-RL-Gesetz, BT-Drs. 12/3908, S. 19. 73 Vgl. zu dieser Diskrepanz bereits García RIW 2000, 590, 596; s. ferner auch Eidenmüller/ Rehberg ZVglRWiss 105 (2006) 427, 436. 74 Vgl. auch Eidenmüller/Rehberg ZVglRWiss 105 (2006) 427, 436; Schön FS Heldrich, 2005, S. 391, 394; Schumann ZIP 2007, 1189, 1191. 75 Vgl. auch Zimmer in: Ulmer (Hrsg.), HGB-Bilanzrecht, 2. Aufl. 2002, § 325a Rn. 6 ff.

Die Zweigniederlassungsrichtlinie (11. Richtlinie)

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lich vom Anwendungsbereich der Norm aus; für diese gelten die Sonderregelungen der § 340l Abs. 2 HGB bzw. §§ 341 Abs. 2, 341l HGB 76, welche die Vorgaben der einschlägigen europäischen Spezial-RL (o. Rn. 24) umsetzen 77.

(2) Bezüglich der Zweigniederlassung (a) Anschrift (lit. a) und ggf. Firma (lit. d Hs. 2) In Bezug auf die Zweigniederlassung ist gem. lit. a zunächst als Grunddatum die An- 26 schrift offen zu legen. Ergänzend ist zudem gem. lit. d Hs. 2 auch die Firma der Zweigniederlassung 78 offen zu legen, sofern diese nicht mit der – gem. lit. d Hs. 1 (dazu o. Rn. 15) offen zu legenden – Firma der Gesellschaft übereinstimmt. Das Erfordernis der mangelnden Übereinstimmung ist insofern im Interesse eines umfassenden Schutzes durch Information weit zu verstehen; es ist insbesondere auch schon dann erfüllt, wenn die Zweigniederlassung zwar die Firma der Gesellschaft benutzt, ihr aber einen auf die Zweigniederlassung hinweisenden Zusatz beifügt 79. Das deutsche Recht hat diese Vorgaben durch §§ 13d Abs. 2, § 13e Abs. 2 S. 3 27 Alt. 1 HGB umgesetzt. § 13d Abs. 2 HGB a.F. verlangte zwar nur die Eintragung des Ortes der Zweigniederlassung, da die vollständige Anschrift jedoch nach § 13e Abs. 2 S. 3 HGB a.F. bei der Anmeldung anzugeben war und somit in der Akte hinterlegt wurde, war den Anforderungen der RL – für die Eintragung und Hinterlegung in der Akte gleichwertige Alternativen sind (s.u. Rn. 71) – genügt.80 Seit der Neufassung durch das MoMiG81 ist nun allerdings sowohl die Anmeldung 82 als auch die Eintragung der „inländischen Geschäftsanschrift“ erforderlich; damit soll i.V.m. §§ 13e Abs. 3a S. 1, 15a HGB, 185 Nr. 2 ZPO n.F. im Interesse der Gläubiger die Zustellung erleichtert werden83. Entgegen teilweise geäußerter Bedenken84 ist auch dies mit der

76 Vgl. Fehrenbacher in: MünchKommHGB, 2. Aufl. 2008, § 325a Rn. 8 m.w.N. 77 Vgl. BegrRegE z. BankbilanzRLG, BR-Drs. 616/89, S. 25; BegrRegE z. VersRiLiG, BR-Drs. 359/93, S. 88 f. (dort § 341k HGB-E). 78 Das für die Firmenbildung der Zweigniederlassung maßgebliche Recht richtet sich nach den allgemeinen Regeln des IPR, die insoweit nicht harmonisiert sind. Nach deutschem Recht ist insoweit nach ganz h.M. nicht das Gesellschaftsstatut, sondern das deutsche Recht als Marktrecht maßgeblich, das allerdings im Hinblick auf Art. 49, 54 AEU europarechtskonform auszulegen ist; näher Bayer (Fn. 29), Anh I zu § 4a Rn. 25, Anh II zu § 4a Rn. 18 m.z.w.N. 79 Vgl. KOM(86) 397, S. 7. 80 Vgl. BegrRegE z. 11.-RL-Gesetz, BT-Drs. 12/3908, S. 16. 81 Fn. 20. 82 Das „eine“ in § 13e Abs. 2 S. 3 HGB ist insoweit in richtlinienkonformer Auslegung auf „die“ (so richtig in § 13d Abs. 2 HGB) inländische Geschäftsanschrift der Zweigniederlassung zu beziehen. 83 Vgl. BegrRegE z. MoMiG, BR-Drs. 354/07, S. 112. 84 Vgl. Schwab DStR 2010, 333, 334.

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RL vereinbar 85, denn Eintragung und Hinterlegung in der Akte sind eben gleichwertige Alternativen und die „Anschrift“ i.S.d. lit. a ist zwingend inländisch86 (jeder Mitgliedstaat setzt die RL ja nur für die Zweigniederlassungen in seinem Territorium um). Auch die EuZVO87 steht nicht entgegen, denn deren Anwendungsbereich ist auf grenzüberschreitende Zustellungen begrenzt (vgl. Art. 1 Abs. 1 S. 1 EuZVO).88

(b) Tätigkeit der Zweigniederlassung (lit. b) 28 Gem. lit. b, der erst im zweiten RL-Entwurf 89 auf Wunsch des EP 90 ergänzt wurde, ist weiterhin die Tätigkeit der Zweigniederlassung offen zu legen. Denn für Dritte, die über die Zweigniederlassung mit der Gesellschaft in Kontakt treten, sind auch Informationen hierüber von wesentlicher Bedeutung. Die „Tätigkeit der Zweigniederlassung“ i.S.d. konkreten geschäftlichen Aktivitäten der jeweiligen Zweigniederlassung ist insoweit streng vom „Gegenstand des Unternehmens“ (der Gesellschaft) zu trennen: Sie kann zwar mit diesem identisch sein, muss dies aber nicht (denn dann wäre das spezielle Angabeerfordernis ja auch überflüssig) und wird im Regelfall auch nur einen (kleineren oder größeren) Ausschnitt desselben bilden.91 Der Gegenstand des Unternehmens der Gesellschaft ist dagegen bei der Zweigniederlassung nur dann (nochmals) offen zu legen, wenn der jeweilige Mitgliedstaat von der Option des Art. 2 Abs. 2 lit. b (dazu näher u. Rn. 40) Gebrauch gemacht hat; ansonsten ist er zwingend nur über das Register der Gesellschaft selbst offen zu legen (als Bestandteil der Satzung gem. Art. 2 lit. a–c der 1. (Publizitäts-)RL [dazu § 19 Rn. 29] bzw. bei AG gem. Art. 2 lit. b der 2. (Kapital-)RL [dazu § 20 Rn. 16] auch separat). 29 Im deutschen Recht wird lit. b heute durch § 13f Abs. 3 HGB (AG, KGaA, SE) und § 13g Abs. 3 HGB (GmbH), jeweils i.V.m. § 13e Abs. 2 S. 3 Alt. 2 HGB umgesetzt.

85 Vgl. auch BegrRegE z. MoMiG, BR-Drs. 354/07, S. 112; Voigt (Fn. 16), S. 201; Wachter GmbHR 2006, 793, 800. 86 Vgl. auch Preuß (Fn. 39), § 13e Rn. 30; Wachter GmbHR 2006, 793, 800. 87 VO (EG) Nr. 1393/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 13.11.2007 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten („Zustellung von Schriftstücken“) und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1348/2000 des Rates, ABlEU v. 10.12.2007, L 324/79. 88 Vgl. zur Vorgängerregelung (VO (EG) 1348/2000) auch BegrRegE z. MoMiG, BR-Drs. 354/07, S. 112. S. ferner auch Hirte/Burmeister FS G. H. Roth, 2011, S. 257, 262 f. 89 Fn. 6. 90 Vgl. Art. 2 Abs. 1 lit. aa EP-Entschließung (Fn. 5). 91 Vgl. OLG Schleswig GmbHR 2008, 1041; OLG Frankfurt ZIP 2006, 333, 334 f.; OLG Düsseldorf NZG 2006, 317, 318; OLG Hamm NZG 2005, 930, 391; ThürOLG DNotZ 2006, 153, 154 f.; Mankowski EWiR 2006, 145, 146; J. Schmidt NZG 2006, 899 f.; Süß DNotZ 2005, 180, 182.

Die Zweigniederlassungsrichtlinie (11. Richtlinie)

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(c) Ggf. Angaben zu ständigen Vertretern der Zweigniederlassung (lit. e Sps. 2) Lit. e Sps. 2 schreibt ferner die Offenlegung bestimmter Angaben zu ständigen Vertre- 30 tern der Zweigniederlassung vor. Gemeint sind – in Abgrenzung zu lit. e Sps. 1 – Personen, die für den Bereich der Zweigniederlassung auf Grund rechtsgeschäftlich erteilter Vertretungsmacht92 zur aktiven und/oder passiven93 Vertretung der Gesellschaft befugt sind und zwar „ständig“, d.h. nicht nur für eine einmalige Handlung oder vorübergehend, sondern für eine gewisse Dauer 94. Das Vertretungsstatut bestimmt sich insoweit nach den – bislang nicht harmonisierten95 – allgemeinen Regeln des IPR. Entgegen einer teilweise vertretenen Ansicht96 muss die Vollmacht nicht notwendig umfassend (i.S.v. grundsätzlich unbeschränkt) sein97; denn für solche „ständigen Vertreter“ existiert gerade keine dem Art. 10 der 1. (Publizitäts-)RL (dazu § 19 Rn. 68 ff.) entsprechende Vorgabe. Nach dem insoweit wohl eindeutigen Wortlaut bezieht sich die Norm allerdings nur auf solche Bevollmächtigte, die sowohl zur gerichtlichen als auch zur außergerichtlichen Vertretung befugt sein.98 Die Regelung darf allerdings nicht dahin missverstanden werden, dass die Bestel- 31 lung eines „ständigen Vertreters“ i.d.S. zwingend erforderlich wäre. Sie gebietet vielmehr nur eine Offenlegung, wenn und soweit ein oder mehrere solche „ständigen Vertreter“ bestellt sind.99 Denn für Dritte, die über die Zweigniederlassung mit der Gesellschaft in Kontakt treten, besteht dann in ähnlicher Weise ein Interesse an einer entsprechenden Information wie in Bezug auf die nach lit. e Sps. 1 offen zu legenden Vertretungsorgane (dazu o. Rn. 17). Offen zu legen sind auch hier zunächst die Bestellung, das Ausscheiden und die 32 Personalien des/der „ständigen Vertreter“. Anzugeben sind darüber hinaus aber auch ihre „Befugnisse“, d.h. der Umfang ihrer Vertretungsmacht 100 und insbesondere auch, ob sie die Gesellschaft allein oder gemeinschaftlich vertreten können101. 92 Vgl. Heidinger MittBayNot 1998, 72, 73, 75; Schwarz Rn. 377 Fn. 175; Seibert GmbHR 1992, 738, 740; zu § 13e HGB: Koch (Fn. 21), § 13e Rn. 30; Pentz (Fn. 21), § 13e HGB Rn. 30; Schäfer ZNotP 2007, 450, 451; Voigt (Fn. 16), S. 203 f. 93 Vgl. Habersack § 5 Rn. 55; Schwarz Rn. 377 Fn. 175. 94 Vgl. Heidinger MittBayNot 1998, 72, 74; Voigt (Fn. 16), S. 204; zu § 13e HGB: Pentz (Fn. 21), § 13e HGB Rn. 30. 95 Art. 1 Abs. 2 lit. g Rom I-VO schließt die Frage, ob ein Vertreter die Person, für deren Rechnung er zu handeln vorgibt, Dritten gegenüber verpflichten kann, ausdrücklich vom Anwendungsbereich der Rom I-VO aus. 96 So Schwarz Rn. 377 Fn. 175. 97 Ebenso Grundmann Rn. 829 Fn. 28; Habersack § 5 Rn. 55; Heidinger MittBayNot 1998, 72, 74; Werlauff S. 221. 98 Vgl. Heidinger MittBayNot 1998, 72, 74; Seibert GmbHR 1992, 738, 740; Voigt (Fn. 16), S. 204; Werlauff S. 221. 99 Vgl. OLG München NZG 2008, 342; Heidinger MittBayNot 1998, 72, 73; zu § 13e HGB: Pentz (Fn. 21), § 13e HGB Rn. 30; Schäfer ZNotP 2007, 450, 451; Süß DNotZ 2005, 180, 186. 100 Vgl. OLG München NZG 2006, 512; Heidinger MittBayNot 1998, 72, 75; zu § 13e HGB: Preuß (Fn. 39), § 13e Rn. 40. 101 Vgl. KOM(86) 397, S. 8; BegrRegE z. 11.-RL-Gesetz, BT-Drs. 12/3908, S. 16; Heidinger MittBayNot 1998, 72, 73; zu § 13e HGB: Pentz (Fn. 21), § 13e HGB Rn. 30; Voigt (Fn. 16), S. 209.

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Im deutschen Recht wird lit. e Sps. 2 heute durch § 13f Abs. 3 HGB (AG, KGaA, SE) und § 13g Abs. 3 HGB (GmbH), jeweils i.V.m. § 13e Abs. 2 S. 5 Nr. 3 HGB umgesetzt. 34 Strikt von dieser Regelung zu ständigen Vertretern zu trennen ist übrigens die durch das MoMiG 102 geschaffene Möglichkeit, einen zusätzlichen Empfangsvertreter für Willenserklärungen und Zustellungen an die Gesellschaft eintragen zu lassen (§ 13e Abs. 2 S. 4 HGB n.F.); hierdurch soll – ebenso wie durch § 13e Abs. 2 S. 3 Alt. 1 HGB n.F. (dazu o. Rn. 27) – i.V.m. §§ 13e Abs. 3a S. 2, 15a HGB, 185 Nr. 2 ZPO n.F. im Interesse der Gläubiger die Zustellung erleichtert werden103. Da es sich hierbei lediglich um eine Option zugunsten der Gesellschaft handelt, ist dies mit der RL – die nur bezüglich obligatorischer Offenlegungspflichten abschließend ist (vgl. o. Rn. 11 f.) – vereinbar. Zudem steht auch hier die EuZVO 104 nicht entgegen, denn deren Anwendungsbereich ist auf grenzüberschreitende Zustellungen begrenzt (vgl. Art. 1 Abs. 1 S. 1 EuZVO).105 33

(d) Aufhebung der Zweigniederlassung (lit. h) 35 Gem. lit. h ist schließlich als weiteres grundlegendes Datum die Aufhebung der Zweigniederlassung offen zu legen. 36 Das deutsche Recht setzt dies in § 13f Abs. 6 HGB (AG, KGaA, SE) und § 13g Abs. 6 HGB (GmbH) um.

cc) Mitgliedstaatenoptionen bzgl. weiterer Publizitätsobjekte (Art. 2 Abs. 2) 37 Die Mitgliedstaatenoptionen des Art. 2 Abs. 2 bzgl. weiterer Publizitätsobjekte, die größtenteils erst in der letzten Phase des Legislativverfahrens im Rat ergänzt wurden106, sind vor dem Hintergrund der vor Verabschiedung der RL sehr unterschiedlichen Offenlegungsanforderungen (vgl. bereits o. Rn. 1, 3) zu sehen; sie sollen es den Mitgliedstaaten ermöglichen, mit Blick auf bestimmte nationale Besonderheiten und im Interesse eines zusätzlichen Schutzes Dritter zumindest in begrenztem Umfang weitergehende Offenlegungspflichten zu etablieren. Auch insoweit ist wiederum zwischen Publizitätsobjekten bezüglich der Gesellschaft selbst (dazu u. Rn. 38) und bezüglich der Zweigniederlassung (dazu u. Rn. 47 f.) zu differenzieren.

102 103 104 105

Fn. 20. Vgl. BegrRegE z. MoMiG, BR-Drs. 354/07, S. 112. Fn. 87. Vgl. zur Vorgängerregelung (VO (EG) 1348/2000) auch BegrRegE z. MoMiG, BR-Drs. 354/07, S. 112. S. ferner auch Hopt (Fn. 21), § 13e Rn. 3. 106 Die drei Kommissionsentwürfe (Fn. 3, 6 f.) sahen in Abs. 2 jeweils nur die heute in lit. a geregelte Option vor.

Die Zweigniederlassungsrichtlinie (11. Richtlinie)

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(1) Bezüglich der Gesellschaft (a) Unterschrift der Vertretungsorgane und/oder Liquidatoren (lit. a) Lit. a gestattet es dem Mitgliedstaat der Zweigniederlassung zunächst, die Offen- 38 legung der Unterschrift der Vertretungsorgane bzw. Liquidatoren zu verlangen, um dem Publikum so eine sichere Grundlage für die Überprüfung der Echtheit eines Namenszugs zu verschaffen. Da das deutsche Recht traditionell ein solches Erfordernis einer Unterschrifts- 39 probe vorsah (vgl. § 13 Abs. 2 HGB a.F.), behielt der Gesetzgeber dieses auch i.R.d. Umsetzung der RL zunächst bei (vgl. § 13f Abs. 2 S. 2 HGB a.F. i.V.m. § 37 Abs. 5 AktG a.F., § 13g Abs. 2 S. 2 HGB a.F. i.V.m. § 8 Abs. 5 GmbHG a.F.). Im Zuge der Umstellung auf die elektronische Registerführung durch das EHUG 107 (dazu bereits allg. § 19 Rn. 8, 17) wurde das Erfordernis einer Unterschriftsprobe dann jedoch generell aufgegeben, weil es nicht zur elektronischen Registerführung passte, man bei einem Scan Missbräuche befürchtete und die Bedeutung der Unterschrift im heute oftmals elektronischen Rechtsverkehr ohnehin tendenziell abnimmt.108

(b) Errichtungsakt/Satzung und etwaige Änderungen (lit. b) Gem. lit. b darf der Mitgliedstaat der Zweigniederlassung entsprechend109 Art. 2 40 lit. a–c der 1. (Publizitäts-)RL110 (dazu § 19 Rn. 29) die Offenlegung des Errichtungsaktes und (soweit separat 111) die Satzung sowie Änderungen dieser Unterlagen verlangen. Aus der Verweisung auf Art. 2 lit. a–c der 1. (Publizitäts-)RL ergibt sich insbesondere auch, dass nach jeder Änderung die Offenlegung des vollständigen Wortlauts der Neufassung verlangt werden kann (lit. c).112 Damit können die Mitgliedstaaten es dem Rechtsverkehr ermöglichen, sich auch über das Register der Zweigniederlassung unmittelbar Kenntnis von dem/den Grunddokument(en) der Gesellschaft zu verschaffen. Wie der EuGH in der Rs. Innoventif ausdrücklich klargestellt hat, sind die Mitgliedstaaten a fortiori aber auch berechtigt, anstelle der Offenlegung des vollständigen Errichtungsaktes bzw. der vollständigen Satzung auch nur die Offenlegung bestimmter einzelner Inhalte (z.B. wie in der Rs. Innoventif des Unternehmensgegenstandes) zu verlangen.113 107 Fn. 19. 108 Vgl. BegrRegE z. EHUG, BT-Drs. 16/960, S. 46 f. 109 Die deutsche Fassung ist hier mit dem Einschub des Verweises auf die 1. (Publizitäts-)RL nach „Aktes“ leider etwas unglücklich formuliert, die englische und französische Fassung sind hier sprachlich deutlich klarer. 110 Der Verweis auf Art. 2 Abs. 1 RL 68/151/EWG ist als Verweis auf Art. 2 der kodifizierten Fassung (RL 2009/101/EG) zu lesen, vgl. Art. 16 Abs. 2 RL 2009/101/EG. 111 Vgl. zu den insoweit unterschiedlichen Regelungskonzeptionen der nationalen Rechtsordnungen bereits § 19 Rn. 29 Fn. 68. 112 Unberechtigt daher die diesbezüglichen Zweifel bei Heinze RNotZ 2009, 586, 588. 113 EuGH v. 1.6.2006, Innoventif Limited, Rs. C-453/04, Slg. 2006, I-4929, Rn. 33 ff.; J. Schmidt NZG 2006, 899, 900 f.; Preuß (Fn. 39), § 13e Rn. 34.

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Da das deutsche Recht traditionell entsprechende weitergehende Offenlegungspflichten vorsah (vgl. § 13b Abs. 3 HGB a.F. i.V.m. § 8 Abs. 1 GmbHG a.F., § 44 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 AktG a.F.), hat der Gesetzgeber hieran unter Ausübung der Option des lit. b bei Umsetzung der RL festgehalten. Gem. § 13f Abs. 2 S. 1 HGB (AG, KGaA, SE) und § 13g Abs. 2 S. 1 HGB (GmbH) ist bei der Errichtung die vollständige Satzung anzumelden, nach dem jeweiligen Abs. 4 außerdem jede etwaige Änderung. Die Satzung wird allerdings nur in der Akte hinterlegt (vgl. zur Gleichwertigkeit bereits o. Rn. 27 sowie u. Rn. 71). Eingetragen werden gem. § 13f Abs. 3 HGB i.V.m. § 39 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 AktG (AG, KGaA, SE) bzw. § 13g Abs. 3 HGB i.V.m. § 10 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 GmbHG (GmbH) nur die wichtigsten Daten aus der Satzung: Der (Satzungs-)Sitz, der Unternehmensgegenstand 114, die Höhe des Grund- bzw. Stammkapitals, der Tag der Feststellung der Satzung bzw. des Abschlusses des Gesellschaftsvertrages sowie ggf. etwaige Bestimmungen über die Zeitdauer der Gesellschaft und ein etwaiges genehmigtes Kapital. Darüber hinaus müssen gem. § 13f Abs. 2 S. 3 HGB (AG, KGaA, SE) und § 13g Abs. 2 S. 3 HGB (GmbH) in der Anmeldung aber noch eine Reihe anderer wesentlicher Angaben115, die i.d.R. in der Satzung enthalten sind, separat angegeben werden; diese Angabepflichten stehen allerdings unter dem Vorbehalt, dass das ausländische Recht nicht eine Abweichung erforderlich macht. Dies ist nicht nur dann der Fall, wenn das ausländische Recht eine entsprechende Satzungsregelung überhaupt nicht zulässt, sondern auch dann, wenn eine solche dort nur fakultativ ist und die Gesellschaft von der entsprechenden Möglichkeit keinen Gebrauch gemacht hat.116 Da somit kein Anpassungszwang besteht, sondern nur tatsächliche Satzungsinhalte anmeldepflichtig sind, ist die Regelung von der Option des Art. 2 Abs. 2 lit. b gedeckt.117

(c) Registerbescheinigung über Bestehen der Gesellschaft (lit. c) 42 Lit. c gestattet es dem Mitgliedstaat der Zweigniederlassung, eine Bescheinigung des Registers der Gesellschaft in Bezug auf deren Bestehen zu verlangen. Anhand dieser kann sich der Zweigniederlassungsstaat relativ einfach von der Existenz der Gesellschaft überzeugen – da die nationalen Register (noch)118 nicht vernetzt sind, wäre

114 Die Eintragung (und speziell die daraus folgende Bekanntmachungspflicht) des Unternehmensgegenstandes war der Streitpunkt in des Rs. Innoventif (Fn. 113), wo der EuGH die deutsche Regelung billigte (vgl. o. Rn. 40). Näher dazu J. Schmidt NZG 2006, 899 ff.; zusammenfassend zur Problematik und m.z.w.N.: Bayer (Fn. 29), Anh II zu § 4a Rn. 24. 115 Näher dazu Pentz (Fn. 21), § 13f HGB Rn. 9 ff.; Koch (Fn. 21), § 13f Rn. 13 f., § 13g Rn. 6. 116 Vgl. BayObLG WM 1986, 1557, 1559; Ammon/Ries in: Röhricht/Graf von Westphalen, HGB, 3. Aufl. 2008, § 13f Rn. 5, § 13g Rn. 5; Krafka (Fn. 31), § 13f Rn. 4; Pentz (Fn. 21), § 13f HGB Rn. 12; Heinze RNotZ 2009, 586, 587. 117 Vgl. Pentz (Fn. 21), § 13f HGB Rn. 12. 118 Vgl. zur geplanten Verknüpfung der nationalen Register bereits o. Rn. 2 sowie § 19 Rn. 7, 16.

Die Zweigniederlassungsrichtlinie (11. Richtlinie)

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sonst u.U. erst eine aufwendige Recherche notwendig – und so „hinkende“ Zweigniederlassungseintragungen vermeiden. Trotz des missverständlichen deutschen Wortlauts der Norm („aus“) darf der Zweigniederlassungsstaat allerdings nicht zwingend einen Registerauszug bzw. eine Kopie des Registerinhalts selbst verlangen; aus der englischen119 und französischen120 Sprachfassung ergibt sich vielmehr klar, dass lediglich die Vorlage einer vom Register der Gesellschaft erteilten, gleichwie gestalteten Existenzbescheinigung gefordert werden kann. Der deutsche Gesetzgeber hat i.R.d. RL-Umsetzung durch § 13e Abs. 2 S. 2 HGB 43 von dieser Option Gebrauch gemacht. Die Norm fordert allerdings nur allgemein, dass das „Bestehen der Gesellschaft als solcher nachzuweisen“ ist. Hintergrund ist, dass sie auch für Zweigniederlassungen von Gesellschaften aus Drittstaaten (wo u.U. kein Register existiert) gilt. Gleichwohl ist aber allgemein anerkannt, dass der Nachweis primär durch eine Registerbescheinigung zu führen ist 121 (z.B. bei einer britischen Limited durch ein certificate of incorporation 122 oder ein certificate of good standing123). Soweit die Registergerichte daneben auch bei EU-/EWR-Gesellschaften andere Formen des Nachweises akzeptieren (z.B. bei einer britischen Limited die Bescheinigung eines britischen Notars124), liegt hierin kein Verstoß gegen die RL, da der Gesellschaft hierdurch nur eine zusätzliche Möglichkeit des Nachweises eröffnet wird. Das Erfordernis der Vorlage einer ggf. erforderlichen staatlichen Genehmigung 44 (§ 13e Abs. 2 S. 2 Alt. 2 HGB a.F.) wurde im Zuge der generellen Entkoppelung von Handelsregistereintragungen von solchen Genehmigungsvorlagen durch das MoMiG125 gestrichen; damit haben sich auch die Kontroversen um den maßgeblichen Bezugspunkt (Gegenstand der Zweigniederlassung 126 oder des Unternehmens127) und um die Richtlinienkonformität dieser Regelung 128 erledigt.

119 „an attestation from the register … relating to the existence of the company“. 120 „une attestation du registre … concernant l’existence de la société“. 121 Vgl. Hüffer Anh § 45 § 13e HGB Rn. 4; Koch (Fn. 21), § 13d Rn. 67; Pentz (Fn. 21), § 13e HGB Rn. 23; Voigt (Fn. 16), S. 214. 122 Vgl. OLG Hamm GmbHR 2008, 545, 547; OLG Hamm ZIP 2006, 1947, 1949 f.; KG NZG 2005, 578; Bayer (Fn. 29), Anh II zu § 4a Rn. 21 m.w.N. 123 Vgl. LG Berlin NZG 2004, 1014, 1015; Bayer (Fn. 29), Anh II zu § 4a Rn. 21 m.w.N. 124 Vgl. LG Wiesbaden GmbHR 2005, 1134; Bayer (Fn. 29), Anh II zu § 4a Rn. 21 m.w.N. 125 Fn. 20. 126 So OLG Celle ZIP 2007, 71; OLG Frankfurt NZG 2006, 515, 516; ThürOLG GmbHR 1999, 822; LG Kassel GmbHR 2005, 1057, 1058; Kadel MittBayNot 2006, 102, 109; Kögel GmbHR 2006, 237, 239; Mödl RNotZ 2008, 1, 8. 127 So LG Hechingen Rpfleger 2005, 318. 128 Richtlinienwidrigkeit wurde angenommen von LG Chemnitz NZG 2006, 517, 518; Rehberg in: Eidenmüller (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften im deutschen Recht, 2004, § 5 Rn. 85; Wachter GmbHR 2007, 205; Werner GmbHR 2005, 288, 291; zweifelnd auch LG Gießen DB 2005, 2808, 2809; ausdrücklich für Richtlinienkonformität dagegen OLG Celle ZIP 2007, 71.

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(d) Bestimmte Angaben über Sicherheiten (lit. d) 45 Gem. lit. d darf der Mitgliedstaat der Zweigniederlassung Angaben über Sicherheiten, bei denen Vermögenswerte belastet werden, die sich in seinem Territorium befinden, verlangen; allerdings nur, sofern sich diese Offenlegung auf die Gültigkeit solcher Sicherheiten bezieht. Diese Option ist den Besonderheiten des britischen Rechts geschuldet129, das die Wirksamkeit bestimmter Sicherungsrechte gegenüber den Gläubigern der Gesellschaft davon abhängig macht, dass diese im register of charges beim Companies House eingetragen werden130. 46 Da das deutsche Recht etwas Derartiges nicht kennt, hat der deutsche Gesetzgeber – anders als erwartungsgemäß der britische131 – von der Option des lit. d keinen Gebrauch gemacht. (2) Bezüglich der Zweigniederlassung 47 Bezüglich der Zweigniederlassung enthält Abs. 2 nur eine Mitgliedstaatenoption: Nach lit. a kann zusätzlich oder alternativ zu einer Unterschriftsprobe der Vertretungsorgane (dazu o. Rn. 38) auch eine solche etwaiger ständiger Vertreter der Zweigniederlassung (dazu o. Rn. 30 ff.) verlangt werden, um dem Rechtsverkehr auch insoweit eine sichere Grundlage für die Überprüfung der Echtheit des Namenszugs zu verschaffen. 48 Obwohl der deutsche Gesetzgeber i.R.d. Umsetzung der RL für die ständigen Vertreter – anders als für die Vertretungsorgane (vgl. o. Rn. 39) – nicht ausdrücklich von der Option des lit. a Gebrauch gemacht hatte, wurde im Schrifttum gleichwohl teilweise eine Unterschriftsprobe für erforderlich gehalten 132. Spätestens mit der generellen Abschaffung des Erfordernisses einer Unterschriftsprobe durch das EHUG (vgl. o. Rn. 39) lässt sich diese – schon zuvor zweifelhafte – Auffassung aber nicht mehr aufrecht erhalten. b) Zweigniederlassungen von Gesellschaften aus Drittstaaten aa) Beschränkung auf Etablierung eines Mindeststandards 49 Anders als bei Zweigniederlassungen von Gesellschaften aus EU/EWR-Staaten beschränkt sich die RL für Zweigniederlassungen von Gesellschaften aus Drittstaaten auf die Etablierung eines Mindeststandards: Der Katalog des Art. 8 ist nach Wortlaut 129 Vgl. Grundmann Rn. 829. 130 Geregelt in Ch. 25 CA 2006. Ausf. dazu Davies, Gower and Davies’ Principles of Modern Company Law, 8. Aufl. 2008, 32–22 ff.; Überblick in deutscher Sprache Just, Die englische Limited in der Praxis, 3. Aufl. 2008, Rn. 249 ff. 131 Heute: Part 3 of The Overseas Companies (Execution of Documents and Registration of Charges) Regulations 2009, SI 2009/1917 (bis 30.9.2009: ss. 395 ff. CA 1985). 132 Vgl. Heidinger MittBayNot 1998, 72, 76; Krafka in: MünchKommHGB, 2. Aufl. 2005, § 13e Rn. 9.

Die Zweigniederlassungsrichtlinie (11. Richtlinie)

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(„mindestens“) und Systematik der Norm (keine Differenzierung zwischen obligatorischen und optionalen Publizitätsobjekten) sowie dem in den Materialien klar geäußerten Willen des europäischen Gesetzgebers133 – anders als derjenige des Art. 2 (vgl. o. Rn. 11) – gerade nicht abschließend, d.h. den Mitgliedstaaten steht es frei, weitergehende Angabepflichten vorzusehen.134 Hintergrund ist, dass das mit der RL verfolgte Schutzziel der Etablierung einheitlicher Offenlegungsstandards, auf dem der abschließende Charakter des Art. 2 beruht (vgl. o. Rn. 11), im Kontext der Gewährleistung der unionsrechtlichen Niederlassungsfreiheit steht (vgl. o. Rn. 1, 3), welche jedoch für Gesellschaften aus Drittstaaten gerade nicht gilt.

bb) Der Katalog der Mindestangaben des Art. 8 im Einzelnen Inhaltlich korrespondieren die in Art. 8 normierten Publizitätsobjekte jedoch weitge- 50 hend mit dem Katalog des Art. 2 Abs. 1135, denn das zweite Schutzziel der RL – der Schutz Dritter – beansprucht auch (wenn nicht sogar erst recht) bei Zweigniederlassungen von Gesellschaften aus Drittstaaten Geltung. Vor dem Hintergrund, dass Gesellschaften aus Drittstaaten nicht den Harmonisierungsmaßnahmen des Unionsrechts unterliegen, übernimmt Art. 8 einige Anforderungen jedoch nur in modifizierter Form und normiert darüber hinaus auch eine Reihe zusätzlicher Publizitätsobjekte.136

(1) Mit Art. 2 korrespondierende Publizitätsobjekte Deckungsgleichheit besteht zwischen Art. 2 Abs. 1 und Art. 8 im Hinblick auf fol- 51 gende wesentliche Grundangaben: • • • •

Anschrift der Zweigniederlassung: Art. 8 lit. a entspricht Art. 2 Abs. 1 lit. a (dazu o. Rn. 26 f.); Tätigkeit der Zweigniederlassung: Art. 8 lit. b entspricht Art. 2 Abs. 1 lit. b (dazu o. Rn. 28 f.); Firma der Gesellschaft sowie ggf. Firma der Zweigniederlassung: Art. 8 lit. g entspricht insoweit Art. 2 Abs. 1 lit. d (dazu o. Rn. 15 f., 26 f.); Aufhebung der Zweigniederlassung: Art. 8 lit. k entspricht Art. 2 Abs. 1 lit. h (dazu o. Rn. 35 f.).

Hinsichtlich der Umsetzung in Deutschland kann dementsprechend ebenfalls auf die genannten Randnummern verwiesen werden.

133 Vgl. KOM(86) 397, S. 12 („handelt es sich nur um Mindestvorgaben“). 134 Vgl. Edwards S. 216; Eidenmüller/Rehberg ZVglRWiss 105 (2006) 427, 448; Grundmann Rn. 832; Habersack § 5 Rn. 47, 57. 135 Vgl. Grundmann Rn. 832 f. 136 Vgl. auch Edwards S. 216; Grundmann Rn. 832 f.

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(2) Modifizierte Anforderungen bei Zweigniederlassungen von Gesellschaften aus Drittstaaten (a) Rein regelungstechnische Abweichungen 52 Der Sache nach übereinstimmend mit den Anforderungen für Zweigniederlassungen von Gesellschaften aus EU/EWR-Staaten sind auch die Erfordernisse der Offenlegung • • •

bestimmter Angaben zu den Vertretungsorganen: Art. 8 lit. h Sps. 1 entspricht Art. 2 Abs. 1 lit. e Sps. 1 (dazu o. Rn. 17 f.); bestimmter Angaben zu etwaigen ständigen Vertretern der Zweigniederlassung: Art. 8 lit. h Sps. 2 entspricht Art. 2 Abs. 1 lit. e Sps. 2 (dazu o. Rn. 30 ff.); und bestimmter Angaben im Falle von Liquidation bzw. Insolvenz: Art. 8 lit. i entspricht Art. 2 Abs. 1 lit. f (dazu o. Rn. 20 ff.).

Die textlichen Abweichungen sind hier jeweils nur regelungstechnischer Natur. Denn da für Gesellschaften aus Drittstaaten die 1. (Publizitäts-)RL nicht gilt, konnte nicht auf diese verwiesen werden, sondern es musste z.B. bei Art. 8 lit. h Sps. 1 ausdrücklich geregelt werden, dass auch der Umfang der Vertretungsmacht und ob Einzel- oder Gesamtvertretungsbefugnis besteht, offen zu legen ist. Hinsichtlich der Umsetzung in Deutschland kann daher auch insoweit auf die genannten Randnummern verwiesen werden. (b) Substantiell modifizierte Anforderungen (aa) Register und Registernummer (Art. 8 lit. d) 53 Auch substantiell modifiziert ist dagegen die Offenlegungspflicht bezüglich Register und Registernummer der Gesellschaft: Weil Drittstaatengesellschaften nicht der 1. (Publizitäts-)RL unterliegen und daher nicht unbedingt in einem Register eingetragen sein müssen, stellt Art. 8 lit. d die Verpflichtung zu Offenlegung von Register und Registernummer der Gesellschaft abweichend von Art. 2 Abs. 1 lit. c (dazu o. Rn. 15 f.) unter den Vorbehalt der Existenz einer entsprechenden Registereintragung. Die deutsche Umsetzungsvorschrift findet sich heute in § 13e Abs. 2 S. 5 Nr. 1 54 HGB. (bb) Rechtsform (Art. 8 lit. f) 55 Abweichend geregelt ist ferner die Offenlegung der Rechtsform: Da bei Zweigniederlassungen von Gesellschaften aus Drittstaaten die Offenlegung von Satzung/Errichtungsakt zwingend ist (dazu u. Rn. 62), muss die Rechtsform nur dann gesondert offen gelegt werden, wenn sie sich nicht bereits hieraus ergibt. Das deutsche Recht verlangt in § 13e Abs. 2 S. 5 Nr. 2 HGB zwar stets die Offen56 legung der Rechtsform; da es sich bei Art. 8 aber nur um einen Mindeststandard handelt (vgl. o. Rn. 49) ist dies richtlinienkonform.

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(cc) Rechnungslegungsunterlagen (Art. 8 lit. j i.V.m. Art. 9) Inhaltlich abweichend von Art. 2 Abs. 1 lit. g i.V.m. Art. 3 (dazu o. Rn. 23) sind aber 57 v.a. auch die Vorgaben zur Offenlegung der Rechnungslegungsunterlagen in Art. 8 lit. j i.V.m. Art. 9, deren genaue Bedeutung zudem äußerst unterschiedlich interpretiert wird. Teilweise wird die Regelung unter Berufung auf Erwägungsgrund 9 so verstanden, dass die Offenlegung der Rechnungslegungsunterlagen der Gesellschaft in Drittstaatenfällen nur als Alternative zu einer ansonsten einzureichenden Zweigniederlassungsbilanz vorgesehen ist; ein Mitgliedstaat, der keine spezielle Zweigniederlassungsbilanz verlangt bzw. vor Verabschiedung der RL verlangte, müsse demzufolge auch keine Offenlegung der Rechnungslegungsunterlagen der Gesellschaft verlangen.137 Diese Auslegung ist jedoch schon mit dem Wortlaut von Art. 9 Abs. 1 i.V.m. Art. 8 lit. j, die – übrigens auch in anderen Sprachfassungen138 – unmissverständlich von einer Pflicht zur Offenlegung der Rechnungslegungsunterlagen der Gesellschaft sprechen, kaum vereinbar. Vor allem aber steht sie in eklatantem Widerspruch zum Schutzziel der RL, die gerade auch bei Drittstaatengesellschaften einen Schutz durch Publizität – speziell auch im Hinblick auf die Rechnungslegung – gewährleisten will (vgl. auch schon o. Rn. 3, 23). Sie beruht ganz offensichtlich auf einem Missverständnis des Erwägungsgrunds 9, der richtigerweise lediglich betonen soll, dass von EU/EWR-Gesellschaften wegen der durch die europäische Bilanzrichtlinientrias gewährleisteten Gleichwertigkeit der nationalen Bilanzstandards keine spezielle Zweigniederlassungsbilanz verlangt werden darf, sondern lediglich die Offenlegung der Rechnungslegungsunterlagen der Gesellschaft (vgl. auch schon o. Rn. 23). Da diese Gleichwertigkeit jedoch bei Drittstaatengesellschaften gerade nicht notwendig gegeben ist, wurde für deren Zweigniederlassungen die Sonderregelung des Art. 9 Abs. 1 geschaffen. Danach müssen richtiger Ansicht nach zwar auch Zweigniederlassungen von Gesellschaften aus Drittstaaten grundsätzlich nur die Rechnungslegungsunterlagen offen legen, die nach dem Recht des Staats, dem die Gesellschaft unterliegt, erstellt, geprüft und offen gelegt worden sind (S. 1). Sofern nach dem Heimatrecht keine EU/EWR-äquivalente Rechnungslegung erfolgt, gestattet S. 2 den Mitgliedstaaten jedoch (zusätzlich) eine spezielle Zweigniederlassungsbilanz zu verlangen.139 I.R.d. Gesetzgebungsverfahrens zur Umsetzung der RL war Art. 9 offenbar zu- 58 nächst auch zutreffend in diesem Sinne verstanden worden. § 325a Abs. 1 HGB i.d.F.d. RegE verlangte die Offenlegung der Rechnungslegungsunterlagen unter-

137 So Bericht Rechtsausschuss z. 11.-RL-Gesetz, BT-Drs. 12/5170, S. 15; Hahnefeld DStR 1993, 1596, 1597; Seibert DB 1993, 1705, 1706. 138 Vgl. englisch: „The compulsory disclosure provided for by Article 8(1)(j) …“; französisch: „ L’obligation de publicité visée à l’article 8 point j ) …“. 139 Wie hier Edwards S. 217; Eidenmüller/Rehberg ZVglRWiss 105 (2006) 427, 448 f.; Grundmann Rn. 833; Habersack § 5 Rn. 57; Henselmann/Kaya/Meichelbeck ZCG 2010, 100, 101; Werlauff S. 219; vgl. auch Drouven/Mödl NZG 2007, 7, 12; García RIW 2000, 590, 596 f.

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schiedslos von sämtlichen Zweigniederlassungen ausländischer Gesellschaften.140 Im Rechtsausschuss setzte sich dann jedoch die abweichende Ansicht durch141, der Anwendungsbereich des § 325a Abs. 1 HGB wurde auf Zweigniederlassungen von EU/EWR-Gesellschaften beschränkt. Die Regelung steht somit jedenfalls ihrem Wortlaut nach in klarem Widerspruch zur zutreffenden Auslegung der RL.142 Vor dem Hintergrund, dass der Gesetzgeber jedoch ersichtlich eine richtlinienkonforme Regelung schaffen wollte und lediglich die Vorgaben der RL falsch interpretiert hat, dürfte hier jedoch nach den vom BGH in der „Quelle“-Entscheidung 143 etablierten Grundsätzen (dazu bereits § 3 Rn. 53 ff.) trotz des auf EU/EWR-Gesellschaften beschränkten Wortlauts eine richtlinienkonforme Auslegung dahingehend, dass sich die Offenlegungspflicht auch auf Zweigniederlassungen von Gesellschaften aus Drittstaaten erstreckt, nicht nur möglich, sondern auch geboten sein.144 Eine zusätzliche spezielle Zweigniederlassungsbilanz kann hingegen nicht verlangt werden145, denn hierfür wäre eine eindeutige gesetzgeberische Entscheidung zugunsten einer Ausnutzung der Option des Art. 9 Abs. 1 S. 2 notwendig; sowohl der RegE 146 als auch der Bericht des Rechtsausschusses147 hielten dies indes gerade nicht für erforderlich.

(3) Zusätzliche Anforderungen bei Zweigniederlassungen von Gesellschaften aus Drittstaaten 59 Schließlich verlangt die RL für Zweigniederlassungen von Gesellschaften aus Drittstaaten aber auch die Offenlegung einer Reihe von zusätzlichen Angaben, die sich bei Gesellschaften aus EU/EWR-Staaten auf Grund der Vorgaben der 1. (Publizitäts-)RL (dazu § 19 Rn. 28 ff.) bereits aus dem Register der Gesellschaft ergeben und deshalb dort ohnehin zugänglich sind; auf diese Weise soll auch bei Zweigniederlassungen von Gesellschaften aus Drittstaaten eine vergleichbare Publizität gewährleistet werden.148 Im Einzelnen handelt es sich um folgende Angaben:

140 Vgl. dazu auch BegrRegE z. 11.-RL-Gesetz, BT-Drs. 12/3908, S. 19. 141 Vgl. Bericht Rechtsausschuss z. 11.-RL-Gesetz, BT-Drs. 12/5170, S. 15. 142 Vgl. Drouven/Mödl NZG 2007, 7, 12; Eidenmüller/Rehberg ZVglRWiss 105 (2006) 427, 448; Ellrott/Grottel in: Beck’scher Bilanzkommentar, 7. Aufl. 2010, § 325a Rn. 1; García RIW 2000, 590, 596 f.; Henselmann/Kaya/Meichelbeck ZCG 2010, 100, 101; zweifelnd auch Lanzius, Anwendbares Recht und Sonderanknüpfungen unter der Gründungstheorie, 2005, S. 196 f.; Zimmer (Fn. 75), § 325a Rn. 5. 143 BGH NJW 2009, 427 („Quelle“). 144 Für eine richtlinienkonforme Auslegung (allerdings ohne näheres Eingehen auf die „Quelle“-Problematik) auch Drouven/Mödl NZG 2007, 7, 12 f.; García RIW 2000, 590, 597; dagegen jedoch (wegen entgegenstehender Wortlautgrenze) Eidenmüller/Rehberg ZVglRWiss 105 (2006) 427, 449; Lanzius (Fn. 142), S. 196 f. 145 So aber Drouven/Mödl NZG 2007, 7, 12 f. 146 BegrRegE z. 11.-RL-Gesetz, BT-Drs. 12/3908, S. 19. 147 Bericht Rechtsausschuss z. 11.-RL-Gesetz, BT-Drs. 12/5170, S. 15. 148 Vgl. KOM(86) 397, S. 12; Edwards S. 216.

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(a) Gesellschaftsstatut (Art. 8 lit. c) Speziell offen zu legen ist zunächst das Recht, dem die Gesellschaft unterliegt (Gesell- 60 schaftsstatut), da dies natürlich von grundlegender Bedeutung ist (bei EU/EWR-Gesellschaften lässt sich dies i.d.R. bereits aus der Registrierung ableiten). Im deutschen Recht ist diese Vorgabe in § 13e Abs. 2 S. 5 Nr. 4 HGB umgesetzt. 61

(b) Satzung/Errichtungsakt und jede Änderung derselben (Art. 8 lit. e) Zwingend offen zu legen (nicht lediglich eine Mitgliedstaatenoption wie nach Art. 2 62 Abs. 2 lit. b, dazu o. Rn. 40) ist ferner gem. Art. 8 lit. e der Errichtungsakt und, falls sie Gegenstand eines gesonderten Aktes ist, die Satzung sowie jede Änderung dieser Unterlagen. Grund ist, dass bei Drittstaatengesellschaften (anders als bei EU/EWRGesellschaften gem. Art. 2 lit. a–c der 1. (Publizitäts-)RL, dazu § 19 Rn. 29) nicht sichergestellt ist, dass diese Unterlagen über das Register der Gesellschaft (sofern ein solches überhaupt existiert) zugänglich sind. Obgleich insoweit eine ausdrückliche Regelung fehlt, wird man auch hier analog Art. 2 lit. c der 1. (Publizitäts-)RL (dazu § 19 Rn. 29) nach jeder Änderung eine Offenlegung des vollständigen Wortlauts von Satzung/Errichtungsakt verlangen müssen. Im deutschen Recht sind diese Vorgaben durch § 13f Abs. 2 S. 1, Abs. 4 HGB 63 (AG, KGaA, SE) und § 13g Abs. 2 S. 1, Abs. 4 HGB (GmbH) umgesetzt, die in Ausnutzung der Option des Art. 2 Abs. 2 lit. b gleichermaßen für Zweigniederlassungen von Gesellschaften aus EU/EWR- und aus Drittstaaten gelten (vgl. bereits o. Rn. 41). (c) Ggf. Sitz der Gesellschaft (Art. 8 lit. f ) Fraglich ist, ob damit der Satzungs- oder der Hauptverwaltungssitz gemeint ist. Die 64 deutsche („Sitz“) und französische Fassung („siège“) sind insofern ambivalent, während die englische („principal place of business“) auf letzteres hindeutet. Mit Blick auf den systematischen Zusammenhang mit der 1. (Publizitäts-)RL, die in Art. 2 lit. g – ebenso wie übrigens auch die Offenlegungsvorschrift des Art. 3 lit. a der Kapital-RL (dazu § 20 Rn. 18) – explizit auf den Satzungssitz abstellt (dazu auch § 19 Rn. 37), dürfte mit Art. 8 lit. f allerdings gleichwohl der Satzungssitz gemeint sein. Dafür spricht i.Ü. insbesondere auch, dass der „Sitz“ nur dann gesondert offen zu legen ist, wenn er sich nicht bereits aus der Offenlegung von Satzung/Errichtungsakt gem. Art. 8 lit. e (dazu o. Rn. 62) ergibt. Die Pflicht zur Offenlegung des Satzungssitzes ergibt sich im deutschen Recht aus 65 § 13f Abs. 3 HGB i.V.m. § 39 Abs. 1 S. 1 AktG (AG, KGaA, SE) bzw. § 13g Abs. 3 HGB i.V.m. § 10 Abs. 1 S. 1 GmbHG (GmbH), die in Ausnutzung der Option des Art. 2 Abs. 2 lit. b gleichermaßen für Zweigniederlassungen von Gesellschaften aus EU/EWR- und aus Drittstaaten gelten (vgl. bereits o. Rn. 41). Danach ist die Offenlegung zwar stets erforderlich; da es sich bei Art. 8 aber nur um einen Mindeststandard handelt (vgl. o. Rn. 49), ist dies richtlinienkonform.

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(d) Ggf. Gegenstand der Gesellschaft (Art. 8 lit. f) 66 Offen zu legen ist ferner der Gegenstand der Gesellschaft, allerdings ebenfalls nur dann, wenn er sich nicht bereits aus der Offenlegung von Satzung/Errichtungsakt gem. Art. 8 lit. e (dazu o. Rn. 62) ergibt (bei EU/EWR-Gesellschaft ergibt sich dies bereits aus der Offenlegung von Satzung/Errichtungsakt gem. Art. 2 lit. a–c der 1. (Publizitäts-)RL, dazu § 19 Rn. 29). 67 Im deutschen Recht ist auch die Offenlegung des Gegenstands der Gesellschaft in § 13f Abs. 3 HGB i.V.m. § 39 Abs. 1 S. 1 AktG (AG, KGaA, SE) bzw. § 13g Abs. 3 HGB i.V.m. § 10 Abs. 1 S. 1 GmbHG (GmbH) umgesetzt. (e) Ggf. gezeichnetes Kapital (Art. 8 lit. f) 68 Erforderlich ist schließlich mindestens jährlich die Offenlegung des Betrags des gezeichneten Kapitals, soweit sich dieser nicht bereits aus der obligatorischen Offenlegung von Satzung/Errichtungsakt gem. Art. 8 lit. e (dazu o. Rn. 62) ergibt. 69 Die deutsche Umsetzung hierfür ist ebenfalls § 13f Abs. 3 HGB i.V.m. § 39 Abs. 1 S. 1 AktG (AG, KGaA, SE) bzw. § 13g Abs. 3 HGB i.V.m. § 10 Abs. 1 S. 1 GmbHG (GmbH). Danach ist allerdings nur bei der Ersteintragung auch das gezeichnete Kapital gesondert einzutragen, es fehlt eine Regelung hinsichtlich einer jährlichen Offenlegung für den Fall, dass sich das gezeichnete Kapital nicht bereits aus der Offenlegung von Satzung/Errichtungsakt ergibt. Dies ist daher im Wege der richtlinienkonformen Auslegung zu ergänzen. 3. Publizitätsinstrumente 70 Hinsichtlich der Publizitätsinstrumente baut die RL auf dem bewährten System der 1. (Publizitäts-)RL (dazu § 19 Rn. 12 ff.) auf: Auch bei Zweigniederlassungen wird die Publizität primär durch das Register und die Bekanntmachung (u. Rn. 71 ff.) und zusätzlich auf sekundärer Ebene durch ein Recht auf Erteilung von „Abschriften“ und die Pflicht zu bestimmten Angaben auf der Geschäftskorrespondenz (u. Rn. 80 ff.) gewährleistet149. a) Primäre Publizitätsinstrumente aa) Register 71 Gem. Art. 1 Abs. 1 bzw. Art. 7 Abs. 1 i.V.m. Art. 3 Abs. 1 u. 3 der 1. (Publizitäts-) RL150 (dazu bereits § 19 Rn. 13 ff.) ist für jede Zweigniederlassung eine Registerakte anzulegen. Sämtliche offen zu legende Unterlagen und Angaben sind – seit 1.1.2007 149 Vgl. Grundmann Rn. 880 f.; s. ferner auch Cordewener (Fn. 11), S. 105, 154; Habersack § 5 Rn. 53. 150 Der Verweis auf Art. 3 RL 68/151/EWG ist als Verweis auf Art. 3 der kodifizierten Fassung (RL 2009/101/EG) zu lesen, vgl. Art. 16 Abs. 2 RL 2009/101/EG.

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zwingend in elektronischer Form – in der Akte zu hinterlegen oder in das Register einzutragen; Hinterlegung und Registereintragung sind damit auch bei der Zweigniederlassung gleichwertige Alternativen. Eine separate Registerakte für jede Zweigniederlassung mit sämtlichen relevanten 72 Informationen ist im Interesse umfassender Transparenz grundsätzlich auch dann erforderlich, wenn eine Gesellschaft mehrere Zweigniederlassungen in demselben Mitgliedstaat hat. Im Hinblick darauf, dass dies für die Gesellschaft in Staaten mit dezentraler Registerführung 151 einen nicht unerheblichen administrativen Aufwand bedeuten kann, räumt Art. 5 (der gem. Art. 9 Abs. 2 auch für Zweigniederlassungen von Gesellschaften aus Drittstaaten gilt) ihr jedoch die Option ein, ein „Hauptregister“ für alle Zweigniederlassungen in einem Mitgliedstaat zu bestimmen und die Rechnungslegungsunterlagen (vgl. dazu o. Rn. 23 ff., 57 f.) sowie Satzung/Errichtungsakt einschließlich etwaiger Änderungen (bzw. einzelne Bestandteile derselben) 152 – also die umfangreichsten Dokumente – nur noch bei diesem „Hauptregister“ offen zu legen. Im Gegenzug muss dann jedoch bei dem/den „Nebenregister(n)“ – neben sämtlichen sonstigen offenlegungspflichtigen Angaben und Unterlagen – auch das Register und die entsprechende Registernummer der „Hauptzweigniederlassung“ offen gelegt werden, damit der Rechtsverkehr weiß, wo er die entsprechenden Unterlagen beziehen kann. Sofern der Mitgliedstaat der Zweigniederlassung die Registerführung (ganz oder teilweise) zentralisiert hat, passt Art. 5 zwar eigentlich nicht.153 Nach der Ratio der Norm kann indes auch hier von einer Gesellschaft mit mehreren Zweigniederlassungen nur die einmalige Einreichung der genannten Unterlagen verlangt werden. Art. 5 (ggf. i.V.m. Art. 9) ist hier daher dahingehend auszulegen, dass die Gesellschaft auch hier eine „Hauptzweigniederlassung“ designieren kann, für welche die Unterlagen eingereicht und offen gelegt werden; bei der/den „Nebenzweigniederlassung(en)“ muss dann nur noch ein entsprechender Hinweis – dann auch nur auf die andere(n) Registernummer(n) – offen gelegt werden. I.R.d. geplanten Verknüpfung der mitgliedstaatlichen Unternehmensregister (vgl. 73 dazu bereits § 19 Rn. 7, 16 sowie o. Rn. 2 und u. Rn. 92) ist mit Blick auf die geplante verbesserte Kohärenz von Gesellschafts- und Zweigniederlassungsregistern vorgesehen, dass auch Zweigniederlassungen künftig eine europaweit einheitliche Kennung erhalten sollen, die ihre zweifelsfreie Zuordnung zur Gesellschaft ermöglicht (Art. 1 Abs. 3 RL-E).

151 Vgl. zum Wahlrecht zwischen zentraler und dezentraler Registerführung § 19 Rn. 14. 152 Bei EU/EWR-Gesellschaften wird dies – anders als bei Gesellschaften aus Drittstaaten, wo die Offenlegung insoweit obligatorisch ist (vgl. o. Rn. 62) – freilich nur dann relevant, wenn der jeweilige Mitgliedstaat von der Option des Art. 2 Abs. 2 lit. b Gebrauch gemacht hat (vgl. o. Rn. 40). 153 Vgl. zur Zielrichtung des Art. 5 auf Staaten mit dezentraler Registerführung auch Edwards S. 216; Werlauff S. 218.

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bb) Bekanntmachung 74 Gem. Art. 1 Abs. 1 bzw. Art. 7 Abs. 1 i.V.m. Art. 3 Abs. 5 der 1. (Publizitäts-)RL154 (dazu bereits § 19 Rn. 18 ff.) ist ferner eine Bekanntmachung der offenlegungspflichtigen Urkunden und Angaben im Amtsblatt bzw. durch eine andere „ebenso wirksame Form der Veröffentlichung“ erforderlich.

cc) Deutsches Recht 75 Der deutsche Gesetzgeber hat bei der Umsetzung der RL in den §§ 13d–13g, 325a HGB auf den allgemeinen Vorschriften zum Handelsregister (§§ 8 ff. HGB) aufgebaut; damit gilt insbesondere auch bzgl. der Bekanntmachung grds. die allgemeine Regelung des § 10 HGB. Im Zuge der generellen Reform der Bilanzpublizität durch das EHUG155 (dazu bereits § 19 Rn. 17, 36 sowie § 24 Rn. 20, § 25 Rn. 24) wurde allerdings auch die Zweigniederlassungspublizität insoweit angepasst: Die Unterlagen sind nur noch zentral beim Betreiber des elektronischen Bundesanzeigers einzureichen (§§ 325a Abs. 1 S. 1, 325 Abs. 1 S. 1 HGB); die Offenlegung erfolgt durch Einstellung in das Unternehmensregister und Bekanntmachung im elektronischen Bundesanzeiger (§§ 325a Abs. 1 S. 1, 325 Abs. 2, 8b Abs. 2 Nr. 4 HGB). 76 Das Optionsrecht des Art. 5 ist für die Satzung und deren Änderungen in § 13e Abs. 5 HGB156 geregelt. Ihrem Wortlaut nach gilt die Regelung zwar nur für die „Satzung oder de[n] Gesellschaftsvertrag sowie deren Änderungen“; im Wege der richtlinienkonformen Auslegung ist sie jedoch auch auf die anderen auf der Option des Art. 2 Abs. 2 lit. b beruhenden Offenlegungspflichten (dazu o. Rn. 40) zu erstrecken. 77 Hinsichtlich der Rechnungslegungsunterlagen war Art. 5 ursprünglich in § 325a Abs. 1 S. 2 HGB a.F., der auf § 13e Abs. 5 HGB verwies, umgesetzt.157 I.R.d. generellen Reform der Bilanzpublizität durch das EHUG158 (vgl. o. Rn. 75) wurde diese Vorschrift jedoch gestrichen, da die Rechnungslegungsunterlagen nun ohnehin nur noch zentral beim Betreiber des elektronischen Bundesanzeigers einzureichen sind (vgl. o. Rn. 75). Dies steht zwar in einem gewissen Spannungsverhältnis zum Wortlaut des Art. 5, der von einer Einreichung beim Register ausgeht. Das neue Konzept ist jedoch gleichwohl grundsätzlich richtlinienkonform, denn es gewährleistet unzweifelhaft die von der Norm intendierte Entlastung der Gesellschaften durch eine Limitierung auf eine einzige Einreichung, zumal wegen der Übermittlungspflicht des Betreibers des elektronischen Bundesanzeigers gem. § 8b Abs. 3 S. 1 Nr. 1 HGB zumindest mittelbar

154 Der Verweis auf Art. 3 Abs. 4 RL 68/151/EWG ist als Verweis auf Art. 3 Abs. 5 der kodifizierten Fassung (RL 2009/101/EG) zu lesen, vgl. Art. 16 Abs. 2 RL 2009/101/EG. 155 Fn. 19. 156 Dazu näher Koch (Fn. 21), § 13e Rn. 45 f.; Pentz (Fn. 21), § 13e HGB Rn. 37 ff. (jeweils m.w.N.). 157 Vgl. BegrRegE z. 11.-RL-Gesetz, BT-Drs. 12/3908, S. 19. 158 Fn. 19.

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auch eine Einreichung beim Register erfolgt. Mit dem Wegfall des alten S. 2 fehlt nun allerdings auch eine ausdrückliche Regelung zur Umsetzung des nach Art. 5 S. 2 erforderlichen Hinweises. §§ 325a Abs. 1 S. 1, 325 Abs. 2, 8b Abs. 2 Nr. 4 HGB sind daher richtlinienkonform dahin auszulegen, dass die Rechnungslegungsunterlagen zwar nur bei einer Zweigniederlassung in das Unternehmensregister eingestellt und auch nur für eine Zweigniederlassung bekannt gemacht werden müssen – welche dies ist, entscheidet analog § 13e Abs. 5 HGB die Gesellschaft –, bei den übrigen Zweigniederlassung aber ein entsprechender Hinweis in das Unternehmensregister eingestellt und im elektronischen Bundesanzeiger bekannt gemacht werden muss. Die Praxis verfährt bereits so.159 b) Sekundäre Publizitätsinstrumente aa) Recht auf „Abschriften“ Gem. Art. 1 Abs. 1 bzw. Art. 7 Abs. 1 i.V.m. Art. 3 Abs. 4 der 1. (Publizitäts-)RL160 78 (dazu bereits § 19 Rn. 22) kann jeder auf Antrag eine (vollständige oder teilweise, beglaubigte oder unbeglaubigte) Kopie in Papier- oder elektronischer Form verlangen. Das deutsche Recht sieht in § 9 HGB weitergehend sogar ein Recht auf unmittel- 79 bare Einsichtnahme vor (vgl. bereits § 19 Rn. 23).

bb) Angaben auf Geschäftskorrespondenz Als zweites sekundäres Publizitätsinstrument sind schließlich – in Parallele zu Art. 5 80 der 1. (Publizitäts-)RL (dazu § 19 Rn. 24 ff.) – auch bei Zweigniederlassungen bestimmte Angaben auf der Geschäftskorrespondenz erforderlich. In diesem Punkt weichen die Vorgaben für Zweigniederlassungen von Gesellschaften aus EU-/EWRMitgliedstaaten und solchen aus Drittstaaten allerdings voneinander ab:

(1) Zweigniederlassungen von Gesellschaften aus EU/EWR-Mitgliedstaaten Bei Zweigniederlassungen von Gesellschaften aus EU-/EWR-Mitgliedstaaten müssen 81 gem. Art. 6 auf den Geschäftsbriefen und Bestellscheinen die von Art. 5 der 1. (Publizitäts-)RL161 für Geschäftskorrespondenz der Gesellschaft selbst geforderten An159 Vgl. etwa die Rechnungslegungspublizität bei den verschiedenen deutschen Zweigniederlassungen von Deere & Company für die Geschäftsjahre 2006/07 und 2007/08. Bei John Deere Vertrieb, Zweigniederlassung der Deere & Company (AG Mannheim HRB 232255) und John Deere Werke Bruchsal Zweigniederlassung der Deere & Company (AG Mannheim HRB 230655) wurde jeweils auf die Bekanntmachung bei Deere & Company European Office (AG Mannheim HRB 1653) verwiesen. 160 Der Verweis auf Art. 3 Abs. 3 RL 68/151/EWG ist als Verweis auf Art. 3 Abs. 4 der kodifizierten Fassung (RL 2009/101/EG) zu lesen, vgl. Art. 16 Abs. 2 RL 2009/101/EG. 161 Der Verweis auf Art. 4 RL 68/151/EWG ist als Verweis auf Art. 5 der kodifizierten Fassung (RL 2009/101/EG) zu lesen, vgl. Art. 16 Abs. 2 RL 2009/101/EG.

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Gesellschaftsrechtliche Richtlinien

gaben (dazu § 19 Rn. 25) gemacht werden; zusätzlich müssen aber auch noch Register und Registernummer der Zweigniederlassung angegeben werden. Die Form der Geschäftskorrespondenz (Papier, Fax, e-Mail, Internet, usw.) ist auch hier irrelevant. Anders als in Art. 5 der 1. (Publizitäts-)RL wurde hier zwar kein entsprechender, klarstellender Zusatz ergänzt; der Begriff der „Geschäftsbriefe162 und Bestellscheine“ ist aber gleichwohl auch hier extensiv auszulegen, denn der europäische Gesetzgeber wollte von Anfang an einen Gleichlauf bezüglich der Publizitätsinstrumente. Dementsprechend wird man die Angabepflicht analog Art. 5 S. 3 der 1. (Publizitäts-)RL auch auf eine etwaige eigene Webseite der Zweigniederlassung ausdehnen müssen.

(2) Zweigniederlassungen von Gesellschaften aus Drittstaaten 82 Auch Zweigniederlassungen von Gesellschaften aus Drittstaaten müssen zwar gem. Art. 10 bestimmte Angaben auf ihrer Geschäftskorrespondenz – der Begriff der „Geschäftsbriefe und Bestellscheine“ ist hier ebenso auszulegen wie in Art. 6 (dazu o. Rn. 51) – machen. Da hier jedoch nicht unmittelbar an die 1. (Publizitäts-)RL angeknüpft werden konnte163, gelten inhaltlich andere Anforderungen. Zwingend anzugeben sind grundsätzlich nur Register und Registernummer der Zweigniederlassung. Sofern das Gesellschaftsstatut auch eine Registereintragung vorsieht, sind darüber hinaus auch Register und Registernummer der Gesellschaft anzugeben. Eine Verpflichtung auch zur Angabe von Rechtsform, Satzungssitz und etwaiger Liquidation normiert die RL dagegen – anders als Art. 6 i.V.m. Art. 5 der 1. (Publizitäts-)RL für Zweigniederlassungen von Gesellschaften aus EU/EWR-Staaten (vgl. o. Rn. 51) – nicht. Allerdings handelt es sich bei Art. 10 – ebenso wie bei den anderen Regelungen für Zweigniederlassungen von Gesellschaften aus Drittstaaten (vgl. bereits o. Rn. 49) – lediglich um einen Mindeststandard, d.h. die Mitgliedstaaten können auch hier weitergehende Angabepflichten vorsehen und insbesondere auch die Angabepflichten für sämtliche Zweigniederlassungen synchronisieren.

(3) Deutsches Recht 83 Aus deutscher Sicht waren diese Angabepflichten – ebenso wie zuvor schon die Parallelregelung in Art. 5 der 1. (Publizitäts-)RL (vgl. § 19 Rn. 27) – ein Novum; zu ihrer Umsetzung mussten ein neuer § 80 Abs. 4 AktG und ein neuer § 35a Abs. 4 GmbHG eingefügt werden164. Das deutsche Recht differenziert grundsätzlich nicht zwischen

162 Die sprachliche Abweichung der deutschen Textfassung von Art. 5 der 1. (Publizitäts-) RL („Geschäftsbriefe“ statt „Briefe“) bedeutet keinen inhaltlichen Unterschied; vgl. auch die englischen und französischen Texte, die jeweils übereinstimmend von „letters and order forms“ bzw. „lettres et notes de commande“ sprechen. 163 Vgl. KOM(86) 397, S. 13. 164 Vgl. BegrRegE z. 11.-RL-Gesetz, BT-Drs. 12/3908, S. 59 f., 61 f.

Die Zweigniederlassungsrichtlinie (11. Richtlinie)

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Zweigniederlassungen von Gesellschaften aus EU/EWR-Staaten und solchen aus Drittstaaten; § 80 Abs. 4 S. 1 Hs. 2 AktG und § 35a Abs. 4 S. 1 Hs. 2 GmbHG stellen die Angabepflichten allerdings unter den Vorbehalt, dass das ausländische Recht keine Abweichungen erforderlich macht, und tragen so den ggf. speziell bei Drittstaatengesellschaften existierenden Besonderheiten Rechnung.

4. Sprachenregime Anders als die 1. (Publizitäts-)RL mit dem durch die Änderungs-RL 2003/58/EG ein- 84 gefügten heutigen Art. 4 (dazu § 19 Rn. 40) enthält die RL keine ausdrückliche allgemeine Regelung bezüglich der Sprache der Offenlegung. Aus der Gesamtsystematik und dem intendierten Gleichlauf mit der 1. (Publizitäts-)RL lässt sich jedoch ableiten, dass auch ihr – wie ursprünglich der 1. (Publizitäts-)RL (vgl. § 19 Rn. 40) – das Prinzip zu Grunde liegt, dass sich die Sprache der Dokumente und Angaben grundsätzlich nach den Sprachregelungen des registerführenden Mitgliedstaats richtet.165 Eine Besonderheit gilt allerdings gem. Art. 4 (der gem. Art. 9 Abs. 2 auch für 85 Zweigniederlassungen von Gesellschaften aus Drittstaaten gilt) hinsichtlich der Rechnungslegungsunterlagen und – soweit der Mitgliedstaat von der Option des Art. 2 Abs. 2 lit. b (dazu o. Rn. 40) Gebrauch gemacht hat – Errichtungsakt/Satzung sowie etwaiger Änderungen derselben: Diese Unterlagen sind grundsätzlich in der „Ursprungssprache“ offen zu legen; der Mitgliedstaat ist jedoch berechtigt zu verlangen, dass sie in einer anderen Amtssprache der Union (speziell auch seiner eigenen166) offen gelegt werden und die Übersetzung beglaubigt wird. In Deutschland ist die Registersprache auch bei Zweigniederlassungen deutsch 86 (§ 184 GVG), § 11 Abs. 1 HGB n.F. ermöglicht aber eine zusätzliche freiwillige Offenlegung in einer anderen EU-/EWR-Amtssprache (vgl. bereits § 19 Rn. 41).167 Um auch bezüglich der Satzung eine Offenlegung in deutscher Sprache zu gewährleisten, hat der deutsche Gesetzgeber von der Option des Art. 4 Gebrauch gemacht. Gem. § 13f Abs. 2 S. 1 HGB (AG, KGaA, SE) bzw. § 13g Abs. 2 S. 1 HGB (GmbH) ist im Falle einer Satzung bzw. eines Gesellschaftsvertrags in fremder Sprache eine beglaubigte Übersetzung in deutscher Sprache erforderlich; Entsprechendes gilt auch im Falle etwaiger Satzungsänderungen 168. Hinsichtlich der Rechnungslegungsunterlagen ist § 325a Abs. 1 HGB dagegen auf Grund des Aufwands, der hier mit Übersetzungen verbunden wäre 169, großzügiger: Sie sind zwar ebenfalls grundsätzlich in deutscher Sprache einzureichen (S. 2). Sofern Deutsch nicht Amtssprache am Sitz der Hauptniederlassung ist, kann die Einreichung aber auch in englischer

165 166 167 168 169

Vgl. auch SEC(2011) 222, S. 18. Vgl. auch Grundmann Rn. 831. Vgl. Koch (Fn. 21), § 13d Rn. 53, § 13f Rn. 5.; Voigt (Fn. 16), S. 148. Vgl. Koch (Fn. 21), § 13f Rn. 21; Pentz (Fn. 21), § 13f HGB Rn. 22. Vgl. Bericht Rechtsausschuss z. 11.-RL-Gesetz, BT-Drs. 12/5170, S. 15.

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Gesellschaftsrechtliche Richtlinien

Sprache (S. 3 Nr. 1) 170, in einer vom Hauptniederlassungsregister beglaubigten Abschrift in der Ursprungssprache (S. 3 Nr. 2, wobei hier gem. Hs. 2 zusätzlich eine beglaubigte Übersetzung der Beglaubigung in deutscher Sprache einzureichen ist) 171 oder – sofern eine dem Register vergleichbare Einrichtung nicht existiert oder diese nicht zur Beglaubigung befugt ist – in einer von einem Wirtschaftsprüfer bescheinigten Abschrift (S. 3 Nr. 3) erfolgen. Als Minus zu dem von Art. 4 Gestatteten ist auch dies richtlinienkonform.172 5. Publizitätswirkungen 87 Hinsichtlich der Publizitätswirkungen gelten qua Verweisung in Art. 1 Abs. 1 bzw. Art. 7 Abs. 1 grundsätzlich die Basisregelungen der Art. 3 Abs. 6 u. 7 der 1. (Publizitäts-)RL173 über die positive und negative Publizität;174 insoweit kann auf § 19 Rn. 43 ff. verwiesen werden. 88 Art. 1 Abs. 2 (der gem. Art. 7 Abs. 2 auch für Zweigniederlassungen für Gesellschaften aus Drittstaaten gilt) trifft allerdings eine Sonderregelung für den – von der 1. (Publizitäts-)RL naturgemäß nicht erfassten – Sonderfall einer etwaigen Divergenz zwischen der Offenlegung bei der Zweigniederlassung und derjenigen bei der Gesellschaft 175: Da der über eine Zweigniederlassung mit der Gesellschaft in Kontakt tretende Dritte i.d.R. auf die Offenlegung bei dieser vertraut, wird auch diese für maßgeblich erklärt. Mit der geplanten Verknüpfung von Gesellschafts- und Zweigniederlassungsregisterdaten (dazu bereits o. Rn. 2, 73 sowie noch u. Rn. 92) wird sich die Wahrscheinlichkeit solcher Divergenzen allerdings künftig (hoffentlich) deutlich reduzieren. 89 Das deutsche Recht entsprach dem bereits: § 15 HGB war schon durch das KoordG v. 15.8.1969 an die Vorgaben der 1. (Publizitäts-)RL angepasst worden (vgl. § 19 Rn. 8, 45 f., 53) und der damit zu Abs. 4 gewordene ursprüngliche Abs. 3 hatte seit jeher einen Vorrang der Offenlegung bei der Zweigniederlassung vorgesehen176.

170 Diese Option wurde allerdings erst durch das EuroBilG v. 10.12.2001 (BGBl. I, 3414) eingeführt, vgl. dazu BegrRegE BR-Drs. 340/01, S. 18 f. und Bericht Rechtsausschuss, BT-Drs. 14/7081, S. 14. 171 S. 3 Nr. 3 ist nur bei Drittstaaten-Gesellschaften nicht einschlägig, da bei EU/EWR-Gesellschaften auf Grund von Art. 3 Abs. 1 der 1. (Publizitäts-)RL immer ein Register existiert und dieses wegen Art. 4 auch zur Beglaubigung befugt sein muss. 172 A.A. Rehberg (Fn. 128), § 5 Rn. 100. 173 Der Verweis auf die RL 68/151/EWG ist als Verweis auf die kodifizierte Fassung (RL 2009/101/EG) zu lesen, vgl. Art. 16 Abs. 2 RL 2009/101/EG. 174 Vgl. Grundmann Rn. 828. 175 Vgl. auch Grundmann Rn. 828. 176 Die ursprünglich für sämtliche Zweigniederlassungen geltende Regelung wurde allerdings i.R.d. generellen Reform des Zweigniederlassungsrechts durch das EHUG (Fn. 19) auf Zweigniederlassungen ausländischer Gesellschaften begrenzt, vgl. dazu BegrRegE z. EHUG, BT-Drs. 16/960, S. 47.

Die Zweigniederlassungsrichtlinie (11. Richtlinie)

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6. Publizitätsverpflichtete Parallel zur 1. (Publizitäts-)RL geregelt ist auch die Frage, welche Personen (Gesell- 90 schaftsorgane, sonstige Vertreter, etc.) die Formalitäten der Offenlegung im Einzelnen erfüllen müssen: Art. 13 überlässt dies – ebenso wie Art. 6 der 1. (Publizitäts-)RL (dazu § 19 Rn. 39) – dem jeweiligen Mitgliedstaat. Das deutsche Recht erlegt Anmeldepflichten teilweise den Vertretungsorganen 91 der Gesellschaft (z.B. § 13e Abs. 2 S. 1 HGB), teilweise aber auch etwaigen ständigen Vertretern der Zweigniederlassung (z.B. § 13e Abs. 3 S. 1 HGB) auf.

7. Änderungen im Zuge der geplanten Verknüpfung der Unternehmensregister Wie bereits oben (Rn. 2, 73, 88) ausgeführt, soll im Zuge der geplanten Verknüpfung 92 der Unternehmensregister (dazu auch bereits § 19 Rn. 7, 16) auch die Kohärenz der Informationen im Gesellschafts- und Zweigniederlassungsregister verbessert werden. Auf der Basis der vorgesehenen einheitlichen Zweigniederlassungskennung (vgl. o. Rn. 73) sollen die Register der Zweigniederlassung(en) und der Gesellschaft künftig dazu verpflichtet sein, dem jeweils anderen Register jede Änderung der publizitätspflichtigen Angaben und Unterlagen umgehend mittels des geplanten elektronische Netzes (Art. 4a Abs. 1 der 1. (Publizitäts-)RL-E) mitzuteilen (Art. 5a Abs. 1 RL-E; Art. 4a Abs. 2 der 1. (Publizitäts-)RL-E). Ob derartigen Mitteilungen rechtsverbindlicher oder lediglich informatorischer Charakter beigemessen wird, soll allerdings den Mitgliedstaaten überlassen bleiben; immerhin sollen diese aber sicherstellen müssen, dass Zweigniederlassungen aufgelöster Gesellschaften unverzüglich aus dem Register gelöscht werden (Art. 5a Abs. 2 RL-E). Die genauen (regelungs-)technischen Modalitäten und Standards sollen von der Kommission in einem delegierten Rechtsakt festgelegt werden (vgl. Art. 5a Abs. 3 i.V.m. Art. 11a–11c RL-E).

IV. Sanktionen Spezielle Sanktionsregelungen sind in der RL nicht vorgesehen. Art. 12 verpflichtet 93 die Mitgliedstaaten aber, im nationalen Recht für den Fall des Unterbleibens der Offenlegung „geeignete Maßregeln“ vorzusehen. Ebenso wie nach Art. 7 der 1. (Publizitäts-)RL (dazu § 19 Rn. 26, 36) 177 obliegt die Wahl des konkreten Sanktionsinstrumentariums damit zwar den Mitgliedstaaten; die Sanktion muss aber jedenfalls „wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein“.178

177 Vgl. zur Parallelität: KOM(86) 397, S. 13; Edwards S. 217. 178 Vgl. EuGH v. 3.5.2005, Berlusconi, Rs. C-387/02, C-403/02 u. C-391/02, Slg. 2005, I-3565, Rn. 65; EuGH v. 30.9.2003, Kamer van Koophandel en Fabrieken voor Amsterdam v. Inspire Art Ltd., Rs. C-167/01, Slg. 2003, I-10155, Rn. 62; vgl. weiter BGH NJW 2005, 1648, 1649; Cordewener (Fn. 11), S. 105, 126 f.; Eidenmüller/Rehberg ZVglRWiss 105 (2006) 427, 434 f.; Paefgen GmbHR 2005, 957, 960.

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Gesellschaftsrechtliche Richtlinien

Nach deutschem Recht kann zur Erzwingung der erforderlichen Anmeldungen zum Handelsregister gem. § 14 HGB i.V.m. §§ 388 ff. FamFG ein Zwangsgeld (max. 5.000 Euro) festgesetzt werden. Da dem Registergericht jedoch häufig schon die notwendige Kenntnis von der Existenz eines anmeldepflichtigen Tatbestands fehlen wird, wird dieser Sanktionsmechanismus verbreitet als „stumpfes Schwert“ kritisiert179. Teile des Schrifttums180 und einige Gerichte181 woll(t)en die Nichteintragung daher zusätzlich mit einer Handelndenhaftung analog §§ 11 Abs. 2 GmbHG, 41 Abs. 1 S. 2 AktG sanktionieren; eine derartige analoge Anwendung würde jedoch einen Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit darstellen und wurde daher vom BGH zu Recht verworfen182. Die Einhaltung der Angabepflichten auf Geschäftsbriefen kann ebenfalls durch Festsetzung eines Zwangsgelds erzwungen werden (§§ 407 Abs. 1 AktG, § 79 GmbHG); ferner droht hier zudem ggf. eine zivilrechtliche Haftung (vgl. dazu bereits § 19 Rn. 27). Im Interesse einer effektiven Durchsetzung zumindest der Bilanzpublizitätspflichten wurde durch das EHUG 183 ein Amtsverfahren eingeführt (§§ 329, 335 HGB n.F.), das zwar insgesamt zu einer deutlichen Steigerung der Offenlegungsquote geführt hat (vgl. bereits § 19 Rn. 36), bei Zweigniederlassungen, die sich der Registrierungspflicht vollständig entziehen, aber ebenfalls versagt, weil der Betreiber des elektronischen Bundesanzeigers nur auf der Basis der Registerdaten prüft (vgl. § 329 Abs. 1 S. 2 HGB). Insofern verbleiben somit zumindest gewisse Zweifel an der Vereinbarkeit der deutschen Sanktionsmechanismen mit dem Gebot des effet utile.184

V. Fundstellenverzeichnis Grundlage:

Art. 50 Abs. 2 lit. g AEU [G Art. 44 Abs. 2 lit. g EG G Art. 54 Abs. 3 lit. g EWG]

179 Vgl. Koch (Fn. 21), § 13d Rn. 59 ff.; Krafka in MünchKommZPO, 3. Aufl. 2010, § 388 FamFG Rn. 2; Leible/Hoffmann RIW 2005, 544, 545 f.; Lutter in: Lutter (Hrsg.), Europäische Auslandsgesellschaften in Deutschland, 2005, S. 1, 9; Mankowski ZVI 2006, 45, 48; Wachter GmbHR 2005, 1131, 1133. S. ferner die Stellungnahme des Bundesrates zum RegE des MoMiG (BR-Drs. 354/07(B), S. 22). Vgl. speziell zur geringen Zahl der Limiteds, die ihrer Eintragungspflicht tatsächlich nachkommen: Kornblum GmbHR 2007, 25, 33 f.; Westhoff GmbHR 2007, 474, 476. 180 Vgl. Kindler in: MünchKommBGB, 5. Aufl. 2010, IntHGesR Rn. 993 ff.; Leible/Hoffmann RIW 2005, 544 ff.; Paefgen GmbHR 2005, 957 ff. 181 OLG Hamburg NJW 1986, 2199; OLG Oldenburg NJW 1990, 1422, 1423; OLG Düsseldorf NJW-RR 1995, 1124; LG Stuttgart NJW-RR 2002, 463, 466 f. 182 BGH NJW 2005, 1648; zustimmend Bayer (Fn. 29), Anh II zu § 4a Rn. 36; Eidenmüller NJW 2005, 1618, 1619; Eidenmüller/Rehberg ZVglRWiss 105 (2006) 427, 435; Goette ZIP 2006, 541, 544; Lehmann NZG 2005, 580, 581 f.; Lieder DZWiR 2005, 399, 404; Rehberg JZ 2005, 849, 850 ff.; gegen eine Analogie auch schon Lutter (Fn. 179), S. 1, 13. 183 Fn. 19. 184 I.R.d. Gesetzgebungsverfahrens zum MoMiG hatte die Bundesregierung zwar auf Anregung des Bundesrates (BR-Drs. 354/07(B), S. 22) zugesagt, die Schaffung weiterer Sanktionen zu prüfen, entschied sich dann jedoch gegen eine Ergänzung.

Die Zweigniederlassungsrichtlinie (11. Richtlinie)

Vorschläge:

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Vorschlag für eine elfte Richtlinie des Rates aufgrund von Art. 54 Absatz 3 Buchstabe g) des Vertrages über die Offenlegung von Zweigniederlassungen, die in einem Mitgliedstaat von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen gegründet werden, die dem Recht eines anderen Staates unterliegen, 23.7. 1986, KOM(86) 397 = BT-Drs. 10/6066 Geänderter Vorschlag für eine Elfte Richtlinie des Rates aufgrund von Art. 54 Absatz 3 Buchstabe g) des Vertrages über die Offenlegung von Zweigniederlassungen, die in einem Mitgliedstaat von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen gegründet werden, die dem Recht eines anderen Staates unterliegen, 28.3.1988, KOM(88) 153 = ABlEG v. 21.4.1988, C 105/6 Überprüfter Vorschlag für eine Elfte Richtlinie des Rates aufgrund von Art. 54 Absatz 3 Buchstabe g) des Vertrages über die Offenlegung von Zweigniederlassungen, die in einem Mitgliedstaat von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen gegründet werden, die dem Recht eines anderen Staates unterliegen, 16.11.1989, KOM(89) 528 = ABlEG v. 8.12.1989, C 309/9

verabschiedete Fassung:

Elfte RL 89/666/EWG des Rates v. 21.12.1989 über die Offenlegung von Zweigniederlassungen, die in einem Mitgliedstaat von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen errichtet wurden, die dem Recht eines anderen Staates unterliegen, ABlEG v. 30.12.1989, L 395/36

Umsetzung in Deutschland: Gesetz zur Durchführung der Elften gesellschaftsrechtlichen Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaften und über Gebäudeversicherungsverhältnisse v. 22.7.1993, BGBl. I, 1282

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Gesellschaftsrechtliche Richtlinien

ELFTE RICHTLINIE DES RATES vom 21. Dezember 1989 über die Offenlegung von Zweigniederlassungen, die in einem Mitgliedstaat von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen errichtet wurden, die dem Recht eines anderen Staates unterliegen (89/666/EWG)

DER RAT DER SCHAFTEN –

EUROPÄISCHEN

GEMEIN-

gestützt auf den Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, insbesondere auf Artikel 54, auf Vorschlag der Kommission(1), in Zusammenarbeit mit dem Europäischen Parlament(2), nach Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses(3), in Erwägung nachstehender Gründe: Um die Ausübung der Niederlassungsfreiheit durch Gesellschaften im Sinne des Artikels 58 des Vertrages zu erleichtern, sehen Artikel 54 Absatz 3 Buchstabe g) des Vertrages und das allgemeine Programm zur Aufhebung der Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit die Koordinierung der Schutzbestimmungen vor, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter vorgeschrieben sind. Die Koordinierung wurde hinsichtlich der Offenlegung bislang durch die Erste Richtlinie 68/151/ EWG(4), zuletzt geändert durch die Beitrittsakte von 1985, für die Kapitalgesellschaften verwirklicht; sie wurde für den Bereich der Rechnungslegung durch die Vierte Richtlinie 78/660/EWG über den Jahresabschluß von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen(5), zuletzt geändert durch die Beitrittsakte von 1985, die Siebte Richtlinie 83/349/EWG über den konsolidierten Abschluß(6), geändert durch die Beitrittsakte von 1985, und die Achte Richtlinie 84/253/EWG über die Zulassung der mit der Pflichtprüfung der Rechnungsunterlagen beauftragten Personen(7) fortgesetzt. Diese Richtlinien sind anwendbar auf die Gesellschaften als solche, jedoch nicht auf ihre Zweigniederlassungen. Die Errichtung einer Zweigniederlassung ist jedoch neben der Gründung einer Tochtergesellschaft eine der Möglichkeiten,

(1) ABI. Nr. C 105 vom 21.4.1988, S. 6. (2) ABI. Nr. C 345 vom 21.12.1987, S. 76, und ABI. Nr. C 256 vom 9.10.1989, S. 72. (3) ABI. Nr. C 319 vom 30.11.1987, S. 61. (4) ABI. Nr. L 65 vom 14.3.1968, S. 8. (5) ABI. Nr. L 222 vom 14.8.1978, S. 11. (6) ABI. Nr. L 193 vom 18.7.1983, S. 1. (7) ABI. Nr. L 126 vom 12.5.1984, S. 20.

die derzeit einer Gesellschaft zur Ausübung des Niederlassungsrechts in einem anderen Mitgliedstaat zur Verfügung stehen. Das Fehlen einer Koordinierung für die Zweigniederlassungen, insbesondere im Bereich der Offenlegung, hat im Hinblick auf den Schutz von Gesellschaftern und Dritten zu Unterschieden geführt zwischen den Gesellschaften, welche sich in anderen Mitgliedstaaten durch die Errichtung von Zweigniederlassungen betätigen, und den Gesellschaften, die dies durch die Gründung von Tochtergesellschaften tun. Solche Unterschiede in den Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten können die Ausübung des Niederlassungsrechts stören und sind deshalb unter anderem zur Sicherung der Ausübung dieses Rechts zu beseitigen. Zum Schutz der Personen, die über eine Zweigniederlassung mit einer Gesellschaft in Beziehung treten, müssen in dem Mitgliedstaat, in dem sich die Zweigniederlassung befindet, Maßnahmen der Offenlegung getroffen werden. Der wirtschaftliche und soziale Einfluß einer Zweigniederlassung kann in gewisser Hinsicht demjenigen einer Tochtergesellschaft vergleichbar sein, so daß ein öffentliches Interesse an einer Offenlegung der Gesellschaft bei der Zweigniederlassung besteht. Zu deren Regelung bietet es sich an, von dem Verfahren Gebrauch zu machen, das bereits für Kapitalgesellschaften in der Gemeinschaft eingeführt worden ist. Die Offenlegung erstreckt sich auf eine Reihe von Urkunden und wichtigen Angaben sowie diesbezügliche Änderungen. Die Offenlegung kann – von der Vertretungsmacht, der Firma und der Rechtsform sowie der Auflösung der Gesellschaft und dem Verfahren bei Insolvenz abgesehen – auf Angaben beschränkt werden, welche die Zweigniederlassung selbst betreffen, sowie auf Hinweise auf das Register der Gesellschaft, zu der die Zweigniederlassung gehört, da aufgrund der bestehenden Gemeinschaftsvorschriften bei diesem Register die Angaben über die Gesellschaft insgesamt zur Verfügung stehen. Einzelstaatliche Vorschriften, welche die Offenlegung von Unterlagen der Rechnungslegung verlangen, die sich auf die Zweigniederlassung beziehen, haben ihre Berechtigung verloren, nach-

Die Zweigniederlassungsrichtlinie (11. Richtlinie) dem die einzelstaatlichen Vorschriften über die Erstellung, Prüfung und Offenlegung von Unterlagen der Rechnungslegung der Gesellschaft angeglichen worden sind. Deshalb genügt es, die von der Gesellschaft geprüften und offengelegten Rechnungslegungsunterlagen beim Register der Zweigniederlassung offenzulegen. Geschäftsbriefe und Bestellscheine, die von der Zweigniederlassung benutzt werden, müssen mindestens die gleichen Angaben wie die Geschäftsbriefe und Bestellscheine der Gesellschaft sowie die Angabe des Registers, in das die Zweigniederlassung eingetragen ist, enthalten. Damit die Ziele dieser Richtlinie erreicht werden können und damit jede diskriminierende Behandlung nach dem Herkunftsland der Gesellschaft vermieden wird, muß diese Richtlinie auch die Zweigniederlassungen von Gesellschaften erfassen, die dem Recht eines Drittlands unterliegen und eine Rechtsform haben, die derjenigen der unter die Richtlinie 68/151/EWG fallenden Gesellschaften vergleichbar ist. Allerdings sind für solche Zweigniederlassungen aufgrund der Tatsache, daß Gesellschaften aus Drittländern nicht in den Anwendungsbereich der oben erwähnten Richtlinien fallen, in gewissem Umfang unterschiedliche Vorschriften gegenüber denen erforderlich, die für Gesellschaften gelten, die dem Recht eines anderen Mitgliedstaats unterliegen. Die vorliegende Richtlinie berührt nicht die Informationspflichten, denen die Zweigniederlassungen aufgrund anderer Vorschriften unterliegen, wie z.B. im Sozialrecht in bezug auf das Informationsrecht der Arbeitnehmer, im Steuerrecht oder im Hinblick auf statistische Angaben –

HAT FOLGENDE RICHTLINIE ERLASSEN:

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Artikel 2 (1) Die Pflicht zur Offenlegung nach Artikel 1 erstreckt sich lediglich auf folgende Urkunden und Angaben: a) die Anschrift der Zweigniederlassung; b) die Tätigkeit der Zweigniederlassung; c) das Register, bei dem die in Artikel 3 der Richtlinie 68/151/EWG bezeichnete Akte für die Gesellschaft angelegt worden ist, und die Nummer der Eintragung in dieses Register; d) die Firma und die Rechtsform der Gesellschaft sowie die Firma der Zweigniederlassung, sofern diese nicht mit der Firma der Gesellschaft übereinstimmt; e) die Bestellung, das Ausscheiden und die Personalien derjenigen, die befugt sind, die Gesellschaft gerichtlich und außergerichtlich zu vertreten, und zwar – als gesetzlich vorgeschriebenes Organ der Gesellschaft oder als Mitglied eines solchen Organs gemäß der Offenlegung, die nach Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe d) der Richtlinie 68/151/EWG beider Gesellschaff erfolgt, – als ständige Vertreter der Gesellschaft für die Tätigkeit der Zweigniederlassung, unter Angabe ihrer Befugnisse; f) – die Auflösung der Gesellschaft, die Bestellung, die Personalien und die Befugnisse der Liquidatoren sowie den Abschluß der Liquidation gemäß der Offenlegung, die nach Artikel 2 Absatz 1 Buchstaben h), j) und k) der Richtlinie 68/151/EWG bei der Gesellschaft erfolgt, – ein die Gesellschaft betreffendes Konkursverfahren, Vergleichsverfahren oder ähnliches Verfahren;

ABSCHNITT I Zweigniederlassungen von Gesellschaften aus anderen Mitgliedstaaten

Artikel 1 (1) Die Urkunden und Angaben über eine Zweigniederlassung, die in einem Mitgliedstaat von einer Gesellschaft errichtet worden ist, welche dem Recht eines anderen Mitgliedsstaats unterliegt und auf welche die Richtlinie 68/151/EWG Anwendung findet, sind nach dem Recht des Mitgliedstaats der Zweigniederlassung im Einklang 3 der genannten Richtlinie offenzulegen. (2) Weicht die Offenlegung bei der Zweigniederlassung von der Offenlegung bei der Gesellschaft ab, so ist für den Geschäftsverkehr mit der Zweigniederlassung die Offenlegung bei der Zweigniederlassung maßgebend.

g) die Unterlagen der Rechnungslegung gemäß Artikel 3; h) die Aufhebung der Zweigniederlassung. (2) Der Mitgliedstaat der Zweigniederlassung kann vorschreiben, daß folgendes gemäß Artikel 1 offenzulegen ist: a) eine Unterschrift der in Absatz 1 Buchstaben e) und f) des vorliegenden Artikels bezeichneten Personen; b) der Errichtungsakt und, sofern diese Gegenstand eines gesonderten Aktes gemäß Artikel 2 Absatz 1 Buchstaben a), b) und c) der Richtlinie 68/151/EWG ist, die Satzung sowie Änderungen dieser Unterlagen; c) eine Bescheinigung aus dem in Absatz 1 Buchstabe c) des vorliegenden Artikels genannten Register in bezug auf das Bestehen der Gesellschaft;

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Gesellschaftsrechtliche Richtlinien

d) Angaben über die Sicherheiten, bei denen Vermögenswerte der Gesellschaft belastet werden, die sich in diesem Mitgliedstaat befinden, sofern diese Offenlegung sich auf die Gültigkeit solcher Sicherheiten bezieht. Artikel 3 Die Pflicht zur Offenlegung nach Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe g) erstreckt sich lediglich auf die Unterlagen der Rechnungslegung der Gesellschaft, die nach dem Recht des Mitgliedstaats, dem die Gesellschaft unterliegt, im Einklang mit den Richtlinien 78/660/EWG, 83/349/EWG und 84/253/ EWG erstellt, geprüft und offengelegt worden sind.

Recht eines Mitgliedstaat unterliegt, jedoch eine Rechtsform hat, die mit den Rechtsformen vergleichbar ist, auf welche die Richtlinie 68/151/EWG Anwendung findet, sind nach dem Recht des Mitgliedstaats der Zweigniederlassung im Einklang mit Artikel 3 der genannten Richtlinie offenzulegen. (2) Artikel 1 Absatz 2 findet Anwendung.

Artikel 8 Die Pflicht zur Offenlegung nach Artikel 7 erstreckt sich mindestens auf folgende Urkunden und Angaben: a) die Anschrift der Zweigniederlassung;

Artikel 4 Der Mitgliedstaat der Zweigniederlassung kann vorschreiben, daß die in Artikel2 Absatz 2 Buchstabe b) und Artikel 3 bezeichneten Unterlagen in einer anderen Amtssprache der Gemeinschaft offengelegt werden und die Übersetzung dieser Unterlagen beglaubigt wird. Artikel 5 Wenn in einem Mitgliedstaat mehrere Zweigniederlassungen ein und derselben Gesellschaft bestehen, kann die in Artikel 2 Absatz 2 Buchstabe b) und Artikel 3 genannte Offenlegung von dieser Gesellschaft nach ihrer Wahl bei dem Register einer dieser Zweigniederlassungen vorgenommen werden. In diesem Fall erstreckt sich die Offenlegungspflicht der übrigen Zweigniederlassungen auf die Angabe des Registers der Zweigniederlassung, bei dem die Offenlegung erfolgt ist, sowie auf die Nummer der Eintragung dieser Zweigniederlassung in dieses Register.

b) die Tätigkeit der Zweigniederlassung; c) das Recht des Staates, dem die Gesellschaft unterliegt; d) sofern dieses Recht es vorsieht, das Register, in das die Gesellschaft eingetragen ist, und die Nummer der Eintragung in dieses Register; e) den Errichtungsakt und, falls sie Gegenstand eines gesonderten Aktes ist, die Satzung sowie jede Änderung dieser Unterlagen; f) die Rechtsform, den Sitz und den Gegenstand der Gesellschaft sowie mindestens jährlich den Betrag des gezeichneten Kapitals, sofern diese Angaben nicht in den unter Buchstabe e) genannten Urkunden gemacht werden; g) die Firma der Gesellschaft sowie die Firma der Zweigniederlassung, sofern diese nicht mit der Firma der Gesellschaft übereinstimmt; h) die Bestellung; das Ausscheiden und die Personalien derjenigen, die befugt sind, die Gesellschaft gerichtlich und außergerichtlich zu vertreten, und zwar – als gesetzlich vorgeschriebenes Organ der Gesellschaft oder als Mitglied eines solchen Organs,

Artikel 6 Die Mitgliedstaaten schreiben vor, daß auf Geschäftsbriefen und Bestellscheinen, die von der Zweigniederlassung benutzt werden, außer den in Artikel 4 der Richtlinie 68/151/EWG verlangten Angaben das Register, bei dem die Akte für die Zweigniederlassung angelegt worden ist, und die Nummer der Eintragung in dieses Register anzugeben sind.

– als ständige Vertreter der Gesellschaft für die Tätigkeit der Zweigniederlassung. Dabei ist anzugeben, welchen Umfang die Vertretungsmacht hat und ob die betreffenden Personen diese allein oder nur gemeinschaftlich ausüben können; i)

ABSCHNITT II Zweigniederlassungen von Gesellschaften aus Drittländern Artikel 7 (1) Die Urkunden und Angaben über eine Zweigniederlassung, die in einem Mitgliedstaat von einer Gesellschaft errichtet worden ist, welche nicht dem

– die Auflösung der Gesellschaft, die Bestellung, die Personalien und die Befugnisse der Liquidatoren sowie den Abschluß der Liquidation; – ein die Gesellschaft betreffendes Konkursverfahren, Vergleichsverfahren oder ähnliches Verfahren;

j) die Unterlagen der Rechnungslegung gemäß Artikel 9; k) die Aufhebung der Zweigniederlassung.

Die Zweigniederlassungsrichtlinie (11. Richtlinie)

937

Artikel 9

Artikel 14

(1) Die Pflicht zur Offenlegung nach Artikel 8 Buchstabe j) erstreckt sich auf die Unterlagen der Rechnungslegung der Gesellschaft, die nach dem Recht des Staates, dem die Gesellschaft unterliegt, erstellt, geprüft und offengelegt worden sind. Werden diese Unterlagen nicht gemäß den Richtlinien 78/660/EWG bzw. 83/349/EWG oder in gleichwertiger Form erstellt, so können die Mitgliedstaaten die Erstellung und Offenlegung der Unterlagen der Rechnungslegung, die sich auf die Tätigkeiten der Zweigniederlassung beziehen, verlangen.

(1) Die Artikel 3 und 9 finden keine Anwendung auf die Zweigniederlassungen von Kredit- und Finanzinstituten, die unter die Richtlinie 89/117/ EWG(8) fallen. (2) Bis zu einer späteren Koordinierung können die Mitgliedstaaten von der Anwendung der Artikel 3 und 9 auf Zweigniederlassungen absehen, dievon Versicherungsgesellschaften errichtet werden. Artikel 15

(2) Die Artikel 4 und 5 finden Anwendung. Artikel 10 Die Mitgliedstaaten schreiben vor, daß auf Geschäftsbriefen und Bestellscheinen, die von der Zweigniederlassung benutzt werden, das Register, bei dem die Akte für die Zweigniederlassung angelegt worden ist, und die Nummer der Eintragung in dieses Register anzugeben sind. Sofern das Recht des Staates, dem die Gesellschaft unterliegt, eine Eintragung in ein Register vorsieht, sind das Register, in das die Gesellschaft eingetragen ist, und die Nummer der Eintragung in dieses Register ebenfalls anzugeben.

ABSCHNITT III Angabe der Zweigniederlassungen im Geschäftsbericht der Gesellschaft

Artikel 54 der Richtlinie 78I660IEWG und Artikel 48 der Richtlinie 831349/EWG werden aufgehoben. Artikel 16 (1) Die Mitgliedstaaten erlassen die erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften, um dieser Richtlinie vor dem 1. Januar 1992 nachzukommen. Sie setzen die Kommission unverzüglich davon in Kenntnis. (2) Die Mitgliedstaaten schreiben vor, daß die in Absatz 1 bezeichnete Vorschriften ab 1. Januar 1993 und, was die Unterlagen für die Rechnungslegung betrifft, erstmals auf den Jahresabschluß für das am 1. Januar 1993 oder im Laufe des Jahres 1993 beginnende Haushaltsjahr Anwendung finden. (3) Die Mitgliedstaaten teilen der Kommission den Wortlaut der innerstaatlichen Vorschriften mit, die sie auf dem unter diese Richtlinie fallenden Gebiet erlassen.

Artikel 11 Artikel 17 Dem Artikel 46 Absatz 2 der Richtlinie 78/660/ EWG wird folgender Buchstabe hinzugefügt: „e) bestehende Zweigniederlassungen der Gesellschaft“.

ABSCHNITT IV Übergangs- und Schlußbestimmungen Artikel 12 Die Mitgliedstaaten drohen geeignete Maßregeln für den Fall an, daß die in den Artikeln 1, 2, 3, 7, 8, und 9 vorgeschriebene Offenlegung unterbleibt oder die nach den Artikeln 6 und 10 vorgeschriebenen Angaben auf den Geschäftsbriefen und Bestellscheinen fehlen. Artikel 13 Jeder Mitgliedstaat bestimmt, welche Personen verpflichtet sind, die durch diese Richtlinie vorgeschriebenen Formalitäten der Offenlegung zu erfüllen.

Der mit Artikel 52 der Richtlinie 78/660/EWG geschaffene Kontaktausschuß hat außerdem die Aufgabe, a) unbeschadet der Artikel 169 und 170 des Vertrages eine gleichmäßige Anwendung der vorliegenden Richtlinie durch eine regelmäßige Abstimmung, insbesondere in konkreten Anwendungsfragen, zu erleichtern; b) die Kommission erforderlichenfalls bezüglich Ergänzungen und Änderungen der vorliegenden Richtlinie zu beraten. Artikel 18 Diese Richtlinie ist an die Mitgliedstaaten gerichtet.

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Gesellschaftsrechtliche Richtlinien

§ 29 Die Einpersonengesellschaftsrichtlinie (12. Richtlinie) RL 2009/102/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 16.9.2009 auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts betreffend Gesellschaften mit beschränkter Haftung mit einem einzigen Gesellschafter, ABlEU v. 1.10.2009, L 258/20 Literatur: Brändel, Oliver C., Die Auswirkungen der 12. gesellschaftsrechtlichen EG-Richtlinie auf die Einmann-AG, in: Goerdeler, Reinhard u.a. (Hrsg.), Festschrift für Alfred Kellermann zum 70. Geburtstag am 29. November 1990, 1991, S. 15; Driesen, Werner G., Neues Recht für die Einpersonen-GmbH, MDR 1992, 324; Drygala, Tim, Konzernhaftung und Einmann-Richtlinie, ZIP 1992, 1528; Dunn, Edwina, Single-Member Private Limited Liability Companies: 12th Company Law Directive, [1990] EBLR 6; Eckert, Hans-Werner, Die Harmonisierung des Rechts der Einpersonen-GmbH, EuZW 1990, 54; Edwards, Vanessa, The EU Twelfth Company Law Directive, (1998) 19 Co Law 211; Freudling, Martin, Die Umsetzung der zwölften Richtlinie des Rates der Europäischen Union auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts in den Rechtsordnungen Deutschlands und Italiens, 2001; Hirte, Heribert, Die Zwölfte EG-Richtlinie als Baustein eines Europäischen Konzernrechts?, ZIP 1992, 1122; Kalss, Susanne, Die Bedeutung der Publizitäts-, Kapital-, Zweigniederlassungs- und Einpersonengesellschaftsrichtlinie der Europäischen Union für das österreichische Gesellschaftsrecht (AG und GmbH), in: Koppensteiner, Hans-Georg (Hrsg.), Österreichisches und europäisches Wirtschaftsprivatrecht, Teil 1: Gesellschaftsrecht, 1994, S. 119; Kindler, Peter, Gemeinschaftsrechtliche Grenzen der Konzernhaftung in der Einmann-GmbH, ZHR 157 (1993) 1; Lutter, Marcus, Mißglückte Rechtsangleichung: das Chaos der Ein-Personen-Gesellschaft in Europa, in: Pfeiffer, Gerd (Hrsg.), Festschrift für Hans Erich Brandner zum 70. Geburtstag, 1996, S. 81; Mousoulas, Spilios, La société unipersonnelle à responsabilité limitée communautaire – appréciation de la XIIe directive du Conseil en matière de sociétés, Rev. Soc. 1990, 395; Power, Vincent J. G., Twelfth EEC company law directive, (1990) 1 ICCLR C44; Roth, Wulf-Henning, „Video“-Nachlese oder das (immer noch) vergessene Gemeinschaftsrecht, ZIP 1992, 1054; Schimmelpfennig, Hans-Christoph/Hauschka, Christoph E., Die Zulassung der Ein-Personen-GmbH in Europa und die Änderungen des deutschen GmbH-Rechts, NJW 1992, 942; Schüppen, Matthias, Haftung im qualifiziert faktischen GmbH-Konzern und 12. EG-Richtlinie, DB 1993, 969; Schwarz, Hans-Detlev, Das Gesetz zur Durchführung der Zwölften gesellschaftsrechtlichen EG-Richtlinie – Neuerungen für die Einpersonen-GmbH, DStR 1992, 221; Wilhelm, Ulrich B., Haftung im qualifiziert-faktischen Konzern und Europarecht, EuZW 1993, 729; Wooldridge, Frank, The draft Twelfth Directive on Single-Member Companies, [1989] JBL 86.

Rechtsprechung: BGH v. 29.3.1993 – II ZR 265/91, BGHZ 122, 123 = NJW 1993, 1200 („TBB“)

I. Überblick 1 Die 12. (Einpersonengesellschafts-)RL ist letztlich ein Instrument der Mittelstandsförderung:1 Zur Förderung der Gründung und Entwicklung von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU), die sich die Kommission in ihrem Aktionsprogramm für 1 Vgl. Habersack § 9 Rn. 3; Power (1990) 1 ICCLR C 44.

Die Einpersonengesellschaftsrichtlinie (12. Richtlinie)

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KMU aus dem Jahr 1986 2 ausdrücklich auf die Fahnen geschrieben hatte, zielt die RL darauf ab, den Zugang zur Kapitalgesellschaft europaweit auch für Einzelunternehmen zu öffnen.3 Die Gründung von Einpersonengesellschaften war nämlich bis in die 1980er Jahre nur in wenigen Mitgliedstaaten 4 zulässig. Speziell die romanischen Rechtsordnungen erachteten die Idee einer Einpersonengesellschaft lange als per se unvereinbar mit dem theoretischen Konzept der Gesellschaft als Vertrag zwischen den Gesellschaftern 5.6 Zudem bestanden erhebliche Unterschiede bei den Rechtsfolgen im Falle der nachträglichen Vereinigung sämtlicher Gesellschaftsanteile in einer Hand; einige Rechtsordnungen sanktionierten dies mit der persönlichen Haftung des einzigen Gesellschafters 7, andere gar mit der Zwangsliquidation 8.9 Die RL gewährleistet es nun jedoch, dass sich Einzelunternehmer nicht nur in ihrem Heimatstaat, sondern – in Ausübung ihrer Niederlassungsfreiheit gem. Art. 49, 54 AEU 10 – auch in allen anderen EU- und EWR-Staaten des rechtlichen Instruments einer Gesellschaft mit Haftungsbeschränkung bedienen können. Nachdem einige der im ursprünglichen RL-Entwurf vom 18.5.1988 11 enthaltenen 2 Regelungen (insbesondere das sog. „Enkelverbot“, dazu noch u. Rn. 16) auf heftige Kritik gestoßen waren, präsentierte die Kommission am 24.5.1989 einen geänderten Entwurf 12. Nach weiterer Diskussion im EP und im Rat 13 legte sie dann am 4.12.1989 2 Entwurf einer Entscheidung des Rates über das Aktionsprogramm für die KMU, 26.8. 1986, KOM(86) 445; vgl. auch Entschließung des Rates vom 3.11.1986 zum Aktionsprogramm für die kleinen und mittleren Unternehmen, ABlEG v. 14.11.1986, C 287/1. 3 Vgl. Erwägungsgrund 4; KOM(88) 101, S. 3. 4 In Dänemark seit 1973, in Deutschland seit 1980 (dazu noch u. Rn. 5), in Frankreich seit 1985 (s. dazu auch Fn. 54), in den Niederlanden seit 1986 und in Belgien seit 1987 (s. dazu Fn. 55), vgl. KOM(88) 101, S. 3. 5 Vgl. nur Art. 1832(1) C. civ.: „La société est instituée par deux ou plusieurs personnes qui conviennent par un contrat d’affecter à une entreprise commune des biens ou leur industrie en vue de partager le bénéfice ou de profiter de l’économie qui pourra en résulter.“ 6 Näher Edwards S. 220 f.; dies. (1998) 19 Co Law 211 f.; Lutter FS Brandner, 1996, S. 81, 82 f.; speziell zur – insoweit paradigmatischen – Entwicklung in Frankreich Guyon ZGR 1988, 240, 257 f. und ausf. Daigre (1990) 42 RIDC 665 ff. 7 So etwa das italienische Recht (Art. 2362 Codice civile a.F., vgl. dazu Laule RIW 1979, 29 ff.), das englische Recht (s. 24 CA 1985, so auch schon s. 48 CA 1862) und das irische Recht (s. 36 CA 1963), vgl. dazu auch Lutter FS Brandner, 1996, S. 81, 84 f. 8 So etwa das französische Recht (vgl. u. Fn. 54), das englische Recht (s. 122(1)(e) IA 1986) oder das irische Recht (s. 213(d) CA 1963), vgl. dazu auch Lutter FS Brandner, 1996, S. 81, 83 ff. 9 Vgl. KOM(88) 101, S. 3. 10 Vgl. speziell zur Bedeutung der RL unter dem Aspekt der Niederlassungsfreiheit auch Grundmann Rn. 293 f.; Habersack § 9 Rn. 3; Lutter FS Brandner, 1996, S. 81, 86. 11 Vorschlag für die 12. Gesellschaftsrechtliche Richtlinie des Rates betreffend Gesellschaften mit beschränkter Haftung mit einem einzigen Gesellschafter, 18.5.1988, KOM(88) 101 = BT-Drs. 11/2766. 12 Geänderter Vorschlag für die 12. Gesellschaftsrechtliche Richtlinie des Rates betreffend Gesellschaften mit beschränkter Haftung mit einem einzigen Gesellschafter, 24.5.1989, KOM(89) 193 = ABlEG v. 20.6.1989, C 152/10. 13 Vgl. Beschluss v. 11.10.1989 betreffend den Gemeinsamen Standpunkt des Rates im Hinblick auf die Annahme einer zwölften Richtlinie auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts

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Gesellschaftsrechtliche Richtlinien

einen nochmals geänderten Entwurf 14 vor, auf Basis dessen der Rat die RL dann bereits am 21.12.1989 15 – gemeinsam mit der 11. (Zweigniederlassungs-)RL (dazu § 28) – verabschiedete. 3 Durch das EWR-Abkommen wurde ihr Anwendungsbereich m.W.v. 1.1.1994 bzw. 1.1.199516 auch auf die EWR-Staaten ausgedehnt.17 Der Beitritt neuer Mitgliedstaaten zur EU machte darüber hinaus jeweils entsprechende Ergänzungen des Katalogs der erfassten Rechtsformen in Art. 1 (dazu u. Rn. 6) erforderlich.18 4 I.R.d. allgemeinen Projekts zur Kodifizierung des Acquis communautaire19 erfolgte m.W.v. 21.10.2009 die Kodifizierung als RL 2009/102/EG20, wodurch sich teilweise die Nummerierung der Artikel änderte 21. 5 Da das deutsche Recht die Einpersonengründung 22 für die GmbH bereits seit der Neufassung des § 1 GmbHG durch die GmbH-Novelle von 1980 23 zuließ, erforderte die Umsetzung der RL für die GmbH nur einige kleinere Korrekturen, die durch Ge-

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betreffend Gesellschaften mit beschränkter Haftung mit einem einzigen Gesellschafter, ABlEG v. 20.11.1989, C 291/53. Nochmals geprüfter Vorschlag für die 12. Gesellschaftsrechtliche Richtlinie des Rates betreffend Gesellschaften mit beschränkter Haftung mit einem einzigen Gesellschafter, 29.11.1989, KOM(89) 591 = ABlEG v. 8.2.1990, C 30/91. Zwölfte RL 89/667/EWG des Rates v. 21.12.1989 auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts betreffend Gesellschaften mit beschränkter Haftung mit einem einzigen Gesellschafter, ABlEG v. 30.12.1989, L 395/40. Für Island und Norwegen (sowie für Finnland, Österreich, Schweden, die aber inzwischen zur EU gehören) zum 1.1.1994, für Liechtenstein zum 1.1.1995. Zur Ausdehnung der kodifizierten Fassung s. Fn. 20. Vgl. Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum – Anhang XXII, Nr. 9 (ABlEG v. 3.1.1994, L 1/3). Beitrittsakte von 1994, Anh. I Kap. XI Abschnitt A, ABlEG v. 29.8.1994, C 241/194 (Beitritt Finnland, Österreich und Schweden); Beitrittsakte von 2003, Anh. II Kap. 4 Abschnitt A, ABlEU v. 23.9.2003, L 236/338 (Beitritt Estland, Lettland, Litauen, Malta, Polen, Slowakei, Slowenien, Tschechien, Ungarn, Zypern); RL 2006/99/EG des Rates v. 20.11.2006 zur Anpassung bestimmter Richtlinien im Bereich Gesellschaftsrecht anlässlich des Beitritts Bulgariens und Rumäniens, ABlEU v. 20.12.2006, L 363/137. Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat. Kodifizierung des Acquis communautaire, KOM(2001) 645; dazu Heydt EuZW 2002, 34. RL 2009/102/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 16.9.2009 auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts betreffend Gesellschaften mit beschränkter Haftung mit einem einzigen Gesellschafter, ABlEU v. 1.10.2009, L 258/20. Ausdehnung auf die EWR-Staaten durch Beschluss des Gemeinsamen EWR-Ausschusses Nr. 56/2010 v. 30.4.2010 zur Änderung von Anhang XXII (Gesellschaftsrecht) des EWR-Abkommens, ABlEU v. 15.7. 2010, L 181/24. Im Folgenden werden die Artikelbezeichnungen der kodifizierten Fassung verwendet; hinsichtlich der entsprechenden Artikel der ursprünglichen Fassung wird auf die Entsprechungstabelle in Anh. III der kodifizierten Fassung verwiesen. Die nachträgliche Anteilsvereinigung in einer Hand war sogar schon lange vorher anerkannt, vgl. bereits RGZ 85, 380, 382; 98, 289, 291; RGZ 129, 50, 53; BGHZ 21, 378, 381. Gesetz zur Änderung des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung und anderer handelsrechtlicher Vorschriften v. 4.7.1980, BGBl. I, 836.

Die Einpersonengesellschaftsrichtlinie (12. Richtlinie)

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setz v. 18.12.1991 (12.-RL-Gesetz) 24 erfolgten. Die notwendigen Anpassungen für die AG erfolgten dagegen erst durch das Gesetz für kleine AG v. 2.8.1994 25 (dazu noch u. Rn. 9).

II. Anwendungsbereich Zwingend galten die Bestimmungen der RL – im Einklang mit ihrer Funktion als 6 Instrument der Förderung von KMU (vgl. o. Rn. 1) – gem. Art. 1 ursprünglich nur für die in Anh. I abschließend aufgezählten nationalen Formen der GmbH. Für diese müssen die Mitgliedstaaten entweder die Einpersonengesellschaft zulassen (Art. 2 Abs. 1, dazu näher u. Rn. 10 ff.) oder zumindest die Gründung von Einpersonen-Unternehmen mit beschränkter Haftung ermöglichen (Art. 7, dazu näher u. Rn. 15). Durch Art. 3 Abs. 2 SE-VO (dazu auch noch § 41 Rn. 71 ff.) wurde der zwingende 7 Anwendungsbereich darüber hinaus auch auf die SE erstreckt. Hier müssen die Mitgliedstaaten die sekundäre Gründung einer 100%igen Tochter-SE zulassen (S. 2); für diese gelten dann sinngemäß die jeweiligen nationalen Umsetzungsvorschriften zur RL (S. 3).26 Hinsichtlich der nationalen AG bleibt es dagegen grundsätzlich weiterhin den 8 Mitgliedstaaten überlassen, ob sie die Einpersonengesellschaft zulassen. Sofern sie dies tun, gelten die Vorschriften der RL gem. Art. 6 aber auch für die EinpersonenAG, d.h. auch hier muss der jeweilige Mitgliedstaat die Vorgaben der Art. 3–5 (dazu u. Rn. 25 ff.) und 8–11 beachten.27 Damit wird gewährleistet, dass auch bei der Einpersonen-AG im Interesse der Gesellschafter und Dritter dieselben Schutzstandards gelten 28 und die durch die RL etablierten Schutzvorschriften nicht durch ein Ausweichen auf die Rechtsform der AG umgangen werden können.29 Die „bedingte“ Anwen-

24 Gesetz zur Durchführung der Zwölften Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaften auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts betreffend Gesellschaften mit beschränkter Haftung mit einem einzigen Gesellschafter v. 18.12.1991, BGBl. I, 2206. Dazu Driesen MDR 1992, 324 f.; Schimmelpfennig/Hauschka NJW 1992, 942 ff.; H.-D. Schwarz DStR 1992, 221 f. 25 Gesetz für kleine Aktiengesellschaften und zur Deregulierung des Aktienrechts v. 2.8. 1994, BGBl. I, 1961. 26 Vgl. dazu auch Grundmann Rn. 305 sowie Bayer in: Lutter/Hommelhoff, SE-Kommentar, 1. Aufl. 2008, Art. 3 SE-VO Rn. 9 m.w.N. 27 Aus Ratio und Systematik ergibt sich, dass nur die Art. 3–5, 8–11 gemeint sind (vgl. auch Edwards S. 223; dies. (1998) 19 Co Law 211, 212; Grundmann Rn. 301). Denn die Art. 1, 2 Abs. 1 und 7 betreffen gerade den Regelungsauftrag zur Zulassung der EinpersonenGmbH (bzw. die Alternativoption eines Einpersonen-Unternehmens mit beschränkter Haftung, dazu u. Rn. 15). Auch Art. 2 Abs. 2 kann nicht gemeint sein, denn wenn es den Mitgliedstaaten im Grundsatz freisteht, ob sie die Einpersonengesellschaft für AG überhaupt zulassen, so muss es ihnen erst recht auch gestattet sein, den Zugang zur Einpersonen-AG nach Belieben einzuschränken. 28 Vgl. KOM(88) 101, S. 9. 29 Vgl. auch Mousoulas Rev. soc. 1990, 395, 400 f.

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Gesellschaftsrechtliche Richtlinien

dungspflicht wird deshalb richtiger Ansicht nach bereits dann ausgelöst, wenn ein Mitgliedstaat entweder die Einpersonengründung oder die nachträgliche Entstehung einer Einpersonen-AG durch Vereinigung sämtlicher Gesellschaftsanteile in einer einzigen Hand zulässt.30 Denn auch wenn ein Mitgliedstaat nur eine dieser beiden Alternativen gestattet, besteht ein Bedürfnis nach Umgehungsschutz. Die teilweise im Schrifttum 31 und auch vom deutschen Gesetzgeber in der Begründung zum 12.-RLGesetz 32 vertretene Gegenansicht, welche die Anwendungspflicht erst bei einem kumulativen Vorliegen beider Tatbestände eingreifen lassen will, beruht offenbar auf einem Missverständnis der Bezugnahme auf Art. 2 Abs. 1 (dazu noch u. Rn. 10 ff.). Rechtsvergleichend ist jedenfalls zu konstatieren, dass im Laufe der Zeit immer mehr Mitgliedstaaten die Einpersonen-AG zugelassen haben (und damit insoweit auch an die Vorgaben der RL gebunden sind), so u.a. die Niederlande 33, Polen 34, Schweden (seit 1995) 35, Luxemburg (seit 2006) 36 oder das UK (seit 2009) 37. Das französische Recht verlangt dagegen nach wie vor sogar mindestens sieben Gründer.38 9 Im deutschen Recht wurde die originäre Einpersonengründung einer AG erst durch die Neufassung des § 2 AktG durch das Gesetz für kleine AG v. 2.8.1994 39, mit dem auch die Vorgaben der RL umgesetzt wurden (vgl. o. Rn. 5), gesetzlich zugelassen. Die nachträgliche Entstehung einer Einpersonen-AG war jedoch bereits lange zuvor anerkannt 40, so dass die RL zumindest insoweit bereits mit dem Ablauf ihrer Umsetzungsfrist am 1.1.1992 41 umzusetzen gewesen wäre 42.

30 Vgl. Bayer/J. Schmidt, Überlagerungen des deutschen Aktienrechts durch das Europäische Unternehmensrecht: Eine Bilanz von 1968 bis zur Gegenwart, in: Bayer/Habersack (Hrsg.), Aktienrecht im Wandel, Bd. 1, 2007, Kap. 18 Rn. 109; Brändel in: GroßkommAktG, 4. Aufl. 1992, § 1 Rn. 150; Grohmann, Das Informationsmodell im Europäischen Gesellschaftsrecht, 2006, S. 303; Grundmann Rn. 295 Fn. 20; Habersack § 9 Rn. 4 Fn. 12. 31 Vgl. Eckert EuZW 1990, 54, 55 f.; Kalss in: Koppensteiner (Hrsg.), Österreichisches und europäisches Wirtschaftsprivatrecht, Bd. 1, 1994, S. 119, 293. 32 Vgl. BR-Drs. 184/91, S. 7. 33 Art. 64(2) Boek 2 Burgerlijk Wetboek. 34 Art. 301 § 1 KSH (Kodeks spółek handlowych, Dz.U. 2000 Nr. 94 poz. 1037 [Gesetz über Handelsgesellschaften]). 35 Kap. 2 § 1 Aktiebolagslag. 36 Art. 26 Abs. 1 Nr. 1 Loi du 10 août 1915 concernant les sociétés commerciales (geändert durch loi du 25 août 2006; vorher: mind. 2). 37 S. 7(1) CA 2006. Zuvor waren gem. s. 1(1) CA 1985 mindestens zwei Aktionäre erforderlich. Vgl. zum Ganzen Palmer’s Company Law 2.110. 38 Art. L225-1 C. com. 39 Fn. 25. 40 Vgl. bereits Schlegelberger/Quassowski, AktG, 1. Aufl. 1937, § 2 Rn. 14. 41 Vgl. Art. 8 Abs. 1 der ursprünglichen RL-Fassung (Fn. 15). 42 Vgl. Bayer/J. Schmidt (Fn. 30), Rn. 109; Habersack § 9 Rn. 5.

Die Einpersonengesellschaftsrichtlinie (12. Richtlinie)

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III. Reichweite des Gebots der Zulassung der Einpersonengesellschaft 1. Originäre und „nachträgliche“ Einpersonengesellschaft (Art. 2 Abs. 1) Gem. Art. 2 Abs. 1 müssen die Mitgliedstaaten sowohl die Gründung einer Einpersonen-GmbH (originäre Einpersonengesellschaft) als auch die Fortexistenz der Kapitalgesellschaft als solcher im Falle der nachträglichen Vereinigung aller Gesellschaftsanteile in der Hand einer einzigen Person („nachträgliche“ Einpersonengesellschaft) zulassen bzw. anerkennen. Hinsichtlich des Verfahrens der Einpersonengründung macht die RL allerdings keinerlei Vorgaben. Dessen Ausgestaltung bleibt vielmehr – vorbehaltlich der Regeln der 1. (Publizitäts-)RL zur Offenlegung (Art. 3 ff., dazu § 19 Rn. 13 ff.) und zur Handelndenhaftung (Art. 8, dazu § 19 Rn. 57 ff.) – grundsätzlich dem jeweiligen Mitgliedstaat überlassen 43. Nach Erwägungsgrund 5 S. 5 steht es den Mitgliedstaaten insbesondere auch frei, Regeln aufzustellen, um den aus der Existenz nur eines einzigen Gesellschafters resultierenden spezifischen Gefahren zu begegnen und insbesondere um die Einzahlung des gezeichneten Kapitals sicherzustellen (dazu noch u. Rn. 22). Zu beachten ist dabei aber natürlich stets der Grundsatz des effet utile, d.h. die Ausgestaltung der Regeln für die Einpersonengründung darf keinen prohibitiven Charakter haben. Sofern ein Mitgliedstaat auch die Gründung einer Einpersonen-AG zulässt (vgl. dazu bereits o. Rn. 8) gelten zudem selbstverständlich die Vorgaben der Art. 2 ff. der 2. (Kapital-)RL (dazu § 20 Rn. 14 ff.). Im Falle der „nachträglichen“ Entstehung einer Einpersonen-GmbH muss zunächst einmal die Fortexistenz der Gesellschaft als Kapitalgesellschaft anerkannt werden; Art. 2 Abs. 1 ist insoweit lex specialis zu Art. 12 S. 1 lit. b sublit. vi der 1. (Publizitäts-)RL (dazu § 19 Rn. 88) 44. Aus Genese (vgl. o. Rn. 1), Systematik und Ratio der RL sowie speziell Erwägungsgrund 5 S. 1–4 ergibt sich darüber hinaus aber auch, dass die Mitgliedstaaten diesen Sachverhalt als solchen – außer in den in Art. 2 Abs. 2 explizit geregelten Sonderfällen (dazu u. Rn. 16 ff.) – auch nicht mit spezifischen Sanktionen wie z.B. einer (unbeschränkten) persönlichen Haftung des Alleingesellschafters oder einem Liquidationszwang belegen dürfen.45 Zur sog. „Strohmann“-Gründung (d.h. der Einschaltung einer weiteren Person, die zwar formal Gesellschafter wird, ihre Anteile aber auf Rechnung des wirtschaftlichen Alleingesellschafters hält) – wie sie vor Zulassung der Einpersonengründung in vielen Mitgliedstaaten gängige Praxis war und vielfach auch heute noch ist – verhält sich die RL dagegen weder im positiven noch im negativen Sinne. Die Einschaltung eines „Strohmanns“ (oder einer „Strohfrau“) wird durch sie weder verboten noch wird den Mitgliedstaaten die Zulassung solcher Konstruktionen geboten.46 43 Vgl. Habersack § 9 Rn. 6; Schwarz Rn. 514. 44 Vgl. Dunn [1990] EBLR 6 Fn. 4; Edwards S. 224; Habersack § 9 Rn. 2; Mousoulas Rev. soc. 1990, 395, 402; Wooldridge [1989] JBL 86, 87. 45 Vgl. auch Habersack § 9 Rn. 6. 46 Vgl. auch Habersack § 9 Rn. 8 f.; s. ferner auch Lutter FS Brandner, 1996, S. 81, 95.

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Da das deutsche Recht sowohl die „originäre“ (vgl. § 1 GmbHG) als auch die „nachträgliche“ Einpersonen-GmbH schon vor der RL zugelassen hatte (vgl. o. Rn. 5), war der Regelungsauftrag des Art. 2 Abs. 1 bereits erfüllt. Daneben ist aber auch die „Strohmann“-Gründung möglich.47

2. Alternative: Einpersonen-Unternehmen mit beschränkter Haftung (Art. 7) 15 Um den in vielen Mitgliedstaaten bestehenden Vorbehalten gegenüber dem theoretischen Konstrukt einer Gesellschaft mit nur einem Gesellschafter (vgl. bereits o. Rn. 1) Rechnung zu tragen 48, dispensiert der mit Blick auf die Rechtslage in Portugal 49 eingefügte 50 Art. 7 die Mitgliedstaaten jedoch von der Verpflichtung zur Zulassung der Einpersonenkapitalgesellschaft 51, wenn ihr nationales Recht Einzelunternehmern zumindest ein „Einpersonen-Unternehmen mit beschränkter Haftung“ ermöglicht. Voraussetzung ist insofern aber nicht nur, dass die Haftung des Unternehmens auf ein Vermögen beschränkt ist, das für eine bestimmte Tätigkeit eingesetzt wird. Darüber hinaus müssen in Bezug auf dieses Unternehmen auch Schutzbestimmungen vorgesehen sein, die denjenigen der RL sowie den sonstigen Vorschriften des Unionsrechts, die für Gesellschaften i.S.d. Art. 1 der RL gelten – speziell der 1. (Publizitäts-)RL (dazu § 19), der 4. (Bilanz-)RL (dazu § 24) und der 7. (Konzernbilanz-)RL (dazu § 25) 52 –, gleichwertig sind. Es muss sich also letztlich um ein mit Blick auf die Ziele der RL „gleichwertiges aliud“ handeln.53

47 Vgl. nur Bayer in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 17. Aufl. 2009, § 1 Rn. 24; Hueck/ Fastrich in: Baumbach/Hueck, GmbHG, 19. Aufl. 2010, § 1 Rn. 41 m.w.N. 48 Vgl. KOM(88) 101, S. 9; Dunn [1990] EBLR 6, 7. 49 Durch das DL n.º 248/86, de 25 de Agosto, Estabelecimento mercantil individual de responsabilidade limitada, wurde die spezielle Rechtsform der „Estabelecimento mercantil individual de responsabilidade limitada (EIRL)“, ein Einzelhandelsunternehmen mit beschränkter Haftung, eingeführt; vgl. dazu Driesen GmbHR 1991, 49, 50; Eckert EuZW 1990, 54, 56; Edwards S. 223. Seit 1.1.2011 gibt es allerdings mit dem „l’entrepreneur individuel à responsabilité limitée“ (EIRL) auch in Frankreich für Einzelunternehmer die Möglichkeit, mit beschränkter Haftung tätig zu werden; diese neue Option tritt dort aber nur neben die weiterhin bestehende Möglichkeit der Gründung einer Einpersonengesellschaft (Loi n° 2010-658 du 15 juin 2010 relative à l’entrepreneur individuel à responsabilité limitée, JORF du 16 juin 2010, p. 10984); dazu etwa Gladel D. 2010, 560; Marmoz D. 2010, 1570 ff.; Peifer GmbHR 2010, 972 ff.; Wedemann RabelsZ 75 (2011) 541, 545 ff. 50 Vgl. Edwards S. 223; dies. (1998) 19 Co Law 211, 213; Habersack § 9 Rn. 10; Kalss (Fn. 31), S. 119, 292; Wooldridge [1989] JBL 86, 89. 51 Aus Wortlaut, Systematik, Genese und Ratio des Art. 7 ergibt sich klar, dass der Mitgliedstaat dann weder die Einpersonengründung noch die nachträgliche Entstehung einer Einpersonengesellschaft zulassen muss; unzutreffend insoweit Dunn [1990] EBLR 6, 7, die den Dispens auf die Einpersonengründung beschränken will. 52 Vgl. KOM(88) 101, S. 9. 53 Kritisch zu den mit der Determination der Äquivalenz verbundenen Problemen Mousoulas Rev. soc. 1990, 395, 401.

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3. Zulässige Einschränkungen a) Die Mitgliedstaatenoptionen des Art. 2 Abs. 2 Die RL ermöglicht es mit Art. 2 Abs. 2 aber auch denjenigen Mitgliedstaaten, die nicht 16 von der Alternativoption des Art. 7 Gebrauch machen, in bestimmten Fällen einschränkende Sonderregeln für Einpersonengesellschaften vorzusehen. Hintergrund ist, dass einige Mitgliedstaaten – wie insbesondere Frankreich 54 und Belgien 55 – die Einpersonengesellschaft schon vor Erlass der RL zwar im Grundsatz anerkannt, sie aber besonderen Restriktionen oder Sanktionen unterworfen hatten. Der auf französischem Vorbild 56 beruhende Art. 2 Abs. 2 des ersten RL-Entwurfs57 hatte demgemäß vorgesehen, dass eine Einpersonengesellschaft, deren Alleingesellschafter eine juristische Person ist, nicht selbst Alleingesellschafterin einer anderen Gesellschaft sein durfte (sog. „Enkelverbot“). Damit sollte die Bildung von „undurchsichtigen Gesellschaftsketten“ verhindert werden.58 Darüber hinaus war in Art. 2 Abs. 3 für den Fall einer juristischen Person als Alleingesellschafterin eine Durchgriffshaftung (wenngleich auch mit gewissen Ausnahmen und Einschränkungen) 59 vorgesehen. Beide Vorschriften stießen indes – vor allem auf deutscher Seite 60, aber etwa auch im UK61 – auf heftige Kritik; speziell das „Enkelverbot“ hätte viele Konzerne dazu gezwungen, ihre derart errichteten Tochtergesellschaften unter erheblichen Kosten und steuerlichen Nachteilen aufzulösen. Im geänderten Entwurf v. 24.5.1989 62 wurden sie daher wieder gestrichen. Um jedoch gleichwohl zumindest in bestimmten Fällen eine

54 Vgl. Art. 36-2 Loi n° 66-537 du 24 juillet 1966 sur les sociétés commerciales (JORF du 26 juillet 1966, p. 6402) i.d.F.d. Loi n° 85-697 du 11 juillet 1985 (JORF du 12 juillet 1985, p. 7862). Danach durfte eine natürliche Person nicht einziger Gesellschafter von mehr als einer Gesellschaft sein und der einzige Gesellschafter einer Gesellschaft durfte nicht selbst eine Einpersonengesellschaft sein; bei Verstoß hiergegen drohte die Auflösung. Die erste Restriktion wurde 1994 abgeschafft (Loi n° 94-126 du 11 février 1994 relative à l’initiative et à l’entreprise individuelle, JORF n° 37 du 13 février 1994, p. 2493). Die zweite gilt dagegen auch heute noch (seit 21.9.2000: Art. L223-5 C. com). 55 Vgl. Art. 123bis des belgischen Gesetzes über die Handelsgesellschaften v. 30.11.1935 i.d.F.d. Art. 8 des Gesetzes über die Einmann-GmbH v. 14.7.1987 (Bulletin Usuel des Lois et Arretés 1987, S. 953, lfd. Nr. 772). Danach durfte eine natürliche Person nicht einziger Gesellschafter von mehr als einer Gesellschaft sein; andernfalls haftete er wie ein Bürge für die Verbindlichkeit der weiteren Gesellschaften. Vgl. zum heutigen Recht u. Rn. 24. 56 Vgl. Fn. 54. 57 Fn. 11. 58 Vgl. KOM(88) 101, S. 5. 59 Näher dazu Edwards S. 224 f.; Wooldridge [1989] JBL 86, 88. 60 Vgl. Stellungnahme Bundesrat, BR-Drs. 303/88(B), S. 2 f.; Bericht Rechtsausschuss, BT-Drs. 11/4346, S. 3 f.; Centrale für GmbH Dr. Otto Schmidt GmbHR 1988, 311; DStV StB 1988, 267; Hahn GmbHR 1988, R57. 61 Vgl. Wooldridge [1989] JBL 86, 87 ff. m.w.N. 62 Fn. 12.

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Berücksichtigung nationaler Besonderheiten zu ermöglichen 63, wurde den Mitgliedstaaten in Art. 2 Abs. 2 zumindest gestattet, Einpersonengesellschaften in zwei Sonderkonstellationen 64 besonderen Bestimmungen und/oder 65 Sanktionen zu unterwerfen – wodurch aber freilich der Rechtsangleichungserfolg der RL erheblich relativiert wird 66. 17 Lit. a, der ersichtlich speziell auf die Besonderheiten des französischen 67 und belgischen68 Rechts abzielt, gestattet den Erlass von Sonderregelungen für den Fall, dass eine natürliche Person Alleingesellschafter mehrerer Gesellschaften ist („MehrfachAlleingesellschafter“). Hintergrund ist die Befürchtung, dass das Instrument der Einpersonengesellschaft von natürlichen Personen dazu missbraucht werden könnte, ihr Vermögen zum Nachteil der Gläubiger und des Rechtsverkehrs in betrügerischer Weise künstlich aufzuspalten.69 18 Lit. b, der ebenfalls ersichtlich speziell auf Spezifika des französischen Rechts 70 abzielt, erlaubt Sonderregelungen für den Fall, dass der Alleingesellschafter ebenfalls eine Einpersonengesellschaft oder eine andere juristische Person ist (sog. „Gesellschaftsketten“). Damit soll es den Mitgliedstaaten ermöglicht werden, „undurchsichtige Gesellschaftsketten“ zu verhindern bzw. diese besonderen Kautelen zu unterwerfen.71 19 Hinsichtlich der konkreten Ausgestaltung der besonderen Bestimmungen und/ oder Sanktionen macht Art. 2 Abs. 2 keine speziellen Vorgaben. Dies bleibt also grundsätzlich dem jeweiligen Mitgliedstaat überlassen.72 Insbesondere muss es sich auch nicht notwendig um gesetztes Recht handeln; auch Richterrecht ist erfasst.73 Aus Erwägungsgrund 5 S. 4 ergibt sich allerdings, dass der europäische Gesetzgeber – entsprechend den Vorbildern im französischen74 und belgischen75 Recht – primär Rege-

63 Vgl. Erwägungsgrund 5. 64 Trotz des „oder“ stehen die beiden Optionstatbestände nicht in einem strengen Alternativverhältnis, sondern ein Mitgliedstaat kann auch für beide Konstellationen Sonderregelungen vorsehen. 65 Das „oder“ ist hier nicht i.S.e. zwingenden Alternativität zu verstehen; „besondere Bestimmungen“ und „Sanktionen“ können auch kumuliert werden (zumal die Abgrenzung sich ohnehin häufig schwierig gestalten würde). 66 Vgl. Habersack § 9 Rn. 11; Mousoulas Rev. soc. 1990, 395, 403; ausf. Lutter FS Brandner, 1996, S. 81, 89 ff. mit Länderberichten. 67 Vgl. Fn. 54. 68 Vgl. Fn. 55. 69 Vgl. Daigre (1990) 42 RIDC 665, 674. 70 Vgl. Fn. 54. 71 Vgl. KOM(88) 101, S. 5 zum (obligatorischen) „Enkelverbot“ im ersten RL-Entwurf. 72 Vgl. auch Mousoulas Rev. soc. 1990, 395, 403. 73 Vgl. BGH NJW 1993, 1200, 1204 („TBB“); Habersack § 9 Rn. 12 f.; Kindler ZHR 157 (1993) 1, 8 f.; Neye in: Verhandlungen des 59. Deutschen Juristentages, Bd. II, 1992, R 124 f.; Wilhelm EuZW 1993, 729, 734; a.A. Meilicke DB 1992, 1867, 1870; W.-H. Roth ZIP 1992, 1054, 1055 f.; Schüppen DB 1993, 969, 970 f.; zweifelnd auch Hirte ZIP 1992, 1122, 1123; Knobbe-Keuk DB 1992, 1461, 1465. 74 Vgl. Fn. 54. 75 Vgl. Fn. 55.

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lungen betreffend Einschränkungen beim Zugang zur Einpersonengesellschaft oder eine unbeschränkte Haftung des einzigen Gesellschafters vor Augen hatte. Obgleich die Optionstatbestände des Art. 2 Abs. 2 ursprünglich speziell den 20 Besonderheiten des französischen und belgischen Rechts Rechnung tragen sollten (vgl. o. Rn. 17 f.), stehen sie nach dem eindeutigen Wortlaut der Regelung, der keinerlei Einschränkungen enthält, allen Mitgliedstaaten offen76 – und zwar insbesondere auch unabhängig davon, ob diese vor Erlass der RL bereits Sonderregelungen für die bezeichneten Sonderkonstellationen vorsahen 77.78

b) Zulässigkeit sonstiger Einschränkungen Äußerst umstritten ist, ob und inwieweit die Mitgliedstaatenoptionen des Art. 2 21 Abs. 2 abschließenden Charakter haben. Problematisch ist insoweit insbesondere, welche Bedeutung dem einleitenden Passus „bis zur Koordinierung der einzelstaatlichen Vorschriften für das Konzernrecht“ – der sich ebenso auch in Erwägungsgrund 5 S. 2 findet – zukommt. Teilweise wird dies als generelle Bereichsausnahme für das Konzernrecht interpretiert79, was jedoch schon mit dem Wortlaut des Art. 2 Abs. 2 schwer vereinbar scheint80. Zudem spricht auch die Zielsetzung der RL, europaweit den Zugang zur Einmanngesellschaft zu öffnen (vgl. o. Rn. 1), dafür, dass die in Art. 2 Abs. 2 vorgesehenen Ausnahmeoptionen abschließenden Charakter – auch gegenüber etwaigen konzernrechtsspezifischen Regelungen – haben sollten.81 Mit der einleitenden Passage sollte vielmehr nur klargestellt werden, dass die Problematik im Rahmen einer etwaigen Harmonisierung des Konzernrechts (vgl. zu den ursprünglichen Plänen für eine 9. (Konzernrechts-)RL bereits § 9 Rn. 5 ff., zum Konzeptwechsel im Aktionsplan 2003 sowie zu den neuen Vorschlägen der Reflection Group § 18 Rn. 9, 106) nochmals überdacht und dann ggf. einer anderweitigen Regelung zugeführt werden sollte.82 Die Einpersonengesellschaft als solche darf nach alledem nur in den in Art. 2 Abs. 2 abschließend genannten Fällen besonderen Bestimmun-

76 Für eine Beschränkung auf Frankreich und Belgien aber offenbar Knobbe-Keuk DB 1992, 1461, 1465; vgl. ferner auch Hirte ZIP 1992, 1122, 1123. 77 Für eine Interpretation als stand still-Regelung jedoch Grundmann Rn. 304 ff.; Kindler ZHR 157 (1993) 1, 11. 78 Ebenso Habersack § 9 Rn. 11; vgl. ferner auch Lutter FS Brandner, 1996, S. 81, 89; Neye (Fn. 73), R 125 f. 79 Vgl. Freudling, Die Umsetzung der zwölften Richtlinie des Rates der Europäischen Union auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts in den Rechtsordnungen Deutschlands und Italiens, 2001, S. 62 f.; H.-D. Schwarz IStR 1993, 23, 26 f.; Wilhelm EuZW 1993, 729, 731 ff.; i.d.S. offenbar auch Werlauff S. 114 f. 80 Vgl. auch Grundmann Rn. 311; W.-H. Roth ZIP 1992, 1054, 1055 f. 81 Vgl. auch Hirte ZIP 1992, 1122, 1123; Kindler ZHR 157 (1993) 1, 11 f.; ders. NJW 1993, 3120, 3121; Meilicke DB 1992, 1867 ff.; s. ferner auch W.-H. Roth ZIP 1992, 1054, 1055 f. 82 Vgl. dazu auch KOM(89) 193, S. 2 f.; s. ferner auch Grundmann Rn. 311.

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gen und/oder Sanktionen – auch solchen konzernrechtlicher Natur – unterworfen werden.83 22 Andererseits kommt dem Art. 2 Abs. 2 aber eben auch nur insoweit abschließender Charakter zu, als es um Sonderregelungen geht, die an die Einpersonengründung bzw. die „nachträgliche“ Entstehung einer Einpersonengesellschaft als solcher anknüpfen. Unberührt bleibt dagegen die Befugnis der Mitgliedstaaten zum Erlass von (ggf. auch konzernrechtlichen) Sonderregeln, die im Einzelfall Sanktionen an ein bestimmtes Verhalten des Alleingesellschafters oder der Einpersonengesellschaft knüpfen (vgl. auch Erwägungsgründe 4 und 5 S. 5) 84, z.B. eine Durchgriffshaftung bei Vermögensvermischung 85 oder auch die allgemeine Geschäftsführerhaftung 86.

c) Deutsches Recht und Umsetzung in anderen Mitgliedstaaten 23 Der deutsche Gesetzgeber hat von den Mitgliedstaatenoptionen des Art. 2 Abs. 2 keinen Gebrauch gemacht. Anfang der 1990er Jahre entzündete sich allerdings eine heftige Kontroverse um die Vereinbarkeit der Rechtsprechung zur Haftung im qualifiziert faktischen GmbH-Konzern87 mit den Vorgaben des Art. 288, die allerdings auf Grund der zwischenzeitlichen Aufgabe dieser Judikatur aus heutiger Sicht nur noch rechtshistorische Bedeutung hat. 24 Andere Mitgliedstaaten haben dagegen durchaus von den Optionen Gebrauch gemacht, insbesondere natürlich Belgien89 und Frankreich90 als Initiatoren der Regelung, aber etwa auch Italien91 und Polen92 (vgl. auch bereits § 12 Rn. 4). 83 Vgl. Grundmann Rn. 302, 310 f.; Habersack § 9 Rn. 12; Kindler ZHR 157 (1993) 1, 11 f.; ders. in: Verhandlungen des 59. Deutschen Juristentages, Bd. II, 1992, R 127; Meilicke DB 1992, 1867 ff.; s. ferner auch W.-H. Roth ZIP 1992, 1054, 1055 f. 84 Vgl. Grundmann Rn. 307; Habersack § 9 Rn. 12 f.; Knobbe-Keuk DB 1992, 1461, 1465; Meilicke DB 1992, 1867, 1868. 85 Vgl. Drygala ZIP 1992, 1528, 1531; Grundmann Rn. 307; Werlauff S. 115. 86 Vgl. Drygala ZIP 1992, 1528, 1531. 87 Grundlegend: BGHZ 95, 330 („Autokran“); BGHZ 107, 7 („Tiefbau“); BGHZ 115, 187 („Video“); BGH NJW 1993, 1200 („TBB“). Näher zur Entwicklung dieser Judikatur und ihrer Aufgabe: J. Schmidt, Die Evolution des deutschen Konzernrechts – 42. DJT (1957) und 59. DJT (1992) –, in: Bayer (Hrsg.), Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht in den Beratungen des Deutschen Juristentages, 2010, S. 407, 444 ff., 462 ff. m.z.w.N. 88 Für Vereinbarkeit: BGH NJW 1993, 1200, 1204 („TBB“); Habersack § 9 Rn. 14; Neye DWiR 1992, 452 ff.; ders. (Fn. 73), R 124 ff.; Schwarz IStR 1993, 23 ff.; Stodolkowitz ZIP 1992, 1517, 1527 f.; Werlauff S. 114 f.; dagegen Hirte ZIP 1992, 1122, 1123 f.; Kindler ZHR 157 (1993), 1, 20; Knobbe-Keuk DB 1992, 1461, 1465; Meilicke DB 1992, 1867 ff.; W.-H. Roth ZIP 1992, 1054 ff.; sehr kritisch auch Schüppen DB 1993, 969 ff. 89 Gem. Art. 212 Code des sociétés haftet eine natürliche Person, die Alleingesellschafter einer SPRL ist, als Bürge für die Verbindlichkeiten jeder weiteren SPRL, deren Alleingesellschafter sie wird. Gem. Art. 213(2) haftet eine juristische Person, die allein eine SPRL gründet, persönlich; eine juristische Person, die nachträglich Alleingesellschafter einer SPRL wird, haftet wie ein Bürge für die Verbindlichkeiten der SPRL, sofern nicht binnen 1 Jahres ein weiterer Gesellschafter eintritt. Art. 212bis und Art. 213(3) enthalten Sonderregelungen für die SPRL-S (zu dieser bereits § 6 Rn. 31).

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IV. Spezielle Schutznormen Zum Schutz Dritter93 etabliert die RL in Art. 3–5 eine Reihe spezieller Schutznor- 25 men.94 Damit soll den mit einer Einpersonengesellschaft verbundenen spezifischen Gefahren Rechnung getragen werden, die aus dem Fehlen einer internen wechselseitigen Kontrolle von Alleingesellschafter und Gesellschaftsorganen einerseits und dem Risiko einer Vermischung des Vermögens der Gesellschaft mit dem des Alleingesellschafters andererseits, resultieren.95 Bei den Vorgaben der Art. 3–5 handelt es sich allerdings nur um den europarecht- 26 lichen Mindeststandard;96 Erwägungsgrund 5 S. 5 stellt es den Mitgliedstaaten explizit frei, weitergehende Schutzregelungen vorzusehen, um den mit der Einpersonengesellschaft verbundenen spezifischen Gefahren zu begegnen. 1. Publizität der „nachträglichen“ Einpersonengesellschaft (Art. 3) Im Falle der originären Einpersonengründung ist durch das Erfordernis der Offen- 27 legung der Satzung bzw. des Errichtungsaktes gem. Art. 2 lit. a i.V.m. Art. 3 der 1. (Publizitäts-)RL (dazu § 19 Rn. 13 ff., 29) sichergestellt, dass der Rechtsverkehr über diese Tatsache informiert wird. Um eine entsprechende Publizität auch bei einer nachträglichen Entstehung einer Einpersonengesellschaft durch Vereinigung aller Anteile in einer Hand zu gewährleisten 97, gebietet Art. 3 in diesem Fall die Offenlegung dieser Tatsache sowie der Identität des einzigen Gesellschafters. Um eine eindeutige Identifizierung zu ermöglichen, dürfte insoweit zumindest die Angabe von Name, Vorname, Geburtsdatum und Wohnort erforderlich sein. 90 Nach Art. L223-5 C. com. kann eine SARL aufgelöst werden, wenn einziger Gesellschafter eine andere Einpersonen-SARL ist. Vgl. dazu auch bereits o. Fn. 54. 91 Gem. Art. 2462(2) Codice civile haftet der Alleingesellschafter im Falle der Zahlungsunfähigkeit einer Srl persönlich, wenn die Einlagen nicht wie in Art. 2464 vorgesehen geleistet wurden oder die in Art. 2470 vorgeschriebene öffentliche Bekanntmachung (betreffend die Entstehung einer Einpersonengesellschaft bzw. Wechsel des Alleingesellschafters) nicht vorgenommen wurde. 92 Gem. Art. 151 § 2 KSH (Fn. 34) kann eine Sp. z o.o. nicht durch eine andere EinpersonenSp. z o.o. gegründet werden. 93 Vgl. KOM(88) 101, S. 4; Schwarz Rn. 520. 94 Der erste und zweite RL-Entwurf (Fn. 12, 14) hatten in Art. 2 Abs. 1 S. 2 zusätzlich noch zwingend eine nominative Ausgestaltung der Kapitalbeteiligung gefordert, um Transparenz hinsichtlich der Identität des Alleingesellschafters zu gewährleisten (vgl. KOM(88) 101, S. 5). Da sich diese aber bereits aus der Satzung bzw. der nach Art. 3 vorgeschriebenen Offenlegung ergibt (vgl. dazu u. Rn. 27), wurde die Regelung im dritten RL-Entwurf als überflüssig gestrichen, vgl. KOM(89) 591, S. 3; Edwards S. 224. 95 Vgl. Grohmann (Fn. 30), S. 304; Grundmann Rn. 296. 96 Vgl. auch Habersack § 9 Rn. 2, 15, 21; Grundmann Rn. 296, 300; Kalss (Fn. 31), S. 119, 300; Schimmelpfennig/Hauschka NJW 1992, 942, 943; Werlauff S. 111. 97 Vgl. KOM(88) 101, S. 7; Dunn [1990] EBLR 6 f.; Eckert EuZW 1990, 54, 55; Edwards S. 226; dies. (1998) 19 Co Law 211, 214; Grundmann Rn. 297; Habersack § 9 Rn. 15; Kalss (Fn. 31), S. 119, 298.

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Hinsichtlich des Offenlegungsmodus haben die Mitgliedstaaten allerdings die Wahl zwischen einer Eintragung in das Register i.S.d. Art. 3 Abs. 1 u. 3 der 1. (Publizitäts-)RL98 (dazu § 19 Rn. 14 ff.) (eine Bekanntmachung gem. Art. 3 Abs. 5 der 1. (Publizitäts-)RL [dazu § 19 Rn. 18 ff.] ist jedoch nicht erforderlich99) und einem Vermerk in einem bei der Gesellschaft geführten und der Öffentlichkeit zugänglichen Register. Die im ursprünglichen Vorschlag noch nicht vorgesehene zweite Alternative soll den Spezifika einiger nationaler Rechtsordnungen Rechnung tragen.100 Eine Verpflichtung auch zur Angabe auf der Geschäftskorrespondenz gem. Art. 5 der 1. (Publizitäts-)RL (dazu § 19 Rn. 24 ff.) besteht dagegen nicht; eine in Art. 2a des geänderten RL-Entwurfs101 auf Wunsch des EP 102 ergänzte entsprechende Regelung wurde im dritten RL-Entwurf 103 wieder gestrichen, nachdem der Rat eingewandt hatte, dass ein solches Erfordernis zu bürokratisch und teuer sei und damit im Widerspruch zum Ziel der Mittelstandsförderung stehe und darüber hinaus auch keinerlei Schutz für die Gläubiger biete.104 29 Die Sanktionierung eines etwaigen Verstoßes gegen die Offenlegungspflicht bleibt in Ermangelung einer speziellen Vorgabe in der RL dem jeweiligen Mitgliedstaat überlassen105, der hierbei indes den Grundsatz des effet utile beachten muss106. 30 Art. 3 erforderte im deutschen Recht einige Anpassungen, da eine Offenlegung der nachträglichen Entstehung einer Einpersonengesellschaft bei der AG gar nicht, bei der GmbH gesondert nur innerhalb der ersten drei Jahre nach Gründung (§ 19 Abs. 4 S. 2 GmbHG a.F.) und dann nur noch i.R.d. damals nur einmal pro Jahr obligatorischen Einreichung der Gesellschafterliste (§ 40 GmbHG a.F.) vorgesehen war. Für die GmbH wurde durch das 12.-RL-Gesetz (Rn. 5) ein neuer § 40 Abs. 2 GmbHG ergänzt, der im Falle der nachträglichen Entstehung einer Einpersonengesellschaft eine unverzügliche Einreichung der Gesellschafterliste verlangte; der damit gegenstandslose § 19 Abs. 4 S. 2 GmbHG a.F. wurde aufgehoben.107 Auf Grund der durch das HRefG108 m.W.v. 1.1.1999 erfolgten Ausweitung der Pflicht zur unverzüg28

98 Der Verweis auf Art. 3 Abs. 1 und 2 der RL 68/151/EWG ist als Verweis auf Art. 3 Abs. 1 und 3 der kodifizierten Fassung (RL 2009/101/EG) zu lesen, vgl. Art. 16 Abs. 2 RL 2009/101/EG. 99 So auch explizit KOM(88) 101, S. 7. 100 Vgl. KOM(89) 193, S. 3. Kritisch dazu Edwards S. 224; dies. (1998) 19 Co Law 211, 214; Grohmann (Fn. 30), S. 305; Kalss (Fn. 31), S. 119, 298; Mousoulas Rev. soc. 1990, 395, 404. 101 Fn. 12. 102 Vgl. Legislative Entschließung mit der Stellungnahme des Europäischen Parlaments v. 15.3.1989 zu dem Vorschlag der Kommission an den Rat für die 12. gesellschaftsrechtliche Richtlinie betreffend Gesellschaften mit beschränkter Haftung mit einem einzigen Gesellschafter, ABlEG v. 17.4.1989, C 96/90 (Art. 3 S. 2). 103 Fn. 14. 104 Vgl. KOM(89) 591, S. 3. 105 Vgl. Grohmann (Fn. 30), S. 307; Habersack § 9 Rn. 16. 106 Vgl. Grohmann (Fn. 30), S. 307; Habersack § 9 Rn. 16. 107 Vgl. dazu BegrRegE z. 12.-RL-Gesetz, BR-Drs. 184/91, S. 8, 12. 108 Gesetz zur Neuregelung des Kaufmanns- und Firmenrechts und zur Änderung anderer handelsrechtlicher Vorschriften (Handelsrechtsreformgesetz – HRefG) v. 22.6.1998, BGBl. I, 1474.

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lichen Einreichung der Gesellschafterliste auf jegliche Änderung im Gesellschafterkreis ist die Vorgabe des Art. 3 seitdem in § 40 Abs. 1 S. 1 GmbHG mitgeregelt.109 Zugleich wurde in § 40 Abs. 2 GmbHG a.F. (seit 1.11.2009: § 40 Abs. 3 GmbHG 110) eine spezielle Haftungsregelung eingeführt; zusammen mit der Möglichkeit einer Erzwingung durch Verhängung eines Zwangsgelds (§ 14 HGB i.V.m. §§ 388 ff. FamFG111) dürfte damit dem Grundsatz des effet utile Genüge getan sein112. Für die AG wurde dagegen erst113 durch das Gesetz für kleine AG v. 2.8.1994114 der heutige § 42 AktG eingeführt, der eine unverzügliche Mitteilung über die Entstehung der Einpersonengesellschaft an das Handelsregister verlangt.115 Als spezielle Sanktion ist hier zwar nur die Erzwingung durch Zwangsgeld (§ 14 HGB i.V.m. §§ 388 ff. FamFG) vorgesehen116; daneben kommt aber ggf. eine Haftung gem. § 823 Abs. 2 BGB in Betracht117, so dass das deutsche Recht auch insoweit dem Gebot des effet utile gerecht werden dürfte. 2. Beschlussfassung in der Einpersonengesellschaft (Art. 4) a) Alleingesellschafter als „Gesellschafterversammlung“ (Art. 4 Abs. 1) Art. 4 Abs. 1 bestimmt, dass der einzige Gesellschafter die Befugnisse der Gesellschaf- 31 terversammlung ausübt. Die Regelung ist vor dem Hintergrund der in einigen nationalen Rechtsordnungen bestehenden theoretisch-dogmatischen Schwierigkeiten mit dem Konzept der Einpersonengesellschaft (vgl. o. Rn. 1) zu sehen; sie soll klarstellen, dass auch bei der Einpersonengesellschaft im Grundsatz eine Funktionentrennung von Verwaltungsorgan (Geschäftsführer) einerseits und Willensbildungsorgan (Gesellschafterversammlung) andererseits besteht 118. Die Determination der Befugnisse der Gesellschafterversammlung, speziell auch in Abgrenzung zu denjenigen der Geschäftsführung, bleibt allerdings mangels Harmonisierung den Mitgliedstaaten überlassen.119 Der erste RL-Entwurf 120 hatte nach französischem Vorbild 121 noch ein Delegationsverbot vorgesehen; dieses wurde jedoch vom EP als unnötiges Hindernis kritisiert und daher im geänderten RL-Entwurf wieder gestrichen.122 109 Vgl. Habersack § 9 Rn. 16; Schwarz Rn. 521. 110 Geändert durch das Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG) v. 23.10.2008, BGBl. I, 2026. 111 Bis 31.8.2009: §§ 132 ff. FGG. 112 Vgl. auch Habersack § 9 Rn. 16. 113 Zur Problematik der verspäteten Umsetzung bereits o. Rn. 9. 114 Fn. 25. 115 Vgl. dazu BegrRegE z. 12.-RL-Gesetz, BT-Drs. 12/6721, S. 8. 116 Vgl. Hüffer § 42 Rn. 6; Kleindiek in: K. Schmidt/Lutter, AktG, 2. Aufl. 2010, § 42 Rn. 7; Pentz in: MünchKommAktG, 3. Aufl. 2008, § 42 Rn. 28; Lutter AG 1994, 429, 435. 117 Vgl. Lutter AG 1994, 429, 435; Pentz (Fn. 116), § 42 Rn. 17. 118 Vgl. Habersack § 9 Rn. 17; Kalss (Fn. 31), S. 119, 299; Schwarz Rn. 522. 119 Vgl. KOM(88) 101, S. 4. 120 Fn. 11. 121 Vgl. Kalss (Fn. 31), S. 119, 299. 122 Vgl. KOM(89) 193, S. 4.

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b) Textliche Fixierung (Art. 4 Abs. 2) 32 Nach Art. 4 Abs. 2, der ersichtlich auf dem Vorbild des § 48 Abs. 3 GmbHG beruht, müssen die von dem Alleingesellschafter gefassten Gesellschafterbeschlüsse in eine Niederschrift (gemeint ist ein Versammlungsprotokoll 123) aufgenommen124 oder schriftlich125 abgefasst werden. Mit dem Erfordernis einer textlichen Fixierung soll mit Blick auf die fehlende verbandsinterne Kontrolle Rechtssicherheit bezüglich der Beschlusslage geschaffen und nachträglichen Manipulationen vorgebeugt werden.126 33 Die Auswirkungen der Nichteinhaltung der vorgeschriebenen Form werden durch die RL nicht harmonisiert. Die Sanktionierung bleibt vielmehr grundsätzlich dem jeweiligen Mitgliedstaat überlassen 127, der hierbei aber natürlich an das Gebot des effet utile gebunden ist128. 34 Das deutsche Recht entsprach den Vorgaben des Art. 4 Abs. 2 bereits: Der offenbar als Vorbild für die RL dienende § 48 Abs. 3 GmbHG verpflichtete bereits seit der GmbH-Novelle 1980 129 zur Aufnahme einer unterschriebenen Niederschrift. Diese ist zwar kein Wirksamkeitserfordernis130, die Protokollierungspflicht wird aber dadurch effektiviert, dass der Alleingesellschafter sich gegenüber gesellschaftsfremden Dritten zum Beweis seiner Beschlüsse grundsätzlich nur auf die Niederschrift (nicht aber auf sonstige Beweismittel) berufen kann131. Für die AG schreibt § 130 AktG für Hauptversammlungsbeschlüsse sogar generell eine (im Regelfall sogar notariell beurkundete) Niederschrift vor; Verstöße gegen § 130 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 und Abs. 4 führen hier überdies sogar zur Nichtigkeit (§ 241 Nr. 2 AktG). Damit ist dem Grundsatz des effet utile genügt.132

123 Vgl. die englische und französische Fassung („minutes“/„procès-verbal“). 124 Die im ersten RL-Entwurf noch nicht vorgesehene Alternative der Aufnahme einer Niederschrift soll die Berücksichtigung der Spezifika einiger nationaler Rechtsordnung ermöglichen, vgl. KOM(89) 193, S. 4. 125 Auch hier dürfte nur eine textliche Fixierung i.S.d. § 126b BGB, nicht Schriftform im strengen Sinn des § 126 Abs. 1 BGB gemeint sein (vgl. zur Parallelproblematik in anderen RL: § 21 Rn. 27, 42, 53; § 22 Rn. 25, 36, 44; § 23 Rn. 31, 54, 67; § 31 Rn. 38, 92). 126 Vgl. KOM(88) 101, S. 8; Grohmann (Fn. 30), S. 305, 307; Grundmann Rn. 298; Habersack § 9 Rn. 18; Kalss (Fn. 31), S. 119, 200; Mousoulas Rev. soc. 1990, 395, 404. 127 Vgl. KOM(88) 101, S. 8; Dunn [1990] EBLR 6, 7; Edwards S. 226; dies. (1998) 19 Co Law 211, 214; Habersack § 9 Rn. 18; Kalss (Fn. 31), S. 119, 300; Mousoulas Rev. soc. 1990, 395, 404. 128 Vgl. Habersack § 9 Rn. 18. 129 Fn. 23. 130 OLG Brandenburg NZG 2002, 969, 970; OLG Köln GmbHR 1993, 734, 737; Bayer (Fn. 47), § 48 Rn. 36 m.w.N. 131 Vgl. OLG Hamm NZG 2006, 430, 432; OLG Köln GmbHR 1993, 734, 737; Bayer (Fn. 47), § 48 Rn. 36 m.w.N. 132 Vgl. auch Habersack § 9 Rn. 18.

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3. Insichgeschäfte (Art. 5) Art. 5 enthält eine spezielle Schutzregelung für Insichgeschäfte zwischen dem Allein- 35 gesellschafter und der von ihm vertretenen Gesellschaft, da hier bei der Einpersonengesellschaft in besonderem Maße die Gefahr von Interessenkonflikten besteht 133. Die RL untersagt diese allerdings gleichwohl weder generell noch macht sie sie – wie noch in den RL-Entwürfen (Rn. 2) vorgesehen134 – von einer Genehmigung in der Satzung bzw. dem Errichtungsakt abhängig. Um jedoch zumindest ein Mindestmaß an Transparenz zu gewährleisten135, verlangt Art. 5 Abs. 1 grundsätzlich entweder die Aufnahme in eine Niederschrift136 oder eine schriftliche137 Abfassung. Da die RL insoweit – mit Blick auf die Ratio der Norm zu Recht – keine Einschränkung enthält, gilt dies nicht nur dann, wenn der Alleingesellschafter zugleich Alleingeschäftsführer oder zumindest einzelvertretungsberechtigter Geschäftsführer ist, sondern auch dann, wenn er den Vertrag im Wege der Gesamtvertretung zusammen mit einem Fremdgeschäftsführer abschließt138 oder wenn er die Gesellschaft in seiner Funktion als Gesellschafter vertritt139. Art. 5 Abs. 2 gestattet den Mitgliedstaaten allerdings, unter normalen Bedingun- 36 gen abgeschlossene laufende Geschäfte vom Formzwang des Abs. 1 auszunehmen, um die Gesellschaft bei Alltagsgeschäften wegen des hier typischerweise geringen Gefährdungspotentials von den Förmlichkeiten zu entlasten140. Da der Begriff der „laufenden Geschäfte“ allerdings weder in der RL selbst noch in den Materialien näher konturiert wird141, stellt sich auch hier – wie bei Art. 11 Abs. 2 der 2. (Kapital-) RL (dazu § 20 Rn. 64) – die Frage, ob damit lediglich alltägliche Geschäfte erfasst sein sollen (wofür jedenfalls die Ratio der Norm sprechen würde) oder (entsprechend §§ 116, 164 HGB) alle Geschäfte, die mit einem bestimmten Unternehmenstyp verbunden sind142. Mit dem Erfordernis des Abschlusses „unter normalen Bedingungen“ dürfte mit Blick auf die Ratio der Norm gemeint sein, dass das Geschäft einem Drittvergleich standhalten muss („at arm’s length“).143

133 Vgl. KOM(88) 101, S. 8; Edwards S. 227; dies. (1998) 19 Co Law 211, 214; Habersack § 9 Rn. 19; Kalss (Fn. 31), S. 119, 302. 134 Kritisch dazu Stellungnahme Bundesrat, BR-Drs. 303/88(B), S. 3. 135 Vgl. KOM(88) 101, S. 8; Habersack § 9 Rn. 20. 136 Siehe dazu Fn. 124. 137 Hinsichtlich der „Schriftform“ gilt hier dasselbe wie bei Art. 4, s. dazu Fn. 125. 138 Vgl. BegrRegE z. 12.-RL-Gesetz, BR-Drs. 184/91, S. 9; Kalss (Fn. 31), S. 119, 302. Die deutsche Umsetzungsvorschrift des § 35 Abs. 3 S. 2 GmbHG (dazu u. Rn. 38) stellt dies explizit klar. 139 Vgl. BegrRegE z. 12.-RL-Gesetz, BR-Drs. 184/91, S. 9; Grohmann (Fn. 30), S. 306; Kalss (Fn. 31), S. 119, 302. 140 Vgl. auch Grohmann (Fn. 30), S. 305; Kalss (Fn. 31), S. 119, 303. 141 Kritisch dazu Dunn [1990] EBLR 6, 7. 142 I.d.S. offenbar Brändel FS Kellermann, 1991, S. 15, 21; Grundmann Rn. 299 Fn. 24; Kalss (Fn. 31), S. 119, 303. 143 Vgl. Grundmann Rn. 299.

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Die Sanktionierung etwaiger Verstöße überlässt die RL – ebenso wie bei Art. 4 Abs. 2 (dazu o. Rn. 33) – dem jeweiligen nationalen Recht 144, das aber freilich auch insoweit dem Gebot des effet utile genügen muss145. 38 Der deutsche Gesetzgeber ergänzte zur Umsetzung der Vorgaben des Art. 5 Abs. 1 die Regelung des § 35 Abs. 4 S. 2 GmbHG (seit 1.11.2008: § 35 Abs. 3 S. 2 GmbHG), die tatbestandsmäßig sogar über den Mindeststandard der RL (vgl. o. Rn. 26) hinausgeht.146 Denn das dort normierte Erfordernis der Niederschrift gilt nicht nur für Verträge, sondern auch für einseitige Rechtsgeschäfte;147 zudem muss die Aufnahme der Niederschrift unverzüglich erfolgen148. Von der Option des Art. 5 Abs. 2 wurde nicht Gebrauch gemacht, weil man wegen der unbestimmten Rechtsbegriffe eine zu große Rechtsunsicherheit befürchtete.149 Zudem hat der Gesetzgeber auch von einer speziellen Sanktionsregelung bewusst abgesehen150 und die Dokumentation insbesondere auch nicht als Wirksamkeitserfordernis ausgestaltet 151. Ihr Fehlen kann jedoch – ebenso wie bei § 48 Abs. 3 GmbHG (dazu o. Rn. 34) – Beweislastnachteile für den Geschäftsführer haben152 und darüber hinaus auch Schadensersatzansprüche begründen (gem. § 43 Abs. 2 GmbHG 153 oder ggf. auch i.V.m. § 823 Abs. 2 BGB 154). Dem Gebot des effet utile dürfte somit Genüge getan sein.155 Für die AG war eine Umsetzung nicht erforderlich, da Insichgeschäfte von Vorstandsmitgliedern wegen § 112 i.V.m. § 105 AktG von vornherein nicht möglich sind.156 37

144 Vgl. Brändel FS Kellermann, 1991, S. 15, 22; Edwards S. 227; dies. (1998) 19 Co Law 211, 214; Grohmann (Fn. 30), S. 307; Kalss (Fn. 31), S. 119, 302; Werlauff S. 112. 145 Vgl. Grohmann (Fn. 30), S. 307; Habersack § 9 Rn. 21. 146 Vgl. auch BegrRegE z. 12.-RL-Gesetz, BR-Drs. 184/91, S. 9 f.; Altmeppen in: Roth/Altmeppen, GmbHG, 6. Aufl. 2009, § 35 Rn. 91; Habersack § 9 Rn. 21; Schimmelpfennig/Hauschka NJW 1992, 942, 944. 147 Vgl. BegrRegE z. 12.-RL-Gesetz, BR-Drs. 184/91, S. 9; Altmeppen (Fn. 146), § 35 Rn. 91; Habersack § 9 Rn. 21; Schimmelpfennig/Hauschka NJW 1992, 942, 944. 148 Vgl. BegrRegE z. 12.-RL-Gesetz, BR-Drs. 184/91, S. 10; Altmeppen (Fn. 146), § 35 Rn. 91; Habersack § 9 Rn. 21; Schimmelpfennig/Hauschka NJW 1992, 942, 944. 149 Vgl. BegrRegE z. 12.-RL-Gesetz, BR-Drs. 184/91, S. 10 f. 150 Vgl. BegrRegE z. 12.-RL-Gesetz, BR-Drs. 184/91, S. 11 f. 151 Vgl. BegrRegE z. 12.-RL-Gesetz, BR-Drs. 184/91, S. 11; Kleindiek in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 17. Aufl. 2009, § 35 Rn. 57; U. H. Schneider in: Scholz, GmbHG, 10. Aufl. 2007, § 35 Rn. 131d; Zöllner/Noack in: Baumbauch/Hueck, GmbHG, 19. Aufl. 2010, § 35 Rn. 143. 152 Vgl. OLG Celle NotBZ 2008, 32; FG Hamburg EFG 2007, 1654, 1656; Altmeppen (Fn. 146), § 35 Rn. 92; U. H. Schneider (Fn. 151), § 35 Rn. 131d; Zöllner/Noack (Fn. 151), § 35 Rn. 143. 153 Vgl. BegrRegE z. 12.-RL-Gesetz, BR-Drs. 184/91, S. 11; U. H. Schneider (Fn. 151), § 35 Rn. 131d; H.-D. Schwarz DStR 1992, 221, 222. 154 Vgl. Habersack § 9 Rn. 21; Zöllner/Noack (Fn. 151), § 35 Rn. 143; offen lassend U. H. Schneider (Fn. 151), § 35 Rn. 131d. 155 Vgl. auch Habersack § 9 Rn. 21; H.-D. Schwarz DStR 1992, 221, 222. 156 Vgl. BegrRegE z. Gesetz für kleine AG, BT-Drs. 12/6721, S. 8; Habersack § 9 Rn. 5 Fn. 16; Lutter AG 1994, 429, 435.

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V. Fundstellenverzeichnis Grundlage:

Art. 50 Abs. 2 lit. g AEU [G Art. 44 Abs. 2 lit. g EG G Art. 54 Abs. 3 lit. g EWG]

Vorschläge:

Vorschlag für die 12. Gesellschaftsrechtliche Richtlinie des Rates betreffend Gesellschaften mit beschränkter Haftung mit einem einzigen Gesellschafter, 18.5.1988, KOM(88) 101 = BT-Drs. 11/2766 Geänderter Vorschlag für die 12. Gesellschaftsrechtliche Richtlinie des Rates betreffend Gesellschaften mit beschränkter Haftung mit einem einzigen Gesellschafter, 24.5.1989, KOM(89) 193 = ABlEG v. 20.6.1989, C 152/10 Nochmals geprüfter Vorschlag für die 12. Gesellschaftsrechtliche Richtlinie des Rates betreffend Gesellschaften mit beschränkter Haftung mit einem einzigen Gesellschafter, 29.11. 1989, KOM(89) 591 = ABlEG v. 8.2.1990, C 30/91

verabschiedete Fassung:

Zwölfte RL 89/667/EWG des Rates v. 21.12.1989 auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts betreffend Gesellschaften mit beschränkter Haftung mit einem einzigen Gesellschafter, ABlEG v. 30.12.1989, L 395/40

geändert durch:

Beitrittsakte von 1994, Anhang I Kapital XI Abschnitt A, ABlEG v. 29.8.1994, C 241/194 (Finnland, Österreich und Schweden) Beitrittsakte von 2003, Anhang II Kapitel 4 Abschnitt A, ABlEU v. 23.9.2003, L 236/338 (Estland, Lettland, Litauen, Malta, Polen, Slowakei, Slowenien, Tschechien, Ungarn, Zypern) RL 2006/99/EG des Rates v. 20.11.2006 zur Anpassung bestimmter Richtlinien im Bereich Gesellschaftsrecht anlässlich des Beitritts Bulgariens und Rumäniens, ABlEU v. 20.12.2006, L 363/137

kodifizierte Fassung:

RL 2009/102/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 16.9.2009 auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts betreffend Gesellschaften mit beschränkter Haftung mit einem einzigen Gesellschafter, ABlEU v. 1.10.2009, L 258/20

Umsetzung in Deutschland: GmbH

Gesetz zur Durchführung der Zwölften Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaften auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts betreffend Gesellschaften mit beschränkter Haftung mit einem einzigen Gesellschafter v. 18.12.1991, BGBl. I, 2206

AG

Gesetz für kleine Aktiengesellschaften und zur Deregulierung des Aktienrechts v. 2.8.1994, BGBl. I, 1961

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RICHTLINIE 2009/102/EG DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES vom 16. September 2009 auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts betreffend Gesellschaften mit beschränkter Haftung mit einem einzigen Gesellschafter (kodifizierte Fassung)

DAS EUROPÄISCHEPARLAMENT UND DER RAT DER EUROPÄISCHEN UNION – gestützt auf den Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, insbesondere auf Artikel 44, auf Vorschlag der Kommission, nach Stellungnahme des Europäischen Wirtschaftsund Sozialausschusses(1), gemäß dem Verfahren des Artikels 251 des Vertrags(2), in Erwägung nachstehender Gründe: (1) Die zwölfte Richtlinie 89/667/EWG des Rates vom 21. Dezember 1989 auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts betreffend Gesellschaften mit beschränkter Haftung mit einem einzigen Gesellschafter(3) wurde mehrfach und erheblich geändert(4). Aus Gründen der Klarheit und der Übersichtlichkeit Klarheit empfiehlt es sich, die genannte Richtlinie zu kodifizieren. (2) Es erweist sich als notwendig, einige der Garantien, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Sinne von Artikel 48 Absatz 2 des Vertrags im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter vorgeschrieben sind, zu koordinieren, um in der ganzen Gemeinschaft eine Äquivalenz herzustellen. (3) Auf diesemGebiet gelten die Erste Richtlinie 68/151/EWG des Rates vom 9. März 1968 zur Koordinierung der Schutzbestimmungen, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Sinne des Artikels 58 Absatz 2 des Vertrags im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter vorgeschrieben sind, um diese Bestimmungen gleichwertig zu gestalten(5), die Vierte Richtlinie 78/660/EWG des Rates vom 25. Juli 1978 aufgrund von Artikel 54 Absatz 3 Buchstabe g des Vertrags über den Jahresabschluss von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen(6) sowie die Siebente Richtlinie 83/349/EWG (1) ABl. C 77 vom 31.3.2009, S. 42. (2) Stellungnahme des Europäischen Parlaments vom 18. November 2008 (noch nicht im Amtsblatt veröffentlicht) und Beschluss des Rates vom 13. Juli 2009. 3 ( ) ABl. L 395 vom 30.12.1989, S. 40. (4) Siehe Anhang II Teil A. (5) ABl. L 65 vom 14.3.1968, S. 8. (6) ABl. L 222 vom 14.8.1978, S. 11.

des Rates vom 13. Juni 1983 aufgrund von Artikel 54 Absatz 3 Buchstabe g des Vertrags über den konsolidierten Abschluss(7) in Bezug auf die Offenlegung, die Gültigkeit von Verbindlichkeiten bzw. die Nichtigkeit der Gesellschaft sowie den Jahresabschluss und den konsolidierten Abschluss für sämtliche Kapitalgesellschaften. Die Zweite Richtlinie 77/91/EWG des Rates vom 13. Dezember 1976 zur Koordinierung der Schutzbestimmungen, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Sinne des Artikels 58 Absatz 2 des Vertrags im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter für die Gründung der Aktiengesellschaft sowie für die Erhaltung und Änderung ihres Kapitals vorgeschrieben sind, um diese Bestimmungen gleichwertig zu gestalten(8), die Dritte Richtlinie 78/855/EWG des Rates vom 9. Oktober 1978 gemäß Artikel 54 Absatz 3 Buchstabe g des Vertrags betreffend die Verschmelzung von Aktiengesellschaften(9) sowie die Sechste Richtlinie 82/891/EWG des Rates vom 17. Dezember 1982 gemäß Artikel 54 Absatz 3 Buchstabe g des Vertrags betreffend die Spaltung von Aktiengesellschaften(10) in Bezug auf die Errichtung bzw. das Kapital sowie Fusionen und Spaltungen haben dagegen nur für Aktiengesellschaften Gültigkeit. (4) Es ist notwendig, den Einzelunternehmern in der gesamten Gemeinschaft das rechtliche Instrument einer Gesellschaft mit Haftungsbeschränkung zu bieten, unbeschadet der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten, die diesem Einzelunternehmer in Ausnahmefällen eine Haftung für die Verpflichtungen des Unternehmens auferlegen. (5) Eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung kann bei ihrer Gründung mit einem einzigen Gesellschafter errichtet werden oder entstehen, wenn alle Geschäftsanteile in einer einzigen Hand vereinigt werden. Bis zu einer Koordinierung der einzelstaatlichen Vorschriften für das Konzernrecht können die Mitgliedstaaten besondere Bestimmungen oder Sanktionen vorsehen, sofern eine natürliche Person einziger Gesellschafter mehrerer Gesellschaften oder eine Einpersonengesellschaft oder eine andere juristische Person einziger Ge-

(7) (8) (9) (10)

ABl. L 193 vom 18.7.1983, S. 1. ABl. L 26 vom 31.1.1977, S. 1. ABl. L 295 vom 20.10.1978, S. 36. ABl. L 378 vom 31.12.1982, S. 47.

Die Einpersonengesellschaftsrichtlinie (12. Richtlinie) sellschafter einer Gesellschaft ist. Das einzige Ziel dieser Möglichkeit ist die Berücksichtigung von Besonderheiten, die in bestimmten nationalen Rechtsvorschriften bestehen. Zu diesem Zweck können die Mitgliedstaaten in spezifischen Fällen Einschränkungen beim Zugang zur Einpersonengesellschaft oder eine unbeschränkte Haftung des einzigen Gesellschafters vorsehen. Es steht den Mitgliedstaaten frei, Regeln aufzustellen, um den möglichen Gefahren aus der Tatsache, dass es bei Einpersonengesellschaften lediglich einen einzigen Gesellschafter gibt, zu begegnen, und insbesondere um die Einzahlung des gezeichneten Kapitals sicherzustellen. (6) Die Vereinigung aller Anteile in einer Hand sowie die Identität des Gesellschafters sollten Gegenstand der Offenlegung in einem für jedermann zugänglichen Register sein. (7) Es ist notwendig, die Beschlüsse des einzigen Gesellschafters in seiner Eigenschaft als Gesellschafterversammlung schriftlich niederzulegen. (8) Die schriftliche Festlegung sollte ebenfalls für vertragliche Vereinbarungen zwischen dem einzigen Gesellschafter und der von ihm vertretenen Gesellschaft vorgeschrieben werden, sofern diese vertraglichen Vereinbarungen nicht die unter normalen Bedingungen abgeschlossenen laufenden Geschäfte betreffen.

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Artikel 3 Wird die Gesellschaft durch die Vereinigung aller Anteile in einer Hand zur Einpersonengesellschaft, so muss diese Tatsache sowie die Identität des einzigen Gesellschafters entweder in der Akte hinterlegt beziehungsweise in das in Artikel 3 Absätze 1 und 2 der Richtlinie 68/151/EWG genannte Register eingetragen oder in einem Register vermerkt werden, das bei der Gesellschaft geführt wird und der Öffentlichkeit zugänglich ist.

Artikel 4 (1) Der einzige Gesellschafter übt die Befugnisse der Gesellschafterversammlung aus. (2) Die Beschlüsse, die von dem einzigen Gesellschafter im Rahmen von Absatz 1 gefasst werden, sind in eine Niederschrift aufzunehmen oder schriftlich abzufassen.

Artikel 5 (1) Verträge, die zwischen dem einzigen Gesellschafter und der von ihm vertretenen Gesellschaft abgeschlossen werden, sind in eine Niederschrift aufzunehmen oder schriftlich abzufassen.

(9) Diese Richtlinie sollte die Verpflichtungen der Mitgliedstaaten hinsichtlich der in Anhang II Teil B genannten Fristen für die Umsetzung der dort genannten Richtlinien in innerstaatliches Recht und für die Anwendung dieser Richtlinien unberührt lassen –

(2) Die Mitgliedstaaten brauchen Absatz 1 auf die unter normalen Bedingungen abgeschlossenen laufenden Geschäfte nicht anzuwenden.

HABEN FOLGENDE RICHTLINIE ERLASSEN:

Lässt ein Mitgliedstaat die Einpersonengesellschaft im Sinne von Artikel 2 Absatz 1 auch für Aktiengesellschaften zu, so gilt diese Richtlinie.

Artikel 1 Die durch diese Richtlinie vorgeschriebenen Koordinierungsmaßnahmen gelten für die Rechtsund Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten für die in Anhang I genannten Rechtsformen von Gesellschaften. Artikel 2 (1) Die Gesellschaft kann bei ihrer Errichtung sowie infolge der Vereinigung aller Gesellschaftsanteile in einer einzigen Hand einen einzigen Gesellschafter haben (Einpersonengesellschaft). (2) Bis zur Koordinierung der einzelstaatlichen Vorschriften für das Konzernrecht können die Gesetze der Mitgliedstaaten besondere Bestimmungen oder Sanktionen vorsehen, sofern a) eine natürliche Person einziger Gesellschafter von mehreren Gesellschaften ist oder b) eine Einpersonengesellschaft oder eine andere juristische Person einziger Gesellschafter einer Gesellschaft ist.

Artikel 6

Artikel 7 Ein Mitgliedstaat braucht die Einpersonengesellschaft nicht zu gestatten, wenn sein innerstaatliches Recht dem Einzelunternehmer die Errichtung eines Unternehmens ermöglicht, dessen Haftung auf ein Vermögen beschränkt ist, das für eine bestimmte Tätigkeit eingesetzt wird, sofern in Bezug auf diese Unternehmen Schutzbestimmungen vorgesehen sind, die denjenigen der vorliegenden Richtlinie sowie den übrigen auf die in Artikel 1 bezeichneten Gesellschaften anwendbaren Gemeinschaftsvorschriften gleichwertig sind.

Artikel 8 Die Mitgliedstaaten teilen der Kommission den Wortlaut der wichtigsten Bestimmungen des innerstaatlichen Rechts mit, die sie auf dem unter diese Richtlinie fallenden Gebiet erlassen.

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Gesellschaftsrechtliche Richtlinien Artikel 9

Artikel 10

Die Richtlinie 89/667/EWG, in der Fassung der in Anhang II Teil A aufgeführten Rechtsakte, wird unbeschadet der Verpflichtungen der Mitgliedstaaten hinsichtlich der in Anhang II Teil B genannten Fristen für die Umsetzung der dort genannten Richtlinien in innerstaatliches Recht und für die Anwendung dieser Richtlinien aufgehoben.

Diese Richtlinie tritt am zwanzigsten Tag nach ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union in Kraft.

Verweisungen auf die aufgehobene Richtlinie gelten als Verweisungen auf die vorliegende Richtlinie und sind nach Maßgabe der Entsprechungstabelle in Anhang III zu lesen.

Diese Richtlinie ist an die Mitgliedstaaten gerichtet.

Artikel 11

ANHANG I Rechtsformen von Gesellschaften gemäß Artikel 1

– Belgien: Société privée à responsabilité limitée/Besloten vennootschap met beperkte aansprakelijkheid; – Bulgarien:

druøestvo, s ogranihena otgovornost, akcionerno druøestvo; – Tschechische Republik: spolecˇ nost s rucˇením omezeny´m; – Dänemark: Anpartsselskaber; – Deutschland: Gesellschaft mit beschränkter Haftung;

– Zypern: idiwtikä etaireía periorisménhß euqúnhß me metocéß ä me eggúhsh; – Lettland: Sabiedrı¯ ba ar ierobezˇotu atbildı¯ bu; – Litauen: Uzˇdaroji akcine˙ bendrove˙; – Luxemburg: Société à responsabilité limitée; – Ungarn: Korlátolt felelo˝sségu˝ társaság részvénytársaság;

– Estland: Aktsiaselts, osaühing; – Irland: Private company limited by shares or by guarantee; – Griechenland:

– Malta: Kumpannija privata/Private limited liability company; – Niederlande: Besloten vennootschap met beperkte aansprakelijkheid;

Etaireía periorisménhß euqúnhß; – Österreich: – Spanien: Sociedad de responsabilidad limitada; – Frankreich: Société à responsabilité limitée; – Italien: Società a responsabilità limitata;

Aktiengesellschaft, Gesellschaft mit beschränkter Haftung; – Polen: Spól/ ka z ograniczona˛ odpowiedzialnos´cia˛; – Portugal: Sociedade por quotas;

Die Einpersonengesellschaftsrichtlinie (12. Richtlinie) – Rumänien:

– Finnland: osakeyhtiö/aktiebolag;

societate cu ra˘spundere limitata˘;

– Schweden:

– Slowenien:

aktiebolag;

Druzˇba z omejeno odgovornostjo;

– Vereinigtes Königreich:

– Slowakei:

Private company limited by shares or by guarantee.

Spolocˇnost’ s rucˇením obmedzeny´m;

–––––––––

ANHANG II

TEIL A Aufgehobene Richtlinie mit ihren nachfolgenden Änderungen (gemäß Artikel 9)

Richtlinie 89/667/EWG des Rates (ABl. L 395 vom 30.12.1989, S. 40) Beitrittsakte von 1994, Anhang I Kapitel XI Abschnitt A (ABl. C 241 vom 29.8.1994, S. 194) Beitrittsakte von 2003, Anhang II Kapitel 4 Abschnitt A (ABl. L 236 vom 23.9.2003, S. 338) Richtlinie 2006/99/EG des Rates (ABl. L 363 vom 20.12.2006, S. 137)

Nur Abschnitt A Nummer 4 des Anhangs

TEIL B Fristen für die Umsetzung in innerstaatliches Recht und für die Anwendung (gemäß Artikel 9)

Richtlinie

Frist für die Umsetzung

Datum der Anwendung

89/667/EWG

31. Dezember 1991

Für Gesellschaften, die am 1. Januar 1992 bereits bestehen: spätestens 1. Januar 1993

2006/99/EG

1. Januar 2007

959

960

Gesellschaftsrechtliche Richtlinien ANHANG III

ENTSPRECHUNGSTABELLE

Richtlinie 89/667/EWG Artikel 1 Eingangssatz

Vorliegende Richtlinie Artikel 1

Artikel 1 erster bis siebenundzwanzigster Gedankenstrich

Anhang I

Artikel 2 bis 7

Artikel 2 bis 7

Artikel 8 Absatz 1



Artikel 8 Absatz 2



Artikel 8 Absatz 3

Artikel 8



Artikel 9



Artikel 10

Artikel 9

Artikel 11



Anhang I



Anhang II



Anhang III

Die Übernahmerichtlinie (13. Richtlinie)

961

§ 30 Die Übernahmerichtlinie (13. Richtlinie) RL 2004/25/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 21.4.2004 betreffend Übernahmeangebote, ABlEU v. 30.4.2004, L 142/12 Literatur: Andenas, Mads, European Takeover Directive and the City, (1997) 18 Co Law 101; ders., European Takeover Regulation and the City Code, (1996) 17 Co Law 150; ders., Future of the Take-Over Directive, (1993) 14 Co Law 113; Assmann, Heinz-Dieter/Basaldua, Nathalie/ Bozenhardt, Friedrich/Peltzer, Martin (Hrsg.), Übernahmeangebote, 1990; Bartman, Steef M., Analysis and consequences of the EC Directive on takeover bids, (2004) 1 ECL 5; Baums, Theodor, Low Balling, Creeping in und deutsches Übernahmerecht, ZIP 2010, 2374; ders., Übernahmeregeln in der Europäischen Gemeinschaft, ZIP 1989, 1376; Bayer, Walter, Vorsorgeund präventive Abwehrmaßnahmen gegen feindliche Übernahmen, ZGR 2002, 588; Behrens, Peter, Rechtspolitische Grundsatzfragen einer Europäischen Regelung für Übernahmeangebote, ZGR1975, 433; Berger, Klaus Peter, Unternehmensübernahmen in Europa, ZIP 1991, 1644; Bernitz, Ulf, The attack on the Nordic multiple voting rights model: the legal limits under EU law, [2004] EBLR 1423; Bess, Jürgen, Eine europäische Regelung für Übernahmeangebote, AG 1976, 169 u. 206; Bittner, Claudia, Die EG-Übernahmerichtlinie aus englischer Sicht, RIW 1992, 182; Clarke, Blanaid, Articles 9 and 11 of the Takeover Directive (2004/25) and the market for corporate control, [2006] JBL 355; dies., Reinforcing the market for corporate control, [2011] EBLR 517; dies., Takeover regulation through the regulatory looking glass, (2007) 8 GLJ 381; Clausen, Nils Jul/Sørensen, Karsten Engsig, The 2003 proposal for a directive on takeover bids – impact on the regulation in Scandinavia, (2003) 45 Scan. Stud. 89; Dauner-Lieb, Barbara/ Lamandini, Marco, Der neue Kommissionsvorschlag einer EU-Übernahmerichtlinie – Stellungnahme der Gutachter des EU-Parlaments, BB 2003, 265; Davies, Paul/Schuster, EdmundPhilipp/van de Walle de Ghelcke, Emilie, The Takeover Directive as a protectionist tool?, ECGI Working Paper n° 141/2010; De Wulf, Hans, European Union: Markets – Takeovers, (2004) 15 ICCLR N83; Dieckmann, Hans, Änderungen im Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz anlässlich der Umsetzung der EU-Übernahmerichtlinie in das deutsche Recht, NJW 2007, 17; Dine, Janet, The new Thirteenth Directive: subsidiarity, Datafin and the DTI, (1996) 17 Co Law 248; Donath, Roland, On the way to US-style hostile tender offers in Germany? – The European attempt to harmonize the takeover law and its impact on German company law, (1994) 1 Ann. Surv. Int’l & Comp. L. 91; Edwards, Vanessa, The directive on takeover bids – not worth the paper it’s written on?, ECFR 2004, 416; Elofson, John, Lie back and think of Europe: American reflections on the EU takeover directive, (2004) 22 Wis. Int’l L. J. 523; Enriques, Luca, European takeover law: the case for a neutral approach, in: Grundmann, Stefan u.a. (Hrsg.), Festschrift für Klaus J. Hopt zum 70. Geburtstag am 24. August 2010, 2010, S. 1789; ders., The mandatory bid rule in the Takeover Directive: harmonization without foundation?, ECFR 2004, 440; Ferrarini, Guido/Miller, Geoffrey P., A simple theory of takeover regulation in the United States and Europe, (2009) 42 Cornell Int’l L. J. 301; Gatti, Matteo, Optionality arrangements and reciprocity in the European Takeover Directive, (2005) 6 EBOR 553; Glade, Achim/Haak, Andreas M./Hellich, Peter, Die Umsetzung der Übernahmerichtlinie in das deutsche Recht, Konzern 2004, 455 u. 515; Grundmann, Stefan, Die rechtliche Verfassung des Marktes für Unternehmenskontrolle nach Verabschiedung der ÜbernahmeRichtlinie, NZG 2005, 122; Grunewald, Barbara, Der geänderte Vorschlag einer 13. EGRichtlinie betreffend Übernahmeangebote, WM 1991, 1361; dies., Die Vereinbarkeit der Angemessenheitsvermutung von § 39a III 3 WpÜG mit höherrangigem Recht, NZG 2009, 332; dies., Europäisierung des Übernahmerechts, AG 2001, 288; dies., Was bringt der Vorschlag einer 13. EG-Richtlinie über Übernahmeangebote für das deutsche Recht?, WM 1989, 1233; Habersack, Mathias/Mayer, Christian, Der neue Vorschlag 1997 einer Takeover-Richtlinie – Überlegungen zur Umsetzung in das nationale Recht, ZIP 1997, 2141; Hansen, Jesper Lau, The mandatory bid rule. The rise to prominence of a misconception, (2004) 45 Scan. Stud.

962

Gesellschaftsrechtliche Richtlinien

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Die Übernahmerichtlinie (13. Richtlinie)

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964

Gesellschaftsrechtliche Richtlinien

tic Perspective, ECFR 2007, 434; Santelmann, Matthias, Keine Unternehmensbewertung bei übernahmerechtlichem Squeeze out bei Eingreifen der Angemessenheitsvermutung, BB 2009, 1356; Schanz, Kay-Michael, Verteidigungsmechanismen gegen feindliche Übernahmen nach Umsetzung der Übernahmerichtlinie im deutschen Recht, NZG 2007, 927; Schüppen, Matthias, WpÜG-Reform: Alles Europa, oder was?, BB 2006, 165; Seibt, Christoph H./Heiser, Kristian J., Analyse der EU-Übernahmerichtlinie und Hinweise für eine Reform des deutschen Übernahmerechts, ZGR 2005, 200; dies., Analyse des Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetzes (Regierungsentwurf), AG 2006, 301; dies., Der neue Vorschlag einer EU-Übernahmerichtlinie und das deutsche Übernahmerecht, ZIP 2002, 2193; Siems, Mathias M., The rules on conflict of laws in the European takeover directive, ECFR 2004, 458; Simon, Joëlle, Adoption of the European Directive on takeover bids: an on-again, off-again story, in: Tison, Michael (ed.), Perspectives in company law and financial regulation: essays in honours of Eddy Wymeersch, Cambridge 2009, S. 345; Simon, Stefan, Entwicklungen im WpÜG, Konzern 2006, 12; Sjåfjell, Beate, The core of corporate governance: implications of the takeover directive for corporate governance in Europe, [2011] EBLR 641; dies., The Golden Mean or a Dead End? The Takeover Directive in a Shareholder versus Stakeholder Perspective, in: Bartman, Steef M. (ed.), European Company Law in Accelerated Progress, 2006, S. 107; Skøg, Rolf, The Takeover Directive – an endless saga?, [2002] EBLR 301; ders., The Takeover Directive, the „breakthrough“ rule and the Swedish system of dual class common stock, [2004] EBLR 1439; Van Alstine, Michael P., Die EG-Übernahme-Richtlinie im Lichte der Erfahrungen in den USA, EWS 1993, 8; Van Kann, Jürgen/Just, Clemens, Der Regierungsentwurf zur Umsetzung der europäischen Übernahmerichtlinie, DStR 2006, 328; Ventozurro, Marco, Europe’s thirteenth directive and U.S. takeover regulation: regulatory means and political and economics ends, (2006) 41 Tex. Int’ L. J. 171; Weber, Martin, Der Geänderte Vorschlag der Kommission für eine Takeover-Richtlinie vom 10.11.1997, EuZW 1998, 464; Werdmüller, Peter, Compatibility of the EU takeover bid directive reciprocity rule with the EU free movement rules, BLR 2006, 64; Wiesner, Peter M., Die neue Übernahmerichtlinie und die Folgen, ZIP 2004, 343; Winter, Jaap, We all want to go to heaven but nobody wants to die, (2004) 1 ECL 4; Wolf, Martin, Konzerneingangsschutz bei Übernahmeangeboten. Neuere Entwicklungen zu Verteidigungsmaßnahmen im Spannungsfeld zum EU-Richtlinienvorschlag, AG 1998, 212; Wooldridge, Frank, The Implementation of the Takeovers Directive in Germany, [2008] EBLR 811; ders., The recent directive on takeover bids, [2004] EBLR 147; Zimmer, Daniel, Aufsicht bei grenzüberschreitenden Übernahmen, ZGR 2002, 731.

Rechtsprechung: EuGH: EuGH v. 15.10.2009, Audiolux, Rs. C-101/08, Slg. 2009, I-9823 EFTA-Gerichtshof EFTA-Gerichtshof v. 10.12.2010, Periscopus AS ./. Oslo Børs ASA; Erika Must AS, Rs. E-1/10, ZIP 2011, 332 Deutsche Gerichte: LG Frankfurt v. 5.8.2008 – 3-5 O 15/08, NZG 2008, 665 OLG Frankfurt v. 9.12.2008 – WpÜG 2/08, ZIP 2009, 74 LG Frankfurt v. 13.3.2009 – 3-5 O 328/08, ZIP 2009, 1422 OLG Stuttgart v. 5.5.2009 – 20 W 13/08, ZIP 2009, 1059 OLG Celle v. 25.3.2010 – 9 W 17/10, ZIP 2010, 830

I. Überblick 1 Die Überlegungen zur Harmonisierung der Regeln für Übernahmeangebote reichen bis Anfang der 1970er Jahre zurück. Nachdem das UK in Form des City Code on Takeovers and Mergers (Takeover Code) bereits 1968 eine Regelung geschaffen

Die Übernahmerichtlinie (13. Richtlinie)

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hatte 1 und Übernahmeangebote auch in anderen Mitgliedstaaten zunehmende Bedeutung erlangt hatten 2, beauftragte die Kommission den britischen Gesellschaftsrechtsexperten Robert R. Pennington mit der Erstellung eines Berichts, den dieser 1974 zusammen mit einem ersten RL-Entwurf vorlegte 3. Dieser RL-Entwurf wurde allerdings von vielen Mitgliedstaaten als zu detailliert und zu sehr vom City Code geprägt kritisiert; zudem sahen viele auch generell kein Bedürfnis für eine Rechtsangleichung, so dass die Beratungen Anfang 1978 ergebnislos eingestellt wurden.4 Die Desiderate der Schaffung von Transparenz und eines Pflichtangebots wurden aber immerhin in Ziff. 17 der – freilich nicht bindenden – Kommissionsempfehlung v. 25.7.1977 betreffend europäische Wohlverhaltensregeln für Wertpapiertransaktionen 5 aufgenommen. 1985 kündigte die Kommission dann jedoch in ihrem Weißbuch „Vollendung des 2 Binnenmarktes“ an, das Projekt wieder aufgreifen zu wollen.6 Sie legte 1987 einen Vorentwurf 7 und 1989 einen offiziellen Vorschlag 8 vor, auf den nach Kritik von EWSA9 und EP 10 1990 ein geänderter Vorschlag 11 folgte.12 Auch dieser stieß jedoch auf mas-

1 Ausf. zur Entstehung: Johnston (2007) 66 CLJ 422 ff.; Roßkopf, Selbstregulierung von Übernahmeangeboten in Großbritannien, 2000, S. 86 ff. (jeweils m.z.w.N.). 2 Vgl. Behrens ZGR 1975, 433, 434 f. (mit Überblick über die Ende der 1960er/Anfang der 1970er Jahre aufkommenden ersten nationalen Regelungen); Beß AG 1976, 169, 170 (mit Nachweisen zu Übernahmefällen in Deutschland). 3 Report on Takeover and Other Bids by Prof. Robert R. Pennington, Dok. XI/56/74 – E. Dazu Behrens ZGR 1975, 433 ff.; Bess AG 1976, 169 ff., 206 ff. 4 Vgl. Basaldua in: Assmann/Basaldua/Bozenhardt/Peltzer, Übernahmeangebote, 1990, S. 157, 158; Roßkopf (Fn. 1), S. 267. 5 Empfehlung 77/534/EWG der Kommission v. 25.7.1977 betreffend europäische Wohlverhaltensregeln für Wertpapiertransaktionen, ABlEG v. 20.8.1977, L 212/37. 6 Vollendung des Binnenmarktes. Weißbuch der Kommission an den Europäischen Rat, 28./29.6.1985, KOM(85) 310, Ziff. 139. 7 Dok. XV/63/87. 8 Vorschlag für eine dreizehnte Richtlinie des Rates auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts über Übernahmeangebote, 16.2.1989, KOM(88) 823 = ABlEG v. 14.3.1989, C 64/8 = BT-Drs. 11/4338 = BR-Drs. 136/89. Die Aktualität der Thematik wurde übrigens prompt durch die zwei spektakulären Fälle Société Générale de Belgique (dazu Assmann/Bozenhardt in: Assmann/Basaldua/Bozenhardt/Peltzer, Übernahmeangebote, 1990, S. 1, 3; Hirte ZIP 1989, 1233 ff.; Hommelhoff/Witt RIW 2001, 561 f.; sowie das Urteil des CA Bruxelles ZIP 1989, 1290 ff.) und Nestlé/Jacobs-Suchard/Rowntree (dazu Assmann/ Bozenhardt a.a.O.) belegt. 9 Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses v. 27.9.1989 zu dem Vorschlag für eine dreizehnte Richtlinie des Rates auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts über Übernahmeangebote, ABlEG v. 27.11.1989, C 298/56. 10 Legislative Entschließung v. 17.1.1990 mit der Stellungnahme des Europäischen Parlaments zu dem Vorschlag der Kommission für eine dreizehnte Richtlinie des Rates auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts über Übernahmeangebote, ABlEG v. 19.2.1990, C 38/49. 11 Geänderter Vorschlag für eine dreizehnte Richtlinie des Rates auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts über Übernahmeangebote, 10.9.1990, KOM(90) 416 = ABlEG v. 26.9.1990, C 240/7. 12 Schrifttum zu den Entwürfen 1989/90: Assmann/Basaldua/Bozenhardt/Peltzer (Hrsg.), Übernahmeangebote, 1990; Baums ZIP 1989, 1376 ff.; Berger ZIP 1991, 1644 ff.; Bittner RIW 1992, 182 ff.; Donath (1994) 1 Ann. Surv. Int’l & Comp. L. 91 ff.; Grunewald WM

966

Gesellschaftsrechtliche Richtlinien

siven Widerstand: So fürchtete man speziell im UK um den Fortbestand des eigenen bewährten und sehr flexiblen Systems13, während in Deutschland nicht nur schon das generelle Regelungsbedürfnis verbreitet in Frage gestellt wurde14, sondern sich v.a. auch am Institut des Pflichtangebots heftige Kritik entzündete15. Die Beratungen wurden daher Mitte 1991 zunächst ausgesetzt.16 3 Nach ausführlichen Konsultationen mit den Mitgliedstaaten17 präsentierte die Kommission dann 1996 einen grundlegend überarbeiteten und nun explizit als „Rahmen-Richtlinie“ konzipierten neuen Vorschlag18, der 1997 mit Blick auf Änderungswünsche von EWSA19 und EP 20 nochmals in revidierter Fassung21 vorgelegt wurde.22 Nach intensiven Beratungen gelang es zwar 1999 unter deutscher Ratspräsidentschaft im Rat eine politische Einigung zu erzielen23; auf Grund eines politischen Vorbehalts

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21 22

23

1989, 1233 ff.; dies. WM 1991, 1361 ff.; Hommelhoff FS Semler, 1993, S. 455 ff.; Hommelhoff/Kleindiek AG 1990, 106 ff.; Hopt FS Rittner, 1991, 187, 195 ff.; Keim (1990) 16 Brook. J. Int’l L. 561 ff.; Mertens AG 1990, 252, 256 ff.; Munscheck RIW 1995, 388, 391 ff.; Röhrich RIW 1993, 93 ff.; Van Alstine EWS 1993, 8 ff. Vgl. speziell Calcutt (1990) 11 Co Law 203, 207 (damaliger Chairman des Takeover Panel); s. ferner Bittner RIW 1992, 182, 187 ff.; Dine (1996) 17 Co Law 248; Edwards ECFR 2004, 416, 420. Vgl. Stellungnahme Bundesrat, BR-Drs. 136/89(B), S. 1; Bericht Rechtsausschuss, BT-Drs. 11/6612, S. 4; Hauschka/Roth AG 1988, 181, 184. Vgl. Stellungnahme Bundesrat, BR-Drs. 136/89(B), S. 2; Bericht Rechtsausschuss, BT-Drs. 11/6612, S. 4 f.; Assmann/Bozenhardt (Fn. 8), S. 1, 37 f.; Baums ZIP 1989, 1376, 1380 f.; Grunewald WM 1989, 1233, 1238; Hommelhoff FS Semler, 1993, S. 455, 459 ff.; Hommelhoff/Kleindiek AG 1990, 106, 108 ff.; Mertens AG 1990, 252, 256 ff.; Peltzer AG 1997, 145, 150 f.; vgl. zur Kritik in Deutschland ferner auch Hopt FS Rittner, 1991, 187, 199 ff.; Kallmeyer ZIP 1997, 2147; Neye DB 1996, 1121. Vgl. KOM(95) 655, Ziff. 2; Roos WM 1996, 2177. Vgl. KOM(95) 655, Ziff. 3. Vorschlag für eine dreizehnte Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts über Übernahmeangebotes, 7.2.1996, KOM(95) 655 = ABlEG v. 6.6.1996, C 162/5 = BR-Drs. 162/96 = AG 1996, 217 ff. Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses v. 11.7.1996 zu dem „Vorschlag für eine 13. Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts über Übernahmeangebote“, ABlEG v. 7.10.1996, C 295/1. Legislative Entschließung v. 26.6.1997 mit der Stellungnahme des Europäischen Parlaments zu dem Vorschlag für eine dreizehnte Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts über Übernahmeangebote, ABlEG v. 21.7.1997, C 222/20. Geänderter Vorschlag für eine dreizehnte Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts über Übernahmeangebote, 10.11.1997, KOM(97) 565 = ABlEG v. 13.12.1997, C 378/10 = ZIP 1997, 2173 ff. Schrifttum zu den Entwürfen 1996/97: Andenas (1996) 17 Co Law 150 ff.; ders. (1997) 18 Co Law 101 ff.; Dine (1996) 17 Co Law 248 ff.; Habersack/Mayer ZIP 1997, 2141 ff.; Hopt ZHR 161 (1997) 368 ff.; ders. FS Zöllner, 1999, S. 253, 255 ff.; Krause AG 1996, 209 ff.; Mülbert IStR 1999, 83 ff.; Neye DB 1996, 1121 ff.; Peltzer AG 1997, 145 ff.; Roos WM 1996, 2177 ff.; Schuster EuZW 1997, 237 ff.; Than FS Claussen, 1997, S. 405 ff.; Weber EuZW 1998, 464 ff.; Witt EWS 1998, 318 ff.; Wolf AG 1998, 212, 219 ff. Dok. 9482/99. Dazu Harle/Harvey (2000) 11 ICCLR 240 ff.; Hopt FS Lutter, 2000, S. 1361, 1364 ff.; Horn ZIP 2000, 473, 481; Pettet [2000] EBLR 381, 385 f.

Die Übernahmerichtlinie (13. Richtlinie)

967

Spaniens24 konnte allerdings erst am 19.6.2000 ein Gemeinsamer Standpunkt des Rates25 verabschiedet werden. Unter dem Eindruck der Übernahmeschlacht Mannesmann/Vodafone rückte dann allerdings die Tragweite der RL und speziell der Neutralitätspflicht (dazu ausf. u. Rn. 68 ff.) für die Abwehrchancen deutscher Emittenten, denen Höchst- und Mehrstimmrechte durch das KonTraG 26 verboten worden waren, gegen feindliche Übernahmen erstmals wirklich ins Bewusstsein der deutschen (Fach-) Öffentlichkeit, was die Bundesregierung, die den Gemeinsamen Standpunkt zunächst mitgetragen hatte, schließlich zu einem Kurswechsel veranlasste27. Im Juli 2001 gelang es zwar zunächst trotzdem im Vermittlungsausschuss einen Kompromiss28 zu erzielen, dieser wurde dann jedoch in einer inzwischen als „historisch“ geltenden29 Abstimmung im EP im Anschluss an ein negatives Votum des Rechtsausschusses30 (in dem nun der deutsche MEP Lehne Berichterstatter war) mit 273:273:22 Stimmen abgelehnt31. Die Kommission wollte das Projekt jedoch nicht verloren geben und setzte bereits 4 im September 2001 eine High Level Group of Company Law Experts unter dem

24 Hintergrund war die Aufsichtszuständigkeit für Gesellschaften in Gibraltar; Spanien gab seinen Vorbehalt erst auf, nachdem es sich mit dem UK insoweit bilateral auf eine „Postbox-Lösung“ verständigt hatte, vgl. Harle/Harvey (2000) 11 ICCLR 240; Neye AG 2000, 289, 290; Pötzsch/Möller WM-Sonderbeilage 2/2000, S. 5; Simon FS Wymeersch, 2009, S. 345, 347. 25 Gemeinsamer Standpunkt (EG) Nr. 1/2001 vom Rat festgelegt am 19.6.2000 im Hinblick auf den Erlass der Richtlinie 2000/…/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom … auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts betreffend Übernahmeangebote, ABlEG v. 24.1.2001, C 23/1. Dazu Dimke/Heiser NZG 2001, 241, 257 ff.; Grunewald AG 2001, 288, 289 ff.; Harris (2001) 22 Co Law 88 ff.; Kirchner WM 2000, 1821, 1827 ff.; Kirchner/Painter (2002) 50 Am. J. Comp. L. 451, 455 ff.; Krause NZG 2000, 905 ff.; Merkt ZHR 165 (2001) 224, 230 ff.; Neye AG 2000, 289 ff.; Pötzsch/Möller WM-Sonderbeilage 2/2000; Skøg [2002] EBLR 301, 304 ff. 26 Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich (KonTraG) v. 27.4.1998, BGBl. I, 786. 27 Vgl. Krause FAZ v. 9.5.2001, S. 15: „Der Herr im eigenen Hause“; FAZ v. 15.5.2001, S. 17: „Deutsche Manager nicht entwaffnen“; FAZ v. 31.5.2001, S. 17: „Übernahmerichtlinie droht zu scheitern“; s. ferner Bayer BB 2004, 1 f.; Dauner-Lieb DStR 2003, 555; sehr kritisch zu diesem „Sinneswandel“ etwa Altmeppen ZIP 2001, 1073, 1074; vgl. ferner auch Krause ZGR 2002, 500, 507 („riesiger PR-Misserfolg“); aus ausländischer Perspektive zum Ganzen etwa Cioffi (2002) 24 Law & Pol’y 355, 380 ff.; Edwards ECFR 2004, 416, 426; Elofson (2004) 22 Wis. Int’l L. J. 529 f.; Simon FS Wymeersch, 2009, S. 345, 347 f.; Skøg [2002] EBLR 301, 308 f. 28 Gemeinsamer Text gebilligt vom Vermittlungsausschuss i.S.d. Art. 251 Abs. 4 des EGVertrags, PE-CONS 3629/01 = ZIP 2001, 1123 ff. Dazu Neye ZIP 2001, 1120 ff. 29 Vgl. Wiesner ZIP 2004, 343, 344 mit Hinweis auf Legenden um in Fahrstühlen stecken gebliebene britische MEP und auf Bahren in den Plenarsaal getragene deutsche MEP; s. ferner auch Pluskat WM 2001, 1937 f. 30 A5-0237/2001. 31 Legislative Entschließung des Europäischen Parlaments v. 4.7.2001 zu dem vom Vermittlungsausschuss gebilligten gemeinsamen Entwurf einer Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts über Übernahmeangebote, ABlEG v. 14.3.2002, C 65 E/112.

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Gesellschaftsrechtliche Richtlinien

Vorsitz von Jaap Winter ein (zu dieser auch bereits § 18 Rn. 6). Diese empfahl in ihrem Bericht vom Januar 200232 u.a. die Ergänzung der sog. Durchbrechungsregel (dazu näher u. Rn. 77 ff.). Auf dieser Basis präsentierte die Kommission dann im Oktober 2002 einen neuen Vorschlag33, der sich jedoch zunächst ebenfalls nicht als konsensfähig erwies34. Erst nachdem Portugal im Juni 2003 die Lösung eines Optionsmodells (dazu näher u. Rn. 90 ff.) vorgeschlagen hatte35, konnte im Rat im November 2003 eine allgemeine politische Ausrichtung36 und nach Stellungnahme des EP 37 im Dezember 2003 dann auch eine politische Einigung38 erzielt werden, so dass die RL39 schließlich am 21.4.2004 endgültig verabschiedet werden konnte.

32 Bericht der Hochrangigen Gruppe von Experten auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts über die Abwicklung von Übernahmeangeboten, 10.1.2002, abrufbar unter http://ec. europa.eu/internal_market/company/docs/takeoverbids/2002-01-hlg-report_de.pdf. 33 Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates betreffend Übernahmeangebote, 2.10.2002, KOM(2002) 534. Vgl. dazu insbesondere die im Auftrag des EP erstellte Studie von Dauner-Lieb/Lamandini (abrufbar unter http://www.jura. uni-duesseldorf.de/dozenten/noack/rechtspolitik/europa.shtml); Zusammenfassung in BB 2003, 265 ff. sowie Arnold BB 2003, 267 ff.; Clausen/Sørensen (2003) 45 Scan. Stud. 89 ff.; Dauner-Lieb DStR 2003, 555 ff.; Elofson (2004) 22 Wis. Int’l L. J. 523 ff.; Gatti (2005) 6 EBOR 553 ff.; Grundmann NZG 2005, 122 ff.; Hansen (2003) 9 Colum. J. Eur. L. 275 ff.; Hertig/McCahery (2003) 4 EBOR 179, 195 ff.; Hopt (2002) 15 AJCL 1, 14 ff.; Kindler/Horstmann DStR 2004, 866 ff.; Krause BB 2002, 2341 ff.; Rühland NZG 2003, 1150 ff.; Seibt/Heiser ZIP 2002, 2193 ff.; Sjåfjell in: Bartman, Steef M. (ed.), European Company Law in Accelerated Progress, 2006, S. 107 ff.; Skøg [2004] EBLR 1439 ff.; Zinser ZRP 2003, 78 ff. 34 Näher S. Maul/Muffat-Jeandet AG 2004, 221, 224 f. Auch der EWSA verlangte eine ganze Reihe von Änderungen, vgl. Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses v. 14.5.2003 zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates betreffend Übernahmeangebote“, ABlEU v. 3.9.2003, C 208/55. 35 Vgl. Dok. 10023/03. 36 Vgl. Dok. 15476/03. 37 Legislative Entschließung des Europäischen Parlaments v. 16.12.2003, zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates betreffend Übernahmeangebote, ABlEU v. 15.4.2004, C 91 E/109. 38 Vgl. Dok. 16140/03, S. XVII f. 39 RL 2004/25/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 21.4.2004 betreffend Übernahmeangebote, ABlEU v. 30.4.2004, L 142/12. Schrifttum: Bartman (2004) 1 ECL 5 ff.; Clarke [2006] JBL 355 ff.; dies. (2007) 8 GLJ 381 ff.; De Wulf (2004) 15 ICCLR N83 f.; Edwards ECFR 2004, 416 ff.; Enriques ECFR 2004, 440 ff.; Hasselbach ZGR 2005, 387 ff.; Hilmer, Die Übernahmerichtlinie und ihre Umsetzung in das deutsche Recht, 2007; Hirte ECFR 2005, 1 ff.; Hopt/Mülbert/Kumpan AG 2005, 109 ff.; Ipekel [2005] EBLR 341 ff.; Johnston (2004) 25 Co Law 270 ff.; Kaisanlahti (2007) 8 EBOR 497 ff.; Kemperink/Stuyck (2008) 45 C.M.L. Rev. 93 ff.; Krause BB 2004, 113 ff.; Lanfermann/S. Maul BB 2004, 1517 ff.; Liekefett RIW 2004, 824 ff.; S. Maul NZG 2005, 151 ff.; S. Maul/Muffat-Jeandet AG 2004, 221 ff., 306 ff.; Menjucq ECFR 2006, 222 ff.; Mülbert NZG 2004, 633 ff.; Seibt/Heiser ZGR 2005, 200 ff.; Siems ECFR 2004, 458 ff.; Ventoruzzo (2006) 41 Tex. Int’ L. J. 171, 203 ff.; Werdmüller BLR 2006, 64 ff.; Wiesner ZIP 2004, 343 ff.; Wooldridge [2004] EBLR 147 ff.

Die Übernahmerichtlinie (13. Richtlinie)

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M.W.v. 30.4.2005 wurde ihr Anwendungsbereich auch auf die EWR-Staaten aus- 5 gedehnt.40 Größere Änderungen erfolgten bislang nicht; durch die VO 219/2009 41 erfolgte lediglich eine Erweiterung der Befugnisse der Kommission i.R.d. Komitologieverfahrens (dazu u. Rn. 52, allg. zum Komitologieverfahren bereits § 3 Rn. 70 ff.). Gegenstand der RL – die konzeptionell auf der Schnittstelle zwischen Kapital- 6 markt- und Gesellschaftsrecht liegt und deshalb eine gewisse Janusköpfigkeit aufweist 42 – sind im Wesentlichen folgende 5 Regelungskomplexe: • • • • •

Aufsichtsstelle und anwendbares Recht (Art. 4, dazu u. Rn. 18 ff.); Pflichtangebot (Art. 5, dazu u. Rn. 28 ff.); Verfahrens- und Transparenzvorschriften (Art. 6–8, 10, 13 f., dazu u. Rn. 48 ff.); Zulässigkeitsrahmen für Abwehrmaßnahmen in Form eines sog. „Optionsmodells“ (Art. 9, 11, 12, dazu u. Rn. 66 ff.); Squeeze-out und Sell-out (Art. 15 f., dazu u. Rn. 121 ff.).

Für Deutschland bedeutete die RL die Notwendigkeit einer grundlegenden Reform 7 des erst am 1.1.2002 in Kraft getretenen WpÜG 43 (und der ergänzenden WpÜGAV 44), die – leicht verspätet 45 – durch das Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetz v. 8.7. 200646 (ÜbUG) erfolgte. Die Kommission legte bereits im Februar 2007 einen Bericht über die Umset- 8 zung der RL in den Mitgliedstaaten vor,47 in dem sie konstatierte, dass eine unerwartet große Zahl von Mitgliedstaaten die RL in scheinbar protektionistischer Weise um-

40 Beschluss des Gemeinsamen Ausschusses Nr. 70/2005 v. 29.4.2005 zur Änderung des Anhangs XXII (Gesellschaftsrecht) des EWR-Abkommens, ABlEU v. 15.9.2005, L 239/61. 41 VO (EG) Nr. 219/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 11.3.2009 zur Anpassung einiger Rechtsakte, für die das Verfahren des Artikels 251 des Vertrags gilt, an den Beschluss 1999/468/EG des Rates in Bezug auf das Regelungsverfahren mit Kontrolle. Anpassung an das Regelungsverfahren mit Kontrolle – Zweiter Teil, ABlEU v. 31.3.2009, L 87/109. 42 Vgl. Habersack § 1 Rn. 5, § 10 Rn. 5; s. ferner auch Möslein, Grenzen unternehmerischer Leitungsmacht im marktoffenen Verband, 2007, S. 315: „hybride[r] Charakter“. 43 Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz (WpÜG) v. 20.12.2001, BGBl. I, 3822. 44 Verordnung über den Inhalt der Angebotsunterlage, die Gegenleistung bei Übernahmeangeboten und Pflichtangeboten und die Befreiung von der Verpflichtung zur Veröffentlichung und zur Abgabe eines Angebots (WpÜG-Angebotsverordnung) v. 27.12.2001, BGBl. I, 4263. 45 Die Umsetzungsfrist lief gem. Art. 21 Abs. 1 am 20.5.2006 ab. 46 Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2004/25/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 betreffen Übernahmeangebote (Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetz) v. 8.7.2006, BGBl. I, 1426. Dazu Dieckmann NJW 2007, 17 ff.; Harbarth ZGR 2007, 37 ff.; Merkt/Binder BB 2006, 1285 ff.; Nelle ZIP 2006, 2057 ff.; Ott WM 2008, 384 ff.; Paefgen WM 2007, 765 ff.; Rabenhorst WPg 2008, 139 ff.; Schüppen BB 2006, 165 ff.; Seibt/Heiser AG 2006, 301 ff.; Simon Konzern 2006, 12 ff.; Wooldridge [2008] EBLR 811 ff. 47 Commission of the European Communities, Report on the implementation of the Directive on Takeover Bids, SEC(2007) 268. Dazu Bayer/J. Schmidt BB 2008, 454, 455.

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Gesellschaftsrechtliche Richtlinien

gesetzt habe und ankündigte, die weitere Entwicklung genau zu überwachen. Nachdem auch im Schrifttum verbreitet kritisiert wird, dass speziell das Ziel eines „level playing field“ im Hinblick auf Abwehrmaßnahmen nicht erreicht wurde (näher u. Rn. 111), könnte es daher im Zuge der für 2011 vorgesehenen generellen Revision (vgl. Art. 20) durchaus zu wesentlichen Änderungen kommen48. Die Kommission verpflichtet die Mitgliedstaaten in Vorbereitung darauf bereits seit 2008, ihr jährlich anhand einer Checkliste über Übernahmen auf ihrem jeweiligen Markt Bericht zu erstatten.49

II. Anwendungsbereich (Art. 1) 9 Die Definition des Anwendungsbereichs der RL in Art. 1 Abs. 1 spiegelt ihre kapitalmarktrechtliche Komponente (vgl. o. Rn. 6) wider: Angeknüpft wird nicht an die Rechtsform50, sondern an die Zulassung der Wertpapiere der Zielgesellschaft51, die dem Recht eines Mitgliedstaats unterliegen muss, zum Handel auf einem geregelten Markt in einem oder mehreren Mitgliedstaaten. Rechtsform, Nationalität und etwaige Handelszulassung des Bieters sind irrelevant.52 10 „Wertpapiere“ sind dabei nach der Legaldefinition in Art. 2 Abs. 1 lit. e nur übertragbare Wertpapiere, die ein Stimmrecht verleihen.53 Da es sich insoweit jedoch nur um einen Mindeststandard handelt, steht es den Mitgliedstaaten frei, die entsprechenden Regeln ganz oder teilweise auch auf stimmrechtslose Wertpapiere auszudehnen.54 Hinsichtlich der Definition des „geregelten Marktes“ wird zwecks systematischer Kohärenz auf Art. 4 Abs. 1 Nr. 14 MiFID (vgl. dazu § 17 Rn. 58, § 33 Rn. 8) verwiesen.55 11 „Übernahmeangebot“ i.S.d. RL ist nach der Legaldefinition in Art. 2 Abs. 1 lit. a ein öffentliches Pflicht- oder freiwilliges Angebot zum Erwerb eines Teils oder aller Wertpapiere der Zielgesellschaft, das sich an den Erwerb der Kontrolle der Zielgesellschaft i.S.d. einzelstaatlichen Rechts anschließt oder diesen Erwerb zum Ziel hat. Er-

48 Für einen radikalen Kurswechsel hin zu einem „neutralen Ansatz“ gar Enriques FS Hopt, 2010, S. 1789 ff. 49 Checkliste und Instruktionen unter http://ec.europa.eu/internal_market/company/ otherdocs/index_de.htm. 50 Anders noch Art. 1 RL-E 1989 (Fn. 8). Der Impuls für den Konzeptwechsel in Art. 1 RL-E 1990 (Fn. 11) kam vom EP, vgl. KOM(90) 416, S. 3. 51 Legaldefinition in Art. 2 Abs. 1 lit. b: die Gesellschaft, deren Wertpapiere Gegenstand eines Angebots sind. 52 Vgl. nur S. Maul/Muffat-Jeandet AG 2004, 221, 226. 53 Die im Art. 2 RL-E 1996 (Fn. 18) vorgesehene Erstreckung auch auf Wertpapiere, die zum Erwerb übertragbarer Wertpapiere mit Stimmrechten berechtigten, wurde nach Kritik des EWSA (vgl. Fn. 9) im RL-E 1997 (Fn. 11) gestrichen, vgl. KOM(97) 565, S. 4. 54 Vgl. Erwägungsgrund 11; KOM(2002) 534, S. 5. 55 Die Bezugnahme auf die RL 93/22/EWG (ISD) ist als Verweis auf die MiFID zu lesen, vgl. Art. 69 MiFID (vgl. zur MiFID als „Nachfolgerin“ der ISD noch § 33 Rn. 1).

Die Übernahmerichtlinie (13. Richtlinie)

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fasst werden also grundsätzlich sowohl Pflicht- als auch freiwillige und sowohl Vollals auch Teilangebote, wobei das Pflichtangebot nach Art. 5 Abs. 1 S. 2 jedoch stets Vollangebot sein muss (näher u. Rn. 39); die Fixierung der Kontrollschwelle überlässt Art. 5 Abs. 3 den Mitgliedstaaten (näher u. Rn. 31). Ausdrücklich ausgenommen sind Übernahmeangebote, bei denen die Zielgesell- 12 schaft ein OGAW ist (Art. 1 Abs. 2; hier gewährleistet bereits die OGAW-RL (dazu näher § 17 Rn. 232 ff.) einen spezifischen Schutz56) oder eine Zentralbank eines Mitgliedstaats (Art. 1 Abs. 3; hier sind Übernahmeangebote angesichts ihres öffentlichen Zwecks nicht vorstellbar 57). Das deutsche Recht erstreckt den Anwendungsbereich des WpÜG deutlich über 13 den Mindeststandard der RL hinaus: Erfasst sind zum einen auch „einfache“ Angebote, d.h. solche, die nicht auf einen Kontrollerwerb gerichtet sind bzw. sich an einen solchen anschließen (§ 2 Abs. 1 WpÜG) 58, zum anderen auch stimmrechtslose Wertpapiere und (ähnlich wie noch im RL-E 199659) Bezugsrechte (§ 2 Abs. 2 WpÜG) 60. III. Allgemeine Grundsätze (Art. 3) Art. 3 stellt den eigentlichen materiellrechtlichen Vorgaben einen Katalog allgemeiner 14 Grundsätze voran, die als Leitlinien für die Interpretation der einzelnen Vorschriften und deren Umsetzung durch die Mitgliedstaaten dienen sollen.61 Zentrale Bedeutung hat dabei speziell der Grundsatz der Gleichbehandlung aller 15 Inhaber von Wertpapieren der Zielgesellschaft, die der gleichen Gattung angehören (Abs. 1 lit. a Hs. 1).62 Konkrete legislatorische Ausprägungen findet er u.a. im Erfordernis eines Pflichtvollangebots (Art. 5 Abs. 1 S. 2, dazu u. Rn. 39) 63, den Preisvor-

56 Vgl. Gemeinsamer Standpunkt des Rates (Fn. 25), Begr. zu Art. 1. 57 Vgl. Erwägungsgrund 4. Die Ausnahme erfolgte auf Wunsch Belgiens (vgl. Dok. 14338/02, S. 2; Dok. 8648/03); die Aktien der Banque Nationale de Belgique sind – wie die Aktien der Zentralbanken einiger anderer Mitgliedstaaten – aus historischen Gründen börsennotiert; vgl. S. Maul/Muffat-Jeandet in: S. Maul/Muffat-Jeandet/Simon (eds.), Takeover bids in Europe, 2008, Rn. 56; dies. AG 2004, 221, 226. 58 Vgl. Hilmer (Fn. 39), S. 35 f.; Merkt/Binder BB 2006, 1285, 1287; Pötzsch in: Assmann/ Pötzsch/Schneider, WpÜG, 2005, § 2 Rn. 9; KK-WpÜG/Versteegen, 2. Aufl. 2010, § 1 Rn. 20. 59 Vgl. Fn. 53. 60 Vgl. Hilmer (Fn. 39), S. 33 f.; Merkt/Binder BB 2006, 1285, 1287; Pötzsch (Fn. 58), § 2 Rn. 75; Schüppen in: Frankfurter Kommentar zum WpÜG, 3. Aufl. 2008, § 1 Rn. 4, 2 Rn. 28 f.; Versteegen (Fn. 58), § 2 Rn. 20, 82. 61 Vgl. Erwägungsgrund 6; KOM(2002) 534, S. 5; Clausen/Sørensen (2003) 45 Scan. Stud. 89, 91; Grundmann Rn. 956 f.; Habersack § 10 Rn. 10; Skøg [2002] EBLR 301, 306. 62 Näher: S. Maul/Muffat-Jeandet (Fn. 57), Rn. 67; dies. AG 2004, 221, 226; zur Umsetzung in § 3 Abs. 1 WpÜG: Versteegen (Fn. 58), § 3 Rn. 11 ff. m.w.N. 63 Vgl. Habersack/Tröger NZG 2010, 1, 5; S. Maul/Kouloridas (2004) 5 GLJ 355, 361 f.; S. Maul/Muffat-Jeandet AG 2004, 221, 226, 229; McCahery/Vermeulen FS Hopt, 2010, S. 2189, 2195; Menjucq ECFR 2006, 222, 226.

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schriften des Art. 5 Abs. 4 (dazu u. Rn. 43) 64 und dem Sell-out-Recht des Art. 16 (dazu u. Rn. 124, 147 ff.) 65. Wie der EuGH in der Rs. Audiolux 66 entschieden hat, ist er allerdings nicht etwa Ausfluss eines primärrechtlichen allgemeinen Rechtsgrundsatzes des Unionsrechts, sondern – ebenso wie die verwandten Gleichbehandlungsgebote in Art. 42 der 2. (Kapital-)RL (dazu § 20 Rn. 233 ff.), Art. 4 Aktionärsrechte-RL (dazu § 31 Rn. 14 f.) und Art. 17 Abs. 1 Transparenz-RL (dazu § 36 Rn. 20) – lediglich ein auf einen konkreten, spezifischen Bereich (hier: den Anwendungsbereich der Übernahme-RL) beschränkter sekundärrechtlicher Grundsatz, aus dem – auch in Zusammenschau mit den genannten verwandten anderen sekundärrechtlichen Grundsätzen – nicht die Existenz eines allgemeinen primärrechtlichen Rechtsgrundsatzes der Gleichbehandlung aller Aktionäre hergeleitet werden kann. In diesem Kontext ist i.Ü. zu betonen, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 lit. a Hs. 1 sich schon in seiner Stoßrichtung wesentlich von Art. 42 der 2. (Kapital-)RL, Art. 4 Aktionärsrechte-RL und Art. 17 Abs. 1 Transparenz-RL unterscheidet: Denn dort geht es um die Gleichbehandlung aller Aktionäre durch die Gesellschaft, hier um die Gleichbehandlung der Minderheitsaktionäre durch den Bieter.67 16 Außerdem umfasst der Katalog des Art. 3 Abs. 1 folgende allgemeine Grundsätze: •



Schutz der Minderheitsgesellschafter im Falle eines Kontrollerwerbs (lit. a Hs. 2, vgl. auch Erwägungsgrund 9); konkrete Ausprägung z.B.: Pflichtangebotserfordernis und Preisvorschriften (Art. 5 Abs. 1 u. 4, dazu u. Rn. 28 ff., 42 ff.); Sell-out-Recht (Art. 16, dazu u. Rn. Rn. 124, 147 ff.); Gewährleistung einer informierten Entscheidung für die Angebotsadressaten (lit. b) 68; auch i.R.d. Übernahme-RL wird also das europäische „Informationsmodell“ (vgl. dazu auch § 18 Rn. 9; § 17 Rn. 151 ff.; § 19 Rn. 4; § 21 Rn. 24, 112; § 22 Rn. 23, 81; § 23 Rn. 26, 129 f.; § 30 Rn. 16; § 36 Rn. 1; § 41 Rn. 47) fruchtbar gemacht 69; konkrete Ausprägungen sind die Verfahrens- und Transparenzregeln in Art. 6–8, 10, 13 f. (dazu näher u. Rn. 48 ff.) 70;

64 Vgl. Grundmann Rn. 969; Menjucq ECFR 2006, 222, 226. 65 Vgl. Habersack/Tröger NZG 2010, 1, 5. 66 EuGH v. 15.10.2009, Audiolux, Rs. C-101/08, Slg. 2009, I-9823. Dazu Basedow FS Hopt, 2010, S. 27 ff.; Bayer/J. Schmidt BB 2010, 387, 393; Bengoetxea (2010) 47 C.M.L. Rev. 1173 ff.; Buck-Heeb WuB II Q. Art. 1 RL 2004/25/EG 1.10; Grundmann Rn. 325; ders. RabelsZ 75 (2011), 882, 916 ff.; Habersack/Tröger NZG 2010, 1 ff.; Klöhn LMK 2009, 294692; Mucciarelli ECFR 2010, 158 ff.; Schön FS Hopt, 2010, 1343, 1344 ff.; Slagter (2010) 7 ECL 88 f.; Thurnher/Meusburger-Hammerer ELR 2009, 393 ff.; Van Bekkum (2010) 7 ECL 161 ff.; Wilsing/Paul EWiR 2009, 755 f. 67 Vgl. auch Habersack/Tröger NZG 2010, 1, 6; Mucciarelli ECFR 2010, 158, 162 ff.; Psaroudakis ECFR 2010, 550, 557; Thurnher/Meusburger-Hammerer ELR 2009, 393, 396 f.; Wilsing/Paul EWiR 2009, 755, 756. 68 Näher S. Maul/Muffat-Jeandet (Fn. 57), Rn. 69; dies. AG 2004, 221, 226 f.; zur Umsetzung in § 3 Abs. 2 WpÜG: Versteegen (Fn. 58), § 3 Rn. 27 ff. m.w.N. 69 Vgl. Grundmann Rn. 957. 70 Vgl. S. Maul/Muffat-Jeandet (Fn. 57), Rn. 69.

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• •



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Gesellschaftsinteresse als Handlungsmaxime für die Organe der Zielgesellschaft (lit. c), welche den Gesellschaftern insbesondere auch nicht die Möglichkeit einer eigenen (informierten, vgl. lit. b) Entscheidung vorenthalten dürfen;71 konkrete Ausprägung: Neutralitätspflicht gem. Art. 9 (dazu u. Rn. 68 ff.); Vermeidung von Marktverzerrungen (lit. d);72 konkrete Ausprägung z.B. in der Bekanntmachungspflicht gem. Art. 6 Abs. 1 (dazu u. Rn. 49); Sicherstellung der tatsächlichen Leistung der Gegenleistung (lit. e) im Interesse des Schutzes der Zielgesellschaft, ihrer Aktionäre und des Marktes vor „Luftgeboten“;73 konkrete Ausprägung: Art. 6 Abs. 3 lit. l (dazu u. Rn. 53); Zügige Durchführung des Angebotsverfahrens, um die Geschäftstätigkeit der Zielgesellschaft nicht unangemessen zu beeinträchtigen (lit. f) 74; konkrete Ausprägung z.B. in Art. 7 Abs. 1 (dazu u. Rn. 58).

IV. Prinzipielle Mindest-, aber partielle Maximalharmonisierung Die RL etabliert zwar grundsätzlich nur Mindeststandards für die Abwicklung von 17 Übernahmeangeboten und die Gewährleistung eines ausreichenden Schutzes von Wertpapierinhabern (vgl. Art. 3 Abs. 2 lit. b und Erwägungsgrund 25) und gestattet den Mitgliedstaaten in Art. 3 Abs. 2 lit. b explizit, für Angebote zusätzliche Bedingungen und strengere Bestimmungen festzulegen. An einigen Stellen etabliert sie allerdings im Interesse eines funktionierenden Marktes für Unternehmenskontrolle auch Maximalstandards, so u.a. in Art. 6 Abs. 2 Unterabs. 2 (dazu u. Rn. 56) und Art. 15 Abs. 2 S. 3 (dazu u. Rn. 126).75

V. Aufsichtsstelle und anwendbares Recht (Art. 4) 1. Aufsichtsstelle (Art. 4 Abs. 1) Die RL etabliert keine zentrale europäische Aufsicht 76, sondern verpflichtet jeden 18 Mitgliedstaat, die für die Überwachung der Einhaltung der Vorgaben der RL und der jeweiligen nationalen Umsetzungsvorschriften zuständige Stelle zu benennen und der 71 Näher Clarke (2007) 8 GLJ 381, 392 f.; S. Maul/Muffat-Jeandet (Fn. 57), Rn. 71; dies. AG 2004, 221, 226; Sjåfjell [2011] EBLR 641, 645 ff.; zur Umsetzung in § 3 Abs. 3 WpÜG: Versteegen (Fn. 58), § 3 Rn. 35 ff. m.w.N. 72 Näher S. Maul/Muffat-Jeandet (Fn. 57), Rn. 73; dies. AG 2004, 221, 227; zur Umsetzung in § 3 Abs. 5 WpÜG: Versteegen (Fn. 58), § 3 Rn. 49 ff. m.w.N. 73 Vgl. S. Maul/Muffat-Jeandet (Fn. 57), Rn. 75; dies. AG 2004, 221, 227. 74 Näher S. Maul/Muffat-Jeandet (Fn. 57), Rn. 76; dies. AG 2004, 221, 227; zur Umsetzung in § 3 Abs. 4 WpÜG: Versteegen (Fn. 58), § 3 Rn. 45 ff. m.w.N. 75 Vgl. Habersack § 10 Rn. 7; Hilmer (Fn. 39), S. 21; Mülbert NZG 2004, 633, 636. 76 Für eine „European Securities Commission“ aber etwa Keim (1990) 16 Brook. J. Int’l L. 561, 581 f.; Thieffry (1999) 28 (9) Int’l Fin. L. Rev. 14 ff.; vgl. zur Diskussion ferner die Nachweise bei von Hein AG 2001, 213, 231.

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Kommission mitzuteilen (Art. 4 Abs. 1 S. 1 u. 3). Die Aufsichtsstelle kann entweder eine Behörde oder eine Vereinigung oder private Einrichtung sein, die nach nationalem Recht oder von den dazu nach nationalem Recht befugten Behörden anerkannt ist (Art. 4 Abs. 1 S. 2); damit wird dem Umstand Rechnung getragen, dass die Aufsicht in einigen Mitgliedstaaten (Paradebeispiel: Takeover Panel im UK) traditionell einer privaten Einrichtung obliegt 77. Die Mitgliedstaaten müssen aber in jedem Fall sicherstellen, dass die Aufsichtsstelle ihre Aufgaben unparteiisch und unabhängig von den Angebotsparteien erfüllt (Art. 4 Abs. 1 S. 4) und dass das Berufsgeheimnis gewahrt wird (Art. 4 Abs. 3). 19 Art. 4 Abs. 4 verpflichtet die mitgliedstaatlichen Aufsichtsstellen zu Kooperation und gegenseitiger Auskunftserteilung sowohl untereinander als auch mit anderen Stellen zur Beaufsichtigung der Kapitalmärkte, insbesondere den Aufsichtsstellen nach der MiFID (dazu § 33 Rn. 15 sowie bereits § 17 Rn. 66, 216), der Kapitalmarktpublizitäts-RL78 (zu dieser bereits § 17 Rn. 99, 158, 176, 183 sowie noch § 36 Rn. 1), der MAD (dazu § 35 Rn. 13 sowie bereits § 17 Rn. 144) und der Prospekt-RL (dazu § 34 Rn. 15 sowie bereits § 17 Rn. 114).79 Um Kooperation und Meinungsaustausch unter den Aufsichtsstellen zu fördern, wurde im Mai 2007 unter den Auspizien des CESR (jetzt ESMA, dazu näher § 36 Rn. 1 sowie auch bereits § 17 Rn. 53) ein Takeover Bids Network errichtet, im Rahmen dessen sich Vertreter der Aufsichtsstellen der Mitgliedstaaten mehrmals jährlich zur Erörterung verschiedener Fragen treffen.80 20 Damit die Aufsichtsstellen effektiv arbeiten können, müssen die Mitgliedstaaten dafür sorgen, dass sie über alle zur Erfüllung ihrer Aufgaben notwendigen Befugnisse verfügen (Art. 4 Abs. 5 Unterabs. 1). Art. 4 Abs. 5 Unterabs. 2 gestattet den Mitgliedstaaten daneben explizit den Erlass von den Vorgaben der RL abweichender Regelungen, indem sie entweder unmittelbar in den nationalen Rechtsvorschriften Ausnahmen für bestimmte Fälle festlegen (lit. i) 81 und/oder ihre Aufsichtsstelle zum Erlass von Ausnahmen ermächtigen (lit. ii). Dies bedeutet indessen keineswegs einen generellen „Freibrief“ 82, sondern soll vielmehr (nur) hinreichende Flexibilität für die

77 Vgl. Habersack § 10 Rn. 15; Papadopoulos, EU Law and the Harmonization of Takeovers in the Internal Market, 2010, S. 140 f.; Pötzsch/Möller WM-Sonderbeilage 2/2000, S. 10. Vgl. ferner auch schon Pennington-Report (Fn. 3), Ziff. 74 f. sowie Edwards ECFR 2004, 416, 432. Ähnlich aber auch in Schweden, vgl. Clausen/Sørensen (2003) 45 Scan. Stud. 89, 92. 78 RL 2001/34/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 28.5.2001 über die Zulassung von Wertpapieren zur amtlichen Börsennotierung und über die hinsichtlich dieser Wertpapiere zu veröffentlichenden Informationen, ABlEG v. 6.7.2001, L 184/1. 79 Näher S. Maul/Muffat-Jeandet (Fn. 57), Rn. 97; dies. AG 2004, 221, 229. 80 Vgl. dazu CESR Annual Report 2007, S. 69; CESR Annual Report 2008, S. 29, 49; CESR Annual Report 2009, S. 31, 50; CESR Annual Report 2010, S. 38, 69. S. ferner auch die Webseite der ESMA: http://www.esma.europa.eu/index.php?page=groups&id=55. 81 Diese Möglichkeit auch unmittelbarer gesetzlicher Ausnahmeregelungen beruht auf einer Initiative Italiens (Dok. 8524/03, S. 1 f.); dazu auch S. Maul/Muffat-Jeandet AG 2004, 221, 229 ff. 82 Vgl. Mülbert NZG 2004, 633, 635 f.; s. ferner auch Hilmer (Fn. 39), S. 20; Versteegen (Fn. 58), § 37 Rn. 7.

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Behandlung außergewöhnlicher und neuartiger Situationen gewährleisten83. Ausnahmen sind daher auch nur zulässig, sofern die in Art. 3 Abs. 1 festgelegten allgemeinen Grundsätze (dazu o. Rn. 14 ff.) eingehalten werden. Zudem müssen die nationalen Regelungen bestimmte „Fälle“ festlegen und Ausnahmen durch die Aufsichtsstelle in nicht speziell benannten Fällen bedürfen einer mit Gründen versehene Entscheidung.84 Neben der „Generalausnahmeklausel“ des Art. 4 Abs. 5 Unterabs. 2 enthält die RL noch eine ganze Reihe weiterer (bezüglich der jeweiligen Voraussetzungen vorrangige) Spezialausnahmeklauseln (so speziell in Art. 5 Abs. 4 Unterabs. 2 (dazu u. Rn. 44) und Art. 7 Abs. 2 (dazu u. Rn. 58)) und sonstige Wahl- und Abweichungsrechte (allen voran das Optionsmodell des Art. 12, dazu ausf. u. Rn. 90 ff.). Art. 4 Abs. 6 stellt klar, dass der gesamte Komplex eines etwaigen behördlichen 21 oder gerichtlichen Rechtsschutzes im Zusammenhang mit dem Angebotsverfahren, einschließlich einer etwaigen Haftung der Aufsichtsstelle und etwaiger Rechtsstreitigkeiten zwischen den Angebotsparteien85, in der Regelungskompetenz der Mitgliedstaaten verbleibt.86 Von entsprechenden Vorgaben wurde vor dem Hintergrund der divergierenden nationalen Traditionen und der speziell im UK gefürchteten potentiellen Blockaden des Angebotsverfahrens durch „tactical litigation“87 bewusst abgesehen. Erwägungsgrund 8 S. 1 bezeichnet die gerichtliche Überprüfbarkeit der Entscheidungen der Aufsichtsstelle jedoch unter Hinweis auf die allgemeinen Grundsätze des Unionsrechts ausdrücklich als Desiderat; mit Blick darauf dürfte zumindest ein völliger Ausschluss jeglichen Rechtsschutzes unzulässig sein88. Deutschland hat sich für eine behördliche Aufsicht entschieden 89, die gem. § 4 22 Abs. 1 WpÜG durch die BaFin ausgeübt wird. §§ 7, 8 WpÜG regeln ihre Zusammenarbeit mit anderen Aufsichtsstellen im In- und Ausland, § 9 WpÜG die Verschwiegenheitspflicht.90 § 37 WpÜG i.V.m. §§ 8 ff. WpÜGAV autorisieren die BaFin in bestimmten Fällen zu Befreiungen von der Verpflichtung zur Abgabe und Veröffentlichung eines Angebots. Entgegen im Schrifttum geäußerter Bedenken91 sind diese

83 Vgl. Erwägungsgrund 6; KOM(2002) 534, S. 6. Für eine Abweichungsbefugnis hatte sich speziell der EWSA eingesetzt, vgl. EWSA, ABlEG v. 18.4.1991, C 102/49. 84 Näher zum Ganzen Mülbert NZG 2004, 633, 635 f.; Versteegen (Fn. 58), § 37 Rn. 6 ff. 85 Legaldefinition in Art. 2 Abs. 1 lit. f. 86 Näher Pohlmann ZGR 2007, 1, 5 ff.; Möslein (Fn. 42), S. 320 f., 364 ff. 87 Vgl. KOM(2002) 534, S. 6; Dine (1996) 17 Co Law 248, 250; Edwards ECFR 2004, 416, 421 f.; Harle/Harvey (2000) 11 ICCLR 240, 244 ff.; Mukwiri, Takeovers and the European Legal Framework, 2009, S. 10 f., 33 ff.; Pettet [2000] EBLR 384 ff.; aus deutscher Sicht Neye AG 2000, 289, 292. 88 Vgl. auch Möslein (Fn. 42), S. 321 f., 364 ff.; s. ferner (allerdings i.E. zu weit gehend) Meilicke/Meilicke ZIP 2010, 558, 564 f. 89 Vgl. BegrRegE z. WpÜG, BT-Drs. 14/7034, S. 31 in Bezug auf die ursprüngliche Zuständigkeitszuweisung an das BAWe. 90 Näher etwa die Kommentierung bei Versteegen (Fn. 58), § 7 Rn. 1 ff. m.z.w.N. 91 Vgl. Hopt/Mülbert/Kumpan AG 2005, 109, 113; Simon Konzern 2006, 12, 15; zweifelnd auch Glade/Haak/Hellich Konzern 2004, 455, 459; zumindest bgzl. § 9 S. 1 Nr. 1, 2 WpÜGAV auch Hilmer (Fn. 39), S. 103, 106; Hommelhoff/Witt in: Frankfurter Kommentar zum WpÜG, 3. Aufl. 2008, § 37 Rn. 11; Mülbert NZG 2004, 633, 641 f.

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Dispensregelungen durch Art. 4 Abs. 5 Unterabs. 2 gedeckt92. Nicht zu überzeugen vermag auch die in der Literatur teilweise vertretene Auffassung 93, dass eine richtlinienkonforme Auslegung die Annahme einer generellen Begründungs- (und Veröffentlichungs-)pflicht der BaFin gebiete.94 Gegen Entscheidungen der BaFin besteht gem. §§ 48 ff. WpÜG die Möglichkeit verwaltungsrechtlichen Rechtsschutzes;95 §§ 62 ff. WpÜG regeln den Rechtsschutz im Ordnungswidrigkeitsverfahren, § 66 WpÜG die Zuständigkeit für bürgerlich-rechtliche Streitigkeiten im Zusammenhang mit dem WpÜG.

2. Zuständigkeitsverteilung und anwendbares Recht (Art. 4 Abs. 2) 23 Die hochkomplexen Regelungen zu Zuständigkeitsverteilung und anwendbarem Recht in Art. 4 Abs. 2, die lange Zeit sehr kontrovers diskutiert wurden, sind letztlich der Versuch eines Kompromisses zum Ausgleich der im Falle einer Übernahme aufeinander prallenden Interessen von Markt- und Sitzstaat und den vor diesem Hintergrund traditionell unterschiedlichen nationalen Regelungsansätzen96.97

92 Ebenso Krause/Pötzsch in: Assmann/Pötzsch/Schneider, WpÜG, 2005, § 37 Rn. 11 ff.; Merkt FS Schwark, 2009, S. 529, 538; Schlitt/Ries in: MünchKommAktG, 3. Aufl. 2011, § 37 WpÜG Rn. 14; Versteegen (Fn. 58), § 37 Rn. 12. 93 So etwa Krause/Pötzsch (Fn. 92), § 37 Rn. 12 f. 94 Art. 4 Abs. 5 Unterabs. 2 lit. ii verlangt eine Begründung nur dann, wenn die Abweichung in einem Fall erfolgt, der nicht in einer nationalen Regelung speziell als Ausnahmetatbestand festgelegt ist, vgl. auch Versteegen (Fn. 58), § 37 Rn. 8. Zumindest dann, wenn die Befreiung auf der Basis eines der Katalogtatbestände des § 9 WpÜGAV erfolgt, handelt es sich aber eindeutig um in einer nationalen Regelung festgelegte Fälle. Zweifeln könnte man darin allenfalls in den (seltenen) Fällen, in denen die Befreiung allein auf der Basis des Grundtatbestands des § 37 Abs. 1 WpÜG erfolgt. Mit Blick auf Historie und Telos des Art. 4 Abs. 5 Unterabs. 2, speziell vor dem Hintergrund der Befreiungstatbestände in anderen Mitgliedstaaten, die weitgehend ebenfalls ein Ermessen gewähren (rechtsvergleichender Überblick bei Heuber, Die Befreiung vom Pflichtangebot nach dem Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz (WpÜG), 2006, S. 55 ff.; Versteegen (Fn. 58), § 37 Rn. 13 ff.; s. ferner auch SEC(2007) 268, Annex 3, S. 15 ff.), dürften die dort genannten Kriterien aber ebenfalls ausreichend sein, um einen „festgelegten Fall“ i.S.d. Art. 4 Abs. 5 Unterabs. 2 zu begründen. 95 Zur Europarechtskonformität des deutschen Rechtsschutzsystems näher Versteegen (Fn. 58), § 48 Rn. 6 ff., 70 m.z.w.N. Speziell zur Problematik des Rechtsschutzes zugunsten der Aktionäre ausf. Baum FS Wymeersch, 2009, S. 397 ff.; Pohlmann ZGR 2007, 1 ff. 96 Näher zu den theoretisch denkbaren und rechtstatsächlich genutzten Anknüpfungskriterien: von Hein AG 2001, 213, 223 ff.; Siems ECFR 2004, 458, 461 ff.; Zimmer ZGR 2002, 731 ff. 97 Vgl. S. Maul NZG 2005, 151, 157 f.; S. Maul/Muffat-Jeandet AG 2004, 221, 227; Neye AG 2000, 289, 291; Siems ECFR 2004, 458, 474.

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Unproblematisch ist der Fall der Koinzidenz von Markt- und Satzungssitz- 24 staat 98: Sind die Wertpapiere der Zielgesellschaft zum Handel (auch99) auf einem geregelten Markt in dem Mitgliedstaat zugelassen, in dem sie ihren Satzungssitz hat, so ist gem. Art. 4 Abs. 2 lit. a die Aufsichtsstelle dieses Mitgliedstaats für die Beaufsichtigung des Angebots zuständig und es gilt das Recht dieses Mitgliedstaats. Letzteres ist zwar nicht ausdrücklich geregelt, ergibt sich aber nach ganz h.M.100 aus Ratio und Systematik des Art. 4 Abs. 2, der in lit. e explizit das Gleichlaufprinzip verankert. Kompliziert wird es dagegen im Falle eines Auseinanderfallens von Markt- und 25 Satzungssitzstaat, denn dann kommt es zu einer Zuständigkeits- und Statutsspaltung (dépeçage), in der erneut der janusköpfige Charakter des Übernahmerechts (vgl. o. Rn. 6) zum Ausdruck kommt:101 Für die – wesensmäßig kapitalmarktrechtlichen – Fragen betreffend die Gegenleistung (insbesondere den Preis) und das Angebotsverfahren (insbesondere: Bieterentscheidung, Inhalt der Angebotsunterlage und Bekanntmachung des Angebots) gilt das Recht und die Aufsicht des Marktstaats (Art. 4 Abs. 2 lit. e S. 1). Für Fragen betreffend die Unterrichtung der Arbeitnehmer der Zielgesellschaft und gesellschaftsrechtliche Fragen (insbesondere betreffend Kontrollschwelle, Abweichungen von der Angebotspflicht und zulässige Abwehrmaßnahmen) gilt dagegen das Recht und die Aufsicht des Satzungssitzstaats (vgl. Art. 4 Abs. 2 lit. e S. 2). Welche Fragen im Einzelnen welchem Bereich zuzuordnen sind, ist nach der Ratio der Norm europäisch-autonom zu qualifizieren.102 Trotz der in der RL genannten Regelbeispiele verbleiben insoweit eine ganze Reihe offener Fragen.103 So dürften etwa Squeeze-out und Sell-out (Art. 15 f., dazu ausf. u. Rn. 124 ff.) gesellschaftsrechtlich zu qualifizieren sein104, die Stellungnahme der Organe der Ziel-

98 Der Begriff „Sitz“ wird zwar in der RL nicht definiert; aus dem Vergleich mit der englischen Fassung („registered office“) sowie Ratio und Gesamtsystematik der RL – speziell auch mit Blick auf die neuere Judikatur des EuGH zur Niederlassungsfreiheit (dazu ausf. § 6 Rn. 13 ff.) – ergibt sich jedoch, dass auf den Satzungssitz abzustellen ist, vgl. Handelsrechtsausschuss des DAV NZG 2006, 217; Hansen (2003) 9 Colum. J. Eur. L. 275, 283; von Hein ZGR 2005, 528, 545 ff.; Hopt/Mülbert/Kumpan AG 2005, 109; S. Maul NZG 2005, 151, 158; Mülbert NZG 2004, 633, 638; Seibt/Heiser ZGR 2005, 200, 208 ff.; zum RL-E 2002 (Fn. 33): Clausen/Sørensen (2003) 45 Scan. Stud. 89, 96; a.A. Wackerbarth in: MünchKommAktG, 3. Aufl. 2011, § 1 WpÜG Rn. 18; offen lassend: Ekkenga/Kuntz WM 2004, 2427, 2436. 99 Ob die Wertpapiere zuvor auch in (einem) anderen Mitgliedstaat(en) zum Handel an einem geregelten Markt zugelassen waren bzw. werden, ist irrelevant, arg. e contrario ex Art. 4 Abs. 2 lit. b, vgl. von Hein ZGR 2005, 528, 537; Josenhans ZBB 2006, 269, 271. 100 Vgl. von Hein ZGR 2005, 528, 537; Kindler/Horstmann DStR 2004, 866, 867; S. Maul/ Muffat-Jeandet AG 2004, 221, 228; Pötzsch/Möller WM-Sonderbeilage 2/2000, S. 11; Seibt/Heiser ZGR 2005, 200, 205; Simon FS Wymeersch, 2009, S. 345, 359. 101 Vgl. zu den zu Grunde liegenden Interessenwertungen anschaulich Hilmer (Fn. 39), S. 38 ff.; Ryngaert ECFR 2007, 434, 457 f. 102 Vgl. von Hein ZGR 2005, 528, 555. 103 Näher von Hein ZGR 2005, 528, 555 ff. 104 Ebenso Habersack § 10 Rn. 16; von Hein ZGR 2005, 528, 555 f.; Mülbert NZG 2004, 633, 638.

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gesellschaft gegenüber den Aktionären i.S.d. Art. 9 Abs. 5 (dazu u. Rn. 112 ff.) dagegen kapitalmarktrechtlich105. 26 Sind die Wertpapiere der Zielgesellschaft in mehreren Mitgliedstaaten (außer dem Satzungssitzstaat) zum Handel zugelassen, so differenziert die RL hinsichtlich der Bestimmung des Marktortes: Bei sukzessiver Mehrfachzulassung gilt das Prioritätsprinzip (d.h. es gilt Recht und Aufsicht des Mitgliedstaats der Erstzulassung, Art. 4 Abs. 2 lit. b Unterabs. 2). Bei simultaner Mehrfachzulassung nach Ablauf der Umsetzungsfrist der RL (20.5.2006) hat die Zielgesellschaft ein Wahlrecht zwischen den Marktstaaten106, das am ersten Handelstag durch Mitteilung gegenüber den betroffenen Märkten und Aufsichtsstellen auszuüben ist (Art. 4 Abs. 2 lit. c Unterabs. 1).107 Für „Altfälle“ steht das Bestimmungsrecht primär den Aufsichtsstellen gemeinsam zu; die Zielgesellschaft entscheidet nur subsidiär, falls innerhalb von 4 Wochen keine Festlegung erfolgt (Art. 4 Abs. lit. c Unterabs. 2).108 27 Diese Vorgaben machten im WpÜG wesentliche Anpassungen erforderlich: Durch das ÜbUG 109 wurde § 1 WpÜG komplett neu gefasst, § 2 Abs. 1a ergänzt und § 2 Abs. 3 WpÜG neu gefasst;110 in § 68 Abs. 2 und 3 WpÜG wurden Regelungen für „Altfälle“ ergänzt 111. Zur näheren Konkretisierung von § 1 Abs. 2 und 3 WpÜG wurde zudem die WpÜGAnwV 112 erlassen. VI. Pflichtangebot (Art. 5) 1. Ratio 28 Das Pflichtangebot als Kernelement der RL war von Anfang an Gegenstand heftiger Kontroversen, seine konkrete Ausgestaltung variierte denn auch im Verlaufe der langen Historie der RL (dazu ausf. o. Rn. 1 ff.) ganz erheblich113. Hintergrund ist, dass 105 Vgl. von Hein ZGR 2005, 528, 556 ff.; davon geht auch der deutsche Gesetzgeber aus (vgl. § 1 Abs. 2 WpÜG i.V.m. § 1 WpÜGAnwV); a.A. Mülbert NZG 2004, 633, 638. 106 Nicht wählbar sind dagegen Aufsicht und Recht des Sitzstaats, vgl. von Hein ZGR 2005, 528, 539. 107 Näher von Hein ZGR 2005, 528, 539. 108 Näher von Hein ZGR 2005, 528, 539 f.; Josenhans ZBB 2006, 269, 272; S. Maul/MuffatJeandet AG 2004, 221, 228 f. 109 Fn. 46. 110 Vgl. dazu BegrRegE z. ÜbUG, BT-Drs. 16/1003, S. 15 ff. und Bericht Finanzausschuss, BT-Drs. 16/1541, S. 4; Dieckmann NJW 2007, 17, 18 f.; Hilmer (Fn. 39), S. 50 ff.; Josenhans ZBB 2006, 269, 272 ff.; Meyer WM 2006, 1135, 1136 ff.; Seibt/Heiser AG 2006, 301, 303 ff. 111 § 68 Abs. 3 WpÜG i.d.F.d. ÜbUG wurde – da inzwischen gegenstandslos – durch das RisikobegrenzungsG (Gesetz zur Begrenzung der mit Finanzinvestitionen verbundenen Risiken (Risikobegrenzungsgesetz) v. 12.8.2008, BGBl. I, 1666) durch eine andere Regelung ersetzt; vgl. zum Ganzen KK-WpÜG/von Bülow, 2. Aufl. 2010, § 68 WpÜG Rn. 4, 9. 112 Verordnung über die Anwendbarkeit von Vorschriften betreffend Angebote im Sinne des § 1 Abs. 2 und 3 des Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetzes (WpÜG-Anwendbarkeitsverordnung) v. 17.7.2006, BGBl. I, 1698. 113 Überblick bei Schlitt/Ries (Fn. 92), § 35 WpÜG Rn. 11 ff. m.w.N.

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die grundsätzliche rechtspolitische und -ökonomische Sinnhaftigkeit eines Pflichtangebots bis heute stark umstritten ist.114 Haupteinwand ist neben der Einschränkung der unternehmerischen Handlungsfreiheit115 insbesondere, dass ein Pflichtangebot Übernahmen erheblich verteuere und dadurch effizienzsteigernde und damit ökonomisch sinnvolle Übernahmen erschwere oder gar ganz verhindere116. In Deutschland dominierte zudem lange die Auffassung, dass die differenzierten Regeln des deutschen Konzernrechts bereits einen hinreichenden Schutz gewährten und das Rechtsinstitut des Pflichtangebots insoweit einen (überflüssigen) Fremdkörper darstelle.117 Um den deutschen Widerstand zu überwinden118, wurde den Mitgliedstaaten in Art. 3 Abs. 1 RL-E 1996 119 und 1997 120 sogar die Option eingeräumt, statt eines Pflichtangebots „andere geeignete und mindestens gleichwertige Vorkehrungen zum Schutz der Minderheitsaktionäre“ vorzusehen. Dies stieß jedoch wiederum bei fast allen anderen Mitgliedstaaten auf Kritik und Unverständnis121. Deutschland gab seine Forderung nach einem solchen „Sonderweg“ daher schließlich unter seiner Ratspräsidentschaft 1999 auf (nicht zuletzt auch mit Blick auf wachsende Zweifel an der tatsächlichen Gleichwertigkeit des deutschen Konzernrechts122 und das übergeordnete Ziel eines Gesamtkonsenses über die RL),123 bestand aber zugleich auf der heute in Art. 5 Abs. 6 114 Anschauliche Zusammenfassung der Pro- und Contra-Argumente bei Wymeersch ZGR 2002, 520, 539 ff. 115 Vgl. Altmeppen ZIP 2001, 1073, 1083; Loritz/Wagner WM 1991, 709, 722; Mertens AG 1990, 252, 257; Pluskat WM 2001, 1937, 1940 f. 116 Vgl. Assmann AG 1995, 563, 570; Dimke/Heiser NZG 2001, 241, 257; Enriques FS Hopt, 2010, S. 1789, 1796; Grunewald WM 1989, 1233, 1238; Hansen (2003) 9 Colum. J. Eur. L. 275, 293 f.; Kallmeyer ZIP 1997, 2147; McCahery/Vermeulen FS Hopt, 2010, S. 2189, 2195 ff.; McCahery/Renneboog/Ritter/Haller in: Ferrarini/Hopt/Winter/Wymeersch (eds.), Reforming Company and Takeover Law in Europe, 2004, S. 575, 621; Mosca (2009) 28 YEL 308, 335; Peltzer AG 1997, 145, 150 f.; s. ferner auch Baums ZIP 1989, 1376, 1381; Möller/Pötzsch ZIP 2001, 1256, 1260. 117 Vgl. Altmeppen ZIP 2001, 1073, 1082 f.; Assmann AG 1995, 563, 571; Grunewald WM 1991, 1361, 1362 f.; Hommelhoff FS Semler, 1993, S. 455, 459 ff.; Hommelhoff/Kleindiek AG 1990, 106, 108 ff.; Kallmeyer ZIP 1997, 2147; Roos WM 1996, 2177, 2184; kritisch zur Angebotspflicht unter diesem Aspekt auch Baums ZIP 1989, 1376, 1380 f.; Mertens AG 1990, 252, 257; Pietzke FS Fikentscher, 1998, S. 601, 616 f., 620; Sandberger DZWiR 1993, 319, 325 f. 118 Vgl. Hopt ZHR 161 (1997) 368, 384; Neye AG 2000, 289, 291; Pötzsch/Möller WM-Sonderbeilage 2/2000, S. 8; Roos WM 1996, 2177, 2184; Schwarz Rn. 795; Weber EuZW 1998, 464, 468; Wolf AG 1998, 212, 219; s. ferner die ersichtlich auf das deutsche Konzernrecht gemünzte Begründung: KOM(95) 655, S. 5. 119 Fn. 18. 120 Fn. 21. 121 Vgl. Neye AG 2000, 289, 291; Pötzsch/Möller WM-Sonderbeilage 2/2000, S. 8; aus britischer Sicht etwa Dine (1996) 17 Co Law 248, 249 f. 122 Vgl. Benner-Heinacher DB 1997, 2521; Habersack/Mayer ZIP 1997, 2141, 2143 ff.; Hopt ZHR 161 (1997) 368, 387 f.; ders. FS Zöllner, 1999, S. 253, 257; Kleindiek ZGR 2002, 546, 561; Krause WM 1996, 209, 211 f.; ders. AG 1996, 209, 212; Schuster EuZW 1997, 237, 239; Weber EuZW 1998, 464, 468; Wolf AG 1998, 212, 219 f. 123 Vgl. Kleindiek ZGR 2002, 546, 556; Neye AG 2000, 289, 291; Mülbert ZIP 2001, 1221, 1226; Pötzsch/Möller WM-Sonderbeilage 2/2000, S. 8.

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enthaltenen und insbesondere auch124 auf die deutschen konzernrechtlichen Regelungen abzielende125 Klarstellung126, dass die Mitgliedstaaten zusätzliche Schutzinstrumente zugunsten der Minderheitsaktionäre vorsehen können, sofern diese den normalen Gang eines Angebots nicht behindern. 29 Tatsächlich sprechen gewichtige Argumente für ein Pflichtangebot: Dem Minderheitsaktionär, der sich nach einer Kontrollerlangung mit einem neuen kontrollierenden Aktionär (mit einer für ihn potentiell nachteiligen Unternehmenspolitik) konfrontiert sieht, wird so die Möglichkeit eröffnet, gegen einen angemessenen Preis für seine Anteile aus der Gesellschaft auszuscheiden (exit).127 Durch das Erfordernis eines angemessenen Preises wird zugleich auch die Gleichbehandlung von Minderheitsund institutionellen Investoren im Hinblick auf die Partizipation an der Kontrollprämie gewährleistet128 (vgl. auch bereits o. Rn. 14). Das Pflichtangebot ist also ein bedeutsames Schutzinstrument zugunsten der Minderheitsaktionäre.129 Zudem befördert die Existenz einer Pflichtangebotsregel die Investitionsbereitschaft der Anleger und steigert damit auch die Attraktivität des Kapitalmarktes insgesamt.130

2. Auslösungstatbestand: Kontrollerlangung 30 Ausgelöst wird die Angebotspflicht gem. Art. 5 Abs. 1 S. 1, wenn eine natürliche oder juristische Person Wertpapiere einer von der RL erfassten Zielgesellschaft (dazu o. Rn. 9) erwirbt, die ihr bei Hinzuzählung zu einer etwaigen bereits bestehenden Beteiligung einen die Kontrolle begründenden Anteil an den Stimmrechten der Zielgesellschaft verschaffen.

124 Erwägungsgrund 9 S. 3 nennt als weitere Beispiele die Verpflichtung, ein Teilangebot zu unterbreiten, wenn der Bieter nicht die Kontrolle erwirbt, oder zugleich mit dem Erwerb der Kontrolle ein Angebot zu unterbreiten. 125 Vgl. S. Maul/Muffat-Jeandet (Fn. 57), Rn. 128; Neye AG 2000, 289, 291; Pötzsch/Möller WM-Sonderbeilage 2/2000, S. 8. 126 Vgl. Neye AG 2000, 289, 290. 127 Vgl. Erwägungsgrund 9; SEC(2007) 268, S. 9; Pennington-Report (Fn. 3), Ziff. 86; BegrRegE z. WpÜG, BT-Drs. 14/7034, S. 16; S. Maul/Muffat-Jeandet (Fn. 57), Rn. 112; Mosca (2009) 28 YEL 308, 324; Psaroudakis ECFR 2010, 550, 558, 583 f.; Seibt/Heiser ZGR 2005, 200, 215. 128 Vgl. SEC(2007) 268, S. 9; Pennington-Report (Fn. 3), Ziff. 86; Berger ZIP 1991, 1644, 1652; S. Maul/Muffat-Jeandet (Fn. 62), Rn. 112; McCahery/Vermeulen FS Hopt, 2010, S. 2189, 2195. 129 Vgl. Erwägungsgrund 9; SEC(2007) 268, S. 9; Kemperink/Stuyck (2008) 45 C.M.L. Rev. 93, 106; S. Maul/Muffat-Jeandet (Fn. 57), Rn. 112; Mukwiri (Fn. 87), S. 16 f.; Psaroudakis ECFR 2010, 550, 558, 583 f.; Simon FS Wymeersch, 2009, S. 345, 360; Wooldridge [2004] EBLR 147, 151. 130 Vgl. Krause/Pötzsch (Fn. 92), § 35 Rn. 35; S. Maul/Muffat-Jeandet AG 2004, 221, 230; Psaroudakis ECFR 2010, 550, 559 ff.

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a) Kontrollschwelle (Art. 5 Abs. 3) Angesichts der insoweit äußerst divergierenden Positionen der Mitgliedstaaten131 legt 31 die RL die Kontrollschwelle – anders als die ersten Entwürfe 132 – nicht selbst fest, sondern bestimmt in Art. 5 Abs. 3, dass sich der Anteil der Stimmrechte, der Kontrolle begründet und die Art seiner Berechnung nach den Vorschriften des Mitgliedstaats richtet, in dem die Gesellschaft ihren (Satzungs-)sitz 133 hat.134 Die Mitgliedstaaten haben von der ihnen damit zukommenden Determinations- 32 befugnis äußerst unterschiedlich Gebrauch gemacht; das Spektrum reicht von einer Kontrollschwelle von 25 % (Slowenien135) bis zu 50 % (Malta136, Litauen137).138 Eine gewisse Konvergenz ist aber immerhin insoweit ersichtlich, als die zahlenmäßig meisten Mitgliedstaaten – darunter auch Deutschland (§ 29 Abs. 2 WpÜG) – die Kontrollschwelle bei 30 % fixieren139 und einige weitere bei 33,3 %140. Die Ansiedlung der

131 Vgl. KOM(95) 655, S. 6. 132 Art. 7 Abs. 1 Pennington-Report (Fn. 3): 40 % insgesamt oder Erwerb von 20 % innerhalb der letzten 12 Monate oder Kontrollerwerb; Art. 4 Abs. 1 RL-E 1989/90 (Fn. 8/11): 33,3 %. 133 Vgl. englisch: „registered office“. Zur Problematik des Sitzbegriffs i.R.d. RL bereits o. Fn. 98. 134 Kritisch dazu etwa Edwards ECFR 2004, 416, 434, 439; Kirchner/Painter (2000) 1 EBOR 353, 388; Mukwiri (Fn. 87), S. 16 f., 68, 127; Papadopoulos (Fn. 77), S. 117; Simon FS Wymeersch, 2009, S. 345, 360; positiv dagegen etwa Ventoruzzo (2006) 41 Tex. Int’ L. J. 171, 207 („sound approach“). 135 Art. 7 Abs. 1 Takeover Act (ZPre-1) No. 001-22-119/06. 136 R. 11.3, 11.8 MFSA Listing Rules. 137 Vgl. Implementation Report, SEC(2007) 268, S. 13. 138 Der Implementation Report der Kommission (SEC(2007) 268, S. 13) bezeichnet Polen mit 66 % als Mitgliedstaat mit der höchsten Kontrollschwelle. Dies gibt allerdings die polnische Regelung (Art. 73, 74 USTAWA z dnia 29 lipca 2005 r., Dz.U. 2005 Nr 184 poz. 1539) nicht korrekt wieder: Nach Art. 73 muss bei Erwerb von 33 % ein (Teil-)Angebot auf insgesamt 66 % vorgelegt werden, nach Art. 74 muss bei Erreichen der Schwelle von 66 % ein Vollangebot vorgelegt werden, vgl. auch Baums ZIP 2010, 2374, 2380; Bobrzyńki/Oplustil/Spyra, in: S. Maul/Muffat-Jeandet/Simon (eds.), Takeover bids in Europe, 2008, Rn. 2663; Oplustil/Radwan in: Jessel-Holst/Kulms/Trunk (eds.), Private Law in Eastern Europe, 2010, S. 445, 464; Szlachetka/Kluziak (2011) 8 ECL 152, 153 sowie Stroinski [2005] EBLR 1443, 1461 ff. Im Januar 2011 wurde allerdings ein Gesetzesentwurf vorlegt, der eine Abschaffung der Zweistufung und eine einheitliche Schwelle von 33 % vorsieht (abrufbar unter http://www.mf.gov.pl/_files_/bip/bip_projekty_ aktow_prawnych/fi/kapitazzowy/zal_do_zm_ust_o_ofercie_po_konferencji.pdf). 139 So etwa insbesondere Belgien (Art. 5 Abs. 1 Loi du 1er avril 2007 relative aux offres publiques d’acquisition, Moniteur belge du 26 avril 2007); Irland (Art. 1 Abs. 1 Irish Takeover Panel Act 1997); Österreich (§ 22 Abs. 2 ÜbG); Spanien (Art. 4 Abs. 1 lit. a Real Decreto 1066/2007, BOE 28 de julio 2007); UK (r. 9.1 Takeover Code); sowie seit 1.2.2011 auch Frankreich (Art. L433-3 Code monétaire et financier nach Änderung durch Loi 2010-1249, vorher: 33, 3 %); ferner: Finnland, Italien, Niederlande, Schweden, Zypern, vgl. Implementation Report, SEC(2007) 268, Annex 2 (S. 13 f.). 140 So Griechenland, Luxemburg, Portugal, Slowakei (vgl. Implementation Report SEC(2007) 268, Annex 2 (S. 13 f.)) sowie Polen (vgl. o. Fn. 138).

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Schwelle deutlich unterhalb der einfachen Stimmenmehrheit (50 % + 1) rechtfertigt sich dadurch, dass eine Hauptversammlungsmehrheit mit Blick auf die tatsächliche Aktionärspräsenz i.d.R. bereits ab 30 % besteht.141 Eine ganze Reihe von Mitgliedstaaten sieht allerdings zusätzlich noch weitere Kontrollschwellen bzw. Auslösungstatbestände vor.142 Unter dem Aspekt des „creeping in“ bei einigen spektakulären Übernahmefällen wurde die Einführung entsprechender Regelungen jüngst auch in Deutschland diskutiert 143, entsprechende Gesetzesvorschläge der SPD 144 und des Landes NRW 145 sind jedoch gescheitert.

b) Normadressat; acting in concert 33 Die Angebotspflicht trifft jede natürliche oder juristische Person146, die die Kontrolle entweder allein oder durch gemeinsam mit ihr handelnde Personen (sog. acting in concert) erwirbt. Erwägungsgrund 10 stellt ausdrücklich klar, dass die Angebotspflicht nicht für „Altfälle“, d.h. bei Inkrafttreten der nationalen Umsetzungsvorschriften bereits existierende Kontrollbeteiligungen gilt.147 Wie der EuGH in der Rs. Audiolux148 (dazu auch bereits o. Rn. 14) entschieden hat, lässt sich eine Angebotspflicht für solche Altfälle auch nicht aus einem allgemeinen Rechtsgrundsatz des Unionsrechts herleiten. 34 Mit der Einbeziehung des acting in concert sollen Umgehungen verhindert werden.149 Nach Art. 2 Abs. 1 lit. d sind „gemeinsam handelnde Personen … natürliche und juristische Personen, die mit dem Bieter … auf der Grundlage einer ausdrücklichen oder stillschweigenden, mündlich oder schriftlich getroffenen Vereinbarung zusammenarbeiten, um die Kontrolle über die Zielgesellschaft zu erhalten“. Gem.

141 Vgl. nur BegrRegE z. WpÜG, BT-Drs. 14/7034, S. 53; Habersack § 10 Rn. 18. 142 So Frankreich (Art. 433-3 Code monétaire et financier), Österreich (§ 22 Abs. 4 ÜbG), UK (r. 9.1 Takeover Code); s. ferner die Übersicht im Implementation Report SEC(2007) 268, Annex 2 (S. 13 f.) sowie näher rechtsvergleichend Baums ZIP 2010, 2374, 2378 ff.; Merkt NZI 2011, 561, 563 ff. 143 Vgl. Baums ZIP 2010, 2374 ff.; von Falkenhausen ZHR 174 (2010) 293, 298 ff.; Hirte Konzern 2010, 599 ff.; Hitzer/Düchting ZIP 2011, 1084, 1085 ff.; Merkt NZG 2011, 561 ff. 144 BT-Drs. 17/3481: Ausdehnung der Angebotspflicht auf denjenigen, der über eine Kontrollmehrheit zwischen 30 und 50 % verfügt und innerhalb von 12 Monaten mind. 2 % der Stimmrechte hinzu erwirbt (§ 35 Abs. 4 S. 1 WpÜG-E). Auf Empfehlung des Finanzausschusses (BT-Drs. 17/4710, S. 4 f.) vom Bundestag in 1. und 2. Lesung abgelehnt (vgl. BT-PlPr. 17/10293). 145 BR-Drs. 584/2/10; vom BR abgelehnt (vgl. BR-PlPr. 876, S. 418). 146 I.R.e. europäisch-autonomen Auslegung fallen darunter auch Personengesellschaften i.S.d. deutschen Verständnisses. 147 Vgl. dazu Gemeinsamer Standpunkt des Rates (Fn. 25), Begr. zu Erwägungsgrund 6. 148 Fn. 66. 149 Vgl. Ventoruzzo (2006) 41 Tex. Int’ L. J. 171, 206 Fn. 150; zu § 30 Abs. 2 WpÜG: von Bülow (Fn. 111), § 30 WpÜG Rn. 203.

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Art. 2 Abs. 2 gelten die von einer anderen Person kontrollierten Personen i.S.v. Art. 2 Abs. 1 lit. f Transparenz-RL150 (zu dieser allg. § 36 sowie bereits § 17 Rn. 155, 159 ff.) als Personen, die gemeinsam miteinander und mit der sie kontrollierenden Person handeln. Trotz dieser Legaldefinition sind die genauen Konturen des – damit europäisch-autonom zu interpretierenden151 – Rechtsinstituts des acting in concert indes nach wie vor äußerst umstritten. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass die RL auch insoweit nur einen Mindeststandard etabliert (arg. ex Art. 5 Abs. 6, dazu o. Rn. 28)152, d.h. die Mitgliedstaaten auch in Fällen eines irgendwie gearteten „Zusammenwirkens“, das kein acting in concert i.S.d. RL darstellen würde, ein Pflichtangebot verlangen können. Tatsächlich divergiert das Verständnis des acting in concert in den einzelnen Mitgliedstaaten denn auch teilweise ganz erheblich.153 Noch weiter verkompliziert wird die Problematik zudem dadurch, dass Art. 10 lit. a Transparenz-RL (dazu bereits § 17 Rn. 187 sowie noch § 36 Rn. 14) eine sprachlich abweichende Definition enthält und die nationalen Umsetzungsvorschriften auch insoweit teils erheblich divergieren.154 Nicht erforderlich ist jedenfalls, dass die Koordination rechtsgeschäftlicher Natur 35 ist155.156 Umstritten ist aber etwa insbesondere, ob ein abgestimmter Parallelerwerb ein acting in concert begründet. Speziell im deutschen Schrifttum wird dies verbreitet verneint157, u.a. mit dem Argument, dass die Präzisierung des Kontrollbegriffs und die Berechnung der Kontrollschwelle nach Art. 5 Abs. 3 in der Domäne der Mitgliedstaaten liege158. Dies vermag jedoch nicht zu überzeugen, wird dadurch doch die (den Mit-

150 Der Verweis auf Art. 87 Kapitalmarktpublizitäts-RL (Fn. 78) ist gem. Art. 32 Transparenz-RL als Verweis auf Art. 2 Abs. 1 lit. f Transparenz-RL zu lesen. 151 So implizit auch Mülbert NZG 2004, 633, 637 f.; Schmidtbleicher AG 2008, 73, 75; Raloff, Acting in Concert, 2007, S. 135 f.; abw. Psaroudakis, Acting in Concert in börsennotierten Gesellschaften, 2009, S. 216 ff., 519 f. (Konkretisierung anhand der Machtverteilung innerhalb der Gesellschaft nach Maßgabe des jeweiligen nationalen Gesellschaftsrechts). 152 Vgl. Berger/Filgut AG 2004, 592, 596; Mülbert NZG 2004, 633, 637; Schmidtbleicher AG 2008, 73, 75. 153 Ausf. rechtsvergleichend: Psaroudakis (Fn. 151), S. 221 ff.; Raloff (Fn. 151), S. 61 ff.; vgl. weiter die Länderberichte bei S. Maul/Muffat-Jeandet/Simon (eds.), Takeover bids in Europe, 2008, Rn. 445 (Kalss), 665 ff. (Wymeersch), 870 ff. (Čech), 1044 (Christensen), 1257 ff. (Airaksinen), 1438 ff. (Simon), 1661 ff. (Cloidt-Stotz), 1971 ff. (Koulouridas), 2255 (Picardi), 2454 (Rammeloo), 2670 (Bobrzyńki/Oplustil/Spyra), 2851 (Durate/Salema), 3036 (Muñoz Paredes), 3240 (Skøg), 3455 ff. (Burbidge). 154 Vgl. dazu speziell auch die Stellungnahme der European Securities Markets Expert Group v. 17.11.2008 (abrufbar unter http://ec.europa.eu/internal_market/securities/ docs/esme/acting_in_concert_20081117_en.pdf); s. ferner etwa von Bülow (Fn. 111), § 30 Rn. 204. 155 I.d.S. aber Hamann ZIP 2007, 1088, 1095; Hilmer (Fn. 39), S. 91; Seibt/Heiser ZGR 2005, 200, 216. 156 Vgl. Mülbert NZG 2004, 633, 637; Hopt/Mülbert/Kumpan AG 2005, 109, 111; s. ferner auch Grundmann Rn. 966. 157 Vgl. Baums/Sauter ZHR 173 (2009) 454, 468; von Bülow (Fn. 111), § 30 Rn. 279; Noack/ Zetzsche in: Schwark/Zimmer, KMRK, 4. Aufl. 2010, § 30 WpÜG Rn. 33; Seibt/Heiser ZGR 2005, 200, 216. 158 So Noack/Zetzsche (Fn. 157), § 30 WpÜG Rn. 33.

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gliedstaaten überlassene) Determination der Kontrollschwelle und der konkreten Berechnung der danach maßgeblichen Beteiligung mit der davon streng zu trennenden Frage nach der notwendigen Intensität des „Zusammenwirkens“ mehrerer Personen (für die Art. 2 Abs. 1 lit. d einen Mindeststandard etabliert) vermengt.159 Wortlaut, Systematik und Ratio der Art. 2 Abs. 1 lit. d und Art. 5 Abs. 1 S. 1 der RL sprechen vielmehr maßgeblich für eine extensive, auch den abgestimmten Parallelerwerb erfassende Interpretation des acting in concert 160 – nicht zuletzt auch mit Blick darauf, dass das britische Recht, das Vorbild für die Regelung in der RL war 161, den abgestimmten Parallelerwerb erfasst 162. 36 Die deutsche Definition des acting in concert in § 30 Abs. 2 WpÜG wurde durch das RisikobegrenzungsG 163 komplett neu gefasst164 und verlangt nun (vorbehaltlich einer Einzelfallausnahme) entweder eine Abstimmung über die Ausübung von Stimmrechten oder ein Zusammenwirken mit dem Ziel einer dauerhaften und erheblichen Änderung der unternehmerischen Ausrichtung der Zielgesellschaft. Obgleich damit eigentlich Rechtssicherheit geschaffen werden sollte, ist die genaue Reichweite des Tatbestands aber nach wie vor äußerst umstritten.165 Ungeachtet der gegenteiligen Äußerungen in der Begründung des Finanzausschusses 166 ist § 30 Abs. 2 WpÜG auf der Basis der „Quelle“-Judikatur des BGH 167 (dazu bereits allg. § 3 Rn. 53 ff.) aber jedenfalls richtlinienkonform dahin auszulegen, dass auch der abgestimmte Parallelerwerb erfasst ist.168 Problematisch ist auch, ob Art. 2 Abs. 2 nach der Rückgängig-

159 Vgl. auch Wackerbarth (Fn. 98), § 30 Rn. 29 Fn. 72 sowie (wenngleich in anderem Kontext) Hommelhoff/Witt (Fn. 91), § 35 Rn. 28; Nelle ZIP 2006, 2057, 2061. 160 Ebenso i.E. Berger/Filgut AG 2004, 592, 596, 600; Engert JZ 2007, 314, 315; Fleischer ZGR 2008, 185, 198 f.; Hommelhoff/Witt (Fn. 91), § 35 Rn. 24; Hopt/Mülbert/Kumpan AG 2005, 109, 111; Oechsler ZIP 2011, 449, 453; Weber/Meckbach BB 2008, 2022, 2025 f.; Prasuhn, Der Schutz von Minderheitsaktionären bei Unternehmensübernahmen nach dem WpÜG, 2009, S. 238 f.; Raloff (Fn. 151), S. 138; Wackerbarth (Fn. 98), § 30 WpÜG Rn. 29, 31. 161 Vgl. Fleischer ZGR 2008, 185, 198 f.; Raloff (Fn. 151), S. 138; Weber/Meckbach BB 2008, 2022, 2025 f. 162 Vgl. Fleischer ZGR 2008, 185, 198 f.; Raloff (Fn. 151), S. 138; Weber/Meckbach BB 2008, 2022, 2025 f.; s. ferner auch Oechsler ZIP 2011, 449, 454. 163 Fn. 111. 164 Dazu etwa von Bülow/Stephanblome ZIP 2008, 1797 ff.; Gätsch/Schäfer NZG 2008, 846, 847 ff.; Korff AG 2008, 692 ff.; Krause (2008) 5 ECL 86 f.; Weber/Meckbach BB 2008, 2022, 22024. 165 Vgl. nur die ausf. Kasuistik bei von Bülow (Fn. 111), § 30 Rn. 253 ff.; Wackerbarth (Fn. 98), § 30 WpÜG Rn. 44 ff. (jeweils m.z.w.N.). 166 Vgl. Bericht Finanzausschuss, BT-Drs. 16/9821, S. 11. 167 BGH NJW 2009, 427 („Quelle“). 168 Ebenso Wackerbarth (Fn. 98), § 30 WpÜG Rn. 31; für eine richtlinienkonforme Auslegung i.E. auch Hommelhoff/Witt (Fn. 91), § 30 Rn. 24; Oechsler ZIP 2011, 449, 453; a.A. (Zulässigkeit verneinend – allerdings vor dem „Quelle“-Urteil): Prasuhn (Fn. 160), S. 239; Weber/Meckbach BB 2008, 2022, 2025 f.

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machung der durch das ÜbUG169 erfolgten Anpassung des § 30 Abs. 1 Nr. 1 WpÜG durch das TUG170 noch ordnungsgemäß umgesetzt ist.171 c) Art der Kontrollerlangung Die Art der Kontrollerlangung ist irrelevant;172 erfasst ist nicht nur der rechtsge- 37 schäftliche, sondern auch der Kontrollerwerb in sonstiger Weise173, etwa im Wege der Gesamtrechtsnachfolge (z.B. Erbfall 174, aber insbes. auch durch Verschmelzungs- oder Spaltungsvorgänge175). Erfasst ist außerdem auch ein sog. passiver Kontrollerwerb176.177 Zudem genügt – anders als noch nach dem RL-E 1997 178 – auch der Erwerb der mittelbaren Kontrolle. Irrelevant ist ferner auch, ob erstmalig eine Kontrollsituation begründet wird oder die Kontrolle im Wege eines Kontrollwechsels erworben wird.179 Umstritten ist indes, ob auch der Übergang von gemeinsamer zu alleiniger Kontrolle einen „Kontrollerwerb“ i.S.d. Art. 5 Abs. 1 S. 1 darstellt.180 Wortlaut und 169 Fn. 46. Vgl. dazu speziell Bericht Finanzausschuss, BT-Drs. 16/1541, S. 12, der die Änderung gerade mit den Vorgaben der RL begründet. 170 Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2004/109/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Dezember 2004 zur Harmonisierung der Transparenzanforderungen in Bezug auf Informationen über Emittenten, deren Wertpapiere zum Handel auf einem geregelten Markt zugelassen sind, und zur Änderung der Richtlinie 2001/34/EG (Transparenzrichtlinie-Umsetzungsgesetz – TUG) v. 5.1.2007, BGBl. I, 10. 171 Für Richtlinienkonformität: Bundesrat, BR-Drs. 579/06(B), S. 8 f.; Bundesregierung, BT-Drs. 16/2917, S. 6; Bericht Finanzausschuss, BT-Drs. 16/3644, S. 60; Arnold AG 2006, 567, 570 f.; Bosse DB 2007, 39, 41; von Bülow (Fn. 111), § 35 Rn. 88; dagegen: Hommelhoff/Witt (Fn. 91), § 30 Rn. 26 ff.; Wackerbarth (Fn. 98), § 30 WpÜG Rn. 30; s. ferner auch Hilmer (Fn. 39), S. 93; Nelle ZIP 2006, 2057, 2058, 2062. 172 Vgl. Habersack § 10 Rn. 17; Grundmann Rn. 966; KK-WpÜG/Hasselbach, 2. Aufl. 2010, § 35 Rn. 107. 173 Vgl. Habersack § 10 Rn. 17. 174 Vgl. zu § 35 WpÜG: Hasselbach (Fn. 172), § 35 Rn. 83; Schlitt/Ries (Fn. 92), § 35 WpÜG Rn. 74. 175 Vgl. Hasselbach (Fn. 172), § 35 Rn. 107; Hilmer (Fn. 39), S. 87; s. zu § 35 WpÜG nur Assmann ZHR 172 (2008) 635, 660 ff.; Hasselbach (Fn. 172), § 35 Rn. 107 ff. (jeweils m.w.N.). 176 Darunter versteht man Fälle, in denen eine Person die Kontrollschwelle auf Grund eines Absinkens der Gesamtzahl der Stimmrechte erreicht; umfangreiche Kasuistik etwa bei Hasselbach (Fn. 172), § 35 Rn. 92 ff. m.z.w.N. 177 Vgl. zu § 35 WpÜG: Hasselbach (Fn. 172), § 35 Rn. 92 ff.; Schlitt/Ries (Fn. 92), § 35 WpÜG Rn. 85 ff. (jeweils m.w.N.). 178 Fn. 21. 179 Vgl. Habersack § 10 Rn. 17; Seibt/Heiser ZGR 2005, 200, 215; zu § 35 WpÜG: Hasselbach (Fn. 172), § 35 Rn. 132; Schlitt/Ries (Fn. 92), § 35 WpÜG Rn. 56 (jeweils m.w.N.). 180 Für Regelungsfreiheit der Mitgliedstaaten: Verse NZG 2009, 1331, 1332. In Bezug auf § 35 WpÜG bejahend: Baums/Hecker in: Baums/Thoma, WpÜG, Stand: 4. EL 2010, § 35 Rn. 130 f.; Liebscher ZIP 2002, 1005, 1015 (zumindest für bestimmte Fälle); Möller in: Assmann/Pötzsch/Schneider, WpÜG, 2005, § 29 Rn. 12; verneinend: Hommelhoff/ Witt (Fn. 91), § 35 Rn. 51; Krause/Pötzsch (Fn. 92), § 35 Rn. 108; Raloff (Fn. 151), S. 266 f.; Schlitt/Ries (Fn. 92), § 35 WpÜG Rn. 84a; Verse NZG 2009, 1331, 1335.

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Ratio des Art. 5 Abs. 1 S. 1 (auf Grund der veränderten Machtverhältnisse besteht auch hier ein Schutzbedürfnis der Minderheitsaktionäre) sprechen aber – insbesondere auch mit Blick auf die Bejahung einer Angebotspflicht in anderen europäischen Rechtsordnungen181 – maßgeblich dafür.182 d) Ausnahme: Kontrollerlangung auf Grund eines freiwilligen Angebots (Art. 5 Abs. 2) 38 Art. 5 Abs. 2 macht eine Ausnahme von der Angebotspflicht für den Fall, dass die Kontrolle auf Grund eines freiwilligen Angebots erlangt worden ist, das allen Wertpapierinhabern im Einklang mit der RL für alle ihre Wertpapiere unterbreitet worden ist. Grund ist, dass die Minderheitsaktionäre (die dann ja schon eine Chance hatten, ihre Aktien zu einem angemessenen Preis zu veräußern) in diesem Fall nicht schutzwürdig sind 183; die Pflicht zu einem neuerlichen Angebot würde hier nur zu unnötigem Zeit- und Kostenaufwand führen184. Im deutschen Recht findet sich diese Ausnahme in § 35 Abs. 3 WpÜG.185 3. Inhalt des Pflichtangebots a) Grundsatz: Vollangebot 39 Gem. Art. 5 Abs. 1 S. 2 muss das Angebot allen Wertpapierinhabern für alle ihre Wertpapiere gemacht werden, d.h. die RL fordert ein sog. Vollangebot.186 Auch dies ist letztlich eine Konkretisierung des Gleichbehandlungsgebots: jedem Aktionär soll die Option des exit gewährt werden.187 40 Den Mitgliedstaaten steht es allerdings frei, zusätzlich unter bestimmten Voraussetzungen eine Teilangebotspflicht zu etablieren (vgl. Art. 5 Abs. 6 i.V.m. Erwägungsgrund 9 S. 3, dazu bereits o. Rn. 28). Zudem ist davon auszugehen, dass es den Mitgliedstaaten auf der Basis der – speziell mit diesem Ziel auf italienischen Wunsch 188

181 So etwa in Österreich (§ 22a Nr. 2 ÜbG) oder im UK (r. 9 note 4 Takeover Code). 182 Ebenso in Bezug auf § 35 WpÜG: Baums/Hecker (Fn. 180), § 35 Rn. 130; Möller (Fn. 180), § 29 Rn. 12. 183 Vgl. Gemeinsamer Standpunkt des Rates (Fn. 25), Begr. zu Art. 5; Habersack § 10 Rn. 17. Kritisch insofern jedoch etwa Grundmann Rn. 967. 184 Vgl. zu § 35 Abs. 3 WpÜG: BegrRegE z. WpÜG, BT-Drs. 14/7034, S. 60; Hasselbach (Fn. 172), § 35 Rn. 7. 185 Dazu näher Hasselbach (Fn. 172), § 35 Rn. 241 ff. m.z.w.N. 186 Vgl. Habersack § 10 Rn. 20; S. Maul/Muffat-Jeandet AG 2004, 221, 230. Die Art. 10 RL-E 1996/97 (Fn. 18/21) ließen dagegen generell noch Teilangebote zu. 187 Vgl. bereits KOM(88) 823, Begr. zu Art. 4 RL-E 1989; zum deutschen Recht: Diekmann in: Baums/Thoma, WpÜG (Stand: 4. EL 2010), § 32 Rn. 1. 188 Vgl. Dok. 8524/03, S. 1 f. Hintergrund ist die entsprechende Teilangebotsregelung in Art. 107 Decreto legislativo 24 febbraio 1998, n. 58, die Italien beibehalten wollte (und auch hat).

Die Übernahmerichtlinie (13. Richtlinie)

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aufgenommenen – „Generalausnahmeklausel“ des Art. 4 Abs. 5 Unterabs. 2 (dazu o. Rn. 20) gestattet ist, abweichend von den Vorgaben der RL eine echte Teilangebotspflicht vorzusehen; nach der in Bezug darauf erfolgten Gemeinsamen Protokollerklärung von Rat und Kommission189 soll das nationale Recht den Wegfall der Vollangebotspflicht nach Art. 5 Abs. 1 S. 1 vorsehen können, wenn die Kontrolle nach einem freiwilligen Angebot erlangt worden ist, das im Einklang mit der RL allen Wertpapierinhabern für mindestens 60 % ihrer Wertpapiere unterbreitet worden ist, sofern das Angebot von der Mehrheit der stimmberechtigten Aktionäre gebilligt wurde (wobei Wertpapiere des Bieters und anderer Aktionäre, die allein oder zusammen mehr als 10 % der Stimmrechte ausmachen, nicht mitgerechnet werden).190 Das Pflichtangebot nach § 35 Abs. 2 WpÜG muss im Einklang mit der RL stets 41 ein Vollangebot sein (vgl. §§ 32, 39 WpÜG).191

b) Angemessener Preis (Art. 5 Abs. 1 S. 2 und Abs. 4) Um einen wirklich effektiven Schutz der Minderheitsaktionäre zu gewährleisten192, 42 verlangt Art. 5 Abs. 1 S. 2, dass das Pflichtangebot zu einem „angemessenen Preis“ erfolgt. Dieser unbestimmte Rechtsbegriff lässt den Mitgliedstaaten zwar im Ausgangspunkt einen gewissen Spielraum zur Konkretisierung. Auf Empfehlung des EP193 und speziell der High Level Group194 wurden in Art. 5 Abs. 4 aber einige wichtige grundsätzliche Regeln zur Bestimmung des „angemessenen Preises“ aufgenommen. Leitbild war es dabei, den Preis einerseits durch europäische Vorgaben weitgehend berechenbar zu machen, andererseits aber auch ausreichende Flexibilität für die Berücksichtigung besonderer Umstände zu gewährleisten.195 Art. 5 Abs. 4 Unterabs. 1 statuiert daher zunächst zwei Preisregeln, die beide 43 Ausdruck des Gleichbehandlungsgrundsatzes sind 196.197 Unterabs. 1 S. 1, der auf das EP 198 und die High Level Group199 zurückgeht, knüpft an Vorerwerbe an: Als ange-

189 190 191 192 193

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198 199

Dok. 15476/03, Anlage II. Vgl. dazu auch S. Maul/Muffat-Jeandet AG 2004, 221, 230. Vgl. nur Hommelhoff/Witt (Fn. 91), § 35 Rn. 92; Noack/Zetzsche (Fn. 157), § 35 Rn. 42. Vgl. Bericht High Level Group (Fn. 32), S. 53. Vgl. Legislative Entschließung des Europäischen Parlaments v. 13.12.2000 zu dem Gemeinsamen Standpunkt des Rates im Hinblick auf den Erlass der Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts betreffend Übernahmeangebote, ABlEU v. 17.8.2001, C 232/168, Art. 5 Abs. 1 S. 3. Bericht High Level Group (Fn. 32), S. 60 ff. Vgl. Bericht High Level Group (Fn. 32), S. 60 f.; KOM(2002) 534, S. 7. Vgl. zu S. 1: Bericht High Level Group (Fn. 32), S. 58; zu S. 2: Dok. 7152/03, S. 3. Die vereinzelt vertretene Auffassung, dass diese Regeln gegen Art. 49, 63 AEU verstießen (so Kainer ZHR 168 (2004) 542, 569) vermag nicht zu überzeugen. Kritisiert werden die Regeln aber teilweise auch aus ökonomischer Sicht, vgl. etwa Liekefett RIW 2004, 825, 828. Vgl. Art. 5 Abs. 1 S. 3 i.d.F.d. EP-Entschließung v. 13.12.2000 (Fn. 198). Vgl. Bericht High Level Group (Fn. 32), S. 58 ff.

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messen gilt danach der höchste Preis, der vom Bieter oder einer mit ihm gemeinsam handelnden Person 200 in einem von den Mitgliedstaaten festzulegenden Zeitraum (6–12 Monate 201) vor dem Pflichtangebot für die gleichen Wertpapiere gezahlt worden ist. Unterabs. 1 S. 2, der auf Initiativen des UK202 und der skandinavischen Länder 203 zurückgeht 204, knüpft an Parallelerwerbe an: Erwirbt der Bieter oder eine mit ihm gemeinsam handelnde Person nach Bekanntmachung des Angebots und vor Ablauf der Annahmefrist Wertpapiere zu einem höheren als dem Angebotspreis, so muss er sein Angebot entsprechend erhöhen. 44 Flexibilität zur Berücksichtigung besonderer Umstände wird durch die – ebenfalls auf das EP 205 und die High Level Group 206 zurückgehende – spezielle Ausnahmeklausel 207 des Art. 5 Abs. 4 Unterabs. 2 und 3 gewährleistet: Danach können die Mitgliedstaaten ihre Aufsichtsstellen ermächtigen, den sich aus den Preisregeln ergebenden Preis durch eine zu begründende und bekannt zu machende Entscheidung abzuändern – allerdings nur i.R.d. allgemeinen Grundsätze des Art. 3 Abs. 1 (dazu o. Rn. 14 ff.). Zudem müssen die Mitgliedstaaten entweder die Voraussetzungen für eine Preisänderung (die RL nennt insoweit als Beispiele: Preisvereinbarung zwischen Käufer und Verkäufer, Marktpreismanipulationen und Beeinflussung der Marktpreise durch außergewöhnliche Umstände 208) in einer Liste festlegen und/oder eindeutige Kriterien festlegen, nach Maßgabe derer eine Preisänderung erfolgen darf (die RL nennt insoweit als Beispiele: den Durchschnittsmarktwert während eines bestimmten Zeitraums, Liquidationswert der Gesellschaft oder andere objektive Bewertungskriterien, die allgemein in der Finanzanalyse verwendet werden 209). Der EFTA-Gerichtshof hat hieran in der Rs. Periscopus 210 mit Blick auf die Ratio der Norm zu Recht strenge Maßstäbe angelegt.211 Das Gebot „eindeutig festgelegter Kriterien“ erfordere es, dass die Kriterien so formuliert sind, dass die nationale Vorschrift in den typischsten von ihr erfassten Fällen einfach anwendbar ist und dass sie es ermöglichen, dass 200 Vgl. die Legaldefinition in Art. 2 Abs. 1 lit. d; näher zum acting in concert bereits o. Rn. 34 ff. 201 Der Zeitraum war im Verlauf der Verhandlungen umstritten; speziell Deutschland hatte sich für eine kürzere Frist von 3–6 Monaten (vgl. § 4 WpÜGAV a.F.: 3 Monate) oder eine generelle Wahlfreiheit der Mitgliedstaaten ausgesprochen, vgl. nur Dok. 7529/03, S. 13. 202 Vgl. Dok. 7152/03, S. 2 f. 203 Vgl. Dok. 8452/03, S. 2. 204 Entsprechende Erwägungen finden sich aber auch schon im Bericht High Level Group (Fn. 32), S. 60. 205 Vgl. Vgl. Art. 5 Abs. 1 S. 4 i.d.F.d. EP-Entschließung v. 13.12.2000 (Fn. 198). 206 Vgl. Bericht High Level Group (Fn. 32), S. 58 ff. 207 Es handelt sich um eine lex specialis zur Generalausnahmeklausel des Art. 4 Abs. 5 Unterabs. 2 (vgl. bereits o. Rn. 20), vgl. auch Möslein (Fn. 42), S. 324. 208 Vgl. bereits Bericht High Level Group (Fn. 32), S. 58. Zu denkbaren außergewöhnlichen Umständen S. Maul NZG 2005, 151, 156. 209 Vgl. bereits Bericht High Level Group (Fn. 32), S. 59. 210 EFTA-Gerichtshof v. 10.12.2010, Periscopus AS ./. Oslo Børs ASA; Erika Must AS, Rs. E-1/10, ZIP 2011, 332. Dazu Hirte EWiR 2011, 133 f.; Krause ECFR 2011, 70 ff.; Seibt CFL 2011, 213, 224. 211 Für eine restriktive Auslegung auch bereits Papadopoulos (Fn. 77), S. 116.

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ein verständiger Investor sich so über den Umfang seiner Rechte und Pflichten informieren kann, dass eine Anpassung des Preises möglich ist.212 Eine bloße Bezugnahme auf den „Marktpreis z.Z. der Entstehung der Angebotspflicht“ (wie in der fraglichen norwegischen Vorschrift) genüge hierfür nicht, denn dies gebe insbesondere keinen Aufschluss darüber, ob es sich um einen gewichteten Durchschnittspreis handeln müsse, ob tatsächlicher Handel erforderlich sei oder ob Dauerkauf- bzw. Verkaufsaufträge genügen und welche Referenzperiode maßgeblich sei. Die deutschen Preisbildungsregeln in § 31 WpÜG, §§ 3 ff. WpÜGAV basieren auf 45 dem Grundsatz von Börsenkurs (Konkretisierung in §§ 5 f. WpÜGAV) und Vorerwerbspreis (Konkretisierung in § 4 WpÜGAV) als kumulativ i.S.d. einer „Meistbegünstigung“ anzuwendenden Kriterien, d.h. maßgeblich ist jeweils der höchste Wert (vgl. § 31 Abs. 1 S. 1 WpÜG, § 3 S. 2 WpÜGAV).213 § 31 Abs. 4 normiert ergänzend eine Parallelerwerbsregel (die Referenzperiode wurde mit Blick auf Art. 5 Abs. 4 Unterabs. 1 S. 2 durch das ÜbUG 214 auf 6 Monate erhöht 215) und Abs. 5 eine Nacherwerbsregel (außerbörslicher Nacherwerb binnen 1 Jahres nach Ende des Angebotsverfahrens). Da Art. 5 Abs. 4 nur einen Mindeststandard etabliert (arg. ex Art. 3 Abs. 2 lit. b, vgl. o. Rn. 17) und zugunsten der Aktionäre jeweils stets der höchste Wert gilt (vgl. § 3 S. 2 WpÜGAV), d.h. ein höherer Vorerwerbs- oder Parallelerwerbspreis Vorrang vor dem Börsenkurs hat, ist diese Konzeption richtlinienkonform.216 Mit der RL vereinbar sind deshalb ferner insbesondere auch die zusätzliche Nacherwerbsregel (§ 31 Abs. 5) 217 und die Geltung der Mindestpreisregeln auch für freiwillige Angebote218. Von der Möglichkeit, Ausnahmen von der Vorerwerbs- und/oder Parallelerwerbsregel vorzusehen (Art. 5 Abs. 4 Unterabs. 2 und 3, dazu o. Rn. 44) hat der deutsche Gesetzgeber trotz entsprechender Forderungen im Schrifttum 219 keinen Gebrauch gemacht.220 212 EFTA-Gerichtshof v. 10.12.2010, Periscopus AS ./. Oslo Børs ASA; Erika Must AS, Rs. E-1/10, ZIP 2011, 332, Rn. 48, 50. 213 Vgl. Marsch-Barner in: Baums/Thoma, WpÜG, Stand: 4. EL 2010, § 31 Rn. 16; Noack in: Schwark/Zimmer, KMRK, 4. Aufl. 2010, § 31 WpÜG Rn. 6; Wackerbarth (Fn. 98), § 31 WpÜG Rn. 2. 214 Fn. 46. 215 Vgl. BegrRegE z. ÜbUG, BT-Drs. 16/1003, S. 26. 216 Vgl. BegrRegE z. ÜbUG, BT-Drs. 16/1003, S. 26; Habersack § 10 Rn. 21; Hilmer (Fn. 39), S. 116 ff.; Krause in: Assmann/Pötzsch/Schneider, WpÜG, 2005, § 31 Rn. 22; Noack (Fn. 213), § 31 WpÜG Rn. 10; Prasuhn (Fn. 160), S. 113; Seibt/Heiser ZGR 2005, 200, 219; Simon Konzern 2006, 12, 16; a.A. jedoch offenbar Schüppen BB 2006, 165, 171. 217 Vgl. auch bereits Hopt/Mülbert/Kumpan AG 2005, 109, 114. 218 Vgl. Haarmann in: Frankfurter Kommentar zum WpÜG, 3. Aufl. 2008, § 31 Rn. 7; Hilmer (Fn. 39), S. 128; Merkt/Binder BB 2006, 1285, 1287 f.; Noack (Fn. 213), § 31 WpÜG Rn. 10; Seibt/Heiser AG 2006, 301, 309; Simon Konzern 2006, 12, 16; a.A. Hopt/Mülbert/Kumpan AG 2005, 109, 111; Mülbert NZG 2004, 633, 640 f.; s. ferner auch Wackerbarth (Fn. 98), § 31 WpÜG Rn. 9 (Verstoß gegen Art. 63 AEU). 219 Vgl. etwa Krause (Fn. 216), § 31 Rn. 25. 220 Vgl. Haarmann (Fn. 218), § 31 Rn. 10; KK-WpÜG/Kremer/Oesterhaus, 2. Aufl. 2010, § 31 Rn. 11; Noack (Fn. 213), § 31 WpÜG Rn. 5; entgegen Hirte EWiR 2011, 133, 134 ist insbesondere auch § 5 Abs. 4 WpÜGAV keine Umsetzungsnorm (wie die gesamten

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c) Art der Gegenleistung (Art. 5 Abs. 5) 46 Der Gewährleistung eines Mindestschutzstandards für die Minderheitsaktionäre dienen auch die Vorgaben zur Art der Gegenleistung in Art. 5 Abs. 5. Grundsätzlich eröffnet die RL dem Bieter, für den Tauschangebote u.U. attraktiver als Barangebote sind221, ein Wahlrecht, ob er als Gegenleistung Wertpapiere, eine Geldleistung oder eine Kombination aus beidem anbietet (S. 1).222 Als wirklich äquivalent werden Wertpapiere mit Blick auf die Interessen der Minderheitsaktionäre aber nur dann erachtet, wenn sie liquide223 und zum Handel auf einem geregelten Markt224 zugelassen sind (denn nur dann sind sie „so gut wie Geld“ 225); ist dies nicht der Fall, so muss das Angebot wahlweise auch eine Geldleistung umfassen (S. 2). Unter dem Aspekt der Gleichbehandlung (vgl. Art. 3 Abs. 1 lit. a Hs. 1, dazu o. Rn. 15) 226 muss eine Geldleistung zumindest wahlweise zudem dann angeboten werden, wenn der Bieter oder eine mit ihm gemeinsam handelnde Person innerhalb der Vorerwerbsfrist i.S.d. Art. 5 Abs. 4 Unterabs. 1 S. 1 (dazu o. Rn. 43) Wertpapiere gegen Geldleistung erworben hat, die mindestens 5 % der Stimmrechte an der Zielgesellschaft verleihen (S. 3). S. 4 gestattet den Mitgliedstaaten i.Ü. vorzusehen, dass in allen Fällen zumindest wahlweise eine Geldleistung angeboten werden muss 227, d.h. den Minderheitsaktionären durch das Recht, stets eine Geldleistung verlangen zu können 228, einen noch höheren Schutz einzuräumen. 47 Deutschland hat von diesem Optionsrecht entgegen entsprechender Forderungen im Schrifttum 229 keinen Gebrauch gemacht.230 Dass der Bieter zumindest wahlweise 231 eine Geldleistung anbietet ist nur erforderlich, wenn er keine liquiden und zum Han-

221 222 223

224 225 226 227 228 229 230 231

Börsenpreisregeln handelt es sich vielmehr um einen über den Mindeststandard der RL hinausgehenden zusätzlichen Schutz der Minderheitsaktionäre). Vgl. zu den Vor- und Nachteilen von Tauschangeboten Herfs/Wyen FS Hopt, 2010, S. 1955, 1958 f. Entgegen Kainer ZHR 168 (2004) 542, 570 liegt hierin kein Verstoß gegen Art. 49, 63 AEU. Entgegen einer Schrifttum vertretenen Ansicht (vgl. S. Maul/Muffat-Jeandet AG 2004, 221, 231) ist der Terminus „liquide“ mit Blick auf die Ratio der Norm nicht nach nationalem Recht, sondern europäisch-autonom zu interpretieren. Aus Gründen systematischer Kohärenz empfiehlt sich insoweit eine Anlehnung an die Definition liquider Aktien in Art. 27 MiFID i.V.m. Art. 22 MiFID-DVO (allg. zu MiFID und MiFID-DVO: § 36, speziell Rn. 2) (i.d.S. auch Wackerbarth (Fn. 98), § 31 Rn. 59a f.). Legaldefinition in Art. 1 Abs. 1, dazu o. Rn. 10. Vgl. auch Neye AG 2000, 289, 293. Vgl. S. Maul/Muffat-Jeandet (Fn. 57), Rn. 127; dies. AG 2004, 221, 231. Auf dieses Optionsrecht hatte speziell das UK gedrängt, vgl. Dok. 7152/03, S. 3 f. Wie sich aus Ratio und Genese der Norm klar ergibt, steht das Wahlrecht ebenso wie bei der Parallelregelung des 15 Abs. 5 Unterabs. 1 S. 3 den Minderheitsaktionären – und nicht etwa dem Bieter – zu, vgl. dazu noch u. Fn. 540. Vgl. Seibt/Heiser ZGR 2005, 200, 219. Vgl. Haarmann (Fn. 218), § 31 Rn. 31 Rn. 10; Kremer/Oesterhaus (Fn. 220), § 31 Rn. 11; Noack (Fn. 213), § 31 WpÜG Rn. 53. Vgl. zur Zulässigkeit eines zusätzlichen wahlweisen Angebots liquider Aktien oder einer alternativen Gegenleistung nur Kremer/Oesterhaus (Fn. 220), § 31 Rn. 37, 58; Noack (Fn. 213), § 31 WpÜG Rn. 52, 72 m.w.N.

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del auf einem organisierten Markt zugelassene Aktien anbietet (§ 31 Abs. 2 WpÜG, vgl. Art. 5 Abs. 5 S. 2) oder bei einem Bar-Vorerwerb von mindestens 5 % (§ 31 Abs. 3 WpÜG232, vgl. Art. 5 Abs. 5 S. 3). Das deutsche Recht geht allerdings insofern zulässigerweise über den Mindeststandard der RL (arg. ex Art. 3 Abs. 2 lit. b, vgl. o. Rn. 17) hinaus, als für die 5 %-Grenze auch stimmrechtslose Aktien mitzählen 233 und beide Regeln auch für freiwillige Angebote 234 gelten. Zudem verlangt das deutsche Recht abweichend von der RL (die keine Währungsvorgaben macht) zwingend eine Geldleistung in Euro, um die Minderheitsaktionäre nicht mit Währungsrisiko und Wechselkosten zu belasten235; auch dies dürfte aber auf der Basis von Art. 3 Abs. 2 lit. b zulässig sein. VII. Verfahrens- und Transparenzvorschriften (Art. 6–8, 13 f.) Die Verfahrens- und Transparenzvorschriften der Art. 6–8 und 13 sollen europaweit 48 ein faires und für Minderheitsaktionäre, Arbeitnehmer und Rechtsverkehr transparentes Angebotsverfahren gewährleisten (vgl. auch Erwägungsgründe 12–15 sowie Art. 3 Abs. 1 lit. b, dazu o. Rn. 16). Die RL beschränkt sich insofern allerdings vor dem Hintergrund der auch in diesem Bereich erheblich divergierenden nationalen Vorschriften im Wesentlichen auf die essentiellen Punkte der Information über Angebote (Art. 6, dazu u. Rn. 49 ff.), der Annahmefrist (Art. 7, dazu u. Rn. 58 ff.) und der Bekanntmachung des Angebots (Art. 8, dazu u. Rn. 61 f.) und erteilt i.Ü. nur einen Regelungsauftrag an die Mitgliedstaaten im Hinblick auf weitere wichtige Punkte (Art. 13, dazu u. Rn. 63 f.). Bezüglich der Information und Anhörung der Arbeitnehmer und ihrer Vertreter beschränkt sich die RL im Wesentlichen ebenfalls auf einen Verweis auf bereits bestehenden Informationsregeln (Art. 14, dazu u. Rn. 65).

1. Information über Angebote (Art. 6) a) Bekanntmachung der Entscheidung zur Abgabe eines Angebots (Art. 6 Abs. 1) Um Insiderhandlungen zu verhindern236, verpflichtet Art. 6 Abs. 1 die Mitgliedstaaten 49 dazu, sicherzustellen, dass die Entscheidung zur Abgabe eines Angebots unverzüglich bekannt gemacht und die Aufsichtsbehörde über das Angebot unterrichtet wird 232 Abs. 3 musste jedoch auf Grund der RL hinsichtlich der Referenzperiode angepasst werden, vgl. BegrRegE z. ÜbUG, BT-Drs. 16/1003, S. 19. 233 Vgl. BegrRegE z. ÜbUG, BT-Drs. 16/1003, S. 19; Hilmer (Fn. 39), S. 120, 122. 234 Vgl. Haarmann (Fn. 218), § 31 Rn. 31 Rn. 7; Noack (Fn. 213), § 31 WpÜG Rn. 53. 235 Vgl. BegrRegE z. WpÜG, BT-Drs. 14/7034, S. 55. 236 Vgl. Erwägungsgrund 12. Näher zur Problematik des Verhältnisses von Insiderhandelsverbot nach Art. 2 ff. MAD (dazu allg. § 17 Rn. 129 ff., § 35 Rn. 8 ff.) (im deutschen Recht: § 14 WpHG) und Übernahmerecht: Hopt FS Goette, 2011, 181, 187 f.; Assmann in: Assmann/Schneider, WpHG, 5. Aufl. 2009, § 14 Rn. 133 ff.; Schwark/Kruse, in: Schwark/Zimmer, KMRK, 4. Aufl. 2010, § 14 Rn. 75 ff. (jeweils m.z.w.N.).

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(S. 1). Sie können allerdings auch eine vorherige Unterrichtung der Aufsichtsbehörde verlangen (S. 2). Sobald die Bekanntmachung erfolgt ist, müssen die jeweiligen Leitungs- und Verwaltungsorgane der Ziel- und Bietergesellschaft ihre Arbeitnehmervertreter (oder – falls solche nicht existieren – die Arbeitnehmer selbst) unterrichten. Zur Form der Bekanntmachung macht Art. 8 nähere Vorgaben (dazu u. Rn. 61). 50 Im deutschen Recht fehlt zwar eine spezielle Bekanntmachungspflicht in Bezug auf die Entscheidung zur Abgabe eines Pflichtangebots 237, § 35 Abs. 1 S. 1 WpÜG verlangt jedoch eine unverzügliche Bekanntmachung des Kontrollerwerbs, setzt also sogar früher an und ist damit richtlinienkonform.238 §§ 35 Abs. 1 S. 4, 10 Abs. 2 WpÜG verlangen in Ausübung der Ermächtigung des Art. 6 Abs. 1 S. 2 eine Vorabmitteilung an die BaFin (sowie an die betroffenen inländischen Börsen).239 Die anschließende Unterrichtung der Zielgesellschaft sowie der betroffenen Arbeitnehmer(vertreter) ist in §§ 35 Abs. 1 S. 4, 10 Abs. 5 WpÜG geregelt.240

b) Bekanntmachung der Angebotsunterlage (Art. 6 Abs. 2–5) 51 Um den Inhabern der Wertpapiere der Zielgesellschaft eine informierte Entscheidung über das Angebot zu ermöglichen241, muss der Bieter weiterhin eine Angebotsunterlage mit bestimmten Mindestangaben (dazu u. Rn. 52 f.) erstellen, die ggf. von der Aufsichtsstelle gebilligt werden (dazu u. Rn. 55 f.), in jedem Fall aber gem. Art. 8 (dazu u. Rn. 61) bekannt gemacht und anschließend von den jeweiligen Leitungsoder Verwaltungsorganen der Ziel- und Bietergesellschaft ihren Arbeitnehmervertretern (bzw. sofern solche nicht existieren: den Arbeitnehmern selbst) übermittelt werden muss (Art. 6 Abs. 2 Unterabs. 1).

aa) Inhalt (Art. 6 Abs. 3) 52 Art. 6 Abs. 3 normiert einen umfangreichen Katalog von Mindestangaben, der von den Mitgliedstaaten um weitere Pflichtangaben ergänzt werden kann. Zudem kann natürlich auch der Bieter freiwillig zusätzliche Angaben in die Angebotsunterlage aufnehmen. Um neuen Entwicklungen auf den Finanzmärkten möglichst schnell Rechnung tragen zu können242, ermächtigt Art. 6 Abs. 4 i.V.m. Art. 18 Abs. 2 die Kommis-

237 § 10 Abs. 1 S. 1 WpÜG gilt für Pflichtangebote nicht, vgl. KK-WpÜG/Hirte, 2. Aufl. 2010, § 10 Rn. 17; Noack/Holzborn in: Schwark/Zimmer, KMRK, 4. Aufl. 2010, § 10 Rn. 4. 238 Vgl. S. Maul/Muffat-Jeandet AG 2004, 221, 232; Noack/Zetzsche (Fn. 157), § 35 WpÜG Rn. 34. 239 Dazu näher Hasselbach (Fn. 172), § 35 Rn. 173 ff. m.w.N. 240 Dazu näher Hasselbach (Fn. 172), § 35 Rn. 179. 241 Vgl. Art. 6 Abs. 2 S. 1, Erwägungsgrund 13 S. 1 und Art. 3 Abs. 1 lit. b (dazu o. Rn. 16). 242 Vgl. Erwägungsgrund 28; S. Maul NZG 2005, 151, 156.

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sion zu Änderungen243 der Liste im Komitologieverfahren (vgl. dazu bereits allg. § 3 Rn. 70 ff.). 53 Die Mindestangaben lassen sich wie folgt kategorisieren:244 • •







(allgemeine) Konditionen des Angebots (lit. a); Angaben zum Bieter: Identität (lit. b) und ggf. Identität mit ihm gemeinsam handelnder Personen (lit. m); bereits bestehende Beteiligungen des/derselben (lit. g); Absichten in Bezug auf die künftige Geschäftstätigkeit der Zielgesellschaft und ggf. der Bietergesellschaft sowie in Bezug auf die Weiterbeschäftigung (lit. i); Angaben zum Angebot: gegenständliche Wertpapiere (lit. c), Mindest- und Höchstanteil/zahl der gegenständlichen Wertpapiere (lit. d) 245, etwaige Bedingungen (lit. h), Annahmefrist (lit. j, dazu näher u. Rn. 58), Angaben zur Finanzierung (lit. l), Vertragsstatut und Gerichtsstand für die sich aus dem Angebot ergebenden Verträge zwischen Bieter und Wertpapierinhabern (lit. n); Angaben zur Gegenleistung: Gegenleistung sowie bei Pflichtangeboten die zur Bestimmung angewandte Bewertungsmethode und die Art der Gegenleistung (lit. d, vgl. dazu auch bereits o. Rn. 42 ff.); falls Wertpapiere angeboten werden: Angaben zu diesen (lit. k); ggf. Angaben zu einer auf Grund der Anwendung der Durchbrechungsregel erforderlichen Entschädigung 246 (lit. e, dazu näher u. Rn. 86).

Die deutschen Regeln in § 11 WpÜG i.V.m. § 2 WpÜGAV entsprachen diesen Vorga- 54 ben nicht nur im Wesentlichen bereits, sondern gehen sogar deutlich darüber hinaus247; das ÜbUG 248 konnte sich auf wenige Ergänzungen und Modifikationen (§ 11 Abs. 2 S. 2 Nr. 4a, S. 3 Nr. 2 WpÜG, § 2 Nr. 1, 3a, 12 WpÜGAV) beschränken249. bb) Ggf. Billigung durch die Aufsichtsstelle und Anerkennung in anderen Mitgliedstaaten (Art. 6 Abs. 2) Gem. Art. 6 Abs. 2 Unterabs. 1 S. 2 muss der Bieter die Angebotsunterlage vor ihrer 55 Bekanntmachung an die Aufsichtsstelle übermitteln. Die RL stellt es den Mitgliedstaaten allerdings angesichts der insoweit divergierenden nationalen Standards 250 frei, 243 Ursprünglich hatte die Kommission nur die Befugnis zum Erlass von Durchführungsbestimmungen; durch die VO 219/2009 (Fn. 41) wurde sie jedoch auch zu Änderungen der Liste ermächtigt; zudem wurde die zeitliche Befristung gestrichen. 244 Kategorisierung in Anlehnung an S. Maul/Muffat-Jeandet (Fn. 57), Rn. 145. 245 Relevant wird dies freilich nur bei freiwilligen Angeboten sowie soweit das nationale Recht ausnahmsweise Teilangebote zulässt (dazu o. Rn. 40). 246 Der Verweis auf Abs. 4 des Art. 11 ist ein Redaktionsversehen; gemeint ist Abs. 5. 247 Vgl. KK-WpÜG/Seydel, 2. Aufl. 2010, § 11 Rn. 11. 248 Fn. 46. 249 Vgl. dazu BegrRegE z. ÜbUG, BT-Drs. 16/1003, S. 18, 26; Stellungnahme BR, BR-Drs. 154/06(B), S. 1; Bericht Finanzausschuss z. ÜbUG, BT-Drs. 16/1541, S. 12 f. 250 So ist z.B. in Frankreich traditionell eine vorherige Billigung erforderlich (jetzt Art. 231-20 AMF Règlement Général), im UK dagegen nicht (vgl. auch Seydel (Fn. 247), § 11a Rn. 7).

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ob die Angebotsunterlage vor ihrer Bekanntmachung der Billigung durch die Aufsichtsbehörde bedarf oder die Aufsichtsstelle nur nachträgliche Sanktions- und/oder Eingriffsrechte für spezielle Fälle hat (vgl. Art. 6 Abs. 2 Unterabs. 2 S. 1).251 Gem. Art. 6 Abs. 5 müssen die Mitgliedstaaten aber in jedem Fall sicherstellen, dass die Parteien des Angebots den Aufsichtsstellen ihres jeweiligen Mitgliedstaats auf Anfrage jederzeit alle ihnen zur Verfügung stehenden Informationen über das Angebot übermitteln, die für die Wahrnehmung der Aufgaben der Aufsichtsstelle notwendig sind. 56 Sofern eine vorherige Billigung der Angebotsunterlage durch die Aufsichtsstelle erforderlich ist und diese erteilt wurde, so ist diese gem. Art. 6 Abs. 2 Unterabs. 2 S. 1 grundsätzlich in allen anderen Mitgliedstaaten, an deren Märkten die Wertpapiere der Zielgesellschaft zum Handel zugelassen sind, anzuerkennen, ohne dass eine (weitere) Billigung durch die Aufsichtsstellen der betreffenden Mitgliedstaaten erforderlich wäre; diese können lediglich eine Übersetzung fordern. Zusätzliche Angaben können nur in den engen Grenzen des S. 2 verlangt werden.252 Mit dieser auf Vorschlag Belgiens, Italiens und Frankreichs253 eingeführten Anerkennungsklausel, die sich an Art. 24a Börsenzulassungsprospekt-RL254 (dem Vorläufer des heutigen Art. 17 Prospekt-RL, dazu § 34 Rn. 1 sowie bereits § 17 Rn. 20, 99) anlehnt, sollen im Interesse eines effizienten Übernahmeverfahrens kumulative oder konkurrierende Genehmigungsverfahren verhindert werden255. Die Billigung durch die zuständige Aufsichtsstelle verschafft dem Bieter also quasi einen „Europäischen Pass“256 für seine Angebotsunterlage.257 57 Das deutsche Recht verlangt eine vorherige Billigung der Angebotsunterlage durch die BaFin (§ 35 Abs. 2 S. 1, 2 i.V.m. § 14 Abs. 2 S. 1, 2 WpÜG) 258; zur Umsetzung des „Europäischen Passes“ wurde durch das ÜbUG 259 ein neuer § 11a WpÜG 260 eingefügt 261.

251 Vgl. auch Grundmann Rn. 975; S. Maul/Muffat-Jeandet (Fn. 57), Rn. 140; Neye AG 2000, 289, 293 f.; a.A. (Prüfung zwingend) jedoch offenbar Seibt/Heiser ZGR 2005, 200, 211. 252 Vgl. zum Ganzen auch von Lackum/Meyer/Witt ECFR 2008, 101, 113. 253 Vgl. Dok. 7505/99, S. 13 und Dok. 7584/99, S. 6. 254 RL 80/390/EWG des Rates v. 17.3.1980 zur Koordinierung der Bedingungen für die Erstellung, die Kontrolle und die Verbreitung des Prospekts, der für die Zulassung von Wertpapieren zur amtlichen Notierung an einer Wertpapierbörse zu veröffentlichen ist, ABlEG v. 17.4.1980, L 100/1. Vgl. zur historischen Entwicklung des Prospektrechts näher § 34 Rn. 1 f. sowie bereits § 17 Rn. 99 f. 255 Vgl. Grohmann, Das Informationsmodell im Europäischen Gesellschaftsrecht, 2006, S. 339; Seydel (Fn. 247), § 11a Rn. 1; zu § 11a WpÜG auch Renner in: Frankfurter Kommentar zum WpÜG, 3. Aufl. 2008, § 11a Rn. 1. 256 Vgl. allg. zum Prinzip des „Europäischen Passes“ im Europäischen Kapitalmarktrecht bereits § 17 Rn. 13; zum „Europäischen Pass“ i.R.d. MiFID: § 17 Rn. 212, § 33 Rn. 9; i.R.d. OGAW-RL: § 17 Rn. 237; i.R.d. AIFM-RL: § 17 Rn. 248; i.R.d. Rating-VO: § 17 Rn. 259. 257 Vgl. Noack/Holzborn (Fn. 237), § 11a WpÜG Rn. 1. 258 Dazu näher Hasselbach (Fn. 172), § 35 Rn. 213 ff. m.w.N. 259 Fn. 46. 260 Dazu näher Seydel (Fn. 247), § 11a Rn. 1 ff. m.w.N. 261 Vgl. BegrRegE z. ÜbUG, BT-Drs. 16/1003, S. 18.

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2. Annahmefrist (Art. 7) Art. 7 Abs. 1 überlässt die Festlegung der konkreten Annahmefrist zwar den Mit- 58 gliedstaaten, gibt aber einen Rahmen von minimal 2 und maximal 10 Wochen ab der Bekanntmachung der Angebotsunterlage vor (S. 1) und gestattet eine Verlängerung der Frist von 10 Wochen nur unter der Bedingung, dass der Bieter seine Absicht zur Schließung des Angebots mindestens 2 Wochen zuvor bekannt gibt 262. Damit soll sichergestellt werden, dass einerseits die Wertpapierinhaber genügend Zeit für ihre Entscheidung haben (vgl. Art. 3 Abs. 1 lit. b, dazu o. Rn. 16), andererseits aber die Geschäftstätigkeit der Zielgesellschaft nicht unangemessen beeinträchtigt wird (vgl. Art. 3 Abs. 1 lit. f, dazu o. Rn. 16).263 Um Flexibilität für die Berücksichtigung besonderer Umstände zu gewährleisten, 59 gestattet Art. 7 Abs. 2 den Mitgliedstaaten, in bestimmten Fällen Vorschriften zur Änderung der in Abs. 1 genannten Fristen vorzusehen (S. 1). Eine Ermächtigung an die Aufsichtsstelle zur Abweichung darf aber gem. S. 2 nur zu dem Zweck vorgesehen werden, der Zielgesellschaft die Einberufung einer Hauptversammlung zur Prüfung des Angebots zu ermöglichen. Nach deutschem Recht beträgt die Annahmefrist mindestens 4 und höchstens 60 10 Wochen (§ 16 Abs. 1 S. 1 WpÜG). Von den in Art. 7 vorgesehenen Optionsrechten hat der deutsche Gesetzgeber keinen Gebrauch gemacht.264

3. Bekanntmachung (Art. 8) Im Hinblick auf die Art und Weise der Bekanntmachung beschränkt sich die Art. 8 – 61 anders als noch Art. 11 RL-E 1989/90 265 – auf die Festlegung von zwei allgemeinen Prinzipien:266 Zum einen muss das Angebot so bekannt gemacht werden, dass für die Wertpapiere der Ziel- und Bietergesellschaft sowie jeder anderen vom Angebot betroffenen Gesellschaft die Markttransparenz und -integrität gewahrt bleibt und insbesondere die Veröffentlichung oder Verbreitung falscher oder irreführender Angaben ausgeschlossen wird (Abs. 1). Zum anderen müssen alle gem. Art. 6 erforderlichen Informationen und Unterlagen (dazu o. Rn. 49 ff.) so bekannt gemacht werden, dass sie den Wertpapierinhabern zumindest in den Mitgliedstaaten, in denen die Wertpapiere der Zielgesellschaft auf einem geregelten Markt zum Handel zugelassen sind, sowie den Arbeitnehmervertretern (bzw. sofern solche nicht existieren: den Arbeitnehmern selbst) der Zielgesellschaft und des Bieters ohne Weiteres und umgehend zur Verfügung stehen (Abs. 2).267

262 Die Verlängerungsmöglichkeit wurde auf Wunsch des UK aufgenommen, vgl. Neye AG 2000, 289, 294. 263 Vgl. Grundmann Rn. 970; Habersack § 10 Rn. 12, 14; Möslein (Fn. 42), S. 328. 264 Vgl. nur Hasselbach (Fn. 172), § 16 Rn. 9. 265 Fn. 8, 11. 266 Vgl. S. Maul/Muffat-Jeandet AG 2004, 221, 234. 267 Näher dazu Grohmann (Fn. 255), S. 340 f.

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Im deutschen Recht bedurfte es auf Grund dieser Vorgaben einiger Modifikationen268: Die Veröffentlichung der Kontrollerlangung (§ 35 Abs. 1 WpÜG, dazu o. Rn. 50) hat nun gem. §§ 35 Abs. 1 S. 1, 10 Abs. 3 WpÜG durch Bekanntgabe im Internet (vorher: in einem überregionalen Börsenpflichtblatt) und in einem elektronisch betriebenen Informationsverbreitungssystem zu erfolgen.269 Die Angebotsunterlage ist nun durch Bekanntgabe im Internet sowie durch Bekanntgabe im elektronischen Bundesanzeiger (vorher: überregionales Börsenpflichtblatt) oder durch Bereithalten zur kostenlosen Ausgabe bei einer geeigneten Stelle im Inland zu veröffentlichen (§§ 35 Abs. 2 S. 2, 14 Abs. 3 S. 1 WpÜG).270 Im Hinblick auf die Unterrichtung der Arbeitnehmer(vertreter) waren zudem Änderungen in §§ 10 Abs. 5, 14 Abs. 4 WpÜG erforderlich.271 4. Weitere Verfahrensregeln (Art. 13)

63 Während die RL-E 1989/90 272 in Art. 13, 15 ff. noch eine ganze Reihe weiterer Verfahrensregeln enthielten, beschränkt sich Art. 13 angesichts der insoweit ebenfalls erheblich divergierenden nationalen Bestimmungen darauf, den Mitgliedstaaten einen Regelungsauftrag im Hinblick auf eine Reihe bestimmter weiterer wichtiger Punkte zu erteilen. Damit werden diese Fragen zwar nicht harmonisiert, es ist aber zumindest sichergestellt, dass im Interesse eines effizienten Übernahmeverfahrens in jeder nationalen Rechtsordnung Regelungen diesbezüglich existieren. Gegenstand des Regelungsauftrags sind: Hinfälligkeit (lit. a) und Änderung (lit. b) der Angebote, konkurrierende Angebote (lit. c) 273, Bekanntmachung der Ergebnisse der Angebote (lit. d) sowie Unwiderruflichkeit der Angebote und zulässige Bedingungen (lit. e). 64 Das deutsche Recht wurde diesen Vorgaben mit § 18 WpÜG (Bedingungen; kein Rücktritts- oder Widerrufsvorbehalt), § 21 WpÜG (Änderungen), § 22 WpÜG (konkurrierende Angebote) und § 23 WpÜG (Veröffentlichung der Ergebnisse) bereits gerecht. 5. Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmervertreter (Art. 14) 65 I.R.d. Verhandlungen über die RL wurden zwar immer wieder Forderungen nach einem speziellen Verfahren zur Konsultation der Arbeitnehmer und ihrer Vertreter laut; 274 diese konnten sich jedoch nicht durchsetzen. Die RL beschränkt sich statt des268 269 270 271 272 273

Vgl. dazu BegrRegE z. ÜbUG, BT-Drs. 16/1003, S. 18. Näher dazu etwa Hirte (Fn. 237), § 10 Rn. 66 ff. m.w.N. Näher dazu etwa Seydel (Fn. 247), § 14 Rn. 62 ff. m.w.N. Vgl. dazu BegrRegE z. ÜbUG, BT-Drs. 16/1003, S. 18. Fn. 8, 11. Speziell zur Problematik konkurrierender Angebote: Kemperink/Stuyck (2008) 45 C.M.L. Rev. 93 ff.; Liekefett RIW 2004, 825, 829 f.; Mucciarelli ECFR 2006, 408 ff. 274 Vgl. Stellungnahmen des EWSA v. 5.11.2002 (Fn. 34), Ziff. 2.8; Stellungnahme des EWSA v. 26.3.1996 (Fn. 19), Ziff. 1.4, 3.7.

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sen auf die Etablierung einzelner Informationsregeln275 und verweist i.Ü. in Art. 14 lediglich auf die nationalen Vorschriften zur Umsetzung der EBR-RL276 (dazu § 39), der Massenentlassungs-RL277, der SE-RL (dazu § 41 Rn. 186 ff.) und der allgemeinen Rahmen-RL 2002/14/EG (dazu § 13 Rn. 13 ff.).278

VIII. Zulässigkeitsrahmen für Abwehrmaßnahmen und Transparenz für Aktionäre und Kapitalmarkt (Art. 9–12) 1. Hintergründe und Grundstruktur der Regelung Die rechtlichen Rahmenbedingungen für Abwehrmaßnahmen gegen (feindliche) 66 Übernahmeangebote waren von Anfang an eines der „Hauptschlachtfelder“ des gesamten RL-Projekts. Der Pennington-Entwurf 279 hatte nach dem Vorbild des City Code eine strikte Neutralitätspflicht vorgesehen (Art. 22). Ausgehend davon wurde die Neutralitätspflicht zu einem Kernelement sämtlicher folgender RL-Entwürfe (vgl. Art. 8 RL-E 1989/90 280 und 1996/97 281; Art. 9 Gemeinsamer Standpunkt 2000 282); stets kontrovers diskutiert, wurde ihre genaue Reichweite allerdings immer wieder verändert. Unter dem Eindruck speziell des deutschen Stimmungswandels vor dem Hintergrund der Übernahmeschlacht um Mannesmann/Vodafone wurde die strenge Neutralitätspflicht dann schließlich zum neuralgischen Punkt und Hauptgrund für die „historische“ Ablehnung im EP im Juli 2001 (vgl. bereits o. Rn. 3). Die High Level Group sprach sich in ihrem Bericht vom Januar 2002 jedoch gleichwohl für ihre Beibehaltung aus, empfahl allerdings zur Schaffung eines „level playing field“ eine umfassendere Offenlegung von Gesellschaftsstrukturen und Abwehrmechanismen sowie die Ergänzung einer Durchbrechungsregel283.284 Die Kommission folgte diesen Vor275 Vgl. die speziellen Übermittlungsregeln in Art. 6 Abs. 1 S. 3 (dazu o. Rn. 49) und Abs. 2 Unterabs. 1 S. 3 (dazu o. Rn. 51), jeweils i.V.m. Art. 8 Abs. 2 (dazu o. Rn. 61); Art. 9 Abs. 5 S. 2 (dazu u. Rn. 112); speziell auf die Arbeitnehmer bezogene Angabepflichten finden sich ferner in: Art. 6 Abs. 3 lit. i (dazu o. Rn. 53), Art. 9 Abs. 5 S. 1 (dazu o. Rn. 112), Art. 10 Abs. 1 lit. e u. k (dazu o. Rn. 117); s. schließlich auch Art. 3 Abs. 1 lit. b (dazu o. Rn. 16). 276 Die Bezugnahme auf die RL 94/45/EG ist heute als solche auf die Neufassung (RL 2009/38/EG) zu lesen, vgl. Art. 17 Abs. 2 RL 2009/38/EG. Zur historischen Entwicklung der EBR-RL näher § 39 Rn. 1 ff. 277 RL 98/59/EG des Rates v. 20.7.1998 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen, ABlEG v. 12.8.1998, L 225/16. 278 Näher zu Art. 14: Hirte ECFR 2005, 1, 11 ff.; Kindler/Horstmann DStR 2004, 866, 869 f.; Papadopoulos (Fn. 77), S. 143 ff.; Sjåfjell [2011] EBLR 641, 657 ff. 279 Fn. 3. 280 Fn. 8, 11. 281 Fn. 18, 21. 282 Fn. 25. 283 Vgl. zu Vorbildern im französischen und italienischen Recht: Bericht High Level Group (Fn. 32), S. 34; Dauner-Lieb/Lamandini (Fn. 33), 3.1. 284 Bericht High Level Group (Fn. 32), S. 29 ff.

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schlägen in ihrem neuen Entwurf vom Oktober 2002285 zwar im Grundsatz. Die Durchbrechungsregel wurde jedoch nur partiell übernommen286; nicht erfasst waren – auf Grund von Widerstand speziell aus den skandinavischen Ländern287 und Frankreich288 (wo Mehrstimmrechte weit verbreitet sind) sowie angesichts von Bedenken im Hinblick auf die Eigentumsgarantie 289 – insbesondere Mehrstimmrechte und stimmrechtslose Vorzugsaktien. Diese „kleine Lösung“290 wurde jedoch speziell von deutscher Seite 291, aber auch von den vom EP beauftragten Gutachtern Dauner-Lieb und Lamandini 292 als nicht ausreichend zur Herstellung eines wirklichen „level playing field“ kritisiert. Nach äußerst kontroversen Verhandlungen im Rat, i.R.d. beide Seiten ihre Positionen erbittert verteidigten, gelang der Durchbruch erst mit der von Portugal im Juni 2003 vorgeschlagenen Kompromisslösung eines Optionsmodells, das es den Mitgliedstaaten letztlich freistellte, Neutralitätspflicht und/oder Durchbrechungsregel anzuwenden (dazu näher u. Rn. 90 ff.).293 67 Grundstruktur der Art. 9–12 ist damit folgende: Art. 9 etabliert eine strikte Neutralitätspflicht („Verhinderungsverbot“) (dazu ausf. u. Rn. 68 ff.), Art. 11 eine umfassende Durchbrechungsregel (dazu ausf. u. Rn. 77 ff.). Das in Art. 12 verankerte Optionsmodell (dazu ausf. u. Rn. 90 ff.) gestattet es den Mitgliedstaaten jedoch, „ihren“ Gesellschaft die Anwendung von Neutralitätspflicht und/oder Durchbrechungsregel nicht vorzuschreiben („opt out“, Abs. 1); sie müssen diesen dann jedoch die Möglichkeit geben, diese freiwillig anzuwenden („opt in“, Abs. 2); allerdings können die Mitgliedstaaten die Gesellschaften, die sich für ein „opt in“ entschieden haben, von der Anwendung der entsprechenden Regel(n) befreien, wenn der Bieter diese seinerseits nicht anwendet (sog. Reziprozitätsvorbehalt). Flankiert wird das Optionsmodell durch umfassende Transparenz- und Informationsvorschriften: Art. 10 etabliert eine Pflicht zur Offenlegung umfassender Angaben über Abwehrstrukturen

285 Fn. 33. 286 Vgl. dazu KOM(2002) 534, S. 4, 9 f. 287 Vgl. dazu die späteren Stellungnahmen von Dänemark, Schweden und Finnland (Dok. 7295/03) sowie nochmals Schweden (Dok. 7296/03) und Finnland (Dok. 7837/03) im Rat; s. ferner Bernitz [2004] EBLR 1423 ff.; Clausen/Sørensen (2003) 45 Scan. Stud. 89, 104 ff.; Skøg [2002] EBLR 301, 311 f.; ders. [2004] EBLR 1439, 1443 ff. 288 Vgl. die spätere Stellungnahme von Frankreich im Rat, Dok. 7130/03. 289 Vgl. dazu auch noch die spätere Stellungnahme des Juristischen Dienstes im Rat, Dok. 9094/03 sowie den Bericht von Wiesner ZIP 2002, 1967. 290 Vgl. auch Dauner-Lieb/Lamandini BB 2003, 265, 267: „Minidurchbruchsregel“; s. etwa auch Hansen (2003) 9 Colum. J. Eur. L. 275, 283; Rickford [2004] EBLR 1379, 1389: „mini break-through rule“. 291 Vgl. PM der BReg. v. 2.10.2002 (www.pressrelations.de/new/standard/result_main.cfm? aktion=jour_pm&r=106245) sowie den späteren Vermerk der deutschen Delegation im Rat, Dok. 15364/02; Arnold Konzern 2003, 173 ff.; Krause BB 2002, 2341, 2342 f.; Neye NZG 2002, 1144, 1145; Rühland NZG 2003, 1150, 1153. Kritik kam aber auch insbesondere auch aus Skandinavien (vgl. Hansen (2003) 9 Colum. J. Eur. L. 275, 284) und den Benelux-Staaten (vgl. Neye NZG 2002, 1144, 1145). 292 Vgl. Dauner-Lieb/Lamandini BB 2003, 265, 267. 293 Vgl. Dok. 10023/03.

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und -mechanismen im Lage- bzw. Konzernlagebericht (dazu ausf. u. Rn. 116 ff.); Art. 9 Abs. 5 verpflichtet das Leitungs- bzw. Verwaltungsorgan im konkreten Übernahmefall zu einer Stellungnahme zum Angebot (dazu ausf. u. Rn. 112 ff.).

2. Neutralitätspflicht, Durchbrechungsregel und „Optionsmodell“ a) Neutralitätspflicht („Verhinderungsverbot“) (Art. 9 Abs. 2–4) aa) Überblick und Ratio Art. 9 Abs. 2 Unterabs. 1 erlegt der Verwaltung der Zielgesellschaft eine – vorbehalt- 68 lich eng begrenzter Ausnahmen (dazu ausf. u. Rn. 72 ff.) – grundsätzlich strikte Neutralitätspflicht auf: Sobald der Bieter seine Entscheidung zur Abgabe eines Angebots bekannt gemacht hat, darf sie keine Maßnahmen ergreifen, durch die das Angebot vereitelt werden könnte (daher auch sog. „Verhinderungsverbot“). Ratio ist, dass die Letztentscheidung über das Angebot nicht bei der Verwaltung, sondern bei den Aktionären als Eigentümer der Gesellschaft liegen soll.294 Hintergrund ist der in der Übernahmesituation typischerweise bestehende principal-agent-conflict zwischen Verwaltung (agent) und Aktionären (principal): Die Verwaltung soll zwar eigentlich im Interesse der Gesellschaft (und damit der Aktionäre) handeln, im Falle eines Übernahmeangebots besteht aber u.U. ein erheblicher Anreiz, auch ein aus Sicht der Aktionäre günstiges bzw. effizientes Übernahmeangebot im Hinblick auf die eigenen Interessen (Gefahr eines Verlustes der eigenen Position, da der Bieter im Falle einer Übernahme i.d.R. das Management auswechseln wird) zu blockieren.295 Der Kern der Regelung liegt damit letztlich eigentlich gar nicht im Verbot bestimmter Maßnahmen, sondern vielmehr in der prinzipiellen Verlagerung der Kompetenz für das Angebot (potentiell) vereitelnde Maßnahmen auf die Hauptversammlung.296

bb) Adressat Adressat der Neutralitätspflicht ist das „Leitungs- bzw. Verwaltungsorgan“ der 69 Zielgesellschaft. Art. 9 Abs. 6 bestimmt dazu ausdrücklich, dass hiermit im dualistischen System sowohl Vorstand (management board) als auch Aufsichtsrat (super-

294 Vgl. Bericht High Level Group (Fn. 32), S. 22; KOM(2002) 534, S. 7 f.; Implementation Report, SEC(2007) 268, S. 5; Grundmann Rn. 984; Papadopoulos (Fn. 77), S. 120. 295 Vgl. Implementation Report, SEC(2007) 268, S. 5; Grundmann NZG 2005, 122, 123; Hopt FS Wymeersch, 2009, S. 373, 376 f.; Menjucq ECFR 2006, 222, 229; Mukwiri (Fn. 87), S. 56 f., 61; zu § 33 WpÜG: BegrRegE z. WpÜG, BT-Drs. 14/7034, S. 57; Grunewald in: Baums/Thoma, WpÜG (Stand: 4. EL 2010), § 33 Rn. 9; Hirte (Fn. 237), § 33 Rn. 23; Schlitt/Ries (Fn. 92), § 33 WpÜG Rn. 6 f. 296 Vgl. Grundmann Rn. 990; ders. NZG 2005, 122, 124; Möslein (Fn. 42), S. 359; Mukwiri (Fn. 87), S. 55; zu § 33 WpÜG auch Bayer ZGR 2002, 588, 604.

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visory board) erfasst sind.297 Damit erteilt die RL dem deutschen „Sonderweg“298, Maßnahmen mit Zustimmung des Aufsichtsrats vom Verhinderungsverbot auszunehmen (§ 33 Abs. 1 S. 2 Var. 3 WpÜG), den die deutsche Seite mit Unterstützung der Gewerkschaften auch auf europäischer Ebene versucht hatte durchzusetzen299, eine eindeutige Absage.

cc) Gegenstand 70 Gegenstand des Verhinderungsverbots sind sämtliche „Maßnahmen, durch die das Angebot vereitelt werden könnte“. Ausreichend ist also schon die bloße objektive Eignung zur Vereitelung des Angebots; eine subjektive Vereitelungsabsicht ist ebenso wenig erforderlich wie ein tatsächlicher Vereitelungserfolg.300 Art. 9 Abs. 2 Unterabs. 1 Hs. 2 nennt als Regelbeispiel die Ausgabe von Wertpapieren, durch die der Bieter auf Dauer an der Kontrollerlangung gehindert werden könnte. Darunter fallen nicht nur Kapitalerhöhungen (egal ob in regulärer Form oder im Wege des genehmigten Kapitals) 301, sondern etwa auch die Emission von Wandel- und Optionsanleihen302. Erfasst sind aber z.B. auch: Veräußerung bedeutender Vermögensgegenstände und Beteiligungen (crown jewel defence) 303, Erwerb eigener Aktien 304, Vereinbarung von change of control-Klauseln305 oder von hohen Abfindungszahlungen an Organmitglieder (sog. golden parachutes) 306, Gegenangebot auf den Bieter (sog. pac man defence) 307, Staffelung der Amtszeit der Organmitglieder (sog. staggered board) 308. Grundsätzlich zulässig sein dürften dagegen etwa Werbemaßnahmen (arg. ex

297 Näher zu den Hintergründen dieser erst relativ spät im Rat aufgenommenen (vgl. Dok. 8649/03 ADD 1, S. 17) Bestimmung: S. Maul/Muffat-Jeandet AG 2004, 221, 232. 298 Hopt ZHR 166 (2002) 383, 427 spricht gar von einem „Sündenfall“; differenzierend dagegen etwa U.-H. Schneider AG 2002, 125, 129. 299 Vgl. den deutschen Vorschlag in Dok. 15364/02, S. 3 f. 300 Vgl. Glade/Haak/Hellich Konzern 2004, 515, 517; Grundmann Rn. 990; Hesse in: Birk/Pöllath/Saenger (Hrsg.), Forum Unternehmenskauf 2005, 2005, S. 83, 96; Hilmer (Fn. 39), S. 144; zur Umsetzung in § 33a WpÜG: Hirte (Fn. 237), § 33a Rn. 14; Schlitt/Ries (Fn. 92), § 33a WpÜG Rn. 30. 301 Vgl. S. Maul/Muffat-Jeandet AG 2004, 306, 311; Möslein (Fn. 42), S. 358; Mukwiri (Fn. 87), S. 41; Papadopoulos (Fn. 77), S. 122. 302 Vgl. zu § 33a WpÜG: Hirte (Fn. 237), § 33a Rn. 14 i.V.m. § 33 Rn. 60. 303 Vgl. S. Maul/Muffat-Jeandet AG 2004, 306, 311; Mukwiri (Fn. 87), S. 41; Papadopoulos (Fn. 77), S. 122; zu § 33a WpÜG: Hirte (Fn. 237), § 33a Rn. 14 i.V.m. § 33 Rn. 58. 304 Vgl. S. Maul/Muffat-Jeandet AG 2004, 306, 311; Möslein (Fn. 42), S. 358; zu § 33a WpÜG: Hirte (Fn. 237), § 33a Rn. 14 i.V.m. § 33 Rn. 61. 305 Vgl. zu § 33a WpÜG nur: Hirte (Fn. 237), § 33a Rn. 14 i.V.m. § 33 Rn. 59. 306 Vgl. zu § 33a WpÜG nur: Hirte (Fn. 237), § 33a Rn. 14 i.V.m. § 33 Rn. 59. 307 Vgl. zu § 33a WpÜG nur: Hirte (Fn. 237), § 33a Rn. 14 i.V.m. § 33 Rn. 59. 308 Vgl. zu § 33a WpÜG nur: Schlitt/Ries (Fn. 92), § 33a WpÜG Rn. 30 i.V.m. § 33 WpÜG Rn. 281.

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Art. 9 Abs. 5, dazu u. Rn. 112 ff.);309 die Mitgliedstaaten müssen allerdings dafür sorgen, dass keine falschen oder irreführenden Angaben verbreitet werden310, 311.

dd) Zeitlicher Anwendungsbereich (Art. 9 Abs. 2 Unterabs. 2) Gem. Art. 9 Abs. 2 Unterabs. 2 S. 1 beginnt die Neutralitätspflicht, sobald das Lei- 71 tungs- bzw. Verwaltungsorgan der Zielgesellschaft die Informationen nach Art. 6 Abs. 1 S. 1 (= Bekanntmachung der Entscheidung des Bieters zur Abgabe eines Angebots, dazu o. Rn. 49) erhalten hat. S. 2 ermächtigt die Mitgliedstaaten allerdings ausdrücklich, einen früheren Beginn festzulegen und nennt als Beispiel die Kenntnis vom unmittelbaren Bevorstehen der Abgabe eines Angebots312. Die Neutralitätspflicht endet erst, wenn entweder das Ergebnis des Angebots bekannt gemacht worden ist oder das Angebot hinfällig ist (zum diesbezüglichen Regelungsauftrag an die Mitgliedstaaten in Art. 13 bereits o. Rn. 63).

ee) Ausnahmen (1) Suche nach konkurrierenden Angeboten (Art. 9 Abs. 2 Unterabs. 1 Hs. 1) Stets zulässig ist gem. Art. 9 Abs. 2 Unterabs. 1 Hs. 1, der erst im Gemeinsamen 72 Standpunkt des Rates ergänzt wurde 313, die Suche nach einem konkurrierenden Angebot („white knight“) 314. Ratio ist, dass dies dem Zweck des Verhinderungsverbots nicht widerspricht, sondern den Aktionären hierdurch vielmehr sogar noch eine weitere Entscheidungsalternative eröffnet wird und ein Wettbewerb zwischen mehreren Interessenten zudem meist auch zu verbesserten Angebotskonditionen führt.315

309 Ebenso i.E. Harbarth in: Baums/Thoma, WpÜG (Stand: 4. EL 2010), § 28 Rn. 12; Hirte (Fn. 237), § 28 Rn. 6; Röh in: Frankfurter Kommentar zum WpÜG, 3. Aufl. 2008, § 28 Rn. 3. 310 Vgl. Harbarth (Fn. 309), § 28 Rn. 12; Hirte (Fn. 237), § 28 Rn. 6; Röh (Fn. 309), § 28 Rn. 3. 311 Im deutschen Recht ist dies durch § 28 WpÜG gewährleistet, vgl. Harbarth (Fn. 309), § 28 Rn. 12; Hirte (Fn. 237), 28 Rn. 6; Röh (Fn. 309), § 28 Rn. 3. 312 Dies ist ersichtlich auf das britische Recht gemünzt; nach r. 21.1 Takeover Code beginnt die Neutralitätspflicht bereits, „if the board of the offeree company has reason to believe that a bona fide offer might be imminent“. 313 Vgl. Gemeinsamer Standpunkt des Rates (Fn. 25), Begr. zu Art. 9. 314 Für eine teleologische Reduktion im Falle eines „black knight“: Mucciarelli ECFR 2006, 408, 425; Papadopoulos (Fn. 77), S. 124. 315 Vgl. Clarke [2011] EBLR 517, 523; Grundmann Rn. 989; Kemperink/Stuyck (2008) 45 C.M.L. Rev. 93, 94, 122; Mucciarelli ECFR 2006, 408, 415 f.; Pötzsch/Möller WM-Sonderbeilage 2/2000, S. 10; Papadopoulos (Fn. 77), S. 123.

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(2) Maßnahmen innerhalb des normalen Geschäftsverlaufs (arg. ex Art. 9 Abs. 3) 73 Stets zulässig sind zudem sämtliche Maßnahmen innerhalb des normalen Geschäftsverlaufs (arg. ex Art. 9 Abs. 3).316 Die teilweise im Schrifttum vertretene Ansicht,317 dass auch sie nur dann zulässig seien, wenn sie auf einer bereits im Vorfeld getroffenen Entscheidung beruhen, vermag nicht zu überzeugen. Denn zum einen ist schon der Wortlaut des Art. 9 Abs. 3 keineswegs zwingend i.d.S. zu verstehen. Vor allem aber wurde nach Diskussion der Problematik im Rat318 speziell der jetzige Erwägungsgrund 16 aufgenommen, aus dem sich klar ergibt, dass das Verhinderungsverbot die Zielgesellschaft nicht in ihrer normalen Geschäftstätigkeit behindern (vgl. auch den allgemeinen Grundsatz des Art. 3 Abs. 1 lit. f, dazu o. Rn. 16) und Art. 9 Abs. 3 nur außergewöhnliche Handlungen beschränken soll.319

(3) Umsetzung bereits getroffener Entscheidungen außerhalb des normalen Geschäftsverlaufs (arg. e contrario ex Art. 9 Abs. 3) 74 Zulässig sind weiterhin Maßnahmen außerhalb des normalen Geschäftsverlaufs, sofern sie der Umsetzung von Entscheidungen dienen, die vor Beginn der Neutralitätspflicht (dazu o. Rn. 71) gefasst und teilweise umgesetzt wurden (arg. e contrario ex Art. 9 Abs. 3). Erforderlich ist also nicht nur, dass die Maßnahme im Zeitpunkt des Beginns der Neutralitätspflicht bereits beschlossen war, vielmehr muss sie zu diesem Zeitpunkt auch bereits teilweise umgesetzt worden sein.320 Damit soll einerseits gewährleistet werden, dass die Geschäftstätigkeit der Zielgesellschaft nicht unangemessen eingeschränkt wird (vgl. Erwägungsgrund 16 und Art. 3 Abs. 1 lit. f, dazu bereits o. Rn. 16), andererseits wird durch das Erfordernis der bereits teilweisen Umsetzung aber auch verhindert, dass zu Abwehrzwecken Entscheidungen „auf Vorrat“ getroffen werden321.

316 Ebenso BegrRegE z. ÜbUG, BT-Drs. 16/1003, S. 19; Glade/Haak/Hellich Konzern 2004, 515, 519; Hirte (Fn. 237), § 33a Rn. 18; Hopt/Mülbert/Kumpan AG 2005, 109, 112; Kiem in: Baums/Thoma, WpÜG (Stand: 4. EL 2010), § 33a Rn. 48; Noack/Zetzsche (Fn. 157), § 33 WpÜG Rn. 22; Schlitt/Ries (Fn. 92), § 33a WpÜG Rn. 41; Ventoruzzo (2006) 41 Tex. Int’ L. J. 171, 209. 317 Vgl. Röh/Vogel in: Frankfurter Kommentar zum WpÜG, 3. Aufl. 2008, Vor §§ 33 ff. Rn. 16; Seibt/Heiser AG 2006, 301, 311; s. ferner auch Simon Konzern 2006, 12, 13. 318 Vgl. Dok. 7548/99, S. 9. 319 Vgl. auch Noack/Zetzsche (Fn. 157), § 33a WpÜG Rn. 22; Schlitt/Ries (Fn. 92), § 33a WpÜG Rn. 41. 320 Vgl. Röh/Vogel (Fn. 317), Vor §§ 33 ff. Rn. 14 f.; zu § 33a WpÜG: Hirte (Fn. 237), § 33a Rn. 22; Kiem (Fn. 316), § 33a Rn. 55 f.; Noack/Zetzsche (Fn. 157), § 33 WpÜG Rn. 24 f.; Schlitt/Ries (Fn. 92), § 33a WpÜG Rn. 50. 321 Vgl. zu § 33a WpÜG: Hirte (Fn. 237), § 33a Rn. 22; Noack/Zetzsche (Fn. 157), § 33 WpÜG Rn. 25.

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(4) Maßnahmen auf der Grundlage einer Ermächtigung der Hauptversammlung (Art. 9 Abs. 2–4) Zulässig sind schließlich Maßnahmen auf Grund einer zu diesem Zweck erteilten Er- 75 mächtigung der Hauptversammlung (vgl. Art. 9 Abs. 2 Unterabs. 1 Hs. 1), denn dann ist der Zweck des Verhinderungsverbots – das Entscheidungsrecht der Aktionäre (vgl. o. Rn. 68) – ja gerade gewahrt. Die Entscheidung der Hauptversammlung muss sich auf die konkrete Abwehrmaßnahme beziehen („zu diesem Zweck“). Im Vorfeld eines (etwaigen) Übernahmeangebots erteilte Vorratsermächtigungen sind nicht zulässig 322; eine entsprechende Regelung in Art. 9 Abs. 2 des Gemeinsamen Standpunktes des Rats323 wurde entsprechend der Empfehlung der High Level Group324 bewusst nicht in die endgültige Fassung der RL aufgenommen, obgleich einige Mitgliedstaaten dies ausdrücklich gefordert hatten325. Ratio ist, dass die Aktionäre in Kenntnis aller relevanten Informationen entscheiden können sollen und dies erst dann wirklich möglich ist, wenn tatsächlich ein Angebot erfolgt ist.326 Ein spezielles Mehrheitserfordernis sieht die RL allerdings nicht vor; insofern gelten vielmehr die allgemeinen Regeln. Um der Zielgesellschaft trotz des Hauptversammlungserfordernisses eine kurz- 76 fristige Reaktion zu ermöglichen327, ermächtigt Art. 9 Abs. 4 die Mitgliedstaaten, eine gegenüber der allgemeinen Regel des Art. 5 Abs. 1 Aktionärsrechte-RL (dazu § 31 Rn. 17 ff.) verkürzte Einberufungsfrist vorzusehen, die allerdings im Interesse eines Mindestschutzes für die Aktionäre328 mindestens 2 Wochen329 betragen muss.

b) Durchbrechungsregel (Art. 11) aa) Überblick und Ratio Die auf die High Level Group zurückgehende (vgl. o. Rn. 4, 66) Durchbrechungsregel 77 soll der Schaffung eines „level playing field“ dienen: Als eine Art Ausgleich und Gegengewicht zu den durch die strikte Neutralitätspflicht etablierten Schranken für 322 Vgl. auch Glade/Haak/Hellich Konzern 2004, 515, 519 ff.; Grundmann Rn. 990; Hilmer (Fn. 39), S. 157 f.; S. Maul/Muffat-Jeandet AG 2004, 306, 310 f.; Mukwiri (Fn. 87), S. 345, 355; Ventoruzzo (2006) 41 Tex. Int’ L. J. 171, 209; Wooldridge [2004] EBLR 147, 152 f. 323 Fn. 25. Danach sollte ein auf 18 Monate begrenzter Vorratsbeschluss über ein genehmigtes Kapital mit Bezugsrecht zulässig sein. 324 Vgl. Bericht High Level Group (Fn. 32), S. 31 f. 325 So etwa neben Deutschland (Dok. 15364/02, S. 3) etwa auch Belgien (Dok. 5643/03) und Finnland (Dok. 7837/03, S. 2 f.). 326 Vgl. Bericht High Level Group (Fn. 32), S. 31 f.; Hilmer (Fn. 39), S. 158; S. Maul/MuffatJeandet AG 2004, 306, 310; s. ferner auch Davies/Schuster/van de Walle de Ghelcke ECGI Working Paper 141/2010, S. 6 f.; Mülbert/Birke WM 2001, 705, 718. 327 Vgl. Grundmann NZG 2005, 122, 124; Möslein (Fn. 42), S. 359 f. 328 Vgl. Grundmann NZG 2005, 122, 124. 329 Wie Art. 5 Abs. 1 Aktionärsrechte-RL klarstellt, handelt es sich um eine lex specialis zu den dort normierten allgemeinen Vorgaben für die Einberufungsfrist, vgl. noch § 31 Rn. 18.

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Ad-hoc-Abwehrmaßnahmen (post-bid defences), etabliert die Durchbrechungsregel auch Schranken für präventive Abwehrmechanismen in Form struktureller Übernahmehindernisse (pre-bid defences).330 Mit der Durchbrechungsregel soll es dem Bieter ermöglicht werden, solche strukturellen Übernahmehindernisse zu durchbrechen, um so tatsächlich die Mehrheitsbeteiligung zu erwerben und die vollständige Kontrolle auszuüben 331; dahinter steht letztlich das Ziel eines integrierten europäischen Wertpapiermarkts 332.333 Indem die „Durchbrechung“ zeitlich auf die Übernahmephase beschränkt wird, respektiert die RL aber andererseits bewusst die zwischen den nationalen Rechtsordnungen fortbestehenden Unterschiede im Hinblick auf Kapitalund Kontrollstrukturen334 (vgl. zum gescheiterten Vorhaben einer 5. (Struktur-)RL bereits § 9 Rn. 1 f.; zu den Überlegungen bezüglich legislatorischer Maßnahmen betreffend den „one share, one vote“-Grundsatz bereits § 18 Rn. 15 f.).

bb) Anwendungsbereich und Gegenstand (1) Durchbrechung statutarischer und vertraglicher Übertragungsbeschränkungen während der Annahmefrist (Abs. 2) 78 Gegenstand der Durchbrechung sind gem. Art. 11 Abs. 2 zunächst Beschränkungen in Bezug auf die Übertragung von Wertpapieren, da diese den Erfolg eines Übernahmeangebots erheblich erschweren bzw. u.U. sogar vereiteln können. Art. 11 Abs. 2 suspendiert ihre Geltung allerdings entsprechend dem Zweck der Norm nur während der Angebotsfrist gem. Art. 7 Abs. 1 (dazu o. Rn. 58 f.) und nur relativ gegenüber dem Bieter. 79 Erfasst sind zudem nur statutarische Übertragungsbeschränkungen (Unterabs. 1) (z.B. Vinkulierungsklauseln 335 oder sog. „ownership caps“ 336) und vertragliche Über-

330 Vgl. Bericht High Level Group (Fn. 32), S. 33 f.; Dauner-Lieb/Lamandini BB 2003, 265, 266; Garrido García (2002) 21 IFLR 21; Papadopoulos (Fn. 77), S. 129; zu §§ 33a, 33b WpÜG: Vogel in: Frankfurter Kommentar zum WpÜG, 3. Aufl. 2008, § 33b Rn. 1. 331 Vgl. Erwägungsgrund 19 S. 1; Bericht High Level Group (Fn. 32), S. 33 f.; Implementation Report, SEC(2007) 268, S. 5; Johnston (2004) 25 Co Law 270, 273; Knott NZG 2006, 849, 851; Papadopoulos (Fn. 77), S. 129. 332 Vgl. Bericht High Level Group (Fn. 32), S. 34; Johnston (2004) 25 Co Law 270, 273; Ventoruzzo (2006) 41 Tex. Int’ L. J. 171, 210. 333 Sehr kritisch zur Durchbrechungsregel aber etwa Clarke [2006] JBL 355, 368 ff.; Coates in: Ferrarini/Hopt/Winter/Wymeersch (eds.), Reforming Company and Takeover Law in Europe, 2004, S. 702, 707 f.; Hertig/McCahery (2003) 4 EBOR 179, 203; Knapp (2002) 23 Co Law 134; Mukwiri (Fn. 87), S. 63 f.; Palmer (2002) 21 IFLR 13, 14 f.; U.-H. Schneider AG 2002, 125, 126; Sjåfjell [2011] EBLR 641, 692. 334 Vgl. zu diesem Aspekt bereits Bericht High Level Group (Fn. 32), S. 34; DaunerLieb/Lamandini (Fn. 33), 3.1; Seibt/Heiser ZIP 2002, 2193, 2199. 335 Vgl. Glade/Haak/Hellich Konzern 2004, 515, 522; Krause BB 2004, 113, 115; S. Maul NZG 2005, 151, 153; zu § 33b WpÜG: BegrRegE z. ÜbUG, BT-Drs. 16/1003, S. 20; Schlitt/Ries (Fn. 92), § 33b WpÜG Rn. 40; Vogel (Fn. 330), § 33b Rn. 36. 336 Vgl. S. Maul NZG 2005, 151, 153; S. Maul/Muffat-Jeandet AG 2004, 306, 311.

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tragungsbeschränkungen (Unterabs. 2), die nach Annahme der RL zwischen der Zielgesellschaft und ihren Wertpapierinhabern oder zwischen den Wertpapierinhabern der Zielgesellschaft vereinbart wurden (z.B.: Vorkaufs- und Vorwerbsrechte 337, Lockup-Vereinbarungen 338). Nicht erfasst sind also vertragliche Übertragungsbeschränkungen, die sich aus „Altverträgen“ 339 oder Verträgen mit Dritten 340 ergeben. Ebenfalls nicht durchbrochen werden gesetzliche Übertragungsbeschränkungen (vgl. auch Art. 11 Abs. 7, dazu noch u. Rn. 88).341

(2) Durchbrechungen in der „Abwehrhauptversammlung“ (Abs. 3) Art. 11 Abs. 3 etabliert bestimmte Durchbrechungen für die Hauptversammlung, die 80 gem. Art. 9 über etwaige Abwehrmaßnahmen beschließt (dazu bereits o. Rn. 75 f.). Auf ihr entfalten statutarische und vertragliche Stimmrechtsbeschränkungen (z.B. Höchststimmrechte342, hinausgeschobener Stimmrechtsbeginn343, Stimmbindungsverträge344) – wie bei Art. 11 Abs. 2 (dazu o. Rn. 79) sind allerdings solche auf Grund von „Altverträgen“ und Verträgen mit Dritten345 ausgenommen und gesetzliche Beschränkungen von vornherein nicht erfasst (vgl. auch noch u. Rn. 88) – keine Wirkung gegenüber dem Bieter und Wertpapiere mit Mehrfachstimmrechten (Legaldefinition in Art. 2 Abs. 1 lit. g 346) berechtigten lediglich zu einer Stimme. Die RL etabliert also für 337 Vgl. Clausen/Sørensen (2003) 45 Scan. Stud. 89, 106; Glade/Haak/Hellich Konzern 2004, 515, 522; Harbarth ZGR 2007, 37, 44; Hesse (Fn. 300), S. 83, 97; Ventoruzzo (2006) 41 Tex. Int’ L. J. 171, 210; zu § 33b WpÜG: Kiem (Fn. 316), § 33b Rn. 29; Schlitt/Ries (Fn. 92), § 33b WpÜG Rn. 50; Vogel (Fn. 330), § 33b Rn. 40; a.A. Hilmer (Fn. 39), S. 206 f.; Hirte (Fn. 237), § 33b Rn. 23. 338 Vgl. Glade/Haak/Hellich Konzern 2004, 515, 522; Kiem (Fn. 316), § 33b Rn. 31; zu § 33b WpÜG: Hirte (Fn. 237), § 33b Rn. 23; Schlitt/Ries (Fn. 92), § 33b WpÜG Rn. 47. 339 Die RL gewährt also insoweit Vertrauensschutz, vgl. Harbarth ZGR 2007, 37, 50 f.; Seibt/Heiser ZGR 2005, 200, 225. 340 Vgl. Clausen/Sørensen (2003) 45 Scan. Stud. 89, 106; Grundmann Rn. 998; Harbarth ZGR 2007, 37, 45; Schlitt/Ries (Fn. 92), § 33b WpÜG Rn. 42; zu § 33b WpÜG: Hirte (Fn. 237), § 33a Rn. 23; Vogel (Fn. 330), § 33b Rn. 41. 341 Vgl. Menjucq ECFR 2006, 222, 230; Vogel (Fn. 330), § 33b Rn. 13; zu § 33b WpÜG: Hirte (Fn. 237), § 33b Rn. 30; Kiem (Fn. 316), § 33b Rn. 18; Schlitt/Ries (Fn. 92), § 33b WpÜG Rn. 37. 342 Vgl. Clausen/Sørensen (2003) 45 Scan. Stud. 89, 106; Grundmann NZG 2005, 122, 126; Hilmer (Fn. 39), S. 217; S. Maul NZG 2005, 151, 154; S. Maul/Muffat-Jeandet (Fn. 57), Rn. 211. 343 Vgl. Clausen/Sørensen (2003) 45 Scan. Stud. 89, 106. 344 Vgl. Clausen/Sørensen (2003) 45 Scan. Stud. 89, 107; Glade/Haak/Hellich Konzern 2004, 515, 523; Grundmann NZG 2005, 122, 126; Hilmer (Fn. 39), S. 217; S. Maul NZG 2005, 151, 154. 345 Vgl. Grundmann NZG 2005, 122, 126; Möslein (Fn. 42), S. 345, 348. 346 Da Art. 2 Abs. 1 lit. g voraussetzt, dass die Wertpapiere einer gesonderten und eigenen Gattung angehören, werden insbesondere die in Frankreich üblichen Doppelstimmrechte (vgl. Art. L225-123 C. com.) nicht erfasst, vgl. Kindler/Horstmann DStR 2004, 866, 869; Papadopoulos (Fn. 77), S. 129 f.; Rickford [2004] EBLR 1379, 1931; Simon

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Gesellschaftsrechtliche Richtlinien

die „Abwehrhauptversammlung“ das Proportionalitätsprinzip („one share, one vote“, dazu allg. auch bereits § 18 Rn. 15 f.), um zu gewährleisten, dass alle Aktionäre entsprechend ihrem Anteil am risikotragenden Kapital über etwaige Abwehrmaßnahmen mitentscheiden können und so zu verhindern, dass die Verwaltung oder ein Aktionär mit speziellen oder unverhältnismäßigen Kontrollrechten Abwehrmaßnahmen einleiten.347 81 Eine Ausnahme gilt allerdings gem. Art. 11 Abs. 6 für den Fall, dass die Stimmrechtsbeschränkungen durch besondere finanzielle Vorteile ausgeglichen werden; dann bleiben sie erhalten. Dahinter steht der Überlegung, dass dem Anleger hier von Anfang an bekannt ist (oder sein sollte), dass solche Wertpapiere als Ausgleich für die finanziellen Vorteile kein bzw. nur ein eingeschränktes Stimmrecht verleihen.348 Zudem spielen jedenfalls stimmrechtslose Anteile für den „Übernahmekampf“ keine Rolle349; sie sind gem. Art. 2 Abs. 1 lit. e schon gar keine Wertpapiere i.S.d. RL (vgl. o. Rn. 10).

(3) Durchbrechungen nach erfolgreichem Angebot (Abs. 4) 82 Art. 11 Abs. 4 etabliert schließlich bestimmte Durchbrechungen (Rn. 84) und eine verkürzte Einberufungsfrist (Rn. 85) für die erste Hauptversammlung nach einem erfolgreichen Angebot. Damit soll dem erfolgreichen Bieter die Möglichkeit verschafft werden, die übernommene Gesellschaft speziell durch Satzungsänderungen oder (partielle) Auswechslung des Managements zügig nach seinen Vorstellungen umzugestalten.350 83 Die Privilegierungen des Art. 11 Abs. 4 kommen allerdings nur einem Bieter zugute, der nach einem Angebot über mindestens 75 % des stimmberechtigten Kapitals verfügt, also über eine Beteiligung, die nach den allermeisten nationalen Rechtsordnungen eine satzungsändernde Mehrheit darstellt 351. Zudem gilt die Privilegierung im

347 348 349 350 351

FS Wymeersch, 2009, S. 345, 356; Wiesner ZIP 2004, 343, 348. Frankreich hatte im Rat nachdrücklich auf eine Ausnahme gedrängt, vgl. Dok. 7130/03. Vgl. Bericht High Level Group (Fn. 32), S. 32 f.; Clausen/Sørensen (2003) 45 Scan. Stud. 89, 106; Garrido García (2002) 21 IFLR 21, 22; Mosca (2009) 28 YEL 308, 317; Seibt/ Heiser ZIP 2002, 2193, 2199. Vgl. Dauner-Lieb/Lamandini (Fn. 33), 5.3. Kritisch zu dieser Ausnahme aber etwa Rickford [2004] EBLR 1379, 1392. Vgl. Dauner-Lieb/Lamandini (Fn. 33), 5.3; s. ferner auch Arnold Konzern 2003, 173, 177. Vgl. Bericht High Level Group (Fn. 32), S. 36 ff.; Clausen/Sørensen (2003) 45 Scan. Stud. 89, 107; S. Maul NZG 2005, 151, 154; Mosca (2009) 28 YEL 308, 318; Möslein (Fn. 42), S. 350. Vgl. zum Zusammenhang zwischen Schwellenwert und satzungsändernder Mehrheit: Bericht High Level Group (Fn. 32), S. 35; Dauner-Lieb/Lamandini (Fn. 33), 4.3 lit. c. Vgl. ferner auch Art. 11 Abs. 4 RL-E 2002 (Fn. 33), der schlicht auf die satzungsändernde Mehrheit nach nationalem Recht abstellen wollte, dazu kritisch Dauner-Lieb/Lamandini (Fn. 33), 4.3 lit. c.

Die Übernahmerichtlinie (13. Richtlinie)

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Interesse der schnellen Schaffung klarer Verhältnisse (vgl. auch den allgemeinen Grundsatz des Art. 3 Abs. 1 lit. f [dazu o. Rn. 16] und die verkürzte Einberufungsfrist nach Unterabs. 2 [dazu u. Rn. 85]) 352 und der Transparenz für die von den Durchbrechungen betroffenen Aktionäre nur für die erste Hauptversammlung nach Angebotsschluss, die vom einem solchen Bieter zum Zweck der Satzungsänderung und/oder der Ernennung und/oder Abberufung von Organmitgliedern (zum Begriff des „Leitungs- bzw. Verwaltungsorgans“ noch u. Rn. 84) einberufen wird. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, so etabliert die RL folgende Durchbrechun- 84 gen: • • •



Wertpapiere mit Mehrfachstimmrechten (Legaldefinition in Art. 2 Abs. 1 lit. g 353) berechtigten lediglich zu einer Stimme; Übertragungsbeschränkungen i.S.d. Art. 11 Abs. 2 (dazu o. Rn. 78 f.) gelten nicht; Stimmrechtsbeschränkungen i.S.d. Art. 11 Abs. 3 (dazu o. Rn. 80) gelten nicht; erhalten bleiben allerdings auch hier gem. Art. 11 Abs. 6 Stimmrechtsbeschränkungen, die durch besondere finanzielle Vorteile ausgeglichen werden (dazu bereits o. Rn. 81); statutarische Sonderrechte der Gesellschafter zur Ernennung oder Abberufung der Mitglieder des „Leitungs- bzw. Verwaltungsorgans“, also insbesondere Entsenderechte, gelten nicht. Der Begriff „Leitungs- bzw. Verwaltungsorgan“ ist insofern analog Art. 9 Abs. 6 (dazu o. Rn. 69) extensiv auszulegen, erfasst im dualistischen System also sowohl Vorstand (management board) als auch Aufsichtsrat (supervisory board).354 Denn nur so kann der Zweck der Norm – dem Bieter die Auswechslung des Managements und eine Besetzung der Gesellschaftsorgane mit „seinen“ Kandidaten zu ermöglich (vgl. o. Rn. 82) – auch im dualistischen System tatsächlich und vollumfänglich erreicht werden.355 Dafür spricht i.Ü. auch, dass sich die Auswechselungsmöglichkeit, die in gewissem Sinne auch „Gegenstück“ zur Neutralitätspflicht ist, ebenso weit erstrecken sollte wie diese.

Nach Unterabs. 2 muss der Bieter zudem das Recht zu einer – im Vergleich zur all- 85 gemeinen Frist des Art. 5 Abs. 1 Aktionärsrechte-RL (dazu § 31 Rn. 17 ff.) – kurzfristigen Einberufung der Hauptversammlung haben; die genaue Frist bleibt den Mitgliedstaaten überlassen, muss aber – ebenso wie bei der Parallelregelung in Art. 9 Abs. 4 (dazu o. Rn. 76) im Interesse der Aktionäre mindestens 2 Wochen356 betragen. 352 Vgl. zu diesem Aspekt auch Grundmann NZG 2005, 122, 126; Möslein (Fn. 42), S. 350. 353 Vgl. dazu bereits o. Fn. 346. 354 Ebenso i.E. Hilmer (Fn. 39), S. 208 f., 230; S. Maul/Muffat-Jeandet AG 2004, 306, 312; Möslein (Fn. 42), S. 352; Röh/Vogel (Fn. 317), Vor §§ 33 ff. Rn. 23; ferner wohl auch Glade/Haak/Hellich Konzern 2004, 515, 523; Krause BB 2004, 113, 115; Seibt/Heiser ZGR 2005, 200, 225. 355 Vgl. auch Hilmer (Fn. 39), S. 208 f.; S. Maul/Muffat-Jeandet AG 2004, 306, 312; Möslein (Fn. 42), S. 352; Röh/Vogel (Fn. 317), Vor §§ 33 ff. Rn. 23. 356 Wie Art. 5 Abs. 1 Aktionärsrechte-RL klarstellt, handelt es sich um eine lex specialis zu den dort normierten allgemeinen Vorgaben für die Einberufungsfrist, vgl. noch § 31 Rn. 18.

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Gesellschaftsrechtliche Richtlinien

cc) Entschädigung (Abs. 5) 86 Gem. Art. 11 Abs. 5 müssen die Inhaber von Rechten, die auf der Grundlage von Art. 11 Abs. 2–4 (dazu o. Rn. 78 ff.) und/oder Art. 12 (dazu u. Rn. 90 ff.) entzogen werden und denen dadurch ein Verlust entsteht, angemessen entschädigt werden. Die Entschädigungsproblematik war ebenfalls lange Zeit höchst streitig. Die High Level Group hatte eine Entschädigung (abgesehen von bestimmten Ausnahmefällen) noch grundsätzlich für nicht erforderlich erachtet.357 Ein entschädigungsloser Entzug stieß jedoch sowohl im Schrifttum358 als auch bei der Kommission359 und vielen Mitgliedstaaten360 auf erhebliche Bedenken im Hinblick auf die Vereinbarkeit mit den Eigentumsrechten der Wertpapierinhaber. Art. 11 Abs. 5 stellt vor diesem Hintergrund letztlich einen der vielen typischen Kompromisse der RL dar: Sie verlangt zwar zwingend eine angemessene Entschädigung. Die technischen Modalitäten werden jedoch entgegen verbreiteter Forderungen361 nicht harmonisiert, sondern im Wege eines entsprechenden Regelungsauftrags ausdrücklich den Mitgliedstaaten überlassen (vgl. auch Erwägungsgrund 19 S. 3) 362. Dazu gehört neben den explizit genannten Regelungen betreffend Form und Kriterien zur Bestimmung der Höhe der Entschädigung insbesondere auch die Regelung der Person des Entschädigungspflichtigen363. Aus der Angabepflicht in Art. 6 Abs. 3 lit. e (dazu o. Rn. 53) lässt sich entgegen anderslautender Behauptungen im Schrifttum364 nicht zwingend ableiten, dass dies stets der Bieter sein muss (obgleich dies unzweifelhaft in den meisten Fällen sinnvoll erscheint), denn eine diesbezügliche Vorgabe wurde ungeachtet entsprechender Forderungen mancher Mitgliedstaaten 365 gerade nicht in den endgültigen Text 366 aufgenommen.

357 Vgl. Bericht High Level Group (Fn. 32), S. 40 f. 358 Vgl. speziell auch die EP-Gutachter Dauner-Lieb/Lamandini BB 2003, 265, 267; ferner Arnold BB 2003, 267 ff.; Knapp (2002) 23 Co Law 134; Wiesner ZIP 2002, 208, 209. 359 Vgl. KOM(2002) 534, S. 9; Stellungnahme des Juristischen Dienstes, Dok. 9094/03, S. 3. 360 So etwa speziell Dänemark (vgl. Dok. 14352/03, S. 27), Schweden (vgl. Dok. 8543/03, S. 2) und Deutschland (vgl. dazu auch Dauner-Lieb/Lamandini (Fn. 33), 5.2.d). 361 Für die Festlegung zumindest von Leitlinien sprachen sich speziell Finnland, Schweden, Dänemark, Spanien, Luxemburg und Belgien aus, vgl. Dok. 15089/03, S. 29 sowie Dok. 8453/03, S. 2 ff.; s. ferner Dauner-Lieb/Lamandini BB 2003, 265, 267; ferner Arnold BB 2003, 267, 270. 362 Näher dazu Bernitz [2004] EBLR 1423, 1434 ff.; Clarke [2006] JBL 355, 370 ff.; Hilmer (Fn. 39), S. 211 ff.; Rickford [2004] EBLR 1379, 1393 f.; Seibt/Heiser ZGR 2005, 200, 228 ff. 363 Ebenso Bartman (2004) 1 ECL 5, 8; Bernitz [2004] EBLR 1423, 1435; S. Maul NZG 2005, 151, 154; Möslein (Fn. 42), S. 347; Seibt/Heiser ZGR 2005, 200, 228. 364 So aber etwa Clarke [2006] JBL 355, 370; Hilmer (Fn. 39), S. 210. 365 So speziell Finnland, Schweden, Dänemark, Spanien, Luxemburg und Belgien, vgl. Dok. 8845/03, S. 22 und Dok. 15089/03, S. 29 sowie ferner Dok. 8543/03, S. 3. Dafür ferner explizit auch Dauner-Lieb/Lamandini (Fn. 33), 5.2.a. 366 Der Vorläufer zum jetzigen Erwägungsgrund 19 hatte zunächst explizit den Bieter für entschädigungspflichtig erklärte (vgl. Dok. 8845/03, S. 7), dies wurde dann aber später wieder gestrichen.

Die Übernahmerichtlinie (13. Richtlinie)

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dd) Ausnahmen (Abs. 7) Art. 11 Abs. 7 normiert drei Ausnahmen von der Durchbrechungsregel. Ausdrücklich 87 ausgenommen sind zunächst gem. Hs. 1 Fälle, in denen ein Mitgliedstaat Wertpapiere der Zielgesellschaft hält, die ihm mit dem AEU vereinbare Sonderrechte einräumen, also sog. Goldene Aktien (dazu bereits ausf. § 15). Die High Level Group hatte sich zwar noch dezidiert für eine Erfassung ausgesprochen367, seitens vieler Mitgliedstaaten bestanden jedoch erhebliche politische Interessen an einer Ausklammerung 368. Angesichts des expliziten Vorbehalts der Vereinbarkeit mit dem AEU und der diesbezüglich äußerst restriktiven Judikatur des EuGH (dazu ausf. § 15) verbleibt für die Ausnahme indes freilich ohnehin nur ein äußerst enger Anwendungsbereich. Ausgenommen sind weiterhin mit dem AEU vereinbare369 gesetzliche Sonder- 88 rechte (Hs. 2 Alt. 1). Tatsächliche Bedeutung hat dies freilich nur für Mehrfachstimm- und Entsenderechte; im Hinblick auf Übertragungs- und Stimmrechtsbeschränkungen, die ohnehin nur unter Abs. 2 bzw. 3 fallen, wenn sie statutarischer oder vertraglicher Natur sind (vgl. o. Rn. 79 f.), ist die Regelung letztlich nur deklaratorisch. Hintergrund ist der allgemeine Ansatz der RL, die zwischen den nationalen Rechtsordnungen fortbestehenden Unterschiede im Hinblick auf Kapital- und Kontrollstrukturen zu respektieren (vgl. o. Rn. 77). Angesichts dieser Ratio greift die Ausnahme auch dann ein, wenn eine gesetzliche Ausnahme in einer statutarischen oder vertraglichen Regelung lediglich nochmals (rein deklaratorisch) wiederholt wird.370 Die auf italienischen Wunsch eingeführte Ausnahme von Genossenschaften in 89 Hs. 2 Alt. 2 soll allgemein den Besonderheiten von Genossenschaft (insbesondere dem „Kopfprinzip“) Rechnung tragen371, wurde aber speziell mit Blick auf die Besonderheiten des italienischen Genossenschaftsbankensektors aufgenommen372.

c) Optionsmodell (Art. 12) Das in Art. 12 verankerte Optionsmodell gestattet es den Mitgliedstaaten, „ihren“ Ge- 90 sellschaften die Anwendung von Neutralitätspflicht und/oder Durchbrechungsregel nicht vorzuschreiben („opt out“, Abs. 1, dazu näher u. Rn. 91). Sie müssen diesen dann jedoch Möglichkeit geben, diese freiwillig anzuwenden („opt in“, Abs. 2, dazu ausf. u. Rn. 92 ff.). Zudem können die Mitgliedstaaten die Gesellschaften, für die Neu-

367 Vgl. Bericht High Level Group (Fn. 32), S. 38 f. 368 Vgl. auch die Begründung zum entsprechenden Vorschlag des UK, Dok. 8603/03, S. 3. 369 Zur Problematik der Kontrolle des nationalen Gesellschaftsrechts anhand der Art. 49, 63 AEU ausf. § 15 Rn. 27 ff. 370 Vgl. Seibt/Heiser ZGR 2005, 200, 227; zu § 33b WpÜG: Hirte (Fn. 237), § 33b Rn. 30; Schlitt/Ries (Fn. 92), § 33b WpÜG Rn. 38; Vogel (Fn. 330), § 33b Rn. 30. 371 Vgl. S. Maul/Muffat-Jeandet AG 2004, 306, 312. 372 Vgl. Seibt/Heiser ZGR 2005, 200, 227 f.

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Gesellschaftsrechtliche Richtlinien

tralitätspflicht und/oder Durchbrechungsregel gelten, von der Anwendung der entsprechenden Regel(n) befreien, wenn der Bieter diese seinerseits nicht anwendet (sog. Reziprozitätsvorbehalt, Abs. 3, dazu ausf. u. Rn. 97 ff.).

aa) „Opt out“ und „opt in“ (Abs. 1 und 2) (1) „Opt out“-Recht der Mitgliedstaaten (Abs. 1) 91 Art. 12 Abs. 1 stellt es den Mitgliedstaaten ausdrücklich frei, Gesellschaften, die ihren Satzungssitz 373 in ihrem Staatsgebiet haben, nicht vorzuschreiben, die Neutralitätspflicht gem. Art. 9 Abs. 2 und 3 (dazu o. Rn. 68 ff.) und/oder die Durchbrechungsregel gem. Art. 11 (dazu o. Rn. 77 ff.) anzuwenden. Jeder Mitgliedstaat hat also das Recht zum „opt out“ aus Neutralitätspflicht und/oder Durchbrechungsregel. Nach Wortlaut und Ratio der Norm ist allerdings jeweils nur ein „opt out“ aus der Neutralitätspflicht und/oder Durchbrechungsregel als „Gesamtpaket“ möglich, nicht dagegen ein „Rosinenpicken“ in Form einer Nichtanwendung einzelner Teilregelungen (z.B. des Art. 11 Abs. 4).374 Die Mitgliedstaaten haben bei der Umsetzung der RL also die Wahl zwischen 4 Gestaltungen: Neutralitätspflicht (Art. 9 Abs. 2 und 3)

Durchbrechungsregel (Art. 11)

Kein „opt out“

(+)

(+)

Partielles „opt out“ Var. 1

(–)

(+)

Partielles „opt out“ Var. 2

(+)

(–)

Komplettes „opt out“

(–)

(–)

(2) „Opt in“-Recht der Gesellschaften bei „opt out“ des Mitgliedstaats (Abs. 2) 92 Sofern und soweit ein Mitgliedstaat von seinem „opt out“-Recht gem. Art. 12 Abs. 1 Gebrauch macht, muss er gem. Art. 12 Abs. 2 Unterabs. 1 den Gesellschaften mit Satzungssitz375 in seinem Staatsgebiet die widerrufliche Wahlmöglichkeit einräumen, die Neutralitätspflicht gem. Art. 9 Abs. 2 und 3 (dazu o. Rn. 68 ff.) und/oder die Durchbrechungsregel gem. Art. 11 (dazu o. Rn. 77 ff.) unbeschadet von Art. 11 Abs. 7 (dazu o. Rn. 87 ff.) anzuwenden. Als Pendant zum „opt out“-Recht des Mitgliedstaats steht

373 Vgl. zum Sitzbegriff bereits o. Fn. 98. 374 Vgl. auch Gatti (2005) 6 EBOR 553, 560; Glade/Haak/Hellich Konzern 2004, 515, 517; Mosca (2009) 28 YEL 308, 331 f.; Schüppen BB 2006, 165, 167. 375 Vgl. zum Sitzbegriff bereits o. Fn. 98.

Die Übernahmerichtlinie (13. Richtlinie)

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„seinen“ Gesellschaften also ein korrespondierendes „opt in“-Recht hinsichtlich der Regel(n), für welche der Mitgliedstaat vom „opt out“ Gebrauch gemacht hat, zu. Auch die Gesellschaften können aber jeweils nur ein „opt in“ bzgl. Neutralitätspflicht und/oder Durchbrechungsregel als „Gesamtpaket“ erklären; ein „Rosinenpicken“ einzelner Teilregelungen ist auch ihnen nicht gestattet.376 Damit ergeben sich folgende Gestaltungsvarianten: Mitgliedstaat

Gesellschaft

Kein „opt out“

Neutralitätspflicht und Durchbrechungsregel zwingend

Partielles „opt out“ Var. 1 (Neutralitätspflicht)

Durchbrechungsregel zwingend; „opt in“-Option bzgl. Neutralitätspflicht

Partielles „opt out“ Var. 2: (Durchbrechungsregel)

Neutralitätspflicht zwingend; „opt in“-Option bzgl. Durchbrechungsregel

Komplettes „opt out“

„opt in“-Option bzgl. Neutralitätspflicht und/oder Durchbrechungsregel

Ausgeübt wird das „opt in“-Recht gem. Art. 12 Abs. 2 Unterabs. 2 S. 1 durch einen 93 Hauptversammlungsbeschluss im Einklang mit den nationalen Vorschriften über die Änderung der Satzung. Dies bedeutet allerdings nicht, dass das „opt in“ zwingend zum Satzungsinhalt gemacht werden muss, also eine entsprechende Satzungsklausel aufzunehmen wäre;377 gemeint ist vielmehr ausweislich der Entstehungsgeschichte 378, dass bei dieser für die Gesellschaft bedeutsamen Entscheidung im Interesse des Schutzes Aktionäre die Verfahrensregeln für Satzungsänderungen und insbesondere eine satzungsändernde Mehrheit erforderlich sein soll 379. Den Mitgliedstaaten steht es allerdings frei, im Interesse von noch mehr Schutz und Transparenz eine explizite Aufnahme in die Satzung zu fordern (arg. ex Art. 3 Abs. 2 lit. b, dazu o. Rn. 17).380

376 Vgl. auch Gatti (2005) 6 EBOR 553, 560 f.; Glade/Haak/Hellich Konzern 2004, 515, 517; Handelsrechtsausschuss des DAV NZG 2006, 217, 218; Harbarth ZGR 2007, 37, 41; Hirte (Fn. 237), § 33a Rn. 12, § 33b Rn. 14; Kiem (Fn. 316), § 33a Rn. 12; Schlitt/Ries (Fn. 92), § 33a WpÜG Rn. 11; vgl. in Bezug auf § 33a WpÜG ferner: Noack/Zetzsche (Fn. 157), § 33a WpÜG Rn. 1; Röh (Fn. 309), § 33a Rn. 13. 377 Ebenso Habersack § 10 Rn. 24 Fn. 65; Hilmer (Fn. 39), S. 168; Möslein (Fn. 42), S. 367. 378 Vgl. insbesondere die Erörterterungen der Kommission in Dok. 10702/03, S. 2, betreffend die Entscheidungszuständigkeit der Aktionäre und den klaren Fokus auf die Frage des Mehrheitserfordernisses. 379 Vgl. auch Habersack § 10 Rn. 24 Fn. 65; S. Maul NZG 2005, 151, 152; S. Maul/MuffatJeandet (Fn. 57), Rn. 220; Möslein (Fn. 42), S. 367; Papadopoulos (Fn. 77), S. 125; Rickford [2004] EBLR 1379, 1396; Seibt/Heiser ZGR 2005, 200, 232; Simon FS Wymeersch, 2009, S. 345, 356. 380 Vgl. auch Hilmer (Fn. 39), S. 168.

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Gesellschaftsrechtliche Richtlinien

Die Entscheidung über das „opt in“ ist jederzeit möglich und – obwohl dieser Punkt i.R.d. Verhandlungen heftig umstritten war 381 – jederzeit reversibel 382, wobei für den Widerruf des „opt in“ als actus contrarius entsprechend Sinn und Zweck der Regelung ebenfalls die nationalen Vorschriften über die Änderung der Satzung (dazu o. Rn. 93) einzuhalten sind 383. 95 Damit die zuständigen Aufsichtsstellen (dazu o. Rn. 18 ff.) über die für die jeweilige Gesellschaft geltenden Regeln informiert sind 384, muss jede Entscheidung über ein „opt in“ (bzw. seine Rückgängigmachung385) gem. Art. 11 Abs. 2 Unterabs. 2 S. 2 der Aufsichtsstelle des Satzungssitzstaats sowie den Aufsichtsstellen jedes Mitgliedstaats, in denen die Wertpapiere der Gesellschaft zum Handel auf einem geregelten Markt zugelassen sind, oder in denen eine solche Zulassung beantragt wurde, mitgeteilt werden. 96 Als potentielle Motive für ein „opt in“ werden insbesondere genannt: (1) Ein „opt in“ signalisiert dem Markt die Kapitalmarktorientierung der Zielgesellschaft („A-Klasse“);386 (2) die Erwartung, dass der Kapitalmarkt ein „opt in“ mit Kurssteigerungen honoriert;387 (3) wenn die Gesellschaft künftig selbst als Bieterin auftreten will (egal ob als „Angreifer“ oder im Wege der pac man defence [vgl. dazu auch o. Rn. 70]), kann sich die Zielgesellschaft nicht auf den Reziprozitätsvorbehalt des Art. 12 Abs. 3 (dazu u. Rn. 97 ff.) berufen;388 (4) das „opt in“ kann als Instrument dazu dienen, überkommene Herrschaftsstrukturen aufzubrechen389. 94

381 Vgl. auch Wiesner ZIP 2004, 343, 348. Der portugiesische Kompromissvorschlag hatte noch vorgesehen, dass nach der erstmaligen Entscheidung nur noch ein Überwechseln vom „opt out“ zum „opt in“ (also keine Rückgängigmachung des „opt in“) mehr möglich sein sollte (vgl. Dok. 10023/03, S. 8, 11) und auch die Kommission hatte diese Lösung favorisiert (vgl. Dok. 10702/03, S. 7). 382 Vgl. S. Maul NZG 2005, 151, 152; S. Maul/Muffat-Jeandet (Fn. 57), Rn. 220; Noack/ Zetzsche (Fn. 157), § 33a WpÜG Rn. 3; Simon FS Wymeersch, 2009, S. 345, 357; Wiesner ZIP 2004, 343, 348; einschränkend jedoch offenbar Bartman (2004) 1 ECL 5, 8. 383 Vgl. S. Maul/Kouloridas (2004) 5 GLJ 355, 359; S. Maul/Muffat-Jeandet AG 2004, 306, 310; Röh (Fn. 309), § 33a Rn. 18; Rickford [2004] EBLR 1379, 1400; bzgl. des Mehrheitserfordernisses auch Röh/Vogel (Fn. 317), Vor §§ 33 ff. Rn. 32; zu § 33a WpÜG: Kiem (Fn. 316), § 33a Rn. 21. 384 Vgl. zu § 33a WpÜG: Kiem (Fn. 316), § 33a Rn. 74; Schlitt/Ries (Fn. 92), § 33a WpÜG Rn. 68. 385 Vgl. Noack/Zetzsche (Fn. 157), § 33a WpÜG Rn. 9; Papadopoulos (Fn. 77), S. 127. 386 Vgl. Harbarth ZGR 2007, 37, 42; Hopt FS Wymeersch, 2009, S. 373, 380; Kiem (Fn. 316), § 33a Rn. 8; Noack/Zetzsche (Fn. 157), Vor §§ 33–34 WpÜG Rn. 8. 387 Vgl. Habersack § 10 Rn. 25; Hirte (Fn. 237), § 33a Rn. 8, § 33b Rn. 9; Kiem (Fn. 316), § 33a Rn. 8; Mosca (2009) 28 YEL 308, 331; Noack/Zetzsche (Fn. 157), Vor §§ 33–34 WpÜG Rn. 8; Röh (Fn. 309), § 33a Rn. 4; Schlitt/Ries (Fn. 92), § 33a WpÜG Rn. 10; Seibt/Heiser AG 2006, 301, 312. 388 Vgl. Bartman (2004) 1 ECL 5, 7; Harbarth ZGR 2007, 37, 43; Kersting EuZW 2007, 528, 529; Noack/Zetzsche (Fn. 157), Vor §§ 33–34 WpÜG Rn. 8; S. Maul NZG 2005, 151, 153; S. Maul/Muffat-Jeandet (Fn. 57), Rn. 248, 255; Menjucq ECFR 2006, 222, 234; Mosca (2009) 28 YEL 308, 330 f.; Papadopoulos (Fn. 77), S. 135; Seibt/Heiser AG 2006, 301, 312; J. Winter (2004) 1 ECL 4. 389 Vgl. Harbarth ZGR 2007, 37, 43; Knott NZG 2006, 849, 852; Noack/Zetzsche (Fn. 157), Vor §§ 33–34 WpÜG Rn. 8.

Die Übernahmerichtlinie (13. Richtlinie)

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bb) Reziprozitätsoption (Abs. 3 und 5) Art. 11 Abs. 3 und 5 erweitern das Optionsmodell um einen Reziprozitätsvorbe- 97 halt390: Abs. 3 gestattet den Mitgliedstaaten, diejenigen „ihrer“ Gesellschaften, für die die Neutralitätspflicht gem. Art. 9 Abs. 2 und 3 (dazu o. Rn. 68 ff.) und/oder die Durchbrechungsregel gem. Art. 11 (dazu o. Rn. 77 ff.) gelten, für den Fall von der Anwendung der entsprechenden Regelungen befreien, dass der Bieter eine Gesellschaft ist, die diese Regelungen ihrerseits nicht anwendet (sog. „B-Klasse“-Gesellschaft 391) oder direkt oder indirekt von einer solchen „B-Klasse“-Gesellschaft kontrolliert wird. Um in einer konkreten Übernahmesituation tatsächlich in den Genuss der Befreiung zu kommen, muss die betreffende Gesellschaft allerdings zusätzlich einen entsprechenden Vorratsbeschluss fassen (Abs. 5, dazu näher u. Rn. 102). Auch der Reziprozitätsvorbehalt besteht also aus einer zweistufigen Kombination von Mitgliedstaaten- (Abs. 3) und Gesellschaftswahlrecht (Abs. 5).392 Ratio ist es, „Waffengleichheit“ zwischen Zielgesellschaft und Bieter zu schaf- 98 fen393 und damit letztlich auch das „opt in“ für die Gesellschaften attraktiver zu machen (vgl. dazu auch bereits o. Rn. 96) 394 bzw. den Mitgliedstaaten einen Anreiz zu geben, auf ein „opt out“ zu verzichten395. Die Erstreckung auf den Fall, dass der Bieter von einer „B-Klasse-Gesellschaft“ kontrolliert wird – maßgeblich ist insoweit die Definition von Kontrolle in Art. 1 der 7. (Konzernbilanz-)RL (dazu § 25 Rn. 11 ff.) –, soll verhindern, dass eine „B-Klasse“-Mutter den Reziprozitätsvorbehalt schlicht dadurch umgeht, dass sie eine „A-Klasse“-Tochter zwischenschaltet.396 Die Reziprozitätsoption steht grundsätzlich allen Mitgliedstaaten offen.397 Die 99 im Schrifttum teilweise postulierte Beschränkung auf Mitgliedstaaten, die in Bezug

390 Die vereinzelt vertretene Auffassung, dass die Reziprozitätsregel gegen Art. 63 AEU verstieße (so Werdmüller BLR 2006, 64, 67 ff.) erscheint abwegig. 391 Die Terminologie „A-Klasse“ und „B-Klasse“ findet sich schon bei Wiesner ZIP 2004, 343, 348. 392 Vgl. Hesse (Fn. 300), S. 83, 99; S. Maul/Muffat-Jeandet (Fn. 57), Rn. 223; Papadopoulos (Fn. 77), S. 135. 393 Vgl. Dieckmann NJW 2007, 17, 18; Glade/Haak/Hellich Konzern 2004, 515, 516; Hesse (Fn. 300), S. 83, 99; S. Maul NZG 2005, 151, 152 f.; Menjucq ECFR 2006, 222, 235; zu § 33c WpÜG: Noack/Zetzsche (Fn. 157), § 33c Rn. 1; Schlitt/Ries (Fn. 92), § 33c WpÜG Rn. 2; Vogel (Fn. 330), § 33c Rn. 2. 394 Vgl. Hilmer (Fn. 39), S. 179; Hopt FS Wymeersch, 2009, S. 373, 380; Kersting EuZW 2007, 528, 529; Menjucq ECFR 2006, 222, 235; Möslein (Fn. 42), S. 367 f.; Papadopoulos (Fn. 77), S. 135; zu § 33c WpÜG: Noack/Zetzsche (Fn. 157), § 33c Rn. 1; Schlitt/Ries (Fn. 92), § 33c WpÜG Rn. 2; Vogel (Fn. 330), § 33c Rn. 2. 395 Vgl. Mosca (2009) 28 YEL 308, 320. 396 Vgl. Stellungnahme des Juristischen Dienstes, Dok. 15549/03, S. 4; S. Maul NZG 2005, 151, 154; S. Maul/Muffat-Jeandet (Fn. 57), Rn. 226; Vogel (Fn. 330), § 33c Rn. 6; zu § 33c WpÜG: Kiem (Fn. 316), § 33c Rn. 11; Noack/Zetzsche (Fn. 157), § 33c Rn. 8; Schlitt/Ries (Fn. 92), § 33c WpÜG Rn. 5. 397 Ebenso dezidiert auch Hilmer (Fn. 39), S. 170 ff., 218 f.; S. Maul NZG 2005, 151, 152 f.; S. Maul/Kouloridas (2004) 5 GLJ 355, 359; S. Maul/Muffat-Jeandet AG 2006, 306, 313; Mosca (2009) 28 YEL 308, 320; Rickford [2004] EBLR 1379, 1397 f.; implizit auch Gatti

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auf die Neutralitätspflicht und/oder Durchbrechungsregel von ihrem „opt out“Recht gem. Art. 12 Abs. 1 (dazu o. Rn. 91) Gebrauch gemacht haben398, ist mit Wortlaut, Genese und Ratio der Art. 12 Abs. 3 und 5 nicht vereinbar 399. Es kommt also nicht darauf an, ob die Neutralitätspflicht und/oder Durchbrechungsregel für die Gesellschaft kraft gesetzlicher Vorgabe des Mitgliedstaats oder kraft eines „opt in“ gem. Art. 12 Abs. 2 (dazu o. Rn. 92 ff.) gilt bzw. gelten. 100 Ferner gilt die Reziprozitätsregel entgegen verschiedener Stimmen im Schrifttum nicht nur, wenn der Bieter eine EU/EWR-Gesellschaft ist 400, sondern auch dann, wenn der Bieter bzw. die Konzernmutter des Bieters eine Gesellschaft aus einem Drittstaat ist 401. Die Regelung entstand nämlich gerade nicht nur mit Blick auf die aus den Optionsrechten der Mitgliedstaaten resultierenden Divergenzen, sondern speziell auch vor dem Hintergrund der verbreiteten Besorgnis, dass europäische Gesellschaften auf Grund der strengen Vorgaben der RL gegenüber Bietern aus „übernahmefreundlichen“ Drittstaaten (insbesondere den USA) benachteiligt bzw. diesen quasi „hilflos ausgeliefert“ sein könnten402. Dass die Kategorisierung als „B-Klasse“ bei Drittstaatengesellschaften (dazu noch u. Rn. 101) gewisse praktische Probleme bereitet 403, steht der Anwendung des Reziprozitätsvorbehalts ebenso wenig entgegen wie Erwägungsgrund 21404; der darin enthaltene Vorbehalt im Hinblick auf internationale

398 399 400

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402 403 404

(2005) 6 EBOR 553, 557, 559; Kindler/Horstmann DStR 2004, 866, 869; Knott NZG 2006, 849, 852; Krause BB 2002, 113, 116. So etwa Davies/Schuster/van de Walle de Ghelcke ECGI Working Paper 141/2010, S. 22 Fn. 99; Lamandini (2008) 5 ECL 56. Vgl. auch Hilmer (Fn. 39), S. 170 ff. So Clarke [2006] JBL 355, 373; Hesse (Fn. 300), S. 83, 99; Kemperink/Stuyck (2008) 45 C.M.L. Rev. 93, 111; Möslein (Fn. 42), S. 368; Rickford [2004] EBLR 1379, 1404 f.; Seibt/Heiser ZGR 2005, 200, 235; zweifelnd auch Krause BB 2004, 113, 116; S. Maul NZG 2005, 151, 154 f.; S. Maul/Kouloridas (2004) 5 GLJ 355, 359 f.; S. Maul/MuffatJeandet (Fn. 57), Rn. 236; Seibt/Heiser AG 2006, 301, 312; Simon Konzern 2006, 12, 14 f. Von der Nichtgeltung für Drittstaatengesellschaften geht offenbar etwa auch die dänische Umsetzung (§§ 339(5), 341(4) Lov nr. 470 af 12/06/2009. Lov om aktie- og anpartsselskaber (selskabsloven)) aus; danach soll die Reziprozität nur gegenüber EU/EWR-Gesellschaften geltend gemacht werden können (vgl. zur Vorgängerregelung sowie generell zur Problematik auch Davies/Schuster/van de Walle de Ghelcke ECGI Working Paper 141/2010, S. 24). Vgl. Edwards ECFR 2004, 416, 430; Ferrarini/Miller (2009) 42 Cornell Int’l L. J. 301, 316; Glade/Haak/Hellich Konzern 2004, 515, 516; Hirte (Fn. 237), § 33c Rn. 12; Kersting EuZW 2007, 528, 533; Kiem (Fn. 316), § 33c Rn. 10; Menjucq ECFR 2006, 222, 233; Meyer WM 2006, 1135, 1142; Noack/Zetzsche (Fn. 157), § 33c Rn. 7; Schlitt/Ries (Fn. 92), § 33c WpÜG Rn. 4; Ventoruzzo (2006) 41 Tex. Int’ L. J. 171, 217; Vogel (Fn. 330), § 33c Rn. 8 f.; s. ferner auch BegrRegE z. ÜbUG, BT-Drs. 16/1003, S. 21. Vgl. Clarke (2007) 8 GLJ 381, 397, 408; Edwards ECFR 2004, 416, 430; Johnston, EC Regulation of Corporate Governance, 2009, S. 281; Kersting EuZW 2007, 528, 530; s. ferner auch die Erwägungen der Kommission in Dok. 10702/03, S. 5. So etwa die Argumentation von Möslein (Fn. 42), S. 368; s. ferner auch Simon Konzern 2006, 12, 14 f. I.d.S. aber S. Maul NZG 2005, 151, 155; S. Maul/Muffat-Jeandet AG 2004, 306, 313; Seibt/Heiser ZGR 2005, 200, 235.

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Übereinkünfte belegt vielmehr gerade die grundsätzliche Geltung auch für Drittstaatengesellschaften405. Die speziell im Hinblick auf die Vereinbarkeit mit dem GATS vorgebrachten Bedenken406 sind i.Ü. auch unbegründet.407 Nicht zu überzeugen vermag schließlich auch das Argument, dass die 7. (Konzernbilanz-)RL (dazu § 25) für Drittstaatengesellschaften nicht gilt und diese schon deshalb jedenfalls keine Konzernmutter i.S.d. Alt. 2 des Abs. 3 (dazu o. Rn. 98) sein könnten 408; denn der Verweis auf Art. 1 der 7. (Konzernbilanz-)RL (dazu § 25 Rn. 11 ff.) betrifft ausschließlich die technischen Modalitäten der Bestimmung des Beherrschungsverhältnisses409. Ob der Reziprozitätsvorbehalt eingreift, ist nach Wortlaut und Ratio der Norm 101 hinsichtlich der Neutralitätspflicht und der Durchbrechungsregel jeweils separat zu bestimmen.410 Wenn sich also z.B. eine Gesellschaft für ein doppeltes „opt in“ entschieden hat, für den Bieter aber nur die Neutralitätspflicht gilt, so muss die Gesellschaft diese ebenfalls anwenden, ist aber von der Durchbrechungsregel befreit. Bei EU/EWR-Gesellschaften als Bieter sind die Voraussetzungen für das Eingreifen des Reziprozitätsvorbehalts rein formal festzustellen: Hat der Mitgliedstaat, in dem der Bieter seinen Satzungssitz hat, kein „opt out“ erklärt, gelten Neutralitätspflicht und Durchbrechungsregel für ihn ohnehin zwingend; hat der Mitgliedstaat ein „opt out“ erklärt, ist zu prüfen, ob der Bieter in Bezug auf Neutralitäts- und/oder Durchbrechungsregel von seinem „opt in“-Recht gem. Art. 12 Abs. 2 Gebrauch gemacht hat.411 Bei Drittstaatengesellschaften bedarf es dagegen einer materiellen Gleichwertigkeitsprüfung412, d.h. es ist im Wege eines funktionalen Rechtsvergleichs zu prüfen, ob für den Bieter (bzw. die Konzernmutter) der Neutralitätspflicht und/oder Durchbrechungsregel entsprechende Vorgaben gelten.413 Eine diffizile und bislang weitgehend

405 Vgl. Glade/Haak/Hellich Konzern 2004, 515, 516; Kersting EuZW 2007, 528, 530; s. ferner auch Hesse (Fn. 300), S. 83, 99. 406 Vgl. Kemperink/Stuyck (2008) 45 C.M.L. Rev. 93, 111 Fn. 39; Krause BB 2004, 113, 116; S. Maul NZG 2005, 151, 155; S. Maul/Kouloridas (2004) 5 GLJ 355, 359 f.; S. Maul/Muffat-Jeandet AG 2004, 306, 313; Seibt/Heiser ZGR 2005, 200, 235; Simon Konzern 2006, 12, 14. 407 Ausf. Kersting EuZW 2007, 528, 530 f.; ebenso i.E. auch Hilmer (Fn. 39), S. 177; Hirte (Fn. 237), § 33c Rn. 2; Kiem (Fn. 316), § 33c Rn. 10; Knott NZG 2006, 849, 852; Noack/ Zetzsche (Fn. 157), § 33c WpÜG Rn. 7; Vogel (Fn. 330), § 33c Rn. 9. 408 So S. Maul/Muffat-Jeandet AG 2004, 306, 313. 409 Vgl. Hirte (Fn. 237), § 33c Rn. 12; Kersting EuZW 2007, 528, 533. 410 Vgl. Gatti (2005) 6 EBOR 553, 559; Möslein (Fn. 42), S. 367; so i.Ü. auch das Verständnis des deutschen Gesetzgebers (vgl. § 33c Abs. 1 u. 2 WpÜG sowie BegrRegE z. ÜbUG, BT-Drs. 16/1003, S. 20 f.); abw. Rickford [2004] EBLR 1379, 1404. 411 Vgl. zu § 33c WpÜG: Harbarth ZGR 2007, 37, 63 f.; Kiem (Fn. 316), § 33c Rn. 13; Noack/Zetzsche (Fn. 157), § 33c Rn. 6; Schlitt/Ries (Fn. 92), § 33c WpÜG Rn. 13; abw. jedoch Mosca (2009) 28 YEL 308, 332 f. 412 Vgl. auch die Umsetzung in Deutschland (§ 33c Abs. 1 u. 2 WpÜG: „entsprechenden Regelung“) und Frankreich (Art. L233-33 C. com.: „ou des mesures équivalentes“). 413 Vgl. Hilmer (Fn. 39), S. 177, 219; Kersting EuZW 2007, 528, 532; Knott NZG 2006, 849, 853; zu § 33c WpÜG: BegrRegE z. ÜbUG, BT-Drs. 16/1003, S. 21; Harbarth ZGR 2007, 37, 64 f.; Hirte (Fn. 237), § 33c Rn. 11; Kiem (Fn. 316), § 33c Rn. 13; Noack/Zetzsche (Fn. 157), § 33c Rn. 7; Schlitt/Ries (Fn. 92), § 33c WpÜG Rn. 13; vgl. zur Problematik

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ungeklärte Problematik stellt sich allerdings im Falle konkurrierender Angebote: Nach Sinn und Zweck ist das Eingreifen des Reziprozitätsvorbehalts zwar prinzipiell separat im Verhältnis zum jeweiligen Bieter zu prüfen; unklar ist aber z.B., ob und in welchem Umfang Abwehrmaßnahmen, die geeignet sind, die Angebote aller Bieter zu vereiteln, zulässig sind, wenn nur einer oder einige der Bieter einer gleichwertigen Neutralitätspflicht unterliegen.414 102 Für den gem. Abs. 5 auf der 2. Stufe notwendigen Vorratsbeschluss der Hauptversammlung der Zielgesellschaft verlangt die RL zwar – im Gegensatz zum „opt in“Beschluss nach Abs. 2 (vgl. o. Rn. 93) – nicht die Einhaltung der nationalen Vorschriften für Satzungsänderungen (und damit insbesondere auch keine spezielle Mehrheit).415 Die Ermächtigung darf aber im Zeitpunkt der Bekanntmachung des Angebots gem. Art. 6 Abs. 1 (dazu o. Rn. 49) nicht älter als 18 Monate sein, muss also ggf. regelmäßig erneuert werden. Die zeitliche Begrenzung bezweckt, dass zumindest die Entscheidung über die Reziprozität 416 von den Aktionären regelmäßig neu überdacht werden muss. 103 Eine spezielle Mitteilung an die Aufsichtsstellen ist für solche Vorratsbeschlüsse – anders als für „opt in“-Beschlüsse nach Abs. 2 (dazu o. Rn. 95) – zwar nicht ausdrücklich vorgesehen.417 Das generelle Ziel einer effektiven Aufsicht 418 spricht allerdings maßgeblich dafür, insofern Art. 12 Abs. 2 Unterabs. 2 S. 2 trotz der zumindest nach Art. 12 Abs. 4 bestehenden Publizität (die aber schließlich auch in den Fällen des Abs. 2 besteht) analog anzuwenden419.

414 415

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auch Davies/Schuster/van de Walle de Ghelcke ECGI Working Paper 141/2010, S. 24 (letztlich offen lassend). Zur Problematik etwa Davies/Schuster/van de Walle de Ghelcke ECGI Working Paper 141/2010, S. 23; Menjucq ECFR 2006, 222, 233. Vgl. auch Davies/Schuster/van de Walle de Ghelcke ECGI Working Paper 141/2010, S. 21 f.; Seibt/Heiser ZGR 2005, 200, 235. Auch insoweit steht es den Mitgliedstaaten aber selbstverständlich frei, als zusätzlichen Schutz die Anwendung der Vorschriften über Satzungsänderungen vorzusehen oder eine spezielle Satzungsklausel zu verlangen (arg. ex Art. 3 Abs. 2 lit. b, dazu o. Rn. 17). Der ursprüngliche portugiesische Vorschlag hatte noch vorgesehen, dass das „opt in“ generell alle 2 Jahre auf der Hauptversammlung beraten werden sollte (vgl. Dok. 10023/03, S. 7 und 10), die Kommission hatte sich sogar für eine jährliche Erörterung ausgesprochen (vgl. Dok. 10702/03, S. 6). Vgl. auch Davies/Schuster/van de Walle de Ghelcke ECGI Working Paper 141/2010, S. 22. Vgl. auch Erwägungsgrund 5 sowie Art. 4 Abs. 5 Unterabs. 1 (dazu o. Rn. 20). So hat etwa auch der deutsche Gesetzgeber in § 33c Abs. 3 S. 3 WpÜG (dazu noch u. Rn. 108) ausdrücklich entsprechende Mitteilungspflichten vorgesehen; der Rechtsausschuss hat dies zwar auf Art. 12 Abs. 4 gestützt (vgl. BT-Drs. 16/1541, S. 12), im deutschen Schrifttum wird diesbezüglich aber explizit auf Art. 12 Abs. 2 Unterabs. 2 S. 2 rekurriert (vgl. die Nachweise in Fn. 437).

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cc) Publizität (Abs. 4) Um zu gewährleisten, dass im Interesse eines funktionierenden Marktes möglichst 104 schnell Transparenz hinsichtlich der „Kapitalmarktorientierung“ jeder Gesellschaft besteht (hierfür würde die regelmäßige Offenlegung gem. Art. 10 [dazu u. Rn. 116 ff.] nicht genügen420), müssen die Mitgliedstaaten gem. Art. 12 Abs. 4 sicherstellen, dass die Bestimmungen, die auf die verschiedenen Gesellschaften Anwendung finden, unverzüglich bekannt gemacht werden. Die Regelung bezieht sich dabei nach systematischer Stellung sowie Sinn und Zweck sowohl auf „opt in“-Beschlüsse (bzw. deren Widerruf) nach Abs. 2 (dazu o. Rn. 93) als auch auf Reziprozitätsvorratsbeschlüsse (dazu o. Rn. 102),421 denn nur dann ist wirklich klar, welche Regeln für die Gesellschaft gelten. Die Regelung der näheren Modalitäten der Bekanntmachung bleibt jedoch – i.R.d. Grundsatzes des effet utile – den Mitgliedstaaten überlassen.

d) Umsetzung in den einzelnen Mitgliedstaaten und insbesondere in Deutschland aa) Umsetzung in Deutschland Deutschland hat sich vor dem Hintergrund der gesamten Diskussion im Vorfeld 105 (dazu o. Rn. 66) und der fortbestehenden Furcht vor einer Benachteiligung deutscher Unternehmen gegenüber ausländischen Unternehmen, die nach ihrem nationalen Recht über weitergehende Abwehrmechanismen verfügen422, erwartungsgemäß für ein komplettes „opt out“ entschieden. Für deutsche Emittenten gilt damit grundsätzliche keine Durchbrechungsregel und nur das „deutsche“ Verhinderungsverbot des § 33 WpÜG, das allerdings deutlich weniger streng als sein europäisches Pendant ist.423 Es gilt nämlich zum einen von vornherein nur für den Vorstand (nicht wie Art. 9 Abs. 2 und 3 auch für den Aufsichtsrat, vgl. o. Rn. 69); zudem sind Handlungen, denen der Aufsichtsrat zugestimmt hat, sowie Handlungen, die auch ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter einer nicht von einem Übernahmeangebot betroffenen Gesellschaft vorgenommen hätte, generell zulässig (§ 33 Abs. 1 S. 2 Var. 1 u. 3 WpÜG), und die Hauptversammlungsermächtigung kann als Vorratsbeschluss (max. 18 Monate im Voraus) erteilt werden (§ 33 Abs. 2 WpÜG). Die damit gem. Art. 12 Abs. 2 erforderlichen „opt in“-Möglichkeiten für die Ge- 106 sellschaften (dazu o. Rn. 92 ff.) sind durch das ÜbUG424 in § 33a WpÜG (Europäisches Verhinderungsverbot) und § 33b WpÜG (Europäische Durchbrechungsregel) umge-

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Vgl. auch Möslein (Fn. 42), S. 369. I.d.S. wohl auch Möslein (Fn. 42), S. 369. Vgl. BegrRegE z. ÜbUG, BT-Drs. 16/1003, S. 13 f. Vergleichende Darstellung bei Knott NZG 2006, 849, 850 f.; Koch WM 2010, 1155, 1158 f.; Meyer WM 2006, 1135, 1139; Noack/Zetzsche (Fn. 157), Vor §§ 33–34 WpÜG Rn. 2; Röh (Fn. 309), § 33a Rn. 27 ff. 424 Fn. 46.

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setzt worden.425 §§ 33a Abs. 1 S. 1, 33b Abs. 1 S. 1 WpÜG verlangen dabei für das „opt in“ über die Vorgaben des Art. 12 Abs. 2 Unterabs. 2 S. 1 hinaus zulässigerweise (vgl. o. Rn. 93) nicht nur die Einhaltung der Verfahrensvorschriften für Satzungsänderungen, sondern die Aufnahme einer entsprechenden Satzungsklausel. Die in §§ 33a Abs. 3, 33b Abs. 3 WpÜG normierten Mitteilungspflichten gegenüber den Aufsichtsbehörden sind in richtlinienkonformer Auslegung auch auf EU/EWR-Aufsichtsstellen zu erstrecken, bei denen die Zulassung zum Handel nur beantragt wurde (arg. ex Art. 12 Abs. 2 Unterabs. 2 S. 2, dazu o. Rn. 95).426 Die gem. Art. 12 Abs. 4 erforderliche Publizität (dazu o. Rn. 104) wird durch die Bekanntmachung nach den allgemeinen Regeln für Satzungsänderungen (§ 10 HGB) gewährleistet 427; zudem besteht eine Veröffentlichungspflicht nach § 30e Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Alts. 1 WpHG i.V.m. § 3a WpAIV428. Der missverständliche Terminus „Leitungsorgane“ in § 33b Abs. 2 S. 1 Nr. 3 WpÜG ist richtlinienkonform (vgl. zu Art. 11 Abs. 4 o. Rn. 84) dahin auszulegen, dass er im monistischen System das Verwaltungsorgan und im dualistischen System sowohl den Vorstand als auch den Aufsichtsrat erfasst429. Die im Schrifttum verbreitete Argumentation, dass eine Erfassung auch des Vorstands einen durch die RL nicht gebotenen Eingriff in das aktienrechtliche Kompetenzgefüge bedeuten würde und deshalb nur der Aufsichtsrat erfasst sei430, vermag nicht zu überzeugen, denn die Durchbrechungsregel setzt a priori nur Entsenderechte außer Kraft, die ansonsten rechtswirksam bestehen. Derzeit hat die Streitfrage freilich ohnehin keine praktische Bedeutung, da Entsenderechte in den Vorstand de lege lata unzulässig sind431; sollten sie jedoch künftig zugelassen werden, wäre insoweit eine richtlinienkonforme Auslegung geboten. 107 Dem Regelungsauftrag des Art. 11 Abs. 5 (dazu o. Rn. 86) hat der Gesetzgeber i.R.d. ÜbUG 432 durch § 33b Abs. 5 WpÜG, der den Bieter zur Leistung einer angemessenen Entschädigung in Geld verpflichtet, Rechnung getragen, es dabei jedoch – trotz entsprechender Forderungen im Gesetzgebungsverfahren433 – versäumt, die Kriterien für die Bemessung der Entschädigung näher zu konkretisieren.434 425 Dazu näher etwa Hirte (Fn. 237), § 33a Rn. 1 ff.; Schlitt/Ries (Fn. 92), § 33a WpÜG Rn. 1 ff. (jeweils m.w.N.). 426 Vgl. Hirte (Fn. 237), § 33a Rn. 25, § 33b Rn. 32; Kiem (Fn. 316), § 33a Rn. 75, § 33b Rn. 56; Noack/Zetzsche (Fn. 157), § 33a WpÜG Rn. 7, § 33b WpÜG Rn. 3; Röh (Fn. 309), § 33a Rn. 25, § 33b Rn. 26; Schlitt/Ries (Fn. 92), § 33a WpÜG Rn. 73, § 33b WpÜG Rn. 89. 427 Vgl. BegrRegE z. ÜbUG, BT-Drs. 16/1003, S. 20; Bericht Rechtausschuss, BT-Drs. 16/1541, S. 12. 428 Vgl. Noack/Zetzsche (Fn. 157), § 33a WpÜG Rn. 5. 429 Ebenso Hilmer (Fn. 39), S. 230. 430 So Harbarth ZGR 2007, 37, 55; Hirte (Fn. 237), § 33b Rn. 25; Kiem (Fn. 316), § 33b Rn. 48; Noack/Zetzsche (Fn. 157), § 33b WpÜG Rn. 21; Schlitt/Ries (Fn. 92), § 33b WpÜG Rn. 80; nur auf den Aufsichtsrat Bezug nehmend auch Röh (Fn. 309), § 33b Rn. 47. 431 Vgl. auch Hilmer (Fn. 39), S. 230. 432 Fn. 46. 433 Vgl. DAI, Stellungnahme zum ÜbUG-RefE v. 24.1.2006 (abrufbar über www.dai.de), S. 3; Handelsrechtsausschuss des DAV NZG 2006, 217, 218; Seibt/Heiser AG 2006, 301, 314. 434 Kritisch zu diesem Versäumnis sowie zu etwaigen Lösungsmöglichkeiten: Harbarth ZGR 2007, 37, 60 ff.; Hirte (Fn. 237), § 33b Rn. 17; Hohl/Peschke BKR 2007, 101, 105;

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Im Interesse eines „level playing field“ und von „Waffengleichheit“ für deutsche 108 Unternehmen435 hat der deutsche Gesetzgeber mit § 33c WpÜG von der Reziprozitätsoption des Art. 12 Abs. 3 (dazu o. Rn. 97 ff.) Gebrauch gemacht.436 Die Mitteilungspflicht nach § 33c Abs. 3 S. 3 WpÜG ist dabei in richtlinienkonformer Auslegung ebenfalls auch auf EU/EWR-Aufsichtsstellen zu erstrecken, bei denen die Zulassung zum Handel nur beantragt wurde (arg. ex Art. 12 Abs. 2 Unterabs. 2 S. 2 analog, dazu o. Rn. 103).437 In Umsetzung von Art. 12 Abs. 4 (dazu o. Rn. 104) sind Reziprozitätsvorratsbeschlüsse gem. § 33c Abs. 3 S. 4 WpÜG auf der Internetseite der Gesellschaft zu veröffentlichen; zudem dürfte auch hier eine Veröffentlichung nach § 30e Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Alts. 1 WpHG i.V.m. § 3a WpAIV erforderlich sein. §§ 33a–33c WpÜG scheinen allerdings „law in the books“ zu bleiben; bislang hat 109 sich – soweit ersichtlich – keine einzige Gesellschaft für ein „opt in“ entschieden.438

bb) Umsetzung in anderen Mitgliedstaaten – „level playing field“? Insgesamt haben die Mitgliedstaaten das Optionsmodell sehr unterschiedlich umge- 110 setzt.439 Der Kommissionsbericht aus dem Jahr 2007 440 (dazu auch bereits o. Rn. 8) – der allerdings nur 25 Mitgliedstaaten und bei einigen davon auf Grund verspäteter Umsetzung nur die Planungen für die Umsetzung berücksichtigte – stellte fest, dass die Neutralitätspflicht zwar von 18 Mitgliedstaaten umgesetzt wurde (bzw. werden sollte), 17 davon sie aber auch bereits vorher hatten und 5 sie zudem unter einen Reziprozitätsvorbehalt gestellt hatten.441 Zudem konstatierte die Kommission kritisch, dass offenbar v.a. die Durchbrechungsregel bei den Mitgliedstaaten auf erhebliche Vorbehalte stößt; nach dem damaligen Stand sollte sie nur in den drei baltischen Mit-

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Kiem (Fn. 316), § 33b Rn. 62, 69 ff.; Meyer WM 2006, 1135, 1141 f.; Noack/Zetzsche (Fn. 157), § 33b WpÜG Rn. 36 ff.; Röh (Fn. 309), § 33b Rn. 54; Schlitt/Ries (Fn. 92), § 33b WpÜG Rn. 100 ff. Vgl. BegrRegE z. ÜbUG, BT-Drs. 16/1003, S. 14. Dazu näher etwa Hirte (Fn. 237), § 33c Rn. 1 ff.; Schlitt/Ries (Fn. 92), § 33c WpÜG Rn. 1 ff. (jeweils m.w.N.). Vgl. Hirte (Fn. 237), § 33c Rn. 20; Kiem (Fn. 316), § 33c Rn. 26; Noack/Zetzsche (Fn. 157), § 33c Rn. 17; Schlitt/Ries (Fn. 92), § 33c WpÜG Rn. 18. Vgl. zum Stand Mai 2010 auch Noack/Zetzsche (Fn. 157), Vor §§ 33–34 WpÜG Rn. 9. Ähnlich offenbar auch die Situation in anderen Mitgliedstaaten, die sich für ein „opt out“ entschieden haben, vgl. Davies/Schuster/van de Walle de Ghelcke ECGI Working Paper 141/2010, S. 20, 27, 41 f. Überblick über 25 Mitgliedstaaten im Implementation Report, SEC(2007) 268, S. 5 ff.; s. ferner die Länderberichte bei S. Maul/Muffat-Jeandet/Simon (eds.), Takeover bids in Europe, 2008; speziell zur Umsetzung der Neutralitätspflicht: Davies/Schuster/van de Walle de Ghelcke ECGI Working Paper 141/2010, S. 29 ff. Implementation Report, SEC(2007) 268. Dazu näher etwa KK-WpÜG/Hirte/Heinrich, 2. Aufl. 2010, Einl. Rn. 69 ff.; Johnston (Fn. 402), S. 283 ff.; Papadopoulos (Fn. 77), S. 147 ff.; Weber-Rey AG 2007, R 167 ff. Vgl. Implementation Report, SEC(2007) 268, S. 6 f. Vgl. speziell zu diesem Aspekt auch Davies/Schuster/van de Walle de Ghelcke ECGI Working Paper 141/2010, S. 33 ff., 49 f.

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gliedstaaten, deren Gesellschaften aber nur 1 % der gesamten Marktkapitalisierung ausmachen, umgesetzt werden.442 So wendet etwa das UK die (schließlich dem britischen Vorbild nachgebildete) Neutralitätspflicht gem. Art. 9 Abs. 2 und 3 an443, hat sich aber im Hinblick auf die Durchbrechungsregel für ein „opt out“ entschieden444 und auch von der Reziprozitätsoption keinen Gebrauch gemacht.445 Diesem Modell folgt z.B. auch Österreich.446 Frankreich hat sich ebenfalls für ein „opt out“ bezüglich der Durchbrechungsregel entschieden, hat aber im Hinblick auf die Neutralitätspflicht von der Reziprozitätsoption Gebrauch gemacht.447 Interessant ist aber etwa auch das Beispiel Italiens448: Zunächst waren sowohl die Neutralitätspflicht als auch die Durchbrechungsregel (jeweils mit Reziprozitätsvorbehalt) umgesetzt worden449. Unter dem Eindruck der Finanzkrise bekam die Regierung dann jedoch Angst vor feindlichen Übernahmen und normierte ein komplettes „opt out“.450 M.W.v. 1.7.2010 wurde das Gesetz dann erneut geändert:451 die Neutralitätspflicht gilt zwar grundsätzlich, ist aber satzungsdispositiv 452. 111 Von einem wirklichen „level playing field“ kann man somit schwerlich sprechen.453 Andererseits sind die Divergenzen hinsichtlich der Umsetzung letztlich 442 443 444 445

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Vgl. Implementation Report, SEC(2007) 268, S. 7 f. Vgl. r. 21 Takeover Code. „Opt in“-Regelungen in ss. 966 ff. CA 2006. Vgl. zur Umsetzung in Großbritannien: DTI, Implementation of the European Directive on Takeover Bids. A consultative document, URN 05/511, sowie CA 2006, Explanatory Notes, paras. 1230 ff.; aus dem Schrifttum: Burbidge in: S. Maul/Muffat-Jeandet/Simon (eds.), Takeover bids in Europe, 2008, Rn. 3550 ff.; Morse [2005] JBL 403, 408 f.; Wooldridge (2007) 28 Co Law 293, 294 f. Vgl. § 12 ÜbG (Verhinderungsverbot) und § 27a ÜbG („opt in“-Möglichkeit für Gesellschaft bzgl. Durchbrechungsregel). Näher zur Umsetzung in Österreich: Kalss in: S. Maul/Muffat-Jeandet/Simon (eds.), Takeover bids in Europe, 2008, Rn. 522 ff. Näher zur Umsetzung in Frankreich (Art. L233-32 ff. C. com.): Carle (2007) 4 ECL 154, 156 ff.; Simon in: S. Maul/Muffat-Jeandet/Simon (eds.), Takeover bids in Europe, 2008, Rn. 1525 ff. Die maßgeblichen Regeln finden sich in Art. 104, 104-bis, 104-ter Decreto legislativo 24 febbraio 1998, n. 58. Decreto Legislativo 229/2007, Gazz. Uff. 289/2007. Zur ursprünglichen Umsetzung näher: Picardi in: S. Maul/Muffat-Jeandet/Simon (eds.), Takeover bids in Europe, 2008, Rn. 2340 ff.; Ventuzurro (2008) 11 U. Pa. J. Bus. L. 135, 164 ff.; Ferrarini/Miller (2009) 42 Cornell Int’l L. J. 301, 324 ff.; Gerner-Beuerle/Kershaw/Solinas [2011] EBLR 559, 609. Decreto Legislativo 185/2008, Gazz. Uff. 280/2008, umgewandelt in Legge 2/2009, Gazz. Uff. 22/2009. Dazu Ventuzurro (2008) 11 U. Pa. J. Bus. L. 135, 167 Fn. 55; Ferrarini/Miller (2009) 42 Cornell Int’l L. J. 301, 326; Gerner-Beuerle/Kershaw/Solinas [2011] EBLR 559, 609 f. Decreto Legislativo 146/2009, Gazz. Uff. 246/2009. Dazu Ferrarini/Miller (2009) 42 Cornell Int’l L. J. 301, 326; Gerner-Beuerle/Kershaw/Solinas [2011] EBLR 559, 610. Letztlich bleibt es also bei dem „opt out“ sowohl bzgl. Neutralitätspflicht als auch Durchbrechungsregel, bzgl. der Neutralitätspflicht wurde nur die Regelungstechnik geändert (nicht mehr „Einwahl“-, sondern „Abwahl“-Möglichkeit der Gesellschaften). Kritisch etwa Ipekel [2005] EBLR 341, 345, 350; Johnston (Fn. 402), S. 285 („falls way short“); Kindler/Horstmann DStR 2004, 866, 869; Krause BB 2004, 113, 119 („Flickenteppich nationaler Abwehrhürden“); Merkt/Binder BB 2006, 1285, 1286 („kontrapro-

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systemimmanent und sollten überdies schon vor dem Hintergrund der heftigen Kontroversen im Legislativverfahren (vgl. o. Rn. 3 f., 66) nicht wirklich überraschen. I.Ü. sollte man das Bild vielleicht auch generell nicht zu schwarz zeichnen: Denn mit Art. 9 und 11 der RL existieren nun immerhin in gewissem Umfang „standardisierte Bausteine“454 und die RL schafft insgesamt zumindest endlich die für funktionierende Märkte so essentielle Transparenz hinsichtlich der jeweils bestehenden Abwehrmechanismen455 (speziell durch Art. 10, dazu näher u. Rn. 116 ff.). Weiterhin darf jedenfalls i.R.e. Gesamtbilanz zur Bedeutung und Wirkkraft der RL nicht vergessen werden, dass sie mit Pflichtangebot (dazu o. Rn. 28 ff.) sowie Squeeze-out und Sellout (dazu ausf. u. Rn. 121 ff.) weitere ganz fundamentale, die Marktintegration fördernde Regelungen enthält 456 und zudem mit den – freilich recht komplexen – Regeln des Art. 4 (dazu o. Rn. 18) auch das Kollisions- und Zuständigkeitsregime harmonisiert hat 457.

3. Transparenz für Aktionäre und Kapitalmarkt a) Stellungnahme der Verwaltung (Art. 9 Abs. 5) Art. 9 Abs. 5 verpflichtet das Leitungs- bzw. Verwaltungsorgan der Zielgesellschaft, 112 eine mit Gründen versehene Stellungnahme zu dem Angebot zu erstellen, zu veröffentlichen und den Arbeitnehmervertretern (bzw. sofern solche nicht existieren: den Arbeitnehmer selbst) zu übermitteln. Diese Stellungnahme soll dazu dienen, den Ak-

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duktive Beliebigkeit“); Mukwiri (Fn. 87), S. 127 („hardly achieves any harmonisation“); Rickford [2004] EBLR 1379, 1420 („A la Carte Directive“); Papadopoulos (Fn. 77), S. 134, 138 f.; Seibt/Heiser ZGR 2005, 200, 249; Sotiropoulos FS Georgiades, 2006, S. 711, 734; Weber-Rey AG 2006, R328 ff. („modernes Glasperlenspiel“); sehr kritisch schon vor Verabschiedung auch Kommissar Bolkestein, vgl. P5_CRE-REV(2003)12-15, S. 16 f. („no level playing field whatsoever“); s. ferner später auch ders. (2005) 2 ECL 4, 7 („Takeovers Directive is a failure“); äußerst kritisch zum Gesamtkonzept der RL etwa auch Clarke (2007) 8 GLJ 381, 409 ff.; Sjåfjell (Fn. 39), S. 107, 140. Vgl. auch Hopt FS Wymeersch, 2009, S. 373, 380 (Art. 9 und 11 als „model“) sowie Gatti (2005) 6 EBOR 553, 560 f.; Mosca (2009) 28 YEL 308, 323; Ventoruzzo (2006) 41 Tex. Int’ L. J. 171, 213. Teilweise wird das Optionsmodell vor dem Hintergrund der unterschiedlichen nationalen Traditionen sogar generell als beste Lösung gesehen, i.d.S. etwa McCahery/Vermeulen FS Hopt, 2010, S. 2189, 2199, 2205; dies. [2011] EBLR 541, 550. Vgl. auch Hopt FS Wymeersch, 2009, S. 373, 380; s. ferner auch Bartman (2004) 1 ECL 5, 6 f.; McCahery/Vermeulen FS Hopt, 2010, S. 2189, 2202; Rickford [2004] EBLR 1379, 1420. Vgl. auch Johnston (2004) 25 Co Law 270; ders. (Fn. 402), S. 282 f., 285 f.; Menjucq ECFR 2006, 222, 235. Insgesamt eher positiv etwa auch Liekefett RIW 2004, 825, 836; Peglow GPR 2006, 37, 38. Dies betonend Krause BB 2004, 113, 119; Liekefett RIW 2004, 825, 836; S. Maul/MuffatJeandet AG 2004, 306, 318; Merkt/Binder BB 2006, 1285, 1287; Wiesner ZIP 2004, 343, 349. Vgl. zur Erforderlichkeit einer solchen Harmonisierung auch bereits eindringlich Zimmer ZGR 2002, 731, 745 ff.

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tionären eine umfassend informierte Entscheidung zu ermöglichen, die nur möglich ist, wenn sie nicht nur die in der Angebotsunterlage präsentierte Position des Bieters (dazu o. Rn. 51 ff.), sondern als „Gegengewicht“ dazu auch die Position der Verwaltung – die zwar nicht neutral ist, aber typischerweise über die besten Informationen über die Zielgesellschaft und die möglichen Auswirkungen einer Übernahme verfügt – und ggf. auch die Position der Arbeitnehmer ausführlich erläutert bekommen.458 113 Zur Stellungnahme verpflichtetes „Leitungs- und Verwaltungsorgan“ ist im dualistischen System nur der Vorstand (management board).459 Denn Art. 9 Abs. 6 erweitert den Begriff explizit nur für Zwecke des Art. 9 Abs. 2 auch auf den Aufsichtsrat (supervisory board); nach der Entstehungsgeschichte der Norm kann es sich hierbei auch kaum um ein Redaktionsversehen handeln, denn die Stellungnahmepflicht fand sich nicht nur bereits im Pennington-Entwurf 460 (Art. 13), sondern auch in allen späteren RL-Entwürfen461, während Art. 9 Abs. 6 erst in der letzten Phase im Rat ergänzt und der Verweis dabei explizit auf Art. 9 Abs. 2 beschränkt wurde 462. Auch bei funktionaler Betrachtung macht die enge Auslegung Sinn, denn bei der Stellungnahme handelt es sich um eine genuine Geschäftsführungsangelegenheit.463 Die Mitgliedstaaten sind jedoch nicht gehindert, die Stellungnahmepflicht im Interesse einer noch umfassenderen Information der Aktionäre auch auf den Aufsichtsrat (supervisory board) zu erstrecken (arg. ex Art. 3 Abs. 2 lit. b, dazu o. Rn. 17).464 114 Wie sich aus Wortlaut („mit Gründen versehen“, „eingehen“) und Ratio der Norm ergibt, darf sich die Stellungnahme nicht auf einige knappe Floskeln beschränken, sondern muss inhaltlich umfassend und ausführlich zum Angebot und seinen Einzelheiten Stellung nehmen.465 Dabei muss sie u.a. einerseits auf die Interessen der Zielgesellschaft (insbesondere der Beschäftigung bei derselben) und andererseits – quasi als „Antwort“ auf entsprechenden Informationen nach Art. 6 Abs. 3 lit. i in der Angebotsunterlage des Bieters 466 (dazu o. Rn. 53) – auf die strategische Planung des Bieters für die Zielgesellschaft sowie die voraussichtlichen Auswirkungen auf 458 Vgl. KOM(2002) 534, S. 9; Bericht High Level Group (Fn. 32), S. 31; Grohmann (Fn. 255), S. 338 f.; Grundmann NZG 2005, 122, 124; Hilmer (Fn. 39), S. 136; s. ferner auch Liekefett RIW 2004, 825, 827; Merkt ZHR 165 (2001) 224, 231; Pötzsch/Möller WM-Sonderbeilage 2/2000, S. 10. Kritisch mit Blick auf potentielle Interessenkonflikte jedoch Clarke [2011] EBLR 517, 528 f. 459 Ebenso i.E. Hirte (Fn. 237), § 27 Rn. 8; Möslein (Fn. 42), S. 336; tendenziell auch Krause/Pötzsch (Fn. 92), § 27 Rn. 21; S. Maul/Muffat-Jeandet AG 2004, 306, 307; offen lassend Röh (Fn. 309), § 27 Rn. 3. 460 Fn. 3. 461 Vgl. Art. 14 RL-E 1989/90 (Fn. 8, 11), Art. 8 lit. b RL-E 1996/97 (Fn. 18, 21), Art. 9 Abs. 1 lit. b Gemeinsamer Standpunkt (Fn. 25). 462 Vgl. Dok. 8649/03 ADD 1, S. 17. 463 Vgl. auch S. Maul/Muffat-Jeandet AG 2004, 306, 307. 464 Vgl. Hilmer (Fn. 39), S. 139; Krause/Pötzsch (Fn. 92), § 27 Rn. 21; Röh (Fn. 309), § 27 Rn. 3; ebenso i.E. auch Hirte (Fn. 237), § 27 Rn. 8; S. Maul/Muffat-Jeandet AG 2004, 306, 307; Möslein (Fn. 42), S. 336. 465 Vgl. auch Grundmann Rn. 464. 466 Vgl. auch von Hein ZGR 2005, 528, 557; Möslein (Fn. 42), S. 340.

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Arbeitsplätze und Standorte eingehen. Zudem ist eine eigene Stellungnahme der Arbeitnehmervertreter (bzw. falls solche nicht existieren: der Arbeitnehmer selbst) beizufügen, sofern diese rechtzeitig beim Leitungs- bzw. Verwaltungsorgan eingeht. I.Ü. steht es den Mitgliedstaaten frei, die Angabepflichten zu konkretisieren bzw. im Interesse einer noch umfassenderen Information weitergehende Angabepflichten vorzusehen (arg. ex Art. 3 Abs. 2 lit. b, dazu o. Rn. 17).467 Im deutschen Recht ist Art. 9 Abs. 5 in § 27 WpÜG, der die Stellungnahmepflicht 115 richtlinienkonform (vgl. o. Rn. 114) auch auf den Aufsichtsrat erweitert und den Inhalt näher konkretisiert, umgesetzt.

b) Transparenz von Abwehrstrukturen und -mechanismen (Art. 10) Art. 10, der auf Empfehlungen der High Level Group zurückgeht 468, etabliert eine 116 Verpflichtung zur Offenlegung umfangreicher Angaben zu Abwehrstrukturen und -mechanismen (Abs. 1, dazu u. Rn. 117) im Lage- bzw. Konzernlagebericht (Abs. 2, dazu u. Rn. 118) sowie deren jährliche Erläuterung durch einen Bericht der Verwaltung an die Jahreshauptversammlung (Abs. 3, dazu u. Rn. 119). Neben dem generellen Ziel der Schaffung von Transparenz für den Markt 469 sollen damit einerseits insbesondere potentielle Bieter in die Lage versetzt werden, sich vor der Abgabe eines Angebots ein umfassendes Bild über die mögliche Zielgesellschaft und ihre Struktur sowie etwaige Übernahmehindernisse zu machen 470; andererseits soll durch die jährliche Berichts- und Erläuterungspflicht der Verwaltung gewährleistet werden, dass auch die Aktionäre der Zielgesellschaft selbst über deren Abwehrstrukturen und -mechanismen informiert sind und diese ggf. zu beeinflussen 471.472 Art. 10 Abs. 1 normiert – freilich nur i.S.e. Mindeststandards (arg. ex Art. 3 Abs. 2 117 lit. b, dazu o. Rn. 17) 473 – einen Katalog von 11 offenlegungs- und berichtspflichtigen Angaben, die sich folgendermaßen kategorisieren lassen474: 467 Vgl. auch Hilmer (Fn. 39), S. 140. 468 Vgl. Bericht High Level Group (Fn. 32), S. 28 f. 469 Vgl. Erwägungsgrund 18; Bericht High Level Group (Fn. 32), S. 28; KOM(2002) 534, S. 9; Hirte ECFR 2005, 1, 4; Hopt (2002) 15 AJCL 1, 16; S. Maul/Kouloridas (2004) 5 GLJ 355, 361; Seibt/Heiser ZGR 2005, 200, 236. 470 Vgl. BegrRegE z. ÜbUG, BT-Drs. 16/1003, S. 24; Baetge/Brüggemann/Haenelt BB 2007, 1887, 1888; Glade/Haak/Hellich Konzern 2004, 455, 459; Grundmann NZG 2005, 122, 126; Kindler/Horstmann DStR 2004, 866, 868; Krause BB 2004, 113, 116; S. Maul NZG 2005, 151, 155; S. Maul/Muffat-Jeandet AG 2004, 306, 308; Merkt/Binder BB 2006, 1285, 1291; Seibt/Heiser ZGR 2005, 200, 236. 471 Vgl. Clausen/Sørensen (2003) 45 Scan. Stud. 89, 102 f.; Lanfermann/S. Maul BB 2004, 1517, 1521; S. Maul/Muffat-Jeandet AG 2004, 306, 310; Möslein (Fn. 42), S. 331. 472 Hirte ECFR 2005, 1, 18 sieht in Art. 10 weitergehend ein „Trojan horse for harmonizing the structure of European corporations“; ähnlich auch Kronke FS Horn, 2006, S. 445, 453 („launch vehicle for major company law reform ‚from within‘“). 473 Vgl. Grohmann (Fn. 255), S. 335 f.; Möslein (Fn. 42), S. 331. 474 Kategorisierung in Anlehnung an Grundmann Rn. 997; ders. NZG 2005, 122, 127; und Möslein (Fn. 42), S. 332 ff.

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Unmittelbare Beschränkungen in Bezug auf die Übertragung von Wertpapieren wie z.B. Beteiligungsgrenzen und Anteilsvinkulierungen (lit. b) 475; gem. lit. g auch solche, die sich aus der Gesellschaft bekannten Gesellschaftervereinbarungen ergeben;476 Abweichungen vom Prinzip „one share, one vote“: Inhaber von Wertpapieren mit besonderen Kontrollrechten inkl. einer Beschreibung derselben (lit. d); 477 Stimmrechtsbeschränkungen wie z.B. Höchststimmrechte, zeitlich befristete Stimmrechte oder die Aufspaltung von Anteilen in Vermögens- und Verwaltungsrechte (lit. f) 478; Vorschriften über die Ernennung und Ersetzung der Organmitglieder 479 und Satzungsänderungen (als typische „sonderrechtsrelevante“ Regelungen480) (lit. h) 481; traditionelle Abwehrstrukturen, die nicht unter Art. 9 (dazu o. Rn. 68 ff.) fallen: alle bedeutenden Vereinbarungen der Gesellschaft, die unter der Bedingung eines Kontrollwechsels in Folge eines Übernahmeangebots stehen (speziell also Verträge mit change of control-Klauseln) (lit. j)482; sog. „golden parachutes“ und „tin parachutes“ (lit. k)483; strukturelle Regelungen, welche die Attraktivität einer Beteiligung beeinflussen: Zusammensetzung des Kapitals inkl. der nicht auf einem geregelten Markt eines Mitgliedstaats gehandelten Wertpapiere sowie ggf. zu Aktiengattungen

475 Art. 46 Kapitalmarktpublizitäts-RL (Fn. 78), der Übertragungsbeschränkungen enge Grenzen setzt, bleibt allerdings ausdrücklich unberührt. 476 Näher dazu BegrRegE z. ÜbUG, BT-Drs. 16/1003, S. 24 f.; Clarke [2011] EBLR 517, 534; Glade/Haak/Hellich Konzern 2004, 455, 460 f.; Hirte ECFR 2005, 1, 5 f., 9; Hopt/ Mülbert/Kumpan AG 2005, 109, 118 f.; Lanfermann/S. Maul BB 2004, 1517, 1518 f.; S. Maul/Muffat-Jeandet (Fn. 57) AG 2004, 306, 308 f. 477 Näher BegrRegE z. ÜbUG, BT-Drs. 16/1003, S. 25; Hirte ECFR 2005, 1, 6; Lanfermann/S. Maul BB 2004, 1517, 1519; S. Maul/Muffat-Jeandet AG 2004, 306, 308. 478 Näher Hirte ECFR 2005, 1, 6; Lanfermann/S. Maul BB 2004, 1517, 1519; S. Maul/Muffat-Jeandet AG 2004, 306, 308 f.; Möslein (Fn. 42), S. 333. 479 Der Terminus „Leitungs- bzw. Verwaltungsorgans“ ist auch hier analog Art. 9 Abs. 6 (dazu o. Rn. 69) extensiv dahin auszulegen, dass im dualistischen System sowohl Vorstand (management board) als auch Aufsichtsrat (supervisory board) erfasst sind, denn lit. h soll insbesondere den Bieter über die Voraussetzungen für eine Auswechslung des Managements informieren, so dass ebenso wie bei Art. 11 Abs. 4 (dazu o. Rn. 84) eine extensive Auslegung geboten ist; ebenso Lanfermann/S. Maul BB 2004, 1517, 1519 f.; S. Maul/Muffat-Jeandet AG 2004, 306, 309; ferner wohl auch Hirte ECFR 2005, 1, 6 f.; a.A. jedoch BegrRegE z. ÜbUG, BT-Drs. 16/1003, S. 25. 480 Vgl. auch Grundmann Rn. 997 Fn. 94. 481 Näher Hirte ECFR 2005, 1, 6; S. Maul/Muffat-Jeandet AG 2004, 306, 309; Möslein (Fn. 42), S. 334. 482 Näher BegrRegE z. ÜbUG, BT-Drs. 16/1003, S. 25; Glade/Haak/Hellich Konzern 2004, 455, 461 f.; Grundmann Rn. 997; Hopt/Mülbert/Kumpan AG 2005, 109, 119; Lanfermann/S. Maul BB 2004, 1517, 1520; S. Maul/Muffat-Jeandet AG 2004, 306, 309. 483 Näher BegrRegE z. ÜbUG, BT-Drs. 16/1003, S. 25; Glade/Haak/Hellich Konzern 2004, 455, 462; Hopt/Mülbert/Kumpan AG 2005, 109, 119; Lanfermann/S. Maul BB 2004, 1517, 1520; S. Maul/Muffat-Jeandet AG 2004, 306, 308.

Die Übernahmerichtlinie (13. Richtlinie)

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(lit. a) 484; bedeutende direkte oder indirekte Beteiligungen (z.B. Pyramidenstrukturen oder wechselseitige Beteiligungen) i.S.d. Art. 9 Transparenz-RL485 (lit. c);486 Art der Stimmrechtskontrolle bei Beteiligung von Arbeitnehmern (lit. e) 487; Befugnisse der Mitglieder des Leitungs- bzw. Verwaltungsorgans, speziell bzgl. Ausgabe und Rückkauf von Wertpapieren (lit. i)488. Gem. Art. 10 Abs. 2 sind die Katalogangaben im Lagebericht i.S.d. Art. 46 der 118 4. (Bilanz-)RL (dazu § 24 Rn. 13) und im Konzernlagebericht i.S.d. Art. 36 der 7. (Konzernbilanz-)RL (dazu § 25 Rn. 18) offen zu legen.489 Die Angaben nach lit. c, d, f, h und i sind außerdem gem. Gem. Art. 46a Abs. 1 lit. d der 4. (Bilanz-)RL ins Corporate Governance-Statement (zu diesem bereits § 10 Rn. 15, § 18 Rn. 13) aufzunehmen. Gem. Art. 10 Abs. 3 muss das Leitungs- bzw. Verwaltungsorgan490 der Jahres- 119 hauptversammlung491 der Aktionäre zudem einen erläuternden Bericht zu den in Abs. 1 aufgeführten Angaben vorlegen. Eine „Äußerung“ der Hauptversammlung hierzu ist – anders als nach Art. 10 Abs. 3 RL-E 2002492 – nicht zwingend vorgeschrieben493; den Mitgliedstaaten steht es jedoch frei, als zusätzlichen Schutz einen (bindenden oder beratenden) Hauptversammlungsbeschluss zu verlangen (arg. ex Art. 3 Abs. 2 lit. b, dazu o. Rn. 17).

484 Näher BegrRegE z. ÜbUG, BT-Drs. 16/1003, S. 24; Hirte ECFR 2005, 1, 5; Lanfermann/S. Maul BB 2004, 1517, 1518; S. Maul/Muffat-Jeandet AG 2004, 306, 309; Möslein (Fn. 42), S. 336. 485 Der Verweis auf Art. 85 Kapitalmarktpublizitäts-RL (Fn. 78) ist gem. Art. 32 Transparenz-RL als Verweis auf Art. 9 Transparenz-RL (dazu § 36 Rn. 12 f. sowie bereits § 17 Rn. 187) zu lesen. 486 Näher BegrRegE z. ÜbUG, BT-Drs. 16/1003, S. 25; Hirte ECFR 2005, 1, 7 f.; Lanfermann/S. Maul BB 2004, 1517, 1519; S. Maul/Muffat-Jeandet AG 2004, 306, 308. 487 Näher BegrRegE z. ÜbUG, BT-Drs. 16/1003, S. 25; Lanfermann/S. Maul BB 2004, 1517, 1519; S. Maul/Muffat-Jeandet AG 2004, 306, 308; Möslein (Fn. 42), S. 333 f. 488 Näher BegrRegE z. ÜbUG, BT-Drs. 16/1003, S. 25; Hirte ECFR 2005, 1, 7; Lanfermann/S. Maul BB 2004, 1517, 1520; S. Maul/Muffat-Jeandet AG 2004, 306, 309; Möslein (Fn. 42), S. 334 f. 489 Näher dazu Lanfermann/S. Maul BB 2004, 1517 f., 1520 f. 490 Gemeint ist hier im dualistischen System ausschließlich der Vorstand (management organ). Denn die RL sieht hier gerade keine dem Art. 9 Abs. 6 (dazu o. Rn. 69) entsprechende Extension vor und – anders als i.R.d. Art. 11 Abs. 4 (dazu o. Rn. 84) – sprechen hier auch keine funktionalen und teleologischen Erwägungen für eine Analogie. Ebenso i.E. Hoffmann-Becking/Breyer FS Goette, 2011, S. 161, 162; Horn/Parameswaran NZG 2007, 248 f.; Handelsrechtsausschuss des DAV NZG 2006, 217, 223; IDW WPg 2006, 747, 749; Lanfermann/S. Maul BB 2004, 1517, 1521; S. Maul/Muffat-Jeandet AG 2004, 306, 310; Rabenhorst WPg 2008, 139, 145; Sailer AG 2006, 913, 925. 491 Anders noch Art. 10 Abs. 3 RL-E 2002 (Fn. 33): Befassung alle 2 Jahre genügt; die jährliche Befassungspflicht geht auf einen Antrag Italiens zurück (vgl. Dok. 5118/03, S. 4). 492 Fn. 33. 493 Gegen die „Äußerungspflicht“ hatten mehrere Delegationen Bedenken geltend gemacht, vgl. Dok. 14339/02, S. 4. Kritisch auch Hopt (2002) 15 AJCL 1, 16; Krause BB 2002, 2341, 2342; Neye NZG 2002, 1144; Seibt/Heiser ZGR 2005, 200, 239; Wiesner ZIP 2004, 343, 347 f. („sinnlos“).

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Diese umfangreichen Offenlegungspflichten waren für das deutsche Recht ein Novum. Zur Umsetzung von Art. 10 Abs. 1 und 2 wurde durch das ÜbUG494 jeweils ein neuer Abs. 4 in § 289 HGB und § 315 HGB495 ergänzt, wobei die Vorgaben der RL im Wesentlichen496 „eins zu eins“ übernommen wurden.497 Die Berichtspflicht i.S.d. Art. 10 Abs. 3 wurde durch § 171 Abs. 2 S. 2 Hs. 2 AktG i.d.F.d. ÜbUG zunächst dem Aufsichtsrat, durch §§ 120 Abs. 3 S. 2, 175 Abs. 2 S. 1 AktG i.d.F.d. 2. UmwÄndG498 dann jedoch – was wohl auch einzig mit den Vorgaben der RL in Einklang stehen dürfte499 – dem Vorstand zugewiesen500. Durch das ARUG501 wurde die Regelung dann – im Kontext des allgemeinen Übergangs von der „Auslegung“ zur „Zugänglichmachung“ – in § 176 Abs. 1 Abs. 1 AktG verschoben.502

494 Fn. 46. Vgl. dazu speziell Bericht Finanzausschuss, BT-Drs. 16/1541, S. 12, der die Änderung gerade mit den Vorgaben der RL begründet. 495 Vgl. dazu auch die DRS 15 (Beil. zu BAnz. Nr. 27 v. 4.2.2010); zum Vorläufer DRS 15a: Büchel/Semjonow WPg 2008, 1143, 1147 ff. 496 Problematisch ist allerdings die 10 %-Grenze für bedeutende Beteiligungen in §§ 289 Abs. 4 S. 1 Nr. 3, 315 Abs. 4 S. 1 Nr. 3 HGB. Der Gesetzgeber hat es hier versäumt, dem Umstand Rechnung zu tragen, dass der Verweis auf Art. 85 Kapitalmarktpublizitäts-RL (Fn. 78) gem. Art. 32 Transparenz-RL nun als Verweis auf Art. 9 Transparenz-RL (dazu § 36 Rn. 12 f. sowie bereits § 17 Rn. 187) zu lesen ist (vgl. bereits o. Fn. 485) und eine bedeutende Beteiligung damit bereits ab 5 % vorliegt. Bis zu einer hoffentlich bald erfolgenden Anpassung (insofern ist zu empfehlen, wie in § 160 Abs. 1 Nr. 8 AktG auf § 21 Abs. 1 u. 1a WpHG [= Umsetzungsvorschrift zu Art. 9 Transparenz-RL, vgl. § 36 Rn. 32] zu verweisen, dafür auch bereits Baetge/Brüggemann/Haenelt BB 2007, 1887, 1890) sind die Vorschriften insofern richtlinienkonform auszulegen (der Wortlaut dürfte dem mit Blick auf die „Quelle“-Judikatur des BGH [Fn. 167, sowie allg. bereits § 3 Rn. 53 ff.] nicht entgegenstehen). Nicht richtlinienkonform ist ferner die Beschränkung der Angabepflichten in §§ 289 Abs. 4 S. 1 Nr. 6, 315 Abs. 4 S. 1 Nr. 6 HGB auf die Regeln über die Ernennung und Besetzung des Vorstands; in richtlinienkonformer Auslegung (vgl. dazu Fn. 479) sind vielmehr auch entsprechende Angaben bzgl. des Aufsichtsrats erforderlich. 497 Vgl. dazu BegrRegE z. ÜbUG, BT-Drs. 16/1003, S. 24 ff.; Rabenhorst WPg 2008, 139 ff. 498 Zweites Gesetz zur Änderung des Umwandlungsgesetzes v. 19.4.2007, BGBl. I, 542. 499 Vgl. dazu o. Fn. 490 sowie auch Hoffmann-Becking/Breyer FS Goette, 2011, 161, 162 ff.; Horn/Parameswaran NZG 2007, 248 f.; Rabenhorst WPg 2008, 139, 145. 500 Vgl. dazu Bericht Rechtsausschuss, BT-Drs. 16/4193, S. 6; Horn/Parameswaran NZG 2007, 248 ff.; Rabenhorst WPg 2008, 139, 145. 501 Gesetz zur Umsetzung der Aktionärsrechterichtlinie (ARUG) v. 30.7.2009, BGBl. I, 2479. 502 Vgl. dazu BegrRegE z. ARUG, BR-Drs. 847/08, S. 40, 53 f.; näher zum Ganzen und speziell auch zur Problematik Friktion mit dem BilMoG: Drygala in: K. Schmidt/ Lutter, AktG, 2. Aufl. 2010, § 176 Rn. 4 ff.; Hoffmann-Becking/Breyer FS Goette, 2011, S. 161 ff.; Kiefner NZG 2010, 692 ff. (jeweils m.w.N.). Im RefE AktGÄndG 2011 (http://www.bmj.de/SharedDocs/Downloads/DE/pdfs/RefE_Aktienrechtsnovelle 2011.pdf?_blob=publicationFile) ist zwecks Korrektur dieses Redaktionsversehens eine Neufassung des § 175 Abs. 1 S. 1 AktG vorgesehen.

Die Übernahmerichtlinie (13. Richtlinie)

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IX. Squeeze-out und Sell-out (Art. 15 f.) 1. Hintergründe, Ratio und Grundstruktur Letzter großer Regelungskomplex der RL sind übernahmerechtlicher Squeeze-out 121 und Sell-out: Art. 15 etabliert ein Squeeze-out-Recht (Ausschlussrecht) des Bieters im Anschluss an ein erfolgreiches Übernahmeangebot (dazu ausf. u. Rn. 125 ff.), Art. 16 als „Gegenstück“503 dazu ein korrespondierendes Sell-out-Recht (Andienungsrecht) der Minderheitsaktionäre (dazu ausf. u. Rn. 147 ff.). Die RL beschränkt sich dabei explizit auf die Regelung von Squeeze-out und Sell-out im übernahmerechtlichen Kontext; sonstige, nicht im Zusammenhang mit einer Übernahme stehende Squeeze-out- und Sell-out-Rechte bleiben unberührt (vgl. Erwägungsgrund 24 S. 3504). Auf europäischer Ebene wurde zwar in der Vergangenheit auch die Einführung eines allgemeinen Squeeze-out- und/oder Sell-out-Rechts diskutiert – zunächst schon in den 1980er Jahren im Kontext der Bemühungen um eine Konzernrechts-RL (dazu bereits § 9 Rn. 5 ff.)505, später dann i.R.d. Diskussion um eine Reform der 2. (Kapital-)RL (dazu bereits § 18 Rn. 82 f., allg. zur Debatte um eine Reform der 2. (Kapital-)RL § 20 Rn. 236 ff.) –, ein Squeeze-out-Recht wurde jedoch bislang außer im übernahmerechtlichen Kontext lediglich in Form des pre-merger Squeeze-out in Art. 28 Abs. 2 der 3. (Fusions-)RL geschaffen (dazu näher § 21 Rn. 145). Zahlreiche nationale Rechtsordnungen sehen allerdings weitergehende Squeeze-out- und/oder Sell-out-Rechte vor (so z.B. im deutschen Recht §§ 327a ff. AktG). In die legislatorischen Beratungen um die Übernahme-RL fanden Squeeze-out 122 und Sell-out erst relativ spät Eingang: Ein Squeeze-out-Recht des Bieters wurde erstmals Ende 2000 vom EP angeregt 506; die High Level Group schloss sich dem an, empfahl aber zusätzlich ein Sell-out-Recht 507. Die Kommission nahm daraufhin in Art. 14 f. RL-E 2002508 entsprechende Regelungen auf, die jedoch vor ihrer Verabschiedung als die jetzigen Art. 15 und 16 im Rat äußerst kontrovers diskutiert und partiell modifiziert wurden. Das „Squeeze-out“-Recht (Art. 15, dazu u. Rn. 125 ff.) ermöglicht es dem mit 123 seinem Übernahmeangebot erfolgreichen Bieter, die verbleibenden Minderheitsaktionäre zum Verkauf ihrer Wertpapiere zu verpflichten (vgl. Erwägungsgrund 24). Ratio ist, dass die Existenz von Minderheitsaktionären für den Bieter mit erheblichen Kosten und Risiken verbunden ist: Sie verhindern eine vollständige Integration der

503 Dazu noch u. Rn. 124. 504 S. ferner auch explizit KOM(2002) 534, S. 11. 505 Art. 33 Vorentwurf einer Konzernrechts-RL 1984 (abgedruckt in Voraufl. S. 244 ff. und ZGR 1985, S. 446 ff.) sah ein Squeeze-out-Recht vor. Vgl. ferner speziell die Vorschläge des Forum Europaeum Konzernrecht ZGR 1998, 672, 732 ff., 770 (Regelung von Squeeze-out und Sell-out i.R.e. Konzernrechts-RL). 506 Vgl. Art. 5a i.d.F.d. EP-Entschließung v. 13.12.2000 (Fn. 198). 507 Vgl. Bericht High Level Group (Fn. 32), S. 63 ff. 508 Fn. 33.

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Zielgesellschaft in den Konzern und damit eine effiziente Unternehmensführung509; zudem verursachen ihre Teilnahme- und Teilhaberechte für den Bieter nicht nur erhebliche Kosten,510 sondern sind stets auch mit dem latenten Risiko eines Missbrauchs verbunden511. 124 Als „Ausgleich“512 und „Gegenstück“513 dazu gestattet es das Sell-out-Recht (Art. 16, dazu u. Rn. 147 ff.) den nach einem erfolgreichen Übernahmeangebot verbleibenden Minderheitsaktionären, den Bieter zum Erwerb ihrer Wertpapiere zu zwingen. Sie sollen nun, da tatsächlich feststeht, dass die Gesellschaft künftig vom Bieter (der potentiell eine aus ihrer Sicht nachteilige Unternehmenspolitik verfolgt oder gar versucht sein könnte, seine beherrschende Stellung zu missbrauchen) kontrolliert wird, Gelegenheit haben, ihre Entscheidung betreffend den exit aus der Gesellschaft zu revidieren und ihre Anteile zu einem angemessenen Preis – den sie in dieser Situation auf dem Markt meist nicht mehr erhalten werden – zu veräußern.514 Die Existenz des Sell-out-Rechts mindert zudem den Druck auf die Aktionäre, das Angebot während der Angebotsfrist anzunehmen (sog. prisoner’s dilemma).515

2. Squeeze-out (Art. 15) a) Schwellenwert (Abs. 2) 125 Hinsichtlich des maßgeblichen Schwellenwertes lässt Art. 15 Abs. 2 S. 2 den Mitgliedstaaten die Wahl zwischen zwei Alternativen, welche den insoweit traditionell unterschiedlichen Anknüpfungspunkten in der Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten Rechnung tragen516: Angeknüpft werden kann entweder (a) an das Halten einer hohen Beteiligung (unabhängig von Art und Zeitpunkt des Erwerbs derselben) (wie etwa in

509 Vgl. Bericht High Level Group (Fn. 32), S. 70. 510 Vgl. Bericht High Level Group (Fn. 32), S. 70; Implementation Report, SEC(2007) 268, S. 9; Hilmer (Fn. 39), S. 251 f. 511 Vgl. Bericht High Level Group (Fn. 32), S. 70; Hilmer (Fn. 39), S. 252. 512 Vgl. Bericht High Level Group (Fn. 32), S. 73. 513 Vgl. Bericht High Level Group (Fn. 32), S. 73; Noack/Zetzsche (Fn. 157), Vor §§ 39a bis 39c WpÜG Rn. 2; s. auch KOM(2002) 534, S. 11 („Gegengewicht“); S. Maul/MuffatJeandet (Fn. 57), Rn. 295 („Spiegelbild“). 514 Vgl. Bericht High Level Group (Fn. 32), S. 72 f.; Vgl. Implementation Report, SEC(2007) 268, S. 10; Habersack § 10 Rn. 27; Hasselbach ZGR 2005, 387, 390; Mosca (2009) 28 YEL 308, 328 f.; Papadopoulos (Fn. 77), S. 118. 515 Vgl. Bericht High Level Group (Fn. 32), S. 72 f.; Grohmann (Fn. 255), S. 346; Hasselbach ZGR 2005, 387, 390; Johnston (2004) 25 Co Law 270, 272; Liekefett RIW 2004, 825, 827; Möslein (Fn. 42), S. 324 f.; zu § 39c WpÜG: BegrRegE z. ÜbUG, BT-Drs. 16/1003, S. 14; Noack/Zetzsche (Fn. 157), § 39c WpÜG Rn. 1; kritisch zur Überzeugungskraft dieses Arguments jedoch etwa Grunewald in: MünchKommAktG, 3. Aufl. 2011, § 39c WpÜG Rn. 3. 516 Vgl. Hesse (Fn. 300), S. 83, 103; Kaisanlahti (2007) 8 EBOR 497, 499; S. Maul NZG 2005, 151, 156; S. Maul/Kouloridas (2004) 5 GLJ 355, 364; S. Maul/Muffat-Jeandet AG 2004, 306, 316; s. ferner bereits Bericht High Level Group (Fn. 32), S. 75.

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Deutschland517 und Frankreich518 üblich), oder (b) an die Anteile, für die das Angebot angenommen wurde (wie etwa speziell im UK519). Die erste Alternative („übernahmeneutrale Kalkulation“) (lit. a) setzt voraus, 126 dass der Bieter Wertpapiere hält, die mindestens 90 % des stimmberechtigten Kapitals und 90 % der Stimmrechte der Zielgesellschaft entsprechen. Die kumulative Anknüpfung an Kapital- und Stimmrechtsquote bezweckt, etwaige aus Höchst- und Mehrstimmrechtsaktien resultierende Disparitäten auszugleichen (Bsp.: ein Bieter, der zwar 90 % des Kapitals, aber nur 30 % der Stimmrechte hält, soll die „Minderheit“ nicht ausschließen können).520 Art. 15 Abs. 2 S. 3 gestattet es den Mitgliedstaaten, auch einen höheren Schwellenwert festzulegen, der allerdings maximal 95 % betragen darf. Damit soll einerseits den in einigen Mitgliedstaaten traditionell höheren Anforderungen521 Rechnung getragen, andererseits aber verhindert werden, dass der Squeeze-out durch Fixierung eines praktisch unerreichbaren Schwellenwerts (Extremfall: 99,9 %) illusorisch gemacht wird522. Die zweite Alternative („übernahmespezifische Kalkulation“) (lit. b) setzt dage- 127 gen voraus, dass der Bieter durch die Annahme des Angebots Wertpapiere erworben hat, die mindestens 90 % des stimmberechtigen Kapitals der Zielgesellschaft und 90 % der vom Angebot betroffenen Stimmrechte entsprechen, oder sich zum Erwerb solcher Wertpapiere vertraglich fest verpflichtet hat. Dass bereits die feste vertragliche Verpflichtung genügt, geht auf Initiative des UK523 zurück und trägt dem Umstand Rechnung, dass der tatsächliche Eigentumserwerb an den Wertpapieren durch den Bieter in der Praxis einige Zeit in Anspruch nehmen kann und u.U. erst nach Ablauf der eigentlichen Squeeze-out-Frist (dazu o. Rn. 131) erfolgt 524. Vor dem Hintergrund, dass lit. b ist für den Bieter von vornherein schwieriger zu erfüllen ist 525, dürfen die Mitgliedstaaten hier – anders als bei lit. a (vgl. o. Rn. 126) – keinen höheren Schwellenwert festlegen 526. Spezielle Vorgaben hinsichtlich der Berechnung der Schwellenwerte macht die 128 RL nicht; sie beschränkt sich insoweit vielmehr – ähnlich wie Art. 5 Abs. 3 betreffend

517 Vgl. § 327a Abs. 1 S. 1 AktG; so nun auch die Umsetzung des Art. 15 in § 39a Abs. 1 S. 1 WpÜG (dazu u. Rn. 129). 518 Vgl. früher Art. 5-7-1 AMF Règlement Général (dazu Sieger/Hasselbach NZI 2001, 926, 927); jetzt Art. 237-1 AMF Règlement Général. 519 Vgl. früher s. 429 CA 1985, jetzt Art. s. 979 CA 2006. 520 Vgl. S. Maul/Muffat-Jeandet AG 2004, 306, 316. 521 So etwa das französische (Art. 5-7-1 AMF Règlement Général a.F. [ebenso nun Art. 237-1 AMF Règlement Général] oder das deutsche Recht (§ 327a Abs. 1 S. 1 AktG): jeweils 95 %. 522 Vgl. bereits Bericht High Level Group (Fn. 32), S. 75; Van der Elst/Van den Steen Financial Law Institute WP 2006-12, S. 26. 523 Vgl. Dok. 7152/03, S. 5. 524 Vgl. Dok. 7152/03, S. 5; S. Maul/Muffat-Jeandet (Fn. 57), Rn. 278; dies. AG 2004, 306, 316. 525 Vgl. Bericht High Level Group (Fn. 32), S. 75; Hasselbach ZGR 2005, 387, 393; Hopt/Mülbert/Kumpan AG 2005, 109, 115; S. Maul/Muffat-Jeandet AG 2004, 306, 316. 526 Vgl. S. Maul/Muffat-Jeandet AG 2004, 306, 316.

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die Kontrollschwelle (dazu o. Rn. 31) – auf einen Regelungsauftrag an die Mitgliedstaaten (Art. 15 Abs. 3 Unterabs. 1.). 129 Der deutsche Gesetzgeber hat sich bei der Umsetzung in § 39a Abs. 1 S. 1 WpÜG im Interesse eines Gleichlaufs mit der allgemeinen Squeeze-out-Regelung in § 327a Abs. 1 S. 1 AktG in Ausübung des Optionsrecht nach Art. 15 Abs. 2 S. 3 für einen übernahmeneutralen Schwellenwert i.H.v. 95 % entschieden.527, 528 Im Kontext der Einführung des „pre-merger Squeeze-out“ in § 62 Abs. 5 UmwG n.F. (dazu § 21 Rn. 146), für den Art. 28 Abs. 2 der 3. (Fusions-RL) zwingend eine 90 %-Schwelle verlangt (dazu näher § 21 Rn. 145 f.), wurde zwar angeregt, den Schwellenwert generell auf 90 % zu senken529; der Gesetzgeber ist dem jedoch nicht gefolgt. b) Mitgliedstaatenoption für gattungsdimensionalen Squeeze-out (Art. 15 Abs. 3 Unterabs. 2) 130 In Anknüpfung an die Empfehlung der High Level Group530 gestattet Art. 15 Abs. 3 Unterabs. 2 den Mitgliedstaaten vorzusehen, dass das Ausschlussrecht bei Zielgesellschaft mit mehreren Wertpapiergattungen jeweils nur in der/den Gattung(en) ausgeübt werden kann, in der der maßgebliche Schwellenwert (dazu o. Rn. 125 ff.) erreicht ist. Ein solcher gattungsdimensionaler Squeeze-out, wie er etwa speziell im britischen Recht vorgesehen ist 531, kann sowohl aus Sicht des Bieters (der die Schwelle nur in der jeweiligen Gattung erreichen muss) als auch der Minderheitsaktionäre (die nur herausgedrängt werden können, wenn die Schwelle auch in ihrer Gattung erreicht ist) vorteilhaft sein.532 Nachteil ist allerdings, dass er es einzelnen Aktionäre mit einer

527 Vgl. BegrRegE z. ÜbUG, BR-Drs. 16/1003, S. 21 f. 528 Die Anknüpfung nur an das „stimmberechtigte Grundkapital“ ist richtlinienkonform, da es bei deutschen börsennotierten AG bereits seit 1.6.2000 keine Höchststimmrechte mehr gibt (vgl. § 134 Abs. 1 S. 2 AktG i.V.m. § 5 Abs. 7 EGAktG) und der Bieter somit stets auch 95 % der Stimmrechte hält, wenn er 95 % des stimmberechtigten Grundkapitals hält, vgl. auch Bericht Rechtsausschuss zum ÜbUG, BT-Drs. 16/1541, S. 12 f. Da gerade auf das „stimmberechtigte Grundkapital“ (und nicht umgekehrt auf die Stimmrechte) abgestellt wird, gilt dies – entgegen Bedenken im Schrifttum (vgl. Holzborn/ Peschke BKR 2007, 101, 106) – auch in den seltenen Fällen, in denen gem. § 12 Abs. 2 AktG i.V.m. § 5 Abs. 1 EGAktG noch „alte“ Mehrstimmrechte fortbestehen (dazu Bayer/Hoffmann AG 2008, R464 ff.), vgl. auch Noack/Zetzsche (Fn. 157, § 39a WpÜG Rn. 4; Paefgen WM 2007, 765, 766 Fn. 13. 529 Vgl. Bayer/J. Schmidt ZIP 2010, 953, 960 f.; BDI, Stellungnahme v. 30.4.2010 (www. bdi.eu), S. 4; BDI, Stellungnahme v. 3.11.2010 (www.bdi.eu), S. 6; Bungert/Wettich DB 2010, 2545, 2549; Freytag BB 2010, 1611, 1617 f.; ders. BB 2010, 2839, 2841. 530 Vgl. Bericht High Level Group (Fn. 32), S. 75 f. Diese hatte allerdings empfohlen, den Squeeze-out zwingend gattungsdimensional auszugestalten, ebenso auch Art. 14 Abs. 2 Unterabs. 2 RL-E 2002 (Fn. 33); nachdem von verschiedenen Seiten Bedenken geäußert worden waren, wurde in der endgültigen Fassung dann nur noch eine Mitgliedstaatenoption geregelt. 531 Vgl. früher s. 429 (1), (2) CA 1985, jetzt s. 979(3), (4) CA 2006. 532 Vgl. Bericht High Level Group (Fn. 32), S. 75 f.; Van der Elst/Van den Steen ECFR 2009, 391, 408.

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Beteiligung von insgesamt weit unter 10 % (bzw. 5 %) ermöglicht, „Blockadepositionen“ aufzubauen.533 Der deutsche Gesetzgeber hat mit Blick darauf von einer Umsetzung abgesehen.534 c) Ausübungsfrist (Abs. 4) Art. 15 Abs. 4 sieht für die Ausübung des Ausschlussrechts eine Frist von 3 Monaten 131 nach Ablauf der Annahmefrist für das Angebot gem. Art. 7 (dazu o. Rn. 58 f.) vor. Dadurch soll eine hinreichende Konnexität zwischen Übernahme und Squeeze-out gewährleistet werden, die nicht nur wegen des bewusst auf Übernahmefälle beschränkten Anwendungsbereichs der Regelung (vgl. o. Rn. 121), sondern speziell auch mit Blick auf die an den Gegenleistung des Angebots anknüpfenden Abfindungsregelungen (dazu u. Rn. 135 ff.) 535 erforderlich ist. Die deutsche Umsetzung findet sich in § 39a Abs. 4 WpÜG.536 d) Angemessene Abfindung (Abs. 5) Art. 15 Abs. 5 Unterabs. 1 S. 1 verpflichtet die Mitgliedstaaten sicherzustellen, dass 132 die ausgeschlossenen Minderheitsaktionäre eine „angemessene Abfindung“ erhalten. Denn der mit dem Squeeze-out verbundene Eingriff in das Eigentumsrecht der betroffenen Wertpapierinhaber ist nur gerechtfertigt, wenn sie eine volle wirtschaftliche Kompensation erhalten (zur eigentumsrechtlichen Problematik noch näher u. Rn. 146).537 aa) Form der Abfindungsleistung Gem. Art. 15 Abs. 5 Unterabs. 1 S. 2 muss die Abfindung dieselbe Form aufweisen 133 wie die Gegenleistung des Angebots (zu deren Form o. Rn. 46) oder in Form einer Geldleistung erfolgen. Ratio ist, dass die ausgeschlossenen Minderheitsaktionäre insofern nicht schlechter stehen sollen als die Aktionäre, die das Angebot angenommen

533 Vgl. Grundmann Rn. 1001; Krause BB 2002, 2341, 2345; kritisch auch Bergbach, Anteilseigentum, 2010, S. 592; Hasselbach ZGR 2005, 387, 401; Stange, Zwangsausschluss von Minderheitsaktionären (Squeeze-out), 2010, S. 266; Wiesner ZIP 2004, 343, 348. 534 § 39a Abs. 1 S. 2 WpÜG (Squeeze-out bzgl. Vorzugsaktien ohne Stimmrecht) ist keine Umsetzung der Option des Art. 15 Abs. 3 Unterabs. 2, sondern eine über den – auf den Squeeze-out betreffend Wertpapiere mit Stimmrecht beschränkten (vgl. Art. 2 Abs. 1 lit. e, dazu o. Rn. 10) – Anwendungsbereich des Art. 15 hinausgehende Sonderregelung, vgl. BegrRegE z. ÜbUG, BT-Drs. 16/1003, S. 21; Noack/Zetzsche (Fn. 157), § 39a WpÜG Rn. 7. 535 Vgl. zu § 39a WpÜG: Noack/Zetzsche (Fn. 157), § 39a WpÜG Rn. 33. 536 Vgl. BegrRegE z. ÜbUG, BT-Drs. 16/1003, S. 22. 537 Vgl. zu § 39a WpÜG: Hasselbach (Fn. 172), § 39a Rn. 56.

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haben.538 Die auf Drängen verschiedener Mitgliedstaaten eingeführte 539 und mit der der Parallelregelung für die Form des Pflichtangebots in Art. 5 Abs. 5 S. 4 (dazu o. Rn. 46) korrespondierende Option des Art. 15 Abs. 5 Unterabs. 1 S. 3 gestattet es den Mitgliedstaaten aber vorzusehen, dass in jedem Fall zumindest wahlweise eine Geldleistung angeboten werden muss, d.h. den Minderheitsaktionären durch das Recht, stets eine Geldleistung verlangen zu können540, einen noch höheren Schutz einzuräumen541. 134 Der deutsche Gesetzgeber hat i.R.d. Umsetzung in § 39a Abs. 3 S. 1 und 2 WpÜG im Interesse des Schutzes der Aktionäre mit S. 2 von diesem Optionsrecht Gebrauch gemacht.542 bb) Höhe der Abfindung 135 Hinsichtlich der genauen Bestimmung der Höhe der „angemessenen Abfindung“ sieht die RL keine spezielle Berechnungsmethode vor. Mit Blick auf die insoweit unterschiedlichen nationalen Traditionen wurde hiervon – ebenso wie in Bezug auf die Bestimmung des „angemessenen Preises“ beim Pflichtangebot (vgl. o. Rn. 42) – bewusst abgesehen. Insbesondere wurde auch die auf Vorschlag der High Level Group543 in Art. 14 Abs. 4 S. 2 RL-E 2002544 aufgenommene Regelung betreffend die Bestimmung der Abfindungshöhe durch einen Sachverständigen nicht in die endgültige Fassung übernommen. Aufgegriffen wurden die Empfehlungen der High Level Group545 allerdings insofern, als die RL in Art. 15 Abs. 5 Unterabs. 2 und 3 zwei Vermutungen etabliert, die an die Höhe der i.R.d. vorangegangenen Übernahmeangebots gezahlten Abfindung anknüpfen und danach differenzieren, ob es sich bei diesem um ein freiwilliges oder um ein Pflichtangebot handelte. (1) Die Vermutungen des Art. 15 Abs. 5 Unterabs. 2 und 3 136 Handelte es sich um ein freiwilliges Angebot, so gilt die darin angebotene Abfindung gem. Art. 15 Abs. 5 Unterabs. 2 als angemessen, wenn der Bieter durch die Annahme dieses Angebots Wertpapiere erworben hat, die mindestens 90 % des vom Angebot

538 Vgl. Bericht High Level Group (Fn. 32), S. 71 f. 539 S. Maul/Muffat-Jeandet AG 2006, 306, 317; vgl. zur Debatte im Rat auch Dok. 15187/02, S. 5. 540 Wie sich aus Ratio und Genese der Norm klar ergibt, steht das Wahlrecht den Minderheitsaktionären – und nicht etwa dem Bieter (so aber Austmann/Mennicke NZG 2004, 846, 849) – zu, vgl. auch Hilmer (Fn. 39), S. 322; S. Maul/Muffat-Jeandet AG 2006, 306, 317; Noack/Zetzsche (Fn. 157), § 39a WpÜG Rn. 18; Paefgen WM 2007, 765, 766; vgl. zur Parallelproblematik i.R.d. Art. 5 Abs. 5 S. 4 auch bereits Fn. 228. 541 Vgl. S. Maul/Muffat-Jeandet (Fn. 57), Rn. 288. 542 Vgl. BegrRegE z. ÜbUG, BT-Drs. 16/1003, S. 22. 543 Vgl. Bericht High Level Group (Fn. 32), S. 76. 544 Fn. 33. 545 Vgl. Bericht High Level Group (Fn. 32), S. 76.

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betroffenen stimmberechtigten Kapitals entsprechen. Dahinter steht die Überlegung, dass eine Abfindung, die von so vielen Aktionären angenommen wurde, offensichtlich „fair“ war (Richtigkeitsgewähr des Marktes).546 Wie sich aus Wortlaut und Entstehungsgeschichte der Norm ergibt 547, gilt die 90 %-Grenze auch dann, wenn ein Mitgliedstaat den Schwellenwert für den Squeeze-out in Ausübung der Option des Art. 15 Abs. 2 S. 3 auf mehr als 90 % festgelegt hat.548 Handelte es sich bei dem vorangegangenen Übernahmeangebot dagegen um ein 137 Pflichtangebot, so gilt die darin angebotene Gegenleistung generell – d.h. unabhängig von der Annahmequote – als angemessen (Art. 15 Abs. 5 Unterabs. 3). Denn bei einem Pflichtangebot muss ein Bieter nach Art. 5 Abs. 1 S. 2 stets einen „angemessenen Preis“ bieten, der insbesondere auch den Mindestpreisregeln der Art. 5 Abs. 4 entsprechen muss (dazu bereits ausf. o. Rn. 42 ff.).549

(2) Widerleglichkeit? Äußerst umstritten ist allerdings die genaue Bedeutung dieser beiden Vermutungen. 138 Entgegen manch missverständlicher Äußerungen550 handelt es sich jedenfalls nicht um Fiktionen551. Fraglich ist jedoch, ob die Vermutungen widerleglich552 oder unwiderleglich553 sind oder ob die RL die Entscheidung hierüber vielleicht gar den Mitgliedstaaten überlässt554. Letzteres würde die Harmonisierungswirkung zwar deutlich

546 Vgl. Bericht High Level Group (Fn. 32), S. 76; Hasselbach ZGR 2005, 387, 396; S. Maul/Muffat-Jeandet AG 2004, 306, 317; zu § 39a WpÜG: Grunewald (Fn. 515), § 39a WpÜG Rn. 28; Noack/Zetzsche (Fn. 157), § 39a WpÜG Rn. 20; kritisch zur 90 %(und für eine 50 %-Schwelle): Kaisanlahti (2007) 8 EBOR 497, 506 ff. 547 Im Rat wurde nach Diskussion der Vorschrift explizit der Verweis auf beide Fälle (lit. a und b) des Abs. 2 eingefügt, vgl. Dok. 15187/02, S. 4 f. und Dok. 6024/03, S. 20. 548 Implizit auch BegrRegE z. ÜbUG, BT-Drs. 16/1003, S. 22. 549 Vgl. Bericht High Level Group (Fn. 32), S. 76. 550 Von „Fiktion“ sprechen etwa: Grundmann Rn. 1002; Hasselbach ZGR 2005, 387, 404 ff.; Krause BB 2004, 113, 118. 551 Unter einer Fiktion versteht man die rechtliche Gleichbewertung von Tatbeständen, bei denen klar ist, dass die vorgenommene Gleichsetzung nicht der Lebenswirklichkeit entspricht, vgl. nur Prütting in: MünchKommZPO, 3. Aufl. 2008, § 292 Rn. 8 m.w.N. Der Angebotspreis kann (und wird in den meisten Fällen) aber durchaus auch einer „angemessenen Abfindung“ entsprechen. 552 So Bergbach (Fn. 533), S. 595; Heidel/Lochner Konzern 2006, 653, 656; Hilmer (Fn. 39), S. 319, 329; Kaindl/Rieder GesRZ 2006, 247, 266; S. Maul NZG 2005, 151, 157; S. Maul/ Muffat-Jeandet AG 2004, 306, 317; Mülbert NZG 2004, 633, 634; Paefgen WM 2007, 765, 767; Stange (Fn. 533), S. 272 f.; Van der Elst/Van den Steen (2007) 4 ECL 19, 24; dies. ECFR 2009, 391, 421. 553 So Fischer zu Cramburg NZG 2008, 700, 701; Hasselbach ZGR 2005, 387, 396; Handelsrechtsausschuss des DAV NZG 2006, 217, 219; Heidel/Lochner DB 2005, 2564; Hörmann/Feldhaus BB 2008, 2134, 2138; Meyer WM 2006, 1135, 1142; ferner offenbar die BReg., vgl. BT-Drs. 16/1342, S. 6. 554 I.d.S. Grunewald NZG 2009, 332, 333; Noack/Zetzsche (Fn. 157), § 39a WpÜG Rn. 29; Posdziech WM 2010, 787, 791; ferner wohl auch der BRat, vgl. BR-Drs. 154/06(B), S. 6 f.;

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mindern, würde sich aber durchaus in den allgemeinen Rahmencharakter der RL einfügen, speziell auch vor dem Hintergrund der Diskussion im Rat (vgl. dazu u. Rn. 23). 139 Der Wortlaut („gilt … als angemessen“) ist jedenfalls – auch in anderen Sprachfassungen (englisch: „shall be presumed“, französisch: „est présumée“) – nicht eindeutig; entgegen anderslautender Behauptungen im Schrifttum spricht er weder zwingend für eine widerlegliche noch für eine unwiderlegliche Vermutung.555 140 Auch die Entstehungsgeschichte der Norm lässt sich in beide Richtungen interpretieren. Die High Level Group hatte sich zwar explizit dafür ausgesprochen, dass die Vermutung widerleglich sein sollte556. Im RL-E 2002557 fand sich dann jedoch, ohne nähere Erläuterung, die letztlich kodifizierte Formulierung. Art. 14 Abs. 4 S. 2 RL-E 2002 sah zwar für Fälle, in denen die Vermutungen nicht eingriffen, ergänzend eine Festlegung durch einen unabhängigen Sachverständigen vor, was einen Umkehrschluss dahingehend nahelegt, dass bei Eingreifen der Vermutungen keine abweichende Festlegung möglich sein sollte;558 auch diese Argumentation ist aber nicht zwingend559. Ein Blick in die Beratungsdokumente des Rates liefert ebenfalls kein eindeutiges Ergebnis: Verschiedene Mitgliedstaaten forderten zwar mehrfach die Aufnahme einer Regelung dahingehend, dass die nationalen Gerichte bzw. Aufsichtsbehörden unter bestimmten Umständen einen anderen Preis festsetzen können sollten. Dabei ist jedoch einmal nur von einer „Klarstellung“ die Rede560, ein anderes Mal von „sollten die Möglichkeit erhalten“561 und letztlich wurde gerade keine entsprechende Regelung aufgenommen. 141 Unter teleologischen Aspekten lassen sich ebenfalls gute Gründe sowohl für als auch gegen die Widerleglichkeit der Vermutungen finden. Einerseits spricht der Grundsatz der zügigen Durchführung des Angebotsverfahrens (Art. 3 Abs. 1 lit. f, dazu o. Rn. 16) maßgeblich gegen eine – u.U. zu langwierigen behördlichen bzw. gerichtlichen Verfahren führende – Widerleglichkeit.562 Der Grundsatz des Schutzes der Minderheitsaktionäre (Art. 3 Abs. 1 lit. a Hs. 2, dazu o. Rn. 16) spricht jedoch andererseits wesentlich dafür, dass zumindest unter bestimmten Voraussetzungen eine Widerlegung möglich sein sollte, um auch in atypischen Fällen eine „angemessene Abfin-

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Merkt/Binder BB 2006, 1285, 1290; Rühland NZG 2006, 401, 407; Süßmann NZG 2009, 980, 981; Theiselmann Konzern 2009, 221, 225. Ebenso Grunewald NZG 2009, 332; Hörmann/Feldhaus BB 2008, 2134, 2136 f.; Hasselbach (Fn. 172), § 39a Rn. 72; Mülbert NZG 2004, 633, 634; Noack/Zetzsche (Fn. 157), § 39a WpÜG Rn. 29; Posdziech WM 2010, 787, 789 f.; Rühland NZG 2006, 401, 407. Vgl. Bericht High Level Group (Fn. 32), S. 76; noch deutlicher in der englischen Sprachfassung (dort S. 65 f.): „presumption … should be rebuttable“. Fn. 33. Vgl. OLG Stuttgart ZIP 2009, 1059, 1064. Vgl. auch Grunewald (Fn. 515), § 39a WpÜG Rn. 7. Vgl. Dok. 15187/02, S. 5 (Forderung von Schweden, Frankreich und UK). Vgl. Dok. 8649/03 ADD 1, S. 22; Dok. 14532/03, S. 33; und Dok. 15089/03, S. 33 (Forderung von Schweden und Finnland). Vgl. Hasselbach (Fn. 172), § 39a Rn. 72; Hörmann/Feldhaus BB 2008, 2134, 2137 f.; zu § 39a WpÜG auch Grunewald (Fn. 515), § 39a WpÜG Rn. 34; Noack/Zetzsche (Fn. 157), § 39a WpÜG Rn. 29.

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dung“ zu gewährleisten563, zumal die „Behinderungswirkung“ etwaiger behördlicher/ gerichtlicher Verfahren letztlich auch maßgeblich von deren konkreter Ausgestaltung abhängt. Vor diesem Hintergrund vermag es kaum zu überraschen, dass auch die Umset- 142 zung in den Mitgliedstaaten stark divergiert. So sieht etwa das britische Recht in s. 986(4) CA 2006 ausdrücklich vor, dass das Gericht auf Antrag eine höhere oder niedrigere Gegenleistung als die im vorangegangenen Angebot angebotene festsetzen kann. In Österreich wurde die Vermutung ebenfalls bewusst als widerleglich ausgestaltet (vgl. § 7 Abs. 3 S. 2 GesAusG564 [„wird vermutet“] und die Regierungsbegründung565 hierzu). Der deutsche Gesetzgeber hat dagegen in der Gesetzesbegründung zu § 39 Abs. 3 S. 3 WpÜG, der die Formulierung „gilt als angemessen“ benutzt, ausdrücklich betont, dass es sich um eine unwiderlegliche Vermutung handeln soll566. Dementsprechend wird die Vermutung auch im Schrifttum verbreitet als unwiderleglich angesehen567; eine ganze Reihe von Autoren vertreten jedoch die Auffassung, dass die RL568 und/oder Art. 14 Abs. 1 GG569 eine Auslegung als widerleglich gebiete(n). Die bisherige instanzgerichtliche Judikatur ist ebenfalls uneinheitlich570. Abschließende Klarheit wird hier wohl nur eine eindeutige Entscheidung des EuGH schaffen können; sollte dieser entscheiden, dass die Vermutung widerleglich sein muss, wäre § 39a Abs. 3 S. 3 WpÜG entsprechend richtlinienkonform auszulegen. Problematisch ist § 39a Abs. 3 S. 3 WpÜG aber jedenfalls insofern, als nicht da- 143 nach differenziert wird, ob es sich bei dem vorangegangenen Übernahmeangebot um ein freiwilliges oder ein Pflichtangebot handelte.571 Es ist zwar richtig, dass das deut-

563 Vgl. auch Hilmer (Fn. 39), S. 310. 564 Bundesgesetz über den Ausschluss von Minderheitsgesellschaftern (Gesellschafter-Ausschlussgesetz – GesAusG), öBGBl. I Nr. 75/2006. 565 GP XXII RV 1334 AB 1382 S. 142, S. 32. Vgl. auch Kaindl/Rieder GesRZ 2006, 247, 266; Winnert JBl. 2007, 434, 441. 566 Vgl. BegrRegE z. ÜbUG, BT-Drs. 16/1003, S. 22. 567 So etwa Austmann NZG 2011, 684, 685; Bergbach (Fn. 533), S. 589 f.; Falkner ZIP 2008, 1775, 1777; Fischer zu Cramburg NZG 2008, 700, 701; Grunewald NZG 2009, 332, 333; Hasselbach (Fn. 172), § 39a Rn. 68 ff.; Hörmann/Feldhaus BB 2008, 2134, 2138, 2140; Merkner/Sustmann (Fn. 553), § 39a Rn. 55 ff.; Noack/Zetzsche (Fn. 157), § 39a WpÜG Rn. 28 f.; Seibt/Heiser AG 2006, 301, 318 f.; Steinmeyer/Santelmann BB 2009, 674, 678; Süßmann in: Geibel/Süßmann, WpÜG, 2. Aufl. 2008, § 39a Rn. 15 f.; Theiselmann Konzern 2009, 221, 228. 568 So Heidel/Lochner Konzern 2006, 653, 656, 660; Hilmer (Fn. 39), S. 336; Paefgen WM 2007, 765, 766 f.; Stange (Fn. 533), S. 271 ff.; Schüppen/Tretter (Fn. 552), § 39a Rn. 27. 569 So Heidel/Lochner Konzern 2006, 653, 656, 660; Paefgen WM 2007, 765, 766 f.; Posdziech WM 2010, 787, 794; Rühland NZG 2006, 401, 405 ff.; Simon Konzern 2006, 12, 16 f.; erhebliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit auch Bergbach (Fn. 533), S. 599 ff., 714 f.; für Verfassungswidrigkeit bereits Heidel/Lochner DB 2005, 2564 ff. 570 Vgl. LG Frankfurt NZG 2008, 665 (widerleglich); OLG Frankfurt ZIP 2009, 74 (offen gelassen); OLG Stuttgart ZIP 2009, 1059 (unwiderleglich); OLG Celle ZIP 2010, 830, 831 (offen gelassen); LG Frankfurt ZIP 2009, 1422, 1424 (offen gelassen). 571 Vgl. DAI, Stellungnahme zum ÜbUG-RefE v. 24.1.2006 (www.dai.de), S. 4 f.; Bergbach (Fn. 533), S. 590; Handelsrechtsausschuss des DAV NZG 2006, 217, 219; Hilmer (Fn. 39),

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sche Recht freiwillige Angebote über den Mindeststandard der RL hinaus denselben Mindestpreisregeln unterwirft wie Pflichtangebote (vgl. bereits o. Rn. 45) und beide daher im Hinblick auf die Gewährleistung eines „fairen Preises“ gleichwertig sind. Mit Blick darauf ließe sich dann zwar argumentieren, dass es auch bei freiwilligen Angeboten keiner 90 %-Annahmeschwelle mehr bedürfte (teleologische Reduktion des Art. 15 Abs. 5 Unterabs. 2). § 39a Abs. 3 S. 3 WpÜG verlangt jedoch genau umgekehrt auch bei vorausgegangenem Pflichtangebot eine 90 %-Annahmequote, obwohl Art. 15 Abs. 5 Unterabs. 3 die Angemessenheitsvermutung hier gerade nicht von einer bestimmten Annahmequote abhängig macht. Die Norm ist daher entsprechend richtlinienkonform auszulegen.572 e) Verfahren 144 Abgesehen von der in Art. 15 Abs. 4 normierten Ausschlussfrist (dazu o. Rn. 131) überlässt die RL die Regelung des Ausschlussverfahrens komplett den Mitgliedstaaten.573 Entgegen einer im Schrifttum vertretenen Ansicht574 verlangt sie insbesondere auch nicht, dass der Bieter für die Abfindung eine Garantie oder sonstige Sicherheitsleistung erbringt.575 Die Formulierung, dass eine angemessene Abfindung „garantiert“ werden muss, meint lediglich, dass die Mitgliedstaaten gewährleisten müssen, dass die Minderheitsaktionäre tatsächlich eine solche erhalten. Gegen das Erfordernis einer Sicherheitsleistung spricht i.Ü. nicht zuletzt auch, dass mit Blick auf die näheren Regelungen über eine Sicherheitsleistung in anderen gesellschaftsrechtlichen Richtlinien576 auch hier eine entsprechende ausdrückliche Regelung zu erwarten gewesen wäre, speziell vor dem Hintergrund des allgemeinen Rahmencharakters der RL. 145 Der deutsche Gesetzgeber hat das Ausschlussverfahren in §§ 39a, 39b WpÜG im Interesse einer zügigen und kostengünstigen Durchführung – abweichend vom aktienrechtlichen Squeeze-out nach §§ 327a ff. AktG 577 – als gerichtliches Antragsver-

572 573 574

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S. 340 ff.; Merkt/Binder BB 2006, 1285, 1290; zweifelnd auch Noack/Zetzsche (Fn. 157), § 39a WpÜG Rn. 21. Für Richtlinienkonformität jedoch Grunewald (Fn. 515), § 39a WpÜG Rn. 10; Hasselbach (Fn. 172), § 39a Rn. 62; Paefgen WM 2007, 765, 766 f. Der Wortlaut dürfte dem mit Blick auf die „Quelle“-Judikatur des BGH (Fn. 167, allg. dazu bereits § 3 Rn. 53 ff.) nicht entgegenstehen. Vgl. Habersack § 10 Rn. 30; Krause BB 2004, 113, 118. So aber etwa LG Frankfurt ZIP 2009, 1422, 1425; Schüppen/Tretter (Fn. 552), § 39b Rn. 17; tendenziell auch Merkner/Sustmann (Fn. 553), § 39b Rn. 51; Süßmann (Fn. 567), § 39a Rn. 19; s. ferner auch Habersack § 10 Rn. 28 Fn. 76 (nicht aus RL, aber u.U. aus Grundsatz des effet utile). Ebenso Grunewald (Fn. 515), § 39a WpÜG Rn. 9; Hasselbach (Fn. 172), § 39a Rn. 23 ff.; Noack/Zetzsche (Fn. 157), § 39b WpÜG Rn. 18; offen lassend: OLG Frankfurt ZIP 2009, 74, 80. Vgl. Art. 32 Abs. 1 der 2. (Kapital-)RL (dazu § 20 Rn. 211 f.), Art. 13 Abs. 2 der 3. (Fusions-)RL (dazu § 21 Rn. 118 ff.), Art. 12 Abs. 2 der 6. (Spaltungs-)RL (dazu § 22 Rn. 91 ff.). Übersicht über Unterschiede der beiden Verfahren etwa bei Schüppen/Tretter (Fn. 552), Vor § 39a Rn. 18.

Die Übernahmerichtlinie (13. Richtlinie)

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fahren ausgestaltet;578 mit der rechtskräftigen Entscheidung des ausschließlich zuständigen LG Frankfurt/M. gehen sämtliche Aktien auf den Bieter über.579

f) Exkurs: Vereinbarkeit mit Eigentumsrecht Soweit im Schrifttum teilweise Bedenken im Hinblick auf das Eigentumsrecht bzw. 146 der Minderheitsaktionäre geltend gemacht werden, sind diese i.E. unbegründet.580 Dieses genießt zwar sowohl auf europäischer Ebene581 als auch in den Verfassungen der Mitgliedstaaten (Deutschland: Art. 14 GG)582 Grundrechtsschutz. Der im Squeeze-out liegende Eingriff ist jedoch gerechtfertigt, denn er dient einem legitimen Zweck (öffentliches Interesse an der effizienten Führung von Gesellschaften und der Liquidität der Kapitalmärkte) und ist auf Grund der hohen Schwellenwerte und der Gewährleistung einer angemessenen Abfindung für die Minderheitsaktionäre auch verhältnismäßig.583

3. Sell-out (Art. 16) Anders als noch in Art. 15 RL-E 2002584 ist der Sell-out in der endgültigen Fassung 147 der RL durch Verweis auf Art. 15 Abs. 2–5 genau spiegelbildlich zum Squeeze-out ausgestaltet.585

578 Vgl. BegrRegE z. ÜbUG, BT-Drs. 16/1003, S. 14. 579 Näher Grunewald (Fn. 515), § 39a WpÜG Rn. 40 ff., § 39b WpÜG Rn. 1 ff.; Hasselbach (Fn. 172), § 39a Rn. 83 ff., § 39b Rn. 1 ff. (jeweils m.z.w.N.). 580 Vgl. Bericht High Level Group (Fn. 32), S. 76 f. 581 Vgl. Art. 6 EU i.V.m. Art. 17 GRC; grundlegend zum Unionsgrundrecht auf Eigentum: EuGH v. 13.12.1979, Liselotte Hauer ./. Land Rheinland-Pfalz, Rs. 44/79, Slg. 1979, 3727; ausf. Meyer in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Recht der Europäischen Union, 43. EL 2011, Anh. Art. 6 EU (Grundrechtsschutz) Rn. 200 ff. m.z.w.N. 582 Übersicht über die Mitgliedstaaten bei Bernsdorff in: Meyer (Hrsg.), Charta der Grundrechte der Europäischen Union, 3. Aufl. 2010, Art. 17 Rn. 2. 583 Vgl. bereits Bericht High Level Group (Fn. 32), S. 71 f.; zur Vereinbarkeit mit der EMRK bzw. Art. 17 GRC: Fleischer/Schoppe Konzern 2006, 329 ff.; Hilmer (Fn. 39), S. 239 ff., 314 ff., 346 ff.; Merkt/Binder BB 2006, 1285, 1291; Ott WM 2008, 384, 390; Van der Elst/Van den Steen Financial Law Institute WP 2006-12, S. 14 f.; zur Vereinbarkeit des Squeeze-out nach französischem Recht mit der EMRK: Cour de Cassation D. 1998, 334; zur Vereinbarkeit des Squeeze-out nach §§ 327a ff. AktG mit Art. 14 Abs. 1 GG: BVerfG NZG 2007, 587; BVerfG WM 2007, 2199; BVerfG NZG 2010, 902; zur Vereinbarkeit des übernahmerechtlichen Squeeze-out mit Art. 14 Abs. 1 GG nur Grunewald (Fn. 515), § 39a WpÜG Rn. 12 ff.; Hasselbach (Fn. 172), § 39a Rn. 21 f. (jeweils m.z.w.N.). 584 Fn. 33. Dieser hatte noch unterschiedliche Schwellenwerte zugelassen (vgl. Fn. 587); zudem sollte der Sell-out ausgeschlossen sein, wenn der Schwellenwert nur kurzzeitig erreicht worden ist. 585 Vgl. auch Grundmann Rn. 1001; Hilmer (Fn. 39), S. 350; Seibt/Heiser ZGR 2005, 200, 249.

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Gesellschaftsrechtliche Richtlinien

a) Schwellenwert 148 Auf Grund des Verweises in Art. 16 Abs. 2 gelten auch für den Sell-out die Schwellenwerte des Art. 15 Abs. 2, d.h. die Mitgliedstaaten haben die Wahl zwischen einer übernahmeneutral kalkulierten 90–95 %-Schwelle (lit. a) und einer übernahmespezifisch kalkulierten 90 %-Schwelle (lit. b) (dazu bereits näher o. Rn. 125 ff.). Sie müssen ihr Wahlrecht allerdings für Squeeze-out und Sell-out einheitlich ausüben.586 Der Wortlaut der Verweisung mag zwar insofern nicht ganz eindeutig sein; die Unzulässigkeit einer unterschiedlichen Festlegung der Schwellenwerte ergibt sich jedoch nicht nur aus der Entstehungsgeschichte587, sondern insbesondere auch aus Ratio und Systematik der Art. 15 und 16 („Sell-out“ als „Gegenstück“ zum „Squeeze-out“, Gedanke der „Waffengleichheit“, vgl. auch bereits o. Rn. 121, 124). Dementsprechend dürfen sie i.R.d. Umsetzung des sich aus Art. 16 Abs. 3 i.V.m. Art. 15 Abs. 3 Unterabs. 1 (dazu bereits o. Rn. 128) ergebenden Regelungsauftrags zur Berechnung des Schwellenwerts auch keine unterschiedlichen Berechnungsregeln festlegen, da ansonsten das Gebot der gleichen Schwellenwerte unterlaufen würde.

b) Mitgliedstaatenoption für gattungsdimensionalen Sell-out 149 Gem. Art. 16 Abs. 3 i.V.m. Art. 15 Abs. 3 Unterabs. 2 (dazu bereits o. Rn. 130) können die Mitgliedstaaten auch den Sell-out gattungsdimensional ausgestalten; wegen des „Spiegelbildlichkeitsgebots“ (vgl. o. Rn. 147 f.) allerdings nur dann, wenn sie von dieser Option auch für den Squeeze-out Gebrauch gemacht haben.

c) Ausübungsfrist 150 Gem. Art. 16 Abs. 3 i.V.m. Art. 15 Abs. 4 (dazu bereits o. Rn. 131) gilt auch für die Ausübung des Sell-out-Rechts eine Frist von 3 Monaten nach Ablauf der Annahmefrist für das Angebot gem. Art. 7 (dazu o. Rn. 58 f.).

586 Vgl. Seibt/Heiser ZGR 2005, 200, 249; a.A. Hilmer (Fn. 39), S. 356 f. 587 Art. 15 Abs. 1 RL-E 2002 (Fn. 33) hatte für den Sell-out noch lediglich eine dem lit. a entsprechende übernahmeneutral kalkulierte 90–95 %-Schwelle vorgesehen (die deutsche Sprachfassung ist insoweit leider – anders als die englische und französische – missverständlich, vgl. nur Krause BB 2002, 2341, 2346). Im Rat wurde dann aber vereinbart, dass auf Grund der engen Verknüpfung von Squeeze-out und Sell-out für beide die gleiche Auslöseschwelle gelten sollte (vgl. Dok. 15187/02, S. 6). Forderungen Italiens, eine unterschiedliche Festlegung der Schwellenwerte zuzulassen (vgl. Dok. 8649/03 ADD 1, S. 23 und 14532/03, S. 33), wurde gerade nicht Rechnung getragen.

Die Übernahmerichtlinie (13. Richtlinie)

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d) Angemessene Abfindung Die „Spiegelbildlichkeit“ von Squeeze-out und Sell-out gilt weiterhin insbesondere 151 auch im Hinblick auf das Erfordernis einer „angemessenen Abfindung“ für die Minderheitsaktionäre; gem. Art. 16 Abs. 3 gelten insofern die Vorgaben des Art. 15 Abs. 5 (dazu ausf. o. Rn. 132 ff.) entsprechend.

e) Verfahren Ebenso wie beim Squeeze-out (vgl. o. Rn. 144) überlässt die RL schließlich auch 152 die Regelung des Sell-out-Verfahrens – abgesehen von der Ausübungsfrist (dazu o. Rn. 150) – komplett den Mitgliedstaaten.588 Entgegen anderslautender Behauptungen im Schrifttum verlangt sie insbesondere auch keine Sicherheitsleistung (vgl. bereits o. Rn. 144). f) Umsetzung in Deutschland Der übernahmerechtliche Sell-out war aus deutscher Sicht ein Novum.589 Für ein so 153 weitgehendes Andienungsrecht der Minderheitsaktionäre hatte man hierzulande ganz überwiegend kein Bedürfnis gesehen;590 der Gesetzgeber hatte es vielmehr für ausreichend erachtet, in § 16 Abs. 2 S. 1 WpÜG eine weitere Annahmefrist von 2 Wochen vorzusehen (sog. „Zaunkönigregel“) 591. In offensichtlicher Anlehnung daran erfolgte dann auch die Umsetzung des Art. 16 in § 39c WpÜG in der Form, dass sich die Annahmefrist für ein freiwilliges Übernahmeangebot oder Pflichtangebot auf 3 Monate verlängert, wenn der Bieter nach § 39a WpÜG zum Squeeze-out berechtigt ist. Diese gesetzestechnische Ausgestaltung, die eine unbürokratische und praktikable Abwicklung gewährleisten soll592, ist nicht nur systemkonform, sondern – entgegen manchen Stellungnahmen im Schrifttum 593 – grundsätzlich auch mit der RL vereinbar 594. Denn diese verlangt, dass die Minderheitsaktionäre bei Erreichen der maßgeblichen

588 Vgl. Habersack § 10 Rn. 30. 589 Vgl. Krause BB 2004, 113, 119; S. Maul/Muffat-Jeandet AG 2004, 306, 317. 590 Die deutsche Delegation hatte daher zunächst auch Bedenken gegen Art. 15 geltend gemacht, vgl. Dok. 15187/02, S. 6. Kritisch zur rechtspolitischen Notwendigkeit etwa auch Grunewald (Fn. 515), § 39c WpÜG Rn. 2 ff. 591 Vgl. dazu BegrRegE z. WpÜG, BT-Drs. 14/7034, S. 46. Für die Schaffung eines eigenständigen Sell-out jedoch etwa Fleischer ZGR 2002, 757, 773 f. 592 Vgl. BegrRegE z. ÜbUG, BT-Drs. 16/1003, S. 23. Kritisch jedoch etwa Noack/Zetzsche (Fn. 157), § 39a WpÜG Rn. 17. 593 Vgl. Heidel/Lochner Konzern 2006, 653, 656; Schüppen BB 2006, 165, 169. 594 Ebenso Hasselbach (Fn. 172), § 39c Rn. 7 ff.; Merkner/Sustmann (Fn. 553), § 39c Rn. 6 f; Noack/Zetzsche (Fn. 157), § 39c WpÜG Rn. 18.

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Gesellschaftsrechtliche Richtlinien

Schwelle nach Ablauf der Angebotsfrist 3 Monate lang das Recht zum exit gegen Gewährung einer „angemessenen Abfindung“ haben und genau das gewährleistet § 39c WpÜG.595 Richtlinienkonform ist dabei insbesondere auch die generelle Maßgeblichkeit des Angebotspreises; denn da das deutsche Recht freiwillige Angebote über den Mindeststandard der RL hinaus denselben Mindestpreisregeln unterwirft wie Pflichtangebote (vgl. bereits o. Rn. 45, 143), sind beide im Hinblick auf die Gewährleistung eines „angemessenen Preises“ gleichwertig, so dass es einer Rechtfertigung durch eine 90 %-Annahmeschwelle (Rechtsgedanke des Art. 15 Abs. 5 Unterabs. 2, dazu o. Rn. 136; s. ferner auch o. Rn. 143) nicht mehr bedarf.596 Problematisch ist einzig, dass die von der RL gebotene „Spiegelbildlichkeit“ von Squeeze-out und Sell-out (vgl. o. Rn. 147 f.) insofern nicht gewährleistet ist, als die Minderheitsaktionäre beim Squeeze-out gem. § 39a Abs. 3 S. 2 WpÜG (Umsetzung der Option des Art. 15 Abs. 5 Unterabs. 1 S. 2, dazu o. Rn. 134) stets eine Geldleistung wählen können, dies aber beim Sell-out auf Grund der Maßgeblichkeit der Angebotskonditionen nicht der Fall ist, da Deutschland insoweit die Option des Art. 5 Abs. 5 S. 4 (stets wahlweise Geldleistung) nicht ausgeübt hat (vgl. o. Rn. 47).597 § 39c WpÜG ist daher richtlinienkonform dahin auszulegen, dass die Minderheitsaktionäre auch dann wahlweise eine Geldleistung verlangen können, wenn i.R.d. Angebots keine solche vorgesehen war.598 Angesichts der hieraus resultierenden Privilegierung der Minderheitsaktionäre i.R.d. Sell-out gegenüber dem Pflichtangebot599 sollte die inkonsistente Umsetzung der Optionsrechte in Art. 15 Abs. 5 Unterabs. 1 S. 2 und Art. 5 Abs. 5 S. 4 dringend überdacht werden.

X. Sanktionen (Art. 17) 154 Art. 17 verpflichtet die Mitgliedstaaten in Konkretisierung des allgemeinen effet utileGrundsatzes600 dazu, geeignete Maßnahmen zur Durchsetzung der Umsetzungsvorschriften zu treffen und wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktionen für Verstöße gegen dieselben festzulegen. Die nähere Ausgestaltung (insbesondere auch, ob die Sanktionierung durch Rechtsverlust, haftungs-, ordnungswidrigkeiten- oder strafrechtlich erfolgt) bleibt jedoch – entsprechend der im Europäischen Gesellschaftsrecht üblichen Regelungskonzeption – den Mitgliedstaaten überlassen.601 595 Vgl. auch Hasselbach (Fn. 172), § 39c Rn. 7; Merkner/Sustmann (Fn. 553), § 39c Rn. 7. 596 Vgl. auch Hasselbach (Fn. 172), § 39c Rn. 9, 32; Noack/Zetzsche (Fn. 157), § 39c WpÜG Rn. 18. 597 Vgl. auch Schüppen/Tretter (Fn. 552), § 39c Rn. 3. 598 Ausdrücklich gegen eine wahlweise Geldleistung (allerdings ohne Berücksichtigung der europarechtlichen Problematik) jedoch: Hasselbach (Fn. 172), § 39c Rn. 31; Merkner/ Sustmann (Fn. 553), § 39c Rn. 17; Süßmann (Fn. 567), § 39c Rn. 10. 599 Kritisch dazu Merkner/Sustmann (Fn. 553), § 39c Rn. 17. 600 Vgl. auch Grohmann (Fn. 255), S. 340. 601 Speziell zu Sanktionen für Verstöße gegen Art. 10: Hirte ECFR 2005, 1, 15 ff.

Die Übernahmerichtlinie (13. Richtlinie)

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Das deutsche Übernahmerecht sieht differenzierende Sanktionsmöglichkeiten 155 vor: Neben dem Instrument des Rechtsverlusts (§ 59 WpÜG) und verschiedenen Ordnungswidrigkeitstatbeständen (§ 60 WpÜG) können bei bestimmten Verstößen auch haftungs- und u.U. sogar strafrechtliche Konsequenzen drohen; hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die einschlägige Kommenentarliteratur verwiesen.

XI. Fundstellenverzeichnis Grundlage:

Art. 50 Abs. 1 AEU [G Art. 44 Abs. 1 EG]

Vorschläge/Materialien:

Report on Takeover and Other Bids by Prof. Robert R. Pennington, Dok. XI/56/74 – E Vorschlag für eine dreizehnte Richtlinie des Rates auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts über Übernahmeangebote, 16.2.1989, KOM(88) 823 = ABlEG v. 14.3.1989, C 64/8 = BT-Drs. 11/4338 = BR-Drs. 136/89 Geänderter Vorschlag für eine dreizehnte Richtlinie des Rates auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts über Übernahmeangebote, 10.9.1990, KOM(90) 416 = ABlEG v. 26.9.1990, C 240/7 Vorschlag für eine dreizehnte Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts über Übernahmeangebotes, 7.2.1996, KOM(95) 655 = ABlEG v. 6.6.1996, C 162/5 = BR-Drs. 162/96 = AG 1996, 217 ff. Geänderter Vorschlag für eine dreizehnte Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts über Übernahmeangebote, 10.11.1997, KOM(97) 565 = ABlEG v. 13.12.1997, C 378/10 = ZIP 1997, 2173 ff. Gemeinsamer Standpunkt (EG) Nr. 1/2001 vom Rat festgelegt am 19.6.2001 im Hinblick auf den Erlass der Richtlinie 2000/ …/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom … auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts betreffend Übernahmeangebote, ABlEG v. 24.1.2001, C 23/1 Gemeinsamer Text gebilligt vom Vermittlungsausschuss i.S.d. Art. 251 Abs. 4 des EG-Vertrags, PE-CONS 3629/01 = ZIP 2001, 1123 ff. Bericht der Hochrangigen Gruppe von Experten auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts über die Abwicklung von Übernahmeangeboten, 10.1.2002, abrufbar unter http://ec.europa. eu/internal_market/company/docs/takeoverbids/2002-01-hlgreport_de.pdf Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates betreffend Übernahmeangebote, 2.10.2002, KOM(2002) 534

verabschiedete Fassung:

RL 2004/25/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 21.4.2004 betreffend Übernahmeangebote, ABlEU v. 30.4. 2004, L 142/12

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Gesellschaftsrechtliche Richtlinien

geändert durch:

VO (EG) Nr. 219/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 11.3.2009 zur Anpassung einiger Rechtsakte, für die das Verfahren des Artikels 251 des Vertrags gilt, an den Beschluss 1999/468/EG des Rates in Bezug auf das Regelungsverfahren mit Kontrolle. Anpassung an das Regelungsverfahren mit Kontrolle — Zweiter Teil, ABlEU v. 31.3.2009, L 87/109

Umsetzung in Deutschland: Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2004/25/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 betreffen Übernahmeangebote (Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetz) v. 8.7.2006, BGBl. I, 1426

Die Übernahmerichtlinie (13. Richtlinie)

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RICHTLINIE 2004/25/EG DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES vom 21. April 2004 betreffend Übernahmeangebote

DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT UND DER RAT DER EUROPÄISCHEN UNION – gestützt auf den Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, insbesondere auf Artikel 44 Absatz 1, auf Vorschlag der Kommission(1), nach Stellungnahme des Europäischen Wirtschaftsund Sozialausschusses(2), gemäß dem Verfahren des Artikels 251 des Vertrags(3), in Erwägung nachstehender Gründe: (1) Gewisse Schutzbestimmungen, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften, die dem Recht eines Mitgliedstaats unterliegen und deren Wertpapiere zum Handel auf einem geregelten Markt eines Mitgliedstaats zugelassen sind, im Interesse der Gesellschafter und Dritter vorgeschrieben sind, bedürfen gemäß Artikel 44 Absatz 2 Buchstabe g) des Vertrags der Koordinierung, um sie gemeinschaftsweit gleichwertig zu gestalten. (2) Wenn Gesellschaften, die dem Recht eines Mitgliedstaats unterliegen, Gegenstand eines Übernahmeangebots oder eines Kontrollwechsels sind und zumindest ein Teil der Wertpapiere dieser Gesellschaften zum Handel auf einem geregelten Markt eines Mitgliedstaats zugelassen sind, ist es notwendig, die Interessen der Inhaber dieser Wertpapiere zu schützen. (3) Es ist erforderlich, gemeinschaftsweit Klarheit und Transparenz in Bezug auf die Rechtsfragen zu schaffen, die bei Übernahmeangeboten zu regeln sind, und zu vermeiden, dass die Formen der Umstrukturierung von Unternehmen in der Gemeinschaft durch willkürliche Unterschiede in der Führungs- und Managementkultur verzerrt werden. (4) Angesichts der Zwecke des öffentlichen Interesses, die die Zentralbanken der Mitgliedstaaten erfüllen, erscheint es nicht vorstellbar, dass sie Ziel von Übernahmeangeboten sein können. Da die Wertpapiere einiger dieser Zentralbanken aus

(1) ABl. C 45 E vom 25.2.2003, S. 1. (2) ABl. C 208 vom 3.9.2003, S. 55. (3) Stellungnahme des Europäischen Parlaments vom 16. Dezember 2003 (noch nicht im Amtsblatt veröffentlicht) und Beschluss des Rates vom 30. März 2004.

historischen Gründen an geregelten Märkten der Mitgliedstaaten notiert werden, ist es erforderlich, diese ausdrücklich vom Anwendungsbereich dieser Richtlinie auszuschließen. (5) Jeder Mitgliedstaat sollte eine oder mehrere Stellen bestimmen, die die in dieser Richtlinie geregelten Aspekte von Übernahmeangeboten überwachen und sicherstellen, dass die Parteien des Angebots den gemäß dieser Richtlinie erlassenen Vorschriften nachkommen. Alle diese Stellen sollten zusammenarbeiten. (6) Um effektiv zu sein, sollte die Übernahmeregelung flexibel sein und neu auftretende Umstände erfassen können und damit Ausnahmen und abweichende Regelungen erlauben. Bei der Anwendung von Regeln oder Ausnahmen bzw. beim Erlass von abweichenden Regelungen sollten die Aufsichtsstellen jedoch bestimmte allgemeine Grundsätze beachten. (7) Stellen der freiwilligen Selbstkontrolle sollten die Aufsicht führen können. (8) Im Einklang mit den allgemeinen Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts und insbesondere dem Anspruch auf rechtliches Gehör sollten die Entscheidungen einer Aufsichtsstelle gegebenenfalls von einem unabhängigen Gericht überprüft werden können. Die Entscheidung darüber, ob Rechte vorzusehen sind, die in Verwaltungs- oder Gerichtsverfahren gegen eine Aufsichtsstelle oder zwischen Parteien des Angebots geltend gemacht werden können, sollte jedoch den Mitgliedstaaten überlassen werden. (9) Die Mitgliedstaaten sollten die notwendigen Schritte unternehmen, um Wertpapierinhaber, insbesondere Wertpapierinhaber mit Minderheitsbeteiligungen, nach einem Kontrollwechsel in ihren Gesellschaften zu schützen. Diesen Schutz sollten die Mitgliedstaaten dadurch gewährleisten, dass die Person, die die Kontrolle über die Gesellschaft erlangt hat, verpflichtet wird, allen Wertpapierinhabern dieser Gesellschaft zu einem angemessenen Preis, der einheitlich definiert ist, ein Angebot zur Übernahme aller ihrer Wertpapiere zu machen. Die Mitgliedstaaten müssen weitere Vorkehrungen zum Schutz der Interessen der Wertpapierinhaber vorsehen können, wie etwa die Verpflichtung, ein Teilangebot zu unterbreiten, wenn der Bieter nicht die Kontrolle über die Gesellschaft erwirbt, oder die

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Gesellschaftsrechtliche Richtlinien

Verpflichtung, zugleich mit dem Erwerb der Kontrolle über die Gesellschaft ein Angebot zu unterbreiten. (10) Die Verpflichtung, allen Wertpapierinhabern ein Angebot zu unterbreiten, sollte nicht für diejenigen Kontrollbeteiligungen gelten, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der nationalen Vorschriften zur Umsetzung dieser Richtlinie bereits bestehen. (11) Die Verpflichtung zur Abgabe eines Angebots sollte nicht für den Erwerb von Wertpapieren gelten, die kein Stimmrecht in der ordentlichen Hauptversammlung verleihen. Die Mitgliedstaaten sollten allerdings vorsehen können, dass die Verpflichtung, allen Wertpapierinhabern ein Angebot zu machen, nicht nur für Wertpapiere gilt, die Stimmrechte verleihen, sondern auch für Wertpapiere, die nur unter bestimmten Umständen Stimmrechte verleihen oder überhaupt nicht mit Stimmrechten ausgestattet sind. (12) Um die Möglichkeiten für Insidergeschäfte zu verringern, sollte der Bieter verpflichtet werden, seinen Beschluss, ein Angebot zu unterbreiten, so früh wie möglich bekannt zu geben und die Aufsichtsstelle von dem Angebot zu unterrichten. (13) Die Wertpapierinhaber sollten durch eine Angebotsunterlage angemessen über die Angebotskonditionen unterrichtet werden. Auch sollten die Arbeitnehmervertreter der Gesellschaft oder – in Ermangelung solcher Vertreter – die Arbeitnehmer selbst ebenfalls in angemessener Weise unterrichtet werden. (14) Die Frist für die Annahme des Übernahmeangebots sollte geregelt werden. (15) Zur ordnungsgemäßen Wahrnehmung ihrer Aufgaben sollten die Aufsichtsstellen die Parteien des Angebots jederzeit zur Erteilung von Auskünften, die diese selbst betreffen, auffordern können und mit anderen Aufsichtsstellen, die die Kapitalmärkte beaufsichtigen, effizient zusammenarbeiten und ihnen unverzüglich Auskünfte erteilen. (16) Um Handlungen vorzubeugen, durch die das Angebot vereitelt werden könnte, sollten die Befugnisse des Leitungs- bzw. des Verwaltungsorgans einer Zielgesellschaft zur Vornahme außergewöhnlicher Handlungen beschränkt werden, ohne dabei die Zielgesellschaft in ihrer normalen Geschäftstätigkeit unangemessen zu behindern. (17) Das Leitungs- bzw. Verwaltungsorgan einer Zielgesellschaft sollte verpflichtet sein, zu dem Angebot eine schriftliche, mit Gründen versehene Stellungnahme zu veröffentlichen, in der unter anderem auf die Auswirkungen auf sämtliche Interessen der Gesellschaft, insbesondere auf die Beschäftigung, eingegangen wird. (18) Um die geltenden Vorschriften über den freien Handel mit Wertpapieren der von dieser Richtlinie erfassten Gesellschaften und die freie Stimmrechtsausübung in ihrer Wirkung zu stärken, müssen die Abwehrstrukturen und -mechanismen dieser Gesellschaften offen gelegt und regelmäßig

der Hauptversammlung in einem Bericht mitgeteilt werden. (19) Die Mitgliedstaaten sollten die notwendigen Vorkehrungen treffen, damit jeder Bieter die Möglichkeit hat, Mehrheitsbeteiligungen an anderen Gesellschaften zu erwerben und die vollständige Kontrolle über diese auszuüben. Zu diesem Zweck sollten Beschränkungen der Übertragbarkeit von Wertpapieren, Stimmrechtsbeschränkungen, besondere Ernennungs- und Mehrfachstimmrechte während der Angebotsfrist, oder wenn die Hauptversammlung der Aktionäre eine Abwehrmaßnahme oder eine Änderung der Satzung oder die Abberufung oder Ernennung von Mitgliedern des Leitungs- bzw. Verwaltungsorgans in der ersten Hauptversammlung der Aktionäre nach Angebotsschluss beschließt, aufgehoben oder ausgesetzt werden. Für Verluste, die Wertpapierinhabern als Folge der Entziehung von Rechten entstehen, sollte eine angemessene Entschädigung gemäß den von den Mitgliedstaaten festgelegten technischen Modalitäten vorgesehen werden. (20) Alle von den Mitgliedstaaten an Gesellschaften gehaltenen Sonderrechte sollten im Rahmen des freien Kapitalverkehrs und der einschlägigen Bestimmungen des Vertrags betrachtet werden. Von den Mitgliedstaaten an Gesellschaften gehaltene Sonderrechte, die im einzelstaatlichen Privatrecht oder öffentlichen Recht vorgesehen sind, sollten von der Durchgriffsklausel ausgenommen werden, wenn sie mit dem Vertrag vereinbar sind. (21) Angesichts der unterschiedlichen Mechanismen und Strukturen des Gesellschaftsrechts der Mitgliedstaaten sollten diese den Gesellschaften mit Sitz in ihrem Staatsgebiet nicht vorschreiben müssen, diejenigen Bestimmungen dieser Richtlinie, die die Befugnisse des Leitungs- bzw. Verwaltungsorgans einer Zielgesellschaft während der Angebotsfrist beschränken und diejenigen, die die in der Satzung oder in besonderen Vereinbarungen vorgesehenen Schranken unanwendbar machen, anzuwenden. In diesem Fall sollten die Mitgliedstaaten den Gesellschaften mit Sitz in ihrem Staatsgebiet zumindest die widerrufliche Wahlmöglichkeit einräumen, diese Bestimmungen anzuwenden. Unbeschadet internationaler Übereinkünfte, bei denen die Europäische Gemeinschaft Vertragspartei ist, sollten die Mitgliedstaaten den Gesellschaften, die diese Bestimmungen entsprechend den freiwilligen Regelungen anwenden, nicht vorschreiben müssen, diese auch anzuwenden, wenn sie Ziel eines Angebots von Gesellschaften werden, die ihrerseits die gleichen Bestimmungen als Folge des Einsatzes dieser freiwilligen Regelungen nicht anwenden. (22) Die Mitgliedstaaten sollten regeln, wann ein Angebot hinfällig wird, unter welchen Voraussetzungen der Bieter sein Angebot ändern kann, wie mit konkurrierenden Angeboten zu verfahren ist und wie das Ergebnis des Angebots bekannt zu machen ist, und die Unwiderruflichkeit des Angebots sowie die zulässigen Bedingungen festschreiben.

Die Übernahmerichtlinie (13. Richtlinie) (23) Information und Konsultation der Arbeitnehmervertreter der Bieter- sowie der Zielgesellschaft sollten durch einschlägige einzelstaatliche Bestimmungen geregelt werden, insbesondere durch die Vorschriften zur Umsetzung der Richtlinie 94/45/ EG des Rates vom 22. September 1994 über die Einsetzung eines Europäischen Betriebsrats oder die Schaffung eines Verfahrens zur Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer in gemeinschaftsweit operierenden Unternehmen und Unternehmensgruppen(4), der Richtlinie 98/59/EG des Rates vom 20. Juli 1998 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen(5) der Richtlinie 2001/86/EG des Rates vom 8. Oktober 2001 zur Ergänzung des Statuts der Europäischen Gesellschaft hinsichtlich der Beteiligung der Arbeitnehmer(6) und der Richtlinie 2002/14/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. März 2002 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer in der Europäischen Gemeinschaft – Gemeinsame Erklärung des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission zur Vertretung der Arbeitnehmer(7). Die Arbeitnehmer der betroffenen Gesellschaften oder ihre Vertreter sollten überdies die Möglichkeit erhalten, sich zu den voraussichtlichen Auswirkungen des Angebots auf die Beschäftigung zu äußern. Unbeschadet der Vorschriften der Richtlinie 2003/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Januar 2003 über InsiderGeschäfte und Marktmanipulation (Marktmissbrauch)(8) können die Mitgliedstaaten jederzeit nationale Bestimmungen über die Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmervertreter des Bieters vor Abgabe eines Übernahmeangebots anwenden oder einführen. (24) Die Mitgliedstaaten sollten die erforderlichen Vorkehrungen treffen, um einem Bieter, der im Zuge eines Übernahmeangebots einen bestimmten Prozentsatz des stimmberechtigten Kapitals einer Gesellschaft erworben hat, die Möglichkeit zu geben, die Inhaber der übrigen Wertpapiere zum Verkauf ihrer Wertpapiere zu verpflichten. Dementsprechend sollten die Inhaber der übrigen Wertpapiere die Möglichkeit haben, den Bieter, der im Zuge eines Übernahmeangebots einen bestimmten Prozentsatz des stimmberechtigten Kapitals einer Gesellschaft erworben hat, zum Erwerb ihrer Wertpapiere zu verpflichten. Diese Ausschluss- und Andienungsverfahren sollten nur unter bestimmten Bedingungen im Zusammenhang mit Übernahmeangeboten gelten. Die Mitgliedstaaten können unter anderen Umständen auf Ausschluss- und Andienungsverfahren weiterhin ihre nationalen Vorschriften anwenden.

(4) ABl. L 254 vom 30.9.1994, S. 64. Geändert durch die Richtlinie 97/74/CE (ABl. L 10 vom 16.1.1998, S. 22). (5) ABl. L 225 vom 12.8.1998, S. 16. (6) ABl. L 294 vom 10.11.2001, S. 22. (7) ABl. L 80 vom 23.3.2002, S. 29. (8) ABl. L 96 vom 12.4.2003, S. 16.

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(25) Da die Ziele der beabsichtigten Maßnahmen, nämlich die Festlegung von Mindestvorgaben für die Abwicklung von Übernahmeangeboten und die Gewährleistung eines ausreichenden Schutzes für Wertpapierinhaber in der gesamten Gemeinschaft wegen der Notwendigkeit der Transparenz und Rechtssicherheit bei grenzüberschreitenden Übernahmen oder bei dem grenzüberschreitenden Erwerb einer die Kontrolle begründenden Beteiligung auf Ebene der Mitgliedstaaten nicht ausreichend erreicht werden können und sich daher wegen des Umfangs und der Wirkungen der Maßnahme besser auf Gemeinschaftsebene erreichen lassen, kann die Gemeinschaft im Einklang mit dem in Artikel 5 des Vertrags niedergelegten Subsidiaritätsprinzip tätig werden. Entsprechend dem in demselben Artikel genannten Verhältnismäßigkeitsprinzip geht diese Richtlinie nicht über das zur Erreichung dieser Ziele erforderliche Maß hinaus. (26) Eine Richtlinie ist hier das geeignete Instrument, um eine Rahmenregelung zu schaffen, die bestimmte allgemeine Grundsätze und eine begrenzte Zahl allgemeiner Vorschriften enthält, die von den Mitgliedstaaten in Form detaillierterer Bestimmungen im Einklang mit ihrer jeweiligen Rechtsordnung und ihrem kulturellen Umfeld umzusetzen sind. (27) Die Mitgliedstaaten sollten jedoch Sanktionen vorsehen, die bei einem Verstoß gegen die einzelstaatlichen Vorschriften zur Umsetzung dieser Richtlinie zu verhängen sind. (28) Um neuen Entwicklungen auf den Finanzmärkten Rechnung zu tragen, kann es von Zeit zu Zeit erforderlich sein, technische Anleitung zu geben und Durchführungsmaßnahmen für die in dieser Richtlinie enthaltenen Vorschriften zu erlassen. Für einige Bestimmungen sollte die Kommission entsprechend ermächtigt werden, nach Konsultation des durch den Beschluss 2001/528/EG der Kommission(9) eingesetzten Europäischen Wertpapierausschusses Durchführungsmaßnahmen zu erlassen, soweit diese Maßnahmen nicht die wesentlichen Elemente dieser Richtlinie verändern und die Kommission gemäß den in dieser Richtlinie festgelegten Grundsätzen handelt. Die zur Durchführung dieser Richtlinie erforderlichen Maßnahmen sollten gemäß dem Beschluss 1999/468/ EG des Rates vom 28. Juni 1999 zur Festlegung der Modalitäten für die Ausübung der der Kommission übertragenen Durchführungsbefugnisse(10) unter gebührender Berücksichtigung der Erklärung der Kommission vom 5. Februar 2002 vor dem Europäischen Parlament zur Durchführung der Rechtsvorschriften über Finanzdienstleistungen erlassen werden. Für die übrigen Bestimmungen sollte ein Kontaktausschuss mit der Aufgabe betraut werden, die Mitgliedstaaten und die Aufsichtsstellen bei der Anwendung dieser Richtlinie zu

(9) ABl. L 191 vom 19.7.2002, S. 45. Geändert durch den Beschluss 2004/8/EG (ABl. L 3 vom 7.1.2004, S. 33). ( ) ABl. L 184 vom 17.7.1999, S. 23. 10

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unterstützen und die Kommission, falls erforderlich, bei Ergänzungen oder Änderungen dieser Richtlinie zu beraten. Dabei kann der Kontaktausschuss die Informationen heranziehen, die die Mitgliedstaaten auf der Grundlage dieser Richtlinie zu den Übernahmeangeboten zur Verfügung stellen, die in ihren geregelten Märkten stattgefunden haben. (29) Die Kommission sollte den Prozess hin zu einer fairen und ausgewogenen Harmonisierung der Bestimmungen für Übernahmeangebote in der Europäischen Union erleichtern. Zu diesem Zweck sollte der Kommission die Möglichkeit eingeräumt werden, zu gegebener Zeit Vorschläge für eine Überarbeitung der vorliegenden Richtlinie vorzulegen –

HABEN FOLGENDE RICHTLINIE ERLASSEN:

Artikel 1 Anwendungsbereich (1) Diese Richtlinie enthält Maßnahmen zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften, Verhaltenskodizes und sonstigen Regelungen der Mitgliedstaaten einschließlich der von den amtlich befugten Marktregulierungsstellen erlassenen Regelungen (nachstehend „Vorschriften“ genannt) für Übernahmeangebote für die Wertpapiere einer dem Recht eines Mitgliedstaats unterliegenden Gesellschaft, sofern alle oder ein Teil dieser Wertpapiere zum Handel auf einem geregelten Markt im Sinne der Richtlinie 93/22/EWG(11) (nachstehend „geregelter Markt“ genannt) in einem oder mehreren Mitgliedstaaten zugelassen sind. (2) Die Richtlinie findet keine Anwendung auf Übernahmeangebote für Wertpapiere, die von Gesellschaften ausgegeben werden, deren Zweck es ist, die vom Publikum bei ihnen eingelegten Gelder nach dem Grundsatz der Risikostreuung gemeinsam anzulegen, und deren Anteilscheine auf Verlangen der Anteilsinhaber unmittelbar oder mittelbar zulasten des Vermögens dieser Gesellschaften zurückgenommen oder ausgezahlt werden. Diesen Rücknahmen oder Auszahlungen gleichgestellt sind Handlungen, mit denen eine Gesellschaft sicherstellen will, dass der Kurs ihrer Anteilscheine nicht erheblich von deren Nettoinventarwert abweicht. (3) Diese Richtlinie findet keine Anwendung auf Übernahmeangebote für Wertpapiere, die von den Zentralbanken der Mitgliedstaaten ausgegeben werden.

11

( ) Richtlinie 93/22/EWG des Rates vom 10. Mai 1993 über Wertpapierdienstleistungen (ABl. L 141 vom 11.6.1993, S. 27). Zuletzt geändert durch die Richtlinie 2002/87/EG des Europäischen Parlaments und des Rates (ABl. L 35 vom 11.2.2003, S. 1).

Artikel 2 Begriffsbestimmungen (1) Im Sinne dieser Richtlinie gelten folgende Begriffsbestimmungen: a) „Übernahmeangebot“ oder „Angebot“ ist ein an die Inhaber der Wertpapiere einer Gesellschaft gerichtetes (und nicht von der Zielgesellschaft selbst abgegebenes) öffentliches Pflicht- oder freiwilliges Angebot zum Erwerb eines Teils oder aller dieser Wertpapiere, das sich an den Erwerb der Kontrolle der Zielgesellschaft im Sinne des einzelstaatlichen Rechts anschließt oder diesen Erwerb zum Ziel hat. b) „Zielgesellschaft“ ist eine Gesellschaft, deren Wertpapiere Gegenstand eines Angebots sind. c) „Bieter“ ist jede natürliche oder juristische Person des öffentlichen Rechts oder des Privatrechts, die ein Angebot abgibt. d) „Gemeinsam handelnde Personen“ sind natürliche oder juristische Personen, die mit dem Bieter oder der Zielgesellschaft auf der Grundlage einer ausdrücklichen oder stillschweigenden, mündlich oder schriftlich getroffenen Vereinbarung zusammenarbeiten, um die Kontrolle über die Zielgesellschaft zu erhalten bzw. den Erfolg des Übernahmeangebots zu vereiteln. e) „Wertpapiere“ sind übertragbare Wertpapiere, die Stimmrechte in einer Gesellschaft verleihen. f) „Parteien des Angebots“ sind der Bieter, die Mitglieder des Leitungs- bzw. des Verwaltungsorgans des Bieters, wenn es sich bei dem Bieter um eine Gesellschaft handelt, die Zielgesellschaft, die Inhaber von Wertpapieren der Zielgesellschaft und die Mitglieder des Leitungs- bzw. Verwaltungsorgans der Zielgesellschaft und gemeinsam mit einer dieser Parteien handelnde Personen. g) „Wertpapiere mit Mehrfachstimmrecht“ sind Wertpapiere, die einer gesonderten und eigenen Gattung angehören und das Recht auf mehr als eine Stimme verleihen. (2) Für die Zwecke des Absatzes 1 Buchstabe d) gelten die von einer anderen Person kontrollierten Personen im Sinne von Artikel 87 der Richtlinie 2001/34/EG(12) als Personen, die gemeinsam miteinander und mit der sie kontrollierenden Person handeln.

(12) Richtlinie 2001/34/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Mai 2001 über die Zulassung von Wertpapieren zur amtlichen Börsennotierung und über die hinsichtlich dieser Wertpapiere zu veröffentlichenden Informationen (ABl. L 184 vom 6.7.2001, S. 1). Zuletzt geändert durch die Richtlinie 2003/71/EG (ABl. L 345 vom 31.12.2003, S. 64).

Die Übernahmerichtlinie (13. Richtlinie) Artikel 3 Allgemeine Grundsätze (1) Die Mitgliedstaaten stellen zur Umsetzung dieser Richtlinie sicher, dass die folgenden Grundsätze beachtet werden: a) Alle Inhaber von Wertpapieren einer Zielgesellschaft, die der gleichen Gattung angehören, sind gleich zu behandeln; darüber hinaus müssen die anderen Inhaber von Wertpapieren geschützt werden, wenn eine Person die Kontrolle über eine Gesellschaft erwirbt. b) Die Inhaber von Wertpapieren einer Zielgesellschaft müssen über genügend Zeit und ausreichende Informationen verfügen, um in ausreichender Kenntnis der Sachlage über das Angebot entscheiden zu können; das Leitungsbzw. Verwaltungsorgan einer Zielgesellschaft muss bei der Beratung der Inhaber von Wertpapieren auf die Auswirkungen der Durchführung des Angebots auf die Beschäftigung, die Beschäftigungsbedingungen und die Standorte der Gesellschaft eingehen. c) Das Leitungs- bzw. Verwaltungsorgan einer Zielgesellschaft muss im Interesse der gesamten Gesellschaft handeln und darf den Inhabern von Wertpapieren nicht die Möglichkeit vorenthalten, das Angebot selbst zu beurteilen.

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gemäß dieser Richtlinie erlassene oder eingeführte Vorschriften geregelt wird. Als Aufsichtsstelle muss entweder eine Behörde benannt werden oder aber eine Vereinigung oder eine private Einrichtung, die nach den nationalen Rechtsvorschriften oder von den Behörden, die dazu nach den nationalen Rechtsvorschriften ausdrücklich befugt sind, anerkannt ist. Die Mitgliedstaaten teilen der Kommission die von ihnen benannten Aufsichtsstellen und gegebenenfalls jede besondere Aufgabenverteilung mit. Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die Aufsichtsstellen ihre Aufgaben unparteiisch und unabhängig von allen Parteien des Angebots erfüllen. (2) a) Für die Beaufsichtigung des Angebotsvorgangs ist die Aufsichtsstelle des Mitgliedstaats zuständig, in dem die Zielgesellschaft ihren Sitz hat, wenn die Wertpapiere dieser Gesellschaft auf einem geregelten Markt dieses Mitgliedstaats zum Handel zugelassen sind. b) Sind die Wertpapiere der Zielgesellschaft nicht auf einem geregelten Markt ihres Sitzmitgliedstaats zum Handel zugelassen, so ist für die Beaufsichtigung des Angebotsvorgangs die Aufsichtsstelle des Mitgliedstaats zuständig, auf dessen geregeltem Markt die Wertpapiere der Gesellschaft zum Handel zugelassen sind.

d) Beim Handel mit den Wertpapieren der Zielgesellschaft, der Bietergesellschaft oder anderer durch das Angebot betroffener Gesellschaften dürfen keine Marktverzerrungen durch künstliche Beeinflussung der Wertpapierkurse und durch Verfälschung des normalen Funktionierens der Märkte herbeigeführt werden.

Sind die Wertpapiere der Zielgesellschaft auf geregelten Märkten in mehr als einem Mitgliedstaat zum Handel zugelassen, so ist für die Beaufsichtigung des Angebotsvorgangs die Aufsichtsstelle des Mitgliedstaats zuständig, auf dessen geregeltem Markt die Wertpapiere zuerst zum Handel zugelassen wurden.

e) Ein Bieter hat vor der Ankündigung eines Angebots sicherzustellen, dass er die gegebenenfalls als Gegenleistung gebotenen Geldleistungen in vollem Umfang leisten kann, und alle gebotenen Maßnahmen zu treffen, um die Erbringung aller sonstigen Arten von Gegenleistungen zu garantieren.

c) Werden die Wertpapiere der Zielgesellschaft auf geregelten Märkten in mehr als einem Mitgliedstaat gleichzeitig erstmals zum Handel zugelassen, so entscheidet die Zielgesellschaft, welche der Aufsichtsstellen der Mitgliedstaaten für die Beaufsichtigung des Angebotsvorgangs zuständig sein soll, und teilt diese Entscheidung den geregelten Märkten und deren Aufsichtsstellen am ersten Handelstag mit.

f) Eine Zielgesellschaft darf in ihrer Geschäftstätigkeit nicht über einen angemessenen Zeitraum hinaus durch ein Angebot für ihre Wertpapiere behindert werden. (2) Um die Beachtung der in Absatz 1 aufgeführten Grundsätze sicherzustellen, a) sorgen die Mitgliedstaaten dafür, dass die in dieser Richtlinie vorgeschriebenen Mindestanforderungen eingehalten werden, b) können die Mitgliedstaaten für Angebote zusätzliche Bedingungen und strengere Bestimmungen als in dieser Richtlinie festlegen. Artikel 4 Aufsichtsstelle und anwendbares Recht (1) Die Mitgliedstaaten benennen eine Stelle oder mehrere Stellen, die für die Beaufsichtigung des Angebotsvorgangs zuständig sind, soweit er durch

Sind die Wertpapiere der Zielgesellschaft zu dem in Artikel 21 Absatz 1 genannten Zeitpunkt bereits an geregelten Märkten in mehr als einem Mitgliedstaat zum Handel zugelassen und erfolgte diese Zulassung gleichzeitig, so legen die Aufsichtsstellen der betroffenen Mitgliedstaaten innerhalb von vier Wochen nach dem in Artikel 21 Absatz 1 genannten Zeitpunkt gemeinsam fest, welche von ihnen für die Beaufsichtigung des Angebotsvorgangs zuständig ist. Wurde keine Aufsichtsstelle benannt, bestimmt die Zielgesellschaft am ersten Handelstag nach Ablauf dieses Zeitraums von vier Wochen, welche der Aufsichtsstellen für die Beaufsichtigung zuständig sein soll. d) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die Entscheidungen gemäß Buchstabe c) veröffentlicht werden.

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e) In den unter den Buchstaben b) und c) genannten Fällen werden Fragen, die die im Fall eines Angebots angebotene Gegenleistung, insbesondere den Preis, betreffen, und Fragen des Angebotsverfahrens, insbesondere die Unterrichtung über die Entscheidung des Bieters zur Unterbreitung eines Angebots, der Inhalt der Angebotsunterlage und die Bekanntmachung des Angebots, gemäß den Vorschriften des Mitgliedstaats der zuständigen Aufsichtsstelle geregelt. Für Fragen, die die Unterrichtung der Arbeitnehmer der Zielgesellschaft betreffen, und für gesellschaftsrechtliche Fragen, insbesondere betreffend den Anteil an Stimmrechten, der die Kontrolle begründet, und von der Verpflichtung zur Abgabe eines Angebots abweichende Regelungen sowie für die Bedingungen, unter denen das Leitungs- bzw. Verwaltungsorgan der Zielgesellschaft Maßnahmen ergreifen kann, die das Angebot vereiteln könnten, ist das Recht des Sitzmitgliedstaats der Zielgesellschaft maßgebend; zuständig ist dessen Aufsichtsstelle.

im Rahmen ihrer Aufgaben haben sie auch dafür Sorge zu tragen, dass die Parteien des Angebots die gemäß dieser Richtlinie erlassenen oder eingeführten Vorschriften einhalten.

(3) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass alle Personen, die bei ihren Aufsichtsstellen tätig sind oder waren, zur Wahrung des Berufsgeheimnisses verpflichtet sind. Unter das Berufsgeheimnis fallende Informationen dürfen nicht an andere Personen oder Behörden weitergegeben werden, es sei denn, dies geschieht aufgrund einer gesetzlichen Bestimmung.

(6) Diese Richtlinie berührt weder die Befugnis der Mitgliedstaaten, die Gerichte oder Behörden zu benennen, die für die Streitbeilegung und für Entscheidungen im Fall von Unregelmäßigkeiten im Verlauf des Angebotsverfahrens zuständig sind, noch die Befugnis der Mitgliedstaaten festzulegen, ob und unter welchen Voraussetzungen die Parteien des Angebots Rechte im Verwaltungs- oder Gerichtsverfahren geltend machen können. Die Richtlinie berührt insbesondere nicht die etwaige Befugnis der Gerichte eines Mitgliedstaats, die Eröffnung eines Gerichtsverfahrens abzulehnen sowie darüber zu entscheiden, ob durch ein solches Verfahren der Ausgang des Angebots beeinflusst wird. Diese Richtlinie berührt nicht die Befugnis der Mitgliedstaaten, die Rechtslage in Bezug auf die Haftung von Aufsichtsstellen oder im Hinblick auf Rechtsstreitigkeiten zwischen den Parteien des Angebots zu bestimmen.

(4) Die gemäß dieser Richtlinie benannten Aufsichtsstellen der Mitgliedstaaten und andere Stellen zur Beaufsichtigung der Kapitalmärkte, insbesondere die zuständigen Stellen gemäß der Richtlinie 93/22/EWG, der Richtlinie 2001/34/EG, der Richtlinie 2003/6/EG und der Richtlinie 2003/ 71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 betreffend den Prospekt, der beim öffentlichen Angebot von Wertpapieren oder bei deren Zulassung zum Handel zu veröffentlichen ist, arbeiten zusammen und erteilen einander Auskünfte, wann immer dies zur Anwendung der gemäß dieser Richtlinie erlassenen Vorschriften, insbesondere in den unter Absatz 2 Buchstaben b), c) und e) genannten Fällen, erforderlich ist. Die erteilten Auskünfte fallen unter das Berufsgeheimnis, zu dessen Wahrung die Personen verpflichtet sind, die bei den die Informationen empfangenden Aufsichtsstellen tätig sind oder waren. Zur Zusammenarbeit gehört, dass die erforderlichen Schriftstücke zur Durchsetzung der von den zuständigen Stellen im Zusammenhang mit den Angeboten getroffenen Maßnahmen zugestellt werden können, wie auch Unterstützung in anderer Form, die von den für die Untersuchung tatsächlicher oder angeblicher Verstöße gegen die Vorschriften, die zur Umsetzung dieser Richtlinie erlassen oder eingeführt wurden, zuständigen Aufsichtsstellen angemessenerweise angefordert werden kann. (5) Die Aufsichtsstellen verfügen über alle zur Erfüllung ihrer Aufgaben notwendigen Befugnisse;

Sofern die in Artikel 3 Absatz 1 festgelegten allgemeinen Grundsätze eingehalten werden, können die Mitgliedstaaten in den gemäß dieser Richtlinie erlassenen oder eingeführten Vorschriften abweichende Regelungen von diesen Vorschriften erlassen: i) durch Aufnahme solcher Ausnahmen in ihre nationalen Regelungen, um den auf nationaler Ebene festgelegten Fällen Rechnung zu tragen; und/oder ii) durch die Ermächtigung ihrer Aufsichtsstellen, in ihrem Zuständigkeitsbereich Ausnahmen von solchen nationalen Regelungen zuzulassen, um die in Ziffer i) genannten Fälle oder andere besondere Fälle zu berücksichtigen; im letztgenannten Fall ist eine mit Gründen versehene Entscheidung erforderlich.

Artikel 5 Schutz der Minderheitsaktionäre, Pflichtangebot und angemessener Preis (1) Hält eine natürliche oder juristische Person infolge ihres alleinigen Erwerbs oder des Erwerbs durch gemeinsam mit ihr handelnde Personen Wertpapiere einer Gesellschaft im Sinne des Artikels 1 Absatz 1, die ihr bei Hinzuzählung zu etwaigen von ihr bereits mittels solcher Wertpapiere gehaltenen Beteiligungen und den Beteiligungen der gemeinsam mit ihr handelnden Personen unmittelbar oder mittelbar einen bestimmten, die Kontrolle begründenden Anteil an den Stimmrechten dieser Gesellschaft verschaffen, so stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass diese Person zum Schutz der Minderheitsaktionäre dieser Gesellschaft zur Abgabe eines Angebots verpflichtet ist. Dieses Angebot wird unverzüglich allen Wertpapierinhabern für

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Die Übernahmerichtlinie (13. Richtlinie) alle ihre Wertpapiere zu einem im Sinne des Absatzes 4 angemessenen Preis unterbreitet. (2) Die Verpflichtung zur Abgabe eines Angebots gemäß Absatz 1 besteht nicht mehr, wenn die Kontrolle aufgrund eines freiwilligen Angebots erlangt worden ist, das im Einklang mit dieser Richtlinie allen Wertpapierinhabern für alle ihre Wertpapiere unterbreitet worden ist. (3) Der prozentuale Anteil der Stimmrechte, der eine Kontrolle im Sinne des Absatzes 1 begründet, und die Art der Berechnung dieses Anteils bestimmen sich nach den Vorschriften des Mitgliedstaats, in dem die Gesellschaft ihren Sitz hat. (4) Als angemessener Preis gilt der höchste Preis, der vom Bieter oder einer mit ihm gemeinsam handelnden Person in einem von den Mitgliedstaaten festzulegenden Zeitraum von mindestens sechs und höchstens zwölf Monaten vor dem Angebot gemäß Absatz 1 für die gleichen Wertpapiere gezahlt worden ist. Erwirbt der Bieter oder eine mit ihm gemeinsam handelnde Person nach Bekanntmachung des Angebots und vor Ablauf der Annahmefrist Wertpapiere zu einem höheren als dem Angebotspreis, so muss der Bieter sein Angebot mindestens auf den höchsten Preis erhöhen, der für die dergestalt erworbenen Wertpapiere gezahlt wurde. Sofern die allgemeinen Grundsätze nach Artikel 3 Absatz 1 eingehalten werden, können die Mitgliedstaaten ihre Aufsichtsstellen ermächtigen, den in Unterabsatz 1 genannten Preis unter ganz bestimmten Voraussetzungen und nach eindeutig festgelegten Kriterien abzuändern. Hierzu können sie in einer Liste festlegen, unter welchen Voraussetzungen der Höchstpreis nach oben oder nach unten korrigiert werden darf: wenn beispielsweise der Höchstpreis in einer Vereinbarung zwischen Käufer und Verkäufer gemeinsam festgelegt worden ist, wenn die Marktpreise der betreffenden Wertpapiere manipuliert worden sind, wenn die Marktpreise allgemein oder im Besonderen durch außergewöhnliche Umstände beeinflusst worden sind, oder um die Rettung eines Unternehmens in Schwierigkeiten zu ermöglichen. Sie können auch die in diesen Fällen heranzuziehenden Kriterien bestimmen: beispielsweise den durchschnittlichen Marktwert während eines bestimmten Zeitraums, den Liquidationswert der Gesellschaft oder andere objektive Bewertungskriterien, die allgemein in der Finanzanalyse verwendet werden. Jede Entscheidung der Aufsichtsstellen zur Änderung des angemessenen Preises muss begründet und bekannt gemacht werden. (5) Der Bieter kann als Gegenleistung Wertpapiere, eine Geldleistung oder eine Kombination aus Beiden anbieten. Besteht die vom Bieter angebotene Gegenleistung jedoch nicht aus liquiden Wertpapieren, die zum Handel auf einem geregelten Markt zugelassen sind, so muss sie wahlweise eine Geldleistung umfassen.

In jedem Fall muss der Bieter eine Geldleistung zumindest wahlweise anbieten, wenn er oder eine mit ihm gemeinsam handelnde Person innerhalb eines Zeitraums, der zu demselben Zeitpunkt beginnt wie der nach Absatz 4 von den Mitgliedstaaten festgelegte Zeitraum und mit dem Ablauf der Annahmefrist endet, Wertpapiere gegen Geldleistung erworben hat, die mindestens 5 % der Stimmrechte an der Zielgesellschaft verleihen. Die Mitgliedstaaten können vorsehen, dass in allen Fällen zumindest wahlweise eine Geldleistung angeboten werden muss. (6) Zusätzlich zu dem Schutz gemäß Absatz 1 können die Mitgliedstaaten weitere Instrumente zum Schutz der Interessen der Wertpapierinhaber vorsehen, sofern diese Instrumente den normalen Gang eines Angebots nicht behindern.

Artikel 6 Information über Angebote (1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die Entscheidung zur Abgabe eines Angebots unverzüglich bekannt gemacht und die Aufsichtsstelle über das Angebot unterrichtet wird. Die Mitgliedstaaten können vorschreiben, dass die Aufsichtsstelle vor der Bekanntmachung zu unterrichten ist. Sobald das Angebot bekannt gemacht ist, unterrichten die jeweiligen Leitungs- bzw. Verwaltungsorgane der Zielgesellschaft und der Bietergesellschaft ihre Arbeitnehmervertreter oder – in Ermangelung solcher Vertreter – die Arbeitnehmer selbst. (2) Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass ein Bieter eine Angebotsunterlage mit den notwendigen Informationen zu erstellen und rechtzeitig bekannt zu machen hat, damit die Inhaber von Wertpapieren der Zielgesellschaft in ausreichender Kenntnis der Sachlage entscheiden können. Der Bieter übermittelt die Angebotsunterlage vor ihrer Bekanntmachung der Aufsichtsstelle. Wenn sie bekannt gemacht ist, wird sie von den jeweiligen Leitungsoder Verwaltungsorganen der Zielgesellschaft und der Bietergesellschaft ihren Arbeitnehmervertretern oder – in Ermangelung solcher Vertreter – den Arbeitnehmern selbst übermittelt. Bedarf die Angebotsunterlage gemäß Unterabsatz 1 der vorherigen Billigung durch die Aufsichtsstelle und ist diese Billigung erteilt worden, so ist die Unterlage, vorbehaltlich einer gegebenenfalls erforderlichen Übersetzung, in allen anderen Mitgliedstaaten, an deren Märkten die Wertpapiere der Zielgesellschaft zum Handel zugelassen sind, anzuerkennen, ohne dass eine Billigung durch die Aufsichtsstellen der betreffenden Mitgliedstaaten erforderlich wäre. Die Aufsichtsstellen können die Aufnahme zusätzlicher Angaben in die Angebotsunterlage nur verlangen, wenn diese Angaben für den Markt des Mitgliedstaats oder der Mitgliedstaaten, auf dem die Wertpapiere der Zielgesellschaft zum Handel zugelassen sind, spezifisch

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sind und wenn sie sich auf Förmlichkeiten beziehen, die bei der Annahme des Angebots und dem Erhalt der bei Schließung des Angebots fälligen Gegenleistung zu beachten sind, sowie auf die steuerliche Behandlung der den Wertpapierinhabern angebotenen Gegenleistung. (3) Die Angebotsunterlage gemäß Absatz 2 muss nach diesen Vorschriften mindestens folgende Angaben enthalten: a) die Konditionen des Angebots, b) die Personalien des Bieters sowie, wenn es sich um eine Gesellschaft handelt, Rechtsform, Firma und Sitz der Gesellschaft, c) die Wertpapiere oder die Gattung oder Gattungen von Wertpapieren, die Gegenstand des Angebots sind, d) die für jedes Wertpapier oder jede Gattung von Wertpapieren angebotene Gegenleistung sowie bei obligatorischen Angeboten die zur Bestimmung der Gegenleistung angewandte Bewertungsmethode und Angaben dazu, in welcher Weise die Gegenleistung erbracht wird, e) die Entschädigung, die geboten wird, wenn gegebenenfalls Rechte aufgrund der Durchgriffsklausel gemäß Artikel 11 Absatz 4 entzogen werden, sowie Einzelheiten über die Art, in der die Entschädigung zu zahlen ist, und die Methode, nach der sie bestimmt wird, f) den Mindest- und Höchstanteil oder die Mindest- und Höchstzahl der Wertpapiere, zu deren Erwerb sich der Bieter verpflichtet, g) Angaben zu den vom Bieter und von gemeinsam mit dem Bieter handelnden Personen gegebenenfalls bereits gehaltenen Anteilen an der Zielgesellschaft, h) alle Bedingungen, an die das Angebot geknüpft ist, i) die Absichten des Bieters in Bezug auf die künftige Geschäftstätigkeit der Zielgesellschaft und, soweit von dem Angebot betroffen, der Bietergesellschaft und in Bezug auf die Weiterbeschäftigung ihrer Beschäftigten und ihrer Geschäftsleitung, einschließlich etwaiger wesentlicher Änderungen der Beschäftigungsbedingungen; dies betrifft insbesondere die strategische Planung des Bieters für diese Gesellschaften und deren voraussichtliche Auswirkungen auf Arbeitsplätze und Standorte, j) die Frist für die Annahme des Angebots, k) für den Fall, dass die Gegenleistung Wertpapiere – welcher Art auch immer – umfasst, Angaben zu diesen Wertpapieren, l) Angaben zur Finanzierung des Angebots, m) die Personalien der Personen, die gemeinsam mit dem Bieter oder der Zielgesellschaft handeln; im Fall von Gesellschaften auch deren Rechtsform, Firma und Sitz sowie deren Ver-

hältnis zu dem Bieter und, soweit möglich, zu der Zielgesellschaft, n) Angabe des nationalen Rechts, dem die sich aus dem Angebot ergebenden Verträge zwischen dem Bieter und den Inhabern der Wertpapiere der Zielgesellschaft unterliegen, sowie des Gerichtsstands. (4) Die Kommission kann Bestimmungen zur Änderung der Liste in Absatz 3 erlassen. Diese Maßnahmen zur Änderung nicht wesentlicher Bestimmungen dieser Richtlinie werden nach dem in Artikel 18 Absatz 2 genannten Regelungsverfahren mit Kontrolle erlassen. (5) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die Parteien des Angebots den Aufsichtsstellen ihres jeweiligen Mitgliedstaats auf Anfrage jederzeit alle ihnen zur Verfügung stehenden Informationen über das Angebot übermitteln, die für die Wahrnehmung der Aufgaben der Aufsichtsstelle notwendig sind.

Artikel 7 Annahmefrist (1) Die Mitgliedstaaten schreiben vor, dass die Frist für die Annahme des Angebots nicht weniger als zwei Wochen und nicht mehr als zehn Wochen ab der Bekanntmachung der Angebotsunterlage betragen darf. Sofern der allgemeine Grundsatz nach Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe f) eingehalten wird, können die Mitgliedstaaten vorsehen, dass die Frist von zehn Wochen unter der Bedingung verlängert werden kann, dass der Bieter seine Absicht zur Schließung des Angebots mindestens zwei Wochen zuvor bekannt gibt. (2) Die Mitgliedstaaten können in bestimmten Fällen Vorschriften zur Änderung der in Absatz 1 genannten Frist vorsehen. Ein Mitgliedstaat kann eine Aufsichtsstelle ermächtigen, eine Abweichung von der in Absatz 1 genannten Frist zu gestatten, damit die Zielgesellschaft zur Prüfung des Angebots eine Hauptversammlung der Aktionäre einberufen kann.

Artikel 8 Bekanntmachung (1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass das Angebot in der Weise bekannt gemacht wird, dass für die Wertpapiere der Zielgesellschaft, der Bietergesellschaft oder jeglicher anderen von dem Angebot betroffenen Gesellschaft die Markttransparenz und -integrität gewahrt bleibt und insbesondere die Veröffentlichung oder Verbreitung falscher oder irreführender Angaben ausgeschlossen wird. (2) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass alle erforderlichen Informationen und Unterlagen gemäß Artikel 6 in der Weise bekannt gemacht werden, dass sie den Wertpapierinhabern zumindest in den Mitgliedstaaten, in denen die Wertpapiere der Zielgesellschaft auf einem geregelten Markt zum Han-

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Die Übernahmerichtlinie (13. Richtlinie) del zugelassen sind, sowie den Arbeitnehmervertretern der Zielgesellschaft oder des Bieters oder – in Ermangelung solcher Vertreter – den Arbeitnehmern selbst ohne Weiteres und umgehend zur Verfügung stehen.

Artikel 9 Pflichten des Leitungs- bzw. Verwaltungsorgans der Zielgesellschaft (1) Die Mitgliedstaaten sorgen für die Einhaltung der Bestimmungen in den Absätzen 2 bis 5. (2) Innerhalb der in Unterabsatz 2 genannten Frist holt das Leitungs- bzw. Verwaltungsorgan der Zielgesellschaft die für diesen Zweck erteilte Ermächtigung der Hauptversammlung der Aktionäre ein, bevor es mit Ausnahme der Suche nach konkurrierenden Angeboten Maßnahmen ergreift, durch die das Angebot vereitelt werden könnte; dies gilt insbesondere für die Ausgabe von Wertpapieren, durch die der Bieter auf Dauer an der Erlangung der Kontrolle über die Zielgesellschaft gehindert werden könnte. Diese Ermächtigung ist zumindest ab dem Zeitpunkt erforderlich, zu dem das Leitungs- bzw. Verwaltungsorgan der Zielgesellschaft die in Artikel 6 Absatz 1 Satz 1 genannten Informationen über das Angebot erhalten hat, und so lange, bis das Ergebnis des Angebots bekannt gemacht oder das Angebot hinfällig wird. Die Mitgliedstaaten können verlangen, dass diese Ermächtigung zu einem früheren Zeitpunkt erforderlich ist, beispielsweise wenn das Leitungs- bzw. Verwaltungsorgan der Zielgesellschaft feststellt, dass die Abgabe des Angebots unmittelbar bevorsteht. (3) Vor dem in Absatz 2 Unterabsatz 2 genannten Zeitpunkt gefasste Entscheidungen, die weder teilweise noch vollständig umgesetzt worden sind, bedürfen der Zustimmung oder Bestätigung der Hauptversammlung der Aktionäre, wenn diese Entscheidungen außerhalb des normalen Geschäftsverlaufs gefasst wurden und ihre Umsetzung dazu führen könnte, dass das Angebot vereitelt wird. (4) Damit die vorherige Ermächtigung, Zustimmung oder Bestätigung der Wertpapierinhaber im Sinne der Absätze 2 und 3 eingeholt werden kann, können die Mitgliedstaaten Vorschriften vorsehen, wonach eine Hauptversammlung der Aktionäre kurzfristig einberufen werden kann vorausgesetzt, dass sie frühestens zwei Wochen nach ihrer Einberufung abgehalten wird. (5) Das Leitungs- bzw. Verwaltungsorgan der Zielgesellschaft erstellt und veröffentlicht zu dem Angebot eine mit Gründen versehene Stellungnahme, die unter anderem auf die Auswirkungen des Angebots auf die Interessen der Gesellschaft, insbesondere der Beschäftigung, und auf die strategische Planung des Bieters für die Zielgesellschaft sowie die voraussichtlichen Auswirkungen auf Arbeitsplätze und Standorte, wie in der Angebots-

unterlage nach Artikel 6 Absatz 3 Buchstabe I) dargelegt, eingeht. Das Leitungs- bzw. Verwaltungsorgan der Zielgesellschaft übermittelt diese Stellungnahme gleichzeitig den Arbeitnehmervertretern der Gesellschaft oder – in Ermangelung solcher Vertreter – den Arbeitnehmern selbst. Soweit eine eigene Stellungnahme der Arbeitnehmervertreter zu den Auswirkungen auf die Beschäftigung rechtzeitig beim Leitungs- bzw. Verwaltungsorgan der Zielgesellschaft eingeht, ist diese beizufügen. (6) Für die Zwecke von Absatz 2 bezeichnet der Begriff Leitungs- bzw. Verwaltungsorgan sowohl den Vorstand der Gesellschaft als auch deren Aufsichtsrat, sofern die Organisation der Gesellschaft eine dualistische Leitungsstruktur aufweist.

Artikel 10 Information über die Gesellschaften im Sinne von Artikel 1 Absatz 1 (1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die Gesellschaften im Sinne von Artikel 1 Absatz 1 im Einzelnen folgende Angaben offen legen: a) die Zusammensetzung des Kapitals einschließlich der Wertpapiere, die nicht auf einem geregelten Markt eines Mitgliedstaats gehandelt werden, sowie gegebenenfalls Angabe der verschiedenen Aktiengattungen und zu jeder Aktiengattung Angabe der mit dieser Gattung verbundenen Rechte und Pflichten sowie Anteil dieser Gattung am Gesellschaftskapital; b) jede Beschränkung in Bezug auf die Übertragung der Wertpapiere wie Beschränkungen des Wertpapierbesitzes oder Erfordernis einer Genehmigung der Gesellschaft oder anderer Wertpapierinhaber unbeschadet des Artikels 46 der Richtlinie 2001/34/EG; c) bedeutende direkte oder indirekte Beteiligungen am Kapital (beispielsweise durch Pyramidenstrukturen oder wechselseitige Beteiligungen) im Sinne von Artikel 85 der Richtlinie 2001/34/ EG; d) die Inhaber von Wertpapieren mit besonderen Kontrollrechten und eine Beschreibung dieser Rechte; e) die Art der Stimmrechtskontrolle bei einer Kapitalbeteiligung der Arbeitnehmer, wenn die Kontrollrechte von ihnen nicht unmittelbar ausgeübt werden; f) alle Beschränkungen von Stimmrechten wie Begrenzungen der Stimmrechte auf einen bestimmten Anteil oder eine bestimmte Stimmenzahl, zeitliche Beschränkungen für die Ausübung des Stimmrechts oder Systeme, bei denen in Zusammenarbeit mit der Gesellschaft die mit den Wertpapieren verbundenen finanziellen Rechte von der Wertpapierinhaberschaft getrennt sind;

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g) alle der Gesellschaft bekannten Vereinbarungen zwischen Gesellschaftern, die die Übertragung von Wertpapieren und/oder Stimmrechten im Sinne der Richtlinie 2001/34/EG einschränken können; h) die Vorschriften über die Ernennung und Ersetzung der Mitglieder des Leitungs- bzw. Verwaltungsorgans und über die Änderung der Satzung der Gesellschaft; i) die Befugnisse der Mitglieder des Leitungsbzw. Verwaltungsorgans, insbesondere hinsichtlich der Möglichkeit, Wertpapiere auszugeben oder zurückzukaufen; j) alle bedeutenden Vereinbarungen, an denen die Gesellschaft beteiligt ist und die bei einem Kontrollwechsel in der Gesellschaft infolge eines Übernahmeangebots wirksam werden, sich ändern oder enden, sowie die hieraus folgenden Wirkungen; ausgenommen hiervon sind Vereinbarungen, deren Bekanntmachung der Gesellschaft erheblich schaden würde; diese Ausnahme gilt nicht, wenn die Gesellschaft zur Bekanntgabe derartiger Informationen aufgrund anderer Rechtsvorschriften ausdrücklich verpflichtet ist; k) die Vereinbarungen zwischen der Gesellschaft und den Mitgliedern des Leitungs- bzw. Verwaltungsorgans oder Arbeitnehmern, die eine Entschädigung für den Fall vorsehen, dass diese wegen eines öffentlichen Übernahmeangebots kündigen oder ohne triftigen Grund entlassen werden oder ihr Arbeitsverhältnis endet. (2) Die Angaben gemäß Absatz 1 müssen im Lagebericht der Gesellschaft im Sinne von Artikel 46 der Richtlinie 78/660/EWG(13) und Artikel 36 der Richtlinie 83/349/EWG(14) offen gelegt werden. (3) Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass in Gesellschaften, deren Wertpapiere auf einem geregelten Markt eines Mitgliedstaats zum Handel zugelassen sind, das Leitungs- bzw. Verwaltungsorgan der Jahreshauptversammlung der Aktionäre einen erläuternden Bericht zu den in Absatz 1 genannten Punkten vorlegt. Artikel 11 Durchgriff (1) Unbeschadet anderer gemeinschaftsrechtlicher Rechte und Pflichten für die in Artikel 1 Absatz 1 genannten Gesellschaften stellen die Mitgliedstaa-

(13) Vierte Richtlinie 78/660/EWG des Rates vom 25. Juli 1978 über den Jahresabschluss von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen (ABl. L 222 vom 14.8.1978, S. 11). Zuletzt geändert durch die Richtlinie 2003/51/EG des Europäischen Parlaments und des Rates (ABl. L 178 vom 17.7.2003, S. 16). (14) Siebente Richtlinie 83/349/EWG des Rates vom 13. Juni 1983 über den konsolidierten Abschluss (ABl. L 193 vom 18.7.1983, S. 1). Zuletzt geändert durch die Richtlinie 2003/51/EG.

ten sicher, dass nach Bekanntmachung eines Angebots die Bestimmungen der Absätze 2 bis 7 beachtet werden. (2) Beschränkungen in Bezug auf die Übertragung von Wertpapieren, die in der Satzung der Zielgesellschaft vorgesehen sind, gelten dem Bieter gegenüber während der in Artikel 7 Absatz 1 festgelegten Frist für die Annahme des Angebots nicht. Beschränkungen in Bezug auf die Übertragung von Wertpapieren, die in nach Annahme dieser Richtlinie geschlossenen vertraglichen Vereinbarungen zwischen der Zielgesellschaft und den Wertpapierinhabern dieser Gesellschaft oder in solchen vertraglichen Vereinbarungen zwischen Wertpapierinhabern der Zielgesellschaft vorgesehen sind, gelten dem Bieter gegenüber während der in Artikel 7 Absatz 1 festgelegten Frist für die Annahme des Angebots nicht. (3) Stimmrechtsbeschränkungen, die in der Satzung der Zielgesellschaft vorgesehen sind, entfalten in der Hauptversammlung der Aktionäre, die gemäß Artikel 9 über etwaige Abwehrmaßnahmen beschließt, keine Wirkung. Stimmrechtsbeschränkungen, die in nach der Annahme dieser Richtlinie geschlossenen vertraglichen Vereinbarungen zwischen der Zielgesellschaft und den Wertpapierinhabern dieser Gesellschaft oder in solchen vertraglichen Vereinbarungen zwischen Wertpapierinhabern der Zielgesellschaft vorgesehen sind, entfalten in der Hauptversammlung der Aktionäre, die gemäß Artikel 9 über etwaige Abwehrmaßnahmen beschließt, keine Wirkung. Wertpapiere mit Mehrfachstimmrecht berechtigen zu lediglich einer Stimme in der Hauptversammlung der Aktionäre, die gemäß Artikel 9 über etwaige Abwehrmaßnahmen beschließt. (4) Wenn der Bieter nach einem Angebot über 75 % oder mehr des stimmberechtigten Kapitals verfügt, gelten in der ersten Hauptversammlung der Aktionäre nach Angebotsschluss, die vom Bieter einberufen wird, um die Satzung zu ändern oder Mitglieder des Leitungs- bzw. Verwaltungsorgans zu ernennen oder abzuberufen, die Beschränkungen in Bezug auf die Übertragung von Wertpapieren und die Stimmrechtsbeschränkungen gemäß den Absätzen 2 und 3 sowie die Sonderrechte der Gesellschafter zur Ernennung oder Abberufung der Mitglieder des Leitungs- bzw. Verwaltungsorgans, die in der Satzung der Zielgesellschaft vorgesehen sind, nicht, und Wertpapiere mit Mehrfachstimmrecht berechtigen zu lediglich einer Stimme. Zu diesem Zweck muss der Bieter das Recht haben, eine Hauptversammlung der Aktionäre kurzfristig einzuberufen vorausgesetzt, dass sie frühestens zwei Wochen nach ihrer Einberufung abgehalten wird. (5) Werden Rechte auf der Grundlage der Absätze 2, 3 oder 4 und/oder des Artikels 12 entzogen, so werden die Inhaber dieser Rechte, denen

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Die Übernahmerichtlinie (13. Richtlinie) ein Verlust entsteht, hierfür angemessen entschädigt. Die Mitgliedstaaten legen fest, nach welchen Kriterien die Entschädigung bestimmt wird und in welcher Form sie zu zahlen ist. (6) Die Absätze 3 und 4 gelten nicht für Wertpapiere, bei denen die Stimmrechtsbeschränkungen durch besondere finanzielle Vorteile ausgeglichen werden. (7) Dieser Artikel gilt nicht für den Fall, dass ein Mitgliedstaat Wertpapiere der Zielgesellschaft hält, die ihm mit dem Vertrag zu vereinbarende Sonderrechte einräumen; er gilt außerdem nicht für mit dem Vertrag zu vereinbarende Sonderrechte, die nach nationalem Recht gewährt werden, und nicht für Genossenschaften.

Artikel 12 Freiwillige Regelungen

der Zielgesellschaft, die frühestens 18 Monate vor der Bekanntmachung des Angebots gemäß Artikel 6 Absatz 1 ergehen darf.

Artikel 13 Weitere Verfahrensregeln für die Angebote Die Mitgliedstaaten sehen außerdem Vorschriften vor, die zumindest folgende Fragen regeln: a) Hinfälligkeit der Angebote, b) Änderung der Angebote, c) konkurrierende Angebote, d) Bekanntmachung der Ergebnisse der Angebote, e) Unwiderruflichkeit der Angebote und zulässige Bedingungen.

(1) Die Mitgliedstaaten können sich das Recht vorbehalten, Gesellschaften im Sinne von Artikel 1 Absatz 1, die ihren Sitz in ihrem Staatsgebiet haben, nicht vorzuschreiben, Artikel 9 Absätze 2 und 3 und/oder Artikel 11 anzuwenden. (2) Machen die Mitgliedstaaten von der in Absatz 1 genannten Möglichkeit Gebrauch, so räumen sie jedoch Gesellschaften mit Sitz in ihrem Staatsgebiet die widerrufliche Wahlmöglichkeit ein, Artikel 9 Absätze 2 und 3 und/oder Artikel 11 unbeschadet von Artikel 11 Absatz 7 anzuwenden. Die Entscheidung der Gesellschaft wird von der Hauptversammlung der Aktionäre nach Maßgabe des Rechts des Mitgliedstaats, in dem die Gesellschaft ihren Sitz hat, und im Einklang mit den Vorschriften über die Änderung der Satzung getroffen. Die Entscheidung wird der Aufsichtsstelle des Mitgliedstaats, in dem die Gesellschaft ihren Sitz hat, sowie den Aufsichtsstellen derjenigen Mitgliedstaaten, in denen ihre Wertpapiere zum Handel auf einem geregelten Markt zugelassen sind, oder in denen eine solche Zulassung beantragt wurde, mitgeteilt. (3) Die Mitgliedstaaten können unter den nach nationalem Recht festgelegten Bedingungen Gesellschaften, die Artikel 9 Absätze 2 und 3 und/oder Artikel 11 anwenden, von der Anwendung dieser Artikel befreien, wenn die betreffende Gesellschaft Ziel eines Übernahmeangebots seitens einer Gesellschaft wird, die ihrerseits dieselben Artikel nicht anwendet, oder einer Gesellschaft, die direkt oder indirekt von letzterer im Sinne des Artikels 1 der Richtlinie 83/349/EWG kontrolliert wird. (4) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die Bestimmungen, die auf die verschiedenen Gesellschaften Anwendung finden, unverzüglich bekannt gemacht werden. (5) Maßnahmen, die in Anwendung des Absatzes 3 durchgeführt werden sollen, bedürfen der Ermächtigung durch die Hauptversammlung der Aktionäre

Artikel 14 Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmervertreter Diese Richtlinie berührt nicht die Vorschriften über die Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmervertreter und, falls von den Mitgliedstaaten vorgesehen, die Mitbestimmung der Arbeitnehmer der Bieter – sowie der Zielgesellschaft nach den einschlägigen nationalen Bestimmungen, insbesondere den Vorschriften zur Umsetzung der Richtlinien 94/45/EG, 98/59/EG, 2001/86/EG und 2002/14/EG.

Artikel 15 Ausschluss von Minderheitsaktionären (1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass im Anschluss an ein an alle Wertpapierinhaber der Zielgesellschaft gerichtetes Angebot für sämtliche Wertpapiere die Absätze 2 bis 5 gelten. (2) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass ein Bieter von allen verbleibenden Wertpapierinhabern verlangen kann, dass sie ihm ihre Wertpapiere zu einem angemessenen Preis verkaufen. Die Mitgliedstaaten führen dieses Recht ein, wenn einer der folgenden Fälle vorliegt: a) Der Bieter hält entweder Wertpapiere, die mindestens 90 % des stimmberechtigten Kapitals der Zielgesellschaft und 90 % der Stimmrechte der Zielgesellschaft entsprechen, oder b) er hat durch Annahme des Angebots Wertpapiere erworben oder sich fest vertraglich verpflichtet, solche Wertpapiere zu erwerben, die mindestens 90 % des stimmberechtigten Kapitals der Zielgesellschaft und 90 % der vom Angebot betroffenen Stimmrechte entsprechen.

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Die Mitgliedstaaten können im Fall des Buchstabens a) einen höheren Schwellenwert festlegen, der jedoch 95 % des stimmberechtigten Kapitals und 95 % der Stimmrechte nicht überschreiten darf. (3) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass Vorschriften in Kraft sind, nach denen sich berechnen lässt, wann der Schwellenwert erreicht ist. Hat die Zielgesellschaft mehrere Wertpapiergattungen begeben, können die Mitgliedstaaten vorsehen, dass das Ausschlussrecht nur in der Gattung ausgeübt werden kann, in der der in Absatz 2 festgelegte Schwellenwert erreicht ist. (4) Beabsichtigt der Bieter das Ausschlussrecht auszuüben, so hat er dies innerhalb von drei Monaten nach Ablauf der in Artikel 7 genannten Frist für die Annahme des Angebots zu tun. (5) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass eine angemessene Abfindung garantiert wird. Diese Abfindung muss dieselbe Form aufweisen wie die Gegenleistung des Angebots oder in Form einer Geldleistung erfolgen. Die Mitgliedstaaten können vorsehen, dass zumindest wahlweise eine Geldleistung angeboten werden muss. Bei einem freiwilligen Angebot in den in Absatz 2 Buchstaben a) und b) vorgesehenen Fällen gilt die im Angebot angebotene Abfindung dann als angemessen, wenn der Bieter durch die Annahme des Angebots Wertpapiere erworben hat, die mindestens 90 % des vom Angebot betroffenen stimmberechtigten Kapitals entsprechen. Bei einem Pflichtangebot gilt die Gegenleistung des Angebots als angemessen.

Artikel 16 Andienungsrecht (1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass im Anschluss an ein an alle Wertpapierinhaber der Zielgesellschaft gerichtetes Angebot für sämtliche Wertpapiere die Absätze 2 und 3 Anwendung finden. (2) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass ein Inhaber verbleibender Wertpapiere von dem Bieter verlangen kann, dass er seine Wertpapiere gemäß den Bedingungen des Artikels 15 Absatz 2 zu einem angemessenen Preis erwirbt. (3) Die Bestimmungen des Artikels 15 Absätze 3 bis 5 gelten entsprechend.

Artikel 17 Sanktionen Die Mitgliedstaaten legen die Sanktionen fest, die bei einem Verstoß gegen die einzelstaatlichen Vorschriften zur Umsetzung dieser Richtlinie zu verhängen sind, und treffen alle geeigneten Maßnahmen, um deren Durchsetzung zu gewährleisten.

Die Sanktionen müssen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein. Die Mitgliedstaaten teilen der Kommission diese Vorschriften spätestens zu dem in Artikel 21 Absatz 1 vorgesehenen Zeitpunkt und eventuelle spätere Änderungen so schnell wie möglich mit.

Artikel 18 Ausschussverfahren (1) Die Kommission wird von dem mit dem Beschluss 2001/528/EG eingesetzten Europäischen Wertpapierausschuss (nachstehend „Ausschuss“ genannt) unterstützt. (2) Wird auf diesen Absatz Bezug genommen, so gelten Artikel 5a Absätze 1 bis 4 und Artikel 7 des Beschlusses 1999/468/EG unter Beachtung von dessen Artikel 8. (3) –––––––––

Artikel 19 Kontaktausschuss (1) Es wird ein Kontaktausschuss eingesetzt, der folgende Aufgaben hat: a) Erleichterung einer einheitlichen Anwendung dieser Richtlinie durch regelmäßige Sitzungen, in denen insbesondere auf praktische Probleme eingegangen wird, die sich im Zusammenhang mit der Anwendung dieser Richtlinie ergeben; die Artikel 226 und 227 des Vertrags bleiben unberührt; b) Beratung der Kommission, falls erforderlich, im Hinblick auf Ergänzungen oder Änderungen dieser Richtlinie. (2) Die Beurteilung der von den Aufsichtsstellen in Einzelfällen getroffenen Entscheidungen gehört nicht zu den Aufgaben des Kontaktausschusses.

Artikel 20 Revision Fünf Jahre nach dem in Artikel 21 Absatz 1 genannten Zeitpunkt überprüft die Kommission diese Richtlinie auf der Grundlage der bei ihrer Anwendung gewonnenen Erfahrung und schlägt erforderlichenfalls eine Änderung derselben vor. Diese Überprüfung schließt eine Untersuchung der Kontrollstrukturen und Übernahmehindernisse für Übernahmeangebote ein, die nicht in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie fallen. Zu diesem Zweck übermitteln die Mitgliedstaaten der Kommission jährlich Angaben über Übernahmeangebote, die für Gesellschaften abgegeben wurden, deren Wertpapiere zum Handel an ihren geregelten Märkten zugelassen sind. Diese Angaben umfassen die Nationalität der beteiligten Ge-

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Die Übernahmerichtlinie (13. Richtlinie) sellschaften, den Ausgang des Angebots und alle sonstigen Informationen, die für das Verständnis des Funktionierens von Übernahmeangeboten in der Praxis sachdienlich sind.

(2) Die Mitgliedstaaten teilen der Kommission den Wortlaut der wichtigsten innerstaatlichen Rechtsvorschriften mit, die sie auf dem unter diese Richtlinien fallenden Gebiet erlassen.

Artikel 21

Artikel 22

Umsetzung

Inkrafttreten

(1) Die Mitgliedstaaten erlassen die erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften, um dieser Richtlinie spätestens am 20. Mai 2006 nachzukommen. Sie setzen die Kommission unverzüglich davon in Kenntnis.

Diese Richtlinie tritt am zwanzigsten Tag nach ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union in Kraft.

Wenn die Mitgliedstaaten diese Vorschriften erlassen, nehmen sie in den Vorschriften selbst oder durch einen Hinweis bei der amtlichen Veröffentlichung auf diese Richtlinie Bezug. Die Mitgliedstaaten regeln die Einzelheiten der Bezugnahme.

Artikel 23 Adressaten Diese Richtlinie ist an die Mitgliedstaaten gerichtet.

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§ 31 Die Aktionärsrechterichtlinie RL 2007/36/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 11.7.2007 über die Ausübung bestimmter Rechte von Aktionären in börsennotierten Gesellschaften, ABlEU v. 14.7.2007, L 184/17 Literatur: Arnold, Arnd, Aktionärsrechte und Hauptversammlung nach dem ARUG, Konzern 2009, 88; Bachner, Thomas/Dokalik, Dietmar, Die neue EU-Richtlinie über Aktionärsrechte und ihre Auswirkungen auf das österreichische Aktienrecht, GesRZ 2007, 104; Bayer, Walter/Sawada, Tobias, Die neuen HV-Teilnahmemöglichkeiten in der Satzungspraxis, AG 2010, R407; Bosse, Christian, Grünes Licht für das ARUG: das Aktienrecht geht online, NZG 2009, 807; Deilmann, Barbara/Otte, Sabine, Auswirkungen des ARUG auf die Feststellung des Beschlussergebnisses in der Hauptversammlung, BB 2010, 722; Drinhausen, Florian/ Keinath, Astrid, Auswirkungen des ARUG auf die künftige Hauptversammlungspraxis, BB 2009, 2322; dies., Referentenentwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Aktionärsrechterichtlinie (ARUG) – Ein Beitrag zur Modernisierung der Hauptversammlung, BB 2008, 1238; dies., Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Aktionärsrechterichtlinie (ARUG) – Überblick über die Änderungen gegenüber dem Referentenentwurf, BB 2009, 64; Grundmann, Stefan, Das neue Depotstimmrecht nach der Fassung im Regierungsentwurf zum ARUG, BKR 2009, 31; Grundmann, Stefan, The renaissance of organized shareholder representation in Europe, in: Tison, Michael (ed.), Perspectives in company law and financial regulation: essays in honours of Eddy Wymeersch, 2009, S. 183; Grundmann, Stefan/Winkler, Nina, Das Aktionärsstimmrecht in Europa und der Kommissionsvorschlag zur Stimmrechtsausübung in börsennotierten Gesellschaften, ZIP 2006, 1421; Herrler, Sebastian/Reymann, Christoph, Die Neuerungen im Aktienrecht durch das ARUG – Unter besonderer Berücksichtigung der Neuregelung zur Hauptversammlung und zur Kapitalaufbringung bei der AG, DNotZ 2009, 815; Hong, Fidy Xiangxing, Protection of shareholders’ rights at EU level: how far does it go?, (2009) 6 ECL 124; Horn, Christian, Änderungen bei der Vorbereitung und Durchführung der Hauptversammlung nach dem Referentenentwurf zum ARUG, ZIP 2008, 1558; Karollus, Margit Maria, Der Kommissionsvorschlag für eine Richtlinie zur Ausübung der Stimmrechte durch Aktionäre, GeS 2006, 99; Kersting, Christian, Ausweitung des Fragerechts durch die Aktionärsrechterichtlinie, ZIP 2009, 2317; ders., Das Auskunftsrecht des Aktionärs bei elektronischer Teilnahme an der Hauptversammlung (§§ 118, 131 AktG), NZG 2010, 130; Knapp, Vanessa, The requirements of the Shareholder Rights Directive, (2009) 9 ERA Forum 377; Kocher, Dirk, Das Auskunftsrecht in der Hauptversammlung nach der Aktionärsrechterichtlinie, AG 2010, 153; Noack, Ulrich, Der Vorschlag für eine Richtlinie über Rechte von Aktionären börsennotierter Gesellschaften, NZG 2006, 321; ders., Die Aktionärsrechte-RL, in: Aderhold u.a. (Hrsg.), Festschrift für Harm Peter Westermann zum 70. Geburtstag, 2008, S. 1203; ders., ARUG: das nächste Stück der Aktienrechtsreform in Permanenz, NZG 2008, 441; ders., Briefwahl und Online-Teilnahme an der Hauptversammlung: der neue § 118 AktG, WM 2009, 2289; Noack, Ulrich/Beurskens, Michael, Einheitliche „EuropaHauptversammlung“? – Vorschlag für eine Richtlinie über die (Stimm-)rechte von Aktionären, GPR 2006, 88; Ochmann, Florian, Die Aktionärsrechte-Richtlinie, 2009; Paschos, Nikolaos/Goslar, Sebastian, Der Referentenentwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Aktionärsrechterichtlinie (ARUG) aus Sicht der Praxis, AG 2008, 605; dies., Der Regierungsentwurf des Gesetzes zur Umsetzung der Aktionärsrechterichtlinie (ARUG), AG 2009, 14; Pluskat, Sorika, Auswirkungen der Aktionärsrechterichtlinie auf das deutsche Aktienrecht, WM 2007, 2135; Pöschke, Moritz, Auskunft ohne Grenzen? Die Bedeutung der Aktionärsrechterichtlinie für die Auslegung des § 131 Abs. 1 Satz 1 AktG, ZIP 2010, 1221; Ratschow, Eckart, Die Aktionärsrechte-Richtlinie – neue Regeln für börsennotierte Gesellschaften, DStR 2007, 1402; Schmidt, Jessica, Banken(voll)macht im Wandel der Zeit – Das ARUG als (vorläufiger?) Schlussstein einer wechselvollen Geschichte –, WM 2009, 2350; dies., Die ge-

Die Aktionärsrechterichtlinie

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plante Richtlinie über Aktionärsrechte und ihre Bedeutung für das deutsche Aktienrecht, BB 2006, 1641; dies., Stimmrechtsvertretung und Stimmrechtsausübung „in absentia“ in Deutschland und Großbritannien, NZG 2006, 487; Schouten, Michael C., The political economy of cross-border voting in Europe, (2009) 16 Colum. J. Eur. L. 1.; Seibert, Ulrich/ Florstedt, Tim, Der Regierungsentwurf des ARUG – Inhalt und wesentliche Änderungen gegenüber dem Referentenentwurf, ZIP 2008, 2145; Wand, Peter/Tillmann, Tobias, EU-Richtlinienvorschlag zur Erleichterung der Ausübung von Aktionärsrechten, AG 2006, 443; Wicke, Hartmut, Flexibilisierung der Hauptversammlungsteilnahme und Stimmrechtsausübung – neue Möglichkeiten zur Gestaltung der AG-Satzung nach dem ARUG –, in: Bengel, Manfred u.a. (Hrsg.), Festschrift für Rainer Kanzleiter zum 70. Geburtstag am 17. Juni 2010, 2010, S. 415; Zetzsche, Dirk A., Die nächste „kleine“ Aktienrechtsreform: Der Referentenentwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Aktionärsrechterichtlinie (ARUG), Konzern 2008, 321; Die neue Aktionärsrechte-Richtlinie: Auf dem Weg zur Virtuellen Hauptversammlung, NZG 2007, 686; ders., Shareholder passivity, cross-border voting and the shareholder rights directive, (2008) 8 JCLS 289. Rechtsprechung: EuGH v. 24.3.2011, HRE, Rs. C-194/10, ZIP 2011, 1002

I. Überblick Die Rechte der Aktionäre im Zusammenhang mit der Hauptversammlung sollten 1 gemäß dem ursprünglichen „Masterplan“ eigentlich i.R.d. 5. (Struktur-)RL geregelt werden, die dann jedoch Mitte der 1990er Jahre endgültig scheiterte (dazu ausf. § 9 Rn. 1 f.). Vor dem Hintergrund der immer internationaleren Aktionärsstruktur vieler Gesellschaften1 und der zunehmenden Zwischenschaltung von Finanzintermediären 2 erwiesen sich die enorm divergierenden nationalen Vorschriften jedoch immer mehr als erhebliches Hindernis für die grenzüberschreitende Ausübung von Aktionärsrechten. Die High Level Group empfahl daher bereits 2002 in ihrem Abschlussbericht (dazu bereits allg. § 18 Rn. 6) nachdrücklich spezielle Harmonisierungsmaßnahmen in diesem Bereich.3 Dies griff die Kommission dann in ihrem Aktionsplan aus dem Jahr 2003 (dazu allg. § 18) auf.4 Sie führte in den Jahren 2004 und 2005 zunächst jeweils

1 Der Anteil ausländischer Aktionäre ist in den verschiedenen Mitgliedstaaten sehr unterschiedlich, in vielen Mitgliedstaaten (Belgien, Finnland, Frankreich, Griechenland, Litauen, Malta, Niederlande, Polen, Portugal, Schweden, Slowakei, Spanien, Ungarn, UK) betrug er aber bereits im Jahr 2004 über 30 % und es zeigte sich eine deutliche Tendenz eines weiteren Wachstums dieses Anteils, vgl. SEC(2006), S. 8 f., 43. 2 Vgl. SEC(2006) 181, S. 8. 3 Bericht der Hochrangigen Gruppe von Experten auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts über moderne gesellschaftsrechtliche Rahmenbedingungen in Europa, 4.11.2002 (abrufbar unter http://ec.europa.eu/internal_market/company/docs/modern/report_de.pdf), S. 7 f., 50 ff. 4 Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament. Modernisierung des Gesellschaftsrechts und Verbesserung der Corporate Governance in der Europäischen Union – Aktionsplan, KOM(2003) 284, S. 16 f.

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Gesellschaftsrechtliche Richtlinien

eine umfangreiche Konsultation5 durch und legte anschließend aufbauend hierauf Anfang 2006 einen RL-Entwurf 6 vor. Nach einer Reihe von Modifikationen auf Wunsch von EWSA7, EP 8 und der Mitgliedstaaten konnte die RL9 dann bereits am 11.7.2007 verabschiedet werden. M.W.v. 26.4.2008 wurde ihr Anwendungsbereich auch auf die EWR-Staaten ausgedehnt.10 2 Ziel der RL ist die Beseitigung der wesentlichen Hindernisse für die grenzüberschreitende Ausübung der Stimmrechte von Aktionären börsennotierter Gesellschaften, um so die Stimmquote ausländischer Aktionäre zu erhöhen und damit letztlich auch die Corporate Governance zu verbessern.11 Ausgehend vom Leitmotiv der Gleichbehandlung der Aktionäre (Art. 4, dazu u. Rn. 14 f.) legt sie zu diesem Zweck insbesondere Mindeststandards (vgl. Art. 3, dazu u. Rn. 12 f.) für die Information im Vorfeld der Hauptversammlung fest (Art. 5, dazu u. Rn. 16 ff.), verbietet zugunsten eines record date-Systems jegliche Form der Aktiensperrung (Art. 7, dazu u. Rn. 42 ff.), gebietet die Ermöglichung der Teilnahme an der Hauptversammlung mit elektronischen Mitteln (Art. 8, dazu u. Rn. 48 ff.), gewährleistet ein Fragerecht der Aktionäre (Art. 9, dazu u. Rn. 56 ff.), harmonisiert die formellen und materiellen Rahmenbedingungen für die Stimmrechtsvertretung (Art. 10 f., dazu u. Rn. 61 ff.) und verlangt die Bekanntmachung der Abstimmungsergebnisse auf der Internetseite der Gesellschaft (Art. 14, dazu u. Rn. 109 ff.). Damit bewirkt sie zugleich – als sicherlich durchaus

5 Konsultationsdokumente und Zusammenfassungen der Ergebnisse abrufbar unter http://ec.europa.eu/internal_market/company/shareholders/indexa_de.htm. Dazu Becker GmbHR 2005, R209 f.; Fischer zu Cramburg AG 2005, R233 f.; Knapp (2008) 9 ERA Forum 377, 378; Noack ZIP 2005, 325 ff.; Schouten (2009) 16 Colum. J. Eur. L. 1, 13 ff. 6 Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Ausübung der Stimmrechte durch Aktionäre von Gesellschaften, die ihren eingetragenen Sitz in einem Mitgliedstaat haben und deren Aktien zum Handel auf einem geregelten Markt zugelassen sind, sowie zur Änderung der Richtlinie 2004/109/EG, 5.1.2006, KOM(2005) 685. 7 Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses v. 13.9.2006 zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Ausübung der Stimmrechte durch Aktionäre von Gesellschaften, die ihren eingetragenen Sitz in einem Mitgliedstaat haben und deren Aktien zum Handel auf einem geregelten Markt zugelassen sind, sowie zur Änderung der Richtlinie 2004/109/EG“, ABlEU v. 23.12.2006, C 318/42. 8 Legislative Entschließung des Europäischen Parlaments v. 15.2.2007 zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Ausübung der Stimmrechte durch Anteilseigner von Gesellschaften, die ihren eingetragenen Sitz in einem Mitgliedstaat haben und deren Aktien zum Handel auf einem geregelten Markt zugelassen sind, sowie zur Änderung der Richtlinie 2004/109/EG, ABlEU v. 29.11.2007, C 287 E/486. 9 RL 2007/36/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 11.7.2007 über die Ausübung bestimmter Rechte von Aktionären in börsennotierten Gesellschaften, ABlEU v. 14.7.2007, L 184/17. 10 Beschluss des gemeinsamen EWR-Ausschusses Nr. 59/2008 v. 25.4.2008 zur Änderung von Anhang XXII (Unternehmensrecht) des EWR-Abkommens, ABlEU v. 21.8.2008, L 223/60. 11 Vgl. Erwägungsgründe 3 und 5; s. ferner auch SEC(2006) 181, S. 3.

Die Aktionärsrechterichtlinie

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nicht unbeabsichtigten „Nebeneffekt“ – auch eine bedeutsame Harmonisierung zentraler Aspekte des Rechts der Hauptversammlung von (börsennotierten) Aktiengesellschaften in Europa12 und realisiert damit zumindest doch noch eine wesentliche Komponente des ursprünglichen Harmonisierungsprogramms der 5. (Struktur-)RL (dazu dieser bereits § 9 Rn. 1 f.) 13. Die RL versteht sich zudem auch als Ergänzung der Kapitalmarktpublizitäts- 3 RL14 (vgl. zu dieser bereits § 17 Rn. 99, 158, 176, 183 sowie noch § 36 Rn. 1) und der Transparenz-RL (dazu § 36 sowie bereits § 17 Rn. 155, 159 ff.).15 Das deutsche Recht entsprach den Standards der RL in wesentlichen Punkten be- 4 reits; die übrigen Vorgaben wurden m.W.v. 1.9.2009 durch das ARUG 16 umgesetzt.

II. Anwendungsbereich 1. Rechte der Stimmrechtsaktionäre börsennotierter Gesellschaften (Art. 1 Abs. 1) Anders als die umfassend angelegte 5. (Struktur-)RL, die für alle Aktiengesellschaften 5 gelten sollte (vgl. § 9 Rn. 1 f.), beschränkt sich der Anwendungsbereich der RL auf börsennotierte Gesellschaften, genauer auf „Gesellschaften, … die ihren Sitz in einem Mitgliedstaat haben und deren Aktien zum Handel an einem in einem Mitgliedstaat gelegenen oder dort betriebenen geregelten Markt zugelassen sind“ (Art. 1 Abs. 1). Erfasst werden damit nicht nur Aktiengesellschaften (inklusive der SE17), sondern auch andere nationale Gesellschaftsformen, deren Aktien zum Handel an einem geregelten Markt zugelassen sind18. Hinsichtlich der Definition des Begriffes „geregelter Markt“ verweist Art. 2 Abs. 1 lit. a im Interesse systematischer Kohärenz auf Art. 4 Abs. 1 Nr. 14 MiFiD (dazu § 17 Rn. 58, § 33 Rn. 8). Die Beschränkung auf börsennotierte Gesellschaften wird primär mit dem besonderen öffentlichen Interesse an diesen Gesellschaften und dem bei diesen aus Gründen des Aktionärs-/Anleger- und Gläubigerschutzes größeren Bedürfnis nach standardisierten Regelungen begründet.19 Zudem wäre eine Erstreckung auch auf nicht börsennotierte Gesellschaften – die zwar den Großteil aller Gesellschaften ausmachen, typischerweise jedoch keine oder nur

12 Vgl. J. Schmidt BB 2006, 1641. 13 Vgl. auch Hong (2009) 6 ECL 124, 130; s. ferner auch Grundmann Rn. 403, 407. 14 RL 2001/34/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 28.5.2001 über die Zulassung von Wertpapieren zur amtlichen Börsennotierung und über die hinsichtlich dieser Wertpapiere zu veröffentlichenden Informationen, ABlEU v. 6.7.2001, L 184/1. 15 Vgl. Erwägungsgrund 4. 16 Gesetz zur Umsetzung der Aktionärsrechterichtlinie (ARUG) v. 30.7.2009, BGBl. I, 2479. 17 Vgl. KOM(2005) 685, S. 4; Ochmann, Die Aktionärsrechte-Richtlinie, 2009, S. 18; Pluskat WM 2007, 2135 Fn. 7; Wand/Tillmann AG 2006, 443, 444; Zetzsche NZG 2007, 686. 18 Vgl. auch Karollus GeS 2006, 99, 100; Ochmann (Fn. 17), S. 18. 19 Vgl. SEC(2006) 181, S. 21.

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wenige ausländische Aktionäre haben – einerseits mit hohen Umsetzungskosten, andererseits aber nur mit geringem Nutzen verbunden.20 6 Eingeschränkt ist der Regelungsbereich der RL weiterhin insofern, als sie – mit Blick auf ihre Zielsetzung (s.o. Rn. 2) – lediglich die Rechte von Aktionären harmonisiert, die mit einem Stimmrecht verbundene Aktien besitzen (vgl. Art. 1 Abs. 1). 7 Auf Grund des Mindestnormcharakters der RL (Art. 3, dazu u. Rn. 12) steht es den Mitgliedstaaten jedoch frei, ihre Vorgaben ganz oder teilweise auch auf nicht börsennotierte Gesellschaften21 oder auf Aktionäre mit stimmrechtslosen Aktien22 zu erstrecken. 8 Art. 1 Abs. 2 stellt klar, dass für die Regelung der von der RL erfassten Bereiche derjenige Mitgliedstaat zuständig ist, in dem die Gesellschaft ihren (Satzungs-) Sitz23 hat und dass sich Bezugnahmen auf „das anwendbare Recht“ auf dessen Rechtsvorschriften beziehen; der europäische Gesetzgeber bekennt sich damit insoweit – korrespondierend mit Art. 4 Abs. 2 lit. e S. 2 Übernahme-RL (dazu § 30 Rn. 25) – implizit zur Gründungstheorie.

2. Keine autonome Definition der Aktionärseigenschaft 9 Anders als noch i.R.d. Konsultationen24 und im RL-E 25 vorgesehen, enthält die RL keine europäisch-autonome Definition des Begriffs „Aktionär“, sondern verweist insofern in Art. 2 Abs. 1 lit. b schlicht auf das anwendbare nationale Recht. Hintergrund ist, dass es wegen der teilweise äußerst unterschiedlichen Kriterien zur Bestimmung der Aktionärseigenschaft in den einzelnen nationalen Rechtsordnungen nicht möglich war, insoweit einen Konsens zu erzielen.26 Man bediente sich daher des „Kunstgriffs“ der kollisionsrechtlichen Verweisung, um die RL nicht bereits an diesem grundlegenden Definitionsproblem scheitern zu lassen – was freilich dazu führt, dass sie letztlich insgesamt auf einem etwas „schwankenden Fundament“ steht 27. Allerdings besteht

20 Vgl. SEC(2006) 181, S. 4, 21. 21 Vgl. SEC(2006) 181, S. 21; Noack NZG 2006, 321, 322; Pluskat WM 2007, 2135, 2136; J. Schmidt BB 2006, 1641. 22 Vgl. Erwägungsgrund 4 S. 4; Bachner/Dokalik GesRZ 2007, 104, 105; Ratschow DStR 2007, 1402, 1403. 23 Vgl. englisch: „registered office“; französisch: „siège social“. 24 I.R.d. Konsultationen war erwogen worden, dass der „ultimate investor“ (Endanleger) zur Ausübung des Stimmrechts berechtigt sein sollte, vgl. Synthesis 1. Konsultation (Fn. 5), S. 5 f.; Synthesis 2. Konsultation (Fn. 5), S. 5 f. Näher dazu Noack ZIP 2005, 325, 328 f. 25 Art. 2 lit. c RL-E (Fn. 6) sah eine an Art. 2 Abs. 1 lit. e Transparenz-RL (zu dieser § 36) angelehnte Definition vor. 26 Vgl. auch Bericht EP-Rechtsausschuss, A6-0024/2007, S. 15; Bachner/Dokalik GesRZ 2007, 104 f. 27 Vgl. auch Noack FS Westermann, 2008, S. 1203, 1218 („hängt ... gewissermaßen in der Luft“); s. zudem auch bereits Siems (2005) 6 EBOR 539, 550. Zur Problematik ferner auch noch Grundmann Rn. 416.

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Hoffnung auf eine nachträgliche „Stabilisierung“ i.R.d. geplanten Harmonisierung des Depotrechts durch eine Securities Law Directive; nach Konsultationen 2009 und 2010/1128 hat die Kommission die Vorlage eines Entwurfs noch für 2011 in Aussicht gestellt 29.

3. Ausnahmeoptionen für die Mitgliedstaaten (Art. 1 Abs. 3) Art. 1 Abs. 3 lit. a und b eröffnen den Mitgliedstaaten die Option, die Vorgaben der 10 RL nicht auf OGAW anzuwenden, da für diese auf europäischer Ebene Sonderregelungen (speziell die OGAW-RL, dazu näher § 17 Rn. 232 ff.) gelten.30 Art. 1 Abs. 3 lit. c gestattet ferner mit Blick auf deren besondere Mitgliederstruktur auch die Ausnahme von Genossenschaften.31 Der deutsche Gesetzgeber hat von letzterer Option Gebrauch gemacht und die 11 Vorgaben der RL nicht auf Genossenschaften erstreckt.

III. Mindestcharakter (Art. 3) Art. 3 stellt klar, dass die RL nur auf eine Mindestharmonisierung abzielt und es den 12 Mitgliedstaaten freisteht, in ihrem nationalen Recht weitergehende Maßnahmen zur Erleichterung der Ausübung der von der RL erfassten Aktionärsrechte vorzusehen.32 Die Mitgliedstaaten können den Aktionären also zusätzliche Rechte einräumen33 und/oder die RL-Standards ganz oder teilweise auch auf nicht börsennotierte Gesellschaften34 und/oder die Inhaber stimmrechtsloser Aktien35 ausdehnen (vgl. auch bereits o. Rn. 7). Der deutsche Gesetzgeber hat bei der RL-Umsetzung durch das ARUG die Leit- 13 linie verfolgt, diejenigen Regelungen, die eine Deregulierung/Entlastung bzw. bloße Optionen für die Gesellschaften zum Gegenstand haben, auch auf nicht börsennotierte AG auszudehnen.36 Das deutsche Recht geht aber auch inhaltlich in einigen Punkten über die RL-Standards hinaus.

28 Konsultationsdokumente und Zusammenfassungen der Ergebnisse abrufbar unter http://ec.europa.eu/internal_market/financial-markets/securities-law/index_en.htm. Vgl. dazu Bremer NZG 2011, 100; Mülbert WM 2010, 445, 455 ff.; Voß EWS 2010, 209 ff. 29 Vgl. KOM(2010) 623 Vol. II, S. 16. 30 Vgl. KOM(2005) 585, S. 4. 31 Vgl. Bericht EP-Rechtsausschuss, A6-0024/2007, S. 35. 32 Vgl. auch KOM(2005) 585, S. 5. 33 Vgl. Pluskat WM 2007, 2135, 2136. 34 Vgl. die Nachweise in Fn. 21. 35 Vgl. die Nachweise in Fn. 22. 36 Vgl. BegrRegE z. ARUG, BR-Drs. 847/08, S. 27.

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IV. Leitmotiv: Gleichbehandlung der Aktionäre 14 Art. 4 greift den auch im Bereich der Transparenz-RL (vgl. Art. 17 Abs. 1, dazu § 36 Rn. 20) und der 2. (Kapital-)RL (vgl. Art. 42, dazu § 20 Rn. 233 ff.) geltenden allgemeinen Grundsatz37 der Gleichbehandlung aller Aktionäre durch die Gesellschaft auf und erstreckt dieses Leitmotiv auch auf den Anwendungsbereich der RL, d.h. das Teilnahme- und Stimmrecht.38 Auch hier ist die Gleichbehandlung aber nur dann und insoweit geboten, als die Aktionäre sich in der gleichen Lage befinden, d.h. sachlich gerechtfertigte Ungleichbehandlungen sind zulässig.39 Die RL steht damit insbesondere auch Mehr- oder Höchststimmrechten nicht entgegen40 – eine etwaige Regelung der „one share, one vote“-Thematik hatte man bewusst ausgespart; wie bereits bei § 18 Rn. 15 f. erläutert, hat die Kommission inzwischen den Bedarf für diesbezügliche legislatorische Maßnahmen auf EU-Ebene verneint. 15 Aus deutscher Perspektive ist dies nichts Neues, denn das umfassende Gleichbehandlungsgebot des § 53a AktG bezieht sich seit jeher auch auf das Teilnahme- und Stimmrecht.41 V. Mindeststandards für Hauptversammlungen 1. Einberufung der Hauptversammlung (Art. 5 und 6) a) Informationen vor der Hauptversammlung (Art. 5) 16 Art. 5 normiert zunächst Mindeststandards für die Einberufung der Hauptversammlung 42, die sich der durch die modernen Informationstechnologien eröffneten Möglichkeiten bedienen und gewährleisten sollen, dass alle Aktionäre unabhängig von ihrem (Wohn-)Sitz rechtzeitig hinreichende Informationen erhalten, um eine informierte Entscheidung hinsichtlich einer Teilnahme bzw. Stimmrechtsvertretung treffen zu können.43

37 Wie der EuGH in der Rs. Audiolux entschieden hat, existiert allerdings kein primärrechtlicher allgemeiner Rechtsgrundsatz der Gleichbehandlung aller Aktionäre, vgl. bereits § 30 Rn. 15 sowie noch § 20 Rn. 234, § 36 Rn. 20. 38 Vgl. auch KOM(2005) 685, S. 5; Ochmann (Fn. 17), S. 29 f.; J. Schmidt BB 2006, 1641 f.; Zetzsche (2008) 8 JCLS 289, 330. 39 Vgl. BegrRegE z. ARUG, BR-Drs. 847/08, S. 27; Ochmann (Fn. 17), S. 30. 40 Vgl. Bachner/Dokalik GesRZ 2007, 104, 105; Ochmann (Fn. 17), S. 17, 33; Zetzsche NZG 2007, 686, 691. 41 Vgl. J. Schmidt BB 2006, 1641 f.; s. ferner auch Ochmann (Fn. 17), S. 30 f.; allg. Hüffer, AktG, 9. Aufl. 2010, § 53a Rn. 6 f. 42 Art. 5 setzt damit auf der Basisregelung in Art. 17 Transparenz-RL (dazu § 36 Rn. 19 ff.) auf und ergänzt und erweitert diese für Gesellschaften im Anwendungsbereich der RL erheblich, vgl. Ratschow DStR 2007, 1402, 1403; Zetzsche (2008) 8 JCLS 289, 318 f. Von der im RL-E (Fn. 6) geplanten Modifikationen des Art. 17 Transparenz-RL (dazu etwa J. Schmidt BB 2006, 1641, 1646) wurde jedoch letztlich abgesehen, um etwaige Regelungslücken (z.B. für von der RL nicht erfasste ausländische Emittenten) zu vermeiden, vgl. Dok. 12952/06, S. 5. 43 Vgl. Erwägungsgrund 6.

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aa) Einberufungsfrist (Art. 5 Abs. 1) Bezüglich der Einberufungsfrist sieht die RL als Grundregel vor, dass die Einberufung spätestens am 21. Tag vor der Hauptversammlung 44 erfolgen muss (Art. 5 Abs. 1 Unterabs. 1). Besonderheiten gelten allerdings im Bereich des Übernahmerechts (dazu u. Rn. 18), bei außerordentlichen Hauptversammlungen (dazu u. Rn. 19) und bei Folgeversammlungen (dazu u. Rn. 21). Wie Art. 5 Abs. 1 Unterabs. 1 Hs. 1 ausdrücklich klarstellt, gelten in den Fällen der Art. 9 Abs. 4 und 11 Abs. 4 Übernahme-RL (dazu § 30 Rn. 76, 85) die dort normierten kürzeren übernahmespezifischen Einberufungsfristen. Art. 5 Abs. 1 Unterabs. 2 45 räumt den Mitgliedstaaten die Option ein, ihren Gesellschaften zu gestatten, für außerordentliche Hauptversammlungen (d.h. solche, die nicht die Jahreshauptversammlung sind) eine Verkürzung der Einberufungsfrist auf den 14. Tag vor der Hauptversammlung vorzusehen, um so in dringenden Fällen ggf. schnell Maßnahmen ergreifen zu können46. Die Gesellschaft muss dann allerdings allen Aktionären gleichermaßen die Möglichkeit einer Stimmabgabe auf elektronischem Wege eröffnen; zudem bedarf die Verkürzung eines Hauptversammlungsbeschlusses einer 2/3-Mehrheit der Stimmen oder des vertretenen Kapitals und muss jährlich erneuert werden.47 Art. 5 Abs. 1 Unterabs. 3 gestattet den Mitgliedstaaten ein Abweichen von der Grundregel für Folgeversammlungen (d.h. bei erneuter Einberufung wegen Nichterreichen des erforderlichen Quorums); sofern bei der Ersteinberufung die Anforderungen des Art. 5 Abs. 1 gewahrt wurden und kein neuer Punkt auf die Tagesordnung gesetzt wird, genügt es bei diesen, wenn zwischen der endgültigen Einberufung und dem Datum der Hauptversammlung mindestens 10 Tage liegen, da die Aktionäre ja bereits durch die Ersteinberufung inhaltlich informiert wurden. Das deutsche Recht entsprach mit der 30-tägigen Einberufungsfrist gem. § 123 Abs. 1 AktG bereits dem RL-Standard. Von den Optionen in Unterabs. 2 und 3 hat der deutsche Gesetzgeber keinen Gebrauch gemacht. § 7 Abs. 1 S. 2, 3 FMStBG 48 sahen zwar bis zum Ablauf der Umsetzungsfrist der RL am 2.8.2009 eine Verkürzung der Einberufungsfrist auf 1 Tag vor. Dies veranlasste das LG München I in der Rs. HRE zu einer Vorlage 49 an den EuGH, der jedoch bereits seine Zuständigkeit ver-

44 Der RL-E (Fn. 6) hatte noch eine Frist von 30 Kalendertagen vorgesehen, vgl. KOM(2005) 685, S. 14. 45 Diese Option geht auf eine Initiative des UK, Irlands, Dänemarks und Schwedens zurück, vgl. Dok. 15969/06, S. 3 f. 46 Vgl. Dok. 15969/06, S. 4; Grundmann Rn. 414; Knapp (2008) 9 ERA Forum 377, 381. 47 Vgl. dazu auch Dok. 16045/06, S. 2 f.; Bachner/Dokalik GesRZ 2007, 104, 106. 48 Gesetz zur Beschleunigung und Vereinfachung des Erwerbs von Anteilen an sowie Risikopositionen von Unternehmen des Finanzsektors durch den Fonds „Finanzmarktstabilisierungsfonds – FMS“ (Finanzmarktstabilisierungsbeschleunigungsgesetz – FMStBG) v. 17.10.2008, BGBl. I, 1982. 49 LG München ZIP 2010, 779 = ABlEU v. 17.7.2010, C 195/3.

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neinte 50. Entgegen einer teilweise vertretenen Ansicht 51 liegt aber ohnehin kein Verstoß gegen das sog. Frustrationsverbot52 vor, denn dieses begründet keine „stand still“-Verpflichtung, sondern verbietet lediglich die zwischenzeitliche Schaffung irreversibler richtlinienwidriger Fakten53 (vgl. auch bereits § 3 Rn. 35 f.), was hier jedoch gerade nicht der Fall war 54.

bb) Medium der Einberufung 22 Hinsichtlich des Mediums der Einberufung war im RL-E eine Versendung der Einladung durch die Gesellschaft an den Zentralverwahrer bzw. bei Namensaktien direkt an den Aktionär vorgesehen.55 Dieses „Push-Modell“ stieß jedoch bei einer Reihe von Mitgliedstaaten auf Widerstand56; u.a. wurde es speziell auch von deutscher Seite – wo es erhebliche Modifikationen bedingt hätte – als ineffizient und kostenintensiv kritisiert 57. Auf einen Kompromissvorschlag der österreichischen Ratspräsidentschaft58 hin wurde daher in Art. 5 Abs. 2 Unterabs. 1 ein „targeted push“-System59 (System einer intermediärbasierten Verbreitung60) nach dem Vorbild von Art. 21 Abs. 1 Transparenz-RL (dazu bereits § 17 Rn. 168 sowie noch § 36 Rn. 24) normiert.61 Danach muss die Gesellschaft die Einberufung grundsätzlich in einer Form vornehmen,

50 EuGH v. 24.3.2011, HRE, Rs. C-194/10, ZIP 2011, 1002. 51 Vgl. Bachmann ZIP 2009, 1249, 1250; Becker/Mock, FMStG, 2009, § 7 FMStBG Rn. 8; Binder WM 2008, 2340, 2345; Seiler/Wittgens ZIP 2008, 2245, 2252; Spindler DStR 2008, 2268, 2274; Veranneman/Hofmeister in: Jaletzke/Veranneman, FMStG, 2009, § 7 FMStBG Rn. 5; Ziemons NZG 2009, 369 f. 52 Grundlegend: EuGH v. 18.12.1997, Inter-Environnement Wallonie, Rs. C-129/96, Slg. 1997, I-7411, Rn. 45; s. ferner EuGH v. 22.11.2005, Mangold, Rs. C-144/04, Slg. 2005, I-9981, Rn. 67; EuGH v. 14.6.2007, Kommission ./. Belgien, Rs. C-422/05, Slg. 2007, I-4749, Rn. 62. 53 Vgl. GA Kokott, Schlussanträge v. 9.1.2008, Rs. C-268/06, Impact, Slg. 2008, I-2483, Rn. 126 ff.; Bayer/J. Schmidt EWiR 2010, 289, 290; von Danwitz JZ 2007, 697, 700; Frisahn/Mushoff EuR 2005, 222, 226; Röthel ZEuP 2009, 34, 37 f. m.w.N. 54 Vgl. Bayer/J. Schmidt EWiR 2010, 289, 290; gegen einen Verstoß i.E. auch Hopt/Fleckner/Kumpan/Steffek WM 2009, 821, 828; Langenbucher ZGR 2010, 75, 93 f.; Mock EuR 2009, 693, 699; Seibert FS Hopt, 2010, S. 2525, 2545. 55 Vgl. KOM(2005) 685, S. 5, 14. 56 Vgl. Dok. 8467/06, S. 8. 57 Vgl. kritisch BDA/BDI/DIHK/GDV/DAI, Stellungnahme v. 8.3.2006 (http://www. dai.de/internet/dai/dai-2-0.nsf/dai_publikationen.htm), S. 3 f.; DNotV, Stellungnahme v. 28.3.2006 (www.dnotv.de), S. 4 ff.; Handelsrechtsausschuss des DAV, Stellungnahme 33/2006, S. 3 f.; Noack NZG 2006, 321, 322; Wand/Tillmann AG 2006, 443, 445; s. ferner auch Noack FS Westermann, 2008, S. 1203, 1208. 58 Dok. 10174/06, S. 2 f. 59 Vgl. Dok. 10174/06, S. 2. Noack FS Westermann, 2008, S. 1203, 1208 spricht dagegen von einem „eigenartigen Pull-Modell“ und spielt damit offenbar darauf an, dass der „push“ der Information nicht direkt an die Aktionäre, sondern nur an Medien erfolgt. 60 Vgl. Zetzsche (2008) 8 JCLS 289, 320 („Intermediary-based Dissemination“). 61 Kritisch dazu Ochmann (Fn. 17), S. 50; Noack FS Westermann, 2008, S. 1203, 1209.

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die in nicht diskriminierender Weise einen schnellen Zugang zu ihr gewährleistet und dabei auf Medien zurückgreifen, bei denen vernünftigerweise davon ausgegangen werden kann, dass sie die Informationen tatsächlich an die Öffentlichkeit in der gesamten Union weiterleiten, wobei es den Mitgliedstaaten explizit verboten ist, ausschließlich einen Einsatz „heimischer“ Medien vorzuschreiben. In Betracht kommen hier etwa elektronisch betriebene Informationsverbreitungssysteme, News Provider, Nachrichtenagenturen oder auch europaweit verbreitete Printmedien sowie entsprechende Seiten für den Finanzmarkt.62 Hinsichtlich der Übermittlung der Informationen an die entsprechenden Medien können sich Gesellschaften an den Durchführungsvorschriften zu Art. 21 Abs. 1 Transparenz-RL in Art. 12 RL 2007/14/ EG (dazu § 17 Rn. 168, § 36 Rn. 24) orientieren. Art. 5 Abs. 2 Unterabs. 2 eröffnet den Mitgliedstaaten die Option, die Medien- 23 zuleitung bei Gesellschaften mit Namensaktien, die Namen und Anschriften ihrer Aktionäre aus einem aktuellen Aktionärsregister ermitteln können, durch eine Verpflichtung zur Übersendung der Einberufung direkt an jeden dort eingetragenen Aktionär zu ersetzen. Mit Blick auf die allgemeine Formulierung kann dabei im Einklang mit dem Leitprinzip der RL hinsichtlich der Nutzung moderner Informationstechnologien insbesondere auch eine Übersendung in elektronischer Form vorgesehen werden.63 Die Kosten der Einberufung trägt in jedem Fall die Gesellschaft, die hierfür nach 24 Unterabs. 3 insbesondere auch keine besonderen Gebühren verlangen darf. Der deutsche Gesetzgeber hat die Vorgaben des Art. 5 Abs. 2 durch Einfügung 25 eines neuen § 121 Abs. 4a AktG64 umgesetzt und dabei auch von der Option des Unterabs. 2 Gebrauch gemacht;65 Verstöße führen weder zur Nichtigkeit noch zur Anfechtbarkeit (vgl. § 243 Abs. 3 Nr. 2 AktG);66 der Gesetzgeber sah es vielmehr als ausreichend an, sie durch § 405 Abs. 3a Nr. 1 AktG n.F. als Ordnungswidrigkeit zu sanktionieren 67. Für die mediale Zuleitung lässt die ganz h.M.68 zu Recht die Veröffentlichung im elektronischen Bundesanzeiger genügen. 62 Vgl. zu Art. 21 Abs. 1 Transparenz-RL: BegrRegE TUG, BT-Drs. 16/2498, S. 49; CESR, Final Technical Advice on Possible Implementing Measures of the Transparency Directive, CESR/05-407, S. 11 f.; Assmann in: Assmann/Schneider, WpHG, 5. Aufl. 2009, § 15 WpHG Rn. 279. 63 Vgl. Noack FS Westermann, 2008, S. 1203, 1210; zweifelnd jedoch Ochmann (Fn. 17), S. 68 f. 64 „Europäische Union“ ist auf Grund der Erstreckung der RL auch auf die EWR-Staaten (vgl. o. Rn. 1 a.E.) im Wege der richtlinienkonformen Auslegung auch auf die EWR-Staaten zu beziehen. 65 Vgl. dazu BegrRegE z. ARUG, BR-Drs. 847/08, S. 41; Arnold Konzern 2009, 88, 89 f.; Drinhausen/Keinath BB 2009, 2322, 2323; Noack NZG 2008, 441, 442; Paschos/Goslar AG 2009, 14, 16; Seibert/Florstedt ZIP 2008, 2145, 2147; Zetzsche Konzern 2007, 321, 323. 66 Vgl. BegrRegE z. ARUG, BR-Drs. 847/08, S. 62; Arnold Konzern 2009, 88, 90; Drinhausen/Keinath BB 2009, 2322, 2323; Zetzsche Konzern 2007, 321, 323; unzutreffend insofern Hüffer (Fn. 41), § 121 Rn. 11j (Anfechtbarkeit). 67 Vgl. BegrRegE z. ARUG, BR-Drs. 847/08, S. 62; Drinhausen/Keinath BB 2009, 2322, 2323. 68 Vgl. Noack NZG 2008, 441, 442; ders. FS Westermann, 2008, S. 1203, 1208 f.; Paschos/ Goslar AG 2009, 14, 16; Ratschow DStR 2007, 1402, 1403; Rieckers in: Spindler/Stilz,

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cc) Mindestinhalt (Art. 5 Abs. 3) 26 Zum in Art. 5 Abs. 3 normierten Mindestinhalt der Einberufung gehören gem. lit. a zunächst die elementaren „Grunddaten“ Ort, Zeitpunkt und Tagesordnung. 27 Lit. b verlangt weiterhin eine klare und genaue Beschreibung der Verfahrenserfordernisse für die Teilnahme und Stimmrechtsausübung und stellt klar, dass hierzu insbesondere Angaben über die Minderheitenrechte nach Art. 6 (dazu u. Rn. 37 ff.) und das Fragerecht nach Art. 9 (dazu u. Rn. 56 ff.) (sublit. i), das Verfahren für die Stimmabgabe durch Vertretung (Art. 10, 11, dazu u. Rn. 61 ff.) und die dafür zu verwendenden Formulare (sublit. ii) sowie – sofern die Gesellschaft diese Möglichkeiten eröffnet – die Verfahren für die Stimmabgabe per Brief und auf elektronischem Wege (Art. 8, 12 dazu u. Rn. 48 ff.) (sublit. iii) gehören. 28 Sofern ein record date nach Art. 7 Abs. 2 existiert (dazu näher u. Rn. 43 ff.) muss gem. lit. c auch dieses – verbunden mit der dort spezifizierten Erläuterung – angegeben werden. 29 Gem. lit. d ist ferner anzugeben, wo und wie der vollständige Text der Unterlagen und Beschlussvorlagen i.S.v. Art. 5 Abs. 4 lit. c und d (dazu u. Rn. 33) erhältlich ist. 30 Gem. lit. e ist schließlich die Internetseite der Gesellschaft, auf der die in Art. 5 Abs. 4 vorgeschriebenen weitergehenden Informationen (dazu u. Rn. 32 ff.) abrufbar sind, anzugeben. 31 Das deutsche Recht entsprach diesen Vorgaben nur teilweise, so dass durch das ARUG Anpassungen erforderlich waren: Die Tagesordnung, die bislang nur „bei der Einberufung“ bekanntzumachen war (§ 124 Abs. 1 S. 1 AktG a.F.), wurde gemäß dem RL-Standard zwingend zu deren integrierten Bestandteil deklariert69 (§ 121 Abs. 3 S. 2 AktG n.F.; § 124 Abs. 3 S. 1 AktG wurde entsprechend sprachlich angepasst 70); die durch die RL für börsennotierte Gesellschaften begründeten zusätzlichen Einberufungsinhalte wurden in § 121 Abs. 3 S. 3 AktG n.F. normiert 71.

AktG, 2. Aufl. 2010, § 121 Rn. 67; Sauter ZIP 2008, 1706, 1707; Zetzsche NZG 2007, 686, 688; vgl. ferner auch BegrRegE z. ARUG, BR-Drs. 847/08, S. 41; zweifelnd dagegen Drinhausen/Keinath BB 2009, 64, 66; Horn ZIP 2008, 1558, 1560; Ochmann (Fn. 17), S. 70; nicht für ausreichend erachtend: Ziemons in: K. Schmidt/Lutter, AktG, 2. Aufl. 2010, § 121 Rn. 80; nicht ganz klar Seibert/Florstedt ZIP 2008, 2145, 2147. 69 Vgl. BegrRegE z. ARUG, BR-Drs. 847/08, S. 40. In der Praxis waren Einberufung und Tagesordnung aber ohnehin regelmäßig in einem Text bekannt gemacht worden (vgl. ibid.; Horn ZIP 2008, 1558; Paschos/Goslar AG 2008, 605). 70 Vgl. BegrRegE z. ARUG, BR-Drs. 847/08, S. 44. 71 Vgl. dazu BegrRegE z. ARUG, BR-Drs. 847/08, S. 40 f.; Arnold Konzern 2009, 88, 89; Drinhausen/Keinath BB 2009, 2322 f.; dies. BB 2008, 1238, 1242; Horn ZIP 2008, 1558 ff.; Ochmann (Fn. 17), S. 78 ff.; Paschos/Goslar AG 2008, 605 ff.; dies. AG 2009, 14, 15 f.; Seibert/Florstedt ZIP 2008, 2145, 2146 f.; Zetzsche Konzern 2007, 321, 322.

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dd) Informationen auf der Internetseite der Gesellschaft (Art. 5 Abs. 4) Art. 5 Abs. 4 ergänzt den durch die Einberufung nach Art. 5 Abs. 1–3 gewährleisteten 32 „Grundstock“ wesentlicher Informationen über die Hauptversammlung durch die Verpflichtung zur Zugänglichmachung weiterer wichtiger Informationen sowie der wesentlichen versammlungsrelevanten Dokumente über die – soweit noch nicht vorhanden einzurichtende 72 – Webseite der Gesellschaft, der damit die Rolle eines „zentralen Informationsshops“ 73 zugewiesen wird. Der Mindestkatalog internetpublizitätspflichtiger Gegenstände (Unterabs. 1) be- 33 inhaltet: • (nochmals) die Einberufung (lit. a); • Gesamtzahl der Aktien und Stimmrechte z.Z. der Einberufung (bei mehreren Aktiengattungen jeweils separat) (lit. b); • die der Hauptversammlung vorzulegenden Unterlagen (lit. c); • eine Beschlussvorschlage für jeden Tagesordnungspunkt (bzw. eine Erläuterung des zuständigen Organs, falls zu einem Tagesordnungspunkt kein Beschluss gefasst werden soll); zudem sind etwaige Beschlussvorlagen von Aktionären sobald wie möglich hinzuzufügen; • etwaige obligatorische Formulare für die Stimmrechtsvertretung (Art. 10 f., dazu u. Rn. 61 ff.) und/oder die Stimmabgabe per Brief (Art. 12, dazu u. Rn. 51 ff.) – allerdings nur, sofern diese allen Aktionären nicht ohnehin direkt zugesandt werden (lit. d); sofern eine Einstellung ins Internet aus technischen Gründen nicht möglich ist, muss angegeben werden, wo ein gebührenfreier Postversand durch die Gesellschaft angefordert werden kann (Unterabs. 2). Der Mindestpublizitätszeitraum, währenddessen diese Informationen ununterbro- 34 chen auf der Internetseite zur Verfügung gestellt werden müssen, beginnt mit der Einberufung – grundsätzlich also am 21. Tag vor der Hauptversammlung, in den Fällen der Art. 9 Abs. 4 und 11 Abs. 4 Übernahme-RL und des Art. 5 Abs. 1 Unterabs. 2 mit dem entsprechend früheren Zeitpunkt (vgl. o. Rn. 18 f.) – und endet mit dem Versammlungstag (vgl. Unterabs. 1, 3). Für das deutsche Recht war die obligatorische Internetpublikation, die mit dem 35 ARUG durch einen neuen § 124a AktG umgesetzt wurde 74, ein Novum; allerdings existierte bereits seit 2002 eine (allerdings weniger weitreichende) Empfehlung in

72 Die RL enthält somit einen impliziten „Einrichtungsbefehl“, vgl. auch SEC(2006) 181, S. 31 f. 73 Vgl. BegrRegE z. ARUG, BR-Drs. 847/08, S. 44 („zentrales Medium des Informationsaustauschs“); Noack FS Westermann, 2008, S. 1203, 1210; Zetzsche NZG 2007, 686, 688 („Informationszentrale“). 74 Vgl. dazu BegrRegE z. ARUG, BR-Drs. 847/08, S. 44; Drinhausen/Keinath BB 2009, 2322, 2324 f.; Horn ZIP 2008, 1558, 1560 f.; Noack NZG 2008, 441, 442; Ochmann (Fn. 17), S. 87; Paschos/Goslar AG 2008, 605, 608; Seibert/Florstedt ZIP 2008, 2145, 2147; Zetzsche Konzern 2007, 321, 324; Ziemons (Fn. 68), § 124a Rn. 1 ff.

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Ziff. 2.3.1 DCGK75, die auch von nahezu allen Gesellschaften befolgt wurde 76. Verstöße gegen § 124a AktG führen weder zur Nichtigkeit noch zur Anfechtbarkeit (vgl. § 243 Abs. 3 Nr. 2 AktG); der Gesetzgeber sah es vielmehr als ausreichend an, sie durch § 405 Abs. 3a Nr. 2 AktG n.F. als Ordnungswidrigkeit zu sanktionieren.77

ee) Sprachenregime 36 Zwischenzeitlich war auch erwogen worden, eine Regelung betreffend die Sprache der Hauptversammlungsdokumente in die RL aufzunehmen.78 Im Hinblick auf die mit Übersetzungen verbundenen Probleme und Kosten (speziell auch für kleinere Gesellschaften und solche mit nur wenigen ausländischen Aktionären) 79 entschied man sich dann jedoch, diese Problematik lediglich in einer Kommissionsempfehlung zu behandeln80. Die Kommission führte hierzu 2007 auch eine 3. Konsultation durch81, eine Empfehlung wurde allerdings bislang nicht verabschiedet.

b) Minderheitenrechte (Art. 6) 37 Um zu gewährleisten, dass zumindest auch eine gewisse Aktionärsminderheit eine Befassung der Hauptversammlung mit bestimmten Angelegenheiten erreichen kann, normiert Art. 6 zwei elementare Minderheitenrechte: (1) Ein Recht auf Ergänzung der Tagesordnung um bestimmte Punkte, das allerdings daran gebunden ist, dass hierfür auch eine Begründung oder eine Beschlussvorlage geliefert wird (Abs. 1 Unterabs. 1 lit. a), und (2) ein Recht auf Einbringung von Beschlussvorlagen zu Punkten, die bereits auf der Tagesordnung stehen oder ergänzend in sie aufgenommen werden (Abs. 1 Unterabs. 1 lit. b). 38 Hinsichtlich der genauen Ausgestaltung dieser Minderheitenrechte lässt die RL den Mitgliedstaaten mit Rücksicht auf die unterschiedlichen nationalen Traditionen einen breiten Spielraum. Die Rechte können wahlweise als Individual- oder Kollektivrechte ausgestaltet (Abs. 1 Unterabs. 1) und zudem an eine Mindestbeteiligung

75 Dazu Kremer in: Ringleb/Kremer/Lutter/v. Werder, DCGK, 4. Aufl. 2010, Rn. 301 ff. 76 Vgl. Horn ZIP 2008, 1558, 1560; Noack NZG 2008, 441, 442; Paschos/Goslar AG 2008, 605, 608; J. Schmidt BB 2006, 1641, 1642; Zetzsche Konzern 2007, 321, 324. Zur Rechtslage in einigen anderen Mitgliedstaaten Knapp (2008) 9 ERA Forum 377, 382 f. 77 Vgl. BegrRegE z. ARUG, BR-Drs. 847/08, S. 62; Hüffer (Fn. 41), § 124a Rn. 3; Drinhausen/Keinath BB 2009, 2322, 2325; Ziemons (Fn. 68), § 124a Rn. 27. 78 Vgl. Synthesis 2. Konsultation (Fn. 5), S. 10 f.; i.R.d. Legislativverfahrens hatte dann das EP nochmals explizit eine Regelung vorgeschlagen, vgl. Dok. 13977/06, S. 4 f. 79 Vgl. Synthesis 2. Konsultation (Fn. 5), S. 10 f.; Dok. 13977/06, S. 4. 80 Vgl. bereits KOM(2005) 685, S. 3; s. ferner auch die Erklärung der Kommission bei Verabschiedung der RL: Dok. 10009/07 ADD 1. 81 Konsultationsdokumente und Zusammenfassungen der Ergebnisse abrufbar unter http:// ec.europa.eu/internal_market/company/shareholders/indexa_de.htm.

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(max. 5 % des Aktienkapitals82) geknüpft werden (Abs. 2). Außerdem können die Mitgliedstaaten für die Ausübung Textform83 (Übermittlung durch Postdienste oder auf elektronischem Wege) verlangen (Abs. 1 Unterabs. 3). Das Recht auf Ergänzung der Tagesordnung darf ferner auf die Jahreshauptversammlung beschränkt werden, sofern Aktionäre einzeln oder gemeinsam das Recht haben, die Einberufung einer außerordentlichen Hauptversammlung zu initiieren, deren Tagesordnung alle von diesen Aktionären beantragten Punkte enthält (Abs. 1 Unterabs. 2). Um zu gewährleisten, dass die endgültige Tagesordnung für die Hauptversamm- 39 lung trotz etwaiger Ergänzungen einen angemessenen Zeitraum vorher feststeht – so dass alle Aktionäre in Kenntnis der endgültigen Fassung über eine Teilnahme bzw. Stimmrechtsausübung entscheiden können84 – müssen die Mitgliedstaaten einen einheitlichen Stichtag 85 für die Ausübung des Rechts auf Ergänzung der Tagesordnung festlegen (Abs. 3 S. 1). Zudem können sie einen solchen Stichtag auch für die Ausübung des Rechts auf Einbringung von Beschlussvorlagen fixieren (Abs. 3 S. 2); es steht ihnen aber auch frei, solche Gegenanträge noch während der Hauptversammlung zuzulassen86. Der/die Stichtag(e) sowie alle etwaigen Änderungen derselben sind gem. Art. 15 Abs. 3 unverzüglich der Kommission mitzuteilen, die sie dann zu Informationszwecken im ABlEU publiziert.87 Sofern sich die Tagesordnung auf Grund der Ausübung des Minderheitenrechts 40 auf Ergänzung ändert, nachdem sie bereits gem. Art. 5 kommuniziert wurde (dazu o. Rn. 16 ff.), muss die geänderte Fassung nochmals vollständig entsprechend den Anforderungen des Art. 5 verfügbar gemacht werden und zwar vor dem record date nach Art. 7 Abs. 2 (dazu u. Rn. 43) (bzw. falls ein solcher nicht existiert, zumindest so rechtzeitig, dass Aktionäre einen Vertreter benennen oder ggf. per Brief abstimmen können) (Abs. 4). Das deutsche Recht sah in § 122 Abs. 2 AktG 88 im Grundsatz zwar ein Recht 41 einer Aktionärsminderheit von 5 % zur Ergänzung der Tagesordnung vor. Durch das ARUG wurde dieses jedoch klarer formuliert und gemäß den Vorgaben der RL die Pflicht zur Begründung bzw. Einreichung einer Beschlussvorlage sowie ein Stichtag (24 Tage bei nicht börsennotierten/30 Tage bei börsennotierten Gesellschaften) er-

82 Art. 6 Abs. 2 RL-E (Fn. 6) hatte alternativ auch noch einen Nennwert von 10 Mio. Euro genügen lassen. 83 Das „schriftlich“ ist auch hier (vgl. zur Parallelproblematik bei Art. 11 Abs. 2 S. 1 u. Rn. 92) nicht als Schriftform i.S.v. § 126 BGB zu verstehen; ausreichend ist vielmehr ein Dokument, das nach deutschem Verständnis Textform i.S.d. § 126b BGB entspricht; vgl. auch Zetzsche NZG 2007, 686, 689; ders. (2008) 8 JCLS 289, 322; Ziemons (Fn. 68), § 122 Rn. 32. 84 Vgl. auch Bachner/Dokalik GesRZ 2007, 104, 108. 85 Der Stichtag muss eine bestimmte Zahl von Tagen vor der Hauptversammlung oder Einberufung liegen; es wird also rückwärts gerechnet; vgl. auch Zetzsche NZG 2007, 686, 689. 86 Vgl. Bachner/Dokalik GesRZ 2007, 104, 108. 87 Die Publikation erfolgte im ABlEU v. 21.10.2010, C 285/1. 88 Vgl. zuvor bereits § 254 Abs. 2 HGB 1897 und § 106 Abs. 3 AktG 1937.

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gänzt;89 zudem waren in §§ 124 Abs. 1, 125 AktG Änderungen hinsichtlich der Bekanntmachung und der Mitteilungen erforderlich90. Ein Recht auf Einbringung von Beschlussvorlagen (in der deutschen Terminologie: Gegenanträgen) war in § 126 AktG ebenfalls bereits vorgesehen; auch hier erfolgten allerdings durch das ARUG Änderungen bzgl. der Zugänglichmachung91.

2. Voraussetzungen für den Zugang zur Hauptversammlung (Art. 7) a) Verbot der Aktiensperrung (Art. 7 Abs. 1) 42 Ein weiteres Kernstück der RL ist die Regelung der Voraussetzungen für den Zugang zur Hauptversammlung, d.h. der Aktionärslegitimation. Art. 7 Abs. 1 verbietet es nicht nur, das Teilnahme- und Stimmrecht von der Hinterlegung der Aktien, deren Übertragung oder Eintragung auf eine andere Person abhängig zu machen (lit. a), sondern untersagt auch jegliche Form von Veräußerungsbeschränkungen, d.h. eine Aktiensperrung (share blocking) (lit. b). Grund ist, dass sich solche – in vielen Mitgliedstaaten übliche – Regelungen als eines der wesentlichsten Hindernisse für die grenzüberschreitende Ausübung der Aktionärsrechte erwiesen hatten.92

b) Record date-System (Art. 7 Abs. 2) 43 Stattdessen etabliert Art. 7 Abs. 2 das System des record date (Nachweisstichtag) als europäischen Standard, d.h. das Teilnahme- und Stimmrecht bestimmt sich grundsätzlich nach den Aktien, die ein Aktionär zu einem bestimmten Zeitpunkt vor der Hauptversammlung hält. 44 Angesichts der divergierenden nationalen Gepflogenheiten93 legt die RL allerdings selbst kein konkretes record date fest, sondern etabliert in Art. 7 Abs. 3 lediglich einen Grundstandard:94 Damit sich nicht zu große Abweichungen zwischen record date-Legitimation und tatsächlicher Aktionärseigenschaft ergeben95, darf das record 89 Vgl. BegrRegE z. ARUG, BR-Drs. 847/08, S. 42 f.; Arnold Konzern 2009, 88, 91; Bosse NZG 2009, 807, 809; Drinhausen/Keinath BB 2008, 1238, 1243; Schroeder/Pussar BB 2010, 717 ff.; Wilm DB 2010, 1685, 1691 f. 90 Vgl. BegrRegE z. ARUG, BR-Drs. 847/08, S. 44 f.; Bosse NZG 2009, 807, 809; Drinhausen/Keinath BB 2008, 1238, 1243; Horn ZIP 2008, 1558, 1562 f. 91 Vgl. BegrRegE z. ARUG, BR-Drs. 847/08, S. 46; Arnold Konzern 2009, 88, 91; Horn ZIP 2008, 1558, 1562 f.; Paschos/Goslar AG 2008, 605, 609. 92 Vgl. SEC(2006) 181, S. 11 f.; Expert Group on Cross-Border Voting, Final Report, 2002, abrufbar unter http://www.jura.uni-duesseldorf.de/dozenten/noack/texte/normen/ amsterdam/final.pdf, S. 7; Grundmann/Winkler ZIP 2006, 1421, 1425; Leroy [2007] EBLR 205, 208; J. Schmidt BB 2006, 1641, 1642; Zetzsche (2008) 8 JCLS 289, 317. 93 Vgl. dazu auch Bachner/Dokalik GesRZ 2007, 104, 110; Ochmann (Fn. 17), S. 101. 94 Vgl. auch bereits J. Schmidt BB 2006, 1641, 1642 (zum RL-E). 95 Vgl. Zetzsche (2008) 8 JCLS 289, 316.

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date nicht mehr als 30 Tage vor der Hauptversammlung liegen und zwischen dem letzten zulässigen Tag für die Einberufung und dem record date müssen mindestens 8 Tage 96 (im Falle des Art. 5 Abs. 1 Unterabs. 3 mindestens 6 Tage) liegen (wobei diese beiden Tage nicht mitgezählt werden). Um die Transaktionskosten niedrig zu halten97, muss das record date grundsätzlich für alle Gesellschaften einheitlich sein; die Mitgliedstaaten dürfen jedoch für Gesellschaften mit Inhaberaktien und Gesellschaften mit Namensaktien ein unterschiedliches record date festlegen, wobei allerdings für Gesellschaften mit beiden Aktienarten ein einziges record date gelten muss. Das record date und alle etwaigen Änderungen desselben sind gem. Art. 15 Abs. 3 der Kommission mitzuteilen, die dies dann zu Informationszwecken im ABlEU publiziert 98. Um sicherzustellen, dass der Zugang zur Hauptversammlung tatsächlich einfach 45 möglich ist99, verbietet Art. 7 Abs. 4 den Mitgliedstaaten ferner, an den Nachweis der Aktionärseigenschaft unverhältnismäßige (d.h. über das zur Identifizierung erforderliche Maß hinausgehende) Anforderungen zu stellen100. Obligatorisch ist das record date-System allerdings nur bei Inhaberaktien. Im 46 Hinblick auf Gesellschaften mit Namensaktien, die in der Lage sind, Namen und Anschrift ihrer Aktionäre am Tag der Hauptversammlung aus einem aktuellen Aktionärsregister zu ermitteln, ist den Mitgliedstaaten die Anwendung des record date-Systems freigestellt (Art. 7 Abs. 2 Unterabs. 2), da es dieses Systems hier nicht bedarf. Mangels näherer Definition der Anforderungen an die „Aktualität“ stellt sich insofern die Frage nach der Zulässigkeit eines Umschreibestopps im Vorfeld der Hauptversammlung, wie er in einigen Mitgliedstaaten aus Praktikabilitätsgründen möglich ist (vgl. zum deutschen Recht u. Rn. 47). Zumindest dann, wenn die Sperrfrist sich auf wenige Tage beschränkt, dürfte dies mit der RL vereinbar sein.101 Denn zum einen ist eine wirkliche Tagesaktualität des Aktionärsregisters wegen der europaweit (noch102) divergierenden Clearing & Settlement-Zeiträume ohnehin nicht möglich.103 Zum anderen ist ein solcher kurzfristiger Umschreibestopp letztlich de facto nichts anderes als ein record date104; nur erfolgt hier die Legitimation nicht durch einen von den Aktionären zu erbringenden Nachweis, sondern unmittelbar durch das Aktionärsregister.

96 Im Rat waren zunächst 6 Tage vorgesehen, speziell auf Drängen des UK wurde dies dann allerdings auf 8 Tage erhöht, vgl. Dok. 16539/06, S. 4. 97 Vgl. Bachner/Dokalik GesRZ 2007, 104, 109; Zetzsche NZG 2007, 686. 98 Die Publikation erfolgte im ABlEU v. 21.10.2010, C 285/1. 99 Vgl. KOM(2005) 685, S. 6; J. Schmidt BB 2006, 1641, 1642. 100 Vgl. dazu näher Grundmann Rn. 416. 101 Ebenso i.E. Noack FS Westermann, 2008, S. 1203, 1214 f.; Zetzsche NZG 2007, 286, 287. Für die Notwendigkeit einer Tagesaktualität aber offenbar Bachner/Dokalik GesRZ 2007, 104, 110. 102 Vgl. zu den Plänen für eine Harmonisierung bereits § 17 Rn. 351. 103 Vgl. Zetzsche NZG 2007, 286, 287. 104 Allg. zur vergleichbaren Interessenlage bei Umschreibestopp und record date auch Grigoleit/Rachlitz ZHR 174 (2010) 12, 29.

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c) Deutsches Recht 47 In Deutschland war die Umstellung auf das record date-System bereits im Jahr 2005 durch das UMAG105 erfolgt; da das in § 123 Abs. 3 AktG normierte record date am 21. Tag vor der Hauptversammlung dem RL-Standard entsprach, erfolgten durch das ARUG lediglich Anpassungen an das – unabhängig von der RL eingeführte – neue Fristenregime106. Soweit das deutsche Aktienrecht einen Umschreibestopp zulässt107, ist auch dies richtlinienkonform (vgl. bereits o. Rn. 46).

3. Teilnahme und Stimmrechtsausübung „in absentia“ 48 Weiteres zentrales Instrument zum Abbau von Hindernissen für die grenzüberschreitende Ausübung von Aktionärsrechten sind die Regelungen zur Teilnahme und Stimmrechtausübung „in absentia“ in Art. 8 und 12, mit denen die RL alle Mitgliedstaaten dazu verpflichtet, das traditionelle Modell der reinen Präsenzhauptversammlung für das „elektronische Zeitalter“ zu öffnen. Prinzipiell hält die RL aber auch weiterhin am Grundsatz der Präsenzhauptversammlung fest 108, geht also nicht den weiteren Schritt hin zur vollständig „virtuellen Hauptversammlung“109. Zudem zwingt sie die Gesellschaften auch nicht zum Einsatz moderner Informationstechnologien, sondern beschränkt sich bewusst auf einen „ermöglichenden Mindeststandard“ 110: Die Mitgliedstaaten müssen die Möglichkeit einer elektronischen Teilnahme und Stimmrechtsausübung (Art. 8) sowie die Abstimmung per Brief (Art. 12) zulassen, sie aber nicht obligatorisch machen – die RL verlangt also nur, dass die jeweilige Gesellschaft frei über den Einsatz dieser modernen Instrumente entscheiden kann.111 105 Gesetz zur Unternehmensintegrität und zur Modernisierung des Anfechtungsrechts (UMAG) v. 22.9.2005, BGBl. I, 2802. 106 Vgl. BegrRegE z. ARUG, BR-Drs. 847/08, S. 43. Allg. zum neuen Fristenregime etwa Arnold Konzern 2009, 88, 91; Bosse NZG 2009, 807, 808 f.; Florstedt ZIP 2010, 761 ff.; Herrler/Reymann DNotZ 2009, 815, 817 ff.; Weber/Findeisen BB 2010, 711 ff. 107 Grundlegend: BGH NZG 2009, 1270; vgl. weiter insbesondere Bayer/Lieder NZG 2009, 1361 ff.; Grigoleit/Rachlitz ZHR 174 (2010) 12, 28 f.; Bezzenberger in: K. Schmidt/ Lutter, AktG, 2. Aufl. 2010, § 67 Rn. 24 m.z.w.N. 108 Vgl. Bachmann FS G. H. Roth, 2011, S. 37, 50; Bachner/Dokalik GesRZ 2007, 104, 112; Handelsrechtsausschuss des DAV, Stellungnahme 33/2006, S. 4; Kort NZG 2007, 653, 655; Noack FS Westermann, 2008, S. 1203, 1219; J. Schmidt BB 2006, 1641, 1643. 109 Vgl. Bachner/Dokalik GesRZ 2007, 104, 112; Handelsrechtsausschuss des DAV, Stellungnahme 33/2006, S. 4; Kort NZG 2007, 653, 655; J. Schmidt BB 2006, 1641, 1643. 110 Vgl. SEC(2006) 181, S. 32 („enabling minimum standards“); J. Schmidt BB 2006, 1641, 1643; dies. NZG 2006, 487, 491. 111 Vgl. BegrRegE z. ARUG, BR-Drs. 847/08, S. 38; Bachner/Dokalik GesRZ 2007, 104, 111, 115; Handelsrechtsausschuss des DAV, Stellungnahme 33/2006, S. 4; Hong (2009) 6 ECL 124, 128; Karollus GeS 2006, 99, 102; Kort NZG 2007, 653, 655; Noack FS Westermann, 2008, S. 1203, 1214; Ochmann (Fn. 17), S. 111, 141; Pluskat WM 2007, 2135, 2137; J. Schmidt BB 2006, 1641, 1643; Spindler in: K. Schmidt/Lutter, AktG, 2. Aufl. 2010, § 118 Rn. 50; Zetzsche NZG 2007, 686, 690 f.; ders. (2008) 8 JCLS 289, 326 f.

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Eine zwingende Regelung erschien dem europäischen Gesetzgeber angesichts der mit der notwendigen Technologie derzeit noch verbundenen hohen Kosten und teilweise noch ungelösten technischen Risiken – zu Recht112 – als zu weitgehend.113 Die vorgesehene Optionslösung bietet Unternehmen dagegen die vielversprechende Chance, die Nutzung moderner Informationstechnologien auf freiwilliger Basis praktisch zu erproben.114 Sofern sich das remote voting bewährt, wäre allerdings zukünftig u.U. auch eine obligatorische Regelung zu erwägen.115

a) Teilnahme auf elektronischem Wege (Art. 8) Art. 8 Abs. 1 Hs. 1 verpflichtet die Mitgliedstaaten, es ihren Gesellschaften zu gestat- 49 ten, ihren Aktionären jede Form der Teilnahme an der Hauptversammlung auf elektronischem Wege anzubieten. Hs. 2 enthält einen – mit Blick auf etwaige derzeit noch nicht absehbare künftige technologische Entwicklungen ausdrücklich nicht abschließenden („insbesondere“) 116 – Katalog von 3 möglichen Formen einer solchen elektronischen Teilnahme, der zugleich deutlich macht, dass die Teilnahme verschiedene Stufen der Intensität haben kann: • eine Direktübertragung der Hauptversammlung (lit. a), also eine für die Aktionäre rein passive Form der Teilnahme; • eine Zweiweg-Direktverbindung, die dem Aktionär die Möglichkeit gibt, sich von einem entfernten Ort aus an die Hauptversammlung zu wenden (lit. b): Hier bleibt der Aktionär also nicht nur passiver Zuschauer, sondern hat die Möglichkeit, aktiv durch Redebeiträge auf das Geschehen auf der Hauptversammlung einzuwirken117; • ein Verfahren, dass unabhängig von einem physisch anwesenden Stimmrechtsvertreter die Stimmrechtsausübung vor oder während der Hauptversammlung ermöglicht (lit. c): Bei dieser intensivsten Form kann der Aktionär sich also nicht nur mit Redebeiträgen an die Hauptversammlung wenden, sondern auch sein Stimmrecht ausüben. Gem. Art. 8 Abs. 2 Unterabs. 1 dürfen die Mitgliedstaaten den Einsatz elektronischer 50 Mittel nur insoweit Anforderungen und Beschränkungen unterwerfen, als dies erforderlich und angemessen ist, um die Identität der Aktionäre festzustellen und die Sicherheit der elektronischen Kommunikation zu gewährleisten; damit soll verhindert werden, dass ihre Nutzung durch prohibitive formale Hürden faktisch illusorisch

112 Vgl. Grundmann/Winkler ZIP 2006, 1421, 1426; Pluskat WM 2007, 2135, 2137; J. Schmidt BB 2006, 1641, 1643. 113 Vgl. SEC(2006) 181, S. 32. 114 Vgl. J. Schmidt BB 2006, 1641, 1643; Zetzsche (2008) 8 JCLS 289, 328 f. 115 Vgl. J. Schmidt BB 2006, 1641, 1643. 116 Vgl. Bachner/Dokalik GesRZ 2007, 104, 111; Noack FS Westermann, 2008, S. 1203, 1214; Ochmann (Fn. 17), S. 112 f.; Ratschow DStR 2007, 1402, 1405. 117 Vgl. BegrRegE z. ARUG, BR-Drs. 847/08, S. 38.

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gemacht wird. Wie Unterabs. 2 explizit klarstellt, bezieht sich Unterabs. 1 allerdings ausschließlich auf Anforderungen und Beschränkungen hinsichtlich der elektronischen Teilnahme bzw. Stimmrechtsausübung selbst; etwaige nationale Rechtsvorschriften über den internen Entscheidungsprozess in der Gesellschaft zu ihrer Einführung oder Anwendung (z.B. Erfordernis einer Satzungsregelung, qualifizierten Mehrheit oder Aufsichtsratszustimmung 118) bleiben unberührt. b) Abstimmung per Brief (Art. 12) 51 Art. 12 S. 1 verpflichtet die Mitgliedstaaten, es ihren Gesellschaften zudem zu gestatten, ihren Aktionären die Möglichkeit einzuräumen, per „Brief“ vor der Hauptversammlung abzustimmen. Die Terminologie der RL ist hier nicht ganz glücklich, denn die allgemeiner gefassten englischen („voting by correspondence“) und französischen („vote par correspondance“) Sprachfassungen lassen Zweifel aufkommen, ob sich Art. 12 tatsächlich nur auf den postalischen Brief oder nicht vielmehr auf jegliche Form der Korrespondenz (also z.B. auch per e-mail oder Bildschirmdialog) im Vorfeld der Hauptversammlung119 bezieht. Dies umso mehr, als der Begriff des „voting per correspondence“ auch i.R.d. Konsultationen weiter verstanden wurde120 und z.B. auch die englische (s. 322A CA 2006) 121 und die deutsche Umsetzung (§ 118 Abs. 2 AktG) „voting by correspondence“ bzw. „Briefwahl“ extensiv verstehen. Genese und Systematik der RL sprechen indes für ein enges, rein auf die postalische Stimmabgabe begrenztes Verständnis. Denn Art. 12 Abs. 2 RL-E sah noch explizit eine Regelung über die elektronische Abstimmung durch nicht auf der Hauptversammlung anwesende Aktionäre vor; diese wurde dann jedoch im Rat mit dem Vermerk „in Art. 8 eingearbeitet“ gestrichen und zugleich wurde in Art. 8 Abs. 1 lit. c explizit die elektronische Stimmrechtsausübung „vor oder während der Hauptversammlung“ geregelt 122, was sich dann auch in der Ergänzung des S. 3 in Erwägungsgrund 9 (dazu noch u. Rn. 52) widerspiegelte. Die zentrale Demarkationslinie zwischen Art. 8 und 12 hat sich also im Laufe des Legislativverfahrens grundlegend verschoben: Im RL-E verlief sie zwischen elektronischer Abstimmung während der Hauptversammlung (Art. 8) und (elektronischer oder postalischer) Abstimmung in deren Vorfeld (Art. 12); die endgültige Fassung des Art. 8 regelt hingegen generell alle Varianten der elektronischen Abstimmung (egal ob vor oder während der Hauptversammlung) und Art. 12 beschränkt sich auf die rein postalische Abstimmung. Letztlich handelt es sich hier freilich um eine rein systematisch-dogmatische Frage, denn da die Schrankenregelungen in Art. 8 Abs. 2 und Art. 12 S. 2 der Sache nach identisch sind (vgl. o. Rn. 50 und

118 119 120 121

Vgl. Bachner/Dokalik GesRZ 2007, 104, 111; Ochmann (Fn. 17), S. 116. I.d.S. Ochmann (Fn. 17), S. 140; Wicke FS Kanzleiter, 2010, S. 415, 424. Vgl. Synthesis 2. Konsultation (Fn. 5), S. 16. Eingefügt durch die Companies (Shareholders’ Rights) Regulations, SI 2009/1632; vgl. dazu Explanatory Memorandum, 7.4: „… vote by correspondence in advance without appointing a proxy (which could be electronic or by post).“ 122 Vgl. Dok. 8467/06, S. 12, 16. Dazu auch Bachner/Dokalik GesRZ 2007, 104, 111.

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u. Rn. 53), macht es i.E. keinen Unterschied, ob man die elektronische Stimmabgabe vor der Hauptversammlung (nur) unter Art. 8 Abs. 1 oder (auch) unter Art. 12 fasst. Unabhängig davon war die Möglichkeit einer Stimmrechtsausübung vor der 52 Hauptversammlung generell ein sehr kontroverser Punkt, zumal der RL-E die Möglichkeit einer Abstimmung per Brief vor der Hauptversammlung sogar obligatorisch ausgestaltet hatte. Unter Hinweis auf die Möglichkeit einer Stimmrechtsvertretung wurde vielfach bereits die Existenz eines praktischen Bedürfnisses verneint.123 Zudem wurden verbreitet Bedenken im Hinblick auf den erheblichen administrativen Aufwand124 und die Unmöglichkeit, aktuelle Entwicklungen und Modifikationen von Beschlussvorschlägen zwischen Stimmabgabe und Hauptversammlung zu berücksichtigen125, geltend gemacht. Im Rat wurde daher schließlich auch Art. 12 lediglich als „ermöglichender Mindeststandard“ ausgestaltet126 (vgl. o. Rn. 48) und in Erwägungsgrund 9 S. 3 klargestellt, dass die Mitgliedstaaten Vorschriften erlassen können, um etwaigen aktuellen Entwicklungen nach Stimmabgabe Rechnung zu tragen127; hiervon hat z.B. Österreich128 Gebrauch gemacht. Auch die Abstimmung per Brief darf von den Mitgliedstaaten nur insoweit An- 53 forderungen und Beschränkungen unterworfen werden, als dies erforderlich und angemessen ist, um die Identität der Aktionäre festzustellen und die Sicherheit der elektronischen Kommunikation zu gewährleisten (Art. 12 S. 2). Obgleich eine dem Art. 8 Abs. 2 Unterabs. 2 (dazu o. Rn. 50) entsprechende Klarstellung fehlt, bezieht sich aber auch dies nur auf Anforderungen und Beschränkungen bzgl. der Abstimmung per Brief selbst, nicht hingegen auf etwaige Rechtsvorschriften über den internen Entscheidungsprozess in der Gesellschaft zu ihrer Einführung oder Anwendung.129 c) Deutsches Recht Für das deutsche Recht, das durch das TransPuG 130 zwar zumindest die Bild- und 54 Tonübertragung der Hauptversammlung gestattet hatte (§ 118 Abs. 2 a.F., jetzt § 118 Abs. 3 AktG), aber weder eine Stimmrechtsausübung im Vorfeld der Hauptversamm123 Vgl. Bundesrat, BR-Drs. 28/06(B), S. 5; BDA/BDI/DIHK/GDV/DAI (Fn. 57), S. 6; Handelsrechtsausschuss des DAV, Stellungnahme 33/2006, S. 7; zweifelnd auch Grundmann/Winkler ZIP 2006, 1421, 1426; Wand/Tillmann AG 2006, 443, 450. 124 Vgl. Bundesrat, BR-Drs. 28/06(B), S. 6; BDA/BDI/DIHK/GDV/DAI (Fn. 57), S. 6; Handelsrechtsausschuss des DAV, Stellungnahme 33/2006, S. 7. 125 Vgl. etwa die Bedenken Schwedens in Dok. 15102/06, S. 19, sowie des Bundesrates, BRDrs. 28/06(B), S. 3, 6; s. ferner BDA/BDI/DIHK/GDV/DAI (Fn. 57), S. 6; Handelsrechtsausschuss des DAV, Stellungnahme 33/2006, S. 7 f.; Noack NZG 2006, 321, 325; J. Schmidt BB 2006, 1641, 1643; Wand/Tillmann AG 2006, 443, 450. 126 Vgl. bereits Dok. 8467/06, S. 16. 127 Vgl. Dok. 15103/06, S. 2; 15711/06, S. 5 (damaliger Erwägungsgrund 7). 128 Nach § 127 Abs. 4 S. 2 öAktG sind per Brief abgegebene Stimmen nichtig, wenn der Beschluss in der Hauptversammlung mit einem anderen Inhalt gefasst wird. 129 Vgl. auch Ochmann (Fn. 17), S. 141. 130 Gesetz zur weiteren Reform des Aktien- und Bilanzrechts, zu Transparenz und Publizität (Transparenz- und Publizitätsgesetz) v. 19.7.2002, BGBl. I, 2681.

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lung 131 noch mittels elektronischer Kommunikationsmittel132 zuließ, bedeuteten Art. 8 und 12 eine „kleine Revolution“133. Zur Umsetzung erfolgten durch das ARUG signifikante Änderungen in § 118 AktG, die der Gesetzgeber auf Grund ihres optionalen Charakters über die Vorgaben der RL hinaus bewusst auch auf nicht börsennotierte AG erstreckt hat134: § 118 Abs. 1 S. 2 Akt n.F. gestattet es den Gesellschaften vorzusehen, dass die Aktionäre auch ohne physische Anwesenheit oder Bevollmächtigten an der Hauptversammlung teilnehmen und sämtliche oder einzelne ihrer Rechte ganz oder teilweise im Wege elektronischer Kommunikation ausüben können; § 118 Abs. 2 AktG n.F. gestattet es ihnen, eine „Briefwahl“ vorzusehen. „Briefwahl“ umfasst dabei nach der Legaldefinition nicht nur die schriftliche, sondern auch die Stimmabgabe im Wege elektronischer Kommunikation vor der Hauptversammlung.135 Die deutsche Umsetzung weicht also insofern konzeptionell von der RL ab, indem sie die Trennlinie – ähnlich wie noch im RL-E (vgl. o. Rn. 51) – zwischen § 118 Abs. 1 S. 2 und Abs. 2 unter Anknüpfung an den Zeitpunkt statt (wie in der endgültigen Fassung der RL, dazu o. Rn. 51) an die Modalität der Stimmabgabe zieht; da sie jedoch damit i.E. sämtlichen RL-Anforderungen Rechnung trägt, ist dies richtlinienkonform136. Die Gesellschaften können beide neue Modalitäten der Stimmrechtsausübung entweder unmittelbar durch die Satzung zuzulassen oder alternativ auch mittels einer Satzungsklausel (die ggf. auch selbst schon zumindest einen gewissen Rahmen vorgibt137) den Vorstand ermächtigen, eine entsprechende Regelung zu treffen; speziell diese zweite Alternative bietet umfassende Flexibilität sowohl bzgl. des „Ob“ als auch des „Wie“138.139 Nach Ziff. 2.3.3 S. 2 DCGK soll die Gesellschaft die Aktionäre bei der Briefwahl unterstützen.140

131 Vgl. Kubis in: MünchKommAktG, 2. Aufl. 2004, § 118 Rn. 42; Spindler in: K. Schmidt/ Lutter, AktG, 1. Aufl. 2008, § 118 Rn. 15. 132 Vgl. Volhard in: MünchKommAktG, 2. Aufl. 2004, § 134 Rn. 85; Spindler (Fn. 131), § 134 Rn. 67 m.w.N. 133 Vgl. J. Schmidt BB 2006, 1641, 1643; s. ferner auch Grundmann Rn. 426 („erheblichen Schritt“). Zur rechtstatsächlichen Nutzung: Bayer/Sawada AG 2010, R407 ff.; zu ersten praktischen Erfahrungen ferner auch: Wilm DB 2010, 1685, 1688 f. 134 Vgl. allg. zur Umsetzungskonzeption bereits o. Rn. 13. 135 Vgl. dazu BegrRegE z. ARUG, BR-Drs. 847/08, S. 37 ff.; Arnold Konzern 2009, 88, 91 ff.; Herrler/Reymann DNotZ 2009, 815, 819 ff.; Horn ZIP 2008, 1558, 1563 ff.; Noack WM 2009, 2289 ff.; Sauter ZIP 2008, 1706, 1708 ff.; Seibert/Florstedt ZIP 2008, 2145 f.; Wicke FS Kanzleiter, 2010, S. 415, 423 f.; Zetzsche Konzern 2007, 321, 326 ff. 136 Vgl. auch Noack WM 2009, 2289. Unzutreffend allerdings insofern die Begründung von Mutter/Pernfuß AG 2009, R6, die annehmen, § 118 Abs. 2 AktG gehe in zulässiger Weise (arg. ex Art. 3) über den RL-Standard hinaus. 137 Vgl. BegrRegE z. ARUG, BR-Drs. 847/08, S. 38. 138 Vgl. BegrRegE z. ARUG, BR-Drs. 847/08, S. 38; Noack WM 2009, 2289, 2292. Der RefE hatte dagegen lediglich eine Satzungsermächtigung für „Bestimmungen zum Verfahren“ vorgesehen, so dass unklar war, ob damit auch das „Ob“ erfasst war, was dann durch die Neufassung im RegE klargestellt wurde, vgl. Noack WM 2009, 2289 f. 139 Näher dazu Arnold Konzern 2009, 88, 92 f.; Drinhausen/Keinath BB 2009, 64, 67; Herrler/Reymann DNotZ 2009, 815, 819 ff.; Noack WM 2009, 2289 ff.; Schüppen/Tretter ZIP 2009, 493, 495; Seibert/Florstedt ZIP 2008, 2145 f.; Spindler (Fn. 111), § 118 Rn. 51 ff., 57;

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Mit Blick auf die Befürchtungen vieler Praktiker bezüglich technischer Störungen 55 und deren potentiellen Missbrauch durch „räuberische Aktionäre“141 wurde zugleich in § 243 Abs. 3 Nr. 1 AktG ein entsprechender Anfechtungsausschluss (vorbehaltlich Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit der Gesellschaft) 142 ergänzt. Zudem steht es der Gesellschaft nach h.M. frei, Online-Teilnehmern von vornherein kein Widerspruchsrecht einzuräumen und damit zugleich auch deren Anfechtungsmöglichkeit143 auszuschließen144; „Briefwähler“ haben als Nichtteilnehmer ohnehin nur unter den Voraussetzungen der § 245 Nr. 2 und 3 AktG ein Anfechtungsrecht145.

4. Fragerecht (Art. 9) Um den Aktionären tatsächlich eine informierte Entscheidung zu ermöglichen, er- 56 gänzt die RL die allgemeinen Publizitätsvorschriften in Art. 9 Abs. 1 durch ein Fragerecht 146 sowie eine korrespondierende Antwortpflicht der Gesellschaft (dazu noch u. Rn. 57), was für viele Mitgliedstaaten147 bereits im Grundsatz ein Novum war. Die

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§ 131 Rn. 108 ff.; Wicke FS Kanzleiter, 2010, S. 415, 416 ff.; speziell zu Gestaltungsoptionen bezüglich des Fragerechts: Kersting NZG 2010, 130 ff.; speziell zur tatsächlichen Nutzung: Bayer/Sawada AG 2010, R407 ff. Dazu Arnold/Carl/Götze AG 2011, 349, 357 f.; Kocher/Lönner BB 2011, 907 ff.; MarschBarner CFL 2011, 35; Heckers/Peters BB 2010, 2251, 2252; Keiluweit DStR 2010, 2251, 2254; Wettich NZG 2011, 721, 725. Vgl. dazu Drinhausen/Keinath BB 2008, 1238, 1240; Horn ZIP 2008, 1558, 1564; Noack NZG 2008, 441, 444; Paschos/Goslar AG 2008, 605, 610 f.; Sauter ZIP 2008, 1706, 1708. Dazu näher Arnold Konzern 2009, 88, 92; Drinhausen/Keinath BB 2009, 64, 68 f.; Noack WM 2009, 2289, 2292, 2294; Paschos/Goslar AG 2009, 14, 19; Schüppen/Tretter ZIP 2009, 493, 495 f.; Seibert/Florstedt ZIP 2008, 2145, 2146; Wicke FS Kanzleiter, 2010, S. 415, 421. Online teilnehmende Aktionäre sind „erschienen“ und damit potentiell auch anfechtungsberechtigt, vgl. BegrRegE z. ARUG, BR-Drs. 847/08, S. 38 f. Vgl. BegrRegE z. ARUG, BR-Drs. 847/08, S. 38 f.; Arnold Konzern 2009, 88, 92; Arnold/Carl/Götze AG 2011, 349, 360 f.; Drinhausen/Keinath BB 2009, 2322, 2326; Herrler/Reymann DNotZ 2009, 815, 820; Horn ZIP 2008, 1558, 1564, 1567; Noack WM 2009, 2289, 2293; Paschos/Goslar AG 2009, 14, 19; Seibert/Florstedt ZIP 2008, 2145, 2146; Simon KSzW 2010, 15, 17; Wicke FS Kanzleiter, 2010, S. 415, 418, 420; a.A. Kersting NZG 2010, 130, 134 (Anfechtungsrecht auch bei Widerspruchsausschluss); Spindler (Fn. 111), § 118 Rn. 58 (Ausschluss des Widerspruchs nur für Online-Teilnehmer nicht möglich); ählich auch Ochmann (Fn. 17), S. 138. Vgl. Hüffer (Fn. 41), § 118 Rn. 8g; Drinhausen/Keinath BB 2008, 1238, 1241; Horn ZIP 2008, 1558, 1565; Wicke FS Kanzleiter, 2010, S. 415, 423; missverständlich insoweit BegrRegE z. ARUG, BR-Drs. 847/08, S. 39 (gemeint ist dort wohl nur der Ausschluss der Anfechtung nach § 245 Nr. 1 AktG); ähnlich missverständlich auch Hoffmann in: Spindler/Stilz, AktG, 2. Aufl. 2010, § 118 Rn. 43; Noack WM 2009, 2289, 2291. Vgl. Wand/Tillmann AG 2006, 443, 447. Die nationalen Rechtsordnungen waren insofern äußerst unterschiedlich. Auch in einigen großen Mitgliedstaaten, wie z.B. dem UK, gab es kein gesetzlich geregeltes Fragerecht (obgleich die Beantwortung von Fragen der Aktionäre in der Praxis üblich war), vgl. Leroy [2007] EBLR 205, 216; Palmer’s Company Law, 16.146; J. Schmidt NZG 2006,

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äußerst extensive Regelung im RL-E hatte jedoch sogar das Recht vorgesehen, bereits vor der Hauptversammlung Fragen zu stellen und zudem keinerlei Bezug zur Tagesordnung verlangt.148 Hiergegen formierte sich jedoch heftiger Widerstand, da verbreitet befürchtet wurde, dass die Gesellschaften geradezu mit Fragen „bombardiert“ würden149; einige Mitgliedstaaten und auch das EP favorisierten i.Ü. sogar eine generelle Streichung und eine bloße Regelung in Corporate Governance Kodizes150. Vor diesem Hintergrund beschränkt der letztlich verabschiedete Kompromiss151 das Fragerecht nun explizit auf Fragen zu Punkten auf der Tagesordnung (Art. 9 Abs. 1 S. 1) und überlässt es dem nationalen Recht, wie und wann Fragen zu stellen und Antworten zu geben sind (Erwägungsgrund 8 Hs. 2 152). Die Beschränkung auf Fragen „zu Punkten auf der Tagesordnung“153 bedeutet dabei nicht nur, dass irgendein objektiver Bezug zur Tagesordnung i.S.e. Sachzusammenhangs vorhanden sein muss154; erforderlich ist vielmehr, dass die begehrte Auskunft aus Sicht eines objektiven Durchschnittsaktionärs auch erforderlich ist, um sich hinsichtlich des jeweiligen Tagesordnungspunktes ein informiertes und sachgemäßes Urteil zu bilden155. Dies folgt nicht nur aus der Entstehungsgeschichte dieser Limitierung, die ganz maßgeblich auch auf deutschen Druck hin Eingang in die RL fand (wobei man klar die Regelung des § 131 Abs. 1 S. 1 AktG vor Augen hatte156 und die insbesondere auch der österreichische Gesetzgeber ganz offensichtlich i.d.S. verstand 157), sondern insbesondere auch aus Sinn und Zweck der Norm158: Das Fragerecht soll es dem Aktionär – in Ergänzung der ohnehin publizitätspflichtigen Informationen und Dokumente – ermöglichen, eine sachgemäße und informierte Entscheidung darüber zu treffen, wie er sein Stimmrecht ausüben möchte159.

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487, 489. Das französische Recht sieht dagegen z.B. vor, dass Fragen schriftlich im Vorfeld der Hauptversammlung gestellt werden können, vgl. Art. L225-108, R225-84 C. com. Allgemein rechtsvergleichend Grundmann Rn. 422 sowie ausf. Pelzer, Das Auskunftsrecht der Aktionäre in der Europäischen Union, 2004, S. 17 ff. Vgl. dazu J. Schmidt BB 2006, 1641, 1643. Vgl. zur Diskussion im Rat nur Dok. 12952/06, S. 3; s. weiter Bundesrat BR-Drs. 28/06, S. 4; BDA/BDI/DIHK/GDV/DAI (Fn. 57), S. 5; DNotV (Fn. 57), S. 11 f.; Handelsrechtsausschuss des DAV, Stellungnahme 33/2006, S. 5; Wand/Tillmann AG 2006, 443, 447; zur Diskussion im Vorfeld ferner Noack NZG 2006, 321, 323; Ochmann (Fn. 17), S. 143 ff.; J. Schmidt BB 2006, 1641, 1643; Zetzsche NZG 2007, 686, 688. Vgl. Dok. 11259/06, S. 16; 12952/06, S. 3. Kritisch Bachner/Dokalik GesRZ 2007, 104, 112: „wenig mehr als eine prinzipielle Absichtserklärung“; kritisch auch Hong (2009) 6 ECL 124, 129; Ochmann (Fn. 17), S. 146. Vgl. dazu Dok. 15877/06, S. 2. Englisch: „questions related to items on the agenda“; französisch: „questions concernant des points inscrits à l’ordre du jour“. So aber KK-AktG/Kersting, 3. Aufl. 2010, § 131 Rn. 112 ff.; ders. ZIP 2009, 2317, 2318 f.; Kocher/Lönner AG 2010, 153, 154; Spindler (Fn. 111), § 131 Rn. 29. I.d.S. auch Pöschke ZIP 2010, 1221, 1223; Pucher/Zwick WBl. 2010, 54. Vgl. auch Noack FS Westermann, 2008, S. 1203, 1213; Pucher/Zwick WBl. 2010, 54. Vgl. den zur RL-Umsetzung eingefügten § 118 Abs. 1 S. 1 öAktG n.F., der den Wortlaut des § 131 Abs. 1 S. 1 AktG übernimmt; s. ferner auch Pucher/Zwick WBl. 2010, 54. Vgl. auch Pöschke ZIP 2010, 1221, 1223. Vgl. Wand/Tillmann AG 2006, 443, 447.

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Wie bereits eingangs ausgeführt, stellt die RL in Art. 9 Abs. 1 S. 2 ausdrücklich 57 klar, dass die Gesellschaft auch eine Antwortpflicht trifft (was an sich eine Selbstverständlichkeit ist, wenn das Fragerecht nicht illusorisch sein soll 160). Art. 9 Abs. 2 Unterabs. 2 eröffnet den Mitgliedstaaten allerdings die Option festzulegen, dass eine Frage als beantwortet gilt („Antwortfiktion“), wenn die entsprechende Information bereits in Form von Frage und Antwort auf der Internetseite der Gesellschaft verfügbar ist. Denn dann haben die Aktionäre bereits problemlos Zugang zu dieser Information, so dass die Hauptversammlung ohne Beeinträchtigung legitimer Informationsinteressen von entsprechenden Fragen „entschlackt“ werden kann161; gedacht ist insoweit speziell an die typischen „FAQ“162. Auch dem europäischen Gesetzgeber war indes bewusst, dass das der Befriedi- 58 gung legitimer Informationsinteressen dienende Fragerecht in einen Zielkonflikt mit anderen legitimen Interessen geraten kann. Art. 9 Abs. 2 Unterabs. 1 S. 1 stellt es deshalb unter einen abschließenden163 Katalog von 3 Schranken164, bezüglicher derer die Mitgliedstaaten entweder selbst Maßnahmen ergreifen oder den Gesellschaften die Ergreifung von Maßnahmen gestatten dürfen, wobei solche Maßnahmen mit Blick auf die Ratio des Art. 9 freilich stets verhältnismäßig sein müssen. Beschränkungen sind erstens zulässig zur Feststellung der Identität der Aktionäre, d.h. es dürfen Maßnahmen ergriffen werden, um sicherzustellen, dass das Fragerecht tatsächlich nur durch die hierzu berechtigten Aktionäre ausgeübt (und nicht durch Dritte missbraucht) wird. Zweitens sind Beschränkungen zulässig, um die Ordnungsgemäßheit von Vorbereitung und Ablauf der Hauptversammlung zu gewährleisten; in Betracht kommen insoweit z.B. Ordnungsmaßnahmen, Beschränkungen von Fragenzeit und -zahl etc. Drittens dürfen beschränkende Maßnahmen auch ergriffen werden, um den Schutz der Vertraulichkeit und der Geschäftsinteressen der Gesellschaft zu gewährleisten; dies gestattet es etwa, Auskunftsbegehren betreffend die Offenlegung interner Kalkulationen, schwebender Verhandlungen oder den Bereich Forschung und Entwicklung einzuschränken bzw. ggf. sogar ganz auszuschließen. Die Rechtsfolgen im Falle von Verstößen gegen Fragerecht und Antwortpflicht 59 regelt die RL nicht; dies wurde auf Grund der erheblich divergierenden nationalen Sanktionensysteme bewusst dem nationalen Recht überlassen165, welches dabei freilich den Grundsatz des effet utile beachten muss166.

160 Vgl. diesbezüglich auch bereits KOM(2005) 685, S. 7. 161 Vgl. KOM(2005) 685, S. 7. 162 Vgl. KOM(2005) 685, S. 7; Grundmann/Winkler ZIP 2006, 1421, 1426; J. Schmidt BB 2006, 1641, 1643. 163 Vgl. Zetzsche NZG 2007, 686, 688. 164 Letztlich lässt sich auch die Antwortfiktion des Art. 9 Abs. 2 Unterabs. 2 (dazu o. Rn. 57) zu diesen Schranken zählen, dann käme man auf insgesamt 4, vgl. Zetzsche NZG 2007, 686, 688. 165 Vgl. Handelsrechtsausschuss des DAV Stellungnahme 33/06, S. 5; Noack NZG 2006, 321, 323; J. Schmidt (2008) 9 EBOR 637, 654. Allg. zum Verzicht der RL auf die Regelung von Sanktionen auch Noack FS Westermann, 2008, S. 1203, 1207. 166 Vgl. auch Grundmann Rn. 421.

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Das deutsche Recht entsprach mit § 131 AktG bereits dem durch Art. 9 letztlich167 normierten Standard. Nach richtigem Verständnis des Art. 9 Abs. 1 S. 1 (dazu o. Rn. 56) ist insbesondere – entgegen einer im Schrifttum vertretenen Auffassung168 – auch das Erforderlichkeitskriterium des § 131 Abs. 1 S. 1 AktG richtlinienkonform169. Die Regelung des § 131 Abs. 2 S. 2 AktG betreffend Beschränkungen des Fragerechts ist durch Art. 9 Abs. 2 Unterabs. 1 S. 1 Var. 2 170, die Auskunftsverweigerungsgründe des § 131 Abs. 3 S. 1 AktG sind durch Art. 9 Abs. 2 Unterabs. 1 S. 1 Var. 3 (Nr. 1–6) 171 bzw. Unterabs. 2 (Nr. 7) 172 gedeckt. Als Sanktionen im Falle unberechtigter Auskunftsverweigerung sieht das deutsche Recht traditionell ein Auskunftserzwingungsverfahren (§ 132 AktG), die Anfechtungsklage sowie ggf. auch Schadensersatzansprüche vor; zudem kann u.U. eine Sonderprüfung eingeleitet werden und im Einzelfall kann eine Strafbarkeit nach § 400 Abs. 1 Nr. 1 AktG in Betracht kommen.173

5. Stimmrechtsvertretung (Art. 10, 11) 61 Der europäische Gesetzgeber qualifiziert das Recht zur Bestellung eines Stimmrechtsvertreters nicht nur als ein Grundrecht jedes Aktionärs (vgl. Art. 10 Abs. 1 S. 1), sondern auch als einen elementaren Bestandteil guter Corporate Governance (vgl. Erwägungsgrund 10 S. 1). Auch bezüglich der Stimmrechtsvertretung divergierten die nationalen Regelungen jedoch erheblich und waren darüber hinaus zum Teil äußerst

167 Der RL-E (Fn. 6) hätte dagegen erhebliche Anpassungen erfordert, vgl. J. Schmidt BB 2006, 1641, 1643. 168 Nach Kersting (Fn. 154), § 131 Rn. 121 ff.; ders. ZIP 2010, 2317, 2319 ff., der Art. 9 Abs. 1 S. 1 enger interpretiert (vgl. bereits o. Rn. 56), soll auch § 131 Abs. 1 S. 1 AktG entsprechend „richtlinienkonform“ enger ausgelegt werden; vgl. ferner auch Spindler (Fn. 111), § 131 Rn. 29. 169 Pöschke ZIP 2010, 1221, 1224; i.E. (allerdings mit unzutreffender Begründung über Art. 9 Abs. 2) auch Kocher/Lönner AG 2010, 153, 156, 158; s. ferner auch schon Fischer zu Cramburg NZG 2007, 224; Ratschow DStR 2007, 1402, 1405. 170 Vgl. Bundesrat, BR-Drs. 28/06, S. 4; Kersting (Fn. 154), § 131 Rn. 270; Noack FS Westermann, 2008, S. 1203, 1213; Pluskat WM 2007, 2135, 2137; J. Schmidt BB 2006, 1641, 1643; Spindler (Fn. 111), § 131 Rn 66. 171 Vgl. Ratschow DStR 2007, 1402, 1405; Lack, Rechtsfragen des individuellen Auskunftsrechts des Aktionärs nach dem Gesetz zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Anfechtungsrechts, 2009, S. 266 f.; J. Schmidt BB 2006, 1641, 1643; Spindler (Fn. 111), § 131 Rn. 73; für Nr. 5 und 6 auch Kersting (Fn. 154), § 131 Rn. 340, 356; für Richtlinienwidrigkeit von Nr. 2–4 jedoch Kersting (Fn. 154), § 131 Rn. 316, 327, 335; ders. ZIP 2010, 2317, 2322; für Richtlinienwidrigkeit von Nr. 2: Ochmann (Fn. 17), S. 148; für Richtlinienwidrigkeit von Nr. 2, 3, 4, 6: Zetzsche NZG 2007, 686, 688 f. 172 Vgl. Kersting (Fn. 154), § 131 Rn. 357; Lack (Fn. 171), S. 267; Ochmann (Fn. 17), S. 147; Pluskat WM 2007, 2135, 2137; Spindler (Fn. 111), § 131 Rn. 73; zur entsprechenden Regelung in Art. 9 Abs. 3 RL-E (Fn. 6): Noack NZG 2006, 321, 323. 173 Ausf. Kersting (Fn. 154), § 131 Rn. 541 ff.; Spindler (Fn. 111), § 131 Rn. 115 ff. (jeweils m.z.w.N.).

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restriktiv 174, was sich in der Praxis ebenfalls als wesentliches Hemmnis für die grenzüberschreitende Ausübung von Stimmrechten erwiesen hatte175. Die RL normiert daher Mindeststandards sowohl für die materiellen Rahmenbedingungen der Stimmrechtsvertretung (Art. 10, dazu u. Rn. 62 ff.) als auch für die Formalia von Bestellung/ Widerruf eines Stimmrechtsvertreters (Art. 11, dazu u. Rn. 90 ff.).

a) Materielle Rahmenbedingungen für die Stimmrechtsvertretung Art. 10 harmonisiert zunächst die materiellen Rahmenbedingungen für die Stimm- 62 rechtsvertretung und normiert hierzu einen numerus clausus zulässiger Beschränkungen:176 Wie Art. 10 Abs. 3 Unterabs. 1 Hs. 1 explizit klarstellt, dürfen die Mitgliedstaaten außer den in Art. 10 Abs. 1–3 vorgesehenen bzw. zugelassenen keine Beschränkungen für die Ausübung der Rechte der Aktionäre durch Vertreter vorsehen oder den Gesellschaften gestatten.

aa) Rechte des Stimmrechtsvertreters (Art. 10 Abs. 1) Der Stimmrechtsvertreter hat nach Art. 10 Abs. 1 nicht nur das Recht, im Namen des 63 Aktionärs an der Hauptversammlung teilzunehmen und dessen Stimmrecht auszuüben (S. 1), sondern insbesondere auch dieselben Rechte auf Wortmeldung und Fragestellung (zum Fragerecht o. Rn. 56 ff.) wie der Aktionär, den er vertritt. Damit stellt die RL sicher, dass der Aktionär durch Einschaltung eines Stimmrechtsvertreters – anders als in einigen nationalen Rechtsordnungen bislang vorgesehen177 – keines dieser zentralen Rechte einbüßt. Aus deutscher Perspektive war dies nichts Neues; Stimmrechtsvertreter haben 64 nach deutschem Aktienrecht Teilnahme-, Stimm-, Rede- und Fragerecht.178

174 Ausf. rechtsvergleichend zum deutschen und englischen Recht vor der RL J. Schmidt NZG 2006, 487 ff.; allg. zu den unterschiedlichen Standards in den Mitgliedstaaten näher SEC(2006) 181, S. 10, 14, 26 f., 96 ff.; Grundmann Rn. 429. 175 Vgl. Knapp (2008) 9 ERA Forum 377, 384; Noack FS Westermann, 2008, S. 1203, 1211; J. Schmidt BB 2006, 1641, 1644. 176 Vgl. Bachner/Dokalik GesRZ 2007, 104, 113 f.; Grundmann FS Wymeersch, 2009, 183, 189; Ochmann (Fn. 17), S. 152; Zetzsche NZG 2007, 686, 690. 177 So war z.B. im UK früher geregelt, dass ein Stimmrechtsvertreter (proxy) nur dann ein Rederecht hatte und an einer Abstimmung per show of hands teilnehmen durfte, wenn die articles dies explizit vorsahen (s. 372(1), (2)(c) CA 1985); zudem hatte er – wie auch der Aktionär (vgl. o. Fn. 147) – kein gesetzlich geregeltes Fragerecht; vgl. näher J. Schmidt NZG 2006, 487, 489 m.w.N. Mit s. 324(1) CA 2006 wurde dann aber m.W.v. 1.10.2007 schon im Vorgriff auf die RL ein gleichwertiges Rede- und Fragerecht eingefügt. 178 Vgl. J. Schmidt BB 2006, 1641, 1644; dies. NZG 2006, 487, 489 m.w.N.

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bb) Weisungsbefolgungspflicht des Stimmrechtsvertreters (Art. 10 Abs. 4) 65 Art. 10 Abs. 4 Unterabs. 1 stellt klar, dass der Stimmrechtsvertreter verpflichtet ist, entsprechend den Anweisungen des Aktionärs, der ihn bestellt hat, abzustimmen. Trotz des insoweit etwas missverständlichen Wortlauts ist der Aktionär aber nicht etwa verpflichtet, irgendwelche Weisungen zu erteilen, vielmehr kann er dem Stimmrechtsvertreter das Abstimmverhalten auch freistellen. Dies ergibt sich nicht nur aus Art. 10 Abs. 3 Unterabs. 1 lit. b (dazu noch u. Rn. 81), Art. 11 Abs. 2 S. 2 (dazu u. Rn. 93) sowie aus der englischen und französischen Fassung von Erwägungsgrund 10 S. 3179, die jeweils ersichtlich davon ausgehen, dass nicht unbedingt Weisungen erteilt werden müssen, sondern letztlich auch aus der Ratio der Norm, die die Letztentscheidung über das Abstimmverhalten gerade ausschließlich dem Aktionär zuweist und diesem damit erst recht die Autonomie zugestehen muss, diese Letztentscheidung auf den Stimmrechtsvertreter zu delegieren (z.B. damit dieser aktuelle Entwicklungen auf der Hauptversammlung berücksichtigen kann). 66 Um eine gewisse Kontrolle zu gewährleisten, gestattet Unterabs. 2 den Mitgliedstaaten vorzuschreiben, dass Vertreter etwaige Unterlagen über die Abstimmungsanweisungen für eine Mindestdauer aufbewahren und auf Verlangen bestätigen müssen, dass diese Anweisungen ausgeführt wurden. Erwägungsgrund 10 S. 7 stellt allerdings explizit klar, dass die Mitgliedstaaten – unabhängig davon, ob sie von dieser Option Gebrauch machen – nicht verpflichtet sind, tatsächlich zu überprüfen, ob der Vertreter weisungsgemäß abstimmt. 67 Die Rechtsfolgen einer weisungswidrigen Abstimmung regelt die RL – wie auch sonstige Sanktionen (vgl. bereits o. Rn. 59) – nicht; dies bleibt damit dem jeweiligen nationalen Recht überlassen. 68 Im deutschen Recht ist die Pflicht des Stimmrechtsvertreters zur Befolgung etwaiger Weisungen zwar nicht speziell geregelt, ergibt sich jedoch aus dem der Vollmacht zu Grunde liegenden Rechtsverhältnis (üblicherweise ein Geschäftsbesorgungsvertrag oder Auftrag180, 181). Eine Aufbewahrungspflicht bzgl. etwaiger Weisungen sieht das deutsche Recht nur beim Verwaltungs- und Depotstimmrecht vor (früher: §§ 134 Abs. 3 S. 3 Hs. 1, 135 Abs. 2 S. 4 AktG a.F., seit dem ARUG: §§ 134 Abs. 3 S. 5 Hs. 1, 135 Abs. 1 S. 2 AktG). Ein Verstoß gegen etwaige Weisungen lässt die Wirksamkeit der Stimmabgabe unberührt.182

179 „The proxy holder should therefore be bound to observe any instructions he may have received from the shareholder ...“/„Le mandataire devrait donc être tenu d’observer toutes les instructions qu’il a pu recevoir de l’actionnaire …“. 180 Vgl. Hüffer (Fn. 41), § 134 Rn. 46. 181 Sowohl beim Geschäftsbesorgungsvertrag als auch beim Auftrag gilt § 665 BGB, der eine Weisungsbefolgungspflicht voraussetzt, vgl. Seiler in: MünchKommBGB, 5. Aufl. 2009, § 665 BGB Rn. 14 m.w.N. 182 Volhard (Fn. 132), § 134 Rn. 61; beim Depotstimmrecht ergibt sich dies aus § 135 Abs. 7 AktG, zu dessen Neufassung durch das ARUG näher J. Schmidt WM 2009, 2350, 2357 m.w.N.

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cc) Anforderungen an die Person des Stimmrechtsvertreters (Art. 10 Abs. 1) Zum Stimmrechtsvertreter kann grundsätzlich jede natürliche oder juristische Per- 69 son bestellt werden (Art. 10 Abs. 1 Unterabs. 1 S. 1). Einzige zulässige Anforderung in Bezug auf die Person des Stimmrechtsvertreters ist das Erfordernis der Geschäftsfähigkeit 183; i.Ü. dürfen die Mitgliedstaaten weder selbst persönliche Voraussetzungen aufstellen noch den Gesellschaften gestatten, solche vorzusehen (Art. 10 Abs. 1 Unterabs. 2). Das deutsche Recht sieht zwar insofern keine explizite Regelung vor; nach 70 allg. Meinung kann aber – entsprechend dem RL-Standard – grundsätzlich jede (beschränkt) geschäftsfähige natürliche oder juristische Person Stimmrechtsvertreter sein.184 Der von der bislang wohl h.M.185 bejahten Zulässigkeit statutarischer Beschränkungen ist allerdings durch die RL die Grundlage entzogen186.

dd) Bestellungsdauer (Art. 10 Abs. 2 Unterabs. 1) Art. 10 Abs. 2 Unterabs. 1 eröffnet den Mitgliedstaaten die Option, die Bestellung 71 eines Stimmrechtsvertreters zeitlich auf eine einzige Versammlung oder auf innerhalb eines bestimmten Zeitraums stattfindende Versammlungen zu beschränken. Das deutsche Recht sieht keine zeitliche Begrenzung vor;187 die frühere Be- 72 fristung der Depotvollmacht auf max. 15 Monate war bereits durch das NaStraG188 gestrichen worden189.

183 Im RL-E (Fn. 6) hieß es noch „rechtsfähig“; hierbei handelte es sich jedoch um einen Übersetzungsfehler, vgl. J. Schmidt BB 2006, 1641, 1644; dies. NZG 2006, 487 Fn. 16. 184 Vgl. Pluskat WM 2007, 2135, 2138; J. Schmidt NZG 2006, 487; Spindler (Fn. 111), § 134 Rn. 57; Volhard (Fn. 132), § 134 Rn. 36. 185 RGZ 55, 41 f.; LG Bonn AG 1991, 114, 115; Hüffer, AktG, 8. Aufl. 2008, § 134 Rn. 25; a.A. Spindler (Fn. 131), § 134 Rn. 51; Volhard (Fn. 132), § 134 Rn. 42. 186 Dies übersieht Hüffer (Fn. 41), § 134 Rn. 25, der die Zulässigkeit weiterhin bejaht. Wie hier dagegen Noack FS Westermann, 2008, S. 1203, 1211; Ochmann (Fn. 17), S. 157 f.; Paschos/Goslar AG 2008, 605, 611; Pluskat WM 2007, 2135, 2138; Ratschow DStR 2007, 1402, 1406; i.E. (allerdings ohne Rekurs auf die RL) auch Spindler (Fn. 111), § 134 Rn. 58. 187 Vgl. J. Schmidt NZG 2006, 487, 488; Volhard (Fn. 132), § 134 Rn. 59; Zetzsche NZG 2007, 686, 690. 188 Gesetz zur Namensaktie und zur Erleichterung der Stimmrechtsausübung (Namensaktiengesetz – NaStraG) v. 18.1.2001, BGBl. I, 123. 189 Vgl. dazu näher J. Schmidt WM 2009, 2350, 2353 m.w.N.

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ee) Mehrfachvertretung (Art. 10 Abs. 2 Unterabs. 2) 73 Im Gegensatz zum RL-E, der vom Prinzip der einheitlichen Stimmrechtsvertretung ausging190, sieht die endgültige Fassung der RL keine obligatorische Obergrenze für die Zahl der Stimmrechtsvertreter vor; ein Aktionär kann also theoretisch für jede seiner Aktien einen anderen Stimmrechtsvertreter bestellen. Allerdings normiert die RL in Art. 10 Abs. 2 Unterabs. 2 S. 1 eine Mitgliedstaatenoption hinsichtlich der Zahl der Stimmrechtsvertreter pro Hauptversammlung, die den Befürchtungen vor einem etwaigen „Vertreterschwarm“ Rechnung trägt 191. Zugleich macht sie hiervon aber zwei wichtige Ausnahmen: Zum einen muss ein Aktionär, der seine Aktien in mehr als einem Wertpapierdepot hält, in jedem Fall für jedes einzelne Depot einen separaten Vertreter bestellen können (Art. 10 Abs. 2 Unterabs. 2 S. 2); denn das Erfordernis eines einzigen Vertreters wäre hier regelmäßig aus praktischen Gründen kaum zu erfüllen192. Zum anderen macht Art. 13 Abs. 5 eine Ausnahme für Intermediäre (dazu u. Rn. 104). 74 Die Frage nach der zulässigen Anzahl der Stimmrechtsvertreter pro Aktionär ist indes – wie Art. 10 Abs. 2 Unterabs. 2 S. 3 klarstellt – streng zu unterscheiden von der Frage, ob ein Aktionär das Stimmrecht aus mehreren ihm gehörenden Aktien unterschiedlich ausüben darf. Nachdem insoweit speziell Polen Vorbehalte gegen eine „gespaltene Abstimmung“ (split voting) geäußert hatte193, bleibt dies grundsätzlich dem jeweiligen nationalen Recht überlassen (Art. 10 Abs. 2 Unterabs. 2 S. 3); nur bei Intermediären verlangt die RL zwingend die Zulässigkeit einer unterschiedlichen Stimmabgabe für verschiedene Aktien (Art. 13 Abs. 4, dazu auch noch u. Rn. 102; vgl. ferner zur „gespaltenen Abstimmung“ durch Stimmrechtsvertreter noch u. Rn. 76). 75 Der deutsche Gesetzgeber hat die RL zum Anlass genommen, die bislang umstrittene194 Frage der Zulässigkeit der Mehrfachvertretung i.R.d. ARUG i.S.e. Kompromisslösung zu klären: § 134 Abs. 3 S. 2 AktG n.F. stellt einerseits klar, dass ein Aktionär grundsätzlich mehrere Bevollmächtigte benennen darf, gestattet es der Gesellschaft anderseits jedoch, einen oder mehrere der weiteren Bevollmächtigten zurückzuweisen.195 Ein Verbot der unterschiedlichen Ausübung des Stimmrechts aus mehreren Aktien kennt das deutsche Recht nicht.196

190 Vgl. Art. 10 Abs. 1 Unterabs. 1 RL-E (Fn. 6), dazu J. Schmidt BB 2006, 1641, 1644. 191 Hiervon hat z.B. Frankreich Gebrauch gemacht; Art. R225-79(1) C. com. lässt nur einen Stimmrechtsvertreter pro Aktionär zu. 192 Vgl. auch Ochmann (Fn. 17), S. 154 f. 193 Vgl. Dok. 15969/06, S. 5 f. 194 Vgl. zum Streitstand vor dem ARUG: Kubis (Fn. 131), § 118 Rn. 65 m.w.N. 195 Vgl. dazu BegrRegE z. ARUG, BR-Drs. 847/08, S. 48; Drinhausen/Keinath BB 2009, 2322, 2326; Herrler/Reymann DNotZ 2009, 815, 822; Paschos/Goslar AG 2009, 14, 19; Seibert/Florstedt ZIP 2008, 2145, 2146. 196 Vgl. Hüffer (Fn. 41), § 133 Rn. 21; Spindler (Fn. 111), § 133 Rn 19 m.w.N.

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ff) Gruppenvertretung (Art. 10 Abs. 5) Neben der Mehrfachvertretung regelt die RL auch die umgekehrte Problematik der 76 sog. Gruppenvertretung. Nach Art. 10 Abs. 5 S. 1 darf ein Stimmrechtsvertreter nicht nur einen, sondern eine unbegrenzte Zahl von Aktionären vertreten und für die von ihm vertretenen Aktionäre jeweils unterschiedlich („gespalten“) abstimmen (split voting). Die Beseitigung entsprechender Barrieren in einigen nationalen Rechtsordnungen ist speziell für die professionelle Stimmrechtsvertretung und das Verwaltungsstimmrecht (dazu noch u. Rn. 85) von eminenter Bedeutung.197 Für das deutsche Recht war die Zulässigkeit der Gruppenvertretung sowie der 77 gespaltenen Abstimmung durch den Vertreter nichts Neues;198 das Verwaltungsstimmrecht (dazu noch u. Rn. 85) ist seit der Änderung des damaligen § 134 Abs. 3 S. 3 (jetzt S. 5) AktG durch das NaStraG199 allgemein anerkannt 200.

gg) Maßnahmen im Hinblick auf potentielle Interessenkonflikte (Art. 10 Abs. 3) Da der Einsatz eines Stimmrechtsvertreters die latente Gefahr birgt, dass der Vertreter 78 möglichweise andere Interessen verfolgt als der Aktionär, dessen „Sprachrohr“ er eigentlich nur sein soll, und sein Mandat hierzu missbraucht (principal-agent-conflict) 201, erlaubt Art. 10 Abs. 3 den Mitgliedstaaten Beschränkungen zur Regelung möglicher Interessenkonflikte zwischen Vertreter und Aktionär vorzusehen bzw. den Gesellschaften solche zu gestatten. Nach Erwägungsgrund 10 S. 4 sollen insbesondere auch Regelungen zur Gewährleistung eines angemessenen Maßes an Zuverlässigkeit und Transparenz in Bezug auf professionelle Stimmrechtsvertreter vorgesehen werden können.202 Allerdings sah der europäische Gesetzgeber durchaus auch die potentiell prohibi- 79 tive Wirkung derartiger Beschränkungen203 und normierte deshalb in Art. 10 Abs. 3 Unterabs. 1 einen abschließenden Katalog („ausschließlich“) 204 zulässiger Anforderungen (u. Rn. 80 ff.) zur Prävention potentieller Interessenkonflikte. Die Frage, wann überhaupt ein Interessenkonflikt vorliegt, wird demgegenüber mit Blick auf die unterschiedlichen Traditionen und Vorstellungen der Mitgliedstaaten nicht zwingend oder abschließend vorgegeben; Art. 10 Abs. 3 Unterabs. 2 enthält diesbezüglich ledig-

197 Vgl. Noack NZG 2006, 321, 324; J. Schmidt BB 2006, 1641, 1645. 198 Vgl. Hüffer (Fn. 41), § 134 Rn. 28; Spindler (Fn. 111), § 134 Rn. 61; Pluskat WM 2007, 2135, 2138; Ratschow DStR 2007, 1402, 1405; J. Schmidt BB 2006, 1641, 1645. 199 Fn. 188. 200 Vgl. Hüffer (Fn. 41), § 134 Rn. 26b; Spindler (Fn. 111), § 134 Rn. 62; Volhard (Fn. 132), § 134 Rn. 39 m.w.N. 201 Vgl. auch Bachner/Dokalik GesRZ 2007, 104, 113; Ochmann (Fn. 17), S. 153. 202 Vgl. dazu Omaggio JCP 2011.I.190. 203 Vgl. dazu auch Bachner/Dokalik GesRZ 2007, 104, 113. 204 Vgl. Dok. 16539/06, S. 2; Bachner/Dokalik GesRZ 2007, 104, 114; Ochmann (Fn. 17), S. 154; Ratschow DStR 2007, 1402, 1405; J. Schmidt WM 2009, 2350, 2356.

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lich einen – nicht erschöpfenden („insbesondere“) 205 – Katalog typisierter Fälle, in denen die Mitgliedstaaten einen Interessenkonflikt annehmen können (aber nicht müssen 206) (dazu u. Rn. 84 ff.). Zudem bleiben auch die Rechtsfolgen sowie etwaige Sanktionen im Falle einer missbräuchlichen Verwendung des Stimmrechts (und insbesondere einer betrügerischen Verwendung gesammelter Stimmrechte) den Mitgliedstaaten überlassen (vgl. Erwägungsgrund 10 S. 6).

(1) Zulässige Anforderungen (Art. 10 Unterabs. 1 Hs. 2) 80 Zulässig sind erstens Transparenzanforderungen (Art. 10 Unterabs. 1 Hs. 2 lit. a): Die Mitgliedstaaten dürfen verlangen, dass der Vertreter bestimmte Tatsachen offen legt, die für den Aktionär für die Beurteilung eines etwaigen Interessenkonflikts relevant sein können. Diese erste Stufe gestattet also einen „Schutz durch Information“. 81 Zweitens dürfen die Mitgliedstaaten für jeden Beschluss eine konkrete Weisung verlangen und die Stimmrechtsvertretung widrigenfalls beschränken oder ausschließen (Art. 10 Unterabs. 1 Hs. 2 lit. b). Denn da der Stimmrechtsvertreter grundsätzlich an Weisungen gebunden ist (Art. 10 Abs. 4 Unterabs. 1, dazu o. Rn. 65), ist damit ein etwaiger Missbrauch (zumindest dann, wenn er sich auch tatsächlich daran hält) grundsätzlich ausgeschlossen.207 82 Drittens dürfen die Mitgliedstaaten die Übertragung der Vertretung auf eine andere Person beschränken oder ausschließen (Art. 10 Unterabs. 1 Hs. 2 lit. c), um so zu gewährleisten, dass der Aktionär die alleinige Kontrolle darüber behält, wer das Stimmrecht für ihn ausübt 208. Juristische Personen – die ja wesensmäßig durch eine natürliche Person handeln müssen – müssen die Stimmrechtsvertretung aber in jedem Fall durch ein Mitglied ihres Verwaltungs- oder Leitungsorgan oder durch einen ihrer Beschäftigten ausüben können. 83 Nicht zulässig sind damit e contrario etwa insbesondere das Erfordernis der Aktionärseigenschaft des Stimmrechtsvertreters209 oder der generelle Ausschluss von Organmitgliedern (dazu auch noch u. Rn. 85) 210, Kreditinstituten211 oder professionellen Stimmrechtsvertretern212.

205 206 207 208 209 210 211 212

Vgl. Grundmann Rn. 428; Ochmann (Fn. 17), S. 153; J. Schmidt WM 2009, 2350, 2356. Vgl. J. Schmidt WM 2009, 2350, 2356. Vgl. auch Ratschow DStR 2007, 1402, 1405 f. Vgl. auch Ratschow DStR 2007, 1402, 1406. Vgl. Bachner/Dokalik GesRZ 2007, 104, 114. Vgl. Bachner/Dokalik GesRZ 2007, 104, 114; Ochmann (Fn. 17), S. 157. Vgl. Grundmann FS Wymeersch, 2009, 183, 197. Vgl. Grundmann FS Wymeersch, 2009, 183, 198.

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(2) Typisierte Fälle möglicher Interessenkonflikte (Art. 10 Unterabs. 2) Als ersten Fall eines typisierten Interessenkonflikts nennt sublit. i den Fall, dass der Stimmrechtsvertreter kontrollierender Aktionär der Gesellschaft oder ein anderer Rechtsträger, der von einem solchen kontrolliert wird, ist. Der Begriff der „Kontrolle“ wird dabei jedoch – ähnlich wie auch in Art. 5 Abs. 3 Übernahme-RL (dazu § 30 Rn. 31) oder Art. 24a der 2. (Kapital-)RL (dazu § 20 Rn. 149 ff.) – nicht definiert, seine Interpretation bleibt also den Mitgliedstaaten überlassen. Aus Art. 24a Abs. 3 der 2. (Kapital-)RL (dazu § 20 Rn. 151), Art. 2 Abs. 1 lit. f Transparenz-RL (allg. zu dieser § 36 sowie bereits § 17 Rn. 155, 159 ff.) und Art. 3 Abs. 1 und 2 FKVO 213 lässt sich aber jedenfalls ableiten, dass „Kontrolle“ nicht notwendig eine Mehrheitsbeteiligung bedeutet, sondern je nach den Umständen auch bereits deutlich unterhalb dieser Schwelle vorliegen kann.214 Zweite Fallgruppe ist, dass der Stimmrechtsvertreter Mitglied des Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgans der Gesellschaft oder eines kontrollierenden Aktionärs oder eines kontrollierten Rechtsträgers i.S.v. sublit. i ist (sublit. ii). Die hiermit angesprochene Problematik des Verwaltungsstimmrechts war i.R.d. Legislativverfahrens besonders umstritten. Speziell Italien (wo Mitglieder der Verwaltung generell von der Stimmrechtsvertretung ausgeschlossen sind 215) plädierte lange für die Zulässigkeit eines generellen Verbots, was jedoch wiederum speziell von Deutschland und dem UK vehement abgelehnt wurde.216 Als Kompromiss wurde schließlich in Art. 15 Abs. 2 eine spezielle Übergangsregelung eingefügt, die es Mitgliedstaaten, die die Bestellung eines Vertreters in diesen Fällen am 1.7.2006 einschränkten oder verboten, gestattet, derartige Regelungen noch für eine Übergangsfrist von 3 Jahren (bis 3.8.2012) beizubehalten. Dritte Fallgruppe ist, dass der Stimmrechtsvertreter Arbeitnehmer oder Abschlussprüfer der Gesellschaft, eines kontrollierenden Aktionärs oder eines kontrollierten Rechtsträgers i.S.v. sublit. i ist (sublit. iii). Sublit. iv schließlich ergänzt den Fall, dass der Stimmrechtsvertreter in einer familiären Beziehung zu einer der in sublit. i–iii genannten natürlichen Person steht; Hintergrund ist, dass Familienmitglieder typischerweise als „Strohleute“ vorgeschoben werden. Der genaue Grad der „familiären Beziehung“ wird allerdings nicht definiert, auch insoweit bleibt den Mitgliedstaaten also – wie angesichts des rein indikativen Charakters des Katalogs (vgl. o. Rn. 79) generell – erheblicher Spielraum.

213 VO (EG) Nr. 139/2004 des Rates v. 20.1.2004 über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen („EG-Fusionskontrollverordnung“), ABlEU v. 29.1.2004, L 24/1. 214 Vgl. J. Schmidt WM 2009, 2350, 2356. 215 Vgl. Art. 2372 Abs. 5 Codice civile. 216 Vgl. dazu näher Dok. 16539/06, S. 2 f.

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(3) Deutsches Recht 88 Im deutschen Recht sind Beschränkungen der Stimmrechtsvertretung zur Vermeidung von Interessenkonflikten traditionell 217 beim Depotstimmrecht vorgesehen, welches i.R.d. ARUG – unabhängig von der RL – erheblich dereguliert wurde 218. Die in § 135 AktG n.F. normierten Regelungen zu den Ausübungsmodi sind durch Art. 10 Abs. 3 Unterabs. 1 Hs. 2 lit. b gedeckt 219 (insbesondere auch das Verbot der Stimmrechtsausübung ohne Einzelweisung in der eigenen Hauptversammlung und im Falle einer erheblichen Eigenbeteiligung in § 135 Abs. 3 S. 3 und 4 AktG 220); die speziellen Offenlegungspflichten in § 135 Abs. 2 S. 4 221 und 5 222 AktG durch lit. a223. 89 Ferner hielt die bislang wohl h.M.224 auch im Falle des – durch das NaStraG225 grundsätzlich für zulässig erklärten (vgl. bereits o. Rn. 77) – Verwaltungsstimmrechts eine Einzelweisung für erforderlich. Dies wäre zwar nach Art. 10 Abs. 3 Unterabs. 1 Hs. 2 lit. b, Unterabs. 2 sublit. ii auch weiterhin zulässig226, vor dem Hintergrund der Neukonzeption der Ausübungsmodi durch das ARUG erscheint es allerdings fraglich, ob diese Auffassung weiterhin haltbar ist 227. b) Formalia der Bestellung des Vertreters und Benachrichtigung über die Bestellung (Art. 11) 90 Neben den materiellen Rahmenbedingungen normiert die RL in Art. 11 auch Mindeststandards für die Formalia der Bestellung des Vertreters (Innenverhältnis zwischen Aktionär und Stellvertreter) und die Benachrichtigung über die Bestellung an 217 Ausf. zur historischen Entwicklung des Depotstimmrechts J. Schmidt WM 2009, 2350 ff. m.z.w.N. 218 Dazu ausf. J. Schmidt WM 2009, 2350, 2353 ff.; Simon/Zetzsche ZGR 2010, 918 ff. 219 Kritisch jedoch im Hinblick auf die Erstreckung auch auf die in § 135 Abs. 8 AktG genannten Personen Ochmann (Fn. 17), S. 169 f. 220 Vgl. J. Schmidt WM 2009, 2350, 2356; s. ferner auch Noack/Zetzsche FS Hopt, 2010, S. 2283, 2298; a.A. Grundmann FS Wymeersch, 2009, 183, 196; zweifelnd auch Ratschow DStR 2007, 1402, 1407 (zu § 135 Abs. 1 S. 2 und 3 AktG a.F.); kritisch ferner auch Ochmann (Fn. 17), S. 161, der aber offenbar nun zumindest nach Anhebung der Schwelle auf 20 % von Richtlinienkonformität ausgeht. 221 Vgl. auch Grundmann Rn. 428; Ochmann (Fn. 17), S. 161 f. 222 Vgl. auch Grundmann Rn. 428; kritisch jedoch Ochmann (Fn. 17), S. 162, 165. 223 Vgl. auch Noack/Zetzsche FS Hopt, 2010, S. 2283, 2298; J. Schmidt WM 2009, 2350, 2356. 224 Vgl. Grundmann in: GroßkommAktG, 4. Aufl. 2008, § 134 Rn. 124; Hüffer (Fn. 185), § 134 Rn. 26b; Habersack ZHR 165 (2001) 172, 187 f.; Noack ZIP 2001, 57, 62; Rieckers (Fn. 68), § 135 Rn. 16; Zetzsche ZIP 2001, 682, 684; a.A. Volhard (Fn. 132), § 134 Rn. 39; Bachmann AG 2001, 635, 638 f.; Riegger ZHR 165 (2001) 204, 214 f.; Wiebe ZHR 166 (2002) 182, 190 f. 225 Fn. 188. 226 Vgl. Ochmann (Fn. 17), S. 157; J. Schmidt BB 2006, 1641, 1644. 227 Näher J. Schmidt WM 2009, 2350, 2356 Fn. 95; weiterhin für das Erfordernis einer ausdrücklichen Weisung jedoch Hüffer (Fn. 41), § 134 Rn. 26b; Spindler (Fn. 111), § 134 Rn. 63.

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die Gesellschaft (Außenverhältnis). Auch diesbezüglich zielt die RL auf den Abbau übertriebener formaler Hürden und Erleichterungen für die Aktionäre durch Einsatz elektronischer Kommunikationsmittel.228 Art. 11 Abs. 1 gebietet den Mitgliedstaaten, sowohl die Bestellung des Stimm- 91 rechtsvertreters im Innenverhältnis (S. 1) als auch die Benachrichtigung über die Bestellung an die Gesellschaft (Außenverhältnis, S. 2 Hs. 1) im Wege der elektronischen Kommunikation zuzulassen. Zugleich müssen sie sicherstellen, dass jede Gesellschaft ihren Aktionären auch tatsächlich mindestens eine wirksame Methode für die Benachrichtigung auf elektronischem Wege anbietet (S. 2 Hs. 2). Um einen sicheren Nachweis der Bestellung und Benachrichtigung zu gewähr- 92 leisten, müssen die Mitgliedstaaten andererseits aber sicherstellen, dass beides in jedem Fall schriftlich erfolgen muss (Art. 11 Abs. 2 S. 1). Gemeint ist hier indes nicht etwa „Schriftform“ i.S.d. deutschen § 126 BGB (also mit eigenhändiger Unterschrift) 229; „schriftlich“ 230 i.S.d. RL entspricht vielmehr dem, was im deutschen Recht unter „Textform“ (§ 126b BGB) verstanden wird.231 Dies ergibt sich bereits unzweifelhaft aus dem in Art. 11 Abs. 1 normierten Erfordernis der Zulässigkeit elektronischer Kommunikation, bei der eine eigenhändige Unterschrift a priori nicht möglich ist.232 Ferner erfordert „schriftlich“ aber insbesondere auch nicht etwa eine elektronische Signatur i.S.d. Signatur-RL233;234 der europäische Gesetzgeber hat dies mit Blick auf das Ziel der Erleichterung der Stimmrechtsvertretung und des Abbaus formaler Hürden bewusst nicht vorgesehen. „Schriftlich“ i.S.d. Art. 11 Abs. 2 S. 1 wäre also etwa eine e-mail, ein Bildschirmformular, ein Internetdialog oder auch eine SMS 235. Art. 11 Abs. 2 S. 2 lässt daher auch weitergehende formale Anforderungen an die 93 Vertreterbestellung, die Benachrichtigung und die Erteilung etwaiger Abstimmungsanweisungen nur insoweit zu, als dies für die Identitätsfeststellung von Aktionär und Vertreter bzw. die Möglichkeit einer Überprüfung des Inhalts der Abstimmungsanweisungen erforderlich und angemessen ist.

228 Vgl. auch Bachner/Dokalik GesRZ 2007, 104, 114. 229 So aber Pluskat WM 2007, 2135, 2138; zumindest sehr missverständlich auch Ratschow DStR 2007, 1402, 1407. 230 Englisch: „in writing“, französisch „par écrit“. 231 Vgl. Bydlinski/Bachner GeS 2009, 88, 99; Bachner/Dokalik GesRZ 2007, 104, 115; Grundmann BKR 2009, 31, 37; Noack FS Westermann, 2008, S. 1203, 1212; Ochmann (Fn. 17), S. 172 f.; Reich-Rohrwig/Moser ecolex 2009, 38, 39; J. Schmidt WM 2009, 2350, 2356; Wicke FS Kanzleiter, 2010, S. 415, 428; Zetzsche NZG 2007, 686, 690. 232 Vgl. Bachner/Dokalik GesRZ 2007, 104, 115. 233 RL 1999/93/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 13.12.1999 über gemeinschaftliche Rahmenbedingungen für elektronische Signaturen, ABlEG v. 19.1.2000, L 13/12. 234 Vgl. Bachner/Dokalik GesRZ 2007, 104, 115; Noack FS Westermann, 2008, S. 1203, 1212; Ochmann (Fn. 17), S. 171 f.; s. ferner auch schon Wand/Tillmann AG 2006, 443, 449; für Zulässigkeit einer elektronischen Signatur jedoch BDI, Stellungnahme z. ARUG, 13.2.2009, Dok. Nr. 0257, abrufbar unter www.bdi.de, S. 10; DAI, Stellungnahme z. RegE ARUG, 23.2.2009, abrufbar unter www.dai.de, S. 27 f. 235 Vgl. BegrRegE z. ARUG, BR-Drs. 847/08, S. 49; Spindler (Fn. 111), § 134 Rn. 42.

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Gem. Art. 11 Abs. 3 gelten dieselben Standards auch für den actus contrarius des Widerrufs der Vertreterbestellung. 95 Das deutsche Recht genügte diesen Vorgaben nicht, da § 134 Abs. 3 S. 2 AktG a.F. für die Vollmacht Schriftform (i.S.d. § 126 BGB) verlangte und nur eine Erleichterung durch die Satzung gestattete. Der zur RL-Umsetzung durch das ARUG eingeführte § 134 Abs. 3 S. 3 Akt n.F. verlangt nur noch Textform (§ 126b BGB), börsennotierte AG dürfen aber Erleichterungen und nicht börsennotierte darüber hinaus auch Erschwerungen vorsehen; § 134 Abs. 3 S. 4 AktG n.F. verpflichtet börsennotierte AG in Umsetzung von Art. 11 Abs. 1 S. 2, mindestens einen Weg elektronischer Kommunikation für die Übermittlung des Nachweises der Bevollmächtigung anzubieten.236 Im Wege der richtlinienkonformen Auslegung ist das Textformerfordernis des § 134 Abs. 3 S. 3 AktG n.F. auch auf die Depotvollmacht i.S.d. § 135 AktG zu erstrecken; die bisherige Interpretation des § 135 AktG als Formfreiheit gewährende lex specialis 237 ist wegen Unvereinbarkeit mit der RL nicht länger haltbar.238 94

6. Beseitigung bestimmter Hemmnisse betreffend Intermediäre a) Ratio und Regelungsbereich 96 Speziell im grenzüberschreitenden Kontext werden Aktien häufig über Intermediäre gehalten; meist ist sogar eine ganze Kette von Intermediären zwischengeschaltet.239 Art. 13 zielt darauf ab, bestimmte Hemmnisse zu beseitigen, die sich aus den nationalen Rechtsvorschriften einiger Mitgliedstaaten speziell in diesen – praktisch sehr wichtigen – Fällen ergaben.240 Da der Terminus des „Intermediärs“ im Rechtssinn allerdings bereits durch das Haager Wertpapierübereinkommen241 vorgeprägt ist, ver-

236 Vgl. dazu BegrRegE z. ARUG, BR-Drs. 847/08, S. 48 f.; Arnold Konzern 2009, 88, 93; Drinhausen/Keinath BB 2009, 64, 68; Götze NZG 2010, 93 ff.; Herrler/Reymann DNotZ 2009, 815, 822; Ochmann (Fn. 17), S. 173; Paschos/Goslar AG 2009, 14, 19; Seibert/Florstedt ZIP 2008, 2145, 2146; Wicke FS Kanzleiter, 2010, S. 415, 427 f. 237 Vgl. Grundmann (Fn. 224), § 135 Rn. 45 m.w.N. 238 Vgl. J. Schmidt WM 2009, 2350, 2356; Grundmann BKR 2009, 31, 37; Spindler (Fn. 111), § 135 Rn. 8; vgl. ferner auch Hellgardt/Hoger ZGR 2011, 38, 70; Ochmann (Fn. 17), S. 173 f. Auch weiterhin für eine Interpretation als lex specialis jedoch Grobecker NZG 2010, 165, 167; Rieckers (Fn. 68), § 135 Rn. 17; Wettich NZG 2011, 721, 722. S. zum Ganzen ferner auch Simon/Zetzsche ZGR 2010, 918, 937 Fn. 99) (Schriftlichkeitsgebot jedenfalls auf Grund der bankrechtlich vorgeschriebenen Dokumentationspflichten und der Zusendung schriftlicher Stimmrechtsunterlagen an die Gesellschaft erfüllt). 239 Vgl. SEC(2006) 181, S. 136. Sehr anschaulich dazu etwa Schouten (2009) 16 Colum. J. Eur. L. 1, 5 ff.; Wymeersch FS Hopt, 2010, S. 1565, 1567 ff. 240 Vgl. Bachner/Dokalik GesRZ 2007, 104, 116; Ochmann (Fn. 17), S. 174. 241 Haager Übereinkommen über die auf bestimmte Rechte in Bezug auf intermediär-verwahrte Wertpapiere anzuwendende Rechtsordnung v. 5.7.2006, amtliche deutsche Übersetzung abgedruckt in RabelsZ 68 (2004) 757 ff.; Legaldefinition des „Intermediärs“ in Art. 1 Abs. 1 lit. c.

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wendet die RL diesen Begriff nur in Erwägungsgrund 11, nicht aber in Art. 13 selbst.242 Dieser bezeichnet vielmehr auch den Intermediär nur allgemein als Aktionär. Nach der Legaldefinition in seinem Abs. 1 findet Art. 13 Anwendung, wenn eine natürliche oder juristische Person, die nach dem anwendbaren Recht als Aktionär anerkannt ist (vgl. zur kollisionsrechtlichen Verweisung hinsichtlich der Aktionärseigenschaft bereits o. Rn. 9), im Rahmen einer beruflichen Tätigkeit für eine andere natürliche oder juristische Person („Klient“) tätig wird. Art. 13 bezieht sich also auf Konstellationen, in denen eine Person, die nach dem Gesellschaftsstatut Aktionär ist (legal owner), ihre Aktionärseigenschaft tatsächlich für Rechnung einer anderen Person (beneficial owner) wahrnimmt.243 Die Vorschrift fungiert damit als Korrelat zur Stimmrechtsvertretung nach Art. 10 (dazu o. Rn. 61 ff.), bei der sich die nach dem Gesellschaftstatut als Aktionär anerkannte Person bei der Ausübung ihrer Rechte durch einen Bevollmächtigten vertreten lässt; in beiden Fällen werden die Rechte in der Hauptversammlung im Interesse einer anderen Person ausgeübt und in beiden Konstellationen will die RL gewährleisten, dass die materielle Letztentscheidung über die Art und Weise der Stimmrechtsausübung allein und effektiv dem „wahren Aktionär“ (beneficial owner) zukommt (vgl. auch bereits o. Rn. 65).244 Art. 13 erfasst damit insbesondere Fälle, in denen das nationale Recht bestimmt, 97 dass bei Gesellschaften mit Namensaktien die im Aktionärsregister eingetragene Person als Aktionär gilt, diese Person aber tatsächlich als bloßer „Platzhalter“ („nominee“, „street name“) fungiert – wie dies etwa in Deutschland 245 oder im UK 246 zulässig und üblich ist – oder lediglich als „Legitimationsaktionär“ eingetragen ist – wie dies z.B. ebenfalls in Deutschland 247 möglich ist (in Österreich wurde dies mit dem ARÄG 248 abgeschafft 249).250

242 243 244 245 246 247 248 249 250

Vgl. Bachner/Dokalik GesRZ 2007, 104, 116; Ochmann (Fn. 17), S. 174. Vgl. Bachner/Dokalik GesRZ 2007, 104, 116. Vgl. Bachner/Dokalik GesRZ 2007, 104, 116; Ochmann (Fn. 17), S. 175. Vgl. § 67 Abs. 4 S. 5 AktG, dazu etwa Grigoleit/Rachlitz ZHR 174 (2010) 12, 39 ff.; Hüffer (Fn. 41), § 67 Rn. 21. Vgl. zur Situation im UK: Davies, Gower and Davies’ Principles of Modern Company Law, 8. Aufl. 2008, 15–17 ff. m.w.N. Arg. e § 129 Abs. 3 AktG, vgl. Hüffer (Fn. 41), § 129 Rn. 12; Grigoleit/Rachlitz ZHR 174 (2010) 12, 31 ff.; Noack NZG 2008, 721 f. m.w.N. Aktienrechts-Änderungsgesetz 2009 – AktRÄG 2009, öBGBl. I Nr. 71/2009. Vgl. Begr. Ministerialentwurf, 233/ME XXIII. GP, S. 20; Potyka ÖJZ 2009, 701, 706; Reich-Rohrwig/Moser ecolex 2009, 38, 42; Schrank/Stadler GeS 2008, 384, 387. Vgl. Bachner/Dokalik GesRZ 2007, 104, 116; Ochmann (Fn. 17), S. 176; Zetzsche NZG 2007, 686, 687.

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b) Die Regelungen zum Abbau von Hemmnissen im Einzelnen aa) Publizitätsanforderungen (Art. 13 Abs. 2) 98 Im Spannungsfeld zwischen dem Wunsch vieler beneficial owner nach Anonymität einerseits und dem Interesse der Gesellschaft (und der Öffentlichkeit) an einer Transparenz bezüglich der Aktionärsstruktur andererseits beschreitet die RL in Art. 13 Abs. 2 einen Mittelweg: Das nationale Recht darf zwar grundsätzlich Publizitätsanforderungen vorsehen; soweit diese jedoch Vorbedingung für die Stimmrechtsausübung durch den Intermediär sind, dürfen sie nicht über den Maximalstandard einer Liste hinausgehen, die die Identität eines jeden Klienten und die jeweilige Zahl der Aktien, aus denen für ihn das Stimmrecht ausgeübt wird, gegenüber der Gesellschaft offen legt. 99 Die deutschen Publizitätspflichten nach § 67 Abs. 2 und 4 AktG und § 129 Abs. 3 AktG wahren diesen Rahmen.251

bb) Formale Anforderungen (Art. 13 Abs. 3) 100 Formale Anforderungen an die Ermächtigung des Intermediärs zur Stimmrechtsausübung oder an Abstimmungsanweisungen sind gem. Art. 13 Abs. 3 – korrespondierend mit der Parallelregelung in Art. 11 Abs. 2 S. 2 (dazu o. Rn. 93) 252 – nur insoweit zulässig, als dies für die Identitätsfeststellung des Klienten bzw. die Möglichkeit einer Überprüfung des Inhalts der Abstimmungsanweisungen erforderlich und angemessen ist. In jedem Fall zulässig sein dürfte insofern jedenfalls entsprechend der Wertung des Art. 11 Abs. 2 S. 1 (dazu o. Rn. 92) ein Textformerfordernis.253 101 Das im deutschen Recht geltende Erfordernis der Textform für die Ermächtigung an Kreditinstitute etc.254 ist folglich richtlinienkonform.

cc) Gespaltene Abstimmung (split voting) (Art. 13 Abs. 4) 102 Damit Intermediäre den potentiell unterschiedlichen Abstimmungsweisungen ihrer verschiedenen Klienten Rechnung tragen können 255, müssen die Mitgliedstaaten ihnen gem. Art. 13 Abs. 4 – der insofern lex specialis zu Art. 10 Abs. 2 Unterabs. 2 S. 3 (dazu o. Rn. 74) ist – in jedem Fall gestatten, für verschiedene Aktien unterschiedlich abzustimmen (sog. gespaltene Abstimmung bzw. split voting).

251 252 253 254

Vgl. Zetzsche NZG 2007, 686, 687. Vgl. Bachner/Dokalik GesRZ 2007, 104, 117. Vgl. auch Bachner/Dokalik GesRZ 2007, 104, 117. Vgl. J. Schmidt WM 2009, 2350, 2356; Spindler (Fn. 111), § 135 Rn. 51; a.A. (formlos): Rieckers (Fn. 68), § 135 Rn. 100. 255 Vgl. Bachner/Dokalik GesRZ 2007, 104, 117 f.

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Für das deutsche Recht war dies nichts Neues; es kennt generell kein Verbot des 103 split voting (vgl. bereits o. Rn. 75).

dd) Separate Stellvertretung für jeden Klienten (Art. 13 Abs. 5) Die RL gewährleistet aber nicht nur, dass jeder Klient sein Letztentscheidungsrecht 104 über die Stimmrechtsausübung durch eine Abstimmungsweisung an den Intermediär zur Geltung bringen kann (Art. 13 Abs. 4, dazu o. Rn. 103), sondern berücksichtigt außerdem, dass ein Klient es evtl. bevorzugt, das Stimmrecht selbst als „Stimmrechtsvertreter“ des Intermediärs auszuüben oder einen Dritten als Stimmrechtsvertreter zu bestellen. Gem. Art. 13 Abs. 5 muss das nationale Recht es daher – unabhängig von etwaigen allgemeinen Obergrenzen für die Zahl der Stimmrechtsvertreter gem. Art. 10 Abs. 2 Unterabs. 2 S. 1 (dazu o. Rn. 73); Art. 13 Abs. 5 ist insofern lex specialis – in jedem Fall zulassen, dass für jeden Klienten eines Intermediärs ein separater Stimmrechtsvertreter (entweder der Klient selbst oder ein von diesem benannter Dritter) bestellt wird.256 Mit dem durch das ARUG eingeführten § 134 Abs. 3 S. 2 AktG n.F. (dazu bereits 105 o. Rn. 75) ist ein Aktionär (und damit auch ein Intermediär i.S.d. Art. 13) nun zwar auch nach deutschem Recht unstreitig grundsätzlich berechtigt, mehrere Bevollmächtigte zu bestellen. Soweit die Vorschrift allerdings eine Zurückweisung eines oder mehrerer von mehreren Bevollmächtigten durch die Gesellschaft gestattet, ist sie in Fällen, in denen der Aktionär Intermediär i.S.d. Art. 13 Abs. 1 ist, richtlinienkonform zu reduzieren.257 c) Fragmentarischer Charakter des Art. 13 Die Regelung des Art. 13 ist i.Ü. vor dem Hintergrund der generell äußerst kontro- 106 versen Intermediärsproblematik bewusst auf die Regelung bestimmter Teilaspekte und den Abbau einiger als besonders obstruktiv empfundener Hindernisse beschränkt. Nicht geregelt sind zum einen (anders als für Stimmrechtsvertreter, dazu o. 107 Rn. 78 ff.) etwaige materielle Anforderungen im Hinblick auf potentielle Interessenkonflikte 258; insoweit besteht folglich weiterhin vollständige Regelungsautonomie der Mitgliedstaaten.259

256 Hierfür hatte sich speziell das EP stark gemacht, vgl. Dok. 15877/06, S. 2, Dok. 15969/06, S. 2 f. 257 Vgl. auch Zetzsche NZG 2007, 686, 687 (Mindestzahl entsprechend der Zahl der Hinterleute). 258 Hierunter fallen im deutschen Recht speziell die im Falle der Ermächtigung gem. § 135 Abs. 6 S. 2 AktG entsprechend anwendbaren Regelungen zu den Ausübungsmodi sowie die speziellen Offenlegungspflichten beim Depotstimmrecht (dazu bereits o. Rn. 88); vgl. zur Parallelproblematik im österreichischen Recht Bachner/Dokalik GesRZ 2007, 104, 117. 259 Vgl. auch Bachner/Dokalik GesRZ 2007, 104, 117 Fn. 100.

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Ferner enthält die RL – anders als i.R.d. 2. Konsultation260 und des Legislativverfahrens261 wiederholt angeregt – keine Vorgaben hinsichtlich Rolle und Pflichten der Intermediäre im Abstimmungsprozess. Nachdem insoweit kein Konsens erzielt werden konnte, wurde in Erwägungsgrund 11 auf einen Kompromissvorschlag der finnischen Ratspräsidentschaft 262 hin vielmehr nur eine entsprechende Empfehlung der Kommission in Aussicht gestellt 263.264 Obgleich dazu im Jahr 2007 auch eine 3. Konsultation 265 durchgeführt wurde, wurde eine solche aber bislang nicht verabschiedet 266. Allerdings hat die Kommission die Problematik inzwischen i.R.d. Vorarbeiten für eine Securities Law Directive, für die sie noch 2011 einen Vorschlag in Aussicht gestellt hat (vgl. dazu bereits o. Rn. 9), wieder aufgegriffen.

7. Feststellung und Veröffentlichung der Abstimmungsergebnisse (Art. 14) a) Ratio 109 Abgerundet wird das Regelungsprogramm der RL durch die in Art. 14 normierten Mindeststandards betreffend die Feststellung und Veröffentlichung der Abstimmungsergebnisse. Damit soll einerseits gewährleistet werden, dass das Abstimmungsergebnis die Vorstellungen der Aktionäre genau widerspiegelt;267 anderseits aber auch, dass alle Aktionäre – auch diejenigen, die ihr Stimmrecht elektronisch, auf postalischem Wege oder mittels eines Stimmrechtsvertreters ausgeübt haben – Zugang zu den Abstimmungsergebnissen erhalten und sich damit vergewissern können, dass die Gesellschaft ihre Stimmen tatsächlich berücksichtigt hat 268. 110 Wie Art. 14 Abs. 3 ausdrücklich klarstellt, beschränkt sich die RL ausschließlich auf rein formale Regeln betreffend die Feststellung des Abstimmungsergebnisses und seine Offenlegung; die Regelung der formellen und materiellen Voraussetzungen für die Beschlusswirksamkeit sowie sämtliche Fragen im Zusammenhang mit einer

260 Vgl. Synthesis 2. Konsultation (Fn. 5), S. 21. 261 Die Niederlande hatten einen Art. 13a vorgeschlagen, der Intermediäre verpflichten sollte, das Stimmrecht entweder selbst entsprechend etwaiger Abstimmungsanweisungen auszuüben oder diese an andere Intermediäre weiterzuleiten (vgl. Dok. 11707/06); dies fand zwar bei einigen Mitgliedstaaten Unterstützung, andere machten jedoch erhebliche Vorbehalte geltend (vgl. Dok. 13976/06, S. 20). 262 Vgl. Dok. 14809/06. 263 Vgl. dazu auch die Erklärung der Kommission bei Verabschiedung der RL: Dok. 10009/07 ADD 1. 264 Vgl. zum Ganzen auch Schouten (2009) 16 Colum. J. Eur. L. 1, 22 ff.; Winter FS Wymeersch, 2009, S. 43, 58. 265 S. Fn. 81. 266 Vgl. zu möglichen Gründen Schouten (2009) 16 Colum. J. Eur. L. 1, 28 ff. 267 Vgl. Erwägungsgrund 13; KOM(2005) 685, S. 8; Grundmann/Winkler ZIP 2006, 1421, 1427; J. Schmidt BB 2006, 1641, 1645. 268 Vgl. KOM(2005) 685, S. 9; Grundmann Rn. 430; J. Schmidt BB 2006, 1641, 1645.

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etwaigen Beschlussanfechtung bleiben dem nationalen Recht überlassen.269 Hintergrund ist, dass eine Harmonisierung der in diesen Fragen sehr unterschiedlichen nationalen Rechtsordnungen einerseits nicht zuletzt auch mit Blick auf die komplexen Interrelationen mit dem nationalen Zivilprozessrecht sehr schwierig wäre, andererseits für die Ziele der RL nicht unbedingt notwendig erschien.

b) Feststellung der Abstimmungsergebnisse (Art. 14 Abs. 2) Gem. Art. 14 Abs. 1 Unterabs. 1 muss die Gesellschaft für jeden Beschluss grundsätz- 111 lich mindestens feststellen: – die Zahl der Aktien, für die gültige Stimmen abgegeben wurden; – den Anteil des durch diese Stimmen vertretenen Aktienkapitals (gemeint ist – wie sich aus der französischen Fassung ergibt – das gesamte Grundkapital 270, nicht nur das bei der Beschlussfassung vertretene 271); – die Gesamtzahl der abgegebenen gültigen Stimmen; – für jeden Beschluss: die Zahl der Für- und Gegenstimmen sowie ggf. die Zahl der Enthaltungen. Vorgaben zur Art und Weise der Stimmauszählung macht die RL allerdings nicht; insbesondere erklärt sie auch nicht etwa – wie vereinzelt angenommen272 – das Subtraktionsverfahren für unzulässig273. Nachdem einige Mitgliedstaaten Bedenken in Bezug auf Aufwand und Kosten 112 einer solchen detaillierten Feststellung geltend gemacht hatten274 und Irland und das UK wegen der damit verbundenen Abschaffung der Möglichkeit eines Abstimmens per Handzeichen (show of hands) einen Prüfungsvorbehalt eingelegt hatten275, wurde in Unterabs. 2 auf einen Kompromissvorschlag der finnischen Ratspräsidentschaft 276 hin eine Mitgliedstaatenoption eingefügt, die es den Mitgliedstaaten gestattet, vorzusehen oder den Gesellschaften zu gestatten vorzusehen, dass sich die Feststellung da-

269 Vgl. Grundmann Rn. 432; Zetzsche NZG 2007, 686, 689. Unzutreffend insofern Pluskat WM 2007, 2135, 2139, die annimmt, dass damit zwingend vorgegeben ist, dass ein Verstoß keinen Anfechtungs- oder Nichtigkeitsgrund bedeutet. 270 Vgl. Noack DB 2010, 2657, 2660; Scholz/Wenzel AG 2010, 443, 444 ff.; Wilm DB 2010, 1685, 1691; Ziemons (Fn. 68), § 130 Rn. 17; zur deutschen Umsetzung in § 130 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 AktG (dazu noch u. Rn. 113) auch Bungert/Wettich ZIP 2011, 160, 165; Merkner/ Sustmann NZG 2010, 568, 569 f. So i.Ü. auch das Verständnis des BMJ, das eine entsprechende Klarstellung in § 130 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 plant, vgl. BegrRefE AktÄndG 2011, S. 16 (http://www.bmj.de/SharedDocs/Downloads/DE/pdfs/RefE_Aktienrechtsnovelle 2011. pdf?_blob=publicationFile). 271 So aber zu § 130 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 AktG: Deilmann/Otte BB 2010, 722 ff. 272 Vgl. Karollus GeS 2006, 99, 103 (zum RL-E). 273 Vgl. Bachner/Dokalik GesRZ 2007, 104, 118; Ochmann (Fn. 17), S. 183 f. 274 Vgl. Dok. 15103/06, S. 3. 275 Vgl. Dok. 13976/06, S. 20. 276 Vgl. Dok. 15103/06, S. 2 f.

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rauf beschränkt, dass die erforderliche Mehrheit erreicht wurde, sofern alle Aktionäre damit einverstanden sind (d.h. jeder Aktionär muss das Recht haben, eine umfassende Darstellung des Abstimmungsergebnisses gem. Unterabs. 1 zu verlangen). 113 In Deutschland wurden die von Art. 14 Abs. 1 Unterabs. 1 geforderten Angaben zwar üblicherweise in das Hauptversammlungsprotokoll aufgenommen277, es fehlte jedoch eine gesetzliche Regelung. Diese wurde mit dem ARUG durch § 130 Abs. 2 S. 2 AktG n.F. geschaffen278; zugleich machte der Gesetzgeber mit dem erst durch den Rechtsausschuss279 auf Anregung der Praxis280 eingefügten § 130 Abs. 2 S. 3 AktG n.F. von der Option des Unterabs. 2 Gebrauch281. Etwaige Verstöße begründen jedenfalls keine Nichtigkeit (arg. e § 241 Abs. 1 Nr. 2 AktG) 282; die Anfechtbarkeit ist streitig283. c) Publizität der Abstimmungsergebnisse (Art. 14 Abs. 2) 114 Nach Art. 14 Abs. 2 muss die Gesellschaft die gem. Abs. 1 festgestellten Beschlussergebnisse (dazu o. Rn. 111 f.) auf ihrer Internetseite veröffentlichen; die RL setzt also auch insofern auf moderne Kommunikationsmittel, zumal hierdurch für die Gesellschaften keine nennenswerten Kosten entstehen284. Die genaue Frist für die Internetpublikation bleibt den Mitgliedstaaten überlassen; sie darf aber jedenfalls nicht später als 15 Tage nach der Hauptversammlung erfolgen. 115 Der deutsche Gesetzgeber hat mit dem durch das ARUG eingefügten § 130 Abs. 6 AktG n.F. eine Publikationsfrist von 7 Tagen 285 normiert;286 für die meisten börsen-

277 Vgl. BegrRegE z. ARUG, BR-Drs. 847/08, S. 48; Drinhausen/Keinath BB 2008, 1238, 1243; Herrler/Reymann DNotZ 2009, 815, 823; Horn ZIP 2008, 1558, 1566; Paschos/ Goslar AG 2008, 605, 612; Weiler notar 2009, 313, 316. 278 Vgl. dazu BegrRegE z. ARUG, BR-Drs. 847/08, S. 47 f.; Deilmann/Otte BB 2010, 722 ff.; Drinhausen/Keinath BB 2008, 1238, 1244; Herrler/Reymann DNotZ 2009, 815, 823; Scholz/Wenzel AG 2010, 443 ff.; Seibert/Florstedt ZIP 2008, 2145, 2148; Wilm DB 2010, 1685, 1690 f. 279 Vgl. Bericht Rechtsausschuss z. ARUG, BT-Drs. 16/13098, S. 39. 280 Vgl. DAI (Fn. 234), S. 26; DNotV, Stellungnahme zum ARUG-RefE, 20.6.2008, abrufbar unter www.dnotv.de, S. 9. 281 Vgl. dazu Bosse NZG 2009, 807, 810; Deilmann/Otte BB 2010, 722, 724; Leitzen ZIP 2010, 1065 ff.; Wilm DB 2010, 1685, 1690. 282 Vgl. Hüffer (Fn. 41), § 130 Rn. 30; Herrler/Reymann DNotZ 2009, 815, 823; Scholz/ Wenzel AG 2010, 443, 446; Weiler notar 2009, 313, 316; Wicke in: Spindler/Stilz, AktG, 2. Aufl. 2010, § 130 Rn. 56. 283 Verneinend: Herrler/Reymann DNotZ 2009, 815, 823; Ochmann (Fn. 17), S. 186; jedenfalls für Nr. 2 auch Scholz/Wenzel AG 2010, 443, 446; s. ferner auch Wicke (Fn. 282), § 130 Rn. 56 (i.d.R. fehlt Relevanz); allg. gegen Anfechtbarkeit von Verstößen, die der Beschlussfassung nachfolgen (mangels Relevanz): Hüffer (Fn. 41), § 130 Rn. 32 m.w.N. (auch zur Gegenansicht). 284 Vgl. KOM(2005) 685, S. 9; J. Schmidt BB 2006, 1641, 1645. 285 Das UK (vgl. s. 341(1B) CA 2006) und Frankreich (vgl. Art. R225-106-1 C. com.) haben indessen die volle 15-Tages-Frist ausgenutzt; § 128 Abs. 2 öAktG verlangt eine Internetpublikation dagegen bereits am 2. Werktag nach der Hauptversammlung. 286 Vgl. dazu BegrRegE z. ARUG, BR-Drs. 847/08, S. 48.

Die Aktionärsrechterichtlinie

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notierten AG hatte eine solche Internetveröffentlichung aber auch schon zuvor zur „best practice“ gehört 287. Eine spezielle Sanktion ist nicht vorgesehen.288

VI. Fundstellenverzeichnis Grundlage:

Art. 50 Abs. 2 lit. g AEU [G Art. 44 Abs. 2 lit. g EG] und Art. 114 Abs. 1 S. 2 AEU [G Art. 95 Abs. 1 S. 2 EG]

Vorschläge:

Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Ausübung der Stimmrechte durch Aktionäre von Gesellschaften, die ihren eingetragenen Sitz in einem Mitgliedstaat haben und deren Aktien zum Handel auf einem geregelten Markt zugelassen sind, sowie zur Änderung der Richtlinie 2004/109/EG, 5.1.2006, KOM(2005) 685 = BR-Drs. 28/06

verabschiedete Fassung:

RL 2007/36/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 11.7.2007 über die Ausübung bestimmter Rechte von Aktionären in börsennotierten Gesellschaften, ABlEU v. 14.7.2007, L 184/17

Umsetzung in Deutschland: Gesetz zur Umsetzung der Aktionärsrechterichtlinie (ARUG) v. 30.7.2009, BGBl. I, 2479

287 Vgl. Drinhausen/Keinath BB 2008, 1238, 1243; Paschos/Goslar AG 2008, 605, 612; Pluskat WM 2007, 2135, 2139; J. Schmidt BB 2006, 1641, 1645. 288 Vgl. Hüffer (Fn. 41), § 130 Rn. 32; Ochmann (Fn. 17), S. 186 (der allerdings de lege ferenda für einen Ordnungswidrigkeitentatbestand plädiert); Wicke (Fn. 282), § 130 Rn. 56.

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RICHTLINIE 2007/36/EG DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES vom 11. Juli 2007 über die Ausübung bestimmter Rechte von Aktionären in börsennotierten Gesellschaften

DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT UND DER RAT DER EUROPÄISCHEN UNION, gestützt auf den Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, insbesondere auf Artikel 44 und Artikel 95, auf Vorschlag der Kommission, nach Stellungnahme des Europäischen Wirtschaftsund Sozialausschusses(1), gemäß dem Verfahren des Artikels 251 des Vertrags(2), in Erwägung nachstehender Gründe: (1) Die Kommission hat in ihrer Mitteilung an den Rat und das Europäische Parlament vom 21. Mai 2003 mit dem Titel „Modernisierung des Gesellschaftsrechts und Verbesserung der Corporate Governance in der Europäischen Union – Aktionsplan“, die Auffassung vertreten, dass neue gezielte Initiativen eingeleitet werden sollten, um die Rechte der Aktionäre in börsennotierten Gesellschaften zu stärken, und dass die Probleme im Zusammenhang mit der Stimmrechtsausübung im Ausland dringend gelöst werden sollten. (2) In seiner Entschließung vom 21. April 2004(3) unterstützte das Europäische Parlament die Kommission in ihrer Absicht, die Rechte der Aktionäre insbesondere durch erweiterte Transparenzregeln, Vertretungsrechte bei der Ausübung des Stimmrechts, die Möglichkeit der Teilnahme an Hauptversammlungen auf elektronischem Wege sowie die Gewährleistung der grenzüberschreitenden Stimmrechtsausübung zu stärken. (3) Die Inhaber von Aktien, die mit Stimmrechten verbunden sind, sollten diese Rechte ausüben können, da sie sich in dem Preis niederschlagen, der für den Erwerb der Aktien zu zahlen ist. Darüber hinaus ist eine wirksame Kontrolle durch die Aktionäre eine Grundvoraussetzung für eine solide Unternehmensführung und sollte daher erleichtert und gefördert werden. Es ist deshalb notwendig, Maßnahmen zu erlassen, mit denen die Rechts-

(1) ABl. C 318 vom 23.12.2006, S. 42. (2) Stellungnahme des Europäischen Parlaments vom 15. Februar 2007 (noch nicht im Amtsblatt veröffentlicht) und Beschluss des Rates vom 12. Juni 2007. 3 ( ) ABl. C 104 E vom 30.4.2004, S. 714.

vorschriften der Mitgliedstaaten zu diesem Zweck angeglichen werden können. Hindernisse, die die Aktionäre von der Stimmabgabe abhalten, wie etwa Bestimmungen, die als Voraussetzung für die Ausübung der Stimmrechte die Sperrung der Aktien während eines bestimmten Zeitraums vor der Hauptversammlung verlangen, sollten beseitigt werden. Diese Richtlinie berührt indes nicht die Gemeinschaftsvorschriften über Anteile, die von Organismen für gemeinsame Anlagen ausgegeben, erworben oder veräußert werden. (4) Die geltenden gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften reichen zur Verwirklichung dieses Ziels nicht aus. Die Richtlinie 2001/34/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Mai 2001 über die Zulassung von Wertpapieren zur amtlichen Börsennotierung und über die hinsichtlich dieser Wertpapiere zu veröffentlichenden Informationen(4) behandelt die Informationen, die die Emittenten dem Markt offen zu legen haben, und geht folglich nicht auf den Abstimmungsprozess der Aktionäre als solchen ein. Darüber hinaus schreibt die Richtlinie 2004/109/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Dezember 2004 zur Harmonisierung der Transparenzanforderungen in Bezug auf Informationen über Emittenten, deren Wertpapiere zum Handel auf einem geregelten Markt zugelassen sind(5), den Emittenten verbindlich vor, bestimmte Informationen und Dokumente, die für Hauptversammlungen von Bedeutung sind, zur Verfügung zu stellen; allerdings müssen solche Informationen und Dokumente im Herkunftsmitgliedstaat des Emittenten zur Verfügung gestellt werden. Daher sollten gewisse Mindestnormen zum Schutz der Anleger und zur Förderung einer reibungslosen und wirksamen Ausübung der mit Stimmrechtsaktien verbundenen Rechte der Aktionäre eingeführt werden. Bei anderen Rechten als dem Stimmrecht steht es den Mitgliedstaaten frei, die Anwendung dieser Mindestnormen auch auf stimmrechtslose Aktien auszudehnen, soweit dies nicht bereits der Fall ist. (5) Große Pakete von Aktien börsennotierter Gesellschaften werden von Aktionären gehalten, die

(4) ABl. L 184 vom 6.7.2001, S. 1. Richtlinie zuletzt geändert durch die Richtlinie 2005/1/EG (ABl. L 79 vom 24.3.2005, S. 9). (5) ABl. L 390 vom 31.12.2004, S. 38.

Die Aktionärsrechterichtlinie nicht in dem Mitgliedstaat ansässig sind, in dem die Gesellschaft ihren Sitz hat. Gebietsfremde Aktionäre sollten ihre Rechte in der Hauptversammlung ebenso leicht ausüben können wie Aktionäre, die in dem Mitgliedstaat wohnen, in dem die Gesellschaft ihren Sitz hat. Dies macht es erforderlich, die bestehenden Hindernisse beim Zugang gebietsfremder Aktionäre zu den für die Hauptversammlung relevanten Informationen und bei der Ausübung der Stimmrechte ohne persönliche Anwesenheit auf der Hauptversammlung zu beseitigen. Die Beseitigung dieser Hindernisse sollte auch den gebietsansässigen Aktionären zugute kommen, die bei der Hauptversammlung nicht anwesend sind oder sein können. (6) Die Aktionäre sollten in der Lage sein, unabhängig vom Ort ihres Wohnsitzes in der Hauptversammlung selbst oder davor in Kenntnis der Sachlage ihr Stimmrecht wahrzunehmen. Alle Aktionäre sollten genügend Zeit haben, um die der Hauptversammlung vorzulegenden Unterlagen zu prüfen und ihr Abstimmungsverhalten festzulegen. Deshalb sollte die Hauptversammlung rechtzeitig vorher anberaumt werden, und die Aktionäre sollten die vollständigen Informationen erhalten, die der Hauptversammlung vorgelegt werden sollen. Dazu sollten die Möglichkeiten genutzt werden, die die modernen Technologien für einen unmittelbaren Zugang zu Informationen bieten. Mit dieser Richtlinie wird vorausgesetzt, dass alle börsennotierten Gesellschaften bereits über eine Internetseite verfügen. (7) Grundsätzlich sollte es den Aktionären möglich sein, neue Punkte auf die Tagesordnung der Hauptversammlung setzen zu lassen und Beschlussvorlagen zu Tagesordnungspunkten einzubringen. Unbeschadet der unterschiedlichen Zeitrahmen und Modalitäten, die derzeit in der Gemeinschaft verwendet werden, sollte die Ausübung dieser Rechte zwei grundlegenden Regeln unterliegen: Die für die Ausübung dieser Rechte erforderliche Mindestbeteiligung am Aktienkapital der Gesellschaft sollte nicht höher als 5 % sein, und alle Aktionäre sollten in jedem Fall so rechtzeitig die endgültige Fassung der Tagesordnung erhalten, dass sie ihre Beiträge und die Stimmabgabe zu allen Tagesordnungspunkten vorbereiten können. (8) Jeder Aktionär sollte grundsätzlich die Möglichkeit haben, Fragen zu Punkten auf der Tagesordnung der Hauptversammlung zu stellen und Antworten auf diese Fragen zu erhalten; die Vorschriften darüber, wie und wann Fragen zu stellen und Antworten zu geben sind, sollten jedoch die Mitgliedstaaten festlegen können. (9) Es sollte keine rechtlichen Hindernisse für Gesellschaften geben, ihren Aktionären die Teilnahme an der Hauptversammlung auf elektronischem Wege zu ermöglichen. Die Ausübung des Stimmrechts ohne persönliche Anwesenheit auf der Hauptversammlung – ob per Brief oder auf elektronischem Wege – sollte an keine weiteren Bedin-

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gungen als die Überprüfung der Identität und die Gewährleistung der Sicherheit der Kommunikation geknüpft sein. Allerdings sollte es den Mitgliedstaaten unbenommen bleiben, Vorschriften zu erlassen um sicherzustellen, dass die Ergebnisse der Abstimmung die Absichten der Aktionäre unter allen Umständen widerspiegeln, und zwar auch Vorschriften für den Fall, dass neue Umstände auftreten oder bekannt werden, nachdem ein Aktionär sein Stimmrecht per Brief oder auf elektronischem Wege ausgeübt hat. (10) Eine gute Unternehmensführung erfordert reibungslose und wirksame Verfahren für die Stimmrechtsvertretung. Bestehende Beschränkungen und Zwänge, die eine Stimmrechtsvertretung schwerfällig und kostspielig machen, sollten daher beseitigt werden. Eine gute Unternehmensführung erfordert aber auch angemessene Schutzvorkehrungen gegen einen möglichen Missbrauch der Stimmrechtsvertretung. Der Vertreter sollte daher verpflichtet sein, Anweisungen, die der Aktionär ihm erteilt hat, zu befolgen, und die Mitgliedstaaten sollten geeignete Maßnahmen ergreifen können um zu gewährleisten, dass der Vertreter keine anderen Interessen verfolgt als die des Aktionärs, unabhängig davon, aus welchen Gründen der Interessenkonflikt zustande kam. Maßnahmen gegen einen möglichen Missbrauch können insbesondere in Regelungen bestehen, die die Mitgliedstaaten annehmen, um die Tätigkeit von Personen zu regeln, die sich aktiv um die Sammlung von Vertretungen bemühen oder die mehr als eine bestimmte wesentliche Anzahl von Vertretungen gesammelt haben; solche Regelungen sollten insbesondere ein angemessenes Maß an Zuverlässigkeit und Transparenz gewährleisten. Nach dieser Richtlinie haben Aktionäre ein uneingeschränktes Recht, solche Personen für die Teilnahme an der Hauptversammlung und die Stimmabgabe in ihrem Namen zu bestellen. Allerdings berührt diese Richtlinie nicht Vorschriften oder Sanktionen, die die Mitgliedstaaten auf solche Personen anwenden, wenn Abstimmungen unter betrügerischer Verwendung gesammelter Stimmrechte erfolgen. Ferner verpflichtet diese Richtlinie die Gesellschaften nicht zu überprüfen, ob Vertreter entsprechend den Anweisungen der Aktionäre, von denen sie bestellt wurden, abstimmen. (11) Sind Finanzintermediäre zwischengeschaltet, so hängt die Wirksamkeit der weisungsgebundenen Abstimmung weitgehend davon ab, ob die Kette der Intermediäre funktioniert, da die Investoren meist die mit ihren Aktien verbundenen Stimmrechte nur dann ausüben können, wenn alle Intermediäre dieser Kette, auch wenn sie selbst möglicherweise kein wirtschaftliches Interesse an den Aktien haben, zusammenarbeiten. Damit die Investoren ihre Stimmrechte grenzüberschreitend ausüben können, ist es daher wichtig, dass die Intermediäre die Ausübung dieser Rechte erleichtern. Diesem Aspekt sollte die Kommission zusätzlich Rechnung tragen, indem sie eine Empfehlung abgibt um sicherzustellen, dass die Investoren Zu-

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gang zu wirksamen Abstimmungsdiensten erhalten und dass die Stimmrechte ihren Weisungen entsprechend ausgeübt werden. (12) Obwohl der Zeitpunkt der Offenlegung von vor der Hauptversammlung per Brief oder auf elektronischem Wege abgegebenen Stimmen gegenüber dem Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgan oder der Öffentlichkeit eine wichtige Angelegenheit der Unternehmensführung ist, kann er vom Mitgliedstaat festgelegt werden. (13) Die Abstimmungsergebnisse sollten mit Methoden festgestellt werden, die die von den Aktionären geäußerten Abstimmungsabsichten widerspiegeln, und sie sollten nach der Hauptversammlung zumindest auf der Internetseite der Gesellschaft veröffentlicht werden. (14) Da das Ziel dieser Richtlinie, nämlich es den Aktionären zu gestatten, ihre Stimmrechte in der Gemeinschaft tatsächlich geltend zu machen, auf Ebene der Mitgliedstaaten nicht ausreichend verwirklicht werden kann und daher wegen des Umfangs und der Wirkungen der Maßnahmen besser auf Gemeinschaftsebene zu verwirklichen ist, kann die Gemeinschaft im Einklang mit dem in Artikel 5 des Vertrags niedergelegten Subsidiaritätsprinzip tätig werden. Entsprechend dem in demselben Artikel genannten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geht diese Richtlinie nicht über das zur Erreichung dieses Ziels erforderliche Maß hinaus. (15) Nach Nummer 34 der Interinstitutionellen Vereinbarung über bessere Rechtsetzung(6) sind die Mitgliedstaaten aufgefordert, für ihre eigenen Zwecke und im Interesse der Gemeinschaft eigene Tabellen aufzustellen, aus denen im Rahmen des Möglichen die Entsprechungen zwischen dieser Richtlinie und den Umsetzungsmaßnahmen zu entnehmen sind, und diese zu veröffentlichen –

HABEN FOLGENDE RICHTLINIE ERLASSEN:

KAPITEL I ALLGEMEINE BESTIMMUNGEN

Artikel 1 Gegenstand und Anwendungsbereich (1) Diese Richtlinie legt die Anforderungen an die Ausübung bestimmter, mit Stimmrechtsaktien verbundener Rechte von Aktionären im Zusammenhang mit Hauptversammlungen von Gesellschaften fest, die ihren Sitz in einem Mitgliedstaat haben und deren Aktien zum Handel an einem in einem Mitgliedstaat gelegenen oder dort betriebenen geregelten Markt zugelassen sind.

(6) ABl. C 321 vom 31.12.2003, S. 1.

(2) Für die Regelung der in dieser Richtlinie erfassten Bereiche ist derjenige Mitgliedstaat zuständig, in dem die Gesellschaft ihren Sitz hat; Bezugnahmen auf „das anwendbare Recht“ sind Bezugnahmen auf die Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats. (3) Die Mitgliedstaaten können folgende Arten von Gesellschaften von dieser Richtlinie ausnehmen: a) Organismen für gemeinsame Anlagen im Sinne von Artikel 1 Absatz 2 der Richtlinie 85/611/ EWG des Rates vom 20. Dezember 1985 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften betreffend bestimmte Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren (OGAW)(7); b) Organismen, deren ausschließlicher Zweck es ist, beim Publikum beschafftes Kapital für gemeinsame Rechnung anzulegen, die nach dem Grundsatz der Risikostreuung arbeiten und die keine rechtliche oder wirtschaftliche Beherrschung eines der Emittenten der zugrunde liegenden Veranlagungen anstreben, sofern diese Organismen für gemeinsame Anlagen von den zuständigen Behörden zugelassen sind und deren Aufsicht unterliegen und sie eine Verwahrstelle haben, die die Aufgaben im Sinne der Richtlinie 85/611/EWG wahrnimmt; c) Genossenschaften.

Artikel 2 Begriffsbestimmungen Für die Zwecke dieser Richtlinie gelten folgende Begriffsbestimmungen: a) „Geregelter Markt“ bezeichnet einen Markt im Sinne von Artikel 4 Absatz 1 Nummer 14 der Richtlinie 2004/39/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 über Märkte für Finanzinstrumente(8); b) „Aktionär“ bezeichnet die natürliche oder juristische Person, die nach dem anwendbaren Recht als Aktionär anerkannt ist; c) „Vertretung“ bezeichnet die durch einen Aktionär einer natürlichen oder juristischen Person erteilte Befugnis, in der Hauptversammlung in seinem Namen einen Teil oder sämtliche seiner Rechte als Aktionär wahrzunehmen.

Artikel 3 Weitere Maßnahmen auf nationaler Ebene Diese Richtlinie hindert die Mitgliedstaaten nicht daran, weitere Verpflichtungen für Gesellschaften einzuführen oder sonst weitere Maßnahmen zu

(7) ABl. L 375 vom 31.12.1985, S. 3. (8) ABl. L 145 vom 30.4.2004, S. 1.

Die Aktionärsrechterichtlinie ergreifen, um die Ausübung der in dieser Richtlinie genannten Rechte durch die Aktionäre zu erleichtern.

KAPITEL II HAUPTVERSAMMLUNGEN Artikel 4 Gleichbehandlung der Aktionäre Die Gesellschaft muss für alle Aktionäre, die sich bei der Teilnahme an der Hauptversammlung und der Ausübung der Stimmrechte in der Hauptversammlung in der gleichen Lage befinden, die gleiche Behandlung sicherstellen.

Artikel 5 Informationen vor der Hauptversammlung (1) Unbeschadet des Artikels 9 Absatz 4 und des Artikels 11 Absatz 4 der Richtlinie 2004/25/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 betreffend Übernahmeangebote(9) stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass die Gesellschaft die Einberufung der Hauptversammlung in einer der in Absatz 2 des vorliegenden Artikels genannten Formen spätestens am 21. Tag vor dem Tag der Versammlung vornimmt. Sofern die Gesellschaft allen Aktionären gleichermaßen die Möglichkeit einer Stimmabgabe auf elektronischem Wege eröffnet, können die Mitgliedstaaten vorsehen, dass die Hauptversammlung der Aktionäre beschließen kann, dass die Gesellschaft die Einberufung einer Hauptversammlung, bei der es sich nicht um die Jahreshauptversammlung handelt, in einer der in Absatz 2 des vorliegenden Artikels genannten Formen spätestens am 14. Tag vor dem Tag der Versammlung vornimmt. Dieser Beschluss bedarf einer Mehrheit von nicht weniger als zwei Dritteln der Stimmen der vertretenen Aktien oder des vertretenen gezeichneten Kapitals und gilt nur für den Zeitraum bis zur nächsten Jahreshauptversammlung. Wird eine zweite oder eine weitere Hauptversammlung einberufen, weil auf die erste Einberufung hin das erforderliche Quorum nicht erreicht worden ist, brauchen die Mitgliedstaaten für diese Einberufung die in Unterabsatz 1 und 2 genannten Fristen nicht einzuhalten, vorausgesetzt, die Bestimmung dieses Artikels wurde bei der ersten Einberufung eingehalten, kein neuer Punkt wird auf die Tagesordnung gesetzt und zwischen der endgültigen Einberufung und dem Datum der Hauptversammlung liegen mindestens zehn Tage. (2) Unbeschadet weiterer, von dem zuständigen Mitgliedstaat im Sinne von Artikel 1 Absatz 2 auf-

(9) ABl. L 142 vom 30.4.2004, S. 12.

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gestellter Anforderungen an die Mitteilung oder Veröffentlichung muss die Gesellschaft die in Absatz 1 des vorliegenden Artikels genannte Einberufung in einer Form vornehmen, die in nicht diskriminierender Weise einen schnellen Zugang zu ihr gewährleistet. Der Mitgliedstaat schreibt vor, dass die Gesellschaft auf Medien zurückgreifen muss, bei denen vernünftigerweise davon ausgegangen werden kann, dass sie die Informationen tatsächlich an die Öffentlichkeit in der gesamten Gemeinschaft weiterleiten. Der Mitgliedstaat darf jedoch nicht vorschreiben, dass lediglich Medien eingesetzt werden, deren Betreiber ihren Sitz in seinem Hoheitsgebiet haben. Der Mitgliedstaat braucht Unterabsatz 1 nicht auf Gesellschaften anzuwenden, die in der Lage sind, die Namen und Anschriften ihrer Aktionäre aus einem aktuellen Aktionärsregister zu ermitteln, vorausgesetzt, die Gesellschaft ist dazu verpflichtet, jedem eingetragenen Aktionär die Einberufung zu übersenden. In keinem dieser Fälle darf die Gesellschaft besondere Gebühren für die Vornahme der Einberufung in der vorgeschriebenen Weise verlangen. (3) Die in Absatz 1 genannte Einberufung enthält zumindest die folgenden Informationen: a) die genaue Angabe von Ort und Zeitpunkt der Hauptversammlung sowie die vorgeschlagene Tagesordnung; b) eine klare und genaue Beschreibung der Verfahren, die die Aktionäre einhalten müssen, um an der Hauptversammlung teilnehmen und ihr Stimmrecht ausüben zu können. Dazu gehören Angaben über i) die Rechte der Aktionäre gemäß Artikel 6 – soweit diese Rechte nach der Einberufung ausgeübt werden können – und gemäß Artikel 9 sowie die Fristen, bis zu denen diese Rechte ausgeübt werden können; die Einberufung kann sich auf die Angabe der Fristen, bis zu denen diese Rechte ausgeübt werden können, beschränken, sofern sie einen Hinweis darauf enthält, dass ausführliche Informationen über diese Rechte auf der Internetseite der Gesellschaft abrufbar sind; ii) das Verfahren für die Stimmabgabe durch Vertretung, insbesondere die dafür zu verwendenden Formulare, und die Methoden, wie der Gesellschaft Benachrichtigungen über die Bestellung von Vertretern auf elektronischem Wege übermittelt werden können, und iii) gegebenenfalls die Verfahren für die Stimmabgabe per Brief oder auf elektronischem Wege; c) gegebenenfalls den Nachweisstichtag im Sinne des Artikels 7 Absatz 2 und die Erläuterung, dass nur die Personen berechtigt sind, an der Hauptversammlung teilzunehmen und ihr Stimmrecht auszuüben, die an diesem Stichtag Aktionäre sind;

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d) eine Angabe darüber, wo und wie der vollständige und ungekürzte Text der Unterlagen und Beschlussvorlagen nach Absatz 4 Buchstaben c und d erhältlich ist; e) die Internetseite, auf der die in Absatz 4 genannten Informationen abrufbar sind. (4) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die Gesellschaft ihren Aktionären während eines ununterbrochenen Zeitraums, der spätestens am 21. Tag vor der Hauptversammlung beginnt und mit dem Tag der Versammlung selbst endet, mindestens folgende Informationen auf ihrer Internetseite zur Verfügung stellt: a) die Einberufung nach Absatz 1; b) die Gesamtzahl der Aktien und der Stimmrechte zum Zeitpunkt der Einberufung (einschließlich getrennter Angaben zur Gesamtzahl für jede Aktiengattung, falls das Kapital der Gesellschaft in zwei oder mehr Aktiengattungen eingeteilt ist); c) die der Hauptversammlung vorzulegenden Unterlagen; d) eine Beschlussvorlage oder, wenn kein Beschluss gefasst werden soll, eine Erläuterung eines nach dem anwendbaren Recht zu benennenden zuständigen Organs der Gesellschaft zu jedem Punkt der vorgeschlagenen Tagesordnung der Hauptversammlung; ferner sind von Aktionären eingebrachte Beschlussvorlagen auf der Internetseite so bald wie möglich nach ihrem Eingang bei der Gesellschaft hinzuzufügen; e) gegebenenfalls die Formulare, die bei Stimmabgabe durch Vertretung und bei Stimmabgabe per Brief zu verwenden sind, sofern diese Formulare nicht direkt an alle Aktionäre gesandt werden. Können die in Buchstabe e genannten Formulare aus technischen Gründen nicht im Internet zur Verfügung gestellt werden, so gibt die Gesellschaft auf ihrer Internetseite an, wie die Formulare in Papierform erhältlich sind. In diesem Fall muss die Gesellschaft die Formulare durch Postdienste und gebührenfrei an alle Aktionäre versenden, die es beantragen. Ergeht die Einberufung zur Hauptversammlung gemäß Artikel 9 Absatz 4 oder Artikel 11 Absatz 4 der Richtlinie 2004/25/EG oder gemäß Absatz 1 Unterabsatz 2 des vorliegenden Artikels erst nach dem 21. Tag vor der Versammlung, so verkürzt sich der im vorliegenden Absatz genannte Zeitraum entsprechend.

a) das Recht haben, Punkte auf die Tagesordnung der Hauptversammlung zu setzen, vorausgesetzt jedem Punkt liegt eine Begründung oder eine Vorlage für einen in der Hauptversammlung zu fassenden Beschluss bei, und b) das Recht haben, Beschlussvorlagen zu Punkten einzubringen, die bereits auf der Tagesordnung der Hauptversammlung stehen oder ergänzend in sie aufgenommen werden. Die Mitgliedstaaten können vorsehen, dass das Recht nach Buchstabe a nur im Zusammenhang mit der Jahreshauptversammlung ausgeübt werden kann, vorausgesetzt, dass Aktionäre einzeln oder gemeinsam das Recht haben, eine Hauptversammlung einzuberufen oder durch die Gesellschaft einberufen zu lassen, bei der es sich nicht um eine Jahreshauptversammlung handelt und deren Tagesordnung mindestens alle von diesen Aktionären beantragten Punkte enthält. Die Mitgliedstaaten können vorsehen, dass diese Rechte schriftlich ausgeübt werden müssen (Übermittlung durch Postdienste oder auf elektronischem Wege). (2) Sind die Rechte gemäß Absatz 1 an die Bedingung geknüpft, dass der jeweilige Aktionär oder die jeweiligen Aktionäre eine Mindestbeteiligung an der Gesellschaft halten, so darf diese Mindestbeteiligung 5 % des Aktienkapitals nicht übersteigen. (3) Jeder Mitgliedstaat setzt einen einheitlichen Stichtag fest, bis zu dem die Aktionäre ihr Recht nach Absatz 1 Buchstabe a wahrnehmen können; dieser Stichtag liegt eine bestimmte Zahl von Tagen vor der Hauptversammlung oder der Einberufung. In gleicher Weise kann jeder Mitgliedstaat einen Stichtag für die Ausübung des Rechts gemäß Absatz 1 Buchstabe b festsetzen. (4) Führt die Ausübung des Rechts nach Absatz 1 Buchstabe a zu einer Änderung der Tagesordnung der Hauptversammlung und wurde diese Tagesordnung den Aktionären bereits vor der Änderung übermittelt, so stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass die Gesellschaft eine geänderte Tagesordnung in derselben Weise verfügbar macht wie die vorherige Tagesordnung und dass dies vor dem geltenden Nachweisstichtag im Sinne des Artikels 7 Absatz 2 erfolgt; gilt kein solcher Stichtag, so muss dies so rechtzeitig vor der Hauptversammlung erfolgen, dass andere Aktionäre einen Vertreter benennen oder gegebenenfalls per Brief abstimmen können.

Artikel 7 Artikel 6 Recht auf Ergänzung der Tagesordnung und auf Einbringung von Beschlussvorlagen (1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass Aktionäre einzeln oder gemeinsam

Voraussetzungen für die Teilnahme an der Hauptversammlung und die Ausübung des Stimmrechts (1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, a) dass die Rechte eines Aktionärs auf Teilnahme an der Hauptversammlung und auf Ausübung

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Die Aktionärsrechterichtlinie des Stimmrechts aus seinen Aktien in keiner Weise daran geknüpft sind, dass diese Aktien vor der Hauptversammlung bei einer anderen natürlichen oder juristischen Person hinterlegt, auf diese übertragen oder auf deren Namen eingetragen werden, und b) dass das Recht eines Aktionärs, seine Aktien zu veräußern oder anderweitig zu übertragen, in dem Zeitraum zwischen dem Nachweisstichtag im Sinne von Absatz 2 und der Hauptversammlung, auf die sich der Stichtag bezieht, keiner Beschränkung unterliegt, der es zu anderen Zeitpunkten nicht unterliegt. (2) Die Mitgliedstaaten schreiben vor, dass die Rechte eines Aktionärs auf Teilnahme an der Hauptversammlung und auf Ausübung des Stimmrechts aus seinen Aktien sich nach den Aktien bestimmen, die er zu einem bestimmten Zeitpunkt vor der Hauptversammlung (nachstehend „Nachweisstichtag“ genannt) hält. Die Mitgliedstaaten brauchen Unterabsatz 1 nicht auf Gesellschaften anzuwenden, die in der Lage sind, die Namen und Anschriften ihrer Aktionäre am Tag der Hauptversammlung aus einem aktuellen Aktionärsregister zu ermitteln. (3) Jeder Mitgliedstaat stellt sicher, dass für alle Gesellschaften eine einheitliche Nachweisstichtagsregelung gilt. Ein Mitgliedstaat kann jedoch einen Nachweisstichtag für Gesellschaften festlegen, die Inhaberaktien ausgegeben haben, und einen anderen Nachweisstichtag für Gesellschaften, die Namensaktien ausgegeben haben, vorausgesetzt es gilt ein einziger Nachweisstichtag für alle Gesellschaften, die beide Aktienarten ausgegeben haben. Der Nachweisstichtag darf nicht mehr als 30 Tage vor dem Tag der Hauptversammlung liegen, auf die er sich bezieht. Bei der Anwendung dieser Bestimmung sowie von Artikel 5 Absatz 1 stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass mindestens acht Tage zwischen dem letzten zulässigen Tag für die Einberufung der Hauptversammlung und dem Nachweisstichtag liegen. Diese beiden Tage werden bei der Berechnung dieser Zahl von Tagen nicht mitgezählt. Unter den in Artikel 5 Absatz 1 Unterabsatz 3 beschriebenen Umständen kann ein Mitgliedstaat jedoch vorschreiben, dass mindestens sechs Tage zwischen dem letzten zulässigen Tag für die Einberufung der zweiten oder der weiteren Hauptversammlung und dem Nachweisstichtag liegen. Diese beiden Tage werden bei der Berechnung dieser Zahl von Tagen nicht mitgezählt. (4) Der Nachweis der Aktionärseigenschaft darf lediglich solchen Anforderungen unterworfen werden, die zur Feststellung der Identität der Aktionäre erforderlich sind, und dies nur in dem Maße, wie sie diesem Zweck angemessen sind.

Artikel 8 Teilnahme an der Hauptversammlung auf elektronischem Wege (1) Die Mitgliedstaaten gestatten den Gesellschaften, ihren Aktionären jede Form der Teilnahme an der Hauptversammlung auf elektronischem Wege anzubieten, insbesondere eine oder alle der nachstehend aufgeführten Formen der Teilnahme: a) eine Direktübertragung der Hauptversammlung; b) eine Zweiweg-Direktverbindung, die dem Aktionär die Möglichkeit gibt, sich von einem entfernten Ort aus an die Hauptversammlung zu wenden; c) ein Verfahren, das die Ausübung des Stimmrechts vor oder während der Hauptversammlung ermöglicht, ohne dass ein Vertreter ernannt werden muss, der bei der Hauptversammlung persönlich anwesend ist. (2) Werden elektronische Mittel eingesetzt, um Aktionären die Teilnahme an der Hauptversammlung zu ermöglichen, so darf ihr Einsatz nur solchen Anforderungen oder Beschränkungen unterworfen werden, die zur Feststellung der Identität der Aktionäre und zur Gewährleistung der Sicherheit der elektronischen Kommunikation erforderlich sind, und dies nur in dem Maße, wie sie diesen Zwecken angemessen sind. Rechtsvorschriften über den Entscheidungsprozess in der Gesellschaft zur Einführung oder Anwendung einer Form der Teilnahme auf elektronischem Wege, die die Mitgliedstaaten bereits erlassen haben oder möglicherweise noch erlassen, bleiben hiervon unberührt.

Artikel 9 Fragerecht (1) Jeder Aktionär hat das Recht, Fragen zu Punkten auf der Tagesordnung der Hauptversammlung zu stellen. Die Gesellschaft beantwortet die an sie gestellten Fragen der Aktionäre. (2) Fragerecht und Antwortpflicht bestehen vorbehaltlich etwaiger Maßnahmen, die die Mitgliedstaaten ergreifen oder den Gesellschaften zu ergreifen gestatten, um die Feststellung der Identität der Aktionäre, den ordnungsgemäßen Ablauf von Hauptversammlungen und ihre ordnungsgemäße Vorbereitung sowie den Schutz der Vertraulichkeit und der Geschäftsinteressen der Gesellschaften zu gewährleisten. Die Mitgliedstaaten können den Gesellschaften gestatten, auf Fragen gleichen Inhalts eine Gesamtantwort zu geben. Die Mitgliedstaaten können festlegen, dass eine Frage als beantwortet gilt, wenn die entsprechende Information bereits in Form von Frage und Antwort auf der Internetseite der Gesellschaft verfügbar ist.

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Gesellschaftsrechtliche Richtlinien Artikel 10 Stimmrechtsvertretung

(1) Jeder Aktionär hat das Recht, eine andere natürliche oder juristische Person zum Vertreter zu bestellen, damit diese Person in seinem Namen an der Hauptversammlung teilnimmt und sein Stimmrecht ausübt. Der Vertreter hat in der Hauptversammlung dieselben Rechte auf Wortmeldung und Fragestellung wie der Aktionär, den er vertritt. Mit Ausnahme der Anforderung, dass der Vertreter geschäftsfähig sein muss, heben die Mitgliedstaaten alle Rechtsvorschriften auf, die Einschränkungen in Bezug auf die Personen vorsehen, die als Vertreter bestellt werden können, oder es Gesellschaften ermöglichen, solche Einschränkungen vorzusehen. (2) Die Mitgliedstaaten können die Bestellung eines Vertreters auf eine einzige Versammlung oder auf innerhalb eines bestimmten Zeitraums stattfindende Versammlungen beschränken. Unbeschadet des Artikels 13 Absatz 5 können die Mitgliedstaaten die Zahl der Personen begrenzen, die ein Aktionär je Hauptversammlung als Vertreter bestellen darf. Hält ein Aktionär Aktien einer Gesellschaft in mehr als einem Wertpapierdepot, so hindert eine solche Begrenzung den Aktionär jedoch nicht daran, für die in jedem einzelnen Wertpapierdepot gehaltenen Aktien jeweils einen eigenen Vertreter für jede Hauptversammlung zu bestellen. Diese Bestimmung lässt Regelungen nach dem anwendbaren Recht unberührt, wonach für Aktien im Besitz desselben Aktionärs nicht unterschiedliche Stimmen abgegeben werden dürfen. (3) Mit Ausnahme der in den Absätzen 1 und 2 ausdrücklich zugelassenen Beschränkungen dürfen die Mitgliedstaaten die Ausübung der Rechte der Aktionäre durch Vertreter zu keinem anderen Zweck beschränken oder den Gesellschaften gestatten, diese zu beschränken, als zur Regelung möglicher Interessenkonflikte zwischen dem Vertreter und dem Aktionär, in dessen Interesse der Vertreter zu handeln hat; dabei dürfen die Mitgliedstaaten ausschließlich die folgenden Anforderungen stellen: a) die Mitgliedstaaten können vorschreiben, dass der Vertreter bestimmte Tatsachen offen legt, die für den Aktionär für die Beurteilung der Gefahr, dass der Vertreter andere Interessen als die des Aktionärs verfolgen könnte, von Bedeutung sein können; b) die Mitgliedstaaten können die Ausübung der Rechte der Aktionäre durch Vertreter beschränken oder ausschließen, wenn der Vertreter nicht für jeden Beschluss, zu dem er für den Aktionär abstimmen soll, konkrete Abstimmungsanweisungen hat; c) die Mitgliedstaaten können die Übertragung der Vertretung auf eine andere Person beschränken oder ausschließen; handelt es sich bei dem

Vertreter um eine juristische Person, so darf diese jedoch nicht daran gehindert werden, die ihr übertragenen Befugnisse durch ein Mitglied ihres Verwaltungs- oder Leitungsorgans oder durch einen ihrer Beschäftigten auszuüben. Ein Interessenkonflikt im Sinne dieses Absatzes kann insbesondere auftreten, wenn der Vertreter i) kontrollierender Aktionär der Gesellschaft oder ein anderer Rechtsträger ist, der von einem kontrollierenden Aktionär kontrolliert wird; ii) Mitglied des Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgans der Gesellschaft oder eines kontrollierenden Aktionärs oder eines kontrollierten Rechtsträgers im Sinne von Ziffer i ist; iii) Arbeitnehmer oder Abschlussprüfer der Gesellschaft oder eines kontrollierenden Aktionärs oder eines kontrollierten Rechtsträgers im Sinne von Ziffer i ist; iv) in einer familiären Beziehung zu einer der in den Ziffern i bis iii genannten natürlichen Personen steht. (4) Der Vertreter ist verpflichtet, entsprechend den Anweisungen des Aktionärs, der ihn bestellt hat, abzustimmen. Die Mitgliedstaaten können vorschreiben, dass Vertreter die Unterlagen über die Abstimmungsanweisungen für eine bestimmte Mindestdauer aufbewahren und auf Verlangen bestätigen müssen, dass diese Anweisungen ausgeführt wurden. (5) Eine als Vertreter handelnde Person kann eine Vertretung für mehr als einen Aktionär wahrnehmen, ohne dass es eine Beschränkung der Zahl der derart vertretenen Aktionäre gibt. Nimmt ein Vertreter die Vertretung mehrerer Aktionäre wahr, so muss das anwendbare Recht es ihm ermöglichen, für die von ihm vertretenen Aktionäre jeweils unterschiedlich abzustimmen.

Artikel 11 Förmlichkeiten der Bestellung des Vertreters und der Benachrichtigung über die Bestellung (1) Die Mitgliedstaaten gestatten den Aktionären, einen Vertreter auf elektronischem Wege zu bestellen. Ferner gestatten die Mitgliedstaaten den Gesellschaften, die Benachrichtigung über die Bestellung auf elektronischem Wege entgegenzunehmen, und stellen sicher, dass jede Gesellschaft ihren Aktionären mindestens eine wirksame Methode für die Benachrichtigung auf elektronischem Wege anbietet. (2) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die Bestellung der Vertreter und die Benachrichtigung über die Bestellung an die Gesellschaft in jedem Fall schriftlich erfolgen müssen. Neben dieser grundlegenden formalen Anforderung dürfen die Bestellung eines Vertreters, die Benachrichtigung über die Bestellung an die Gesellschaft und die Erteilung von etwaigen Abstimmungsanweisungen

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Die Aktionärsrechterichtlinie an den Vertreter lediglich den formalen Anforderungen unterworfen werden, die für die Feststellung der Identität von Aktionär und Vertreter beziehungsweise für die Möglichkeit einer Überprüfung des Inhalts der Abstimmungsanweisungen erforderlich sind, und dies nur in dem Maße, wie die Anforderungen diesen Zwecken angemessen sind. (3) Diese Bestimmungen gelten sinngemäß für den Widerruf der Bestellung eines Vertreters.

Artikel 12 Abstimmung per Brief Die Mitgliedstaaten gestatten den Gesellschaften, ihren Aktionären die Möglichkeit einzuräumen, per Brief vor der Hauptversammlung abzustimmen. Die Abstimmung per Brief darf lediglich solchen Anforderungen oder Beschränkungen unterworfen werden, die zur Feststellung der Identität der Aktionäre erforderlich sind, und dies nur in dem Maße, wie sie diesem Zweck angemessen sind.

Artikel 13 Beseitigung bestimmter Hemmnisse, die einer tatsächlichen Ausübung des Stimmrechts im Wege stehen

daran hindern, jedem seiner Klienten oder einem Dritten, der von einem Klienten benannt wird, Vertretung zu gewähren.

Artikel 14 Abstimmungsergebnisse (1) Die Gesellschaft stellt für jeden Beschluss mindestens Folgendes fest: die Zahl der Aktien, für die gültige Stimmen abgegeben wurden, den Anteil des durch diese Stimmen vertretenen Aktienkapitals, die Gesamtzahl der abgegebenen gültigen Stimmen und die Zahl der für einen Beschluss abgegebenen Stimmen und der Gegenstimmen sowie gegebenenfalls die Zahl der Enthaltungen. Die Mitgliedstaaten können jedoch vorsehen oder Gesellschaften erlauben vorzusehen, dass es – falls kein Aktionär eine umfassende Darstellung des Abstimmungsergebnisses verlangt – ausreicht, für jeden Beschluss festzustellen, dass die erforderliche Mehrheit erreicht wurde. (2) Innerhalb einer bestimmten in dem anwendbaren Recht festzulegenden Frist, die 15 Tage nach der Hauptversammlung nicht überschreiten darf, veröffentlicht die Gesellschaft die gemäß Absatz 1 festgestellten Abstimmungsergebnisse auf ihrer Internetseite.

(1) Dieser Artikel findet Anwendung, wenn eine natürliche oder juristische Person, die nach dem anwendbaren Recht als Aktionär anerkannt ist, im Rahmen einer beruflichen Tätigkeit für eine andere natürliche oder juristische Person (nachstehend „Klient“ genannt) tätig wird.

(3) Dieser Artikel berührt nicht die Rechtsvorschriften, die die Mitgliedstaaten zu den erforderlichen Formalitäten für das Wirksamwerden eines Beschlusses oder zu der Möglichkeit einer späteren rechtlichen Anfechtung des Abstimmungsergebnisses erlassen haben oder möglicherweise noch erlassen.

(2) Sieht das anwendbare Recht Publizitätsanforderungen als Vorbedingung für die Ausübung des Stimmrechts durch einen Aktionär im Sinne des Absatzes 1 vor, so dürfen diese Anforderungen nicht über eine Liste hinausgehen, die die Identität eines jeden Klienten und die jeweilige Zahl von Aktien, aus denen für ihn das Stimmrecht ausgeübt wird, gegenüber der Gesellschaft offen legt.

SCHLUSSBESTIMMUNGEN

(3) Stellt das anwendbare Recht formale Anforderungen an die Ermächtigung eines Aktionärs im Sinne des Absatzes 1 zur Ausübung des Stimmrechts oder an Abstimmungsanweisungen auf, so dürfen diese Anforderungen nicht über das hinausgehen, was zur Feststellung der Identität des Klienten beziehungsweise für die Möglichkeit einer Überprüfung des Inhalts der Abstimmungsanweisungen erforderlich und diesen Zwecken angemessen ist. (4) Einem Aktionär im Sinne des Absatzes 1 ist es zu gestatten, für verschiedene Aktien unterschiedlich abzustimmen. (5) Ist die Zahl der Personen, die ein Aktionär gemäß Artikel 10 Absatz 2 als Vertreter bestellen kann, nach dem anwendbaren Recht begrenzt, so darf diese Begrenzung einen Aktionär im Sinne des Absatzes 1 des vorliegenden Artikels nicht

KAPITEL III

Artikel 15 Umsetzung Die Mitgliedstaaten setzen die Rechts- und Verwaltungsvorschriften in Kraft, die erforderlich sind, um dieser Richtlinie bis spätestens 3. August 2009 nachzukommen. Sie setzen die Kommission unverzüglich davon in Kenntnis. Ungeachtet des Absatzes 1 setzen Mitgliedstaaten, in denen am 1. Juli 2006 nationale Bestimmungen gelten, die die Bestellung eines Vertreters im Falle von Artikel 10 Absatz 3 Unterabsatz 2 Ziffer ii einschränken oder verbieten, die Rechts- und Verwaltungsvorschriften in Kraft, die erforderlich sind, um Artikel 10 Absatz 3 dieser Richtlinie hinsichtlich einer solchen Beschränkung oder eines solchen Verbots spätestens am 3. August 2012 nachzukommen. Die Mitgliedstaaten teilen der Kommission unverzüglich die von ihnen gemäß Artikel 6 Absatz 3 und

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Gesellschaftsrechtliche Richtlinien

Artikel 7 Absatz 3 festgelegte Zahl der Tage sowie alle in der Folge vorgenommenen Änderungen mit; diese Angaben werden von der Kommission im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht. Wenn die Mitgliedstaaten die in Absatz 1 genannten Vorschriften erlassen, nehmen sie in den Vorschriften selbst oder durch einen Hinweis bei der amtlichen Veröffentlichung auf diese Richtlinie Bezug. Die Mitgliedstaaten regeln die Einzelheiten der Bezugnahme.

Artikel 16 Inkrafttreten Diese Richtlinie tritt am zwanzigsten Tag nach ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union in Kraft.

Artikel 17 Adressaten Diese Richtlinie ist an die Mitgliedstaaten gerichtet.

Das Projekt einer Sitzverlegungsrichtlinie (14. Richtlinie)

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§ 32 Das Projekt einer Sitzverlegungsrichtlinie (14. Richtlinie) Literatur: Arbeitskreis Europäisches Unternehmensrecht, Thesen zum Erlass einer europäischen Sitzverlegungsrichtlinie, NZG 2011, 98; Bellingwout, J. W., Die internationale Sitzverlegung juristischer Personen in Bewegung. Der KPMG-Bericht 1993, RIW 1997, 550; von Bismarck, Wiebe, Grenzüberschreitende Sitzverlegung von Kapitalgesellschaften in Europa. Gestaltungsvorschläge für eine 14. Gesellschaftsrechtliche Richtlinie, 2005; Di Marco, Giuseppe, Der Vorschlag der Kommission für eine 14. Richtlinie, ZGR 1999, 3; Drury, Robert R., Migrating companies (1999) 24 E.L. Rev. 354; Heinze, Meinhard, Arbeitsrechtliche Probleme bei der grenzüberschreitenden Sitzverlegung in der Europäischen Gemeinschaft, ZGR 1999, 54; Hoffmann, Jochen, Neue Möglichkeiten zur identitätswahrenden Sitzverlegung in Europa? Der Richtlinienvorentwurf zur Verlegung des Gesellschaftssitzes innerhalb der EU, ZHR 164 (2000) 43; Johnson, Maureen, Does Europe still need a Fourteenth Company Law Directive?, (2005) 3 HLJ 18; Koppensteiner, Hans-Georg, Die Sitzverlegungsrichtlinie nach Centros, in: Schneider, Uwe H. u.a. (Hrsg.), Festschrift für Marcus Lutter zum 70. Geburtstag, 2000, S. 141; Leible, Stefan, Niederlassungsfreiheit und Sitzverlegungsrichtlinie, ZGR 2004, 531; ders., Warten auf die Sitzverlegungsrichtlinie, in: Altmeppen, Holger/Fitz, Hanns/Honsell, Heinrich (Hrsg.), Festschrift für Günter H. Roth zum 70 Geburtstag, 2011, S. 447; Lutter, Marcus, The Cross-Border Transfer of a Company’s Seat in Europe, ERT 2000, 60; Meilicke, Wienand, Auswirkungen der „Centros-Entscheidung“ auf die 14. EU-Sitzverlegungs-Richtlinie, GmbHR 1999, 896; ders., Zum Vorschlag der Europäischen Kommission für die 14. EU-Richtlinie zur Koordinierung des Gesellschaftsrechts – Sitzverlegungs-Richtlinie, GmbHR 1998, 1053; Menjucq, Michel, Réflexion critique sur la proposition de 14e directive relative au transfert intra-communautaire de siège social, Bull. Joly 2000, 137; Neye, Hans-Werner, Die Regelung der grenzüberschreitenden Sitzverlegung – eine ungelöste Aufgabe des europäischen Gesetzgebers, in: Grundmann, Stefan u.a. (Hrsg.), Unternehmensrecht zu Beginn des 21. Jahrhunderts: Festschrift für Eberhard Schwark zum 70. Geburtstag, 2009, S. 231; ders., Die Vorstellungen der Bundesregierung zum Vorschlag einer 14. Richtlinie, ZGR 1999, 13; Priester, Hans-Joachim, EU-Sitzverlegung – Verfahrensablauf, ZGR 1999, 36; Rajak, Harry, Britisches Recht und der Vorschlag einer 14. Richtlinie, ZGR 1999, 111; ders., Proposal for a Fourteenth European and Council Directive on the transfer of the registered office or de facto head office of a company from one Member State to another with a change in the applicable law. The legal issues in the United Kingdom arising out of this proposal, [2000] EBLR 43; Rammeloo, Stephan, Corporations in private international law. A European perspective, 2001; Roussos, Alexandros, Realising the free movement of companies, [2001] EBLR 7; Schmidt, Karsten, Sitzverlegungsrichtlinie, Freizügigkeit und Gesellschaftsrechtspraxis, ZGR 1999, 20; Sørensen, Karsten Engsig/Neville, Mette, Corporate migration in the European Union. An analysis of the proposed 14th EC Company Law Directive on the transfer of the registered office of a company from one Member State to another with a change of applicable law, (2000) 6 Colum. J. Eur. L. 181; Straube, Manfred P., Was bleibt von der „14. Gesellschaftsrechtlichen Richtlinie“? Gedanken zur Regelung der Sitzverlegungsproblematik durch Sekundärrecht, in: Kalss, Susanne/Nowotny, Christian/Schauer, Martin (Hrsg.), Festschrift für Peter Doralt zum 65. Geburtstag, 2004, S. 637; Vossestein, Gert-Jan, Transfer of the registered office. The European Commission’s decision not to submit a proposal for a directive, (2008) 4 Utrecht L. Rev. 53; Wicke, Hartmut, Mobilität europäischer Kapitalgesellschaften am Vorabend der 14. Gesellschaftsrechtlichen Richtlinie über die grenzüberschreitende Sitzverlegung, GPR 2010, 238; Wymeersch, Eddy, Die Sitzverlegung nach belgischem Recht, ZGR 1999, 126; ders., Is a directive on corporate mobility needed?, (2007) 8 EBOR 161.

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I. Überblick 1 Wie bereits bei § 6 Rn. 4 ff. dargelegt, stellte die fehlende Harmonisierung des Gesellschaftskollisionsrechts Gesellschaften, die ihren Verwaltungs- und/oder Satzungssitz in einen anderen Mitgliedstaat verlegen wollten, von Anfang an vor erhebliche Hindernisse bzw. machte solche Verlegungsmaßnahmen in vielen Fällen sogar gänzlich unmöglich. Bereits in den 1960er Jahren wurde ein Versuch unternommen, zumindest einen Teil der Problematik durch ein Abkommen über die Anerkennung von Gesellschaften zu lösen, das jedoch nie verabschiedet wurde (dazu näher § 6 Rn. 8 ff.). Auch die Hoffnung, dass sich die Problematik möglicherweise bereits auf Grund der Niederlassungsfreiheit lösen lasse, zerschlugen sich mit der Daily Mail-Entscheidung des EuGH v. 27.9.1988 (dazu ausf. § 6 Rn. 14 ff.) weitgehend. Anfang der 1990er Jahre kam daher die Idee auf, eine spezielle Richtlinie zur Sitzverlegung zu erlassen. Die Kommission präsentierte hierfür 1997 einen Vorentwurf (dazu ausf. u. Rn. 4 ff.), der auch sofort auf lebhaftes Interesse, wegen seiner Konzeption teilweise aber auch auf erhebliche Kritik stieß (vgl. u. Rn. 18). 2 Nach der Centros-Entscheidung des EuGH v. 9.3.1999 (dazu ausf. § 6 Rn. 19 ff.) erschien die Problematik dann jedoch plötzlich wieder in einem ganz anderen Licht, so dass die Kommission die Arbeiten am RL-Entwurf zunächst einstellte, um die weitere Entwicklung der Judikatur abzuwarten (vgl. u. Rn. 18). Sie nahm das Projekt dann aber 2003 wieder als Priorität in den Aktionsplan auf (vgl. bereits § 18 Rn. 90) und führte 2004 eine Konsultation durch (dazu u. Rn. 19 f.). Ende 2007 wurden die Arbeiten dann jedoch erneut eingestellt, weil die Kommission zunächst die EuGH-Entscheidung in der Rs. Cartesio (dazu ausf. § 6 Rn. 37 ff.) abwarten wollte (näher u. Rn. 21). 3 Nachdem aber auch das Cartesio-Urteil keine abschließende Klärung gebracht hatte (vgl. bereits § 6 Rn. 37 ff., 54 ff., 58 ff. und u. Rn. 22), forderte das EP die Kommission im März 2009 auf, umgehend einen RL-Vorschlag vorzulegen und machte zugleich detaillierte Empfehlungen für dessen Inhalt 1 (näher u. Rn. 22 f.). Auch Praxis und Schrifttum fordern nachdrücklich eine Wiederaufnahme des Projekts (vgl. bereits § 6 Rn. 11, 82 sowie u. Rn. 22); der Arbeitskreis Europäisches Unternehmensrecht hat hierzu im Januar 2011 detaillierte Thesen veröffentlicht (näher u. Rn. 24 ff.). II. Der Vorentwurf von 1997 1. Hintergrund 4 Vor dem Hintergrund der durch das Daily Mail-Urteil des EuGH ausgelösten Diskussion (dazu ausf. § 6 Rn. 14 ff.) ließ die Kommission 1993 durch KPMG eine Studie 2 erstellen, die nicht nur zu dem Ergebnis kam, dass Gesellschaften ihren Ver-

1 Entschließung des Europäischen Parlaments v. 10.3.2009 mit Empfehlungen an die Kommission zur grenzüberschreitenden Verlegung von eingetragenen Gesellschaftssitzen, ABlEU v. 1.4.2010, C 87 E/5. 2 Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Studie über die Verlegung des Sitzes einer Gesellschaft von einem Mitgliedstaat in einen anderen, durchgeführt von KPMG European

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waltungssitz ohne Auflösung in einen anderen Mitgliedstaat verlegen können sollten, sondern zudem sogar davon ausging, dass Gesellschaften hierzu – wenngleich auch nur vorbehaltlich von Regelungen, die in den Mitgliedstaaten aus Gründen des Verkehrsschutzes gelten – unmittelbar auf Grund der Niederlassungsfreiheit berechtigt seien3. Die Studie enthielt zudem zwei RL-Vorschläge: Einen, der auf der Basis der Gründungstheorie die Verwaltungssitzverlegung unter Beibehaltung des Gründungsrechts regelte4, sowie einen, der auf der Basis der Sitztheorie die gleichzeitige Verlegung von Satzungs- und Verwaltungssitz regelte5. Die Kommission übernahm allerdings keinen dieser beiden Alternativentwürfe, 5 sondern führte im Februar 1997 zunächst eine Konsultation durch6. Nachdem diese gezeigt hatte, dass die europäischen Unternehmen größtes Interesse an einer Regelung der grenzüberschreitenden Sitzverlegung hatten,7 legte sie im April 1997 einen Vorentwurf für eine 14. (Sitzverlegungs-)RL8 vor, der im November 1997 von einer leicht modifizierten Fassung 9 gefolgt wurde.10

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Business Centre, Brüssel, 1993. Dazu Bellingwout RIW 1997, 550, 553 ff.; Drury (1999) 24 E.L. Rev. 354, 360 f.; Edwards S. 382 f.; Frowein, Grenzüberschreitende Sitzverlegung von Kapitalgesellschaften, 2001, S. 194; HJI Panayi (2009) 28 YEL 123, 139 f.; Neye FS Schwark, 2009, S. 231, 233; Rammeloo, Corporations in private international law. A European perspective, 2001, S. 282 ff.; Sørensen/Neville (2000) 6 Colum. J. Eur. L. 181, 194 f.; Straube FS Doralt, 2004, S. 637, 638 f. KPMG-Studie (Fn. 2), S. 17. KPMG-Studie (Fn. 2), S. 31 ff. KPMG-Studie (Fn. 2), S. 41 ff. Vgl. Dok. XV/D2/6016/96; s. ferner Di Marco ZGR 1999, 3, 4. Vgl. Di Marco ZGR 1999, 3, 4; Rammeloo (Fn. 2), S. 300. Vorentwurf für eine Vierzehnte Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Verlegung des Sitzes einer Gesellschaft in einen anderen Mitgliedstaat mit Wechsel des für die Gesellschaft maßgebenden Rechts, Dok. XV/6002/97, abgedruckt als Anhang zu diesem Kapitel sowie in ZIP 1997, 1721 ff. und ZGR 1999, 157 ff.; englische Fassung abgedruckt bei Rammeloo (Fn. 2), S. 297 ff. Proposal for a Fourteenth European Parliament and Council Directive on the Transfer of the Registered Office of a Company from one Member State to another with a Change of Applicable Law, Dok. XV/D2/6002/97-EN REV.2. Zu einem bzw. beiden Fassungen des Vorentwurfs: von Bismarck, Grenzüberschreitende Sitzverlegung von Kapitalgesellschaften in Europa, 2005, S. 203 ff.; Di Marco ZGR 1999, 3 ff.; Drury (1999) 24 E.L. Rev. 354, 362 ff.; Frowein (Fn. 2), S. 193 ff.; Grundmann Rn. 835 ff.; Heinze ZGR 1999, 54 ff.; Hoffmann ZHR 164 (2000) 43 ff.; Hügel ZGR 1999, 71 ff.; Johnson (2005) 3 HLJ 18, 33 ff.; Koppensteiner FS Lutter, 2000, S. 141 f., 155 f.; Leible in: Michalski, GmbHG, 2. Aufl. 2010, IntGesR Rn. 55 ff.; Lutter ERT 2000, 60, 64 ff.; Meilicke GmbHR 1998, 1053 ff.; Menjucq Bull. Joly 2000, 137 ff.; Mülbert/ Schmolke ZVglRWiss 100 (2001) 233, 272 ff.; Priester ZGR 1999, 36 ff.; Rajak ZGR 1999, 111 ff.; Rammeloo (Fn. 2), S. 296 ff.; Roussos [2001] EBLR 7, 17 ff.; K. Schmidt ZGR 1999, 20 ff.; Sørensen/Neville (2000) 6 Colum. J. Eur. L. 181 ff.; Straube FS Doralt, 2004, S. 637 ff.; Timmerman ZGR 1999, 147 ff.; Wymeersch ZGR 1999, 126, 144 ff.

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2. Wesentlicher Inhalt a) Keine Harmonisierung der Anknüpfungskriterien 6 Der Vorentwurf sah keine Harmonisierung der kollisionsrechtlichen Anknüpfungskriterien vor und vermied damit bewusst eine – politisch hochsensible und potentiell brisante – Entscheidung zwischen Gründungs- und Sitztheorie; nach der Entwurfsbegründung hätte dies einen spürbaren, mit Blick auf das Subsidiaritätsprinzip nicht erforderlichen Eingriff in die nationalen Rechte der Mitgliedstaaten bedeutet.11 Stattdessen setzte er ganz auf eine materiellrechtliche Lösung12, die sich explizit als „Brücke“13 zwischen den nationalen Kollisionsrechtssystemen der Mitgliedstaaten verstand und diese prinzipiell (wenngleich nicht völlig14) unberührt lässt15. b) Anwendungsbereich aa) Erfasste Gesellschaftsformen 7 Die ursprüngliche Fassung des Vorentwurfs erfasste nach dem Wortlaut des Art. 1 alle Gesellschaften i.S.d. Art. 48 Abs. 2 EG (G Art. 54 Abs. 2 AEU).16 Nachdem sich die Mitgliedstaaten jedoch bei einer ersten Beratungsrunde wegen der mangelnden Harmonisierung des Personengesellschaftsrechts17 praktisch geschlossen für eine Beschränkung auf Kapitalgesellschaften (bei denen man zudem ein größeres Mobilitätsbedürfnis sah18) ausgesprochen hatten19, wurde der Anwendungsbereich in Art. 1 Abs. 2 der modifizierten Fassung20 entsprechend eingeschränkt21. Ausdrücklich ausgenommen waren nach Art. 13 Gesellschaften in Auflösung, Liquidation oder Insolvenz.22 11 12 13 14 15

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Vgl. Vorentwurf (Fn. 8), sub V. Vgl. Hoffmann ZHR 164 (2000) 43, 51. Vgl. Vorentwurf (Fn. 8), sub VII.1. Ausf. zu den kollisionsrechtlichen Implikationen: Drury (1999) 24 E.L. Rev. 354, 367 f.; Hoffmann ZHR 164 (2000) 43, 53 ff.; Mülbert/Schmolke ZVglRWiss 100 (2001) 233, 272 f. Vgl. von Bismarck (Fn. 10), S. 219 f.; Drury (1999) 24 E.L. Rev. 354, 363; Grundmann Rn. 844; Johnson (2005) 3 HLJ 18, 34; Kindler in: MünchKommBGB, 5. Aufl. 2010, IntHGesR Rn. 60; Leible ZGR 2004, 531, 538; Sørensen/Neville (2000) 6 Colum. J. Eur. L. 181, 195. Vgl. Frowein (Fn. 2), S. 206; Hoffmann ZHR 164 (2000) 43, 59; Menjucq Bull. Joly 2000, 137, 138; Neye GmbHR 1997, R181. Vgl. von Bismarck (Fn. 10), S. 218; Di Marco ZGR 1999, 3, 7; Priester ZGR 1999, 36, 37; Wiesner EuZW 1998, 619, 621. Vgl. Neye ZGR 1999, 13, 14. Vgl. Neye ZGR 1999, 13, 14. Art. 1 Abs. 2 Modifizierter Vorentwurf (Fn. 9): „The companies covered by this Directive shall have legal personality and their assets shall be available to cover solely their own debts“. Vgl. Sørensen/Neville (2000) 6 Colum. J. Eur. L. 181, 198; s. ferner auch Di Marco ZGR 1999, 3, 7. Kritisch zu einer Beschränkung auf Kapitalgesellschaften jedoch etwa Grundmann Rn. 841. Dazu näher von Bismarck (Fn. 10), S. 221 f., 275; Rammeloo (Fn. 2), S. 307.

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bb) Statutenwechselnde Verlegung des eingetragenen Sitzes In sachlicher Hinsicht erfasste der Vorentwurf ausschließlich die statutenwechselnde Verlegung des eingetragenen Sitzes, und zwar – vorbehaltlich der Mitgliedstaatenoption in Art. 11 Abs. 2 (dazu u. Rn. 10) – im Grundsatz sowohl mit als auch ohne Verlegung der Hauptverwaltung. Nicht erfasst war dagegen die isolierte Verlegung der Hauptverwaltung.23 Terminologie und Regelungstechnik des Vorentwurfs waren insofern allerdings etwas unglücklich. Art. 3 S. 1 der ursprünglichen Fassung verpflichtete die Mitgliedstaaten, alle erforderlichen Maßnahmen zu treffen, „damit der satzungsmäßige oder tatsächliche Sitz einer Gesellschaft in einen anderen Mitgliedstaat verlegt werden kann“; Art. 2 definierte „satzungsmäßigen Sitz“ als „Ort an dem die Gesellschaft eingetragen ist“ (lit. a) und „tatsächlichen Sitz“ als „Ort an dem die Gesellschaft ihre Hauptverwaltung hat und an dem sie eingetragen ist“ (lit. b). Verlegung des „tatsächlichen Sitzes“ i.S.d. Vorentwurfs war also ausschließlich die simultane Verlegung von eingetragenem Sitz und Hauptverwaltung, nicht dagegen die isolierte Verlegung der Hauptverwaltung.24 Der Begriff „Hauptverwaltung“ selbst wurde allerdings nicht näher definiert, auch nicht in der modifizierten Fassung.25 Diese wählte allerdings immerhin eine etwas klarere Grundkonzeption: Art. 3 verpflichtete die Mitgliedstaaten ausdrücklich nur noch zum Erlass der erforderlichen Maßnahmen für die Möglichkeit einer Verlegung des „registered office“, worunter nach Art. 2 abhängig vom jeweils anwendbaren Recht entweder „the place where the company is registered“ (lit. a) oder „the place where the company has its central administration and is registered“ (lit. b) zu verstehen war. Als Konzession an die Sitztheoriestaaten 26 räumte Art. 11 Abs. 2 den Mitgliedstaaten ausdrücklich die Option ein, die Eintragung der Gesellschaft zu verweigern, wenn sich deren Hauptverwaltung nicht im Mitgliedstaat des neuen Sitzes befindet, d.h. sie sollten die Sitzverlegung davon abhängig machen können, dass gleichzeitig auch die Hauptverwaltung verlegt wird (zur Primärrechtskonformität einer solchen Regelung u. Rn. 18, 24). Nicht ausdrücklich geregelt war, ob nur rechtsformkongruente (z.B. GmbH – Ltd.) oder auch rechtsforminkongruente (z.B. AG – Ltd.) statutenwechselnde Sitzverlegungen erfasst waren. Das Fehlen einer entsprechenden Einschränkung, die Grund-

23 Vgl. Begründung Modifizierter Vorentwurf (Fn. 9), S. 9; von Bismarck (Fn. 10), S. 214 f.; Di Marco ZGR 1999, 3, 5; Hoffmann ZHR 164 (2000) 43, 51; Koppensteiner FS Lutter, 2000, S. 141; Rammeloo (Fn. 2), S. 302; Wymeersch ZGR 1999, 126, 144. 24 Vgl. auch Hoffmann ZHR 164 (2000) 43, 52. 25 Kritisch dazu Breuninger/Krüger FS Rädler, 1999, S. 79, 96, 109; HJI Panayi (2009) 28 YEL 123, 142; Sørensen/Neville (2000) 6 Colum. J. Eur. L. 181, 196. 26 Vgl. von Bismarck (Fn. 10), S. 272; Drury (1999) 24 E.L. Rev. 354, 365 ff.; Frowein (Fn. 2), S. 204; Hoffmann ZHR 164 (2000) 43, 52; Johnson (2005) 3 HLJ 18, 39 f.; Koppensteiner FS Lutter, 2000, S. 141; Rammeloo (Fn. 2), S. 305; Roussos [2001] EBLR 7, 19; Straube FS Doralt, 2004, S. 637, 640.

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intention des Vorentwurfs und die Erwägungen in der Begründung zum modifizierten Vorentwurf 27 sprechen jedoch für die Zulässigkeit auch der rechtsforminkongruenten statutenwechselnden Sitzverlegung.28

c) Verfahren 12 Die verfahrensrechtlichen Vorgaben in Art. 4–12 bauten auf dem bereits durch die 3. (Fusions-)RL etablierten „europäischen Modell für Strukturmaßnahmen“ (dazu § 21 Rn. 3, 24; § 22 Rn. 2, 23; § 23 Rn. 3, 26; § 41 Rn. 36, 50, 63, 171, 180; § 42 Rn. 22) auf 29 und wurden bewusst an die Sitzverlegungsregelung in Art. 8 des damaligen SE-VOE (zur Historie der SE-VO: § 41 Rn. 1 ff., zu Art. 8 SE-VO: § 41 Rn. 170 ff.) angelehnt 30. 13 Erforderlich war zunächst ein vom Leitungs- oder Verwaltungsorgan zu erstellender und nach den in der 1. (Publizitäts-)RL vorgesehenen Modalitäten (dazu § 19 Rn. 13 ff.) offen zu legender Verlegungsplan (Art. 4).31 Da der mit der Sitzverlegung einhergehende Statutenwechsel (vgl. o. Rn. 8) im Regelfall eine Satzungsänderung erfordert32, musste er neben weiteren grundlegenden Angaben zur Sitzverlegung (Sitz, ggf. Firma, ggf. Form der Arbeitnehmermitbestimmung, Zeitplan)33 insbesondere auch die neue Satzung enthalten. Gem. Art. 5 Abs. 1 hatte das Leitungs- oder Verwaltungsorgan zudem einen Verlegungsbericht zu erstellen.34 Der Verlegungsbeschluss sollte vorbehaltlich eines höheren Mehrheitserfordernisses nach nationalem Recht grundsätzlich35 einer 2/3-Mehrheit bedürfen (Art. 6 Abs. 2) und frühestens zwei Monate nach Bekanntmachung des Verschmelzungsplans gefasst werden dürfen (Art. 6 Abs. 1).36 Um eine informierte Entscheidungsfindung zu ermöglichen, sollten Verlegungsplan und -bericht mindestens einen Monat vorher am Sitz der Gesellschaft ausgelegt werden; ein Recht auf Einsicht und kostenlose Abschriften sollten nicht nur die Gesellschafter, sondern auch Gläubiger und Vertreter der Arbeitnehmer haben

27 Vgl. Begründung Modifizierter Vorentwurf (Fn. 9), S. 10. 28 Ebenso i.E. Schwarz Rn. 821; vgl. ferner auch Menjucq Bull. Joly 2000, 137, 139. 29 Vgl. zur Anlehnung an die 3. (Fusions-)RL und 6. (Spaltungs-)RL auch von Bismarck (Fn. 10), S. 258; Edwards S. 383; Neye GmbHR 1997, R181. 30 Vgl. Vorentwurf (Fn. 8), sub VII.3; Grundmann Rn. 850 f. 31 Näher dazu von Bismarck (Fn. 10), S. 261 ff.; Di Marco ZGR 1999, 3, 8; Frowein (Fn. 2), S. 208 f.; Grundmann Rn. 850 f.; Priester ZGR 1999, 36, 39 ff.; Rammeloo (Fn. 2), S. 303 f. 32 Vgl. K. Schmidt ZGR 1999, 20, 30. Näher zum Erfordernis der Satzungsänderung und den sich insoweit ergebenden Fragen Grundmann Rn. 853 f.; Priester ZGR 1999, 36, 46 f. 33 Nach h.M. handelt es sich nur um Mindestangaben, vgl. von Bismarck (Fn. 10), S. 263; Priester ZGR 1999, 36, 40; Schwarz Rn. 820. 34 Näher dazu von Bismarck (Fn. 10), S. 264 ff.; Di Marco ZGR 1999, 3, 8; Frowein (Fn. 2), S. 210 f.; Grundmann Rn. 850 f.; Priester ZGR 1999, 36, 41; Roussos [2001] EBLR 7, 19. 35 Nach Art. 6 Abs. 3 sollten die Mitgliedstaaten vorsehen können, dass eine einfache Stimmenmehrheit genügt, wenn mindestens die Hälfte des gezeichneten Kapitals vertreten ist. 36 Näher dazu von Bismarck (Fn. 10), S. 266 f.; Di Marco ZGR 1999, 3, 9; Frowein (Fn. 2), S. 212 f.; Priester ZGR 1999, 36, 42 f.; Schwarz Rn. 823 ff.

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(Art. 5 Abs. 2).37 Die Rechtmäßigkeitskontrolle sollte gem. Art. 9 f. in Anlehnung an Art. 8 SE-VO (dazu näher § 41 Rn. 172) zweistufig erfolgen (Kontrolle im Wegzugstaat mit Ausstellung einer Bescheinigung als 1. Stufe; Kontrolle im Zuzugsstaat als 2. Stufe).38 Die Sitzverlegung und die sich daraus ergebenden Satzungsänderungen sollten mit der Eintragung im Register des neuen Sitzes wirksam werden (Art.11 Abs. 1). Eintragung im neuen und anschließende Löschung im alten Register (Art. 11 Abs. 3) sollten nach den in der 1. (Publizitäts-)RL vorgesehenen Modalitäten (dazu § 19 Rn. 13 ff.) offen gelegt werden (Art. 11 Abs. 4).39 Für die Zeit bis zur Bekanntmachung sah Art. 12 S. 2 eine Verkehrsschutzregelung vor.40 d) Schutz von Minderheitsgesellschaften und Gläubigern Der Schutz der Minderheitsgesellschafter sollte – entsprechend dem „europäischen 14 Informationsmodell“ (vgl. dazu § 6 Rn. 29, § 18 Rn. 9; § 19 Rn. 4; § 21 Rn. 24, 112; § 22 Rn. 23, 81; § 23 Rn. 26, 129 f.; § 30 Rn. 16; § 41 Rn. 47) – primär durch die verfahrensmäßigen Informations- und Mitentscheidungsrechte gewährleistet werden. Ergänzend ermächtigte Art. 7 die Mitgliedstaaten aber – parallel zu Art. 8 Abs. 5 SE-VO (dazu § 41 Rn. 174) – explizit zum Erlass angemessener Schutzvorschriften zugunsten der Minderheitsgesellschafter, die sich gegen die Verlegung ausgesprochen haben (gedacht war dabei u.a. speziell an ein Austrittsrecht 41).42 Gläubiger und sonstige Forderungsberechtigte, deren Forderung vor Bekannt- 15 machung des Verlegungsplans entstanden war, sollten nach Art. 8 Abs. 1 einen Anspruch auf angemessene Sicherheitsleistung haben.43 Art. 8 Abs. 2 ermächtigte die Mitgliedstaaten, einen entsprechenden Schutz auch für Forderungen öffentlicher Einrichtungen vorzusehen.44

37 Näher dazu von Bismarck (Fn. 10), S. 264 f.; Di Marco ZGR 1999, 3, 8; Priester ZGR 1999, 36, 41 f. 38 Näher dazu von Bismarck (Fn. 10), S. 269 ff.; Grundmann Rn. 855 ff.; Priester ZGR 1999, 36, 44 ff., 48 f. 39 Näher dazu Grundmann Rn. 856. 40 Näher dazu von Bismarck (Fn. 10), S. 275; Grundmann Rn. 856; Hoffmann ZHR 164 (2000) 43, 60. 41 Vgl. Di Marco ZGR 1999, 3, 10; Grundmann Rn. 858; Hoffmann ZHR 164 (2000) 43, 57; Lutter ERT 2000, 60, 66; Rajak [2000] EBLR 43, 45, 47; Rammeloo (Fn. 2), S. 306; Sørensen/Neville (2000) 6 Colum. J. Eur. L. 181, 201. 42 Näher dazu von Bismarck (Fn. 10), S. 267 f., 277; Di Marco ZGR 1999, 3, 10; Hoffmann ZHR 164 (2000) 43, 57; Rajak [2000] EBLR 43, 45; Priester ZGR 1999, 36, 43; Rammeloo (Fn. 2), S. 306; Sørensen/Neville (2000) 6 Colum. J. Eur. L. 181, 200 ff. 43 Näher dazu von Bismarck (Fn. 10), S. 268 f., 278; Di Marco ZGR 1999, 3, 10; Drury (1999) 24 E.L. Rev. 354, 364; Frowein (Fn. 2), S. 213 f.; Menjucq Bull. Joly 2000, 137, 139; Priester ZGR 1999, 36, 44; Rammeloo (Fn. 2), S. 306; Roussos [2001] EBLR 7, 20; Sørensen/Neville (2000) 6 Colum. J. Eur. L. 181, 203 ff. 44 Näher dazu von Bismarck (Fn. 10), S. 268 f.; Di Marco ZGR 1999, 3, 10; Drury (1999) 24 E.L. Rev. 354, 364; Menjucq Bull. Joly 2000, 137, 139; Rammeloo (Fn. 2), S. 306; Roussos [2001] EBLR 7, 20.

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e) Schutz der Arbeitnehmer 16 Zum Schutz der Arbeitnehmer sah der Vorentwurf lediglich einen „Schutz durch Information“ in Form der Angaben zur Form der Arbeitnehmermitbestimmung im Verlegungsplan (Art. 4 Abs. 1 lit. c) 45 sowie des Einsichtsrechts nach Art. 5 Abs. 2 (dazu o. Rn. 13) vor. I.Ü. sollte zunächst die weitere Entwicklung bei der SE 46 abgewartet und die dort beschlossene Lösung dann (ggf. in modifizierter Form) übernommen werden.47 f) Steuerrechtlicher Rahmen 17 Steuerrechtliche Fragen waren ebenfalls bewusst ausgespart worden; diese sollten durch die für das Steuerrecht zuständige Dienststellen der Kommission in Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten geklärt werden48, wobei man offenbar eine Lösung in Anlehnung an die Fusionssteuer-RL49 vor Augen hatte 50. 3. Reaktionen in Praxis und Schrifttum 18 Der Vorentwurf von 1997 stieß sofort auf lebhaftes Interesse51 und wurde nicht nur seitens der Mitgliedstaaten52, sondern auch in Praxis53 und Schrifttum 54 grundsätzlich ganz überwiegend nachdrücklich begrüßt. Es gab allerdings durchaus auch Kritik. 45 Speziell dazu näher Rammeloo (Fn. 2), S. 307 f. 46 Die Kommission hatte 1996 eine Expertenkommission eingesetzt, deren im Mai 1997 vorgelegter sog. Davignon-Bericht entscheidende neue Impulse für die Mitbestimmungsregelung bei der SE gab, vgl. dazu näher § 41 Rn. 4. 47 Vgl. Zusatz zu Art. 4 Abs. 1 lit. f Modifizierter Vorentwurf (Fn. 9); Di Marco ZGR 1999, 3, 10 f.; Drury (1999) 24 E.L. Rev. 354, 365; Heinze ZGR 1999, 54, 62; Hoffmann ZHR 164 (2000) 43, 61; Neye ZGR 1999, 13, 17 ff. 48 Vgl. Di Marco ZGR 1999, 3, 10; Drury (1999) 24 E.L. Rev. 354, 370. 49 RL 90/434/EWG des Rates v. 23.7.1990 über das gemeinsame Steuersystem für Fusionen, Spaltungen, die Einbringung von Unternehmensteilen und den Austausch von Anteilen, die Gesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten betreffen, ABlEG v. 20.8.1990, L 225/1; jetzt kodifiziert als RL 2009/133/EG des Rates v. 19.10.2009 über das gemeinsame Steuersystem für Fusionen, Spaltungen, Abspaltungen, die Einbringung von Unternehmensteilen und den Austausch von Anteilen, die Gesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten betreffen, sowie für die Verlegung des Sitzes einer Europäischen Gesellschaft oder einer Europäischen Genossenschaft von einem Mitgliedstaat in einen anderen Mitgliedstaat, ABlEU v. 25.11.2009, L 310/34. 50 Vgl. Di Marco ZGR 1999, 3, 10; Sørensen/Neville (2000) 6 Colum. J. Eur. L. 181, 206; dafür auch Grundmann Rn. 865; Hoffmann ZHR 164 (2000) 43, 60 f.; Lutter ERT 2000, 60, 67; Neye ZGR 1999, 13, 16 f. 51 Vgl. die Nachweise in Fn. 10. 52 Vgl. Di Marco ZGR 1999, 3, 12; Neye FS Schwark, 2009, S. 231, 234. 53 Vgl. Neye ZGR 1999, 13, 14; Wiesner EuZW 1998, 619, 621. 54 Vgl. Drury (1999) 24 E.L. Rev. 354, 372; Hoffmann ZHR 164 (2000) 43, 57 f.; Priester ZGR 1999, 36, 50; Rajak ZGR 1999, 111, 125; Rammeloo (Fn. 2), S. 314; Roussos [2001] EBLR 7, 21 f.; Wymeersch ZGR 1999, 126, 144.

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Diese beschränkte sich zwar zumeist nur auf Einzelfragen55. Teilweise wurden aber auch ganz grundsätzliche Bedenken geltend gemacht. So sahen einige in Art. 44 Abs. 2 lit. g EG (G Art. 50 Abs. 2 lit. g AEU) keine ausreichende Kompetenzgrundlage.56 Speziell nach der Centros-Entscheidung des EuGH v. 9.3.1999 (dazu ausf. § 6 Rn. 19 ff.) wurde zudem verbreitet die Ansicht vertreten, dass die in der RL vorgesehene Befugnis der Mitgliedstaaten, die gleichzeitige Verlegung des Verwaltungssitzes zu verlangen (Art. 11 Abs. 2, dazu o. Rn. 10), primärrechtswidrig sei57 (zu dieser Problematik noch u. Rn. 24). Die Kommission stellte die Arbeiten am RL-Entwurf daher zunächst ein, um die weitere Entwicklung der Judikatur sowie bei der SE abzuwarten.58

III. Weitere Entwicklung 1. Aktionsplan 2003, Konsultation 2004 und Impact Assessment 2007 Nachdem auf dem Gipfel von Nizza Ende 2000 für die SE eine allseits konsensfähige 19 Lösung für die Mitbestimmungsproblematik gefunden worden war (näher § 41 Rn. 5) und die High Level Group of Company Law Experts (allg. zu dieser bereits § 18 Rn. 6) sich in ihrem Abschlussbericht vom November 2002 ausdrücklich für die baldige Verabschiedung einer Sitzverlegungsrichtlinie ausgesprochen hatte59, nahm die Kommission die Vorlage eines entsprechenden Vorschlags als kurzfristige Maßnahme (2003–2005) in ihren Aktionsplan vom Mai 2003 (zu diesem bereits allg. § 18) auf 60 (vgl. auch bereits § 18 Rn. 90).

55 Vgl. Drury (1999) 24 E.L. Rev. 354, 368 ff.; Hoffmann ZHR 164 (2000) 43, 58 ff.; Neye ZGR 1999, 13, 15; Priester ZGR 1999, 36, 37 ff., 50; Rammeloo (Fn. 2), S. 307 ff.; Roussos [2001] EBLR 7, 20 f.; Sørensen/Neville (2000) 6 Colum. J. Eur. L. 181, 196 ff. 56 Vgl. Mülbert/Schmolke ZVglRWiss 100 (2001) 233, 272 ff. 57 Vgl. Behrens JBl. 2001, 341, 350; von Bismarck (Fn. 10), S. 255, 259, 272 ff., 310 f., 313; Drygala ZEuP 2004, 337, 349; Eidenmüller JZ 2004, 24, 32; Frowein (Fn. 2), S. 204 f.; Garcia-Riestra [2004] EBLR 1295, 1323; Koppensteiner FS Lutter, 2000, S. 141, 155; Leible ZGR 2004, 531, 538, 548; ders. FS G. H. Roth, 2011, S. 447, 449; Meilicke GmbHR 1999, 896, 897; Menjucq Bull. Joly 2000, 137, 141; Ratka, Grenzüberschreitende Sitzverlegung von Gesellschaften, 2002, S. 187; Straube FS Doralt, 2004, S. 637, 643 f.; zweifelnd auch Breuninger/Krüger FS Rädler, 1999, S. 79, 109 f.; Deckert RabelsZ 64 (2000) 478, 491; Kieninger ZGR 1999, 724, 746; Roussos [2001] EBLR 7, 19 („prima facie in contrast to the Centros ruling“). 58 Vgl. Leible ZGR 2004, 531, 538; Wiesner ZIP 2000, 1792, 1796. 59 Bericht der Hochrangigen Gruppe von Experten auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts über moderne gesellschaftsrechtliche Rahmenbedingungen in Europa, 4.11.2002 (www. ec.europa.eu/internal_market/company/docs/modern/report_de.pdf), S. 138. Nachdrücklich dafür auch Group of German Experts on Corporate Law (der auch die Autoren Lutter und Bayer angehörten) ZIP 2002, 1310, 1320. 60 Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament, Modernisierung des Gesellschaftsrechts und Verbesserung der Corporate Governance in der Europäischen Union – Aktionsplan, 21.5.2003, KOM(2003) 284, S. 24, 29.

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Im Februar 2004 startete die Kommission dann eine öffentliche Konsultation.61 Die im Konsultationsdokument 62 skizzierten Vorstellungen der Kommission hinsichtlich des Inhalts des geplanten Vorschlags entsprachen im Wesentlichen dem Vorentwurf von 1997. Entsprechend den Forderungen von Wissenschaft und Praxis sollte der Anwendungsbereich nun – wie schon im modifizierten Vorentwurf (vgl. o. Rn. 7) – ausdrücklich auf Kapitalgesellschaften i.S.d. 1. (Publizitäts-)RL (dazu § 19 Rn. 9 f.) beschränkt werden. Zudem sollte weiterhin nur die statutenwechselnde Satzungssitzverlegung geregelt werden; die im Zusammenhang mit einer isolierten Verlegung des Verwaltungssitzes auftretenden Probleme seien inzwischen mit Hilfe der EuGH-Judikatur zur Niederlassungsfreiheit lösbar.63 Verlegungsverfahren, Gläubiger- und Minderheitenschutz sollten – wie schon im Vorentwurf (vgl. o. Rn. 12 ff.) – entsprechend dem „europäischen Modell für Strukturmaßnahmen“ ausgestaltet werden. Anders als der Vorentwurf (vgl. o. Rn. 16 f.) äußerte sich das Konsultationspapier aber ausdrücklich auch zur Steuer- und Mitbestimmungsproblematik. Um die Sitzverlegung steuerneutral auszugestalten, sollte die Fusionssteuer-RL64 entsprechend erweitert werden. Die Mitbestimmung sollte sich grundsätzlich nach dem Recht des Aufnahmemitgliedstaats richten; sofern im Herkunftsmitgliedstaat jedoch umfassendere Rechte bestanden, war eine Verhandlungs- und Auffanglösung nach SE-Vorbild geplant.65 Bei den über 120 Marktteilnehmern, die sich an der Konsultation beteiligten, stießen diese Eckpunkte ganz überwiegend auf große Zustimmung.66 21 Dennoch wurde die Präsentation eines offiziellen Entwurfs von der Kommission in der Folgezeit immer wieder verschoben, obwohl auch die Konsultation über die Prioritäten des Aktionsplans 2005/06 (dazu bereits allg. § 18 Rn. 3) nochmals gezeigt hatte, dass Wissenschaft und Praxis verbreitet für eine baldige Verabschiedung plädierten67. Nachdem das EP die Kommission daraufhin in einer Entschließung v. 4.7.200668 nochmals nachdrücklich aufgefordert hatte, in naher Zukunft einen Vorschlag vorzulegen, kündigte diese zwar zunächst eine Vorlage im Frühjahr 2007 an 69. Auf einer Konferenz Ende Juni 2007 erklärte Kommissar McCreevy dann jedoch, 20

61 Vgl. IP/04/270. 62 Abrufbar unter http://ec.europa.eu/internal_market/company/seat-transfer/2004-consult_ de.htm. Dazu Kindler Konzern 2006, 811, 817; Vossestein (2008) 4 Utrecht L. Rev. 53, 54 f. 63 Kritisch dazu Schinköth, Grenzüberschreitende Sitzverlegung von Kapitalgesellschaften, 2005, S. 148 ff. 64 Fn. 49. 65 Kritisch dazu Schinköth (Fn. 63), S. 152 f. 66 Konsultationsergebnisse abrufbar unter http://ec.europa.eu/yourvoice/results/transfer/ index_de.htm. Näher dazu Schinköth (Fn. 63), S. 147 f. 67 Vgl. Consultation and Hearing on Future Priorities for the Action Plan on Modernising Company Law and Enhancing Corporate Governance in the European Union. Summmary Report, 7.7.2006, abrufbar unter http://ec.europa.eu/internal_market/company/ docs/consultation/final_report_en.pdf. 68 Entschließung des Europäischen Parlaments v. 4.7.2006 zu den jüngsten Entwicklungen und den Perspektiven des Gesellschaftsrechts, ABlEU v. 13.12.2006, C 303 E/114, Ziff. 33. Dazu Vossestein (2008) 4 Utrecht L. Rev. 53, 56. 69 Vgl. Fischer zu Cramburg NZG 2007, 138.

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dass man zunächst den Ausgang der Rs. Cartesio (dazu ausf. § 6 Rn. 37 ff.) abwarten wolle.70 Aus den Reihen des EP wurde der Kommission daraufhin eine Untätigkeitsklage in Aussicht gestellt.71 Diese ließ sich davon jedoch nicht beeindrucken, sondern präsentierte im Dezember 2007 eine ausführliche Folgenabschätzung72, im Rahmen derer sie auch ganz offiziell zu dem Ergebnis gelangte, dass es vorzugswürdig sei, das Projekt zunächst zu stoppen und die praktischen Auswirkungen der Umsetzung der 10. RL (dazu § 23) und die Cartesio-Entscheidung des EuGH abzuwarten.73

2. Die Entschließung des Europäischen Parlaments vom März 2009 Wie bereits bei § 6 Rn. 37 ff., 54 ff., 58 ff. ausführlich erläutert, brachte das Cartesio- 22 Urteil jedoch keineswegs die erhoffte umfassende Klärung: Wie schon in Daily Mail (dazu ausf. § 6 Rn. 14 ff.) verneinte der Gerichtshof ein unmittelbar aus der Niederlassungsfreiheit folgendes Recht auf statutenwahrenden Wegzug (d.h. die Verlegung des Verwaltungssitzes unter Wahrung der Eigenschaft als Gesellschaft nach dem Recht des Wegzugstaats); obiter erkannte er zwar explizit ein Recht auf statutenwechselnden Wegzug an, konturierte dies aber leider nicht näher. Praxis74 und Schrifttum75 fordern deshalb nachdrücklich eine Wiederaufnahme der Arbeiten an einer

70 Vgl. McCreevy, Company law and corporate governance today, 5th European Corporate Governance and Company Law Conference, Berlin 28.6.2007, SPEECH/07/441. 71 So bereits Lehne auf der Konferenz in Berlin (vgl. Schmidt-Gerdts SR 2007, 254 f.; Leible FS G. H. Roth, 2011, S. 447, 449) sowie nochmals ausdrücklich Lehne und Gargani in der Plenardebatte im Europäischen Parlament am 4.9.2007 (CRE 04/09/2007 – 4); s. ferner auch die Entschließung des Europäischen Parlaments vom 25.10.2007 zur Europäischen Privatgesellschaft und zur Vierzehnten gesellschaftsrechtlichen Richtlinie über die grenzüberschreitende Verlegung des Gesellschaftssitzes, ABlEU v. 16.10.2008, C 263 E/671, Ziff. 5 f., in der sich das Europäische Parlament ausdrücklich vorbehielt, weitere Maßnahmen zu ergreifen. 72 Impact assessment on the Directive on the cross-border transfer of the registered office, 12.12.2007, SEC(2007) 1707. 73 Vgl. dazu auch Bayer/J. Schmidt BB 2008, 454, 458. 74 Vgl. BDI, Stellungnahme zum Stockholmer Programm, Dok. Nr. D 0306, abrufbar unter www.bdi.eu, S. 5 f. 75 Vgl. Autenne/Navez RTD com. 2009, 91, 124; Bayer/J. Schmidt ZHR 173 (2009) 735, 770; dies. BB 2010, 387, 392; Dammann/Wynaendt/Nader D. 2009, 574, 575; Herrler DNotZ 2009, 484, 490; Hopt ECGI Law Working Paper 140/2010, S. 11 f.; Johnston/Syrpis (2009) 34 E. L. Rev. 378, 401; Korom/Metzinger ECFR 2009, 125, 159 f.; Leible FS G. H. Roth, 2011, S. 447, 460; Leible/Hoffmann BB 2009, 58, 62; Menjucq JCP 2009.II.10027; MüllerGraff EWS 2009, 489, 494; Neye FS Schwark, 2009, S. 231, 240; Otte/Rietschel GmbHR 2009, 983, 988; Paefgen WM 2009, 529, 532; Ratka/Rauter WBl. 2009, 62, 64; Ratka/ Wolfbauer ZfRV 2009, 57, 64; Szydlo ECFR 2010, 414, 441 ff.; C. Teichmann ZIP 2009, 493, 495; C. Teichmann/Ptak RIW 2010, 817, 819; Timmermans ERPL 2010, 549, 566; Trüten EuZ 2009, 68, 74; Vossestein (2009) 6 ECL 115, 123; Wilhelmi JZ 2009, 411, 413; Wykaert/Jenné in: Koen/Hopt (eds.), The European company law action plan revisited, 2010, S. 287, 318; Wymeersch (2007) 8 EBOR 161, 169; Zimmer/Naendrup NJW 2009, 545, 548.

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Sitzverlegungs-RL. Dem schloss sich auch das EP an: In einer Entschließung vom 10.3.2009 76 forderte es die Kommission nicht nur auf, umgehend einen Legislativvorschlag vorzulegen, sondern machte zugleich auch detaillierte Empfehlungen für dessen Inhalt. 23 Gegenstand der RL soll auch nach Auffassung des EP nur die grenzüberschreitende identitätswahrende und statutenwechselnde Verlegung des Satzungssitzes sein (vgl. Empfehlung 1). Die Empfehlungen 2–4 zum Verlegungsverfahren bauen zwar auf der im Vorentwurf 1997 enthaltenen Grundkonzeption auf, entwickeln diese aber entsprechend dem inzwischen erreichten Stand des „europäischen Modells für Strukturmaßnahmen“ (vgl. dazu § 6 Rn. 29, § 18 Rn. 9; § 19 Rn. 4; § 21 Rn. 24, 112; § 22 Rn. 23, 81; § 23 Rn. 26, 129 f.; § 30 Rn. 16; § 41 Rn. 47) weiter. Grundpfeiler sind zwar nach wie vor Verlegungsplan, Verlegungsbericht, Verlegungsbeschluss mit satzungsändernder Mehrheit und eine zweistufige Rechtmäßigkeitskontrolle. Im Detail lehnen die vorgeschlagenen Regelungen sich aber nicht nur an Art. 8 SE-VO (dazu § 41 Rn. 170 ff.), sondern – mit Blick auf die enge Verwandtschaft von grenzüberschreitender Verschmelzung und Sitzverlegung – insbesondere auch an Art. 5 ff. der 10. RL (dazu § 23 Rn. 29 ff.) an. Kohärenz mit der 10. RL wird zudem auch im Hinblick auf die Mitbestimmung der Arbeitnehmer angestrebt: Nach Empfehlung 5 soll insoweit zwar grundsätzlich das Recht des Aufnahmemitgliedstaats gelten; sofern dies aber zu einer Minderung des Mitbestimmungsniveaus führen würde, soll die in Art. 16 der 10. RL normierte Verhandlungs- und Auffanglösung (dazu ausf. § 23 Rn. 147 ff.) entsprechend gelten. Im Gegensatz zum Vorentwurf von 1997 (vgl. o. Rn. 14 f.) enthalten die Empfehlungen zwar keine speziellen Regelungen zum Schutz von Minderheitsgesellschaftern und Gläubigern, wie sie z.B. auch in Art. 8 Abs. 5 und 7 SE-VO (dazu § 41 Rn. 173 f.) und Art. 4 der 10. RL (dazu § 23 Rn. 129 ff.) enthalten sind. Erwägungsgrund E betont aber ausdrücklich, dass auch deren Rechte geschützt werden müssen, so dass diese Lücke wohl eher darauf beruhen dürfte, dass das EP sich insoweit (noch) nicht abschließend positionieren wollte. Zum steuerrechtlichen Rahmen enthält die Entschließung ebenfalls keine näheren Regelungen; es wird aber explizit betont, dass die Sitzverlegung steuerneutral sein sollte (Ziff. 8). 3. Die Thesen des Arbeitskreises Europäisches Unternehmensrecht vom Januar 2011 24 Ein neuer Impuls kam im Januar 2011 mit den vom Arbeitskreis Europäisches Unternehmensrecht 77 vorgelegten „Thesen zum Erlass einer europäischen Sitzverlegungs-

76 Fn. 1. Vgl. auch den vorangehenden Bericht des Rechtsausschusses v. 29.1.2009, A6-0040/2009. Dazu Bayer/J. Schmidt BB 2010, 387, 390; HJI Panayi (2009) 28 YEL 123, 144; Lehne KSzW 2010, 3, 4; Wicke GPR 2010, 238, 240 ff. 77 Dem Arbeitskreis Europäisches Unternehmensrecht, in dem auch die Autoren Bayer und J. Schmidt mitarbeiten, gehören überwiegend Professoren, aber auch Rechtsanwälte, Notare und Unternehmensjuristen an. Nähere Informationen unter http://akeur.duslaw.eu.

Das Projekt einer Sitzverlegungsrichtlinie (14. Richtlinie)

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richtlinie“78. Hinsichtlich der Grundkonzeption der RL sprach sich der Arbeitskreis für eine kollisionsrechtliche neutrale Regelung zur identitätswahrenden Satzungssitzverlegung (These 4) von Kapitalgesellschaften i.S.d. Art. 2 Nr. 1 der 10. RL (dazu § 23 Rn. 13 ff.) (These 7 S. 1) aus. Ausgangs- und Zielrechtsform sollten dabei nicht kongruent sein müssen (These 7 S. 2) 79. Der Aufnahmestaat sollte die Beachtung der Gründungsregeln der Zielrechtsform – nicht aber zusätzliche Anforderungen – verlangen dürfen (These 6). Zudem sollte den Mitgliedstaaten – wie auch schon im Vorentwurf 1997 vorgesehen (vgl. o. Rn. 10) – die Option eingeräumt werden, zusätzlich eine Verlegung des Verwaltungssitzes zu verlangen (These 4 S. 5). Da es den Mitgliedstaaten nach Cartesio frei steht, die Anwendung ihres Gesellschaftsrechts von einer Ansiedlung des Verwaltungssitzes im Inland abhängig zu machen (vgl. § 6 Rn. 40 f., 54), ist dies – anders als nach Centros verbreitet angenommen (vgl. o. Rn. 18) – nicht primärrechtswidrig (vgl. These 4 S. 2). Im Gegenteil: Bis zu einer künftigen Harmonisierung des Gesellschaftskollisionsrechts (dazu § 6 Rn. 83) dürfte dies wohl die einzig systemkonforme und auch politisch konsensfähig Lösung sein. Das Sitzverlegungsverfahren sollte sich nach Ansicht des Arbeitskreises im Interesse einer systematischen Kohärenz an der 10. RL orientieren (These 8). Erforderlich wären also entsprechende Regelungen zu Verlegungsplan, Verlegungsbericht, Verlegungsbeschluss mit satzungsändernder Mehrheit, zweistufiger Rechtmäßigkeitskontrolle („Bescheinigungssystem“, wofür ein einheitliches Formular empfohlen wird), Eintragung/Löschung und entsprechender Publizität (Thesen 8–10). Bezüglich des Schutzes von Minderheitsgesellschaftern und Gläubigern empfiehlt der Arbeitskreis eine Ausgestaltung in der RL selbst; hilfsweise sollte es aber zumindest den Mitgliedstaaten gestattet werden, angemessene Regeln zu erlassen (These 11 S. 1 u. 2). Weiterhin wird eine steuerneutrale Ausgestaltung in Anlehnung an die Fusionssteuer-RL80 empfohlen (These 11 S. 3). Hinsichtlich der Mitbestimmung (Thesen 12 und 13) befürwortet der Arbeitskreis im Grundsatz das auch vom EP vorgeschlagene (vgl. o. Rn. 23) Modell: Prin-

78 Veröffentlicht in NZG 2011, 98 und abrufbar unter http://iur.duslaw.eu/files/ThesenSitzverlegungsrichtlinie-Namensliste_V2.pdf. Die von den Prof. Dres. Casper (Münster), Leible (Bayreuth) und C. Teichmann (Würzburg) vorbereiteten Thesen wurden von folgenden Mitgliedern des Arbeitskreises unterstützt: Prof. Dr. Arnold (Kiel), Prof. Dr. Bayer (Jena), Prof. Dr. Dauner-Lieb (Köln), Prof. Dr. Drygala (Leipzig), Dr. Franzmann (BASF SE), Prof. Dr. Grundmann (Berlin), Prof. Dr. Grunewald (Köln), Prof. Dr. Habersack (Tübingen), Prof. Dr. Hennrichs (Köln), Prof. Dr. Hirte (Hamburg), Rechtsanwalt Dr. Leuering (Bonn), Prof. Dr. Kersting (Düsseldorf), Prof. Dr. Klöhn LL.M. (Marburg), Rechtsanwältin Dr. Maul (Mannheim), Prof. Dr. Müller (Erfurt), Prof. Dr. Noack (Düsseldorf), Rechtsanwalt Dr. Royla (Siemens AG), Wiss. Mit. Dr. J. Schmidt (Jena), Prof. Dr. Siems (Norwich), Prof. Dr. Spindler (Göttingen), Prof. Dr. Verse (Osnabrück), Notar Wachter (München), Prof. Dr. Weller (Mannheim), Notar Dr. Wicke LL.M. (München). 79 Vgl. zu den insoweit bestehenden Unklarheiten im Vorentwurf o. Rn. 11. 80 Fn. 49.

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zipielle Geltung des Rechts des Aufnahmestaats, soweit dies zu einer Mitbestimmungsminderung führen würde jedoch Anwendung der Verhandlungs- und Auffanglösung entsprechend der 10. RL. Der Arbeitskreis spricht sich dabei ausdrücklich auch für die in der 10. RL (anders als in der SE-RL) vorgesehenen (vgl. § 23 Rn. 151) Optionen einer unmittelbaren Anwendung der Auffanglösung unter Verzicht auf Verhandlungen und der Beschränkung auf Drittelparität im monistischen System aus. Zudem rät er nachdrücklich von einer Übernahme der SE-Regelung zur Umwandlungsgründung (dazu § 41 Rn. 189, 191) ab; vielmehr sollte mit qualifizierter Mehrheit im BVG auch eine Minderung der Mitbestimmung beschlossen werden können und die Auffanglösung sollte ausdrücklich auf die Beibehaltung des Arbeitnehmeranteils beschränkt werden81.

4. Der Bericht der Reflection Group 29 Die Reflection Group hat sich in ihrem Bericht vom April 201182 (dazu allg. näher § 18 Rn. 5, 100 ff.) ebenfalls nachdrücklich für die baldige Schaffung einer EU-Regelung zur Sitzverlegung ausgesprochen, entweder in Form einer separaten Sitzverlegungs-RL oder als Teilelement eines Ausbaus der 10. RL (dazu ausf. § 23) zu einer allgemeinen RL über die grenzüberschreitende Mobilität (dazu auch bereits § 18 Rn. 102); hinsichtlich des Sitzverlegungsverfahrens empfiehlt sie daher konsequenterweise ebenfalls eine Orientierung an der 10. RL.83 Der Anwendungsbereich der RL sollte nach den Vorstellungen der Reflection Group zunächst auf Kapitalgesellschaften beschränkt sein, könnte aber ggf. später auf andere Gesellschaften i.S.d. Art. 54 AEU erweitert werden.84 Weiterhin hat auch sie sich dezidiert für eine Regelung zur Beseitigung etwaiger steuerlicher Hindernisse ausgesprochen.85

IV. Ausblick 30 Ungeachtet dieser erneuten nachdrücklichen Forderungen von EP, Wissenschaft und Praxis hatte die Kommission bei Drucklegung (Sommer 2011) leider noch immer keinen Entwurf vorgelegt; in der Binnenmarktakte vom Oktober 2010 86 und im Arbeitsprogramm für 201187 wurde das Projekt einer Sitzverlegungs-RL noch nicht einmal

81 Vgl. zur diesbezüglichen Kontroverse bei der SE § 41 Rn. 191. 82 Report of the Reflection Group On the Future of EU Company Law, 5.4.2011, abrufbar unter http://ec.europa.eu/internal_market/company/docs/modern/reflectiongroup_ report_en.pdf. 83 Vgl. Bericht Reflection Group (Fn. 82), S. 20 ff. 84 Vgl. Bericht Reflection Group (Fn. 82), S. 20 f. 85 Vgl. Bericht Reflection Group (Fn. 82), S. 25 f. 86 Binnenmarktakte, KOM(2010) 623. 87 Arbeitsprogramm der Kommission für 2011, KOM(2010) 608.

Das Projekt einer Sitzverlegungsrichtlinie (14. Richtlinie)

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erwähnt. Den entscheidenden Anstoß für die „Wiederbelebung“ des Projekts könnte nun aber (hoffentlich) der unmissverständliche Appell der Reflection Group (vgl. o. Rn. 29) liefern, der auch auf der EU Company Law Conference im Mai 2011 überwiegend nachdrücklich unterstützt wurde88. Der Vorsitzende des EP-Rechtausschusses, MEP Lehne kündigte für Herbst 2011 bereits einen neuen Initiativbericht des EP 89 an, falls die Kommission nicht von sich aus tätig wird.90

V. Fundstellenverzeichnis Vorschläge/Entwürfe:

Vorentwurf für eine Vierzehnte Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Verlegung des Sitzes einer Gesellschaft in einen anderen Mitgliedstaat mit Wechsel des für die Gesellschaft maßgebenden Rechts v. 22.4.1997, Dok. XV/6002/97 (abgedruckt im Anschluss sowie in ZIP 1997, 1721 ff. und ZGR 1999, 157 ff.; englische Fassung abgedruckt bei Rammeloo, Corporations in private international law. A European perspective, 2001, S. 297 ff.) Proposal for a Fourteenth European Parliament and Council Directive on the Transfer of the Registered Office of a Company from one Member State to another with a Change of Applicable Law, Dok. XV/D2/6002/97-EN REV.2 Entschließung des Europäischen Parlaments v. 10.3.2009 mit Empfehlungen an die Kommission zur grenzüberschreitenden Verlegung von eingetragenen Gesellschaftssitzen, ABlEU v. 1.4.2010, C 87 E/5 Arbeitskreis Europäisches Unternehmensrecht, Thesen zum Erlass einer europäischen Sitzverlegungsrichtlinie, abgedruckt in NZG 2011, 98 und abrufbar unter http://iur.duslaw.eu/ files/Thesen-Sitzverlegungsrichtlinie-Namensliste_V2.pdf

88 Vgl. J. Schmidt GmHR 2011, R177. 89 Verfahren INI/2011/2046. 90 Vgl. J. Schmidt GmHR 2011, R177.

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Gesellschaftsrechtliche Richtlinien ANHANG

Vorentwurf eines Richtlinienvorschlags zur Verlegung des Gesellschaftssitzes innerhalb der EU A. Begründung I. Allgemeines Art. 58 EGV bestimmt, daß „die nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats gegründeten Gesellschaften, die ihren satzungsmäßigen Sitz, ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung innerhalb der Gemeinschaft haben“, für die Anwendung der Vertragsbestimmungen über das Niederlassungsrecht „den natürlichen Personen gleich[stehen], die Angehörige der Mitgliedstaaten sind“. Die Gleichstellung der Gesellschaften mit den natürlichen Personen im Rahmen des Niederlassungsrechts ist jedoch nicht unproblematisch. Ein Problem ergibt sich schon daraus, daß Gesellschaften nicht von sich heraus existieren können, sondern hierzu gewisse rechtliche Qualifikationen und Handlungen erforderlich sind. Für die Rechtsfähigkeit und damit die Existenz einer juristischen Person kommt es darauf an, daß diese juristische Person auf der Grundlage einer bestimmten Rechtsordnung gegründet oder von einer Rechtsordnung als juristische Person anerkannt worden ist. Die Voraussetzungen für die Gründung oder Anerkennung von Gesellschaften bestimmen sich nach der jeweiligen Rechtsordnung. Eine Voraussetzung ist, daß die juristische Person mit der Rechtsordnung, auf deren Grundlage sie gegründet oder anerkannt worden ist, sowie mit dem Gebiet des Staates, dessen Recht sie unterliegt, in tatsächlicher Hinsicht verbunden sein muß (Anknüpfungspunkte). In dieser grundlegenden Frage verfolgen die Mitgliedstaaten unterschiedliche Ansätze. Diese Heterogenität trägt dazu bei, daß jede einzelstaatliche Rechtsordnung für die Gesellschaften ein abgeschlossenes Universum darstellt, zumindest dann, wenn sie ihren Sitz in einen anderen Mitgliedstaat verlegen wollen. Die unterschiedliche Konzeption kommt auch in der Terminologie zum Ausdruck, die zur Beschreibung eines Sachverhalts wie der Sitzverlegung herangezogen wird. Unter „Sitzverlegung“ verstehen die Mitgliedstaaten je nach der von ihnen zugrundegelegten Theorie a) die Streichung der Gesellschaft aus dem Register von Mitgliedstaat A und ihre Eintragung in das Register von Mitgliedstaat B (Verlegung des Satzungssitzes); b) die Verlegung der Hauptverwaltung der Gesellschaft in einen anderen Mitgliedstaat (Verlegung des tatsächlichen Sitzes). Beide Vorgänge können in der Gemeinschaft nicht ohne weiteres vollzogen werden.

II. Verlegung des Satzungssitzes In den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten ist selten ausdrücklich die Möglichkeit vorgesehen, daß in ihren Registern eingetragene Gesellschaften ihren Satzungssitz ins Ausland verlegen können. Von einer Verlegung des Gesellschaftssitzes kann nur dann die Rede sein, wenn die Gesellschaft nicht vor der Sitzverlegung im Wegzugsstaat aufgelöst werden muß, d.h. wenn sie unter Wahrung ihrer Identität im Zuzugsstaat eingetragen werden kann. Nur wenige Mitgliedstaaten sehen diese Möglichkeit vor und wenn, dann nur unter der Voraussetzung der Gegenseitigkeit (Italien und Portugal). Das französische Recht läßt eine Sitzverlegung nur zu, wenn ein entsprechendes internationales Abkommen besteht; solche Abkommen gibt es aber nicht. Das deutsche Recht schließt eine Sitzverlegung von vorneherein aus, während andere Rechtsordnungen diesen Fall nicht berücksichtigen. Es ist daher festzustellen, daß das Recht der Mitgliedstaaten kein Verfahren vorsieht, das eine Verlegung des Sitzes einer Gesellschaft in einen anderen Mitgliedstaat zuließe.

III. Verlegung der Hauptverwaltung 1. Diese Form der Sitzverlegung hängt davon ab, welche Anknüpfungspunkte in den jeweiligen Mitgliedstaaten für die Bestimmung des maßgebenden Rechts herangezogen werden. a) Satzungssitz: In einigen Mitgliedstaaten gilt als Anknüpfungspunkt der Satzungssitz einer Gesellschaft. Danach unterliegen Gesellschaften, die nach dem Recht eines dieser Mitgliedstaaten gegründet worden sind und dort eingetragen sind, d. h. die dort ihren satzungsmäßigen Sitz haben, dem Recht des betreffenden Mitgliedstaats. Wird nur die Hauptverwaltung ins Ausland verlegt, so liegt keine Sitzverlegung vor (Rechtssache Daily Mail, EuGH Urt. v. 27.9.1988 – Rs. 81/87, Slg. 1988, 5483). b) Tatsächlicher Sitz: Andere Mitgliedstaaten sehen als Gesellschaftssitz den Ort an, an dem sich die tatsächliche Geschäftsleitung der Gesellschaft (der „tatsächliche Sitz“) befindet. Gesellschaften, die

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ihre Hauptverwaltung in diesen Ländern haben, unterliegen nach dieser Auffassung dem Recht dieser Länder, auch wenn sie im Ausland eingetragen sind und der Gründungsstaat sich normalerweise ebenfalls rechtlich für diese Gesellschaften als zuständig ansieht. 2. Wird nur die Hauptverwaltung verlegt, so ist dies rechtlich unproblematisch, wenn die beiden hiervon betroffenen Länder als Anknüpfungspunkt den Satzungssitz ansehen. So kann eine in Irland eingetragene Gesellschaft ihre Hauptverwaltung in die Niederlande verlegen und weiterhin dem irischen Recht unterliegen. Komplizierter wäre der Fall, wenn die Hauptverwaltung in ein Land verlegt würde, in dem als Anknüpfungspunkt der tatsächliche Sitz gilt. Die irische Gesellschaft aus dem vorhergehenden Beispiel könnte ihre Hauptverwaltung auch nach Italien verlegen, doch würde sie dann zwei verschiedenen Rechtsordnungen unterliegen: dem Recht des Wegzugsstaats, das anwendbar ist, weil die Gesellschaft dort gegründet wurde, und dem Recht des Zuzugsstaats, weil in Italien für jede Gesellschaft, die ihre Hauptverwaltung (und damit den tatsächlichen Sitz) in Italien hat, italienisches Recht maßgebend ist. In einigen Ländern, die der Theorie des tatsächlichen Sitzes folgen (Deutschland, Frankreich usw.), ist die Verlegung des Sitzes gar nicht möglich. Eine ausländische Gesellschaft, die ihre Hauptverwaltung nach Deutschland verlegt, ohne dort ihren Sitz einzutragen, würde nicht als „Gesellschaft“ anerkannt. Im Gegenzug müßte eine deutsche Gesellschaft, die ihre Hauptverwaltung ins Ausland verlegen will, aufgelöst werden. IV. Ziel des Rechtsetzungsvorschlags: Umsetzung von Art. 58 EGV 1. Im europäischen Binnenmarkt müssen die in den Mitgliedstaaten gegründeten Gesellschaften nicht nur Zugang zu den Märkten der anderen Mitgliedstaaten haben, sondern auch ihren satzungsmäßigen oder tatsächlichen Sitz in andere Mitgliedstaaten verlegen können, wenn ihre Aktivitäten sich im Laufe der Zeit auf ein anderes Land als den Gründungsstaat verlagern. Wie der Gerichtshof in seinem Urteil Daily Mail ausgeführt hat, stehen dem vor allem die unterschiedlichen Kriterien entgegen, die die Mitgliedstaaten heranziehen, um festzustellen, ob eine Gesellschaft ihrem innerstaatlichen Recht unterliegt. („Nach alledem betrachtet der EWG-Vertrag die Unterschiede, die die Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten hinsichtlich der für ihre Gesellschaften erforderlichen Anknüpfung sowie der Möglichkeit und gegebenenfalls der Modalitäten einer Verlegung des satzungsmäßigen oder wahren Sitzes einer Gesellschaft nationalen Rechts von einem Mitgliedstaat in einen anderen aufweisen, als Probleme, die durch die Bestimmungen über die Niederlassungsfreiheit nicht gelöst sind, sondern einer Lösung im Wege der Rechtsetzung oder des Vertragsschlusses bedürfen;“ Urteil Daily Mail, Entscheidungsgrund Nr. 23, Slg. 1988, 5512). Mit der Anwendung der Art. 52 und 58 EGV allein läßt sich dieses Problem nicht lösen. Hier sind legislative Maßnahmen erforderlich. 2. Eine rechtliche Angleichung der Anknüpfungspunkte im Rahmen der Sitzund der Gründungstheorie ist allerdings nicht notwendig, um den Gesellschaften die Verlegung ihres satzungsmäßigen oder tatsächlichen Sitzes in einen anderen Mitgliedstaat zu ermöglichen. Eine gemeinschaftsweite Regelung, auf deren Grundlage eine Gesellschaft ihre Eintragung im Wegzugsmitgliedstaat löschen und sich im Zuzugsmitgliedstaat mittels Neueintragung der dortigen Rechtsordnung unterstellen kann, ohne sich im Wegzugsmitgliedstaat zuvor auflösen zu müssen, reicht für diese Zwecke aus.

V. Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit Eine Harmonisierung der Kriterien für die rechtliche Anknüpfung hätte eine Entscheidung auf Gemeinschaftsebene zwischen den Anknüpfungspunkten „satzungsmäßiger Sitz“ und „tatsächlicher Sitz“ vorausgesetzt oder die Wahl eines anderen Kriteriums. Das Gemeinschaftsrecht hätte damit spürbar in das bestehende Recht der Mitgliedstaaten eingegriffen. Eine konsequente Anwendung des Subsidiaritätsprinzips legt den Verzicht auf eine Harmonisierung der Anknüpfungskriterien zugunsten einer weniger einschneidenden Maßnahme nahe, deren Wirkung stärker begrenzt ist. Die Lösung besteht darin, in jedem Mitgliedstaat ein gesondertes Verfahren einzuführen, das die Verlegung des satzungsmäßigen oder tatsächlichen Sitzes einer Gesellschaft in einen anderen Mitgliedstaat mit Wechsel des auf die Gesellschaft anwendbaren Rechts ermöglicht.

VI. Notwendigkeit einer EG-Regelung In Art. 220 EGV ist vorgesehen, daß die Mitgliedstaaten untereinander Verhandlungen einleiten, um die „Beibehaltung der Rechtspersönlichkeit bei Verlegung des Sitzes von einem Staat in einen anderen“ sicherzustellen. Solche Verhandlungen sind bisher nicht aufgenommen worden, so daß der gesamte Vorgang der Sitzverlegung, der zwei Mitgliedstaaten – den Wegzugs- und den Zuzugsmitgliedstaat – betrifft und damit eine grenzübergreifende Dimension aufweist, nur durch eine Gemeinschaftsmaßnahme geregelt werden kann.

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Gesellschaftsrechtliche Richtlinien VII. Beschreibung der vorgeschlagenen Regelung 1. Anwendungsbereich

Ziel des Vorschlags ist es, den nach dem Recht eines Mitgliedstaats gegründeten Gesellschaften die Verlegung ihres satzungsmäßigen oder tatsächlichen Sitzes in einen anderen Mitgliedstaat unter Wahrung ihrer Rechtspersönlichkeit (d. h. ohne Auflösung), aber mit Wechsel des für die Gesellschaften maßgebenden Rechts, zu ermöglichen. Die Richtlinie versteht sich als Brücke zwischen den verschiedenen Rechtssystemen der Mitgliedstaaten.

2. Von der Richtlinie nicht erfaßter Bereich Wie oben unter Abschn. V ausgeführt, sollen die Anknüpfungskriterien nicht harmonisiert werden, d. h. es gelten weiterhin in den einzelnen Ländern als Anknüpfungspunkte der Satzungssitz oder der tatsächliche Sitz je nach Rechtstradition. 3. Inhalt des Vorschlags Der Vorschlag stützt sich inhaltlich weitgehend auf Art. 8 des geänderten Vorschlags für eine Verordnung des Rates über das Statut der Europäischen Aktiengesellschaft (SE), so wie er aus den Verhandlungen im Rat hervorgegangen ist. Vorgesehen ist ein besonderes Verfahren, um die Sitzverlegung transparent zu machen und die Interessen der von der Sitzverlegung betroffenen Gesellschafter und Gläubiger zu schützen. Die Gesellschaft ist danach verpflichtet, sich im Gesellschaftsregister des Zuzugsstaats eintragen und ihre Eintragung im Register des Wegzugsstaats löschen zu lassen. Auf diese Weise kann die Gesellschaft ihren Sitz unter Wahrung ihrer Rechtspersönlichkeit transferieren. Nach Verlegung des satzungsmäßigen oder tatsächlichen Sitzes unterliegt die Gesellschaft dem Recht des Zuzugsstaats wie jede andere Gesellschaft dieses Staats. Sie hat daher ihre Satzung dem neuen Recht anzupassen und muß in Ländern, die als Anknüpfungspunkt den tatsächlichen Sitz ansehen, ihre Hauptverwaltung dorthin verlegen, bevor sie sich eintragen lassen kann. Diese gemeinschaftsrechtliche „Brücke“ soll sicherstellen, daß in allen Mitgliedstaaten Verfahren vorhanden sind, die die Aufnahme von Gesellschaften, die sich in anderen Mitgliedstaaten eintragen lassen wollen, ermöglichen. Dies dürfte sowohl den Gesellschaftern entgegenkommen, die die Niederlassungsfreiheit in Anspruch nehmen wollen, als auch den Gesellschaftern und Gläubigern, denen daran gelegen ist, daß sich die betreffende Gesellschaft ihren Verpflichtungen nicht entziehen kann, ohne zuvor ausreichende Sicherheiten geleistet zu haben. Hierzu sieht der Richtlinienvorschlag – entsprechend Art. 54 Abs. 3 Buchst. g EGV – vor, daß zugunsten der Gesellschafter und Dritter gewisse Garantien gegeben sein müssen.

B. Wortlaut des Richtlinienvorentwurfs Das Europäische Parlament und der Rat der Europäischen Union, gestützt auf den Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, insbesondere auf Art. 54, auf Vorschlag der Kommission, nach Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses, gemäß dem Verfahren des Art. 189 b EGV, in Erwägung nachstehender Gründe: Nach dem Subsidiaritäts- und Verhältnismäßigkeitsprinzip gemäß Art. 3 b EGV können die Ziele der in Betracht gezogenen Maßnahmen, das heißt die Ermöglichung der Sitzverlegung unbeschadet der in den Mitgliedstaaten unterschiedlichen Anknüpfungspunkte für das jeweils anzuwendende innerstaatliche Recht, auf Ebene der Mitgliedstaaten allein nicht ausreichend erreicht werden. Die Mitgliedstaaten sind nicht in der Lage, den betreffenden Vorgang in allen Aspekten zu regeln, da dieser Vorgang eine Größenordnung aufweist, die über die Grenzen eines Landes hinausgeht. Die Ziele können daher nur auf Gemeinschaftsebene erreicht werden. Gemäß Art. 58 EGV sind die nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats gegründeten Gesellschaften, die ihren satzungsmäßigen Sitz, ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung innerhalb der Gemeinschaft haben, für die Anwendung der das Niederlassungsrecht betreffenden Vertragsbestimmungen den natürlichen Personen gleichzustellen, die Angehörige der Mitgliedstaaten sind. Nach dem gegenwärtigen Stand des Gemeinschaftsrechts stehen einer solchen Gleichstellung die beträchtlichen Unterschiede zwischen den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten, insbesondere hinsichtlich der Anknüpfungspunkte für das auf die Gesellschaften jeweils anzuwendende Recht, entgegen. Die Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten sehen keine Rechtsformen vor, die den Fortbestand der Rechtspersönlichkeit einer Gesellschaft bei der Verlegung ihres Sitzes in einen anderen Mitgliedstaat der Gemeinschaft zuließen.

Das Projekt einer Sitzverlegungsrichtlinie (14. Richtlinie)

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Die Verlegung des Sitzes einer Gesellschaft in einen anderen Mitgliedstaat ist eine Form der Ausübung des Niederlassungsrechts, die das Gemeinschaftsrecht konkret ermöglichen muß. Der Umstand, daß nach Art. 220 EGV die Mitgliedstaaten Verhandlungen einleiten können, um die Beibehaltung der Rechtspersönlichkeit von Gesellschaften bei Verlegung ihres Sitzes von einem Staat in einen anderen sicherzustellen, steht einer Regelung dieser Frage im Wege einer Richtlinie nicht entgegen. Das Gemeinschaftsrecht hat gemäß Art. 54 EGV gleichwertige Bestimmungen zum Schutz der Interessen von Gesellschaftern und Dritten zu gewährleisten, die von der Verlegung des Gesellschaftssitzes in einen anderen Mitgliedstaat und dem damit einhergehenden Wechsel des auf die Gesellschaft anwendbaren Rechts berührt werden. Die Richtlinie 68/151/EWG des Rates verlangt eine Offenlegung der wichtigsten Beschlüsse, die von den Organen der Kapitalgesellschaften gefaßt werden. Diese Offenlegungspflicht sollte auch für den in dieser Richtlinie geltenden Vorgang der Sitzverlegung gelten, der auch andere Gesellschaftsformen betrifft, haben folgende Richtlinie erlassen:

Artikel 1 Diese Richtlinie regelt die Verlegung des satzungsmäßigen oder tatsächlichen Sitzes von nach dem Recht eines Mitgliedstaats gegründeten Gesellschaften, die ihren satzungsmäßigen Sitz oder ihre Hauptverwaltung innerhalb der Gemeinschaft haben, in einen anderen Mitgliedstaat.

Artikel 2 Im Sinne dieser Richtlinie bedeuten a) „satzungsmäßiger Sitz“ der Ort, an dem die Gesellschaft eingetragen ist; b) „tatsächlicher Sitz“ der Ort, an dem die Gesellschaft ihre Hauptverwaltung hat und an dem sie eingetragen ist.

Artikel 3 Die Mitgliedstaaten treffen alle erforderlichen Maßnahmen, damit der satzungsmäßige oder tatsächliche Sitz einer Gesellschaft in einen anderen Mitgliedstaat verlegt werden kann. Die Sitzverlegung hat weder die Auflösung der Gesellschaft zur Folge noch die Gründung einerneuen juristischen Person; sie bewirkt allerdings mit Eintragung des neuen Sitzes im Gesellschaftsregister gemäß Art. 10 einen Wechsel des auf die Gesellschaft anwendbaren Rechts.

Artikel 4 (1) Das Leitungs- oder Verwaltungsorgan erstellt einen Verlegungsplan, der nach Abs. 2 unbeschadet der im Mitgliedstaat des künftigen Sitzes zusätzlich vorgesehenen Publizitätspflichten offengelegt wird. Der Verlegungsplan enthält folgende Angaben: a) den für die Gesellschaft vorgesehenen Sitz; b) die für die Gesellschaft vorgeschlagene Satzung und gegebenenfalls die neue Firma; c) die Form der Arbeitnehmermitbestimmung, sofern die Arbeitnehmer vor der Sitzverlegung bereits in den Organen der Gesellschaft vertreten waren; d) den für die Verlegung vorgesehenen Zeitplan. (2) Der Verlegungsplan wird nach den in den Rechtsvorschriften des Wegzugsmitgliedstaats vorgesehenen Modalitäten nach Maßgabe der Richtlinie 68/151/EWG (Abl. Nr. L 65 v. 14.3.1968, S. 8) des Rates, insbesondere der Art. 2 und 3, offengelegt.

Artikel 5 (1) Das Leitungs- oder Verwaltungsorgan erstellt einen Bericht, in dem die rechtlichen und wirtschaftlichen Aspekte der Verlegung erläutert und begründet und die Auswirkungen der Verlegung für die Gesellschafter sowie für die Arbeitnehmer dargelegt werden. (2) Die Gesellschafter, Gläubiger und Vertreter der Arbeitnehmer der Gesellschaft haben bis zur Hauptversammlung, die über die Verlegung befinden soll, mindestens einen Monat lang das Recht, am Sitz der Gesellschaft den Verlegungsplan und den Bericht nach Abs. 1 einzusehen und auf Antrag kostenlos Abschriften dieser Unterlagen zu erhalten.

1126

Gesellschaftsrechtliche Richtlinien Artikel 6

(1) Der Beschluß über die Verlegung kann erst zwei Monate nach Bekanntmachung des Verlegungsplans gefaßt werden. (2) Der Beschluß über die Verlegung wird von der Hauptversammlung mit einer Mehrheit von mindestens zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen gefaßt, sofern das auf die Gesellschaft anwendbare Recht nicht eine größere Mehrheit vorschreibt oder zuläßt. (3) Die Mitgliedstaaten können allerdings vorsehen, daß die einfache Mehrheit der in Abs. 2 bezeichneten Stimmen ausreicht, wenn mindestens die Hälfte des gezeichneten Kapitals vertreten ist. (4) Satzungsänderungen müssen nach den in den Rechtsvorschriften des Zuzugsstaats vorgesehenen Modalitäten gemäß der Richtlinie 68/151/EWG des Rates offengelegt werden.

Artikel 7 Die Mitgliedstaaten können in bezug auf Gesellschaften, die ihrem Recht unterliegen, Vorschriften erlassen, die einen angemessenen Schutz der Minderheitsgesellschafter, die sich gegen die Verlegung ausgesprochen haben, gewährleisten.

Artikel 8 (1) Die Gläubiger und sonstigen Forderungsberechtigten, deren Forderungen gegenüber der Gesellschaft, die eine Verlegung ihres Sitzes beabsichtigt, vor der Bekanntmachung des Verlegungsplans entstanden sind, können verlangen, daß die Gesellschaft eine angemessene Sicherheit zu ihren Gunsten leistet. Die Ausübung dieses Rechts bestimmt sich nach dem auf die Gesellschaft vor der Verlegung ihres Sitzes anwendbaren Recht. (2) Die Mitgliedstaaten können Abs. 1 auch auf die vor dem Zeitpunkt der Sitzverlegung gemäß Art. 11 entstandenen Schulden der Gesellschaft gegenüber öffentlichen Einrichtungen anwenden.

Artikel 9 In dem Mitgliedstaat, in dem sich der Sitz der Gesellschaft vor dessen Verlegung befindet, erteilt das zuständige Gericht, der Notar oder eine andere zuständige Behörde eine Bescheinigung, aus der unwiderlegbar hervorgeht, daß die der Verlegung vorausgehenden Handlungen und Formalitäten abgeschlossen sind.

Artikel 10 Der neue Sitz kann erst nach Vorlage der Bescheinigung nach Art. 9 und nach Erbringung des Nachweises, daß die Eintragungsformalitäten im neuen Sitzstaat erfüllt sind, eingetragen werden.

Artikel 11 (1) Die Sitzverlegung sowie die sich daraus ergebende Satzungsänderung werden zu dem Zeitpunkt wirksam, zu dem die Gesellschaft gemäß Art. 10 in das Register des neuen Sitzes eingetragen wird. (2) Die Mitgliedstaaten können die Eintragung einer Gesellschaft nach Art. 10 verweigern, wenn sich deren Hauptverwaltung nicht im Mitgliedstaat des neuen Sitzes befindet. (3) Die Eintragung der Gesellschaft im Register des früheren Sitzes kann erst dann gelöscht werden, wenn nachgewiesen wird, daß die Gesellschaft im Register des neuen Sitzes eingetragen ist. (4) Die neue Eintragung und die Löschung der früheren Eintragung werden in jedem beteiligten Mitgliedstaat nach den in den Rechtsvorschriften dieser Länder nach Maßgabe der Richtlinie 68/151/EWG des Rates vorgesehenen Modalitäten offengelegt.

Artikel 12 Mit Bekanntgabe der neuen Eintragung der Gesellschaft ist der neue Sitz Dritten gegenüber wirksam. Solange die Löschung der Eintragung im Register des früheren Sitzes nicht bekanntgemacht worden ist, können sich Dritte weiterhin auf den alten Sitz berufen, es sei denn, die Gesellschaft weist nach, daß den Dritten der neue Sitz bekannt war.

Das Projekt einer Sitzverlegungsrichtlinie (14. Richtlinie)

1127

Artikel 13 Eine Gesellschaft, die sich in Auflösung oder Liquidation befindet oder gegen die ein Verfahren wegen Zahlungsunfähigkeit oder Zahlungseinstellung oder ein ähnliches Verfahren eingeleitet worden ist, kann ihren Sitz nach Maßgabe dieser Richtlinie nicht verlegen.

Artikel 14 (1) Die Mitgliedstaaten setzen die erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften in Kraft, um dieser Richtlinie vor dem 1.1.2000 nachzukommen. Sie setzen die Kommission unverzüglich davon in Kenntnis. (2) Wenn die Mitgliedstaaten diese Vorschriften erlassen, nehmen sie in den Vorschriften selbst oder durch einen Hinweis bei der amtlichen Veröffentlichung auf diese Richtlinie Bezug. Die Mitgliedstaaten regeln die Einzelheiten der Bezugnahme. (3) Die Mitgliedstaaten teilen der Kommission den Wortlaut der wichtigsten innerstaatlichen Rechtsvorschriften mit, die sie auf dem unter diese Richtlinie fallenden Gebiet erlassen.

Artikel 15 Jeder Mitgliedstaat benennt das zuständige Register im Sinne von Art. 9. Er setzt die Kommission und die übrigen Mitgliedstaaten davon in Kenntnis. Artikel 16 Diese Richtlinie ist an die Mitgliedstaaten gerichtet.

2. Kapitel: Kapitalmarktrechtliche Rechtsakte § 33 Die MiFID RL 2004/39/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 21.4.2004 über Märkte für Finanzinstrumente, zur Änderung der Richtlinien 85/611/EWG und 93/6/EWG des Rates und der Richtlinie 2000/12/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Richtlinie 93/22/EWG des Rates, ABlEU v. 30.4.2004, L 145/1 Literatur: Aubry, Nathalie/McKee, Michael, MiFID: where did it come from, where is it taking us?, (2007) 22 J.I.B.L.R. 177; Avgouleas, Emilios, A Critical Evaluation of the New EC Financial-Market Regulation: Peaks, Troughs, and the Road Ahead, (2005) 18 Transnat’l Law. 179; ders., EC securities regulation, a single regime for an integrated securities market: harmonised we stand, harmonised we fall?, (2007) 22 J.I.B.L.R. 79; Balzer, Peter, Der Vorschlag der EG-Kommission für eine Wertpapierdienstleistungrichtlinie, ZBB 2003, 177; ders., Umsetzung der MiFID: Ein neuer Rechtsrahmen für die Anlageberatung, ZBB 2007, 333; Brockmeier, Matthias/Kapferer, Helmut/Nickel, Hans/Willershausen, Jens, Das Finanzmarktrichtlinien-Umsetzungsgesetz, 2007; Clausnitzer, Jochen, Konsultation der EU-Kommission zur Finanzmarktrichtlinie, GmbHR 2011, R26; Duve, Christian/Keller, Moritz, MiFID: Die neue Welt des Wertpapiergeschäfts. Lernen Sie ihre Kunden kennen – Kundenklassifikationen und -information, BB 2006, 2425; dies., MiFID: Die neue Welt des Wertpapiergeschäfts oder: Glauben Sie nicht, Sie könnten ohne weiteres Wertpapiere kaufen, BB 2006, 2477; dies. MiFID: Die neue Welt des Wertpapiergeschäfts. Transparenz und Marktintegrität für einen europäischen Kapitalmarkt, BB 2006, 2537; Ferrarini, Guido A., Best execution and competition between trading venues – MiFID’s likely impact, (2007) 2 CMLJ 404; Contract Standards and the Markets in Financial Instruments Directive (MiFID). An Assessment of the Lamfalussy Regulatory Architecture, ERCL 2005, 19; Fleischer, Holger, Die Richtlinie über Märkte für Finanzinstrumente und das Finanzmarkt-Richtlinie-Umsetzungsgesetz – Entstehung, Grundkonzeption, Regelungsschwerpunkte –, BKR 2006, 389; Gobbo, Giulia, MiFID’s Systematic Internalisation: the Efficiency Debate and the Future of the European Financial Markets, [2009] EBLR 63; Gomber, Peter/Hirschberg, Holger, Ende oder Stärkung der konventionellen Märkte? Die Umsetzung der MiFID in Deutschland, AG 2006, 777; Göres, Ulrich L., MiFID – Neue (Organisations-)Pflichten für die Ersteller von Finanzanalysen, BKR 2007, 85; Haar, Brigitte, From public to private law: market supervision and contract law standards, in: Grundmann, Stefan/Atamer Yes¸im M. (eds.), Financial services, financial crisis and general European contract law: failure and challenges of contracting, 2011, 259; Haines, Jason D., The Markets in Financial Instruments Directive (MiFID): investor protection enhanced by suitability requirements, (2007) 28 Co Law 344; Kasten, Roman A., Die Neuregelung der Explorations- und Informationspflichten von Wertpapierdienstleistern im Wertpapierhandelsgesetz, 2009; ders., Das neue Kundenbild des § 31a WpHG – Umsetzungsprobleme nach MiFID und FRUG, BKR 2007, 261; Klöhn, Lars, Preventing excessive retail investor trading under MiFID: a behavioural law & economics persective, (2009) 10 EBOR 437; Kühne, Andreas Otto, Ausgewählte Auswirkungen der Wertpapierdienstleistungsrichtlinie – MiFID, BKR 2005, 275; Kumpan, Christoph/Hellgardt, Alexander, Haftung der Wertpapierdienstleistungsunternehmen nach Umsetzung der EU-Richtlinie über Märkte für Finanzinstrumente (MiFID), DB 2006, 1714; ders., Transparenz als Mittel der Kapitalmarktregulierung – Die neuen Transparenzvorschriften der Richtlinie über Märkte für Finanzinstrumente –, WM 2006, 797; Moloney, Niamh, Building a Retail Investment Culture through Law: The 2004 Markets in Financial Instruments Directive, (2005) 6 EBOR 341; dies., Financial Market Regulation in the Post-Financial Services Action Plan Era, (2006) 55

Die MiFID

1129

ICLQ 982; Röh, Lars, Compliance nach der MiFID – zwischen höherer Effizienz und mehr Bürokratie, BB 2008, 398; Roth, Tilmann/Loff, Detmar, Zu den Auswirkungen der Finanzmarktrichtlinie auf Kapitalanlagegesellschaften, WM 2007, 1249; Seitz, Jochen, Die Regulierung von Wertpapierhandelssystemen in der EU, AG 2004, 497; Seyfried, Thorsten, Die Richtlinie über Märkte für Finanzinstrumente (MiFID) – Neuordnung der Wohlverhaltensregeln, WM 2006, 1375; Spindler, Gerald/Kasten, Roman A., Änderungen des WpHG durch das Finanzmarktrichtlinie-Umsetzungsgesetz (FRUG), WM 2007, 1245; dies., Der neue Rechtsrahmen für den Finanzdienstleistungssektor – die MiFID und ihre Umsetzung, WM 2006, 1749 u. 1797; dies., Organisationsverpflichtungen nach der MiFID und ihre Umsetzung, AG 2006, 785; Stones, Richard, MiFID for dummies, (2006) 25 IFLR 22; Teuber, Hanno, Finanzmarkt-Richtlinie (MiFID) – Auswirkungen auf Anlageberatung und Vermögensverwaltung im Überblick, BKR 2006, 429; Thieme, Juliane, Wertpapierdienstleistungen im Binnenmarkt: von der Wertpapierdienstleistungsrichtlinie zur MiFID, 2008; Tison, Michel, The civil law effects of MiFiD in a comparative law perspective, in: Grundmann, Stefan u.a. (Hrsg.), Festschrift für Klaus J. Hopt zum 70. Geburtstag am 24. August 2010, 2010, S. 2621; Veil, Rüdiger, Anlageberatung im Zeitalter der MiFID – Inhalt und Konzeption der Pflichten und Grundlagen einer zivilrechtlichen Haftung –, WM 2007, 1821; ders., Compliance-Organisationen in Wertpapierdienstleistungsunternehmen im Zeitalter der MiFID – Regelungskonzepte und Rechtsprobleme –, WM 2008, 1093; Weichert, Tilman/Wenninger, Thomas, Die Neuregelung der Erkundigungs- und Aufklärungspflichten von Wertpapierdienstleistungsunternehmen gem. Art. 19 RiL 2004/39/EG (MiFID) und Finanzmarkt-Richtlinie-Umsetzungsgesetz, WM 2007, 627; Zingel, Frank, Die Verpflichtung zur bestmöglichen Ausführung von Kundenaufträgen nach dem Finanzmarkt-Richtlinie-Umsetzungsgesetz, BKR 2007, 173.

I. Überblick Die Richtlinie über Märkte für Finanzinstrumente (Markets in Financial Instruments 1 Directive – MiFID) hat 2007 die zugleich aufgehobene WertpapierdienstleistungsRL (Investment Services Directive – ISD) v. 10.5.19931 abgelöst und deren Funktion als europäisches „Grundgesetz“ des Wertpapierhandels2 übernommen. Die ISD hatte sich – wie die Kommission bereits 1999 im FSAP (dazu bereits § 17 Rn. 23) konstatierte – vor dem Hintergrund der rasanten politischen, wirtschaftlichen und technischen Entwicklungen schon bald als dringend nachbesserungsbedürftig erwiesen.3 Die Unzulänglichkeiten erwiesen sich als so groß4, dass sich die Kommission nach zwei in den Jahren 2000 bis 2002 durchgeführten Konsultationsverfahren5 ent-

1 RL 93/22/EWG des Rates vom 10.5.1993 über Wertpapierdienstleistungen, ABlEG v. 11.6. 1993, L 141/27 (abgedruckt in Voraufl. S. 459 ff. mit Erläuterungen auf S. 450 ff.). 2 Vgl. Fleischer BKR 2006, 389; Grundmann Rn. 737; v. Rosen BB 46/2007, Die erste Seite; s. ferner auch Avgouleas (2005) 18 Transnat’l Law. 179, 191 („constitution“). 3 Mitteilung der Kommission – Umsetzung des Finanzmarktrahmens: Aktionsplan, KOM(1999) 232, S. 5. 4 Vgl. die Auflistung der Defizite in KOM(2002) 625, S. 6 ff. 5 Grundlegend: Mitteilung der Kommission. Anwendung der Wohlverhaltensregeln gemäß Artikel 11 der Wertpapierdienstleistungs-Richtlinie (93/22/EWG), 14.11.2000, KOM(2000) 722, sowie Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat. Aktualisierung der Wertpapierdienstleistungsrichtlinie (93/22/EWG), 15.11.2000, KOM(2000) 729. Konsultationsdokumente und -ergebnisse abrufbar unter http://ec. europa.eu/internal_market/securities/isd/mifid_de.htm.

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Kapitalmarktrechtliche Rechtsakte

schied, am 19.11.2002 gleich einen Entwurf für eine komplett neue RL6 vorzulegen. Nach Stellungnahmen der EZB7 und des EWSA8 und teils sehr kontroversen Verhandlungen in Rat9 und EP 10 wurde die RL schließlich am 21.4.2004 verabschiedet 11;

6 Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Wertpapierdienstleistungen und geregelte Märkte und zur Änderung der Richtlinien 85/611/EWG und 93/6/EWG des Rates und der Richtlinie 2000/12/EG des Europäischen Parlaments und des Rates, 19.11.2002, KOM(2002) 625. Dazu Balzer ZBB 2003, 177 ff.; Moloney (2003) 40 C.M.L. Rev. 809, 827 ff.; Seitz BKR 2002, 340, 346 f. 7 Stellungnahme der Europäischen Zentralbank v. 12.6.2003 auf Ersuchen des Rates der Europäischen Union zu einem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Wertpapierdienstleistungen und geregelte Märkte und zur Änderung der Richtlinien 85/611/EWG und 93/6/EWG des Rates und der Richtlinie 2000/12/EG des Europäischen Parlaments und des Rates (KOM(2002) 625 endg.), ABlEU v. 20.6.2003, C 144/6. 8 Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses v. 18.6.2003 zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Wertpapierdienstleistungen und geregelte Märkte und zur Änderung der Richtlinien 85/611/EWG und 93/6/ EWG des Rates und der Richtlinie 2000/12/EG des Europäischen Parlaments und des Rates“, ABlEU v. 16.9.2003, C 220/1. 9 Gemeinsamer Standpunkt (EG) Nr. 9/2004 vom Rat festgelegt am 8.12.2003 im Hinblick auf den Erlass der Richtlinie 2004/. . ./EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom … über Märkte für Finanzinstrumente, zur Änderung der Richtlinien 85/611/EWG und 93/6/EWG des Rates und der Richtlinie 2000/12/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Richtlinie 93/22/EWG des Rates, ABlEU v. 9.3.2004, C 60 E/1. 10 Legislative Entschließung des Europäischen Parlaments v. 25.9.2003 zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Wertpapierdienstleistungen und geregelte Märkte und zur Änderung der Richtlinien 85/611/EWG und 93/6/ EWG des Rates und der Richtlinie 2000/12/EG des Europäischen Parlaments und des Rates, ABlEU v. 26.3.2004, C 77 E/329; Standpunkt des Europäischen Parlaments festgelegt in zweiter Lesung am 30. März 2004 im Hinblick auf den Erlass der Richtlinie 2004/…/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über Märkte für Finanzinstrumente, zur Änderung der Richtlinien 85/611/EWG und 6/6/EWG des Rates und der Richtlinie 2000/12/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Richtlinie 6/22/EWG des Rates, ABlEU v. 29.4.2004, C 103 E/164. 11 Richtlinie 2004/39/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21.4.2004 über Märkte für Finanzinstrumente, zur Änderung der Richtlinien 85/611/EWG und 93/6/EWG des Rates und der Richtlinie 2000/12/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Richtlinie 93/22/EWG des Rates, ABlEU v. 30.4.2004, L 145/1. Dazu Aubry/McKee (2007) 22 J.I.B.L.R. 177 ff.; Avgouleas (2005) 18 Transnat’l Law. 179 ff.; ders. (2007) 22 J.I.B.L.R. 79 ff.; Duve/Keller BB 2006, 2425 ff.; 2477 ff.; 2537 ff.; Ferrarini ERCL 2005, 19, 33 ff.; Fleischer BKR 2006, 389 ff.; Gobbo [2009] EBLR 63 ff.; Grundmann/Hollering ERCL 2008, 57, 58 ff.; Haines (2007) 28 Co Law 344 ff.; Hertig FS Hopt, 2010, S. 1989 ff.; Hirschberg AG 2006, 398 ff.; Klöhn (2009) 10 EBOR 437 ff.; Kühne BKR 2005, 275 ff.; Kumpan/Hellgardt DB 2006, 1714 ff.; ders. WM 2006, 797 ff.; Moloney (2005) 6 EBOR 341 ff.; dies. (2006) 55 ICLQ 982, 985 ff.; Roth/Loff WM 2007, 1249 ff.; Seitz AG 2004, 497 ff.; Seyfried WM 2006, 1375 ff.; Spindler/Kasten WM 2006, 1749 ff., 1797 ff.; dies. AG 2006, 785 ff.; Stones (2006) 25 IFLR 22 f.; Tison FS Hopt, 2010, S. 2621 ff.; Weichert/Wenninger WM 2007, 627 ff.

Die MiFID

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durch Beschluss v. 29.4.2005 wurde ihr Anwendungsbereich auch auf die EWR-Staaten ausgedehnt 12. Als Rahmen-RL der 2. Generation wurde die MiFID i.R.d. Lamfalussy-Verfah- 2 rens (dazu näher § 17 Rn. 44 ff.) durch eine Durchführungs-VO (MiFID-DVO)13 (betreffend die Markttransparenz) und eine Durchführungs-RL (MiFID-DRL)14 (betreffend organisatorische Anforderungen) konkretisiert. Die MiFID wurde auch bereits mehrfach geändert: Durch die RL 2006/31/EG15 3 wurden die Umsetzungs- und Anwendungsfristen verlängert16, weil sich der ursprünglich vorgesehene Zeitrahmen als zu knapp erwiesen hatte17; die RL 2007/44/ EG18 betraf Verfahrensregeln und Bewertungskriterien für die aufsichtsrechtliche Beurteilung des Erwerbs und der Erhöhung von Beteiligungen; die RL 2008/10/EG19 betraf die Durchführungsbefugnisse der Kommission; die „Omnibus I“-RL20 (vgl. dazu § 17 Rn. 269, § 37 Rn. 2) brachte die im Hinblick auf das neue Europäische Finanzaufsichtssystem (European System of Financial Supervision – ESFS) (dazu näher § 17 Rn. 263 ff. sowie § 37 Rn. 1 f.) erforderlichen Modifikationen. 12 Beschluss des Gemeinsamen EWR-Ausschusses Nr. 65/2005 v. 29.4.2005 zur Änderung des Anhangs IX (Finanzdienstleistungen) des EWR-Abkommens, ABlEU v. 15.9.2005, L 239/50. 13 VO (EG) Nr. 1287/2006 der Kommission v. 10.8.2006 zur Durchführung der Richtlinie 2004/39/EG des Europäischen Parlaments und des Rates betreffend die Aufzeichnungspflichten für Wertpapierfirmen, die Meldung von Geschäften, die Markttransparenz, die Zulassung von Finanzinstrumenten zum Handel und bestimmte Begriffe im Sinne dieser Richtlinie, ABlEU v. 2.9.2006, L 241/1. 14 RL 2006/73/EG der Kommission v. 10.8.2006 zur Durchführung der Richtlinie 2004/39/ EG des Europäischen Parlaments und des Rates in Bezug auf die organisatorischen Anforderungen an Wertpapierfirmen und die Bedingungen für die Ausübung ihrer Tätigkeit sowie in Bezug auf die Definition bestimmter Begriffe für die Zwecke der genannten Richtlinie, ABlEU v. 2.9.2006, L 241/26. 15 RL 2006/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 5.4.2006 zur Änderung der Richtlinie 2004/39/EG über Märkte für Finanzinstrumente in Bezug auf bestimmte Fristen, ABlEU v. 27.4.2006, L 114/60. 16 Umsetzungsfrist: 31.1.2007 (statt: 30.4.2006) und Anwendung erst ab 1.11.2007. 17 Vgl. Erwägungsgründe 2 und 5 der RL 2006/31/EG (Fn. 15). 18 RL 2007/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 5.9.2007 zur Änderung der Richtlinie 92/49/EWG des Rates sowie der Richtlinien 2002/83/EG, 2004/39/EG, 2005/68/EG und 2006/48/EG in Bezug auf Verfahrensregeln und Bewertungskriterien für die aufsichtsrechtliche Beurteilung des Erwerbs und der Erhöhung von Beteiligungen im Finanzsektor, ABlEU v. 21.9.2007, L 247/1. 19 RL 2008/10/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 11.3.2008 zur Änderung der Richtlinie 2004/39/EG über Märkte für Finanzinstrumente im Hinblick auf die der Kommission übertragenen Durchführungsbefugnisse, ABlEU v. 19.3.2008, L 76/33. 20 RL 2010/78/EU des Europäischen Parlaments und des Rates v. 24.11.2010 zur Änderung der Richtlinien 98/26/EG, 2002/87/EG, 2003/6/EG, 2003/41/EG, 2003/71/EG, 2004/39/ EG, 2004/109/EG, 2005/60/EG, 2006/48/EG, 2006/49/EG und 2009/65/EG im Hinblick auf die Befugnisse der Europäischen Aufsichtsbehörde (Europäische Bankenaufsichtsbehörde), der Europäischen Aufsichtsbehörde (Europäische Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung) und der Europäischen Aufsichtsbehörde (Europäische Wertpapier-und Marktaufsichtsbehörde), ABlEU v. 15.12. 2010, L 331/120.

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4

Kapitalmarktrechtliche Rechtsakte

Vor dem Hintergrund der Finanzkrise und der rapiden Entwicklung der Finanzmärkte ist derzeit jedoch eine erneute Überarbeitung der RL geplant (vgl. auch bereits § 17 Rn. 339). Die Kommission hat hierzu Ende 2010/Anfang 2011 eine Konsultation21 durchgeführt und angekündigt, noch 2011 einen Vorschlag für eine Änderungs-RL vorzulegen.

II. Inhalt 1. Anwendungsbereich 5 Anders als die ISD enthält die MiFID nicht nur Regelungen zum Marktinteraktionsrecht der Intermediäre („Wertpapierfirmen“), sondern auch zur Marktinfrastruktur.22 6 Die erfassten Finanzinstrumente sind in Anh. I Abschnitt C aufgelistet; über die ISD hinaus erfasst die MiFID neben übertragbaren Wertpapieren23, Geldmarktinstrumenten24 und Finanzderivaten insbesondere auch Warenderivate25. 7 Deutlich erweitert wurde aber auch der Kreis der erfassten Tätigkeiten: Zu den als Hauptdienstleistungen erfassten Wertpapierdienstleistungen und Anlagetätigkeiten (Art. 4 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. Anh. I Abschnitt A) zählt nun insbesondere auch die Anlageberatung (Anh. I Abschnitt A Nr. 5) 26; die Liste der Nebendienstleistungen (Art. 4 Abs. 1 Nr. 3 i.V.m. Anh. I Abschnitt B) wurde speziell um die Wertpapier- und Finanzanalyse ergänzt 27. 8 Umfassend ist schließlich auch der Kreis der erfassten Marktformen. Die MiFID differenziert dabei zwischen drei Grundformen:28 (1) Geregelte Märkte (regulated 21 Konsultationsdokument und Stellungnahmen abrufbar unter http://ec.europa.eu/ internal_market/consultations/2010/mifid_en.htm. Dazu Clausnitzer GmbHR 2011, R26 f.; DAI, comment, 2.2.2011, abrufbar unter www.dai.de; Snowdon/Lovegrove (2011) 83 C.O.B. 1, 37 f. 22 Vgl. Fleischer BKR 2006, 389, 391. 23 Legaldefiniert in Art. 4 Abs. 1 Nr. 18. 24 Legaldefiniert in Art. 4 Abs. 1 Nr. 19. 25 Vgl. dazu Erwägungsgrund 4; KOM(2002) 625, S. 35 ff.; Avgouleas (2005) 18 Transnat’l Law. 179, 198 f.; ders. (2007) 22 J.I.B.L.R. 79, 87; Fleischer BKR 2006, 389, 392; Spindler/Kasten WM 2006, 1749, 1751. 26 Vgl. dazu Erwägungsgrund 3; KOM(2002) 625, S. 34 f.; Avgouleas (2005) 18 Transnat’l Law. 179, 197 f.; ders. (2007) 22 J.I.B.L.R. 79, 86; Fleischer BKR 2006, 389, 392; Kühne BKR 2005, 275, 276 f.; Moloney (2005) 6 EBOR 341, 381 f.; Rott EWS 2008, 21, 25; Spindler/Kasten WM 2006, 1749, 1752. 27 Vgl. dazu KOM(2002) 625, S. 35; Fleischer BKR 2006, 389, 392; Spindler/Kasten WM 2006, 1749, 1752. 28 Vgl. dazu Duve/Keller BB 2006, 2537 ff.; Fleischer BKR 2006, 389, 393; Hirschberg AG 2006, 398, 400 ff.; Klöhn in: Langenbucher (Hrsg.), Europarechtliche Bezüge des Privatrechts, 2. Aufl. 2008, § 6 Rn. 17; Seitz AG 2004, 497, 499 ff.; Spindler/Kasten WM 2006, 1749, 1753 ff.; Thieme, Wertpapierdienstleistungen im Binnenmarkt: von der Wertpapierdienstleistungsrichtlinie zur MiFID, 2008, S. 321 ff.

Die MiFID

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markets, Art. 4 Abs. 1 Nr. 14, dazu bereits § 17 Rn. 58 ff.), (2) multilaterale Handelssysteme (multilateral trading facilities – MTF, Art. 4 Abs. 1 Nr. 15, dazu bereits § 17 Rn. 68 ff.) und (3) systematische Internalisierer (systematic internalisers, Art. 4 Abs. 1 Nr. 7, dazu bereits § 17 Rn. 73 ff.). 2. Zulassung von Wertpapierfirmen Art. 5 ff. regeln das Verfahren und die Voraussetzungen für die Zulassung von Wert- 9 papierfirmen (vgl. dazu auch bereits § 17 Rn. 212 ff.). Die Zulassung erfolgt durch die zuständige Behörde des Herkunftsmitgliedstaats (Art. 5 Abs. 1 S. 2), ist aber in der gesamten Union gültig (sog. Europäischer Pass, Art. 6 Abs. 3). Im Interesse des Anlegerschutzes29 etabliert die RL eine ganze Reihe von Zulas- 10 sungsvoraussetzungen (vgl. dazu auch bereits § 17 Rn. 214), deren Einhaltung gem. Art. 16 regelmäßig zu überprüfen ist und deren späterer Wegfall zum Entzug der Zulassung führen kann (Art. 8 lit. b). Zunächst gelten bestimmte personelle Anforderungen in Bezug auf die Personen, die die Geschäfte tatsächlich leiten (Art. 9), sowie in Bezug auf Aktionäre/Mitglieder mit qualifizierten Beteiligungen (Art. 10). Voraussetzung ist weiterhin die Mitgliedschaft in einem Anlegerentschädigungssystem nach der Anlegerschädigungs-RL30 (Art. 11) (vgl. dazu speziell auch bereits § 17 Rn. 224 f.) sowie eine den Anforderungen der CRD 31 entsprechende Anfangskapitalausstattung (Art. 12) (vgl. dazu speziell auch bereits § 17 Rn. 229 f.). Ferner etabliert Art. 13 eine ganze Reihe organisatorischer Anforderungen, die in Art. 7 f. MiFID-DVO und Art. 5–20 MiFID-DRL näher konkretisiert, und für Wertpapierfirmen und Marktbetreiber, die ein MTF betreiben, durch Art. 14 um weitere Punkte ergänzt werden.32 3. Wohlverhaltensregeln Zur Gewährleistung des Anlegerschutzes 33 etabliert die RL in Kapitel II (Art. 16–30) 11 weiterhin umfangreiche Wohlverhaltensregeln, wobei mit Blick auf deren spezifische Eigenheiten34 zwischen drei Anlegerkategorien differenziert wird:35 (1) Kleinanleger

29 Vgl. KOM(2002) 625, S. 27. 30 RL 97/9/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 3.3.1997 über Systeme für die Entschädigung der Anleger, ABlEG v. 26.3.1997, L 84/22. 31 RL 2006/49/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 14.6.2006 über die angemessene Eigenkapitalausstattung von Wertpapierfirmen und Kreditinstituten (Neufassung), ABlEG v. 30.6.2006, L 177/201 (sog. Kapitaladäquanz-RL [Capital Requirements Directive – CRD]); Verweise auf die dadurch abgelöste RL 93/6/EWG sind als Verweise auf die entsprechenden Vorschriften dieser RL zu lesen, vgl. Art. 52). 32 Dazu näher Spindler/Kasten AG 2006, 785 ff. 33 Vgl. nur Erwägungsgrund 31 S. 1 und die Überschrift vor Art. 19. 34 Vgl. Erwägungsgrund 31 S. 2. 35 Vgl. näher Duve/Keller BB 2006, 2425, 2427 ff.; Fleischer BKR 2006, 389, 394 f.; Haines (2007) 28 Co Law 344; Klöhn (Fn. 28), § 6 Rn. 127; Seyfried WM 2006, 1375 ff.; Spindler/

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(retail clients, legaldefiniert in Art. 4 Abs. 1 Nr. 12), (2) professionelle Kunden (professional clients, legaldefiniert in Art. 4 Abs. 1 Nr. 11 i.V.m. Anh. II) und (3) geeignete Gegenparteien (eligible counterparties) 36. 12 Zu den Wohlverhaltenspflichten gehören insbesondere: • Vermeidung von bzw. Transparenz in Bezug auf Interessenkonflikte (Art. 18, Art. 21 f. MiFID-DRL; dazu auch bereits § 17 Rn. 217);37 • Informationspflichten der Wertpapierfirmen gegenüber den Kunden (Art. 19 Abs. 2 und 3, Art. 27–34 MiFID-DRL);38 • Informationseinholungspflichten der Wertpapierfirmen gegen über den Kunden (Art. 19 Abs. 4 und 5, Art. 35 ff. MiFID-DRL; Sonderregeln über beratungsfreie Ausführung und execution only in Art. 19 Abs. 6, Art. 38 MiFID-DRL);39 • Transparenzpflichten zwecks Gewährleistung von Markttransparenz und -integrität (Art. 25 ff., Art. 9 ff. MiFID-DVO, dazu bereits § 17 Rn. 219);40 • Pflicht zur kundengünstigsten Ausführung von Aufträgen, sog. best execution (Art. 21, Art. 44 ff. MiFID-DRL)41. 4. Rechte von Wertpapierfirmen 13 Als Korrelat zu den Pflichten gewährleistet die MiFID den Wertpapierfirmen in Art. 31 ff. aber auch umfassende Rechte (vgl. dazu auch bereits § 17 Rn. 220 ff.), namentlich: Freiheit der Wertpapierdienstleistung und Anlagetätigkeit (Art. 31), auch

36

37 38 39

40 41

Kasten WM 2006, 1797, 1798 ff.; zur Differenzierung zwischen professionellen und Kleinanlegern auch bereits § 17 Rn. 93 ff. Bei diesen handelt es sich aber letztlich nur um eine Subkategorie der professionellen Anleger, für die einige Sonderregeln gelten (vgl. insbesondere Art. 24), vgl. Duve/Keller BB 2006, 2425, 2428; Fleischer BKR 2006, 389, 394; Spindler/Kasten WM 2006, 1797, 1798); s. dazu auch bereits KOM(2002) 625, S. 33. Dazu näher Duve/Keller BB 2006, 2537, 2541; Ferrarini ERCL 2005, 19, 33 ff.; Fleischer BKR 2006, 389, 396; Kumpan/Hellgardt DB 2006, 1714, 1715 f.; Moloney (2005) 6 EBOR 341, 395 ff.; Spindler/Kasten AG 2006, 785, 789 f. Dazu näher Duve/Keller BB 2006, 2425, 2431; Fleischer BKR 2006, 389, 395; Klöhn (Fn. 28), § 6 Rn. 150 ff.; Moloney (2005) 6 EBOR 341, 383 ff.; Seyfried WM 2006, 1375, 1378 ff. Dazu näher Duve/Keller BB 2006, 2477 ff.; Fleischer BKR 2006, 389, 395; Haar in: Grundmann/Atamer (eds.), Financial services, financial crisis and general European contract law, 2011, S. 259, 263 ff.; Haines (2007) 28 Co Law 344, 345; Klöhn (2009) 10 EBOR 437, 445 ff.; ders. (Fn. 28), § 6 Rn. 157 f.; Seyfried WM 2006, 1375, 1381 ff.; Spindler/ Kasten WM 2006, 1797, 1799 f.; Veil ZBB 2003, 162, 169 f.; Weichert/Wenninger WM 2007, 627, 628 ff. Dazu näher Gobbo [2009] EBLR 63, 77 ff.; Hirschberg AG 2006, 398, 404 f.; Kumpan WM 2006, 797 ff.; Seitz AG 2004, 497, 502 ff. Dazu näher Avgouleas (2005) 18 Transnat’l Law. 179, 195; Duve/Keller BB 2006, 2477, 2480 ff.; Ferrarini ERCL 2005, 19, 37 ff.; ders. (2007) 2 CMLJ 404 ff.; Gobbo [2009] EBLR 63, 84 f.; Fleischer BKR 2006, 389, 395; Hirschberg AG 2006, 398, 402 ff.; Klöhn (Fn. 28), § 6 Rn. 31; Kumpan/Hellgardt DB 2006, 1714, 1716 ff.; Moloney (2005) 6 EBOR 341, 389 ff.; Spindler/Kasten WM 2006, 1749, 1801 f.

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mittels einer Zweigniederlassung (Art. 32); Zugang zu geregelten Märkten (Art. 33); Zugang zu zentralen Gegenparteien, Clearing- und Abrechnungssystemen sowie Recht auf Wahl eines Abrechnungssystems (Art. 34); Recht auf Abschluss von Vereinbarungen mit einer zentralen Gegenpartei und über Clearing und Abrechnung in Bezug auf MTF (Art. 35). 5. Geregelte Märkte Titel III (Art. 36 ff.) normiert eine Reihe von regulativen Anforderungen betreffend 14 die Zulassung, die Organisation und die Aufsicht über geregelte Märkte (dazu bereits § 17 Rn. 63 ff.). 6. Behördenzuständigkeit und -kooperation Titel IV regelt in Kapitel I (Art. 48–55) die Benennung der zuständigen Behörden 15 durch die Mitgliedstaaten, deren Zusammenarbeit sowie Befugnisse, Rechtsbehelfe etc. Kapitel II (Art. 56–62a) regelt die Zusammenarbeit der nationalen Behörden mit der ESMA (dazu bereits § 17 Rn. 66, 216; allg. zur ESMA § 37 sowie bereits § 17 Rn. 263 ff.), Kapitel III (Art. 63) die Kooperation mit Drittländern.

III. Umsetzung in Deutschland Die Umsetzung der MiFID und der MiFID-DRL in das deutsche Recht erfolgte durch 16 das Finanzmarktrichtlinie-Umsetzungsgesetz (FRUG) 42 sowie die WpDVerOV 43 und die 1. VO zur Änderung der FinAnV 44, 45. Durch das FRUG wurde das BörsG kom-

42 Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie über Märkte für Finanzinstrumente und der Durchführungsrichtlinie der Kommission (Finanzmarktrichtlinie-Umsetzungsgesetz) v. 16.7.2007, BGBl. I, 1330. Dazu Balzer ZBB 2007, 333 ff.; Brockmeier/Kapferer/Nickel/ Willershausen, Das Finanzmarktrichtlinien-Umsetzungsgesetz, 2007; Holzborn/Israel NJW 2008, 791 ff.; Jordans WM 2007, 1827 ff.; Kasten, Die Neuregelung der Explorations- und Informationspflichten von Wertpapierdienstleistern im Wertpapierhandelsgesetz, 2009; ders. BKR 2007, 261 ff.; Röh BB 2008, 398 ff.; Spindler/Kasten WM 2007, 1245 ff.; Veil WM 2007, 1821 ff.; ders. WM 2008, 1093 ff.; Wagner WM 2007, 1725 ff.; Weichert/Wenninger WM 2007, 627 ff.; Zingel BKR 2007, 173 ff.; zum Entwurf: Fleischer BKR 2006, 389 ff.; Gomber/Hirschberg AG 2006, 777 ff.; Göres BKR 2007, 85 ff.; Teuber BKR 2006, 429 ff. 43 Verordnung zur Konkretisierung der Verhaltensregeln und Organisationsanforderungen für Wertpapierdienstleistungsunternehmen (Wertpapierdienstleistungs-Verhaltens- und Organisationsverordnung – WpDVerOV) v. 20.7.2007, BGBl. I, 1432. 44 Verordnung über die Analyse von Finanzinstrumenten (Finanzanalyseverordnung – FinAnV) v. 17.12.2004, BGBl. I, 3522. 45 Erste Verordnung zur Änderung der Finanzanalyseverordnung v. 20.7.2007, BGBl. I, 1430.

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plett neu gefasst 46; umfangreiche Änderungen erfolgten aber insbesondere auch im WpHG47 und KWG48. Die Umsetzung der Änderungen durch die „Omnibus I“-RL (dazu o. Rn. 3) soll durch das ESFS-Gesetz 49 erfolgen.

IV. Fundstellenverzeichnis Grundlage:

Art. 53 Abs. 1 AEU [G Art. 47 Abs. 2 EG]

Vorschläge:

Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Wertpapierdienstleistungen und geregelte Märkte und zur Änderung der Richtlinien 85/611/EWG und 93/6/EWG des Rates und der Richtlinie 2000/12/EG des Europäischen Parlaments und des Rates, 19.11.2002, KOM(2002) 625

verabschiedete Fassung:

RL 2004/39/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 21.4.2004 über Märkte für Finanzinstrumente, zur Änderung der Richtlinien 85/611/EWG und 93/6/EWG des Rates und der Richtlinie 2000/12/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Richtlinie 93/22/EWG des Rates, ABlEU v. 30.4.2004, L 145/1

Änderungs-RL:

RL 2006/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 5.4.2006 zur Änderung der Richtlinie 2004/39/EG über Märkte für Finanzinstrumente in Bezug auf bestimmte Fristen, ABlEU v. 27.4.2006, L 114/60 RL 2007/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 5.9.2007 zur Änderung der Richtlinie 92/49/EWG des Rates sowie der Richtlinien 2002/83/EG, 2004/39/EG, 2005/68/EG und 2006/48/EG in Bezug auf Verfahrensregeln und Bewertungskriterien für die aufsichtsrechtliche Beurteilung des Erwerbs und der Erhöhung von Beteiligungen im Finanzsektor, ABlEU v. 21.9.2007, L 247/1 RL 2008/10/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 11.3.2008 zur Änderung der Richtlinie 2004/39/EG über Märkte für Finanzinstrumente im Hinblick auf die der Kommission übertragenen Durchführungsbefugnisse, ABlEU v. 19.3.2008, L 76/33. RL 2010/78/EU des Europäischen Parlaments und des Rates v. 24.11.2010 zur Änderung der Richtlinien 98/26/EG, 2002/87/ EG, 2003/6/EG, 2003/41/EG, 2003/71/EG, 2004/39/EG, 2004/109/EG, 2005/60/EG, 2006/48/EG, 2006/49/EG und

46 Überblick über die wichtigsten Änderungen bei Schwark in: Schwark/Zimmer, KMRK, 4. Aufl. 2010, Einl. BörsG Rn. 16. 47 Überblick über die wichtigsten Änderungen bei Schwark (Fn. 47), Rn. 20 f. 48 Überblick über die wichtigsten Änderungen bei Fischer in: Boos/Fischer/Schulte-Mattler, KWG, 3. Aufl. 2008, Rn. 60h. 49 Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2010/78/EU vom 24. November 2010 im Hinblick auf die Errichtung des Europäischen Finanzaufsichtssystems, BR-Drs. 254/11. Dazu Weber-Rey AG 2011, R259 f.

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2009/65/EG im Hinblick auf die Befugnisse der Europäischen Aufsichtsbehörde (Europäische Bankenaufsichtsbehörde), der Europäischen Aufsichtsbehörde (Europäische Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung) und der Europäischen Aufsichtsbehörde (Europäische Wertpapier-und Marktaufsichtsbehörde), ABlEU v. 15.12.2010, L 331/120 Durchführungsrechtsakte:

VO (EG) Nr. 1287/2006 der Kommission v. 10.8.2006 zur Durchführung der Richtlinie 2004/39/EG des Europäischen Parlaments und des Rates betreffend die Aufzeichnungspflichten für Wertpapierfirmen, die Meldung von Geschäften, die Markttransparenz, die Zulassung von Finanzinstrumenten zum Handel und bestimmte Begriffe im Sinne dieser Richtlinie, ABlEU v. 2.9.2006, L 241/1 RL 2006/73/EG der Kommission v. 10.8.2006 zur Durchführung der Richtlinie 2004/39/EG des Europäischen Parlaments und des Rates in Bezug auf die organisatorischen Anforderungen an Wertpapierfirmen und die Bedingungen für die Ausübung ihrer Tätigkeit sowie in Bezug auf die Definition bestimmter Begriffe für die Zwecke der genannten Richtlinie, ABlEU v. 2.9.2006, L 241/26

Umsetzung in Deutschland: ursprüngliche Umsetzung

Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie über Märkte für Finanzinstrumente und der Durchführungsrichtlinie der Kommission (Finanzmarktrichtlinie-Umsetzungsgesetz) v. 16.7.2007, BGBl. I, 1330 Verordnung zur Konkretisierung der Verhaltensregeln und Organisationsanforderungen für Wertpapierdienstleistungsunternehmen (Wertpapierdienstleistungs-Verhaltens- und Organisationsverordnung – WpDVerOV) v. 20.7.2007, BGBl. I, 1432 Erste Verordnung zur Änderung der Finanzanalyseverordnung v. 20.7.2007, BGBl. I, 1430

Änderungs-RL 2010/78/EU

Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2010/ 78/EU vom 24. November 2010 im Hinblick auf die Errichtung des Europäischen Finanzaufsichtssystems, BR-Drs. 254/11

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RICHTLINIE 2004/39/EG DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES vom 21. April 2004 über Märkte für Finanzinstrumente, zur Änderung der Richtlinien 85/611/EWG und 93/6/EWG des Rates und der Richtlinie 2000/12/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Richtlinie 93/22/EWG des Rates

DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT UND DER RAT DER EUROPÄISCHEN UNION – gestützt auf den Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, insbesondere auf Artikel 47 Absatz 2, auf Vorschlag der Kommission(1), nach Stellungnahme des Europäischen Wirtschaftsund Sozialausschusses(2), nach Stellungnahme der Europäischen Zentralbank(3), gemäß dem Verfahren des Artikels 251 des Vertrags(4), in Erwägung nachstehender Gründe: (1) Die Richtlinie 93/22/EWG des Rates vom 10. Mai 1993 über Wertpapierdienstleistungen(5) zielte darauf ab, die Bedingungen festzulegen, unter denen zugelassene Wertpapierfirmen und Banken in anderen Mitgliedstaaten auf der Grundlage der Zulassung und der Aufsicht durch den Herkunftsstaat spezifische Dienstleistungen erbringen oder Zweigniederlassungen errichten konnten. Zu diesem Zweck wurden mit jener Richtlinie die Erstzulassung und die Tätigkeitsbedingungen von Wertpapierfirmen, einschließlich der Wohlverhaltensregeln, harmonisiert. Mit jener Richtlinie wurden auch einige Bedingungen für den Betrieb geregelter Märkte harmonisiert. (2) In den letzten Jahren wurden immer mehr Anleger auf den Finanzmärkten aktiv; ihnen wird ein immer komplexeres und umfangreicheres Spektrum an Dienstleistungen und Finanzinstrumenten angeboten. Angesichts dieser Entwicklungen sollte der Rechtsrahmen der Gemeinschaft das volle

(1) (2) (3) (4)

ABl. C 71 E vom 25.3.2003, S. 62. ABl. C 220 vom 16.9.2003, S. 1. ABl. C 144 vom 20.6.2003, S. 6. Stellungnahme des Europäischen Parlaments vom 25. September 2003 (noch nicht im Amtsblatt veröffentlicht), Gemeinsamer Standpunkt des Rates vom 8. Dezember 2003 (ABl. C 60 E vom 9.3.2004, S. 1) und Standpunkt des Europäischen Parlaments vom 30. März 2004 (noch nicht im Amtsblatt veröffentlicht). Beschluss des Rates vom 7. April 2004. 5 ( ) ABl. L 141 vom 11.6.1993, S. 27. Zuletzt geändert durch die Richtlinie 2002/87/EG des Europäischen Parlaments und des Rates (ABl. L 35 vom 11.2.2003, S. 1).

Angebot der anlegerorientierten Tätigkeiten abdecken. Folglich ist es erforderlich, eine Harmonisierung in dem Umfang vorzunehmen, der notwendig ist, um Anlegern ein hohes Schutzniveau zu bieten und Wertpapierfirmen das Erbringen von Dienstleistungen in der gesamten Gemeinschaft im Rahmen des Binnenmarkts auf der Grundlage der Herkunftslandaufsicht zu gestatten. In Anbetracht dessen sollte die Richtlinie 93/22/EWG durch eine neue Richtlinie ersetzt werden. (3) Angesichts der wachsenden Abhängigkeit der Anleger von persönlichen Empfehlungen ist es zweckmäßig, die Erbringung von Anlageberatungen als eine Wertpapierdienstleistung aufzunehmen, die einer Zulassung bedarf. (4) Es ist zweckmäßig, in die Liste der Finanzinstrumente bestimmte Waren- und sonstige Derivate aufzunehmen, die so konzipiert sind und gehandelt werden, dass sie unter aufsichtsrechtlichen Aspekten traditionellen Finanzinstrumenten vergleichbar sind. (5) Es ist erforderlich, die Ausführung von Geschäften mit Finanzinstrumenten – unabhängig von den für den Abschluss dieser Geschäfte verwendeten Handelsmethoden – umfassend zu regeln, damit bei der Ausführung der entsprechenden Anlegeraufträge eine hohe Qualität gewährleistet ist und die Integrität und Gesamteffizienz des Finanzsystems gewahrt werden. Es sollte ein kohärenter und risikosensibler Rahmen zur Regelung der wichtigsten Arten der derzeit auf dem europäischen Finanzmarkt vertretenen Auftragsausführungssysteme geschaffen werden. Es ist erforderlich, einer aufkommenden neuen Generation von Systemen des organisierten Handels neben den geregelten Märkten Rechnung zu tragen, die Pflichten unterworfen werden sollten, die auch weiterhin ein wirksames und ordnungsgemäßes Funktionieren der Finanzmärkte gewährleisten. Um einen angemessenen Rechtsrahmen zu schaffen, sollte eine neue Wertpapierdienstleistung, die sich auf den Betrieb von MTF bezieht, vorgesehen werden. (6) Es sollten Begriffsbestimmungen für den geregelten Markt und das MTF eingeführt und eng aneinander angelehnt werden, um der Tatsache Rechnung zu tragen, dass beide die Funktion des organisierten Handels erfüllen. Die Begriffsbestimmungen sollten bilaterale Systeme ausschließen,

Die MiFID bei denen eine Wertpapierfirma jedes Geschäft für eigene Rechnung tätigt und nicht als risikolose Gegenpartei zwischen Käufer und Verkäufer steht. Der Begriff „System“ umfasst sowohl die Märkte, die aus einem Regelwerk und einer Handelsplattform bestehen, als auch solche, die ausschließlich auf der Grundlage eines Regelwerks funktionieren. Geregelte Märkte und MTF müssen keine „technischen“ Systeme für das Zusammenführen von Aufträgen betreiben. Ein Markt, der nur aus einem Regelwerk besteht, das Fragen in Bezug auf die Mitgliedschaft, die Zulassung von Finanzinstrumenten zum Handel, den Handel zwischen Mitgliedern, die Meldung von Geschäften und gegebenenfalls die Transparenzpflichten regelt, ist ein geregelter Markt oder ein MTF im Sinne dieser Richtlinie; Geschäfte, die nach diesen Regeln abgeschlossen werden, gelten als an einem geregelten Markt oder über ein MTF geschlossene Geschäfte. Der Begriff „Interesse am Kauf und Verkauf“ ist im weiten Sinne zu verstehen und schließt Aufträge, Kursofferten und Interessenbekundungen ein. Die Anforderung, wonach die Interessen innerhalb des Systems und nach den nichtdiskretionären, vom Betreiber des Systems festgelegten Regeln zusammengeführt werden müssen, bedeutet, dass die Zusammenführung nach den Regeln des Systems oder mit Hilfe der Protokolle oder internen Betriebsverfahren des Systems (einschließlich der in Computersoftware enthaltenen Verfahren) erfolgt. Der Begriff „nichtdiskretionär“ bedeutet, dass diese Regeln der Wertpapierfirma, die ein MTF betreibt, keinerlei Ermessensspielraum im Hinblick auf die möglichen Wechselwirkungen zwischen Interessen einräumen. Den Begriffsbestimmungen zufolge müssen Interessen in einer Weise zusammengeführt werden, die zu einem Vertrag führt, d.h. die Ausführung erfolgt nach den Regeln des Systems oder über dessen Protokolle oder interne Betriebsverfahren. (7) Ziel dieser Richtlinie ist, Wertpapierfirmen zu erfassen, die im Rahmen ihrer üblichen beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit Wertpapierdienstleistungen erbringen und/oder Anlagetätigkeiten ausüben. Ihr Anwendungsbereich sollte deshalb keine Personen erfassen, die eine andere berufliche Tätigkeit ausüben. (8) Personen, die ihr eigenes Vermögen verwalten, und Unternehmen, die keine Wertpapierdienstleistungen erbringen und/oder Anlagetätigkeiten nur im Handel für eigene Rechnung vornehmen, es sei denn, sie sind Marketmaker oder sie treiben in organisierter und systematischer Weise häufig für eigene Rechnung außerhalb eines geregelten Marktes oder eine MTF Handel, indem sie ein für Dritte zugängliches System anbieten, um mit ihnen Geschäfte durchzuführen, sollten nicht in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie fallen. (9) Verweise auf „Personen“ im Text sollten so verstanden werden, dass damit sowohl natürliche als auch juristische Personen gemeint sind.

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(10) Versicherungsunternehmen, deren Tätigkeit von den zuständigen Aufsichtsbehörden in geeigneter Weise überwacht wird und die der Richtlinie 64/225/EWG des Rates vom 25. Februar 1964 zur Aufhebung der Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs auf dem Gebiet der Rückversicherung und Retrozession(6), der Ersten Richtlinie 73/239/EWG des Rates vom 24. Juli 1973 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften betreffend die Aufnahme und Ausübung der Tätigkeit der Direktversicherung (mit Ausnahme der Lebensversicherung)(7) sowie der Richtlinie 2002/83/EG des Rates vom 5. November 2002 über Lebensversicherungen(8) unterliegen, sollten ausgeschlossen sein. (11) Personen, die keine Dienstleistungen für Dritte erbringen, sondern deren Tätigkeit darin besteht, Wertpapierdienstleistungen ausschließlich für ihre Mutterunternehmen, ihre Tochterunternehmen oder andere Tochterunternehmen ihrer Mutterunternehmen zu erbringen, sollten nicht von dieser Richtlinie erfasst werden. (12) Personen, die im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit Wertpapierdienstleistungen nur gelegentlich erbringen, sollten ebenfalls vom Anwendungsbereich dieser Richtlinie ausgenommen werden, sofern diese Tätigkeit geregelt ist und die betreffende Regelung die gelegentliche Erbringung von Wertpapierdienstleistungen nicht ausschließt. (13) Personen, deren Wertpapierdienstleistungen ausschließlich in der Verwaltung eines Systems der Arbeitnehmerbeteiligung bestehen und deshalb keine Wertpapierdienstleistungen für Dritte erbringen, sollten nicht von dieser Richtlinie erfasst werden. (14) Es ist erforderlich, Zentralbanken und andere Stellen mit ähnlichen Aufgaben sowie die staatlichen Stellen, die für die staatliche Schuldenverwaltung – einschließlich der Platzierung staatlicher Schuldtitel – zuständig oder daran beteiligt sind, aus dem Anwendungsbereich der Richtlinie auszunehmen; Stellen mit öffentlicher Kapitalbeteiligung, deren Aufgabe gewerblicher Art ist oder mit der Übernahme von Beteiligungen zusammenhängt, sind nicht auszunehmen. (15) Es ist erforderlich, Organismen für gemeinsame Anlagen und Pensionsfonds, unabhängig davon, ob sie auf Gemeinschaftsebene koordiniert worden sind, sowie die Verwahr- und Verwaltungsgesellschaften derartiger Organismen aus dem Anwendungsbereich der Richtlinie auszunehmen, da für sie besondere, unmittelbar auf ihre Tätigkeit zugeschnittene Regeln gelten.

(6) ABl. L 56 vom 4.4.1964, S. 878. Geändert durch die Beitrittsakte von 1972. (7) ABl. L 228 vom 16.8.1973, S. 3. Zuletzt geändert durch die Richtlinie 2002/87/EG. (8) ABl. L 345 vom 19.12.2002, S. 1.

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Kapitalmarktrechtliche Rechtsakte

(16) Die Ausnahmen gemäß dieser Richtlinie können nur die Personen in Anspruch nehmen, die die Voraussetzungen für diese Ausnahmen auf Dauer erfüllen. Insbesondere sollte für Personen, deren Wertpapierdienstleistungen oder Anlagetätigkeiten vom Geltungsbereich dieser Richtlinie ausgenommen sind, weil es sich dabei auf Ebene der Unternehmensgruppe um Nebentätigkeiten zu ihrer Haupttätigkeit handelt, die Ausnahmeregelung für Nebentätigkeiten nicht mehr gelten, wenn die betreffenden Dienstleistungen oder Tätigkeiten nicht mehr nur eine Nebentätigkeit zu ihrer Haupttätigkeit darstellen. (17) Aus Gründen des Anlegerschutzes und der Stabilität des Finanzsystems sollten Personen, die die unter diese Richtlinie fallenden Wertpapierdienstleistungen erbringen und/oder Anlagetätigkeiten ausüben, der Zulassung durch ihren Herkunftsmitgliedstaat unterliegen. (18) Gemäß der Richtlinie 2000/12/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. März 2000 über die Aufnahme und Ausübung der Tätigkeit der Kreditinstitute(9) zugelassene Kreditinstitute sollten keine weitere Zulassung gemäß dieser Richtlinie benötigen, um Wertpapierdienstleistungen erbringen oder Anlagetätigkeiten ausüben zu dürfen. Beschließt ein Kreditinstitut, Wertpapierdienstleistungen zu erbringen oder Anlagetätigkeiten auszuüben, so überprüfen die zuständigen Behörden vor der Erteilung der Zulassung, dass es die einschlägigen Bestimmungen der vorliegenden Richtlinie einhält. (19) Eine Wertpapierfirma, die eine oder mehrere von ihrer Zulassung nicht abgedeckte Wertpapierdienstleistungen oder Anlagetätigkeiten erbringt, sollte keine zusätzliche Zulassung gemäß dieser Richtlinie benötigen, wenn sie diese nicht regelmäßig erbringt bzw. ausübt. (20) Für die Zwecke dieser Richtlinie sollte die Tätigkeit der Annahme und Übermittlung von Aufträgen auch die Zusammenführung von zwei oder mehr Anlegern umfassen, durch die ein Geschäftsabschluss zwischen diesen Anlegern ermöglicht wird. (21) Im Zusammenhang mit der bevorstehenden Änderung des Eigenkapitalrahmens im Rahmen von Basel II erkennen die Mitgliedstaaten an, dass es notwendig ist, erneut zu prüfen, ob Wertpapierfirmen, die sich deckende Kundenaufträge im eigenen Namen und auf eigene Rechnung ausführen, als Auftraggeber tätig werden, und insofern zusätzlichen Eigenkapitalbestimmungen unterliegen müssen. (22) Die Grundsätze der gegenseitigen Anerkennung und der Kontrolle durch den Herkunftsmitgliedstaat erfordern, dass die zuständigen Behörden des Mitgliedstaats die Zulassung entweder

nicht erteilen oder entziehen sollten, wenn aus Umständen wie dem Inhalt des Geschäftsplans, der geografischen Ansiedlung oder der tatsächlich ausgeübten Tätigkeit unzweifelhaft hervorgeht, dass eine Wertpapierfirma die Rechtsordnung eines Mitgliedstaats in der Absicht gewählt hat, sich den strengeren Normen eines anderen Mitgliedstaats zu entziehen, in dessen Hoheitsgebiet sie den überwiegenden Teil ihrer Tätigkeit ausübt oder auszuüben beabsichtigt. Eine Wertpapierfirma, die eine juristische Person ist, sollte in dem Mitgliedstaat zugelassen werden, in dem sie ihren Sitz hat. Eine Wertpapierfirma, die keine juristische Person ist, sollte in dem Mitgliedstaat zugelassen werden, in dem sich ihre Hauptverwaltung befindet. Im Übrigen sollten die Mitgliedstaaten verlangen, dass die Hauptverwaltung einer Wertpapierfirma sich stets in ihrem Herkunftsmitgliedstaat befindet und dort tatsächlich tätig ist. (23) Eine in ihrem Herkunftsmitgliedstaat zugelassene Wertpapierfirma sollte berechtigt sein, in der gesamten Gemeinschaft Wertpapierdienstleistungen zu erbringen oder Anlagetätigkeiten auszuüben, ohne eine gesonderte Zulassung der zuständigen Behörde des Mitgliedstaats, in dem sie diese Leistungen zu erbringen oder Tätigkeiten auszuüben wünscht, einholen zu müssen. (24) Da bestimmte Wertpapierfirmen von bestimmten Verpflichtungen gemäß der Richtlinie 93/6/EWG des Rates vom 15. März 1993 über die angemessene Eigenkapitalausstattung von Wertpapierfirmen und Kreditinstituten(10) ausgenommen sind, sollten sie zu einer Mindestkapitalausstattung oder zum Abschluss einer Berufshaftpflichtversicherung oder einer Kombination von beiden verpflichtet sein. Bei den Anpassungen der Beträge dieser Versicherung sollte den Anpassungen Rechnung getragen werden, die im Rahmen der Richtlinie 2002/92/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. Dezember 2002 über Versicherungsvermittlung(11) vorgenommen werden. Diese besondere Behandlung für die Zwecke der angemessenen Eigenkapitalausstattung sollte von Beschlüssen in Bezug auf die zweckmäßige Behandlung dieser Firmen im Rahmen der künftigen Änderungen der Rechtsvorschriften der Gemeinschaft über die angemessene Eigenkapitalausstattung nicht berührt werden. (25) Da der Anwendungsbereich der Aufsichtsvorschriften auf jene Rechtspersönlichkeiten beschränkt werden sollte, die aufgrund der Tatsache, dass sie ein professionelles Handelsbuch führen, Quelle eines Gegenparteirisikos für andere Marktteilnehmer sind, sollten Rechtspersönlichkeiten vom Anwendungsbereich dieser Richtlinie ausgenommen werden, die als Nebengeschäft zu ihrem Hauptgeschäft für eigene Rechnung mit Finanz-

(10)

(9) ABl. L 126 vom 26.5.2000, S. 1. Zuletzt geändert durch die Richtlinie 2002/87/EG.

ABl. L 141 vom 11.6.1993, S. 1. Zuletzt geändert durch die Richtlinie 2002/87/EG. ( ) ABl. L 9 vom 15.1.2003, S. 3. 11

Die MiFID instrumenten, einschließlich Warenderivaten im Sinne dieser Richtlinie, handeln oder Wertpapierdienstleistungen in Bezug auf Warenderivate für die Kunden ihres Hauptgeschäfts erbringen, sofern dies auf Ebene der Unternehmensgruppe eine Nebentätigkeit zu ihrer Haupttätigkeit darstellt und die Haupttätigkeit nicht in der Erbringung von Wertpapierdienstleistungen im Sinne dieser Richtlinie besteht. (26) Um die Eigentumsrechte des Anlegers an Wertpapieren und andere eigentumsähnliche Rechte sowie seine Rechte an den der Wertpapierfirma anvertrauten Geldern zu schützen, sollten diese Rechte insbesondere von den Rechten der Wertpapierfirma abgegrenzt werden. Dieser Grundsatz sollte eine Wertpapierfirma jedoch nicht hindern, im eigenen Namen, aber im Interesse des Anlegers zu handeln, wenn dies aufgrund der besonderen Natur des Geschäfts erforderlich ist und der Anleger dazu seine Zustimmung erteilt hat, z.B. bei Wertpapierleihgeschäften. (27) Überträgt ein Kunde im Einklang mit dem Gemeinschaftsrecht und insbesondere der Richtlinie 2002/47/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. Juni 2002 über Finanzsicherheiten(12) zur Besicherung oder sonstigen Absicherung bestehender oder künftiger, tatsächlicher, möglicher oder voraussichtlicher Verpflichtungen das uneingeschränkte Eigentum an Finanzinstrumenten oder Geldern auf eine Wertpapierfirma, so sollten diese Finanzinstrumente oder Gelder ebenfalls als nicht länger dem Kunden gehörend betrachtet werden. (28) Die Verfahren für die Zulassung von Zweigniederlassungen von in Drittländern zugelassenen Wertpapierfirmen in der Gemeinschaft sollten auf diese Firmen weiterhin Anwendung finden. Diese Zweigniederlassungen sollten nur in dem Mitgliedstaat, in dem sie errichtet sind, nicht jedoch in den anderen Mitgliedstaaten, das Recht des freien Dienstleistungsverkehrs gemäß Artikel 49 Absatz 2 des Vertrags oder der Niederlassungsfreiheit in Anspruch nehmen können. Für die Fälle, in denen die Gemeinschaft nicht durch bilaterale oder multilaterale Verpflichtungen gebunden ist, ist es zweckmäßig, ein Verfahren vorzusehen, mit dem sichergestellt wird, dass die Wertpapierfirmen der Gemeinschaft in den betreffenden Drittländern eine Behandlung nach dem Prinzip der Gegenseitigkeit erfahren. (29) Das immer größere Spektrum von Tätigkeiten, die viele Wertpapierfirmen gleichzeitig ausführen, hat das Potenzial für Interessenkonflikte zwischen diesen verschiedenen Tätigkeiten und den Interessen der Kunden erhöht. Daher ist es erforderlich, Bestimmungen vorzusehen, die sicherstellen, dass solche Konflikte die Interessen der Kunden nicht beeinträchtigen.

(12) ABl. L 168 vom 27.6.2002, S. 43.

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(30) Eine Wertpapierdienstleistung sollte als auf Veranlassung eines Kunden erbracht angesehen werden, es sei denn, der Kunde fordert diese Leistung als Reaktion auf eine an ihn persönlich gerichtete Mitteilung der Wertpapierfirma oder im Namen dieser Firma an, mit der er zum Kauf eines bestimmten Finanzinstruments oder zum Abschluss eines bestimmten Geschäfts aufgefordert wird oder bewogen werden soll. Eine Wertpapierdienstleistung kann auch dann als auf Veranlassung des Kunden erbracht betrachtet werden, wenn der Kunde auf der Grundlage einer beliebigen Mitteilung, die Werbung oder ein Kaufangebot gleich welcher Art für Finanzinstrumente enthält und sich an das Publikum generell oder eine größere Gruppe oder Gattung von Kunden oder potenziellen Kunden richtet, diese Dienstleistung anfordert. (31) Ein Ziel dieser Richtlinie ist der Anlegerschutz. Die Vorkehrungen zum Schutz der Anleger sollten den Eigenheiten jeder Anlegerkategorie (Kleinanleger, professionelle Kunden, Gegenparteien) angepasst sein. (32) Abweichend vom Grundsatz der Zulassung, Überwachung und Durchsetzung der Verpflichtungen, in Bezug auf den Betrieb von Zweigniederlassungen durch das Herkunftsland, ist es zweckmäßig, dass die zuständige Behörde des Aufnahmemitgliedstaats für die Einhaltung bestimmter Verpflichtungen dieser Richtlinie in Bezug auf Geschäfte, die über eine Zweigniederlassung in dem Hoheitsgebiet, in dem sich die Niederlassung befindet, getätigt werden, verantwortlich ist, da diese Behörde aufgrund der größeren Nähe zu der Zweigniederlassung besser in der Lage ist, Verstöße gegen die Vorschriften für den Geschäftsbetrieb der Zweigniederlassung aufzudecken und zu ahnden. (33) Um zu gewährleisten, dass Kundenaufträge zu den für den Kunden günstigsten Konditionen ausgeführt werden, müssen die Wertpapierfirmen wirksam zur „bestmöglichen Ausführung“ verpflichtet werden. Diese Verpflichtung sollte für Wertpapierfirmen gelten, die dem Kunden gegenüber vertraglich oder im Rahmen eines Vermittlungsgeschäfts verpflichtet sind. (34) Nach dem Gebot des fairen Wettbewerbs müssen Marktteilnehmer und Anleger in der Lage sein, die Kurse zu vergleichen, die von Handelsplätzen (d.h. geregelten Märkten, MTF und Zwischenhändlern) zu veröffentlichen sind. Zu diesem Zweck wird empfohlen, dass die Mitgliedstaaten alle Hindernisse beseitigen, die auf europäischer Ebene einer Konsolidierung der einschlägigen Informationen und ihrer Veröffentlichung entgegenstehen. (35) Bei Aufnahme der Geschäftsbeziehung mit dem Kunden könnte die Wertpapierfirma den Kunden oder potenziellen Kunden auffordern, zugleich den Grundsätzen der Auftragsausführung und der Möglichkeit zuzustimmen, dass seine Aufträge außerhalb eines geregelten Marktes oder MTF ausgeführt werden dürfen.

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(36) Personen, die für mehr als eine Wertpapierfirma Wertpapierdienstleistungen erbringen, sollten nicht als vertraglich gebundener Vermittler, sondern als Wertpapierfirma gelten, wenn sie der Begriffsbestimmung dieser Richtlinie entsprechen; dies gilt nicht für bestimmte Personen, die ausgenommen werden können. (37) Von dieser Richtlinie unberührt bleiben sollte das Recht von vertraglich gebundenen Vermittlern, unter andere Richtlinien fallende Tätigkeiten und verbundene Tätigkeiten in Bezug auf Finanzdienstleistungen oder -produkte, die nicht unter diese Richtlinie fallen, auszuüben, selbst wenn dies im Namen von Teilen derselben Finanzgruppe geschieht. (38) Die Bedingungen für die Ausübung von Tätigkeiten außerhalb der Geschäftsräume der Wertpapierfirma (Haustürgeschäfte) sollten nicht von dieser Richtlinie erfasst werden. (39) Die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten sollten von einer Registrierung absehen oder die Registrierung entziehen, wenn aus der tatsächlich ausgeübten Tätigkeit unzweifelhaft hervorgeht, dass ein vertraglich gebundener Vermittler die Rechtsordnung eines Mitgliedstaats in der Absicht gewählt hat, sich den strengeren Normen eines anderen Mitgliedstaats zu entziehen, in dem er den überwiegenden Teil seiner Tätigkeit auszuüben beabsichtigt oder ausübt. (40) Für die Zwecke dieser Richtlinie sollten geeignete Gegenparteien wie Kunden eingestuft werden. (41) Um zu gewährleisten, dass die Wohlverhaltensregeln (einschließlich der Vorschriften über die bestmögliche Ausführung und Bearbeitung von Kundenaufträgen) in Bezug auf Anleger, die diesen Schutz am dringendsten benötigen, angewandt werden und um einer gemeinschaftsweit fest etablierten Marktpraxis Rechnung zu tragen, sollte klargestellt werden, dass bei zwischen geeigneten Gegenparteien abgeschlossenen oder angebahnten Geschäften von einer Anwendung dieser Regeln abgesehen werden kann. (42) Bei Geschäften mit geeigneten Gegenparteien sollte die Pflicht zur Veröffentlichung von Kunden-Limitaufträgen nur gelten, wenn die betreffende Gegenpartei einen Limitauftrag zur Ausführung ausdrücklich an eine Wertpapierfirma schickt. (43) Die Mitgliedstaaten schützen das Recht natürlicher Personen auf Schutz der Privatsphäre bei der Verarbeitung personenbezogener Daten im Einklang mit der Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. Oktober 1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr.(13) (44) In Anbetracht des zweifachen Ziels, die Anleger zu schützen und gleichzeitig ein reibungsloses (13) ABl. L 281 vom 23.11.1995, S. 31.

Funktionieren der Wertpapiermärkte zu gewährleisten, muss für die Transparenz der Geschäfte gesorgt werden sowie dafür, dass die zu diesem Zweck festgelegten Regeln für Wertpapierfirmen gelten, wenn sie auf den Märkten tätig sind. Um Anleger und Marktteilnehmer in die Lage zu versetzen, jederzeit die Konditionen eines von ihnen ins Auge gefassten Aktiengeschäfts zu beurteilen und die Bedingungen, zu denen es ausgeführt wurde, im Nachhinein zu überprüfen, sollten allgemeine Regeln für die Veröffentlichung von Angaben zu abgeschlossenen Aktiengeschäften sowie für die Bekanntmachung von Einzelheiten zu aktuellen Möglichkeiten des Handels mit Aktien festgelegt werden. Solche Regeln sind erforderlich, um eine effektive Integration der Aktienmärkte der Mitgliedstaaten sicherzustellen, die Effizienz des globalen Kursbildungsprozesses bei Eigenkapitalinstrumenten zu steigern und die effektive Einhaltung der Pflicht zur „bestmöglichen Ausführung“ zu fördern. Dies erfordert eine umfassende Transparenzregelung für alle Aktiengeschäfte, unabhängig davon, ob eine Wertpapierfirma diese auf bilateraler Basis oder über geregelte Märkte oder MTF ausführt. Die sich aus dieser Richtlinie ergebenden Verpflichtungen von Wertpapierfirmen zur Offenlegung eines Geld- und Briefkurses und zur Ausführung eines Auftrags zu dem gebotenen Kurs befreit eine Wertpapierfirma nicht von der Verpflichtung, einen Auftrag an einen anderen Handelsplatz weiterzuleiten, wenn eine solche Internalisierung die Firma daran hindern könnte, den Verpflichtungen zur „bestmöglichen Ausführung“ nachzukommen. (45) Die Mitgliedstaaten sollten die Meldeverpflichtungen dieser Richtlinie für Geschäfte auch auf Finanzinstrumente ausdehnen können, die nicht zum Handel an einem geregelten Markt zugelassen sind. (46) Ein Mitgliedstaat kann beschließen, die in dieser Richtlinie festgelegten Transparenzvorschriften für den Vor- und Nachhandel auf andere Finanzinstrumente als Aktien auszudehnen. Diese Transparenzvorschriften sollten dann für alle Wertpapierfirmen, deren Herkunftsmitgliedstaat der betreffende Mitgliedstaat ist, gelten, und zwar sowohl für ihre Geschäftstätigkeit im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats als auch für ihre grenzüberschreitenden Geschäfte im Rahmen der Dienstleistungsfreiheit. Diese Transparenzvorschriften sollten auch für die Geschäfte gelten, die im Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats von dort ansässigen Zweigniederlassungen von in anderen Mitgliedstaaten zugelassenen Wertpapierfirmen getätigt werden. (47) Alle Wertpapierfirmen sollten gemeinschaftsweit gleichermaßen die Möglichkeit haben, Mitglied eines geregelten Markts zu werden oder Zugang zu diesem Markt zu erhalten. Unabhängig von den in den Mitgliedstaaten bestehenden Formen der organisatorischen Abwicklung von Geschäften ist es wichtig, alle technischen und rechtlichen Beschränkungen für den Zugang zu geregelten Märkten aufzuheben.

Die MiFID (48) Um den Abschluss grenzüberschreitender Geschäfte zu erleichtern, sollte Wertpapierfirmen gemeinschaftsweit Zugang zu Clearing- und Abrechnungssystemen verschafft werden, unabhängig davon, ob die Geschäfte über geregelte Märkte in den betreffenden Mitgliedstaaten geschlossen wurden. Wertpapierfirmen, die unmittelbar an Abrechnungs-systemen in anderen Mitgliedstaaten teilnehmen möchten, sollten die für eine Mitgliedschaft erforderlichen betrieblichen und gewerblichen Anforderungen sowie die zur Aufrechterhaltung eines reibungslosen und ordnungsgemäßen Funktionierens der Finanzmärkte erlassenen Aufsichtsmaßnahmen erfüllen. (49) Die Zulassung zum Betrieb eines geregelten Markts sollte sich auf alle Tätigkeiten erstrecken, die direkt mit der Anzeige, der Abwicklung, der Ausführung, der Bestätigung und der Meldung von Aufträgen ab dem Auftragseingang beim geregelten Markt bis zur Weiterleitung zwecks anschließendem Abschluss zusammenhängen, sowie auf Tätigkeiten im Zusammenhang mit der Zulassung von Finanzinstrumenten zum Handel. Dies sollte auch Geschäfte einschließen, die über bestimmte, von dem geregelten Markt benannte Market-maker innerhalb des Systems eines geregelten Markts nach den für dieses System geltenden Regeln geschlossen werden. Nicht alle von Mitgliedern oder Teilnehmern eines geregelten Marktes oder des MTF geschlossenen Geschäfte sind als innerhalb des Systems des geregelten Marktes oder des MTF geschlossen anzusehen. Geschäfte, die Mitglieder oder Teilnehmer auf bilateraler Basis abschließen und die nicht allen Anforderungen dieser Richtlinie an einen geregelten Markt oder ein MTF genügen, sollten im Sinne der Begriffsbestimmung des systematischen Internalisierers als außerhalb eines geregelten Marktes oder eines MTF geschlossen gelten. In diesem Fall sollte die Pflicht der Wertpapierfirmen zur Veröffentlichung verbindlicher Kursofferten Anwendung finden, sofern die Bedingungen dieser Richtlinie erfüllt sind. (50) Systematische Internalisierer können entscheiden, ob sie nur Kleinanlegern, nur professionellen Kunden oder beiden Zugang zu ihren Kursofferten geben. Innerhalb dieser Kategorien von Kunden sollten sie keine Unterschiede machen dürfen. (51) Artikel 27 verpflichtet systematische Internalisierer nicht, verbindliche Kurse in Bezug auf Geschäfte zu veröffentlichen, die über die Standardmarktgröße hinausgehen. (52) Betreibt eine Wertpapierfirma sowohl in Bezug auf Aktien als auch hinsichtlich anderer Finanzinstrumente systematische Internalisierung, sollte die Verpflichtung zur Kursangabe unbeschadet Erwägung 46 nur in Bezug auf Aktien Anwendung finden. (53) Mit dieser Richtlinie wird nicht beabsichtigt, die Anwendung von Vorhandelstransparenzanforderungen auf Geschäfte auf OTC-Basis vorzu-

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schreiben, zu deren Merkmalen gehört, dass sie ad hoc und unregelmäßig erfolgen, zwischen Gegenparteien im Großhandel ausgeführt werden und Teil einer Geschäftsbeziehung sind, die selbst wiederum von Geschäften charakterisiert wird, die über die Standardmarktgröße hinausgehen, und dass die Geschäfte außerhalb der von der betreffenden Wertpapierfirma für ihr Geschäft als systematischer Internalisierer gewöhnlich verwendeten Systeme ausgeführt werden. (54) Die Standardmarktgröße für eine Klasse von Aktien darf in keinem signifikanten Missverhältnis zu einer in dieser Klasse enthaltenen Aktie stehen. (55) Bei der Überarbeitung der Richtlinie 93/6/EWG sollten Mindestanforderungen für die Eigenkapitalausstattung festgelegt werden, denen geregelte Märkte genügen müssen, um zugelassen zu werden; dabei sollte die besondere Beschaffenheit der mit solchen Märkten verbundenen Risiken berücksichtigt werden. (56) Die Betreiber geregelter Märkte sollten im Einklang mit den einschlägigen Bestimmungen dieser Richtlinie auch ein MTF betreiben können. (57) Die Bestimmungen dieser Richtlinie in Bezug auf die Zulassung von Finanzinstrumenten zum Handel nach den vom geregelten Markt erlassenen Regeln sollten die Anwendung der Richtlinie 2001/34/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Mai 2001 über die Zulassung von Wertpapieren zur amtlichen Börsennotierung und über die hinsichtlich dieser Wertpapiere zu veröffentlichenden Informationen(14) unberührt lassen. Es sollte einem geregelten Markt nicht verwehrt sein, die Emittenten von Wertpapieren oder Finanzinstrumenten, deren Zulassung zum Handel er in Betracht zieht, strengeren Anforderungen als denen dieser Richtlinie zu unterwerfen. (58) Die Mitgliedstaaten sollten für die Durchsetzung der vielfältigen Verpflichtungen gemäß dieser Richtlinie mehrere zuständige Behörden benennen können. Um die Unabhängigkeit von der Wirtschaft zu garantieren und Interessenkonflikte zu vermeiden, sollte es sich dabei um staatliche Stellen handeln. Die Mitgliedstaaten sollten im Einklang mit ihrem nationalen Recht die angemessene finanzielle Ausstattung der zuständigen Behörde gewährleisten. Die Benennung staatlicher Behörden sollte die Möglichkeit einer Übertragung von Aufgaben, bei der die Verantwortung bei der zuständigen Behörde verbleibt, nicht ausschließen. (59) Vertrauliche Informationen, die die Kontaktstelle eines Mitgliedstaates von der Kontaktstelle eines anderen Mitgliedstaates erhält, sollten nicht als rein inländische Informationen angesehen werden. (60) Die Befugnisse der zuständigen Behörden müssen stärker aneinander angeglichen werden, (14) ABl. L 184 vom 6.7.2001, S. 1. Zuletzt geändert durch die Richtlinie 2003/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates (ABl. L 345 vom 31.12.2003, S. 64).

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um so die Voraussetzungen für ein vergleichbares Maß der Durchsetzung der Anwendung der Richtlinie auf dem gesamten integrierten Finanzmarkt zu schaffen. Ein gemeinsamer Mindestkatalog von Befugnissen, verbunden mit einer angemessenen Mittelausstattung sollte eine wirksame Überwachung garantieren. (61) Zum Schutz der Kunden und unbeschadet ihres Rechts auf Anrufung eines Gerichts sollten die Mitgliedstaaten staatliche oder private Stellen, deren Aufgabe die außergerichtliche Beilegung von Streitfällen ist, dazu ermutigen, bei der Lösung grenzüberschreitender Streitfälle zusammenzuarbeiten und dabei der Empfehlung 98/257/EG der Kommission vom 30. März 1998 über die Grundsätze für Einrichtungen, die für die außergerichtliche Beilegung von Verbraucherrechtsstreitigkeiten zuständig sind(15), Rechnung tragen. Die Mitgliedstaaten sollten ermutigt werden, bei der Umsetzung der Bestimmungen über Beschwerdeund Schlichtungsverfahren für die außergerichtliche Streitbeilegung möglichst auf bestehende grenzübergreifende Systeme für die Zusammenarbeit, insbesondere das Beschwerdenetz für den Finanzdienstleistungssektor (FIN-Net), zurückzugreifen. (62) Bei jedem Informationsaustausch und jeder Informationsübermittlung zwischen zuständigen Behörden, anderen Behörden, Stellen oder Personen sollten die Vorschriften über die Übermittlung personenbezogener Daten an Drittländer gemäß der Richtlinie 95/46/EG eingehalten werden. (63) Die Bestimmungen über den Austausch von Informationen zwischen den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten sowie deren gegenseitige Verpflichtung zur Amtshilfe und Zusammenarbeit müssen verstärkt werden. In Anbetracht zunehmender grenzüberschreitender Tätigkeiten sollten die zuständigen Behörden einander die für die Wahrnehmung ihrer Aufgaben zweckdienlichen Informationen übermitteln, um eine wirksame Anwendung dieser Richtlinie auch in Situationen zu gewährleisten, in denen Verstöße oder mutmaßliche Verstöße für die Behörden in zwei oder mehreren Mitgliedstaaten von Bedeutung sein können. Bei diesem Informationsaustausch ist die strikte Wahrung des Berufsgeheimnisses erforderlich, um die reibungslose Übermittlung dieser Informationen und den Schutz individueller Rechte zu gewährleisten. (64) Am 17. Juli 2000 hat der Rat den Ausschuss der Weisen über die Regulierung der europäischen Wertpapiermärkte eingesetzt. In seinem Schlussbericht regte der Ausschuss der Weisen die Einführung eines neuen Rechtsetzungsverfahrens an und schlug zu diesem Zweck ein Vier-Stufen-Konzept vor, bestehend aus Rahmenprinzipien, Durchführungsmaßnahmen, Zusammenarbeit und Durchsetzung. Während in Stufe 1, der Richtlinie, lediglich allgemeine Rahmenprinzipien festgeschrieben (15) ABl. L 115 vom 17.4.1998, S. 31.

werden sollten, sollten die technischen Umsetzungsmaßnahmen in Stufe 2 von der Kommission unter Mithilfe eines Ausschusses festgelegt werden. (65) In der vom Europäischen Rat in Stockholm am 23. März 2001 angenommenen Entschließung wurde der Schlussbericht des Ausschusses der Weisen und das darin vorgeschlagene Vier-StufenKonzept, das die gemeinschaftliche Rechtsetzung im Wertpapierbereich effizienter und transparenter machen soll, gebilligt. (66) Nach Auffassung des Europäischen Rates in Stockholm sollte häufiger auf die Durchführungsmaßnahmen der Stufe 2 zurückgegriffen werden, um sicherzustellen, dass die technischen Bestimmungen mit Marktentwicklung und Aufsichtspraktiken Schritt halten; ferner sollten für alle Etappen der Stufe 2 Fristen gesetzt werden. (67) Das Europäische Parlament hat in seiner Entschließung vom 5. Februar 2002 zur Umsetzung der Rechtsvorschriften für Finanzdienstleistungen den Bericht des Ausschusses der Weisen auf der Grundlage der von der Kommission am gleichen Tag vor dem Parlament abgegebenen feierlichen Erklärung und des Schreibens des für den Binnenmarkt zuständigen Mitglieds der Kommission vom 2. Oktober 2001 an die Vorsitzende des Ausschusses des Parlaments für Wirtschaft und Währung bezüglich der Sicherung der Rolle des Europäischen Parlaments in diesem Prozess gebilligt. (68) Die zur Durchführung dieser Richtlinie erforderlichen Maßnahmen sollten gemäß dem Beschluss 1999/468/EG des Rates vom 28. Juni 1999 zur Festlegung der Modalitäten für die Ausübung der der Kommission übertragenen Durchführungsbefugnisse(16) erlassen werden. (69) Das Europäische Parlament sollte über einen Zeitraum von drei Monaten ab der ersten Übermittlung des Entwurfs für Änderungen und Durchführungsmaßnahmen verfügen, um diese prüfen und seinen Standpunkt dazu darlegen zu können. In dringenden und hinreichend begründeten Fällen sollte diese Frist jedoch verkürzt werden können. Nimmt das Europäische Parlament innerhalb dieser Frist eine Entschließung an, so sollte die Kommission den Entwurf von Änderungen oder Maßnahmen erneut prüfen. (70) Um den weiteren Entwicklungen auf den Finanzmärkten Rechnung zu tragen, sollte die Kommission dem Europäischen Parlament und dem Rat Berichte über die Anwendung der Bestimmungen über die Berufshaftpflichtversicherung, den Geltungsbereich der Transparenzregeln und die mögliche Zulassung von auf Warenderivate spezialisierten Händlern als Wertpapierfirmen vorlegen. (71) Das Ziel der Schaffung eines integrierten Finanzmarktes, in dem die Anleger wirksam ge-

(16) ABl. L 184 vom 17.7.1999, S. 23.

Die MiFID schützt und Effizienz und Integrität des gesamten Marktes gesichert sind, erfordert die Festlegung gemeinsamer rechtlicher Anforderungen für Wertpapierfirmen unabhängig von ihrem Zulassungsort in der Gemeinschaft und für die Funktionsweise geregelter Märkte und anderer Handelssysteme, um zu verhindern, dass mangelnde Transparenz oder Störungen auf einem Markt das reibungslose Funktionieren des europäischen Finanzsystems insgesamt beeinträchtigen. Da dieses Ziel besser auf Gemeinschaftsebene zu erreichen ist, kann die Gemeinschaft im Einklang mit dem in Artikel 5 des Vertrags festgelegten Subsidiaritätsprinzip tätig werden. Entsprechend dem in demselben Artikel genannten Verhältnismäßigkeitsprinzip geht diese Richtlinie nicht über das für die Erreichung dieses Ziels erforderliche Maß hinaus –

HABEN FOLGENDE RICHTLINIE ERLASSEN:

TITEL I BEGRIFFSBESTIMMUNGEN UND ANWENDUNGSBEREICH Artikel 1 Anwendungsbereich (1) Diese Richtlinie gilt für Wertpapierfirmen und geregelte Märkte. (2) Folgende Bestimmungen gelten auch für Kreditinstitute, die gemäß der Richtlinie 2000/12/EG zugelassen sind, wenn sie eine oder mehrere Wertpapierdienstleistungen erbringen und/oder Anlagetätigkeiten ausüben: – Artikel 2 Absatz 2, die Artikel 11, 13 und 14 – Titel II Kapitel II, ausgenommen Artikel 23 Absatz 2 Unterabsatz 2 – Titel II Kapitel III, ausgenommen Artikel 31 Absätze 2 bis 4 und Artikel 32 Absätze 2 bis 6 und Absätze 8 und 9 – die Artikel 48 bis 53, die Artikel 57, 61 und 62 und – Artikel 71 Absatz 1.

Artikel 2 Ausnahmen (1) Diese Richtlinie gilt nicht für a) Versicherungsunternehmen im Sinne von Artikel 1 der Richtlinie 73/239/EWG oder Versicherungsunternehmen im Sinne von Artikel 1 der Richtlinie 2002/83/EG sowie Unternehmen, die die in der Richtlinie 64/225/EWG genannten Rückversicherungs- und Retrozessionstätigkeiten ausüben;

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b) Personen, die Wertpapierdienstleistungen ausschließlich für ihr Mutterunternehmen, ihre Tochterunternehmen oder andere Tochterunternehmen ihres Mutterunternehmens erbringen; c) Personen, die nur gelegentlich Wertpapierdienstleistungen im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit erbringen, wenn diese Tätigkeit durch Rechts- oder Verwaltungsvorschriften oder Standesregeln geregelt ist, die die Erbringung dieser Dienstleistung nicht ausschließen; d) Personen, deren Wertpapierdienstleistung oder Anlagetätigkeit nur im Handel für eigene Rechnung besteht, sofern sie keine Marketmaker sind oder in organisierter und systematischer Weise häufig für eigene Rechnung außerhalb eines geregelten Marktes oder eines MTF Handel treiben, indem sie ein für Dritte zugängliches System anbieten, um mit ihnen Geschäfte durchzuführen; e) Personen, deren Wertpapierdienstleistungen ausschließlich in der Verwaltung von Systemen der Arbeitnehmerbeteiligung bestehen; f) Personen, die als einzige Wertpapierdienstleistungen sowohl die Verwaltung von Systemen der Arbeitnehmerbeteiligung als auch Wertpapierdienstleistungen ausschließlich für ihre Mutterunternehmen, ihre Tochterunternehmen oder andere Tochterunternehmen ihrer Mutterunternehmen erbringen; g) die Mitglieder des Europäischen Systems der Zentralbanken und andere nationale Stellen mit ähnlichen Aufgaben sowie andere staatliche Stellen, die für die staatliche Schuldenverwaltung zuständig oder daran beteiligt sind; h) Organismen für gemeinsame Anlagen und Pensionsfonds, unabhängig davon, ob sie auf Gemeinschaftsebene koordiniert werden, sowie die Verwahrer und Verwalter solcher Organismen; i) Personen, die für eigene Rechnung mit Finanzinstrumenten handeln oder Wertpapierdienstleistungen in Bezug auf Warenderivate oder die in Anhang I Abschnitt C Nummer 10 aufgeführten Derivatkontrakte für die Kunden ihrer Haupttätigkeit erbringen, sofern dies auf Ebene der Unternehmensgruppe eine Nebentätigkeit zu ihrer Haupttätigkeit darstellt und diese Haupttätigkeit weder in der Erbringung von Wertpapierdienstleistungen im Sinne der vorliegenden Richtlinie noch in der Erbringung von Bankdienstleistungen im Sinne der Richtlinie 2000/12/EG besteht; j) Personen, die im Rahmen einer anderen, nicht unter diese Richtlinie fallenden beruflichen Tätigkeit Anlageberatung betreiben, sofern eine solche Beratung nicht besonders vergütet wird; k) Personen, deren Haupttätigkeit im Handel für eigene Rechnung mit Waren und/oder Warenderivaten besteht. Diese Ausnahme gilt nicht, wenn die Personen, die Handel auf eigene

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Rechung mit Waren und/oder Warenderivaten betreiben, Teil einer Gruppe sind, deren Haupttätigkeit im Erbringen von Wertpapierdienstleistungen im Sinne der vorliegenden Richtlinie bzw. von Bankdienstleistungen im Sinne der Richtlinie 2000/12/EG besteht; l) Firmen, deren Wertpapierdienstleistung und/ oder Anlagetätigkeit ausschließlich darin besteht, für eigene Rechnung auf Finanzterminoder Optionsmärkten oder sonstigen Derivatemärkten und auf Kassamärkten nur zur Absicherung von Positionen auf Derivatemärkten tätig zu werden oder für Rechnung anderer Mitglieder dieser Märkte tätig zu werden oder für diese einen Preis zu machen, und die durch eine Garantie von Clearingmitgliedern der gleichen Märkte abgedeckt sind; die Verantwortung für die Erfüllung der von solchen Firmen abgeschlossenen Geschäfte wird von Clearingmitgliedern der gleichen Märkte übernommen; m) Vereinigungen, die von dänischen und finnischen Pensionsfonds mit dem ausschließlichen Ziel gegründet wurden, die Vermögenswerte von Pensionsfonds zu verwalten, die Mitglieder dieser Vereinigungen sind; n) „agenti di cambio“, deren Tätigkeiten und Aufgaben in Artikel 201 des italienischen Gesetzesdekrets Nr. 58 vom 24. Februar 1998 geregelt sind. (2) Die durch diese Richtlinie verliehenen Rechte erfassen nicht die Erbringung von Dienstleistungen als Gegenpartei bei Geschäften, die von staatlichen Stellen der staatlichen Schuldenverwaltung oder von Mitgliedern des Europäischen Systems der Zentralbanken in Wahrnehmung ihrer Aufgaben gemäß dem Vertrag und dem Statut des Europäischen Systems der Zentralbanken und der Europäischen Zentralbank oder in Wahrnehmung vergleichbarer Aufgaben gemäß nationalen Vorschriften getätigt werden. (3) Um den Entwicklungen auf den Finanzmärkten Rechnung zu tragen und die einheitliche Anwendung dieser Richtlinie sicherzustellen, kann die Kommission für die Ausnahmen gemäß Buchstaben c, i und k Kriterien festlegen, nach denen sich bestimmt, wann eine Tätigkeit auf Ebene der Unternehmensgruppe als Nebentätigkeit zur Haupttätigkeit gilt und wann eine Tätigkeit als nur gelegentlich erbracht gilt. Diese Maßnahmen zur Änderung nicht wesentlicher Bestimmungen dieser Richtlinie durch Ergänzung werden nach dem in Artikel 64 Absatz 2 genannten Regelungsverfahren mit Kontrolle erlassen.

Artikel 3

– nicht berechtigt sind, Gelder oder Wertpapiere von Kunden zu halten und die sich aus diesem Grund zu keinem Zeitpunkt gegenüber ihren Kunden in einer Debet-Position befinden dürfen, und – nicht zur Erbringung von Wertpapierdienstleistungen berechtigt sind, außer zur Annahme und Übermittlung von Aufträgen in Bezug auf übertragbare Wertpapiere und Anteilen von Organismen für gemeinsame Anlagen sowie zur Anlageberatung in Bezug auf solche Finanzinstrumente und – bei der Erbringung dieser Dienstleistung Aufträge nur übermitteln dürfen an i) gemäß dieser Richtlinie zugelassene Wertpapierfirmen, ii) gemäß der Richtlinie 2000/12/EG zugelassene Kreditinstitute, iii) in einem Drittland zugelassene Zweigniederlassungen von Wertpapierfirmen oder Kreditinstituten, die Aufsichtsbestimmungen unterliegen und einhalten, die nach Auffassung der zuständigen Behörden mindestens genauso streng sind wie diejenigen der vorliegenden Richtlinie, der Richtlinie 2000/12/EG oder der Richtlinie 93/6/EWG, iv) Organismen für gemeinsame Anlagen, die nach dem Recht eines Mitgliedstaats ihre Anteile öffentlich vertreiben dürfen, sowie die Leiter solcher Organismen, v) Investmentgesellschaften mit festem Kapital im Sinne des Artikels 15 Absatz 4 der Zweiten Richtlinie 77/91/EWG des Rates vom 13. Dezember 1976 zur Koordinierung der Schutzbestimmungen, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Sinne des Artikels 58 Absatz 2 des Vertrags im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter für die Gründung der Aktiengesellschaft sowie für die Erhaltung und Änderung ihres Kapitals vorgeschrieben sind, um diese Bestimmungen gleichwertig zu gestalten(17), deren Wertpapiere an einem geregelten Markt in einem Mitgliedstaat notiert oder gehandelt werden, sofern die Tätigkeiten dieser Firmen auf nationaler Ebene geregelt sind. (2) Personen, die gemäß Absatz 1 aus dem Anwendungsbereich dieser Richtlinie ausgeschlossen sind, können die Freiheit der Wertpapierdienstleistung und/oder Anlagetätigkeit oder die Freiheit der Errichtung von Zweigniederlassungen gemäß den Artikeln 31 und 32 nicht in Anspruch nehmen.

Fakultative Ausnahmen (1) Die Mitgliedstaaten können beschließen, dass diese Richtlinie nicht für Personen gilt, für die sie Herkunftsmitgliedstaat sind, und die

(17) ABl. L 26 vom 31.1.1977, S. 1. Zuletzt geändert durch die Beitrittsakte von 1994.

Die MiFID Artikel 4 Begriffsbestimmungen (1) Für die Zwecke dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck 1. Wertpapierfirma: jede juristische Person, die im Rahmen ihrer üblichen beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit gewerbsmäßig eine oder mehrere Wertpapierdienstleistungen für Dritte erbringt und/oder eine oder mehrere Anlagetätigkeiten ausübt. Die Mitgliedstaaten können als Wertpapierfirma auch Unternehmen, die keine juristischen Personen sind, definieren, sofern a) ihre Rechtsform Dritten ein Schutzniveau bietet, das dem von juristischen Personen gebotenen Schutz gleichwertig ist, und b) sie einer gleichwertigen und ihrer Rechtsform angemessenen Aufsicht unterliegen. Erbringt eine natürliche Person jedoch Dienstleistungen, die das Halten von Geldern oder übertragbaren Wertpapieren Dritter umfassen, so kann sie nur dann als Wertpapierfirma im Sinne dieser Richtlinie gelten, wenn sie unbeschadet der sonstigen Anforderungen der vorliegenden Richtlinie und der Richtlinie 93/6/ EWG folgende Bedingungen erfüllt: a) Die Eigentumsrechte Dritter an Wertpapieren und Geldern müssen insbesondere im Falle der Insolvenz der Firma oder ihrer Eigentümer, einer Pfändung, einer Aufrechnung oder anderer von den Gläubigern der Firma oder ihrer Eigentümer geltend gemachter Ansprüche gewahrt werden; b) die Firma muss Vorschriften zur Überwachung ihrer Solvenz einschließlich der ihrer Eigentümer unterworfen sein; c) der Jahresabschluss der Firma muss von einer oder mehreren nach nationalem Recht zur Rechnungsprüfung befugten Person(en) geprüft werden; d) hat eine Firma nur einen Eigentümer, so muss dieser entsprechende Vorkehrungen zum Schutz der Anleger für den Fall treffen, dass die Firma ihre Geschäftstätigkeit aufgrund seines Ablebens, seiner Geschäftsunfähigkeit oder einer vergleichbaren Gegebenheit einstellt. 2. Wertpapierdienstleistungen und Anlagetätigkeiten: jede in Anhang I Abschnitt A genannte Dienstleistung und Tätigkeit, die sich auf eines der Instrumente in Anhang I Abschnitt C bezieht. Die Kommission legt Folgendes fest: – in Anhang I Abschnitt C Nummer 7 genannten Derivatkontrakte, die Merkmale anderer

1147 derivativer Finanzinstrumente aufweisen, wobei unter anderem berücksichtigt wird, ob Clearing und Abwicklung über anerkannte Clearingstellen erfolgen oder ob eine Margin-Einschusspflicht besteht; – die in Anhang I Abschnitt C Nummer 10 genannten Derivatkontrakte, die Merkmale anderer derivativer Finanzinstrumente aufweisen, wobei unter anderem berücksichtigt wird, ob sie auf einem geregelten Markt oder einem MTF gehandelt werden, ob Clearing und Abwicklung über anerkannte Clearingstellen erfolgen oder ob eine Margin-Einschusspflicht besteht;

3. Nebendienstleistung: jede in Anhang I Abschnitt B genannte Dienstleistung. 4. Anlageberatung: die Abgabe persönlicher Empfehlungen an einen Kunden entweder auf dessen Aufforderung oder auf Initiative der Wertpapierfirma, die sich auf ein oder mehrere Geschäfte mit Finanzinstrumenten beziehen. 5. Ausführung von Aufträgen im Namen von Kunden: die Tätigkeit zum Abschluss von Vereinbarungen, ein oder mehrere Finanzinstrumente im Namen von Kunden zu kaufen oder zu verkaufen. 6. Handel für eigene Rechnung: den Handel unter Einsatz des eigenen Kapitals, der zum Abschluss von Geschäften mit einem oder mehreren Finanzinstrumenten führt. 7. Systematischer Internalisierer: eine Wertpapierfirma, die in organisierter und systematischer Weise häufig regelmäßig Handel für eigene Rechnung durch Ausführung von Kundenaufträgen außerhalb eines geregelten Marktes oder eines MTF treibt. 8. Marketmaker: eine Person, die an den Finanzmärkten auf kontinuierlicher Basis ihre Bereitschaft anzeigt, durch den An- und Verkauf von Finanzinstrumenten unter Einsatz des eigenen Kapitals Handel für eigene Rechnung zu von ihr gestellten Kursen zu betreiben. 9. Portfolioverwaltung: die Verwaltung von Portfolios auf Einzelkundenbasis mit einem Ermessensspielraum im Rahmen eines Mandats des Kunden, sofern diese Portfolios ein oder mehrere Finanzinstrumente enthalten. 10. Kunde: jede natürliche oder juristische Person, für die eine Wertpapierfirma Wertpapierdienstleistungen und/oder Nebendienstleistungen erbringt. 11. Professioneller Kunde: einen Kunden, der die in Anhang II genannten Kriterien erfüllt. 12. Kleinanleger: einen Kunden, der kein professioneller Kunde ist. 13. Marktbetreiber: eine Person oder Personen, die das Geschäft eines geregelten Marktes verwaltet/verwalten und/oder betreibt/betreiben. Marktbetreiber kann der geregelte Markt selbst sein.

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Kapitalmarktrechtliche Rechtsakte

14. Geregelter Markt: ein von einem Marktbetreiber betriebenes und/ oder verwaltetes multilaterales System, das die Interessen einer Vielzahl Dritter am Kauf und Verkauf von Finanzinstrumenten innerhalb des Systems und nach seinen nichtdiskretionären Regeln in einer Weise zusammenführt oder das Zusammenführen fördert, die zu einem Vertrag in Bezug auf Finanzinstrumente führt, die gemäß den Regeln und/oder den Systemen des Marktes zum Handel zugelassen wurden, sowie eine Zulassung erhalten hat und ordnungsgemäß und gemäß den Bestimmungen des Titels III funktioniert. 15. Multilaterales Handelssystem (MTF): ein von einer Wertpapierfirma oder einem Marktbetreiber betriebenes multilaterales System, das die Interessen einer Vielzahl Dritter am Kauf und Verkauf von Finanzinstrumenten innerhalb des Systems und nach nichtdiskretionären Regeln in einer Weise zusammenführt, die zu einem Vertrag gemäß den Bestimmungen des Titels II führt. 16. Limitauftrag: einen Auftrag zum Kauf oder Verkauf eines Finanzinstruments innerhalb eines festgelegten Kurslimits oder besser und in einem festgelegten Umfang. 17. Finanzinstrument: die in Anhang I Abschnitt C genannten Instrumente. 18. Übertragbare Wertpapiere: die Gattungen von Wertpapieren, die auf dem Kapitalmarkt gehandelt werden können, mit Ausnahme von Zahlungsinstrumenten, wie a) Aktien und andere, Aktien oder Anteilen an Gesellschaften, Personengesellschaften oder anderen Rechtspersönlichkeiten gleichzustellende Wertpapiere sowie Aktienzertifikate; b) Schuldverschreibungen oder andere verbriefte Schuldtitel, einschließlich Zertifikaten (Hinterlegungsscheinen) für solche Wertpapiere; c) alle sonstigen Wertpapiere, die zum Kauf oder Verkauf solcher Wertpapiere berechtigen oder zu einer Barzahlung führen, die anhand von übertragbaren Wertpapieren, Währungen, Zinssätzen oder -erträgen, Waren oder anderen Indizes oder Messgrößen bestimmt wird. 19. Geldmarktinstrumente: die üblicherweise auf dem Geldmarkt gehandelten Gattungen von Instrumenten, wie Schatzanweisungen, Einlagenzertifikate und Commercial Papers, mit Ausnahme von Zahlungsinstrumenten. 20. Herkunftsmitgliedstaat:

ii) wenn die Wertpapierfirma eine juristische Person ist, der Mitgliedstaat, in dem sie ihren Sitz hat; iii) wenn die Wertpapierfirma gemäß dem für sie maßgebenden nationalen Recht keinen Sitz hat, der Mitgliedstaat, in dem sich ihre Hauptverwaltung befindet. b) Im Falle eines geregelten Marktes: der Mitgliedstaat, in dem der geregelte Markt registriert ist oder – sofern er gemäß dem Recht dieses Mitgliedstaats keinen Sitz hat – der Mitgliedstaat, in dem sich die Hauptverwaltung des geregelten Marktes befindet. 21. Aufnahmemitgliedstaat: einen Mitgliedstaat, der nicht der Herkunftsmitgliedstaat ist und in dem eine Wertpapierfirma eine Zweigniederlassung hat oder Dienstleistungen erbringt und/oder Tätigkeiten ausübt, oder ein Mitgliedstaat, in dem ein geregelter Markt geeignete Vorkehrungen bietet, um in diesem Mitgliedstaat niedergelassenen Fernmitgliedern oder -teilnehmern den Zugang zum Handel über sein System zu erleichtern. 22. Zuständige Behörde: die Behörde, die von jedem Mitgliedstaat gemäß Artikel 48 benannt wird, sofern diese Richtlinie nichts anderes bestimmt. 23. Kreditinstitute: Kreditinstitute im Sinne der Richtlinie 2000/12/EG. 24. OGAW-Verwaltungsgesellschaft: eine Verwaltungsgesellschaft im Sinne der Richtlinie 85/611/EWG des Rates vom 20. Dezember 1985 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften betreffend bestimmte Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren (OGAW)(18). 25. Vertraglich gebundener Vermittler; eine natürliche oder juristische Person, die unter unbeschränkter und vorbehaltsloser Haftung einer einzigen Wertpapierfirma, für die sie tätig ist, Wertpapier- und/oder Nebendienstleistungen für Kunden oder potenzielle Kunden erbringt, Weisungen oder Aufträge des Kunden in Bezug auf Wertpapierdienstleistungen oder Finanzinstrumente annimmt und weiterleitet, Finanzinstrumente platziert und/oder Kunden oder potenzielle Kunden bezüglich dieser Finanzinstrumente oder Dienstleistungen berät. 26. Zweigniederlassung: eine Betriebsstelle, die nicht die Hauptverwaltung ist, die einen rechtlich unselbstständigen Teil einer Wertpapierfirma bildet und Wertpapierdienstleistungen, gegebenenfalls auch Nebendienstleistungen, erbringt und/oder Anlagetätigkeiten ausübt, für die der Wertpapierfirma eine Zulassung erteilt

a) Im Falle von Wertpapierfirmen: i) wenn die Wertpapierfirma eine natürliche Person ist, der Mitgliedstaat, in dem sich ihre Hauptverwaltung befindet;

(18) ABl. L 375 vom 31.12.1985, S. 3. Zuletzt geändert durch die Richtlinie 2001/108/EG des Europäischen Parlaments und des Rates (ABl. L 41 vom 13.2.2002, S. 35).

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Die MiFID wurde; alle Geschäftsstellen einer Wertpapierfirma mit Hauptverwaltung in einem anderen Mitgliedstaat, die sich in ein und demselben Mitgliedstaat befinden, gelten als eine einzige Zweigniederlassung. 27. Qualifizierte Beteiligung: das direkte oder indirekte Halten einer Beteiligung an einer Wertpapierfirma von mindestens 10 % des Kapitals oder der Stimmrechte gemäß den Artikeln 9 und 10 der Richtlinie 2004/109/EG(19) unter Berücksichtigung der Voraussetzungen für das Zusammenrechnen der Beteiligungen nach Artikel 12 Absätze 4 und 5 jener Richtlinie oder die Möglichkeit der Ausübung eines maßgeblichen Einflusses auf die Geschäftsführung einer Wertpapierfirma, an der eine direkte oder indirekte Beteiligung gehalten wird. 28. Mutterunternehmen: ein Mutterunternehmen im Sinne der Artikel 1 und 2 der Siebten Richtlinie 83/349/EWG des Rates vom 13. Juni 1983 über den konsolidierten Abschluss(20). 29. Tochterunternehmen: ein Tochterunternehmen im Sinne der Artikel 1 und 2 der Richtlinie 83/349/EWG, einschließlich aller Tochterunternehmen eines Tochterunternehmens des an der Spitze stehenden Mutterunternehmens. 30. Kontrolle: die Kontrolle im Sinne des Artikels 1 der Richtlinie 83/349/EWG. 31. Enge Verbindungen: eine Situation, in der zwei oder mehr natürliche oder juristische Personen verbunden sind durch a) Beteiligung, d.h. das direkte Halten oder das Halten im Wege der Kontrolle von mindestens 20% der Stimmrechte oder des Kapitals an einem Unternehmen, b) Kontrolle, d.h. das Verhältnis zwischen einem Mutterunternehmen und einem Tochterunternehmen in allen Fällen des Artikels 1 Absätze 1 und 2 der Richtlinie 83/349/EWG oder ein ähnliches Verhältnis zwischen einer natürlichen oder juristischen Person und einem Unternehmen; jedes Tochterunternehmen eines Tochterunternehmens wird ebenfalls als Tochterunternehmen des Mutterunternehmens angesehen, das an der Spitze dieser Unternehmen steht. Eine Situation, in der zwei oder mehr natürliche oder juristische Personen mit ein und derselben Person durch ein Kontrollverhältnis dauerhaft

(19) Richtlinie 2004/109/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Dezember 2004 zur Harmonisierung der Transparenzanforderungen in Bezug auf Informationen über Emittenten, deren Wertpapiere zum Handel auf einem geregelten Markt zugelassen sind (ABl. L 390 vom 31.12.2004, S. 38). (20) ABl. L 193 vom 18.7.1983, S. 1. Zuletzt geändert durch die Richtlinie 2003/51/EG des Europäischen Parlaments und des Rates (ABl. L 178 vom 17.7.2003, S. 16).

verbunden sind, gilt ebenfalls als enge Verbindung zwischen diesen Personen. (2) Um den Entwicklungen auf den Finanzmärkten Rechnung zu tragen und die einheitliche Anwendung dieser Richtlinie sicherzustellen, kann die Kommission die Begriffsbestimmungen in Absatz 1 des vorliegenden Artikels präzisieren. Die Maßnahmen gemäß diesem Artikel zur Änderung nicht wesentlicher Bestimmungen dieser Richtlinie durch Ergänzung werden nach dem in Artikel 64 Absatz 2 genannten Regelungsverfahren mit Kontrolle erlassen.

TITEL II ZULASSUNG VON WERTPAPIERFIRMEN UND BEDINGUNGEN FÜR DIE AUSÜBUNG DER TÄTIGKEIT

KAPITEL 1 ZULASSUNGSBEDINGUNGEN UND -VERFAHREN

Artikel 5 Zulassungsanforderung (1) Jeder Mitgliedstaat schreibt vor, dass die Erbringung von Wertpapierdienstleistungen oder die Ausübung von Anlagetätigkeiten als übliche berufliche oder gewerbliche Tätigkeit der vorherigen Zulassung gemäß diesem Kapitel bedarf. Diese Zulassung wird von der gemäß Artikel 48 benannten zuständigen Behörde des Herkunftsmitgliedstaates erteilt. (2) Abweichend von Absatz 1 gestatten die Mitgliedstaaten allen Marktbetreibern, ein MTF zu betreiben, sofern zuvor festgestellt wurde, dass sie den Bestimmungen dieses Kapitels – mit Ausnahme der Artikel 11 und 15 – nachkommen. (3) Die Mitgliedstaaten registrieren sämtliche Wertpapierfirmen. Dieses Register ist öffentlich zugänglich und enthält Informationen über die Dienstleistungen und/oder Tätigkeiten, für die die Wertpapierfirma zugelassen ist. Das Register wird regelmäßig aktualisiert. Jede Zulassung wird der durch die Verordnung (EU) Nr. 1095/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates(21) eingerichteten Europäischen Aufsichtsbehörde (Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde) (im Folgenden „ESMA“) mitgeteilt. Die ESMA erstellt ein Verzeichnis sämtlicher Wertpapierfirmen in der Union. Das Verzeichnis enthält

(21) ABl. L 331 vom 15.12.2010, S. 84.

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Kapitalmarktrechtliche Rechtsakte

Informationen über die Dienstleistungen und/oder Tätigkeiten, für die die Wertpapierfirma zugelassen ist, und es wird regelmäßig aktualisiert. Die ESMA veröffentlicht dieses Verzeichnis auf ihrer Website und aktualisiert es regelmäßig. Hat eine zuständige Behörde gemäß Artikel 8 Buchstaben b bis d eine Zulassung entzogen, so wird dies für einen Zeitraum von fünf Jahren im Verzeichnis veröffentlicht. (4) Jeder Mitgliedstaat schreibt vor, dass – jede Wertpapierfirma, die eine juristische Person ist, ihre Hauptverwaltung im selben Mitgliedstaat hat wie ihren Sitz, – jede Wertpapierfirma, die keine juristische Person ist, oder jede Wertpapierfirma, die eine juristische Person ist, aber gemäß dem für sie geltenden nationalen Recht keinen Sitz hat, ihre Hauptverwaltung in dem Mitgliedstaat hat, in dem sie ihre Geschäftstätigkeit tatsächlich ausübt. (5) Im Falle von Wertpapierfirmen, die lediglich Anlageberatungen vornehmen oder die Dienstleistung der Entgegennahme und Weiterleitung von Aufträgen unter den Bedingungen des Artikels 3 erbringen, können die Mitgliedstaaten der zuständigen Behörde gestatten, Verwaltungs-, Vorbereitungs- oder Nebenaufgaben im Zusammenhang mit der Erteilung der Zulassung im Einklang mit den Bedingungen des Artikels 48 Absatz 2 zu übertragen.

Artikel 6 Umfang der Zulassung (1) Der Herkunftsmitgliedstaat stellt sicher, dass in der Zulassung die Wertpapierdienstleistungen oder Anlagetätigkeiten spezifiziert werden, die die Wertpapierfirma erbringen bzw. ausüben darf. Die Zulassung kann sich auch auf eine oder mehrere der in Anhang I Abschnitt B genannten Nebendienstleistungen erstrecken. Die Zulassung wird auf keinen Fall lediglich für die Erbringung von Nebendienstleistungen erteilt. (2) Eine Wertpapierfirma, die um eine Zulassung zur Ausweitung ihrer Tätigkeit auf zusätzliche Wertpapierdienstleistungen oder Anlagetätigkeiten oder Nebendienstleistungen ersucht, die bei der Erstzulassung nicht vorgesehen waren, stellt einen Antrag auf Ausweitung ihrer Zulassung. (3) Die Zulassung ist in der gesamten Gemeinschaft gültig und gestattet einer Wertpapierfirma, Wertpapierdienstleistungen oder Anlagetätigkeiten, für die ihr eine Zulassung erteilt wurde, in der gesamten Gemeinschaft zu erbringen bzw. auszuüben; dies kann entweder durch Errichtung einer Zweigniederlassung oder im Rahmen des freien Dienstleistungsverkehrs geschehen.

Artikel 7 Verfahren für die Erteilung der Zulassung und die Ablehnung von Anträgen auf Zulassung (1) Die zuständige Behörde erteilt eine Zulassung erst dann, wenn ihr hinreichend nachgewiesen wurde, dass der Antragsteller sämtliche Anforderungen der Vorschriften zur Durchführung dieser Richtlinie erfüllt. (2) Die Wertpapierfirma übermittelt sämtliche Informationen, einschließlich eines Geschäftsplans, aus dem unter anderem die Art der geplanten Geschäfte und der organisatorische Aufbau hervorgehen, damit die zuständige Behörde sich davon überzeugen kann, dass die Wertpapierfirma bei der Erstzulassung alle erforderlichen Vorkehrungen getroffen hat, um den Verpflichtungen gemäß diesem Kapitel nachzukommen. (3) Dem Antragsteller wird binnen sechs Monaten nach Einreichung eines vollständigen Antrags mitgeteilt, ob eine Zulassung erteilt wird oder nicht. (4) Um eine kohärente Harmonisierung dieses Artikels und von Artikel 9 Absätze 2 bis 4, Artikel 10 Absätze 1 und 2 zu gewährleisten, kann die ESMA Entwürfe technischer Regulierungsstandards entwickeln, um Folgendes zu bestimmen: a) die nach Artikel 7 Absatz 2 an die zuständige Behörde zu übermittelnden Informationen einschließlich des Geschäftsplans; b) die für die Leitung von Wertpapierfirmen nach Artikel 9 Absatz 4 geltenden Anforderungen und die Informationen für die Mitteilungen nach Artikel 9 Absatz 2; c) die Anforderungen an Aktionäre und Mitglieder mit qualifizierten Beteiligungen sowie die Umstände, die die zuständige Behörde an der ordnungsgemäßen Wahrnehmung ihrer Überwachungsfunktionen hindern könnten, nach Artikel 10 Absätze 1 und 2. Der Kommission wird die Befugnis übertragen, die in Unterabsatz 1 genannten technischen Regulierungsstandards gemäß Artikel 10 bis 14 der Verordnung (EU) Nr. 1095/2010 zu erlassen. Um einheitliche Bedingungen für die Anwendung von Artikel 7 Absatz 2 und Artikel 9 Absatz 2 sicherzustellen, kann die ESMA Entwürfe technischer Durchführungsstandards entwickeln, um Standardformulare, Mustertexte und Verfahren für die in diesen Artikeln vorgesehenen Mitteilungen oder die Bereitstellung von Informationen festzulegen. Der Kommission wird die Befugnis übertragen, die in Unterabsatz 4 genannten technischen Durchführungsstandards nach Artikel 15 der Verordnung (EU) Nr. 1095/2010 zu erlassen.

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Die MiFID Artikel 8 Entzug der Zulassung Die zuständige Behörde kann einer Wertpapierfirma die Zulassung entziehen, wenn diese Wertpapierfirma a) nicht binnen zwölf Monaten von der Zulassung Gebrauch macht, ausdrücklich auf sie verzichtet oder in den sechs vorhergehenden Monaten keine Wertpapierdienstleistungen erbracht oder Anlagetätigkeit ausgeübt hat, es sei denn, der betreffende Mitgliedstaat sieht in diesen Fällen das Erlöschen der Zulassung vor; b) die Zulassung aufgrund falscher Erklärungen oder auf sonstige rechtswidrige Weise erhalten hat; c) die Voraussetzungen, auf denen die Zulassung beruht, wie etwa die Erfüllung der Anforderungen der Richtlinie 93/6/EWG, nicht mehr erfüllt; d) in schwerwiegender Weise systematisch gegen die Bestimmungen zur Durchführung dieser Richtlinie verstoßen hat, die die Bedingungen für die Ausübung der Tätigkeit einer Wertpapierfirma regeln; e) einen der Fälle erfüllt, in denen das nationale Recht bezüglich Angelegenheiten, die außerhalb des Anwendungsbereichs dieser Richtlinie liegen, den Entzug vorsieht. Jeder Entzug der Zulassung wird der ESMA mitgeteilt.

Artikel 9 Personen, die die Geschäfte tatsächlich leiten (1) Die Mitgliedstaaten schreiben vor, dass die Personen, die die Geschäfte einer Wertpapierfirma tatsächlich leiten, gut beleumdet sind und über ausreichende Erfahrung verfügen, um die solide und umsichtige Führung der Wertpapierfirma sicherzustellen. Handelt es sich bei dem Marktbetreiber, der die Zulassung für den Betrieb eines MTF beantragt, und den Personen, die die Geschäfte des MTF tatsächlich leiten, um dieselben Personen, wie die, die die Geschäfte des geregelten Marktes tatsächlich leiten, so wird davon ausgegangen, dass diese Personen die Anforderungen des Unterabsatzes 1 erfüllen. (2) Die Mitgliedstaaten schreiben vor, dass die Wertpapierfirma der zuständigen Behörde sämtliche Veränderungen in der Geschäftsleitung zusammen mit allen Informationen übermittelt, die erforderlich sind, um zu beurteilen, ob neue zur Leitung der Firma bestellte Personen gut beleumdet sind und über ausreichende Erfahrung verfügen. (3) Die zuständige Behörde verweigert die Zulassung, wenn sie nicht davon überzeugt ist, dass die

Personen, die die Geschäfte der Wertpapierfirma tatsächlich leiten werden, gut beleumdet sind oder über ausreichende Erfahrung verfügen, oder wenn objektive und nachweisbare Gründe für die Vermutung vorliegen, dass die vorgeschlagenen Veränderungen in der Geschäftsleitung der Firma deren solide und umsichtige Führung gefährden. (4) Die Mitgliedstaaten schreiben vor, dass die Leitung von Wertpapierfirmen von mindestens zwei Personen wahrgenommen wird, die die Anforderungen des Absatzes 1 erfüllen. Abweichend von Unterabsatz 1 können die Mitgliedstaaten Wertpapierfirmen, die natürliche Personen sind, oder Wertpapierfirmen, die juristische Personen sind, aber in Übereinstimmung mit ihrer Satzung und den nationalen Rechtsvorschriften von einer einzigen natürlichen Person geführt werden, die Zulassung erteilen. Die Mitgliedstaaten schreiben jedoch vor, dass alternative Regelungen bestehen, die die solide und umsichtige Führung solcher Wertpapierfirmen gewährleisten.

Artikel 10 Aktionäre und Mitglieder mit qualifizierten Beteiligungen (1) Die zuständigen Behörden erteilen einer Wertpapierfirma erst dann die Zulassung zur Erbringung von Wertpapierdienstleistungen oder zur Ausübung von Anlagetätigkeiten, wenn ihnen die Namen der natürlichen oder juristischen Personen, die als Aktionäre oder Mitglieder direkt oder indirekt qualifizierte Beteiligungen halten, sowie die Höhe der jeweiligen Beteiligungen mitgeteilt wurden. Die zuständigen Behörden verweigern die Zulassung, wenn sie angesichts der Notwendigkeit, die solide und umsichtige Führung einer Wertpapierfirma zu gewährleisten, nicht von der Geeignetheit der Aktionäre oder Mitglieder, die qualifizierte Beteiligungen halten, überzeugt sind. Bestehen zwischen der Wertpapierfirma und anderen natürlichen oder juristischen Personen enge Verbindungen, so erteilt die zuständige Behörde die Zulassung nur, wenn diese Verbindungen die zuständige Behörde nicht an der ordnungsgemäßen Wahrnehmung ihrer Überwachungsfunktionen hindern. (2) Die zuständige Behörde verweigert die Zulassung, wenn die Rechts- oder Verwaltungsvorschriften eines Drittlandes, die für eine oder mehrere natürliche oder juristische Personen gelten, zu der bzw. denen das Unternehmen enge Verbindungen hat, oder Schwierigkeiten bei deren Anwendung die zuständige Behörde daran hindern, ihre Überwachungsfunktionen ordnungsgemäß wahrzunehmen. (3) Die Mitgliedstaaten schreiben vor, dass eine natürliche oder juristische Person oder gemeinsam handelnde natürliche oder juristische Personen

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Kapitalmarktrechtliche Rechtsakte

(im Folgenden „interessierter Erwerber“), die beschlossen hat bzw. haben, an einer Wertpapierfirma eine qualifizierte Beteiligung direkt oder indirekt zu erwerben oder eine derartige qualifizierte Beteiligung direkt oder indirekt zu erhöhen, mit der Folge, dass ihr Anteil an den Stimmrechten oder am Kapital 20 %, 30 % oder 50 % erreichen oder überschreiten würde oder die Wertpapierfirma ihr Tochterunternehmen würde (im Folgenden „beabsichtigter Erwerb“), den für die Wertpapierfirma, an der eine qualifizierte Beteiligung erworben oder erhöht werden soll, zuständigen Behörden zuerst schriftlich diese Tatsache unter Angabe des Umfangs der geplanten Beteiligung zusammen mit den in Artikel 10b Absatz 4 genannten einschlägigen Informationen anzuzeigen hat bzw. haben. Die Mitgliedstaaten schreiben vor, dass eine natürliche oder juristische Person, die beschlossen hat, ihre an einer Wertpapierfirma direkt oder indirekt gehaltene qualifizierte Beteiligung zu veräußern, zuerst die zuständigen Behörden schriftlich unterrichtet und den Umfang der geplanten Beteiligung anzeigt. Diese natürliche oder juristische Person hat den zuständigen Behörden ebenfalls anzuzeigen, wenn sie beschlossen hat, ihre qualifizierte Beteiligung so zu verringern, dass ihr Anteil an den Stimmrechten oder am Kapital 20 %, 30 % oder 50 % unterschreiten würde oder die Wertpapierfirma nicht mehr ihr Tochterunternehmen wäre. Die Mitgliedstaaten können davon absehen, die 30 %-Schwelle anzuwenden, wenn sie nach Artikel 9 Absatz 3 Buchstabe a der Richtlinie 2004/ 109/EG eine Schwelle von einem Drittel anwenden. Bei der Prüfung, ob die in diesem Artikel festgelegten Kriterien für eine qualifizierte Beteiligung erfüllt sind, berücksichtigen die Mitgliedstaaten nicht die Stimmrechte oder Kapitalanteile, die Wertpapierfirmen oder Kreditinstitute möglicherweise infolge einer Übernahme der Emission von Finanzinstrumenten und/oder Platzierung von Finanzinstrumenten mit fester Übernahmeverpflichtung im Sinne des Anhangs I Abschnitt A Nummer 6 halten, vorausgesetzt, diese Rechte werden zum einen nicht ausgeübt oder anderweitig benutzt, um in die Geschäftsführung des Emittenten einzugreifen, und zum anderen innerhalb eines Jahres nach dem Zeitpunkt des Erwerbs veräußert. (4) Die jeweils zuständigen Behörden arbeiten bei der Beurteilung des Erwerbs nach Maßgabe des Artikels 10b Absatz 1 (im Folgenden „Beurteilung“) eng zusammen, wenn es sich bei dem interessierten Erwerber um eine der nachfolgenden natürlichen oder juristischen Personen handelt: a) ein Kreditinstitut, ein Lebens-, Schaden- oder Rückversicherungsunternehmen, eine Wertpapierfirma oder eine OGAW-Verwaltungsgesellschaft, das bzw. die in einem anderen Mitgliedstaat oder anderen Sektor als dem, in dem der Erwerb beabsichtigt wird, zugelassen ist; b) ein Mutterunternehmen eines Kreditinstituts, eines Lebens-, Schaden- oder Rückversicherungsunternehmens, einer Wertpapierfirma oder

einer OGAW-Verwaltungsgesellschaft, das bzw. die in einem anderen Mitgliedstaat oder anderen Sektor als dem, in dem der Erwerb beabsichtigt wird, zugelassen ist; oder c) eine natürliche oder juristische Person, die ein Kreditinstitut, ein Lebens-, Schaden- oder Rückversicherungsunternehmen, eine Wertpapierfirma oder eine OGAW-Verwaltungsgesellschaft kontrolliert, das bzw. die in einem anderen Mitgliedstaat oder anderen Sektor als dem, in dem der Erwerb beabsichtigt wird, zugelassen ist. Die zuständigen Behörden tauschen untereinander unverzüglich die Informationen aus, die für die Beurteilung des Erwerbs wesentlich oder relevant sind. Dabei teilen die zuständigen Behörden einander alle einschlägigen Informationen auf Anfrage mit und übermitteln alle wesentlichen Informationen von sich aus. In der Entscheidung der zuständigen Behörde, die die Wertpapierfirma zugelassen hat, an der der Erwerb beabsichtigt wird, sind alle Bemerkungen oder Vorbehalte seitens der für den interessierten Erwerber zuständigen Behörde zu vermerken. (5) Die Mitgliedstaaten schreiben vor, dass eine Wertpapierfirma die zuständige Behörde unverzüglich davon zu unterrichten hat, wenn sie von einem Erwerb oder einer Abtretung von Beteiligungen an ihrem Kapital Kenntnis erhält, aufgrund deren diese Beteiligungen einen der in Absatz 3 Unterabsatz 1 genannten Schwellenwerte überoder unterschreiten. Ferner teilt eine Wertpapierfirma der zuständigen Behörde mindestens einmal jährlich die Namen der Aktionäre und Mitglieder, die qualifizierte Beteiligungen halten, sowie die jeweiligen Beteiligungsbeträge mit, die zum Beispiel aus den Mitteilungen anlässlich der Jahreshauptversammlung der Aktionäre und Mitglieder oder aus den Pflichtmeldungen der Gesellschaften hervorgehen, deren übertragbare Wertpapiere zum Handel an einem geregelten Markt zugelassen sind. (6) Die Mitgliedstaaten schreiben vor, dass die zuständige Behörde, falls der Einfluss der in Absatz 1 Unterabsatz 1 genannten Personen die umsichtige und solide Geschäftsführung der Wertpapierfirma gefährden könnte, die erforderlichen Maßnahmen ergreift, um diesen Zustand zu beenden. Diese Maßnahmen können Anträge auf einstweilige Verfügungen und/ oder die Verhängung von Sanktionen gegen die Direktoren und die Zuständigen der Geschäftsleitung oder die Suspendierung des Stimmrechts der Aktien und Anteile, die von den betreffenden Aktionären oder Mitgliedern gehalten werden, umfassen. Vergleichbare Maßnahmen werden in Bezug auf Personen ergriffen, die ihrer Pflicht zur vorherigen Unterrichtung der zuständigen Behörden beim Erwerb oder der Erhöhung einer qualifizierten Beteiligung nicht nachkommen. Wird eine Beteiligung trotz Einspruchs der zuständigen Behörden erwor-

Die MiFID ben, so sehen die Mitgliedstaaten unbeschadet der von ihnen zu verhängenden Sanktionen entweder vor, dass die entsprechenden Stimmrechte ausgesetzt werden oder die Stimmrechtsausübung ungültig ist oder für nichtig erklärt werden kann. Artikel 10a Beurteilungszeitraum (1) Die zuständigen Behörden bestätigen dem interessierten Erwerber umgehend, in jedem Fall jedoch innerhalb von zwei Arbeitstagen nach Erhalt der Anzeige nach Artikel 10 Absatz 3 Unterabsatz 1 sowie dem etwaigen anschließenden Erhalt der in Absatz 2 dieses Artikels genannten Informationen schriftlich deren Eingang. Die zuständigen Behörden verfügen über maximal 60 Arbeitstage ab dem Datum der schriftlichen Bestätigung des Eingangs der Anzeige und aller von dem Mitgliedstaat verlangten Unterlagen, die der Anzeige nach Maßgabe der in Artikel 10b Absatz 4 genannten Liste beizufügen sind (im Folgenden „Beurteilungszeitraum“), um die Beurteilung vorzunehmen. Die zuständigen Behörden teilen dem interessierten Erwerber zum Zeitpunkt der Bestätigung des Eingangs der Anzeige den Zeitpunkt des Ablaufs des Beurteilungszeitraums mit. (2) Die zuständigen Behörden können erforderlichenfalls bis spätestens am 50. Arbeitstag des Beurteilungszeitraums weitere Informationen anfordern, die für den Abschluss der Beurteilung notwendig sind. Diese Anforderung ergeht schriftlich unter Angabe der zusätzlich benötigten Informationen. Der Beurteilungszeitraum wird für die Dauer vom Zeitpunkt der Anforderung von Informationen durch die zuständigen Behörden bis zum Eingang der entsprechenden Antwort des interessierten Erwerbers unterbrochen. Diese Unterbrechung darf 20 Arbeitstage nicht überschreiten. Es liegt im Ermessen der zuständigen Behörden, weitere Ergänzungen oder Klarstellungen zu den Informationen anzufordern, doch darf dies nicht zu einer Unterbrechung des Beurteilungszeitraums führen. (3) Die zuständigen Behörden können die Unterbrechung nach Absatz 2 Unterabsatz 2 bis auf 30 Arbeitstage ausdehnen, wenn der interessierte Erwerber a) außerhalb der Gemeinschaft ansässig ist oder beaufsichtigt wird oder b) eine natürliche oder juristische Person ist, die nicht einer Beaufsichtigung nach dieser Richtlinie oder den Richtlinien 85/611/EWG, 92/49/ EWG(22), 2002/83/EG, 2005/68/EG(23) oder 2006/48/EG(24) unterliegt. (22) Richtlinie 92/49/EWG des Rates vom 18. Juni 1992 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Direktversicherung (mit Ausnahme der Lebensver-

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(4) Entscheiden die zuständigen Behörden nach Abschluss der Beurteilung, Einspruch gegen den beabsichtigten Erwerb zu erheben, so setzen sie den interessierten Erwerber davon innerhalb von zwei Arbeitstagen und unter Einhaltung des Beurteilungszeitraums schriftlich unter Angabe der Gründe für die Entscheidung in Kenntnis. Vorbehaltlich einzelstaatlicher Rechtsvorschriften kann eine Begründung der Entscheidung auf Antrag des interessierten Erwerbers der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Diese Bestimmung hindert die Mitgliedstaaten nicht daran, den zuständigen Behörden zu gestatten, die Entscheidungsgründe auch ohne entsprechenden Antrag des interessierten Erwerbers der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. (5) Erheben die zuständigen Behörden gegen den beabsichtigten Erwerb innerhalb des Beurteilungszeitraums schriftlich keinen Einspruch, so gilt dieser als genehmigt. (6) Die zuständigen Behörden können eine Frist für den Abschluss eines beabsichtigten Erwerbs festlegen und diese Frist gegebenenfalls verlängern. (7) Die Mitgliedstaaten dürfen an die Anzeige eines direkten oder indirekten Erwerbs von Stimmrechten oder Kapital an die zuständigen Behörden und die Genehmigung eines derartigen Erwerbs durch diese Behörden keine strengeren Anforderungen stellen, als in dieser Richtlinie vorgesehen ist. (8) Um eine kohärente Harmonisierung dieses Artikels zu gewährleisten, entwickelt die ESMA Entwürfe technischer Regulierungsstandards, um unbeschadet des Absatzes 2 eine erschöpfende Liste der gemäß Absatz 4 von interessierten Erwerbern in ihrer Anzeige vorzulegenden Informationen festzulegen. Die ESMA legt diese Entwürfe technischer Regulierungsstandards der Kommission bis spätestens 1. Januar 2014 vor. Der Kommission wird die Befugnis übertragen, die in Unterabsatz 1 genannten technischen Regulierungsstandards gemäß Artikel 10 bis 14 der Verordnung (EU) Nr. 1095/2010 zu erlassen. Um einheitliche Bedingungen für die Anwendung von Artikel 10, Artikel 10a und Artikel 10b sicherzustellen, entwickelt die ESMA Entwürfe technischer Durchführungsstandards, um Standardformulare, sicherung) (Dritte Richtlinie Schadenversicherung) (ABl. L 228 vom 11.8.1992, S. 1). Zuletzt geändert durch die Richtlinie 2007/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates (ABl. L 247 vom 21.9.2007, S. 1). (23) Richtlinie 2005/68/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. November 2005 über die Rückversicherung (ABl. L 323 vom 9.12.2005, S. 1). Geändert durch die Richtlinie 2007/44/EG. (24) Richtlinie 2006/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Juni 2006 über die Aufnahme und Ausübung der Tätigkeit der Kreditinstitute (Neufassung) (ABl. L 177 vom 30.6.2006, S. 1). Zuletzt geändert durch die Richtlinie 2007/44/EG.

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Kapitalmarktrechtliche Rechtsakte

Mustertexte und Verfahren für die Modalitäten des Konsultationsprozesses zwischen den jeweils zuständigen Behörden im Sinne von Artikel 10 Absatz 4 festzulegen. Die ESMA legt diese Entwürfe technischer Durchführungsstandards der Kommission vor dem 1. Januar 2014 vor. Der Kommission wird die Befugnis übertragen, die in Unterabsatz 4 genannten technischen Durchführungsstandards gemäß Artikel 15 der Verordnung (EU) Nr. 1095/2010 zu erlassen.

Artikel 10b Beurteilung (1) Bei der Beurteilung der Anzeige nach Artikel 10 Absatz 3 und der Informationen nach Artikel 10a Absatz 2 haben die zuständigen Behörden im Interesse einer soliden und umsichtigen Führung der Wertpapierfirma, an der der Erwerb beabsichtigt wird, und unter Berücksichtigung des voraussichtlichen Einflusses des interessierten Erwerbers auf die Wertpapierfirma die Eignung des interessierten Erwerbers und die finanzielle Solidität des beabsichtigten Erwerbs im Hinblick auf sämtliche folgende Kriterien zu prüfen: a) die Zuverlässigkeit des interessierten Erwerbers; b) die Zuverlässigkeit und die Erfahrung einer jeden Person, die die Geschäfte der Wertpapierfirma infolge des beabsichtigten Erwerbs leiten wird; c) die finanzielle Solidität des interessierten Erwerbers, insbesondere in Bezug auf die Art der tatsächlichen und geplanten Geschäfte der Wertpapierfirma, an der der Erwerb beabsichtigt wird; d) die Tatsache, ob die Wertpapierfirma in der Lage sein und bleiben wird, den Aufsichtsanforderungen aufgrund dieser Richtlinie und gegebenenfalls aufgrund anderer Richtlinien, insbesondere der Richtlinien 2002/87/EG(25) und 2006/49/EG(26) zu genügen, und insbesondere die Tatsache, ob die Gruppe, zu der sie gehören wird, über eine Struktur verfügt, die es ermöglicht, eine wirksame Beaufsichtigung auszuüben, einen wirksamen Austausch von Informationen zwischen den zuständigen Behörden durchzuführen und die Aufteilung der Zustän-

digkeiten zwischen den zuständigen Behörden zu bestimmen; e) die Tatsache, ob ein hinreichender Verdacht besteht, dass im Zusammenhang mit dem beabsichtigten Erwerb Geldwäsche oder Terrorismusfinanzierung im Sinne des Artikels 1 der Richtlinie 2005/60/EG(27) stattfinden, stattgefunden haben oder ob diese Straftaten versucht wurden bzw. ob der beabsichtigte Erwerb das Risiko eines solchen Verhaltens erhöhen könnte. Um künftigen Entwicklungen Rechnung zu tragen und eine einheitliche Anwendung dieser Richtlinie zu gewährleisten, kann die Kommission nach dem in Artikel 64 Absatz 2 genannten Verfahren Durchführungsmaßnahmen zur Anpassung der in Unterabsatz 1 des vorliegenden Absatzes festgelegten Kriterien erlassen. (2) Die zuständigen Behörden können gegen den beabsichtigten Erwerb nur dann Einspruch erheben, wenn es dafür vernünftige Gründe auf der Grundlage der in Absatz 1 genannten Kriterien gibt oder die vom interessierten Erwerber vorgelegten Informationen unvollständig sind. (3) Die Mitgliedstaaten dürfen weder Vorbedingungen an die Höhe der zu erwerbenden Beteiligung knüpfen noch ihren zuständigen Behörden gestatten, bei der Prüfung des beabsichtigten Erwerbs auf die wirtschaftlichen Bedürfnisse des Marktes abzustellen. (4) Die Mitgliedstaaten veröffentlichen eine Liste, in der die Informationen genannt werden, die für die Beurteilung erforderlich sind und die den zuständigen Behörden zum Zeitpunkt der Anzeige nach Artikel 10 Absatz 3 zu übermitteln sind. Der Umfang der beizubringenden Informationen hat der Art des interessierten Erwerbers und der Art des beabsichtigten Erwerbs angemessen und angepasst zu sein. Die Mitgliedstaaten fordern keine Informationen an, die für die aufsichtsrechtliche Beurteilung nicht relevant sind. (5) Werden der zuständigen Behörde zwei oder mehrere Vorhaben betreffend den Erwerb oder die Erhöhung von qualifizierten Beteiligungen an ein und derselben Wertpapierfirma angezeigt, so hat die Behörde unbeschadet des Artikels 10a Absätze 1, 2 und 3 alle interessierten Erwerber auf nicht diskriminierende Art und Weise zu behandeln. Artikel 11 Mitgliedschaft in einem zugelassenen Anlegerentschädigungssystem

(25) Richtlinie 2002/87/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2002 über die zusätzliche Beaufsichtigung der Kreditinstitute, Versicherungsunternehmen und Wertpapierfirmen eines Finanzkonglomerats (ABl. L 35 vom 11.2.2003, S. 1). Geändert durch die Richtlinie 2005/1/EG (ABl. L 79 vom 24.3.2005, S. 9). (26) Richtlinie 2006/49/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Juni 2006 über die angemessene Eigenkapitalausstattung von Wertpapierfirmen und Kreditinstituten (Neufassung) (ABl. L 177 vom 30.6.2006, S. 201).

Die zuständige Behörde überprüft, ob eine Rechtspersönlichkeit, die einen Antrag auf Zulassung als Wertpapierfirma gestellt hat, bei der Zulassung die (27) Richtlinie 2005/60/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Oktober 2005 zur Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems zum Zwecke der Geldwäsche und der Terrorismusfinanzierung (ABl. L 309 vom 25.11.2005, S. 15).

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Die MiFID Anforderungen der Richtlinie 97/9/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 3. März 1997 über Systeme für die Entschädigung der Anleger(28) erfüllt. Artikel 12 Anfangskapitalausstattung Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die zuständigen Behörden eine Zulassung nicht erteilen, wenn die Wertpapierfirma nicht über ausreichendes Anfangskapital gemäß den Anforderungen der Richtlinie 93/6/EWG verfügt, das für die jeweilige Wertpapierdienstleistung oder Anlagetätigkeit vorgeschrieben ist. Bis zur Revision der Richtlinie 93/6/EWG gelten für Wertpapierfirmen im Sinne des Artikels 67 die Eigenkapitalanforderungen jenes Artikels. Artikel 13 Organisatorische Anforderungen (1) Der Herkunftsmitgliedstaat schreibt vor, dass Wertpapierfirmen die organisatorischen Anforderungen der Absätze 2 bis 8 erfüllen. (2) Eine Wertpapierfirma sieht angemessene Strategien und Verfahren vor, die ausreichen, um sicherzustellen, dass die Firma, ihre Geschäftsleitung, Beschäftigten und vertraglich gebundenen Vermittler den Verpflichtungen gemäß dieser Richtlinie sowie den einschlägigen Vorschriften für persönliche Geschäfte dieser Personen nachkommen. (3) Eine Wertpapierfirma muss auf Dauer wirksame organisatorische und verwaltungsmäßige Vorkehrungen für angemessene Maßnahmen treffen, um zu verhindern, dass Interessenkonflikte im Sinne des Artikels 18 den Kundeninteressen schaden. (4) Eine Wertpapierfirma trifft angemessene Vorkehrungen, um die Kontinuität und Regelmäßigkeit der Wertpapierdienstleistungen und Anlagetätigkeiten zu gewährleisten. Zu diesem Zweck greift sie auf geeignete und verhältnismäßige Systeme, Ressourcen und Verfahren zurück. (5) Eine Wertpapierfirma stellt sicher, dass beim Rückgriff auf Dritte zur Wahrnehmung betrieblicher Aufgaben, die für die kontinuierliche und zufrieden stellende Erbringung bzw. Ausübung von Dienstleistungen für Kunden und Anlagetätigkeiten ausschlaggebend sind, angemessene Vorkehrungen getroffen werden, um unnötige zusätzliche Geschäftsrisiken zu vermeiden. Die Auslagerung wichtiger betrieblicher Aufgaben darf nicht dergestalt erfolgen, dass die Qualität der internen Kontrolle und die Fähigkeit der beaufsichtigenden Stelle zu überprüfen, ob das Unternehmen sämtlichen Anforderungen genügt, wesentlich beeinträchtigt werden.

(28) ABl. L 84 vom 26.3.1997, S. 22.

Eine Wertpapierfirma muss über eine ordnungsgemäße Verwaltung und Buchhaltung, interne Kontrollmechanismen, effiziente Verfahren zur Risikobewertung sowie wirksame Kontroll- und Sicherheitsmechanismen für Datenverarbeitungssysteme verfügen. (6) Eine Wertpapierfirma sorgt dafür, dass Aufzeichnungen über alle ihre Dienstleistungen und Geschäfte geführt werden, die ausreichen, um der zuständigen Behörde zu ermöglichen, die Einhaltung der Anforderungen dieser Richtlinie zu überprüfen und sich vor allem zu vergewissern, dass die Wertpapierfirma sämtlichen Verpflichtungen gegenüber den Kunden oder potenziellen Kunden nachgekommen ist. (7) Eine Wertpapierfirma, die Kunden gehörende Finanzinstrumente hält, trifft geeignete Vorkehrungen, um deren Eigentumsrechte – insbesondere für den Fall der Insolvenz der Wertpapierfirma – an diesen Instrumenten zu schützen und zu verhindern, dass die Finanzinstrumente eines Kunden ohne dessen ausdrückliche Zustimmung für eigene Rechnung verwendet werden. (8) Eine Wertpapierfirma, die Kunden gehörende Gelder hält, trifft geeignete Vorkehrungen, um die Rechte der Kunden zu schützen und – außer im Falle von Kreditinstituten – zu verhindern, dass die Gelder der Kunden für eigene Rechnung verwendet werden. (9) Im Falle von Zweigniederlassungen von Wertpapierfirmen ist die zuständige Behörde des Mitgliedstaats, in dem sich die Zweigniederlassung befindet, unbeschadet der direkten Zugriffsmöglichkeit der zuständigen Behörde des Herkunftsmitgliedstaats der Wertpapierfirma auf diese Aufzeichnungen, für die Kontrolle der Einhaltung von Absatz 6 in Bezug auf die von der Zweigniederlassung getätigten Geschäfte verantwortlich. (10) Um den technischen Entwicklungen auf den Finanzmärkten Rechnung zu tragen und die einheitliche Anwendung der Absätze 2 bis 9 sicherzustellen, erlässt die Kommission Durchführungsmaßnahmen, die festlegen, welche konkreten organisatorischen Anforderungen Wertpapierfirmen vorzuschreiben sind, die verschiedene Wertpapierdienstleistungen, Anlagetätigkeiten und/oder Nebendienstleistungen oder entsprechende Kombinationen erbringen oder ausüben. Diese Maßnahmen zur Änderung nicht wesentlicher Bestimmungen dieser Richtlinie durch Ergänzung werden nach dem in Artikel 64 Absatz 2 genannten Regelungsverfahren mit Kontrolle erlassen. Artikel 14 Handel und Abschluss von Geschäften über MTF (1) Die Mitgliedstaaten schreiben vor, dass Wertpapierfirmen oder Marktbetreiber, die ein MTF betreiben, neben der Einhaltung der Anforderungen des Artikel 13 transparente und nichtdiskretionäre

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Regeln und Verfahren für einen fairen und ordnungsgemäßen Handel sowie objektive Kriterien für die wirksame Ausführung von Aufträgen festlegen. (2) Die Mitgliedstaaten schreiben vor, dass Wertpapierfirmen oder Marktbetreiber, die ein MTF betreiben, transparente Regeln für die Kriterien aufstellen, nach denen sich bestimmt, welche Finanzinstrumente innerhalb ihrer Systeme gehandelt werden können. Die Mitgliedstaaten schreiben vor, dass Wertpapierfirmen oder Marktbetreiber, die ein MTF betreiben, gegebenenfalls ausreichende öffentlich zugängliche Informationen bereitstellen oder den Zugang zu solchen Informationen ermöglichen, damit seine Nutzer sich ein Urteil über die Anlagemöglichkeiten bilden können, wobei sowohl die Art der Nutzer als auch die Art der gehandelten Instrumente zu berücksichtigen ist. (3) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die Artikel 19, 21 und 22 nicht für Geschäfte gelten, die nach den für ein MTF geltenden Regeln zwischen dessen Mitgliedern oder Teilnehmern oder zwischen dem MTF und seinen Mitgliedern oder Teilnehmern in Bezug auf die Nutzung des MTF geschlossen werden. Die Mitglieder oder Teilnehmer des MTF müssen allerdings den Verpflichtungen der Artikel 19, 21 und 22 in Bezug auf ihre Kunden nachkommen, wenn sie im Namen ihrer Kunden deren Aufträge innerhalb des Systems eines MTF ausführen. (4) Die Mitgliedstaaten schreiben vor, dass Wertpapierfirmen oder Marktbetreiber, die ein MTF betreiben, transparente, auf objektiven Kriterien beruhende Regeln festlegen und einhalten, die den Zugang zu dem System regeln. Diese Regeln müssen den Bedingungen des Artikels 42 Absatz 3 genügen. (5) Die Mitgliedstaaten schreiben vor, dass Wertpapierfirmen oder Marktbetreiber, die ein MTF betreiben, seine Nutzer klar über ihre jeweilige Verantwortung für die Abrechnung der über das System abgewickelten Geschäfte informieren. Die Mitgliedstaaten schreiben vor, dass Wertpapierfirmen oder Marktbetreiber, die ein MTF betreiben, die erforderlichen Vorkehrungen getroffen haben müssen, um die wirksame Abrechnung der innerhalb der Systeme des MTF geschlossenen Geschäfte zu erleichtern. (6) Wird ein übertragbares Wertpapier, das zum Handel an einem geregelten Markt zugelassen wurde, auch ohne Zustimmung des Emittenten über ein MTF gehandelt, so entstehen dem Emittenten dadurch keine Verpflichtungen in Bezug auf die erstmalige, laufende oder punktuelle Veröffentlichung von Finanzinformationen für das MTF. (7) Die Mitgliedstaaten schreiben vor, dass Wertpapierfirmen oder Marktbetreiber, die ein MTF betreiben, unverzüglich jeder Anweisung ihrer zuständigen Behörde aufgrund von Artikel 50 Ab-

satz 1 nachkommen, ein Finanzinstrument vom Handel auszuschließen oder den Handel damit auszusetzen. Artikel 15 Beziehungen zu Drittländern (1) Die Mitgliedstaaten teilen der Kommission und der ESMA alle allgemeinen Schwierigkeiten mit, auf die ihre Wertpapierfirmen bei ihrer Niederlassung oder bei der Erbringung von Wertpapierdienstleistungen und/oder Anlagetätigkeiten in einem Drittland stoßen. (2) Stellt die Kommission aufgrund der ihr gemäß Absatz 1 übermittelten Informationen fest, dass ein Drittland Wertpapierfirmen der Union keinen effektiven Marktzugang gewährt, der demjenigen vergleichbar ist, den die Union den Wertpapierfirmen dieses Drittlands gewährt, unterbreitet die Kommission unter Berücksichtigung der Leitlinien der ESMA dem Rat Vorschläge, um ein geeignetes Mandat für Verhandlungen mit dem Ziel zu erhalten, für die Wertpapierfirmen der Union vergleichbare Wettbewerbschancen zu erreichen. Der Rat beschließt mit qualifizierter Mehrheit. Das Europäische Parlament wird gemäß Artikel 217 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) unverzüglich und umfassend in allen Phasen des Verfahrens unterrichtet. Die ESMA unterstützt die Kommission im Hinblick auf die Anwendung dieses Artikels. (3) Stellt die Kommission aufgrund der ihr gemäß Absatz 1 übermittelten Informationen fest, dass Wertpapierfirmen der Gemeinschaft in einem Drittland keine Inländerbehandlung derart erfahren, dass sie nicht die gleichen Wettbewerbsmöglichkeiten erhalten wie inländische Wertpapierfirmen, und dass die Bedingungen für einen effektiven Marktzugang nicht gegeben sind, so kann die Kommission Verhandlungen zur Änderung der Situation aufnehmen. Im Falle des Unterabsatzes 1 kann die Kommission nach dem in Artikel 64 Absatz 3 genannten Regelungsverfahren jederzeit und zusätzlich zur Einleitung von Verhandlungen beschließen, dass die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten ihre Entscheidungen über bereits eingereichte oder künftige Anträge auf Zulassung und über den Erwerb von Beteiligungen direkter oder indirekter, dem Recht des betreffenden Drittlands unterliegender Mutterunternehmen beschränken oder aussetzen müssen. Solche Beschränkungen oder Aussetzungen dürfen weder bei der Gründung von Tochterunternehmen durch in der Gemeinschaft ordnungsgemäß zugelassene Wertpapierfirmen oder ihre Tochterunternehmen noch beim Erwerb von Beteiligungen an Wertpapierfirmen der Gemeinschaft durch solche Wertpapierfirmen oder Tochterunternehmen angewandt werden. Die Laufzeit solcher Maßnahmen darf drei Monate nicht überschreiten.

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Die MiFID Vor Ablauf der in Unterabsatz 2 genannten Frist von drei Monaten kann die Kommission aufgrund der Verhandlungsergebnisse nach dem in Artikel 64 Absatz 3 genannten Regelungsverfahren die Fortführung dieser Maßnahmen beschließen. (4) Stellt die Kommission das Vorliegen einer in Absatz 2 oder 3 genannten Situation fest, so teilen ihr die Mitgliedstaaten auf Verlangen Folgendes mit: a) jeden Antrag auf Zulassung einer Wertpapierfirma, die direkt oder indirekt Tochterunternehmen eines Mutterunternehmens ist, das dem Recht des betreffenden Drittlands unterliegt; b) jede ihnen nach Artikel 10 Absatz 3 gemeldete Absicht eines solchen Mutterunternehmens, eine Beteiligung an einer Wertpapierfirma der Gemeinschaft zu erwerben, wodurch letztere dessen Tochterunternehmen würde. Diese Mitteilungspflicht endet, sobald ein Abkommen mit dem betreffenden Drittland geschlossen wurde oder wenn die in Absatz 3 Unterabsätze 2 und 3 genannten Maßnahmen nicht mehr zur Anwendung kommen. (5) Die nach diesem Artikel getroffenen Maßnahmen müssen mit den Verpflichtungen der Gemeinschaft vereinbar sein, die sich aus bi- oder multilateralen internationalen Abkommen über die Aufnahme oder Ausübung der Tätigkeiten von Wertpapierfirmen ergeben.

(3) Im Falle von Wertpapierfirmen, die lediglich Anlageberatung betreiben, können die Mitgliedstaaten der zuständigen Behörde gestatten, Verwaltungs-, Vorbereitungs- oder Nebenaufgaben im Zusammenhang mit der Überprüfung der Voraussetzungen für die Erteilung der Erstzulassung gemäß den Bedingungen des Artikels 48 Absatz 2 übertragen.

Artikel 17 Allgemeine Verpflichtung zur laufenden Überwachung (1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die zuständigen Behörden die Tätigkeit von Wertpapierfirmen überwachen, um die Einhaltung der Bedingungen für die Ausübung der Tätigkeit gemäß dieser Richtlinie zu beurteilen. Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass geeignete Maßnahmen vorhanden sind, damit die zuständigen Behörden die notwendigen Informationen erhalten, um die Einhaltung dieser Bedingungen durch die Wertpapierfirmen zu prüfen. (2) Im Falle von Wertpapierfirmen, die lediglich Anlageberatung betreiben, können die Mitgliedstaaten der zuständigen Behörde gestatten, Verwaltungs-, Vorbereitungs- oder Nebenaufgaben im Zusammenhang mit der regelmäßigen Überwachung der betrieblichen Voraussetzungen gemäß den Bedingungen des Artikels 48 Absatz 2 zu übertragen.

KAPITEL II

Artikel 18

BEDINGUNGEN FÜR DIE AUSÜBUNG DER TÄTIGKEIT VON WERTPAPIERFIRMEN

Interessenkonflikte

Abschnitt 1 Allgemeine Bestimmungen

Artikel 16 Regelmäßige Überprüfung der Voraussetzungen für die Erstzulassung (1) Die Mitgliedstaaten schreiben vor, dass eine in ihrem Hoheitsgebiet zugelassene Wertpapierfirma die Voraussetzungen für die Erstzulassung gemäß Kapitel I dieses Titels jederzeit erfüllen muss. (2) Die Mitgliedstaaten schreiben vor, dass die zuständigen Behörden durch geeignete Methoden überwachen, dass Wertpapierfirmen ihren Verpflichtungen gemäß Absatz 1 nachkommen. Sie schreiben vor, dass Wertpapierfirmen den zuständigen Behörden alle wichtigen Änderungen der Voraussetzungen für die Erteilung der Erstzulassung melden. Die ESMA kann Leitlinien für die in diesem Absatz genannten Überwachungsmethoden entwickeln.

(1) Die Mitgliedstaaten schreiben vor, dass Wertpapierfirmen alle angemessenen Vorkehrungen treffen, um Interessenkonflikte zwischen ihnen selbst, einschließlich ihrer Geschäftsleitung, ihren Beschäftigten und vertraglich gebundenen Vermittlern oder anderen Personen, die mit ihnen direkt oder indirekt durch Kontrolle verbunden sind, und ihren Kunden oder zwischen ihren Kunden untereinander zu erkennen, die bei der Erbringung von Wertpapierdienstleistungen oder Nebendienstleistungen oder einer Kombination davon entstehen. (2) Reichen die von der Wertpapierfirma gemäß Artikel 13 Absatz 3 getroffenen organisatorischen oder verwaltungsmäßigen Vorkehrungen zur Regelung von Interessenkonflikten nicht aus, um nach vernünftigem Ermessen zu gewährleisten, dass das Risiko der Beeinträchtigung von Kundeninteressen vermieden wird, so legt die Wertpapierfirma dem Kunden die allgemeine Art und/oder die Quellen von Interessenkonflikten eindeutig dar, bevor sie Geschäfte in seinem Namen tätigt. (3) Um den technischen Entwicklungen auf den Finanzmärkten Rechnung zu tragen und die einheitliche Anwendung der Absätze 1 und 2 sicher-

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zustellen, erlässt die Kommission Durchführungsmaßnahmen, um a) die Maßnahmen zu bestimmen, die von Wertpapierfirmen nach vernünftigem Ermessen erwartet werden können, um Interessenkonflikte zu erkennen, zu vermeiden, zu regeln und/oder offen zu legen, wenn sie verschiedene Arten von Wertpapierdienstleistungen und Nebendienstleistungen oder Kombinationen davon erbringen; b) geeignete Kriterien festzulegen, anhand derer die Typen von Interessenkonflikten bestimmt werden können, die den Interessen der Kunden oder potenziellen Kunden der Wertpapierfirma schaden könnten. Die Maßnahmen gemäß Unterabsatz 1 zur Änderung nicht wesentlicher Bestimmungen dieser Richtlinie durch Ergänzung werden nach dem in Artikel 64 Absatz 2 genannten Regelungsverfahren mit Kontrolle erlassen.

Abschnitt 2 Bestimmungen zum Anlegerschutz

Artikel 19 Wohlverhaltensregeln bei der Erbringung von Wertpapierdienstleistungen für Kunden (1) Die Mitgliedstaaten schreiben vor, dass eine Wertpapierfirma bei der Erbringung von Wertpapierdienstleistungen und/oder gegebenenfalls Nebendienstleistungen für ihre Kunden ehrlich, redlich und professionell im bestmöglichen Interesse ihrer Kunden handelt und insbesondere den Grundsätzen der Absätze 2 bis 8 genügt. (2) Alle Informationen, einschließlich MarketingMitteilungen, die die Wertpapierfirma an Kunden oder potenzielle Kunden richtet, müssen redlich, eindeutig und nicht irreführend sein. Marketing-Mitteilungen müssen eindeutig als solche erkennbar sein. (3) Kunden und potenziellen Kunden sind in verständlicher Form angemessene Informationen zur Verfügung zu stellen über – die Wertpapierfirma und ihre Dienstleistungen, – Finanzinstrumente und vorgeschlagene Anlagestrategien; dies sollte auch geeignete Leitlinien und Warnhinweise zu den mit einer Anlage in diese Finanzinstrumente oder mit diesen Anlagestrategien verbundenen Risiken umfassen, – Ausführungsplätze und – Kosten und Nebenkosten, so dass sie nach vernünftigem Ermessen die genaue Art und die Risiken der Wertpapierdienstleistungen und des speziellen Typs von Finanz-

instrument, der ihnen angeboten wird, verstehen können und somit auf informierter Grundlage Anlageentscheidungen treffen können. Diese Informationen können in standardisierter Form zur Verfügung gestellt werden. (4) Erbringt die Wertpapierfirma Anlageberatungoder Portfolio-Management, so holt sie die notwendigen Informationen über die Kenntnisse und Erfahrung des Kunden oder potenziellen Kunden im Anlagebereich in Bezug auf den speziellen Produkttyp oder den speziellen Typ der Dienstleistung, seine finanziellen Verhältnisse und seine Anlageziele ein, um ihr zu ermöglichen, dem Kunden oder potenziellen Kunden für ihn geeignete Wertpapierdienstleistungen und Finanzinstrumente zu empfehlen. (5) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass Wertpapierfirmen bei anderen als den in Absatz 4 genannten Finanzdienstleistungen Kunden oder potenzielle Kunden um Angaben zu ihren Kenntnissen und Erfahrungen im Anlagebereich in Bezug auf den speziellen Typ der angebotenen oder angeforderten Produkte oder Dienstleistungen bitten, um beurteilen zu können, ob die in Betracht gezogenen Wertpapierdienstleistungen oder Produkte für den Kunden angemessen sind. Gelangt die Wertpapierfirma aufgrund der gemäß Unterabsatz 1 erhaltenen Informationen zu der Auffassung, dass das Produkt oder die Dienstleistung für den Kunden oder potenziellen Kunden nicht geeignet ist, so warnt sie den Kunden oder potenziellen Kunden. Diese Warnung kann in standardisierter Form erfolgen. Lehnt der Kunde oder potenzielle Kunde es ab, die in Unterabsatz 1 genannten Angaben zu machen, oder macht er unzureichende Angaben zu seinen Kenntnissen und Erfahrungen, so warnt die Wertpapierfirma den Kunden oder potenziellen Kunden, dass eine solche Entscheidung es ihr nicht ermöglicht zu beurteilen, ob die in Betracht gezogene Wertpapierdienstleistung oder das in Betracht gezogene Produkt für ihn geeignet ist. Diese Warnung kann in standardisierter Form erfolgen. (6) Die Mitgliedstaaten gestatten Wertpapierfirmen, deren Wertpapierdienstleistungen lediglich in der Ausführung von Kundenaufträgen und/oder der Annahme und Übermittlung von Kundenaufträgen mit oder ohne Nebendienstleistungen bestehen, solche Wertpapierdienstleistungen für ihre Kunden zu erbringen, ohne zuvor die Angaben gemäß Absatz 5 einholen oder bewerten zu müssen, wenn alle der nachstehenden Voraussetzungen erfüllt sind: – die in der Einleitung genannten Dienstleistungen beziehen sich auf Aktien, die zum Handel an einem geregelten Markt oder an einem gleichwertigen Markt eines Drittlandes zugelassen sind, Geldmarktinstrumente, Schuldverschreibungen oder sonstige verbriefte Schuldtitel (ausgenommen Schuldverschreibungen oder verbriefte Schuldtitel, in die ein Derivat

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Die MiFID eingebettet ist), OGAW und andere nicht komplexe Finanzinstrumente. Ein Markt eines Drittlandes gilt als einem geregelten Markt gleichwertig, wenn er Vorschriften entspricht, die den unter Titel III festgelegten Vorschriften gleichwertig sind. Die Kommission und die ESMA veröffentlichen auf ihren Websites eine Liste der Märkte, die als gleichwertig zu betrachten sind. Diese Liste wird in regelmäßigen Abständen aktualisiert. Die ESMA unterstützt die Kommission bei der Beurteilung von Drittlandsmärkten; – die Dienstleistung wird auf Veranlassung des Kunden oder potenziellen Kunden erbracht; – der Kunde oder potenzielle Kunde wurde eindeutig darüber informiert, dass die Wertpapierfirma bei der Erbringung dieser Dienstleistung die Eignung der Instrumente oder Dienstleistungen, die erbracht oder angeboten werden, nicht prüfen muss und der Kunde daher nicht in den Genuss des Schutzes der einschlägigen Wohlverhaltensregeln kommt; diese Warnung kann in standardisierter Form erfolgen; – die Wertpapierfirma kommt ihren Pflichten gemäß Artikel 18 nach. (7) Die Wertpapierfirma erstellt eine Aufzeichnung, die das Dokument oder die Dokumente mit den Vereinbarungen zwischen der Firma und dem Kunden enthält, die die Rechte und Pflichten der Parteien sowie die sonstigen Bedingungen, zu denen die Wertpapierfirma Dienstleistungen für den Kunden erbringt, festlegt. Die Rechte und Pflichten der Vertragsparteien können durch Verweisung auf andere Dokumente oder Rechtstexte aufgenommen werden. (8) Die Wertpapierfirma muss dem Kunden in geeigneter Form über die für ihre Kunden erbrachten Dienstleistungen Bericht erstatten. Diese Berichte enthalten gegebenenfalls die Kosten, die mit den im Namen des Kunden durchgeführten Geschäften und den erbrachten Dienstleistungen verbunden sind. (9) Wird eine Wertpapierdienstleistung als Teil eines Finanzprodukts angeboten, das in Bezug auf die Bewertung des Risikos für den Kunden und/oder die Informationspflichten bereits anderen Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts oder gemeinsamen europäischen Normen für Kreditinstitute und Verbraucherkredite unterliegt, so unterliegt diese Dienstleistung nicht zusätzlich den Anforderungen dieses Artikels. (10) Um den erforderlichen Anlegerschutz und die einheitliche Anwendung der Absätze 1 bis 8 sicherzustellen, erlässt die Kommission Durchführungsmaßnahmen, um zu gewährleisten, dass Wertpapierfirmen bei der Erbringung von Wertpapierdienstleistungen oder Nebendienstleistungen für ihre Kunden den darin festgelegten Grundsätzen genügen. In diesen Durchführungsmaßnahmen sind folgende Aspekte zu berücksichtigen:

a) die Art der den Kunden oder potenziellen Kunden angebotenen oder für diese erbrachten Dienstleistung(en) unter Berücksichtigung von Typ, Gegenstand, Umfang und Häufigkeit der Geschäfte; b) die Art der angebotenen oder in Betracht gezogenen Finanzinstrumente; c) die Tatsache, ob es sich bei den Kunden oder potenziellen Kunden um Kleinanleger oder professionelle Anleger handelt. Die Maßnahmen gemäß Unterabsatz 1 zur Änderung nicht wesentlicher Bestimmungen dieser Richtlinie durch Ergänzung werden nach dem in Artikel 64 Absatz 2 genannten Regelungsverfahren mit Kontrolle erlassen.

Artikel 20 Erbringung von Dienstleistungen über eine andere Wertpapierfirma Die Mitgliedstaaten gestatten einer Wertpapierfirma, die über eine andere Wertpapierfirma eine Anweisung erhält, Wertpapierdienstleistungen oder Nebendienstleistungen im Namen eines Kunden zu erbringen, sich auf Kundeninformationen zu stützen, die von letzterer Firma weitergeleitet werden. Die Verantwortung für die Vollständigkeit und Richtigkeit der weitergeleiteten Anweisungen verbleibt bei der Wertpapierfirma, die die Anweisungen übermittelt. Die Wertpapierfirma, die eine Anweisung erhält, auf diese Art Dienstleistungen im Namen eines Kunden zu erbringen, darf sich auch auf Empfehlungen in Bezug auf die Dienstleistung oder das Geschäft verlassen, die dem Kunden von einer anderen Wertpapierfirma gegeben wurden. Die Verantwortung für die Eignung der Empfehlungen oder der Beratung für den Kunden verbleibt bei der Wertpapierfirma, welche die Anweisungen übermittelt. Die Verantwortung für die Erbringung der Dienstleistung oder den Abschluss des Geschäfts auf der Grundlage solcher Angaben oder Empfehlungen im Einklang mit den einschlägigen Bestimmungen dieses Titels verbleibt bei der Wertpapierfirma, die die Kundenanweisungen oder -aufträge über eine andere Wertpapierfirma erhält.

Artikel 21 Verpflichtung zur kundengünstigsten Ausführung von Aufträgen (1) Die Mitgliedstaaten schreiben vor, dass Wertpapierfirmen bei der Ausführung von Aufträgen unter Berücksichtigung des Kurses, der Kosten, der Schnelligkeit, der Wahrscheinlichkeit der Ausführung und Abwicklung des Umfangs, der Art und aller sonstigen, für die Auftragsausführung relevanten Aspekte alle angemessenen Maßnahmen

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ergreifen, um das bestmögliche Ergebnis für ihre Kunden zu erreichen. Liegt jedoch eine ausdrückliche Weisung des Kunden vor, so führt die Wertpapierfirma den Auftrag gemäß dieser ausdrücklichen Weisung aus. (2) Die Mitgliedstaaten schreiben vor, dass Wertpapierfirmen wirksame Vorkehrungen für die Einhaltung von Absatz 1 treffen und anwenden. Die Mitgliedstaaten schreiben insbesondere vor, dass Wertpapierfirmen Grundsätze der Auftragsausführung festlegen und anwenden, die es ihnen erlaubt, für die Aufträge ihrer Kunden das bestmögliche Ergebnis in Einklang mit Absatz 1 zu erzielen. (3) Die Grundsätze der Auftragsausführung enthält für jede Gattung von Finanzinstrumenten Angaben zu den verschiedenen Handelsplätzen, an denen die Wertpapierfirma Aufträge ihrer Kunden ausführt, und die Faktoren, die für die Wahl des Ausführungsplatzes ausschlaggebend sind. Es werden zumindest die Handelsplätze genannt, an denen die Wertpapierfirma gleich bleibend die bestmöglichen Ergebnisse bei der Ausführung von Kundenaufträgen erzielen kann. Die Mitgliedstaaten schreiben vor, dass Wertpapierfirmen ihre Kunden über ihre Grundsätze der Auftragsausführung in geeigneter Form informieren. Die Mitgliedstaaten schreiben vor, dass Wertpapierfirmen die vorherige Zustimmung ihrer Kunden zu ihrer Ausführungspolitik einholen. Für den Fall, dass die Grundsätze der Auftragsausführung vorsehen, dass Aufträge außerhalb eines geregelten Marktes oder eines MTF ausgeführt werden dürfen, schreiben die Mitgliedstaaten vor, dass die Wertpapierfirma ihre Kunden oder potenziellen Kunden insbesondere auf diese Möglichkeit hinweisen muss. Die Mitgliedstaaten schreiben vor, dass Wertpapierfirmen die vorherige ausdrückliche Zustimmung der Kunden einholen, bevor sie Kundenaufträge außerhalb eines geregelten Marktes oder eines MTF ausführen. Wertpapierfirmen können diese Zustimmung entweder in Form einer allgemeinen Vereinbarung oder zu jedem Geschäft einzeln einholen. (4) Die Mitgliedstaaten schreiben vor, dass Wertpapierfirmen die Effizienz ihrer Vorkehrungen zur Auftragsausführung und ihre Ausführungspolitik überwachen, um Mängel festzustellen und gegebenenfalls zu beheben. Insbesondere prüfen sie regelmäßig, ob die in der Ausführungspolitik genannten Handelsplätze das bestmögliche Ergebnis für die Kunden erbringen oder ob die Vorkehrungen zur Auftragsausführung geändert werden müssen. Die Mitgliedstaaten schreiben vor, dass Wertpapierfirmen ihren Kunden wesentliche Änderungen ihrer Vorkehrungen zur Auftragsausführung oder ihrer Ausführungspolitik mitteilen. (5) Die Mitgliedstaaten schreiben Wertpapierfirmen vor, ihren Kunden auf deren Anfragen nachzuweisen, dass sie deren Aufträge im Einklang mit den Ausführungsgrundsätzen der Firma ausgeführt haben.

(6) Um den für die Anleger erforderlichen Schutz und das ordnungsgemäße Funktionieren der Märkte zu gewährleisten und die einheitliche Anwendung der Absätze 1, 3 und 4 sicherzustellen, erlässt die Kommission Durchführungsmaßnahmen, die Folgendes betreffen: a) die Kriterien, nach denen die relative Bedeutung der verschiedenen Faktoren bestimmt wird, die gemäß Absatz 1 herangezogen werden können, um das bestmögliche Ergebnis unter Berücksichtigung des Umfangs und der Art des Auftrags und des Kundentyps – Kleinanleger oder professioneller Kunde – zu ermitteln; b) Faktoren, die eine Wertpapierfirma heranziehen kann, um ihre Ausführungsvorkehrungen zu überprüfen und um zu prüfen, unter welchen Umständen eine Änderung dieser Vorkehrungen angezeigt wäre. Insbesondere die Faktoren zur Bestimmung, welche Handelsplätze Wertpapierfirmen ermöglichen, bei der Ausführung von Kundenaufträgen auf Dauer die bestmöglichen Ergebnisse zu erzielen; c) Art und Umfang der Informationen über die Ausführungspolitik, die den Kunden gemäß Absatz 3 zur Verfügung zu stellen sind. Die Maßnahmen gemäß Unterabsatz 1 zur Änderung nicht wesentlicher Bestimmungen dieser Richtlinie durch Ergänzung werden nach dem in Artikel 64 Absatz 2 genannten Regelungsverfahren mit Kontrolle erlassen.

Artikel 22 Vorschriften für die Bearbeitung von Kundenaufträgen (1) Die Mitgliedstaaten schreiben vor, dass Wertpapierfirmen, die zur Ausführung von Aufträgen im Namen von Kunden berechtigt sind, Verfahren und Systeme einrichten, die die unverzügliche, redliche und rasche Ausführung von Kundenaufträgen im Verhältnis zu anderen Kundenaufträgen oder den Handelsinteressen der Wertpapierfirma gewährleisten. Diese Verfahren oder Systeme ermöglichen es, dass ansonsten vergleichbare Kundenaufträge gemäß dem Zeitpunkt ihres Eingangs bei der Wertpapierfirma ausgeführt werden. (2) Die Mitgliedstaaten schreiben vor, dass Wertpapierfirmen bei Kundenlimitaufträgen in Bezug auf Aktien, die zum Handel an einem geregelten Markt zugelassen sind, die zu den vorherrschenden Marktbedingungen nicht unverzüglich ausgeführt werden, Maßnahmen ergreifen, um die schnellstmögliche Ausführung dieser Aufträge dadurch zu erleichtern, dass sie sie unverzüglich und auf eine Art und Weise bekannt machen, die für andere Marktteilnehmer leicht zugänglich ist, sofern der Kunde nicht ausdrücklich eine anders lautende Anweisung gibt. Die Mitgliedstaaten können beschließen, dass eine Wertpapierfirma dieser

Die MiFID Pflicht genügt, wenn sie die Kundenlimitaufträge an einen geregelten Markt und/oder ein MTF weiterleitet. Die Mitgliedstaaten sehen vor, dass die zuständigen Behörden von dieser Verpflichtung zur Bekanntmachung eines Limitauftrags im Sinne von Artikel 44 Absatz 2 absehen können, wenn dieser im Vergleich zum marktüblichen Geschäftsumfang sehr groß ist. (3) Um zu gewährleisten, dass die Maßnahmen für den Anlegerschutz und das faire und ordnungsgemäße Funktionieren der Märkte den technischen Entwicklungen auf den Finanzmärkten Rechnung tragen und um die einheitliche Anwendung der Absätze 1 und 2 sicherzustellen, erlässt die Kommission Durchführungsmaßnahmen, die Folgendes festlegen: a) die Bedingungen und die Art der Verfahren und Systeme für die unverzügliche, redliche und rasche Ausführung von Kundenaufträgen, sowie die Situationen oder Geschäftsarten, in denen bzw. bei denen Wertpapierfirmen sinnvollerweise von der unverzüglichen Ausführung abweichen können, um günstigere Bedingungen für Kunden zu erwirken; b) die verschiedenen Methoden, die eine Wertpapierfirma anwenden kann, um ihrer Verpflichtung nachzukommen, dem Markt Kundenlimitaufträge, die nicht unverzüglich ausgeführt werden können, bekannt zu machen. Die Maßnahmen gemäß Unterabsatz 1 zur Änderung nicht wesentlicher Bestimmungen dieser Richtlinie durch Ergänzung werden nach dem in Artikel 64 Absatz 2 genannten Regelungsverfahren mit Kontrolle erlassen. Artikel 23 Verpflichtungen von Wertpapierfirmen bei der Heranziehung von vertraglich gebundenen Vermittlern (1) Die Mitgliedstaaten können beschließen, einer Wertpapierfirma zu gestatten, vertraglich gebundene Vermittler für die Förderung des Dienstleistungsgeschäfts der Wertpapierfirma, das Hereinholen neuer Geschäfte oder die Entgegennahme der Aufträge von Kunden oder potenziellen Kunden sowie die Übermittlung dieser Aufträge, das Platzieren von Finanzinstrumenten sowie für Beratungen in Bezug auf die von der Wertpapierfirma angebotenen Finanzinstrumente und Dienstleistungen heranzuziehen. (2) Die Mitgliedstaaten schreiben vor, dass eine Wertpapierfirma, die beschließt, einen vertraglich gebundenen Vermittler heranzuziehen, für jedes Handeln oder Unterlassen des vertraglich gebundenen Vermittlers uneingeschränkt haftet, wenn er im Namen der Firma tätig ist. Die Mitgliedstaaten schreiben der Wertpapierfirma vor, sicherzustellen, dass ein vertraglich gebundener Vermittler mitteilt, in welcher Eigenschaft er handelt und welche Firma er vertritt, wenn er mit Kunden oder poten-

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ziellen Kunden Kontakt aufnimmt oder bevor er mit diesen Geschäfte abschließt. Die Mitgliedstaaten können gemäß Artikel 13 Absätze 6, 7 und 8 vertraglich gebundenen Vermittlern, die in ihrem Hoheitsgebiet registriert sind, gestatten, für die Wertpapierfirma, für die sie tätig sind und unter deren uneingeschränkter Verantwortung in ihrem Hoheitsgebiet oder – bei grenzüberschreitenden Geschäften – im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats, der vertraglich gebundenen Vermittlern die Verwaltung von Kundengeldern gestattet, Gelder und/oder Finanzinstrumente von Kunden zu verwalten. Die Mitgliedstaaten schreiben vor, dass die Wertpapierfirmen die Tätigkeiten ihrer vertraglich gebundenen Vermittler überwachen, um zu gewährleisten, dass sie diese Richtlinie auf Dauer einhalten, wenn sie über vertraglich gebundene Vermittler tätig werden. (3) Mitgliedstaaten, die Wertpapierfirmen gestatten, vertraglich gebundene Vermittler heranzuziehen, richten ein öffentliches Register ein. Vertraglich gebundene Vermittler werden in das öffentliche Register des Mitgliedstaats eingetragen, in dem sie niedergelassen sind. Die ESMA veröffentlicht auf ihrer Website Verweise oder Hyperlinks zu den öffentlichen Registern, die nach diesem Artikel von den Mitgliedstaaten eingerichtet worden sind, die es Wertpapierfirmen gestatten, vertraglich gebundene Vermittler heranzuziehen. Hat der Mitgliedstaat, in dem der vertraglich gebundene Vermittler niedergelassen ist, gemäß Absatz 1 festgelegt, dass von der zuständigen Behörde zugelassene Wertpapierfirmen nicht berechtigt sind, vertraglich gebundene Vermittler heranzuziehen, so werden diese vertraglich gebundenen Vermittler bei der zuständigen Behörde des Herkunftsmitgliedstaats der Wertpapierfirma, für die sie tätig sind, registriert. Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass vertraglich gebundene Vermittler nur dann in das öffentliche Register eingetragen werden, wenn feststeht, dass sie ausreichend gut beleumdet sind und über angemessene allgemeine, kaufmännische und berufliche Kenntnisse verfügen, um alle einschlägigen Informationen über die angebotene Dienstleistung korrekt an den Kunden oder den potenziellen Kunden weiterleiten zu können. Die Mitgliedstaaten können beschließen, dass Wertpapierfirmen überprüfen dürfen, ob die von ihnen herangezogenen vertraglich gebundenen Vermittler ausreichend gut beleumdet sind und über die Kenntnisse gemäß Unterabsatz 3 verfügen. Das Register wird regelmäßig aktualisiert. Es steht der Öffentlichkeit zur Einsichtnahme offen. (4) Die Mitgliedstaaten schreiben vor, dass Wertpapierfirmen, die vertraglich gebundene Vermittler heranziehen, durch geeignete Maßnahmen sicherstellen, dass die nicht in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie fallenden Tätigkeiten des vertraglich gebundenen Vermittlers keine nachteiligen

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Kapitalmarktrechtliche Rechtsakte

Auswirkungen auf die Tätigkeiten haben, die der vertraglich gebundene Vermittler im Namen der Wertpapierfirma ausübt. Die Mitgliedstaaten können den zuständigen Behörden gestatten, mit Wertpapierfirmen und Kreditinstituten, deren Verbänden und sonstigen Rechtspersönlichkeiten bei der Registrierung von vertraglich gebundenen Vermittlern und der Überwachung der Einhaltung der Anforderungen nach Absatz 3 durch die vertraglich gebundenen Vermittler zusammenarbeiten. Insbesondere können vertraglich gebundene Vermittler durch Wertpapierfirmen, Kreditinstitute oder deren Verbände und sonstige Rechtspersönlichkeiten unter der Aufsicht der zuständigen Behörde registriert werden. (5) Die Mitgliedstaaten schreiben vor, dass Wertpapierfirmen nur vertraglich gebundene Vermittler heranziehen dürfen, die in den öffentlichen Registern gemäß Absatz 3 geführt werden. (6) Die Mitgliedstaaten können für in ihrem Hoheitsgebiet registrierte vertraglich gebundene Vermittler striktere Anforderungen als die dieses Artikels oder zusätzliche Anforderungen vorsehen.

Artikel 24 Geschäfte mit geeigneten Gegenparteien (1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass Wertpapierfirmen, die zur Ausführung von Aufträgen im Namen von Kunden und/oder zum Handel für eigene Rechnung und/oder zur Entgegennahme und Weiterleitung von Aufträgen berechtigt sind, Geschäfte mit geeigneten Gegenparteien anbahnen oder abschließen können, ohne in Bezug auf diese Geschäfte oder auf Nebendienstleistungen in direktem Zusammenhang mit diesen Geschäften den Auflagen der Artikel 19 und 21 und des Artikels 22 Absatz 1 genügen zu müssen. (2) Die Mitgliedstaaten erkennen für die Zwecke dieses Artikels Wertpapierfirmen, Kreditinstitute, Versicherungsgesellschaften, OGAW und ihre Verwaltungsgesellschaften, Pensionsfonds und ihre Verwaltungsgesellschaften, sonstige zugelassene oder nach dem Gemeinschaftsrecht oder den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats einer Aufsicht unterliegende Finanzinstitute, Unternehmen, die gemäß Artikel 2 Absatz 1 Buchstaben k und l von der Anwendung dieser Richtlinie ausgenommen sind, nationale Regierungen und deren Einrichtungen, einschließlich öffentlicher Stellen der staatlichen Schuldenverwaltung, Zentralbanken und supranationale Organisationen als geeignete Gegenparteien an. Die Einstufung als geeignete Gegenpartei gemäß Unterabsatz 1 berührt nicht das Recht solcher Rechtspersönlichkeiten, entweder generell oder für jedes einzelne Geschäft eine Behandlung als Kunde zu beantragen, für dessen Geschäfte mit der Wertpapierfirma die Artikel 19, 21 und 22 gelten.

(3) Die Mitgliedstaaten können auch andere Unternehmen als geeignete Gegenparteien anerkennen, die im Voraus festgelegte proportionale Anforderungen einschließlich quantitativer Schwellenwerte erfüllen. Im Falle eines Geschäfts mit potenziellen Gegenparteien, die verschiedenen Rechtsordnungen angehören, trägt die Wertpapierfirma dem Status des anderen Unternehmens Rechnung, der sich nach den Rechtsvorschriften oder Maßnahmen des Mitgliedstaats bestimmt, in dem das Unternehmen ansässig ist. Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die Wertpapierfirma, die Geschäfte gemäß Absatz 1 mit solchen Unternehmen abschließt, die ausdrückliche Zustimmung der potenziellen Gegenpartei einholt, als geeignete Gegenpartei behandelt zu werden. Die Mitgliedstaaten gestatten der Wertpapierfirma, diese Zustimmung entweder in Form einer allgemeinen Vereinbarung oder für jedes einzelne Geschäft einzuholen. (4) Die Mitgliedstaaten können Rechtspersönlichkeiten von Drittländern, die den in Absatz 2 genannten Kategorien von Rechtspersönlichkeiten gleichwertig sind, als zulässige Gegenparteien anerkennen. Die Mitgliedstaaten können auch Unternehmen von Drittländern, wie denen nach Absatz 3, unter denselben Voraussetzungen und bei Erfüllung derselben Anforderungen wie denen des Absatzes 3 als zulässige Gegenparteien anerkennen. (5) Um die einheitliche Anwendung der Absätze 2, 3 und 4 angesichts der sich ändernden Marktpraktiken sicherzustellen und das effiziente Funktionieren des Binnenmarktes zu erleichtern, kann die Kommission Durchführungsmaßnahmen erlassen, die Folgendes festlegen: a) die Verfahren zur Beantragung einer Behandlung als Kunde gemäß Absatz 2; b) die Verfahren zur Einholung der ausdrücklichen Zustimmung potenzieller Gegenparteien gemäß Absatz 3; c) die im Voraus festgelegten proportionalen Anforderungen einschließlich der quantitativen Schwellenwerte, nach denen ein Unternehmen als geeignete Gegenpartei gemäß Absatz 3 anerkannt werden kann. Die Maßnahmen gemäß Unterabsatz 1 zur Änderung nicht wesentlicher Bestimmungen dieser Richtlinie durch Ergänzung werden nach dem in Artikel 64 Absatz 2 genannten Regelungsverfahren mit Kontrolle erlassen.

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Die MiFID Abschnitt 3 Markttransparenz und -integrität Artikel 25 Pflicht zur Wahrung der Marktintegrität, Meldung von Geschäften und Führung von Aufzeichnungen (1) Unbeschadet der Zuweisung der Zuständigkeiten für die Durchsetzung der Richtlinie 2003/6/ EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Januar 2003 über Insider-Geschäfte und Marktmanipulation (Marktmissbrauch)(29) gewährleisten die Mitgliedstaaten, die von der ESMA gemäß Artikel 31 der Verordnung (EU) Nr. 1095/ 2010 koordiniert werden, durch geeignete Maßnahmen, dass die zuständige Behörde die Tätigkeiten von Wertpapierfirmen überwachen kann, um sicherzustellen, dass diese redlich, professionell und in einer Weise handeln, die die Integrität des Marktes fördert. (2) Die Mitgliedstaaten schreiben vor, dass Wertpapierfirmen die einschlägigen Daten über die Geschäfte mit Finanzinstrumenten, die sie entweder für eigene Rechnung oder im Namen ihrer Kunden getätigt haben, mindestens fünf Jahre zur Verfügung der zuständigen Behörde halten. Im Fall von im Namen von Kunden ausgeführten Geschäften enthalten die Aufzeichnungen sämtliche Angaben zur Identität des Kunden sowie die gemäß der Richtlinie 2005/60/EG geforderten Angaben. Die ESMA kann nach dem Verfahren und unter den in Artikel 35 der Verordnung (EU) Nr. 1095/2010 festgelegten Bedingungen Zugang zu diesen Informationen beantragen. (3) Die Mitgliedstaaten schreiben vor, dass Wertpapierfirmen, die Geschäfte mit zum Handel an einem geregelten Markt zugelassenen Finanzinstrumenten tätigen, der zuständigen Behörde die Einzelheiten dieser Geschäfte so schnell wie möglich und spätestens am Ende des folgenden Werktages melden. Diese Verpflichtung gilt unabhängig davon, ob solche Geschäfte über einen geregelten Markt ausgeführt wurden oder nicht. Die zuständigen Behörden treffen im Einklang mit Artikel 58 die notwendigen Vorkehrungen, um sicherzustellen, dass diese Informationen auch der zuständigen Behörde des für die betreffenden Finanzinstrumente unter Liquiditätsaspekten wichtigsten Marktes übermittelt werden. (4) Die Meldungen müssen insbesondere die Bezeichnung und die Zahl der erworbenen oder veräußerten Instrumente, Datum und Uhrzeit des Abschlusses, den Kurs und die Möglichkeit zur Feststellung der Wertpapierfirma enthalten. (5) Die Mitgliedstaaten schreiben vor, dass die Meldungen entweder von der Wertpapierfirma (29) ABl. L 96 vom 12.4.2003, S. 16.

selbst, einem in ihrem Namen handelnden Dritten oder von einem durch die zuständige Behörde anerkannten System zur Abwicklung oder Meldung von Wertpapiergeschäften oder von dem geregelten Markt oder dem MTF, über deren Systeme das Geschäft abgewickelt wurde, an die zuständige Behörde zu senden sind. Werden Geschäfte der zuständigen Behörde von einem geregelten Markt, einem MTF oder einem von der zuständigen Behörde anerkannten System zur Abwicklung oder Meldung von Wertpapiergeschäften unmittelbar gemeldet, so kann von der Verpflichtung der Wertpapierfirma gemäß Absatz 3 abgesehen werden. (6) Werden Meldungen im Sinne des vorliegenden Artikels gemäß Artikel 32 Absatz 7 an die zuständige Behörde des Aufnahmemitgliedstaats gesandt, so leitet diese sie an die zuständigen Behörden des Herkunftsmitgliedstaats der Wertpapierfirma weiter, es sei denn diese beschließen, dass sie die Übermittlung dieser Information nicht wünschen. (7) Um zu gewährleisten, dass die Maßnahmen zum Schutze der Marktintegrität zur Berücksichtigung der technischen Entwicklungen auf den Finanzmärkten angepasst werden und um die einheitliche Anwendung der Absätze 1 bis 5 sicherzustellen, kann die Kommission Durchführungsmaßnahmen erlassen, die die Methoden und Vorkehrungen für die Meldung von Finanzgeschäften, die Form und den Inhalt dieser Meldungen und die Kriterien für die Definition eines einschlägigen Marktes gemäß Absatz 3 festlegen. Diese Maßnahmen zur Änderung nicht wesentlicher Bestimmungen dieser Richtlinie durch Ergänzung werden nach dem in Artikel 64 Absatz 2 genannten Regelungsverfahren mit Kontrolle erlassen.

Artikel 26 Überwachung der Einhaltung der Regeln des MTF und anderer rechtlicher Verpflichtungen (1) Die Mitgliedstaaten schreiben vor, dass Wertpapierfirmen und Marktbetreiber, die ein MTF betreiben, für das MTF auf Dauer wirksame Vorkehrungen und Verfahren für die regelmäßige Überwachung der Einhaltung der Regeln des MTF durch dessen Nutzer festlegen. Wertpapierfirmen und Marktbetreiber, die ein MTF betreiben, überwachen die von ihren Nutzern innerhalb ihrer Systeme abgeschlossenen Geschäfte, um Verstöße gegen diese Regeln, marktstörende Handelsbedingungen oder Verhaltensweisen, die auf Marktmissbrauch hindeuten könnten, zu erkennen. (2) Die Mitgliedstaaten schreiben vor, dass Wertpapierfirmen und Marktbetreiber, die ein MTF betreiben, der zuständigen Behörde schwerwiegende Verstöße gegen seine Regeln oder marktstörende Handelsbedingungen oder Verhaltensweisen, die auf Marktmissbrauch hindeuten könnten, melden. Die Mitgliedstaaten schreiben ferner vor, dass

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Kapitalmarktrechtliche Rechtsakte

Wertpapierfirmen und Marktbetreiber, die ein MTF betreiben, der Behörde, die für die Ermittlung und Verfolgung von Marktmissbrauch zuständig ist, die einschlägigen Informationen unverzüglich übermitteln und sie bei Ermittlungen wegen Marktmissbrauchs innerhalb oder über ihre Systeme und dessen Verfolgung in vollem Umfang unterstützen.

während der üblichen Handelszeiten. Sie sind berechtigt, ihre Offerten jederzeit zu aktualisieren. Sie dürfen ferner im Falle außergewöhnlicher Marktbedingungen ihre Offerten zurückziehen.

Artikel 27

Systematische Internalisierer führen die Aufträge von Kleinanlegern in Bezug auf die Aktien, für die sie systematische Internalisierung betreiben, zu den zum Zeitpunkt des Auftragseingangs gebotenen Kursen aus und kommen den Bestimmungen des Artikels 21 nach.

Pflicht der Wertpapierfirmen zur Veröffentlichung verbindlicher Kursofferten (1) Die Mitgliedstaaten schreiben systematischen Internalisierern in Aktien vor, verbindliche Kursofferten für die an einem geregelten Markt gehandelten Aktien zu veröffentlichen,, für die sie systematische Internalisierung betreiben und für die es einen liquiden Markt gibt. Für Aktien, für die kein liquider Markt besteht, bieten systematische Internalisierer ihren Kunden auf Anfrage Quotierungen an. Die Bestimmungen dieses Artikels gelten für systematische Internalisierer bei der Ausführung von Aufträgen bis zur Standardmarktgröße. Systematische Internalisierer, die nur Aufträge über der Standardmarktgröße ausführen, unterliegen den Bestimmungen dieses Artikels nicht. Die systematischen Internalisierer können die Größe bzw. Größen festlegen, zu denen sie Kursofferten angeben. Für eine bestimmte Aktie umfasst jede Offerte einen verbindlichen Geldund/oder Briefkurs bzw. -kurse für eine Größe bzw. für Größen bis zur Standardmarktgröße für die Aktienklasse, der die Aktie angehört. Der Kurs bzw. die Kurse müssen die vorherrschenden Marktbedingungen für die betreffende Aktie widerspiegeln. Aktien werden auf der Grundlage des arithmetischen Durchschnittswertes der Aufträge, die im Markt für diese Aktie ausgeführt werden, in Klassen zusammengefasst. Die Standardmarktgröße für jede Aktienklasse ist eine Größe, die repräsentativ für den arithmetischen Durchschnittswert der Aufträge ist, die an dem Markt für die Aktien der jeweiligen Aktienklasse ausgeführt werden. Der Markt für jede Aktie besteht aus allen Aufträgen, die in der Europäischen Union im Hinblick auf diese Aktie ausgeführt werden, ausgenommen jene, die im Vergleich zur normalen Marktgröße für diese Aktie ein großes Volumen aufweisen. (2) Die zuständige Behörde des unter Liquiditätsaspekten wichtigsten Marktes, wie in Artikel 25 definiert, legt mindestens einmal jährlich für jede Aktie auf der Grundlage des arithmetischen Durchschnittswertes der Aufträge, die an dem Markt für diese Aktie ausgeführt werden, die jeweilige Aktiengattung fest. Diese Information wird allen Marktteilnehmern bekannt gegeben und der ESMA übermittelt, die sie auf ihrer Website veröffentlicht. (3) Systematische Internalisierer veröffentlichen ihre Kursofferten regelmäßig und kontinuierlich

Die Kursofferten sind den übrigen Marktteilnehmern zu angemessenen kaufmännischen Bedingungen in leicht zugänglicher Weise bekannt zu machen.

Systematische Internalisierer führen die Aufträge professioneller Kunden in Bezug auf die Aktien, für die sie systematische Internalisierung betreiben, zu den zum Zeitpunkt des Auftragseingangs gebotenen Kursen aus. Sie können diese Aufträge jedoch in begründeten Fällen zu besseren Kursen ausführen, sofern diese Kurse innerhalb einer veröffentlichten, marktnahen Bandbreite liegen und die Aufträge größer sind als die übliche Auftragsgröße von Kleinanlegern. Darüber hinaus können systematische Internalisierer Aufträge professioneller Kunden zu anderen als den von ihnen angebotenen Kursen ausführen, ohne die Auflagen von Unterabsatz 4 einhalten zu müssen, wenn es sich dabei um Geschäfte handelt, bei denen die Ausführung in verschiedenen Wertpapieren Teil ein und desselben Geschäfts ist, oder um Aufträge, für die andere Bedingungen als der jeweils geltende Marktkurs anwendbar sind. Wenn ein systematischer Internalisierer, der nur eine Kursofferte angibt oder dessen höchste Kursofferte unter der standardmäßigen Marktgröße liegt, einen Auftrag von einem Kunden erhält, der über seiner Quotierungsgröße liegt, jedoch unter der Standardmarktgröße, kann er sich dafür entscheiden, den Teil des Auftrags auszuführen, der seine Quotierungsgröße übersteigt, sofern er zu dem quotierten Kurs ausgeführt wird, außer in den Fällen, in denen gemäß den beiden vorangehenden Unterabsätzen etwas anderes zulässig ist. Gibt ein systematischer Internalisierer Kursofferten in verschiedenen Größen an, und erhält er einen Auftrag, den er ausführen will, der zwischen diesen Größen liegt, so führt er den Auftrag gemäß den Bestimmungen des Artikels 22 zu einem der quotierten Kurse aus, außer in den Fällen, in denen gemäß den beiden vorangehenden Unterabsätzen etwas anderes zulässig ist. (4) Die zuständigen Behörden prüfen: a) dass die Wertpapierfirmen die Geld- und/oder Briefkurse, die sie gemäß Absatz 1 veröffentlichen, regelmäßig aktualisieren und Kurse anbieten, die den allgemeinen Marktbedingungen entsprechen, b) dass die Wertpapierfirmen die Bedingungen für die Kursverbesserungen gemäß Absatz 3 Unterabsatz 4 erfüllen.

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Die MiFID (5) Systematische Internalisierer dürfen entsprechend ihrer Geschäftspolitik und in objektiver, nicht diskriminierender Weise entscheiden, welchen Anlegern sie Zugang zu ihren Kursofferten geben. Zu diesem Zweck verfügen sie über eindeutige Standards für den Zugang zu ihren Kursofferten. Systematische Internalisierer können es ablehnen, mit Anlegern eine Geschäftsbeziehung aufzunehmen, oder sie können eine solche beenden, wenn dies aufgrund wirtschaftlicher Erwägungen wie der Bonität des Anlegers, des Gegenparteirisikos und der Abwicklung des Geschäfts erfolgt. (6) Um das Risiko aufgrund einer Häufung von Geschäften mit ein und demselben Kunden zu beschränken, sind systematische Internalisierer berechtigt, die Zahl der Geschäfte, die sie zu den veröffentlichten Bedingungen mit demselben Kunden abzuschließen bereit sind, in nichtdiskriminierender Weise zu beschränken. Sie dürfen ferner – in nichtdiskriminierender Weise und gemäß den Bestimmungen des Artikels 22 – die Gesamtzahl der gleichzeitig ausgeführten Geschäfte verschiedener Kunden beschränken, sofern dies nur dann zugelassen wird, wenn die Zahl und/oder der Umfang der Aufträge der Kunden erheblich über der Norm liegt. (7) Um die einheitliche Anwendung der Absätze 1 bis 6 in einer Weise sicherzustellen, die eine effiziente Bewertung der Aktien unterstützt und es den Wertpapierfirmen ermöglicht, für ihre Kunden die besten Geschäftskonditionen zu erzielen, erlässt die Kommission Durchführungsmaßnahmen, in denen Folgendes festgelegt wird: a) die Kriterien für die Anwendung der Absätze 1 und 2; b) die Kriterien dafür, wann eine Offerte regelmäßig und kontinuierlich veröffentlicht wird und leicht zugänglich ist, sowie die Mittel und Wege, mit denen Wertpapierfirmen ihrer Pflicht zur Bekanntmachung ihrer Kursofferte nachkommen können, die folgende Möglichkeiten umfassen: i) über das System jedes geregelten Marktes, an dem das besagte Instrument zum Handel zugelassen ist; ii) durch einen Dritten; iii) mittels eigener Vorkehrungen; c) die allgemeinen Kriterien zur Festlegung der Geschäfte, bei denen die Ausführung in verschiedenen Wertpapieren Teil eines Geschäfts ist, oder von Aufträgen, die anderen Bedingungen als denen der jeweils geltenden Marktpreise unterliegen; d) die allgemeinen Kriterien dafür, was als außergewöhnliche Marktbedingungen zu betrachten ist, die die Zurücknahme von Kursofferten zulassen, sowie die Bedingungen für die Aktualisierung von Quotierungen; e) die Kriterien, nach denen beurteilt wird, was die übliche Ordergröße von Kleinanlegern ist;

f) die Kriterien dafür, was gemäß Absatz 6 als erheblich über der Norm liegend zu betrachten ist; g) die Kriterien dafür, wann die Kurse innerhalb einer veröffentlichten, marktnahen Bandbreite liegen. Die Maßnahmen gemäß Unterabsatz 1 zur Änderung nicht wesentlicher Bestimmungen dieser Richtlinie durch Ergänzung werden nach dem in Artikel 64 Absatz 2 genannten Regelungsverfahren mit Kontrolle erlassen.

Artikel 28 Veröffentlichungen der Wertpapierfirmen nach dem Handel (1) Die Mitgliedstaaten schreiben mindestens vor, dass Wertpapierfirmen, die entweder für eigene Rechnung oder im Namen von Kunden Geschäfte mit zum Handel an einem geregelten Markt zugelassenen Aktien außerhalb eines geregelten Marktes oder eines MTF tätigen, den Umfang der Geschäfte sowie den Kurs und den Zeitpunkt, zu dem bzw. an dem diese Geschäfte zum Abschluss gebracht wurden, veröffentlichen. Diese Informationen sind so weit wie möglich auf Echtzeitbasis zu angemessenen kaufmännischen Bedingungen und in einer Weise zu veröffentlichen, die den anderen Marktteilnehmern einen leichten Zugang ermöglicht. (2) Die Mitgliedstaaten schreiben vor, dass die gemäß Absatz 1 veröffentlichten Informationen und die Fristen, innerhalb deren sie zu veröffentlichen sind, den gemäß Artikel 45 festgelegten Anforderungen genügen. Sehen die gemäß Artikel 45 festgelegten Maßnahmen eine spätere Meldung für bestimmte Kategorien von Aktiengeschäften vor, so besteht diese Möglichkeit mutatis mutandis für diese Geschäfte auch, wenn sie außerhalb eines geregelten Marktes oder eines MTF abgeschlossen werden. (3) Um ein transparentes und ordnungsgemäßes Funktionieren der Märkte und die einheitliche Anwendung von Absatz 1 sicherzustellen, erlässt die Kommission Durchführungsmaßnahmen, die a) festlegen, auf welche Weise Wertpapierfirmen ihrer Pflicht gemäß Absatz 1 nachkommen können, einschließlich folgender Möglichkeiten: i) über das System jedes geregelten Marktes, an dem das besagte Instrument zum Handel zugelassen ist oder über das System eines MTF, über das die betreffende Aktie gehandelt wird; ii) über die zuständigen Stellen eines Dritten; iii) mittels eigener Vorkehrungen; b) klären, inwieweit die Verpflichtung gemäß Absatz 1 für Geschäfte gilt, die die Verwendung von Aktien zum Zwecke der Besicherung, der

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Kapitalmarktrechtliche Rechtsakte

Beleihung oder für andere Zwecke, bei denen der Umtausch von Aktien durch andere Faktoren als den aktuellen Marktkurs der Aktie bestimmt wird, umfassen. Die Maßnahmen gemäß Unterabsatz 1 zur Änderung nicht wesentlicher Bestimmungen dieser Richtlinie durch Ergänzung werden nach dem in Artikel 64 Absatz 2 genannten Regelungsverfahren mit Kontrolle erlassen.

Artikel 29 Vorhandels-Transparenzvorschriften für MTF (1) Die Mitgliedstaaten schreiben mindestens vor, dass Wertpapierfirmen und Marktbetreiber, die ein MTF betreiben, die aktuellen Geld- und Briefkurse und die Tiefe der Handelspositionen zu diesen Kursen veröffentlichen, die über ihre Systeme für zum Handel an einem geregelten Markt zugelassene Aktien mitgeteilt werden. Die Mitgliedstaaten schreiben vor, dass diese Informationen der Öffentlichkeit zu angemessenen kaufmännischen Bedingungen und kontinuierlich während der üblichen Geschäftszeiten zur Verfügung gestellt werden. (2) Die Mitgliedstaaten sehen vor, dass die zuständigen Behörden in den gemäß Absatz 3 festgelegten Fällen je nach Marktmodell oder Art und Umfang der Aufträge Wertpapierfirmen oder Marktbetreiber, die ein MTF betreiben, von der Pflicht zur Veröffentlichung der Angaben gemäß Absatz 1 ausnehmen können. Die zuständigen Behörden können insbesondere bei Geschäften, die im Vergleich zum marktüblichen Geschäftsumfang für die betreffende Aktie oder den betreffenden Aktientyp ein großes Volumen aufweisen, von der Veröffentlichungspflicht absehen. (3) Um die einheitliche Anwendung der Absätze 1 und 2 sicherzustellen, erlässt die Kommission Durchführungsmaßnahmen in Bezug auf

Die Maßnahmen gemäß Unterabsatz 1 zur Änderung nicht wesentlicher Bestimmungen dieser Richtlinie durch Ergänzung werden nach dem in Artikel 64 Absatz 2 genannten Regelungsverfahren mit Kontrolle erlassen.

Artikel 30 Nachhandels-Transparenzvorschriften für MTF (1) Die Mitgliedstaaten schreiben mindestens vor, dass Wertpapierfirmen und Marktbetreiber, die ein MTF betreiben, Kurs, Umfang und Zeitpunkt der Geschäfte veröffentlichen, die gemäß den Regeln und über die Systeme des MTF in Bezug auf Aktien abgeschlossen werden, die zum Handel auf einem geregelten Markt zugelassen sind. Die Mitgliedstaaten schreiben vor, dass die Einzelheiten dieser Geschäfte zu angemessenen kaufmännischen Bedingungen und so weit wie möglich auf Echtzeitbasis zu veröffentlichen sind. Diese Anforderung gilt nicht für die Einzelheiten von über ein MTF abgeschlossenen Geschäften, die über die Systeme eines geregelten Marktes veröffentlicht werden. (2) Die Mitgliedstaaten sehen vor, dass die zuständige Behörde Wertpapierfirmen oder Marktbetreibern, die ein MTF betreiben, gestatten kann, Einzelheiten von Geschäften je nach deren Art und Umfang zu einem späteren Zeitpunkt zu veröffentlichen. Die zuständigen Behörden können, insbesondere bei Geschäften, die im Vergleich zum marktüblichen Geschäftsumfang bei der betreffenden Aktie oder Aktiengattung ein großes Volumen aufweisen, eine spätere Veröffentlichung gestatten. Die Mitgliedstaaten schreiben vor, dass ein MTF vorab die Genehmigung der zuständigen Behörde zu vorgeschlagenen Vorkehrungen für die verzögerte Veröffentlichung einholen muss und dass Marktteilnehmer und Anlegerpublikum auf diese Vorkehrungen deutlich hingewiesen werden.

a) die Bandbreite der Geld- und Briefkurse oder Kursofferten bestimmter Marketmaker sowie die Markttiefe zu diesen Kursen, die zu veröffentlichen sind;

(3) Um ein effizientes und ordnungsgemäßes Funktionieren der Finanzmärkte und die einheitliche Anwendung der Absätze 1 und 2 sicherzustellen, erlässt die Kommission Durchführungsmaßnahmen in Bezug auf

b) Umfang oder Art der Aufträge, bei denen gemäß Absatz 2 von der Veröffentlichung vor dem Handel abgesehen werden kann;

a) Umfang und Inhalt der Angaben, die der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden müssen;

c) das Marktmodell, für das gemäß Absatz 2 von der Veröffentlichung vor dem Handel abgesehen werden kann und insbesondere die Anwendbarkeit dieser Verpflichtung auf die Handelsmethoden eines MTF, das Geschäfte nach seinen Regeln unter Bezugnahme auf Kurse abschließt, die außerhalb des MTF oder durch periodische Auktion gestellt werden.

b) die Voraussetzungen, unter denen Wertpapierfirmen oder Marktbetreiber, die ein MTF betreiben, Angaben zu Geschäften zu einem späteren Zeitpunkt veröffentlichen dürfen, und die Kriterien, anhand deren entschieden wird, bei welchen Geschäften aufgrund ihres Umfangs oder der betroffenen Aktiengattung eine verzögerte Veröffentlichung zulässig ist.

Sofern nicht die Besonderheit des MTF etwas anderes rechtfertigt, entsprechen diese Durchführungsmaßnahmen inhaltlich denjenigen, die gemäß Artikel 44 für geregelte Märkte erlassen werden.

Sofern nicht die Besonderheit des MTF etwas anderes rechtfertigt, entsprechen diese Durchführungsmaßnahmen inhaltlich denjenigen, die gemäß Artikel 45 für geregelte Märkte erlassen werden.

Die MiFID Die Maßnahmen gemäß Unterabsatz 1 zur Änderung nicht wesentlicher Bestimmungen dieser Richtlinie durch Ergänzung werden nach dem in Artikel 64 Absatz 2 genannten Regelungsverfahren mit Kontrolle erlassen.

KAPITEL III RECHTE VON WERTPAPIERFIRMEN

Artikel 31 Freiheit der Wertpapierdienstleistung und der Anlagetätigkeit (1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass jede Wertpapierfirma, die von den zuständigen Behörden eines anderen Mitgliedstaats im Einklang mit dieser Richtlinie und bei Kreditinstituten im Einklang mit der Richtlinie 2000/12/EG zugelassen und beaufsichtigt wird, in ihrem Hoheitsgebiet ungehindert Wertpapierdienstleistungen und/oder Anlagetätigkeiten sowie Nebendienstleistungen erbringen bzw. ausüben kann, sofern diese Dienstleistungen und Tätigkeiten durch ihre Zulassung gedeckt sind. Nebendienstleistungen dürfen nur in Verbindung mit einer Wertpapierdienstleistung und/oder Anlagetätigkeit erbracht werden. Die Mitgliedstaaten erlegen diesen Wertpapierfirmen oder Kreditinstituten in den von der vorliegenden Richtlinie erfassten Bereichen keine zusätzlichen Anforderungen auf. (2) Jede Wertpapierfirma, die im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats erstmals Dienstleistungen erbringen oder Anlagetätigkeiten ausüben möchte oder die Palette ihrer dort angebotenen Dienstleistungen oder Tätigkeiten ändern möchte, übermittelt der zuständigen Behörde ihres Herkunftsmitgliedstaats folgende Angaben: a) den Mitgliedstaat, in dem sie ihre Tätigkeit auszuüben beabsichtigt, b) einen Geschäftsplan, aus dem insbesondere ihre beabsichtigten Wertpapierdienstleistungen und/oder Anlagetätigkeiten sowie Nebendienstleistungen hervorgehen, und ob sie beabsichtigt, im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats, in dem sie Dienstleistungen zu erbringen beabsichtigt, vertraglich gebundene Vermittler heranzuziehen. Beabsichtigt die Wertpapierfirma, vertraglich gebundene Vermittler heranzuziehen, teilt die zuständige Behörde des Herkunftsmitgliedstaats der Wertpapierfirma auf Ersuchen der zuständigen Behörde des Aufnahmemitgliedstaats innerhalb einer angemessenen Frist den beziehungsweise die Namen der vertraglich gebundenen Vermittler mit, die die Wertpapierfirma in dem genannten Mitgliedstaat heranzuziehen beabsichtigt. Der Aufnahmemitgliedstaat kann die entsprechenden Angaben veröffentlichen. Die ESMA kann nach dem

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Verfahren und unter den in Artikel 35 der Verordnung (EU) Nr. 1095/2010 festgelegten Bedingungen den Zugang zu diesen Informationen beantragen. (3) Die zuständige Behörde des Herkunftsmitgliedstaats leitet diese Angaben innerhalb eines Monats nach Erhalt an die gemäß Artikel 56 Absatz 1 als Kontaktstelle benannte zuständige Behörde des Aufnahmemitgliedstaats weiter. Die Wertpapierfirma kann dann im Aufnahmemitgliedstaat die betreffende(n) Wertpapierdienstleistung(en) erbringen. (4) Bei einer Änderung der nach Absatz 2 übermittelten Angaben teilt die Wertpapierfirma der zuständigen Behörde des Herkunftsmitgliedstaats diese Änderung mindestens einen Monat vor Durchführung der Änderung schriftlich mit. Die zuständige Behörde des Herkunftsmitgliedstaats setzt die zuständige Behörde des Aufnahmemitgliedstaats von diesen Änderungen in Kenntnis. (5) Die Mitgliedstaaten gestatten Wertpapierfirmen und Marktbetreibern aus anderen Mitgliedstaaten, die ein MTF betreiben, ohne weitere rechtliche oder verwaltungstechnische Auflagen, in ihrem Hoheitsgebiet geeignete Systeme bereitzustellen, um Fernnutzern oder -teilnehmern in ihrem Hoheitsgebiet den Zugang zu ihren Systemen sowie deren Nutzung zu erleichtern. (6) Die Wertpapierfirma oder der Marktbetreiber, der ein MTF betreibt, teilt der zuständigen Behörde ihres/seines Herkunftsmitgliedstaats mit, in welchem Mitgliedstaat sie/er derartige Systeme bereitzustellen beabsichtigt. Die zuständige Behörde des Herkunftsmitgliedstaats des MTF übermittelt diese Angaben innerhalb eines Monats an den Mitgliedstaat, in dem das MTF derartige Systeme bereitstellen möchte. Die zuständige Behörde des Herkunftsmitgliedstaats des MTF übermittelt der zuständigen Behörde des Aufnahmemitgliedstaats des MTF auf deren Ersuchen innerhalb einer angemessenen Frist die Namen der Mitglieder oder Teilnehmer des in jenem Mitgliedstaat niedergelassenen MTF. (7) Um eine kohärente Harmonisierung dieses Artikels zu gewährleisten, kann die ESMA Entwürfe technischer Regulierungsstandards zur Präzisierung der Angaben entwickeln, die gemäß den Absätzen 2, 4 und 6 zu übermitteln sind. Der Kommission wird die Befugnis übertragen, die in Unterabsatz 1 genannten technischen Regulierungsstandards gemäß den Artikeln 10 bis 14 der Verordnung (EU) Nr. 1095/2010 zu erlassen. Um einheitliche Bedingungen für die Anwendung dieses Artikels zu gewährleisten, kann die ESMA nach Maßgabe der Absätze 3, 4 und 6 Entwürfe technischer Durchführungsstandards entwickeln, um Standardformulare, Mustertexte und Verfahren für die Übermittlung von Angaben festzulegen.

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Der Kommission wird die Befugnis übertragen, die in Unterabsatz 3 genannten technischen Durchführungsstandards nach Artikel 15 der Verordnung (EU) Nr. 1095/2010 zu erlassen.

Artikel 32 Errichtung einer Zweigniederlassung (1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass in ihrem Hoheitsgebiet Wertpapierdienstleistungen und/oder Anlagetätigkeiten sowie Nebendienstleistungen im Einklang mit dieser Richtlinie und der Richtlinie 2000/12/EG durch die Errichtung einer Zweigniederlassung erbracht bzw. ausgeübt werden können, sofern diese Dienstleistungen und Tätigkeiten von der der Wertpapierfirma oder dem Kreditinstitut im Herkunftsmitgliedstaat erteilten Zulassung abgedeckt sind. Nebendienstleistungen dürfen nur in Verbindung mit einer Wertpapierdienstleistung und/oder Anlagetätigkeit erbracht werden. Mit Ausnahme der nach Absatz 7 zulässigen Auflagen sehen die Mitgliedstaaten keine zusätzlichen Anforderungen an die Errichtung und den Betrieb einer Zweigniederlassung in den von dieser Richtlinie erfassten Bereichen vor. (2) Die Mitgliedstaaten schreiben jeder Wertpapierfirma, die im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats eine Zweigniederlassung errichten möchte, vor, die zuständige Behörde ihres Herkunftsmitgliedstaats zuvor davon in Kenntnis zu setzen und dieser folgende Angaben zu übermitteln: a) die Mitgliedstaaten, in deren Hoheitsgebiet die Errichtung einer Zweigniederlassung geplant ist; b) einen Geschäftsplan, aus dem unter anderem die Art der angebotenen Wertpapierdienstleistungen und/oder Anlagetätigkeiten sowie Nebendienstleistungen und die Organisationsstruktur der Zweigniederlassung hervorgeht und ob sie beabsichtigt, vertraglich gebundene Vermittler heranzuziehen; c) die Anschrift, unter der im Aufnahmemitgliedstaat Unterlagen angefordert werden können; d) die Namen der Geschäftsführer der Zweigniederlassung. Zieht eine Wertpapierfirma einen vertraglich gebundenen Vermittler heran, der in einem anderen Mitgliedstaat als ihrem Herkunftsmitgliedstaat ansässig ist, so wird dieser vertraglich gebundene Vermittler der Zweigniederlassung gleichgestellt und unterliegt den für Zweigniederlassungen geltenden Bestimmungen dieser Richtlinie. (3) Sofern die zuständige Behörde des Herkunftsmitgliedstaats in Anbetracht der geplanten Tätigkeiten keinen Grund hat, die Angemessenheit der Verwaltungsstrukturen oder der Finanzlage der Wertpapierfirma anzuzweifeln, übermittelt sie die

Angaben innerhalb von drei Monaten nach Eingang sämtlicher Angaben der gemäß Artikel 56 Absatz 1 als Kontaktstelle benannten zuständigen Behörde des Aufnahmemitgliedstaats und teilt dies der betreffenden Wertpapierfirma mit. (4) Zusätzlich zu den Angaben gemäß Absatz 2 übermittelt die zuständige Behörde des Herkunftsmitgliedstaats der zuständigen Behörde des Aufnahmemitgliedstaats genaue Angaben zu dem anerkannten Anlegerentschädigungssystem, dem die Wertpapierfirma gemäß der Richtlinie 97/9/EG angeschlossen ist. Im Falle einer Änderung dieser Angaben teilt die zuständige Behörde des Herkunftsmitgliedstaats dies der zuständigen Behörde des Aufnahmemitgliedstaats mit. (5) Verweigert die zuständige Behörde des Herkunftsmitgliedstaats die Übermittlung der Angaben an die zuständige Behörde des Aufnahmemitgliedstaats, so nennt sie der betroffenen Wertpapierfirma innerhalb von drei Monaten nach Eingang sämtlicher Angaben die Gründe dafür. (6) Nach Eingang einer Mitteilung der zuständigen Behörde des Aufnahmemitgliedstaats oder bei deren Nichtäußerung spätestens nach zwei Monaten nach Weiterleitung der Mitteilung durch die zuständige Behörde des Herkunftsmitgliedstaats, kann die Zweigniederlassung errichtet werden und ihre Tätigkeit aufnehmen. (7) Der zuständigen Behörde des Mitgliedstaats in dem sich die Zweigniederlassung befindet, obliegt es, zu gewährleisten, dass die Zweigniederlassung bei Erbringung ihrer Leistungen im Hoheitsgebiet dieses Staates den Verpflichtungen nach den Artikeln 19, 21, 22, 25, 27 und 28 sowie den im Einklang damit erlassenen Maßnahmen nachkommt. Die zuständige Behörde des Mitgliedstaats, in dem sich die Zweigniederlassung befindet, hat das Recht, die von der Zweigniederlassung getroffenen Vorkehrungen zu überprüfen und Änderungen zu verlangen, die zwingend notwendig sind, um der zuständigen Behörde zu ermöglichen, die Einhaltung der Verpflichtungen gemäß den Artikeln 19, 21, 22, 25, 27 und 28 sowie den im Einklang damit erlassenen Maßnahmen in Bezug auf die Dienstleistungen und/oder Aktivitäten der Zweigniederlassung in ihrem Hoheitsgebiet zu überwachen. (8) Jeder Mitgliedstaat sieht vor, dass die zuständige Behörde des Herkunftsmitgliedstaats einer Wertpapierfirma, die in einem anderen Mitgliedstaat zugelassen ist und in seinem Hoheitsgebiet eine Zweigniederlassung errichtet hat, in Wahrnehmung ihrer Pflichten und nach Unterrichtung der zuständigen Behörde des Aufnahmemitgliedstaats vor Ort Ermittlungen in dieser Zweigniederlassung vornehmen kann. (9) Bei einer Änderung der nach Absatz 2 übermittelten Angaben teilt die Wertpapierfirma der zuständigen Behörde des Herkunftsmitgliedstaats diese Änderung mindestens einen Monat vor Durchführung der Änderung schriftlich mit. Die zuständige Behörde des Aufnahmemitgliedstaats

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Die MiFID wird von der zuständigen Behörde des Herkunftsmitgliedstaats ebenfalls über diese Änderung in Kenntnis gesetzt. (10) Um eine kohärente Harmonisierung dieses Artikels zu gewährleisten, kann die ESMA Entwürfe technischer Regulierungsstandards zur Präzisierung der Angaben entwickeln, die gemäß den Absätzen 2, 4 und 9 zu übermitteln sind. Der Kommission wird die Befugnis übertragen, die in Unterabsatz 1 genannten technischen Regulierungsstandards gemäß Artikel 10 bis 14 der Verordnung (EU) Nr. 1095/2010 zu erlassen. Um einheitliche Bedingungen für die Anwendung dieses Artikels zu gewährleisten, kann die ESMA nach den Absätzen 3 und 9 Entwürfe technischer Durchführungsstandards entwickeln, um Standardformulare, Mustertexte und Verfahren für die Übermittlung von Angaben festzulegen. Der Kommission wird die Befugnis übertragen, die in Unterabsatz 3 genannten technischen Durchführungsstandards gemäß Artikel 15 der Verordnung (EU) Nr. 1095/2010 zu erlassen.

Artikel 33 Zugang zu geregelten Märkten (1) Die Mitgliedstaaten schreiben vor, dass Wertpapierfirmen aus anderen Mitgliedstaaten, die zur Ausführung von Kundenaufträgen oder zum Handel auf eigene Rechnung berechtigt sind, auf eine der nachstehend genannten Arten Mitglied der in ihrem Hoheitsgebiet ansässigen geregelten Märkte werden können oder zu diesen Märkten Zugang haben: a) unmittelbar durch Errichtung von Zweigniederlassungen in den Aufnahmemitgliedstaaten; b) in Fällen, in denen die Handelsabläufe und -systeme des betreffenden Marktes für Geschäftsabschlüsse keine physische Anwesenheit erfordern, durch Fernmitgliedschaft in dem geregelten Markt oder Fernzugang zu diesem ohne im Herkunftsmitgliedstaat des geregelten Marktes niedergelassen sein zu müssen. (2) Die Mitgliedstaaten erlegen Wertpapierfirmen, die das Recht gemäß Absatz 1 in Anspruch nehmen, in den von dieser Richtlinie erfassten Bereichen keine zusätzlichen rechtlichen oder verwaltungstechnischen Auflagen auf.

zum Abschluss von Geschäften mit Finanzinstrumenten das Recht auf Zugang zu zentralen Gegenparteien, Clearing- und Abrechnungssystemen haben. Die Mitgliedstaaten schreiben vor, dass für den Zugang dieser Wertpapierfirmen zu diesen Einrichtungen dieselben nichtdiskriminierenden, transparenten und objektiven Kriterien gelten wie für inländische Teilnehmer. Die Mitgliedstaaten beschränken die Nutzung dieser Einrichtungen nicht auf Clearing und Abrechnung von Geschäften mit Finanzinstrumenten, die auf einem geregelten Markt oder über ein MTF in ihrem Hoheitsgebiet getätigt werden. (2) Die Mitgliedstaaten schreiben vor, dass geregelte Märkte in ihrem Hoheitsgebiet allen ihren Mitgliedern oder Teilnehmern das Recht auf Wahl des Systems einräumen, über das die auf diesem geregelten Markt getätigten Geschäfte mit Finanzmarktinstrumenten abgerechnet werden, vorausgesetzt dass a) die Verbindungen und Vereinbarungen zwischen dem gewählten Abrechnungssystem und jedem anderen System oder jeder anderen Einrichtung bestehen, die für eine effiziente und wirtschaftliche Abrechnung des betreffenden Geschäfts erforderlich sind, und b) die für die Überwachung des geregelten Marktes zuständige Behörde der Auffassung ist, dass die technischen Voraussetzungen für die Abrechnung der auf dem geregelten Markt getätigten Geschäfte durch ein anderes Abrechnungssystem als das von dem geregelten Markt gewählte ein reibungsloses und ordnungsgemäßes Funktionieren der Finanzmärkte ermöglichen. Diese Beurteilung der für den geregelten Markt zuständigen Behörde lässt die Zuständigkeit der nationalen Zentralbanken als Aufsichtsorgan von Abrechnungssystemen oder anderer Aufsichtsbehörden solcher Systeme unberührt. Die zuständige Behörde berücksichtigt die von diesen Stellen bereits ausgeübte Aufsicht, um unnötige Doppelkontrollen zu vermeiden. (3) Die Rechte der Wertpapierfirmen gemäß den Absätzen 1 und 2 lassen das Recht der Betreiber zentraler Gegenpartei-, Clearing- oder Wertpapierabrechnungssysteme, aus berechtigten gewerblichen Gründen die Bereitstellung der angeforderten Dienstleistungen zu verweigern, unberührt.

Artikel 34

Artikel 35

Zugang zu zentralen Gegenparteien, Clearing- und Abrechnungssystemen sowie Recht auf Wahl eines Abrechnungssystems

Vereinbarungen mit einer zentralen Gegenpartei und über Clearing und Abrechnung in Bezug auf MTF

(1) Die Mitgliedstaaten schreiben vor, dass Wertpapierfirmen aus anderen Mitgliedstaaten in ihrem Hoheitsgebiet für den Abschluss von Geschäften mit Finanzinstrumenten oder die Vorkehrungen

(1) Die Mitgliedstaaten hindern Wertpapierfirmen und Marktbetreiber, die ein MTF betreiben, nicht daran, mit einer zentralen Gegenpartei oder Clearingstelle und einem Abwicklungssystem eines

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Kapitalmarktrechtliche Rechtsakte

anderen Mitgliedstaats geeignete Vereinbarungen über Clearing und/oder Abwicklung einiger oder aller Geschäfte, die von Marktteilnehmern innerhalb ihrer Systeme getätigt werden, zu schließen. (2) Die zuständigen Behörden von Wertpapierfirmen und Marktbetreibern, die ein MTF betreiben, dürfen die Nutzung einer zentralen Gegenpartei, einer Clearingstelle und/oder eines Abwicklungssystems in einem anderen Mitgliedstaat nicht untersagen, es sei denn, dies ist für die Aufrechterhaltung des ordnungsgemäßen Funktionierens dieses geregelten Markts unumgänglich; die Bedingungen des Artikels 34 Absatz 2 für den Rückgriff auf Abwicklungssysteme sind zu berücksichtigen. Zur Vermeidung unnötiger Doppelkontrollen berücksichtigt die zuständige Behörde die von den nationalen Zentralbanken als Aufsichtsorgan von Clearing- und Abwicklungssystemen oder anderen für diese Systeme zuständigen Aufsichtsbehörden ausgeübte Aufsicht über das Clearing- und Abwicklungssystem.

der zuständigen Behörde wahrnimmt. Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die zuständigen Behörden die geregelten Märkte regelmäßig auf die Einhaltung der Bestimmungen dieses Titels hin überprüfen. Sie stellen ferner sicher, dass die zuständigen Behörden überwachen, ob die geregelten Märkte jederzeit die Voraussetzungen für die Erstzulassung nach diesem Titel erfüllen. (3) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass der Marktbetreiber dafür verantwortlich ist, zu gewährleisten, dass der geregelte Markt, den er verwaltet, den Anforderungen dieses Titels genügt. Die Mitgliedstaaten stellen ferner sicher, dass der Marktbetreiber die Rechte wahrnehmen darf, die dem von ihm verwalteten geregelten Markt durch diese Richtlinie zustehen. (4) Unbeschadet etwaiger einschlägiger Bestimmungen der Richtlinie 2003/6/EG unterliegt der nach den Systemen des geregelten Marktes betriebene Handel dem öffentlichen Recht des Herkunftsmitgliedstaats des geregelten Marktes. (5) Die zuständige Behörde kann einem geregelten Markt die Zulassung entziehen, wenn dieser

TITEL III GEREGELTE MÄRKTE Artikel 36 Zulassung und anwendbares Recht (1) Die Mitgliedstaaten lassen nur diejenigen Systeme als geregelten Markt zu, die den Bestimmungen dieses Titels genügen. Die Zulassung als geregelter Markt wird nur erteilt, wenn die zuständige Behörde sich davon überzeugt hat, dass sowohl der Marktbetreiber als auch die Systeme des geregelten Marktes zumindest den Anforderungen dieses Titels genügen. Handelt es sich bei einem geregelten Markt um eine juristische Person, die von einem anderen Marktbetreiber als dem geregelten Markt selbst verwaltet oder betrieben wird, legen die Mitgliedstaaten fest, welche der verschiedenen Verpflichtungen des Marktbetreibers nach dieser Richtlinie von dem geregelten Markt und welche vom Marktbetreiber zu erfüllen sind. Der Betreiber des geregelten Marktes stellt alle Angaben, einschließlich eines Geschäftsplans, aus dem unter anderem die Arten der in Betracht gezogenen Geschäfte und die Organisationsstruktur hervorgehen, zur Verfügung, damit die zuständige Behörde prüfen kann, ob der geregelte Markt bei der Erstzulassung alle erforderlichen Vorkehrungen getroffen hat, um seinen Verpflichtungen gemäß diesem Titel nachzukommen. (2) Die Mitgliedstaaten schreiben vor, dass der Betreiber des geregelten Marktes die mit der Organisation und dem Betrieb des geregelten Marktes zusammenhängenden Aufgaben unter der Aufsicht

a) nicht binnen zwölf Monaten von der Zulassung Gebrauch macht, ausdrücklich auf die Zulassung verzichtet oder in den sechs vorhergehenden Monaten nicht tätig gewesen ist, es sei denn, der betreffende Mitgliedstaat sieht in diesen Fällen das Erlöschen der Zulassung vor; b) die Zulassung aufgrund falscher Erklärungen oder auf sonstige rechtswidrige Weise erhalten hat; c) die Voraussetzungen, auf denen die Zulassung beruhte, nicht mehr erfüllt; d) in schwerwiegender Weise systematisch gegen die Bestimmungen zur Durchführung dieser Richtlinie verstoßen hat; e) einen der Fälle erfüllt, in denen das nationale Recht den Entzug vorsieht. (6) Jeder Entzug der Zulassung wird der ESMA mitgeteilt.

Artikel 37 Anforderungen an die Leitung des geregelten Marktes (1) Die Mitgliedstaaten schreiben vor, dass die Personen, die die Geschäfte und den Betrieb des geregelten Marktes tatsächlich leiten, gut beleumdet sein und über ausreichende Erfahrung verfügen müssen, um eine solide und umsichtige Verwaltung und Führung des geregelten Marktes zu gewährleisten. Die Mitgliedstaaten schreiben dem Betreiber des geregelten Marktes ferner vor, der zuständigen Behörde die Namen derjenigen, die die Geschäfte und den Betrieb des geregelten Marktes tatsächlich leiten, und nachfolgende personelle Veränderungen mitzuteilen.

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Die MiFID Die zuständige Behörde verweigert die Genehmigung vorgeschlagener Änderungen, wenn objektive und nachweisbare Gründe für die Vermutung vorliegen, dass sie die solide und umsichtige Verwaltung und Führung des geregelten Marktes erheblich gefährden. (2) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass bei der Zulassung eines geregelten Marktes die Personen, die die Geschäfte und den Betrieb eines bereits gemäß dieser Richtlinie zugelassenen geregelten Marktes tatsächlich leiten, als mit den in Absatz 1 festgelegten Anforderungen in Einklang stehend betrachtet werden. Artikel 38 Anforderungen an Personen mit wesentlichem Einfluss auf die Verwaltung des geregelten Marktes (1) Die Mitgliedstaaten schreiben vor, dass die Personen, die direkt oder indirekt tatsächlich wesentlichen Einfluss auf die Verwaltung des geregelten Marktes nehmen können, die zu diesem Zweck erforderliche Eignung besitzen müssen. (2) Die Mitgliedstaaten schreiben vor, dass der Betreiber des geregelten Marktes, a) der zuständigen Behörde Angaben zu den Eigentumsverhältnissen des geregelten Marktes und/oder des Marktbetreibers, insbesondere die Namen aller Parteien, die wesentlichen Einfluss auf seine Geschäftsführung nehmen können, und die Höhe ihrer Beteiligung vorlegt und diese Informationen veröffentlicht; b) die zuständige Behörde über jede Eigentumsübertragung, die den Kreis derjenigen verändert, die wesentlichen Einfluss auf die Führung des geregelten Marktes nehmen, unterrichtet und diese Übertragung veröffentlicht. (3) Die zuständige Behörde verweigert die Genehmigung vorgeschlagener Änderungen der Mehrheitsbeteiligung des geregelten Marktes und/oder des Marktbetreibers, wenn objektive und nachweisbare Gründe für die Vermutung vorliegen, dass sie die solide und umsichtige Verwaltung des geregelten Marktes gefährden. Artikel 39 Organisatorische Anforderungen Die Mitgliedstaaten schreiben vor, dass der geregelte Markt, a) Vorkehrungen trifft, mit denen sich etwaige nachteilige Auswirkungen von Interessenkonflikten zwischen dem geregelten Markt, seinen Eigentümern oder seinem Betreiber und dem einwandfreien Funktionieren des geregelten Marktes auf den Betrieb des geregelten Marktes oder seine Teilnehmer klar erkennen und regeln lassen, und zwar insbesondere dann,

wenn solche Interessenkonflikte die Erfüllung von Aufgaben, die dem geregelten Markt von der zuständigen Behörde übertragen wurden, behindern könnten; b) angemessen für die Verwaltung seiner Risiken ausgestattet ist, angemessene Vorkehrungen und Systeme zur Ermittlung aller für seinen Betrieb wesentlichen Risiken schafft und wirksame Maßnahmen zur Begrenzung dieser Risiken trifft; c) Vorkehrungen für eine solide Verwaltung der technischen Abläufe des Systems, einschließlich wirksamer Notmaßnahmen für den Fall eines Systemzusammenbruchs trifft; d) transparente und nichtdiskretionäre Regeln und Verfahren für einen fairen und ordnungsgemäßen Handel sowie objektive Kriterien für eine effiziente Auftragsausführung festlegt; e) wirksame Vorkehrungen trifft, die einen reibungslosen und rechtzeitigen Abschluss der innerhalb seiner Systeme ausgeführten Geschäfte erleichtern; f) bei der Zulassung und fortlaufend über ausreichende Finanzmittel verfügt, um sein ordnungsgemäßes Funktionieren zu erleichtern, wobei der Art und dem Umfang der an dem geregelten Markt geschlossenen Geschäfte sowie dem Spektrum und der Höhe der Risiken, denen er ausgesetzt ist, Rechnung zu tragen ist. Artikel 40 Zulassung von Finanzinstrumenten zum Handel (1) Die Mitgliedstaaten schreiben vor, dass geregelte Märkte über klare und transparente Regeln für die Zulassung von Finanzinstrumenten zum Handel verfügen müssen. Diese Regeln gewährleisten, dass alle zum Handel an einem geregelten Markt zugelassenen Finanzinstrumente fair, ordnungsgemäß und effizient gehandelt werden können und, im Falle übertragbarer Wertpapiere, frei handelbar sind. (2) Bei Derivaten stellen diese Regeln insbesondere sicher, dass die Ausgestaltung des Derivatgeschäfts eine ordnungsgemäße Kursbildung sowie eine wirksame Abrechnung ermöglicht. (3) Zusätzlich zu den Verpflichtungen der Absätze 1 und 2 schreiben die Mitgliedstaaten dem geregelten Markt vor, auf Dauer wirksame Vorkehrungen zur Prüfung zu treffen, ob die Emittenten von übertragbaren Wertpapieren, die zum Handel an dem geregelten Markt zugelassen sind, ihren gemeinschaftsrechtlichen Verpflichtungen bezüglich erstmaliger, laufender oder punktueller Veröffentlichungsverpflichtungen nachkommen. Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass der geregelte Markt Vorkehrungen trifft, die seinen Mitgliedern oder Teilnehmern den Zugang zu den nach

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Kapitalmarktrechtliche Rechtsakte

Gemeinschaftsrecht veröffentlichten Informationen erleichtern. (4) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass geregelte Märkte die notwendigen Vorkehrungen treffen, um die von ihnen zum Handel zugelassenen Finanzinstrumente regelmäßig auf Erfüllung der Zulassungsanforderungen hin zu überprüfen. (5) Ein zum Handel an einem geregelten Markt zugelassenes übertragbares Wertpapier kann in der Folge auch ohne Zustimmung des Emittenten im Einklang mit den einschlägigen Bestimmungen der Richtlinie 2003/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 betreffend den Prospekt, der beim öffentlichen Angebot von Wertpapieren oder bei deren Zulassung zum Handel zu veröffentlichen ist(30) zum Handel an anderen geregelten Märkten zugelassen werden. Der geregelte Markt unterrichtet den Emittenten darüber, dass seine Wertpapiere an dem betreffenden geregelten Markt gehandelt werden. Der Emittent ist nicht verpflichtet, die Angaben gemäß Absatz 3 dem geregelten Markt, der seine Wertpapiere ohne seine Zustimmung zum Handel zugelassen hat, direkt zu übermitteln. (6) Um die einheitliche Anwendung der Absätze 1 bis 5 zu gewährleisten, erlässt die Kommission Durchführungsmaßnahmen, in denen a) die Eigenschaften verschiedener Kategorien von Instrumenten festgelegt werden, die vom geregelten Markt bei der Prüfung der Frage zu berücksichtigen sind, ob ein Instrument in einer Art und Weise begeben wurde, die den Bedingungen des Absatzes 1 Unterabsatz 2 für die Zulassung zum Handel in den von ihm betriebenen Marktsegmenten entspricht; b) die Vorkehrungen präzisiert werden, die der geregelte Markt durchführen muss, damit davon ausgegangen wird, dass er seiner Verpflichtung zur Prüfung, ob der Emittent eines übertragbaren Wertpapiers seine gemeinschaftsrechtlichen Verpflichtungen bezüglich erstmaliger, laufender oder punktueller Veröffentlichungsverpflichtungen erfüllt; c) die Vorkehrungen präzisiert werden, die der geregelte Markt gemäß Absatz 3 zu treffen hat, um seinen Mitgliedern oder Teilnehmern den Zugang zu Informationen zu erleichtern, die gemäß den Auflagen des Gemeinschaftsrechts veröffentlicht wurden. Die Maßnahmen gemäß Unterabsatz 1 zur Änderung nicht wesentlicher Bestimmungen dieser Richtlinie durch Ergänzung werden nach dem in Artikel 64 Absatz 2 genannten Regelungsverfahren mit Kontrolle erlassen.

Artikel 41 Aussetzung des Handels und Ausschluss von Instrumenten vom Handel (1) Unbeschadet des Rechts der zuständigen Behörde gemäß Artikel 50 Absatz 2 Buchstaben j und k, die Aussetzung des Handels mit einem Instrument oder dessen Ausschluss vom Handel zu verlangen, kann der Betreiber des geregelten Marktes den Handel mit einem Finanzinstrument, das den Regeln des geregelten Marktes nicht mehr entspricht, aussetzen oder dieses Instrument vom Handel ausschließen, sofern die Anlegerinteressen oder das ordnungsgemäße Funktionieren des Marktes durch eine solche Maßnahme nicht erheblich geschädigt werden. Ungeachtet der Möglichkeit der Betreiber geregelter Märkte die Betreiber anderer geregelter Märkte direkt zu unterrichten, schreiben die Mitgliedstaaten vor, dass der Betreiber eines geregelten Marktes, der den Handel mit einem Finanzinstrument aussetzt oder vom Handel ausschließt, seine Entscheidung veröffentlicht und der zuständigen Behörde die einschlägigen Informationen übermittelt. Die zuständige Behörde unterrichtet die zuständigen Behörden anderer Mitgliedstaaten. (2) Eine zuständige Behörde, die für ein Finanzinstrument an einem oder mehreren geregelten Märkten die Aussetzung des Handels oder den Ausschluss vom Handel fordert, veröffentlicht ihre Entscheidung unverzüglich und unterrichtet die ESMA und die zuständigen Behörden der anderen Mitgliedstaaten. Die zuständigen Behörden der anderen Mitgliedstaaten verlangen die Aussetzung des Handels mit dem betreffenden Finanzinstrument oder dessen Ausschluss vom Handel an dem geregelten Markt und MTF, die ihrer Zuständigkeit unterliegen, außer wenn die Wahrscheinlichkeit besteht, dass Anlegerinteressen oder das ordnungsgemäße Funktionieren des Binnenmarktes dadurch erheblich geschädigt werden. Artikel 42 Zugang zum geregelten Markt (1) Die Mitgliedstaaten schreiben vor, dass der geregelte Markt auf Dauer transparente, nichtdiskriminierende und auf objektiven Kriterien beruhende Regeln für die Zugang zu dem geregelten Markt oder die Mitgliedschaft darin festlegt. (2) In diesen Regeln wird festgelegt, welche Pflichten den Mitgliedern oder Teilnehmern erwachsen aus a) der Einrichtung und Verwaltung des geregelten Marktes, b) den Regeln für die am Markt getätigten Geschäfte,

30

( ) ABl. L 345 vom 31.12.2003, S. 64.

c) den Standesregeln, zu deren Einhaltung die Mitarbeiter der am Markt tätigen Wertpapierfirmen oder Kreditinstitute verpflichtet sind,

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Die MiFID d) den für andere Mitglieder oder Teilnehmer als Wertpapierfirmen und Kreditinstitute gemäß Absatz 3 festgelegten Bedingungen, e) den Regeln und Verfahren für das Clearing und die Abrechnung der am geregelten Markt getätigten Geschäfte. (3) Geregelte Märkte können als Mitglieder oder Teilnehmer Wertpapierfirmen, nach der Richtlinie 2000/12/EG zugelassene Kreditinstitute sowie andere Personen zulassen, die a) die notwendige Eignung besitzen, b) über ausreichende Fähigkeiten und Kompetenzen für den Handel verfügen, c) über die gegebenenfalls erforderlichen organisatorischen Grundlagen verfügen, d) über ausreichende Mittel verfügen, um ihre Funktion auszufüllen, wobei den etwaigen finanziellen Vorkehrungen Rechnung zu tragen ist, die der geregelte Markt gegebenenfalls getroffen hat, um die angemessene Abrechnung der Geschäfte zu gewährleisten. (4) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass Mitglieder und Teilnehmer in Bezug auf Geschäfte, die an einem geregelten Markt geschlossen werden, den Verpflichtungen der Artikel 19, 21 und 22 nicht nachkommen müssen. Allerdings müssen die Mitglieder und Teilnehmer des geregelten Marktes die Verpflichtungen gemäß den Artikeln 19, 21 und 22 in Bezug auf ihre Kunden einhalten, wenn sie für diese Aufträge an einem geregelten Markt ausführen. (5) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die Regeln für den Zugang zu dem geregelten Markt oder die Mitgliedschaft darin die direkte oder die Fernteilnahme von Wertpapierfirmen und Kreditinstituten vorsehen. (6) Die Mitgliedstaaten gestatten geregelten Märkten aus anderen Mitgliedstaaten ohne weitere rechtliche oder verwaltungstechnische Auflagen, in ihrem Hoheitsgebiet angemessene Systeme bereitzustellen, um Fernmitgliedern oder -teilnehmern in ihrem Hoheitsgebiet den Zugang zu diesen Märkten und den Handel an ihnen zu erleichtern. Der geregelte Markt teilt der zuständigen Behörde seines Herkunftsmitgliedstaats mit, in welchem Mitgliedstaat er derartige Systeme bereitzustellen beabsichtigt. Die zuständige Behörde des Herkunftsmitgliedstaats übermittelt diese Angaben innerhalb eines Monats dem Mitgliedstaat, in dem der geregelte Markt derartige Systeme bereitstellen will. Die ESMA kann nach dem Verfahren und unter den in Artikel 35 der Verordnung (EU) Nr. 1095/2010 festgelegten Bedingungen den Zugang zu diesen Informationen beantragen. Die zuständige Behörde des Herkunftsmitgliedstaats des geregelten Marktes übermittelt der zuständigen Behörde des Aufnahmemitgliedstaats auf deren Ersuchen innerhalb einer angemessenen Frist die Namen der Mitglieder oder Teilneh-

mer des im Herkunftsmitgliedstaat niedergelassenen geregelten Marktes. (7) Die Mitgliedstaaten schreiben vor, dass der Betreiber des geregelten Marktes der zuständigen Behörde des geregelten Marktes regelmäßig das Verzeichnis der Mitglieder und Teilnehmer des geregelten Marktes übermittelt.

Artikel 43 Überwachung der Einhaltung der Regeln des geregeltes Marktes und anderer rechtlicher Verpflichtungen (1) Die Mitgliedstaaten schreiben vor, dass geregelte Märkte auf Dauer wirksame Vorkehrungen und Verfahren zur regelmäßigen Überwachung der Einhaltung ihrer Regeln durch ihre Mitglieder und Teilnehmer festlegen. Geregelte Märkte überwachen die von ihren Mitgliedern oder Teilnehmern innerhalb ihrer Systeme geschlossenen Geschäfte, um Verstöße gegen diese Regeln, marktstörende Handelsbedingungen oder Verhaltensweisen, die auf Marktmissbrauch hindeuten könnten, zu erkennen. (2) Die Mitgliedstaaten schreiben den Betreibern geregelter Märkte vor, der zuständigen Behörde des geregelten Marktes schwerwiegende Verstöße gegen ihre Regeln oder marktstörende Handelsbedingungen oder Verhaltensweisen, die auf Marktmissbrauch hindeuten könnten, zu melden. Die Mitgliedstaaten schreiben dem Betreiber eines geregelten Marktes ferner vor, der Behörde, die für die Ermittlung und Verfolgung von Marktmissbrauch zuständig ist, die einschlägigen Informationen unverzüglich zu übermitteln und sie bei Ermittlungen wegen Marktmissbrauchs innerhalb oder über die Systeme des geregelten Marktes und dessen Verfolgung in vollem Umfang zu unterstützen. Artikel 44 Vorhandels-Transparenzvorschriften für geregelte Märkte (1) Die Mitgliedstaaten schreiben mindestens vor, dass geregelte Märkte die aktuellen Geld- und Briefkurse und die Tiefe der Handelspositionen zu diesen Kursen veröffentlichen, die über ihre Systeme für zum Handel zugelassene Aktien mitgeteilt werden. Die Mitgliedstaaten schreiben vor, dass diese Informationen der Öffentlichkeit zu angemessenen kaufmännischen Bedingungen und kontinuierlich während der üblichen Geschäftszeiten zur Verfügung gestellt werden müssen. Geregelte Märkte können Wertpapierfirmen, die ihre Aktienkurse gemäß Artikel 27 veröffentlichen müssen, zu angemessenen kaufmännischen Bedingungen und in nichtdiskriminierender Weise Zugang zu den Systemen geben, die sie für die Veröffentlichung der Informationen nach Unterabsatz 1 verwenden.

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Kapitalmarktrechtliche Rechtsakte

(2) Die Mitgliedstaaten sehen vor, dass die zuständigen Behörden in den gemäß Absatz 3 festgelegten Fällen je nach Marktmodell oder Art und Umfang der Aufträge geregelte Märkte von der Verpflichtung zur Veröffentlichung der Informationen gemäß Absatz 1 ausnehmen können. Die zuständigen Behörden können insbesondere bei Geschäften, die im Vergleich zum marktüblichen Geschäftsumfang bei der betreffenden Aktie oder dem betreffenden Aktientyp ein großes Volumen aufweisen, von dieser Verpflichtung absehen.

nen eine verzögerte Veröffentlichung insbesondere bei Geschäften gestatten, die im Vergleich zum marktüblichen Geschäftsumfang bei der betreffenden Aktie oder Aktiengattung ein großes Volumen aufweisen. Die Mitgliedstaaten schreiben vor, dass ein geregelter Markt vorab die Genehmigung der zuständigen Behörde zu vorgeschlagenen Vorkehrungen für die verzögerte Veröffentlichung einholen muss und ferner, dass Marktteilnehmer und Anlegerpublikum auf diese Vorkehrungen deutlich hingewiesen werden.

(3) Um die einheitliche Anwendung der Absätze 1 und 2 zu gewährleisten, erlässt die Kommission Durchführungsmaßnahmen in Bezug auf

(3) Um ein effizientes und ordnungsgemäßes Funktionieren der Finanzmärkte zu gewährleisten und die einheitliche Anwendung der Absätze 1 und 2 sicherzustellen, erlässt die Kommission Durchführungsmaßnahmen in Bezug auf:

a) die Bandbreite der Geld- und Briefkurse oder Kursofferten bestimmter Marketmaker sowie die Markttiefe zu diesen Kursen, die zu veröffentlichen sind; b) Umfang oder Art der Aufträge, bei denen gemäß Absatz 2 von der Veröffentlichung vor dem Handel abgesehen werden kann; c) das Marktmodell, für das gemäß Absatz 2 von der Veröffentlichung vor dem Handel abgesehen werden kann, und insbesondere die Anwendbarkeit dieser Verpflichtung auf die Handelsmethoden geregelter Märkte, die Geschäfte nach ihren Regeln unter Bezugnahme auf Kurse abschließen, die außerhalb des geregelten Marktes oder durch periodische Auktion gestellt werden. Die Maßnahmen gemäß Unterabsatz 1 zur Änderung nicht wesentlicher Bestimmungen dieser Richtlinie durch Ergänzung werden nach dem in Artikel 64 Absatz 2 genannten Regelungsverfahren mit Kontrolle erlassen. Artikel 45 Nachhandels-Transparenzvorschriften für geregelte Märkte (1) Die Mitgliedstaaten schreiben mindestens vor, dass geregelte Märkte Kurs, Umfang und Zeitpunkt der Geschäfte veröffentlichen, die in Bezug auf zum Handel zugelassene Aktien abgeschlossen wurden. Die Mitgliedstaaten schreiben vor, dass die Einzelheiten dieser Geschäfte zu angemessenen kaufmännischen Bedingungen und soweit wie möglich auf Echtzeitbasis zu veröffentlichen sind. Geregelte Märkte können Wertpapierfirmen, die gemäß Artikel 28 Einzelheiten ihrer Aktiengeschäfte veröffentlichen müssen, zu angemessenen kaufmännischen Bedingungen und in nicht-diskriminierender Weise Zugang zu den Systemen geben, die sie für die Veröffentlichung der Informationen nach Unterabsatz 1 verwenden. (2) Die Mitgliedstaaten sehen vor, dass die zuständige Behörde geregelten Märkten gestatten kann, die Einzelheiten von Geschäften je nach deren Art und Umfang zu einem späteren Zeitpunkt zu veröffentlichen. Die zuständigen Behörden kön-

a) Umfang und Inhalt der Angaben, die der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden müssen; b) die Voraussetzungen, unter denen ein geregelter Markt Angaben zu Geschäften zu einem späteren Zeitpunkt veröffentlichen darf, und die Kriterien, anhand deren entschieden wird, bei welchen Geschäften aufgrund ihres Umfangs oder der betroffenen Aktiengattung eine verzögerte Veröffentlichung zulässig ist. Die Maßnahmen gemäß Unterabsatz 1 zur Änderung nicht wesentlicher Bestimmungen dieser Richtlinie durch Ergänzung werden nach dem in Artikel 64 Absatz 2 genannten Regelungsverfahren mit Kontrolle erlassen.

Artikel 46 Vereinbarungen mit einer zentralen Gegenpartei und über Clearing und Abrechnung (1) Die Mitgliedstaaten hindern geregelte Märkte nicht daran, mit einer zentralen Gegenpartei oder Clearingstelle und einem Abrechnungssystem eines anderen Mitgliedstaats zweckmäßige Vereinbarungen über Clearing und/oder Abrechnung einiger oder aller Geschäfte, die von Marktteilnehmern innerhalb ihrer Systeme getätigt werden, zu schließen. (2) Die für einen geregelten Markt zuständige Behörde darf die Nutzung einer zentralen Gegenpartei, einer Clearingstelle und/oder eines Abwicklungssystems in einem anderen Mitgliedstaat nicht untersagen, es sei denn, dies ist für die Aufrechterhaltung des ordnungsgemäßen Funktionierens dieses geregelten Markts unumgänglich; die Bedingungen des Artikels 34 Absatz 2 für den Rückgriff auf Abwicklungssysteme sind zu berücksichtigen. Zur Vermeidung unnötiger Doppelkontrollen berücksichtigt die zuständige Behörde die von den nationalen Zentralbanken als Aufsichtsorgane von Clearing- und Abwicklungssystemen oder anderen für diese Systeme zuständigen Aufsichtsbehörden ausgeübte Aufsicht über das Clearing- und Abwicklungssystem.

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Die MiFID Artikel 47 Verzeichnis geregelter Märkte Jeder Mitgliedstaat erstellt ein Verzeichnis der geregelten Märkte, für die er der Herkunftsmitgliedstaat ist, und übermittelt dieses Verzeichnis den übrigen Mitgliedstaaten und der ESMA. Die gleiche Mitteilung erfolgt bei jeder Änderung dieses Verzeichnisses. Die ESMA veröffentlicht ein Verzeichnis aller geregelten Märkte auf ihrer Website und aktualisiert es regelmäßig.

TITEL IV

bewerbs verwendet werden. In jedem Fall sind die gemäß Absatz 1 benannte(n) zuständige(n) Behörde(n) in letzter Instanz für die Überwachung der Einhaltung dieser Richtlinie und der zu ihrer Durchführung erlassenen Maßnahmen zuständig. Die Mitgliedstaaten teilen der Kommission, der ESMA und den zuständigen Behörden der anderen Mitgliedstaaten alle Vereinbarungen über eine Übertragung von Aufgaben, einschließlich der genauen, für diese Übertragung geltenden Bedingungen, mit. (3) Die ESMA veröffentlicht ein Verzeichnis der zuständigen Behörden im Sinne der Absätze 1 und 2 auf ihrer Website und aktualisiert es regelmäßig.

ZUSTÄNDIGE BEHÖRDEN Artikel 49 KAPITEL I BENENNUNG, BEFUGNISSE UND RECHTSBEHELFE Artikel 48 Benennung der zuständigen Behörden (1) Jeder Mitgliedstaat benennt die zuständigen Behörden, die für die Wahrnehmung der verschiedenen Aufgaben gemäß den einzelnen Bestimmungen dieser Richtlinie verantwortlich sind. Die Mitgliedstaaten teilen der Kommission, der ESMA und den zuständigen Behörden der anderen Mitgliedstaaten den Namen der für die Wahrnehmung dieser Aufgaben verantwortlichen zuständigen Behörden sowie jede etwaige Aufgabenteilung mit. (2) Unbeschadet der Möglichkeit, in den in Artikel 5 Absatz 5, Artikel 16 Absatz 3, Artikel 17 Absatz 2 und Artikel 23 Absatz 4 ausdrücklich genannten Fällen anderen Stellen Aufgaben zu übertragen, muss es sich bei den zuständigen Behörden im Sinne von Absatz 1 um staatliche Stellen handeln. Eine Übertragung von Aufgaben auf andere Stellen als die Behörden gemäß Absatz 1 darf weder mit der Ausübung der Staatsgewalt noch einem Ermessensspielraum bei Entscheidungen verbunden sein. Die Mitgliedstaaten schreiben vor, dass die zuständigen Behörden vor einer Übertragung durch zweckmäßige Vorkehrungen sicherstellen, dass die Stelle, der Aufgaben übertragen werden sollen, über die notwendigen Kapazitäten und Mittel verfügt, um diese tatsächlich wahrnehmen zu können, und dass eine Übertragung nur stattfindet, wenn eine klar definierte und dokumentierte Regelung für die Wahrnehmung übertragener Aufgaben existiert, in der die Aufgaben und die Bedingungen für ihre Wahrnehmung dargelegt sind. Zu diesen Bedingungen gehört eine Klausel, die die betreffende Stelle verpflichtet, so zu handeln und organisiert zu sein, dass Interessenkonflikte vermieden werden und die in Wahrnehmung der übertragenen Aufgaben erhaltenen Informationen nicht in unredlicher Weise oder zur Verhinderung des Wett-

Zusammenarbeit zwischen Behörden ein und desselben Mitgliedstaats Benennt ein Mitgliedstaat für die Durchsetzung einer Bestimmung dieser Richtlinie mehr als eine zuständige Behörde, so müssen die jeweiligen Aufgaben klar abgegrenzt werden und die betreffenden Behörden eng zusammenarbeiten. Jeder Mitgliedstaat gewährleistet, dass eine solche Zusammenarbeit auch zwischen den im Sinne d ieser Richtlinie zuständigen Behörden und den in diesem Mitgliedstaat für die Überwachung der Kreditinstitute, sonstigen Finanzinstitute, Pensionsfonds, OGAW, Versicherungs- und Rückversicherungsvermittler und Versicherungsunternehmen zuständigen Behörden stattfindet. Die Mitgliedstaaten schreiben vor, dass die zuständigen Behörden untereinander alle Informationen austauschen, die für die Wahrnehmung ihrer Aufgaben und Verantwortlichkeiten wesentlich oder von Belang sind.

Artikel 50 Befugnisse der zuständigen Behörden (1) Die zuständigen Behörden sind mit allen für die Wahrnehmung ihrer Aufgaben notwendigen Überwachungs- und Ermittlungsbefugnissen auszustatten. Sie üben diese Befugnisse innerhalb der Grenzen ihres nationalen Rechts entweder a) direkt oder b) in Zusammenarbeit mit anderen Behörden oder c) in eigener Zuständigkeit, durch Übertragung von Aufgaben auf Stellen, denen gemäß Artikel 48 Absatz 2 Aufgaben übertragen wurden, oder d) durch Antrag bei den zuständigen Justizbehörden aus. (2) Die Befugnisse gemäß Absatz 1 werden in Einklang mit dem nationalen Recht ausgeübt und umfassen zumindest das Recht,

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a) Unterlagen aller Art einzusehen und Kopien von ihnen zu erhalten, b) von jeder Person Auskünfte zu verlangen und, falls notwendig, eine Person vorzuladen und zu vernehmen, c) Ermittlungen vor Ort durchzuführen, d) bereits existierende Aufzeichnungen von Telefongesprächen und Datenübermittlungen anzufordern, e) vorzuschreiben, dass Praktiken, die gegen die nach dieser Richtlinie erlassenen Vorschriften verstoßen, unterbunden werden; f) das Einfrieren und/oder die Beschlagnahme von Vermögenswerten zu verlangen, g) ein vorübergehendes Verbot der Ausübung der Berufstätigkeit zu verlangen, h) von den Wirtschaftsprüfern zugelassener Wertpapierfirmen und geregelter Märkte die Erteilung von Auskünften zu verlangen, i) jede Maßnahme zu erlassen, um zu gewährleisten, dass zugelassene Wertpapierfirmen und geregelte Märkte weiterhin den rechtlichen Anforderungen genügen, j) die Aussetzung des Handels mit einem Finanzinstrument zu verlangen, k) den Ausschluss eines Finanzinstruments vom Handel zu verlangen, unabhängig davon, ob dieser auf einem geregelten Markt oder über ein anderes Handelssystem stattfindet, l) eine Sache zwecks strafrechtlicher Verfolgung an ein Gericht zu verweisen, m) Überprüfungen oder Ermittlungen durch Wirtschaftsprüfer oder Sachverständige vornehmen zu lassen.

Artikel 51 Verwaltungssanktionen (1) Unbeschadet der Verfahren für den Entzug der Zulassung oder des Rechts der Mitgliedstaaten, strafrechtliche Sanktionen zu verhängen, sorgen die Mitgliedstaaten entsprechend ihrem nationalen Recht dafür, dass bei Verstößen gegen die gemäß dieser Richtlinie erlassenen Vorschriften gegen die verantwortlichen Personen, geeignete Verwaltungsmaßnahmen ergriffen oder im Verwaltungsverfahren zu erlassende Sanktionen verhängt werden können. Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass diese Maßnahmen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sind. (2) Die Mitgliedstaaten legen fest, welche Sanktionen bei Unterlassung der Zusammenarbeit in einem Ermittlungsverfahren nach Artikel 50 zu verhängen sind. (3) Die Mitgliedstaaten sehen vor, dass die zuständige Behörde jede Maßnahme oder Sanktion,

die bei einem Verstoß gegen die nach dieser Richtlinie erlassenen Vorschriften verhängt wird, bekannt machen kann, sofern eine solche Bekanntgabe die Stabilität der Finanzmärkte nicht ernstlich gefährdet oder den Beteiligten keinen unverhältnismäßig hohen Schaden zufügt. (4) Die Mitgliedstaaten übermitteln der ESMA jährlich eine Zusammenfassung von Informationen über alle gemäß Absatz 1 und 2 ergriffenen Verwaltungsmaßnahmen und verhängten Sanktionen. (5) Hat die zuständige Behörde eine Verwaltungsmaßnahme oder eine Sanktion der Öffentlichkeit bekannt gemacht, so unterrichtet sie die ESMA gleichzeitig darüber. (6) Wenn eine veröffentliche Sanktion eine Wertpapierfirma betrifft, die nach der vorliegenden Richtlinie zugelassen ist, macht die ESMA einen Vermerk über die veröffentlichte Sanktion im Register der Wertpapierfirmen, der gemäß Artikel 5 Absatz 3 erstellt worden ist. Artikel 52 Recht auf Einlegung eines Rechtsbehelfs (1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass jede Entscheidung, die im Rahmen der nach dieser Richtlinie erlassenen Rechts- oder Verwaltungsvorschriften getroffen wird, ordnungsgemäß begründet wird und die Gerichte angerufen werden können. Ein Recht auf Anrufung der Gerichte besteht auch, wenn über einen Antrag auf Zulassung, der alle erforderlichen Angaben enthält, innerhalb von sechs Monaten nach Einreichung nicht entschieden wurde. (2) Die Mitgliedstaaten sehen vor, dass eine oder mehrere der folgenden nach nationalem Recht bestimmten Stellen gemäß dem nationalen Recht im Interesse von Verbrauchern die Gerichte oder die zuständigen Verwaltungsinstanzen anrufen kann bzw. können, um dafür zu sorgen, dass die nationalen Vorschriften zur Durchführung dieser Richtlinie angewandt werden: a) staatliche Stellen oder ihre Vertreter; b) Verbraucherverbände, die ein berechtigtes Interesse am Schutz der Verbraucher haben; c) Berufsverbände, die ein berechtigtes Interesse daran haben, sich für den Schutz ihrer Mitglieder einzusetzen. Artikel 53 Außergerichtliches Verfahren für Anlegerbeschwerden (1) Die Mitgliedstaaten fördern die Einrichtung effizienter und wirksamer Beschwerde- und Schlichtungsverfahren für die außergerichtliche Beilegung von Streitfällen von Verbrauchern über die von Wertpapierfirmen erbrachten Wertpapier- und Ne-

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Die MiFID bendienstleistungen und greifen dabei gegebenenfalls auf bestehende Einrichtungen zurück. (2) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass diese Einrichtungen nicht durch Rechts- oder Verwaltungsvorschriften daran gehindert werden, bei der Beilegung grenzüberschreitender Streitfälle wirksam zusammenzuarbeiten. (3) Die zuständigen Behörden teilen der ESMA die in Absatz 1 genannten Beschwerde- und Rechtsbehelfsverfahren mit, die in ihren Rechtsordnungen vorgesehen sind. Die ESMA veröffentlicht ein Verzeichnis aller außergerichtlichen Verfahren auf ihrer Website und aktualisiert es regelmäßig.

Artikel 54 Berufsgeheimnis (1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die zuständigen Behörden, alle Personen, die für diese oder für Stellen, denen nach Artikel 48 Absatz 2 Aufgaben übertragen wurden, tätig sind oder waren, sowie die von den zuständigen Behörden beauftragten Wirtschaftsprüfer und Sachverständigen dem Berufsgeheimnis unterliegen. Diese dürfen vertrauliche Informationen, die sie in ihrer beruflichen Eigenschaft erhalten, an keine Person oder Behörde weitergeben, es sei denn in zusammengefasster oder allgemeiner Form, so dass die einzelnen Wertpapierfirmen, Marktbetreiber, geregelten Märkte oder anderen Personen nicht zu erkennen sind; davon unberührt bleiben Fälle, die unter das Strafrecht oder andere Bestimmungen dieser Richtlinie fallen. (2) Wurde gegen eine Wertpapierfirma, einen Marktbetreiber oder einen geregelten Markt durch Gerichtsbeschluss das Konkursverfahren eröffnet oder ihre Zwangsabwicklung eingeleitet, so dürfen vertrauliche Informationen, die sich nicht auf Dritte beziehen, in zivil- oder handelsrechtlichen Verfahren weitergegeben werden, sofern dies für das betreffende Verfahren erforderlich ist. (3) Unbeschadet der Fälle, die unter das Strafrecht fallen, dürfen die zuständigen Behörden, Stellen oder andere natürliche oder juristische Personen als die zuständigen Behörden vertrauliche Informationen, die sie gemäß dieser Richtlinie erhalten, nur zur Wahrnehmung ihrer Verantwortlichkeiten und Aufgaben – im Falle der zuständigen Behörden – innerhalb des Geltungsbereichs dieser Richtlinie oder – im Falle anderer Behörden, Stellen, natürlicher oder juristischer Personen – für die Zwecke, für die die Information übermittelt wurde, und/oder bei Verwaltungs- oder Gerichtsverfahren, die sich speziell auf die Wahrnehmung dieser Aufgaben beziehen, verwenden. Gibt die zuständige Behörde oder andere Behörde, Stelle oder Person, die die Information übermittelt, jedoch ihre Zustimmung, so darf die Behörde, die die Information erhält, diese für andere Zwecke verwenden.

(4) Vertrauliche Informationen, die gemäß dieser Richtlinie empfangen, ausgetauscht oder übermittelt werden, unterliegen den Vorschriften dieses Artikels über das Berufsgeheimnis. Dieser Artikel steht dem allerdings nicht entgegen, dass die zuständigen Behörden im Einklang mit dieser Richtlinie und mit anderen, für Wertpapierfirmen, Kreditinstitute, Pensionsfonds, OGAW, Versicherungsund Rückversicherungsvermittler, Versicherungsunternehmen, geregelte Märkte oder Marktbetreiber geltenden Richtlinien vertrauliche Informationen mit Zustimmung der die Informationen übermittelnden zuständigen Behörde oder anderen Behörden, Stellen und sonstigen juristischen oder natürlichen Personen austauschen oder solche übermitteln. (5) Dieser Artikel steht dem Austausch oder der Übermittlung vertraulicher Informationen, die nicht von der zuständigen Behörde eines anderen Mitgliedstaats empfangen wurden, durch die zuständigen Behörden im Einklang mit den jeweils maßgebenden nationalem Recht nicht entgegen.

Artikel 55 Beziehungen zu Wirtschaftsprüfern (1) Die Mitgliedstaaten sehen zumindest vor, dass jede im Rahmen der Achten Richtlinie 84/253/ EWG des Rates vom 10. April 1984 über die Zulassung der mit der Pflichtprüfung der Rechnungslegungsunterlagen beauftragten Personen(31) zugelassene Person, die in einer Wertpapierfirma die Tätigkeit gemäß Artikel 51 der Vierten Richtlinie 78/660/EWG des Rates vom 25. Juli 1978 über den Jahresabschluss von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen(32), Artikel 37 der Richtlinie 83/ 349/EWG oder Artikel 31 der Richtlinie 85/611/ EWG oder eine andere gesetzlich vorgeschriebene Tätigkeit ausübt, verpflichtet ist, den zuständigen Behörden unverzüglich jeden dieses Unternehmen betreffenden Sachverhalt oder Beschluss zu melden, von dem sie in Ausübung ihrer Tätigkeit Kenntnis erlangt hat und der a) einen erheblichen Verstoß gegen die Rechtsoder Verwaltungsvorschriften, die die Zulassungsvoraussetzungen enthalten oder die Ausübung der Tätigkeit von Wertpapierfirmen regeln, darstellen könnte; b) den Fortbestand der Wertpapierfirma in Frage stellen könnte; c) dazu führen könnte, dass der Prüfungsvermerk verweigert oder unter einen Vorbehalt gestellt wird. Diese Person ist ferner zur Meldung jedes Sachverhalts oder Beschlusses verpflichtet, von dem sie

(31) ABl. L 126 vom 12.5.1984, S. 20. (32) ABl. L 222 vom 14.8.1978, S. 11. Zuletzt geändert durch die Richtlinie 2003/51/EG des Europäischen Parlaments und des Rates (ABl. L 178 vom 17.7.2003, S. 16).

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in Ausübung einer der Tätigkeiten gemäß Unterabsatz 1 in einem Unternehmen Kenntnis erlangt, das in enger Verbindung zu der Wertpapierfirma steht, in der sie diese Tätigkeit ausübt. (2) Meldet eine im Rahmen der Richtlinie 84/253/ EWG zugelassene Person den zuständigen Behörden nach Treu und Glauben einen der in Absatz 1 genannten Sachverhalte oder Beschlüsse, so stellt dies keinen Verstoß gegen eine etwaige vertragliche oder rechtliche Beschränkung der Informationsweitergabe dar und zieht für diese Person keinerlei Haftung nach sich.

KAPITEL II ZUSAMMENARBEIT ZWISCHEN DEN ZUSTÄNDIGEN BEHÖRDEN DER MITGLIEDSTAATEN UND DER ESMA Artikel 56 Pflicht zur Zusammenarbeit (1) Die zuständigen Behörden der einzelnen Mitgliedstaaten arbeiten zusammen, wann immer dies zur Wahrnehmung der in dieser Richtlinie festgelegten Aufgaben erforderlich ist und machen dazu von den ihnen entweder durch diese Richtlinie oder das nationale Recht übertragenen Befugnissen Gebrauch. Die zuständigen Behörden leisten den zuständigen Behörden der anderen Mitgliedstaaten Amtshilfe. Sie tauschen insbesondere Informationen aus und arbeiten bei Ermittlungen oder der Überwachung zusammen. Zur Erleichterung und Beschleunigung der Zusammenarbeit und insbesondere des Informationsaustauschs benennen die Mitgliedstaaten für die Zwecke dieser Richtlinie eine einzige zuständige Behörde als Kontaktstelle. Die Mitgliedstaaten teilen der Kommission, der ESMA und den anderen Mitgliedstaaten die Namen der Behörden mit, die Ersuchen um Austausch von Informationen oder um Zusammenarbeit gemäß diesem Absatz entgegennehmen dürfen. Die ESMA veröffentlicht ein Verzeichnis dieser Behörden auf ihrer Website und aktualisiert es regelmäßig. (2) Haben die Geschäfte eines geregelten Marktes mit Vorkehrungen in einem Aufnahmemitgliedstaat in Anbetracht der Lage an den Wertpapiermärkten des Aufnahmemitgliedstaats wesentliche Bedeutung für das Funktionieren der Wertpapiermärkte und den Anlegerschutz in diesem Mitgliedstaat erlangt, so treffen die zuständigen Behörden des Herkunfts- und des Aufnahmemitgliedstaats des geregelten Marktes angemessene Vorkehrungen für die Zusammenarbeit. (3) Die Mitgliedstaaten ergreifen die notwendigen verwaltungstechnischen und organisatorischen Maßnahmen, um die Amtshilfe gemäß Absatz 1 zu erleichtern.

Die zuständigen Behörden können für die Zwecke der Zusammenarbeit von ihren Befugnissen Gebrauch machen, auch wenn die Verhaltensweise, die Gegenstand der Ermittlung ist, keinen Verstoß gegen eine in dem betreffenden Mitgliedstaat geltende Vorschrift darstellt. (4) Hat eine zuständige Behörde begründeten Anlass zu der Vermutung, dass Unternehmen, die nicht ihrer Aufsicht unterliegen, im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats gegen die Bestimmungen dieser Richtlinie verstoßen oder verstoßen haben, so unterrichtet sie die zuständige Behörde des anderen Mitgliedstaats und die ESMA so genau wie möglich. Die unterrichtete zuständige Behörde ergreift geeignete Maßnahmen. Sie unterrichtet die zuständige Behörde, von der sie die Mitteilung erhalten hat, und die ESMA über den Ausgang dieser Maßnahmen und soweit wie möglich über wesentliche zwischenzeitlich eingetretene Entwicklungen. Die Befugnisse der zuständigen Behörde, die die Informationen übermittelt hat, werden durch diesen Absatz nicht berührt. (5) Um die einheitliche Anwendung des Absatzes 2 zu gewährleisten, kann die Kommission Durchführungsmaßnahmen zur Festlegung der Kriterien erlassen, nach denen sich bestimmt, ob die Geschäfte eines geregelten Marktes in einem Aufnahmemitgliedstaat als von wesentlicher Bedeutung für das Funktionieren der Wertpapiermärkte und den Anlegerschutz in diesem Mitgliedstaat angesehen werden können. Diese Maßnahmen zur Änderung nicht wesentlicher Bestimmungen dieser Richtlinie durch Ergänzung werden nach dem in Artikel 64 Absatz 2 genannten Regelungsverfahren mit Kontrolle erlassen. (6) Um einheitliche Bedingungen für die Anwendung dieses Artikels zu gewährleisten, kann die ESMA Entwürfe technischer Durchführungsstandards entwickeln, um Standardformulare, Mustertexte und Verfahren für die in Absatz 2 genannten Vorkehrungen für die Zusammenarbeit festzulegen. Der Kommission wird die Befugnis übertragen, die in Unterabsatz 1 genannten technischen Durchführungsstandards gemäß Artikel 15 der Verordnung (EU) Nr. 1095/2010 zu erlassen.

Artikel 57 (1) Die zuständige Behörde eines Mitgliedstaats kann die zuständige Behörde eines anderen Mitgliedstaats um Zusammenarbeit bei einer Überwachung oder einer Überprüfung vor Ort oder einer Ermittlung ersuchen. Im Falle von Wertpapierfirmen, die Fernmitglieder eines geregelten Marktes sind, kann die zuständige Behörde des geregelten Marktes sich auch direkt an diese wenden, wobei sie die zuständige Behörde des Herkunftsmitgliedstaats des Fernmitglieds davon in Kenntnis setzt.

Die MiFID Erhält eine zuständige Behörde ein Ersuchen um eine Überprüfung vor Ort oder eine Ermittlung, so wird sie im Rahmen ihrer Befugnisse tätig, indem sie a) die Überprüfungen oder Ermittlungen selbst vornimmt; oder b) der ersuchenden Behörde die Durchführung der Überprüfung oder Ermittlung gestattet oder c) Wirtschaftsprüfern oder Sachverständigen die Durchführung der Überprüfung oder Ermittlung gestattet. (2) Mit dem Ziel, die Aufsichtspraktiken anzugleichen, kann die ESMA an den Tätigkeiten der Aufsichtskollegien, auch in Form von Überprüfungen oder Ermittlungen vor Ort, teilnehmen, die gemeinsam von zwei oder mehreren zuständigen Behörden gemäß Artikel 21 der Verordnung (EU) Nr. 1095/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates durchgeführt werden. (3) Um eine kohärente Harmonisierung von Absatz 1 zu gewährleisten, kann die ESMA Entwürfe technischer Regulierungsstandards zur Präzisierung der Informationen entwickeln, die zwischen den zuständigen Behörden im Rahmen der Zusammenarbeit bei der Überwachung, bei Überprüfungen vor Ort oder bei Ermittlungen auszutauschen sind. Der Kommission wird die Befugnis übertragen, die in Unterabsatz 1 genannten Entwürfe technischer Regulierungsstandards gemäß Artikel 10 bis 14 der Verordnung (EU) Nr. 1095/2010 zu erlassen. Um einheitliche Bedingungen für die Anwendung von Absatz 1 zu gewährleisten, kann die ESMA Entwürfe technischer Durchführungsstandards entwickeln, um Standardformulare, Mustertexte und Verfahren für die zuständigen Behörden festzulegen, die bei der Überwachung, bei Überprüfungen vor Ort oder bei Ermittlungen zusammenarbeiten. Der Kommission wird die Befugnis übertragen, die in Unterabsatz 3 genannten technischen Durchführungsstandards nach Artikel 15 der Verordnung (EU) Nr. 1095/2010 zu erlassen. Artikel 58 Informationsaustausch (1) Die gemäß Artikel 56 Absatz 1 für die Zwecke dieser Richtlinie als Kontaktstellen benannten zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten übermitteln einander unverzüglich die für die Wahrnehmung der Aufgaben der gemäß Artikel 48 Absatz 1 benannten zuständigen Behörden erforderlichen Informationen, die in den Bestimmungen zur Durchführung der Richtlinie genannt sind. Zuständige Behörden, die Informationen mit anderen zuständigen Behörden austauschen, können bei der Übermittlung darauf hinweisen, dass diese nur mit ihrer ausdrücklichen Zustimmung veröffent-

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licht werden dürfen, in welchem Fall sie nur für die Zwecke, für die die Zustimmung erteilt wurde, ausgetauscht werden dürfen. (2) Die als Kontaktstelle benannte zuständige Behörde darf gemäß Absatz 1 und gemäß Artikeln 55 und 63 empfangene Informationen an die in Artikel 49 genannten Behörden weiterleiten. Außer in gebührend begründeten Fällen dürfen sie diese Informationen nur mit ausdrücklicher Zustimmung der Behörden, die sie übermittelt haben, und nur für die Zwecke, für die diese Behörden ihre Zustimmung gegeben haben, an andere Stellen oder natürliche oder juristische Personen weitergeben. In diesem Fall unterrichtet die betreffende Kontaktstelle unverzüglich die Kontaktstelle, von der die Information stammt. (3) Die in Artikel 49 genannten Behörden sowie andere Stellen oder natürliche oder juristische Personen, die vertrauliche Informationen nach Absatz 1 oder nach den Artikeln 55 und 63 erhalten, dürfen diese in Wahrnehmung ihrer Aufgaben insbesondere nur für folgende Zwecke verwenden: a) zur Prüfung, ob die Zulassungsbedingungen für Wertpapierfirmen erfüllt sind, und zur leichteren Überwachung der Ausübung der Tätigkeit auf Einzelfirmen- oder auf konsolidierter Basis, insbesondere hinsichtlich der in der Richtlinie 93/6/EWG vorgesehenen Eigenkapitalanforderungen, der verwaltungsmäßigen und buchhalterischen Organisation und der internen Kontrollmechanismen, b) zur Überwachung des reibungslosen Funktionierens der Handelsplätze, c) zur Verhängung von Sanktionen, d) im Rahmen von Verwaltungsverfahrens über die Anfechtung von Entscheidungen der zuständigen Behörden, e) im Rahmen von Gerichtsverfahren aufgrund von Artikel 52 oder f) im Rahmen außergerichtlicher Verfahren für Anlegerbeschwerden gemäß Artikel 53. (4) Um einheitliche Bedingungen für die Anwendung der Absätze 1 und 2 zu gewährleisten, kann die ESMA Entwürfe technischer Durchführungsstandards entwickeln, um Standardformulare, Mustertexte und Verfahren für den Informationsaustausch festzulegen. Der Kommission wird die Befugnis übertragen, die in Unterabsatz 1 genannten technischen Durchführungsstandards nach Artikel 15 der Verordnung (EU) Nr. 1095/2010 zu erlassen. (5) Weder der vorliegende Artikel noch die Artikel 54 und 63 hindern die zuständigen Behörden, der ESMA, dem Europäischen Ausschuss für Systemrisiken (im Folgenden ‚ESRB‘), den Zentralbanken, dem Europäischen System der Zentralbanken und der Europäischen Zentralbank in ihrer Eigenschaft als Währungsbehörden sowie gegebenenfalls anderen staatlichen Behörden, die mit der Über-

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wachung der Zahlungs- und Abwicklungssysteme betraut sind, zur Erfüllung ihrer Aufgaben vertrauliche Informationen zu übermitteln; ebenso wenig hindern sie diese Behörden oder Stellen nicht, den zuständigen Behörden die Informationen zu übermitteln, die diese zur Erfüllung ihrer Aufgaben gemäß dieser Richtlinie benötigen.

Artikel 58a Bindende Vermittlung Die zuständigen Behörden können die ESMA mit Fällen befassen, in denen ein Ersuchen zurückgewiesen wurde oder nicht innerhalb einer angemessenen Frist zu einer Reaktion geführt hat, das Folgendes zum Gegenstand hatte: a) eine Überwachung, eine Überprüfung vor Ort oder eine Ermittlung gemäß Artikel 57 oder b) einen Informationsaustausch im Sinne des Artikels 58. Gemäß Artikel 19 der Verordnung (EU) Nr. 1095/ 2010 kann die ESMA in den in Absatz 1 genannten Fällen unbeschadet der in Artikel 59a genannten Möglichkeiten zur Ablehnung der Übermittlung angeforderter Informationen und unbeschadet eines möglichen Handelns der ESMA gemäß Artikel 17 der Verordnung (EU) Nr. 1095/2010 tätig werden.

Artikel 59 Ablehnung der Zusammenarbeit Eine zuständige Behörde kann ein Ersuchen auf Zusammenarbeit bei der Durchführung einer Ermittlung, einer Überprüfung vor Ort oder einer Überwachung nach Artikel 57 oder auf Austausch von Informationen nach Artikel 58 nur ablehnen, wenn a) die Ermittlung, Überprüfung vor Ort, Überwachung oder Austausch der Information die Souveränität, die Sicherheit oder die öffentliche Ordnung des ersuchten Staates beeinträchtigen könnte; b) aufgrund derselben Handlungen und gegen dieselben Personen bereits ein Verfahren vor einem Gericht des ersuchten Mitgliedstaats anhängig ist; c) im ersuchten Mitgliedstaat gegen die betreffenden Personen aufgrund derselben Handlungen bereits ein rechtskräftiges Urteil Staat ergangen ist. Im Falle einer Ablehnung teilt die zuständige Behörde dies der ersuchenden zuständigen Behörde und der ESMA mit und übermittelt ihnen möglichst genaue Informationen.

Artikel 60 Konsultation zwischen den Behörden vor einer Zulassung (1) Die zuständigen Behörden des anderen betroffenen Mitgliedstaats werden konsultiert, bevor einer Wertpapierfirma die Zulassung erteilt wird, die a) Tochterunternehmen einer Wertpapierfirma oder eines Kreditinstituts ist, die/das in einem anderen Mitgliedstaat zugelassen ist; oder b) Tochterunternehmen des Mutterunternehmens einer Wertpapierfirma oder eines Kreditinstituts ist, die/das in einem anderen Mitgliedstaat zugelassenen ist; oder c) von denselben natürlichen oder juristischen Personen kontrolliert wird wie eine Wertpapierfirma oder ein Kreditinstitut, die/das in einem anderen Mitgliedstaat zugelassen ist. (2) Die zuständige Behörde des für die Überwachung von Kreditinstituten oder Versicherungsunternehmen zuständigen Mitgliedstaats wird konsultiert, bevor einer Wertpapierfirma die Zulassung erteilt wird, die a) Tochterunternehmen eines in der Gemeinschaft zugelassenen Kreditinstituts oder Versicherungsunternehmens ist; oder b) Tochterunternehmen des Mutterunternehmens eines in der Gemeinschaft zugelassenen Kreditinstituts oder Versicherungsunternehmens ist, oder c) von derselben natürlichen oder juristischen Person kontrolliert wird wie ein in der Gemeinschaft zugelassenes Kreditinstitut oder Versicherungsunternehmen. (3) Die zuständigen Behörden im Sinne der Absätze 1 und 2 konsultieren einander insbesondere, wenn sie die Eignung der Aktionäre oder Mitglieder und den Leumund und die Erfahrung der Personen, die die Geschäfte eines anderen Unternehmens derselben Gruppe tatsächlich leiten, überprüfen. Sie übermitteln einander alle Informationen hinsichtlich der Eignung der Aktionäre oder Mitglieder und des Leumunds und der Erfahrung der Personen, die die Geschäfte tatsächlich leiten, die für die anderen zuständigen Behörden bei der Erteilung der Zulassung und der laufenden Überprüfung der Einhaltung der Bedingungen für die Ausübung der Tätigkeit von Belang sind. (4) Um einheitliche Bedingungen für die Anwendung der Absätze 1 und 2 zu gewährleisten, kann die ESMA Entwürfe technischer Durchführungsstandards entwickeln, um Standardformulare, Mustertexte und Verfahren für die Konsultation anderer zuständiger Behörden vor der Vergabe einer Zulassung festzulegen. Der Kommission wird die Befugnis übertragen, die in Unterabsatz 1 genannten technischen Durchführungsstandards gemäß Artikel 15 der Verordnung (EU) Nr. 1095/2010 zu erlassen.

Die MiFID Artikel 61 Befugnisse der Aufnahmemitgliedstaaten (1) Die Aufnahmemitgliedstaaten können für statistische Zwecke verlangen, dass alle Wertpapierfirmen mit Zweigniederlassungen in ihrem Hoheitsgebiet ihnen in regelmäßigen Abständen über die Tätigkeit dieser Zweigniederlassungen Bericht erstatten. (2) Die Aufnahmemitgliedstaaten können in Ausübung der ihnen mit dieser Richtlinie übertragenen Befugnisse von den Zweigniederlassungen der Wertpapierfirmen die Angaben verlangen, die erforderlich sind, um in den Fällen des Artikels 32 Absatz 7 die Einhaltung der auf diese Firmen anwendbaren Normen der Aufnahmemitgliedstaaten durch diese Firmen zu kontrollieren. Diese Anforderungen dürfen nicht strenger sein als die Anforderungen, die diese Mitgliedstaaten den niedergelassenen Firmen zur Überwachung der Einhaltung derselben Normen auferlegen.

Artikel 62 Von den Aufnahmemitgliedstaaten zu treffende Sicherungsmaßnahmen (1) Hat die zuständige Behörde des Aufnahmemitgliedstaats klare und nachweisliche Gründe zu der Annahme, dass eine in ihrem Hoheitsgebiet im Rahmen des freien Dienstleistungsverkehrs tätige Wertpapierfirma gegen die Verpflichtungen verstößt, die ihr aus den nach dieser Richtlinie erlassenen Vorschriften erwachsen, oder dass eine Wertpapierfirma mit einer Zweigniederlassung in ihrem Hoheitsgebiet gegen Verpflichtungen verstößt, die ihr aus den nach dieser Richtlinie erlassenen Vorschriften erwachsen, die der zuständigen Behörde des Aufnahmemitgliedstaats keine Zuständigkeit übertragen, so teilt sie ihre Erkenntnisse der zuständigen Behörde des Herkunftsmitgliedstaats mit. Verhält sich die Wertpapierfirma trotz der von der zuständigen Behörde des Herkunftsmitgliedstaats ergriffenen Maßnahmen oder weil sich diese Maßnahmen als unzureichend erweisen, weiterhin auf eine Art und Weise, die den Interessen der Anleger des Aufnahmemitgliedstaats oder dem ordnungsgemäßen Funktionieren der Märkte eindeutig abträglich ist, so gilt Folgendes: a) Die zuständige Behörde des Aufnahmemitgliedstaats ergreift nach vorheriger Unterrichtung der zuständigen Behörde des Herkunftsmitgliedstaats alle geeigneten Maßnahmen, um den Schutz der Anleger und das ordnungsgemäße Funktionieren der Märkte zu gewährleisten; zu diesen Maßnahmen gehört auch die Möglichkeit, den betreffenden Wertpapierfirmen die Anbahnung neuer Transaktionen in ihren Hoheitsgebieten zu untersagen. Die Kommission und die ESMA werden von diesen Maßnahmen unverzüglich in Kenntnis gesetzt.

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b) Außerdem kann die zuständige Behörde des Aufnahmemitgliedstaats die ESMA mit der Angelegenheit befassen; diese kann im Rahmen der ihr mit Artikel 19 der Verordnung (EU) Nr. 1095/2010 übertragenen Befugnisse tätig werden. (2) Stellen die zuständigen Behörden eines Aufnahmemitgliedstaats fest, dass eine Wertpapierfirma, die eine Zweigniederlassung in ihrem Hoheitsgebiet hat, die Rechts- oder Verwaltungsvorschriften nicht beachtet, die in Anwendung der die Zuständigkeit der Behörden des Aufnahmemitgliedstaats regelnden Bestimmungen dieser Richtlinie in diesem Staat erlassen wurden, so fordern die Behörden die betreffende Wertpapierfirma auf, die vorschriftswidrige Situation zu beenden. Kommt die Wertpapierfirma der Aufforderung nicht nach, so treffen die zuständigen Behörden des Aufnahmemitgliedstaats alle geeigneten Maßnahmen, damit die betreffende Wertpapierfirma die vorschriftswidrige Situation beendet. Die Art dieser Maßnahmen ist den zuständigen Behörden des Herkunftsmitgliedstaats mitzuteilen. Verletzt die Wertpapierfirma trotz der von dem Aufnahmemitgliedstaat getroffenen Maßnahmen weiter die in Unterabsatz 1 genannten Rechtsoder Verwaltungsvorschriften des Aufnahmemitgliedstaats, so gilt Folgendes: a) Die zuständige Behörde des Aufnahmemitgliedstaats ergreift nach vorheriger Unterrichtung der zuständigen Behörde des Herkunftsmitgliedstaats alle geeigneten Maßnahmen, um den Schutz der Anleger und das ordnungsgemäße Funktionieren der Märkte zu gewährleisten. Die Kommission und die ESMA werden von diesen Maßnahmen unverzüglich in Kenntnis gesetzt. b) Außerdem kann die zuständige Behörde des Aufnahmemitgliedstaats die ESMA mit der Angelegenheit befassen; diese kann im Rahmen der ihr mit Artikel 19 der Verordnung (EU) Nr. 1095/2010 übertragenen Befugnisse tätig werden. (3) Hat die zuständige Behörde des Aufnahmemitgliedstaats eines geregelten Marktes oder eines MTF klare und nachweisbare Gründe für die Annahme, dass der betreffende geregelte Markt oder das betreffende MTF gegen die Verpflichtungen verstößt, die ihm aus den nach dieser Richtlinie erlassenen Vorschriften erwachsen, so teilt sie ihre Erkenntnisse der zuständigen Behörde des Herkunftsmitgliedstaats des geregelten Marktes oder des MTF mit. Handelt der geregelte Markt oder das MTF trotz der von der zuständigen Behörde des Herkunftsmitgliedstaats getroffenen Maßnahmen oder weil sich diese Maßnahmen als unzureichend erweisen, weiterhin in einer Weise, die den Interessen der Anleger des Aufnahmemitgliedstaats oder dem ordnungsgemäßen Funktionieren der Märkte eindeutig abträglich ist, so gilt Folgendes:

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a) Die zuständige Behörde des Aufnahmemitgliedstaats ergreift nach vorheriger Unterrichtung der zuständigen Behörde des Herkunftsmitgliedstaats alle geeigneten Maßnahmen, um den Schutz der Anleger und das ordnungsgemäße Funktionieren der Märkte zu gewährleisten. Hierzu gehört auch die Möglichkeit, dem geregelten Markt oder MTF zu untersagen, sein System Fernmitgliedern oder -teilnehmern in dem betreffenden Aufnahmemitgliedstaat zugänglich zu machen. Die Kommission und die ESMA werden von diesen Maßnahmen unverzüglich in Kenntnis gesetzt. b) Außerdem kann die zuständige Behörde des Aufnahmemitgliedstaats die ESMA mit der Angelegenheit befassen; diese kann im Rahmen der ihr mit Artikel 19 der Verordnung (EU) Nr. 1095/ 2010 übertragenen Befugnisse tätig werden. (4) Jede Maßnahme gemäß den Absätzen 1, 2 oder 3, die Sanktionen oder Einschränkungen der Tätigkeit einer Wertpapierfirma oder eines geregelten Marktes beinhaltet, ist ordnungsgemäß zu begründen und der betreffenden Wertpapierfirma oder geregelten Markt mitzuteilen. Artikel 62a Zusammenarbeit und Informationsaustausch mit der ESMA (1) Die zuständigen Behörden arbeiten gemäß der Verordnung (EU) Nr. 1095/2010 für die Zwecke dieser Richtlinie mit der ESMA zusammen. (2) Die zuständigen Behörden stellen der ESMA gemäß Artikel 35 der Verordnung (EU) Nr. 1095/ 2010 unverzüglich alle für die Ausführung ihrer Aufgaben aufgrund dieser Richtlinie erforderlichen Informationen zur Verfügung.

KAPITEL III ZUSAMMENARBEIT MIT DRITTLÄNDERN

tionsaustausch mit Behörden, Stellen und natürlichen oder juristischen Personen von Drittländern schließen, die für eine oder mehrere der folgenden Aufgaben zuständig sind: a) Beaufsichtigung von Kreditinstituten, sonstigen Finanzinstituten, Versicherungsunternehmen und der Finanzmärkte, b) Abwicklungen, Insolvenzverfahren und ähnliche Verfahren bei Wertpapierfirmen, c) Durchführung der Pflichtprüfung der Rechnungslegungsunterlagen von Wertpapierfirmen und sonstigen Finanzinstituten, Kreditinstituten und Versicherungsunternehmen in Wahrnehmung ihrer Aufsichtsbefugnisse oder Verwaltung von Entschädigungssystemen in Wahrnehmung ihrer Aufgaben, d) Beaufsichtigung der an der Abwicklung und an Insolvenzverfahren oder ähnlichen Verfahren in Bezug auf Wertpapierfirmen beteiligten Stellen, e) Beaufsichtigung der Personen, die die Pflichtprüfung der Rechnungslegungsunterlagen von Versicherungsunternehmen, Kreditinstituten, Wertpapierfirmen und sonstigen Finanzinstituten vornehmen. Die in Unterabsatz 3 genannten Kooperationsvereinbarungen können nur geschlossen werden, wenn gewährleistet ist, dass die übermittelten Informationen zumindest in dem in Artikel 54 vorgeschriebenen Umfang dem Berufsgeheimnis unterliegen. Ein derartiger Informationsaustausch dient der Wahrnehmung der Aufgaben dieser Behörden, Stellen, natürlichen oder juristischen Personen. (2) Stammen die Informationen aus einem anderen Mitgliedstaat, so dürfen sie nur mit ausdrücklicher Zustimmung der zuständigen Behörden, die diese übermittelt haben, und gegebenenfalls nur für die Zwecke, für die diese Behörden ihre Zustimmung gegeben haben, weitergegeben werden. Dies gilt auch für Informationen, die von den zuständigen Behörden eines Drittlandes übermittelt werden.

Artikel 63 Informationsaustausch mit Drittländern (1) Die Mitgliedstaaten sowie – gemäß Artikel 33 der Verordnung (EU) Nr. 1095/2010 – die ESMA können Kooperationsvereinbarungen über den Informationsaustausch mit den zuständigen Behörden von Drittländern schließen, sofern gewährleistet ist, dass die übermittelten Informationen zumindest in dem in Artikel 54 vorgeschriebenen Umfang dem Berufsgeheimnis unterliegen. Ein derartiger Informationsaustausch muss der Wahrnehmung der Aufgaben dieser zuständigen Behörden dienen.

TITEL V SCHLUSSBESTIMMUNGEN

Artikel 64 Ausschussverfahren (1) Die Kommission wird von dem durch den Beschluss 2001/528/EG der Kommission(33) eingesetzten Europäischen Wertpapierausschuss (nachstehend „Ausschuss“ genannt) unterstützt.

Die Mitgliedstaaten und die ESMA dürfen gemäß Kapitel IV der Richtlinie 95/46/EG personenbezogene Daten an ein Drittland weiterleiten.

(2) Wird auf diesen Absatz Bezug genommen, so gelten Artikel 5a Absätze 1 bis 4 und Artikel 7 des Beschlusses 1999/468/EG unter Beachtung von dessen Artikel 8.

Die Mitgliedstaaten und die ESMA können ferner Kooperationsvereinbarungen über den Informa-

(33) ABl. L 191 vom 13.7.2001, S. 45.

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Die MiFID (2a) Die wesentlichen Bestimmungen dieser Richtlinie dürfen durch beschlossene Durchführungsmaßnahmen nicht geändert werden. (3) Wird auf diesen Absatz Bezug genommen, so gelten die Artikel 5 und 7 des Beschlusses 1999/ 468/EG unter Beachtung von dessen Artikel 8. Die Frist nach Artikel 5 Absatz 6 des Beschlusses 1999/468/EG wird auf drei Monate festgesetzt. (4) Bis 31. Dezember 2010 und danach mindestens alle drei Jahre überprüft die Kommission die Vorschriften für ihre Durchführungsbefugnisse und legt dem Europäischen Parlament und dem Rat einen Bericht über das Funktionieren dieser Befugnisse vor. In dem Bericht wird insbesondere geprüft, ob die Kommission Änderungen zu dieser Richtlinie vorschlagen muss, um den angemessenen Umfang der ihr übertragenen Durchführungsbefugnisse zu gewährleisten. Die Schlussfolgerung, ob eine Änderung erforderlich ist oder nicht, muss eine detaillierte Begründung enthalten. Erforderlichenfalls wird dem Bericht ein Legislativvorschlag zur Änderung der Vorschriften für die Übertragung der Durchführungsbefugnisse an die Kommission beigefügt.

Artikel 64a Verfallsklausel Die Kommission überprüft bis spätestens zum 1. Dezember 2011 die Artikel 2, 4, 10b, 13, 15, 18, 19, 21, 22, 24 und 25, die Artikel 27 bis 30 sowie die Artikel 40, 44, 45, 56 und 58 und unterbreitet geeignete Gesetzgebungsvorschläge, damit die delegierten Rechtakte gemäß Artikel 290 AEUV und die Durchführungsrechtsakte gemäß Artikel 291 AEUV zu dieser Richtlinie uneingeschränkt zur Anwendung gelangen können. Unbeschadet der bereits erlassenen Durchführungsmaßnahmen endet die Geltungsdauer der der Kommission mit Artikel 64 übertragenen Befugnisse zum Erlass der nach dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon am 1. Dezember 2009 noch verbleibenden Durchführungsmaßnahmen am 1. Dezember 2012.

(3) Bis zum 30. April 2008 erstattet die Kommission dem Europäischen Parlament und dem Rat auf der Grundlage öffentlicher Konsultationen und angesichts der Beratungen mit den zuständigen Behörden Bericht über a) die Zweckmäßigkeit des Beibehaltens der Ausnahme nach Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe k für Unternehmen, deren Haupttätigkeit im Handel für eigene Rechnung mit Warenderivaten besteht; b) angemessene inhaltliche und formale Anforderungen für die Zulassung und die Überwachung derartiger Unternehmen als Wertpapierfirmen im Sinne dieser Richtlinie; c) die Zweckmäßigkeit von Regeln für das Heranziehen von vertraglich gebundenen Vermittlern für Wertpapierdienstleistungen und/oder Anlagetätigkeiten, insbesondere in Bezug auf ihre Überwachung; d) die Zweckmäßigkeit des Beibehaltens der Ausnahme nach Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe i. (4) Bis zum 30. April 2008 unterbreitet die Kommission dem Europäischen Parlament und dem Rat einen Bericht über die Fortschritte bei der Beseitigung der Hindernisse, die der Konsolidierung der Informationen, die von Handelsplätzen zu veröffentlichen sind, auf europäischer Ebene entgegenstehen. (5) Auf der Grundlage der in den Absätzen 1 bis 4 genannten Berichte kann die Kommission entsprechende Änderungen dieser Richtlinie vorschlagen. (6) Bis zum 31. Oktober 2006 erstattet die Kommission dem Europäischen Parlament und dem Rat angesichts der Beratungen mit den zuständigen Behörden Bericht über die Zweckmäßigkeit des Beibehaltens der den Vermittlern durch Gemeinschaftsrecht vorgeschriebenen Berufshaftpflichtversicherung.

Artikel 66 Änderung der Richtlinie 85/611/EWG

Artikel 65 Berichte und Überprüfung (1) Bis zum 31. Oktober 2007 erstattet die Kommission dem Europäischen Parlament und dem Rat auf der Grundlage einer öffentlichen Konsultation und angesichts der Beratungen mit den zuständigen Behörden Bericht über eine mögliche Ausdehnung des Anwendungsbereichs der vorund nachbörslichen Transparenzvorschriften dieser Richtlinie auf Geschäfte mit anderen Gattungen von Finanzinstrumenten als Aktien. (2) Bis zum 31. Oktober 2008 legt die Kommission dem Europäischen Parlament und dem Rat einen Bericht über die Anwendung von Artikel 27 vor.

Artikel 5 Absatz 4 der Richtlinie 85/611/EWG erhält folgende Fassung: „(4) Artikel 2 Absatz 2 und die Artikel 12, 13 und 19 der Richtlinie 2004/39/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 über Märkte für Finanzinstrumente(*) finden auf die Erbringung der in Absatz 3 genannten Dienstleistungen durch Verwaltungsgesellschaften Anwendung … (*) ABl. L 145 vom 30.4.2004, S. 1.“

1184

Kapitalmarktrechtliche Rechtsakte Artikel 67 Änderung der Richtlinie 93/6/EWG

Die Richtlinie 96/6/EWG wird wie folgt geändert: 1. Artikel 2 Nummer 2 erhält folgende Fassung: „2. ‚Wertpapierfirmen‘ sind alle Unternehmen, die der Definition von Artikel 4 Absatz 1 Nummer 1 der Richtlinie 2004/39/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 über Märkte für Finanzinstrumente(*) entsprechen und den Vorschriften der genannten Richtlinie unterliegen mit Ausnahme a) der Kreditinstitute, b) der unter Nummer 20 definierten lokalen Firmen und c) der Firmen, die ausschließlich für die Anlageberatung zugelassen sind und/oder Aufträge von Anlegern entgegennehmen und weiterleiten, ohne dass sie Geld oder Wertpapiere ihrer Kunden halten, und die aufgrund dessen zu keiner Zeit zu Schuldnern dieser Kunden werden können. (*) ABl. L 145 vom 30.4.2004, S. 1.“

2. Artikel 3 Absatz 4 erhält folgende Fassung: „(4) Die in Artikel 2 Nummer 2 Buchstabe b genannten Firmen müssen ein Anfangskapital von 50 000 EUR aufweisen, sofern sie die Niederlassungsfreiheit in Anspruch nehmen oder Dienstleistungen gemäß den Artikeln 31 oder 32 der Richtlinie 2004/39/EG(*) erbringen. (*) Amt für Veröffentlichungen: Fundstelle der vorliegenden Richtlinie einfügen.“

3. In Artikel 3 werden folgende Absätze eingefügt: „(4a) Bis zur Revision der Richtlinie 93/6/EWG müssen Wertpapierfirmen im Sinne von Artikel 2 Absatz 2 Buchstabe c a) ein Anfangskapital von 50 000 EUR haben oder

dem der unter dem Buchstaben a oder b genannten gleichwertig ist. Die in diesem Absatz genannten Beträge werden regelmäßig von der Kommission überprüft, um den Veränderungen im Europäischen Verbraucherpreisindex Rechnung zu tragen, der von EUROSTAT zusammen mit und zum gleichen Zeitpunkt wie die aufgrund von Artikel 4 Absatz 7 der Richtlinie 2002/92/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. Dezember 2002 über Versicherungsvermittlung(*) vorgenommenen Anpassungen und in Übereinstimmung mit diesen veröffentlicht wird. (4b) Ist eine Wertpapierfirma im Sinne von Artikel 2 Absatz 2 Buchstabe c auch unter der Richtlinie 2002/92/EG eingetragen, so muss sie den Anforderungen des Artikels 4 Absatz 3 jener Richtlinie genügen und außerdem a) ein Anfangskapital von 25 000 EUR haben oder b) über eine für das gesamte Gemeinschaftsgebiet geltende Berufshaftpflichtversicherung oder eine vergleichbare Garantie für Haftungsausfälle aus berufsmäßigem Verschulden verfügen, die eine Haftungssumme von mindestens 500 000 EUR für jeden einzelnen Schadensfall und eine Gesamtsumme von mindestens 750 000 EUR für sämtliche Schadensfälle eines Kalenderjahrs vorsieht, oder c) eine Kombination aus Anfangskapital und Berufshaftpflichtversicherung aufweisen, die ein Deckungsniveau ermöglicht, welches dem der unter den Buchstaben a oder b genannten gleichwertig ist. (*) ABl. L 9 vom 15.1.2003, S. 3.“

Artikel 68 Änderung der Richtlinie 2000/12/EG Anhang I der Richtlinie 2000/12/EG wird wie folgt geändert: An Anhang I wird folgender Satz angefügt:

b) über eine für das gesamte Gemeinschaftsgebiet geltende Berufshaftpflichtversicherung oder eine vergleichbare Garantie für Haftungsfälle aus berufsmäßigem Verschulden verfügen, die eine Haftungssumme von mindestens 1 000 000 EUR für jeden einzelnen Schadensfall und eine Gesamtsumme von mindestens 1 500 000 EUR für sämtliche Schadensfälle eines Kalenderjahrs vorsieht, oder

„Die Dienstleistungen und Tätigkeiten gemäß Anhang I Abschnitte A und B der Richtlinie 2004/ 39/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 über Märkte für Finanzinstrumente(*), die sich auf Finanzinstrumente gemäß Anhang I Abschnitt C jener Richtlinie beziehen, sind Gegenstand der gegenseitigen Anerkennung im Einklang mit der vorliegenden Richtlinie.

c) eine Kombination aus Anfangskapital und Berufshaftpflichtversicherung aufweisen, die ein Deckungsniveau ermöglicht, welches

(*) ABl. L 145 vom 30.4.2004, S. 1.“

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Die MiFID Artikel 69 Aufhebung der Richtlinie 93/22/EWG Die Richtlinie 93/22/EWG wird mit Wirkung vom 1. November 2007 aufgehoben. Bezugnahmen auf die Richtlinie 93/22/EWG gelten als Bezugnahmen auf die vorliegende Richtlinie. Bezugnahmen auf Begriffsbestimmungen oder Artikel der Richtlinie 93/22/EWG gelten als Bezugnahmen auf die entsprechenden Begriffsbestimmungen oder Artikel der vorliegenden Richtlinie. Artikel 70 Umsetzung Die Mitgliedstaaten erlassen die Rechts- und Verwaltungsvorschriften, die erforderlich sind, um dieser Richtlinie ab dem 31. Januar 2007 nachzukommen. Sie setzen die Kommission unverzüglich davon in Kenntnis. Sie wenden diese Vorschriften ab dem 1. November 2007 an. Wenn die Mitgliedstaaten diese Vorschriften erlassen, nehmen sie in den Vorschriften selbst oder durch einen Hinweis bei der amtlichen Veröffentlichung auf diese Richtlinie Bezug. Die Mitgliedstaaten regeln die Einzelheiten der Bezugnahme.

Artikel 71 Übergangsbestimmungen (1) Wertpapierfirmen, die bereits vor dem 1. November 2007 in ihrem Herkunftsmitgliedstaat eine Zulassung für die Erbringung von Wertpapierdienstleistungen besaßen, gelten auch für die Zwecke dieser Richtlinie als zugelassen, wenn das Recht der betreffenden Mitgliedstaaten für die Aufnahme dieser Tätigkeiten die Erfüllung von Voraussetzungen vorsieht, die denen der Artikel 9 bis 14 vergleichbar sind. (2) Ein geregelter Markt oder ein Marktbetreiber, der bereits vor dem. 1. November 2007 in seinem Herkunftsmitgliedstaat eine Zulassung besaß, gilt auch für die Zwecke dieser Richtlinie als zugelassen, wenn das Recht des betreffenden Mitgliedstaates vorschreibt, dass der geregelte Markt bzw. der Marktbetreiber Bedingungen erfüllen muss, die denen des Titels III vergleichbar sind. (3) Vertraglich gebundene Vermittler, die bereits vor dem 1. November 2007 in einem öffentlichen

Register eingetragen waren, gelten auch für die Zwecke dieser Richtlinie als eingetragen, wenn vertraglich gebundene Vermittler nach dem Recht der betreffenden Mitgliedstaaten Voraussetzungen erfüllen müssen, die denen des Artikels 23 vergleichbar sind. (4) Angaben, die vor dem 1. November 2007 für die Zwecke der Artikel 17, 18 oder 30 der Richtlinie 93/22/EWG übermittelt wurden, gelten als für die Zwecke der Artikel 31 und 32 der vorliegenden Richtlinie übermittelt. (5) Jedes bestehende System, das unter die Begriffsbestimmung eines multilateralen Handelssystems fällt und von einem Marktbetreiber eines geregelten Marktes betrieben wird, wird auf Antrag des Marktbetreibers des geregelten Marktes als multilaterales Handelssystem zugelassen, sofern es Anforderungen erfüllt, die den Anforderungen dieser Richtlinie an die Zulassung und den Betrieb multilateraler Handelssysteme gleichwertig sind, und sofern der betreffende Antrag innerhalb von achtzehn Monaten nach dem 1. November 2007 gestellt wird. (6) Wertpapierfirmen können bestehende professionelle Kunden auch weiterhin als solche behandeln, vorausgesetzt, dass diese Kategorisierung durch die Wertpapierfirma auf der Grundlage einer angemessenen Bewertung des Sachverstands, der Erfahrungen und der Kenntnisse des Kunden vorgenommen wurde, was in vernünftigem Rahmen die Sicherheit schafft, dass der Kunde angesichts des Wesens der geplanten Geschäfte oder Dienstleistungen in der Lage ist, seine eigenen Anlageentscheidungen zu treffen, und die damit einhergehenden Risiken versteht. Diese Wertpapierfirmen informieren ihre Kunden über die Voraussetzungen, die die Richtlinie für die Kategorisierung von Kunden aufstellt.

Artikel 72 Inkrafttreten Diese Richtlinie tritt am Tag ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union in Kraft.

Artikel 73 Adressaten Diese Richtlinie ist an die Mitgliedstaaten gerichtet.

1186

Kapitalmarktrechtliche Rechtsakte ANHANG I LISTE DER DIENSTLEISTUNGEN UND TÄTIGKEITEN UND FINANZINSTRUMENTE

Abschnitt A Wertpapierdienstleistungen und Anlagetätigkeiten 1. Annahme und Übermittlung von Aufträgen, die ein oder mehrere Finanzinstrument(e) zum Gegenstand haben 2. Ausführung von Aufträgen im Namen von Kunden 3. Handel für eigene Rechnung 4. Portfolio-Verwaltung 5. Anlageberatung 6. Übernahme der Emission von Finanzinstrumenten und/oder Platzierung von Finanzinstrumenten mit fester Übernahmeverpflichtung 7. Platzierung von Finanzinstrumenten ohne feste Übernahmeverpflichtung 8. Betrieb eines multilateralen Handelssystems (MTF)

Abschnitt B Nebendienstleistungen 1. Verwahrung und Verwaltung von Finanzinstrumenten für Rechnung von Kunden, einschließlich der Depotverwahrung und verbundener Dienstleistungen wie Cash-Management oder Sicherheitenverwaltung 2. Gewährung von Krediten oder Darlehen an Anleger für die Durchführung von Geschäften mit einem oder mehreren Finanzinstrumenten, sofern das kredit- oder darlehensgewährende Unternehmen an diesen Geschäften beteiligt ist 3. Beratung von Unternehmen hinsichtlich der Kapitalstrukturierung, der branchenspezifischen Strategie und damit zusammenhängender Fragen sowie Beratung und Dienstleistungen bei Unternehmensfusionen und -aufkäufen 4. Devisengeschäfte, wenn diese im Zusammenhang mit der Erbringung von Wertpapierdienstleistungen stehen 5. Wertpapier- und Finanzanalyse oder sonstige Formen allgemeiner Empfehlungen, die Geschäfte mit Finanzinstrumenten betreffen 6. Dienstleistungen im Zusammenhang mit der Übernahme von Emissionen 7. Wertpapierdienstleistungen und Anlagetätigkeiten sowie Nebendienstleistungen des in Anhang I Abschnitt A oder B enthaltenen Typs betreffend den Basiswert der in Abschnitt C Nummern 5, 6, 7 und 10 enthaltenen Derivate, wenn diese mit der Erbringung der Wertpapier- oder der Nebendienstleistung in Zusammenhang stehen Abschnitt C Finanzinstrumente 1. Übertragbare Wertpapiere 2. Geldmarktinstrumente 3. Anteile an Organismen für gemeinsame Anlagen 4. Optionen, Terminkontrakte (Futures), Swaps, außerbörsliche Zinstermingeschäfte (Forward Rate Agreements) und alle anderen Derivatkontrakte in Bezug auf Wertpapiere, Währungen, Zinssätze oder -erträge, oder andere Derivat-Instrumente, finanzielle Indizes oder Messgrößen, die effektiv geliefert oder bar abgerechnet werden können 5. Optionen, Terminkontrakte (Futures), Swaps, außerbörsliche Zinstermingeschäfte (Forward Rate Agreements) und alle anderen Derivatkontrakte in Bezug auf Waren, die bar abgerechnet werden müssen oder auf Wunsch einer der Parteien (anders als wegen eines vertraglich festgelegten Beendigungsgrunds) bar abgerechnet werden können

Die MiFID

1187

6. Optionen, Terminkontrakte (Futures), Swaps und alle anderen Derivatkontrakte in Bezug auf Waren, die effektiv geliefert werden können, vorausgesetzt, sie werden an einem geregelten Markt und/oder über ein MTF gehandelt 7. Optionen, Terminkontrakte (Futures), Swaps, Termingeschäfte (Forwards) und alle anderen Derivatkontrakte in Bezug auf Waren, die effektiv geliefert werden können, die sonst nicht in Abschnitt C Nummer 6 genannt sind und nicht kommerziellen Zwecken dienen, die die Merkmale anderer derivativer Finanzinstrumente aufweisen, wobei unter anderem berücksichtigt wird, ob Clearing und Abwicklung über anerkannte Clearingstellen erfolgen oder ob eine regelmäßige Margin-Einschusspflicht besteht 8. derivative Instrumente für den Transfer von Kreditrisiken 9. Finanzielle Differenzgeschäfte 10. Optionen, Terminkontrakte (Futures), Swaps, außerbörsliche Zinstermingeschäfte (Forward Rate Agreements) und alle anderen Derivatkontrakte in Bezug auf Klimavariablen, Frachtsätze, Emissionsberechtigungen, Inflationsraten oder andere offizielle Wirtschaftsstatistiken, die bar abgerechnet werden müssen oder auf Wunsch einer der Parteien (anders als wegen eines vertraglich festgelegten Beendigungsgrunds) bar abgerechnet werden können, sowie alle anderen Derivatkontrakte in Bezug auf Vermögenswerte, Rechte, Obligationen, Indizes und Messwerte, die sonst nicht im vorliegenden Abschnitt C genannt sind und die die Merkmale anderer derivativer Finanzinstrumente aufweisen, wobei unter anderem berücksichtigt wird, ob sie auf einem geregelten Markt oder einem MTF gehandelt werden, ob Clearing und Abwicklung über anerkannte Clearingstellen erfolgen oder ob eine regelmäßige Margin-Einschusspflicht besteht.

1188

Kapitalmarktrechtliche Rechtsakte ANHANG II PROFESSIONELLE KUNDEN IM SINNE DIESER RICHTLINIE

Ein professioneller Kunde ist ein Kunde, der über ausreichende Erfahrungen, Kenntnisse und Sachverstand verfügt, um seine Anlageentscheidungen selbst treffen und die damit verbundenen Risiken angemessen beurteilen zu können. Um als professioneller Kunde angesehen zu werden, muss ein Kunde den folgenden Kriterien genügen: I. Kategorien von Kunden, die als professionelle Kunden angesehen werden Folgende Rechtspersönlichkeiten sollten in Bezug auf alle Wertpapierdienstleistungen und Finanzinstrumente als professionelle Kunden im Sinne der Richtlinie angesehen werden: 1. Rechtspersönlichkeiten, die zugelassen sein oder unter Aufsicht stehen müssen, um auf den Finanzmärkten tätig werden zu können. Die nachstehende Liste ist so zu verstehen, dass sie alle zugelassenen Rechtspersönlichkeiten umfasst, die die Tätigkeiten erbringen, die für die genannten Rechtspersönlichkeiten kennzeichnend sind: Rechtspersönlichkeiten, die von einem Mitgliedstaat im Rahmen einer Richtlinie zugelassen werden, Rechtspersönlichkeiten, die von einem Mitgliedstaat ohne Bezugnahme auf eine Richtlinie zugelassen oder beaufsichtigt werden, Rechtspersönlichkeiten, die von einem Drittland zugelassen oder beaufsichtigt werden: a) Kreditinstitute b) Wertpapierfirmen c) sonstige zugelassene oder beaufsichtigte Finanzinstitute d) Versicherungsgesellschaften e) Organismen für gemeinsame Anlagen und ihre Verwaltungsgesellschaften f) Pensionsfonds und ihre Verwaltungsgesellschaften g) Warenhändler und Warenderivate-Händler h) örtliche Anleger i) sonstige institutionelle Anleger. 2. Große Unternehmen, die auf Unternehmensebene zwei der nachfolgenden Anforderungen erfüllen: – Bilanzsumme: 20 000 000 EUR, – Nettoumsatz: – Eigenmittel:

40 000 000 EUR, 2 000 000 EUR.

3. Nationale und regionale Regierungen, Stellen der staatlichen Schuldenverwaltung, Zentralbanken, internationale und supranationale Einrichtungen wie die Weltbank, der IWF, die EZB, die EIB und andere vergleichbare internationale Organisationen. 4. Andere institutionelle Anleger, deren Haupttätigkeit in der Anlage in Finanzinstrumenten besteht, einschließlich Einrichtungen, die die wertpapiermäßige Verbriefung von Verbindlichkeiten und andere Finanzierungsgeschäfte betreiben. Die oben genannten Rechtspersönlichkeiten werden als professionelle Kunden angesehen. Es muss ihnen allerdings möglich sein, eine Behandlung als nichtprofessioneller Kunde zu beantragen, bei der Wertpapierfirmen bereit sind, ein höheres Schutzniveau zu gewähren. Handelt es sich bei dem Kunden einer Wertpapierfirma um eines der oben genannten Unternehmen, muss die Wertpapierfirma ihn vor Erbringung jeglicher Dienstleistungen darauf hinweisen, dass er aufgrund der ihr vorliegenden Informationen als professioneller Kunde eingestuft und behandelt wird, es sei denn, die Wertpapierfirma und der Kunde vereinbaren etwas anderes. Die Firma muss den Kunden auch darüber informieren, dass er eine Änderung der vereinbarten Bedingungen beantragen kann, um sich ein höheres Schutzniveau zu verschaffen. Es obliegt dem als professioneller Kunde eingestuften Kunden, das höhere Schutzniveau zu beantragen, wenn er glaubt, die mit der Anlage verbundenen Risiken nicht korrekt beurteilen oder steuern zu können.

Die MiFID

1189

Das höhere Schutzniveau wird dann gewährt, wenn ein als professioneller Kunde eingestufter Kunde eine schriftliche Übereinkunft mit der Wertpapierfirma dahingehend trifft, ihn im Sinne der geltenden Wohlverhaltensregeln nicht als professionellen Kunden zu behandeln. In dieser Übereinkunft sollte festgelegt werden, ob dies für eine oder mehrere Dienstleistung(en) oder Geschäfte oder für eine oder mehrere Art(en) von Produkten oder Geschäften gilt. II. Kunden, die auf Antrag als professionelle Kunden behandelt werden können II.1. Einstufungskriterien Anderen Kunden als den in Abschnitt I genannten, einschließlich öffentlich-rechtlicher Körperschaften und individueller privater Anleger, kann es ebenfalls gestattet werden, auf das Schutzniveau zu verzichten, das von den Wohlverhaltensregeln geboten wird. Wertpapierfirmen sollte folglich gestattet werden, diese Kunden als professionelle Kunden zu behandeln, sofern die nachstehend genannten einschlägigen Kriterien und Verfahren eingehalten werden. Bei diesen Kunden sollte allerdings nicht davon ausgegangen werden, dass sie über Marktkenntnisse und -erfahrungen verfügen, die denen der Kunden nach Abschnitt I vergleichbar sind. Eine Senkung des normalerweise von den Wohlverhaltensregeln gebotenen Schutzniveaus ist nur dann zulässig, wenn die Wertpapierfirma sich durch eine angemessene Beurteilung des Sachverstands, der Erfahrungen und der Kenntnisse des Kunden davon vergewissert hat, dass dieser in Anbetracht der Art der geplanten Geschäfte oder Dienstleistungen nach vernünftigem Ermessen in der Lage ist, seine Anlageentscheidungen selbst zu treffen und die damit einhergehenden Risiken versteht. Der Eignungstest, der auf Manager und Führungskräfte von Rechtspersönlichkeiten angewandt wird, die aufgrund von Finanzrichtlinien zugelassen sind, könnte als ein Beispiel für die Beurteilung des Sachverstands und der Kenntnisse angesehen werden. Im Falle kleiner Rechtspersönlichkeiten sollte die Person der oben genannten Beurteilung unterzogen werden, die befugt ist, Geschäfte im Namen der Rechtspersönlichkeit zu tätigen. Die genannte Beurteilung sollte ergeben, dass mindestens zwei der folgenden Kriterien erfüllt werden: – Der Kunde hat an dem relevanten Markt während der vier vorhergehenden Quartale durchschnittlich pro Quartal 10 Geschäfte von erheblichem Umfang getätigt. – Das Finanzinstrument-Portfolio des Kunden, das definitionsgemäß Bardepots und Finanzinstrumente umfasst, übersteigt 500 000 EUR. – Der Kunde ist oder war mindestens ein Jahr lang in einer beruflichen Position im Finanzsektor tätig, die Kenntnisse über die geplanten Geschäfte oder Dienstleistungen voraussetzt. II.2. Verfahren Die Kunden im oben genannten Sinn können nur dann auf den Schutz durch die Wohlverhaltensregeln verzichten, wenn folgendes Verfahren eingehalten wird: – Sie müssen der Wertpapierfirma schriftlich mitteilen, dass sie generell oder in Bezug auf eine bestimmte Wertpapierdienstleistung oder ein bestimmtes Wertpapiergeschäft oder in Bezug auf eine bestimmte Art von Geschäft oder Produkt als professioneller Kunde behandelt werden möchten. – Die Wertpapierfirma muss sie schriftlich klar darauf hinweisen, welches Schutzniveau und welche Anlegerentschädigungsrechte sie gegebenenfalls verlieren. – Die Kunden müssen schriftlich in einem vom jeweiligen Vertrag getrennten Dokument bestätigen, dass sie sich der Folgen des Verlustes dieses Schutzniveaus bewusst sind.

Wertpapierfirmen müssen verpflichtet sein, durch angemessene Vorkehrungen sicherzustellen, dass ein Kunde, der als professioneller Kunde behandelt werden möchte, die einschlägigen Kriterien gemäß Abschnitt II.1 erfüllt, bevor sie einem Antrag auf Verzicht auf den Schutz stattgeben. Wurden Kunden hingegen aufgrund von Parametern und Verfahren, die den oben genannten vergleichbar sind, bereits als professionelle Kunden eingestuft, sollte sich ihr Verhältnis zu den Wertpapierfirmen durch neue, aufgrund dieses Anhangs angenommene Regeln nicht ändern.

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Kapitalmarktrechtliche Rechtsakte Die Firmen müssen zweckmäßige schriftliche interne Strategien und Verfahren einführen, anhand deren die Kunden eingestuft werden können. Die professionellen Kunden sind dafür verantwortlich, die Firma über alle Änderungen zu informieren, die ihre Einstufung beeinflussen könnten. Sollte die Wertpapierfirma zu der Erkenntnis gelangen, dass der Kunde die Bedingungen nicht mehr erfüllt, die ihn anfänglich für eine Behandlung als professioneller Kunde in Frage kommen ließen, so muss sie entsprechende Schritte in die Wege leiten.

Die Prospektrichtlinie

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§ 34 Die Prospektrichtlinie RL 2003/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 4.11.2003 betreffend den Prospekt, der beim öffentlichen Angebot von Wertpapieren oder bei deren Zulassung zum Handel zu veröffentlichen ist, und zur Änderung der Richtlinie 2001/34/EG, ABlEU v. 31.12.2003, L 345/64 Literatur: Apfelbacher, Gabriele/Metzner, Manuel, Das Wertpapierprospektgesetz in der Praxis – Eine erste Bestandsaufnahme –, BKR 2006, 81; Avgouleas, Emilios, A Critical Evaluation of the New EC Financial-Market Regulation: Peaks, Troughs, and the Road Ahead, (2005) 18 Transnat’l Law. 179; ders., EC securities regulation, a single regime for an integrated securities market: harmonised we stand, harmonised we fall?, (2007) 22 J.I.B.L.R. 153; Burn, Lachlan (ed.), The implementation of the EU Prospectus Directive – a country-bycountry analysis, (2006) 1 CMLJ 89; Burn, Lachlan/Wells, Boyan, The pan-European retail market – are we there yet?, (2007) 2 CMLJ 263; Crüwell, Christoph, Die europäische Prospektrichtlinie. Auf dem Weg zu einem europäischen Kapitalmarkt, AG 2003, 243; Ekkenga, Jens, Änderungs- und Ergänzungsvorschläge zum Regierungsentwurf eines neuen Wertpapierprospektgesetzes, BB 2005, 561; Elsen, Jochen Robert/Jäger, Lars, Revision der Prospektrichtlinie – Überblick wesentlicher Neuerungen, BKR 2010, 97; dies., Revision der Prospektrichtlinie? – Ein erster Ausblick, BKR 2008, 459; Ferran, Eilís, Cross-Border Offers of Securities in the EU: The Standard Life Flotation, ECFR 2007, 461; Fürhoff, Jens/Ritz, Corinna, Richtlinienentwurf der Kommission über den Europäischen Pass für Emittenten, WM 2001, 2280; Grub, Maximilian/Thiem, Ulrich, Das neue Wertpapierprospektgesetz – Anlegerschutz und Wettbewerbsfähigkeit des Finanzplatzes Deutschland, NZG 2005, 750; Grundmann-van de Krol, Christel M., New EC Prospectus Directive and the Lamfalussy Process, (2004) 1 ECL 32; Heidelbach, Anna/Preuße, Thomas, Einzelfragen in der praktischen Anwendung mit dem neuen Wertpapierprospektgesetz, BKR 2006, 316; dies., Zweieinhalb Jahre neues Prospektregime und noch viele Fragen offen, BKR 2008, 10; Hilgers, Judith/Lorenz, Manuel, Mitarbeiterprogramme nach der Reform der Prospektrichtlinie, AG 2011, R119; Holzborn, Tim/Schwarz-Gondek, Nicolai, Die neue EU-Prospektrichtlinie, BKR 2003, 927; von Ilberg, Philipp/Neises, Michael, Die Richtlinien-Vorschläge der EU Kommission zum „Einheitlichen Europäischen Prospekt“ und zum „Marktmissbrauch“ aus Sicht der Praxis – Hintergrund, Inhalt und Kritik –, WM 2002, 635; von Kopp-Colomb, Wolf/Lenz, Jürgen, Der europäische Pass für Emittenten. Der „Lamfalussy-Bericht“ über die Regulierung der europäischen Wertpapiermärkte und der Vorschlag einer neuen Prospektrichtlinie, AG 2002, 24; Kullmann, Walburga/Metzger, Jürgen, Der Bericht der Expertengruppe „Europäische Wertpapiermärkte“ (ESME) zur Richtlinie 2003/71/EG („Prospektrichtlinie“), WM 2008, 1292; Kullmann, Walburga/Sester, Peter, Das Wertpapierprospektgesetz (WpPG) – Zentrale Punkte des neuen Regimes für Wertpapieremissionen –, WM 2005, 1068; Kunold, Uta/Schlitt, Michael, Die neue EU-Prospektrichtlinie. Inhalt und Auswirkungen auf das deutsche Kapitalmarktrecht, BB 2004, 501; Leuering, Dieter, Prospektpflichtige Anlässe im WpPG, Konzern 2006, 4; Maerker, Sebastian/Biedermann, Felix, Änderung der EU-Prospektrichtlinie – Auswirkungen auf den deutschen Markt, RdF 2011, 90; Mattil, Peter/Möslein, Florian, Die Sprache des Emissionsprospekts – Europäisierung des Prospekts und Anlegerschutz –, WM 2007, 819; Morris, Tim/Machin, Julia, The pan-European capital market – is the Prospectus Directive a success or a failure?, (2006) 1 CMLJ 205; Müller, Robert/Oulds, Mark K., Transparenz im europäischen Fremdkapitalmarkt, WM 2007, 573; Oulds, Mark K., Die Nachtragspflicht gemäß § 16 WpPG – Abgrenzungen, Widerrufsrecht und die Novellierung der Prospektrichtlinie –, WM 2011, 1452 ff.; ders., Prospekthaftung bei grenzüberschreitenden Kapitalmarkttransaktionen, WM 2008, 1573; Pellegrini, Mirella, Critical Analysis of the Prospectus Directive, [2006] EBLR 1679; Pereira, Malte, Überarbeitete Prospekt- und Transparenzrichtlinie veröffentlicht, GmbHR 2011, R42; Pfeiffer, Gero F./Buchinger, Daniel, Pro-

1192

Kapitalmarktrechtliche Rechtsakte

spektpflicht bei Mitarbeiterbeteiligungsprogrammen US-amerikanischer Arbeitgeber, NZG 2006, 449; Portner, Rosemarie, Bedeutet das neue Wertpapierprospektgesetz das Aus für initiierte aktienbasierte Mitarbeiterbeteiligungsprogramme?, IStR 2005, 739; Raptis, Julia Lemonia, Neuerungen im Prospektrecht durch die geänderte Prospektrichtlinie 2010/73/EU, ZFR 2011, 59; Revell, Stephen/Cole, Edward, Practical issues arising from the implementation of the Prospectus Directive – what are the equity markets worrying about?, (2006) 1 CMLJ 77; Sandberger, Christoph, Die EU-Prospektrichtlinie – „Europäischer Pass für Emittenten“, EWS 2004, 297; Schammo, Pierre, The Prospectus Approval System, (2006) 7 EBOR 501; Schlitt, Michael/Schäfer, Susanne, Auswirkungen des Prospektrichtlinie-Umsetzungsgesetzes auf Aktien- und Equity-linked Emissionen, AG 2005, 498; dies., Drei Jahre Praxis unter dem Wertpapierprospektgesetz – Eine Zwischenbilanz, AG 2008, 525; Seitz, Jochen, Das neue Wertpapierprospektrecht – Auswirkungen auf die Emission von Schuldverschreibungen –, AG 2005, 678; Tanega, Joseph, Some principles of disclosure for asset backed securities under the EU Prospectus Regulation 2004, (2008) J.I.B.L.R. 294; Voß, Thorsten, Die Überarbeitung der Prospektrichtlinie, ZBB 2010, 194; Weber, Martin, Unterwegs zu einer europäischen Prospektkultur. Vorgaben der neuen Wertpapierprospektrichtlinie vom 4.11.2003, NZG 2004, 360; Wiegel, Volker, Die Prospektrichtlinie und die Prospektverordnung, 2008.

I. Überblick 1 Mit der Prospekt-RL wurde die frühere Aufspaltung in Börsenzulassungsprospekt (zunächst geregelt in der Börsenzulassungsprospekt-RL 80/390/EWG1, dann in der Kapitalmarktpublizitäts-RL 2001/34/EG2) und Emissionsprospekt (geregelt in der Emissionsprospekt-RL 89/298/EWG3) beendet und ein einheitliches Regelungsregime mit nurmehr einem einzigen Prospekttyp geschaffen4 (vgl. auch bereits § 17 Rn. 100). Ziel war die Harmonisierung der Bedingungen für Erstellung, Billigung und Verbreitung des Prospekts zwecks Gewährleistung von Anlegerschutz und Markteffizienz.5 2 Die Aktualisierung des Prospektregimes war bereits 1999 im FSAP (dazu bereits § 17 Rn. 23) als Toppriorität vorgesehen gewesen.6 Die Kommission präsentierte am

1 RL 80/390/EWG des Rates v. 17.3.1980 zur Koordinierung der Bedingungen für die Erstellung, die Kontrolle und die Verbreitung des Prospekts, der für die Zulassung von Wertpapieren zur amtlichen Notierung an einer Wertpapierbörse zu veröffentlichen ist, ABlEG v. 17.4.1980, L 100/1. Dazu Voraufl. S. 546 ff. 2 RL 2001/34/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 28.5.2001 über die Zulassung von Wertpapieren zur amtlichen Börsennotierung und über die hinsichtlich dieser Wertpapiere zu veröffentlichenden Informationen, ABlEG v. 6.7.2001, L 184/1. 3 RL 89/298/EWG des Rates vom 17.4.1989 zur Koordinierung der Bedingungen für die Erstellung, Kontrolle und Verbreitung des Prospekts, der im Falle öffentlicher Angebote von Wertpapieren zu veröffentlichen ist, ABlEG v. 5.5.1989, L 124/8. Dazu Voraufl. S. 605 ff. 4 Vgl. auch Grundmann Rn. 658 f.; Langenbucher Aktien- und Kapitalmarktrecht, 2008, § 14 Rn. 2. 5 Vgl. Art. 1 Abs. 1 und Erwägungsgrund 10. 6 Vgl. Mitteilung der Kommission – Umsetzung des Finanzmarktrahmens: Aktionsplan, KOM(1999) 232, S. 22.

Die Prospektrichtlinie

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30.5.2001 einen ersten RL-Entwurf 7. Nach Stellungnahmen von EZB8, EWSA9 und EP10 sowie ersten Beratungen im Rat11 folgte am 9.8.2002 ein – den geäußerten Änderungswünschen Rechnung tragender – 2. RL-Entwurf 12. Nach Festlegung eines Gemeinsamen Standpunktes des Rates13 und einer 2. Lesung im EP14 wurde die RL dann am 4.11.2003 verabschiedet15; durch Beschluss v. 8.6.2004 wurde ihr Anwendungsbereich auch auf die EWR-Staaten ausgedehnt16. 7 Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über den Prospekt, der beim öffentlichen Angebot von Wertpapieren oder bei deren Zulassung zum Handel zu veröffentlichen ist, KOM(2001) 280. Dazu Fürhoff/Ritz WM 2001, 2280 ff.; von Ilberg/Neisses WM 2002, 635 ff.; von Kopp-Colomb/Lenz AG 2002, 24 ff. 8 Stellungnahme der Europäischen Zentralbank v. 16.11.2001 auf Ersuchen des Rates der Europäischen Union zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über den Prospekt, der beim öffentlichen Angebot von Wertpapieren oder bei deren Zulassung zum Handel zu veröffentlichen ist (KOM(2001) 280 endg.), ABlEG v. 6.12.2001, C 344/4. 9 Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses v. 17.1.2001 zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über den Prospekt, der beim öffentlichen Angebot von Wertpapieren oder bei deren Zulassung zum Handel zu veröffentlichen ist“, ABlEG v. 3.4.2002, L 80/52. 10 Legislative Entschließung des Europäischen Parlaments v. 14.3.2002 zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über den Prospekt, der beim öffentlichen Angebot von Wertpapieren oder bei deren Zulassung zum Handel zu veröffentlichen ist, ABlEU v. 27.2.2003, C 47 E/524. Dazu Seitz BKR 2002, 340, 344 ff. 11 Vgl. Zwischenbericht des AStV-Vorsitzes, 16.5.2002, Dok. 8933/02. 12 Geänderter Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates betreffend den Prospekt, der beim öffentlichen Angebot von Wertpapieren oder bei deren Zulassung zum Handel zu veröffentlichen ist und zur Änderung der Richtlinie 2001/34/ EG, KOM(2002) 460. 13 Gemeinsamer Standpunkt (EG) Nr. 25/2003 vom Rat festgelegt am 24.3.2003 im Hinblick auf den Erlass der Richtlinie 2003/…/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom … betreffend den Prospekt, der beim öffentlichen Angebot von Wertpapieren oder bei deren Zulassung zum Handel zu veröffentlichen ist, und zur Änderung der Richtlinie 2001/34/EG, ABlEU v. 27.5.2003, C 125 E/21. 14 Legislative Entschließung des Europäischen Parlaments v. 2.7.2003 zu dem Gemeinsamen Standpunkt des Rates im Hinblick auf den Erlass der Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates betreffend den Prospekt, der beim öffentlichen Angebot von Wertpapieren oder bei deren Zulassung zum Handel zu veröffentlichen ist, und zur Änderung der Richtlinie 2001/34/EG, ABlEU v. 24.3.2004, C 74 E/251. 15 RL 2003/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 4.11.2003 betreffend den Prospekt, der beim öffentlichen Angebot von Wertpapieren oder bei deren Zulassung zum Handel zu veröffentlichen ist, und zur Änderung der Richtlinie 2001/34/EG, ABlEU v. 31.12.2003, L 345/64. Dazu Avgouleas (2005) 18 Transnat’l Law. 179, 215 ff.; ders. (2007) 22 J.I.B.L.R. 153, 159 ff.; Burn/Wells (2007) 2 CMLJ 263 ff.; Crüwell AG 2003, 243 ff.; Enriques/Gatti (2008) 14 Stan. J. L. Bus. & Fin. 43, 54 ff.; Ferran ECFR 2007, 461 ff.; Grundmann-van de Krol (2004) 1 ECL 32 ff.; Holzborn/Schwarz-Gondek BKR 2003, 927 ff.; Keller/Langner BKR 2003, 616, 617 f.; Kunold/Schlitt BB 2004, 501 ff.; Mattil/Möslein WM 2007, 819 ff.; Morris/Machin (2006) 1 CMLJ 205; Oulds WM 2008, 1573 ff.; Pellegrini [2006] EBLR 1679 ff.; Revell/Cole (2006) 1 CMLJ 77 ff.; Sandberger EWS 2004, 297 ff.; Schammo (2006) 7 EBOR 501 ff.; Tanega (2008) J.I.B.L.R. 294 ff.; Weber NZG 2004, 360 ff.; Wiegel, Die Prospektrichtlinie und die Prospektverordnung, 2008. 16 Beschluss des Gemeinsamen EWR-Ausschusses Nr. 73/2004 v. 8.6.2004 zur Änderung

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Als Rahmen-RL der 2. Generation wurde die Prospekt-RL i.R.d. LamfalussyVerfahrens (dazu näher § 17 Rn. 44 ff.) durch zwei Durchführungs-VO konkretisiert, die VO 809/2004 betreffend Erstellung und Veröffentlichung des Prospekts17 und die VO 1569/2007 betreffend die Gleichwertigkeit drittstaatlicher Rechnungslegungsgrundsätze18. Erste wurde bereits dreimal geändert.19 4 Mit Blick auf die durch Art. 31 fünf Jahre nach Inkrafttreten gebotene Überprüfung der RL holte die Kommission Berichte des CESR20, der ESME21 sowie eine Studie des CSES22 ein und führte Anfang 2009 23 eine öffentliche Konsultation24 durch.25 Im Rahmen ihrer Folgenabschätzung26 kam die Kommission zwar zu einem insgesamt positiven Urteil, konstatierte aber dennoch Bedarf für eine Vereinfachung zwecks Verrin3

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des Anhangs IX (Finanzdienstleistungen) des EWR-Abkommens, ABlEU v. 25.11.2004, C 349/30. VO (EG) Nr. 809/2004 der Kommission v. 29.4.2004 zur Umsetzung der Richtlinie 2003/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates betreffend die in Prospekten enthaltenen Informationen sowie das Format, die Aufnahme von Informationen mittels Verweis und die Veröffentlichung solcher Prospekte und die Verbreitung von Werbung, ABlEU v. 30.4.2004, L 149/1. VO (EG) Nr. 1569/2007 der Kommission v. 21.12.2007 über die Einrichtung eines Mechanismus zur Festlegung der Gleichwertigkeit der von Drittstaatemittenten angewandten Rechnungslegungsgrundsätze gemäß den Richtlinien 2003/71/EG und 2004/109/EG des Europäischen Parlaments und des Rates, ABlEU v. 22.12.2007, L 340/66. VO (EG) Nr. 1787/2006 der Kommission vom 4.12.2006 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 809/2004 der Kommission zur Umsetzung der Richtlinie 2003/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates betreffend die in Prospekten enthaltenen Informationen sowie das Format, die Aufnahme von Informationen mittels Verweis und die Veröffentlichung solcher Prospekte und die Verbreitung von Werbung, ABlEU v. 5.12. 2006, L 337/17; VO (EG) Nr. 211/2007 der Kommission v. 27.2.2007 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 809/2004 zur Umsetzung der Richtlinie 2003/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates in Bezug auf die Finanzinformationen, die bei Emittenten mit komplexer finanztechnischer Vorgeschichte oder bedeutenden finanziellen Verpflichtungen im Prospekt enthalten sein müssen, ABlEU v. 28.2.2007, L 61/24; VO (EG) Nr. 1289/2008 der Kommission v. 12.12.2008 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 809/2004 zur Umsetzung der Richtlinie 2003/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates im Hinblick auf bestimmte Angaben für den Prospekt und auf Werbung, ABlEU v. 19.12.2008, L 340/17. CESR’s Report on the supervisory functioning of the Prospectus Directive and Regulation, CESR/07-225 (allg. zur CESR – jetzt ESMA – bereits § 17 Rn. 53). ESMA, Report on Directive 2003/71/EC of the European Parliament and of the Council on the prospectus to be published when securities are offered to the public or admitted to trading, 5.9.2007, abrufbar unter http://ec.europa.eu/internal_market/securities/docs/ esme/05092007_report_en.pdf. Dazu Kullmann/Metzger WM 2008, 1292 ff. CSES, Study on the Impact of the Prospectus Regime on EU Financial Markets. Final Report. June 2008, abrufbar unter http://ec.europa.eu/internal_market/securities/docs/ prospectus/cses_report_en.pdf. Die Überprüfung wäre an sich bereits am 31.12.2008 fällig gewesen. Konsultationsdokument und Stellungnahmen abrufbar unter http://ec.europa.eu/ internal_market/consultations/2009/prospectus_en.htm. Vgl. zum Ganzen Elsen/Jäger BKR 2008, 459 ff. SEC(2009) 1223; Zusammenfassung: SEK(2009) 1222.

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gerung des Verwaltungsaufwands im Zusammenhang mit der Veröffentlichung eines Prospekts. Sie legte daher am 23.9.2009 einen Änderungsvorschlag 27 vor, der nach Stellungnahmen von EWSA28, EZB29 und EP30 zur Verabschiedung der Änderungs-RL 2010/73/EU31 führte, die bis 1.7.2012 umzusetzen ist. Sie brachte eine ganze Reihe von Erleichterungen, insbesondere etwa auch den Wegfall der Pflicht zur Veröffentlichung eines jährlichen Dokuments (Art. 10 a.F., dazu bereits § 17 Rn. 204 f.). Ebenso wie bei den anderen finanzmarktrechtlichen Richtlinien erforderte ferner 5 auch das neue Europäische Finanzaufsichtssystem (European System of Financial Supervision – ESFS) (dazu näher § 17 Rn. 263 ff.) Modifikationen. Partiell erfolgten diese bereits durch die „Omnibus I“-RL32 (vgl. dazu auch § 17 Rn. 269, § 37 27 Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2003/71/EG betreffend den Prospekt, der beim öffentlichen Angebot von Wertpapieren oder bei deren Zulassung zum Handel zu veröffentlichen ist, und der Richtlinie 2004/109/EG zur Harmonisierung der Transparenzanforderungen in Bezug auf Informationen über Emittenten, deren Wertpapiere zum Handel auf einem geregelten Markt zugelassen sind, KOM(2009) 491. Dazu Voß ZBB 2010, 194 ff. 28 Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses v. 18.2.2010 zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2003/71/EG betreffend den Prospekt, der beim öffentlichen Angebot von Wertpapieren oder bei deren Zulassung zum Handel zu veröffentlichen ist, und der Richtlinie 2004/109/EG zur Harmonisierung der Transparenzanforderungen in Bezug auf Informationen über Emittenten, deren Wertpapiere zum Handel auf einem geregelten Markt zugelassen sind“, ABlEU v. 18.12.2010, C 347/79. 29 Stellungnahme der Europäischen Zentralbank v. 11.1.2010 zu einem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinien 2003/71/EG und 2004/109/EG, ABlEU v. 26.1.2010, C 19/1. 30 Legislative Entschließung des Europäischen Parlaments v. 17.6.2010 zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2003/71/EG betreffend den Prospekt, der beim öffentlichen Angebot von Wertpapieren oder bei deren Zulassung zum Handel zu veröffentlichen ist, und der Richtlinie 2004/ 109/EG zur Harmonisierung der Transparenzanforderungen in Bezug auf Informationen über Emittenten, deren Wertpapiere zum Handel auf einem geregelten Markt zugelassen sind, ABlEU v. 12.8.2011, C 236 E/235. Zum Entwurf: Elsen/Jäger BKR 2010, 97 ff. 31 RL 2010/73/EU des Europäischen Parlaments und des Rates v. 24.11.2010 zur Änderung der Richtlinie 2003/71/EG betreffend den Prospekt, der beim öffentlichen Angebot von Wertpapieren oder bei deren Zulassung zum Handel zu veröffentlichen ist, und der Richtlinie 2004/109/EG zur Harmonisierung der Transparenzanforderungen in Bezug auf Informationen über Emittenten, deren Wertpapiere zum Handel auf einem geregelten Markt zugelassen sind, ABlEU v. 11.12.2010, L 327/1. Dazu Clausnitzer EuZW 2010, 842; ders. GmbHR 2010, R348; Hilgers/Lorenz AG 2011, R119 f.; von Livonius EWS 3/2011, Die erste Seite; Maerker/Biedermann RdF 2011, 90 ff.; Oulds WM 2011, 1452, 1456; Raptis ZFR 2011, 59 ff.; Pereira GmbHR 2011, R42 f. 32 RL 2010/78/EU des Europäischen Parlaments und des Rates v. 24.11.2010 zur Änderung der Richtlinien 98/26/EG, 2002/87/EG, 2003/6/EG, 2003/41/EG, 2003/71/EG, 2004/39/EG, 2004/109/EG, 2005/60/EG, 2006/48/EG, 2006/49/EG und 2009/65/EG im Hinblick auf die Befugnisse der Europäischen Aufsichtsbehörde (Europäische Bankenaufsichtsbehörde), der Europäischen Aufsichtsbehörde (Europäische Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung) und der Europäischen Aufsichtsbehörde (Europäische Wertpapier-und Marktaufsichtsbehörde), ABlEU v. 15.12.2010, L 331/120.

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Rn. 2); weitere sollen durch die „Omnibus II“-RL erfolgen, für welche die Kommission am 19.1.2011 einen Vorschlag 33 vorgelegt hat (vgl. dazu auch § 17 Rn. 270, § 37 Rn. 2). II. Inhalt 1. Anwendungsbereich 6 Die RL gilt sowohl für Prospekte beim öffentlichen Angebot34 von Wertpapieren35 (Emissionsprospekte) als auch für Prospekte bei der Zulassung von Wertpapieren zum Handel an einem geregelten Markt36 (Zulassungsprospekte) (vgl. Art. 1 Abs. 1; vgl. auch bereits o. Rn. 1 sowie § 17 Rn. 100, 102 ff.). Bei den im Katalog des Art. 1 Abs. 2 aufgelisteten Wertpapiertypen ist die Anwendung der RL dem jeweiligen Mitgliedstaat freigestellt; sieht er hiervon ab, haben jedoch die Emittenten gem. Art. 1 Abs. 3 die Möglichkeit, freiwillig ein Prospekt zu erstellen („opt in“), um so in den Genuss eines „Europäischen Passes“ (dazu u. Rn. 12) zu kommen.37

2. Prospektpflicht 7 Entsprechend dem einheitlichen Anwendungsbereich der RL (vgl. o. Rn. 1, 6) gilt auch die Prospektpflicht grundsätzlich sowohl bei öffentlichen Angeboten von Wertpapieren (Art. 3 Abs. 1) als auch bei Zulassungen von Wertpapieren zum Handel an einem geregelten Markt (Art. 3 Abs. 3). Für bestimmte Angebotsformen (Art. 3 Abs. 2) sowie bestimmte Arten von Wertpapieren (Art. 4) gelten jedoch Ausnahmen (dazu auch bereits § 17 Rn. 102 ff.).38 33 Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinien 2003/71/EG und 2009/138/EG im Hinblick auf die Befugnisse der Europäischen Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung und der Europäischen Wertpapieraufsichtsbehörde, KOM(2011) 8. Stellungnahme der EZB: ABlEU v. 28.5.2011, C 159/10; Stellungnahme des EWSA: ABlEU v. 23.7.2011, C 218/82. Zum Ganzen: Böhne GmbHR 2011, R58 ff. 34 Legaldefinition in Art. 2 Abs. 1 lit. d. Dazu Grundmann Rn. 675; Kunold/Schlitt BB 2004, 501, 503; Pellegrini [2006] EBLR 1679, 1682 f.; Wiegel (Fn. 15), S. 152 ff. 35 Die Legaldefinition in Art. 2 Abs. 1 lit. a verweist systemkohärent auf übertragbare Wertpapiere i.S.v. Art. 4 Abs. 1 Nr. 18 MiFID mit Ausnahme von Geldmarktinstrumenten i.S.v. Art. 4 Abs. 1 Nr. 19 MiFID mit einer Laufzeit von weniger als 12 Monaten (Verweise auf die RL 93/22/EWG [ISD] sind gem. Art. 69 MiFID als Verweise auf die MiFID zu lesen; vgl. zur MiFID bereits § 17 Rn. 55 ff., 208 ff. sowie § 33). 36 Die Legaldefinition in Art. 2 Abs. 1 lit. j verweist systemkohärent auf Art. 4 Abs. 1 Nr. 14 MiFID (vgl. dazu § 17 Rn. 58, § 33 Rn. 8; vgl. zum Verweisungssystem bereits Fn. 35). 37 Näher Holzborn/Schwarz-Gondek BKR 2003, 927, 928 f.; Kunold/Schlitt BB 2004, 501, 502; Weber NZG 2004, 360, 362; Wiegel (Fn. 15), S. 160 ff. 38 Näher Cordewener in: Schön (Hrsg.), Rechnungslegung und Wettbewerbsschutz im Europäischen Recht, 2008, S. 105, 203 f.; Crüwell AG 2003, 243, 245 f.; Holzborn/SchwarzGondek BKR 2003, 927, 929 f.; Kunold/Schlitt BB 2004, 501, 503 f.; Weber NZG 2004, 360, 362 f.; Wiegel (Fn. 15), S. 167 ff. Zu den Neuerungen durch die RL 2010/73/EU (Rn. 4): Maerker/Biedermann RdF 2011, 90, 93 f.

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3. Anforderungen an den Prospekt Art. 5, 7 und 8 regeln Anforderungen an Inhalt, Format und Aufbau des Prospekts, 8 die durch Art. 3 ff., 25 ff. VO 809/200439 näher konkretisiert werden (s. näher § 17 Rn. 105 f.).40 Geregelt werden ferner auch die Billigung und Veröffentlichung des Prospekts 9 (Art. 13, 14 und 16, bzgl. der Veröffentlichung konkretisiert durch Art. 29 ff. VO 809/200441) (s. näher § 17 Rn. 107 ff.).42 Art. 15 normiert, konkretisiert durch Art. 34 VO 809/200443, Rahmenbedingun- 10 gen für Werbung in Bezug auf Prospekte (dazu auch bereits § 17 Rn. 110).44 4. Gültigkeit des Prospekts Gem. Art. 9 Abs. 1 ist ein Prospekt 12 Monate lang gültig, sofern er um etwaige gem. 11 Art. 16 erforderliche Nachträge ergänzt wird; durch die Änderungs-RL 2010/73/EU (dazu o. Rn. 4) wurde der Beginn der Geltungsdauer zwecks Erhöhung der Rechtssicherheit45 an die Billigung des Prospekts (anstatt wie bislang an die Veröffentlichung) geknüpft (vgl. auch bereits § 17 Rn. 111 f.).46 5. Europäischer Pass Art. 17 regelt als Herzstück der RL den sog. Europäischen Pass (vgl. auch bereits § 17 12 Rn. 113):47 Ein von der zuständigen Behörde des Herkunftsmitgliedstaats gebilligter Prospekt ist einschließlich etwaiger Nachträge in beliebig vielen Aufnahmemitglied-

39 Fn. 17. 40 Vgl. hierzu Cordewener (Fn. 38), S. 105, 204 ff.; Crüwell AG 2003, 243, 246 f.; Grundmann Rn. 677 ff.; Holzborn/Schwarz-Gondek BKR 2003, 927, 931 ff.; Klöhn in: Langenbucher (Hrsg.), Europarechtliche Bezüge des Privatrechts, 2. Aufl. 2008, § 6 Rn. 43 ff.; von KoppColomb/Lenz AG 2002, 24, 27 f.; Kunold/Schlitt BB 2004, 501, 504 ff.; Sandberger EWS 2004, 297, 299 ff.; Weber NZG 2004, 360, 363 f.; Wiegel (Fn. 15), S. 211 ff., 315 ff. 41 Fn. 17. 42 Näher Cordewener (Fn. 38), S. 105, 206; Crüwell AG 2003, 243, 250 ff.; Grundmann Rn. 688 ff.; Holzborn/Schwarz-Gondek BKR 2003, 927, 933 f.; von Kopp-Colomb/Lenz AG 2002, 24, 28 f.; Kunold/Schlitt BB 2004, 501, 508 f., 510 f.; Sandberger EWS 2004, 297, 300 f.; Weber NZG 2004, 360, 365; Wiegel (Fn. 15), S. 342 ff., 413 ff. 43 Fn. 17. 44 Näher Crüwell AG 2003, 243, 251; Grundmann Rn. 692; Kunold/Schlitt BB 2004, 501, 511; Revell/Cole (2006) 1 CMLJ 77, 81; Sandberger EWS 2004, 297, 302; Weber NZG 2004, 360, 365; Wiegel (Fn. 15), S. 351 ff. 45 Vgl. Erwägungsgrund 20 RL 2010/73/EU. 46 Näher zum Ganzen Crüwell AG 2003, 243, 251; Holzborn/Schwarz-Gondek BKR 2003, 927, 933; Kunold/Schlitt BB 2004, 501, 509 f.; Weber NZG 2004, 360, 365; Wiegel (Fn. 15), S. 387 ff. Zu den Neuerungen durch die RL 2010/73/EU (Rn. 4): Maerker/Biedermann RdF 2011, 90, 95. 47 Näher Crüwell AG 2003, 243, 253; Klöhn (Fn. 40), § 6 Rn. 49 f.; Morris/Machin (2006) 1 CMLJ 205, 206 ff.; Revell/Cole (2006) 1 CMLJ 77, 82 f.; Sandberger EWS 2004, 297, 301.

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staaten gültig, sofern eine Notifizierung der ESMA sowie der zuständigen Behörde jedes Aufnahmemitgliedstaats gem. Art. 18 (der hierfür ein spezielles Verfahren unter Verwendung einer sog. Billigkeitsbescheinigung vorsieht48) erfolgt. 6. Sprachenregelung 13 Von zentraler Bedeutung für die Praxis49 ist aber auch das in Art. 19 geregelte Sprachregime50, das eine erhebliche Erleichterung für die Anbieter/Emittenten darstellt51, unter Anlegerschutzaspekten aber nicht unproblematisch ist52. Differenziert wird – vorbehaltlich einer Sonderregelung für bestimmte Nichtdividendenwerte in Abs. 4 – zwischen drei Fallgruppen: Emission/Zulassung nur im Herkunfts-MS (Abs. 1)

von Herkunfts-MS-Behörde anerkannte Sprache

nur in anderen MS (Abs. 2)

in Herkunfts- und anderen MS (Abs. 3)

Wahlrecht: von Behörden der anderen MS anerkannte Sprache oder in internationalen Finanzkreisen gebräuchliche Sprache53 (Behörden der anderen MS dürfen nur Übersetzung der Zusammenfassung in ihre Amtssprache verlangen) + von Herkunfts-MS-Behörde anerkannte Sprache

7. Emittenten aus Drittstaaten 14 Die RL ermöglicht in Art. 20 auch Emittenten aus Drittstaaten die Erlangung eines „Europäischen Passes“, ist hier aber deutlich strenger:54 Die zuständige Behörde des EU/EWR-„Herkunftsmitgliedstaats“55 kann einen nach Drittstaatrecht erstellten

48 Näher Crüwell AG 2003, 243, 253; Grundmann Rn. 695 f.; Wiegel (Fn. 15), S. 426 f. 49 Vgl. dazu Mattil/Möslein WM 2007, 819, 820. 50 Näher dazu Crüwell AG 2003, 243, 248 f.; Ferran, Building an EU Securities Market, 2004, S. 164 ff.; Kunold/Schlitt BB 2004, 501, 508; Mattil/Möslein WM 2007, 819 ff.; Pellegrini [2006] EBLR 1679, 1688; Weber NZG 2004, 360, 364; Wiegel (Fn. 15), S. 332 ff. 51 Vgl. Crüwell AG 2003, 243, 249; Mattil/Möslein WM 2007, 819, 820 ff., Pellegrini [2006] EBLR 1679, 1688. 52 Vgl. Crüwell AG 2003, 243, 249; Mattil/Möslein WM 2007, 819, 824 ff. 53 Dies ist auf jeden Fall die englische Sprache, vgl. Bericht Rechtsausschuss z. ProspektRL-UG, BT-Drs. 15/5373, S. 50; Crüwell AG 2003, 243, 248 Fn. 39; Heidelbach in: Schwark/Zimmer, KMRK, 4. Aufl. 2010, § 19 WpPG Rn. 5; von Kopp-Colomb/Lenz AG 2002, 24, 28; Meyer in: Habersack/Mülbert/Schlitt (Hrsg.), Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, 2. Aufl. 2008, § 30 Rn. 59; für eine Bestimmung in Abhängigkeit von der räumlichen „Streubreite“ der jeweiligen Emission jedoch Mattil/Möslein WM 2007, 819, 821. 54 Näher Crüwell AG 2003, 243, 253; Grundmann Rn. 698; Kunold/Schlitt BB 2004, 501, 511 f.; Sandberger EWS 2004, 297, 302. 55 Legaldefinition in Art. 2 Abs. 1 lit. m sublit. ii und iii.

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Prospekt nur billigen, wenn die Erstellung nach internationalen Standards erfolgte und die Informationspflichten denjenigen der RL gleichwertig sind; die Anforderungen an die Gleichwertigkeit wurden durch die VO 1569/2007 56 und die darauf basierenden Änderungen57 der VO 809/200458 konkretisiert.

8. Aufsichtsbehörden Art. 21 ff. regeln die Rechte und Pflichten der zuständigen nationalen Aufsichts- 15 behörden, der ESMA sowie deren Zusammenarbeit (dazu bereits § 17 Rn. 114).59

9. Prospekthaftung Im Hinblick auf die Prospekthaftung beschränkt sich die RL vor dem Hintergrund 16 der stark divergierenden nationalen Rechtsordnungen darauf, die Mitgliedstaaten in Art. 6 zwar im Grundsatz zur Regelung der Haftung der sog. Prospektverantwortlichen zu verpflichten; sowohl hinsichtlich deren Person (Emittent, dessen Organe, Anbieter, Zulassungsantragsteller oder Garantiegeber) als auch hinsichtlich der näheren Ausgestaltung der Haftung lässt sie den Mitgliedstaaten jedoch breiten Spielraum.60 Zum Verhältnis von Prospekthaftung und Kapitalschutz bereits § 20 Rn. 86, 91. III. Umsetzung in Deutschland Vor Umsetzung der RL war das Prospektrecht in Deutschland – entsprechend dem 17 früheren europäischen Dualismus (dazu o. Rn. 1) – zweigeteilt: Börsenzulassungsprospekte waren in Umsetzung der Börsenzulassungsprospekt-RL im BörsG61 und

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Fn. 18. Durch die VO 1289/2008 (Fn. 19). Fn. 17. Näher Crüwell AG 2003, 243, 249 f.; Kunold/Schlitt BB 2004, 501, 508 f.; Sandberger EWS 2004, 297, 300. 60 Näher Burn/Wells (2007) 2 CMLJ 263, 274 f.; Crüwell AG 2003, 243, 252 f.; Grundmann Rn. 700; Holzborn/Schwarz-Gondek BKR 2003, 927, 934; Hopt/Voigt WM 2004, 1801 ff.; Klöhn (Fn. 40), § 6 Rn. 51; Kunold/Schlitt BB 2004, 501, 511; Oulds WM 2008, 1573 ff.; Sandberger EWS 2004, 297, 301 f., 303; Weber NZG 2004, 360, 366; Wiegel (Fn. 15), S. 402 ff.; speziell zum Einfluss der unterschiedlichen Haftungsregime auf grenzüberschreitende Emissionen: Ferran ECFR 2007, 461, 482 ff.; zur internationalen Prospekthaftung und Rom II: Tschäpe/Kramer/Glück RIW 2008, 657 ff.; Weber WM 2008, 1581 ff. 61 Die RL wurde umgesetzt durch das BörsZulG (Gesetz zur Einführung eines neuen Marktabschnitts an den Wertpapierbörsen und zur Durchführung der Richtlinien des Rates der Europäischen Gemeinschaften vom 5. März 1989, vom 17. März 1980 und vom 15. Februar 1982 zur Koordinierung börsenrechtlicher Vorschriften (BörsenzulassungsGesetz) v. 16.12.1986, BGBl. I, 2478).

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Kapitalmarktrechtliche Rechtsakte

der BörsZulV62, Emissionsprospekte in Umsetzung der Emissionsprospekt-RL im VerkProspG63 und der VerkProspV64 geregelt.65 Im Zuge der Umsetzung der RL durch das Prospekt-RL-UG66 wurde die Prospektpflicht im Hinblick auf Aktien und andere Wertpapiere – entsprechend dem homogenen Konzept der RL – einheitlich in dem zu diesem Zweck neu geschaffenen Wertpapierprospektgesetz (WpPG) 67 geregelt; der Regelungsbereich des VerkProspG beschränkt sich seitdem auf andere Vermögensanlagen (vgl. § 8f VerkProspG). Neben dieser neuen Grundkonzeption brachte das Prospekt-RL-UG aber – analog den Neuerungen auf europäischer Ebene – auch umfassende materielle Neuerungen, insbesondere den neuen „Europäischen Pass“. 18 Die Umsetzung der Änderungen durch die „Omnibus I“-RL (dazu o. Rn. 5) soll durch das ESFS-Gesetz68 erfolgen. Die Umsetzung der Änderungs-RL 2010/73/EG (dazu o. Rn. 4) war bei Drucklegung noch nicht in die Wege geleitet.

IV. Fundstellenverzeichnis Grundlage:

Art. 50, 114 AEU [G Art. 44, 95 EG]

Vorschläge:

Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über den Prospekt, der beim öffentlichen Angebot

62 Verordnung über die Zulassung von Wertpapieren zur amtlichen Notierung an einer Wertpapierbörse (Börsenzulassungs-Verordnung – BörsZulV) v. 15.4.1987, BGBl. I, 1234. 63 Gesetz über Wertpapier-Verkaufsprospekte und zur Änderung von Vorschriften über Wertpapiere v. 13.12.1990, BGBl. I, 2749. 64 Verordnung über Wertpapier-Verkaufsprospekte (Verkaufsprospekt-Verordnung) v. 17.12.1990, BGBl. I, 2869. 65 Vgl. dazu näher Voraufl. S. 529, 549. 66 Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2003/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 betreffend den Prospekt, der beim öffentlichen Angebot von Wertpapieren oder bei deren Zulassung zum Handel zu veröffentlichen ist, und zur Änderung der Richtlinie 2001/34/EG (Prospektrichtlinie-Umsetzungsgesetz) v. 22.6. 2005, BGBl. I, 1698. Überblick zur Umsetzung in anderen Mitgliedstaaten bei du Burn (ed.) (2006) 1 CMLJ 89 ff. 67 Gesetz über die Erstellung, Billigung und Veröffentlichung des Prospekts, der beim öffentlichen Angebot von Wertpapieren oder bei der Zulassung von Wertpapieren zum Handel an einem organisierten Markt zu veröffentlichen ist (Wertpapierprospektgesetz – WpPG) v. 22.6.2005, BGBl. I, 1698. Dazu Apfelbacher/Metzner BKR 2006, 81 ff.; Fleischer BKR 2007, 94, 99; Foelsch BKR 2007, 94, 99 f.; Gehringer (2006) 1 CMLJ 91 ff.; Grub/Thiem NZG 2005, 750 ff.; Heidelbach/Preuße BKR 2006, 316 ff.; dies. BKR 2008, 10 ff.; Kaum/Zimmermann BB 2005, 1466 ff.; Kullmann/Sester WM 2005, 1068 ff.; Leuering Konzern 2006, 4 ff.; Müller/Oulds WM 2007, 573 ff.; Pfeiffer/Buchinger NZG 2006, 449 ff.; Schlitt/Schäfer AG 2005, 498 ff.; dies. AG 2008, 525 ff.; Seitz AG 2005, 678 ff.; aus der Kommentarliteratur: Assmann/Schlitt/von Kopp-Colomb, Wertpapierprospektgesetz/Verkaufsprospektgesetz, 2. Aufl. 2010; Groß, Kapitalmarktrecht, 4. Aufl. 2009; Schwark/Zimmer, KMRK, 4. Aufl. 2010; zum Entwurf: Ekkenga BB 2005, 561 ff. 68 Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2010/78/EU vom 24. November 2010 im Hinblick auf die Errichtung des Europäischen Finanzaufsichtssystems, BR-Drs. 254/11. Dazu Weber-Rey AG 2011, R259 f.

Die Prospektrichtlinie

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von Wertpapieren oder bei deren Zulassung zum Handel zu veröffentlichen ist, 30.5.2001 KOM(2001) 280 Geänderter Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates betreffend den Prospekt, der beim öffentlichen Angebot von Wertpapieren oder bei deren Zulassung zum Handel zu veröffentlichen ist und zur Änderung der Richtlinie 2001/34/EG, 9.8.2002 KOM(2002) 460 verabschiedete Fassung:

RL 2003/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 4.11.2003 betreffend den Prospekt, der beim öffentlichen Angebot von Wertpapieren oder bei deren Zulassung zum Handel zu veröffentlichen ist, und zur Änderung der Richtlinie 2001/34/EG, ABlEU v. 31.12.2003, L 345/64

Änderungs-RL:

RL 2008/11/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 11.3.2008 zur Änderung der Richtlinie 2003/71/EG betreffend den Prospekt, der beim öffentlichen Angebot von Wertpapieren oder bei deren Zulassung zum Handel zu veröffentlichen ist, im Hinblick auf die der Kommission übertragenen Durchführungsbefugnisse, ABlEU v. 19.3.2008, L 76/37 RL 2010/73/EU des Europäischen Parlaments und des Rates v. 24.11.2010 zur Änderung der Richtlinie 2003/71/EG betreffend den Prospekt, der beim öffentlichen Angebot von Wertpapieren oder bei deren Zulassung zum Handel zu veröffentlichen ist, und der Richtlinie 2004/109/EG zur Harmonisierung der Transparenzanforderungen in Bezug auf Informationen über Emittenten, deren Wertpapiere zum Handel auf einem geregelten Markt zugelassen sind, ABlEU v. 11.12.2010, L 327/1 RL 2010/78/EU des Europäischen Parlaments und des Rates v. 24.11.2010 zur Änderung der Richtlinien 98/26/EG, 2002/ 87/EG, 2003/6/EG, 2003/41/EG, 2003/71/EG, 2004/39/EG, 2004/109/EG, 2005/60/EG, 2006/48/EG, 2006/49/EG und 2009/65/EG im Hinblick auf die Befugnisse der Europäischen Aufsichtsbehörde (Europäische Bankenaufsichtsbehörde), der Europäischen Aufsichtsbehörde (Europäische Aufsichbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung) und der Europäischen Aufsichtsbehörde (Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde), ABlEU v. 15.12.2010, L 331/120

Durchführungsrechtsakte:

VO (EG) Nr. 809/2004 der Kommission v. 29.4.2004 zur Umsetzung der Richtlinie 2003/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates betreffend die in Prospekten enthaltenen Informationen sowie das Format, die Aufnahme von Informationen mittels Verweis und die Veröffentlichung solcher Prospekte und die Verbreitung von Werbung, ABlEU v. 30.4.2004, L 149/1 VO (EG) Nr. 1569/2007 der Kommission v. 21.12.2007 über die Einrichtung eines Mechanismus zur Festlegung der Gleichwertigkeit der von Drittstaatemittenten angewandten Rechnungslegungsgrundsätze gemäß den Richtlinien 2003/71/EG

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Kapitalmarktrechtliche Rechtsakte

und 2004/109/EG des Europäischen Parlaments und des Rates, ABlEU v. 22.12.2007, L 340/66 Änderungen:

VO (EG) Nr. 1787/2006 der Kommission vom 4.12.2006 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 809/2004 der Kommission zur Umsetzung der Richtlinie 2003/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates betreffend die in Prospekten enthaltenen Informationen sowie das Format, die Aufnahme von Informationen mittels Verweis und die Veröffentlichung solcher Prospekte und die Verbreitung von Werbung, ABlEU v. 5.12.2006, L 337/17 VO (EG) Nr. 211/2007 der Kommission v. 27.2.2007 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 809/2004 zur Umsetzung der Richtlinie 2003/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates in Bezug auf die Finanzinformationen, die bei Emittenten mit komplexer finanztechnischer Vorgeschichte oder bedeutenden finanziellen Verpflichtungen im Prospekt enthalten sein müssen, ABlEU v. 28.2.2007, L 61/24 VO (EG) Nr. 1289/2008 der Kommission v. 12.12.2008 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 809/2004 zur Umsetzung der Richtlinie 2003/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates im Hinblick auf bestimmte Angaben für den Prospekt und auf Werbung, ABlEU v. 19.12.2008, L 340/17

Umsetzung in Deutschland: ursprüngliche Umsetzung

Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2003/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 betreffend den Prospekt, der beim öffentlichen Angebot von Wertpapieren oder bei deren Zulassung zum Handel zu veröffentlichen ist, und zur Änderung der Richtlinie 2001/34/EG (Prospektrichtlinie-Umsetzungsgesetz) v. 22.6.2005, BGBl. I, 1698

Änderungs-RL 2010/78/EU

Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2010/ 78/EU vom 24. November 2010 im Hinblick auf die Errichtung des Europäischen Finanzaufsichtssystems, BR-Drs. 254/ 11

Änderungs-RL 2010/73/EU

[bei Drucklegung noch nicht in die Wege geleitet]

Die Prospektrichtlinie

1203

RICHTLINIE 2003/71/EG DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES vom 4. November 2003 betreffend den Prospekt, der beim öffentlichen Angebot von Wertpapieren oder bei deren Zulassung zum Handel zu veröffentlichen ist, und zur Änderung der Richtlinie 2001/34/EG

DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT UND DER RAT DER EUROPÄISCHEN UNION – gestützt auf den Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, insbesondere auf die Artikel 44 und 95, gestützt auf den Vorschlag der Kommission(1), nach Stellungnahme des Europäischen Wirtschaftsund Sozialausschusses(2), nach Stellungnahme der Europäischen Zentralbank(3), gemäß dem Verfahren des Artikels 251 des Vertrags(4), in Erwägung nachstehender Gründe: (1) Die Richtlinie 80/390/EWG des Rates vom 17. März 1980 zur Koordinierung der Bedingungen für die Erstellung, die Kontrolle und die Verbreitung des Prospekts, der für die Zulassung von Wertpapieren zur amtlichen Notierung an einer Wertpapierbörsezu veröffentlichen ist(5), und die Richtlinie 89/298/EWG des Rates vom 17. April 1989 zur Koordinierung der Bedingungen für die Erstellung, Kontrolle und Verbreitung des Prospekts, der im Falle öffentlicher Angebote von Wertpapieren zu veröffentlichen ist(6), wurden bereits vor mehreren Jahren erlassen und haben einen lückenhaften und komplizierten Mechanismus der gegenseitigen Anerkennung eingeführt, mit dem das Ziel der Einmalzulassung nach vorliegender Richtlinie nicht erreicht werden kann. Diese Richtlinien sollten verbessert, aktualisiert und in einem einzigen Text zusammengefasst werden.

(1) ABl. C 240 E vom 28.8.2001, S. 272, und ABl. C 20 E vom 28.1.2003, S. 122. (2) ABl. C 80 vom 3.4.2002, S. 52. (3) ABl. C 344 vom 6.12.2001, S. 4. (4) Stellungnahme des Europäischen Parlaments vom 14. März 2002 (ABl. C 47 E vom 27.2.2003, S. 417), Gemeinsamer Standpunkt des Rates vom 24. März 2003 (ABl. C 125 E vom 27.5.2003, S. 21) und Standpunkt des Europäischen Parlaments vom 2. Juli 2003 (noch nicht im Amtsblatt veröffentlicht). Beschluss des Rates vom 15. Juli 2003. (5) ABl. L 100 vom 17.4.1980, S. 1. Zuletzt geändert durch die Richtlinie 94/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates (ABl. L 135 vom 31.5.1994, S. 1). (6) ABl. L 124 vom 5.5.1989, S. 8.

(2) Inzwischen wurde die Richtlinie 80/390/EWG in die Richtlinie 2001/34/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Mai 2001 über die Zulassung von Wertpapieren zur amtlichen Börsennotierung und über die hinsichtlich dieser Wertpapiere zu veröffentlichenden Informationen(7) übernommen, die mehrere Richtlinien auf dem Gebiet der Wertpapiernotierung kodifiziert. (3) Aus Gründen der Kohärenz auf diesem Gebiet ist es jedoch zweckmäßig, die Bestimmungen der Richtlinie 2001/34/EG, die aus der Richtlinie 80/390/EWG herrühren, mit den Bestimmungen der Richtlinie 89/298/EWG zusammenzufassen und die Richtlinie 2001/34/EG entsprechend zu ändern. (4) Diese Richtlinie stellt ein wichtiges Instrument zur Vollendung des Binnenmarktes dar, entsprechend dem Zeitplan, den die Kommission in ihren Mitteilungen „Risikokapital-Aktionsplan“ und „Umsetzung des Finanzmarktrahmens: Aktionsplan“ dargelegt hat; dadurch soll der weitestmögliche Zugang zu Anlagekapital auf Gemeinschaftsbasis durch Gewährung einer Einmalzulassung von Emittenten erleichtert werden, wobei auch kleine und mittlere Unternehmen (KMU) und Jungunternehmen mit einzubeziehen sind. (5) Am 17. Juli 2000 hat der Rat den Ausschuss der Weisen über die Regulierung der europäischen Wertpapiermärkte eingesetzt. In dessen erstem Bericht vom 9. November 2000 wird festgestellt, dass es keine gemeinsame Definition des öffentlichen Angebots von Wertpapieren gibt, wodurch ein und dasselbe Geschäft in einigen Mitgliedstaaten als Privatplatzierung angesehen wird, in anderen hingegen nicht; die derzeitigen Regelungen halten die Unternehmen davon ab, Kapital auf gemeinschaftsweiter Basis aufzunehmen, und gewähren folglich keinen echten Zugang zu einem großen, liquiden und integrierten Finanzmarkt. (6) In seinem Schlussbericht vom 15. Februar 2001 hat der Ausschuss der Weisen die Einführung neuer Rechtsetzungstechniken vorgeschlagen, die sich auf ein Vier-Stufen-Konzept stützen, nämlich Grundsätze, Durchführungsmaßnahmen, Zusammenarbeit und rechtliche Durchsetzung. Stufe 1, die Richtlinie, sollte lediglich breite, allgemeine

(7) ABl. L 184 vom 6.7.2001, S. 1.

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Kapitalmarktrechtliche Rechtsakte

Grundprinzipien festschreiben, wogegen Stufe 2 die von der Kommission mit Unterstützung eines Ausschusses zu erlassenden technischen Durchführungsmaßnahmen enthalten sollte. (7) Der Europäische Rat von Stockholm vom 23./24. März 2001 hat den Schlussbericht des Ausschusses der Weisen und das darin vorgeschlagene Vier-Stufen-Konzept, das die gemeinschaftliche Rechtsetzung im Wertpapierbereich effizienter und transparenter machen soll, gebilligt. (8) Das Europäische Parlament hat in seiner Entschließung vom 5. Februar 2002 zur Umsetzung der Rechtsvorschriften im Bereich der Finanzdienstleistungen den Schlussbericht des Ausschusses der Weisen ebenfalls gebilligt; Grundlage dafür war die feierliche Erklärung der Kommission vor dem Parlament vom selben Tag und das Schreiben des für den Binnenmarkt zuständigen Kommissionsmitglieds an den Vorsitzenden des Wirtschafts- und Währungsausschusses des Parlaments vom 2. Oktober 2001, in denen dem Europäischen Parlament die Gewährleistung seiner Rolle in diesem Prozess zugesichert wurde. (9) Nach Auffassung des Europäischen Rates von Stockholm sollte häufiger auf die Durchführungsmaßnahmen der Stufe 2 zurückgegriffen werden, um sicherzustellen, dass die technischen Bestimmungen der Richtlinie mit Marktentwicklung und Aufsichtspraktiken Schritt halten; ferner sollten für alle Arbeitsschritte der Stufe 2 Fristen gesetzt werden. (10) Ziel dieser Richtlinie und der in ihr vorgesehenen Durchführungsmaßnahmen ist es, in Übereinstimmung mit den strengen Aufsichtsbestimmungen, die in den einschlägigen internationalen Foren festgelegt wurden, den Anlegerschutz und die Markteffizienz sicherzustellen. (11) Nichtdividendenwerte, die von einem Mitgliedstaat oder einer Gebietskörperschaft eines Mitgliedstaats, von internationalen Organismen öffentlich-rechtlicher Art, denen ein oder mehrere Mitgliedstaat(en) angehört/angehören, von der Europäischen Zentral bank oder von den Zentralbanken der Mitgliedstaaten ausgegeben werden, werden nicht von dieser Richtlinie erfasst und bleiben daher von ihr unberührt; den genannten Emittenten solcher Wertpapiere steht es allerdings frei, einen Prospekt gemäß dieser Richtlinie zu erstellen. (12) Für die Zwecke des Anlegerschutzes müssen alle öffentlich angebotenen oder zum Handel an geregelten Märkten im Sinne der Richtlinie 93/22/ EWG des Rates vom 10. Mai 1993 über Wertpapierdienstleistungen(8) zugelassenen Dividendenwerte und Nichtdividendenwerte, d.h. nicht nur Wertpapiere, die zur amtlichen Notierung an der Börse zugelassen sind, erfasst werden. Die breitgefasste Definition der Wertpapiere in dieser Richtlinie, die auch Optionsscheine und Covered (8) ABl. L 141 vom 11.6.1993, S. 27. Zuletzt geändert durch die Richtlinie 2000/64/EG des Europäischen Parlaments und des Rates (ABl. L 290 vom 17.11.2000, S. 27).

Warrants sowie Zertifikate erfasst, gilt nur für diese Richtlinie und berührt daher in keiner Weise die verschiedenen Definitionen von Finanzinstrumenten, die in den nationalen Rechtsvorschriften für andere Zwecke (z.B. Steuerzwecke) verwendet werden. Einige der in der Richtlinie definierten Wertpapiere berechtigen den Inhaber zum Erwerb von übertragbaren Wertpapieren oder zum Empfang eines Barbetrags im Rahmen eines Barausgleichs, der durch Bezugnahme auf andere Instrumente, namentlich übertragbare Wertpapiere, Währungen, Zinssätze oder Renditen, Rohstoffe oder andere Indizes oder Messzahlen festgesetzt wird. Aktienzertifikate sowie Optionsanleihen, z.B. Wertpapiere, die nach Wahl des Anlegers umgewandelt werden können, gelten im Sinne dieser Richtlinie als Nichtdividendenwerte. (13) Die Emission von Wertpapieren, die im Falle der Ausgabe von Nichtdividendenwerten auf der Grundlage eines Angebotsprogramms einen ähnlichen Typ und/oder eine ähnliche Klasse aufweisen, einschließlich Optionsscheine und Zertifikate jeder Form, sowie die Emission von Wertpapieren, die dauernd oder wiederholt ausgegeben werden, sollten so verstanden werden, dass nicht nur identische Wertpapiere abgedeckt werden, sondern auch Wertpapiere, die nach allgemeinen Gesichtspunkten in eine Kategorie gehören. Diese Wertpapiere können unterschiedliche Produkte, wie zum Beispiel Schuldverschreibungen, Zertifikate und Optionsscheine, oder gleiche Produkte in ein und demselben Programm zusammenfassen und unterschiedliche Merkmale, insbesondere hinsichtlich der Bedingungen für die Vorrangigkeit, der Typen der Basiswerte oder der Grundlage, auf der der Rückzahlungsbetrag oder die Kuponzahlung zu berechnen ist, aufweisen. (14) Die in der gesamten Gemeinschaft gültige Einmalzulassung von Emittenten und die Anwendung des Herkunftslandprinzips erfordern die eindeutige Bestimmung des Herkunftsmitgliedstaats als der Staat, der am besten in der Lage ist, den Emittenten im Sinne dieser Richtlinie zu regulieren. (15) Die Offenlegungsstandards dieser Richtlinie berühren nicht das Recht eines Mitgliedstaats, einer zuständigen Behörde oder einer Börse, mittels ihrer Börsenordnung weitere besondere Anforderungen im Zusammenhang mit der Zulassung von Wertpapieren zum Handel an einem geregelten Markt (insbesondere in Bezug auf die Entscheidungsstrukturen im Unternehmen) festzulegen. Diese Anforderungen dürfen die Erstellung, den Inhalt und die Verbreitung des von einer zuständigen Behörde gebilligten Prospekts weder direkt noch indirekt einschränken. (16) Ein Ziel dieser Richtlinie ist der Anlegerschutz. Deshalb ist es angebracht, den unterschiedlichen Schutzanforderungen für die verschiedenen Anlegerkategorien und ihrem jeweiligen Sachverstand Rechnung zu tragen. Die Angaben gemäß dem Prospekt werden für Angebote, die sich ausschließlich an qualifizierte Anleger richten, nicht gefordert. Da-

Die Prospektrichtlinie gegen ist bei Weiterveräußerung an das Publikum oder öffentlichem Handel mittels der Zulassung zum Handel an einem geregelten Markt die Veröffentlichung eines Prospekts erforderlich. (17) Emittenten, Anbieter oder Personen, die die Zulassung zum Handel an einem geregelten Markt beantragen, genießen, soweit sie von der Verpflichtung zur Veröffentlichung eines Prospekts befreit sind, den Rechtsvorteil der Einmalzulassung, wenn sie diese Richtlinie einhalten. (18) Vollständige Informationen über Wertpapiere und deren Emittenten kommen – zusammen mit den Wohlverhaltensregeln – dem Anlegerschutz zugute. Darüber hinaus stellen diese Informationen ein wirksames Mittel dar, um das Vertrauen in die Wertpapiere zu erhöhen und so zur reibungslosen Funktionsweise und zur Entwicklung der Wertpapiermärkte beizutragen. Die geeignete Form zur Bereitstellung dieser Informationen ist die Veröffentlichung eines Prospekts. (19) Anlagen in Wertpapieren sind – wie alle anderen Anlageformen – mit Risiken behaftet. Deshalb sind in allen Mitgliedstaaten Schutzmaßnahmen zur Absicherung der Interessen der derzeitigen und potenziellen Anleger erforderlich, um sie in die Lage zu versetzen, eine fundierte Bewertung der Anlagerisiken vornehmen und somit Anlageentscheidungen in voller Kenntnis der Sachlage treffen zu können. (20) Diese Informationen, die in Bezug auf die finanziellen Gegebenheiten des Emittenten und die mit den Wertpapieren verbundenen Rechte ausreichend und so objektiv wie möglich sein sollten, sollten in leicht zu analysierender und verständlicher Form vorgelegt werden. Die Harmonisierung der im Prospekt enthaltenen Informationen sollte einen gleichwertigen Anlegerschutz auf Gemeinschaftsebene sicherstellen. (21) Information ist ein zentrales Element des Anlegerschutzes; der Prospekt sollte daher eine Zusammenfassung enthalten, die die wesentlichen Merkmale und Risiken, die auf den Emittenten, jeden Garantiegeber und die Wertpapiere zutreffen, nennt. Damit diese Information leicht zugänglich ist, sollte die Zusammenfassung in allgemein verständlicher Sprache abgefasst werden und in der Regel nicht mehr als 2 500 Wörter in der Sprache umfassen, in der der ursprüngliche Prospekt abgefasst wurde. (22) Auf internationaler Ebene sind Wohlverhaltensregeln angenommen worden, um grenzüberschreitende Aktienangebote unter Verwendung eines einzigen „Pakets“ von Offenlegungsnormen der Internationalen Organisation der Wertpapieraufsichtsbehörden (IOSCO) zu ermöglichen; die IOSCO-Offenlegungsnormen(9) werden die den

(9) „International Disclosure Standards for cross-border offering and initial listings by foreign issuers“ (Teil I), International Organisation of Securities Commissions, September 1998.

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Märkten und den Anlegern zur Verfügung gestellten Informationen verbessern und gleichzeitig das Verfahren für Gemeinschaftsemittenten vereinfachen, die Kapital in Drittländern aufnehmen möchten. In der Richtlinie wird auch die Annahme von Offenlegungsnormen gefordert, die auf andere Typen von Wertpapieren und Emittenten zugeschnitten sind. (23) Schnellverfahren für Emittenten, die zum Handel an einem geregelten Markt zugelassen sind und häufig auf diesen Märkten Kapital aufnehmen, machen auf Gemeinschaftsebene die Einführung einer neuen Aufmachung für Prospekte erforderlich, mit denen Emissionsprogramme oder Hypothekenschuldverschreibungen angeboten werden, sowie die Einführung eines neuen Systems für das Registrierungsformular. Es steht den Emittenten frei, nicht auf diese Aufmachung zurückzugreifen, sondern stattdessen den Prospekt als ein einziges Dokument zu erstellen. (24) Der Inhalt des Basisprospekts sollte insbesondere der Flexibilität Rechnung tragen, die in Bezug auf die Angaben zu den Wertpapieren erforderlich ist. (25) Die Nichtaufnahme sensibler Informationen in einen Prospekt sollte von der zuständigen Behörde unter bestimmten Umständen durch Gewährung einer Ausnahme gestattet werden können, um nachteilige Situationen für einen Emittenten zu vermeiden. (26) Die Gültigkeitsdauer eines Prospekts sollte eindeutig festgelegt werden, um veraltete Informationen zu vermeiden. (27) Anleger sollten durch die Veröffentlichung verlässlicher Informationen geschützt werden. Emittenten, deren Wertpapiere zum Handel an einem geregelten Markt zugelassen werden, unterliegen einer laufenden Offenlegungspflicht, nicht aber der Pflicht zur regelmäßigen Veröffentlichung aktualisierter Informationen. Neben dieser Verpflichtung sollten die Emittenten zumindest einmal jährlich alle wichtigen Informationen, die sie in den vorausgegangenen zwölf Monaten veröffentlicht oder dem Publikum zur Verfügung gestellt haben, auflisten, einschließlich der Informationen, die gemäß den verschiedenen Rechnungslegungspflichten anderer Gemeinschaftsvorschriften gefordert werden. Auf diese Weise sollte gewährleistet werden, dass kohärente und leicht verständliche Informationen regelmäßig veröffentlicht werden. Um bestimmte Emittenten nicht übermäßig zu belasten, sollten Emittenten von Nichtdividendenwerten mit hoher Mindeststückelung von dieser Verpflichtung ausgenommen sein. (28) Die Informationen, die von Emittenten, deren Wertpapiere zum Handel an einem geregelten Markt zugelassen werden, einmal jährlich vorzulegen sind, müssen von den Mitgliedstaaten gemäß ihren Verpflichtungen nach dem gemeinschaftlichen und dem innerstaatlichen Recht zur Regulierung von Wertpapieren, Wertpapieremitten-

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Kapitalmarktrechtliche Rechtsakte

ten und Wertpapiermärkten angemessen überwacht werden. (29) Die Möglichkeit, dass Emittenten Angaben in Form eines Verweises auf Dokumente aufnehmen können, die die im Prospekt geforderten Angaben enthalten, sofern die betreffenden Dokumente zuvor bei der zuständigen Behörde hinterlegt oder von ihr gebilligt wurden, sollte die Erstellung eines Prospekts erleichtern und die Kosten für die Emittenten senken, ohne dass dadurch der Anlegerschutz beeinträchtigt wird. (30) Unterschiede hinsichtlich der Wirksamkeit, der Methoden und des Zeitpunkts der Prüfung der im Prospekt enthaltenen Informationen erschweren es nicht nur Unternehmen, in mehr als einem Mitgliedstaat Kapital aufzunehmen oder die Zulassung zum Handel an einem geregelten Markt zu erhalten, sondern hindern auch in einem Mitgliedstaat niedergelassene Anleger daran, Wertpapiere eines in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassenen oder dort zum Handel zugelassenen Emittenten zu erwerben. Diese Unterschiede sollten durch die Harmonisierung der Vorschriften beseitigt werden, um ein angemessenes Maß an Gleichwertigkeit der in jedem Mitgliedstaat geforderten Schutzmaßnahmen sicherzustellen; damit soll eine Information der vorhandenen und der potenziellen Wertpapierinhaber gewährleistet werden, die ausreichend und so objektiv wie möglich ist. (31) Um die Verbreitung der verschiedenen den Prospekt ausmachenden Dokumente zu erleichtern, sollte der Rückgriff auf elektronische Kommunikationsmittel wie das Internet gefördert werden. Der Prospekt sollte Anlegern auf Anfrage stets kostenlos in Papierform zur Verfügung gestellt werden. (32) Der Prospekt sollte bei der jeweils zuständigen Behörde hinterlegt werden und dem Publikum durch den Emittenten, den Anbieter oder die die Zulassung zum Handel an einem geregelten Markt beantragende Person unter Einhaltung der Gemeinschaftsvorschriften über den Datenschutz zur Verfügung gestellt werden. (33) Um Lücken in den gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften zu vermeiden, die das Vertrauen des Anlegerpublikums unterminieren und folglich dem reibungslosen Funktionieren der Finanzmärkte abträglich wären, muss die Werbung harmonisiert werden. (34) Jeder neue Umstand, der die Anlageentscheidung beeinflussen könnte und nach der Veröffentlichung des Prospekts, aber vor dem Schluss des öffentlichen Angebots oder der Aufnahme des Handels an einem geregelten Markt eintritt, sollte von den Anlegern angemessen bewertet werden können und erfordert deshalb die Billigung und Verbreitung eines Nachtrags zum Prospekt. (35) Die Pflicht eines Emittenten, den gesamten Prospekt in alle relevanten Amtssprachen zu übersetzen, ist grenzüberschreitenden Angeboten oder

dem Vielfach-Handel abträglich. Um grenzüberschreitende Angebote zu erleichtern, sollte der Aufnahme- oder Herkunftsmitgliedstaat lediglich eine Übersetzung der Zusammenfassung in seine Amtssprache(n) verlangen können, sofern der Prospekt in einer in internationalen Finanzkreisen gebräuchlichen Sprache erstellt wurde. (36) Die zuständige Behörde des Aufnahmemitgliedstaats sollte das Recht haben, von der zuständigen Behörde des Herkunftsmitgliedstaats eine Bescheinigung zu erhalten, aus der hervorgeht, dass der Prospekt gemäß dieser Richtlinie erstellt wurde. Um sicherzustellen, dass die Ziele dieser Richtlinie vollständig verwirklicht werden, ist es erforderlich, auch Wertpapiere in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie aufzunehmen, die von Emittenten begeben wurden, die dem Recht eines Drittstaats unterliegen. (37) Eine Vielzahl zuständiger Behörden mit unterschiedlichen Kompetenzen in den Mitgliedstaaten kann unnötige Kosten verursachen und zu einem Überschneiden der Zuständigkeiten führen, ohne dass dadurch ein zusätzlicher Nutzen entsteht. In jedem Mitgliedstaat sollte eine einzige zuständige Behörde benannt werden, die die Prospekte billigt und für die Überwachung der Einhaltung dieser Richtlinie zuständig ist. Unter strengen Voraussetzungen sollte ein Mitgliedstaat auch mehr als eine zuständige Behörde benennen können, aber nur eine Behörde wird die Aufgaben auf dem Gebiet der internationalen Zusammenarbeit wahrnehmen. Die betreffende(n) Behörde(n) sollte(n) Verwaltungsbehörde(n) sein, die so beschaffen sind, dass ihre Unabhängigkeit von den Wirtschaftsteilnehmern sichergestellt ist und Interessenkonflikte vermieden werden. Die Benennung einer zuständigen Behörde für die Billigung der Prospekte sollte die Zusammenarbeit zwischen dieser Behörde und anderen Stellen nicht ausschließen, um die Effizienz der Prüfung und Billigung von Prospekten im Interesse der Emittenten, Anleger, Marktteilnehmer und der Märkte gleichermaßen zu gewährleisten. Mit Ausnahme der Delegierung der Internet-Veröffentlichung von gebilligten Prospekten und der Vorlage von Prospekten nach Artikel 14 sollte jede Delegierung von Aufgaben im Zusammenhang mit den Verpflichtungen nach dieser Richtlinie und ihren Durchführungsbestimmungen gemäß Artikel 31 fünf Jahre nach Inkrafttreten dieser Richtlinie überprüft werden und acht Jahre nach Inkrafttreten dieser Richtlinie enden. (38) Ein allen zuständigen Behörden gemeinsames Maß an Mindestbefugnissen gewährleistet die Effizienz ihrer Aufsicht. Die regelmäßige Information der Märkte gemäß der Richtlinie 2001/34/ EG sollte sichergestellt werden, und die zuständigen Behörden sollten Maßnahmen gegen entsprechende Verstöße ergreifen. (39) Die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten müssen bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben zusammenarbeiten.

Die Prospektrichtlinie (40) Es kann von Zeit zu Zeit erforderlich sein, technische Orientierungshilfe zu geben und Durchführungsmaßnahmen zu dieser Richtlinie festzulegen, um Entwicklungen auf den Finanzmärkten gerecht zu werden. Die Kommission sollte folglich befugt sein, Durchführungsmaßnahmen zu erlassen, sofern diese die wesentlichen Bestandteile dieser Richtlinie nicht verändern und die Kommission gemäß den in dieser Richtlinie festgeschriebenen Grundsätzen nach Anhörung des Europäischen Wertpapierausschusses, der durch den Beschluss 2001/528/EG der Kommission vom 6. Juni 2001 zur Einsetzung des Europäischen Wertpapierausschusses(10) eingesetzt wurde, handelt. (41) Bei der Wahrnehmung ihrer Durchführungsbefugnisse im Sinne dieser Richtlinie sollte die Kommission Folgendes beachten: – das Vertrauen der Kleinanleger und der kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) in die Finanzmärkte muss dadurch gewahrt werden, dass die Finanzmärkte strenge Transparenznormen einzuhalten haben; – die Anleger müssen zwischen einem breiten Spektrum konkurrierender Anlagemöglichkeiten wählen können, und das Ausmaß der Information und des Schutzes muss den jeweiligen Verhältnissen angepasst sein; – die unabhängigen Regulierungsbehörden müssen eine kohärente rechtliche Durchsetzung der Vorschriften gewährleisten, insbesondere was den Kampf gegen die Wirtschaftskriminalität angeht; – es muss ein hoher Grad an Transparenz und die Konsultation sämtlicher Marktteilnehmer sowie des Europäischen Parlaments und des Rates gewährleistet werden; – die Innovationen auf den Finanzmärkten müssen gefördert werden, wenn diese dynamisch und effizient sein sollen; – die systemimmanente Stabilität des Finanzsystems ist durch eine strikte Überwachung der Finanzinnovationen und angemessene Reaktion zu gewährleisten; – die Senkung der Kapitalkosten und die Verbesserung des Zugangs zum Kapital sind von großer Bedeutung; – die Kosten und der Nutzen einer Durchführungsmaßnahme für die Marktteilnehmer (einschließlich der KMU und der Kleinanleger) auf lange Sicht sind abzuwägen; – die internationale Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Finanzmärkte ist unbeschadet der dringend erforderlichen Ausweitung der internationalen Zusammenarbeit zu fördern; – durch Gemeinschaftsvorschriften sind erforderlichenfalls gleiche Wettbewerbsbedingungen für sämtliche Marktteilnehmer sicherzustellen;

(10) ABl. L 191 vom 13.7.2001, S. 45.

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– den Unterschieden der nationalen Finanzmärkte ist Rechnung zu tragen, sofern dadurch die Kohärenz des Binnenmarktes nicht übermäßig beeinträchtigt wird; – die Kohärenz mit anderen einschlägigen Gemeinschaftsvorschriften ist sicherzustellen, da unausgewogene Information und mangelnde Transparenz die Funktionsweise der Märkte gefährden und vor allem den Verbrauchern und den Kleinanlegern abträglich sein kann. (42) Das Europäische Parlament sollte ab der ersten Übermittlung des Entwurfs der Durchführungsmaßnahmen drei Monate Zeit haben, um diese zu prüfen und seine Stellungnahme abzugeben. In dringenden und gebührend gerechtfertigten Fällen kann diese Frist jedoch verkürzt werden. Nimmt das Europäische Parlament innerhalb dieses Zeitraums eine Entschließung an, sollte die Kommission den Entwurf der Maßnahmen überprüfen. (43) Die Mitgliedstaaten sollten für Verstöße gegen die gemäß dieser Richtlinie erlassenen innerstaatlichen Rechtsvorschriften Sanktionen festlegen und alle notwendigen Maßnahmen ergreifen, um die Anwendung dieser Sanktionen zu gewährleisten. Die Sanktionen sollten wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein. (44) Es sollten Rechtsmittel gegen die Entscheidungen der zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten in Bezug auf die Anwendung dieser Richtlinie eingelegt werden können. (45) Um das grundlegende Ziel der Vollendung des Binnenmarktes für Wertpapiere zu erreichen, ist es erforderlich und zweckmäßig, unter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsprinzips Vorschriften für die Einmalzulassung von Emittenten festzulegen. Diese Richtlinie geht im Einklang mit Artikel 5 Absatz 3 des Vertrags nicht über das zur Erreichung dieses Ziels erforderliche Maß hinaus. (46) Bei ihrer Überprüfung der Anwendung dieser Richtlinie sollte die Kommission besonderes Augenmerk auf die Verfahren der zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten zur Billigung von Prospekten und generell auf die Anwendung des Herkunftslandsprinzips richten sowie auf die Frage, ob sich aus dieser Anwendung möglicherweise Probleme beim Anlegerschutz oder für die Markteffizienz ergeben; die Kommission sollte ferner das Funktionieren von Artikel 10 überprüfen. (47) Bei künftigen Weiterentwicklungen dieser Richtlinie sollte geprüft werden, welcher Billigungsmechanismus – einschließlich der möglichen Errichtung einer Europäischen Wertpapierstelle – angenommen werden sollte, um die einheitliche Anwendung der Gemeinschaftsvorschriften über Wertpapierprospekte zu verstärken. (48) Diese Richtlinie steht im Einklang mit den Grundrechten und insbesondere den in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union festgelegten Grundsätzen.

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(49) Die zur Durchführung dieser Richtlinie erforderlichen Maßnahmen sollten gemäß dem Beschluss 1999/468/EG des Rates vom 28. Juni 1999 zur Festlegung der Modalitäten für die Ausübung der der Kommission übertragenen Durchführungsbefugnisse(11) erlassen werden – HABEN FOLGENDE RICHTLINIE ERLASSEN:

KAPITEL I ALLGEMEINE BESTIMMUNGEN Artikel 1 Ziel und Anwendungsbereich (1) Ziel dieser Richtlinie ist die Harmonisierung der Bedingungen für die Erstellung, die Billigung und die Verbreitung des Prospekts, der beim öffentlichen Angebot von Wertpapieren bzw. bei der Zulassung von Wertpapieren zum Handel an einem geregelten Markt, der in einem Mitgliedstaat gelegen ist oder dort funktioniert, zu veröffentlichen ist. (2) Diese Richtlinie findet keine Anwendung auf a) Anteilscheine, die von Organismen für gemeinsame Anlagen eines anderen als des geschlossenen Typs ausgegeben werden; b) Nichtdividendenwerte, die von einem Mitgliedstaat oder einer Gebietskörperschaft eines Mitgliedstaats, von internationalen Organismen öffentlich-rechtlicher Art, denen ein oder mehrere Mitgliedstaat(en) angehört/angehören, von der Europäischen Zentralbank oder von den Zentralbanken der Mitgliedstaaten ausgegeben werden; c) Anteile am Kapital der Zentralbanken der Mitgliedstaaten; d) Wertpapiere, die uneingeschränkt und unwiderruflich von einem Mitgliedstaatoder einer Gebietskörperschaft eines Mitgliedstaats garantiert werden; e) Wertpapiere, die von Vereinigungen mit Rechtspersönlichkeit oder von einem Mitgliedstaat anerkannten Einrichtungen ohne Erwerbscharakter zum Zweck der Mittelbeschaffung für ihre nicht erwerbsorientierten Ziele ausgegeben werden; f) Nichtdividendenwerte, die von Kreditinstituten dauernd oder wiederholt begeben werden, sofern diese Wertpapiere i) nicht nachrangig, konvertibel oder austauschbar sind; ii) nicht zur Zeichnung oder zum Erwerb anderer Wertpapiere berechtigen und nicht an ein Derivat gebunden sind; (11) ABl. L 184 vom 17.7.1999, S. 23.

iii) den Empfang rückzahlbarer Einlagen vergegenständlichen; iv) von einem Einlagensicherungssystem im Sinne der Richtlinie 94/19/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. Mai 1994 über Einlagensicherungssysteme(12) gedeckt sind; g) nichtfungible Kapitalanteile, deren Hauptzweck darin besteht, dem Inhaber das Recht auf die Nutzung einer Wohnung oder anderen Art von Immobilie oder eines Teils hiervon zu verleihen, wenn diese Anteile ohne Aufgabe des genannten Rechts nicht weiterveräußert werden können; h) Wertpapiere eines Angebots mit einem Gesamtgegenwert in der Union von weniger als 5 000 000 EUR, wobei diese Obergrenze über einen Zeitraum von zwölf Monaten zu berechnen ist; i) „Bostadsobligationer“, die in Schweden als revolvierende Emissionen von Kreditinstituten hauptsächlich zum Zweck der Vergabe von Hypothekendarlehen begeben werden, sofern i) die begebenen „Bostadsobligationer“ zu ein und derselben Serie gehören, ii) die „Bostadsobligationer“ als Daueremission für einen bestimmten Emissionszeitraum ausgegeben werden, iii) sich Ausstattung und Konditionen der „Bostadsobligationer“ während des Emissionszeitraums nicht ändern und iv) die Erträge aus der Emission der besagten „Bostadsobligationer“ gemäß der Satzung des Emittenten in Vermögensgegenständen angelegt werden, die eine ausreichende Deckung der aus den betreffenden Wertpapieren erwachsenden Verbindlichkeiten bieten; j) Nichtdividendenwerte mit einem Gesamtgegenwert in der Union von weniger als 75 000 000 EUR, die von Kreditinstituten dauernd oder wiederholt begeben werden, wobei diese Obergrenze über einen Zeitraum von zwölf Monaten zu berechnen ist, sofern diese Wertpapiere i) nicht nachrangig, konvertibel oder austauschbar sind; ii) nicht zur Zeichnung oder zum Erwerb anderer Wertpapiere berechtigen und nicht an ein Derivat gebunden sind. (3) Unbeschadet Absatz 2 Buchstaben b), d), h), i) und j) sind Emittenten, Anbieter oder Personen, die die Zulassung zum Handel an einem geregelten Markt beantragen, berechtigt, einen Prospekt im Sinne dieser Richtlinie zu erstellen, wenn Wertpapiere öffentlich angeboten oder zum Handel zugelassen werden. (12) ABl. L 135 vom 31.5.1994, S. 5.

Die Prospektrichtlinie (4) Um den technischen Entwicklungen auf den Finanzmärkten einschließlich der Inflation Rechnung zu tragen, erlässt die Kommission durch delegierte Rechtsakte gemäß Artikel 24a und unter den in den Artikeln 24b und 24c genannten Bedingungen Maßnahmen zur Anpassung der in Absatz 2 Buchstaben h und j des vorliegenden Artikels genannten Obergrenzen.

Artikel 2 Begriffsbestimmungen (1) Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck: a) „Wertpapiere“ übertragbare Wertpapiere im Sinne von Artikel 1 Absatz 4 der Richtlinie 93/22/EWG mit Ausnahme von Geldmarktinstrumenten im Sinne von Artikel 1 Absatz 5 der Richtlinie 93/22/EWG mit einer Laufzeit von weniger als zwölf Monaten. Für diese Instrumente können einzelstaatliche Rechtsvorschriften gelten; b) „Dividendenwerte“ Aktien und andere, Aktien gleichzustellende Wertpapiere sowie jede andere Art übertragbarer Wertpapiere, die das Recht verbriefen, bei Umwandlung des Wertpapiers oder Ausübung des verbrieften Rechts die erstgenannten Wertpapiere zu erwerben; Voraussetzung hierfür ist, dass die letztgenannten Wertpapiere vom Emittenten der zugrunde liegenden Aktien oder von einer zur Unternehmensgruppe dieses Emittenten gehörenden Stelle begeben wurden; c) „Nichtdividendenwerte“ alle Wertpapiere, die keine Dividendenwerte sind; d) „öffentliches Angebot von Wertpapieren“ eine Mitteilung an das Publikum in jedweder Form und auf jedwede Art und Weise, die ausreichende Informationen über die Angebotsbedingungen und die anzubietenden Wertpapiere enthält, um einen Anleger in die Lage zu versetzen, sich für den Kauf oder die Zeichnung dieser Wertpapiere zu entscheiden. Diese Definition gilt auch für die Platzierung von Wertpapieren durch Finanzintermediäre; e) ‚qualifizierte Anleger‘ die in Anhang II Abschnitt I Nummern 1 bis 4 der Richtlinie 2004/39/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 über Märkte für Finanzinstrumente(13) beschriebenen Personen oder Einrichtungen sowie Personen oder Einrichtungen, die gemäß Anhang II der Richtlinie 2004/39/EG auf Antrag als professionelle Kunden behandelt werden oder gemäß Artikel 24 der Richtlinie 2004/39/EG als geeignete Gegenparteien anerkannt sind, sofern sie nicht eine Behandlung als nichtprofessionelle Kunden beantragt haben.

(13) ABl. L 145 vom 30.4.2004, S. 1.

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Die Wertpapierfirmen und Kreditinstitute teilen ihre Einstufung unbeschadet der einschlägigen Vorschriften über den Datenschutz auf Antrag dem Emittenten mit. Wertpapierfirmen, die bestehende professionelle Kunden gemäß Artikel 71 Absatz 6 der Richtlinie 2004/39/EG auch weiterhin als solche behandeln können, können diese Kunden als qualifizierte Anleger im Sinne dieser Richtlinie behandeln; f) „kleine und mittlere Unternehmen“ Gesellschaften, die laut ihrem letzten Jahresabschluss bzw. konsolidierten Abschluss zumindest zwei der nachfolgenden drei Kriterien erfüllen: eine durchschnittliche Beschäftigtenzahl im letzten Geschäftsjahr von weniger als 250, eine Gesamtbilanzsumme von höchstens 43 000 000 EUR und ein Jahresnettoumsatz von höchstens 50 000 000 EUR; g) „Kreditinstitute“ Unternehmen im Sinne von Artikel 1 Absatz 1 Buchstabe a) der Richtlinie 2000/12/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. März 2000 über die Aufnahme und Ausübung der Tätigkeit der Kreditinstitute (1); h) „Emittent“ eine Rechtspersönlichkeit, die Wertpapiere begibt oder zu begeben beabsichtigt; i) „Person, die ein Angebot unterbreitet“ („Anbieter“) eine juristische oder natürliche Person, die Wertpapiere öffentlich anbietet; j) „geregelter Markt“ einen Markt im Sinne von Artikel 1 Absatz 13 der Richtlinie 93/22/EWG; k) „Angebotsprogramm“ einen Plan, der es erlauben würde, Nichtdividendenwerte ähnlicher Art und/oder Gattung, wozu auch Optionsscheine jeder Art gehören, dauernd oder wiederholt während eines bestimmten Emissionszeitraums zu begeben; l) „dauernd oder wiederholt begebene Wertpapiere“ Daueremissionen oder zumindest zwei gesonderte Emissionen von Wertpapieren ähnlicher Art und/oder Gattung während eines Zeitraums von zwölf Monaten; m) „Herkunftsmitgliedstaat“ i) für alle Gemeinschaftsemittenten von Wertpapieren, die nicht in Ziffer ii) genannt sind, den Mitgliedstaat, in dem der Emittent seinen Sitz hat; ii) für jede Emission von Nichtdividendenwerten mit einer Mindeststückelung von 1 000 EUR sowie für jede Emission von Nichtdividendenwerten, die das Recht verbriefen, bei Umwandlung des Wertpapiers oder Ausübung des verbrieften Rechts übertragbare Wertpapiere zu erwerben oder einen Barbetrag in Empfang zu nehmen, sofern der Emittent der Nichtdividendenwerte nicht der Emittent der zugrunde liegenden Wertpapiere oder eine zur Unternehmensgruppe des letztgenannten Emittenten gehörende Stelle ist, je nach Wahl des Emit-

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Kapitalmarktrechtliche Rechtsakte tenten, des Anbieters bzw. der die Zulassung beantragenden Person den Mitgliedstaat, in dem der Emittent seinen Sitz hat, oder den Mitgliedstaat, in dem die Wertpapiere zum Handel an einem geregelten Markt zugelassen sind oder zugelassen werden sollen, oder den Mitgliedstaat, in dem die Wertpapiere öffentlich angeboten werden. Dieselbe Regelung gilt für Nichtdividendenwerte, die auf andere Währungen als auf Euro lauten, vorausgesetzt, dass der Wert solcher Mindeststückelungen annähernd 1 000 EUR entspricht;

iii) für alle Drittstaatsemittenten von Wertpapieren, die nicht in Ziffer ii) genannt sind, je nach Wahl des Emittenten, des Anbieters bzw. der die Zulassung beantragenden Person entweder den Mitgliedstaat, in dem die Wertpapiere erstmals nach dem Inkrafttreten dieser Richtlinie öffentlich angeboten werden sollen, oder den Mitgliedstaat, in dem der erste Antrag auf Zulassung zum Handel an einem geregelten Markt gestellt wird, vorbehaltlich einer späteren Wahl durch den Drittstaatsemittenten, wenn der Herkunftsmitgliedstaat nicht gemäß seiner Wahl bestimmt wurde; n) „Aufnahmemitgliedstaat“ den Staat, in dem ein öffentliches Angebot unterbreitet oder die Zulassung zum Handel angestrebt wird, sofern dieser Staat nicht der Herkunftsmitgliedstaat ist; o) „Organismen für gemeinsame Anlagen eines anderen als des geschlossenen Typs“ Investmentfonds und Investmentgesellschaften, i) deren Zweck es ist, die vom Publikum bei ihnen eingelegten Gelder nach dem Grundsatz der Risikomischung gemeinsam anzulegen, und ii) deren Anteile auf Verlangen des Anteilinhabers unmittelbar oder mittelbar zulasten des Vermögens dieser Organismen zurückgekauft oder abgelöst werden; p) „Anteile an Organismen für gemeinsame Anlagen“ Wertpapiere, die von einem Organismus für gemeinsame Anlagen begeben werden und die Rechte der Anteilinhaber am Vermögen dieses Organismus verbriefen; q) „Billigung“ die positive Handlung bei Abschluss der Vollständigkeitsprüfung des Prospekts durch die zuständige Behörde des Herkunftsmitgliedstaats – einschließlich der Kohärenz und Verständlichkeit der vorgelegten Informationen; r) „Basisprospekt“ einen Prospekt, der alle in den Artikeln 5, 7 und – im Falle eines Nachtrags –16 bezeichneten notwendigen Angaben zum Emittenten und zu den öffentlich anzubietenden oder zum Handel zuzulassenden Wertpapieren sowie, nach Wahl des Emittenten, die endgültigen Bedingungen des Angebots enthält.

s) ‚Schlüsselinformationen‘ grundlegende und angemessen strukturierte Informationen, die den Anlegern zur Verfügung zu stellen sind, um es ihnen zu ermöglichen, Art und Risiken des Emittenten, des Garantiegebers und der Wertpapiere, die ihnen angeboten werden oder zum Handel an einem geregelten Markt zugelassen werden sollen, zu verstehen und unbeschadet von Artikel 5 Absatz 2 Buchstabe b zu entscheiden, welchen Wertpapierangeboten sie weiter nachgehen sollten. Unter Berücksichtigung des jeweiligen Angebots und der jeweiligen Wertpapiere schließen die Schlüsselinformationen folgende Aspekte ein: i) eine kurze Beschreibung der Risiken und wesentlichen Merkmale, die auf den Emittenten und einen etwaigen Garantiegeber zutreffen, einschließlich der Vermögenswerte, Verbindlichkeiten und der Finanzlage; ii) eine kurze Beschreibung der mit der Anlage in das betreffende Wertpapier verbundenen Risiken und der wesentlichen Merkmale dieser Anlage einschließlich der mit den Wertpapieren verbundenen Rechte; iii) die allgemeinen Bedingungen des Angebots einschließlich einer Schätzung der Kosten, die dem Anleger vom Emittenten oder Anbieter in Rechnung gestellt werden; iv) Einzelheiten der Zulassung zum Handel; v) Gründe für das Angebot und Verwendung der Erlöse; t) ‚Unternehmen mit geringer Marktkapitalisierung‘ ein auf einem geregelten Markt notiertes Unternehmen, dessen durchschnittliche Marktkapitalisierung auf der Grundlage der Notierungen zum Jahresende für die vorangegangenen drei Kalenderjahre weniger als 100000000 EUR betrug. (2) – (3) – (4) Um den technischen Entwicklungen auf den Finanzmärkten Rechnung zu tragen und die Anforderungen dieses Artikels zu präzisieren, erlässt die Kommission durch delegierte Rechtsakte gemäß Artikel 24a und unter den in den Artikeln 24b und 24c genannten Bedingungen unter Berücksichtigung der Situation auf den verschiedenen nationalen Märkten, einschließlich der von den Betreibern geregelter Märkte verwendeten Einstufung, der Rechtsvorschriften und Empfehlungen der Union sowie der wirtschaftlichen Entwicklungen die Begriffsbestimmungen in Absatz 1, wozu auch die Anpassung der Beträge, die für die Definition von KMU verwendet werden, und die Schwellenwerte für geringe Marktkapitalisierung zählen.

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Die Prospektrichtlinie Artikel 3 Pflicht zur Veröffentlichung eines Prospekts (1) Die Mitgliedstaaten gestatten in ihrem Hoheitsgebiet kein öffentliches Angebot von Wertpapieren ohne vorherige Veröffentlichung eines Prospekts. (2) Die Verpflichtung zur Veröffentlichung eines Prospekts gilt nicht für die folgenden Angebotsformen: a) ein Wertpapierangebot, das sich ausschließlich an qualifizierte Anleger richtet; b) ein Wertpapierangebot, das sich an weniger als 150 natürliche oder juristische Personen pro Mitgliedstaat richtet, bei denen es sich nicht um qualifizierte Anleger handelt; c) ein Wertpapierangebot, das sich an Anleger richtet, die bei jedem gesonderten Angebot Wertpapiere ab einem Mindestbetrag von 100 000 EUR pro Anleger erwerben; d) Angebote von Wertpapieren mit einer Mindeststückelung von 100 000 EUR; e) ein Wertpapierangebot mit einem Gesamtgegenwert in der Union von weniger als 100 000 EUR, wobei diese Obergrenze über einen Zeitraum von zwölf Monaten zu berechnen ist. Jede spätere Weiterveräußerung von Wertpapieren, die zuvor Gegenstand einer oder mehrerer der in diesem Absatz genannten Angebotsformen waren, ist als ein gesondertes Angebot anzusehen, wobei anhand der Begriffsbestimmung nach Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe d) zu entscheiden ist, ob es sich bei dieser Weiterveräußerung um ein öffentliches Angebot handelt. Bei der Platzierung von Wertpapieren durch Finanzintermediäre ist ein Prospekt zu veröffentlichen, wenn die endgültige Platzierung keine der unter den Buchstaben a) bis e) genannten Bedingungen erfüllt. Bei jeder späteren Weiterveräußerung von Wertpapieren und jeder endgültigen Platzierung von Wertpapieren durch Finanzintermediäre schreiben die Mitgliedstaaten keinen weiteren Prospekt mehr vor, wenn ein gültiger Prospekt im Sinne von Artikel 9 vorliegt und der Emittent oder die für die Erstellung des Prospekts verantwortliche Person dessen Verwendung in einer schriftlichen Vereinbarung zugestimmt haben. (3) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass jede Zulassung von Wertpapieren zum Handel an einem geregelten Markt, der in ihrem Hoheitsgebiet gelegen ist oder dort funktioniert, an die Veröffentlichung eines Prospekts gebunden ist. (4) Um den technischen Entwicklungen auf den Finanzmärkten einschließlich der Inflation Rechnung zu tragen, legt die Kommission durch delegierte Rechtsakte gemäß Artikel 24a und unter den in den Artikeln 24b und 24c genannten Bedingungen Maßnahmen betreffend die in Absatz 2

Buchstaben c bis e des vorliegenden Artikels genannten Schwellenwerte fest.

Artikel 4 Ausnahmen von der Pflicht zur Veröffentlichung eines Prospekts (1) Die Pflicht zur Veröffentlichung eines Prospekts gilt nicht für öffentliche Angebote folgender Arten von Wertpapieren: a) Aktien, die im Austausch für bereits ausgegebene Aktien derselben Gattung ausgegeben werden, sofern mit der Emission dieser neuen Aktien keine Kapitalerhöhung des Emittenten verbunden ist; b) Wertpapiere, die anlässlich einer Übernahme im Wege eines Tauschangebots angeboten werden, sofern ein Dokument verfügbar ist, dessen Angaben nach Ansicht der zuständigen Behörde denen des Prospekts gleichwertig sind; hierbei sind die Vorschriften des Gemeinschaftsrechts zu beachten; c) Wertpapiere, die anlässlich einer Verschmelzung oder Spaltung angeboten oder zugeteilt werden bzw. zugeteilt werden sollen, sofern ein Dokument verfügbar ist, dessen Angaben nach Ansicht der zuständigen Behörde denen des Prospekts gleichwertig sind; hierbei sind die Anforderungen der Rechtsvorschriften der Union zu beachten; d) an die vorhandenen Aktieninhaber ausgeschüttete Dividenden in Form von Aktien derselben Gattung wie die Aktien, für die solche Dividenden ausgeschüttet werden, sofern ein Dokument zur Verfügung gestellt wird, das Informationen über die Anzahl und die Art der Aktien enthält und in dem die Gründe und Einzelheiten zu dem Angebot dargelegt werden; e) Wertpapiere, die derzeitigen oder ehemaligen Führungskräften oder Beschäftigten von ihrem Arbeitgeber oder von einem verbundenen Unternehmen angeboten oder zugeteilt werden bzw. zugeteilt werden sollen, sofern das Unternehmen seine Hauptverwaltung oder seinen Sitz in der Union hat und sofern ein Dokument zur Verfügung gestellt wird, das Informationen über die Anzahl und den Typ der Wertpapiere enthält und in dem die Gründe und die Einzelheiten zu dem Angebot dargelegt werden. Buchstabe e gilt auch für ein außerhalb der Union niedergelassenes Unternehmen, dessen Wertpapiere zum Handel an einem geregelten Markt oder dem Markt eines Drittlands zugelassen sind. Im letztgenannten Fall gilt die Befreiung, sofern ausreichende Informationen einschließlich des in Buchstabe e genannten Dokuments zumindest in einer in der internationalen Finanzwelt üblichen Sprache vorliegen und die Kommission für den Markt des betreffenden Drittlands einen Beschluss über die Gleichwertigkeit erlassen hat.

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Kapitalmarktrechtliche Rechtsakte

Auf Antrag der zuständigen Behörde eines Mitgliedstaats erlässt die Kommission nach dem in Artikel 24 Absatz 2 genannten Verfahren Beschlüsse über die Gleichwertigkeit, in denen festgestellt wird, dass der Rechts- und Aufsichtsrahmen eines Drittlands sicherstellt, dass ein in diesem Drittland genehmigter geregelter Markt rechtsverbindliche Anforderungen erfüllt, die zum Zweck der Anwendung der Befreiung nach Buchstabe e den Anforderungen entsprechen, die sich aus der Richtlinie 2003/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Januar 2003 über Insider-Geschäfte und Marktmanipulation (Marktmissbrauch)(14), Titel III der Richtlinie 2004/ 39/EG und der Richtlinie 2004/109/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Dezember 2004 zur Harmonisierung der Transparenzanforderungen in Bezug auf Informationen über Emittenten, deren Wertpapiere zum Handel auf einem geregelten Markt zugelassen sind(15), ergeben und die in diesem Drittland wirksam überwacht und durchgesetzt werden. Diese zuständige Behörde legt dar, weshalb sie der Ansicht ist, dass der Rechts- und Aufsichtsrahmen des betreffenden Drittlands als gleichwertig anzusehen ist, und legt hierfür relevante Informationen vor. Dieser Rechts- und Aufsichtsrahmen eines Drittlands kann als gleichwertig betrachtet werden, wenn dieser Rahmen mindestens die folgenden Bedingungen erfüllt: i) Die Märkte unterliegen einer Genehmigung und laufender wirksamer Aufsicht und Durchsetzung; ii) die Märkte verfügen über klare und transparente Vorschriften für die Zulassung von Wertpapieren zum Handel, so dass diese Wertpapiere fair, ordnungsgemäß und effizient gehandelt werden können und frei handelbar sind; iii) die Wertpapieremittenten unterliegen einer ständigen Informationspflicht, der sie in regelmäßigen Abständen nachzukommen haben, so dass ein hohes Maß an Anlegerschutz sichergestellt ist; und iv) Markttransparenz und -integrität sind gewährleistet, indem Marktmissbrauch in Form von Insider-Geschäften und Marktmanipulation verhindert werden. Um im Hinblick auf Buchstabe e den Entwicklungen auf den Finanzmärkten Rechnung zu tragen, kann die Kommission durch delegierte Rechtsakte gemäß Artikel 24a und unter den in den Artikeln 24b und 24c genannten Bedingungen Maßnahmen zur Präzisierung der vorstehenden Kriterien oder zur Hinzufügung weiterer, bei der Beurteilung der Gleichwertigkeit zugrunde zu legender Kriterien erlassen. (2) Die Pflicht zur Veröffentlichung eines Prospekts gilt nicht für die Zulassung folgender Arten (14) ABl. L 96 vom 12.4.2003, S. 16. (15) ABl. L 390 vom 31.12.2004, S. 38.

von Wertpapieren zum Handel an einem geregelten Markt: a) Aktien, die über einen Zeitraum von zwölf Monaten weniger als 10 % der Zahl der Aktien derselben Gattung ausmachen, die bereits zum Handel an demselben geregelten Markt zugelassen sind; b) Aktien, die im Austausch für bereits an demselben geregelten Markt zum Handel zugelassene Aktien derselben Gattung ausgegeben werden, sofern mit der Emission dieser Aktien keine Kapitalerhöhung des Emittenten verbunden ist; c) Wertpapiere, die anlässlich einer Übernahme im Wege eines Tauschangebots angeboten werden, sofern ein Dokument verfügbar ist, dessen Angaben nach Ansicht der zuständigen Behörde denen des Prospekts gleichwertig sind; hierbei sind die Vorschriften des Gemeinschaftsrechts zu beachten; d) Wertpapiere, die anlässlich einer Verschmelzung oder Spaltung angeboten oder zugeteilt werden bzw. zugeteilt werden sollen, sofern ein Dokument verfügbar ist, dessen Angaben nach Ansicht der zuständigen Behörde denen des Prospekts gleichwertig sind; hierbei sind die Anforderungen der Rechtsvorschriften der Union zu beachten; e) Aktien, die den vorhandenen Aktieninhabern unentgeltlich angeboten oder zugeteilt werden bzw. zugeteilt werden sollen, sowie Dividenden in Form von Aktien derselben Gattung wie die Aktien, für die solche Dividenden ausgeschüttet werden, sofern es sich dabei um Aktien derselben Gattung handelt wie die Aktien, die bereits zum Handel an demselben geregelten Markt zugelassen sind, und sofern ein Dokument zur Verfügung gestellt wird, das Informationen über die Anzahl und die Art der Aktien enthält und in dem die Gründe und Einzelheiten zu dem Angebot dargelegt werden; f) Wertpapiere, die derzeitigen oder ehemaligen Führungskräften oder Beschäftigten von ihrem Arbeitgeber oder von einem verbundenen Unternehmen angeboten oder zugeteilt werden bzw. zugeteilt werden sollen, sofern es sich dabei um Wertpapiere derselben Gattung handelt wie die Wertpapiere, die bereits zum Handel an demselben geregelten Markt zugelassen sind, und ein Dokument zur Verfügung gestellt wird, das Informationen über die Anzahl und den Typ der Wertpapiere enthält und in dem die Gründe und Einzelheiten zu dem Angebot dargelegt werden; g) Aktien, die bei der Umwandlung oder beim Tausch von anderen Wertpapieren oder infolge der Ausübung von mit anderen Wertpapieren verbundenen Rechten ausgegeben werden, sofern es sich dabei um Aktien derselben Gattung handelt wie die Aktien, die bereits zum Handel an demselben geregelten Markt zugelassen sind;

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Die Prospektrichtlinie h) Wertpapiere, die bereits zum Handel an einem anderen geregelten Markt zugelassen sind, sofern sie folgende Bedingungen erfüllen: i)

Diese Wertpapiere oder Wertpapiere derselben Gattung sind bereits länger als 18 Monate zum Handel an dem anderen geregelten Markt zugelassen;

ii) für Wertpapiere, die nach dem Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Richtlinie erstmalig zum Handel an einem geregelten Markt zugelassen wurden, ging die Zulassung zum Handel an dem anderen geregelten Markt mit der Billigung eines Prospekts einher, der dem Publikum gemäß den Bestimmungen des Artikels 14 zur Verfügung gestellt wurde; iii) mit Ausnahme der unter Ziffer ii) geregelten Fälle: für Wertpapiere, die nach dem 30. Juni 1983 erstmalig zur Börsennotierung zugelassen wurden, wurden Prospekte entsprechend den Vorschriften der Richtlinie 80/390/EWG oder der Richtlinie 2001/ 34/EG gebilligt; iv) die laufenden Pflichten betreffend den Handel an dem anderen geregelten Markt sind eingehalten worden; v) die Person, die die Zulassung eines Wertpapiers zum Handel an einem geregelten Markt nach dieser Ausnahmeregelung beantragt, erstellt ein zusammenfassendes Dokument, das dem Publikum in einer Sprache zur Verfügung gestellt wird, die von der zuständigen Behörde des Mitgliedstaats anerkannt wird, in dem sich der geregelte Markt befindet, für den die Zulassung angestrebt wird; vi) das zusammenfassende Dokument gemäß Ziffer v) wird dem Publikum in dem Mitgliedstaat, in dem sich der geregelte Markt befindet, für den die Zulassung zum Handel angestrebt wird, nach der in Artikel 14 Absatz 2 vorgesehenen Weise zur Verfügung gestellt und vii) der Inhalt des zusammenfassenden Dokuments entspricht den Bestimmungen des Artikels 5 Absatz 2. Ferner ist in diesem Dokument anzugeben, wo der neueste Prospekt sowie Finanzinformationen, die vom Emittenten entsprechend den für ihn geltenden Publizitätsvorschriften offen gelegt werden, erhältlich sind. (3) Um eine kohärente Harmonisierung dieser Richtlinie sicherzustellen, kann die durch die Verordnung (EU) Nr.1095/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates(16) eingerichtete Europäische Aufsichtsbehörde (Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde) (im Folgenden

(16) ABl. L 331 vom 15.12.2010, S. 84.

‚ESMA‘) Entwürfe technischer Regulierungsstandards entwickeln, um die Ausnahmen bezüglich Absatz 1 Buchstaben a bis e und Absatz 2 Buchstaben a bis h zu präzisieren. Der Kommission wird die Befugnis übertragen, die in Unterabsatz 1 genannten technischen Regulierungsstandards nach Artikel 10 bis Artikel 14 der Verordnung (EU) Nr. 1095/2010 zu erlassen.

KAPITEL II ERSTELLUNG DES PROSPEKTS Artikel 5 Der Prospekt (1) Der Prospekt enthält unbeschadet der Bestimmungen des Artikels 8 Absatz 2 sämtliche Angaben, die entsprechend den Merkmalen des Emittenten und der öffentlich angebotenen bzw. zum Handel an dem geregelten Markt zugelassenen Wertpapiere erforderlich sind, damit die Anleger sich ein fundiertes Urteil über die Vermögenswerte und Verbindlichkeiten, die Finanzlage, die Gewinne und Verluste, die Zukunftsaussichten des Emittenten und jedes Garantiegebers sowie über die mit diesen Wertpapieren verbundenen Rechte bilden können. Diese Informationen sind in leicht zu analysierender und verständlicher Form darzulegen. (2) Der Prospekt enthält Angaben zum Emittenten und zu den Wertpapieren, die öffentlich angeboten oder zum Handel an einem geregelten Markt zugelassen werden sollen. Er beinhaltet ferner eine Zusammenfassung, die in knapper Form und in allgemein verständlicher Sprache alle Schlüsselinformationen in der Sprache enthält, in der der Prospekt ursprünglich erstellt wurde. Form und Inhalt der Prospektzusammenfassung liefern in Verbindung mit dem Prospekt zweckdienliche Auskünfte über die wesentlichen Aspekte der betreffenden Wertpapiere, um den Anlegern bei der Prüfung der Frage, ob sie in diese Wertpapiere investieren sollten, behilflich zu sein. Die Zusammenfassung wird nach einem einheitlichen Format erstellt, um die Vergleichbarkeit der Zusammenfassungen ähnlicher Wertpapiere zu erleichtern, und sollte alle Schlüsselinformationen zu den betreffenden Wertpapieren enthalten, um den Anlegern bei der Prüfung der Frage, ob sie in diese Wertpapiere investieren sollten, behilflich zu sein. Die Zusammenfassung muss zudem Warnhinweise enthalten, dass a) sie als Einleitung zum Prospekt verstanden werden sollte und b) der Anleger jede Entscheidung zur Anlage in die betreffenden Wertpapiere auf die Prüfung des gesamten Prospekts stützen sollte und

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Kapitalmarktrechtliche Rechtsakte

c) für den Fall, dass vor einem Gericht Ansprüche aufgrund der in einem Prospekt enthaltenen Informationen geltend gemacht werden, der als Kläger auftretende Anleger in Anwendung der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten die Kosten für die Übersetzung des Prospekts vor Prozessbeginn zu tragen haben könnte und d) diejenigen Personen, die die Zusammenfassung einschließlich einer Übersetzung davon vorgelegt und deren Meldung beantragt haben, haftbar gemacht werden können, jedoch nur für den Fall, dass die Zusammenfassung irreführend, unrichtig oder widersprüchlich ist, wenn sie zusammen mit den anderen Teilen des Prospekts gelesen wird. Betrifft der Prospekt die Zulassung von Nichtdividendenwerten mit einer Mindeststückelung von 100 000 EUR zum Handel an einem geregelten Markt, muss keine Zusammenfassung erstellt werden, es sei denn, ein Mitgliedstaat schreibt dies gemäß Artikel 19 Absatz 4 vor. Die ESMA entwickelt Entwürfe technischer Durchführungsstandards, um einheitliche Bedingungen für die Anwendung dieser Richtlinie und der von der Kommission nach Absatz 5 erlassenen delegierten Rechtsakte und eine einheitliche Anwendung der delegierten Rechtsakte sicherzustellen, die von der Kommission nach Absatz 5 hinsichtlich eines einheitlichen Musters für die Aufmachung der Zusammenfassung erlassen worden sind, und um Anlegern den Vergleich des entsprechenden Wertpapiers mit anderen einschlägigen Produkten zu ermöglichen. Der Kommission wird die Befugnis übertragen, die in Unterabsatz 1 genannten technischen Durchführungsstandards nach Artikel 15 der Verordnung (EU) Nr. 1095/2010 zu erlassen. (3) Der Emittent, der Anbieter oder die Person, die die Zulassung zum Handel an einem geregelten Markt beantragt, kann den Prospekt als ein einziges Dokument oder in mehreren Einzeldokumenten erstellen. Besteht ein Prospekt aus mehreren Einzeldokumenten, so werden die geforderten Angaben auf ein Registrierungsformular, eine Wertpapierbeschreibung und eine Zusammenfassung aufgeteilt. Das Registrierungsformular enthält die Angaben zum Emittenten. Die Wertpapierbeschreibung enthält die Angaben zu den Wertpapieren, die öffentlich angeboten werden oder die zum Handel an einem geregelten Markt zugelassen werden sollen. (4) Für die folgenden Wertpapierarten kann der Prospekt nach Wahl des Emittenten, des Anbieters oder der Person, die die Zulassung zum Handel an einem geregelten Markt beantragt, aus einem Basisprospekt bestehen, der alle notwendigen Angaben zum Emittenten und den öffentlich angebotenen oder zum Handel an einem geregelten Markt zuzulassenden Wertpapieren enthält:

a) Nichtdividendenwerte, wozu auch Optionsscheine jeglicher Art gehören, die im Rahmen eines Angebotsprogramms begeben werden; b) Nichtdividendenwerte, die dauernd oder wiederholt von Kreditinstituten begeben werden, i) sofern die Erlöse aus der Emission dieser Wertpapiere gemäß den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften in Vermögensgegenständen angelegt werden, die eine ausreichende Deckung der aus den betreffenden Wertpapieren erwachsenden Verbindlichkeiten bis zum Fälligkeitstermin bieten, und ii) sofern diese Erlöse im Falle der Insolvenz des betreffenden Kreditinstituts unbeschadet der Bestimmungen der Richtlinie 2001/ 24/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. April 2001 über die Sanierung und Liquidation von Kreditinstituten (1) vorrangig zur Rückzahlung des Kapitals und der aufgelaufenen Zinsen bestimmt sind. Die Angaben des Basisprospekts sind erforderlichenfalls durch aktualisierte Angaben zum Emittenten und zu den Wertpapieren, die öffentlich angeboten bzw. zum Handel an einem geregelten Markt zugelassen werden sollen, gemäß Artikel 16 zu ergänzen. Werden die endgültigen Bedingungen des Angebots weder in den Basisprospekt noch in einen Nachtrag aufgenommen, so sind sie den Anlegern zu übermitteln, bei der zuständigen Behörde des Herkunftsmitgliedstaats zu hinterlegen und von dem Emittenten der zuständigen Behörde des oder der Aufnahmemitgliedstaaten mitzuteilen, sobald ein öffentliches Angebot unterbreitet wird und die Übermittlung, Hinterlegung oder Mitteilung praktisch durchführbar ist, und dies sofern möglich vor Beginn des Angebots oder der Zulassung zum Handel. Die endgültigen Bedingungen enthalten nur Angaben, die die Wertpapierbeschreibung betreffen, und dienen nicht der Ergänzung des Basisprospekts. Artikel 8 Absatz 1 Buchstabe a findet in diesen Fällen Anwendung. (5) Um den technischen Entwicklungen auf den Finanzmärkten Rechnung zu tragen und die Anforderungen dieses Artikels zu präzisieren, erlässt die Kommission durch delegierte Rechtsakte gemäß Artikel 24a und unter den in den Artikeln 24b und 24c genannten Bedingungen Maßnahmen zu folgenden Aspekten: a) das Format des Prospekts oder Basisprospekts, der Zusammenfassung, der endgültigen Bedingungen und der Nachträge und b) den detaillierten Inhalt und die konkrete Form der in die Zusammenfassung aufzunehmenden Schlüsselinformationen. Diese delegierten Rechtsakte werden bis zum 1. Juli 2012 erlassen.

Die Prospektrichtlinie Artikel 6 Prospekthaftung (1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass je nach Fall zumindest der Emittent oder dessen Verwaltungs-, Management- bzw. Aufsichtsstellen, der Anbieter, die Person, die die Zulassung zum Handel an einem geregelten Markt beantragt, oder der Garantiegeber für die in einem Prospekt enthaltenen Angaben haftet. Die verantwortlichen Personen sind im Prospekt eindeutig unter Angabe ihres Namens und ihrer Stellung – bei juristischen Personen ihres Namens und ihres Sitzes – zu nennen; der Prospekt muss zudem eine Erklärung dieser Personen enthalten, dass ihres Wissens die Angaben in dem Prospekt richtig sind und darin keine Tatsachen verschwiegen werden, die die Aussage des Prospekts verändern können. (2) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass ihre Rechts- und Verwaltungsvorschriften im Bereich der Haftung für die Personen gelten, die für die in einem Prospekt enthaltenen Angaben verantwortlich sind. Die Mitgliedstaaten stellen jedoch sicher, dass niemand lediglich aufgrund der Zusammenfassung einschließlich einer Übersetzung davon haftet, es sei denn, die Zusammenfassung ist irreführend, unrichtig oder widersprüchlich, wenn sie zusammen mit den anderen Teilen des Prospekts gelesen wird, oder sie vermittelt, wenn sie zusammen mit den anderen Teilen des Prospekts gelesen wird, nicht alle Schlüsselinformationen, um den Anlegern bei der Prüfung der Frage, ob sie ob sie in diese Wertpapiere investieren sollten, behilflich zu sein. Die Zusammenfassung muss diesbezüglich einen eindeutigen Warnhinweis enthalten.

Artikel 7 Mindestangaben (1) Die Kommission erlässt gemäß Artikel 24a und unter den in den Artikeln 24b und 24c genannten Bedingungen detaillierte delegierte Rechtsakte zu den spezifischen Angaben, die in einen Prospekt aufzunehmen sind, wobei im Falle eines Prospekts, der aus mehreren Einzeldokumenten besteht, Wiederholungen zu vermeiden sind. (2) Bei der Ausarbeitung der verschiedenen Muster für die Prospekte ist insbesondere Folgendem Rechnung zu tragen: a) den unterschiedlichen Angaben, die Anleger in Bezug auf Dividendenwerte und in Bezug auf Nichtdividendenwerte benötigen; die geforderten Angaben eines Prospekts in Bezug auf Wertpapiere mit einer ähnlichen wirtschaftlichen Grundlage, insbesondere Derivate, sind hierbei gemäß einem kohärenten Ansatz zu behandeln; b) den unterschiedlichen Arten und Eigenschaften des Angebots von Nichtdividendenwerten und

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deren Zulassungen zum Handel an einem geregelten Markt. Bei Nichtdividendenwerten mit einer Mindeststückelung von 100 000 EUR müssen die geforderten Angaben eines Prospekts aus der Sicht des jeweiligen Anlegers angemessen sein; c) der Aufmachung und den geforderten Angaben der Prospekte in Bezug auf alle Arten von Nichtdividendenwerten, wozu auch Optionsscheine jeglicher Art gehören, die im Rahmen eines Angebotsprogramms begeben werden; d) der Aufmachung und den geforderten Angaben der Prospekte in Bezug auf Nichtdividendenwerte, sofern diese nicht nachrangig, umwandelbar, umtauschbar, an eine Zeichnung oder den Erwerb von Rechten oder an Derivate gebunden sind, die dauernd oder wiederholt von Stellen begeben werden, die zur Ausübung ihrer Tätigkeit auf den Finanzmärkten im Europäischen Wirtschaftsraum zugelassen sind oder beaufsichtigt werden; e) den unterschiedlichen Tätigkeiten und der Größe der Emittenten, insbesondere von Kreditinstituten, die die in Artikel 1 Absatz 2 Buchstabe j genannten Nichtdividendenwerte begeben, Unternehmen mit geringer Marktkapitalisierung und KMU. Die Angaben sind entsprechend der Größe und gegebenenfalls der kürzeren Existenzdauer dieser Unternehmen anzupassen; f) gegebenenfalls dem öffentlich-rechtlichen Charakter des Emittenten; g) bei Aktienangeboten von Gesellschaften, deren Aktien derselben Gattung zum Handel an einem geregelten Markt oder in einem multilateralen Handelssystem im Sinne von Artikel 4 Absatz 1 Nummer 15 der Richtlinie 2004/39/EG zugelassen sind und die einer angemessenen ständigen Offenlegungspflicht und Marktmissbrauchsvorschriften unterliegen, ist eine angemessene Offenlegungsregelung anzuwenden, sofern der Emittent das satzungsmäßige Bezugsrecht nicht außer Kraft gesetzt hat. (3) Die delegierten Rechtsakte gemäß Absatz 1 beruhen auf den Standards im Bereich der Finanzund der Nichtfinanzinformationen, die von den internationalen Organisationen der Wertpapieraufsichtsbehörden, insbesondere der IOSCO, ausgearbeitet wurden, sowie auf den indikativen Anhängen dieser Richtlinie. (4) Die ESMA kann Entwürfe technischer Durchführungsstandards entwickeln, um eine einheitliche Anwendung der delegierten Rechtsakte, die von der Kommission gemäß Absatz 1 erlassen worden sind, sicherzustellen. Der Kommission wird die Befugnis übertragen, die in Unterabsatz 1 genannten technischen Durchführungsstandards nach Artikel 15 der Verordnung (EU) Nr. 1095/2010 zu erlassen.“

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Kapitalmarktrechtliche Rechtsakte Artikel 8 Nichtaufnahme von Angaben

(1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass für den Fall, dass der endgültige Emissionskurs und das Emissionsvolumen, die Gegenstand des öffentlichen Angebots sind, im Prospekt nicht genannt werden können, a) die Kriterien und/oder die Bedingungen, anhand deren die genannten Werte ermittelt werden, bzw. im Falle des Emissionskurses ein Höchstkurs im Prospekt genannt werden oder b) die Zusage zum Erwerb bzw. zur Zeichnung der Wertpapiere innerhalb von mindestens zwei Arbeitstagen nach Hinterlegung des endgültigen Emissionskurses und der Gesamtzahl der öffentlich angebotenen Wertpapiere zurückgezogen werden kann. Der endgültige Emissionskurs und das Emissionsvolumen werden bei der zuständigen Behörde des Herkunftsmitgliedstaates hinterlegt und gemäß Artikel 14 Absatz 2 veröffentlicht. (2) Die zuständige Behörde des Herkunftsmitgliedstaates kann gestatten, dass bestimmte Angaben, die gemäß dieser Richtlinie oder den delegierten Rechtsakten nach Artikel 7 Absatz 1 vorgeschrieben sind, nicht aufgenommen werden müssen, wenn sie der Auffassung ist, dass a) die Bekanntmachung der betreffenden Angaben dem öffentlichen Interesse zuwiderläuft oder b) die Bekanntmachung der betreffenden Angaben dem Emittenten ernsthaft schadet, vorausgesetzt, dass das Publikum durch die Nichtaufnahme nicht in Bezug auf Tatsachen und Umstände, die für eine fundierte Beurteilung des Emittenten, Anbieters oder Garantiegebers und der mit den Wertpapieren, auf die sich der Prospekt bezieht, wesentlich verbundenen Rechte sind, irregeführt wird, oder c) die entsprechende Information für ein spezielles Angebot oder eine spezielle Zulassung zum Handel an einem geregelten Markt von untergeordneter Bedeutung ist und die Beurteilung der Finanzlage und der Zukunftsaussichten des Emittenten, Anbieters oder Garantiegebers nicht beeinflusst. (3) Für den Fall, dass ausnahmsweise bestimmte Angaben, die gemäß den delegierten Rechtsakten nach Artikel 7 Absatz 1 in den Prospekt aufzunehmen sind, dem Tätigkeitsbereich oder der Rechtsform des Emittenten oder aber den Wertpapieren, auf die sich der Prospekt bezieht, nicht angemessen sind, enthält der Prospekt unbeschadet einer angemessenen Information der Anleger Angaben, die den geforderten Angaben gleichwertig sind. Gibt es keine entsprechenden Angaben, so besteht diese Verpflichtung nicht. (3a) Wenn Wertpapiere von einem Mitgliedstaat garantiert werden, ist der Emittent, der Anbieter

oder die Person, die die Zulassung zum Handel an einem geregelten Markt beantragt, bei der Erstellung eines Prospekts gemäß Artikel 1 Absatz 3 dieser Richtlinie nicht verpflichtet, Angaben über den Garantiegeber zu liefern. (4) Um den technischen Entwicklungen auf den Finanzmärkten Rechnung zu tragen und die Anforderungen dieses Artikels zu präzisieren, erlässt die Kommission durch delegierte Rechtsakte gemäß Artikel 24a und unter den in den Artikeln 24b und 24c genannten Bedingungen Maßnahmen zu Absatz 2. (5) Die ESMA kann Entwürfe technischer Durchführungsstandards entwickeln, um einheitliche Bedingungen für die Anwendung der von der Kommission nach Absatz 4 erlassenen delegierten Rechtsakte sicherzustellen. Der Kommission wird die Befugnis übertragen, die in Unterabsatz 1 genannten technischen Durchführungsstandards nach Artikel 15 der Verordnung (EU) Nr. 1095/2010 zu erlassen. Artikel 9 Gültigkeit des Prospekts, des Basisprospekts und des Registrierungsformulars (1) Ein Prospekt ist nach seiner Genehmigung 12 Monate lang für öffentliche Angebote oder Zulassungen zum Handel an einem geregelten Markt gültig, sofern er um etwaige gemäß Artikel 16 erforderliche Nachträge ergänzt wird. (2) Im Falle eines Angebotsprogramms ist der zuvor hinterlegte Basisprospekt bis zu zwölf Monate gültig. (3) Bei Nichtdividendenwerten gemäß Artikel 5 Absatz 4 Buchstabe b) ist der Prospekt gültig, bis keines der betroffenen Wertpapiere mehr dauernd oder wiederholt ausgegeben wird. (4) Ein zuvor hinterlegtes und gebilligtes Registrierungsformular im Sinne von Artikel 5 Absatz 3 ist bis zu 12 Monate gültig. Das Registrierungsformular, das gemäß Artikel 12 Absatz 2 oder Artikel 16 aktualisiert wurde, ist zusammen mit der Wertpapierbeschreibung und der Zusammenfassung als gültiger Prospekt anzusehen. Artikel 10 Informationen

–––––––– Artikel 11 Angaben in Form eines Verweises (1) Die Mitgliedstaaten gestatten, dass der Prospekt Angaben in Form eines Verweises auf ein oder mehrere zuvor oder gleichzeitig veröffent-

Die Prospektrichtlinie

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lichte Dokumente enthält, die gemäß dieser Richtlinie oder der Richtlinie 2004/109/EG von der zuständigen Behörde des Herkunftsmitgliedstaats gebilligt oder bei ihr hinterlegt wurden. Dabei muss es sich um die dem Emittenten zuletzt zur Verfügung stehenden Angaben handeln. Die Zusammenfassung darf keine Angaben in Form eines Verweises enthalten.

Handel an einem geregelten Markt beantragenden Person innerhalb von zehn Arbeitstagen nach Vorlage des Prospektentwurfs ihre Entscheidung hinsichtlich der Billigung des Prospekts mit. Ergeht innerhalb der in diesem Absatz und in Absatz 3 genannten Fristen keine Entscheidung der zuständigen Behörde über den Prospekt, so gilt dies nicht als Billigung.

(2) Werden Angaben in Form eines Verweises aufgenommen, so ist eine Liste mit Querverweisen vorzulegen, damit die Anleger bestimmte Einzelangaben leicht auffinden können.

Die zuständige Behörde unterrichtet die ESMA zur gleichen Zeit über die Billigung des Prospekts und aller Prospektnachträge, wie sie auch den Emittenten, den Anbieter beziehungsweise die die Zulassung zum Handel an einem geregelten Markt beantragende Person unterrichtet. Die zuständigen Behörden übermitteln der ESMA gleichzeitig eine Kopie des Prospekts und aller Prospektnachträge.

(3) Um den technischen Entwicklungen auf den Finanzmärkten Rechnung zu tragen und die Anforderungen dieses Artikels zu präzisieren, erlässt die Kommission durch delegierte Rechtsakte gemäß Artikel 24a und unter den in den Artikeln 24b und 24c genannten Bedingungen Maßnahmen zur Aufnahme von Angaben in Form eines Verweises. Artikel 12 Aus mehreren Einzeldokumenten bestehende Prospekte (1) Ein Emittent, dessen Registrierungsformular bereits von der zuständigen Behörde gebilligt wurde, ist zur Erstellung der Wertpapierbeschreibung und der Zusammenfassung nur verpflichtet, wenn die Wertpapiere öffentlich angeboten bzw. zum Handel an einem geregelten Markt zugelassen werden. (2) In einem solchen Fall muss die Wertpapierbeschreibung die Angaben enthalten, die üblicherweise im Registrierungsformular angegeben wären, wenn es seit der Billigung des letzten aktualisierten Registrierungsformulars zu erheblichen Veränderungen oder neuen Entwicklungen gekommen ist, die sich auf die Beurteilung durch die Anleger auswirken könnten, sofern diese Angaben nicht in einem Nachtrag gemäß Artikel 16 enthalten sind. Die Wertpapierbeschreibung und die Zusammenfassung werden gesondert gebilligt. (3) Hat ein Emittent nur ein nicht gebilligtes Registrierungsformular hinterlegt, so sind alle Dokumente einschließlich aktualisierter Informationen zu billigen. KAPITEL III REGELN FÜR DIE BILLIGUNG UND DIE VERÖFFENTLICHUNG DES PROSPEKTS

(3) Die Frist gemäß Absatz 2 wird auf 20 Arbeitstage verlängert, wenn das öffentliche Angebot Wertpapiere eines Emittenten betrifft, dessen Wertpapiere noch nicht zum Handel an einem geregelten Markt zugelassen sind und der zuvor keine Wertpapiere öffentlich angeboten hat. (4) Gelangt die zuständige Behörde zu der hinreichend begründeten Auffassung, dass die ihr übermittelten Unterlagen unvollständig sind oder es ergänzender Informationen bedarf, so gelten die in den Absätzen 2 und 3 genannten Fristen erst ab dem Zeitpunkt, an dem der Emittent, der Anbieter bzw. die die Zulassung zum Handel an einem geregelten Markt beantragende Person diese Informationen vorlegt. In dem in Absatz 2 genannten Fall sollte die zuständige Behörde dem Emittenten innerhalb von zehn Arbeitstagen ab dem Zeitpunkt der Einreichung des Antrags Mitteilung machen, falls die Unterlagen unvollständig sind. (5) Die zuständige Behörde des Herkunftsmitgliedstaats kann die Billigung eines Prospekts der zuständigen Behörde eines anderen Mitgliedstaats übertragen, sofern die ESMA vorab darüber informiert wurde und die zuständige Behörde damit einverstanden ist. Eine solche Übertragung ist dem Emittenten, dem Anbieter beziehungsweise der die Zulassung zum Handel an einem geregelten Markt beantragenden Person innerhalb von drei Arbeitstagen ab dem Datum mitzuteilen, an dem die zuständige Behörde des Herkunftsmitgliedstaats ihre Entscheidung getroffen hat. Die in Absatz 2 genannte Frist gilt ab dem gleichen Datum. Artikel 28 Absatz 4 der Verordnung (EU) Nr. 1095/2010 findet auf die Übertragung der Billigung des Prospekts gemäß diesem Absatz nicht Anwendung.

(1) Ein Prospekt darf vor der Billigung durch die zuständige Behörde des Herkunftsmitgliedstaats nicht veröffentlicht werden.

Um einheitliche Bedingungen für die Anwendung dieser Richtlinie sicherzustellen und die Kommunikation zwischen den zuständigen Behörden und der zuständigen Behörden mit der ESMA zu erleichtern, kann die ESMA Entwürfe technischer Durchführungsstandards entwickeln, um Standardformulare, Mustertexte und Verfahren für die in diesem Absatz vorgesehenen Mitteilungen festzulegen.

(2) Diese zuständige Behörde teilt dem Emittenten, dem Anbieter bzw. der die Zulassung zum

Der Kommission wird die Befugnis übertragen, die in Unterabsatz 2 genannten technischen Durch-

Artikel 13 Billigung des Prospekts

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führungsstandards nach Artikel 15 der Verordnung (EU) Nr. 1095/2010 zu erlassen. (6) Diese Richtlinie berührt nicht die Haftung der zuständigen Behörde, die weiterhin ausschließlich durch das innerstaatliche Recht geregelt wird. Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass ihre einzelstaatlichen Vorschriften in Bezug auf die Haftung der zuständigen Behörde lediglich für die Billigung von Prospekten gelten, die von ihren zuständigen Behörden erteilt wird. (7) Um den technischen Entwicklungen auf den Finanzmärkten Rechnung zu tragen und die Anforderungen dieses Artikels zu präzisieren, erlässt die Kommission durch delegierte Rechtsakte gemäß Artikel 24a und unter den in den Artikeln 24b und 24c genannten Bedingungen Maßnahmen zu den Bedingungen, unter denen die Fristen angepasst werden können.

Artikel 14 Veröffentlichung des Prospekts (1) Nach seiner Billigung ist der Prospekt bei der zuständigen Behörde des Herkunftsmitgliedstaats zu hinterlegen, der ESMA über die zuständige Behörde zugänglich zu machen und der Öffentlichkeit durch den Emittenten, den Anbieter oder die die Zulassung zum Handel an einem geregelten Markt beantragende Person so bald wie praktisch möglich zur Verfügung zu stellen, auf jeden Fall aber rechtzeitig vor und spät