Nachhaltige Entwicklung: Grundlagen und Umsetzung 9783486850949

Das Buch gibt eine Einführung in das Leitbild Nachhaltiger Entwicklung und erörtert die theoretischen Grundlagen schwach

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German Pages 241 [244] Year 2014

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Nachhaltige Entwicklung: Grundlagen und Umsetzung
 9783486850949

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Nachhaltige Entwicklung Grundlagen und Umsetzung

von

Prof. Dr. Michael von Hauff und

Dr. Alexandra Kleine

Oldenbourg Verlag München

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

© 2009 Oldenbourg Wissenschaftsverlag GmbH Rosenheimer Straße 145, D-81671 München Telefon: (089) 45051-0 oldenbourg.de Das Werk einschließlich aller Abbildungen ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Bearbeitung in elektronischen Systemen. Lektorat: Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, [email protected] Herstellung: Anna Grosser Coverentwurf: Kochan & Partner, München Gedruckt auf säure- und chlorfreiem Papier Gesamtherstellung: Grafik + Druck, München ISBN 978-3-486-59071-5

Inhalt Vorwort

IX

1

Entstehung und Zielsetzung des Leitbildes Nachhaltige Entwicklung

1

1.1

Historische Vorläufer der Nachhaltigkeit

2

1.2

Grenzen des Wachstums

4

1.3

Der Brundtland-Bericht

6

1.4

Der Rio-Prozess

8

1.5

Exkurs: Die Kontroverse Ökologisch dominiertes Konzept versus Drei-SäulenKonzept

9

1.6

Die bisherige Dominanz der Umweltpolitik

10

1.7

Umsetzung durch Nachhaltigkeitsstrategien

11

2

Ökologische, ökonomische und soziale Nachhaltigkeit

15

2.1

Ökologische, ökonomische und soziale Nachhaltigkeit

17

2.2

Die neoklassische Position: schwache Nachhaltigkeit

24

2.3

Die Position der Ökologischen Ökonomie: starke Nachhaltigkeit

29

2.4

Auflösung der Nachhaltigkeitsparadigmen starker und schwacher Nachhaltigkeit

32

3

Bedeutung von Innovationen für eine Nachhaltige Entwicklung

41

3.1

Die ökonomische Bedeutung von Innovationen

42

3.2

Innovationen ökologischer Nachhaltigkeit

49

3.3

Umwelttechnologien und umwelttechnischer Fortschritt

59

3.3.1

Additive und integrierte Umwelttechnik

60

3.3.2

Der umwelttechnische Fortschritt als spezielle Form des technischen Fortschritts

69

Einzelwirtschaftliche Entscheidungen

72

3.3.3

VI

Inhalt

4

Der Beitrag der Ökoeffizienz zu einer Nachhaltigen Entwicklung

77

4.1

Ausgangspunkt der Ökoeffizienz

78

4.2

Messung der Ökoeffizienz

4.3

Grenzen der Ökoeffizienz und Anforderungen an eine integrierte Innovationsstrategie

83

4.4

Starke und schwache Ökoeffizienz

87

4.4.1

Varianten schwacher Ökoeffizienz

88

4.4.2

Varianten starker Ökoeffizienz

91

4.5

Konsequenzen fur ein nachhaltiges Wachstum

96

5

Intra- und intergenerationelle Gerechtigkeit

101

5.1

Theoretische Ansätze der Gerechtigkeit

101

5.1.1

Militarismus

102

5.1.2

Vertragstheoretischer Ansatz nach John Rawls: Gerechtigkeit als Fairness

103

5.1.3

Liberaler Gerechtigkeitsansatz und Garantie von Rechten

107

5.2

Neuere theoretische Ansätze

108

5.2.1

Bürgerrechte und Partnerschaftsprinzip

108

5.2.2

Planetary Trust

109

5.2.3

Integriertes Nachhaltigkeitsverständnis der Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren

110

5.2.4

Konzepte der Weltbank fur Chancengerechtigkeit und Entwicklung

111

6

Neue Systematisierung der Nachhaltigkeitsdimensionen

113

6.1

Verwendung der drei Säulen in Wissenschaft und Politik

113

6.2

Bisherige Ansätze zur Darstellung der drei Nachhaltigkeitssäulen

117

6.3

Anwendungsheuristik: Das Integrierende Nachhaltigkeitsdreieck

124

6.3.1

Methodik des Integrierenden Nachhaltigkeitsdreiecks

124

6.3.2

Felder des Integrierenden Nachhaltigkeitsdreiecks

126

6.3.3

Positionsberechnung für eine Darstellung

128

6.4

Anwendungsmöglichkeiten im Integrierenden Nachhaltigkeitsdreieck

130

.

79

Inhalt

VII

7

Umsetzung Nachhaltiger Entwicklung an konkreten Beispielen

139

7.1

Messkonzepte für eine Nachhaltigen Entwicklung

139

7.1.1

Politische und volkswirtschaftliche Ebene (Makro)

140

7.1.2

Unternehmens- und Organisationsebene (Mikro)

155

7.1.3

Beispielhafte Einordnung von Indikatoren

163

7.1.4

Referenzwerte einer Nachhaltigen Entwicklung

166

7.2

Umsetzung Nachhaltiger Entwicklung durch Nachhaltigkeitsstrategien

170

7.2.1

Die europäische Nachhaltigkeitsstrategie

172

7.2.2

Die nationale Nachhaltigkeitsstrategie Deutschlands

175

7.2.3

Das Beispiel der Nachhaltigkeitsstrategie für Rheinland-Pfalz

178

7.3

Fallbeispiel: nachhaltigkeitsorientierte Förderentscheidungen

186

Abbildungen

195

Tabellen

199

Literatur

201

Biographien

225

Index

227

Vorwort In den letzten Jahrzehnten ist der Wohlstand, gemessen am Indikator Pro-Kopf-Einkommen, in vielen Ländern weltweit gestiegen. Damit wurde nach der weitverbreiteten ökonomischen Lehrmeinung ein wesentliches Ziel wirtschaftlichen Handelns erfüllt. Gleichzeitig kam eine Reihe von Krisensymptomen bzw. Ungleichgewichten auf und hat sich in den letzten Jahren teilweise noch verschärft. Exemplarisch sollen hier die Folgen von Umweltproblemen wie die Klimaveränderung, die sich zumindest in einigen Ländern verschärfende Wasserknappheit, aber auch die wachsende Arbeitslosigkeit und die steigende Verschuldung vieler Länder genannt werden. Es wurde zunehmend deutlich, dass es sich nicht nur um temporäre Probleme handelt, sondern dass sich ebenso politische und wirtschaftliche Gestaltungsmöglichkeiten ergeben. Durch den zu vollziehenden Strukturwandel entstehen also auch Chancen fur die weltweite Umsetzung einer vielmehr qualitativen Entwicklung und eines anderen Fortschritts. Eine der drängendsten sozialen Herausforderungen war und ist die weitverbreitete Armut, die durch die ungleiche Chancenverteilung in vielen nationalen Bildungs- und Gesundheitssystemen und teilweise durch eine wachsende Ungleichverteilung von Einkommen und Vermögen noch verschärft wird. Die weltweiten ökonomischen Krisensymptome werden gegenwärtig durch die Krise der internationalen Finanzmärkte besonders offensichtlich, da alle Länder davon betroffen sind. Dabei kam es bereits seit den 1980er-Jahren in einer Reihe von Entwicklungsländern zu Finanzkrisen mit verheerenden wirtschaftlichen und sozialen Folgen fur die Bevölkerung, die in den westlichen Industrienationen häufig nur unzureichend wahrgenommen wurden. Einige Ökonomen wie auch Vertreter internationaler Organisationen - besonders der Organisationen der Vereinten Nationen - erkannten schon in den 1970er-Jahren diese krisenhaften Entwicklungstendenzen. Auf internationaler Ebene wurde u. a. mit der Einberufung der Brundtland-Kommission und mit der Durchführung einer Vielzahl von internationalen Konferenzen auf die Krisensymptome reagiert. Hierbei wurde deutlich, dass viele der bis dahin dominierenden ökonomischen Ansätze für eine dauerhafte Lösung dieser Krisen nicht mehr tauglich sind. Aus diesem Grunde wurde das Leitbild Nachhaltige Entwicklung für die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts entwickelt. Die Nachhaltige Entwicklung ist eine normative - keine völkerrechtlich einklagbare Vereinbarung der Weltgemeinschaft. Sie gilt spätestens seit der Weltkonferenz 1992 in Rio de Janeiro als globales Leitbild, das von Regierungsvertretern aus 178 Nationen unterzeichnet wurde. Auf der Konferenz wurde u. a. die „Agenda 21" beschlossen, die den Handlungsrahmen für eine gerechte Entwicklung heutiger und zukünftiger Generationen vorgibt. Der Konferenz lag die Einsicht zugrunde, dass die Forderungen der Industrieländer nach mehr

χ

Vorwort

Umweltschutz mit dem wirtschaftlichen Nachholbedarf der Entwicklungsländer zu vereinbaren seien. Zehn Jahre später wurde das Leitbild Nachhaltige Entwicklung auf der ersten Folgekonferenz in Johannesburg weiter konkretisiert und ausdifferenziert. In der Literatur wird jedoch immer wieder daraufhingewiesen, dass die neuere Diskussion zur Nachhaltigen Entwicklung mit dem ersten Bericht an den Club of Rome „Grenzen des Wachstums" im Jahr 1972 begann. Dieser Bericht, in dem das Wachstumsparadigma hinterfragt wurde, löste eine theoretische Diskussion zu diesem Thema aus, in der sich bis heute unterschiedliche Positionen unversöhnlich gegenüberstehen. Für ein besseres Verständnis des neuen Paradigmas werden die historischen Vorläufer der Diskussion dargelegt. Darauf folgen die inhaltliche Abgrenzung der drei Dimensionen und die theoretische Begründung einer „Sustainability Science". Dabei wird deutlich, dass die beiden Dimensionen Ökologie und Ökonomie und deren Beziehung in der Literatur bisher noch dominieren. Das Lehrbuch legt seinen Schwerpunkt ebenfalls auf Ökologie und Ökonomie, berücksichtigt aber auch die soziale Dimension, die in der neueren Literatur zunehmend Beachtung findet. Die intragenerationelle und intergenerationelle Gerechtigkeit als wichtige Forderungen Nachhaltiger Entwicklung werden ausfuhrlich aufgenommen. Im hinteren Teil des Buches geht es dann um die Umsetzung des Leitbildes im Rahmen von Nachhaltigkeitskonzepten bzw. -Strategien. Die Differenzierung nach Ökologie, Ökonomie und Sozialem ist ein weitverbreiteter Ausgangspunkt zur Analyse und Strukturierung Nachhaltiger Entwicklung. Sie soll auch in diesem Buch zu einer Einordnung bzw. Systematik beitragen. Da berechtigte Kritik geübt wurde, die Dreiteilung alleine sei zu ungenau und würde die Problematik nicht genügend abbilden, bedient sich das Buch später einer konzeptionellen und didaktisch ertragreichen Weiterentwicklung, dem Integrierenden Nachhaltigkeitsdreieck, das ein Kontinuum aus ökologischer, ökonomischer und sozialer Dimension erlaubt. Mit dieser neuen Systematisierungsmethodik lassen sich die Aspekte einer Nachhaltigen Entwicklung prägnanter einordnen, Beziehungen aufzeigen und im Zusammenhang darstellen. Das Anwendungsspektrum der Methodik ist vielfältig, wie die Anwendungsbeispiele am Ende des Buches zeigen.

Kaiserslautern, Mai 2009

Michael von Hauff Alexandra Kleine

1

Entstehung und Zielsetzung des Leitbildes Nachhaltige Entwicklung

Das Leitbild Nachhaltige Entwicklung wurde durch die Konferenz in Rio de Janeiro 1992 international sehr populär. Es hatte jedoch schon viele Vorläufer. Seinen Ursprung kann man der Wald- bzw. Forstwirtschaft zuschreiben. Es wurde erkannt, dass ein Gleichgewicht zwischen der Abholzung und Aufforstung von Waldbeständen notwendig ist, wenn es nicht zu einer Holzknappheit kommen sollte, die weitreichende wirtschaftliche und soziale Folgen hat. „The Principles of Population" von Thomas Malthus ist ein Beispiel für eine erste wachstumskritische Arbeit aus ökonomischer Perspektive. Er ging 1798 davon aus, dass die Bevölkerung weiter stark wachsen würde, womit die langsamer steigende Nahrungsmittelproduktion nicht mithalten könne. Infolgedessen würden die Löhne sinken und die Preise steigen. Um dieser Gefahr zu entgehen, schlug Malthus Bildungsmaßnahmen und Heiratskontrollen vor. Später zeigte sich, dass die Prognosen von Malthus nicht eintraten, da er den technischen Fortschritt der Landwirtschaft unter- und den Bevölkerungszuwachs überschätzt hatte.

Bedeutende Veranstaltungen der Vereinten Nationen zur Nachhaltigen Entwicklung

United Nations Conference on the Human Environment (INCHE): Erste Umweltkonferenz clor Vereinten Nationen, 1972 in Stockholm, ein Vorläufer der Nachhaltigen Entwicklung World Commission on Environment and Development (WCED); Kommission der Vereinten Nationen unter Vorsitz der norwegischen Ministerpräsidentin Gro Harlem Brundtland, deutscher Vertreter: Volker Hauff, Ergebnis: Abschlussbericht 1987 „Our Common Future" United Nations Conference on Environment and Development (UNCED): Konferenz der Vereinten Nationen 1992 in Rio de Janeiro, Ergebnisse: "Agenda 21" und mehrere Deklarationen.

Commission on Sustainable Development Knappheiten sind auch in neuerer Zeit Aus(CSD): Die Kommission führte den durch die gangspunkt von ökonomischen Analysen. ÖkoUNCED eingeleiteten Prozess seitens der Vernomen wie Kenneth Boulding, Karl Kapp und einten Nationen weiter. Nicholas Georgescu-Roegen haben in PubliWorld Summit on Sustainable Development (WSSD): Konferenz der Vereinten Nationen kationen bereits schon in den 1960er- und 2002 in Johannesburg, Nachfolge zur UNCED, 1970er-Jahren auf die wachsenden Gefahren Ergebnis: Implementierungsplan beispielsweise der Umweltbelastung hingewiesen. Es folgten 1968 erste Konferenzen wie die „Biosphere Conference" in Paris und die „Conference on Ecological Aspects of International Development" in Washington, D. C.

2

1 Entstehung und Zielsetzung des Leitbildes Nachhaltige Entwicklung

Seit Anfang der 1970er-Jahre besteht die neue Debatte über die „Nachhaltigkeit" wirtschaftlichen Handelns. Wichtige Ereignisse waren die 1972 veröffentlichte wachstumskritische Schrift „Grenzen des Wachstums", die im gleichen Jahr stattfindende erste Weltumweltkonferenz in Stockholm und das sich zwei Jahre später anschließende wirtschaftswissenschaftliche „Symposium on the Economics of exhaustible resources". Auf der Basis dieser drei Meilensteine erfuhr die „Nachhaltigkeit" eine erste Ausformulierung für die Frage des optimalen Verbrauchs natürlicher Ressourcen. Nachhaltige Entwicklung ist spätestens seit der Veröffentlichung des Berichtes der sogenannten „Brundtland-Kommission" (WCED 1987, deutsch: Hauff 1987) die Grundlage fur ein neues und umfassendes politisches Leitbild der Weltgemeinschaft. Die Ziele Umweltschutz und wirtschaftliche Entwicklung sind mit der Forderung verbunden, die Bedürfnisse sowohl heutiger als auch zukünftiger Generationen gerecht zu befriedigen. Daher sind die intra- und intergenerationelle Gerechtigkeit konstitutive Merkmale des Brundtland-Berichtes. Nach der Rio-Konferenz im Jahr 1992 kam es dann zu einer Vielzahl von Folgekonferenzen, auf denen das Leitbild Nachhaltige Entwicklung durch klare Zielvorgaben bzw. Forderungen weiter konkretisiert wurde. Die nachfolgenden Abschnitte zeichnen die Genese der Nachhaltigen Entwicklung nach. Abschnitt 1.1 stellt die Waldwirtschaft als einen historischen Vorläufer dar. In Abschnitt 1.2 wird die Diskussion über mögliche Wachstumsgrenzen einer Industriegesellschaft vorgestellt. Der Brundtland-Bericht (Abschnitt 1.3) führte dies Mitte der 1980er-Jahre zu einem Konzept fur die Politik weltweit aus und leitete den Agenda 21-Prozess ein (Abschnitt 1.4). Der Exkurs in Abschnitt 1.5 zeigt die Diskussion um die Gewichtung von Nachhaltigkeitsdimensionen auf. Die zunehmende Ablösung einer ökologisch dominierten Diskussion (Abschnitt 1.6) zeichnet sich in Nachhaltigkeitsstrategien als zentrales politisches Konzept zur Umsetzung einer Nachhaltigen Entwicklung ab (Abschnitt 1.7).

1.1

Historische Vorläufer der Nachhaltigkeit

Einer der bedeutendsten Vorläufer des Nachhaltigkeitskonzepts ist die Forstwirtschaft. Aus den damaligen Erkenntnissen kann man gerade heute viel lernen. Daher wird im Folgenden ein kurzer Rückblick in die entscheidende Phase der Forstwirtschaft gegeben, wobei sich die Ausführungen auf einige exemplarische Ereignisse konzentrieren (siehe auch Grober 2009). Der Mutter von Herzog Carl August, Anna Amalia, ist die weltweit erste Forstreform mit dem Anspruch auf Nachhaltigkeit zu verdanken. Der Begriff nachhaltig wurde jedoch schon vom Freiberger Oberberghauptmann Hannß Carl von Carlowitz geprägt, der ihn in seiner Abhandlung „Sylviculture Oeconomica" aus dem Jahr 1713 einführte. Dort fordert er eine „continuirliche und beständig nachhaltende Nutzung". Sein Verständnis um Nachhaltigkeit wird in folgendem Zitat klar: „ Denn je mehr Jahr vergehen, in welchem nichts gepflanzet und gesaet wird, je langsamer hat man den Nutzen zugewarten, und um so viel tausend leidet man von Zeit zu Zeit Schaden, ja um so viel mehr geschickt weitere Verwüstung, daß endlich die

1.1 Historische Vorläufer der Nachhaltigkeit

3

annoch vorhandenen Gehöltze angegriffen, vollends consumiret und sich je mehr und mehr vermindern müssen. ... Wo Schaden aus unterbliebener Arbeit kommt, da wächst der Menschen Armuth und Dürfftigkeit. Es lasset sich auch der Anbau des Holtzes nicht so schleunig wie der Acker=Bau tractiren (von Carlowitz 1713, S. 105)." Hintergrund seiner Überlegungen war, dass Bergbau und Verhüttung einen hohen Holzbedarf verursachten. Daher war die Umgebung der Bergbaustädte häufig entwaldet (Ott, Döring 2008, S. 22). Die Folge war, dass Holz über größere Entfernungen - meistens über Flößerei - transportiert werden musste. Die Holzpreise stiegen und es kam zu der verbreiteten Befürchtung einer Holzknappheit. Dies war im Prinzip ein Vorläufer der Diskussion über die „Grenzen des Wachstums". Dabei gab es in der früheren Geschichte schon mehrfach das Problem der Holzknappheit, die besonders durch den Schiffbau verursacht wurde. Die weitgehende Entwaldung Griechenlands und anderer Länder im Mittelmeerraum ist darauf zurückzufuhren. Die Lüneburger Heide ist ein weiteres Beispiel für die Abrodung der Wälder, hier zur Gewinnung von Salzen aus Salinen. Doch von Carlowitz entwickelte neue Grundsätze, mit denen die Holzknappheit fur immer überwunden werden sollte. Im Prinzip stellt von Carlowitz fest, dass in der Forstwirtschaft ökonomisches Handeln mit den Erfordernissen der Natur in Einklang zu bringen sei. Seine einfache Maxime war: Es sollte pro Jahr nicht mehr Holz geschlagen werden, als nachwächst. Es handelt sich um das in der Literatur heute weithin akzeptierte ressourcenökonomische Prinzip. Daraus begründet sich die Notwendigkeit, das ökonomische Ziel der maximalen dauerhaften Nutzung des Waldes mit den ökologischen Beziehungen des Nachwachsens des Waldes zusammenzufuhren. Insofern wurden hier bereits Grundlagen der ökologischen Nachhaltigkeit gelegt. Dieses Gedankengut ging 1775 in die Weimarische Forst-Ordnung ein. Eine der zentralen Positionen war, dass der „Abtrieb" des Holzes nicht mehr nur nach Gutdünken oder „Holzbedürfnis" der gegenwärtig lebenden Generation zu erfolgen habe, sondern auch die Bedürfnisse der „Posterität", d. h. die Sorge für die Nachkommenschaft, zu berücksichtigen seien. Die Bemühungen um eine nachhaltige Waldwirtschaft wurden in den folgenden Jahren fortgeführt. Besonders zu erwähnen sind Heinrich Cotta mit seinem 1806 erschienen Buch über „Die Bewegung und Funktion des Saftes in den Gewächsen", in dem es besonders um das Wachstum des Holzes ging, von dem der Wohlstand eines erheblichen Teils der Bevölkerung abhing. In der Folge entstand dann die Forstakademie in Tharandt, in der die neue Lehre vom Waldbau den Nachwuchskräften aus dem In- und Ausland beigebracht wurde. Der sächsische König erhob das Institut 1816 zur staatlichen Hochschule, nachdem Carl Maria von Weber seine Waldoper „Der Freischütz" schrieb und Caspar David Friedrich Mitglied der Kunstakademie wurde. Daraus wird die neue Grundstimmung deutlich, die darauf abzielte, den Raubbau an der Natur bzw. die chaotische und zerstörerische Ausbeutung der Wälder zu beenden. Die Vision war „der ewige Wald", der fur alle Zeiten die Gesellschaft mit dem lebenswichtigen Rohstoff versorgen sollte.

4

1 Entstehung und Zielsetzung des Leitbildes Nachhaltige Entwicklung

Forstexperten wie Cotta waren bestrebt auf der Grundlage mathematischer Verfahren Holzvorräte zu berechnen und den erwarteten Nachwuchs an Holz zu kalkulieren. So wurde der Tharandter forstwirtschaftliche Nachhaltigkeitsbegriff weltweit zum Leitbild. Die mathematischen Berechnungen konnten jedoch nicht verhindern, dass es in der Folge zu neuen unvorhergesehenen Problemen kam. Es entstanden das Konzept des „Normalwaldes", in dem die Bäume in Reih' und Glied stehen, und die „Reinertragslehre", die mit kurzen Umtriebszyklen und raschwüchsigen Nadelbaumarten einen maximalen ökonomischen Ertrag vorsah. Dabei wurde deutlich, dass einseitige Bewirtschaftungsmethoden, wie Monokulturen, nicht stabil sind. So fraß die Larve der Nonne, einer Schmetterlingsart, in den 1850er-Jahren große Nadelholzbestände kahl. Als Reaktion darauf wurde die Schädlingsbekämpfung als Mittel der Problemlösung gefördert. In der Folge wurde die Massenvernichtung von Ungeziefer zur Maxime der Forstwirtschaft, was mit dem Leitbild der Nachhaltigkeit kaum in Einklang zu bringen ist. Es kam zu einer Kontroverse über Monokulturen, die im Prinzip bis heute anhält. Einen etwas anderen Zugang zu Wäldern bzw. der Idee der Nachhaltigkeit hatte Alexander von Humboldt. Er brach 1799 zu einer großen Expedition nach Südamerika auf. Seine Reise führte auch in den Regenwald, d. h. in das Zentrum der Artenvielfalt. Dabei hat sich von Humboldt der Erforschung der Beziehungen von Flora und Fauna, ihren Standort-, Klimaund Umweltbedingungen zugewandt. So entstand ein neuer Wissenschaftszweig, die „Oecologie". Sie wurde jedoch erst nach dem Tod von Humboldt im Jahr 1866 durch Ernst Haeckel geprägt: „Unter Oecologie verstehen wir die gesamte Wissenschaft von den Beziehungen des Organismus zur umgebenden Aussenwelt, wohin wir im weiteren Sinne alle Existenz-Bedingungen rechnen können. (Haeckel 1866, S. 286)" Bemerkenswert ist, dass danach die Wissenschaftsdisziplinen Ökologie und Nachhaltigkeit bis in die 1970er-Jahre weitgehend vernachlässigt wurden.

1.2

Grenzen des Wachstums

In der Literatur gibt es unterschiedliche Hinweise darauf, wann die Nachhaltigkeitsdiskussion in neuerer Zeit wieder aufgenommen wurde (vgl. u. a. Dresner 2008, S. 25). Es ist jedoch unstrittig, dass einige Ökonomen wie Kenneth Boulding, John Galbraith und auch Edward Mishan bereits in den 1960er-Jahren auf die wachsenden Umweltprobleme aufmerksam machten. Besondere Beachtung fand das Buch von Mishan mit dem Titel „the Costs of Economic Growth". Er kritisiert in seinem Buch das Sozialprodukt als Indikator für „human Weifare". Eine besondere Aufmerksamkeit erfuhr dann 1972 der erste Bericht an den Club of Rome „the Limits to Growth" (deutsch „die Grenzen des Wachstums"), maßgeblich erstellt von Dennis Meadows und seiner Ehefrau Donella Meadows. Die wichtigste Botschaft des Berichtes, der in 28 Sprachen übersetzt wurde, war, dass eine Fortschreibung der aktuellen Trends hinsichtlich des Bevölkerungswachstums und der Nachfrage nach nichtregenerativen Ressourcen bis Mitte des 21. Jahrhunderts zu einer großen wirtschaftlichen Beeinträchtigung führen würde. Auch wenn der Bericht konzeptionelle und methodische Unzulänglichkeiten aufwies, löste er eine heftige Diskussion über den Zusammenhang von Produktionsformen und Lebensstilen, aber auch über das exponen-

1.2 Grenzen des Wachstums

5

tielle Wirtschaftswachstum und die nicht-erneuerbaren Ressourcen aus, die zum Teil auch heute noch stattfindet. 1972 fand die erste große Umweltkonferenz der UN in Stockholm statt, auf der das United Nations Environment Programme (UNEP) gegründet wurde. Als Folge davon wurden in vielen Staaten Umweltministerien gegründet. 1980 wurde von der International Union for the Conservation of Nature (IUCN) in Kooperation mit verschiedenen UN-Organisationen, wie UNEP, die „World Conservation Strategy" erarbeitet (Grunwald, Kopfmüller 2006, S. 18). Dabei wurde erstmals der Begriff „Sustainable Development" in einem größeren wissenschaftlichen und politischen Kreis verwendet. Hierbei fokussierte der Begriff in Anlehnung an die Forstwirtschaft darauf, dass eine dauerhafte ökonomische Entwicklung ohne die Erhaltung der Funktionsfähigkeit der Ökosysteme nicht möglich ist. Die sozialen Aspekte der Ressourcen- und Umweltprobleme, aber auch die Eigenständigkeit der sozialen Dimension wurden zu diesem Zeitpunkt noch weitgehend vernachlässigt. Obwohl in den 1970er- und in der ersten Hälfte der 1980er-Jahre noch viele relevante Ereignisse auf dem Weg zum Leitbild Nachhaltige Entwicklung zu nennen wären, erfolgt nun der Übergang zur Entstehung und den zentralen Aussagen des Brundtland-Berichts. Der Brundtland-Bericht gilt als einer der bedeutendsten Beiträge zur Entwicklung und Abgrenzung des Leitbildes Nachhaltige Entwicklung. Auch hierzu gab es jedoch eine Reihe von Publikationen bzw. Stellungnahmen, die diesen Bericht beeinflusst haben. Besonders hervorzuheben ist - wie schon erwähnt - der erste Bericht an den Club of Rome. Der Bericht basiert auf einer Prognose, wonach sich die Menschheit auf einem sogenannten „Boom-andBurst"-Pfad befindet. Die zentrale Aussage ist: Ein exponentielles Wachstum führt zur Überschreitung der natürlichen Grenzen der Natur, wodurch besonders eine Knappheit der nicht regenerativen Ressourcen, wie Erdöl, auftritt. Dadurch wird das optimistische Wachstumsmodell, wie es zu diesem Zeitpunkt dominierte, infrage gestellt. Die Prognose zielt darauf ab, dass bis zum Jahre 2100 Krisenphänomene auftreten, wie ein Absinken der Bevölkerung, eine De-Industrialisierung und eine massive Einschränkung der bisher üblichen Lebensverhältnisse. Der Bericht „die Grenzen des Wachstums" fand eine sehr gegensätzliche Resonanz. Die Befürworter des Berichtes, wie Paul Ehrlich, betonten besonders die Verknappung natürlicher Ressourcen mit den im Bericht aufgezeigten Folgen. Dadurch würde bei einem „Catching-up"-Prozess (wirtschaftlicher Aufholprozess) der Entwicklungsländer das bis dahin dominierende Wachstumsmodell des exponentiellen Wachstums nicht aufrechterhalten werden können. In dem Bericht wurde weiter hervorgehoben, dass die Schadstoffemissionen weitgehend parallel zum Wirtschaftswachstum zunehmen würden. Neben der Rohstoffverknappung kommt es in diesem Szenario also auch zu einer exponentiell steigenden Umweltverschmutzung, die besonders von den Industrieländern verursacht wird. Die Kritiker der eher pessimistischen Prognose von Meadows hielten dem Bericht entgegen, dass sie zu stark von Thomas Malthus geprägt ist (Dresner 2008, S. 27ff.). Es ist jedoch unbestritten, dass im bereits genannten Szenario der technische Fortschritt beziehungsweise der umwelttechnische Fortschritt keine ausreichende Beachtung findet. Aber auch die Umweltpolitik - so die Kritiker - hätten die Befürworter des Berichtes weit unterschätzt. Gleichzeitig ist jedoch anzumerken, dass die nachholende Entwicklung vieler Entwick-

6

1 Entstehung und Zielsetzung des Leitbildes Nachhaltige Entwicklung

lungsländer hinsichtlich ihrer Umweltauswirkungen zu diesem Zeitpunkt noch nicht in ausreichendem Maße absehbar war, wie an den Beispielen der großen aufstrebenden Entwicklungsländer China, Indien oder auch Brasilien besonders deutlich wird. Auf dem Weg zum Brundtland-Bericht sollte weiterhin der „Ecodevelopment"-Ansatz des Hammarskjöld-Projekts genannt werden. In dem Bericht werden folgende Leitlinien aufgestellt (UNGASS 1975): • • • • • • • • • • • •

Befriedigung der Grundbedürfnisse weitgehend mit Hilfe der je eigenen Ressourcenbasis Keine Kopie des westlichen Lebens- und Konsumstils Erhalt einer befriedigenden Umweltsituation Respekt vor kultureller Andersartigkeit und vor lokalen Traditionen Solidarität mit zukünftigen Generationen Lokal angepasste Techniken Lokale Partizipation besonders durch die Stärkung der Rolle der Frauen Erziehungsprogramme Familienplanung Teilweise Abkopplung vom Weltmarkt und Entwicklung lokaler Märkte Orientierung auf religiöse und kulturelle Traditionen Kein Beitritt zu den militärischen Machtblöcken der Nato und des Warschauer Paktes

Die Leitlinien zeigen wichtige Elemente, wie sie später in dem Leitbild Nachhaltige Entwicklung wieder erscheinen. Insofern kann man hier von einem bedeutenden Vorläufer des Brundtland-Berichtes sprechen.

1.3

Der Brundtland-Bericht

Eine wichtige Entscheidung auf dem Weg zum Brundtland-Bericht war weiterhin, dass die internationale Gemeinschaft unter dem Dach der Vereinten Nationen (United Nations, UN) 1980 die World Commission on Environment and Development (WCED) bildete. Durch sie wurde dann die Brundtland-Kommission im Jahr 1983 eingesetzt. Vor dem Hintergrund der wachsenden ökologischen, ökonomischen, aber auch sozialen Probleme nahm die Kommission unter dem Vorsitz der norwegischen Ministerpräsidentin Gro Harlem Brundtland ihre Arbeit auf. Die Kommission sollte Handlungsempfehlungen zur Erreichung einer dauerhaften Entwicklung erarbeiten. Sie hat den Begriff „Nachhaltige Entwicklung" erstmals als globales Leitbild der Entwicklung einer breiten Öffentlichkeit nahegebracht. Das Verständnis von Nachhaltigkeit, wie es im Brundtland-Bericht aufgezeigt wird, ist sowohl in der wissenschaftlichen Diskussion zur Nachhaltigkeit als auch bei der Entwicklung und Umsetzung von Nachhaltigkeitskonzepten die Ausgangsbasis, die breiten Zuspruch fand. Das Ziel ist eine dauerhafte Erfüllung menschlicher Grundbedürfnisse unter Berücksichtigung der Tragekapazität der natürlichen Umwelt. Dementsprechend war es das Bestreben, die Konfliktlinien zwischen Umwelt- und Naturschutz, Armutsbekämpfung und Wirtschaftswachstum zu überwinden.

1.3 Der Brundtland-Bericht

7

Neben der globalen Perspektive und der Verknüpfung zwischen Umwelt- und Entwicklungsaspekten ist die intra- und intergenerationelle Verteilungsgerechtigkeit ein konstitutives Merkmal des Berichtes. In diesem Zusammenhang fand die Definition Nachhaltiger Entwicklung viel Beachtung und wurde zur Grundlage vieler Publikationen: „Sustainable Development is development that meets the needs of the present without compromising the ability of future generations to meet their own needs (WCED 1987, S. 43)." In der deutschen Version des Brundtland-Berichts wurde die Definition wie folgt übersetzt: „Dauerhafte Entwicklung ist Entwicklung, die die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne zu riskieren, dass künftige Generationen ihre eigenen Bedürfnisse nicht befriedigen können (Hauff 1987, S. 46). " Damit stellt der Bericht die menschlichen Bedürfnisse sowohl der gegenwärtig lebenden Menschen als auch die Beziehung der gegenwärtig lebenden und der künftigen Generationen in den Mittelpunkt. Dadurch wird in dem Bericht eine eindeutig anthropozentrische Position eingenommen. Die beiden konstitutiven Merkmale der intra- und intergenerationellen Gerechtigkeit lassen sich wie folgt abgrenzen: • •

Die intragenerationelle Gerechtigkeit fordert einen gerechten Ausgleich zwischen den Interessen der Menschen in Industrie- und Entwicklungsländern. Die intergenerationelle Gerechtigkeit fordert, dass zukünftige Generationen in ihrer Bedürfnisbefriedigung nicht durch die Lebensweise der gegenwärtigen Generation beeinträchtigt werden.

Der Brundtland-Bericht fand international eine breite Zustimmung. Sie erklärt sich ganz wesentlich aus dem relativ geringen Konkretisierungsgrad des Berichtes, der breite Spielräume für Interpretationen zulässt. Der geringe Konkretisierungsgrad begründet sich hauptsächlich aus den international unterschiedlichen beziehungsweise gegensätzlichen Positionen. Es ging hauptsächlich darum, ökologische, ökonomische und soziale Entwicklungsaspekte zu berücksichtigen, verschiedene entwicklungstheoretische Ansätze einzubeziehen und zwischen verschiedenen Einschätzungen der Bedeutung des Wirtschaftswachstums und des technischen Fortschritts zu vermitteln. Dem Brundtland-Bericht lag eine insgesamt optimistische Sicht auf die Möglichkeiten eines „sustainable Growth" zugrunde, indem technischer Fortschritt zur wirtschaftlichen Entwicklung, zum wirtschaftlichen Wachstum und zur Erhaltung der Umweltbedingungen im positiven Sinne gesehen wird. Nur so wurde es möglich, einvernehmliche Handlungsstrategien Nachhaltiger Entwicklung vorzuschlagen. Die Kunst, unterschiedliche Positionen zusammenzuführen, wird teilweise als Schwäche und teilweise als Stärke des Berichtes ausgelegt. Dem Bericht kommt jedoch unzweifelhaft das große Verdienst zu, durch die Problemanalyse und die aufgeführten Grundforderungen eine weltweite Diskussion über angemessene Wege zu einer Nachhaltigen Entwicklung initiiert zu haben. Die Brundtland-Kommission brachte auch den Vorschlag einer Weltkonferenz ein, die 1992 stattfand und den sogenannten „Rio-Prozess" einleitete.

8

1.4

1 Entstehung und Zielsetzung des Leitbildes Nachhaltige Entwicklung

Der Rio-Prozess

Auf der United Nations Conference on Environment and Development (UNCED) in Rio de Janeiro im Jahre 1992 verpflichteten sich 178 Nationen zu dem Leitbild Nachhaltige Entwicklung. Die Weltkonferenz führte dazu, dass das Leitbild Nachhaltige Entwicklung international eine große Popularität und eine wachsende politische Gestaltungsorientierung erfahren hat. Besondere Beachtung erfuhr die handlungsleitende Agenda 21. Dieses Aktionsprogramm stand unter der Maßgabe, Umwelt- und Entwicklungsaspekte, also die Ziele von Industrie- und Entwicklungsländern zusammenzufuhren. Das Programm besteht aus einer Vielzahl politischer Bekenntnisse, Ziele und Vorhaben. Es erstreckt sich über 350 Seiten und bindet unterschiedlichste Themen und Anspruchsgruppen ein (UNCED 1992). Auf der Rio-Konferenz wurden eine Reihe von weiteren Beschlüssen wie die Rio-Deklaration zu Umwelt und Entwicklung (das Recht auf Entwicklung der heutigen und der zukünftigen Generationen entsprechend ihrer Bedürfnisse), die Klimarahmenkonvention (Stabilisierung der Treibhausgasemissionen zur Vermeidung einer Störung des Klimasystems), die Konvention über biologische Vielfalt (Biodiversitätskonvention) und die Waldkonvention (Bewirtschaftung und Erhaltung der Wälder nach dem Nachhaltigkeitsgrundsatz) gefasst. Keines der verabschiedeten Dokumente enthält jedoch konkrete und überprüfbare Verpflichtungen. Auch die Konventionen haben nur den Charakter von Rahmenbedingungen. Daher kam es nach der Rio-Konferenz zu einer Reihe von Folgeaktivitäten, wie die Weltbevölkerungskonferenz 1994, den Weltsozialgipfel 1995 und die Klimakonferenz (KyotoProtokoll) 1997. Im Jahr 2002 fand die in Rio de Janeiro beschlossene Folgekonferenz, d. h. der zweite Weltgipfel für Nachhaltige Entwicklung statt. Auf der Johannesburg-Konferenz wurde ein Implementierungsplan verabschiedet, in dem neue Ziele und Programme fur Umweltschutz und Armutsbekämpfung enthalten sind. Bereits 1997, d. h. im Vorfeld der JohannesburgKonferenz gab es die Zielsetzung, dass alle Länder bis 2002 eine nationale Nachhaltigkeitsstrategie entwickeln sollen. Sie wurde auf der Johannesburg-Konferenz noch einmal eingefordert, da bis zu diesem Zeitpunkt nur wenige Länder eine Nachhaltigkeitsstrategie vorweisen konnten. Insgesamt zeichnete sich die Johannesburg-Konferenz durch eine Vielzahl von Kompromissen aus, die fur die Erreichung eines Konsenses zwischen den beteiligten Ländern wichtig war. Daraus erklärt sich, dass die Aufbruchstimmung („the Spirit of Rio"), die noch auf der UNCED 1992 vorherrschte, einer gewissen Ernüchterung gewichen war. Die nächsten Etappen auf internationaler Ebene sind die Jahre 2015 (Realisierung der „Millennium Development Goals") und 2017, in dem eine weltweite Bestandsaufnahme „25 Jahre nach Rio" stattfinden soll. Infolgedessen ist das Leitbild Nachhaltige Entwicklung überaus komplex und nicht in eine griffige Definition zu fassen. Es hat sich aber die Auffassung von der Nachhaltigen Entwicklung als „regulative Idee" durchgesetzt. Die Übereinkunft zur Nachhaltigen Entwicklung ist heute auch so zu interpretieren, dass die drei Dimensionen Ökologie, Ökonomie und Soziales gleichberechtigt in einer offenen Aushandlung unter Beteiligung aller Anspruchsgruppen zu berücksichtigen sind (Blank 2001, S. 374-376). Hierzu gab es jedoch in den vergangenen Jahren die Kontroverse „Ein-Säulen-Konzept versus Drei-Säulen-Konzept".

1.5 Exkurs: Die Kontroverse Ökologisch dominiertes Konzept versus Drei-Säulen-Konzept 9

1.5

Exkurs: Die Kontroverse Ökologisch dominiertes Konzept versus Drei-Säulen-Konzept

Im vielen älteren wie auch neueren Konzepten kommt der Natur bzw. den Öko-Systemen als Lebens- und Wirtschaftsgrundlage der Menschheit völlig zu Recht eine zentrale Bedeutung zu. Die ökonomische und soziale Dimension werden dabei der ökologischen Dimension so zugeordnet, dass der Umweltschutz Ökonomie- und sozialverträglich zu gestalten ist. Das Primat der Ökologie erklärt sich daraus, dass die Umwelt die Lebensgrundlage der Menschheit ist und ökologische Überlastungen - die primär durch menschliches Handeln verursacht werden - im Gegensatz zu vielen ökonomischen und sozialen Fehlentwicklungen oft nicht mehr reparabel sind. Daher wird das Primat der ökologischen Nachhaltigkeit auch heute, beispielsweise in Gutachten des Sachverständigenrates für Umweltfragen, vertreten. In diesem Kontext geht es also um die Belastungsgrenzen der Umwelt bzw. um die Stabilität der ökologischen Systeme bzw. der Tragekapazität. Im sogenannten „Drei-Säulen-Konzept" geht es um die gleichberechtigte Berücksichtigung der drei Dimensionen Ökologie, Ökonomie und Soziales. Die Bezeichung einer „Gleichrangigkeit" zwischen den drei Säulen wird oftmals synonym verwendet, was in Abschnitt 6.2 problematisiert und weiterentwickelt wird. Im Weiteren soll auch der Begriff „Säule" zugunsten der „Dimensionen" abgelöst werden und lediglich im etablierten „Drei-SäulenModell" oder „Drei-Säulen-Konzept" Verwendung finden. Für die Präferenz des Drei-Säulen-Konzeptes lassen sich zwei Gründe auffuhren (Grunwald, Kopfmüller 2006, S. 46): • •

Die Realisierung der postulierten Gerechtigkeit und der auferlegten Verantwortung erfordern die Einbeziehung der drei Nachhaltigkeitsdimensionen. Die Sicherung des menschlichen Daseins, besonders hinsichtlich zukünftiger Generationen und der zu vermeidenden Risiken, erfordert auch ökonomische und soziale Ressourcen als Basis einer Bedürfnisbefriedigung.

Teilweise wird noch die politisch-institutionelle Dimension als vierte Dimension hinzugefügt. Abschließend sei noch erwähnt, dass aus der Kritik an dem Drei-Säulen-Modell heraus „integrative Nachhaltigkeitskonzepte" entwickelt wurden, wonach die normativen Prämissen Zukunftsverantwortung und Verteilungsgerechtigkeit die drei Dimensionen überlagern. Aber auch diese Konzepte konnten sich nicht durchsetzen. Die Dreidimensionalität findet - wie schon erwähnt - heute einen breiten Konsens und hat sich weltweit und somit auch in Deutschland durchgesetzt (Kopfmüller et al. 2001, S. 47)·, die Kritik am Konzept der drei Dimensionen wird an späterer Stelle noch einmal diskutiert (siehe Abschnitt 6.2). Für die inhaltliche Abgrenzung und konzeptionelle Darstellung werden die drei Nachhaltigkeitsdimensionen verwendet, da sie auch die Grundlage fur zahlreiche Definitionen zur Nachhaltigen Entwicklung darstellen (Tremmel 2003, S. 100-116). Das Leitbild der Nachhaltigen Entwicklung ist im Kontext bereits realisierter Politiken zu betrachten, was der nachfolgende Abschnitt für Deutschland aufzeigt.

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1 Entstehung und Zielsetzung des Leitbildes Nachhaltige Entwicklung

1.6

Die bisherige Dominanz der Umweltpolitik

Nachhaltigkeit ist in Industrieländern über viele Jahre durch die ökologische Nachhaltigkeit dominiert worden, d. h., Umweltschutzpolitik ind zunächst im Vordergrund der Politik Nachhaltiger Entwicklung. Der früher in Der Siegerländcr H a u b e r g als historisches Beispiel einer nachhaltigen Wirtschaftsweise Deutschland häufig verwendete Begriff einer Wirtschaftliche Notwendigkeiten und vorsorgliche „dauerhaft umweltgerechten Entwicklung" als Übersetzung fur „Sustainable Development" Nutzung des kargen Bodens führten zu einer genossenschaftlichen Nutzung von Niederwäldern, was deutet schon auf diese Ausrichtung hin. Bei1562 erstmals eine „Haubergsordnung" vorschrieb. spielsweise wurde in Deutschland schon zu Hiernach wurden die Wälder nach dem natürlichen Umtriebszyklus von ca. 15 Jahren in sogenannte Beginn der 1970er-Jahre durch die Einführung „Haue" aufgeteilt. Jeder Genossenschaftsangehörieiner aktiven Umweltschutzpolitik die ökologer erhielt für bestimmte Zeit ein gleichwertiges gische Komponente in der Wirtschaftsordnung Stück, das es systematisch für Brennstoff- und Holzverankert und somit das Konzept der Sozialen gewinnung, Gerberstoffe, Landbau und Viehzucht zu nutzen galt. Die Haubergswirtschaft konnte sich Marktwirtschaft - in gewissen Grenzen - hin mehrere Jahrhunderte behaupten, bis sie durch den zu einer Öko-Sozialen Marktwirtschaft erweiindustriellen Strukturwandel verdrängt wurde (Rotttert. Hierbei ist jedoch zu berücksichtigen, dass länder 1997, S. 475-489). sowohl hinsichtlich der Ausgestaltung der sozialen Dimension als auch der Umweltpolitik eine intensive Kontroverse entstand, in der sich gegensätzliche Positionen bis heute unversöhnlich gegenüberstehen. Während sich die Situation in den anderen Industrieländern mit einer gewissen Differenzierung ähnlich verhält, fallt die Mehrzahl der Entwicklungsländer noch deutlich davon ab. Heute zeichnen sich real existierende marktwirtschaftliche Systeme in Entwicklungsländern dadurch aus, dass sie die drei Dimensionen Nachhaltiger Entwicklung, d. h. Ökologie, Ökonomie und Soziales, zumindest in rudimentärer Form aufweisen. Es besteht jedoch noch keine ausgewogene Berücksichtigung der drei Dimensionen. Die ökonomische Dimension marktwirtschaftlicher Entwicklungsländer basiert zumindest in idealtypischer Weise u. a. auf den marktwirtschaftlichen Prinzipen des Wettbewerbs, des freien Marktzugangs und dem Leistungsprinzip. Die soziale Dimension findet zumindest ansatzweise in sozialstaatlichen bzw. sozialpolitischen Maßnahmen, wie der Einkommens- und Vermögensumverteilung durch die Steuerprogression, dem Sozialversicherungssystem und den sozialstaatlichen Sozialleistungstransfers, ihre Berücksichtigung und Umsetzung. Hiervon profitieren die Menschen in Entwicklungsländern jedoch in sehr unterschiedlichem Maße (vgl. u. a. Adam et al. 2002). Neben den sozialstaatlichen Bereichen sind bei der sozialen Dimension ζ. T. noch die Formen bürgerschaftlichen Engagements und weitere Bereiche gesellschaftlicher Aktivitäten zu berücksichtigen. Die ökologische Dimension, d. h. die Umweltpolitik wird in der Regel bisher völlig unzureichend umgesetzt. Gebhard Kirchgässner stellt in diesem Kontext die Frage, ob der Markt ökologisch und sozial verantwortliches Handeln fordert oder ob er es zumindest zulässt. Obwohl er das vielfaltige soziale und ökologische Verantwortungsbewusstsein einzelner Unternehmer erkennt, kommt er zu der zutreffenden Erkenntnis: „ So nützlich Märkte auch für die wirtschaftliche Entwicklung sind und so wichtig die Rolle ist, die dabei der Wettbewerb spielt, Wettbewerbsmärkte vermitteln von sich aus

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1.7 Umsetzung durch Nachhaltigkeitsstrategien zu wenig Anreize im Hinblick auf ökologisch und sozial nachhaltiges (Kirchgässner 2002, S. 393). '*

Handeln

Daraus begründet sich für die Politik die Aufgabe, Bedingungen bzw. Anreize zu schaffen, wonach es fur die Wirtschaftssubjekte attraktiv wird, ihr Handeln so auszurichten, dass es Nachhaltige Entwicklung fördert. Besondere Bedeutung hat in den 1990er-Jahren in Deutschland die Diskussion um die Ökologische Modernisierung als technisch-ökonomischer Fortschritt erlangt. Diese zielt auf ein alternatives Verständnis von Politik und insbesondere Umweltpolitik ab, das von komplexen, dynamischen und vernetzten Innovationsprozessen ausgeht. Daraus kann gefolgert werden, dass eine klare Zielsetzung sowie strategiereiche, anreizbasierte und transparente Politikinstrumente nötig sind. Ein konsensorientierter Politikstil soll diese Instrumente stärken sowie die Ziele transparent und flexibel erfassen helfen. Hierbei setzt die Wirksamkeit der innovationsorientierten Politik ein enges und integrierendes Netzwerk der Akteure voraus (Jänicke 1999, S. 162-164 und Jänicke 2000, S. 284-288). Ein Beispiel fur ein solches Netzwerk ist das vom Bundes minis terium für Bildung und Forschung (BMBF) eingerichtete Programm „Forschung fur Nachhaltigkeit" (FONA) mit jährlichen KonferenEine Nachhaltigkeitsstrategie, wie sie im nächsten Abschnitt vorgestellt wird, sollte an den oben gegebenen Empfehlungen ansetzen und sie fur den Wirkungsverbund der Nachhaltigen Entwicklung verfugbar machen.

1.7

Umsetzung durch Nachhaltigkeitsstrategien

Die neuere Diskussion über die Nachhaltige Entwicklung konnte das vorherrschende ökologische Verständnis durch ein umfassenderes Verständnis ablösen. Das Drei-Säulen-Modell, wonach ökologische, ökonomische und soziale Aspekte gleichrangig zu berücksichtigen sind, gewann zunehmend an Bedeutung. Dies spiegelte sich in den Konferenzen und Aktivitäten, die auf die UNCED aus dem Jahr 1992 bzw. im Rahmen des Agenda 21-Prozesses folgten, wider. Es wurden Ansätze entwickelt und teilweise implementiert, die zunehmend versuchen die Forderung der Agenda 21 in Politik, Gesellschaft und Wirtschaft zu integrieren. Beispielsweise wurden zahlreiche Aktivitäten zur Lokalen Agenda 21 initiiert und durchgeführt. Aber auch auf nationaler und internationaler Ebene entstanden zunehmend handlungsorientierte Ansätze der Politik, Wirtschaft und des bürgerschaftlichen Engagements. Schließlich beschleunigte das World Summit on Sustainable Development (WSSD), das im Jahr 2002 in Johannesburg stattfand, in jenen Ländern, die bis zu dem vorgesehenen Zeitpunkt keine nationale Nachhaltigkeitsstrategie vorliegen hatten, die Erstellung von Nachhaltigkeitsstrategien auf nationaler Ebene. Eine Nachhaltigkeitsstrategie soll gemäß Agenda 21 die Nachhaltige Entwicklung kooperativ, partizipativ und umfassend umsetzen: „Die Regierungen sollten soweit angebracht in Zusammenarbeit mit internationalen Organisationen eine nationale Strategie für nachhaltige Entwicklung verabschieden, die unter anderem auf der Umsetzung der Konferenzbeschlüsse aufbaut, insbesondere

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1 Entstehung und Zielsetzung des Leitbildes Nachhaltige Entwicklung soweit diese die Agenda 21 betreffen. Diese Strategie sollte von den verschiedenen sektoralen Politiken und Plänen eines Landes im Wirtschafts-, Sozial- und Umweltbereich ausgehen und diese miteinander abstimmen. Die im Rahmen bereits existierender Planungsvorhaben, wie etwa einzelstaatlicher Berichte für die Konferenz, Naturschutzstrategien und Umweltaktionspläne, gewonnenen Erfahrungen sollten umfassend genutzt und in eine von den Ländern gesteuerte Nachhaltigkeitsstrategie eingebunden werden. Zu den Zielen dieser Strategie sollte es gehören, eine sozialverträgliche wirtschaftliche Entwicklung bei gleichzeitiger Schonung der Ressourcenbasis und der Umwelt zum Nutzen künftiger Generationen sicherzustellen. Sie sollte mit möglichst großer Beteiligung entwickelt werden. Außerdem sollte sie von einer genauen Bewertung der aktuellen Situation und aktueller Initiativen ausgehen (UNCED 1992, Kapitel 8.7). "

Obwohl das Leitbild Nachhaltige Entwicklung bisher nur langsam umgesetzt wurde, schreitet die Implementierung voran: In Abb. 1-1 wird ersichtlich, dass hauptsächlich europäische Staaten und andere Industrieländer eine nationale Nachhaltigkeitsstrategie entwickelt und nun den Umsetzungsprozess eingeleitet haben. Die EU hat beispielsweise 2006 ihre erste Nachhaltigkeitsstrategie von 2001 fortgeschrieben und Deutschland hat - ähnlich wie viele andere europäische Staaten - Ende 2008 die bereits dritte Fassung vorgelegt. Für Deutschland ist jedoch kritisch anzumerken, dass die nationale Nachhaltigkeitsstrategie und die Konzeption der sozialen Marktwirtschaft bisher weitgehend unverbunden nebeneinanderstehen und die Beziehung zueinander ungeklärt ist (von Hauff2007). Einige Länder, die bisher noch keine nationale Nachhaltigkeitsstrategie vorgelegt haben, konnten zumindest erste Koordinations- und Beratungsprozesse einleiten. Die übrigen Länder haben zumeist nur Instrumente wie Umwelt- oder Entwicklungspläne aufgestellt (UNDESA 2004). Weltweit ist somit der Prozess der Entwicklung und Umsetzung nationaler Nachhaltigkeitsstrategien noch nicht sehr weit fortgeschritten. Hinzu kommt noch, dass die folgende Abbildung beispielsweise für den asiatischen Kontinent ein zu positives Bild vermittelt: Bisher kann auf dem asiatischen Kontinent der Umsetzungsprozess nur in Japan und Südkorea als fortgeschritten bezeichnet werden. In den anderen asiatischen Ländern ist er noch im Anfangsstadium oder hat noch nicht begonnen. Hierfür gibt es mehrere Gründe: •



Es gibt in diesen Ländern starke Interessen einzelner Gruppen, die sich gegen die Berücksichtigung der drei Dimensionen stellen und sich eindeutig fur eine Beibehaltung der Dominanz der ökonomischen Dimension einsetzen. Daher lassen sich Umweltschutzmaßriahmen, aber auch soziale Maßnahmen oft nur unzureichend in eine Nachhaltigkeitsstrategie einbringen und umsetzen. Dabei wird von den Entscheidungsakteuren in diesen Ländern jedoch häufig übersehen, dass nur die gleichberechtigte Berücksichtigung der drei Dimensionen mittel- bis langfristig eine stabile wirtschaftliche Entwicklung ermöglicht. Oft sind die politischen Akteure nicht bereit, einen partizipativen Prozess zur Entwicklung und Umsetzung einer Nachhaltigkeitsstrategie einzuleiten. Weiterhin mangelt es ihnen an methodischen und konzeptionellen Kenntnissen, eine Nachhaltigkeitsstrategie zu entwickeln und umzusetzen.

1.7 Umsetzung durch Nachhaltigkeitsstrategien •

13

Daher sind die komplexen Beziehungsstrukturen zwischen Ökologie, Ökonomie und Sozialem im Rahmen einer konsistenten Strategie stärker zu diskutieren und zu verdichten sowie die Nachhaltigkeitsstrategie effektiv zu institutionalisieren (Bregha et al. 2004, S. ix-xiv; Europäische Kommission 2004, S. 19-21).

Juli 2003:

•: •: •·

keine Information verfügbar / keine Maßnahmen ergriffen keine Nachhaltigkeitsstrategie umgesetzt, aber Koordinations- und Beratungsprozesse zur Nachhaltigen Entwicklung Nachhaltigkeitsstrategie in der Entwicklung Nachhaltigkeitsstrategie umgesetzt

Quelle:

in Anlehnung an UNDESA 2004; UNDESA 2006

Abb. 1-1

Weltweite Umsetzung von Nachhaltigkeitsstrategien

2003 und 2006

2

Ökologische, ökonomische und soziale Nachhaltigkeit

Nachhaltige Entwicklung stellt aus ökonomischer Sicht in einem ersten Schritt auf die Sicherung der Lebens- und Produktionsgrundlagen ab. Damit ist der Anspruch Nachhaltiger Entwicklung, die Umwelt global und dauerhaft zu erhalten und auf dieser Grundlage das Wirtschafts- und Sozialsystem zu entwickeln und zu stabilisieren. Der Anspruch einer Nachhaltigen Entwicklung geht jedoch über diese Herausforderungen hinaus und fordert wie im ersten Kapitel schon erwähnt - ausdrücklich die intra- und intergenerationelle Gerechtigkeit. In der ökonomischen Diskussion gibt es hierzu sowohl zur Beziehung von Ökologie und Ökonomie als auch zur sozialen Gerechtigkeit verschiedene Kontroversen. Bis heute stehen sich beispielsweise hinsichtlich der Beziehung von Ökonomie und Ökologie die neoklassische Ökonomik und die Ökologische Ökonomik unvereinbar gegenüber (vgl. u. a. Bartmann 2001, S. 50 ff. oder 11Ige, Schwarze 2004). Die Differenzierung und Zielbestimmung einer Nachhaltigen Entwicklung anhand der drei Säulen bzw. Dimensionen dient als Ausgangspunkt der weiteren inhaltlichen Konkretisierung. Die beiden darauffolgenden Abschnitte stellen die Genese der Wirtschaftstheorie, v. a. die Diskussion zwischen Ökologie und Ökonomie, dar. Aber auch in der Diskussion über intra- und intergenerationelle Gerechtigkeit gibt es konträre Positionen, die dem Anspruch Nachhaltiger Entwicklung unterschiedlich gerecht werden. Dabei bildet die Gerechtigkeit für heutige und zukünftige Generationen die normative Grundlage jeder Nachhaltigkeitsdiskussion. Für die quantitative Konkretisierung der drei Dimensionen hat sich die Abgrenzung der unterschiedlichen Kapitalarten durchgesetzt: Das Ziel in den drei Handlungsbereichen ist demnach, ökologisches, ökonomisches und soziales Kapital zumindest zu erhalten oder zu vermehren. Hierbei wird von Kapital jedoch in einem weiteren Sinne gesprochen, als der Begriff sonst in der Wirtschaftstheorie verwendet wird: Kapital in diesem Kontext kann neben Geldeinheiten (zumeist in der Ökonomie verwendet) auch physikalische Einheiten (häufig bei ökologisch relevanten Betrachtungen) sowie zeitliche und qualitative Größen (das Soziale bedient sich oftmals ihrer) umfassen, da die Monetarisierung bisher kein hinreichendes Verfahren für eine Vereinheitlichung bietet. Analog zu den drei Dimensionen einer Nachhaltigen Entwicklung werden somit drei größere Kapitalarten definiert (stellvertretend: Hediger 1999, S. 1123-1125; Hediger 2000, S. 482-485): •

Das ökologische Kapital umfasst den in Ökosystemen vorhandenen Bestand an erneuerbaren Ressourcen, Land und ökologische Faktoren wie Nahrungskreisläufe, Klima-

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2 Ökologische, ökonomische und soziale Nachhaltigkeit systeme, solare Einstrahlung, Gleichgewichte und Tragfähigkeit. Die ökologischen Faktoren wirken entweder direkt (ζ. B. solare Einstrahlung) oder aber indirekt als Dienstleistung der Ökosysteme (ζ. B. Früchte eines Baumes). Darüber hinaus schließt das „Naturkapital" das ökologische Kapital eines geografisch abgegrenzten Raums zuzüglich der darin verfugbaren nicht-erneuerbaren Ressourcen ein. Das Ökonomische Kapital bildet das wirtschaftliche Produktionskapital in Form von Sach-, Wissens- und Humankapital (ζ. B. technische Anlagen, Patente und qualifizierte Mitarbeiter) sowie die in die Wirtschaft eingebrachten Ressourcen ab. Immaterielles Vermögen ist hierbei ein Bestandteil ökonomischen Kapitals, was auf die weite Definition des Kapitalbegriffs hinweist. Das Sozialkapital ist weniger eindeutig abgegrenzt: In der Volkswirtschaftslehre versteht man unter Sozialkapital bislang die vorwiegend materielle Infrastruktur wie Sachanlagen und öffentliche Einrichtungen. Neuere Publikationen aus der Politikwissenschaft fordern hingegen einen umfassenderen und „weicheren" Ansatz. Demnach sollen die Grundbedürfnisse befriedigt, die gesellschaftliche Integration gefördert und die Weiterentwicklung der Gesellschaft ermöglicht werden (Empacher, Wehling 2002, S. 38-46).

Quelle:

in Anlehnung

an Hediger 1999, S. 1124

Abb. 2-1

Überschneidungen

zwischen den

Kapitalarten

2.1 Ökologische, ökonomische und soziale Nachhaltigkeit

17

Zwischen den drei Kapitalarten bestehen Überschneidungen. Beispielsweise kann das ökologische Kapital Holz zum Produktivkapital der Möbelindustrie werden. Daher ist einerseits eine integrierende Betrachtung erforderlich, in der andererseits die einzelnen Kapitalformen ausreichend voneinander abgegrenzt sind. Abb. 2-1 zeigt die Komplexität auf, die sich schon bei der Abgrenzung ökologischen und ökonomischen Kapitals ergibt. Es wird deutlich, dass jeder Versuch einer Systematisierung nur als eine Annäherung zu betrachten ist, die für Analysen und Modellierungen notwendig ist - die drei Dimensionen der Nachhaltigkeit bilden hierfür drei sinnvolle Kategorien (Barbier 1987, S, 89f.). Im Weiteren soll der Einfachheit wegen nur noch von den drei Kapitalarten gesprochen werden, ökologisches und natürliches Kapital werden synonym verwendet. Mit den drei Kapitalarten sind spezifische Ziele verbunden, wie in Abschnitt 2.1 dargestellt wird. An den unterschiedlichen Zielvorstellungen und im Widerstreit von Ökologie und Ökonomie lässt sich sodann die Genese wirtschaftstheoretischer Begründungen nachzeichnen - Abschnitt 2.2 gibt die eher wachstumsoptimistische „schwache Nachhaltigkeit" und Abschnitt 2.3 die stärker ökologisch ausgerichtete „starke Nachhaltigkeit" wieder. Anschließend werden in Abschnitt 2.4 Konzepte vorgestellt, mit denen sich die beiden widerstreitenden Ansätze zusammenführen lassen.

2.1

Ökologische, ökonomische und soziale Nachhaltigkeit

Die Differenzierung nach den drei Dimensionen hat sich seit Mitte der 1990er-Jahre international durchgesetzt (vgl. hierzu auch Blank 2001, S. 375ff.)'. Diese Aufteilung in ein dreifaches Modell, zumeist als „Drei-Säulen-Modell" bezeichnet, ist seitdem Kristallisationspunkt der Vielzahl von Nachhaltigkeitsdefinitionen (Tremmel 2003, S. 100-116) und der pragmatische Ausgangspunkt vieler Nachhaltigkeitsstrategien bzw. -konzepte auf staatlicher wie auch betrieblicher Ebene: Während im Rahmen des „Magischen Dreiecks" analog zum „Magischen Viereck" des Stabilitäts- und Wachstumsgesetzes von 1967 - im Idealfall eine gleichzeitige Realisierung der drei Nachhaltigkeitsdimensionen angestrebt wird (vgl. beispielsweise Enquete-Kommission 1994) sprechen Unternehmen zumeist von der „Triple Bottom Line" (Elkington 1994). Ökologische Nachhaltigkeit Der Mensch ist ohne einen bestimmten Zustand der Natur bzw. der ökologischen Systeme nicht überlebensfahig. Die Natur hat jedoch teilweise schon ein Niveau der Übernutzung erreicht, das für die Menschheit - besonders der nächsten Generationen - zunehmend bedrohlich wird. Die menschliche Nutzung der Natur, wie der Abbau von Rohstoffen, die Umlenkung von Stoff- und Energieströmen, die Veränderung von großräumigen natürlichen Strukturen oder die Belastung von Schutzgütem, wie die Atmosphäre, verändern und belasten die ökologischen Systeme zunehmend. Der in seiner Geschwindigkeit einzigartige Transformationsprozess und die sich daraus ergebenden Bedrohungspotenziale zwingen dazu, das Verhältnis der Menschheit zu ihren natürlichen Lebensgrundlagen neu zu bestim-

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2 Ökologische, ökonomische und soziale Nachhaltigkeit

men. Neben den ökonomisch relevanten Aspekten bietet die Natur aber auch andere Aspekte: die Natur als Lebensraum oder als Ort ästhetischen Genusses (Grunwald, Kopfmüller 2006, S. 43). Diese werden in den folgenden Ausführungen jedoch vernachlässigt. Die ökologische Nachhaltigkeit zielt somit auf die Erhaltung des ökologischen Systems bzw. ökologischen Kapitalstocks ab. Das ist dadurch begründet, dass das ökologische System die Lebensgrundlage (Life Support System) aller menschlichen Aktivitäten bildet. Anders formuliert: Das ökonomische System kann für sich alleine nicht nachhaltig sein, da seine dauerhafte Existenz von dem Zusammenspiel der Wirtschaft mit dem ökologischen System abhängt (Majer 2003, S. 973). Es dient weiterhin als Aufnahmemedium (Senke) anthropogener Emissionen und als Quelle natürlicher Ressourcen, die den Menschen direkten oder indirekten Nutzen stiften. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, wann das Optimum des Nutzens erreicht ist. In der Umweltökonomie herrscht hier jedoch Uneinigkeit zwischen den Vertretern schwacher und starker Nachhaltigkeit (Common, Stagl 2005, S. 378). Schwache Nachhaltigkeit bedeutet, dass Naturkapital durch Sachkapital substituiert werden kann, solange der gesamte Kapitalbestand (Sach- und Naturkapital) fur zukünftige Generationen erhalten bleibt (vgl. hierzu die Abschnitte 2.2 und 2.4). Wird beispielsweise durch den Bau einer Straße ein Teil eines Waldes abgeholzt, reduziert sich zwar das Naturkapital, aber es entsteht zusätzliches Sachkapital. Führt die Substitution zu einem gleichbleibenden Kapitalbestand, liegt schwache Nachhaltigkeit vor. Auch Vertreter der starken Nachhaltigkeit erkennen die Notwendigkeit des Verbrauchs von Naturkapital im Rahmen des Wirtschaftsprozesses. Sie fordern jedoch die Einhaltung von Handlungsregeln, wie sie in Abschnitt 2.2 noch aufgezeigt werden. Weiterhin fordern sie jene Ökosysteme konsequent zu schonen, die für das Überleben der Menschheit lebensnotwendig sind. Ökonomische Nachhaltigkeit Das Ziel der ökonomischen Nachhaltigkeit ist die Aufrechterhaltung einer ausreichenden bzw. gewünschten Lebensqualität im Zeitablauf. Das erfordert eine grundsätzliche Änderung der bestehenden Produktionsweise und Konsumstile, die nicht als nachhaltig bezeichnet werden können. Eine gewünschte Lebensqualität erfordert neben der Erhaltung der materiellen auch die Erhaltung der immateriellen Lebensgrundlagen (Vornholz 1997, S. 47). Hierzu gibt es in der Literatur verschiedene Begründungszugänge, die exemplarisch aufgezeigt werden sollen. Teilweise wird die Einkommenskonzeption des britischen Ökonomen John Hicks herangezogen (vgl. Hicks 1946, Kap. 1), die wie folgt zu beschreiben ist: „Der Zweck der Einkommensermittlung in der Praxis besteht darin, den Menschen Hinweise zu geben, wie viel sie konsumieren können, ohne zu verarmen. Auf der Grundlage dieses Ansatzes sollten wir das Einkommen eines Menschen als den maximalen Wert definieren, den er während einer Woche konsumieren kann und bei dem er am Ende der Woche genauso wohlhabend ist wie am Anfang. Wenn eine Person spart, plant sie, in der Zukunft wohlhabender zu sein; wenn sie über ihr Einkommen hinaus konsumiert, plant sie, weniger wohlhabend zu sein. Wenn wir uns daran erinnern, dass der praktische Zweck des Einkommens darin besteht, eine kluge

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2.1 Ökologische, ökonomische und soziale Nachhaltigkeit Lebensflihrung zu ermöglichen, dann ist auch ziemlich klar, dass die Bedeutung genau darin bestehen muss (Costanza et al. 2001, S. 142). "

zentrale

Danach ist fur ein Individuum das Einkommen also genau die Summe, die maximal konsumiert werden kann, ohne den zukünftigen realen Konsum zu schmälern. In der Übertragung auf den gesellschaftlichen Kontext wird als Einkommen nur das bezeichnet, was in einer Gesellschaft in einer Periode konsumiert werden kann, ohne dass ihre Vermögensposition verschlechtert wird. Eine Konkretisierung bedeutet, aus dem Sozialprodukt die Berechnung des nachhaltigen Volkseinkommens abzuleiten (Endres 2007, S. 316). Philip Lawn stellt hier jedoch die Frage, welche Auswirkungen der Konsum auf die Umwelt bzw. auf den Verbrauch von Naturkapitel hat. Werden durch ein bestimmtes Konsumniveau lebenswichtige Ökosysteme abgebaut, dann werden dadurch die menschlichen Lebensgrundlagen gefährdet (Lawn 2001, S. 18 ff.). Weiterhin stellen Giovanni Ruta und Kirk Hamilton in Frage, ob Wohlstand und damit das Konsumniveau das Wohlbefinden eines Individuums allein determinieren. Daraus folgt fiir sie der Paradigmenwechsel „from Wealth to Sustainability" (Ruta, Hamilton 2007, S 47). Von dem materiellen Wohlstand eines Individuums ist somit der gesellschaftliche Wohlfahrtsbegriff abzugrenzen, der weit darüber hinausgeht, indem er neben der quantitativen Dimension der materiellen Ausstattung des Individuums auch die subjektiv bewertete Lebenslage (Lebensqualität) einbezieht. Damit werden die materiellen Dimensionen wie Arbeit, Einkommen und Konsum durch immaterielle Dimensionen wie Freiheit, soziale Gerechtigkeit und sozialer Konsens, aber auch durch eine entsprechende Umweltqualität ergänzt (Feser 2008, S. 4). Dieser Wohlfahrtsbegriff geht entsprechend auch über den Indikator „Sozialprodukt" hinaus. Zur Messung der Lebenslage bzw. Lebensqualität stehen mehrere Indikatoren zur Verfugung (siehe Abschnitt 7.1). Ein anderer Ausgangspunkt fur die ökonomische Nachhaltigkeit ist die Wachstumstheorie. Deren Kernaussage ist, dass im langfristigen Gleichgewicht eine Steigerung des Pro-KopfWachstums ausschließlich durch technischen Fortschritt möglich ist. Hierzu gibt es in den Wirtschaftswissenschaften zumindest seit dem ersten Bericht an den Club of Rome „Grenzen des Wachstums" eine intensive Kontroverse über die Notwendigkeit von steigenden Wachstumsraten. In diesem Zusammenhang ist noch einmal daran zu erinnern, dass in dem Bericht der Brundtland-Kommission die Relevanz des technischen Fortschritts und des wirtschaftlichen Wachstums besonders zur Armutsbekämpfung hervorgehoben wird. Die Notwendigkeit des Wachstums wird jedoch nicht nur im Kontext der Bekämpfung von Armut in Entwicklungsländern, sondern auch mit der Notwendigkeit für die Verwirklichung intragenerationeller Gerechtigkeit in Industrieländern begründet. Das fuhrt zu der Frage, wie technischer Fortschritt auf die Inanspruchnahme der Produktionsfaktoren Arbeit, Sachkapital und natürliches Kapital wirkt. Geht man davon aus, dass der technische Fortschritt arbeits- oder kapitalvermehrend ist, während die Produktivität des natürlichen Kapitals nicht bzw. nicht in gleichem Maße steigt, induziert Wachstum einen höheren Einsatz natürlicher Ressourcen bzw. eine höhere Beanspruchung der Aufnahmekapazität der Umweltmedien (Hillebrand et al. 2000, S. 32). Langfristig führt das zu einer Überlastung der Umwelt. Durch einen umweltorientierten technischen Fortschritt kann es

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2 Ökologische, ökonomische und soziale Nachhaltigkeit

aber auch zu einer Entkopplung von Wachstum und der Nutzung des natürlichen Kapitals bzw. der Natur als Senke kommen (siehe auch Abschnitt 3.3). Die Entkopplung kann neben technischen Innovationen durch soziale und institutionelle Innovationen noch verstärkt werden. Dagegen wird - wie in Abschnitt 2.3 noch ausfuhrlich erläutert wird - wirtschaftliches Wachstum, d. h. exponentielles Wachstum besonders von Vertretern der Ökologischen Ökonomie, wie Herman Daly, als nicht kompatibel mit dem Leitbild Nachhaltige Entwicklung abgelehnt: „Meiner Meinung nach bedeutet nachhaltige Entwicklung in jedem Fall einen radikalen Umschwung von einer Wachstumswirtschaft, und allem was sie beinhaltet, hin zu einer Wirtschaft im stationären Zustand (Daly 1999, S. 52). " Bei einer genaueren Analyse der Ausführungen von Daly wird man jedoch feststellen, dass auch eine Wirtschaft in stationärem Zustand keine statische Wirtschaft ist, die grundsätzlich kein Wachstum ermöglicht. Vielmehr kann auch nach Daly der Bestand an Erzeugnissen zeitweilig steigen: "Dieses Wachstum ist das Resultat eines technischen Fortschritts, welcher die Haltbarkeit und Instandsetzbarkeit (also die Langlebigkeit) der Erzeugnisse erhöht (Daly 1999, S. 53)." Dennoch wird hier bereits der Unterschied zwischen exponentiellem und dem bei Daly partiell möglichen Wachstum deutlich, was in den Abschnitten 2.2 ff. noch ausfuhrlich erläutert wird. Zusammenfassend lässt! sich somit feststellen, dass die Relevanz wirtschaftlichen Wachstums im Kontext Nachhaltiger Entwicklung eine große Bedeutung hat und bis heute kontrovers diskutiert wird. Soziale Nachhaltigkeit Zusätzlich zu der ökologischen und ökonomischen Nachhaltigkeit findet sich zunehmend die Forderung nach der sozialen Nachhaltigkeit und somit nach dem Erhalt des Sozialkapitals. Obwohl die soziale Nachhaltigkeit zunehmend mehr Aufmerksamkeit erfahrt, wurde sie bisher noch nicht in dem Maße diskutiert bzw. inhaltlich ausgestaltet wie die beiden anderen Nachhaltigkeitsdimensionen. Auch die soziale Nachhaltigkeit weist verschiedene Zugänge auf (Mutlak, Schwarze 2007, S. 13 ff). Grundgüter und Grundbedürfnisse Im Sinne des Grundbedürfniskonzeptes geht es um einen gerechten Zugang zu den sozialen Grundgütern. Das Grundbedürfniskonzept wurde später durch die theoretischen Arbeiten von Amartya Sen weiterentwickelt. Hervorzuheben ist besonders die Konzeption der Verwirklichungschancen (Capabilities), die in Kapitel 5 noch ausfuhrlicher vorgestellt wird. Dabei geht es um die Möglichkeiten oder Fähigkeiten der Menschen, ein Leben so fuhren zu können, dass die Selbstachtung nicht in Frage gestellt wird. Das ermöglicht besonders sozial schwachen Individuen oder Gruppen eine Erweiterung von Handlungsspielräumen und ein Herauslösen aus dem passiven Empfangerstatus. Dadurch wird es dem Individuum oder einer Gruppe möglich, ein sicheres, würdiges und selbstbestimmtes Leben zu gestalten (so genanntes „Empowerment").

2.1 Ökologische, ökonomische und soziale Nachhaltigkeit

21

In einem weiteren Sinne gehören zu den Grundgütern auch soziale Ressourcen, wie Toleranz, Solidarität, Integrationsfahigkeit, Gemeinwohlorientierung, Rechts- und Gerechtigkeitssinn. Sie sind wichtige Bedingungen für den dauerhaften Zusammenhalt gesellschaftlicher Teilsysteme oder der Gesellschaft als Ganzes. Das wesentliche Ziel der sozialen Nachhaltigkeit besteht nach Marina Fischer-Kowalski u. a. in der Erhaltung des sozialen Friedens. Sie subsumiert darunter eine „ akzeptable Lösung der Verteilungsprobleme zwischen Regionen, zwischen sozialen Schichten, Geschlechtern und Altersgruppen und Lösungen des Problems kultureller Integration, von Zugehörigkeiten und Identitäten (Fischer-Kowalski 1995, S. 5)." Das setzt für den Transformationsprozess zur Nachhaltigen Entwicklung konkrete Schutzund Gestaltungsziele voraus, was an jede Gesellschaft hohe Anforderungen stellt (vgl. hierzu Heins 1998, S. 25 ff.). Bei diesem Ansatz besteht das Problem - es wird auch schon bei der Definition von Nachhaltiger Entwicklung des Brundtland-Berichtes deutlich - in der Unklarheit einer Politikgestaltung, da auch die Entwicklung der Bedürfnisse zukünftiger Generationen unsicher sind. Sozialkapital Einen weiteren Zugang zur sozialen Nachhaltigkeit bietet das Konzept des Sozialkapitals. Unter Sozialkapital ist ganz allgemein der Bestand an sozialen Netzwerken, Vertrauen und kooperationsfördernden Werten und Normen einer Gesellschaft zu verstehen (Haug, Gerlitz 2007, S. 198ff.). Das Konzept wurde zunächst ganz wesentlich durch Pierre Bourdieu, James Coleman und Robert Putnam geprägt (Roßteutscher et al. 2008, S. 21 ff.). Dabei lassen sich zwei Richtungen unterscheiden: die Klassentheorie von Bourdieu 1980, Bourdieu 1983 und die Theorie der „Rational Choice" von Coleman 1988 und Putnam 1993. Während Bourdieu seinen Ansatz aus der Mikroperspektive begründet, d. h. aus der Sicht des Individuums, wählen Coleman und Putnam für die Analyse und Begründung von Sozialkapital die Makroperspektive, d. h., sie betrachten Sozialkapital aus der Sicht der Gesellschaft (Haug, Gerlitz 2007, S. 191 ff). Bourdieu beschäftigt sich in seiner Theorie mit der Reproduktion von Kapital. Er unterscheidet hierbei drei Arten von Kapital: ökonomisches, kulturelles und soziales Kapital. Eine weitere wichtige Kategorie für ihn ist das soziale Netzwerk des Individuums. Die Höhe des Sozialkapitals eines Individuums hängt dann von dem Kapital der anderen Beteiligten des sozialen Netzwerks ab. Dagegen untersucht Putnam die ökonomische Rationalität horizontaler Verbindungen und die dort vorherrschenden Normen und deren Produktivität für die Gesellschaft. In seinem Rationalkalkül geht er von der Beobachtung aus, dass Menschen ihre sozialen Kontakte instrumentalisieren, um ihre Ziele zu erreichen. Dadurch entsteht aus sozialen Beziehungen privates Vermögen. Coleman erweitert diesen Ansatz, indem er auch vertikale Verbindungen und das Verhalten anderer Akteure, wie Unternehmen, einbezieht. Hier stellt sich jedoch die Frage, ob das Rationalitätskalkül von Putnam, d. h. die Instrumentalisierung sozialer Kontakte zur Generierung von privatem Vermögen, mit dem Leitbild Nachhaltige Entwicklung kompatibel ist.

22

2 Ökologische, ökonomische und soziale Nachhaltigkeit

Im Gegensatz zu anderen Kapitalformen ist Sozialkapital dadurch gekennzeichnet, dass es sich auf eine mit Externalitäten verbundene soziale Interaktion bezieht. In Analogie zu ökonomischem und ökologischem Kapital gibt es die Gemeinsamkeit, dass ein für den Produktionsprozess langfristig nutzbarer Bestand akkumuliert werden kann (vgl. Haug 1997, S. 47). Hier stellt sich nun die Frage nach den Dimensionen des sozialen Kapitals, die mit dem Leitbild Nachhaltige Entwicklung kompatibel sind. Nach Woolcock lassen sich vier Dimensionen unterscheiden (vgl. Durth etal. 2002, S. 151-208): • • • •

die soziale Integration, horizontale soziale Verbindungen innerhalb von Gemeinschaften, die Beziehung zwischen Staat und Zivilgesellschaft, die Qualität der Regierungsinstitutionen.

Es geht also beispielsweise um die Existenz eines transparenten und für alle gleichermaßen zugänglichen Rechtssystems, in dem alle gleich behandelt werden, einer funktionsfähigen Wirtschaftsordnung, die sich durch Chancengleichheit und die Möglichkeit, diese auch zu verwirklichen, auszeichnet oder die Gewährleistung demokratischer Grundfreiheiten. Hier gibt es somit einen konkreten Bezug zur Neuen Institutionenökonomik (vgl. beispielsweise Richter, Furubotn 2003, Erlei et al. 2007). Diese beschäftigt sich mit Institutionen als einem System miteinander verbundener formaler und informeller Regeln und der Analyse und Darstellung der Wirkungszusammenhänge von institutionellen Strukturen (u. a. Normen, Werte, Organisationsaufbau) und dem darauf aufbauenden Handeln. In diesem Zusammenhang sind Organisationen und soziale Netzwerke von zentraler Bedeutung. Glücksforschung In neuerer Zeit wird beispielsweise auch die „Glücksforschung" in ihrer Relevanz für die Nachhaltige Entwicklung genannt (Frey, Luechinger 2007, S. 219ff.). Dabei werden Wege zur Messung von Glück und Zufriedenheit aufgezeigt, die dazu beitragen können, das Leitbild Nachhaltige Entwicklung inhaltlich zu füllen. Das traditionelle Konzept der Bestimmung ökonomischer Präferenzen kann hier nur einen sehr begrenzten Beitrag leisten und nicht-marktliche Güter bleiben unberücksichtigt. Dagegen hat die Glücksforschung einen wichtigen Beitrag dazu geleistet, aufzuzeigen, was das Individuum wirklich zufrieden und glücklich macht. Dabei spielt das soziale Wohlbefinden als nicht-marktliches Gut eine bedeutende Rolle: Das Individuum fühlt sich in der Regel nicht in der Einsamkeit wohl, sondern das soziale Wohlbefinden gründet im Kontakt zur eigenen Familie, zu Freunden oder zu den Nachbarn. Somit ist es notwendig, sich in die Gesellschaft einzuordnen und sich auch für die Gemeinschaft einzubringen. Einer der bedeutendsten Glücksforscher Richard Layard erklärt dies treffend und zeigt auf, warum wir die Gemeinschaft brauchen. Nur ein Teil des Lebens funktioniert nach dem Prinzip von Charles Darwin. „Aber der größte und vor allem der beste Teil ist zwischenmenschlicher Austausch, bei dem unter dem Strich mehr steht als Null und der zu unserem Wohlbefinden beiträgt (Layard 2005, S. 109 f f ) . " Unter dem Aspekt der intergenerationellen Gerechtigkeit stellt sich nun die Frage, wie das Sozialkapital erhalten werden kann und wie zukünftige Generationen von seinem heutigen Bestand profitieren können. Dabei ist zu berücksichtigen, dass sich Sozialkapital nicht im Besitz eines Individuums, sondern nur im Besitz eines sozialen Netzes oder der gesamten

2.1 Ökologische, ökonomische und soziale Nachhaltigkeit

23

Gesellschaft befinden kann. Da die Übertragung von Sozialkapital einer Gesellschaft auf die nächste Generation nur sehr begrenzt möglich ist, muss sich jede Generation ihr Sozialkapital weitgehend selbst aufbauen. Beziehungen der drei Dimensionen zueinander Die inhaltliche Abgrenzung der drei Dimensionen bzw. der drei Kapitalarten gibt noch keine Auskunft über deren Beziehung zueinander. Weiterhin stellt sich die Frage nach der optimalen Bewirtschaftung der drei Kapitalarten, die zu einem Optimum menschlichen Wohlergehens fuhren soll. Daher ist es wichtig, die Komplementarität der Kapitalarten zu analysieren und aufzuzeigen. Auffällig ist, dass die Beziehung zwischen ökologischem und ökonomischem Kapital in der Literatur umfassend behandelt wird, wie im nächsten Abschnitt aufgezeigt wird. Dagegen wurde die Bedeutung des sozialen Kapitals für die anderen Kapitalarten in der ökonomischen Literatur lange vernachlässigt. In der neueren Diskussion wird jedoch zunehmend die Rolle des sozialen Kapitals für die Erhaltung, die Akkumulation und Produktivität anderer Kapitalarten wie „menschengemachtes Kapital" (Sachkapital), Naturkapital und Humankapital aufgezeigt. Das lässt sich exemplarisch verdeutlichen. Saubere Luft und sauberes Wasser verbessern die menschliche Gesundheit und die Produktivität von Humankapital. Daraus lässt sich ableiten, dass die Synergien aus der Komplementarität von zwei oder mehr Kapitalarten die Lebensqualität erhöhen. Gleichzeitig ist jedoch festzustellen, dass für die meisten Kapitalarten abnehmende Grenzerträge gelten (Gesetz von den abnehmenden Grenzerträgen). Die Zuwächse an Wohlergehen oder Produktivität durch eine zusätzliche Kapitaleinheit nehmen bei zunehmendem Umfang des jeweiligen Kapitals ab. Das gilt bei der Annahme, dass alle anderen Kapitalarten konstant gehalten werden (IBRD 2003, S. 23). Allgemein kann man feststellen: Die Existenz von Sozialkapital kann positive, aber auch negative Effekte auslösen. Ein negativer Effekt ist beispielsweise die wachsende Macht von Lobbyisten, die auf Kosten sozialer Nachhaltigkeit im Sinne einer gleichgewichtigen politischen Handlungsfähigkeit geht. Positive ökonomische Effekte des Sozialkapitals bieten die Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) einhergehend mit dem Internet, das zu einer bisher nicht gekannten Vernetzung bzw. Bereitstellung von Informationen führte. Das hat die Transaktionskosten bei der Beschaffung von Informationen ganz wesentlich verringert. Vom Sozialkapital können aber auch positive Effekte auf das ökologische Kapital ausgehen. Die Intensivierung sozialer Beziehungen kann dazu führen, dass umweltschädliches Verhalten als unsozial empfunden wird, was zu einer Reduzierung der Umweltbelastung beitragen kann (vgl. Pearce, Atkinson 1998, S. 260). Die Beispiele für eine Komplementarität der verschiedenen Kapitalarten sollten jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass Nachhaltige Entwicklung im Kontext der ökonomischen Diskussion unterschiedlich begründet wird. Daher werden im folgenden Abschnitt die verschiedenen theoretischen Ansätze zur Begründung Nachhaltiger Entwicklung gegeneinander abgegrenzt und analysiert. Dabei geht es um die Frage, ob und in welchem Maße

24

2 Ökologische, ökonomische und soziale Nachhaltigkeit

die unterschiedlichen theoretischen Ansätze dem normativen Anspruch des Leitbildes Nachhaltige Entwicklung entsprechen.

2.2

Die neoklassische Position: schwache Nachhaltigkeit

Das Verständnis der neoklassischen Ökonomik vom Paradigma Nachhaltige Entwicklung wurde ganz wesentlich durch den 1972 erschienenen Bericht des Club of Rome geprägt (Meadows et al. 1972). Im gleichen Jahr diskutierte die Weltgemeinschaft in Stockholm erstmalig auf einer internationalen Konferenz der Vereinten Nationen über den Schutz der natürlichen Umwelt. Dabei wurde auf internationaler Ebene über die Interdependenz zwischen Entwicklungs- und Umweltaspekten besonders unter der Begrifflichkeit „Ecodevelopment" diskutiert. Dies war eine wichtige Grundlage für die spätere Nachhaltigkeitsdiskussion. Damit wurde die Notwendigkeit für einen verstärkten Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen weltweit auf eine politische Ebene gestellt. Als Reaktion auf den Bericht des Club of Rome fand 1974 das wegweisende "Symposium on the Economics of exhaustible Resources" statt, bei dem die Möglichkeiten des wirtschaftlichen Wachstums mit endlichen Ressourcen diskutiert wurde. So kam es zu der Positionierung der neoklassischen Theorie hinsichtlich Nachhaltiger Entwicklung. Grundverständnis des neoklassischen Nachhaltigkeitsbegriffs In der Ökonomie ging es also bereits zu Beginn der 1970er-Jahre um die Frage, wie die gegenwärtige Generation im Hinblick auf spätere Generationen wirtschaften solle. Der Bericht des Club of Rome zeigte erstmals die Private und externe Kosten: Grenzen der menschlichen HandlungsmöglichPrivate Kosten können über den Marktmechakeiten durch die begrenzten, nicht-erneuerbanismus dem einzelnen Individuum zugeordnet werden, die privaten Preise spiegeln die Knappren Ressourcen auf. Im Prinzip war der Bericht heit des betreffenden Gutes am Mark wider. „Grenzen des Wachstums" eine Fundamentalt3r Externe Kosten entstehen durch Effekte außerkritik an der herrschenden neoklassischen halb des Marktes und lassen sich nicht immer Ökonomik. Das Streben nach permanentem dem Verursacher zuordnen. Dazu zählt beiWachstum durch ökonomische Aktivitäten spielsweise die Verschmutzung der Luft als öffentliches Gut. wurde kritisch hinterfragt und als unvereinbar mit den natürlichen Grenzen des menschlichen Handelns angesehen. In der Folge entstanden ressourcenökonomische Modelle, die die Grundlage fur den nutzenorientierten Nachhaltigkeitsbegriff des neoklassischen Ansatzes bildeten. Die gegenwärtig vorherrschende Ressourcen- und Umweltökonomie basiert immer noch stark auf diesem Ansatz. Ausgangspunkt ist hier der Mensch und die Befriedigung seiner Bedürfnisse über einen optimalen Konsum. Dies entspricht einer anthropozentrischen Sichtweise. Die Modelle sind der Wohlfahrtsökonomik entlehnt, die sich mit der Sicherung und Steigerung einer Befriedigung menschlicher Grundbedürfnisse und von Lebensqualität befasst.

2.2 Die neoklassische Position: schwache Nachhaltigkeit

25

Soziale Wohlfahrtsfunktionen Soziale Wohlfahrtsfunktionen sind in der Wohlfahrtsökonomik von zentraler Bedeutung, um eine gesamtgesellschaftlich wünschenswerte ufteilung der vorhandenen Ressource zu ermitteln. In der Grundform (Bergson 1938 Größen der sozialen Wohlfahrtsfunktion: und Samuelson 1947) bildet die soziale Wohl- ^ Bestands- und Bewertungsgrößen: C: Konsum (engl.,,Consumption") fahrtsfunktion die zu maximierende Summe Κ: Sachkapital (auch „künstliches Kapital") aller mit yj gewichteten individuellen EinzelR: Naturressourcen (engl. „Resources") U: Nutzen (engl. „Utility") nutzen Uj ab. Jeder Einzelnutzen trägt stets W: Wohlfahrt (engl. „Weifare") positiv zur Wohlfahrt W bei, es gilt also:

c

0) Ε JC

3

•C υ (0

/

\

ro c

_ Φ φ Χ) -JO

Pläne und Investitionen

\

Μ

τι

οι 3 C 3 CD

Mechanismen der Strategie überwachen Befähigung

Generelle Integration, Kontrollen und Anreize

3. Implementierung Quelle:

in Anlehnung an Dalal-Clayton, Bass 2002, S. 75 und Bregha et al. 2004, S. 5

Abb. 6-14 Kontinuierlicher Verbesserungsprozess einer

Nachhaltigkeitsstrategie

Bei der fortlaufenden Verbesserung stehen die Aspekte der Führung sowie des Planungsund Implementierungsprozesses einer Nachhaltigkeitsstrategie im Mittelpunkt. Durch Kontrolle und Monitoring soll es schließlich zu Veränderungen kommen, die in den nächsten Zyklus einer Nachhaltigkeitsstrategie einfließen. Die Elemente in der Mitte des Schaubildes sollen diese Entwicklung stützen, was sowohl die besondere Bedeutung von einem Suchund Lernprozess herausstellt als auch die Notwendigkeit neuer Beteiligungs-, Kommunikations- und Führungsformen aufzeigt. Ein bedeutender Ausgangspunkt des gesamten Prozesses ist das Verständnis eines erweiterten Anthropozentrismus, wonach der Mensch im Zentrum steht, aber auch die lebensnotwendigen und -bereichernden Funktionen der Natur einbezogen werden. Viele Unternehmen setzen schon seit vielen Jahren das Konzept des kontinuierlichen Verbesserungsprozesses ein, insbesondere im Bereich betrieblicher Qualitäts- und Umweltmanagementsysteme. Deshalb ist der oben dargestellte Ansatz einer Nachhaltigkeitsstrategie in weiten Teilen auf Unternehmen übertragbar. Der - womöglich umfangreiche - Prozess einer Nachhaltigkeitsstrategie wird durch eine systematische Vorgehensweise unter Verwendung des Integrierenden Nachhaltigkeitsdrei-

132

6 Neue Systematisierung der Nachhaltigkeitsdimensionen

ecks oder anderer Instrumente unterstützt. Dies betrifft v. a. die Zusammenstellung von relevanten Handlungsfeldern und Indikatoren oder auch die Analyse bedeutender Anspruchsgruppen. Eine analytisch getriebene Systematisierung geht von einer Vision, dem Leitbild Nachhaltige Entwicklung, im entsprechenden Kontext aus. Diese Vorgehensweise kann in Anlehnung an den kontinuierlichen Verbesserungsprozess (Dalal-Clayton, Bass 2002, S. 7477) wie folgt ablaufen: •

• •







Zunächst ist die zugrunde liegende Rationalität klar zu benennen. In der politischen Nachhaltigkeitsdiskussion und in Nachhaltigkeitsstrategien dominiert bekanntlich der erweiterte Anthropozentrismus. Diese Sichtweise stellt den Menschen ins Zentrum und schließt in einer erweiterten Fassung die lebensnotwendigen und -bereichernden Funktionen der Natur mit ein (Kopfmüller et al. 2001, S. 159-163). Ist diese Grundlage geklärt, so ist eine Konkretisierung nötig. Eine Vision stellt den übergreifenden Leitsatz dar. Bei der Nachhaltigen Entwicklung umfasst dies das Bekenntnis zur intra- und intergenerationellen Gerechtigkeit. Dann ist die Vision in zusammenhängende Bereiche (Cluster) aufzuteilen, die eine verständliche und schlüssige Grobstruktur vorgeben. Beispielsweise kann die ökologische Dimension im Cluster „natürliche Lebensgrundlagen" zusammengefasst werden. Die Cluster sind daraufhin in die wesentlichen Handlungsfelder aufzugliedern, etwa nach den Umweltmedien Wasser, Luft und Boden. Dabei kann ein Handlungsfeld mehrere Problemstellungen integrieren, vorzugsweise mit bedürfnisorientierten Abgrenzungen wie „Mobilität" oder „Siedlungsentwicklung". Damit können die Forderungen zur integrierten Konzeption der Nachhaltigen Entwicklung mit dem Drei-Säulen-Modell umgesetzt werden. Indikatoren machen die Handlungsfelder schließlich plan-, kontrollier- und kommunizierbar (Renn et al. 2000, S. 9). Die Indikatoren sind deshalb essenzieller Bestandteil einer Strategie. Wegen des großen Spektrums möglicher Indikatoren ist die Auswahl signifikanter und verfügbarer Indikatoren wichtig. Das Integrierende Nachhaltigkeitsdreieck ist besonders für die Formulierung der Indikatoren hilfreich. Zum Beispiel kann der Index „Luftqualität" die Entwicklung der lokal und regional bedeutsamen Schadstoffemissionen abbilden. Schließlich geben Ziel- und Zeitvorgabe für Indikatoren einen konkreten Orientierungsrahmen vor. Sie sollen den Entwicklungspfad beeinflussen, wobei auch die relevanten Akteure ihren Beitrag zur Erfüllung des Ziels benennen können. Beispielsweise setzt das Vorhaben, die Luftemission von 1990 bis 2020 um 70 % zu verringern, einen Präferenzund Kontrollrahmen für die Umweltgesetzgebung, für betriebliche Investitionen und für Produktgestaltung.

Die Arbeit von Ortwin Renn u. a. ist ein Beispiel für eine deduktive Ableitung von Indikatoren zur Bestimmung von Beziehungen. Die Indikatoren folgen hierbei einer anderen Systematik als bei den drei Nachhaltigkeitsdimensionen. Es sind stattdessen die sogenannte „systemare Stabilität" (ökologisch und sozial), Gerechtigkeit und Lebensqualität, welche eine Nachhaltige Entwicklung bestimmen sollen (Renn et al. 2007, S. 73-136). Neben dem oben aufgezeigten, eher analytischen Vorgehen („top-down") bietet sich auch der synthetische Ablauf („bottom-up") zur Bestimmung relevanter Elemente einer Nach-

6.4 Anwendungsmöglichkeiten im Integrierenden Nachhaltigkeitsdreieck

133

haltigkeitsstrategie oder eine Kombination der beiden Abiaufrichtungen an. Die analytische Ableitung ermöglicht eine kohärente Struktur, die vom obersten Leitbild ausgeht. Das synthetische Vorgehen bindet den bestehenden Kontext ein, sodass die spezifische Situation berücksichtigt wird. Auch die Auswahl und der Umfang der berücksichtigten Elemente, insbesondere der Indikatoren, hängt von der Zielsetzung ab (Callens, Tyteca 1999, S. 50). Je nach Darstellungsebene sind unterschiedliche Betrachtungen angemessen (siehe auch Abb. 6-15): •

Sollen wenige aussagekräftige Indikatorer (etwa für eine spätere Bewertung) zusammengestellt werden, so ist eine Indikatorenauswahl mit geringen Korrelationen zu empfehlen. Ein statistisches Verfahren wie eine Faktoren-Analyse könnte dieses öffentliche Kommunikation Vorgehen unterstützen, um das Indikatoren Messmodell auf weniger Faktoren (Schlüsselindikatoren) zu reduzieren. Für das Integrierende NachhalVerdichtete \ politische Empfehlungen Indikatoren "^h^bM^· tigkeitsdreieck bedeutet dies, dass die Indikatoren untereinander abzustimmen sind und beispielsweise für fachliche Analysen jedes Feld nur ein Indikator zugeDetailindikatoren lassen sein soll.



Soll eine Situation fachlich diffeI nformationsumfang renziert mit einem breiten Spektrum an Indikatoren beschrieben werden, Quelle: in Anlehnung an Braat 1991, S. 59 so sind Überschneidungen unverAbb. 6-/5 Kontextabhängige Betrachtungs- und meidlich und durchaus gewollt. Aggregationsebenen Beispielsweise können mehrere Indikatoren im ökologischen Bereich des Integrierenden Nachhaltigkeitsdreiecks die Zustandsentwicklung der Umweltmedien Luft, Wasser, Boden beschreiben. Für Deutschland würden die Indikatoren allesamt eine ganz wesentliche Verbesserung des Umweltzustandes gegenüber den 60er-/70er-Jahren aufzeigen. Bei der Darstellung im Integrierenden Nachhaltigkeitsdreieck sind Überschneidungen zu erwarten, da beispielsweise die in die Luft emittierten Schadstoffe als Immissionen in Boden und Wasser eingehen.



Steht die Kommunikation im Vordergrund, so sind für die Indikatoren eventuell andere Kriterien relevant. So orientiert sich die Auswahl daran, was allgemein verständlich und zielfuhrend ist. Demnach könnten die drei Schlüsselindikatoren C 0 2 - BIP - Bevölkerung für eine breite Kommunikation genügen.

Die gewählte Betrachtungsebene wirkt sich auch auf die Darstellungsweise bzw. Aggregationstiefe im Integrierenden Nachhaltigkeitsdreieck aus, was ab S. 135 behandelt wird.

134

6 Neue Systematisierang der Nachhaltigkeitsdimensionen

Darstellung von positiven und negativen Beziehungen Im Interessengeflecht der Anspruchsgruppen existieren vielfältige Vorstellungen zu den Prämissen, Vorgehensweisen und Zielsetzungen. Gerade hier besteht in vielen Diskussionen ein erhebliches Verbesserungspotenzial. Infolgedessen kann jede Umsetzung eines Nachhaltigkeitskonzeptes die Realität nur unvollständig abbilden. In der Vergangenheit waren zwei besonders unbefriedigende Situationen zu beachten: Ein einzelnes Interesse setzte sich als beherrschende Vorgabe durch. Beispielsweise stehen in vielen Diskussionen ökologische Argumente, Arbeitsplätze oder sonstige „Sachzwänge" im Vordergrund. Ein anderes Extrem ist, dass alle Ansprüche ohne Berücksichtigung des Gesamtziels oder der Prioritäten aufgenommen werden, um keine Konflikte zu erzeugen. Mögliche Zielkonflikte dürfen aber nicht ausgeblendet werden, sondern * *·: harmonische Beziehung müssen vielmehr eine zentrale Rolle im : konfligierende Beziehung Such- und Lernprozess einer Nachhaltigen Entwicklung haben. Ziel dieses Quelle: eigene Darstellung Abschnitts ist es daher, Möglichkeiten Abb. 6-16 Beziehungsstrukturen im IND zur Visualisierung der Beziehungen im Integrierenden Nachhaltigkeitsdreieck vorzustellen. Dies kann die grundsätzliche Problematik der unbekannten Zielbeziehungen zwar nicht lösen, aber entschärfen und in geordnete Bahnen lenken. Qualitativ sind drei grundlegende Beziehungsarten zu unterscheiden (siehe Abb. 6-16): •



Die harmonische Beziehung ist durch eine wechselseitige Verstärkung gekennzeichnet. Damit können herausragende Schlüsselindikatoren wie auch Redundanzen identifiziert werden. Beispielsweise stellen Ökoeffizienz-Indikatoren Win-win-Situationen dar, da sie gleichzeitig auf wirtschaftliche Einsparungen sowie ökologische Ressourcenschonung abzielen. Gewissermaßen redundant wäre hingegen der ökologische Landbau zum Stickstoff-Überschuss, da die Düngung bei kontrolliert biologischem Anbau (kbA) stark reglementiert ist. Konfligierende Beziehungen sind in Diskussionen zur Nachhaltigen Entwicklung unvermeidlich, oftmals stehen sich die Positionen der verschiedenen Anspruchsgruppen unversöhnlich gegenüber. Beispielsweise ist die Kritik an dem Indikator Bruttoinlandsprodukt, der sozial und ökologisch schädliche Effekte ungenügend berücksichtigt, bisher noch nicht aufgelöst worden.

135

6.4 Anwendungsmöglichkeiten im Integrierenden Nachhaltigkeitsdreieck •

Es können auch weitgehend neutrale Beziehungen zwischen zwei Zielen bestehen. Diese Beziehungen brauchen wegen der erforderlichen Konzentration auf die positiven und negativen Beziehungsstrukturen und zur Wahrung der Übersicht nicht dargestellt werden.

Die Beziehung kann entweder zwischen zwei Eintragungen innerhalb des Integrierenden Nachhaltigkeitsdreiecks oder zwischen einer Eintragung und einer Dimension bestehen. Die Beziehungen lassen sich im IND mit Pfeilen darstellen, was die Zusammenhänge besonders gut illustriert. Die Darstellung sollte auf die wesentlichen Pfeile beschränkt werden, um die Abbildung nicht zu überladen. Die Pfeile verknüpfen, wie in Abb. 6-16 dargestellt, ein Element mit einem anderen oder mit einer der drei Nachhaltigkeitsdimensionen. Kodifiziert lassen sich die Beziehungen auch wie folgt darstellen: •

Bruttoinlandsprodukt Ökologie)



Ökoeffizienz («-» Ökologie, Ökonomie) Stickstoff-Überschuss («-• kontrolliert biologischer Anbau)



Soziales,

Ökologie Niveau: I: inakzeptabel; 9 m : kritisch;

Bewertung des Verlaufs von Indikatoren Das Integrierende Nachhaltigkeitsdreieck kann weiterhin eine kompakte Darstellung von Bewertungen unterstützen. Abb. 6-17 gibt hierfür eine Möglichkeit

Trend: zielkonform; =>: stagniert; fc: nicht zielkonforni; ? : unklar

Quelle: eigene Darstellung Ahh. 6-17 Quantitative Verläufe und Niveaus im IND

mit einer intuitiv erfassbaren Darstellung der Bewertungen wieder (in Anlehnung

al. 2000, S. 15f.

oder Rat für Nachhaltige

: akzeptabel

Entwicklung

2008, S. 2 f.).

an Renn et

Die Einfärbung

spiegelt hier den Grad der Wünschbarkeit des Zustandes bzw. Niveaus wider. Die Pfeile stellen dar, ob die weitere Entwicklung zielkonform verläuft. Beispielsweise entwickelt sich das stark ökologische Feld vom Ziel weg und liegt auf einem kritischen Belastungsniveau. Das ökologisch-ökonomische Feld ist jedoch auf einem akzeptablen Niveau und tendiert zu dem vorgegebenen Ziel hin. Das zentrale Feld stagniert auf einem nicht akzeptablen Niveau. Aggregationsansatz mit dem Integrierenden Nachhaltigkeitsdreieck Der Aufbau des Integrierenden Nachhaltigkeitsdreiecks unterstützt ebenfalls die differenzierte Zuordnung von Indikatoren und Handlungsfeldem und erleichtert somit das Aufzeigen

136

6 Neue Systematisierung der Nachhaltigkeitsdimensionen

von Beziehungsgeflechten. Das Integrierende Nachhaltigkeitsdreieck eignet sich darüber hinaus auch fur die Aggregation einzelner Ausprägungen in den Feldern. Dadurch ermöglicht das Integrierende Nachhaltigkeitsdreieck eine weitere wichtige Anwendungsmöglichkeit: als Portfolio für Bewertungen. Eine Aggregation ist über mehrere Stufen möglich, was sich nach den Erfordernissen der jeweiligen Zielgruppe oder der Planungs- und Entscheidungsebene richtet (Dyllick, Hockerts 2002, S. 139). Ausgangspunkt ist die Bewertung jedes einzelnen Feldes in der ersten Stufe und bis zu einer Gesamtbewertung auf der dritten Stufe. 1. Stufe: Feldbezogene Aggregation Die einzelnen, möglichst auf Indikatoren gestützten Bewertungen der Einträge eines Feldes werden zu einem gesamten Feldergebnis Px,y,z zusammengefasst (siehe Abb. 6-18). Dort ist beispielsweise das stark ökonomische Feld mit 100% bewertet, während das stark ökologische Feld nur 17 % hat. Für die Bewertung bieten sich mehrere Ansätze an. Eine Experteneinschätzung mag ein pragmatischer, aber nicht hinreichender Weg sein. Eine quantitative Ziel-Abstandsmessung (ähnlich der Indizes der Vereinten Nationen, in Abschnitt 7.1.1, oder der Social Footprint auf S. 161) unterlegt die Bewertung mit Daten und Zielen. Hier bildet die Auswahl von repräsentativen Größen und quantitativen Zielen den Engpass. Unabhängig vom gewählten BewerÖkologie tungsansatz sollte aus Gründen der Einfachheit darauf geachtet werden, Quelle: in Anlehnung an Kleine 2009, S. 167 dass die zugrunde liegenden Indikatoren Abb. 6-IX IND mitfeldbezogener Aggregation möglichst nur gleich gerichtete Auswirkungen auf die drei Dimensionen haben. Das heißt, Indikatoren sollten sich etwa nicht auf eine Nachhaltigkeitssäule positiv und auf eine andere negativ auswirken. Alternativ ist ein differenziertes Bewertungsergebnis für jedes Feld denkbar, das für jede Nachhaltigkeitsdimension ein Teilergebnis liefert. Dies hat den Vorteil, dass auch verschieden gerichtete Indikatoren verwendet werden können. Allerdings ist ein erhöhter Bewertungs- und Rechenaufwand nötig, der wiederum zu einer höheren Komplexität und Interpretationstiefe fuhrt. Daher soll auf diese Möglichkeit in den nachfolgenden Ausführungen eingegangen werden. Die hier dargestellte Aggregationstiefe eignet sich insbesondere für eine Diskussion der einzelnen Bereiche und der zugrunde liegenden Indikatoren. Die feldbezogene Bewertung

6.4 Anwendungsmöglichkeiten im Integrierenden Nachhaltigkeitsdreieck

137

bietet somit den Einstieg in eine differenzierte Auseinandersetzung. Die Bewertungen sind auf dieser Aggregationsebene gemäß Abb. 6-13 in der Mitte der Felder angeordnet, während die Kreise auf den anderen Ebenen der üblichen Berechnungsregel nach Abschnitt 6.3.3 folgen. 2. Stufe: Dimensionsbezogene Aggregation Liegt die feldbezogene Bewertung vor, so ist diese durch eine weitere Aggregation relativ einfach fur jede Dimension zusammenzufassen (siehe Abb. 6-19): Jedes Feld geht mit spezifischen Gewichtungsfaktoren (Koordinatenwerte gemäß Abb. 6-13) in jede der drei Nachhaltigkeitsdimensionen ein. Das Ergebnis für jede Säule ist sodann die Summe aus allen Feldbewertungen P x y 7 gewichtet mit dem spezifischen Faktor. In Abb. 6-19 ist die ökologische Dimension zu 32 %, die ökonomische zu 69 % und die soziale zu 68 % erfüllt. Die Bewertung P x y z des vorwiegend ökonomischen Feldes geht beispielsweise zu zwei Dritteln in die Ökonomie, aber nur zu jeweils einem Sechstel in die Ökologie und das Soziale ein. Ökologie

Bei x, y, ζ, Χ, Υ, Ζ und P w e [0%, 100%] und x+y+z=100% und gleich gerichteten Indikatoren gilt fur die Teilergebnisse der drei Dimensionen:

Quelle: in Anlehnung an Kleine 2009, S. 168 Abb. 6-19 IND mit säulenbezogener Aggregation

100% X =

Z x * P x , y , z x=0%

100% Y =

I y x P x , y . z y=0%

100% ζ

=

Σ Ζ z=0%

x

Px.y.z

Die dimensionsbezogene Darstellungsebene ist besonders für einen ersten Überblick und eine grobe Einordnung bezüglich der drei sich gegenüberstehenden Nachhaltigkeitssäulen geeignet. Die Darstellungsweise kann auch dort hilfreich sein, wo die Ergebnisse mehrerer Systeme (mehrere Integrierende Nachhaltigkeitsdreiecke) übereinandergelegt werden.

138

6 Neue Systematisierung der Nachhaltigkeitsdimensionen

3. Stufe: Totale Aggregation Die Gesamtbewertung ergibt sich wiederum aus der Addition der drei dimensionsbezogenen Ergebnisse. Die Kreisgröße gibt den quantitativ bezifferten Gesamtwert der drei einzelnen Beiträge und die Position das Verhältnis der drei Einzelwerte zueinander wieder. Als ein intuitives Ziel ließe sich formulieren, dass der Kreis möglichst groß und möglichst weit in der Mitte sein sollte. In Abb. 6-20 ist etwa die ökonomische und die soziale Dominanz erkennbar. Der Gesamtwert aller drei Dimensionen beträgt im abgebildeten Beispiel 56 %. Der Gesamtwert kann je nach zugrundeliegender Gerechtigkeitsvorstellung (siehe in Kapitel 5) unterschiedlichen Kalkülen folgen:

Ökologie

Am häufigsten wird das utilitaristiQuelle: in Anlehnung an Kleine 2009, S. 169 sche Kalkül in Form des arithmetischen Mittels (ein einfacher Abb. ft-20 IND mit totaler Aggregation Durchschnitt) verwendet, wonach zwischen den drei Dimensionen eine vollständige Substituierbarkeit möglich ist: ^utilitaristisch •

X +Y + Z 3 mit Χ, Υ, Z, Nutj|jtaristisch € [0%, 100%]

Die Berücksichtigung des minimalen Teilwertes aller drei Dimensionen entspricht dem Maximin-Kriterium: Nwaximin = Min!(X, Υ, Z) mit Χ, Υ, Z, NMa*imin e [0%,100%]

Das letzte Kalkül geht auf ein Konzept über faire Aushandlungsprozesse zurück (Nash 1950): NNASH = λ / Χ Χ Y * Z m i t Χ , Υ , Z , N N a s h e

[0%,100%]

Details zur Operationalisierung mittels der unterschiedlichen Gerechtigkeitsvorstellungen bzw. Kalküle sind in Kleine 2009 beschrieben. Das nachfolgende Kapitel stellt mehrere Beispiele fur eine Umsetzung der Nachhaltigen Entwicklung vor, wobei auch das Integrierende Nachhaltigkeitdsdreieck in verschiedener Ausprägung zur Anwendung kommt.

7

Umsetzung Nachhaltiger Entwicklung an konkreten Beispielen

Die vorangegangenen Ausführungen zeigten die Umsetzungsmöglichkeiten einer Nachhaltigen Entwicklung bereits auf. In Kapitel 3 ging es um die Nutzung und Gestaltung von Innovationsprozessen und in Kapitel 4 um die Ökoeffizienz als maßgeblichen Beitrag der Wirtschaft. Das vorliegende Kapitel beschäftigt sich mit weiteren Konzeptionen und Instrumenten. Das Integrierende Nachhaltigkeitsdreieck verortet die verschiedenen Ansätze im Zusammenwirken der drei Nachhaltigkeitsdimensionen. In Abschnitt 7.1 werden Messkonzepte und Indikatoren vorgestellt, die für die Makroebene (fur Volkswirtschaften) und für die Mikroebene (etwa Betriebe) existieren. Manche der Messgrößen werden im Zusammenhang mit Nachhaltigkeitsstrategien diskutiert, welche idealerweise ein Kerndokument zur Umsetzung von Nachhaltiger Entwicklung sein sollen. Mit ihnen wird intendiert, dass sie den systematischen Ausgangspunkt der staatlichen Bemühungen und aller im Staat versammelten gesellschaftlichen Akteure bilden. Abschnitt 7.2 stellt daraufhin die Nachhaltigkeitsstrategie der deutschen Bundesregierung und die rheinland-pfälzische Nachhaltigkeits- Unterscheidung von Kennzahlen und Indikatoren strategie exemplarisch vor. NachhaltigkeitsKennzahlen geben einen Sachverhalt in der strategien können teilweise auf die Ebene von Regel· direkt wieder. Beispielsweise werden Wasserverbräuche oder UnJWeltschutzausgaben Unternehmen und Organisationen übertragen erfasst. Unternehmen und Managementsysteme werden, wo sie beispielsweise in Form von sprechen bevorzugt von. Kennzahlen, da so ein „Nachhaltigkeitsberichten" (fur eine Kommumöglichst objektives Abbild konstruiert wird. nikation nach außen) oder eines NachhaltigIm politischen Kontext sind eher „Indikatoren" keitsmanagement (für eine interne Steuerung gebräuchlich. Diese können aufgrund des hohen Aggregationsgrades (ζ. B. Schadstoffe von ganz und Kontrolle) vorliegen.

Deutschland) oft nicht in dem Maße zurückver-

folgt werden, wie es bei Kennzahlen möglich Abschnitt 7.3 zeichnet nach, wie Förderentist. Aus diesem Grund haben Indikatoren eher scheidungen auf Basis der drei Nachhaltigeine iriultidimensionaie und breite Bedeutung. keitsdimensionen getroffen werden können. Ähnliches wäre fur die Gestaltung technologischer Innovationsprozesse anwendbar

7.1

Messkonzepte für eine Nachhaltigen Entwicklung

Messgrößen wie Indikatoren und Kennzahlen sind ein wesentlicher Bestandteil zur Umsetzung einer Nachhaltigen Entwicklung auf der politischen bzw. volkswirtschaftlichen oder der

140

7 Umsetzung Nachhaltiger Entwicklung an konkreten Beispielen

unternehmerischen Ebene. Auf der volkswirtschaftlichen Ebene gibt es bereits zahlreiche Indikatoren, die auch größere Zusammenhänge erfassen können (siehe Abschnitt 7.1.1). Auf der Unternehmensebene in Abschnitt 7.1.2 herrschen hingegen eher einzelne Kennzahlen vor, teilweise bestehen auch höher aggregierte Kennzahlen. Ein ausfuhrliches Beispiel für ein Indikatorensystem im Integrierenden Nachhaltigkeitsdreieck ist in Abschnitt 7.1.3 gegeben. Abschnitt 7.1.4 stellt schließlich Referenzwerte für eine Entwicklung der Indikatoren

Indikatoren sind auch in den nachfolgenden Umsetzungsbeispielen wichtig. In Abschnitt 7.2 sind sie wichtiger Bestandteil von Nachhaltigkeitsstrategien und in Abschnitt 7.3 stützen sie Förderentscheidungen.

7.1.1

Politische und volkswirtschaftliche Ebene (Makro)

Die hier betrachtete Makroebene betrifft die Zusammenhänge, die sich aus dem gesamten Handeln aller Akteure ergibt. Die Volkswirtschaft bzw. die nationalen Grenzen sind hierbei ein gebräuchliches Abgrenzungskriterium. Das heißt, es wird die Entwicklung über ein gesamtes volkswirtschaftliches System betrachtet. Bei der Messung mit Indikatoren auf der Makroebene geht es meist um ein weites Zielbündel, das sich aus der gesellschaftlichen und politischen Diskussion ergibt und mit wissenschaftlicher Unterstützung in Indikatoren abgebildet werden kann.

Wirtschaftliche Entwicklung und Wohlstand

Geschaffener Mehrwert einer Volkswirtschaft

staatlich

Menschliche Entwicklung

Zielerreichung sozialer und ökonomischer Aspekte

staatlich

Lebensgrundlagen (starke Nachhaltigkeit)

Technisch-naturwissenschaftlich gestützte Aggregation

staatlich

Schwache Nachhaltigkeit: Wohlfahrt durch Kapitalakkumulation

Ökonomie: BIP korrigiert

staatlich

Starke Nachhaltigkeit: Wohlfahrtsverluste

Ökonomie kritisch betrachtet

staatlich

Volkswirtschaft: je nach Ziel Unternehmen: tendenziell schwache Nachhaltigkeit

Wertschöpfung Effizienz: c , .—... — Schadscnopfung

€ / p. E.

staatlich bzw. Produkt, Prozess

ökoeffizienz: ökologischökonomische Bewertung

Stoffstromanalysen (technischnaturwissenschaftlich)

Relative Position

Produkte/ Prozesse

Analog Finanzmanagement (erweiterte Effizienz)

BWL (Umwelt und Finanzen)

Unternehmen

p. E.:

physikalische Einheit wie kWh, kg, m2, m3 und andere (in Betrieben manchmal: pro Stück)

Quelle:

eigene

Tab. 7-1

Ausgewählte Indikatoren und Messkonzepte zur Nachhaltigen

Darstellung. Entwicklung

Umsetzung Nachhaltiger Entwicklung an konkreten Beispielen

141

Viele Indikatorenkataloge, die im Anschluss an die Agenda 21 erstellt wurden, verwenden die Säulen dementsprechend als Gliederungskriterium; ein Indikator soll hinsichtlich der drei Nachhaltigkeitsdimensionen einzuordnen sein (vgl. Übersicht in Mathieu 2001). Einige Kataloge ergänzen die drei Säulen um das „Institutionelle", was hier aber nicht weiter verfolgt wird. Tab. 7-1 fasst einige der wichtigsten Messkonzepte bzw. Indikatoren einer Nachhaltigen Entwicklung zusammen. Darin wird deutlich, welche Zielsetzung ein Indikator verfolgt, denn mit jedem Indikator ist eine gewisse normative Vorstellung verbunden. Die Spalte „operative Logik" stellt heraus, welche fachliche Argumentation hinter dem jeweiligen Ansatz steht. Damit hängt gewissermaßen die Einheit des Ergebniswertes zusammen. Schließlich gibt die Spalte „Ebene" den Betrachtungsraum an, der bei einer politischen Betrachtungsebene in Abschnitt 7.1.1 und andernfalls in Abschnitt 7.1.2 weiter ausgeführt ist. Dabei wird deutlich, wie jeder Indikator bzw. jede Kennzahl einen ganz unterschiedlichen Beitrag zur Messung einer Nachhaltigen Entwicklung leistet. Jeder Indikator ist also hinsichtlich seiner methodischen und normativen Annahmen zu hinterfragen. Viele der Indikatoren verfolgen beispielsweise lediglich eine effizienzorientierte oder schwache Form der Nachhaltigkeit. Ein gewisser intuitiver Zusammenhang besteht mit den Institutionen, die den jeweiligen Indikator forcieren.

Produktionswert (PW), zu Herstellungspreisen

Bruttowertschöpfung (BWS), zu Herstellungspreisen

\ Bruttoinlandsprodukt (SlP), zu Marktpreisen

Nettonationaleinkommen (NNE), zu Marktpreisen

Konsumausgaben: private HH

Staat

Abschreib.

Bruttoanl.inv.

Rest

Die schematische Darstellung gibt die Größenverhältnisse grob wieder. Quelle:

in Anlehnung an Statistisches Landesamt Baden-Württemberg

Abb. 7-1

Verwendete Größen der Volkswirtschaftlichen

2007, Register

„Schaubild"

Gesamtrechnung

Das Bruttoinlandsprodukt bildet den Ausgangspunkt der nachfolgenden Ausführungen, da es den ehemals vorherrschenden Indikator für eine vorwiegend materiell aufgefasste Wohlfahrt bildet. Die darauffolgenden Indikatoren gehen auf diesen Umstand kritisch ein, ergänzen und korrigieren das Bruttoinlandsprodukt oder stellen gänzlich abweichende Vorschläge vor. Abb. 7-1 gibt eine Übersicht für mehrere der nachfolgend vorgestellten Indikatoren, basierend auf der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung. Beispielsweise ist das Nettonatio-

142

7 Umsetzung Nachhaltiger Entwicklung an konkreten Beispielen

naleinkommen für die Genuine Savings als Indikator einer schwachen Nachhaltigkeit und sind die Konsumausgaben privater Haushalte für den „Indicator of Sustainable Economic Welfare" als Maßzahl einer eher starken Nachhaltigkeit bedeutend. Bruttoinlandsprodukt und Bruttosozialprodukt Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) bzw. das fast gleich hohe Bruttonationaleinkommen (BNE, früher als Bruttosozialprodukt, BSP bekannt) ist eine äußerst bedeutende Kennzahl der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung (VGR). Sie bildet im Wesentlichen den im Inland generierten Mehrwert einer Volkswirtschaft (Erlöse abzüglich Vorleistungen) ab. Das Bruttoinlandsprodukt ist Referenzgröße für zahlreiche statistische Berechnungen und andere Indikatoren. Durch die ausschließlich ökonomisch begründete Definition ist die Kennzahl rechts unten im Integrierenden Nachhaltigkeitsdreieck zu verorten. Die Entwicklung der preisbereinigten Werte bildet die reale Steigerung der Wirtschaftsleistung ohne Inflationseffekte ab. In Deutschland wie auch in fast allen anderen Industrieländern stieg das Bruttoinlandsprodukt in den letzten Jahrzehnten kontinuierlich an (Abb. 7-2).

Jahr In Preisen von 1995 Bis 1990 nur Westdeutschland, ab 1991 Gesamtdeutschland Quelle:

in Anlehnung an Institut für Wachstumsstudien

Abb. 7-2

Entwicklung des preisbereinigten

2005, Tab. 1

Bruttoinlandsproduktes

in Deutschland

In der Vergangenheit wurde das BIP bzw. das BSP oftmals zum Maß einer ökonomischen und gesellschaftlichen Entwicklung stilisiert, was aufgrund der unzulänglichen Erfassung aller wohlfahrtsrelevanten Aspekte auf Kritik stößt:

Umsetzung Nachhaltiger Entwicklung an konkreten Beispielen

143

„ ... das BSP sollte nie Wohlfahrt messen, sondern lediglich ökonomische Aktivitäten erfassen. Letztlich erfasst es die Leistung der Wirtschaft, erweitert um die Ausgaben des Staates. Doch kaum ein Verfasser von Lehrbüchern hat die Unzulänglichkeiten des Sozialproduktes in seiner Eigenschaft als Wohlfahrtsmaß [...] thematisiert. Die Studierenden verlassen die Hochschulen mit dem Ergebnis im Kopf, das BSP messe die Wohlfahrt (Majer 2001). " Seit den 60er-Jahren, als eine aktiv die Nachfrage steuernde Wirtschaftspolitik gefordert wurde, besteht in Deutschland ein erweitertes wirtschaftspolitisches Zielbündel. Das Stabilitäts- und Wachstumsgesetz aus dem Jahr 1967 sieht demnach vier Leitziele vor, deren harmonische Zielerreichung einem „Magischen Viereck" gleicht: Wirtschaftswachstum (gemessen als BIP bzw. früher BSP) - Vollbeschäftigung (Arbeitslosenquote) - Preisniveaustabilität (Inflation) - ausgeglichene Außenhandelsbilanz. Die Unmöglichkeit einer vollständigen Harmonisierung dieser vier teils widerstreitenden, hauptsächlich ökonomisch relevanten Ziele lässt bereits erkennen, was ein noch umfassenderes Zielbündel für eine Nachhaltige Entwicklung bedeuten muss. Eine Wohlfahrtsmessung, die sich an Nachhaltigkeitsvorstellungen orientiert, müsste entsprechend weiter gefasst werden. Die nachfolgenden Indikatoren zeigen diese Herausforderung einer Modifikation oder Ablösung des Bruttoinlandsprodukts auf. Ökosozialprodukt Anfang der 1990er Jahre initiierten die Vereinten Nationen die Diskussion über ein „System for Integrated Environmental and Economic Accounting" (SEEA). Das Vorhaben mündete u. a. in einen Vorschlag fiir ein „Ökosozialprodukt", das durch den Bericht an den Club of Rome „Mit der Natur rechnen" (van Dieren 1995) bekannt wurde. Dem Ökosozialprodukt lag die Überlegung zugrunde, das Bruttosozialprodukt um weitere ökonomische und ökologische Effekte (externe Kosten) zu korrigieren. Die Kennzahl folgte also einer ökonomischen Argumentation, wonach weitere relevante Kosten zu bestimmen sind. Das Sozialprodukt wäre beispielsweise um die Kosten, die zur Vermeidung von Umweltdegradation oder zur Wiederherstellung eines wünschenswerten Umweltzustandes nötig wären, bereinigt. Hierbei sind jedoch nicht alle Umweltauswirkungen enthalten, die soziale Dimension wird gar nicht eingebunden. Das Vorhaben, das Ökosozialprodukt zu bestimmen, wurde Ende der 1990er-Jahre aufgegeben, da die Preise (als Gewichtungsfaktoren der Berechnung) nicht im gewünschten Maße erhoben werden konnten: Ohne Markt - etwa für den frei verfügbaren Sauerstoff der Umgebungsluft - kann kein Preis als Maß fur die Knappheit entstehen. Wo aber doch ein Markt besteht, beispielsweise bei Abfallen, spiegeln die Preise nicht zwangsläufig die ökologische Knappheit wieder. Umweltökonomische Gesamtrechnung Die „Umweltökonomische Gesamtrechnung" (UGR) fuhrt die Idee des SEEA mit einem anderen Ansatz weiter. Es sollen die Wechselwirkungen mit der

144

7 Umsetzung Nachhaltiger Entwicklung an konkreten Beispielen

Natur und ihr Zustand statistisch erfasst und ausgewertet werden. Hier ist keine derart schlüssige Zusammenstellung wie bei der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung möglich, da die ökologischen Aspekte größtenteils in diversen physikalischen Einheiten und teilweise in monetären Größen erfasst sind. Die existierenden Ansätze der Statistischen Ämter in Deutschland sind folglich als eine thematisch geordnete Sammlung von statistischen Daten zu Einwirkungen und daraus resultierenden Zuständen zu verstehen: Zahlreiche umweltbezogene Daten des Statistischen Bundesamtes sind unter der Adresse www.destatis.de und der Statistischen Landesämter unter www.ugrdl.de verfügbar. Das Umweltbundesamt stellt ebenfalls eine große Menge an Umweltdaten zur Verfugung und verarbeitet diese zu Kernindikatoren weiter - ein Beispiel ist der „Deutsche Umwelt Index" (DUX).

1996

1998

2000

2002

2004

2006

2

•:

Siedlungs- und Verkehrsfläche in 10.000 km Primärenergieverbrauch in 10.000 Terajoule Abgabe von Siedlungsabfällen an die Natur in 10,0001 pro Jahr

Wert für Siedlungs- und Verkehrsfläche 1998 interpoliert, Wert fiir Primärenergieverbrauch 2006 extrapoliert

Quelle:

in Anlehnung an UGRdL 2008, Tab. 10.1,6.1 und 5.5

Abb. 7-3

Entwicklung ausgewählter Indikatoren aus der Umweltökonomischen

Gesamtrechnung

In Abb. 7-3 ist die Entwicklung von ausgewählten Indikatoren aus der UGR ersichtlich. Hierzu werden einige ausgewählte Beispiele gegeben. Die Flächeninanspruchnahme steigt weiter. Die tägliche Ausweitung von Siedlungs- und Verkehrsflächen liegt 2006 - wie schon in den Jahren zuvor - auf dem hohen Niveau von ca. 130 ha, umgerechnet etwa 180 Fußballfeldern täglich. Der jährliche Primärenergieverbrauch stagniert bei etwa 15.000 PJ - dies entspricht der Jahresleistung von ca. 600 großen Kohlekraftwerksblöcken mit jeweils 1.000 MW Leistung. Die deponierten Siedlungsabfalle gingen von umgerechnet knapp

Umsetzung Nachhaltiger Entwicklung an konkreten Beispielen

145

190 kg pro Einwohner und Jahr auf fast null im Jahr 2006 zurück. Die Siedlungsabfalle werden aufgrund einer europäischen Richtlinie mittlerweile fast komplett der Hausmüllverbrennung zugeführt und große Teile der freigesetzten Energie u. a. in das Fernwärmenetz eingespeist. Die Wechselwirkungen der einzelnen ökologischen Daten untereinander oder gar ein kausaler Bezug zu volkswirtschaftlich relevanten Vorgängen sind kaum gegeben. Auch die verwendeten Intensitäten (Umweltnutzung pro Wirtschaftsleistung) bzw. Produktivitäten (Wirtschaftsleistung pro Umweltnutzung) gründen eher auf ökologischen Zielsetzungen. Daher ist die UGR hauptsächlich als ein ökologischer Ansatz anzusehen. Ein weiteres Ziel des Systems der Gesamtrechnungen wäre ein „Magisches Dreieck", wonach eine monetäre Input-Output-Tabelle die ökonomische Dimension abbildet, eine physikalische Tabelle ökologische Aspekte wiedergibt und eine Tabelle mit Zeitwerten das Soziale darstellt (Überblick in Stahmer 2000). Mehrere Arbeiten befassen sich mit den Grundlagen und Möglichkeiten der Magischen Dreiecke: Hartard et al. 2000; Hartard, Stahmer 2001; Hartard, Stahmer 2002. Ecological Footprint Der „Ecological Footprint" (EF, deutsch „ökologischer Fußabdruck", im Original „Appropriated Carrying Capacity") fasst die Nutzung natürlicher Ressourcen durch eine ausgiebige Rechnung zusammen und gibt sie als Äquivalenzmaß nachwachsend bewirtschafteter Fläche (m2 oder Hektar) an (Wackernagel, Rees 1996). Der EF ist somit ein hypothetisches Maß für den Versorgungsgrad einer Wirtschaftsregion - üblicherweise von Nationen - mit erneuerbaren und nicht-erneuerbaren Ressourcen sowie mit dem Potenzial zur Aufnahme der ausgestoßenen Kohlendioxide. Das Ergebnis des Ecological Footprint wird in der Regel als Hektar pro Kopf ausgewiesen. Die Biokapazität bezeichnet analog die verfügbaren Potenziale regenerativer Naturressourcen in ihrer Funktion als Quelle und als Senke. Ein zentrales Ergebnis der Berechnungen ist, dass der ökologische Fußabdruck eines jeden Erdenbürgers im Durchschnitt eher zunimmt. Bei einer wachsenden Weltbevölkerung bedeutet dies eine Steigerung der gesamten Umweltbelastung. Im Gegenzug nimmt die individuell verfugbare Biokapazität wegen der steigenden Weltbevölkerung beständig ab. Spätestens seit 1985 übersteigt der ökologische Fußabdruck die Biokapazität, insbesondere die Menschen in Industrieländern leben „auf zu großem Fuß". Der Ecological Footprint ist zu einem zentralen Indikator weltweiter Bestrebungen für den Ressourcenschutz geworden (siehe u. a. WWF 2008; www.footprintnetwork.org). Auch für Deutschland gilt, dass das Vermögen der Landfläche bei Weitem nicht für eine Versorgung mit den derzeit benötigten Quellen- und Senkenressourcen ausreicht (siehe Abb. 7-4). Lediglich dünn besiedelte und zugleich vegetationsreiche Länder wie Kanada oder Russland können ihr Konsumniveau durch die Landfläche kompensieren. Hier stellt sich jedoch aus der Perspektive der weltweiten ökologischen Gerechtigkeit die Frage, ob allein der hohe Bestand einer nationalen Biokapazität ein hohes Nutzungsniveau der Naturressourcen rechtfertigen kann.

146

7 Umsetzung Nachhaltiger Entwicklung an konkreten Beispielen

1965

1970

1975

1980

1985

1990



Fußabdruck Welt Fußabdruck Deutschland



Biokapazität Welt Biokapazität Deutschland

Quelle:

in Anlehnung an WWF 2008, Tab. 2 und www.footprintnetwork.org

Abb. 7-4

Entwicklung

des ökologischen

Fußabdrucks für

1995

(Abruf:

2000

2005

22.11.2008)

Deutschland

Der ökologische Fußabdruck bedient sich bei der Berechnungsgrundlage, beim ausgewiesenen Äquivalenzmaß (ha/Kopf) und der Zielsetzung ökologischer Argumente. Daher ist der der hochaggregierte Indikator auch in der Summe als ein ökologisch orientiertes Maß aufzufassen. Eine Ergänzung erfuhr das Konzept des ökologischen Fußabdrucks durch die Ergänzung mit dem Bruttoinlandsprodukt zu einer umfassenden Ressourcenproduktivität (Sturm et al. 1999). In diesem Falle wäre das Maß analog zur Ökoeffizienz zwischen Ökonomie und Ökologie darzustellen. Indizes der Vereinten Nationen als Spitzenindikatoren Die Vereinten Nationen und ihre Organisationen verwenden mehrere Indizes, die insbesondere die soziale und ökonomische Entwicklung abbilden. Jeder Index aggregiert mehrere Indikatoren zu einem Spitzenindikator. Allen Berechnungsverfahren liegen Zielbeitragsrechnungen zugrunde, worin die aktuelle Zieldifferenz (aktueller Zustandswert minus maximaler Sollwert) auf die höchstmögliche Zieldifferenz bezogen wird. Die verwendeten Referenzwerte Sollmin und Sollmax geben als Unter- bzw. Obergrenze des Zielintervalls eine Orientierung für die menschlicher Entwicklung vor.

Umsetzung Nachhaltiger Entwicklung an konkreten Beispielen

Index =

147

Ist - Soll, L

min

Die einzelnen Spitzenindikatoren betreffen entweder einzelne Aspekte wie Armut (engl, „human Poverty") und Geschlechtergerechtigkeit („Gender Empowerment") oder aber die weiter gefasste menschliche Entwicklung („human Development"): Human Poverty Index (HPI) Der „Human Poverty Index" soll den Armutsgrad eines Landes messen. Die Kennzahl wird aufgrund der strukturellen Unterschiede nach Entwicklungsländern (HPIi) und nach Industrieländern (HPI 2 ) unterschiedlich operationalisiert. In Entwicklungsländern gehen die Sterblichkeitsrate von Erwachsenen bis 40 Jahre, die Zahl der primären Analphabeten, die Zugangsquote zu Wasser- und Sanitärversorgung sowie die Zahl der unterernährten Kinder als Rechengrößen ein. In Industrieländern werden hingegen die Sterblichkeit bis 60 Jahre und die funktionelle Analphabetenrate berücksichtigt und zusätzlich der Anteil der relativ Armen (unterhalb eines bestimmten Einkommensniveaus) und der Langzeiterwerbslosen betrachtet. An dieser Indikatorenauswahl wird deutlich, dass vorwiegend sozial relevante Aspekte wie die Existenzsicherung abgebildet sind. Gender Empowerment Measure (GEM) Der von den Vereinten Nationen ebenfalls verwendete Gender Empowerment Measure bildet recht spezifisch die Geschlechtergerechtigkeit ab. Dafür fließen Größen wie der Anteil der Frauen im Parlament, der Anteil der weiblichen Erwerbstätigen in höheren und leitenden Funktionen sowie das Einkommen von Frauen in die Berechnung ein. Human Development Index (HDI) Der Human Development Index (HDI) wird als eine Alternative zum BIP, das eine Wohlfahrt nur unzulänglich repräsentiert, verstanden. Amartya Sen hat das Konzept menschlicher Entwicklung - basierend auf seinem in Abschnitt 5.1.2 erläuterten Verständnis zur Befähigung von Menschen - maßgeblich beeinflusst. Die Vereinten Nationen stellten die dimensionslose Kennzahl 1990 als ein Aggregat aus drei Größen wirtschaftlich und gesellschaftlich relevanter Entwicklungen vor. In den Index fließen Zielbeitragsrechnungen für die Befriedigung existenzieller Bedürfnisse (Indikator: Lebenserwartung bei Geburt), die Bildungssituation (Alphabetisierungsquote Erwachsener und Einschulungsquote) sowie der Lebensstandard (Bruttoinlandsprodukt) gleichgewichtig ein. Der Indikator Bruttoinlandsprodukt wird aufgrund von Sättigungseffekten bzw. sinkenden Grenznutzens allerdings nur in Höhe seines Logarithmus (wahlweise In oder log) berücksichtigt. Für die Lesefahigkeit und den Schulbesuch gelten noch recht intuitive Werte: Der minimal mögliche Wert beträgt 0 % und der maximal mögliche und anzustrebende Wert 100 %. Beim Bruttoinlandsprodukt wurden hingegen 100 US-$ als Minimum und 40.000 US-$ als Höchstmaß festgelegt. Die Lebenserwartung muss mindestens 25 Jahre, braucht aber höchstens

7 Umsetzung Nachhaltiger Entwicklung an konkreten Beispielen

148

85 Jahre betragen. Tab. 7 - 2 gibt die Berechnung exemplarisch für Deutschland im Jahr 2005 wieder. Index

Indikator

Existenz

Bildung

Gewicht

Lebenserwartung bei Geburt [a]

Solln,,,

Berechnung

79,1

25

85

2/3

(99)

0

100

99-0 100-0

1/3

88

0

100

88-0 100-0

29.461

100

40.000

log(29.461>-loß(100) log(40.000)-log( 100)

1/3 Einschulungsquote [%]

1 el>ens·· standurd

Sollmi„

79,1-25 85-25

1/3

Alphabetisierungsquote Erwachsener [%]

Ist 2005

BIP [US-Dollar Kaufkraftpari täten]

1/3

H m lan Development hides

0,935

Das UNDP nahm die Alphabetisierungsquote in Höhe von 99 % für die BRD wie auch für viele andere Industrieländer an. Beim Lebensstandard-Index würde der natürliche Logarithmus (In) zum gleichen Ergebnis führen. Quelle:

in Anlehnung an UNDP 2007, S. 229 und 356

Tab. 7-2

Parameter und Berechnungen

X Φ "D _c

des Human Development Index fiir Deutschland

1,0 hohe Entwicklungsstufe

c

CD

ε

0,8

CL

Ο (D > 0)

α

mittlere Entwicklungsstufe 0,6 -

c

TO Ε X

0,4 geringe Entwicklungsstufe 0,2 -

0

1— 1988

1990

1— 1995

2000

— — —»—

Deutschland Türkei Sudan

Quelle:

in Anlehnung an UNDP 2007, Tab. I

Abb. 7-5

Entwicklung des Human Development Index (HDI) ausgewählter

2005

Länder

Umsetzung Nachhaltiger Entwicklung an konkreten Beispielen

149

Abb. 7-5 stellt die Entwicklung für ausgewählte Länder mit einem hohen, einem mittleren und einem niedrigen HDI dar. Industrieländer einschließlich der Länder des ehemaligen Ostblocks fuhren den Bereich einer hohen Entwicklungsstufe an. Sie erfüllen zu einem beträchtlichen Teil alle gesetzten Entwicklungsziele und ändern über die Jahre kaum mehr ihren hohen HDI-Wert. Auch viele mittel- und südamerikanische Länder (u. a. Argentinien, Chile, Mexiko und Brasilien) sowie Erdöl exportierende Länder (u. a. Kuwait und Saudi-Arabien) gelten als hoch entwickelt. Der Verlauf des Human Development Index hat bei Ländern mittlerer und geringer Entwicklungsstufe eine viel größere Aussagekraft als bei den Industrieländern, da noch Verbesserungspotenzial besteht. Der Sudan hat es - trotz jahrzehntelangem Bürgerkrieg und Misswirtschaft - geschafft, in allen Teilentwicklungen (Lebenserwartung, Bildung und Lebensstandard) ein mittelhohes Niveau zu erreichen. Wie oben deutlich wurde, eignen sich die von den Vereinten Nationen verwendeten Indizes für Vergleiche zwischen Ländern oder zur Darstellung einer Entwicklung im Zeitablauf. Sie ermöglichen eine erste Einordnung des Entwicklungsstandes. Die Indizes können aufgrund des Aggregationsgrades jedoch kein detailliertes Bild zeichnen. Aspekte wie eine gute Regierungsführung oder die Wahrung immaterieller Menschenrechte werden ohnehin nicht berücksichtigt. Die Zusammenführung verschiedener Rechengrößen zum HDI als Durchschnittsgröße lässt überdies niedrigere Teilergebnisse zu, ohne dass dies aus dem Endergebnis direkt ersichtlich ist. Ökologische Entwicklungen werden nicht berücksichtigt. Sustainable Economic Welfare (ISEW) Neben den oben aufgeführten Indizes, die spezifisch eine oder zwei Nachhaltigkeitsdimension(en) berühren, existieren weitere integrierte Indikatoren. Diese sollen eine Bewertung in sozialer, ökologischer und zugleich ökonomischer Hinsicht ermöglichen. Der „Index of Sustainable Economic Welfare" (ISEW, Cobb 1989) oder der ganz ähnlich aufgebaute „Genuine Progress Indicator" (GPI, Cobb et al. 1995) hat unter den integrierten Indikatoren eine besondere Bedeutung erlangt. Beim ISEW und dem GPI handelt es sich um eine Korrektur der bestehenden ökonomischen Wohlfahrtsmessung. Folglich weisen die Indikatoren das Ergebnis in Geldeinheiten aus. Der ISEW bzw. GPI ist aufgrund der kritischen Beschäftigung mit dem Wachstums- und Wohlstandsparadigma eher der Position einer starken Nachhaltigkeit zuzurechnen. Aspekte einer schwachen Nachhaltigkeit finden sich aber insofern wieder, dass durch die Aggregation der einzelnen Rechengrößen, von denen jede alleine in unterschiedlichen Feldern des Integrierenden Nachhaltigkeitsdreiecks einzuordnen wäre, ein Gesamtwert berechnet wird. Dieser fasst viele - aber bei Weitem noch nicht alle - Aspekte einer Nachhaltigen Entwicklung (Einkommen und deren gerechte Verteilung, Schutz der natürlichen Umwelt und der Ressourcen, sozialer Ausgleich etc.) in einem hochaggregierten Wert zusammen. Es wird also aus pragmatischen Gründen der Berechenbarkeit eine Substituierbarkeit hingenommen. Der ISEW bzw. GPI geht von den privaten Konsumausgaben, die in Deutschland ca. 60 % des Bruttoinlandsprodukts betragen, aus. Der Konsum der privaten Haushalte wird durch das Einkommensverhältnis des ärmsten Fünftels zum restlichen 4/5 der Bevölkerung dividiert. Schon an dieser Stelle berücksichtigt der Index über die beiden Schlüsselgrößen (den

150

7 Umsetzung Nachhaltiger Entwicklung an konkreten Beispielen

Konsum und dessen Verteilung) sowohl die ökonomische als auch die soziale Situation eines Landes. Anschließend werden noch Korrekturgrößen für ökologische Auswirkungen sowie für soziale und ökonomische Einflüsse hinzugefugt oder abgezogen. Die Festlegung der eingehenden Korrekturgrößen berücksichtigt den jeweiligen Landeskontext, was als methodische Flexibilität und andererseits als problematisch für die Vergleichbarkeit mit den Ergebnissen anderer Länder zu werten ist. Die Berechnung für die Vereinigten Staaten von Amerika für das Jahr 1994 ist in Tab. 7 - 3 gegeben. Der persönliche Konsum betrug in diesem Jahr 2.950 Mrd. Dollar und die indizierte Einkommensverteilung lag bei 119 %. Der Verlauf des US-amerikanischen ISEW oder eben GPI seit 1950 ist wie folgt zu interpretieren: Für den anfangs positiven Trend der 1960er- und 1970er-Jahren waren die sinkende Einkommensungleichheit und nicht etwa die Entwicklung der Schadkosten verantwortlich. In den Jahren darauf sank der Index, da die Einkommensungleichheit wieder zunahm und da die Schadkosten ressourcenintensiver und umweltschädigende Produktions-/Konsummuster verhältnismäßig stark wuchsen. Im Jahr 1994 waren die berücksichtigten Kosten des Ressourcenverbrauchs und der langfristigen Umweltschäden schließlich die ausschlaggebenden Größen, wie die nachfolgende Tabelle zeigt. Positive Korrektur

Negative Korrektur

Kol 11 kliiryrSWe

Wert 1994

Ι Ι Ι β Ι Β β Β β Ι β ϊ Ι β Ι β Ι β ® ! Unbezahlte Hausarbeit

Korrekt urgrSSe

t Mrd. US-S) 1.234

Kriminalität

Wert 1994 (Mrd US-S) 21

Freiwilligenarbeit (Ehrenamt)

49

Familiäre Zerwürfhisse/Scheidungen

Nutzen des Straßennetzes

41

Verlust an Freizeit

431

Unterbeschäftigung

154

Kosten langlebiger Konsumgüter

515

Pendeln

124

Nutzen langlebiger Konsumgüter Nettokapitalinvestitionen

22

Netto-Auslandsverschuldung

-72

Reinhaltungsmaßnahmen der Haushalte

78

Wasserverschmutzung

35

Luftverschmutzung

35

Verlust von Feuchtgebieten Verlust landwirtschaftlicher Flächen

Tab. 7-3

Korrekturgrößen

12 155 81

Verlust nicht-erneuerbarer Ressourcen

794

Langfristige Umweltschäden

645

Abbau der Ozonschicht

214

Verlust alter Wälder in Anlehnung

7

Autounfälle

Lärm

Quelle:

41 153

61

an Cobb et al. 1995, S. 40 f . des Genuine Progress

Indicator

Auch für Deutschland liegen Ergebnisse vor (Diefenbacher 1991). Diese zeigen, dass der ISEW bzw. GPI anfangs analog zum BIP wuchs, sich dann abkoppelte und spätestens in den

151

Umsetzung Nachhaltiger Entwicklung an konkreten Beispielen

1980er-Jahren sank (siehe Abb. 7-6). Dies wird vor dem Hintergrund einer Nachhaltigen Entwicklung als Abnahme der Wohlfahrt durch Schadenskosten, die das Wirtschaftswachstum übersteigen, gedeutet.

ΩΟ

10.000

-

ολΟ.

2

7.500 -

LU

5.000 "

2.500 -

1955

1960

1965

1970

1975

1980

Bruttosozialprodukt (BSP) Index of Sustainable Economic Welfare (ISEW) Quelle:

in Anlehnung

Abb. 7-6

Entwicklung

an Diefenbacher

1991, S. 81

des Index of Sustainable

Economic

Welfare für

Deutschland

Genuine Savings Der Indikator „Genuine Savings" hat in der theoretischen und praktischen Diskussion eine hohe Bedeutung erlangt. Die Genuine Savings bilden ähnlich wie das ISEW - eine monetär korrigierte volkswirtschaftliche Entwicklung ab. Der wesentliche Unterschied liegt darin, dass der Indikator Genuine Savings auf dem Paradigma einer schwachen Nachhaltigkeit beruht. Demnach müssen die Ersparnisse aller berücksichtigten Kapitalarten (hier: natürliches, künstliches und immaterielles Kapitel) insgesamt positiv sein. Es kann also die HartwickRegel angewandt werden, wonach der Verlust nicht-erneuerbarer Ressourcen durch den Aufbau künstlichen Kapitals gerechtfertigt ist (siehe S. 29). Hamilton und Atkinson unterscheiden drei unterschiedliche Fälle (Hamilton, Atkinson 2006, S. 11 und 173 f.):

A

• • •

sind sie negativ, dann sinkt der Nutzen späterer Generationen, sind die Genuine Savings positiv, dann steigt die Wohlfahrt, sind die Genuine Savings positiv und deren Wachstumsrate liegt unter einem festgelegten Diskontsatz p, dann steigen sowohl Nutzen als auch Wohlfahrt mit der Zeit.

152

7 Umsetzung Nachhaltiger Entwicklung an konkreten Beispielen

Die Berechnung der Genuine Savings korrigieren die jährlichen Inlandsersparnisse als eine Größe der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung: Die laufenden Bildungsausgaben werden als Investitionen hinzu addiert; Wertminderungen für Abschreibungen sowie die Kosten durch Schadstoffe (Feinstaub, C 0 2 ) und Abbau natürlicher Ressourcen (Bodenschätze, Wälder, landwirtschaftliche und geschützte Flächen) werden abgezogen. Die Genuine Savings liegen für eine Vielzahl von Ländern weltweit vor und ermöglichen eine vergleichende Betrachtung der Länder untereinander und im Zeitablauf. Die Berechnungen zeigen, dass viele Regionen ihren Wohlstand mehren (siehe Abb. 7-7): Die ostasiatischen Länder, wie China, haben jährlich hohe Zuwachsraten, während andere Staaten (v. a. Erdöl fördernde Staaten in der Region Naher Osten und Nordafrika) ihren natürlichen Reichtum „verkauft" haben, ohne die Einkünfte daraus in genügendem Umfang produktiv zu investieren. Deutschland hat - wie viele andere Industrieländer - stets positive Genuine Savings.

c Γ3 C Φ

ΙΟ

Ο

1970

1975

1980

1985

1990

1995

gooey

.2005

-10

-20

-

V

-30 -

Welt Deutschland Naher Osten und Nordafrika Ferner Osten und Pazifik Quelle:

in Anlehnung an www.worldbank.org, Tab. „ANS time series by country" ohne Feinstaub und Tab. „ANS time series by region and income group " (beides Abruf: 20.11.2008)

Abb. 7-7

Entwicklung der Genuine Savings

Die volkswirtschaftliche Basisgröße Inlandsersparnisse hat, gefolgt von den Bildungsausgaben, den größten Einfluss auf das Ergebnis. Ein Großteil der Länder, auch gerade die stark ressourcenverbrauchenden, erfüllt die Bedingung positiver Gesamtersparnisse. Ein wichtiger Kritikpunkt ist also, dass die Bildungsinvestitionen die Genuine Savings zu einem großen Teil bestimmen und demgegenüber ökologische Schäden vergleichsweise gering eingehen

Umsetzung Nachhaltiger Entwicklung an konkreten Beispielen

153

(Pillarisetti 2005). Für Deutschland betrugen die Bildungsinvestitionen (bezogen auf die Inlandsersparnisse) im Jahr 2006 beispielsweise 4,5 % und die ökologischen Schäden insgesamt nur 0,56 %. Der zugrunde liegende Marktpreis fur den Abbau natürlicher Ressourcen ist ebenfalls problematisch. Der Marktpreis ist ein unzureichender Gewichtungsfaktor fur die ökologische Bedeutung, da er nur die jeweilige Nachfrage widerspiegelt. Dies ist einmal an der hohen Volatilität der Genuine Savings von Nahost und Nordafrika während der Ölpreisschocks Ende der 1970er- und Ende der 1980er-Jahr erkennbar. Geir Asheim stellt darüber hinaus fest, dass die Preise erst dann fur eine Nachhaltige Entwicklung Aussagekraft haben, wenn ein nachhaltiger Konsumpfad ohnehin schon beschritten wird (Asheim 1994). Es bleibt festzuhalten: Die Genuine Savings repräsentieren allenfalls die Untergrenze einer Nachhaltigen Entwicklung. Diverse Indikatorenkataloge Neben den aggregierten Indikatoren (HDI, ISEW oder Genuine Savings) existieren Sammlungen einzeln zu verwendender Indikatoren. Viele der Indikatorenkataloge wurden in Folge der Agenda 21 ausgearbeitet. Die Ergebnisse der Conference on Sustainable Development (UNCSD 1996; UN CSD 2001) sind aufgrund der engen Bezüge zur Agenda 21 hierbei besonders bedeutend. Mehrere Nationen überprüften die Anwendbarkeit der CSD-Indikatoren, so auch das deutsche Umweltbundesamt 1997. Die Kataloge waren mit ca. 150 bzw. 200 Indikatoren jedoch sehr umfangreich, weshalb später die Auswahl von Kernindikatoren weiter forciert wurde (siehe Tab. 7-4). Die Indikatorenentwicklung und -diskussion wurden an verschiedener Stelle genutzt, u. a. gingen sie in Nachhaltigkeitsindikatoren fur die EU ein (Eurostat 2001; Eurostat 2007). Auch für die sogenannte „Lokale Agenda 21", Prozesse zur kommunalen Umsetzung von Nachhaltiger Entwicklung, wurden viele Indikatorenkataloge entwickelt (in Deutschland u. a. Diefenbacher et al. 2004, Agenda-Transfer 2003 und Zukunftsrat Hamburg 2003). Weitere Indikatoren aufzulisten, würde den Rahmen des Buches sprengen. Stattdessen sei auf die Beispiele der bundesdeutschen und der rheinland-pfälzischen Nachhaltigkeitsstrategie in Abschnitt 7.2 verwiesen. Die Indikatorenkataloge stellen die ökonomische, die soziale und die ökologische Dimension zumeist isoliert dar. Die Indikatoren repräsentieren nur eine der drei Nachhaltigkeitsdimensionen, was sich häufig in entsprechenden Einheiten widerspiegelt. Demnach sind ökologisch relevante Indikatoren häufig in physikalischen Einheiten (u. a. m2, m3, kg, kWh) und ökonomisch bedeutende Indikatoren eher in monetären Einheiten (€, $) angegeben. Die Messung sozial orientierter Indikatoren ist schwieriger und weniger einheitlich, hier kommen eher absolute und relative Fallzahlen (Personen, % der Personen), spezifische Angaben (etwa € pro Kopf) oder schlicht dimensionslose Indizes zur Anwendung. Die Zuordnung einzelner Indikatoren zu einer bestimmten „Nachhaltigkeitssäule" ist strittig, weshalb das Integrierende Nachhaltigkeitsdreieck hier Abhilfe schaffen kann.

154

7 Umsetzung Nachhaltiger Entwicklung an konkreten Beispielen

Ökologie

Ökonomie

Soziales

Atmosphere (9):

Economic Structure (2,33): • GDP per Capita • Investment Share in GDP

Equity (3,24):

• Emissions of Greenhouse Gases • Consumption of Ozone Depleting Substances • Ambient Concentration of Air Pollutants in Urban Areas



• •

Land (10,14,11,12): • Arable and Permanent Crop Land Area • Use of Fertilizers • Use of Agricultural Pesticides • Forest Area as a Percent of Land Area • Wood Harvesting Intensity • Land Affected by Desertification • Area of Urban Formal and Informal Settlements Oceans, Seas and Coasts (17): • Algae Concentration in Coastal Waters • Percent of Total Population Living in Coastal Areas • Annual Catch by Major Species

Balance of Trade in Goods and Services Debt to GNP Ratio Total ODA Given or Received as a Percent of GNP



Percent of Population Living below Poverty Line



Gini Index of Income Inequality



Unemployment Rate Ratio of Average Female Wage to Male Wage



Health (6): Consumption and Production Patterns (4,19-22):

Nutritional Status of Children Mortality Rate Under 5 Years Old

Intensity of Material Use Annual Energy Consumption per Capita Share of Consumption of Renewable Energy Resources Intensity of Energy Use

Life Expectancy at Birth Percent of Population with Adequate Sewage Disposal Facilities Population with Access to Safe Drinking Water Percent of Population with Access to Primary Health Care Facilities Immunization Against Infectious Childhood Diseases

Generation of Industrial and Municipal Solid Waste Generation of Hazardous Waste Generation of Radioactive Waste Waste Recycling and Reuse Distance Traveled per Capita by Mode of Transport

Contraceptive Prevalence Rate Education (36): • Children Reaching Grade 5 of Primary Education • Adult Secondary Education Achievement Level • Adult Literacy Rate

Fresh Water (18): • Annual Withdrawal of Ground and Surface Water as a Percent of Total Available Water • BOD in Water Bodies • Concentration of Faecal Coli form in Freshwater

Housing (7): Floor Area per Person



Biodiversity (15): • Area of Selected Key Ecosystems • Protected Area as a % of Total Area • Abundance of Selected Key Species

Security (36, 24): • Number of Recorded Crimes per 100.000 Population Population (S): Population Growth Rate • Population of Urban Formal and Informal Settlements



Die in Klammern gesetzten Zahlen geben den Bezug zum Kapitel der Agenda 21 (UNCED 1992) an. Die hervorgehobenen Indikatoren bedeuten, dass die an dem Test beteiligten Länder sich besonders häufig für diese Indikatoren ausgesprochen haben. Nicht in der obigen Liste enthalten sind: Domestic per Capita Consumption of Water, Land Use Cange, Emissions of Sulphur Dioxides, Emissions of Nitrogen Dioxides. In der Originalquelle sind noch Indikatoren für das Institutionelle als vierte Rubrik enthalten Quelle: in Anlehnung an UNCSD 2001, S. 24 f . Tab. 7-4 CSD-Kernindikatoren einer Nachhaltigen

Entwicklung

155

Umsetzung Nachhaltiger Entwicklung an konkreten Beispielen

7.1.2

Unternehmens- und Organisationsebene (Mikro)

Die nun betrachtete Ebene von Unternehmen und anderen Organisationen unterscheidet sich von der vorangegangenen Makroebene dadurch, dass insgesamt kleinere Systeme betrachtet werden, andere originäre Ziele zugrunde zu legen sind (siehe u. a. Ausführungen ab S. 120) und auch methodische Unterschiede bei Erfassung und Aggregation der Daten existieren. Entsprechend werden nachfolgend einige Möglichkeiten fur die Operationalisierung der Nachhaltigen Entwicklung auf der Mikroebene, d. h. für Unternehmen und Organisationen dargestellt. Hierbei sind die drei Nachhaltigkeitsdimensionen als Ordnungsstruktur wieder präsent. Das findet sich in vielen Nachhaltigkeitsberichten, Kennzahlen-Katalogen und möglichen Bewertungsverfahren (ζ. B. dem Fragebogen zum Dow Jones Sustainability Index: SAM 2004). Ausgehend von Katalogen mit Kennzahlen wird eine Auswahl weiterer Konzepte und Aggregationsverfahren vorgestellt, wofür der Ökoeffizienz-Ansatz eine wichtige Grundlage bildet. Weitere betriebliche Nachhaltigkeitsaktivitäten, die alle drei Dimensionen berücksichtigen sollen, greifen teilweise auf diese Daten- und Methodenbasis zurück. Solche Ansätze sind zunehmend unter dem Dach einer „Corporate Social Responsibility" (CSR) und noch umfassender unter der „Corporate Sustainability" (CS) oder dem „Nachhaltigkeitsmanagement" zusammengefasst (siehe etwa Czymmek et al. 2008, Zink 2008; Kleine, von Hauff2009). Kataloge betrieblicher Nachhaltigkeitskennzahlen

A

Nachhaltigkeitskennzahlen sollen in Unternehmen mehrere Funktionen erfüllen, worunter die Berichterstattung, v. a. auf der Basis zunehmender Bemühungen um eine Standardisierung, eine wichtige Rolle einnimmt. Steuerungs- und Kontrollfunktionen hinsichtlich der ökologischen und sozialen Dimension werden zunehmend bedeutend. Bei Umweltkennzahlen existieren hierbei die größten Erfahrungen und sie haben die weiteste Verbreitung (Funck, Pape 2008). Wegen der - im Allgemeinen - direkten Messbarkeit und deren Einsatz in betrieblichen Monitoring- und Controllingprozessen ist der Begriff „Kennzahlen" üblich. Kennzahlen sind danach zu unterscheiden, ob sie für Großunternehmen oder fur kleine und mittlere Unternehmen geeignet sind. Im Folgenden werden zwei Kennzahlenkataloge vorgestellt, die für jeweils eine der Unternehmensgrößen geeignet sind. Kennzahlen gemäß Richtlinie der Global Reporting Initiative Die Global Reporting Initiative (GRI) wurde 1997 von der US-amerikanischen Organisation Coalition for Environmentally Responsible Economics (CERES) und der UNEP gegründet. Ziel war es, die Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen methodisch zu verbessern. Die Richtlinien haben sich als Standard etabliert, die in enger Zusammenarbeit mit Unternehmen in der nunmehr dritten Fassung (GRI 2006) vorliegen. Branchenbezogene Kennzahlen ergänzen den umfassenden Leitfaden; in Zukunft sollen noch nationale Anhänge hinzukommen. Die vom GRI gemäß den drei Nachhaltigkeitsdimensionen gruppierten Kennzahlen werden nach Kern- und Zusatzkennzahlen unterschieden: Kernkennzahlen haben die Geltung, dass

7 Umsetzung Nachhaltiger Entwicklung an konkreten Beispielen

156

sie für die meisten berichterstattenden Organisationen sowie für deren Anspruchsgruppen bedeutend und in der Regel messbar sind; Zusatzindikatoren können hinzugenommen werden, wenn sie als relevant erachtet werden und verfügbar sind. In Tab. 7 - 5 sind alle Kemindikatoren der GRI, nach Themenbereichen gruppiert, aufgeführt. Der umfangreiche Satz, der weit über die betrieblichen Grenzen hinausgeht, ist für große und für engagierte Unternehmen besonders geeignet.

! Ökologische j Leistung Wirtschaftliche Leistung: • Wertschöpfung (Einnahmen, Betriebskosten, Gehälter, Steuern) • Finanzielle Folgen des Klimawandels • Betriebliche soziale Zuwendungen • Öffentliche Finanzzuflüsse (Subventionen) Marktpräsenz: • Zulieferer vor Ort • Lokales Personal

Mittelbare wirtschaftliche Auswirkungen: • Investitionen in Infrastruktur und Dienstleistungen

Materialien: •

Materialeinsatz



Recyclinganteil

Energie: • Direkte Primärenergieverbräuche • Indirekte Primärenergieverbräuche Wasser: • Wasserentnahmen Biodiversität: • Grundstücke in oder nahe Schutzgebieten oder mit hohem Biodiversitätswert • Auswirkung auf die Biodiversität auf diesen Grundstücken Emissionen, Abwasser, Abfall: • Direkte und indirekte Treibhausgase • Andere relevante Treibhausgase • Ozonabbauende Stoffe • Stick-, Schwefeloxide und andere Luftschadstoffe • Abwassermengen • Abfallmengen • Wesentliche Freisetzungen Produkte und Dienstleistungen: • Initiativen zur Minimierung von Umweltauswirkungen • Zurückgenommene Verpackungsmaterialien • Einhaltung von Rechtsvorschriften • Bußgelder und Strafen

Gesellschaftliche I Leistung Arbeitspraktiken und menschenwürdige Beschäftigung: • Gesamtbelegschaft • Mitarbeiterfluktuation • Mitarbeiter unter Kollektiwereinbaning • Mitteilungsfristen zu betrieblichen Veränderungen • Verletzungen, Berufskrankheiten, Abwesenheit etc. • Ernste Krankheiten in Belegschaft und Umfeld • Aus- oder Weiterbildung • Entlohnung von Männern gegenüber Frauen Menschenrechte: • Entsprechende Investitionsvereinbarungen • Geprüfte Zulieferer und Auftragnehmer • Diskriminierungsvorfälle • Gefährdungen von Vereinigungsfreiheit oder Kollektivverhandlungen • Risiko von Kinderarbeit • Risiko von Zwangs- oder Pflichtarbeit Gesellschaft: • Auswirkungen auf das Gemeinwesen • Korruptionsrisiken • Schulungen gegen Korruption • Maßnahmen gegen Korruption • Einflussnahmen auf Politik • Bußgelder wegen Verstößen gegen Rechtsvorschriften Produktverantwortung: • Untersuchungen zur Verbesserung von Gesundheit und Sicherheit • Informationspflichten • Werbung • Bußgelder

Quelle:

in Anlehnung an GRI 2006, S. 25-36

Tab. 7-5

Kernindikatoren fiir Unternehmen gemäß GRI- Version 3.0

157

Umsetzung Nachhaltiger Entwicklung an konkreten Beispielen Kennzahlen der VDI-Richtlinie 4070 für kleine und mittlere Unternehmen

Im Gegensatz zum oben aufgeführten GRI-Indikatorensatz ist die Richtlinie 4070 „Nachhaltiges Wirtschaften in kleinen und mittelständischen Unternehmen" des Vereins Deutscher Ingenieure (VD1 2006) enger gefasst und bildet eher innerbetriebliche Anforderungen ab. Die Kennzahlen sind, wie auch schon beim GRI, nach den drei Nachhaltigkeitsdimensionen geordnet und umfassen neben Kernkennzahlen („empfohlene" Kennzahlen wie in Tab. 7-6) auch „weiterfuhrende" und „ergänzende" Kennzahlen. IniHt'lr

Wirtschaft



Rohstoffeinsatz



Betriebsergebnis





Energieverbrauch



Eigenkapitalquote

• Anzahl an Auszubildenden



Wasserverbrauch



Eigenkapitalrendite



Gesundheitsquote



Abwassermenge



Fremdkapitalrendite



Unfallquote



Emissionen in die Luft

• Return on Investment (ROI)



Fluktuationsquote

• Emissionen ins Abwasser

Gesellschaft Mitarbeiteranzahl

• Netto-Wertschöpftmg

Quelle:

in Anlehnung an VD12006, Tabellen Al, A2, A3

Tab. 7-6

Betriebliche

Kennzahlen gemäß

VDI4070

Die stark betriebliche Orientierung ohne Einbindung externer Anspruchsgruppen wird in allen drei Säulen deutlich: Die Umwelt wird hinsichtlich der üblichen Kategorien - wie sie beispielsweise in Umweltberichten vorzufinden sind - erfasst. Bei den wirtschaftlichen Indikatoren handelt es sich um allgemein empfohlene Finanzkennzahlen und die Gesellschaft wird ausschließlich mit mitarbeiterbezogenen Kennzahlen abgebildet. Wie auch in den meisten anderen Indikatorenkatalogen wurde es hier bei den drei Nachhaltigkeitssäulen als einfache Systematisierung belassen - eine Anwendung des Integrierenden Nachhaltigkeitsdreiecks würde daher eine Weiterentwicklung bedeuten, um u. a. Ökoeffizienz-Kennzahlen zu unterstützen (Kleine, Petrovic 2006). Ökoeffizienz als Ausgangspunkt von Bewertungs- und Entscheidungsmethoden - das Beispiel der Ökoeffizienz-Analyse der BASF Die Ökoeffizienz beinhaltet - wie in Kapitel 4 dargestellt - eine besondere Sichtweise auf eine Nachhaltige Entwicklung. Verschiedene Handbücher sollen an die Verwendung von (einfachen) Ökoeffizienz-Kennzahlen heranführen (UNCTAD 2004; Verfaillie, Bidwell 2000). Manche KennzahlenKataloge versuchen ebenfalls auf die Bildung von Ökoeffizienz-Kennzahlen Bezug zu nehmen (GRI 2002, S. 41). Als Konsens kann gelten, dass nachfolgende Kennzahlen besonders für einen ÖkoeffizienzOperator geeignet sind:

158

7 Umsetzung Nachhaltiger Entwicklung an konkreten Beispielen

Schadschöpfung

Wertschöpfung



Energieverbrauch

• Produkte- bzw. Dienstleistungseinheit



Materialverbrauch

• Netto-Umsatz



Treibhausgasemissionen



Netto-Wasserverbrauch

• Emission ozonabbauender Substanzen Quelle:

in Anlehnung an Moll, Gee 1999, S. 7

Tab. 7-7

Vom WBCSD empfohlene Größen fiir die

Ökoeffizienz

Als Beispiel für eine weitergehende Ökoeffizienz-Konzeption, welche eine Vielzahl einzelner Kennzahlen hoch aggregiert, steht im Folgenden die Ökoeffizienz-Analyse. Diese ist ein langjährig erprobtes und angewandtes Bewertungsinstrument, das Ergebnisse über verschiedene Ebenen zusammenfasst und darstellt. Die BASF SE (früher: BASF AG) entwickelt die „Ökoeffizienz-Analyse" seit 1996 und hat sie seitdem vielfach angewandt. Die Ökoeffizienz-Analyse findet vor allem als Hilfe bei Entscheidungsprozessen über Verfahren, Produkte, Standorte etc. Anwendung. Die Forschung und Entwicklung ist ein weiteres wichtiges Anwendungsgebiet, um hier schon frühzeitig zu selektieren. Die Ökoeffizienz-Analyse wird in vielen Bereichen genutzt, um Produktportfolios unter ökologischen und ökonomischen Aspekten zu optimieren. Einige öffentlichkeitswirksame Untersuchungen lassen die Relevanz fur die Vermittlung von nachhaltigkeitsrelevanten Fragestellungen erkennen. Es ging etwa um die Fragen: „Ist Mineralwasser in Glas- oder Plastikflaschen ökoeffizienter? Wann lohnt sich der Austausch eines alten gegen einen neuen Kühlschrank?" Das Ökoeffizienz-Portfolio ist zentraler Bestandteil der Ökoeffizienz-Analyse, in der es die neue „ökologische Rationalität" (Schaltegger, Sturm 1990) von Schad- zu Wertschöpfung widerspiegelt. Verschiedene Optionen (fachsprachlich „funktionelle Einheiten") stehen sich im Portfolio gegenüber. Jede Option erfüllt unter Anlegung des Lebenszykluskonzeptes und der resultierenden „Ökobilanzen" (siehe S. 81) einen definierten Nutzen. Beispielsweise werde Kühlschränke unterschiedlichen Alters, die alle den gleichen Kühlraum und damit die gleiche Funktion erfüllen, hinsichtlich ihrer ökologischen und ökonomischen Aspekte gegenübergestellt. Nachfolgend wird aufgezeigt, wie sich Umwelt- und Kostenbelastung zusammensetzen. Umweltbelastung Die ökologische Dimension umfasst vier in Ökobilanzen gängige Kategorien, nämlich Ressourcen- und Energieverbrauch, Emissionen und Landnutzung. Die Emissionen setzen sich - weiter differenziert - aus Luft-, Wasser- und Bodenemissionen (Abfall) zusammen. Die Belastung der Luft ist noch weiter nach Treibhaus-, Versauerungs-, Ozonschädigungsund photochemisches Ozonbildungspotenzial zu unterscheiden. Das Toxizitätspotenzial (Gefahrdung von Mensch und Umwelt durch Stoffe, siehe Landsiedel, Saling 2002) und das Risikopotenzial (weitergehende Risiken, die nicht in anderen Umweltkategorien erfasst sind) erweitern die vier oben genannten, eher klassischen Umweltkategorien. Abb. 7-8 stellt alle Kategorien mit den Unterkategorien zusammen. Bei der Erfassung der Stoff- und Energie-

159

Umsetzung Nachhaltiger Entwicklung an konkreten Beispielen

ströme und deren Einwirkungen kommen Kennzahlen zum Einsatz, die auch in Indikatorenkatalogen bzw. im betrieblichen Umweltmanagement gängig sind.

Emissionen

20 %-+•

Stoffverbrauch

20%

Flächenverbrauch

20%

Toxizitätspotenzial

10%

Risikopotenzial

10%

Summe:

100 %

Luftemissionen

SO % ^

Wasseremissionen

35 %

Bodenemissionen

15%

Summe:

100%

Quelle:

in Anlehnung an Saling et al. 2002.S. 12 mit aktuellen gesellschaftlichen Deutschland

Abb. 7-8

Aggregation der einzelnen Umweltkategorien

in der

GWP ODP

50% 20%

POCP AP

20% 10% 100%

Summe:

Wichtungsfaktoren

für

Ökoeffizienz-Analyse

Ein normierter Wert zwischen 0 und 100 % gibt schließlich für jede Option in allen einzelnen Kategorien das Verhältnis zur jeweils umweltschädlichsten Option an. Die Option mit der höchsten Umwelteinwirkung trägt also mit 100% zur jeweiligen Kategorie bei, alle anderen proportional weniger. Die Ergebnisse einer Kategorie lassen sich durch Ermittlung der statistischen Relevanz in Verbindung mit gesellschaftlichen Gewichtungen (Werte wie in Abb. 7-8 angegeben) auf einer nächsthöheren Ebene zusammenfassen. In der Abbildung gehen die einzelnen Luftemissionen für die ökologischen Probleme der Klimaerwärmung (GWP: Global Warming Potential), des Ozonlochs (ODP: Ozone Depletion Potential), des bodennahen Ozons (POCP: Photochemical Ozone Creation Potential) und des sauren Regens (AP: Acidification Potential) nach links in die „Luftemissionen" ein. Die Luftemissionen werden gesellschaftlich als genauso wichtig wie die Wasseremissionen und Bodenemissionen (Abfalle) zusammen betrachtet (50 % : 50 %). Alle Emissionen zusammen gehen weiter nach links auf die nächsthöhere Aggregationsebene ein, wo sie eine gesellschaftliche Gewichtung von 20 % erfahren. Die Ökoeffizienz-Analyse hebt sich durch dieses Aggregationsverfahren von üblichen Ökobilanzen ab, welche die Umwelteinwirkungen in der Regel auf der stark ausdifferenzierten Ebene mit einer Vielzahl von Werten belassen. Gerade durch die Aggregation, wenden manche Kritiker ein, verlasse die Ökoeffizienz-Analyse die fachliche Analyseebene und könne schlechte Teilergebnisse durch andere aufrechnen. An dieser Stelle soll die Feststellung genügen, dass je nach Kontext unterschiedliche Betrachtungsebenen sinnvoll sind (siehe S. 133) und dass die Aggregation über die verschiedenen Ebenen in der Regel

160

7 Umsetzung Nachhaltiger Entwicklung an konkreten Beispielen

konsistent und nachvollziehbar dargestellt wird (vgl. beispielsweise Kleine, Weber 2007, S. 33-62). Kostenbelastung Die Kosten über den gesamten Lebensweg einer Option bilden die ökonomische Dimension ab. Die Option mit den höchsten Kosten wird auf 100 % normiert und die anderen Optionen erhalten einen Wert in Relation dazu, also zwischen 0 und 100 %. Die Kosten sind bislang das einzige Maß für die verschiedenen wirtschaftlichen Aspekte. Mögliche Ergänzungen können • • •

planmäßige variable Kosten statt vergangenheitsbezogene volle Kosten, Investitionsrechnungen unter Berücksichtigung von Abzinsungsfunktionen sowie ökonomisch relevante Aspekte von Stakeholdern berücksichtigen (Czymmek S. 119-130).

2003,

Darstellung im Ökoeffizienz-Portfolio Die gesamten Umwelt- und Kostenbelastungen der verschiedenen Optionen werden mithilfe eines Portfolios relativ zueinander aufgezeigt. So wird sichtbar, welche der untersuchten Optionen die beste, die gleiche oder die geringste Ökoeffizienz aufweisen. Die ökonomische Vorteilhaftigkeit nimmt nach rechts zu, die ökologische nach oben; die Umweltbelastung nimmt dementsprechend nach unten zu, die Kostenbelastung nach links. Die einzelnen Optionen sind im exemplarischen Ökoeffizienz-Portfolio (siehe Abb. 7-9) wie folgt zu interpretieren: •

Die Option mit der höchsten Ökoeffizienz befindet sich in diesem Portfolio rechts oben (hier Option A). In dem betreffenden Quadranten ist sowohl die Kosten- als auch die Umweltbelastung geringer als der Durchschnitt aller betrachteten Optionen.



Optionen auf einer Diagonalen (von links oben nach rechts unten) haben die gleiche Ökoeffizienz, hier die Optionen Β und C. Die Entscheidung für oder gegen eine dieser beiden gleich ökoeffizienten Optionen auf der Diagonalen benötigt weitere Kriterien oder eine Priorisierung zugunsten der Ökologie oder der Ökonomie (Kleine et al. 2004, S. 90). Die Option Β liegt im Quadranten mit einer höheren Umwelt-, aber niedrigeren Kostenbelastung als der Durchschnitt. Option C hat hingegen eine höhere Kosten-, aber geringere Umweltbelastung.



Die im Vergleich niedrigste Ökoeffizienz hat hier Option D; sowohl die Kosten als auch die Umweltbelastung sind am höchsten. Optionen im Quadranten unten links haben eine überdurchschnittlich hohe Kosten- und Umweltbelastung.

Der Vorteil dieser Ergebnispräsentation liegt in ihrer einfachen und leicht verständlichen Darstellungsweise und in ihren aussagekräftigen Resultaten. Darüber hinaus beinhaltet die Ökoeffizienz-Analyse noch mehrere Vorteile, so ζ. B. die angemessene Bewertung von Ökologie und Ökonomie sowie die Abschätzung von Toxizitäts- und Risikopotenzialen.

161

Umsetzung Nachhaltiger Entwicklung an konkreten Beispielen

•c.

a> Ε ΙΟ

c

σ>

c "Κ

TO Φ -Ο

-,—'

α> 5 Ε =)

2,0 2,0

1,0

0

Kosten (normiert) Quelle:

in Anlehnung an Saling et cd. 2002, S. 14

Abb. 7-9

Beispielhafte Darstellung eines

Ökoeffizienz-Portfolios

Sustainable Value Added Der „Environmental Value Added" (EVA, Figge 2001) ist eine Weiterentwicklung von zweidimensionalen Ökoeffizienz-Kennzahlen 1 zu einem einzigen monetären Mehrwert. Der Ansatz wurde über die soziale Dimension Der Social Footprint zum „Sustainable Value Added" (SVΑ, Figge, Der Ansetz des „Social Footprint" gibt den Grad der Zielerfüllung wieder; ein Beitrag von 1,0 oder Hahn 2002; Figge, Hahn 2004) erweitert. Der 1 0 0 % bedeutet eitle vollständige Übereinstimmung Mehrwert lässt sich über einen Vergleich mit mit dem Nachhaltigkeitsziel, während Werte weit einem übergeordneten Nachhaltigkeitsziel, unter 1,0 als "nicht nachhaltig" gelten (CSI2006). ζ. B. den C0 2 -Reduktionszielen gemäß KyotoEine solche Zietabstandsrechnung geht recht intuitiv Protokoll, ermitteln (ähnlich dem Social Footvor, hängt jedoch stark von der normativ und politisch determinierten Zielfestlegung ab. print, siehe Infokasten). Demnach spiegelt der Obwohl eine begriffliche Ähnlichkeit mit dem auf errechnete Mehrwert den ökonomischen ZuS. 145 vorgestellten „Ecological Footprint" besteht, satznutzen wider, der sich nach Abzug der spiegelt sich dies in der Methode keinesfalls wider. Opportunitätskosten für die ökologischen und sozialen Ressourcen ergibt. Das Berechnungsschema fur den SVA wird in Abb. 7-10 dargestellt.

7 Umsetzung Nachhaltiger Entwicklung an konkreten Beispielen

162

Quelle:

in Anlehnung an Figge 2001, S. 192

Abb. 7-10 Berechnung des Sustainable Value Added

Ein Vorteil dieser Berechnung ist, dass sie der gängigen finanzwirtschaftlichen Praxis entlehnt ist und mit dem Wegfall der ökologischen Einheit direkt vergleichbare und aggregierbare Werte entstehen. Der in Geldeinheiten ausgedrückte Mehrwert stößt gerade in Unternehmen eher auf Akzeptanz als gemischte ökologisch-ökonomische Kennzahlen. So lässt sich die Nachhaltigkeitsleistung von Unternehmen anschaulich bewerten und gegenüberstellen, wie Tab. 7 - 8 aufzeigt (Hahn et al. 2007). Des Weiteren vermag der in Geldeinheiten ausgedrückte Mehrwert, nun als „Sustainable Value" (SV), eher das Verständnis in einem Unternehmen anzusprechen als gemischte ökonomisch-ökologische Kennzahlen. Die fünf besten l nternehmen

Die fünf schlechtesten Unternehmen

ϊ nternehmea

SmtahHbte Value 2004 (in Mio Euro)

l Mornt'bnn·»

MitialimMc\*tiie2ttiU (in Mm Euro)

Daimler Chrysler

15.208

RWE

-148.996

Bosch

10.362

E.ON

-144.337

Deutsche Telekom

9.296

Thyssen Krupp Steel

-14.708

BMW

8.224

BASF

-12.908

VW

5.339

Degussa

-10.878

Quelle:

in Anlehnung an Hahn et al. 2007, S. 41

Tab. 7-8

Sustainable Value von ausgewählten deutschen

Unternehmen

Eine methodische Grenze erfährt der Sustainable Value Added durch die rein betriebliche Effizienzorientierung (Werkstorprinzip). Es gibt also keine weitergehende Bewertung,

163

Umsetzung Nachhaltiger Entwicklung an konkreten Beispielen

welche beispielsweise mithilfe von Ökobilanzen den gesamten Lebensweg der hergestellten Produkte berücksichtigt. Dies wird in Tab. 7 - 8 deutlich: Die Autohersteiler fuhren die Liste an, weil die ökologisch maßgebliche Nutzungsphase ihrer Produkte nicht berücksichtigt wird, während der Einsatz fossiler Energieträger bei den Energieunternehmen RWE und E O N zum Produktionsprozess gerechnet wird.

7.1.3

Beispielhafte Einordnung von Indikatoren

Das Chemieunternehmen BASF, das ein nachhaltiges Wirtschaften anstrebt, stand vor der Frage, welche positiven und negativen Auswirkungen ein neuer Industriestandort in China im Kontext einer Nachhaltigen Entwicklung haben wird. Es sollte der Standort an sich, das nähere Umfeld sowie die volkswirtschaftliche Bedeutung betrachtet werden.

Anz. der Beschäftigten Steuerzahlungen Zusatzvergütungen Krankheitsbed Fehltage Strafzahlungen

\ Zahlungen für soziale

für Nichteinhaltung \ gesetzt. Regelungen

Absicherung Vortbitdungsd. pro Mitarbeiter'

Infrastrukturzahlungen Materialverbrauch Recyclingquote

/ Beschaffungsquote von Unterstützung beim / heimischen Gütern Busverkehr , Korruptionszahlungen

indirekter Energieverbrauch

Zahlungen an politische Institutionen

Umsatz

Exportquote

Anteil des heimischen

\ Wasserverbrauch/ (KohlendioxidEmissionen)

k

Abwassermenge

Abfallmenge

Zölle Marktes am Gewinn bezogene Subventionen Arbeitsproduktivität

Ökologie Quelle:

in Anlehnung an Kleine et al. 2005, S. 61

Abb. 7-11 Einordnung von Indikatoren fur einen Industriestandort

164

7 Umsetzung Nachhaltiger Entwicklung an konkreten Beispielen

Zur Lösung der Fragestellung wurde u. a. ein Bewertungsschema auf Grundlage des Integrierenden Nachhaltigkeitsdreiecks und der GRI-Indikatoren (siehe S. 155) konzipiert. An der getroffenen Zuordnung Abb. 7-11 wird die Systematik deutlich, wie sie in Abschnitt 6.3.2 aufgezeigt wurde. Die Indikatoren werden, wie nachfolgend erläutert, den einzelnen Feldern zugeordnet. Die Ausführungen beginnen beim ökologisch-ökonomischen Feld und gehen dann im Uhrzeigersinn weiter. Für die konkrete Einordnung der Indikatoren ist der besondere Kontext eines Industriestandortes in China zu beachten: •

Das ziemlich leere ökologisch-ökologischen Feld ist ein Hinweis auf die wenigen Ökoeffizienz-Indikatoren im GRI-Katalog. Im vorliegenden Fall ist lediglich die „Abfallmenge" in das Feld eingegangen. Zwar ist dieser Indikator kein klassischer Ökoeffizienz-Indikator wie die Energieproduktivität, definiert als Wert- zu Schadschöpfung. Dennoch hat die starke ökonomische und zugleich ökologische Bedeutung hier zu dieser Einordnung gefuhrt: Neben der Belastung durch Entsorgungskosten sind v. a. die betrieblichen Transaktionskosten durch Sammlung und Verwaltung des Mülls ökonomisch erheblich. In vielen anderen Fällen ist der Indikator eher dem nächstgenannten Feld zuzuordnen.



Indikatoren wie Material-, Primärenergie- oder Wasserverbrauch sind dem vorwiegend ökologischen Feld zugeordnet. Es wäre eine weitere Verfeinerung innerhalb der getroffenen Feldzuordnung möglich: Die ersten beiden Indikatoren tendieren durch ihre hohe Relevanz für den Produktionsprozess innerhalb des Feldes nach rechts zur Ökonomie. Der Wasserverbrauch hat hingegen einen stärkeren Bezug zur sozialen Dimension, da lokale Wasserknappheiten im hiesigen Kontext v. a. die Frage nach einer gerechten Verteilung (Verwendungskonkurrenz) stellen. Die zusätzlichen Differenzierungen sind in Abb. 7-11 nicht dargestellt, da dies auf der jetzigen Betrachtungsebene zu weit fuhren würde. Unabhängig von der Tendenz innerhalb der getroffenen Feldzuordnung sind Wasser, Stoffe und Energieträger definitionsgemäß hauptsächlich als (veredelte) natürliche Ressourcen und damit nahe der Ökologie zu werten.



Das stark ökologische Feld blieb zum Zeitpunkt der Studie unbesetzt, da kein angemessener Indikator gefunden werden konnte. Der Zustand von Flora und Fauna oder Biodiversität sind nur mit hohem Aufwand zu ermitteln und ein kausaler Zusammenhang mit dem einzelnen Unternehmen kann im vorliegenden Fall ohnehin nur schwer gezogen werden. Die Emission von Treibhausgasen sollte bei der weiteren Erarbeitung in Betracht gezogen werden, da durch die Klimagase das globale ökologische Klimasystem beeinflusst wird. Die Berechnung aus betrieblichen Verbrauchsdaten ist relativ einfach möglich.



Das sozial-ökologische Feld hat zwar einige Einträge, allerdings ist deren Zuordnung auch hier nicht trivial (Dyllick, Hockerts 2002, S. 138). Im vorliegenden Beispiel sind die Emissionen klassischer Schadstoffe in diesem Feld eingetragen, da sie in den dichtbesiedelten Gebieten eine starke Bedeutung für die Bevölkerung haben. In anderen Fällen könnten

Umsetzung Nachhaltiger Entwicklung an konkreten Beispielen

165

diese Emissionen stärker zur Ökologie tendieren, wenn sie vorwiegend die Einwirkungen auf ökologische Systeme abbilden. „Neuartige" Luftemissionen wie Treibhausgase, die im Integrierenden Nachhaltigkeitsdreieck ursprünglich primär als ökologische Indikatoren eingeordnet sind, können durch den Bezug auf eine faire Verteilung unter den Menschen einen höchstinteressanten sozial-ökologischen Indikator bilden. •

Indikatoren im sozialen Bereich, etwa „Gesundheitsprogramme" oder „Zahlungen an politische Institutionen", zeigen die hohe Kontextualität der sozialen Dimension auf. Hier ist es der sozialpolitische und kulturellpolitische Kontext. Bei sozialorientierten Indikatoren kommen häufig stark normative oder auch subjektive Komponenten hinzu, die eine Zustandsmessung erschweren. Die Krankheitstage (hier im sozial-ökonomischen Feld) sind ein aufschlussreiches Beispiel: Bedeuten weniger krankheitsbedingte Fehltage einen höheren Gesundheits- und Motivationsstand? Oder kann der Indikator nicht auch ein Zeichen für eine repressive Untemehmenspolitik und Furcht vor fehlender Absicherung des Arbeitsplatzes sein?



Das sozial-ökonomische Feld beinhaltet v. a. solche Indikatoren, die sowohl die sozialen und menschlichen Bedürfnisse als auch die Erfordernisse der Wirtschaft abdecken. Das Konzept des Humankapitals hat aus Sicht der Unternehmen eine besondere Relevanz, da der Mensch nicht nur als Ressource für den Produktions- und Dienstleistungsprozess gilt, sondern auch gerade seine Qualifikation im Mittelpunkt steht. Daher sind Indikatoren wie "Weiterbildung" dem sozial-ökonomischen Feld zugeordnet. Es geht im Sinne einer gerechten Beteiligung am Wertschöpfungsprozess und der selbstständigen Einkommenssicherung ebenso um die Anzahl der bereitgestellten Arbeitsplätze.



Der Umsatz steht für einen stark ökonomisch orientierten Indikator. Das zeigt sich schon daran, dass der Umsatz eine Kernkennzahl der Unternehmens· und Finanzberichterstattung ist. Daher ist sie zusammen mit anderen Kosten- und erlösbezogenen Kennzahlen klar der ökonomischen Dimension zuzuordnen.



Das zentrale Feld (sozial-ökologisch-ökonomisch) ist in den existierenden Konzepten kaum thematisiert und konkretisiert worden. Daher existieren keine Indikatorenkataloge, aus denen Anhaltspunkte gewonnen werden könnten. Somit ist es schwierig, Indikatoren für die Mitte des Integrierenden Nachhaltigkeitsdreiecks zu finden, die sich im Spannungsgefüge der drei Dimensionen harmonisch einfügen sollen. Bislang werden häufig Indikatoren mit einem starken Maßnahmencharakter, die oftmals ein positives Bild von Unternehmen zeichnen sollen, herangezogen. Wünschenswert ist es hingegen, Indikatoren fur eine möglichst objektive Zustands- und Leistungsbeschreibung zu verwenden. So ist etwa der vorgeschlagene Indikator „Mitarbeitertransport" im Hinblick auf eine nachhaltigkeitskonforme Ausgestaltung zu konkretisieren, damit überprüfbare Aussagen möglich werden. Hierfür wären u. a. die folgenden Fragen zu klären:

166

7 Umsetzung Nachhaltiger Entwicklung an konkreten Beispielen

Wie groß sind Effekte auf Mitarbeiterzufriedenheit und Pünktlichkeit? Wie stark sind die vermiedenen Verkehrsströme?

7.1.4

Referenzwerte einer Nachhaltigen Entwicklung

Indikatoren geben einen Orientierungsrahmen für die Gestaltung einer Nachhaltigen Entwicklung vor. In diesem Sinne handelt es sich zunächst um einen weichen Steuerungsansatz. In Verbindung mit quantifizierten Zielen Beispiel f ü r die Schwierigkeiten von Nachhaltigkeitsindikatoren: erhält eine Überwachung - häufig als „MoniDer Indikator „Umweltbewusstsein" wäre sicherlich toring" bezeichnet - eine verlässliche und interessanter für das sozial-ökologische Feld. Jedoch faktenbasierte, quasi „härtere" Grundlage. existieren hier kaum verlässliche Messreihen (QuanInfolgedessen können Indikatoren mit Zieltifizierbarkeit), geschweige denn eine ausreichende werten eine entscheidende Rolle im kontinuierInterpretation dieses recht subjektiven Indikators. 1st die aktive Mitgliedschaft in einem Unmeltverband lichen Verbesserungsprozess spielen. Ferner aussagekräftiger? Oder gilt schon das Ausschalten sind Mess- und Bewertungskonzepte oftmals nicht benötigter Lampen als Umweltbewusstsein? auf solche Referenzwerte angewiesen. BeiDie Politik kann ferner nur begrenzt auf das Umspielsweise operieren die Indizes der Vereinten weltbewusstsein einwirken. Massenmedien haben eigene Vorstellungen und „Sachzwänge". Außerdem Nationen auf der Grundlage von Zielintervalbestehen oftmals konkurrierende Bemühungen von len einer Entwicklung (siehe S. 146) und der anderer Seite (Bund, Länder, Kommunen, VerSustainable Value Added benötigt Referenzbände). Also ist die formale Relevanz letztlich nur werte für das benchmarkorientierte Berechgering ausgeprägt. Die inhaltliche Relevanz kann auch nur mäßig sein, da das Umweltbewusstsein ein nungsverfahren (siehe S. 161). Für die im nachfolgenden Abschnitt 7.2 vorgestellten Nachhaltigkeitsstrategien sind Indikatoren sehr wichtig. Mit ihnen lassen sich die Anliegen einer Nachhaltigen Entwicklung kommunizieren, planen und steuern. Dafür müssen sie mehrere Kriterien erfüllen (Renn et al. 2000, S. 9 und 14): •

• •

recht weit gefasstes Maß ist und wenig auf konkrete 1 landlungen bezogen werden kann.

Eine Vergleichbarkeit isl schon aus fehlender Erfessbarkeit nicht möglich; die Verwendung des Indikators „Umweltbewusstsein" in Nachhaltigkeitsstrategien ist nicht bekannl. Insgesamt erfüllt der Indikator kaum die drei Eignungskriterien. Nur die Kommunikationsfunktion spricht für den Indikator, da jeder Laie die Entwicklung des Umweltbevvüsstseins nachvollziehen kann. Andere Indikatoren erscheinen ebenfalls aus diesem Grund ungeeignet. Beispielsweise eignet sich die „Schadstofftelastung der Muttermilch" wegen der zu erwartenden negativen Assoziationen und Emotionen kaum für eine breitere Kommunikation.

Das Kriterium der Relevanz ist dann erfüllt, wenn die mit dem Indikator abgebildeten Inhalte für den Bereich der Akteure (etwa eine Nation, ein Bundesland oder ein Unternehmen) bedeutend sind. Neben dieser „i matischen Relevanz" müssen die Akteure die Entwicklung wesentlich beeinflussen können („formale Relevanz"). Die Quantifizierbarkeit erfordert sowohl eine ausreichende Datenverfügbarkeit als auch die Möglichkeit einer konsistenten Zeitreihenbildung über mehrere Jahre. Indikatoren sollen eine Vergleichbarkeit zu über- und untergeordneten politisch-geografischen Ebenen (vertikal) und zu anderen Dokumenten und Prozessen der gleichen Ebene ermöglichen (horizontal).

Die nachfolgend aufgeführten Indikatoren, die auch an anderen Stellen des Lehrbuchs relevant sind, berücksichtigen zum großen Teil die drei Kriterien.

Umsetzung Nachhaltiger Entwicklung an konkreten Beispielen

167

Über die einzelnen Zielwerte bestehen unterschiedliche Ansichten, worin sich auch die Auffassungen über die Schwerpunkte und die Stärke einer Nachhaltigen Entwicklung widerspiegeln. Im Folgenden wird zunächst der umfassende Indikatorensatz der deutschen Bundesregierung aufgezeigt. Darauf folgt ein stärker wissenschaftlich gestützter Vorschlag der Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren. Der ökologisch dominierte Zielkatalog des Wuppertal Instituts stellt abschließend das Beispiel einer starken Nachhaltigkeit für ein „zukunfitsfahiges Deutschland" dar. Nachhaltigkeitsstrategie Deutschlands Seit 2002 bildet eine indikatorengestützte Nachhaltigkeitsstrategie eine wichtige Grundlage der deutschen Bundesregierung hin zur Nachhaltigen Entwicklung (siehe S. 175). Die Indikatoren, die seit der ersten Fassung 2002 etwas überarbeitet und weiterentwickelt wurden, sind in vier „Koordinaten" und 21 Handlungsfelder gegliedert (siehe Tab. 7-9). Die „Generationengerechtigkeit" als erste Koordinate soll zur langfristigen Sicherung der natürlichen, ökonomischen und sozialen Ressourcen beitragen. Hier ist ein gewisser ökologischer Schwerpunkt erkennbar. Die „Lebensqualität" beinhaltet Ziele für den materiellen Wohlstand, eine intakte Umwelt und wichtige gesellschaftliche Bedürfnisse. Diese Koordinate hat eher einen Bezug zu den gegenwärtig lebenden Generationen. Der „soziale Zusammenhang" soll zur Behebung gesellschaftlicher Missstände bzw. Chancenungleichheit beitragen, wodurch die soziale Dimension weiter berücksichtigt wird. Mit der „internationalen Verantwortung" kommt schließlich die Nord-Süd-Problematik als ein Hauptaugenmerk der Agenda 21 zusätzlich zur Geltung. Verschiedene dritte Institutionen haben die Entwicklung hinsichtlich der selbst vorgegebenen Ziele bewertet (siehe Rat für Nachhaltige Entwicklung 2008, Statistisches Bundesamt 2008; Diefenbacher et al. 2004). Demnach ist die ökonomische und soziale Situation - im internationalen Vergleich - als gut zu bewerten, während das Umweltbelastungsniveau durch Kohlendioxidemissionen und Flächeninanspruchnahme zu hoch ist (Kleine 2009, S. 155— 172). Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren Die Helmholtz-Gemeinschaft deutscher Forschungszentren (HGF) erarbeitete im Rahmen eines breit angelegten Verbundprojekts ein integriertes Nachhaltigkeitskonzept (siehe Abschnitt 5.2.3). Auf dieser Basis bestimmen die Wissenschaftler der HGF prioritäre Handlungsfelder, die sie als „Nachhaltigkeitsdefizite" bezeichnen und mit Indikatoren unterlegen. Tab. 7-10 stellt ausgewählte Indikatoren und Zielwerte dar, die im Verbundprojekt weitaus detaillierter ausgeführt wurden. Bereits auf dieser Übersichtsebene wird deutlich, dass nach Ansicht der HGF ökologisch und sozial relevante Defizite überwiegen.

7 Umsetzung Nachhaltiger Entwicklung an konkreten Beispielen

168 Bereich („Koordinate") Hai)dl«n«UiUI

Indikatoren Unit Klchitrie



Generationengerechtigkeit Ressourcenschonung

Energieproduktivität Rohstoffproduktivität

-

1990-2020:+200% 1994-2020:+200%

Klimaschutz

Treibhausgasemissionen

Erneuerbare Energien

Anteil am Primärenergieverbrauch - 2010:4,2 % - 2020; 10 % Anteil am Stromverbrauch - 2010: mind. 12,5 % 2020: mind. 30 % |

Flächeninanspruchnahme

Siedlungs- und Verkehrsfläche

Artenvielfalt

Ausgewählte Vogelarten

Staatsverschuldung

Staatsdefizit

Wirtschaftliche Zukunftsvorsorge

Bruttoanlageinvestitionen pro BIP

Innovation

Ausgaben ftlr Forschung und Entwicklung pro BIP

Bildung

18-24-Jährige ohne Abschluss 25-Jährige mit abgeschl. Hochschulausbildung Studienanfängerquote

- 1990-2008/2012:-21 %

- 2020: 30 ha pro Tag 1 2015: Indexwert 100 (ähnlich hoch wie 1975) | - 2011:0% „Steigerung des Anteils" — 2010: 3 % |

- 2010: 9 % - 2020:4,5 % -» 2010: 10 % - 2020:20 % - 2010:40%

Lebensqualität Wirtschaftlicher Wohlstand

Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Einwohner

Mobilität

Verkehrsleistung pro BIP im Güterverkehr

-> „Wirtschaftliches Wachstum" | - 1999-2010:-2% - 1999-2020: - 5 % - 1990-2010:-10% - 1990-2020:-20% -2015:25% -«2015:14%

Verkehrsleistung pro BIP im Personenverkehr Anteil des Schienenverkehrs im Güterverkehr Anteil Binnenschifffahrt im Güterverkehr Landbewirtschaftung

Stickstoff-Oberschuss Anteil Öko-Landbau

Luftqualität

Schadstoffbelastung

Gesundheit

Vorzeitige Sterblichkeit

Kriminalität

- 2010: 80 kg/ha -r* „in den nächsten Jahren": 20 % -

1990-2010:-70%

- 2015: 190/100.000 Männer pro Jahr - 2015: 115/100.000 Frauen pro Jahr Raucherquote — 2015 (Jugendliche): unter 12 % 2015 (Erwachsene): unter 22 % Erwachsene mit Adipositas - 2 0 2 0 : „Rückgang" Anzahl der Wohnungseinbruchdiebstähle - 2015: unter 100.000/Jahr

Sozialer Zusammenhalt Beschäftigung

Erwerbstätigenquote insgesamt Erwerbstätigenquote älterer Menschen

- 2010: 73 % - 2020: 75 % - 2010: 55 % - 2020:57 %

Perspektiven für Familien

Ganztagsbetreuungsplätze für 0-2-Jährige Ganztagsbetreuungsplätze für 3-5-Jährige

- 2010: 30 % - 2020: 35 % - 2010: 3 0 % - 2020: 6 0 %

Gleichberechtigung

Verdienstabstand zwischen Frauen und Männern —· 2010: 15 % -* 2020: 10 %

Integration

Ausl. Schulabgänger mit mind. Hauptschulabschluss

— 2020: wie deutsche

J Internationale Verantwortung Entwicklungszusammenarbeit

Öffentliche Ausgaben ftlr Entwicklungszusammenarbeit pro BIP

Märkte öffnen

Einfuhren der EU aus Entwicklungsländern

- 2010: 0,51 % - 2015:0,7 %

Quelle:

in Anlehnung an Deutsche Bundesregierung 2008, S. 81-83

Tab. 7-9

Indikatoren und Ziele einer Nachhaltigen Entwicklung in Deutschland - Nationale Nachhaltigkeitsstrategie

— „weiterer Anstieg"

169

Umsetzung Nachhaltiger Entwicklung an konkreten Beispielen Handlungsfeld

Indikatoren und Zielwerte

Gesundheit

• Partikelbelastung (PM 10) •

Lärmbelästigung

- 2010: 20 pg/m 3 -* max. 65 dB (A) tagsüber max. 55 dB (A) nachts

Armut

Armutsquote (Personen mit Einkommen von weniger als 50 % bezogen auf den Durchschnitt der Gesamtbevölkerung)

Globale Einkommensunterschiede

Oberstes zu unterstem Einkommensquintil

Arbeitslosigkeit

Anteilige Langzeitarbeitslosigkeit

Bildung

Schulabgänger ohne Hauptschulabschluss

Chancengleichheit

Lesefähigkeit (Gradient von Lesefähigkeit zum sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Status)

Fläche

Zunahme Siedlungs- und Verkehrsfläche

Biodiversität

Gefährdete Arten

Waldschäden

Relevante Luftschadstoffe

Ressourcenknappheit

Verbrauch nicht-emeuerbarer Ressourcen

-2010:-20% - 2020: - 4 0 %

Klimawandel

COj-Emissionen

- 2010:-21 % - 2020:-40 %

Global: Umweltnutzungsmöglichkeiten

COj-Emissionen pro Kopf

Gewässer

Gütezustand Fließgewässer > Klasse II

- 2 0 1 0 : 100%

Staatsverschuldung

Defizitquote öffentlicher Haushalte

- 2010:0,5 % - 2020:0 %

Wahrnehmung globaler Verantwortung

• Agrarexportsubventionen der EU • Ausgaben für Entwicklungszusammenarbeit pro BIP

Quelle:

-* 6,5 % -

2020:35-40

->2020:5-10% -»2010:4,5% - 2020:0 % -2020:21 - 2 0 2 0 : 30 ha d -

2020:-50%

- 2010: S 0 2 - 9 0 % - NO, - 6 0 %, NH 3 - 2 8 %

-2010:8 t - 2020: 61

— vollständiger Abbau -2010:0,4% - 2020:0,7 %

in Anlehnung an Coenen, Grunwald 2003, S. 83-130

Tab. 7—10 Indikatoren und Ziele einer Nachhaltigen Entwicklung in Deutschland Deutscher Forschungszentren

Helmholtz-Gemeinschaft

„Zukunftsfähiges Deutschland" des Wuppertal Instituts Ein führender Umweltverband und eine kirchliche Entwicklungsorganisation gaben die Studie „Zukunftsfahiges Deutschland - ein Beitrag zu einer global nachhaltigen Entwicklung" in Auftrag (BUND, Misereor 1996). Die Studie, erarbeitet vom Wuppertal Institut, erfuhr wegen der umfassenden Forderungen zur Wahrung ökologischer Tragfähigkeit große Aufmerksamkeit. Die aufgeführten Zielwerte geben vergleichsweise ambitionierte Zielwerte wieder, die vor dem Hintergrund einer starken Nachhaltigkeit als notwendig erachtet werden (siehe Tab. 7-11). Die zweite Auflage „Zukunftsfähiges Deutschland in einer globalisierten Welt - ein Anstoß zur gesellschaftlichen Debatte" unterzieht die 1996 erarbeiteten Zielvorschläge einer Bilanz und bekräftigt die Forderungen nach tief greifenden Veränderungen in der Nutzung der natürlichen Umwelt (BUND et al. 2009, S. 129-144). Die Nachfolge-Studie thematisiert die fur einen Wandel notwendige soziale Dimension umfassender als in der ersten Auflage.

170

7 Umsetzung Nachhaltiger Entwicklung an konkreten Beispielen

Bereich Imiikatoivii »ntl Z U * u r h ·

1995 2flil5

Energieeinsatz •

Primärenergieverbrauch

• Fossile Brennstoffe • Kernenergie

- 2010: mindestens - 3 0 % - 2050: mindestens - 5 0 %

+1,4%

-» 2010: - 2 5 % -> 2050:-80 b i s - 9 0 %

-3,7,%

- 2010: - 1 0 0 % (Abschaffung)

+5,8 % +10 % jährlich +1,6% jährlich

• Erneuerbare Energien

- 2010: +3 bis +5 % jährlich



- 2010: +3 bis +5 % jährlich

Energieproduktivität (bei jährlich +2,5% BIP)

.Materialeinsatz • Nicht-erneuerbare Rohstoffe •

Materialproduktivität (bei jährlich +2,5 % BIP)

- 2010: - 2 5 % - 2050:-80 b i s - 9 0 %

+5,1%

-»2010: +4 bis +6 % jährlich

+0,8% jährlich

- 2010: ± 0 % - 2010: flächendeckend (100 %) -> 2010: flächendeckend (100 %)

120 ha täglich 2005:4,7 % 2005: 4.8 %

-> 2010: - 3 5 % - 2050: - 8 0 bis - 9 0 %

-5,2 % 4

2010: - 8 0 b i s - 9 0 %

-67,6% -33,5 % -1,9% -36,5 % -0,4 % +2,8 % -34,2 %

Flächeninanspruchnahme • Zunahme von Siedlungs- und Verkehrsfläche • Ökologischer Landbau • Natumaher Waldbau Stoflausträge • Kohlendioxid (bezogen auf 1990) • Schwefeldioxid • Stickoxide

- 2005: - 8 0 %

• Ammoniak

-»2010: - 8 0 b i s - 9 0 % - 2005: - 8 0 %

• Flüchtige organische Verbindungen • Synthetische Stickstoffdünger • Biozide in der Landwirtschaft • Quelle:

Bodenerosion

- 2010: - 1 0 0 % - 2 0 1 0 : -100% - 2 0 1 0 : - 8 0 bis-90%

in Anlehnung an BUND et al. 2009, S. 130 f . und BUND, Misereor 1996, S. 80

Tab. 7-11 Indikatoren und Ziele einer Nachhaltigen Entwicklung in Deutschland - Wuppertal Institut

12

Umsetzung Nachhaltiger Entwicklung durch Nachhaltigkeitsstrategien

Die Agenda 21 fordert - wie in Abschnitt 1.7 schon festgestellt wurde - die Erstellung von Nachhaltigkeitsstrategien, mit denen das Leitbild Nachhaltige Entwicklung langfristig in einen systematischen Umsetzungsprozess überführt werden soll. Die Generalversammlung der Vereinten Nationen bekräftigte 1997 dieses Ziel und gab 2002 als Zieljahr vor. Bis dahin erarbeiteten mehrere Länder eine Nachhaltigkeitsstrategie und konnten diese anlässlich der 4

Die größten Einsparungen gab es Anfang der 1990er-Jahre im Anschluss an die deutsche Wiedervereinigung. Die von der Bundesregierung ausgewiesenen Einsparungen an Kohlendioxid sind dementsprechend höher, da sie ihre Klimaschutzziele auf 1990 und nicht auf 1995 - wie hier berechnet - bezieht.

Umsetzung Nachhaltiger Entwicklung an konkreten Beispielen

171

Rio-Nachfolgekonferenz in Johannesburg vorlegen. Deutschland gehörte zu den Staaten, die 2002 erstmals eine nationale Nachhaltigkeitsstrategie vorlegte. Bei staatlichen Nachhaltigkeitsstrategien hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass sie keinen ökologischen Bias aufweisen sollen (OECD 2007, S. 9), wie er bis Anfang des neuen Jahrtausends (2000er) noch vorherrschte (etwa bei Nordbeck 2001, S. 2-4). Neuere Nachhaltigkeitsstrategien basieren stattdessen zumeist auf den drei Nachhaltigkeitsdimensionen. Der Sachverständigenrat für Umweltfragen merkt hierzu an, dass hiermit „... zunächst häufig ein restriktives Verständnis von Umwelt verbunden [war], das inzwischen einer Sicht weicht, die nicht-nachhaltige Entwicklungen in unterschiedlichen Handlungsfeldern thematisiert und dabei den Synergien von Umwelt und Wirtschaft besondere Bedeutung beimisst (SRU 2008, Tz. 1)." Nachhaltigkeitsstrategien zeichnen sich durch einen kontinuierlichen Verbesserungsprozess aus, wodurch politische Abläufe managementorientiert ausgestaltet werden (siehe hierzu auch Abschnitt 6.4). Mittlerweile existiert eine Vielzahl von Ansätzen, welche zu den nachfolgenden Schlüsselelementen einer Nachhaltigkeitsstrategie unterschiedlich beitragen können (Dalal-Clayton, Bass 2007, S. 121-129): • • • •

Überwachung von Nachhaltigkeitsstrategien bezüglich der Qualität des partizipativen Prozesses Inhalte in Form von ökologischen, ökonomischen und sozialen Schlüsselaspekten Wahrnehmung von Gestaltungsansätzen in Politik, Gesellschaft und Wirtschaft Tatsächliche Auswirkungen auf die Entwicklung

Tab. 7-12 gibt den Umfang einzelner Ansätze zur Prüfung und Weiterentwicklung von Nachhaltigkeitsstrategien wieder. Beispielsweise fiihrt ein Monitoring mit Indikatoren und quantifizierten Zielen zu einer hohen Verbindlichkeit und ermöglicht bei entsprechenden Indikatoren eine langfristige Perspektive. Die Indikatoren können ihre Vorteile als essenzieller Bestandteil eines kontinuierlichen Verbesserungsprozess entfalten (siehe S. 131) und ermöglichen insbesondere die Festlegung von Prioritäten, Darstellung von Beziehungen und die Aufdeckung von Defiziten. Probleme ergeben sich jedoch durch den hohen Aufwand zur Festlegung und Ermittlung der benötigten Daten, die fehlende effektive Einbindung in die politische Arbeit sowie in der begrenzten Aussagekraft, Repräsentativität und Vergleichbarkeit der Indikatoren und Indizes (Dalal-Clayton, Bass 2007, S. 115, S. 128). Insofern tragen Nachhaltigkeitsindikatoren zur Gestaltung von Nachhaltigkeitsstrategien und zur Beeinflussung der gewünschten Auswirkungen bei. Barry Dalal-Clayton ist jedoch der Ansicht, dass Indikatoren nicht den von den Akteuren geführten Prozess an sich betrachten. Seine Einschätzung, indikatorenbasiertes Monitoring würde nicht zur Bestimmung der Schlüsselthemen beitragen, kann so interpretiert werden, dass Indikatoren vielmehr den inhaltlichen Festlegungen folgen sollen.

172

7 Umsetzung Nachhaltiger Entwicklung an konkreten Beispielen

Ansatz

Prozess

j Produkt 1 (Inhalt)

1 Gestaltung j

AusWirkungen

Nationales Peer Review

+

Internes Review

+

+

+

+

0 +

Externes Audit

-

+

Parlamentarisches Review

-

+

+

0

Budget Review

-

+

0

-

Monitoring durch Indikatoren

-

-

+

+

Öffentliches Monitoring vor Ort

-

+

+

+

Internationales Monitoring durch Berichte

-

+

+

0

-

+

+

0

-

+

+

+

Internationales Monitoring durch europäische Nachhaltigkeitsstrategie Monitoring von Armutsbekämpfungsstrategien Einschätzung von Dalal-Clayton: +: wird erfüllt o: wird selten oder kaum erfüllt -: wird nicht erfüllt

Die Originalquelle führt auch Vor- und Nachteile der einzelnen Ansätze aus. Quelle:

in Anlehnung an Dalal-Clayton.

Tab. 7-12 Betrachtungsumfang

Bass 2007, S. 127-129

von Monitoringansätzen

für nationale

Nachhaltigkeitsstrategien

Indikatoren sind bei vielen fuhrenden europäischen Nachhaltigkeitsstrategien, so auch bei der Strategie der deutschen Bundesregierung und der Landesregierung Rheinland-Pfalz, üblich (siehe Abschnitt 7.2.2 und 7.2.3). Die anderen Ansätze sind hingegen weniger klar zu identifizieren, zumal die Entwicklung der Nachhaltigkeitsstrategien dynamisch verläuft. Beispielsweise werden Peer-Reviews von nationalen Strategien erst seit etwa 2005 in einem nennenswerten Umfang durchgeführt. In den nachfolgenden Abschnitten werden mehrere Nachhaltigkeitsstrategien vorgestellt. Diese setzen die vorgestellten Monitoringansätze ganz unterschiedlich und eher vereinzelt ein. Es wird die Verwendung von Indikatoren im Vordergrund stehen, da dies der größte gemeinsame Nenner ist. Die europäische Nachhaltigkeitsstrategie, die gewissermaßen einen Überbau zu den nationalen Strategien der Mitgliedsstaaten bildet, ist in 7.2.1 beschrieben. Die Grundzüge der deutschen Nachhaltigkeitsstrategie werden in Abschnitt 7.2.2 vorgestellt. Die „Nachhaltigkeitsstrategie für Rheinland-Pfalz" ist schließlich ein Beispiel für die Umsetzung in einem Bundesland wie auch für die systematische Anwendung des Integrierenden Nachhaltigkeitsdreiecks (Abschnitt 7.2.3).

7.2.1

Die europäische Nachhaltigkeitsstrategie

Die EU verfolgt seit Längerem eine Entwicklung, die über das Paradigma eines Wirtschaftswachstums hinausgeht (ζ. B. im „Vertrag von Maastricht": Europäische Union 1992 Art. B). Der darauf aufbauende „Vertrag von Amsterdam" erklärte die Nachhaltigkeit schließlich zu einem politischen Oberziel zur

173

Umsetzung Nachhaltiger Entwicklung an konkreten Beispielen „... Förderung des wirtschaftlichen und sozialen Fortschritts und eines hohen Beschäftigungsniveaus sowie die Herbeiführung einer ausgewogenen und nachhaltigen Entwicklung, insbesondere durch Schaffung eines Raumes ohne Binnengrenzen, durch Stärkung des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts und durch Errichtung einer Wirtschafts- und Währungsunion ... (Europäische Union, Europäische Gemeinschaften 1997, Art. 2). "

Der Entwurf „A Sustainable Europe for a Better World" (Europäische Kommission 2001) ging zu großen Teilen in die erste europäische Nachhaltigkeitsstrategie ein, beschlossen vom Europäischen Rat von Göteborg. Die vier Themenbereiche „Klimawandel", „Umwelt und Gesundheit", „Transport und Landnutzung" sowie „Natur und Biodiversität" bilden die Schwerpunkte der europäischen Nachhaltigkeitsstrategie (Europäischer Rat 2001, Tz. 2731). Hier wird das ökologisch orientierte Verständnis einer Nachhaltigkeitsstrategie deutlich, welches die bereits bestehende „Lissabon-Strategie" ergänzen soll - der Europäische Rat von Lissabon hatte 2000 lediglich Ziele für eine wirtschaftliche und soziale Entwicklung vorgesehen, um „... die Union zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum in der Welt zu machen - einem Wirtschaftsraum, der fähig ist, ein dauerhaftes Wirtschaftswachstum mit mehr und besseren Arbeitsplätzen und einem größeren sozialen Zusammenhalt zu erzielen (Europäischer Rat 2000, Tz. 5). " Es wurde jedoch zunehmend deutlich, dass alle drei Nachhaltigkeitsdimensionen zusammenzufuhren sind: ,JDie Herausforderung besteht darin, eine Dynamik aufrechtzuerhalten, in der sich wirtschaftliches Wachstum, soziale Sicherheit und Umweltschutz wechselseitig verstärken (Europäische Kommission 2005, S. 3). " Vor diesem Hintergrund ist die zweite europäische Nachhaltigkeitsstrategie umfassender konzipiert, sodass die drei Dimensionen und die internationale Perspektive mit konkreten Zielen und Maßnahmen in den Handlungsfeldern deutlich werden (Rat der Europäischen Union 2006b, Tz. 6, 13): • • • • • • •

Klimaänderung und saubere Energien Nachhaltiger Verkehr Nachhaltiger Konsum und nachhaltige Produktion Erhaltung und Bewirtschaftung der natürlichen Ressourcen Gesundheit Soziale Eingliederung Globale Herausforderungen in Bezug auf Armut und Nachhaltige Entwicklung

Umweltinnovationen als Wachstumsmotor Der Europäische Rat beschloss 2006 ökologische Handlungsfelder ftir die Lissabon-Strategie. Mit der umfassenderen Zielsetzung - u.a. in Handlungslinien für ein ..umweltverträgliches Wachstum" zusammengefasst - sollen Umweltinnovationen einen Beitrag für Beschäftigung und Wachstum leisten. (Rai der Europäischen Union 2006a. Tz. 4 und 75 f.). Es finden sich Umweltziele wie die Biodiversität sowie die Produktions- und Konsummuster. Schwerpunkte waren nun die umweltfreundliche Erzeugung und der effiziente Einsatz von Energie sowie die schnellere Diffussion der Neuerungen. Auch ging es um die Internalisierung externer Effekte, Entkopplung wirtschaftlichen Wachstums und Naturnutzung. Der Klimawandel erhielt besondere Aufmerksamkeit.

Ferner beschloss der Europäische Rat die Erstellung eines indikatorengestützten Fortschrittsberichts im zweijährigen Rhythmus (siehe: Rat der Europäischen Union 2006b, Tz. 33). Im darauffolgenden Jahr erschien erstmals ein Fortschrittsbericht Kommission 2007).

(Europäische

174

7 Umsetzung Nachhaltiger Entwicklung an konkreten Beispielen

Thema

Leitindikator des Themas

Leitindikatoren von Unterthemen

Sozio-ökonomische Entwicklung

Bruttoinlandsprodukt (Steigerung pro Kopf)

• Bruttoinvestitionen (nach Sektoren)

Nachhaltige Konsum- und Produktionsmuster

Ressourcenproduktivität

• Siedlungsabfälle pro BIP • Stromverbrauch privater Haushalte • Unternehmen mit Umweltmanagementsystem

Sozialer Zusammenhang

Quote der Armutsgefährdeten (nach Sozialleistungen und nach Geschlecht)

• Quote der dauerhaft Armutsgeföhrdeten

Demografischer Wandel

Erwerbstätigenrate Älterer

• Lebenserwartung im Alter von 65 Jahren (nach Geschlecht) • Verdienstverhältnis während/vor Ruhestand

Gesundheit

• Gesunde Lebensjahre (nach Geschlecht) • Lebenserwartung bei Geburt (nach Geschlecht)

• Todesrate aufgrund chronischer Leiden

Klimawandel und Energie

• Treibhausgasemissionen • Anteil Emeuerbarer Energien

• Treibhausgasemissionen (nach Sektoren) • Energieabhängigkeit

Transport

Energieverbrauch des Verkehrs

• • • •

Natürliche Ressourcen

• Bestandsentwicklung von Vögeln • Fischfang aus überfischten Beständen

• Angemessenheit von Gebieten nach EU-HabitatRichtlinie • Entnahme von Grund- und von Oberflächenwasser • Quecksilberkonzentration in Fischen und Schalentieren • Flächeninanspruchnahme für Siedlung, Verkehr und Gewerbe • Waldzuwachs und Holzeinschlag

Globale Partnerschaft

Öffentliche Entwicklungshilfe pro BIP

• EU-Importe aus Entwicklungsländern (nach Einkommensgruppen)

• Arbeitsproduktivität (pro Stunde) • Beschäftigungsquote

• Personen in erwerbslosen Haushalten (nach Altersgruppen) • Frühe Schulabgänger

• Verschuldungsquote des Staates • Salmonellenerkrankungen • Produktion von Chemikalien (nach Giftigkeitsklassen)

Aufteilung des Güterverkehrs Aufteilung des Personenverkehrs Treibstoffpreise Treibhausgasemissionen des Verkehrs (nachVerkehrszweig)

• Unfalltote durch Verkehr (nach Altersgruppen)

• Finanzierung der EU fur Entwicklungsländer (nach Art) • Kohlendioxid-Emissionen pro Kopf in der EU und in Entwicklungsländern Gute Regierungsführung

Quelle:

• Neue Fälle von Vertragsverletzung • Wahlbeteiligung zu nationalen Parlamenten und zum europäischen Parlament • Anteil von Umwelt- und Einkommensteuern an gesamten Steuereinnahmen

in Anlehnung an Eurostat 2007, S. 297-301 (siehe auch

Tab. 7-13 Nachhaltigkeitsindikatoren

in der Europäischen Union

http://ec.europa.eu/eurostat)

175

Umsetzung Nachhaltiger Entwicklung an konkreten Beispielen

Das Statistische Amt der EU legte ebenfalls einen ausfuhrlichen Indikatorenbericht vor (Eurostat 2007). In Tab. 7-13 sind die Indikatoren der beiden oberen Betrachtungsebenen aufgeführt. Die Systematik weicht von den Handlungsfeldern der europäischen Nachhaltigkeitsstrategie 2006 ab, da Eurostat die Struktur in den Jahren zuvor bereits festgelegt hatte. Demnach wird jedes der zehn Themenfelder durch einen Leitindikator, in einem Fall durch zwei Stück, operationalisiert. Die Indikatoren dieser Ebenen sollen die übergreifende Zielsetzung der Strategie überwachen helfen und die breite Kommunikation unterstützen. Jedes Unterthema wird ebenfalls mit einem Leitindikator konkretisiert. Es gibt eine weitere Ebene mit 78 umsetzungsorientierten Indikatoren. Der von Eurostat vorgestellte Satz umfasst insgesamt 122 Indikatoren, weitere sind für den jeweiligen Kontext möglich (Eurostat 2007, S. 5f.). Die Probleme bei der Umsetzung der europäischen Nachhaltigkeitsstrategie liegen - wie bei den meisten Strategien - in der nach wie vor ungenügenden Verzahnung zwischen den einzelnen Fachpolitiken. Gerade bei der europäischen Strategie, die vor allem eine übergreifende Zielsetzungs- und Koordinationsfunktion für die Mitgliedsstaaten erfüllt, ist die institutionelle Basis (Arbeitsstrukturen, Gesetzesfolgenabschätzung, verbindliche Vorgaben) immer noch verbesserungsfahig. Bei der Nachhaltigkeitsstrategie wie auch der LissabonStrategie wurden Umweltziele additiv hinzugefugt, ohne sie mit ökonomischen Interessen und anderen Fachpolitiken abzustimmen (SRU2008, Tz. 11, 15 und 38). Insgesamt ist die Region Europa bei der politischen Umsetzung der Nachhaltigen Entwicklung dennoch ein Vorreiter - siehe dazu auch die weltweite Verteilung auf S. 13. Alle Mitgliedsstaaten der EU wie auch die Schweiz verfugen spätestens seit 2005 über eine nationale Nachhaltigkeitsstrategie. Das European Sustainable Development Network (ESDN, www.sdnetwork.eu) unterstützt die nationalen Prozesse seit 2002 durch eine informelle Plattform u. a. mit jährlichen Konferenzen. Im Folgenden wird die Nachhaltigkeitsstrategie der deutschen Bundesregierung spiel fur eine umfassende Strategie vorgestellt.

7.2.2

als ein Bei-

Die nationale Nachhaltigkeitsstrategie Deutschlands

Die Einrichtung eines Staatssekretärsausschusses als „Green Cabinet" geht auf einen Beschluss der deutschen Bundesregierung im Jahr 2000 zurück. Der Ausschuss ist die zentrale Entscheidungs- und Koordinationsinstanz der deutschen Nachhaltigkeitspolitik. Im Jahr 2001 berief die Bundesregierung überdies den Rat für Nachhaltige Entwicklung (RNE, Nachhaltigkeitsrat) unter Vorsitz von Volker Hauff, der bereits in der Brundtland-Kommission mitwirkte. Dem Rat kam als unabhängige Institution die Aufgabe zu, den Nachhaltigkeitsprozess der Regierung durch Beratung und Projekte zu unterstützen sowie Dialoge mit der Öffentlichkeit zu führen. Der Nachhaltigkeitsrat ist zu einer der zentralen Institutionen für die Diskussion und Umsetzung von Nachhaltigkeit in Politik, Gesellschaft und Wirtschaft geworden. Die Nachhaltigkeitsaktivitäten der Bundesregierung und des Nachhaltigkeitsrat es laufen unter dem in Abb. 7-12 dargestellten Logo.

176

7 Umsetzung Nachhaltiger Entwicklung an konkreten Beispielen

Die Bundesregierung legte anlässlich der WSSD 2002 ihre erste nationale Nachhaltigkeitsstrategie unter dem Titel „Perspektiven für Deutschland" vor (Deutsche Bundesregierung 2002). Darin verpflichtet sich die heutige Generation dem Prinzip, selbst verschuldete Probleme heute zu lösen. Dabei wird die zentrale Bedeutung der gesellschaftlichen Akteure sowie des Wandels in den Produktions- und Konsumstrukturen betont. Weiterhin legt die Nachhaltigkeitsstrategie Leitregeln fest, die sich an die Aufteilung nach ökologischer, ökonomischer und sozialer Dimension anlehnen. Dabei werden u. a. die traditionellen ökologischen Managementregeln (siehe S. 31) aufgeführt sowie weitere Regeln für Ökonomie und Soziales benannt (Deutsche Bundesregierung 2002, S. 50-52). Diese Grundlage zieht sich bis zur aktuellen ,, „ ' ° Quelle: in inlennungan Fassung° der Nachhaltigkeitsstrategie im Jahr 2008 durch. Die ,. , ο ο www.dialoii-nachhalligkeit.de Systematik der Handlungsfelder und Indikatoren folgt aber . . . . . .

f

.

®

WWw.nachhaltigkeitsrat.de

nicht direkt den drei Nachhaltigkeitsdimensionen, sondern ist nach vier sogenannten „Koordinaten" gruppiert (siehe Tab. 7