EU-Strukturwandel, Leitmärkte und Techno-Globalisierung 9783110583212, 9783110580204

Globalization is continuing apace through the phenomena of techno-globalization, which includes the internationalization

139 117 7MB

German Pages 274 [276] Year 2020

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Table of contents :
Vorwort
Inhalt
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
Autorenverzeichnis
Qualitätswettbewerb, Produktinnovationen und Schumpetersche Prozesse in internationalen Märkten
Techno-Globalisierung
Techno-Globalisierung als Motor des Aufholprozesses im österreichischen Innovationssystem
Strukturwandel in der Europäischen Union am Beispiel ausgewählter Leitmärkte mit besonderem Bezug auf die Innovationstätigkeit der Mitgliedsländer
IKT-Wirtschaftsdynamik und regionale Freihandelsdynamik in ASEAN-Ländern: Analyse und Perspektiven für Asien und Europa
Erneuerbare Energien und Leitmärkte in der EU und Deutschland
Fallstudie Nachhaltiges Bauen und Lead Markets in Österreich
eHealth: Grundlagen der Digitalen Gesundheitswirtschaft und Leitmarktperspektiven
Innovationsorientierte öffentliche Beschaffung und Leitmärkte: Politische Initiativen in der EU
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EU-Strukturwandel, Leitmärkte und Techno-Globalisierung
 9783110583212, 9783110580204

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Paul J. J. Welfens (Hrsg.) EU-Strukturwandel, Leitmärkte und Techno-Globalisierung

Europäische Integration, Nachhaltigkeit und Digitale Weltwirtschaft

| Herausgegeben von Prof. Dr. Paul J. J. Welfens Europäisches Institut für internationale Wirtschaftsbeziehungen (EIIW) e. V. an der Bergischen Universität Wuppertal

Band 11

EU-Strukturwandel, Leitmärkte und Techno-Globalisierung | Herausgegeben von Paul J. J. Welfens

ISBN 978-3-11-058020-4 e-ISBN (PDF) 978-3-11-058321-2 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-058055-6 ISSN 1868-0607 Library of Congress Control Number: 2020935227 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2020 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Satz: le-tex publishing services GmbH, Leipzig Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck www.degruyter.com

Vorwort Die Globalisierung der Märkte und der Strukturwandel sind seit den 1990er Jahren im Windschatten der Expansion des Sektors der Informations- und Kommunikati­ onstechnologie vorangeschritten, wobei sich zudem besondere Herausforderungen im Bereich der Klimapolitik, der Digitalisierung und der Globalisierung ergeben ha­ ben. Die Dynamik des Strukturwandels wurde zeitweise auch angetrieben durch das hohe Exportwachstum Chinas und ein neues Phänomen, nämlich die Technoglo­ balisierung, also die zunehmende grenzüberschreitende Innovations-Arbeitsteilung von Firmen – ein Phänomen, das sich seit 2005 allerdings auch verlangsamt hat. Technoglobalisierung ist ein komplexes Phänomen, das sich wesentlich anhand von Internationalisierungsindikatoren zu den Patenten beziehungsweise bei von Firmen international organisierter Forschung ablesen lässt. Technoglobalisierung ist gewis­ sermaßen die Wissensdimension der internationalen Arbeitsteilung, abgesehen von denkbaren und auch realisierten gemeinschaftlichen Forschungsprojekten mehrerer Länder, etwa in der Luft- und Raumfahrt oder bei Klimaforschung oder beim Fusions­ forschungsreaktor. Eine gewisse Verlangsamung der Technoglobalisierung hat sich offenbar, so zei­ gen auch die vorliegenden Beiträge, um 2005 ergeben; hier könnten statistische Erhebungsprobleme bestehen, soweit etwa mehr digitale Dienstleistungs-Innova­ tionsdynamik grenzüberschreitend eine Rolle spielt, die man mit Patenten üblicher­ weise nicht erfassen kann. Denkbar ist allerdings zum Beispiel auch, dass der an­ haltende chinesische Exportvorstoß und die Technologieaufholprozesse Chinas die für westliche Konzerne verfügbaren Technoglobalisierungschancen seit etwa 2005 beschränken, wobei seit dieser Zeit auch eine verstärkte Zunahme von Chinas Di­ rektinvestitionen im Ausland beobachtbar ist. Jenseits dieser Reflexion ist jedoch das Phänomen Technoglobalisierung in den OECD-Ländern feststellbar, und zwar als längerfristige Entwicklung. Ob dies mit einer hinreichenden beziehungsweise effi­ zienten Internationalisierung der Forschungsförderung verbunden ist, erscheint als unklar (und wird hier auch nicht untersucht; es ist nicht auszuschließen, dass die Globalisierung der Wirtschaft und auch die Technoglobalisierung sowie die Digitali­ sierung zu stärker grenzüberschreitenden positiven externen Effekten bei Forschung & Entwicklung führen. Diesen wird dann eine unveränderte stark national fokus­ sierte Innovationsförderpolitik nicht gerecht – mit Ausnahme wohl von Fällen, wo Tochterfirmen ausländischer Multis auch eine faire Chance haben, im Gastland For­ schungsförderung zu erhalten). Die Wirtschaftspolitik – sowohl bei der Europäischen Union wie bei auf natio­ naler und regionaler Ebene von EU-Ländern – hat über Leitmarktansätze die Glo­ balisierungslogik einer verstärkten internationalen Arbeitsteilung bei gleichzeitig in­ tensivierter Innovationskonkurrenz aufzunehmen versucht. Ein Leitmarkt ist durch die Eigenschaften charakterisiert, dass die Nachfrager aufgeschlossen für Produkt­ https://doi.org/10.1515/9783110583212-201

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innovationen sind und zugleich effiziente Rückkopplungen zur Anbieterseite reali­ siert werden können. Dabei kann der eigene nationale Markt in gewissem Umfang und unter bestimmten Bedingungen ein im Produktlebenszyklus wichtiger Leitmarkt sein, bei der Firmen neue Produkte erstmals im Markt lancieren und auf Basis von Rückmeldungen anspruchsvoller und innovationsinteressierter Kunden dann im wei­ teren die Produktinnovation perfektionieren und zugleich mit Blick auf internationale Bedarfe auch differenzieren (man denke etwa exemplarisch an ein neues Handy mit Menüs in verschiedenen Sprachen und ggf. länderspezifisch angebotenen Apps oder auch an einen Industrie-Roboter mit differenzierten und neuartigen Funktionen; so­ wie an Windkraftanlagen, die unterschiedlichsten Anforderungen an Land oder Off­ shore – im Meer – gerecht werden sollen). Bestimmte Faktorausstattungs- und Stand­ ortmerkmale sollten vorhanden sein, damit sich ein relevanter Leitmarkt ergibt, wobei multinationale Unternehmen mit ihren Auslandstöchtern natürlich auch an auslän­ dischen Standorten beziehungsweise im Ausland Leitmärkte entwickeln können. Das bedeutet noch nicht, dass hier auch längerfristig optimale Produktionsstandorte für die jeweilige Produktinnovation sind. Denn der Produktzyklus-Handel – nach Ver­ non – legt eben die Überlegung nahe, dass Produktinnovationen in Ländern mit ho­ hem Pro-Kopf-Einkommen in der Markteinführungsphase entwickelt und produziert werden, dann erfolgt in den weiteren Marktphasen Standardisierung (II) und Reife­ phase (III) eine Verlagerung der dann stärker standardisierten Produktionsprozesse. Die Leitmarktidee heißt, dass man eine Markteinführung in der Innovationsphase (I) auch in anderen Ländern vornehmen kann, als man die Hauptproduktion geplant hat. Verkürzte Produktionszyklen im Zeitablauf sind dabei in einigen Sektoren zu beach­ ten und die vorgelegten Analysen, die sich zum Teil auf Nachhaltigkeitsprodukte be­ ziehen, dürften von strategischem Interesse im frühen 21. Jahrhundert sein: in einer Phase beschleunigter Anpassungsprozesse. Allerdings gibt es eine Reihe von Ländern, deren Nachfragestrukturen bzw. Ver­ brauchereinstellungen hier auch eine Barriere sein können; man denke bei einigen Märkten etwa an stark traditionsverhaftetes Nachfrageverhalten in UK, das ein für die Erprobung von Produktinnovationen günstiges intensives Wechselspiel von Verbrau­ cher-Feedback und Weiterentwicklung auf Innovatorseite erschwert. Die vorliegenden Analysen, die sich unter anderem auch auf Branchenperspek­ tiven beziehen, sind Teil des von der Hans-Böckler-Stiftung geförderten Projektes „EU-Strukturwandel, Leitmärkte und Techno-Globalisierung“, an dem Forscherin­ nen und Forscher aus dem EIIW sowie dem AIT (Austrian Institute of Technology) teilgenommen haben. Die Beiträge wurden in Wien, Wuppertal und Düsseldorf auf Workshops diskutiert und schließen wichtige Forschungslücken. Zu den besonders bemerkenswerten Befunden gehört, dass umweltfreundliche Produktinnovationen im Bausektor – so zeigt die Innovationsanalyse zum Niedrig-Energie-Haus in Öster­ reich – aus einem EU-Mitgliedsland kaum den Weg in andere EU-Länder finden: Ös­ terreichs globale Produktinnovationsführerschaft in diesem Sektor wird, so zeigt sich exemplarisch im negativen Sinn, u. a. durch innovationsfeindliche Bau-Vorschriften

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in Deutschland bzw. den dortigen Bundesländern blockiert; das Ursprungslandprin­ zip, das sonst im Warenhandel gilt, wird bei Häusern ausgehebelt, was effizienz- und umweltschädlich ist. Dabei könnte man diesem Problem mindestens mit regionalen Experimentierklauseln auf Basis von EU-Direktiven oder nationaler und bundeslän­ derseitiger Gesetze entgegenwirken. Hier wird der Umweltfortschritt in der EU durch nationale Bürokratie blockiert, was so die Kosten etwa der nationalen Klimapoli­ tik völlig unnötig in fast allen EU-Ländern in die Höhe treibt; der EU-Binnenmarkt kann einen Teil seiner möglichen ökonomischen und ökologischen Vorteile wegen Diffusionshemmnissen nicht liefern. Was die Rolle von Leitmärkten angeht, so steht nicht selten die Größe des Mark­ tes im Fokus – man denke an die USA, China und den EU-Binnenmarkt oder Japan sowie den ASEAN-Binnenmarkt: Hier kann Marktgröße in Fällen von Produkten mit statischen oder dynamischen Skalenvorteilen wichtig sein. Aber die Art der Nach­ fragestrukturen bzw. auch die Höhe des jeweiligen Pro-Kopf-Einkommens sind von Bedeutung (nur mit Blick auf einige globale Digitalmärkte wird man auf den digita­ len Weltmarkt abstellen, bei dem dann neben Größenvorteilen auch Netzwerkeffek­ te relevant sein dürften; teilweise sind globale Infrastrukturmärkte zudem auch eine besondere Herausforderung, wie die EU-Debatte über eine mögliche Fusion von Als­ tom und Siemens im Bereich der Hochgeschwindigkeitszüge – mit dem neuen Her­ ausforderer aus China – gezeigt hat). Durch den US-Protektionismus insbesondere in 2019 in aggressiver Form gegenüber China unter der Trump-Administration werden die Produktionsvolumina chinesischer Firmen künstlich vermindert, was bei elek­ tronischen Produkten auch eine geringere Nutzung von Massenproduktionsvorteilen bedeutet; dann also nicht nur zu wegen Importzöllen höheren Absatzpreisen in den USA führt, sondern auch zu höheren Preisen bzw. induzierten Realeinkommensver­ lusten in China. Die EU-Märkte sind indirekt durch den Trump-Protektionismus ge­ genüber China betroffen. Dass man chinesische Firmen seitens von US-Firmen und EU-Firmen verstärkt in gemeinsame Forschungsprojekte einbezieht – also China in die Technoglobalisierung einbezieht – ist unter diesen Umständen kaum zu erwar­ ten. Diese neueren Trump-bezogenen Effekte sind in den nachfolgenden Beiträgen je­ doch nicht berücksichtigt, da das Forschungsprojekt in 2018 bereits abgeschlossen war und die US-Handelspolitikdynamik ein eigenständiges Thema ist (siehe hierzu: Welfens, Paul, The Global Trump. New Conflicts with Europe and Asia, London, Pal­ grave). Soweit man Leitmarktstatus mit einer sinnvollen Cluster-Bildung von Firmen in einer Region oder darüber hinaus verbindet, kann man grundsätzlich in großen Län­ dern bzw. Regionen wohl eher ein hohes Potenzial für das Zusammenfinden von Netz­ werkakteuren mit sich ergänzendem Kompetenzprofil in Produktion oder Forschung und Absatz finden. Aber zumindest für neuartige Sektoren dürfte auch hier nur ein be­ grenzter Vorteil vorhanden sein, wenn nicht schon besondere Wissensvorsprünge im Universitäts- und Forschungsbereich sowie in der regionalen Wertschöpfung vorhan­ den sind. Europa tut sich im Übrigen bei der Bereitstellung von Wagniskapital unver­

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ändert relativ schwer, immerhin haben einige EU-Länder im Zeitablauf ihre Position auch im Vergleich mit den USA verbessert. Was China angeht, so kann man darauf hinweisen, dass dieses Land in fast jedem Sektor einen großen Heimatmarkt vorweisen kann. Allerdings kann Druck seitens der Politik auf Unternehmen, sich zu Mega-Firmen zusammenzuschließen, für die chi­ nesische Innovationsdynamik auch nachteilig sein, sofern Marktmachtprobleme und Innovationsträgheit mit steigender Unternehmensgröße verbunden sind. Das poten­ zielle Problem eines Middle-Income-Traps (einer „Falle“ bei mittlerem Pro-Kopf-Ein­ kommen) könnte hier relevant werden, so dass der chinesische ökonomische Aufhol­ prozess innere, selbstgeschaffene Grenzen findet; eben durch wirtschaftspolitische Fehlweichenstellungen, wobei jedoch die China-Thematik nur am Rande in einigen Beiträgen eine Rolle spielt. Ein besonderes Leitmärkte-Problem und eine Herausforderung sind die staatli­ chen Beschaffungsmärkte in EU-Ländern, wobei nicht ohne weiteres klar ist, inwie­ fern der Staat (in Deutschland, der Schweiz und Österreich auf der Ebene von Bund, Ländern/Kantonen und Gemeinden) etwa auch kleinere innovationsstarke Anbieter sinnvoll zum Zuge kommen lässt und ob staatliche Besteller sinnvolle Impulse für den Innovationswettbewerb geben können und wollen. Die Wirtschaftspolitik der Nieder­ lande hatte hier ab etwa 2012 besondere Ansätze zu entwickeln versucht und auch ei­ nige Bundesländer in Deutschland setzten im Windschatten der EU-Leitmärkte-Initia­ tiven neue Impulse. Die zunehmende Konzentration in wichtigen technologieintensiven Märkten in den USA hat zeitweise zu einer relativ starken Betonung des potenziellen Wettbe­ werbs geführt und zu einer US-Fusionspolitik, die Zusammenschlüsse von Großun­ ternehmen erleichtert hat. Dass dies immer zum Vorteil der Verbraucher und auch der globalen US-Wettbewerbsfähigkeit ist, wird als umstritten angesehen. In der Eu­ ropäischen Union hat die Europäische Kommission im Bereich der Fusionskontrolle eine etwas striktere Linie verfolgt. Eine Art Ausnahmeerlaubnis auf Basis politischer Erwägungen – wie in Deutschland möglich – gibt es bislang nicht. Aber grundsätzlich kann man die Frage stellen, unter welchen Bedingungen eine solche „Kommissions­ erlaubnis“ sinnvoll sein könnte: Das wäre aus theoretischer Sicht am ehesten der Fall, wenn es beim relevanten Markt um den Weltmarkt oder die EU selbst überstei­ gende Wirtschaftsräume ginge und Marktbesonderheiten wie etwa internationale bzw. globale Netzwerkeffekte oder zweiseitige Märkte wie bei Plattformmärkten im Fokus stehen. Dass die EU-Kommission bei global wettbewerbsintensiven Sektoren restriktiv bei Unternehmenszusammenschlüssen sein soll, wird man nicht empfehlen können. Zu den neuartigen Fragen könnte man auch technischen Fortschritt im Bereich nichthandelsfähiger Güter mit globalen Parallelanwendungsfällen zählen, für die die Europäische Kommission bislang mit ihrem Fokus auf handelsfähige Güter kei­ ne Kompetenz hat; wenn aber etwa grenzübergreifender technischer Fortschritt im Bereich Passivhäuser für das globale öffentliche Gut Klimaqualität relevant ist, dann

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könnte eine besondere grenzübergreifende Form der Wissensdiffusion Intra-EU und global – etwa im Rahmen der Klima- und Entwicklungspolitik – sinnvoll sein. Wenn also die EU-Kommission z. B. Patente im Bereich Passivhäuser ankaufte (Passivhaus hier als nicht-handelsfähiges Gut eingestuft) und zu subventionierten Preisen Lizen­ zen an Entwicklungsländer-Firmen vergäbe, so wäre das ein Beitrag zum globalen Klimaschutz und letztlich zur Erhöhung eines stärker nachhaltigen realen Bruttoin­ landsproduktes im Süden der Weltwirtschaft: mit positiven internationalen externen Effekten für die EU-Länder und andere OECD-Länder, was als ökonomische Begrün­ dung für subventionierten Nord-Süd-Technologietransfer gelten kann. Eine solche Subventionierung wiederum sollte den EU-Ländern – insbesondere dem führenden „Erfinderland“ bei Passivhäusern, nämlich Österreich – als Teil der effektiven Ent­ wicklungshilfeausgaben zugerechnet werden. Dieser hier entwickelte theoretische Analysebaustein ist von der Wirtschaftspolitik national und international künftig in rationaler Weise zu betrachten. Das kann allerdings auch kein vernünftiger Grund sein, dass EU-Länder (oder gar Bundesländer in Deutschland) mit diffusionsfeind­ lichen Regulierungen die Intra-EU-Diffusion klimaschutzrelevanten Fortschritts in der Bauwirtschaft blockieren. Die hohe Qualität der Nachhaltigkeitspolitik in vie­ len EU-Ländern ist im Übrigen bemerkenswert – gerade auch in einigen kleineren EU-Ländern wie Österreich, Schweden und Niederlande. Was die Rolle von Kapital­ märkten bei der Finanzierung von nachhaltigkeitsförderlichen Investitionsprojekten angeht, so fehlt oft eine hinreichende Orientierung an fundierten ökologischen In­ dikatorsystemen; dabei bietet der EIIW-vita Global Sustainability Indicator einen geeigneten Ansatz mit seinen drei Standardsäulen bei über 150 Ländern: Anteil an nachhaltiger Energie, effektive Sparquote (nach Weltbank) und relativer internatio­ naler Wettbewerbsvorteil bei umweltfreundlichen Gütern (EIIW-Berechnung). Wenn Innovatoren bei umweltfreundlichen Exportprodukten einen relativen Patentvorteil international erwerben, führt dies erfahrungsgemäß in der Konsequenz zu einem internationalen Wettbewerbsvorteil bei umweltfreundlichen Gütern: Deren Export ist Teil der Problemlösung in anderen Ländern im nachhaltigkeitsrelevanten Fel­ dern – dabei könnte über die Berücksichtigung von umweltfreundlichen Vorpro­ duktimporten auch eine internationale Zulieferdimension zusätzlich in weiteren For­ schungen berücksichtigt bzw. berechnet werden (aus der TiVA database ließen sich hier in einem neuen geeigneten Analysesatz einige zusätzliche Schlussfolgerungen ziehen). Die vorliegende Publikation ist im Bereich der nationalen und internationalen Strukturwandelanalyse – inklusive Leitmärkteperspektive – ein wesentlicher Beitrag und verdeutlicht, dass gerade auch der beschleunigte Strukturwandel in Deutschland und anderen EU-Ländern vor dem Hintergrund einer innovationsbezogenen Analyse­ perspektive besser verstanden und effektiver in Teilfeldern auch wirtschaftspolitisch sinnvoll mitgestaltet werden kann. Dass für bestimmte Entwicklungen eine Betrach­ tung der beiden nachhaltigkeitsrelevanten Felder der Energie- und Digitalwirtschaft analytisch beim Innovationsprozess zu verbinden sind, ergibt sich schon aus den zu­

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nehmenden digitalen Wertschöpfungsanteilen in der Energiewirtschaft; sie ist wie­ derum in ihrem Strukturwandel (hin zu einem erhöhten Anteil erneuerbarer Ener­ gien) naturgemäß Teil moderner Klimaschutzpolitik. Die deutsche Bundesregierung hat hier ökologisch-ökonomische Modernisierungsimpulse gegeben und dabei ver­ sucht, die Wettbewerbsfähigkeit von Firmen im Sektor der handelsfähigen Güter auf verschiedene Weise wenig zu belasten; in einigen Feldern könnten Verbesserungen realisiert werden, auch durch eine verbesserte Kombination von digitaler Wirtschafts­ expansion und Innovationspolitik. Bestimmte Felder der Infrastrukturmärkte – inklusive Verkehrswirtschaft – kön­ nen in Verbindung mit digitalen Elementen bzw. Plattformen neuartige Dienste in Kombination anbieten und den Mehrwert für die Kunden erhöhen. Hier dürften sich längerfristig für Europa, Nordamerika und Asien wesentliche neue Expansionsfelder ergeben und die Art der Wettbewerbsprozesse dürfte sich hierbei in teilweise neuar­ tiger Weise entwickeln. Wie sinnvolle Innovationsförderpolitik in diesem neuen Kon­ text aussehen sollte und welche Rolle dabei auch eine international kooperative In­ novationspolitik innerhalb der EU (oder der ASEAN oder des MERCOSUR) aussehen könnte, bleibt zu untersuchen. Der Staat hat in der Marktwirtschaft die Aufgabe, einen verlässlichen und konsis­ tenten Ordnungsrahmen für die Unternehmen zu setzen und in Sachen Forschungs­ förderung positive externe Effekte von Innovationen zu internalisieren. Sofern die positiven externen Effekte grenzübergreifend sind – häufig geht man von einem Spillover-Radius von etwa 400 km aus, bei digitalen Produkten allerdings kann der Übertragungseffekt im Radius weltweit sein –, ist eine Mindestkooperation von Län­ dern in der Wirtschaftspolitik gefragt; in der EU bzw. der Eurozone auch ein erhöhtes supranationales Forschungsförderbudget. Ob der Wille zu internationaler Koope­ ration in der Wirtschaftspolitik in Europa und weltweit ausreichend ist, bleibt zu untersuchen. Neuer Populismus, erhöhter Nationalismus und Protektionismusdruck erschweren den Ausbau von Kooperation. Im Übrigen fehlen global eine Welt-Kar­ tellbehörde einerseits und andererseits eine besondere Kooperation etwa im Rahmen der G20 zu Wettbewerbs- und Innovationsfragen. Das dürfte in ökonomischer und ökologischer Hinsicht schädlich sein. Die nachfolgenden Zusammenfassungen, die von den Autoren übernommen wur­ den, geben der Leserschaft einen Kurzblick auf die wichtigen Forschungsergebnisse der vorliegenden Studie. Qualitätswettbewerb, Produktinnovationen und Schumpetersche Prozesse in internationalen Märkten (Paul J. J. Welfens) Eine Analyse der internationalen Handelsstrukturen von OECD Ländern zeigt, dass zwischen diesen Ländern vor allem High-Tech Produkte gehandelt werden; im Übri­ gen ist in China seit 2006 der Anteil der Importe am BIP zurückgegangen, was wie­ derum für China auf neue Fähigkeiten deutet, dass die Unternehmen Hochqualitäts­

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produkte mit steigendem Anteilen nationaler Wertschöpfungen herstellen können. Damit ergibt sich auch mit einem breiteren internationalen Fokus der Befund, das Qualitätswettbewerb, Produktinnovationen und Schumpeter Dynamik im internatio­ nalen Marktkontext eine zunehmende Rolle spielen. Von daher ergibt sich auch das besondere Interesse der Analyse an der Rolle von Leitmärkten bzw. des Qualitätswett­ bewerbs einerseits, andererseits sollen Makroökonomische Perspektiven aufgezeigt werden, die Produktinnovationen auf neue Weise abbilden und bei der Einschätzung von Stabilitätspolitik als relevant erscheinen lassen. Zudem werden die wirtschafts­ politischen Implikationen thematisiert. Techno-Globalisierung (Andre Jungmittag) Parallel zur Globalisierung von Produktion und Absatz internationalisieren multi­ nationale Unternehmen teilweise auch ihre Forschung und Entwicklung (FuE). In den Medien wurde diese zunehmende internationale Generierung, Übertragung und Diffusion von Technologien mit dem Schlagwort technologische Globalisierung oder Techno-Globalisierung beschrieben, der dann auch im wissenschaftlichen Bereich aufgegriffen wurde. Mit den von Guellec/von Pottelsberghe de la Potterie (2001) vor­ geschlagenen Patentindikatoren werden in diesem Beitrag sowohl die globale tech­ nologische Zusammenarbeit als auch die globale Beschaffung von Innovationen als Facetten der Techno-Globalisierung konsistent analysiert. Neben einer Bestandsauf­ nahme für den Querschnitt der OECD-Länder sowie einer Zeitreihenbetrachtung für die OECD insgesamt, Deutschland und die Niederlande erfolgt auch durch einfache Korrelations- und Regressionsanalysen eine Bestimmung der wesentlichen Trieb­ kräfte der Techno-Globalisierung. Durch einfache Tests auf Beta-Konvergenz wird zudem gezeigt, dass bei den Patentanteilen mit inländischem Erfinder und auslän­ dischem Anmelder sowie bei den Patentanteilen mit internationalen Kooperationen von Erfindern zwischen den OECD-Ländern im Zeitablauf eine Angleichung (Konver­ genz) stattfindet. Abgerundet wird die Analyse durch eine Betrachtung der sektoralen Unterschiede bei der Internationalisierung von Innovationen sowie einige Überlegun­ gen zum Zusammenhang zwischen der Internationalisierung der unternehmerischen FuE-Aktivitäten und inländischer Beschäftigung. Techno-Globalisierung als Motor des Aufholprozesses im österreichischen Innovationssystem (Bernhard Dachs) Österreich entwickelte sich in den vergangenen 20 Jahren von einem Land mit unterdurchschnittlicher F&E-Intensität zu einem der Spitzenreiter bei Forschung und Ent­ wicklung in Europa. Der Beitrag zeigt, dass die Techno-Globalisierung – in Form von Investitionen von Tochtergesellschaften ausländischer multinationaler Unternehmen in Österreich – wesentlichen Anteil an diesem Aufholprozess hatte. Weiter diskutiert der Aufsatz verschiedene positive und negative Effekte, die sich aus der Präsenz aus­ landskontrollierter Unternehmen für das österreichische Innovationssystem ergeben.

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Strukturwandel in der Europäischen Union am Beispiel ausgewählter Leitmärkte mit besonderem Bezug auf die Innovationstätigkeit der Mitgliedsländer (Jens K. Perret) Die Studie untersucht beispielhaft anhand der vier Leitmärkte der Erneuerbaren Ener­ gien, der Biotechnologie, der Informations- und Kommunikations-Technologien und des Recycling Sektors die Position der Mitgliedsländer der EU 28 und ihre jeweiligen komparativen Vorteile bezogen auf den EU 28 Markt. Im Rahmen der Untersuchung kommen zwei modifizierte Varianten des Revealed Comparative Advantage Indika­ tors zum Einsatz, die im Rahmen der Studie hergeleitet werden. Es zeigt sich, dass der IKT und der Recycling Sektor bereits etablierte Sektoren sind in denen nur we­ nig strukturelle Dynamik innerhalb der EU 28 nachzuweisen ist. Anders sieht es bei den Erneuerbaren Energien und der Biotechnologie aus. In beiden Sektoren existieren zwar etablierte Produktions- und Innovationszentren, allerdings ist in diesen Sekto­ ren der Wandlungsprozess noch nicht abgeschlossen und diese beiden Sektoren er­ füllen mehr noch als IKT und Recycling ihre Funktion als Leitmärkte. IKT-Wirtschaftsdynamik und regionale Freihandelsdynamik in ASEAN-Ländern: Analyse und Perspektiven für Asien und Europa (Tony Irawan, Paul J. J. Welfens) IKT-Märkte in Asien sind durch eine starke Rolle der sektoralen ausländischen Direkt­ investitionen gekennzeichnet, auf der einen Seite von den USA und auf der anderen Seite von der EU. Die Handelsströme, gesehen als Prozentsatz der gesamten Waren­ exporte, unterscheiden sich in den Regionen: Südostasien, Ostasien, Südafrika, EU 27 und Nordamerika; z. B. Südostasien verzeichnet einen relativ starken Anstieg des Intraregionalen Handels (relativ zu dem gesamten Warenhandel). Auch die Handels­ ströme der asiatischen Länder sind von den Regionen voreingenommen; der interre­ gionale Handel Asiens mit der EU und Nordamerika hat sich mit der Zeit erhöht. In einigen Regionen Asiens ist der Handel mit Zwischenprodukten mit der Zeit gesun­ ken. Bayerns regionale IKT Netzwerke sind dabei interessant zu betrachten. Die Panel Daten präsentieren neue Ergebnisse über den Nutzen von regionalen F&E Ausgaben. Erneuerbare Energien und Leitmärkte in der EU und Deutschland (Arthur Korus) Im Jahr 2007 erklärte die Europäische Kommission in ihrer Leitmarktinitiative den Markt für erneuerbare Energien zu einem Leitmarkt ausbauen zu wollen. Durch geziel­ te Fördermaßnahmen sowohl auf supranationaler als auch nationaler Ebene soll bzw. sollte in der Europäischen Union (EU) ein Leitmarkt für erneuerbare Energien entste­ hen. Aufbauend auf verschiedenen Indikatoren wird in dieser Studie analysiert, ob der Bereich der Windkraft bzw. Photovoltaik zu einem Leitmarkt entwickelt hat. Es zeigt sich, dass in Dänemark ein Leitmarkt für Windkraft vorliegt. So ist Dänemark mit ei­ nem Anteil der Windenergie in Höhe von 39 Prozent an der Bruttostromerzeugung die weltweit führende Nation in der Windenergie. Zudem wird aufgezeigt, dass Deutsch­ land ebenfalls als ein Leitmarkt für Windenergie bezeichnet werden kann. Allerdings könnten geplante Novellierungen des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes (EEG) die Leit­

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marktposition Deutschlands im Bereich der Windkraft gefährden. Die Leitmärkte für Photovoltaik befinden sich wohl außerhalb Europas. Die Analyse zeigt auf, dass die USA und China als Leitmärkte für Photovoltaik gelten können. Des Weiteren werden in der Studie die Ausgaben für Forschung und Entwicklung sowie die Patentanmeldun­ gen im Bereich der erneuerbaren Energien erörtert. Es zeigt sich, dass Deutschland innerhalb Europas hier gut abschneidet. Fallstudie Nachhaltiges Bauen und Lead Markets in Österreich (Bernhard Dachs, Björn Budde) Beinahe die Hälfte des privaten Energieverbrauchs wird im Zusammenhang mit Woh­ nen verwendet. Ehrgeizige Klimaziele können deshalb nur über Innovationen in der Bauwirtschaft erreicht werden. Die Fallstudie analysiert die Diffusion von Passivhäu­ sern in Österreich, dem weltweit führendenden Land bei dieser Innovation. Die Kom­ bination aus Regulierung und Förderung, gepaart mit Maßnahmen zur Diffusion von Informationen so-wie die unternehmerische Initiative einer aktiven Community ha­ ben Österreich zur weltweit höchsten Dichte an Passivhäusern verholfen. Diese Stärke konnte allerdings nur teilweise in Exporterfolge umgesetzt werden. Als Gründe wer­ den die komplexen Produkteigenschaften von Passivhäusern, die Bedeutung von Prä­ senz in den Zielmärkten sowie die kleinstrukturierte Angebotsseite von Passivhäusern in Österreich identifiziert. eHealth: Grundlagen der Digitalen Gesundheitswirtschaft und Leitmarktperspektiven (Paul J. J. Welfens) Die Expansion der digitalen Gesundheitswirtschaft ist für Wirtschaft und Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland eine strategische Herausforderung. Hierbei gilt es seitens der Wirtschaftspolitik, adäquate Rahmenbedingungen dafür zu setzen, dass der Wettbewerb im Gesundheitssystem bzw. das Zusammenspiel von gesetzlichen Krankenkassen und privaten Krankenkassen zu einer optimalen Innovationsdyna­ mik und Effizienzgewinnen führt. GKV und PKV wirken mit je eigenen Strategien. Die PKVs nutzen dabei u. a. die Möglichkeit, dass auch Firmen in Sachen betriebli­ ches Gesundheitsmanagement sind. Es gibt wesentliche Hemmnisse für eine digitale Modernisierung des Gesundheitswesens, wobei Deutschland relativ spät die digitale Gesundheitskarte eingeführt hat. Zu den wesentlichen Vorteilen für Patienten, Versi­ cherungen und Leistungserbringer gehören Innovationen in den Bereichen digitale Vorsorge, Telemedizin, digitalisierte Nachsorge und Optimierung von Abrechnungs­ prozessen. Deutschland ist im EU-Vergleich – etwa mit Blick auf e-Health Anwen­ dungen im Krankenhausbereich bislang nur in einer mittleren Position, hat aber grundsätzlich auf Basis einer guten IKT-Positionierung und des großen Heimatmark­ tes das Potenzial, mittelfristig zu einem führenden Akteur und Leitmarkt in Europa zu werden. Aus ökonomischer Sicht kann eHealth-Fortschritt helfen, den Anstieg der Versicherungsbeiträge zu dämpfen – digitaler Fortschritt hat Kostendämpfungseffek­

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te, Patientennutzungswirkungen und zudem positive Effekte im Wettbewerbsprozess. Die in den EU-Länder uneinheitlichen Standards in der Gesundheitswirtschaft ver­ hindern weitgehend, dass nationale Softwarelösungen und e-health-Konzepte ohne weiteres hochskaliert bzw. exportiert werden können. Hier ist die EU eindeutig gefor­ dert; auch bei Förderung von Kooperationsprojekten. Innovationsorientierte öffentliche Beschaffung und Leitmärkte: Politische Initiativen in der EU (Arthur Korus) Die Studie untersucht ob eine innovationsorientierte öffentliche Beschaffung zur Ent­ stehung von Leitmärkten beitragen kann. Es wird aufgezeigt, dass der Staat als Be­ schaffer von innovativen Produkten bzw. Dienstleistungen einige Leitmarktfaktoren beeinflussen kann. So kann der Staat als mit der Beschaffung eines bestimmten Inno­ vationsdesigns einen Preisvorteil generieren. Es zeigt sich allerdings, dass bestimm­ te Leitmarktfaktoren nicht bzw. nur geringfügig vom Staat beeinflusst werden kön­ nen. Zudem wird aufgezeigt, dass eine innovationsorientierte öffentliche Beschaffung unter bestimmten Umständen wohlfahrtsmaximierend wirken kann. Mit der zusätzli­ chen Nachfrage des Staates kann die Diffusion von innovativen Produkten beschleu­ nigt werden. Außerdem zeigt die Analyse auf, dass durch eine innovationsorientierten öffentlichen Beschaffung Lock-ins und Pfadabhängigkeiten beseitigt bzw. vermieden werden können. Des Weiteren kann eine innovationsorientierte öffentliche Beschaf­ fung zur Ausweitung der Ausgaben für Forschung und Entwicklung (FuE) von privaten Unternehmen führen. Über diesen Kanal kann sich eine verstärkte öffentliche Nach­ frage nach innovativen Produkten bzw. Dienstleistungen positive Beschäftigungsef­ fekte hervorrufen. Damit eine innovationsorientierte öffentliche Beschaffung zur Ent­ stehung von Leitmärkten und zur Ausweitung der FuE-Aktivitäten von Unternehmen verstärkt beitragen kann, wurden in den vergangenen Jahren verstärkt politische In­ itiativen auf supranationaler, nationaler und regionaler Ebene in die Wege geleitet. So wurde, wie in dieser Studie aufgezeigt wird, auf EU-Ebene das EU-Vergaberecht reformiert, mit dem Ziel die öffentliche Beschaffung von innovativen Produkten bzw. Dienstleistungen zu stärken. In der Analyse zeigt sich, dass die Reformen des EU-Ver­ gaberechts durchaus förderlich auf das Ausmaß der öffentlichen Beschaffung von in­ novativen Produkten bzw. Dienstleistungen wirken werden. Zudem werden in dieser Studie die politischen Initiativen des Bundes und des Landes Nordrhein-Westfalens aufgezeigt. Für die Forschungsförderung durch die Hans Böckler Stiftung ist das Europäische Institut für Internationale Wirtschaftsbeziehungen (EIIW e. V.) sehr dankbar; zudem insbesondere auch den Mitgliedern des Projekt-Beirates sowie Herrn Dr. Marc Schie­ tinger von der Stiftung. Ein herzlicher Dank richtet sich auch an die Mitarbeiterin­ nen und Mitarbeiter des EIIW, die an diesem Projekt mitgewirkt haben: Frau Valeria Siarheyeva, Frau Christina Wiens, Herr Tristan Feidieker, Herr Samir Kadiric und Herr Kennet Stave.

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Die vorliegende Studie reiht sich ein in eine ganze Reihe von Innovations- und Wachstumsstudien des EIIW und wird hoffentlich die wirtschaftliche und wirtschafts­ politische Modernisierungsdebatte und fundierte Politikansätze beleben, bei der man auch die Modernisierungsverlierer durch sinnvolle Begleitpolitik mitnehmen sollte. Da Studien aus den Niederlanden zeigen, dass die Bildungsrendite bei Ungelernten und Qualifizierten in etwa gleich hoch ist, gilt es gerade bei den in Sachen Weiterbil­ dung oft wenig motivierten Ungelernten kluge Politikinitiativen in der digitalen Wis­ sensgesellschaft auf den Weg zu bringen. Marktbezogene Modernisierungskonzepte, die etwa auf Technoglobalisierung sowie Leitmarktansätze und Clusterpolitik Bezug nehmen, können ebenso wie gut begründete Industriepolitik-Ansätze in bestimmten Feldern – etwa Bereiche mit wenig Wettbewerb, starken Netzwerkeffekten und globa­ len Skalenvorteilen – sinnvolle Politikentwicklungen gerade auch in der digitalisier­ ten Wirtschaft voranbringen. Dass die internationale Debatte hier zunehmend auch Asien einbeziehen sollte und dass EU-Konzepte den globalen Wettbewerbsdruck sinn­ voll aufnehmen sollten, sei hier betont. Wuppertal, im Juni 2019 Prof. Dr. Paul J. J. Welfens

Inhalt Vorwort | V Abbildungsverzeichnis | XIX Tabellenverzeichnis | XXV Autorenverzeichnis | XXVII Paul J. J. Welfens Qualitätswettbewerb, Produktinnovationen und Schumpetersche Prozesse in internationalen Märkten | 1 Andre Jungmittag Techno-Globalisierung | 35 Bernhard Dachs Techno-Globalisierung als Motor des Aufholprozesses im österreichischen Innovationssystem | 70 Jens K. Perret Strukturwandel in der Europäischen Union am Beispiel ausgewählter Leitmärkte mit besonderem Bezug auf die Innovationstätigkeit der Mitgliedsländer | 87 Tony Irawan und Paul J. J. Welfens IKT-Wirtschaftsdynamik und regionale Freihandelsdynamik in ASEAN-Ländern: Analyse und Perspektiven für Asien und Europa | 118 Arthur Korus Erneuerbare Energien und Leitmärkte in der EU und Deutschland | 142 Bernhard Dachs und Björn Budde Fallstudie Nachhaltiges Bauen und Lead Markets in Österreich | 171 Paul J. J. Welfens eHealth: Grundlagen der Digitalen Gesundheitswirtschaft und Leitmarktperspektiven | 189 Arthur Korus Innovationsorientierte öffentliche Beschaffung und Leitmärkte: Politische Initiativen in der EU | 218

Abbildungsverzeichnis Qualitätswettbewerb, Produktinnovationen und Schumpetersche Prozesse in internationalen Märkten | 1 Abb. 1 Erfolgsgrundlagen für Lead Markets (Quelle: Eigene Darstellung, basierend auf Beise/Rennings (2005), Lead markets and regulation: a framework for analyzing the international diffusion of environmental innovations, Ecological Economics 52, 5–17.) | 6 Abb. 2 Rolle der Substitutionskonkurrenz im Wettbewerb. Qualitätsstufen bei heterogener Konkurrenz. (Quelle: Eigene Darstellung) | 10 Abb. 3 Diffusions- und Expansionsdynamik bei Skalenvorteilen. (a) Diffusionsdynamik. (Quelle: Eigene Darstellung) | 12 Abb. 4 Diffusions- und Expansionsdynamik bei Skalenvorteilen. (b) Nachfrageperspektive. (Quelle: Eigene Darstellung) | 13 Abb. 5 Innovationspolitik in einem Mundell-Fleming-Modell im System flexibler Wechselkurse (Quelle: Eigene Darstellung) | 15 Abb. 6 Wirtschaftspolitik – Perspektiven zu Leitmärkten, Cluster, Wachstum (Quelle: Eigene Darstellung) | 23 Abb. 7 RCA Deutschland | 26 Abb. 8 RCA Frankreich | 27 Abb. 9 RCA Italien | 27 Abb. 10 RCA Österreich | 28 Abb. 11 RCA Irland | 28 Abb. 12 RCA China | 29 Abb. 13 EUV Deutschland | 29 Abb. 14 EUV Frankreich | 30 Abb. 15 EUV Italien | 30 Abb. 16 EUV Österreich | 31 Abb. 17 EUV Irland | 31 Abb. 18 EUV China | 32 Techno-Globalisierung | 35 Abb. 1 Korrelationen zwischen den Patentindikatoren (Quelle: Eigene Darstellung) | 43 Abb. 2 Regression zwischen den Anteilen der Patente mit inländischem Erfinder und ausländischem Eigentümer und der Gesamtzahl der Patente (Quelle: Eigene Darstellung) | 44 Abb. 3 Regression zwischen den Anteilen der Patente mit ausländischem Erfinder und inländischem Eigentümer und der Gesamtzahl der Patente (Quelle: Eigene Darstellung) | 45 Abb. 4 Regression zwischen den Anteilen der Patente mit in- und ausländischen Erfindern und der Gesamtzahl der Patente (Quelle: Eigene Darstellung) | 45 Abb. 5 Test auf Beta-Konvergenz für die Anteile der Patente mit inländischem Erfinder und ausländischem Anmelder (Quelle: Eigene Darstellung) | 47 Abb. 6 Test auf Beta-Konvergenz für die Anteile der Patente mit inländischem Anmelder und ausländischem Erfinder (Quelle: Eigene Darstellung) | 47 Abb. 7 Test auf Beta-Konvergenz für die Anteile der Patente mit in- und ausländischen Erfindern (Quelle: Eigene Darstellung) | 48

https://doi.org/10.1515/9783110583212-202

XX | Abbildungsverzeichnis

Abb. 8

Abb. 9

Abb. 10 Abb. 11 Abb. 12 Abb. 13 Abb. 14 Abb. 15 Abb. 16 Abb. 17 Abb. 18

Länder mit Internationalisierungsgraden über und unter den geschätzten Werten (in Prozent) für die Anteile der Patente mit inländischem Erfinder und ausländischen Anmelder (A-EA) (Quelle: Eigene Darstellung) | 52 Länder mit Internationalisierungsgraden über und unter den geschätzten Werten (in Prozent) für die Anteile der Patente mit inländischem Erfinder und ausländischen Anmelder (A-EA) (Quelle: Eigene Darstellung) | 53 Entwicklung der Anteile der Patente mit inländischem Erfinder und ausländischem Eigentümer – weltweit (Quelle: Eigene Darstellung) | 54 Segmentierte Trendentwicklung der Patente mit inländischem Erfinder und ausländischem Eigentümer – weltweit (Quelle: Eigene Darstellung) | 55 Segmentierte Trendentwicklung der Patente mit inländischem Erfinder und ausländischem Eigentümer – Deutschland (Quelle: Eigene Darstellung) | 56 Segmentierte Trendentwicklung der Anteile der Patente mit inländischem Erfinder und ausländischem Eigentümer – Niederlande (Quelle: Eigene Darstellung) | 57 Segmentierte Trendentwicklung der Anteile der Patente mit ausländischem Erfinder und inländischem Eigentümer – Deutschland (Quelle: Eigene Darstellung) | 58 Segmentierte Trendentwicklung der Anteile der Patente mit ausländischem Erfinder und inländischem Eigentümer – Niederlande (Quelle: Eigene Darstellung) | 59 Segmentierte Trendentwicklung der Anteile der Patente mit in- und ausländischem Erfinder – weltweit (Quelle: Eigene Darstellung) | 60 Segmentierte Trendentwicklung der Anteile der Patente mit in- und ausländischem Erfinder – Deutschland (Quelle: Eigene Darstellung) | 61 Segmentierte Trendentwicklung der Anteile der Patente mit in- und ausländischem Erfinder – Niederlande (Quelle: Eigene Darstellung) | 62

Techno-Globalisierung als Motor des Aufholprozesses im österreichischen Innovationssystem | 70 Abb. 1 Entwicklung der F&E-Quote in ausgewählten Ländern, 1995–2013 (Quelle: AIT-Darstellung nach OECD, Main Science and Technology Indicators 2/2015) | 71 Abb. 2 F&E-Ausgaben nach Sektor, 2007, 2009, 2011 und 2013 (Quelle: AIT-Darstellung nach Statistik Austria, Erhebung über Forschung und experimentelle Entwicklung, 2007–2013) | 72 Abb. 3 Anteile ausländischer Firmen an den F&E-Ausgaben der Sachgütererzeugung, 2011 (Quelle: AIT-Darstellung nach OECD, Main Science and Technology Indicators 2/2015) | 73 Abb. 4 F&E-Ausgaben ausländischer Unternehmen in Österreich nach Herkunftsland, 2007, 2009, 2011 und 2013 (Quelle: AIT-Darstellung nach Statistik Austria, Erhebung über Forschung und experimentelle Entwicklung, 2007–2013) | 74 Abb. 5 Anteil auslandskontrollierter Firmen an den F&E-Ausgaben, 2013 (Quelle: AIT-Darstellung nach Statistik Austria, Erhebung über Forschung und experimentelle Entwicklung, 2013) | 75 Abb. 6 Anteil von Unternehmen mit Innovationskooperationen nach Eigentümerstruktur und Sitz der Firmenzentrale, Österreich 2010–2012 (Quelle: AIT-Darstellung nach Statistik Austria, Community Innovation Survey 2012) | 76 Abb. 7 Zielländer von Innovationskooperationen in- und ausländischer Firmen in den Jahren 2010–2012 (Quelle: AIT-Darstellung nach Statistik Austria, Community Innovation Survey 2012) | 77

Abbildungsverzeichnis |

Abb. 8

Abb. 9

Abb. 10

Abb. 11

XXI

F&E-Ausgaben in- und ausländischer Firmen nach Forschungsarten, 2011 (Quelle: AIT-Darstellung nach Statistik Austria, Erhebung über Forschung und experimentelle Entwicklung, 2011) | 79 Finanzierungsstruktur in- und auslandskontrollierter Unternehmen, 2007 und 2013 (Quelle: AIT-Darstellung nach Statistik Austria, Erhebung über Forschung und experimentelle Entwicklung, 2007 und 2013) | 81 Öffentliche F&E-Förderung in- und auslandskontrollierter Unternehmen nach Förderinstrumenten, 2013 (Quelle: AIT-Darstellung nach Statistik Austria, Erhebung über Forschung und experimentelle Entwicklung, 2013) | 82 Anteil des Forschungspersonals am gesamten Personal in ausländischen Unternehmen in Österreich, 2007–2013 (Quelle: AIT-Darstellung nach Statistik Austria, Erhebung über Forschung und experimentelle Entwicklung, 2007–2013) | 83

Strukturwandel in der Europäischen Union am Beispiel ausgewählter Leitmärkte mit besonderem Bezug auf die Innovationstätigkeit der Mitgliedsländer | 87 IKT-Wirtschaftsdynamik und regionale Freihandelsdynamik in ASEAN-Ländern: Analyse und Perspektiven für Asien und Europa | 118 Abb. 1 Handelsintensität der IKT-Teilsektoren (i) Herstellung von Büro-, Buchhaltungs- und Rechenmaschinen (Quelle: Autorenberechnung auf Basis der WITS-Datenbank) | 127 Abb. 2 Handelsintensität der IKT-Teilsektoren (ii) Herstellung von isolierten Drähten und Kabeln (Quelle: Autorenberechnung auf Basis der WITS-Datenbank) | 128 Abb. 3 Handelsintensität der IKT-Teilsektoren (iii) Herstellung von elektronischen Ventilen und Röhren sowie anderen elektronischen Komponenten (Quelle: Autorenberechnung auf Basis der WITS-Datenbank) | 128 Abb. 4 Handelsintensität der IKT-Teilsektoren (iv) Herstellung von Fernseh- und Rundfunksendern und -geräten für die Leitungstelefonie und den Leitungstelegrafen (Quelle: Autorenberechnung auf Basis der WITS-Datenbank) | 129 Abb. 5 Handelsintensität der IKT-Teilsektoren (v) Herstellung von optischen Geräten und Fotoausrüstung (Quelle: Autorenberechnung auf Basis der WITS-Datenbank) | 129 Abb. 6 Handelsintensität der IKT-Teilsektoren (vi) Herstellung von Fernseh- und Rundfunkempfängern, Ton-, Videoaufzeichnungs- oder Wiedergabegeräten (Quelle: Autorenberechnung auf Basis der WITS-Datenbank) | 130 Abb. 7 Verbindungen zwischen dem IKT-Sektor in China und Japan und seinen Handelspartnern (Quelle: Autorenberechnung auf Basis der EORA-MRIO-Datenbank) | 133 Abb. 8 Verbindungen zwischen dem IKT-Sektor in China und Japan und seinen Handelspartnern (Fortsetzung) (Quelle: Autorenberechnung auf Basis der EORA-MRIO-Datenbank) | 134 Abb. 9 Streudiagramm F&E-Ausgaben und Export von MNUs | 136 Erneuerbare Energien und Leitmärkte in der EU und Deutschland | 142 Abb. 1 Anteil Erneuerbarer Energien am Bruttoendenergieverbrauch in den EU-Ländern 2013 und 2020 (Zielwert) (Quelle: Eurostat) | 144 Abb. 2 Anteil Erneuerbarer Energien an der Bruttostromerzeugung in Deutschland in den Jahren 1990 bis 2014 (Quelle: Destatis) | 147

XXII | Abbildungsverzeichnis

Abb. 3 Abb. 4

Abb. 5 Abb. 6 Abb. 7 Abb. 8 Abb. 9

Abb. 10 Abb. 11

Abb. 12

Abb. 13 Abb. 14 Abb. 15 Abb. 16 Abb. 17 Abb. 18

Anteil der einzelnen erneuerbaren Energieträger an der Bruttostromerzeugung im Jahr 2014 (Quelle: BDEW Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft e. V.) | 148 Anteil der Energieträger an der Bruttostromerzeugung in Deutschland in den Jahren 2000 bis 2014 (Quelle: BDEW Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft e. V.) | 148 Durchschnittliche EEG-Vergütung in Cent pro Kilowattstunde (Quelle: BMWi) | 151 Entwicklung der EEG-Umlage (in ct/kWh) (Quelle: Statista) | 152 EEG-Differenzkosten in Millionen Euro (Quelle: BMWi) | 153 Forschungs- und Entwicklungsausgaben im Sektor der erneuerbaren Energien in Deutschland von 1980 bis 2014 (in Mio. Euro) (Quelle: OECD) | 155 Forschungs- und Entwicklungsausgaben im Sektor der erneuerbaren Energien nach einzelnen Energieträgern aufgegliedert in Deutschland von 1980 bis 2014 (in Mio. Euro) (Quelle: OECD) | 155 Jährliche Patentanmeldungen im Sektor der erneuerbaren Energien in Deutschland von 1990 bis 2012 (Quelle: OECD) | 157 Jährliche Patentanmeldungen im Sektor der erneuerbaren Energien nach einzelnen Energieträgern aufgegliedert in Deutschland von 2000 bis 2012 (Quelle: OECD) | 158 Forschungs- und Entwicklungsausgaben im Sektor der erneuerbaren Energien in ausgewählten EU-28 Mitgliedstaaten von 1990 bis 2013 (in Mio. Euro) (Quelle: OECD) | 159 Wichtige Windenergieanlagenhersteller weltweit nach Umsatz 2014 (in Mrd. Euro) (Quelle: Diverse Quellen (Unternehmensangaben); Bundesanzeiger) | 162 Wichtigste Länder weltweit nach neu installierter Windenergieanlagenleistung im Jahr 2014 (in Megawatt) (Quelle: GWEC) | 163 Wichtigste Länder weltweit nach neu installierter Photovoltaik-Leistung im Jahr 2014 (in Gigawatt) (Quelle: EIA) | 165 Größte Hersteller von Solarmodulen weltweit nach Umsatz im Jahr 2014 (in Milliarden Euro) (Quelle: KfW; Bloomberg; S&P Capital IQ) | 165 Anzahl der Beschäftigten im Bereich Solarenergie in Deutschland in den Jahren 2004 bis 2014 (Quelle: BMWi) | 167 Anzahl der Arbeitsplätze in der Windenergiebranche bundesweit in den Jahren 2002 bis 2014 (Quelle: Bundesverband WindEnergie e. V.) | 168

Fallstudie Nachhaltiges Bauen und Lead Markets in Österreich | 171 Abb. 1 Zahl der Passivhäuser in Österreich, 1995–2010 (Quelle: LANG 2010) | 173 Abb. 2 Zahl der Wohneinheiten in Passivhäusern in Österreich, 1995–2015 (Quelle: LANG 2010) | 173 Abb. 3 Passivhausdichte je 1 Mio. Einwohner, 2009 (Quelle: LANG 2010) | 174 eHealth: Grundlagen der Digitalen Gesundheitswirtschaft und Leitmarktperspektiven | 189 Abb. 1 eHealth-Anwendungen in Deutschland und der EU (2012) (Quelle: EIIW-Berechnung basierend auf Sabes-Figure (2013)) | 194 Abb. 2 Grundlegende eHealth-Perspektive Versicherungswirtschaft (Quelle: Eigene Darstellung) | 209 Abb. 3 Perspektiven zur Evaluation von eHealth (Quelle: Eigene Darstellung) | 216

Abbildungsverzeichnis |

Innovationsorientierte öffentliche Beschaffung und Leitmärkte: Politische Initiativen in der EU | 218 Abb. 1 Öffentliche Beschaffung als Anteil am BIP 2011 (Quelle: OECD (2013)) | 219 Abb. 2 Diffusion zweier gegeneinander konkurrierender Innovationsdesigns (Eigene Darstellung, Quelle: Beise (2001)) | 224 Abb. 3 Darstellung des Ablaufs bei der vorkommerziellen Auftragsvergabe (Quelle: EU (2007b) 799) | 236

XXIII

Tabellenverzeichnis Qualitätswettbewerb, Produktinnovationen und Schumpetersche Prozesse in internationalen Märkten | 1 Techno-Globalisierung | 35 Tab. 1 Vier Typen von internationalen Patenten (Quelle: Eigene Darstellung) | 40 Tab. 2 Drei Patentindikatoren für die Techno-Globalisierung, EPA, Prioritätsjahre 1991–2000 und 2001–2010 (Quelle: Eigene Berechnungen auf der Basis von OECD-Daten) | 42 Tab. 3 Nettoimporteure und Nettoexporteure von Innovationen (Quelle: Eigene Darstellung) | 43 Tab. 4 Länderquerschnittskorrelationen zwischen Patentindikatoren und F&E- sowie Internationalisierungsindikatoren (Quelle: Eigene Darstellung) | 49 Tab. 5 Querschnittsregressionen zur Erklärung der Internationalisierung der Innovationsaktivitäten (Quelle: Eigene Darstellung) | 51 Tab. 6 Sektorstruktur der Techno-Globalisierung (Quelle: Danguy (2014), S. 15–16) | 64 Techno-Globalisierung als Motor des Aufholprozesses im österreichischen Innovationssystem | 70 Tab. 1 Effekte der Techno-Globalisierung auf die Gastländer (Quelle: UNCTAD (2005), Veugelers (2005), Dachs (2009)) | 71 Strukturwandel in der Europäischen Union am Beispiel ausgewählter Leitmärkte mit besonderem Bezug auf die Innovationstätigkeit der Mitgliedsländer | 87 Tab. 1 Beschäftigung in ausgewählten Leitmärkten der Staaten der EU 28 (Quelle: Eigene Darstellung) | 95 Tab. 2 Patentanmeldungen in ausgewählten Leitmärkten der Staaten der EU 28 (Quelle: Eigene Darstellung) | 96 Tab. 3 RCA – Patente im Bereich Erneuerbare Energien (Quelle: Eigene Darstellung) | 98 Tab. 4 Volumengewichteter RCA – Patente im Bereich Erneuerbare Energien (Quelle: Eigene Darstellung) | 100 Tab. 5 RCA – Beschäftigung im Bereich der Pharmaindustrie (Quelle: Eigene Darstellung) | 102 Tab. 6 Volumengewichteter RCA – Beschäftigung im Bereich der Pharmaindustrie (Quelle: Eigene Darstellung) | 103 Tab. 7 RCA – Patente im Bereich Biotechnologie (Quelle: Eigene Darstellung) | 104 Tab. 8 Volumengewichteter RCA – Patente im Bereich Biotechnologie (Quelle: Eigene Darstellung) | 105 Tab. 9 RCA – Beschäftigung im Bereich IKT (Quelle: Eigene Darstellung) | 107 Tab. 10 Volumengewichteter RCA – Beschäftigung im Bereich IKT (Quelle: Eigene Darstellung) | 108 Tab. 11 RCA – Patente im Bereich IKT (Quelle: Eigene Darstellung) | 109 Tab. 12 Volumengewichteter RCA – Patente im Bereich IKT (Quelle: Eigene Darstellung) | 110 Tab. 13 Wertschöpfungs-RCAs bezogen auf Handelsdaten im Bereich IKT (Quelle: Eigene Darstellung) | 111

https://doi.org/10.1515/9783110583212-203

XXVI | Tabellenverzeichnis

Tab. 14 Tab. 15

RCA – Beschäftigung im Bereich Recycling (Quelle: Eigene Darstellung) | 113 Volumengewichteter RCA – Beschäftigung im Bereich Recycling (Quelle: Eigene Darstellung) | 114

IKT-Wirtschaftsdynamik und regionale Freihandelsdynamik in ASEAN-Ländern: Analyse und Perspektiven für Asien und Europa | 118 Tab. 1 Handelsströme zwischen den Regionen 2005 (% des gesamten Warenexports) (Quelle: Autorenberechnung basierend auf WITS-Datenbank) | 124 Tab. 2 Handelsströme zwischen den Regionen 2013 (% des gesamten Warenexports) (Quelle: Autorenkalkulation auf Basis der WITS-Datenbank) | 125 Tab. 3 Zwischenproduktehandel zwischen den Regionen 2005 (% der gesamten Zwischenprodukte-Exporte) (Quelle: Autorenkalkulationen auf Basis der WITS-Datenbank) | 125 Tab. 4 Zwischenproduktehandel zwischen den Regionen 2013 (% der gesamten Zwischenprodukte-Exporte) (Quelle: Autorenkalkulationen auf Basis der WITS-Datenbank) | 126 Tab. 5 Handelsintensität im IKT-Sektor (aggregiert) (Quelle: Autorenberechnung auf Basis der WITS-Datenbank) | 132 Tab. 6 Schätzungsergebnisse des Paneldatenverfahrens | 136 Erneuerbare Energien und Leitmärkte in der EU und Deutschland | 142 Fallstudie Nachhaltiges Bauen und Lead Markets in Österreich | 171 eHealth: Grundlagen der Digitalen Gesundheitswirtschaft und Leitmarktperspektiven | 189 Innovationsorientierte öffentliche Beschaffung und Leitmärkte: Politische Initiativen in der EU | 218

Autorenverzeichnis Paul J. J. Welfens: Gründerpräsident und damit Leiter des Europäischen Instituts für Internationale Wirtschaftsbeziehungen e. V. (EIIW) an der Bergischen Universität in Wuppertal. Er ist dort Inhaber des Lehrstuhls für Makroökonomische Theorie und Politik sowie des Jean Monnet Chair für europäi­ sche Wirtschaftsintegration an der Schumpeter School of Business and Economics an der Bergischen Universität in Wuppertal. Zudem ist er Non-resident Senior Research Fellow at AICGS/Johns Hopkins University; und IZA Research Fellow, Bonn. Björn Budde: Junior Scientist am Austrian Institute of Technology. Bernhard Dachs: Senior Scientist am Austrian Institute of Technology. Tony Irawan: International Trade Analysis and Policy Studies, Indonesia; Department of Economics, Faculty of Economics and Management, Bogor Agricultural University, Indonesia. Andre Jungmittag: Professor für Volkswirtschaftslehre und Quantitative Methoden an der Frankfurt University of Applied Sciences. Arthur Korus: Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Europäischen Institut für Internationale Wirtschafts­ beziehungen an der Bergischen Universität Wuppertal sowie Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehr­ stuhl für Makroökonomische Theorie und Politik an der Bergischen Universität Wuppertal. Jens K. Perret: Zum Zeitpunkt des Verfassens Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Europäischen Insti­ tut für Internationale Wirtschaftsbeziehungen in Wuppertal. Mittlerweile ist er Professor für Volkswirt­ schaftslehre und quantitative Methoden an der International School of Managment unter anderem in Köln und Dortmund.

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Paul J. J. Welfens

Qualitätswettbewerb, Produktinnovationen und Schumpetersche Prozesse in internationalen Märkten 1

Einleitung | 1

2

Rolle von Leitmärkten und des Qualitätswettbewerbs | 4

3

Makroökonomische Perspektiven | 13

4

Wirtschaftspolitische Implikationen | 17

Literatur | 24 Anhang 1: Multiplikatoren (Systemdeterminante U > 0) | 25 Anhang 2: RCA und EUV | 26 Anhang 3: Zu den Grundzügen der NRW-Landesregierung zu Leitmarktperspektiven | 32

1 Einleitung Die Liberalisierung des Außenhandels, die in der EU und weltweit seit den 1990er Jahren verstärkt forciert wurde, ist mit Blick auf die globale Güter- und Standortkon­ kurrenz teilweise verstärkt worden durch die Expansion der Direktinvestitionen – ex­ emplarisch genannt seien in diesem Kontext als Daten 1.1.1993 für den Beginn des EUBinnenmarktes, 2001 als Beitrittsdatum Chinas in die Welthandelsorganisation und 1.1.2015 für den Start des ASEAN-Binnenmarktes. Mit dem Zusammenspiel von Han­ delsliberalisierung und Direktinvestitionen (bei China schon früh sichtbar im Kontext der Gründung von Sonderwirtschaftszonen) ist auch eine verstärkte internationale Innovationsdynamik verbunden, die den Strukturwandel wesentlich prägt; häufig da­ bei auch in Verbindung mit der Expansion der Informations- und Kommunikations­ technologie (IKT), die Produktdifferenzierungen bzw. Produktinnovationen erleich­ tert und zudem die Technologie-Diffusionsprozesse beschleunigt. Zusätzlich zu WTO-Liberalisierungen aus 2014 – vor allem technische Vereinfa­ chung beim Zollprozeduren betreffend – ist die seit 2013 laufende EU-USA-Verhand­ lungsrunde (nach US-Abkürzung TTIP: Transatlantic Trade and Investment Partner­ ship) zu beachten, wobei die USA zudem mit dem vor allem auf asiatische Länder, inklusive Japan, gerichteten Handelsliberalisierungsprojekt Trans-Pacific Partnership (TPP) einen weiteren regionalen Liberalisierungsansatz haben; TPP als Vertrag zwi­ schen den USA und elf Pazifikanrainer-Ländern ist in 2015 verhandlungsmäßig abge­ schlossen worden. Ob der TTIP-Freihandelsvertrag zustande kommt, bleibt abzuwar­ ten. In jedem Fall ist der ökonomische Aufstieg Asiens für Deutschland bzw. die EU https://doi.org/10.1515/9783110583212-001

2 | Paul J. J. Welfens

einerseits und für die USA andererseits gerade im Blick auf Außenhandel und Direkt­ investitionen multinationaler Unternehmen langfristig stark relevant, wobei China als großes Land mit zunehmender Innovationsorientierung eine besondere Rolle spielt. Die traditionelle Sichtweise des Strukturwandels in offenen Volkswirtschaften betont dabei, dass Außenhandelsliberalisierung Einkommensgewinne durch die pro­ duktionsseitige Spezialisierung von Ländern bei einzelnen Produkten mit kompa­ rativen Vorteilen erfolgt. Neuere theoretische Analysen bzw. Entwicklungen in den Gütermärkten setzen den Fokus in veränderter Weise: – Angesichts der globalen Dominanz des Handels mit Zwischenprodukten betont die neuere Theorie, dass Strukturwandel im Sektor der handelsfähigen Güter sich vor allem im Kontext der internationalen Aufspaltung von Wertschöpfungsket­ ten vollzieht, wobei internationales Outsourcing und Offshoring – Verlagerung von Wertschöpfung auf internationaler Ebene innerhalb eines Konzerns – eine wesentliche Rolle spielen. Soweit Länder Direktinvestitionen stark anziehen kön­ nen, erhöhen sich Kapital- und Technologieintensität; hier haben seit den EUOsterweiterungen aus einer europäischen Sicht zunächst die osteuropäischen EUBeitrittsländer ihre Position stärken können, aber auch einige Länder in Asien – zumal solche, mit denen die EU ein Freihandelsabkommen geschlossen hat (z. B. Korea und Singapur) und für China als Spezialfall gilt das ohnehin. – Im Kontext einer dynamischen internationalen Arbeitsteilung und zunehmender Bedeutung multinationaler Unternehmen, die typischerweise für technologie­ intensive Produktion stehen (z. B. Dunning, 1980; Graham/Krugman, 1995), hat die Rolle von Produktinnovationen bzw. des Handels mit differenzierten Gütern zugenommen. – Nach Vernon (1966) spielt der Produktzyklus-Handel eine wichtige Rolle bei der Verbindung von Produktinnovationsdynamik und Außenbeitragsentwicklung. Üblicherweise wird hierbei angenommen, dass in einem Land mit hohem ProKopf-Einkommen (y) Produktinnovationen in den Heimatmarkt als Leitmarkt eingeführt werden, wobei ein hohes Pro-Kopf-Einkommen auch einen aufnahme­ bereiten Markt mit differenzierten Präferenzen und damit Aufnahmebereitschaft für differenzierte Produkte signalisiert; der Inlandsmarkt ist auch der Leitmarkt. Nach einer Markteinführungs- bzw. Innovationsphase kommt eine Phase II der Standardisierung von Produkt und Produktion, in der der zuvor hohe sektora­ le Außenhandelsüberschuss sinkt bzw. zunehmender Import stattfindet, da die Produktion des standardisierten Gutes verstärkt im kostengünstigen Ausland rea­ lisiert wird. In der Ausreifungspreise sinken die Güterpreise, die Produktion ist weiter standardisiert worden und daher können und werden nun Entwicklungsund Schwellenländer verstärkt als Produktionsstandort in Frage kommen. In ei­ nigen Sektoren, etwa im IKT-Sektor und im Eisenbahnbau, finden sich führende Großanbieter bzw. multinationale Unternehmen nicht mehr nur in OECD-Län­ dern, sondern China oder andere Länder Asiens bzw. der ASEAN-Gruppe sind selbst zu Leitmärkte avanciert, so dass nicht nur Länder mit hohem Pro-Kopf-

Qualitätswettbewerb, Innovation & Schumpetersche Prozesse in internationalen Märkten | 3





Einkommen als Leitmärkte gelten können. Inländische Anbieter können mit Pioniernutzern in den Leitmärkten erste Erfahrungen in der Innovationsphase machen und können dann mit verbesserten Produkten in den folgenden Quarta­ len dann der Logik des Produktzyklus-Handels folgen. Dabei können noch in der ersten Phase hochwertige Zulieferungen bzw. digitale Produkte und Dienste aus führenden OECD-Ländern bezogen werden. Komparative Vorteile und Produktionsspezialisierungen können staatsseitig durch bestimmte Schwerpunktsetzungen bei der Innovationsförderung oder die fachliche Ausrichtung von Hochschulen auch politisch bestimmt werden, was theoretisch auf Arrows Learning-by-doing-Konzept abstellt. Dieses Konzept, das auch Anklänge an den Listschen Erziehungszollgedanken hat, wurde in den USA insbesondere von Stiglitz/Greenwald (2014) formuliert. Demnach könnten Leitmärkte im Inland auch durch gezielte staatliche Innovati­ onsförderung und Impulse für das nationale Innovationssystem entwickelt wer­ den, vorausgesetzt, dass im Inland zunächst ein hinreichendes Marktvolumen so­ wie Bereitschaft zum Strukturwandel vorhanden sind und die Förderpolitik die grundlegende marktliche Entscheidungslogik beachtet bzw. nicht in Konflikt tritt zu einer parallelen Förderpolitik in anderen Ländern mit womöglich größerem Heimatmarkt und innovationsfreudigeren Konsumenten. Die Gefahr internatio­ naler Subventionsläufe kann sich ergeben.

Eine wichtige Frage mit Blick auf den Strukturwandel und die Wirtschaftsentwicklung in Deutschland und Europa bezieht sich auf die Innovationsdynamik in ausgewählten Sektoren, wie sie sich im Kontext von EU-Integration und Globalisierung der Wirt­ schaft ergibt. Die Europäische Kommission hat mit dem Fokus auf dem Konzept der Leitmärkte versucht, bestimmte Sektoren, die als wachstumsrelevant angesehen wer­ den, zu stimulieren bzw. eine Art moderne Industriepolitik zu entwickelt und in den EU-Ländern zu fördern. Dabei sollte man als Hintergrund die zunehmende Handels-, Direktinvestitions- und Innovationsdynamik in einer Vielzahl von OECD- und Schwel­ lenländern betrachten und speziell auch die zunehmende Bedeutung von Qualitäts­ wettbewerb mit heterogenen Produkten. In der nachfolgenden Analyse wird die Rolle des Qualitätswettbewerbs aus mikro- und makroökonomischer Sicht thematisiert, zu­ dem werden empirische Befunde für Deutschland und andere EU-Länder dargestellt sowie ausgewählte wirtschaftspolitische Implikationen verdeutlicht. Die makroöko­ mische Analyse der Produktinnovationen ist neuartig, zudem wird auf das Phänomen der multinationalen Unternehmen bzw. der Direktinvestitionen Bezug genommen. Die nachfolgenden Überlegungen sind im Kontext des EU-Binnenmarktes, der wirtschaft­ lichen Globalisierung und auch bei einer möglicherweise längerfristig realisierten transatlantischen Freihandelszone zwischen den USA und der EU relevant. Im Übrigen können wegen der Globalisierung bzw. der erleichterten Nutzung von ausländischen Vorprodukten auch Anbieter aus kleinen Ländern im In- und Ausland erhebliche Marktanteile erzielen – jedenfalls größere als es von der Größe des jeweiligen Landes

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her auf den ersten Blick zu erwarten wäre. Über Direktinvestitionen können Firmen aus führenden OECD-Ländern in allen Leitmärkten der Welt präsent sein, aber umge­ kehrt können auch Firmen aus Aufsteigerländern in den führenden OECD-Leitmärkten durch Direktinvestitionen eine Präsenz etablieren und dann im Zeitablauf versuchen, wachsende Teile der Wertschöpfungskette durch das Zusammenspiel von Produktion im Heimatland und in ausländischen Standorten erfolgreich abzudecken; oder man versucht, sich in technologisch höherwertigen Segmenten im Zeitablauf besser zu positionieren. In jedem Fall entstehen Impulse für den Strukturwandel und sie erge­ ben sich nicht nur im Kontext üblicher Leitmärktebetrachtungen, sondern auch aus neueren Entwicklungen der Technoglobalisierung, die insbesondere eine grenzüber­ schreitende Arbeitsteilung des Forschungs- und Entwicklungsprozesses bezeichnet – Forschung und Entwicklung von Firmen wird also zunehmend grenzüberschreitend organisiert, was Konzentrationstendenzen zugunsten bestehender geographischer Innovationszentren bedeuten kann, aber auch eine räumliche Differenzierung. In der nachfolgenden Betrachtung stehen jedoch die Leitmarktperspektiven im Vordergrund sowie Aspekte des Qualitätswettbewerbs – aus theoretischer Sicht – und die Fragen nach der makroökonomischen Einbeziehung von Innovationdynamik.

2 Rolle von Leitmärkten und des Qualitätswettbewerbs Die Leitmarktdebatte wie sie Beise (2004) und Beise/Rennings (2005) entwickelt wur­ de, stellt darauf ab, dass bei Produktinnovationen oder auch beim Entstehen neuarti­ ger Bedürfnisse in der Regel ein ökonomisch-geographisch sinnvolles bzw. optimier­ tes Unternehmensverhalten gilt. Ländern mit innovationsstarken Firmen werden in der Regel ein hohes Pro-Kopf-Einkommen haben und sind von daher für das Lan­ cieren von Produktinnovationen bzw. differenzierten Produkten auch nachfrageseitig zunächst gut aufgestellt. Aber aus der Unternehmenssicht haben dabei nur bestimm­ ten Länder die kritischen Vorteile, die innovationsstarke Unternehmen suchen und von daher gibt es eine besondere Verbindung von firmenseitiger Innovationsdyna­ mik und Standortqualitäten, auf die auch die Wirtschaftspolitik ggf. einen Einfluss nehmen kann. In jedem Fall ist aus Sicht der Unternehmen nachfragebezogen mit Blick auf eine Produktperfektionierung eine gewisse Innovationsfreudigkeit bzw. Ex­ perimentierbereitschaft auch bei hochwertigen Produkten erforderlich und über die Nachfrage-feedbacks wiederum können die Unternehmen dann eine weitere Produkt­ optimierung bzw. –differenzierung vornehmen. Letztere hilft dann später, über Preis­ differenzierungen die Profitabilität von Produktinnovationen zu erhöhen. Da eine ho­ he Produkt- und Prozessinnovationsdynamik die EU-Länder bzw. die OECD-Länder vor allem auch seit der IKT-Expansion der 90er Jahre prägt, hat auch die Wirtschafts­

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politik auf EU-Ebenen und bei den EU-Ländern Ansatzpunkte der Leitmarkt-Analyse aufgenommen. Leitmärkte sind aus Sicht vieler Unternehmen gerade jene Märkte, auf denen man letztlich den zuverlässigen Test des Übergangs von der Invention zur kommerziell erfolgreichen Markteinführung vornehmen will und kann – für viele Unternehmen aus OECD-Ländern ist der Inlandsmarkt eine Art natürlicher Leitmarkt: gerade auch weil oft ein Home(-market) Bias (also nachfrageseitige Bevorzugung „inländischer“ Produkte) bei der Lancierung von neuen Produkten hilfreich und eine auf Seiten der Nachfrage bestehende hinreichende Neuerungsflexibilität besteht oder weil der na­ türliche Erst-Absatzmarkt im Bereich zumindest der nichthandelsfähigen Güter der In­ landsmarkt ist; zumal in manchen Ländern bestimmte Aspekte zusammen kommen: – Hinreichende Größe des Marktes, um rasch auch Kostendegressionseffekte einer­ seits und eine kritische Masse an Erstnutzer-Feedbacks zu erhalten. – Staatsnahe Märkte, in denen staatliche Akteure einflussreich oder dominant sind – hier sind gute Vernetzungen in die jeweiligen politischen Systeme von Vorteil; im Gesundheits- und Bildungssektor sowie in einem Teilbereich der Energiewirtschaft etwa dürfte dies ausgesprochen der Fall sein (allerdings ist auch bekannt, dass etwa Dänemark in der EU allgemein als Leitmarkt für Wind­ energieanbieter galt und teilweise noch gilt). – Home Bias als besonderer Nachfragevorteil: In vielen Ländern gibt es bekanntlich auf Seiten der Käufer einen Home Bias, also eine nachfragerseitige Bevorzugung inländischer Produkte bzw. von Produktinnovationen, die von inländischen „na­ tionalen“ Firmen bzw. im Inland produzierenden Tochterunternehmen ausländi­ scher Firmen kommen. Im Zuge der Herausbildung des EU-Binnenmarktes dürfte sich allerdings der Home Bias teilweise abschwächen, zudem haben einige Fir­ men über erfolgreiches Marketing bzw. Branding eine eigenständige Firmenloya­ lität von Käufern geschaffen – man denke etwa an IKT-Produkte der Firma Apple.

Erfolgsgrundlagen für Leitmärkte Die Erfolgsgrundlagen für Leitmärkte können in Anlehnung an Beise/Rennings (2005) in fünf Vorteilselementen erfasst werden, die in Abbildung 1 dargestellt sind. Wenn man die einzelnen Erfolgsgrundlagen für Lead-Märkte mit Produktinno­ vationen – in solchen Märkten setzen sich bestimmte innovative Produktdesigns im Zeitablauf als dominant durch – betrachtet, dann sind zu beachten (Beise/Rennings, 2005): – Preisvorteile: sie entstehen aus den nationalen Markt- und Technologiebedin­ gungen, soweit sie im Zeitablauf rasche Preissenkungen der national bevorzug­ ten Produktinnovation bzw. des bevorzugten Innovationsdesigns erlauben; diese Preissenkungen können mit Blick auf internationale Diffusionsperspektiven ggf. vorhandene inländische Nachfragenachteile kompensieren. Statische und dyna­

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Basiselemente für erfolgreiche LeadMarket Akvitäten

Preisvorteil

Nachfragevorteil

Transfervorteil

Exportvorteil

Marktstrukturvorteil

Abb. 1: Erfolgsgrundlagen für Lead Markets (Quelle: Eigene Darstellung, basierend auf Beise/ Rennings (2005), Lead markets and regulation: a framework for analyzing the international diffusion of environmental innovations, Ecological Economics 52, 5–17.)







mische Massenproduktionsvorteile sind hier wichtige Ansatzpunkte für Kostenbzw. Preissenkungen. Während die statischen Massenproduktionsvorteile sin­ kende Grenz- und Durchschnittskosten als Folge einer hohen Produktionsmenge im Zeitpunkt t bezeichnen, geht es bei dynamischen Massenproduktionsvortei­ len um „Learning-by-doing-Effekte“. Mit Blick auf die Globalisierungshypothese von Levitt (1983) steht die Preiswürdigkeit für einen entscheidenden Diffusions­ aspekt, da die internationalen Nachfrager ein bestehendes Produktdesign bei einem hohen Preisvorteil einer konkurrierenden ausländischen Produktinnova­ tion aufgeben werden. Nachfragevorteile können aus nationaler Marktdynamik entstehen, die sich aus der Antizipation von Vorteilen einer bestimmten Produktinnovation bzw. eines Produktdesigns mit absehbar weltweiter Diffusion ergeben. So kann es etwa mit Blick auf das Global Warming Problem eine besondere innovationsseitige Sensi­ bilität in Ländern mit relativ hohen Überschwemmungsrisiken geben, wobei man etwa an die Niederlande oder (Nord-)Deutschland denken mag. Transfervorteile sind nationale Bedingungen, die die Vorteile einer zunächst na­ tional präferierten Produktinnovation – oder Prozessinnovation – für die Nutzer in anderen Ländern erhöhen oder es geht um das Phänomen, dass die inländi­ sche Nachfragerpräferenz für eine bestimmte Produktinnovation quasi auf andere Länder übertragen wird: Hierbei geht es um einen Demonstrationseffekt (Mans­ field, 1968) bzw. das Setzen eines neuen Trends; man denke etwa an die Entwick­ lung des Smartphones, die vor allem von RIM, Apple und Samsung vorangetrie­ ben wurde. Man kann Bedingungen, die das systematische Berücksichtigen ausländischer Nachfragerpräferenzen in bevorzugte inländische Produktinnovationsrichtungen bedeuten, als Exportvorteil bezeichnen. Schon Vernon (1979) hat darauf hinge­ wiesen, dass die Ähnlichkeit von Kultur- und Einkommensgegebenheiten in Ex­ portländern mit dem Inland die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass sich in diesen Ländern eine ähnliche Präferenz für bestimmte Innovationen ergibt, die im In­ land entwickelt werden. Dekimpe et al. (1998) finden empirische Evidenz für diese Sichtweise. Dabei kann man Exportvorteile in drei Formen einteilen: Die inländi­

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sche Nachfrage selbst reagiert sensibel auch auf ausländische Nachfrageentwick­ lungen bzw. –verschiebungen; es gibt eine gewachsene Exporterfahrung inländi­ scher Unternehmen, die antizipativ die Nachfragedynamik in Auslandsmärkten frühzeitig aufnehmen; es bestehen strukturelle Ähnlichkeiten in den Nachfrage­ strukturen von In- und Ausland, wie dies eben schon von Vernon (1979) betont wurde. Wettbewerbsstarke Marktstrukturen sind ein Vorteil für die Entwicklung von Lead-Märkten. Entrepreneurship und Innovationsdynamik gehören zu den we­ sentlichen Grundlagen internationaler Wettbewerbsfähigkeit (Dosi et al., 1990; Posner, 1961). Firmen in einem wettbewerbsintensiven Umfeld werden hohe In­ novationsleistungen von ihren Zulieferern verlangen – mehr als bei einem Mo­ nopolfall (Porter, 1990). Zudem wird es in einem wettbewerbsintensiven Umfeld zu einer raschen Neuerung von Produktinnovationen kommen, sofern sie nicht durch Patente geschützt sind; die deutsche bzw. europäische Automobilindus­ trie, aber auch die Chemieindustrie kann hier als gutes Beispiel gelten. Auch in der Energiewirtschaft gibt es eine hohe Innovationsdynamik.

Es ist dabei durchaus denkbar, dass bei bestimmten Sektoren mehrere der genann­ ten Vorteile gleichzeitig in einem bestimmten Land präsent sind; dann sind natürlich die Anreize, hier ein Lead-Market-Land zu entwickeln aus Industrie- bzw. Firmensicht besonders groß. Auf der anderen Seite ist zu fragen: – Wie können Firmen einer gegebenen Region oder eines Lands systematisch LeadMarket-Ansätze erfolgreich entwickeln? – Was kann der Staat auf nationaler oder regionaler (oder ggf. auch supranationa­ ler) Ebene unternehmen, um die erfolgreiche Entwicklung von Lead-Märkten zu unterstützen bzw. zu motivieren; welche Rolle spielt hierbei auch die Innovationsbzw. Diffusionspolitik auf nationaler bzw. internationaler Ebene? – Wo ist der Staat selbst in einer Lead-Market-Funktion bzw. als Lead-User gefragt, etwa bei staatsnahen Sektoren wie Energie oder Gesundheit? Die Antwort hängt natürlich auch ab von den konkreten Gegebenheiten in einer Region bzw. einem Bundesland sowie im Land insgesamt. Die Niederlande haben mit einem neuen Ansatz im Bereich der Öffentlichen Beschaffung exemplarische Akzente gesetzt (Dekker, 2013), die man auch von Seiten der Wirtschaftspolitik auf nationaler bzw. regionaler Ebene in anderen EU-Ländern aufnehmen könnte. Wenn man nun verschiedene mögliche Branchen mit Blick auf Lead-Market-Perspek­ tiven betrachten will, dann sind zunächst strukturelle Aspekte im In- und Ausland zu betrachten. Es macht z. B. sicherlich einen Unterschied, ob eine Branche vor allem durch Marktprozesse in einem Umfeld mit wenigen Politikinterventionen geprägt ist oder aber ob der betreffende Markt stark politisch beeinflusst ist – letzteres gilt etwa für die Gesundheits- und Bildungsmärkte in Europa.

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Man kann davon ausgehen, dass mit Blick auf den Katalog von sechs LeadMärkten, die die Europäische Kommission zunächst identifiziert hat, Deutschland grundsätzlich als großes Industrieland – mit hohem Pro-Kopf-Einkommen – gewis­ se Vorteile hat, zumal die Bundesrepublik das Hauptexportland der EU ist und weil zudem viele exportstarke Branchen auch durch hohe Direktinvestitionen im Ausland gekennzeichnet sind; produzierende Auslandstöchter erlauben gute Einblicke in aus­ ländische Markt- und Zulieferer sowie Konkurrenzstrukturen, so dass hierdurch die entsprechenden deutschen Konzerne Vorteile im Innovationsprozess haben dürften. Zudem gilt, dass die große Exporterfahrung vieler Unternehmen – auch mittelstän­ discher Firmen – für eine relativ große Auswahl strategischer Optionen sorgt: Dass nämlich deutsche Firmen sich ggf. auch ausländische Märkte gezielt als Lead-Märkte aufbauen können. Für langjährig geförderte Cluster stellt sich im Kontext mit den neuen EU-Förder­ schwerpunkten die Frage, wie man im regionalen Firmennetzwerk zu einer größeren Lead-Market-Kompetenz kommen kann und wie gemeinsame Lead-Market-Projekte erfolgreich angeschoben werden können. Mit Blick auf Konsumgüter- bzw. Dienstleis­ tungsmärkte sind die Bedingungen hierbei ggf. anders als im Fall von Märkten für Maschinen und Anlagen; der Maschinen- und Anlagenbau Deutschlands ist im inter­ nationalen Vergleich stark, muss allerdings im 21. Jahrhundert sicherlich auch einige neue Herausforderungen aufnehmen – hierzu gehört neben der zunehmenden Rolle der Informations- und Kommunikationstechnologie als Querschnittstechnologie, die alle Sektoren bzw. Märkte anspricht, auch die Frage nach Besonderheiten der Märkte für Investitionsgüter.

Qualitätswettbewerb Bei monopolistischer Konkurrenz auf vielen Gütermärkten spielen Produktinnovatio­ nen bzw. Produktdifferenzierungen eine erhebliche Rolle, wobei eine erhöhte Wett­ bewerbsintensität beim Preiswettbewerb für technologieintensive Unternehmen die Anreize stärkt, sich über Produktinnovationen bzw. Qualitätswettbewerb zu differen­ zieren. Die Existenz nationaler Leitmärkte – ggf. bezogen auf den Inlandsmarkt (ei­ ne Standardannahme beim traditionellen Produktzyklus-Exportmodell von Vernon) oder einen wichtigen nationalen Auslandsmarkt – ist vor allem bei der Markteinfüh­ rung von Produktinnovationen relevant. Auf Leitmärkten können anspruchsvolle ex­ perimentierbereite Nachfragerschichten neue Produkte als Erstkäufer erwerben und quasi testen sowie ihr Feedback zur Verkäuferseite geben, so dass Leitmärkte typi­ scherweise durch hohe Pro-Kopf-Einkommen als notwendige Bedingung geprägt sein; eine gewisse Experimentierbereitschaft auf der Nachfrageseite muss hinzukommen (Beise, 2004). Vandenbussche (2014) hat für die EU-Länder die Exportqualität von Gütern und die Entwicklung von Marktanteilen im Zeitraum 2007 bzw. 2011 untersucht und hat

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dabei erhebliche Unterschiede nach Ländern und Sektoren festgestellt. Dabei wird ein mikroökonomischer Marktansatz mit differenzierten Produkten verwendet, der je­ doch nicht den auf einer CES-Konsumfunktion von Dixit-Stiglitz (1977) aufbauenden Standardansatz verwendet; in mikroökonomischen Sicht kann eine Nachfragefunkti­ on bei differenzierten Produkten geschrieben werden (mit s für Produktart, i für Ex­ portmarkt, p für Preis) als p si = v s − h si q si − h󸀠 Q si (1) Dabei bezeichnet v die Zahlungsbereitschaft für die erste gelieferte Einheit, h bezeich­ net die direkte Preisreagibilität des betrachteten Produktes s im Zielmarkt i und Q steht für die Angebotsmenge an Substitutionsgütern (v, h, h󸀠 jeweils > 0). Diese im­ plizite Nachfragekurve ist aus einer quadratischen Nutzenfunktion hergeleitet. Der Gleichgewichtspreis p# si ergibt sich bei positiven Grenzkosten k 󸀠 als p# si = (v s + k 󸀠s )/2 − (h󸀠 /2)Q si

(2)

Je höher v bzw. die „Qualitätszahlungsbereitschaft“ – so die Interpretation für v – und je höher die Grenzkosten der Produktion des Gutes, desto höher der Gleichgewichts­ preis; je höher die Angebotsmenge an Substitutionsgütern, desto kleiner der Gleich­ gewichtspreis der Produktvariante s auf einem Exportmarkt i. Die Gleichgewichtsmenge ist gegeben durch den „Monopolgradaufschlag“ (p# si − 󸀠 k s ) dividiert durch die direkte Preisreagibilität h (ohne Produktdifferenzierung gilt na­ türlich bei vollständigem Wettbewerb, dass der Gleichgewichtspreis gleich den Grenz­ kosten ist): q# si = (p# si − k 󸀠s )/h si = (1/h si )((v s − k 󸀠s ) − (h󸀠 Q si ))/2 (3) Die Abbildung 2 ergibt sich dann in der graphischen Betrachtung, wobei mit Blick auf einen Markt mit einem Gut einer bestimmten Qualitätsstufe (s) das Angebot an Sub­ stitutionsgütern (Menge Q) die Nachfragekurve nach unten verschiebt und sich dann eben ein verminderter Gleichgewichtspreis ergibt. Dem können Firmen entgegenwir­ ken, indem sie den Markteintritt für Konkurrenten erschweren, indem sie etwa über hohe Qualitätsreputation oder die Mobilisierung von Netzwerkeffekten – sie beziehen sich auf die Nachfragekurve (n), die durch Netzwerkeffekte weniger elastisch werden – die Markteintrittshürden erschweren. Wenn durch regional oder international intensivierten Qualitätswettbewerb oder eine verstärkte Präsenz von Tochterunternehmen multinationaler Firmen die durch­ schnittlich gewünschte Variante verbessert hergestellt wird, steigt die Zahlungsbereit­ schaft (v s ) für die erste Einheit und der Gleichgewichtspreis nimmt – bei gegebenem k 󸀠 und gegebener Präsenz von Substitutionsangeboten – zu. Wenn in einem Sektor in einem Land für einen Zielmarkt i Güter produziert wer­ den, so sind aus analytischer Sicht vier Aspekte zu betrachten: – Wie groß ist der Marktanteil in Land i (oder einer Ländergruppe)? – Wie groß ist der Anteil der Qualitätsprodukte bzw. der Produkte mit relativ ho­ her Qualität? Sie liegen in der Zahlungsbereitschaft der Kunden relativ weit oben

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pS vS

k‘S0

E0

pS0

E1

pS1

B

Z1 q1

q0

Z0

Q0

qS

Abb. 2: Rolle der Substitutionskonkurrenz im Wettbewerb. Qualitätsstufen bei heterogener Konkur­ renz. (Quelle: Eigene Darstellung)





bzw. der Exportdurchschnittserlös beim betrachteten Gut wird dann hoch sein (Borbely, 2006). Wie stark ausgeprägt ist die Rolle eines Landes als Leitmarkt bzw. Erst-Absatzoder Erst-Exportmarkt? Länder, die typische Leitmärkte sind – etwa Deutschland oder Frankreich oder skandinavische Länder, die Niederlande oder Österreich für bestimmte Konsumgüter oder Dienstleistungen – haben einen Nutzenvorteil bzw. in dynamischer Sicht eine höhere Konsumentenrente als andere Länder. Denn Produktinnovationen bedeuten zwar möglicherweise einen höheren Gleichge­ wichtspreis als für Altprodukte, aber die Einführung einer Produktinnovation verschiebt die Nachfragekurve nach rechts oder (in alternativer Interpretation) führt ein Drehen der Nachfragekurve im Sättigungspunkt nach oben herbei, so dass die Konsumentenrente steigt. Wie groß ist der Anteil der Wertschöpfung, der im Exportland tatsächlich erbracht wird? Wenn Güter hoher Qualität exportiert werden, werden die Unternehmen sich möglicherweise auch stark auf importierte Vorprodukte verlassen, was den Wertschöpfungsanteil im Exportprodukt drücken könnte?

Strukturwandel Mit Blick auf den Strukturwandel in der EU ist die Einbindung der osteuropäischen EU-Beitrittsländer in Wertschöpfungsketten von Firmen aus den EU-15-Ländern wich­ tig: Die Einbindung in internationale Wertschöpfungsketten spielt für Export-Firmen aus osteuropäischen Ländern eine zunehmende Rolle, während mit Blick auf die neue Wirtschaftsmacht China (seit Mitte 2015 beim Bruttoinlandsprodukt nach Kaufkraft­ paritäten die Nr. 1) ebenfalls für EU-Firmen relevante Veränderungen zu beobachten sind:

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Die Anpassungsprozesse im Kontext der EU-Osterweiterung bestanden in einem starken Strukturwandel und einer teilweisen Ausrichtung einiger Länder auf die Einbindung in westeuropäische Wertschöpfungsketten – dabei spielte als Bezugs­ land Deutschland eine besonders wichtige Rolle (Galar, 2015; Stehrer/Stöllinger, 2015). Teilweise waren naturgemäß Direktinvestitionszuflüsse gerade in osteu­ ropäischen EU-Ländern ein wichtiger Expansions- und Modernisierungsimpuls, wobei auch chinesische Direktinvestoren bei einigen Ländern bedeutsam sind (Dreger/Schüler-Zhou/Schüller, 2015). Nach einer langen Phase zunehmender importierter – meist technologie- und wis­ sensintensiver – Wertschöpfungsanteile bei handelsfähigen Gütern Chinas ist seit 2012 ein Rückgang dieser Importanteile festzustellen (Galar, 2015), was auf eine zunehmende Fähigkeit chinesischer Firmen zur Produktion hochwertiger Wert­ schöpfungsbestandteile hindeutet; dabei ist aus der chinesischen Autoindustrie bekannt geworden, dass bei der Produktion von Bandstraßen in Verbindung mit Predictive Analytics (lokale Big Data-Nutzung, um optimale Wartungszeitpunkte prognostisch zu bestimmen und damit die Kapitalkosten zu senken) Chinas natio­ naler Markt tatsächlich auf Basis der verfügbaren innovativen chinesischen Sen­ sorik als Leitmarkt in einem wichtigen Feld der Auto- bzw. Maschinenbauindus­ trie gelten kann. Das bedeutet allerdings noch nicht, dass Chinas Export generell in technologisch führenden Gütergruppen angesiedelt sind.

Die Arbeitsteile zwischen den führenden EU-Ländern im Bereich der Industrieproduk­ te sind deutlich geprägt durch Handel mit Hochtechnologieprodukten bzw. wissensund technologieintensiven Gütern: – Es fällt bei den Befunden von Vandenbussche (2014) für die EU auf, dass die USA und Japan mit ihren Güterexporten in den EU-Markt in der Qualitäts-Spitzen­ gruppe führend vertreten sind. Dies könnte ggf. so zu interpretieren sein, dass die hohen Transportkosten für Exporteure dieser Länder ein Anreiz sind, sich auf hochqualitative Exporte in die EU15-Ländergruppe – sie wird als Zielland bei Vandenbussche in der statistischen Auswertung betrachtet – zu konzentrieren. – Deutschland hat insgesamt hohe Marktanteile (etwa 20 % in 2007 und 2011) im EU15-Binnenmarkt und dabei eine starke Konzentration auf Güter mittlerer Qua­ lität. Finnland und Schweden sind eher bei hochqualitativen Gütern konzentriert, die Marktanteile sind eher gering, was natürlich auch die Ländergröße widerspie­ gelt. Relativ zur Ländergröße hohe Marktanteile im EU15-Markt verzeichneten Bel­ gien und die Niederlande. – China hat relativ hohe Marktanteile (etwa 14 %), allerdings sind die Produkte bei niedrigen Qualitätsstufen konzentriert. Besondere internationale Konkurrenz-Aspekte ergeben sich im weiteren im Kontext von Diffusionsprozessen in Sektoren mit Skalenvorteilen – statischen Massenproduk­ tionsvorteilen oder Learning-by-doing-Effekten (siehe Abbildung 3 und Abbildung 4).

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Firmen aus Ländern, die als Leitmärkte für eine bestimmte Technologie eine führen­ de Position haben, können eine relativ schnelle Diffusionskurve im Inland realisie­ ren, wo der in OECD-Ländern typische Home-bias in der Regel hilfreich ist: Wer auf einem raschen Diffusionspfad A’A expandieren kann, hat dann eben auch einen Vor­ teil. Wenn zwei Länder 1 und 2 durch unterschiedliche Diffusionspfade A’A bzw. B’B gekennzeichnet sind, dann wäre bei identischer Inlandsnachfrage natürlich ein Vor­ teil für Land 1 gegeben, dessen Produzenten bei einer Durchschnittskurve k 󸀠󸀠 0 eine grö­ ßere Produktionsmenge zu einem geringeren Güterpreis absetzen können als die Pro­ duzenten aus Land 2. Im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT) spielen solche Aspekte eine besonders wichtige Rolle, aber auch andere Indus­ triesektoren sind mit Blick auf solche Mechanismen relevant. Soweit der Staat durch geeignete Rahmenbedingungen eine rasche Diffusion fördert oder auch durch inno­ vationsorientierte Beschaffungsprogramme hierzu beiträgt, sind besondere Expansi­ onseffekte denkbar – der staatliche Impuls kann dann sowohl die Diffusion beschleu­ nigen als auch die Nachfragekurve nach außen verschieben und damit die Nutzung von Skaleneffekten verstärken, was wiederum die mittelfristige Exportbasis stärken kann. 100%

A

0

B

t

Abb. 3: Diffusions- und Expansionsdynamik bei Skalenvorteilen. (a) Diffusionsdynamik. (Quelle: Eigene Darstellung)

Eine hohe Produktinnovationsrate von Firmen in Industrien mit Skalenvorteilen wie in Sektoren mit normalen Kostenstrukturen (steigenden Grenzkosten) wird zur Ex­ portdynamik des jeweiligen Landes im Rahmen der Vernon-Produktzyklus-Hypothese beitragen. Eine Verbesserung des Außenbeitrages ergibt sich von daher insbesondere dann, wenn eine steigende Zahl von Produktinnovationen von den Unternehmen des Landes lanciert wird. Diese traditionelle Produktinnovationsperspektive des Außen­ handels ist in vielen OECD-Ländern mit einem zunehmenden Qualitätswettbewerb

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F A

B B1 A1

DD0 B2 A2

0

(t1)

qB

qA

k‘‘1 k‘‘0

Z

Abb. 4: Diffusions- und Expansionsdynamik bei Skalenvorteilen. (b) Nachfrageperspektive. (Quelle: Eigene Darstellung)

verbunden, so dass sich die Produktinnovationsdynamik eben zunehmend in Feldern mit hoher Technologie- und Wissensintensität vollzieht. Der intensive internationale Qualitätswettbewerb bzw. eine hohe Produktinnovationsrate sind ein wichtiges Kenn­ zeichen der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung in vielen EU-Ländern.

3 Makroökonomische Perspektiven Die Einbeziehung von Qualitätswettbewerb bzw. Produktinnovationen in der Makro­ ökonomik wurde von Welfens (2011) im Rahmen einer Erweiterung des Mundell-Fle­ ming-Modells erstmals thematisiert. Es wird angenommen, dass der Konsum eine positive Funktion des Produktinnovationsgrades V 󸀠 und des verfügbaren Einkom­ mens Y(1 − τ) ist – mit τ für Einkommenssteuersatz – und dass die Exportmenge ebenfalls eine positive Funktion von V 󸀠 bzw. der Relation V 󸀠 /V 󸀠∗ (*) für Ausland ist, während die Importmenge eine negative Funktion von V 󸀠 /V 󸀠∗ ist; die realen NettoInvestitionen I seien negativ vom Realzins r und positiv von V 󸀠 abhängig, das man Produktinnovationen häufig nur mit neuen Maschinen und Anlagen produzieren kann; die Reinvestition beträgt δK, wobei δ der Abschreibungssatz auf Realkapital ist. Die Geldnachfrage sei positiv vom Realeinkommen Y und von V 󸀠 abhängig so­ wie negativ vom Nominalzinssatz i, der bei Preisniveaustabilität mit dem Realzins r gleichgesetzt werden kann; ignoriert wird hierbei, dass eine Produktinnovation das effektive, hedonisch („qualitätskorrigiert“) gemessene Preisniveau senkt, im Übrigen sei die Annahme einer partiellen positiven Ableitung der realen Geldnachfrage m in Bezug auf V 󸀠 damit begründet, das bei erhöhter Produktinnovationsdynamik die Ver­

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fügbarkeit von Liquidität einen Zusatznutzen bringt, da man dank Liquidität eher in der Lage sein wird, sich in Geschäften in den Auslagen zeigende Produktinnovationen (ggf. stelle man sich einen erweiterten stochastischen Modellrahmen vor) spontan zu kaufen. Der Nettokapitalimport sei positiv abhängig von V 󸀠 , da ausländische Portfo­ lioinvestoren bei einem Ansteigen von V 󸀠 eine erhöhte Rentabilität der Investitionen erwarten. Das Modell für eine kleine offene Volkswirtschaft bei flexiblen Wechsel­ kursen lautet daher (mit c󸀠 > 0; 0 < c < 1; G für Staatsverbrauch; q∗ ist der reale Wechselkurs eP∗ /P, wobei e der nominale Wechselkurs ist, die Importelastizität mit Bezug auf q∗ sei zwecks Vereinfachung -1, die Exportelastizität sei +1): Y = c(1 − τ)Y + c󸀠 V 󸀠 + δK + br + b 󸀠 V 󸀠 + G + xY ∗ q∗ + x󸀠 V 󸀠 /V 󸀠∗ − q∗ jY/q∗ − j󸀠 V 󸀠∗ /V 󸀠󸀠

󸀠

󸀠

󸀠󸀠

M/P = n Y + n V − h r ∗

󸀠

󸀠

󸀠

󸀠∗

(4) (5)

∗ ∗

󸀠

󸀠

n(r − r ) + d V = jY + j V /V − xY q − x V /V

󸀠∗

(6)

Die Parameter b, b 󸀠 , n󸀠󸀠 , n󸀠 , x󸀠 , j󸀠 und h󸀠󸀠 sowie n und d󸀠 sind positiv. Als Multiplikato­ ren erhält man für eine expansive Geldpolitik (dM > 0), eine expansive Fiskalpolitik (dG > 0; dτ < 0) und eine V 󸀠 erhöhende Innovationspolitik (dV 󸀠 > 0) sowie für dY ∗ > 0 und dV 󸀠∗ > 0 die folgenden Multiplikatoren für Y, r und e (siehe Anhang 1 zu Einzelheiten). Insbesondere die Betrachtung der Innovationspolitik in einem Mundell-Fle­ ming-Modell ist hier neuartig bzw. eine Fortführung des Ansatzes aus Innovations in Macroeconomics (Welfens, 2011, 3. A.). Nicht thematisiert wird hier die mögli­ che Verbindung zwischen Fiskalpolitik und Innovationspolitik, allerdings kann man grundsätzlich schreiben G = G󸀠 + G󸀠󸀠 , wobei G󸀠󸀠 für Staatskonsum und G󸀠 für In­ novationsförderung steht, wobei dV 󸀠 = V 󸀠󸀠 dG󸀠 (mit V 󸀠󸀠 > 0) angenommen werden könnte: Eine erhöhte staatliche Produktinnovationsförderung führt dann zu dV 󸀠 > 0 und von daher hätte man auf dieser Basis eine Quasi-Endogenisierung der Innovati­ onsdynamik. Auch könnte man eine internationale oligopolistische Interdependenz multinationaler Unternehmen durch die Annahme dV 󸀠 = V 󸀠󸀠∗ dV 󸀠∗ (bei positivem V 󸀠󸀠∗ ) oder einen andersartigen internationalen Technologietransfer thematisieren. Sofern man die Rolle von Direktinvestitionen betrachten will, ist jedoch – wie bei Welfens (2011) – zu beachten, dass man eine Unterscheidung zwischen dem Brut­ toinlandsprodukt Y und dem realen Bruttonationaleinkommen Z zu machen hat. Betrachtet man In- und Ausland bzw. Land I und Land II jeweils unter der Annahme einer Cobb-Douglas-Produktionsfunktion – also im Inland Y = K β (AL)1−β und im Ausland Y ∗ = K ∗β∗ ∗ (A∗ L∗ )1−β∗ , wobei A das technische Wissen und L Arbeit ist und 0 < β < 1 gilt – so wäre ein asymmetrischer einfacher Fall mit Direktinvestitionszu­ flüssen gekennzeichnet durch Z = Y(1 − α∗ β), wobei α ∗ der Anteil der Investoren aus Land II am Kapitalbestand in Land I ist; zu beachten ist im Kontext der hier gemach­ ten Annahme von Wettbewerb auf Güter- und Faktormärkten, dass βY der Anteil des Kapitals an Y ist und daher bei einem Anteil α ∗ am Kapitalbestand von Land I das

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Bruttonationaleinkommen sich ergibt als Y minus Saldo der Erwerbs- und Vermö­ genseinkommen zwischen In- und Ausland. Hier werden nur Dividendeneinkommen betrachtet bzw. Y − α ∗ βY = Z. Das ist allerdings wichtig zu beachten bei der Spe­ zifikation der Konsumnachfrage und des Güterimports, die als funktionale Größen jeweils proportional zu Z(1 − τ) bzw. Z sind. Zudem ist der Güterexport proportional zu Y ∗ + α ∗ βY/q∗ , so dass die Exportfunktion lautet X = xY ∗ q∗ + xα ∗ βY + x󸀠 V 󸀠 /V 󸀠∗ . Innovationspolitik im obigen einfachen Modell bei flexiblen Wechselkursen führt zu einer Erhöhung des Konsums und des Außenbeitrages, so dass sich die IS-Kurve nach rechts verschiebt (siehe dazu auch Abbildung 5); die ZZ-Kurve (Devisenmarkt­ gleichgewicht) verschiebt sich nach unten, die LM-Kurve nach links, so dass sich ein Angebotsüberschuss im Devisenmarkt ergibt, der zu einer realen Abwertung führt: Die IS-Kurve verschiebt sich nochmals nach rechts, womit Innovationspolitik mit Fo­ kus auf Stärkung der Produktinnovationsdynamik sich als sinnvolle Wirtschaftspo­ litik zur Erhöhung von Realeinkommen und Beschäftigung erweist. Im modifizierten Mundell-Fleming-Modell führen erhöhte Produktinnovationen zu einem erhöhten Au­ ßenbeitrag und daher zu einer Rechtsverschiebung der IS-Kurve (von IS0 nach IS1 ), während die ZZ-Kurve sich nach unten verschiebt (ZZ1 ); im vorübergehenden Gleich­ gewichtspunkt E1 ergibt sich eine Aufwertung der Währung, die den Außenbeitrag dämpft bzw. die US-Kurve in die Position IS2 und die ZZ-Kurve in die Position ZZ2 führt. Die erhöhte Produktinnovationsintensität bedeutet, dass sich das hedonisch gemessene Preisniveau gemäß P = P0 − v󸀠 v vermindert (Parameter v󸀠 > 0); der Effekt wird ggf. verstärkt durch die Aufwertung, wobei sich das Preisniveau vermindert, was wiederum das reale Geldangebot erhöht. Die LM-Kurve verschiebt sich in die Position LM2 , das neue Gleichgewicht ist E2 , so dass die Erhöhung der Produktinnovationen zu einer mittelfristigen Realpreiserhöhung geführt hat. r

LM0

IS1 IS2

ZZ0 ZZ2 ZZ1

IS0

0

LM2

Y0

Y2

Y

Abb. 5: Innovationspolitik in einem Mundell-Fleming-Modell im System flexibler Wechselkurse (Quelle: Eigene Darstellung)

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Durch Produktinnovation im Inland wird sich das Realeinkommen erhöhen, der Realzins kann steigen oder sinken; auch das Vorzeichen des Multiplikators für inlän­ dische Produktinnovationen ist nicht eindeutig – plausibel scheint mit Blick auf Para­ metergrößen hier ein negatives Vorzeichen, also eine reale Aufwertung, zu sein. Eine exogene Verbesserung der ausländischen Produktinnnovationsstärke führt eindeutig zu einer realen Abwertung der Währung. Sofern die Wirtschaftspolitik im Rahmen von Innovationspolitik auf regionaler, nationaler oder supranationaler Ebene mittelfris­ tig erfolgreich zu mehr Produktinnovationen beiträgt, wird eine Erhöhung des Real­ einkommens unterstützt. Eine von Seiten der Wirtschaftspolitik erfolgende Verbesse­ rung der Rahmenbedingungen für private Innovationsprozesse ist im Übrigen auch hilfreich, wenn man die mittelfristigen Wachstumskräfte stärken will. Dies gilt unter der Voraussetzung, dass die anfängliche Innovationsförderung – gemessen am Grad an wünschenswerter Internalisierung positiver externer Effekte von Innovationen im Inland – nicht optimal bzw. unterdimensioniert war. Es ist im Übrigen damit zu rech­ nen, dass die Unternehmen in der Rezession durchaus auch kurzfristig Innovations­ projekte zurück fahren werden, und zwar sowohl aus Absatz- wie aus Finanzierungs­ gründen. Mit Blick auf ein erweitertes neoklassisches Wachstumsmodell – auf Basis einer einfachen Cobb-Douglas-Produktionsfunktion – wird man vereinfacht mit Blick auf staatliche Innovationsförderungsausgaben analytisch so vorgehen können, dass man eine Fortschrittsfunktion (im Sinn von Kaldor) annimmt, wonach die Wachstumsrate des Wissens d ln A/dt := a sich mit φ für den Anteil des auf F&E-Aktivitäten ent­ fallenden Anteils des Bruttoinlandsproduktes quasi-exogen schreiben lässt als (mit Parameter dem staatlichen Förder-Politikparameter φ󸀠 > 0): a = a󸀠󸀠 + φ󸀠 φ Es sei von einer Produktionsfunktion Y = (1 − φ)K β (AL)1−β und einer Sparfunktion S = s(1 − t)Y, einer Kapitalabschreibungsrate δ und einer gegebenen (Erwerbs-) Be­ völkerung ausgegangen. Da sich das langfristige Steady-state-Gleichgewichtseinkom­ men Y im Fall einer exogenen technischen Fortschrittsrate schreiben lässt (mit # für steady state, L0 für Bevölkerung, e󸀠 für Euler-Zahl, t für Zeitindex, Angebotselastizität des Kapital K ist β) als Y# = [(1 − φ)((1 − φ)s(1 − τ)/(a + δ))β/(1−β) L0 ] e󸀠at ist der logarithmierte rechteckige Klammerausdruck rechts vom Gleichheitszeichen das Niveau des Wachstumspfades im ln Y-t-Diagramm, während die langfristige rea­ le Trendwachstumsrate durch a gegeben ist. Eine Erhöhung von a hat den Effekt, dass das Niveau des Wachstumspfades kurzfristig sinkt, da a ja im Zähler des ecki­ gen Klammerausdruckes steht. Da aber a auch der Exponent der letztlich dominan­ ten Euler-Funktion ist, führt eine Erhöhung von a immer zu einer sehr langfristigen Erhöhung des Vollbeschäftigungseinkommens Y(t). Denkbar ist zudem, dass die Fort­ schrittsfunktion auch durch den Anteil der importierten Zwischenprodukt-Quote j󸀠

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(Zwischenproduktgüter-Volumen relativ zu Y; j󸀠󸀠 ist ein positiver Parameter) positiv beeinflusst wird, weshalb man die Fortschrittsfunktion dann schreiben kann als: a = a󸀠󸀠 + φ󸀠 φ + j󸀠󸀠 j󸀠 Je höher die durchschnittliche Güterqualität ist, desto höher kann man j󸀠󸀠 ansetzen: Eine Volkswirtschaft mit erhöhtem Qualitätsgrad der Güter wird bei der Fortschritts­ rate verstärkt von der Importquote bei den Zwischenprodukten aus dem Ausland pro­ fitieren. Eine wichtige Frage betrifft die nach dem Zusammenhang von Wettbewerbsinten­ sität und Wirtschaftswachstum, die man nach Griffith et al. (2006) nicht einfach als linearen Zusammenhang sehen sollte, wie Untersuchungen etwa für Großbritannien und andere EU-Länder nahe legen. Von daher sind auch differenzierte Schlussfolge­ rungen für die Wirtschaftspolitik angezeigt.

4 Wirtschaftspolitische Implikationen Mit einer Intensivierung des Qualitätswettbewerbs im Kontext von Einkommens­ wachstum und Globalisierung sind veränderte Spezialisierungsmuster in Europa und weltweit zu erwarten. Je stärker sich Firmen in den Qualitätsstufen nach oben orien­ tieren, desto größer die Nachfrage nach qualifizierten Arbeitskräften. Deutsche Un­ ternehmen mit ihren relativ hohen Lohnstückkosten einerseits und einem sich positiv entwickelnden Innovationssystem andererseits haben Druck und Chancen, sich mit­ telfristig auf der Qualitätsleiter stärker nach oben zu entwickeln. Im EU-Binnenmarkt sind viele große multinationale Unternehmen durch eine Aufspaltung der Wertschöp­ fungsketten geprägt, wobei gerade auch deutsche Firmen diese Internationalisierung über internationales Outsourcing und Offshoring voran bringen. Dazu gehören nicht nur Großunternehmen, sondern zunehmend auch internationalisierungsaktive Mit­ telständler, wobei IKT für einige Sektoren die Schwellen zur Multinationalisierung reduziert hat – sicherlich für den IKT-Sektor selbst. Dabei bleibt in vielen Sektoren Clusterdynamik ein wichtiges Element (zu IKT und zum Automobilsektor siehe Wel­ fens, 2011). Die OECD-Länder wurden traditionell als natürliche Leitmärkte betrachtet und sie sind es für viele Produkte wohl weiterhin in dem Sinn, dass Produktinnovationen bevorzugt in solchen Ländern mit relativ hohem Pro-Kopf-Einkommen im Markt lan­ ciert werden, was bei handelsfähigen Gütern unmittelbar Anpassungsdynamik natio­ nal und international auslöst; verstärkt dann im späteren Produktzyklushandel, der wiederum mit Direktinvestitionen in der Expansions- und Sättigungsphase verbunden ist. Allerdings hat sich der Kreis der Direktinvestitionszielländer seit den 90er Jahren sichtbar erweitert, wobei dies vor allem mit Blick auf Länder in Asien – China und die ASEAN-Gruppe (seit 2015 mit eigenem Binnenmarkt) – gilt und insbesondere China

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ist selbst in bestimmten Feldern ansatzweise zu einem Leitmarkt geworden, denn das Land bietet einen sehr großen Markt und auch das Technologieniveau Chinas steigt laufend an. In EU28-Markt wiederum ist durch die EU-Osterweiterung eine regionale Markt­ vergrößerung eingetreten, die auch neue Möglichkeiten für die Nutzung von Leitmärk­ ten bietet. Zudem hat die Politik selbst auf internationaler Ebene im Bereich des Kli­ maschutzes wichtige Expansionsimpulse gegeben, die neue Leitmärkte zu schaffen helfen könnten; zumal wenn man auf Seiten der EU auch in bestimmte Programme Leitmärkte explizit einbezieht. Inwieweit hier sinnvolle Politikinitiativen entwickelt werden, die regional, national oder international aufgesetzt sind, bleibt zu untersu­ chen (zu NRW siehe Anhang, wobei hier auch das Bemühen wird neben einer Fokus­ sierung auf Technologiefelder kooperative Elemente zu fördern, um die Wertschöp­ fungskette insgesamt beeinflussen zu können). Der Strukturwandel wird sich im Zuge der Globalisierung und ggf. auch des transatlantischen Freihandelsabkommens ver­ schärfen und auf diese Herausforderungen gilt es sich rechtzeitig einzustellen. Innovationsdynamik in angemessener Weise in sektorale und gesamtwirtschaftli­ che Analyse einzubinden ist für europäische Hochlohnländer unabdingbar. Teile der Wertschöpfungskette werden im Zuge von Direktinvestitionen sicherlich zunehmend international aufgespalten werden, aber die Freisetzung von Arbeitskräften in Hoch­ lohnländern in einfachen und mittleren Technologiesegmenten der Wertschöpfungs­ kette erlaubt dann eben, dass sich die betreffenden Betriebsstätten verstärkt auf die Expansion der „oberen“ besonders wissens- und technologieintensiven Wertschöp­ fungsfelder konzentrieren. Solange durch eine solche veränderte internationale Ar­ beitsteilung die Arbeits- bzw. Kapitalproduktivität bzw. die Exportdurchschnittserlöse gesteigert werden können (zu einigen Ländern siehe die Darstellung im Anhang, die Sektoren von links nach rechts in ansteigender Technologieintensität darstellt), kann dies durchaus vorteilhaft für alle beteiligten Länder bzw. gerade auch die Arbeitneh­ merschaft sein. Eine Herausforderung bleibt dabei allerdings, die Modernisierungsverlierer mit­ zunehmen bzw. hinreichend Weiterbildungs- und Qualifizierungsangebot zu entwi­ ckeln. Hier ist die Kooperation verschiedener beteiligter Gruppen gefragt, aber auch angemessene Veränderungen der Rahmenbedingungen durch die Wirtschaftspolitik sind notwendig, um entsprechende Anreize zu geben. Die Fachkräftelücke in Deutsch­ land und einigen anderen EU-Ländern dürfte jedenfalls mittelfristig ein weiter gewich­ tiges Thema bleiben. Deutschland bzw. die OECD-Länder sind seit den 1990er Jahren durch anhaltende Techno-Globalisierung geprägt, also die Internationalisierung von Forschungs- und Entwicklungsprozessen, wobei eine gezielte Internationalisierung der Innovations­ strategie für viele große und mittelständische Unternehmen – gute Organisation vorausgesetzt – durchaus eine Stärkung auch der Innovationsfähigkeit bzw. der Schumpeter-Dynamik von Firmen mit sich bringen kann. Erfolgreiche bzw. inten­ sive Technoglobalisierung stärkt den komparativen Vorteil des betrachteten Landes

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bei wissens- und technologieintensiven Gütern (Jungmittag, 2016), was die Nachfrage nach qualifizierten Arbeitskräften erhöht und daher die relative Lohnprämie dieser Arbeitskräfte ansteigen lässt. Da komparative Vorteile relative internationale Vorteile sind, kann eine allgemeine Abflachung der Technoglobalisierung bei einem OECDLand noch nicht als strukturelles Wettbewerbsfähigkeitsproblem bei dem betreffen­ den Land eingeordnet werden. Ein signifikantes Abflachen der Technoglobalisierung von OECD-Ländern kann bedeuten, dass die Möglichkeiten zur weiteren Technogloba­ lisierung international gesunken sind oder die Ertragsraten der Technoglobalisierung sich vermindert haben; eine zu beiden Möglichkeiten passende Interpretation ist die Hypothese, dass zunehmende globale Präsenz multinationaler Unternehmen zu einer ländermäßig verstärkten Forschungs- und Entwicklungsspezialisierung geführt hat – eine geographische Konzentration von F&E in einer verminderten Zahl von Ländern wäre die Folge und entsprechend könnten ökonomische Konvergenzprozesse künftig verlangsamt ablaufen: Die Schumpeterschen Renten in den Innovationsführungsländern – mutmaßlich Länder mit relativ hohen Pro-Kopf-Einkommen – tragen in einem solchen Kontext nämlich zu neuen Einkommensvorteilen der Länder mit hohen Pro-Kopf-Einkom­ men bei. Die USA als westliche technologische Führungsmacht könnte ihre führende Einkommensposition in einem solchen Kontext verstärken, wobei die Wachstumsrate des US-Nationaleinkommens stärker als die des US-Bruttoinlandsproduktes ausfallen dürfte: Die technologische US-Nettoüberschussposition bei Patenten und Lizenzen müsste also im Zeitablauf ansteigen. Dem wirkt ökonomisch entgegen eine starke USPräsenz bei den Direktinvestitionen in von US-Firmen bevorzugten EU-Ländern oder Ländern Asiens entgegen: Denn Länder mit hohen US-Direktinvestitionsbeständen relativ zum Kapitalbestand des jeweiligen Landes werden von konzerninternen Tech­ nologietransfers in US-Firmen besonders profitieren und vermutlich auch bei Imita­ tionen schneller sein als Länder ohne entsprechende US-Direktinvestitionen. Länder mit hohen US-Direktinvestitionsbeständen – wie etwa das Vereinigte Königreich, Irland, Deutschland und einige andere Länder in Europa – hätten demnach ökonomi­ sche Vorteile. Hohe US-Direktinvestitionsbestände haben noch einen weiteren Effekt, indem sie nämlich auf dem Arbeitsmarkt die Elastizität der Arbeitsnachfrage erhöht und damit überhöhte Lohnsatzsteigerungen – mit Bezugspunkt Vollbeschäftigung – verhindert. Die Präsenz von Direktinvestoren erhöht von daher nicht nur die Arbeits­ produktivität durch einen Anstieg der Kapitalintensität, sondern verbessert auch das Funktionieren der Arbeitsmärkte bzw. mindert die Arbeitslosenquote. Dem kann allerdings durch Multinationalisierung ggf. steigende Marktmacht von Großunternehmen auf den Gütermärkten entgegenstehen, wodurch sich die Anpas­ sungsfähigkeit der Wirtschaft vermindert. Hier gibt es noch weiteren Forschungsbe­ darf. Innerhalb der EU könnten allerdings unterschiedliche Anpassungsgeschwindig­ keiten auf Güter- und Arbeitsmärkten gerade im Kontext verschiedener Intensitäten an Multinationalisierung der Wirtschaft entstehen. Länder mit geringem Multina­ tionalisierungsgrad – auf der Zufluss- wie der Abflussseite – dürften höhere An­

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passungsprobleme bzw. längere Anpassungszeiten haben als Länder mit starken multinationalen Unternehmensaktivitäten. Dabei dürften kleinere Länder bei relativ hohen Direktinvestitionsbeständen – relativ zum Bruttoinlandsprodukt – im Ver­ gleich zu großen Ländern eher eine Wettbewerbsintensivierung erfahren, wenn die Zuflussländer relativ diversifiziert sind; wenn hingegen die meisten Direktinvestoren (in einem gegebenen Sektor) alle aus einem einzigen Land kommen, dann dürfte ei­ ne Vermachtung der Märkte und damit auch höhere Gewinnzuschlagssätze relevant sein. In größeren Ländern ist auch eine regional hohe Konzentration von Direktinves­ titionszuflüssen nicht ohne weiteres wettbewerbspolitisch problematisch – solange eben hinreichend auch inländische Anbieter konkurrenzstärkend aktiv sind. In sehr konzentrierten globalen Internetmärkten könnten allerdings neue Probleme der Wett­ bewerbspolitik bzw. von Innovations- und Diffusionsintensität auftreten, da es klare First-mover-Advantages und hohe Netzwerkeffekte gibt, die als hohe Markteintritts­ barriere wirken. Wie das Abflachen der Technoglobalisierung im Einzelnen zu erklären und einzu­ ordnen ist, bleibt grundsätzlich weiteren Forschungen vorbehalten. Man kann aller­ dings eine verminderte Technoglobalisierung so interpretieren, dass die internatio­ nalen Möglichkeiten zur Technoglobalisierung sich vermindert haben, was auf eine Absenkung der globalen Fortschrittsrate hinweisen dürfte. Auch könnten die Kosten der Innovationskooperation sich aus verschiedenen Gründen erhöht haben, die etwa in der (veränderten) Art der gewichtigsten Innovationsfelder liegen könnte, die we­ gen erhöhter Komplexität nur zu erhöhten Grenzkosten in internationaler Kooperati­ on bzw. Arbeitsteilung anzugehen sind; im Übrigen gilt der Vorbehalt, dass es mög­ licherweise im Dienstleistungssektor eine hohe Innovationsdynamik gibt, diese sich aber eben strukturell weniger als in der Industrie in Patenten niederschlägt – man denke hier exemplarisch an viele digitale innovationsrelevante neuartige Algorith­ men, die bei der internetbasierten Big-Data-Analyse eine wichtige Rolle spielen (sol­ che Algorithmen sind aber nicht patentierbar). Dankbar wären auch Mängel in der Forschungsförderung. Es ist auch vorstellbar, dass im Zuge der Technoglobalisierung die Internalisierung externer positiver Effekte international vernetzter Innovationsdy­ namik zunehmend schlechter gelingt – die grenzübergreifende Kooperation in der In­ novationspolitik ist einerseits zunehmend gefordert, aber andererseits auch politisch offenbar schwierig: Die Neigung nationaler Wirtschaftspolitik, sich auf grenzübergrei­ fende Innovationsförderung einzulassen, ist erkennbar gering: Demnach dürfte der Anteil der staatlichen Innovationsförderung etwa in den OECD-Ländern relativ zu den Innovationsaufwendungen der privaten Wirtschaft zurück gehen, was ein Hinweis auf ineffiziente Innovationsförderung ist. Dass im Zuge von verstärkten Direktinvestitionsintensitäten in der Weltwirtschaft die grenzüberschreitenden positiven Externalitäten von Forschung und Entwicklung bzw. von Innovationen zunehmen werden, ist plausibel; dass sich zugleich die Nei­ gung nationaler Wirtschaftspolitikakteure verstärken soll, kooperativ F&E-Projekte multinationaler Firmen zu fördern, ist nicht anzunehmen – im Übrigen gilt ohnehin

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bei viele großen innovationsstarken multinationalen Firmen, dass beim Management staatliche Forschungsförderung häufig aus Angst vor staatlicher Einmischung über­ haupt ablehnt wird. Schließlich gibt es noch ein politisch-ökonomisches Argument, dass von der Beobachtung ausgeht, dass in der Demokratie die Neigung von Regie­ rungen Multis mit hohen Renditen mit F&E-Förderung zu bedenken, relativ klein ist, wobei von Abgeordneten oft der Hinweis auf hohe Renditen bzw. Gewinne von gro­ ßen multinationalen Unternehmen als politischer Abwehrgrund gilt – aus ökonomi­ scher theoretischer Sicht eine abwegige Sichtweise der Politik. Da die multinationa­ len Unternehmen im Unternehmensvergleich relativ hohe Renditen erzielen, könnte es zu einer systematischen Tendenz der Unterförderung von Innovation in führenden OECD-Ländern kommen. Wenn das Grenzprodukt des Kapitals im Zuge verlangsamter Technoglobalisie­ rung nur noch verlangsamt ansteigen sollte, kann international mittelfristig eine Ver­ minderung der Investitionsquote eintreten und die Arbeitsnachfrage könnte sich im Weiteren vermindern. Eine solche Entwicklung wäre problematisch. Ob die Expansion der innovationsstarken IKT-intensiven Sektoren solchen Problemen entgegenstehen könnte, bleibt abzuwarten. Schließlich wäre auch noch zu betrachten die Rolle von Risikokapital für technologieorientierte Unternehmensneugründungen. Steht solches Risikokapital ausreichend bereit, könnte die Innovationsdynamik mittelfristig durch­ aus ansteigen, wobei allerdings funktionierende liquide Börsen für die Exit-Option wichtig sind. Spekulative Blasen an den Börsen sind im Übrigen kaum der langfris­ tigen Wachstumsdynamik dienlich. Allerdings ist zu fragen, wie von der Finanzie­ rungsseite her eine in Hochlohnländern notwendige Stärkung technologieorientier­ ter Unternehmensgründungen gelingen kann; und wie auch eine verstärkte staatliche Förderung von Forschung und Entwicklung im Zuge einer Zunahme technologie- und wissensintensiver Produktion gelingen kann. In alternden Gesellschaften ist dies erst recht eine Herausforderung, zumal von Seiten der Wählerschaft auf die Politik ver­ stärkt Druck hin zum Ausbau von Rentenzahlungen entstehen könnte, während der politische Lobby-Druck zugunsten von mehr Hochschulbildung und Innovationsför­ derung eher schwach ausfällt. Es ist zu bedenken, dass der ökonomisch-technologische Aufstieg Chinas bzw. Asiens für Europa bzw. Deutschland erhebliche mittelfristige Herausforderungen schafft. Während die Relation Forschungs- und Entwicklungsausgaben in der Wirt­ schaft zum Bruttoinlandsprodukt bei China 2005 noch bei 0,9 % lag, betrug der Wert 2013 schon 1,5 %. Das war niedriger als in Baden-Württemberg mit 4,0 %, Bayern mit 2,5 % und Hessen mit 2,2 %, aber deutlich höher als in Nordrhein-Westfalen (Angaben nach Stifterverband für die deutsche Wirtschaft). Angesichts verschärfter globaler Innovationskonkurrenz ist von Seiten führender EU-Länder – man denke etwa an Schweden und die Niederlande – eine verstärkte Innovationspolitik erfolgt, die in den Niederlanden auf acht wissens- und technologieintensive Sektoren und eine klare Ori­ entierung an den USA bzw. an Weltmarkterfolgen setzt (OECD, 2014). Zum Vergleich kann man mit Blick auf Nordrhein-Westfalen feststellen – vom Bruttoinlandsprodukt

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mit den Niederlanden vergleichbar -, dass hier 16 sektorale Fördercluster gebildet wurden, die ihrerseits auf 8 Leitmärkte umgeschlüsselt wurden; hierin könnte man ein Zuwenig an sektoraler Fokussierung sehen und auch die beim Konzept Leitmärkte wichtige Orientierung an internationalen Exporterfolgen ist nur teilweise erkennbar. Quantitativ ist die Innovationsförderung auf der NRW-Ebene, also der regionalen Po­ litikebene, relativ gering. NRW hat wie andere Bundesländer auch bei dem Bemühen um Einwerben von EFRE-Fördermitteln der regionalen Wirtschaftspolitik der EU ein breites Innovationskonzept entwickelt, das allerdings keine vergleichbare Fokussie­ rung wie etwa die Innovationspolitik der Niederlande hat. Dort wird auch über Private Public Partnership versucht, einen Fonds mit etwa 1000 Ingenieurstipendien jährlich im Zeitraum 2013–2016 aufzubauen, um von der Bildungsseite her die sektorale In­ dustriepolitik erfolgreich zu unterstützen. Von einigen Maßnahmen der Niederlande oder auch Schwedens kann man seitens der regionalen Innovationspolitik, also der Förderpolitik der Bundesländer, durchaus lernen. Man kann die wirtschaftspolitischen Perspektiven auf Basis der Innovationspoli­ tik als Schlüsselfeld so zusammenfassen (siehe Abbildung 6): – Eine weltmarktorientierte Clusterförderung und eine dazu passende komplemen­ täre Leitmarktstrategie können als industriepolitische Strategie gelten, wobei ei­ ne kritische Nebenbedingung eben die Export-Erfolgsorientierung ist. Nur für den Sektor der nichthandelsfähigen Güter und Dienstleistungen ergäbe sich hier logi­ scherweise eine Ausnahme. – Der Qualitätswettbewerb der Unternehmen zielt strategisch auf eine preismä­ ßig hohe Positionierung im Weltmarkt und damit die Fähigkeit der betreffenden Unternehmen, auch hohe Reallöhne zu erwirtschaften – die gesamte Wertschöp­ fungskette steht hier im Fokus der Unternehmen, die bei kritischen Bauteilen wohl eher auf Offshoring im eigenen Konzern als auf internationales Outsour­ cing setzen werden; eine Ausnahme könnten erfolgreiche Netzwerkpartner aus erfolgreichen Clustern im Inland sein – man denke etwa an Bosch als von vie­ len deutschen Autoherstellern mit Auslandsproduktion meist auch im Ausland präferierter Zulieferer (dann eben auch mit Produktion vor Ort). – Produktinnovationen können neue Märkte schaffen und dies ist angesichts von Industrie 4.0 insbesondere auch bei den digitalen Märkten ein wichtiger Aspekt – anspruchsvolle Inlandsmärkte und eine hinreichend fokussierte staatliche Inno­ vationsförderung, ggf. auch Förderung von Start-ups, erscheinen hier als wichtig. Dabei erscheinen auch komplementäre Maßnahmen bei Bildung und Weiterbil­ dung als relevant, wobei Dänemark mit einem Anteil von 30 %-Weiterbildungs­ aktivität bei der Altersgruppe 25–64 Jahre in der OECD bzw. der EU führend ist. Bund und Länder sind bei der Innovationspolitik gefordert, wobei die großen Bundes­ länder-Unterschiede im realen Wirtschaftswachstum (etwa in 2015 mit einer Spann­ weite von 3,1 Prozentpunkten) darauf hindeuten, dass es auch regional unterschied­ lich ambitionierte bzw. erfolgreiche Innovationspolitik-Ansätze gibt.

Qualitätswettbewerb, Innovation & Schumpetersche Prozesse in internationalen Märkten | 23

Innovationsdynamik (inkl. Technoglobalisierung und Internetexpansion)

Qualitätswettbewerb

Produktinnovationen

Prozessinnovationen

Strukturwandel, Wachstum, Beschäftigung

Clusterförderung (sektoral)

Leitmärkte

Internationalisierung (Märkte)

Innovationspolitik (inkl. Bildungspolitik/Weiterbildungspolitik) Abb. 6: Wirtschaftspolitik – Perspektiven zu Leitmärkten, Cluster, Wachstum (Quelle: Eigene Darstellung)

Aus Sicht der deutschen Bundesländer gilt es u. a. durch Vergleiche mit erfolg­ reichen kleinen EU-Hocheinkommensländern optimale Handlungsoptionen für die Wirtschaftspolitik zu ermitteln. Durch benchmarking in der EU lässt sich in der Tat auch ein besonderer wirtschaftspolitischer Mehrwert realisieren. Für die EU-Länder ist der EU-Binnenmarkt bei handelsfähigen Gütern naturgemäß eine große Chance zur Entwicklung von Leitmärkten. Aber neben den USA und Japan hat eben auch China eine ökonomisch hinreichende Größe und Technologieentwicklung erreicht, um im eigenen großen Land Leitmärkte für zahlreiche Sektoren erfolgversprechend zu entwickeln. Auf diese neuen Herausforderungen gilt es sich in Deutschland ver­ stärkt einzustellen, wobei die Digitalisierung der Wirtschaft zudem die internationale Aufspaltung von Wertschöpfungsketten weiter erleichtern wird. Für Hochlohn-OECDLänder sind von daher verstärkte Anstrengungen bei einer Spezialisierung im Bereich technologie- und wissensintensiver Güter anzuraten. Die Zukunftsfähigkeit von Hoch­ lohnländern wird sich im Übrigen auch am Anteil der Beschäftigten in Forschung und Entwicklung, Software, Datenbank-Analyse und Design festmachen lassen. Ob sich entsprechende Erhöhungen von F&E-Förderausgaben und Bildungsausgaben politisch in einer alternden Gesellschaft frühzeitig durchsetzen lassen und ob der Strukturwandel eine hinreichende Stärkung von wissensintensiven IKT-Aktivitäten mit sich bringt, wird zu untersuchen bleiben.

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Anhang 1: Multiplikatoren (Systemdeterminante U > 0) 1 − c(1 − τ) + j ( n󸀠󸀠 j − n󸀠 β/K

b −h󸀠󸀠 −n

−xY ∗ dY ) ( dr ) 0 dq∗ −d󸀠󸀠 − xY ∗

1 0 −cY c󸀠 + b 󸀠 + x/V 󸀠∗ xq∗ 󸀠 = (0 1 0 −n 0 0 0 0 d󸀠 + x/V 󸀠∗ xq∗ − n󸀠 β ∗ /K ∗

dG dM/P −j/V − x󸀠 V 󸀠 /V 󸀠∗2 ( dτ ) ) )( 0 ( dV 󸀠 ) 󸀠 󸀠 󸀠∗2 −j/V − x V /V dY ∗ 󸀠∗ (dV )

U = (xY ∗ (n󸀠󸀠 n − h󸀠󸀠 (j − n󸀠 β/K)) + (d󸀠󸀠 + xY ∗ )((1 − c(1 − τ) + j)h󸀠󸀠 + bn󸀠󸀠 )) h󸀠󸀠 (d󸀠󸀠 + xY ∗ ) dY = dG U dY b(d󸀠󸀠 + xY ∗ ) + nxY ∗ = dM/P U cYh󸀠󸀠 (d󸀠󸀠 + xY ∗ ) dY =− dτ U dY −xY ∗ (n󸀠 n + h󸀠󸀠 (d󸀠 + x/V 󸀠∗ )) + (d󸀠󸀠 + xY ∗ )((c󸀠 + b 󸀠 + x/V 󸀠∗ )h󸀠󸀠 − bn󸀠 ) = dV 󸀠 U dY h󸀠󸀠 (xq∗ d󸀠󸀠 + xY ∗ n󸀠 β ∗ /K ∗ ) = dY ∗ U dY h󸀠󸀠 d󸀠󸀠 (−j/V − x󸀠 V 󸀠 /V 󸀠∗2 ) = dV 󸀠∗ U dr n󸀠󸀠 (d󸀠󸀠 + xY ∗ ) = dG U dr (1 − c(1 − τ) + j)(d󸀠󸀠 + xY ∗ ) − xY ∗ (j − n󸀠 β/K) =− dM/P U cYn󸀠󸀠 (d󸀠󸀠 + xY ∗ ) dr =− dτ U ∗ 󸀠󸀠 dr xY (n (d󸀠 + x/V 󸀠∗ ) + n󸀠 (j − n󸀠 β/K)) =− 󸀠 dV U (d󸀠󸀠 + xY ∗ )(n󸀠 (1 − c(1 − τ) + j) + n󸀠󸀠 (c󸀠 + b 󸀠 + x/V 󸀠∗ )) U dr n󸀠󸀠 (xq∗ d󸀠󸀠 + xY ∗ n󸀠 β ∗ /K ∗ ) = dY ∗ U −

dr n󸀠󸀠 d󸀠󸀠 (−j/V − x󸀠 V 󸀠 /V 󸀠∗2 ) = dV 󸀠∗ U

26 | Paul J. J. Welfens dq∗ −nn󸀠󸀠 + (j − n󸀠 β/K)h󸀠󸀠 = dG U dq∗ n(1 − c(1 − τ) + j) + b(j − n󸀠 β/K) = dM/P U dq∗ cY(nn󸀠󸀠 − (j − n󸀠 β/K)h󸀠󸀠 ) = dτ U ∗

x 󸀠󸀠 󸀠 󸀠 󸀠 󸀠 󸀠 󸀠 󸀠󸀠 dq∗ h (1 − c(1 − τ) + j) (d + V 󸀠 ∗ ) + bn (j − n β/K) − (c + b + x/V )n n = 󸀠 dV U ∗ (1 − c(1 − τ) + j)n󸀠 n + bn󸀠󸀠 (d ∗ +x/V 󸀠 ) − (c󸀠 + b 󸀠 + Vx󸀠 ∗ ) h󸀠󸀠 (j − n󸀠 β/K) − U ∗ ∗ 󸀠󸀠 󸀠󸀠 󸀠 ∗ 󸀠 dq xq (n n − h (j − n β/K)) + (xq − n β ∗ /K ∗ )((1 − c(1 − τ) + j)h󸀠󸀠 + bn󸀠󸀠 ) = ∗ dY U

dq∗ (j/V + x󸀠 V 󸀠 /V 󸀠∗2 )(h󸀠󸀠 (1 − c(1 − τ) + n󸀠 β/K) + n󸀠󸀠 (n + b)) = 󸀠∗ dV U

Anhang 2: RCA und EUV 1

0

-1 17

18

19

28

36

Labour Intensive

1999

2000

2001

Abb. 7: RCA Deutschland

15

16

20

23

Ressource Intensive

2002

2003

2004

26

27

21

Ress. Scale

2005

2006

22

24

25

Scale Intensive

2007

2008

34

35

30

33

Scale ScienceSci. based

2009

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Differentiated Goods

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Qualitätswettbewerb, Innovation & Schumpetersche Prozesse in internationalen Märkten | 27

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Labour Intensive

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Ress. Scale

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Scale ScienceSci. based

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2009

2010

29

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Differentiated Goods

2011

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Abb. 8: RCA Frankreich

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Ressource Intensive

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Scale ScienceSci. based

2009

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Differentiated Goods

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Labour Intensive

1999

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Ress. Scale

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Scale ScienceSci. based

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2009

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Differentiated Goods

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Labour Intensive

1999

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Scale ScienceSci. based

2009

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Differentiated Goods

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Differentiated Goods

2012

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Ress. Scale

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Scale ScienceSci. based

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2009

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Differentiated Goods

2012

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Abb. 14: EUV Frankreich

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Scale ScienceSci. based

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Differentiated Goods

2012

2013

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Differentiated Goods

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Abb. 16: EUV Österreich

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Scale ScienceSci. based

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Differentiated Goods

2012

2013

Abb. 18: EUV China

Anhang 3: Zu den Grundzügen der NRWLandesregierung zu Leitmarktperspektiven Nordrhein-Westfalen steht für Spitzenforschung und zahlreiche innovationsstarke Firmen und Cluster, wobei der Fokus darauf gerichtet ist, neue Technologien und Dienstleistungen zu entwickeln und dabei eine möglichst rasche Umsetzung in in­ novative und umweltgerechte Produkte und Verfahren im Markt zu realisieren; die Landesregierung stellt hierzu fest (NRW-LANDESREGIERUNG, 2014): Die Erfahrung zeigt, dass in diesem Prozess diejenigen Akteure besonders erfolgreich sind, die durch Kooperation und Vernetzung ihre eigenen Kompetenzen verbessern und verbreitern und damit Produkte und Prozessinnovationen rascher auf dem Markt umsetzen. Moderne Industrie braucht diesen kooperativen partnerschaftlichen Ansatz. Sie braucht eine wertschöpfungsorientierte Innovationspolitik. Dabei tragen insbesondere hybride Wertschöp­ fungsketten, also die Bündelung von Industrie- und Dienstleistungen über mehrere Wertstufen hinweg zu Produkt und Systemlösungen, positiv zu Unternehmens- und Exporterfolgen bei. Nur auf der Basis einer leistungsfähigen und innovationsstarken Industrie und den dazuge­ hörigen produktionsorientierten Dienstleistungen, sowie mit qualifizierten, motivierten und leistungsfähigen Mitarbeitern in guten Beschäftigungsbedingungen kann den tiefgreifenden Veränderungen in der Gesellschaft und den großen glo balen ökonomischen und ökologischen Herausforderungen erfolgreich begegnet werden. Eine hierauf ausgerichtete Innovationskultur macht es notwendig, Schwerpunkte zu setzen und sich auf weltweit wachsende Leitmärkte zu konzentrieren, insbesondere auf die, in denen NRW vor allem mit Blick auf Wissenschaft und Wirtschaft besondere Stärken und Spezialisierungsvor­ teile aufweist und dabei auch den ökologischen Notwendigkeiten Rechnung trägt.

Qualitätswettbewerb, Innovation & Schumpetersche Prozesse in internationalen Märkten | 33

Leitthemen, Zielstellungen und Umsetzungsinstrumente Die Leitmärkte der Zukunft leiten sich aus den großen gesellschaftlichen Herausforderungen und aus den spezifischen Stärken und Spezialisierungsvorteilen in Nordrhein-Westfalen ab, um Lö­ sungen auf den Feldern dieser Herausforderungen zu entwickeln. NRW hat ausgehend von seiner Wirtschafts- und Industriestruktur, Forschungs- und Wissenschaftslandschaft sowie den Politik­ zielen die folgenden acht Leitmärkte identifiziert: – Maschinen und Anlagenbau/Produktionstechnik, – Neue Werkstoffe, Mobilität und Logistik, – Informations- und Kommunikationswirtschaft, – Energie- und Umweltwirtschaft, – Medien und Kreativwirtschaft, – Gesundheit – Life Sciences. Die Leitmarktpolitik der Landesregierung wird sich auf diese Märkte konzentrieren, die damit den Orientierungsrahmen für die Umsetzung eines zentralen Teils der nordrhein-westfälischen Innovationsstrategie bilden. Generelle Zielsetzung der Leitmarktstrategie ist Förderung technologischer, wirtschaftlicher und sozialer (Prozess- und Dienstleistungs-) Innovationen, die Vernetzung der Partner innerhalb von Wertschöpfungsketten, die Erschließung der Märkte, die Profilierung des Wirtschaftsstandortes NRW sowie die Sicherung/Ausbau von Wettbewerbsfähigkeit und Arbeitsplätzen. Besonderes Augenmerk wird auf den Erhalt und den Ausbau von vollständigen Wertschöpfungsketten hier im Lande gelegt. Nur so lässt sich der Industriestandort langfristig sichern. Forschung, Entwick­ lung und Innovation haben eine große Bedeutung für die Umweltwirtschaftsstrategie des Landes NRW. Um die Leitmarktstrategie zum Erfolg zu führen, wird NRW mit seiner Politik die Rahmenbedin­ gungen weiterentwickeln, damit die Akteure aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik, sowie die etablierten Unterstützungsstrukturen von Wertschöpfungsketten partnerschaftlich zusammen­ arbeiten. In diesem Zusammenhang kommt den 16 nordrhein-westfälischen Landesclustern eine grundle­ gende Rolle zu. Die Cluster und die von Ihnen initiierten und begleiteten regionalen Netzwerke sind die Treiber, um Zukunftsthemen zu identifizieren, das Arbeiten in Wertschöpfungsketten zu organisieren und Marktpotentiale zu erschließen, um damit die Innovationsdynamik zu er­ höhen. Sie arbeiten in dieser Funktion unter-schiedlichen Leitmärkten zu. Ihre Ausrichtung auf Crossinnovationen ermöglicht es, die in den Clustern abgebildeten unterschiedlichen Branchen und Technologiefelder auf die themenorientierten Leitmärkte zu fokussieren. Mit der NRW-Clusterstrategie wurde bereits in der EFRE-Förderperiode 2007–2013 die Grundlage für eine Kooperationskultur entlang der gesamten Wertschöpfungskette geschaffen – zwischen Unternehmen, Forschung, Ausbildungsstätten, Zulieferern und Weiterverarbeitern. Die Cluster helfen, die für die Entwicklung der Leitmärkte als relevant identifizierten Branchen, Bereiche und Akteure bestmöglich im Sinne der Innovationsstrategie zu erschließen und im Sinne der landespolitischen Ziele einzubinden, zu vernetzen und zu mobilisieren. Die acht nordrhein-westfälischen Leitmärkte werden im Folgenden mit den hier im Lande vor­ handenen Unternehmenspotentialen und Akteuren, den Stärken und Schwächen, sowie Zielen und Handlungsfeldern beschrieben. Die Leitmarktstrategie soll in erster Linie durch die Förderung von Forschungs-, Entwicklungsund Innovationsprojekten in der gesamten Breite der anwendungsorientierten Forschung und Entwicklung umgesetzt werden. Darüber hinaus wird die Vernetzung der landesweiten sowie der regionalen Partner in den Leitmärkten weiter vorangetrieben werden.

34 | Paul J. J. Welfens

Mit diesem Ansatz hat die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen die EU-Impul­ se für eine leitmarktorientierte Modernisierung der Wirtschaft weitgehend konsistent aufgegriffen und hat dabei insbesondere auch die Option von Cross Innovations zu Recht in besonderer Weise betont; z. B. ist die Verbindung von innovativer IKT und anderen technologie- und wissensintensiven Sektoren ein marktrelevanter Expansi­ onspunkt. Die genannten acht Technologiefelder entsprechen sichtbaren Innovati­ onsstärken von NRW. Eine wichtige Frage ist allerdings, ob sich NRW verstärkt zu einer Hochtechnologiepolitik hin orientieren kann, was u. a. voraussetzt, dass NordrheinWestfalens Firmen stärker erfolgreich beim Einwerben von Forschungsfördermitteln durch den Bund sind; überschlägig gehen Mittel des Bundesministeriums für Bildung und Forschung sowie des Bundeswirtschaftsministeriums in Höhe von jährlich etwa 1500 € pro Einwohner an Firmen in Baden-Württemberg, an Firmen in NRW pro Kopf der Bevölkerung etwa 500 Euro. Hier kann man exemplarisch sehen, dass auch die Absorptionsfähigkeit von Firmen eine wichtige Rolle spielt: Die Ausstattung ambitio­ nierter technologie- und wissensintensiv produzierender Firmen mit mehr hochquali­ fizierten Fachkräften zu stärken, kann eine Aufgabe der regionalen Wirtschafts- bzw. Bildungspolitik sein. Allerdings besteht auch das Problem, dass etwa Universitätsab­ solventen aus NRW in Bundesländer oder EU-Nachbarländer mit höherem Pro-KopfEinkommen (auf KKP-Basis gemessen) abwandern. Eine wichtige Frage ist auch, in­ wieweit Impulse der Landes- und Bundesregierung es ermöglichen, eine erfolgreich fokussierte technologie- und wissensorientierte Gründerdynamik in Gang zu setzen. Zu den besonderen Problemen von NRW gehören im Übrigen Belastungen aus der Energiewende bzw. der vom Bund 2009 beschlossenen Einspeisevergütung für erneu­ erbare Energien, wobei über den Strompreis eine Erneuerbare Energien-Umlage finan­ ziert wird – sie führt allerdings zu einer jährlichen NRW-Belastung von etwa 0,5 % des Bruttoinlandsproduktes in 2015 bzw. einer Art verdecktem Länderfinanzausgleich II zugunsten von Bundesländern mit relative hoher Stromproduktion aus erneuerbaren Energien (insbesondere etwa Bayern und einige norddeutsche Bundesländer). Hier fließt also Kaufkraft aus NRW ab bzw. es wird der regionale Konsum über verminderte effektiv verfügbare Einkommen und dann nachfolgend auch die regionale Investiti­ onsquote bzw. das regionale Wirtschaftswachstum geschmälert – und damit werden auch Leitmarktvolumina vermindert.

Andre Jungmittag

Techno-Globalisierung 1

Einleitung | 35

2

Techno-Globalisierung: Begriffserklärung und Messung | 37

3

Empirische Befunde für den Querschnitt der OECD-Länder | 41

4

Empirische Befunde für die zeitliche Entwicklung in ausgewählten Ländern | 53

5

Querschnittsbefunde auf Sektorebene | 62

6

Zusammenfassung | 65

Literatur | 68

1 Einleitung Parallel zur Internationalisierung der Produktion haben sich die traditionellen Vor­ gehensweisen bei der Durchführung von Forschung und Entwicklung (F&E) geändert und die Generierung von technologischen Innovationen wird zunehmend durch den allgemeinen Trend zur Globalisierung beeinflusst. Multinationale Unternehmen inter­ nationalisieren also nach dem Absatz und der Produktion auch ihre F&E. In den Me­ dien wurde die zunehmende internationale Generierung, Übertragung und Diffusion von Technologien mit dem Schlagwort technologische Globalisierung oder TechnoGlobalisierung beschrieben, der dann auch im wissenschaftlichen Bereich aufgegrif­ fen wurde. Verglichen mit dem Globalisierungsgrad der Märkte für Güter und Dienstleistun­ gen wird die Technologieproduktion aber oft noch als „weit von globalisiert entfernt“ (Patel/Pavitt, 1991) beschrieben, vielmehr sei sie noch in den Heimatländern konzen­ triert (Belderbos u. a., 2011). Jedoch stellen viele internationale Organisationen fest, dass F&E-Aktivitäten verstärkt über nationale Grenzen hinweg durchgeführt werden (z. B. UNCTAD, 2005; OECD, 2008; UNESCO, 2010). In der Literatur, die versucht, die Internationalisierung von Innovationsakti­ vitäten von Unternehmen theoretisch einzuordnen, können im Wesentlichen zwei Strategien ausgemacht werden (vgl. dazu Danguy, 2014, S. 4). Erstens gründen Un­ ternehmen ausländische F&E-Einrichtungen, um bereits entwickelte Technologien zu verwerten. Solche ausländischen F&E-Aktivitäten unterstützen hauptsächlich den Eintritt in neue ausländische Märkte, indem die Produkte oder Prozesse zu den dor­ tigen Bedingungen angepasst werden. Das Hauptziel der Internationalisierung von Innovationsaktivitäten ist hier demnach die Ausnutzung von technologischen Vortei­ len, die im Heimatland geschaffen wurden. Diese Art der Internationalisierungsstra­

https://doi.org/10.1515/9783110583212-002

36 | Andre Jungmittag

tegie wird als „Vermögen ausnutzend“ (Dunning/Narula, 1995) oder als „Heimatbasis ausnutzend“ (Kuemmerle, 1997) bezeichnet. Zweitens kann die Internationalisierung der F&E dadurch motiviert sein, dass in­ novative Unternehmen ausländische technologische Entwicklungen aufspüren oder Zugang zu ihnen haben wollen. Damit wollen sie ihre vorhandenen technologischen Fähigkeiten verbessern oder eigene technologische Schwachstellen vermindern und globales Wissen anzapfen. Das Hauptziel dieser Strategie ist demnach, die unterneh­ menseigene Wissensbasis zu erweitern, indem eigene Fähigkeiten mit neuen auslän­ dischen Ressourcen kombiniert werden. Letztlich soll damit die eigene technologische Kompetenz der Unternehmen und ihre innovative Leistungsfähigkeit gestärkt werden. Diese Art der Internationalisierungsstrategie wird als „Vermögen erweiternd“ (Dun­ ning/Narula, 1995) oder „Heimatbasis erweiternd“ (Kuemmerle, 1997) bezeichnet. Gleichzeitig wird die Sicherung des Zugangs zu Leitmärkten in der aktuellen Li­ teratur als eine wesentliche Triebkraft der Globalisierung von Innovationsaktivitäten angesehen, weil Leitmärkte als „Frühindikatoren“ für neu entstehende Konsumenten­ bedürfnisse erachtet werden (Tiwari/Herstatt, 2011). Mithin eröffnen solche Märkte ei­ ne Möglichkeit, die Innovationsprozessen innewohnende Unsicherheit zu verringern. So schlussfolgert schon Yip (1992), dass Unternehmen zumindest eine Beobachtungs­ funktion in Leitländern ansiedeln sollten, um Informationen über dortige Entwick­ lungen zu sammeln. Unterstützt wird die Bedeutung der Rolle von Nachfrage getrie­ benen, Leitmarkt orientierten Faktoren bei der Einrichtung von F&E-Einrichtungen im Ausland auch durch empirische Studien. So zeigen Hakanson/Nobel (1993) bei ei­ ner empirischen Analyse der ausländischen F&E-Aktivitäten von schwedischen mul­ tinationalen Unternehmen, dass die Nähe zu den Märkten und Kunden der häufigste Grund für die Internationalisierung von F&E ist. Dabei ist die Marktnähe nicht not­ wendigerweise mit dem oben genannten Anlass der Anpassung von Produkten und Prozessen an die lokalen Bedingungen verbunden, sondern vielmehr auch mit der Su­ che nach Kooperationen mit technologisch herausfordernden Kunden. Insofern kön­ nen solche Motive für die Internationalisierung von F&E auch als ein Schritt ange­ sehen werden, Zugang zu Leitmärkten zu erhalten. In gleicher Weise argumentieren Beise/Belitz (1999), dass in den meisten Fällen es nicht die technologische Überle­ genheit des Ziellandes an sich sei, die den entscheidenden Standortvorteil für die At­ traktion der F&E multinationaler Unternehmen bilde, sondern die Leitmarktfunktion eines Landes oder einer Region. Zusätzlich wird in der jüngeren Literatur noch eine weitere Strategie mit Blick auf die Internationalisierung von F&E-Aktivitäten diskutiert. Nach Levin u. a. (2009) sind die Neugründungen von ausländischen F&E-Einrichtungen zunehmend „Heimatba­ sis ersetzend“. Jedoch lässt sich diese Strategie jenseits anekdotischer Evidenz auf gesamtwirtschaftlicher und sektoraler Ebene empirisch nur schwer belegen. Im Folgenden soll zunächst die Internationalisierung von Innovationsaktivitä­ ten und Techno-Globalisierung begrifflich geklärt werden. Anschließend werden Kon­ zepte zur Messung dieser Entwicklung durch geeignete Indikatoren vorgestellt wer­

Techno-Globalisierung

| 37

den. Dann erfolgt die Darstellung empirischer Befunde zum Umfang der Techno-Glo­ balisierung und zu den wesentlichen Bestimmungsgründen. Dabei wird zum einen der Querschnitt der OECD-Länder für die Teilperioden von 1991 bis 2000 und 2001 bis 2010 betrachtet, zum anderen erfolgt eine detailliertere Analyse der zeitlichen Ent­ wicklung der Techno-Globalisierung für ausgewählte Länder. Zudem werden dann die zuvor auf Länderebene verwendeten Indikatoren der Internationalisierung von Inno­ vationsaktivitäten auf der Ebene einzelner Wirtschaftszweige dargestellt und interpre­ tiert. Daran schließt sich eine Betrachtung der Zusammenhänge zwischen der Interna­ tionalisierung von Innovationsaktivitäten und der Beschäftigung an. Abgeschlossen wird der Beitrag mit einigen Schlussfolgerungen.

2 Techno-Globalisierung: Begriffserklärung und Messung Damit der zunächst schillernde Begriff der Techno-Globalisierung jenseits eines all­ gemeinen Schlagwortes tatsächlich inhaltliche Bedeutung erlangt und zur Beschrei­ bung der Globalisierung von F&E und Technologiemärkten beitragen kann, muss er genauer definiert werden. Eine derartige Definition (oder Taxonomie) sollte zumindest drei Prozesse unterscheiden (Archibugi/Michie, 1995 und Jungmittag, 2000): – Die internationale (globale) Verwertung von auf nationaler Ebene entwickelten Technologien: Die Unternehmen versuchen, ihre Technologien international zu verwerten, sei es durch Exporte, Auslandsproduktion oder Lizenzvergaben. Dabei handelt es sich sicher um keine neue Entwicklung, trotzdem wächst ihre Bedeu­ tung auch weiterhin. – Die internationale (globale) technologische Zusammenarbeit von Partnern in mehr als einem Land zur Entwicklung von Know-how und Innovationen, wobei jeder Partner seine institutionelle Identität behält und auch Eigentumsverhält­ nisse nicht geändert werden: Diese Kooperationen können sowohl zwischen Unternehmen erfolgen (z. B. durch gemeinsame F&E-Projekte, den Austausch von technischen Informationen, Joint Ventures oder strategischen Allianzen) als auch durch gemeinsame wissenschaftliche Projekte und den Austausch von Wis­ senschaftlern oder Studenten. Typische Akteure sind hier nationale und multi­ nationale Unternehmen sowie Hochschulen und öffentliche F&E-Einrichtungen. Formen der internationalen technologischen Zusammenarbeit gewinnen weiter an Bedeutung und werden auch von der Politik durch entsprechende Programme gefördert. – Die internationale (globale) Generierung von Technologien erfolgt durch mul­ tinationale Unternehmen, die über Ländergrenzen hinweg F&E-Strategien zur Kreierung von Innovationen durch den Aufbau von Forschungsnetzwerken ent­ wickeln. Hierzu zählen F&E- und Innovationsaktivitäten, die gleichzeitig in den

38 | Andre Jungmittag

Heimat- und Gastländern stattfinden, der Erwerb von ausländischen F&E-Ein­ richtungen und die Neugründung von F&E-Einrichtungen in den Gastländern. Es gibt eine Reihe von empirischen Evidenzen, dass diese Aktivitäten zumindest für Großunternehmen in einer Reihe von Industriezweigen an Bedeutung gewinnen. Eine weitere Möglichkeit stellt das global sourcing von Technologien über den Au­ ßenhandel (Import von Hoch- und Spitzentechnologiegütern) dar. Es ist sicher ein Ausdruck der Internationalisierung von Technologiemärkten, aber nicht mit der In­ ternationalisierung von F&E verbunden. Die drei skizzierten unterschiedlichen Prozesse tragen auch zur analytischen Klarheit bei, weil das Ausmaß ihres Wirkens durch unterschiedliche Indikatoren be­ schrieben werden kann. Archibugi/Michie (1995) schlagen die folgenden Indikatoren vor: – Das ökonomische Äquivalent zur globalen Verwertung von auf nationaler Ebene entwickelten Technologien sind zunächst einmal die Außenhandelsströme. Sie sind wiederum mit Patentanmeldungen auf den ausländischen Märkten verbun­ den. Hinzu kommen Direktinvestitionen zum Aufbau von Auslandsniederlassun­ gen, die ausschließlich der F&E nachgelagerten Stufen der Wertschöpfungskette dienen. – Die globale technologische Zusammenarbeit spiegelt sich im Unternehmensbe­ reich in internationalen Joint Ventures wider, die wiederum durch die Anzahl ent­ sprechender Kooperationsverträge abgebildet werden können. Bei akademischen und öffentlichen Forschungseinrichtungen kann der internationale wissenschaft­ liche Austausch durch die Anzahl von transnationalen Ko-Autorenschaften ge­ messen werden. – Etwas schwieriger stellt sich aufgrund der Datenlage die approximative Messung der globalen Generierung von Technologien dar. Sie erfordern zunächst einmal Direktinvestitionen in F&E-Einrichtungen, entweder in Form des Erwerbs von be­ stehenden ausländischen F&E-Einrichtungen oder der Neugründung in den Gast­ ländern. Der F&E-Output kann dann näherungsweise durch die Patentanmeldun­ gen von ausländisch kontrollierten Unternehmen erfasst werden. Bei der von Archibugi/Mitchie (1995) vorgeschlagenen Indikatorik, die von Jungmit­ tag (2000) aufgegriffen wurde, werden die drei Facetten der Techno-Globalisierung auf verschiedenen Ebenen durch einen „Blumenstrauß“ unterschiedener Indikato­ ren abgebildet. Gerade bei dem zuletzt genannten Prozess der globalen Generierung von Technologien bleibt dabei die Analyse auf die Verwendung von Unternehmensda­ ten beschränkt. Zu nennen sind hier beispielhaft die folgenden Studien. Kuemmerle (1999) untersuchte die ausländischen Direktinvestitionen in F&E-Einrichtungen von 32 multinationalen Unternehmen in der Pharma- und Elektronikindustrie und fand, dass die Heimatbasis erweiternde Motive eine wesentliche Rolle spielten. Patel/Vega (1999) betrachteten die US-Patentaktivitäten von 220 Unternehmen und verglichen sie

Techno-Globalisierung |

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mit den technologischen Profilen der Herkunftsländer, was nahelegte, dass die An­ passung von Produkten an ausländische Märkte und die Unterstützung der ausländi­ schen Fertigung die Hauptdeterminanten der Internationalisierung von Technologie sei. Dieser Befund wurde durch Le Bas/Sierra (2002) bestätigt, die die Patentaktivitä­ ten von 245 multinationalen Unternehmen in Europa analysierten. Cantwell/Piscitello (2005) untersuchten die Patente, die großen Industrieunternehmen in den USA für Erfindungen auf regionaler Ebene in vier europäischen Ländern erteilt wurden. Nach ihren Ergebnissen ist die Standortwahl bei F&E-Aktivitäten im Ausland vom Potential der Ausnutzung von Spillover-Effekten getrieben, wobei es sich um intraindustriel­ le, interindustrielle oder wissenschaftlich-technologische Spillover-Effekte handeln kann. Unterschiedliche Modelle der Internationalisierung sind zudem von ISI, DIW und ZEW (1997) exemplarisch für drei Technologiebereiche – Pharmazeutik, Halb­ leitertechnologie und Telekommunikationstechnologie – untersucht worden. Dabei zeigte sich für diese Technikfelder, dass die Internationalisierung von F&E haupt­ sächlich von drei Faktoren beeinflusst wird (vgl. Jungmittag/Meyer-Krahmer/Reger, 1999, S. 54): – Eine frühzeitige Anbindung von F&E-Aktivitäten an führende, innovative Kunden („lead-user“) oder an den Leitmarkt, – eine frühzeitige Koordinierung der eigenen F&E eines Unternehmens mit wissen­ schaftlicher Exzellenz und dem Forschungssystem, – eine enge Verbindung von Produktion und F&E. Ein zentraler Befund dieser Studie war es, dass die Determinanten der Internationa­ lisierung von F&E in den drei Technikfeldern durchaus unterschiedlich sind. Dabei ist die Innovationsdynamik bei der Produktentwicklung in den Bereichen Halblei­ tertechnologie und Software in der Telekommunikationstechnologie sehr stark durch Leitmärkte getrieben. Bei der Prozesstechnik in der Halbleitertechnologie und bei der Hardware in der Telekommunikation sind die Verbindung von Produktion und F&E ebenfalls ein wichtiger Faktor. In der pharmazeutischen Industrie muss deutlich zwi­ schen der präklinischen und der klinischen Forschung unterschieden werden. Die In­ novationsdynamik bei der präklinischen Forschung wird von wissenschaftlicher Ex­ zellenz getrieben, während Leitmärkte bei der klinischen Forschung die treibenden Kräfte sind. Die Verbindung zwischen F&E und Produktion ist hingegen in der phar­ mazeutischen Industrie sehr locker. Firmendaten können also eine Reihe von Einsichten in das Ausmaß und die Mo­ tive der Internationalisierung von F&E und Innovationen liefern, es kann daraus aber nur schwerlich ein Gesamtbild abgeleitet werden. Um diese Beschränktheit von Un­ tersuchungen auf der Basis von Firmendaten zu überwinden, schlagen Guellec/van Pottelsberghe de la Potterie (2001) drei patentbasierte Indikatoren für die Internatio­ nalisierung von Technologie vor, die internationale Kooperationen und die Standor­ te von Forschungseinrichtungen multinationaler Unternehmen widerspiegeln. Aus­

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gangspunkt ist eine einfache Definition eines internationalen Patents für ein Land i, nämlich als ein Patent mit mindestens einem Einwohner aus Land i und einem Ein­ wohner aus einem anderen Land. Tab. 1: Vier Typen von internationalen Patenten (Quelle: Eigene Darstellung) Ausland Inland

Erfinder Anmelder

Erfinder EE AE

Anmelder EA AA

Dann kann es vier Typen von internationalen Patenten geben, die in Tabelle 1 zu­ sammengefasst sind, wobei die Erfinder mit E und die Anmelder mit A bezeichnet sind. Durch zwei Typen werden internationale technologische Kooperationen wider­ gespiegelt. Zum einen kann es Ko-Erfindungen (EE) geben, wobei es sich um ein Pa­ tent mit Erfindern aus verschiedenen Ländern handelt. Zum anderen kann es sich um Ko-Eigentum (AA) an einem Patent handeln, nämlich dann, wenn die Anmelder eines Patents aus verschiedenen Ländern kommen. Die weiteren zwei Typen von internatio­ nalen Patenten erfassen die globale Beschaffung von Innovationen. Dabei kann ein­ mal der Fall auftreten, dass eine inländische Erfindung in ausländischem Eigentum (EA) ist, nämlich bei einem Patent mit inländischem Erfinder und ausländischem An­ melder. Andererseits kann eine ausländische Erfindung einen ausländischen Eigen­ tümer (AE) haben, nämlich bei einem Patent mit inländischem Anmelder und auslän­ dischem Erfinder. Auf der Basis dieser Definition sollen im Folgenden drei Indikatoren analysiert werden: – A-EA: Anteil der Patente mit inländischem Erfinder und ausländischem Anmelder an der Gesamtzahl der Patente mit inländischem Erfinder. – A-AE: Anteil der Patente mit inländischem Anmelder und ausländischem Erfinder an der Gesamtzahl der Patente mit inländischem Anmelder. – A-EE: Anteil der Patente mit einem ausländischen Ko-Erfinder an der Gesamtzahl der Patente mit inländischem Erfinder. Im Folgenden wird das Ausmaß der Techno-Globalisierung bzw. der Internationali­ sierung von Innovationsaktivitäten mit Hilfe dieser Indikatoren analysiert. Verwendet werden dazu die Patentanmeldungen am Europäischen Patentamt für die Prioritäts­ jahre von 1991 bis 2010. Eine Aufteilung der internationalen Patente in die drei dafür notwendigen Typen wird inzwischen von der OECD vorgenommen und in ihrem Da­ tenangebot publiziert. Das Statistische Amt der Europäischen Union (Eurostat) über­ nimmt diese Daten ebenfalls.

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3 Empirische Befunde für den Querschnitt der OECD-Länder Im ersten Schritt sollen die OECD-Länder im Querschnitt für die beiden Zeiträume von 1991 bis 2000 und 2001 bis 2010 betrachtet werden. In Tabelle 2 finden sich die drei Pa­ tentindikatoren als Prozentangaben. Weltweit sind natürlich die beiden Indikatoren A-EA und A-AE gleich, auf Länderebene kann es hingegen große Unterschiede zwi­ schen ihnen geben. Als erstens fällt auf, dass es bei einem weltweiten und OECD-wei­ ten Anstieg aller drei Indikatoren eine sehr große Heterogenität zwischen den ein­ zelnen Ländern gibt. Dabei sind die absolut patentstärksten Länder mit Blick auf die Innovationsaktivitäten nicht am meisten internationalisiert. So sind bei den USA im Zeitraum von 2001 bis 2010 nur 13,5 % der Patente Ko-Erfindungen und auch beim KoEigentum der Innovationen liegen sie mit 18,4 % direkt beim weltweiten Wert. Viel­ mehr sind es oft kleinere Länder, wie z. B. Österreich, Belgien und die Niederlande, oder absolut sehr patentschwache Länder, die stark internationalisiert sind. Im Fol­ genden wird dieser Umstand noch genauer betrachtet werden. Am geringsten interna­ tionalisiert mit Blick auf die Innovationsaktivitäten sind die beiden asiatischen Län­ der Japan und Korea. Deutschland befindet sich hinsichtlich des Ko-Eigentums bei beiden Indikatoren etwas unterhalb des weltweiten Wertes, während es bei den KoErfindungen, also Erfindungen, bei denen neben deutschen Erfindern auch Erfinder in anderen Ländern beteiligt waren, oberhalb des weltweiten Werts. Zweitens ist bei allen Ländern mit der Ausnahme Finnlands, Islands, Luxemburgs und der Schweiz der Anteil der internationalen Ko-Erfindungen (A-EE) kleiner als der Anteil von Patenten mit ausländischem Eigentümer und inländischem Erfinder (A-EA). Zudem ist bei der Mehrheit der Länder der Anteil der Patente mit inländischem Er­ finder und ausländischem Anmelder (A-EA) größer als der Anteil der Patente mit aus­ ländischem Erfinder und inländischem Anmelder (A-AE) (vgl. Tabelle 3). Diese Länder sind demnach Nettoexporteure von Innovationen. Nur bei zwölf Ländern ist das nicht der Fall. Dabei handelt es sich entweder um sehr große Länder, wie die USA, oder um kleinere Länder mit sehr starken multinationalen Unternehmen, wie z. B. die Nieder­ lande und Schweden. Von ihrer Konstruktion her sind die verschiedenen Patentindikatoren nicht un­ abhängig voneinander. Alle Patente, die gemeinsame Erfinder in verschiedenen Län­ dern haben, weisen auch zumindest für eines der betroffenen Länder einen auslän­ dischen Anmelder auf. Mithin wird jede Patentanmeldung, die für ein Land in den Indikator A-EE (Anteil der Patente mit Erfinder im In- und Ausland) auch entweder in den Indikator A-EA oder A-AE eingehen. Diese Abhängigkeit der Indikatoren zeigt sich auch, wenn die Korrelationen zwischen den Indikatoren betrachtet werden (siehe Abbildung 1). Mit einem Korrelationskoeffizienten von 0,876 und einem Signifikanzni­ veau weit unterhalb eines Prozents ist die lineare Abhängigkeit zwischen den Anteilen der Ko-Erfindungen (A-EE) und den Anteilen der Patente mit inländischem Erfinder

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Tab. 2: Drei Patentindikatoren für die Techno-Globalisierung, EPA, Prioritätsjahre 1991–2000 und 2001–2010 (Quelle: Eigene Berechnungen auf der Basis von OECD-Daten) Land

Anteil EA

Australia Austria Belgium Canada Chile Czech Republic Denmark Estonia Finland France Germany Greece Hungary Iceland Ireland Israel Italy Japan Korea Luxembourg Mexico Netherlands New Zealand Norway Poland Portugal Slovak Republic Slovenia Spain Sweden Switzerland Turkey United Kingdom United States OECD-Total World

1991–2000 26,6 32,9 45,9 34,2 55,6 49,8 21,1 73,1 11,8 17,5 12,5 33,1 43,3 49,7 40,2 32,3 17,8 4,2 8,0 54,9 63,9 23,0 27,8 22,3 65,7 41,7 54,5 35,3 29,0 16,6 23,0 46,9 35,7 10,5 13,8 14,3

Anteil AE 2001–2010 30,4 37,1 45,9 38,8 45,7 47,6 25,1 50,9 14,7 24,9 16,9 38,3 59,5 21,8 40,7 29,1 20,4 3,7 4,2 51,7 59,0 26,1 31,0 31,0 45,0 43,2 63,4 29,1 30,1 22,4 26,1 17,0 41,8 15,3 17,4 18,2

1991–2000 13,1 22,4 27,1 30,7 20,5 15,4 18,5 36,4 19,4 14,6 10,5 11,8 12,8 20,6 49,2 11,5 5,9 3,7 8,5 82,7 16,8 36,3 13,0 21,7 22,8 40,4 22,7 16,5 8,6 22,8 43,9 17,1 20,0 15,3 13,8 14,3

Anteil EE 2001–2010 14,4 25,4 39,3 25,1 12,2 17,7 23,9 27,6 31,7 21,9 15,6 11,1 18,7 50,0 59,6 11,0 6,0 4,8 5,6 89,0 39,3 39,2 15,2 21,9 14,0 25,1 28,2 12,0 9,2 34,2 56,2 4,5 20,5 18,4 17,8 18,3

1991–2000 17,7 21,1 31,0 28,4 37,5 36,2 17,9 42,3 11,4 11,7 9,4 30,6 28,7 34,4 33,4 18,2 8,3 2,9 7,8 52,3 47,9 15,4 19,9 18,8 55,4 35,5 49,6 27,7 17,9 13,5 26,2 45,5 17,9 9,4 5,7 5,7

2001–2010 22,6 26,6 37,6 30,7 31,4 37,8 20,8 39,3 17,4 18,3 13,9 30,3 39,2 37,6 34,5 16,2 10,6 3,0 4,4 55,4 42,4 18,6 26,8 24,4 33,1 31,9 54,8 17,4 21,3 19,3 35,7 13,9 25,1 13,5 8,1 7,9

und ausländischen Anmelder am stärksten ausgeprägt. Unterhalb von einem Prozent ist auch die Korrelation zwischen A-EE und A-AE (Anteil der Patente mit ausländi­ schem Erfinder und inländischen Anmelder) signifikant. Dagegen ist der Zusammen­ hang zwischen den beiden Indikatoren für die globale Beschaffung von Innovationen (A-EA und A-AE) erwartungsgemäß geringer, aber noch auf einem Signifikanzniveau von fünf Prozent statistisch signifikant.

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Tab. 3: Nettoimporteure und Nettoexporteure von Innovationen (Quelle: Eigene Darstellung) Anteil EA > Anteil AE

Anteil EA < Anteil AE

Australia Austria Belgium Canada Chile Czech Republic Denmark Estonia France Germany Greece Hungary Israel Italy Mexico New Zealand Norway Poland Portugal Slovak Republic Slovenia Spain Turkey United Kingdom

Finland Iceland Ireland Japan Korea Luxembourg Netherlands Sweden Switzerland United States

Abb. 1: Korrelationen zwischen den Patentindikatoren (Quelle: Eigene Darstellung)

Bereits bei der ersten Inspektion der Patentindikatoren ist aufgefallen, dass kleine und/oder absolut patentschwache Länder bei ihren Innovationsaktivitäten stärker in­ ternationalisiert zu sein scheinen. Um diese Beobachtung einer statistischen Überprü­ fung zu unterziehen, wurden für die Beziehungen zwischen den Patentindikatoren

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Abb. 2: Regression zwischen den Anteilen der Patente mit inländischem Erfinder und ausländischem Eigentümer und der Gesamtzahl der Patente (Quelle: Eigene Darstellung)

und den logarithmierten absoluten Zahlen der Patentanmeldungen für den Zeitraum von 2001 bis 2010 lineare Einfachregressionen berechnet. Tatsächlich besteht zwischen den Anteilen der Patente mit inländischem Erfin­ der und ausländischem Eigentümer (A-EA) und der Gesamtzahl der Patente bei ei­ ner Querschnittsbetrachtung ein signifikanter negativer Zusammenhang (siehe Ab­ bildung 2). Ungefähr 42 % der Streuung der Indikatorwerte kann durch die Streuung der absoluten Patentzahlen erklärt werden. Patente mit Erfindern in kleinen und/oder absolut patentschwachen Ländern scheinen also im stärkeren Maße ausländische An­ melder aufzuweisen. Anders sieht es für die Anteile der Patente mit ausländischem Erfinder und inländi­ schem Eigentümer (A-AE) und der Gesamtzahl der Patente aus. Wie aus Abbildung 3 ersichtlich ist, existiert hier kein signifikanter Zusammenhang. Statistisch signifikant ist hingegen wieder der negative Zusammenhang zwischen Anteilen der Patente mit in- und ausländischen Erfindern (A-EE) und der Gesamtzahl der Patente (siehe Abbil­ dung 4). Hier zeigt das lineare Bestimmtheitsmaß, dass im Länderquerschnitt 46 % der Streuung bei den Ko-Erfindungen durch die Gesamtzahl der Patente erklärt wer­ den kann. Insgesamt legen diese Befunde den Schluss nahe, dass je kleiner die „technolo­ gische Basis“ eines Landes ist, desto größer ist der Anteil dieser Basis, der durch aus­ ländische Anmelder kontrolliert wird und desto mehr kooperieren die inländischen

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Abb. 3: Regression zwischen den Anteilen der Patente mit ausländischem Erfinder und inländischem Eigentümer und der Gesamtzahl der Patente (Quelle: Eigene Darstellung)

Abb. 4: Regression zwischen den Anteilen der Patente mit in- und ausländischen Erfindern und der Gesamtzahl der Patente (Quelle: Eigene Darstellung)

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Erfinder mit ausländischen Erfindern. Damit bestätigen die neueren Zahlen den Be­ fund, der bereits in Guellec/van Pottelsberghe de la Potterie (2001) festgestellt wurde. Vergleicht man in Tabelle 2 die Anteilswerte für die Perioden 1991 bis 2000 und 2001 bis 2010, so fällt auf, dass bei den Patenten mit inländischen Erfindern und aus­ ländischen Anmeldern(A-EA) sowie bei den Patenten (A-EE), die auf Ko-Erfindungen beruhen, jeweils Länder, die in der ersten Periode relativ hohe Anteilswerte aufwei­ sen, in der zweiten Periode stagnierende oder rückläufige Anteilswerte aufweisen. Umgekehrt weisen Länder, die hinsichtlich dieser Indikatoren in der ersten Periode weniger internationalisiert sind, in der zweiten Periode meist höhere Werte auf. Wür­ de diese Tendenz allgemein gelten, so würde dies bedeuten, dass es tendenziell zu einer Annäherung der Anteilswerte zwischen den Ländern kommt, also eine konver­ gente Entwicklung vorliegt. Bei den Anteilen der Patente mit inländischem Anmelder und ausländischem Erfinder scheint dies nicht der Fall sein. Ob tatsächlich eine statistisch signifikante Annäherung (Konvergenz) der Anteils­ werte zwischen den OECD-Ländern erfolgt, kann durch einfache Regressionsschät­ zungen überprüft werden, bei denen die Veränderungsraten den beiden Perioden durch die logarithmierten Niveaus der Anteilswerte in der ersten Periode erklärt wer­ den. Weist der Steigungskoeffizient ein signifikantes negatives Vorzeichen auf, so ist von einer Annäherung der Anteilswerte zwischen den Ländern auszugehen.¹ In Abbildung 5 findet sich die Schätzung der Konvergenzgleichung für die Anteile der Patente mit inländischem Erfinder und ausländischem Anmelder. Bei der Schät­ zung wurde auf die Einbeziehung von Japan und Südkorea verzichtet, da diese mit ihrer sehr niedrigen Internationalisierung der Innovationsaktivitäten statistisch gese­ hen Ausreißer darstellen. Die Regressionsgerade zeigt einen hoch signifikanten ne­ gativen Verlauf, so dass Länder mit einer in der ersten Teilperiode von 1991 bis 2000 hohen Internationalisierung ihrer Innovationsaktivitäten ihre Anteile an Patenten mit inländischem Erfinder und ausländischem Anmelder in der zweiten Teilperiode von 2001 bis 2010 zurückgefahren oder nur gering gesteigert haben, während Länder, die in ersten Teilperiode bei diesem Indikator einen relativen Internationalisierungsgrad aufwiesen, diesen in der zweiten Teilperiode deutlich gesteigert haben. Mithin ist für den Querschnitt der betrachteten Länder von einer Annäherung der Internationalisie­ rungsintensitäten auszugehen. Anders sieht es bei den Anteilen der Patente mit ausländischem Erfinder und in­ ländischem Anmelder aus (siehe Abbildung 6). Hier besteht kein signifikanter Zusam­ menhang zwischen den Niveauwerten der Internationalisierungsgrade in der ersten Teilperiode und dem Veränderungsrate von der ersten zur zweiten Teilperiode. Mit­ hin bleiben hier die Unterschiede zwischen den Ländern relativ stabil.

1 Dieser in der empirischen Wachstumsforschung gängige Ansatz wird deshalb auch als Test auf β-Konvergenz bezeichnet.

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Abb. 5: Test auf Beta-Konvergenz für die Anteile der Patente mit inländischem Erfinder und ausländi­ schem Anmelder (Quelle: Eigene Darstellung)

Abb. 6: Test auf Beta-Konvergenz für die Anteile der Patente mit inländischem Anmelder und auslän­ dischem Erfinder (Quelle: Eigene Darstellung)

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Abb. 7: Test auf Beta-Konvergenz für die Anteile der Patente mit in- und ausländischen Erfindern (Quelle: Eigene Darstellung)

Eine deutliche Tendenz zur Angleichung des Grades der Internationalisierung von Innovationsaktivitäten findet sich hingegen wieder bei den Anteilen der Paten­ te mit in- und ausländischem Erfinder (siehe Abbildung 7). Während sich diese An­ teilswerte bei den Ländern, die in der ersten Teilperiode hohe Werte aufwiesen, in der zweiten Teilperiode verringert haben oder nur geringfügig angestiegen sind, haben die Länder, die in der ersten Teilperiode nur einen relativ geringen Anteil an inter­ nationalen Erfinderkooperationen an allen ihren Patenten besaßen, in der zweiten Teilperiode deutlich zugelegt. Im Folgenden sollen nun die Zusammenhänge zwischen den Patentindikatoren zur Internationalisierung von Innovationsaktivitäten mit anderen Indikatoren zum einen zur Innovationsfähigkeit von Ländern und zum anderen zur Internationalisierung von Handel und Produktion betrachtet werden. Die entsprechenden Korrelationskoeffizi­ enten sind in Tabelle 4 zusammengestellt. Sowohl die Anteile der Patente mit inländischem Erfinder und ausländischem An­ melder (A-EA) als auch die Anteile der Patente mit in- und ausländischem Erfinder (A-EE) sind im Länderquerschnitt von 2001 bis 2010 auf einem Signifikanzniveau unter 1 % negativ mit den F&E-Intensitäten der Länder korreliert. Dabei fallen die Korrelati­ onskoeffizienten mit den gesamten Brutto-F&E-Ausgaben im Verhältnis zum Bruttoin­ landsprodukt etwas höher aus als Korrelationen mit den Intensitäten für die unterneh­ mensfinanzierten F&E-Ausgaben. Dagegen sind die F&E-Intensitäten nicht signifikant

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Tab. 4: Länderquerschnittskorrelationen zwischen Patentindikatoren und F&E- sowie Internationali­ sierungsindikatoren (Quelle: Eigene Darstellung) n

A-EA

A-AE

A-EE

F&E-Intensitäten GERD/GDP BERD/GDP

34 34

−0,65 a −0,60 a

0,07 0,09

−0,49 a −0,46 a

Internationalisierung von F&E GERD aus dem Ausland/GERD BERD aus dem Ausland/BERD F&E in ausl. Zweigniederlassung/Unternehmens-F&E

34 34 25

0,29 c 0,20 0,59 a

0,11 0,07 0,30

0,19 0,10 0,43 b

Außenhandel Export/BIP Import/BIP

34 34

0,19 0,29 c

0,59 a 0,63 a

0,30 c 0,43 b

Internationale Produktion FDI-Zuflüsse/Inländische Investitionen FDI-Zuflüsse/Inländische Investitionen (ohne Luxemburg) FDI-Abflüsse/Inländische Investitionen FDI-Abflüsse/Inländische Investitionen (ohne Luxemburg)

34 33 34 33

0,30 c 0,22 0,15 0,10

0,81 a 0,69 a 0,81 a 0,74 a

0,53 a 0,40 b 0,43 b 0,16

a

Die Korrelationskoeffizienten sind bei einem Signifikanzniveau von 1 % von null verschieden Die Korrelationskoeffizienten sind bei einem Signifikanzniveau von 5 % von null verschieden c Die Korrelationskoeffizienten sind bei einem Signifikanzniveau von 10 % von null verschieden b

mit den Anteilen der Patente mit inländischem Anmelder und ausländischem Erfin­ der(A-AE) korreliert. Blickt man auf die Internationalisierung von F&E, so liegen hier auch nur für die Anteile der Patente mit inländischem Erfinder und ausländischem Anmelder (A-EA) sowie die Anteile der Patente mit in- und ausländischem Erfinder (A-EE) signifikante Korrelationen vor. Für die Anteile der Patente mit inländischem Erfin­ der und ausländischem Anmelder besteht ein signifikanter positiver Zusammen­ hang zu den Anteilen der gesamten vom Ausland finanzierten F&E-Ausgaben an den gesamten Brutto-F&E-Ausgaben. Noch ausgeprägter ist der positive Zusammen­ hang mit den Anteilen der F&E-Ausgaben ausländischer Zweigniederlassungen an den Unternehmens-F&E-Ausgaben. Bei dem Anteil der internationalen Ko-Erfindun­ gen besteht hingegen nur ein hoch signifikanter Zusammenhang mit dem letzteren F&E-Internationalisierungsindikator. Auch bei den Außenhandelsaktivitäten ergeben sich signifikante Korrelationen. Die Anteile der Patente mit inländischem Erfinder und ausländischem Anmelder sind positiv (einseitig bei einem Signifikanzniveau von 5 %) mit dem Anteil der Importe am Bruttoinlandsprodukt korreliert, während bei den Exportanteilen kein signifikan­ ter linearer Zusammenhang besteht. Mit einer gewissen Vorsicht kann dieser Befund

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dahingehend interpretiert werden, dass hier hinter der Internationalisierung von Innovationen „Heimatbasis ausnutzende“ Motive stehen, wie sie in der Einleitung diskutiert wurden. Die beiden anderen Patentindikatoren sind sowohl mit den Ex­ port- als auch mit den Importanteilen am Bruttoinlandsprodukt statistisch signifikant korreliert. Nach Picci/Savorelli (2012) kann der Zusammenhang zwischen bilateralem Handel und internationalen Kooperationen bei Erfindungsaktivitäten (hier gemes­ sen durch die Anteile der Ko-Erfindungen) als Evidenz dafür gewertet werden, dass „Heimatbasis ausnutzende“ Motive relevant sind. Gleichzeitig spiegeln die hohen Korrelationen zwischen den Außenhandelsindi­ katoren und den beiden letzteren Indikatoren auch „Größeneffekte“ wider, die schon bei den negativen Korrelationen zwischen den Patentindikatoren und den absoluten Patentzahlen angesprochen wurden. Kleinere Länder sind sowohl bei den Innovati­ onsaktivitäten als auch mit Blick auf den Außenhandel offener. Eine relativ geringe Ländergröße erlaubt nur eine begrenzte Spannweite von Aktivitäten bzw. höhere Spe­ zialisierung und damit auch eine stärkere Einbindung in die internationale Arbeits­ teilung. Bei den Anteilen der Patente mit ausländischem Erfinder und inländischem Anmelder kommt noch hinzu, dass hier – wie bereits gezeigt – einige kleinere Länder mit starken multinationalen Unternehmen hohe Werte aufweisen. Bei den Direktinvestitionsaktivitäten bestehen keine signifikanten Korrelationen zwischen den Anteilen der Zu und Abflüsse an den inländischen Investitionen und den Anteilen der Patente mit inländischem Erfinder und ausländischem Anmelder (A-EA). Da Luxemburg mit Blick auf die Direktinvestitionsströme mit sehr hohen Wer­ ten als Ausreißer angesehen werden kann, wurden hier alle Schätzungen mit und oh­ ne Luxemburg vorgenommen. Dabei zeigt sich bei dem Zusammenhang zwischen den Direktinvestitionszuflüssen und A-EA, dass die Signifikanz hier allein Luxemburg ge­ schuldet ist. Dagegen weisen die Korrelationskoeffizienten zwischen den Anteilen der Patente mit ausländischem Erfinder und inländischem Anmelder (A-AE) auf hoch signifikante positive Zusammenhänge hin, egal ob Luxemburg einbezogen wird oder nicht. Bei den Anteilen der Ko-Erfindungen (A-EE) besteht, wenn Luxemburg weggelassen wird, nur ein signifikanter positiver Zusammenhang mit den Direktinvestitionszuflüssen. Abschließend für die Querschnittsanalyse sollen die beiden robusten Faktoren, die im Zusammenhang mit der Internationalisierung von Innovationen ausgemacht werden konnten, nämlich die Ländergröße und die technologische Ausstattung, in ein Regressionsmodell zur Erklärung der drei patentbasierten Internationalisie­ rungsindikatoren einbezogen werden. Dabei wird die Ländergröße durch das rea­ le Bruttoinlandsprodukt (GDP_real) und die technologische Ausstattung durch die Brutto-F&E-Intensität (GERD/GDP) approximiert, wobei beide Variablen jeweils loga­ rithmiert in die Schätzungen eingehen (vgl. zu diesem Vorgehen Guellec/van Pottels­ berghe de la Potterie, 2001). Für alle drei Patentindikatoren ist der Einfluss des realen Bruttoinlandsproduktes hoch signifikant negativ, so dass wiederum bestätigt wird, dass – unter sonst glei­

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Tab. 5: Querschnittsregressionen zur Erklärung der Internationalisierung der Innovationsaktivitäten (Quelle: Eigene Darstellung) A-EA Konstante ln(GDP_real) ln(GERD/GDP) R2 F-Wert P-Wert (F) Beobachtungen a

82,70 a (5,04) −3,38 (−2,64) −14,17 (−4,54) 0,52 19,27 0,00 34

A-AE

A-EE

94,75 (3,19) −5,53 (−2,49) 4,67 (1,10) 0,23 3,12 0,06 34

87,95 (5,99) −4,47 (−4,03) −8,24 (−3,27) 0,51 15,63 0,00 34

OLS Schätzwerte mit heteroskedastizitätskonsistenten Standardfehlern; t-Werte in Klammern

chen Bedingungen – kleinere Länder stärker internationalisiert sind (siehe Tabelle 5). Die F&E-Intensitäten haben einen hoch signifikanten negativen Einfluss auf A-EA und A-EE, was bestätigt, dass es vor allem Länder mit einer geringeren technologi­ schen Ausstattung sind, bei denen inländische Erfinder und ausländische Anmelder verstärkt zusammenkommen. Das gleiche gilt für die Kooperationen von in- und aus­ ländischen Erfindern. Bei den Anteilen der Patente mit ausländischem Erfinder und inländischen Anmelder (A-AE) ist das Vorzeichen bei dem Einfluss der inländischen F&E-Intensität zwar positiv, aber statistisch nicht signifikant. Der negative Einfluss des realen Bruttoinlandsprodukts bleibt hier aber nahezu unverändert, wenn die F&E-Intensität aus der Schätzung herausgenommen wird. Auch mit Blick auf die li­ nearen Bestimmtheitsmaße der Schätzungen ist der statistische Erklärungsgehalt der Schätzungen für A-EA und A-EE deutlich höher als für A-AE. Setzt man die Residuen der Schätzung, also die Anteile der Patentindikatoren, die nicht durch das Regressionsmodell erklärt werden können, ins Verhältnis zu den geschätzten Anteilswerten, so kann abgeschätzt werden, ob einzelne Länder stärker oder schwächer als erwartet internationalisiert werden. In Abbildung 8 ist der Grad der Internationalisierung über oder unter dem geschätzten Niveau (in Prozent) für die Anteile der Patente mit inländischem Erfinder und ausländischem Anmelder (A-EA) wiedergegeben. Am stärksten über den geschätzten Anteilen der Patente mit inlän­ dischem Erfinder und ausländischem Eigentümer liegen die drei relativ patentstar­ ken Länder Großbritannien, Belgien und Kanada. Der umgekehrte Fall kann für die relativ patentstarken Länder Korea, Japan, Finnland und Italien beobachtet werden. Sie liegen deutlich unter ihrem geschätzten Niveau. Andere patentstarke Länder, wie Deutschland, Frankreich, die Niederlande und Schweden finden sich nahe bei ihren geschätzten Werten. Bei den Anteilen für die Patente mit in- und ausländischen Erfindern, also bei den internationalen Forschungskooperationen, liegen die USA, Schweiz und Kanada

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United Kingdom Belgium Canada Hungary Israel Austria Luxembourg Czech Republic Mexico Slovak Republic United States Australia France Portugal Estonia Ireland Switzerland Sweden Poland Spain Norway Denmark Netherlands Germany Chile Greece New Zealand Slovenia Italy Finland Iceland Turkey Japan Korea -100

-80

-60

-40

-20

0

20

40

60

80

Abb. 8: Länder mit Internationalisierungsgraden über und unter den geschätzten Werten (in Pro­ zent) für die Anteile der Patente mit inländischem Erfinder und ausländischen Anmelder (A-EA) (Quelle: Eigene Darstellung)

deutlich höher als es aufgrund ihrer Größe und F&E-Intensität erwartet werden könn­ te (siehe Abbildung 9). Am anderen Ende liegen als patentstarke Länder wieder Korea, Japan und Italien, die klar unter ihren geschätzten Werten verbleiben. Andere patent­ starke Länder, wie Deutschland, Frankreich, die Niederlande und Schweden finden sich wieder nahe bei ihren geschätzten Werten.

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United States Switzerland Canada Luxembourg Belgium United Kingdom Mexico Slovak Republic Czech Republic Hungary France Austria Ireland Australia Germany Poland Portugal Iceland Sweden Estonia Spain Norway Greece Denmark Netherlands New Zealand Chile Finland Israel Slovenia Italy Turkey Japan Korea -100

-50

0

50

100

150

Abb. 9: Länder mit Internationalisierungsgraden über und unter den geschätzten Werten (in Pro­ zent) für die Anteile der Patente mit inländischem Erfinder und ausländischen Anmelder (A-EA) (Quelle: Eigene Darstellung)

4 Empirische Befunde für die zeitliche Entwicklung in ausgewählten Ländern Im Folgenden soll nun die zeitliche Entwicklung der Indikatoren für die Interna­ tionalisierung von Innovationsaktivitäten weltweit sowie für Deutschland und die

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Niederlande genauer betrachtet werden. Begonnen wird mit der Entwicklung der An­ teile der Patente mit inländischem Erfinder und ausländischem Eigentümer (A-EA). Abbildung 10 zeigt die weltweite Entwicklung dieses Indikators. Demnach kommt das weltweite Wachstum der Anteile der Patente mit inländischem Erfinder und ausländi­ schem Eigentümer (A-EA) um 2003 zum Stillstand. Eine genauere Analyse der trend­ mäßigen Entwicklung kann dadurch erfolgen, dass die logarithmierten Anteilswerte durch einen segmentierten Trend erklärt werden, wobei die Strukturbruchpunkte auf Basis statistischer Kriterien mit dem Bai-Perron-Test ermittelt wurden. Dabei wurde ein Signifikanzniveau von 5 % zugrunde gelegt.

Abb. 10: Entwicklung der Anteile der Patente mit inländischem Erfinder und ausländischem Eigentü­ mer – weltweit (Quelle: Eigene Darstellung)

Die Trendschätzung für die weltweite Entwicklung der Anteile der Patente mit inlän­ dischem Erfinder und ausländischem Eigentümer (A-EA) ist in Abbildung 11 wieder­ gegeben. Demnach beträgt das Trendwachstum von 1991 bis 1994 7,1 % pro Jahr, von 1995 bis 2002 verlangsamt es sich auf 3,9 % pro Jahr, ist aber statistisch noch hoch signifikant von null verschieden. Von 2002 bis 2006 kann eine Phase der Stagnation beobachtet werden und ab 2007 ist das Wachstum mit jährlich −1,8 % signifikant ne­ gativ. Für Deutschland sieht die Entwicklung etwas anders aus. Hier liegt nur ein sta­ tistisch signifikanter Strukturbruch vor. Von 1991 bis 2004 betrug das trendmäßige Wachstum der Anteile der Patente mit inländischem Erfinder und ausländischem Ei­ gentümer 4,5 % pro Jahr (siehe Abbildung 12). Von 2005 bis 2010 weist der Koeffizi­ entenschätzwert zwar ein negatives Vorzeichen auf, ist aber auf dem üblichen Signi­ fikanzniveau statistisch nicht von null verschieden. Zusätzlich zu Deutschland sei noch die Entwicklung der Patentindikatoren für die Niederlande als kleinerer offener Volkswirtschaft betrachtet, die zudem relativ inno­ vationsstark ist. Hier ist die Entwicklung der der Anteile der Patente mit inländischem

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Abb. 11: Segmentierte Trendentwicklung der Patente mit inländischem Erfinder und ausländischem Eigentümer – weltweit (Quelle: Eigene Darstellung)

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Abb. 12: Segmentierte Trendentwicklung der Patente mit inländischem Erfinder und ausländischem Eigentümer – Deutschland (Quelle: Eigene Darstellung)

Erfinder und ausländischem Eigentümer deutlich volatiler als für Deutschland (siehe Abbildung 13). Mit Blick auf das Trendwachstum kann festgehalten werden, dass es von 1991 bis 1997 bei jährlich 6,1 % lag und sich dann nach einem Einbruch der Ni­ veauwerte auf 2,4 % reduzierte. Bei der Entwicklung der Anteile der Patente mit ausländischem Erfinder und inländischem Eigentümer (A-AE) kann für Deutschland im Zeitablauf eine deutliche

Techno-Globalisierung

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Abb. 13: Segmentierte Trendentwicklung der Anteile der Patente mit inländischem Erfinder und ausländischem Eigentümer – Niederlande (Quelle: Eigene Darstellung)

Zunahme beobachtet werden, wobei die Kontinuität durch einen Strukturbruch un­ terbrochen wird (siehe Abbildung 14). Von 1991 bis 1999 betrug das Trendwachstum 4,6 % pro Jahr, von 2000 bis 2010 verringerte es sich auf jährlich 2,6 %, war aber weiterhin statistisch hoch signifikant von null verschieden. Für die Niederlande ist auch die Entwicklung der Anteile der Patente mit auslän­ dischem Erfinder und inländischem Eigentümer deutlich volatiler als für Deutschland (siehe Abbildung 15). Von 1991 bis 1995 blieben diese Anteilswerte trendmäßig auf dem gleichen Niveau, dann erfolgte ein deutlicher Einbruch, der von 1996 bis 2001 dauerte.

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Abb. 14: Segmentierte Trendentwicklung der Anteile der Patente mit ausländischem Erfinder und inländischem Eigentümer – Deutschland (Quelle: Eigene Darstellung)

Für 2002 kann dann ein sprunghafter Anstieg beobachtet werden, der aber von 2002 bis 2010 mit einem Trendwachstum von jährlich -2,6 % wieder an Niveau verlor. Bei den Anteilen der Patente mit in- und ausländischem Erfindern (A-EE) hat sich weltweit das Trendwachstum seit 2001 deutlich verlangsam (siehe Abbildung 16). Von

Techno-Globalisierung |

59

Abb. 15: Segmentierte Trendentwicklung der Anteile der Patente mit ausländischem Erfinder und inländischem Eigentümer – Niederlande (Quelle: Eigene Darstellung)

1991 bis 2000 betrug es 6,6 % pro Jahr, in der darauf folgenden Periode von 2001 bis 2010 ging es auf jährlich 1,3 % zurück.

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Abb. 16: Segmentierte Trendentwicklung der Anteile der Patente mit in- und ausländischem Erfinder – weltweit (Quelle: Eigene Darstellung)

Für Deutschland fiel der bei diesen Anteilswerten zu beobachtende Strukturbruch noch etwas drastischer aus. Wie aus Abbildung 17 zu ersehen ist, nahm für Deutsch­ land der Anteil der internationalen Ko-Erfindungen im Zeitraum von 1991 bis 2002 nahezu gleich zur weltweiten Entwicklung trendmäßig jährlich um 6,5 % zu. In der zweiten Periode von 2003 bis 2010 stagniert der Anteil aber auf dem erreichten Ni­ veau: das Trendwachstum ist statistisch nicht gegen null gesichert. Für die Niederlande kann nach einem anfänglichen Wachstum der Anteile der internationalen Ko-Erfindungen von 1991 bis 1995 mit trendmäßig jährlich 11,8 % kein

Techno-Globalisierung |

61

Abb. 17: Segmentierte Trendentwicklung der Anteile der Patente mit in- und ausländischem Erfinder – Deutschland (Quelle: Eigene Darstellung)

weiterer Wachstumstrend ausgemacht werden (siehe Abbildung 18). Von 1996 bis 2001 findet nur eine Niveauverschiebung nach unten und anschließend von 2002 bis 2010 nach oben statt.

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Abb. 18: Segmentierte Trendentwicklung der Anteile der Patente mit in- und ausländischem Erfinder – Niederlande (Quelle: Eigene Darstellung)

5 Querschnittsbefunde auf Sektorebene Prinzipiell können die Patentindikatoren für die Techno-Globalisierung auch auf Sektorebene ermittelt werden. Allerdings werden diese Daten nicht regelmäßig von

Techno-Globalisierung | 63

der OECD bereitgestellt, sondern müssten extra aus Patentdatenbanken extrahiert werden. Die einzige relativ aktuelle Untersuchung, die hierzu vorliegt, ist in Danguy (2014) zu finden. Der Autor hat auf der Basis der Datenbank PATSTAT für 21 Indus­ triezweige die durchschnittlichen Patentindikatoren für den Zeitraum von 1980 bis 2005 sowie die jährlichen Wachstumsraten in diesem Zeitraum ermittelt, wobei al­ lerdings auf eine Differenzierung nach Ländern verzichtet wird. In Tabelle 6 sind diese Daten wiedergegeben. Auf den ersten Blick fällt auf, dass die Streuung der Ni­ veauwerte zwischen den Industriezweigen wesentlich geringer ist als zwischen den OECD-Ländern. Dies legt nahe, dass die Unterschiede bei der Internationalisierung der Innovationsaktivitäten wesentlich stärker auf länderspezifische als sektorspezi­ fische Faktoren zurückzuführen ist. Vom Niveau relativ stark internationalisiert die Innovationsaktivitäten in den Sektoren Herstellung von Lebensmitteln, Textilien, Kohle und Mineralöl sowie Chemikalien und chemische Produkte. Dies gilt sowohl für die Anteile der Patente mit in- und ausländischen Erfindern als auch für die An­ teile der Patente, bei denen Erfinder und Anmelder aus unterschiedlichen Ländern stammen. Generell sind zudem die Anteile der Patente mit internationalen Ko-Erfin­ dern kleiner als die Anteile der Patente, bei denen sich Erfinder und Anmelder von der Nationalität her unterscheiden. Werden die Industriezweige gemäß der Klassifikation der OECD nach ihrer Tech­ nologieintensität unterteilt, so zeigen sich bei den jeweiligen Mittelwerten für beide Anteilswerte relativ geringe Unterschiede. Bei den Anteilswerten für Patente mit inter­ nationalen Ko-Erfindern liegen sie für die Sektoren der einfachen Technologie sowie der einfachen mittleren Technologie bei 5,1 % bzw. 5,2 %, während sie für die Sektoren der höheren mittleren Technologie sowie der Hochtechnologie bei 4,6 % bzw. 4,5 % betragen. Die Anteile der Patente mit Anmeldern und Erfindern aus verschiedenen Ländern weisen für die Sektoren der einfachen und einfachen mittleren Technologie sowie der Hochtechnologie Mittelwerte von 13,2 %, 13,1 % sowie 13,7 % auf, während der Mittelwert für den Bereich der höheren mittleren Technologie „nur“ 11,8 % be­ trägt. Ohne die bezüglich der Innovationsaktivitäten relativ stark internationalisierte chemische Industrie wären die Bereiche der höheren mittleren Technologie und der Hochtechnologie etwas weniger internationalisiert als die beiden Bereiche der einfa­ cheren Technologie. Zudem besteht, anders als bei der Länderquerschnittsbetrachtung bei der sekto­ ralen Querschnittsbetrachtung kein signifikanter Zusammenhang zwischen den In­ ternationalisierungsindikatoren und der absoluten Anzahl der Patente in den einzel­ nen Sektoren. Die linearen Bestimmtheitsmaße zeigen hier mit Werten von 0,005 und 0,007 nicht einen Hauch von statistischer Signifikanz. Bei den Wachstumsraten fällt auf, dass diese für die Anteile der Patente mit in­ ternationalen Ko-Erfindern generell höher sind als für die Anteile der Patente mit na­ tional unterschiedlichen Erfindern und Anmeldern. Dies ist aber auch naheliegend, da bei ersteren die Niveauwerte niedriger und so leichter höhere Wachstumsraten zu realisieren sind. Für beide Anteilswerte steigen jedoch die Mittelwerte der Wachstums­

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Tab. 6: Sektorstruktur der Techno-Globalisierung (Quelle: Danguy (2014), S. 15–16) Industriezweig

Niveau 1980 bis 2005

Durchschnittliche Wachstumsrate (in %) 1980 bis 2005

Anteil EE

Anteil EA/AE

Anteil EE

10,11 4,38 7,81 3,93 3,92 2,69 5,30 2,64

21,89 12,24 16,75 10,45 15,17 7,77 12,13 8,83

5 6 7 5 2 7 5 7

2 8 5 5 1 4 2 4

Einfache mittlere Technologie Kohle und Öl Gummi und Plastik Mineralische Produkte Basismetalle Metallprodukte

7,82 4,41 5,05 5,57 3,21

17,44 13,67 12,49 11,63 10,24

7 9 10 5 7

4 5 5 4 3

Höhere mittlere Technologie Chemische Produkte Maschinenbau Elektrische Geräte Automobilherstellung Andere Transportmittel

9,23 3,86 3,43 3,34 3,01

17,65 11,07 11,18 10,13 6,88

6 7 9 8 5

4 4 6 6 3

Hochtechnologie Computer Kommunikation etc. Instrumente etc.

3,87 4,49 5,28

12,84 14,81 13,35

11 9 7

7 7 6

Einfache Technologie Lebensmittel Tabakprodukte Textilien Bekleidung Lederwaren Holzverarbeitung Papierherstellung Verschiedenes

Anteil EA/AE

raten mit der Technologieintensität an. Bei den Wachstumsraten der Anteilswerte der Patente mit ausländischen Ko-Erfindern von 5,5 % bei der einfachen Technologie über 7,6 % bei der einfachen mittleren Technologie und 7,0 % bei der höheren mittleren Technologie auf 9,0 % bei der Hochtechnologie, während bei den Wachstumsraten der Anteilswerte mit national unterschiedlichen Erfindern und Anmeldern der An­ stieg von 3,9 % bei der einfachen Technologie über 4,2 % bei der einfachen mittle­ ren Technologie und 4,6 % bei der höheren mittleren Technologie nach 6,7 % bei der Hochtechnologie.

Techno-Globalisierung | 65

6 Zusammenfassung Mit den von Guellec/von Pottelsberghe de la Potterie (2001) vorgeschlagenen Pa­ tentindikatoren lassen sich sowohl die globale technologische Zusammenarbeit als auch die globale Beschaffung von Innovationen als Facetten der Techno-Globali­ sierung konsistent analysieren. Zusammenfassend zeigen die drei verwendeten Pa­ tentindikatoren, dass bei dem Ausmaß der Internationalisierung von Innovations­ aktivitäten zwischen den betrachteten Ländern große Unterschiede bestehen. Oft sind kleinere Länder und/oder patentschwache Länder mit Blick auf ihre Innova­ tionsaktivitäten stärker internationalisiert. Dies wird auch durch negative Korrela­ tionen der Indikatoren (insbesondere der Anteile der Patente mit inländischem Er­ finder und ausländischem Anmelder sowie der Anteile der Ko-Erfindungen) sowie mit den absoluten Patentzahlen sowie dem realen Bruttoinlandsprodukt bestätigt. Insgesamt legen diese Befunde den Schluss nahe, dass je kleiner die „technolo­ gische Basis“ eines Landes ist, desto größer ist der Anteil dieser Basis, der durch ausländische Anmelder kontrolliert wird und desto mehr kooperieren die inländi­ schen Erfinder mit ausländischen Erfindern. Damit bestätigen die neueren Zahlen den Befund, der bereits in Guellec/van Pottelsberghe de la Potterie (2001) festgestellt wurde. Bei der Gegenüberstellung der Anteile von Patenten mit inländischem Erfinder und ausländischem Anmelder und der umgekehrten Konstellation von Patenten mit inländischem Anmelder und ausländischem Erfinder ergibt sich, dass die Mehrheit der betrachteten Länder „Nettoexporteure“ von Innovationen sind, d. h. bei ihnen ist der erstere Anteilswert größer als der zweite. Bei den Ländern, bei denen dies nicht der Fall ist, handelt es sich entweder um sehr große Länder, wie die USA, oder um kleinere Länder mit sehr starken multinationalen Unternehmen. Korrelationsrechnungen zeigten zudem, dass sowohl die Anteile der Patente mit inländischem Erfinder und ausländischem Anmelder (A-EA) als auch die Anteile der Patente mit in- und ausländischem Erfinder (A-EE) im Länderquerschnitt von 2001 bis 2010 signifikant negativ mit den F&E-Intensitäten der Länder korreliert sind. Hin­ sichtlich des Zusammenhangs zwischen der Internationalisierung von F&E und den Patentindikatoren ergeben sich ebenfalls eine Reihe von signifikanten positiven Kor­ relationen, die aber wiederum nicht die Anteile der Patente mit inländischem Anmel­ der und ausländischem Erfinder betreffen, sondern nur die beiden anderen Indika­ toren. Die vorliegenden Korrelationen zwischen den Außenhandelsaktivitäten und den Patentindikatoren können mit einer gewissen Vorsicht dahingehend interpretiert werden, dass bei der Internationalisierung von Innovationsaktivitäten „Heimatbasis ausnutzende“ Motive zumindest eine relevante Rolle spielen. Gleichzeitig spiegeln aber die hohen Korrelationen zwischen den Außenhandelsindikatoren und den bei­ den letzteren Indikatoren auch „Größeneffekte“ wider, die schon bei den negativen

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Korrelationen zwischen den Patentindikatoren und den absoluten Patentzahlen an­ gesprochen wurden. Kleinere Länder sind sowohl bei den Innovationsaktivitäten als auch mit Blick auf den Außenhandel offener. Schließlich bestätigen Regressionsschätzungen, dass Länder mit geringerer F&EIntensität und kleine Länder aufgrund ihrer geringeren eigenen technologischen Fä­ higkeiten stärker internationale Kooperationen nutzen. Sie profitieren insofern von Wissensflüssen aus dem Ausland. Gleichzeitig zeigen Vergleiche zwischen den rea­ lisierten und geschätzten Anteilswerten für die Patente mit inländischem Erfinder und ausländischem Anmelder sowie für Ko-Erfindungen, dass einige patentstar­ ke Länder deutlich über ihren geschätzten Anteilswerten international aktiv sind, während andere patentstarke Länder weit hinter den geschätzten Werten zurückblei­ ben. Einfache Tests auf Beta-Konvergenz zeigen aber auch, dass bei den Patentanteilen mit inländischem Erfinder und ausländischem Anmelder sowie bei den Patentantei­ len mit internationalen Kooperationen von Erfindern zwischen den OECD-Ländern im Zeitablauf eine Angleichung (Konvergenz) der Anteilswerte stattfindet. Ausgenom­ men von dieser Entwicklung sind Japan und Südkorea, die mit ihrer sehr niedrigen Internationalisierung der Innovationsaktivitäten statistisch gesehen Ausreißer dar­ stellen. Nicht festgestellt werden hingegen diese konvergente Entwicklung bei den Pa­ tentanteilen mit ausländischem Erfinder und inländischem Anmelder. Auch die zeitliche Entwicklung der einzelnen Patentindikatoren zur Technoglo­ balisierung variiert zwischen den einzelnen Ländern deutlich. Weltweit hat sowohl die globale Beschaffung von Innovationen als auch die globale technologische Zusam­ menarbeit deutlich zugenommen. Seit 2001/2002 hat sich aber die weltweite Zunahme sowohl der globalen Beschaffung von Innovationen als auch der globalen technologi­ schen Zusammenarbeit deutlich verlangsamt. Bei Deutschland setzt in 2003 bzw. 2005 ein Verharren auf dem erreichten Niveau des Anteils der Patente mit in- und auslän­ dischen Erfindern bzw. des Anteils der Patente mit inländischen Erfindern und aus­ ländischen Anmeldern ein. Beim Anteil der Patente mit ausländischen Erfindern und inländischen Anmeldern kann für Deutschland seit 2000 hingegen nur eine Wachs­ tumsverlangsamung beobachtet werden. Ein Blick auf die Sektorebene ergibt, dass die sektoralen Unterschiede bei der Internationalisierung von Innovationen wesentlich geringer ausgeprägt sind als die Unterschiede zwischen den OECD-Ländern. Da diese sektoralen Daten nicht nach Ländern differenziert vorliegen, kann nicht die Frage beantwortet werden, ob sich die Internationalisierung von Innovationen auch an komparativen Vorteilen orientiert. Unterstellt man, dass Länder mit hohem Einkommen komparative Vorteile bei der F&E im Hochtechnologie-Bereich und Länder mit niedrigerem Einkommen kompara­ tive Vorteile bei der F&E in Bereichen mit einfacheren Technologien haben, so könnte die Ausnutzung dieser komparativen Vorteile zu die Wissensproduktion stärkenden Komplementaritäten führen. Bei einer ersten empirischen Untersuchung und einer Unterteilung der F&E in drei Kategorien (Hochtechnologie, einfache und mittlere

Techno-Globalisierung | 67

Technologie sowie wissensintensive Dienstleistungen) finden D’Agostino/Laursen/ Santangelo (2013) solch eine Komplementarität nur für den Bereich der einfachen und mittleren Technologie. Allerdings besteht in diesem Bereich noch deutlicher Forschungsbedarf. Abschließend sollen auch einige Überlegungen zum Zusammenhang zwischen der Internationalisierung der unternehmerischen F&E-Aktivitäten und inländischer Beschäftigung angestellt werden. Welche Beschäftigungseffekte hiervon ausgehen, hängt eng mit aus der Internationalisierung resultierenden Produktivitätseffekten zu­ sammen. So wird üblicherweise argumentiert, dass Anstrengungen zur Entwicklung neuer Produkte und damit die Erschließung neuer Märkte zu neuen Arbeitsplätzen führen, während aus arbeitssparenden Prozessinnovationen Arbeitsplatzverluste resultieren. Da aber aus Produktinnovationen ebenfalls Produktivitätseffekte resul­ tieren können, sind die Beschäftigungseffekte nicht immer eindeutig. Wenn ein neu­ es oder verbessertes Produkt eine Veränderung der Produktionsmethoden oder der Inputzusammensetzung erfordert, kann dies den Arbeitseinsatz erhöhen oder redu­ zieren. So zeigen Bogliacino/Pianta (2010), dass die Beschäftigungseffekte von neuen oder verbesserten Produkten nicht für alle Industrien gleich sind und auch, dass eine Unterscheidung zwischen Verarbeitendem Gewerbe und Dienstleistungssektor von geringer Bedeutung für das Verständnis ihrer empirischen Befunde ist. Auch die wenigen empirischen Studien, die direkt die Beschäftigungswirkungen der Internationalisierung von F&E-Aktivitäten auf Unternehmensebene analysieren, kommen zu keinen einheitlichen Ergebnissen. So findet Fryges (2004) für eine Stich­ probe von jungen kleinen technologieorientierten Unternehmen in Deutschland und UK für den Zeitraum von 1987 bis 1996 positive Effekte von internationalen F&E-Akti­ vitäten sowohl auf die Arbeitsproduktivität als auch auf die Beschäftigung. Hingegen verwenden Bürgel u. a. (2004) die gleiche Stichprobe von Unternehmen in einer frühe­ ren Phase ihrer Lebenszyklen und zeigen, dass internationale High-Tech-Aktivitäten keinen Einfluss auf das Beschäftigungswachstum haben. Moncada-Paternò-Castello u. a. (2011) spekulieren deshalb, dass Beschäftigungseffekte erst in bei einer fortge­ schrittenen Entwicklung von High-Tech-Unternehmen auftreten. Die zuletzt genannten Autoren fassen auch die Ergebnisse einer Reihe von Studien zusammen, die die Unterschiede bei der Beschäftigungsentwicklung von Unterneh­ men in inländischem und ausländischem Besitz analysieren. Bei beiden Gruppen von Unternehmen ist der Beitrag von Produktinnovationen zum Beschäftigungswachstum kleiner als der von alten Produkten, aber neue Produkte spielen für das Beschäfti­ gungswachstum in Unternehmen in ausländischem Besitz eine größere Rolle als in Unternehmen in inländischem Besitz. Das gilt sowohl für europäische als auch nicht­ europäische Zweigstellen im Inland. Mit Blick auf die unmittelbare Beschäftigung von F&E-Personal war nach Mon­ cada-Paternò-Castello u. a. (2011) der dominante Trend bei der Internationalisierung von F&E bis vor kurzem nicht die Auslagerung von F&E-Aktivitäten aus Kostengrün­ den in ärmere Regionen, sondern ein Austausch zwischen Ländern. Neuerdings findet

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F&E-Offshoring sowohl in Schwellenländer, wie China und Indien, als auch in entwi­ ckelte Länder statt. Da sich jedoch die F&E-Fähigkeiten in den ärmeren Ländern zu­ nehmend verbessern, werden diese auch einen größeren Anteil an der insgesamt aus­ gelagerten F&E beanspruchen. Insofern kommt der Druck von weniger entwickelten Ländern nicht notwendigerweise daher, dass sie niedrigere F&E-Kosten aufweisen, sondern dass sie eine wachsende Menge an F&E-Talenten, die sehr gut ausgebildet werden, haben und damit Investitionen aus dem Rest der Welt angelockt werden. Um damit konkurrieren zu können, braucht Deutschland und Europa ein exzellentes F&Eund Innovationssystem.

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Techno-Globalisierung

| 69

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Bernhard Dachs

Techno-Globalisierung als Motor des Aufholprozesses im österreichischen Innovationssystem 1

Einleitung | 70

2

F&E-Ausgaben ausländischer Firmen in Österreich | 72

3

Sektoraler Strukturwandel | 75

4

Wissensdiffusion im Gastland | 75

5

Beschäftigungseffekte | 78

6

Weniger strategische Forschung, mehr Adaptierung | 79

7

Mitnahmeeffekte | 80

8

Trennung von Produktion und F&E, Kontrollverlust | 82

9

Resümee | 84

Literatur | 86

1 Einleitung Das österreichische Innovationssystem erlebte in den vergangenen 20 Jahren einen beachtlichen Aufholprozess: Österreich entwickelte sich von einem Land mit unter­ durchschnittlicher F&E-Quote (F&E-Ausgaben in Prozent des Bruttoinlandsprodukts) zu einem der Spitzenreiter in Europa. Österreich entwickelte sich deutlich besser als der Durchschnitt der Europäischen Union (vgl. Abbildung 1) und lag 2013 an vierter Stelle der EU-Mitgliedsstaaten. Dieser bemerkenswerte Aufholprozess lässt sich – so meine Hypothese – nur im Kontext der Internationalisierung verstehen. Wesentlichen Anteil am Aufholprozess hatten Tochtergesellschaften ausländischer multinationaler Unternehmen in Öster­ reich. Diese Unternehmen waren, wie der vorliegende Bericht zeigt, in einem beträcht­ lichen Ausmaß für die Zuwächse bei den F&E-Ausgaben in diesem Zeitraum verant­ wortlich. Neben diesem quantitativen Effekt gingen von ausländischen Tochtergesellschaf­ ten auch eine Reihe von qualitativen Effekten aus, die einen wesentlichen positiven Einfluss auf die Gesamtperformance des österreichischen Innovationssystems hatten, wie Wissenstransfers Strukturwandels- und Agglomerationseffekte. Dem stehen aller­ dings auch Herausforderungen wie weniger Grundlagenforschung, Mitnahmeeffekte in der Forschungsförderung oder Kontroll- und Beschäftigungsverluste gegenüber (siehe Tabelle 1). https://doi.org/10.1515/9783110583212-003

Techno-Globalisierung Österreich

| 71

4

3.5

F&E-Quote in Prozent des BIP

3

2.5

2

1.5

1

0.5 Österreich

Belgien

Finnland

Frankreich

Deutschland

EU-28

0 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014

Abb. 1: Entwicklung der F&E-Quote in ausgewählten Ländern, 1995–2013 (Quelle: AIT-Darstellung nach OECD, Main Science and Technology Indicators 2/2015)

Die folgende empirische Analyse wird die Hypothese vom auslandsgetriebenen Upgrading des österreichischen Innovationssystems mit verschiedenen Daten testen und untermauern. Der Beitrag diskutiert verschiedene positive und negative Effek­ te der Präsenz ausländischer Unternehmen im österreichischen Innovationssystem. Schließlich fragt der Beitrag, inwieweit die österreichische Erfahrung ein Vorbild für andere Länder sein kann. Tab. 1: Effekte der Techno-Globalisierung auf die Gastländer (Quelle: UNCTAD (2005), Veugelers (2005), Dachs (2009)) Chancen

Herausforderungen und Risiken

Steigerung der F&E- und Innovationsausgaben Strukturwandels- und Agglomerationseffekte Wissensdiffusion in den Gastländern Beschäftigungseffekte

Crowding out inländischer Firmen Weniger strategische Forschung, mehr Adaptierung Mitnahmeeffekte Trennung von Produktion und F&E, Kontrollverlust

72 | Bernhard Dachs

2 F&E-Ausgaben ausländischer Firmen in Österreich Ausländische Unternehmen leisten seit Mitte der 1990er-Jahre wesentliche Impulse für die Steigerung der F&E-Ausgaben in Österreich. Wie Abbildung 2 zeigt, liegt ihr Anteil an den gesamten F&E-Ausgaben bei 35,9 %. Wenn wir nur die Sachgüterpro­ duktion betrachten, steigert sich der Anteil ausländischer Firmen an den F&E-Ausga­ ben auf über 50 %. Ohne die F&E-Ausgaben ausländischer Firmen hätte die österrei­ chische F&E-Quote im Jahr 2013 nur etwa 1,9 % und nicht 2,95 % wie in Abbildung 1 gezeigt betragen. Die größte Dynamik zeigte die Auslandsfinanzierung zwischen der Mitte der 1990er und der Mitte des letzten Jahrzehnts. In den letzten Jahren hat sich die Dyna­ mik allerdings deutlich abgeflacht. Abbildung 2 stellt die Entwicklung seit 2007 dar. Im Zeitraum 2007–2011 stiegen die Ausgaben der auslandskontrollierten Unterneh­ men nur um rund 10 %, von 2.585 Mio. € auf 2.849 Mio. €. Dieser Anstieg lag deutlich niedriger als der entsprechende Anstieg der F&E-Ausgaben von inlandskontrollierten Unternehmen (+26 %) oder des Hochschulsektors (+29 %). Dadurch sank der Anteil auslandskontrollierter Unternehmen sowohl an den gesamten F&E-Ausgaben als 10,000 4,4% 9,000

5,1%

Ausgaben für interne F&E (in Mio. €)

8,000

Sektor Staat 24,3%

5,3%

7,000

25,6%

5,3% 26,1%

6,000

Hochschulsektor

23,8%

35,1%

5,000 34,4% 4,000 32,9%

32,7% Inlandskontrollierte Unternehmen

3,000

2,000 35,9% 37,6%

35,4%

34,4%

2007

2009

2011

1,000

Auslandskontrollierte Unternehmen

0 2013

Abb. 2: F&E-Ausgaben nach Sektor, 2007, 2009, 2011 und 2013 (Quelle: AIT-Darstellung nach Statis­ tik Austria, Erhebung über Forschung und experimentelle Entwicklung, 2007–2013)

Techno-Globalisierung Österreich

| 73

auch an den F&E-Ausgaben des Unternehmenssektors (von 53 % im Jahr 2007 auf 50 % im Jahr 2011). Der Motor des auslandsgetriebenen Upgradings des österreichi­ schen Innovationssystems stottert. Erst im Zeitraum 2011–2013 beschleunigte sich das Wachstum wieder. 2013 ha­ ben ausländischer Unternehmen einen Anteil von 35,9 % an den gesamten österrei­ chischen F&E-Ausgaben, der höchste Wert seit der Krise. Das ist deutlich mehr als die F&E-Ausgaben des österreichischen Universitätssektors und etwa so viel wie die F&E-Ausgaben inländischer Unternehmen. Neben Österreich finden sich international auch andere Beispiele für einen ho­ hen Auslandsanteil an den F&E-Ausgaben. Österreich findet sich hier in einer Gruppe hochinternationalisierter Länder wie Israel, Irland, Belgien, der Tschechischen Repu­ blik oder Ungarn (Abbildung 3). Große OECD-Länder wie Deutschland, Frankreich, die USA oder Japan haben deutlich niedrigere Internationalisierungsgrade. Ausnahme ist hier das Vereinigte Königreich, wo viele nicht-europäische multinationale Unterneh­ men ihre Europazentralen und F&E-Aktivitäten angesiedelt haben.

70% 60% 50% 40% 30% 20%

Estland

Japan

Portugal

USA

Finnland

Italien

Schweiz

Dänemark

Bulgarien

Frankreich

Slovenien

Norwegen

Niederlan…

Deutschla…

Kanada

Spanien

Kroaen

Polen

Schweden

Österreich

Ungarn

Vereinigte…

Rumänien

Israel

Belgien

Irland

Slowakei

0%

Tschechis…

10%

Griechenl…

Share of foreign-owned firms on total business R&D

80%

Abb. 3: Anteile ausländischer Firmen an den F&E-Ausgaben der Sachgütererzeugung, 2011 (Quelle: AIT-Darstellung nach OECD, Main Science and Technology Indicators 2/2015)

Das auslandsgetriebene Upgrading des österreichischen Innovationssystems ist von geographischen Faktoren, vor allem der starken wirtschaftlichen Verflechtungen mit den Nachbarländern Deutschland und der Schweiz begünstigt. Wie die Abbildung 4 zeigt, entfallen rund 60 % F&E-Ausgaben ausländischer Tochtergesellschaften in Ös­ terreich auf deutsche und Schweizer Firmen. Die EU-28-Staaten ohne Deutschland kommen gemeinsam auf einen vergleichsweise geringen Anteil von 11 %.

74 | Bernhard Dachs

Techno-Globalisierung hat also nach wie vor eine stark regionale Komponente, die sich auch in der Abbildung 3 zeigt. Kleine Länder ohne große Nachbarstaaten mit technologieintensiven multinationalen Firmen haben im allgemeinen deutlich gerin­ gere F&E-Aktivitäten ausländischer Unternehmen, wie die Beispiele Portugals, Finn­ lands, Sloweniens oder Norwegens zeigen. Der hohe Anteil deutscher und Schweizer Firmen ist allerdings, wie Abbildung 4 ebenfalls zeigt, rückläufig, auch wenn die F&E-Ausgaben europäischer Firmen in Ös­ terreich absolut steigen. Tatsächlich hat sich der Anteil von Unternehmen aus Ländern außerhalb Europas von 19 % auf 30 % im Jahr 2013 deutlich erhöht. Diese Entwicklung wurde vor allem von US-amerikanischen Firmen getragen, die ihre F&E-Aktivitäten im Zeitraum 2007–09 deutlich ausgeweitet haben. Die Krise wurde von diesen Unterneh­ men also als Chance gesehen. Hingegen hat die Krise zu keiner Ausweitung des Engagements asiatischer Fir­ men in F&E in Österreich geführt, deren Herkunftsländer von der Krise weit weniger betroffen waren als Europa. Erst im Zeitraum 2011–2013 kam es zu einer merklichen Steigerung der F&E-Ausgaben chinesischer Firmen in Österreich, die derzeit 86 Mio. € betragen. Insgesamt zeigen die Daten, dass die Techno-Globalisierung in Österreich wäh­ rend der letzten Jahre deutlich weniger regional und deutlich globaler geworden ist, ein Befund der auch für andere Länder zutrifft. 3,500 6% 9%

3,000

Ausgaben für interne F&E (in Mio. €)

6% 2,500

3% 7%

5% 7% 16%

12%

10% 12%

13% 1,500

15%

8% 14%

9% 2,000

übrige Länder

Kanada 12% Vereinigte Staaten 11%

13% 10%

Schweiz

1,000 56%

50%

49%

47%

übrige EU-28

500 Deutschland 0 2007

2009

2011

2013

Abb. 4: F&E-Ausgaben ausländischer Unternehmen in Österreich nach Herkunftsland, 2007, 2009, 2011 und 2013 (Quelle: AIT-Darstellung nach Statistik Austria, Erhebung über Forschung und experi­ mentelle Entwicklung, 2007–2013)

Techno-Globalisierung Österreich

| 75

3 Sektoraler Strukturwandel Ausländische Unternehmen beeinflussen auch die Wirtschaftsstruktur ihrer Gastlän­ der. Dieser Strukturwandeleffekt der Techno-Globalisierung wird in Österreich aus der Abbildung 5 deutlich. Sie zeigt den Anteil in- und ausländischer Unternehmen an den gesamten F&E-Ausgaben auf Sektorebene. Klar zu erkennen ist die hohe Konzentrati­ on von ausländischen Tochtergesellschaften in technologieintensiven Sektoren. Wenn ausländische Unternehmen in Österreich mit F&E vertreten ist, dann in Branchen wie Pharma, Biotechnologie, Informationsdienstleistungen, elektronischen Bauelemen­ ten oder der Automobilindustrie. Mehr ausländische Unternehmen bedeutet deshalb auch mehr Strukturwandel hin zu diesen Branchen. Niedrigtechnologiesektoren wei­ sen dagegen mehrheitlich einen hohen Anteil inländischer Unternehmen auf. Darüber hinaus ergeben sich Strukturwandeleffekte durch die Vorleistungsnach­ frage. Ausländische Firmen können durch ihre Nachfrage die Entwicklung von tech­ nologisch avancierten Zulieferindustrien in ihnen Gastländern stimulieren. Architektur- und Ingenieurbüros; techn., Untersuchung Holz-, Flecht-, Korb- und Korkwaren (ohne Möbel) Nahrungs- und Futtermittel Reparatur und Installation NE-Metalle; Leicht-, Buntmetall-… Metallerzeugnisse Sonstige Waren Sonstiger Fahrzeugbau Dienstleistungen der Informationstechnologie Verlagswesen Gummi- und Kunststoffwaren Medizinische Apparate und Materialien Groß- und Einzelhandel Informationsdienstleistungen Elektronische Bauelemente und Leiterplatten Pharmazeutische Erzeugnisse 0

10

20

30

40

50

60

70

80

90

100

Anteil auslandskontrollierter Firmen in %

Abb. 5: Anteil auslandskontrollierter Firmen an den F&E-Ausgaben, 2013 (Quelle: AIT-Darstellung nach Statistik Austria, Erhebung über Forschung und experimentelle Entwicklung, 2013)

4 Wissensdiffusion im Gastland Die Internationalisierung kann zu einer wichtigen Quelle für das technologische Up­ grading eines Landes werden, wenn Wissen von auslandskontrollierten zu inländisch kontrollierten Firmen und Universitäten diffundiert. Solche Wissenstransfers werden in der Literatur oft als wesentlichster Gewinn aus der Präsenz multinationaler Un­

76 | Bernhard Dachs

ternehmen für die Gastländer genannt (Blomström and Kokko, 1998). Ausländische Unternehmen müssen nicht notwendigerweise überlegenes Wissen besitzen; Vorteile können sich auch aus Komplementaritäten zwischen den Wissensbasen in- und aus­ ländischer Unternehmen ergeben. Die Literatur kennt verschiedene Kanäle für diese Wissenstransfers, beginnend mit Innovationskooperationen über Vorleistungsbeziehungen, die Personalmobilität zwischen in- und ausländischen Unternehmen bis hin zu Nachahmung. Innovation­ kooperationen sind aus der Perspektive des Wissenstransfers besonders relevant, weil hier ein deutlich intensiverer Wissensaustausch als in Vorleistungsbeziehungen oder bei Nachahmung erfolgt (Pyka 2007). Die Daten zeigen für Innovationskooperationen zwischen in- und ausländischen Unternehmen ein erfreuliches Bild. Insgesamt kooperieren innovative ausländische Firmen deutlich häufiger als der Durchschnitt der Unternehmen in Österreich (24 % verglichen zu 17 %, siehe Abbildung 6). Dieser höhere Anteil ist vor allem durch die deutlich niedrigere Kooperationsquote von inländischen Einzelunternehmen, die kei­ ner Unternehmensgruppe angehören, zu erklären. Hingegen sind inländische Unter­ nehmen, die einer Unternehmensgruppe angehören und somit möglicherweise selbst multinationale Unternehmen sind, deutlich kooperationsfreudiger. Mit ein Grund für diese Unterschiede ist die Unternehmensgröße. Die Kooperati­ onsneigung nimmt mit der Unternehmensgröße zu und ausländische Unternehmen sind im Allgemeinen größer als inländische Firmen. Innerhalb der Gruppe der aus­ ländischen Unternehmen zeigen sich vor allem US-amerikanische Firmen als sehr ko­ operationsfreudig und sogar als aktiver als inländische Gruppenunternehmen.

in Prozent aller innovierenden Unternehmen

40 35 30 25 20 15 10 5 0

Abb. 6: Anteil von Unternehmen mit Innovationskooperationen nach Eigentümerstruktur und Sitz der Firmenzentrale, Österreich 2010–2012 (Quelle: AIT-Darstellung nach Statistik Austria, Community Innovation Survey 2012)

Techno-Globalisierung Österreich

| 77

Neben der Häufigkeit von Unternehmenskooperationen ist aus innovationspoli­ tischer Sicht vor allem die Frage der Partnerregionen dieser Kooperationen bedeut­ sam. Multinationale Unternehmen besitzen ein weit verzweigtes internes Netzwerk zwischen der Muttergesellschaft und Töchtern in verschiedenen Ländern, über das Wissen ausgetauscht wird. Ausländischen Unternehmen fällt es durch dieses Netz­ werk leichter, Kooperationsbeziehungen mit weit entfernten Regionen aufzubauen und sich so mit Wissensbasen zu verbinden die für Akteure im österreichischen In­ novationssystem sonst nicht verfügbar wären. Über Kooperationen zwischen in- und ausländischen Firmen wird dieses Wissen weiter verteilt. Die Tochtergesellschaften multinationaler Unternehmen können so als Brücken zu ausländischen Wissensba­ sen fungieren. Daten zu den Zielländern internationaler Kooperationen geben Hinweise, dass wenigstens die Vorbedingungen für eine solche Rolle erfüllt sind. Die Abbildung 7 zeigt, dass ausländische innovative Unternehmen zwar seltener als inländische Grup­ penunternehmen (jedoch deutlich häufiger als inländische Einzelunternehmen) mit Partnern in Österreich kooperieren; für Kooperationen mit ausländischen Partnern ist aber das Gegenteil richtig. Während die Kooperationsquote mit europäischen Part­ nern noch annähernd gleich ist, zeigen die Daten, dass ausländische Unternehmen beinahe doppelt so häufig als inländische Gruppenunternehmen mit Partnern in den USA und auch deutlich häufiger mit Partnern in Indien, China und anderen Regionen kooperieren. Der Unterschied zu inländischen Einzelunternehmen ist hier noch deut­ lich höher. Ausländische Unternehmen leisten so einen wichtigen Beitrag zur Einbin­ dung Österreichs in internationale Wissensströme.

in Prozent aller innovierender Unternehmen

30%

25%

inlandskontrollierte Einzelfirmen

20%

inlandskontrollierte Firmengruppe

15%

auslandskontrollierte Firmen

10%

5%

0% Österreich

Europa

USA

China

andere Region

Abb. 7: Zielländer von Innovationskooperationen in- und ausländischer Firmen in den Jahren 2010– 2012 (Quelle: AIT-Darstellung nach Statistik Austria, Community Innovation Survey 2012)

78 | Bernhard Dachs

5 Beschäftigungseffekte Die Präsenz ausländischer Unternehmen wirkt in verschiedener Weise auch auf die Beschäftigung im Gastland. Ausländische Unternehmen sind mit einem Beschäftig­ tenanteil von 19,7 % ein wichtiger Arbeitgeber im österreichischen Unternehmens­ sektor (Statistik Austria, 2015). Aufgrund ihrer hohen F&E-Intensität ist der relative Beschäftigungseffekt ausländischer Unternehmen beim Forschungspersonal des Un­ ternehmenssektors allerdings noch wesentlich größer. Ihr Anteil beträgt hier 39,8 % (Statistik Austria, 2015). Wenn ausländische Unternehmen ihre F&E-Aktivitäten im Gastland ausweiten, kann dies bei hinreichend elastischem Angebot positive Effekte auf den wissenschaft­ lichen Arbeitsmarkt dieses Landes haben. Wenn das Angebot an wissenschaftlichen und technischen Arbeitskräften aber unelastisch ist und das Wissenschaftssystem nicht auf die zusätzliche Nachfrage mit einem zusätzlichen Angebot an Absolventen reagiert, kann dies zu einer Verdrängung (crowding out) der Nachfrage inländischer Firmen nach Forschungspersonal durch Abwerbungen und damit zu weniger F&E und Innovation durch inländischen Firmen führen. Dieser Effekt kann durch den Umstand verstärkt werden, dass multinationale Unternehmen interessante Karrie­ reperspektiven bieten und oft auch höhere Löhne als einheimische Firmen zahlen (Bellak, 2004). Ausländische Unternehmen in Österreich haben zwischen 2007 und 2013 nach den Daten von Statistik Austria ihr Forschungspersonal um 28 % von 19,166 auf 24,472 Personen gesteigert. Setzen wir den Zuwachs des Forschungspersonals ausländischer Unternehmen zwischen 2007 und 2013 (5,306 Personen) in Relation zur Zahl der Stu­ dienabschlüsse in technischen und naturwissenschaftlichen Fächern an österreichi­ schen Universitäten vom Studienjahr 2007/08 bis 2010/11 (32,459), so wird klar, dass die Nachfrage ausländischer Unternehmen wohl kaum zu einem crowding out beim Forschungspersonal geführt haben kann. Vermutlich hält dieser Befund auch, wenn der Zu- und Wegzug von Absolventinnen und Absolventen sowie Forschungsperso­ nal berücksichtigt wird, denn Österreich hat eine positive Wanderungsbilanz und Mi­ grantinnen und Migranten aus EWR-Staaten und der Schweiz haben häufiger einen Hochschulabschluss als gebürtige Österreicherinnen und Österreicher (Statistik Aus­ tria 2014, S. 49). Die zusätzliche Nachfrage aus der Ausweitung der F&E-Aktivitäten ausländischer Firmen konnte folglich durch die heimischen Hochschulen und durch Migration von Forschungspersonal gedeckt werden.

Techno-Globalisierung Österreich

| 79

6 Weniger strategische Forschung, mehr Adaptierung Die wirtschaftswissenschaftliche Literatur geht davon aus, dass die internationale Verwertung von Wissen und Produkten, die im Herkunftsland entwickelt wurden, ein wesentlicher Anreiz für die internationale Expansion multinationaler Unternehmen darstellt (Markusen, 2002; Narula and Zanfei, 2005; Dunning and Lundan, 2008). F&E- und Innovationsaktivitäten im Ausland kommen in diesem Modell die Aufgabe zu, bestehende Produkte an die Marktgegebenheiten der Gastländer anzupassen, da dies aufgrund lokal verfügbaren Wissens vor Ort wesentlich einfacher und besser möglich ist. Daraus lässt sich allerdings auch schließen, dass multinationale Unternehmen ihre strategischen F&E-Aktivitäten im Heimatland konzentrieren und F&E-Aktivitäten ausländischer Unternehmen in den Gastländern generell wenig grundlagenorientiert sind. Ein Anstieg des Anteils ausländischer Unternehmen könnte deshalb als uner­ wünschten Nebeneffekt zu einem Verlust an strategischer Grundlagenforschung im Gastland führen. Die Abbildung 8 scheint diesen Schluss zu bestätigen. Sie zeigt den Anteil von Grundlagenforschung, angewandter Forschung und experimenteller Entwicklung an den F&E-Ausgaben in- und ausländischer Unternehmen in Österreich. Zu sehen ist, dass der Anteil von Grundlagenforschung an den F&E-Ausgaben bei ausländischen Unternehmen nur etwa die Hälfte des Anteils inländischer Unternehmen ausmacht. Analog dazu ist der Anteil der experimentellen Entwicklung deutlich höher.

Auslandskontrollierte Firmen 4%

Inlandskontrollierte Firmen

8%

Gesamt 6%

0% Grundlagenforschung

30%

67%

38%

34%

55%

61%

10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100% Angewandte Forschung Experimentelle Entwicklung

Abb. 8: F&E-Ausgaben in- und ausländischer Firmen nach Forschungsarten, 2011 (Quelle: AIT-Dar­ stellung nach Statistik Austria, Erhebung über Forschung und experimentelle Entwicklung, 2011)

80 | Bernhard Dachs

Diese Zahlen sollten jedoch aus zwei Gründen mit Vorsicht betrachtet werden. Erstens gibt es zahlreiche Beispiele für ausländische Unternehmen in Österreich, die mit weitreichenden Technologie- und Produktmandaten innerhalb ihrer Unterneh­ mensgruppen ausgestattet sind. In diesen Fällen muss strategische Forschung nicht unbedingt Grundlagenforschung bedeuten. Zweitens ist es eine Eigenart der österreichischen Forschungsstatistik, dass Forschungseinrichtungen im öffentlichem Eigentum wie AIT Austrian Institute of Technology oder Joanneum Research nicht dem öffentlichen Sektor (wie im Fall der Fraunhofer-Gesellschaft in Deutschland), sondern dem Unternehmenssektor (ge­ nauer kommerzieller Forschung und Entwicklung, NACE 73) zugerechnet werden. In diese Gruppe gehören auch die COMET-Kompetenzzentren, die etwa zur Hälfte durch öffentliche Mittel finanziert werden. Dies treibt die Grundlagenorientierung der inländischen Unternehmen in Österreich nach oben.

7 Mitnahmeeffekte Multinationale Unternehmen haben beträchtliche Möglichkeiten, ihre Steuerlast durch die Verschiebung von Unternehmensfunktionen zwischen verschiedenen Län­ dern zu verringern. Die aktuelle Diskussion zur Besteuerung multinationaler Unter­ nehmen zeigt, dass die Firmen von diesen Möglichkeiten auch Gebrauch machen. Deshalb sind Mitnahmeeffekte und rent-seeking in der Forschungsförderung eine ernstzunehmende Gefahr, die aus einer starken Präsenz ausländischer Unternehmen erwachsen kann. Solche Mitnahmeeffekte im Zusammenhang mit F&E können auftre­ ten, wenn multinationale Unternehmen Unterschiede in den nationalen Förderinten­ sitäten gezielt ausnutzen um F&E-Aktivitäten dort anzusiedeln, wo diese am stärksten gefördert werden. Österreich rangiert bei der Förderintensität unternehmerischer F&E durch die öf­ fentliche Hand im vorderen Viertel der OECD-Länder (vgl. OECD 2016), sodass ein sol­ ches rent-seekking ausländischer Unternehmen nicht auszuschließen ist. Daten zur F&E-Finanzierung in Österreich geben hier allerdings Entwarnung. Der Anteil öffent­ licher Mittel zur Finanzierung von F&E ist bei ausländischen Unternehmen mit nur 10 % deutlich geringer als bei inländischen Unternehmen (15 %, siehe Abbildung 9). Sowohl inlandskontrollierte als auch auslandskontrollierte Unternehmen finanzieren ihre F&E-Ausgaben größtenteils aus dem Unternehmenssektor, also vermutlich selbst. Wenn öffentliche Förderungen tatsächlich ein wesentliches Motiv für die Ansiedelung von F&E-Aktivitäten auslandskontrollierter Unternehmen in Österreich sind, so wäre ein wesentlich höherer Anteil öffentlicher Mittel an der Finanzierung dieser Aktivitä­ ten zu erwarten gewesen. Dieses Ergebnis gilt auch, wenn der Sektor kommerzielle Forschung und Entwick­ lung (NACE 73) aus dem Vergleich ausgeschlossen wird. Wie oben erwähnt finden sich

2013

Auslandskontrollierte Firmen

2007

Auslandskontrollierte Firmen

2013

Inlandskontrollierte Firmen

2007

Inlandskontrollierte Firmen

2013

Gesamt

67%

2007

Techno-Globalisierung Österreich | 81

Gesamt

66%

64%

10%

61%

26%

8%

32%

69%

15%

73%

0%

10%

20%

Unternehmenssektor

30%

13%

12%

40%

50%

60%

70%

14%

21%

10%

öffentl. Förderung

15%

23% 80%

90%

100%

Ausland

Abb. 9: Finanzierungsstruktur in- und auslandskontrollierter Unternehmen, 2007 und 2013 (Quelle: AIT-Darstellung nach Statistik Austria, Erhebung über Forschung und experimentelle Entwicklung, 2007 und 2013)

hier eine Reihe von Forschungseinrichtungen die im öffentlichem Eigentum sind oder wesentlich durch öffentliche Mittel gefördert werden, aufgrund ihrer Rechtsform al­ lerdings dem Unternehmenssektor zugeordnet werden. In der Inanspruchnahme verschiedener Förderinstrumente für F&E zeigen sich beträchtliche Unterschiede zwischen in- und auslandskontrollierten Unternehmen (siehe Abbildung 10). Auslandskontrollierte Unternehmen beziehen öffentliche För­ derung fast ausschließlich in Form der Forschungsprämie. Der Anstieg des öffentli­ chen Finanzierungsanteils in ausländischen Firmen von 8 % im Jahr 2007 auf 10 % im Jahr 2013 ist auf die verstärkte Inanspruchnahme der indirekten Forschungsförderung (die steuerliche Forschungsprämie) zurückzuführen. Dies zeigt die hohe standortpo­ litische Bedeutung dieser Förderung. Der Anteil von direkten Projektförderungen durch die FFG liegt hingegen deutlich unter dem Vergleichswert inlandskontrollierter Unternehmen. Inlandskontrollierte Unternehmen warben 2013 mehr als drei Viertel der von der FFG an Unternehmen vergebenen Zuschüsse ein. Nur 28 % der F&E-betreibenden auslandskontrollierten Firmen haben 2013 FFG-Förderungen in Anspruch genommen, der Vergleichswert für inländische Firmen liegt bei 34 %. Im Gegensatz dazu entfallen 60 % der 2013 ausbezahlten Forschungsprämien auf auslandskontrollierte Firmen, wobei die Hälfte der auslandskontrollierten Firmen die Forschungsprämie erhalten haben. Direkte Bundesförderungen und Landesförderun­ gen haben für die Finanzierung von F&E in auslandskontrollierten Unternehmen kei­ ne Bedeutung.

82 | Bernhard Dachs

Auslandskontrollierte Firmen

Inlandskontrollierte Firmen

Gesamt

83%

37%

13%

30%

55%

22%

23%

11%

14%

7%

0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100% Forschungsprämie FFG Bund Länder, sonstige

Abb. 10: Öffentliche F&E-Förderung in- und auslandskontrollierter Unternehmen nach Förderinstru­ menten, 2013 (Quelle: AIT-Darstellung nach Statistik Austria, Erhebung über Forschung und experi­ mentelle Entwicklung, 2013)

Die Daten zeigen damit eine bemerkenswerte Zweiteilung des österreichischen Unternehmenssektors entlang der Eigentümerstruktur. Diese Zweiteilung weist einer­ seits auf die Vorteile einer steuerlichen Förderung – gemeinsam mit der österreichi­ schen Gruppenbesteuerung – für multinationale Firmen hin. Andererseits könnten diese Ergebnisse auch eine mangelnde Attraktivität von Projektförderungen für aus­ landskontrollierte Firmen zeigen. Auf Branchenebene zeigen sich die Unterschiede vor allem im Dienstleistungssektor und hier in den Sektoren sonstige F&E-Dienstleis­ tungen und Biotechnologie.

8 Trennung von Produktion und F&E, Kontrollverlust Forschungs- und innovationspolitisches Handeln geht implizit davon aus, dass die Ergebnisse von F&E durch Innovationen in neue Produkte und Prozesse umgesetzt werden und so eine positive Wirkung auf Wachstum und Beschäftigung entfalten. Im Falle von multinationalen Unternehmen müssen F&E und Innovation allerdings nicht zwangsläufig im selben Land geschehen. Neues Wissen und neue Produkte kön­ nen firmenintern transferiert werden, sodass der F&E-Standort und der Produktions­ standort – und damit jener Ort an dem sich die Beschäftigungswirkung der Innovati­ on entfaltet – auseinanderfallen können. Eine solche Trennung von Produktion und F&E kann zu innovationspolitisch nachteiligen Situationen und langfristig zu einer Schwächung des Wirtschaftsstandorts trotz steigender F&E-Ausgaben führen.

Techno-Globalisierung Österreich

| 83

Eine Überprüfung der Hypothese zur Trennung von Produktion und Forschung erfordert eine eigene Studie. Hinweise gibt allerdings ein Vergleich der Entwicklung des Anteils des Forschungspersonals am gesamten Personal auslandskontrollierter Firmen in Österreich (siehe Abbildung 11). Sollte die Vermutung einer zunehmenden Trennung zutreffen, müsste der Anteil des Forschungspersonals im Zeitablauf deut­ lich steigen.

Anteil Forschungspersonal am Gesamtpersonal

10%

8%

6%

4%

2%

0% 2007 Ausländische gesamt

2009 2011 Sachgüterproduktion ausl

2013 Dienstleistungen, andere

Abb. 11: Anteil des Forschungspersonals am gesamten Personal in ausländischen Unternehmen in Österreich, 2007–2013 (Quelle: AIT-Darstellung nach Statistik Austria, Erhebung über Forschung und experimentelle Entwicklung, 2007–2013)

Der Anteil des Forschungspersonals am gesamten Personal in ausländischen Unter­ nehmen blieb zwischen 2007 und 2011 bemerkenswert konstant bei etwa 4 % und stieg erst zwischen 2011 und 2013 auf 4,4 % an. Dies bedeutet, dass auslandskontrollier­ te Unternehmen in Österreich ihre F&E- und Produktionsaktivitäten etwa im selben Ausmaß ausgeweitet haben. Größere Verschiebungen gibt es in der Personalintensi­ tät zwischen Sachgüterproduktion und Dienstleistungssektor, die allerdings zum Teil durch Reklassifikationen, etwa zwischen der Elektro- und Elektronikindustrie und In­ formationsdienstleistungen erklärt werden können. Ein weiterer Kritikpunkt an multinationalen Firmen sind Hinweise auf einen Kon­ trollverlust als Folge eines hohen Internationalisierungsgrades. Wichtige Entschei­ dungen über F&E würden nicht mehr im Inland, sondern durch ausländische Kon­ zernzentralen getroffen. Diese Hypothese eines Kontrollverlusts ist naturgemäß schwer zu überprüfen. Für eine Einschätzung dieser Gefahr im österreichischen Kontext gibt es zwei An­ haltspunkte. Zum einen zeigt eine Befragung unter ausländischen Unternehmen

84 | Bernhard Dachs

in Österreich (Hanisch und Turnheim, 2008) dass diese im beträchtlichen Umfang Entscheidungen über ihre F&E-Budgets treffen können. Dies entspricht der Finan­ zierungsstruktur von F&E in ausländischen Firmen, die überwiegend durch eigene Mittel erfolgt (siehe Abbildung 9). Zum anderen kann die Entwicklung der F&E-Ausgaben ausländischer Unter­ nehmen in Österreich während der Krisenjahre 2007–09 indirekt Hinweise auf die Entscheidungskompetenzen dieser Firmen geben. Es ist anzunehmen, dass Konzern­ zentralen in der Krise dazu tendieren, F&E-Ausgaben eher in ausländischen Toch­ tergesellschaften als im Land der Muttergesellschaft zu reduzieren. Die Daten zeigen allerdings, dass es 2007–09 zu keinem Rückgang der F&E-Ausgaben ausländischer Unternehmen in Österreich kam.

9 Resümee Die Techno-Globalisierung in Form von F&E-Aktivitäten auslandskontrollierter Un­ ternehmen in Österreich trug wesentlich zum Aufholprozess des Landes seit Mitte der 1990er Jahre bei, der Österreich in die Spitzengruppe der forschungsintensivsten Län­ der Europas brachte. Das österreichische Innovationssystem profitierte dabei in mehr­ facher Hinsicht von der Präsenz ausländischer Unternehmen: Quantitativ profitierte Österreich von der Techno-Globalisierung vor allem über höhere F&E-Ausgaben. Die F&E-Quote hätte 2011 Ohne die F&E-Ausgaben ausländi­ scher Firmen hätte die österreichische F&E-Quote im Jahr 2013 nur etwa 1,9 % und nicht 2,95 % betragen. Qualitativ lässt die sektorale Struktur ausländischer Unternehmen in Österreich auf Strukturwandeleffekte schließen. Die Daten zeigen auch, dass ausländische Un­ ternehmen überdurchschnittlich häufig kooperieren, was ein Indiz für die Existenz von Wissensspillovers ist. Hinweise für Mitnahmeeffekte gibt es keine; ausländische Unternehmen greifen weniger auf öffentliche F&E-Förderungen zurück als inländi­ sche Firmen. Allerdings betreiben ausländische Firmen auch deutlich weniger Grund­ lagenforschung. Insgesamt fällt das Resümee der Techno-Globalisierung in Österreich überwie­ gend positiv aus, sodass sich die Frage nach der Reproduzierbarkeit der österreichi­ schen Entwicklung stellt. Wie können andere Länder von diesen Erfahrungen profi­ tieren? Die Antwort auf diese Frage fällt überraschend aus: die österreichische Politik hat diesen Prozess überraschend wenig aktiv gestaltet. Österreich bot weder spezielle Förderungen für F&E-Aktivitäten ausländischer Firmen (die im Übrigen auch dem EU-Beihilfenrecht widersprochen hätten), noch verfolgte das Land eine dezidierte Ansiedelungspolitik im Hinblick auf ausländische Unternehmen. Die Entwicklung des Innovationssystems und dabei vor allem die Steigerung der F&E-Quote war spä­ testens seit Mitte der 1990er-Jahre ein wichtiges Ziel der österreichischen Bundes­

Techno-Globalisierung Österreich

| 85

regierung; Internationalisierung oder Techno-Globalisierung wurden in österreichi­ schen Strategiepapieren aber erst ab 2011 erwähnt (Österreichische Bundesregierung 2011). Die Attraktivität Österreichs ergab und ergibt sich aus anderen Faktoren; laut Sieber (2008) nennen ausländische Unternehmen mit Headquarter-Funktionen in Österreich vor allem die Verfügbarkeit von qualifiziertem Personal sowie das Ausbil­ dungsniveau als die wichtigen Standortkriterien. Weiteres profitierte Österreich, wie die geografische Herkunft der wichtigsten Investorenländer in Abbildung 4 unschwer erkennen lässt, auch von seiner geografischen und kulturellen Nähe zu Deutschland und der Schweiz mit ihren zahlreichen F&E-intensiven multinationalen Unterneh­ men. Wie wichtig dieser Faktor ist zeigen die Beispiele anderer kleiner Länder in Europa wie Finnland, Norwegen oder Slowenien, die weit weniger F&E-Aktivitäten ausländischer Unternehmen anziehen konnten. Schließlich scheint vor allem die in­ direkte, steuerliche Förderung von F&E in Österreich für ausländische Unternehmen attraktiv zu sein. Die österreichische Politik trug zum Aufholprozess also vor allem bei, indem sie günstige Rahmenbedingungen für die Expansion in- und ausländischer Firmen im Land bereitstellte, die das Management ausländischer Firmen für ihre Expansion nutzte. Großen Anteil am Aufholprozess hatten zweifellos auch Politikentwicklungen auf der EU-Ebene. Die Forschungspolitik wurde in Österreich nach dem Beitritt we­ sentlich aufgewertet, ebenso hatte die EU-Ebene eine wichtige Beispielfunktion für Politikmaßnahmen auf nationaler Ebene. Schließlich lieferten auch Entwicklungen wie die Niederlassungsfreiheit und die Osterweiterung der EU wichtige Impulse für den Standort Österreich. Am Beispiel Österreichs lässt sich deshalb zeigen, dass stabile Rahmenbedingun­ gen und eine berechenbare F&E-Politik wichtiger für den Erfolg einzelner Länder in der Techno-Globalisierung sind als spezielle Anreize für ausländische Firmen. Die tschechische Republik, Ungarn und Polen scheinen hier auf einem ähnlichen Weg wie Österreich. Schließlich zeigt das Beispiel Österreichs auch deutlich, dass Techno-Globalisie­ rung kein Nullsummenspiel ist. Wie in Abbildung 4 gezeigt sind die F&E-Ausgaben deutscher Firmen in Österreich mit rd. 1,5 Mrd. € substantiell: sie entsprechen rd. 3 % der gesamten F&E-Ausgaben von Unternehmen in Deutschland (Stifterverband 2015). Hinweise, dass die Aktivitäten deutscher Firmen in Österreich zu einem Rückgang der F&E-Tätigkeit in Deutschland geführt haben, liefern die Zahlen des Stifterverbands al­ lerdings nicht: inlands- und Auslandsaktivitäten sind im Beobachtungszeitraum die­ ser Studie beide beträchtlich gewachsen.

86 | Bernhard Dachs

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Jens K. Perret

Strukturwandel in der Europäischen Union am Beispiel ausgewählter Leitmärkte mit besonderem Bezug auf die Innovationstätigkeit der Mitgliedsländer 1

Einleitung | 87

2

Theoretische Grundlagen, Messinstrumente und Datenquellen | 89 2.1 Wissen, Innovationen und das Potential von Patenten | 89 2.2 Indikatoren des Strukturellen Wandels | 90 2.3 Datenquellen | 93

3

Leitmärkte und induzierter Strukturwandel | 94 3.1 Ausgewählte Leitmärkte | 94 3.2 Sektoraler Strukturwandel mit besonderem Fokus auf ausgewählte Leitmärkte | 97 3.2.1 Erneuerbare Energien | 97 3.2.2 Biotechnologie | 101 3.2.3 Informations- und Kommunikations-Technologien | 106 3.2.4 Recycling | 112

4

Fazit | 114

Literatur | 116

1 Einleitung Diejenigen Sektoren, die in der aktuellen Literatur und insbesondere auch gerade sei­ tens der deutschen bzw. europäischen Politik gemeinhin als Leitmärkte bezeichnet werden, beschreiben aufstrebende Wirtschaftszweige, denen ein vergleichsweise ho­ hes Innovationspotential nachgesagt bzw. in denen dieses Innovationspotential effizi­ ent zur Erzeugung eines höheren Bruttoinlandsprodukts genutzt werden kann. Diese theoretische Grundüberlegung stellt die Basis für die deutsche, aber in einem euro­ päischen Kontext zu verstehende, Leitmarktinitiative dar. Zwei Fragen, die in diesem Kontext aufkommen sind zum einen, welche theo­ retischen Modell- und Klassifikationsansätze herangezogen werden können, um Sektoren eindeutig als Leitmärkte zu identifizieren und sie insbesondere von NichtLeitmärkten, die trotz allem hoch innovativ sein können und einen großen Beitrag zum BIP beitragen, abgrenzen zu können. Diese Frage kann dahingehend umformu­ liert werden, wie eine Definition von Leitmärkten theoriegestützt formuliert werden kann.

https://doi.org/10.1515/9783110583212-004

88 | Jens K. Perret

Eine zweite, nicht weniger wichtige Frage ist, sobald erfolgreich Leitmärkte identi­ fiziert wurden, ob diese auch den ihnen zugesprochenen Entwicklungspfad einschla­ gen und einen positiven technologischen, strukturellen und gesellschaftlichen Wan­ del einläuten. Gerade an dieser zweiten Frage möchte die vorliegende Studie ansetzen. Mittels etablierter Methoden der Strukturwandelforschung wird erarbeitet, welchen Entwick­ lungstrends ausgewählte Leitmärkte in einem europäischen (EU-weiten) Kontext fol­ gen. Im Rahmen dieser Studie stehen weniger gesellschaftliche Wandlungsprozes­ se oder direkte und indirekte Effekte des strukturellen Wandels im Vordergrund als die deskriptiv analytische Aufarbeitung der zugrunde liegenden Entwicklungsmus­ ter. Hier unterscheidet die Studie bewusst zwischen einer allgemein produktiven Ebe­ ne und der damit verbundenen Analyse sektoraler und regionaler bzw. nationaler Beschäftigungszahlen und der innovationsorientierten Ebene, realisiert durch eine Analyse von Patentdaten beim Europäischen Patentamt. Bei den untersuchten Sektoren wurde die Evaluation von CSES zur Lead Mar­ ket Initiative¹ zugrunde gelegt, welche sich mit ihrem Verständnis von Lead Markets selbst an der Definition der EU² anlehnt. Dies bedeutet, dass im Rahmen dieser Studie insbesondere die drei Sektoren der Erneuerbaren Energien, der Biotechnologie und des Recyclings betrachtet werden. Ferner wird der Ansatz von Welfens³ aufgegriffen, welcher argumentiert, dass auch der Sektor der Informations- und KommunikationsTechnologien einzustufen sei. Im weiteren Verlauf gliedert sich die Studie in drei größere Abschnitte und ein Fazit. Im Folgenden zweiten Kapitel wird herausgearbeitet wie der Innovationsan­ spruch, dem Leitmärkte unterliegen, durch verfügbare Daten herausgestellt werden kann. Dies erfolgt insbesondere durch einen kurzen Exkurs in die Natur von Inno­ vationen bzw. Wissen und den damit verbundenen Wissensträgern. Darüber hinaus bietet das zweite Kapitel einen Überblick über gängige Ansätze der Analyse strukturel­ ler Wandlungsprozesse. Es wird insbesondere herausgearbeitet wie gezielt sektoraler und regionaler Strukturwandel analysiert werden können, insbesondere auch bezo­ gen auf innovationsspezifische Fragestellungen. Ferner werden die zurate gezogenen Datenquellen kurz vorgestellt und Anmerkungen hinsichtlich der Qualität und Voll­ ständigkeit der Daten gegeben. Im sich anschließenden dritten Kapitel werden zunächst im ersten Abschnitt die betrachteten Leitmärkte vorgestellt und es wird ihre relative Position im Kontext der Beschäftigung in der EU28 sowie im Kontext der Innovationssysteme illustriert. Der

1 Siehe CSES (2011). 2 Siehe hierzu Europäische Kommission (2005). 3 Siehe Welfens (2009).

Strukturwandel in der Europäischen Union am Beispiel ausgewählter Leitmärkte |

89

zweite Abschnitt des Kapitels beschäftigt sich mit dem sektoralen und regionalen Strukturwandel. Die Studie schließt im vierten Kapitel mit einem Fazit, welches die grundlegenden Erkenntnisse referiert und wirtschaftspolitische Schlussfolgerung ableitet.

2 Theoretische Grundlagen, Messinstrumente und Datenquellen 2.1 Wissen, Innovationen und das Potential von Patenten Im Gegensatz zu Informationen, die lediglich eine semantische Dimension aufweisen und entsprechend einfach unter Zuhilfenahme von Informations- und Kommunika­ tions-Technologien (IKT) übertragen werden können, verfügt Wissen noch über eine zusätzliche pragmatische Dimension, die eine Übertragung von Wissen sowohl von einem Wissensträger zu einem anderen, mehr aber noch von einem Wissensträger zu einem externen Medium, wesentlich erschwert⁴. Ferner lässt sich Wissen in kodifizier­ tes bzw. kodifizierbares Wissen und in tacides Wissen unterteilen. Während bei ko­ difizierbarem Wissen eine Übertragung von einem menschlichen Wissensträger auf ein externes Medium möglich ist, ist tacides Wissen an den menschlichen Wissens­ träger gebunden und kann nicht kodifiziert werden. Entsprechend komplexer ist der Transfer von tacidem Wissen von einem Wissensträger zu einem Zweiten. Aufgrund der pragmatischen Dimension von Wissen gibt es eine Reihe von Autoren, die sämtli­ ches Wissen per se als tacides Wissen klassifizieren und kodifizierbares Wissen ledig­ lich als Information auffassen⁵. Da bereits die Definition des Wissenskonzepts nicht eindeutig ist, ist es umso an­ spruchsvoller ein quantifizierbares Instrument zur Messung von Wissen und dem da­ mit verbundenen Wissenstransfer zu konstruieren. Es wird im Rahmen der vorliegenden Studie die Annahme zugrunde gelegt, dass Wissen unabhängig davon, ob es einen kodifizierbaren Bestandteil besitzt oder nicht, Spuren bei seiner Anwendung hinterlässt. Diese Spuren der Wissensnutzung können im Rahmen einer engeren Betrachtung als kodifiziertes Wissen interpretiert werden. Während es, aufgrund seiner taciden Natur, sehr schwierig ist den Bestand des vor­ handenen Wissens zu approximieren, ist es doch möglich die Spuren der Wissensan­ wendung zu quantifizieren und hierdurch einen Rückschluss auf den Wissensbestand selbst zu ziehen.

4 Siehe Perret (2013). 5 Siehe Leonard und Sensiper (1998).

90 | Jens K. Perret

Patente sind die Ergebnisse eines Forschungs- und Entwicklungsprozesses und liegen in kodifizierter Form vor. Da sie nicht allein Bauanleitungen für Produkte enthalten, sondern auch darüberhinausgehende Informationen zu den jeweiligen Neuerungen enthalten kann argumentiert werden, dass Patente eine Approximation für den Stand des kodifizierten Wissens in einem Land sind. Während es eine breite Front an Autoren gibt, die Patenten die Eigenschaft als Approximation des Wissens­ bestands absprechen, argumentieren unter anderem Verspagen und Schoenmakers⁶, dass Patente eine zwar verzerrte aber doch nutzbare Nehrung für den Wissensbestand darstellen. Ungeachtet dieser Uneinigkeit in der Literatur können die Argumente von Verspagen und Schoenmakers dahingehend interpretiert werden, dass Patente Spu­ ren der Nutzung des Wissensbestands und als solche qualitativ gut genug sind, um als Grundlage für die weitere Analyse zu dienen.

2.2 Indikatoren des Strukturellen Wandels In der Literatur zu Maßzahlen des strukturellen Wandels findet sich eine große Band­ breite an Indikatoren. Diesen Indikatoren ist gemein, dass sie sich in den meisten Fäl­ len auf die Messung einer Distanz zwischen einzelnen Perioden zurückführen lassen, wobei die einzelnen Sektoren die Dimensionen und ihre jeweiligen Anteile die Koordi­ naten der Perioden bilden. Ein gutes Beispiel hierfür ist die Verwendung der euklidi­ schen Distanz zwischen zwei Perioden. Aber auch komplexere Ansätze wie der Lilien Indikatoren lassen sich letztlich auf die Messung einer Distanz zurückführen⁷. An die­ sem generellen Vorgehen lässt sich soweit nichts aussetzen, da Strukturwandel Diffe­ renzen impliziert und diese durchaus als Distanzen interpretiert werden können. Es ist allerdings erforderlich an dieser Stelle darauf hinzuweisen, dass sich Differenzen sowohl durch absolute Distanzen, erzeugt durch Subtraktion, als auch durch relative Verhältnisse, erzeugt durch Division, messen lassen. Während beide Ansätze ihre Vor- und Nachteile aufweisen, ist es im Rahmen der vorliegenden Studie essentiell einen Messansatz zu wählen, bei dem zum einen eine einheitliche, nach oben und unten beschränkte, Skala vorliegt, bei dem eine eindeu­ tige Diskriminierung positiver und negativer Entwicklungen möglich ist und am wich­ tigsten, der es ermöglicht Bedeutung und Dynamik eines einzelnen Sektors in einem Land oder einer Region herauszustellen. Gerade was die letzte der genannten Anforderungen betrifft weisen die meisten Standardansätze der Stukturwandeltheorie einen gravierenden Mangel auf, da jeweils nur allgemein das Ausmaß des Wandels in einer Region gemessen wird, nicht aller­ dings eine Zerlegung gemäß der jeweils beteiligten Sektoren erfolgt bzw. überhaupt möglich ist. 6 Siehe Verspagen und Schoenmakers (2004). 7 Siehe Welfens (2009).

Strukturwandel in der Europäischen Union am Beispiel ausgewählter Leitmärkte |

91

Diesem Problem kann der ‚Revealed Comparative Advantage‘ (RCA) Indikator nach Balassa⁸ Abhilfe schaffen. Der Indikator wurde ursprünglich motiviert um ei­ ne Aussage über die relative Exportposition eines Landes treffen zu können. Hierbei motivierte Balassa den Indikator als Verhältnis des Exportanteils eines Sektors zum Importanteil des gleichen Sektors in einem Land⁹. Der Nachteil des ursprünglichen Indikators bestand darin, dass der Indikator zum einen zwar einen Vergleich der Sektoren eines Landes ermöglicht, allerdings kein Vergleich über mehrere Länder hinweg möglich war. Dieses Problem wurde durch eine Modifikation des Indikators behoben¹⁰. Die Exportquote des betrachteten Sektors wird nicht länger der Importquo­ te gegenübergestellt, sondern der Exportquote eines Vergleichsmarktes; idealerweise umfasst dieser Vergleichsmarkt eine Ländergruppe, die ebenfalls das aktuell unter­ suchte Land enthält¹¹. Auch wenn diese Modifikation des Indikators eine signifikante Weiterentwicklung des ursprünglichen RCA-Indikators darstellt, weist sie immer noch das Problem auf, dass sie zum einen nicht gleichmäßig skaliert ist – ein Wert im In­ tervall [0; 1) beschreibt einen komparativen Nachteil, während ein Wert im Intervall (1; ∞) einen komparativen Vorteil beschreibt. Darüber hinaus konnte gezeigt werden, dass der Indikator auch rein formal statistisch Nachteile aufweist¹². Eine weitere Modifikation des Indikators wie sie von Borbely vorgenommen wur­ de¹³ kann zumindest den ersten Bedenken Abhilfe schaffen und auch die von Hoen und Oosterhaven (2006) vorgebrachten Kritikpunkte können durch die Modifikation zumindest abgeschwächt werden. An dieser Stelle sei die Anmerkung vorweggenommen, dass der modifizierte RCAIndikator ein Indikator zur Messung der Exportposition, nicht aber des strukturellen Wandels eines Landes ist. Wird der RCA-Indikator intertemporal für alle Sektoren ei­ nes Landes – oder zumindest für alle relevanten Sektoren – bestimmt, so kann durch einen Vergleich der Entwicklungspfade der einzelnen Sektoren nachgezeichnet wer­ den, welche Sektoren an Bedeutung gewinnen und welche an Bedeutung verlieren. Im Vergleich zu klassischen Indikatoren des Strukturwandels weist der RCA-Indika­ tor noch den Vorteil auf, dass er nicht alleine ein Land oder die Position eines Sektors in einem Land betrachtet, sondern die Bedeutung des Sektors in dem jeweiligen Land und dem relevanten Referenzmarkt herausstellt. Ferner lässt sich der RCA-Indikator nicht alleine auf Exportdaten anwenden, son­ dern liefert vergleichbare Ergebnisse für nahezu alle relevanten ökonomischen Kenn­

8 Siehe Balassa (1965a). 9 Mit dieser Modellierung folgt Balassa der Idee der relativen Kostenvorteile wie sie durch die Arbeiten von Ricardo (1817) motiviert wurden. 10 Siehe Balassa (1965b). 11 Diese Modellierung des Indikators weist bereits mehrere Überschneidungen mit aus der Regional­ ökonomie bekannten Lokationsquotienten auf. 12 Siehe Hoen und Oosterhaven (2006). 13 Siehe Borbely (2006).

92 | Jens K. Perret

zahlen. Angewandt auf die spezielle Fragestellung dieser Studie bedeutet dies, dass der Indikator verwendet werden kann, um sowohl den Wandel in der Produktion, der Beschäftigung, als auch bezüglich der erteilten Patente zu untersuchen. Bisher wurde lediglich die Anwendung des RCA-Indikators zur Untersuchung des sektoralen Strukturwandels motiviert. Auch der regionale Strukturwandel lässt aber ohne größeren Aufwand mittels des Indikators untersuchen. Zum einen ermöglicht der Indikator eine internationale Vergleichbarkeit, zumindest innerhalb der Gruppe der Mitglieder des Referenzmarkts, und somit können die jeweiligen RCA-IndikatorWerte miteinander verglichen werden, um die Entwicklung der Teile des Referenz­ marktes hinsichtlich eines Sektors nachzuzeichnen¹⁴. Zum anderen ist es allerdings auch möglich den Indikator insoweit anzupassen, dass sich die relative Position die bestimmt wird nicht auf einen Vergleich zwischen den Sektoren, sondern auf einen Vergleich zwischen den Ländern bzw. Regionen bezieht. In diesem Fall ist nicht der Exportanteil des Sektors an allen Sektoren eines Landes zu bestimmen, sondern der Exportanteil des Sektors am Gesamtexport des Sektors auf dem Referenzmarkt. Das Verhältnis wird dann nicht gebildet zu dem Anteil des Sektors im Referenzmarkt, son­ dern zu dem Anteil des Landes am Referenzmarkt. Mathematisch definiert sich der RCA-Indikator zur Messung des sektoralen Struk­ turwandels für ein Land c und einen Sektor j wie folgt: RCAc,j,t = tanh (log (

X c,j,t J

∑j=1 X c,j,t

) − log (

∑Cc=1 X c,j,t J

∑j=1 ∑Cc=1 X c,j,t

))

(1)

Hier ist X c,j,t die jeweils betrachtete, zugrunde liegende ökonomische Variable, deren Wandlungsprozess untersucht werden soll. Der Index c ist das betrachtete Land/die betrachtete Region und C die Anzahl aller betrachteter Länder/Regionen. Der Index j ist der betrachtete Sektor und J die Anzahl aller vorhandener Sektoren. Der Index t zeigt das betrachtete Jahr an. Wird dieser Indikator derart modifiziert, dass er den regionalen Strukturwandel misst, so ergibt er sich aus dem Verhältnis des Anteils des Landes (im betrachteten Sektor) am Gesamtmarkt des Sektors zu dem Anteil des Landes an der gesamten Wirtschaft. Der Indikator würde somit die folgende Form annehmen: RRCA c,j,t = tanh (log (

X c,j,t ∑Cc=1 X c,j,t

J

) − log (

∑j=1 X c,j,t J

∑j=1 ∑Cc=1 X c,j,t

))

(2)

Durch Umformen zeigt sich allerdings, dass diese abgewandelte, auf regionalen Strukturwandel ausgerichtete, Fassung des RCA-Indikators genau der Ursprungs­ form entspricht. Der Standard-RCA-Indikator misst somit nicht alleine den sektoralen

14 Ein Beispiel wie dies praktisch realisiert werden kann findet sich in Bezug auf die Automobil­ industrie in Perret (2012).

Strukturwandel in der Europäischen Union am Beispiel ausgewählter Leitmärkte |

93

Strukturwandel innerhalb eines Landes, sondern kann ebenso herangezogen werden, um den regionalen Strukturwandel zwischen Ländern zu untersuchen. Um dem RCA-Indikator insgesamt eine stärkere Aussagekraft zu geben bietet es sich an diesen in einer volumengewichteten Form zu betrachten. Hierbei wird der RCAIndikator, wie in Formel (1) bestimmt, um eins erhöht und anschließend noch mit dem absoluten Wert des Sektors im entsprechenden Land multipliziert. Dieser neue Indi­ kator hat den Vorteil, dass er sowohl die absolute als auch die relative Sicht aufgreift, allerdings besitzt er wider keine feste Obergrenze. Bestimmt man für alle Länder des Referenzmarktes den Mittelwert dieser volumengewichteten RCAs und teilt den Indi­ katorwert durch diesen Mittelwert, so wird nicht nur zusätzlich die Position in Bezug auf den Referenzmarkt gestärkt, es wird auch ein Indikator erzeugt der vergleichbar ist zum ursprünglichen RCA-Indikator und mittels des Logarithmus und dem Tangens­ hyperbolicus auf dem Intervall [−1; 1] abgebildet werden kann, wobei negative Werte einen Nachteil und positive Werte einen Vorteil darstellen. Mathematisch ergibt sich dieser Indikator als¹⁵: VRCAc,j,t = tanh (log (

(RCAc,j,t + 1) ⋅ x c,j,t ((RCAc,j,t + 1) ⋅ x c,j,t )c

))

(3)

Ein positiver Wert dieses Indikators impliziert, dass der Sektor eine besondere Rolle auf nationaler Ebene spielt und, dass in dem Sektor die Volkswirtschaft auf dem Re­ ferenzmarkt relevant ist. Ein Anstieg dieser gewichteten Indikatorvariante ist somit immer als positiver Strukturwandel interpretierbar.

2.3 Datenquellen Die genutzten Beschäftigungsdaten stammen aus der entsprechenden Eurostat Da­ tenbank. Es ist anzumerken, dass die Daten gemäß der NACE 2.0 Klassifikation auf Zweisteller Ebene übernommen wurden. Da auf dieser Ebene weder eine sinnvolle Wiedergabe des Sektors der Biotechnologie noch der Erneuerbaren Energien möglich ist, wurden Beschäftigungsdaten für den Sektor der Erneuerbaren Energien nicht er­ hoben und diese Perspektive an dieser Stelle ausgeblendet. Der Sektor der Biotech­ nology wurde durch den Sektor der Pharmaindustrie C21 angenähert. Der Recycling Sektor wurde durch NACE Kategorie E38 abgebildet und der IKT Sektor durch die Kate­ gorien C26, als auch J61, J62 und J63. Zu diesen Daten ist ergänzend noch anzumerken, dass gerade für den Sektor der Informationsdienstleistungen J63 nur sporadisch Da­ ten vorlagen. Zur Sicherstellung einer zusammenhängenden Analyse wurden daher zusätzlich Daten durch Inter- und Extrapolation bzw. durch Fortschreibung bestehen­ der Daten erzeugt.

15 Hier bezeichnet (.)c den Mittelwert bezüglich des Index c.

94 | Jens K. Perret

Die Handelsdaten, auf deren Grundlagen die Wertschöpfungs-RCAs des IKT Sek­ tors berechnet wurden, sind der TIVA (Trade in Value Added) Datenbank der OECD entnommen worden. Die Patentdaten entstammen wie auch die Beschäftigungszahlen der Eurostat Da­ tenbank, lassen sich als solche allerdings auf die Daten des Europäischen Patentamts zurückführen. Hier wurden die Sektoren der Erneuerbaren Energien, der Biotechnolo­ gie und der IKT betrachtet. Da Eurostat den Recycling Sektor gesondert ausweist, und dieser sich per se nur schwierig und im größten Teil uneinheitlich durch existierende IPC Klassen abdecken lässt, wurde er im Rahmen dieser Betrachtung ausgeblendet.

3 Leitmärkte und induzierter Strukturwandel 3.1 Ausgewählte Leitmärkte Im Rahmen der vorliegenden Studie wurden vier Sektoren beispielhaft als Leitmärkte ausgewählt. Alle vier Sektoren lassen sich in ihrer Eigenschaft als Leitmärkte durch Rückgriff auf Publikationen der EU bzw. zur Leitmarktinitiative im Allgemeinen – wie bereits in der Einleitung geschehen motivieren. Ferner erfüllen alle vier Sektoren die Eigenschaften, die gemäß Beise (2004) ein Leitmarkt aufweisen muss. Im Einzelnen handelt es sich um den Sektor der Erneuerbaren Energien, der Bio­ technologie, dem Recycling und dem Sektor der Informations- und KommunikationsTechnologien bzw. Dienstleistungen. Da diese Studie eine europäische Perspektive einnimmt, wurden, soweit es die Datenlage zulässt, alle 28 Mitgliedsstaaten der EU betrachtet. Um eine strukturierte Darstellung der Ergebnisse trotz des analytischen Umfangs dennoch zu gewährleis­ ten wurde darauf verzichtet, die vier Leitmärkte allen anderen Sektoren gegenüber zu stellen und ihr Leitmarktpotential en detail zu überprüfen. Um einen ersten Blick über die Relevanz der einzelnen Sektoren, aber auch die Bedeutung der einzelnen Mitgliedsstaaten der EU, zu gewinnen, werden zunächst die absoluten Beschäftigungs- und Patentstatistiken der Mitgliedsstaaten wiedergegeben, die jeweils auch in Verhältnis zum EU Gesamtniveau gesetzt wurden, um auf diese Weise direkt die relevanten Akteure herausstellen zu können. Insgesamt wurde in Tabelle 1 Bezug auf die Werte des Jahres 2014 genommen und damit die aktuellst mögliche Darstellung der Situation veranschaulicht. Lagen in ei­ nem Land in 2014 keine Daten vor, so wurden die jeweils neuesten Werte wiedergege­ ben. In Tabelle 2 wurden die Werte für das Jahr 2012 bzw. das jeweils aktuellste Jahr wiedergegeben. Der größere zeitliche Lag hinsichtlich der Patentdaten rührt daher, dass es sich ausschließlich um Daten des Europäischen Patentamts handelt, die eine Frist von 18 Monaten zur Prüfung eines Patents angeben. Daher ist es stets ratsam die

Strukturwandel in der Europäischen Union am Beispiel ausgewählter Leitmärkte |

95

Tab. 1: Beschäftigung in ausgewählten Leitmärkten der Staaten der EU 28 (Quelle: Eigene Darstellung)

Belgien Bulgarien Tschechische Republik Dänemark Deutschland Estland Irland Griechenland Spanien Frankreich Kroatien Italien Zypern Lettland Litauen Luxemburg Ungarn Malta Niederlande Österreich Polen Portugal Rumänien Slowenien Slowakei Finnland Schweden Vereinigtes Königreich

Biotechnologie

Recycling

IKT

Absolut

In Prozent der EU

Absolut

In Prozent der EU

Absolut

In Prozent der EU

33,8 11,1 17,9 29,9 137,4

4,29 1,41 2,27 3,80 17,45

31,1 13,3 66,7 101,8 7,2 81,9 1,3 1,9

3,95 1,69 8,47 12,93 0,91 10,40 0,17 0,24

18,5 1,9 14,2 18,0 39,0 6,5 10,0 10,2 2,8 4,0 9,7 116,6

2,35 0,24 1,80 2,29 4,95 0,83 1,27 1,30 0,36 0,51 1,23 14,81

22,4 10,9 28,4 9,0 152,5 2,1 8,0 13,8 62,0 119,1 10,0 158,3 1,9 2,0 7,7 0,5 20,1 0,7 20,8 14,0 83,2 16,9 47,3 6,6 13,2 8,5 12,3 111,4

2,32 1,13 2,95 0,93 15,83 0,22 0,83 1,43 6,43 12,36 1,04 16,43 0,20 0,21 0,80 0,05 2,09 0,07 2,16 1,45 8,63 1,75 4,91 0,68 1,37 0,88 1,28 11,56

119,3 60,7 168,7 90,1 1083,5 20,7 86,2 48,6 404,8 601,6 28,6 500,8 7,1 19,2 16,0 8,1 138,3 8,4 197,8 108,8 332,2 91,9 132,8 27,0 67,7 91,2 145,9 973,3

2,14 1,09 3,02 1,61 19,41 0,37 1,54 0,87 7,25 10,77 0,51 8,97 0,13 0,34 0,29 0,15 2,48 0,15 3,54 1,95 5,95 1,65 2,38 0,48 1,21 1,63 2,61 17,43

letzten zwei Jahrgänge auszublenden. Selbst die Daten für 2012 sollten mit Vorsicht betrachtet werden, da sie zum Teil signifikant von den Vorjahreswerten abweichen. Während dieser absolute Blick es erlaubt in einem EU-weiten Vergleich heraus­ zustellen wer, je nach Technologie, die aktivsten Staaten sind, ermöglicht er keinen Einblick in die Struktur die jeder der Leitmärkte in den einzelnen Staaten bzw. im Industriemix dieser Staaten einnimmt. Zu diesem Zweck sei auf die folgenden zwei Unterkapitel verwiesen. Insbesondere im folgenden Kapitel zum sektoralen Struktur­ wandel wird diese Frage ausführlich diskutiert. Fasst man die Einsichten aus den beiden Tabellen 1 und 2 zusammen, so lässt sich festhalten, dass hinsichtlich der Beschäftigung Deutschland, Frankreich, Itali­

96 | Jens K. Perret

Tab. 2: Patentanmeldungen in ausgewählten Leitmärkten der Staaten der EU 28 (Quelle: Eigene Darstellung)

Belgien Bulgarien Tschechische Republik Dänemark Deutschland Estland Irland Griechenland Spanien Frankreich Kroatien Italien Zypern Lettland Litauen Luxemburg Ungarn Malta Niederlande Österreich Polen Portugal Rumänien Slowenien Slowakei Finnland Schweden Vereinigtes Königreich

Erneuerbare Energien

Biotechnologie

IKT

Absolut

In Prozent der EU

Absolut

In Prozent der EU

Absolut

In Prozent der EU

13,50 1,00 2,00 130,83 267,64 0,25 2,50 2,17 76,03 47,10 1,00 43,50 1,00 1,00

1,91 0,14 0,28 18,47 37,78 0,04 0,35 0,31 10,73 6,65 0,14 6,14 0,14 0,14

1,00 2,00 1,00 16,49 21,25 7,00 1,00 3,00 3,00 0,75 15,33 6,57 43,18

0,14 0,28 0,14 2,33 3,00 0,99 0,14 0,42 0,42 0,11 2,16 0,93 6,10

32,76 0,50 2,00 29,35 326,84 1,00 11,37 1,68 55,64 160,09 1,00 43,23 1,00 2,33 2,86 1,75 4,50 1,00 54,70 48,66 7,71 0,83 1,00 2,00 0,14 8,03 27,50 82,81

3,61 0,06 0,22 3,24 36,03 0,11 1,25 0,19 6,13 17,65 0,11 4,77 0,11 0,26 0,32 0,19 0,50 0,11 6,03 5,36 0,85 0,09 0,11 0,22 0,02 0,89 3,03 9,13

318,85 3,67 23,79 130,80 2852,24 7,47 60,58 8,63 168,14 1516,43 1,50 322,00 1,00 5,00 5,54 4,50 32,73 0,67 462,35 214,63 79,00 13,33 13,33 11,75 4,46 273,94 486,73 807,98

4,07 0,05 0,30 1,67 36,43 0,10 0,77 0,11 2,15 19,37 0,02 4,11 0,01 0,06 0,07 0,06 0,42 0,01 5,90 2,74 1,01 0,17 0,17 0,15 0,06 3,50 6,22 10,32

en und Großbritannien diejenigen Länder mit der größten Beschäftigung in den drei Leitmärkten sind, wobei Spanien und Polen ebenfalls relativ hohe Anteile aufweisen. Vergleicht man dies mit den Positionen bei der Patentierung in den dort betrachteten drei Sektoren, so zeigt sich, dass bei den Patenten ebenfalls Deutschland, Spanien, Frankreich und Großbritannien zu den wichtigsten Staaten gehören, sowie Dänemark im Bereich der Erneuerbaren Energien. Die Niederlande und Italien weisen ebenfalls keine vernachlässigbaren Anteile an den gesamteuropäischen Patenten auf. Zusammenfassend zeigt sich somit, dass insbesondere mit Bezug auf die Sekto­ ren Biotechnologie und IKT Deutschland, Frankreich und Großbritannien sowie zum Teil auch Spanien und Italien sowohl hinsichtlich Erzeugung neuen Wissens in den

Strukturwandel in der Europäischen Union am Beispiel ausgewählter Leitmärkte |

97

Leitmärkten aktiv sind, dieses neue Wissen gleichzeitig aber auch zur Erzeugung zu­ sätzlicher Beschäftigung in den entsprechenden Bereichen einzusetzen wissen. Im Gegensatz dazu wird in den Niederlanden scheinbar verhältnismäßig viel neu­ es Wissen in Form von Patenten generiert, welches allerdings nur einen bescheidenen Wachstumsimpuls in den jeweiligen Sektoren auslöst. In Polen ist die Situation genau anders herum. Es werden verhältnismäßig we­ nige Innovationen geschaffen, aber die Beschäftigung in einigen Leitmärkten ist vergleichsweise hoch. Dies zeigt, dass in Polen zwar innovative Produkte hergestellt werden, die zugrunde liegende Technologie allerdings nicht in Polen erzeugt wurde, sondern in anderen Staaten. Hier kann die Annahme getroffen werden, dass die in Polen erzeugten Güter zwar den entsprechenden Leitmärkten zuzurechnen sind, an sich aber bereits standardisiert genug sind, um auch außerhalb des Erfinderlandes produziert werden zu können. Dies gilt umso mehr als das der größte Anteil Polens im Recycling zu finden ist, einem Sektor, der bereits als wesentlich reifer angesehen werden kann als die anderen drei Sektoren.

3.2 Sektoraler Strukturwandel mit besonderem Fokus auf ausgewählte Leitmärkte 3.2.1 Erneuerbare Energien Betrachtet man die unten stehende Tabelle 3 zu den SRCA Werten hinsichtlich der Patente im Sektor der Erneuerbaren Energien fällt sofort ins Auge, dass ein Land wie Deutschland Indikatorwerte um Null aufweist, welche zum Teil sogar negativ werden, während ein Land wie Kroatien eindeutig positive und sogar recht große Werte auf­ weist. Dies ist ein Effekt, der sich bei der Nutzung von RCA-artigen Indikatoren einstel­ len kann, wenn der Referenzmarkt sowohl Länder enthält, die insgesamt, was die zu­ grunde liegende Variable angeht, eine überdurchschnittliche Performance erbringen, als auch Länder, die eine signifikant unterdurchschnittliche Performance erbringen, da der RCA-Indikator mit relativen Verhältnissen arbeitet. In diesem Kontext ist der durchschnittliche Wert Deutschlands nicht in der Art zu deuten, dass der Sektor der Erneuerbaren Energien in Deutschland schlecht ausgeprägt ist, sondern lediglich da­ hingehend, dass die relative Bedeutung des Sektors in Deutschland mit der relativen Bedeutung des Sektors in der EU 28 übereinstimmt. Unter diesem Vorbehalt kann somit festgehalten werden, dass die im Folgenden diskutierten Statistiken lediglich eine Information dazu geben, welche Relevanz der jeweilige Sektor im betrachteten Land hat. Mit anderen Worten Ein SRCA Indikator von Null zeigt an, dass in dem Land der Sektor keine besondere Rolle spielt bzw. nicht wichtiger ist als die anderen Sektoren. Kehrt man zu dem Beispiel Deutsch­ land zurück, so sei daran erinnert, dass der Fokus der deutschen Industrie eindeutig

Belgien Bulgarien Tschechische Republik Dänemark Deutschland Estland Irland Griechenland Spanien Frankreich Kroatien Italien Zypern Lettland Litauen Luxemburg Ungarn Malta Niederlande Österreich Polen Portugal Rumänien Slowenien Slowakei Finnland Schweden Vereinigtes Königreich 0,72 0,15 −0,30 −0,13

0,65 0,76 0,20 −0,44

−0,25

0,88 −0,39 −0,25 −0,32

0,17 0,04

0,36 0,12

0,47 0,08

−0,51 −0,09 −0,41

0,52

−0,12 0,39 0,47 0,58

0,92

−0,02

2001

0,34

2000

−0,13 −0,10

−0,04 0,09 0,39

0,00

0,07 −0,18

−0,02

0,61 0,02

0,22

2002

−0,12 0,77 −0,28 −0,03 −0,10

0,38

−0,18 0,20

−0,28

0,63 0,04 0,94 −0,13 0,70 0,21 −0,39

0,15 0,53

2003

0,72 −0,41 −0,06 −0,08

−0,11 −0,04 −0,16

0,44

−0,22

0,39 0,47 −0,31

−0,17 0,75 0,18 0,58 0,06

2004

0,55 −0,17 −0,37 0,10

−0,29 0,16 0,30 0,62 0,26

−0,22 0,71

0,58 0,65 0,00 0,09 −0,09 −0,36 −0,04

0,37 0,08 0,80 −0,16 −0,11

−0,07 0,83

0,13 0,58 0,54 −0,32

0,11 0,65 −0,02

0,09 0,58 −0,01 −0,31 0,50 0,49 −0,24

−0,31

2006

−0,25

2005

Tab. 3: RCA – Patente im Bereich Erneuerbare Energien (Quelle: Eigene Darstellung)

0,43 −0,15 0,24 −0,49 −0,29 −0,13

−0,13 0,00

0,41 0,03

−0,04

−0,14 0,66 −0,01 0,69 0,39 0,28 0,49 −0,28

−0,33

2007

0,01 −0,05 0,05 0,41 −0,12 −0,43 0,12 −0,47 −0,09 −0,10

0,12 −0,51

−0,11 0,73

−0,05 0,39 −0,47 0,62 −0,01 0,14 0,51 −0,11 0,32 −0,27

2008

−0,11 0,15 −0,29 −0,42 −0,10

−0,09 0,08 −0,35 0,25

0,21 −0,34

−0,03 0,40 0,33

−0,15 0,71 0,05 0,65 −0,01 −0,03 0,01 0,24 0,41 −0,24

2009

−0,01 −0,17 0,77 −0,07 −0,11 −0,33 0,50 −0,26 −0,37 0,29 −0,16 −0,31 −0,05

0,36

−0,49 0,67 −0,02 0,00 0,01 0,21 0,40 −0,20 0,10 −0,12

−0,20

2010

−0,25 −0,09 −0,05 0,02 −0,20 −0,44 −0,28 −0,27 −0,47 −0,05

−0,44

−0,10 0,12 0,37 −0,19 0,10 −0,06 0,63

−0,32 −0,16 −0,34 0,69 −0,02

2011

−0,07 −0,62 −0,19

−0,39 −0,03 0,08 −0,16 0,51 0,36

0,05 −0,15

−0,14 0,42 −0,14 0,69 −0,03 −0,31 −0,27 0,32 0,53 −0,36 0,42 −0,08 0,83

2012

98 | Jens K. Perret

Strukturwandel in der Europäischen Union am Beispiel ausgewählter Leitmärkte |

99

auf der Automobilindustrie und dem Maschinenbau und mit Einschränkung auf der Chemischen Industrie und der Fertigung von optischen bzw. Präzisionsinstrumenten liegt. Der Sektor der Erneuerbaren Energien findet sich wenn überhaupt aber nur im letzteren der vier genannten Sektoren wieder, so dass aus einer makroökonomischen Betrachtung heraus die Erneuerbaren Energien keine mengenmäßige Bedeutung für Deutschland aufweisen. Jetzt handelt es sich allerdings bei den in Tabelle 1 wiedergegebenen SRCAs nicht um Indikatorwerte, die auf Produktionszahlen basieren, sondern solche, die sich auf die Patentsituation beziehen. Dies spitzt die oben geschilderte Situation nur noch zu. Im deutschen Patentmix der absolut größte Patentbestand aller EU28 Länder mit 22.849 Patenten in 2012 – spielen die Erneuerbaren Energien zwar auch eine Rolle allerdings keine so zentrale wie im kroatischen Patentmix mit einer Gesamtpatentan­ zahl in 2012 von gerade einmal 29 (also etwa 0,1 % der deutschen Patente), wo bereits einzelne Patente einen signifikanten Anteil ausmachen können. Betrachtet man unter diesen ganzen Vorbemerkungen Tabelle 3 erneut, so ist jen­ seits der SRCA Werte wesentlich mehr die Dynamik eben dieser interessant, da dies einen Wandel im nationalen Patentmix und damit zum Teil auch im nationalen Inno­ vationssystem aufzeigt. Insgesamt zeigt sich, dass es nur wenige Länder gibt, die einen eindeutigen Trend aufweisen. Dies sind zum Beispiel Frankreich, Finnland und Schweden mit durchge­ hend negativen Indikatorwerten, die in den meisten Fällen auch signifikant negativ sind. Auf der anderen Seite finden sich mit Dänemark, Kroatien, Zypern, Griechen­ land, Lettland und Malta sowie mit Einschränkung Bulgarien und der Slowakei Län­ der mit negativen Indikatorwerten. Mit Ausnahme von Dänemark, welches einen sehr starken Forschungsfokus auf dem Bereich der Erneuerbaren Energien aufweist, han­ delt es sich bei den Ländern mit vorwiegend negativen Werten um entwickelte Volks­ wirtschaften, während es sich bei den Ländern mit vorwiegend positiven Werten um Staaten aus Süd-Ost-Europa handelt. Hierbei ist erwähnenswert, dass Polen als auch Portugal einen Wandel von signi­ fikant positiven Werten hin zu signifikant negativen Werten vollzogen haben. Da in Polen und in Portugal allerdings die Patentzahlen absolut betrachtet relativ gering sind ist dies eher dahingehend zu interpretieren, dass die Forschung im Sektor der Erneuerbaren Energien, sofern sie in den beiden Staaten jemals von essentieller Be­ deutung war, sukzessive zurückgefahren wurde. Sollte sich der Wert der Slowakei für 2012 auch in der nahen Zukunft durchset­ zen können, so wäre hier ein Beispiel für die gegenteilige Form der Entwicklung zu finden – der Fokussierung des Innovationssystems auf den Bereich der Erneuerbaren Energien. Betrachtet man Tabelle 4 aus dem Blickwinkel regionalen Strukturwandels, so zeigt sich, dass sich einige der Erkenntnisse aus dem vorhergehenden Kapitel in dieser Tabelle wiederspiegeln. Aufgrund der Struktur des Indikators werden allerdings zum Teil positive und negative Werte durch die Anwendung des Tangenshyperbolicus noch

Belgien Bulgarien Tschechisch Rep. Dänemark Deutschland Estland Irland Griechenland Spanien Frankreich Kroatien Italien Zypern Lettland Litauen Luxemburg Ungarn Malta Niederlande Österreich Polen Portugal Rumänien Slowenien Slowakei Finnland Schweden Vereinigtes Königreich −0,49 −0,36 −0,14 −0,12

−0,28 −0,55 −0,40 −0,43

−0,37

−0,71 −0,79 −0,55 −0,31

0,17 −0,43

−0,06 0,75

0,07 0,69

−0,85 −0,33 −0,41

−0,79

−0,11 0,09 −0,79 −0,78

−0,75

−0,45

2001

0,00

2000

−0,49 −0,05

−0,15 −0,39 −0,82

−0,03

−0,53 −0,05

−0,87

0,24 0,61

−0,21

2002

−0,95 −0,62 −0,67 −0,23 0,11

−0,81

−0,22 −0,07

−0,29

0,45 0,72 −0,46 −0,87 −0,45 −0,22 −0,23

−0,15 −0,88

2003

−0,79 −0,79 −0,27 0,09

−0,14 −0,41 −0,93

−0,69

−0,21

−0,82 0,21 −0,10

−0,55 −0,79 −0,85 0,35 0,72

2004

−0,83 −0,56 −0,61 0,37

−0,38 −0,10 −0,75 −0,44 −0,93

−0,15 −0,82

−0,51 −0,82 −0,90 −0,94 −0,43 −0,54 0,24

−0,72 −0,81 −0,84 −0,12 −0,36

0,15 −0,83

−0,67 −0,51 0,43 −0,02

−0,81 0,54 0,71

−0,87 0,41 0,69 −0,91 −0,63 0,32 0,05

−0,64

2006

−0,61

2005

−0,88 −0,93 −0,92 −0,84 −0,46 0,05

−0,16 −0,27

−0,78 −0,83

0,13

−0,89 0,56 0,70 −0,75 −0,41 −0,80 0,33 0,01

−0,68

2007

Tab. 4: Volumengewichteter RCA – Patente im Bereich Erneuerbare Energien (Quelle: Eigene Darstellung)

0,16 −0,26 −0,75 −0,64 −0,97 −0,96 −0,93 −0,79 −0,09 0,18

−0,85 −0,97

0,12 −0,82

−0,29 −0,92 −0,95 0,57 0,74 −0,93 −0,15 −0,92 0,21 0,13

2008

−0,90 −0,94 −0,63 −0,59 0,18

0,01 −0,06 −0,90 −0,79

−0,84 −0,93

0,20 −0,93 −0,93

−0,44 −0,79 −0,79 0,58 0,74 −0,95 −0,69 −0,80 0,35 0,18

2009

−0,91 −0,87 −0,92 0,01 −0,29 −0,87 −0,59 −0,98 −0,96 −0,86 −0,44 −0,39 0,26

−0,93

−0,96 0,64 0,74 −0,95 −0,70 −0,86 0,35 0,24 −0,94 0,09

−0,47

2010

−0,27 −0,29 −0,71 −0,87 −0,96 −0,97 −0,97 −0,60 −0,64 0,23

−0,95

−0,76 −0,87 0,28 0,24 −0,95 0,12 −0,93

−0,63 −0,98 −0,92 0,67 0,72

2011

−0,35 −0,81 0,03

−0,47 −0,20 −0,57 −0,92 −0,70 −0,72

−0,90 −0,86

−0,43 −0,88 −0,86 0,68 0,71 −0,98 −0,85 −0,79 0,50 −0,04 −0,88 0,08 −0,85

2012

100 | Jens K. Perret

Strukturwandel in der Europäischen Union am Beispiel ausgewählter Leitmärkte

|

101

verstärkt und deutlicher herausgestellt. Tabelle 3 und auch alle folgenden Tabellen zum RCA Indikator können somit die Tabellen 1 und 2 zwar nicht ersetzen, sie können diese aber sehr gut ergänzen. Insbesondere lässt sich nach einem Vergleich der Tabellen 2 und 3 argumentieren, dass in Ländern wie Deutschland, Großbritannien und Italien der Sektor zwar eine wichtige Rolle spielt, diese sich allerdings durch die Größe und starke Diversifizierung der Wirtschaft in allen drei Ländern nicht in den RCA Statistiken wiederspiegelt. Um dies etwas genauer zu untersuchen, gibt Tabelle 4 die volumengewichteten RCAs für den Sektor der Erneuerbaren Energien an, wobei alle positiven Werte hell­ grau hinterlegt wurden. Es zeigt sich, dass nur für wenige Länder dieser Sektor in Bezug auf ihre Forschungsaktivitäten eine besondere Rolle spielt. Insbesondere ist Deutschland das einzige Land, das kontinuierlich positive Werte aufweist, wobei Dä­ nemark mit einer Abweichung auch noch zu den etablierten Innovatoren in diesem Sektor zu zählen ist. Interessant ist zu beobachten, dass Spanien, Frankreich, Italien und Großbritan­ nien erst im Verlauf der 2000er Jahre positive Werte aufweisen. Berücksichtigt man die Tatsache, dass die Indikatoren auf Patendaten basieren, welche einen gewissen zeitlichen Lag durch die zugrundeliegende Forschung und Entwicklung und Paten­ tierungsdauer motiviert, so legen die Statistiken nahe, dass es zu Beginn des 21. Jahr­ hunderts in diesen Ländern zu einem Wandel der Forschungsfokusse hin zu Erneuer­ baren Energien kam. Für die Niederlande kann noch angemerkt werden, dass diese schwankende In­ dikatorwerte generieren. Dies zeigt, dass in den Niederlanden zwar supranational si­ gnifikante Forschung in diesem Sektor betrieben wird, diese allerdings im Vergleich mit den anderen wichtigeren Akteuren nicht mithalten kann. Positiv sticht hervor, dass Estland das einzige Land ist, das sinkende Indikator­ werte aufweist und da diese nur sporadisch vorliegen, kann hierbei auch nur bedingt von einem Trend gesprochen werden, so dass sich durchaus die These vertreten lässt, dass der Sektor der Erneuerbaren Energien ein aufkommender Leitmarkt ist, der vie­ le Mitgliedsstaaten der EU dazu motiviert, und bereits in der Vergangenheit motiviert hat, Forschungsaktivitäten verstärkt auf diesen Sektor auszurichten.

3.2.2 Biotechnologie Betrachtet man zunächst die Beschäftigung im Bereich der Biotechnologie, hier ap­ proximiert durch die Pharmaindustrie, so zeigt sich in Tabelle 5, dass sie gerade in Belgien, Dänemark, Irland, Malta und Slowenien eine herausragende Rolle spielt, während sie gerade in Lettland, den Niederlanden, Portugal, Rumänien, der Slowa­ kei, Finnland und Schweden untergeordnet ist. Mit Ausnahme von der Tschechischen Republik weisen die betrachteten Länder auch bereits eine relativ gefestigte Struktur in Bezug auf diesen Sektor auf. Hier offenbart sich auch der größte Nachteil davon,

102 | Jens K. Perret

Tab. 5: RCA – Beschäftigung im Bereich der Pharmaindustrie (Quelle: Eigene Darstellung)

Belgien Bulgarien Tschechische Rep. Dänemark Deutschland Estland Irland Griechenland Spanien Frankreich Kroatien Italien Zypern Lettland Litauen Luxemburg Ungarn Malta Niederlande Österreich Polen Portugal Rumänien Slowenien Slowakei Finnland Schweden Vereinigtes Königreich

2008

2009

2010

2011

2012

2013

2014

0,36 −0,07 −0,18 0,36 0,04

0,26 −0,09 −0,24 0,36 0,08

0,31 −0,20 −0,16 0,37 0,07

0,35 −0,20 −0,14 0,39 0,06

0,31 −0,07 −0,01 0,40 0,06

0,24 −0,03 −0,08 0,38 0,01

0,30 0,01 0,00 0,45 −0,02

0,53 −0,04 −0,05 0,04 −0,09 0,01 0,02 −0,24

0,53 −0,07 −0,08 0,10 −0,17 0,01 −0,23 −0,13

0,58 0,00 −0,03 0,09 −0,32 −0,02 −0,26 −0,12

0,58 −0,03 0,00 0,03 −0,18 −0,01 −0,20 −0,15

0,56 0,00 0,02 0,01 −0,11 −0,03 −0,08 −0,21

0,60 0,01 0,05 0,02 −0,11 0,01 −0,01 −0,14

0,58 0,02 0,02 0,02 0,10 0,01 0,00 −0,22

0,18 0,09 −0,16 −0,07 −0,29 −0,03 −0,49 0,32 −0,36 −0,37 −0,25 0,06

0,13 0,23 −0,26 −0,05 −0,23 −0,13 −0,52 0,35 −0,52 −0,27 −0,27 0,04

0,18 0,34 −0,26 −0,08 −0,24 −0,32 −0,56 0,39 −0,54 −0,27 −0,31 0,03

0,22 0,32 −0,25 0,02 −0,16 −0,22 −0,55 0,38 −0,54 −0,37 −0,39 0,00

0,22 0,29 −0,27 0,05 −0,13 −0,34 −0,56 0,40 −0,50 −0,31 −0,40 0,00

0,21 0,42 −0,26 −0,03 −0,17 −0,14 −0,45 0,46 −0,56 −0,29 −0,28 0,00

0,09 0,43 −0,31 0,08 −0,17 −0,37 −0,45 0,45 −0,45 −0,33 −0,24 0,03

den Bereich der Biotechnologie, der gerade in der EU noch einen Wachstumsmarkt darstellt, durch die Pharmaindustrie, die aufgrund einer langen Historie bereits rela­ tiv gefestigte Marktstrukturen aufweist, zu approximieren. Wechselt man den Blickwinkel indem anstelle des RCA Indikators der gewichte­ te RCA-Indikator, wie in Tabelle 6 angegeben, betrachtet wird, zeigen sich ein paar Änderungen in der Struktur. Während Belgien, Dänemark und Irland immer noch po­ sitive Werte aufweisen – was zum Teil dadurch motiviert sein kann, dass es sich bei allen drei Staaten um kleine Volkswirtschaften handelt – weisen in der Tabelle 6 auch Deutschland, Italien, Spanien, Frankreich und Großbritannien positive Werte auf – al­ le fünf größere, relativ diversifizierte Volkswirtschaften, wohin gegen Malta und Slo­ wenien – kleine Volkswirtschaften – negative Werte aufweisen. Anzumerken ist, dass sich der positive Wandel der Tschechischen Republik auch in der Tabelle 6 zeigt, wobei die Indikatorwerte allerdings alle noch signifikant ne­

Strukturwandel in der Europäischen Union am Beispiel ausgewählter Leitmärkte |

103

Tab. 6: Volumengewichteter RCA – Beschäftigung im Bereich der Pharmaindustrie (Quelle: Eigene Darstellung)

Belgien Bulgarien Tschechische Republik Dänemark Deutschland Estland Irland Griechenland Spanien Frankreich Kroatien Italien Zypern Lettland Litauen Luxemburg Ungarn Malta Niederlande Österreich Polen Portugal Rumänien Slowenien Slowakei Finnland Schweden Vereinigtes Königreich

2008

2009

2010

2011

2012

2013

2014

0,19 −0,50 −0,49 0,00 0,59

0,06 −0,52 −0,56 −0,01 0,63

0,14 −0,64 −0,47 0,00 0,62

0,19 −0,65 −0,44 0,03 0,61

0,14 −0,52 −0,27 0,04 0,62

0,04 −0,48 −0,36 0,02 0,58

0,13 −0,43 −0,26 0,12 0,55

0,13 −0,35 0,26 0,47 −0,69 0,39 −0,88 −0,87

0,11 −0,38 0,21 0,53 −0,75 0,39 −0,94 −0,83

0,17 −0,31 0,27 0,52 −0,85 0,35 −0,94 −0,84

0,17 −0,38 0,31 0,47 −0,77 0,37 −0,93 −0,85

0,13 −0,37 0,31 0,44 −0,73 0,35 −0,90 −0,87

0,21 −0,37 0,35 0,46 −0,73 0,39 −0,89 −0,84

0,17 −0,37 0,31 0,46 −0,55 0,38 −0,89 −0,87

−0,12 −0,93 −0,26 −0,43 −0,20 −0,31 −0,68 −0,48 −0,82 −0,82 −0,60 0,53

−0,19 −0,89 −0,40 −0,40 −0,11 −0,44 −0,71 −0,44 −0,90 −0,75 −0,62 0,50

−0,13 −0,85 −0,40 −0,44 −0,14 −0,66 −0,77 −0,40 −0,91 −0,75 −0,66 0,50

−0,06 −0,86 −0,39 −0,30 0,00 −0,55 −0,77 −0,42 −0,91 −0,82 −0,73 0,46

−0,06 −0,86 −0,42 −0,26 0,04 −0,69 −0,77 −0,40 −0,89 −0,78 −0,74 0,47

−0,06 −0,80 −0,41 −0,36 −0,01 −0,49 −0,65 −0,32 −0,92 −0,76 −0,62 0,48

−0,21 −0,79 −0,48 −0,22 0,00 −0,72 −0,65 −0,33 −0,87 −0,80 −0,57 0,51

gativ sind. Es ist auch interessant zu erkennen, dass die Position Dänemarks erst in den letzten Jahren realisiert wurde, während in den anderen Staaten wie oben bereits angemerkt etablierte Strukturmuster hervortreten. Wechselt man von Beschäftigungsperspektive zu einer innovationsorientierten Perspektive kann man die Statistiken in den Tabellen 7 und 8 betrachten. Hierbei han­ delt es sich in beiden Fällen um Patentdaten zur Biotechnologie. Die Erkenntnisse, die diese beiden Tabellen liefern sind also nur in Ansätzen mit denen der beiden letzten Tabellen vergleichbar. Trotz dieses Einwands zeigt sich, dass allein hinsichtlich der ungewichteten RCAs Belgien, Irland, Dänemark, Malta und Slowenien auch in diesem Fall positive Werte aufweisen, allerdings sind sie nicht die einzigen Länder, für die der Indikator auf einen komparativen Vorteil hinweist. Ähnlich sieht es auch für die Länder mit den größten

Belgien Bulgarien Tschechische Rep. Dänemark Deutschland Estland Irland Griechenland Spanien Frankreich Kroatien Italien Zypern Lettland Litauen Luxemburg Ungarn Malta Niederlande Österreich Polen Portugal Rumänien Slowenien Slowakei Finnland Schweden Vereinigtes Königreich 0,37 −0,09 0,08 0,20 −0,01 0,18 0,56 −0,24 0,04 0,21

0,09 −0,04 −0,07 0,04

−0,06 0,22 −0,35 −0,02 0,19

0,23 −0,74 0,27 0,43 −0,10 0,72 0,26 0,08 0,05 0,00 0,06 −0,21 0,04 0,27 0,70

2001

0,21 0,57 −0,90 0,12

−0,21

0,25 0,46 −0,29 0,45 −0,10 0,08 0,08 0,06 −0,05 0,00

2000

0,18 0,63 −0,29 0,09 0,17

0,01 −0,09 0,11 0,05

−0,51 −0,02

0,66

−0,33 0,46 −0,06 0,62 −0,09 0,30 −0,01 −0,05 −0,33 −0,25

0,21

2002

0,03 0,11 −0,18 0,23 −0,12 −0,23 −0,35 −0,18 −0,01 0,14

0,22 −0,06 −0,01 0,51 −0,09 0,24 0,12 −0,04 0,14 −0,04 −0,68 −0,16 0,51 −0,19 −0,13 −0,88 −0,04

2003

0,02 −0,06 −0,15 −0,02 0,12

0,12 −0,05 0,11 0,30

−0,43 0,04

0,00

−0,17 0,19 0,10 −0,03 0,06 −0,13

0,23 0,05 −0,15 0,53 −0,11

2004

Tab. 7: RCA – Patente im Bereich Biotechnologie (Quelle: Eigene Darstellung)

−0,01 0,05 −0,60 −0,04 0,24 0,16 −0,05 0,02 0,23 −0,16 −0,14 −0,40 −0,24 −0,01 0,18

0,33 0,36 0,03 0,50 −0,16 0,70 0,01 −0,04 0,22 −0,05 −0,10 −0,15

2005

0,21 0,03 0,07 0,01 −0,06 0,13 0,13 −0,26 −0,05 0,11

0,66 −0,50 −0,04

−0,15 0,40 −0,14 0,58 0,19 0,09 0,13 0,02 0,37 −0,19

0,36

2006

0,19 0,16 0,09 0,25 −0,48 −0,30 −0,65 −0,14 −0,04 0,12

−0,10 0,41 −0,13 0,57 0,11 0,09 0,15 0,02 0,35 −0,26 0,27 0,21 0,59 −0,43 −0,17

0,30

2007

0,15 0,07 0,16 0,32 −0,59 0,10 −0,63 −0,12 −0,13 0,08

0,41 −0,34 0,00

0,20 0,22 −0,02 0,43 −0,14 0,34 0,29 −0,04 0,24 0,05 −0,31 −0,17

2008

−0,22 −0,02 0,11

0,12 0,02 −0,06 0,38 −0,15 0,10

0,77 −0,68 0,11

0,25 −0,33 0,02 0,30 −0,15 0,09 0,22 0,14 0,21 0,08 −0,30 −0,08 0,60

2009

0,20 −0,31 −0,08 −0,07 0,10

0,14 0,07 0,04 0,05

−0,19

0,56

−0,37 0,37 −0,15 0,26 0,03 0,10 0,26 0,07 −0,12 −0,15 0,43

0,29

2010

0,08 0,13 0,04 0,26 −0,23 0,14 0,28 −0,12 −0,10 0,10

0,57 −0,29 0,13

0,27 −0,36 −0,25 0,32 −0,15 0,46 0,34 0,18 0,24 0,07 −0,11 −0,21

2011

0,00 0,22 0,01 −0,34 −0,03 0,10 −0,68 −0,43 −0,21 −0,01

0,09

0,74 0,76

−0,19

−0,25 0,09 −0,05 0,17 0,27 0,11 0,33 0,05

0,13

2012

104 | Jens K. Perret

Belgien Bulgarien Tschechische Rep. Dänemark Deutschland Estland Irland Griechenland Spanien Frankreich Kroatien Italien Zypern Lettland Litauen Luxemburg Ungarn Malta Niederlande Österreich Polen Portugal Rumänien Slowenien Slowakei Finnland Schweden Vereinigtes Königreich −0,66 0,14 −0,13 −0,86 −0,94 −0,88 −0,88 −0,49 0,07 0,62

0,31 −0,31 −0,95 −0,93

−0,94 −0,96 −0,63 −0,01 0,60

0,09 −1,00 −0,80 0,25 0,70 −0,84 −0,50 −0,88 −0,30 0,49 −0,96 −0,05 −0,97 −0,98 −0,94

2001

−0,97 −0,95 −1,00 −0,80

−0,06

0,13 −0,95 −0,96 0,28 0,69 −0,99 −0,72 −0,91 −0,48 0,48

2000

−0,83 −0,77 −0,60 0,08 0,56

0,20 −0,36 −0,86 −0,93

−0,99 −0,86

−0,91

−0,96 0,27 0,71 −0,93 −0,81 −0,78 −0,38 0,41 −0,98 −0,12

0,05

2002

0,27 0,00 −0,91 −0,82 −0,98 −0,95 −0,98 −0,43 −0,01 0,57

0,14 −0,97 −0,85 0,45 0,72 −0,96 −0,65 −0,89 −0,12 0,49 −1,00 0,10 −0,95 −0,99 −0,98 −1,00 −0,85

2003

−0,86 −0,97 −0,43 −0,07 0,48

0,33 −0,29 −0,82 −0,84

−0,97 −0,82

−0,98

−0,84 −0,87 −0,17 0,44 −0,95 0,07

0,11 −0,97 −0,92 0,40 0,67

2004

−0,97 −0,98 −0,99 −0,85 −0,96 0,40 −0,23 −0,84 −0,73 −0,97 −0,91 −0,99 −0,53 0,03 0,58

0,30 −0,90 −0,85 0,43 0,67 −0,89 −0,71 −0,88 0,10 0,47 −0,96 0,12

2005

0,43 −0,11 −0,82 −0,88 −0,98 −0,84 −0,92 −0,58 −0,05 0,48

−0,88 −0,98 −0,85

−0,89 0,22 0,65 −0,84 −0,59 −0,85 −0,08 0,51 −0,87 0,01

0,28

2006

Tab. 8: Volumengewichteter RCA – Patente im Bereich Biotechnologie (Quelle: Eigene Darstellung)

0,40 0,09 −0,73 −0,73 −0,99 −0,94 −1,00 −0,44 0,02 0,50

−0,85 0,32 0,68 −0,79 −0,60 −0,84 −0,01 0,54 −0,88 −0,06 −0,96 −0,95 −0,90 −0,98 −0,87

0,24

2007

0,37 −0,05 −0,66 −0,69 −0,99 −0,79 −0,99 −0,42 −0,12 0,44

−0,92 −0,96 −0,80

0,09 −0,94 −0,79 0,34 0,66 −0,87 −0,42 −0,90 0,12 0,57 −0,98 0,05

2008

−0,52 0,02 0,48

0,33 −0,11 −0,76 −0,70 −0,97 −0,81

−0,83 −0,99 −0,74

0,14 −0,99 −0,80 0,14 0,65 −0,92 −0,48 −0,83 0,11 0,60 −0,99 0,16 −0,86

2009

−0,80 −0,98 −0,37 −0,06 0,43

0,28 −0,06 −0,66 −0,88

−0,88

−0,88

−0,94 0,22 0,63 −0,90 −0,70 −0,90 0,14 0,56 −0,97 0,03 −0,96

0,18

2010

0,26 0,06 −0,60 −0,74 −0,96 −0,81 −0,85 −0,38 −0,07 0,46

−0,86 −0,96 −0,69

0,18 −0,99 −0,89 0,23 0,64 −0,80 −0,31 −0,83 0,15 0,59 −0,97 −0,05

2011

0,13 0,17 −0,61 −0,95 −0,92 −0,85 −0,99 −0,74 −0,26 0,30

−0,72

−0,76 −0,72

−0,06

−0,89 −0,10 0,71 −0,91 −0,42 −0,87 0,26 0,55

−0,03

2012

Strukturwandel in der Europäischen Union am Beispiel ausgewählter Leitmärkte |

105

106 | Jens K. Perret

Nachteilen aus. Dies ist ein gutes erstes Indiz dafür, dass die Approximation des Sek­ tors der Biotechnologie hinsichtlich der Beschäftigung passend ist – zumindest solan­ ge unterstellt werden kann, dass hierbei zusätzliche Patente immer auch zusätzliche Beschäftigung implizieren. Entsprechende Ähnlichkeiten lassen sich auch feststellen, vergleicht man die volumengewichteten RCA Statistiken. Interessant hierbei ist allerdings, dass im Ver­ gleich zur Beschäftigung im Pharmasektor die Strukturen noch nicht derart gefestigt sind, so dass es, wie in der Tabelle 8 deutlich zu erkennen – in mehreren Fällen zu Schwankungen kommt. Auch was den strukturellen Wandel betrifft, zeigt sich in Tabelle 8 wesentlich mehr Dynamik als in Tabelle 6. So zeigt sich, dass in Spanien und Italien erst im Ver­ lauf der frühen 2000er Jahre eine Forschungsinfrastruktur zur Biotechnologie reali­ siert wurde, wobei diese in Italien keine signifikanten langfristigen Effekte impliziert. Eine vergleichbare Situation zeigt sich auch in Schweden, wo sich im Zeitablauf posi­ tive und negative Werte abwechseln. Weiterhin erwähnenswert ist, dass Österreich, allerdings mit etwas Verzögerung, ebenso einen positiven Strukturwandel in der Forschung aufzuweisen scheint, insbe­ sondere wenn die Werte für 2000 und 2012 miteinander verglichen werden. Weitere strukturelle Wandlungsprozesse lassen sich bei Irland und Polen ausma­ chen, wobei Irland gerade im Kontext des weiter oben festgestellten ebenfalls positi­ ven Wandels im Bereich der Beschäftigung im Pharmasektor erwähnenswert ist, da dies zeigt, dass in Irland nicht alleine eine Produktion in diesem Bereich aufgebaut wurde, sondern auch die zugehörige Forschungsinfrastruktur. Ferner ist erwähnenswert, dass es im Sektor der Biotechnologie zwar mehr struk­ turelle Änderungen als im Pharmasektor gibt, sich allerdings auch in der Biotechno­ logie bereits zum Teil feste Strukturen in Bezug auf die Forschungsinfrastruktur her­ ausgebildet haben. Nimmt man Bezug auf die Dynamik der Industrie als Ganzes lässt sich festhalten, dass auch die Biotechnologie ein agiler Sektor ist in dem aktive Wachstumsprozesse stattfinden, sowohl hinsichtlich der Beschäftigung als auch hinsichtlich des Innova­ tionsoutput, so dass auch für den Sektor der Biotechnologie das Leitmarktkonzept einen idealen Untersuchungsrahmen bildet.

3.2.3 Informations- und Kommunikations-Technologien Während die Sektoren der Erneuerbaren Energien und der Biotechnologie regelmä­ ßig als innovative Sektoren und Treiber der Innovationssysteme und damit des Wirt­ schaftswachstums bezeichnet werden, steht dem Sektor der Informations- und Kom­ munikations-Technologien unberechtigt der Ruf zu, ein bereits seit Jahrzehnten fest etablierter Sektor zu sein in dem wenig Dynamik vorherrscht. Behält man diesen Kom­ mentar vor Augen, so ist auch wenig verwunderlich, dass die Tabellen 9 und 10 re­

Strukturwandel in der Europäischen Union am Beispiel ausgewählter Leitmärkte |

107

lativ wenig Dynamik aufweisen. Während in Tabelle 9 die einzigen herausragenden Änderungen durch Vorzeichenwechsel in der Umgebung von Null aufkommen, ist in Tabelle 10 lediglich der Verlust des komparativen Vorteils durch die Niederlande er­ wähnenswert. Hier ist anzunehmen, dass dieser allerdings eher durch firmenpoliti­ sche Umstrukturierungen im Rahmen des wirtschaftlichen Aufschwungs zwischen 2011 und 2013 zu motivieren ist, als durch einen tiefgreifenden strukturellen Wandel. Tab. 9: RCA – Beschäftigung im Bereich IKT (Quelle: Eigene Darstellung)

Belgien Bulgarien Tschechische Republik Dänemark Deutschland Estland Irland Griechenland Spanien Frankreich Kroatien Italien Zypern Lettland Litauen Luxemburg Ungarn Malta Niederlande Österreich Polen Portugal Rumänien Slowenien Slowakei Finnland Schweden Vereinigtes Königreich

2008

2009

2010

2011

2012

2013

2014

0,01 −0,14 0,03 0,09 0,04 0,01 0,20 −0,32 −0,08 −0,02 −0,23 −0,04 −0,21 −0,15 −0,43 0,00 0,15 0,29 0,09 −0,04 −0,14 −0,23 −0,30 0,00 0,06 0,20 0,07 0,14

0,05 −0,15 0,06 0,12 0,06 0,07 0,25 −0,30 −0,07 −0,01 −0,24 −0,02 −0,25 −0,09

0,07 −0,12 0,09 0,14 0,06 0,03 0,25 −0,30 −0,05 −0,02 −0,19 −0,03 −0,28 0,01 −0,36 0,07 0,16 0,17 0,06 0,00 −0,13 −0,20 −0,29 0,09 0,08 0,19 0,09 0,05

0,03 −0,12 0,12 0,12 0,05 0,14 0,24 −0,31 −0,06 0,00 −0,17 −0,05 −0,19 −0,05 −0,29 −0,04 0,18 0,21 0,03 −0,04 −0,15 −0,24 −0,24 0,07 0,09 0,17 0,09 0,06

0,03 −0,11 0,09 0,11 0,05 0,07 0,27 −0,29 −0,04 −0,02 −0,24 −0,05 −0,17 −0,11 −0,28 0,06 0,15 0,23 0,03 −0,04 −0,12 −0,23 −0,18 −0,01 0,07 0,17 0,11 0,06

0,01 −0,08 0,11 0,11 0,03 0,09 0,25 −0,24 −0,04 −0,05 −0,18 −0,04 −0,19 −0,08 −0,33 0,01 0,15 0,21 −0,01 0,00 −0,11 −0,20 −0,16 0,02 0,05 0,17 0,10 0,08

0,01 −0,10 0,11 0,10 0,03 0,12 0,24 −0,24 −0,06 −0,05 −0,15 −0,04 −0,14 −0,03 −0,34 0,08 0,11 0,22 −0,02 0,02 −0,10 −0,11 −0,16 0,05 0,05 0,16 0,09 0,08

−0,05 0,13 0,24 0,08 0,01 −0,12 −0,18 −0,27 0,05 0,06 0,21 0,10 0,05

Wechselt man von der Produktions- bzw. Beschäftigungsseite zur Innovationssei­ te, so zeigt sich ein ähnlich rigides Bild für die Staaten der EU. Während die RCA Sta­ tistiken zwar einen positiven Wandel für Belgien, Bulgarien, Portugal, Rumänien und mit Einschränkung die Tschechische Republik nahelegen, wird dieser durch die volu­ mengewichteten RCAs konterkariert (siehe Tabellen 11 und 12)

108 | Jens K. Perret

Tab. 10: Volumengewichteter RCA – Beschäftigung im Bereich IKT (Quelle: Eigene Darstellung)

Belgien Bulgarien Tschechische Republik Dänemark Deutschland Estland Irland Griechenland Spanien Frankreich Kroatien Italien Zypern Lettland Litauen Luxemburg Ungarn Malta Niederlande Österreich Polen Portugal Rumänien Slowenien Slowakei Finnland Schweden Vereinigtes Königreich

2008

2009

2010

2011

2012

2013

2014

−0,29 −0,57 −0,22 −0,35 0,58 −0,82 −0,34 −0,68 0,23 0,39 −0,79 0,33 −0,93 −0,84 −0,90 −0,93 −0,15 −0,87 0,11 −0,43 0,03 −0,53 −0,45 −0,74 −0,46 −0,27 −0,20 0,61

−0,24 −0,59 −0,18 −0,32 0,61 −0,80 −0,31 −0,66 0,23 0,41 −0,79 0,35 −0,94 −0,82 −0,90 −0,93 −0,19 −0,88 0,11 −0,34 0,07 −0,49 −0,42 −0,72 −0,46 −0,27 −0,17 0,52

−0,19 −0,57 −0,14 −0,30 0,61 −0,83 −0,32 −0,66 0,25 0,39 −0,76 0,32 −0,94 −0,77 −0,89 −0,90 −0,15 −0,90 0,07 −0,34 0,04 −0,51 −0,49 −0,69 −0,44 −0,30 −0,18 0,52

−0,25 −0,58 −0,09 −0,33 0,60 −0,76 −0,34 −0,69 0,24 0,42 −0,76 0,31 −0,92 −0,80 −0,86 −0,93 −0,12 −0,89 0,02 −0,38 0,02 −0,56 −0,42 −0,71 −0,42 −0,31 −0,16 0,54

−0,25 −0,58 −0,13 −0,34 0,60 −0,79 −0,30 −0,69 0,24 0,40 −0,81 0,30 −0,92 −0,83 −0,85 −0,90 −0,14 −0,88 0,02 −0,38 0,06 −0,56 −0,34 −0,77 −0,44 −0,31 −0,12 0,55

−0,27 −0,54 −0,09 −0,34 0,60 −0,78 −0,32 −0,67 0,24 0,37 −0,79 0,31 −0,93 −0,81 −0,87 −0,91 −0,15 −0,88 −0,04 −0,34 0,09 −0,54 −0,32 −0,75 −0,47 −0,30 −0,14 0,57

−0,28 −0,56 −0,09 −0,35 0,59 −0,76 −0,32 −0,66 0,21 0,37 −0,75 0,30 −0,92 −0,80 −0,87 −0,89 −0,18 −0,88 −0,08 −0,31 0,11 −0,43 −0,31 −0,72 −0,47 −0,33 −0,17 0,58

Die einzigen augenscheinlichen Änderungen liegen für Italien vor, wobei hier stets Werte recht nah bei null vorlagen, dass ein Vorzeichenwechsel hierbei nur be­ dingt aussagekräftig ist. Auch die Auswahl der innovationbezogenen aktivsten Länder zeigt wenig Neues mit Deutschland, Frankreich, den Niederlanden, Finnland, Schweden und Großbri­ tannien an der Spitze. Nennenswert ist hier der konsistent positive Indikator für die Niederlande. Kombi­ niert mit den obigen Erkenntnissen zur Beschäftigung kann festgehalten werden, dass die Niederlande relativ weniger Beschäftigte haben, die im Sektor der IKT tätig sind, allerdings wurde gleichzeitig das zugehörige Innovationssystem nicht zurückgebaut. Dies unterstützt somit die zuvor angesprochene Hypothese einer unternehmerischen Restrukturierung, potentiell in der Form von Offshoring nicht innovativer Produkti­ onsbereiche.

Belgien Bulgarien Tschechische Rep. Dänemark Deutschland Estland Irland Griechenland Spanien Frankreich Kroatien Italien Zypern Lettland Litauen Luxemburg Ungarn Malta Niederlande Österreich Polen Portugal Rumänien Slowenien Slowakei Finnland Schweden Vereinigtes Königreich

−0,13 −0,35 −0,36 −0,08 −0,05 0,32 0,13 −0,08 −0,15 0,01 −0,65 −0,23 −0,53 −0,33 −0,27 −0,32 0,00 0,38 0,20 −0,20 −0,33 −0,57 −0,27 −0,33 −0,82 0,24 0,09 0,10

2000

−0,54 −0,24 0,01 −0,49 0,25 −0,17 −0,33 −0,19 0,07 −0,49 0,14 0,25 0,05 0,10

−0,08 0,00 −0,21 −0,10 −0,07 −0,38 0,10 −0,08 −0,19 0,01 −0,44 −0,27 −0,02

2001 −0,02 −0,13 −0,32 −0,06 −0,05 0,19 0,11 −0,12 −0,16 0,04 −0,38 −0,24 0,07 −0,02 0,30 −0,25 −0,17 0,21 0,22 −0,10 −0,18 −0,52 −0,21 −0,27 −0,03 0,26 0,02 0,07

2002

0,44 −0,26 −0,14 0,32 0,21 −0,10 −0,14 −0,22 0,00 −0,13 −0,17 0,27 0,05 0,09

−0,09 0,16 −0,36 −0,11 −0,05 0,35 0,12 0,12 −0,22 0,03 −0,69 −0,22 −0,26

2003

Tab. 11: RCA – Patente im Bereich IKT (Quelle: Eigene Darstellung)

0,43 −0,21 −0,06 0,08 0,18 −0,11 −0,23 −0,24 0,14 −0,53 −0,07 0,31 0,09 0,10

−0,01 −0,03 −0,06 −0,08 −0,06 0,37 0,12 −0,07 −0,26 0,03 −0,42 −0,19 −0,22

2004

0,15 −0,07 −0,02 0,01 −0,04 −0,46 −0,41 0,30 0,09 0,12

−0,02 −0,05 −0,14 −0,11 −0,06 0,41 0,07 −0,14 −0,24 0,05 −0,50 −0,19 −0,44 0,00 0,16 −0,26 −0,15

2005

−0,11 0,12 −0,16 0,13 −0,03 0,00 0,08 0,14 −0,40 −0,21 0,30 0,15 0,10

−0,08 0,14 −0,19 −0,05 −0,06 0,35 0,18 −0,02 −0,20 0,04 −0,08 −0,21 −0,08 −0,73

2006

0,11 −0,04 −0,05 0,04 0,42 −0,13 −0,19 0,25 0,17 0,11

−0,02 0,15 −0,27 −0,12 −0,06 0,33 0,09 −0,21 −0,13 0,05 0,09 −0,20 0,06 0,14 0,02 −0,16 0,05

2007 −0,02 0,16 −0,03 −0,11 −0,06 0,31 0,13 −0,02 −0,09 0,06 0,10 −0,22 −0,10 −0,16 0,22 −0,15 0,06 0,15 0,10 −0,11 −0,01 0,02 0,39 −0,27 0,13 0,23 0,18 0,08

2008 0,00 0,10 −0,18 −0,07 −0,07 0,22 0,12 −0,09 −0,10 0,09 −0,33 −0,18 0,07 −0,85 −0,31 −0,27 −0,04 −0,43 0,11 −0,07 −0,05 −0,02 0,40 −0,24 0,04 0,18 0,14 0,09

2009

0,11 −0,13 −0,03 −0,09 0,26 −0,26 −0,09 0,20 0,15 0,08

−0,02 −0,21 −0,01 −0,07 −0,07 0,23 0,24 −0,13 −0,10 0,09 −0,30 −0,20 −0,26 −0,29 −0,06 −0,19 0,04

2010

0,10 −0,10 −0,10 0,00 0,14 −0,14 0,06 0,13 0,16 0,07

0,05 0,05 −0,15 −0,11 −0,06 0,11 0,21 −0,03 −0,08 0,08 −0,39 −0,23 −0,80 −0,26 −0,33 −0,41 0,06

2011

−0,01 −0,07 0,09 −0,08 0,16 −0,07 −0,26 0,13 0,10 0,04

0,19 −0,04 −0,11 −0,20 −0,04 0,11 0,06 −0,11 −0,11 0,09 −0,40 −0,25 0,14 0,34 0,33 −0,33 0,02

2012

Strukturwandel in der Europäischen Union am Beispiel ausgewählter Leitmärkte |

109

Belgien Bulgarien Tschechische Rep. Dänemark Deutschland Estland Irland Griechenland Spanien Frankreich Kroatien Italien Zypern Lettland Litauen Luxemburg Ungarn Malta Niederlande Österreich Polen Portugal Rumänien Slowenien Slowakei Finnland Schweden Vereinigtes Königreich

−0,33 −0,99 −0,97 −0,38 0,76 −0,97 −0,65 −0,93 −0,53 0,54 −1,00 −0,02 −1,00 −0,99 −1,00 −0,95 −0,83 −0,97 0,49 −0,46 −0,97 −0,99 −0,99 −0,97 −1,00 0,22 0,21 0,57

2000

−1,00 −0,95 −0,85 −1,00 0,58 −0,44 −0,97 −0,96 −0,97 −0,98 −0,96 0,20 0,11 0,54

−0,31 −0,97 −0,94 −0,44 0,74 −0,99 −0,64 −0,91 −0,56 0,53 −0,99 −0,10 −0,97

2001 −0,17 −0,98 −0,95 −0,36 0,76 −0,98 −0,64 −0,92 −0,49 0,57 −0,98 −0,01 −0,98 −0,99 −0,98 −0,95 −0,89 −0,98 0,53 −0,29 −0,92 −0,99 −0,99 −0,94 −0,96 0,20 0,07 0,53

2002

−0,89 −0,94 −0,88 −0,98 0,49 −0,30 −0,90 −0,95 −0,97 −0,92 −0,97 0,20 0,09 0,52

−0,29 −0,94 −0,95 −0,39 0,75 −0,95 −0,65 −0,83 −0,57 0,57 −1,00 0,02 −0,99

2003

−0,93 −0,92 −0,84 −0,98 0,46 −0,30 −0,92 −0,96 −0,94 −0,98 −0,97 0,26 0,16 0,52

−0,15 −0,97 −0,88 −0,38 0,74 −0,95 −0,62 −0,92 −0,55 0,57 −0,99 0,06 −0,99

2004

0,41 −0,24 −0,85 −0,84 −0,96 −0,97 −0,99 0,22 0,19 0,53

−0,18 −0,97 −0,91 −0,39 0,74 −0,96 −0,66 −0,91 −0,51 0,58 −0,99 0,07 −0,99 −0,97 −0,97 −0,94 −0,89

2005

Tab. 12: Volumengewichteter RCA – Patente im Bereich IKT (Quelle: Eigene Darstellung)

−0,90 −0,75 −0,99 0,39 −0,14 −0,83 −0,83 −0,95 −0,96 −0,97 0,21 0,28 0,51

−0,26 −0,94 −0,89 −0,34 0,74 −0,91 −0,55 −0,87 −0,47 0,57 −0,96 0,04 −0,99 −1,00

2006

0,32 −0,16 −0,80 −0,83 −0,84 −0,90 −0,97 0,12 0,34 0,51

−0,18 −0,97 −0,90 −0,38 0,74 −0,89 −0,60 −0,93 −0,37 0,58 −0,94 0,05 −0,98 −0,96 −0,98 −0,94 −0,76

2007 −0,17 −0,95 −0,78 −0,34 0,75 −0,87 −0,55 −0,88 −0,28 0,61 −0,94 0,04 −0,98 −0,98 −0,94 −0,92 −0,75 −0,98 0,36 −0,26 −0,75 −0,84 −0,85 −0,92 −0,91 0,10 0,37 0,48

2008 −0,16 −0,96 −0,87 −0,32 0,74 −0,88 −0,54 −0,90 −0,26 0,64 −0,99 0,06 −0,97 −1,00 −0,99 −0,95 −0,80 −1,00 0,37 −0,18 −0,73 −0,88 −0,85 −0,92 −0,95 0,06 0,29 0,50

2009

0,30 −0,27 −0,67 −0,90 −0,89 −0,94 −0,95 0,10 0,33 0,47

−0,18 −0,98 −0,78 −0,31 0,74 −0,89 −0,45 −0,94 −0,29 0,62 −0,98 0,03 −0,99 −0,99 −0,98 −0,94 −0,75

2010

0,34 −0,22 −0,70 −0,85 −0,88 −0,90 −0,91 0,01 0,33 0,46

−0,09 −0,95 −0,84 −0,32 0,73 −0,92 −0,44 −0,90 −0,26 0,63 −0,99 −0,04 −1,00 −0,99 −0,99 −0,97 −0,72

2011

0,19 −0,16 −0,49 −0,88 −0,86 −0,89 −0,96 0,03 0,26 0,43

0,11 −0,96 −0,81 −0,42 0,75 −0,91 −0,58 −0,92 −0,28 0,64 −0,99 −0,08 −0,98 −0,93 −0,92 −0,96 −0,74

2012

110 | Jens K. Perret

Strukturwandel in der Europäischen Union am Beispiel ausgewählter Leitmärkte |

111

Da der IKT-Sektor sehr gut, sowohl in der NACE, als auch in anderen Klassifikatio­ nen abgegrenzt ist, ist es möglich für diesen ebenso die Daten der TIVA Datenbank der OECD zu nutzen und RCAs bezogen auf Exporte zu bestimmen. Hierbei werden aller­ dings bewusst nicht die normalen Exportdaten herangezogen, sondern lediglich der Wertschöpfungsanteil an den Exporten, der in den Exportländern erbracht wurden. Eine Verwendung dieser so genannten Wertschöpfungsexporte erlaubt es zusätzlich einen Blick dafür zu entwickeln inwieweit die Leistungen, die ins Ausland abgegeben werden tatsächlich im Land selbst erbracht wurden und inwieweit der Sektor für das Land und die wahre Bedeutung des Sektors in einem Land eine Rolle spielt. In die­ sem Kontext ergänzen die Zahlen die Aussagen, die bereits zuvor getroffen wurden und zwar kombinieren sie die Aussagen der beiden bisherigen Ansätze, da angenom­ Tab. 13: Wertschöpfungs-RCAs bezogen auf Handelsdaten im Bereich IKT (Quelle: Eigene Darstellung)

Belgien Bulgarien Dänemark Deutschland Estland Finnland Frankreich Griechenland Irland Italien Kroatien Lettland Litauen Luxemburg Malta Niederlande Österreich Polen Portugal Rumänien Schweden Slowakei Slowenien Spanien Tschechische Republik Ungarn Vereinigtes Königreich Zypern

1995

2000

2005

2008

2009

2010

2011

−0,41 −0,75 −0,19 0,03 −0,54 0,17 0,02 −0,65 0,38 −0,18 −0,5 −0,64 −0,21 −0,78 0,25 −0,18 −0,07 −0,26 −0,13 −0,79 0,19 −0,3 −0,15 −0,25 −0,44 −0,3 0,24 −0,93

−0,36 −0,69 −0,26 0,04 −0,21 0,43 0,05 −0,54 0,38 −0,27 −0,52 −0,75 −0,29 −0,8 0,37 −0,29 −0,12 −0,35 −0,31 −0,23 0,24 −0,34 −0,17 −0,35 −0,18 0,13 0,14 −0,94

−0,52 −0,56 −0,24 0,1 −0,03 0,48 0,03 −0,5 0,38 −0,21 −0,4 −0,52 −0,24 −0,62 0,33 −0,33 −0,08 −0,24 −0,13 −0,42 0,21 −0,1 −0,18 −0,36 0,02 0,39 0 −0,89

−0,52 −0,53 −0,25 0,13 −0,11 0,47 −0,02 −0,5 0,3 −0,18 −0,33 −0,41 −0,4 −0,72 0,43 −0,35 −0,15 −0,11 −0,21 −0,12 0,23 0,24 −0,16 −0,38 0,14 0,37 −0,05 −0,72

−0,51 −0,43 −0,18 0,12 −0,18 0,38 0,01 −0,53 0,28 −0,16 −0,3 −0,41 −0,29 −0,67 0,49 −0,32 −0,1 0,06 −0,33 −0,05 0,22 0,34 −0,16 −0,39 0,13 0,4 −0,05 −0,71

−0,52 −0,4 −0,19 0,14 0,02 0,27 0,03 −0,68 0,15 −0,14 −0,3 −0,42 −0,27 −0,67 0,37 −0,33 −0,12 0 −0,29 0,14 0,24 0,32 −0,13 −0,4 0,1 0,36 −0,04 −0,71

−0,6 −0,4 −0,2 0,14 0,25 0,14 0 −0,7 0,14 −0 −0,4 −0,4 −0,4 −0,6 0,03 −0,4 −0,1 −0,1 −0,2 0,01 0,22 0,26 −0,2 −0,5 0,29 0,33 −0 −0,8

112 | Jens K. Perret

men werden kann, dass die größte Wertschöpfung in den Sektoren erfolgt, in denen auch ein hoher Wissenstand vorliegt, der nicht oder noch nicht ins Ausland transfe­ riert wurde. Dies sind allerdings gerade die Sektoren, die einen komparativen Vorteil in Bezug auf die Patente haben. Wie an Tabelle 13 zu erkennen ist, wird diese Aussage auch größtenteils bestä­ tigt. Die Länder, die einen konsistent hohen komparativen Wertschöpfungsvorteil aufweisen, wie Deutschland, Finnland, Schweden und die Niederlande sind auch solche Länder, die einen positiven komparativen Vorteil bei den Patenten aufwei­ sen. Zusätzlich zeigt die Tabelle 13 aber auch, dass Länder wie Irland, Ungarn, Tsche­ chien und die Slowakei einen komparativen Wertschöpfungsvorteil aufweisen. Abge­ sehen von der Slowakei, die in der entsprechenden Studie nicht berücksichtigt wur­ de, spiegelt dies zum Teil die Ergebnisse von Borbely (2006) wieder, die ebenso zeigen konnte, dass diese Länder auch in wissensintensiven Sektoren, insbesondere im IKT Sektor, Wettbewerbsvorteile aufweisen.

3.2.4 Recycling Während sie analog zu vorhergehendem Abschnitt und dem Sektor der IKT via Ta­ belle 14 zeigen lässt, dass auch im Recyclingsektor die Beschäftigung wenig signi­ fikanten Wandlungsprozessen unterworfen ist, zeigt sich bei Betrachtung der RCA Kennzahlen in Tabelle 13, aber auch etwas weniger prävalent in den volumengewich­ teten RCAs in Tabelle 14, dass in den Ländern Zypern, Litauen, Polen, Rumänien und der Slowakei Wandlungsprozesse zumindest auf nationaler Ebene vorhanden sind. In dem Kontext kann postuliert werden, dass in Zypern, Litauen, Polen und Ru­ mänien die Bedeutung des Recyclingsektors zugenommen hat und der komparative Vorteil dieses Sektors ausgebaut werden konnte, während in der Slowakei ein Rück­ bau des komparativen Vorteils zu erkennen ist. Rumänien ist das einzige Land welches einen Wechsel von einem Nachteil zu ei­ nem Vorteil im Kontext der volumengewichteten RCAs erzielen konnte, allerdings ist dieser Wandlungseffekt und auch der damit verbundene Indikatorwert für das Jahr 2014 verhältnismäßig gering. Betrachtet man nur die volumengewichteten RCA Statistiken zeigt sich, dass al­ leine Deutschland, Spanien, Frankreich, Italien, Polen und Großbritannien konsistent positive Indikatorwerte berichten. Dies bedeutet in Kombination mit den oben ange­ sprochenen Wandlungsprozessen, dass leidglich in Polen der Recyclingsektor einen etablierten Markt bildet, der weiter expandiert und dies nicht allein national auf Kos­ ten anderer Sektoren, sondern auch im EU-weiten Vergleich.

Strukturwandel in der Europäischen Union am Beispiel ausgewählter Leitmärkte |

113

Tab. 14: RCA – Beschäftigung im Bereich Recycling (Quelle: Eigene Darstellung)

Belgien Bulgarien Tschechische Republik Dänemark Deutschland Estland Irland Griechenland Spanien Frankreich Kroatien Italien Zypern Lettland Litauen Luxemburg Ungarn Malta Niederlande Österreich Polen Portugal Rumänien Slowenien Slowakei Finnland Schweden Vereinigtes Königreich

2008

2009

2010

2011

2012

2013

2014

−0,08 0,01 0,14 0,14 −0,08 −0,28 0,05 −0,01 −0,09 −0,01 0,29 0,12

−0,02 −0,03 0,11 −0,15 −0,06 −0,23 0,05 0,02 −0,01 −0,01 0,23 0,17

−0,28 0,04

0,24 0,01

0,15 −0,01 0,11 −0,15 −0,08 −0,16 0,10 0,11 −0,09 −0,01 0,23 0,22 −0,40 0,10 0,03

0,06 0,16 0,05 −0,13 −0,07 −0,15 0,03 0,05 −0,02 0,00 0,27 0,17 −0,37 −0,18 0,01

−0,04 0,10 0,00 −0,12 −0,09 −0,17 −0,07 −0,04 −0,01 0,00 0,28 0,20 0,05 −0,28 0,14

−0,01 0,04 0,04 −0,12 −0,09 −0,15 0,02 −0,03 −0,04 0,01 0,20 0,20 0,16 −0,19 0,25

0,03 −0,22 −0,14 −0,08 −0,05 0,04 −0,06 0,02 0,26 −0,21 −0,20 0,09

0,06 −0,12 −0,12 −0,12 0,00 −0,13 −0,11 0,16 0,27 −0,17 −0,20 −0,01

0,09 −0,13 −0,14 −0,14 −0,03 −0,11 −0,06 0,20 0,24 −0,15 −0,17 −0,05

0,03 −0,16 −0,22 −0,19 −0,01 −0,06 −0,05 0,30 0,15 −0,22 −0,16 −0,02

−0,02 −0,27 −0,20 −0,23 0,03 −0,07 −0,02 0,28 0,07 −0,21 −0,19 0,00

0,00 −0,04 −0,19 −0,11 0,06 −0,09 0,01 0,18 0,11 −0,10 −0,26 −0,04

0,04 −0,08 0,11 −0,12 −0,06 −0,11 −0,02 −0,06 −0,10 0,00 0,16 0,20 0,07 −0,28 0,12 −0,33 0,04 −0,06 −0,24 −0,11 0,07 −0,06 0,10 0,21 0,09 −0,10 −0,22 −0,08

An sich sind diese Erkenntnisse nicht verwunderlich, da auch der Recyclingsek­ tor bereits ein seit mehreren Jahrzehnten etablierter Sektor ist. Im Gegensatz sind die Strukturen in diesem Sektor allerdings noch nicht vollständig gefestigt und Wand­ lung- bzw. Wachstumsprozesse finden noch immer statt. Entsprechend kann der Recy­ clingsektor eher noch als der IKT Sektor als Leitmarkt identifiziert werden und kommt seiner Funktion als Wachstumstreiber grade in weniger entwickelten osteuropäischen Ländern nach (siehe Tabelle 15).

114 | Jens K. Perret

Tab. 15: Volumengewichteter RCA – Beschäftigung im Bereich Recycling (Quelle: Eigene Darstellung)

Belgien Bulgarien Tschechische Republik Dänemark Deutschland Estland Irland Griechenland Spanien Frankreich Kroatien Italien Zypern Lettland Litauen Luxemburg Ungarn Malta Niederlande Österreich Polen Portugal Rumänien Slowenien Slowakei Finnland Schweden Vereinigtes Königreich

2008

2009

2010

2011

2012

2013

2014

−0,41 −0,41 −0,06 −0,30 0,47 −0,92 −0,52 −0,31 0,21 0,41 −0,31 0,51

−0,33 −0,45 −0,10 −0,63 0,49 −0,91 −0,53 −0,26 0,30 0,42 −0,38 0,56

−0,88 −0,64

−0,58 −0,68

−0,09 −0,45 −0,11 −0,64 0,47 −0,89 −0,50 −0,16 0,19 0,42 −0,39 0,60 −0,97 −0,71 −0,67

−0,20 −0,25 −0,19 −0,61 0,49 −0,89 −0,57 −0,27 0,28 0,44 −0,35 0,57 −0,96 −0,86 −0,69

−0,34 −0,33 −0,26 −0,60 0,47 −0,89 −0,66 −0,41 0,27 0,43 −0,35 0,60 −0,86 −0,89 −0,57

−0,30 −0,40 −0,19 −0,61 0,48 −0,88 −0,57 −0,42 0,23 0,44 −0,45 0,59 −0,82 −0,86 −0,46

−0,32 −0,97 −0,24 −0,44 0,16 −0,22 −0,10 −0,74 −0,21 −0,70 −0,54 0,55

−0,29 −0,96 −0,20 −0,49 0,23 −0,45 −0,17 −0,63 −0,20 −0,67 −0,54 0,45

−0,24 −0,96 −0,23 −0,51 0,19 −0,42 −0,11 −0,60 −0,24 −0,66 −0,51 0,40

−0,33 −0,96 −0,35 −0,56 0,21 −0,37 −0,11 −0,52 −0,35 −0,72 −0,48 0,45

−0,38 −0,97 −0,32 −0,60 0,28 −0,39 −0,06 −0,54 −0,45 −0,70 −0,52 0,47

−0,34 −0,94 −0,30 −0,46 0,31 −0,42 −0,01 −0,62 −0,40 −0,61 −0,59 0,43

−0,23 −0,54 −0,10 −0,61 0,50 −0,87 −0,61 −0,45 0,14 0,44 −0,49 0,59 −0,86 −0,89 −0,58 −0,97 −0,28 −0,95 −0,38 −0,47 0,33 −0,38 0,11 −0,60 −0,42 −0,62 −0,55 0,39

4 Fazit Auch wenn der RCA-Indikator von seiner Struktur her relativ simpel konzipiert ist und aufgrund der Tatsache, dass er die Bedeutung großer, diversifizierter Volkswirtschaf­ ten nicht berücksichtigt, auch methodische Schwächen aufweist, so kann er doch einen ersten guten Einblick in die Struktur des nationalen Industriemix geben und Änderungen eben dieses erkennbar machen. Ferner kann der RCA-Indikator mit den absoluten Volumen der zugrunde liegenden Größe gewichtet werden. Das Resultat ein volumengewichteter RCA-Indikator, enthält sowohl Informationen über die relative Position des Sektors in der jeweiligen Volkswirtschaft als auch über die Bedeutung der Volkwirtschaft in dem zugrundeliegenden Referenzmarkt.

Strukturwandel in der Europäischen Union am Beispiel ausgewählter Leitmärkte |

115

In der vorliegenden Studie wurden beide Formen des RCA-Indikators, soweit die Datenverfügbarkeit es erlaubte, auf Beschäftigungs- und Patentdaten aller EU 28 Län­ der angewendet, um die Situation in den vier ausgewählten Leitmärkten der Erneuer­ baren Energien, der Biotechnologie, den IKT und dem Recyclingsektor zu analysieren. Eine Betrachtung sowohl der Beschäftigung als auch der Patente erlaubt es, einen Blick dafür zu erlangen, inwieweit sich die Produktion und Forschung in den einzel­ nen Ländern unterschiedlich entwickeln. Hierbei stellte sich heraus, dass, in den meisten Fällen die Länder, so fern struktu­ reller Wandel festgestellt werden konnte, auf vergleichbare Weise entwickeln. Ledig­ lich in Ausnahmefällen konnte zum Beispiel ein Rückgang des komparativen Vorteils in Bezug auf die Beschäftigung festgestellt werden, während der komparative Vorteil bezogen auf die Forschung erhalten blieb. Da allerdings Forschung und Beschäftigung zeitlich nur bedingt gleichlaufend sind, da Forschung hier durch den Forschungsout­ put in Form von Patenten repräsentiert wird, kann es sein, dass sich entsprechende Änderungen ebenfalls noch einstellen werden, allerdings mit einem zeitlichen Lag. Um diese Fragen verbindlich zu beantworten reichen die Daten der vorliegenden Stu­ die nicht aus und es treten insgesamt zu wenig signifikante strukturelle Wandlungs­ prozesse auf, als dass eine detaillierte Analyse möglicher zeitlicher Effekte überprüft werden kann. In diesem Kontext wäre eine Studie, angelegt auf einen wesentlich län­ geren Zeitraum, besser geeignet. Ein Problem bei der Verortung des Sektors der Erneu­ erbaren Energien und der Biotechnologie in der NACE Klassifikation und eine Ände­ rung eben dieser im Jahr 2008 erschwert eine entsprechende Analyse nur zusätzlich. Hier wäre eine Langzeitstudie bezogen auf die USA potentiell ertragsreicher. Insgesamt lässt sich insbesondere zu den Erkenntnissen des letzten Kapitels fest­ halten, dass alle vier Sektoren innerhalb der EU fest verankert sind und feste Struk­ turen etabliert haben. Da es sich beim Sektor der IKT und auch des Recyclings um bereits seit Jahrzehnten vorhandene Sektoren handelt sind die Wandlungsmuster in beiden Sektoren nur sehr schwach verortet und insbesondere in den osteuropäischen Mitgliedsländern zu finden. Nichts desto trotz kann festgestellt werden, dass alle vier Sektoren die Funktion eines Leitmarktes durchaus ausüben auch wenn der Sektor der IKT bereits als sehr reifer Leitmarkt angesehen werden kann. Im Sektor der Erneuerbaren Energien und auch der Biotechnologie zeigen sich wesentlich stärkere Wandlungsprozesse, wobei sich auch bereits eine Reihe etablier­ ter Forschungs- und Beschäftigungsstandorte herausgebildet haben, die ihre Position über den betrachteten Zeitraum hinweg verteidigen können. Es ist insbesondere hervorzuheben, dass Deutschland in allen vier Sektoren ei­ ne Spitzenposition einnimmt und durch diese Art der Diversifizierung (diversifiziert und trotzdem hochgradig aktiv in allen Sektoren) positive Effekte für seine allgemei­ ne wirtschaftliche Entwicklung ableiten kann.

116 | Jens K. Perret

Betrachtet man die großenteils negativen Indikatorwerte für die süd-osteuro­ päischen Staaten, so sollte sich die EU-Forschungsförderpolitik, unter anderem im Rahmen der Forschungsrahmenprogramme bzw. den Nachfolgern wie Horizont 2020, nicht so stark auf die Unterstützung bereits etablierter Standorte beschränken, son­ dern insbesondere auch weniger entwickelte Regionen gerade im Süden oder Osten Europas berücksichtigen. Dies hätte insbesondere den Vorteil, dass die EU-Forschungsförderung in diesem Fall gleiche Ziele wie die EU-Strukturpolitik, mit ihrem Hauptziel der wirtschaftlichen Konvergenz, verfolgen würde und nicht beide Politikansätze in unterschiedliche Rich­ tungen ziehen würden. Die vorliegende Studie ist, da es sich zunächst bewusst nur um einen groben Einund Überblick handelt, auf der Ebene der Nationalstaaten geblieben. Hier könnten ge­ rade für die Europäische Union weitere interessante und relevante Ergebnisse erar­ beitet werden, wenn diese Perspektive auf die regionale Ebene erweitert wird. Eben­ so würde es die Analyse fachlich ergänzen, wenn nicht allein die Anzahl der Patente das jeweiligen Innovationssystems repräsentiert würde, sondern die einzelnen Inno­ vationsysteme in ihrer Struktur und ihren Verflechtungen untereinander untersucht würden. In Bezug auf die Leitmarktperspektive wäre es natürlich umso erkenntnisreicher, wenn nicht allein etablierte, reife Leitmärkte betrachtet würden, sondern ebenfalls solche, die sich gerade in der Entstehungs- bzw. Wachstumsphase befinden. Zum Teil nehmen im Rahmen dieser Studie die Biotechnologie und die Erneuerbaren Energien diese Position ein, allerdings sind auch sie per se keine jungen Sektoren mehr.

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Strukturwandel in der Europäischen Union am Beispiel ausgewählter Leitmärkte |

117

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Tony Irawan und Paul J. J. Welfens

IKT-Wirtschaftsdynamik und regionale Freihandelsdynamik in ASEAN-Ländern: Analyse und Perspektiven für Asien und Europa 1

Einleitung | 118

2

Techno-Globalisierung in Asien auf Basis der Handelsverflechtungen | 118

3

Techno-Globalisierung in Asien auf Basis des Trade Channel Ansatzes | 123

4

Die Determinanten der FuE-Aktivitäten von MNEs in den Aufnahmeländern | 134

5

Wirtschaftspolitische Schlussfolgerungen | 138

Literatur | 141

1 Einleitung Der Sektor der Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT) ist der in vielen OECD-Ländern und asiatischen Ländern dynamischste Wirtschaftssektor. Fallende IKT-Kapitalgüterpreise erhöhen den Anreiz für Firmen, verstärkt in IKT zu investieren und im Übrigen bedeutet das Internet der Dinge als neues digitales Expansionsfeld, dass über die Vernetzung von Maschinen und Produkten neue Geschäftsfelder entste­ hen und die Faktorproduktivität ansteigt: Auch im Kontext von Big Data-Nutzungen. IKT ist auch in dem Sinn ein expansiver Sektor, als ein wachsender IKT-Wertschöp­ fungsanteil – in realer Rechnung für IKT-Wertschöpfung und Bruttoinlandsprodukt – im Zeitablauf festzustellen ist. Zudem ist die technische Fortschrittsrate sowohl im IKT-produzierenden Sektor relativ als auch in vielen IKT-nutzenden Sektoren hoch und zumindest zeitweise seit den 1990er Jahren ist die allgemeine technischen Fort­ schrittsrate (im Sinn von Wachstumsrate von multi-factor productivity growth) in den OECD-Länder hoch gewesen.

2 Techno-Globalisierung in Asien auf Basis der Handelsverflechtungen Hier kann nachfolgend das Ausmaß an handelsbasierter Techno-Globalisierung be­ trachtet werden. Zunächst ist es wichtig, die allgemeinen Handelsmuster der asiati­ schen Regionen mit denen anderer Regionen der Weltwirtschaft zu vergleichen. In den Tabellen 1 und 2 wird die interregionale Verflechtung beim Güterhandel für fünf Regio­ https://doi.org/10.1515/9783110583212-005

IKT-Wirtschaftsdynamik und regionale Freihandelsdynamik in ASEAN-Ländern |

119

nen ausgeleuchtet, nämlich Südost-Asien, Ost-Asien, Süd-Asien, EU27 (EU) und NordAmerika (USA + Kanada). Der Anteil des intra-regionalen Handels ist insgesamt im Vergleich 2005 und 2013 leicht gefallen, aber der Anteil des intra-regionalen Handels in Südostasien ist von 25,3 % in 2005 auf 27,5 % in 2013 gestiegen. Dabei war ein Verur­ sachungsfaktor die zunehmend volle Umsetzung des ASEAN-Freihandelsabkommens (AFTA) durch die ASEAN-Mitgliedsländer. Der Anteil des Intra-EU-Außenhandels ist gesunken, und zwar von 66,7 % im Jahr 2005 auf 60,9 % in 2013. Das ist vor allem durch das hohe Wachstum in Asien und den wachsenden EU-Asien-Handel zu erklä­ ren: Der Anteil des EU-Nordamerika-Handels ist im Zeitablauf um 1,5 Prozentpunkte gesunken und erreichte 2013 noch 7,2 %, während der Anteil des EU-Warenhandels mit allen Regionen Asiens gestiegen ist. Es gibt zudem eine wachsende Intra-AsienHandelsfokussierung im Zeitablauf, also eine regionale Verzerrung zugunsten des In­ tra-Asien-Handels, während der Handel der Asien-Regionen mit Nicht-Asien-Regio­ nen im Zeitablauf gesunken ist. Hier ergibt sich eine dreifache Schlussfolgerung aus EU-Sicht: – Wenn EU-Unternehmen diesem Trend begegnen wollen, so wäre an eine verstärk­ te transatlantische Handelsliberalisierung zu denken, wie sie etwa beim Projekt einer transatlantischen Freihandelszone (TTIP) angelegt ist; dadurch käme es zwar zu Handelsablenkungseffekten, die auch zulasten des Asien-USA-Handels und des Asien-EU-Handels gehen könnten, aber vermutlich käme es zu erhöhten Direktinvestitionszuflüssen von asiatischen Firmen Richtung EU und USA – quasi eine Art Tariff-jumping-Effekt (Überspringen der Zollmauern) in einer wirtschafts­ geographischen Dreiecksbeziehung und das dürfte dann den EU-Asien-Handel auf der Vorproduktebene ebenso erhöhen wie dies für den USA-Asien-Handel gelten dürfte: Asiatische Vorlieferanten werden dann verstärkte asiatische Kon­ zernniederlassungen in den USA und der EU beliefern. Wenn dieser Tariff-jump­ ing-Effekt den eher kurzfristigen Handelsablenkungseffekt zulasten Asiens domi­ niert, so ergibt sich mittel- und langfristig dann eben ein Dämpfungseffekt bei der Expansion des Intra-Asien-Handels – allerdings nur für den Fall, dass Tochter­ gesellschaften von EU-Firmen und US-Firmen verstärkt für den Gastland-Markt produzieren. Die in vielen Industriesektoren großen mindestoptimalen Betriebs­ größen lassen allerdings fast immer relativ hohe Exporte erwarten und dann wäre häufig ein Teil der Intra-Asien-Handelsvernetzung auf Basis von EU-Konzerntöch­ tern oder von US-Auslandsniederlassungen in Asien entstanden. – Die USA haben mit dem Abschluss des TPP-Vertrages in 2015 eine Basis für Han­ delsexpansion USA-Asien gelegt, denn ein großer Teil der bei TPP angespro­ chenen Partnerländer der USA kommt aus Asien (Japan inklusive) und auch bis­ herigen Nicht-TPP-Länder aus Asien haben Interesse an einem Beitritt zu einem TPP-Abkommen bekundet. Wenn die EU beim interregionalen Handel im Pazifik­ raum im Vergleich mit den USA nicht zurückfallen will, dann ist der Abschluss eines EU-Asien-Handelsvertrages – etwa in der Form eines Freihandelsvertrages mit den ASEAN-Ländern plus Japan – erwägenswert. Die EU hat bislang kein

120 | Tony Irawan und Paul J. J. Welfens





solches Politik- bzw. Verhandlungskonzept; vielmehr hat man ein Freihandelsab­ kommen mit Singapur abgeschlossen, ein weiteres mit Vietnam, während nach Abschluss des TPP-Vertrages Japan seine Liberalisierungsverhandlungen mit der EU offenbar verlangsamte. Die EU ist nicht wirklich gut beraten, mit Ländern Asiens vor allem bilaterale Liberalisierungspakte abzuschließen. Die USA ha­ ben bei TPP immerhin mit elf Ländern gleichzeitig einen Liberalisierungsvertrag abgeschlossen. Es bleibt den multinationalen EU-Firmen (und US-Multis) die Möglichkeit, ver­ stärkt in den asiatischen Ländern zu investieren, um dann dort verstärkt vom wei­ terwachsenden regionalen Intra-Handel über Tochterfirmen in Asien zu profitie­ ren. Je langsamer EU-Asien Handelsliberalisierungsanstrengungen vorangehen, desto eher werden EU-Firmen die Option verstärkter Direktinvestitionen in Asi­ en gehen, was das dortige Wirtschaftswachstum über Kapitalakkumulations- und internationale Technologietransfereffekte stimulieren wird; teilweise könnte der verstärkte Aufbau von Tochtergesellschaften in den USA zulasten der Kapitalbil­ dung in Deutschland bzw. der EU gehen: Damit aber auch zulasten von Arbeits­ plätzen in Europa. In einer Phase der Globalisierung, in der die USA mit Blick auf Asien bei Han­ delsliberalisierungsverträgen gegenüber der EU die Nase vorn hat, ergibt sich ein relativer Nachteil für EU-Firmen in Asien – das kann durch TTIP nur teilweise kompensiert werden, da dann EU-Firmen über US-Niederlassungen verbesserten Marktzutritt in Asien finden werden. Das ist aber nur eine Second-best-Option, die zudem beschäftigungsschädlich für EU-Länder sein dürfte.

Von daher ist wachstums- und beschäftigungspolitisch das Zurückhinken der EU bei Handelsliberalisierungen mit Asien problematisch; ebenso wie es langsame Fort­ schritte beim TTIP-Projekt waren, das vor allem für Deutschland (und das Vereinigte Königreich sowie Irland) besondere ökonomische Vorteile versprach (Welfens/Ko­ rus/Irawan, 2014; Welfens/Irawan, 2014; Welfens/Jungmittag 2016); allerdings hat US-Präsident Trump das Projekt politisch 2017 bei Amtsantritt vorläufig beerdigt. Was die IKT-Produktion angeht, so sind kurze Innovationszyklen typisch – und das in einem Hochtechnologie-Sektor. Es ist offensichtlich, dass auf der Basis im­ portierter Zwischenprodukte und Dienstleistungen fortgeschrittene IKT-Produktion in Nordamerika, Europa oder Asien stattfinden kann. Was die globale IKT-Produkti­ on angeht, so sind US-Firmen, aber auch Firmen aus der EU, Japan, Korea und China mitführend in diesem Sektor. Wenn man das schnelle regionale Wirtschaftswachstum und die anhaltenden internationalen Aufholprozesse in Asien betrachtet, dann ist es besonders interessant auf asiatische Länder als Produktionsstandorte zu fokussieren. Aus einer theoretischen Perspektive kann man vermuten, dass etwa US-IKT-Fir­ men in Asien relativ fortgeschrittene IKT-Produkte in kostengünstigen asiatischen Produktionsstandorten herstellen und dann in asiatische Länder sowie in westliche OECD-Länder exportieren könnten. Dabei stehen letztere für anspruchsvolle Nutzer,

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die fortgeschrittene Produkte bzw. Technologien wünschen; oder aber die Betonung liegt bei standardisierten IKT-Gütern, deren Märkte deutlich durch sinkende Preise geprägt sind. Was den EU-Import von führenden Exportländern angeht, so zeigte die empirische Analyse, dass vor allem Hochtechnologie-Güter von Japan und den USA Richtung EU-Länder exportiert werden; allerdings waren die Exporte Chinas bei mitt­ leren bzw. einfachen Technologien konzentrierter (Vandenbussche, 2014). Im Übrigen ergab sich, dass nach 2012 der Import von Zwischenprodukten im Fall Chinas absank (Galar, 2015) was anzeigt, dass Chinas inländische Anbieter zunehmend auch als Zu­ lieferer erfolgreich sind. Die breitere Globalisierungsdynamik zeigt an, dass Handel bei Zwischenprodukten zunehmend wichtig ist. Aber in einer regionalen und sekto­ ralen Perspektive ist nicht ohne weiteres klar ob umfangreicher Regionalhandel mit Endprodukten auch zusammen fällt mit einem verstärkten regionalen Zwischenpro­ dukte-Handel oder ob der Zwischenprodukt-Handel vor allem mit Firmen aus anderen Regionen als Zulieferern realisiert wird. Internationale Handelsbeziehungen werden nicht nur durch geographische so­ wie politische Elemente geprägt, sondern auch durch den Einfluss ausländischer Di­ rektinvestitionen auf regionaler Ebene. Das transatlantische Abkommen TPP (unter­ schrieben Ende 2015) zwischen den USA und Asien der Obama-Administration ist ein potentieller Treiber wachsender Handelsbeziehungen zwischen den Regionen – und in einigen Sektoren wird sich dies auch auf die Direktinvestitionsdynamik auswir­ ken. Zusätzlich stimulieren asiatische Handelsabkommen, wie beispielsweise die der ASEAN ab 2015, Veränderungen in der internationalen Ausstattung von Wissen und Humankapital und der Verbreitung von Fachwissen innerhalb der Regionen, da die Aufteilung von Produktionsketten in mehrere Zwischenprodukte sowie den ausländi­ schen Anteilen an Produktionswerken dies zusätzlich vorantreibt. Zusätzlich kommen bilaterale Handelsliberalisierungs-Bestrebungen seitens China hinzu (z. B. Handels­ abkommen mit Australien 2015). Neuere Analysen der Asian Development Bank zeigen die Gewichtigkeit asiati­ scher regionaler Integration (ADB, 2015), wachsender inner-asiatischer Handel und die Schaffung spezieller Wirtschaftszonen für die ökonomische Entwicklung gewin­ nen zunehmend an Bedeutung. Nach Helpman (2010) und Athukorala (2013) ge­ winnt globale internationale Arbeitsteilung zusätzlich an Gewicht. Athukorala (2013) hebt die Rolle von fortgeschrittenen Produktionstechnologien hervor, und wie jene klassische Produktionsketten in weitere Elemente aufteilen können. Mit einer vor­ anschreitenden Modularisierung von Vor- und Zwischenprodukten können diese „Standard-Bauteile“ in einer breiten Palette von Produkten eingebaut werden, und IKT Fortschritt fördert die Koordination dieser einzelnen Produktionskomponenten. IKT und Produktaufteilung (fragmentierte Spezialisierung) innerhalb globaler Indus­ trien haben einen doppelten Effekt: Produktionsteilung trägt zu einer Reduzierung der Produktionskosten bei, Firmen können Märkte schnell betreten und Handels- Innova­ tionszyklen besser bedienen; zugleich wird Skalenökonomie aufgrund von Marktex­ pansion zu höheren Forschungs- und Entwicklungsausgaben führen, was wiederum

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die Möglichkeit für Produzenten zur weiteren Produktfragmentierung eröffnet; inter­ nationale Handels- und Investitionsliberalisierung zwischen 1985 und 2015 haben die großen Trends solch unabhängiger Produktionsdynamiken unterstrichen. Darüber hinaus unterstreicht Athukorala (2013) die Produktionsnetzwerke und ihre wichtige Rolle in Ost-Asien, mit China in der Hauptrolle, wie jene seit den frühen 1990gern bis 2010 wuchs. Sen (2014) zeigt hingegen das der Handel in diesen Bereichen eher klein ist, und vor allem die Indische Industrie Schwächen aufweist und somit Süd-Asien hinter Ost-Asien hinterherhinkt. Dies vervollständigt das asiatische Bild. Folglich wird speziell der IKT Sektor fokussiert, sowie die Hauptversorgungsdy­ namiken für jene Industrien Asiens und der USA, welche in der Region operieren und über Handelsbeziehungen verknüpft sind. Der Fakt, dass die technologie-intensive IKT Produktion – oft mit kurzen Produktzyklen – in Asien so eine zentrale Rolle spielt, reflektiert sowohl hohe regionale Wachstumsdynamiken auf der Nachfrageseite sowie auch das Bestreben, fortgeschrittenen OECD Technologien mit preisgünstigen regio­ nalen F&E Ressourcen zu verknüpfen, so dass Technoglobalisierung Teil der asiati­ schen IKT Dynamiken wird. Die Definition von Techno-Globalisierung ist breit und ist vor allem vom Kontext abhängig. Um die Bedeutung und das Ausmaß von Techno-Globalisierung zu verste­ hen, kann man die Systematik welche Techno-Globalisierung zugrunde liegt und wel­ che nach Archibugi und Michie (1995) entwickelt wurde analysieren. Nach ihrer Syste­ matik kann man Techno-Globalisierung in drei voneinander unabhängigen Gruppen gliedern. Die erste Gruppe ist die globale Nutzung von Technologie, welche eine Firma bei ihren Aktivitäten bezüglich Handel und Lizenztransfers nutzt. Die zweite Gruppe ist globale technologische Zusammenarbeit, welche Agenten aus mehr als einem Land miteinbezieht. Die Zusammenarbeit kann staatliche, private sowie universitäre Tech­ nologierecherchen miteinbeziehen. Die letzte Gruppe ist die globale Technologiegene­ ration, welche durch Rechercheaktivitäten multinationaler Firmen entsteht. Multina­ tionale Firmen haben in der Regel einen hohen Anreiz, globale Recherchenetzwerke zwischen Mutter- und Tochtergesellschaft in Ursprung- und Zielländer aufzubauen. Auf diesem System der Techno-Globalisierung basierend, kann man sich nun auf Han­ delskanäle und die Aktivitäten multinationaler Unternehmen fokussieren. Bezüglich Handel argumentieren Archibugi and Michie (1995) dass Techno-Glo­ balisierung die Konsequenz erhöhten internationalen Handels sei. Dieses Argument wird von Aggarwal (1999) gestützt, welcher argumentiert, dass ein erhöhter interna­ tionaler Handel höchstwahrscheinlich die Wissensverteilung hin zu ausländischen Märkten vorantreibt. Techno-Globalisierung ist auch eng mit dem IKT-Sektor ver­ knüpft. Chopra (2002) betont die Rolle des Telekommunikations- und IT-Sektors bei der Verkleinerung der Spalte zwischen Industrie- und Entwicklungsländern. TechnoGlobalisierung ist eine der vier Aspekte im Prozess der Globalisierung (Chopra, 2002). Die anderen drei Aspekte sind politische Globalisierung, Ökonomische Globalisierung und Kulturelle Globalisierung. Auch in diesem Aufsatz wird wiederholt die Rolle mul­ tinationaler Unternehmen als maßgebliche Kraft in der Globalisierung beschrieben.

IKT-Wirtschaftsdynamik und regionale Freihandelsdynamik in ASEAN-Ländern |

123

Unterm Strich analysiert dieses Papier somit Techno-Globalisierung in Asien un­ ter Berücksichtigung von Handelskanälen (Handel von Finanzprodukten vs. Handel von Vor- und Zwischenprodukten) und der F&E Aktivitäten multinationaler Unterneh­ men in Asien. Es ist weitgehend bekannt, dass bereits in den 1980ger Jahren US-Direkt­ investitionen in Bereichen der Computertechnologie in Asien getätigt wurden, und mit eher liberalem Marktzugang zu US-Märkten war dies zweischneidig bezüglich US Subventionen in Asien. IKT Direktinvestitionsdynamiken in den 1990gern und dem ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts könnten einer ähnlichen FDI Logik gefolgt sein, jene von Innovationsdynamiken und Handel. Wenn man sich die Handelsbeziehun­ gen genauer ansieht, kann man sowohl unter aggregierten Handel als auch Handel von Zwischenprodukten (inner-regional) unterscheiden. Handelsintegration im IKTSektor (und ihren Untersektoren) zwischen asiatischen Regionen (Ostasien, Südasian, Südostasien) kann man mit Indikatoren berechnen, welche die relative Rolle regio­ naler und überregionaler Handelsströme und deren Dynamik bewertet. Zum besse­ ren Verstehen der regionalen IKT Produktion ist zunächst eine Input-Output-Analyse durchzuführen, wobei es hier von besonderer Interesse ist, F&E-Aktivitäten von US Firmen in Asien zu verfolgen – die Haupttreiber der F&E in der Region; und welche politische Handlungsempfehlung man aus einer empirischen Analyse ableiten kann. Folglich gewinnen wir neue Erkenntnisse in regionaler Produktion und (über-) regionaler Handelsanalyse im IKT Sektor, und somit wird es auch möglich sein, die Rolle asiatischer Unterregionen für den Handel mit der EU sowie den USA zu zeigen. Die Analyse geht dabei wie folgt vor: Teil (2) stellt die Technoglobalisierung in Asien da, basierend auf Handelsverflechtungen. Die empirische Analyse, welche Determi­ nanten US-Aktivitäten im F&E IKT Bereich beeinflussen, wird in Teil (3) vorgenommen und diskutiert. Teil (4) präsentiert politische Handlungsempfehlungen, wobei schwie­ rig abzuschätzen ist, ob der US-China-Konflikt bzw. der Trumpsche Protektionismus zu ernsten Problemen auch bei der regionalen Arbeitsteilung in Asien bzw. im IKTBereich führen wird (WELFENS, 2019; The Global Trump, London: Palgrave).

3 Techno-Globalisierung in Asien auf Basis des Trade Channel Ansatzes In diesem Unterkapitel präsentieren die Autoren mehrere Indikatoren, die die TechnoGlobalisierung über den Handelskanal abbilden. Als erstes ist es wichtig, die allge­ meinen Handelsmuster der Region Asien mit anderen Regionen zu kennen. In Folge dessen zeigen die Tabellen 1 und 2 die Warenexporte innerhalb fünf Regionen, näm­ lich Südostasien, Ostasien, Südasien, EU27 (Europäische Union) und Nordamerika. Tabelle 1 zeigt einen abnehmenden Trend im Anteil des intraregionalen Handels mit Ausnahme von Südostasien. Wenn zwei Perioden betrachtet werden, fiel der An­ teil von intra-regionalem Handel um 0,4 Prozentpunkte auf 7,1 Prozentpunkte in 2013

124 | Tony Irawan und Paul J. J. Welfens

im Vergleich zu 2005. In Ostasien und Südasien fiel der intraregionale Handel eben­ falls, jedoch in nur geringem Ausmaß von maximal 0,4 Prozent. Anders als in anderen Regionen nahm der Anteil des interregionalen Handels in der Region Südostasien von 25.3 Prozent in 2005 auf 27.2 Prozent in 2013 zu. Einer der Faktoren der die Zunahme in interregionalem Handel in Südostasien verursacht, ist die vollständige Implemen­ tierung des ASEAN Freihandelsabkommen (AFTA) von allen Mitgliedsstaaten. Im Falle des interregionalen Handels zwischen den asiatischen Regionen, hat sich der Anteil des Handels zwischen Ostasien und Südostasien sowie Südasien und Südostasien in 2013 im Vergleich zu 2007 erhöht. Dies wurde hauptsächlich durch die Implementierung des ASEAN-Korea Freihandelsabkommen (AKFTA) in 2007, des ASEAN-Japan Comprehensive Economic Partnership (AJCEP) in 2008, des ASEAN-China Freihandelsabkommen (ACFTA) in 2010 und des ASEAN-Indien Frei­ handelsabkommen in 2011 verursacht. Wichtig anzumerken ist, dass nicht alle ASE­ AN Mitgliedsländer zur gleichen Zeit begonnen haben die Freihandelsabkommen zu implementieren. Zum Beispiel mussten sechs ASEAN Mitgliedsländer (Indonesien, Malaysia, Thailand, Singapur, Brunei und die Philippinen), aufgrund des ASEANChina Freihandelsabkommens, ab 2010 Zölle auf 90 % ihrer Produkte eliminieren, während CMLV Länder (Kambodscha, Myanmar, Laos und Vietnam) ihre Zölle bis 2015 eliminieren müssen. Daher wird erwartet, dass der Anteil in den kommenden Jahren weiter steigen wird. Tab. 1: Handelsströme zwischen den Regionen 2005 (% des gesamten Warenexports) (Quelle: Autorenberechnung basierend auf WITS-Datenbank) 2005 Südost Asien Ost Asien Süd Asien EU27 Nord Amerika ROW

Empfänger Südost Asien 25,3 % 29,6 % 3,2 % 12,8 % 15,2 % 13,8 %

Ost Asien 9,5 % 31,0 % 1,7 % 17,0 % 22,3 % 18,6 %

Süd Asien 8,3 % 13,5 % 4,5 % 26,6 % 20,4 % 27,8 %

EU27 1,4 % 4,3 % 0,9 % 66,7 % 8,7 % 18,1 %

Nord Amerika 4,2 % 12,8 % 0,8 % 16,4 % 41,2 % 24,6 %

Südostasien erfuhr einen Anstieg in intraregionalem Handel im Vergleich zu gesam­ ten Warehandel von bis zu 1.9 Prozentpunkten. Derselbe Trend kann auch im Anteil an Handelsströmen zwischen Südostasien und anderen Regionen Asiens beobachtet werden. Dies impliziert eine wichtige Rolle Südostasiens im Integrationsprozess an­ derer Regionen Asiens. Obwohl die wirtschaftliche Größe der Länder in Südostasien unterschiedlich ist, sind alle Länder dieser Region offen und beteiligen sich aktiv am Handelsintegrationsprozess. Als Beispiel sei die Gründung einer regionalen umfas­

IKT-Wirtschaftsdynamik und regionale Freihandelsdynamik in ASEAN-Ländern |

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Tab. 2: Handelsströme zwischen den Regionen 2013 (% des gesamten Warenexports) (Quelle: Autorenkalkulation auf Basis der WITS-Datenbank) 2013 Südost Asien Ost Asien Süd Asien EU27 Nord Amerika ROW

Empfänger Südost Asien 27,20 % 33,80 % 4,70 % 10,10 % 10,30 % 13,80 %

Ost Asien 12,50 % 30,60 % 2,80 % 13,10 % 17,40 % 23,50 %

Süd Asien 10,60 % 12,60 % 4,10 % 17,90 % 13,80 % 41,00 %

EU27 1,80 % 6,20 % 1,00 % 60,90 % 7,20 % 22,90 %

Nord Amerika 3,90 % 15,30 % 1,30 % 13,80 % 34,10 % 31,60 %

senden Wirtschaftspartnerschaft (RCEP) genannt, die seit 2012 zwischen 10 ASEANMitgliedstaaten und 6 anderen Ländern, nämlich China, Japan, Südkorea, Australien, Neuseeland und Indien, ausgehandelt wurde. Die Handelsströme der asiatischen Länder sind auf ihre Regionen ausgerichtet. Der Anteil des interregionalen Handels von Südostasien, Ostasien und Südasien an den nichtasiatischen Regionen (Europäische Union und Nordamerika) ging im Laufe der Zeit zurück. Im Jahr 2013 sank der Anteil des interregionalen Handels zwischen Südasien und dem nicht-asiatischen Raum im Vergleich zu 2005 deutlich um 7,7 Pro­ zent (EU27) und 6,6 Prozent (Nordamerika). Das gleiche Muster findet sich auch in anderen asiatischen Regionen, wenn auch in geringerem Ausmaß. Wie bereits in der Einleitung erwähnt, gewinnt der Handel mit Zwischenproduk­ ten zunehmend an Bedeutung. Die Tabellen 3 und 4 zeigen die Zusammensetzung des Handels mit Zwischenprodukten zwischen den Regionen. Ähnlich wie bei den Handelsströmen der Gesamtprodukte sank der Anteil des intraregionalen Handels mit Vorleistungsgütern im Jahr 2013 in fast allen Regionen im Vergleich zu 2005 mit Aus­ nahme von Südasien. Obwohl Südasien einen Anstieg seines interregionalen Handels verzeichnete, war die Größe mit bis zu 0,2 Prozent gering. Tab. 3: Zwischenproduktehandel zwischen den Regionen 2005 (% der gesamten ZwischenprodukteExporte) (Quelle: Autorenkalkulationen auf Basis der WITS-Datenbank)

Partner

2005 Südost Asien Ost Asien Süd Asien EU27 Nord Amerika ROW

Empfänger Südost Asien 27,2 % 34,4 % 3,9 % 11,5 % 9,8 % 13,2 %

Ost Asien 13,2 % 38,8 % 2,2 % 12,8 % 15,9 % 17,1 %

Süd Asien 10,6 % 24,1 % 5,5 % 18,4 % 13,9 % 27,4 %

EU27 1,8 % 4,5 % 1,2 % 67,3 % 8,1 % 17,1 %

Nord Amerika 5,0 % 13,4 % 0,8 % 15,7 % 41,1 % 24,1 %

126 | Tony Irawan und Paul J. J. Welfens

Tab. 4: Zwischenproduktehandel zwischen den Regionen 2013 (% der gesamten ZwischenprodukteExporte) (Quelle: Autorenkalkulationen auf Basis der WITS-Datenbank)

Partner

2013 Südost Asien Ost Asien Süd Asien EU27 Nord Amerika ROW

Empfänger Südost Asien 24,9 % 40,7 % 5,8 % 7,9 % 6,6 % 14,1 %

Ost Asien 15,1 % 36,2 % 3,9 % 10,3 % 12,8 % 21,6 %

Süd Asien 9,6 % 21,3 % 5,7 % 16,6 % 13,3 % 33,4 %

EU27 1,9 % 6,1 % 1,3 % 62,3 % 6,4 % 22,0 %

Nord Amerika 4,4 % 17,6 % 1,4 % 12,5 % 34,6 % 29,5 %

Das Freihandelsabkommen zwischen den ASEAN-Mitgliedstaaten und anderen asiatischen Ländern (AKFTA, AJCEP, ACFTA, und AIFTA) hat die Zusammensetzung des interregionalen Handels mit Zwischenprodukten in Südostasien verändert. Die Handelsströme mit Zwischenprodukten in Südostasien scheinen auf den asiatischen Raum ausgerichtet zu sein. Der Anteil des interregionalen Handels mit Zwischenpro­ dukten zwischen Südostasien und Ostasien stieg von 34,4 Prozent im Jahr 2005 auf 40,7 Prozent im Jahr 2013. Der Anteil des Interregionalen Handels mit Zwischenpro­ dukten zwischen Südostasien und der EU27 ging dagegen von 11,5 Prozent im Jahr 2005 auf 7,9 Prozent im Jahr 2013 zurück. Der zunehmende Anteil des inter- und intraregionalen Handels mit Zwischenpro­ dukten für Südostasien hängt stark mit der Entwicklung regionaler Wertschöpfungs­ ketten (RWKs) zusammen. Der ASEAN Investment Report 2013–2014 zeigt die Entwick­ lung von RWKs in Südostasien und zwischen Südostasien und anderen asiatischen Regionen. ASEAN (2014) legt nahe, dass ausländische Direktinvestitionen (FDI) so­ wohl innerhalb der Region als auch zwischen Südostasien und anderen asiatischen Regionen einer der Treiber für die Entwicklung von RWKs in Südostasien sind. Der Handel mit Zwischenprodukten für Südasien unterscheidet sich grundlegend von anderen asiatischen Regionen. Der intraregionale Handel in Südasien nahm zu und der interregionale Handel mit Zwischenprodukten zwischen Südasien und ande­ ren asiatischen Regionen ging zurück. Im Gegenteil stieg der Anteil des interregiona­ len Handels mit Zwischenprodukten zwischen Südasien und dem Rest der Welt deut­ lich von 27,4 Prozent im Jahr 2005 auf 33,4 Prozent im Jahr 2013. Frühere Statistiken zeigen das Handelsgefüge sowohl bei Endprodukten als auch bei Zwischenprodukten. Die Abbildungen 1 bis 6 zeigen die Handelsintensität (Han­ delsschwerpunkte) zwischen Ostasien, Südostasien, Südasien, EU27 und Nordame­ rika. Die Handelsintensität ist das Verhältnis des Anteils eines Handelspartners zum Gesamthandel einer Region und dem Anteil des Welthandels mit demselben Handels­ partner. Die Formel der Handelsintensität wird auf der Grundlage von Standardhan­

IKT-Wirtschaftsdynamik und regionale Freihandelsdynamik in ASEAN-Ländern |

127

delsindikatoren im UN-Comtrade-System berechnet, daher: Region i‘s intraregionale Handelsintensität = (T ii /T i )/(T i /T W )

(1)

Region i‘s Handelsverzerrungen Richtung Region j = (T ii /T i )/(T j /TW )

(2)

Wobei T ii den Export von Region i nach Region i darstellt, plus Import von Region i aus Region i; T ij repräsentiert den Export von Region i nach Region j plus Export von Region j aus Region i plus Importe von Region i aus Region j plus Import von Region j aus Region i; T i steht für den Gesamtexport von Region i in die Welt plus den Gesamt­ import von Region i aus der Welt; T j steht für den Gesamtexport von Region j in die Welt plus den Gesamtimport von Region j aus der Welt; und TW steht für die Gesamt­ exporte der Welt plus Importe. Die Abbildungen 1 bis 6 zeigen den Index der Handelsintensität der sechs Teilsek­ toren von Informations- und Kommunikationstechnologie. Diese sechs Sektoren um­ fassen die Herstellung von Büro-, Buchhaltungs- und Datenverarbeitungsmaschinen (MOAC); Herstellung von isoliertem Draht und Kabel (MIWC); Herstellung von elek­ tronischen Ventilen und Schläuchen und anderen elektronischen Bauteilen (MEVT); Herstellung von Fernseh- und Rundfunksendern und Geräten für die Leitungstelefo­ nie und den Leitungstelegraphen (MTRT); Herstellung von Fernseh- und Rundfunk­ empfängern, Ton-, Videoaufzeichnungs- oder Wiedergabegeräten (MTRV); und Her­ stellung von optischen Instrumenten und fotografischen Geräten (MOPE).

Abb. 1: Handelsintensität der IKT-Teilsektoren (i) Herstellung von Büro-, Buchhaltungs- und Rechen­ maschinen (Quelle: Autorenberechnung auf Basis der WITS-Datenbank)

128 | Tony Irawan und Paul J. J. Welfens

Abb. 2: Handelsintensität der IKT-Teilsektoren (ii) Herstellung von isolierten Drähten und Kabeln (Quelle: Autorenberechnung auf Basis der WITS-Datenbank)

Abb. 3: Handelsintensität der IKT-Teilsektoren (iii) Herstellung von elektronischen Ventilen und Röh­ ren sowie anderen elektronischen Komponenten (Quelle: Autorenberechnung auf Basis der WITSDatenbank)

IKT-Wirtschaftsdynamik und regionale Freihandelsdynamik in ASEAN-Ländern |

129

Abb. 4: Handelsintensität der IKT-Teilsektoren (iv) Herstellung von Fernseh- und Rundfunksendern und -geräten für die Leitungstelefonie und den Leitungstelegrafen (Quelle: Autorenberechnung auf Basis der WITS-Datenbank)

Abb. 5: Handelsintensität der IKT-Teilsektoren (v) Herstellung von optischen Geräten und Fotoaus­ rüstung (Quelle: Autorenberechnung auf Basis der WITS-Datenbank)

130 | Tony Irawan und Paul J. J. Welfens

Abb. 6: Handelsintensität der IKT-Teilsektoren (vi) Herstellung von Fernseh- und Rundfunkempfän­ gern, Ton-, Videoaufzeichnungs- oder Wiedergabegeräten (Quelle: Autorenberechnung auf Basis der WITS-Datenbank); Hinweis: Die Zahlen zeigen die Handelsverzerrungen in den Jahren 2013 und 2005 (in Klammern) an; die fett gedruckten Werte sind intra-subregionale Handelsverzerrungen, die Werte in der gleichen Richtung sind inter-subregionale Handelsverzerrungen.

Der Handel in allen IKT-Teilsektoren Südostasiens scheint auf den Handel inner­ halb der Region beschränkt zu sein, mit Ausnahme der Herstellung von elektroni­ schen Ventilen und Schläuchen und anderen elektronischen Bauteilen (MEVT). In 5 (fünf) ICT-Teilsektoren (MOAC, MIWC, MTRT, MTRV und MOPE) liegt der Indexwert für den intrasubregionalen Handel in Südostasien bei mehr als 2, was bedeutet, dass die intrasubregionale Intensität mehr als doppelt so hoch ist wie global. Das Muster stimmt im Wesentlichen mit den Handelsströmen der Endprodukte überein (siehe Ta­ belle 1 und 2). Intra-subregionale Intensität Südasiens ist abgesehen von der Herstellung isolier­ ter Drähte und Kabel (MIWC) schwach. Der Index der Handelsintensität von MIWC in Südasien ist groß und im Vergleich zu anderen asiatischen Regionen sogar der größ­ te. Von Roll, einer der weltweit größten Hersteller von isolierten Drähten und Kabeln, gründete ein Joint Venture-Unternehmen (Pearl Insulations Ltd.) in Indien. Das Unter­ nehmen ist Marktführer bei der Herstellung von emaillierten Rund- und Flachdrähten, die mit Glas, Daglass, Polymid-Film wie Kapton und Glimmerband oder Nomex isoliert werden.

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131

Der Handel mit IKT-Produkten zwischen Südostasien und anderen asiatischen Re­ gionen ist in fünf IKT-Teilsektoren, nämlich MOAC, MIWC, MTRT, MTRV und MOPE, stark. Der ASEAN Investment Report 2013–2014 zeigt die zunehmende Tendenz der ausländischen Direktinvestitionen nach Südostasien, sowohl bei den Investitionen in­ nerhalb der Regionen als auch bei den Investitionen außerhalb der Region. Mehr als die Hälfte der ausländischen Direktinvestitionen in Südostasien stammt aus anderen asiatischen Ländern, wobei Japan der größte Einzelinvestor ist. Das Muster in den aus­ ländischen Direktinvestitionen ist auch durch den interregionalen Handel zwischen südostasiatischen Ländern und seinen Partnern geprägt. Bei der Handelsverbindung zwischen der asiatischen und der nicht-asiatischen Region kann der Index der interregionalen Handelsintensität in bestimmten Sekto­ ren und Regionen betrachtet werden. Es gibt mehrere wichtige Erkenntnisse, die wir aus den Statistiken ziehen könnten. Erstens ist Ostasien in Bezug auf den Handel mit IKT-Produkten stärker mit Nordamerika als mit der Europäischen Union verbunden. Die Handelsintensität zwischen Ostasien und der Europäischen Union ist nur in der MTRT stark (größer als eins), während die Handelsbeziehungen zwischen Ostasien und Nordamerika in MOAC, MIWC, MTRT und MTRV stark sind. Zweitens ist auch Südostasien in Bezug auf den Handel mit ICT-Produkten stär­ ker mit Nordamerika verbunden. In Bezug auf den interregionalen Handel zwischen Südostasien und Nordamerika gibt es drei IKT-Subsektoren, deren Handelsintensi­ tätsindex größer als 1 ist, nämlich MEVT, MTRT und MOPE. Mittlerweile ist nur ein IKT-Teilsektor mit einem Index für die Handelsintensität größer als eins, nämlich der MTRT. Drittens scheint Südasien relativ zu Nordamerika stärker mit der Euro­ päischen Union verbunden zu sein. Es gibt zwei IKT-Teilsektoren, die einen interre­ gionalen Handelsintensitätsindex von mehr als eins aufweisen, nämlich MEVT und MOPE. Der Handelsintensitätsindex verschiedener IKT-Teilsektoren kann detaillierte In­ formationen liefern, jedoch unterschiedliche Schlussfolgerungen hinsichtlich des Musters des IKT-Handels zwischen Regionen in Asien. Tabelle 5 zeigt den Index der Handelsintensität für den IKT-Sektor insgesamt. Es handelt sich im Wesentli­ chen um den gleichen Indikator wie in den Abbildungen 1 bis 6, jedoch mit Ag­ gregatdaten. Im Allgemeinen deuten die Indikatoren darauf hin, dass der Handel mit IKT-Produkten für Südostasien im Allgemeinen auf den innerregionalen Han­ del ausgerichtet ist. Darüber hinaus ist Südostasien beim Handel mit IKT-Produkten auch stärker mit dem asiatischen Raum als mit dem nichtasiatischen Raum verbun­ den. Ostasien ist nicht nur stark mit seiner Region und Ostasien verbunden, son­ dern hat auch eine starke Verbindung mit Nordamerika. In Ostasien und Nord­ amerika ist der Index für die Handelsintensität zwischen den Regionen größer als

Südost Asien Indonesien Malaysia Singapur Thailand Vietnam Ost Asien China Hong Kong, CHN Japan Korea, Rep Süd Asien Indien Pakistan Sri Lanka EU27 Frankreich Deutschland Niederlande Vereinigtes Königreich Nord Amerika Kanada Vereinigte Staaten

Südost Asien 1,63 2,08 1,79 1,72 1,47 1,05 1,04 0,94 1,31 1,10 1,11 1,28 1,32 0,55 1,44 0,54 0,72 0,74 0,61 0,49 0,89 0,49 0,94

Ost Asien 1,05 1,09 0,95 1,10 1,09 1,07 1,17 1,02 1,56 1,35 1,28 1,33 1,31 1,78 1,30 0,56 0,73 0,66 0,56 0,58 1,22 0,95 1,25

Süd Asien 1,56 2,56 1,48 1,74 0,86 2,13 0,96 1,37 0,10 0,27 0,62 0,51 0,38 0,09 6,87 0,48 0,67 0,65 0,38 0,57 0,39 0,22 0,41

EU27 0,51 0,54 0,53 0,33 0,54 0,95 0,43 0,54 0,12 0,31 0,38 0,47 0,48 0,29 0,50 2,64 2,04 2,26 2,62 2,61 0,33 2,90 0,33

2013 Nord Amerika 0,88 0,69 1,14 0,64 1,34 0,48 1,04 1,27 0,35 0,90 0,90 0,47 0,47 0,42 0,40 0,44 0,45 0,56 0,37 0,71 0,57 0,28 0,31

Süd Asien 1,81 2,58 1,65 2,11 1,44 2,15 1,09 1,01 1,30 1,26 0,89 1,27 1,42 0,45 1,99 0,46 0,50 0,58 0,65 0,43 1,31 0,61 1,29

Ost Asien 1,11 0,71 0,97 1,08 1,43 1,58 1,39 1,28 1,95 1,29 1,37 1,35 1,48 0,81 0,77 0,58 0,72 0,73 0,59 0,51 1,32 0,86 1,37

Tab. 5: Handelsintensität im IKT-Sektor (aggregiert) (Quelle: Autorenberechnung auf Basis der WITS-Datenbank)

Süd Asien 1,78 1,24 1,54 2,63 0,96 0,53 1,00 1,21 0,14 0,34 2,07 1,51 0,98 0,14 14,41 0,71 1,30 0,82 0,20 0,63 0,67 0,36 0,71

2005 EU27 0,42 0,68 0,45 0,38 0,38 0,31 0,44 0,50 0,14 0,45 0,53 0,67 0,47 1,50 0,85 1,92 1,72 1,70 1,80 1,84 0,35 0,24 0,36

Nord Amerika 1,30 1,10 1,87 0,94 1,20 0,40 1,09 1,21 0,40 1,26 1,12 0,80 0,84 0,78 0,58 0,51 0,52 0,50 0,58 0,70 0,74 3,41 0,42

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133

eins, während der Index für Ostasien und Südasien kleiner als eins ist. Weitere in­ teressante Ergebnisse sind in Südasien zu finden, in dem der Index der Handels­ intensität in Südasien und in nicht-asiatischen Regionen weniger als 1 (eins) be­ trägt. Der Index der Handelsintensität sowohl in den IKT-Teilsektoren als auch im IKT-Sektor legt nahe, dass Ostasien stärker mit Nordamerika als mit der Europäi­ schen Union verbunden ist. Um unterstützende Beweise zu erhalten, berücksich­ tigt diese Studie auch den detaillierten Handel (Transaktion) zwischen Sektoren und Ländern. Die Abbildungen 7 und 8 zeigen den Verbrauch von Vorleistungen im chinesischen und japanischen IKT-Sektor. Obwohl die Hauptquelle der impor­ tierten Vorleistungen für die Produktion des chinesischen und japanischen IKTSektors aus anderen asiatischen Ländern stammt, spielen die Vereinigten Staa­ ten als Hauptlieferant aus nicht-asiatischen Ländern nach wie vor eine wichtige Rolle.

Abb. 7: Verbindungen zwischen dem IKT-Sektor in China und Japan und seinen Handelspartnern (Quelle: Autorenberechnung auf Basis der EORA-MRIO-Datenbank)

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Abb. 8: Verbindungen zwischen dem IKT-Sektor in China und Japan und seinen Handelspartnern (Fortsetzung) (Quelle: Autorenberechnung auf Basis der EORA-MRIO-Datenbank)

4 Die Determinanten der FuE-Aktivitäten von MNEs in den Aufnahmeländern Kapitel 3 enthält eine empirische Analyse der Determinanten von FuE-Ausgaben durch multinationale Unternehmen (MNU). In dieser Studie konzentrieren wir uns auf die Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten von US-amerikanischen MNUs im Ausland. MNUs aus den Vereinigten Staaten spielen eine wichtige Rolle bei den globalen FuEAktivitäten. Basierend auf Grueber et al (2013) stehen MNUs aus den USA, gemessen an den FuE-Ausgaben, weiterhin ganz oben auf der Liste. MNUs aus den USA haben im Jahr 2012 den größten Anteil an den gesamten FuE-Ausgaben von insgesamt 34,5 Prozent. Der Anteil sinkt 2013 langsam auf 34 Prozent, und es wird erwartet, dass er 2014 weiter auf 33,9 Prozent sinken wird. Dies ist hauptsächlich auf die langsame wirtschaftliche Erholung in den Vereinigten Staaten zurückzuführen. Dieser ähnliche rückläufige Trend, von 23,1 Prozent im Jahr 2012 auf 21,7 Prozent im Jahr 2014, zeigt sich auch bei dem Anteil der multinationalen Unternehmen aus der Europäischen Union an den gesamten FuE-Ausgaben. Die asiatischen Länder spielen auch eine wichtige Rolle bei den globalen FuEAktivitäten. Insgesamt erreichte der Anteil Asiens an den gesamten weltweiten FuEAusgaben im Jahr 2012 37 % und es wird für 2014 einen Anstieg auf 39,1 % pro­ gnostiziert (Grueber et.al, 2013). China und Japan sind zwei Länder, die mit einem

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gemeinsamen Anteil von 25,8 Prozent im Jahr 2012 den größten Beitrag leisteten. Auch wenn China nicht die größten Beiträge zu den weltweiten FuE-Ausgaben leistet, ist das Wachstum der chinesischen FuE-Ausgaben sehr stark. Grueber et al (2013) prognostizierte, dass der Anteil der chinesischen FuE-Ausgaben an den gesamten weltweiten FuE-Ausgaben in zwei Jahren um 2,2 Prozent steigen wird und 2014 einen neuen Rekordwert von 17,5 Prozent erreichen wird. Um die Determinanten der FuE-Aktivitäten von MNUs zu verstehen, führt diese Studie eine empirische Analyse der FuE-Daten der US-MNUs durch. Mit Hilfe einer Paneldatenmethode werden die FuE-Ausgaben von multinationalen Unternehmen durch Produktion (Angenähert durch Verkäufe), Investitionen und Handel (Angenä­ hert durch den Export) modelliert. Um die Auswirkungen des Standorts zu quantifizie­ ren, werden zwei Dummy-Variablen erstellt, die die Länder der Europäischen Union (EUR) und die asiatischen Länder (ASIA) repräsentieren. Alle Daten werden aus der BEA-Datenbank gesammelt. Die Größe der MNUs ist in der Literatur eine häufige De­ terminante für Forschung und Entwicklung. Becker (2013) erwähnte die Größe als Teil der Firmenmerkmale. Liu (2011), Harmantzis und Tanguturi (2005), Bean (1995), Ito und Pucik (1993) verwendeten den Umsatz als Stellvertreter der Unternehmensgröße. In Bezug auf die Investitionen argumentieren Harmantzis und Tanguturi (2005), dass FuE aktiviert und nicht als Betriebsaufwand behandelt werden sollten. Daher wird erwartet, dass sich die Investitionen zusammen mit den FuE-Ausgaben direktional be­ wegen. In dieser Studie fügen wir zusätzliche Variablen in die FuE-Ausgabenfunktion hinzu. Es wird erwartet, dass der Export positiv mit dem Export korreliert, da die Be­ obachtung, die in der empirischen Analyse verwendet wird, MNUs ist. Ein einfaches Streudiagramm zwischen diesen beiden Variablen, wie in Abbildung 9 dargestellt, stützt die Hypothese. Die angepassten Werte weisen eine positive Steigung zwischen Export- und FuE-Ausgaben auf. Nach Prüfung mehrerer Indikatoren wie Heteroskedastizitätstest, Autokorrela­ tionstest und Hausmann-Test kommt die Studie zu dem Schluss, dass das Zufalls­ modell die geeignetste Schätzung ist. Tabelle 6 zeigt die Schätzergebnisse des FuEAusgabenmodells. Im Allgemeinen legen die Ergebnisse nahe, dass die Größe der multinationalen Unternehmen positiv ist und stark mit den FuE-Ausgaben korreliert. Größere multinationale Unternehmen geben tendenziell mehr für die FuE aus. Dar­ über hinaus ist die Rolle der multinationalen Unternehmen im Welthandel positiv und statistisch signifikant. Dies bedeutet, dass die zunehmende Rolle der multinationalen Unternehmen auf dem Weltmarkt einen Anreiz bietet, mehr in die FuE-Aktivitäten zu investieren. In Bezug auf die Dummy-Variable deuten die Ergebnisse darauf hin, dass nur der Euro statistisch signifikant ist und die FuE-Ausgaben positiv beeinflusst. Der Dummy für asiatische Länder ist statistisch nicht signifikant, d. h. asiatische Länder sind als FuE-Gastländer weniger attraktiv als europäische Länder. Die statistische Insignifikanz der Dummy-Variablen der asiatischen Länder gibt uns einige wichtige Punkte. Erstens kann eine relativ schwache Handelsverbindung sowohl bei den Endprodukten als auch

0

2000

4000

6000

8000

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0

20000

40000 ex rnd

60000

80000

Fitted values

Abb. 9: Streudiagramm F&E-Ausgaben und Export von MNUs Tab. 6: Schätzungsergebnisse des Paneldatenverfahrens fixed b/se Sales Capital Expend. Export

b

1,227 (0,169) 0,039 (0,121) 0,213 b (0,098)

random b/se c

1,229 (0,155) 0,018 (0,112) 0,138 (0,088)

Asia

random1 b/se c

1,220 (0,155) 0,02 (0,113) 0,149 a (0,089) −0,248 (0,393)

EUR Constant R-squared N a

p < 0.10 p < 0.05 c p < 0.01 b

−9,680 c (1,174) 0,507 215

−9,016 c (0,977) 215

−8,955 c (0,986) 215

random2 b/se c

1,168 (0,157) 0,034 (0,112) 0,172 a (0,089)

0,686 c (0,336) −9,023 c (0,967) 215

random3 b/se 1,169 c (0,157) 0,035 (0,112) 0,169 a (0,090) 0,166 (0,435) 0,757 a (0,388) −9,083 c (0,979) 215

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bei den Zwischenprodukten zwischen den asiatischen Ländern und den Vereinigten Staaten dazu führen, dass die multinationalen Unternehmen aus den USA von FuEAktivitäten in den asiatischen Ländern abhalten. Zweitens das Personalniveau in den asiatischen Ländern, das relativ weniger qualifiziert ist als das in den europäischen Ländern. Drittens ist das Forschungsnetzwerk zwischen Industrie, Regierung und Uni­ versitäten in den asiatischen Ländern nicht so weit fortgeschritten wie das Forschungs­ netzwerk in den europäischen Ländern. Dieser Standortaspekt ist eine wichtige Varia­ ble, die mehr FuE-Ausgaben von Unternehmen anziehen wird (Becker, 2013). Unter Berücksichtigung der Analyse der ADB (2015) kann man darauf hinweisen, dass die asiatische Wirtschafts- und Innovationsdynamik asymmetrisch ist, nämlich mit Ostasien, einschließlich China, die Teil der internationalen Wertschöpfungsket­ ten und auch einiger F&E-Netzwerke werden (z. B. mit IBM, SIEMENS und SAP, die in vielen asiatischen Ländern Softwarelabore betreiben). Da die Lohnkosten in China infolge eines Höchststands des Arbeitsangebots im Jahr 2014 steigen, wird es lang­ fristig einen Druck auf eine verbesserte Verteilung der asiatischen Produktion durch regionales Outsourcing und Offshoring in China geben. Die asiatischen ausländischen Direktinvestitionen konzentrieren sich zunehmend auf Asien, und auch der innerasia­ tische Handel wächst stark. Da Chinas ausländische Direktinvestitionen überwiegend in andere asiatische Länder fließen, kann man davon ausgehen, dass viele chinesische Unternehmen zunehmend Vorleistungen aus anderen asiatischen Ländern verwen­ den; die Quelle der Vorleistungen werden daher oft chinesische Tochtergesellschaften im Ausland oder ausländische Vorleistungshersteller aus Japan, Korea und Singapur sein. Auch wenn der Anteil der Vorprodukte an der chinesischen Exportproduktion in der ersten Hälfte des ersten Jahrzehnts des 21. Jahrhunderts weiter zugenommen hat, kann man nicht ohne weiteres argumentieren, dass chinesische Unternehmen stärker von ausländischen Lieferungen abhängig geworden sind, da das technolo­ gische Niveau der importierten Vorprodukte nicht konsequent gestiegen ist – viel­ mehr haben chinesische Unternehmen die Befreiung von inländischen Vorleistungen durch internationales Outsourcing und Offshoring genutzt, um die Technologieleiter in der chinesischen Wertschöpfung nach oben zu klettern. Chinesische Unternehmen, die mit steigendem Lohndruck auf dem Heimatmarkt konfrontiert sind – aufgrund des hohen Wirtschaftswachstums – versuchen, internationale Wertschöpfungsketten zu organisieren, in denen asiatische Anbieter Vorleistungen für die wachsende Zahl chinesischer Hochtechnologieunternehmen produzieren. Europäische Unternehmen beteiligen sich an dieser Dynamik vor allem durch FDI in China und einigen ande­ ren asiatischen Ländern. Da oft US-amerikanische, japanische und EU-Unternehmen in bestimmten Sektoren in einem oligopolistischen globalen Umfeld konkurrieren, könnte der Umzug eines der führenden westlichen und japanischen Industrieunter­ nehmen nach China weitere FDI von Wettbewerbern in anderen OECD-Ländern auslö­ sen. Dies könnte nicht nur stark zu hohen FDI-Zuflüssen in China und andere ostasia­ tische Länder beitragen, sondern sollte auch zu einem verbesserten internationalen Technologiefluss in die führenden asiatischen Länder beitragen.

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5 Wirtschaftspolitische Schlussfolgerungen Es gibt mit Blick auf die interregionalen Handelsverbindungen eine klare geographi­ sche Unterscheidung: Die US-Firmen sind vor allem mit Südostasien (Myanmar, Thai­ land, Vietnam, Singapur, Malaysia, Indonesien, Philippinen) und Ostasien (Mongo­ lei, China, Korea, Japan) verbunden, während der EU-Handel vor allem mit Süd-Asien (Pakistan, Indien, Afghanistan) intensiv ist. Dabei ist deutlich, dass die US-Handels­ verbindungen bei IKT-Gütern stark sind, während der EU-Handel mit Asien relativ überschaubar ist. Was Direktinvestitionsperspektiven angeht, so ist der Wettbewerb zwischen den USA und der EU sicherlich aus Sicht der asiatischen Länder willkom­ men. Es ist eine strukturelle Schwäche der EU-Länder, gegenüber den USA beim Han­ del mit Asien zurück zu liegen und gerade in Südostasien nur geringe Fortschritte auch bei der Handelsliberalisierung zu machen – ein Freihandelsabkommen mit Singapur und demnächst weitere EU-Abkommen mit Thailand und Vietnam könnten wichtige Impulse setzen. Aber man sollte EU-seitig nicht übersehen, dass das TPP-Abkommen der USA, sofern es denn die notwendigen politischen Mehrheiten findet, die handelsund direktinvestitionsmäßige Verankerung der USA in Asien deutlich verstärkt. Die Tatsache, dass die USA mit Asien insgesamt im IKT-Sektor ökonomisch stark vernetzt ist, gibt für die USA mit Blick auf die Mobilisierungsmöglichkeit von IKT-bezogenen Wachstumsimpulse eine bessere Basis als der EU. Asien, das für 60 % der Weltbe­ völkerung steht, hat im Zuge überdurchschnittlich hoher erwarteter Wachstumsra­ ten auch gute Perspektiven, um Skaleneffekte bei der IKT-Güterproduktion zu nutzen. Auch wenn Asien beim Angebot an Humankapital gegenüber den USA oder der EU in 2010 noch zurück liegt, so ist zu erwarten, dass im Zuge anhaltenden Wirtschafts­ wachstums die Humankapitalbildung in Asien sich weiter verbessern wird. Auch das bedeutet relative gute Aussichten für zumindest einen Teil der asiatischen Länder, dass sich positive Wachstumsimpulse durch eine IKT-basierte Verbindung vor allem mit den USA ergeben könnten. Zwar ist es richtig, dass die USA versuchen, durch För­ derung der Robotik einen Teil der Industrieproduktion, die einst ins Ausland abge­ wandert war, in die Vereinigten Staaten zurück zu holen. Aber das muss keineswegs ausschließen, dass im Zuge von Produktzyklus-Handel Produktionsstandorte in Asi­ en weiter an Bedeutung zunehmen werden. Es besteht aus EU-Sicht ein nicht uner­ hebliches Risiko, dass man die europäische IKT-Industrie zu langsam entwickelt bzw. die industriellen Kooperationsmöglichkeiten und die Absatzmöglichkeiten in Asien zu wenig nutzt. Die verstärkte Handels- und Investitionsliberalisierung, die sich ins­ besondere im Kontext der ASEAN-Länder seit 2015 ergeben wird, bedeutet Chancen für eine verstärkte asiatische Arbeitsteilung bei IKT und von daher Möglichkeiten von Outsourcing und Offshoring von Seiten von US-Firmen und EU-Firmen. Diese könnten sich ihrerseits dann verstärkt auf höherwertige Wertschöpfungssegmente spezialisie­ ren, die relativ wissens- und technologieintensiv sind. Für die USA bedeutet die starke Präsenz von US-IKT-Firmen in Asien einen strategischen Wachstumsvorteil gegenüber

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den EU-Ländern. Es ist nicht auszuschließen, dass EU-Länder über den verstärkten Import von IKT-Gütern aus Asien via verstärkten IKT-Handel ebenfalls ökonomisch erheblich profitieren können. Eine wichtige Frage ist allerdings, ob es der EU mittel­ fristig gelingen wird, aus Asien auch verstärkt digitale Dienste zu importieren, die et­ wa bei China für einen beträchtlichen Anteil der IKT-Wertschöpfung des Landes bzw. der IKT-Exporte stehen. Die in Teilen der EU bzw. zum Teil in der Wirtschaftspolitik verbreitete Vorstel­ lung, dass man in Europa möglichst umfassend Wertschöpfung in bestimmten Sek­ toren zu behalten versuchen sollte, ist im Widerspruch zu den durch Globalisierung und Digitalisierung ermöglichten neuen Möglichkeiten der internationalen Arbeits­ teilung, die zu nutzen für die internationale Wettbewerbsfähigkeit sehr wichtig ist. Wenn es etwa EU-Firmen gelingt, durch verstärktes international Outsourcing und Offshoring Richtung Asien Kosten- und Qualitätsvorteile gegenüber US-Firmen zu entwickeln, so ergeben sich höhere EU-Marktanteile und US- und Asien-Marktanteile europäischer Firmen. Nur die Spezialisierung in höherwertigeren, technologie- und wissensintensiven Marktsegmenten wird Deutschland und anderen EU-Hochlohn­ ländern erlauben, den bisherigen Wohlstand zu erhalten bzw. auszubauen. Grueber et al. (2013) zeigen, dass Chinas Anteil an den globalen Ausgaben für Forschung und Entwicklung in 2012 nur noch etwa vier Prozentpunkte hinter dem EU-Anteil lag und mittelfristig schon an den EU-Anteil heranreichen dürfte. Natürlich solle man F&E-Ausgaben nicht unkritisch mit Innovationsergebnissen gleich setzen, aber selbst wenn die Qualität des chinesischen Innovationssystems hinter der in den EU-Ländern liegen sollte, so wird doch anhaltendes Wirtschaftswachstum in China und die ent­ sprechende zunehmende Spezialisierung und Innovationsorientierung chinesischer Firmen einerseits die globale Technologiekonkurrenz verstärken und andererseits die Möglichkeiten komplexer Arbeitsteilung zwischen EU-Ländern und Asien verstärken. Es gibt eine klare Unterteilung der interregionalen Handelsbeziehungen, näm­ lich, dass die USA hauptsächlich mit Südostasien und Ostasien verbunden sind, während die Handelsbeziehungen der EU mit Südasien relativ stark sind. Dies deu­ tet darauf hin, dass die Handelsbeziehungen der USA mit Asien im Bereich der IKT ziemlich eng sind, während die EU in Asien eine eher begrenzte Rolle spielt. Für die asiatischen Gastländer ist der Wettbewerb zwischen den USA und der EU durchaus willkommen; und in vielen Gastländern in diesen drei Regionen sind auch japanische IKT-Unternehmen aktiv. Soweit die Handelsliberalisierung der USA durch die TransPazifik-Partnerschaft (TPP) bald abgeschlossen sein sollte, werden die US-Unterneh­ men in Asien zusätzliche Anreize erhalten, in Asien, insbesondere in Südasien, zu produzieren. Im Gegensatz dazu hat die EU nur einen Handelsliberalisierungsver­ trag mit Singapur und verhandelt mit mehreren weiteren asiatischen Ländern, aber dies ist sicherlich eine bescheidenere Liberalisierungsinitiative als das US-asiatische Projekt TPP. Angesichts der regionalen Bevölkerungs-, Handels- und Innovationsdy­ namik in Asien kann man jedoch argumentieren, dass die Expansion des IKT-Sektors in Asien tatsächlich anhalten dürfte, da die Beseitigung von Handelshemmnissen

140 | Tony Irawan und Paul J. J. Welfens

zwischen Asien und den USA neue Investitionsmöglichkeiten in vielen asiatischen Ländern schaffen wird. Gleichzeitig wird die insgesamt starke regionale Expansion der IKT aufgrund des starken regionalen asiatischen und insbesondere chinesischen Wirtschaftswachstums zu neuen Expansionsmöglichkeiten für IKT-Investoren in Asi­ en beitragen. Ein offensichtlicher endogener Zusammenhang besteht darin, dass der Anteil der IKT-Investitionen an den Gesamtinvestitionen sowohl in den OECD-Län­ dern als auch in den asiatischen Ländern im Laufe der Zeit zunimmt, so dass eine steigende Kapitalintensität im Zuge des wirtschaftlichen Aufholprozesses in Asien oft mit einem höheren IKT-Aufwand im Produktionsprozess einhergeht. Da statische und dynamische Skaleneffekte in der IKT-Produktion oft mit relativ niedrigen asiatischen Lohnstückkosten in der Produktion von IKT-Gütern kombiniert werden können, ist es nicht verwunderlich, dass US-amerikanische ausländische Investoren, die bereits erfolgreich in einigen asiatischen Ländern produzieren, weiterhin eine optimale Nut­ zung der regionalen Vorleistungen in führenden Technologiebereichen anstreben werden. Der hochinnovative IKT-Sektor zeigte im Falle Asiens, dass US-Unternehmen stär­ ker in asiatischen Ländern engagiert sind – im Vergleich zu EU-Unternehmen. Es ist nicht von vornherein klar, dass für die Erklärung dieses Befundes die Entfernung wichtig ist. Zwischen Deutschland und China besteht eine modernisierte Eisenbahn­ verbindung (Duisburg/Chongqing), die es ermöglicht, die Just-in-time-Produktion in Asien sehr zuverlässig aufzubauen, aber dieser logistische Vorteil wird bei den IKT-Investitionen der EU in China bisher nicht stark genutzt. In Bezug auf Fragen des geistigen Eigentums werden Unternehmen aus den USA wahrscheinlich mehr Unterstützung von ihrer Regierung gegenüber China erhalten als deutsche (oder fran­ zösische) Unternehmen auf der Grundlage der Unterstützung der deutschen (franzö­ sischen) Regierung in China. Die EU in Form der Europäischen Kommission gilt in vielen asiatischen Ländern eindeutig nicht als starke Institution. Die Europäische Kommission hat die Dynamik der IKT als ein Element einer um­ fassenderen Modernisierungsstrategie mit Schwerpunkt auf ausgewählten Leitmärk­ ten hervorgehoben. Man kann argumentieren, dass der Fokus auf IKT im Hinblick auf das Ziel eines höheren Wirtschaftswachstums angemessen ist. Es scheint jedoch, dass die Europäische Kommission nicht ausdrücklich erwogen hat, Ansätze zur Liberalisie­ rung des Handels – insbesondere in Bezug auf asiatische Länder – mit einer Politik zur Förderung der Innovation zu kombinieren. Ein besonderes Problem der Europäischen Union im Bereich der IKT-Innovation und Investitionsdynamik besteht darin, dass das politische System viel zu langsam ar­ beitet, um neue Investitionen und Handelsmöglichkeiten wirklich optimal zu nutzen. Ein typisches „Green Paper“ zu einem neuen politischen Thema dauert 1½ Jahre und das folgende weiterführende „White Paper“ wird etwa die gleiche Zeit in Anspruch nehmen; weitere zwei Jahre werden benötigt, um eine so genannte Richtlinie zu er­ reichen, die den Rahmen vorgibt, in dem die EU-Mitgliedstaaten dann weitere zwei Jahre für die Umsetzung der nationalen Gesetzgebung benötigen. In einer Weltwirt­

IKT-Wirtschaftsdynamik und regionale Freihandelsdynamik in ASEAN-Ländern |

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schaft mit rascher wirtschaftlicher Globalisierung bzw. rascher IKT-Innovationsdyna­ mik scheint es, dass eine so langsame Anpassung des parlamentarischen Prozesses in der EU definitiv viel zu langsam ist, um mit den USA Schritt zu halten. In den USA ha­ ben der Kongress und der Präsident bei verschiedenen Gelegenheiten – z. B. während der Bankenkrise – gezeigt, dass das System bei der Bewältigung ernsthafter neuer po­ litischer Herausforderungen viel schneller ist als in der EU. Angesichts der laufenden Verhandlungen mit den USA über das Projekt einer transatlantischen Handels- und In­ vestitionspartnerschaft kann davon ausgegangen werden, dass die Europäische Kom­ mission und das Europäische Parlament Maßnahmen zur Beschleunigung der Gesetz­ gebung in der EU in kritischen Bereichen ergreifen werden.

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Arthur Korus

Erneuerbare Energien und Leitmärkte in der EU und Deutschland 1

Einleitung | 142

2

Förderung der erneuerbaren Energien in Europa und Deutschland | 143

3

Förderung der erneuerbaren Energien und Innovationsdynamik | 153

4

Erneuerbare Energien – eine Leitmarktperspektive | 161

5

Erneuerbare Energien, Leitmärkte und Beschäftigungseffekte | 166

6

Schlussfolgerung | 168

Literatur | 170

1 Einleitung Die Europäische Kommission erklärte im Jahr 2007 den Markt für erneuerbare Ener­ gien zu einem Leitmarkt. Hierbei beschrieb die Kommission den Markt für erneuerbare Energien als einen aufstrebenden Wirtschaftszweig mit hohem Innovationspotenzial. Jedoch hindern nach Ansicht der Kommission drei Faktoren die verstärkte Nutzung von erneuerbaren Energien und damit die Erfolgschancen der erneuerbaren. Erstens beinhalten die Energiepreise nicht in vollem Umfang die externen Kosten der Ener­ gieverwendung. Dies führt zu einer geringen Nachfrage. Aufgrund einer zu geringen Nachfrage nach erneuerbaren Energien kommen Lernkurveneffekte, die zu Preissen­ kungen führen würden, nicht zur Entfaltung. Zudem führen verschiedene nationale Fördersysteme sowie administrative und marktbedingte Hindernisse dazu, dass das mit dem Binnenmarkt verbundene Potenzial nicht ausgeschöpft werden kann. Aus diesen Gründen beschloss die Europäische Kommission die erneuerbaren Energien zu fördern und den Markt für erneuerbare Energien zu einem Leitmarkt zu entwickeln. In der EU werden die erneuerbaren Energien durch die direkte Förderung der For­ schung und Entwicklung, Einspeiseprämien, -tarife und ähnliche Förderinstrumente sowie das EU-weite Emissionshandelssystem gefördert. Die Förderung von Grundla­ gen- und Technologieforschung kann für die Entwicklung neuer Energietechnologien durchaus sinnvoll sein. Denn in vielen Fällen haben Unternehmen keinen Anreiz in nicht marktreife Technologien zu investieren, weil solche Investitionen mit hohem Ri­ siko verbunden sind und hohe individuelle Kosten verursachen. Diesen Kosten steht kein geldwerter Vorteil gegenüber. Ohne staatliche Unterstützung kann es somit zur Unterinvestition in der Technologieforschung kommen. Dies würde die Entwicklung neuer Energietechnologien verlangsamen. Allerdings sollten die staatlich bereitge­ stellten Forschungsgelder mit der Höhe der erreichten Entwicklungsstufe einer Ener­ https://doi.org/10.1515/9783110583212-006

Erneuerbare Energien und Leitmärkte in der EU und Deutschland | 143

gietechnologie absinken. Nach jeder erreichten Entwicklungsstufe wird das generierte Wissen spezifischer. Je spezifischer das Wissen desto eher kann dieses von Konkurren­ ten geschützt und auf den Markt gebracht werden. Im Folgenden soll die zeitliche Entwicklung der in ausgewählten EU-Staaten ge­ tätigten Forschungs- und Entwicklungsausgaben aufgezeigt werden. Hierbei scheint das Fördersystem für erneuerbare Energien die Ausgaben für Forschung und Entwick­ lung maßgeblich zu beeinflussen. Zudem werden Zahlen zu jährlichen Patentanmel­ dungen für erneuerbare Energietechnologien aufgezeigt. Darauf aufbauend soll an­ hand verschiedener Indikatoren beurteilt werden, ob in den Mitgliedsstaaten der EU Leitmärkte im Bereich der Windkraft und der Photovoltaik vorliegen. Es zeigt sich, dass insbesondere Leitmärkte für Windkraft in europäischen Staaten zu finden sind. Im Bereich der Photovoltaik sind die Leitmärkte in asiatischen Staaten und den USA zu finden.

2 Förderung der erneuerbaren Energien in Europa und Deutschland Europäische Union Die Europäische Union hat sich zum Ziel gesetzt, „weltweit die Führungsrolle“ beim Ausbau erneuerbarer Energien einzunehmen. Dafür soll der Anteil der erneuerbaren Energien am Bruttoendenergieverbrauch der EU auf 20 Prozent und bis 2030 auf 27 Prozent ansteigen (Europäischer Rat). Damit dieses Ziel erreicht wird, muss der An­ teil der erneuerbaren Energien am Stromangebot bis dahin auf 50 Prozent steigen. Die Europäische Union hat in der Richtlinie 2009/28/EG zudem nationale Ausbauziele for­ muliert. So soll z. B. in Deutschland der Anteil von Energie aus erneuerbaren Quellen am Bruttoendenergieverbrauch bis 2020 auf 18 Prozent gesteigert werden. Bereits im Jahr 1997 formulierte die Europäische Kommission Ausbauziele für erneuerbare Energien. Hierbei schlug sie vor, den Anteil erneuerbarer Energien am Bruttoinlandsenergieverbrauch innerhalb der Europäischen Union bis 2012 auf 12 Prozent zu verdoppeln. Zur Erreichung des formulierten Ziels formulierte die Euro­ päische Kommission einen Aktionsplan. Zur Umsetzung des Aktionsplans wurden verschiedene Richtlinien erlassen. In der Richtlinie 2001/77/EG zur Förderung erneu­ erbarer Energien zur Stromerzeugung wurde angegeben, den Anteil der erneuerbaren Energien an der Stromerzeugung in der EU von 14 Prozent im Jahr 1997 auf 21 Prozent im Jahr 2010 zu erhöhen. In der Richtlinie 2003/30/EG zur Förderung von Biokraft­ stoffen im Verkehrssektor wurde das Ziel formuliert, den Anteil von Biokraftstoffen in den EU-Mitgliedstaaten auf jeweils 5,75 Prozent zu erhöhen. Mit der Richtlinie 2003/54/EG über gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt wurde die Möglichkeit eines privilegierten Zugangs von Strom aus erneuerbaren Energien in

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das Stromnetz eingeführt. Im Jahr 2007 stellte die Europäische Kommission fest, dass die EU-Mitgliedstaaten nur geringe Erfolge beim Ausbau der erneuerbaren Energien aufweisen konnten und die für 2010 formulierten Ziele womöglich verfehlt werden würden, weil es sich bei den Zielvorgaben um unverbindliche Richtwerte handelte. Deshalb wurden die beiden Richtlinien 2001/77/EG und 2003/30/EG durch die Er­ neuerbare-Energien-Richtlinie 2009/28/EG ersetzt. Zudem erklärte die Europäische Kommission in der „Leitmarktinitiative für Europa“ (2007) den Bereich der erneuer­ baren Energien zu einem Leitmarkt. In der Erneuerbaren-Energien-Richtlinie aus dem Jahr 2009 hat die Europäische Kommission verbindliche Ausbauziele für die erneuerbaren Energien festgelegt. Das Erreichen der Ausbauziele verbleibt allerdings in nationaler Hand. So hat die Kom­ mission nationale Gesamtziele für den Anteil von Energie aus erneuerbaren Quellen am Endenergieverbrauch im Jahr 2020 festgeschrieben (siehe Abbildung 1). Der Grund für die Formulierung von nationalen Ausbauzielen war die Einschätzung der Kommis­ sion, dass die Potenziale für die Nutzung von erneuerbaren Energien als Stromerzeu­ gungstechnologie innerhalb der Mitgliedstaaten und der jeweilige Energiemix sehr unterschiedlich sind. Die Festlegung auf bestimmte nationale Ziele richtete sich ins­ besondere an der Höhe des Bruttoinlandsprodukts. Die Europäische Kommission ver­ mied es den einzelnen EU-Mitgliedstaaten vorzuschreiben, mit welchen Instrumenten bzw. Mitteln sie ihre jeweiligen nationalen Ziele erreichen sollen. Die EU-Mitgliedstaa­ ten können somit grundsätzlich frei entscheiden, mit welchem Energiemix und insbe­ sondere mit welchen Förderregelungen sie ihre Ausbauziele erreichen.

Abb. 1: Anteil Erneuerbarer Energien am Bruttoendenergieverbrauch in den EU-Ländern 2013 und 2020 (Zielwert) (Quelle: Eurostat)

Erneuerbare Energien und Leitmärkte in der EU und Deutschland |

145

Die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien nimmt in Deutschland und in an­ deren Europäischen Staaten somit eine Sonderrolle ein. Die Förderung der erneuerba­ ren Energien wurde politisch als notwendig erachtet, weil viele dieser Technologien nicht kostendeckend am Markt betrieben werden können. Damit weisen die erneuer­ baren Energien einen erheblichen Wettbewerbsnachteil gegenüber konventionellen Kraftwerken auf. Ohne die Förderung erneuerbarer Energien würden Netzbetreiber den Strom aus erneuerbaren Energien nicht abnehmen und würden stattdessen ver­ mehrt Strom von konventionellen Kraftwerken beziehen. Weil aus vielerlei Gründen auf erneuerbare Energien beruhende Stromerzeugungstechnologien nicht verzichtet werden soll, müssen die anfänglichen Investitionen oder deren laufender Betrieb staatlich gefördert werden. In der EU werden die erneuerbaren Energien grundsätz­ lich durch drei Maßnahmen gefördert: Die Unterstützung der Forschung und Entwick­ lung (FuE), die Vermarktung erneuerbarer Energien und die Verteuerung der fossilen Energieträger durch das EU-weite Emissionshandelssystem (EU-ETS). In der EU erfolgt die direkte FuE-Unterstützung vor allem im Rahmen der For­ schungsrahmenprogramme. Aktuell erfolgt die FuE-Unterstützung über das 7. For­ schungsrahmenprogramm. Diese Art der EU-Förderung existiert nun schon seit über 30 Jahren. Im Rahmen des Forschungsprogrammes wurde die Photovoltaik-Forschung mit über 110 Mio. Euro gefördert. Die Finanzierung stammt größtenteils aus dem priva­ ten Sektor (59 %). Der Rest stammt aus den EU-Mitgliedstaaten (35 %) und dem Haus­ halt der EU (6 %). Des Weiteren wurden seit 2002 FuE-Ausgaben im Bereich der Wind­ kraft mit über 60 Mio. Euro gefördert. Zudem existieren in Europa verschiedene Systeme zur Förderung der erneuerba­ ren Energien. Der Ausbau der erneuerbaren Energien kann z. B. über eine Preissteue­ rung erreicht werden. Bei dieser preisbasierten Förderung wird für die Einspeisung von Strom aus erneuerbaren Energien zum einen typischerweise für einen festgeleg­ ten Zeitraum eine feste Vergütung je produzierter Menge an Strom und zum anderen ihre Abnahme durch Netzbetreiber garantiert (Preismodell). Zudem können die Aus­ bauziele für erneuerbare Energien durch ein mengenbasiertes Modell (Quotenmodell) erreicht werden. Hierbei wird eine bestimmte Gesamtmenge aus Strom von erneuerba­ ren Energien vorgegeben. Mit welcher Technologie diese Quoten erfüllt werden, bleibt den Stromanbieter überlassen, weil Strom ein homogenes Gut ist und daher nicht er­ sichtlich ist, mit welcher Technologie dieser produziert worden ist.

Bundesrepublik Deutschland Im Rahmen des Energiekonzepts vom 28.10.2010 hat die Bundesregierung den Weg für den Umbau der Energieversorgung skizziert. In dem Konzept beschrieb die Bun­ desregierung Grundumrisse und Strategien, wie der Umbau der Stromerzeugung in Deutschland vollzogen werden soll. Hierbei sollen erneuerbare Energien den Haupt­ anteil an der Stromerzeugung in Deutschland bis zum Jahr 2050 übernehmen. Kernbe­

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standteil des Energiekonzepts war jedoch die Verlängerung der deutschen Atomkraft­ werke um durchschnittlich zwölf Jahre. Nach der Atomkatastrophe von Fukushima im März 2011 hat die Bundesregierung mit dem Gesetzespaket zur Beschleunigung der Energiewende allerdings die bereits umgesetzte Laufzeitverlängerung der Atomkraft­ werke revidiert. Mit der Rücknahme der Laufzeitverlängerung erfährt die friedliche Nutzung der Kernenergie nun eine Zäsur. Mit dem Beschluss in Zukunft vollständig auf Kernenergie zu verzichten, kommt zum Ausdruck, dass es in der Frage der Atom­ energie kein Zurück geben wird. Zudem verabschiedete die Bundesregierung ein Ge­ setzespaket zur Beschleunigung des Ausbaus von erneuerbaren Energien. Das Energiekonzept beinhaltet eine Reihe von klimapolitischen Zielen und Aus­ bauzielen von erneuerbaren Energien. Demnach soll der Anteil der erneuerbaren Energien am Bruttoendenergieverbrauch bis zum Jahr 2050 auf 60 Prozent gesteigert werden. Bis 2020 soll dieser Anteil auf 18 Prozent erhöht werden. Zudem soll gemäß dem Energiekonzept der Anteil der erneuerbaren Energien an der Bruttostromerzeu­ gung bis zum Jahr 2015 80 Prozent betragen. Bis 2020 soll der Anteil erneuerbarer Energien an der Bruttostromerzeugung 20 Prozent ausmachen. Des Weiteren soll der Stromverbrauch bis zum Jahr 2050 um 25 Prozent gesenkt werden. Im Koalitionsvertrag vom Dezember 2013 hat die Bundesregierung die Ausbauzie­ le für erneuerbare Energien aus dem Energiekonzept etwas präziser formuliert. Der Anteil der erneuerbaren Energien an der Bruttostromerzeugung soll bis zum Jahr 2025 40 bis 45 Prozent betragen. Bis zum Jahr 2035 soll dieser Anteil auf 55 bis 60 Prozent erhöht werden. Bis zum Jahr 2050 soll der Anteil erneuerbarer Energien am Brutto­ stromverbrauch mindestens 80 Prozent betragen. Bis 2020 soll der Primärenergiever­ brauch gegenüber 2008 um 20 Prozent sinken, bis 2050 sogar um 50 Prozent.

Stromangebot in Deutschland In Deutschland erfolgt die Bruttostromerzeugung durch verschiedene Technologien und Energieträger. In Deutschland wurden im Jahr 2014 rund 625 Milliarden Kilowatt­ stunden Strom erzeugt. Den größten Anteil an der Stromerzeugung hatten im Jahr 2014 mit 161,3 Mrd. kWh die erneuerbaren Energien. Dies entspricht einem Anteil von 25,8 Prozent an der gesamten Stromerzeugung. Fast ein Viertel der gesamten Stromerzeu­ gung stammte aus regenerativen Energien. Den zweitgrößten Anteil an der gesamten Stromerzeugung hatte im Jahr 2014 die Braunkohle mit 155,6 kWh. Damit betrug der Anteil der Braunkohle in etwa ein Viertel an der gesamten Stromerzeugung, gefolgt von der Steinkohle mit 118,2 Mrd. kWh (18,9 %), der Kernenergie mit 96,9 Mrd. kWh (15,5 %) und Erdgas mit 60 Mrd. kWh (9,6 %). Von besonderer Bedeutung für den Strom-Mix in Deutschland ist der rasante Auf­ stieg der erneuerbaren Energien. In einem Zeitraum von 1990 bis 2014 ist der Anteil der erneuerbaren Energien stark gestiegen (siehe Abbildung 2 und 4). Seit 1990 ist der Anteil der Erneuerbaren an der Stromerzeugung stetig angewachsen. Nur im Jahr 2003

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Abb. 2: Anteil Erneuerbarer Energien an der Bruttostromerzeugung in Deutschland in den Jahren 1990 bis 2014 (Quelle: Destatis)

ist der Anteil der Erneuerbaren an der Bruttostromerzeugung im Vergleich zum Jahr 2002 gesunken. Insbesondere in einem Zeitraum von 2003 bis 2014 ist der Anteil der erneuerbaren Energien dynamisch angestiegen. So nahm der Anteil der erneuerbaren Energien im Zeitraum der Jahre 2004 bis 2014 um etwa 18 Prozentpunkte zu. Im Zeit­ raum von 1990 bis 2002 nahm der Anteil der Erneuerbaren an der Stromerzeugung lediglich um etwa vier Prozentpunkte zu. Allerdings verdoppelte sich der Anteil der Erneuerbaren an der Bruttostromerzeugung in diesem Zeitraum. Das Ziel der Bundes­ regierung den Anteil der erneuerbaren Energien an der Bruttostromerzeugung auf 20 Prozent zu erhöhen, wurde im Jahr 2011 erreicht. Den höchsten Anteil an der Bruttostromerzeugung innerhalb der erneuerbaren Energien wies im Jahr 2014 die Windkraft auf (siehe Abbildung 3). Der Anteil der Wind­ kraft an der Stromerzeugung betrug im Jahr 2014 rund 8,6 Prozent. Gefolgt wurde die Windkraft von der Biomasse. Deren Anteil an der Bruttostromerzeugung machte im Jahr 2014 sieben Prozent aus. An dritter Stelle folgte die Photovoltaik mit einem Anteil in Höhe von 5,8 Prozent. Der Anteil der Wasserkraft an der Stromerzeugung belief sich auf 3,4 Prozent. In der kurzen Frist versuchen die Stromanbieter die Stromnachfrage mit dem be­ stehenden Anlagenpark zu decken. Daher ist der Erzeugungsmix hier weitgehend un­ veränderlich. In der langen Frist kann der Erzeugungsmix angepasst bzw. verändert werden. Solche Anpassungen erfolgen, wenn Anlagen ihre maximale Nutzungsdauer erreichen oder bestehende Anlagen aus gesetzlichen Gründen vom Netz genommen werden müssen. Die für die Stromerzeugung zur Verfügung stehenden Erzeugungska­ pazitäten können als kurzfristige Angebotskurve modelliert werden. Hierbei werden

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Abb. 3: Anteil der einzelnen erneuerbaren Energieträger an der Bruttostromerzeugung im Jahr 2014 (Quelle: BDEW Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft e. V.)

Abb. 4: Anteil der Energieträger an der Bruttostromerzeugung in Deutschland in den Jahren 2000 bis 2014 (Quelle: BDEW Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft e. V.)

die zur Verfügung stehenden Erzeugungskapazitäten aufsteigend nach ihren Grenz­ kosten angeordnet. Dabei ergibt sich eine klare Regel nach den eingesetzten Techno­ logien. Die Einsatzreihenfolge wird in der Literatur als Merit-Order bezeichnet. Diese gibt an, in welcher Reihenfolge die Kraftwerke zur Deckung der Stromnachfrage aufge­ schaltet werden. Hierbei werden zunächst die günstigsten Kraftwerke aufgeschaltet, weil diese Kraftwerke stets in der Lage sein werden, die Stromnachfrage zu geringe­

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ren Preisen zu decken als Kraftwerke mit hohen Grenzkosten. Das Kraftwerk mit den höchsten Grenzkosten, welches zur Deckung der Stromnachfrage benötigt wird, be­ stimmt den Preis. Die Merit-Order entspricht der kurzfristigen Angebotskurve und wird endogen beim Handel mit Strom bestimmt. Die geringsten Grenzkosten weisen dabei die Strom­ erzeugung aus Photovoltaik, Wasserkraft, Kernenergie und Braunkohle auf. Diese Technologien werden aufgrund ihrer Kostenstruktur zur Abdeckung der Grundlast benutzt. Höhere Grenzkosten weisen Steinkohle- und Speicherwasserkraftwerke, Gas­ kraftwerke und Biomasse- und Biogaskraftwerke auf. Diese Kraftwerke sind für das tägliche Anfahren und Abfahren geeignet und werden zur Deckung der Mittellast ein­ gesetzt. Auftretende Nachfragespitzen werden von flexiblen Kraftwerken, z. B. Öl- und Gaskraftwerke, gedeckt. Diese Kraftwerke zeichnen sich dadurch aus, dass sie für den Betrieb mit wechselnder Leistung ausgelegt sind. Allerdings weisen die erneuerbaren Energien relativ hohe Stromgestehungskosten auf. Im Jahr 2013 lagen die Gestehungs­ kosten für Strom aus PV-Anlagen zwischen 78 und 142 Euro pro MWh (Kost et al. 2013) und für Windkraftanlagen bei 45 und 107 Euro pro MWh. Die Gestehungskosten für Strom aus Braunkohlekraftwerken lagen im Jahr 2011 zwischen 38 und 53 Euro pro MWh. Die Gestehungskosten aus Strom für Steinkohlekraftwerke liegen zwischen 63 und 80 Euro pro MWh und für Gas- und Dampfkraftwerke zwischen 75 und 98 Euro pro MWh. Es ist ersichtlich, dass die Braunkohle die geringsten Gestehungskosten für Strom aufweist. Innerhalb der erneuerbaren Energieträger scheint die Windkraft wettbewerbsfähig zu sein, weil die Gestehungskosten für Strom aus Windkraftanlagen teilweise geringer sind als für Braunkohlekraftwerke. Die Photovoltaik weist zwar die geringsten Grenzkosten aber auch die höchsten Gestehungskosten für Strom auf. Da­ mit ist die Photovoltaik immer noch nicht wettbewerbsfähig und muss daher gefördert werden, damit der Strom aus Photovoltaik-Anlagen am Strommarkt abgenommen wird.

Das Erneuerbare-Energien-Gesetz In Deutschland regelt seit dem Jahr 2000 das inzwischen mehrfach reformierte Erneu­ erbare-Energien-Gesetz (EEG) die Förderung erneuerbarer Energien für die Erzeugung elektrischer Energie. Ein Vorläufer des EEG war das Stromeinspeisungsgesetz aus dem Jahr 1991. Dieses Gesetz legte im Vergleich zum EEG deutlich geringere Fördersätze fest. Dementsprechend entfaltete das Stromeinspeisungsgesetz geringere Wirkungen auf den Ausbau von erneuerbaren Energien als das EEG. Für den Wärmebereich gibt es ein separates Gesetz, das Gesetz zur Förderung Erneuerbarer Energien im Wärmebe­ reich (EEWärmeG). Das Erneuerbare-Energien-Gesetz als ein Eckpfeiler der deutschen Energiepolitik soll den folgenden Zielen dienen: – Die Energieversorgung soll nachhaltiger werden, d. h. durch die vermehrte Strom­ erzeugung aus erneuerbaren Energien soll eine Reduktion klimaschädlicher Emissionen erfolgen. Die Politik hat erkannt, dass die bisherige Energieversor­

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gung aus fossilen Energieträgern nicht nachhaltig war, insbesondere wegen den Klimagefahren aus CO2-Emissionen. Die wirtschaftliche und politische Abhängigkeit von fossilen Energieträgern soll dauerhaft reduziert werden. Die Erzeugung elektrischer Energie aus umweltfreundlichen erneuerbaren Ener­ gien soll verstärkt werden, und die dafür geeigneten Technologien sollen durch eine zeitlich begrenzte Subventionierung auf Dauer selbst wirtschaftlich werden. Der Anteil der erneuerbaren Energien an der Bruttostromerzeugung soll gesteigert werden: bis 2020 auf mindestens 35 %, bis 2030 auf 50 %, bis 2040 auf 65 % und bis 2050 auf 80 %.

Zur Erreichung der Ziele wurden verschiedene Maßnahmen gesetzlich verankert. So haben die erneuerbaren Energien in den Stromnetzen nun Vorrang. Stromnetzbetrei­ ber müssen Anlagen für die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien an ihre Netze schließen (Anschlusszwang). Zudem muss die Einspeisung der erzeugten Energie in das Netz im Rahmen der technischen Möglichkeiten zugelassen werden. Falls es zu Überkapazitäten im Stromnetz kommt, müssen zuerst konventionelle Kraftwerke so­ weit wie möglich gedrosselt werden (Vorrang der Einspeisung erneuerbarer Energien, wie auch für Strom aus Kraft-Wärme-Kopplung). Bei Bedarf müssen die Netzbetrei­ ber ihre Stromnetze ausbauen, soweit dies wirtschaftlich tragbar ist. Wenn die Netz­ betreiber aufgrund von Engpässen im Stromnetz nicht in der Lage sind, Strom aus erneuerbaren Energien in das Netz einzuspeisen, müssen diese Entschädigungen für entgangene Einspeisevergütungen an die Anlagenbetreiber von Erneuerbaren zahlen. Des Weiteren sind die Einspeisevergütungen im EEG nach Technologien differenziert (siehe Abbildung 5). Somit werden vermeintlich nicht nur die momentan billigsten, sondern auch teure, aber vielversprechende Technologien gefördert. Den Betreibern der Stromerzeugungsanlagen wird eine Einspeisevergütung für die Energie gezahlt, die sie ins Stromnetz einspeisen. Zudem gibt es eine Vergütung für die Energie, die sie selbst verbrauchen. Die Vergütungssätze variieren mit der eingesetzten Techno­ logie. Für die Photovoltaik fallen die Vergütungssätze höher aus als für Windenergie oder Wasserkraft. Ebenfalls gibt es eine Berücksichtigung der Anlagengrößen und der Standortqualität. Zwischen den Jahren 2005 und 2013 sind die durchschnittlichen Vergütungen in Cent pro kWh für Photovoltaikanlagen von 53 Cent auf 32,9 Cent pro kWh gesunken (siehe Abbildung 5). Im Gegensatz dazu sind die Vergütungssätze in Cent pro kWh für die anderen erneuerbaren Energien gestiegen oder in etwa konstant geblieben. Die Vergütungssätze für bestehende Anlagen sind fest vereinbart, allerdings sin­ ken die Sätze für neue Anlagen ständig ab. Für bestehende Anlagen bleiben somit die Vergütungen für eine vereinbarte Zeit nominal konstant. Für neue Anlagen werden die Vergütungssätze hingegen jedes Jahr neu angepasst. Die Absenkung der Vergü­ tungssätze orientiert sich dabei mehr oder weniger an den erzielten Kostensenkungen. Zudem können die Vergütungssätze auch innerhalb eines Jahres angepasst werden.

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Abb. 5: Durchschnittliche EEG-Vergütung in Cent pro Kilowattstunde (Quelle: BMWi)

Wenn bei der Photovoltaik der Ausbau schneller oder langsamer erfolgt, können die Sätze für diese Technologie dementsprechend angepasst werden. Seit der EEG-Novel­ le aus dem Jahr 2014, können auch die Vergütungssätze für Windenergie innerhalb eines Jahres erhöht bzw. gesenkt werden. Der Anschlusszwang und der Einspeisevor­ rang für erneuerbare Energien werden wohl dauerhaft bestehen bleiben. Die Einspeisevergütungen an die Anlagenbetreiber werden über die EEG-Umla­ ge von den Verbrauchern bezahlt. Somit werden die Einspeisevergütungen nicht über Steuermittel finanziert, sondern von den Stromverbrauchern als Teil des Stromtarifs bezahlt. Die EEG-Umlage ist seit der Einführung des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes deutlich angestiegen. Im Jahr 2000 betrug die EEG-Umlage rund 0,19 ct/kWh, im Jahr 2014 belief sich die Umlage schon auf 6,24 ct/kWh. Damit ist die EEG-Umlage zwischen den Jahren 2000 und 2014 nominal um mehr als 3000 Prozent angestiegen. Zwischen 2000 und 2009 ist die EEG-Umlage stetig angestiegen, wobei im Jahr 2004 die EEGUmlage am stärksten zugelegt hat. In den Jahren zwischen 2010 und 2014 stieg die EEG-Umlage sprunghaft an. Insbesondere im Jahr 2011 war ein deutlicher Anstieg der EEG-Umlage zu beobachten, diese stieg im Vergleich zu 2010 um 1,48 ct/kWh. Zudem hat sich die EEG-Umlage seit 2009 verfünffacht. Die von den Verbrauchern zu zahlende EEG-Umlage wird häufig als Maß für die Kosten angegeben, welche das Erneuerbare-Energien-Gesetz verursacht. Deshalb die­ nen besonders sprunghafte Anstiege, wie von 2010 nach 2011 bzw. von 2012 nach 2013, als Anlass für politische Diskussionen (siehe Abbildung 6). Zudem könnte durch weitere Anstiege der EEG-Umlage die gesellschaftliche Akzeptanz für die Energiewen­ de schwinden. Des Öfteren wird umgekehrt aber auch der starke Zubau von Anlagen

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als entscheidender Treiber der EEG-Umlage betrachtet. Allerdings kommt diese Be­ trachtungsweise wohl zu kurz. Selbstverständlich bewirkt ein starker Zubau von An­ lagen, dass Einspeisevergütungen für insgesamt größere Energiemengen gezahlt wer­ den müssen. Allerdings wurden in der näheren Vergangenheit die Vergütungssätze bereits reduziert. Deshalb würde eine Reduktion des Zubaus wohl weniger bewirken als z. T. erwartet wird. Dafür spricht ebenfalls der Befund von Mayer und Burger (2014). Mayer und Burger (2014) zeigen, dass sich die Vergütungszahlungen an die Anlagen­ betreiber seit 2009 verdoppelt haben und kommen deshalb zu dem Schluss, dass die Förderung der erneuerbaren Energien und der Anstieg bei der EEG-Umlage im Miss­ verhältnis zueinander stehen.

Abb. 6: Entwicklung der EEG-Umlage (in ct/kWh) (Quelle: Statista)

Die Höhe der EEG-Umlage hängt noch zusätzlich von vielen anderen Faktoren ab. So sind für die Höhe der EEG-Umlage die Differenzkosten entscheidend (Mayer und Bur­ ger 2014). Die Differenzkosten ergeben sich aus den Vergütungszahlungen abzüglich den Vermarktungserlösen für EEG-Strom. Bis ins Jahr 2009 sind die Vermarktungser­ löse für EEG-Strom kontinuierlich gestiegen. Nach der Reform des EEG-Wälzungsme­ chanismus sind die Vermarktungserlöse deutlich zurückgegangen. Der sinkende Ver­ marktungserlös für EEG-Strom hat die EEG-Differenzkosten (siehe Abbildung 7) und somit die EEG-Umlage ansteigen lassen. Zudem wirken Entlastungsregeln für stromintensive Industrien erhöhend auf die EEG-Umlage. Diese wurden bereits von Anfang an in das EEG integriert, um energie­ intensive Unternehmen, die im internationalen Wettbewerb stehen, nicht zu gefähr­ den. In den letzten Jahren wurden immer mehr Großverbraucher von der EEG-Umlage befreit. So wurde im Jahr 2012 etwa die Hälfte des Stromverbrauchs der deutschen

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Abb. 7: EEG-Differenzkosten in Millionen Euro (Quelle: BMWi)

Industrie von der EEG-Umlage verschont. Diese Entlastungen führen zu einer Mehr­ belastung für Kleinverbraucher. Zudem wird die nötige Höhe der EEG-Umlage bereits im Vorjahr aufgrund von Schätzungen bestimmt. Wenn diese Schätzungen zu niedrig ausfallen, wird die EEG-Umlage nachträglich nach oben korrigiert. Des Weiteren er­ höhen gesetzliche Änderungen, wie z. B. die Einführung eines Liquiditätspuffers und der Marktprämie, die EEG-Umlage.

3 Förderung der erneuerbaren Energien und Innovationsdynamik Es stellt sich nun die Frage, welches Fördermodell starke technologiespezifische Innovationswirkungen entfaltet. So scheint das derzeitige Fördersystem in Deutsch­ land die Innovationstätigkeit im Bereich der erneuerbaren Energien nicht zu stimu­ lieren (Böhringer et al. 2014, Wangler 2012). Die Studie von Wangler (2012) zeigt, dass für den Zeitraum von 1990 bis 2005 die Einspeisevergütung für erneuerba­ re Energien lediglich im Windsektor eine positive Innovationsdynamik verursacht hat. Die Untersuchung von Böhringer et al. (2014) findet in keinem Technologie­ bereich einen positiven statistisch signifikanten Zusammenhang zwischen der Ein­ speisevergütung und der Innovationstätigkeit. Die festen Einspeisevergütungen des EEG bieten anscheinend keinen Anreiz zu erhöhter Innovationstätigkeit (EFI 2014). Ein Investor verdient durch eine neue Technologie nicht mehr als mit einer alten

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Technologie, weil sich die Einspeisevergütung nach den Durchschnittskosten rich­ tet. Somit haben Unternehmen einen erhöhten Anreiz bestehende Marktpotenziale auszunutzen, anstatt Forschung und Entwicklung zu betreiben. Allerdings gelan­ gen Johnstone et al. (2009) zu einer differenzierteren Schlussfolgerung als Böhrin­ ger et al. (2014) und Wangler (2012). Johnstone et al. (2009) zeigen nämlich, dass sich Einspeisevergütungen in der Photovoltaik positiv und in der Windkraft nega­ tiv auf die Innovationstätigkeit auswirken. Zudem finden Johnstone et al. (2009) heraus, dass die Energiepolitik einen größeren Einfluss auf die Innovationstätigkeit ausübt als Elektrizitätspreise. Die jeweilige nationale Energiepolitik ist somit eine Hauptdeterminante zur Erklärung der jährlichen Patentanmeldungen für erneuerba­ re Energietechnologien. Da Studien zu unterschiedlichen Ergebnissen hinsichtlich der Innovationswirkung von Fördersystemen bzw. Einspeisevergütungen gelangen, wird ein Blick auf die die Ausgaben für Forschung und Entwicklung in ausgewähl­ ten Mitgliedstaaten der EU geworfen. Zudem wird auf die Anzahl der jährlichen Pa­ tentanmeldungen als ein Indikator für die Innovationstätigkeit eines Landes oder einzelner Branchen eingegangen. Anhand dieser Indikatoren kann eine erste Beur­ teilung erfolgen, ob ein EU-Staat ein Leitmarkt für bestimmte erneuerbare Energien ist.

Ausgaben für Forschung und Entwicklung im Bereich der erneuerbaren Energien in Deutschland und ausgewählten EU-Staaten Die Innovationstätigkeit im Bereich der erneuerbaren Energien kann mithilfe der FuEAusgaben bzw. FuE-Investitionen abgebildet werden. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass dieses Maß für die tatsächliche Innovationsentwicklung einen groben Indika­ tor darstellt, weil z. B. hohe FuE-Ausgaben keine Garantie dafür sind, dass marktfä­ hige Produkte entstehen. In Deutschland wurde im Jahr 2014 knapp unter 300 Millio­ nen Euro für Forschung und Entwicklung (FuE) im Bereich der erneuerbaren Energien ausgegeben (siehe Abbildung 8). Diese Zahlen beinhalten sowohl öffentliche als auch private Ausgaben für Forschung und Entwicklung. Damit sind die FuE-Ausgaben im Vergleich zum Jahr 2013 um 17 Prozent angestiegen. Seit dem Jahr 2006 kann eine ste­ tige Zunahme der FuE-Ausgaben beobachtet werden. Zwischen 1994 und 2004 sind die FuE-Ausgaben in etwa konstant geblieben. Somit hatte die Ankündigung und Ein­ führung des EEG keinen Anstieg der jährlichen FuE-Ausgaben im Bereich der erneu­ erbaren Energien zur Folge. Im Gegensatz dazu sind mit der Ankündigung bzw. dem Inkrafttreten des Stromeinspeisungsgesetzes die Ausgaben für Forschung und Ent­ wicklung angestiegen. Zwischen den Jahren 1989 und 1993 stiegen die FuE-Ausgaben real um 67 Prozent an. Danach fielen die Ausgaben für Forschung und Entwicklung im Bereich der erneuerbaren Enerien merklich.

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Abb. 8: Forschungs- und Entwicklungsausgaben im Sektor der erneuerbaren Energien in Deutsch­ land von 1980 bis 2014 (in Mio. Euro) (Quelle: OECD)

Innerhalb der erneuerbaren Energien, entfiel im Jahr 2014 der höchste Anteil der Forschungs- und Entwicklungsausgaben auf die Photovoltaik (20 Prozent), darauf folgte die Windkraft (18 Prozent). Knapp dahinter liegt der Bereich Biokraftstoffe (16 Prozent). Den geringsten Anteil der FuE-Ausgaben wies im Jahr 2014 die Geothermie auf, hier betrug der Anteil in 2014 in etwa sechs Prozent.

Abb. 9: Forschungs- und Entwicklungsausgaben im Sektor der erneuerbaren Energien nach einzel­ nen Energieträgern aufgegliedert in Deutschland von 1980 bis 2014 (in Mio. Euro) (Quelle: OECD)

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Nach dem Jahr 1982 sanken bzw. stagnierten die FuE-Ausgaben in der Photovol­ taik (siehe Abbildung 9). Ab 1986 setzte ein Aufwärtstrend ein, der bis 1993 anhielt. Danach setzte ein Abwärtstrend ein, der bis ins Jahr 2004 andauerte. Es ist erkenn­ bar, dass mit dem Inkrafttreten des EEG die FuE-Ausgaben in der Photovoltaik nicht gestiegen, sondern zunächst gefallen sind. Allerdings nehmen seit dem Jahr 2005 die Ausgaben für Forschung und Entwicklung, mit Einschnitten, tendenziell zu. Bei Betrachtung der FuE-Ausgaben in der Windenergie fällt auf, dass sich die­ se z. T. deutlich unter dem Niveau der Photovoltaik und Solarenergie bewegten. Zwi­ schen den Jahren 1983 und 1991 blieben die FuE-Ausgaben in etwa konstant, allerdings auf einem niedrigen Niveau. Erst mit dem Inkrafttreten des Stromeinspeisungsgeset­ zes zogen die Ausgaben für Forschung in der Windenergie wieder an. Dieser Trend setzte sich bis ins Jahr 1997 fort. Danach sanken die FuE-Ausgaben wieder auf ein niedriges Niveau. Mit der Ankündigung bzw. Umsetzung des EEG war, ebenfalls wie in der Solarenergie und Photovoltaik, keine Steigerung der Ausgaben für Forschung und Entwicklung in der Windenergie zu beobachten. Vielmehr wurde ein Absinken der FuE-Ausgaben nach dem Inkrafttreten des EEG in der Windenergie verzeichnet. Seit dem Jahr 2006 sind die FuE-Ausgaben in der Windenergie stetig und z. T. kräftig an­ gestiegen. Während sich die nominalen FuE-Ausgaben im Jahr 2006 auf knapp unter 13 Millionen Euro beliefen, betrugen diese im Jahr 2014 annähernd 54 Millionen Euro. Die Ausgaben für Forschung und Entwicklung bei den Biokraftstoffen beliefen sich im Jahr 2014 auf annähernd 48 Millionen Euro. Zwischen 1981 und 2004 belie­ fen sich die Ausgaben für Forschung und Entwicklung im Bereich der Biokraftstoffe auf einem sehr niedrigen Niveau. Erst seit 2004 weisen die FuE-Ausgaben einen stei­ genden Pfad auf. Ein weiterer wichtiger Indikator zur Erfassung der Innovationstätigkeit eines Lan­ des ist die Anzahl der jährlichen Patentanmeldungen. Bei diesem Maß handelt es sich ebenfalls nur um einen groben Indikator für die tatsächliche Innovationstätigkeit. Zum einen werden viele Produkt- und Prozessinnovationen nicht patentiert, zum an­ deren werden Patente vermehrt als strategisches Instrument eingesetzt. Im Jahr 2012 wurden in Deutschland 1265 Patentanmeldungen im Sektor der erneuerbaren Ener­ gien verzeichnet (OECD 2015). Damit sank die Zahl der Patentanmeldungen gegenüber dem Jahr 2011 um über 27 Prozent. Somit konnte ein deutlicher Einbruch der Patent­ anmeldungen für Erneuerbare Energien beobachtet werden. Im Jahr 2011 konnte noch ein Rekordwert verzeichnet werden. In 2011 wurden 1746 Erfindungen im Bereich der erneuerbaren Energien beim Patentamt angemeldet. Zwischen 1990 und 2004 konnte ein geringfügiger Wachstumstrend bei den Patentanmeldungen im Bereich der erneu­ erbaren Energien verzeichnet werden. Erst seit dem Jahr 2005 zog die Anzahl der Pa­ tenanmeldungen deutlich an. Während im Jahr 2005 in etwa 508 Patentanmeldungen registriert worden sind, betrug die Anzahl der Patentanmeldungen im Jahr 2010 annä­ hernd 1734. Somit konnte die Anzahl der Patenanmeldungen im Bereich der Erneuer­ baren binnen fünf Jahren mehr als verdoppelt werden. Aus Abbildung 10 wird zudem erkennbar, dass das Stromeinspeisungsgesetz nur eine sehr geringe Wirkung auf die

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2000 1800 1600 1400 1200 1000 800 600 400 200 0

Erneuerbarte Energien

Windernergie

Solare Strahlungsenergie

Wasserkra

Abb. 10: Jährliche Patentanmeldungen im Sektor der erneuerbaren Energien in Deutschland von 1990 bis 2012 (Quelle: OECD)

Anzahl der Patentanmeldungen im Sektor der erneuerbaren Energien entfaltete, da in einem Zeitraum von 1991 bis 1998 die Anzahl der jährlichen Patentanmeldungen im Bereich der erneuerbaren Energien stagnierte. Im Gegensatz zum Stromeinspeisungs­ gesetz scheint das EEG die Innovationstätigkeit im Bereich der erneuerbaren Energien durchaus angeregt zu haben. So ist die Anzahl der jährlichen Patentanmeldungen seit dem Jahr 2005 rapide angestiegen. Seit dem Inkrafttreten des EEG im Jahr 2000 nahmen vor allem die jährlichen Pa­ tentanmeldungen im Bereich der Photovoltaik bzw. solaren Strahlungsenergie zu (sie­ he Abbildung 11). Von 2000 bis 2005 ist die Anzahl der jährlichen Patentanmeldun­ gen in etwa konstant geblieben. Zwischen den Jahren 2005 bis 2011 war ein stetiger sowie teilweise rapider Zuwachs der jährlichen Patentanmeldungen im Bereich der Photovoltaik zu verzeichnen. Im Jahr 2005 wurden in der Photovoltaik 174 Patentan­ meldungen registriert. Im Jahr 2011 wurde, mit 677 Patentanmeldungen, ein vorläufi­ ger Rekordwert erreicht. Somit hat sich die Anzahl der Patentanmeldungen gegenüber 2005 fast vervierfacht. Im Jahr 2012 ist ein Einbruch der jährlichen Patentanmeldun­ gen in der Photovoltaik zu beobachten gewesen. Gegenüber dem Jahr 2011 sank die Zahl der Patente im Bereich der Photovoltaik um über 30 Prozent, damit ist der seit 2002 anhaltende Aufwärtstrend beendet. Der Verlauf der jährlichen Patentanmeldungen in der Windenergie ähnelt dem Verlauf der Patentanmeldungen in der Photovoltaik. Von 2000 bis 2005 stagnierten, wie in der Photovoltaik, die jährlichen Patentanmeldungen in der Windenergie. Von 2005 bis 2010 nahm die Anzahl der Patente stetig zu. In diesem Zeitraum verdoppel­ te sich die Anzahl der jährlichen Patentanmeldungen im Bereich der Windenergie.

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800 700 600 500 400 300 200 100 0 2000

2001

2002

Windernergie

2003

2004

2005

2006

Solare Strahlungsenergie

2007

2008

2009

Geothermie

2010

2011

2012

Wasserkra

Abb. 11: Jährliche Patentanmeldungen im Sektor der erneuerbaren Energien nach einzelnen Energie­ trägern aufgegliedert in Deutschland von 2000 bis 2012 (Quelle: OECD)

Damit stieg die Zahl der Patente in der Windenergie nicht so dynamisch an als in der Photovoltaik. Seit 2010 sinkt die Anzahl der Patente in der Windenergie, aller­ dings ist dieser Einbruch nicht so ausgeprägt als in der Photovoltaik. Gegenüber dem Jahr 2010 ist die Anzahl der jährlichen Patente in der Windenergie um 18 Prozent ge­ sunken. In Frankreich wurde im Jahr 2013 nominal knapp über 172 Millionen Euro für For­ schung und Entwicklung im Bereich der erneuerbaren Energien ausgegeben, somit sind die nominalen FuE-Ausgaben gegenüber 2012 um 17 Prozent gestiegen (siehe Ab­ bildung 12). Hierbei floss der größte Teil der gesamten FuE-Ausgaben in den Bereich der Biokraftstoffe, gefolgt von der Photovoltaik und der Solarthermie. In Frankreich spielt die Windenergie nur eine untergeordnete Rolle. Die Ausgaben für Forschung und Entwicklung beliefen sich im Jahr 2013 in der Windenergie in Frankreich nomi­ nal auf 9,4 Millionen Euro. Im Gegensatz dazu betrugen die FuE-Ausgaben im Jahr 2013 in der Windenergie in Deutschland annähernd 53 Millionen Euro. Die Ausgaben für Forschung und Entwicklung weisen in Frankreich seit dem Jahr 2000 einen Aufwärts­ trend auf. Die FuE-Ausgaben sind seit 2000, mit Unterbrechung in den Jahren 2010 und 2012, nominal und real stetig angestiegen. Im Jahr 2012 wurden in Frankreich 336 Patentanmeldungen im Bereich der erneuerbaren Energien verzeichnet, damit sank die Anzahl der Patentanmeldungen gegenüber 2011 um knapp über 26 Prozent. Hier­ bei fällt auf, dass Frankreich im Jahr 2012 deutlich weniger Patentanmeldungen im Bereich der erneuerbaren Energien verzeichnet hat als Deutschland. Im Sektor der er­ neuerbaren Energien erfolgten im Jahr 2012 die meisten Patentanmeldungen in der Photovoltaik, gefolgt von der Windenergie und der Solarthermie.

Erneuerbare Energien und Leitmärkte in der EU und Deutschland | 159

In Großbritannien sind in einem Zeitraum von 2000 bis 2010 die nominalen so­ wie realen FuE-Ausgaben im Bereich der erneuerbaren Energien spürbar angestiegen. Im Jahr 2010 stiegen die FuE-Ausgaben, auch aufgrund der Umstellung des Fördersys­ tems, sprunghaft an. Danach erfolgte ein Einbruch der Ausgaben für Forschung und Entwicklung. Im Jahr 2011 brachen die FuE-Ausgaben gegenüber 2010 real um über 65 Prozent ein. Während im Jahr 2010 die nominalen Ausgaben für FuE noch 196 Mil­ lionen Euro betrugen, lag dieser Wert im Jahr 2011 nur noch bei 68 Millionen Euro. In Großbritannien wurde im Sektor der erneuerbaren Energien im Jahr 2013 annähernd 84 Millionen Euro ausgegeben. Davon entfiel der Großteil auf den Bereich der Biokraft­ stoffe, gefolgt von der Windenergie und der Solarenergie. In Großbritannien wurden im Jahr 2012 knapp 292 Patentanmeldungen im Sektor der erneuerbaren Energien re­ gistriert, damit sank die Anzahl der Patente im Vergleich zum Jahr 2011 um 28 Prozent. Somit machte sich der Einbruch der Ausgaben für Forschung und Entwicklung aus dem Jahr 2010 in der Patentstatistik bemerkbar. Innerhalb der erneuerbaren Energien wurde am häufigsten in der Windkraft patentiert. Im Jahr 2012 wurden in der Wind­ kraft 110 Patentanmeldungen verzeichnet, somit sank die Anzahl der Patentanmel­ dungen gegenüber dem Jahr 2011 um 36 Prozent.

Abb. 12: Forschungs- und Entwicklungsausgaben im Sektor der erneuerbaren Energien in ausge­ wählten EU-28 Mitgliedstaaten von 1990 bis 2013 (in Mio. Euro) (Quelle: OECD)

In Österreich sind in einem Zeitraum von 2000 bis 2010 die nominalen als auch die realen Ausgaben für Forschung und Entwicklung im Sektor der erneuerbaren Ener­ gien stark und stetig angestiegen. Binnen eines Jahrzehnts haben sich die jährlichen Ausgaben für Forschung und Entwicklung somit verdreifacht. Nach 2010 sanken die Ausgaben für FuE leicht ab, befinden sich allerdings immer noch auf einem historisch

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hohen Niveau. Im Jahr 2013 gaben der österreichische Staat und Unternehmen annä­ hernd 30 Millionen Euro für Forschung und Entwicklung im Bereich der erneuerbaren Energien aus. Von den 30 Millionen Euro entfielen 11 Millionen Euro auf die Photo­ voltaik, über 8 Millionen Euro auf den Bereich der Biokraftstoffe, 3 Millionen auf die Solarthermie und der Rest auf andere Technologien im Bereich der Erneuerbaren. Auffällig ist der Anstieg der FuE-Ausgaben in der Photovoltaik. Im Jahr 2006 betrugen die Ausgaben für Forschung und Entwicklung in der Photovoltaik nur 0,5 Millionen Euro, somit haben sich seitdem die FuE-Ausgaben in etwa verzwanzigfacht. In Österreich wurden im Jahr 2012 knapp 86 Patentanmeldungen im Bereich der Erneuerbaren ver­ zeichnet. Damit sank die Anzahl der jährlichen Patentanmeldungen gegenüber 2011 um annähernd zehn Prozent. Hierbei erfolgten die meisten Patentanmeldungen in der Photovoltaik. In den Niederlanden betrugen die Ausgaben für Forschung und Entwicklung im Bereich der erneuerbaren Energien im Jahr 2013 ungefähr 89 Millionen Euro, somit blieben die FuE-Ausgaben gegenüber 2012 relativ stabil. Hierbei flossen 42 Millio­ nen Euro in den Bereich der Biokraftstoffe, annähernd 24 Millionen in die Photovol­ taik, knapp 13 Millionen in die Windenergie und 1 Million Euro in die Solarthermie. Es fällt auf, dass in den Niederlanden die jährlichen FuE-Ausgaben im Bereich der Erneuerbaren seit dem Jahr 2005 im Vergleich zu anderen EU-Staaten relativ volatil sind. So betrugen die FuE-Ausgaben im Jahr 2010 über 138 Millionen Euro, ein Jahr später wurden nur noch 53 Millionen Euro für Forschung und Entwicklung ausgege­ ben. Im Jahr 2012 wurden in den Niederlanden 83 Patentanmeldungen im Sektor der erneuerbaren Energien erfasst, somit sank die Anzahl der Patente gegenüber 2011 um über 20 Prozent. Hierbei entfielen jeweils 33 Patentanmeldungen auf die Photovoltaik und die Windenergie und zehn Patentanmeldungen auf die Solarthermie. In Spanien wurden im Bereich der erneuerbaren Energien für Forschung und Ent­ wicklung ungefähr 50 Millionen Euro ausgegeben, somit halbierten sich binnen ei­ nes Jahres die FuE-Ausgaben. Die Ausgaben für Forschung und Entwicklung sind ge­ genüber dem Jahr 2011 um annähernd 75 Prozent gesunken. Vor dem Einbruch der FuE-Ausgaben im Sektor der erneuerbaren Energien, sind diese in einem Zeitraum von 2002 bis 2011 merklich sowie kontinuierlich angestiegen. Der größte Betrag der FuE-Ausgaben innerhalb der erneuerbaren Energien entfiel im Jahr 2013 auf die So­ larthermie, gefolgt von den Biokraftstoffen, der Windenergie und der Photovoltaik. In Spanien wurden im Jahr 2012 in etwa 268 Patentanmeldungen in den erneuerba­ ren Energien verzeichnet, damit blieb die Anzahl der jährlichen Patentanmeldungen gegenüber dem Jahr 2011 annähernd konstant. Der Großteil der Patentanmeldungen erfolgte in der Windenergie. Schon seit Jahren nimmt die Windenergie innerhalb der Erneuerbaren in Spanien eine Spitzenposition ein. Zudem nehmen seit einigen Jahren die jährlichen Patentanmeldungen in der Windenergie zu. Gefolgt wird die Windener­ gie von der Solarthermie, der Photovoltaik und der Wasserkraft.

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4 Erneuerbare Energien – eine Leitmarktperspektive In diesem Abschnitt wird anhand von zugrunde gelegten Indikatoren und verfügba­ ren Daten analysiert, ob in ausgewählten EU-Mitgliedstaaten Leitmärkte für Wind­ energie bzw. Photovoltaik vorliegen. Die Analyse zeigt, dass die europäischen Staa­ ten im Bereich der Windenergie international gut aufgestellt sind. Innerhalb der EU ist Dänemark eindeutig als ein Leitmarkt für Windkraft einzustufen. Zudem fallen Deutschland, Spanien und das Vereinigte Königreich hier positiv auf. Hierbei weist das Vereinigte Königreich das größte Wachstumspotenzial innerhalb der EU-Mitglied­ staaten auf. Außerhalb der EU spielen China und die USA in der Windkraft eine zuneh­ mend gewichtigere Rolle. In der Photovoltaik weisen die EU-Staaten, anhand der hier betrachteten Indikatoren, nur bedingt Leitmarkteigenschaften auf. Hier befinden sich die Leitmärkte im asiatischen Raum und in den USA. Der Weltmarkt für erneuerbare Energien und insbesondere Windenergie ist in den vergangenen 20 Jahren rapide gewachsen. Vor allem seit dem Jahr 2000 ist der Anteil der Windenergie an der Bruttostromerzeugung und am Bruttoenergieverbrauch in ei­ nigen EU-Staaten rasant angestiegen. Zudem hat sich die Installierte Windenergieleis­ tung weltweit in einem Zeitraum von 2004 bis 2014 fast versiebenfacht (World Wind Energy Report 2013). Dänemark ist mit einem Anteil der Windenergie von 39,1 Prozent an der Brutto­ stromerzeugung im Jahr 2014 die weltweit führende Nation in der Windenergie. Somit ist Dänemark, bei Betrachtung dieses Indikators, ein Leitmarkt für Windkraft bzw. ein Musterknabe bei der Nutzung von Windenergie. Im Jahr 2004 betrug der Anteil der Windenergie am Strom Mix in Dänemark lediglich 18,8 Prozent. Dänemark wur­ de schon im Jahr 2001 von Beise und Rennings (2005) als Leitmarkt für Windenergie identifiziert. Im Jahr 2001 deuteten verschiedene Indikatoren wie z. B. die Windener­ gienutzung in Prozent des Windpotenzials und der Export von Windturbinen auf ei­ ne ausgeprägte Leitmarktposition hin. Damit scheint sich die Position Dänemarks als Leitmarkt für Windenergie verfestigt zu haben. Dabei hätte Dänemark seine Leitmarkt­ position aufgrund der Umstellung des Fördersystems vom Preismodell zum Quoten­ modell im Jahr 2000 fast verspielt. Die Umstellung des Fördersystems hatte zur Fol­ ge, dass die neu installierte Windleistung im Jahr 2001 einbrach (Beise und Rennings 2005). Dänemark ist besonders in der Off-Shore Windenergie gut positioniert. So ist Dänemark das drittwichtigste Land weltweit nach installierter Offshore-Windenergie­ leistung, hinter Großbritannien und Deutschland (Fraunhofer IWES – Windenergie Report Deutschland 2014). Betrachtet man den Anteil der Windenergie am Bruttoin­ landsverbrauch als Leitmarktindikator, positioniert sich Dänemark (5,6 %) ebenfalls innerhalb der EU-28 auf den ersten Platz, gefolgt von Portugal (4,6 %), Spanien (3,9 %), Irland (2,8 %) und Schweden. Zudem ist, mit Vesta das weltweit umsatzstärkste Un­ ternehmen (siehe Abbildung 13) im Bereich der Windkraftanlagen in Dänemark be­ heimatet. Mit einem Umsatz von ca. 7,2 Mrd. Euro ist die Windturbinenindustrie ein

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bedeutender Wirtschaftsfaktor. Der Großteil der in Dänemark hergestellten Windkraft­ anlagen wird weltweit exportiert, hier ist Dänemark der bedeutendste Exporteur von Windkraftanlagen weltweit (Danish energy agency 2015). Allerdings sind im Bereich der Windenergie die Patentanmeldungen sowie die Ausgaben für Forschung und Ent­ wicklung tendenziell rückläufig (siehe Abbildung 12).

Abb. 13: Wichtige Windenergieanlagenhersteller weltweit nach Umsatz 2014 (in Mrd. Euro) (Quelle: Diverse Quellen (Unternehmensangaben); Bundesanzeiger)

In Deutschland beträgt der Anteil der Windkraft an der Bruttostromerzeugung in et­ wa 8,6 Prozent, somit liegt Deutschland weit hinter Dänemark zurück. Bei Heranzie­ hung dieses Indikators zur Beurteilung ob in Deutschland ein Leitmarkt für Wind­ kraft vorliegt, kann die Bundesrepublik nur bedingt als Leitmarkt in der Windener­ gie angesehen werden. Zudem weist Deutschland einen Anteil der Windenergie am Bruttoinlandsverbrauch in Höhe von knapp 1,4 Prozent auf, und liegt damit knapp hinter Schweden. Allerdings sprechen andere Indikatoren dafür, dass in Deutschland durchaus ein Leitmarkt für Windkraft vorliegt. So ist Deutschland gemessen an der Höhe der Stromerzeugung aus Windenergie im Jahr 2014 das wichtigste Land Euro­ pas im Bereich der Windkraft gewesen. Zudem war Deutschland das zweitwichtigste Land weltweit in der Windkraft nach neu installierter Windenergieanlagenleistung im Jahr 2014, hinter China (siehe Abbildung 14). China war im Jahr 2014 mit Abstand weltweit führend beim Aufbau neu installierter Windenergieanlagenleistung. Aller­ dings ist ein Teil der installierten Windenergieanlagenleistung noch nicht an das chi­ nesische Stromnetz angebunden, so dass diese Anlagen brach liegen. Chinesische Unternehmen aus dem Bereich Windkraft entwickeln sich immer mehr zu Global Play­ ern. Vier der zehn Windkraftanlagenhersteller sind in China beheimatet (siehe Ab­

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bildung 13). Chinesische Unternehmen exportieren vornehmlich in den US-amerika­ nischen Markt sowie nach Australien und Äthiopien (China Wind Power Review and Outlook 2014). Der europäische Markt spielt für chinesische Hersteller von Windkraft­ anlagen momentan eine geringe Rolle. Hierbei ist Bulgarien innerhalb der EU der größte Abnehmer von chinesischen Windkraftturbinen. Des Weiteren haben drei (Sie­ mens Wind Power, Enercon und Nordex) der zehn umsatzstärksten Windkraftanla­ genhersteller ihren Sitz in Deutschland. Zudem wird der Großteil der in Deutschland produzierten Windkraftanlagen ins Ausland exportiert. So lag die Exportquote der deutschen Windindustrie im Jahr 2012 bei fast 70 Prozent. Zudem wird, in realer Be­ trachtung, in keinem anderen OECD-Staat mehr in Forschung und Entwicklung inves­ tiert als in Deutschland. Zudem ist die Patenttätigkeit in Deutschland im Vergleich zu anderen EU-Staaten als hoch einzustufen.

Abb. 14: Wichtigste Länder weltweit nach neu installierter Windenergieanlagenleistung im Jahr 2014 (in Megawatt) (Quelle: GWEC)

Von Bedeutung in der Windkraft innerhalb Europas sind zudem Spanien und auch Großbritannien. In Spanien beträgt der Anteil der Windenergie am Bruttoinlandsver­ brauch annähernd vier Prozent. Somit positioniert sich Spanien innerhalb der EUMitgliedstaaten auf den dritten Platz. Zudem deckt die Windkraft in etwa 21 Prozent des Bedarfs an Elektrizität ab. Somit ist die Windenergie die wichtigste Energiequel­ le in Spanien. Des Weiteren war Spanien nach Höhe der Stromerzeugung aus Wind­ energie im Jahr 2014 an zweiter Stelle innerhalb Europas positioniert. Anhand der zu­ vor genannten Indikatoren kann Spanien als ein Leitmarkt für Windkraft identifiziert werden. Des Weiteren ist in Spanien, mit dem Unternehmen Gamesa, einer der welt­ weit umsatzstärksten Windkrafthersteller ansässig (siehe Abbildung 13). Darüber hin­

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aus nimmt die jährliche Anzahl der Patentanmeldungen in der Windkraft in Spanien schon seit einigen Jahren stetig zu. In Großbritannien nimmt seit der Umstellung des Fördersystems vom Quotenzum Preismodell im Jahr 2010 der Anteil der Windenergie an der Bruttostromerzeu­ gung zu. Die britische Regierung förderte durch ein reines Quotenmodell den Zubau von erneuerbaren Energien. Die potenziellen Nutzungsmöglichkeiten der Windener­ gie von Großbritannien, insbesondere im Offshore-Bereich, konnten bis ins Jahr 2010 nicht realisiert werden. Anscheinend wirkte das britische Quotenmodell hinderlich auf den Zubau von Windkraftanlagen. Seit der Umstellung hat Großbritannien kräf­ tig aufgeholt. Im Jahr 2012 lag der Anteil der Windkraft an der Bruttostromerzeugung bei annähernd 5,5 Prozent. Im Dezember des Jahres 2015 betrug der Anteil der Wind­ kraft an der Stromerzeugung über 17 Prozent. Des Weiteren war Großbritannien im Jahr 2014 das wichtigste Land weltweit nach installierter Offshore-Windenergieleis­ tung (Nennleistung). Zudem sind im Jahr 2010 die Ausgaben für Forschung und Ent­ wicklung sprunghaft angestiegen. Allerdings sind die FuE-Ausgaben im Jahr 2011 wie­ der gesunken und befinden sich seitdem auf dem Niveau des Jahres 2010. Allerdings spielen britische Windkrafthersteller auf dem Weltmarkt für Windturbinen keine Rol­ le. So befindet sich kein britisches Unternehmen unter den weltweit umsatzstärksten Windkraftherstellern. Im Bereich der Photovoltaik befinden sich, im Gegensatz zur Windenergie, die entsprechenden Leitmärkte außerhalb der EU-Mitgliedstaaten. Dies zeigen einige In­ dikatoren an. So sinkt die jährlich neu installierte Leistung von Photovoltaikanlagen in Europa seit 2011. In einem Zeitraum von 2000 bis 2011 ist die jährliche neu instal­ lierte Leistung von Photovoltaikanlagen in Europa rasant angestiegen. Zudem betrug im Jahr 2014 der Anteil der Länder China, Japan und USA in etwa 67 Prozent an der weltweit neu installierten Photovoltaik-Leistung (siehe Abbildung 15). Mit großem Ab­ stand auf die USA folgte im Jahr 2014 die Bundesrepublik Deutschland. Des Weiteren waren im Jahr 2014 China, Japan und die USA weltweit die wichtigsten Staaten beim Zubau neu installierter Photovoltaik-Leistung (in Gigawatt). Mit weitem Abstand auf diese Staaten folgten im Jahr 2014 Großbritannien, Deutschland und Australien. Somit befinden sich die Wachstumsmärkte in der Solarbranche im asiatischen und US-ame­ rikanischen Raum. Weil seit einigen Jahren der Großteil der neu installierten Photo­ voltaik-Leistung außerhalb Europas aufgebaut wird, sinkt der Anteil der installierten Photovoltaik-Leistung Europas an der weltweit installierten Photovoltaik-Leistung. In einem Zeitraum von 2000 bis 2010 ist dieser Anteil von zehn auf über 70 Prozent ange­ stiegen. Seit 2011 sinkt der Anteil Europas an weltweit installierten Leistung von Pho­ tovoltaik-Anlagen merklich. So ist seit dem Jahr 2010 der Anteil Europas an der welt­ weit installierten Photovoltaik-Leistung um 25 Prozentpunkte und somit von knapp über 75 auf in etwa 50 Prozent gesunken. Die Branche für Solarmodule wird dementsprechend von US-amerikanischen und chinesischen Unternehmen dominiert (siehe Abbildung 16). Unter den größten Her­ stellern von Solarmodulen weltweit nach Umsatz im Jahr 2014 (in Milliarden Euro)

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Abb. 15: Wichtigste Länder weltweit nach neu installierter Photovoltaik-Leistung im Jahr 2014 (in Gigawatt) (Quelle: EIA)

befanden sich sechs chinesische Unternehmen sowie zwei US-amerikanische Herstel­ ler. In dieser Liste ist, mit Hanwha Q-Cells aus Deutschland bzw. Südkorea, nur ein europäischer Hersteller von Solarmodulen vertreten. Außerdem gehörten sechs chi­ nesische und zwei US-amerikanische Solarmodulhersteller zu den weltweit größten Solarmodulherstellern nach Produktion im Jahr 2014 (in Gigawatt).

Abb. 16: Größte Hersteller von Solarmodulen weltweit nach Umsatz im Jahr 2014 (in Milliarden Euro) (Quelle: KfW; Bloomberg; S&P Capital IQ)

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Nur ein europäischer Solarmodulhersteller befand sich unter den weltweit größ­ ten Solarmodulhersteller nach Produktion im Jahr 2014. Des Weiteren wird das Wachs­ tumspotenzial im Bereich der Photovoltaik für die USA und Asien bis zum Jahr 2020 deutlich höher eingeschätzt als für Europa. So beträgt die prognostizierte jährliche Wachstumsrate bis 2020 in der Solarbranche in den USA bzw. Asien 29 bzw. 28 Pro­ zent. Für Europa beträgt dieser Wert annähernd sieben Prozent. Die zuvor diskutierten Indikatoren weisen darauf hin, dass Europa momentan kein Leitmarkt im Bereich der Photovoltaik ist. Es bleibt festzuhalten, dass sich die Leitmärkte für Photovoltaik in den USA und in Asien, hier allen voran in China, befinden.

5 Erneuerbare Energien, Leitmärkte und Beschäftigungseffekte Mit der Idee den Markt für erneuerbare Energien zu einem Leitmarkt zu gestalten ver­ band sich die Hoffnung der politischen Entscheidungsträger wirtschaftliche Vorteile und insbesondere eine positive Beschäftigungsentwicklung zu generieren. Allerdings muss betont werden, dass die Photovoltaik und Windkraft nicht besonders arbeitsin­ tensiv sind. So unterliegt z. B. die Photovoltaik-Produktion einen hohen Automatisie­ rungsgrad. Die Photovoltaik-Branche in Deutschland beschäftigte im Jahr 2014 in etwa 49.000 Personen. Zur PV-Branche in Deutschland zählen die Bereiche Materialherstellung, Herstellung von Zwischen- und Endprodukten, Produktionsanlagenbau sowie Instal­ lation. Im Jahr 2011 beschäftigte die PV-Branche noch etwas mehr als 120.000 Per­ sonen. Somit ist binnen drei Jahren die Beschäftigtenzahl in der Photovoltaik dras­ tisch gesunken. Demgegenüber ist die Anzahl der Beschäftigten in einem Zeitraum von 2004 bis 2011 stetig angestiegen. Im Jahr 2004 beschäftigte die PV-Branche knapp 25.000 Personen. Mithilfe des EEG, Investitionsbeihilfen in den neuen Bundeslän­ dern und staatlicher Forschungsförderung sollte sich Deutschland zu einem weltweit führenden Produktionsstandort für Photovoltaik-Zellen und Module entwickeln sowie etablieren. Noch bis 2011 schien sich die Hoffnung der deutschen Bundesregierung zu er­ füllen (siehe Abbildung 17). Zudem führte im Jahr 2007 eine deutsche Firma die in­ ternationale Rangliste im Bereich Solarmodule nach Produktionsvolumen an. Seither haben deutsche Hersteller massiv an Marktanteilen verloren und zudem wurden deut­ sche Firmen größtenteils von Firmen aus dem asiatischen Raum übernommen. Vor allem chinesische Unternehmen kauften sich bei deutschen Solarmodulherstellern ein. Ein wichtiger Grund für die Verluste der deutschen PV-Branche von Marktanteilen war, dass asiatische und insbesondere chinesische Unternehmen von einer entschie­ denen Industriepolitik profitieren und dass diese Unternehmen massive Investitionen in den Aufbau von Produktionskapazitäten tätigten (Wirth 2016). Diese Investitionen

Erneuerbare Energien und Leitmärkte in der EU und Deutschland | 167

Abb. 17: Anzahl der Beschäftigten im Bereich Solarenergie in Deutschland in den Jahren 2004 bis 2014 (Quelle: BMWi)

wurden zudem von sehr attraktiven Kreditbedingungen gefördert. Dadurch konnten asiatische Unternehmen großskalige Produktionsstätten aufbauen und daher stati­ sche Skaleneffekte realisieren. Somit waren asiatische Unternehmen in der Lage So­ larmodule zu sehr niedrigen Preisen bzw. Dumping-Preisen auf dem Weltmarkt an­ zubieten. In Deutschland führte die Förderung der Photovoltaik zu einem massiven Ausbau von Photovoltaik-Kraftwerken. Allein in Deutschland wurden in diesem Be­ reich bis 2014 in etwa 90 Mrd. Euro investiert (Wirth 2016). Allerdings konnten das EEG und sonstige staatliche Förderinstrumente nur geringe Wirkungen auf private In­ vestitionen für den Aufbau bzw. Ausbau von Produktionskapazitäten im Bereich der Photovoltaik entfalten. Die Beschäftigtenzahl im Bereich der Windenergie entwickelte sich deutlich po­ sitiver als in der PV-Branche (siehe Abbildung 18). Im Jahr 2014 stellte die Windener­ giebranche in Deutschland fast 150000 Personen ein und damit deutlich mehr als die Photovoltaik-Branche. Zudem entwickelte sich die Anzahl der beschäftigten Personen in der Windenergiebranche seit einigen Jahren positiv. Zunächst konnte in einem Zeit­ raum von 2002 bis 2009 ein stetiger Anstieg der Anzahl der Arbeitsplätze beobachtet werden. Von 2008 bis 2010 blieb die Anzahl der Beschäftigten in etwa konstant. Seit dem Jahr 2010 nimmt die Anzahl der Arbeitsplätze in der Windenergiebranche stetig und z. T. stark zu. Die Beschäftigung im Bereich der Windenergie ist in den letzten Jah­ ren gestiegen, weil zum einen in Deutschland die Installationszahlen gestiegen sind und die Onshore-Windkraft einen Markt mit einem stabilen Absatz und geringen Im­ porten darstellt. Allerdings dürfte der Aufbau von Arbeitsplätzen in den nächsten Jah­ ren abflachen, weil die Zubaugrenze für Windenergie an Land drastisch auf 2,5 Giga­

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Abb. 18: Anzahl der Arbeitsplätze in der Windenergiebranche bundesweit in den Jahren 2002 bis 2014 (Quelle: Bundesverband WindEnergie e. V.)

watt pro Jahr reduziert wird. Zudem wird wohl ein Ausschreibungsverfahren für Pro­ jektentwickler eingeführt. Dies könnte dazu führen, dass sich die Projektentwickler bei Auktionen, bei denen sie sich um den Zuschlag neuer Zubaukapazitäten bewer­ ben, hinsichtlich des Preises unterbieten werden. Somit könnten zukünftig nationale Gesetzesänderungen die Windbranche belasten.

6 Schlussfolgerung Im Jahr 2007 erklärte die Europäische Kommission den Markt für erneuerbare Ener­ gien zu einem Leitmarkt gestalten zu wollen. Durch gezielte supranationale und na­ tionale Fördermaßnahmen sollte in Europa ein Leitmarkt für erneuerbare Energien entstehen. Aufbauend auf verschieden Indikatoren erfolgte eine Beurteilung ob der Bereich der Windkraft bzw. Photovoltaik als Leitmarkt innerhalb der EU deklariert werden kann. Hierbei zeigte sich, dass in Dänemark immer noch ein Leitmarkt für Windkraft vorliegt. Schon im Jahr 2001 wurde Dänemark von Beise und Rennings (2005) als Leit­ markt für Windenergie identifiziert. Mit einem Anteil der Windenergie von 39,1 Prozent an der Bruttostromerzeugung im Jahr 2014 ist Dänemark die weltweit führende Nation in der Windenergie. Zudem ist in Dänemark die Windindustrie mit einem Umsatz von ca. 7,2 Mrd. Euro ein bedeutender Wirtschaftsfaktor. Deutschland kann ebenso als ein Leitmarkt für Windkraft bezeichnet werden. Hier steigt der Anteil der Windkraft an der Bruttostromerzeugung seit einigen Jahren stetig an. Zudem sind deutsche Unterneh­

Erneuerbare Energien und Leitmärkte in der EU und Deutschland |

169

men in diesem Bereich z. T. Technologieführer. In Deutschland hat sich die Beschäf­ tigtenzahl im Bereich der Windenergie in den letzten Jahren positiv entwickelt. Diese positive Entwicklung könnte durch Gesetzesänderungen gestoppt werden. Insbeson­ dere die Einführung einer Zubaugrenze für Windenergie an Land dürfte die deutsche Windenergiebranche zukünftig belasten, weil die Windenergie an Land ein wichtiger Markt für die deutsche Windindustrie ist. Damit dürfte ebenfalls die Leitmarktposition Deutschlands im Bereich der Windenergie gefährdet sein. Momentan ist Deutschland noch ein attraktiver Markt für Windkraft, weil noch genug attraktive Projekte im deut­ schen Markt vorhanden sind. Allerdings droht dem deutschen Markt nach Jahren des Dauerwachstums ein Einbruch von neu installierten Windrädern. Während im Jahr 2017 noch an die 1800 Windräder mit einer Leistung von ungefähr 5000 Megawatt neu hinzugebaut worden sind, könnten es im Jahr 2019 nur noch rund 1100 Megawatt sein. Dieser Einbruch wäre mit erheblichen Arbeitsplatzverlusten verbunden. Gründe hierfür sind vornehmlich der Preisverfall durch die weltweite Senkung der Fördergelder für Windenergie sowie die Umstellung von Ausschreibungen. So brach im Jahr 2017 in Deutschland durch die Umstellung des Auktionssystems die Nachfrage nach Windenergie nahezu ein. Zudem schätzen viele Unternehmen Märkte wie China, Indien oder Taiwan vielversprechen­ der ein. Nichtsdestotrotz ist Deutschland mit einer installierten Gesamtkapazität von 45 GW deutlicher Spitzenreiter innerhalb der EU. Im Bereich der Photovoltaik befinden sich die entsprechenden Leitmärkte wohl außerhalb Europas. Die USA sowie China können als Leitmärkte für Photovolta­ ik gelten. In China wird die Photovoltaik von Seiten der chinesischen Regierung großzügig gefördert. Dies hat dazu geführt, dass chinesische Solarmodulhersteller zu Weltmarktführern aufgestiegen sind und die deutsche Solarindustrie aufkaufen konnten. Dies führte u. a. letztendlich zum Niedergang der deutschen Solarindus­ trie in Deutschland und hier vor allem in Ostdeutschland. Das EEG hat vor allem im Bereich der Photovoltaik keine Innovationsanreize setzen können. Die Förde­ rung der Photovoltaik führte zu einem massiven Anbau von PV-Kraftwerken und nicht zu Investitionen in Produktionskapazitäten. Dass EEG führte zudem nicht zu ausreichenden FuE-Investitionen deutscher Solarmodulhersteller. Durch vermehrte FuE-Investitionen hätten sich durchaus dynamische Skaleneffekte realisieren lassen und die deutsche Solarindustrie hätte ihre Technologieführerschaft aufrechterhalten bzw. ausbauen können. Im Jahr 2018 ist der europäische Markt für Photovoltaik kräftig gewachsen. So fiel das Marktwachstum mit einer Steigerung von knapp 36 Prozent in der EU-28 deut­ lich stärker aus als das globale Wachstum. Das globale Marktwachstum verlangsam­ te sich im Jahr 2018 aufgrund des Rückgangs des chinesischen Marktes um 16 Pro­ zent. Des Weiteren waren weitere wichtige Märkte, wie z. B. Indien und Japan, durch einen Rückgang des Ausbaus der Photovoltaik gekennzeichnet. Darüber hinaus sta­ gnierte im Jahr 2018 der Ausbau von Photovoltaik-Anlagen in den USA. Dass sich das Wachstum des europäischen Solarmarktes im Jahr 2018 wieder beschleunigt hat und

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die Wachstumsaussichten positiv sind, liegt daran, dass die EU günstigere Rahmen­ bedingungen geschaffen hat. So wurden die Solarzölle für Solarmaßnahmen aufge­ hoben und das Clean Energy Package geschaffen. Zudem greifen viele EU-Mitglieds­ staaten zur Erreichung Ihrer Klima- und Energieziele verstärkt auf die kostengünstige Solarenergie zu.

Literatur Beise, M. und Rennings, K. (2005). Lead Markets and Regulation: A Framework for Analyzing the International Diffusion of Environmental Innovations. Ecological Economics, 52:5–17. Böhringer, C., Cuntz, A., Harhoff, D. und Otoo, E. A. (2014). The Impacts of Feed-in Tariffs on Innova­ tion: Empirical Evidence from Germany, CESifo Working Paper No. 4680. Center for Economic Studies & Ifo Institute, Munich. EFI (Expertenkommission Forschung und Innovation) (2014). Gutachten zu Forschung, Innovation und Technologischer Leistungsfähigkeit Deutschlands 2014. Bundesregierung, Berlin. EU (2009). Erneuerbare-Energien-Richtlinie 2009/28/EG. Amt für Veröffentlichungen der Europäi­ schen Union, Luxemburg. EU (2007). Eine Leitmarktinitiative für Europa. Amt für Veröffentlichungen der Europäischen Union, Luxemburg. EU (2003a). Richtlinie 2003/54/EG v. 26.6.2003 über gemeinsame Vorschriften für den Elektrizi­ tätsbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 96/92/EG. Amt für Veröffentlichungen der Europäischen Union, Luxemburg. EU (2003b). Richtlinie 2003/30/EG v. 8.5.2003 zur Förderung der Verwendung von Biokraftstoffen oder anderen erneuerbaren Kraftstoffen im Verkehrssektor. Amt für Veröffentlichungen der Europäischen Union, Luxemburg. EU (2001). Richtlinie 2001/77/EG v. 27.9.2001 zur Förderung der Stromerzeugung aus erneuerba­ ren Energiequellen im Elektrizitätsbinnenmarkt. Amt für Veröffentlichungen der Europäischen Union, Luxemburg. Fraunhofer IWES (2014). Windenergie Report Deutschland 2014. Fraunhofer-Institut für Windenergie und Energiesystemtechnik (IWES), Kassel. Global Wind Energy Council (2014). China Wind Power Review and Outlook 2014. Global Wind Energy Council, Brüssel. Global Wind Energy Council (2013). Global Wind Report: Annual Market Update 2013. Global Wind Energy Council, Brüssel. Johnstone, N., Hascic, I. und Popp, D. (2009). Renewable Energy Policies and Technological Inno­ vation: Evidence Based on Patent Counts, Environmental and Resource Economics. European Association of Environmental and Resource Economists, 45(1):133–155. Kost, C. et al. (2013). Levelized Cost of Electricity, Renewable Energy Technologies. Fraunhofer ISE. Mayer, J. N. und Burger, B. (2014). Kurzstudie zur historischen Entwicklung der EEG-Umlage. Fraun­ hofer ISE, Freiburg. Wangler, L. U. (2012). Renewables and Innovation: Did Policy Induced Structural Change in the Energy Sector Effect Innovation in Green Technologies? Journal of Environmental Planning and Management, S. 1–27. Wirth, H. (2016). Aktuelle Fakten zur Photovoltaik in Deutschland. Fraunhofer-Institut für Solare Ener­ giesysteme.

Bernhard Dachs und Björn Budde

Fallstudie Nachhaltiges Bauen und Lead Markets in Österreich 1

Einleitung | 171

2

Diffusion von Passivhäusern in Österreich | 172

3

Treiber und Hindernisse der Entwicklung | 175

4

Ist Österreich ein Leitmarkt für Passivhäuser? | 179

5

Resümee | 185

6

Liste der Interviewpartner | 186

Literatur | 186

1 Einleitung Im Rahmen der Diskussionen um die Erreichung der Klimaziele kommt der Reduktion der Emissionen der privaten Haushalte eine entscheidende Bedeutung zu. Nach Daten der International Energy Agency (IEA) wird weltweit beinahe die Hälfte des Energie­ aufkommens (46 %) für Heizen, Kühlen und die Errichtung von Wohngebäuden ver­ braucht (IEA 2012). In Österreich liegt dieser Wert immer noch bei einem Drittel. Dies zeigt die Bedeutung des Wohnungsneubaus und der Sanierung bestehenden Wohn­ raums als einen möglichen Hebel für eine Senkung der Treibhausgasemissionen. Im weltweiten Vergleich weist Österreich einer der höchsten Diffusionsraten bei energieoptimierten Passivhäusern auf (BMVIT 2009; Lang 2010). Nach Angaben des österreichischen Ministeriums für Verkehr, Innovation und Technologie steht jedes vierte weltweit errichtete Passivhaus in Österreich. Die Fallstudie untersucht, welche Rahmenbedingungen zu dieser bemerkenswerten Entwicklung geführt haben und ob aus dieser hohen Diffusionsrate ein Leitmarkt entstand. Besonders interessant aus der Leitmarktperspektive ist hier das Zusammenspiel zwischen Innovationsaktivitä­ ten von Unternehmen mit öffentlicher Regulierung und den Perspektiven einer sich entwickelnden Marktnachfrage. Die Fallstudie konzentriert sich auf nachhaltiges Bauen und Passivhäuser. Pas­ sivhäuser sind Wohn- und Geschäftsgebäude, die durch ihre Bauweise und Dämmung keine Gebäudeheizung benötigen und ihren Wärmebedarf zum überwiegenden Teil aus passiven Quellen wie der Sonneneinstrahlung oder der Abwärme von Perso­ nen und technischen Geräten decken. Die Klassifizierung eines Gebäudes als Pas­ sivhaus richtet sich nach seinem flächenbezogenen jährlichen Heizwärmebedarf. Das Passivhaus stellt die energieeffizienteste Stufe mit einem Verbrauch von weni­ ger 15 kWh/m2 für Heizzwecke dar. Ein Niedrigenergiehaus muss im Vergleich dazu https://doi.org/10.1515/9783110583212-007

172 | Bernhard Dachs und Björn Budde einen Wert von weniger oder gleich 50 kWh/m2 erreichen, während nicht sanierte Altgebäude 150 kWh/m2 und mehr für Heizzwecke verbrauchen. Der Begriff des nachhaltigen Bauens ist umfangreicher als der des Bergriffs Pas­ sivhaus, da nicht nur Energieeffizienz, sondern auch andere Aspekte der Nachhal­ tigkeit wie etwa wiederverwertbare Baumaterialien, Bauökologie etc. darin Berück­ sichtigung finden. Außerdem fällt unter dem Begriff des nachhaltigen Bauens auch die Sanierung von bestehenden Gebäuden und die Erhöhung ihrer Energieeffizi­ enz. Eine weitere Besonderheit von Passivhäusern ist der Umstand, dass diese kein einzelnes Produkt, sondern ein technologisches System aus verschiedensten Pro­ dukten darstellen. Passivhäuser entfalten ihre Wirkung in Kombination verschie­ denster Technologien wie Isolationsmaterialien, Fenstern, Belüftung, Wärmerück­ gewinnung, Steuerung usw. Innovationsaktivitäten im Bereich Passivhaus bestehen deshalb auch zu einem Gutteil aus der Integration verschiedenster Technologien und dem Verständnis der Interaktionen zwischen diesen Technologien zur Erreichung einer möglichst großen Energieeffizienz. Deshalb sind Planungsdienstleistungen im Zusammenhang mit Passivhäusern entscheidend für eine möglichst hohe Energie­ effizienz.

2 Diffusion von Passivhäusern in Österreich Österreich spielt auf dem Gebiet des nachhaltigen Bauens europaweit und sogar welt­ weit eine führende Rolle. Diese Erfolgsgeschichte wurde vor fast zwei Jahrzehnten be­ gonnen: Das erste Passivhaus in Österreich wurde 1995 in Vorarlberg, dem westlichs­ ten Bundesland erbaut; im Jahr 2000 wurden bundesweit 22 Passivhäuser errichtet; 2009 betrug die Zahl der neu errichteten Passivhäuser bereits das 10-fache (2700; sie­ he Abbildung 1). Das Wachstum der Passivhäuser in Österreich ist exponentiell; seit dem Jahr 2000 betrug der Zuwachs des Bestands an Passivhäusern mindestens 50 % pro Jahr. Über die Entwicklung seit 2010 liegen keine Zahlen vor. Es ist aber anzu­ nehmen, dass die Zahl der Passivhäuser weiter steigt, wenn auch nicht so rasch wie zwischen 2000 und 2010. Eine ähnliche Dynamik lässt sich auch in einer Betrachtung nach der Zahl der Wohneinheiten in Passivhäusern erkennen. Zusätzlich enthält die Abbildung 2 noch eine Schätzung der Entwicklung bis 2015 auf Basis der erteilten Baugenehmigungen. Aus dieser Schätzung geht hervor, dass die Dynamik weiter anhalten wird. Interessant an der Entwicklung ist auch der Umstand dass die durchschnittliche Zahl der Wohneinheiten pro Passivhaus die sich aus Abbildung 1 und Abbildung 2 in­ direkt ergibt seit 1998 abnimmt. Anders gesagt nimmt der Anteil kleiner Passivhäuser wie etwa Einfamilienhäuser deutlich zu, was ein Zeichen der vorschreitenden Diffu­ sion von Passivhaustechnologien ist.

Fallstudie Nachhaltiges Bauen und Lead Markets in Österreich

| 173

Abb. 1: Zahl der Passivhäuser in Österreich, 1995–2010 (Quelle: LANG 2010)

Bemerkenswert an der in Abbildung 2 gezeigten Entwicklung ist weiteres der Ver­ gleich mit dem gesamten Wohnungsbestand in Österreich. Laut Gebäudezählung 2011 betrug dieser im Jahr 2011 4,4 Mio. Wohneinheiten (STATISTIK AUSTRIA 2013). Die Ergebnisse des Mikrozensus gehen für die Jahre 2011 bis 2014 von einer leicht sin­ kenden Zahl der Hauptwohnsitze in Österreich aus, sodass wir annehmen, dass der Wohnungsbestand ebenfalls leicht sank oder wenigstens stabil blieb. Auf Basis die­ ser Annahme ergibt sich ein Anteil der Wohneinheiten in Passivhäusern am gesamten

Abb. 2: Zahl der Wohneinheiten in Passivhäusern in Österreich, 1995–2015 (Quelle: LANG 2010)

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Bestand von 2,2 %. Lang (2010, Seite 8) geht davon aus, dass 12,5 % aller Neubauten per Ende 2008, 25 % per Ende 2010 und rund 90 % per Ende 2015 als Passivhäuser ausgeführt worden sind. Zahlen die belegen, dass diese Annahmen erreicht wurden fehlen allerdings. Diese beeindruckende Dynamik erklärt auch, warum Österreich die weltweit höchste Dichte an Passivhäusern aufweist. Mit 800 Passivhäusern pro 1 Mio. Einwoh­ ner liegt Österreich weit vor Deutschland und der Schweiz, die ebenfalls über 100 Passivhäuser pro 1 Mio. Einwohner aufweisen. In Österreich existieren allerdings fünf Mal so viel Objekte pro 1 Mio. Einwohner wie in Deutschland oder der Schweiz. Außerhalb Europas dokumentieren die von Lang (2010) gesammelten Daten nur jeweils ein Passivhaus in den USA und eines in Kanada, welches als „ÖsterreicherHaus“ in Vorbereitung der Olympischen Spiele 2010 in Vancouver von Österreich er­ richtet wurde. Wie Interviewpartner versichern haben sich diese Zahlen in der Zwi­ schenzeit allerdings deutlich erhöht.

Abb. 3: Passivhausdichte je 1 Mio. Einwohner, 2009 (Quelle: LANG 2010)

Weniger erfolgreich als Neubauten ist Österreich allerdings bei der thermischen Sanie­ rung des existierenden Gebäudebestands. Wie oben erwähnt beträgt der Anteil von Passivhäusern am gesamten Gebäudebestand wohl weniger als 3 %, sodass der Er­ höhung der Energieeffizienz bestehender Gebäude entscheidende Bedeutung für die Erreichung der Klimaziele zukommt. Die in der Klimastrategie 2007 geplante Steigerung der jährlichen Rate umfas­ sender thermisch-energetischer Sanierungen auf zumindest 3 % im Zeitraum 2008 bis 2012 und mittelfristig auf 5 % konnte bei Wohngebäuden nicht erreicht werden (UM­ WELTBUNDESAMT 2015, Seite 119). Die vom Umweltbundesamt veröffentlichten Da­

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ten zeigen nur wenig Beschleunigung. Demnach erfolge im Zeitraum 2002 bis 2012 nur bei 0,9 % der Hauptwohnsitze eine Kombination von Fenstertausch, thermische Fas­ sadensanierung und Wärmedämmung der obersten Geschoßdecke mit einem Heiz­ kesseltausch. Erst durch die Kombination dieser vier Verbesserungen kann eine opti­ male Einsparung im Gebäudebestand erreicht werden. Auch eine Studie des Instituts für Immobilien, Bauen und Wohnen sieht die derzeitigen Sanierungsraten bei etwa einem Prozent mit relativ großen Variationen nach der Eigentümerstruktur und der Art der Gebäude (IIBW 2013). Auch die Zuschüsse für Sanierungen aus der Wohnbau­ förderung sind rückläufig (IIBW 2014). Insgesamt zeigen die Daten, dass Österreich weltweit eine Sonderstellung bei der Verbreitung von Passivhäusern hat. Dies lässt zwei Schlüsse zu: erstens scheinen in Österreich spezifische Treiber oder Faktoren zu existieren die diese Entwicklung mög­ lich gemacht haben und in anderen Ländern fehlen. Aus technologiepolitischer und klimapolitischer Sicht wäre es interessant, diese Treiber zu identifizieren. Zweitens zeigen die Länderunterschiede in der Verbreitung von Passivhäusern deutlich, dass Passivhäuser kein Beispiel eines lead markets sind bzw. sich dieser lead market noch in einem embryonalen Stadium befindet. Österreichischen Unternehmen ist es bisher nicht gelungen, die Stärke auf dem Heimmarkt und ihr Wissen und ihre Technologien weltweit zu vermarkten. Wir werden im Kap. 4 mögliche Gründe für die­ se Beobachtung diskutieren.

3 Treiber und Hindernisse der Entwicklung Welche Faktoren haben zur in Abbildung 3 gezeigten überaus ungleichen Verbreitung von Passivhäusern in Europa geführt, wenn die erforderlichen Technologien auch in anderen Ländern verfügbar sind? Rohracher (2001) betont, dass für die internationale Diffusion von Passivhäusern sowohl technische als auch sozio-ökonomische Aspekte entscheidend sind. Unter­ schiede in der Verbreitung können deshalb nicht alleine aus dem Unterschied zwi­ schen dem momentanen Stand der Technik und dem sich daraus ableitendem Nutzen und den Kosten von Passivhäusern im Vergleich zu konventionellen Gebäuden erklärt werden. In diesem Sinne sprechen Häkkinen und Belloni (2011) auch von der Entwick­ lung eines Bewusstseins für die Vorteile nachhaltigen Bauens beim Kunden als eines der wichtigsten Vorbedingungen für seine Verbreitung. Ein erster wichtiger Faktor ist die Geografie. benötigen Passivhäuser ein gewisses Maß an Sonnenstunden im Winter, da sie ihren Energiebedarf mit großen Fensterflä­ chen auch durch das einfallende Sonnenlicht decken. Deshalb begünstigt die in Öster­ reich verbreitete Form der Passivhäuser den Alpenraum gegenüber Nordeuropa. Die Nähe zur Schweiz und zum süddeutschem Raum – zwei Pionierregionen für Passiv­ häuser – ist ein weiterer geografischer Faktor der die Diffusion in Österreich begünstigt hat.

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Zweiter wichtiger Faktor für die Erklärung der österreichischen Entwicklung ist verschiedene Basisinitiativen im Bereich nachhaltiges Bauen die sich bereits in den 1990er Jahren in Österreich entstanden sind (Budde/Weber 2014). Aus diesen ent­ standen einerseits erste Demonstrationsprojekte, andererseits eine aktive Community zum Thema des nachhaltigen Bauens in den Bundesländern Steiermark, Tirol und be­ sonders in Vorarlberg. Ornetzeder/Rohracher (2009) identifizieren des Weiteren das Entstehen von In­ termediären aus diesen Basisinitiativen als wichtigen Katalysator für die Diffusion von Passivhäusern in Österreich. Sie nennen hier vor allem das Energieinstitut Vor­ arlberg (EIV), welches eine Schüsselrolle beim Wissenstransfer von Deutschland ins österreichische Bundesland Vorarlberg gespielt hat und auch später als Plattform für Kooperationen und Wissensaustausch diente, sowie die Interessensgemeinschaft (IG) Passivhaus Auf diese Initiativen konnten spätere Förderprojekte aufsetzen. Wesentlich befördert wurden Initiativen im Bereich nachhaltiges Bauen durch übergeordnete politische Ziele wie die Reduzierung von Treibhausgasemissionen. Die Anstrengungen zur Verwirklichung dieser Ziele führten in Österreich auf natio­ naler Ebene zum Forschungs- und Technologieprogramm „Haus der Zukunft“, das 1999 vom österreichischen Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Techno­ logie (BMVIT) initiiert wurde. Ziel des Programms war die Erforschung und Entwicklung von marktfähigen Komponenten, Bauteilen und Baukonzepten für Wohn-, Büro- und Nutzbauten, die eine deutliche Reduzierung des Energie- und Stoffeinsatzes, den verstärkten Einsatz erneuerbarer Energieträger und die erhöhte Nutzung nachwachsender und ökologi­ scher Materialien bei vergleichbaren Kosten zur herkömmlichen Bauweise erlauben sollten (BMVIT 2009, 2012). 2008 wurden die Ziele des Programms auf die industrielle Umsetzung der entwi­ ckelten Technologien sowie die Umsetzung von Demonstrationsprojekten mit Schwer­ punkt auf geschäftlich genutzten Gebäuden und Sanierung erweitert. Das Programm vergab Mittel durch thematische Ausschreibungen. Das Förderprogramm “Haus der Zukunft” konzentrierte sich in den ersten Aus­ schreibungen auf Grundlagenforschung sowie technologische Entwicklung im Be­ reich neuer Gebäude sowie Pilotprojekte. Von 2002 an setzte das Programm in seinen Ausschreibungen verstärkt auf die Sanierung bestehender Gebäude zur Steigerung der Energieeffizienz (Budde/Weber 2014). Im Rückblick hat „Haus der Zukunft“ wesentlich zur Entwicklung des Passivhaus­ sektors in Österreich beigetragen. Budde/Weber (2014) sehen die Verdienste des Pro­ gramms vor allem im Aufbau und der Erweiterung einer Community in Österreich, der Demonstrationswirkung der Projekte sowie der Professionalisierung und des „up­ scaling“ der vielen lokalen Initiativen die bereits Ende der 1990er Jahre in Österreich existierten. Im Jahr 2013 wurde „Haus der Zukunft“ durch das Programm „Stadt der Zukunft“ abgelöst, dass ähnliche Ziele verfolgt, jedoch neben Gebäuden auch einen deutlichen

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Schwerpunkt auf den städtebaulichen Kontext – Quartiere und Stadtteile – bzw. die Stadt in Verbindung mit dem Umland sowie auf der städtischen Infrastruktur und der Erweiterung des städtischen Dienstleistungsangebots legt. Daneben startete das österreichische Bundesministerium für Land- und Forst­ wirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft (BMLFUW) im Jahr 2004 die Initiative „klimaaktiv“, die verschiedene „soft measures“ wie Bewusstseinsbildung, freiwil­ lige Standards oder Aus- und Weiterbildung in den Bereichen Bauen und Sanieren, Energiesparen, erneuerbare Energien und Mobilität umfasst. Neben der nationalen Ebene ist im Zusammenhang mit Passivhäusern in Ös­ terreich auch die Länderebene wichtig. Die österreichischen Bundesländer sind einerseits für das Baurecht verantwortlich, sodass neun unterschiedliche Bauord­ nungen die Errichtung von Gebäuden regeln. Hingegen liegen die Zuständigkeiten für das Mietrechtsgesetz, das Wohnungseigentumsgesetz) und die Gesetzgebung für die Wohnungsgemeinnützigkeit beim Bund, der damit ebenfalls Gestaltungsmöglichkei­ ten hat. Andererseits finanzieren die Länder den Wohnbau über die Wohnbauförde­ rung, deren Mittel über den Finanzausgleich vom Bund verteilt werden. Schließlich errichten und besitzen die Bundesländer und Gemeinden – und hier vor allem Wien – mittelbar oder unmittelbar selbst 9 % des Wohnungsbestands (Kranzl et al. 2012). Die Wohnbauförderung in Österreich ist im westeuropäischen Vergleich nur durchschnittlich hoch – diese Einschätzung basiert allerdings auf Zahlen aus dem Jahr 2001 (Stagel 2004). Stagel (2004) sowie Kunnert/Baumgartner (2012) schließen, dass das österreichische System der Wohnbauförderung bei moderaten Kosten gute Ergebnisse bringt. Die Aufhebung der Zweckbindung für die Mittel der Wohnbauförderung im Jahr 2008 ermöglichte es den Ländern, Wohnbauförderungsmittel auch für andere Zwe­ cke wie Schuldentilgung oder verschiedene Veranlagungen mit zweifelhaften Erfolg zu verwenden (DER STANDARD 2010, 2013). Ob die Aufhebung der Zweckbindung Auswirkungen auf die Förderwirkung hatte, lässt sich im Rahmen dieser Studie nicht überprüfen. Bemerkenswert ist nach Stagel (2004) des Weiteren die Struktur der Wohnbauförderung in Österreich, die zum überwiegenden Teil aus Objektförde­ rung (Förderung der Baukosten) statt aus Subjektförderung (Förderung über Wohn­ beihilfen) oder steuerlicher Förderung wie in anderen westeuropäischen Ländern besteht. Diese Eigenart hat eine wichtige Wirkung auf die Verbreitung von Passivhäusern, denn sie erlaubt, die Förderung an bestimmte Baustandards zu knüpfen, da die Errich­ tung und Sanierung des Gebäudes selbst gefördert wird. Tatsächlich erfordern die Kri­ terien der Wohnbauförderung seit 2008 in allen Bundesländern eine energiesparende Bauweise. Nach Budde et al. (2014) war dies in Verbindung mit der Entwicklung der Bauordnungen in den Ländern jener entscheidender Faktor, der die hohe Verbreitung von Passivhäusern in Österreich im Vergleich zu Finnland oder den Niederlanden er­ klärt. Neben der Neubautätigkeit werden durch die Wohnbauförderung in den letzten Jahren auch vermehrt Sanierungsaktivitäten gefördert.

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Ebenso wie die Wohnbauförderung sind die gesetzlichen Bestimmungen des Bau­ rechts Ländersache. Neun unterschiedliche Bauordnungen in Österreich – im Gegen­ satz zu Ländern mit zentralem Baurecht – haben die Diffusion von Passivhäusern of­ fensichtlich nicht behindert. Im Gegenteil, Budde et al. (2014) schließt auf Basis von Interviews, dass die Länderkompetenz in der Bauordnung dazu führte, dass in den westlichen Bundesländern Vorarlberg und Tirol Normen und Standards für Passiv­ häuser schon relativ früh in der Bauordnung wiederfanden, da die Rückkoppelung zwischen der Passivhauscommunity und dem Gesetzgeber unmittelbar bestand. Die föderale Struktur Österreichs schaffte nach Budde et al. (2014) einerseits Raum für lokale Experimente für die gesetzlichen Regeln für Passivhäuser, sorgte anderer­ seits aber auch für Wissensaustausch und die rasche Diffusion von „good practices“ in Bezug auf die Regulierung von Passivhäusern zwischen den Ländern. Hier spielte auch eine gewisse Politikkonkurrenz zwischen den österreichischen Bundesländern eine Rolle, welche als Ergebnis zu immer höheren Normen in den Bauordnungen so­ wie in der Förderung von Neubauten führte. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die starke Verbreitung von Passiv­ häusern in Österreich wesentlich das Ergebnis des Zusammenspiels verschiedener Politikmaßnahmen auf Bundes- und Länderebene war: angebotsseitig wurde die Entwicklung durch ein Forschungsprogramm mit starkem Demonstrationscharakter vorangetrieben, während nachfrageseitig die Verschärfung der Baunormen und vor allem die Richtlinien der Wohnbauförderung mit der Objektförderung von Neubau­ ten eine Errichtung in Passivhausbauweise immer attraktiver erscheinen ließ. Der Umstand, dass die Kompetenzen für das Baurecht und die Administration der Wohn­ bauförderung auf Landesebene angesiedelt war stellte sich nicht als Nachteil heraus, da diese Konstellation Raum für lokale Experimente bot und eine Politikkonkurrenz zwischen den Ländern für eine rasche Diffusion der entsprechenden Baunormen im gesamten Bundesgebiet sorgte. Es wäre wohl schwieriger gewesen, Passivhausnor­ men in einer bundesweiten Bauordnung zu verwirklichen. Neben Treibern existieren in Österreich aber auch Faktoren, die die Diffusion von Passivhäusern behindern oder von denen Hindernisse in der Zukunft erwartet werden können (Budde/Weber 2014). Hier sind zum einen demografische Faktoren wie die Zu­ wanderung und der damit verbundene Bevölkerungsanstieg in Österreich zu nennen. Diese Entwicklung rückt den Bedarf nach billigem Wohnraum in den Vordergrund und lässt Rufe nach einem Aufweichen der Energieeffizienzkriterien österreichischer Bau­ vorschriften von Seiten der gemeinnützigen Bauträger laut werden (DER STANDARD 2015). Konkret sollte das Niedrigenergiehaus anstatt des in der Errichtung teureren Passivhauses zum Standard werden, dass beim maximalen Heizwärmebedarf aller­ dings um den Faktor 4 besser ist. Ein Interviewpartner vermutet, dass Österreich da­ durch international an Terrain verloren hat. Ähnlich dürften die niedrigen Ölpreise seit Ende 2014 zu geringeren Anreizen für die thermische Sanierung geführt haben.

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Ein zweites Hindernis ist das österreichische Mietrecht, dass nach Meinung von Budde/Weber (2014) zu verzerrten Anreizen für die thermische Sanierung führt. Der Vermieter ist zur Erhaltung des Mietobjekts verpflichtet, wobei dies auch Maßnahmen an Fassade, Fenstern und den Heizungsanlagen betrifft. Da der Profiteur dieser Maß­ nahmen allerdings der Mieter mit langfristigen Verträgen ist, sind seine Anreize für diese Maßnahmen nur beschränkt. Verstärkt wird dieser negative Anreiz durch die langen Amortisationszeiten energieeffizienter Sanierung. Des Weiteren hat der Boom bei Passivhäusern in Österreich zu Kapazitätsengpäs­ sen auf der Angebotsseite geführt, etwa bei Architekten, Planern und erfahrenen Bau­ firmen und Generalunternehmern (Plate et al. 2010). Zusätzlich klagen interessierte Bauherren und Entwickler über zu wenig Transparenz auf der Angebotsseite (Budde/ Weber 2014). Plate et al. (2010) verweisen als wesentliches Hindernis außerdem auf ein beträchtliches Beharrungsvermögen auf traditionelle Bauweisen innerhalb der Bau­ wirtschaft. Der Bausektor ist eine reife Industrie mit sehr geringen F&E-Ausgaben, die trotzdem große wirtschaftliche Bedeutung hat. Ähnlich weist Geels (2002) darauf hin, dass der Bausektor einen Sektor mit etablierten Routinen, Praktiken und Institutio­ nen darstellt der sich in einer reifen Phase des Produktlebenszyklus befindet (ein eta­ bliertes Regime im Sinne der mulit-level perspective of transition studies, siehe Geels 2002). Ökonomische Gründe für dieses Beharrungsvermögen sind etwa der hohe Stan­ dardisierungsgrad und massive Umstellungskosten für die Firmen, etwa bei Fer­ tighausproduzenten, die diese Firmen abhält, Passivhäuser aktiv zu vermarkten. Schließlich orten (Plate et al. 2010) eine Vielzahl von Vorurteilen sowohl bei Konsu­ menten als auch in der Bauwirtschaft gegenüber Passivhäusern, etwa in bezug auf den potentiellen Markt, zu niedrige Gewinnspannen für die Errichter oder ästhetische Bedenken.

4 Ist Österreich ein Leitmarkt für Passivhäuser? Die aktuelle Literatur (Beise 2004; Beise/Rennings 2005; Beise-Zee/Rammer 2006) de­ finiert Lead Market als jenes Land oder jenen geografischen Markt, in dem eine Inno­ vation, die sich später weltweit verbreitet, das erste Mal im großen Umfang genutzt wird. Im Zuge dieses Prozesses setzt sich ein bestimmtes Design der Innovation in die­ sem Markt durch und diffundiert in Folge weltweit. Beise (2004) geht es in diesem Ansatz um die Erklärung wie und warum sich unter mehreren Varianten („Designs“) einer Technologie, z. B. verschiedenen Mobil­ funkstandards, eine bestimmte Variante weltweit durchsetzt. Er setzt sich damit be­ wusst von Ansätzen ab, die die Durchsetzung einer bestimmen Technologie am Markt aus den technologischen Charakteristika der Innovation erklären wollen. Beise (2004)

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nennt fünf Ländercharakteristika („lead market advantages“) die helfen, diesen Pro­ zess zu erklären: – Price and cost advantages: domestic innovation designs become cheaper relative to foreign innovations. – Demand advantage: national framework conditions that increase the demand for an innovation and emerge in other countries as well over time. – Transfer advantages: the ability of the lead market to shape the preferences of other countries by mobile customers, multinational firms or network externalities. – Export advantage: the tendency of domestic manufacturers to incorporate more foreign market preferences during the development of innovations to increase the exportability of the innovation design. – Competition: a high degree of domestic competition in favourable for the identi­ fication of preferences and valuable innovation designs. In weiterer Folge wurde der Leitmarktansatz auf Umweltinnovationen angewendet mit dem Ziel zu erklären, wie eine Umweltinnovation sich nach ihrer Markteinführung in einem Land weltweit verbreitet (Jacob et al. 2005; Quitzow et al. 2014). In der Definition von Beise ist Österreich klar KEIN oder NOCH KEIN LEITMARKT für Passivhäuser. Dafür fehlt die die internationale Diffusion der Technologie („jenes Land, in dem eine Innovation, die sich später weltweit verbreitet, das erste Mal im gro­ ßen Umfang genutzt wird.“). Anhand der Systematik Beises kann allerdings diskutiert werden, welche der fünf Ländercharakteristika („lead market advantages“) dem Pas­ sivhaussektor in Österreich fehlen und damit erklären, warum noch kein Leitmarkt entstanden ist.

Price und cost advantage Das Kriterium der price and cost advantage erfordert, dass die Innovation im Lead Market einen Preis- oder Kostenvorteil gegenüber anderen Konkurrenzprodukten auf­ weist, sodass sich die Innovation international schnell verbreiten kann. Dieser Kos­ tenvorteil kommt durch die rasche Verbreitung im Lead Market zustande, der den na­ tionalen Firmen erlaubt, frühzeitig economics of scale auszunutzen. Price und cost advantages von Passivhäusern im Vergleich zur konventionellen Bauweise sind nicht unumstritten. Interviewpartner bestätigen, dass potentielle Kun­ den außerhalb Österreichs immer wieder von den Vorteilen überzeugt werden müs­ sen. Vertreter der Passivhausbranche gehen davon aus, dass Passivhäusern zu glei­ chen Kosten wie konventionelle Häuser errichtet werden können. Dies ist auch durch die Passivhausdatenbank (Lang 2010) dokumentiert. Hier ist allerdings zu bedenken, dass die Preisdifferenz zwischen energieeffizien­ ter und konventioneller Bauweise auch durch die Baustandards im Zielland maßgeb­ lich bestimmt sind. Sind diese deutlich niedriger, ist die Preisdifferenz natürlich hö­

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her. Ein Beispiel dafür ist China, wo nach Auskunft eines Interviewpartners nur ein niedrigerer Standard als der Passivhausstandard am Markt platzierbar ist. Ein Kostenvorteil ergibt sich also nur bei Einrechnung der Energiekosten über die gesamte Lebenszeit des Gebäudes. Eine solche Betrachtung wird durch die langen Le­ benszyklen von Gebäuden und die langen Amortisationszeiten der energieeffizienten Bauweise bei kleinen jährlichen Ersparnissen allerdings wesentlich erschwert. Die In­ terviewpartner geben an, dass in Ländern wie China oder den Vereinigten Arabischen Emiraten mit einer Nutzungsdauer von 50 Jahren nicht argumentiert werden kann, da die Planungshorizonte deutlich kürzer sind. Ein weiteres Hindernis für price und cost advantages im Zusammenhang mit Pas­ sivhäusern ist der Umstand, dass die Errichtung von Passivhäusern eine wenig auto­ matisierte Tätigkeit ist, bei der Humankapital eine große Rolle spielt. Dies ist positiv für Beschäftigungseffekte und das lokale Handwerk, ein „upscaling“ und größere Kos­ tendegression mit steigender Produktionsmenge („economics of scale“) ist dadurch aber nur schwer möglich und wird vielleicht nie im großen Maßstab erreicht werden. Economics of scale sind allerdings die Grundlage vieler Beispiele erfolgreicher globale Produktdiffusion.

Demand advantage Demand advantage bedeutet, dass der Lead Market frühzeitig auf Produkte oder Pro­ duktvarianten gesetzt hat, die später auch in anderen Ländern stark nachgefragt wurden. In Österreich ist eine demand advantage für Passivhäuser zweifellos gege­ ben, was durch die hohen Verbreitungsraten dokumentiert ist. Die zwei wichtigsten Faktoren dafür waren einerseits die Einbeziehung von Kriterien zur Energieeffizi­ enz in die Bauordnungen der Bundesländer, andererseits die Förderung von Pas­ sivhäusern über die Wohnbauförderung. Beide Maßnahmen stimulierten wesentlich die Nachfrage. Daneben sorgte das Aufgreifen des Themas Passivhaus in FTI-politi­ schen Programmen für zusätzliche Publizität und awareness, Vernetzung sowie die Schaffung von zahlreichen Demonstrationsobjekten. Interessant ist hier auch, dass die öffentliche Hand indirekt über die Wohnbauförderung die Nachfrage stimuliert hat.

Transfer advantage Dies bezeichnet die Fähigkeit des Lead Markets, die Präferenzen anderer Länder zu beeinflussen und so die weltweite Diffusion der Innovation anzuregen. BEISE (2004) nennt als Kanäle hier den Demonstrationseffekt, Exporte oder multinationale Un­ ternehmen mit Produktion im Ausland. Quitzow et al. (2014) verweisen darauf, dass im Falle von Umweltinnovationen die internationale Diffusion eines bestimmten Pro­

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dukts auch durch die internationale Diffusion einer Regulierung oder eines Standards vorbereitet werden kann. Im Falle von Passivhäusern kann die Erlassung zweier Richtlinien durch das Eu­ ropäische Parlament und den Rat als eine solche internationale Diffusion der Regu­ lierung angesehen werden. Es handelt sich dabei um die Richtlinie 2012/27/EU zur Energieeffizienz aus 2012 sowie die Richtlinie 2010/31/EU zur Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden aus 2010. Mehrere Interviewpartner wiesen darauf hin, dass die öster­ reichische Entwicklung Einfluss auf die Gesetzgebung auf europäischer Ebene hatte, was ein Beweis für das Vorliegen von transfer advantage wäre. Diese Hypothese kann im Rahmen dieses Projektes allerdings nicht überprüft werden. Die Richtlinie zur Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden aus 2010 regelt, dass neue Gebäude ab 2020 in Niedrigstenergiebauweise ausgeführt werden müssen. Die Richtlinie zur Energieeffizienz verpflichtet die Mitgliedsstaaten auf eine langfristige Strategie zur Renovierung um die Energieeffizienz bestehender Gebäude zu verbes­ sern. Weiters werden den Mitgliedsstaaten auf die Festlegung von Einsparungszielen und die Berichterstattung festgelegt. Besonders die Anwendung der Richtlinie aus 2010 könnte ab 2020 eine beträchtliche neue Nachfrage nach Passivhäusern in Eu­ ropa schaffen. Wie genau diese Richtlinie angewendet wird hängt allerdings von der Überführung der Richtlinie in nationales Recht in den jeweiligen Mitgliedsstaaten ab. Hier wurde in Österreich kritisiert, dass der von der Richtlinie geforderte Standard ei­ nes „Niedrigstenergiegebäudes“ nicht dem Passivhausstandard entspricht, sondern wesentlich ineffizienter ist (Lang 2014). Ein zweiter Kanal für den Aufbau von transfer advantage sind Demonstrations­ projekte im Ausland. Das Planungsbüro Schöberl & Pöll baute das erste zertifizier­ te Passivhaus nach österreichischem Standard in China. Das Gebäude mit 3.000 m2 Büro- und 2.300 m2 Wohnfläche wurde von der chinesischen Zentralregierung als Passivhaus-Pilotprojekt ausgewählt (Kurier 2014). Bereits für die Olympiade 2010 wur­ de in Kanada ein Passivhaus errichtet, dass nach den Spielen der Gemeinde Whistler übergeben wurde. 2013 gewann ein österreichisches Projekt den Solar Decathlon¹, ei­ nen universitären Wettbewerb im Bereich des nachhaltigen Bauens in den USA, der vom US Department of Energy veranstaltet wird, um die Anwendung von Solartech­ nologien in Gebäuden zu fördern. Es ist allerdings nicht bekannt ob diese Demonstrationsprojekte größere Nach­ frage ausgelöst haben. Interviewpartner bestätigen, dass im Ausland zum Teil noch größere Vorbehalte gegen energieeffizientes Bauen existieren als im Inland. Ein Inter­ viewpartner fühlt sich bei Verkaufsgesprächen im Ausland „an dieselben Diskussio­ nen und dieselben Fragen“ erinnert, die er vor 20 Jahren in Österreich beantworten musste.

1 Siehe http://www.solardecathlon.at/competition/about/?lang=de (zuletzt abgerufen am 31.05. 2017).

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Export advantage In Ländern mit export advantage führen verschiedene Rahmenbedingungen dazu, dass Firmen neue Produkte vorrangig mit Blick auf ausländische Märkte entwickeln und so Exporte begünstigen. Export advantage erwächst etwa aus Gemeinsamkeiten zwischen Lead Market und den potentiellen Zielländern für Experte, dem besonde­ ren Interesse der Exporteure für ausländische Märkte oder spezifischen Anreizen für lokale Produzenten, ihre Innovation für Exportmärkte anzupassen. Allgemein existieren für Unternehmen in Österreich beträchtliche export advan­ tages, die sich aus der geografischen und kulturellen Nähe zu Deutschland und der Schweiz einerseits und den mittel- und osteuropäischen Nachbarländern andererseits ergeben. Darüber hinaus stellt die geringe Marktgröße Österreichs einen beträchtli­ chen Anreiz für Exporte dar. Im Fall von Passivhäusern scheint aber auch export disadvantages zu existieren. Eine dieser disadvantages ist der Umstand, dass beim Export von Passivhaustech­ nologien Arbeiten wie Anpassungen und Installation am Errichtungsort und damit Präsenz im Ausland notwendig ist. Das ist ein wichtiger Unterschied zu einfacheren Konsumgütern wie abgepackten Getränken oder Elektrogeräten für Endverbraucher. Bei der Errichtung von Passivhäusern fallen auch kleinere Fehler (Undichtigkeiten, Schlampereien, etc.) viel stärker auf als bei konventionellen Gebäuden, da etwa die Dichtheit der Gebäudehülle überprüft wird. So kann eine fehlerhafte Komponente die Leistungsfähigkeit des gesamten Passivhauses deutlich reduzieren und die Produkte eines Exporteurs ins falsche Licht rücken. Es ist deshalb eine verbreitete Sorge von Anbietern, dass vor Ort ein Billiganbieter die Installation vornimmt und diese dann nicht sachgemäß gemacht wird. Ebenso geben Dienstleistungsunternehmen im Bereich Passivhaus wie Architek­ ten an, in vielen Märkten nur mit lokalen Niederlassung wirksam Marktzutritt zu er­ langen und etwa an Ausschreibungen teilnehmen zu können. Trotz des gemeinsamen Marktes gilt das auch für verschiedene europäische Staaten. Export ohne lokale Instal­ lation und After-Sales-Service kann für die Exporteure also problematisch sein, wenn lokale Firmen die Produkte nicht sachgemäß installieren. Deshalb wird im Inland in erster Linie mit bekannten Partnern zusammengearbeitet, da die Firmen wissen, dass diese die erforderliche Qualität liefern. Es wird häufig vermieden, mit neuen Partnern zu arbeiten, da das Risiko am Bau sehr hoch ist, dass die Leistungen nicht den Er­ wartungen entsprechen. In Österreich gibt es eine Community entlang der Wertschöp­ fungskette die sich kennt und vertraut und auf eingespielte Strukturen und Kooperati­ onspartner zurückgreifen können (Architekten, Bauphysiker, Generalunternehmern, Fensterherstellern, Lüftungsanlagen, etc.). Interviews haben ergeben, dass diese ex­ port disadvantage eine wesentliche Rolle bei der Erklärung der österreichischen Ex­ portperformance im Bereich Passivhäuser spielt. Nur wenige Firmen haben bis jetzt eine adäquate Präsenz im Ausland aufgebaut.

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Market structure advantage Die Idee der market structure advantage geht davon aus, dass Wettbewerb hilft, die Präferenzen von Konsumenten aufzudecken und Experimentieren fördert. Mehr Wett­ bewerb zwischen den Anbietern im Lead Market erhöht damit die Chancen, dass der lokale Markt ein erfolgreiches Innovationsdesign hervorbringt. Im Falle des Passivhausmarktes in Österreich gibt es Hinweise auf die Wirkung dieser market stucture advantage. Am Markt für Planungsleistungen waren seit Be­ ginn verschiedene Anbieter aktiv. Ihre Innovationsdesigns konnten dank der Doku­ mentation durch die Förderlinie „Haus der Zukunft“ und die Passivhaus-Datenbank einfach verglichen werden, sodass sich erfolgreiche Designs gegen weniger erfolg­ reiche Designs durchsetzen konnten. Allerdings zeigt die Entwicklung in Österreich auch, dass nicht mehr Wettbewerb, sondern auch die gezielte Nutzung von Synergien wie der Aufbau einer Community aus Architekten, Komponentenherstellern, System­ integratoren und Baufirmen wesentlich den Austausch von Wissen belebte und die Diffusion von erfolgreichen Innovationsdesigns befördert hat. Die nationale Markt­ struktur hat sich allerdings möglicherweise auch negativ auf die internationale Diffu­ sion von Passivhaustechnologie und die Entstehung eines lead markets in Österreich ausgewirkt. Allgemein ist die Bauwirtschaft von mittleren und Kleinunternehmen ge­ prägt, wobei der Anteil von Kleinstunternehmen hoch ist (EUROSTAT 2010). Anders als bei Geschäftsgebäuden oder Infrastruktur ist die Nachfrage nach Wohngebäuden stark regionalisiert. Es kommt selten vor, dass Private ein Haus von einer ausländi­ schen Baufirma errichten lassen. Insgesamt fehlen im Bereich Passivhaus und energieeffizientem Bauen österrei­ chische multinationale Unternehmen, die mit ihrem Produkt im Ausland präsent sind und so als Leitbetriebe dem Export Impulse geben könnten. Ein weiterer Grö­ ßennachteil besteht in der begrenzten Fähigkeit, Risiko zu übernehmen und einen Fixpreis garantieren zu können. Diese Strukturnachteile werden von mehreren In­ terviewpartnern bestätigt. Ausnahmen von dieser Beobachtung existieren allerdings bei Komponenten wie Fenstern, Belüftungen oder der Steuerungstechnik. Besonders österreichische Erzeuger von dreifach verglasten Fenstern sind nach Auskunft von Interviewpartnern im Ausland wie etwa im Vereinigten Königreich erfolgreich am Markt. Auch im Bereich Fertighaus oder allgemein dem Bau mit vorgefertigten Teilen existieren inzwischen mehrere international agierende Anbieter.

Beschäftigungseffekte Die Leitmarktidee ist nicht zuletzt auch deshalb in der wirtschaftspolitischen Dis­ kussion verankert, weil sich Länder von Leitmärkten wirtschaftliche Vorteile wie et­ wa eine günstige Beschäftigungsentwicklung in den betreffenden Branchen erhof­ fen. Hinzu kommt, dass die thermische Sanierung von Altbauten im Vergleich zur

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Neuerrichtung relativ arbeitsintensiv ist und so von diesen Sanierungen besondere Beschäftigungseffekte ausgehen. Aus diesem Grund wurden im Rahmen des zwei­ ten Konjunkturpakets durch die österreichische Bundesregierung für das Jahr 2009 100 Mio. € für die Förderung der thermischen Sanierung im privaten Wohnbau und Geschäftsgebäuden zur Verfügung gestellt (Kletzan-Slamanig und Steininger, 2010, S. 25). Die Studienautoren kommen zum Ergebnis, das die Förderung ein Investitions­ volumen von insgesamt 584 Mio. € induzierte und für eine Erhöhung der Beschäfti­ gung um rund 1.100 Personen sorgte, das sind 0,4 % der Gesamtbeschäftigung in der österreichischen Bauwirtschaft. Wir sehen hier also einen beträchtlichen Multiplika­ toreffekt, obwohl das Ergebnis sicherlich auch durch die Wirtschaftskrise des Jahres 2009 beeinflusst wird. Über dieses Partikularergebnis hinaus ist es schwierig, verallgemeinernde Aussa­ gen über die Beschäftigungseffekte von Passivhäusern zu machen. Die Interviewpart­ ner betonten mehrmals, dass die Entscheidung für oder gegen die Passivbauweise der Entscheidung für die Errichtung eines Hauses nachgelagert ist; die Entscheidung ist also immer zwischen dem Passivhaus und der konventionellen Bauweise, nicht zwischen Passivhaus und keinem Hausbau. Ebenso wird von den Interviewpartnern betont, dass die Errichtung eines Passivhauses nicht notwendigerweise mit höhe­ ren Kosten verbunden ist als die konventionelle Bauweise; die Arbeitsintensität der Neuerrichtung von Passivhäusern (nicht der thermischen Sanierung) unterscheidet sich deshalb wohl kaum von konventionellen Bauten. Ausnahme ist der Planungs­ aufwand, der bei Passivhäusern höher ist. In Relation zu den gesamten Errichtungs­ kosten sollte dieser Unterschied aber nicht ins Gewicht fallen. Wenn vom Passivhaus­ boom in Österreich größere Beschäftigungseffekte ausgegangen sind, so sind diese vor allem bei spezialisierten Zulieferern von Fenstern, Lüftungsanlagen oder Steue­ rungselektronik sowie bei den Erzeugern von Fertigteilhäusern in Passivbauweise zu suchen. Exporterfolge dieser Unternehmen wurden von mehreren Interviewpartnern bestätigt. Auch eine aktuelle Erhebung zur österreichischen Umwelttechnikindustrie (Köppel et al. 2013) kommt zum Schluss, dass die Beschäftigung in diesen Branchen zwischen 2007 und 2011 – entgegen dem Trend der Sachgüterproduktion – jährlich um durchschnittlich 6,5 % gewachsen ist. Um die Beschäftigungseffekte durch Passiv­ häusern in diesen Branchen abzuschätzen wäre allerdings eine gesonderte Erhebung notwendig.

5 Resümee Die Kombination aus Regulierung und Förderung, gepaart mit Maßnahmen zur Dif­ fusion und unternehmerischer Initiative einer aktiven Community haben Österreich zur weltweit höchsten Dichte an Passivhäusern verholfen. Diese Stärke des Passiv­ hauses im Inland konnte allerdings nur teilweise in Exporterfolge umgesetzt werden.

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Als Gründe wurden die komplexen Produkteigenschaften von Passivhäusern, die Be­ deutung von Präsenz in den Zielmärkten sowie die kleinstrukturierte Angebotsseite von Passivhäusern in Österreich identifiziert. Allerdings könnte die nationale Umset­ zung einer europäischen Richtlinie ab 2020 eine beträchtliche neue Nachfrage nach Passivhäusern in Europa schaffen. Zusammenfassend scheint es, als könnte die ös­ terreichische Wirtschaft den Wissensvorsprung den sie sich seit 1990 in dem Thema aufgebaut hat nur unzureichend im Export nutzen. Könnten hier Politikinterventio­ nen Abhilfe schaffen? Man darf hier skeptisch sein. Politikintervention kann nicht den Strukturnachteil auf der Angebotsseite lösen, ebenso wenig die Produkteigenschaften von Passivhäu­ sern ändern. Was allerdings möglich ist, sind Maßnahmen die den Firmen beim Auf­ bau von Präsenz in den Zielmärkten hilft, wie sie etwa durch die Außenwirtschafts­ förderung bereits existieren. Darüber hinaus hat die Erfahrung mit der Förderung der Solarindustrie in Deutschland gezeigt, dass politikinduzierte Leitmärkte manchmal nur eine kurze Lebensdauer haben können (Quitzow et al. 2014). Dieses Beispiel wirft die Frage nach der Stabilität von politikinduzierten Leitmärkten auf.

6 Liste der Interviewpartner Für Kap. 4 dieser Fallstudie wurden mit folgenden Personen Interviews geführt: Georg Karabaczek Handelsabteilung der Österreichischen Botschaft London Dawid Michulec Schöberl & Pöll GmbH Günter Lang Lang Consulting Johannes Kislinger Dachverband Innovative Gebäude

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Paul J. J. Welfens

eHealth: Grundlagen der Digitalen Gesundheitswirtschaft und Leitmarktperspektiven 1

Einleitung | 189

2

eHealth-Initiative in Deutschland und Leitmarktperspektiven | 193

3

Perspektiven zur Digitalen Gesundheitswirtschaft in Deutschland | 196

4

Ausgangslage in der Digitalen Gesundheitswirtschaft in Deutschland | 203

5

IKT-Expansion aus Anwendersicht | 206

6

Schlussfolgerungen | 207

Literatur | 211 Anhang 1: Österreich und die Schweiz als Akteure bei eHealth | 212 Anhang 2: Presseerklärung von Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe zum 8. Nationalen IT-Gipfel | 214 Anhang 3: eHealth/Digitale Gesundheitsversorgung | 216

1 Einleitung Die Expansion der Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT) hat seit den 90er Jahren in den USA, Europa und Japan erhebliche Fortschritte gemacht. Die Digitalisierung wird dabei mit Blick auf die Gesundheitswirtschaft von Seiten der Medizingerätetechnik, der Software- bzw. IT-Branche, der Kommunikationsbranche (inkl. internetfähiger Smartphones), der Krankenkassenabrechnung, der Kranken­ hausverwaltung und zum Teil auch von Seiten der Gesellschaft vorangetrieben. In allen OECD-Ländern spielt die Politik eine sehr wichtige Rolle für die Setzung ad­ äquater Rahmenbedingungen und die Finanzierung von Pilotprojekten sowie be­ stimmte Initiativen zur Verbesserung der Gesundheitsversorgung; man denke etwa an digitale Gesundheitstechnologien zur Optimierung gerade der Versorgung auf dem Lande, wozu es auch in Deutschland Modellprojekte gibt. Kostensenkungen im Gesundheitswesen durch eHealth helfen die Versicherungskosten zu begrenzen und erlauben so indirekt, allen Versicherten einen breiteren Zugang zu Gesundheits­ diensten. Als Schlüssel für eine effiziente zukünftige Gesundheitsversorgung gilt eHealth, das den Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT) im Gesund­ heitssektor beschreibt. Die OECD (2010) sieht darin große Potenziale zur Einsparung von Behandlungs- und Verwaltungskosten, zur Verbesserung der Behandlungsquali­ https://doi.org/10.1515/9783110583212-008

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tät und für neuartige Gesundheitsdienstleitungen; eHealth zählt zu den von der EU gewählten Leitmärkten. Da der Staat über gesetzliche Vorgaben und auf der Ange­ botsseite als Akteur in Deutschland sehr wesentlich ist, hat die Politik den Erfolg von eHealth mit in der Hand; daneben natürlich die gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV) und die privaten Krankenversicherungen (PKV) sowie die anbieterseitigen Ak­ teure und die Patienten. Zu eHealth zählt je nach Definition (Stroetman et al., 2011; Adler-Milstein et al., 2014) der flächendeckende Einsatz von: – Elektronischen Gesundheitsakten: Hierunter wird die elektronische Erfassung al­ ler Patientendaten – inklusive der Versicherungsdaten – verstanden, die es dem behandelnden Arzt ermöglichen, einen Einblick in die Behandlungshistorie zu nehmen, um eine geeignete Behandlung vornehmen zu können. Darüber hinaus wird in der breiteren Definition auch angedacht, es dem Patienten selbst zu er­ möglichen, seine gespeicherten Gesundheitsdaten zu verwalten. – Elektronischem Austausch von Gesundheitsdaten: Dieser Bereich ist häufig kom­ pliziert, allerdings ließe sich bei geeigneter Rahmensetzung durch die Politik eine bessere Datenqualität sicherstellen, die sicherlich auch im Sinne der Kunden wä­ re. Wenn für Geschäftsprozesse der Versicherer Daten digital verfügbar gemacht werden, so kommt es in der Regel zu Kosteneinsparungen. Zur Sicherstellung der bestmöglichen Behandlung sollen die verschiedenen Akteure (z. B. Ärzte, Krankenhäuser, Labore, Versicherungen) in weit größerem Umfang als bisher Pa­ tientendaten austauschen, aggregieren und auswerten. Unter diesen Bereich fällt auch die Nutzung elektronischer Rezepte (e-prescribing), welche die klassischen papierbasierten Rezepte kostensenkend mittelfristig ersetzen sollen. – Telemedizin: Die Telemedizin bezeichnet den Einsatz von IKT zur Überbrückung einer räumlichen und/oder zeitlichen Distanz zwischen Arzt und Patient. Als Anwendung gelten beispielsweise die elektronische Überwachung von Blutdruck oder Blutzuckerwerten. Bei der Digitalisierung von Prozessen und Projekten in der Gesundheitswirtschaft gibt es zahlreiche Akteure mit jeweils eigenen Interessen, die vom IKT-Faktor Unterschied­ liches erwarten: – Die Politik erwartet verstärkten Patientennutzen und Kostensenkungs- bzw. Effi­ zienzverbesserungsmöglichkeiten. – Die Diensterbringer erhoffen sich Kostensenkungsmöglichkeiten und neue Ex­ pansionsfelder; zu diesen zählen im weiteren Sinne auch die Versicherer bzw. Kostenträger Kostensenkungsmöglichkeiten sind bei der IKT-Nutzung in der üb­ licherweise damit verbundenen Standardisierung und Transparenzerhöhung der Prozesse angelegt. – Die Patienten hoffen auf Kosteneinsparungen und eine qualitativ höherwertigere Versorgung.

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Aus gesellschaftlicher Sicht ist zu bedenken, dass in der alternden Gesellschaft sich ergebender Druck auf Steigerung der Beitragssätze in der Krankenversiche­ rung hinauslaufen – entsprechend sind umgekehrt kostensenkende eHealthAktivitäten nicht nur mit einem Beschäftigungseffekt im Gesundheitssektor verbunden (positiv oder negativ), sondern sind beschäftigungsförderlich; der Zusammenhang ergibt sich indirekt auch aus einer verbesserten Arbeitnehmer­ gesundheit im Kontext von Gesundheitsdienst-Qualitätserhöhungen, die faktisch zu erhöhten Arbeitsproduktivitäten der Arbeitnehmer und damit auch zu mehr Einkommen und Beschäftigung führen können. Ein zusätzlicher Beschäftigungseffekt von Digital-Medizinwirtschaft ergibt sich bei verbesserter Patientenversorgung bzw. kürzeren Krankenhausaufenthalten – nicht nur im Kontext besserer Medizintechnik, sondern auch im Kontext von adäquaten Big-Data-Auswertungen für eine verbesserte Medikamenten- bzw. Therapieeffizienz: Ein durch eHealth sinkender Krankenstand der Beschäftig­ ten bedeutet eine Erhöhung der Arbeitsproduktivität und damit eine Erhöhung der Arbeitsnachfrage der Unternehmen.

Mit der zunehmenden Digitalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft ergeben sich enorme Potenziale für Innovationen und Effizienzgewinne in der Gesundheitswirt­ schaft. Da es bei Gesundheit bzw. Krankheit auch um sehr persönliche Befindlich­ keiten der Betroffenen geht, sind hierbei natürlich nicht nur ökonomische, sondern vor allem auch medizinische, psychologische und rechtliche Aspekte wichtig. Zu den rechtlichen Fragen gehören Fragen der Datensicherheit, die relativ komplex sein kön­ nen. Die Vielzahl der Leistungserbringer bzw. die sektorspezifischen Gegebenheiten der Branchen verlangen bei der Umsetzung einer digitalen Modernisierungs- und Ex­ pansionsstrategie, dass eine Vielzahl von Vorgaben und Nebenbedingungen beach­ tet wird. Da aus verschiedenen Ländern in Teilbereichen der digitalen Gesundheits­ wirtschaft auch Erfahrungen vorliegen und weil die Europäische Kommission eHealth zu einem ihrer Handlungsschwerpunkte im Bereich der Informations- und Kommu­ nikationstechnologie gemacht hat, sind auch Vergleichsbezüge in der EU bzw. Fra­ gen nach der Interoperabilität von digitalen Gesundheits- und Abrechnungsprozes­ sen zu beachten. Zudem hat die OECD den Bereich eHealth ebenfalls als wichtiges Politikfeld definiert, womit sich auch erweiterte Fragen des internationalen Verglei­ ches und des Bemühens um das Aufgreifen oder Setzen von Best-practice Beispielen ergeben. Deutschland ist nur in Ansätzen als Leitmarkt im digitalen Gesundheitswe­ sen zu sehen, da die Bundesregierung mit enormer Verzögerung erst eHealth-Ansät­ ze implementieren konnte. Die ohnehin verzögerte Einführungsphase der digitalen Gesundheitskarte war in 2015 mit erheblichen Zeitverzögerungen verbunden. Die ge­ setzlichen Krankenkassen haben eHealth sichtbar mitgetragen, während die privaten Krankenversicherungen bis zum Frühjahr 2015 brauchten, um im Rahmen einer kon­ zertierten Aktion mehrerer privaten Versicherungen eine breitere eHealth-Initiative zu entfalten.

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In Deutschland wurde das E-Health-Gesetz im Dezember 2015 verabschiedet, es trat zum 1. Januar 2016 – mit zehn Jahren Verzögerung gegenüber den ursprüng­ lichen Plänen zur Einführung einer Telematikinfrastruktur – in Kraft. Dem Gesetz entsprechend sollten die Ärzte bis zum 1. Juli 2018 an die Telematikinfrastruktur an­ gekoppelt sein. Für Fristversäumnis sollte es Honorarkürzungen von bis zu einem Pro­ zent geben. Das entsprechende vom Bund geförderte Unternehmen gematik konnte aber erst im November 2017 erste Zulassungen für die Herstellung erforderlicher Kom­ ponenten (z. B. eHealth-Kartenterminals) vergeben. Daher konnte die Industrie nicht in ausreichender Menge die erforderlichen Komponenten liefern: für 200.000 Ärzte, 2.000 Krankenhäuser, 21.000 Apotheken, gut 2 Millionen andere Beschäftigte im Ge­ sundheitswesen plus 70 Mio. gesetzlich Versicherte – der Bundesrat hat daher einer Fristverlängerung um sechs Monate bis 31.12.2018 zugestimmt; die Kassenärztliche Bundesvereinigung formulierte gar die Forderung einer weiteren Fristverlängerung bis 31.12.2019. Von daher weist die Organisation im Bereich eHealth von Seiten des Gesundheitsministeriums ganz erhebliche Lücken auf. Es gibt einen sichtbaren Wi­ derspruch in der Praxis gegenüber dem, was das Bundesministerium für Gesundheit (2019) selbst als E-Health-Gesetz auf der Webseite darstellt: Das Gesetz für sichere digitale Kommunikation und Anwendungen im Gesundheitswesen (E-Health-Gesetz), enthält einen konkreten Fahrplan für den Aufbau der sicheren Telematik­ infrastruktur und die Einführung medizinischer Anwendungen. Ziel dieses Gesetzes ist es, die Chancen der Digitalisierung für die Gesundheitsversorgung zu nutzen und eine schnelle Ein­ führung medizinischer Anwendungen für die Patientinnen und Patienten zu ermöglichen. Die Organisationen der Selbstverwaltung erhalten darin klare Vorgaben und Fristen, die bei Nicht­ einhaltung teilweise auch zu Sanktionen führen. Die Schwerpunkte der Regelungen sind: – Anreize schaffen für die zügige Einführung und Nutzung medizinischer Anwendungen (mo­ dernes Versichertenstammdatenmanagement, Notfalldaten, elektronischer Arztbrief und einheitlicher Medikationsplan), – Telematikinfrastruktur öffnen und perspektivisch als die maßgebliche und sichere Infra­ struktur für das deutsche Gesundheitswesen entwickeln, – Erstellung eines Interoperabilitätsverzeichnisses zur Verbesserung der Kommunikation ver­ schiedener IT-Systeme im Gesundheitswesen, – Förderung telemedizinischer Leistungen (Online-Videosprechstunde, telekonsiliarische Be­ fundbeurteilung von Röntgenaufnahmen). (BMG, 2019)

Die Aussichten, Deutschland zu einem führenden Leitmarkt für eHealth in Europas zu machen, sind schon von daher als begrenzt einzuschätzen. Die Studie von PWC (2016) betont zurecht die Verbindung von eHealth und Big Data im Gesundheitswesen, aber in Deutschland fehlen mittelfristig infrastrukturel­ le Voraussetzungen im Gesundheitssektor und zudem hat man weder in Deutschland noch der EU Eigentumsrechte für Daten gesetzlich definiert, sodass es fehlende Rah­ menbedingungen gibt. Dass es im IKT-Bereich mit Blick auf das Gesundheitswesen eine hohe potentielle Innovationsdynamik gibt, lässt sich allerdings ablesen aus der entsprechenden enormen Zunahme wissenschaftlicher Publikationen in diesem Feld seit 1995.

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2 eHealth-Initiative in Deutschland und Leitmarktperspektiven Basierend auf dem 2004 von der EU Kommission verabschiedeten Aktionsplan für ei­ ne bessere Gesundheitsversorgung hat das Bundesministerium für Gesundheit eine eHealth- Strategie formuliert, die aus zwei Säulen besteht (Stroetman et al., 2011): – Erstens soll eine einheitliche IT-Infrastruktur geschaffen werden, auf der alle (eHealth-)Anwendungen abgewickelt werden; bis Ende 2014 war eine solche ITInfrastruktur in Deutschland weitgehend realisiert worden, die dann 2015 – nach Anlaufschwierigkeiten – quasi in Dienst genommen wurde. – Zweitens stand die Elektronische Gesundheitskarte (eGK) im Fokus, für deren Ent­ wicklung, Einführung und Pflege Anfang 2005 die Gematik (Gesellschaft für Tele­ matikanwendungen der Gesundheitskarte mbH) gegründet wurde. Zusätzlich zur elektronischen Erfassung aller personenbezogenen und versicherungsrelevanten Daten ermöglicht die eGK – das schriftliche Einverständnis des Patienten voraus­ gesetzt – eine Speicherung seiner Behandlungshistorie, Notfall- oder Impfdaten (ERA Report, 2007). Technisch möglich wird auch die Abwicklung elektronischer Rezepte, was laut Scheer (2009) zu Minderausgaben von bis zu 200 Mio. € pro Jahr führen kann. Bisher gibt es abgesehen von ausgewählten Pilotprojekten allerdings keine bundes­ weite Nutzung von elektronischen Rezepten, was maßgeblich auf ungeklärte Daten­ schutzfragen zurückzuführen ist. Hier liegt ein sensibles Feld, das entsprechend sorg­ fältig seitens der Politik und der Akteure im Gesundheitswesen zu beachten und zu entwickeln ist. Betrachtet man mögliche weitere Anwendungen, zeigt sich ein gemischtes Bild. Aus der Untersuchung von Sabes-Figure (2013), die mithilfe eines Fragebogens 1295 (Akut-) Krankenhäuser bezüglich der Nutzung von eHealth Anwendungen anhand von 13 Indikatoren abgefragt haben, geht hervor, dass Deutschland in einigen Berei­ chen unterhalb des Durchschnitts der EU liegt. Mit Ausnahme der Nutzung von Bildarchivierungs- und Kommunikationssyste­ men und einigen anderen Punkten (einheitliche elektronische Patientenakte, externe Verbindung, Notvorsorge, einheitliches Regelwerk und Austausch von Radiologie­ ergebnissen) wies Deutschland in den anderen eHealth-Anwendungen unterdurch­ schnittliche Werte in 2012 auf (siehe Abbildung 1). Besonders schlecht scheint die Nut­ zung von elektronischen Rezepten zu sein, die 37 % unterhalb des durchschnittlichen EU-Niveaus liegt. Eine Studie im Auftrag der Europäischen Kommission (LupiañezVillanueva/ Codagnone 2013) mit Fokus auf der eHealth-Nutzung unter Hausärzten zeigt einen ähnlichen Befund. Die Autoren haben basierend auf vier verschiede­ nen Dimensionen (elektronische Gesundheitsakten, elektronischer Austausch von Gesundheitsdaten, Telemedizin und persönliche Gesundheitsakten) einen zusam­

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Abb. 1: eHealth-Anwendungen in Deutschland und der EU (2012) (Quelle: EIIW-Berechnung basie­ rend auf Sabes-Figure (2013))

mengesetzten Indikator entwickelt, der für Deutschland in allen Dimensionen ein unterdurchschnittliches Ergebnis ausweist. Besonders schlecht schneidet Deutsch­ land demnach beim elektronischen Austausch von Gesundheitsdaten zwischen ver­ schiedenen Institutionen ab. Das ist allerdings ein kritischer Befund, denn natürlich können für die Patienten und die Versicherungen wesentliche digitale Vorteile von eHealth nur genutzt bzw. mobilisiert werden, wenn der digitale Austausch von Ge­ sundheitsdaten reibungslos funktioniert. Selbst wenn dies technologisch möglich ist, bedarf es weiterer Voraussetzungen: – einer Regelung über die Zurechnung der anfallenden Kosten; – Klärung der Haftungsregeln im Fall von Datenverlust; – Verantwortlichkeitsregeln für die involvierten Akteure; – Entwicklung hinreichenden Vertrauens, so dass eine kritische Mindestzahl von Patienten bzw. Nutzern der Technologie aktiv ist – Netzwerkeffekte und auch Ska­ leneffekte können nicht hinreichend genutzt werden, wenn es breite Vertrauens­ barrieren auf Nachfrager oder Anbieterseite gibt bzw. wenn es etwa Datensicher­ heitslücken gibt (etwa wie im Fall des Lukas-Krankenhauses in Neuss, 2015). Aus dem Konzept der Leitmärkte (Beise, 2006) heraus wäre zu erwarten, dass Deutsch­ land regierungsseitig im Kontext von eHealth und Digitalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft Initiativen entwickelt, um eine führende Position von Anbietern in der

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Gesundheitswirtschaft zu befördern und den Vorstoß auf internationale Gesundheits­ märkte bzw. ins Ausland zu erleichtern. – Dazu ist es allerdings nötig, dass die digitale Infrastruktur und die Umsetzung des Konzepts einer digitalen Gesundheitskarte im internationalen Vergleich zügig und vorbildlich erfolgt. – Zudem wären EU-weit Ansätze zur regulatorischen Harmonisierung oder zumin­ dest zur besseren digitalen Kompatibilität wichtig. – Im Rahmen der Ressortforschung hat das Bundesministerium für Wirtschaft in 2016 Möglichkeiten der Exportpotenziale im eHealth-Bereich untersuchen lassen. Eine effiziente eHealth-Politikumsetzung wird längerfristig in der alternden Gesell­ schaft Deutschlands eine Reihe wichtiger Vorteile für alle Beteiligten im Gesundheits­ system bzw. in Wirtschaft und Gesellschaft bringen: – Nutzengewinn für die Patienten – Beitragsstabilitätsimpulse durch digitale Effizienzgewinne – Durch Beitragssatzstabilisierung Begrenzung des langfristigen Anstieges der Ge­ sundheitskosten, was auch den Steuererhöhungsdruck in alternden Gesellschaf­ ten dämpfen kann – staatliche Zuschüsse können vermindert ausfallen: Das er­ höht die gesamtwirtschaftliche Nachfrage. – Neue Exporterfolge, die sich in der neuartigen Form innovativer digitaler Gesund­ heitsdienstleistungen und –technologien auf dem Weltmarkt realisieren lassen. Was den Personenkreis der Nutzer von digitalen Gesundheitsleistungen angeht, so ist auf drei Ebenen zu verweisen: – der einzelne Patient – hier müssen Menschen individuell bzw. persönlich über di­ gitale Informations- und Kommunikationsplattformen angesprochen werden mit Blick auf Prävention, medizinische Maßnahmen und ggf. auch Nachsorge; – betriebliches digitales Gesundheitswesen (BDG), was die Beschäftigen im jewei­ ligen Unternehmen angeht und letztlich einen Gesundheitsgewinn für diese und eine Kostensenkung durch Fehlzeitenverringerung für das Unternehmen bringt: Soweit es hier gelingt, die Mehrzahl der Großunternehmen und viele Klein- und Mittelunternehmen zu mobilisieren, dürften die Gesundheitserfolge durch BDG erheblich sein; dabei werden Maßnahmen des BDG in einer alternden Gesell­ schaft mit sich nach hinten verschiebendem Renteneintrittsalter in erheblichem Maße helfen können, den langfristig drohenden Fachkräftemangel durch höhere Fitness älterer Arbeitnehmergruppen bzw. verminderte Krankheitsquoten zu be­ grenzen. Zur Minderung der Fehlzeiten bzw. den Fitness-Verstärkungseffekte von BDG wird man anhand von Studien Quantifizierungen der ökonomischen Gewin­ ne vornehmen können und auch die Glücksforschung am Arbeitsplatz kann hier empirische Studien beitragen; – soziale Netzwerkgruppen, die eine Vielzahl von Menschen bzw. Patienten umfas­ sen können und im Präventivbereich wie im Nachsorgebereich oder bei gezielt aufgebauten Selbsthilfegruppen relevant sein können.

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Seit etwa 2010 ist die Expansion der Digitalen Gesundheitswirtschaft in Deutschland feststellbar, wobei sich hier zunächst zögerliche Fortschritte in Form einschlägiger Aktivitäten bei den nationalen IT-Gipfeln einerseits und andererseits z. T. auch bei regionalen Bundesland-IT-Veranstaltungen (z. B. NRW-IT-Tag in Bonn) sowie in der Ministerialforschung feststellen lassen. Von Seiten der Bundesregierung werden be­ stimmte digitale Dienstleistungen im Umfeld von eHealth als vielversprechendes po­ tenzielles Exportfeld wahrgenommen. Die Tatsache, dass Gesundheitssysteme in sehr vielen Ländern staatlich organisiert sind bzw. dass staatliche Anbieter im Gesund­ heitssystem eine große Rolle spielen, lässt nur begrenzt erwarten, dass eine staatlich unterstützte digitale eHealth-Exportinitiative gewisse Chancen auf mittlere Sicht ha­ ben könnte. Dabei geht es vor allem um die Bereiche digitale Infrastruktur, digitale eHealth-Dienste und eHealth im Krankenhaus sowie digitale Vorsorge. Nationale Ge­ sundheitssysteme in der EU haben bislang wenig Ansätze zu grenzübergreifender Ko­ operation gezeigt, vielmehr gibt es eine erkennbare Neigung, dass der Staat eHealth mit Blick auf Förderung nationaler Anbieter der Gesundheitswirtschaft entwickelt, was der Nutzung des Leitmärktekonzeptes entgegensteht: – Einheitliche technologische Plattformen – grundsätzlich mehrsprachig denk­ bar – können bei national sehr unterschiedlichen Regulierungen der Gesund­ heitspolitik in der EU kaum entstehen, was der Nutzung von Skalenvorteilen und Netzwerkeffekten entgegenwirkt und damit EU-Länder bzw. dortige Anbiete potenzieller globaler Leitmarktfähigkeiten beraubt. – Die schon im EU-Markt begrenzte Exportfähigkeit von eHealth-Ansätzen ist eine regionale Barriere für die globale Ausrichtung von Leitmarktansätzen. – Die kostentreibenden nationalen regulatorischen Barrieren verhindern nicht nur eine optimale Leitmarktentwicklung in Deutschland, sondern bedeuten unnöti­ ge hohe Gesundheitskosten und damit Beitragssätze in der Krankenversicherung bzw. letztlich erhöhte Arbeitskosten, die die Arbeitsnachfrage vermindern. Eine erste Bestandsaufnahme zu Deutschlands digitaler Gesundheitswirtschaft muss hierbei mit ansetzen.

3 Perspektiven zur Digitalen Gesundheitswirtschaft in Deutschland In Deutschland will die Politik mit einer umfassenden Strategie eHealth – mit einiger Verspätung gegenüber früheren Plänen – einführen. Dabei wird die Politik gut dar­ an tun, in manchen Feldern pragmatisch vorzugehen und sich in Pilotprojekten oder aus Vergleichsprojekten im Ausland nützliches Erfahrungswissen zu holen bzw. zu sichern. Die GKVs haben im Januar 2015 den Einsatz der elektronischen Gesundheits­ karte – bereits 2003 von der Politik im Grundsatz beschlossen – wegen Funktionspro­

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blemen vorübergehend gestoppt, dann aber im Jahresverlauf auf Basis des Anfangs Dezember 2015 verabschiedeten neuen Gesetzes – inhaltlich in Verbindung mit der digitalen Dienstleistungsfirma gematik – ans Laufen gebracht. Das Anfang 2016 in Kraft getretene „Gesetz für sichere digitale Kommunikation und Anwendungen im Ge­ sundheitswesen (E-Health-Gesetz)“ will „dass die modernen Informations- und Kom­ munikationstechnologien schneller ihren Nutzen für die Patientinnen und Patienten, Leistungserbringer und Krankenkassen entfalten“ (HANDELSBLATT, 15.1.2015, S.5). Aus einer ordnungspolitischen Sicht geht es darum, dass der Staat angemessene Rahmenbedingungen für die digitale Gesundheitswirtschaft setzt, innovationsorien­ tierte eHealth-Projekte angemessen über regionale, nationale oder EU-bezogene Pro­ jektmittel fördert und ggf. auch Gesundheits-Cluster-Projekte (Welfens, 2011) mit be­ sonderem digitalen Fokus unterstützt. Zu den großen Herausforderungen der Einführung von eHealth gehören zahlrei­ che Aspekte, die mit dem Übergang zu einem digitalisierten System verbunden sind (als nicht wirklich digitalisiert muss in Teilen das bestehende System bezeichnet wer­ den, in dem Papierakten digitalisiert werden; die Papierausdrücke sind kostenträchtig und letztlich auch mit Umweltschäden bzw. einer Nutzung von natürlichen Ressour­ cen verbunden, die bei Volldigitalisierung geschont werden): – psychologisch wichtig ist Vertrauen in Datensicherheit, wobei hier die niederge­ lassenen Ärzte erfahrungsgemäß einen kritischen Engpasspunkt darstellen, da sie sich häufig überlastet fühlen und nur begrenzte Kenntnisse zum Thema Da­ tensicherheit haben. Wenn erst einmal durch Mängel in der Datensicherheit Ver­ trauen von Patienten in Digitalisierung unterminiert wird, dürfte eine Implemen­ tierung eines umfassenden eHealth-Konzeptes kaum noch möglich sein. Hier ist zunächst der Gesetzgeber gefordert, sinnvolle Vorgaben und Anreize in Sachen Datensicherheit zu geben und regelmäßige Überprüfungen von Sicherheitsstan­ dards durch unabhängige Dritte durchführen zu lassen; – aus technischer Sicht geht es um die Interoperabilität von Systemen, für die von Seiten der Europäischen Kommission und der EU-Mitgliedsländer in Europa be­ sondere Sorge zu tragen ist; – aus rechtlicher Sicht geht es um Haftungsfragen und praktikablen Datenschutz, aber auch um eine hinreichend differenzierte Gesetzgebung, die Innovationsdy­ namik in einem digitalen Gesundheitssystem ermöglicht und fördert. Hier ist der Gesetzgeber gefordert, wobei hier und in anderen Bereichen auch regionale, na­ tionale oder grenzübergreifende Pilotprojekte zu realisieren sind; – aus ökonomischer Sicht ist wesentlich, dass für Versicherungen, Ärzte und Pa­ tienten ein Nutzengewinn bzw. Kosteneinsparungen zustande kommen. Da bei einigen eHealth-Technologie erhebliche Fixkosten anfallen, ist eine Mindest-Fall­ zahl für die Einführung bestimmter digitaler Innovationen erforderlich. Als große Schwierigkeit zur Einführung einer einheitlichen IT-Infrastruktur erweist sich auch der korporatistische Aufbau des deutschen Gesundheitswesens (Stroetman

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et al., 2010). Dieses ist durch eine Vielzahl von privaten und öffentlichen Akteuren auf verschiedenen Ebenen (Bund, Länder, Kommunen) mit unterschiedlichen Inter­ essen geprägt. So lehnen beispielsweise einige Ärzte das elektronische Rezept mit der Begründung eines erhöhten Zeitaufwandes ab, der durch die elektronische Signatur entsteht. Diese muss der Arzt mithilfe der Eingabe einer PIN bestätigen, damit sicher­ gestellt wird, dass es sich um ein echtes Rezept handelt. Ferner gilt es zu berücksichti­ gen, dass regionale und private Akteure wie z. B. Krankenhäuser oder Krankenkassen bei fehlenden adäquaten Rahmenbedingungen wenig Anreiz haben, in eine einheit­ liche überregionale IT-Infrastruktur zu investieren. Ökonomisch gesehen geht es um die Mobilisierung von Netzwerkeffekten bzw. um einen positiven, vernetzt erzielba­ ren externen Effekt; die Zahl der Nutzer ist hierbei wesentlich. Das bedeutet, dass mit steigender Nutzerzahl der individuelle Akteursnutzen steigt, wobei jedoch für eine Systeminnovation immer eine kritische Mindestmasse an Mitwirkenden der Gesund­ heitswirtschaft sicher zu stellen ist. Da positive externe Effekte digitaler GesundheitsInstrumente bislang nur unzureichend Berücksichtigung finden, erscheint eine staat­ liche Finanzierung bzw. Förderung sinnvoll. Eine Studie im Auftrag der Europäischen Kommission (2009, S. vii, x, 38), die sich mit den sozioökonomischen Auswirkungen von elektronischen Patientenakten und elektronischen Rezepten befasst, konstatiert mittel- bis langfristig eindeutig eine positive Kosten-Nutzen-Bilanz: For all cases analysed, the socio-economic gains to society from interoperable EHR (Electronic Health Registry) and ePrescribing systems eventually exceed the respective costs. From a health policy perspective, this justifies even the net financial boost needed. A successful development can reach a cumulative socio-economic return (SER) of close to 200 %, with an average for the EHR IMPACT cases of almost 80 %. (Europäische Kommission, 2009, S. vii, x, 38)

Die Politikakteure sind als Verantwortliche zunächst auf der Ebene der nationalen Po­ litik gefordert: – Es geht darum, durchdachte und anreizkompatible Rahmenbedingungen für die Gesundheitswirtschaft zu setzen, wobei die institutionellen sektorspezifischen Ausgangsbedingungen zu beachten sind. Es gibt einen relevanten strukturel­ len Unterschied zwischen Gesetzlicher Krankenversicherung (GKV) und Privater Krankenversicherung (PKV): die GKV kann ihren Versicherten effektive und zü­ gig neue staatliche Regeln aufzwingen. In der PKV, in der eine grundsätzliche Wettbewerbsorientierung durch die Mobilität der Versicherten gilt, haben die Versicherungsnehmer vertraglich zugesicherte Rechte, über die sich PKV-Unter­ nehmen nicht einseitig hinwegsetzen können und mangels früher Koordinierung innerhalb der PKV-Anbieter der GKV zeitweise Vorteile brachte. Jedoch liegt in dieser Selbstbestimmungsmöglichkeit ein wichtiger positiver Aspekt der PKV, da die Versicherten nicht einfach einseitigen Änderungen bzw. Vorgaben von Sei­ ten der Kostenträger ausgesetzt sind. Aus einer ökonomischen Wettbewerbsper­ spektive bedeutet das für die PKV im Umkehrschluss, dass sie bei Innovationen Anreize hat, dass Wohl der Versichertengemeinschaft bzw. den Vorteil des Versi­

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cherungsnehmers im Auge haben muss. Mit Blick auf eine wünschenswerte digi­ tale Weiterentwicklung des Gesundheitssystems ist mit Blick auf diesen Prozess allerdings seitens des Gesetzgebers für die entsprechenden adäquaten Rahmen­ bedingungen zu sorgen. Von daher müssen die Privaten Krankenversicherungen (PKVs) in den Prozess der Modernisierung und Expansion der Digitalen Gesund­ heitswirtschaft von Seiten der Politik anders einbezogen werden bzw. die PKVs müssten sich im Qualitäts- und Preiswettbewerb spezifisch bewegen und sich im Innovationsprozess profilieren können. Traditionell haben die GKV-Versicherten mittelfristig oft von den von PKVs ausgehenden Innovationsimpulsen profitiert. Von daher ist es im Interesse aller Beteiligten, die Wettbewerbsdynamik in der Ge­ sundheitswirtschaft hoch zu halten und in Übereinstimmung mit grundlegenden ordnungspolitischen Prinzipien einen Schumpeterschen digitalen Innovations­ wettbewerb zu organisieren, von dem am Ende alle Patienten bzw. alle Menschen profitieren. Die Menschen sind in der Europäischen Union und auch darüber hinaus immer mobiler in Beruf und Freizeit, in Jugend und Alter, so dass insbesondere in der EU im Rahmen eines digital integrierten Gesundheitsmarktes die digitale Gesund­ heitswirtschaft nicht nur mit Blick auf einen nationalen Markt organisiert wird. Zudem ist zu bedenken, dass auch im Urlaub im Ausland die digitale Gesundheits­ karte etwa ihr Nutzenpotenzial für Patient, Versicherung und Gesundheitsdienst­ leister nach Möglichkeit voll realisieren sollte – zumindest eine EU-Perspektive ist einzubeziehen und längerfristig in der Taz eine globale digitale Gesundheitsper­ spektive. Hierbei kann die International Telecommunications Union als UN-Orga­ nisation im Internet- und Telekommunikationsbereich wohl sinnvoll mobilisiert werden. Deutschland hat ein grundlegendes Interesse in einer sich globalisierenden Wirt­ schaft, dass die Vorteile der internationalen Arbeitsteilung auch in der Gesund­ heitswirtschaft zum Tragen kommen; auf Vorleistungs- und Endprodukt- bzw. Dienstemärkten können marktliche Wettbewerbskräfte sinnvoll wirken. Im Qualitätswettbewerb der Unternehmen gilt seit jeher, dass nicht allein die Abwanderung von Kunden im Wettbewerb – von einem weniger überzeugenden Anbieter zu einem vielversprechenderen Anbieter – wesentlich ist, sondern im Anschluss an Hirschmann (1970) gilt auch Widerspruch gegen schlechte Leis­ tungsqualität als eine wichtige Dimension; diese wird sich im digitalen Zeitalter auch im Internet manifestieren, wo etwa Nutzergruppen oder Foren relevant sein können. Menschen sind als Gesunde wie als Patienten in digitalen Netzwerken aktiv und die vielfältigen Möglichkeiten des Internets für eine bessere digitale medizinische Vorsorge, Behandlung und Nachsorge gilt es dann auch in diesem Kontext sinn­ voll zu nutzen. Hier wie bei anderen Innovationsfeldern werden in der Regel be­ stimmte Pilotprojekte wichtig sein, die es sorgfältig zu definieren, auszuwerten und nachzusteuern gilt.

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Nachdem eine auf vernünftigen Standards basierende IT-Struktur in Deutschland vorhanden ist, gilt es im Nachgang gerade zum IT-Gipfel in Hamburg 2014 die wei­ teren Expansionschancen der digitalen Gesundheitswirtschaft zu entwickeln – dabei hat Deutschland mit der Verfügbarkeit einer digitalen Gesundheitskarte ab 2015 neuartige Möglichkeiten der digitalen Modernisierung und könnte auch be­ stehende Lücken etwa im Verhältnis zur Schweiz oder Österreich, wo die Karte jeweils früher eingeführt werden konnte, aufholen. Das setzt allerdings voraus, das von Seiten der Bundesregierung klare gesetzliche Vorgaben gegenüber der Ärzteschaft in Sachen Datenschutz und Geräteausstattung erfolgen, damit die Ge­ sundheitskarte von Seiten der GKVs und der PKVs überhaupt sinnvoll angewendet werden kann. Der Nutzen der Einführung der Gesundheitskarte hängt wesentlich nicht nur an technischen Voraussetzungen, sondern an einer hinreichenden Mo­ tivation der relevanten Akteure im Gesundheitswesen, das Projekt Gesundheits­ karte nach professionellen Maßstäben und einer Check-Fortschrittsliste umzuset­ zen – sonst kommt es zu einer pannenbehafteten Einführung digitaler Prozesse bzw. der Gesundheitskarte; und es wird nicht das für Funktionsfähigkeit notwen­ dige Vertrauen auf Patientenseite entstehen. Ohne solches Vertrauen kann der po­ tenziell hohe Nutzen der digitalen Gesundheitskarte nicht mobilisiert werden.

Der Politik kommt eine enorme Bedeutung für die digitale Gesundheitswirtschaft nicht nur in Form des Setzens vernünftiger Rahmenbedingungen zu – nicht einfach, aber unabweisbar auch im Kontext des Datenschutzes -, sondern auch weil die ver­ bändemäßig als Akteure aufgestellten Gruppen der niedergelassenen Ärzte und der Krankenhausärzte oder anderer Gruppen einerseits bei der Modernisierung zu adres­ sieren sind. Andererseits muss auch jeder einzelne Arzt und jedes einzelne Kranken­ haus und jede einzelne Versicherung konkret zu einer systemkompatiblen effizienten Mitwirkung motiviert werden. Die Interessen einzelner Akteure oder Akteursgrup­ pen können jeweils differenziert oder auch konfliktär sein. Es ist Aufgabe der Politik, notwendige Standardisierungen mit anzuschieben oder bei fehlendem kooperativem Handeln der privaten Akteure plus GKVs aktiv mitzuwirken bzw. hilfsweise kom­ petente Vertreter aus Wissenschaft, Gesellschaft und führenden IKT-Unternehmen einzuschalten. Für nicht wenige Anbieter im Gesundheitssystem – große Teile der Ärzteschaft etwa – gelten Fragen der Datensicherheit, die für Patienten und Krankenkassen sowie die Politik von fundamentaler Wichtigkeit sind, häufig eher als kostspieliges, lästiges Handlungsfeld. Einer solchen Sichtweise ist entgegen zu setzen: – eine optimale Gesundheitsversorgung gibt es nur in einem abgestimmten sinn­ vollen System, so dass bestimmte durchdachte Mindeststandards und Vorgaben notwendig für die Funktionalität des neuen Systems sind: Eine kritische Mindest­ maße von Akteuren muss zur Mitarbeit motiviert werden, da sonst ein System­ wechsel hin zu umfassender Digitalisierung nicht möglich ist;

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die menschliche und persönliche Dimension des Patienten muss jederzeit mit im Vordergrund aller digitalen Modernisierung sein, was eine Mindesttransparenz der Modernisierungsprozesse verlangt und auch auf den Aufbau einer hohen Qua­ litätsreputation an kritischen Stellen zu achten verlangt; die Einbeziehung etwa von technischen Prüfinstitutionen oder wissenschaftlichen Forschungsakteuren kann hier eine besondere Signalfunktion und Qualitätssicherungsfunktion ha­ ben, die erst ein aktives Mitwirken der Menschen bzw. der Patienten sinnvoll si­ chert; die bei technischen Modernisierungen erfahrungsgemäß vorhandenen Wider­ stände einzelner Akteursgruppen sind von Seiten der Politik einzubeziehen und moderierte Gespräche unter Leitung von Ministerialvertretern oder auch kom­ petenter Netzwerke-Akteure aus Medizin und Wirtschaftswissenschaft können hilfreich für mehr langfristige Akzeptanz sein; digitale Modernisierung des Gesundheitswesens verlangt nach überschaubaren, steuerbaren Teilelementen, die in einer sinnvollen Kombination und Schrittfolge im Zeitablauf zu vertiefen sind; aus ordnungspolitischer Sicht wesentlich ist, dass Digitale Gesundheitswirtschaft ein sichtbares Mehr an Wettbewerb und Innovationsdynamik auf mittlere und lange Sicht erbringt; eine kompetente wissenschaftliche Begleitforschung der wichtigen Prozesse der digitalen Modernisierung ist unerlässlich, um einen optimalen Lern- bzw. Inno­ vationsprozess zu erreichen. Dabei sollten in der Regel auch internationale Ver­ gleichsaspekte beachtet werden.

So wie Deutschland in vielen Bereichen im internationalen Vergleich führend ist, so wird man längerfristig auch bei eHealth eine besonders gute Positionierung Deutsch­ lands im internationalen Vergleich erwarten – also, dass Deutschland etwa unter den Top 10 der OECD-Länder liegt. Es gibt durchaus schon Ausgangspunkte der For­ schung, die die Zufriedenheit im traditionellen Gesundheitssystem abbilden und es gibt auch einzelne eHealth-bezogene Erhebungen bzw. Darstellungen, die Deutsch­ lands internationale Positionierung aufzeigen. Wenn man strategische Ansatzpunkt von eHealth betrachten will, so geht es um fünf Bereiche (BARMENIA, 2015): – Information: hier können Informationsportale für Patienten oder Ärzte bereit­ gestellt werden, wobei unnötige Arztkonsultationen vermieden bzw. gezieltere Arztkonsultation ermöglicht werden; Unternehmensimage, Kundenbindung und Interessentenwerbung sind mögliche positive Nebeneffekte. Informationsportale geben Leistungserbringern relevante Informationen zu wichtigen Sachverhalten: z. B. erhalten Ärzte einen Hinweis, von welchem Hersteller sinnvollerweise Arz­ neimittel nach Möglichkeit zu verordnen sind – Stichwort: Rabattverträge – oder in welche Rehaeinrichtungen sie einweisen sollten (Kooperationsverträge). Zu

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den positiven Nebeneffekten gehört die Intensivierung bestehender Verträge und Möglichkeiten der Konditionsverbesserung via erhöhte Fallzahlen. Kommunikation: Hier geht es um einen fokussierten Informationsaustausch zwi­ schen Leistungserbringer und seinen jeweiligen Patienten; unterschiedliche mo­ bile Betriebssysteme (iOS, WindowsPhone, Android etc.) erschweren hier eine optimale Implementierung und eine optimale Nutzung von Apps. Von daher könnten z. B. durch digitale Kommunikation u. a. Doppeluntersuchungen ver­ mieden werden, wobei dieser Vermeidungseffekt erhebliche Kosten einsparen helfen kann; in der Praxis verlangt das nach Einführung optimierter Anreizsys­ teme für die Ärzteschaft. Im Übrigen kann die PKV digitale Gesundheitsdienste sinnvoll entlohnen, bei den GKVs gibt es z. T. erhebliche Barrieren. Interaktion und Transaktion: Hierbei geht es um Informations- und Datenaus­ tausch zwischen Beteiligten mit direkter Reaktion des Kommunikationspartners (z. B. Home Monitoring). Sinnvoll sind hier auch Apps zum unmittelbaren Aus­ tausch mit Leistungserbringern, wobei jedoch in Deutschland das Fernbehand­ lungsverbot den medizinischen digitalen Fortschritt sehr deutlich behindert. Bei Hautprobleme etwa kann der Patient zunächst selbst ein Foto erstellen und dann dem Dermatologen digital mobil vorlegen; viele Hautprobleme lassen sich durch­ aus per Bild gut diagnostizieren, wobei eine erste Therapie ohne physischen ArztPatienten-Kontakt nach Expertenangaben in 70 % der Fälle möglich wäre. Integration: Hier steht die lebenslange Aufzeichnung relevanter Patientendaten im Vordergrund bzw. es geht auch die Zusammenführung von Daten aus medizi­ nischen und paramedizinischen Bereichen plus Ergänzungen durch den jeweili­ gen Patienten selbst (elektronische Gesundheitsakte). Dies kann für Diagnostik, Vermeidung von Fehlmedikation und Doppeluntersuchungen sehr wichtig sein, wobei es jedoch in der Praxis häufig datenschutzrechtliche Vorbehalte und Be­ denken gibt. Hier ist ein vernünftiger Gesetzesrahmen dringlich, zudem interope­ rable technische Plattformen.

Betrachtet man aus medizinischer Sicht die Kernbereiche der digitalen Gesundheits­ wirtschaft, so geht es um – Digitalisierte Vorsorge – Telemedizin – Digitalisierte Nachsorge – Optimierung des Abrechnungsprozesses Die Optimierung des Abrechnungsprozesses durch Digitalisierung wiederum kann man auf drei Ebenen festmachen: – Patient bzw. Zuzahler (GKV-Versicherte mit privater Zusatzversicherung oder Pa­ tienten bei PKVs) – Ärzte, Zahnärzte, Krankenhäuser und andere Leistungserbringer – Versicherungen

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Geht man von 300 Mrd. € Jahres-Wertschöpfung und etwa 600 Mrd. € an Umsatz im Gesundheitssektor Deutschlands pro Jahr aus, dann ergibt sich auf Basis der Umsatz­ zahlen und einem angenommenen Marktzins von 3 % bei Beschleunigung der Zah­ lungen um eine Woche ein Nutzengewinn von (600 Mrd. €/52) x 0.03 = 0,346 Mrd. €; mittelfristig dürften Zahlungen sich um bis zu drei Wochen beschleunigen lassen, was 1 Mrd. € an Liquiditätsvorteilen pro Jahr für die Akteure im Gesundheitssystem bedeu­ tet. Dabei müssten allerdings bei der Abrechnung für Beamte unbedingt angemessene Modernisierungsschritte bei den staatlichen Beihilfestellen erbracht werden, da sonst von Seiten der Beihilfe das vorgelegte Berechnungsergebnis vermindert würde; PKVVersicherte könnte z. B. beim Arzt eine VersicherungsApp digital vorlegen, die dann nur noch digitale Abrechnungsvorgänge erbringt und vom Arzt erstellte Rechnungen innerhalb desselben Tages digital allen am Abrechnungsprozess Beteiligten zustellt. GKV-Versicherte könnten eine ähnliche VersicherungsApp nutzen.

4 Ausgangslage in der Digitalen Gesundheitswirtschaft in Deutschland Die Gesetzlichen Krankenkassen haben in ihren Arbeitsgruppen zur digitalen Gesund­ heitswirtschaft bereits erhebliche Vorarbeiten zur digitalen Modernisierung von Sei­ ten der GKVs geleistet. Die PKVs haben ihre IT-Prozesse im Verlauf der Jahre optimiert, verschiedene kundenbezogene Apps entwickelt – sie steigern den Patientennutzen oder helfen bei der Vorsorge – und auch durch kompatible Cloud-Lösungen Akzen­ te gesetzt: rechtzeitig entwickelt im Vorfeld des nationalen IT-Gipfels Hamburg 2014) und des nationalen IT-Gipfels, Berlin 2015. Einige Versicherungen – wie Generali und Axa – haben digitale Gesundheitserfassungslösungen entwickelt, die letztlich der Ge­ sundheitsförderung und Effizienz dienen; in der Öffentlichkeit ist hierzu bei der Prä­ sentation 2014/2015 allerdings auch Kritik geäußert worden, die auf eine Ablehnung solcher digitalen Innovationen hinauslaufen. Datenschutzfragen sind naturgemäß ge­ rade bei Gesundheits-Apps besonders wichtig, aber derartige digitale Innovationen generell zu blockieren, erscheint nicht als sinnvoll (der Staat ist hier verantwortlich für das Setzen sinnvoller Rahmenbedingungen). Der Kritik aus Datenschützer-Sicht kann man auch entgegen halten: Einerseits kann aus ordnungspolitischer Sicht niemand von Versicherungen gezwungen werden, eine digitale Gesundheitsförderungstechno­ logie zu nutzen; allerdings sollten andererseits Versicherungen im Interesse des wirt­ schaftlich-medizinischen Fortschritts in ihrer Innovationsfreiheit auch nicht einfach beschränkt werden; wer – nach Erreichen eines gewissen Mindestalters – freiwillig an solchen innovativen Gesundheitsförderungsprojekten teilnehmen möchte, darf in einer freiheitlichen Gesellschaft wiederum auch nicht diskriminiert werden. Eine Dis­ kriminierungswirkung bei bestimmten Personengruppen via GesundheitsApps ist al­ lerdings auch zu vermeiden. Im Rahmen von Pilotprojekten kann man hier sinnvolle

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Modelle entwickeln, die letztlich zu einem höheren Gesundheitsbewusstsein und ei­ ner insgesamt besseren Gesundheit führen könnten. Das E-Health-Gesetz sieht in Deutschland vor: – dass bis 2018 das neue digitale Gesundheitssystem flächendeckend an die Tele­ matik-Infrastruktur angeschlossen sein soll, wobei Ärzte, die nicht mitwirken mit Vergütungskürzungen zu rechnen haben. – In Verbindung mit der Firma gematik und den involvierten Firmen aus der Indus­ trie, soll ab Mitte 2016 der schrittweise Aufbau des digitalen Gesundheitssystems beginnen. – Telemedizin wird begrenzt gefördert, um ab April 2017 bei Röntgenaufnahmen die telekonsiliarische Befundbeurteilung und die Online-Videosprechstunde ab Mitte 2017 in die vertragsärztliche Versorgung aufzunehmen (siehe auch Anhang 2). Die Website des Bundesministeriums für Gesundheit vermerkt zum neuen Gesetz: –





Mit dem E-Health-Gesetz wird auf Basis der Zeitpläne der gematik und der Industrie ein Zeitfenster für die bundesweite Einführung der Telematik-Infrastruktur festgeschrieben, das Mitte 2016 beginnt. . . Auf der Gesundheitskarte gespeicherte Notfalldaten können Leben retten, ein Medikationsplan kann lebensgefährliche Wechselwirkungen verhindern und die Telemedizin mobil eingeschränkte Menschen unterstützen. Und mit der elektronischen Pa­ tientenakte und dem Patientenfach sind die Patienten besser über ihre Diagnosen und The­ rapien informiert. Sie bekommen zudem erstmals die Möglichkeit, auch selbst Daten – z. B. aus Fitnesstrackern oder sog. Wearables – dem Arzt zu übermitteln. Das E-Health-Gesetz schreibt einen konkreten Fahrplan für die Einführung nutzbringender Anwendungen und einer sicheren digitalen Autobahn im Gesundheitswesen vor. Mit einer sicheren digitalen In­ frastruktur, an die alle Ärzte, Zahnärzte, Krankenhäuser, Apotheken und Versicherten an­ geschlossen sind, schaffen wir die Voraussetzungen für die medizinische Versorgung der Zukunft. Die Schwerpunkte des Gesetzes: Ein modernes Stammdatenmanagement (Online-Prüfung und Aktualisierung von Versi­ chertenstammdaten) sorgt für aktuelle Daten in der Arztpraxis und schützt vor Leistungs­ missbrauch zu Lasten der Beitragszahler. Diese erste Online-Anwendung der elektronischen Gesundheitskarte soll nach erfolgreichem Probelauf bis Mitte 2018 flächendeckend einge­ führt werden. Damit werden zugleich die Online-Strukturen für wichtige medizinische Anwendungen geschaffen. . . Medizinische Notfalldaten sollen ab 2018 auf Wunsch des Versicherten auf der elektro­ nischen Gesundheitskarte gespeichert werden. Damit sind wichtige Informationen über bestehende Allergien oder Vorerkrankungen im Ernstfall schnell verfügbar. Immer noch sterben in Deutschland zu viele Menschen an gefährlichen Arzneimittelwechselwirkungen. Deshalb erhalten Menschen, die 3 oder mehr Arzneimittel anwenden ab Oktober 2016 ei­ nen Anspruch auf einen Medikationsplan. Das ist vor allem für ältere und alleinlebende Menschen eine große Hilfe. Der Arzt muss den Versicherten über seinen Anspruch infor­ mieren. Apotheker sind von Anfang an einbezogen und bei Änderungen der Medikation auf Wunsch des Versicherten zur Aktualisierung verpflichtet. Ab 2018 soll der Medikationsplan auch elektronisch von der Gesundheitskarte abrufbar sein. . . (Die) Anschubfinanzierung, mit der ein höheres Datenschutz- und Sicherheitsniveau in der elektronischen Kommuni­ kation erreicht wird, gilt für das Jahr 2017. (BMG, 2019)

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In den nächsten Jahren kommt es darauf an, die vielfältigen Vorarbeiten von GKV und PKV in konkrete nutzbringende Prozesse und digitale Projekte umzusetzen, wobei das Bundesministerium für Gesundheit durch das 2015 verabschiedete Gesetz die wichti­ gen Rahmenbedingungen definiert hat: Medizinische, rechtliche, ökonomische und technische Aspekte sind dabei ebenso zu beachten wie relevante ordnungspolitische Prinzipien; von Seiten der Ärzteschaft, der Medizingerätehersteller, der Pharmaindus­ trie, der Versicherungen, der Krankenhäuser und der Patienten bzw. der Gesunden mit Verbindungen zur digitalen Gesundheitswirtschaft – man denke etwa an internetba­ sierte Vorsorgeprogramme – wird man im Rahmen der EU-bezogenen und nationalen Rahmenbedingungen ein modernes digitales Gesundheitssystem zu entwickeln ha­ ben. Es ist dabei vorstellbar, dass die Politik auch zeitliche Mindest-Meilensteine vor­ geben kann, damit der Prozess transparent und steuerbar bleibt. Dem Wettbewerb der Akteure und speziell ihrer Innovationskraft kommt dabei zugleich große Bedeutung zu, so dass sinnvolle Anreize für die Akteure wesentlich bzw. auch durch institutionell vernünftige Arrangements zu gewährleisten sind. Eine Leitmarktfunktion kann das deutsche Gesundheitssystem im Sinn eines ex­ portorientierten digitalen E-Health-Modells nur teilweise haben: – Die Einführung des E-Health-Gesetze zieht sich über drei Jahre (2016–2018) hin, was in der EU nennenswerte First-mover advantages verhindert: Die Verankerung von digitalen Gesundheitsdiensten im Leistungskatalog der GKV wird ebenfalls einige Jahre brauchen, da hier noch langwierige Verhandlungen und praktische Implementierungsverzögerungen bei den Akteuren im Gesundheitswesen anste­ hen. – Es gibt in einzelnen medizinischen Kooperationsfeldern – etwa bei Modellpro­ jekten Deutschland (genauer NRW) und Niederlande im Krankenhausbereich – sicherlich Chancen zu einem Erfahrungsaustausch und benchmarking bei digita­ len Gesundheitsanwendungen und auch weitergehend für selektive Expansion in digitalen Gesundheitsmärkten. – Wegen des BREXIT – in der Erwartung des Vollzuges eines Austritts von UK – wird sich eine verminderte Möglichkeit für digitale Gesundheitsanbieter ergeben, aus Großbritannien heraus, digitale Angebote im Bereich Vorbeugung, Nachsor­ ge oder Überwachung von krankheitsbedingt wenig mobilen Patienten in den EU27 zu erbringen und auch die Aufbewahrung von sensible Patientendaten bzw. der Datenschutz dürfte die Expansionschancen britischer Anbieter in Europa ein­ grenzen; dies wiederum könnte die Expansionschancen deutscher digitaler Ge­ sundheitsanbieter stärken. Leitmarktchancen für digitale Gesundheitsdienste gilt es erst noch gezielt zu entwi­ ckeln.

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5 IKT-Expansion aus Anwendersicht Bei der Expansion der digitalen Gesundheitswirtschaft können bestimmte Hemmnis­ se eine wichtige Bremserrolle spielen: – technologisch bedingte Interoperabilitätsprobleme – unklare Datenschutzbestimmungen bzw. überzogene Datenschutzbestimmung – hier ist der Staat gefordert, transparente Standards zu setzen. Für den Gesundheitssektor ergibt sich durch IKT-Anwendungen eine Reihe denkbarer gewichtiger Vorteile, die für einen Sektor mit 11 % an der Wertschöpfung in Deutsch­ land (und Frankreich) wie für die USA mit 17 % Wertschöpfungsanteil – jeweils für 2013 – wesentlich sind: – Kosteneinsparungen bei Investitionen im Gesundheitssektor, der Leistungser­ bringung und der Abrechnung. – Effizienzgewinne im Gesundheitssektor bzw. Zeiteinsparungseffekte – allerdings konnte bislang nur in Schweden festgestellt werden, dass eine Einsparung von immerhin 30 Minuten bei den niedergelassenen Ärzten gelang. Dieser Zeitgewinn kann den Patienten als zeitumfassendere Behandlung zugutekommen und dürfte einen Qualitätsgewinn bedeuten. Zugleich gibt es naturgemäß erhebliche Widerstände gegen die IKT-Expansion im Ge­ sundheitswesen, da hiermit verbunden sind: – mehr Transparenz bei der Leistungserbringung bei Ärzten, Krankenhäusern und anderen Leistungserbringern; – Möglichkeiten zur Schaffung eines abgestuften digitalen Zugangs zu den Patien­ tenakten (etwa im Krankenhaus Arzt versus Pflegepersonal betreffend), was Ar­ beitsabläufe allerdings kompliziert und z. T. auch unnötige Zusatzkosten verur­ sacht; – Druck hin zu möglicher Mehrarbeit bei den Ärzten bzw. für dieses relevante Neu­ risiko bei Schadensersatzanspruch, die sich verstärkt gegen aus digitalen Akten ggf. belegte Vorwürfe von Patienten wegen Fehlbehandlung ausgesetzt sehen. IKT bringt aber auch neue Chance durch die breitere Nutzung bzw. Auswertung von anonymisierten Daten (Big Data); HÖPKE (2014, S. 48) schreibt: Gerade für Volkskrankheiten wie Diabetes, Rückenschmerzen oder chronische Herzinsuffizienz gibt es heute schon zahlreiche Gesundheitsprogramme (Disease-Management). Mit Hilfe von Pre­ dictive Analytics, einer Technik zur Interpretation großer Datenmengen, können die richtigen Teilnehmer für solche Maßnahmen ausgewählt und kann der Interventionszeitpunkt vorgezo­ gen werden. Mit den neuen Verfahren können Präventionsmaßnahmen nicht mehr nur bereits Erkrankten, sondern auch zielgenau Personen mit erhöhtem Risiko angeboten werden. Im Ide­ alfall kann verhindert werden, dass eine Krankheit überhaupt ausbricht. Dies nützt der Lebens­ qualität des Versicherten ebenso wie der Wirtschaftlichkeit des Krankenversicherers und damit der Versichertengemeinschaft. (Höpke, 2014, S. 48)

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Naturgemäß ist es gerade auch bei der Einführung digitaler Technologien bzw. Leis­ tungsangebote wichtig, sicherzustellen, dass alle beteiligten Akteure einen Zusatznut­ zen erzielen können. Das in Deutschland verabschiedete Gesetz für sichere digitale Kommunikation und Anwendungen im Gesundheitswesen gibt einen stufenweisen Fahrplan vor, um eine sichere Telematikinfrastruktur und die Einführung neuer medizinischer Anwen­ dungen zu realisieren. Die Vorkehrungen für Datensicherheit erscheinen bei dem wichtigen Thema Gesundheitsdaten als eher unzureichend.

6 Schlussfolgerungen Mit Blick auf Deutschland kann man eHealth hier nur bedingt als Leitmarkt einord­ nen. Deutschlands Gesundheitswirtschaft ist zwar der größte Gesundheitsmarkt in der EU, aber die eHealth-Anwendungen sind mit dem Startjahr 2015 doch im eu­ ropäischen und internationalen Vergleich relativ zögerlich gestartet. Das Bundes­ wirtschaftsministerium hat allerdings die digitalen Gesundheitswirtschaftsentwick­ lungen über viele Jahre u. a. durch Aktivitäten beim jährlichen nationalen IT-Gipfel unterstützt, aber das Bundesgesundheitsministerium ist federführend bei eHealth. Das notwendige Zusammenwirken verschiedener Ministerien erschwert eine rasche Implikation von eHealth in Deutschland und rechtliche Unsicherheiten sowie ein gewisses Verbrauchermisstrauen oder auch Widerstand in der Ärzteschaft, wo man Digitalisierung auch mit verstärkter Überwachung durch die Krankenkassen und denkbarer Einschränkung an Therapiefreiheit assoziiert, sind offenbar ebenfalls Verlangsamungsfaktoren. Das Bundeswirtschaftsministerium ermutigt eHealth im Übrigen durch Start-up-bezogene Veranstaltungen in diesem Bereich. Was aller­ dings offenbar noch fehlt, ist ein Verständnis für die Notwendigkeit eines breiteren Systemansatzes für Gesundheitsdienste, der systematisch auf die gezielte Einbe­ ziehung komplementärer Elemente für ein bestimmtes Gesundheits- oder Krank­ heitsfeld setzt. Der etwa durch digitale Vernetzung erreichbare Innovationsgrad in einem solchen Feld ist potenziell umso höher, je höherwertiger die Netzwerkak­ teure sind. Zur Entwicklung solcher Netzwerke bedarf es aber eines gezielten An­ satzes, in dem gerade auch die gewichtigen staatlichen Akteure in Teilbereichen der Gesundheitswirtschaft – man denke etwa an den Krankenhausbereich – ein­ zubeziehen wären. Bei der Entwicklung von Qualitätsstandards könnte gerade der Staat eine wesentliche Rolle für die Entwicklung innovativer Systemdienste bei eHealth übernehmen; diese könnten teilweise auch über internationales Outsour­ cing oder Off-shoring effizient bzw. kostengünstig zusammengebaut werden, wozu aber bestimmte regulatorische und technische Standards notwendig sind. Solche neuartigen Geschäftsmodelle sieht man in Deutschland bislang im eHealth-Bereich kaum.

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Gegenüber Ländern wie Großbritannien und Schweden, aber auch gegenüber den USA ist ein beträchtlicher Rückstand festzustellen. Das internetbasierte Medi­ zinanwendungen nicht generell in den Leistungskatalog der Versicherungen bzw. der Versicherten aufgenommen werden, erscheint als problematisch und schafft eine Diskriminierung – wer gute englische Sprachkenntnisse hat, kann mit einem deutsch­ sprachigen Tele-Mediziner in Großbritannien Kontakt aufnehmen. Vor dem Hintergrund der geschilderten Entwicklungen bleibt festzustellen, dass in eHealth große Potenziale stecken. Allerdings werden diese derzeit in Deutschland, nur teilweise genutzt. Hier ist die Politik gefordert, im Zuge der eHealth-Initiative und der IKT Strategie „Deutschland Digital 2025“ die entsprechenden Weichenstellungen aktiv zu setzen. Der zeitweilige Stopp der Gesundheitskarte durch die GKVs in 2015 zeigte an, dass das Entwickeln eines digitalen Gesundheitssystems mehr noch als bis­ her wohl gedacht darauf angewiesen ist, dass man einen stärker moderierten Koope­ rationsprozess in der Gesundheitswirtschaft organisieren sollte und breitere Vorgaben der Politik in der Form von vernünftigen Rahmenbedingungen braucht. Die Modernisierung der Gesundheitswirtschaft ist eine kontinuierliche Heraus­ forderung für die Anbieterseite, die Krankenkassen und die Patienten. Ein längerfris­ tig steigender Anteil älterer – und auch chronisch kranker – Menschen bedeutet für das Gesundheitssystem Deutschlands und vieler anderer EU-Länder eine besonders große Herausforderung. Die Digitale Gesundheitswirtschaft als innovationsintensives Aktivitätsfeld ist für die Bewältigung der Herausforderungen von grundlegender Be­ deutung. Im Zuge des demografischen Wandels gilt es zu klären, wie eine bezahlbare und auf den Patienten ausgerichtete Gesundheitsversorgung zukünftig organisiert werden kann. Bereits in 2012 belegte Deutschland mit hohen Gesundheitsausgaben einen der Spitzenplätze unter den entwickelten Ländern (OECD, 2013). Daher ist die optimale Nutzung von eHealth wichtig. Es gilt im Übrigen, nicht künstliche Barrieren für digitale Gesundheitsdienste – oft als Ergänzungs- bzw. Absicherungs- oder Infodienste ausgestaltet – aufzubauen. Die langjährige optional vorgehaltene medizinische Ferndiagnose vieler Luftfahrtge­ sellschaften, gerade auch der Lufthansa, verdeutlicht im Rahmen konkreter Erfahrun­ gen mit digitaler Diagnose und Telemedizinhilfen für Patienten in bestimmten Fällen, dass eHealth als eigenständiges oder ergänzendes Instrument von Vorsorge und Be­ handlung sehr wichtig sein kann. Diese vorliegenden Erfahrungen gilt es sorgfältig auszuwerten und neue regionale Pilotversuche zu organisieren. In Sachen eHealth ist Singapur ein international führendes Land und in der EU ist dieser Bereich teilweise auch im Vereinigten Königreich fortgeschritten; auch dank liberaler Rahmenbedin­ gungen, wobei bekannt ist, dass auch Patienten aus Deutschland schon britische „di­ gitale Fernärzte-Leistungen“ erprobt bzw. bezahlt haben. Man sollte seitens der Politik klar sehen, dass nur bei umfassenden und effektiv definierten stabilen und sinnvollen Rahmenbedingungen eine digitale Systeminnova­ tion möglich sein wird. Hierzu bedarf es eines hinreichenden politischen Momentums

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einerseits und einer gezielten Verbindung der führenden Akteure der Gesundheits­ wirtschaft, wobei die Versicherungen eine sehr wesentliche Rolle spielen. Sie stehen im Wettbewerb um mobile und digital meist gut vernetzte Kunden und verfügen zum Teil selbst über umfassendes IT-Wissen. Kosteneinsparungen von eHealth können die Regelversorgung oder Zusatzleistungen betreffen bzw. GKV und PKV (siehe Abbil­ dung 2).

Abb. 2: Grundlegende eHealth-Perspektive Versicherungswirtschaft (Quelle: Eigene Darstellung)

eHealth und PKVs: Qualitätswettbewerb, Kostensenkung Die GKVs setzen in einigen Regelbereichen der Versicherung auf kostensenkende eHealth-Anwendungen. Viele digitale Leistungen in der modernen Gesundheitswirt­ schaft sind mit Blick auf die Patienten der GKV zunächst Zusatzleistungen, die im Katalog der Regelversorgung nicht enthalten sind; von daher sind einige Bereiche von eHealth eine wichtige Dimension des Qualitätswettbewerbs bei den PKVs, die im Innovationswettbewerb nunmehr neue digitale Akzente setzen können. Dieser Mechanismus, den Wettbewerb als Entdeckungsverfahren zu nutzen, ist für den ge­ samten Bereich der Krankenversicherung sehr wesentlich – die PKV-Versicherungen dürften hier bei geeigneten Rahmenbedingungen eine Pionierpunktion für das ge­ samte Gesundheitswesen übernehmen. Zudem können die Kosten bestimmter Leis­ tungen und der Leistungsabrechnungen gezielt vermindert werden, so dass auch der Preiswettbewerb hier angesprochen ist. Begrenzte Budgets und beschränkte Flexibilität der GKVs schränken die Innova­ tionsdynamik der GKVs in Deutschland im eHealth-Bereich ein. Die PKVs können auf Basis ihrer Mitglieder bzw. der von Mitgliedern gebuchten Zusatzversicherungen in besonderer Weise im digitalen Innovationswettbewerb tätig werden, wobei die PKVs hier eine Innovationsfunktion letztlich für das gesamte Gesundheitssystem überneh­ men. Die GKVs werden im Laufe der Zeit von den PKVs erfahrungsgemäß bestimmte „Innovationsfelder“ mit Zeitverzögerung in die Regelleistungen breit übernehmen. Allerdings setzt ein längerfristig erfolgreicher digitaler Modernisierungsprozess bei GKV plus PKV eben voraus, dass die Rahmenbedingungen für eine digitale Ge­ sundheitswirtschaft konsistent und hinreichend umfassend bzw. zuverlässig vom

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Staat gesetzt werden. Es wird dabei einerseits darauf ankommen, regionale digitale Pilotprojekte sinnvoll auszuwerten, andererseits muss relativ früh im Kontext mit der digitalen Gesundheitskarte darauf geachtet werden, dass eine kritische Mindestzahl an Akteuren von der Anbieterseite im Gesundheitswesen auf Basis hoher Standards bei digitalen Vernetzungsprojekten mitwirken. PKVs und GKVs sollten ermutigt wer­ den, digitale Kooperationsprojekte in sinnvoller Weise zu organisieren und über die Ergebnisse öffentlich zu berichten. Der digitale Qualitäts- und Innovationswettbewerb kann dabei gerade auf Seiten der PKVs – klare Rahmenbedingungen vorausgesetzt – mittelfristig sehr nachdrücklich vorangebracht werden. Die besonderen Möglichkeiten digitaler Vernetzung könnten auf Seiten von Pa­ tienten längerfristig verstärkt mobilisiert werden, wobei digital organisierte Selbsthil­ fegruppen ein wichtiges Beispiel sind. Wichtiger sind allerdings von den GKVs organi­ sierte vergleichende Qualitätsbewertungen insbesondere im Krankenhausbereich, die für die Patienten von GKV und PKV ein wesentliches Informationssignal darstellen. Ein verschärfter Qualitätswettbewerb im Gesundheitswesen – hier im Krankenhaus­ bereich – dürfte erheblich den Patientennutzen stärken und auch bei der Effizienz­ verbesserung hilfreich sein können. Es wird in der ersten Dekade nach dem Start der digitalen Gesundheitskarte sehr darauf ankommen, dass man die vielen Möglichkei­ ten einer digitalen Modernisierung des Gesundheitssektors sinnvoll in Deutschland und in der EU nutzt. Hierbei ist auch zu empfehlen, dass sich Patientengruppen aus verschiedenen EU-Ländern verstärkt vernetzen, um die Übernahme von Best-PracticeLösungen europäisch wirksamer zu motivieren. Insgesamt kann man als Fazit formulieren: – Deutschland ist bei eHealth relativ spät erst eingestiegen, was die Chancen der Bundesrepublik als Leitmarkt vermindert. – Die langjährige Einbindung von eHealth in die nationalen jährlichen IT-GipfelVeranstaltungen ist eine besondere Chance für Anbieter von eHealth aus Deutsch­ land, auf Basis von breiter Vernetzung in digitaler Wirtschaft, Gesellschaft und Politik innovative digitale Dienste mittelfristig anzubieten. – Deutschland hat grundsätzlich ein großes Potenzial als Leitmarkt bei eHealth, da eine differenzierte und erheblich zahlungskräftige Nachfrage sowie eine leis­ tungsfähige und innovative Anbieterseite in einem großen Markt zusammenwir­ ken – aber es fehlt seitens der Bundesregierung an einer sinnvollen europäischen Expansionsstrategie (ggf. auch thematisch auf OECD- und G20-Ebene realisier­ bar). – Unzureichend entwickelte Digitale Gesundheitswirtschaft in Deutschland bzw. der EU bedeutet, dass der Patientennutzen noch relativ gering ist. Im eHealth-Bereich kann eine Leitmarktinitiative von Bund und Ländern in Verbin­ dung mit einer EU-Initiative empfohlen werden, die über bisherige EU-Aktivitäten hin­ ausgeht. Was allerdings dringend für das Ausschöpfen von Skalen-Vorteilen in der EU notwendig erscheint, ist die Angleichung technischer und bestimmter institutioneller

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Parameter bzw. von Regulierungsvorgaben. Wie sich schon beim Thema PassivhausInnovationen im Leitmarkt Österreich gezeigt hat, ist die Diffusion schon von Öster­ reich nach Deutschland bzw. in die anderen EU-Länder durch die national sektoral sehr unterschiedlichen Regulierungen wesentlich gehemmt (Dachs, 2016). Deutsch­ land als großes Mitgliedsland ist hier in einer besonderen Verantwortung, bei der Weiterentwicklung des EU-Binnenmarktes die Kostensenkungs- und Innovationsbe­ schleunigungspotenziale des großen europäischen Marktes mobilisieren zu helfen. Gemeinsame Politikinitiativen mit anderen EU-Ländern bzw. Unterstützung einschlä­ giger neuer Vorhaben bei der Europäischen Kommission sind hier empfehlenswert. Viele Menschen in westlichen EU-Ländern, wo die Lebenserwartung höher und die Säuglingssterblichkeit geringer als in den USA ist, haben sicher auch ein Interesse daran, dass die weltweite Gesundheitsentwicklung sich verbessert. Gerade soziale in­ ternationale Vernetzungen der Akteure und der Patienten könnten hier hilfreich sein.

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Anhang 1: Österreich und die Schweiz als Akteure bei eHealth Österreich als Akteur im Digitalen Gesundheitswesen mit Blick auf nationale Initiativen internationale Koordination In Österreich wurde die digitale Krankenversicherungskarte (e-Card) 2005 einge­ führt wobei man mit diesen Gesundheitsdiensten in Arztpraxen und Krankenhäusern in Anspruch nehmen kann. Die Karte selbst speichert nur persönliche Daten, das digitale System gibt jedoch dem medizinischen Akteur dann den Zugriff auf die rele­ vanten Gesundheitsdaten. Auf die e-Card aufgesetzt ist die elektronische lebenslange Gesundheitsakte (ELGA). Sie bietet den Patienten und den medizinischen Dienst­ anbietern gesicherten, ortsunabhängigen Zugang zu relevanten Gesundheitsdaten. Strittig ist, dass auch Apotheken hier einbezogen werden. Im Rahmen eines Salzbur­ ger Pilotprojekts hat die Evaluation viele Vorteile gezeigt, insbesondere Wechselwir­ kungswarnungen in sehr hoher Zahl; sowie Duplikatswarnungen. Rechtsgrundlage 2013, Arztpraxen bis Mitte 2017, Krankenhäuser bis Mitte 2016. Es gibt das Recht ein­ zelner Patienten zum Opting Out (bis Anfang 2015 hatten sich etwa 200.000 Personen für das Opting Out entschieden).

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eHealth Governance Initiative (eHGI) Österreich koordiniert die Initiative zur besseren Abstimmung von eHealth-Aktivitäten auf europäischer Ebene. Linktipp: European Health Telematics Association (EHTEL) Österreich ist als Mitglied dieser Multi-Stakeholder-Plattform an einer Vielzahl an Ak­ tivitäten auf europäischer Ebene beteiligt. Linktipp: EU-Health-Portal Das offizielle Portal der Europäischen Union zur öffentlichen Gesundheit. Linktipp: epSOS – das europäische eHealth-Projekt Digitale Gesundheitskarte und andere digitale Gesundheitsprojekte (eHealth)

SCHWEIZ Die „Strategie eHealth Schweiz“ vom 27. Juni 2007 Die von Bund und Kantonen gemeinsam erarbeitete „Strategie eHealth Schweiz“ wurde am 27. Juni 2007 vom Bundesrat verabschiedet. Die Schweizerische Konferenz der kantonalen Gesundheitsdirektorinnen und -direktoren (GDK) schloss sich den Zielen ebenfalls an. Der Bundesrat unterstützt die Entwicklung von eHealth in der Schweiz weiterhin aktiv und hat dieses Thema in den Zielen der am 23. Januar 2013 verabschiedeten Strategie „Gesundheit 2020“ festgeschrieben. Ziele der „eHealth Strategie Schweiz“ Die „Strategie eHealth Schweiz“ bezweckt einerseits das elektronische Patientendos­ sier auf nationaler Ebene einzuführen, andererseits ein Gesundheitsportal mit ge­ sundheitsrelevanten Informationen für die ganze Schweiz zur Verfügung zu stellen. Die Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) unterstützen die Vernet­ zung der Akteure im Gesundheitswesen, was die Qualität der Behandlungsprozesse, die Patientensicherheit und die Effizienz im Gesundheitswesen erhöhen kann. Die Umsetzung der „Strategie eHealth Schweiz“ Der Bund beteiligt sich aktiv an der Umsetzung der Strategie, vor allem mit der Erar­ beitung des Bundesgesetzes über das elektronische Patientendossier (EPDG) und der entsprechenden Botschaft, welche dem Parlament am 29. Mai 2013 durch den Bun­ desrat überwiesen wurden. Das Koordinationsorgan Bund-Kantone „eHealth Suisse“ stellt sicher, dass die verschiedenen eHealth Projekte in der Schweiz konform zur „Strategie eHealth Schweiz“ sind und schafft zudem Synergien zwischen den verschiedenen beteilig­ ten Akteuren. Es koordiniert durch die Geschäftsstelle die Teilprojekte in Bezug auf

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die Umsetzung der Strategie und verfasst Empfehlungen für die Akteure. Diese wer­ den vom Steuerungsausschuss „eHealth Suisse“ verabschiedet. Das Bundesamt für Gesundheit BAG unterstützt die Aktivitäten von „eHealth Suisse“ insbesondere im Rahmen der verschiedenen Teilprojekte. Der Bundesrat unterstützt die Verbreitung der IKT in der Schweiz Während die „eHealth Strategie Schweiz“ die Entwicklung elektronischer Prozesse im Gesundheitswesen zu fördern bezweckt, unterstützt der Bundesrat die Verbreitung elektronischer Prozesse gleichermaßen auch in anderen Bereichen wie etwa E-Gov­ ernment, Wirtschaft, Kultur, Bildung, etc. vor allem durch die „Strategie des Bundes­ rates für eine Informationsgesellschaft in der Schweiz“ (letzte Ausgabe 2012). eHealth ist zudem ein Bestandteil der Strategie „Gesundheit 2020“, vom Bundesrat verabschie­ det am 23. Januar 2013. Zuletzt aktualisiert am: 24.07.2014

Anhang 2: Presseerklärung von Bundes­ gesundheitsminister Hermann Gröhe zum 8. Nationalen IT-Gipfel Berlin, 20. Oktober 2014 Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe hat auf dem 8. Nationalen IT-Gipfel die Bedeutung der Informationstechnologie im Gesundheitswesen betont. Das Treffen fin­ det heute auf Einladung von Bundeskanzlerin Angela Merkel in Hamburg statt. Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe: IT im Gesundheitswesen entwickelt sich zu einem der stärksten Treiber für Innovationen in der Versorgung. Informationstechnologien haben dazu beigetragen, dass sich die Gesundheitsbran­ che zu einer Wachstumsbranche auf Expansionskurs mit mehr als 5 Mio. Arbeitsplätzen ent­ wickelt hat. Schon heute können Menschen mit chronischen Erkrankungen oder nach einem Schlaganfall durch Telemedizin-Anwendungen besser medizinisch begleitet werden. Telemedi­ zin kann auch dabei helfen, dass ältere und chronisch kranke Menschen länger selbstbestimmt in den eigenen vier Wänden leben können. Sie kann dazu beitragen, dass die Expertise von Spe­ zialisten, etwa aus Universitätskliniken, für die Behandlung von Patienten in kleineren Kranken­ häusern der Grund- und Regelversorgung im ländlichen Raum genutzt werden kann. Wir müssen die Möglichkeiten der Informationstechnologie für eine hochwertige Gesundheitsversorgung der Patienten noch stärker nutzen. Deshalb arbeiten wir an einem eHealth-Gesetz. (BMG, 2014)

Das geplante eHealth-Gesetz soll Anreize für die Einführung medizinischer Anwen­ dungen setzen. Dazu gehören die elektronische Bereitstellung von Notfalldaten, die Einführung eines Medikationsplans und die Verbesserung des Informationsaustau­ sches zwischen den mehr als 200 verschiedenen IT-Systemen im Gesundheitswesen.

eHealth: Grundlagen der Digitalen Gesundheitswirtschaft und Leitmarktperspektiven | 215

In der Digitalen Agenda wurde der Ausbau der vom Bundesministerium für Ge­ sundheit gegründeten eHealth-Initiative vereinbart. Sie wird von den Spitzenorgani­ sationen der Selbstverwaltung und den für den Einsatz von Informationstechnologien im Gesundheitswesen maßgeblichen Unternehmensverbänden getragen. Sie hat sich zum Ziel gesetzt, dass sinnvolle Anwendungen schneller ihren Weg in die Praxen und Krankenhäuser finden können. Sie bündelt die Kompetenzen für eHealth und ist zen­ traler Ansprechpartner für alle Gesundheitsthemen im IT-Gipfelprozess. Der Nationale IT-Gipfel, der in diesem Jahr unter dem Motto „Arbeiten und Le­ ben im digitalen Wandel – gemeinsam.innovativ.selbstbestimmt“ steht, ist die zen­ trale Plattform für die Zusammenarbeit von Politik, Wirtschaft und Wissenschaft zur Stärkung des IT-Standortes Deutschland. Auf der Website des Bundesministeriums für Gesundheit heißt es zu Jahresende 2015: –









Mit dem E-Health-Gesetz wird der Einstieg in die elektronische Patientenakte gefördert. Die gematik muss bis Ende 2018 die Voraussetzungen dafür schaffen, dass Daten der Patienten (z. B. Arztbriefe, Notfalldaten, Daten über die Medikation) in einer elektronischen Patien­ tenakte für die Patienten bereitgestellt werden können. Patienten sind dann in der Lage, ihre Behandler über ihre wichtigsten Gesundheitsdaten zu informieren. Patientennutzen und -selbstbestimmung stehen im Mittelpunkt. Der Patient entscheidet nicht nur, welche medizinischen Daten mit der Gesundheitskarte gespeichert werden und wer darauf zugreifen darf. Die Patienten erhalten außerdem einen Anspruch darauf, dass ihre mittels Gesundheitskarte gespeicherten Daten in ihr Patientenfach aufgenommen wer­ den. Im Patientenfach können auch eigene Daten z. B. ein Patiententagebuch über Blutzu­ ckermessungen oder Daten von Wearables und Fitnessarmbändern, abgelegt werden. Die gematik muss bis Ende 2018 die Voraussetzungen für die Nutzung des Patientenfachs mit der elektronischen Gesundheitskarte schaffen, so dass Patienten ihre Daten auch außerhalb der Arztpraxis eigenständig einsehen können. Zur Förderung der Telemedizin, wird die telekonsiliarische Befundbeurteilung von Röntgen­ aufnahmen ab April 2017 und die Online-Videosprechstunde ab Juli 2017 in die vertragsärzt­ liche Versorgung aufgenommen werden. Das wird Patienten die Kontaktaufnahme mit dem Arzt deutlich erleichtern, gerade bei Nachsorge- und Kontrollterminen. Um sinnvolle Anwendungen, wie z. B. die Telemedizin in die Fläche zu bringen, muss sicher­ gestellt sein, dass die verschiedenen IT-Systeme auch miteinander kommunizieren können. Die gematik wird daher verpflichtet, bis zum 30. Juni 2017 ein Interoperabilitätsverzeichnis zu erstellen, das die von den verschiedenen IT-Systemen im Gesundheitswesen verwende­ ten Standards transparent macht. Neue Anwendungen sollen nur noch dann aus den Mit­ teln der Gesetzlichen Krankenversicherung finanziert werden, wenn die im Gesetz vorgese­ henen Festlegungen und Empfehlungen der gematik aus dem Interoperabilitätsverzeichnis berücksichtigt werden. Weil immer mehr Menschen Smartphones und andere mobile Endgeräte für Gesundheitsan­ wendungen nutzen, soll die gematik bis Ende 2016 prüfen, ob die Versicherten solche Geräte etwa zur Wahrnehmung ihrer Zugriffsrechte und für die Kommunikation im Gesundheitswe­ sen einsetzen können. (BMG, 2015)

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Anhang 3: eHealth/Digitale Gesundheitsversorgung – – –

Elektronische Gesundheitsakten Elektronischer Austausch von digitalen Gesundheitsdaten, inkl. Digital-Rezepte Telemedizin (z. B. die Überwachung von Herzfunktionen/ Puls/ Blutdruck/ Blut­ zuckerwerten)

Abb. 3: Perspektiven zur Evaluation von eHealth (Quelle: Eigene Darstellung)

Digitale Gesundheitsversorgung ist ein hochwertiger innovativer Kernbereich des mo­ dernen Gesundheitssektors, der für Patienten, Leistungserbringer und Krankenversi­ cherungen erhebliche Vorteile bringen kann. Unabdingbar sind wesentliche Anstren­ gungen, um zunächst einmal Datensicherheit bei allen beteiligten Akteuren auf sehr hohem Niveau zu gewährleisten. Hierbei sind staatliche Standards sinnvoll sowie von Seiten der Gesundheitswirtschaft entwickelte Zertifizierungen.

eHealth: Grundlagen der Digitalen Gesundheitswirtschaft und Leitmarktperspektiven | 217

Volkswirtschaftlicher Nutzen: – Weniger Krankheitszeiten = mehr Lebenszufriedenheit für Erwerbstätige und Nicht-Erwerbstätige – höheres effektives Erwerbspersonenzahl im Land = höheres reales Bruttoinlands­ produkt: wenn die effektive Erwerbspersonenzahl (Erwerbstätigen×(1−z󸀠 ), wobei z󸀠 die Krankheitsquote bezeichnet) um 1 % steigt, erhöht sich das reale Bruttoin­ landsprodukt um ca. 0.67 % (rund 19 Mrd. €).

Arthur Korus

Innovationsorientierte öffentliche Beschaffung und Leitmärkte: Politische Initiativen in der EU 1

Nachfrageorientierte Innovationspolitik | 218

2

Theoretische Begründungen für eine nachfrageorientierte Innovationspolitik | 220

3

Innovationsorientierte öffentliche Beschaffung und Leitmärkte | 224

4

Rechtsrahmen in der EU für eine innovationsorientierte öffentliche Beschaffung | 228

5

Europapolitische Maßnahmen und Initiativen | 234

6

Politische Maßnahmen und Initiativen in Deutschland, den Niederlanden und Nordrhein-Westfalen | 238

7

Innovationsorientierte öffentliche Beschaffung und Beschäftigungseffekte | 243

8

Schlussfolgerung | 244

Literatur | 246

1 Nachfrageorientierte Innovationspolitik In den letzten Jahren ist das Interesse der politischen Entscheidungsträger an einer nachfrageseitigen Innovationspolitik gestiegen. Mit Hilfe einer nachfrageseitigen In­ novationspolitik soll die Markteinführung und Marktdurchdringung eines Produktes ermöglicht bzw. beschleunigt werden. Es liegt somit die Annahme zu Grunde, dass sich, aufgrund struktureller Hemmnisse, marktreife Innovationen auf dem Markt nicht durchsetzen. Gesellschaftlich wünschenswerte Erfindungen gelangen nicht auf dem Markt und dadurch wird ein wohlfahrtsmaximierender Zustand verfehlt. An­ gebotsseitige innovationspolitische Maßnahmen zielen demgegenüber eher auf die Internalisierung von Wissensexternalitäten und der Beseitigung von Marktunvoll­ kommenheiten bei der Finanzierung von FuE-Investitionen ab. Zu den Instrumenten einer nachfrageseitigen Innovationspolitik gehören Maßnahmen der Regulierung, die Förderung der privaten Nachfrage nach innovativen Gütern sowie die öffentliche Beschaffung von innovativen Produkten bzw. Dienstleistungen. Durch Regulierung soll die private Nachfrage gelenkt werden. Eine typische In­ itiative im Rahmen der Regulierung war die energetische Gebäudesanierung bzw. das Programm zu energieeffizientem Sanieren. Langfristiges Ziel war es den Ener­ gieverbrauch zu senken und die Effizienzstandards für Gebäude zu erhöhen. Die Förderung der privaten Nachfrage nach neuen Produkten kann u. a. durch Subventio­ nen und Steuererleichterungen erfolgen. Ein Beispiel für die Förderung der privaten Nachfrage durch Subventionierung ist die durch die Bundesregierung im Jahr 2009

https://doi.org/10.1515/9783110583212-009

Innovationsorientierte öffentliche Beschaffung und Leitmärkte | 219

eingeführte Umweltprämie für Kraftfahrzeuge. Das prominenteste Instrument einer nachfrageorientierten Innovationspolitik ist die öffentliche Beschaffung von inno­ vativen Produkten bzw. Dienstleistungen. Grundsätzlich lassen sich zwei Arten von innovationsorientierter öffentlicher Beschaffung unterscheiden. Zum einen die Be­ schaffung von am Markt verfügbaren innovativen Produkten und zum anderen die Beschaffung von innovativen Produkten, die noch nicht auf dem Markt verfügbar sind. Das gestiegene Interesse an einer innovationsorientierten öffentlichen Beschaf­ fung ergibt sich aus dem beträchtlichen Umfang der öffentlichen Beschaffung. Die öffentliche Beschaffung weist in den OECD-Staaten z. T. einen hohen Anteil am je­ weiligen Bruttoinlandsprodukt aus (siehe Abbildung 1). Zudem zeigen sich deutli­ che Unterschiede zwischen den OECD-Staaten hinsichtlich des jeweiligen Umfangs der öffentlichen Beschaffung. Das öffentliche Beschaffungsvolumen belief sich in den Niederlanden im Jahr 2011 auf knapp über 22 Prozent des BIP. Demgegenüber belief sich die öffentliche Beschaffung als Anteil am BIP in der Schweiz im Jahr 2011 lediglich auf 7,7 Prozent. In Deutschland erreichte der Anteil der öffentlichen Beschaffung am BIP 14,5 Prozent. Damit liegt Deutschland über dem OECD-Durch­ schnitt (knapp 13 Prozent) und innerhalb der OECD-Länder im oberen Drittel. Al­ lerdings liegt Deutschland knapp hinter den beiden großen EU-Staaten Frankreich (14,7 Prozent) und Großbritannien (14,6). In Deutschland erreichte die öffentliche Beschaffung im Jahr 2011 einen Betrag in Höhe von 392 Mrd. Euro. Das Beschaf­ fungsvolumen in Deutschland, Frankreich und Großbritannien erreichte zusammen im Jahr 2011 einen Wert von annähernd einer Billion Euro; gemäß Abbildung 1 ist der Anteilswert der öffentlichen Beschaffungen bei mindestens 10 % in den OECD-

Abb. 1: Öffentliche Beschaffung als Anteil am BIP 2011 (Quelle: OECD (2013))

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Ländern gewesen, wenn man von Griechenland und der Schweiz absieht. Wenn sich in der Europäischen Union ein Teil dieses Beschaffungsvolumens auf die Be­ schaffung von innovativen Produkten bzw. Dienstleistungen ausrichten ließe, wür­ de sich ein Anreiz für unternehmerische Innovationsaktivitäten innerhalb der EU ergeben. Sowohl die Beschaffung durch die EU wie die von Regierungsebenen in den EU-Mitgliedsländern könnte positive Innovationsimpulse speziell in wissensund technologieintensiv produzierenden Sektoren geben bzw. in diesem Kontext First-Mover-Advantages sowie eine optimale Nutzung von Skalenvorteilen realisieren helfen; dies gilt ohne weiteres in Feldern, in denen der Staat alleiniger oder domi­ nanter Nachfrager ist – etwa bei Militärgütern oder in Teilbereichen der höheren Bildung. Bisher können keine verlässlichen Angaben zum Umfang der öffentlichen Be­ schaffung von innovativen Produkten gemacht werden. Während für die gesamte öffentliche Beschaffung international vergleichbare und einheitlich erhobene Daten existieren, ist dies für die öffentliche Beschaffung von Innovationen nicht gegeben. Es gibt weder in Deutschland noch auf internationaler Ebene einheitlich erhobene Daten zur innovationsorientierten öffentlichen Beschaffung. Zudem existieren keine Informationen darüber, ob im Rahmen der öffentlichen Beschaffung innovative Pro­ dukte bzw. Dienstleistungen beschafft worden sind. Die aktuelle Datenlage erschwert somit eine Einschätzung über den aktuellen Umfang der öffentlichen Beschaffung von innovativen Produkten in der EU. Allerdings scheint das Ausmaß der öffentlichen Beschaffung von innovativen Produkten in Deutschland und Frankreich gering zu sein (Falck und Wiederhold 2013).

2 Theoretische Begründungen für eine nachfrageorientierte Innovationspolitik Lerneffekte Die Einführung bzw. die Diffusion eines neuen innovativen Produktes könnte dadurch gehemmt werden, dass einem Unternehmen die Erfahrung bei der Produktion eines neuen Gutes fehlt (Falck und Wiederhold 2013). Wegen dieses Hemmnisses können dann die Stückkosten der Produktion eines neuen innovativen Produktes nicht fal­ len. Mit einer höheren produzierten Menge des neuen Produktes könnten durch Lern­ effekte die Stückkosten dieses Gutes und somit, wenn sich Unternehmen bei ihrer Preissetzung an den Stückkosten orientieren die Preise fallen. Es fehlt an genügend Nachfrager damit Lerneffekte induziert werden bzw. das Unternehmen ist nicht in der Lage eine kritische Masse an Nachfragern nach dem innovativen Gut zu generieren, um eine Kostendegression zu erreichen und somit eine wohlstandsmaximierende pro­ duzierte Menge des neuen innovativen Produktes herzustellen. Dem Unternehmen ist

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es somit nicht gelungen, den zusätzlichen gesellschaftlichen Nutzen des innovativen Produktes an potenzielle Nachfrager zu vermitteln. Durch die fehlende Kostendegres­ sion ist der Preis des neuen innovativen Gutes zu hoch, um eine hinreichende bzw. kritische Nachfrage zu erzeugen. Hierbei kann der Staat nun als zusätzlicher Nachfrager nach einem neuen innova­ tiven Produkt auftreten. Er muss hierbei den zusätzlichen gesellschaftlichen Nutzen des neuen Gutes erkennen. Somit müssen ihm bessere Informationen über das Pro­ dukt vorliegen als dem privaten Sektor, denn aus irgendwelchen bzw. guten Gründen wurde das neue Produkt nicht von einer breiten Masse nachgefragt. Mit der zusätzli­ chen Nachfrage des Staates kann die Diffusion des neuen Gutes aufgrund von Lern­ effekten beschleunigt werden. Wenn nun der Staat den Konsum eines neuen inno­ vativen Produktes subventioniert oder das Gut selbst beschafft, kann er Lerneffekte innerhalb eines Unternehmens induzieren. Durch die Nachfrage des Staates sinken die Stückkosten des neuen innovativen Produktes. Wegen dieser Senkung des Preises des neuen Produktes wird zusätzliche Nachfrage aus dem privaten Sektor nach dem innovativen Gut generiert. Dadurch steigt die Produktion des neuen Produktes bis zur wohlstandsmaximierenden produzierten Menge an.

Netzwerkeffekte Als eine weitere Begründung für eine nachfrageorientierte Innovationspolitik wer­ den in der Literatur fehlende Netzwerkeffekte neuer innovativer Produkte genannt. Netzwerkeffekte entstehen bei Gütern, deren Nutzen mit der Anzahl der Anwender zunimmt (Liebowitz und Margolis 1995). In der Literatur wird zwischen direkten und indirekten Netzwerkeffekten unterschieden. Direkte Netzwerkeffekte werden durch einen materiellen Effekt der Anzahl der Käufer eines Produktes auf den Wert des Produktes erzeugt. Ein typisches Beispiel ist das Faxgerät. Mit der Anzahl der Anwender eines Faxgeräts steigt der Wert des Faxes, weil mit einer ausweitenden Nutzeranzahl die Anzahl der erreichbaren Individuen zunimmt. Indirekte Netzwerk­ effekte bezeichnen Effekte zwischen unterschiedlichen Märkten. Sie entstehen, wenn mit zunehmender Diffusion eines Produktes eine größere Auswahl an komplemen­ tären Produkten bzw. komplementäre Produkte zu niedrigeren Preisen zur Verfü­ gung steht bzw. stehen. Während die Internalisierung von direkten Netzwerkeffekten zu positiven Wohlfahrtseffekten führt, müssen indirekte Netzwerkeffekte nicht in­ ternalisiert werden, weil es sich bei diesen Effekten um pekuniäre Externalitäten handelt. In Verbindung mit Netzwerkeffekten wird in der Literatur die Befürchtung geäu­ ßert, dass dadurch ineffiziente Lock-ins und unerwünschte Pfadabhängigkeiten re­ sultieren. Dieses Problem kann dadurch entstehen, dass Konsumenten bei einem al­ ten Produkt bleiben, obwohl ein besseres Produkt zur Verfügung steht und dieses neue Produkt nicht mit dem alten kompatibel ist. Der Umstieg auf das neue Produkt

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verursacht für den Konsumenten zu hohe Nutzeneinbußen, wodurch die Anschaf­ fung des besseren Produktes unterbleibt. Dies führt zu einer unerwünschten Pfad­ abhängigkeit. Der Staat kann nun durch eine nachfrageorientierte Innovationspolitik diese Pfadabhängigkeit beseitigen. Hierbei muss der Staat das neue Produkt in gro­ ßen Stückzahlen selbst beschaffen, damit eine breite Diffusion des Produktes erreicht wird.

Fragmentierte Märkte Ein weiteres Argument für eine nachfrageorientierte Innovationspolitik bezieht sich auf die Existenz von fragmentierten Märkten. Solche Märkte liegen vor, wenn jeder einzelne der zahlreichen Konsumenten zu unbedeutend ist, um spezifische Anpas­ sungen eines Produktes durchzusetzen. Für die Artikulation der Nachfrage sind somit fragmentierte Märkte ungeeignet. Dieses Problem kann verschärft werden, wenn den potenziellen Nutzern die Benutzerkompetenzen für die Anwendung eines neu­ en Produktes fehlen. Dieser Mangel an Benutzerkompetenz ist gemäß Edquist und Hommen (2000) eine Folge der begrenzten Kommunikation und Interaktion zwi­ schen Anbietern von neuen Produkten und Nachfragern in Märkten mit verstreuter Nachfrage. Fragmentierte Märkte behindern folglich das kollektive Lernen von An­ wendern und Produzenten. In dieser Situation kann der Staat als „Lead User“, d. h. als gut informierter und anspruchsvoller Kunde, auftreten. Hierbei kann es dem Staat gelingen, die Koordinationsmängel zwischen Angebot und Nachfrage zu beseitigen. Der Staat muss, damit dieser Effekt eintritt, die Marktrisiken für Unternehmen re­ duzieren und eine hinreichende Nachfrage generieren, damit Skalen- und Lernef­ fekte realisiert werden (Edler und Georghiou 2007). Diese Argumentation zielt auf die frühe Phase der Entwicklung einer Industrie ab, in der Produkte noch nicht standardisiert sind (Falck und Wiederhold 2013). Zudem kann die öffentliche Be­ schaffung von innovativen Produkten Signalcharakter für potenzielle Konsumenten haben. Ein positiver Demonstrationseffekt, d. h. die erfolgreiche staatliche Nutzung ei­ nes innovativen Produktes, kann wichtige Informationen über Kosten und Nutzen an private Nachfrager signalisieren. Mit Hilfe dieser zusätzlichen Informationen können Konsumenten bessere Kaufentscheidungen treffen. Sie können eventuell mit Hilfe des positiven Demonstrationseffektes besser einschätzen, ob sich der Kauf eines neuen Produktes lohnt, als sie es ohne einen positiven Nachweis der erfolgreichen öffent­ lichen Nutzung neuerer Technologien gekonnt hätten. Die tatsächliche Demonstrati­ onswirkung hängt im Wesentlichen davon ab, ob der breiten Öffentlichkeit der Nutzen einer neuen Technologie bekannt gemacht wird.

Innovationsorientierte öffentliche Beschaffung und Leitmärkte |

223

Staat als Pionier-Nachfrager, Leitmärkte und staatliche Leistungserbringung Der Staat kann selbst als intelligenter Nachfrager auftreten und dabei innovative Produkte zur Verbesserung der staatlichen Leistungserbringung nachfragen. Durch eine gesteigerte Nachfrage nach innovativen Produkten kann eine Innovations­ dynamik entstehen. Neben den drei angebotsseitigen Faktoren die Faktorausstat­ tung eines Landes, die Wirtschaftsstruktur und die Firmenstrategie, determiniert eine anspruchsvolle Nachfrage die Attraktivität und den Erfolg einer Region. Wenn nun der Staat als anspruchsvoller Nachfrager auftritt und hierbei gezielt innova­ tive Produkte beschafft, kann er die Attraktivität eines Landes für nationale und multinationale Unternehmen steigern. Zudem regt der Staat durch eine innova­ tionsorientierte Beschaffung die Innovationstätigkeit von Unternehmen an. Eine erhöhte Innovationstätigkeit von Unternehmen steigert in aller Regel deren inter­ nationale Wettbewerbsfähigkeit. Dies stimuliert die Exporte von Unternehmen ins Ausland und erhöht das Bruttoinlandsprodukt. Durch eine innovationsorientierte öffentliche Beschaffung kann das Innovationspotenzial eines Landes erhöht, kön­ nen Arbeitsplätze geschaffen, die internationale Wettbewerbsfähigkeit eines Lan­ des gestärkt, Exporte erhöht und das Bruttoinlandsprodukt gesteigert werden. Die Argumentation zeigt auf, dass der Staat ein reges Interesse daran hat, durch ein innovationsorientiertes Beschaffungswesen Anreize für Innovationsaktivitäten zu setzen. Durch eine gezielte innovationsorientierte Beschaffung könnte etwa das Er­ reichen von Wettbewerbsvorteilen in spezifischen Sektoren bzw. Industrien verfolgt werden. Des Weiteren kann der Staat durch eine innovationsorientierte Beschaffung die Herausbildung von eigenen bzw. nationalen Leitmärkten unterstützen (Edler und Georghiou 2007). Zudem kann durch ein innovationsorientiertes Beschaffungswe­ sen die Qualität und Effizienz der staatlichen Leistungserbringung gesteigert wer­ den. Des Weiteren muss sichergestellt werden, dass die staatliche Leistungserbrin­ gung in einer annehmbaren Qualität erfolgt. Damit dieses Ziel erreicht wird, muss der Staat selbst innovative Vorleistungen bzw. Dienstleistungen im Leistungser­ bringungsprozess einsetzen. Somit ist das innovationsorientierte Beschaffungswe­ sen „ein notwendiges Element staatlichen Handelns“ (EFI 2013). Hierbei kann der Staat auf innovative Produkte zurückgreifen, die auf dem Markt verfügbar sind. Zudem kann der Staat selbst Innovationsprozesse anstoßen, weil die Bedürfnis­ se des öffentlichen Auftraggebers nicht durch auf dem Markt verfügbare Produkte bzw. Dienstleistungen gedeckt werden können. Der öffentliche Auftraggeber kann in diesem Fall Produkte bzw. Dienstleistungen von Unternehmen entwickeln las­ sen.

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3 Innovationsorientierte öffentliche Beschaffung und Leitmärkte Leitmärkte werden in der wissenschaftlichen Literatur definiert als „geographisch abgegrenzte Märkte, die globale Innovationen durch günstige lokale Präferenzen und Rahmenbedingungen fördern“. Um Leitmärkte handelt es sich meistens um re­ gionale Märkte bzw. Länder. Länder, die einen Leitmarkt darstellen, zeichnen sich dadurch aus, dass sie ein bestimmtes Innovationsdesign früher nutzen als andere Länder. Zudem verfügen Leitmärkte über Eigenschaften, die die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass in anderen Ländern das gleiche Innovationsdesign adoptiert wird (DIW/ZEW 2004). Wenn ein Unternehmen ein spezifisches Innovationsdesign in ei­ nem Leitmarkt einführt, besitzt dieses Innovationsdesign einen Vorteil im interna­ tionalen Wettbewerb gegenüber anderen länderspezifischen Innovationsdesigns. Die Einführung eines Designs in einem Leitmarkt erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass sich dieses Innovationsdesign international durchsetzt und dass dieses Design den weltweit bevorzugten technologischen Pfad vorgibt. Dieser Vorteil führt dazu, dass Konsumenten aus anderen Ländern ein vorher präferiertes Design gegen das in ei­ nem Leitmarkt bevorzugte Innovationsdesign eintauschen. Somit existieren in einem Leitmarkt Mechanismen, die zur Verdrängung anderer länderspezifischer Innovati­ onsdesigns führen. Leitmärkte zeichnen sich nicht notwendigerweise dadurch aus, dass die An­ wender aus Leitmärkten mehr Innovationen adoptieren wollen als Konsumenten aus anderen Ländern. Meistens verhält es sich so, dass ein lokal präferiertes Innovati­ onsdesign einem internationalen dominanten Innovationsdesign vorausgeht. Als ein Bespiel hierfür wird in der Literatur das Faxgerät genannt. Die globale Diffusion einer Innovation wird in aller Regel durch einen Wettbewerb von alternativen Innovations­

Abb. 2: Diffusion zweier gegeneinander konkurrierender Innovationsdesigns (Eigene Darstellung, Quelle: Beise (2001))

Innovationsorientierte öffentliche Beschaffung und Leitmärkte |

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designs begleitet. Gemäß der Leitmarkttheorie setzt sich jenes Design weltweit durch, welches von Anwendern in einem Leitmarkt adoptiert worden ist. Abbildung 2 zeigt zwei Länder, einen Leitmarkt und einen Lag-Markt. Die globale Diffusion einer Innovation führt dazu, dass zwei verschiedene Innovationsdesigns ge­ geneinander konkurrieren. Die Konsumenten aus dem Leitmarkt bevorzugen das De­ sign B, die Anwender aus dem Lag-Markt präferieren das Innovationsdesign A. Gemäß der Leitmarkttheorie wird das Design A vom Innovationsdesign B verdrängt. Über die Zeit hinweg, substituieren die Konsumenten aus dem Lag-Markt das Innovationsde­ sign A gegen das Design B. Hierbei muss betont werden, dass der Lag-Markt nicht per se die Innovation später als der Leitmarkt adoptiert, sondern das dominante Innovati­ onsdesign später annimmt als der Leitmarkt. Es stellt sich die Frage warum Lag-Märk­ te das Innovationsdesign des Leitmarktes übernehmen sollen. Welche Mechanismen führen dazu, dass das lokal präferierte Innovationsdesign durch das international do­ minante Innovationsdesign ersetzt wird? Im Wesentlichen führen drei Mechanismen dazu, dass ein Lag-Markt das Innovationsdesign des Leitmarktes adoptiert: – Relative Preissenkungen des von den Anwendern im Leitmarkt präferierte Innova­ tions- bzw. Produktdesigns können dazu führen, dass die internationalen Nach­ frager ein bestehendes Produktdesign gegen eine konkurrierende ausländische Produktinnovation eintauschen werden. Es handelt sich hierbei um einen einfa­ chen Substitutionseffekt: Dasjenige Innovationsdesign, welches relativ teuer ist, wird durch das relativ günstigere Innovationsdesign verdrängt. Die Preiswürdig­ keit eines Designs ist somit ein entscheidender Diffusionsaspekt (Levitt 1983). – Die Vorteile einer zunächst national präferierten Produktinnovation erhöhen sich für die Nutzer in anderen Ländern. Hierbei geht es um einen Demonstrationseffekt und das Setzen eines internationalen Trends. – Des Weiteren kann ein Anstieg des verfügbaren Einkommens der Nutzer in LagMärkten zur Verdrängung des lokal präferierten Innovationsdesigns durch ein do­ minantes Design führen. Diese drei Mechanismen führen dazu, dass sich Innovationsdesigns, die zunächst in Leitmärkten präferiert werden, mit einer gewissen Verzögerung in Lag-Märkten eta­ blieren. Diese Mechanismen, die zur internationalen Verdrängung anderer Innovati­ onsdesigns in anderen Märkten führen, lassen sich auf fünf Leitmarktfaktoren zurück­ führen. Diese fünf Faktoren bzw. Attribute orientieren sich stark an den bekannten Diamanten der Wettbewerbsfähigkeit von Porter. – Preisvorteil: Mit Blick auf die Globalisierungshypothese von Levitt (1983) bewirkt ein niedriger relativer Preis eines Produktdesigns in einem Leitmarkt die Verdrän­ gung bestehender und zugleich relativ teurer Produktdesigns auf anderen aus­ ländischen Märkten. Hierbei muss der relative Preisunterschied zugunsten des Produktdesigns im Leitmarkt so groß sein, dass die durch einen Wechsel zum in­ novativen Produkt entstehenden Transaktionskosten wettgemacht werden kön­ nen. Preisvorteile entstehen aus den nationalen Markt- und Technologiebedin­

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gungen. Diese Bedingungen bestimmen das zukünftige Preisreduktionspotenzial der Produktions- und Faktoreinsatzkosten. Statische sowie dynamische Massen­ produktionsvorteile können hierbei zu Preisvorteilen führen. Nachfragevorteil: Dieser kann aus einer nationalen Marktdynamik entstehen, die sich aus der Antizipation von Vorteilen eines bestimmten Innovationsdesigns mit absehbar weltweiter Diffusion ergibt. Die Rahmenbedingungen des Leitmarktes bringen ein Produktdesign hervor, welches die Kundenpräferenzen in anderen Ländern antizipiert. Diese Antizipationsfähigkeit wird in der Literatur durch glo­ bale Trends erklärt. Diese Trends lassen die Nachfrage nach bestimmten Produkt­ designs ansteigen. Die verschiedenen Märkte unterscheiden sich somit nicht in der Entwicklungsrichtung, sondern in der Entwicklungsgeschwindigkeit auf dem globalen Trend. Das Produktdesign des Leitmarktes besitzt also gegenüber ande­ ren Innovationsdesigns einen Zeitvorsprung. Transfervorteil: Dieser Vorteil umfasst eine Reihe von Diffusionsfaktoren. Zu­ nächst handelt es sich bei Transfervorteile um nationale Bedingungen, die die Vorteile einer zunächst national präferierten Produkt- oder Prozessinnovation für die Nutzer im Ausland erhöhen. Zudem handelt es sich um das Phänomen, das die inländische Nachfragepräferenz für eine bestimmte Produktinnovation auf andere Länder übertragen wird. Hierbei geht es um einen Demonstrationseffekt. Exportvorteil: Dieser Vorteil wird in der Literatur als ein wesentliches Merkmal eines Leitmarktes beschrieben. Eine Produktinnovation weist einen Exportvorteil aus, wenn es gut exportierbar ist. Die Exportierbarkeit von Innovationsdesigns hängt im Wesentlichen von kulturellen und sozio-ökonomischen Ähnlichkeiten zwischen dem exportierenden und importierenden Markt ab. Der Exportvorteil entsteht vor allem dann, wenn ausländische Präferenzen in bevorzugte Produkt­ innovationsrichtungen mitberücksichtigt werden. Marktstrukturvorteil: Leitmärkte zeichnen sich insbesondere durch starke Wett­ bewerbsstrukturen aus. Unternehmen sind in einem solchen wettbewerbsinten­ siven Umfeld stärker dazu gezwungen, auf technologische Entwicklungen zu reagieren. Der so entstehende Innovationswettbewerb zwischen verschiedenen Produktdesigns kann dazu führen, dass sich ein Design herausbildet, welches den Kundennutzen maximiert. Dieses, zunächst für den nationalen Markt, entwi­ ckelte Produktdesign hat dann bessere Chancen, sich auf internationalen Märkten durchzusetzen. Zudem verlangen Unternehmen in einem wettbewerbsintensiven Umfeld von ihren Zulieferern hohe Innovationsleistungen – mehr als in einem Monopolfall. Dies erhöht die Innovationsdynamik in einem Land und fördert dadurch die Entwicklung dieses Marktes zu einem Leitmarkt.

Eine innovationsorientierte öffentliche Beschaffung soll, nach den Vorstellungen der Europäischen Kommission, verstärkt die Herausbildung von eigenen Leitmärkten för­ dern bzw. unterstützen. Die Europäische Kommission hat in ihrer Leitmarktinitiative sechs Märkte benannt, die das Potenzial haben, sich zu Leitmärkten zu entwickeln.

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Hierbei wurden folgende sechs Märkte für die Leitmarktinitiative benannt: Elektroni­ sche Gesundheitsmärkte, Schutztextilien, nachhaltiges Bauen, Recycling, biobasierte Produkte und erneuerbare Energie. Laut der Europäischen Kommission kann sich das Gesamtvolumen dieser Märkte bis 2020 mehr als verdoppeln. Zudem können eine Mil­ lion neue Arbeitsplätze geschaffen werden. Die Leitmarktinitiative soll im Endeffekt europäischen Unternehmen Wettbewerbsvorteile auf neuen und schnell wachsenden Märkten verschaffen. Hierbei soll eine innovationsorientierte öffentliche Beschaffung als ein Instrument zur Erreichung der oben genannten Ziele dienen. Mithilfe einer ge­ zielten Vergabe nationaler öffentlicher Aufträge an innovative Unternehmen, die auf den sechs Märkten tätig sind, soll die Herausbildung von Leitmärkten gefördert wer­ den. Es besteht somit die Zuversicht, dass sich durch eine innovationsorientierte öf­ fentliche Beschaffung Leitmärkte herausbilden. Somit muss gewährleistet sein, dass eine nachfrageorientierte Innovationspolitik und hier insbesondere eine innovations­ orientierte öffentliche Beschaffung die einzelnen Erfolgsgrundlagen (Beise und Ren­ nings 2005) für Leitmärkte beeinflusst. Es stellt sich nun die Frage welche Erfolgsgrundlagen für Leitmärkte durch eine innovationsorientierte öffentliche Beschaffung beeinflusst werden können. Kann ei­ ne innovationsorientierte öffentliche Beschaffung die Herausbildung von Leitmärkten unterstützen bzw. können sich die sechs oben genannten Märkte, durch eine gezielte öffentliche Beschaffung von Innovationen, zu Leitmärkten entwickeln? Der Staat kann mit einer innovationsorientierten öffentlichen Beschaffung für ein bestimmtes Innovationsdesign einen Preisvorteil erzeugen und somit die Entstehung eines Leitmarktes fördern. Indem der Staat ein innovatives Produkt in großen Mengen beschafft, können in bestimmten Industrien bzw. Sektoren statische und dynamische Skaleneffekte induziert werden. Zum einen sinken aufgrund einer höheren produ­ zierten Menge des innovativen Produktes die Stückkosten dieses Gutes. Zum anderen können durch Lerneffekte die Stückkosten des innovativen Produktes fallen. Mit der Nachfrage des Staates kann somit eine Kostendegression erreicht werden. Wenn sich das Unternehmen, welches das innovative Produkt herstellt, bei seiner Preissetzung an den Stückkosten orientiert, fällt der Preis des neuen Produktes. Dadurch wird das inländische innovative Produkt im Vergleich zu Produktdesigns auf anderen auslän­ dischen Märkten günstiger. Infolgedessen kann das inländische innovative Produkt bereits auf Auslandsmärkten bestehende Produktdesigns verdrängen. Dies hätte zur Folge, dass ein Leitmarkt für das inländische innovative Produkt entstehen würde. Der Nachfragevorteil wird größtenteils durch geografische und natürliche Rah­ menbedingungen bestimmt. Hier kann der Staat mit einer innovationsorientierten öffentlichen Beschaffung diesen Vorteil nicht erzeugen, wohl aber verstärken. Als Beispiel kann hier die Niederlande erwähnt werden. Die Niederlande sind wegen des anhaltenden Klimawandels zunehmend von Überflutungen bedroht. Diese Bedingun­ gen machen die Niederlande zu einer Art natürlichem Leitmarkt für den Deichbau. Der niederländische Staat verstärkt den Nachfragevorteil, indem er im Rahmen ei­ nes Programmes zur öffentlichen Beschaffung, Innovationen im Bereich Deichbau

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fördert. Es können sich dann leichter spezialisierte private – und ggf. auch öffentli­ che – Unternehmen mit einer besonderen hier relevanten Expertise ausbilden, die ihre Dienste dann national und international anbieten können. Zudem kann der Staat als Erstnutzer eines Innovationsdesigns Signalcharakter für potenzielle Kunden haben. Ein positiver Demonstrationseffekt kann einen Trans­ fervorteil erzeugen. Die erfolgreiche staatliche Nutzung eines Innovationsdesigns kann dazu führen, dass potenzielle Kunden dieses Design verstärkt nachfragen. Es stellt sich hierbei allerdings die Frage, wie weit der Demonstrationseffekt reicht. Die erfolgreiche staatliche Nutzung eines Innovationsdesigns kann, muss aber nicht den wahrgenommenen Nutzen der Kunden im Inland und den wahrgenommenen Nutzen der Kunden im Ausland erhöhen. Die Kaufentscheidungen der Kunden, im Inland sowie im Ausland, können auch unabhängig von den Erfahrungen des Staates mit dem Innovationsdesign getroffen werden. Die Exportierbarkeit eines innovativen Produktes wird durch eine innovations­ orientierte öffentliche Beschaffung primär nicht berücksichtigt. Zunächst dient die öffentliche Beschaffung von Innovationen der Deckung der Bedürfnisse des öffentli­ chen Auftraggebers bzw. Beschaffers. Somit werden ausländische Nachfragepräferen­ zen im Rahmen einer innovationsorientierten öffentlichen Beschaffung nicht berück­ sichtigt. Es ist nicht das primäre Ziel der öffentlichen Beschaffer für ein bestimmtes Innovationsdesign einen Exportvorteil zu erzeugen. Zudem hat der nationale öffentli­ che Auftraggeber wenige bzw. keine Informationen über die Nachfragepräferenzen im Ausland. Aufgrund dieses Informationsdefizites kann der öffentliche Beschaffer nur im geringen Maße die Exportierbarkeit eines Innovationsdesigns unterstützen. Der Staat kann durchaus einen Marktstrukturvorteil erzeugen. Der öffentliche Auftraggeber kann im Rahmen einer Beschaffung eines innovativen Produktes bzw. einer FuE-Dienstleistung über die Wahl eines geeigneten Vergabeverfahrens ein wett­ bewerbsintensives Umfeld fördern. In diesem wettbewerbsintensiven Umfeld ver­ suchen alle teilnehmenden Unternehmen, jeweils die besten innovativen Lösungen anzubieten. Dies verbessert die potenzielle Durchsetzbarkeit des Innovationsdesigns auf internationalen Märkten.

4 Rechtsrahmen in der EU für eine innovationsorientierte öffentliche Beschaffung Mit der Richtlinie 2014/24/EU des Europäischen Parlamentes und des Rates wurde das Vergaberecht innerhalb der Europäischen Union reformiert. Somit werden die bishe­ rigen Richtlinien (Vergaberichtlinie 2004/18/EG und Sektorenrichtlinie 2004/17/EG) aufgehoben. Die Richtlinie 2014/24/EU ist am 17.04.2014 in Kraft getreten und muss binnen 24 Monaten von den EU-Mitgliedstaaten in nationales Recht umgesetzt wer­ den. Diese Richtlinie muss von den öffentlichen Auftraggebern angewendet werden,

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wenn das geschätzte Auftragsvolumen ohne Mehrwertsteuer nicht unter den EUSchwellenwerten liegt. Bei Vergabe von öffentlichen Aufträgen oberhalb der europäi­ schen Schwellenwerte muss ein europaweites Vergabeverfahren durchgeführt werden. In der Richtlinie 2014/24/EU sind zwei Regeländerungen enthalten, welche aus Sicht einer innovativen Beschaffung interessant erscheinen. Zum einen wird neben dem offenen Verfahren das Verhandlungsverfahren mit vorgelagertem Teilnahme­ wettbewerb zum Standardverfahren. Der öffentliche Auftraggeber muss somit zu­ künftig nicht mehr umfangreich begründen, wieso er dieses Verfahren gegenüber dem offenen Verfahren vorzieht. Das Verhandlungsverfahren wird, neben dem wett­ bewerblichen Dialog, in der Literatur als geeignetes Verfahren für eine innovative Beschaffung beschrieben. Zum anderen wurde mit der Innovationspartnerschaft eine neue Art der Vergabe geschaffen. Dieses Vergabeverfahren beginnt bei der Entwick­ lung eines neuen Produktes bzw. einer neuen Dienstleistung. Beim Kauf dieses Pro­ duktes bzw. dieser Dienstleistung ist kein erneutes Vergabeverfahren erforderlich. Die Innovationspartnerschaft darf nur dann als Vergabeverfahren angewendet werden, wenn eine echte Innovation benötigt wird.

Verhandlungsverfahren Das Verhandlungsverfahren (Artikel 29 der Richtlinie 2014/24/EU) ist ein Vergabe­ verfahren, bei dem sich ein öffentlicher Auftraggeber mit oder ohne vorgelagertem Teilnahmewettbewerb, an ausgewählte Unternehmen wendet, um mit einem oder mehrere Verhandlungen zu führen. Somit legt der öffentliche Auftraggeber fest, mit welchen Unternehmen er verhandelt und von welchen Unternehmen er Angebote erhalten möchte. Das Verhandlungsverfahren kann angewendet werden, wenn das offene und nichtoffene Verfahren nicht zu einem zufriedenstellenden Ergebnis führt. Zudem kann das Verhandlungsverfahren eingesetzt werden, wenn öffentliche Be­ schaffer innovative Lösungen nachfragen. Das Verhandlungsverfahren zeichnet sich dadurch aus, dass der Leistungsgegenstand in der Ausschreibung noch nicht in allen Details festgeschrieben ist. Der Ablauf eines Verhandlungsverfahrens lässt sich folgendermaßen beschrei­ ben: Zunächst geben die öffentlichen Auftraggeber den Auftragsgegenstand an. Hier­ bei müssen sie die erforderlichen Eigenschaften der zu erbringenden Leistungen be­ schreiben. Dabei müssen die öffentlichen Auftraggeber Zuschlagskriterien darstellen und Mindestanforderungen an eingehende Angebote formulieren. Danach werden nach Ablauf einer Angebotsfrist alle eingegangenen Angebote nach einheitlichen Maßstäben bewertet. Darauffolgend können alle wesentlichen Aspekte des Auftrags und der Angebote mit ausgewählten Unternehmen diskutiert werden. Somit beginnt ein dynamischer Prozess, in dem sich Veränderungen auf Seiten der Nachfrage als auch des Angebots ergeben können. Folglich können Angebote abgeändert werden, nachdem sie von Unternehmen vorgelegt worden sind. Es besteht die Hoffnung, dass

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die Gespräche zwischen öffentlichen Beschaffern und Unternehmen dazu führen, dass innovative Aspekte erst im Nachhinein sichtbar werden (BMWi 2014). Des Weite­ ren eröffnet das Verhandlungsverfahren dem öffentlichen Beschaffer die Möglichkeit, „das Verfahren auf seine spezifischen Bedürfnisse und die Besonderheiten der zu beschaffenden innovativen Leistung abzustimmen“ (Falck und Wiederhold 2013).

Wettbewerblicher Dialog Beim wettbewerblichen Dialog (Artikel 30 der Richtlinie 2014/24/EU) handelt es sich um eine Weiterentwicklung des Verhandlungsverfahrens. Bei dieser Art des Vergabe­ verfahrens handelt es sich um ein zweigeteiltes Verhandlungsverfahren. Der wettbe­ werbliche Dialog soll bei besonders komplexen Aufträgen zur Anwendung kommen. Der wettbewerbliche Dialog kann vom öffentlichen Beschaffer als Vergabeverfahren ausgewählt werden, wenn dieser nicht einschätzen kann, welche Lösungen bzw. Pro­ dukte seinen Bedürfnissen gerecht werden bzw. welche Lösungsmöglichkeiten der Markt bietet. Beim wettbewerblichen Dialog arbeiten der öffentliche Auftraggeber und ausgewählte Unternehmen zusammen an einer adäquaten Lösung. Dieses Verfahren bietet für bietende Unternehmen viel Raum für innovative Ideen (BMWi 2014). Zudem wird der wettbewerbliche Dialog aufgrund seiner Flexibilität als „idealtypisches Ver­ fahren“ (Falck und Wiederhold 2013) für eine innovationsorientierte öffentliche Be­ schaffung gepriesen. Beim wettbewerblichen Dialog veröffentlicht der öffentliche Auftraggeber zu­ nächst eine Antragsbekanntmachung, in der er seine Bedürfnisse und Anforderun­ gen an die zu erbringende Leistung näher formuliert. Hierbei muss der öffentliche Auftraggeber den Beschaffungsgegenstand nicht vorab festlegen. Es reicht somit im Rahmen des wettbewerblichen Dialogs aus, wenn der öffentliche Beschaffer einen Beschaffungsbedarf anzeigt. Des Weiteren muss der öffentliche Auftraggeber in der Antragsbekanntmachung einen Zeitrahmen und Zuschlagskriterien definieren. Nach der Auftragsbekanntmachung kann jeder Wirtschaftsteilnehmer einen Teilnahmean­ trag übersenden. Danach wählt der öffentliche Auftraggeber jene Unternehmen aus, mit denen er in einen Dialog treten möchte. Dabei muss der öffentliche Auftraggeber mindestens drei Wirtschaftsteilnehmer zur Teilnahme am wettbewerblichen Dialog auswählen. Mit den ausgewählten Unternehmen eröffnet der öffentliche Auftragge­ ber einen Dialog, dessen Ziel es sein soll, diejenigen Lösungen bzw. Produkte zu ermitteln, welche die Bedürfnisse des öffentlichen Beschaffers am besten decken. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen alle Aspekte der Auftragsvergabe mit den teilneh­ menden Unternehmen diskutiert werden. Der Dialog ist beendet, wenn der öffentliche Auftraggeber eine Lösung bzw. Lösungen ermitteln kann, mit denen seine Bedürfnisse erfüllt werden können. Nach Beendigung des Dialogs fordert der öffentliche Beschaf­ fer die teilnehmenden Unternehmen auf, endgültige Angebote zu unterbreiten. Die Angebote der Unternehmen sollen sich an den in der Dialogphase ermittelten Lösun­

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gen orientieren. Danach kann der öffentliche Auftraggeber weitere Klarstellungen, Konkretisierungen und Verbesserungen der eingereichten Angebote verlangen. In ei­ nem letzten Schritt beurteilt der öffentliche Auftraggeber die eingereichten Offerten und wählt dasjenige Angebot aus, welches das Wirtschaftlichste ist.

Bewertung des Verhandlungsverfahrens sowie wettbewerblichen Dialogs Das Verhandlungsverfahren sowie der wettbewerbliche Dialog werden in der Literatur als geeignete Verfahren für die Beschaffung von innovativen Leistungen beschrieben. Insbesondere der wettbewerbliche Dialog gilt als idealtypisches Vergabeverfahren für ein innovationsorientiertes öffentliches Beschaffungswesen. Der wettbewerbliche Dialog bietet den teilnehmenden Unternehmen die nötigen Freiräume, damit kreative Potenziale bei der Auftragserfüllung genutzt werden. Jedoch wird der wettbewerbliche Dialog als Vergabeverfahren von den öffentlichen Auftraggebern kaum angewendet. Der Anteil des wettbewerblichen Dialogs am gesamten Beschaffungsvolumen beträgt z. B. in Deutschland weniger als ein Prozent (Wegweiser et al. 2009). Dass der wett­ bewerbliche Dialog in der Vergabepraxis kaum eine Rolle spielt, dürfte daran liegen, dass zum einen die Anforderungen für die Wahl des wettbewerblichen Verfahrens als Vergabeverfahren sehr restriktiv sind und zum anderen sich dieses Verfahren durch ei­ nen hohen Komplexitätsgrad auszeichnet (Crasemann 2012). Des Weiteren dürfte der Anreiz eines Unternehmens an einem wettbewerblichen Dialog teilzunehmen nicht sonderlich groß sein, da befürchtet wird, dass sensibles Unternehmenswissen im Rahmen der Dialogrunden an Konkurrenten abfließt (Wegweiser et al. 2009). Zudem kann es passieren, dass der Staat dieses Wissen an Konkurrenten vermittelt (BMWi 2006). Es besteht somit das Problem des Know-how Abflusses. Dieses Problem besteht ebenfalls beim Verhandlungsverfahren (Falck und Wiederhold 2013). Außerdem kann die hohe Flexibilität des Verhandlungsverfahrens und des wettbewerblichen Dia­ logs dazu führen, dass das Vergaberecht von öffentlichen Auftraggebern verletzt wird (Falck und Wiederhold 2013). Dies zieht rechtliche Folgen nach sich und schreckt so­ mit öffentliche Beschaffer davor zurück, diese Vergabeverfahren zu nutzen, weil diese im Vorhinein erwarten, dass sie durch Anwendung des Verhandlungsverfahrens und wettbewerblichen Dialogs das Vergaberecht nicht ordnungsgemäß einhalten. Ferner ist die Anwendung des Verhandlungsverfahrens bzw. des wettbewerbli­ chen Dialogs, im Vergleich zu Standardverfahren, für den öffentlichen Beschaffer mit einem höheren Arbeitsaufwand verbunden. Die Frage, welches Vergabeverfahren am geeignetsten für eine erfolgreiche innovationsorientierte öffentliche Beschaffung ist, wurde bisher noch nicht empirisch beantwortet. Dieses Informationsdefizit ist dar­ auf zurückzuführen, dass momentan keine entsprechenden Daten existieren, die In­ formationen darüber enthalten, wann der öffentliche Auftraggeber tatsächlich einem Innovationsmotiv gefolgt ist.

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Innovationspartnerschaften Mit der Modernisierung des europäischen Vergabewesens wurde ein weiteres Verfah­ rensinstrument zur Förderung von Innovationen geschaffen, dieses ist die sogenannte Innovationspartnerschaft (Artikel 31 der Richtlinie 2014/24/EU). Die Innovationspart­ nerschaft soll dazu beitragen, dass über das Vergabeverfahren ein intelligentes, nach­ haltiges und auch inklusives Wachstum erfolgt. Dieses Vergabeverfahren darf vom öffentlichen Auftraggeber nur dann angewen­ det werden, wenn der staatliche Bedarf nicht durch bereits auf den Markt verfügbare Produkte, Dienstleistungen und Bauleistungen gedeckt werden kann. In diesen Fäl­ len besteht auf Seiten des öffentlichen Beschaffers der Bedarf an der Forschung und Entwicklung von neuen innovativen Produkten bzw. Dienstleistungen. In diesem Fall kann der öffentliche Beschaffer mit einem oder mehreren beauftragten Unternehmen langfristige Innovationspartnerschaften schließen. Das Ziel dieser Innovationspart­ nerschaften muss sein, dass innovative Produkte bzw. Dienstleistungen entwickelt werden und diese vom öffentlichen Beschaffer anschließend erworben werden. Somit wird im Rahmen einer Innovationspartnerschaft die Vergabe eines Entwicklungs­ auftrags mit der eigentlichen Beschaffung verbunden. Hierbei entwickeln die be­ auftragten Unternehmen jeweils unabhängig voneinander innovative Produkte bzw. Dienstleistungen. Die Innovationspartnerschaft kann, um dieses Ziel zu erreichen, in mehrere Phasen unterteilt werden. Zudem kann der öffentliche Auftraggeber am Ende jeder Phase darüber entscheiden, ob er die Innovationspartnerschaft beendet oder, im Fall mit mehreren beauftragten Unternehmen, die Anzahl der Partner redu­ ziert. Während dieser Partnerschaften hat der öffentliche Auftraggeber dafür Sorge zu leisten, dass kein vertrauliches Unternehmenswissen bzw. keine vorgeschlagene Lösung, ohne die Zustimmung des Partners, an andere Partner zufließt. Nachdem das Produkt bzw. die Dienstleistung von den beauftragten Unternehmen entwickelt worden ist, ist für den Kauf dieses Produktes bzw. der Dienstleistung kein neues Vergabeverfahren erforderlich. Bei der Innovationspartnerschaft kommt das Verga­ berecht unbeschränkt zur Anwendung. Das bedeutet, dass der öffentliche Beschaffer die Grundsätze, wie z. B. Transparenz und Nicht-Diskriminierung, des Vergaberechts einzuhalten hat. Vom Prinzip ähnelt die Innovationspartnerschaft dem wettbewerblichen Dia­ log. Allerdings bestehen zwei subtile Unterschiede zwischen beiden Vergabeverfah­ ren. Die Innovationspartnerschaft zielt nur darauf ab neue innovative Produkte bzw. Dienstleistungen zu beschaffen, die auf dem Markt noch nicht existieren. Es sollen im Rahmen einer Innovationspartnerschaft echte Innovationen entwickelt bzw. be­ schafft werden. Der wettbewerbliche Dialog zielt nicht nur auf innovative Produkte bzw. Dienstleistungen ab. Im Rahmen des wettbewerblichen Dialogs können ebenfalls Lösungen beschafft werden, die bereits auf den Märkten vorhanden sind. Diese Lö­ sungen müssen von beauftragten Unternehmen entsprechend den Bedürfnissen der öffentlichen Beschaffer angepasst werden. Der zweite Unterschied zielt auf die Cha­

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rakteristika der beiden Vergabeverfahren ab. Bei der Innovationspartnerschaft soll es sich um langfristige Partnerschaften zwischen öffentlichen Auftraggebern und beauf­ tragten Unternehmen handeln (Falck und Wiederhold 2013). Diese Partnerschaften können sich von der Entstehung einer Idee bis hin zu deren Marktreife erstrecken. Der wettbewerbliche Dialog kann aber muss nicht unbedingt auf eine langfristige Partnerschaft abzielen.

Funktionale Leistungsbeschreibung In der Literatur wird die funktionale Leistungsbeschreibung als ein weiteres Instru­ ment für eine innovative Beschaffung gesehen. Bei einer Leistungsbeschreibung legt der öffentliche Auftraggeber den zu beschaffenden Gegenstand fest. Die vollständi­ ge Beschreibung ist der Bezugspunkt der Angebotskalkulation der bietenden Unter­ nehmen. Daher ist bei einer Leistungsbeschreibung darauf zu achten, dass die Leis­ tung eindeutig und umfassend beschrieben wird, so dass alle Bewerber die Beschrei­ bung gleichermaßen verstehen. Bei einer funktionalen Leistungsbeschreibung vom öffentlichen Auftraggeber wird kein detaillierter Leistungskatalog vorgelegt. Der öf­ fentliche Beschaffer definiert die zu erbringende Leistung nach dem zu erreichen­ den Ziel. Die zu erbringende Leistung „wird durch eine Darstellung ihres Zwecks, ih­ rer Funktion sowie der an sie gestellten Anforderungen beschrieben“ (BMWi 2014). Dadurch werden den bietenden Unternehmen nur Rahmenbedingungen vorgegeben, die sie bei der Angebotsabgabe zu beachten haben. Es besteht somit die Hoffnung, dass durch die funktionale Leistungsbeschreibung neben dem reinen Preiswettbe­ werb ein Konzeptwettbewerb zwischen den bietenden Unternehmen eintritt. Die funk­ tionale Leistungsbeschreibung bietet sich vor allem dann an, wenn der öffentliche Beschaffer den Markt nicht kennt und nicht weiß, welche innovativen Möglichkeiten bestehen. Die funktionale Leistungsbeschreibung soll dafür sorgen, dass die bietenden Unternehmen geeignete Leistungen unter Einbezug von Innovationen anbieten. Zu­ dem soll die funktionale Leistungsbeschreibung es ermöglichen, dass eine gewisse Vielfalt an Angeboten zu Stande kommt. Grundsätzlich gilt die funktionale Leis­ tungsbeschreibung als geeignet für eine innovative Beschaffung (Falck und Wieder­ hold 2013). Zudem spielt diese Art der Leistungsbeschreibung eine wichtige Rolle im Beschaffungsalltag. Gemäß einer Studie von Wegweiser et al. (2009) haben 60 Prozent aller befragten öffentlichen Beschaffer die funktionale Leistungsbeschrei­ bung gewählt. Allerdings existieren keine offiziellen Statistiken darüber, wie oft öffentliche Beschaffer auf die funktionale Leistungsbeschreibung zurückgegriffen haben.

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Zulassung von Nebenangeboten Des Weiteren besteht die Möglichkeit, über die Regelung von Nebenangeboten innova­ tive Leistungen bei der Beschaffung stärker zu berücksichtigen. Nebenangebote sind solche Angebote, die vom geforderten Hauptgebot abweichen. Nebenangebote stellen Änderungsvorschläge durch die bietenden Unternehmen dar, weil diese Vorschläge jede Abweichung, z. B. in den technischen Anforderungen vom geforderten Haupt­ angebot, umfassen. Dadurch können sich dem öffentlichen Auftraggeber innovative Lösungsansätze eröffnen, die ihm wegen mangelnden Marktkenntnissen unbekannt sind. Das Zulassen von Nebenangeboten ermöglicht es dem öffentlichen Beschaffer Angebote von innovativen Produkten bzw. Dienstleistungen zu berücksichtigen, die ihm vor dem bzw. zum Zeitpunkt der Angebotsbekanntmachung nicht bekannt sind (Crasemann 2012). Grundsätzlich sind Nebenangebote zulässig, diese Möglichkeit muss vom öffentlichen Beschaffer in der Bekanntmachung bzw. den Vergabeunter­ lagen angegeben werden. Falls diese Information nicht in den Vergabeunterlagen vorhanden ist, dürfen keine Nebenangebote angenommen werden.

5 Europapolitische Maßnahmen und Initiativen In der Lissaboner Agenda (2005) wurde das Ziel formuliert, die EU als einen führenden Innovationsstandort zu gestalten. Dies war der Start aller europäischen Bemühungen für eine innovationsfördernde öffentliche Beschaffung. Die Strategie von Lissabon für Wachstum und Beschäftigung sah eine Reihe von Maßnahmen und Reformen vor, die darauf abzielten, die rechtlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in der EU innovationsfreundlicher zu gestalten. Außerdem wurde in der Strategie von Lissabon das Ziel formuliert, die Ausgaben für Forschung und Entwicklung auf drei Prozent des Bruttoinlandprodukts zu steigern. Aus der Lissaboner Agenda ging die Innova­ tionsstrategie (2006) hervor. In der Innovationsstrategie wurde der öffentlichen Be­ schaffung erstmals die Rolle als ein wesentlicher Innovationstreiber zugeschrieben. So wurde in der Innovationsstrategie formuliert, dass der Staat eine Führungsrolle als Beschaffer von Innovationen übernehmen soll. Mit einer innovationsorientierten öffentlichen Beschaffung sollen Innovationen gefördert werden. Zudem sollen durch die Einführung von innovativen Konzepten, neuer Techniken und Verfahren in der Verwaltung die Qualität und Produktivität öffentlicher Dienste gesteigert werden. Des Weiteren wurde in der Innovationsstrategie gefordert, dass die öffentlichen Beschaffer „intelligente Kunden“ werden müssen. Darauffolgend wurden in der „Leitmarktinitia­ tive für Europa“ (2007) sechs innovative und für die Gesellschaft vielversprechende Bereiche identifiziert. Diese Sektoren sollen durch eine europaweit koordinierte öffentliche Beschaffung gefördert werden. Durch den Zusammenschluss öffentlicher Beschaffer, z. B. durch Sammelbestellungen, soll eine kritische Masse an innovativen Produkten bzw. Dienst­

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leistungen aus den obengenannten Märkten beschafft werden, die das Entstehen die­ ser Leitmärkte fördert. Die öffentlichen Auftraggeber sollen gezielt an innovative Un­ ternehmen nationale und regionale öffentliche Aufträge vergeben, die auf den sechs Leitmärkten tätig sind. Somit stellt die öffentliche Beschaffung in der Leitmarktinitia­ tive für Europa ein Instrument zur Entstehung bzw. Unterstützung von Leitmärkten dar. Des Weiteren wurde im Jahr 2007 durch die Europäische Kommission die Einfüh­ rung der Vorkommerziellen Auftragsvergabe (Pre-Commercial Procurement – PCP) sowie die gezielte Beschaffung von Innovationen (Public Procurement of Innovati­ on – PPI) als neue Instrumente für eine innovationsfördernde öffentliche Beschaffung angekündigt. Das Instrument zur Vorkommerziellen Auftragsvergabe soll vom öffent­ lichen Beschaffer angewendet werden, wenn die Bedürfnisse des öffentlichen Aufrag­ gebers nicht durch den Markt gedeckt werden können. Bedingung für die Anwendung eines PCP-Verfahrens ist, dass für den öffentlichen Bedarf keine tragfähige bzw. am Markt verfügbare Lösung existieren darf. Das Instrument der gezielten Beschaffung von Innovationen soll zum Einsatz kommen, wenn für den öffentlichen Bedarf markt­ gängige Lösungen existieren, diese allerdings von öffentlichen Beschaffungsstellen bisher noch nicht erworben worden sind. Der öffentliche Auftraggeber fragt im Rah­ men eines PPI innovative Güter bzw. Dienstleistungen nach, die noch nicht in großem Maßstab auf den Märkten erhältlich sind. Der öffentliche Beschaffer agiert in der Pha­ se der Kommerzialisierung als Erstkäufer. Im Rahmen eines PPI ist die FuE-Phase abgeschlossen. Grundlage der gegenwärtigen Innovationspolitik der Europäischen Kommission ist das neue EU-Rahmenprogramm für Forschung und Innovation „Ho­ rizont 2020“. Mit „Horizont 2020“ sollen solche Forschungs- und Entwicklungsvor­ haben unterstützt werden, die zur öffentlichen Beschaffung von neuen innovati­ ven Produkten bzw. Dienstleistungen führen. Das Ziel ist es, durch europäische Forschungsbudgets unterstützte Forschungsergebnisse schneller zur Marktreife zu führen. Hierbei soll das neue Instrumentarium wie z. B. die Vergabe vorkommerziel­ ler Aufträge verstärkt zum Einsatz kommen. Zudem werden öffentliche Beschaffer zu­ künftig dazu eingeladen, Forschungs- und Entwicklungsprojekte zu generieren. Des Weiteren hat die Europäische Kommission eine Datenbank („EU Procurement of Inno­ vation Platform“) und Initiativen zur nachhaltigen öffentlichen Beschaffung gestartet. Diese Aktivitäten sollen es den öffentlichen Beschaffern ermöglichen, sich über inno­ vative öffentliche Beschaffung und vorkommerzielle Beschaffung zu informieren.

Vorkommerzielle Auftragsvergabe – Pre-Commercial Procurement (PCP) Mit dem jetzigen EU-Rahmenprogramm für Forschung und Innovation „Horizon 2020“, welches Förderprogramme in einer Zeitperiode von 2014 bis 2020 umfasst, greift die Europäische Kommission verstärkt auf das Instrument der vorkommerziel­

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len Auftragsvergabe zu. Schon in den Jahren 2009 bis 2011 wurden vereinzelt PCPProgramme durchgeführt. Die bereits laufenden PCP-Programme sollen durch neue Projekte ergänzt werden. Somit will die Europäische Kommission dem Instrument der vorkommerziellen Auftragsvergabe einen höheren Stellenwert beimessen. PCP bezieht sich allein auf die Ausschreibung von FuE-Dienstleistungen. Hierbei kann Forschung und Entwicklung Aktivitäten wie z. B. Lösungserkundung, Prototypent­ wicklung und die Fertigung von ersten Testprodukten umfassen. Im Rahmen eines PCP wird eine innovative Lösung unter Ausnutzung des Wettbewerbs unterbietenden Unternehmen entwickelt. Dabei unterstützt der öffentliche Beschaffer die innovative Lösung von der Produktidee bis zur Neuentwicklung erster Produkte bzw. Dienstleis­ tungen. Bei der vorkommerziellen Auftragsvergabe werden die FuE-Aufträge zeitlich gestreckt. Zudem werden unter Ausnutzung des Wettbewerbs unter Unternehmen mehrere Alternativlösungen entwickelt. Ein PCP-Verfahren erstreckt sich üblicherweise über drei Phasen: Lösungser­ kundung, Prototypentwicklung und Neuentwicklung erster Produkte bzw. Dienst­ leistungen (siehe Abbildung 3). Nach jeder Phase verringert sich die Anzahl der teilnehmenden Unternehmen. Startpunkt einer vorkommerziellen Auftragsvergabe ist die Ermittlung eines gesamtgesellschaftlichen Bedarfs, welcher nicht durch auf

Abb. 3: Darstellung des Ablaufs bei der vorkommerziellen Auftragsvergabe (Quelle: EU (2007b) 799)

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dem Markt verfügbare Produkte bzw. Dienstleistungen gedeckt werden kann. Da­ nach beauftragt der öffentliche Auftraggeber mehrere Unternehmen geeignete inno­ vative Lösungen zu entwickeln. Der Wettbewerb zwischen Unternehmen soll dafür sorgen, dass die bestmöglichen Lösungskonzepte entwickelt werden. In der ersten Phase, der Phase der Lösungserkundung, arbeiten die teilnehmenden Unternehmen Lösungskonzepte aus. Diese Konzepte werden anschließend von einer Evaluierungs­ kommission beurteilt. Nach der Evaluierung der Lösungskonzepte entscheidet die Evaluierungskommission welches der teilnehmenden Unternehmen in die Phase der Lösungsentwicklung eintreten darf. Somit scheiden sukzessive Unternehmen aus dem PCP-Verfahren aus. Nachdem die Unternehmen in Phase zwei des PCP-Verfahrens Lösungen entwickelt haben, muss die Evaluierungskommission erneut entscheiden, welche Unternehmen ausscheiden. Hierbei muss die Evaluierungskommission dar­ auf achten, dass mindestens zwei Unternehmen in die Phase der Lösungserprobung eintreten. Damit soll gewährleistet werden, dass der öffentliche Auftraggeber unter Beibehaltung des Wettbewerbs die besten Lösungen, die auf dem Markt verfügbar sind, erhält. Nachdem die Testphase erfolgreich verlaufen ist, kann der öffentliche Auftraggeber das neue innovative Produkt über die reguläre Beschaffung erwerben. Allerdings muss der öffentliche Auftraggeber nicht zwingend die Lösungen der am PCP-Verfahren teilnehmenden Unternehmen erwerben. Somit erfolgt eine Trennung der FuE-Phase von der kommerziellen Serieneinfüh­ rung des Endprodukts. Damit wird dem bei Forschung und Entwicklung bestehen­ den Misserfolgsrisiko Rechnung getragen. Zum einen findet die Entwicklung eines neuen Produktes nicht immer zu einem erfolgreichen Abschluss. Zum anderen weiß der öffentliche Beschaffer erst nach Abschluss des vorkommerziellen Auftrags, ob die entwickelte Lösung besser ist als die auf dem Markt erhältlichen Produkte bzw. Dienst­ leistungen. Folglich stellt die Entwicklung erster Testprodukte durch die am PCP-Ver­ fahren teilnehmenden Unternehmen keine Garantie zu einem Folgeauftrag kommer­ zieller Endprodukte dar. Im Rahmen des PCP-Verfahrens werden das Risiko und der Nutzen der notwen­ digen Forschung und Entwicklung zwischen dem öffentlichen Auftraggeber und den teilnehmenden Unternehmen geteilt. Hierbei werden das Risiko und der Nutzen zwi­ schen beiden Parteien so aufgeteilt, dass beide Seiten das Interesse haben, die neuen Lösungen auf den privaten Markt zu verbreiten. Somit unterscheidet sich das PCPVerfahren von regulären FuE-Aufträgen, da PCP nur dann zur Anwendung kommt, wenn explizit Wissens-Spillovers auf den privaten Markt vorgesehen sind. Des Wei­ teren muss die Risiko-Nutzen-Teilung zu Marktbedingungen erfolgen, d. h. dass der gezahlte Preis für die erbrachte Dienstleistung nicht den gängigen Marktpreis über­ steigen darf. Wenn der gezahlte Preis den Marktpreis übersteigen würde, würde es sich in der Regel um eine staatliche Beihilfe handeln. Damit die Risiko-Kosten-Auftei­ lung zu Marktbedingungen erfolgt, soll von Unternehmen, die von Vorteilen jeglicher FuE profitieren, ein Ausgleich an den öffentlichen Auftraggeber entrichtet werden (EU 2007b).

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Bei der vorkommerziellen Auftragsvergabe können die Rechte zwischen dem öf­ fentlichen Auftraggeber und den am vorkommerziellen Auftrag teilnehmenden Un­ ternehmen aufgeteilt werden. Somit müssen die Rechte am geistigen Eigentum der im Rahmen eines PCP-Auftrags entwickelten Lösung nicht beim öffentlichen Auftragge­ ber verbleiben. Wenn die Rechte des geistigen Eigentums aufgeteilt werden, ist das EUVergaberecht bei PCP-Verfahren nicht anwendbar. Dies hat zur Konsequenz, dass die WTO-Vergabekriterien Offenheit, Diskriminierungsverbot und Transparenz nicht gel­ ten. Zwar sollte der PCP-Prozess, gemäß der Europäischen Kommission, Wettbewerb zwischen den bietenden Unternehmen sicherstellen, er muss es aber nicht. Somit be­ steht die Gefahr, dass der öffentliche Beschaffer einzelne Unternehmen im Rahmen ei­ nes PCP-Verfahrens begünstigt und dadurch den Wettbewerb unterminiert (Falck und Wiederhold 2013). Gerade der Wettbewerb im PCP-Verfahren zwischen den bietenden Unterneh­ men soll dafür sorgen, dass eine möglichst passende und zugleich kostengünstige Lösung gefunden wird. Wenn nun die Rechte des geistigen Eigentums aufgeteilt wer­ den, sollen die Rechte an die teilnehmenden Unternehmen so zugewiesen werden, dass ihnen kein Vorteil bei künftigen Aufträgen verschaffen wird. Um dies zu ge­ währleisten bietet sich dem öffentlichen Auftraggeber z. B. die Möglichkeit an, die beteiligten Unternehmen dazu zu verpflichten, anderen Unternehmen Lizenzen zu fairen Marktbedingungen einzuräumen. Allerdings dürften die am vorkommerziellen Auftrag teilnehmenden Unternehmen bei nachgelagerten Beschaffungsaufträgen ge­ genüber anderen Unternehmen einen Wettbewerbsvorteil haben. So könnte es sein, dass die teilnehmenden Unternehmen über implizites Wissen über das nachgefragte Produkt verfügen (Falck und Wiederhold 2013). Bisher geben die Daten zum öffentli­ chen Beschaffungswesen keine Auskunft darüber, wie oft dem am vorkommerziellen Auftrag beteiligten Unternehmen Zuschläge für nachgelagerte Beschaffungsaufträge erhalten haben.

6 Politische Maßnahmen und Initiativen in Deutschland, den Niederlanden und Nordrhein-Westfalen Erstmals prominent erwähnt wurde die innovationsorientierte öffentliche Beschaf­ fung im Zuge der Hightech-Strategie. Hierbei wurde der öffentlichen Beschaffung ein immenses Potential zur Förderung von Innovationen beigemessen. Darauf anknüp­ fend wurde im Jahr 2007 der „Beschluss zur verstärkten Innovationsorientierung öf­ fentlicher Beschaffung“ von sechs Bundesministerien (BMWi, BMBF, BMVBS, BMVg, BMI und BMU) gefasst. Ziel dieses Beschlusses ist es, das Beschaffungswesen des je­ weiligen Geschäftsbereiches stärker auf die Beschaffung von Innovationen zu orien­

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tieren. Hierbei sollen zunächst Bereiche mit hohem Innovationspotential sowie die staatlichen Bedürfnisse in diesen Sektoren ermittelt werden. Zudem soll das Verga­ beverfahren eine innovationsfreundlichere Ausrichtung erhalten, in dem z. B. die Le­ benszykluskosten bei der Vergabe eines öffentlichen Auftrages mitberücksichtigt wer­ den. Im Jahr 2009 erschien zu dieser Initiative ein Umsetzungsbericht. Dieser Bericht bilanzierte, dass die Beschaffung von Innovationen in diesen sechs Ressorts insge­ samt gestiegen ist. Auf innovative Produkte und Lösungen wurde von den öffentlichen Beschaffern häufig zurückgegriffen, wenn diese Produkte zu einer erhöhten Energie­ effizienz beitrugen. Somit wurde auf innovative Produkte und Lösungen gesetzt, um ökologische Aspekte zu berücksichtigen. Zudem scheint es, dass aufgrund dieses Be­ schlusses die Sensibilisierung der öffentlichen Beschaffer für innovative Produkte und Lösungen zugenommen hat. Im Jahr 2009 wurde das „Gesetz zur Modernisierung des Vergaberechts“, welches die europäische Sektorenkoordinierungsrichtlinie (2004/17/EG) und die Vergabekoor­ dinierungsrichtlinie (2004/18/EG) in nationales Recht umsetzt, verabschiedet. Damit wurde ein Rechtsrahmen für Vergabeverfahren oberhalb der europäischen Schwel­ lenwerte geschaffen. Dieser Rahmen erlaubt es soziale, umweltbezogene und innova­ tive Faktoren bei den Zuschlagskriterien miteinzubeziehen. Somit stellt das deutsche Recht bei Vergabeverfahren oberhalb der europäischen Schwellenwerte explizit auf innovative Aspekte bei der Zuschlagserteilung ab. Zudem hat die Bundesregierung im Jahr 2010 eine „Allianz für eine nachhaltige Beschaffung“ eingerichtet. Hierbei soll die Datenlage im öffentlichen Beschaffungswesen verbessert werden. Zudem sollen Um­ welt- und Sozialkriterien bei der öffentlichen Beschaffung mitberücksichtigt werden. Weitere Initiativen sind regelmäßige Schulungen von öffentlichen Beschaffern sowie der Aufbau von Expertenkreisen in den Themenfeldern Elektromobilität, Standards und Statistik in der öffentlichen Beschaffung. Im Jahr 2012 wurde der Weg, mit dem Innovationskonzept des BMWI „Lust auf Technik – Neues wagen, Wachstum stärken, Zukunft gestalten“, zu einem stärkeren innovationsorientierten Beschaffungswesen fortgesetzt. Das Ziel dieses Konzeptes ist es die Anreize für öffentliche Beschaffer zum Einkauf von innovativen Produkten und Lösungen zu erhöhen. Um dieses Ziel zu erreichen, wurden vorab Expertenin­ terviews durchgeführt, um eine verbesserte Anreizsetzung zu erzielen. Des Weiteren wurde als neue innovationspolitische Initiative das „Kompetenzzentrum innovative Beschaffung“ gegründet. Dieses Zentrum soll dazu beitragen, dass der Anteil der in­ novationsorientierten öffentlichen Beschaffung am Gesamtvolumen des öffentlichen Einkaufs zunimmt. Damit dies geschieht, muss nach Ansicht des BMWi „das Potential und das Verständnis einer innovationsorientierten Beschaffung als strategisches Ziel verankert werden“ (BMWi 2014). Das Kompetenzzentrum soll öffentliche Beschaffer auf Bundes-, Landes- und Kommunalebene beraten und vernetzen. Hierbei steht das Zentrum für alle öffentlichen Beschaffungsstellen zu Fragen zur innovationsorien­ tierten Beschaffung als Ratgeber zur Verfügung. Des Weiteren werden Informationen über erfolgreiche Pilotprojekte und aktuelle Förderprogramme publiziert. Darüber

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hinaus wurde eine Projektdatenbank implementiert, die innovative Produkte, Tech­ nologien und Dienstleistungen mit Relevanz für den öffentlichen Sektor vorstellt. Somit können öffentliche Beschaffer hier gezielt nach laufenden Forschungs- und Ent­ wicklungsprojekten recherchieren. Zudem führt das Kompetenzzentrum strategische Dialoge zwischen öffentlichen Beschaffern und Vertretern von privaten Unternehmen durch. Hierbei soll ein gezielter Austausch zu innovativen Prozessen, Technologien und Verfahren erfolgen. Das Kompetenzzentrum soll weiter ausgebaut werden bzw. mehr Kompetenzen erhalten. So soll es in Zukunft möglich sein, dass das Zentrum selbst Entwicklungsprojekte anstößt, die zu Beschaffungen von Innovationen führen sollen. Im Jahr 2014 hat das Bundeswirtschaftsministerium eine Broschüre mit dem Ti­ tel „Impulse für mehr Innovationen im öffentlichen Beschaffungswesen“ herausge­ geben. Hierbei handelt es sich um einen Leitfaden zur öffentlichen Beschaffung von Innovationen. Somit richtet sich diese Broschüre primär an öffentliche Beschaffer. In diesem Leitfaden werden erfolgreiche Beschaffungen von Innovationen thematisiert und zahlreiche Praxisbeispiele aus dem Bereich der innovationsorientierten öffentli­ chen Beschaffung beschrieben. Zudem wird dem öffentlichen Beschaffer ein konkreter Ablaufplan zur Beschaffung von Innovationen vorgelegt.

Erfahrungen aus der Politik in den Niederlanden In den Niederlanden wurde im Jahr 2004 vom Wirtschaftsministerium ein Programm zur öffentlichen Beschaffung von Innovationen in die Wege geleitet. Das niederlän­ dische Programm orientiert sich an der amerikanischen Small Business Innovation Research (SBIR) Initiative. Ein Ziel dieses Programmes ist es, durch eine innovations­ orientierte Beschaffung innovative Lösungen für gesellschaftlich drängende Themen zu finden. Des Weiteren sollen die Innovationskapazitäten von kleinen und mittleren Unternehmen gesteigert werden. Im Rahmen des niederländischen SBIR-Programms werden nur Projekte im Bereich Forschung und Entwicklung gefördert. Somit handelt es sich beim niederländischen SBIR-Programm um eine Form der vorkommerziellen Beschaffung, weil die vorkommerzielle Beschaffung ebenfalls nur auf die Beschaf­ fung von FuE-Dienstleistungen abzielt. Somit gelten im Rahmen des niederländischen SBIR-Programms die europäischen Vergaberichtlinien nicht (ob dies ggf. zu Konflik­ ten etwa im Rahmen eines künftigen transatlantischen Freihandelsabkommens füh­ ren wird, sei hier dahin gestellt – im Rahmen einer De-Minimis-Klausel könnte man in der Tat kleinere Ausschreibungen besonderen Regularien unterwerfen, wobei im In­ teresse von Markt- und Politiktransparenz eine Begleitforschung oder zumindest eine Begleitberichterstattung erfolgen sollte). Dennoch richtet sich das SBIR-Programm an den grundlegenden Prinzipien, wie z. B. Transparenz, der europäischen Vergaberichtlinie aus. Das niederländische SBIRProgramm wendet sich hauptsächlich an kleine und mittlere Unternehmen, große Un­

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ternehmen werden aber nicht ausgeschlossen. Das SBIR-Budget wurde in den letzten Jahren sukzessive von 1,1 Mio. Euro im Jahr 2005 auf 32 Mio. Euro im Jahr 2010 erhöht. Das niederländische SBIR-Programm besteht wie die vorkommerzielle Auftrags­ vergabe aus drei Phasen. Zunächst identifiziert ein Ministerium oder eine andere öf­ fentliche Institution ein gesellschaftliches Thema bzw. Problem, für dessen Lösung ein innovatives Produkt bzw. Dienstleistung nötig ist, welches noch nicht auf dem Markt verfügbar ist. Danach initiiert das Ministerium eine SBIR-Beschaffung. Hierbei wird ein offener Wettbewerb zwischen mehreren bietenden Unternehmen gestartet. Die bietenden Unternehmen reichen innerhalb der Angebotsfrist Vorschläge ein. Die­ se Vorschläge werden in einem nächsten Schritt von unabhängigen Experten nach bestimmten Kriterien, wie z. B. der Innovationsgrad des vorgeschlagenen Produkts, bewertet. Anschließend wählt die Expertengruppe die besten Vorschläge aus und an die ausgewählten Unternehmen werden Machbarkeitsstudien (Phase 1) vergeben. Die Unternehmen sollen hierbei die Machbarkeit ihrer vorgeschlagenen Innovation testen und überprüfen ob ein potenzieller Markt für ihre Innovation existiert. Diese Phase er­ streckt sich über maximal sechs Monate. Zudem können kleine und mittlere Unterneh­ men in dieser Phase einen staatlichen Zuschuss von maximal 50000 Euro erhalten. Nach Phase 1 folgt die FuE-Phase. Alle Unternehmen, welche die erste Phase überstanden haben, konkurrieren in der Phase 2 erneut gegeneinander. In dieser Phase starten die bietenden Unternehmen den eigentlichen Forschungs- und Ent­ wicklungsprozess. Diese Phase kann sich über maximal zwei Jahre erstrecken. Die teilnehmenden Unternehmen können einen staatlichen Zuschuss in Höhe von maxi­ mal 450000 Euro pro Projekt erhalten. In Phase 2 sollen die Ideen bis zur Erstellung von Prototypen und Testserien weiterentwickelt werden. In Phase 3 bereiten die teil­ nehmenden Unternehmen die Markteinführung des neuen Produkts vor. Diese Phase wird im Rahmen des SBIR nicht gefördert. Allerdings kann der niederländische Staat als Lead User auftreten und das neue innovative Produkt beschaffen.

Innovationsstrategie des Landes NRW Das Europäischen Fonds für Regionale Entwicklung (EFRE-) Programm fördert Inves­ titionen in Wachstum und Beschäftigung aus dem Europäischen Fonds für regiona­ le Entwicklung und wird u. a. von dem Land NRW finanziert (NRW 2015). Das Ge­ samtvolumen des Programms umfasst 2,4 Mrd. Euro, davon stammen 1,2 Mrd. Euro aus dem EU-Programm „Wachstum und Beschäftigung“. Die Förderperiode startete im Jahr 2014 und endet im Jahr 2020. Das Programm soll dazu beitragen, dass in NRW in wichtigen Feldern Defizite beseitigt bzw. vermindert werden. So weisen Unternehmen in NRW im bundesweiten Vergleich einen deutlichen Rückstand bezüglich FuI-Aktivi­ täten aus. Die Landesregierung bemängelt, dass die Forschungsaktivitäten der Unter­ nehmen zu wenig auf die neuen gesellschaftlichen Herausforderungen ausgerichtet sind. Zudem entwickeln sich in NRW Gründungen mit hohem Wachstumspotenzial

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im Vergleich zu anderen Bundesländern relativ schwach. Des Weiteren zeichnet sich NRW immer noch durch besonders hohe Treibhausgas-Emissionen aus. Ferner hat das Land NRW in Folge des Strukturwandels mit Disparitäten zu kämpfen. Daher konzen­ triert sich das Programm auf vier thematische Schwerpunkte: – In der Prioritätsachse 1 soll die Forschung, technologische Entwicklung und In­ novation der in NRW tätigen Unternehmen gestärkt werden. Das Ziel ist es, das FuE-Potenzial merklich zu erhöhen. Des Weiteren soll die Innovationsfähigkeit von Unternehmen verbessert werden. – Die zweite Prioritätsachse konzentriert sich auf die Steigerung der Wettbewerbs­ fähigkeit von KMU. Hier gilt es v. a. die Anzahl der Gründungen von innovativen und wachstumsstarken Unternehmen zu steigern. Zudem soll die Wertschöpfung von KMU gesteigert werden, in dem diese gezieltere Finanzierungshilfen erhalten. Die Wettbewerbsfähigkeit soll durch den Anschluss von KMUs in Gewerbegebie­ ten an hochleistungsfähige Breitbandnetze und den Ausbau innovativer touristi­ scher Infrastrukturen und Dienstleistungen gesteigert werden. – Des Weiteren werden Bestrebungen zur Verringerung von CO2-Emissionen geför­ dert. Die Treibhausgasemissionen sollen durch die verstärkte Nutzung von erneu­ erbaren Energien reduziert werden. Zudem sollen die Treibhausgas-Ausstöße von Unternehmen, Städten und Regionen gesenkt werden. – Überdies bildet die nachhaltige Stadt- und Quartiersentwicklung/Prävention einen weiteren Schwerpunkt im EFRE-Programm. Hierbei soll die Integration benachteiligter gesellschaftlicher Gruppen in Arbeit, Bildung und in die Gemein­ schaft verbessert werden. Zudem sollen Städte und Stadt-Umlandgebiete ökolo­ gisch revitalisiert werden. Außerdem sollen Brach- und Konversionsflächen zu stadtentwicklungspolitischen bzw. ökologischen Zwecken aufbereitet werden. Die Innovationsstrategie NRW enthält, neben einer Forschungs- und Transferstra­ tegie, eine Leitmarktstrategie. Die Landesregierung Nordrhein-Westfalens sieht in folgenden acht Leitmärkten „besondere Chancen zur Steigerung der Innovations­ fähigkeit der Unternehmen in NRW und insbesondere der KMU“: Maschinen- und Anlagenbau/Produktionstechnik, Neue Werkstoffe, Mobilität und Logistik, Informa­ tions- und Kommunikationswirtschaft, Energie- und Umweltwirtschaft, Medien und Kreativwirtschaft, Gesundheit und Life Sciences. Die Landesregierung sieht in diesen Märkten besondere „Wachstums- und Beschäftigungspotenziale“. Zum einen adres­ sieren diese Leitmärkte die großen gesellschaftlichen Herausforderungen. Zum ande­ ren handelt sich um Märkte die auf den Spezialisierungsvorteilen der Unternehmen in Nordrhein-Westfalen aufsetzen. Die genannten Leitmärkte sollen u. a. durch eine in­ novationsorientierte öffentliche Beschaffung und vorkommerziellen Auftragsvergabe gefördert werden.

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7 Innovationsorientierte öffentliche Beschaffung und Beschäftigungseffekte Zunächst kann eine innovationsorientierte öffentliche Beschaffung positiv zum Inno­ vationserfolg eines Landes bzw. einer Region beitragen (Aschoff und Sidka, 2008). Wenn sich die öffentliche Beschaffung positiv auf die Innovationsaktivitäten des pri­ vaten Sektors auswirkt, hat dies positive Wirkungen auf das wirtschaftliche Wachstum eines Landes. Es ist unbestritten, dass innovative Produkte und Dienstleistungen als Grundlage des wirtschaftlichen Wachstums gelten. Wirtschaftswachstum führt in al­ ler Regel zur Entstehung von neuen Arbeitsplätzen und somit zu mehr Beschäftigung in einem Land. Bisher beschränkte sich die öffentliche Beschaffung größtenteils auf die An­ schaffung des kostengünstigsten, aber nicht des wirtschaftlichsten Produktes. Mit dem Fokus auf die Beschaffung von innovativen Leistungen bzw. Produkten rückt das Wirtschaftlichkeitsprinzip in den Vordergrund, d. h. es werden in Zukunft mehr Produkte beschafft, die wirtschaftlich am günstigsten und nicht im Moment der Be­ schaffung am kostengünstigsten sind. Die wirtschaftlich günstigsten Leistungen und Produkte können geringere Lebenszykluskosten als die vermeintlich kostengünstigs­ ten Leistungen bzw. Produkte aufweisen. Dadurch können langfristig Kosteneinspa­ rungen im Bereich der öffentlichen Beschaffung erzielt werden. Im Prinzip ist mit der Beschaffung von innovativen Produkten die Hoffnung verbunden, dass eine höhe­ re Wirtschaftlichkeit realisiert wird als bisher. Zudem können Kosteneinsparungen realisiert werden, in dem im Rahmen einer innovationsorientierten öffentlichen Be­ schaffung die Wahl auf ein Vergabeverfahren (wettbewerblicher Dialog) fällt, welches ein wettbewerbsintensives Umfeld fördert. Durch die Wahl auf Vergabeverfahren, die ein wettbewerbsintensives Umfeld fördern, können die Beschaffungspreise z. T. deutlich reduziert werden (Coppens, 2009). Die so erzielten Kosteneinsparungen im Bereich der öffentlichen Beschaffung können zu einem Anstieg des Bruttoinlandprodukts, des Konsums und der Beschäf­ tigung führen. Vogel (2009) hat in einer Studie gezeigt, dass mittelfristig durch Kos­ teneinsparungen der öffentlichen Beschaffung in der EU ein Beschäftigungsanstieg innerhalb der EU von 0,1 Prozent erwartet werden kann. Zudem können durch die Beschaffung von innovativen Leistungen bzw. Produkten Effizienzsteigerungen und eine höhere Produktivität in der öffentlichen Verwaltung realisiert werden. Diese Ef­ fekte können sich ebenfalls positiv auf das Wirtschaftswachstum und damit auf die Beschäftigung eines Landes auswirken. Eine innovationsorientierte öffentliche Beschaffung kann zur Ausweitung der FuE-Aktivitäten und FuE-Intensitäten von Unternehmen führen. Bei einer Auswei­ tung der FuE-Aktivitäten von Unternehmen dürften sich bei einem hinreichend elas­ tischen Angebot positive Effekte auf den wissenschaftlichen Arbeitsmarkt ergeben. Es kann damit erwartet werden, dass sich die Arbeitsnachfrage nach Forschungsper­

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sonal und damit nach hochqualifizierten Arbeitskräften durch den Fokus auf eine innovationsorientierte öffentliche Beschaffung erhöhen wird. Dies dürfte die realen Löhne von qualifiziertem Personal tendenziell ansteigen lassen. Somit dürfte sich das Auseinanderdriften der Lohnstrukturen durch eine innovationsorientierte Be­ schaffung nochmals verstärken. Dieser Prozess dürfte in Deutschland vor allem in kleinen Unternehmen aus dem distributiven und technologischen Dienstleistungsbe­ reich beobachtet werden, weil diese Unternehmen von den Innovationseffekten von öffentlichen Beschaffungsmaßnahmen besonders betroffen sind.

8 Schlussfolgerung Innerhalb vieler EU-Mitgliedstaaten ist der jeweilige Anteil des Beschaffungsvo­ lumens im Bereich der öffentlichen Beschaffung am Bruttoinlandsprodukt als be­ deutend einzustufen. Aus dem beträchtlichen Umfang der öffentlichen Beschaffung resultierte von Seiten der Europäischen Kommission ein gestiegenes Interesse an ei­ ner innovationsorientierten öffentlichen Beschaffung. Die Europäische Kommission erhofft sich, dass sich durch die Umlenkung des Beschaffungsvolumens auf die Be­ schaffung von innovativen Produkten bzw. Dienstleistungen ein zusätzlicher Anreiz für unternehmerische Innovationsaktivitäten ergibt. Die Beschaffung von am Markt innovativen Produkten bzw. Dienstleistungen sowie von innovativen Produkten, die noch nicht auf dem Markt sind, soll sich auf die FuE-Ausgaben von Unternehmen positiv auswirken. Eine innovationsorientiere öffentliche Beschaffung kann unter bestimmten Be­ dingungen zur Ausweitung der FuE-Aktivitäten von privaten Unternehmen führen. Hierbei kann der Staat, wie die Literatur anzeigt, mithilfe einer innovationsorientier­ ten öffentlichen Beschaffung wohlfahrtsmaximierend wirken. So kann mit der zusätz­ lichen Nachfrage des Staates die Diffusion von innovativen Gütern aufgrund von Lern­ effekten beschleunigt werden. Außerdem können durch eine innovationsorientierten Beschaffung Lock-ins und unerwünschte Pfadabhängigkeiten beseitigt bzw. vermie­ den werden. Des Weiteren kann es dem Staat gelingen, Koordinationsmängel zwi­ schen dem Angebot von innovativen Gütern und der Nachfrage nach neuartigen Gü­ tern zu beseitigen. Zudem kann der Fokus auf eine innovationsorientierte öffentliche Beschaffung die Entstehung von Leitmärkten fördern. Es wurde aufgezeigt, dass der Staat als Be­ schaffer von innovativen Produkten bzw. Dienstleistungen einige Leitmarktfaktoren beeinflussen kann. Hierbei kann der Staat mit der Beschaffung eines bestimmten In­ novationsdesigns einen Preisvorteil erzeugen, in dem er dieses Design in großen Men­ gen und über einen längeren Zeitraum anschafft. Dadurch können in bestimmten In­ dustrien bzw. Sektoren statische sowie dynamische Skaleneffekte induziert werden. Des Weiteren kann der Staat als Erstanwender eines innovativen Produktes Signal­

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charakter für potenzielle Kunden haben und dadurch einen Transfervorteil erzeugen. Darüber hinaus kann der Staat durch die Wahl eines geeigneten Vergabeverfahrens ein wettbewerbsintensives Umfeld fördern und somit einen Marktstrukturvorteil ge­ nerieren. Damit eine innovationsorientierte öffentliche Beschaffung zur Entstehung von Leitmärkten beitragen kann, wurde in den vergangenen Jahren das EU-Vergaberecht mehrmals reformiert. Zudem wurden von Seiten der Europäischen Kommission sowie der deutschen Bundesregierung mehrere Initiativen im Rahmen der innovationsorien­ tierten öffentlichen Beschaffung verabschiedet. Im Prinzip fördern die Reformen des EU-Vergaberechts eine innovationsorientierte öffentliche Beschaffung und somit die Entstehung von Leitmärkten weil, neben dem offenen Verfahren, das Verhandlungs­ verfahren mit vorgelagertem Teilnahmewettbewerb zum Standardverfahren wird und mit der Innovationspartnerschaft eine neue Art der Vergabe geschaffen wurde, bei der nur innovative Produkte beschafft werden sollen, die nicht auf dem Markt verfügbar sind. Trotz aller politischen Bemühungen und den Reformen des EU-Vergaberechts, scheint das Ausmaß der öffentlichen Beschaffung von innovativen Produkten in der EU sowie in Deutschland gering zu sein. Daher dürfte der Einfluss der innova­ tionsorientierten öffentlichen Beschaffung auf die Innovationsaktivitäten in der EU bzw. Deutschland relativ begrenzt sein. Zudem dürfte die innovationsorientierte Be­ schaffung momentan nur sehr geringe makroökonomische Effekte und somit geringe Beschäftigungseffekte in der EU bzw. Deutschland entfalten. Ein positiver Aspekt könnte allerdings auch darin liegen, dass der Staat sich auf der Beschaffungsseite verstärkt auf die Frage nach dem Innovationsgrad von be­ schafften Produkten und Dienstleistungen ausrichtet. Beim Staat wären dann positive und negative Erfahrungen auf Basis standardisierter Auswertungen bei Beschaffungs­ programmen des Staates zu ermitteln, was im föderalen System Deutschlands (oder auch in Österreich und anderen föderalen Ländern) mittelfristig eine qualitätsmäßig optimierte Beschaffung von Bund und Ländern zu entwickeln erlauben dürfte. In­ nerhalb der EU könnten auch grenzübergreifend durch standardisierte Benchmarks bei öffentlichen Beschaffungsprogrammen Impulse für Best Practice gegeben wer­ den. Insgesamt ist in einer längerfristigen Perspektive offensichtlich, dass staatliche Beschaffungsprogramme nicht ohne weiteres Substitute für anspruchsvolle private Nachfrager sind – Innovations- und Wettbewerbsstärkung sollte von daher gleicher­ maßen ein Anliegen innovationsorientierter öffentlicher Beschaffungsprogramme sein. Im Übrigen kann für Deutschland empfohlen werden, eine bessere Datenbasis über die Häufigkeit von innovationsorientierten Ausschreibungen bereit zu stellen, die dann auch für die Forschung zur volkswirtschaftlichen Nützlichkeit verschiedener Ausschreibungsverfahren genutzt werden könnten.

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