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German Pages [179] Year 2015
Dominic Roser/Christian Seidel
Ethik des Klimawandels 2. Auflage Eine Einführung
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme. 2., erweiterte Auflage 2015 © 2015 by WBG (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt Die Herausgabe des Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der WBG ermöglicht. Umschlaggestaltung: Finken & Bumiller, Stuttgart Umschlagabbildung: earth globe puzzles © omergenc/istockphoto Satz: Jung Crossmedia Publishing GmbH, Lahnau Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier Printed in Germany Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de
ISBN 978-3-534-26638-8 Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich: eBook (PDF): 978-3-534-74004-8 eBook (epub): 978-3-534-74005-5
Inhaltsverzeichnis Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1
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Der Klimawandel als ethische Herausforderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Teil I Müssen wir überhaupt etwas tun? Handlungsbedarf moralisch begründen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Dreifache Skepsis gegenüber der Pflicht zum Klimaschutz . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Grundsätzliche Zweifel an unserer Zukunftsverantwortung . . . . . . . . . . . . . . . .
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Klimaschutz, Anpassung oder Climate Engineering – führen viele Wege ans Ziel? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Teil II Wie viel müssen wir tun? Intergenerationelle Gerechtigkeit . . . . . . . . . . .
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Gleich viel für unsere Nachfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Mehr für unsere Nachfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Ausreichend viel für unsere Nachfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Unsicherheit und das Vorsorgeprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Ungleichheit und ein Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Teil III Wie sollen wir die Pflichten verteilen? Globale Gerechtigkeit . . . . . . . . .
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Die größte Umverteilung der Menschheitsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Grandfathering: wer hat, dem wird gegeben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Das Verursacherprinzip: für die eigenen Taten geradestehen . . . . . . . . . . . . . . .
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Das Nutznießerprinzip: wer profitiert, muss zahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102
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Das Prinzip der Zahlungsfähigkeit: jeder nach seinen Möglichkeiten . . . . . . . . . 110
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Emissionsegalitarismus: den Kuchen gleich aufteilen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118
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Ein weitreichender Vorschlag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124
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Inhaltsverzeichnis
Teil IV Von der ethischen Theorie zur politischen Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 17
Nicht-ideale Theorie: Was tun, wenn andere ihren Beitrag nicht leisten? . . . . . . 133
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Bevölkerung, Technologie, Wohlstand: drei Strategien zur Emissionsreduktion
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Der Markt für Emissionen: ein moderner Ablasshandel? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152
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Faire Spielregeln: Demokratie in Zeiten des Klimawandels . . . . . . . . . . . . . . . . . 161
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Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176
Vorwort Die Klimapolitik ist eine komplexe ethische Herausforderung, die die Zusammenarbeit unzähliger Akteure verlangt. In etwas geringerem Maß ist auch dieses Buch über die ethische Herausforderung des Klimawandels ein Gemeinschaftswerk. Den Argumentationsstrang haben wir als Ganzes gemeinsam erarbeitet; Christian Seidel trägt die Hauptverantwortung für die Kapitel 1–4 und 10–16, Dominic Roser für die Kapitel 5–9 und 17–20. Das Buch ist auch deshalb ein Gemeinschaftswerk, weil wir von verschiedener Seite wertvolle Rückmeldungen erhalten haben. Besonders danken möchten wir: Andreas Allemann, Christian Baatz, Gregor Betz, Barbara Bleisch, Michael Bock, Sabine Burkhardt, Nils Carqueville, Ruth Denkhaus, Jonathan Erhardt, Alexander Hauri, Clare Heyward, Markus Huppenbauer, Ulrike Kaps, Roger Koch, Ariane Lissel, Axel Michaelowa, Benito Müller, Doreen Müller, Chukwumerije Okereke, Veronika Philipps, Eugen Pissarskoi, Dominique Reber, Matthew Rendall, Daniel Roser, Elisabeth Roser, Lienhard Roser, Miriam Roser, Ulrike Saul, Thomas Schinko, Hubert Schnüriger, Fabian Schuppert, Ivo Wallimann und Joshua Wells. Ein spezieller Dank gebührt Cana Nurtsch von der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft und Andreas Kugler, die den Text professionell in ein Buch verwandelt haben. Das ganze Projekt kam schließlich nur dank der großzügigen Unterstützung durch die Stiftung Mercator Schweiz, den Universitären Forschungsschwerpunkt Ethik der Universität Zürich sowie die Oxford Martin School der Universität Oxford zustande. Ein Gemeinschaftswerk ist das Buch zudem, weil es auf den Ideen und Argumenten basiert, welche die wissenschaftliche Gemeinschaft in den letzten Jahren entwickelt hat. Im Text selbst geben wir nur die wichtigsten Bezüge auf die Literatur an. Wer die einzelnen Fragen und Themen weiter vertiefen möchte, findet die wichtigsten Beiträge in dem nach Buchteilen sortierten Verzeichnis weiterführender Literatur unter http://klimaethik-literatur.christianseidel.eu. Wir wurden gebeten, ausschließlich die männliche Form zu verwenden, beziehen uns damit aber auf beide Geschlechter. Für die Unvollkommenheit dieser Lösung möchten wir uns entschuldigen. Das Hauptziel dieses Buches ist eine faire Darstellung des Pro und Contra verschiedener Positionen. Wir versuchen darüber hinaus aber auch, die Überzeugungskraft der Argumente zusammenfassend zu evaluieren und somit selbst Stellung zu beziehen. Wir hoffen, dass hinreichend klar geworden ist, wo die Darstellung aufhört und unsere eigene Position beginnt. Natürlich freuen wir uns, wenn wir die Leserschaft damit überzeugen können. In erster Linie aber hoffen wir, dass sie auf der Basis der präsentierten Argumente die eigene Meinung hinterfragen und fundieren kann. Die größte Hoffnung ist allerdings, dass wir beide als Autoren, die Leserschaft und die Menschheit es nicht beim Argumentieren belassen, sondern den Klimaschutz aktiv und gerecht vorantreiben. In diesem Sinne widmen wir das Buch stellvertretend für alle zukünftigen Generationen zwei jungen Menschen, denen diese Bemühungen zugutekommen werden: Russell Fronda und Maximilian Saul.
1 Der Klimawandel als ethische Herausforderung Es ist schwierig, dem Thema Klimawandel auszuweichen: Wenn der Sommer sehr heiß ist, Wirbelstürme Kurs auf die USA nehmen, Europas Flüsse über die Ufer treten oder das geschmolzene Eis an den Polkappen neue Schifffahrtswege freilegt, wird regelmäßig die Frage laut, ob das bereits Anzeichen des Klimawandels seien. Die Energiewende – der Umbau der Energieversorgung hin zu mehr erneuerbaren Energien, die den Klimawandel aufhalten sollen – steht permanent auf der politischen Tagesordnung, und einmal im Jahr liest man von großen internationalen Klimaverhandlungen. Im Alltag begegnet uns das Thema Klimawandel an der Tankstelle in Form von Biosprit, im Supermarkt auf den Hinweisen zur Klimaverträglichkeit mancher Produkte und bei der Buchung eines Flugtickets, wenn Sie gefragt werden, ob Sie klimaneutral fliegen möchten. Und vielleicht haben Sie sich beim Wandern in den Alpen auch schon gefragt, wo eigentlich die Gletscher geblieben sind. Der Klimawandel stellt uns aber auch vor eine ganze Reihe offener Fragen. Viele davon sind naturwissenschaftlicher Art: Findet der Klimawandel bereits statt? Wie stark wird er ausfallen? In welchem Maße ist er vom Menschen verursacht? Das sind empirische Fragen und sie können von der Naturwissenschaft beantwortet werden. Es gibt aber noch einen anderen Bereich von Fragen, der eher mit der Politik und unseren alltäglichen Handlungen zu tun hat: Was muss die Regierung gegen den Klimawandel tun? Wie sieht ein gerechtes internationales Klimaschutzabkommen aus? Sind wir verpflichtet, unseren Wohlstand einzuschränken, um die Nachwelt vor Klimaschäden zu bewahren? Darf ich noch mit dem Auto zum Supermarkt fahren oder für den Kurzurlaub nach Spanien fliegen? Bei diesen Fragen geht es nicht darum, was tatsächlich geschieht und was die Politik und jeder Einzelne von uns in Bezug auf den Klimawandel tatsächlich tut, sondern darum, was geschehen soll und was wir angesichts des Klimawandels tun sollen. Fragen darüber, was man tun soll, sind keine empirischen, sondern normative Fragen; wenn es (wie hier) darum geht zu klären, was gerecht ist, wozu wir verpflichtet sind, was erlaubt und was verboten ist, dann handelt es sich genauer gesagt um moralische Fragen. In diesem zweiten Bereich von Fragen geht es also um die moralisch richtige Reaktion auf die Klimaproblematik – darum, wie man die politischen Institutionen und seinen individuellen Lebensstil anpassen sollte. Das ist das Thema dieses Buches.
Drei klimaethische Leitfragen Warum stellen sich in Bezug auf den Klimawandel überhaupt moralische Fragen? Ist er nicht einfach ein natürliches Phänomen wie das Kreisen des Mondes um die Erde? In Bezug auf andere natürliche Phänomene stellen wir uns schließlich auch keine moralischen Fragen – warum also sollte man das in Bezug auf den Klimawandel tun? Es ist zwar richtig, dass sich die wenigsten Menschen jemals gefragt haben, was sie oder die Politik in Bezug auf das Krei-
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1 Der Klimawandel als ethische Herausforderung
sen des Mondes um die Erde tun sollen. Das liegt daran, dass Menschen dabei ihre Finger nicht im Spiel haben: Weder haben Menschen die Bewegung des Mondes verursacht, noch können Menschen sie beeinflussen. Darum stellen sich beim Mond auch keine moralischen Fragen. Beim Klimawandel liegt der Fall jedoch anders: Ein „natürliches“ Phänomen ist der Klimawandel nur insofern, als er „in der Natur“ stattfindet; anders als die Mondbewegung ist der Klimawandel zu einem substanziellen Teil menschengemacht und kann dementsprechend durch menschliches Handeln gestoppt, verlangsamt oder beschleunigt werden. Wie genau nimmt der Mensch Einfluss auf das Klima? Ganz knapp kann man das so erklären (für ausführlichere Einführungen vgl. Maslin 2004; Rahmstorf und Schellnhuber 2006): Unser Planet ist von der Atmosphäre umgeben, die wie eine Isolationsschicht wirkt; sie lässt die Strahlung der Sonne hinein, aber nicht in gleicher Weise wieder hinaus. Das ist der sogenannte „Treibhauseffekt“, der in natürlichem Maß das uns bisher bekannte Klima und Temperaturniveau auf der Erde ermöglicht. Allerdings hängt der Treibhauseffekt von der Konzentration der Treibhausgase in der Atmosphäre ab. Steigt die Konzentration wird weniger Strahlung in den Weltraum zurückgegeben und folglich wird es im Treibhaus Erde wärmer. Die wichtigsten Treibhausgase sind Wasserdampf, Kohlendioxid (CO2) und Methan (CH4). Die Konzentration von Treibhausgasen in der Atmosphäre hat im Laufe der Erdgeschichte schon immer geschwankt; aber mit der Industrialisierung haben die Menschen begonnen, in enormem Ausmaß fossile Energieträger (Kohle, Erdöl und Erdgas) zu verbrennen und Wälder zum Zweck der Besiedlung oder der landwirtschaftlichen Nutzung abzuholzen. Reisanbau, Autos, Flugzeuge, mit Öl oder Gas betriebene Heizungen, Zement- und Stahlherstellung und Kohlekraftwerke für die industrielle Produktion haben zwar zu großem Wohlstand beigetragen; damit hat die Menschheit aber auch die atmosphärische Konzentration von Treibhausgasen gleich auf zwei Weisen erhöht: Zum einen werden beim Verbrennen fossiler Energieträger viele Treibhausgase frei, zum anderen dienen Wälder als natürliche CO2-Speicher – weniger Wälder bedeuten also mehr frei in der Atmosphäre verbleibendes CO2. Infolgedessen ist die Konzentration von CO2 seit Beginn der Industrialisierung von 280 ppm (parts per million) um über 35% gestiegen. Das liegt weit außerhalb der natürlichen Bandbreite in den letzten 650 000 Jahren. Die Emissionen sind in den letzten Jahrzehnten fortwährend angestiegen, weil es immer mehr Menschen gibt, die zudem immer wohlhabender werden und somit zusammen immer mehr emittieren. Die bekannteste Folge davon ist ein Temperaturanstieg. Und der Trend geht weiter: Wenn keine zusätzlichen Anstrengungen zur Emissionsreduktion unternommen werden, dann wird für das Jahr 2100 eine Erwärmung zwischen 2,5 und 7,8 Grad gegenüber der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erwartet (IPCC 2014). Der Klimawandel und das Kreisen des Mondes um die Erde unterscheiden sich jedoch nicht nur in der Rolle des Menschen auf der Ursachenseite, sondern auch in ihren Wirkungen auf den Menschen. Der Mond beeinflusst vielleicht Schlafwandler und – über die Gezeiten – auch Fischer. Der Klimawandel hingegen hat viel weiter reichende Auswirkungen auf unser Leben. Wenn es wärmer wird, schmelzen die Gletscher, die wie Wasserspeicher für den Sommer funktionieren; ihr Schmelzwasser landet in Flüssen, die die Menschen mit Wasser versorgen. Ohne Gletscher gibt es im Sommer weniger Wasser für die Landwirtschaft, die Energieproduktion und den täglichen Gebrauch. Bei höheren Temperaturen schmilzt das Eis an den
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Polkappen und das Wasser in den Weltmeeren dehnt sich aus; aufgrund des folgenden Meeresspiegelanstiegs schwinden die Landmassen und versalzt das Grundwasser in Küstennähe, wo ein beträchtlicher Teil der Menschheit lebt. Meeresströmungen und Niederschlagsmuster verändern sich; die in der Folge verstärkt auftretenden Extremwetterereignisse wie Wirbelstürme, Überschwemmungen und Dürren werden Menschen obdach- und besitzlos machen und Hungersnöte vergrößern, weil die Ernteerträge sinken. Geringere Ernteerträge sind gleichbedeutend mit Migration, weniger (und weniger gutes) Wasser ist gleichbedeutend mit mehr Konflikten. Alte und schwache Menschen werden unter häufigeren Hitzewellen leiden und daran sterben. Mehr Menschen werden von tropischen Krankheiten betroffen sein, weil die übertragenden Insekten bei einem wärmeren Klima in neuen Regionen ansässig werden können. Wenn man die Lage so betrachtet, ist es eigentlich offenkundig, dass der Klimawandel moralische Fragen aufwirft. Denn einige der zu erwartenden Auswirkungen wie Not, Hunger, Tod und Leid erzeugen offensichtlich einen Handlungsbedarf, und der scheint darin zu bestehen, sein Möglichstes zu tun, um den Klimawandel zu vermeiden: Wir sollten, so scheint es, die Treibhausgasemissionen reduzieren und die natürlichen Senken für Treibhausgase (wie Wälder) erhalten und ausbauen. Anders gesagt: Wir haben eine moralische Pflicht zum Klimaschutz. Manchen geht diese Schlussfolgerung allerdings zu schnell. Man könnte zu bedenken geben, dass die Wissenschaft vielleicht falsch liegt und es gar keinen Klimawandel geben wird oder dass er auch positive Seiten haben wird, die die negativen überwiegen. Man könnte auch der Auffassung sein, dass der Klimawandel ferne Zukunftsmusik ist und keinen gegenwärtig lebenden Menschen betrifft und dass man gegenüber Menschen, die nicht existieren, auch zu nichts verpflichtet sein kann. Es ist also genauer zu prüfen, ob wir angesichts des Klimawandels überhaupt zu etwas verpflichtet sind. Das ist die erste grundlegende moralische Frage zum Klimawandel. Wir werden sie in Teil I diskutieren. Einmal angenommen, die Antwort auf diese erste Frage fiele positiv aus: Wir müssen Klimaschutz leisten. Nun ist Klimaschutz nicht ein Entweder-Oder, sondern eine graduelle Angelegenheit: Man kann das Klima mehr oder weniger schützen. Selbst wenn also feststeht, dass man angesichts des Klimawandels etwas tun muss, so wäre es immer noch eine offene Frage, wie viel man tun muss: In welchem Ausmaß müssen wir das Klima schützen? Wie umfangreich müssen unsere Bemühungen sein? Diese zweite grundlegende moralische Frage zum Klimawandel diskutieren wir in Teil II. Sie führt zu einer weiteren Frage: Denn selbst wenn wir wissen, wie viel Klimaschutz wir leisten müssen, so ist noch nichts darüber gesagt, wie man das zu erbringende Maß an Klimaschutz auf verschiedene Schultern verteilen muss. Wer muss im Einzelnen genau was tun? Welches Land muss welchen Beitrag leisten und welche Lasten tragen? Das ist die dritte grundlegende moralische Frage zum Klimawandel und sie ist Gegenstand von Teil III.
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1 Der Klimawandel als ethische Herausforderung
Die Rolle der Ethik zwischen Naturwissenschaft und Politik Im Zentrum der ethischen Auseinandersetzung mit dem Klimawandel – und im Zentrum dieses Buches – stehen also drei grundlegende Fragen: Die drei klimaethischen Leitfragen 1. Sind wir aufgrund des Klimawandels überhaupt zu etwas verpflichtet? 2. Falls wir zu etwas verpflichtet sind: Zu wie viel sind wir verpflichtet? 3. Wie sind diese Pflichten zu verteilen? Bei diesen Fragen handelt es sich, wie bereits gesagt, um moralische Fragen. Für ihre Beantwortung ist nicht die Naturwissenschaft zuständig. Denn die Naturwissenschaft kann uns nur darüber Auskunft geben, wie die Welt ist. Doch aus Aussagen darüber, wie die Welt ist, folgt niemals etwas darüber, wie die Welt sein soll. Die Naturwissenschaft kann folglich nur Aussagen wie beispielsweise die folgende treffen (vgl. IPCC 2014): „Wenn wir die atmosphärische Treibhausgaskonzentration bis 2100 unter 450 ppm CO2e halten, dann vermeiden wir wahrscheinlich im 21. Jahrhundert eine Erwärmung von mehr als 2 Grad gegenüber dem vorindustriellen Zeitalter.“ (Dabei steht „CO2e“ für „CO2 equivalent“; das ist eine Einheit, mit der die unterschiedlichen Klimawirkungen verschiedener Treibhausgase verglichen werden können). Aber die Frage, ob wir eine Erwärmung um mehr als 2 Grad vermeiden sollen, kann uns die Naturwissenschaft nicht beantworten. Solche Fragen – moralische Fragen – sind stattdessen Gegenstand der Ethik. Darum kann man die drei oben genannten grundsätzlichen moralischen Fragen zum Klimawandel auch als die drei klimaethischen Leitfragen bezeichnen. Dass die drei klimaethischen Leitfragen nicht von der Naturwissenschaft beantwortet werden, heißt natürlich nicht, dass naturwissenschaftliche Erkenntnisse für ihre Beantwortung irrelevant sind – im Gegenteil: In der Ethik geht es darum, individuelles Handeln und klimapolitische Maßnahmen unter moralischen Gesichtspunkten zu bewerten. Dazu muss man wissen, welche Eigenschaften und Folgen diese Handlungen und Maßnahmen eigentlich haben, denn davon hängt die moralische Bewertung ab. Und genau diese Eigenschaften und Folgen beschreiben uns die Naturwissenschaften. Ethische Bewertung setzt also naturwissenschaftliche Beschreibung voraus. Es gibt aber nicht nur eine enge Verbindung zwischen Naturwissenschaft und Ethik, sondern auch zwischen Ethik und Politik. Denn letztlich sollte das, was aus ethischer Sicht angesichts des Klimawandels richtig ist, ja auch in die Tat umgesetzt werden. Das geschieht einerseits durch individuelles Handeln, andererseits aber auch durch die politische Gestaltung von gesellschaftlichen, rechtlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für dieses individuelle Handeln – mit anderen Worten: durch Klimapolitik. Staaten richten beispielsweise ihre Energiepolitik im Hinblick auf den Klimawandel neu aus und schließen internationale Abkommen zum Klimaschutz wie die 1992 verabschiedete Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen (UNFCCC) oder das 1997 verabschiedete Kyoto-Protokoll. Politiker und Wähler fragen sich dabei, welche Klimapolitik alles in allem betrachtet richtig ist, welche Maßnahmen man angesichts des Klimawandels also ergreifen sollte. Neben ökonomischen Aspekten sind dabei klarerweise auch ethische Gesichtspunkte relevant, insbesondere der Gesichtspunkt der
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Gerechtigkeit. Vermutlich entscheiden sich Politiker und Wähler nicht ausschließlich aufgrund von Gerechtigkeitserwägungen für eine bestimme Klimapolitik, aber die wenigsten würden eine Klimapolitik befürworten, die sie für äußerst ungerecht halten. Die Ethik hilft also bei den Überlegungen von Politikern und Wählern, und insofern spielt sie durchaus eine praxisrelevante Rolle. Hinzu kommt, dass ein als ungerecht empfundener internationaler Klimavertragsentwurf (der z. B. den armen und kaum für den Klimawandel verantwortlichen Entwicklungsländern die Hauptlasten aufbürdet) gerade darum nicht akzeptiert und damit auch nicht umgesetzt würde. Die ethische Kategorie der Gerechtigkeit ist somit auch ein – wenngleich keineswegs das einzige – Kriterium für eine erfolgreiche Klimapolitik, und auch das macht die Ethik für die Politik relevant. Ethisches Nachdenken ist damit in gewisser Hinsicht die Brücke zwischen Naturwissenschaft und Politik: Aufbauend auf der naturwissenschaftlichen Beschreibung der Tatsachen bewertet die Ethik verschiedene Optionen aus moralischer Sicht und gibt damit Empfehlungen für die moralisch richtige Klimapolitik ab. Man sollte von der Ethik aber auch nicht zu viel erwarten: Ethisches Nachdenken allein verändert die Welt natürlich nicht. Die Welt wird nur besser, wenn das Richtige auch getan wird. Aber sorgfältiges ethisches Nachdenken ist der erste Schritt dahin. Denn um das Richtige zu tun, muss man zunächst wissen, was das Richtige überhaupt ist. Und genau darauf zielt das ethische Nachdenken ab. Es unterscheidet mit Hilfe von begrifflichen Klärungen und der kritischen Prüfung von Argumenten gute von schlechten Antworten auf die klimaethischen Leitfragen. Auf diese Weise liefert es jedem Einzelnen und insbesondere politischen Entscheidungsträgern einen moralischen Kompass, an dem sich die Klimapolitik (aber natürlich auch jeder einzelne in seinem individuellen Handeln) orientieren kann. Es ist allerdings alles andere als einfach, diesem Kompass in der politischen Praxis auch zu folgen; bei der konkreten Umsetzung der moralisch idealen Klimapolitik ergeben sich nämlich Komplikationen, die eine Reihe weiterer ethischer Fragen aufwerfen. Es ziehen z. B. nicht immer alle Länder an einem Strang; manche kommen ihren Klimaschutzpflichten überhaupt nicht nach. Was bedeutet es nun für ein „pflichtbewusstes“ Land, wenn andere beim Klimaschutz nicht mitmachen? Muss es seine eigenen Anstrengungen erhöhen oder darf es sie ebenfalls vermindern? Auf welche Strategie sollte man denn nun beim Klimaschutz setzen: weniger Emissionen durch weniger Bevölkerung, durch weniger Wirtschaftswachstum oder durch sauberere Technologien? Und wie stellt sich das viel gepriesene Politikinstrument des Emissionshandels aus ethischer Sicht dar: Kann es legitim sein, dass reiche Menschen getrost weiter emittieren, solange sie nur einen „Ablass“ bezahlen, oder sollte nicht jeder zuerst vor der eigenen Haustür kehren? Diese ethischen Komplikationen der politischen Praxis diskutieren wird in Teil IV, nachdem wir durch die Beantwortung der drei klimaethischen Leitfragen in den Teilen I bis III sozusagen einen „moralischen Kompass“ für die ideale Klimapolitik erstellt haben.
Die ethischen Besonderheiten der Klimaproblematik Den moralischen Kompass zu erstellen, ist allerdings ebenfalls alles andere als einfach. Denn der Klimawandel weist einige Eigenheiten auf, die die Beantwortung der klimaethischen Leitfragen erschweren. Das sieht man an folgendem Beispiel:
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1 Der Klimawandel als ethische Herausforderung Es ist Nacht. Sie sitzen auf Ihrem Fahrrad und um schneller nach Hause zu kommen, nehmen Sie eine Abkürzung, fahren querfeldein über den Acker eines benachbarten Bauern und schaden so seiner Ernte. War es falsch, die Abkürzung zu nehmen? Andere Situation: Es ist Nacht und um schneller nach Hause zu kommen, nehmen Sie anstelle des Fahrrads das Auto. Dabei stoßen Sie CO2 aus; zusammen mit den Emissionen vieler anderer Menschen verändert dies langsam das Klima. Diese Veränderung führt nach Jahrzehnten zu Ernteeinbußen bei Bauern in fernen Entwicklungsländern. War es falsch, das Auto zu nehmen?
Auf die erste Frage antworten viele spontan mit „Ja“, auf die zweite Frage hingegen auch nach längerem Nachdenken mit einem „Tja“. Obwohl sich die beiden Situationen auf den ersten Blick sehr ähneln, sind wir uns unserer moralischen Urteile beim Klimawandel weniger sicher als in alltäglichen Situationen. Der Klimawandel scheint unser Gespür für richtig und falsch auf den Kopf zu stellen. Was aber ist in moralischer Hinsicht so besonders und verwirrend am Klimawandel? Wenn man die beiden Situationen genauer vergleicht, kann man mehrere Unterschiede ausmachen. Der erste besteht darin, dass die Wirkung Ihrer Handlung beim Klimawandel sehr viel später eintritt als bei Ihrer Querfeldeinfahrt – möglicherweise leben Sie gar nicht mehr, wenn es zu den Ernteeinbußen für die Bauern in den Entwicklungsländern kommt. Das liegt daran, dass viele Treibhausgasemissionen zeitverzögert wirken: Der heute feststellbare Klimawandel geht zum großen Teil auf vergangene Emissionen zurück und die gegenwärtigen Emissionen entfalten ihre volle Wirkung erst in Jahrzehnten. Unsere heutigen Handlungen betreffen also nicht heute lebende, sondern vor allem zukünftige Menschen – unsere Kinder und Kindeskinder. Das macht den Klimawandel zu einem intergenerationellen Problem zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft (vgl. Abb. 1). Das bedeutet insbesondere, dass die Vor- und Nachteile von klimaschädlichen Handlungen nicht von derselben Person getragen werden: Heute in die Ferien zu fliegen nützt uns, schadet aber unseren Nach-
Abbildung 1: Klimawandel als intergenerationelles Problem
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kommen. Umgekehrt bedeutet Klimaschutz (in Form eines Flugverzichts) ein Opfer für uns, während er unseren Nachkommen (in Form ausbleibender Klimaschäden) nützt. Diese zeitliche Kluft zwischen Ursache und Wirkung macht den Klimawandel moralisch kompliziert, denn unsere Alltagsethik ist auf den zeitlichen Nahbereich ausgerichtet: Wenn wir Mord, Diebstahl oder eine Lüge moralisch bewerten, dann handelt es sich stets um Handlungen, bei denen die Wirkungen (eine Leiche, ein leeres Tresorfach, eine herbe Enttäuschung) mehr oder weniger direkt auf die Ursache folgen. Beim Klimawandel hingegen liegen Jahrzehnte und Jahrhunderte dazwischen. Zweitens klaffen Ursache und Wirkung des Klimawandels nicht nur zeitlich, sondern auch räumlich auseinander. Der Bauer im ersten Fall ist Ihr Nachbar. Die betroffenen Bauern im zweiten Fall hingegen sind Ihnen unbekannt und über den ganzen Globus verteilt. Der Klimawandel ist dabei in zwei Hinsichten ein globales Phänomen. Da sich Treibhausgase in der Atmosphäre verteilen, spielt es zum einen auf der Ursachenseite keine Rolle, wo auf der Welt die Emissionen anfallen. Ein Flug in Europa trägt genauso zum weltweiten Klimawandel bei wie der Fleischkonsum in Australien oder der Reisanbau in Indien. Zum anderen fallen auch die Wirkungen auf der ganzen Welt an, denn fast jede Region der Welt ist auf die eine oder andere Weise davon betroffen. Wie schon bei der zeitlichen Kluft, so bedeutet auch die räumliche Kluft zwischen Ursachen und Wirkungen, dass die Vor- und Nachteile klimaschädlicher Handlungen nicht denselben Personen zufallen: Wenn Sie ein Flugzeug nehmen, dann fallen Ihnen die Vorteile zu, während die damit verbundenen Nachteile von anderen getragen werden. Und wenn Sie umgekehrt auf die Flugreise verzichten, haben Sie einen Nachteil, während die Vorteile eines geschützten Klimas anderen zugutekommen. Diese räumliche Kluft macht den Klimawandel ebenfalls moralisch kompliziert, denn unsere Alltagsethik ist auf den räumlichen Nahbereich ausgerichtet. Das Wohlergehen von Menschen, die wir von Angesicht zu Angesicht kennen, berührt uns viel mehr als das Wohlergehen von Fremden, die in anderen Regionen der Welt leben; wir sprechen von „Nächstenliebe“, aber nicht von „Fernstenliebe“; sozialen Ausgleich gibt es vor allem innerhalb von Gemeinschaften statt zwischen Gemeinschaften. Querfeldeinfahrt und Klimawandel unterscheiden sich aber nicht nur darin, dass die Ursachen und Wirkungen einmal nah beieinander liegen und einmal global verteilt sind; der wichtigste Aspekt dabei ist, dass Ursachen und Auswirkungen des Klimawandels global ungleich verteilt sind. Wenn Sie mit dem Fahrrad über das Feld fahren, schadet die Handlung eines wohlhabenden Menschen einem anderen recht wohlhabenden Menschen. Die Bauern, deren Ernte durch die Emissionen Ihres Autos verringert wird, leben hingegen in den Entwicklungsländern und sind vergleichsweise arm. Von den Emissionen eines Bürgers aus einem reichen Industrieland sind also arme Bauern in den Entwicklungsländern betroffen. Das macht den Klimawandel zu einem Problem globaler Ungleichheiten. Zum einen haben die Menschen in den Industrieländern in der Vergangenheit pro Kopf mehr zum Klimawandel beigetragen als die Menschen in den Entwicklungsländern und sie tun dies auch heute noch. Im Jahr 2008 waren die Treibhausgasemissionen pro Kopf in reichen Länder rund viermal höher als im Rest der Welt (World Bank 2012b: 172). Zwar kann man nicht pauschal sagen, dass im Einzelfall jedes reiche Land höhere Pro-Kopf-Emissionen aufweist als jedes arme Land, weil einige Entwicklungs- und Schwel-
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lenländer (wie Malaysia, Indonesien oder Brasilien) durch Waldrodung auch stark zum Klimawandel beigetragen haben. Aber insgesamt liegen die Ursachen für den Klimawandel überproportional stark bei den Industrieländern mit ihren hohen Pro-Kopf-Emissionen. Zum anderen aber sind die Entwicklungsländer viel stärker von den gegenwärtigen und zukünftigen Klimaschäden betroffen: Sie sind stärker auf die Landwirtschaft angewiesen, die durch den Klimawandel empfindlich beeinträchtigt wird; viele Entwicklungsländer liegen zudem in klimatisch sensiblen Regionen wie dürre- oder überschwemmungsgefährdeten Gebieten, in denen der Klimawandel zusätzliche Probleme schafft; und schließlich sind die Entwicklungsländer ärmer und haben darum weniger Ressourcen, um sich erfolgreich an den Klimawandel anzupassen. Insgesamt entfallen die Klimaschäden also überproportional stark auf die Entwicklungsländer, während die verursachenden Emissionen überproportional stark bei den Industrieländern liegen. Es herrscht, mit anderen Worten, gleich eine doppelte globale Ungleichheit (vgl. Abb. 2). Ein dritter Unterschied zwischen der Fahrt über den Acker und dem Klimawandel hat mit der Fragmentierung der Ursachen zu tun. Der Klimawandel wird durch viele kleine Alltagshandlungen hervorgerufen: Wir duschen heiß, fahren mit dem Auto, fliegen, essen ein Steak oder lassen das Licht brennen. Für sich genommen erscheinen diese Handlungen harmlos, denn wir können den Schaden, den z. B. eine heiße Morgendusche anrichtet, nicht unmittelbar sehen. Erst in der Summe führen viele Handlungen zu wahrnehmbaren Klimaschäden, aber einen direkten, unmittelbaren Zusammenhang zwischen einer einzelnen Handlung und einem konkreten Schaden gibt es beim Klimawandel nicht. Unser moralisches Gespür ist aber für Fälle gemacht, in denen der Schaden klar wahrnehmbar ist, eine dafür verantwortliche Person leicht identifiziert und die verursachende Handlung eindeutig benannt werden kann: Wenn Sie – noch dazu mit Absicht – über den Acker des Bauern fahren, dann ist der Schaden klar wahrnehmbar, die dafür verantwortliche Person leicht identifiziert und die verursachende
Abbildung 2: Klimawandel als Problem doppelter globaler Ungleichheit
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Handlung ohne Problem zu nennen. Doch wie wäre es, wenn gleichzeitig mit Ihnen hunderttausend weitere Menschen über das Feld fahren? Soll man dann sagen, dass Sie nicht verantwortlich sind, weil Sie keinen Schaden anrichten, der nicht ohnehin entstanden wäre? Aber das könnte man ja von jedem sagen und so würde am Ende niemand als verantwortlich gelten. Soll man stattdessen besser sagen, dass Sie für ein Hunderttausendstel des Schadens verantwortlich sind? Fragen dieser Art bringen uns ins Grübeln, weil unsere Alltagsethik nicht für Probleme mit fragmentierten Ursachen wie den Klimawandel gemacht ist. Eine vierte Komplikation ergibt sich aus der Tatsache, dass unser Wissen über die Auswirkungen unserer Handlungen mit erheblichen Unsicherheiten behaftet ist. Um es ganz klar zu sagen: Aus wissenschaftlicher Sicht gibt es heute keine Unsicherheit mehr darüber, dass der Klimawandel stattfindet und dass der Mensch hauptsächlich durch Treibhausgasemissionen dazu beigetragen hat. Auch wenn aus populären Darstellungen in den Medien leicht der Eindruck erwachsen kann, die Klimawissenschaft sei sich diesbezüglich gar nicht sicher oder in zwei gleich große Lager gespalten: Es gibt Studien, die die Frage des Konsenses in der Klimawissenschaft selbst wissenschaftlich untersucht haben und zum Ergebnis kommen, dass (a) 97 bis 98 Prozent der weltweit aktivsten publizierenden Klimawissenschaftler der Auffassung vom menschengemachten Klimawandel explizit zustimmen und dass (b) die klimawissenschaftliche Reputation derjenigen, die dieser Auffassung nicht zustimmen, signifikant schlechter ist (Anderegg u. a. 2010). So gesehen ist es ein Mythos, dass es hinsichtlich dieser klimawissenschaftlichen Resultate Uneinigkeit und Unsicherheit gebe. Die meisten Überlegungen, die einige Menschen zum Leugnen des Klimawandels verleitet haben, lassen sich relativ einfach ausräumen; ausgewogene und verständliche Widerlegungen finden sich in den Merkblättern des deutschen Umweltbundesamts und des ProClim-Forums der Akademie der Naturwissenschaften Schweiz (ProClim 2010; Umweltbundesamt 2004). Auch wenn es keine Unsicherheit darüber gibt, dass der Klimawandel menschengemacht ist, gibt es doch erhebliche Unsicherheit darüber, wie viel Klimawandel wir genau verursachen werden. Die Spannbreite der geschätzten Temperaturerhöhung ohne zusätzliche Klimaschutzbemühungen beträgt bis zum Ende des 21. Jahrhunderts 2,5 bis 7,8 Grad (IPCC 2014). Und auch in diese Schätzungen fließen kontroverse Annahmen ein – es könnte auch mehr oder weniger werden. Das Klimasystem ist einfach sehr komplex und daher sind Aussagen über seine Entwicklung immer mit Unsicherheiten behaftet. Niemand ist sich dessen deutlicher bewusst als die Wissenschaftler selbst. Um sich größere Klarheit über den Stand der Klimawissenschaft zu verschaffen, wurde 1988 von UNO-Institutionen der Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) gegründet. Der IPCC betreibt weder Politik noch eigene Forschung; seine Aufgabe ist vielmehr, alle fünf bis sieben Jahre den Stand der Wissenschaft zu sichten, zusammenzufassen und einzuschätzen. In diesem Zusammenhang verwendet der IPCC auch große Mühe darauf, nicht bloß Schätzungen über klimawissenschaftliche Zusammenhänge abzugeben, sondern insbesondere in jüngerer Zeit an viele dieser Schätzungen ein „Etikett“ zu heften, das Aufschluss über das Ausmaß an Unsicherheit, die Einigkeit der Experten und die Qualität der Evidenzen bei den einzelnen Detailinformationen gibt. Diese Art der Unsicherheit darüber, wie viel Klimawandel wir mit unseren Emissionen genau verursachen, ist für die Ethik sehr relevant. Denn wenn wir annehmen, dass wir angesichts des Klimawandels tatsächlich moralisch verpflichtet, bestimmte Auswirkungen – etwa
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einen Temperaturanstieg von mehr als zwei Grad gegenüber dem vorindustriellen Zeitalter – zu verhindern, dann müssen wir unsere Emissionen senken. Doch wenn nun Unsicherheit darüber herrscht, welche Menge an Emissionen im Einzelnen welche Auswirkungen haben wird, dann gehen wir mit jeder Klimapolitik unvermeidlich auch ein gewisses Risiko ein: Denn dass Unsicherheit herrscht, heißt ja nichts anderes, als dass jede Emissionsmenge mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit auch zu mehr als zwei Grad Erwärmung führen kann. Und das wirft die – ethische – Frage auf, wie hoch diese Wahrscheinlichkeit eigentlich aus moralischer Sicht noch sein darf, welches Risiko wir in Kauf nehmen dürfen. Die Klimawissenschaft kann in diesem Zusammenhang beispielsweise Aussagen der folgenden Art anstreben: „Wenn man die zwischen 2000 und 2050 global ausgestoßene Menge CO2 auf eine Billion Tonnen begrenzt, dann beträgt die Wahrscheinlichkeit für eine Erwärmung von mehr als zwei Grad 25 Prozent“ (vgl. Meinshausen u. a. 2009). Aus ethischer Sicht fragen wir uns dann: Ist dieses Risiko von 25 Prozent moralisch vertretbar? Die Frage, wozu wir angesichts des Klimawandels verpflichtet sind, wird damit gleich komplizierter, denn nun müssen wir nicht nur die erwarteten Folgen ethisch bewerten, sondern auch noch darüber nachdenken, wie man mit Risiken bezüglich dieser Folgen umgehen sollte und welche Risiken moralisch akzeptabel sind. Der Klimawandel ist darum auch ein Problem des Umgangs mit Unsicherheit. Und wiederum ist unsere vertraute Alltagsethik dafür nicht gemacht. Während es einigermaßen unstrittig ist, dass man nichts tun darf, was Unschuldige mit Sicherheit töten wird, ist es schon wesentlich schwieriger zu entscheiden, wie die Grenze zwischen erlaubten und verbotenen Handlungen zu ziehen ist, wenn die Handlung Unschuldige nur mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit töten wird. Wenn wir mit dem Auto zum Supermarkt fahren, dann besteht eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass wir andere Menschen in einem Verkehrsunfall töten; im Normalfall ist das ein akzeptables Risiko und es ist erlaubt, zum Supermarkt zu fahren. Wenn wir aber nachts übermüdet mit 120 km/h über eine unübersichtliche Landstraße fahren, dann ist das Risiko für einen Unfall, bei dem andere getötet werden, wesentlich erhöht. Ist das moralisch noch akzeptabel? Und wie wäre es, wenn man nicht nur übermüdet, sondern auch angetrunken ist und mit 180 km/h fährt? Wenn wir wissen wollen, welche Wahrscheinlichkeit für einen bestimmten Schaden – welches Risiko – gerade noch akzeptabel ist, dann helfen uns Regeln, die für den Fall gemacht sind, in dem wir so gut wie sicher wissen, was passiert, einfach nicht weiter. Doch der Klimawandel ist gerade solch ein Fall, in dem es auch um die Grenzen für akzeptable Risiken geht. Es gibt also insgesamt vier Besonderheiten, die die ethische Auseinandersetzung mit dem Klimawandel verkomplizieren: Der Klimawandel ist ein Problem des Umgangs mit globalen Ungleichheiten und großen Unsicherheiten, dessen Ursachen fragmentiert sind und dessen Auswirkungen nachfolgende Generationen betreffen. Das ist alles andere als ein „normales“, uns aus dem Alltag vertrautes ethisches Problem. Und darum ist es nur zu verständlich, dass wir ins Grübeln kommen, wenn wir versuchen, uns auf den Klimawandel einen ethischen Reim zu machen. Eigentlich, so scheint es, bräuchten wir dafür nämlich eine Art „Ethik 2.0“. Doch wo soll dieses „neuartige“ ethische Nachdenken über den Klimawandel seinen Anfang nehmen, wie soll man vorgehen?
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Wie beginnen? Manchmal hört das ethische Nachdenken schon auf, bevor es so richtig begonnen hat. Bisweilen werden moralische Fragen nämlich mit dem Hinweis beiseitegeschoben, dass es keine objektiven Antworten auf solche Fragen gebe: Letztlich sei das eine subjektive Angelegenheit, jeder habe seine eigene Meinung dazu und damit sei es gut. Lohnt es sich also überhaupt, über Antworten auf die klimaethischen Leitfragen nachzudenken? Ja. Denn oft gehen wir mit moralischen Fragen so um, als könne jemand recht und der andere unrecht haben. Wenn Ihr Nachbar beim Abendessen verkündet, es sei aus moralischer Perspektive ganz in Ordnung gewesen, die Kolonien auszubeuten, dann würden Sie wohl kaum sagen „Gut, das ist deine Meinung, ich sehe das zwar anders, aber was soll’s. Lass uns nicht streiten.“ Im Gegenteil: Sie würden eher sagen, Ihr Nachbar habe Unrecht, liege falsch oder sei im Irrtum. Sie werden mit Ihrem Nachbarn diskutieren und versuchen, ihn mit Argumenten vom Gegenteil zu überzeugen. Darin unterscheiden sich Antworten auf moralische Fragen von Geschmacksurteilen wie „Mir gefällt das blaue Hemd“ – hier widerspricht man nicht, fängt keinen Streit an, versucht nicht zu überzeugen und spricht nicht von Unrecht oder Irrtum. Der Verweis auf den vermeintlich subjektiven Charakter ethischen Nachdenkens ist manchmal eher eine Ausrede, wenn es schwierig wird. Und zugegeben: Schwierig sind ethische Fragen nur zu oft. Aber das gilt auch für andere Fragen. Es ist z. B. auch schwierig zu beantworten, ob 131071 eine Primzahl ist. Dennoch käme niemand auf die Idee, daraus zu schließen, dass es keine objektive Antwort auf diese Frage gebe. Entscheidend ist, dass ethische Fragen oft eine klare Antwort haben: Darf man jemanden kaltblütig ermorden? Ist es falsch, eine Katze anzuzünden? Oder eben: Ist es falsch, mit dem Fahrrad über den Acker des Bauern zu fahren? Auch das sind moralische Fragen, doch ihre Beantwortung fällt uns nicht schwer. Aber werden moralische Fragen – man denke nur an kontroverse Themen wie Sterbehilfe – nicht oft auf verschiedene Weise und noch dazu mit verschiedenen Begründungen beantwortet? Wie soll inmitten großer Uneinigkeit und widerstreitender Meinungen eine objektive Antwort möglich sein? Richtig ist, dass in vielen moralischen Fragen mehrere Antworten vertreten und begründet werden. Aber das heißt nicht, dass alle vorgebrachten Antworten und Begründungen gleich gut sind. Ebenso wie in anderen Bereichen gibt es auch in der Ethik gute und weniger gute Argumente, überzeugende und weniger überzeugende Begründungen. Und genau darum geht es in der Ethik: Mittels begrifflicher Unterscheidungen und vor allem mit Argumenten werden gut begründete von schlecht begründeten Antworten auf moralische Fragen unterschieden. Ethik zu betreiben heißt sich zu fragen, was für und gegen einzelne Antworten auf moralische Fragen spricht und aufzudecken, wo eine Position schlecht gestützt ist oder wo sich aus ihr Folgerungen ergeben, die anderen zentralen moralischen Überzeugungen widersprechen. Beim ethischen Nachdenken über den Klimawandel geht es also darum, mit Argumenten bestimmte Antworten auf die klimaethischen Leitfragen zu begründen und zu prüfen. Und das klingt doch nach einer recht „objektiven“ Angelegenheit. Doch von welchen Argumenten und Begründungen ist hier die Rede? Worauf berufen wir uns in moralischen Diskussionen, von welcher Basis gehen wir aus? Eine argumentative Ressource, auf die sich viele Menschen berufen, ist der Verweis auf das Eigeninteresse. Tatsäch-
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lich wird das Eigeninteresse beim Aufruf zum Klimaschutz nicht selten bemüht: Die Schäden des Klimawandels seien sehr hoch, die Kosten zu ihrer Vermeidung verhältnismäßig gering; wer rechne, der reduziere die Emissionen, denn das liege im eigenen Interesse. Doch dieser Bezug auf das Eigeninteresse hat einen Haken: Er verkennt den intergenerationellen und globalen Charakter des Klimawandels. Wenn wir heute Emissionen reduzieren, dann profitieren nicht wir, sondern vor allem zukünftige Menschen rund um den Globus davon. Der Verweis auf das Eigeninteresse ist also insofern irreführend, als es gar nicht um eine Aufrechnung von Aufwand und Ertrag im eigenen Interesse geht, sondern viel eher um einen Ausgleich zwischen den Interessen aller heute und künftig lebenden Menschen. Nicht unser eigenes Wohl, unsere eigenen Interessen und Belange, sondern das Wohl, die Interessen und Belange aller Menschen bilden also die argumentative Ressource für die Beantwortung der klimaethischen Leitfragen. Es gäbe noch eine weitere argumentative Ressource. Statt das Wohl der Menschen zum alleinigen argumentativen Bezugspunkt zu machen, könnten wir auch das Wohl der Tiere einschließen. Denn auch die Tierwelt wird vom Klimawandel stark betroffen sein: Als empfindungsfähige Wesen leiden Tiere natürlich auch unter klimatischen Stressfaktoren wie Extremwetterereignissen. Da sich die Lebensräume und Rückzugsgebiete durch den Klimawandel schneller verändern werden als sich die meisten Tierarten anpassen können, ist zudem mit einem massiven Artensterben zu rechnen: Von Eisbären, die bei schwindendem Packeis am Nordpol ertrinken, hat man vielleicht bereits gehört; viele Meerestiere werden aber aufgrund der Veränderungen in den Ozeanen (etwa Versauerung) ebenfalls aussterben; und wenn Eidechsen sich bei höheren Temperaturen länger am Tag aus der Sonne zurückziehen müssen, können sie nicht nach Futter suchen und sterben schneller – was über die Nahrungskette wiederum Auswirkungen auf Vogelarten hat. All dies gibt uns eigentlich zusätzliche Gründe, etwas gegen den Klimawandel zu tun. Man könnte noch einen Schritt weiter gehen und auch Pflanzen, die unbelebte Natur oder ganze Ökosysteme einschließen. Eine solche sogenannte „ökozentrische“ Auffassung werden wir weitestgehend ausklammern. Das hat zwei Gründe. Zum einen ist sie begründungslastiger als eine „anthropozentrische“, auf Wohl und Belange des Menschen ausgerichtete Argumentation oder auch der Einbezug der Tiere. Dass das Wohl von Menschen und Tieren zählt, ist kaum zu bestreiten; aber zählt der Verlust von Pflanzenvielfalt oder das Verschwinden von Gletschern auch für sich genommen – also auch dann, wenn es keinen Menschen gäbe, der davon in irgendeiner Weise betroffen wäre? Das ist bereits strittiger. Zum anderen ist ein Rückgriff auf eine ökozentrische Argumentationsstrategie gar nicht nötig, weil sie (abgesehen von zwei Stellen in Kapitel 4 und 18, an denen wir noch einmal kurz darauf verweisen) im Ergebnis keinen großen Unterschied macht. Denn wenn man zeigen kann, dass sich eine moralische Pflicht zum Klimaschutz bereits durch den alleinigen und weniger strittigen Bezug auf Wohl und Belange des Menschen (und der Tiere) rechtfertigen lässt, dann hat man schon eine Menge gewonnen, und der moralische Status der Pflanzen oder der unbelebten Natur muss einen im Hinblick auf unsere Klimaschutzpflichten nicht weiter beschäftigen. Ob man dies zeigen kann, wollen wir nun prüfen. Wenden wir uns also der ersten klimaethischen Leitfrage zu.
Teil I Müssen wir überhaupt etwas tun? Handlungsbedarf moralisch begründen
2 Dreifache Skepsis gegenüber der Pflicht zum Klimaschutz Wir hatten betont, dass es einen grundsätzlichen Graben zwischen den wissenschaftlichen Erkenntnissen zum Klimawandel auf der einen Seite und ethischen Schlussfolgerungen (dass wir z. B. Klimaschutz leisten sollen) auf der anderen Seite gibt. Allerdings scheint der Schritt zur Überschreitung dieses Grabens nicht allzu groß oder allzu schwierig zu sein. Denn die Wissenschaft erklärt uns, mit welchen Konsequenzen wir in Zukunft rechnen und leben müssen, wenn wir weitermachen wie bisher: Hitzewellen und Dürren, Überschwemmungen und Meeresspiegelanstieg, Artensterben und Ausbreitung tropischer Insekten – und infolgedessen Not, Hunger, Migration, Krankheit, Tod. Diese Erkenntnisse scheinen doch bereits eine ethische Schlussfolgerung nahe zu legen: Wir sollten den Klimawandel vermeiden. Oder anders gesagt: Wir haben eine moralische Pflicht zum Klimaschutz. Damit scheint die erste klimaethische Leitfrage – „Müssen wir angesichts des Klimawandels überhaupt etwas tun?“ – leicht zu beantworten zu sein. Für manche Menschen ist dieser Schritt von den wissenschaftlichen Erkenntnissen zur Beantwortung der ersten klimaethischen Leitfrage allerdings nicht so naheliegend. Immer wieder stößt man auf Stimmen, die die erste klimaethische Leitfrage negativ beantworten und leugnen, dass es eine Pflicht zum Klimaschutz gibt. In diesem Kapitel möchten wir zunächst drei typische Varianten dieses Leugnens unterscheiden und eine Variante dann genauer untersuchen. Zum Ende des Kapitels greifen wir eine Frage auf, die insbesondere für Journalisten und Lobbyisten relevant ist: Darf man eine Pflicht zum Klimaschutz eigentlich leugnen und wie sollte man – moralisch gesehen – eigentlich mit Menschen umgehen, die eben dies tun?
Drei Arten, die Pflicht zum Klimaschutz zu leugnen Wer behauptet, dass es so etwas wie eine moralische Pflicht zum Klimaschutz gibt, der behauptet in aller Regel, dass der Klimawandel ein moralisches Problem darstellt, auf das wir – die Mitglieder der heutigen Generation – mit Klimaschutz reagieren müssen. Die These, wir hätten eine Pflicht zum Klimaschutz, umfasst also eigentlich drei Thesen: erstens die Behauptung, dass der Klimawandel grundsätzlich ein moralisches Problem darstellt, auf das überhaupt irgendwer irgendwie reagieren muss; zweitens die Behauptung, dass wir (die Mitglieder der heutigen Generation) es sind, die reagieren müssen; und drittens die Behauptung, dass das, was wir tun müssen, Klimaschutz ist. Das gilt ganz allgemein auch in anderen Zusammenhängen: Wer behauptet, Frieda habe die Pflicht, für den kranken Nachbarn einen Einkauf zu erledigen, der behauptet, dass überhaupt irgendjemand irgendwie auf die Krankheit des Nachbarn reagieren muss (dass die Krankheit also ein moralisches Problem darstellt), dass es Frieda ist, die hier etwas tun muss, und dass das, was sie tun muss, die Erledigung des Einkaufs ist.
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Teil I Müssen wir überhaupt etwas tun? Handlungsbedarf moralisch begründen
Entsprechend kann man nun unterscheiden zwischen drei verschiedenen „Gegnern“ der Behauptung, es gebe eine moralische Pflicht zum Klimaschutz. Erstens gibt es jene, die bestreiten, dass der Klimawandel überhaupt ein moralisches Problem darstellt; sie bestreiten also, dass der Klimawandel überhaupt irgendjemandem irgendetwas abverlangt. Wer z. B. glaubt, es gebe gar keinen Klimawandel oder er habe keine negativen Folgen, der wird auch leugnen, dass es moralischen Handlungsbedarf gibt – denn wenn es nichts gibt, worauf man reagieren könnte, dann muss man auch nicht reagieren. Zweitens gibt es aber auch jene, die zwar zugestehen, dass der Klimawandel ein moralisches Problem ist, die aber leugnen, dass gerade wir es sind, die etwas dagegen tun müssen; hier wird nicht bestritten, dass der Klimawandel irgendjemandem etwas abverlangt, sondern nur, dass er uns etwas abverlangt. Man könnte z. B. der Ansicht sein, dass der Klimawandel ja nicht uns Menschen der heutigen Generation, sondern ausschließlich die Menschen der ferneren Zukunft betrifft. Und man könnte weiter glauben, dass wir diesen Menschen gar nichts schulden können, weil wir zu Menschen in der ferneren Zukunft in keinerlei Beziehungen treten können: Wenn sie existieren, existieren wir nicht mehr. Wer also der Auffassung ist, dass heutige Generationen zukünftigen Generationen moralisch grundsätzlich gar nichts schulden können, der wird auch der Ansicht sein, dass es keine Klimaschutzpflicht gibt. Drittens schließlich gibt es jene, die zugestehen, dass der Klimawandel ein moralisches Problem ist, und auch zugestehen, dass wir es sind, die etwas tun müssen, die aber leugnen, dass wir ausgerechnet Klimaschutz leisten müssen; sie bestreiten also nicht, dass wir angesichts des Klimawandels überhaupt etwas tun müssen, sondern nur, dass dieses Etwas gerade Klimaschutz ist. Man könnte beispielsweise der Ansicht sein, dass wir zukünftigen Generationen lediglich die Möglichkeit schulden, sich an den Klimawandel anpassen zu können oder ihn durch technische Lösungen abmildern zu können. Das wäre keine Klimaschutzpflicht, sondern eine Pflicht zur Ermöglichung von Anpassung an den Klimawandel. Es gibt somit eigentlich drei verschiedene Arten, die moralische Pflicht zum Klimaschutz zu leugnen: Drei Arten, die Pflicht zum Klimaschutz zu leugnen 1. das Leugnen der Grundlage der Klimaschutzpflicht (der Klimawandel als moralisches Problem): „Wir haben keine moralische Pflicht zum Klimaschutz, weil der Klimawandel gar kein moralisches Problem ist.“ 2. das Leugnen des Adressaten der Klimaschutzpflicht (die heutige Generation): „Wir haben keine moralische Pflicht zum Klimaschutz, weil der Klimawandel ein moralisches Problem ist, das nur zukünftige Generationen betrifft, und gegenüber zukünftigen Generationen haben wir grundsätzlich keine Pflichten.“ 3. das Leugnen des Inhalts der Klimaschutzpflicht (Klimaschutz und nicht Anpassung): „Wir haben keine moralische Pflicht zum Klimaschutz, weil wir in Bezug auf das moralische Problem des Klimawandels zukünftigen Generationen gegenüber zu etwas ganz anderem (z. B. Überlassung der Ressourcen zur Anpassung) verpflichtet sind.“ Wann immer man mit jemandem diskutiert, der der Ansicht ist, dass man nicht zu Klimaschutz verpflichtet sei, sollte man sich zunächst fragen, welche dieser drei Positionen der Be-
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treffende eigentlich einnimmt, um angemessen darauf reagieren zu können. Wir werden nun genauer prüfen, auf welche Überlegungen sich das erste Leugnen der Klimaschutzpflicht berufen könnte. Die Gründe, die für – und gegen – die beiden anderen Formen des Leugnens sprechen, untersuchen wir dann in Kapitel 3 und 4.
Ist der Klimawandel überhaupt ein moralisches Problem, auf das man reagieren muss? Mit welchen Argumenten könnte man die Grundlage einer Klimaschutzpflicht überhaupt in Zweifel ziehen? Stellen Sie sich dazu zunächst einen anderen Fall vor: Ihr Nachbar klopft wutentbrannt an Ihre Tür und behauptet, Ihre Tochter sei gerade dabei, sein Gemüsebeet zu verwüsten. Er fordert Sie auf, dringend etwas dagegen zu unternehmen. Ganz offenbar sieht der Nachbar Sie in der Pflicht, Ihre Tochter vom Verwüsten des Beets abzuhalten. Was könnten Sie ihm entgegnen, wenn Sie die Grundlage dieser Pflicht – den Sachverhalt, dass Ihre Tochter im Begriff ist, das Gemüsebeet des Nachbarn zu verwüsten – leugnen wollen? Ihnen stehen mindestens vier verschiedene Wege offen. Erstens könnte es sein, dass Ihre Tochter viel zu klein ist, um den befürchteten Schaden anzurichten, oder dass der Nachbar ein wenig verwirrt ist und vergessen hat, dass er gar kein Gemüsebeet mehr besitzt; also gibt es den drohenden Schaden, zu dessen Verhinderung Ihr Nachbar Sie auffordert, gar nicht, und folglich unterstehen Sie auch keiner Gemüsebeet-Schutzpflicht. Nehmen wir aber an, Ihre Tochter wäre durchaus dazu in der Lage, den befürchteten Schaden anzurichten und der Nachbar hat auch ein Gemüsebeet, in dem auch tatsächlich gerade jemand wütet. Dann könnte es zweitens möglich sein, dass dieser Jemand gar nicht Ihre Tochter ist und Sie könnten dem Nachbarn entgegnen, dass er Ihre Tochter mit einem Wildschwein verwechselt hat; und da es gar nicht Ihr Kind ist, das gerade dabei ist, sein Gemüsebeet zu verwüsten, unterstehen Sie auch keiner Pflicht. Nehmen wir nun an, es ist doch Ihre Tochter, die da im Gemüsebeet herumstöbert. Dann könnten Sie dem Nachbarn drittens entgegen halten, dass Ihre Tochter vielleicht gar keinen Schaden anrichtet oder dass sie zwar einige Salatblätter zertritt, dass sie mit ihrem Spiel im Gemüsebeet aber auch den Boden umpflügt und Schnecken einsammelt und dem Nachbarn damit einen Teil der Gartenarbeit abnimmt, die er eigentlich noch verrichten müsste. Ihre Tochter, so könnten Sie sagen, macht doch auch etwas Gutes und das überwiegt das Schlechte. Also sollte man sie ungestört spielen lassen und wiederum stehen Sie nicht in der Pflicht, Ihre Tochter davon abzuhalten. Nehmen wir nun aber an, Ihre Tochter richtet tatsächlich Schaden an und dieser Schaden ist auch tatsächlich größer als der Nutzen, den ihr Herumtollen stiftet. Dann könnten Sie dem Nachbarn viertens erwidern, dass es ohnehin schon zu spät sei. Die Pflicht, Ihre Tochter von der Verwüstung des Gartens abzuhalten, haben Sie dann nicht mehr, weil Sie sie davon gar nicht mehr abhalten können – der Schaden ist ja bereits angerichtet. Das heißt natürlich nicht, dass Sie nicht andere Pflichten haben könnten, etwa die Pflicht, für den Schaden aufzukommen oder als Entschuldigung einen Kuchen zu backen; aber eine Gemüsebeet-Schutzpflicht haben Sie nicht mehr. Wieder sind Sie, was die Gemüsebeet-Schutzpflicht angeht, aus dem Schneider.
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Kommen wir zurück zum ernsteren Thema des Klimawandels. Wer die Grundlage einer allgemeinen Pflicht zum Klimaschutz leugnen will, kann nun ganz ähnlich argumentieren: Erstens könnte man behaupten, dass es gar keinen Klimawandel gebe oder geben werde – so wie Sie zuvor behauptet hatten, es gebe gar keinen Schaden am Gemüsebeet, weil der Nachbar gar kein Gemüsebeet hat oder ihre Tochter noch zu klein ist. Zweitens könnte man behaupten, dass der Klimawandel zwar stattfinden werde, dass daran aber nicht der Mensch Schuld hat, sondern dass er ein natürlicher Lauf der Welt sei – so wie Sie zuvor behaupteten, dass nicht Ihre Tochter, sondern ein Wildschwein schuld sei. Drittens könnte man behaupten, dass der Klimawandel zwar stattfinden werde und auch vom Menschen verursacht sei, dass er aber gar nichts Negatives mit sich bringe oder dass er nicht ausschließlich negative, sondern auch positive Auswirkungen haben werde und dass sich das in etwa aufhebe – so wie Sie zuvor behaupteten, die Wohltaten Ihrer herumtollenden Tochter würden keinen Schaden anrichten oder den angerichteten Schaden überwiegen. Und viertens könnte man behaupten, dass es ohnehin schon zu spät sei, um den Klimawandel zu verhindern oder rückgängig zu machen – so wie Sie zuvor behaupteten, dass der Schaden bereits angerichtet und das Beet nicht mehr zu retten sei. Wenn nur eine oder mehrere dieser Überlegungen im Fall des Klimawandels zuträfen, so würde es keine grundsätzliche Pflicht zum Klimaschutz geben können – ganz so, wie zuvor auch die Gemüsebeet-Schutzpflicht erlosch, wenn eine Ihrer Behauptungen wahr wäre. Doch treffen die angeführten Überlegungen zu? Mit der ersten Überlegung leugnet man, dass der Klimawandel ein moralisches Problem darstellt, indem man leugnet, dass der Klimawandel überhaupt stattfindet. Wir haben bereits im vorangegangenen Kapitel darauf aufmerksam gemacht, dass sich dieses Leugnen des Klimawandels nicht halten lässt: Zwar gibt es durchaus Unsicherheiten in Bezug auf das genaue Ausmaß der globalen Klimaerwärmung; gesichert ist hingegen die Erkenntnis, dass es zu einer globalen Erwärmung kommt (tatsächlich hat sie bereits begonnen). Auch die bisweilen anzutreffende Behauptung, die Sorge um den Klimawandel sei politisch motiviert und die Arbeit der Klimaforscher sei von eigenen Interessen nach Aufmerksamkeit und Forschungsgeldern geleitet, lässt sich nicht aufrecht erhalten. Es ist einfach nicht sehr glaubhaft, dass 97 bis 98 Prozent der – unabhängig voneinander forschenden – Klimawissenschaftler ihre Ergebnisse so manipuliert haben, dass sie ihren je eigenen und unterschiedlichen Interessen dienen und trotzdem auf dasselbe hinauslaufen. Ganz ähnlich kann man auch den zweiten Grund für das Leugnen der Grundlage der Klimaschutzpflicht ausräumen: Wer behauptet, wir hätten keine Pflicht zum Klimaschutz, weil der stattfindende Klimawandel gar nicht von uns Menschen verursacht werde, sondern ein natürlicher Lauf der Welt sei, der behauptet etwas, was einfach nicht dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse entspricht. Denn darüber, dass der eingetretene und anstehende Klimawandel zu einem großen Teil menschengemacht („anthropogen“) ist, besteht keine Unsicherheit mehr. Alle natürlichen klimaerwärmenden Einflüsse reichen zusammengenommen nicht aus, um den beobachteten Anstieg der globalen Temperatur zu erklären; erst wenn man den Einfluss der menschlichen Aktivitäten mit berücksichtigt, kann man erklären, was man beobachtet. Auch die zweite Überlegung stellt somit keinen triftigen Grund dar zu leugnen, dass der Klimawandel ein moralisches Problem ist. Wie steht es um den dritten Grund – der Behauptung, der Klimawandel bringe gar nichts moralisch Schlechtes mit sich oder er bringe zwar etwas Schlechtes, aber auch einiges Gutes
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mit sich, das das Schlechte aufhebe? Hier muss man zwei Fälle unterscheiden: Wer erstens behauptet, der Klimawandel habe gar keine moralisch bedenklichen Folgen, der kennt entweder die wissenschaftlichen Fakten nicht oder trifft ein falsches moralisches Urteil über die moralische Bedeutung dieser Fakten. Denn die prognostizierten Auswirkungen des Klimawandels lassen keinen Zweifel daran, dass zumindest einige Auswirkungen moralisch problematisch sind: Menschen werden aus ihrer Heimat vertrieben, Dürre und Wassermangel schüren Kriege und verstärken Hunger, tropische Krankheiten werden auch in einst gemäßigten Klimazonen Einzug halten und Extremwetterereignisse führen zu Obdach- und Besitzlosigkeit. Wer glaubt, dass es nicht zu diesen Konsequenzen kommen wird, der kennt die Fakten nicht. Und wer die Fakten kennt, aber glaubt, das sei nicht weiter schlimm, der hat eine falsche (und bedenkliche) moralische Auffassung. Denn üblicherweise halten wir Vertreibung, Krieg, Hunger, Krankheit, Tod, Obdach- und Besitzlosigkeit für moralisch schlecht. Man muss also schon zugestehen, dass zumindest einiges am Klimawandel moralisch schlecht ist. Wer dies zugesteht, aber zweitens behauptet, der Klimawandel habe auch etwas Gutes, das das Schlechte aufhebe, der hat in einer Hinsicht recht und in einer anderen Hinsicht unrecht. Richtig ist, dass der Klimawandel auch einige positive Auswirkungen haben wird; beispielsweise wird man in Norwegen Wein anbauen können, vormals unwirtliche Steppen in Russland können landwirtschaftlich genutzt werden und der Absatz von Eiscreme wird sich vermutlich erhöhen. Falsch ist allerdings, dass diese Vorteile die Nachteile aufwiegen oder gar überwiegen. Denn wer wirklich ernsthaft behauptet, die Erschließung neuer Anbaugebiete oder erhöhter Eiscremekonsum würden Hunger, Tod und Krankheit aufwiegen, der sieht die Sache moralisch offenbar falsch: Die negative Seite wiegt moralisch gesehen ungleich schwerer als die positive Seite. Und selbst wenn es anders wäre: Manchmal muss man auch dann etwas Schlechtes vermeiden, wenn man damit etwas Gutes tun könnte, das das Schlechte überwiegt. Wenn ein Arzt fünf Menschen das Leben retten könnte, indem er einen Passanten von der Straße betäuben, ihm Herz, Lunge, Leber sowie beide Nieren entnehmen und diese Organe fünf kranken Menschen verpflanzen würde, so scheint das Gute (fünf Leben gerettet) das Schlechte (ein Leben geopfert) zu überwiegen – und dennoch sollte es der Arzt, moralisch gesehen, nicht tun. Auch wenn also das Gute das Schlechte überwiegen würde, ist es dennoch möglich, dass man das Schlechte vermeiden muss. Im Fall des Klimawandels heißt das: Selbst wenn die „Nettobilanz“ des Klimawandels positiv ausfiele, so hebt das die Pflicht, das Klima zu schützen (also: das Schlechte zu vermeiden), nicht unbedingt auf. Auch das dritte Argument dafür, es gebe keine Grundlage für eine Klimaschutzpflicht, überzeugt also nicht. Kommen wir zur vierten Überlegung: Kann man um die Klimaschutzpflicht herumkommen, indem man darauf verweist, dass es bereits zu spät ist und sich der Klimawandel nicht mehr aufhalten lässt? Zwar trifft es zu, dass die klimaerwärmende Wirkung von Treibhausgasen erst zeitverzögert eintritt; wir müssten also selbst dann noch mit einem gewissen Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur rechnen, wenn die gesamte Menschheit von heute auf morgen aufhörte, Treibhausgase zu emittieren. Aber der Einwand verkennt, dass es bei der Klimaschutzpflicht nicht darum geht, jeglichen Klimawandel zu vermeiden, sondern nur darum, einen gefährlichen oder moralisch problematischen Klimawandel zu vermeiden. Welches Maß an Klimawandel gefährlich und ungefährlich ist, ist selbst eine ethische Frage und sie hängt eng zusammen mit der zweiten klimaethischen Leitfrage, auf die wir in Teil II genauer
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eingehen. An dieser Stelle ist es nur wichtig zu sehen, dass es durchaus noch möglich ist, den gefährlichen Klimawandel – der z. B. einer Erwärmung von mehr als zwei Grad entsprechen könnte – zu vermeiden. Zugegebenermaßen wird das Zeitfenster dafür zunehmend kleiner, aber immerhin gibt es nach Einschätzung der beteiligten Klimaforscher noch ein solches Zeitfenster (Meinshausen u. a. 2009, Knutti und Rogelj i. E.). Es trifft also einfach nicht zu, dass es bereits zu spät ist, um den gefährlichen Klimawandel zu vermeiden. Und selbst wenn dies einmal nicht mehr möglich sein sollte, so könnte man den gefährlichen Klimawandel immer noch begrenzen: Weil mehr Emissionen auch eine größere Temperaturerhöhung (und damit mehr Schäden) zur Folge haben, haben weniger Emissionen auch eine geringere Temperaturerhöhung (und damit weniger Schäden) zur Folge – das gilt selbst dann, wenn das Schadensausmaß die moralisch zulässige Grenze überschreitet. Indem man die Treibhausgasemissionen reduziert, würde man in diesem Fall zwar nicht alle moralisch problematischen Schäden verhindern, aber man würde den Schaden doch so klein wie möglich halten. Auch das vierte Argument entkräftet also die Pflicht zum Klimaschutz letztlich nicht. Es ist somit schwer zu leugnen, dass der Klimawandel überhaupt ein moralisches Problem darstellt und dass etwas dagegen getan werden muss. Dennoch gibt es immer wieder Personen, die eben dies tun. Insbesondere für diejenigen, die in den Medien oder im Politikbetrieb mit solchen Fällen konfrontiert sind, stellen sich dabei moralische Anschlussfragen: Darf man eigentlich leugnen, dass der Klimawandel ein moralisches Problem ist? Und darf man Menschen, die genau das tun, eigentlich Aufmerksamkeit schenken?
Darf man den Klimawandel leugnen? Eine kleine Klimaethik des Lobbyismus und Journalismus Wir haben gesehen, dass es keine guten Gründe gibt, den moralischen Handlungsbedarf in Bezug auf den Klimawandel zu leugnen. Doch selbst wenn eine Meinung unvernünftig ist, so bedeutet das für sich genommen natürlich noch nicht, dass es auch verboten sein sollte, sie (etwa als Interessenvertreter) öffentlich zu äußern oder (etwa als Journalist) über diese Meinung zu berichten. Aber man kann sich doch fragen, ob an der Verbreitung von Positionen, die den Klimawandel leugnen, nicht doch etwas moralisch falsch sein könnte: Ist es nicht irgendwie anstößig, etwas in Zweifel zu ziehen, für das überwältigende wissenschaftliche Erkenntnisse sprechen? Ist es nicht gar gefährlich zu leugnen, dass der Klimawandel ein moralisches Problem darstellt, wenn dadurch entsprechende Klimaschutzmaßnahmen verzögert werden? Von diesen Fragen nach dem moralischen Wert oder Unwert des Leugnens sind vor allem zwei Berufsgruppen betroffen: jene, die die politische Reaktion auf den Klimawandel direkt oder indirekt mitgestalten, sei es als Vertreter von Nichtregierungsorganisationen, Verwaltung, Politik oder Interessengruppen; und jene, die über den Klimawandel und die Klimapolitik in den Medien berichten. In beiden Kontexten spielt die Berufung auf die Meinungsfreiheit eine ganz entscheidende Rolle: Wir sollten die Freiheit haben, selbst unvernünftige Meinungen zu vertreten und diskutieren. Wer beispielsweise glaubt, dass alle Schwäne schwarz sind, der glaubt etwas Falsches und Unvernünftiges. Aber natürlich ist es ihm nicht
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moralisch verboten, in der Öffentlichkeit zu behaupten, alle Schwäne seien schwarz. Die Meinungsfreiheit garantiert uns das Recht, unsere Meinungen (über Schwäne, historische Sachverhalte, politische Entscheidungen, das Verhalten von Personen oder fundamentale Werte) öffentlich zu äußern – selbst wenn diese Meinungen falsch sind. Und oft berufen sich Personen, die leugnen, dass der Klimawandel ein moralisches Problem darstellt (vor allem in der Variante, in der geleugnet wird, dass es so etwas wie den Klimawandel überhaupt gibt), auf die Meinungsfreiheit. Tun sie das zu Recht? Und wie sollte man mit der Leugnung des Klimawandels in der Öffentlichkeit umgehen? Zunächst ist es wichtig zu sehen, dass die Meinungsfreiheit nicht grenzenlos ist. Hassreden gegen eine Bevölkerungsgruppe, das Leugnen des Holocaust oder der Aufruf zum Mord sind öffentliche Äußerungen, die nicht nur strafrechtlich verfolgt werden, sondern auch moralisch falsch sind. Offenbar stößt die Meinungsfreiheit also auf gewisse Grenzen. Nun ist es eine schwierige ethische Frage, wo genau diese Grenzen verlaufen bzw. was die Kriterien dafür sind, dass die öffentliche Äußerung einer Meinung verboten sein sollte. Es ist jedoch gar nicht nötig, an dieser Stelle einen umfassenden Kriterienkatalog für die Grenzen der Meinungsfreiheit zu entwickeln (vgl. für einen Überblick Anwander 2011), denn es scheint offensichtlich, dass das Leugnen des Klimawandels nicht auf einer Stufe steht mit einem Aufruf zum Mord oder dem Leugnen des Holocaust. Es braucht kaum Argumente dafür, dass die Leugnung des Klimawandels ein Themenbereich ist, in dem der Staat die Meinungsfreiheit nicht beschränken sollte. Wer also öffentlich die Meinung äußert, der Klimawandel finde gar nicht statt, der kann sich zunächst einmal zu Recht auf die Meinungsfreiheit berufen. Nun ist es aber auch wichtig zu sehen, dass damit noch nicht alle Fragen beantwortet sind. Denn auch wenn es nicht darum geht, die Meinungsfreiheit in Bezug auf den Klimawandel einzuschränken und das Leugnen des Klimawandels von Staats wegen zu verbieten, so bleibt es noch immer offen, ob man von der Meinungsfreiheit, die einem in Bezug auf den Klimawandel grundsätzlich zusteht, auf richtige oder auf falsche Weise Gebrauch macht. Es verhält sich hier genauso wie mit anderen Freiheitsrechten auch: Es ist uns überlassen (und insofern haben wir die Freiheit), ob wir dem Gemeinwesen gegenüber gleichgültig sind oder uns dafür einsetzen, ob wir die musischen Talente unserer Kinder fördern oder nicht, oder ob wir mit unserem Beruf anderen Menschen oder nur unserem eigenen Geldbeutel dienen. Aber innerhalb des jeweiligen Freiheitsspielraums, der uns zusteht, gibt es bessere und schlechtere Optionen. Es ist moralisch gesehen nicht neutral, wie wir mit unserer Freiheit umgehen. Und so ist es auch in Bezug auf den Klimawandel: Wir sind frei, das eine oder andere öffentlich zu vertreten; aber vielleicht ist es besser, das eine zu vertreten als das andere. Auch wenn es von manchem Klimawandelleugner anders dargestellt wird: Es geht hier gar nicht um die Frage, ob man ein Recht hat, den Klimawandel zu leugnen oder nicht (insofern das unter die Meinungsfreiheit fällt, hat man dieses Recht natürlich). Worum es vielmehr geht ist die Frage, ob man von dem Recht auf Meinungsfreiheit richtig Gebrauch macht, wenn man den Klimawandel öffentlich leugnet. In Bezug auf diese Frage stehen sich zwei Erwägungen gegenüber. Auf der einen Seite hat es grundsätzlich einen Wert für den Erkenntnisprozess und die Wahrheitsfindung, wenn man skeptisch und kritisch ist, einen geltenden Konsens öffentlich hinterfragt und die Gegenposition einnimmt. In dieser Hinsicht hat die Skepsis gegenüber dem Klimawandel etwas Gutes. Auf der anderen Seite liegt die Gefahr geistiger Brandstiftung nahe: Das Leugnen des Klima-
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wandels hat negative Folgen. Es hinterlässt bei Öffentlichkeit und Politik den diffusen Eindruck, „dass das mit dem Klimawandel ja auch alles gar nicht so ganz sicher ist“ und trägt damit dazu bei, dass Klimaschutzmaßnahmen gar nicht oder erst verspätet umgesetzt werden. In dieser Hinsicht hat es etwas Schlechtes, wenn man skeptisch ist gegenüber dem Klimawandel. Wie muss man nun zwischen den beiden Erwägungen abwägen? Unserer Ansicht nach muss man hier zwischen zwei Fällen unterscheiden: dem aufrichtigen und dem unaufrichtigen Leugnen des Klimawandels. Denn bei der ersten der genannten Erwägungen (Skepsis hat einen Wert für die Wahrheitsfindung) spielen die Motive, aus denen heraus man eine skeptische Position einnimmt, eine wichtige Rolle: Wenn man hinterfragt und den geltenden Konsens in Frage stellt, weil einen die vorgebrachten Argumente, Daten und Indizien nicht überzeugen und weil man die Wahrheit finden will, dann ist daran grundsätzlich nichts auszusetzen. Wer hingegen eine Position in Frage stellt, um sich zu gefallen, um zu provozieren oder um seine finanziellen Interessen durchzusetzen, der kann sich nicht auf den Wert berufen, den die Skepsis für die Wahrheitsfindung hat – denn um Wahrheitsfindung geht es ihm ja gar nicht. Die erste Erwägung kann also nur derjenige für sich in Anspruch nehmen, der wirklich an der Wahrheitsfindung interessiert ist. Das hat etwas damit zu tun, dass das Recht auf Meinungsfreiheit etwas ganz Bestimmtes schützt: Es ist das Recht, öffentlich für seine Überzeugungen eintreten zu können. Von einem Sachverhalt überzeugt zu sein, heißt aber, den Sachverhalt für wahr zu halten. Genau darum können sich viele der tatsächlich vorzufindenden Leugnungen des Klimawandels weder auf die Meinungsfreiheit noch auf den Wert der Skepsis berufen: Nicht selten nämlich streuen Vertreter von gewissen Interessengruppen in ihren öffentlichen Leugnungen des Klimawandels ganz gezielt ausgewählte Evidenzen gegen den Klimawandel – in vollem Bewusstsein der Tatsache, dass es sich um ausgewählte Evidenzen handelt und dass die ganze Wahrheit anders aussieht (vgl. dazu Oreskes und Conway 2010). Nicht selten nimmt manch aufmerksamkeitssuchender Wissenschaftler eine Gegenposition zum herrschenden Konsens ein und spielt den advocatus diaboli, um sich zu gefallen oder um zu provozieren. Wer aber wissentlich die Unwahrheit oder nur die halbe Wahrheit sagt, die Wahrheit verzerrt, Evidenzen gezielt manipuliert oder mit einer Äußerung etwas in Frage stellt, an das er eigentlich selbst glaubt, hält gerade nicht für wahr, was er öffentlich bekundet. Der Leugnende ist in diesem Fall selbst nicht von dem überzeugt, für das er nach außen hin eintritt; man kann hier von einem unaufrichtigen Leugnen des Klimawandels sprechen. Für diese Art des Leugnens ist die erste Erwägung (der Wert der Skepsis für die Wahrheitsfindung) also gar nicht einschlägig. Dafür sind aber einige der negativen Konsequenzen zu befürchten, die Grundlage der zweiten Erwägung (geistige Brandstiftung) sind. Wenn nämlich ranghohe Interessenvertreter oder gekaufte Wissenschaftler den Klimawandel leugnen, dann hält dies einige Menschen – und im schlimmsten Fall politische Entscheidungsträger – davon ab, den Klimawandel ernst zu nehmen und etwas dagegen zu tun; entsprechende politische Gegenmaßnahmen können so verzögert werden. Bei Abwägung beider Überlegungen ist es also falsch, von seiner Meinungsfreiheit auf unaufrichtige Weise Gebrauch zu machen. (Das gilt natürlich für jeden Interessenvertreter und nicht nur für die Vertreter der Öl-, Strom- und Industriekonzerne; auch der Lobbyist einer „grünen“ Nichtregierungsorganisation kann sich nicht auf die Meinungsfreiheit berufen, wenn er Fakten, von denen er weiß und die seinem Anliegen abträglich sind, unter den Tisch fallen lässt oder
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leugnet.) Natürlich gibt es auch die aufrichtigen Leugner – Menschen, die davon überzeugt sind, dass die Evidenzen für den Klimawandel nicht ausreichen und die es wirklich für wahr halten, dass es den Klimawandel nicht gibt. Und diesen Menschen kann man keinen Vorwurf der Unaufrichtigkeit machen. Unaufrichtiges öffentliches Leugnen ist ein falscher Gebrauch der Meinungsfreiheit, aufrichtiges öffentliches Leugnen hingegen nicht. Es gibt noch eine weitere, dazu spiegelbildliche ethische Frage: Wie geht man als jemand, der in den Medien über den Klimawandel berichtet, mit Menschen um, die den Klimawandel leugnen? In diesem Zusammenhang wird manchmal davon gesprochen, es sei eine journalistische Pflicht, sowohl Befürworter als auch Gegner einer Sache zu Wort kommen zu lassen. Das ist zwar richtig, aber es ist ein Missverständnis zu glauben, dass man es dabei belassen kann, „beide Seiten der Medaille“ abzubilden oder allen Stimmen gleich viel Platz in der Berichterstattung zuzugestehen. Im Kontext des Klimawandels führt dies nämlich zu dem Eindruck, die Schar der Klimawissenschaftler teile sich in zwei etwa gleich große Lager – jene, die den Klimawandel leugnen und jene, die das nicht tun. Wie wir bereits mehrfach betont haben, ist das jedoch einfach nicht der Fall. Und das widerspricht dem Ideal, dem der Journalismus eigentlich verpflichtet ist: der Wahrheit. Als Journalist der Wahrheit verpflichtet zu sein, heißt im Fall des Klimawandels also, nicht nur zwei widerstreitende Ansichten und ihre Argumente zu Wort kommen zu lassen, sondern auch über das Gewicht und den Begründungsgrad dieser Ansichten zu informieren. Man darf in einem Beitrag über den Klimawandel natürlich darauf hinweisen, dass es auch abweichende Stimmen gibt; und man darf auch die Argumente dieser Klimawandelleugner nennen. Aber man muss dann auch darauf hinweisen, dass es sich um eine Minderheitenposition handelt und dass die Argumente der Leugner entkräftet worden sind. Doch genau das geschieht bisweilen nicht, so dass bei der Leserschaft ein falscher Eindruck zurück bleibt: der Eindruck, das Lager der Klimawissenschaftler teile sich in zwei gleich große Fraktionen. Und das entspricht eben nicht der Wahrheit.
Fazit In diesem Kapitel ging es um eine genauere Prüfung des Schritts von den wissenschaftlichen Erkenntnissen hin zu einer ersten Antwort auf die Leitfrage, ob wir angesichts des Klimawandels eigentlich überhaupt etwas tun müssen. Für viele liegt dieser Schritt sehr nahe: Angesichts der Konsequenzen des Klimawandels sind wir verpflichtet, etwas dagegen zu unternehmen und Klimaschutz zu leisten. Einige Leute ziehen diese Schlussfolgerung allerdings nicht; sie leugnen, dass Klimaschutz moralisch gefordert ist. Dieses Leugnen kann ein Leugnen der Grundlage der Klimaschutzpflicht (der Klimawandel als moralisches Problem), ein Leugnen des Adressaten der Klimaschutzpflicht (die heutige Generation) oder ein Leugnen des Inhalts der Klimaschutzpflicht (Klimaschutz statt Anpassung) sein. In diesem Kapitel haben wir die erste Variante des Leugnens etwas genauer betrachtet und untersucht, welche verschiedenen Gründe man für die Behauptung, der Klimawandel sei gar kein moralisches Problem, eigentlich anführen könnte. Dabei hat sich herausgestellt, dass letztlich keiner dieser Gründe überzeugend ist (vgl. Argumente-Box 1). In den folgenden beiden Kapiteln wollen wir untersuchen, was es mit der zweiten und dritten Variante des Leugnens auf sich hat.
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Argumente-Box 1: Leugnen der Grundlage der Klimaschutzpflicht Die erste Variante, eine allgemeine Pflicht zum Klimaschutz zu leugnen, bezweifelt, dass es überhaupt eine Grundlage für eine solche Pflicht gibt – dass also überhaupt ein moralisches Problem vorliegt, auf das irgendjemand irgendwie reagieren müsste. Es gibt vier Gründe, warum man dieser Ansicht sein könnte: 1. Einwand: „Den Klimawandel gibt es nicht.“ – Entgegnung: Das widerspricht den wissenschaftlichen Erkenntnissen. 2. Einwand: „Der Klimawandel ist nicht vom Menschen verursacht; wir waren es nicht.“ – Entgegnung: Auch das widerspricht den wissenschaftlichen Erkenntnissen. 3. Einwand: „Der Klimawandel hat nicht nur schlechte Seiten.“ – Entgegnung: Die guten Seiten überwiegen die schlechten nicht; zudem muss man gravierend Schlechtes manchmal auch dann vermeiden, wenn man damit noch größeres Gutes erreichen könnte. 4. Einwand: „Wir können den Klimawandel gar nicht mehr vermeiden; es ist schon zu spät.“ – Entgegnung: Das ist falsch; es ist nicht zu spät, um den gefährlichen Klimawandel zu vermeiden; und selbst wenn es zu spät wäre, müssten wir den Schaden immer noch so klein wie möglich halten.
3 Grundsätzliche Zweifel an unserer Zukunftsverantwortung Die zweite Art, die Pflicht zum Klimaschutz zu leugnen, bestreitet nicht, dass der Klimawandel ein moralisches Problem darstellt und dass etwas dagegen getan werden muss. Sie bezweifelt allerdings, dass wir – die heute lebenden Menschen – es sind, die etwas dagegen tun müssen. Dieser Zweifel beruht auf einem viel grundsätzlicheren Zweifel daran, dass man zukünftigen Menschen überhaupt etwas moralisch schulden kann. Vielleicht haben Sie schon einmal erlebt, dass jemand in einer Diskussion über Weltarmut gesagt hat: „Das ist ja alles schlimm mit den armen und hungernden Kindern in Afrika; aber mal ganz ehrlich: Was habe ich damit zu tun? Was gehen mich diese Menschen in der Ferne an?“ So wie hier geleugnet wird, dass es Pflichten über räumliche Distanzen hinweg gibt, kann man auch leugnen, dass es Pflichten über zeitliche Distanzen hinweg gibt – also Pflichten zwischen verschiedenen Generationen: „Das ist ja alles schlimm für die Menschen in hundert Jahren; aber mal ganz ehrlich: Was habe ich damit zu tun? Was gehen mich diese Menschen in der fernen Zukunft an?“ An diesem Bedenken ist zunächst einmal etwas dran. Schließlich ist Klimaschutz ja tatsächlich ein intergenerationelles Problem (s. Kap. 1): Er kommt vor allem zukünftigen Generationen zu Gute. Denn jede Tonne CO2, die wir heute einsparen, wird vor allem das zukünftige Klima schützen. Insofern kann man Klimaschutz als etwas ansehen, das wir für zukünftige Generationen tun. Wieso – so könnte man fragen – sollen wir gegenüber den Menschen der Zukunft, die wir nicht kennen und mit denen wir nie etwas zu tun haben werden, eigentlich moralisch verpflichtet sein? Sie können uns niemals eine Gegenleistung erbringen, wenn wir für sie sorgen. Wenn wir zukünftigen Generationen tatsächlich gar nichts schulden würden, dann scheint es in Bezug auf den Klimawandel für uns auch keinen moralischen Handlungsbedarf mehr zu geben: Wir müssen also nichts tun. Doch haben diese Stimmen recht damit, dass wir zukünftigen Generationen rein gar nichts schulden können? Ein erster Blick auf unsere Alltagsmoral lässt das zweifelhaft erscheinen: Das Rentensystem mancher entwickelter Sozialstaaten wie Deutschland oder der Schweiz beruht auf der Idee einer generationenübergreifenden Solidargemeinschaft; wir sind offenbar der Auffassung, dass es moralisch richtig ist, wenn nicht jede Generation ihre eigene Altersvorsorge erwirtschaftet und zurücklegt, sondern wenn der jüngere, arbeitende Teil der Bevölkerung Zahlungen an den älteren, nicht mehr arbeitenden Teil der Bevölkerung erbringt – und damit ein Anrecht erwirbt, in Zukunft, wenn er selbst zum älteren Teil der Bevölkerung geworden ist, von dem dann jüngeren Teil finanziert zu werden. Das ist mit der Idee des Generationenvertrags gemeint: Die heutige Generation erbringt eine Pflicht, die sich aus dem Recht einer früheren Generation ergibt, und damit erwirbt die heutige Generation zugleich ein Recht, zu dessen Gewährleistung die zukünftige Generation verpflichtet ist. Wenn heutige Generationen gegenüber zukünftigen Generationen aber Rechte haben können, wieso sollten sie dann nicht
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im Prinzip auch Pflichten haben können? Der Zweifel an der grundsätzlichen Möglichkeit von Pflichten gegenüber zukünftigen Generationen scheint also nicht so leicht in Einklang zu bringen zu sein mit unserer Alltagsmoral. Die Vertreter dieser Variante müssen deshalb Argumente vorbringen, um uns davon zu überzeugen, dass wir entgegen unserem ersten Eindruck tatsächlich keine Pflichten gegenüber zukünftigen Generationen haben können. In der klimaethischen Diskussion spielen dabei vor allem drei Argumente eine Rolle, die wir in diesem Kapitel nacheinander genauer prüfen möchten.
„Nur wenn man miteinander zu tun hat“: beziehungsbasierte Auffassungen von Gerechtigkeit Ein erstes Argument knüpft an den Gedanken des Generationenvertrags an und verallgemeinert die Idee einer generationenübergreifenden Solidargemeinschaft. Worauf, so könnte man nämlich fragen, basieren eigentlich unsere Gerechtigkeitspflichten gegenüber anderen Personen? Im Fall des Generationenvertrags im Rentenwesen liegt es beispielsweise nahe zu sagen, dass hier nur deswegen Pflichten ins Spiel kommen, weil die Generationen, die über diesen Vertrag in einem Verpflichtungsverhältnis stehen, sich eine gewisse Zeit lang überlappen und in dieser Zeit in einer engen Beziehung zueinander stehen: Eltern sorgen für ihre Kinder; Lehrer bringen Schülern etwas bei; in jedem größeren Unternehmen tragen Mitarbeiter mehrerer Generationen zum Erfolg und Misserfolg des Unternehmens bei; nicht berufstätige Ruheständler engagieren sich ehrenamtlich in Vereinen und Gemeinden, was auch jungen Menschen zu Gute kommt; pflegebedürftige Menschen werden von ihren Angehörigen und Fachkräften umsorgt. Kurzum: Das gesamte Gefüge von sozialen Beziehungen innerhalb einer Gesellschaft ist durchdrungen von Beziehungen zwischen Mitgliedern verschiedener Generationen. Und von diesen Beziehungen profitieren beide Seiten – die „Jungen“ ebenso wie die „Alten“. Gerade das könnte man als eine Vorbedingung dafür ansehen, dass zwischen Jung und Alt Pflichten bestehen können: Indem nämlich ein Teil der Gesellschaft ( Jung bzw. Alt) zum gemeinschaftlichen Wohl beiträgt, erwirbt er einen Anspruch, der vom anderen Teil (Alt bzw. Jung), der von diesem Beitrag profitiert, erfüllt werden muss. Und genau das, so könnte man sagen, ist immer der Fall, wenn wir jemandem etwas schulden: Es muss bereits zuvor eine Beziehung bestehen zwischen demjenigen, der eine Pflicht erfüllen muss, und demjenigen, dem die Pflicht geschuldet ist. Das ist der Grundgedanke der „beziehungsbasierten Auffassung von Gerechtigkeit“: Gerechtigkeitspflichten kommen dort und nur dort ins Spiel, wo Personen oder Gemeinschaften in Beziehungen zueinander stehen. Welcher Art diese Beziehungen genau sind, wird in unterschiedlichen Varianten dieser Auffassung unterschiedlich ausbuchstabiert. Es könnten Beziehungen sein, in denen Personen zum gegenseitigen Vorteil kooperieren, Beziehungen innerhalb gemeinsamer staatlicher Institutionen oder auch Beziehungen innerhalb einer Gemeinschaft, die durch eine gemeinsame Herkunft und Kultur zusammengehalten wird. Wesentlich ist dabei, dass der beziehungsbasierten Auffassung von Gerechtigkeit zufolge irgendeine solche Beziehung notwendig ist, damit es Gerechtigkeitspflichten überhaupt geben kann. Nehmen wir an, wir haben zwei vollständig voneinander isolierte Inseln; die Bewohner der einen schwimmen wegen ihrer Bodenschätze geradezu im Wohlstand, während die Bewohner
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der anderen Insel aus dem kargen Boden gerade das Nötigste herausholen, um ihr Überleben zu sichern. Zwischen den beiden Inseln besteht kein Austausch, keine Kooperation und auch keinerlei sonstige Beziehung. Nach der beziehungsbasierten Auffassung haben die Bewohner der reichen Insel keinerlei Gerechtigkeitspflichten (etwa die Pflicht zu einem Wohlstandsausgleich) gegenüber den Bewohnern der armen Insel: Sie schulden ihnen nichts. Das schließt natürlich nicht aus, dass die Bewohner der reichen Insel aus Mitgefühl freiwillige Hilfe leisten, aber es wäre eben dies: eine freiwillige Tat und keine Pflicht. Ausgehend von einer solchen beziehungsbasierten Auffassung von Gerechtigkeit kann man nun ein erstes Argument für die zweite Variante des Leugnens – die Auffassung, dass wir gegenüber zukünftigen Generationen überhaupt keine Pflichten haben können – konstruieren. Denn zwischen heute lebenden Personen und den Personen, die in der fernen Zukunft existieren werden, bestehen scheinbar überhaupt keine Beziehungen. Wir erwirtschaften mit den noch nicht geborenen Menschen keine Güter; wir helfen ihnen nicht über die Straße und sie pflegen uns nicht, wenn wir krank sind; sie arbeiten nicht ehrenamtlich in unseren Vereinen und wir helfen nicht bei ihren Straßenfesten. Die Menschen der fernen Zukunft gleichen somit eher Fremden, die wir nicht kennen und mit denen wir nichts zu tun haben. Doch wenn zwischen gegenwärtigen und zukünftigen Generationen keine Beziehung besteht und eine Beziehung notwendig für Gerechtigkeitspflichten ist, dann haben gegenwärtige Generationen keine Gerechtigkeitspflichten gegenüber zukünftigen Generationen. Das ist eigentlich nur eine Ausformulierung der eingangs bereits genannten Frage: „Was in aller Welt habe ich mit den Menschen in fernen Ländern und der fernen Zukunft zu tun?“ Auch hier wird unterstellt, dass es Pflichten nur da geben kann, wo es Beziehungen gibt. Kann man diesem Argument etwas entgegensetzen? Man kann. Denn erstens können auch beziehungsbasierte Auffassungen von Gerechtigkeit nicht verneinen, dass wir sogar gegenüber Fremden gewisse Minimalpflichten haben. Sie sollten beispielsweise zugestehen, dass die Bewohner der reichen Insel nicht einfach eine Bombe auf die Bewohner der armen Insel werfen dürfen. Zumindest die Pflicht, andere nicht zu schädigen, oder die Pflicht, ihre Menschenrechte zu wahren, scheint unabhängig von Beziehungen bestehen, auch wenn alle darüber hinausgehenden Pflichten beziehungsbasiert wären. Und man kann sich fragen, ob sich nicht vielleicht auch einiges, wozu wir zukünftigen Generationen gegenüber verpflichtet sind, bereits aus solchen Minimalpflichten ableiten lässt: Schädigen wir denn zukünftige Generationen nicht, wenn unsere Treibhausgasemissionen z. B. dazu beitragen, dass tropische Wirbelstürme in Zukunft häufiger und vernichtender werden? Zweitens braucht es nicht besonders viel Einfallsreichtum, um auch innerhalb beziehungsbasierter Auffassungen gewisse Pflichten gegenüber der Zukunft zu rechtfertigen – wenn auch in indirekter Weise. So kooperieren wir zwar nicht mit entfernten Nachfahren, aber doch mit den Mitgliedern einer Generation, die sich mit unserer Generation überlappt. Wir kooperieren mit unseren Eltern und Großeltern, aber auch mit unseren Kindern und Kindeskindern. Innerhalb einer beziehungsbasierten Auffassung lassen sich also durchaus Pflichten gegenüber den vorangegangenen und nachkommenden Generationen rechtfertigen, die mit uns eine Zeit lang gleichzeitig existieren. Wenn nun aber jede Generation derartigen Pflichten nachkommt und für die ihr folgenden Generationen (die sie ja noch von Angesicht zu Angesicht kennt) sorgt, dann entsteht eine Kette von füreinander sorgenden Generationen. Und über diese Kette ist schlussendlich für alle Generationen – auch die der fernen Zukunft – gesorgt. Zwar wäre es dann ganz rich-
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tig, dass wir keine direkte Pflicht gegenüber Menschen der fernen Zukunft hätten, aber eine solche Pflicht käme sozusagen indirekt zustande, weil wir gegenüber der nächsten Generation eine Pflicht haben, welche wieder gegenüber der darauf folgenden Generation eine Pflicht hat und so weiter. Nun könnte man allerdings einwenden, dass eine solche Verpflichtungskette im Fall des Klimawandels gar nicht zustande kommt, weil die klimaschädlichen Auswirkungen der heutigen Emissionen nicht unsere direkten Nachkommen betreffen, sondern erst spätere Generationen. Die Wirkungen unserer Handlungen „überspringen“ sozusagen das nächste Glied der Verpflichtungskette. Doch dieser Einwand beruht auf der empirischen Annahme, dass unsere heutigen Emissionen tatsächlich keinerlei problematische Auswirkungen auf die direkt nachfolgende Generation haben. Wie einige klimawissenschaftliche Studien zeigen, trifft das wohl nicht ganz zu: Auch die Emissionen, die eine 30 Jahre alte Frau heute verursacht, führen zu einer in bereits 50 Jahren spürbaren Klimaerwärmung (vgl. Friedlingstein und Solomon 2005; Hare und Meinshausen 2006). Ihr heute geborener Sohn, der dann 50 Jahre alt ist, wird also direkt von den Emissionen seiner Mutter betroffen sein. Unsere heutigen Emissionen haben somit in Wahrheit doch problematische Auswirkungen auf die unmittelbar nachfolgende Generation. Drittens kann man den Spieß umdrehen und fragen, warum man eigentlich davon ausgehen sollte, dass sich Gerechtigkeitsfragen nur dort stellen, wo Menschen zueinander in Beziehungen stehen oder auf bestimmte Weise miteinander interagieren. Fällt man denn nicht schon allein deswegen in den Anwendungsbereich der Gerechtigkeit, weil man ein Mensch ist – unabhängig von der genauen Beziehung, in der man zu anderen Menschen steht? Ist es nicht ungerecht, wenn das Kind eines reichen Schweizer Managers in einer durchzechten Nacht für alkoholische Getränke so viel Geld ausgeben kann wie das Kind eines chinesischen Wanderarbeiters in fünf Jahren als Erntehelfer erarbeitet – unabhängig davon, ob sich die beiden Kinder kennen? Wenn man so fragt, dann stellt man die zentrale Prämisse der beziehungsbasierten Auffassung von Gerechtigkeit in Frage und entzieht dem ersten Argument gegen die Möglichkeit von zukunftsgerichteten Pflichten seine Grundlage. Nimmt man alle drei Entgegnungen zusammen, dann bleibt von diesem ersten Argument nicht mehr viel übrig: Es stellt keinen hinreichenden Grund dar, Pflichten gegenüber zukünftigen Generationen für unmöglich zu halten.
„Und wenn es dich gar nicht gäbe?“: das Problem der Nicht-Identität Ein zweites Argument für die Auffassung, dass wir gegenüber zukünftigen Generationen überhaupt keine Pflichten haben können, denkt einen Schritt weiter. Es geht von der Beobachtung aus, dass unsere Handlungen nicht ausschließlich die Konsequenzen haben, die wir beabsichtigen. Sie kaufen am Kiosk eine Zeitung und stecken Sie in die Tasche; ein Spaziergänger sieht dabei zufällig die Titelseite, entschließt sich, die Zeitung zu kaufen und – weil er schon dabei ist – gleich noch ein Lotterielos dazu. Er gewinnt den Hauptpreis, eine lebenslange monatliche Rente, die ihm und seiner Familie ein schönes Leben beschert. In gewisser Hinsicht hat Ihr Zeitungskauf als Nebenfolge das Leben des Spaziergängers erheblich verändert und den Lauf der Welt auf eine Weise beeinflusst, die Sie nicht beabsichtigten. Diese Beobachtung bildet im Zusammenhang mit dem Klimaschutz den Ausgangspunkt für die folgende Überlegung: Eine der unerwarteten Nebenfolgen klimapolitischer Maßnahmen ist
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nämlich, dass wir damit auch beeinflussen, welche Menschen in Zukunft überhaupt leben werden. Man stelle sich beispielsweise eine Person namens Laura um 2200 vor. Der Klimawandel ist Realität geworden, die globale Durchschnittstemperatur ist um fünf Grad gestiegen. Laura leidet darunter und beklagt sich darüber, dass vor 200 Jahren nichts dagegen getan wurde. Wenn wir als ihre Vorfahren aber tatsächlich etwas für den Klimaschutz getan hätten und die Emissionen rechtzeitig reduziert hätten, so hätten wir damit nicht nur das Klima geschützt, sondern noch viel mehr verändert: Unternehmen hätten andere Investitionen getätigt und Maßnahmen zur Energieeffizienz umgesetzt; gewisse Branchen (z. B. die Erdölindustrie) wären weniger stark gewachsen, andere (etwa der Bereich der erneuerbaren Energien) dafür umso stärker. Steuermittel wären in andere Forschungszweige geflossen und es wären andere technologische Entwicklungen eingetreten. Menschen hätten andere Berufe ergriffen, andere Gehälter bezogen und andere Güter gekauft. Manches gesellschaftliche Ereignis (etwa eine Diskussion über Klimaschutzmaßnahmen) hätte nie stattgefunden und manche Menschen wären einander privat oder geschäftlich gar nie begegnet. Wenn man all diese Effekte über die Jahre hinweg summiert, so ist es äußerst zweifelhaft, dass sich genau die zwei Personen, die Lauras Eltern werden sollten, getroffen hätten und in derselben Nacht mit derselben Eizelle und demselben Spermium, die Lauras DNA bestimmen, ein Kind gezeugt hätten. Doch damit wäre Laura auch nie geboren. In dem Szenario, in dem wir rechtzeitig Klimaschutzmaßnahmen ergriffen hätten, würde es Laura also nicht besser gehen, sondern es würde sie gar nicht geben! Es würden ganz andere Menschen als Laura existieren. Zwar würde es diesen anderen Menschen mit den Klimaschutzmaßnahmen besser gehen als es Laura ohne Klimaschutzmaßnahmen ginge, aber Laura selbst ginge es nicht besser. Mit der Klimapolitik beeinflussen wir also nicht nur, wie gut es Menschen in der fernen Zukunft geht, sondern auch, wer genau diese Menschen überhaupt sein werden. Auf den ersten Blick scheint dieser Gedankengang vielleicht eine abstrakte Spielerei zu sein. Doch er führt auf ein ernstes Problem, das auch als „Problem der Nicht-Identität“ bekannt geworden ist (Parfit 1984: Kap. 16): Denn unsere Pflicht zum Klimaschutz scheint darauf zu basieren, dass wir einige in Zukunft lebende Menschen schädigen würden, wenn wir heute keine Klimaschutzmaßnahmen umsetzen. Doch dass wir diese Menschen schädigen, scheint gerade zu bedeuten, dass es ihnen ohne unseren Klimaschutz schlechter geht als es ihnen mit Klimaschutz gehen würde. Klimaschutzpflichten scheinen damit auf der Idee zu basieren, dass es den betroffenen Menschen der Zukunft schlechter geht, wenn wir keinen Klimaschutz leisten, und besser, wenn wir doch Klimaschutz leisten. Dabei wird aber als eine Vorbedingung vorausgesetzt, dass die betroffenen Menschen in den beiden Szenarien identisch sind: Es muss ihnen mit Klimaschutz besser gehen als es ihnen ohne Klimaschutz geht. Doch wie wir gerade gesehen haben, ist diese Vorbedingung nicht erfüllt. Denn in dem Szenario, in dem wir Klimaschutz leisten, sind die Menschen, denen es dann gut gehen würde, ganz andere Menschen als die, denen es schlecht gehen würde, wenn wir keinen Klimaschutz leisten. Die Menschen, über die wir in den beiden Szenarien „mit Klimaschutz“ und „ohne Klimaschutz“ sprechen, sind also gar nicht identisch (daher heißt es auch „Problem der Nicht-Identität“). In der fernen Zukunft wird es somit niemanden geben, der sich darüber beklagen kann, dass es ihm selbst besser ginge, wenn wir das Klima geschützt hätten, denn in diesem Fall gäbe es ihn gar nicht. Es scheint daher, als würden unsere heutigen Treibhausgasemissionen eigentlich niemandem wirklich schaden; und damit kann es auch keine Klimaschutzpflicht gegenüber zukünftigen Generationen geben.
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In Reaktion auf die merkwürdige Schlussfolgerung, die sich aus dem Problem der Nicht-Identität ergibt, ist eine umfangreiche Auseinandersetzung entstanden (vgl. Roberts 2009). Aus den verschiedenen Antworten sei hier diejenige herausgegriffen, die uns am vielversprechendsten erscheint: Das Problem der Nicht-Identität beruht erstens auf der Annahme, dass die Klimaschutzpflicht dadurch begründet ist, dass Menschen geschädigt würden, wenn wir keinen Klimaschutz leisteten. Dabei wird zweitens eine Konzeption von Schädigung vorausgesetzt, in der man ein und dieselbe Person in zwei verschiedenen Szenarien betrachtet und sich fragt, ob es dieser Person in einem Szenario besser oder schlechter gehen würde als es dieser Person in einem anderen Szenario gehen würde. Die Idee der Schädigung scheint also stets einen Vergleich zwischen zwei Zuständen ein und derselben Person zu enthalten. Aber ist es plausibel, davon auszugehen, dass Klimaschutzpflichten nur durch die Idee der Schädigung begründet werden können? Und selbst wenn: Sollte man Schädigung dann als relative Schlechterstellung ein und derselben Person verstehen? Solange jemand eine gewisse Schwelle an Wohlergehen überschritten hat, ist es aus moralischer Perspektive oft weniger entscheidend, ob es ihm oberhalb dieser Schwelle besser oder schlechter geht; viel bedeutsamer ist es, ob Menschen überhaupt die Möglichkeit haben, diese Schwelle zu überschreiten und ein ausreichend gutes Leben zu führen. Und dabei ist es dann nicht entscheidend, wem genau unsere Handlungen diese Möglichkeit nehmen, sondern nur, dass sie irgendjemandem diese Möglichkeit nehmen. Die Art und Weise, wie wir über Rechte denken, veranschaulicht dies gut: Wir gehen oft davon aus, dass jeder Mensch gewisse Rechte hat – etwa die Menschenrechte (das Menschenrecht auf Leben, auf freie Wahl des Aufenthaltsorts oder auf Eigentum) oder Ansprüche, die sich aus Erwägungen der Verteilungsgerechtigkeit ableiten lassen (etwa den Anspruch auf einen gewissen Teil der natürlichen Ressourcen). Wenn man Rechte ins Spiel bringt, dann hängt die Frage, ob man etwas tun darf oder nicht, davon ab, ob das Tun die entsprechenden Rechte verletzt oder nicht; und für die Frage, ob Rechte verletzt werden, ist es nicht entscheidend, wessen Rechte es sind, solange es irgendjemandes Rechte sind. Stellen Sie sich einfach vor, ein verrückter Wissenschaftler schickt heute eine Rakete in die Atmosphäre, die in genau 200 Jahren eine hochgiftige Substanz auf der ganzen Erde verteilt, an der viele Menschen sterben werden. Der Wissenschaftler macht seine Tat heute weltweit bekannt; alle Menschen wissen also, was auf sie und ihre Nachfahren zukommt. Mit dieser Entscheidung beeinflusst der Wissenschaftler ganz sicher auch, welche Menschen es in 200 Jahren gibt: Einige Menschen werden sich vielleicht denken „Wenn ohnehin alles bald zu Ende geht, dann brauchen wir auch keine Kinder mehr in die Welt zu setzen“, es wird Forschungsprojekte geben, die auf die Verhinderung dieser Katastrophe abzielen, und manche Menschen wären sich ohne den Raketenstart niemals begegnet. Die Welt in 200 Jahren wird mit dem Start der Rakete also eine andere sein als ohne den Start der Rakete. Doch das hat keinerlei Auswirkungen auf die Frage, ob es dem Wissenschaftler moralisch erlaubt ist, die Rakete zu starten. Denn der Grund dafür, dass er die Rakete nicht starten darf, ist einfach, dass er damit das Recht auf Leben von einigen Menschen, die in 200 Jahren leben werden, verletzt. Und dabei spielt es gar keine Rolle, wer diese Menschen in 200 Jahren genau sind. Entscheidend ist lediglich, dass die Handlung das Recht auf Leben verletzt; wessen Recht auf Leben sie verletzt, ist für die Begründung der Pflicht, die Rakete nicht zu starten, unerheblich. Ganz analog könnte man im Fall des Klimaschutzes argumentieren: Unsere Emissionen sind wie die Rakete des Wissenschaftlers, auch sie verletzen die Rechte der zukünftig lebenden Men-
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schen. Wenn unser Handeln z. B. zu vermehrten und verstärkten Wirbelstürmen führt, die Menschen der Zukunft töten, verletzen, besitz- und obdachlos machen und zur Migration zwingen, dann verletzt unser Handeln das Recht auf Leben, auf körperliche Unversehrtheit, auf Eigentum und auf freie Wahl des Aufenthaltsorts. Entscheidend ist dabei nicht, ob es die Rechte von Laura oder Mauro sind, die verletzt werden, entscheidend ist einfach, dass überhaupt Rechte verletzt werden. Das reicht bereits um zu sagen: Wir müssen das Klima schützen. Dieser Vorschlag zeigt, dass es also auch Begründungsmöglichkeiten für Pflichten gegenüber zukünftigen Generationen gibt, die nicht von der Idee der Schädigung Gebrauch machen, welche dem Problem der NichtIdentität zugrunde liegt. Wir sind also nicht darauf angewiesen sind, zwischen zwei Zuständen ein und derselben Person zu vergleichen. Auch das zweite Argument spricht somit nicht dafür, dass es grundsätzlich keine zukunftsgerichteten Pflichten geben kann.
„Wissen wir nicht zu wenig?“: fehlendes Zukunftswissen Es gibt noch ein drittes Argument für die Auffassung, dass wir grundsätzlich keine zukunftsgerichteten Pflichten haben können. In der Variante, die Ihnen vielleicht auch schon einmal im Alltag begegnet ist, besagt es Folgendes: „Das ist ja alles schön und gut. Aber wir wissen doch gar nicht, was die Zukunft bringt! Vielleicht kommt es so, wie die Klimawissenschaftler behaupten, vielleicht kommt es aber auch ganz anders. Wieso sollten wir Klimaschutz leisten, wenn gar nicht klar ist, was dabei herauskommt?“ Der Grundgedanke ist hierbei, dass wir nicht mit absoluter Gewissheit wissen, wie die Zukunft aussieht, und dass wir deswegen keine zukunftsgerichteten Pflichten haben können. Dieses Argument ist relativ einfach zu entkräften. Denn allein aus der Tatsache, dass wir über die Zukunft nichts mit absoluter Gewissheit wissen, folgt sicherlich nicht, dass wir keine Pflichten haben, die etwas mit zukünftigen Zuständen der Welt zu tun haben. Ein Beispiel verdeutlicht das: Ihr Nachbar wird langsam sehr ärgerlich darüber, dass Ihre Tochter noch immer nicht aus seinem Garten verschwunden ist; er holt das Gewehr hervor und zielt auf Ihre Tochter. Darf er abdrücken? Nein, ganz sicher nicht, er ist moralisch verpflichtet, das zu unterlassen. Daran ändert sich auch nichts, wenn der Nachbar darauf hinweist, es sei ja gar nicht sicher, dass sich ein Schuss löst (vielleicht klemmt der Abzug), dass der Schuss – falls er sich löst – Ihre Tochter treffen wird (vielleicht fliegt just in diesem Moment ein Spatz durch die Schusslinie, in dem die Kugel stecken bleibt) oder dass Ihre Tochter – falls getroffen – überhaupt verwundet wird (vielleicht trägt sie ein Medaillon, an dem die Kugel abprallt). Es ist zwar richtig, dass niemand mit absoluter Gewissheit weiß, dass der Nachbar Ihre Tochter verletzen wird, wenn er abdrückt; aber das ändert nichts daran, dass er schlicht nicht abdrücken darf. Das obige Argument kann also nicht so gemeint sein, dass absolute Gewissheit über die Zukunft nötig ist, damit man überhaupt zu etwas verpflichtet sein kann; denn wäre das gemeint, dann gäbe es keinerlei Pflichten, weil es keine absolute Gewissheit über die Zukunft gibt. Vermutlich meint das Argument etwas Schwächeres: Damit es eine Pflicht geben kann, muss man hinreichend viel und hinreichend sicher über die Zukunft Bescheid wissen. Für unsere moralischen Pflichten ist nicht die absolute Gewissheit entscheidend, sondern das Ausmaß unserer (Un-)Gewissheit. Im Fall des Nachbarn mit dem Gewehr sind die Faktoren, die eine
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Verletzung Ihrer Tochter verhindern könnten, einfach sehr unwahrscheinlich und es ist somit sehr wahrscheinlich, dass Ihre Tochter verletzt oder gar getötet wird, wenn der Nachbar abdrückt. Im Fall des Klimawandels, so könnte man das Argument nun etwas anders konstruieren, ist es allerdings nicht in gleichem Maße sicher, dass die befürchteten problematischen Konsequenzen auch eintreten werden: Wir wissen nicht, wie viele Menschen der Meeresspiegelanstieg zur Migration zwingen wird, wie viele Menschen durch zusätzliche Wirbelstürme obdachlos werden oder wie hoch die Einbußen in der Landwirtschaft sein werden. In Bezug auf den zukünftigen Klimawandel wissen wir zwar einiges, aber eben auch nicht alles, und die Frage ist gerade, ob wir genug wissen, um verpflichtet zu sein. Doch auch in dieser Variante liefert das Argument aus dem fehlenden Zukunftswissen keinen zwingenden Grund, von einer grundsätzlichen Klimaschutzpflicht gegenüber zukünftigen Generationen abzurücken. Zwar ist es zunächst richtig, dass das Ausmaß unseres Wissens über die Zukunft einen Einfluss darauf hat, was wir tun sollen. Wenn es extrem unwahrscheinlich wäre, dass Klimaschutz den Klimawandel überhaupt vermeiden könnte, dann sähe die Sache aus moralischer Sicht tatsächlich anders aus. Aber erstens sagen uns die besten klimawissenschaftlichen Erkenntnisse, über die wir verfügen, dass es gerade nicht extrem unwahrscheinlich ist, dass Klimaschutz den Klimawandel vermeiden kann; im Gegenteil, es ist recht wahrscheinlich, dass mangelnde Klimaschutzmaßnahmen tatsächlich problematische Konsequenzen nach sich ziehen werden. Das ist vielleicht nicht ganz so wahrscheinlich wie die Verletzung Ihrer Tochter durch den Schuss des Nachbarn, aber es ist doch sehr wahrscheinlich. Wer das bezweifelt, der bezweifelt also eigentlich die wissenschaftlichen Erkenntnisse (und diese Form des Leugnens haben wir bereits im letzten Kapitel behandelt und widerlegt). Und zweitens ist es gar nicht so klar, dass sich – wie der Einwand voraussetzt – unter Bedingungen der Ungewissheit unsere Pflichten wirklich verringern und nicht sogar vergrößern. Stellen Sie sich vor, Sie haben einem Kollegen versprochen, ein Buch, das er Ihnen geliehen hat, per Post zurückzusenden und zwar so, dass er es in spätestens zwei Tagen erhält, da er es dringend für einen Vortrag benötigt. Der Herr am Postschalter sagt Ihnen nun, dass ein entsprechendes Paket im Normalfall zwei Tage braucht, bis es ankommt, dass es aber durchaus auch mal einen Tag länger (oder kürzer) brauchen könnte. Sie könnten das Buch aber auch mit einem etwas teureren privaten Kurierdienst versenden, dann ist es mit Sicherheit in zwei Tagen bei Ihrem Kollegen. Sie haben also zwei Optionen: Entweder Sie geben ein normales Paket auf, gehen damit aber ein gewisses Risiko ein, dass das Buch nicht rechtzeitig ankommt, Sie Ihr Versprechen nicht einhalten und Ihr Kollege seinen Vortrag nicht vernünftig vorbereiten kann. Oder Sie geben das Paket per Kurier auf und zahlen mehr, gehen dafür aber auch kein Risiko ein. Wozu sind Sie verpflichtet? Es scheint, als müssten Sie die kostspieligere Option wählen und das Paket per Kurier aufgeben. Das bedeutet aber, dass Sie in dieser Situation mehr tun müssen, wenn die Erreichung des Ziels (hier: die Einhaltung des Versprechens), zu dem Sie verpflichtet sind, unsicher wird. In bestimmten Zusammenhängen muss man bei fehlendem Zukunftswissen also mehr auf sich nehmen – und nicht weniger oder gar nichts. Wir werden auf die ethische Bedeutung von Ungewissheiten in Kapitel 8 noch genauer zu sprechen kommen. An dieser Stelle genügt es festzuhalten, dass hinter dem Einwand aus dem mangelnden Zukunftswissen letztlich entweder ein Zweifel an den wissenschaftlichen Erkenntnissen steckt oder aber eine fragwürdige Annahme über die Richtung, in die sich unsere Pflichten unter Unsicherheit verändern. So
3 Grundsätzliche Zweifel an unserer Zukunftsverantwortung
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oder so zeigt das Argument aus dem fehlenden Zukunftswissen jedenfalls nicht, dass wir grundsätzlich keine Pflichten gegenüber zukünftigen Generationen haben können.
Fazit In diesem Kapitel haben wir untersucht, was für und gegen die zweite Art, die Pflicht zum Klimaschutz zu leugnen, spricht. Die zweite Art des Leugnens setzt beim Adressaten der vermeintlichen Klimaschutzpflicht an – der heutigen Generation – und stellt in Frage, dass diese heutige Generation gegenüber zukünftigen Menschen überhaupt Pflichten haben kann. Für diesen Zweifel werden üblicherweise drei Argumente vorgebracht: das Argument aus der beziehungsbasierten Auffassung von Gerechtigkeit, das Argument aus dem Problem der NichtIdentität und das Argument aus unvollständigem Wissen. Es hat sich gezeigt, dass keines dieser Argumente einen zwingenden Grund darstellt, die radikalen Zweifel an Pflichten gegenüber zukünftigen Generationen ernst zu nehmen (s. Argumente-Box 2).
Argumente-Box 2: Leugnen des Adressaten der Klimaschutzpflicht Die zweite Variante, eine allgemeine Pflicht zum Klimaschutz zu leugnen, bezweifelt, dass wir als heutige Generation es sind, die etwas tun müssen – heute lebende Menschen könnten gegenüber zukünftig lebenden Menschen nämlich keinerlei moralische Pflichten haben. Es gibt drei Argumente, mit denen man diese Ansicht stützen könnte: 1. beziehungsbasierte Auffassungen von Gerechtigkeit: „Gerechtigkeitsfragen stellen sich nur, wenn Menschen in Beziehungen zueinander stehen. Das ist aber in Bezug auf zukünftige Generationen nicht der Fall.“ – Entgegnung: Erstens könnte auch ein Vertreter dieser Auffassung gewisse Minimalpflichten anerkennen, die nicht beziehungsbasiert sind; zweitens kann man mittels einer Verpflichtungskette auch innerhalb beziehungsbasierter Auffassungen eine indirekte Pflicht gegenüber zukünftigen Menschen ableiten; und drittens stimmt es einfach nicht, dass Gerechtigkeitsfragen sich nur innerhalb von Beziehungen stellen. 2. das Problem der Nicht-Identität: „Würden wir Klimaschutz leisten, würde es die Menschen, die wir angeblich schädigen, wenn wir keinen Klimaschutz leisten, gar nicht geben.“ – Entgegnung: Die Klimaschutzpflicht beruht nicht darauf, dass wir zukünftige Menschen schädigen, sondern darauf, dass wir ihre Rechte verletzen. Und dafür ist es unerheblich, welche Menschen genau in Zukunft leben werden; entscheidend ist nur, dass irgendjemandes Rechte verletzt werden. 3. fehlendes Zukunftswissen: „Wir wissen doch gar nicht, was die Zukunft bringt. Wieso sollten wir zu Klimaschutz verpflichtet sein, wenn gar nicht klar ist, was dabei herauskommt?“ – Entgegnung: Erstens ist absolute Gewissheit keine Vorbedingung dafür, dass man zu etwas verpflichtet ist. Zweitens ist unser Zukunftswissen über den Klimawandel gar nicht so lückenhaft. Und drittens stimmt es nicht, dass sich der Aufwand, den zu betreiben wir verpflichtet sind, immer verkleinert, wenn unser Zukunftswissen unvollständig ist – manchmal vergrößert er sich auch.
4 Klimaschutz, Anpassung oder Climate Engineering – führen viele Wege ans Ziel? Es gibt noch eine dritte Art, eine moralische Pflicht zum Klimaschutz zu leugnen. Diese setzt weder bei der Grundlage noch beim Adressaten der vermeintlichen Pflicht an, sondern bei deren Inhalt. Nach dieser Auffassung sind wir nicht dazu verpflichtet, den Klimawandel zu vermeiden (also das Klima zu schützen), sondern vielmehr dazu, zukünftigen Generationen die Möglichkeit zu geben, sich an den Klimawandel anzupassen oder mittels neuer Technologien in das Klimasystem einzugreifen, um den Treibhauseffekt zu kompensieren. Statt auf Klimaschutz (sog. Mitigation), so die Befürworter dieser Position, sollten wir auf Anpassung (sog. Adaptation) oder auf zusätzliche großflächige Eingriffe ins Klimasystem (sog. Climate Engineering) setzen. In diesem Kapitel möchten wir prüfen, ob gute moralische Argumente dafür sprechen, dass wir tatsächlich zu Ermöglichung von Anpassung oder Eingriffen ins Klimasystem statt zu Klimaschutz verpflichtet sind. Dazu werden wir die beiden Alternativvorschläge zunächst etwas genauer vorstellen und dann aufzeigen, dass diese Alternativvorschläge aus moralischer Sicht gegenüber dem Klimaschutz Nachteile haben.
Die Alternativvorschläge zum Klimaschutz Wenn es uns darum geht, die problematischen Konsequenzen zu vermeiden, die unsere heutigen Emissionen auf zukünftige Menschen haben, dann stehen uns tatsächlich verschiedene Wege offen. Dazu muss man sich die Wirkungskette vor Augen führen, die von unseren heutigen Emissionen zu den zukünftigen problematischen Folgen führt (vgl. Abb. 3): Unsere Emissionen sammeln sich in der Erdatmosphäre, in der die Konzentration von Treibhausgasen entsprechend steigt; diese erhöhte Konzentration führt über den Treibhauseffekt dazu, dass die mittlere globale Temperatur mit der Zeit steigt. Dieser Temperaturanstieg schließlich führt zu Dürren, häufigeren Extremwetterereignissen, dem Abschmelzen der Gletscher und so weiter – was wiederum direkt die Menschen in der Zukunft betrifft. Abbildung 3: Schematische Darstellung der Wirkungskette von den heutigen Treibhausgasemissionen zu den Auswirkungen auf zukünftige Menschen
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Die Auswirkungen auf die zukünftig lebenden Menschen sind, wie wir gesehen haben, moralisch problematisch und das heißt, dass wir diese Auswirkungen vermeiden sollten. Bislang sind wir davon ausgegangen, dass wir dazu beim Beginn der Wirkungskette ansetzen und die Emissionen reduzieren müssen; das war die Option „Klimaschutz“. Man kann aber auch bei den drei Zwischenschritten der Wirkungskette ansetzen. Genau dies tun die Optionen „Anpassung“ und „Eingriffe ins Klimasystem“ (vgl. Abb. 4). Die Strategie der Anpassung setzt beim letzten Zwischenschritt der Kette an. Dabei geht es darum, den Klimawandel bis zum dritten Glied der Kette, dem Temperaturanstieg, geschehen zu lassen, aber die Auswirkungen auf die zukünftigen Menschen zu reduzieren oder vollständig zu verhindern: Barrieren und Dämme helfen gegen den Meeresspiegelanstieg; neue dürreresistente Getreidesorten erlauben auch in längeren Trockenperioden ausreichende Erträge; mit Regenwasserreservoirs und Salzwasseraufbereitung kann man dem Wassermangel begegnen; Frühwarnsysteme und das kontrollierte Ablassen der Wassermengen in den Gletscherseen verhindern Überschwemmungen; ein Ausbau des Baumbestands beugt der Bodenerosion vor; und bessere Gesundheitssysteme und Impfungen können die gesundheitlichen Auswirkungen höherer Temperaturen mildern. Insofern diese „Anpassungsmaßnahmen“ die Verletzbarkeit zukünftiger Menschen für die Klimaerwärmung reduzieren, passt sich die Menschheit an die durch unsere heutigen Emissionen veränderten Klimabedingungen an.
Abbildung 4: Klimaschutz, Eingriffe ins Klimasystem (Climate Engineering) und Anpassung als unterschiedliche Möglichkeiten, die Wirkungskette zu durchbrechen
An dieser Stelle ist eine Differenzierung nötig: Unsere Emissionen haben im letzten Jahrhundert bereits zu einer Erwärmung von etwa 0,75 Grad geführt; da Emissionen zudem zeitverzögert wirken, ist selbst dann noch mit einem weiteren Temperaturanstieg zu rechnen, wenn wir von heute auf morgen mit dem Emittieren aufhören würden. Das heißt, dass gewisse Klimaschäden unausweichlich und entsprechende Anpassungsmaßnahmen darum in jedem Fall
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nötig sind. Wenn wir im Folgenden den Vorschlag diskutieren, Anpassung als Alternative zum Klimaschutz in Erwägung zu ziehen, dann stehen nicht diese Anpassungsmaßnahmen für bereits geschehene oder unabwendbare Klimaveränderungen zur Debatte; vielmehr geht es um die Frage, ob darüber hinaus Anpassungsmaßnahmen anstelle von Klimaschutzmaßnahmen umgesetzt werden sollen – ob also Anpassung als Ersatz für Klimaschutz dienen darf. Die Maßnahmen, die man als weitere Eingriffe ins Klimasystem (Climate Engineering) bezeichnen kann, setzen beim ersten und zweiten Zwischenschritt an; entsprechend gibt es zwei grundsätzliche Klassen derartiger Eingriffe (vgl. Royal Society 2009): Einerseits geht es um Technologien wie beispielsweise die Düngung der Ozeane oder das großflächige Versprühen von Silikaten, die bereits emittierte Treibhausgase aus der Atmosphäre binden und so die atmosphärische Treibhausgaskonzentration reduzieren. Diese sogenannten Carbon Dioxide Removals blockieren den ersten Zwischenschritt der Wirkungskette. Andererseits könnte man Technologien wie etwa große weltraumtaugliche Sonnensegel, die Aufhellung der Erdoberfläche, künstliche Wolkenbildung oder das Versprühen von kühlenden Aerosolen in der Atmosphäre einsetzen; dieses sogenannte Solar Radiation Management zielt darauf ab, den zweiten Zwischenschritt der Wirkungskette zu blockieren, indem es die Strahlungsbilanz der Erde verändert: Obwohl die atmosphärische Treibhausgaskonzentration damit unverändert bliebe, würde entweder weniger Sonnenstrahlung die Erde erreichen oder die Erde würde mehr Strahlung in den Weltraum abgeben können, so dass eine Temperaturerhöhung ausbliebe. Da sich die beiden Klassen von Technologien in ethischer Hinsicht nicht gravierend unterscheiden (und man zudem auch Maßnahmen aus beiden Klassen zugleich einsetzen könnte), werden wir im Folgenden nicht weiter zwischen Carbon Dioxide Removals und Solar Radiation Management unterscheiden, sondern einfach von Climate Engineering sprechen. Wie sind diese Alternativvorschläge zu bewerten? Ist es moralisch gesehen besser, am Beginn der Wirkungskette anzusetzen, oder kommen wir unserer Pflicht auch nach, wenn wir am letzten Zwischenschritt der Kette (Anpassung) oder den beiden ersten Zwischenschritten (Climate Engineering) ansetzen? Wir möchten im Folgenden dafür argumentieren, dass Klimaschutz aus moralischer Sicht die bessere Option ist und nicht durch Anpassung oder Climate Engineering ersetzt werden darf. Dazu werden wir zunächst einige Argumente betrachten, die auf den ersten Blick für Anpassung oder Climate Engineering sprechen und diese ausräumen. Anschließend werden wir drei Argumente vorbringen, die gegen Anpassung oder Climate Engineering sprechen (eine detaillierte Rekonstruktion der Argumente findet sich bei Betz und Cacean 2011: insb. Kap. 3).
Was für die Alternativvorschläge spricht Zunächst zu den Überlegungen, die dafür sprechen, eher auf die Möglichkeit zur Anpassung oder zu Climate Engineering zu setzen. Der erste Grund, warum man dieser Auffassung sein könnte, ist, dass sowohl Anpassungsmaßnahmen als auch die technische Bearbeitung des Klimasystems mittels Carbon Dioxide Removals und Solar Radiation Management billiger sein könnten als Klimaschutz. Dieses Argument setzt sich aus zwei Teilen zusammen: einer empirischen Behauptung („Die Alternativvorschläge sind billiger als Klimaschutz“) und einer mo-
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ralischen Behauptung („Die Tatsache, dass eine Option billiger ist als eine andere, ist moralisch relevant“). Beide Elemente sind zweifelhaft: Die finanziellen Kosten einer Handlungsoption sagen für sich genommen nichts über den moralischen Wert der Option aus. Die Sklaverei mag auch billiger gewesen sein als ein System, in dem jeder aus freien Stücken einer Arbeit nachgehen kann und dafür angemessen entlohnt wird; aber das rechtfertigt die Sklaverei aus moralischer Sicht natürlich nicht. Die Kosten einer Option werden moralisch erst dann relevant, wenn sie für denjenigen, der die Rechnung zahlen muss, moralisch unzumutbar werden. Doch das ist bei den Kosten, die wir für den Klimaschutz aufbringen müssten, ganz bestimmt nicht der Fall: Verschiedene klimaökonomische Studien (Stern 2009; Edenhofer u. a. 2010) kommen zu dem Schluss, dass diese Kosten nicht höher als im sehr niedrigen einstelligen Prozentbereich der jährlichen Wirtschaftsleistung liegen. Natürlich hängt die genaue Höhe der Kosten davon ab, wie viel Klimaschutz wir leisten müssen (eine Frage, die wir in Teil II angehen), doch bereits an dieser Stelle wird klar, dass sich die Kosten des Klimaschutzes weit unter der Größenordnung bewegen, die moralisch unzumutbar wäre. Das gilt jedenfalls, solange kein Land diese Kosten allein tragen muss, sondern diese unter der heutigen Generation gerecht aufgeteilt werden (eine Frage, die wir in Teil III angehen). Zudem – und damit kommen wir zum empirischen Teil des Arguments – muss man beachten, dass die Alternativvorschläge „Anpassung“ und „Climate Engineering“ auch mit einigen Risiken verbunden sind: Dämme könnten brechen oder nicht ausreichend hoch sein; die Düngung der Ozeane könnte über die Veränderung der Nahrungskette ungeahnte Folgen haben; die Entwicklung dürreresistenter Getreidesorten könnte auf sich warten lassen. Wenn man diese Risiken möglichst minimieren oder gar ausschließen will, dann werden die Anpassungsmaßnahmen und Climate Engineering recht aufwendig und damit teuer. Und dann ist gar nicht klar, dass diese Alternativvorschläge wirklich noch günstiger sind als der Klimaschutz. Eine zweite Überlegung, die dafür spricht, der Anpassung und dem Climate Engineering gegenüber dem Klimaschutz den Vorrang zu geben, ist folgende: „Klimaschutz ist nur wirksam, wenn sich viele oder gar alle Länder daran beteiligen. Das setzt aber eine politische Übereinkunft voraus und – wie die vergangenen gescheiterten Klimaverhandlungen zeigen – ist diese nicht leicht zu erzielen. Hingegen lässt sich ein politischer Konsens für Adaptationsmaßnahmen und Climate Engineering einfacher erreichen. Darum sollte man diesen Alternativvorschlägen den Vorzug geben.“
Auch diese Argumentation hat zwei Bestandteile: zum einen die empirische Behauptung, dass die Alternativvorschläge politisch konsensfähiger sind als der Klimaschutz, zum anderen die normative Behauptung, dass man eine konsensfähigere Option gegenüber den weniger konsensfähigen Optionen vorziehen sollte. Was den zweiten Teil des Arguments angeht, so ist zu bedenken, dass die normative Behauptung nicht unbedingt eine moralische Erwägung ist: Es ist nicht gemeint, dass die Frage, ob wir zu etwas verpflichtet sind oder nicht, direkt von der Konsensfähigkeit der betreffenden Handlungsoption abhängt. Das wäre eine recht abwegige Position (denn dann könnte man sich jeder Pflicht entledigen, der eine Gruppe von Personen – vielleicht aus Bequemlichkeit – nicht zustimmt). Gemeint ist vielmehr, dass es vernünftig oder klug wäre, seine Zeit und Ressourcen eher für die Alternativvorschläge einzusetzen, wenn die Option Klimaschutz politisch wenig aussichtsreich ist. Das ändert aber nichts daran, dass un-
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sere eigentliche moralische Pflicht der Klimaschutz bleibt. Wir werden in Kapitel 17 noch auf die Probleme zu sprechen kommen, die sich ergeben, wenn die idealen moralischen Anforderungen mit den nicht-idealen politischen Realitäten konfrontiert werden. An dieser Stelle genügt es festzuhalten, dass nicht ohne Weiteres klar ist, dass Überlegungen der Umsetzbarkeit (wie schon Erwägungen der Kosteneffizienz im ersten Argument) wirklich moralische Pflichten begründen können. Darüber hinaus sollte man beim ersten, empirischen Teil dieses Arguments nicht vergessen, dass es gar nicht ganz so klar ist, dass die Alternativvorschläge „Anpassung“ und „Climate Engineering“ wirklich konsensfähiger als der Klimaschutz sind. Schließlich müssen auch Maßnahmen wie ein weltraumtaugliches Sonnensegel erst einmal finanziert werden und bei der Finanzierung hat jeder Staat einen Anreiz, die anderen ihren Finanzierungsbeitrag leisten zu lassen und dann selbst keinen Beitrag zu leisten. Denn wenn eine Finanzierung des Segels zustande kommt, profitiert auch der Staat, der keinen Beitrag geleistet hat, von dessen kühlender Wirkung. In dieser Hinsicht ist die Interaktionssituation zwischen den beteiligten Staaten ganz ähnlich wie beim Klimaschutz. Das gilt in analoger Weise auch für den Alternativvorschlag „Anpassung“: Auch Anpassungsmaßnahmen müssen finanziert werden und die strittige Frage ist dabei, wer sie finanzieren soll. Die zähen und ergebnislosen Verhandlungen zu dieser Frage auf den letzten Klimakonferenzen zeugen davon, dass ein übergreifender Konsens in dieser Frage ähnlich schwierig zu erreichen ist wie beim Klimaschutz. Einen dritten Grund, die Alternativvorschläge gegenüber dem Klimaschutz vorzuziehen, könnte man darin sehen, dass wir in Zukunft in eine Situation geraten könnten, in der sich das Zeitfenster für Klimaschutz geschlossen haben wird und der Einsatz von Anpassungsmaßnahmen oder Climate Engineering das kleinere von zwei Übeln wäre (das andere Übel wäre, den Klimawandel vollständig zuzulassen). Diese Überlegung ist zwar zutreffend – wir könnten tatsächlich in diese Situation geraten. Und für diesen Fall wäre es gut, wenn dann entsprechende Technologien erforscht und einsatzbereit sind. Aber daraus folgt nicht, dass wir anstelle einer Pflicht zum Klimaschutz eine Pflicht zur Ermöglichung von Anpassung oder von Climate Engineering haben. Wenn eine solche Pflicht besteht, dann ist sie eher eine Ergänzung zur Klimaschutzpflicht und nicht ein Ersatz dafür. Zum Vergleich: Sie haben Ihrer Mutter versprochen, zu ihrer morgigen Geburtstagsfeier einen frischen, selbst gebackenen Kuchen mitzubringen. Da man Versprechen halten sollte, sind Sie verpflichtet, selbst einen Kuchen zu backen. Nun wissen Sie aber, dass Ihr Backofen in letzter Zeit gelegentlich nicht funktionierte. Es ist also gut möglich, dass Sie morgen früh in die Situation geraten, dass Sie den Kuchen einfach nicht selbst backen können; Sie könnten in diesem Fall lediglich einen Kuchen aus der Konditorei mitbringen (der dann eben nicht selbst gebacken wäre). Ein gekaufter Kuchen wäre – verglichen damit, dass Sie gar keinen Kuchen mitbringen – in dieser Situation das kleinere Übel. Damit Sie aber morgen einen Kuchen aus der Konditorei mitbringen können, müssen Sie bereits heute entsprechende Vorkehrungen treffen (eine Bestellung aufgeben, genügend Bargeld beisammen haben usw.). Auch hier gilt natürlich nicht, dass Sie anstelle der Pflicht, einen selbst gebackenen Kuchen mitzubringen, nun die Pflicht haben, Vorkehrungen zu treffen für den Fall, dass Ihr Backofen ausfällt. Vielmehr haben Sie weiterhin die Pflicht, selbst einen Kuchen zu backen. Die Vorkehrungspflicht kommt also allenfalls hinzu, aber sie ersetzt die ursprüngliche Pflicht nicht. Und genau das scheint auch im Fall der Klimaschutzpflicht und der Pflicht zur Ermöglichung von Anpassung und Climate Engineering zu gelten.
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Ein viertes Argument für den Vorzug der Alternativvorschläge ist, dass Anpassungsmaßnahmen oder Climate Engineering der einzige noch verbleibende Weg – die ultima ratio – sind, um die moralisch problematischen Auswirkungen auf zukünftige Menschen zu verhindern. Hier wird nicht damit argumentiert, dass das Zeitfenster für ausreichenden Klimaschutz bald geschlossen sein könnte, sondern damit, dass es bereits geschlossen ist. Das Argument setzt also voraus, dass es nicht mehr möglich ist, mittels einer Senkung der Emissionen (mittels Klimaschutz) einen gefährlichen Klimawandel zu vermeiden. Wir haben bereits in Kapitel 2 gesehen, dass diese Auffassung der wissenschaftlichen Erkenntnislage nicht gerecht wird. Noch bleibt uns Zeit, das Klima zu schützen (auch wenn die Zeit immer knapper wird). Auch das vierte Argument überzeugt also nicht.
Was gegen die Alternativvorschläge und für Klimaschutz spricht Bisher haben wir keine zwingenden Gründe gefunden, die Alternativvorschläge „Anpassung“ und „Ermöglichung von Climate Engineering“ dem Klimaschutz vorzuziehen. Es gibt allerdings einige Gründe dagegen: Erstens setzte die bisherige Diskussion voraus, dass der einzige Faktor, auf den es aus moralischer Sicht ankommt, die Vermeidung der problematischen Auswirkungen auf die zukünftigen Menschen (das letzte Glied der Wirkungskette, vgl. Abb. 3) ist. Doch unter einer nicht-anthropozentrischen Perspektive (vgl. Kap. 1) kommen bereits an anderen Stellen der Wirkungskette moralisch relevante Faktoren ins Spiel: Wenn man beispielsweise nur auf die Option Anpassung setzt, dann können zwar die Auswirkungen der Temperaturerhöhung auf den Menschen gemildert werden. Nicht verhindert werden allerdings die Auswirkungen auf die Ökosysteme: Die Ozeane versauern; Tier- und Pflanzenarten, die im Meer leben, sterben aus; die Polkappen verschwinden und mit ihnen die Eisbären; viele Alpengletscher wird man nur noch auf alten Fotos betrachten können; und die Desertifikation (Wüstenbildung) verändert das Landschaftsbild in Südeuropa. Wenn man glaubt, dass in moralischer Hinsicht nicht ausschließlich die Menschen zählen, sondern dass auch das Leiden von Tieren, die Verringerung der Artenvielfalt oder die Veränderung der Landschaft moralisch relevant sind, dann scheint Klimaschutz gegenüber Anpassung die bessere Option zu sein (jedenfalls sofern es darum geht, Anpassungsmaßnahmen als Ersatz für den Klimaschutz umzusetzen); denn Klimaschutz ließe die Ökosysteme viel intakter. Dieses Problem stellt sich für den anderen Alternativvorschlag, den bewussten Eingriff in das Klimasystem (Climate Engineering), nicht in gleicher Weise, lässt sich aber auch nicht ausschließen: Die Düngung der Ozeane wird auch Einfluss auf die Artenvielfalt haben und die künstliche Aufhellung der Erdoberfläche (zur Erhöhung des Anteils der von der Erde zurückgeworfenen Strahlung) verändert das Landschaftsbild ebenfalls stark. Von einem ökozentrischen Standpunkt aus ist Klimaschutz den Alternativvorschlägen also noch stärker vorzuziehen. Das zweite Argument zum Vorrang des Klimaschutzes nimmt die Nebenfolgen der Alternativvorschläge in den Blick und verweist darauf, dass sie zur Vernachlässigung des Klimaschutzes führen könnten: Wenn man mit Anpassungsmaßnahmen oder der Erforschung von Climate Engineering beginnt, dann kann dies für sich genommen bereits dazu führen, dass Individuen und Staaten weniger Anstrengungen unternehmen, um den Klimawandel zu ver-
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meiden. Die Ermöglichung von Anpassung und Climate Engineering könnte als eine Art Versicherung betrachtet werden, die uns träge werden lässt hinsichtlich dessen, was wir eigentlich tun müssten (nämlich Klimaschutz); zudem kann jeder Euro, der anstelle des Klimaschutzes in die Erforschung von Climate Engineering oder in Adaptation gesteckt wird, nicht mehr für den Klimaschutz aufgewendet werden. Man sollte also besser nicht als Ersatz für Klimaschutz auf die Alternativvorschläge setzen. Ein drittes Argument für den Vorzug des Klimaschutzes – eigentlich ist es eher ein Komplex von mehreren Überlegungen – hat mit den Risiken zu tun, die mit dem Einsatz der Alternativvorschläge verbunden sind. Hier sind vor allem zwei Risiken relevant: auf der einen Seite das Risiko, dass es trotz des Einsatzes der Alternativvorschläge zu denjenigen katastrophalen Folgen kommt, die man eigentlich verhindern wollte, und auf der anderen Seite die Risiken, dass neue ungeahnte Nebenfolgen eintreten, wenn man die Alternativvorschläge einsetzt. Nennen wir das erste Risiko das „Restrisiko der Unwirksamkeit“ und das zweite Risiko „das Risiko neuer Gefahren“. Zunächst zum Restrisiko der Unwirksamkeit: Es ist wichtig zu sehen, dass man weder mit Anpassung noch mit Eingriffen ins Klimasystem alle Risiken für katastrophale Folgen vollständig ausschalten kann. Die Strategie der Anpassung hat z. B. bei Wirbelstürmen ihre Grenzen: Man kann Häuser, Züge und die Infrastruktur zwar so bauen, dass sie im Fall eines Wirbelsturms weniger schadensanfällig sind, aber alle potenziellen Klimaschäden wird man damit nie ausschließen. Ein anderes Beispiel für das Problem des Restrisikos ist das sogenannte „Terminationsproblem“ (Royal Society 2009: 24): Stellen Sie sich vor, die Menschheit hat auf Climate Engineering gesetzt, riesige Sonnensegel im Weltraum errichtet, 200 Jahre lang munter emittiert und so die Konzentration der Treibhausgase erhöht, ohne dass die globale Durchschnittstemperatur gestiegen ist. Eines Tages zerstört ein Meteorschauer alle Sonnensegel. Diese können nicht von heute auf morgen ersetzt werden, aber aufgrund der inzwischen extrem hohen Konzentration von Treibhausgasen in der Atmosphäre kommt es innerhalb kurzer Zeit zu einer starken Erwärmung. In diesem Szenario bleibt weder der Natur noch dem Menschen genügend Zeit, sich an diese drastische und kurzfristige Veränderung anzupassen – es wäre, als hätte jemand die Erde in einen 200 Grad heißen vorgewärmten Ofen geschoben. Die Auswirkungen wären wahrscheinlich äußerst gravierend. Es gibt also ein Restrisiko, dass die Alternativvorschläge versagen und uns nicht vollständig vor den Folgen bewahren, vor denen sie uns bewahren sollten. Und dieses Risiko ist größer, als wenn wir auf die Option Klimaschutz setzen. Wenn es aber aus moralischer Sicht darum gehen soll, genau dieses Risiko für zukünftige Menschen möglichst klein zu halten, dann ist ambitionierter Klimaschutz gegenüber Climate Engineering oder Anpassung vorzuziehen. Nun zum zweiten Risiko, dem Risiko neuer Gefahren: Anpassungsmaßnahmen und insbesondere Climate Engineering erfordern großflächige Eingriffe in die Ökosysteme und die zivilisatorische Infrastruktur. Die schiere Größe dieser Eingriffe könnte unbeabsichtigte Nebenfolgen mit sich bringen, selbst wenn das Ziel (die Klimaerwärmung zu vermeiden) erreicht würde: Vielleicht führt die Düngung der Ozeane zu einer drastischen Veränderung der maritimen Nahrungskette; vielleicht werden Sonnensegel zum politischen Macht- und Erpressungsinstrument, um die sich Kriege entfachen; oder die Sonnensegel verringern die Ernteerträge, weil die verminderte Strahlungsintensität der Sonne für eine volle Entfaltung der Getreidepflanzen nicht mehr ausreicht; oder der großflächige Einsatz von Flugzeugen zum
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Versprühen von Aerosolen oder Silikaten erhöht den weltweiten Energiebedarf. Angesichts dieser neuen Gefahren scheint es sicherer, die Wirkungskette gar nicht erst in Gang zu bringen (also die Emissionen zu senken) als die Kette ein Stück weit zuzulassen und dann zu versuchen, sie zu kontrollieren. Denn im zweiten Fall ist es möglich, dass man die Geister, die man rief, nicht mehr loswird. Der Umgang mit Risiken und Unsicherheiten verkompliziert die ethische Auseinandersetzung mit dem Klimawandel und wir werden in Kapitel 8 noch einmal darauf zu sprechen kommen. In Bezug auf die Frage, ob wir zukünftigen Generationen statt Klimaschutz nicht eher die Möglichkeit zur Anpassung oder zu Climate Engineering schulden, liegt jedenfalls folgende Antwort nahe: Die Tatsache, dass bei den Alternativvorschlägen zum Klimaschutz ein nicht vernachlässigbares Restrisiko für Fehlschläge und ein Risiko für neue, unbekannte Nebenfolgen besteht, spricht gegen diese Alternativvorschläge. Moralisch gesehen hat Klimaschutz also Vorrang.
Fazit In diesem Kapitel haben wir die dritte Art, die Pflicht zum Klimaschutz zu leugnen, genauer untersucht. Diese Art des Leugnens besagt, dass wir, die heute lebenden Menschen, zukünftigen Generationen nicht Klimaschutz schulden, sondern die Möglichkeit, sich an den Klimawandel anzupassen oder in das Klimasystem einzugreifen. Wir haben zunächst dargestellt, worin diese beiden Alternativvorschläge bestehen, um dann zu untersuchen, was für und was gegen sie spricht. Dabei hat sich gezeigt, dass keines der Argumente, die einen vermeintlichen Vorrang der Alternativvorschläge gegenüber dem Klimaschutz begründen sollen, letztlich erfolgreich ist. Umgekehrt gibt es drei starke Gründe dafür, Klimaschutz zu leisten statt auf die Möglichkeit zur Anpassung oder des Climate Engineering zu setzen (vgl. Argumente-Box 3). Keine unserer Überlegungen schließt allerdings aus, Anpassung und Climate Engineering ergänzend zum Klimaschutz in Betracht zu ziehen. Wichtig ist lediglich, dass die Alternativen die Pflicht zum Klimaschutz nicht ersetzen können. Die vorrangige moralische Pflicht der heutigen Generationen bleibt also der Schutz des Klimas. Damit hat sich gezeigt, dass alle drei Formen, eine Pflicht zum Klimaschutz zu leugnen, letztlich nicht überzeugen. Die Antwort auf die erste Leitfrage der Klimaethik – „Müssen wir in Bezug auf den Klimawandel überhaupt etwas tun?“ – lautet somit: „Ja, wir müssen etwas tun – und zwar Klimaschutz leisten. Das ist es, was wir zukünftigen Generationen schulden.“ Damit ist natürlich noch nicht gesagt, wie viel genau wir ihnen schulden bzw. wie viel wir genau tun müssen (die zweite klimaethische Leitfrage) und wie wir das, was wir tun müssen, untereinander verteilen sollen (die dritte klimaethische Leitfrage). Diesen Fragen wenden wir uns nun zu.
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Argumente-Box 3: Leugnen des Inhalts der Klimaschutzpflicht Die dritte Variante, eine Pflicht zum Klimaschutz zu leugnen, bezweifelt, dass es eine Pflicht zum Klimaschutz ist; stattdessen, so der Vorschlag, schulden wir zukünftigen Generationen die Möglichkeit, sich an den Klimawandel anzupassen oder ihn mittels technischer Eingriffe ins Klimasystem (Climate Engineering) zu kompensieren. Für diese Auffassung werden häufig vier Argumente vorgebracht, die sich jedoch alle entkräften lassen: 1. Argument: „Die Alternativvorschläge sind billiger als der Klimaschutz.“ – Entgegnung: Finanzielle Kosten sind für sich genommen moralisch nicht relevant; will man zudem alle Risiken minimieren, werden die Alternativvorschläge sehr teuer. 2. Argument: „Die Alternativvorschläge sind konsensfähiger als Klimaschutz.“ – Entgegnung: Ob man zu etwas verpflichtet ist, hängt nicht davon ab, ob es konsensfähig ist oder nicht; zudem könnte auch die Finanzierung der Alternativvorschläge am politischen Willen bzw. an mangelndem Konsens scheitern. 3. Argument: „Die Alternativvorschläge könnten in Zukunft das kleinere Übel sein.“ – Entgegnung: Das spricht allenfalls dafür, zusätzlich zum Klimaschutz auf andere Strategien zu setzen, aber es spricht nicht dafür, den Klimaschutz ganz aufzugeben. 4. Argument: „Die Alternativvorschläge sind die ultima ratio.“ – Entgegnung: Das Argument setzt voraus, dass es bereits zu spät ist, um mit einer Senkung der Emissionen einen gefährlichen Klimawandel zu vermeiden; das widerspricht allerdings dem wissenschaftlichen Erkenntnisstand. Demgegenüber gibt es drei Argumente, die für den Vorrang des Klimaschutzes gegenüber den Alternativvorschlägen sprechen: 1. Argument: Vom Standpunkt einer nicht-anthropozentrischen Ethik aus betrachtet sind Anpassungsmaßnahmen und Climate Engineering moralisch schlechter als Klimaschutz, weil sie stärker in die Ökosysteme eingreifen. 2. Argument: Die Erforschung von Climate Engineering und Adaptationstechnologien (als Ersatz für Klimaschutzmaßnahmen) führt zu einer Vernachlässigung des Klimaschutzes. 3. Argument: Die Alternativvorschläge beinhalten ein nicht vernachlässigbares Risiko für katastrophale Folgen und schaffen selbst neue Risiken.
Teil II Wie viel müssen wir tun? Intergenerationelle Gerechtigkeit
5 Gleich viel für unsere Nachfahren Grundsätzliche Skepsis an der Pflicht zum Klimaschutz ist schwer zu begründen. Das hat uns der vorherige Teil gezeigt. Somit können wir uns der zweiten klimaethischen Leitfrage zuwenden: Wie viel Klimaschutz schulden wir zukünftigen Generationen? Ist die Klimagefahr so groß, dass wir unseren heutigen Lebensstil auf den Kopf stellen müssen? Oder hinterlassen wir unseren Nachkommen auch dann ein akzeptables Erbe, wenn wir den Klimaschutz auf diejenigen Maßnahmen beschränken, die uns „nicht wehtun“? Eine prominente Antwort auf die Frage „Wie viel Klimaschutz?“ findet sich in der Klimarahmenkonvention aus dem Jahr 1992. Artikel 2 beschreibt als Ziel die Verhinderung einer „gefährlichen anthropogenen Störung des Klimasystems“. Doch was muss als „gefährliche“ Störung gelten? Wenn dieser vage Begriff umschreiben soll, wie viel Klimaschutz wir zukünftigen Generationen schulden, dann kann er nicht ausbuchstabiert werden, ohne auf ethische Aussagen zu intergenerationeller Gerechtigkeit Bezug zu nehmen. In diesem Teil des Buches fragen wir deshalb zuerst ganz allgemein – ohne starken Bezug auf die Klimaschutzfrage –, was unseren Nachkommen zusteht. Von einer Antwort auf diese allgemeine Frage hängt es dann ab, was wir ihnen im spezifischen Kontext der Klimapolitik – im Sinne einer Verhinderung einer „gefährlichen“ Störung des Klimasystems – schulden. Wir können die aufeinanderfolgenden Generationen mit Wanderern vergleichen, die eine Berghütte eine Nacht lang benutzen (Gosseries 2008). Genauso wie sich für die Wanderer die Frage stellt, wie gut sie die Hütte am Morgen für die nächsten Besucher herrichten müssen, stellt sich für jede Generation die Frage, in welchem Zustand sie die Erde den nächsten Generationen hinterlassen muss. In Berghütten sind verschiedene Regeln üblich. So könnte es heißen: „Hinterlasse die Hütte so sauber, wie du sie angetroffen hast.“ In anderen Hütten lautet die Regel: „Jeder soll ein wenig zur Verschönerung der Hütte beitragen.“ In wieder anderen heißt es einfach: „Hinterlasse die Hütte sauber.“ Ähnliche Regeln sind im Bereich der intergenerationellen Gerechtigkeit denkbar, und in diesem Teil des Buches prüfen wir deren drei: Wir müssen zukünftigen Generationen gleich viel hinterlassen, wie wir selbst haben (Kap. 5), mehr hinterlassen, als wir selbst haben (Kap. 6), oder „ausreichend“ viel hinterlassen (Kap. 7). Zuvor müssen wir aber eine vorgelagerte Frage aufwerfen: Gleich viel, mehr oder ausreichend viel wovon?
Was steht zur Verteilung an? Im Wandererbeispiel ging es um die Sauberkeit der Hütte. Das kann ein Bild für die Umweltqualität der Erde sein. In der intergenerationellen Gerechtigkeit muss es aber um ein noch allgemeineres Gut gehen. Dieses Gut können wir mit dem Begriff „Wohlergehen“ oder „Lebensqualität“ bezeichnen. Spezifischere Güter – wie die Umweltqualität oder den materi-
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ellen Wohlstand – betrachten wir in diesem Teil insofern als relevant, als sie dem Wohlergehen zu- oder abträglich sind. Die Frage dieses Teils ist also, ob das Wohlergehensniveau über die Zeit erhalten, gesteigert oder auf ein ausreichendes Niveau gebracht werden muss. Emissionsreduktionen verschieben in dieser Perspektive sozusagen Wohlergehen von der Gegenwart in die Zukunft (und umgekehrt verschieben Emissionen Wohlergehen von der Zukunft in die Gegenwart): Maßnahmen zur Emissionsreduktion kosten uns heute etwas, während die damit einhergehende Vermeidung des Klimawandels das zukünftige Wohlergehen befördert. Allerdings ist Wohlergehen in seiner Allgemeinheit schwer zu fassen und vor allem schwer zu messen. In der Praxis sprechen wir deshalb oft nicht direkt über das Wohlergehensniveau. Oft ist es einfacher, den Umfang der Pflichten gegenüber der Zukunft mittels eines indirekten Maßes zu bestimmen. Dabei können verschiedene Maße als Annäherung an die Wohlergehensverluste und -zugewinne durch Klimaschutz dienen. Wenn wir in Abbildung 5 (die die Wirkungskette aus Abbildung 3 wiedergibt) ganz rechts beginnen, so können wir die Auswirkungen heutiger Emissionen auf die Zukunft beispielsweise als Verluste des zukünftigen Bruttoinlandsprodukts ausdrücken. Natürlich stellt das nur eine sehr unvollkommene Annäherung an das Wohlergehen dar. Trotzdem ist das Bruttoinlandsprodukt eines der gebräuchlichsten Maße, um die heutigen Kosten und den zukünftigen Nutzen des Klimaschutzes zu erfassen. So verwendet der vielbeachtete britische Regierungsbericht aus der Feder des ehemaligen Weltbank-Chefökonomen Nicholas Stern als Aufhänger die Frage, mit welchem Aufwand klimabedingte Einbußen vermieden werden können, die einem Verlust von 5 bis 20% des globalen Bruttoinlandsprodukts entsprechen (Stern 2007: 162). Dahinter kann der Gedanke liegen, dass ein solcher Verlust aus der Perspektive der intergenerationellen Gerechtigkeit kaum zu rechtfertigen wäre. Weiter links in der Wirkungskette könnten wir als „Währung“, welche die Wohlergehensverluste zukünftiger Generationen annäherungsweise repräsentiert, aber auch den Temperaturanstieg nehmen. Besonders prominent ist die Forderung, den Temperaturanstieg unter zwei Grad zu halten. Das Zwei-Grad-Ziel ist die Bezugsgröße vieler Länder (einschließlich der Europäischen Union) und des Abschlussdokuments der Kopenhagener Klimakonferenz aus dem Jahr 2009. Eine weitere Möglichkeit, das Ausmaß der intergenerationellen Pflichten auszudrücken, ergibt sich eine Stufe weiter hinten in der Wirkungskette. Bekannt ist die Forderung, die atmosphärische CO2-Konzentration unter 350 ppm (McKibben 2011: 15 und 19) oder 450 ppm (oft als Pendant zum Zwei-Grad-Ziel verstanden) zu stabilisieren. Dieser Wert lag bis zur Industrialisierung bei rund 275 ppm; derzeit sind wir bei rund 400 ppm angelangt. Anhand des letzten Kastens ganz links könnten wir das geforderte Maß an Klimaschutz auch über ein maximal zulässiges „Emissionsbudget“ für die gegenwärtige Generation beziffern (bzw. umgekehrt über die minimal geforderte Emissionsreduktion). Ein konkretes Beispiel ist die eingängige Forderung, das Emissionsbudget auf durchschnittlich eine Tonne CO2 pro Mensch und Jahr zu beschränken (bspw. WBGU 2009: 3). Das würde einer Emissionsreduktion auf rund ein Viertel des Status quo gleichkommen. Ein maximal zulässiges Emissionsbudget kann natürlich auch für längere Zeiträume angegeben werden, so z. B. in der Forderung, die gesamten Emissionen seit Beginn der Industrialisierung auf weniger als eine Billion Tonnen Kohlenstoff zu beschränken. Zum jetzigen Zeitpunkt haben wir bereits etwas mehr als die Hälfte dieses Budgets aufgebraucht und könnten die bil-
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lionste Tonne noch vor Mitte des 21. Jahrhunderts erreichen (Allen u. a. 2009). Statt über das Emissionsbudget könnte man die Pflichten der gegenwärtigen Generation natürlich auch an den Kosten messen, die sie für Emissionsreduktionen auf sich nehmen müsste. Abbildung 5: Schematische Darstellung der Wirkungskette von den heutigen Treibhausgasemissionen zu den Auswirkungen auf zukünftige Menschen
Wer auf das linke Ende der Wirkungskette fokussiert, denkt von den Pflichten der Gegenwart her; wer auf das rechte Ende der Abbildung fokussiert, denkt von den vertretbaren Auswirkungen auf die Zukunft her. Die Aufgabe der Wissenschaft besteht darin, die verschiedenen Stufen der Ursache-Wirkungs-Kette ineinander umzurechnen. Konkret: Wie hoch kann das Emissionsbudget maximal sein, ohne dass sich die atmosphärische Treibhausgaskonzentration so stark erhöht, dass ein Temperaturanstieg folgt, der mit Klimaschäden einhergeht, die zu unvertretbar hohen Wohlergehensverlusten führen? Diese Umrechnungen sind natürlich mit enormer Unsicherheit behaftet. Diesen Aspekt lassen wir der Übersichtlichkeit halber vorerst außer Acht und greifen ihn erst in Kapitel 8 als Grund für zusätzliche Emissionsreduktionen wieder auf. In Kapitel 9 kommt ein weiterer Grund für Emissionsreduktionen ins Spiel, den wir vorerst ausblenden: Die Auswirkungen des Klimawandels sind innerhalb der zukünftigen Generationen nicht gleichmäßig verteilt. Je nach Reichtum, geographischer Lage usw. schlägt sich der Klimawandel auf sehr unterschiedliche Weise nieder. In diesem und den zwei folgenden Kapiteln fragen wir uns unter diesen vereinfachenden Annahmen, welche Auswirkungen gegenwärtigen Handelns auf zukünftige Generationen akzeptabel sind. Dabei prüfen wir die drei erwähnten Prinzipien intergenerationeller Gerechtigkeit: dass es unseren Nachfahren gleich gut wie uns, besser als uns oder ausreichend gut gehen soll.
Unseren Nachkommen soll es nicht schlechter als uns gehen Als erstes Prinzip intergenerationeller Gerechtigkeit betrachten wir in diesem Kapitel die Idee, dass man „die Berghütte“ nicht in einem schlechteren Zustand hinterlassen sollte, als man sie selbst genießen konnte. Mit anderen Worten: das Wohlergehen unserer Nachkommen soll mindestens so hoch wie das unsere sein. Gleichheit zwischen heute und morgen ist die intuitiv nächstliegende Auffassung intergenerationeller Gerechtigkeit. Es scheint unfair, dass unsere Generation die Party feiert und das Aufräumen anderen „am Morgen danach“ überlässt. Diese Forderung findet sich in der herrschenden Diskussion in unzähligen – expliziten und impliziten – Formen. „Nachhaltigkeit“ übersetzt sich z. B. auf Englisch mit sustainability. Der Wortteil sustain zeigt an, dass wir etwas – hier: Wohlergehen – aufrecht erhalten sollen. Auch hinter dem Gebrauch des Konzepts des sogenannten ökologischen Fußabdrucks steckt oft ein Gleichheitsgedanke. Viele empfinden es als problematisch, wenn die gegenwärtige Weltbevöl-
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kerung einen Fußabdruck von mehr als einer Erde hat, was bedeutet, dass wir die Ökosysteme intensiver nutzen als sie sich regenerieren können. Es wäre unfair, die Dienstleistungen der Natur stärker in Anspruch zu nehmen, als es zukünftigen Generationen möglich sein wird. Unser heutiger Lebensstil darf zukünftigen Generationen keine Nachteile bringen, die wir uns selbst nicht zumuten. Aber warum eigentlich nicht? Ist es tatsächlich ungerecht, wenn es manchen besser geht als anderen? Wir empfinden es ja auch nicht als ungerecht, dass der Lebensstandard früher niedriger war als heute. Weshalb genau sollte es dann ungerecht sein, wenn er auch in der Zukunft wieder niedriger ist? Diese Frage ist erstaunlich schwierig zu beantworten – jedenfalls, wenn ausdrückliche Argumente gefragt sind. Wir wollen trotzdem überblicksartig drei Strategien präsentieren, wie die intuitive Gleichheitsforderung untermauert werden könnte. Ein erster Versuch setzt bei einer speziellen Variante der beziehungsbasierten Auffassung von Gerechtigkeit an, die uns bereits in Kapitel 3 begegnet ist: Gerechtigkeit beruht in den Augen mancher auf Gegenseitigkeit. Wir haben die Pflicht, für unsere Kinder und Großkinder zu sorgen, weil sie im Gegenzug genauso für uns sorgen werden, wenn wir alt sind. Dieser Rechtfertigungsversuch hat aber das bereits erwähnte Problem, dass Klimaschutzmaßnahmen teilweise erst in der fernen Zukunft wirken. Die betroffenen Menschen werden uns niemals etwas zurückgeben können. Somit kann die Forderung, dass es auch entfernten Generationen gleich gut wie uns gehen soll, nicht ohne Weiteres auf die Idee der Gegenseitigkeit gegründet werden. Als Antwort auf diesen Einwand könnte man die Gegenseitigkeitsidee abändern: Wir sind zukünftigen Generationen nicht deswegen verpflichtet, weil sie auch für uns sorgen werden, sondern umgekehrt, weil vergangene Generationen für uns gesorgt haben. Es geht um indirekte Gegenseitigkeit: Wir haben von unseren Vorfahren ein reiches Erbe erhalten, und deshalb haben wir die Pflicht, im Gegenzug mindestens gleich viel an unsere Nachfahren weiterzugeben. Diese Denkfigur kennen wir zwar aus dem Generationenvertrag, allerdings ist sie in mehreren Hinsichten problematisch. Erstens ist indirekte Gegenseitigkeit eigentlich überhaupt keine Gegenseitigkeit. Wenn Arnd Bea etwas gibt und Bea Carl etwas gibt, dann kann sich Arnd als erster in der Kette zu Recht beklagen, dass dies aus seiner Perspektive keine echte Gegenseitigkeit darstelle. Er hat ja nichts bekommen. Zweitens: Wenn uns jemand ungefragt beschenkt, so haben wir üblicherweise nicht die Pflicht, jemand anderem ebenfalls etwas zu schenken. Weshalb sollte das mit dem Erbe unserer Vorfahren – das ja in gewissem Sinn einem ungefragten Geschenk gleicht – anders sein? Drittens gilt, was schon in Kapitel 3 angesprochen wurde: Es ist sowieso ein aussichtsloses Unterfangen, all unsere Pflichten auf das Fundament der Gegenseitigkeit gründen zu wollen. Wir schulden Menschen auch dann etwas, wenn sie uns nichts Vergleichbares zurückgeben können, beispielsweise Kleinkindern oder Schwerstbehinderten – oder eben auch zukünftigen Generationen. Ein zweiter Versuch zur Begründung der Gleichheitsforderung macht nicht das Prinzip der Gegenseitigkeit stark, sondern bedient sich an den Ideen sogenannter libertärer Theorien. Libertäre Theorien gehen von der Frage aus, wie sich ein Mensch, der nackt und eigentumslos auf die Welt gekommen ist, legitimerweise privates Eigentum an den Gütern dieser Erde aneignen kann. Ein Stück Land kann ich mir z. B. durch Kauf, als Erbe oder als Geschenk aneignen. Die Person, die es mir auf diese Weise übergibt, hat es womöglich selbst gekauft oder als Erbe oder Geschenk erhalten, aber irgendwann in der Geschichte der Menschheit muss
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sich einmal eine erste Person das Stück Land als Eigentum angeeignet haben. Unter welchen Bedingungen ist solch eine erste Aneignung legitim? Besonders dann, wenn man die Erde ursprünglich als gemeinsames Eigentum aller Menschen betrachtet, ist es plausibel, der privaten Aneignung dieses gemeinsamen Eigentums gewisse Grenzen zu setzen. Plausible Grenzen, die sich an die prominenten Formulierungen von Locke (1689/1960) und Nozick (1974) anlehnen, sind beispielsweise, dass die Aneignung natürlicher Ressourcen nur dann legitim ist, wenn für andere „genug und ebenso Gutes“ zur Verfügung steht oder wenn andere dabei nicht schlechter gestellt werden, als sie ohne diese Aneignung dastehen würden. Solche Grenzen kann man nun statt auf einzelne Menschen auch auf Generationen anwenden. Wenn die heutige Generation sich die Erde und ihre Ressourcen aneignen möchte, dann ist das nur dann legitim, wenn sie zukünftigen Generationen genug und gleich Gutes wie für sich selbst überlässt oder wenn sie damit zukünftige Generationen nicht schlechter stellt, als sie ohne diese Aneignung dastehen würden. Je nach präziser Ausformulierung (vgl. Gosseries 2008; Vallentyne 2012) stützen solch libertär inspirierte Prinzipien tatsächlich die Pflicht, zukünftigen Generationen gleich viel zu hinterlassen. Ein dritter Versuch knüpft an den zweiten an, widerspricht ihm aber auch. Wie der zweite Versuch richtet er das Augenmerk auf die Frage des Eigentums an natürlichen Ressourcen. Gemäß dieser dritten Strategie ist die Erde ursprünglich nicht das Eigentum aller Menschen, sondern vielmehr niemandes Eigentum – und kann es auch nie werden. Die Menschen sind keine Eigentümer der Erde, sondern vielmehr ihre Verwalter. Sie sollen treuhänderisch für sie sorgen. Diese Perspektive ist oft religiös gestützt, z. B. wenn die Erde als Gottes Eigentum verstanden wird oder als „Mutter Erde“ gar selbst einen gottähnlichen Status erlangt. Dass wir nicht Eigentümer sind, heißt aber nicht, dass wir die Erde nicht nutzen dürfen. Von den Früchten, die sie hervorbringt, dürfen wir leben. Bloß von der Substanz sollen wir nicht zehren – sie gehört schließlich nicht uns. Weil die Nutzung der Erde ein Geschenk an alle Menschen ist, ist es auch naheliegend, dass alle die gleichen Nutzungsrechte haben. Auf Generationen bezogen heißt das: Die gegenwärtige Generation darf vom Ertrag der Erde leben, sie hat aber die Pflicht, das „Kapital“ selbst ungeschmälert an zukünftige Generationen weiterzureichen. Diese Versuche zur Begründung der Gleichheitsforderung können jedoch leicht etwas bemüht wirken, da sie das Bekenntnis zur Gleichheit eher ausdrücken als begründen. Das ist nicht verwunderlich. Gleichheit ist ein derart grundlegender Wert, dass er nur schwer über noch grundlegendere Prämissen gerechtfertigt werden kann. Abweichungen von Gleichheit werden als begründungsbedürftiger empfunden als Gleichheit selbst, die als natürlicher Ausgangspunkt betrachtet wird. Wenn die heutige Generation keinen ausdrücklichen Grund angeben kann, weshalb sie eine höhere Lebensqualität als zukünftige Generationen genießen darf, dann ist aus unparteiischer Perspektive davon auszugehen, dass sie für sich höchstens gleich viel beanspruchen darf, wie sie nachfolgenden Generationen zugesteht. Somit gilt: Auch wenn die drei Begründungsversuche nicht überzeugen sollten, bleibt für einen Vertreter der Gleichheitsforderung als einfachster Weg immer noch die Umkehrung der Beweislast. Wer gegen Gleichheit ist, muss Argumente liefern – nicht wer für Gleichheit ist. Und solche Argumente werden in der Debatte natürlich auch vorgebracht. Wir betrachten als nächstes ein Argument für die Forderung, zukünftigen Generationen nicht nur gleich viel,
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sondern mehr Wohlergehen zu hinterlassen. Aus dieser Perspektive wäre eine Klimapolitik ungenügend, wenn sie bloß dafür sorgt, dass es unseren Nachkommen genauso gut geht wie uns.
Argumente-Box 4: Gleich viel für unsere Nachfahren In diesem Buchteil suchen wir eine Antwort auf die zweite klimaethische Leitfrage: Wie viel Klimaschutz schulden wir zukünftigen Generationen? Wir beziehen uns zuerst allgemein auf das Wohlergehensniveau verschiedener Generationen und prüfen drei mögliche Positionen: Wir schulden unseren Nachkommen gleich viel, wie wir haben, mehr als wir haben oder ausreichend viel. Insofern wir das gegenwärtige und zukünftige Wohlergehensniveau über den Klimaschutz beeinflussen, können wir das Ausmaß unserer intergenerationellen Pflicht auch über andere – und besser quantifizierbare – Maße als das Wohlergehen erfassen: über das Bruttoinlandsprodukt, den Temperaturanstieg, die atmosphärische Treibhausgaskonzentration oder das Emissionsbudget. Die erste Forderung – dass es zukünftigen Generationen mindestens gleich gut wie uns gehen soll – kann auf drei Begründungsmuster zurückgreifen: 1. Gegenseitigkeit: Wir haben Pflichten gegenüber unseren Nachfahren, weil sie – oder unsere Vorfahren – im Gegenzug genauso für uns sorgen. 2. Libertäre Theorien des Privateigentums: Wenn eine Generation die Erde und ihre Ressourcen als ihr Eigentum betrachtet, dann muss das innerhalb bestimmter Grenzen geschehen, so beispielsweise, dass für zukünftige Generationen genügend und gleich Gutes zur Verfügung steht. 3. Nutzungs- statt Eigentumsrechte: Die Erde ist letztlich nie das Eigentum der Menschheit, und somit darf eine Generation zwar die Früchte der Erde genießen, nicht aber von ihrer Substanz zehren. Wenn diese drei Begründungen nicht in jeder Hinsicht überzeugen, so kann ein Vertreter der Gleichheitsforderung die Beweislast umkehren: Gleichheit kann als natürlicher Ausgangspunkt verstanden werden, von dem allfällige Abweichungen begründet werden müssen.
6 Mehr für unsere Nachfahren Als nächstes betrachten wir die Position, dass wir unseren Nachkommen mehr hinterlassen müssen, als wir selbst haben. Diese Idee klingt beispielsweise in der Erklärung der wegweisenden UNO-Umweltkonferenz in Stockholm von 1972 an, die nicht nur den Schutz der Umwelt, sondern auch deren Verbesserung forderte. Eine solche „Verbesserungspflicht“ oder „Wachstumspflicht“ scheint eine starke Forderung zu sein, die einer Begründung bedarf. Ein Argument dafür findet sich in einer prominenten ethischen Strömung: dem Utilitarismus. Der Utilitarismus richtet sich wie keine andere Theorie am Gesamtwohlergehen aus. Das Gesamtwohlergehen ist die Summe des Wohlergehens jedes einzelnen – auch jedes zukünftigen – Menschen. Aus utilitaristischer Perspektive sollte die Politik immer das tun, was dieses Gesamtwohlergehen am besten befördert. Dabei wird von jeglichen anderen ethischen Erwägungen – wie beispielsweise der Verteilungsgerechtigkeit – abgesehen. Weshalb aber führt die utilitaristische Forderung nach einer Maximierung des Gesamtwohlergehens zur Forderung nach einer Erhöhung des Wohlergehensniveaus für zukünftige Generationen? Der Grund dafür besteht in der Tatsache, dass wir das Gesamtwohlergehen oft steigern können, wenn wir zugunsten zukünftigen Wohlergehens auf heutiges Wohlergehen verzichten. Das liegt an der positiven Ertragsrate: Wenn wir einen Euro zur Bank bringen, dann bekommen wir dafür Zinsen. Das heißt: Ein Euro heute wird zu mehr als einem Euro morgen. Wenn wir eine Walnuss pflanzen statt essen, dann wächst ein Nussbaum und wir können unzählige Nüsse ernten. Ebenso ist es, wenn wir heute etwas in die medizinische Forschung oder in den Klimaschutz „investieren“: Das bringt der Zukunft mehr, als es uns heute kostet. Viele Klimaschutzmaßnahmen weisen eine positive Nutzenbilanz auf, was bedeutet, dass zukünftige Generationen mehr gewinnen, als wir heute dafür aufgeben müssen (Posner und Weisbach 2010: 21). Wohlergehen heute gegen Wohlergehen morgen zu tauschen, ist also kein Nullsummenspiel. Und weil der Utilitarismus jede Maßnahme befürwortet, aus der unter dem Strich ein Wohlergehenszuwachs resultiert, macht er das Sparen für die Zukunft – ob auf der Bank oder durch den Klimaschutz – auch zur Pflicht. Das bedeutet allerdings, dass aus Sicht des Utilitarismus das Wohlergehen zukünftiger Menschen höher sein sollte als das Wohlergehen heutiger Menschen. Der Grund dafür ist nicht, dass zukünftige Generationen für den Utilitarismus mehr zählen würden, sondern dass er nur am gesamten „Wohlergehenskuchen“ interessiert ist; und weil der gesamte „Wohlergehenskuchen“ umso größer ist, je mehr die Gegenwart für die Zukunft spart, haben zukünftige Generationen schlicht und einfach Glück, später geboren zu sein. Der Utilitarist fordert also, dass wir den Gürtel enger schnallen und uns für die kommenden Generationen aufopfern. Und nicht nur das: Mit derselben Logik fordert er, dass sich auch die kommenden Generationen wiederum für die ihnen folgenden Generationen aufopfern. Denn auch für sie gilt, dass sie mehr zum Gesamtwohlergehen beitragen, wenn sie sparen und das Gesparte ertragsbringend anlegen, als wenn sie es sich selbst gut gehen lassen. Im Namen des Gesamtwohls müsste also jede einzelne Generation sehr viel für die ihr folgenden Generationen hergeben.
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Kann der Utilitarismus diese übertrieben anmutende Schlussfolgerung vermeiden? Der Utilitarismus kann das Problem zumindest abmildern, wenn er der Zukunft weniger Gewicht gibt als der Gegenwart. So, wie manche der Überzeugung sind, dass uns das Wohlergehen der Menschen am anderen Ende der Welt weniger angeht als das Wohlergehen des Nachbarn, könnte man der Überzeugung sein, dass uns die Zukunft weniger angeht als die Gegenwart. In der ethischen und ökonomischen Diskussion spiegelt sich diese Idee in der Anwendung der sogenannten Diskontrate wider. Eine (positive) Diskontrate anzuwenden bedeutet, dass bei der Berechnung des Gesamtwohlergehens zukünftiges Wohlergehen weniger zählt als heutiges Wohlergehen; zukünftiges Wohlergehen wird „diskontiert“. Mit einer Diskontrate von beispielsweise 10% wird Wohlergehen, das in einem Jahr anfällt, heute nur mit 90% seines realen Wertes gewichtet. Das verhindert, dass der Utilitarismus fortwährendes Wachstum fordert. Wenn z. B. eine politische Maßnahme heute 95 „Wohlergehenseinheiten“ kostet und in einem Jahr Schäden im Wert von 100 „Wohlergehenseinheiten“ vermeidet, dann gäbe es mit einer Diskontrate von 10% keine Pflicht, diese Maßnahme zu ergreifen (ohne Diskontrate hingegen schon). Denn die 100 Einheiten in der Zukunft würden dann einfach genauso viel wie 90 Einheiten in der Gegenwart zählen; und diese 90 Einheiten sind weniger als der heutige Aufwand der Maßnahme in Höhe von 95 Einheiten. Dabei gilt: Je höher die Diskontrate, desto geringer das Gewicht für zukünftige Generationen; und je geringer das Gewicht für zukünftige Generationen, desto geringer auch der geforderte Einsatz für zukünftige Generationen. Die Mindergewichtung der Zukunft – d. h. die Anwendung einer Diskontrate – macht den Utilitarismus also plausibler, weil er keine Aufopferung für die Zukunft mehr fordert. Aber ist die Ergänzung um eine Diskontrate selbst plausibel? Die Zukunft geringer zu gewichten, kann man schließlich kaum anders denn als Parteilichkeit für die Gegenwart umschreiben. Die Frage nach der Plausibilität der Diskontrate ist sehr relevant für die Klimapolitik. Denn was wir soeben abstrakt als „Utilitarismus plus Diskontrate“ beschrieben haben, ist die Theorie, die vielen ökonomischen Studien zum Klimawandel zugrunde liegt, und diese sind in der klimapolitischen Diskussion eine wichtige Stimme. Wenn in solchen Studien eine hohe Diskontrate gewählt wird – das heißt, wenn zukünftige Klimaschäden deutlich geringer gewichtet werden als die Kosten, die heute zu ihrer Vermeidung anfallen würden –, dann empfehlen sie konsequenterweise nur wenig Klimaschutz. Dieser Effekt ist alles andere als vernachlässigbar: Mit einer Diskontrate von 3% pro Jahr fließt ein Klimaschaden, der in hundert Jahren eintritt, letztlich nur mit einem Zwanzigstel seines tatsächlichen Wertes in die Berechnungen ökonomischer Studien ein. Das ist der umgekehrte Effekt des Zinseszinseffektes: Wenn man heute 50 000 Euro mit 3% Zins anlegt, dann ist man in hundert Jahren fast Millionär. Die Ökonomen umgehen aber meistens die Frage, ob eine Diskontrate überhaupt plausibel ist. Sie rechtfertigen sich mit dem Verweis, dass die Menschen in ihrem Alltag tatsächlich diskontieren. Das stimmt zweifellos: Wir sind ungeduldige Wesen. Was in der fernen Zukunft liegt, zählt für uns weniger als das Hier und Jetzt. Nur hat der Verweis auf die Ungeduld als psychologische Tatsache einen Haken. Die Tatsache, dass Menschen sich auf diese oder jene Weise verhalten, heißt für sich genommen natürlich noch nicht, dass ihr Verhalten auch akzeptabel ist. Das gilt insbesondere dann, wenn ihr Verhalten nicht nur sie selbst, sondern auch andere betrifft: Wenn Menschen innerhalb ihrer eigenen Lebensspanne zukünftige Kos-
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ten und Nutzen geringer gewichten als gegenwärtige, dann ist das ihre eigene Entscheidung. Wenn sie aber nicht innerhalb der eigenen Lebensspanne diskontieren, sondern das Wohlergehen anderer diskontieren, dann sieht die Situation schon anders aus. Genau darum geht es aber, wenn wir Klimaschäden, die Jahrzehnte nach unserem Ableben anfallen, geringer gewichten als die Kosten, die heute zu ihrer Vermeidung nötig wären. In diesem Fall taugt unsere Vorliebe für die Gegenwart nicht mehr als Rechtfertigung für eine Diskontrate. Dass wir Menschen faktisch so veranlagt sind, dass uns ein Umweltrisiko in zehn Jahren weniger Schlaf raubt als ein Umweltrisiko heute – dass wir also innerhalb der eigenen Lebensspanne diskontieren –, liefert keinen Grund dafür, ein Umweltrisiko in hundert Jahren weniger ernst zu nehmen als ein Umweltrisiko heute – also über die eigene Lebensspanne hinaus zu diskontieren. Wenn aber eine Diskontrate aus ethischer Perspektive nicht zu rechtfertigen ist, dann sollten wir den Utilitarismus nicht damit ergänzen. Um der starken Forderung nach Wohlergehenswachstum für unsere Nachkommen auszuweichen, können wir den Utilitarismus auch einfach aufgeben, statt ihn zu modifizieren. Der Utilitarismus übergeht in seinem ausschließlichen Fokus auf die Summe des Wohlergehens aller Menschen nämlich die entscheidende Frage nach der Verteilung dieser Summe. In einer plausiblen Theorie zählt schließlich nicht nur die Größe des „Kuchens“, sondern auch, ob dieser Kuchen in gerechte Stücke für die einzelnen Generationen geschnitten wird. Wenn beispielsweise die Kosten einer Klimaschutzmaßnahme bei den Armen der gegenwärtigen Generation anfallen, der Nutzen aber bei den Reichen der zukünftigen Generation, dann ist diese Maßnahme nicht gerechtfertigt – selbst wenn der Nutzen für die Reichen die Kosten für die Armen überwiegt. Darum ist die positive Kosten-Nutzen-Bilanz vieler Klimaschutzmaßnahmen für sich genommen noch kein schlagendes Argument zur Umsetzung dieser Maßnahmen. Entscheidend ist vielmehr, ob die Maßnahme notwendig ist, um zukünftigen Generationen das ihnen zustehende Wohlergehensniveau zu ermöglichen. Umgekehrt ist eine negative Kosten-Nutzen-Bilanz einer Klimaschutzmaßnahme ebenfalls kein schlagendes Argument gegen die in Frage stehende Maßnahme. Wiederum ist entscheidend, ob die Maßnahme notwendig ist, um zukünftigen Generationen das Wohlergehensniveau zu ermöglichen, das ihnen zusteht. Wir können auch zu Klimaschutzmaßnahmen verpflichtet sein, die teurer sind als die dadurch vermiedenen Schäden. In diesem Sinne sind unsere Pflichten unabhängig von der utilitaristischen Forderung nach Wohlergehensmaximierung. Das zu behaupten ist im Übrigen keine radikale Außenseiterposition, sondern gehört zum Grundstock unseres moralischen Gespürs. So darf beispielsweise ein Rosenliebhaber auch dann kein spezielles Exemplar aus Nachbars Garten stehlen, wenn der Diebstahl letzteren nur wenig Wohlergehen kosten sollte und ersterem viel Wohlergehen einbringen sollte. (Im Falle des Klimaschutzes stellt sich allerdings tatsächlich eine kritische Frage, wenn Maßnahmen mit einer negativen Kosten-Nutzen-Bilanz vorgeschlagen werden: nämlich, ob es nicht effizientere Maßnahmen gäbe – Maßnahmen, die dasselbe Wohlergehensniveau für zukünftige Generationen zu geringeren Kosten für die gegenwärtige Generation erreichen.) Gegeben, dass zukünftigen Generationen unabhängig von Kosten-Nutzen-Überlegungen ein bestimmtes Wohlergehensniveau geschuldet ist, stellt sich die Frage, wie hoch dieses Niveau ist. Im vorherigen Kapitel haben wir die Position untersucht, dass zukünftigen Genera-
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tionen mindestens gleich viel Wohlergehen wie uns zustehen könnte. Dieses Kapitel hat gezeigt, dass ihnen auf jeden Fall nicht mehr Wohlergehen als uns zusteht – zumindest nicht, wenn dies utilitaristisch begründet wird. Im nächsten Abschnitt wenden wir uns der Idee zu, dass ihnen „ausreichend“ viel zustehen könnte.
Argumente-Box 5: Mehr für unsere Nachfahren Die Forderung nach einer Steigerung des Wohlergehens zukünftiger Generationen stützt sich auf die folgenden zwei Prämissen: 1. Utilitarismus: Wir haben die Pflicht, das Gesamtwohlergehen zu maximieren. 2. Positive Ertragsrate: Wenn wir in der Gegenwart auf eine Einheit Wohlergehen verzichten, dann können wir damit – z. B. durch Klimaschutz – in der Zukunft das Wohlergehen um mehr als eine Einheit steigern. Diese Forderung scheint aber gegenüber der gegenwärtigen Generation ungerecht. Dies könnte vermieden werden, wenn die utilitaristische Forderung nach der Maximierung des Gesamtwohlergehens um eine Diskontrate ergänzt würde. Allerdings ist die Kernidee einer Diskontrate – dass zukünftiges Wohlergehen weniger zählen sollte – schwer zu rechtfertigen. Plausibler ist es, den Utilitarismus mit seinem mangelnden Gespür für Fragen der Verteilungsgerechtigkeit aufzugeben – und damit auch die Forderung nach einer Steigerung des Wohlergehens zukünftiger Generationen.
7 Ausreichend viel für unsere Nachfahren Wenn wir in einer Berghütte übernachten, dann können wir eine Regel für die Reinigung antreffen, die keinen Bezug darauf nimmt, in welchem Zustand man selbst die Hütte angetroffen hat. Sie verlangt schlicht und einfach, die Hütte sauber zu hinterlassen. Je nachdem wie gut die Vorgänger gereinigt haben, muss bzw. darf man die Hütte weniger sauber, gleich sauber oder sauberer hinterlassen, als man sie selbst angetroffen hat. Genauso die Suffizienzforderung in der intergenerationellen Gerechtigkeit: Sie verlangt, dass wir zukünftigen Generationen ausreichend viel hinterlassen. Dieser Schwellenwert ist unabhängig vom gegenwärtigen Wohlergehensniveau. Das unterscheidet die Suffizienzforderung von der Gleichheits- und der Steigerungsforderung. Während diese beiden Forderungen für die Zukunft gleich viel oder mehr Wohlergehen als für die Gegenwart fordern, fehlt bei der Suffizienzforderung ein solcher Bezug auf die Gegenwart. Was spricht für die Suffizienzforderung? Ist die Pflicht, unseren Nachkommen „genug“ zu hinterlassen, eine plausible Alternative zur Gleichheits- und zur Steigerungsforderung? Bevor wir das abschätzen können, müssen wir wissen, was es überhaupt heißt, dass es einer Generation ausreichend gut geht. Um den Schwellenwert, der zukünftigen Generationen gemäß der Suffizienzforderung garantiert werden muss, plausibel zu spezifizieren, können wir uns nicht mehr nur in allgemeiner Weise am Wohlergehen orientieren. „Ausreichend“ viel zu haben bedeutet sicher mehr, als über die absolut überlebensnotwendigen Ressourcen zu verfügen. Die Idee eines Suffizienzschwellenwerts könnte beispielsweise an den menschlichen Bedürfnissen festgemacht werden. Bedürfnisse sind mehr als bloße Wünsche. Bedürfnisse sind von Mensch zu Mensch sehr ähnlich, während sich Wünsche stark unterscheiden. Auch sind Bedürfnisse an einem bestimmten Punkt befriedigt, während es unersättliche Wünsche gibt. In einem wörtlichen Verständnis beinhaltet die berühmteste Nachhaltigkeitsdefinition eine bedürfnisorientierte Suffizienzperspektive: „Nachhaltige Entwicklung ist Entwicklung, die die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne zu riskieren, dass zukünftige Generationen ihre eigenen Bedürfnisse nicht befriedigen können“ (World Commission on Environment and Development 1987). Diese Definition spricht weder davon, dass es zukünftigen Generationen gleich gut wie uns gehen muss (Gleichheitsforderung), noch spricht sie davon, dass wir unseren Nachfahren eine bessere Welt hinterlassen müssen (Steigerungsforderung). Sondern sie spricht davon, dass zukünftige Generationen einen bestimmten Schwellenwert erreichen müssen – den Schwellenwert der Bedürfnisbefriedigung. Eine alternative Charakterisierung des Suffizienzschwellenwerts orientiert sich an den Menschenrechten. „Ausreichend“ könnte dementsprechend heißen, dass wir eine Nachwelt hinterlassen, in der die Menschenrechte erfüllt werden können. Insbesondere sollen unsere Emissionen das Menschenrecht auf Leben nicht verletzen und unseren Nachfahren die Ressourcen nicht vorenthalten, die nötig sind für das Menschenrecht auf einen Lebensstandard, der Gesundheit, Nahrung, Kleidung und Wohnung gewährleistet. Diese Rechte fanden Eingang in Artikel 3 und 25 der Allgemeinen
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Erklärung der Menschenrechte (AEMR) von 1948. Durch den Klimawandel verstoßen wir in vielfältiger Weise dagegen (vgl. Caney 2010b): Stürme, Hitzewellen, Dengue-Fieber usw. sind indirekt via Nahrungsmittelproduktion, aber auch direkt für Krankheit, Mangel und Tod verantwortlich. Weitere Beispiele für Menschenrechte, die durch den Klimawandel gefährdet werden, umfassen das Recht auf Eigentum (Artikel 17 der AEMR), das Recht, in sein Land zurückzukehren (Artikel 13 der AEMR) oder das von der UNO-Generalversammlung 1986 proklamierte Recht auf Entwicklung. Und natürlich gibt es neben der Bedürfnisbefriedigung und den Menschenrechten weitere Alternativen, wie die Forderung nach „Genug“ für zukünftige Generationen konkretisiert werden könnte. Gefordert sein könnte beispielsweise die Ermöglichung eines „anständigen“ menschlichen Lebens, eines „menschenwürdigen“ Lebens oder eines Lebens, das kein Mitleid erweckt (vgl. Crisp 2003; Nussbaum 2006). Diese Konzepte gehen über die bloßen Minimalforderungen der Bedürfnisbefriedigung und des Menschenrechtsschutzes hinaus. Im Folgenden werden wir uns zur Illustration der Suffizienzforderung aber auf den Schwellenwert der Menschenrechte stützen. Was spricht überhaupt für die Suffizienzforderung? Weshalb sollten wir zukünftigen Generationen schulden, dass es ihnen „ausreichend“ gut geht – hier: dass ihre Menschenrechte geschützt sind? Dass wir ihnen zumindest so viel schulden, zweifeln wenige an. Die Menschenrechte haben in den Augen vieler eine selbstverständliche Priorität vor anderen hehren Zielen. Wir sollen sie nicht nur für unsere Nächsten schützen, sondern auch für Fremde, und dies sogar, wenn es viel kostet. Hinzu kommt, dass der Schutz der Menschenrechte kein bloßer Selbstzweck ist. Viele moralische Ziele, welche über die Menschenrechte hinausgehen, könnten ohne sie gar nicht erreicht werden. Beispielsweise ist es für Klimaflüchtlinge oder hungernde Menschen schwierig, den Aufbau einer stabilen und demokratischen Gemeinschaft tatkräftig zu unterstützen. Solche moralischen Ideale setzen den Schutz der Menschenrechte voraus. Nicht zuletzt liegt dies auch im Eigeninteresse der heutigen Generation. Wenn es uns ein Anliegen ist, dass nachfolgende Generationen die Erinnerung an uns aufrecht erhalten und unsere Werte und Werke tradieren, dann müssen wir ihnen die Fähigkeit dazu geben. Dazu gehört, dass sie sich entfalten können, ohne ihre ganze Existenz auf die Sorge um ihre grundlegenden Rechte ausrichten zu müssen. Die schwierigere Frage an die Suffizienzforderung ist jedoch, weshalb wir unseren Nachkommen bloß ausreichend viel hinterlassen müssen. Warum nicht mehr? Sollten wir nicht insbesondere dafür sorgen, dass sie es mindestens gleich gut wie wir haben? Zunächst einmal ist es gar nicht so einfach, dafür zu sorgen, dass es zukünftigen Generationen gleich gut wie uns geht. Um dieses Ideal umzusetzen, müssten wir nämlich wissen, was es überhaupt heißt, dass es unseren Nachkommen gleich gut geht. Unsere Ururgroßkinder werden in einer kulturell, technologisch, politisch und religiös derart anderen Welt leben, dass wir schwer abschätzen können, was ihre Präferenzen und Werte sein werden und was somit ihrem Wohlergehen zu- oder abträglich ist. Was wird ihnen beispielsweise die unberührte Natur, ein hohes Bruttoinlandsprodukt oder die Möglichkeit zu reisen bedeuten? Deshalb ist es auch schwer zu sagen, was es braucht, damit es ihnen gleich gut wie uns geht. Diese Einschätzung ist beim Suffizienzschwellenwert viel einfacher: Die Güter, welche durch Menschenrechte geschützt sind, werden mit größter Wahrscheinlichkeit auch unseren Nachkommen wichtig sein. Das Bedürfnis nach Nahrung und Gesundheit verändert sich über die Zeit kaum, ganz
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im Gegensatz zu einer umfassenderen Vorstellung eines gelungenen Lebens. Es stellt sich also nicht nur die Frage, ob wir Gleichheit schaffen sollen, sondern ob wir es überhaupt können. Aber auch wenn wir problemlos angeben könnten, wie Gleichheit zu erreichen ist, so stellen sich weitere Fragen. Warum ist Gleichheit überhaupt wichtig? Manche sehen Gleichheit als ein Mittel zum Zweck, sie sei wichtig für den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Das ist zwar eine treffende Beobachtung, aber diese Stützung der Gleichheitsforderung können wir nicht auf den intergenerationellen Fall anwenden, da weit auseinander liegende Generationen nicht zusammenleben und somit Gleichheit auch nicht als sozialen Kitt brauchen. Andere sehen Gleichheit nicht als Mittel zum Zweck, sondern als Zweck an sich. Doch ist Gleichheit wirklich ein Wert an sich? Es kommt doch letztendlich darauf an, wie gut es uns geht und nicht, wie gut es uns im Vergleich mit anderen geht. Wenn wir alles haben, was wir brauchen, weshalb sollte es für uns dann zählen, ob andere mehr oder weniger als wir haben? Die Suffizienzforderung betont demgegenüber gerade das, was alle (völlig unabhängig von einem Vergleich mit anderen Generationen) brauchen. Hinzu kommt: Das Gleichheitsziel bedingt eine umfassendere politische Steuerung und weitergehende Eingriffe in unsere Freiheit als die beschränktere Suffizienzforderung. Das könnte als Negativpunkt für die Gleichheitsforderung gewertet werden. Es ist für einen Vertreter der Gleichheitsforderung kein aussichtsloses Unterfangen, sich gegen diese Einwände zu verteidigen (und dazu weiterhin zu betonen, dass die Gleichheitsforderung gar nicht zwingend eine explizite Begründung brauche). Wenn die Einwände als nicht genügend stark bewertet werden sollten, um die Gleichheitsforderung aufzugeben, so könnte der Vertreter der Gleichheitsforderung der Suffizienzforderung aber immerhin entgegenkommen, was das Gewicht der Gleichheitsforderung betrifft. Er könnte anerkennen, dass in einer Prioritätenliste aller möglichen moralischen Ziele die Suffizienzforderung weit oben rangiert, während die Gleichheitsforderung zwar eine tatsächliche moralische Forderung ist, aber weiter unten rangiert. Die Suffizienzforderung kann somit nicht zuletzt als der drängendste Teil der Gleichheitsforderung verstanden werden. Für den Rest des Buches halten wir als Fazit fest, dass wir unseren Nachkommen zumindest schulden, dass es ihnen ausreichend gut geht, und möglicherweise darüber hinaus, dass es ihnen gleich gut geht wie uns. Das „ausreichend“ kommt zuerst; es ist aber nicht notwendigerweise das Ganze der intergenerationellen Gerechtigkeit, sondern es könnte durchaus auch einfach der wichtigste Teil der Gleichheitsforderung sein.
Argumente-Box 6: Ausreichend viel für unsere Nachfahren Im Gegensatz zur Gleichheits- und zur Steigerungsforderung auferlegt uns die Suffizienzforderung eine Pflicht, die von unserem eigenen Wohlergehensniveau unabhängig ist: Wir sollen dafür sorgen, dass es zukünftigen Generationen ausreichend gut geht. Was es bedeutet, über dieser Suffizienzschwelle zu leben, kann verschieden ausbuchstabiert werden. Die Orientierung an den Menschenrechten stellt eine besonders relevante Interpretation des Schwellenwerts dar.
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Teil II Wie viel müssen wir tun? Intergenerationelle Gerechtigkeit Die Pflicht, unseren Nachkommen zumindest ausreichend viel zu hinterlassen, braucht kaum eine Begründung. Schwieriger ist die Frage, weshalb wir ihnen nicht mehr schulden sollten – insbesondere, dass es ihnen gleich gut wie uns geht. Der Vertreter der Suffizienzforderung könnte die Gleichheitsforderung erstens dafür kritisieren, dass sie Wohlergehen über lange Zeiträume hinweg vergleichen müsse; das sei schwierig zu messen. Zweitens könnte er in Frage stellen, ob Gleichheit überhaupt ein Wert an sich ist und ob sie im intergenerationellen Fall instrumentell (als Mittel zum sozialen Zusammenhalt) verteidigt werden kann. Drittens könnte er behaupten, dass das Gleichheitsziel weitergehende politische Eingriffe nötig macht als das Suffizienzziel. Die Suffizienzforderung muss jedoch nicht zwingend als Alternative zur Gleichheitsforderung verstanden werden. Sie kann gut auch als ihr vordringlichster Bestandteil betrachtet werden, dem die größte Aufmerksamkeit gelten sollte. In dieser Perspektive haben wir zumindest die Pflicht zur Erfüllung zukünftiger Menschenrechte und womöglich darüber hinaus die Pflicht, das Wohlergehensniveau über die Zeit hinweg zu erhalten.
8 Unsicherheit und das Vorsorgeprinzip Die Frage der letzten Kapitel lautete: Wie viel Klimaschutz schulden wir zukünftigen Generationen? Diese Frage ist eingebettet in die allgemeinere Frage: Was schulden wir zukünftigen Generationen überhaupt? Im Lichte der verschiedenen Argumente und Intuitionen schien zumindest die Suffizienzforderung gerechtfertigt. Diese Forderung – hier verstanden als Forderung, die Menschenrechte zukünftiger Generationen zu schützen – kann entweder als Alternative zur Gleichheitsforderung oder aber als ihr vordringlichster Bestandteil verstanden werden. Nun könnte man behaupten, dass wir uns zwischen der Gleichheits- und der Suffizienzforderung gar nicht entscheiden müssen, da wir in der Realität sowieso schon beide erfüllen. Zukünftigen Generationen werde es ja schließlich besser als uns gehen – nicht bloß gleich oder ausreichend gut! Wir schießen sogar ohne Anstrengung über das Ziel hinaus. Sollten wir somit nicht eher weniger für die Nachwelt tun und mehr für uns sorgen? Es ist in der Tat keine unrealistische Erwartung, dass es zukünftigen Generationen besser als uns gehen wird. Global gesehen ist der Lebensstandard in den letzten Jahrzehnten stark angestiegen. Die Lebenserwartung, das Einkommen, die Gesundheit, die Ernährung und das Ausbildungsniveau haben sich deutlich verbessert (Australian Treasury 2001). Auch der Anteil – und je nach Schätzung auch die absolute Zahl – der Menschen in extremer Armut hat abgenommen (United Nations 2009a: 1 und 14). Auch wenn der technologische Fortschritt Probleme gebracht hat, so wurden diese in der Vergangenheit durch den gleichzeitig geschaffenen Wohlstand bei Weitem wettgemacht. Weshalb sollte sich dies in den nächsten Jahrzehnten ändern? Um 1900 konnte man sich den Fortschritt bis zum Ende des 20. Jahrhunderts kaum ausmalen. Genauso laufen wir Gefahr zu unterschätzen, welche Möglichkeiten der menschliche Erfindungsreichtum bis zum Ende des 21. Jahrhunderts eröffnen wird. Die ökonomischen Wohlfahrtszugewinne könnten auch die Verluste aufgrund der Klimaschäden weit übertrumpfen. Der Stern Review (Stern 2007: 177; vgl. auch Stern 2009: 94) schätzt in einem pessimistischen Szenario beispielsweise, dass die Kosten des Klimawandels im Jahr 2200 mehr als 35% des globalen Bruttoinlandsprodukts in diesem Jahr entsprechen könnten. Wenn es so weitergeht wie bisher, dann wächst die Weltwirtschaft allerdings in einem einzigen Jahrzehnt um mehr als diesen Betrag. Das würde bedeuten, dass die Menschheit wegen des Klimawandels erst 2200 so wohlhabend wäre, wie sie sonst z. B. 2190 wäre – und in beiden Fällen jedenfalls wohlhabender als heute. Klimawandel kostet die Zukunft zwar Wohlergehen, aber dies sind Abzüge von einem im Vergleich mit heute scheinbar viel höheren Wohlergehensniveau. Somit fordert weder die Gleichheits- noch die Suffizienzperspektive zusätzlichen Klimaschutz. Das Wachstum des Lebensstandards schafft von selbst intergenerationelle Gerechtigkeit. So scheint es zumindest. Auf den zweiten Blick aber hat diese Argumentation zwei gewichtige Haken: Sie lässt die Aspekte der Unsicherheit und der Ungleichheit außer Acht und
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stützt sich bloß auf das zu erwartende durchschnittliche Wohlergehen. Illustrieren wir diese zwei Haken an einem Beispiel. Ein Firmenchef hat sich verpflichtet, seinen Arbeitern einen Lohn von 2000 Euro zu bezahlen. Wenn der Chef sich daraufhin entscheiden sollte, willkürlich der einen Hälfte der Belegschaft 1000 Euro und der anderen 3000 Euro zu bezahlen, so würden wir von diesem Chef nicht behaupten, dass er seiner Pflicht nachgekommen sei. Auch wenn er im Durchschnitt tatsächlich 2000 Euro pro Arbeiter aufwendet, so ist es doch so, dass die Großzügigkeit gegenüber den einen die Pflichtverletzung gegenüber den anderen nicht wettmacht. Stellen wir uns nun einen anderen Fall vor. Der Chef verkündet den Arbeitern, dass die Firma nächsten Monat mit 50% Wahrscheinlichkeit einen großen Auftrag erhalte und mit 50% Wahrscheinlichkeit ohne Auftrag bleibe. Er habe sich (ohne Zustimmung der Belegschaft) entschieden, im ersten Fall den Lohn auf 3000 Euro zu erhöhen und im zweiten Fall den Lohn auf 1000 Euro zu senken. Der Mittelwert des Lohns beträgt in diesem Fall zwar weiterhin 2000 Euro (gegeben die je fünfzigprozentige Wahrscheinlichkeit eines Lohns von entweder 1000 Euro oder 3000 Euro), aber trotzdem würden wir von diesem Chef nicht sagen, dass er seiner Pflicht nachgekommen sei. Die Arbeiter haben ein Recht auf 2000 Euro Lohn, und die Möglichkeit, großzügigerweise mehr als 2000 Euro zu erhalten, wiegt die Möglichkeit, weniger als 2000 Euro zu erhalten, nicht auf. Im Falle des Klimawandels sind wir mit zwei analogen Problemen konfrontiert: Wenn wir die Pflicht haben, dafür zu sorgen, dass es zukünftigen Generationen ausreichend gut geht, dann genügt es nicht, wenn es ihnen bloß im Durchschnitt und bloß im Mittelwert ausreichend gut geht. Selbst wenn es unseren Nachkommen besser als uns gehen sollte, was ihr durchschnittliches Wohlergehen betrifft, so wird es angesichts der globalen Ungleichheit dennoch vielen schlechter als uns gehen. Auch in Zukunft werden manche mit extremer Armut kämpfen, während andere im Überfluss leben. Der Klimawandel verstärkt die globale Ungleichheit sogar noch. Die intergenerationelle Gerechtigkeit darf nicht mit dem Durchschnittswohlergehen der zukünftigen Generationen rechnen. So wie im Firmenbeispiel ist nicht nur die Ungleichheit, sondern auch die Unsicherheit ein Problem: Sogar wenn es unseren Nachkommen besser als uns gehen sollte, was die mittlere Schätzung ihres Wohlergehens betrifft, so bedeutet die Unsicherheit jeder Zukunftsprognose doch, dass es ihnen mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit auch schlechter als uns gehen könnte. Wenn tatsächlich eines der pessimistischen Klimaszenarien eintreffen sollte, wäre es für unsere Nachkommen ein schwacher Trost, dass es auch besser hätte kommen können. Wenn Zukunftsprognosen mit Unsicherheit behaftet sind, dann darf die intergenerationelle Gerechtigkeit nicht mit dem Mittelwert verschiedener möglicher Zukunftsszenarien rechnen. In unserer bisherigen Diskussion der Gleichheits-, Steigerungs- und Suffizienzforderung haben wir diese Aspekte ausgeblendet. In diesem und dem nächsten Kapitel behandeln wir deshalb die Unsicherheit der Klimaprognosen (Kap. 8) und die globale Ungleichheit (Kap. 9) als zwei zentrale Gründe für den Klimaschutz.
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Die Intuition hinter dem Vorsorgeprinzip Erinnern wir uns an das Beispiel aus Kapitel 3. Ein Kollege hat Ihnen ein Buch geliehen, das er in spätestens zwei Tagen für einen wichtigen Vortrag wieder braucht. Sie haben ihm deshalb versprochen, es innerhalb dieser Frist zurückzusenden. Nun vergleichen Sie die staatliche Post mit einem etwas teureren privaten Kurierdienst. Wenn Sie es mit der staatlichen Post senden, dann ist es wahrscheinlich, dass das Buch in zwei Tagen ankommt. Es könnte aber durchaus auch einen Tag weniger oder mehr brauchen. Der Kurierdienst liefert das Buch hingegen mit Sicherheit in zwei Tagen, weder vorher noch nachher. Wofür sollten Sie sich in diesem Fall entscheiden? Die mittlere Schätzung für die Dauer der Sendung beträgt in beiden Fällen zwei Tage. Weil Sie dem Kollegen das Buch aber versprochen haben, sollten Sie den Kurierdienst wählen, auch wenn er teurer ist. Bei der Post ist die Prognose über den Zustelltermin unsicher. Sie weist eine Bandbreite rund um die mittlere Schätzung auf. Das gibt es beim Kurierdienst nicht, und das gibt den Ausschlag zu seinen Gunsten. Diese Intuition können wir auf den Klimawandel anwenden. Eines der Szenarien des IPCC führt bis Ende des Jahrhunderts schätzungsweise zu einem Temperaturanstieg von 2,2 °C (IPCC 2013: 23). Allerdings besteht diesbezüglich Unsicherheit: Als wahrscheinliche Bandbreite für dieses Szenario wird eine Erwärmung von 1,4 bis 3,1 °C angegeben. Haben wir gleich viel Grund zum Klimaschutz unabhängig davon, ob wir diese Unsicherheit miteinbeziehen oder ausblenden? In Analogie zum Buchbeispiel scheint es, dass wir mehr Grund haben, dieses Klimawandelszenario zu vermeiden, wenn wir die Unsicherheit bewusst in unsere Überlegungen miteinbeziehen, statt vereinfachend davon auszugehen, dass es mit Sicherheit zu 2,2 °C Erwärmung führt. Die Streuung um die mittlere Schätzung schlägt bei der ethischen Bewertung negativ zu Buche. Unsicherheit ist also ein zusätzlicher Grund für den Klimaschutz. Diese Einsicht steht in der politischen Praxis als treibende Kraft hinter dem sogenannten Vorsorgeprinzip. Verschiedene Versionen dieses Prinzips betonen einhellig den unsicheren Charakter unserer Zukunftsprognosen und drücken die Überzeugung aus, dass diese Unsicherheit keinen Freibrief für Tatenlosigkeit darstellt (vgl. Kap. 3). Im Gegenteil, die Unsicherheit sollte uns zu besonderer Vorsicht anhalten. Ein bekanntes Anwendungsgebiet des Vorsorgeprinzips ist beispielsweise die Gentechnik. Viele sind intuitiv der Meinung, dass wir solideres Wissen über ihre derzeit schwer abschätzbaren Folgen bräuchten, um ihren Einsatz auf breiter Basis zu rechtfertigen. Hans Jonas drückte dies in der Forderung aus, dass „der Unheilsprophezeiung mehr Gehör zu geben ist als der Heilsprophezeiung“ (1984: 70). Und in der Klimarahmenkonvention von 1992 heißt es in Artikel 3.3, dass „in Fällen, in denen ernsthafte oder nicht wiedergutzumachende Schäden drohen, das Fehlen einer völligen wissenschaftlichen Gewissheit nicht als Grund für das Aufschieben [klimapolitischer] Maßnahmen dienen [soll]“. Die Kernidee des Vorsorgeprinzips besteht also darin, dass wir einen drohenden Schaden auch dann abwenden müssen, wenn wissenschaftliche Unsicherheit über das Eintreten oder das Ausmaß dieses Schadens herrscht – oft macht die Unsicherheit das Abwenden des Schadens sogar noch wichtiger. Aber, so könnte man einwenden, verkörpert das Vorsorgeprinzip nicht eine übertriebene Abwehrhaltung gegen Unsicherheit? Ist nicht all unser Handeln mit Risiken behaftet, und müsste dann nicht auch die kleinste Bewegung verboten werden, wenn wir wirklich alle Risi-
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ken vermeiden wollten? Ist es nicht Ausdruck einer ängstlichen oder gar alarmistischen Gesinnung, wenn wir der Möglichkeit, dass es schlechter als erwartet kommen könnte, volle Aufmerksamkeit schenken, ohne ebenso zu betonen, dass es auch besser als erwartet kommen könnte? In diesem Kapitel möchten wir begründen, warum die Antworten auf diese Fragen negativ ausfallen. Die intuitive Risikoscheu, die sich in den verschiedenen Versionen des Vorsorgeprinzips manifestiert, kann nämlich durchaus argumentativ gestützt werden. Wir behandeln drei Begründungen für die These, dass die Unsicherheit Grund für zusätzlichen Klimaschutz gibt: überproportionale Schäden, die Asymmetrie von Rechten und fehlende Wahrscheinlichkeiten. In der folgenden Diskussion kommen wir nicht ohne das Konzept der „mittleren Schätzung“ bzw. des „Mittelwerts“ aus. Diese Begriffe haben in der Alltagssprache keine klare Bedeutung. Wir legen uns darauf fest, diese zwei Begriffe hier synonym zum sogenannten Erwartungswert zu verwenden. Ein Beispiel illustriert, was gemeint ist: Wenn wir in einer Lotterie mit 50% Wahrscheinlichkeit zwei Euro gewinnen, dann liegt der Mittelwert des Gewinns bei einem Euro. Wenn die Buße für eine Geschwindigkeitsüberschreitung hundert Euro beträgt und die Wahrscheinlichkeit, erwischt zu werden, 1% beträgt, dann liegt der Mittelwert ebenfalls bei einem Euro. Der Mittelwert errechnet sich in dieser Bedeutung – als Synonym zum Erwartungswert – als Summe der möglichen Folgen, wobei diese Folgen je mit ihrer Wahrscheinlichkeit multipliziert werden. Im Beispiel mit der Buße gibt es zwei mögliche Folgen, wobei die Folge „Hundert Euro Buße“ mit einer Wahrscheinlichkeit von 1% eintritt und die Folge „Null Euro Buße“ mit einer Wahrscheinlichkeit von 99% eintritt. Daraus resultiert der Mittelwert von einem Euro: (1/100 × 100 Euro) + (99/100 × 0 Euro) = 1 Euro.
Überproportionale Schäden Die Begrenzung des Temperaturanstiegs ist umso dringender, je unsicherer das Ausmaß dieses Anstiegs ist. Wenn die Bandbreite des möglichen Temperaturanstiegs um einen gegebenen Mittelwert herum wächst, dann wächst auch die Bedrohlichkeit der Situation. Das ist die Intuition, die wir hier voraussetzen. Eine erste argumentative Untermauerung dieser Intuition stützt sich auf die Annahme, dass die Klimaschäden bei steigender Temperatur überproportional ansteigen (vgl. Abb. 6): Ein zusätzliches Grad Erwärmung bringt bei hohen Temperaturen mehr zusätzlichen Schaden als bei niedrigen Temperaturen. Im Falle überproportionaler Schäden gilt: Wenn die Klimaschäden bei doppelt so hoher Temperatur doppelt so hoch sind, dann sind sie bei dreimal höherer Temperatur mehr als dreimal so hoch. Die Klimaschäden – im Sinne von Wohlergehensverlusten oder Menschenrechtsverletzungen – wachsen mit jedem zusätzlichen Grad schneller an. Von überproportionalen Schäden wird oft auch mit Hilfe der verwandten Ausdrücke „nicht-linearer“, „konvexer“ oder „exponentieller“ Schaden gesprochen.
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Abbildung 6: Überproportionale Schäden
Nehmen wir zur Illustration an, dass die Temperatur aufgrund des Klimawandels mit gleicher Wahrscheinlichkeit um 1 °C, 2 °C oder 3 °C steigt. Stellen wir uns einen Bauern in Küstennähe vor, der bei einem Temperaturanstieg von 1 °C Ernteausfälle von 10 Tonnen verkraften muss, und bei 2 °C Ernteausfälle von 20 Tonnen. Bei einem Temperaturanstieg von 3 °C hingegen ist der Meeresspiegel genug gestiegen, um die Schutzdämme zu überfluten, was ihm die ganze Ernte von 60 Tonnen vernichtet. In einem solchen Fall überproportionaler Schäden würden wir in die Irre geleitet, wenn wir uns der Einfachheit halber am Mittelwert des Temperaturanstiegs ausrichteten. Der Mittelwert beträgt 2 °C, was wir mit einem Verlust von 20 Tonnen in Verbindung bringen. Dieser Mittelwert „verbirgt“ aber die Tatsache, dass es auch 1 °C oder 3 °C wärmer werden könnte. Und – das ist die Krux – diese zwei Möglichkeiten machen sich gegenseitig nicht wett: Ob der Ernteausfall 10 oder 20 Tonnen (bei 1 °C bzw. 2 °C) beträgt, ist ein kleiner Unterschied, während der Unterschied von 20 zu 60 Tonnen (bei 2 °C bzw. 3 °C) viel größer ist. Es ist weniger schlimm, 20 Tonnen mit Sicherheit zu verlieren als 10, 20 oder 60 Tonnen mit je gleicher Wahrscheinlichkeit zu verlieren. Man kann diese Einsicht auch folgendermaßen ausdrücken: Der Mittelwert des Temperaturanstiegs beträgt 2 °C, während der Mittelwert der Ernteausfälle nicht 20, sondern 30 Tonnen beträgt (1/3 × 10 + 1/3 × 20 + 1/3 × 60 = 30). Wir sind aber an den Ernteausfällen und nicht am Temperaturanstieg interessiert. Wenn wir also die Ernteausfälle im Mittel auf 20 statt 30 Tonnen beschränken wollten, dann bliebe uns – bei gegebener Unsicherheit – nichts anderes übrig, als auf einen Temperaturanstieg abzuzielen, der im Mittel unter 2 °C liegt. Allgemein gilt: Bei gegebener mittlerer Schätzung bezüglich des Temperaturanstiegs ist die mittlere Schätzung bezüglich der Klimaschäden umso höher, je größer die Unsicherheit über den Temperaturanstieg ist. Letztlich interessieren uns aber die Klimaschäden und nicht der Temperaturanstieg. Und weil der Mittelwert der Klimaschäden von der Unsicherheit über den Temperaturanstieg abhängt, dürfen wir uns beim Sprechen über den Temperaturanstieg nie bloß an dessen Mittelwert orientieren, sondern müssen immer auch die damit verbundene Unsicherheit in den Blick nehmen. Diese Aussagen gelten natürlich nicht nur für den Temperaturanstieg und die Klimaschäden, sondern genau genommen auch für jedes Beispiel zweier Faktoren, von denen uns der zweite letztlich interessiert, der erste aber Unsicherheit aufweist und überproportional zum zweiten beiträgt. (Für eine ausführlichere, aber teilweise auch präzisierende Darstellung zu diesen allgemein gehaltenen Aussagen eignen sich Ein-
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führungen in die Entscheidungstheorie, wie bspw. Mas-Colell u. a. 1995: Kap. 6; Gilboa 2009; Peterson 2009.) Ist die Annahme überhaupt plausibel, dass die Klimaschäden überproportional zunehmen? Wachsen die Klimaschäden – im Sinne von Wohlergehensverlusten oder Menschenrechtsverletzungen – mit steigender Temperatur tatsächlich schneller an? Die allgemeine Tendenz in ökonomischen Klimamodellen geht tatsächlich dahin (Deuber, Luderer und Edenhofer 2013: 40). Teilweise ist dies auch intuitiv nachvollziehbar. So ist es beispielsweise naheliegend, dass ein Bauer, der bereits einen Großteil seiner Ernte verloren hat, mit jeder weiteren Tonne Ernteausfall mehr Wohlergehen verliert, als ein Bauer, der noch keine Ernteverluste zu bewältigen hatte. Wer durch Klimaschäden bereits viel verloren hat, den kostet jeder weitere Verlust mehr zusätzliches Wohlergehen. Das ist bloß eine spiegelbildliche Formulierung des allgemeineren Prinzips, dass ein Euro einem Armen mehr Nutzen stiftet als einem Reichen (unter der Annahme, dass man mit Klimaschäden ärmer ist als ohne Klimaschäden). Ein weiterer nachvollziehbarer Grund für überproportionale Schäden sind positive soziale Rückkopplungseffekte. Positive Rückkopplungseffekte im Allgemeinen bedeuten, dass ein Schaden als Nebeneffekt selbst wieder zusätzlichen Schaden auslöst, wie das z. B. der Fall ist, wenn unser CO2- und Methanausstoß dazu beiträgt, dass Permafrostböden in Sibirien auftauen, was dann wiederum zusätzliches CO2 und Methan in die Atmosphäre entlässt. Im Kontext dieses Abschnitts sind aber vor allem soziale Rückkopplungseffekte relevant: Wenn beispielsweise eine Flut Todesopfer fordert, so besteht der Schaden nicht nur in diesen verlorenen Leben. Als „Nebeneffekt“ kommen weitere Schäden hinzu, denn die Opfer waren ja vor ihrem Tod aktive Mitglieder der Gesellschaft, die Krankenhäuser betrieben, Kinder erzogen und Städte regierten. Wenn nun aber in einem Krankenhaus hundert Mitarbeiter auf einmal ausfallen würden, so wäre das naheliegenderweise mehr als hundertmal so problematisch, wie wenn bloß ein Mitarbeiter ausfallen würde. Genauso schafft es mehr als doppelt so viele Probleme, wenn gleichzeitig zwei Länder durch klimabedingte Dürren politisch destabilisiert werden, wie wenn bloß eines destabilisiert wird. Besonders dramatische Beispiele für überproportionale Schäden sind sogenannte Kipppunkte. Das Klima ist ein komplexes System, das sich auch sprunghaft verändern kann. So könnte sich der Monsun in Indien bei einem geringen Temperaturanstieg nur wenig und stetig verändern, dann aber auf einmal an einen Punkt gelangen, an dem er abrupt zum Erliegen kommt. In solchen Fällen, in denen ein Temperaturanstieg bis zu einer gewissen Schwelle kaum Schäden verursacht, dann aber plötzlich zu einer Kaskade von Schäden führt, wäre es fatal, wenn wir bloß auf den Mittelwert des Temperaturanstiegs achteten. Denn dieser könnte im harmlosen Bereich vor dem Kipppunkt liegen. Besondere Aufmerksamkeit verdienen die überproportional ansteigenden Schäden nicht nur im oft diskutierten Bereich eines Temperaturanstiegs von rund 2 bis 4 °C, sondern auch im Bereich der darüber hinausgehenden Worst-Case-Szenarien. Während bereits ein Temperaturanstieg von 2 °C wohl für viele Menschen ernsthaftes Leid mit sich bringt, können wir uns einen 10 °C wärmeren Planeten kaum ausmalen. Ein solcher Temperaturanstieg ist derart drastisch, dass es keine zehnprozentige Eintrittswahrscheinlichkeit braucht, um ihn als gleich bedrohlich zu betrachten wie einen Temperaturanstieg von 1 °C, der mit Sicherheit eintritt. Die mittlere Schätzung des Schadens ist im Fall einer zehnprozentigen Wahrscheinlichkeit
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von 10 °C viel höher als im Fall einer hundertprozentigen Wahrscheinlichkeit von 1 °C, auch wenn die mittlere Schätzung des Temperaturanstiegs in beiden Fällen gleich hoch ist. Die Intuition dahinter ist dieselbe wie bei Brandschutzmaßnahmen: Auch wenn die Wahrscheinlichkeit extrem gerin ist, dass eine Feuersbrunst ausbricht, so wäre doch der Verlust im Fall eines Brandes derart schlimm, dass bereits eine geringe Wahrscheinlichkeit eines solchen Worst-Case-Szenarios genügt, um Vorsichtsmaßnahmen zu ergreifen.
Die Asymmetrie von Rechten Im letzten Abschnitt haben wir gezeigt, dass die Unsicherheit bezüglich des Temperaturanstiegs ein Argument für zusätzlichen Klimaschutz ist, wenn uns letztlich der Mittelwert des Klimaschadens interessiert. In diesem Abschnitt hinterfragen wir nun, ob wir uns überhaupt am Mittelwert des Klimaschadens orientieren sollten. Eine plausiblere Alternative ist die Orientierung an der Größe des Risikos eines rechteverletzenden Klimaschadens. Der Unterschied zwischen der Orientierung am Mittelwert und der Orientierung am Risiko einer Rechteverletzung lässt sich anhand eines Beispiels illustrieren. Nehmen wir an, Sie sehen auf einer Party einen Geldbeutel herumliegen. Der Besitzer ist bereits nach Hause gegangen, doch Sie machen zum Spaß ein kleines Spiel. Sie werfen eine Münze. Bei Kopf entwenden Sie hundert Euro aus dem Geldbeutel, bei Zahl legen Sie hundert Euro hinein. Hätten Sie damit die Rechte des Besitzers gewahrt? Die Antwort lautet: Nein. Sie gehen eine fünfzigprozentige Wahrscheinlichkeit ein, dem Besitzer hundert Euro zu stehlen. Man soll nicht stehlen. Und man soll auch nicht mit einer fünfzigprozentigen Wahrscheinlichkeit stehlen. Dass Sie gleichzeitig die Chance eingehen, dem Besitzer hundert Euro zu spenden, ist zwar großzügig. Sie schulden ihm ja nichts. Aber selbst wenn Sie für den Besitzer eine fünfzigprozentige Wahrscheinlichkeit eines Gewinns schaffen, so rechtfertigt das in keiner Weise, gleichzeitig eine fünfzigprozentige Wahrscheinlichkeit eines Diebstahls einzugehen. Wenn der Besitzer ein Recht auf sein Geld hat, dann wird eine gewisse Wahrscheinlichkeit eines Diebstahls nicht mit einer gleich großen Wahrscheinlichkeit einer Spende aufgewogen. Interessant an diesem Beispiel ist, dass der Mittelwert Ihres Spiels für den Besitzer null Euro beträgt. Vom Mittelwert her gesehen bestehlen Sie den Besitzer also nicht. Er hat das Recht, dass Sie ihm keinen Euro stehlen, und im Sinne des Mittelwerts tun Sie das auch nicht. Und trotzdem verletzen Sie Ihre Pflicht – aus dem einfachen Grund, weil Sie eine fünfzigprozentige Wahrscheinlichkeit eingehen, ihn zu bestehlen. Das kann man die Asymmetrie von Rechten nennen: Die Wahrscheinlichkeit, über das Geschuldete hinaus großzügig zu sein, macht die Wahrscheinlichkeit einer Rechteverletzung nicht wett. Gegenüber zukünftigen Generationen befinden wir uns in einer analogen Situation. Sie haben uns gegenüber gewisse Rechte, insbesondere die Menschenrechte. Wir gehen mit jeder Klimapolitik in gewissem Sinn einen Münzwurf ein. Nur gibt es nicht bloß zwei mögliche Seiten wie bei der Münze, sondern die große Bandbreite an wahrscheinlicheren und weniger wahrscheinlichen Klimafolgen gleicht eher einem Würfel mit vielen Flächen. Nehmen wir für den Moment – und ausschließlich zur Illustration – an, die Rechte zukünftiger Generationen ließen sich in ein Recht übersetzen, die Klimaschäden auf weniger
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als 20% des globalen Bruttoinlandsprodukts zu begrenzen. Wenn zukünftige Generationen tatsächlich ein Recht darauf hätten, dann wäre eine Klimapolitik inakzeptabel, die mit gleichmäßiger Wahrscheinlichkeit Klimaschäden in der Höhe von 10 bis 30% bewirkt. Der mittlere Klimaschaden dieser Klimapolitik würde dann zwar tatsächlich bei 20% liegen, aber weil wir von einem Recht sprechen, dass die Schäden diese Schwelle nicht übersteigen, interessiert uns nicht der Mittelwert, sondern viel eher, wie groß das Risiko ist, sie zu übersteigen, das heißt: wie groß das Risiko ist, das Recht zu verletzen. Dass es gleichzeitig eine fünfzigprozentige Wahrscheinlichkeit gibt, unter 20% zu gelangen, ist zwar erfreulich, aber es macht die Wahrscheinlichkeit einer Rechteverletzung nicht wett. Wenn Unsicherheit über das Ausmaß der zukünftigen Klimaschäden unvermeidbar ist, dann muss man im Sinne dieser „rechtebasierten Risikoscheu“ eine Klimapolitik wählen, die im Mittel sehr geringe Klimaschäden anpeilt, so dass trotz der Unsicherheitsbandbreite um diesen Mittelwert herum die Wahrscheinlichkeit, in den rechteverletzenden Bereich zu gelangen, klein gehalten wird. Wenn die Bandbreite möglicher Auswirkungen eine Spanne von 20% umfasst, dann könnte als Mittelwert beispielsweise ein Klimaschaden von 11% als akzeptabel gelten. Die Bandbreite möglicher Auswirkungen würde dann 1 bis 21% betragen, und so bestünde nur eine vertretbar geringe Wahrscheinlichkeit, mehr als 20% des Bruttoinlandsprodukts zu verlieren. Unsicherheit kann die moralische Bewertung der Klimapolitik also auf den Kopf stellen. Wenn für die politische Option A im Mittel leicht höhere Klimaschäden als für die politische Option B vorausgesagt werden, dann können wir trotzdem A gegenüber B bevorzugen – falls nämlich Option B viel mehr Unsicherheit mit sich bringt. Unsicherheit bedeutet eben nicht nur ein größeres Potenzial, dass es besser als erwartet kommt und wir zukünftigen Generationen somit mehr Wohlergehen hinterlassen, als wir ihnen schulden, sondern auch ein größeres Potenzial, dass es schlechter als erwartet kommt und wir somit Rechte verletzen. Und letzteres – das Risiko einer Rechteverletzung – wiegt moralisch gesehen besonders schwer und wird durch Ersteres nicht wettgemacht. Somit haben wir ein zweites Argument, weshalb uns Unsicherheit Grund für zusätzlichen Klimaschutz gibt.
Fehlende Wahrscheinlichkeiten Bisher haben wir gefragt, weshalb Klimaschutz drängender ist, wenn wir das Ausmaß des Klimawandels nicht mit Sicherheit angeben können, sondern bloß die Wahrscheinlichkeiten verschiedener Zukunftsszenarien kennen. Aber man kann auch fragen, wie wir handeln sollen, wenn wir den verschiedenen Szenarien nicht einmal Wahrscheinlichkeiten zuschreiben können. Was tun, wenn wir bloß die Bandbreite des möglichen Temperaturanstiegs kennen, die zugrundeliegenden klimatischen Prozesse aber derart komplex sind, dass kein wissenschaftliches Modell die Wahrscheinlichkeiten innerhalb dieser Bandbreite zuverlässig beziffern kann? Das ist keine abstrakte Frage. In der Praxis sind die Wissenschaftler oft zurückhaltend, wenn es darum geht, Wahrscheinlichkeiten für Entwicklungen in der fernen Zukunft anzugeben. Ein relevantes Beispiel aus der Vergangenheit ist z. B. der dritte Sachstandsbericht des IPCC von 2001. Er verzichtete darauf, einer der Kernaussagen – dass der Temperaturanstieg bis zum Jahr 2100 in der Bandbreite von 1,4 bis 5,8 °C liege – sowie den zugrundeliegenden
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Szenarien Wahrscheinlichkeiten zuzuschreiben. Wahrscheinlichkeitsaussagen wurden seither üblicher, aber man darf sich nicht darüber täuschen, dass in manchen Fällen die intuitiven Expertenurteile oder die Annahmen, auf denen sie beruhen, aus wissenschaftstheoretischer Sicht sehr umstritten sind (vgl. Betz 2007; 2008). Wie aber sollen wir uns für die eine oder andere Klimapolitik entscheiden, wenn wir nicht einmal wissen, welche Politik mit welcher Wahrscheinlichkeit welche Folgen hat? Für solche Fälle fehlender Wahrscheinlichkeiten wird oft eine Orientierung am schlimmstmöglichen Fall (dem sog. Worst Case) vorgeschlagen. Wir sollen diejenige Politik wählen, bei der der Worst Case am wenigsten schlimm ist. Dieses Entscheidungsprinzip läuft unter der Bezeichnung „Maximin“. Die Bezeichnung rührt daher, dass das Prinzip fordert, unter allen Minima (d. h. den Worst Cases) den Fall mit den maximal guten Auswirkungen (bzw. treffender: den am wenigsten schlimmen Auswirkungen) zu wählen. So könnte man anhand des Maximinprinzips beispielsweise argumentieren, dass eine schwache Klimapolitik im Worst Case globale Umweltkatastrophen für zukünftige Generationen mit sich bringe, während eine ambitionierte Klimapolitik als Worst Case ökonomische Einbußen für die gegenwärtige Generation aufweise; die ambitionierte Klimapolitik sei somit vorzuziehen, da ihr Worst Case weniger schlimm ist. Muss ein solches Maximinprinzip aber nicht als übervorsichtig gelten? Stellen wir uns vor, die Wissenschaft fände unerwartet eine Climate-Engineering-Lösung, die mit 99,9% Wahrscheinlichkeit den Klimawandel billig und effektiv löst, jedoch mit 0,1% Wahrscheinlichkeit einen leicht schlimmeren Worst Case als der Klimawandel hat. Eine einseitige Ausrichtung am Worst Case scheint in diesem Fall übertrieben, denn dann müsste man auf den praktisch sicheren Erfolg der billigen und effektiven Lösung verzichten, nur weil sie eine sehr geringe Wahrscheinlichkeit leicht schlimmerer Folgen mit sich bringt. Doch diese Kritik geht am eigentlichen Punkt vorbei. Das Maximinprinzip soll nämlich nur dann eingesetzt werden, wenn die Wahrscheinlichkeiten gar nicht abgeschätzt werden können. Sobald wir – wie in diesem Beispiel – die Wahrscheinlichkeiten kennen, kommt das Maximinprinzip gar nicht zur Anwendung. Die Kritiker des Maximinprinzips tun sich aber trotzdem schwer mit der Idee, dass bereits die bloße Möglichkeit eines katastrophalen Worst Case genügen soll, um eine Klimapolitik als inakzeptabel zu bewerten. Sollten die Apokalyptiker in der öffentlichen Debatte nicht zumindest die Beweislast tragen und die schiere Möglichkeit einer Katastrophe zuerst als wissenschaftlich begründetes Szenario ausweisen, bevor eine solche Möglichkeit ernst genommen werden muss? Käme ein Maximinprinzip denn nicht einer lähmenden Blockade gleich, da ja in einem gewissen Sinn jede Politik unter mehr oder minder bizarren Umständen zu einer Katastrophe führen könnte? Möglich ist ja vieles: Eine vergessene Kerze kann einen Stadtbrand, dieser wiederum Neuwahlen, diese wiederum einen Volksaufstand und dieser wiederum einen Weltkrieg auslösen. Die bloße Möglichkeit einer Katastrophe würde somit nicht nur CO2-Emissionen verbieten, sondern streng genommen auch das Abbrennen einer Kerze und jede andere menschliche Handlung. Verteidiger des Maximinprinzips wie Stephen Gardiner (2006: 51) halten dieser Kritik jedoch entgegen, dass die Bandbreite der „möglichen“ Auswirkungen selbstverständlich nicht jede abstrakt vorstellbare Option einschließe. Für die Bestimmung der möglichen Worst Cases müssen nur „realistische“ Szenarien miteinbezogen
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werden. Die Kritik am Maximinprinzip beruht also auf einer überzogenen Interpretation des Begriffs der Möglichkeit. Nicht jeder vorstellbare Worst Case muss als möglich im Sinn von realistisch gelten. Auch ein Vertreter des Maximinprinzips kann eingestehen, dass es eine schwierige Aufgabe ist, die realistischen Worst Cases verschiedener Klimapolitikoptionen zu bestimmen. Es besteht beispielsweise die Versuchung, manchen Worst Cases mehr Aufmerksamkeit zu schenken als anderen. So besteht nicht nur die Möglichkeit einer globalen Umweltkatastrophe im Fall fehlenden Klimaschutzes, sondern auch die Möglichkeit wirtschaftlicher Verluste und darauffolgender Verzögerungen im Kampf gegen die Armut im Falle stark übertriebenen Klimaschutzes. Wenn diese Ausbuchstabierung des Maximinprinzips überzeugt, dann haben wir ein drittes Argument, weshalb Unsicherheit Grund für zusätzlichen Klimaschutz gibt. Wie die ersten zwei Gründe beruht auch dieser dritte Grund nicht auf irrationaler, angstgetriebener Risikoscheu. Er skizziert vielmehr einen plausiblen Umgang mit Situationen, in denen katastrophale Worst Cases zwar realistische Möglichkeiten sind, ihre Wahrscheinlichkeit aber wissenschaftlich nicht abgeschätzt werden kann.
Fazit Zusammengenommen stützen die drei in diesem Kapitel vorgestellten Unsicherheitsargumente das Anliegen hinter dem Vorsorgeprinzip. Die Argumente zeigen, dass eine Politik der Vorsicht auf guten Gründen und nicht bloß auf irrationaler Ängstlichkeit basiert. Wer eine Brandschutzversicherung vernünftig findet, sollte auch in der Klimapolitik für eine risikoscheue Herangehensweise offen sein. Wir haben nämlich auch dann ausreichend Grund zum Klimaschutz, wenn der heutige CO2-Ausstoß die Rechte zukünftiger Generationen weder mit Sicherheit noch im Mittelwert verletzt. Es genügt zur Begründung unserer Klimaschutzpflicht, dass das Risiko einer Rechteverletzung eine gewisse Grenze überschreitet oder dass – falls die Wissenschaft keine zuverlässigen Wahrscheinlichkeitsaussagen erlaubt – schon nur die realistische Möglichkeit dazu besteht. Klimaschutz braucht in diesem Sinn eine Sicherheitsmarge: Indem wir mehr Klimaschutz betreiben, als nötig wäre, wenn der im Mittel erwartete Temperaturanstieg mit Sicherheit einträfe, senken wir die Wahrscheinlichkeit ernsthafter Rechteverletzungen auf ein vertretbar tiefes Niveau oder verbannen sie sogar ganz aus dem Bereich realistischer Möglichkeiten. Mit anderen Worten: Die Rechte zukünftiger Generationen müssen robust geschützt sein, d. h. sie müssen auch dann geschützt sein, wenn die pessimistischen Szenarien Realität werden. Die Unsicherheit über das Ausmaß des zukünftigen Klimawandels ist also einer der zentralen Gründe, warum wir uns angesichts der Wachstumsprognosen nicht einfach zurücklehnen und darauf warten können, dass uns das allgemeine wirtschaftliche Wachstum die Erfüllung unserer Pflichten gegenüber zukünftigen Generationen abnimmt. Wenn wir die Rechte zukünftiger Menschen auch unter Unsicherheit geschützt wissen wollen, dann müssen wir zusätzlichen Klimaschutz leisten.
8 Unsicherheit und das Vorsorgeprinzip
Argumente-Box 7: Unsicherheit und das Vorsorgeprinzip Die Unsicherheit über das Ausmaß des zukünftigen Klimawandels verlangt von uns erhöhte Klimaschutzbemühungen. Wir haben auch dann die Pflicht, für unsere Nachfahren das Risiko eines rechteverletzenden Klimawandels gering zu halten, wenn ihnen als mittlere Schätzung ein höheres Wohlergehen als uns prognostiziert wird. Diese risikoscheue Position wird durch drei Argumente gestützt. 1. Überproportionale Schäden. Wenn die Klimaschäden überproportional wachsen (d. h. mit steigender Temperatur schneller wachsen), dann bedeutet mehr Unsicherheit bezüglich des Temperaturanstiegs eine höhere mittlere Schätzung für die Klimaschäden. Wenn wir uns also bloß am Mittelwert des prognostizierten Temperaturanstiegs ausrichten, die damit verbundene Unsicherheit aber ausblenden, dann unterschätzen wir das Ausmaß der Klimaschäden. 2. Die Asymmetrie von Rechten. Wenn zukünftige Generationen ein Recht auf ein bestimmtes Wohlergehensniveau haben, dann kommen wir unserer Pflicht nicht nach, wenn wir ihnen zwar mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit mehr hinterlassen, als ihnen zusteht, aber mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit auch weniger. Ersteres wiegt letzteres nicht auf. Unsere Pflicht besteht darin, das Risiko eines rechteverletzenden Schadens genügend klein zu halten. 3. Fehlende Wahrscheinlichkeiten. Wenn die Wissenschaft den verschiedenen möglichen Auswirkungen des Klimawandels keine Wahrscheinlichkeiten zuschreiben kann, dann ist im Sinne des Maximinprinzips eine Orientierung am Worst Case angebracht.
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9 Ungleichheit und ein Zwischenfazit Der wesentliche Punkt der vorangegangenen Überlegungen bestand darin, dass zukünftig lebende Menschen zumindest die Suffizienzschwelle erreichen können sollten, wenn nicht sogar gleiches Wohlergehen wie die gegenwärtige Generation; und dass es unangebracht ist, bei unsicheren Prognosen über die zukünftigen Auswirkungen des Klimawandels bloß auf den Mittelwert (im Sinne des Erwartungswerts) zu achten. Genauso unangebracht ist es aber, bloß auf den Durchschnitt des zukünftigen Wohlergehens zu achten. Denn der Durchschnitt berücksichtigt die Verteilung des Wohlergehens unter den zukünftig lebenden Menschen nicht. Erinnern wir uns an den Chef, der verpflichtet ist, seinen Mitarbeitern einen Lohn von 2000 Euro zu bezahlen. Wenn er den einen 1000 Euro und den anderen 3000 Euro überweisen würde, dann würden sie im Durchschnitt tatsächlich 2000 Euro erhalten. Aber angesichts ihres Anrechts auf einen Lohn von 2000 Euro wäre das offensichtlich inakzeptabel. Es kommt also darauf an, das Recht jedes einzelnen Mitarbeiters zu erfüllen. Genauso im Fall des Klimawandels: Wenn zukünftige Generationen das Recht haben, dass es ihnen ausreichend gut geht, dann hat jeder einzelne Mensch innerhalb der zukünftigen Generationen dieses Recht. Wenn ein Mensch in hundert Jahren an einer klimawandelbedingten Dürre leidet, dann ist ihm kaum damit gedient, dass einer seiner Zeitgenossen im Überfluss lebt und es ihnen beiden somit im Durchschnitt ausreichend gut geht. Ungleichheit hat zur Folge, dass wir das zukünftige Durchschnittswohlergehen auf mehr als das Niveau, das wir jedem einzelnen schulden, anheben müssen. Indem wir unseren Nachfahren im Durchschnitt mehr hinterlassen, als wir ihnen je einzeln schulden, stellen wir sicher, dass auch die Nachfahren am unteren Ende der Einkommensverteilung genug haben. Je mehr Ungleichheit in der Zukunft herrschen wird, umso mehr Klimaschutz sollten wir also tätigen. Das ist einer der einfachsten, aber gleichzeitig einer der wichtigsten Gründe für den Klimaschutz. Man könnte kritisch einwenden, dass es nicht unsere Schuld als gegenwärtige Generation sei, wenn zukünftige Generationen das Erbe, das wir ihnen hinterlassen, nicht gleich unter sich aufteilen. Weil die Ungleichheit der Zukunft nicht in unserer Verantwortung liege – so könnte man behaupten –, hätten wir auch nicht die Pflicht, mehr für unsere Nachkommen zu tun, als nötig wäre, wenn sie in Gleichheit leben würden. Auf diesen Einwand gibt es zwei Antworten. Zuerst: Sogar wenn es stimmen würde, dass die Schuld für die zukünftige Ungleichheit nicht bei der gegenwärtigen Generation zu suchen wäre, so ist die Schuld wohl ebenfalls nicht bei denjenigen zukünftigen Menschen zu suchen, die selbst am unteren Ende der Einkommensverteilung leben werden. Wir dürfen diese Menschen aber schwerlich dem Risiko des Klimawandels aussetzen, wenn ihre Zeitgenossen die zur Anpassung nötigen Ressourcen zwar mit ihnen teilen könnten, dies aber schlicht nicht tun (vgl. zur Frage, wie man gerecht auf Ungerechtigkeit reagieren soll, ausführlicher Kap. 17). Es ist gerade kennzeichnend für Menschenrechtsverletzungen – im Gegensatz zu gewissen anderen moralischen Übeln –, dass sie uns etwas angehen unabhängig davon, was der
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Grund für diese Verletzung ist, und unabhängig davon, wie weit wir – räumlich und zeitlich – von den Betroffenen entfernt sind. Die zweite – und wichtigere – Antwort auf diesen Einwand lautet, dass der ungleiche Lebensstandard in der Zukunft auch uns als gegenwärtiger Generation anzulasten ist. Wir tragen aktiv zur Ungleichheit in der Zukunft bei – und zwar insbesondere durch unsere Treibhausgasemissionen. Menschen in Armut sind nämlich besonders verwundbar, weil sie oft in Flussschwemmgebieten, Dürrezonen und anderen sensiblen Regionen leben, in denen sich der Klimawandel besonders schnell und besonders spürbar zeigt. Die Wirtschaft der Entwicklungsländer ist verhältnismäßig stark auf die Landwirtschaft ausgerichtet, die empfindlicher auf den Klimawandel reagiert als beispielsweise der Dienstleistungssektor. Auch sind die politischen Institutionen der Entwicklungsländer oft instabiler, und somit führen die Verknappung von Ressourcen und klimabedingte Migrationsströme auch leichter zu sozialen Unruhen. Der Klimawandel macht also die Armen noch ärmer. Das zu verhindern, ist einer der triftigsten Gründe für den Klimaschutz.
Ein Zwischenfazit Die letzten Kapitel haben sich mit der zweiten klimaethischen Leitfrage befasst: Zu wie viel Klimaschutz sind wir verpflichtet? Wir haben argumentiert, dass wir zukünftigen Generationen zumindest die Wahrung ihrer Menschenrechte schulden und womöglich darüber hinaus, dass es ihnen nicht schlechter geht als uns. Weil diese Ziele auch unter pessimistischen Szenarien und auch für die Menschen am unteren Ende der Einkommensverteilung erreicht werden müssen, sind die Pflichten umfangreicher, als es auf den ersten Blick scheinen mag. Soweit die allgemeine ethische Aussage. Doch wie kann diese Forderung für die Praxis operationalisiert werden? Was bedeutet sie in Bezug auf die anderen Elemente der Wirkungskette aus Abbildung 5, beispielsweise in Bezug auf einen maximal zulässigen Temperaturanstieg? Im klimapolitischen Diskurs wird oft eine Erwärmung von 2 °C als akzeptables Maximum betrachtet. Dieses Ziel hat sich nicht deshalb ergeben, weil wissenschaftliche Ergebnisse für einen deutlichen Unterschied zwischen den Auswirkungen über und unter 2 °C sprechen würden, sondern es hat sich eher als nützlicher Orientierungspunkt zur Strukturierung der politischen Diskussion herauskristallisiert (vgl. Geden 2012: Fn. 4). Der konkrete Inhalt des 2 °C-Ziels bleibt in vielen Fällen offen, weil nicht festgelegt wird, mit welcher Wahrscheinlichkeit der Temperaturanstieg unter 2 °C gehalten werden muss. Es macht unter dem bereits diskutierten Aspekt des Risikos aber offenkundig einen Unterschied, ob das 2 °C-Ziel mit 90% Wahrscheinlichkeit oder – auch das eine übliche Interpretation (vgl. International Energy Agency 2010; Luers u. a. 2007) – nur mit 50% Wahrscheinlichkeit erreicht wird. Allerdings betrachten die verletzlichsten Akteure – kleine Inselstaaten und am wenigsten entwickelte Länder – und verschiedene NGOs bereits 1,5 °C als maximal tolerierbare Erwärmung. Sie machen auf die signifikanten Klimaschäden aufmerksam, die bereits unter der Schwelle von 2 °C zu erwarten sind (vgl. World Bank 2012a; Hansen u. a. 2008; Smith u. a. 2009). Gemessen an den Kriterien, mit denen wir bislang argumentiert haben, wäre das
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2 °C-Ziel also vermutlich nicht ambitioniert genug. Ein detaillierter Vergleich zwischen dem 2 °C- und dem 1,5 °C-Ziel ist aber angesichts der gegenwärtigen politischen Realitäten kaum relevant. Wir sind schon weit davon entfernt, auf einen Pfad einzuschwenken, mit dem wir die Erwärmung auf zwei Grad begrenzen würden. Allein zwischen 1990 und 2010 sind die Emissionen um fast ein Drittel gewachsen; und um das 2 °C-Ziel mit einer Zwei-DrittelWahrscheinlichkeit zu erreichen, müssten die Emissionen nicht nur aufhören zu wachsen, sondern bereits in diesem Jahrzehnt deutlich reduziert werden (United Nations Environment Programme 2012). Auch wenn dies technologisch und ökonomisch möglich ist, ist es angesichts des Wachstumshungers sowohl der armen wie auch der aufstrebenden und reichen Volkswirtschaften und angesichts der Schwierigkeit, sich politisch zu koordinieren, reichlich unwahrscheinlich. Gemäß einer Schätzung befinden wir uns auf einem Pfad, der auf mehr als 3 °C und mit einer Wahrscheinlichkeit von 20% bis 40% bis 2100 sogar auf mehr als 4 °C hinausläuft (World Bank 2012a: 23). Wie sähe eine durchschnittlich 4 °C wärmere Welt aus? Weil der Temperaturanstieg nicht gleichmäßig über den Globus verteilt ist, könnte das für manche Regionen – wie Nordafrika, den Nahen Osten oder die USA – im Sommer eine Erhöhung der mittleren Temperatur von über 6 °C bedeuten. Hitzewellen wie jene, die im Jahr 2010 in Russland schätzungsweise 55 000 Todesopfer gefordert hat, würden zur normalen Sommertemperatur werden. Der Meeresspiegelanstieg könnte bis 2100 einen halben bis einen Meter betragen, und in den darauffolgenden Jahrhunderten könnten nochmals mehrere Meter dazu kommen. Die Wasserknappheit würde signifikant zunehmen, viele Tier- und Pflanzenarten würden aussterben und zunehmende Überflutungen würden den Menschen in Armut Epidemien und Ernährungsprobleme bescheren (World Bank 2012a). Es fällt schwer, sich diese und weitere Folgen ohne Menschenrechtsverletzungen auszumalen. Das genügt, um den gegenwärtigen Treibhausgasausstoß aus der Perspektive der intergenerationellen Gerechtigkeit als unhaltbar zu qualifizieren. Wenn wir uns die Beschreibung einer durchschnittlich vier Grad wärmeren Welt vor Augen führen, so kann es womöglich gerechtfertigt sein, unseren Nachkommen eine Wahrscheinlichkeit von 0,1% für dieses Szenario zu hinterlassen, nicht aber eine Wahrscheinlichkeit von 20 bis 40%. Wir alle steigen in ein Auto, obwohl immer eine geringe Wahrscheinlichkeit eines schweren oder tödlichen Unfalls besteht. Niemand von uns würde aber in einen Wagen steigen, wenn diese Wahrscheinlichkeit 20 bis 40% betrüge. In einen solchen Wagen aber setzen wir mit unseren heutigen Emissionen zukünftige Generationen und insbesondere deren ärmere Mitglieder. Um die heutige Klimapolitik aus der Perspektive der intergenerationellen Gerechtigkeit zu bewerten, müssen wir also zumindest zwei Aspekte einschätzen, nämlich die möglichen Folgen und (sofern Wahrscheinlichkeitszuschreibungen wissenschaftlich überhaupt möglich sind) deren Eintrittswahrscheinlichkeit: Wir müssen uns fragen, ob die möglichen Folgen der heutigen Klimapolitik Menschenrechtsverletzungen einschließen und ob das Risiko für solche menschenrechtsverletzenden Folgen eine maximal akzeptable Grenze überschreitet. Die soeben erfolgte Bewertung der gegenwärtigen Klimapolitik ist bezüglich dieser zwei Aspekte genügend klar: Die Emissionen müssen sinken – und zwar um mehr, als heute politisch angestrebt wird. Die Argumente dieses Kapitels erlauben es in ihrer Allgemeinheit schwerlich, ein exaktes Ziel von beispielsweise 1,53 °C anzugeben. Aber solange die Richtung klar ist und
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solange die Erreichung des 2 °C-Ziels noch außer Reichweite ist, kann die Marke von 2 °C einen Dienst als Meilenstein leisten, auf den es zumindest als Zwischenziel hinzusteuern gilt. Man kann sich allerdings fragen, ob die Notwendigkeit umfangreicher Emissionsreduktionen nicht ihrerseits der gegenwärtigen Generation unzumutbare Kosten auferlegt. Wenn einschneidender Klimaschutz so belastend sein sollte, dass er mit den Rechten der gegenwärtigen Generation in Konflikt geraten sollte, so wäre das natürlich ein Problem für die intergenerationelle Gerechtigkeit. Es sollen ja nicht nur die Rechte zukünftiger Generationen, sondern auch die Rechte der gegenwärtigen Generation geschützt sein. Die Angst, dass ambitionierter Klimaschutz ein Unrecht gegenüber den heute Lebenden darstellen könnte, ist allerdings unbegründet. Erstens sollten wir die Kosten des Klimaschutzes nicht überschätzen. So gehen beispielsweise Edenhofer u. a. (2010) davon aus, dass die Maßnahmen, um das 2 °C-Ziel mit einer Wahrscheinlichkeit von 80% zu erreichen, das Bruttoinlandsprodukt um weniger als 2,5% senken würden. Selbst wenn diese Mutmaßung die Kosten um ein Vielfaches unterschätzen sollte, würde immer noch keine „Rückkehr zur Steinzeit“ zur Diskussion stehen. Im Gegenteil: Der Artikel sieht trotz Mitigationskosten ein deutliches Wachstum voraus. Zweitens können wir den Klimaschutz in das größere Bild der intergenerationellen Kosten- und Nutzenverteilung einordnen: Wir beeinflussen das Leben unserer Nachkommen ja nicht nur über das Ausmaß unserer Emissionsreduktionen und das Ausmaß des damit verbundenen Klimawandels, sondern auch über unzählige weitere Kanäle. Das Wohlergehen zukünftiger Generationen hängt ebenso ab von unseren Investitionen in die medizinische Grundlagenforschung, von unserer Sparquote, von unserem Einsatz für die Ausbreitung und Stabilisierung demokratischer Institutionen sowie davon, wie viele Schulen wir bauen und wie viel Geld wir für Anpassungsmaßnahmen an den Klimawandel bereitstellen. Es besteht kein zwingender Grund zur Annahme, dass wir in diesen anderen Bereichen zu wenig für unsere Nachfahren tun. Womöglich hinterlassen wir ihnen sogar mehr, als wir ihnen schulden – anders als beim Klimaschutz, wo der Mangel an heutigen Bemühungen inakzeptable Risiken für unsere Nachkommen bedeutet. Zusammengenommen eröffnet das folgende Perspektive: Wenn wir zwar zum Klimaschutz bereit sein sollten, die notwendigen Maßnahmen aber als übermäßig kostspielig betrachten sollten, so könnten wir als gegenwärtige Generation unsere Klimaschutzbemühungen erhöhen, dafür aber in einem dieser anderen Bereiche die Vorsorge für unsere Nachfahren herunterschrauben. Was aus intergenerationeller Perspektive schlussendlich zählt, ist der gesamte Korb an Gütern und Risiken, den wir unseren Nachfahren hinterlassen. Wenn wir dafür sorgen, dass in diesem Korb keine inakzeptablen Klimarisiken sind, und wenn der Korb ansonsten bereits mehr als genug andere Güter enthalten sollte, dann wäre es gerechtfertigt, einige dieser anderen Güter für uns selbst zu behalten (vgl. Rendall 2011). Konkret: Es könnte gerechtfertigt sein, den Klimaschutz zu finanzieren, indem wir die Investitionen in andere zukunftsgerichtete Infrastruktur- und Forschungsprojekte senken oder indem wir langfristige Staatsschulden machen. Drittens kommt es bei der Beurteilung der Zumutbarkeit der Klimaschutzkosten für die gegenwärtige Generation natürlich darauf an, wer diese Kosten trägt. Der Klimaschutz ist beispielsweise dann mit Sicherheit nicht übermäßig belastend, wenn vorrangig die Reichsten die Aufgabe auf sich nehmen. Das führt zu der Frage, wer innerhalb der gegenwärtigen Genera-
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Teil II Wie viel müssen wir tun? Intergenerationelle Gerechtigkeit
tion welche Lasten auf sich nehmen muss – wie wir also das, was wir der Zukunft schulden, untereinander verteilen müssen. Darum geht es bei der dritten klimaethischen Leitfrage, der wir uns nun zuwenden.
Argumente-Box 8: Intergenerationelle Gerechtigkeit und Klimaschutz In den Kapiteln 5 bis 9 haben wir die zweite klimaethische Leitfrage erörtert. Angesichts der Tatsache, dass die Kosten des Klimaschutzes und des Klimawandels die Verteilung des Wohlergehens zwischen Gegenwart und Zukunft beeinflussen, haben wir uns gefragt, was wir zukünftigen Generationen überhaupt schulden. Wir kamen zu dem Schluss, dass unsere Pflicht zwar nicht darin besteht, dafür zu sorgen, dass es ihnen besser als uns geht, wohl aber dafür, dass es ihnen zumindest ausreichend gut geht – in dem Sinne, dass ihre Menschenrechte geschützt sind; womöglich schulden wir ihnen darüber hinaus sogar, dass es ihnen mindestens so gut geht wie uns. Dabei genügt es nicht, dass wir uns am Mittelwert und am Durchschnitt des zukünftigen Wohlergehens orientieren, die beide durchaus über den heutigen Werten liegen könnten. Vielmehr haben wir die Pflicht, den Schutz der Rechte zukünftiger Generationen robust auszugestalten. Sie müssen auch geschützt sein, wenn es schlechter als erwartet kommen sollte, und sie müssen auch für die Menschen am unteren Ende der Einkommensverteilung geschützt sein. Letzteres ist besonders relevant, weil der Klimawandel die Armen besonders stark trifft und somit neue Ungleichheit schafft. Auch wenn es schwierig ist, diese allgemeinen ethischen Aussagen in präzise Schlussfolgerungen für die Praxis zu übersetzen, so erscheint die Wahrscheinlichkeit, dass die gegenwärtige Klimapolitik die Rechte zukünftiger Generationen verletzt, doch inakzeptabel hoch. Die Richtung ist somit klar. Aus der Perspektive intergenerationeller Gerechtigkeit sollten die Emissionen schneller sinken, als es heute politisch angestrebt wird. Die Kosten, die die gegenwärtige Generation dafür aufwenden muss, scheinen ohne Weiteres tragbar.
Teil III Wie sollen wir die Pflichten verteilen? Globale Gerechtigkeit
10 Die größte Umverteilung der Menschheitsgeschichte Bislang haben wir zwei der drei klimaethischen Leitfragen geklärt. In Teil I haben wir gesehen, dass wir grundsätzlich moralisch verpflichtet sind, Klimaschutz zu leisten. In Teil II haben wir genauer bestimmt, in welchem Ausmaß wir das Klima schützen müssen: Wir sollten dafür sorgen, dass es zukünftigen Generationen mindestens gut genug und womöglich sogar genauso gut wie uns geht. Wer jedoch jemals in einer Wohngemeinschaft gelebt hat, der weiß, dass es nicht damit getan ist zu wissen, dass die Küche grundsätzlich aufgeräumt werden muss und dass sie sauber genug oder womöglich sogar so sauber wie zu Beginn der WG-Party sein soll. Eine entscheidende Frage bleibt: Wer macht was? Wer übernimmt beim Aufräumen welche Aufgaben in welchem Umfang? Mit dieser Frage werden wir uns (natürlich für den Fall des Klimawandels) in diesem Teil befassen: Wie muss man das zu erbringende Maß an Klimaschutz auf verschiedene Schultern aufteilen? Bei dieser dritten klimaethischen Leitfrage geht es darum, was eigentlich innerhalb der gegenwärtigen Generation eine gerechte Verteilung der Vor- und Nachteile, die mit der Vermeidung des Klimawandels einhergehen, ist; man kann dies auch „die Frage nach intragenerationeller globaler Klimagerechtigkeit“ nennen. Man könnte glauben, dass diese Frage bereits beantwortet ist. Denn erstaunlicherweise existiert in der internationalen Klimapolitik eine weithin geteilte Auffassung darüber, nach welchem Maßstab die Lasten für den Klimaschutz verteilt werden sollen: In der 1992 verabschiedeten Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen (UNFCCC) bekannten sich 154 Staaten nämlich dazu, das Klima „entsprechend ihren gemeinsamen, aber unterschiedlichen Verantwortlichkeiten und ihren jeweiligen Fähigkeiten“ zu schützen (UNFCCC 1992: Art. 3, Abs. 1). Und das klingt doch bereits nach einer Antwort auf unsere dritte klimaethische Leitfrage. Doch der Schein trügt, denn obwohl das englische Schlagwort der „common but differentiated responsibilities and respective capabilities“ in den internationalen Klimaschutzverhandlungen eine besondere Rolle spielt, ist keineswegs klar, wie man diesen Leitsatz eigentlich verstehen muss. Bezieht sich das Wort „Verantwortlichkeit“ auf den Beitrag, den ein Land zur Verursachung des Klimawandels geleistet hat, oder meint es eher die Verantwortung, die sich daraus ergibt, dass ein Land von den vergangenen Emissionen wirtschaftlich profitiert hat? Ist mit den jeweiligen Fähigkeiten die – wesentlich vom technologischen Know-how abhängige – Fähigkeit zu Emissionsreduktionen oder die – wesentlich vom wirtschaftlichen Wohlstand abhängige – Fähigkeit zur Bezahlung der Kosten für den Klimaschutz gemeint? Der Leitsatz von den „gemeinsamen, aber unterschiedlichen Verantwortlichkeiten und [. . .] jeweiligen Fähigkeiten“ lässt viele unterschiedliche Deutungen zu; deshalb braucht es durchaus noch eine eingehendere ethische Analyse zur Beantwortung der dritten klimaethischen Leitfrage.
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Teil III Wie sollen wir die Pflichten verteilen? Globale Gerechtigkeit
Genau darum soll es in den folgenden Kapiteln gehen. Wir betrachten verschiedene Versuche, den weithin anerkannten klimapolitischen Leitsatz durch ein „Verteilungsprinzip“ – eine Auffassung darüber, wie innerhalb unserer Generation eine gerechte Verteilung von Nutzen und Lasten des Klimaschutzes aussieht – genauer auszubuchstabieren. Wir werden prüfen, wie plausibel die einzelnen Prinzipien sind, was jeweils für und was gegen sie spricht. Da dies schnell unübersichtlich werden kann, möchten wir zuvor in diesem Kapitel noch einige Unterscheidungen treffen, die uns dabei helfen werden, die Verteilungsprinzipien, ihre Anwendungsbereiche und auch ihre Grenzen genauer zu verstehen und zu erkennen, welche Prinzipien sich widersprechen, welche sich gegenseitig ergänzen und wie sich mehrere Prinzipien in einer überzeugenden Antwort auf die dritte klimaethische Leitfrage miteinander kombinieren lassen.
Klimaschutz als Frage der distributiven Gerechtigkeit Was ist überhaupt ein Prinzip der Verteilungsgerechtigkeit? Betrachten wir zunächst ein Paradebeispiel für die Frage nach der Verteilungsgerechtigkeit. Sie sind Mitglied einer Gartenkooperative, die ein Stück Land gepachtet hat und darauf Landwirtschaft betreibt. Neben seinem finanziellen Beitrag zur Pacht muss jedes Mitglied auch Arbeitseinsätze leisten, damit Kartoffeln, Möhren, Kohl usw. gedeihen. Über das Jahr werden die Ernteerträge unter den Mitgliedern der Kooperative verteilt. In einer solchen Gemeinschaft stellt sich ganz unmittelbar die Frage: Wie sieht eine gerechte Verteilung der Mitgliedsbeiträge, der Arbeitseinsätze und der Ernteerträge aus? Sollen alle – vom Bäcker bis zur Vorstandschefin – den gleichen Beitrag zahlen oder orientiert sich der Mitgliedsbeitrag am Einkommen? Bekommen alle gleich viel von den Erträgen oder werden diese im Verhältnis zu den Arbeitseinsätzen verteilt? Und was ist mit der alleinerziehenden berufstätigen Mutter, die nur wenig Zeit für die Gartenarbeit aufbringen kann, aber drei Kinder mit den Erträgen ernähren muss? Wir wollen diese Fragen nicht beantworten, sondern nur auf drei Eigenheiten des Beispiels aufmerksam machen, die es zu einem besonders einschlägigen Fall für die Verteilungsgerechtigkeit machen. Erstens geht es um die Verteilung von etwas Wichtigem, nämlich Lebensmitteln. Es ist nicht nur so, dass Lebensmittel an sich wichtig sind (ohne sie könnten wir nicht überleben), sondern sie sind insbesondere auch den Mitgliedern der Kooperative wichtig (denn sie haben sich entschlossen, ihre Lebensmittelversorgung in die eigene Hand zu nehmen, statt im Supermarkt einzukaufen). Zweitens gibt es eine Gruppe, die zu dem zu verteilenden Gut einen Beitrag leistet – nämlich diejenigen, die Mitgliedsbeiträge zahlen und Arbeitseinsätze erbringen. Und drittens gibt es eine weitere Gruppe von Personen, die von dem zur Verteilung stehenden Gut profitieren: die Empfänger der Ernteerträge. Wie das Beispiel der Kinder der alleinerziehenden Mutter verdeutlicht, müssen die beiden Gruppen nicht identisch sein (denn die Kinder haben keine Arbeitseinsätze geleistet, profitieren aber von den Erträgen der Arbeit anderer). Man kann allgemein sagen, dass Fragen der Verteilungsgerechtigkeit besonders dort relevant werden, wo (1) etwas Bedeutendes, das (2) von einer Gruppe (den „Lastenträgern“) erbracht wird, (3) einer – möglicherweise anderen – Gruppe (den „Vorteilsempfängern“) zugutekommt.
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Das Vermeiden des Klimawandels weist nun ebenfalls diese drei Eigenheiten auf und ist darum ebenfalls eine Frage der Verteilungsgerechtigkeit. Das wird klar, wenn man sich vor Augen führt, wie groß die Herausforderungen sind, die mit dem Klimaschutz einhergehen und dass es dabei zweifelsohne um etwas Bedeutendes geht (erste Eigenheit): Damit die Treibhausgasemissionen im notwendigen Ausmaß sinken, müssen Produktionsverfahren energiesparender, unsere CO2-intensive Energieversorgung zum großen Teil auf erneuerbare Energieträger wie Sonne, Wind und Wasser umgestellt sowie Wohnungen und Häuser saniert und isoliert werden. Auch in den Bereichen Mobilität (man denke an den Flugverkehr) und Landwirtschaft (bei der Produktion von Fleisch und Futtermitteln fallen große Mengen Treibhausgase an) sind Veränderungen unausweichlich. All das kostet Zeit, Geduld und Geld: Klimaökonomische Studien wie Stern (2009) oder Edenhofer u. a. (2010) schätzen, dass die Kosten von mäßigem bis ambitioniertem Klimaschutz im sehr tiefen einstelligen Prozentbereich des globalen Bruttoinlandsprodukts liegen könnten. Solche Zahlen sind mit großen Unsicherheiten behaftet und darum mit Vorsicht zu genießen; ihre ungefähre Größenordnung deutet an, dass uns diese Kosten zwar keineswegs verarmen ließen, dass es andererseits aber auch um nicht gerade wenig Geld geht (in absoluten Zahlen ausgedrückt: um einige 1000 Milliarden US-Dollar). Und dieses Geld kann man nicht mehr für andere Dinge ausgeben, die das Leben angenehmer machen. Wenn wir den Klimawandel also vermeiden wollen, dann müssen wir dafür zahlen. Klimaschutz kostet aber nicht nur, er bringt auch etwas ein. Von der Vermeidung des Klimawandels profitieren z. B. Hersteller von bestimmten Energietechnologien, die tendenziell eher in den entwickelten Industrieländern beheimatet sind. Den größten Vorteil aus der Vermeidung des Klimawandels hätten jedoch die weniger entwickelten Länder: Im Vergleich zu einem ungehinderten Klimawandel profitieren sie von ausbleibenden Dürren, der abgeschwächten Desertifikation, dem gebremsten Meeresspiegelanstieg, den selteneren Wirbelstürmen. Das ist einfach die Kehrseite der Tatsache, dass ein ungehinderter Klimawandel vor allem den „Süden“, d. h. die weniger entwickelten Länder treffen würde. Und wie schon bei den Kosten geht es auch hier zweifelsohne um sehr Bedeutendes (erste Eigenheit), nämlich um das Wohlergehen und die Menschenrechte einer großen Zahl von Betroffenen. Wichtig dabei ist – und das macht die zweite und dritte Eigenheit aus –, dass Klimaschutz eine gemeinschaftliche Aufgabe ist. Kein Individuum und auch kein Staat allein kann durch sein Handeln verhindern, dass es zu gefährlichem Klimawandel kommt. Beim Klimaschutz gibt es also eine Gruppe (diejenigen, die Emissionen reduzieren), die ein bedeutendes Gut (Verhinderung von Klimaschäden) hervorbringt, das einer – jedenfalls teils – anderen Gruppe zugutekommt. Daher stellt sich auch beim Klimaschutz die Frage der Gerechtigkeit der Verteilung von Vor- und Nachteilen in besonders dringlicher Weise: Wer muss wie viel zur Vermeidung des Klimawandels beitragen und wer darf in welchem Maße davon profitieren? Es ist bereits im Fall der Gartenkooperative schwer gefallen, die Frage der Verteilungsgerechtigkeit zu beantworten. Strittig ist dabei nämlich, nach welchem moralischen Gesichtspunkt die Verteilung erfolgen soll: nach dem Gesichtspunkt der Gleichheit (Sollen alle gleich viel beitragen und ernten?), der Bedürftigkeit (Sollte die Mutter nicht mehr bekommen?) oder der Fähigkeit (Sollten Reiche und Arbeitslose nicht mehr zahlen bzw. arbeiten?)? Im Fall des Klimawandels ist der relevante moralische Gesichtspunkt zwar auch sehr umstritten;
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aber es ist darüber hinaus noch unklar, was eigentlich dem Gemüse im Fall der Gartenkooperative entspricht: Welches Gut wird überhaupt verteilt, wenn es um die Vermeidung des Klimawandels geht – Geld, Emissionen oder Wohlergehen?
Komplexe Umverteilung: Was wird verteilt? Zunächst täuscht die Rede von der „Vermeidung“ des Klimawandels leicht darüber hinweg, dass wir selbst dann mit einem gewissen Maß an Klimawandel rechnen müssten, wenn wir von heute auf morgen gar keine Treibhausgase mehr emittieren würden. Zudem ist es möglich, dass trotz aller Versuche, den Klimawandel auf ein gewisses Maß zu begrenzen, es dennoch zu mehr als diesem Maß an Klimawandel kommt. Dementsprechend kann man bei „der“ Vermeidung des Klimawandels zwei Verteilungsfragen voneinander trennen: zum einen die Verteilung von Vor- und Nachteilen, die mit dem tatsächlich vermiedenen Klimawandel einhergehen, und zum anderen die Verteilung von Vor- und Nachteilen, die mit dem dennoch eintretenden Klimawandel einhergehen (vgl. Abb. 7). Abbildung 7: Taxonomie der klimawandelbezogenen Vor- und Nachteile
Zur zweiten Gruppe gehören zunächst vor- und nachteilige klimatische Auswirkungen: In einigen Regionen wird es unerträglich heiß, Dürren und Extremwetterereignisse nehmen zu und der Meeresspiegel steigt. In anderen Regionen wird das Klima milder, man kann Wein anbauen und neuen Freizeitbeschäftigungen nachgehen. Es kommt also zu „Klimaschäden“ und „Klimanutzen“. Um die Klimaschäden zu vermeiden, werden sich Menschen an den eintretenden Klimawandel anpassen (müssen): Sie werden Dämme und stabilere Häuser bauen, sich gegen weiter verbreitete Tropenkrankheiten impfen und Wasserspeicher errichten. Solche Anpassungsmaßnahmen haben Vorteile (mehr Sicherheit, besseres Wohlbefinden, neue Arbeitsplätze), aber auch Nachteile (denn sie kosten Geld, Zeit und Wohlergehen). Diese Nachteile, die man in Kauf nehmen muss, um die Klimaschäden eines tatsächlich eintretenden Klimawandels zu verhindern oder zu mildern, bezeichnet man als „Adaptationslasten“.
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Und diejenigen Klimaschäden, die man auf diese Weise nicht verhindern oder mildern kann, werden gelegentlich als „loss and damage“ bezeichnet. Die andere Gruppe von Vor- und Nachteilen ist etwas unübersichtlicher. Die erfolgreiche Vermeidung des Klimawandels hängt in erster Linie von der Menge der in der Atmosphäre verbleibenden Emissionen, der sog. „Emissionsbilanz“, ab. Diese kann man aber aus drei Perspektiven betrachten und entsprechend auch drei Verteilungsprobleme unterscheiden (vgl. Abb. 8). Damit wir unseren intergenerationellen Pflichten nachkommen, darf die in einem Zeitraum (sagen wir: 1850 bis 2050) ausgestoßene Menge von Emissionen eine gewisse Höhe nicht überschreiten. Dies ist die gesamte zulässige Emissionsbilanz („1“ in Abb. 8) und man kann diese Menge als das beim Klimaschutz zur Verteilung stehende Gut betrachten. Ein Teil dieser Menge wurde aber in der Vergangenheit (von 1850 bis heute) bereits emittiert, so dass die Differenz zwischen diesen bisher angefallenen historischen Emissionen und den insgesamt zulässigen Emissionen das verbleibende Emissionsbudget bildet („2“ in Abb. 8). Man könnte auch dies als das zu verteilende Gut ansehen: Es handelt sich um verbleibende Emissionsmöglichkeiten, die man für viele wünschenswerte Zwecke (Wärme, Elektrizität, Mobilität usw.) einsetzen kann. Drittens kann man aber auch die Emissionsreduktionserfordernisse – d. h. die Differenz von zulässigen Emissionen und der Emissionsmenge, die wir ausstoßen würden, wenn wir bis 2050 einfach weiter machten wie bisher („3“ in Abb. 8) – als Gut ansehen. Das zu verteilende „Gut“ besteht in diesem Fall aus Nachteilen oder Lasten: Es sind die Anstrengungen, die man unternehmen muss, um vom Emissionspfad, auf dem man sich derzeit befindet, auf den zulässigen Pfad zu kommen. Diese Nachteile, die man in Kauf nehmen muss, um den Klimawandel zu vermeiden, bezeichnet man als „Mitigationslasten“. (Genau genommen müssten wir dabei immer von „Nettoemissionen“ sprechen; natürliche Senken – v. a. die Wälder und Ozeane – nehmen nämlich auch Treibhausgase auf, ohne dass diese in die Atmosphäre gelangen und dort über den Treibhauseffekt zum Klimawandel beitragen. Nettoemissionen sind dann die in der Atmosphäre verbleibenden Emissionen, also die Differenz aus (a) der Gesamtmenge der ausgestoßenen Emissionen und (b) der Treibhausgasspeicherkapazität der nicht-atmosphärischen Senken.) Abbildung 8: Emissionsbezogene Vor- und Nachteile
Damit sind aber noch nicht alle Vor- und Nachteile, die mit der Vermeidung des Klimawandels verbunden sind, erfasst. Sowohl die Vermeidung des Klimawandels als auch Anpassungsmaßnahmen haben technologische Vorbedingungen: Die entsprechenden Technologien müssen erforscht, entwickelt und dann auch verbreitet und eingesetzt werden – was wiederum
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v. a. mit Kosten einhergeht und insofern als (je nach Verwendung: Mitigations- oder Adaptations-)Last anzusehen ist. Wenn es um die gerechte Verteilung von Vor- und Nachteilen geht, dann geht es auch um diese „technologischen“ Lasten. Erschwerend kommt hinzu, dass alle in Abbildung 7 dargestellten Vor- und Nachteile jeweils auf unterschiedliche Weisen gemessen werden können. Erstens kann man sie durch eine Ressource ausdrücken, etwa Tonnen von Emissionen, eine bestimmte Menge Holz, verlorene Ernteerträge, Materialverbrauch in der Forschung oder Anzahl von Arbeitskräften. Man kann die Vor- und Nachteile aber zweitens auch unter dem Aspekt betrachten, wie gut oder schlecht es den Menschen mit diesen Vor- und Nachteilen jeweils geht: die wohlige Wärme eines angenehm geheizten Raums, die harschen Entbehrungen eines Ernteausfalls oder die Leiden nach einem Wirbelsturm, der alles Hab und Gut vernichtet hat. Hier werden nicht Ressourcen verteilt, sondern das Wohlergehen, das man aus der Nutzung der Ressourcen zieht. Drittens schließlich werden Vor- und Nachteile häufig in Geld ausgedrückt – was einerseits eine Ressource ist, andererseits aber vorrangig als Annäherung an Wohlergehen verstanden wird. Anders als im Fall der Gartenkooperative steht also im Fall des Klimawandels nicht ein einziges, klar bestimmtes Gut zur Verteilung an, sondern ein ganzer „Strauß“ von Vor- und Nachteilen. Diese Vielfalt nicht aus dem Blick zu verlieren, ist – wie sich noch zeigen wird – wichtig, weil unterschiedliche Antworten auf die dritte klimaethische Frage oft in unterschiedlichen Bereichen dieses „Straußes“ angesiedelt sind.
Auf der Suche nach Prinzipien der intragenerationellen globalen Klimagerechtigkeit Wir hatten uns bereits die riesige Dimension der Umverteilung vor Augen geführt, die mit der Vermeidung des Klimawandels einhergeht: Die globale Energieversorgung muss umgestaltet, ineffiziente Technologien müssen durch „saubere“ ersetzt und unsere Mobilitäts-, Transport- und Logistiksysteme neu konzipiert werden. Jetzt haben wir gesehen, dass bereits bei einem ersten Nachdenken die Details dieser Umverteilung äußerst vertrackt erscheinen, weil nicht ein klar abgegrenztes, sondern mehrere zusammenhängende und sich wechselseitig beeinflussende Güter zur Verteilung anstehen. Das legt nahe, dass die zur Vermeidung des Klimawandels nötige Umverteilung beispiellos ist. Es handelt sich um die größte und vielleicht schwierigste Umverteilung der Menschheitsgeschichte. Gerade darum können wir uns nicht auf unser „moralisches Bauchgefühl“ verlassen. Zum einen haben in dieser Frage nicht alle ein spontanes, klares Bauchgefühl; zum anderen scheinen sich die Bauchgefühle, die verschiedene Personen zum Teil doch haben, sehr zu unterscheiden. Manche befürworten eine Pro-Kopf-Gleichverteilung der verbleibenden Emissionsrechte als „intuitiv“ gerechte Antwort, andere das Verursacherprinzip, nach dem jeder Staat in dem Maße zahlen muss, in dem er zum Problem beigetragen hat. Angesichts dessen, was auf dem Spiel steht, können wir die Beantwortung der Frage nach der Verteilungsgerechtigkeit nicht einfach dem moralischen Bauchgefühl überlassen. Allerdings können wir aber auch nicht einfach auf eine zwar unstrittige, dafür aber abstrakte Idee wie den eingangs erwähnten Leitsatz der „gemeinsamen,
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aber unterschiedlichen Verantwortlichkeiten und Fähigkeiten“ zurückgreifen. Denn dieser Leitsatz ist zu unspezifisch, um die Gerechtigkeit von Verteilungen zu bewerten. Stattdessen benötigen wir einen informativen Grundsatz, der uns hilft, eine Verteilung unter dem Gesichtspunkt der Gerechtigkeit zu bewerten – ein Prinzip der Verteilungsgerechtigkeit. Was ist nun aber ein Prinzip der Verteilungsgerechtigkeit? Denken Sie zurück an das Beispiel der Gartenkooperative. Ein Prinzip könnte in diesem Zusammenhang lauten „Jedes Mitglied bekommt den Anteil an den Ernteerträgen, der seinem zeitlichen Anteil an der Gartenarbeit entspricht“. Ein solches Prinzip sagt uns erstens, was das zu verteilende Gut ist – nämlich Ernteerträge. Es sagt uns zweitens, wer die Empfänger des verteilten Gutes sind – alle Mitglieder. Und es sagt uns drittens, nach welchem Gesichtspunkt verteilt wird – verteilt wird im Verhältnis zum zeitlichen Arbeitseinsatz. Ganz allgemein kann man sagen, dass Prinzipien der Verteilungsgerechtigkeit sagen, (1) was (2) wem (3) warum zugeteilt wird; sie haben also drei Bestandteile. In den folgenden Kapiteln 11 bis 15 werden wir nun die wichtigsten im Zusammenhang mit dem Klimaschutz diskutierten Prinzipien der Verteilungsgerechtigkeit genauer prüfen und dabei herausarbeiten, was ihre jeweiligen Bestandteile sind. Im Hinblick auf den angedeuteten „Strauß von Gütern“ werden wir dabei besonders beachten, ob ein Prinzip eher Lasten für Mitigation oder eher Lasten für Adaptation/Kompensation verteilt und ob es auf historische Emissionen (und damit auf die Vergangenheit) Bezug nimmt oder nicht. Auf diese Weise kann man genauer sehen, wo sich die Prinzipien widersprechen und an welchen Stellen sie grundsätzlich miteinander vereinbar sind. Außerdem werden wir die Prinzipien zunächst je für sich genommen diskutieren; so lässt sich leichter herausarbeiten, was an der leitenden Erwägung, die einem Prinzip zugrunde liegt, jeweils problematisch ist und wie schwer die Einwände jeweils wiegen. Dies wird relevant für den „Prinzipienmix“, den wir in Kapitel 16 im Rahmen eines umfassenden Perspektivenwechsels zur Beantwortung der dritten klimaethischen Leitfrage vorschlagen möchten: Da die Diskussion der verschiedenen Verteilungsprinzipien zeigt, dass die Idee der globalen Klimagerechtigkeit auf mehreren leitenden Erwägungen zugleich beruht, werden wir einen Lösungsansatz skizzieren, in dem (a) verschiedene normative Gesichtspunkte kombiniert werden (wobei die diskutierten Einwände gegen die einzelnen Prinzipien ihr Gewicht bzw. ihre Rolle im Prinzipienmix bestimmen); in dem (b) nicht nur Emissionen, sondern alle im Zusammenhang mit dem Klimawandel auftretenden Vor- und Nachteile gebündelt verteilt werden; und in dem (c) die Vermeidung des Klimawandels nicht als isoliertes Problem, sondern eng verzahnt mit der Ermöglichung wirtschaftlicher Entwicklung in ärmeren Ländern gesehen wird. Dieser „holistische“ Lösungsvorschlag ist zugegebenermaßen komplex – aber das ist angesichts der Komplexität des zugrunde liegenden Problems vielleicht auch nicht anders zu erwarten. Eine kurze Klarstellung ist noch nötig. In der klimapolitischen Diskussion ist oft die Rede davon, dass „Deutschland“ seine Emissionen stärker reduzieren solle oder „die USA“ endlich ein verbindliches internationales Klimaabkommen ratifizieren müssten. Hier scheinen sich moralische Forderungen an kollektive Akteure (Staaten) zu richten. Allerdings sollte man dies eher als eine vereinfachende Redeweise verstehen. Die Forderung richtet sich eigentlich an die jeweils im Land lebenden Individuen, denn es sind ja die in Deutschland lebenden Menschen, die die Last einer stärkeren Emissionsreduktion tragen müssten. Dementspre-
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chend sollte man die dritte klimaethische Leitfrage auch als ein Problem der Verteilung von Vor- und Nachteilen zwischen Individuen behandeln. Wenn wir im Folgenden Verteilungsprinzipien dennoch auf Staaten anwenden, dann ist dies stets als Vereinfachung gemeint. Wenn man die Lasten beispielsweise nach der Zahlungsfähigkeit verteilt und Deutsche im Durchschnitt wohlhabender sind als Inder, dann sagen wir, dass Deutschland mehr Lasten tragen müsse als Indien – auch wenn einige Inder wohlhabender sind als einige Deutsche. Solange man solche Abweichungen in der Verteilung der individuellen Ansprüche und Lasten innerhalb eines Landes im Blick behält, ist gegen eine vereinfachende „kollektivistische“ Redeweise nichts einzuwenden.
11 Grandfathering: wer hat, dem wird gegeben Es gibt eine intuitiv eingängige Antwort auf die Frage nach der gerechten Verteilung der Klimaschutzpflichten: Der Klimawandel betrifft alle Menschen und seine Vermeidung ist insofern eine gemeinschaftliche Aufgabe der gesamten Menschheit. Es liegt also nahe zu behaupten, dass zunächst einmal alle Länder gleich viel reduzieren sollten. Aus dem Umstand, dass der Klimawandel ein Problem ist, das uns alle betrifft, scheint sich also direkt eine Forderung nach gleichen Emissionsreduktionsverpflichtungen zu ergeben. Diese Forderung kann man aber auf verschiedene Weisen deuten. Einer ersten Lesart zufolge sind mit der Forderung „alle müssen gleich viel reduzieren“ gleiche absolute Emissionsreduktionen gemeint: Wenn zur Erfüllung unserer intergenerationellen Pflichten der globale Treibhausgasausstoß bis 2050 um – sagen wir – 500 Mrd. Tonnen sinken muss, dann müssen diese 500 Mrd. Tonnen einfach unter allen Menschen gleich verteilt werden. Bei grob zehn Mrd. Menschen wären dies für diesen Zeitraum 50 Tonnen pro Person. Dieser Vorschlag ist so offenkundig ungerecht (manche Menschen in Entwicklungsländern produzieren in ihrem ganzen Leben nicht einmal 50 Tonnen an Emissionen, für sie käme diese Reduktionspflicht also einem Emissionsverbot gleich), dass wir diese Deutung im Folgenden nicht weiter diskutieren werden. Einer zweiten Lesart zufolge geht es um gleich hohe relative Emissionsreduktionen: Wenn zur Erfüllung unserer intergenerationellen Pflichten der globale Treibhausgasausstoß bis 2050 um – sagen wir – 50 Prozent sinken muss, dann muss einfach jedes einzelne Land seine Emissionen um 50 Prozent reduzieren. Das würde bedeuten, dass die Anteile am Emissionskuchen letztlich unverändert blieben und der Kuchen lediglich insgesamt kleiner geworden ist: Ein Land, auf das vorher 17 Prozent der globalen Gesamtemissionen entfielen, wird auch in Zukunft 17 Prozent der globalen Gesamtemissionen bekommen – nur dass die zukünftigen Gesamtemissionen eben geringer ausfallen und die 17 Prozent darum absolut gesehen (d. h. in Tonnen ausgedrückt) weniger sind als vorher (vgl. Abb. 9). Diese Forderung von relativ zum Status quo gleich hohen Emissionsreduktionen trägt in der klimaethischen Fachdiskussion den Namen „Grandfathering“. Das erklärt sich daraus, dass die Verteilung der zukünftigen Emissionen aus der Verteilung der vergangenen Emissionen abgeleitet wird: Wenn man für alle gleiche relative Reduktionsverpflichtungen festlegt, dann kann man ausgehend vom bisherigen Emissionsniveau (dem Status quo) auch die Höhe der zulässigen zukünftigen Emissionen berechnen. Was man in Zukunft emittieren darf, folgt unmittelbar aus der Festlegung der Reduktionsverpflichtungen – und zwar auf der Grundlage der bisherigen Emissionen. Das Grandfathering-Prinzip behandelt also Emissionsreduktionen als diejenige Last, die zur Verteilung steht, und es bestimmt die faire Aufteilung dieser Lasten letztlich ausgehend von den vergangenen Emissionen. Darin ähnelt es einer Reihe von Vorschlägen der gegenwärtigen Klimapolitik. Das Kyoto-Protokoll etwa fokussiert ebenfalls auf die Verteilung von Emissionsreduktionen und spezifiziert für einzelne Länder
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konkrete (im Unterschied zum Grandfathering allerdings ungleiche) Verpflichtungen, die Emissionen gegenüber einem Basisjahr (1990) um einen bestimmten Prozentsatz zu senken. Auch dies geht von der Vorstellung aus, dass man die gerechte Verteilung der verbleibenden Emissionen auf der Grundlage der vergangenen Emissionen bestimmen sollte. Abbildung 9: Grandfathering als gleiche relative Emissionsreduktion
Das Grandfathering-Prinzip beansprucht, eine Antwort auf die dritte klimaethische Leitfrage zu geben. Es soll uns also sagen, was eine gerechte oder faire Verteilung der Lasten zur Klimawandelvermeidung ist (das ist ein Unterschied zum Kyoto-Protokoll, das man auch so verstehen kann, als beanspruche es lediglich, eine praktikable oder umsetzbare, nicht unbedingt aber die gerechte Verteilung der Lasten anzugeben). In diesem Kapitel möchten wir nun aufzeigen, dass das Grandfathering-Prinzip bei näherer Betrachtung nicht haltbar ist. Dazu werden wir zunächst erklären, welche normativen Erwägungen das Grandfathering-Prinzip stützen, und es anschließend kritisch diskutieren.
Normative Grundlagen Mit welchen Überlegungen kann man das Grandfathering argumentativ stützen? Es gibt insgesamt drei Begründungsstrategien. Die erste haben wir bereits genannt; sie geht von der Vorstellung aus, dass die Abwendung des Klimawandels eine gemeinschaftliche Aufgabe der Menschheit ist, die darum auch von der gesamten Menschheit gemeinsam geschultert werden sollte. Die zu schulternden Lasten seien dabei in erster Linie Emissionsreduktionen, und die müsse man – eben weil es eine gemeinschaftliche Aufgabe der Menschheit sei – unter allen Menschen gleich verteilen. Bei genauerer Betrachtung sieht man allerdings, dass dieses Argument zwei Schwächen aufweist. Erstens stellt die Annahme, dass die relevanten Lasten allein im Hinblick auf die Emissionsreduktionen zu messen seien, eine grobe Vereinfachung dar. Denn wenn man arm
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ist, dann sind Emissionsreduktionslasten viel schwerer zu tragen als von einem hohen Stand der wirtschaftlichen Entwicklung aus. Ein zahlungskräftiger und technologisch weit entwickelter Staat kann Emissionsreduktionen leicht verkraften; die für den Klimaschutz aufzubringenden Kosten gehen dort nicht „an die Substanz“. In ärmeren Ländern hingegen fehlt das Geld, das Klimaschutz und Emissionsreduktionen kosten, an anderer Stelle dringend. Ungeachtet der jeweiligen Fähigkeit, eine Emissionsreduktion zu verkraften, einfach allen dieselben Reduktionslasten aufzuerlegen, stellt eine ungerechte Zumutung für die ärmeren Länder dar. Eine zweite Schwäche besteht darin, dass diese erste Argumentationsstrategie für das Grandfathering auf einer versteckten, aber unplausiblen Voraussetzung beruht. Denn die angeführte Überlegung – bei der Klimawandelvermeidung handle es sich um eine gemeinschaftliche Aufgabe, und die Lasten müssten darum von allen geschultert werden – führt nur unter Zuhilfenahme einer weiteren Annahme überhaupt zum Ziel: Man muss annehmen, dass die Lasten nicht nur von allen, sondern von allen gleichermaßen geschultert werden müssen. Erst dann nämlich ergibt sich aus der Tatsache, dass eine Aufgabe gemeinschaftlich gelöst werden muss, auch die Folgerung, dass die einzelnen Beiträge zur Lösung (die Emissionsreduktionen) gleich hoch ausfallen müssen. Doch die Annahme, dass die Lasten von allen gleichermaßen geschultert werden müssen, ist nicht plausibel. Sie ignoriert völlig, dass für die Lastenverteilung zur Bewältigung einer gemeinschaftlichen Aufgabe weitere Faktoren moralisch relevant sind: Ein Problem kann vorrangig durch einzelne Mitglieder der Gemeinschaft verursacht sein; manche Mitglieder sind nicht in der Lage, gewisse Aufgaben zu übernehmen; andere sind besonders prädestiniert oder haben spezielle Bedürfnisse, auf die Rücksicht genommen werden muss. Von all diesen Faktoren sieht man im Kontext des Klimawandels aber ab, wenn man die relativen Emissionsreduktionen gleich verteilt: Man ignoriert, dass manche Länder mehr zum Problem beigetragen haben als andere; dass manche Länder nicht in der finanziellen oder wirtschaftlichen Lage sind, die entsprechenden Veränderungen umzusetzen; dass manche Länder aufgrund geographischer oder demographischer Besonderheiten spezielle Bedürfnisse haben, die ein höheres Emissionsniveau rechtfertigen. Ganz offenkundig bedeutet allein die Tatsache, dass ein Problem eine Gemeinschaft betrifft und auch nur gemeinsam gelöst werden kann, nicht automatisch, dass alle das Gleiche tun müssen. Die erste Begründungsstrategie macht es sich also zu einfach. Sie stützt sich aber auch gar nicht auf die Grundidee, die für das Grandfathering-Prinzip charakteristisch ist; diese Grundidee tritt vielmehr in der zweiten und dritten Begründungsstrategie zutage. Der zweiten Begründungsstrategie zufolge lassen sich die gleichen relativen Emissionsreduktionen nämlich verteidigen, weil sich die einzelnen Länder durch Nutzung eines gewissen Teils der Atmosphäre in der Vergangenheit diesen Teil angeeignet haben und damit ein Recht erworben haben, diesen Anteil der Senkenkapazität der Atmosphäre weiterhin zu nutzen. Wenn nun die Vermeidung des Klimawandels erfordert, dass die Atmosphäre von allen Ländern zusammen weniger beansprucht wird, dann sichert dieses Recht auch unter der neuen, insgesamt geringeren Beanspruchung der Atmosphäre denselben Anteil – und das impliziert, dass die Verminderung der Nutzung der Atmosphäre (die Emissionsreduktionen) für alle gleich hoch ausfallen muss. Die zugrunde liegende Vorstellung ist also, dass die faktische und unwi-
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dersprochene Nutzung eines Gutes eine Art „Gewohnheitsrecht“ auf die weitere entsprechende Nutzung dieses Gutes generiert. Auch die dritte Begründungsstrategie setzt beim vergangenen Nutzungsverhalten an und leitet daraus Ansprüche auf die Verteilung zukünftiger Emissionen ab. Allerdings geschieht dies nicht über die Idee der Aneignung eines Gutes, sondern über folgende Überlegung: Die Bewohner der Industrieländer verfolgen gewisse Lebenspläne; sie wollen in der Stadt arbeiten, aber in einem großen Haus auf dem Land leben; sie möchten mit einem Auto individuell mobil sein, mit dem Flugzeug die Welt bereisen, Fleisch essen und Produkte konsumieren, die aufgrund einer globalen Produktions- und Logistikkette verhältnismäßig günstig sind. Einige möchten Pilot werden, andere möchten Automobile konstruieren. All diese Lebenspläne sind Teil ihrer Individualität und Autonomie. Die Menschen der Industrieländer haben ihr Leben darauf eingerichtet, sich ihr Leben entsprechend ausgemalt und sich an den Lebensplan gewöhnt. Sie haben darum die legitime Erwartung, dass sie ihre Lebenspläne auch in Zukunft verfolgen können. Doch unter den derzeitigen technologischen Bedingungen einer auf fossilen Energieträgern basierenden Ökonomie ist dafür in der Regel ein hohes Emissionsniveau nötig. Wenn man aber legitimerweise erwarten darf, mit einer Sache fortzufahren, die man bereits in der Vergangenheit verfolgt hat, und dazu viele Emissionen nötig sind, dann scheint man eben auch ein Recht auf hohe zukünftige Emissionen zu haben. Denn eine drastische Reduktion der Emissionen würde die legitimen Erwartungen der Bewohner der Industrieländer zunichtemachen, und das scheint nicht zumutbar. Die zweite und dritte Begründungsstrategie haben etwas gemeinsam: Sie setzen beim gegebenen faktischen Nutzungsverhalten in der Vergangenheit an und leiten daraus – entweder über die Idee der Aneignung oder über die Idee der legitimen Erwartungen – Verteilungsansprüche ab. Genau darin besteht die moralische Grundidee des Grandfathering: Man kann Ansprüche auf zukünftige Emissionen aus dem vergangenen Emissionsverhalten ableiten. Dabei wird demjenigen, der bereits in der Vergangenheit einen großen Teil der Emissionen hatte, auch in Zukunft ein großer Teil der Emissionen zugestanden – und zwar gerade aufgrund der vergangenen Emissionen. Darum lässt sich die Grundidee des Grandfathering – etwas zugespitzt, aber treffend – auch auf folgende Formel bringen: „Wer hat, dem wird gegeben – und zwar weil er hatte“.
Kritische Diskussion Den meisten von uns wird das Grandfathering-Prinzip suspekt vorkommen. Das liegt daran, dass dieses Prinzip versucht, normative Ansprüche (wem steht wie viel rechtmäßig zu und wer hat welche Pflichten?) – aus deskriptiven Gegebenheiten (wer hat in der Vergangenheit wie viel emittiert?) abzuleiten. Doch eine unmittelbare Folgerung dieser Art scheint grundsätzlich unmöglich: Daraus, dass die Dinge so und so sind, folgt für sich genommen nichts darüber, wie sie sein sollten. Das kann man sich an einer Reihe von Beispielen klar machen: Aus der Tatsache, dass der Baum einige gelbe Blätter hat, folgt weder dass er gelbe Blätter haben sollte noch dass er keine gelben Blätter haben sollte; aus der Tatsache, dass Menschen einander oft mit Misstrauen begegnen, folgt nicht, dass sie einander mit Misstrauen begegnen
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sollten. Philosophen sprechen an dieser Stelle von einer „Sein-Sollen-Schranke“. Auf das Grandfathering angewendet bedeutet dies, dass man allein aus der deskriptiven Aussage, wie die Emissionen faktisch verteilt sind, keine normative Aussage darüber ableiten kann, wie die Emissionen verteilt sein sollten. Doch tut das Grandfathering-Prinzip nicht genau dies, wenn es die historischen Emissionen und den Status quo als Grundlage für die Verteilung der Ansprüche auf zukünftige Emissionen nimmt? Die historischen Emissionen und der Status quo beschreiben ja lediglich einen faktischen Zustand und sind damit als solche normativ nicht relevant. Ganz so einfach kann man das Grandfathering-Prinzip allerdings nicht abtun. Das liegt daran, dass die Sein-Sollen-Schranke lediglich besagt, dass aus einer deskriptiven Aussage allein keine normative Aussage folgt. Unter Zuhilfenahme von weiteren normativen „Brückenaussagen“ kann man jedoch durchaus von deskriptiven auf normative Aussagen schließen. Wenn man beispielsweise annimmt, dass man Bäume mit gelben Blättern besonders pflegen sollte, dann kann man aus der Tatsache, dass ein Baum einige gelbe Blätter hat, durchaus etwas Normatives folgern: dass man den Baum nämlich pflegen sollte. Genau dies kann sich der Vertreter des Grandfathering-Prinzips zunutze machen; er kann darauf verweisen, dass die Ableitung der Verteilungsansprüche nicht ausschließlich auf den vergangenen Emissionen beruht, sondern weitere – normative – Annahmen einbezieht. Bei der zweiten Argumentationsstrategie etwa war dies die Vorstellung, dass man sich ein Gut durch unwidersprochene, gewohnheitsmäßige Nutzung legitimerweise aneignen kann. Bei der dritten Argumentationsstrategie kam mit der Idee legitimer Erwartungen eine zusätzliche normative Annahme ins Spiel: „Wenn man legitimerweise erwarten darf, einen bestimmten Lebensplan zu verfolgen, und wenn dieser zu einem relativ hohen Emissionsniveau führt, dann ist man zu den hohen Emissionen berechtigt.“ Mit dem Rückgriff auf die Idee legitimer Aneignung oder legitimer Erwartungen kann der Vertreter des Grandfathering also dem Sein-Sollen-Einwand etwas entgegensetzen. Dazu muss er allerdings zeigen, dass der Status quo in der beschriebenen Weise – d. h. gerade weil dadurch eine legitime Aneignung stattgefunden hat oder weil sich darauf legitime Erwartungen gründen – normativ relevant ist. Dieses Manöver wirft jedoch die Frage auf, was denn die Bedingungen für legitime Aneignung bzw. legitime Erwartungen überhaupt sind, und insbesondere, ob diese Legitimitätsbedingungen im Fall der vergangenen Emissionen eigentlich erfüllt sind. Ist es denn tatsächlich der Fall, dass sich (wie die erste Begründungsstrategie behauptet) die Industrienationen durch ihre gewohnheitsmäßige Nutzung in der Vergangenheit legitimerweise einen Anteil an der Nutzung der Atmosphäre angeeignet haben? Und ist es tatsächlich der Fall, dass (wie die dritte Begründungsstrategie behauptet) die Erwartung, einen emissionsintensiven Lebensstil weiterverfolgen zu können, legitim ist und ein ambitioniertes Emissionsreduktionsziel diese Erwartung zunichtemachen würde? Beginnen wir mit der dritten Begründungsstrategie. Zunächst ist unklar, was genau aus dem Hinweis auf legitime Erwartungen eigentlich folgt. Denn man kann das Argument so verstehen, dass es gegen jegliche Emissionsreduktion spricht: Wenn man aufgrund des vergangenen Nutzungsverhaltens eine legitime Erwartung ausbildet, mit einer bestimmten Lebensweise fortzufahren, dann hat man ein Recht auf diese Lebensweise und auf alle dafür nötigen Emissionen. Von Emissionsreduktionen (insb. von gleichen relativen Reduktionen) ist hier
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gar keine Rede mehr. Es ist somit gar nicht ersichtlich, inwiefern das Argument überhaupt die Forderung gleicher relativer Emissionsreduktionen stützen kann. Und selbst wenn es das könnte, so muss man festhalten, dass die Reichweite dieser Überlegung begrenzt ist. Denn auch wenn man voraussetzt, dass in der Vergangenheit die Ausbildung legitimer Erwartungen einen Anspruch auf höhere zukünftige Emissionen begründet hat, so ist doch klar, dass man jetzt – seitdem die Ursachen und Folgen des Klimawandels gemeinhin bekannt sind – nicht mehr legitimerweise erwarten kann, emissionsintensive Lebenspläne umzusetzen. Wenn das dritte Argument also überhaupt Anwendung findet, dann nur für einen Teil der Bevölkerung der Industrieländer – jenen Teil, der seine Lebenspläne ausgebildet hat, bevor das Wissen um den Klimawandel hinreichend verbreitet war. Überdies kann man auch in Frage stellen, ob weitgehende Emissionsreduktionen die vermeintlich legitimen Erwartungen überhaupt zunichtemachen würden. Zweifelsohne wäre eine abrupte Emissionsreduktion von heute auf morgen für die Industrieländer ein schmerzlicher, womöglich gar unzumutbarer Schritt. Aber von einem solchen Szenario ist gar nicht die Rede. Stattdessen geht es in allen diskutierten Szenarien darum, das Emissionsniveau schrittweise auf ein gerechtes Niveau zu reduzieren. Dabei spielt insbesondere auch das Instrument des Emissionshandels eine Rolle (vgl. Kap. 19): Wenn die Industrieländer von den Entwicklungs- oder Schwellenländern ungenutzte Emissionsrechte aufkaufen, können sie ihren emissionsintensiven Lebensstil in gewissem Maße ja sogar fortsetzen. Wenn man den Übergang vom Status quo zur gerechten Verteilung also umsichtig gestaltet (man kann auch von „transitorischer“ Gerechtigkeit sprechen), dann muss eine ambitionierte Klimapolitik nicht notwendigerweise legitime Erwartungen zunichtemachen. Und damit verliert die dritte Begründungsstrategie für das Grandfathering-Prinzip an Überzeugungskraft. Eine ähnliche Kritik gilt auch für die zweite Begründungsstrategie: Der Vertreter des Grandfathering muss zeigen, dass die viel emittierenden Industrieländer sich ihren Teil der Atmosphäre durch eine gewohnheitsmäßige Nutzung in der Vergangenheit legitimerweise angeeignet haben. In der ethischen Literatur werden vor allem zwei Kriterien für die legitime Aneignung eines Gutes diskutiert: erstens das Kriterium (das wir bereits in Kap. 5 kennen gelernt haben), dass man nach der Aneignung „genug und ebenso Gutes“ für andere hinterlässt; und zweitens das Kriterium, dass die Aneignung anderen etwas nutzt oder ihnen zumindest nicht schadet. Beide Kriterien sind im Fall des Klimawandels offenkundig nicht erfüllt (vgl. Singer 2002: 27–31). Denn tatsächlich schadet die bisherige Aneignung der Atmosphäre durch die Industrieländer – aufgrund des dadurch bewirkten Klimawandels – anderen Ländern, insbesondere den Entwicklungs- und Schwellenländern. Und da die verbliebene Kapazität der Atmosphäre, Treibhausgase aufzunehmen, ohne einen gefährlichen Klimawandel zu bewirken, begrenzt ist und sich die Industrieländer in der Vergangenheit den Löwenanteil dieser begrenzten Kapazität angeeignet haben, kann keine Rede davon sein, dass „genug und ebenso Gutes“ für andere übrig geblieben ist. Da keines der beiden Kriterien für legitime Aneignung erfüllt ist, haben sich die Industrieländer „ihren“ Teil der Atmosphäre gerade nicht legitimerweise angeeignet; und darum scheitert auch die zweite Begründungsstrategie daran, die normative Relevanz des Status quo verständlich zu machen und die Sein-Sollen-Schranke zu überbrücken.
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Fazit In diesem Kapitel haben wir eine – auf den ersten Blick einleuchtende – Antwort auf die dritte klimaethische Leitfrage untersucht. Nach dem Grandfathering-Prinzip ist die Verteilung der Lasten zur Bewältigung des Klimawandels dann gerecht, wenn die relativen Emissionsreduktionen gegenüber dem Status quo für alle Beteiligten gleich ausfallen. Für dieses Prinzip kann man auf drei Weisen argumentieren: mit dem Argument der gemeinschaftlichen Aufgabe der gesamten Menschheit, mit dem Argument der Aneignung durch Gewohnheitsnutzung oder mit dem Argument der legitimen Erwartungen. Die normative Kernidee des Grandfathering-Prinzips wird dabei von der zweiten und dritten Argumentationsstrategie erfasst, denn dabei werden Ansprüche auf zukünftige Emissionen unmittelbar aus den vergangenen Emissionen abgeleitet: Wer in der Vergangenheit mehr als andere emittiert hat, darf aus diesem Grund auch in der Zukunft mehr als andere emittieren. In einer kritischen Prüfung der drei Argumente haben wir gezeigt, dass das Grandfathering-Prinzip entgegen dem ersten Anschein keineswegs plausibel ist (s. Argumente-Box 9). Einerseits ignoriert das Prinzip eine Reihe von relevanten normativen Erwägungen, insbesondere die unterschiedlichen Verantwortlichkeiten für die Verursachung des Klimawandels; andererseits besteht das grundlegende Problem des Grandfathering darin, die normative Verbindlichkeit des Status quo – von dem ausgehend die zukünftigen Ansprüche ermittelt werden – verständlich zu machen. Grandfathering ist daher aus der Gerechtigkeitsperspektive kaum zu rechtfertigen.
Argumente-Box 9: Das Grandfathering-Prinzip Das Grandfathering-Prinzip ist ein Verteilungsgrundsatz, der uns sagt, (1) was (2) wem (3) warum zukommt. (1) Die für die Klimawandelvermeidung nötigen Emissionsreduktionen werden (2) zwischen allen Ländern (3) (relativ zum Status quo) gleich verteilt, weil hohe vergangene Emissionen einen Anspruch auf hohe zukünftige Emissionen schaffen. Zur Begründung des Grandfathering gibt es drei Strategien, die jedoch alle scheitern: 1. Strategie: „Die Beseitigung des Klimawandels ist eine gemeinschaftliche Aufgabe, die darum von allen gleichermaßen geschultert werden muss.“ – Entgegnung: Dies ignoriert weitere normativ relevante Erwägungen, insbesondere die Tatsache, dass die Länder in unterschiedlichem Maße für das zu beseitigende Problem verantwortlich sind. 2. Strategie: „Die Industrieländer haben sich in der Vergangenheit ihren Teil der Atmosphäre durch die gewohnheitsmäßige, unwidersprochene Nutzung angeeignet und damit ein Recht auf ihren Teil der Emissionen erworben.“ – Entgegnung: Die Aneignung muss legitimerweise erfolgen, doch die Bedingungen legitimer Aneignung sind nicht erfüllt. Weder haben andere durch die Aneignung einen Vorteil, noch bleibt durch die Aneignung „genug und ebenso Gutes“ für andere übrig. 3. Strategie: „Die Bewohner der Industrieländer haben die legitime Erwartung, ihre emissionsintensiven Lebenspläne weiterhin verfolgen zu können; drastische Emissionsreduktionen würden diese Erwartungen zunichtemachen.“ – Entgegnung: Erwartungen, die gebildet worden sind, nachdem das Wissen um den Klimawandel allgemein bekannt war, sind nicht legitim; zudem kann man durch umsichtige Maßnahmen den Über-
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Teil III Wie sollen wir die Pflichten verteilen? Globale Gerechtigkeit gang zu einer emissionsarmen Lebensweise zumutbar gestalten, so dass die Erwartungen nicht zunichte gemacht würden. Schlussendlich gelingt es dem Grandfathering-Prinzip nicht, aus der deskriptiven Tatsache, dass die Emissionen der Vergangenheit auf eine bestimmte Weise verteilt sind, einen normativen Anspruch darüber abzuleiten, wie die Emissionen verteilt sein sollten. Das Prinzip „Wer hat, dem wird gegeben – und zwar weil er hatte“ ist somit moralisch unhaltbar.
12 Das Verursacherprinzip: für die eigenen Taten geradestehen Kehren wir noch einmal zum Bekenntnis der Staaten in der Klimarahmenkonvention zurück, das Klima „entsprechend ihren gemeinsamen, aber unterschiedlichen Verantwortlichkeiten und ihren jeweiligen Fähigkeiten“ zu schützen. Im Lichte der diskutierten Probleme des Grandfathering liegt es nahe, in diesem Grundsatz vor allem die „unterschiedlichen Verantwortlichkeiten“ für den Klimawandel zu betonen: Wenn verschiedene Staaten in unterschiedlichem Maße zur Verursachung des Klimawandels beigetragen haben und damit unterschiedlich verantwortlich sind, dann sollten sie, so scheint es, doch auch in eben diesem Maße zu seiner Bewältigung beitragen. Genau dies besagt das sogenannte Verursacherprinzip. Es greift damit eine Intuition auf, die jedes Kind bereits früh lernt – dass man für die eigenen Taten geradestehen muss: „Du hast den Turm kaputt gemacht, also sieh zu, dass du ihn wieder aufbaust.“ Ebenso wie das Grandfathering-Prinzip ist das Verursacherprinzip ein „historisches“ Verteilungsprinzip: Es macht die Verteilung der Lasten abhängig davon, was in der Vergangenheit geschehen ist. Im Vergleich zum Grandfathering ist diese Abhängigkeit aber genau in die entgegengesetzte Richtung „gepolt“: Während höhere vergangene Emissionen beim Grandfathering zu höheren relativen Vorteilen – den verbleibenden Emissionen – führen sollten, besagt das Verursacherprinzip gerade, dass höhere vergangene Emissionen zu höheren Nachteilen – den Lasten zur Bewältigung des Klimawandels – führen sollten. Damit knüpft das Verursacherprinzip an einen zentralen moralischen Aspekt der Klimarahmenkonvention an, den das Grandfathering ignorierte: die unterschiedlichen Verantwortlichkeiten. Wie sich allerdings im Folgenden zeigen wird, ist die Grundintuition „Wer ein Problem verursacht hat, hat auch in besonderer Weise Lasten zur Bewältigung des Problems zu tragen“ mehrdeutig. Wir möchten zwei verschiedene Varianten des Verursacherprinzips und ihre zugrunde liegenden moralischen Intuitionen unterscheiden und kritisch diskutieren.
Varianten und normative Grundlagen Dass man in dem Maß die Lasten zur Bewältigung eines Problems tragen muss, in dem man zu seiner Verursachung beigetragen hat, kann zweierlei bedeuten – je nachdem, was man als das zu bewältigende Problem betrachtet. Das lässt sich am besten an einem Beispiel illustrieren: Sie und Ihre beiden Mitbewohner feiern das fünfjährige Bestehen Ihrer Wohngemeinschaft. Der Vermieter hat Ihnen ein Blech Kuchen (das 24 Stücke hergibt) geschenkt, von dem Sie am Nachmittag eine kleine Feier mit drei weiteren Gästen bestreiten wollen. Als Sie die Küche betreten,
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Teil III Wie sollen wir die Pflichten verteilen? Globale Gerechtigkeit stellen Sie jedoch fest, dass Ihre beiden Mitbewohner bereits die Hälfte des Kuchens zum Mittagessen vertilgt und die Küche mit Krümeln übersät zurückgelassen haben.
In diesem Beispiel haben Sie mehrere Probleme. Zum einen muss die Küche aufgeräumt werden und zum anderen steht nun weniger Kuchen für Ihre Gäste bereit. Beide Probleme haben dieselben Verursacher, nämlich Ihre beiden Mitbewohner. Die Forderung, dass die Verursacher nun besondere Verantwortung für die Bewältigung des Problems tragen, kann folglich zum einen heißen, dass die beiden die Küche aufräumen sollen. Es kann zum anderen aber auch heißen, dass man den verbleibenden Kuchen (zwölf Stücke) nicht einfach „fair“ – was, so wollen wir einmal annehmen, hier einfach „gleich“ heißt – unter den sechs Personen aufteilt, sondern stattdessen die zwölf Stücke nur zwischen Ihnen und den drei fremden Gästen verteilt. Dann müssten die beiden Vielfraße bei der Feier auf Kuchen verzichten und Sie und die drei Gäste bekämen immerhin je drei Kuchenstücke statt, wie ursprünglich geplant, vier Stücke (bzw. statt, wie bei einer Verteilung des Rests unter sechs Personen, zwei Stücke). In der ersten Deutung leisten Ihre Mitbewohner einen Beitrag zur Beseitigung des Problems der schmutzigen Küche, in der zweiten Deutung einen Beitrag zur Linderung des Problems der Kuchenknappheit, das dadurch zustande kam, dass sie sich mehr als ihren fairen Anteil genommen haben. Wenn sich jemand also mehr als seinen fairen Teil nimmt und dabei zusätzlich anderen einen Schaden zufügt, dann sagt das Verursacherprinzip in einer Lesart, wer den Schaden beseitigen muss, und in einer anderen Lesart, wie die übrig gebliebenen Vorteile unter den Verursachern und den anderen zu verteilen sind. Analog kann man auch beim Klimawandel zwei Lesarten des Prinzips, dass der Verursacher entsprechend seinem Anteil an der Verursachung auch die Lasten zur Bewältigung des Problems tragen sollte, unterscheiden – einfach weil das Problem zwei Aspekte hat. Zum einen würden aufgrund der langen Verweildauer der meisten Treibhausgase in der Atmosphäre einige Klimaschäden auch dann eintreten, wenn wir sofort mit dem Emittieren aufhörten. Diese unabwendbaren Klimaschäden entsprechen den Krümeln in der Küche. Dafür als Verursacher geradezustehen und einen Beitrag zur Bewältigung dieses Problems zu leisten würde bedeuten, Anpassungsmaßnahmen für die Betroffenen zu finanzieren und ggf. Entschädigungen zu zahlen (wenn Anpassungsmaßnahmen zur Verhinderung oder Minderung eines Schadens nicht mehr möglich sind – etwas, das heute gelegentlich unter dem Stichwort „loss and damage“ verhandelt wird). Die Lasten, die unter diesem Aspekt des Problems zu verteilen sind, sind dann Adaptations- und Kompensationslasten für den eintretenden Anteil des Klimawandels. Zum anderen kann man die Industrieländer auch in Analogie setzen zu den gefräßigen Mitbewohnern: Mit dem Löwenanteil der vergangenen Emissionen haben sie sich mehr herausgenommen, als ihnen zusteht, und jetzt ist der noch verbleibende Emissionskuchen kleiner, als er wäre, wenn die Industrieländer nur so viel emittiert hätten, wie ihnen zustand (so, wie eben jeder Gast auch vier Kuchenstücke hätte essen können, wenn Ihre beiden Mitbewohner ihren Appetit hätten zügeln können). Dafür als Verursacher geradezustehen und einen Beitrag zur Bewältigung dieses Problems zu leisten, würde dann bedeuten, einen kleineren Teil des verbleibenden Emissionsbudgets zu bekommen als die anderen (so, wie die Vielfraße bei der Feier am Nachmittag auch auf einen Teil des verbliebenen Kuchens verzichten müssen). Die Lasten, die unter diesem zweiten Aspekt des Problems zu verteilen sind, sind dann Mitigationslasten für den vermiedenen Anteil des Klimawandels.
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Das Verursacherprinzip existiert in der klimaethischen Diskussion also in zwei Varianten. Gemeinsam ist ihnen, dass die zu tragenden Lasten im Verhältnis zu den Beiträgen zur Verursachung des Problems verteilt werden. Die Varianten unterscheiden sich aber darin, was die zu tragenden Lasten sind und was die Begründung für die Verteilung ist. In der ersten Lesart geht es um die Verteilung der Kosten für die Anpassung an den Klimawandel und dahinter steht die Grundidee des „moralischen Aufräumens“: Man muss den verursachten Schaden, für den man verantwortlich ist, so gut es geht beseitigen; und im Zusammenhang mit dem Klimawandel heißt dies, die Verletzbarkeit für den Klimawandel zu reduzieren, also Anpassungsmaßnahmen zu zahlen, oder allenfalls die Geschädigten zu kompensieren (was z. B. auch dadurch geschehen kann, dass man Entwicklungshilfe oder Technologietransfer leistet). In der zweiten Lesart geht es um die Verteilung der verbleibenden Emissionen, was auch als Verteilung der Kosten für die Vermeidung des Klimawandels verstanden werden kann. Dahinter steht die Grundidee des „moralischen Über-die-Stränge-Schlagens“: Jemand hat sich mehr herausgenommen, als ihm zustand – das ist unfair und muss ausgeglichen werden. In dieser zweiten Lesart geht es nicht um das möglichst weitgehende Wiedergutmachen eines Schadens, sondern um die Korrektur einer Unfairness. Die beiden Lesarten des Verursacherprinzips schließen sich nicht aus; im Fall des Klimawandels gehören beide Dimensionen des Problems sogar eng zusammen, weil sie auf dieselbe Tatsache (eine bestimmte Menge und Verteilung von Emissionen in der Vergangenheit) zurückgehen. Dennoch kann man die beiden Lesarten getrennt voneinander erörtern, weil die beiden Aspekte des Problems im Prinzip voneinander trennbar sind: Wenn Ihre Mitbewohner im Vorfeld einfach jeweils die Stücke gegessen hätten, die ihnen zustanden (also vier und nicht sechs), und dabei arg gekrümelt hätten, dann hätten sie lediglich die Küche aufräumen müssen. Es gibt also Schäden ohne Unfairness, und es gibt auch Unfairness ohne Schäden – wenn Ihre Mitbewohner das halbe Kuchenblech gegessen hätten, ohne Krümel zu hinterlassen.
Kritische Diskussion Wie überzeugend sind die beiden Varianten des Verursacherprinzips und die ihnen jeweils zugrunde liegenden moralischen Intuitionen? Beginnen wir mit der zweiten Variante (das „moralische Über-die-Stränge-Schlagen“). Diese ist in zwei Hinsichten problematisch (vgl. dazu den Aufsatz von Caney 2005). Erstens setzt sie bereits einen unabhängigen FairnessMaßstab voraus; schließlich bestand ein Teil des Problems im Kuchenbeispiel und im Klimawandel ja darin, dass sich jemand mehr genommen hat, als ihm zustand. Doch was jedem einzelnen zusteht, das sollte das Verteilungsprinzip ja gerade erst klären: Man muss erst wissen, wie man den Kuchen gerecht aufteilen muss, und dann erst kommt die zweite Lesart des Verursacherprinzips ins Spiel (wenn sich jemand mehr als seinen gerechten Teil nimmt). Im Kuchenbeispiel sind wir einfach davon ausgegangen, dass die gerechte Verteilung eine Gleichverteilung der Kuchenstücke ist. Analog wird im klimaethischen Kontext häufig davon ausgegangen, dass die fairen Anteile an den gesamten Emissionen, die jedem zustehen, gleiche Anteile sind. Das ist aber bereits eine Antwort auf die dritte klimaethische Leitfrage nach der gerechten Verteilung der Emissionen (vgl. dazu Kap. 15), und das Verursacherprinzip ergänzt
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diese Antwort nur: Es sagt etwas darüber, wie die restlichen zur Verfügung stehenden Emissionen zu verteilen sind, wenn sich jemand mehr genommen hat, als ihm zustand. Es gibt damit nicht selbst eine Antwort auf die dritte klimaethische Leitfrage, sondern setzt eine solche voraus. Zweitens scheint die zweite Lesart des Verursacherprinzips darauf hinauszulaufen, dass man nicht für die eigenen Taten gerade stehen muss, sondern für die seiner vergangenen Landsleute. Denn im Kontext des Klimawandels besagt diese Lesart ja, dass z. B. Deutschland oder die USA nun höhere Mitigationslasten tragen sollen, weil sie in der Vergangenheit mehr emittiert haben, als ihnen zustand. Und dass ein Land höhere Lasten tragen muss, heißt letztlich, dass die darin lebenden Individuen diese Lasten tragen und ihre Emissionen reduzieren müssen. Doch diese Individuen, die in der Gegenwart auf Emissionen verzichten sollen, sind eben nicht dieselben Individuen, die in der Vergangenheit mehr emittiert haben – manche unserer Vorfahren sind ja bereits gestorben. Die leitende Intuition hinter dem Verursacherprinzip – dass man für seine eigenen Taten gerade stehen soll – greift im Kontext des Klimawandels also nicht, weil ein Teil derjenigen, die „moralisch über die Stränge geschlagen haben“, nicht mehr lebt. Wenn man unter Berufung auf das Verursacherprinzip (in seiner zweiten Lesart) dennoch daran festhalten will, dass die Industrieländer zum Ausgleich einer historischen Unfairness nun höhere Mitigationslasten tragen müssen, dann müsste man eine Art „individuelle Vererbung“ von Pflichten voraussetzen: von den vergangenen auf die heute lebenden Bürger eines Staates. So etwas kennen wir zwar aus manchen Kontexten, etwa bei der Vererbung von finanziellen Schulden oder bei der „Vererbung“ von Entschädigungspflichten für Kriegsverbrechen, Vertreibungen und Enteignungen. Aber es ist wichtig zu sehen, dass viele Pflichten – und die Pflichten zum Ausgleich einer Unfairness gehören dazu – sich gerade nicht vererben: Vergleichen wir Familie Knecht mit Familie Goldinger. Vor 150 Jahren wuchsen Ururgroßvater Goldinger und Ururgroßvater Knecht Seite an Seite in denselben ärmlichen Verhältnissen auf, doch dann kam Ururgroßvater Goldinger durch die – unverdiente, zufällige – Gunst eines Fürsten in den Genuss einer langen privaten Schulbildung, die es ihm ermöglichte, ein hohes Einkommen als Anwalt des Fürsten zu erzielen, während Ururgroßvater Knecht sich nach kurzem Schulbesuch als Tagelöhner verdingen musste. Hierbei handelt es sich um eine vergangene Unfairness. Heute, so nehmen wir an, hat diese Unfairness keine Auswirkungen mehr: Die Mitglieder beider Familien gehören dem Mittelstand an und leben in genau denselben Verhältnissen. Es wäre eigentümlich, von den derzeit lebenden Goldingers zu fordern, dass sie auf einen Teil ihres Wohlstands verzichten und ihn an die derzeit lebenden Knechts abtreten müssen. Historische Unfairness scheint sich einfach nicht in dieser Art und Weise zwischen Individuen zu vererben. Es kommt schon darauf an, für seine eigenen Taten gerade zu stehen; und weil die Tat, um die es geht, eine vergangene Unfairness ist, kann man das Verursacherprinzip in seiner zweiten Lesart nicht auf die Verteilung der Mitigationskosten anwenden. Nun könnte man zur Verteidigung darauf hinweisen, dass im Beispiel der zwei Familien etwas Entscheidendes übersehen wurde. Der Grund dafür, dass die Pflichten doch vererbt werden können, liegt schlicht darin, dass die Nachfahren Goldingers von der Unfairness (der Bevorzugung Ururgroßvater Goldingers gegenüber Ururgroßvater Knecht) profitierten, z. B. durch ein großes Vermögen, das der Anwalt Goldinger dank der Bevorzugung aufbauen
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konnte. Das ließe sich auch auf den Klimawandel übertragen: Die heute lebenden Nachfahren der früheren Verursacher des Klimawandels profitieren von den Emissionen ihrer Mütter und Väter – sie nutzen z. B. eine Infrastruktur, die vor Jahrzehnten emissionsintensiv entwickelt und gebaut wurde. Richtet man das Augenmerk also auf die Vorteile, die aus einer Unfairness erwachsen, dann ist die individuelle Vererbung von Lasten und Pflichten nicht länger problematisch. Diese Replik überzeugt allerdings nicht. Denn sie führt ein ganz anderes Verteilungsprinzip ein: das Prinzip, dass man die Lasten zur Vermeidung des Klimawandels im Verhältnis zu den Vorteilen verteilen muss, die man aus den Handlungen derer zieht, die den Klimawandel verursacht haben. Dieses Prinzip bürdet jemandem auch dann Lasten auf, wenn er gar nichts zur Verursachung eines Problems beigetragen hat, aber davon profitiert hat, dass andere das Problem verursacht haben. Wir werden dieses sogenannte „Nutznießerprinzip“ im folgenden Kapitel ausführlicher diskutieren. An dieser Stelle genügt es festzuhalten, dass der Versuch, die zweite Variante des Verursacherprinzips zu verteidigen, letztlich zur Aufgabe des Verursachergrundsatzes führt: Wenn man die zu tragenden Lasten im Verhältnis zu den Vorteilen verteilt, die man aus der Ursache eines Problems zieht, dann hat das mit der moralischen Grundintuition des Verursacherprinzips – dass man für die eigenen Taten gerade stehen muss – nichts mehr zu tun. Das Verursacherprinzip ist in der zweiten Variante (Ausgleich einer Unfairness) letztlich also nicht überzeugend. Betrachten wir daher die erste Variante (das „moralische Aufräumen“ eines Schadens): Ist der Vorschlag, die Kosten für Anpassungsmaßnahmen und Kompensationen gemäß den Beiträgen zur Verursachung der Klimaschäden zu verteilen, überzeugender? Die Antwort darauf lautet unseres Erachtens: „Jein“. Auch hier gilt zunächst, dass sich Pflichten zur Entschädigung nicht einfach zwischen Individuen vererben: Wenn Ururgroßvater Goldinger Ururgroßvater Knecht geschädigt hätte (z. B. indem er seine Stellung als Anwalt dazu missbrauchte, Ururgroßvater Knecht zu enteignen), dann hätte er die Pflicht gehabt, Knecht zu entschädigen; aber die heute lebenden Goldingers hätten nicht die Pflicht, die heute lebenden Knechts zu entschädigen. Zwar könnte man eine solche Übertragung der Pflichten wieder unter Verweis auf die aus der Enteignung entstandenen Vorteile rechtfertigen, aber dann würde man das Verursacherprinzip in seiner ersten Lesart abermals zugunsten des Nutznießerprinzips aufgeben. Im Fall des Klimawandels haben wir es aber mit einem über einen längeren Zeitraum kumulativ verursachten Schaden zu tun. Und das eröffnet die Möglichkeit, das Problem der Vererbung von Pflichten zu umgehen, indem man nur die Klimaschäden berücksichtigt, die durch Emissionen in einem begrenzten Zeitraum angefallen sind, in dem eine Vererbung von Pflichten nicht nötig ist. Ein Großteil der Emissionen ist nämlich in den letzten 30 Jahren, also etwa ab 1980, angefallen (Boden, Marland und Andres 2012), und ein Großteil der damals lebenden Menschen – d. h. ein Großteil der Verursacher – lebt noch immer. Darum kann man die Lasten zur Adaptation für Klimaschäden, die auf Emissionen seit 1980 zurückgehen, durchaus den Emissionen entsprechend verteilen, mit denen jeder Einzelne zur Verursachung dieser Schäden beigetragen hat. Das Verursacherprinzip kann also in seiner ersten Lesart zur Verteilung der Adaptationslasten, die aus den seit 1980 ausgestoßenen Emissionen entstanden sind, angewendet werden.
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Allerdings gibt es noch einige Komplikationen. Ein Problem ist, dass gar nicht klar ist, was genau als Verursachung eines Schadens gelten soll. Man kann sich dies an den sogenannten „grauen Emissionen“ verdeutlichen: Viele Produkte werden nicht in dem Land hergestellt, in dem sie schlussendlich verbraucht werden. Wem aber sollte man die Emissionen anrechnen, die bei der Herstellung und beim Transport eines Produkts anfallen, das in China produziert, aber in Deutschland konsumiert wird – China oder Deutschland? Das ist eine schwierige, aber auch sehr relevante Frage; denn angesichts der Größe der weltweiten Warenströme hat die Antwort darauf große Auswirkungen auf die Verteilung der Lasten zwischen den Ländern. Dahinter steht die Frage, was genau in der ersten Variante des Verursacherprinzips als „Verursachung eines Schadens“ gilt – die Handlung des Produzenten, die unmittelbar eine Emission erzeugt, oder die Handlung des Konsumenten, für die die Handlung des Produzenten notwendig ist? Man könnte die Emissionen zwischen Produzenten- und Konsumentenseite im Verhältnis zu den Vorteilen aufteilen, die beide Parteien aus dem Handel ziehen, doch dann würde man abermals den Rahmen des Verursacherprinzips verlassen und das Nutznießerprinzip ins Spiel bringen. Das zeigt natürlich nicht, dass die schwierige Frage, was genau als Verursachung des Schadens gilt, keine Antwort hat. Es zeigt nur, dass eine naheliegende Antwort vom Verursacherprinzip wegführt und eine andere Antwort gesucht werden muss. So gesehen ist diese erste Schwierigkeit lediglich dies: eine Schwierigkeit, kein unüberwindbarer Einwand. Die erste Variante des Verursacherprinzips stößt jedoch auf eine weitere Schwierigkeit: Es ist nämlich fraglich, inwiefern Menschen, die in der Vergangenheit Treibhausgase emittiert haben, etwas von der Schädlichkeit ihres Tuns wissen konnten. Wer Anfang des 20. Jahrhunderts ein Automobil fuhr, dachte wohl kaum daran, dass dessen Abgase in der ferneren Zukunft Schaden anrichten können. Und wäre es nicht unfair, jemanden für einen Schaden aufkommen zu lassen, von dem er nicht wusste – und gar nicht wissen konnte? Der letzte Zusatz (dass man es nicht hätte wissen können) ist entscheidend. Denn allein die Tatsache, dass man von den schädigenden Wirkungen seiner Handlung faktisch nicht weiß, entbindet nicht automatisch von der Pflicht, für den Schaden aufzukommen (vielleicht wussten Sie ja tatsächlich nicht, dass man den Gashahn nicht über längere Zeit geöffnet lassen sollte; für die Explosion müssen Sie trotzdem geradestehen, denn Sie hätten es wissen müssen). Wir machen für gewöhnlich einen Unterschied zwischen entschuldbarer und unentschuldbarer Unwissenheit. Einerseits gibt es Dinge, die man wissen muss, und wer sie nicht weiß, dessen Unwissenheit ist unentschuldbar. Andererseits gibt es Dinge, die man nicht wissen muss, und wer diese Dinge nicht weiß, dessen Unwissenheit ist entschuldbar. Damit stellt sich nun die Frage, ab wann man hätte wissen müssen, dass man mit Treibhausgasemissionen Klimaschäden verursacht. Das ist eine strittige Frage; ihre Beantwortung ist aber deshalb relevant, weil man nur für Emissionen ab diesem Zeitpunkt verantwortlich gemacht werden kann. Die ersten wissenschaftlichen Evidenzen werden oft dem Schweden Svante Arrhenius zugerechnet – das war 1896 –, doch waren diese lange Zeit nicht die wissenschaftliche Mehrheitsmeinung. In den 1970er Jahren traten die ersten wissenschaftlich gut gestützten und verbreiteten Modellierungen zum Treibhauseffekt auf, und darum könnte man auch ab diesem Zeitpunkt von unentschuldbarer Unwissenheit sprechen. In der klimapolitischen Praxis wird häufig das Jahr 1990 als Zeitpunkt genannt, ab dem aufgrund der vorliegenden wissenschaftlichen Tatsachen einer
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breiteren Öffentlichkeit und den relevanten Entscheidungsträgern hätte klar sein müssen, dass Treibhausgasemissionen zum Klimawandel führen: Es ist das Jahr des ersten IPCC-Berichts. Spätestens ab diesem Zeitpunkt kann man das Verursacherprinzip in der zweiten Variante also anwenden. Das bedeutet aber auch, dass ein gewichtiger Teil aller jemals ausgestoßenen Emissionen unter den Tisch fällt: Für die Klimaschäden, die auf Emissionen vor 1990 zurückzuführen sind, müsste dann niemand geradestehen. Und es bedeutet auch, dass sich die Verhältnisse zwischen den Industrie- und Entwicklungsländern verschieben: Die Entwicklungsländer haben rund 48% der gesamten Emissionen zwischen 1850 und 2010 ausgestoßen, aber fast 57% der Emissionen zwischen 1990 und 2010 (den Elzen u. a. 2013: 403), und entsprechend müssten die Entwicklungsländer auch verhältnismäßig mehr Kosten tragen. Der „angemessene“ Zeitpunkt, ab dem Emissionen und daraus resultierende Schäden im Verursacherprinzip bei der Verteilung der Adaptationslasten berücksichtigt werden sollten, scheint somit irgendwo zwischen 1970 und 1990 zu liegen. Da wir zuvor im Kontext der Vererbbarkeit von Pflichten darauf hingewiesen haben, dass man für den Zeitraum der letzten 30 Jahre davon ausgehen kann, dass ein großer Teil der Emissionen berücksichtigt wird und zugleich auch ein Großteil der Verursacher noch lebt, möchten wir daher im Folgenden 1980 als das Jahr vorschlagen, ab dem das Verursacherprinzip greift. Insgesamt ergibt sich somit ein gemischtes Bild. Das Verursacherprinzip ist in seiner ersten, allein auf die Verteilung der Adaptations- und Kompensationskosten bezogenen Variante nicht endgültig zu widerlegen. Aber es hat mit Schwierigkeiten (graue Emissionen und entschuldbare Unwissenheit) zu kämpfen, die seine praktische Anwendbarkeit begrenzen. Wer das Verursacherprinzip zur Verteilung der Adaptations- und Kompensationskosten verwenden möchte, muss es also zweifach erweitern und (a) genauer erklären, was es heißt, einen Schaden zu verursachen, sowie (b) genauer bestimmen, ab welchem Zeitpunkt Unwissenheit unentschuldbar wurde. Solche Erweiterungen drängen sich noch aus anderen Gründen auf: Man muss sicherstellen, dass die Lasten, die einem Land durch das Verursacherprinzip aufgebürdet werden, nicht zu groß sind. Nicht immer schlagen sich hohe Emissionen auch in hohem Wohlstand nieder (man denke an einige ehemalige Ostblockstaaten) und von einem armen Staat zu verlangen, er solle im Verhältnis zu seinen Beiträgen zur Verursachung auch für die Schäden aufkommen, kann bedeuten, die Armut zu vergrößern – was moralisch nicht akzeptabel scheint. Demnach müsste man eine Art „Zahlungsfähigkeitsgrenze“ in das Verursacherprinzip einbauen. Auch sollte man Emissionen, die zur Deckung der Grundbedürfnisse notwendig sind, gar nicht erst unter das Verursacherprinzip fallen lassen: Für die Klimaschäden, die auf Emissionen zurückgehen, welche man essenziell benötigt, muss man dann nicht geradestehen. Das alles deutet bereits an, dass das Verursacherprinzip für sich allein genommen einige moralisch relevante Faktoren (Zahlungsfähigkeit, Bedürfnisse) ausblendet und dass sich eine zufriedenstellende Antwort auf die dritte klimaethische Leitfrage möglicherweise mehrerer Prinzipien bedienen muss. Wir werden in Kapitel 16 nochmals darauf zurückkommen.
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Fazit In diesem Kapitel sind wir einer starken Intuition in Bezug auf die dritte klimaethische Leitfrage nachgegangen: Man sollte die Lasten so verteilen, dass sie den Beiträgen zur Verursachung des Problems entsprechen. Wir haben zwei Varianten dieses Verursacherprinzips unterschieden. In der ersten werden die Kosten für die Anpassung an den Klimawandel und für die Kompensation von Klimaschäden unter den Hauptverursachern des Klimawandels im Verhältnis zu ihren bisherigen Emissionen verteilt; dahinter steht die Idee des „moralischen Aufräumens“. In der zweiten Variante bekommt ein Staat umso weniger vom verbleibenden Emissionskuchen zugeteilt, je größer sein Stück in der Vergangenheit und damit sein bisheriger Beitrag zur Verursachung des Klimawandels war; dahinter steht die Idee des Ausgleichs für eine vergangene Unfairness. Die Diskussion beider Vorschläge hat gezeigt, dass das Verursacherprinzip allenfalls für die Verteilung der Anpassungskosten (d. h. in seiner ersten Variante) plausibel ist, und auch dort nur mit Einschränkungen (vgl. Argumente-Box 10).
Argumente-Box 10: Das Verursacherprinzip Das Verursacherprinzip kann die dritte klimaethische Leitfrage „(1) Was kommt (2) wem (3) warum zu?“ auf zwei Weisen beantworten: 1. (1) Die Kosten für die Anpassung an den Klimawandel und für die Kompensation von Nachteilen werden (2) unter den Verursachern des Klimawandels (3) – als Beseitigung eines Schadens – im Verhältnis zu ihren Beiträgen zur Verursachung des Klimawandels verteilt. 2. (1) Die verbleibenden Emissionen werden (2) zwischen allen Staaten (3) – als Ausgleich einer Unfairness – im umgekehrten Verhältnis zu ihren Beiträgen zur Verursachung des Klimawandels verteilt. Die zweite Variante ist aus mehreren Gründen unhaltbar: 1. Sie setzt bereits einen unabhängig vom Verursacherprinzip bestimmbaren Maßstab für eine faire Aufteilung der klimapolitischen Lasten – also eine Antwort auf die dritte Leitfrage – voraus. 2. Da ein Teil der individuellen Verursacher des Klimawandels nicht mehr lebt, ist das Verursacherprinzip auf eine „Vererbung“ von Pflichten angewiesen. Eine Vererbung zwischen Individuen ist bei Pflichten zur Beseitigung einer vergangenen Unfairness aber nicht plausibel. In der ersten Variante – für die Verteilung der Adaptations- und Kompensationskosten – ist das Verursacherprinzip durchaus haltbar, wenn man es auf einen bestimmten Zeitraum begrenzt. Es steht aber vor der Herausforderung, genauer zu klären, (a) was als Beitrag zur Verursachung eines Schadens gilt und (b) ab wann fehlendes Wissen über die schädliche Wirkung von Emissionen unentschuldbar ist (wir haben hier 1980 vorgeschlagen). Zudem muss es um weitere moralisch relevante Gesichtspunkte ergänzt werden und z. B. eine Zumutbarkeitsgrenze für Schadenszahlungen angeben. „Für seine eigenen Taten geradestehen“ ist – in der ersten Lesart – also ein nur begrenzt anwendbarer Grundsatz in der Klimaethik.
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Da die erste Variante des Verursacherprinzips nur auf die Verteilung der Adaptations- und Kompensationskosten zielt, fehlt für eine vollständige Beantwortung der dritten klimaethischen Leitfrage noch ein Verteilungsprinzip für die Lasten der Klimawandelvermeidung. Einen Anhaltspunkt hat die bisherige Diskussion ergeben, denn dabei tauchte mehrere Male ein ganz anderes Prinzip auf: das Nutznießerprinzip, wonach die Verteilung der klimapolitischen Lasten nicht nach dem Gesichtspunkt der Verursachung des Problems, sondern nach den daraus entstandenen Vorteilen vorgenommen werden sollte. Liefert dieses Prinzip vielleicht eine zufriedenstellende Antwort auf die dritte klimaethische Leitfrage?
13 Das Nutznießerprinzip: wer profitiert, muss zahlen Leider gibt es Unrecht auf dieser Welt. Wenn man dieses Unrecht schon nicht verhindern kann, dann sollten die Täter für ihre Taten wenigstens geradestehen und die Opfer entschädigen – das war die Intuition hinter dem Verursacherprinzip. Unsere Welt ist aber in Wahrheit komplizierter. Manchmal können die Täter die Opfer nämlich nicht entschädigen, weil sie selbst verstorben sind, weil sie sich dem Zugriff der Justiz entziehen oder weil sie inzwischen mittellos sind. Und manchmal profitieren Dritte vom Unrecht, das der Täter dem Opfer zugefügt hat: Beispielsweise haben Sie Vorteile aus dem günstigen Fahrrad, das Sie gestern über eine Kleinanzeige gekauft haben und das vor einer Woche noch angekettet am Bahnhof stand. Selbst wenn Sie nicht wissen, dass es sich um Diebesgut handelt: Sollte man das gestohlene Fahrrad bei Ihnen finden, so können Sie wohl kaum sagen, dass Sie das nichts angehe und dass Sie gegenüber dem rechtmäßigen Besitzer zu nichts verpflichtet seien. Vielmehr scheinen Sie das Fahrrad zurückgeben zu müssen. Unsere moralische Praxis enthält somit die Vorstellung, dass das Profitieren von Unrecht moralische Pflichten erzeugt: Wenn ein Täter einem Opfer ein Unrecht zufügt und ein Dritter davon profitiert, dann scheint der Dritte gegenüber dem Opfer verpflichtet, das Unrecht wiedergutzumachen – zumindest dann, wenn der Täter dazu nicht mehr in der Lage ist. Diese Vorstellung kann man auch auf den Klimawandel anwenden. Die 200jährige Geschichte steigenden Wohlstands im „Norden“ ist nämlich vor allem eine Geschichte steigender Emissionen. Beides hängt in unserer „Treibhausgasökonomie“ eng zusammen, denn ohne die Emissionen der Vergangenheit ginge es uns heute nicht so gut: Das rasante Wirtschaftswachstum seit der industriellen Revolution gründet auf dem Einsatz billiger fossiler Energie (v. a. Kohle und Erdöl); die verbesserte Nahrungsmittelversorgung beruht auf Methan-intensiver Massentierhaltung und den hohen landwirtschaftlichen Erträgen, die mit erdölbetriebenen Maschinen und erdölbasierten Düngetechniken erzielt werden; die bauliche Erschließung von Wohn-, Arbeitsund Mobilitätsräumen war nur durch Abholzung und damit durch Zerstörung von natürlichen Treibhausgassenken möglich. Dass wir heute wohlhabend, wohlgenährt und „wohlhausend“ sind, ist also zu einem nicht unerheblichen Teil auf die Treibhausgasemissionen der Vergangenheit zurückzuführen, welche nun zum Klimawandel führen, unter dem andere zu leiden haben werden. Wir sind so etwas wie „intergenerationelle Trittbrettfahrer“ (Gosseries 2004): Während wir einen Nutzen aus den Taten unser Vorfahren ziehen, müssen andere darunter leiden. Ebenso wie die Vorteile, die Sie aus dem günstigen gestohlenen Fahrrad ziehen, moralisch „befleckt“ sind, ist unser aller Wohlstand aus dieser Perspektive mit einem moralischen Makel behaftet: Er beruht auf etwas, was gegenüber anderen ein Unrecht darstellt. Was läge näher, als die Profiteure in die Pflicht zu nehmen, das Unrecht zu beseitigen? Genau das tut das Nutznießerprinzip. Es besagt, dass jeder in dem Maße Lasten für die Beseiti-
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gung eines moralischen Problems tragen muss, in dem er von der Verursachung dieses Problems – in unserem Fall: den vergangenen Emissionen – profitiert. Das Nutznießerprinzip ist – wie schon das Grandfathering und das Verursacherprinzip – ein „historisches“ Prinzip der Verteilungsgerechtigkeit, denn es verteilt die Lasten auf Grundlage des Vergangenen. Es fokussiert aber nicht auf die Ursache eines Schadens oder einer Ungerechtigkeit, sondern auf die Wirkungen – die Tatsache, dass Dritte davon profitieren. Darin unterscheidet sich das Nutznießerprinzip fundamental vom Verursacherprinzip. Die Pflicht des Nutznießers besteht unabhängig davon, ob er auch ein Verursacher ist. Selbst derjenige, der heute nichts emittiert, zieht Vorteile aus den vergangenen Emissionen und das rechtfertigt es, ihm Lasten zur Bewältigung des Klimawandels aufzuerlegen. Darum unterscheidet sich eine Verteilung auf Grundlage des Nutznießens von einer Verteilung auf Grundlage des Beitrags zur Verursachung: Russland und die Ukraine z. B. haben historisch betrachtet einen signifikanten Anteil an den Gesamtemissionen, haben davon aber im Sinne des Wohlstandsniveaus weniger profitiert als ein weniger emittierendes Land wie Italien. Wir werden das Nutznießerprinzip zunächst genauer erklären und dann kritisch diskutieren.
Varianten und normative Grundlage Auch das Nutznießerprinzip begegnet uns in verschiedenen Varianten. Dazu ist es zunächst hilfreich, sich die genaue Struktur der moralischen Verflechtungen zu vergegenwärtigen, an die das Nutznießerprinzip anknüpft (s. Abb. 10). Die Emissionen der Vergangenheit stellen ein Unrecht dar, das vier Aspekte hat. Erstens wurde insgesamt so viel emittiert, dass nun Klimaschäden drohen, die vorrangig die Entwicklungsländer betreffen; das ist der Schadensaspekt des Unrechts („Unrecht 1“ in Abb. 10). Zweitens haben sich die Industrieländer den Löwenanteil der vergangenen Emissionen – mehr als ihnen zustand – genommen, so dass der verbleibende Emissionskuchen kleiner ist, als er sein soll; das ist der Unfairnessaspekt des Unrechts („Unrecht 2“ in Abb. 10). Diese unrechten Emissionen der Vergangenheit führen drittens nicht nur zu den bereits genannten Klimaschäden für die gegenwärtigen und zukünftigen Entwicklungsländer („Effekt 1“), sondern sie bringen den Industrieländern auch die oben beschriebenen Vorteile („Effekt 2“). Der vierte Aspekt ist, dass sich dadurch die Ungleichheit zwischen den Industrie- und Entwicklungsländern erhöht („Effekt 3“), was selbst ein Unrecht („Unrecht 3“) darstellt. Es gibt also eine Kette von Handlungen (die vergangenen Emissionen), die zwei direkte Effekte (Klimaschäden und Vorteile) und einen indirekten Effekt (Ungleichheit) hervorbringen und in drei Hinsichten moralisch problematisch sind (als Schädigung, als vergangene Unfairness, als Ungleichheit).
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Abbildung 10: Moralische Verflechtungen beim Nutznießerprinzip
Die allgemeine Formulierung des Nutznießerprinzips „Jeder muss in dem Maße Lasten für die Beseitigung eines Unrechts tragen, in dem er von diesem Unrecht profitiert hat“ lässt vor dem Hintergrund dieser Struktur nun drei verschiedene Lesarten zu – je nachdem, was genau als Unrecht betrachtet wird. Der ersten Lesart nach besteht das Unrecht darin, dass vergangene Emissionen den Menschen in Entwicklungsländern schaden (Unrecht 1). Dieses Unrecht zu beseitigen heißt dann, die Betroffenen zu entschädigen und durch die Finanzierung von Anpassungsmaßnahmen und Kompensationszahlungen dafür zu sorgen, dass sie bestmöglich vor dem Klimawandel geschützt sind oder für Klimaschäden entschädigt werden. In dieser ersten Lesart werden also die Anpassungs- und Kompensationskosten unter den Profiteuren im Verhältnis zu ihren jeweiligen Vorteilen verteilt. Dahinter steht natürlich die Grundintuition des „moralischen Aufräumens“ aus dem vorherigen Kapitel, wobei sich die Aufräumpflicht diesmal aufgrund der Tatsache ergibt, dass jemand Vorteile aus dem Schaden anderer zieht (und nicht aufgrund der Tatsache, dass jemand den Schaden verursacht hat). Man kann das Nutznießerprinzip aber auch zur Verteilung der Kosten für die Vermeidung des Klimawandels verwenden. Dieser zweiten Lesart nach besteht das Unrecht in der Unfairness, dass sich die Industrieländer mehr Emissionen herausgenommen haben, als ihnen zustanden (Unrecht 2), so dass sie bei der nun anstehenden Verteilung der verbleibenden Emissionen Abstriche machen müssen. Die Beseitigung des Unrechts besteht dann gerade darin, dass man im Verhältnis zu den Vorteilen, die man aus der vergangenen Unfairness gezogen hat, auch weniger Anteile am verbleibenden Emissionsbudget bekommt. Die leitende moralische Grundintuition ist hier wieder, dass ein moralisches „Über-die-Stränge-Schlagen“ ausgeglichen werden muss und dass diese Ausgleichspflicht aufgrund der Tatsache besteht, dass man Vorteile aus dem Über-die-Stränge-Schlagen genießt. Es gibt noch eine dritte Lesart des Nutznießerprinzips. Demnach besteht das Unrecht im indirekten Effekt, dass die vergangenen Emissionen die Ungleichheit zwischen Industrie- und Entwicklungsländern vergrößert
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haben (Unrecht 3). Dieses Unrecht zu beseitigen hieße, die Vor- und Nachteile aus den vergangenen Emissionen gleich aufzuteilen: Die bevorteilten Industrieländer müssten den benachteiligten Entwicklungsländern so viel zahlen, dass beide in gleichem Maße von den historischen Emissionen profitieren. In dieser Variante des Nutznießerprinzips wird die Gesamtheit der klimawandelbezogenen Vor- und Nachteile verteilt, nicht nur Adaptations-/ Kompensationskosten oder Mitigationskosten. Die leitende Grundidee ist hier eine Gleichheitsintuition: Wenn man ein Unrecht schon nicht vermeiden kann, dann sollen eben alle gleichermaßen davon profitieren. Entsprechend besteht für diejenigen, die über Gebühr profitieren, aufgrund genau dieser Tatsache eine Ausgleichspflicht. Den drei Lesarten ist gemeinsam, dass die Pflicht zur Beseitigung oder Linderung eines Unrechts in der Tatsache gründet, dass man Vorteile aus diesem Unrecht genießt (wobei das Unrecht und somit der Inhalt der Pflicht dann jeweils unterschiedlich bestimmt werden). Eigentlich sind es genau genommen die unverdienten Vorteile, die hier den Ausschlag geben. Das sieht man an folgendem Beispiel: Dieter hat Berta eine Menge Bargeld gestohlen und schenkt es seiner Freundin Anna. Diese investiert es glücklich in ein florierendes Unternehmen und wird als tatkräftige Unternehmerin schnell reich. Eines Tages fliegt Dieter auf und die Polizei steht vor Annas Tür: Berta will ihr Geld zurück.
In diesem Fall ist Anna zwar dazu verpflichtet, Berta das gestohlene Geld zurückzuzahlen, aber wohl kaum dazu, ihren gesamten Reichtum abzutreten (für den dieses gestohlene Geld eine notwendige Bedingung war). Der Unterschied liegt darin, dass Anna das gestohlene Geld nicht verdient hatte, während ihr Reichtum auch auf ihr unternehmerisches Geschick zurückgeht und darum verdient ist. Die leitende Grundidee des Nutznießerprinzips ist also, dass unverdiente Vorteile aus einem Unrecht ausgeglichen werden sollen – und worin genau der Ausgleich besteht, hängt davon ab, was man als das Unrecht betrachtet. Ist diese moralische Grundintuition und damit das Nutznießerprinzip in einer der drei Varianten überzeugend?
Kritische Diskussion Die zweite Variante können wir schnell abhandeln: In dieser besagt das Nutznießerprinzip, dass ein Land, das sich mehr genommen hat, als ihm zusteht, nun im Verhältnis zu den daraus resultierenden Vorteilen auch mehr Reduktionslasten tragen muss. Doch dazu muss man bereits wissen, was jemandem zusteht. Ebenso wie die zweite Variante des Verursacherprinzips setzt die zweite Variante des Nutznießerprinzips also bereits ein anderes Prinzip der Verteilungsgerechtigkeit voraus. Wie steht es um die dritte Variante des Nutznießerprinzips? Nach dieser Variante ist die Ungleichheit, die als indirekter Effekt aus dem Schaden für die Entwicklungsländer und den unverdienten Vorteilen für die Industrieländer resultiert (vgl. Abb. 10), der eigentliche Grund für die Umverteilung. Das heißt, dass bereits die Ungleichheit für sich genommen – d. h. unabhängig von ihrer spezifischen Vorgeschichte – Umverteilungsansprüche erzeugt. Wenn man
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die dritte Variante des Nutznießerprinzips so versteht, dann ist es kein Nutznießerprinzip mehr. Denn dann wäre für die Verteilung der Lasten allein die Tatsache der Ungleichheit ausschlaggebend – d. h. die Tatsache, dass ein Land wohlhabender als ein anderes ist. Und das würde auf ein ganz anderes Verteilungsprinzip hinauslaufen, das sogenannte Prinzip der Zahlungsfähigkeit (vgl. Kap. 14): Jeder müsste dann nach seinen wirtschaftlichen Möglichkeiten Lasten tragen – unabhängig davon, ob zwischen diesen wirtschaftlichen Möglichkeiten und den vergangenen Emissionen eine kausale Verbindung besteht. Das hat nichts mehr mit der Grundintuition des Nutznießerprinzips zu tun, die besagt, dass man Lasten tragen muss, weil man von vergangenen Emissionen profitiert hat. Wenden wir uns also der ersten Variante des Nutznießerprinzips zu, nach der jeder in dem Maße den drohenden Schaden begrenzen (also Adaptations- und Kompensationskosten tragen) muss, in dem er von den vergangenen Emissionen profitiert hat. Wir sollten uns zunächst in Erinnerung rufen, dass wir im Bereich der Adaptations- und Kompensationskosten ja mit Einschränkungen bereits das Verursacherprinzip gebilligt haben (s. Kap. 12). Allerdings war dessen Anwendungsbereich begrenzt, weil einige Verursacher nicht mehr existieren oder aufgrund von Unwissenheit entschuldigt werden können. Das Nutznießerprinzip kann man im besten Fall so interpretieren, dass es das Verursacherprinzip an diesen Grenzen ergänzt, d. h. es springt dort ein, wo Klimaschäden nicht bereits durch das Verursacherprinzip erfasst werden. Denn in einem Fall, in dem man die Verursacher für die Beseitigung des Schadens belangen kann, wäre es sehr unplausibel, die Nutznießer anstelle der Verursacher in die Pflicht zu nehmen. Dies deutet abermals darauf hin, dass eine vollständige Antwort auf die dritte klimaethische Leitfrage auf mehrere Verteilungsprinzipien zurückgreifen muss – wenn denn das Nutznießerprinzip in der ersten Lesart tatsächlich überzeugend wäre. Dass sie das nicht ist, hat vier Gründe. Erstens ist das Nutznießerprinzip vom Problem der Nicht-Identität betroffen: Streng genommen kann man nämlich gar nicht sagen, dass die heute lebenden Menschen in den Industrieländern von den vergangenen Emissionen profitiert haben; denn das scheint zu heißen, dass es diesen Menschen schlechter gegangen wäre, wenn es diese vergangenen Emissionen nicht gegeben hätte. Doch genau das stimmt nicht, denn hätte es die vergangenen Emissionen nicht gegeben, so würden heute ganz andere Menschen in den Industrieländern leben. In Kapitel 3 hatten wir das Problem der Nicht-Identität als grundsätzlichen Einwand gegen die Möglichkeit zukunftsgerichteter Pflichten ausgeräumt, indem wir den Begriff des Schädigens durch den der Rechtsverletzung ersetzt haben. Doch dieses Manöver steht einem Verteidiger des Nutznießerprinzips nicht zur Verfügung: Denn wenn er analog die Idee des Nutznießens durch eine andere Idee ersetzt, dann verteidigt er nicht mehr das Nutznießerprinzip, sondern gibt es auf. Nun könnte man einwenden, dass das Problem der Nicht-Identität nicht so relevant für das Nutznießerprinzip ist, weil ein Großteil der Emissionen und des Wohlstands (also der Vorteile aus den Emissionen) in den letzten 30 Jahren angefallen ist (Boden, Marland und Andres 2012) – und in diesem kurzen Zeitraum greift das Problem der Nicht-Identität nicht. Das schwächt den ersten Einwand tatsächlich ab. An dieser Stelle kommt aber ein zweiter Grund ins Spiel, warum das Nutznießerprinzip in der ersten Lesart wenig überzeugend ist: Es stimmt einfach nicht, dass alle unverdienten Vorteile aus einem Unrecht auch zu einer Ausgleichszahlung verpflichten (vgl. Anwander 2005). Die zusätzlich eingestellten Bauarbei-
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ter, welche die Trümmer des World Trade Center nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 aufräumten, profitierten ebenso von einem Unrecht, wie wir bei einer Röntgenuntersuchung vom Wissen über die richtige Strahlendosis profitieren, das aus Untersuchungen an den Opfern der Atombombenabwürfe von Hiroshima und Nagasaki stammt. Doch es wäre absurd zu behaupten, dass die Bauarbeiter oder jeder Patient, der eine Röntgenuntersuchung durchlaufen hat, eine Pflicht hätten, die Opfer zu entschädigen. Was das Profitieren von einem Unrecht wie dem eingangs erwähnten Fahrraddiebstahl erst moralisch problematisch macht (und damit Pflichten generiert), ist eher die Tatsache, dass wir manchmal mit unserem Handeln bereits begangenes Unrecht verlängern (z. B. weil Sie das Fahrrad nicht seinem rechtmäßigen Eigentümer zurückgeben), solches Unrecht erst ermöglichen (z. B. weil Sie mit dem Erwerb eines günstigen Fahrrads dem Dieb eine Garantie geben, dass er Hehlerware los wird) oder das Unrecht auf Kosten der Betroffenen ausnutzen (z. B. wenn Sie dem rechtmäßigen Eigentümer sein über alles geliebtes Fahrrad zu einem maßlos überteuerten Preis zum „Rückkauf“ anbieten). Vorteile aus Unrecht zu genießen ist also nicht für sich genommen moralisch problematisch, sondern nur dort, wo es zur Verlängerung, Ermöglichung oder zum Ausnutzen eines Unrechts beiträgt. Und eben dies ist im Kontext des Klimawandels gar nicht der Fall: Der Vorteil, den die Industrieländer aus den vergangenen Emissionen ziehen, ist ja ihr hoher Wohlstand, und das Unrecht, aus dem diese Vorteile resultieren, besteht der ersten Lesart des Nutznießerprinzips zufolge in den Klimaschäden für die Entwicklungsländer. Der hohe Wohlstand verlängert dieses Unrecht jedoch nicht (es sind allenfalls die weiteren – heutigen – Emissionen, die dieses Unrecht verlängern, nicht aber die vergangenen Emissionen, die zu den Vorteilen geführt haben). Der hohe Wohlstand ermöglichte dieses Unrecht auch nicht: Im Fall der impliziten Abnahmegarantie für Hehlerware stellt der Vorteil des Profiteurs einen Anreiz für den Täter dar, das Unrecht zu begehen. Doch im Fall der vergangenen Emissionen unserer Vorfahren war ja nicht unser heutiger Wohlstand (der Vorteil des Nutznießers), sondern ihr Wohlstand (der Vorteil des Täters) der Anreiz für die Emissionen: Unsere Vorfahren emittierten nicht, damit es uns besser geht, sondern damit es ihnen besser ging. Und schließlich nutzen die Industrieländer die Entwicklungsländer zwar leider in vielen Hinsichten aus – aber das Ausnutzen der Verletzbarkeit des Südens für den Klimawandel gehört nicht zu diesen Hinsichten; die Industrieländer verkaufen den vom Klimawandel betroffenen Entwicklungsländern beispielsweise nicht zu überhöhten Preisen Technologien zur Anpassung an den Klimawandel. Ein drittes Problem mit der ersten Variante des Nutznießerprinzips ist, dass es wie schon das Verursacherprinzip um eine Art „Zahlungsfähigkeitsgrenze“ ergänzt werden muss: Es ist unfair, von jemandem zu verlangen, die Vorteile aus einem Unrecht zurückzuzahlen, wenn ihn dies verarmen ließe (z. B. weil er die Schenkung inzwischen ausgegeben hat und mittellos ist). Hier zeigt sich abermals, dass verschiedene Verteilungsprinzipien zusammenspielen müssen – und dass dabei die Zahlungsfähigkeit eine Rolle spielt. Ein vierter Einwand gegen das Nutznießerprinzip (in all seinen Varianten) ist, dass es schwierig anzuwenden ist. Zum einen müsste man sich ausmalen, wie die Welt heute ohne die emissionsintensive Industrialisierung aussähe, um zu bestimmen, wer welche Vorteile aus den vergangenen Emissionen hatte. Man müsste sogar denjenigen Teil unseres Wohlstands, der auf vergangene Emissionen zurückgeht, von demjenigen Teil unseres Wohlstands,
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Teil III Wie sollen wir die Pflichten verteilen? Globale Gerechtigkeit
der z. B. auf harter Arbeit beruht, und demjenigen Teil, der auf anderem historischen Unrecht (wie Kriegen, Sklaverei oder Kolonialisierung) basiert, trennen können. Das ist alles andere als einfach. Zum anderen zeigt – wie schon beim Verursacherprinzip – das Beispiel der grauen Emissionen, dass es gar nicht so leicht ist, den zentralen moralischen Begriff des Nutznießerprinzips in der Praxis einzusetzen. Denn wem nutzen z. B. die Emissionen, die dabei anfallen, dass China Güter produziert, die in anderen Staaten konsumiert werden – den konsumierenden Staaten oder China oder beiden? Und wenn sie beiden nützen: in welchem Verhältnis? Ein spiegelbildliches Problem ist das der Spill-over-Effekte: Haben nicht auch die vom Klimawandel Geschädigten so manchen Vorteil aus vergangenen Emissionen? Nutzt es nicht auch den wenig emittierenden, vom Klimawandel stark betroffenen Staaten des ärmeren Südens, wenn westliche Staaten aufgrund ihrer Emissionen wirtschaftlich wachsen und darum mehr Entwicklungshilfe leisten könn(t)en und aufgrund des Wohlstands auch mehr Güter aus dem Süden importieren? Es ist zwar äußerst strittig, ob und inwiefern die Struktur des Welthandels den wenig emittierenden Entwicklungsländern wirklich nützt; doch wir müssen uns in dieser strittigen Frage auf keine Antwort festlegen, um zu verdeutlichen, dass in der entscheidenden Frage „Wie misst man, in welchem Maße jemand profitiert?“ der Teufel im Detail steckt.
Fazit In diesem Kapitel sind wir der Überzeugung nachgegangen, dass die Lasten zur Bewältigung des Klimawandels gemäß den Vorteilen, die man aus den vergangenen Emissionen zieht, aufgeteilt werden sollen. Wir haben drei Varianten dieses Nutznießerprinzips unterschieden. Jede stützt sich auf ein anderes Element der moralischen Verflechtungen, die beim Nutznießen aus vergangenen Emissionen bestehen: Die erste Variante – nach der die Anpassungs- und Kompensationskosten unter den Profiteuren im Verhältnis zu ihren jeweiligen Vorteilen aufgeteilt werden – rückt den Schadensaspekt in den Mittelpunkt; die zweite Variante – der zufolge verbleibende Emissionen im umgekehrten Verhältnis zu den Vorteilen aus vergangenen Emissionen verteilt werden – fokussiert auf den Ausgleich einer Unfairness; und die dritte Variante – die Vorteile aus vergangenen Emissionen sollen gleich aufgeteilt werden – stellt auf die Beseitigung unverdienter Ungleichheit ab. Die kritische Diskussion der einzelnen Varianten hat ergeben, dass keine der drei Varianten überzeugend ist (vgl. Argumente-Box 11). In der Diskussion hat sich gezeigt, dass es immer wieder argumentativen Druck gibt, das Nutznießerprinzip um weitere moralisch relevante Gesichtspunkte zu ergänzen; insbesondere taucht dabei der Aspekt der Zahlungsfähigkeit auf, etwa bei der Zumutbarkeitsgrenze für Schadenszahlungen oder der dritten Deutung des Nutznießerprinzips. Dahinter steht die Vorstellung, dass der Wohlstand eines Landes (als Summe aller Vorteile, die es genießt) für sich genommen als Grundlage für die Verteilung der klimapolitischen Lasten dienen sollte. Die Quellen, aus denen die Zahlungsfähigkeit eines Staates stammt, wären dann unerheblich. Dieser Vorstellung wenden wir uns nun zu.
13 Das Nutznießerprinzip: wer profitiert, muss zahlen
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Argumente-Box 11: Das Nutznießerprinzip Das Nutznießerprinzip beantwortet die dritte klimaethische Leitfrage „(1) Was kommt (2) wem (3) warum zu?“ auf drei verschiedene Weisen: · Variante 1: (1) Die Kosten für die Anpassung an den Klimawandel und für die Kompensation von Nachteilen werden (2) unter denjenigen, die von den vergangenen Emissionen profitiert haben, (3) – als Beseitigung eines Schadens – im Verhältnis zu ihren jeweiligen Vorteilen aus den Emissionen verteilt. · Variante 2: (1) Die verbleibenden Emissionen werden (2) unter allen Staaten (3) – als Ausgleich einer Unfairness – im umgekehrten Verhältnis zu den Vorteilen verteilt, die sie jeweils aus den vergangenen Emissionen gezogen haben. · Variante 3: (1) Die Vorteile aus vergangenen Emissionen werden (2) unter allen Staaten (3) – als Beseitigung unverdienter Ungleichheit – gleich aufgeteilt. Variante 2 steht vor demselben Problem wie die entsprechende Variante des Verursacherprinzips: Sie setzt bereits ein Prinzip der Verteilungsgerechtigkeit voraus, weil sie angeben muss, ob die vergangenen Emissionen (un)fair verteilt waren. Variante 3 verwandelt sich in das Prinzip der Zahlungsfähigkeit, wonach Ungleichheiten per se (und nicht das Profitieren) moralisch ausschlaggebend sind. In Variante 1 ist das Nutznießerprinzip mit mehreren Einwänden konfrontiert, die es unhaltbar machen; die beiden wichtigsten sind: 1. das Problem der Nicht-Identität: Ein heute lebender Mensch profitiert gar nicht von vergangenen Emissionen, weil es ihm dazu heute besser gehen müsste als es ihm ohne vergangene Emissionen ginge – doch ohne die vergangenen Emissionen gäbe es ihn gar nicht. 2. die falsche Grundintuition: Wie die Beispiele von Vorteilen aus Terrorangriffen oder Atombombenabwürfen zeigen, ist man allein deshalb, weil man Vorteile aus einem Schaden genießt, noch zu keiner Entschädigung verpflichtet – und die Bedingungen, unter denen eine solche Pflicht tatsächlich besteht (Verlängerung, Ermöglichung oder Ausnutzen von Unrecht), sind im Fall des Klimawandels nicht gegeben. Darum beantwortet das Nutznießerprinzip die dritte klimaethische Leitfrage nicht überzeugend.
14 Das Prinzip der Zahlungsfähigkeit: jeder nach seinen Möglichkeiten Die Prinzipien, die wir in den drei vorangegangenen Kapiteln diskutiert haben, sind „historisch“ ausgerichtet: Sie beantworten die dritte klimaethische Leitfrage, indem sie auf die Vergangenheit Bezug nehmen und die gerechte Verteilung der Lasten zur Bewältigung des Klimawandels innerhalb der gegenwärtigen Generation an den vergangenen Emissionen festmachen. Man kann dies als Versuche verstehen, moralische Pflichten und Ansprüche intergenerationell zu „vererben“: Weil bestimmte Dinge in der Vergangenheit (nicht) der Fall waren, sollen nun in der Gegenwart bestimmte andere Dinge (nicht) der Fall sein. Wie wir gesehen haben, überzeugt aber gerade diese intergenerationelle „Vererbung“ von moralischen Ansprüchen und Pflichten nicht. Das ist Grund genug, nach einer „ahistorischen“ Antwort auf die dritte klimaethische Leitfrage zu suchen, die die gerechte Lastenverteilung allein von Merkmalen der Gegenwart abhängig macht. Die Überlegungen im letzten Kapitel führten uns bereits auf einen möglichen Kandidaten: Man könnte den gegenwärtigen Wohlstand eines Landes für sich allein genommen – unabhängig davon, ob er auf Unrecht beruht oder nicht – als Grund für die Zuteilung von Lasten ansehen. Die leitende Idee wäre dann, dass man aufgrund des Wohlstands in einer besonders privilegierten Lage ist, um bei der Beseitigung eines moralischen Problems zu helfen. Dies scheint eine gute moralische Faustregel zu sein: Je mehr man verdient, desto mehr sollte man auch für die Bekämpfung von Armut, Hunger und anderem Elend spenden; und je kräftiger ein Umzugshelfer ist, desto eher sollte er die schweren Umzugskartons heben. Beim Klimaschutz ist nun derjenige in einer besonders privilegierten Lage, der wohlhabend ist (denn die zu tragenden Lasten sind hier ja nicht im wörtlichen Sinne schwer, sondern in erster Linie kostspielig). Im Kontext des Klimawandels führt die moralische Faustregel also zum Grundsatz: Jeder muss gemäß seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit zur Abwendung des Klimawandels beitragen – „jeder nach seinen Möglichkeiten“. Dieses Prinzip der Zahlungsfähigkeit nimmt keinen Bezug auf die Vergangenheit, sondern orientiert sich an der gegenwärtigen wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und ist damit ahistorisch. Zugleich knüpft es an die Klimarahmenkonvention an, denn dort heißt es, dass die Staaten „entsprechend ihren gemeinsamen, aber unterschiedlichen Verantwortlichkeiten und ihren jeweiligen Fähigkeiten“ (UNFCCC 1992: Art. 3, Abs. 1; unsere Hervorhebung) das Klima schützen wollen – und das in Frage stehende Prinzip verteilt die Lasten gerade nach den jeweiligen (Zahlungs-)Fähigkeiten. Diese beiden Punkte machen das Prinzip der Zahlungsfähigkeit auf den ersten Blick zu einem vielversprechenden Ansatz. Ob dieser erste Eindruck einer genaueren Analyse standhalten kann, werden wir im Folgenden prüfen.
14 Das Prinzip der Zahlungsfähigkeit: jeder nach seinen Möglichkeiten
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Varianten und normative Grundlage Das Prinzip der Zahlungsfähigkeit kann auf zwei Weisen verstanden werden. „Jeder nach seinen Möglichkeiten“ kann zum einen bedeuten, dass ein Mensch oder ein Staat umso mehr Lasten zur Bewältigung des Klimawandels zu tragen hat, je leistungsfähiger er in ökonomischer Hinsicht ist. Das ist vereinbar damit, dass auch ein sehr armer Akteur durchaus einen – wenn auch kleinen – Beitrag leisten muss. Genau das ist in einer zweiten Lesart des Prinzips der Zahlungsfähigkeit nicht der Fall: Demnach muss jemand, der zu viel hat, in dem Maße, in dem er zu viel hat, auch mehr Lasten tragen, und jemand, der arm ist und zu wenig hat, muss sich gar nicht am Klimaschutz beteiligen. Wir haben an verschiedenen Stellen bereits darauf hingewiesen, dass die einzelnen diskutierten Prinzipien um eine Zahlungsfähigkeitsgrenze ergänzt werden müssen: Es ist moralisch einfach nicht angemessen, von jemandem, der bereits zu wenig (zum Überleben oder für ein menschenwürdiges Leben) hat, auch noch zusätzliche Leistungen zu verlangen. Man würde von armutsbetroffenen Menschen in Äthiopien auch nicht verlangen, dass sie einen – wenn auch kleinen – Beitrag zur Bekämpfung der Armut in Somalia leisten. Darum ist die zweite Lesart des Prinzips der Zahlungsfähigkeit plausibler: Wer es sich leisten kann, muss entsprechend seiner Zahlungsfähigkeit zum Klimaschutz beitragen, und wer es sich nicht leisten kann, der ist davon ausgenommen – „wer hat, der muss, und wer nicht hat, der muss auch nicht“. Welche Argumente sprechen für dieses Prinzip? Ein erstes Argument hat mit zwei pragmatischen Vorteilen zu tun: Anders als das Verursacher- oder Nutznießerprinzip (die allenfalls für die Adaptations- und Kompensationskosten überzeugend waren) lässt sich das Prinzip der Zahlungsfähigkeit zunächst plausiblerweise auf alle Arten von Kosten anwenden; man kann Adaptations- und Kompensationskosten ebenso wie Mitigationskosten nach der Zahlungsfähigkeit verteilen (z. B. kann man das verbleibende Emissionsbudget so zwischen den Ländern aufteilen, dass ein Land mit steigendem Wohlstand immer weniger Emissionen erhält). Hinzu kommt, dass es kaum Messbarkeitsprobleme gibt: Man kann die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit eines Landes z. B. durch das kaufkraftbereinigte Bruttoinlandsprodukt operationalisieren. Auch hierin unterscheidet sich das Prinzip der Zahlungsfähigkeit vom Nutznießerprinzip, denn es war alles andere als einfach, die aus vergangenen Emissionen resultierenden Vorteile zu bestimmen. Diese Erwägungen sind zwar nicht unwichtig, aber sie sind eher pragmatische Vorteile als solide moralische Argumente für das Prinzip der Zahlungsfähigkeit. Denn wir suchen kein pragmatisches Prinzip („Jeder so, wie er will“ wäre auch pragmatisch), sondern ein gerechtes (das idealerweise auch pragmatische Vorteile hat). Aus demselben Grund ist übrigens auch der Verweis auf Effizienzvorteile nicht geeignet, das Prinzip der Zahlungsfähigkeit moralisch zu stützen: Selbst wenn es zuträfe, dass es effizienter ist, Emissionsreduktionen von wohlhabenden Ländern zahlen zu lassen, so würde eine solche Erwägung das Prinzip der Zahlungsfähigkeit nur unter ökonomischen Gesichtspunkten rechtfertigen. Wir suchen ein Argument, das uns verständlich macht, warum Wohlstand bzw. Zahlungsfähigkeit für sich genommen ein ausschlaggebender moralischer Faktor bei der Verteilung der klimapolitischen Lasten sein sollte. Wie kann man das näher erklären? Die moralische Grundlage des Prinzips der Zahlungsfähigkeit wird besonders gut verständlich, wenn man es einem anderen Verteilungsprinzip gegenüberstellt. Stellen wir uns
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Teil III Wie sollen wir die Pflichten verteilen? Globale Gerechtigkeit
dazu drei Personen (Alf, Bea und Cid) vor, die jeweils unterschiedlich wohlhabend sind: Alf besitzt 60 Euro pro Tag, Bea 40 und Cid 20 (vgl. Tabelle 1). Diese drei Personen müssen gemeinsam eine kleine Windkraftanlage finanzieren, die 60 Euro pro Tag kostet. Wie sollte man die finanziellen Lasten verteilen? Wenn man die Lasten einfach absolut gesehen gleich aufteilt (Verteilung V-1 in Tabelle 1), müsste jeder 20 Euro pro Tag bezahlen. Das wäre offenkundig ungerecht, denn dann bliebe Cid gar nichts mehr übrig, um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Man könnte als Alternative dazu die relativen finanziellen Lasten gleich aufteilen (Verteilung V-2 in Tabelle 1): Wenn die Gemeinschaft der drei zusammengenommen ein Einkommen von 120 Euro pro Tag hat und 60 Euro – also 50 Prozent des Einkommens – für die Windkraftanlage aufbringen muss, dann könnte ja einfach jeder 50 Prozent seines Einkommens abgeben. Doch auch das könnte ungerecht sein: Wenn man nämlich genau 10 Euro pro Tag benötigt, um genug zum Überleben zu haben, dann wäre Cid bei dieser Verteilung gezwungen, sein Dasein an genau dieser Grenze zu fristen.
Tabelle 1: Beispiel zur Verteilungswirkung des Prinzips der Zahlungsfähigkeit Person
Einkommen (EUR/Tag)
V-1
V-2
V-3
Last Rest
Last Rest
Last
V-4 Rest
Last
Rest
Alf
60
20
40
30
30
2/ 3
× (60–10) = 33
27
20 + (2/3 × 10)
33
Bea
40
20
20
20
20
2/ 3
× (40–10) = 20
20
20 + (1/3 × 10)
17
Cid
20
20
0
10
10
2
/3 × (20–10) =7
13
20–10
10
120
60
60
60
60
60
60
60
60
Gerechter scheint es zuzugehen, wenn man die Lasten entsprechend der Zahlungsfähigkeit von Alf, Bea und Cid verteilt und dafür sorgt, dass niemand unter die genannte Schwelle rutscht – dass also jeder genug hat. Diese Formulierung erinnert an die Suffizienzforderung aus Kapitel 7; dort ging es um ein Prinzip der intergenerationellen Gerechtigkeit, wonach wir zukünftigen Generationen schulden, dass es ihnen „ausreichend gut“ geht. Diese Vorstellung einer moralisch bedeutsamen „Schwelle“ des Wohlergehens kann man natürlich auch auf Fragen der intragenerationellen Gerechtigkeit übertragen und genau das tut das Prinzip der Zahlungsfähigkeit: „Wer hat, der muss, und wer nicht hat, der muss auch nicht“ bedeutet, dass jeder in dem Maße, in dem er mehr als genug hat, auch Lasten tragen muss, und dass niemand so viel leisten muss, dass ihm weniger als genug bleibt. Gerecht ist eine Verteilung der klimapolitischen Lasten also, wenn es jedem gut genug geht und wenn jeder in dem Maße, in dem er über der Schwelle lebt, auch mehr leistet. Das wirft natürlich die Frage auf, wie man die Suffizienzschwelle genau bestimmt: Wann hat man genug? Wenn es um die Vermeidung des Klimawandels und die Aufteilung des ver-
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bleibenden Emissionsbudgets geht, kann man beispielsweise auf die Idee der sogenannten „Subsistenzemissionen“ zurückgreifen (vgl. Shue 1993): Das sind diejenigen Emissionen, die für das Überleben, ein minimal anständiges oder menschenwürdiges Leben, zur Deckung der wichtigsten menschlichen Grundbedürfnisse und zur Wahrung der Menschenrechte nötig sind (darüber hinausgehende Emissionen wären „Luxusemissionen“). Bei der Verteilung des Emissionsbudgets kommt es dann darauf an, dass allen ihre Subsistenzemissionen gewährt werden. Man kann die Schwelle aber auch finanziell ausdrücken, also als ein Einkommen, das nötig ist, um ein menschenwürdiges Leben zu führen, in dem die wichtigsten menschlichen Grundbedürfnisse befriedigt sind. Natürlich ist es in beiden Fällen nicht einfach, diese Schwelle exakt in Tonnen von Treibhausgasen oder in einer Geldwährung auszudrücken (das ist bereits ein erster Hinweis darauf, dass das Prinzip der Zahlungsfähigkeit vielleicht doch nicht so einfach in die Praxis umzusetzen ist wie zunächst vermutet). Zur Orientierung kann vielleicht der Wert dienen, den der sogenannte Greenhouse Development Rights-Ansatz (der das Prinzip der Zahlungsfähigkeit stark macht) angibt: 7500 US-Dollar pro Person pro Jahr (Baer u. a. 2008: 41ff.). Wie aber sähe nun eigentlich eine Verteilung nach dem Prinzip der Zahlungsfähigkeit aus, wenn man diese Schwelle berücksichtigt? Der Einfachheit halber gehen wir in unserem Beispiel davon aus, dass die Suffizienzschwelle für Alf, Bea und Cid jeweils bei 10 Euro pro Tag liegt. Dann könnte man die relativen Lasten bezogen auf das über der Suffizienzschwelle liegende Einkommen gleich verteilen: Das Einkommen der drei Personen, das jeweils über der Suffizienzschwelle liegt, beträgt zusammen genommen (50 + 30 + 10 =) 90 Euro pro Tag; insgesamt müssen 60 Euro pro Tag, also zwei Drittel davon, für die Windkraftanlage aufgebracht werden. Also würde man von jedem zwei Drittel des über der Suffizienzschwelle liegenden Einkommens abziehen und jeder hätte dann noch das verbleibende Drittel plus seine jeweilige Suffizienzschwelle. Dies ergäbe die Verteilung V-3 in Tabelle 1. So könnte man verteilen, wenn man im Sinne des Prinzips der Zahlungsfähigkeit dem suffizientaristischen Element Rechnung tragen wollte. Man muss aber keineswegs so verteilen, um dem Suffizientarismus gerecht zu werden. Man könnte zunächst auch von allen Beteiligten den gleichen absoluten Finanzierungsbeitrag (also 20 Euro pro Tag) einsammeln, sofern sie damit nicht unter die Suffizienzschwelle rutschen, und dann in einem zweiten Schritt das Einkommen derer, die dabei unter die Suffizienzschwelle rutschen würden, durch zusätzliche Beiträge der übrigen (im Verhältnis zu ihrem jeweiligen Wohlstand) auf die Suffizienzschwelle aufstocken. Wir würden also im ersten Schritt bei Verteilung V-1 landen und im zweiten Schritt würde Cids zu geringes Einkommen um 10 Euro pro Tag auf die Suffizienzschwelle aufgestockt, wobei Alf, der nach dem ersten Schritt doppelt so viel Einkommen hat wie Bea, auch einen doppelt so großen Anteil wie Bea an diesem Aufstockungsbetrag von 10 Euro zahlen müsste. Schlussendlich ergäbe sich die Verteilung V-4 in Tabelle 1. Auch bei einer derartigen Verteilung wäre sichergestellt, dass niemand unter die Suffizienzschwelle fällt. Der im Prinzip der Zahlungsfähigkeit enthaltene Suffizientarismus ist also mit verschiedenen Verteilungen vereinbar. Dennoch scheint die Verteilung V-3 eher dem „Geist“ dieses Prinzips zu entsprechen. Das liegt daran, dass sie gegenüber V-4 von weniger Ungleichheit zwischen der reichsten und der ärmsten Person geprägt ist. Das Prinzip der Zahlungsfähigkeit
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Teil III Wie sollen wir die Pflichten verteilen? Globale Gerechtigkeit
scheint somit zusätzlich ein egalitaristisches Element zu enthalten: Oberhalb der Suffizienzschwelle sollten die relativen Lasten wie in V-3 gleich verteilt werden; damit wird zwar Wohlstand insgesamt nicht ganz gleich, aber doch weniger ungleich verteilt. So gesehen drückt das Prinzip der Zahlungsfähigkeit eigentlich eine Kombination aus zwei moralischen Leitideen aus: Suffizienz auf der einen, Gleichheit auf der anderen Seite. Wie überzeugend ist diese Kombination?
Kritische Diskussion Eine erste Komplikation tritt zutage, wenn man sich daran erinnert, dass die Verteilung letztlich zwischen Individuen erfolgen soll und darum eigentlich die individuelle Zahlungsfähigkeit das moralisch relevante Kriterium ist. Würde man nämlich einfach die Zahlungsfähigkeit von Staaten (z. B. anhand des durchschnittlichen Pro-Kopf-Einkommens) betrachten, so würde dies die Wohlstandsverteilung innerhalb eines Landes völlig ignorieren: Ein wohlhabender Chinese kann durchaus reicher sein als ein armer Italiener und darum sollte jener auch mehr Lasten tragen als dieser. Doch würde man allein nach dem Durchschnittseinkommen des jeweiligen Landes gehen, so würde der reiche Chinese weniger zum Klimaschutz beitragen müssen als der arme Italiener, und das scheint ungerecht. Plausibel ist das Prinzip der Zahlungsfähigkeit also nur, wenn man es auf Individuen bezieht. Doch damit büßt das Prinzip zugleich an praktischer Anwendbarkeit ein, denn für eine gelungene Anwendung müsste man über den Wohlstand jedes Individuums genaue Informationen haben. Eine zweite Komplikation hat mit dem Status des Prinzips zu tun. Ethiker sprechen bisweilen davon, dass aus einem Sollen ein Können folgt, und meinen damit, dass man nur verpflichtet ist, etwas zu tun, wenn man es auch tun kann. Wenn man z. B. nicht laufen kann, kann man in einem Notfall auch nicht verpflichtet sein, loszulaufen und Hilfe zu holen. Aber aus einem Können folgt nicht unbedingt auch ein Sollen: Nicht immer, wenn man etwas tun kann, ist man auch verpflichtet, es zu tun; dass Sie Klavier spielen oder gut kochen können, heißt nicht, dass sie dies auch tun sollten – es steht ihnen frei, es zu tun oder zu lassen. Das gilt selbst für den Fall der Hilfeleistung: Allein aufgrund der Tatsache, dass jemand in der besonders privilegierten Situation ist, jemandem helfen zu können, folgt für sich genommen noch nicht, dass er moralisch dazu verpflichtet ist – jedenfalls nicht in dem Sinne, dass der Hilfsbedürftige darauf einen Anspruch hat (vgl. Thomson 1971). Wenn Sie eine Briefmarke besitzen und ein Ihnen unbekannter Spanier depressiv geworden ist, weil er ausgerechnet Ihre Briefmarke unbedingt besitzen will, so sind Sie in einer besonders privilegierten Lage, ihm zu helfen. Und es wäre ohne Zweifel großzügig und nett, wenn Sie es täten, doch verlangen kann man es nicht – der Spanier hat einfach keinen Anspruch darauf, dass Sie ihm die Briefmarke schenken. Diese Handlung geht vielmehr über das hinaus, wozu Sie verpflichtet sind; sie ist eine sogenannte „supererogatorische“ Handlung. Doch wenn im Allgemeinen die Tatsache, dass man etwas tun kann, nicht impliziert, dass man dazu verpflichtet ist, sondern auch auf eine supererogatorische Forderung hinauslaufen kann, dann kann man sich auch im Kontext des Klimawandels fragen, ob eine Verteilung der klimapolitischen Lasten gemäß der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit nicht eher eine supererogatorische Forde-
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rung denn eine Pflicht der Gerechtigkeit ist. Sind die Reichen wirklich verpflichtet, sich im Verhältnis zu ihrem Wohlstand am Klimaschutz zu beteiligen, oder wäre es einfach nur anständig und nett? Begeht man wirklich ein Unrecht, wenn man der Forderung des Prinzips der Zahlungsfähigkeit nicht nachkommt, oder tut man dann einfach nur weniger, als man idealerweise tun könnte? Letzteres wäre zwar bedauerlich, aber nicht verwerflich. Es ist also nicht klar, welchen Status die im Prinzip der Zahlungsfähigkeit ausgedrückte Forderung eigentlich hat. Eine dritte Komplikation betrifft die Verteilung der klimapolitischen Lasten unter den wohlhabenden Ländern (Page 2011a: 418f.). Wenn allein die Zahlungsfähigkeit eines Landes ausschlaggebend ist, dann differenziert das Prinzip nicht zwischen reichen „Klimasündern“ und reichen „Klimaschützern“. Deutschland und Australien haben z. B. ein ähnliches ProKopf-Bruttoinlandsprodukt, aber die Pro-Kopf-Emissionen in der jüngeren Vergangenheit und die historischen Gesamtemissionen seit 1900 unterscheiden sich deutlich. Ein spiegelbildliches Problem gibt es bei den ärmeren Ländern: Auch hier kann das Prinzip nicht zwischen armen Ländern mit verantwortungsvoller Klimapolitik und armen Ländern mit verantwortungsloser Klimapolitik unterscheiden. Es scheint aber unfair, alle Länder mit einem gleichermaßen gut gefüllten Konto über einen Kamm zu scheren und dabei die unterschiedlichen Verantwortlichkeiten unberücksichtigt zu lassen. Diese dritte Komplikation deutet auf ein grundlegenderes Problem hin: Das Prinzip der Zahlungsfähigkeit ist ein ahistorisches Verteilungsprinzip, und damit steht es von vornherein in Spannung zu einer historischen Erwägung wie der Verantwortung für das Problem des Klimawandels. Zwar könnte man angesichts der gescheiterten Versuche, die historische „Vererbung“ von Pflichten und Ansprüchen plausibel zu machen, geneigt sein, ganz auf die Idee der Verantwortung zu verzichten. Aber das hieße, das Kind mit dem Bade auszuschütten, denn es ist nicht von der Hand zu weisen, dass die unterschiedliche Verantwortung der Länder eine gewisse Rolle bei der Verteilung der Lasten spielen sollte. Ideal wäre es also, das Prinzip der Zahlungsfähigkeit mit dem Aspekt der Verantwortung – z. B. in Form des Verursacherprinzips – kombinieren zu können. Wie könnte eine solche Kombination aussehen? Eine Möglichkeit hält daran fest, die Lasten im Verhältnis zum Wohlstand zu verteilen, erhöht oder verringert diese Anteile aber je nach Verantwortung – d. h. je nachdem, wie emissionsintensiv der Wohlstand des betreffenden Landes zustande gekommen ist (vgl. die Diskussion bei Caney 2010a: 215). Dieser Vorschlag handelt sich allerdings einige der Probleme des Nutznießerprinzips ein, denn er bringt (über den Begriff „zustande kommen“) die Quellen des heutigen Wohlstands ins Spiel. Und damit stellen sich mehrere uns bereits vertraute Fragen: Welcher Teil des heutigen Wohlstands beruht auf vergangenen Emissionen, welcher auf harter Arbeit und welcher auf anderem historischen Unrecht (wie Sklaverei)? Ist der Wohlstand Chinas durch graue Emissionen emissionsintensiv zustande gekommen oder haben eher die Länder, die Chinas Waren importiert haben, profitiert? Und ist nicht auch ein Teil des gegenwärtigen Wohlstands im Süden aufgrund von Spill-over-Effekten der Wirtschaftstätigkeit der Industrieländer „indirekt emissionsintensiv“ zustande gekommen? Beim Versuch, das Verursacherprinzip und das Prinzip der Zahlungsfähigkeit zu vereinen, steckt der Teufel somit wohl im Detail.
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Fazit In diesem Kapitel haben wir das Prinzip der Zahlungsfähigkeit näher untersucht. Es besagt, dass die klimapolitischen Lasten (gleich welcher Art) unter allen Individuen so verteilt werden sollen, dass sie im Verhältnis zu deren jeweiliger – über der Suffizienzschwelle liegenden – Zahlungsfähigkeit stehen und das Wohlergehen somit insgesamt weniger ungleich verteilt wird. Diese Antwort auf die dritte klimaethische Leitfrage basiert damit auf zwei großen moralischen Ideen: Suffizienz und Gleichheit. Das Prinzip der Zahlungsfähigkeit ist insofern ahistorisch, als es von Erwägungen der Vergangenheit absieht. Das Prinzip der Zahlungsfähigkeit hat einige pragmatische Vorteile und ist kaum grundlegenden Einwänden ausgesetzt. Die vorgebrachten Bedenken betreffen eher Komplikationen, etwa in der Anwendung auf Individuen oder hinsichtlich der Frage, ob es mehr als eine supererogatorische Forderung ausdrückt (vgl. Argumente-Box 12). Die größte Schwierigkeit scheint aus dem ahistorischen Charakter des Prinzips zu resultieren: Am Beispiel der Lastenaufteilung unter den wohlhabenden Ländern (und spiegelbildlich auch unter den armen Ländern) wurde deutlich, dass es den Aspekt der Verantwortung für das Problem nicht angemessen berücksichtigt. Und es ist nicht ohne Weiteres ersichtlich, wie sich dieser Aspekt der Verantwortung in das Prinzip integrieren lässt.
Argumente-Box 12: Das Prinzip der Zahlungsfähigkeit Das Prinzip der Zahlungsfähigkeit beantwortet die dritte klimaethische Leitfrage „(1) Was kommt (2) wem (3) warum zu?“ so: (1) Sowohl die Adaptations- und Kompensationsals auch die Mitigationskosten sollen (2) unter allen Individuen so verteilt werden, dass (3) jeder im Verhältnis zu seinem über der Suffizienzschwelle liegenden Wohlstand Lasten trägt. Diese ahistorische Antwort ist mit drei Schwierigkeiten konfrontiert: 1. In der Anwendung auf Individuen ist das Prinzip auf sehr detaillierte Informationen über die individuelle ökonomische Situation sowie auf eine umstrittene Bestimmung der Suffizienzschwelle (in Tonnen von Treibhausgasen oder in einer Geldwährung) angewiesen. 2. Es ist nicht abschließend klar, ob das Prinzip wirklich eine Pflicht der Gerechtigkeit oder lediglich eine supererogatorische Forderung zum Ausdruck bringt. 3. Das Prinzip der Zahlungsfähigkeit berücksichtigt die Verantwortung für die Verursachung des Problems nicht und kann darum jeweils innerhalb der wohlhabenden Staaten und innerhalb der armen Staaten nicht zwischen Klimaschützern und Klimasündern differenzieren. Eine Erweiterung des Prinzips um das Verursacherprinzip scheint einerseits nötig, andererseits aber handelt sich ein naheliegender Vorschlag bereits bekannte Probleme des Nutznießerprinzips ein. Alles in allem betrachtet ist das Prinzip der Zahlungsfähigkeit somit verhältnismäßig überzeugend, auch wenn noch unklar bleibt, ob – und wenn ja: wie – es mit dem Aspekt der Verantwortung zu kombinieren ist.
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Das Prinzip der Zahlungsfähigkeit enthält, wie wir gesehen haben, neben dem suffizientaristischen Element auch eine egalitaristische Tendenz. Doch von der Idee der Gleichheit war bei den bisher diskutierten Prinzipien erstaunlich selten die Rede. Im folgenden Kapitel wollen wir prüfen, ob sich von dieser Idee ausgehend eine befriedigende Antwort auf die dritte klimaethische Leitfrage formulieren lässt.
15 Emissionsegalitarismus: den Kuchen gleich aufteilen Man könnte zu bedenken geben, dass wir die vielleicht einfachste Antwort auf die dritte klimaethische Leitfrage noch gar nicht ins Spiel gebracht haben: Sollte man das verbleibende Emissionsbudget nicht einfach unter allen derzeit lebenden Menschen gleich aufteilen? Jeder bekäme sozusagen ein gleich großes Stück des „Emissionskuchens“ – ein Kleinkind aus Kalkutta ebenso wie der Manager aus New York. Wäre diese Gleichverteilung nicht die einfachste und gerechteste Lösung? Tatsächlich hat dieser Vorschlag eine Reihe von Befürwortern, in der ethischen Fachdiskussion ebenso wie in der internationalen Klimapolitik. Der sogenannte „Contraction & Convergence“-Ansatz beispielsweise verfolgt das Ziel, die derzeitig eklatant unterschiedlichen Pro-Kopf-Emissionen in den einzelnen Staaten über einen gewissen Zeitraum anzugleichen (vgl. dazu Meyer 2000). Auch bekennen sich verschiedene politikberatende Institute – etwa der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) mit dem sogenannten „Budgetansatz“ (WBGU 2009) – zu dieser Art des „Emissionsegalitarismus“. Wie kaum ein anderer der bisher diskutierten Vorschläge scheint der Emissionsegalitarismus bestechend einfach umsetzbar zu sein: Man berechnet das Budget von Treibhausgasemissionen, das uns zur Vermeidung eines gefährlichen Klimawandels z. B. bis zur Mitte dieses Jahrhunderts noch verbleibt, und teilt es durch die Anzahl der auf der Erde lebenden Personen. Folgt man etwa den Berechnungen des WBGU, so darf um 2050 jeder Mensch in etwa eine Tonne CO2 pro Jahr emittieren. Ist das nun viel oder wenig? Es ist in etwa so viel, wie ein durchschnittlicher Pakistaner derzeit jährlich emittiert – aber nur rund ein Neuntel dessen, was der durchschnittliche Deutsche derzeit pro Jahr in die Atmosphäre ausstößt (graue Emissionen nicht mit eingerechnet). Wenn man bedenkt, dass ein Hin- und Rückflug von Frankfurt nach San Francisco mit drei bis vier Tonnen CO2 zu Buche schlägt, kann man sich ausmalen, was es für unseren Lebensstil bedeuten würde, die Emissionen für alle Menschen auf das gleiche Niveau von einer Tonne zu senken – es wäre vermutlich mit drastischen Veränderungen verbunden. Das ist Anlass genug, sich genauer zu fragen, wie plausibel der Emissionsegalitarismus ist.
Normative Grundlagen Es sind vor allem drei Gründe, die den Emissionsegalitarismus attraktiv machen. Zunächst einmal scheint er, wie bereits gesagt, unter pragmatischen Gesichtspunkten unschlagbar zu sein, weil es so einfach ist, die genaue Höhe der Verteilungsansprüche zu berechnen: Man teilt das verbleibende Emissionsbudget durch die Anzahl der Erdbewohner. Anders als bei
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den zuvor diskutierten Vorschlägen muss man sich nicht erst noch fragen, wer in der Vergangenheit viel oder wenig emittiert hat, ob jemand zahlungskräftig oder arm ist, in welchem Maße jemand von vergangenen Emissionen profitiert hat usw. Das Verteilungsprinzip des Emissionsegalitarismus kommt mit vergleichsweise wenigen und leicht verfügbaren Informationen aus. Zugegebenermaßen ist es nicht ganz leicht für die Klimawissenschaftler, die Höhe des verbleibenden Emissionsbudgets zu berechnen; aber das ist ein Problem, das alle Verteilungsprinzipien haben, in denen das verbleibende Emissionsbudget das zu verteilende Gut ist. Nun könnte man einwenden, dass diese praktischen Vorteile des Emissionsegalitarismus zwar schön und gut seien, aber letztlich die falsche Art von Gründen liefern: Wir suchen ein gerechtes Verteilungsprinzip, nicht ein praktisches. Möglicherweise sollte eine gerechte Lösung auch praktisch umsetzbar sein, aber nicht jede praktische Lösung für ein Verteilungsproblem ist auch gerecht (wenn Sie auf einem Kindergeburtstag einen Kuchen unter den Kindern so aufteilen, dass alles einem Kind zukommt, dann wäre das aus praktischer Perspektive sehr einfach, aber im Normalfall natürlich nicht gerecht). Dass die praktischen Vorteile des Emissionsegalitarismus aber auch unter Gesichtspunkten der Gerechtigkeit attraktiv sind, sieht man, wenn man den Emissionshandel einbezieht (mehr dazu in Kap. 19): Beim Emissionshandel kann derjenige, der für seinen Lebensstil zusätzliche Emissionsrechte braucht, sie jemandem abkaufen, der sie nicht braucht und bereit ist, sie zu verkaufen. Wenn wir nun miteinbeziehen, dass die derzeitigen Pro-Kopf-Emissionen in den Industrieländern wesentlich höher sind als in den Entwicklungsländern, und wenn wir allen Menschen auf der Erde die gleichen Emissionsrechte zuteilen würden, so müssten die Industrieländer den Entwicklungsländern in großem Umfang Emissionsrechte abkaufen, um mit ihrem Lebensstil annäherungsweise fortfahren zu können. Der Emissionsegalitarismus führt somit zusammen mit dem Emissionshandel zu einem großen Wohlstandstransfer von den Industrie- in die Entwicklungsländer – und das scheint doch nur gerecht. Dieser zweite Grund für den Emissionsegalitarismus ist zwar tatsächlich ein Grund der richtigen Art – er zielt auf Gerechtigkeit statt bloß auf praktische Umsetzbarkeit ab. Allerdings ergibt sich dieser Grund nicht aus dem vorgeschlagenen Verteilungsprinzip (dem Emissionsegalitarismus) selbst, sondern eher aus dem Emissionshandel: Jedes Verteilungsprinzip, das den Industrieländern weniger und den Entwicklungsländern mehr als ihre derzeitigen Pro-Kopf-Emissionen zuspricht, würde in Kombination mit dem Emissionshandel zu einem großen Wohlstandstransfer vom „Norden“ in den „Süden“ führen. Und wie wir gesehen haben implizieren – mit Ausnahme des Grandfathering-Prinzips – eigentlich alle diskutierten Prinzipien genau dies. Dass der Emissionsegalitarismus (zusammen mit dem Emissionshandel) einen Wohlstandstransfer nach sich zieht, spricht unter Gerechtigkeitsgesichtspunkten zwar sicher nicht gegen ihn – aber eben auch nicht zwingend für ihn. Der eigentliche moralische Kern des Emissionsegalitarismus liegt weder in seiner vermeintlich bestechenden Einfachheit noch im daraus folgenden Wohlstandstransfer. Die Grundidee des Emissionsegalitarismus liegt vielmehr darin, dass die Atmosphäre, die man als Senke für Emissionen nutzt, allen Menschen gehört und niemand einen vorrangigen Nutzungsanspruch hat – so dass eben alle Menschen in gleichem Maße die Atmosphäre nutzen dürfen. Und darum sollten die verbleibenden Emissionen unter allen Menschen gleich verteilt werden. Man kann diese Vorstellung vielleicht an einem Beispiel etwas plastischer wer-
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Teil III Wie sollen wir die Pflichten verteilen? Globale Gerechtigkeit
den lassen. Nehmen wir an, ein 200-Seelen-Dorf habe einen schönen See, der sich gut zum Baden eignet. Allerdings kann man nicht mehr im See baden, wenn er zu intensiv genutzt wird: Bei mehr als 2000 Badebesuchen im Sommer wird das Wasser trübe, dreckig und der See droht zu kippen. Wäre es nicht gerecht, wenn man einfach jedem Dorfbewohner eine Zehnerkarte für den See gäbe (mit der er dann tun und lassen kann, was er will)? Wäre das nicht gerecht, gerade weil der See doch allen Dorfbewohnern gehört? Wer so für einen „Badeegalitarismus“ argumentiert, der trifft mehrere Aussagen. Erstens sagt er, dass der See tatsächlich allen gehört. Das allein reicht aber nicht aus; denn es ist ja möglich, dass der See sich vormals im Besitz eines Kurfürsten befand und die Dorfbewohner ihn dem Kurfürsten abgekauft haben, wobei jeder Bewohner einen unterschiedlichen Beitrag gezahlt hat und dafür auch einen unterschiedlichen Anteil am See bekommen hat. Dann wäre der See eher wie eine Aktiengesellschaft zu verstehen: Es gäbe mehrere Eigentümer mit unterschiedlichen Besitzanteilen. Wer also den Vorschlag mit der Zehnerkarte unterstützen möchte, muss eher sagen, dass der See allen gleichermaßen gehört. Und aus diesen gleichen Besitzverhältnissen sollen nun auch gleiche Nutzungsverhältnisse folgen. Deshalb muss man zweitens auch behaupten, dass etwas, das allen gleichermaßen gehört, auch gleich genutzt werden sollte. Und wenn Nutzung in diesem Zusammenhang „Baden“ (und z. B. nicht „Waschen“) heißt, dann scheint zu folgen, dass man die verbleibenden Badebesuche unter allen gleich verteilen sollte – jeder bekommt also eine Bade-Zehnerkarte. Wenn man diese Überlegungen auf die Atmosphäre überträgt, dann sieht das Argument für den Emissionsegalitarismus folglich so aus: 1. Die Atmosphäre gehört allen gleichermaßen. 2. Wenn etwas allen gleichermaßen gehört, dann sollte man seine Nutzung gleich verteilen. 3. Die Nutzung der Atmosphäre verteilt man gleich, wenn man die verbleibenden Emissionen gleich verteilt. Ist der so gestützte Emissionsegalitarismus überzeugend?
Kritische Diskussion Eine erste Komplikation tritt zutage, wenn man sich fragt, zwischen wem genau die Emissionen verteilt werden sollen. Das Beispiel mit dem Badesee war nämlich in mehreren Hinsicht stark vereinfacht. Es blendete aus, dass die Weltbevölkerung sich ständig ändert: Täglich werden viele neue Menschen geboren, andere sterben und in der Netto-Bilanz wächst die Weltbevölkerung. Nehmen wir dementsprechend an, dass das Dorf innerhalb der Badesaison von 200 auf 400 Bewohner wächst. Dann sinkt auch der Anteil an Badebesuchen, der jedem Bewohner nach der Berechnung eigentlich zusteht (von anfangs zehn auf fünf Badebesuche am Ende der Saison). Dieser zeitliche Aspekt wirft eine weitere Komplikation auf: Nehmen wir an, dass Alfred von Geburt bis zu seinem frühen Tod 40 Jahre im Dorf lebt, Bibi hingegen 80 Jahre. Wenn beide pro Badesaison zehn Badebesuche zur Verfügung haben, dann könnte Alfred den See also 400 Mal in seinem Leben nutzen, Bibi hingegen doppelt so oft. Noch komplizierter wird es, wenn man berücksichtigt, dass die Badekapazität des Sees über die Zeit hinweg ebenfalls variiert (so, wie auch die Kapazität der Atmosphäre, Treibhausgase ohne einen moralisch
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problematischen Klimawandel aufzunehmen, in Abhängigkeit von den bisher ausgestoßenen Emissionen über die Zeit hinweg variiert): Je nach Entwicklung der Pflanzen- und Tierpopulationen im See und je nach Wetterlage wird der See in manchen Jahren lediglich 1000 Badebesuche verkraften, in anderen Jahren hingegen 3000. Bei einer konstanten Einwohnerzahl könnte jeder in manchen Jahren fünf, in anderen fünfzehn Mal baden. Die Verteilung der Badebesuche über die Lebenszeit würde dann noch ungleicher ausfallen. Würde das noch der Intuition gerecht, dass der See den Dorfbewohnern gleichermaßen gehört und darum gleichermaßen von ihnen genutzt werden können sollte? Oder müsste man nicht vielmehr die Nutzung über die erwartete Lebenszeit (statt die jährliche Nutzung) gleich verteilen? Wenn man diese Überlegungen auf die Atmosphäre überträgt, dann wäre der „gleiche“ Anteil, der jedem Menschen zusteht, äußerst schwierig zu berechnen – wir bräuchten viel mehr Informationen über die vergangenen und zukünftigen Weltbevölkerungszahlen, über die Lebenserwartung der Menschen sowie über die Entwicklung der Aufnahmekapazität der Atmosphäre. Von der vermeintlichen Einfachheit und praktischen Umsetzbarkeit des Emissionsegalitarismus bleibt dann nicht mehr viel übrig. Diese Komplikationen stellen sich nicht nur unter praktischen Gesichtspunkten, sondern sind auch Ausdruck eines Problems der zentralen moralischen Intuition hinter dem Emissionsegalitarismus: der Vorstellung, dass die Atmosphäre allen gleichermaßen gehört. Man könnte nämlich glauben, dass die Atmosphäre (genauso wie die Weltmeere) eigentlich nicht allen, sondern schlicht niemandem gehören. Und dann müsste das Argument für den Emissionsegalitarismus anders aussehen. Ein zweites Problem mit dem Emissionsegalitarismus hat mit dem zweiten Schritt des oben angeführten Arguments zu tun: Darin wird behauptet, dass die Eigentumsverhältnisse für sich allein genommen die Frage nach der gerechten Verteilung des Gutes bereits beantworten. Doch das scheint schon im Beispiel mit dem Badesee nicht der Fall zu sein. Die Dorfbewohner werden sich vermutlich in moralisch relevanter Hinsicht stark voneinander unterscheiden. Erstens kann es Unterschiede in der vergangenen Nutzung des Sees gegeben haben, die für die Verteilung der Baderechte eine Rolle spielen. Dass der Badesee im Durchschnitt „nur“ 2000 Badebesuche verkraftet, mag z. B. daran liegen, dass die Bewohner der umliegenden Villen ihre Abwässer regelmäßig in das Gewässer leiteten und so den Phosphatgehalt erhöhten. Sollten diese Personen dann auch dieselben Nutzungsrechte erhalten wie die Dorfbewohner, die ihre Abwässer in die Klärgrube leiteten? Es scheint vielmehr gerechter, wenn die Villenbewohner einen kleinen „Abschlag“ (vielleicht eine Achter- statt einer Zehnerkarte) für die vergangene Nutzung des Sees leisten müssen. Zweitens unterscheiden sich die Dorfbewohner auch darin, dass sie in unterschiedlichem Maß vom Badesee profitieren: Die Bewohner der umliegenden Villen verleihen im Sommer Sonnenschirme, vermieten ihre angrenzenden Parkplätze und verkaufen Eis und kühle Getränke; damit machen sie gute Gewinne aus der Nutzung des Sees durch die anderen Dorfbewohner, die nicht im selben Maße profitieren. Wäre es darum nicht fair, die Achterkarte der Villenbewohner auf eine Sechserkarte herabzustufen? Drittens unterscheiden sich die Dorfbewohner in ihren Bedürfnissen: Manche haben kein fließendes Wasser, für sie ist der Badesee eine der wenigen Möglichkeiten, sich zu waschen; andere gehen Berufen (bei der Müllabfuhr, als Automechaniker oder im Bergbau) nach, in denen sie sich häufiger waschen müssen. Die reichen Villenbewohner hingegen haben Wasser und Badewannen im Überfluss, manche gar einen Pool im eigenen Garten, und sie machen sich nur selten die
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Teil III Wie sollen wir die Pflichten verteilen? Globale Gerechtigkeit
Hände schmutzig. Und selbst wenn sie keine eigene Badewanne oder keinen eigenen Pool hätten: Die Villenbewohner könnten es sich im Gegensatz zu den ärmeren Dorfbewohnern aufgrund ihres Vermögens auch ohne Weiteres leisten, regelmäßig in ein teures Schwimmbad im nächsten Dorf zu fahren – das ist ein vierter Unterschied. Sie brauchen die Zehner-, Achteroder Sechserkarte eigentlich gar nicht, während andere sie sehr dringend brauchen. Eine differenziertere Betrachtung legt also nahe, dass man die Baderechte trotz gleicher gemeinsamer Eigentumsverhältnisse gerechterweise eher ungleich verteilen sollte. Analoges gilt auch bei der Verteilung der Nutzung der Atmosphäre. Eine einfache Gleichverteilung der Emissionsrechte berücksichtigt nicht, dass die Menschen in verschiedenen relevanten Hinsichten ungleich sind. Sie haben erstens in unterschiedlichem Maße zur Verursachung des Klimaproblems beigetragen; die Menschen in den Industrieländern haben in der Vergangenheit viel mehr emittiert als die Menschen in Entwicklungsländern. Zweitens haben Menschen aus verschiedenen Ländern aber auch in unterschiedlichem Maße von den vergangenen Emissionen profitiert. Die Errungenschaften und Wohlstandszugewinne des Nordens durch zunehmende Industrialisierung, Elektrifizierung und Digitalisierung basieren entscheidend auf einem hohen Emissionsniveau; von den vergangenen Emissionen profitieren also auch die heutigen Menschen noch. Drittens unterschieden sich auch die Bedürfnisse zwischen den Ländern, weil manche stärker auf Emissionen angewiesen sind als andere: Im hohen Norden und im Gebirge muss man für einen gewissen Lebensstandard mehr heizen, in Äquatornähe muss man für denselben Standard mehr kühlen. Für ein bestimmtes Maß an Mobilität muss man in Ländern mit schwach entwickelter Infrastruktur auf emissionsintensive Verkehrsmittel zurückgreifen, in anderen kann man ein mit Solarstrom betriebenes Elektroauto benutzen. Und viertens schließlich sind die verschiedenen Länder auch in unterschiedlichem Maße in der Lage, die Nutzung der Atmosphäre zu vermeiden. Menschen aus den westlichen Ländern stehen aufgrund ihres Wohlstands durchschnittlich mehr Mittel zur Verfügung, emissionsärmere Mobilitätstechnologien einzusetzen oder teureren und dafür unter Klimagesichtspunkten „saubereren“ Strom zu beziehen. Nimmt man all diese Aspekte zusammen, dann scheint es eigentlich nicht länger gerecht, dass einem Menschen in der Sahara, in Sibirien oder in Bangladesch dasselbe Emissionsvolumen zustehen sollte wie einem Mitteleuropäer oder US-Amerikaner. Eher scheinen den Menschen aus den westlichen Industrienationen deutlich weniger als die eingangs angesprochene eine Tonne CO2 pro Kopf und Jahr zuzustehen. Selbst wenn der Emissionsegalitarismus also unter praktischen Gesichtspunkten eine „einfache“ Lösung wäre (was, wie wir gesehen haben, bei genauerer Betrachtung sowieso zweifelhaft ist): Die Kehrseite der Einfachheit ist Vereinfachung, und der Emissionsegalitarismus macht es sich zu einfach, weil er bei der Verteilung des Emissionsbudgets nur eine einzige Erwägung (die Eigentumsverhältnisse) berücksichtigt, von vielen anderen moralisch relevanten Erwägungen aber absieht.
Fazit Dieses Kapitel hat eine auf den ersten Blick bestechend einfache und praktikable Antwort auf die dritte klimaethische Leitfrage genauer untersucht: Dem Emissionsegalitarismus zufolge
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besteht die gerechte Verteilung des verbleibenden Emissionsbudgets darin, dass alle Menschen gleiche Pro-Kopf-Emissionsrechte haben. Diese Idee stützt sich vor allem auf die Vorstellung gleichen gemeinsamen Eigentums an der Atmosphäre – die Idee, dass die Atmosphäre (um deren Nutzung es bei der Verteilung des verbleibenden Emissionsbudgets geht) allen Menschen gleichermaßen gehört. Bei genauerer Betrachtung hat sich allerdings gezeigt, dass der Emissionsegalitarismus – wenn man ihn konsequent umsetzt – kaum praktikabler ist als andere Prinzipien, weil man die jeweiligen jährlichen Emissionsrechte einer Person aufgrund einer Vielzahl von Angaben sehr aufwendig berechnen müsste. Zudem hielt das zentrale dreischrittige Argument für den Emissionsegalitarismus einer genaueren Prüfung nicht stand (vgl. Argumente-Box 13). Die Diskussion legte dabei nahe, dass der Emissionsegalitarismus in mehreren Hinsichten zu stark vereinfacht: Unterschiede in den Verantwortlichkeiten für das Problem, den Vorteilen aus der Verursachung des Problems, den Fähigkeiten zur Bewältigung des Problems, aber auch Unterschiede in Bedürfnissen finden keine Beachtung; insbesondere bezieht das Prinzip historische Emissionen nicht mit ein. Und damit wird der Emissionsegalitarismus unter moralischen Gesichtspunkten unplausibel.
Argumente-Box 13: Der Emissionsegalitarismus Der Emissionsegalitarismus beantwortet die dritte klimaethische Leitfrage „(1) Was kommt (2) wem (3) warum zu?“ so: (1) Die verbleibenden Emissionen sollen (2) unter allen Menschen gleich aufgeteilt werden, weil (3) die Atmosphäre allen Menschen gleichermaßen gehört. Für dieses Prinzip scheinen drei Gründe zu sprechen, die allerdings alle widerlegt werden können: 1. „Der Emissionsegalitarismus ist einfach und darum praxistauglich.“ – Entgegnung: Zum einen ist Praktikabilität die falsche Art von Grund, wenn man nach einer gerechten Lösung eines Verteilungsproblems sucht. Zum anderen zeigt sich bei genauerer Betrachtung, dass die gleichen Anteile gar nicht so leicht zu berechnen sind, weil sich die Bevölkerung und das zu verteilende Emissionsbudget über die Zeit ändern. 2. „Der Emissionsegalitarismus führt zusammen mit dem Emissionshandel zu einem großen Wohlstandstransfer vom reichen Norden in den armen Süden.“ – Entgegnung: Das liegt nicht am Emissionsegalitarismus, sondern am Emissionshandel; jedes Verteilungsprinzip, das den Industrieländern im Vergleich zum Status quo weniger zuspricht als den Entwicklungsländern, hätte unter Einbezug des Emissionshandels diesen Effekt. 3. „Die Atmosphäre gehört allen gleichermaßen. Also sollte man auch ihre Nutzung (d. h. die Emissionsrechte) gleich verteilen.“ – Entgegnung: Die Atmosphäre gehört vielleicht eher niemandem als allen. Und selbst wenn doch, so folgen aus gleichen Eigentumsverhältnissen nicht unbedingt auch gleiche Nutzungsrechte. Eine Reihe weiterer relevanter Erwägungen (Verantwortung, Bedürfnisse, Fähigkeiten, Vorteile) sprechen eher für eine Ungleichverteilung der Nutzung trotz gleicher Eigentumsverhältnisse. Letztlich spricht also wenig für und vieles gegen den Emissionsegalitarismus. Das Prinzip „Den Emissionskuchen gleich aufteilen“ ist somit ebenfalls unhaltbar.
16 Ein weitreichender Vorschlag Blicken wir kurz zurück: Als Antwort auf die dritte klimaethische Leitfrage haben wir ein Verteilungsprinzip gesucht, das uns sagt, wem bei der Verteilung der klimawandelbezogenen Vor- und Nachteile was warum zusteht. Wir haben insgesamt fünf Prinzipien diskutiert, drei davon waren historisch ausgerichtet, zwei waren eigentlich nur für die Verteilung der Adaptations- und Kompensationskosten plausibel. Alle Prinzipien führten jeweils sehr unterschiedliche Erwägungen ins Feld. Tabelle 2 fasst die wesentlichen Merkmale der diskutierten Prinzipien (in ihrer jeweils plausibelsten Lesart) noch einmal zusammen.
Tabelle 2: Die fünf diskutierten Verteilungsprinzipien im Überblick Prinzip
historisch? zu verteilendes Gut
leitende Erwägung
Grandfathering
Ja
Emissionsreduktionen (Mitigationslasten)
Gewohnheitsrecht; Schutz legitimer Erwartungen
Verursacherprinzip
Ja
Adaptations- und Kompensationslasten
Verantwortung für ein Problem
Nutznießerprinzip
Ja
Adaptations- und Kompensationslasten
Profitieren von Unrecht
Prinzip der Zahlungsfähigkeit
nein
Adaptations- und finanzielle Mitigationslasten
Suffizienz (+ Gleichheit)
Emissionsegalitarismus
nein
verbleibendes Budget (Mitigationslasten)
Gleichheit
An diesem Rückblick fallen mehrere Punkte auf. Erstens stützen sich die verschiedenen Verteilungsprinzipien auf sehr unterschiedliche leitende Erwägungen wie Verantwortung, Gleichheit, Suffizienz oder Profitieren von Unrecht. Zugleich scheinen alle Prinzipien auf den ersten Blick eine gewisse Anfangsplausibilität zu genießen: Sie können sich alle jeweils auf moralische Intuitionen darüber berufen, was in diesem Kontext eine gerechte Verteilung wäre. Doch wenn sich die den jeweiligen Prinzipien zugrunde liegenden moralischen Kernideen derart unterscheiden und wenn zugleich jede Kernidee einen gewissen intuitiven Reiz hat, dann scheint es naheliegend, dass eine befriedigende Antwort auf die dritte klimaethische Leitfrage sich nicht auf ein einziges Prinzip – auf eine einzige moralische Kernidee – stützen kann, sondern verschiedene Erwägungen auf die richtige Weise miteinander kombinieren muss. Denn andernfalls kann man den Intuitionen, auf denen die übrigen Prinzipien gründen, nicht gerecht werden. Ein überzeugende Antwort muss, so scheint es, die globale, intra-
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generationelle Klimagerechtigkeit auf mehrere „moralische Füße“ stellen, d. h. einen Pluralismus von Verteilungsprinzipien zulassen. Als zweiter Punkt fällt an der Übersicht in Tabelle 2 auf, dass sich die Prinzipien auf verschiedene Güter beziehen: Manche verteilen Adaptationslasten, andere Mitigationslasten in Form physischer Emissionsreduktionen oder finanzieller Mitigationskosten. Damit ist zunächst nur gesagt, dass ein Prinzipienpluralismus tatsächlich möglich ist – denn Prinzipien, die verschiedene Verteilungen vorschreiben, widersprechen sich nicht notwendigerweise, wenn sie Verschiedenes verteilen; es besteht ja auch kein Widerspruch darin, Gesundheitsleistungen nach Bedürftigkeit, Arbeitslohn nach Verdienst und Grundrechte gleich zu verteilen. Man könnte verschiedene Bereiche oder „Sphären“ der Klimagerechtigkeit voneinander trennen und innerhalb jeder Sphäre nach einem eigenen Prinzip verteilen. Ganz so einfach ist es indes nicht, denn manche Bereiche lassen sich ineinander überführen: Wir hatten in Kapitel 10 bereits gesehen, dass z. B. zwischen der Verteilung des verbleibenden Budgets und der Verteilung von Emissionsreduktionen ein enger Zusammenhang besteht (wenn man die Anteile am verbleibenden Budget und die voraussichtlichen Emissionen bei einem „Weiter wie bisher“-Szenario kennt, dann kann man die erforderlichen Emissionsreduktionen ableiten). Ebenso besteht aber auch ein Zusammenhang zwischen der Verteilung von finanziellen Mitigationskosten und von Emissionsreduktionen: Emissionsreduktionen kosten schließlich etwas, also ist jede Verteilung der Emissionsreduktionen auch eine Verteilung der Mitigationskosten. Zwei Bereiche, die von einer solchen „Umrechnungsmöglichkeit“ nicht betroffen sind und die man darum in jedem Fall trennen kann, sind die Bereiche der Adaptations-/Kompensationskosten und der Mitigationskosten: Wenn man die finanziellen Beiträge zu Maßnahmen zur Anpassung an den Klimawandel verteilt, dann werden damit nicht automatisch auch Lasten zur Vermeidung des Klimawandels verteilt – und umgekehrt. Also liegt es unter Berücksichtigung des ersten Punkts (Prinzipienpluralismus) nahe, eine zufriedenstellende Antwort auf die dritte klimaethische Leitfrage in einer Kombination aus zwei Prinzipien zu suchen, die jeweils die Verteilung in einer dieser beiden „Sphären“ der Klimagerechtigkeit regeln: ein Prinzip für die Adaptations-/Kompensationskosten, ein anderes Prinzip für die Mitigationskosten. Eine dritte Auffälligkeit ist, dass – mit Ausnahme des eigentlich in keiner Hinsicht haltbaren Grandfathering – alle Verteilungsprinzipien den Industrieländern einen Großteil der Lasten aufbürden würden. Der Tendenz nach sind sich die Prinzipien bei allen Unterschieden also einig darin, wie die Lasten zwischen dem wohlhabenden, industrialisierten Norden und dem ärmeren, sich noch entwickelnden Süden zu verteilen sind: Der Norden muss mehr tun. Und in einer aufrichtigen Minute wird man eingestehen, dass dies auch dem moralischen Bauchgefühl in Bezug auf die dritte klimaethische Leitfrage entspricht. Wie aber sieht nun eine präzisere, über das Bauchgefühl hinausgehende Antwort aus, die diese drei Auffälligkeiten beherzigt? Zunächst ist festzuhalten, dass das Grandfathering-Prinzip aus moralischer Perspektive nicht zu rechtfertigen ist und dass das Nutznießerprinzip und der Emissionsegalitarismus mit gravierenden Einwänden konfrontiert sind. Sie kommen daher als Kandidaten für die gesuchte Kombination von Prinzipien nicht näher in Betracht. Das Verursacherprinzip hingegen kann man auf einen gewissen Teil der Adaptations- und Kompensationskosten – unter Berücksichtigung einer Zumutbarkeitsgrenze – durchaus anwen-
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den: Da ein Großteil aller jemals emittierten Emissionen in den vergangenen 30 Jahren angefallen ist (Boden, Marland und Andres 2012), ein Großteil der damals lebenden Verschmutzer auch heute noch lebt und man sich seit ungefähr diesem Zeitpunkt auch nicht mehr reinen Gewissens darauf berufen kann, vom Klimawandel nichts gewusst zu haben, müssen Verursacher ab etwa 1980 im Verhältnis zu ihren jeweiligen Emissionen auch an den Kosten für die Anpassung an den Klimawandel beteiligt werden – jedenfalls sofern sie dadurch nicht auf unzumutbare Weise belastet werden, also unter eine noch näher zu bestimmende Suffizienzschwelle rutschen. Bei der Verteilung der restlichen Adaptations- und Kompensationslasten und der finanziellen Mitigationskosten hat sich das Prinzip der Zahlungsfähigkeit als durchaus einleuchtend erwiesen. Es ist lediglich offen geblieben, wie genau man dieses Prinzip mit dem Verursacherprinzip kombinieren sollte. An dieser Stelle wird ein weiterer Punkt wichtig: Wir haben das Problem der Verteilung der Mitigationslasten vor allem als ein Problem der Verteilung von Emissionen diskutiert. Man kann sich aber fragen, ob das eigentlich der richtige Fokus ist. Emissionen sind schließlich kein Selbstzweck. Moralisch relevant ist vielmehr, was man damit anfangen kann: Anders als Güter wie Status, Anerkennung, Wohlbefinden oder Gesundheit streben wir Emissionen ja nicht um ihrer selbst willen an, sondern weil wir Emissionen brauchen, um unsere Grundbedürfnisse nach Wärme, Nahrung, Schutz und Mobilität zu befriedigen und eben bestimmte Vorteile daraus zu ziehen. Eigentlich liegt uns also weniger an der gerechten Verteilung der Emissionen selbst, sondern eher an der gerechten Verteilung der Vorteile aus Emissionen. Das sieht man daran, dass Emissionen leicht durch andere Güter, die dieselben Vorteile hervorbringen, ersetzt werden können, ohne dass dies einen Gerechtigkeitsunterschied macht (Caney 2012): Wenn Alfred eine halbe Tonne CO2 pro Jahr emittiert, Bibi aber eine ganze Tonne, dann muss das nicht ungerecht sein – wenn Alfred nämlich energieeffiziente Technologien zur Verfügung hat, so kann er mit einer halben Tonne CO2 dieselben und genauso viele Vorteile für sich erzeugen wie Bibi mit einer Tonne. Es wäre äußerst merkwürdig, hier eine Ungerechtigkeit zu unterstellen, denn die ungleiche Verteilung der Emissionen macht für keinen der beiden Betroffenen einen Unterschied – beide haben exakt dieselben Vorteile. Diese Überlegung deutet einen umfassenden Perspektivenwechsel in Bezug auf die dritte klimaethische Leitfrage an: Wenn es statt um Güter wie Emissionen eher um das Wohl von Menschen geht (das, was Menschen mit den Gütern anfangen können), dann spricht eigentlich nichts dafür, die Frage der gerechten Verteilung von klimawandelbezogenen Vor- und Nachteilen in Isolation von anderen Gerechtigkeitsfragen zu behandeln. Denn das Wohl von Menschen wird durch eine Reihe weiterer Verteilungen beeinflusst, etwa durch die Verteilung von Nahrung, Arbeit, Technologien oder Vermögen. Wo es um das Wohl von Menschen geht, überlappen sich also verschiedene Verteilungsfragen und damit auch verschiedene Fragen der Verteilungsgerechtigkeit. Darum sollte man die dritte klimaethische Leitfrage gemeinsam mit anderen Fragen der globalen, intragenerationellen Verteilungsgerechtigkeit behandeln, insbesondere der Verteilung der Lasten zur Bekämpfung von Hunger und Armut, der Verteilung der Beiträge zur wirtschaftlichen Entwicklung, der Verteilung von Wasser, Nahrung, Medikamenten, Technologien, Saatgut und Patenten. Statt nur in Isolation nach der gerechten Verteilung von Emissionen oder klimawandelbezogenen Vor- und Nachteilen zu fragen, sollte
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man die Frage nach der Verteilung all dieser Güter vielmehr zusammen behandeln; das heißt: man sollte die dritte klimaethische Leitfrage stärker in andere Verteilungsfragen integrieren. Die Klimapolitik eignet sich für eine solche integrierende Verknüpfung mit dem Aspekt der Armutsbekämpfung und Entwicklung besonders gut: Man kann beispielsweise viel stärker als bisher die Entwicklungshilfe und den Technologietransfer auf „saubere“ Fertigungstechniken und auf den Aufbau einer auf erneuerbaren Energien basierenden Energieversorgung konzentrieren. Auf diese Weise würden Klimawandelbekämpfung und Armutsbekämpfung geschickt vereint, und man könnte sozusagen zwei Übel auf einen Streich lindern. Klimapolitik wäre so gesehen nur ein Mosaikstein in einem größeren Bild, in dem es eigentlich um so etwas wie „saubere Entwicklung“ heraus aus Armut und Hunger sowie um eine gerechte Verteilung des globalen Wohlstands geht. Derartige Überlegungen führen auf einen Vorschlag, in dem (a) die gerechte Verteilung der klimawandelbezogenen Vor- und Nachteile eng mit der Ermöglichung sauberer Entwicklung verzahnt wird und in dem (b) das Verursacherprinzip und das Prinzip der Zahlungsfähigkeit auf die richtige Weise miteinander kombiniert werden. Gerade das Prinzip der Zahlungsfähigkeit eignet sich gut, um dem Imperativ der „sauberen Entwicklung“ gerecht zu werden, da es sich letztlich für Zahlungsströme von Norden nach Süden ausspricht, die den Süden dabei unterstützen, sich klimaverträglich zu entwickeln. Wie ergibt sich aus diesem Perspektivenwechsel nun aber eine Antwort auf die noch offene Frage, wie man das Verursacherprinzip und das Prinzip der Zahlungsfähigkeit auf die richtige Weise miteinander kombiniert? Unser zweiteiliger Vorschlag ist, die moralische Kernidee der Verantwortung zunächst nur auf einen bestimmten Bereich zu begrenzen: den Bereich derjenigen Klimaschäden, die wissentlich (oder unter nicht mehr entschuldbarer Unwissenheit) von noch lebenden Menschen verursacht worden sind. Für diesen Bereich sollten die Verursacher – ganz im Sinne des „moralischen Aufräumens“ – gemäß ihren Beiträgen die Adaptations- und Kompensationskosten zahlen, solange sie damit nicht selbst unter die Grenze gedrückt werden, auf deren Erreichen der Imperativ der „sauberen Entwicklung“ gerade hinzielt: die Suffizienzschwelle. Das ist das oben bereits erwähnte, für Emissionen ab etwa 1980 und um die Zumutbarkeitsgrenze ergänzte Verursacherprinzip. In einem weiteren Schritt geht es dann darum, alle sonstigen klimawandelbezogenen Vor- und Nachteile entsprechend der Zahlungsfähigkeit zu verteilen: Das umfasst alle Mitigationskosten (auf welche Weise auch immer sie ausgedrückt werden) sowie die Adaptations-/Kompensationskosten, die auf Emissionen vor 1980 zurückzuführen sind und durch den ersten Schritt nicht erfasst werden. Auch das in diesem zweiten Schritt angewandte Prinzip der Zahlungsfähigkeit umfasst dabei eine Zumutbarkeitsgrenze: Wer aufgrund der Zahlungen unter die Suffizienzschwelle fallen würde, muss nichts unternehmen, sondern darf die Kosten den anderen überlassen. Die anderen sollen diese Kosten dann im Verhältnis zu ihrem Gesamtwohlergehen (ihrer Zahlungsfähigkeit) tragen. Wenn man diese Antwort auf die dritte klimaethische Leitfrage praktisch umsetzen möchte, muss man eine Menge Arbeit investieren. Hier ist ein Rezept für die konkrete Berechnung der Verteilung, die aus unserem Vorschlag folgt:
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Teil III Wie sollen wir die Pflichten verteilen? Globale Gerechtigkeit
1. Man muss zunächst die voraussichtliche Höhe der Adaptations-/Kompensationskosten A und das Emissionsbudget B, das – bspw. zur Erfüllung des Zwei-Grad-Ziels – noch bleibt, bestimmen. 2. Man muss sich dann fragen, wo die Suffizienzschwelle S für die Grenze der Zahlungsfähigkeit liegt (wann es Menschen also gut genug geht) und welche Emissionen reine Subsistenzemissionen sind. 3. Unter Berücksichtigung der menschlichen Lebensdauer und der Kriterien für entschuldbare Unwissenheit muss man dann einen Zeitpunkt t bestimmen, ab dem Menschen für ihre Emissionen mittels des Verursacherprinzips direkt verantwortlich gemacht werden können (etwa das Jahr 1980). 4. Dann bestimmt man – insgesamt sowie für jedes Land – die Emissionen E-vor-t, die es vor t ausgestoßen hat, und die Emissionen E-nach-t, die es nach t ausgestoßen hat (wobei man nur die Emissionen berücksichtigt, die keine Subsistenzemissionen sind). 5. Verteilung nach dem Verursacherprinzip: Der Teil der Adaptations-/Kompensationskosten, der durch die nach t ausgestoßenen Emissionen verursacht worden ist (A-nach-t), wird im Verhältnis zu den jeweiligen Anteilen an den Emissionen nach t verteilt (wobei jedes Land maximal Kosten bis zur Suffizienzschwelle S tragen muss). 6. Man bestimmt dann die Zahlungsfähigkeit jedes Landes (beispielsweise durch das über der Suffizienzschwelle liegende Bruttoinlandsprodukt). 7. Verteilung nach dem Prinzip der Zahlungsfähigkeit: (a) Der Teil der Adaptations-/Kompensationskosten, der durch die vor t ausgestoßenen Emissionen verursacht worden ist (A-vor-t), (b) der Teil von A-nach-t, der unter Umständen von Ländern nicht getragen werden konnte, weil sie sonst unter S gefallen wären, sowie (c) das in Reduktionskosten umgerechnete verbleibende Emissionsbudget werden schließlich entsprechend der Zahlungsfähigkeit verteilt (wobei wiederum jedes Land maximal Kosten bis zur Suffizienzschwelle S tragen muss). Diese Verteilung nach dem Prinzip der Zahlungsfähigkeit ermöglicht Synergien mit anderen Fragen der globalen Verteilungsgerechtigkeit (insbesondere der Bekämpfung von Hunger, Armut und Wassermangel sowie des Zugangs zu Technologien, Gesundheitsdiensten und Patenten). Zugegeben: Es ist kompliziert, eine solche Rechnung in der Praxis anzustellen. (Tatsächlich wird die Berechnung sogar noch komplizierter, weil manche Zahlen mit Unsicherheit behaftet sind; der Ansatz müsste also noch um „Sicherheitsmargen“ ergänzt werden, die die Einhaltung der Suffizienzschwelle mit einer moralisch vertretbaren Wahrscheinlichkeit gewährleisten.) Dass es zwar kompliziert, aber nicht unmöglich ist, zeigt der sogenannte „Greenhouse Development Rights-Ansatz“, der in eine sehr ähnliche Stoßrichtung zielend mit einer ausgefeilten Operationalisierung zu konkreten Verteilungsvorschlägen für die klimapolitische Praxis kommt (Baer u. a. 2008): Demnach müssen die Länder mit hohem Durchschnittseinkommen (Industrieländer) insgesamt rund 75 Prozent der klimawandelbezogenen Lasten tragen, Ländern mit mittlerem Durchschnittseinkommen (Schwellenländer) zusammen rund 25 Prozent und die Länder mit extrem niedrigem Durchschnittseinkommen zahlen so gut wie nichts. Deutschland trüge dabei mit 5,5 Prozent einen signifikanten Anteil der Lasten, der damit fast exakt genau so groß wie der chinesische Anteil, aber deutlich kleiner als der US-amerikanische Anteil wäre. Dieser läge nämlich bei rund 33 Prozent. Die Industrie-
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länder würden in dieser möglichen Konkretisierung unseres Vorschlags also tatsächlich den Löwenanteil aller klimawandelbezogenen Lasten tragen. Man darf somit berechtigterweise hoffen, dass die konkrete Umsetzung auch der leitenden Idee hinter unserer Antwort auf die dritte klimaethische Leitfrage gerecht wird: dass die reicheren Länder entsprechend ihrer Verantwortung die vom Klimawandel betroffenen Menschen bei der Anpassung unterstützen und entsprechend ihrer Zahlungsfähigkeit den ärmeren Ländern die Möglichkeit geben, sich auf einem klimaverträglichen Pfad zu mehr Wohlstand zu entwickeln. Wenn man diese Idee mit einem Schlagwort zusammenfassen wollte, könnte man sagen: „Die Verursacher kommen für den Schaden auf und sonst gilt: Entwicklung zuerst.“
Teil IV Von der ethischen Theorie zur politischen Praxis
17 Nicht-ideale Theorie: Was tun, wenn andere ihren Beitrag nicht leisten? Die vorangegangenen Kapitel haben die allgemeinen klimaethischen Leitfragen beantwortet. Müssen wir überhaupt etwas tun? Wenn ja, wie viel? Wer muss die Lasten tragen? Die Grundsätze der inter- und intragenerationellen Gerechtigkeit lassen für sich allein genommen aber noch vieles offen im Hinblick auf die nächsten Schritte in der realen Welt. In den folgenden Kapiteln schlagen wir deshalb eine Brücke zur politischen Praxis. In diesem Kapitel behandeln wir die gerechte Reaktion auf die Ungerechtigkeiten der herrschenden Klimapolitik. In Kapitel 18 werden verschiedene Strategien für die Emissionsreduktion diskutiert. In Kapitel 19 evaluieren wir ein prominentes Politikinstrument: den Emissionshandel. Eine der größten Herausforderungen in der realen Klimapolitik ist die mangelnde Motivation der beteiligten Akteure, den Anforderungen der intergenerationellen und globalen Gerechtigkeit nachzukommen. Manche Länder sind einfach nicht bereit, ihre Aufgaben im Rahmen einer gerechten Lastenverteilung zu übernehmen. Was bedeutet das für die restlichen Länder? Geben beispielsweise die übermäßigen Emissionen der USA der EU das Recht, ebenfalls über die Stränge zu schlagen? Oder ist es gerade umgekehrt: Sollte die EU ihre Emissionen noch aggressiver senken, um den fehlenden Klimaschutz der USA wettzumachen? In der Praxis hat die EU ihre Emissionsreduktionen in den vergangenen Jahren tatsächlich vom Verhalten anderer Länder abhängig gemacht. Sie hat zugesagt, die Emissionen bis 2020 entweder um 30% oder 20% zu senken, je nachdem ob andere Länder mitziehen oder nicht. Fragen dieser Art stellen sich nicht nur zwischen Ländern, sondern auch auf der individuellen Ebene. Wie reagieren Sie darauf, wenn Sie im Urlaub aus Klimaschutzgründen an die Nordsee radeln, während Ihr Nachbar von seinen regelmäßigen Tauchexpeditionen in der Südsee schwärmt? Lohnt es sich, als Einzelner das Klimagewissen zu aktivieren und als Vorreiter zu wirken, wenn die gesellschaftliche Mehrheit doch nicht mitzieht? Diese Fragen gehören in das Gebiet der nicht-idealen Gerechtigkeitstheorie. In diesem Gebiet fragen wir nicht, wie eine vollständig gerechte Politik aussähe. Wir fragen uns vielmehr, wie wir darauf reagieren sollen, wenn sich andere nicht vollständig gerecht verhalten. Was ist eine möglichst gerechte Antwort auf Ungerechtigkeit? Es gibt grundsätzlich drei Positionen. Wenn ein Akteur seiner Pflicht nicht nachkommt, so könnte das die Pflichten der anderen Akteure verstärken, abschwächen oder unverändert lassen. Ein Beispiel: Nehmen wir vereinfacht an, die Gerechtigkeit fordere von den USA und der EU, ihre Emissionen auf je eine Tonne pro Kopf zu senken. Nehmen wir weiter an, dass die USA nicht bereit ist, dieser Pflicht nachzukommen, die EU hingegen schon. Gemäß der ersten der drei möglichen Positionen müsste die EU in dieser Situation ihre Emissionen sogar unter eine Tonne pro Kopf senken. Gemäß der zweiten Position dürfte sie aufgrund des fehlenden Willens der USA ebenfalls
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Teil IV Von der ethischen Theorie zur politischen Praxis
mehr als eine Tonne pro Kopf emittieren. Gemäß der dritten Position sollte das Verhalten der USA keinen Unterschied für die Emissionsreduktion der EU machen.
Einer trage des anderen Last? Um die Plausibilität dieser drei Positionen zu prüfen, schauen wir uns zuerst zwei Beispiele ungerechten Verhaltens aus anderen Kontexten an. Im Haushalt haben Sie die Aufgabe, das Bad zu reinigen, während Ihr Partner die Aufgabe hat, die Küche zu reinigen. Wenn Ihr Partner seiner Pflicht nicht nachkommt, so dürfen sie das Bad aus Großzügigkeit natürlich weiterhin reinigen, aber eine Pflicht dazu besteht kaum noch. Wir würden Ihnen keinen Vorwurf machen, wenn Sie in dieser „nicht-idealen“ Situation das Reinigen ebenfalls unterließen. Wenn der andere seinen Teil nicht tut, dann dürfen auch Sie weniger tun. Nun stellen Sie sich einen zweiten Fall vor. Sie und Ihr Partner kommen an einem Teich vorbei, in dem zwei ertrinkende Kinder um Hilfe rufen. Sie könnten je ein Kind retten. Ihr Partner hat aber keine Lust, seinen Anzug zu beschmutzen, und bleibt am Ufer stehen. In dieser „nicht-idealen“ Situation verstärkt sich Ihre Pflicht: Wenn sich Ihr Partner drückt, dann müssen Sie nicht nur ein Kind, sondern beide Kinder retten. Die zwei Situationen beurteilen wir also gegensätzlich. Im ersten Fall schwächt sich Ihre Pflicht im Angesicht ungerechten Verhaltens anderer ab, im zweiten Fall verstärkt sie sich. Weshalb sind die beiden Fälle so unterschiedlich? Zwei Faktoren scheinen dafür verantwortlich zu sein. Erstens sind im Teichbeispiel Drittparteien betroffen. Die Leidtragenden sind nicht nur – wie im Haushaltsbeispiel – die beiden Parteien, deren gerechte oder ungerechte Lastenteilung zur Debatte steht, sondern unbeteiligte Kinder. Zweitens geht es in den beiden Beispielen um verschieden wichtige Güter. Während es im einen Fall um ein sauberes Bad geht, geht es im anderen Fall um Menschenleben. Diese zwei Faktoren machen den Unterschied aus. Und diese zwei Faktoren legen im Falle des Klimawandels eine bestimmte Antwort nahe. Der Klimawandel gleicht viel eher dem Teichbeispiel als dem Haushaltsbeispiel. Im Klimawandel sind erstens Drittparteien betroffen und zweitens geht es um wichtige Güter. Deshalb verstärken sich unsere Klimaschutzpflichten, wenn andere ihren Pflichten nicht nachkommen. Wenn die heutigen Amerikaner und Europäer die Hauptbetroffenen des Klimawandels wären, so stünde es den Europäern frei, ihrem Teil der Klimaschutzpflicht ebenfalls nicht nachzukommen. Nun ist es aber so, dass die Betroffenen hauptsächlich Drittparteien sind: Das Wohl zukünftiger Menschen ist in Gefahr, wenn heute Lebende ihren gerechten Anteil am Klimaschutz nicht übernehmen. Sobald aber Drittparteien im Spiel sind, müssen wir in nicht-idealen Situationen zwischen zwei gerechtigkeitsrelevanten Aspekten abwägen: zum einen der Betroffenheit der Drittparteien (hier: zukünftiger Generationen) und zum anderen der gerechten Lastenverteilung unter denjenigen, welche die Drittparteien vor Schaden schützen müssen (hier: die heute lebenden Europäer, Amerikaner usw.). Wenn die EU als Reaktion auf die USA alleine vorangeht, dann ist das zwar in einer Hinsicht (nämlich in Bezug auf die Lastenaufteilung zwischen der EU und den USA) tatsächlich ungerecht; und diesen ungerech-
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ten Zustand würde die EU beseitigen, wenn sie ebenfalls übermäßig emittiert. Aber sie würde damit gleichzeitig auch den Schutz zukünftiger Generationen vor Klimarisiken schwächen und so zu einer neuen Ungerechtigkeit beitragen, zur Ungerechtigkeit zwischen gegenwärtigen und zukünftigen Generationen. Die EU kommt also nicht umhin abzuwägen, ob die Gerechtigkeit bei der Aufgabenteilung (zwischen ihr und den USA) oder die Erfüllung der Aufgabe (d. h. der Schutz zukünftiger Generationen vor Klimarisiken) schwerer wiegt. Anders gesagt: Die EU muss abwägen zwischen intragenerationeller Gerechtigkeit und intergenerationeller Gerechtigkeit. Das Argument für einseitige Emissionsreduktionen seitens der EU wäre nicht so stark, wenn die zukünftigen Generationen als Drittparteien nur leicht betroffen wären. Wenn es beim Klimaschutz lediglich darum ginge, wohlhabende Nachkommen noch etwas wohlhabender zu machen, dann wäre es weniger schlimm, wenn die Aufgabe nur halb erledigt würde und dafür die Lasten dieser halben Erledigung gerecht verteilt würden. Aber beim Klimaschutz geht es um mehr, nämlich um die Menschenrechte zukünftiger Generationen. Es stehen gewichtige Güter wie Menschenleben, Gesundheit, Ernährungssicherheit und Wasserversorgung auf dem Spiel und darum ähnelt Klimaschutz eher dem Retten der Kinder aus dem Teich als der Haushaltsarbeit. Wenn sich die USA also weigert, ihren gerechten Teil zum Klimaschutz beizutragen, dann hat die EU die Plicht, noch mehr Klimaschutz zu leisten.
Ist individueller Klimaschutz wirkungslos? In der Realität ist es natürlich in keiner Weise so, als wären die Amerikaner einfach die Bösen und die Europäer die Heiligen. Die EU und die USA mussten bloß als Beispiel herhalten, um schematisch die moralische Konstellation nicht-idealer Umstände zu illustrieren. Dieselbe Konstellation findet sich nicht zuletzt auch auf der individuellen Ebene wieder: Darf ich als Individuum meine Klimaschutzbemühungen vom Verhalten anderer abhängig machen? Ein Einwand gegen die Schlussfolgerung des letzten Abschnitts wiegt allerdings auf der individuellen Ebene besonders schwer: der Einwand der Wirkungslosigkeit. Nützt es überhaupt etwas, wenn ich in einer tatenlosen Gesellschaft meine einsamen Klimaschutzbemühungen verstärke? Macht es wirklich einen Unterschied, wenn ich meinen Urlaub auf dem Fahrradsattel verbringe, wenn gleichzeitig alle anderen um die Welt fliegen? Die Klimakatastrophe verhindere ich damit ja wohl nicht. Oder doch? Bevor wir die Stichhaltigkeit dieses Einwands prüfen, sollten wir uns aber fragen, warum wir überhaupt an der Wirkung unserer individuellen Klimaschutzbemühungen interessiert sind. Ist der Verzicht auf das Fliegen nur dann positiv zu werten, wenn er dem Klima nützt? Wir richten schließlich im Alltag unsere ethische Aufmerksamkeit üblicherweise nicht alleine auf die Wirkungen unseres Handelns. Wir achten oft auch auf den Charakter des Handelnden. So kann eine sogenannte tugendethische Perspektive beispielsweise danach fragen, ob die Haltung hinter dem Handeln von einer Orientierung am Maßhalten und von Einklang mit der Natur geprägt ist. Zwar folgen aus einer solchen Haltung dann oft die gewünschten Wirkungen, aber wenn letztlich zählt, was sich im Vollzug einer Handlung manifestiert – nämlich der Charakter – und nicht, was aus ihr folgt – die Wirkungen –, dann kann umwelt-
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Teil IV Von der ethischen Theorie zur politischen Praxis
orientiertes Verhalten auch unabhängig von seiner Wirksamkeit wertgeschätzt werden. Ein anderes Beispiel findet sich im sogenannten Regelutilitarismus: Wir suchen oft nach Regeln für unser Handeln, deren Befolgung im Allgemeinen positive Wirkungen hat, auch wenn deren Befolgung im Einzelfall wirkungslos sein mag. Beispielsweise mag es positive Konsequenzen haben, wenn wir im Großen und Ganzen der Regel „Vermeide emissionsintensive Fortbewegungsmittel“ folgen, ohne dass dies von jeder einzelnen klimaschädlichen Fortbewegungshandlung behauptet werden könnte (z. B. wenn sie der Reise an eine Klimaschutzkonferenz dient). Oft orientieren wir uns zusätzlich zu den schädlichen Wirkungen unserer Handlungen auch daran, ob wir diese Wirkungen beabsichtigen oder „bloß“ – wie im Fall von Klimaschäden – als Nebeneffekt in Kauf nehmen (darauf fokussieren beispielsweise deontologische Theorien). In diversen ethischen Perspektiven zählen also zumindest nicht ausschließlich die Wirkungen unserer individuellen Handlungen. Das heißt natürlich nicht, dass die Wirksamkeit unserer Handlungen deshalb völlig belanglos wäre. Wenn individueller Klimaschutz mitten in einer tatenlosen Gesellschaft nichts nützen würde, dann wäre die Pflicht dazu in den meisten Perspektiven zumindest deutlich abgeschwächt. Allerdings müssen wir uns an diesem Punkt mit der Relevanz der Frage nach der Wirksamkeit nicht vertiefter beschäftigen, da im Falle des Klimaschutzes diese Frage wohl ohnehin eine positive Antwort hat: Grundsätzlich kann von jeder noch so geringfügigen Emissionsreduktion erwartet werden, dass sie tatsächlich einen Unterschied für das Klima macht, wenigstens mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit. Man kann es sich so vorstellen: Wenn die Menschheit jedes einzelne Gramm CO2 nacheinander ausstoßen würden, so kann es nicht sein, dass nach einer Billion Tonnen CO2 das Klima verändert wäre, gleichzeitig aber jedes einzelne dieser nacheinander ausgestoßenen Gramm CO2 keinen Unterschied gemacht hätte. Natürlich muss nicht jedes einzelne dieser Gramm CO2 einen Unterschied gemacht haben, aber da wir nicht wissen, welches Gramm einen Unterschied macht (und der Tropfen ist, der das Fass zum Überlaufen bringt und damit beispielsweise einen zusätzlichen Hurrikan auslöst) und welches nicht, müssen wir bei jedem einzelnen Gramm mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass es schadenswirksam ist. Weshalb ist dann die Skepsis über die Wirksamkeit persönlicher Klimaschutzbemühungen trotzdem so verbreitet? Ein erster Grund ist sicher, dass wir den Effekt des eigenen Beitrags zum Klimaschutz oft nur im Verhältnis zum gesamten Klimaschutz betrachten. Dann erscheint er als so verschwindend klein, dass wir versucht sind, ihn auf null abzuschreiben. Was aber ist die Größenordnung dieses Effekts im Fall des Klimawandels, wenn wir ihn für sich genommen betrachten? Eine der wenigen – und in ihrer Interpretation zugegebenermaßen sehr umstrittenen – Schätzungen kommt zum Schluss, dass ein durchschnittlicher US-Amerikaner über seine Lebenszeit mit seinen Emissionen für das Leiden und/oder den Tod von ein oder zwei zukünftigen Menschen verantwortlich sein könnte (Nolt 2011). Zweifel an der Wirksamkeit individueller Emissionsreduktionen können aber auch von unterschiedlichen Verständnissen des Begriffs der Wirkung herrühren. Wenn uns als einzige Wirkung interessiert, ob es (gefährlichen) Klimawandel gibt – und nicht welches Ausmaß er annimmt –, dann stimmt es natürlich, dass der persönliche Klimaschutz (mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit) nicht „wirksam“ ist. Wenn wir für unseren Urlaub das Flugzeug statt das Fahrrad nehmen, so wird das kaum bewirken, dass genau deswegen die Schwelle zum (gefährlichen) Kli-
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mawandel überschritten wird. Es kann allerdings sehr wohl bewirken, dass es mehr Klimawandel gibt. Aus ethischer Perspektive sollte als Wirkung unserer Handlungen aber nicht nur zählen, ob es (gefährlichen) Klimawandel gibt, sondern auch, wie viel (gefährlichen) Klimawandel es gibt. Eine weitere Unklarheit bezüglich der Wirksamkeit ergibt sich aus dem Einbezug der Unsicherheit. Wie wir in Kapitel 8 gesehen haben, muss eine Handlung nicht mit Sicherheit einen Schaden bewirken, um ethisch relevant zu sein. Es genügt eine gewisse Wahrscheinlichkeit oder auch nur schon eine realistische Möglichkeit, dass sie einen Schaden bewirkt. Wenn wir die Frage nach der Wirksamkeit unserer Emissionen stellen, so interessiert uns also nicht, ob eine spezifische Flugbuchung den Klimawandel tatsächlich verstärkt (denn das können wir nicht wissen), sondern ob sie – wie jede andere Flugbuchung – eine gewisse Wahrscheinlichkeit hat, den Klimawandel zu verstärken (und dass sie das hat, das wissen wir). Allerdings gibt es auch ein Argument, das die Wirkungslosigkeit einseitiger Klimaschutzbemühungen plausibler in Frage zu stellen vermag: soziale Rückkopplungseffekte. Wenn Anna ihre Klimaschutzbemühungen erhöht, so könnte das zur Folge haben, dass Beat im Gegenzug seine Klimaschutzbemühungen senkt. Beat kann sich als Trittbrettfahrer denken, dass es seinen Beitrag nicht mehr brauche, weil Anna für ihn ja in die Bresche springe. So verpuffen die Bemühungen von Anna natürlich. Solche sozialen Rückkopplungseffekte wirken – zum Teil auf indirekte Weise – auch auf der internationalen Ebene und werden oft unter dem Stichwort Carbon Leakage diskutiert. Wenn Deutschland eine CO2-Steuer einführt, so reduziert das den CO2-Ausstoß nicht notwendigerweise, sondern führt womöglich einfach dazu, dass die deutsche Industrie ihre Produktion ins Ausland verlagert. Wenn die deutsche Nachfrage nach fossilen Energieträgern aufgrund der Steuer sinkt, so kann das den Weltmarktpreis für Öl senken und dementsprechend die Nachfrage nach fossilen Energieträgern in anderen Ländern erhöhen. Damit wäre dem Klima unter dem Strich nicht geholfen. Allerdings ist es fraglich, ob dieses Argument der Rückkopplungseffekte die Wirksamkeit der Klimaschutzbemühungen eines einzelnen Individuums oder einer einzelnen Nation radikal in Frage stellt und nicht viel mehr das Ausmaß der Wirksamkeit abschwächt. Schließlich gibt es nicht nur negative, sondern auch positive Rückkopplungseffekte. Wenn Anna ihre Klimaschutzbemühungen verstärkt, dann könnte diese Vorbildfunktion Beat zu mehr Klimaschutz animieren. Ein weiteres Beispiel für positive Rückkopplungseffekte sind die Kostensenkungen für saubere Technologien, zu denen ein Land durch seine Vorreiterrolle beiträgt und die den Klimaschutz für andere Länder attraktiver machen. Zu beachten ist auch, dass ein Akteur durch die Wahl der Klimaschutzstrategie und ihrer Kommunikation beeinflussen kann, ob seine Bemühungen positive oder negative soziale Rückkopplungseffekte auslösen. Damit einseitiger Klimaschutz eines Akteurs als wirkungslos – oder sogar schädlich – bezeichnet werden könnte, müssten die negativen Rückkopplungseffekte sowohl den direkten Effekt seiner Klimaschutzmaßnahme als auch die positiven Rückkopplungseffekte überwiegen. Dass er das tut, ist sehr fraglich und somit kann uns der Einwand der Wirkungslosigkeit kaum aus der Verantwortung befreien.
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Ist individueller Klimaschutz überfordernd? In diesem Kapitel haben wir behauptet, dass sich unsere Pflicht zum Klimaschutz verstärkt, wenn andere ihrer eigenen Pflicht zum Klimaschutz nicht nachkommen. Sogar wenn diese Position in der Theorie überzeugen sollte, so erscheint sie doch vielen schlicht als nicht lebbar. Unabhängig davon wie viel wir für das Klima tun: Wir könnten immer noch mehr tun. Wenn die großen Akteure auf der globalen Bühne ihrer Klimaschutzpflicht nicht nachkommen, so könnten sich umweltbewusste Menschen Tag und Nacht aufopfern – Hab und Gut, Familie und Freunde aufgeben – und es wären immer noch nicht alle drängenden Maßnahmen ausgeschöpft. Gibt es eine Grenze für die Anstrengungen, die wir auf uns nehmen müssen? Oder ist es umgekehrt so, dass uns die Moral auch zu radikaler Selbstaufopferung verpflichten kann? Im Alltag haben wir oft ein Gespür dafür, wie weit die Moral gehen darf und wo wir ihre Forderungen als überzogen abweisen dürfen. Gemäß unserem Bauchgefühl darf uns die Moral manchmal etwas Überwindung kosten, aber wenn sie von uns verlangt, das Leben auf den Kopf zu stellen, dann müssten schon ganz besondere Umstände vorliegen. Andere würden zwar darauf bestehen, dass uns die Moral durchaus auch in „alltäglichen“ Umständen radikale Verhaltensänderungen auferlegen kann, aber durch die Hintertür dann dem Bauchgefühl trotzdem recht geben, indem sie milde beschwichtigen, dass es ein Fehler wäre, in unserer Lebensführung ausschließlich auf die Stimme der Moral zu hören. Es wäre übertriebener Moralismus, wenn nicht auch persönliche Visionen und Projekte, das Eigeninteresse, ästhetische Vorlieben oder religiöse Werte unser Handeln bestimmen dürften. Nur ist das intuitive Bauchgefühl leider nicht immer ein zuverlässiger Kompass. Dies gilt ganz besonders für die Klimafrage. Wie wir in Kapitel 1 gesehen haben, wurde unser Gespür für Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge nicht für die neuartige Problemkonstellation des Klimawandels geschaffen, in der Milliarden von Menschen gemeinsam einen Jahrzehnte später eintretenden und auf Milliarden von Menschen verteilten Schaden unsicheren Ausmaßes verursachen. Unser Sinn für richtig und falsch wurde anhand viel kleinräumigerer Alltagssituationen kalibriert. Wir können uns also nicht auf unser intuitives Gespür für die Grenzen der Moral berufen, um gewisse Klimaschutzanstrengungen als unzumutbare Überforderung abzuweisen. Das heißt aber nicht, dass es keine solchen Grenzen gibt. Eine plausible Grenze ergibt sich insbesondere aus den Rechten derjenigen, die den Klimaschutz auf sich nehmen müssen. Übertriebene Klimaschutzbemühungen könnten z. B. dann die Rechte der Klimaschützer verletzen, wenn Entwicklungsländer für die mangelnden Bemühungen des Westens in die Bresche springen würden und ihnen deshalb die Mittel zur Armutsbekämpfung fehlen würden. Klimaschutz dient ja schließlich dazu, die Menschenrechte zukünftiger Generationen zu schützen, und somit wäre es nicht überzeugend, wenn im Gegensatz dazu die Menschenrechte derjenigen, die dieses Ziel erreichen müssen, kein Gewicht hätten. Diese Einsicht widerspiegelt sich in der in Kapitel 16 vertretenen Position, dass kein Land Klimaschutzlasten übernehmen muss, die es unter die Suffizienzschwelle drücken würden. Welche unserer Rechte haben aber genügend Gewicht, um uns gegen radikale Klimaschutzpflichten zu „immunisieren“? Es ist unkontrovers, dass beispielsweise die Emissionen einer Busfahrt in die Hauptstadt gerechtfertigt sind, wenn ein Mensch in extremer Armut
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dort Arbeit sucht, oder wenn ein demokratisch gewählter Parlamentarier seiner Aufgabe nachgehen möchte. Aber was ist mit dem Bedürfnis eines Grönländers zu heizen? Oder dem Bedürfnis, Familienbeziehungen zu pflegen, wenn ein Interkontinentalflug zum Hochzeitsfest des Bruders ansteht? Welches Gewicht geben wir dem Recht, gewisse Lebensprojekte frei zu wählen – und schließt das die Freiheit mit ein, emissionsintensive Hobbies zu pflegen (vgl. Kap. 11)? Die Grenze zwischen Subsistenzemissionen und Luxusemissionen ist unklarer, als es auf den ersten Blick scheint. Der Verweis auf die Rechte der heutigen Generation könnte somit auch dazu missbraucht werden, allzu viele Klimaschutzpflichten als überfordernd abzuweisen. Auch wenn man tatsächlich manche Forderung zur Emissionsreduktion mit dem Hinweis auf die Rechte der gegenwärtigen Generation als unzumutbar abwehren kann, so bleiben in der Praxis doch umfangreiche Reduktionspotenziale, die den Schutz der Rechte der gegenwärtigen Generation offensichtlich nicht tangieren. Manche Klimaschutzmaßnahmen kosten nur wenig, andere gehen sogar mit einem ökonomischen Plus einher (vgl. Nauclér und Enkvist 2009). Manche Maßnahmen kosten zwar namhafte Beträge, greifen aber trotzdem kaum auf spürbare Weise ins Alltagsleben ein, insbesondere wenn sie staatlich implementiert werden. Sehr kosteneffektiv umgesetzter Klimaschutz könnte beispielsweise nicht mehr bedeuten, als dass wir zur Erreichung des 2-Grad-Ziels in den nächsten Jahrzehnten mit einer 0,06% tieferen Wirtschaftswachstumsrate rechnen müssten (unser Konsum also zum Beispiel jährlich um 1,94% statt 2% anstiege; vgl. IPCC 2014). Solche Zahlen sind spekulativ, aber sie ziehen doch sehr in Zweifel, dass zumindest die nächsten Schritte – jedenfalls in westlichen Ländern – ernsthaft mit Grundrechten in Konflikt geraten könnten. Bei persönlichen Maßnahmen sieht es auf den ersten Blick etwas anders aus. Wenn man sich selbst nur noch kalte Duschen erlaubt und auch jeden anderen Aspekt des Alltags vom inneren Klimapolizisten dominieren lässt, um die Emissionen auf ein absolutes Minimum zu reduzieren, dann ist das belastend. Aber auch im individuellen Fall ist die Belastung nicht zwingend. Denn wir könnten die Emissionen auch radikal senken, indem wir zusätzliche Klimaschutzmaßnahmen für andere finanzieren, statt einschneidende Verhaltensänderungen im eigenen Leben vorzunehmen. Diese sogenannte Kompensation von Emissionen ist zwar umstritten – wir diskutieren das in Kapitel 19 –, aber wenn die Einwände dagegen nicht stichhaltig sein sollten, dann könnte ein Bewohner eines Industrielandes „seine“ Emissionen zurzeit wohl für weniger als einen Euro pro Tag auf null senken (vgl. Dhanda und Hartman 2012: 124; European Environment Agency: 92).
Argumente-Box 14: Was tun, wenn andere ihren Teil nicht tun? Wir haben dafür argumentiert, dass in dem Fall, in dem ein Teil der heutigen Generation ihren gerechten Anteil am Klimaschutz nicht übernimmt, die restlichen Individuen und Staaten „in die Bresche springen“ und mehr Klimaschutz betreiben müssen als es ihrem Anteil innerhalb einer gerechten Lastenteilung entsprechen würde. Für diese Position spricht, dass ohne zusätzliche Klimaschutzanstrengungen Drittparteien – nämlich zukünftige Generationen – betroffen sind und zwar auf ernste Weise betrof-
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fen sind. Der Schutz zukünftiger Generationen hat deshalb Priorität vor einer gerechten Lastenverteilung innerhalb der gegenwärtigen Generation. Gegen diese Position sprechen zwei Einwände, die sich jedoch entkräften lassen: 1. „Isolierte Emissionsreduktionen einzelner Individuen oder Staaten haben gar keine Wirkung.“ – Entgegnung: Diese Behauptung lässt außer Acht, dass grundsätzlich individuelle Emissionsreduktionen mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit sehr wohl einen Unterschied für das Ausmaß des Klimawandels machen. Es ist zudem empirisch nicht naheliegend, dass negative soziale Rückkopplungseffekte die Wirkung einseitiger Emissionsreduktionen und deren positive Rückkopplungseffekte vollständig zunichtemachen. 2. „Es würde unzumutbar hohe Lasten mit sich bringen, die mangelnden Klimaschutzbemühungen anderer wettzumachen.“ – Entgegnung: Die Rechte der heutigen Generation setzen ihren Klimaschutzpflichten tatsächlich gewisse Schranken. Allerdings werden diese Schranken durch viele Emissionsreduktionsmaßnahmen kaum tangiert.
18 Bevölkerung, Technologie, Wohlstand: drei Strategien zur Emissionsreduktion Eine offene Frage bei der praktischen Umsetzung der ethisch idealen Klimapolitik betrifft nicht deren Ziele, sondern deren Mittel: Wie sollen wir die Emissionen reduzieren? Dazu empfiehlt es sich zunächst, bei den Faktoren anzusetzen, die das globale Emissionsaufkommen bestimmen. Die globalen Emissionen sind umso höher, je mehr Menschen es gibt, je höher der Wohlstand dieser Menschen ist und je emissionsintensivere Technologien sie für die Schaffung dieses Wohlstands verwenden. Entsprechend stehen auch drei Strategien zur Emissionsreduktion zur Auswahl: die Bevölkerung, den Wohlstand oder die Emissionsintensität der Technologien reduzieren. Wir verwenden die drei Schlagworte für diese Strategien – „Bevölkerung“, „Wohlstand“ und „Technologie“ – hier in einem ganz bestimmten Sinn. Im allgemeinen Sprachgebrauch wird der Begriff des Wohlstands manchmal gebraucht, um die Lebensqualität in einem umfassenden Sinn zu bezeichnen. Manchmal wird er aber auch enger im Sinne des materiellen Lebensstandards verstanden, der beispielsweise durch das Bruttoinlandsprodukt gemessen werden kann. Wir brauchen „Wohlstand“ hier in diesem zweiten, engeren Sinn. Unter Emissionsintensität verstehen wir die Menge an Emissionen, die es zur Schaffung einer Einheit Wohlstand braucht. Die Emissionsintensität hängt davon ab, welche Güter unseren Wohlstand ausmachen und mit welchen Technologien wir diese Güter herstellen. Die Senkung der Emissionsintensität bezeichnen wir deshalb als die Technologiestrategie für den Klimaschutz. In diesem Kapitel prüfen wir, ob diese drei Strategien ethisch gleichwertig sind oder ob eine von ihnen als der Königsweg für den Klimaschutz ausgezeichnet werden kann. Für eine solche Bewertung spielt es eine Rolle, ob die Strategien auf der Basis politischer oder persönlicher Initiative umgesetzt werden. So macht es beispielsweise für die Bevölkerungsstrategie einen großen Unterschied, ob sich Eltern freiwillig oder aufgrund von gesetzlichem Zwang für eine kleine Familie entscheiden. Bevor wir also die drei Strategien evaluieren, wenden wir uns zuerst der Frage zu, ob Klimaschutz eine politische oder private Aufgabe ist. Unter einer privaten Aufgabe muss dabei keineswegs nur eine Aufgabe für Individuen verstanden werden (auch wenn wir im Folgenden zur Illustration jeweils Individuen als Beispiel verwenden), sondern es kann auch eine Aufgabe für private Vereinigungen wie Nichtregierungsorganisationen, Unternehmen oder Kirchen sein.
Politische Steuerung oder persönliche Initiative? Staatliche Institutionen können individuelle Klimaschutzbemühungen koordinieren und – wenn die Motivation auf der persönlichen Ebene fehlt – letztlich auch durchsetzen. Dazu die-
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nen gesetzliche Verbote und Anreize. Viele halten eine politische Lösung des Klimaproblems für den einzig möglichen Weg. Persönliche Initiative – so eine verbreitete Ansicht – mag ja edel sein, aber das Ziel einer massiven Emissionsreduktion wird damit niemals erreicht, ganz zu schweigen von einer gerechten Verteilung der Kosten zur Erreichung dieses Ziels. Diese Ansicht trifft den Nagel nicht ganz auf den Kopf. Theoretisch könnte das Klimaproblem ja auch ohne Politik gelöst werden. Es ist schließlich keine logische Unmöglichkeit, dass jeder einzelne freiwillig das Richtige tut. Allerdings wäre es sehr mühsam, wenn wir das Klima allein aus persönlicher Einsicht schützen müssten. Politische Instrumente erreichen demgegenüber mehr Klimaschutz mit weniger Aufwand. Die Gründe, weshalb gesetzlich gesteuerter Klimaschutz Kosten und Mühen spart, sind vielfältig. Da ist zuerst einmal die Tatsache, dass manche Klimaschutzmaßnahme ohne die Koordination vieler Individuen sehr umständlich wäre. So braucht der Bau eines öffentlichen Verkehrsnetzes eine komplizierte Abstimmung zwischen unzähligen Akteuren, die ohne öffentliche Steuerung nur schwer zu bewerkstelligen ist. Zudem wäre es für Individuen enorm aufwendig, die nötige Information über sinnvolle Klimaschutzmaßnahmen zu sammeln. Ist es klimaschädlicher, von Zürich nach Paris zu fliegen oder die Strecke alleine im Auto zurückzulegen? Natürlich könnte man die Fakten zu dieser Frage in mühsamer Recherchearbeit sammeln. Aber wenn der Staat Treibhausgase besteuern würde, so wäre diese Information sozusagen einfach im Preis enthalten: Eine Reisevariante wäre dann umso teurer, je klimaschädlicher sie ist. Noch wichtiger: Indem der Staat klimaschädlichen Gütern einen Preis auferlegt oder sie ganz verbietet, sind wir im Alltag davon entlastet, uns in unzähligen kleinen Entscheidungen konstant selbst für das ethisch richtige Handeln motivieren zu müssen. Indem schädliches Verhalten einen Preis oder eine Sanktion mit sich bringt, können wir auf unser Eigeninteresse hören. Je nachdem, wie teuer die Reise von Zürich nach Paris ist, lohnt sie sich dann eben für uns gar nicht mehr. Es ist insbesondere deshalb weniger anstrengend, das Richtige aufgrund von staatlichen Regeln zu tun, weil es garantiert, dass wir das Richtige nicht alleine tun. Die ethische Motivation der meisten von uns reicht nicht so weit, dass wir das Klima schützen würden, ohne davon ausgehen zu können, dass sich die anderen denselben Regeln unterwerfen. Ohne gesetzlichen Zwang nähmen niemals alle ihren gerechten Anteil am Klimaschutz auf sich und so wäre der Klimaschutz für die verbleibenden „Gutmenschen“ viel belastender (vgl. Kap. 17). Aber auch wenn die Politik im Vergleich zur individuellen Initiative kostengünstiger ist, so rechtfertigt das alleine noch keine Klimagesetze. Dass staatliches Handeln den Klimaschutz einfacher macht, mag ja ein Vorteil für jene sein, die ohnehin Klimaschutz tätigen wollen. Was aber ist mit jenen, die dazu nicht von sich aus bereit sind? Gesetze bedeuten letztlich eine Einschränkung oder gar Zwang. Einschränkungen und Zwang brauchen in einem liberalen Staatsverständnis aber eine Begründung, die über Kosteneinsparungen hinausgeht. Stellen wir uns eine Gesellschaft vor, in der eine Mehrheit großen Wert auf körperliche Ertüchtigung legt und es womöglich sogar für moralisch verwerflich hält, sich ungesund zu ernähren. Analog zum Klimaschutz könnte es auch in diesem Fall effizient sein, den Staat zu benutzen, um ungesunde Lebensmittel zu verbieten, steuerliche Anreize für Sport zu schaffen usw. Die Mehrheit würde ihr Ziel eines gesunden Lebens einfacher erreichen, als wenn alles der persönlichen Motivation überlassen bliebe. Und trotzdem wäre es falsch, den gesunden Lebens-
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stil politisch durchzusetzen. Es wäre illiberal, die Minderheit, die andere Präferenzen hat, dazu zu zwingen, den Feierabend im Fitnessstudio statt im Fast-Food-Restaurant zu verbringen. Solche Fragen gehören in den Bereich der persönlichen Entscheidung. Weshalb aber gilt dasselbe nicht auch für die Entscheidung für oder gegen den Klimaschutz? Was könnte den Staat berechtigen, den Klimaschutz zu erzwingen, nicht aber einen gesunden Lebensstil? Die Antwort liegt in der liberalen Grundidee, dass die Freiheit des Einen seine Grenze in der Freiheit des Anderen findet; oder genauer: in den Rechten des Anderen. Wir dürfen also tun und lassen, was wir wollen, solange wir andere nicht in ihren Rechten beschneiden. Die Freiheit, ungesund zu leben, sollte uns genau deshalb zugestanden werden, weil wir damit andere nicht in rechteverletzender Weise schädigen (natürlich stimmt es nicht genau, dass wir mit einem ungesunden Lebensstil niemanden schädigen – und aus diesem Grund ist auch die Anwendung der liberalen Grundidee in der Praxis oft schwieriger als es scheint). Doch wie wir in Teil II gezeigt haben, können übermäßige Emissionen die Rechte zukünftiger Menschen verletzen. Und genau darum ist es auch gerechtfertigt, unsere Freiheit zu emittieren zu beschränken und Klimaschutz gesetzlich durchzusetzen. Klimapolitik kann somit grundsätzlich vor dem liberalen Gewissen gerechtfertigt werden. Dabei ist aber zu beachten, dass staatliche Maßnahmen unterschiedlich tief in die individuelle Freiheit eingreifen. Es ist aus liberaler Perspektive erstrebenswert, dass politisch durchgesetzter Klimaschutz möglichst schonungsvoll eingreift und primär dafür sorgt, dass die Emissionen reduziert werden und weniger dafür, wie sie reduziert werden. Hier steht ein ganzes Spektrum an Möglichkeiten zur Verfügung. Am einen Ende des Spektrums stehen Gebote und Verbote, die konkrete Vorschriften zu spezifischen Aktivitäten, Technologien und Gütern machen. Größeren Handlungsspielraum lassen Anreize wie Steuern auf klimaschädliche Güter, Subventionen für klimafreundliche Energien oder ein Emissionshandelssystem (vgl. Kap. 19). Noch zurückhaltender sind staatliche Informations- und Motivationskampagnen. Der starke Gegensatz zwischen staatlichem Zwang und freiwilliger, persönlicher Initiative ist also überzeichnet. Die Pflicht zum Klimaschutz sollte also primär auf politischem statt auf individuellem Weg implementiert werden. Das heißt aber nicht, dass die persönliche Initiative vollständig aus der Verantwortung entlassen wäre. In drei Bereichen ist individueller Klimaschutz weiterhin gefordert. Erstens können Gesetze das reale Leben und Wirtschaften immer nur in groben Zügen steuern. Dass wir im Büro ein unnötiges Licht löschen oder dass ein Solarenergieforscher seine Forschungsgelder optimal verwendet, kann der Staat kaum erzwingen. Was zwischen den Maschen der Gesetze durchfällt, fällt in den Verantwortungsbereich der persönlichen Initiative zurück. Zweitens kommt der Staat seiner Aufgabe oft nicht nach. Sowohl auf nationaler wie auch auf internationaler Ebene hat die Klimapolitik versagt. In diesem Fall muss individuelles Handeln als Notlösung in die Bresche springen. Die Situation ist analog zum Teichbeispiel aus Kapitel 17: Wenn ein Akteur (hier: der Staat) seine Aufgabe nicht erfüllt, dann muss ein anderer Akteur (hier: das Individuum) diese Aufgabe übernehmen. Drittens gibt es kein politisches Handeln gegen den Klimawandel, wenn der Staat von Individuen nicht dazu ermächtigt wird. Die mit Abstand wichtigste individuelle Klimaschutzmaßnahme in einer Demokratie besteht einerseits darin, durch die Wahl der geeigneten Volksvertreter der Politik das „Ja“ zu staatlichem Klimaschutz zu signalisieren, und andererseits durch politischen Aktivismus möglichst viele Mitbürger zur selben Wahl zu bewegen.
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Teil IV Von der ethischen Theorie zur politischen Praxis
Natürlich hängt die Beurteilung des politischen und persönlichen Klimaschutzes im Einzelnen von den konkreten Maßnahmen ab, die in Betracht gezogen werden. Diesem Thema wenden wir uns nun zu, indem wir die drei Strategien Bevölkerung, Technologie und Wohlstand prüfen.
Strategie 1: Bevölkerung Die globalen CO2-Emissionen aus dem Verbrauch fossiler Brennstoffe sind zwischen 1970 und 2010 um 108% gestiegen. Erstaunlicherweise geschah dies, obwohl die Emissionsintensität – d. h. die Emissionen, die wir für eine Einheit Bruttoinlandsprodukt benötigen – deutlich gesunken sind. Wir produzieren also sauberer und emittieren trotzdem mehr. Das hat eine einfache Erklärung: Die Anzahl Menschen stieg in dieser Zeit um 87% an, während das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf (nach Kaufkraftparität) sogar um 103% anstieg (Blanco u. a. 2014: 365). Das Bevölkerungs- und das Wirtschaftswachstum scheinen also die Hauptschuldigen zu sein, während die Emissionsintensität sogar gesunken ist. Die Zahlen zum Bevölkerungswachstum geben zwar einen leicht irreführenden Eindruck, was ihre Klimarelevanz betrifft. Denn die Bevölkerung wächst vor allem in denjenigen Weltregionen, die zurzeit noch tiefe Emissionen pro Kopf haben. Wenn eine Amerikanerin ein Kind zur Welt bringt, so kann das langfristig – Kindeskinder eingerechnet – weit über hundertmal mehr Emissionen bewirken als wenn eine Bangladescherin Nachwuchs hat (Murtaugh und Schlax 2009). Trotzdem sollten wir das Thema nicht verharmlosen. Zwischen 2000 und 2050 wird die Weltbevölkerung schätzungsweise um rund 50% wachsen (United Nations 2009b). Auch neigt die öffentliche Diskussion dazu, das Thema unter den Tisch zu wischen. Natürlich ist es ein Stück weit verständlich, dass die Steuerung des Bevölkerungswachstums ein Tabuthema ist. 1968 proklamierte die Menschenrechtskonferenz der UNO für alle Eltern das Recht, die Anzahl ihrer Kinder frei und verantwortungsvoll zu wählen, und somit stellen Zwangssterilisationen oder Chinas Ein-Kind-Politik einen Eingriff in wichtige Freiheiten dar. Manche Religionen wehren sich dagegen, mit Kondomen, der Pille und Abtreibungen die Geburtenzahl zu kontrollieren, und eine große Familie gehört für viele zur Vorstellung eines erfüllten Lebens. Wenn Kritiker der Bevölkerungspolitik auf diese Punkte aufmerksam machen, dann bezweifeln sie nicht, dass die Abschwächung des Bevölkerungswachstums zum Klimaschutz beitragen würde. Sie bezweifeln vielmehr, dass wir die Bevölkerungsgröße auf ethisch unproblematische Weise steuern können. Für die Kritiker der Bevölkerungspolitik sind nicht deren Ziele, sondern deren Mittel das Problem. Diese Kritik steht aber auf wackligen Beinen. Zwar gibt es zweifellos inakzeptable Methoden zur Steuerung der Bevölkerungsgröße. Genauso zweifellos gibt es aber akzeptable Methoden. So senken beispielsweise Maßnahmen zur Armutslinderung, für die Geschlechtergerechtigkeit und für die Bildung von Frauen auch das Bevölkerungswachstum (Cafaro 2012; United Nations Population Fund 2011). Im Gegensatz zu manchen Klimaschutzmaßnahmen aus dem Technologiebereich haben diese Maßnahmen keine negativen, sondern positive Nebenwirkungen. Außer in den Augen gewisser konservativer Strömungen bringt auch die Förderung der Familienplanung durch Zugang zur Geburtenkontrolle einen doppelten Gewinn.
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Sie erhöht nicht nur die autonome Lebensgestaltung für Frauen – insbesondere in Entwicklungsländern –, sondern sie könnte auch eine besonders günstige Methode zur Emissionsreduktion sein (vgl. Wire 2009: Tabelle 5.0.1). Angesichts dieser ethisch unproblematischen Methoden zur Bremsung des Bevölkerungswachstums besteht kaum eine Notwendigkeit, Zwangsmaßnahmen überhaupt ernsthaft zu erwägen. Aber selbst wenn wir Zwangsmaßnahmen außer Acht lassen, bleiben immer noch schwierige Diskussionspunkte offen. Man kann sich nämlich fragen, ob bereits finanzielle Anreize für weniger Kinder unzulässig in die persönliche Entscheidungsfreiheit eingreifen. Wenn Eltern ein Neugeborenes in den Armen halten, dann haben sie damit nicht nur jemandem das Leben geschenkt, rundum Freude bereitet und ein neues kreatives Wesen auf die Welt gebracht, das womöglich als Erwachsener mit innovativen Geniestreichen zur Lösung gesellschaftlicher Probleme beitragen wird. Sie haben der Gesellschaft und sich selbst auch Kosten bereitet: Ein Kind braucht Nahrung und Bildung, ein Kind braucht Platz, ein Kind belastet das Klima. Sollte die Gesellschaft die Eltern für die Kosten entschädigen, die ihnen entstehen, oder sollten umgekehrt die Eltern die Gesellschaft für die Kosten entschädigen, die ihr durch das Kind entstehen? Welche Lastenverteilung zwischen Eltern und Gesellschaft ist gerecht? Subventionen und Steuern beeinflussen diese Kostenverteilung – oft auch versteckt – und schaffen Anreize, weniger oder mehr Kinder zu haben. Diese Frage stellt sich nicht nur zwischen Eltern und Gesellschaft, sondern in analoger Weise auch zwischen dem einzelnen Staat und der Weltgemeinschaft. Ein Staat, der hohes Bevölkerungswachstum zulässt oder gar fördert, beansprucht damit einen größeren Anteil der natürlichen Ressourcen. Sollte er die anderen Staaten dafür kompensieren oder sollten umgekehrt die anderen Staaten die Umweltkosten dieser Entscheidung solidarisch mittragen? In der Klimapolitik heißt die Frage konkret: Sollten die Emissionsrechte eines Landes entsprechend seinem Bevölkerungswachstum erhöht werden? Sollten Länder Maßnahmen zur Dämpfung des Bevölkerungswachstums als Klimaschutzmaßnahme anrechnen dürfen? Ein Einwand gegen die Dämpfung des Bevölkerungswachstums kommt aus einer ganz anderen Ecke (und ist unabhängig davon, ob wir Zwangsmaßnahmen zur Bevölkerungsplanung ergreifen und ob wir die Kosten des Bevölkerungswachstums gerecht verteilen): Stellen wir uns vor, vor fünfzig Jahren hätte sich die Menschheit das Ziel gesetzt, die Bevölkerungsgröße drastisch zu reduzieren. Die Hälfte der heute lebenden Menschen hätte gar nie das Licht der Welt erblickt. Wäre damit nicht etwas Wertvolles verlorengegangen? Es stimmt zwar, dass der Verzicht auf die Geburt vieler Menschen das Klima geschont hätte. Aber genauso stimmt es, dass damit auch auf etwas Wunderbares verzichtet worden wäre: Menschliches Leben mit all seinen Glückserfahrungen, Beziehungen und Ambitionen hätte nie existiert. Wer der Meinung ist, dass mit der Geburt eines Menschen etwas Wertvolles auf die Welt kommt, und daraus schließt, dass durch die Geburt von mehr Menschen auch mehr Wertvolles auf die Welt kommt, und dies mit der Behauptung kombiniert, dass es unsere Aufgabe sei, Wertvolles herbeizuführen, wo immer wir das können, der kommt nicht umhin, in der Bevölkerungspolitik zwischen zwei Aspekten abzuwägen: Bevölkerungswachstum bedeutet einerseits eine größere Menschenschar – was positiv ist –, aber es bedeutet andererseits eine höhere Klimabelastung – was negativ ist, da es das Pro-Kopf-Wohlergehen dieser größeren Menschenschar senkt. Wenn das Bevölkerungswachstum im Kontext des Klimawandels diskutiert wird, wird oft
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ausschließlich der zweite Aspekt (mehr Menschen sind schlecht für das Klima) beachtet und der erste Aspekt (mehr Menschen sind an sich etwas Wertvolles) ausgeblendet. Zugegebenermaßen ist es auch alles andere als einfach, den ersten Aspekt miteinzubeziehen. Kaum etwas stößt die Tür zu verwirrenden philosophischen Paradoxen weiter auf als dieses Thema (vgl. Parfit 1984: Teil IV; Broome 2012: Kap. 10). Unter dem Strich bleibt das Fazit, dass die Bevölkerungspolitik einen gewissen Beitrag zum Klimaschutz leisten kann. Diesen sollten wir – wenn wir die richtigen Mittel dazu wählen – auch nutzen.
Strategie 2: Technologie Als zweite Klimaschutzstrategie möchten wir den technologischen Fortschritt erörtern. Sein Ziel ist es, die Emissionsintensität zu senken und damit den Wohlstand trotz fallender Emissionen zu steigern oder zumindest zu halten. Während die Bevölkerungs- und die Wohlstandsstrategie oft tabuisiert werden, kann sich die Technologiestrategie nicht über mangelnde Aufmerksamkeit beklagen. Quer durch das Parteienspektrum preisen Politiker einen grünen Umbau der Wirtschaft als schmerzlosesten und einzig realistischen Weg für den Klimaschutz. Welche sauberen Technologien stehen zurzeit überhaupt zur Debatte? Die meisten Maßnahmen zielen entweder darauf, die gleiche Wirtschaftsleistung mit weniger Energie (Energieeffizienz) oder gleich viel Energie mit weniger Emissionen zu generieren. Konkrete Beispiele sind der Ersatz fossiler Energiequellen durch Atom-, Wind- und Solarenergie, die Senkung des Benzinverbrauchs in Autos, der Einsatz von Wasserstoff und Bioethanol als Treibstoffe, die Erhöhung des Wirkungsgrades von Kohlekraftwerken und ihr Ersatz durch Gaskraftwerke, klimafreundlichere Gebäude oder die bodenschonende Bewirtschaftung des Ackerlands. Ein etwas anders gelagertes Beispiel ist Carbon Capture and Storage (CCS), das nahe beim Climate Engineering liegt (vgl. Kap. 4): Statt die Emissionen zu reduzieren, sollen sie direkt am Ursprung abgefangen und in unterirdischen Lagerstätten gespeichert werden. Angesichts der enormen Breite möglicher Formen technologischen Fortschritts wäre es absurd, sie ethisch alle über einen Leisten schlagen zu wollen – von kleinen, bereits erprobten Verbesserungen im Alltag, die nicht nur das Klima schützen, sondern auch noch Geld sparen, bis hin zu utopischen, risikoreichen Großprojekten. Während es keine Diskussion braucht, dass gewisse Aspekte des technologischen Fortschritts Teil jeder zukünftigen Klimaschutzstrategie sein müssen, wollen wir uns im Rest des Abschnitts fragen, wie eine umfassende Forcierung des technologischen Fortschritts als Hauptsäule des Klimaschutzes zu bewerten ist. Die Technologiestrategie repräsentiert sozusagen die Flucht nach vorne. In direktem Gegensatz zum Motto „Zurück zur Natur“ versucht diese Strategie – so ihre Kritiker – das Klimaproblem mit derselben Denkweise zu lösen, durch die es überhaupt entstanden ist. Manchmal ist diese Kritik von einer nicht-anthropozentrischen Grundhaltung geprägt: Der Fortschrittsglaube drücke einen überheblichen Glauben an die Beherrschung der Welt aus, dem der Respekt vor dem natürlich Gewachsenen fehle. Er beute die Umwelt berechnend aus und vernachlässige dabei nicht zuletzt die Auswirkungen auf die Tierwelt. Anstatt grund-
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sätzliches Misstrauen gegenüber der Haltung hinter der Technologiestrategie zu hegen, kann man auch – etwas weniger radikal – einfach skeptisch sein, ob der technologische Fortschritt in der Praxis auch tatsächlich die Resultate erbringt, die wir uns versprechen. Ist diese Skepsis berechtigt? Ist es wirklich wahr, dass eine Denkweise, die ein Problem geschaffen hat, nicht zu dessen Lösung beitragen kann? In der Tat gibt es Gründe, skeptisch zu sein, ob der technologische Fortschritt ein wirksames Instrument zur Lösung des Klimaproblems ist, und zwar Gründe, die über ein allgemeines Fortschrittsmisstrauen hinausgehen. Da ist z. B. die Problematik des Rebound-Effekts: Wenn wir Energie effizienter einsetzen, so muss das nicht bedeuten, dass wir schlussendlich weniger Energie verwenden. Wenn Autos weniger Benzin brauchen, so wird Autofahren billiger und das hat den Effekt, dass auch mehr Auto gefahren wird. Fortschritte bei der Energieeffizienz schlagen also nicht voll auf den Klimaschutz durch, sondern „verpuffen“ teilweise als Wohlstandssteigerungen. Ein weiteres Problem: Viele der „sauberen“ Energieformen senken zwar die Emissionen, bringen aber Nebenwirkungen mit sich. So stören Windkraftwerke manchmal das natürlich gewachsene Landschaftsbild. Schon ernster sind die Gefahren der Biotreibstoffe: Der Anbau von Pflanzen für Biotreibstoffe steht in Konkurrenz zum Anbau von Nahrungsmitteln. Die damit verbundenen Preissteigerungen sind für Menschen in Armut existenziell. Prominent sind auch die Gefahren der Atomkraft: Reaktorunfälle, Gesundheits- und Umweltschäden im Uranabbau, die jahrtausendelange Lagerung radioaktiver Abfälle und das Risiko einer militärischen Nutzung ziviler Atomenergieprogramme. Auch CCS birgt schwer abschätzbare Risiken, denn es fehlt eine solide Garantie dafür, dass das im Boden gespeicherte CO2 nicht unkontrolliert entweicht. Hinzu kommt, dass langfristige Prognosen zum technologischen Fortschritt oft einem Blick in die Kristallkugel gleichen. Die Einschätzung des Potenzials sauberer Technologien basiert oft auf Intuition und ist damit verzerrenden Einflüssen ausgesetzt: Einerseits kann das Misstrauen gegenüber dem Fortschritt von Zukunftsangst, fehlender Vorstellungskraft und Abwehr gegen Neuem genährt sein; andererseits besteht die Versuchung, das Potenzial neuer Technologien in der politischen Debatte hochzuspielen, weil die Technologiestrategie im Vergleich zu den Alternativen besonders bequem erscheint. Im Vergleich zur Technologiestrategie kann die Klimaschutzwirkung der Bevölkerungs- und der Wohlstandsstrategie aber besser abgeschätzt werden. Die Technologiestrategie hingegen gleicht einer Wette, die wir gewinnen oder verlieren können. Einerseits könnte um die Ecke ein technologischer Durchbruch warten, der das Klimaproblem billig und schmerzlos löst. Andererseits können die Entwicklung sauberer Technologien und ihr Einsatz auf breiter Front lange auf sich warten lassen und ernste Nebenwirkungen zeitigen. Die Möglichkeit einer optimistischen und pessimistischen Prognose wiegen sich aber aus ethischer Perspektive nicht einfach auf. In Teil II kamen wir zum Schluss, dass es beim Klimaschutz darum geht, übermäßige Risiken für zukünftige Generationen zu vermeiden. Angesichts dieses Ziels ist eine „Strategie“, die erstens aufgrund der Unsicherheit über ihre Wirksamkeit die Klimarisiken nur teilweise vermeidet („Restrisiko der Unwirksamkeit“) und zweitens aufgrund ihrer Nebenwirkungen die Klimarisiken teilweise durch neue Risiken ersetzt („das Risiko neuer Gefahren“) gar keine Strategie im vollen Sinne des Wortes. Sie gleicht eher einem Experiment. Letztlich spielt es für die betroffenen Personen in der Zukunft keine Rolle, ob eine Gefährdung ihrer Menschenrechte auf Klimarisiken, radioaktive Abfälle oder einen Nahrungsmittelpreisanstieg zurückgeht.
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Man könnte einwenden, dass die Klimarisiken im Vergleich zu den Nebenwirkungen der neuen Technologien globalere Auswirkungen und schlimmere Worst Cases aufweisen würden. Und vor allem könnte man einwenden, dass letztlich alles eine Frage des Geldes sei. Wenn wir uns die Entwicklung neuer – und den Einsatz bestehender – sauberer Technologien mehr kosten lassen würden, dann könnten die Risiken der Technologiestrategie wohl tatsächlich auf ein vertretbares Ausmaß reduziert werden. Solarenergie beispielsweise birgt kaum Risiken, ist zurzeit aber nicht die billigste Option. Wenn wir bereit wären, diesen Preis zu zahlen, dann würde das technologische Umsatteln die Risiken des Klimawandels nicht einfach ersetzen, sondern tatsächlich reduzieren. Die Strategie wäre dann aber auch kostspieliger, als sie auf den ersten Blick scheint. Der gleiche Einwand tauchte in Kapitel 4 auf, als wir Klimaschutz, Anpassung und Climate Engineering verglichen haben: Wenn Anpassung und Climate Engineering so umgesetzt würden, dass sie die Risiken letztlich gleich stark reduzierten wie der Klimaschutz, dann scheinen diese Optionen nicht länger so billig. Diese Einsicht wirft ein neues Licht auf die Technologiestrategie. Wenn die Strategie teuer ist, dann bedeutet das letztlich nichts anderes als Verzicht auf Wohlstand. Wenn wir z. B. Geld für die Entwicklung und den Einsatz von Solarenergie ausgeben, dann können wir dieses Geld nicht für den Konsum anderer Güter ausgeben. Somit erscheint der technologische Fortschritt nicht als Alternative zur Wohlstandsstrategie, sondern vielmehr als eine ihrer Varianten. Ob es die attraktivste Variante ist, ist nicht abschließend geklärt: Es könnte beispielsweise durchaus attraktiver sein, schlicht und einfach weniger zu heizen, als viel Geld für die Entwicklung und den Einsatz sauberer Heiztechnologien zu verwenden.
Strategie 3: Wohlstand Während die erste Strategie darauf abzielt, dass weniger Menschen geboren werden, und die zweite Strategie darauf abzielt, den Wohlstand dieser Menschen mit weniger Emissionen hervorzubringen, zielt die dritte Strategie darauf ab, den Wohlstand dieser Menschen zu beschränken. Konkret bedeutet die Wohlstandsstrategie, mit beschränktem Wohnraum zu leben, gemäßigt zu reisen, Gegenstände lange zu nutzen, pflanzenbasiert zu essen usw. Indirekt drückt sich die Wohlstandsstrategie in einem geringeren oder allenfalls sogar negativen Wirtschaftswachstum aus, die sich durch eine Regulierung der Treibhausgasemissionen ergibt. Ist der Verzicht auf Wirtschaftswachstum eine sinnvolle Klimaschutzstrategie? Das kommt ganz darauf an. Es kommt darauf an, ob Arme oder Reiche diese Strategie anwenden und es kommt darauf an, wie sie umgesetzt wird. Wenn die reichste Milliarde Menschen dieser Welt sich freiwillig für einen bescheideneren Lebensstil entscheidet, so ist das eine der unproblematischsten und sichersten Strategien für den Klimaschutz. Im Gegensatz zur Technologiestrategie hat sie keine gefährlichen Nebenwirkungen und im Gegensatz zur Bevölkerungsstrategie stehen keine weiteren heiklen ethischen Erwägungen auf dem Spiel. Zudem muss man bedenken, dass wir „Wohlstand“ hier im Sinne des materiellen Lebensstandards verwenden und es gut möglich ist, dass ein geringerer Wohlstand kaum Opfer für die Lebensqualität im umfassenderen Sinn mit sich bringt. In der Glücksforschung herrscht einige Unklarheit über
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den Zusammenhang zwischen dem materiellen Wohlstand und dem Lebensglück und es deutet manches darauf hin, dass ab einem bestimmten Niveau des materiellen Wohlstands weitere Wohlstandszugewinne nur noch wenig zusätzliches Lebensglück schaffen. Demgegenüber ist der Zusammenhang zwischen gewissen immateriellen und somit emissionsarmen Faktoren – wie beispielsweise stabilen Beziehungen, Demokratie oder Schlaf – und einem glücklichen Leben gut belegt. Es ist sogar so, dass eine Ausrichtung auf materielle Werte dem Lebensglück abträglich sein kann (vgl. zu diesen Punkten Diener und Seligman 2004; Stoll, Michaelson und Seaford 2012). Die Wohlstandsstrategie ist aber auch in reichen Ländern mit einem Einwand konfrontiert: Ein Staat, der einen bescheideneren Lebensstil von oben herab verordnet, gefährde die Freiheit und sei somit illiberal. Dieser Einwand trifft jedoch nicht ganz zu. Zwar bevorzugt eine wachstumsfeindliche Politik tatsächlich gewisse Lebensstile, während sie andere Lebensstile erschwert. Tritt ein Staat für weniger Wirtschaftswachstum ein, so hat das beispielsweise einen Einfluss auf die Gestaltung der öffentlichen Infrastruktur, auf die Attraktivität des Wirtschaftsstandorts oder auf die Schwerpunktsetzung des Schulstoffs in öffentlichen Schulen; und diese Aspekte beeinflussen ihrerseits die Möglichkeiten des einzelnen Bürgers, sich in Freiheit für einen mehr oder weniger wohlhabenden Lebensstil entscheiden zu können. Aber diese Kritik trifft in vieler Hinsicht auch auf eine wachstumsfreundliche Politik zu. Wenn ein Staat mit großem Einsatz den wirtschaftlichen Fortschritt und damit materialistische Werte fördert, dann erschwert er es Bürgern mit anderen Zielen, ihre Konzeption eines guten Lebens zu verfolgen. Dem Fluglärm oder dem auf das Einkommen der Reichen ausgerichtete Preisniveau kann sich beispielsweise auch ein „Aussteiger“ nicht entziehen. Die Politik kommt nicht umhin, es mit ihrer Entscheidung für mehr oder weniger Wachstum den einen recht zu machen und den anderen nicht. Der Staat kann aber den Respekt vor der individuellen Freiheit hochhalten, wenn er darauf verzichtet, bestimmte Formen eines bescheideneren Lebensstils durchzusetzen. In einem liberalen Staat sollte es der persönlichen Entscheidung überlassen sein, auf welche Aspekte des Wohlstands mit welcher Motivation verzichtet wird. Manche akzeptieren die Beschränkung des Wohlstands nur grollend als notwendiges Übel. Andere bewerten ihn positiv: Sie schätzen einen bescheidenen Lebensstil als ideale Ergänzung zu Werten wie Gemeinschaftssinn, Naturverbundenheit oder Spiritualität. Bescheidenheit muss aber nicht mit solchen Konnotationen einhergehen, sondern kann auch ganz andere Formen annehmen: In einer kleinen städtischen Blockwohnung den Tag mit Computerspielen zu verbringen und sich von Teigwaren und Billigcola zu ernähren, ist wohl ressourcenschonender, als auf dem großen Landhof zu leben, Bio-Fleisch zu essen und am Wochenende ins Meditationszentrum zu reisen. In einem liberalen Staat sollten auf gesetzlichem Weg nur die Grenzen des klimaverträglichen Wohlstands vorgeschrieben werden, nicht aber die Wahl dieses oder jenen Weges dahin und auch nicht der dazugehörige Mentalitätswandel. Man kann an dieser Stelle kritisch einwenden, dass diese Einschränkung – der Staat dürfe nur das Ziel, nicht aber die Route vorschreiben – der liberalen Hochachtung vor dem Wert der Freiheit allzu großes Gewicht gebe. Ist es wirklich falsch, wenn beispielsweise staatliche Schulen die Kinder auf eine naturverbundene Lebenshaltung einschwören oder wenn Formel-1-Rennen verboten werden? Niemand von uns bildet seine Wertvorstellungen und
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Lebensgewohnheiten in Isolation aus, sondern wir erwerben sie immer in der Gemeinschaft; das gilt insbesondere auch für die breit geteilten Grundwerte, ohne deren Halt auch der liberale Staat kaum bestehen könnte. Wenn nun aufgrund der Klimakrise eine „grüne Transformation“ unserer Werte angesagt ist, so könnte man es als zu individualistisch kritisieren, dass wir alle diesen Mentalitätswandel nach persönlichen Vorlieben gestalten. Es wäre nicht nur künstlich, sondern übermäßig beschwerlich (sozusagen ineffizient), die Änderung unserer Lebensgewohnheiten und Grundhaltungen möglichst unabhängig vom Schwung eines politisch gestalteten Umdenkungsprozess vorzunehmen. Ob wir gesetzliche Vorschriften – und auch informellen sozialen Druck – zu konkreten Aspekten eines bescheideneren Lebensstils als unzulässigen Eingriff in unsere Privatsphäre betrachten, hängt also von unserem Liberalismusverständnis ab. Unter dem Strich ist die Begrenzung des Wohlstands aus ethischer Perspektive jedenfalls eine besonders unproblematische Strategie für den Klimaschutz – wenn sie denn auf den Kreis wohlhabender Menschen beschränkt wird. Für Menschen in Armut muss die Evaluation der Wohlstandsstrategie nämlich gerade umgekehrt ausfallen. In Fall von armen Menschen ist es kaum bestritten, dass materielle Werte wie mehr Güter, mehr Energie und mehr Mobilität der Lebensqualität zuträglich sind; auf einer grundlegenderen Ebene wird dadurch überhaupt erst die Erfüllung ihrer Menschenrechte möglich. Während der Verzicht auf Wirtschaftswachstum für Wohlhabende Luxusemissionen einspart, versagt ein solcher Verzicht den Menschen in Armut die Subsistenzemissionen (vgl. Shue 1993). Für die Menschen in Armut bleiben also – insofern ihnen überhaupt Pflichten zum Klimaschutz zukommen (vgl. Teil III) – primär die Bevölkerungs- und die Technologiestrategie als Optionen. Diese Einsicht führt zu einem weiteren Schluss: Gegeben dass die Menschen in Armut einen so großen Teil der Menschheit ausmachen und gegeben dass der Beitrag der Bevölkerungsstrategie zum Klimaschutz nicht unbegrenzt gesteigert werden kann (vgl. O’Neill u. a. 2010), ist die Technologiestrategie für Menschen in Armut unausweichlich. Eine besonders sinnvolle Weise, wie reiche Menschen aus den Industrieländern auf ein Stück ihres Wohlstands verzichten können, besteht deshalb darin, die Entwicklung und den Einsatz sauberer Technologien in Entwicklungsländern zu finanzieren (vgl. Kap. 16). Im nächsten Kapitel diskutieren wir mit dem Emissionshandel ein Politikinstrument, das genau dies befördern könnte.
Argumente-Box 15: Emissionsreduktion: Drei Strategien Dieses Kapitel hat nicht erörtert, ob sondern wie wir die Emissionen reduzieren sollen. Die globalen Emissionen ergeben sich aus der Multiplikation der Anzahl Menschen mit dem Wohlstand pro Mensch und den Emissionen, die zur Schaffung einer Einheit Wohlstand nötig sind. Eine Klimaschutzstrategie kann dementsprechend bei der Bevölkerungsgröße, beim Wohlstandsniveau oder bei der Emissionsintensität ansetzen. 1. Bevölkerungsstrategie. Die Bevölkerungspolitik kann einen realen Beitrag zum Klimaschutz leisten. Es gibt für die Politik keinen Grund, auf ethisch heikle Zwangsmaßnahmen zurückzugreifen, sondern sie kann von Instrumenten wie der Armutsbekämpfung Gebrauch machen, die bereits für sich genommen wertvoll sind. Schwierig zu bewerten
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ist die Tatsache, dass eine Abschwächung des Bevölkerungswachstums auch immer bedeutet, weniger Menschen das Leben zu schenken. 2. Technologiestrategie. Es ist zweifelhaft, ob die Technologiestrategie das Ziel des Klimaschutzes – die Verminderung der Risiken für zukünftige Generationen – tatsächlich erreicht, da ihr Erfolg schlecht prognostizierbar ist und emissionsarme Technologien oft neue Risiken als Nebenwirkungen mit sich bringen. Wenn diese Strategie das Ziel tatsächlich erreichen will, dann führt das zu erheblichen Kosten, was ihren Status als politisch schmerzloseste Option in Frage stellt. 3. Wohlstandsstrategie. Die Wohlstandsstrategie ist für Menschen in Armut keine Option, für Wohlhabende hingegen die ethisch unproblematischste Klimaschutzstrategie. Damit wird die Technologiestrategie für Entwicklungsländer unausweichlich und ein Teil des Wohlstandsverzichts reicher Länder sollte für deren Finanzierung verwendet werden. Die politische Beschränkung des Wirtschaftswachstums respektiert liberale Werte umso mehr, je weniger spezifische Lebensstiländerungen vorgeschrieben werden. Bei allen Strategien kann man sich fragen, ob man eher auf staatliche Durchsetzung oder auf persönliche Initiative setzen soll. Unter dem Strich ist es weniger belastend, Klimaschutz politisch durchzusetzen, als ihn dem individuellen Handeln zu überlassen. Weil der Treibhausgasausstoß Rechte verletzt, ist die staatliche Beschränkung der Freiheit auch gerechtfertigt. Die Abwägung zwischen gesetzlichem Zwang und freiwilliger Initiative lässt dabei viele Abstufungen zu, um Freiheitsverluste so gering wie möglich zu halten. Auf freiwillige Initiative ist man aber angewiesen, wenn der Staat nicht handeln kann oder nicht handeln will; auf freiwilliger Initiative muss schließlich auch die Umsetzung des Ziels beruhen, den Staat durch das eigene Wahlverhalten oder gesellschaftliches Engagement überhaupt erst zum klimapolitischen Handeln zu ermächtigen.
19 Der Markt für Emissionen: ein moderner Ablasshandel? Die Klimapolitik kann zur Umsetzung ihrer Strategien auf verschiedene Politikinstrumente zurückgreifen. Besonders prominent, aber auch besonders umstritten ist dabei der Handel mit Emissionen. Die Grundidee eines Marktes für Emissionen kann anhand des Beispiels aus Kapitel 15 illustriert werden. Ein 200-Seelen-Dorf liegt an einem See, der sich gut zum Baden eignet. Die Nutzung des Sees muss aber auf 2000 Menschen pro Sommer begrenzt werden. Die Dorfgemeinschaft entschließt sich, jedem Einwohner eine Zehnerkarte auszuteilen. Bald schon beginnen die Kinder des Dorfes einander die Eintritte abzukaufen. Die Wasserratten sind froh, wenn sie mehr als zehnmal in den See können, während die Stubenhocker froh sind, ihre Eintrittskarten zu Bargeld machen zu können. Wenn der Handel mit diesen Eintrittsrechten zur Alltäglichkeit wird, dann bildet sich womöglich sogar ein Preis heraus, mit dem man üblicherweise beim Abkaufen eines Eintritts rechnen muss. In diesem Beispiel sind drei Elemente zentral: ein Gesamtbudget an Eintritten, die Verteilung dieses Gesamtbudgets auf die einzelnen Einwohner und der Handel mit diesen Eintritten. Diese Elemente finden sich analog beim Emissionshandel, nur dass es um die Atmosphäre statt um einen See und um Emissionszertifikate statt um Eintrittsrechte geht: Im klassischen Fall des Emissionshandels setzt die Politik erstens ein Gesamtbudget an Emissionsrechten fest (die Größe des „CO2-Kuchens“, eine sogenannte cap), dieses Budget an Emissionsrechten wird zweitens auf ein Budget für jeden einzelnen Akteur aufgeteilt (die „Kuchenstücke“) und drittens können die Akteure – Länder, Firmen, Individuen – mit ihren Emissionsrechten handeln. Akteure, welche die Emissionen problemlos senken können und somit Einnahmen statt Emissionsrechte bevorzugen, verkaufen die Emissionsrechte. Akteure, die auf Emissionsrechte angewiesen sind und somit bereit sind, dafür zu zahlen, kaufen zusätzliche Emissionsrechte. Die Emissionsrechte erhalten durch Angebot und Nachfrage einen Marktpreis. Die Idee eines Marktes für Emissionsrechte bzw. Reduktionsverpflichtungen kommt in der Praxis auch in anderen Ausprägungen als dem klassischen Fall des Emissionshandels vor. Der Clean Development Mechanism (CDM) des Kyoto-Protokolls beispielsweise unterscheidet sich dadurch vom Emissionshandel im engeren Sinn, dass es nicht für alle beteiligten Akteure eine cap für das Emissionsbudget gibt, sondern nur für die Industrieländer. Diese können in Entwicklungsländern Emissionsreduktionen kaufen, wobei dargelegt werden muss, dass die Emissionsreduktion tatsächlich aufgrund der von einem Industrieland finanzierten Maßnahme erreicht wurde und nicht ohnehin erreicht worden wäre. Eine weitere Ausprägung eines Marktes für Emissionen ist das freiwillige Offsetting. Dabei kompensieren Individuen oder Firmen die Emissionen ihrer Flugreisen, Konsumgüter, Veranstaltungen usw. und erreichen damit „Klimaneutralität“. Diese Form weicht vom Emissionshandel im klassischen Sinn ab, weil die Käufer der Emissionsreduktionen freiwillig zahlen, ohne dass ihr Emissionsbudget von der Politik durch eine cap
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begrenzt würde. Dieser freiwillige Markt macht allerdings nur einen Bruchteil des gesamten Emissionsmarktes aus (vgl. zu diesen und den folgenden Aussagen Kossoy und Guigon 2012). Letzterer umfasste Ende 2011 den Handel von rund 10 Milliarden Tonnen CO2e im Wert von rund 176 Milliarden US Dollar (zur Maßeinheit s. S. 4). Der Löwenanteil dieses Handels findet in der EU statt, weil sie den ersten großen und grenzüberschreitenden Treibhausgasemissionshandel zwischen Unternehmen auf die Beine gestellt hat. Die große Frage ist nun, ob ein Markt für Emissionen aus ethischer Perspektive zu befürworten oder zu verurteilen ist. Im Falle des klassischen Emissionshandels stellen sich bezüglich aller drei Elemente ethische Fragen, wobei die ersten beiden Elemente die gewichtigsten Fragen aufwerfen: Ist der gesamte „CO2-Kuchen“ (die cap) so klein, wie er angesichts unserer Pflichten gegenüber zukünftigen Generationen sein sollte? Und werden die „Kuchenstücke“ gerecht verteilt? Weil wir diese beiden Fragen bereits in den Teilen zu intergenerationeller und globaler Gerechtigkeit diskutiert haben, klammern wir sie in diesem Kapitel an den meisten Stellen aus und kommen erst am Schluss kurz darauf zu sprechen. Stattdessen konzentrieren wir uns hier auf den dritten Aspekt des Emissionshandels: die Handelbarkeit der “Kuchenstücke“. Das ist das Element, das als Kernidee allen Ausprägungen eines Markts für Emissionen gemeinsam ist. Die Handelbarkeit von Emissionen bedeutet, dass wir bei der Erfüllung unserer Emissionsreduktionspflichten nicht zwingend „zuerst vor der eigenen Haustüre kehren“ müssen, sondern dass wir andere dafür bezahlen können, an unserer Stelle zu reduzieren. Emissionsrechte werden damit zu einem handelbaren Gut wie Äpfel oder Aktien. Wenn wir im nächsten Abschnitt die Frage diskutieren, ob es aus ethischer Perspektive einen Unterschied macht, ob wir die Emissionen selbst reduzieren oder andere dafür bezahlen, so stützen wir uns dabei auf die Argumente von Caney und Hepburn (2011).
Was für einen Emissionsmarkt spricht Im Vergleich zu manch anderen Instrumenten hat der Handel mit Emissionen zwei große Pluspunkte. Erstens macht er den Klimaschutz billiger und zweitens lässt er den Akteuren mehr Freiheit bei der Umsetzung des Klimaschutzes. Im Gegensatz zu den Argumenten gegen einen Markt für Emissionen sind diese zwei Punkte nicht besonders subtil, aber deshalb keineswegs unwichtig. Zunächst zum ersten Pluspunkt: Ein Markt für Emissionen erlaubt es, die Emissionen dort zu reduzieren, wo es am günstigsten ist. Wenn eine österreichische Firma die Emissionen durch einen kleinen Kniff massiv senken kann, während eine italienische Firma dasselbe Ziel nur über teure Maßnahmen erreichen kann, so scheint es naheliegend, dass die italienische Firma die Emissionen weniger senkt als sie müsste, dass die österreichische Firma die Emissionen stärker senkt als sie müsste, und dass die österreichische Firma dafür von der italienischen Firma entschädigt wird. Damit ist allen gedient. Wenn wir von den beiden Firmen verlangen würden, „zuerst vor der eigenen Haustüre zu kehren“, dann würde das gleiche Ausmaß an Klimaschutz mehr kosten. Umgekehrt gesagt kann dank des Emissionsmarktes zu gegebenen Kosten mehr Klimaschutz erreicht werden. Das ist besonders dann ein Vorteil, wenn der politische Wille für den Klimaschutz sehr schwach ist. Dann ist es wichtig, aus den beschränkten finanziellen Ressourcen möglichst umfangreiche Emissionsreduktionen herauszuholen.
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Ein Markt für Emissionen senkt aber nicht nur die Kosten des Klimaschutzes, sondern er schränkt auch die Freiheit derjenigen, die das Klima schützen müssen, weniger ein. Die Akteure sind nicht auf eine bestimmten Art klimafreundlichen Handelns festgelegt (z. B. auf Autos zu verzichten, die gewisse Effizienzstandards nicht erfüllen), sondern sie müssen „bloß“ dafür sorgen, dass die Emissionen gesenkt werden. Wie die Emissionen genau gesenkt werden, ist jedem einzelnen Akteur überlassen und wer sie genau senkt, ergibt sich aus Kosteneffizienzvorteilen: derjenige, für den es am günstigsten ist. Staatliche Gebote und Verbote hingegen machen in spezifischen Wirtschafts- und Lebensbereichen detaillierte Vorgaben, während ein Instrument wie der Emissionshandel praktisch alles – außer der Zielerreichung – den Entscheidungen der einzelnen Akteure und der Koordination durch den Marktmechanismus überlässt.
Was gegen einen Emissionsmarkt spricht Allerdings wird dem Handel mit Emissionen trotz seiner Kosten- und Freiheitsvorteile oft mit Skepsis begegnet. Das Unbehagen ist nicht zuletzt im Kyoto-Protokoll spürbar, wenn sogleich nach dem Ja zum Emissionshandel betont wird, dass dieser höchstens zusätzlich zu inländischen Klimaschutzbemühungen erlaubt sei. Was sind die ethischen Argumente gegen einen Markt für Emissionen? Die Einwände gegen den Kauf und Verkauf von Emissionen knüpfen an die verbreitete Ansicht an, dass nicht alles, was auf Märkten gehandelt werden kann, auch auf Märkten gehandelt werden soll. In vielen Bereichen ist uns diese Ansicht vertraut: Wir stimmen intuitiv zu, dass Organspenden zwar gut sind, der Organhandel aber heikel ist; dass ein Arbeitsmarkt etwas Sinnvolles, der Sklavenhandel aber etwas Schlimmes ist; dass sich ein Millionär zwar viele Privilegien erkaufen darf, nicht aber die Dienste eines Armen, eine Gefängnisstrafe an seiner statt abzusitzen. Auch wenn eine Markttransaktion freiwillig zustande kommt und sowohl für Käufer als auch Verkäufer vorteilhaft ist, ist sie darum noch nicht notwendigerweise moralisch unbedenklich. Vielmehr kann eine Tauschhandlung aus mindestens drei Gründen moralisch problematisch sein. Erstens sollte an gewissen Gütern kein Eigentum möglich sein oder wenigstens kein Privateigentum (eine eigentumsbezogene Kritik). Und wenn das Eigentum an einem Gut in Frage gestellt ist, dann ist auch der Handel mit diesem Gut in Frage gestellt. Das Sklaverei-Beispiel kann so verstanden werden: Niemand sollte Eigentum an anderen Menschen beanspruchen, geschweige denn andere Menschen auf Märkten kaufen und verkaufen. Zweitens gibt es Güter, bei denen es zwar unproblematisch ist, wenn wir Eigentum an ihnen beanspruchen, die aber trotzdem nicht auf Märkten gehandelt werden sollten, schon gar nicht für Geld (eine güterbezogene Kritik). Der Handel würde eine unangemessene Einstellung gegenüber diesem Gut zum Ausdruck bringen – oder eine unangemessene Haltung überhaupt erst bewirken. Das Organbeispiel kann so verstanden werden: Es würde den speziellen und persönlichen Bezug, den wir zu unseren Organen als Teil unseres Körpers haben, entwerten, wenn wir sie für Geld auf Märkten veräußern würden. Drittens gibt es Pflichten, die man selbst erfüllen soll, statt andere für ihre Erfüllung zu bezahlen (eine pflichtbezogene Kritik). Das Gefängnisbeispiel kann so verstanden werden: Es ist eine persönliche Pflicht des reichen Verbrechers, seine Strafe anzutreten. Man sollte sie genau so wenig veräußern dürfen wie man gewisse Güter nicht veräußern sollte.
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Treffen diese drei Formen der Kritik an gewissen Markttransaktionen auch auf den spezifischen Fall des Emissionsmarktes zu? Die eigentumsbezogene Form der Kritik könnte geltend machen, dass wir die Atmosphäre nicht als menschliches Eigentum betrachten sollten. In einer etwas schwächeren Form könnte man nicht das Eigentum an der Atmosphäre an sich, sondern bloß das Privateigentum kritisieren. Diese schwächere Form der Kritik gesteht das gemeinsame Eigentum der Menschheit an der Atmosphäre zu, verneint aber exklusive – und damit handelbare – Rechte an Teilen der Atmosphäre. Allerdings liefert die Kritik weder in der stärkeren noch in der schwächeren Form ein durchschlagendes Argument gegen den Emissionshandel. Erstens ist nämlich nicht von vornherein klar, dass wir an der Atmosphäre kein Eigentum haben sollten – schließlich kritisieren wir die Möglichkeit des Eigentums an vielen anderen Aspekten der Natur (z. B. Land, Pflanzen) auch nicht. Zweitens – und wichtiger – ist gar nicht klar, dass der Emissionshandel wirklich auf die Idee des Eigentums an der Atmosphäre angewiesen ist. Denn was beim Emissionshandel gekauft und verkauft wird, ist kein Eigentumsrecht, sondern vielmehr ein Nutzungsrecht an der Atmosphäre. Ein Emissionsrecht gibt einem kein Anrecht, mit einem bestimmten Kubikmeter der Atmosphäre zu tun und zu lassen, was man will. Vielmehr gibt es einem das Recht, die Fähigkeit der Atmosphäre zu nutzen, CO2 für eine bestimmte Zeit zu absorbieren. Im amerikanischen Emissionshandel mit Schwefeldioxid wurde sogar explizit festgehalten, dass es um eine beschränkte Erlaubnis zu emittieren gehe und die Emissionszertifikate kein Eigentumsrecht darstellten (Tietenberg 2006: 193). Kaum jemand aber wird etwas gegen ein Nutzungsrecht an der Atmosphäre einwenden. Wie wollten wir überhaupt überleben, ohne die Atmosphäre zu nutzen? Der Emissionshandel beschränkt dieses Recht bloß und macht es handelbar. Drittens kann man den Markt für Emissionen – zumindest in manchen Fällen – auch als einen Markt für Emissionsreduktionen interpretieren, statt als einen Markt für Emissionsrechte. Wenn diese Interpretation berechtigt ist, dann greift die eigentumsbezogene Kritik noch weniger. Der Skeptiker des Handels mit Emissionen könnte aber auch im Sinne der güterbezogenen Kritik argumentieren: Unabhängig davon, ob es beim Handel mit Emissionen um Eigentumsrechte, Nutzungsrechte oder Emissionsreduktionen geht, geht es auf jeden Fall um den Kauf dieser Güter. Mit einem Markt für Emissionen werde der Atmosphäre ein Preisschild umgehängt; sie werde „kommodifiziert“. Beim Wort genommen ist aber auch diese Kritik nicht einfach aufrechtzuerhalten. Wenn wir für ein Orgelkonzert einen Eintrittspreis verlangen, dann drücken wir damit weder den Wert des gespielten Stücks in Geld aus noch „verdinglichen“ wir damit die Schönheit der Musik. Der Eintrittspreis ist lediglich ein Mittel, um einen zu großen Ansturm auf das Konzert zu verhindern, um den Organisten entschädigen zu können oder um zu bewirken, dass vor allem diejenigen das Konzert besuchen, denen es mehr als anderen bedeutet. Analog gilt beim Handel mit Emissionen: Der Handel mit den Emissionsrechten muss nicht symbolisieren, dass wir die Natur bloß als nutz- und handelbaren Gegenstand begreifen. Im Prinzip könnte der Preis für die Emissionsrechte sogar Hochachtung vor der Natur ausdrücken, weil er davon zeugt, dass wir Emissionsrechte freiwillig zu einem knappen (und handelbaren) Gut gemacht haben oder dass wir zu gegebenen Kosten möglichst umfangreiche Emissionsreduktionen erzielen wollen. Insbesondere zwingt uns niemand, das Ausmaß unserer Wertschätzung für die Natur in irgendeiner Weise vom Preis der Emissionsrechte abhängig zu machen.
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Der Kritiker des Emissionshandels könnte nun anerkennen, dass es in gewissen Fällen durchaus angemessen sei, für das Emittieren zu zahlen. Bloß müsse die Bezahlung als Buße statt als Preis verstanden werden. Ein Beispiel kann den Unterschied zwischen einem Preis und einer Buße illustrieren. Stellen wir uns einen Konzertveranstalter vor, der Werbeplakate aufhängt und für die Benutzung öffentlicher Wände eine Gebühr von 100 Euro pro Plakat zahlen muss. Wenn er für die Plakatierung an illegalen Stellen eine Strafe von ebenfalls 100 Euro zahlen müsste, so müsste man diese beiden Fälle dennoch unterschiedlich interpretieren: Die Zahlung für das legale Plakatieren ist eine Gebühr, die Zahlung für das illegale Plakatieren eine Buße. Analog könnte der Kritiker des Handels mit Emissionen behaupten: Wenn jemand CO2 emittiert und dafür ein Emissionszertifikat kauft, dann sollte er diese Zahlung nicht als Preis für ein Recht zu emittieren verstehen, sondern vielmehr im Sinne einer Strafe für ein Fehlverhalten (nämlich das Fehlverhalten, zu viel emittiert zu haben). Mit dem Kauf des Emissionsrechts sei er nicht aus dem Schneider, denn seine Pflicht hätte darin bestanden, selbst die Emissionen zu reduzieren und nicht bloß mittels einer Zahlung dafür zu sorgen, dass die Emissionen anderswo reduziert werden. Er hat sozusagen eine „Umweltsünde“ begangen, und die Zahlung ist kein „Ablass“ dafür. Damit sind wir bei der pflichtbezogenen Kritik am Emissionshandel angelangt. Was ist von dieser Kritik zu halten? Zuerst einmal müssen wir uns fragen, ob es ein Argument dafür gibt, dass ausgerechnet das Reduzieren von Emissionen eine persönlich zu erfüllende Pflicht ist. Wir lassen schließlich im Alltag viele unserer Pflichten durch Fremde erledigen, z. B. wird unsere Pflicht, für unsere Kinder zu sorgen, oft durch einen Babysitter erfüllt. Dass ausgerechnet der Klimaschutz eine persönliche Pflicht sein soll, ist insbesondere deshalb fraglich, weil es bei Emissionsreduktionen ja um deren Wirkung geht. Die Atmosphäre kümmert sich nicht darum, wer genau die Emissionen reduziert. Warum also sollten wir ganz persönlich unseren Emissionsreduktionspflichten nachkommen? Ein potenzielles Argument dafür könnte sich auf das Beispiel rationierter Lebensmittelmarken berufen, mit deren Hilfe zu Kriegszeiten alle Bürger verpflichtet wurden, den Konsum gewisser Lebensmittel auf eine bestimmte monatliche Menge zu beschränken. Viele empfinden es als moralisch problematisch, wenn in einer solchen Zeit die reichen Mitbürger ihren mittellosen Mitbürgern die Essensmarken abkaufen dürfen. Vielmehr ist es ein Ausdruck eines kooperativen Ethos, wenn sich auch die Reichen auf ein Ei pro Monat beschränken müssen. Ein Verbot oder eine Ächtung des Handels mit Lebensmittelmarken symbolisiert in einer harschen Zeit, dass alle gemeinsam an einem Strang ziehen. Analog könnte man auch für den Klimaschutz fordern, dass sich die Reichen nicht von der notwendigen Lebensstilumstellung freikaufen dürfen, indem sie die Armen für die Reduktion der Emissionen bezahlen. Vielmehr sollten alle den Weg zu einem emissionsärmeren Lebensstil gemeinsam gehen. Diese Kritik wird manchmal zu plump präsentiert, so als würden die reichen Käufer von Emissionsrechten gar keine Lasten tragen, sondern diese gänzlich auf die Verkäufer überwälzen. Das stimmt natürlich nicht: Die Reichen bezahlen ja die Armen für ihre Anstrengungen. Das kommt zwar keinem Verzicht auf Emissionen gleich, aber doch einem Verzicht auf Wohlstand. Und das ist tatsächlich ein Opfer. Die Lasten werden also auch mit dem Emissionshandel gemeinsam von den Reichen und Armen getragen und es ist nicht leicht ersichtlich, weshalb beide die Lasten in Form von Emissionsreduktionen tragen müssten. Eine persönliche Pflicht zu Emissionsreduktionen statt zur Zahlung für Emissionsreduktionen macht insbesondere im Hinblick auf den Emissionshandel zwi-
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schen Firmen wenig Sinn: Firmen sind schließlich keine Personen und somit ist die Vorstellung eines kooperativen Ethos zwischen Firmen auch weniger naheliegend. Aber auch im Fall des Handels zwischen Nationen und Individuen ist es fraglich, ob die Plausibilität eines Tauschverbots für rationierte Lebensmittelmarken nicht eher die große Ausnahme darstellt. Womöglich würde es für die beteiligten Akteure kein großes Opfer bedeuten, auf diesen Handel mit Lebensmittelmarken zu verzichten. Doch im Gegensatz dazu könnte es vor allem für die Armen durchaus ein großes Opfer bedeuten, auf den Handel mit Emissionen zu verzichten und überschüssige Emissionsrechte nicht zu Geld machen zu dürfen. Die drei Spielformen der Marktkritik haben auf den ersten Blick zwar tatsächlich eine gewisse Überzeugungskraft, aber bei näherer Betrachtung treffen sie kaum auf den Markt für Emissionen zu. Es ist überraschend schwer, grundsätzliche ethische Probleme eines Handels mit Emissionen zu benennen. Das soll nicht ausschließen, dass der Kauf und Verkauf von Emissionen allenfalls ein Mosaikstein einer größeren und problematischen Tendenz sein könnte: der Tendenz, den Marktmechanismus auf immer mehr Lebensbereiche auszudehnen. Die „ökonomische Kolonialisierung“ vieler einzelner Lebensbereiche könnte in der Summe problematisch sein, auch wenn jedes einzelne Beispiel für sich genommen unproblematisch sein sollte. Wenn in menschlichen Interaktionen alles nur noch als Tausch von Leistung und Gegenleistung verstanden wird, dann geht in unserem Leben tatsächlich etwas Wichtiges verloren. Allerdings wäre es in diesem Fall unklar, weshalb gerade der Markt für Emissionen aufgegeben werden müsste statt beispielsweise die Ausdehnung der Marktlogik auf das Bildungs- und das Gesundheitswesen. Der marktwirtschaftliche Charakter und die theoretische Kernidee des Emissionshandels geben für sich genommen also wenig Grund zu ethischer Kritik. Die Probleme des Emissionshandels müssen wir vielmehr in seiner praktischen Umsetzung suchen.
Funktioniert der Markt für Emissionen überhaupt? Der Emissionshandel beruht auf der Idee, dass es keinen Unterschied macht, ob wir die Emissionen selbst reduzieren oder ob wir jemand anderen für die Reduktion bezahlen. Nur macht es tatsächlich einen Unterschied. In der Praxis hat die Handelbarkeit der Emissionsrechte einen Einfluss darauf, wie stark die Gesamtemissionen schlussendlich sinken und wie die Lasten dabei verteilt werden. Das mag verwundern, da ja der Emissionshandel im Vergleich zu anderen Politikinstrumenten – wie beispielsweise Steuern oder technischen Vorgaben – das Reduktionsziel und die Lastenverteilung viel direkter steuern kann. Die Gründe für die praktischen Probleme sind vielfältig. Emissionsreduktionen sind nur schwer zu beobachten, zu quantifizieren und zu kontrollieren, besonders in Staaten mit schwachen und korrupten Strukturen. Damit der Emissionshandel funktioniert, müssen Rahmenbedingungen über die cap, die Zuteilung der Emissionen, die Messung und die Kontrolle ausgehandelt werden. Dabei ist man auf die Kooperation von Unternehmen angewiesen und diese neigen dazu, die Rahmenbedingungen in ihrem Eigeninteresse zu beeinflussen. Beispielsweise erreichten die Unternehmen im Emissionshandelssystem der EU, dass ihnen die Zertifikate, die sie zum Emissionsausstoß berechtigen, ursprünglich kostenlos zugeteilt wur-
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den. Weil aber CO2 durch die Einführung des Emissionshandels gleichzeitig einen Preis erhielt, konnten die Unternehmen ihre emissionsintensiven Güter nun teurer verkaufen. Das hatte unter dem Strich den unerwünschten Effekt, dass Emittieren für die Unternehmen nicht teurer wurde, sie aber gleichzeitig die emissionsintensiven Produkte teurer verkaufen konnten. Die Differenz strichen sie als Gewinn ein (sog. Windfall Profits). Aber selbst wenn die Unternehmen die Rahmenbedingungen größtenteils nicht im Sinne ihres Eigeninteresses beeinflussen würden: Ein einziges schwaches Glied in der Kette genügt schon, damit am Schluss für eine Reduktion bezahlt wird, die letztlich gar keine ist. Wenn beispielsweise ein Unternehmen in der Schweiz dafür zahlt, dass ein Stück Wald in Brasilien erhalten wird, so nützt das der Atmosphäre nur, wenn der Wald dann nicht fünf Jahre später trotzdem abgeholzt wird. Und sogar wenn der Wald langfristig erhalten bleibt, ist es fraglich, ob er tatsächlich wegen der Zahlung des Schweizer Unternehmens erhalten bleibt. Sonst macht der Verzicht auf die Abholzung natürlich keine Emissionen in der Schweiz wett. Das ist in der Fachsprache das sogenannte Additionality-Problem, das im Falle des Clean Development Mechanism und bei freiwilligem Offsetting auftreten kann: Wenn ein Akteur, der selbst keine Obergrenze für seine Emissionen hat, eine Emissionsreduktion verkauft, dann darf es sich dabei nicht um eine Reduktion handeln, die ohnehin vorgenommen worden wäre. Natürlich gibt es viel Spielraum bei der Schätzung, welche Reduktionen ohnehin – auch ohne die Gelegenheit, diese auf dem Emissionsmarkt in Geld zu verwandeln – vorgenommen worden wären. Besonders problematisch ist der Anreiz, absichtlich klimaschädliche Anlagen zu bauen, um später mit der Reduktion der Treibhausgase ebendieser Anlagen Geld zu machen. Der Markt für Emissionen könnte zudem zu Motivation Crowding führen (vgl. den kritischen Überblick in Page 2011b). Viele Menschen schützen das Klima bis zu einem gewissen Grad auch ohne finanzielle Anreize, sondern einfach aus persönlicher Einsicht. Nun haben aber Untersuchungen gezeigt, dass finanzielle Anreize die intrinsische Motivation nicht immer ergänzen, sondern im Gegenteil auch ersetzen und vernichten können. Indem der Handel mit Emissionen klimafreundliches Verhalten finanziell belohnt, signalisiert er uns, dass die Motivation von innen heraus gar nicht nötig ist. Wir entwöhnen uns deshalb des Pflichtbewusstseins und reduzieren Emissionen nur noch gegen Entschädigung. Durch dieses Motivation Crowding kann der Markt für Emissionen den Mentalitätswandel – Klimaschutz als etwas Normales und Freiwilliges anzusehen – verzögern oder gar verhindern. Der Handel mit Emissionen nimmt dem Treibhausgasausstoß das Stigma, indem er das Recht zu verschmutzen ins Zentrum der Aufmerksamkeit stellt. Zumindest könnte man ihm vorwerfen, dass er ablenkt: Er konnotiert Klimaschutz mit Wachstumschancen und verschiebt den Fokus vom zentralen Ziel, die Emissionen tatsächlich genügend zu reduzieren, auf die Frage, ob wir dieses Ziel auch ja zu den geringsten Kosten erreichen. Diese Beispiele für einige der praktischen Probleme lassen uns zweifeln, ob die Kernidee eines Marktes für Emissionen in der Umsetzung wirklich funktioniert. Wenn wir eine Tonne CO2 über unserer cap emittieren und dafür jemanden bezahlen, eine Tonne unter seiner cap zu emittieren, dann bleiben wir im Ungewissen, ob das in der Praxis tatsächlich ein Nullsummenspiel ist – oder ob nicht am Ende doch mehr Emissionen in die Atmosphäre gelangen, als wenn wir beide die Emissionen je auf unsere cap reduziert hätten. Hinzu kommt, dass im Emissionshandel Chancen ausgelassen werden, die Emissionen insgesamt mehr als erforderlich zu reduzieren, also unter die cap fallen zu lassen. So wurden den Staaten der ehemaligen Sowjetunion im Kyoto-Protokoll
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mehr Emissionsrechte zugeteilt, als sie überhaupt brauchen konnten. Ohne Emissionshandel wären diese Emissionsrechte einfach verfallen – d. h. die Emissionen wären unter das angestrebte Niveau gesunken –, aber dank des Emissionshandels konnten sie diese Rechte verkaufen und damit anderen Emissionen ermöglichen (in der Fachsprache ist dies das sogenannte Hot Air Problem). Die verpasste Chance auf zusätzliche Reduktionen zeigt sich auch darin, dass westliche Staaten zu viel umfassenderen Innovationen gezwungen wären, wenn sie ihre Reduktionspflichten vollständig „zu Hause“ erreichen müssten statt ihre Emissionen in andern Ländern kompensieren zu können. Diese Innovationen in Technologie und Lebensstil hätten Multiplikationseffekte und würden den Umstieg auf eine emissionsarme Wirtschaftsstruktur zusätzlich beschleunigen. Wenn man annimmt, dass wir mittelfristig ohnehin vollständig aus dem fossilen Zeitalter aussteigen müssen und dass ein früher Ausstieg (nicht zuletzt auch aus der Perspektive des Eigeninteresses) sinnvoller ist als ein später Ausstieg, dann stellt das den Emissionshandel in Frage. Wenn die cap den langfristigen Nutzen einer schnellen Umstellung nicht einbezieht, dann können die Reichen kurzfristig munter weiter emittieren, nur um später umso schmerzhaftere Umstellungen vornehmen zu müssen. In der realen Welt kann der Handel mit Emissionen also mit dem Ziel, die Emissionen zu reduzieren, in Spannung geraten. Aber nicht nur die CO2-„Kuchengröße“, sondern auch die mittels der Verteilung der „Kuchenstücke“ angestrebte Lastenverteilung kann aus verschiedenen Gründen im Endeffekt weniger gerecht sein als beabsichtigt. So findet der Emissionshandel typischerweise nicht zwischen Individuen, sondern zwischen Staaten oder Unternehmen statt. Auch wenn die Emissionsrechte gerecht auf die verschiedenen Staaten aufgeteilt würden, so würde das noch lange nicht heißen, dass es letztendlich zu einer gerechten Verteilung der Klimaschutzkosten auf Individuen kommt: Korrupte Eliten können die Emissionszertifikate – die ja zu barem Geld gemacht werden können – zu ihrem eigenen Vorteil nutzen, statt die Bevölkerung gerecht daran teilhaben zu lassen. Und wie bereits erwähnt können Unternehmen, die ihre Emissionen und Reduktionsmöglichkeiten besser kennen als jede politische Regulierungsbehörde, das System zu ihren Gunsten zu gestalten und nutzen versuchen. Zudem besteht beim Emissionshandel die Befürchtung einer regressiven Wirkung, das heißt, dass die Armen verhältnismäßig mehr als die Reichen belastet werden (Shammin und Bullard 2009): Durch den Emissionshandel bekommen CO2-Emissionen einen Preis; und weil Arme diesen Preis weniger leicht zahlen können und weil sie einen größeren Anteil ihrer Gesamtausgaben für Energie verwenden, kann sie der Emissionshandel überproportional treffen. Allerdings kann man diese negativen Auswirkungen auch verhindern, etwa indem begleitend Umverteilungsmaßnahmen (wie Sozialtransfers zur Deckung des Energiegrundbedarfs) durchgeführt werden oder die Emissionen, die der Deckung der Grundbedürfnisse dienen, gänzlich vom Handel ausgenommen werden. Zudem könnte ein Markt für Emissionen durchaus auch positive Wirkungen für Menschen in Armut haben. Denn wenn der Westen die Innovationen in saubere Technologien in den Entwicklungsländern statt zu Hause vornimmt, so ist das aus Gerechtigkeitsperspektive durchaus begrüßenswert. Wie auch immer diese verschiedenen Effekte unter dem Strich zusammenspielen: Die Komplikationen verdeutlichen, dass die Verteilungswirkung des Emissionshandels weniger einfach und direkt steuerbar ist, als es auf den ersten Blick scheinen mag. Der Emissionshandel braucht eine sorgfältige Ausgestaltung, damit er nicht neue Ungerechtigkeiten riskiert.
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Was bedeutet das alles in einer Gesamtsicht? Auf dem Papier macht ein Markt für Emissionen den Klimaschutz billiger und freiheitlicher als andere Politikinstrumente. In der Praxis hat er allerdings diverse Probleme. Weder das angestrebte Ausmaß an Klimaschutz noch das angestrebte Verteilungsmuster der Lasten lassen sich so einfach erreichen, wie es scheint. Daraus kann man zwei mögliche Schlüsse ziehen: auf den Emissionsmarkt verzichten oder den Emissionsmarkt verbessern. Wenn man der Auffassung ist, dass die Probleme bei der praktischen Umsetzung unlösbar sind, dann bietet sich der erste Schluss an. Es müssten dann andere Politikinstrumente zum Zug kommen: CO2-Steuern, Subventionen für klimafreundliche Technologien und deren Transfer in Entwicklungsländer, Verbote, Standards, Forschungsförderung im Bereich erneuerbarer Energien, Motivations- und Informationskampagnen usw. Wenn man hingegen glaubt, dass sich die praktischen Probleme des Emissionsmarktes beheben lassen, dann ist die Erarbeitung einer verbesserten Version angesagt. Das letzte Wort ist also noch nicht gesprochen.
Argumente-Box 16: Der Markt für Emissionen: ein moderner Ablasshandel? Der Emissionshandel wirft aus ethischer Perspektive neben den zwei zentralen Fragen, wie viele Emissionsrechte insgesamt ausgegeben und wie sie verteilt werden sollen, insbesondere die Frage auf, ob wir mit Emissionsrechten handeln dürfen – mit anderen Worten, ob wir andere für Emissionsreduktionen bezahlen dürfen, statt selbst zu reduzieren. Für einen Markt für Emissionen spricht aus ethischer Perspektive, dass dies den Klimaschutz billiger macht und den Akteuren mehr Freiheit in der Wahl der Reduktionsmittel lässt. Gegen den Handel mit Emissionen können drei marktkritische Einwände vorgebracht werden: 1. „An der Atmosphäre darf man kein (Privat-)Eigentum haben.“ – Entgegnung: Der Handel mit Emissionen setzt keine Eigentumsrechte an der Atmosphäre voraus. 2. „Die Atmosphäre als Teil der Natur ist ein Gut, das nicht für Geld gekauft und verkauft werden sollte.“ – Entgegnung: Wie das Beispiel der Eintrittspreise für ein Konzert verdeutlicht, muss die Verwendung des Marktmechanismus nichts über die Art unserer Wertschätzung der Atmosphäre als Teil der Natur aussagen. 3. „Emissionsreduktionen sind eine persönliche Pflicht.“ – Entgegnung: Bei Emissionsreduktionen geht es letztlich um deren Wirkung und so fehlt ein überzeugendes Argument zur Widerlegung der naheliegenden Idee, dass auch eine Zahlung für Emissionsreduktion als Pflichterfüllung gelten kann. Wenn man als Argument die Analogie zu Spezialfällen – wie der Ächtung des Handels mit rationierten Lebensmittelmarken – anführen wollte, so würden man verkennen, dass der Verzicht auf einen Emissionsmarkt signifikante Opfer bedeuten kann und dass im Falle des Handels zwischen Unternehmen die Rede von persönlichen Pflichten ohnehin nicht überzeugt. Die Einwände gegen einen Markt für Emissionen auf dieser grundsätzlichen ethischen Ebene erweisen sich somit als nicht sehr stichhaltig. In der Praxis ist der Handel mit Emissionen allerdings mit verschiedenen Problemen behaftet, insbesondere was seine Wirksamkeit für den Klimaschutz und die Steuerbarkeit der Lastenverteilung betrifft. Das kann entweder zur Verbesserung des Markts für Emissionen motivieren oder aber die Verwendung alternativer Politikinstrumente rechtfertigen.
20 Faire Spielregeln: Demokratie in Zeiten des Klimawandels Bisher stand folgende Frage im Zentrum: Wie sieht eine gerechte Klimapolitik aus? Dabei lag das Augenmerk auf gerechten Ergebnissen. Allerdings müssen wir den Fokus der ethischen Betrachtung auch auf die Verfahren richten, die solche Ergebnisse hervorbringen. Um nochmals auf das Beispiel des Sees und der Baderechte zurückzukommen: Es ist eine Frage (die Frage nach der Ergebnisgerechtigkeit), welche Verteilung der beschränkten Baderechte gerecht ist; und es ist eine andere Frage (die Frage nach der Verfahrensgerechtigkeit), mit welchem Verfahren sich die Dorfbewohner auf eine der möglichen Verteilungen einigen sollen. Soll das Dorf eine Volksabstimmung über die Verteilung der Baderechte durchführen? Soll der Dorfälteste ein Machtwort sprechen? Soll die Dorfverwaltung im Rückgriff auf übergeordnetes Recht entscheiden? Oder soll das Los zwischen den verschiedenen Verteilungsmöglichkeiten entscheiden? Welches Verfahren wäre moralisch gerechtfertigt? Das Verfahren, mit dem die internationale Klimapolitik derzeit zu Ergebnissen kommt, ist ein komplexer Verhandlungsprozess auf der Grundlage der Klimarahmenkonvention (UNFCCC). Auch solche Verhandlungsprozesse können aus der Gerechtigkeitsperspektive beurteilt werden. So haben eine Reihe von Ländern das Ergebnis der Kopenhagener Klimakonferenz gerade aus diesem Grund abgelehnt: Aus ihrer Sicht war das Ergebnis der Kopenhagener Konferenz schon allein deshalb problematisch, weil es das Resultat eines unfairen Verhandlungsprozesses war (Eckersley 2012: 34). Ist diese Auffassung berechtigt? Und wie müssten die Verhandlungsprozesse dann reformiert werden? Kurzum: Wie könnte ein gerechtes Verfahren zur Entscheidungsfindung in der Klimapolitik aussehen? Darum geht es in diesem Kapitel. Als Antwort auf diese Frage haben wir ein bestimmtes Verfahren bereits in Kapitel 18 ausgeschlossen: die „anarchistische“ Idee, dass das Ergebnis allein durch das ungesteuerte Zusammenspiel von freiwilligen Beiträgen aller Individuen bestimmt werden sollte. Es genügt aber nicht, Anarchie auszuschließen. Wir müssen auch wissen, wie ein politisches Verfahren als Alternative dazu auszugestalten ist. Als naheliegende Alternative gilt vielen die Losung „mehr Demokratie wagen“. Nach Auffassung mancher Kritiker weisen die politischen Verfahren auf der internationalen Ebene nämlich erhebliche Demokratiedefizite auf (Bäckstrand 2011: 670), und so wird immer wieder angeregt, die Klimapolitik demokratischer zu gestalten. Doch taugt die Demokratie für klimapolitische Entscheidungen? Die Mühlen der Demokratie mahlen schließlich langsam, wohingegen die Verhinderung des Klimawandels möglichst schnell angegangen werden muss. Außerdem haben in der Demokratie alle eine Stimme – auch die Bremser, Vernebler und Feinde der Gerechtigkeit. Darum wundert es auch nicht, dass demokratische Staaten es bisher nicht geschafft haben, den Klimawandel zu verhindern oder auch nur ihren fairen Anteil der Lasten zu tragen. Wäre es im Umkehrschluss also nicht angemessener,
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Teil IV Von der ethischen Theorie zur politischen Praxis
den Parlamenten die Macht eher zu entziehen und alle Entscheidungsbefugnis grünen Expertenräten oder gar einem Ökodiktator zu geben? Ist Demokratie nicht vielleicht ein Luxus-Entscheidungsverfahren, das wir uns angesichts der drohenden Klimakatastrophe nicht leisten können? Es lohnt sich also, das Verhältnis von Demokratie und Klimagerechtigkeit sorgfältiger zu prüfen.
Zwei Kriterien der Verfahrensgerechtigkeit In den Augen von Demokratieskeptikern verhält es sich mit politischen Entscheidungsverfahren wie mit einer defekten Maschine: Wenn eine Maschine mangelhafte Ware produziert, muss sie durch ein anderes Modell ersetzt werden; und wenn ein Entscheidungsverfahren mangelhaft Gerechtigkeit hervorbringt, muss es durch ein anderes Verfahren ersetzt werden. Insofern die Demokratie in der Klimapolitik also intergenerationelle und globale Ungerechtigkeit produziert (oder zumindest nicht verhindert), sollten wir sie wie eine defekte Maschine auswechseln. Diese Schlussfolgerung ist allerdings voreilig. Ein erstes Problem liegt darin, dass die schlechte Bilanz demokratischer Staaten in Sachen Klimagerechtigkeit natürlich noch keine Evidenz dafür ist, dass die Bilanz undemokratischer Staaten besser ausfällt. Wir haben schlicht keine Erfahrungen mit Staaten, die gerade aus Umweltschutzgründen auf die Demokratie verzichtet haben. Erfahrungen haben wir hingegen mit undemokratischen Regimes im Allgemeinen, und deren Bilanz sieht eher düster aus. Undemokratische Regimes erreichen in der Umweltpolitik keine besseren Ergebnisse als Demokratien (Burnell 2012: 823ff.), bringen in anderen Politikbereichen aber oft sehr ungerechte Ergebnisse hervor. Auch wenn Demokratien im Bereich der Klimapolitik offenbar kaum Gerechtigkeit hervorbringen, ist es äußerst fraglich, ob ein undemokratisches grünes Regime insgesamt mehr Gerechtigkeit bewirken würde. Ein zweites Problem mit dem Unbehagen an der Demokratie ist grundlegenderer Natur. Sollten Entscheidungsverfahren wie die Demokratie wirklich allein an ihren Früchten gemessen werden? Anders als bei der Maschine, bei der allein die Qualität des Outputs zählt, glauben wir doch, dass die Demokratie auch für sich genommen etwas Gutes ist. Wer sich z. B. für die Ausweitung demokratischer Mitbestimmungsmöglichkeiten (etwa durch das Wahlrecht) einsetzt, wird wohl kaum nur denjenigen eine Stimme geben wollen, deren Stimmverhalten auch zu besseren Ergebnissen führt. Ähnlich könnte man auch in der Klimapolitik glauben, dass die demokratische Mitbestimmung aller selbst dann angezeigt ist, wenn sie dem Anliegen der Klimagerechtigkeit gar nicht dient. Der Einwand der Demokratieskeptiker setzte jedoch gerade das gegenteilige Bild voraus. Die Skepsis gegenüber der Tauglichkeit der Demokratie hat also mindestens zwei Probleme. Diese beruhen auf zwei unterschiedlichen Maßstäben, wie man politische Entscheidungsverfahren unter Gerechtigkeitsgesichtspunkten bewerten kann. Der erste Maßstab beurteilt ein Verfahren danach, ob es ein effizientes und zuverlässiges Instrument ist, um gerechte Ergebnisse hervorzubringen; dies ist ein instrumentelles Kriterium der Verfahrensgerechtigkeit. Der zweite Maßstab beurteilt ein politisches Verfahren hingegen danach, ob es für
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sich genommen gerecht ist – unabhängig davon, mit welcher Wahrscheinlichkeit es zu gerechten Ergebnissen führt; dies ist ein intrinsisches Kriterium der Verfahrensgerechtigkeit. Das intrinsische Kriterium besteht genau genommen aus einem ganzen Bündel von Kriterien. Zentral ist z. B. das Kriterium, dass alle, die sich an einen politischen Entscheid halten müssen, auch über dessen Einführung mitbestimmen dürfen. Als Bürger ist es uns nicht nur wichtig, dass am Ende des klimapolitischen Prozesses ein Resultat herauskommt, das uns als „Empfängern“ einen gerechten Anteil an Emissionsrechten zugesteht; uns ist auch wichtig, dass wir diesen Prozess gestalten können – und zwar so, dass unsere Ansichten gleich viel Gewicht haben wie die Ansichten anderer. Ein zweites Kriterium der intrinsischen Verfahrensgerechtigkeit bezieht nicht nur diejenigen Menschen in die Entscheidungsfindung mit ein, die sich an einen politischen Entscheid halten müssen, sondern alle, die davon betroffen sind. Wenn beispielsweise ein Land den Ersatz fossiler Kraftstoffe durch Biokraftstoffe vorschreibt, dann hat das nicht nur Auswirkungen auf die Autofahrer des betreffenden Landes, sondern auch auf die Arbeiter in den Ölraffinerien Saudi-Arabiens oder auf die Armen rund um den Globus (weil die erhöhte Nachfrage nach Biokraftstoffen die Nahrungsmittelpreise erhöhen kann). Ein gerechtes Verfahren sollte zwar womöglich nicht alle Betroffenen mitentscheiden lassen, ihnen aber wenigstens während des Meinungsbildungsprozesses Gehör schenken. Diese beiden Kriterien der intrinsischen Verfahrensgerechtigkeit – Mitbestimmung und Gehör – können nur erfüllt werden, wenn gewisse Voraussetzungen erfüllt sind: Damit sich Bürger und Betroffene eine eigene Meinung über die Auswirkungen verschiedener klimapolitischer Vorschläge bilden können, müssen politische Verfahren transparent sein, Informationen breit zugänglich sein und ein offener gesellschaftlicher Dialog ohne Verzerrung durch finanzkräftige Lobbys stattfinden. Ein drittes Kriterium ist schließlich auch der Respekt für den legitimen Anwendungsbereich politischer Verfahren: Nicht jede Angelegenheit sollte durch einen kollektiven Entscheid geregelt werden. Es gibt einen Entscheidungsspielraum, der jedem Akteur selbst zusteht, und Verfahren zur kollektiven Entscheidungsfindung sollten nur dort eingesetzt werden, wo staatliches Eingreifen gerechtfertigt ist. Z. B. sollte jeder Bürger frei bestimmen können, wie er die Emissionen senkt; ein politisches Verfahren sollte nur vorschreiben, dass er es tut. Analog sollte die Weltgemeinschaft nur kollektiv regeln, dass jeder Staat die Emissionen senkt, nicht aber mit welchen Politikinstrumenten ein Staat dieses Ziel erreicht. Man könnte diese Liste der Kriterien für die intrinsische Verfahrensgerechtigkeit weiter fortsetzen, doch bereits jetzt ist klar: Diese Kriterien sprechen offensichtlich für und nicht gegen demokratische Verfahren. Das trifft insbesondere auf die ersten beiden zu: Sie beziehen im Gegensatz zu einem undemokratischen, grünen Regime die Betroffenen in hohem Maße in Meinungsbildung und Entscheidungen ein. Natürlich könnte man entgegnen, dass ein undemokratisches Regime demgegenüber hinsichtlich des instrumentellen Kriteriums besser abschneide, was die Defizite in der intrinsischen Verfahrensgerechtigkeit aufwiege. Allerdings beruht dies auf einer gewagten Hoffnung, da es wie gesagt schlicht keine Evidenz dafür gibt, dass undemokratische Länder zuverlässiger für Umweltschutz sorgen und damit hinsichtlich des instrumentellen Kriteriums besser abschneiden. Somit gibt es im Lichte beider Kriterien kaum Grund, die Demokratie aus Klimaschutzgründen ernsthaft und fundamental in Frage zu stellen.
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Wenn wir die Klimagerechtigkeit besser befördern wollen, dann geht es im Gegenteil vielleicht sogar darum, die Demokratie zu stärken statt zu schwächen. Eine Stärkung der Demokratie würde insbesondere bedeuten, demokratische Institutionen an die globale und intergenerationelle Herausforderung des Klimawandels anzupassen. Unsere gegenwärtigen politischen Verfahren sind auf der nationalen Ebene angesiedelt und kurzfristig auf die nächste Wahl ausgerichtet. Ihr Fokus ist damit in räumlicher wie auch zeitlicher Hinsicht viel zu eng, um den Klimawandel erfolgreich zu bewältigen. Vielleicht brauchen wir als Entscheidungsverfahren also eine global und intergenerationell orientierte Demokratie. Im Folgenden wollen wir prüfen, ob sich dieser Vorschlag mit Blick auf die beiden Kriterien der Verfahrensgerechtigkeit bewährt.
Global orientierte Demokratie Blicken wir nochmals kurz zurück: In Kapitel 18 beruhte unser Argument für eine politische (statt „anarchistisch“ individuelle) Lösung auf zwei Punkten. Erstens kann das Problem mit gemeinsamen Regeln besser gelöst werden, und zweitens ist eine Durchsetzung dieser Regeln grundsätzlich gerechtfertigt, um Rechteverletzungen zu verhindern. Diese Argumente treffen keineswegs nur auf das Zusammenwirken der Individuen innerhalb eines Staates zu, sondern genauso gut auch auf das Zusammenwirken der Staaten auf der globalen Ebene. Doch während es innerhalb der einzelnen Staaten oftmals eingespielte und effiziente Gesetzgebungsprozesse gibt, fehlen auf der globalen Ebene politische Verfahren, die das gemeinsame Handeln gegen den Klimawandel wirkungsvoll und fair koordinieren würden. Zwar gibt es aufwendige Klimaverhandlungen, doch funktionieren diese nach dem Konsensprinzip: Jeder Staat hat die Freiheit, jeden Vorschlag abzulehnen. Wenn sich aber so verschiedene Staaten wie Iran, Frankreich oder China einigen müssen, dann ist es nicht weiter erstaunlich, dass als kleinster gemeinsamer Nenner nur bescheidene Schritte herauskommen. Aus der Perspektive der instrumentellen Verfahrensgerechtigkeit schneidet das Konsensprinzip deshalb schwach ab. Gibt es bessere Alternativen? Wir betrachten deren zwei: eine „Koalition der Schwergewichte“ und das Mehrheitsprinzip. Die erste Alternative geht von der Einsicht aus, dass allein die zehn Länder mit dem größten Treibhausgasausstoß zusammengenommen für rund 60% der weltweiten Emissionen verantwortlich sind (vgl. WRI, CAIT 2. 0. 2014). Eine solche kritische Masse der wichtigsten Länder könnte die nächsten Schritte auch einfach unter sich ausmachen, statt sich auf eine Konsultation mit dem Rest der Welt einzulassen. Das wäre eine Abkürzung gegenüber dem beschwerlichen Einigungsprozess mit fast 200 Ländern im Rahmen der UNFCCC. Die Hoffnung wäre, dass die übrigen Länder die Maßnahmen einer solchen „Koalition der Schwergewichte“ als Orientierungspunkt verwenden und freiwillig nachziehen. In gewisser Weise spiegelt dieses Modell die Realität natürlich bereits ein Stück weit wider. So stammt beispielsweise das Abschlussdokument der Kopenhagener Klimakonferenz letztlich aus der Feder Indiens, Chinas, Brasiliens, Südafrikas und der USA (Eckersley 2012: 34). Aus der Perspektive der Verfahrensgerechtigkeit ist das Vertrauen auf eine solche Initiative der „Koalition der Schwergewichte“ allerdings problematisch. Auch wenn es beeindrucken mag, wenn die großen Länder
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Schritte gegen den Klimawandel unternehmen, ohne die Gewissheit zu haben, dass andere folgen werden, so sollten wir nicht vergessen, dass diese Länder damit letztlich die globale Klimapolitik in Eigenregie bestimmen. Selbst wenn es Schritte in die richtige Richtung sind, so können die „Leichtgewichte“ trotzdem beanspruchen, gefragt zu werden und mitzureden. Besonders problematisch wäre es, wenn das Handeln der Großen zulasten der Bedeutung der UNFCCC-Verfahren gehen sollte; denn die UNFCCC garantiert allen – insbesondere auch den verletzlichsten und ärmsten Ländern – gewisse Mitspracherechte. Diese fehlende Mitsprache ist ein Problem aus der Perspektive der intrinsischen Verfahrensgerechtigkeit. Aber auch aus der instrumentellen Perspektive ist die „Koalition der Schwergewichte“ fraglicher, als es auf den ersten Blick scheint. Wenn eine solche Koalition nicht den allergrößten Teil der weltweiten Emissionen abdeckt, dann könnten die Emissionen einfach in Länder außerhalb der Koalition abfließen (vgl. Carbon Leakage in Kap. 17). Auch wäre es naiv zu glauben, dass es für eine wirkungsvolle Klimapolitik nur zählt, ob Abmachungen erzielt werden, und nicht, ob sich die Länder auch tatsächlich an die Abmachungen halten. Ohne Anreize, Überprüfung oder gar Sanktionen werden viele feierliche Zusagen nie zu handfester Realität. Wenn eine freiwillige Koalition aber rechtlich nicht bindende Abmachungen außerhalb des UNFCCC erzielt und die ausgeschlossenen Länder dieses Verfahren dazu noch als unfair wahrnehmen, dann könnte dies durchaus mit einer besonders großen Kluft zwischen Absicht und Umsetzung einhergehen. Eine Koalition der Schwergewichte ist also aus Gerechtigkeitsperspektive eine fragwürdige Alternative zum Konsensprinzip. Eine zweite Alternative ist das Mehrheitsprinzip. Das Konsensprinzip macht zur Verabschiedung eines Vorschlags Einigkeit nötig. Die Befürworter des Status Quo haben damit einen Vorteil gegenüber den Befürwortern einer Veränderung: Ein Fortschritt ist nur dann möglich, wenn kein einziges Land Einspruch erhebt. Wenn man in den Klimaverhandlungen hingegen (wie ursprünglich geplant, letztlich aber nie eingeführt) lediglich eine Zweidrittelmehrheit für Abstimmungen vorsieht, können dringend notwendige Entscheide einfacher getroffen werden. Aus der instrumentellen Perspektive schneidet das Mehrheitsprinzip also besser ab als das Konsensprinzip. Aber auch aus der Perspektive der intrinsischen Verfahrensgerechtigkeit ist das Mehrheitsprinzip zu begrüßen: Es steht für die Idee des gleichen Mitbestimmungsrechts aller – oder zumindest verwirklicht es diese Idee besser als manche Alternativen. In der Praxis hängt viel von der konkreten Ausgestaltung des Mehrheitsprinzips ab. Ein kritischer Punkt ist insbesondere, wie gut es das Prinzip „ein Mensch, eine Stimme“ verwirklicht, und nicht bloß das Prinzip „ein Staat, eine Stimme“. Diese zwei Prinzipien weichen zum Beispiel dann voneinander ab, wenn alle Staaten das gleiche Stimmengewicht haben. Falls Indien und Luxemburg bei Abstimmungen gleiches Gewicht haben, dann haben die Ansichten eines Inders viel geringeres Gewicht als die Ansichten eines Luxemburgers. Die zwei Prinzipien weichen auch dann voneinander ab, wenn die Vertreter eines Staates die Ansichten der eigenen Bevölkerung nicht vertreten. Wenn ein autoritäres Regime wie Saudi-Arabien auf der Klimakonferenz abstimmt, dann haben die saudischen Bürger damit nicht notwendigerweise eine Stimme erhalten. Aber auch im Fall demokratischer Staaten bedeutet „ein Staat, eine Stimme“ nicht notwendigerweise „ein Mensch, eine Stimme“. Es gibt in demokratischen Staaten Bevölkerungsgruppen, die fortwährend in der Minderheit sind und deren Ansichten somit von der Mehrheit nicht vertreten werden. Es ist z. B. fraglich, ob die kanadischen oder australischen Regierungen bei
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den Klimaverhandlungen die Anliegen ihrer indigenen Bevölkerungen angemessen vertreten. Wie gut das Mehrheitsprinzip also die Idee des gleichen Mitbestimmungsrechtes aller umsetzt, hängt sehr von den konkreten Details ab. Man könnte aber auch versuchen, das Mehrheitsprinzip grundlegend zu kritisieren – also auch dann, wenn seine praktische Ausgestaltung die Idee des gleichen Mitbestimmungsrechtes aller Menschen perfekt umsetzen würde. Ein Kritiker könnte das Konsensprinzip bevorzugen, weil das Mehrheitsprinzip die nationale Selbstbestimmung einschränkt: Wenn ein Staat bei einer Abstimmung zur Minderheit gehört, so muss er sich dem Mehrheitswillen der Weltgemeinschaft beugen. Diese Kritik beruht allerdings auf einem wackligen Fundament, da sie ein übertrieben starkes Selbstbestimmungsrecht von Staaten voraussetzt. Sollten wir Emissionen, die über die Landesgrenzen hinweg schädigen, wirklich als innere Angelegenheit eines Staates betrachten, die er ohne die Mitsprache anderer regeln darf? Das Unbehagen des Kritikers am Souveränitätsverlust mag weniger auf ein Problem des Mehrheitsprinzips hinweisen als vielmehr auf historisch gewachsene Vorstellungen vom Stellenwert unabhängiger Nationalstaaten, die in einer derart verflochtenen Welt wie der unseren als überzogen gelten müssen. Wir können also festhalten, dass das Mehrheitsprinzip grundsätzlich – und im Gegensatz zu einer „Koalition der Schwergewichte“ – ein Fortschritt gegenüber dem Konsensprinzip wäre. Wenn es um die globale Ausweitung der Demokratie geht, dann sind das Konsensprinzip und dessen mögliche Alternativen aber nur eine Seite der Medaille: Sie betreffen die formelle Ausgestaltung globaler Entscheidungsverfahren. Genauso wichtig sind aber auch weniger formelle Aspekte der globalen Klimapolitik. Aus der Perspektive der Verfahrensgerechtigkeit ist z. B. auch die Stärkung der Zivilgesellschaft relevant. Die Zivilgesellschaft besteht aus Vereinen, Initiativen, Gewerkschaften, Kirchen usw. Mit ihrer Vielfalt und ihrem Engagement verschaffen sie den Stimmen derer, die in den üblichen formellen Verfahren unterrepräsentiert sind – wie beispielsweise indigene Völker, Frauen oder die nicht-menschliche Natur –, mehr Aufmerksamkeit. Die Zivilgesellschaft trägt dazu bei, dass die Perspektive aller Betroffenen gehört wird. Das ist ein Plus für die intrinsische Verfahrensgerechtigkeit. Dass sie eine größere Breite an Sichtweisen einbringt, ist aber auch aus der instrumentellen Perspektive zu befürworten: Ein Verfahren, das mehr Ideen, Expertise und Blickwinkel aufnimmt, wird tendenziell erfolgreicher darin sein, eine gerechte Lösung zustande zu bringen. Hinzu kommt: Je stärker das politische Ergebnis „von unten“ geprägt wird, desto besser wird die Umsetzung im Alltag auch mitgetragen werden. Andererseits lassen sich hinsichtlich beider Kriterien der Verfahrensgerechtigkeit auch Bedenken an der Stärkung der Zivilgesellschaft formulieren. Eine größere Offenheit für mehr Stimmen kann auch als Bremsklotz wirken; und das ist aus instrumenteller Perspektive durchaus ein Nachteil, wenn man bedenkt, dass die Klimaverhandlungen bereits jetzt schwerfällig sind. Die Kopenhagener Konferenz zählte beispielsweise über 30 000 registrierte Teilnehmer (Fisher 2010: 12). Aus intrinsischer Perspektive problematisch ist zudem die fehlende demokratische Legitimierung. Die Zivilgesellschaft ist weder repräsentativ für die Bevölkerung noch ist sie ihr gegenüber rechenschaftspflichtig. Genauso wie in den formellen Verfahren können die Privilegierten auch in den informellen Foren der Zivilgesellschaft mehr Einfluss haben. Eine Stärkung der Zivilgesellschaft muss also mit Bedacht geschehen. Ein zweites informelles, aber relevantes Merkmal von Entscheidungsverfahren sind die Ressourcen, die einem Staat zur Verfügung stehen, um seine Ansichten schlagkräftig in die
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vorhandenen Entscheidungsverfahren einspeisen zu können. Dabei geht es um so konkrete Aspekte wie die Größe der Verhandlungsdelegationen, die Beherrschung des Englischen als Verhandlungssprache, die Unterstützung durch wissenschaftliches Assistenzpersonal usw., aber auch um den Zugang zu informellen Gesprächen hinter verschlossenen Türen. Wenn wir in die Fähigkeiten von Ländern mit geringem Einfluss investieren, ihre Interessen und Positionen wirkungsvoll in die Verhandlungen einbringen zu können, so ist das einer der unstrittigsten Wege, um die Verfahrensgerechtigkeit zu stärken. Die globalen klimapolitischen Prozesse sind komplex, und entsprechend schwierig ist es, eine simple ethische Empfehlung zur gerechten Ausgestaltung dieser Prozesse zu geben (für eine ausführlichere Diskussion siehe Tomlinson i. E.). Festgehalten werden kann, dass wir die globalen Verfahren so reformieren müssen, dass sie zielführender ambitionierte Ergebnisse erreichen und dabei der intrinsischen Verfahrensgerechtigkeit gebührend Beachtung schenken. Was die formellen Aspekte betrifft, sollten wir somit eher die Einführung des Mehrheitsprinzips forcieren als auf eine „Koalition der Schwergewichte“ hoffen. Was die informellen Aspekte betrifft, gilt es, insbesondere die Stimme der unzureichend vertretenen Parteien zu stärken. Das bedeutet z. B. mehr Raum für die Zivilgesellschaft und mehr Ressourcen zur Stärkung der Verhandlungsmacht armer Länder.
Intergenerationell orientierte Demokratie Die Anpassung der Demokratie an den globalen Charakter des Klimawandels stellt bereits eine große Herausforderung dar. Die Anpassung der Demokratie an den intergenerationellen Charakter ist eine noch schwierigere Aufgabe. Um die Menschen des 22. Jahrhunderts in heutigen Abstimmungen mitentscheiden zu lassen, müssten wir nämlich die Gesetze der Physik überwinden. Der Brundtland-Nachhaltigkeitsbericht hält es deshalb auch nicht für verwunderlich, dass zukünftige Generationen zu kurz kommen: „Wir handeln so, wie wir handeln, weil wir damit davonkommen: zukünftige Generationen wählen nicht; sie haben keine politische oder finanzielle Macht; sie können unsere Entscheide nicht anfechten“ (World Commission on Environment and Development 1987: 8; eigene Übersetzung). Heißt das nun, dass eine zentrale Forderung der Verfahrensgerechtigkeit – alle von einer Entscheidung Betroffenen bei der Entscheidungsfindung miteinzubeziehen – über Generationengrenzen notwendigerweise unerfüllt bleibt? Nicht unbedingt. Wir könnten beispielsweise die politische Macht der Jugend stärken oder wir könnten sogar ungeborene Generationen miteinbeziehen, indem wir einige Parlamentssitze für Abgeordnete reservieren, die ihre Interessen vertreten müssen. Leider sind beide Vorschläge aber nicht so vielversprechend, wie sie auf den ersten Blick scheinen. Betrachten wir zunächst den ersten Vorschlag. Die politische Macht der Jugend könnte gestärkt werden, indem junge Wähler, Kandidaten und Parlamentarier besonders gefördert werden. Man könnte auch das Wahlalter senken oder Eltern zusätzliche Stimmrechte geben, um sie im Namen ihrer Kinder auszuüben. Da die Jugend besonders stark von den heutigen Entscheiden betroffen ist, in den Entscheidungsverfahren aber gleichzeitig unter- statt überrepräsentiert ist, wäre das aus der Perspektive der intrinsischen Verfahrensgerechtigkeit ein
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Schritt vorwärts. Man muss allerdings auch zugestehen, dass die Unterrepräsentation der Jugend weniger gravierend ist als die politische Unterrepräsentation anderer gesellschaftlicher Minderheiten. Denn im Gegensatz zu Geschlecht oder Hautfarbe ist das Alter ein Merkmal, das wir alle im Lauf des Lebens wechseln; die Unterrepräsentation hat also ein absehbares Ende. Den Ruf nach mehr Einfluss für die Jugend könnte man aber auch instrumentell rechtfertigen: Da die Jugend vom Klimawandel stärker betroffen ist als die Alten, setze sie sich auch engagierter für den Klimaschutz ein. Allerdings ist diese Überlegung empirisch nicht gut gestützt. Nur weil die Jugend stärker betroffen ist, trägt sie nicht notwendigerweise besser Sorge für die Zukunft (Karnein und Roser i. E.). Und sogar wenn sie es täte, so bedeutete dies nur einen bescheidenen Fortschritt im Hinblick auf die Repräsentation der fernen Zukunft. Denn ein junger Wähler ist nur rund drei Jahrzehnte länger vom Klimawandel betroffen als der Durchschnittswähler. Das Eigeninteresse der Jungen gibt damit tatsächlich etwas mehr Grund für den Klimaschutz als das Eigeninteresse der Älteren, aber der Unterschied hält sich in Grenzen. Denn wenn es um die Klimaschäden in der fernen Zukunft geht, dann sind die Jungen gleich stark wie die Alten betroffen – nämlich gar nicht. Unter dem Strich gilt also: Eine Stärkung der Stimme der Jugend ist zwar positiv zu bewerten, aber sie löst nicht das grundsätzliche Problem der angemessenen Repräsentation der fernen Zukunft. Bei diesem Problem setzt der zweite Vorschlag an, das Parlament um Vertreter zukünftiger Generationen zu erweitern. Die Krux ist natürlich, wer diese Vertreter wählt, und die Antwort kann nur lauten: die gegenwärtige Generation. Die zukünftigen Generationen erhalten damit keine reale Mitbestimmung. Wenn wir die Demokratie anhand des berühmtem Diktums als „Regierung des Volkes, durch das Volk und für das Volk“ beschreiben, dann ist klar, dass die parlamentarischen Vertreter zukünftiger Generationen keine intergenerationelle Demokratie im Sinne einer Regierung durch das (zukünftige) Volk schaffen, sondern höchstens im Sinne einer Regierung für das (zukünftige) Volk. Mit anderen Worten: Vertreter zukünftiger Generationen befördern womöglich die instrumentelle Verfahrensgerechtigkeit, nicht aber die intrinsische Verfahrensgerechtigkeit. Sie mögen ein Instrument zur besseren Beachtung zukünftiger Interessen in den heutigen politischen Prozessen sein, aber sie geben zukünftigen Generationen keine echte Stimme in den Entscheidungen. Für die intrinsische Verfahrensgerechtigkeit bedeuten solche Vertreter sogar einen Rückschritt, da sich damit politische Macht zu Volksvertretern verschiebt, die von den Vertretenen nicht zur Rechenschaft gezogen werden können und deren Ansichten sie nicht aus erster Hand kennen. Wenn aber solche Vertreter höchstens als Mittel zum Zweck dienen, dann können wir den Blick auch auf weitere institutionelle Reformvorschläge ausweiten, die gar nicht den Anspruch haben, mehr als ein Instrument zur Stärkung der Zukunftsorientierung unserer politischen Verfahren zu sein. An Beispielen mangelt es nicht. Wenn ein Ombudsmann für zukünftige Generationen (wie in Ungarn) Beschwerden über Gesetzesverstöße prüfen kann oder wenn die Verfassung (wie in Japan) zukunftsrelevante Rechte festschreibt, dann bindet sich eine politische Gemeinschaft damit an ihre grundsätzlich guten Vorsätze und schränkt freiwillig ihren Spielraum ein. Andere Reformen haben das Ziel, überhaupt erst einmal gute Vorsätze zu schaffen. Das kann geschehen, indem verbindliche Zukunftsfolgenabschätzungen für wichtige politische Entscheidungen die Informationslage verbessern; oder indem eine Zukunftskommission (wie in Finnland) oder Zukunfts- oder Nachhaltigkeitskommissare (wie
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in Wales oder wie in der Uno diskutiert) Gesetzgebungsprozesse anstoßen, beratend begleiten und mit der Bevölkerung diskutieren; oder indem Mechanismen wie nationale Visionstage oder verbindliche Konsultationen mit Kinder- oder Jugendräten die Langfristperspektive für unsere Vorstellungskraft lebendiger machen. Solche institutionellen Neuerungen sind zum großen Teil positiv zu bewerten. Zwar gibt es wenige Beweise für ihre Wirksamkeit – insbesondere, was die Berücksichtigung der fernen Zukunft betrifft. Aber da sie auch wenige Risiken mit sich bringen, zählt bereits die Chance eines positiven Effekts. Wenn manche der erwähnten Reformvorschläge überhaupt einen Nachteil haben, dann den, dass sie den Spielraum des Parlaments teilweise einschränken und politische Macht in die Hände von demokratisch schwächer legitimierten Akteuren verlagern. Allerdings kann das Parlament eine Zukunftskommission oder einen Ombudsmann natürlich jederzeit auch wieder abschaffen oder schwächen (wie in Israel und Ungarn geschehen). Viele der genannten Mechanismen stärken die Demokratie sogar: Wenn sie die Informationslage verbessern oder die Zukunft weniger abstrakt machen, dann unterstützen sie die Entscheidungsträger der Gegenwart bei ihrer autonomen Meinungsbildung. Das ist aus der Perspektive der Verfahrensgerechtigkeit als Plus zu werten. Zusammenfassend können wir festhalten, dass die intrinsische Verfahrensgerechtigkeit mit dem Einbezug der Zukunft an ihre Grenzen stößt. Die in der ferneren Zukunft von der heutigen Klimapolitik Betroffenen können in der Gegenwart keine echte Mitbestimmung ausüben; und somit bleibt den heutigen Entscheidungsträgern nichts anderes übrig, als aus Eigeninitiative Verantwortung für sie zu übernehmen. Es gibt eine Reihe institutioneller Reformen, die sie dabei unterstützen können. Die meisten dieser Reformen gehen mit geringen Risiken einher, aber auch mit wenigen Belegen für ihre Nützlichkeit. Die Diskussion um die Grenzen einer intergenerationellen Demokratie führt uns somit eine allgemeinere Wahrheit vor Augen: Die Demokratie verarbeitet letztlich immer nur den politischen Willen, den die Wähler in den politischen Prozess einspeisen. Auch das beste Verfahren kann keinen gerechten Output aus einem ungerechten Input zaubern. Die Verantwortung für gerechte Ergebnisse kann darum nur beschränkt an die Gestalter politischer Verfahren delegiert werden. Die grundsätzliche Entscheidung zwischen dem Eigeninteresse im Hier und Jetzt und der Gerechtigkeit über Raum und Zeit bleibt somit schlussendlich immer in der Hand des Wählers – in unserer Hand, in Ihrer Hand.
Argumente-Box 17: Demokratie in Zeiten des Klimawandels Wir müssen nicht nur die Ergebnisse der Klimapolitik unter Gerechtigkeitsgesichtspunkten beurteilen, sondern auch die Verfahren, die zu diesen Ergebnissen führen. Für diese Beurteilung sind instrumentelle und intrinsische Kriterien relevant. Aus instrumenteller Perspektive lautet die entscheidende Frage, in welchem Maße ein politisches Verfahren gerechte Ergebnisse hervorbringt. Aus der intrinsischen Perspektive ist entscheidend, in welchem Maße ein politisches Verfahren in sich gerecht ist – wie viel Mitbestimmung es z. B. denen ermöglicht, die sich an Entscheide halten müssen, und wie viel Gehör es denen schenkt, die davon betroffen sind.
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In diesem Kapitel haben wir untersucht, ob wir die Demokratie hinsichtlich dieser Kriterien in Frage stellen sollen oder ob wir sie nicht viel eher stärken sollen, indem wir sie besser auf den globalen und intergenerationellen Charakter der Herausforderung Klimawandel ausrichten. 1. Weniger Demokratie. Grundlegende Kritik an der Demokratie ist nicht gerechtfertigt. Erstens gibt es – aus der instrumentellen Perspektive – keine Evidenz dafür, dass undemokratische Regimes mehr (Klima-)Gerechtigkeit bewirken würden. Zweitens schneidet die Demokratie gemäß den intrinsischen Kriterien der Verfahrensgerechtigkeit offensichtlich besser ab. 2. Mehr Demokratie: global. Die schwerfälligen globalen Verhandlungen auf der Basis des Konsensprinzips sind unbefriedigend. Fortschritte aus der instrumentellen und/oder der intrinsischen Perspektive verheißen das Mehrheitsprinzip sowie mehr Gehör für unterrepräsentierte Stimmen durch eine Stärkung der Zivilgesellschaft und durch eine Stärkung der Verhandlungsmacht ressourcenschwacher Länder. Weniger gerecht wäre es hingegen, wenn eine „Koalition der Schwergewichte“ die klimapolitischen Weichen ohne Mitsprache anderer stellen würde. 3. Mehr Demokratie: intergenerationell. Eine echte Stärkung der intrinsischen Verfahrensgerechtigkeit über die Generationen hinweg ist kaum möglich. Allerdings ist eine Reihe von Reformvorschlägen beachtenswert, die die heutigen Entscheidungsträger darin unterstützen, die Zukunft besser miteinzubeziehen. Die Unzufriedenheit mit den ungerechten Ergebnissen der gegenwärtigen Klimapolitik ist eine Hauptmotivation für die Beschäftigung mit den politischen Verfahren, die zu diesen Ergebnissen führen. Dabei darf aber nicht vergessen werden, dass auch die besten Verfahren keine Gerechtigkeit erreichen, wenn die Bevölkerung keine entsprechenden Signale in den politischen Prozess einspeist.
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Register Abkommen 1, 4, 37f., 77, 83, 161, 164–167 Adaption 34–41, 70, 80–82, 94f., 104, 124–128 Anpassung, s. Adaption Anthropogen 18, 45 Anthropozentrismus, Nicht-Anthropozentrismus 12, 39, 146f. Atomkraft, s. Kernenergie Bevölkerung 5, 25f., 120f., 144–146, 165f. Carbon Leakage 137, 165 Climate-Engineering 34–41, 67, 146–148 Demokratie 56, 73, 143, 148f., 161–169 Diskontierung 51–54 Distributive Gerechtigkeit, s. Verteilung Effizienz 29, 82, 126, 146f., 154 Egalitarismus 7f., 47–50, 55–57, 59f., 70–74, 103–108, 113f., 118–125 Eigeninteresse 11f., 56, 142, 157–160, 168f. Eigentum 30f., 48–50, 56, 120–122, 154f. Emissionshandel 90, 119, 152–160 Emissionsintensität 89f., 141, 144, 146–148 Emissionsrecht 82f., 90, 119, 122f., 145, 152–160 Emissionsreduktion 45–47, 73, 81, 85–90, 124f., 133–137, 141–151 Entschädigung 93–100, 104, 106f., 153, 158 Entwicklung 55f., 126–129 Entwicklungsländer 5–8, 71, 85, 99, 103–108, 119, 138, 144f., 150, 152, 159f. Flüchtling, s. Migration Forschung 1–5, 9f., 18–20, 22f., 31f., 39–41, 47, 66–68, 71f., 98f., 118 Freiheit 20f., 143–145, 149f., 153f. Freiwilligkeit 141–145, 148f., 152–155, 161, 164f. Gefährlicher Klimawandel 19f., 39, 79f., 90, 118, 136f. Generationenvertrag 25f., 48 Gewissheit, s. Ungewissheit Gleichheit, s. Egalitarismus Globale Gerechtigkeit 77–129, 133, 162
Grandfathering 85–92, 102f. 119, 124–126 Graue Emissionen 98f., 108, 115 Greenhouse Development Rights 113, 128f. Historische Prinzipien, Ahistorische Prinzipien 93, 103, 110, 115, 124 Industrialisierung 2, 46f., 102, 107f. Industrieländer 7f., 79, 88–90, 94, 96, 102–108, 115, 119, 122, 128, 139, 150, 152f. Interessengruppe 20–23 Intergenerationelle Gerechtigkeit 6f., 12, 45–74, 133, 135, 153, 162 Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) 2, 4, 9, 61, 66f., 99, 139 Journalismus 23 Jugend 167–169 Katastrophe 40f., 67f., 162 Kernenergie 147 Klimaökonomie 37, 79 Klimapolitik 4f., 29, 52, 65–68, 71–74, 83, 128f., 141–144, 161–169 Klimarahmenkonvention 4, 45, 61, 77, 93, 110, 161, 164f. Klimaschutz 1–5, 15–23, 34–41 Klimawandelleugner 15–23, 25–33 Klimawissenschaft, s. Forschung Koalition 164–167 Kollektiv 83f., 163 Kompensation 93–99, 104–108, 124–129, 139 Konsensfähigkeit 37f. Konsensprinzip 164–166 Konzentration 2, 4, 34–36, 40, 46f. Kyoto-Protokoll 4, 85f., 152f., 154, 158f. Liberalismus 142f., 149f. Lobbyismus 20–23., 163 Luxusemissionen 113, 139, 150 Markt 152–160 Maximinprinzip 67f. Mehrheitsprinzip 164–167 Meinungsfreiheit 20–23
Register Menschenrecht 27, 30, 55–57, 65, 70–74, 112f., 135, 138, 144, 147, 150 Migration 31f., 56, 71 Mitigation 34, 73, 81–83, 94, 96, 105, 111, 124–127 Mittelwert 59–68 Modell 64, 66, 98 Motivation 133, 141–144, 149, 158, 160 Natur 2, 12, 146f., 149f., 155 Naturwissenschaft, s. Forschung Nicht-ideal 133–139 Nutznießer, Nutzung, Nutzungsrecht 49, 86–90, 102–108, 119–122, 155 Nutznießerprinzip 97f., 102–108, 111, 124f. Ökonomie 46f., 52f., 59, 71f., 88, 102, 108, 110f., 139, 144, 146, 148–150, 157 Ökozentrismus, s. Anthropozentrismus, Nicht-Anthropozentrismus Ombudsmann 168f. Pluralismus 124f. Problem der Nicht-Identität 28–31, 106f. Prognose 9, 19, 60f., 66f., 147 Restrisiko 40f., 147 Risiko 10, 40f., 65f., 146–148 Rückkoppelungseffekt 64, 137 Selbstbestimmung 166 Sein-Sollen-Schranke 4, 88–90 Skepsis, s. Klimawandelleugner Steuern 137, 142f., 145, 157, 160 Subsistenzemissionen 112f., 128, 139, 150 Suffizienz 55–57, 59f., 112–114, 124, 126–128 Technologie 34–38, 79, 81f., 137, 146–148, 159f. Treibhauseffekt 2f., 19f., 34f., 81, 98f. Überforderung 138f. Überproportional 8, 62–65 Ungewissheit 31–33, 59–68 Ungleichheit, s. Egalitarismus
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United Nations Framework Convention on Climate Change (UNFCCC), s. Klimarahmenkonvention UNO 9, 51, 56, 144, 169 Unsicherheit, s. Ungewissheit Ursache-Wirkungs-Kette, -Zusammenhänge 34–36, 39, 41, 45–47, 103, 138 Utilitarismus 51–54, 136 Verantwortung 25–33, 77, 93–95, 110, 115, 127–129, 169 Vereinte Nationen, s. UNO Verfahrensgerechtigkeit 161–169 Verhandlung, s. Abkommen Verpflichtungskette 26–28 Verteilung 45–47, 51–54, 77–129 Verursacherprinzip 93–101, 105–108, 115, 124–129 Verzicht 51f., 135f., 148–150 Vorbild 137 Vorhersage, s. Prognose Vorsorgeprinzip 61f. Wachstum 51–54, 102, 139, 144–146, 148–150 Wahrscheinlichkeit 10, 59–68, 71–74, 136f. Wiedergutmachen, s. Kompensation Wirkungskette 34–36, 39, 41, 45–47 Wirtschaft, s. Ökonomie Wirtschaftswachstum, s. Wachstum Wissenschaft, s. Forschung Worst Case 64–68, 148 Zahlungsfähigkeit, Zahlungsfähigkeitsprinzip 84, 99, 105–108, 110–116, 124, 126–129 Zins 51f. Zivilgesellschaft 166f. Zumutbarkeit 73f., 88–90 Zwang, s. Freiwilligkeit Zweifel, s. Klimawandelleugner Zwei-Grad-Ziel 46f., 71–74, 128, 139