Ethik des Geldes: Eine theologische und ökonomische Verhältnisbestimmung [1 ed.] 9783428486441, 9783428086443

Das Streben nach Geld nimmt einen wesentlichen Teil des Denkens und Handelns des Menschen ein. Es regelt den ökonomische

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German Pages 137 Year 1996

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Ethik des Geldes: Eine theologische und ökonomische Verhältnisbestimmung [1 ed.]
 9783428486441, 9783428086443

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Rolf Kramer . Ethik des Geldes

Sozialwissenschaftliche Schriften Heft 31

Ethik des Geldes Eine theologische und ökonomische Verhältnisbestimmung

Von

Rolf Kramer

Duncker & Humblot · Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme

Kramer, Rolf: Ethik des Geldes : eine theologische und ökonomische Verhältnisbestimmung / von Rolf Kramer. - Berlin : Duncker und Humblot, 1996 (Sozialwissenschaftliche Schriften; H. 31) ISBN 3-428-08644-9 NE:GT

Alle Rechte vorbehalten © 1996 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübemahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0935-4808 ISBN 3-428-08644-9 Gedruckt auf aIterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

9

Vorwort Geld allein macht nicht glücklich, wie man weiß. Der Volksmund fügt hinzu: Aber es beruhigt. Das Streben nach Geld nimmt einen wesentlichen Teil menschlicher Handlungen ein. Man braucht es in einer zivilisierten Welt, um zu leben. Aber es fordert vom Menschen auch einen Umgang, der es in eine richtige Ordnung der Werte einreiht. In der gegenwärtigen ökonomischen und theologischen Literatur gibt es kei~e umfassende Darstellung, die sich mit diesem Thema beschäftigt l . Wie häufig bei solchen ökonomischen oder politischen Themen kommt die ethische Fragestellung kaum zum Tragen. Vielleicht gelingt es diesen Überlegungen, eine neue Diskussion zu entfachen. Herzlichen Dank habe ich zu sagen dem verehrten Kollegen Prof. Dr. Gerhard Merk, Siegen, für manchen hilfreichen Rat und guten Gedanken und dem langjährigen Freund Dipl.-Ing. Horst Plath, der sich wieder einmal der mühseligen Kleinarbeit, Schreibfehler aufzuspüren, gewidmet hat. Berlin, den 15. November 1995 RolfKramer

1 Eine Ausnahme bildet das von Helmut Hesse und Otmar Issing herausgegebene Buch "Geld und Moral", München 1994.

Inhaltsverzeichnis Einleitung

11

Erstes Kapitel

Definitionen

13

1. Zum Begriff von Wirtschaft.......................................................

15

II. Zum Begriff Ethik ................................................................

15

III. Das Verhältnis von Ethik und Ökonomie ..........................................

17

IV. Geschichte des Geldes ............................................................

20

V. Objektiver und subjektiver Geldwert ..............................................

24

A. Der private Umgang mit dem Geld ............................................

26

I. Das Konsumverhalten ......................................................

26

2. Das Sparen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

26

3. Die Kreditaufnahme oder das Schuldenrnachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

27

B. Der Umgang mit dem Produktivkapital ........................................

27

Zweites Kapitel

Die Funktionen des Geldes

29

I. Geld als Tausch- und Zahlungsmittel ..............................................

30

II. Geld als Rechenmittel .............................................................

31

III. Geld als Wertautbewahrungsmittel ................................................

32

IV. Geld als Macht- und Steuerungsmittel .............................................

32

V. Kritik am Geld und seinem System. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

33

VI. Die Erscheinungsformen des Geldes ..............................................

35

8

Inhaltsverzeichnis Drittes Kapitel

Geldbegriffe im biblischen Sprachgebrauch

37

I. Die alttestamentlich-jüdische Tradition. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

37

11. Der Reiche und sein Reichtum im Neuen Testament............. . ........ . ........

41

A. Reich sein im Griechentum ....................................................

41

B. Der Umgang mit dem Geld und dem Reichtum im N. T. .......................

41

111. Der Begriff des "Mammon" .................................................. . . . . .

45

A. . "Mammon" im Alten Testament ...............................................

45

B. "Mammon" im Neuen Testament..............................................

45

IV. Das Zinsverbot in der Bibel ................................ . ......................

46

A. Das Alte Testament und das Zinsverbot ...................... . . . .. . . . . . . . . . . . . .

47

B. Das Zinsnehmen im Neuen Testament .........................................

48

C. Die Bedeutung des Geldes im Tempeldienst ...................................

49

Viertes Kapitel

SteUungnahmen der Kirche und der Theologie I. Zins und Wucher in der Kirche ............................................... . . . . .

51 51

11. Martin Luthers Anschauung vorn Geld ............................................

56

A. Das Verhältnis von Gott und Geld .............................................

56

B. Luthers Einstellung zum Zinsnehmen ..........................................

57

111. Die Zinsvorstellung Calvins und Zwinglis ......................... . ...............

60

A. Calvin und der Zins ......................................................... . .

60

B. Zwinglis Zinsvorstellung ......................................................

61

IV. "Geld" in der jüngsten protestantischen Theologie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

62

V. Die katholische Theologie und ihr Verständnis vorn Geld .................. . . . . . . . .

66

Fünftes Kapitel

Die Geldpolitik

70

I. Die Quantitätsgleichungen ........................................................

71

11. Die Quantitätstheorie .............................................................

72

Inhaltsverzeichnis

9

111. Geldpolitik und Lohnpolitik .......................................................

74

IV. Geldpolitik und Steuerpolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

77

Sechstes Kapitel

Das ethische Problem der Geldwertstabilität

78

I. Das Primat der Währungspolitik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

78

A. Geordnete Marktwirtschaft und Währungsstabilität ............................

79

B. Notenbankpolitik und Europäische Währungsunion............................

81

11. Geldwertstabilität und Vollbeschäftigung ........... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

85

111. Währungsstabilität und Wirtschaftswachstum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

86

IV. Währungsstabilität und Zahlungsbilanzausgleich ............. . ............. . ......

87

V. Geldwertstabilität im neuen Europa ................................. . .............

88

A. Die Wirtschafts- und Währungsunion (WWU) .................................

88

B. Die Europäische Währung .....................................................

90

Siebtes Kapitel

Karl Marx

95

I. Der Gebrauchswert und der Tauschwert ...........................................

95

11. Das Wesen des Geldes ............................................................

99

111. Die Ware-Geld-Beziehung ........................................................ 100 IV. Der Mehrwert .......................................... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 V. Kritik an der Marx'schen Position................................................. 104

Achtes Kapitel

Geldtheorien in der Soziologie

106

I. Georg Simmel .................................................................... 106 11. Max Weber ....................................................................... 109 111. Niklas Luhmann .................................................................. 111

10

Inhaltsverzeichnis Neuntes Kapitel

Geld und Zeit

114

I. Die Zeitentwicklung in der Geschichte............................................ 114 H. Die soziale Dimension der Zeit.................................................... 116 IH. Die Arbeitszeit .................................................................... 118 IV. Das Verhältnis von Zeit und Ökologie............................................. 120

Zehntes Kapitel

Rückblick und Ausblick

122

Literaturverzeichnis .................................................................. 131

Einleitung Geld erscheint von seinem Ursprung her immer im Bannkreis von Ethik zu stehen 1. Geld ist ein ganz besonderer Stoff. Denn über Geld spricht man nicht; man hat es, wie man gern sagt. Seit der Antike weiß man: Geld regiert die Welt. Bereits der römische Lustspieldichter Publius Syrus hatte das im ersten vorchristlichen Jahrhundert zusammengefaßt: "Pecunia una regimen est rerum omnium,,2. Auch Goethe läßt im Faust bekanntlich Margarete sagen: "Nach Golde drängt, am Golde hängt doch alles". Selbst Erich Fromm, der die These vertrat, daß das Sein und nicht das Haben den Menschen glücklich mache, ist seinem Ideal des Seins nicht treu geblieben; sondern er hat sich dem Haben verschrieben und ist dabei recht wohlhabend geworden. Geld ist in fast allen seinen Formen immer unterschiedlich beurteilt worden. In bestimmten - vor allem in theologischen - Kreisen wird Geld zeitweilig als der Inbegriff des Bösen angesehen. Die Geld-Askese wird als Ideal im Vergleich zum Geldbesitz gepriesen. Gegenüber einer Geldgier mag die asketische Einstellung zwar berechtigt sein. Als grundsätzliche Einstellung aber erweist sie sich als weltfremde Verirrung. Daß auch eine Askese Gefahren bringt, zeigt sich nicht nur in mittelalterlichen Sekten, sondern auch in bestimmten politischen Gruppierungen, die ihren Haß gegenüber besitzenden Kreisen und insbesondere gegenüber Großbanken auf ihre Fahnen geschrieben haben. Man klagt zwar landauf landab über die Monetarisierung des öffentlichen Lebens. Aber selbst Theologen wissen durchaus den Wert des Geldes zu schätzen. Diesen hat Arthur Schopenhauer in seinen "Aphorismen zur Lebensweisheit,,3 besonders herausgestellt: "Jedes andere Gut nämlich kann nur einem Wunsch, einem Bedürfnis genügen: Speisen sind bloß gut für den Hungrigen, Wein für den Gesunden, Arznei für den Kranken, ein Pelz für den Winter .... Sie sind folglich nur ... relativ gut. Geld allein ist das absolut Gute: weil es nicht bloß einem Bedürfnis in concreto begegnet, sondern dem Bedürfnis überhaupt, in abstracto". Der personale Umgang mit dem Geld ist eins der zentralen Probleme, die für eine Geldethik von besonderer Bedeutung sind. Es geht bei dieser Untersuchung um den Versuch, die im Umgang mit Geld gestellten ethischen Fragen aufzugreifen und nach sachbezogenen Lösungen zu suchen. 1 Weber, Wilhelm, Geld, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, Hrsg. Joachim Ritter, Basel, Stuttgart Bd. 3 1974 S. 225. 2 Wagner, Falk, Geld oder Gott?, Stuttgart 1984, S. 8. Allein das Geld regiert alle Staaten. 3 Im 3. Kapitel.

12

Einleitung

Wer von einer Ethik des Geldes sprechen will, muß in Deutschland mindestens über zwei soziale Aspekte reflektieren: 1. Die Stabilität des Binnenwertes des Geldes ist für viele Menschen ein aus der Vergangenheit heraus schmerzlich erfahrenes Thema, dem man sich immer wieder von neuem anzunehmen hat. 2. Aus eben dieser Erfahrung heraus erwächst bei einer Währungsunion und dem damit verbundenen Verzicht auf die eigene Währung der Deutschen Mark die Angst vor einer Verschlechterung des Geldwertes. Denn schließlich haben die meistens Menschen "etwas" zu verlieren, was sie oder ihre Eltern sich im Laufe der letzten fünfzig Jahre nach dem zweiten Weltkrieg erspart oder erworben haben. In Deutschland betrug 1950 das verfügbare Jahreseinkommen zirka 4000 DM. Dieses ist mittlerweile auf 63.500 DM gestiegen. Gleichzeitig ist bei den westdeutschen Haushalten der Geldvermögensbestand von 25 Mrd. DM im Jahre 1950 auf 4048 Mrd. DM im Jahre 1994 angewachsen4 . Die meisten Menschen erlebten also eine erhebliche Wohlstandsmehrung. Darum ist es nur gut verständlich, daß bei einem Aufgeben bzw. bei der Integration der DM in eine noch weitgehend unbekannte europäische Währung Angst vor einer Verschlechterung herrscht. Eine Ethik des Geldes muß darum vor allem die Sorge um die Stabilität des Geldwertes aufgreifen. Jede Auswahl der Autoren, die sich mit dem Problem des Geldes beschäftigt haben, stellt eine subjektive Gewichtung dar. Aus dem Kreis der Philosophen und Soziologen war es notwendig, die Positionen darzustellen, die sich ausführlich dem Wesen des Geldes in jüngerer Zeit intensiv gewidmet haben. Daß Karl Marx ein eigenes Kapitel gewidmet wurde, liegt an seiner Einschätzung des Geldes. Denn er hat sich mit der individuellen Entfremdung des Arbeiters durch das Geld ebenso beschäftigt wie mit der grundsätzlichen Beziehung von Geld und Ware. Im Mittelpunkt der Darstellung aber steht sowohl die Darstellung der Beziehung zwischen Ethik und Geld als auch der Versuch einer Integration von Ethik in die Ökonomie des Geldes.

4 Entnommen aus: Die Bank, Zeitschrift für Bankpolitik und Bankpraxis Nr. 7 Juli 1995, S.444.

Erstes Kapitel

Definitionen Trotz des Begriffs der Geld-"Schöpfung" weiß der Ökonom wie der Theologe auch, daß Geld nicht etwas Übernatürliches, sondern eine Werk des Menschen ist. Seit Aristoteles sieht man das Geld als eine solche Setzung des Menschen an. Dieser Meinung hatte sich z. B. auch der Merkantilist John Locke angeschlossen, der in der Einführung des Geldes den Wechsel vom Natur- zum Vertragszustand sah. Der Naturzustand ist nämlich dadurch gekennzeichnet, daß das Geld noch nicht eingeführt ist. Erst beim Wechsel in einen anderen Zustand wird dem Geld vertraglich ein Wert zuerkannt. Dann aber treten Ungleichgewichte in der Güterverteilung unter den Menschen auf. Mit Hilfe des Geldes wird es nunmehr möglich, Güter anzusammeln. Das Geld ist für Locke ein ,,zwischengut, das man sozusagen als Pfand (pledge) annimmt, um es später für diejenigen Güter weiterzugeben, die man eigentlich haben möchte"l. Im 18. Jahrhundert entwickelte sich im Blick auf die Geldentstehung neben dieser Konventionstheorie die Vorstellung vom Metallismus. In unserem Jahrhundert hat dann Georg Friedrich Knapp zwar das Geld als eine Schöpfung der Rechtsordnung definiert und damit das "Gelddenken seiner Zeit" wieder aus den Fesseln des Metallismus' gelöst2 , "der den Wert und die Bedeutung des Geldes im Edelmetall sah,,3, aus dem die einzelnen Münzen hergestellt waren. In den Geldbegriff als gesetzliches Zahlungsmittel sind Metallgeld, Banknoten, Papiergeld und auch das Buchgeld mit einzuziehen, wenn auch letzteres nicht vom Staat, sondern von den Kreditinstituten geschaffen wird. Geld als gesetzliches Zahlungsmittel bedeutet: Jeder derselben Rechtsordnung Unterworfene ist verpflichtet, das Geld in Zahlung zu nehmen. Aber daraus wird man keine strenge "staatliche Theorie des Geldes" entwickeln müssen, wie Knapp es versucht hat4 . Der volkswirtschaftliche Geldbegriff geht heute weiter. Nach ihm gilt, daß alles, was Geldfunktionen ausübt, auch Geld ise5. 1 Binswanger, Hans Christoph, Geld und Natur, Stuttgart und Wien 1991, S. 139. 2 Schmölders, Günter, Geldpolitik, Tübingen, Zürich 21968, S. 9. 3 Born, Karl Erich, Die ethische Beurteilung des Geldwesens im Wandel der Geschichte, in: Geld und Moral, Hrsg. Helmut Hesse und Otmar Issing, München 1994. 4 Vgl. Beutter, Friedrich, Zur ethischen Dimension des Geldes, in: Acta Monetaria, Hrsg. Gerhard Merk, Bd. 1, Frankfurt 1977, S. 16. 5 Vgl. Issing, Otmar, Einführung in die Geldtheorie, München 91991, S. 1.

14

1. Kapitel: Definitionen

Da rechts technisch Geld ein Titel auf die Teilhabe am Sozialprodukt ist, steht hinter dem bedruckten Papier eine "valutierte Anwartschaft auf Aushändigung des Anteils am Sozialprodukt, der dem Geldbetrag entspricht,,6. Geld steht in einem Rechtsverhältnis zwischen "Berechtigten und Verpflichteten,,7. Der Geldschein berechtigt nämlich den, der ihn gibt, in der vorgeschriebenen Höhe zu einer Teilhabe am Sozialprodukt, während er den, der ihn annimmt, "verpflichtet", seinerseits den Beitrag zum Sozialprodukt zu leisten. Während der Theologe meistens schlechthin von Geld spricht, unterscheidet der Ökonom genauer zwischen verschiedenen Arten von Geld. Denn wer mit seiner Hände Arbeit oder mit seinem Geist Geld verdient, erzielt Einkommen. Wer im Besitz von Geld ist, also Geld hat, hat ein Vermögen. Wer Geld ausgibt, konsumiert. Wer dagegen Geld zurücklegt, spart. Wird vom Markt von Geld gesprochen, handelt es sich um einen kurzfristigen Kredit. Darüber hinaus wird zwischen Geld und Kapital differenziert. Geld wird bei dieser Unterscheidung nicht als Tauschmittel gesehen, sondern in einer bestimmten Funktion als langfristige Anlage nämlich, die Zinsen (s. u.) oder Gewinn bringt, im volkswirtschaftlichen Sinn ist es GeldKapital, das der Finanzierung von Investitionen dient8 . Schließlich wird auch noch zwischen Geldzins und Kreditzins unterschieden. In beiden Fällen ist der Zins entweder der Preis für Geld, das kurzfristig angelegt wird, oder für einen Kredit, der in der Hingabe von Geld für Investitions- oder auch für Konsumzwecke besteht9 . In den Wirtschaftswissenschaften kann Geld auch als soziale Größe angesehen werden. "Geld ist (nämlich) kein privates Gut; denn als solches wäre es durch Exklusivität seiner Funktionen und seines Genusses gekennzeichnet, während es tatsächlich dem Verkehr dient. Geld ist auch kein öffentliches Gut; denn dann wäre seine Nutzung allgemein. Geld ist vielmehr ein zwischenmenschliches Gut. Als solches steht es für eine soziale Beziehung" 10 oder wie auch formuliert werden kann: "Das Geld ist eine Schöpfung sozialen Handelns"ll. Das bedeutet, es kann nicht allein als reines ökonomisches Phänomen betrachtet werden, sondern muß immer zugleich auch in seiner sozialen Zuordnung erkannt werden. Indessen haben die Funktionen des Geldes vornehmlich einen ökonomische KernP

Suhr, Dieter, Geldordnung, S. 112. Suhr, Dieter, Geldordnung, S. 112. 8 Vgl. Preiser, Erich, Der Kapitalbegriffund die Neuere Theorie, in: Erich Preiser, Bildung und Verteilung des Volkseinkommens, Göttingen 1961, S. 99ff.; speziell S. 100f. 9 Preiser, Erich, Kapitalbegriff, S. 105. 10 Diese Aussagen werden paraphrasierend zitiert nach Wolfram Engels, in: Suhr, Dieter, Die Geldordnung aus verfassungs-rechtlicher Sicht, in Geldordnung und Geldpolitik in einer freiheitlichen Gesellschaft, Hrsg. Joachim Starbattty, Tübingen 1982, S. 112. 11 Zitat bei Beutter, Friedrich, Dimension, S. 16 aus Wilhelm Gerloff, Geld und Gesellschaft, Frankfurt 1952, S. 13. 12 Vgl. Burghardt, Anton, Soziologie des Geldes und der Inflation, Graz u. a. 1977, S. 18. 6 7

11. Zum Begriff Ethik

15

I. Zum Begriff von Wirtschaft Die Behandlung des Geldes in der Ethik und in den Wirtschaftswissenschaften bedeutet eine interdisziplinäre Betrachtung zweier unterschiedlicher Wissenschaftszweige, die von fremden Voraussetzungen aus denken und nur schwer kommensurabel sind. Die Ökonomie ist nach dem Selbstverständnis sehr vieler Ökonomen eine positive Wissenschaft, die Aussagen über die Ist-Zustände macht, auch wenn sie sich keineswegs völlig einer normativen Seite verschließen kann. Dies tut sie insbesondere dann nicht, wenn sie sich zielorientiert um Entwicklungen und Positionen bemüht, die einen Soll-Zustand zum Inhalt haben. Wenn sich die christliche Theologie zur Marktwirtschaft und ihren Elemente, etwa zum Wettbewerb, äußert, wird das von der Ökonomie weitgehend einseitig interpretiert. Zwar kann auf seine Behandlung in den Denkschriften - z. B. in der über Leistung und Wettbewerb aus dem Jahr 1978 13 - verwiesen werden 14. Es kann hier auch die dort behandelte Ambivalenz Erwähnung finden. Aber gerade solche Stellungnahmen in den theologischen Veröffentlichungen, die der Marktwirtschaft eine besondere Stellung einräumen, und die der damit verbundenen Betonung der marktwirtschaftlichen Freiheit Rechnung tragen, wird kaum Erwähnung getan l5 . Daß marktwirtschaftliches Handeln eine Einschränkung im Sinne einer sozialen Komponente erfahren muß, haben die Väter der Sozialen Marktwirtschaft seit eh und je betont. Sie sahen mit recht, daß der Markt seinerseits nicht in der Lage ist, sich selbst eine Ethik zu verschaffen. Es geht dabei um normative Urteile, die in der Ethik als Ziele angestrengt werden sollten l6 . Auch im Wettbewerb müssen nämlich Regeln aufgestellt und eingehalten werden. Auf solche Regeln hatte bereits Adam Smith hingewiesen 17.

11. Zum Begriff Ethik Ethik wird als die aus den griechischen Wörtern ethos (mit eta geschrieben: gewohnter Platz, Gewohnheit, sittliches Verhalten, Brauch oder auch Verhalten) und 13 Gütersloh, wiederabgedruckt in: Denkschriften der EKD Bd. 2, 2 Gütersloh 1992, S.107ff. 14 Zum Beispiel bei: Lachmann, Wemer, Ethik und Soziale Marktwirtschaft, in: Wirtschaftswissenschaft und Ethik, Hrsg. Helmut Hesse, Schriften des Vereins für Socialpolitik, Berlin 21989, S. 283 ff oder Priddat, Birger, P., Allokation und Würde, in: Wirtschaftswissenschaft und Ethik, Hrsg. Helmut Hesse, Schriften des Vereins für Socialpolitik, Berlin 21989, S.326f. 15 Vgl. dazu z. B. die vom Vf. vorgenommene Interpretation des Wirtschaftsbegriffs in den EKD-Sozialdenkschriften in: Veröffentlichungen der Ludwig Ehrhardt Stiftung: Orientierungen Nr. 34 1987, S. 8ff. 16 Vgl. dazu Rothschild, Kurt W.,Ethik und Wirtschaftstheorie, Tübingen 1992, S. 2. 17 Vgl. Lachmann, Wemer, Ethik, S. 285.

16

1. Kapitel: Definitionen

ethos (Gewohnheit, Sitte, moralische Grundhaltung) abgeleitete Bedeutung als Gewohnheit, Sitte und Lebensart verstanden. Ethos ist darum das aus der überkommenen Gewohnheit sich herleitende Verhalten des Menschen. Ethik selbst ist dann in der Übernahme aristotelischer Gedanken - etwa mit Martin Honecker 18 oder Dietz Lange 19 - als eine theroretische Reflexion über das zu fordernde Verhalten und Handeln zu verstehen. Darum hat jede Ethik es mit Regeln, Normen und Handlungsanweisungen zu tun, die das ganze Leben zu einem guten Gelingen bringen möchten 2o . In unserem Zusammenhang soll darüber hinaus nicht eine allgemeine Ethik aufgestellt werden, sondern nach dem christlichen Ethos gegenüber dem Umgang mit dem Geld gefragt werden. Dabei ist zunächst festzuhalten, daß es in diesem Ethos um den einzelnen Menschen geht und damit um die personale Verantwortung. Aber es darf nicht verkannt werden, daß im christlichen Ethos der einzelne immer auch in der Gemeinschaft mit anderen steht. Das Ethos darf also nicht nur in einem personalen Bezug gesehen werden, sondern muß immer auch den sozialen Gedanken und damit die christliche Gemeinschaft berücksichtigen. Personalethik und Sozialethik gehören nun einmal zusammen. Eine christliche Ethik ist nicht ohne eine biblische Begründung zu denken. Christliche Ethik steht darum immer in einem Letztbezug gegenüber dem, der das Leben des Menschen geschaffen und ihn nach seiner grundsätzlichen Zusage mit sich wieder versöhnt hat. Wir haben es darum im wahren Sinne des Wortes mit einer theologischen oder christlichen Ethik zu tun. Im speziellen Sinne geht es mit C. H. Ratschow - um eine konstitutive Ethik. Nach ihm ist zwischen den beiden Begriffen einer konsekutiven und der konstitutiven Ethik zu unterscheiden. Die Religionen im allgemeinen wollen die jeweilige Gottheit durch "gutes Tun" und damit durch die Erfüllung der Forderung "Du sollst" gnädig stimmen. Das macht die konsekutive Ethik aus. Das Christentum dagegen macht mit ihrer konstitutiven Ethik Gott gegenüber dem Menschen zum ethischen Subjekt. Denn hier konstituiert das gnädige Tun Gottes den Menschen. Im Blick auf das Geld muß darum gelten, daß es nicht das Letzte und Wichtigste im Leben des Menschen sein kann und darf. Es gilt, den Umgang mit ihm richtig einzuordnen und seine Relativität zu anderen Gütern zu erkennen. Es wird - allerdings nicht erst in jüngster Zeit - besonders zwischen den ethischen Ansprüchen einer ökonomischen Rahmenordnung und den personalethischen Handlung unterschieden 21 . Karl Homann22 etwa differenziert zwischen der Honecker, Martin, Einführung in die Theologische Ethik, Berlin 1990, S. 3f. Lange, Dietz, Ethik in evangelischer Perspektive, Göttingen 1992, S. 212. 20 Vgl. Beutter, Friedrich, Dimension, S. 12. 21 Vgl. Kramer, Rolf, Die christliche Verantwortung in der Marktwritshaft, Stuttgart 1973 S. 119ff. 22 Homann, Karl, Geld und Moral in der Marktwirtschaft, in: Geld und Moral, Hrsg. Helmut Hesse und Otmar Issing, München 1994 S. 22ff. 18 19

III. Das Verhältnis von Ethik und Ökonomie

17

Rahmenordnung selbst und den in ihr vollzogenen Handlungen. Er vergleicht dieses Tun mit dem Spielregeln und den einzelnen Spielzügen im Sport. Nach ihm sind die Spielzügen durch Wettbewerb gekennzeichnet. Die Spielregeln stellen so etwa wie die Rahmenordnung dar. Aber es ist keine Frage, daß auch sie durch ein ethisches Verhalten (sozial- wie personalethisch geprägt) sein müssen!

111. Das Verhältnis von Ethik und Ökonomie Mit Bezug auf Max Weber, den großen Soziologen des beginnenden Jahrhunderts, wird behauptet, die als empirische Disziplin verstandene Ökonomie dürfe keinem Wert- oder Normurteil ausgesetzt werden. Man glaubte sogar, daß es sich bei einer ethischen Einflußnahme um den Versuch handle, den ökonomischen Ablauf zu durchbrechen oder gar außer Kraft zu setzen. Aber seitdem in der Ökonomie der Mensch wieder stärker in den Vordergrund des Denkens gerückt ist und nicht allein die ökonomische Effizienz oder die einer rechten Theorie der Produktion bedacht wird, ist auch die Ethik in den Wirtschaftswissenschaften wieder zu einem eigenständigen Thema geworden. Seit gut anderthalb Jahrzehnten wird darum heute in ihnen und nicht nur in der Theologie der Frage der Wirtschaftsethik nachgegangen. Darum wendet man sich auch der speziellen Ethik des Geldes zu. Das Aufkommen des ethischen Phänomens hat heute in den Wirtschaftswissenschaften zu einer vermehrten Zusammenarbeit zwischen den unterschiedlichsten Wissenschaftlern, den Soziologen, Psychologen und auch Theologen geführt. Das Problem des rechten Führungsstils in den Unternehmen etwa oder der Ruf nach Entscheidungshilfen in Konfliktfällen ließen im Fach Betriebswirtschaft die Beziehung von Ethik und Ökonomie neu entstehen. Hinzu kam die Forderung nach einer ethischen Ausrichtung des ökonomischen Denkens. Denn die Gesellschaft war durch die ökologische Frage stärker sensibilisiert. Man erfuhr immer deutlicher, daß nicht alles Machbare auch ethisch sinnvoll sei. Der Versuch, in einer ökonomischen Ethik das Sachgemäße mit dem Menschengerechten zu verknüpfen, wie es Arthur Rich in seiner Wirtschaftsethik forderte 23 , fand immer mehr Befürworter, ohne daß freilich allgemein gewußt wurde, was das jeweils Menschengerechte sei, und ohne zu klären, ob nicht zwischen dem Menschengerechten und dem Sachgerechten auch eine Disharmonie bestehen bleiben dürfe. Der ökonomische Denkprozeß freilich ist zunächst auf den Istzustand der Präferenzen ausgerichtet und nicht etwa an einem Idealzustand orientiert24 • Das Ziel einer jeden Wirtschaftsethik muß es sein, die Präferenzen der Menschen zu ändern, Vgl. Rich, Arthur, Wirtschaftsethik Bd. I Gütersloh 1984, S. 81ff. Vgl. Krelle, Wilhelm, Positive und Negative Ethik, in: Hrsg. Hans G. Nutzinger, Wirtschaft und Ethik, Wiesbaden 1991, S. 97. 23

24

2 Kramer

18

I. Kapitel: Definitionen

den institutionellen Rahmen zu gestalten und den wirtschaftspolitischen Entscheidungsgremien solche Daten vorzugeben, aufgrund derer dann die notwendigen Entscheidungen getroffen werden können. Bereits in 18. Jahrhundert, als sich die theoretische Nationalökonomie mit ihrer Arbeitsteilung, ihren nationalen und internationalen Märkten und ihren frühkapitalistischen Produktionstrukturen entwickelte, hatte Adam Smith, der als Professor für Logik auch den Lehrstuhl für Moral Philosophy in Glasgow innehatte, vor seinem Werk über den "Reichtum der Nationen" das Buch über die "Theorie der moralischen Gefühle" geschrieben. Heute nun knüpft man an die Ökonomie von Adam Smith oder John St. Mill an. Beide konnten Ethik und Wirtschaftswissenschaften miteinander verbinden. Man versucht, die ökonomische Logik und die ethische Ausrichtung aufeinander zu beziehen. Das, was einzelne Wissenschaftler in der Wirtschaftsethik bereits seit langem erkannt haben, wird jetzt auch von der Ökonomie selbst gesehen und in der Gestalt eines interdisziplinären Gespräches zwischen Ökonomen und Ethikern zusammengeführt. Erste bescheidene Versuche zwischen Ökonomen und christlichen Ethikern nicht nur für den generellen Bereich der Wirtschaft, sondern auch für das spezielle Gebiet der Geldethik haben stattgefunden. Jede Geldethik ist schließlich nicht durch das Geld selbst geprägt, sondern vor allem durch das Handeln des Menschen mit ihm. Geld selbst ist wie Macht wertfrei, also wertneutral 25 . Erst des Menschen Umgang mit dem Geld bestimmt, ob mit dem Geld Gutes oder Böses geschieht. Die Ethik des Geldes wird darum durch das ethische Subjekt gestaltet und nicht durch das Geld selbst. Freilich ist über eine Geldethik hinaus auch noch eine Währungs und Finanzethik zu fordern. Die Währungsethik muß sich mit den Fragen einer geordneten Währung und Vollbeschäftigung, die Finanzethik mit dem Problem der Steuergerechtigkeit und darum also mit der Frage der Steuer- und Besteuerungsethik beschäftigen. Die Währungsethik gehört gleichzeitig zu den Wirtschaftswissenschaften und zur Disziplin der Ethik. Freilich ist meistens in der Geldethik auch die Währungs- und Finanzethik mit angesprochen. Wissenschaftler oder Praktikter in einer Marktwirtschaft beschäftigten sich seit eh und je mit dem Wesen und der Steuerungskraft des Geldes. Denn zur ethischen Qualität der Marktwirtschaft gehört nun einmal ein geordnetes Geldwesen! Schließlich ist gerade das Funktionieren dieses Wirtschaftssystems ebenso wie der soziale Bezug der Menschen von einer geordneten Geldwirtschaft und dem ethischen Gebrauch des Geldes abhängig. Das Geld ist das Medium in einer von einem anonymen Markt gesteuerten Wettbewerbswirtschaft. Zur Geldethik gehört letztlich auch die Währungsethik, auch wenn diese immer, wie Wolfgang Schmitz unter Berufung auf Johannes Messner es ausdrückt, eine ,,Ethik des Geldwesens,,26 ist. Die Währungsethik wird in ihrem 25 Vgl. Kramer, Rolf, Ethik der Macht, Berlin 1994 und auch Born, Karl, Erich, Die ethische Beurteilung des Geldwesens im Wandel der Geschichte, in: Geld und Moral, Hrsg. Helmut Hesse und Otmar Issing, München 1994, S. 19. Vgl. auch Wendorff, Rudolf, Zeit und Kultur, Opladen 1980, S. 202. Anders Kaiser, Helmut, Geld, S. 115; er sieht Geld als ethisch nicht neutral an.

III. Das Verhältnis von Ethik und Ökonomie

19

Kern durch die Wirtschaftspolitik gestaltet. Denn das Wort "Währung" ist abzuleiten aus dem mhd. werunge, das Gewährleistung bedeutet27 . Da als Träger der Währungspolitik die Regierungen, Parlamente, Notenbanken und entsprechende internationale Gremien bzw. Institute gelten, sind auch sie die Träger der ethischen Entscheidungen. Die Währungsethik leistet aufgrund ihres Aufgabenfeldes, die währungspolitischen Entscheidungen im Blick auf eine Einkommens- und Vermögensverteilung zu gestalten und auch im Blick auf die Einhaltung der Freiheit und der Menschenwürde, einen Beitrag zum Gemeinwohf 8 . Die Geldethik hat sich speziell mit der Verwendung des Geldes zu befassen. Dabei sind personalethisch als Adressaten der Ge1dethik die Benutzer von Geld, also die Einkommensbezieher, die Konsumenten und die Sparer anzusprechen. Aber es sind auch alle die Menschen und Institutionen, Banken wie politische Gremien mit gemeint, die auf die unterschiedlichen Geldfunktionen und auf die wirtschaftspolitischen Geld-Größen Einfluß ausüben. Am Gelde hängt sicher nicht alles, wie es populär formuliert wird. Aber am Geld hängt doch vieles. Ein nicht funktionierendes Geldsystem erleichtert das Wirtschaftssystem nicht. Es erschwert es sogar. Schlechte Ge1d- und Kreditversorgung bereiten nicht nur dem einzelnen wirtschaftlich Handelnden, sondern der gesamten Wirtschaft Schwierigkeiten. Wenn alles gut läuft, bemerkt man die Geldordnung kaum. Wenn sie aber einmal in Unordnung geraten ist, sieht man sehr schnell, oftmals zu spät, was alles durch eine falsche Geldpolitik, durch Geldentwertung etwa oder durch andere politische Maßnahmen zerstört werden kann. "Die unmittelbaren allgemeinen Auswirkungen der Ordnung des Geldwesens nicht nur auf die ganze Wirtschaftsordnung, sondern auch auf sittliche Werte wie Freiheit, Gerechtigkeit, Eigentum, Solidarität, Verantwortung u.ä. verleihen der Währungspolitik eine aus der allgemeinen Wirtschaftspolitik in mancher Hinsicht sogar herausragende ethische Dimension,,29. Der Besitz von Geld bedeutet nicht Reichtum. Es besteht kein zwingender Zusammenhang zwischen Geld und Reichtum, wie er gern und immer wieder in theologischen Ethiken zu lesen ist. Mit einer Identifizierung beider geht meistens eine negative Beurteilung des Geldes einher. Aber der Besitz von Geld ist noch lange nicht verwerflich. Ein solches Urteil ist vielmehr abhängig davon, was der Mensch mit seinem Reichtum macht3o . Entscheidend ist nicht der abstrakte Geldbesitz, sondern der verantwortliche Umgang mit ihm. Der Mensch kann es zum Guten oder Bösen gebrauchen. Geldbesitz als solcher ist ebenso wenig böse, wie der 26 Schmitz, Wolfgang, Währungsethik - eine tragende Säule der Wirtschaftsethik, in: Helmut Hesse (Hrsg.), Wirtschaftswissenschaften und Ethik, Schriften des Vereins für Socialpolitik, NE Bd. 171 Berlin 2 1989, S. 375. 27 Burghardt, Anton, Soziologie, S. 31. 28 Schmitz, Wolfgang, Währungsethik, S. 377. 29 Schmitz, Wolfgang, Währungsethik, S. 373f. 30 V gl. Kramer, Rolf, Ethik der Macht, Berlin 1994, S. 83.

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I. Kapitel: Definitionen

Reichtum es an sich ist. Der Reichtum wird, um es mit den Worten Thielickes zu sagen, "durch seinen Bezug charakterisiert", also durch sein coram, in das er gestellt ist, und nicht durch seine res-Gestale 1• Ein genereller Zusammenhang zwischen Geld und Reichtum besteht weder ökonomisch noch ethisch 32 . Man könnte zwar bei Marx Zuflucht suchen, der den Ökonomen drängt, der Komplexität der Akkumulation nachzuspüren, und der im Geld die "verkörperte Form des Reichtums" erkennt33 . Aber mit der Marx'schen Arbeitswertlehre und ihrem Ausbeutungscharakter ist keineswegs die Kapitalakkumulation zu deuten und eine Begründung des Reichtums zu erkennen. Man kann schließlich auch nicht, wie es die englischen Klassiker taten, den sogenannten Geldschleier wegziehen, um zu den realen ökonomischen Vorgängen zu kommen! Vielmehr ist ein Wirtschaftssystem mit technischer und industrieller Produktion ohne das Denken in Geldstrukturen von Aufwand und Ertrag nicht mehr möglich. Es ist heute vielfach das Geld, das den einzelnen mit dem Ganzen verbindet. Der Umgang mit dem Geld wird sich immer als ein Spiegelbild des Geldwesens des ökonomischen Ganzen darstellen 34 . Und jeder Bürger kann nur auf das Geld vertrauen, "wenn das Geldwesen als gesellschaftliche Funktion verantwortungsbewußt geregelt ist,,35. Schließlich kommt der Geldordnung in einer Verkehrswirtschaft ein besonderes Gewicht zu.

IV. Geschichte des Geldes Geld ist ein geschichtliches Produkt. Darum gibt es schlechthin nicht das Geld, sondern immer nur eins, das in Raum und Zeit eingebunden ist36 . Das deutsche Wort Geld wird vom Begriff "gelten" abgeleitet, das aus dem Mittelhochdeutschen stammt und soviel wie zurückzahlen, wert sein, entschädigen oder auch opfern bedeutee7 • "Im sakralen Bereich der meisten Frühkulturen finden wir in der Bemessung der Opfergaben, die die Götter versöhnen und die unheim31 Thielicke, Helmut, Theologische Ethik, Bd. ll, I Tübingen 31965, § 1568. 32 Vgl. dazu Kaiser, Helmut, Geld: Seine ,ethische' Rationalität, in: Zeitschrift für Evangelische Ethik, 1994, H. 2, S. 120. 33 Marx, Karl, Grundrisse der Kritik der polgitischen Ökonomie, in : Karl Marx, Friedrich Engels, Institut für Marxismus-Leninismus (Hrsg.), Gesamtausgabe (MEGA) II,I,I, Berlin 1976, S. 145. Auf derselben Seite heißt es einige Zeilen vorher: "Im Geld ist der allgemeine Reichtum nicht nur eine Form, sondern zugleich der Inhalt selbst". 34 Vgl. dazu Wendt, Siegfried, Der Einfluß des Geldes auf das Ethos des Wirtschaftens, in: Karrenberg, Friedrich und Schweizer, Wolfgang, Spannungsfelder der Evangelischen Soziallehre, Hamburg 1960. 35 Wendt, Siegfried, Einfluß, S. 270. 36 Vgl. Burghardt, Anton, Soziologie, S. 16. 37 Kluge, Friedrich, Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, Bearb. Walther Mitzka, Berlin 2°1967, S. 244f.

IV. Geschichte des Geldes

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lichen Naturgewalten beschwören sollten, offenbar Vorläufer unserer Geldrechnung,,38. Aber noch vor diesen Frühformen von ,Geld' in der Gestalt von Sühneund Opfergaben oder von Gastgeschenken "tritt uns in den Primitivkulturen das ,Hortgeld' als Machtsymbol und Unterpfand sozialer Geltung sowie das ,Schmuckgeld ' als Mittel der Auszeichnung und als Ausweis erhöhten Ansehens entgegen,,39. Seinen Ursprung hat Geld, historisch gesehen, darum wohl im sakralen Bereich. Die ersten Geldformen wurden aus sakralen Opferspenden an die Tempel entwickelt4o . Darum kann die lange Zeit gültige "Konventionstheorie" als überholt gelten. Nach ihr haben die Menschen zur Erleichterung ihres wirtschaftlichen Tauschverkehrs, also aus reiner Zweckmäßigkeit, das Geld geschaffen und seinen Wert "vereinbart,,41. Natürlich benötigte der wachsende Handelsverkehr gleichsam das Geld. Mit seiner Ausdehnung wurde ein ,,zwischentauschgut,,42 benötigt, das zunächst in einzelnen Produkten, Muscheln, Perlen und endlich in Edelmetallen bestand. Dieses übernahm "die Funktionen eines Tauschmittels und Wertmessers"43. Bereits im Jahre 2698 v. Chr. soll der sogenannte "Gelbe Herrscher" Huangdi in China ein Währungssystem eingeführt haben, dem als Basis die im südchinesischen Meer vorkommende Kauri-Schnecke zugrunde lag. Die in später Zeit von Menschenhand geschaffenen Münzen waren vor allem Metallgeld. Zunächst wurde es als Gold-Silber- Legierung, später dann aus anderen Metallen, Bronze und Eisen, geprägt. Auch das erste Papiergeld in China hat einen sakralen Ursprung. Es diente dazu, den Toten zu Ehren im Tempel verbrannt zu werden. Es war also nicht für den Tauschverkehr geschaffen44. In der Funktion als Tauschmittel soll Geld im vorderen Orient seit dem 5. Jahrtausend v. Chr. in Gestalt von Gegenständen, die man für wertvoll ansah, in Form 38 Born, Karl Erich, Geldtheorie und Geldpolitik 11, in Handwörterbuch der Wirtschaftswissenschaften Stuttgart u. a. 1981, S. 360. 39 Schmölders, Günter, Geldpolitik, S. 14. 40 Siehe vor allem dazu Bernhard Laum, Heiliges Geld, Tübingen 1924, auf dessen Forschung man sich bei dem sakralen Ansatz beruft. Vgl. Müller-Armack, Alfred, Religion und Wirtschaft, Hrsg. Egon Tuchtfeldt, Bern 3 1981, S. 73. Vgl. Schmölders, Günter, Geldpolitik, Tübingen, Zürich 21968, S. 14f. 41 Vgl. Issing, Otmar, Einführung in die Geldtheorie, München 91991, S. 1. Vgl. Schmölders, Günter, Geldpolitik, Tübingen, Zürich 21968, S. 13ff. 42 Schmölders, Günter, Geldpolitik, S. 12. 43 Issing, Otmar, Geld in: Staatslexikon, Bd. 2 Freiburg, Basel Wien 71986, Sp. 776. 44 Vgl. Müller-Armack, Alfred, Religion, S. 73. In der Entwicklung des Geldgebrauchs werden drei Stufen unterschieden: 1. Stufe: Der Geldgebrauch ist magisch-mythisch bedingt, 2. Stufe: Das Gewicht an Edelmetallen bestimmt die Substanz des Geldes, 3. Stufe: Der Geldstoff verliert seine Bedeutung, das Papierund Buchgeld übernimmt die Funktion des Geldes. Vgl. Schmölders, Günter, Geldpolitik, S.22f.

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1. Kapitel: Definitionen

von handwerklichen Produkten, Kleidern, Speerspitzen, Äxten etc. vorgekommen sein (Textil- und Gerätegeld)45. Hinsichtlich des Gerätege1des existieren archäologische Funde, für Kleidergeld gibt es sprachgeschichtliche Überlieferungen. Viele Bezeichnungen weisen noch darauf hin. Das Wort Salär weist auf das lateinische Wort salarium, also auf die Salzrationen hin, die römische Legionäre und Beamte als Teil ihres Naturallohnes erhielten 46 . Das griechische Wort für die kleinste Münze, obolos, ist das Wort für die Lanzenspitze. Das Wort für zehn Obolen, also eine Drachme, bedeutet ursprünglich eine Handvoll. "Neben dem Münzgeld verwendeten die Athener zur Berechnung großer Geldbeträge Rechnungseinheiten, die nicht in Münzen geprägt wurden, sondern in den griechischen Poleis ein bestimmtes Gewicht - in Silber - darstellten: die Mine (mna = 436,6 g; sie entsprach 100 Drachmen) und das Talent (talenton = 26,196 kg; es entsprach also 60 Minen oder 6000 Drachmen),,47. Auch in den altorientalischen Hochkulturen läßt sich Gold als Zahlungsmittel seit ca. 3100 v.ehr. nachweisen. An den Küsten Kleinasiens (genauer: in Lydien) wurden die ersten Vorläufer ausgeprägter Münzen um die Mitte des 7. Jahrhunderts gefunden. Später breitete sich die Münzprägung aus. Bei dem Aufkommen von Münzen ersetzten diese nicht die Opfertiere, sondern trugen zunächst das Bild des heiligen Tieres48 , dann das Bild der Gottheit. Wohl erst mit Alexander dem Großen erscheint als Sinnbild des Staates der Kopf des Herrschers auf der Münze. "Die Prägungen des Hellenismus zeigen hierbei das Bild des Herrschers als Gott, nicht das des Staatsmannes,,49. Dem lateinischen Wort für Geld pecunia - von pecus, Vieh, abgeleitet - ist zu entnehmen, daß das sogenannte Viehgeld - seit dem 5. Jahrtausend als Tauschmittel bekannt - dem Metallgeld vorausging. Freilich war der Besitz von Viehherden und damit auch das Viehgeld Königen und Priviligierten vorbehalten. Damit wird das Rindergeld zu einem Exklusivbesitz. Die Münze wurde später dann gleichsam zu einem Symbol für das Opfertier. Das lateinische Wort für Münze moneta war der Beiname der Göttin Juno. Etymologisch wurde moneta vom Stamm monere (mahnen) abgeleitet. Thomas von Aquin hat eine Deutung des Wortes gegeben, nach der die Göttin uns mahnt, daß wir keinen Betrug mit der Münze begehen. Denn diese ist das geschuldete Maß 5o . Die Göttin selbst sorgte für die aequitas, die Gleichheit (Gleich- Gewichtigkeit!) der Münzen. Ermahnte sie (moneo) zur Aufmerksamkeit gegenüber dem Betrug? 45 Vgl. Born, Karl Erich, Geldtheorie und Geldpolitik H, in: Handwörterbuch der Wirtschaftswissenschaften Stuttgart u. a. 1981, S. 361. 46 Vgl. Burghardt, Anton, Soziologie, S. 30. 47 Born, Karl Erich, Geldtheorie, S. 361. 48 Vgl. Müller-Armack, Alfred, Religion, S. 73. 49 Müller-Armack, Alfred, Religion, S. 73. 50 Vgl. Weber, Wilhelm, Geld, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, Hrsg. Joachim Ritter, Basel, Stuttgart, 1974 Bd. 3, S. 225.

IV. Geschichte des Geldes

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Der eigentliche Sinn von moneta aber ist nicht bekannt. Darum bleibt auch die Ableitung der "Moneten" von der Göttin Juno Moneta weiterhin umstritten 51 , obwohl sie gern im genannten Sinn vorgenommen wird. Das Edelmetall-Geld erwies sich als Form eines allgemeinen Äquivalents für den Tausch im Handel als sehr nützlich. Aufgrund seiner Eigenschaften und Verfügbarkeit war es leichter zu transportieren als andere - vor allem verderbliche Güter. Es war teilbar und von dauerhafter Beständigkeit trotz seines ständigen Gebrauchs. Sein Wert war einfach erkennbar, bzw. seine Nachahmung konnte leicht anband des Gewichtes festgestellt werden52 . Später freilich spielten andere Motive zur Gestaltung des Geldwesens aus dem religiösen Bedürfnis und dem weiter entwickelten Tauschverkehr eine Rolle. Man wollte durch Geld seine Werte "wertbeständig" aufbewahren oder messen. Für den Staat war ein Einfluß auf Entwicklung und Kontrolle des Geldwesens besser möglich. Ökonomisch wurde theoretisch Geld vor allem als die Form verstanden, in der die Tauschbarkeit der Güter sich vollzog. Von einer gewissen Stufe des Handelsaustausches an wurde es üblich, daß der Staat durch einen aufgedrückten Stempel beim Metallstück das Gewicht garantierte. Solche amtlichen Stücke sind bereits vom 3. Jahrtausend v. ehr. in Mesopotamien und Ägypten und seit dem 2. Jahrtausend in Europa im Bereich der mykenisch-kretischen Kultur aufgetaucht53 . Am Ende der Entwicklung wurde den Edelmetallstücken der Warencharakter genommen. Sie werden statt dessen zur Währung, also zu Geld54 . Bereits 794 hat Karl der Große in seinem Reich eine einheitliche Münzprägung durchgesetzt. Die neuen Denare wurden als gesetzliche Zahlungsmittel im ganzen Reich in Umlauf gesetzt. 1045 wird die Mark als Gewichtseinheit urkundlich in Deutschland erwähnt. "Die Bezeichnung wird auf ,marca' zurückgeführt, eine Markierung auf Edelmetallbarren, die Gewicht und Feinheit garantieren sollten. Als Münznominale kommt die Mark erst Jahrhunderte später in Umlaur,55. Im deutschen Reich der frühen Neuzeit wurde mit der ersten Reichsmünzordnung von Esslingen durch Karl V. das unterschiedliche Münzsystem vereinheitlich. Die Kölnische Mark wurde als Gewichtsstandard auf 233,8123 g Silber festgesetzt. Diese Mark mit einem knappen halben Pfund Silber wurde zur Standardmünze. "Sprachlich löst sich der Begriff Mark nach der Esslinger Münzordnung von der Gewichtsbezeichnung und wird zur Geldrechnungseinheit. Doppelt so schwer wie die Mark 51 Heute wird dagegen moneta von einer etruskischen gens Moneta abgeleitet. Es wäre dann eine Bildung aus dem Namensstarnm Monnius, Monnianus. Vgl. dazu Beutter, Friedrich, Geld im Verständnis der christlichen Soziallehre, in: Wilhelm F. Kasch, Geld und Glaube, Paderborn u. a. 1979. 52 Vgl. Mandel, Ernest, Marxistische Wirtschaftstheorie, Bd. 1 Frankfurt 21972, S. 86. Der Begriff des Äquivalents stammt aus dem Kapital von Karl Marx. 53 Vgl. Mandel, Ernest, Wirtschaftstheorie, Bd. 1, S. 85. 54 Vgl. Mandel, Ernest, Wirtschaftstheorie, Bd. 1, S. 87. 55 Weimer, Wolfram, Geschichte des Geldes, Frankfurt 1994, S. 66.

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1. Kapitel: Definitionen

bleibt im übrigen das Pound (daher die britische Währungsbezeichnung) oder das Livre und die Lira (vom lateinischen libra = Pfund),,56. Während das Aufkommen von Münzgeld recht früh anzusetzen ist und bis in die Gegenwart reicht, ist das Papiergeld viel jüngeren Datums. In der Zeit des Siebenjährigen Krieges 1759 wird in Wien das erste echte Papiergeld deutscher Länder gedruckt. Die von den Banken später dann gegen Hinterlegung von Münzgeld herausgegeben Banknoten erwiesen sich wegen ihrer leichten Transportierbarkeit als sehr vorteilhaft. Nachdem die Banken merkten, daß das bei ihnen deponierte Metallgeld nicht gleichzeitig wieder eingelöst wurde, gaben sie mehrfach dafür Banknoten aus. "Das Papiergeld als ein auf substanzlose Zeichen reduziertes chartales (beurkundetes) Geld ist ursprünglich ein Quasigeld (Fast-Geld)"s7. Mit dem Aufkommen des Papiergeldes wird die "Wechselbeziehung von Geld und sozialem System" sichtbar. Denn nun kommt der Annahmepflicht des Geldes bei wachsender Neutralisierung gegenüber einer substantiellen Deckung Bedeutung zu. "Umso mehr muß Geld als ein auf einer substantiellen Deckung begründetes Wertversprechen ,geglaubt' werden"s8. Die Angehörigen eines sozialen Systems glauben dem in der Geldeinheit vorhandenen und jederzeit zu realisierenden Wertversprechen 59 . Weiter begründete das Aufkommen von Papiergeld auch das modeme Buchund Giralgeld und die damit verbundene modeme Kreditwirtschaft 6o .

v. Objektiver und subjektiver Geldwert Es wurde und wird bis heute zwischen einem objektiven und einem subjektiven Wert des Geldes unterschieden. Die Währungsethik hat es vor allem mit dem objektiven Wert des Geldes zu tun. Eine Geldethik muß jedoch auch den subjektiven Geldwert im Auge behalten. Der subjektive Wert des Geldes gründet in dem "einzelwirtschaftlichen oder persönlichen Tauschwert" des Geldes. Der subjektive Wert des Geldes baut auf dem Nutzen, besonders auf dem Grenznutzen auf. Diese Anschauung unterstellt, daß das Geld ein Gut wie jedes andere ist61 . Das Geld ist der Schlüssel zur Bedürfnisbefriedigung. Aber es gewährt diese nur in einer mittelbaren Weise. Geld stiftet nämlich einen Nutzen, der aus den erworbenen Gütern abzuleiten ist. Der subjektiWeimer, Wolfram, Geschichte, S. 102. Burghardt, Anton, Soziologie, S. 38. 58 Burghardt, Anton, Soziologie, S. 38. 59 Burghardt, Anton, Soziologie, S. 47. 60 Weimer, Wolfram, Geschichte, S. 131. 61 Vgl. Weber, Wilhelm, Stabiler Geldwert in geordneter Wirtschaft, Münster 1965, S.24ff. 56 57

V. Objektiver und subjektiver Geldwert

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ve Wert des Geldes bestimmt zwar den Nutzen des Geldes. Aber er ist abhängig von verschiedenen Faktoren62 , so von der Persönlichkeits struktur des Geldbesitzers, seiner Bedürfnisskala, seinem Anspruchsniveau, der Geldmenge, die ihm zur Verfügung steht, und natürlich auch von den vorgegebenen (objektiven) Preisen, die seine Geldmenge bzw. den Konsum, den er bei vorgegebener Geldmenge tätigen kann, beeinflussen. Der Wert ist ferner abhängig von der Zeit. Er bleibt nämlich nicht in der Zeit gleich. Der subjektive Wert des Geldes wird danach in Gestalt des Grenznutzens der mit dem Geld zu beschaffenden Gütern gebildet. Er bestimmt darum die Geldethik. Zur Zeit der subjektiven Wertlehre - so besonders aufgrund der Wertlehre von F.v. Wieser - wurde aus dem subjektiven Geldwert ein objektiver volkswirtschaftlicher Geldwert abgeleitet63 . Von Wieser wollte "den objektiven volkswirtschaftlichen Geldwert von heute" aus dem objektiven Tauschwertwert von gestern (Höhe der Güterpreise) über eine subjektive Wertschätzung erklären64 • Hat man die Währungs stabilität oder die Stabilität der Preise (Kaufkraft) im Auge, ist heute nicht der subjektive Wert des Geldes im Gespräch, sondern der objektive. Er ergibt sich als makroökonomische Größe aus der Verschiebung der Kaufkraft der Geldeinheit und ist nur aus einem Zeitvergleich her erkennbar65 . Zu seiner Erklärung wurde früher die Produktionskostentheorie herangezogen. Entsprechend der Metallwährung wurde er durch das "Gut" Geld bestimmt. Der werttheoretische Ansatz ging zwar zunächst unter, aber er wurde dann im Gedanken einer Liquiditätspräferenz mit ihrem Bedürfnis nach Tauschbereitschaft erneut wichtig. Zum anderen werden in diesem Wort auch Aspekte der Mikroökonomik in den Keynes'schen Motiven der Kassenhaltung berücksichtigt66 . Schließlich ist er zugleich der "relative Preis des Geldes,,67. Mit diesem wird "das Verhältnis der Geldeinheit zu den Güterpreisen" ausgedrückt68 . Hier besitzt im Hinblick auf die anderen Güter das Geld selbst einen Preis. Aus diesem Hinweis ist zu ersehen, daß auch er nicht absolut festsetzbar ist. In dem relativen Preis zeigt sich vielmehr die Kaufkraft der Währung. Vom relativen Preis des Geldes ist dann der absolute Wert des Geldes zu unterscheiden. Dieser bleibt sich immer geieh; denn Mark bleibt eben Mark. Um den objektiven Wert des Geldes geht es vor allem in der Währungsethik. In der Dogmengeschichte der Nationalökonomie ist der Zusammenhang zwischen dem guten und dem schlechten Geld durch das Greshamsche Gesetz gekennzeichVgI. dazu aueh Burghardt, Anton, Soziologie, S. 45. VgI. Born, Karl, Erieh, Geldtheorie, S. 380. 64 Born, Karl, Erieh, Geldtheorie, S. 381. 65 Burhardt, Anton, S. 47f. 66 Damit sind gemeint: Einkommens-, Gesehäfts-, Vorsiehts- und Sepekulationsmotiv. VgI. Born, Karl, Geldtheorie, S. 381. 67 Weber, Wilhelm, Geldwert, S. 37. 68 Weber, Wilhelm, Geldwert, S. 37. 62

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1. Kapitel: Definitionen

net. Danach wird das gute Geld durch das schlechte verdrängt. Georg Simmel hat darauf hingewiesen, daß Geld umso beweglicher ist, je schlechter es ist, "denn jeder wird es so schnell wie möglich loszuwerden versuchen,,69.

A. Der private Umgang mit dem Geld Der Umgang mit dem Geld ist kein angeborenes Verhalten. Es muß vielmehr erzogen, also gelernt werden. Das gilt für den Konsum, das Sparen und für die Schuldenaufnahme bzw. ihre Tilgung. In allen drei Bereichen kann es nicht um eine gesetzliche Regelung gehen, die dem Menschen vorschreibt, wie er mit dem Geld umzugehen hat. Der Gesetzgeber kann in einer freien Wirtschaft weder den Konsum steuern noch etwa den Menschen zum Sparen zwingen. Er kann auch nicht anordnen, wie er mit Krediten umzugehen oder wann und wo er zu investieren hat. 1. Das Konsumverhalten

Geld wird zur Bewältigung der Ausgaben für den täglichen Bedarf benötigt. Geld wird aber auch eingesetzt, z. B. um Ärger oder Enttäuschung aufzuarbeiten. Man geht "Shopping", nicht weil man etwas braucht, sondern weil man sich ein Erlebnis verschaffen will. Das freilich kann zu unnötigen (unsinnigen) Ausgaben führen, die aus einem "Konsumrausch" herrühren. Ferner ist durch die schier unermeßliche Möglichkeit des Konsumierens ein neuer Typus von Menschen entstanden, der durch geltungssüchtigen Konsum geprägt wird. Es gilt für den Menschen nicht das Sein, sondern das Zeigen dessen, was er besitzt oder sich leisten kann. Erfolg wird nach außen hin sichtbar durch einen entsprechenden Konsum gezeigt. Das gilt sowohl für das private Leben (Freizeit) als auch für die Berufswelt, für die eigenen Lebensumstände als auch für die ganze Familie. Neben diesem geltungssüchtigen Konsum (conspicuous consumer) steht auch noch der andere erwerbsbestimmte Verbraucher (acquisitive consumer). Er kauft, erwirbt, sammelt, was immer ihm wichtig ist, als Selbstzweck7o . 2. Das Sparen

Sparen steht im Gegensatz zum Konsum. Wer spart, verzichtet auf die Ausgabe von liquiden Mitteln. Er sammelt sie entweder, um sie zu einem späteren Zeitpunkt zu verbrauchen oder um aus den Ersparnissen Vermögen zu bilden und Zinserträge zu erwirtschaften. 69 Simmel, Georg, Philosophie des Geldes, Berlin 61958, S. 700. 70 Vgl. Riesman, David, Die einsame Masse, Hamburg, 1968, S. 128f.

V. Objektiver und subjektiver Geldwert

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Selbstverständlich ist das Horten von Geld auch ein Akt von Ersparnisbildung. Die potentielle Kaufkraft bleibt wie beim Sparen erhalten. 3. Die Kreditaufnahme oder das Schuldenmachen

Es geht hier nicht um den internationalen Rahmen. Zwar beunruhigt die internationale Überschuldung der Entwicklungsländer viele Menschen in den Empfängerund Geberländern. Eine Lösung dafür ist immer noch nicht in Sicht. Aber eine hohe Verschuldung passiert keineswegs nur im internationalen Rahmen, sondern auch in der privaten mikroökonomischen Situation. Besonders die Menschen, die aus Unkenntnis oder, weil sie die Konsequenzen einer Kreditaufnahme nicht erkennen, eine Überschuldung leichtfertig in Kauf nehmen bzw. eingehen, erleben eine böse Überraschung. So ist es vielen Menschen zum Beispiel bei der Vereinigung der beiden deutschen Staaten ergangen. Zum Umgang mit Geld und Schulden bei einem unübersichtlichen Waren- und Dienstleistungsangebot muß man erzogen werden. Sonst tritt etwa eine unbeabsichtigte Überschuldung ein, weil die Ratenzahlung und Schuldentilgung nicht übersehen werden.

B. Der Umgang mit dem Produktiv kapital

Über vi~le Jahre hinweg hat sich in der protestantischen Welt die These Max Webers gehalten, die er 1904 in seinem berühmten Aufsatz "Die Protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus" aufstellte. Darin bildeten die calvinistische Erwählungslehre und das Sparen als ,,innerweltliche Askese" die zentralen Gedanken. Sie geben die Grundlage für die Industrialisierung ab. Der als innerweltliche Askese bezeichnete Konsumverzicht soll in Verbindung mit dem Gedanken der religiösen Erwählung - so glaubte man, aus Weber herauszulesen - die Antriebskraft geliefert haben, einen Kapitalbildungsprozeß voranzutreiben 71. Aufgrund dieser Wirtschaftsgesinnung wäre dann in Verbindung mit der reformierten calvinistischen Lehre der Kapitalismus entstanden. Zwar haben mittlerweile neuere Forschungen die Unrichtigkeit dieser Analyse ergeben. Aber daß Konsumverzicht zum Sparen und damit auch zur Kapitalbildung führt, ist damit keineswegs überholt. Der Unternehmer entscheidet, was, wann, wie, unter welchen Bedingungen produziert wird. Er legt den Umgang mit seinem oder dem aufgenommenen fremden Kapital fest, indem er Entscheidungen über Investitionen und Produktion trifft. Eine Ethik des Geldes greift darum letztlich auch in die unternehmerische Entscheidung ein. Der Unternehmer bestimmt durch seinen Geldeinsatz die Art der Produkte und auch den Produktionsweg. Seine Entscheidung wird sich vor allem 71

Vgl. Kramer, Rolf, Der Unternehmer und sein Gewinn, Berlin 1985, S. 19ff.

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1. Kapitel: Definitionen

nach der Gewinnerwartung richten, die er sich mit seiner Produktion erhofft. Das gilt für den Einzelunternehmer wie auch für den verantwortlichen Manager in einer Unternehmensverwaltung. Speziell von kirchlichen Kreisen wird häufig vorgebracht, daß wirtschaftliche Unternehmen zwar auch soziale Aufgaben durch geldliche Zuwendungen unterstützen, aber dieses fast nur aus Eigeninteresse heraus täten. Das mag in vielen Fällen wohl so sein. Aber es kann kaum verwerflich sein, so zu handeln. Schließlich ist das Ergebnis ein Unterstützen sozialer Aufgaben. Ohne ein solches Vorgehen, würden viele Gelder gar nicht in den sozialen Bereich fließen. Mit einem Verknüpfen von Werbung und sozialer Tat wird also nicht unmoralisch gehandelt!

Zweites Kapitel

Die Funktionen des Geldes In der Nationalökonomie wird Geld nach seinen Funktionen bestimmt'. Dabei gilt zwar der bereits oben zitierte Satz: "Alles, was Geldfunktionen ausübt, ist Geld,,2. Denn man kann ganz allgemein "unter Geld oder Zahlungsmittel alles verstehen, was im Rahmen des nationalen Zahlungsverkehrs einer Volkswirtschaft generell zur Bezahlung von Gütern und Dienstleistungen oder zur Deckung anderer wirtschaftlicher Verpflichtungen akzeptiert wird,,3. Darum läßt sich mit Recht formulieren: "Geld ist, was gilt,,4. Aber exakt wird durch diese Aussagen der Geldbegriff nicht definiert. Schließlich erfährt das Geld als Vermögensobjekt bereits seine Konkurrenz, und die Abgrenzung wird schwieriger. Immer wieder werden deshalb andere zusätzliche Definitionen hinzugenommen. Man hat darum vielfach Geldsubstitute als Quasigeld (auch Nahezu-Geld genannt) herangezogen 5 , um das Phänomen Geld in seinen Dimensionen zu erkennen. Freilich bleibt die Form des Geldes, wie die Geschichte lehrt, nicht gleich. In ihrem Verlaufe sind immer wieder Veränderungen - besonders in Inflationszeiten eingetreten, die nationale gesetzliche Zahlungsmittel zu Gunsten anderer knapper Güter, wie Zigaretten oder Butter außer Kraft gesetzt haben6 . In der alten metallistischen Vorstellung des Geldes war auf den Warencharakter des Geldes abgestellt worden. Hier stand dementsprechend der Wertaufbewahrungscharakter im Vordergrund. Die nominalistische Geldtheorie, die die Geltung des Geldes aus der Übereinkunft ableitete, hob den Tausch- und Zahlungsmittelcharakter hervor7 • Traditionell sind es wirtschaftlich drei Funktionen, die gemeinhin in der ökonomischen Geldtheorie unterschieden werden: , Vgl. Issing, Otrnar, Einführung, S. l. Issing, Otmar, Einführung, S. l. 3 Jarchow, Hans-Joachim, Theorie und Politik des Geldes, Bd. I Geldtheorie Göttingen 91973, S. 15. 4 Schmölders, Günter, Geldpolitik, S. 17. 5 Vgl. Issing, Otrnar, Einführung, S. 3. Vgl. Burghardt, Anton, Soziologie, S. 17. Zum Nahezu-Geld (Fast-Geld) gehören bestimmte Forderungstitel oder Waren, die nahezu gleichbleibende Preise besitzen, also etwa Edelmetalle in der Antike. 6 Jarchow, Hans-Joachim, Theorie, S. 15. 7 Ehrlicher, Wemer, Geldtheorie und Geldpolitik III, in: Handwörterbuch der Wirtschaftswissenschaft, Stuttgart u. a. 1981, S. 377. 2

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2. Kapitel: Die Funktionen des Geldes

I. Geld als Tausch- und Zahlungsmittel In der modernen Wirtschaft dient das Geld als allgemeines oder im Luhmann'schen Sinn als generalisiertes Tauschmittel, mit dem die nachteiligen Folgen eines Naturaltausches und einer Naturentlohnung eliminiert werden. Geld ist die Anwartschaft (Berechtigung), aus dem Tausch heraus zum Tausch zu kommen 8 . Jeder Tauschakt wird so in die zwei Funktionen zerlegt: Kauf einer Ware gegen Geldabgabe und Verkauf dieser Ware gegen Geldannahme. Da bei diesem Tausch Käufer und Verkäufer nicht unmittelbare Partner sein müssen, wird der Vorgang reibungslos durch das Geld vermittelt. Geld als generalisiertes Tauschmittel transformiert die Freiheit zum Tausch (Aktiva) in Tauschabhängigkeit (Passiva). Geld erweist sich als ein Mittel zur Kommunikation wie die Sprache. Sein Gebrauch wie auch der Wunsch, es zu besitzen, gehören zur zwischenmenschlichen Kommunikation (s. Luhmann). Sie zeigen eine soziale Abhängigkeit voneinander auf. In der Naturalwirtschaft vollzog sich der Naturaltausch in einer ganz personennahen Beziehung. Etwa, wenn der Schmied vom Bauer für das Beschlagen des Pferdes die Bezahlung in Form einer Getreidelieferung erhielt. In einer arbeitsteiligen Wirtschaft dagegen, in der für einen anonymen Markt produziert wird, bedarf es einer solchen vertrauensvollen persönlichen Beziehung nicht. Hier herrscht eben Anonymität. Aufgrund des anonymen Austausches in der Geldwirtschaft besitzt jeder Inhaber von Geld einen Anspruch auf Leistung, den er einlösen kann, wann, wo und wie er will. Damit verliert die unmittelbare Beziehung zum Austauschpartner ihren persönliche Bezug. Das bedeutet einen individuellen Substanzverlust an persönlichen und sozialen Wertvorstellungen. Vertrauen entsteht nicht gegenüber einem anonymen Markt, sondern nur in der persönlichen Beziehung der Wirtschaftspartner. Aber ein solches Vertrauen ist auch gar nicht nötig. In einer Geldwirtschaft, in der das Geld Tauschmittelfunktion ausübt, herrscht die Erwartung, daß das eingetauschte Geld seinen Wert behält. Je mehr das Geld im Rahmen seiner Tauschmittelfunktion verliert, umso mehr büßt es auch an Wertschätzung ein und wird als Zahlungsmittel oder Tauschmittel zurückgewiesen. Je stärker eine Abwertung der heimischen Währung zunimmt, um so mehr übernehmen bestimmte Waren seine Funktion, wie etwa die genannten Zigaretten in der Nachkriegszeit. Freilich können auch andere Währungen an seine Stelle treten (Dollar gegenüber Rubel etc.). Das Geld erfüllt über die Tauschrelation hinaus als Zahlungsmittel seine Aufgabe. Es ist heute das staatliche Recht, das dem Geld die Eigenschaft eines gesetzlichen Zahlungsmittels verleiht. Durch die Hingabe von Geldmittel können Werte ohne irgendwelche Gegenleistungen übertragen, also z. B. Geschenke gemacht, aber auch Schulden getilgt oder Steuern gezahlt werden. Hier besitzt das Geld die Funktion eines innerweltlichen Entschuldungs- oder Sühnemittel (z. B. im Straf-

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Vgl. Suhr, Dieter, Geldordnung, S. 114.

11. Geld als Rechenmittel

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verfahren). Im übrigen kennt bereits das Alte Testament eine Lösegeldzahlung für "irdisches" Vergehen (Ex. 21,28ff). Eine modeme verkehrswirtschaftliche Ordnung ist nur bei Vorhandensein einer Geldwirtschaft möglich. Ohne Geld wäre ein Warenaustausch zwischen den Marktteilnehmern in einer modemen Wirtschaft nicht möglich. Ein Naturaltausch wäre viel zu kompliziert. Darum kann "eine Rückkehr zum ,einfachen Leben', zu kleinen autarken Ökonomien mit geldlosem direktem Tausch ... getrost als absurd verworfen werden. Sie würde unter heutigen Bedingungen die Lebensaussichten aller in unerträglicher Weise beschneiden,,9. In einem Warenhaus mit ca. 10.000 einzelnen Gütern und ebenso vielen Geld-Preisen - diese Größenordnung entspricht etwa einem heutigen Kautbaus - wären insgesamt 49.995.000 einzelne Tauschbeziehungen notwendig, wenn keine Geldbeziehungen gegeben wären 10. Die millionenfachen Beziehungen in einer naturalen Tauschwirtschaft stellen Knappheitsrelationen zwischen den Gütern dar. In der Geldwirtschaft werden sie zu einer einzigen Knappheit, der des Geldes nämlich, reduziert. Bei der Einführung eines Geldsystems treten als Folgen zwei Wirkungen ein, die den Wohlstand vermehren. Zum einen ergeben sich Einsparmöglichkeiten, da die Suche nach den unterschiedlichen Tauschrelationen entfällt, und zum anderen wird sich das Handeisvolumen ausweiten, weil die Kosten für Information und Transaktion erheblich sinken 11. In der Marktwirtschaft hat Geld eine dienende Funktion. Denn durch Geld wird der reibungslose Ablauf auf dem Markt garantiert. Darum gehört zur Marktwirtschaft auch eine vollentwickelte Geldwirtschaft.

11. Geld als Rechenmittel Außer einer allgemeinen Tauschmittelfunktion übernehmen die Zahlungsmittel in einer modemen arbeitsteiligen Wirtschaft auch eine abstrakte Funktion, nämlich die der Recheneinheit. Der Marktwert eines Gutes läßt sich am leichtesten in einem ,,standardgut", am besten durch Geld, ausdrücken 12• Über die genannte traditionelle Funktion hinaus erfüllt heute das Geld weit umfangreichere Aufgaben. Geld leistet seinen Dienst als gesetzliches Zahlungsmittel im Gefüge der Sozialen Marktwirtschaft, aber auch als Steuerungsmittel in der Konjunktur- und Wachstumspolitik und in der Finanz- oder Verteilungspolitik. 9 Watrin, Christian, Geld - Maßstab für alles, in: Geld und Moral, Hrsg. Helmut Hesse und Otmar Issing, München 1994, S. 175. 10 Gemäß der Formel Tauschraten = n(n - 1) : 2. Vgl. dazu: Song, Xinyu, Prinzipien und Strategien der institutionellen Reform, in: Untersuchungen zur Wirtschaftspolitik, Hrsg. Juergen Donges I Christi an Watrin, Bd. 88, Köln 1992, S. 159. 1\ Song, Xinyu, Prinzipien, S. 159. 12 Issing, Otmar, Einführung, S. 2.

2. Kapitel: Die Funktionen des Geldes

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111. Geld als Wertaufbewahrungsmittel Wenn schon in einer Transaktion wie etwa dem Tausch zwischen dem Kauf und dem Verkauf zeitlich getrennt wird, bedarf es eines Aufbewahrungsmittels. In einer modemen Geldwirtschaft ist es darum nötig, "die erworbene Kaufkraft in Form eines Geldbestandes ,zu lagern' und erst dann zu verausgaben, wenn sich ein entsprechender Bedarf einstellt" 13. Geld ist ein Mittel dafür, dem freilich andere Mittel zur Vermögensanlage zur Seite stehen. Geld zeichnet sich durch eine hohe Liquidität aus. Träger der höchsten Liquidität zu sein, macht Geld auch zur Ware. Es leistet diese Waren- oder "Gutseigenschaft jedoch nicht - wie in der metallistischen Vorstellung - aus eigenem Stoffwert her, sondern aus der Tatsache, daß es als Wertaufbewahrungsmittel ein selbständiges Bedürfnis befriedigt, nämlich das Bedürfnis zur Tauschbereitschaft oder zur Liquidität" 14. Über die originären Funktionen des Geldes hinaus spricht man auch von seinen Konsekutivfunktionen. Eine davon ist die Aufgabe, Wertaufbewahrungsmittel zu sein. Eine schöne Zusammenstellung über die vielfältige Arten weiterer Geldfunktionen gibt Gerhard Merk I5 . Er zählt außer den bereits behandelten auch noch andere auf. Geld ist: Kreditübertragungsmittel, räumlicher Wertträger, Träger von Wahlentscheidungen, Ansporn zur Produktion, Schichtenaufbrecher (jeder kann Geld besitzen), Erfolgsmaßstab, Bewertung persönlicher Einschätzungen, Ausdruck nationalen Ansehens, Tauschangleichmittel - "man kann mit Geld (Monatssalär) Güter erwerben, für die eine Gegenleistung (Arbeit) bereits zuvor erbracht wurde" oder erst erbracht wird; Geld stellt auch ein Herrschaftsorgan oder umgekehrt eine gesellschaftliche Klammer dar. Aber selbst diese Aufzählung erhebt, wie aus der Überlegung von Gerhard Merk zu ersehen ist, keinen Anspruch auf Vollständigkeit.

IV. Geld als Macht- und Steuerungsmittel Aus diesen mehr ökonomisch geprägten Geldfunktionen lassen sich noch andere ethische und soziologische ableiten. Mit Geld ist sowohl Macht als auch Freiheit verbunden. Geld gibt dem Inhaber Macht und zeigt dem Nichtbesitzer seine Ohnmacht auf. "Geld ist nicht nur ein Zeichen von Reichtum, sondern auch von Macht, Ruhm und Ansehen", schrieb Jarchow, Hans-Joachim, Theorie, S. 17. Ehrlicher, Wemer, Geldtheorie und Geldpolitik III, in: Handwörterbuch der Wirtschaftswissenschaft, Stuttgart u. a. 1981, S. 376. 15 Merk, Gerhard, Einführung in die Geldlehre, Frankfurt 1977, S. 13 und ausführlicher in seinem Aufsatz: "Wirkungen und Folgen der Inflation", in: Acta Monetaria, Hrsg. Gerhard Merk, Bd. 4,1980, S. 99f. 13

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V. Kritik am Geld und seinem System

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Alexis de Tocqueville l6 . Es "verkörpert in den nicht wirtschaftlichen Bereichen der Gesellschaft Unabhängigkeit, Macht zur freien Wahl der Lebensgestaltung,,17. Geld, als Liquidität definiert, ist "der faßbare Ausdruck der wirtschaftlichen Entscheidungsfreiheit" 18. Denn Menschen besitzen mit ihm die Möglichkeit, sich Güter und Dienste jeder Art im Wege des Tausches gegen andere Güter und Dienste zu beschaffen. Eine Koordination der einzelnen Entscheidungen auf dem Markt ist nur über die "abstrakte Funktion" des Geldes möglich. "Die Entscheidungsfreiheit im Leistungs- und Verbrauchsprozeß wird nur über ein allgemeines Tauschmittel, also die konkrete Funktion des Geldes gesichert" 19. Geld vermittelt also Freiheit. Denn es verschafft Zugang zu den Gütern und Diensten auf einem anonymen Markt. Darum konnte Dostojewski Geld als "geprägte Freiheit" bezeichnen. Die Freiheit des Geldes ist zwiespältig. Sie gilt nur, sofern man im Besitze von Geld ist und solange der Wert beständig bleibt. Sie ist keineswegs die alles umfassende Freiheit, die den Menschen als Geschöpf auszeichnet, der auch dann und dort frei ist, wo er keine Macht und keine Steuerungsmöglichkeit besitzt. Geld vermittelt keine endgültige Freiheit, wie es auch kein eschatologisches Heil schenkt. Die dem Menschen geschenkte Freiheit ist Gottes Freiheit. Freiheit durch Geld und im Geld gewährt ist allein Menschenwerk. Der Mensch kann sich in freier Wahl, entsprechend seinen Wünschen, Plänen und Zielen Güter und Dienste beschaffen. Mit Geld ist die Verwirklichung von privaten und gesellschaftlichen Zielvorstellungen möglich. Gegenüber den überlieferten Geldvorstellungen der Naturalwirtschaft (in Gestalt von Tieren, Feldfrüchten, Immobilien oder handwerklichen Leistungen etc.) verleiht Geld dem Besitzer Unabhängigkeit. Pläne für eine gesellschaftliche Ordnung lassen sich oft nur mit Geld durchsetzen. Geld eröffnet dem einzelnen Menschen Lebensperspektive. Es spielt für ihn eine große Rolle, wenn er seine Gegenwarts- und die Zukunftschancen wahrnehmen will. Denn wer Geld hat, hat Gestaltungsmöglichkeiten für sich und seine Angehörigen. Der Geldbesitzer ist im Vorteil gegenüber dem Nicht- Vermögenden. Der Un-Vermögende muß sich seine benötigte Liquidität erst durch Arbeitsleistungen beschaffen.

V. Kritik am Geld und seinem System Nicht nur in der Geselllschaft, wie noch zu zeigen sein wird, sondern auch in der Ökonomie selbst hat hier und dort Kritik an einer ökonomischen Einstellung, Zitiert nach Sampson, Anthony, Globalmacht Geld, Hamburg 1990, S. 102. Ehrlicher, Werner, Geld, S. 73. 18 Zitat aus A. Paulsen, Neue Wirtschatslehre, Berlin / Frankfurt 1950, S. 24. Entnommen aus: Ehrlicher, Werner, Geld als Freiheit, in: Wilhelm F. Kasch (Hrsg.), Geld und Glaube, Paderborn 1979, S. 73. 19 Ehrlicher, Werner, Geld, S. 78. 16

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2. Kapitel: Die Funktionen des Geldes

nach der alle Güter unter einem "Geldaspekt" erscheinen, eingesetzt2o• Es bleibt zu fragen: Lösen sich durch diese Monetarisierung die Bindungen, die "die Produktion ursprünglich an die - begrenzte - Natur gebunden" hatten 21 ? Geldschöpfung und Ressourcen-Aus-"Schöpfung" scheinen sich zwar nahezu zu entsprechen, so daß die Güter auf einmal ebenso unendlich vermehrbar sind wie das Geld selbst. Aber es ist heute mehr denn je zu bezweifeln, ob deswegen und aufgrund einer scheinbar unbegrenzten Verrnehrbarkeit der Ressourcen die Natur stärker ausgebeutet und zerstört wird, wenn ihre Beanspruchung überschritten wird22 . Schließlich hat sich die Erkenntnis der Begrenztheit der Ressourcen mindestens in den Industriezonen weitgehend durchgesetzt. Trotzdem gilt: Vieles im Leben des Menschen ist in Geld bewertbar, auch wenn es sich gegen allen Anschein der Bewertung in Geld entzieht. Denn "das Rechnen in monetären Größen ist ... auch dort gesellschaftlich nützlich, wo es auf den ersten Blick inhuman erscheint,m. Zu denken ist z. B. an die sogenannten "Gliedertaxen" bei Personen, die in Kriegen zu Schaden gekommen sind, oder auch an in Geld umgerechnete Schadensersatzansprüche. Zwar meint Friedrich Beutter, daß man mit Geld weder Menschen noch personale Werte messen könne; aber er kann sich kaum diesen personalethischen Zurechnungsproblemen verschließen 24 • Indessen, mit Geld läßt sich nicht alles kaufen. Man denke nur an die zwischenmenschlichen Beziehungen von Liebe, Partnerschaft oder Freundschaft. Nicht erst in unserem Jahrhundert haben sich auch kritische Strömungen gegen. das Geld entwickelt. Sie erstrecken sich von einer mehr "sozialkonservativ ausgerichteten Kritik" im Frühkapitalismus über einen "sozialrevolutionären" Anstrich im Hochkapitalismus bis zur allgemeinen "sozialliberalen" Kulturkritik25 . Geldund Kapitalbesitz dienen als Zeichen des Reichtums zum entscheidenden Vorwurf gegen Ausbeutung und Unterdrückung der Arbeiter und zur Anprangerung einer einseitigen Verteilung. Weil der Arbeitnehmer nur über seine Arbeitskraft als Einkommensquelle verfügt, der Kapitalbesitzer aber aufgrund seines Kapitals ein arbeitsloses Einkommen erzielen konnte, wurde Geld und Kapital zum Angriffspunkt der unterschiedlichen politischen Gruppen. Geld und Kapital dominierten und ließen den Arbeiter sich von seiner Arbeit und deren Produkten entfremden. Besonders im Zuge einer immer stärker werdenden Technisierung und Automati20 Binswanger, Hans Christoph, Geld, S. 17. Vgl. Busch-Lüty, Christiane und Dürr, HansPeter, Ökonomie und Natur: Versuch einer Annäherung im interdisziplinären Dialog, in: Heinz König (Hrsg.), Umweltverträgliches Wirtschaften als Problem von Wissenschaft und Politik, Berlin 1993, in: Schriften des Vereins für Socialpolitik Bd 224. 21 Vgl. Binswanger, Hans Christoph, Geld, S. 17. 22 Binswanger, Hans Christoph, Geld, S. 17. 23 Watrin, Christian, Geld - Maßstab für alles? In: Geld und Moral, Hrsg. Helmut Hesse und Otmar Issing, München 1994, S. 176. 24 Beutter, Friedrich, Geheimnischarakter, S. 17. 25 Vgl. Fürstenberg, Friedrich, Religionssoziologie einer Kritik des Geldes, in: Wilhelm F. Kasch (Hrsg.), Geld und Glaube, Paderbom, 1979, S. 143.

VI. Die Erscheinungsformen des Geldes

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sierung und einer damit verbundenen Ansammlung von Kapital wurde der einzelne Arbeitnehmer fremdbestimmt. Für Marx gilt darüber hinaus: "Das Geld ist das dem Menschen entfremdete Wesen seiner Arbeit und seines Daseins, und dieses fremde Wesen beherrscht ihn, und er betet es an,,26. Damit entfremdet der Mensch sich selbst von seiner Arbeit durch das Geld. Er zwingt sich zur Arbeit und unterwirft sich ihr; schließlich braucht er Geld. Das führte zur Kapitalakkumulation bei den Kapitalisten. Die ihnen gegebene Verfügungsrnacht über Güter und Dienste deutet Marx so, daß es zu unterschiedlicher Besitz- und Machtverteilung kommt. Da die Arbeit wie die Ware den gleichen Gesetzen unterworfen ist, kommt ihr ebenfalls ein Warencharakter zu, so daß Arbeit wie die Waren von einem Warenfetischismus gekennzeichnet wird. Indessen, auch das Geld kann zur Ware werden, wenn aus ihm ein universelles Tauschobjekt wird. Gleichzeitig wird es dann auch zu einem Machtsymbol. Es ist freilich keineswegs nur von der Marx'schen Position aus von einer Entfremdung der Arbeit zu sprechen. Auch der modeme Mensch erfährt aufgrund von Automatisierung und Technisierung eine immer stärker werdende Entfremdung von seiner Arbeit. Aber er verliert durch das Geld nicht den Zugang zur Produktion ,seiner' Güter, sondern kann vielmehr dadurch zu einer hohen Arbeits-Motivation kommen. Heute jedenfalls hat die Entfremdung von der Arbeit nichts damit zu tun, daß der Arbeitnehmer Lohn, also Geld, für seine Tatigkeit erhält.

VI. Die Erscheinungsformen des Geldes Dem Warengeld folgte in späterer Zeit Geld in Form verschiedener Metalle, die sich durch Homogenität oder Haltbarkeit auszeichneten 27 . Heute ist das als Bargeld sowohl in Scheidemünzen als auch in Banknoten herausgegebene Papiergeld das gesetzliche Zahlungsmittel. Sein Nennwert ist größer als sein stofflicher Wert. Während das Münzregal in der Bundesrepublik Deutschland beim Bund liegt, besitzt allein die Bundesbank das Recht zur Ausgabe von Noten. Im Gegensatz zu den Münzen besteht eine unbegrenzte Verpflichtung zur Annahme von Noten. Sie sind Forderungen gegenüber der Bundesbank. Obwohl Münzen und Banknoten gesetzliche Zahlungsmittel sind, ist eine Erfüllung dieser Zahlungsmittel-Funktion keinesfalls immer gewährleistet. Denn ihre Kaufkraft ist Schwankungen unterworfen. Darum können sie, wie in Kriegs- und Nachkriegszeiten geschehen, ihre Tauschfunktion auch an andere Güter (s.o.) abgeben. 26 Marx, Karl, Zur Judenfrage 1843, Karl Marx - Friedrich Engels Werke, Berlin 2 1957, Bd. I S. 375. 27 Vgl. Jarchow, H.-J., Einführung, S. 19.

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2. Kapitel: Die Funktionen des Geldes

Außer dem Bargeld existieren als sogenanntes Zentralbankgeld die Sichtguthaben der Geschäftsbanken bei der Notenbank. Das von Nichtbanken bei den Geschäftsbanken unterhaltene bzw. geschaffene Buch- oder Giralgeld ist heute die am stärksten verbreitete Form von Geld28 . Es kann jederzeit, also auf "Sicht", darüber verfügt werden. Sichtguthaben stellen Buchgeld von Nichtbanken bei Kreditinstituten dar; "Sichtguthaben bei der Notenbank" dagegen sind Zentralbankgeld29 . Außer Münzen, Noten und Sichteinlagen sind auch Spareinlagen und Termingelder zu den Geldformen hinzuzurechnen. Beide haben ihre Bedeutung nicht beim Tausch, sondern bei der Funktion der Wertaufbewahrung. In Zukunft freilich wird eine neue Art von Geld eine Rolle spielen, die zusätzlich eine Veränderung im Geldverhalten der Menschen mit sich bringen wird. Das elektronische Geld wird zwar kaum das Bargeld ablösen, wohl aber eine Revolution der Zahlungsmittel hervorrufen. Das Digitalgeld wird nicht nur neue Produkte, sondern auch ganz neue Branchen entstehen lassen. Zwar wird heute noch dem Bargeld der Vorzug gegeben, aber die Frage, in welchem Maße es vom elektronischen Geld abgelöst werden wird, ist abhängig von den Kosten, die für das digitale System entstehen. Die ethische Folge liegt freilich nicht in der Herstellungsart oder in seinen Kosten, sondern in dem Umgang mit ihm und in seinen Verfügungsmöglichkeiten. Kann sich der Mensch gegenüber einer solchen "abstrakten" Geldart verantwortlich zeigen, oder zwingt der "Besitz" von Digitalgeld den Menschen nicht ein Verhalten auf, das sich noch anonymer erweist als das heute übliche Plastikgeld. Denn der Kundenname taucht - anders als beim Kreditkartensystem - in dem elektronischen Geld nicht mehr auf. Darum darf gefragt werden, ob der Inhaber solchen Digitalgeldes noch die Übersicht behält.

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Vgl. Jarchow, H.-J., Einführung, S. 20. Issing, Otmar, Einführung, S. 6.

Drittes Kapitel

Geldbegriffe im biblischen Sprachgebrauch I. Die alttestamentlich-jüdische Tradition Geld im biblischen Sprachgebrauch wurde schon früh unter den Vorstellungen des Tauschmitttels, der Wertaufbewahrung und der Recheneinheit gebraucht. Außerdem sind Armut und Reichtum ebenso wie der Begriff des Eigentums Ausdrucksformen für Geld und seine unterschiedlichen Funktionen. Im Alten Testament wurde zwischen der Naturalwirtschaft und einer Geldwirtschaft, die auf der Basis von Edelmetallen als Zahlungsmittel gegründet war, unterschieden. Bekannt ist der internationale Handel bzw. Tausch zwischen Salomo und Hiram. Salomo erhielt das notwendige Zedern- und Zypressenholz für den Tempelbau und gab Hiram 20 000 Sack Weizen und 20 000 Eimer Olivenöl. Bestimmte Gold- oder häufiger noch Silbermengen wurden als Tauschobjekte eingesetzt (V gl. Gen. 23, 16 oder auch 33, 19). Im Hebräischen ist das Wort Kaesaep (Silber) geradezu das Synonym für Geld. "Als Material bedeutet kaesaep ,Silber', als Währung ,(Silber-)Geld' ,,1. Die Gewichtseinheit war der Schekel (hebr. Gewicht), bei Luther auch als Silberling bekannt; er wog 11,424 g. Das Wort Schekel stammt vom Verbum ski abwägen und bezahlen. Das Gewicht richtete sich nach dem Maße, wie es im Heiligtum galt (Vgl. Lev. 5,15 od. 27,3.25). Die Bedeutung des richtigen Gewichtes der Silbereinheit ist an der Gleichsetzung des Händlers mit dem Silber-Abwäger abzulesen: ,,Falsche Waage ist dem Herrn ein Greuel; aber ein volles Gewicht ist sein Wohlgefallen" (Vgl. Spr. 11,1)2. Andere Recheneinheiten waren die Mine, für Luther das Pfund; es entsprach 50 bzw. 60 Schekel, oder das Talent, das bei Luther Zentner hieß und 60 Minen umfaßte 3 . Handel und Tausch sollte sich im Volke Israel unter Anwendung von ehrlichen Gewichten oder Maßen vollziehen. ,,Rechte Waage, rechtes Gewicht, rechter Scheffel und rechtes Maß" haben das tägliche Leben auszuzeichnen, heißt es im 3. 1 Mayer, G., Art. kaesaep, in: Theologisches Wörterbuch zum Alten Testament, hrsg. G. Joh. Botterweck u. a. Bd. IV, Stuttgart u. a. 1984, Sp. 285. 2 Vgl. dazu Lehmann, Karl, Geld - Segen oder Mammon, Biblische Aspekte, in: Geld und Moral, Hrsg. Helmut Hesse und Otmar Issing, München 1994, S. 125. 3 Vgl. dazu Reicke, BolRost, Leonhard, Biblisch-Historisches Handwörterbuch, Bd. 2, Göttingen 1964, Sp. 1249ff.

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3. Kapitel: Geldbegriffe im biblischen Sprachgebrauch

Buch Moses (Lev. 19,35f. u. Spr. 11,1). Es sollen zum Schutze der Schwachen und Armen im Handel und beim Tausch ein volles und rechtes Maß und nicht zwei unterschiedliche Maße gelten (vgl. Dtn. 25,15). Bei den Propheten wird zwar vor Betrug gewarnt, aber ein Kaufmann kann sich nur schwer vor Unrecht hüten, und ein Händler wird kaum frei von Sünde bleiben können. Oft herrschte geradezu das Gegenteil: "Wegen eines Vorteils tun viele Unrecht; und die reich werden wollen, nehmen es nicht immer genau. Wie ein Nagel in der Mauer zwischen zwei Steinen steckt, so steckt auch die Sünde zwischen Kauf und Verkauf' (Sir. 27,lff). Ähnliches ist beim Propheten Amos zu lesen, wenn gegen die Reichen gesagt wird, daß sie zu Lasten der Armen das Maß verringern, den Preis steigern und auch die Waage fälschen (Am. 8,5; vgl. Mi. 6,11). Der vom Silber-Geld geprägte Handel ersetzte den Naturaltausch. Dieses geschah wohl zuerst im Handel mit den Fremden. Denn so liest man: "Es war kein Schmied im ganzen Land Israel zu finden; ... Und ganz Israel mußte hinabziehen zu den Philistern, wenn jemand eine Pflugschar, Hacke, Beil oder Sense zu schärfen hatte. Das Schärfen aber geschah für ein Zweidrittellot Silber bei Pflugscharen, Hacken, Gabeln, Beilen und um die Stacheln gerade zu machen" (1. Sam. 13,19ff; vgl. auch Ri. 16,5). Auch der noch näher zu behandelnde Tempelkult, vor allem die Verwaltung der Opfergaben und die Tempelsteuer haben zur Entwicklung der Geldwirtschaft in Israel erheblich beigetragen 4 • Ebenso förderten die Auflagen der Könige, ihre großzügig angelegten Bauten und die Wirtschaft des Königshauses zu finanzieren, die Geldwirtschaft im alten Isreal (vgl. 1. K. 9,28)5. Dennoch wird der Besitz von Geld und Silber im Alten Testament zwiespältig beschrieben: 1. Der Besitz von Geld wird ebenso wie das Eigentum an lebenden Tieren und toten Gegenständen als Segen gesehen. Reichtum wird sowohl in der Gestalt von Naturalien als auch in anderen Schätzen ausgedrückt. Alles ist Ausdruck des Segens Gottes. Im Buche Genesis heißt es (24,35): "Und der Herr hat meinen Herrn (seil. Abraham) reich gesegnet, daß er groß geworden ist, und hat ihm Schafe und Rinder, Silber und Gold, Knechte und Mägde, Kamele und Esel gegeben". Der Reichtum ist als "Gottes Gabe und Ausdruck seines persönlichen Segens (Dt. 28,1 -14)" zu erkennen 6 . Reichtum kann auch mittelbar "durch Kriegsbeute, Mitgift und günstige Zuchtergebnisse" entstehen7 . Zur Antwort auf die Theodizee-Frage, vor allem im Blick auf das Problem, "wie es mit dem augenblicklichen Glück und Reichtum vieler Gottloser und der Armut Siehe unten S. 49ff. Zur Zeit des Königs von Salomo fuhren Goldschiffe vom Golf von Akaba nach Ofir. Vgl. auch Lehmann, Karl, Geld S. 125ff. 6 HauckIKasch, ploutos, S. 321 Z. 44. 7 HauckIKasch, ploutos, S. 321 Z.41. 4

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I. Die alttestamentlich-jüdische Tradition

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und dem Unglück vieler Frommen bestellt ist"g, verweist die Weisheitsliteratur auf die unendliche Güte Gottes, die Gott über die ausbreitet, die ihn verehren. Aber die anderen, die Übeltäter und Gottlosen, fallen hin und stehen nicht wieder auf (Ps. 36). Alle Menschenkinder "werden satt von den reichen Gütern deines Hauses" (Ps. 36,9). Die Menschen, die den Herrn suchen, ,,haben keinen Mangel an irgendeinem Gut" (Ps. 34,11). Die Weisheitsliteratur verweist aber auch auf die Vergänglichkeit der Güter dieser Welt. Die Weisen ebenso wie die Toren und Narren müssen sterben und nehmen nichts mit (PS. 49,12). Das gilt auch von den Reichen und den Gottlosen. 2. Andererseits wird gesagt: Wer sich seines Reichtums rühmt, hat den Spender der Gaben vergessen oder sich von ihm abgewendet. Der Prophet Hesekiel etwa klagt über den treulosen Abfall Jerusalems vom Herrn. Die Stadt Jerusalem selbst wie ganz Israel erkennen nicht, daß die guten Gaben dieser Welt Gottes Gaben sind (Hes. 16,9ff.). Statt dessen werden sie dem Baal angedient (Hes. 16,7ff.; Hos. 2,16ff.). Auch die von den Reichen ausgeübte Ungerechtigkeit wird deutlich angeprangert. Denn die Unschuldigen werden für Geld und die Armen für ein Paar Schuhe verkauft (Am. 2,5). Für die Propheten führt Geldgier zur Ausbeutung der Armen (Am. 2,6). Weil die Reichen mit dem von ihnen gewonnenen Gut die Zusammengehörigkeit des Gottesvolkes zerstören, werden sie von dem Propheten negativ beurteilt. Sie übertreten das göttliche Recht. Durch ihr Verhalten und ihre Anhäufung von Reichtum werden Witwen und Waisen und damit generell die Armen unterdrückt und ausgeraubt (Vgl. Jes. 1O,lff.; Jer. 5,25ff.; Am. 2,6ff.). Die reichen Großgrundbesitzer und königlichen Beamte im Nordreich werden von den Propheten ebenso vor Korruption und Ausbeutung gewarnt (Amos 5,lOff u. 8,4ff.) wie die Domänenpächter oder die Richter im Südreich (Jes. 5,8ff. u. 10, 1ff.). Zwischen diesen beiden extremen Positionen gibt es freilich auch noch andere Einstellungen. So wird im Blick auf die praktische Lebenserfahrung in der Weisheitsliteratur über das Verhältnis zum Reichen und seinem Reichtum Asketisches ausgesagt9 : Reichtum erlangt, wer fleißig ist (Spr. 10,4; 11,16), wer gut haushält (Spr. 24,4; Sir. 19,1). Wer also Maß hält, der hat die Chance, reich zu werden. Darum wird sogar "der gerechte Reiche gepriesen"lO, wenn es heißt: "Wohl dem Reichen, der untadelig geblieben ist und nicht das Geld sucht" (Sir. 31,8). Aber es kann auch betont werden, daß Geldbesitz und Sünde korrespondierende Größen sind. Reichtum steht schließlich in Beziehung zur Ungerechtigkeit. Wer Geld liebt, bleibt nicht sündlos, "und wer Gewinn sucht, der wird damit zugrunde gehen" (Sir. 31,5). Viele kommen gerade wegen des Geldes zu Fall (Sir. 31,6). Reichtum verleitet zum Bösen: "Wegen eines Vorteils tun viele Unrecht; und die reich werden wollen, nehmen es nicht immer genau" (Sir. 27,1). Das Streben nach Reichtum ist also oft mit Unrecht verbunden. Dabei wird der Wille Gottes mißachHauck/Kasch, ploutos, S. 322f. Z. 56f. Hauck/Kasch, ploutos, S. 322 Z. 32. 10 Hengel, Martin, Eigentum und Reichtum in der frühen Kirche, Stuttgart 1973, S. 25.

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3. Kapitel: Geldbegriffe im biblischen Sprachgebrauch

tet. Angehörige des Volkes, die so vorgehen, sind oft Menschen, die aufgrund ihres sündhaften Verhaltens reich geworden sind: "Ihre Häuser sind voller Tücke, wie ein Vogelbauer voller Lockvögel ist. Daher sind sie groß und reich geworden" (Jer. 5,27). Ähnlich heißt es in der Weisheitsliteratur: "Wer ... eilt, reich zu werden, wird nicht ohne Schuld bleiben" (Spr. 28,20). Reiche bringen durch List ihre Güter zusammen und gebrauchen - vgl. die oben zitierten Stellen - falsche Waagen und Gewichte (Micha 6,11). Wer im Besitz von Reichtum in der Gestalt von Häusern, Vieh und Geld ist, solle sich jedoch vor Überheblichkeit, Hochmut und Mißachtung des Herrn hüten (Dtn. 8,12ff.). In späterer Zeit hat sich dann die durch die prophetische Botschaft und auch durch die sozialen Gebote der Tora geprägte jüdische Frömmigkeit bemüht, "nach Kräften den in der hellenistisch-römischen Zeit besonders schroffen Gegensatz zwischen Arm und Reich auszugleichen oder zumindest zu lindern"ll. Ferner wird in der alttestamentlichen Überlieferung dem Reichen nahe gelegt, Dankbarkeit statt Hochmut gegenüber dem Herrn zu zeigen und die Gebote und Gesetze des Herrn nicht zu brechen. "Wenn du nun gegessen hast und satt bist und schöne Häuser erbaust und darin wohnst, und deine Rinder und Schafe und Silber und Gold und alles, was du hast, sich mehrt, dann hüte dich, daß dein Herz sich nicht überhebt und du den Herrn, deinen Gott, vergißt, der dich aus Ägyptenland geführt hat, aus der Knechtschaft" (Dtn. 8,12ff.). Gold oder Silber und alles, was mühevoll mit der Hände Werk getan wurde, kann als eitel und als ein "Haschen nach Wind" angesehen werden (Koh. 2,11). Wer sich nämlich dem Reichtum und dem Geld verschreibt und dabei Dankbarkeit gegenüber Gott vermissen läßt, hat sich von seinem Gott entfremdet und sich statt dessen der Habgier hingegeben (Koh. 5,9): "Wer Geld liebt, wird vom Geld niemals satt, und wer Reichtum liebt, wird keinen Nutzen davon haben". Auch von den Königen wird darum gefordert, daß sie nicht "viel Silber und Gold sammeln" (Dtn. 17,17). Reichtum darf nicht "alles" im Leben bedeuten. Der Wert der Gesundheit steht höher (Sir. 30,14). Gerechtigkeit und ein guter Namen bedeuten mehr als Geld (Prov. 16,8; 22,1.), mehr als Freundschaft (Sir. 7,18) oder als Nächstenliebe (Sir. 29,10). Nach Hiob 28,12 kann Weisheit mit Geld und Silber nicht gemessen werden. So heißt es etwa auch in Koh. 7,12: "Denn wie Geld beschirmt, so beschirmt auch Weisheit; aber die Weisheit erhält das Leben dem, der sie hat". Sie zu erwerben, ist besser als Silber, "und ihr Ertrag ist besser als Gold" (Spr. 3,14). Darum auch ist ein guter Ruf köstlicher "als großer Reichtum und anziehendes Wesen besser als Silber und Gold" (Spr. 22,1). Reichtum bereitet schlaflose Nächte, die dem Armen fremd sind (Sir. 31,1). Gold oder Silber ist weniger Wert als das Gesetz oder die Weisung Gottes, wie es im Psalter heißt (PS. 119,68.72). Der materielle Wohlstand wird also gegenüber anderen Werten, speziell gegenüber den geistigen, geringer angesehen. Eine besondere Relativierung des irdischen Reichtums erfolgt dadurch, daß Jahwe selbst Reichtum und Gold sein will: "Bekehrst du dich zum 11

Hengel, Martin, Eigentum, S. 27.

H. Der Reiche und sein Reichtum im Neuen Testament

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Allmächtigen und demütigst du dich und tust das Unrecht weit weg von deiner Hütte, wirf in den Staub dein Gold und zu den Steinen der Bäche das Gold von Ofir (seil. Goldland), so wird der Allmächtige dein Gold sein und wie Silber, das dir zugehäuft wird" ( Hiob 22,23ff.). Jahwes Heilzusagen ist mehr als Gold und Silber.

11. Der Reiche und sein Reichtum im Neuen Testament A. Reich sein im Griechentum Bereits in der älteren griechischen Überlieferung wird der Besitz von Vieh, der Großgrundbesitz und das, was aus diesem hervorgebracht wird - Getreide, Öl, Wein, Metalle etc. - als Reichtum verstanden. Reichtum wird auch hier ähnlich wie im Alten Testament nicht gleichgesetzt mit dem Besitz von Gütern. Er besteht auch nicht im Geldreichtum . Er kann einfach "glückliche Lebensumstände" bedeuten 12 • Im hellenistischen Denken wird die Wertung des Reichtums an die Beurteilung durch den einzelnen Menschen gebunden. Die Wertung ist abhängig von der Person, die ihn gebraucht l3 . Reichtum kann sowohl gut wie böse sein. Der Reichtum an Gütern oder Geld (chrematon ploutos) erfährt seine Beurteilung unter anderem auch dadurch, daß man ihn als eine Art Lebenssicherung ansieht. Er kann aber auch als das völlige Gegenteil dargestellt werden, wenn man ihn als einen "verfehlten Weg" des Lebens sieht l4 . Dies ist dann der Fall, wenn etwa dem äußeren Reichtum die Tugend und dem inneren, dem echten Reichtum, die Weisheit gegenübergestellt wird 15.

B. Der Umgang mit dem Geld und dem Reichtum im N. T. Geld im Neuen Testament wird für ganz unterschiedliche Funktionen gebraucht, so als Zahlungsmittel (Mt. 10,29), Vermögen (Lk. 15,8), Arbeitslohn (Mt. 20,2), Schuldbetrag (Mt. 18,24), Tempelsteuer, Unterstützung für Arme, Lösegeld für Gefangene oder als Judaslohn etc. Generell läßt sich sagen, daß es im Neuen Testament zwar ein wenig anders aber doch ähnlich wie im Alten Testament gebraucht 12 Hauck, FriedrichIKasch, Wilhelm, ploutos, in: Kittel-Friedrich, Theologisches Wörterbuch Bd. VI., Stuttgart 1959, S. 318. 13 Vgl. Hauck, FriedrichIKasch, Wilhelm, ploutos, S. 319. 14 Vgl. Hauck, FriedrichIKasch, Wilhelm, ploutos, S. 319. 15 Vgl. Hauck, FriedrichIKasch, Wilhelm, ploutos, S. 319.

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3. Kapitel: Geldbegriffe im biblischen Sprachgebrauch

wird. Es wird ambivalent, also positiv wie negativ, beurteilt. Es steht oft im Zusammenhang mit anderen Begriffen, wie Reichtum, Eigentum oder in Beziehung zu Gegenbegriffen, wie Armut und Besitzlosigkeit l6 . Vom Reichtum etwa ist zu sagen, daß er zum einen der Obhut des Menschen anvertraut ist. Er soll ihn als eine Gabe Gottes verwalten. Nur so kann er das Reich Gottes gewinnen. Zum anderen ist zu erkennen, daß man zwar mit dem Geld Gutes tun kann. Aber nur dann, wenn man mit ihm richtig umgeht. Denn es kann auch vom Menschen mißbraucht werden. Immer ist es der Mensch selbst, der das richtige oder fehlerhafte Verhalten an den Tag legt. Der Evangelist Markus steht dem Reichtum kritisch gegenüber. Für ihn gefährdet er das Hören der Reich-Gottes-Botschaft. In der Geschichte vom Zinsgroschen (MK. 12,13ff. u. Lk. 20,20ff.) setzt sich Christus für die Wahrung der staatlichen Ordnung ein. Christus weist auf den ihm vorgelegten Silbergroschen (Steuermünze) und spricht: "So gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist" (Mk. 12,17 u. Lk. 20,25). Er akzeptiert die staatliche Steuererhebung, weist aber auch auf ihre Vorläufigkeit hin. Andererseits fordert Jesus beim Ruf zur Nachfolge den Bruch mit den Familie und den Verzicht auf Besitz. Dahinter steht die Erwartung, sich ganz dem Dienst an der hereinbrechenden Gottesherrschaft zu widmen. Von Jesus wird in den Evangelien berichtet, daß er mit dem Worte des Propheten die Reinigung des Tempels vorgenommen hat, indem er den Hohenpriestern, Schriftgelehrten und den Angesehenen des Volkes vorwarf: "Ihr habt den Tempel, das Bethaus, zu einer Räuberhöhle gemacht". Jesu Vertreiben der Wechsler und Händler im Tempelvorhof war ein Vorgehen gegen die Kommerzialisierung des Heils. Gleichzeitig berührte es den Nerv des materiellen System der Tempelhierarchie (s.u.). Der Reichtum 17 wird im Matthäus-Evangelium nicht unter einem ethischen, sondern dem eschatologischen Gesichtspunkt beurteilt. Im Blick auf den Reichtum gilt, daß es dem Menschen nichts hülfe, wenn er die ganze Welt gewönne und nähme Schaden an seiner Seele (Mt. 16,26). Aber der Reichtum fesselt den Menschen mehr als alles andere an diese Welt. Eine Verabsolutierung des Geldes als einzigen Wert ist verwerflich. Denn Gott und Mammon sind Gegensätze: Man kann nur Gott oder dem Mammon dienen (Mt. 6,24). Andererseits soll der Mensch den Mammon benutzen, um Einlaß in die Ewigkeit zu erhalten (Mt, 16,9). Am breitesten hat sich der Evangelist Lukas mit den Reichen, allerdings weniger mit dem Reichtum beschäftigt. Sein Augenmerk gilt also nicht dem Reichsein, obwohl er auch den Begriff des Reichtums benutzt. Das tut er allerdings nur im Gleichnis vom Sämann (Lk. 8,14)18. Dort wird er zusammen mit den üblichen 16 17

18

Vgl. Kramer, Rolf, Umgang mit der Armut, Berlin 1990, S. 15ff. Zum Ganzen vgl. Rolf Kramer, Umgang, S. 15ff. Hauck, FriedrichlKasch, Wilhelm, ploutos, S. 326 Z. 7.

11. Der Reiche und sein Reichtum im Neuen Testament

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Freuden des Lebens negativ gesehen. Alle bringen keine Frucht, sondern ersticken das Wort Gottes (Lk. 8,14). Indessen findet der Besitz (Vermögen) bei Jesus in der Geschichte vom Zöllner Zachäus dadurch eine Anerkennung (Lk. 19,8), daß dieser mit seinem Besitz das Richtige angefangen hat, indem er die Hälfte dessen den Armen gab. Ähnlich wird an anderer Stelle die Forderung nach Almosen erhoben (Lk. 12, 33). Das Reichsein kann für den Menschen im Blick auf die Gewinnung des ewigen Lebens gefährlich werden. Das wird von Lukas dem Leser eingeschärft. Denn "es ist leichter, daß ein Kamel durch das Nadelöhr gehe, als daß ein Reicher ins Reich Gottes komme" (Lk. 18,25). Als Reiche werden alle die bezeichnet, die sich allein auf ihren Reichtum verlassen und Jesus verwerfen. Freilich sind mit den Reichen nicht nur die Besitzer von materiellen Gütern angesprochen. Vielmehr fallen darunter auch die Gegner Jesu, z. B. die, die ihre Schwierigkeiten mit der Nachfolge Jesu haben. Sie ernten die Qualen der Hölle, während die Armen (die ptochoi) die Erben der Seligkeit sind (Lk. 16, 19ff.). Die Entscheidung darüber liegt weder im speziellen Verschulden des Reichen, noch ist sie ein Verdienst der Armen. Aus der Pointe des Gleichnisses vom reichen Mann und armen Lazarus ist zu erkennen, daß der Reiche sich generell durch seinen Reichtum also "geradezu zwangsläufig" aus der Sphäre Gottes entfernt hat. Der Arme erfährt seinen Trost im Jenseits und kann von dort seine Hoffnung nähren 19. Die bei Lukas zu erkennende Diskrepanz zwischen den Gefahren des Reichtums einerseits und dem geforderten verantwortlichen Umgang mit ihm20 ist dadurch einsichtig zu machen, daß Lukas aufgrund der Verfolgungssituation eine doppelte Aussage wagt: Zur Jüngerschaft gehört einerseits die Absage gegenüber allem Besitz (Lk. 14,33). Aber vom Christen ist andererseits zu erwarten, daß er Wohltätigkeit übt und das Seine verkauft, um es den Brüdern zu geben, und daß er sich in der Nachfolge übt. Ihm wird alles vielfach wiedergegeben in dieser und der zukünftigen Welt (Lk. 18,29f). Die Apostelgeschichte will die Spannung von arm und reich überwinden. Sie fordert für die Urgemeinde die Gütergemeinschaft. Danach verkauften die Eigentümer ihre Güter und Äcker und übergaben den Erlös den Aposteln. Die Gütergemeinschaft war endzeitlich ausgerichtet. Denn man erwartete das baldige Kommen des Herm. Auch der Apostel Paulus vertrat gemeinsam mit Jesus und der Urgemeinde in Jerusalem "die endzeitliche Relativierung des Eigentums durch die Nähe der Parusie: ,Die Frist ist kurz bemessen' (1. Kor. 7,29),,21. Die Sorge um das Eigentum ist 19 Vgl. Ernst Bammel, ptochos, in: Theologisches Wörterbuch, Hrsg. Kittel-Friedrich, Bd. VI., Stuttgart 1959, S. 906. 20 Vgl. Walter Schmithals, Lukas - Evangelist der Annen, in: Theologia Viatorum, Bd. XII, o. 0.1975, S. 164. 21 Hengel, Martin, Eigentum, S. 47.

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3. Kapitel: Geldbegriffe im biblischen Sprachgebrauch

darum zweitrangig. Die Gestalt dieser Welt vergeht. Im Vordergrund steht statt dessen die revolutionäre Kraft des Evangeliums, das die Schranken zwischen den Menschen überwinden und den Menschen einzig um sein Heil besorgt sein lassen will (vgl. 1. Kor. 7,32). Für Paulus ist der Reiche Christus selbst, und der Arme ist reich in ihm (2.K. 8,9; R. 10,12). "Reichtum wird für ihn ein Ausdruck zur Kennzeichnung des Seins Christi, des Wirkens Gottes in Christus und der eschatologischen Situation seiner Gemeinde'.22. Der Reichtum als Kennzeichen der in Christus verheißenen zukünftigen Welt wird dagegen in der hiesigen Welt als Armut und Torheit erkannt (1.K. 1,23)23. Der Apostel selbst war bekanntlich mittellos und arbeitete als Handwerker, als Zeltmacher (Acta 18,3). Er brauchte darum nicht die Gemeinden zu bitten, für seinen Lebensunterhalt zu sorgen (l.K. 9,6.14f.); denn schließlich waren die urchristlichen Gemeinden selbst arm (2.K. 8,2). Aber der materielle Reichtum und der Umgang mit ihm stehen bekanntlich für den Apostel nicht in der Mitte seiner Verkündigung. Der Reichtum in Christus ist der wahre Reichtum. Er zeigt sich in der Liebe, "die sich in der Selbsthingabe in der Nachfolge bewährt,,24. Dieser Reichtum brüstet sich nicht seiner Güter, sondern vertraut auf Gott, der in Jesus Christus allen Mangel "nach seinem Reichtum in Herrlichkeit" abhelfen wird (Phil. 4,19). In den übrigen neutestamentlichen Schriften werden die Reichen ermahnt, durch ihren Reichtum nicht dem Verderben anheirnzufallen, indem sie auf den unsicheren Reichtum setzen. Sie sollen statt dessen reich werden an guten Werken. Christen sollen mit dem Reichtum ihren Egoismus bekämpfen und Gutes tun, "gerne geben, behilflich sein".(l.Tim. 6, 17ff). Geldgier (philargyria) kann sogar die Wurzel allen Übels sein. Sie läßt den Menschen von seinem Glauben abirren (l.Tim. 6,10). Reichtum geht, wie schon gesagt, zwangsweise einher mit Ungerechtigkeit. Er verschließt sich den Armen. "Hat Gott nicht die Armen auserwählt, um sie durch den Glauben reich ... zu machen. Ihr aber verachtet den Armen. Sind es nicht die Reichen, die euch unterdrücken und euch vor die Gerichte schleppen?" (Jak. 2, 5). Man wird an die Klagerufe der Propheten des Alten Testaments erinnert, wenn es etwas später heißt: "Und nun, ihr Reichen: Weint und heult über das Elend, das über euch kommen wird! Euer Reichtum ist verfault, eure Kleider sind von Motten zerfressen. Euer Gold und Silber ist verrostet, und ihr Rost wird gegen euch Zeugnis geben und wird euer Fleisch fressen wie Feuer. Siehe, der Lohn der Arbeiter, die euer Land abgeerntet haben, den ihr ihnen vorenthalten habt, der schreit, und das Rufen der Schnitter ist gekommen vor die Ohren des Herrn Zebaoth" (Jak. 5,16). Diese Art von Reichtum hat keinen Bestand. Er verschafft nicht Heil. Im Ge-

22 23 24

Hauck/Kasch, ploutos, S. 327 Z. 7. V gl. Hauck/Kasch. ploutos, S. 327 Z. 24. Hauck/Kasch, ploutos, S. 327 Z 39.

III. Der Begriff des "Mammon"

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genteil, wegen seines egoistischen Strebens gefährdet der Reichtum sogar das Heil (Jak. 5,lff.). In der christlichen Gemeinde sollte eine andere Wertung gelten.

111. Der Begriff des "Mammon" Der Begriff des Mammons spielt in der biblischen Überlieferung eine unterschiedliche Rolle.

A. "Mammon" im Alten Testament Das Wort Mammon kommt als solches im Alten Testament nicht vors. Aber die Herkunft des im neutestamentlichen Text benutzten Begriffs ist wohl aus dem hebräischen Wort aman = festhalten und in der speziellen Deutung von amon für "das, worauf man traut", abzuleiten 26 . In einer altjüdischen Übersetzung des hebräischen Alten Testaments wird dagegen das Wort mamon für Vermögen oder Habe benutzt. Dabei wird keineswegs allein an das gedacht, was einen Geldwert besitzt. Unter demselben Wort kann auch der Gewinn, das ,;vom Richter aufgelegte Lösegeld" oder das Schweige- und Bestechungsgeld verstanden werden 27 . Allerdings gilt eine Ableitung des griechischen Wortes aus dem Hebräischen als unsicher28 .

B. "Mammon" im Neuen Testament Der Ausschluß von Gottes- und Mammondienst ist bekannt: "Kein Knecht kann zwei Herren dienen; entweder er wird den einen hassen und den anderen lieben ... Ihr könnt nicht Gott samt dem Mammon dienen" (Lk. 16, 13 und Mt. 6,24). Gottesdienst schließt eben Mammonsdienst aus, weil er Götzendienst ist. Der Mammon ist also negativ bestimmt. Im Neuen Testament kommt Mamonas nur in der Verkündigung Jesu selbst vor. Es bezeichnet das Vennögen oder den Besitz. Es wird auch als ein irdisches, also 25 Hauck, Friedrich, mamonas, in: Theologisches Wörterbuch, Bd. IV, Hrsg. Gerhard Kittel, Stuttgart 1942, S. 391. 26 Hauck, Friedrich, mamonas, S. 390. 27 Hauck, Friedrich, mamonas, S. 391. 28 Hauck, Friedrich, mamonas, S. 390.

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3. Kapitel: Geldbegriffe im biblischen Sprachgebrauch

bloß materielles, gottgegensätzliches, sündebehaftetes Gut verstanden 29 , das den Menschen ganz in seinen Bann ziehen und ihn versklaven kann. Dieses Vermögen bringt speziell den Menschen vom rechten Weg und Denken ab. Damit hängt sein· Herz an einen falschen Gott. Für Jesus ist das irdische Vermögen, das der Mensch sammelt (Mt. 6, 19ff.) und als Lebenssicherung betrachtet (Lk. 12,15ff.), "an das er sein Herz hängt (Mt. 6, 24 par) und über dem er die Liebe versäumt, der Gegenpol zu Gott (Mt. 6,24 par),,30. Aus dem Text Lukas 16,lOf. läßt sich die generelle Beziehung des Menschen zur Treue, selbst gegenüber dem Mammon, deutlich erkennen: "Wer im Geringsten treu ist (pistos), der ist auch im Großen treu; und wer im Geringsten ungerecht ist, der ist auch im Großen ungerecht. So ihr nun in dem ungerechten Mammon nicht treu seid, wer will euch das Wahrhaftige (to alethinon) anvertrauen (pisteuein)"? Da für den Menschen gilt: "Denn wo dein Schatz ist, da ist auch dein Herz" (Mt. 6,21; Lk. 12,34), soll sich der Mensch nicht um das falsche Gut Gedanken machen. Es geht um das innere Wollen des Menschen. Christus hat also ein neues Handeln im Auge. Das beginnt freilich im Wollen! Er nimmt sich nicht der Armen an, weil sie arm sind, sondern er wendet sich den Sündern zu. Und Sünder sein heißt, den Besitz nicht in rechter Weise gebrauchen. Wer glaubt, sein Leben durch das bestreiten zu können, was er sich selbst beschafft, der irrt. Vom Oberzöllner Zachäus wird ausgesagt, daß er sein Vermögen unrechtmäßig aufgehäuft hat (Lk. 19,8). Auch der verlorene Sohn hat seinen Besitz mißbraucht (Lk. 15,13.30). Da Vermögen und Besitz (z. B. der des Zöllners oder auch anderer betrügerischer Menschen)31 oft unrechtmäßig erworben werden, geht es für Jesus um die Absage gegenüber diesem ungerechten weltlichen Besitz. Er müßte zur Hingabe des Vermögens an die Armen führen 32 . In Summa gilt vom Mammon: Er wird unredlich erworben und tendiert zur Ungerechtigkeit. Aber man kann ihn auch positiv benutzen und dann die Forderung aufstellen: Machet euch Freunde mit dem ungerechten Mammon (mamona tes adikias, Lk. 16,9).

IV. Das Zinsverbot in der Bibel Der Zins galt früher als Urbild des Wuchers. Im Lateinischen kann das Wort für Zins gar mit Zinswucher (usura) gleichgesetzt werden. Im mittelalterlichen Latein heißt der Wucherer usarius oder fenerator (od. faenerator). Als faenerator war in 29 30 31

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Hauck, Friedrich, mamonas, S. 392. Hauck, Friedrich, mamonas, S. 392. Vgl. Jeremias, Joachim, Die Gleichnisse Jesu, Göttingen 1956, S. 36. V gl. Hauck, mamonas, S. 392.

IV. Das Zinsverbot in der Bibel

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der Antike sowohl der berufsmäßige Geldverleiher gegen Zinsen und auch der Wucherer bezeichnet worden 33 . Heute spielt der Wucher(er)begriff nur noch eine begrenzte Rolle. Dem Zins dagegen kommt eine bedeutende ökonomische Bedeutung ZU 34 . Das deutsche Lehnwort Zins leitet sich aus dem lateinischen census ab und bedeutet Rente. Es ist in diesem Sinn wiederzufinden etwa im Miet- oder Pachtzins. In dem überlieferten klassischen Zinsstreit der Alten Kirche und des Mittelalters ging es um den Darlehenszins 35 und nicht um den Kapitalertrag aus einer Investition. Allgemein verstand man den Darlehenszins als eine nach Höhe und Laufzeit gewährte Vergütung des Darlehens 36 . Die Frage lautet darum, ob der Darlehensnehmer, der "Geld oder andere vertretbare Sachen als Darlehen empfangen hat" (BGB § 607), dem Darlehensgeber "das Empfangene in Sachen von gleicher Art, Güte und Menge" (BGB § 607) zurückzuerstatten und einen zusätzlichen Aufschlag zahlen soll oder darf3? Je mehr erkannt wurde, daß der Darlehensgeber über sein Geld nicht verfügen und keinen Gewinn erzielen, ja sogar großen Schaden erleiden kann, umso leichter wurde erlaubt, daß er eine Entschädigung verlangen konnte. Daraus ist dann später die Erkenntnis gewachsen: "Wer Geld hat, könne immer Geschäfte damit machen und Gewinn erzielen,,38. Bei einer Darlehensgewährung verzichtet er allerdings auf diese Chance.

A. Das Alte Testament und das Zinsverbot Nach dem Alten Testament herrschte in der israelitischen Tradition im Gegensatz zu anderen Staaten des vorderen Orients das Verbot, Zins vom Stammesgenossen zu nehmen: "Du sollst von deinem Bruder nicht Zinsen nehmen, weder für Geld noch für Speise noch für alles, wofür man Zinsen nehmen kann. Von dem Ausländer darfst du Zinsen nehmen, aber nicht von deinem Bruder" (Dtn. 23, 20 21; ähnlich Ex. 22,24). In einer vorherrschend naturalwirtschaftlich geprägten Ökonomie war es gut verständlich, daß zum Schutz des Grundbesitzes ein solches Verbot erlassen wurde. Das Zinsverbot galt nicht gegenüber dem Ausländer, weil dieser seinerseits von den Juden Zinsen einforderte 39 . Aus solchen Texten hat man die Erlaubnis abgeleitet, Wucherzinsen einem Fremden (im Kriegsfall auch dem Gegner) gegenüber abzuverlangen 4o . An anderen alttestamentlichen Stellen wurde Vgl. Le Goff, Jacques, Wucherzins, S. 102; Born, Karl, Erich, Beurteilung, S. 4. Vgl. Von Nell-Breuning, Oswald, Warum Zins?, in: Gerhard Merk (Hrsg.), Acta Monetaria Bd. 3, Frankfurt 1979, S. 14. 35 Vgl. Nell-Breuning, Oswald von, Zins, S. 9ff. 36 Vgl. Nell-Breuning, Oswald von, Zins, S. 10. 37 Vgl. Nell-Breuning, Oswald von, Zins, S. 9. 38 Vgl. Nell-Breuning, Oswald von, Zins, S. 10. 39 Vgl. Bogaert, R. Geld (Geldwirtschaft), in: Reallexikon für Antike und Christentum, Bd. IX., Stuttgart 1976, Sp. 806f. 40 Vgl. Le Goff, Jacques, Wucherzins, S. 20. 33

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3. Kapitel: Geldbegriffe im biblischen Sprachgebrauch

Ähnliches ausgedrückt und zugleich die Begründung für diese Forderung geliefert: " ... und du sollst nicht Zinsen von ihm nehmen noch Aufschlag, sondern sollst dich vor deinem Gott fürchten, daß dein Bruder neben dir leben könne. Denn du sollst ihm dein Geld nicht auf Zinsen leihen noch Speise geben gegen Aufschlag" (Lev. 25, 35- 37). Das Zinsverbot wurde noch dadurch verschärft, daß gegenüber dem Stammesgenossen fürsorgliches Handeln gefordert wird. Denn "wenn dein Bruder neben dir verarmt und nicht mehr bestehen kann, so sollst du dich seiner annehmen wie eines Fremdlinges und Beisassen, daß er neben dir leben könne" (Lev. 25,35). Andererseits wurde das Zinsverbot umgangen, indem man Strohmänner einsetzte oder den Zinsbetrag zu dem ausgeliehenen Kapital addierte. Schließlich wurden auch Zinsen zugelassen z. B. bei "produktiven Darlehen in der Landwirtschaft, bei Darlehen unter Schriftgelehrten (die Zinsen wurden dann als ein Geschenk betrachtet), unter Eltern und Kindern ... und wenn man etwas entliehen hatte, das man zwar selbst besaß, aber gegenwärtig nicht zur Verfügung hatte,,41. Das Zinsverbot hing damit zusammen, daß die Darlehen zu Konsumzwecken und nicht etwa der Kapitalbildung diente. Zinsen führten darum nur zur Bereicherung der Darlehensgeber und damit zur Ausbeutung der Armen. Jahwe aber schützt gerade die Armen. Auch das Sabbatjahr wurde zu Gunsten der israelitischen Armen eingeführt. In ihm wurde eine Schuldenerlaß verordnet und die Freilassung der Schuldsklaven verfügt. Die Grundlage dafür lag in dem Eigentumsverhältnis: Jahwe, dem Herrn, gehörte das Land. "Denn das Land ist mein, und ihr seid Fremdlinge und Beisassen bei mir" (Lev. 25,23). Die Begründung für das Zinsverbot kann auch aus Psalm 15 abgelesen werden. Dort heißt es, daß nur der im Zelte Gottes weilen und auf dem heiligen Berge wohnen darf, "wer untadelig lebt und tut, was recht ist, und die Wahrheit redet von Herzen ... wer sein Geld nicht auf Zinsen gibt und nimmt keine Geschenke wider den Unschuldigen (Ps. 15,lff.). Für den Christen des Mittelalters war diese biblische Überlieferung ein Hinweis dafür, "daß dem Wucherer das Paradies verwehrt ist,,42. Auch in Hesekiel (18,8) wird der als gerecht angesehen, der keine Zinsen und auch keinen Aufschlag nimmt. Wer das aber tut, soll wie der Gewaltätige sterben (Ez. 18,13).

B. Das Zinsnehmen im Neuen Testament Jesus benutzt das Bild vom Früchte-Bringen (tokos)43 für das Zins-Nehmen (Mt. 25,24ff) und zeigt im Gleichnis von den anvertrauten Geldern (Talenten) auf (Mt. 25,14-30 und Lk. 19,11- 27), daß weder das Darlehensgeben noch das Zinsnehmen 41 42 43

Bogaert, R, Geld, Sp. 811. Le Goff, Jacques, Wucherzins, S. 20. Aristoteles, Politik, I. Buch, 9. Kapitel, 1258b.

IV. Das Zinsverbot in der Bibel

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verwerflich ist. Aus dem Gleichnis ist auch zu ersehen, daß Jesus selbst das Zinsnehmen von den sogenannten Bankinhabern, den trapezites, als rechtmäßig akzeptierte44 . Er belohnt gar den, der das Geld gut angelegt hat. Zusammen mit den genannten Aussagen des Alten Testamentes wurde das Neue Testament zur Grundlage für das christliche Zins verbot. Denn gemäß dem lukanisehen Wort: "Wenn ihr denen (seil. Geld) leiht, von denen ihr etwas (seil. Zins) zu bekommen hofft, welchen Dank habt ihr davon? Auch die Sünder leihen den Sündern, damit sie das Gleiche bekommen. Vielmehr liebet eure Feinde; tut Gutes und leiht, wo ihr Nichts dafür zu bekommen hofft" (Lk. 6,34-35). Das bedeutete für die Christen, sie sollen keinen Kredit vergeben, um Zinszahlungen zu erwarten. Die daraus entstandene Einstellung zum Zins ist aus dem lateinischen Wortlaut dieser Textstelle zu ersehen. Dort heißt es: "mutuum date, nihil inde sperantes"(Lk. 6,35). Das "mutuum" - vom römischen Recht übernommen - bezeichnet einen "Vertragsabschluß mit Eigentumswechsel, bei dem der Verleih zinslos bleiben muß,,45. Im Griechischen wird dagegen schlicht vom Ausleihen (Hingabe) gesprochen (danizete). Im Begriff des Hoffens (sperare) ist für den ökonomisch Handelnden das ausgedrückt, was er aufgrund eines Zeiteinsatzes an Erfolg oder Mißerfolg erwarten kann. In Anlehnung an diese Aussage aus der Bergpredigt und an die aus dem Alten Testament übernommenen Vorschriften ist allmählich die Einstellung zum Zinsnehmen und zum Wucher entwickelt worden. Im 3. Buch Moses heißt es, wie bereits zitiert: "Du sollst ihm (seil. deinem Bruder) dein Geld nicht auf Zins leihen noch Speise geben gegen Aufschlag (Lev. 25,37). Jacques Le Goff hat darauf hingewiesen, daß in der Vulgata der Satz vom Zinsnehmen aus der Stelle Lev. 25,37 übersetzt wurde: "Pecuniarn tuarn non dabis ei ad usuram et frugum superabundantiam non exiges". Das bedeutet wörtlich: Du sollst ihm dein Geld nicht zu Wucherzinsen geben und kein Übennaß für Lebensmittel (von Früchten) verlangen. Die beiden Ausdrücke Wucher (usura) und Übennaß (superabUlldantia) lieferten dann später dem mittelalterlichen Christen die Begründung zum Verwerfen des Wucherzins und des Übennaßes 46 . Mit dieser biblischen Überlieferung ließ sich auch behaupten, daß der Wucherer nicht ins Paradies komme47 .

C. Die Bedeutung des Geldes im Tempeldienst Nach Meinung des Evangelisten Markus hat sich Jesus bei der von ihm überlieferten Tempelreinigung (Mk. 11,15-17) zwar als Messias zu erkennen gegeben. Aber in der praktischen Auswirkung dieser Ereignisse um den TempelreinigungsVgl. die banktechnischen Ausdrücke: abheben und einzahlen in Lk. 19,21. Le Goff, Jacques, Wucherzins, S. 21. 46 Vgl. Le Goff, Jacques Wucherzins, S. 19. 47 Vgl. Le Goff, Jacques, Wucherzins und Höllenqual, Stuttgart 1988, S. 20. S. oben 3. Kapitel IV, 1. 44

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4 Kramer

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3. Kapitel: Geldbegriffe im biblischen Sprachgebrauch

prozeß hat Christus auch in den ökonomischen Prozeß des Wirtschaftssystems des Tempels eingegriffen48 . Denn das Umwerfen von Tischen der Geldwechsler und der Taubenhändler wurde zwar als Reinigung verstanden, war aber zugleich ein Eingriff in die religiöse Institution und gestaltete sich fonnal auch als ein Eingriff auf die ökonomische Macht der damaligen Zeit, die sich besonders aus den Geschäftstätigkeiten am Tempel ergab. Die Erfüllung der rabbinischen Forderung nach Opfern, die Eintreibung der Tempelsteuer und andere Abgabenfonnen, die dem Geschäft der Geldwechsler dienten, machten den Tempel zu einem wirtschaftlichen Zentrum. Der Tempel war nämlich nicht nur das Zentralheiligtum für das israelitische religiöse Leben. Er besaß aufgrund des herrschenden Abgabensystems auch eine wirtschaftliche Machtposition. Diese hatte er nämlich unter anderem durch das Eintreiben der Tempelsteuer aus der Bestimmung nach 2. Mos. 30,13-16 erhalten, in der von jedem Israeliten ab dem 20. Lebensjahr jährlich eine Abgabe in Höhe eines halben Schekels für das Heiligtum als Tempelsteuer ab"9"erlangt wurde. Der erzielte Überschuß an Opfergaben förderte ebenso die Geldwirtschaft wie der nach der alttestamentlichen Überlieferung aus dem Buche Exodus geforderte Umtausch des Geldes in die für die Tempelsteuer vorgesehene Münze. Die Tempelverwaltung beaufsichtigte außerdem den Handel, die Kultfähigkeit der Opfergaben und die ordnungsgemäße Durchführung der Steuern. Im Tempeldienst selbst brauchte man Geld zur Deckung des Bedarfs und des Lebensunterhalts. Der Tempel wurde dadurch zu einem äußerst wichtigen Ort ökonomischer Macht und geldwirtschaftlichen Handeins. Wer diese Abläufe störte, berührte das materielle System und brachte Unruhe in die wirtschaftliche Ordnung. Jesu Vorgehen gegen die Wechsler und Händler und ihre an sich nicht unehrenhaften Tätigkeiten störte diese gewachsene Ordnung. Die Tempelreinigung durch Jesus war für die im Lukas Evangelium angesprochenen Hohenpriester, Schriftgelehrten und Angesehenen des Volkes dann auch der ökonomische Grund dafür, ihn umzubringen (Lk. 19,4546; vgl. Mk. 11,18). Jesu Tempelreinigung geschah mit den Worten aus dem Propheten Jesaja (56,7): ",Mein Haus soll ein Bethaus für alle Völker sein'. Ihr habt aber eine Räuberhöhle daraus gemacht" (Mk. 11,17). Das war zwar zunächst ein religiöser Protest gegen die Profanisierung des Gottesdienstes. Aber Jesus tut noch mehr. Er mischt sich mit seinen Maßnahmen in die ökonomischen Belange der Priesterschaft ein, zerstört das ökonomische Gleichgewicht, indem er an die gesellschaftlichen Machtstrukturen rührte. Das hätte für die Gruppe der Priester und Schriftgelehrten schon aus politisch-ökonomischen Gründen Anlaß genug sein können, sich seiner zu entledigen und ihn zu töten (Mk. 11,18)49. Es hätte keiner religiösen Gründe mehr bedurft.

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Schröder, Gerhard, Jesus und das Geld, Karlsruhe 1979, S. 82f. Vgl. Schröder, Gerhard, Jesus, S. 66 u. 83. Vgl. oben S. 42.

Viertes Kapitel

Stellungnahmen der Kirche und der Theologie I. Zins und Wucher in der Kirche Bei der Behandlung der Zinsfrage in der Alten Kirche ging man nicht nur auf die Stellen des Alten und Neuen Testamentes zurück, sondern auf die Aussagen des Aristoteles' (384-322). Dieser hat sich in seiner "Ethik"l und "Politik,,2 mit dem Wesen des Geldes auseinandergesetzt. Er unterscheidet die Haushaltungskunst von der Chrematistik, die Handels- und Geldgeschäfte umfaßt. In der Chrematistik findet eine Bereicherung statt, die nicht der Natur folgt, sondern Ausbeutung bedeutet 3 . Die Haushaltskunst dagegen sieht er als natürlich und notwendig an4 . Schon in der Haushaltskunst und nicht nur in der Chrematistik ist der Gebrauch des Geldes notwendig. Das Geld ist eine durch das Gesetz geschehene Setzung (nomisma) und wird nicht durch die Natur bestimmt, "weil es seinen Wert nicht von Natur (physei) hat, sondern durch den Nomos (nomo),,5. Geld wurde zur Erleichterung des Naturaltausches eingeführt (Konvention); schließlich sind nicht alle Naturalgüter so leicht wie Geld zu transportieren 6 . Diese Tatsche begünstigte auch das Händler- und Krämergewerbe, für die der Wert der Güter insbesondere durch den Tauschwert bestimmt wird. Es geht den Händlern um die Erkenntnis des Bedarfs an den Produkten. "Da sich der Tauschwert der Güter aus dem Bedarf ergibt, ist das Geld Maßstab und Ausdruck des Bedarfs"? Aber erst das Geld macht alle Dinge kommensurabel "und stellt dadurch eine Gleichheit unter ihnen her"s. Darum diente es auch zur Sicherung der ausgleichenden Gerechtigkeit. Geld wird zwar als Hilfsmittel zum Gütertausch und nicht zum Zwecke der Investition als Investitionskapital betrachtet 9 • Es soll nach Aristoteles den Tausch Aristoteles, Nikomachische Ethik 5. Buch 8. Kapitel, 1133a+b. Aristote1es, Politik,!. Buch 9. Kapitel, 1257a und 10. Kapitel, 1258b. 3 Aristoteles, Politik, 1258b. 4 Vgl. dazu Kramer, Rolf, Soziale Gerechtigkeit, Inhalt und Grenzen, Berlin 1992, S. 34ff. 5 Aristote1es, Ethik, 1133 a Z. 30. 6 V gl. Aristoteles, Politik,!. Buch, 9. Kapitel, 1257a 34. 7 Born, Karl, Erich, Die ethische Beurteilung des Geldwesens im Wandel der Geschichte,in: Geld und Moral., Hrsg. Helmut Hesse und Otmar Issing, München 1994, S. 3. 8 Aristoteles, Ethik, I 133b, 16. 9 Vgl. Born, Karl, Erich, Beurteilung, S. 3. 1

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4. Kapitel: Stellungnahmen der Kirehe und der Theologie

von (Konsum-)Gütern für den privaten Haushalt fördern und darum keineswegs dem Wucherer (Zinsnehmer) dienen und Gewinn bringen. Das tut es aber, wenn es nicht auf Konsum, sondern vielmehr auf Gelderwerb ausgerichtet ist. Indessen wurde Geld nicht nur zum Tauschgeschäft verwandt, sondern auch beim Geldbzw. Darlehensgeschäft gebraucht. Dieses aber bezeichnete Aristoteles als das Gewerbe des Wucherers. Denn es zieht seinen Gewinn aus dem Geld selbst und nicht aus den Handelsgütern. Aristoteles weist darauf hin, daß Zins, der den ,,Namen" tokos (Junges) trägt, den Auftrag hat, sich durch sich selbst zu vermehren. Zins ist Geld vom Gelde; denn "das Geborene (tiktomenon) ist seinen Erzeugern ähnlich"lO. Solche Erwerbsweise aber widerstreitet dem Naturrecht. Denn Geld ist unfruchtbar: pecunia pecuniam parere non potest (Geld kann nicht Geld gebären), definiert Thomas von Aquin nach Aristoteles. Zinsen also widersprachen der Natur des Geldes und auch der des Darlehens 11. Die aristotelische Anschauung über das Geld wurde später dadurch unterstrichen, daß das Geld als Sache betrachtet wurde: Wer nämlich Münz-Geld rechtmäßig besaß, war Eigentümer dieses Geldes. Wer aufgrund eines Darlehens (Konsumentenkredits) in den Besitz der Münzen kam, durfte diese verwenden, wie er es wollte. Er sollte gegenüber dem Darlehensgeber von jeder Zinszahlung frei sein. In der geldwirtschaftlich organisierten Ökonomie des römischen Reiches war das Zinsnehmen durchweg erlaubt. Man anerkannte einen Zinsfuß von 12 Prozent (51. v. Chr.), sah eine höhere Verzinsung als Wucher an. Die aristotelischen Aussagen zur Zinsfrage bildeten zusammen mit der biblischen Überlieferung die Begründung für die Haltung der frühen und der mittelalterliche Kirche in dieser Frage I2 . Die Alte Kirche hat bereits im Konzil zu Nicäa im Jahre 325 das Zinsverbot erlassen. Zins - als Wucher definiert - wurde von den Konzilsvätern im Kanon 17 verboten. Allerdings galt dieses zunächst gegenüber den Klerikern. "Gegenüber den Laien konnte die Kirche jahrhundertelang den Zins nicht zwingend verbieten, sondern nur sittlich verdammen"I3. Erst Papst Leo I. der Große (440-461) hat schließlich das Zinsverbot auch auf die Laien bezogen und sittlich verdammt. Aber "die vielen Angriffe der Kirchenväter gegen das Zinsgeschäft, die vielen Verordnungen der Konzilien und manche andere Texte zeigen, daß das Darlehensgeschäft lebhaft betrieben worden ist,,14. Zinsen für Geld, das vielfach nur für konsumtiven (aber teilweise auch zu produktiven) Zwecken ausgeliehen wurde, wurde unterschiedlich beurteilt. Ambrosius vertrat den jüdischen Standpunkt, daß man allein von den Glaubensgenossen keine Zinsen nehmen dürfe. Andere meinten, das Zins verbot gelte allen Menschen (Cyrill v. Alexandrien); Tertullian vertrat den neutestamentlichen Standpunkt, daß Darlehen nur ohne ZinIO Il

12 13 14

Arlstoteles, Politik, 1258b. Hesse, Helmut, Luther, S. 33. Vgl. von Aquino, Thomas, Summe der Theologie Bd. III, Stuttgart, 21954, S. 355. Born, Karl, Erleh, Beurteilung, S. 5. Bogaert, R., Geld, Sp. 876.

I. Zins und Wucher in der Kirche

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sen gewährt werden sollten. Freilich wollte er, daß nicht einmal das Kapital zurückerstattet werde 15 . Insgesamt wurde Geld in der Alten Kirche von den Kirchenvätern nur als Mittel zur Wohltätigkeit gewürdigt. Im Mittelalter wurde oft nur der Teil, den man über den Darlehensbetrag hinaus erzielte, als Wucher bezeichnet. So konnten im 13. Jahrhundert Zinsen dann Wucher genannt werden, "wenn diese in Form von Geldfür Geld gefordert werden,,16. Speziell der Zins (ursura), der sich aus dem einfachen Zins und dem Betrag zusammensetzte, der über den Zins hinausgeht [Zins plus Übermaß (superabundantia)], konnte aufgrund von Lev. 25,35ff. gebrandmarkt werden. Dabei wurde Wucher als "unstatthafter Gewinn" definiert 17 • Daraus konnte im kanonischen Recht folgende Einstellung verankert werden: - "Wucher ist all das, was bei einem Leihgeschäft über die Leihgabe selbst hinaus zurückverlangt wird. - Wucherzins zu nehmen, ist eine vom Alten wie vom Neuen Testament verbotene Sünde,,18. Im Laufe der Geschichte wurde das Zinseinnehmen, das den Christen nur begrenzt erlaubt war, den Juden überlassen. Diese aber wurden dann von der christlichen Gesellschaft mehr oder weniger zum Wuchern getrieben. Bedingt durch verschiedene Verbote, eine produktive Tatigkeit auszuüben oder einem Zunftgewerbe beizutreten oder Land in ihren Besitz zu nehmen, blieben den Juden außer einer medizinischer Tatigkeit oft nur der Handel und das Geldgeschäft übrig. Sie waren dabei vielfach christlichen Anfeindungen ausgesetzt. Freilich gab es auch den christlichen Wucherer. Zur Zeit Karl des Großen ist das Zinsverbot auch auf die Laien ausgedehnt worden, nachdem es vorher - wie bekannt - nur sittlich verdammt war 19. Obwohl es dann verschiedene Konzilien (Konstantinopel 814, 3. Laterankonzil 1179 oder Lyon 1274) erneuert haben, wurde es trotzdem vielfach unterwandert. Die offiziellen Texte freilich verdammen nur die übertriebenen Zinssätze, den Wucher. Es konnte also durchaus zwischen Zinsen und Wucher differenziert werden. Das 3. Laterankonzil von 1179 verlangte die Bestrafung offenkundiger und öffentlicher Wucherer. Im 16. Jahrhundert hat sich die Meinung durchgesetzt, daß die ,,Festlegung eines Maximalzinses seitens der Obrigkeit am ehesten gelingen könne,,2o. Obwohl seit dem 12. Jahrhundert Wucherer vom Sakramentsempfang und vom kirchlichen Begräbnis ausgeschlossen wurden, gab es auch christliche Wucherer. Sie wandten sich wie die anderen dem zwielichtigen Geld zu, das schließlich zum 15

Vgl. Bogaert, R. Geld, Sp. 901.

16

Le Goff, Jacques, Wucherzins, S. 27.

17

18 19

20

Le Goff, Jacques, Wucherzins, S. 24. Le Goff, Jacques, Wucherzins, S. 24. Vgl. Born, Erich, Karl, Beurteilung, S. 5. Hesse, Helmut, Luther, S. 46.

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4. Kapitel: Stellungnahmen der Kirche und der Theologie

einen in einem hohen Ansehen stand, aber zum anderen gleichzeitig verabscheut wurde21 . In der Zeit der Herrschaft Roms war der Zinssatz auf 12 % festgelegt worden. Diese Vorstellung wurde durch die byzantinisch-christliche Rechtsprechung Justinians übernommen. Auch die heidnischen Gesetze des Hochmittelalters gestatteten einen jährlichen Zinssatz von 12%, während zwischen dem Jahr 1000 und dem 13. Jahrhundert ein Zinsfuß von 33 1/3 % der erlaubte Höchstsatz war22 . Dieser Höchstsatz wurde nach Le Goff den jüdischen Wucherern von den französischen Königen Ludwig VII. (1223) und Ludwig dem Heiligen (1230, 1234) auferlegt. Die mIttelalterliche Kirche reglementierte die Zinserhebung. Sie machte den Marktpreis zur Grundlage ihres "gerechten Preises". Dieser sollte sich nach dem Gesetz von Angebot und Nachfrage richten. Thomas von Aquin wollte bei gewissen Dingen keinen Unterschied zwischen Gebrauch und Verbrauch zulassen (z. B. beim Wein, der Gebrauch ist auch der Verbrauch!) Darum darf man auch den Wein nicht gleichsam zweimal verkaufen, indem man einmal den Gebrauch und zum anderen den Verbrauch verkauft. Das ist auch der Grund dafür, daß man nicht einmal den Weizen oder Wein ausleiht und sowohl die Rückererstattung als auch einen Zins dafür erwartet 23 . Es gibt aber durchaus eine Zins- bzw. Pachtzahlung, z. B. beim Überlassen einer Wohnung. Unter bestimmten Voraussetzungen war das Zinsnehmen erlaubt, z. B. wenn das Geld einem Kaufmann übertragen wird, damit dieser Handel treibt. Der Gläubiger kann dann einen Teil des Gewinnes abfordern 24 . Mit Thomas durften die Verkäufer sogar, um den gerechten Preis festzusetzen, "den Arbeitslohn für ihre Tätigkeit und die Kosten für Rohstoffe, Waren und Transport berechnen,,25. Aber sie "begingen eine Todsünde, wenn sie etwa die Zinskosten eines Darlehens, das sie für die Beschaffung der Ware aufgenommen hatten, auf den Preis aufschlugen,,26. Dennoch konnte Thomas trotz allem Darlehen gegen Zinsen zulassen. Dann nämlich, wenn aus dem Zins ein Geschenk wurde. Er räumte nämlich die Möglichkeit ein, daß der Darlehensnehmer seinem Gläubiger ein Geschenk machen wolle, schließlich habe dieser ihm aus einer Not geholfen. Es gab jedoch noch eine andere häufig geübte Form, das kanonische Zins gebot zu umgehen. Man erhöhte die Darlehenssumme um den Zins betrag und stellte den Schuldschein dann über diesen Betrag aus. Im Zuge der wirtschaftlichen Entwicklung und der Ausweitung des Handels löste sich auch das kanonische Zinsverbot. Das Konzil von Trient im 16. Jahrhundert schränkte das Verbot erheblich ein. Ein Zinssatz von 5% wurde offiziell erlaubt. Vgl. Le Goff, Jacques, Wucherzins, S. 71. Vgl. Le Goff, Jacques, Wucherzins, S. 74. Er zeigt auf, daß die erhobenen Zinssätze in den einzelnen Ländern von unterschiedlicher Höhe waren. 23 von Aquin, Thomas, Summe Bd. III, S. 356. 24 Von Aquin, Thomas, Summe Bd. III, 78. Untersuchung 2. Artikel zu 5 (S. 360f.). 25 Born, Karl, Erich, Beurteilung, S. 7. 26 Born, Karl, Erich, Beurteilung, S. 7. 21

22

I. Zins und Wucher in der Kirche

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Wucherzinsen freilich wurden weiterhin bekämpft. Schließlich war ein Jahrhundert vorher der Rentenkredit bereits durch die Bullen der Päpste Martin V. (vom 2. Juli 1425) und Calixt n. (1455) aus dem Zinsverbot genommen worden. Das in diesem Zusammenhang einem Grundbesitzer zur Verfügung gestellte Kapital war eine Kapitalbeteiligung, die nicht rückzahlbar war. Der Zins war gleichsam ein ewiger Zins. Insofern unterschied sich dieser Rentenkredit von den anderen Darlehenskrediten. Papst Benedikt XlV. hat dann 1745 den im Laufe der Geschichte vollzogenen Aufweichungen des Zinsverbotes zugestimmt. Nach der Vorstellung des Mittelalters war der Wucherer ein Dieb. Aber dieser Diebstahl war von besonderer Art. Denn der Wucherer handelt primär nicht mit Geld, sondern mit der Zeit, die allein Gott gehört. Er bestielt also keinen anderen als Gott, indem er sich an der Zeit vergreift, die zwischen den beiden Punkten liegt, "an denen er zunächst verleiht und später die verzinste Rückzahlung erhält,,27. Das bedeutet: "Die Wucherer sind Diebe, denn sie handeln mit der Zeit, die ihnen nicht gehört, und mit dem Eigentum eines anderen gegen den Willen des Besitzers zu handeln, ist Diebstahl,,28. Der Wucherer hat Zeit verkauft; aber Zeit ist keine käufliche Ware. Für die Beicht- und Bußpraxis mußte sich darum die Frage stellen, wie es möglich ist, die Zeit zurückzugeben oder entsprechende Leistungen zu erbringen. Nach Thomas ist Zeit ebenso wenig wie das Geld verkäuflich. Freilich durfte der Kaufmann bei einem gewährten Zahlungsaufschub keinen höheren als den gerechten Preis verlangen. Denn sonst lasse er sich die Zeit bezahlen 29 . Er konnte allerdings Skonto gewähren. Indessen galt es jetzt aufzupassen, daß nun nicht der Käufer Wucher trieb. Eine andere Begründung für die Ablehnung von Zinszahlungen steckte in der Tatsache, daß das Darlehen an die menschliche Arbeitskraft gebunden war. Von der menschlichen Arbeitskraft Zinsen zu nehmen, galt als ein Verstoß gegen das Naturrecht. Es war Ausbeutung. Denn allein die Arbeit galt als die eigentliche Quelle des Reichtums, und der Wucherer wollte, ohne zu arbeiten, Gewinn erzielen. Zur Erlangung seines Heils gab es für den Wucherer nur eine einzige Möglichkeit. Er mußte den Gewinn vollständig zurückzahlen. Denn schließlich war dieser unrechtmäßig erworben 3o . Nach kanonischem Recht muß alles zurückgegeben werden. Nur so konnte der Sünder Vergebung erlangen.

27 28

29 30

Le Goff, Jacques, Wucherzins, S. 40. Le Goff, Jacques, Wucherzins, S. 41. Vgl. Born, Karl, Erich, Beurteilung, S. 7. Vgl. Le Goff, Jacques, Wucherzins, S. 44.

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4. Kapitel: Stellungnahmen der Kirche und der Theologie

11. Martin Luthers Anschauung vom Geld A. Das Verhältnis von Gott und Geld Luther hat den Bezug zwischen Gott und Geld wiederholt thematisiert. Er beginnt im Großen Katechismus die Erklärung der Zehn Gebote mit der Unterscheidung zwischen Gott und Mammon. In seinen Aussagen über den Abgott Mammon hat Luther die ethische Betrachtung durch den theologischen Aspekt erweitert. ,,Ein Gott heißet das, dazu man sich versehen soll alles Guten und Zuflucht haben in allen Nöten. Also daß ein Gott haben, nichts anders ist, denn ihm von Herzen trauen und gläuben, wie ich oft gesagt habe, daß allein das Trauen und Gläuben des Herzens machet beide, Gott und Abgott ... Worauf Du nu (sage ich) Dein Herz hängest und verlässest, das ist eigentlich Dein Gott,,31. Gott und Abgott (Geld) sind für Luther nicht austauschbar. Zwar wird vom Geld auch die Absicherung des Lebens erwartet, aber der Glaube vertraut allein Gott, von dem die einzige Sicherheit kommt. Denn allein an ihn richten sich der rechte Glaube und die Zuversicht des Herzens. Echter Glaube hat es zu tun mit dem Schöpfer des Himmels und der Erden 32 . Alles, was der Mensch besitzt, also auch Leben, Geld und Reichtum, sind seine Gaben! Wenn wir dieses glauben, "würden wir auch darnach tun und nicht so stolz hergehen, trotzen und uns brüsten, als hätten wir das Leben, Reichtumb, Gewalt und Ehre etc. von uns selbs, daß man uns furchten und dienen müßte wie die unselige verkehrte Welt tuet, die in ihrer Blindheit ersoffen ist, aller Güter und Gaben Gottes allein zu ihrer Hoffart, Geiz, Lust und Wohltagen (seil. Vergnügen) mißbraucht und Gott nicht einmal ansehe, daß sie ihm dankete oder fur ein Herrn und Schepher erkennete,,33. Luther weiß um die irdische Verwechslung zwischen dem Gottesbegriff des Herzens und der Abgötterei des Menschen. In der Erklärung zum 1. Gebot weist er auf das Wort Jesu hin, wo es heißt, daß der Mensch nicht zwei Herren dienen könne: "Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon"(Mt. 6,24). Darum hängen viele ihr Herz allein an den Gott Mammon. Aber eine solche Einstellung zum Geld ist verwerflich. Geldbesitz und auch der Mangel an Geld, kann gleichermaßen zum Abgott werden: "Es ist mancher, der meinet, er habe Gott und alles gnug, wenn er Geld und Gut hat, verläßt und brüstet sich drauf so steif und sicher, daß er auf niemand nichts gibt. Siehe, dieser hat auch einen Gott, der heißet Mammon, das ist Geld und Gut, darauf er alle sein Herz setzet, welchs auch der allergemeinest Abgott auf Erden. Wer Geld und Gut hat, der weiß sich sicher, ist fröhlich und unerschrocken, als sitze er mitten im Paradies und wiederümb, wer keins hat, der zweifelt und verzagt, als wisse er von keinem Gott. Denn man wird

31 Martin Luther, Der Große Katechismus, in: Die Bekenntnisschriften der EV.-Iutherischen Kirche, Göttingen 1952, S. 560. 32 Luther im Großen Katechismus zur Erklärung des ersten Artikels des Apostolischen Glaubensbekenntnisses, S. 647. 33 Luther, Martin, Gr. Katechismus, Bekenntnisschriften, S. 649.

11. Martin Luthers Anschauung vom Geld

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ihr gar wenig finden, die guts Muts seien, nicht trauren noch klagen, wenn sie den Mammon nicht haben; es klebt und hängt der Natur an bis in die Gruben,,34.

B. tuthers Einstellung zum Zinsnehmen Für Luther ist das Kaufen und Verkaufen, also das Handel-Treiben, eine doppelgesichtige Angelegenheit. Zum einen kann er nicht leugnen, "daß Kaufen und Verkaufen ein nötig Ding ist, des man nicht entbehren und wohl christlich brauchen kann,,35. Zum anderen wird er nicht müßig, herauszustellen, daß der Kaufhandel nichts anderes sei als "rauben und stehlen,,36. Ein ähnliches doppeIgesichtige Verhältnis läßt sich auch bei der Zinsfrage feststellen. Auch sie weist Widersprüche aut3 7 . Denn einmal wendet Luther sich gegen ein Leihen, das mehr als die Rückzahlung verlangt. Das ist Wucher38 ! Ein anderes Mal wendet er sich auch gegen ein generelles Zinsnehmen. Auch dieses kann er als Wucher bezeichnen, wenn es nicht aus einer sozialen Notlage heraus geschieht. Ist letzteres der Fall bezieht er Stellung zu Gunsten der erwerbslosen Menschen, wie Witwen und Waisen, denen er einen Zins-Gewinn auf Grund ihres Kapitalbesitzes zubilligt. Er spricht von dem "Not-Wucherlein", wenn von den Zinsen gelebt werden muß. Dann ist es gar ein Werk der Barmherzigkeit gegenüber denen, die sonst nichts haben 39 . Schließlich aber ist er auch bereit, das Zinnehmen nicht nur aus sozialen, sondern auch aus kommerziellen Gründen zu akzeptieren. Denn er anerkennt auch das Recht des Kaufmanns, Zins zu nehmen. Freilich sollte sein Verkaufen nicht eine willkürliche Handlung sein, sondern in Abhängigkeit von der Aufwendung des Kaufherms: "Nun ists aber billig und recht, daß ein Kaufmann an seiner Ware so viel gewinne, daß seine Kosten bezahlet, seine Mühe, Arbeit und Gefahr belohnt werden,,4o. Luther kann sogar hinnehmen, daß der Kaufmann "unwissend und ungerne" manches Mal ein wenig zuviel verlangt. Das muß vom Kaufmann, der nicht gerechter ist als andere Menschen, als Sünde gesehen und unter die göttliche Vergebung gestellt werden41 . Von seiner Seite kann sogar als Gewinn- oder Kostenzuschlag der Verdienst eines Tagelöhners als berechtigt gelten. Freilich sieht er einen solchen Aufschlag als eine vom ihm selbst gegebene Einschätzung an. Luther Luther, Martin, Gr. Katechismus, Bekenntnisschriften, S. 561. Luther, Martin, Von Kaufhandlung, S. 115, WA 15,293. 36 Luther, Martin, Von Kaufhandlung, S. 116, WA 15,295. 37 Vgl. EIert, Wemer, Morphologie des Luthertums, Bd. 11., München 1953, S. 480f. 38 Luther, Martin, "An die Pfarrherm wider den Wucher zu predigen" (1540) in: WA. 51, S.335. 39 Luther, Martin, Pfarrherm, in: WA. 51, 371ff. 40 Luther, Martin, Von Kaufhandlung, S. 117, WA 15,296. 41 Luther, Martin, Von Kaufhandlung, S. 118, WA 15,297. 34 35

4. Kapitel: Stellungnahmen der Kirche und der Theologie

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wandte sich gegen jede ungebührlich hohe Zinszahlung und das Ausnutzen von Notlagen. Er wehrte er sich gegen jede Fonn der Ausbeutung und konnte in seiner Einstellung zum Zins rigoroser noch als das kanonische Recht auftreten, wie aus dem ersten Teil des Sennons vom Wucher zu ersehen ist, in dem er vom Boden der Bergpredigt aus den Rat erteilt, trotz eines gerechten Anspruchs auf seine Güter diese notfalls aufzugeben42 . Luther setzte sich also zwar für das Wucherverbot ein; im Grundsatz übernahm er sogar das Zins verbot, nach dem es keinem Kleriker und Laien gestattet wurde, Zinsen zu nehmen 43. Aber wie bereits das kanonische Recht im Laufe der Zeit den Kaufleuten und Händlern zuerkannt hatte, Darlehen gegen Zinsen auszuhändigen, da sie ihr Kapital ja auch sonst mit großer Wahrscheinlichkeit hätten nutzbringend anlegen können44 , hat auch er sich sehr unterschiedlich zum Zinsnehmen geäußert. Luther konnte zwar etwa von einem ,,zinskauf auf Wiederkauf' (Rentenkredit) sprechen45 . Aber er stellt die Frage, ob es diesen wirklich gebe. Die Gewährung des Darlehens kleidete man beim Zinskauf in die Fonn eines Kaufgeschäftes, um nicht gegen das kanonische Zinsverbot zu verstoßen. Für Luther mußte er ein reales und durfte kein imaginäres Kaufgeschäft sein. Die Übergabe des Eigentums hatte also stattzufinden. Der Kreditnehmer verkaufte einen Anteil am Ertrag seines Gutes oder seines Grundstücks und erhielt das Grundstück oder das überlassene Gut umgehend zur Nutzung wieder zurück. Der Geldgeber erwarb Anrecht in Fonn von Geld oder Naturalleistungen. Die Zinsen werden verrentet. Der Kreditnehmer zahlte dann im Laufe der Zeit sowohl das Darlehen und die Zinsen zurück. Nach Luther stimmte einerseits diese Praxis mit dem kanonischen Recht überein. Auf Grund der Dekretale Martin V. hatte dieses ja entschieden, daß der Zinskauf auf bestimmte Güter kein Wucher sei 46 . Andererseits erkannte er die Auswüchse dieses Rentenkredits deutlich und verurteilte ihn darum47. In ihm steckte das größte Unglück deutscher Nation. Darum gab es für ihn gar keinen ,,rechten Zinskauf auf Wiederkauf.48. Denn "in diesem Kauf [ist] allzeit des Käufers oder Zinsherm Vorteil größer, besser und jedennann gefälliger angesehen denn des Verkäufers oger Zinsmanns,,49. Für ihn verstößt ein solcher Zinskauf, selbst wenn er ohne Wucher geschehen sei, gegen das natürliche Gesetz Luther, Martin, Von Kaufhandlung, S. 122, WA 15, 301. Helmut Hesse, Über Luthers "Von Kauffshandlung und Wucher", in: H. Hesse u. W. Müller, Über Luthers "Von Kauffshandlung und Wucher, Düsseldorf, 1987, S. 28. 44 Luther, Von Kaufhandlung, S. 131; vgl. Hesse, H. Luthers, S. 40. 45 Luther, Martin, Ordnung eines gemeinen Kastens, in: Martin Luther, Ausgewählte Werke, Hrsg. H. H. Borcherdt, G. Merz, Bd. V, München 1952, S. 48 WA 12 14. 46 Vgl. Merz, Georg, Ausgewählte Werke Martin Luthers, Bd. V München 1952, S. 422. 47 Luther, Martin, Von Kaufhandlung und Wucher, Sermon vom Wucher, WA, 6,51 in: Ausgewählte Werke, Hrsg. H. H. Borcherdt, G. Merz, Bd. V, München 1952. 48 Luther, Martin, Ordnung, in: Bd. v., S. 48. 49 Luther, Martin, Von Kaufhandlung, S. 150, WA 6, 52. 42

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H. Martin Luthers Anschauung vom Geld

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und das christliche Liebesgebot5o . Denn dieser Kauf tut nichts anderes, was auch sonst der Wucher tut: Er saugt die Kreditnehmer aus. Luther setzte sich darum für den Zinsgeber (den Zinsmann) und seine Arbeit und Mühe ein5!. Eine Kaufhandlung wird von ihm nur dann als gerechtfertigt angesehen, wenn die Gefahren (Wasser-, Feuer-, Gewalteinwirkung usw.) des Geschäfts von dem Zinsnehmer (Gläubiger), also dem Zinsherrn, und nicht vom Schuldner getragen werden 52 . Andererseits sorgte sich Luther auch um den säumigen Schuldner; wenn dieser die rechtzeitige Zahlung nicht leistete, geriet er in die Gefahr, sein ganzes Eigentum zu verlieren 53 . Über die Höhe des Zins, ob er vier, fünf oder sechs Prozent umfassen darf, will er nichts aussagen. Dort, wo der Boden es hergibt, könne er durchaus auch eine Höhe von sechs Prozent haben54 . Da Luther sozial orientiert ist, geht es ihm in allen diesen Aussagen über den Wucher und das Zinsnehmen um den Nächsten. Aus dem "Sermon vom Wucher" ist zu erkennen, daß der Gläubige seinen gerechten Anspruch auf sein Gut fahren lassen soll. Es wird erwartet, daß er gemäß seiner sozialen Verpflichtung gegenüber den Bedürftigen Kapital ausleiht und weder Zinsen noch Rückzahlung verlangt55 . Aber dennoch blieb Luthers Einstellung zum Zinsnehmen weiterhin zwiespältig 56 . Denn selbst im Zinskauf, den er nur begrenzt akzeptieren kann, weil er ihn als eine feindselige Sache empfindet57 , sieht er den Vorteil des Zinsherrn oder Käufers größer als den des Zinsmannes, des Verkäufers 58 . Denn der Zinsherr geht bei einer solchen Anlage im Vergleich zu einer Kapitalanlage im Handel kein Risiko ein. Freilich kann die Kapitalanlage einen weit höheren Zins erbringen als den, den er als Kaufmann gegenüber dem Gläubiger zu entrichten hätte 59 . Aber eine einseitige Fixierung der Zinsgeschäfte im kaufmännischen Bereich hielt er unter den Bedingungen der Nächstenliebe für völlig "absurd,,6o. Dennoch gilt, daß Luther, wie immer wieder betont wird, den Schwachen gegen Ausbeutung und Wucher geschützt wissen will! Diese Einstellung gilt es, auch deswegen zu berücksichtigen, um Luthers Wirtschaftsethik richtig würdigen zu können. Er ist kein Ökonom, und seine Beurteilung des wirtschaftlichen HandeIns hat ihren Grund siLuther, Martin, Von Kaufhandlung, S. 150, WA 6,52. Luther, Martin, Von Kaufhandlung, S. 155, WA 6,.54. 52 Luther, Martin, Von Kaufhandlung, S. 154, WA 6,56. 53 Merz, Georg, Luther, S. 423. 54 Luther, Martin, Von Kaufhandlung, S. 156. Allerdings sollen die geistlichen Stifte mit gutem Beispiel vorangehen und nur vier oder fünf Prozent nehmen. 55 Luther, Martin, Von Kaufhandlung, S. 122, WA 15, 301ff. 56 Eiert, Wemer, Morphologie, S. 481. 57 Luther, Martin, Von Kaufhandlung, S. 149, WA 6, 51. 58 Luther, Martin, Von Kaufhandlung, S. 150, WA 6, 51. S. oben. 59 Luther, Martin, Von Kaufhandlung, S. 131, WA 15,310. 60 Eiert, Wemer, Morphologie, S. 481. 50 51

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4. Kapitel: Stellungnahmen der Kirche und der Theologie

cher in seiner eng begrenzten Welt, in der er aufgewachsen ist. Aber gerade aus dem Bedürfnis heraus, diese von Bauern und Handwerkern bestimmte Welt zu schützen, sind seine Stellungnahmen gegen den Handel und das Kreditgeschäft, gegen die Fugger und andere Gesellschaften, zu verstehen 61 .

III. Die Zinsvorstellung Calvins und Zwinglis In der reformierten Theologie wurde im Gegensatz zur katholisch- scholastichen Theologie mit ihrer gewissen Toleranz gegenüber dem Wucher und zum lutherischen zwiespältigen Verhalten bzw. seinem Eintreten für den schwachen Kreditnehmer eine klare Trennung zwischen Zins und Wucher vorgenommen.

A. Calvin und der Zins Calvin hat im Vergleich zu Luther bereits eine ausgeprägte Geldwirtschaft vor sich. Für ihn war es ein Akt der intellektuellen Redlichkeit, mit der überkommenen scholastischen Wirtschaftslehre und der speziellen Zinsvorstellung zu brechen. Calvin lehnt das alttestamentliche Zins verbot ab. Zinsen zu nehmen, gilt für ihn als gerechtfertigt62 . Die Schuldner müssen allerdings dazu in der Lage sind, diese zu bezahlen, und ihre karitativen Verpflichtungen gegenüber der Gemeinde erfüllt haben. Die Zinshöhe ist vom Staat zu regeln. Denn die Zinsverfassung ist ein Teil der politischen Ordnung. Der Genfer Rat hat unter dem Einfluß Calvins einen Zinsfuß in Höhe von 5% als Höchstzins aufgestellt 63 . "Offenbar lag diesem Ansatz die einfache Überlegung zugrunde, daß dieser Zinsfuß einigermaßen dem entspreche, was ein Kapitaleigentümer, der das Recht hätte, sein Kapital zu verzehren statt es auszuleihen, etwa an jährlichem Verbrauchsverzicht leiste,,64. Calvin hat in Genf den Wucher (ursura) abgeschafft, indem er zwischen den Zins für produktives Kapital und einem Wucher, der die Not der Menschen ausnutzte, unterschied65 . Den ersten ließ er unter den genannten Bedingungen zu. Damit unterschied er in der Zinsnahme bzw. Zinsgebung zwischen dem Handeln aus Barmherzigkeit gemäß der Bergpredigt und der Erwerbstätigkeit. Für dieses gilt das Gebot der "Redlichkeit, Rechtmäßigkeit und Billigkeit,,66. Dadurch wurde die Anders Born, Karl, Erich, Beurteilung, S. 11. Brunner, Emil, Gerechtigkeit, Zürich 3 1981, S. 323 Anm. 40. 63 Vgl. Brunner, Emil, Gerechtigkeit, S. 191. 64 Brunner, Emil, Gerechtigkeit, S. 191. 65 V gl. "Calvinismus und Kapitalismus", in Gesellschaft in der industriellen Revolution, herausgegeben von Rudolf Braun u. a. Köln, 1973, S. 35. 61

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III. Die Zinsvorstellung Calvins und Zwinglis

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notvolle Sorge für die Existenzsicherung einem generellen Fluch der Sündigkeit entnommen.

B. Zwinglis Zinsvorstellung Zwingli versteht den Zins ganz unterschiedlich. Er unterscheidet Pacht- und Hypothekenzins und auch Kapitalzins. Er kann aber auch darunter einen Zins für Konsumentenkredit verstehen. Der Wucher ist ein überhöhter Zins oder jährlicher Zinseszins. Die Zinszahlung steht unter der Not, daß zum einen Zins Ungerechtigkeit nach göttlichem Recht ist. Nach diesem ist nämlich die Annahme von Zinsen nicht erlaubt. Aber zum anderen muß das menschliche Recht dem Ausleiher Zins zubilligen. ,,zins ist man ouch schuldig ze bezalen by dem Gbott Gottes: ,Ir söllend allen Menschen geben, das ir inen schuldig sin' ..67. Der Zins muß gezahlt werden. Denn schließlich darf man dem nichts wegnehmen, der Kapital um des Zinses willen ausleiht68 . Denn wer keine Zinsen zahlt, begeht Aufruhr oder verstößt gegen das Gebot: Du sollst nicht stehlen69 . Wird von der Obrigkeit geduldet, Zins und Wucher zu nehmen, so sind sie vom Schuldner zu zahlen. Das gilt keineswegs allein vom Zins, sondern auch vom Wucher7o . Die Obrigkeit muß danach einerseits darauf dringen, daß Zins gezahlt wird, andererseits aber ist sie auch genötigt, gegen den Wucher vorzugehen71. Erlaubt sie keinen Wucher, braucht er auch nicht bezahlt zu werden 72. Zwingli setzt sich für Zahlung des Zehnten ein. Wer ihn nicht zahlt, widersetzt sich der Obrigkeit. Sie hat über die Zahlung zu wachen. Freilich soll der Zehnte richtige Verwendung finden, für den Pfarrer und die Armen73. Aus demselben Grund, aus dem der Zehnte zu zahlen ist, müssen auch Steuern und Zölle gezahlt werden. So hat es nach Zwingli der Apostel Paulus verfügC4 •

Lüthy, Herbert, Nochmals, S. 35. Zwingli, Huldrych, Von göttlicher und menschlicher Gerechtigkeit, Zürich, Leipzig, Stuttgart 1934, S. 98. Vgl. Zwingli, Huldrych, Hauptschriften Bd. H, Zürich 1952, S. 90. 68 Vgl. Zwingli, Huldrych, Hauptschriften Bd. 11, Zürich 1952, S. 145. 69 Zwingli, Huldrych, Hauptschriften 11, S. 145. 70 Vgl. Zwingli, Huldrych, Hauptschriften II, S. 266. 71 Vgl. Kramer, Rolf, Umgang mit der Armut, Berlin 1990, S. 36f. 72 Zwingli, Huldrych, Gerechtigkeit, S. 105. 73 Vgl. die Einleitung in: Zwingli, Huldrych, Gerechtigkeit, S. 31. 74 Vgl. Zwingli, Huldrych, Gerechtigkeit, S. 106. 66 67

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4. Kapitel: Stellungnahmen der Kirche und der Theologie

IV. "Geld" in der jüngsten protestantischen Theologie In der protestantischen Theologie ist die Auseinandersetzung mit dem Phänomen Geld in der jüngeren Theologie eher spärlich. Nach dem Zweiten Weltkrieg hatte sich Friedrich Delekat in einer Studie mit dem Verhältnis des Christen zum Geld auseinandergesetzt 75. Für Delekat sind Macht, Geld, Sexualität etc. nicht an sich gut oder böse. Wer das behaupte, betreibe letztlich Manichäismus. Aber es sei auch zu einfach und "zu rationalistisch", festzustellen, daß die Mächte allein durch den Gebrauch, den der Mensch von ihnen macht, gut oder böse seien76 • Eine solche Zuordnung könne man nach Delekat nicht vornehmen. Denn wo Macht sei, da gebe es auch Mächtige und Ohnmächtige, Herrscher und Beherrschte. Und wenn man über Finanzfragen spräche, dann seien immer zugleich Reiche und auch Arme da! Dieses Problem des Unterscheidens zwischen den Mächten an sich und ihrem rechten und falschen Gebrauch kann darum für Delekat nicht ethisch, sondern "muß vielmehr theologisch gelöst werden,,77. Allein eine Scheidung zwischen dem rechten und falschen Gebrauch führe nicht zum Ziel. Es sei die Herrschaft Christi, die mit der Macht des Geldes fertig werde. Christliche Freiheit sei die Freiheit von der Dämonie des Geldes. Allein in Christus sei die Herrschaft über das Geld möglich. Für den Geldbesitz gelte die Dialektik der paulinischen Weisheit: Man müsse es haben, als hätte man es nicht (1. Kor. 7,29). Das hat für Delekat zur Folge, daß die Theologie nicht nach dem "Wesen des Geldes" frage, sondern nach "seiner Bedeutung für Heil und Unheil des Menschen,,7s. Darum forderte er eine "eschatologische Distanz" zum Geld. Diese befreie den Menschen "vom Glauben an das Geld" und gebe ihm die Fähigkeit eines rechten Gebrauchs 79 . Denn "die Ethik des rechten Gebrauchs ist in jeder Hinsicht bei denen, die über das Geld verfügen, ebenso wie bei denen, die vom Gelde existentiell abhängig sind, bedingt durch die eschatologische Einstellung zum Gelde"so. Für Delekat bleibt Geld und der Umgang mit ihm ein personalethisches Phänomen. Seine soziale Dimension und auch die unterschiedlichen ökonomischen Funktionen des Geldes werden von ihm nicht berücksichtigt. Darum kann er letztlich dem Wesen des Geldes nicht gerecht werden. Die von Amerika in den fünfziger Jahren auch nach Deutschland gekommene Bewegung der Haushalterschaft (stewardship) hatte sich außer der Laienmitarbeit, 75 Delekat, Friedrich, Der Christ und das Geld, in: Theol. Existenz heute, N. F. 57, München 1957. 76 Delekat, Friedrich, Christ, S. 14f. 77 Delekat, Friedrich, Christ, S. 15. Anders Kramer, Rolf, Macht, der zwischen dem Sein der Macht und ihrem Gebrauch differenziert. In derselben Weise muß auch zwischen dem Sein des Geldes und seinem Gebrauch unterschieden werden. 78 Delekat, Friedrich, Christ, S. 22. 79 Delekat, Friedrich, Christ, S. 67. 80 Delekat, Friedrich, Christ, S. 67.

IV. "Geld" in der jüngsten protestantischen Theologie

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des Besuchsdienstes nämlich, auch des Geldes angenommen. Unter stewardship wird verstanden zu leisten, "was ich Gott schuldig bin und was ich meinen Mitmenschen schuldig bin,,81. Dazu gehört auch der rechte Umgang mit dem Geld. Denn die kirchliche Arbeit kann nur durch Opfer der Gemeinden getragen werden. Es wurde als Minimum die Abgabe des Zehnten von den Christen gefordert. Sie basiert auf der Regelung des Zehnten nach Dt. 14,22ff. oder 26,12ff., wo von der Verpflichtung die Rede ist, daß von den Erträgen des Landes als Opfer der zehnte Teil zu entrichten sei. Dieser konnte freilich auch in Form von Geld geleistet werden (vgl. Dtn. 14,24ff). Daraus hat sich mit der Zeit infolge der Zentralisierung des Kultes die Tempelsteuer entwickelt. Seit dem 6. Jahrhundert wurde die Abgabe des Zehnten zu einer festen Einrichtung, die allerdings auch verschiedenen Veränderungen unterworfen wurde. Die Bewegung der Haushalterschaft der Kirchen (oikonomia) in den USA hat die Abgabe des Zehnten wieder aufleben lassen. In der stewardship wird die Hingabe des ganzen Lebens, unter Einschluß auch des Geldes, als Dank für die Gnade, die dem Menschen geschenkt wird, gefordert. Denn schließlich gehört das Geld nicht dem Menschen, sondern Gott. Der Mensch kann es Gott wiedergeben, indem er es nach seinem Willen gebraucht 82 . Im engen Sinn hatte diese Abgabe des Zehnten freilich nur begrenzt etwas mit der Frage einer Geldethik selbst zu tun. Sie gehört eher in die Abgaben- oder Steuerpolitik der Kirchen. Aber sie war nach dem zweiten Weltkrieg ein erster Ansatz für den Umgang mit dem Geld in der evangelischen Welt. Die protestantischen Ethiken zeichnen sich bis in die modeme Zeit durch nur ein weitgehendes Fehlen der Probleme aus, die mit dem Geld und mit seinem Umgang zusammenhängen 83 . Die neueren Ethiker, etwa Emil Brunner84, Christofer Frey85, Dietz Lange86 , Wolfgang Trillhaas 87 , um nur einige herauszugreifen, schweigen in dieser Hinsicht. Selbst Helmut Thielicke hat nur sehr wenige Sätze über den Umgang mit dem Geld geschrieben 88 . Anders verhält es sich etwa mit dem ethischen Werk von Trutz Rendtorf~9 und Martin Honecker9o , die der ethischen Bedeutung des Geldes in ihren Schriften ein wenig nachgehen. Für Wilhelm F. Kasch spiegeln die Theologien, die sich dem Geld gewidmet haben, Positionen wieder, die alle miteinander im Zusammenhang stehen. Es sind für ihn drei Stand81 Rengstorff, Heinrich, ... als die guten Haushalter, Neuendettelsau 1953, S. 9. 82 V gl. Rengstorff, Heinrich, Haushalter, S. 26 u. 10. 83 V gl. Kasch, Wilhelm F. Geld und Glaube, Paderbom u. a. 1979, S. 21 ff. 84 Brunner, Emil, Das Gebot und die Ordnungen, Tübingen 1932. 8S Frey, Christofer, Theologische Ethik, Neukirchen-Vluyn 1990. 86 Lange, Dietz, Ethik in evangelischer Perspektive, Göttingen 1992. 87 Trillhaas, Wolfgang, Ethik, Berlin, 21965. 88 Thielicke, Helmut, Theologische Ethik (3 Bände), Tübingen ab 31965. Vgl. speziell Bd. 11,1 §§ 1539ff. 89 Rendtorff, Trutz, Ethik Bd. 11, Stuttgart u. a.1981, S. 64ff. 90 Honecker, Martin, Geld 11, in: Theologische Realenzyklopädie, Bd. XII, S. 278ff.

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4. Kapitel: Stellungnahmen der Kirche und der Theologie

punkte, die das Verhältnis zum Geld bestimmen: Nichtberücksichtigung, eschatologische Negation, eschatologisch motivierter Mißbrauch 91 . Er selbst versucht dann, eine Deutung des Geldes zu geben, die diesem eine geradezu religiöse Weihe verleiht. Die für Kasch falschen Positionen führen dazu, daß die Menschen Gott und damit weder seine Wirklichkeit noch seine Güte in der durch das Geld geschenkten Freiheit erfahren können 92 . Im Geld lassen sich die Werte zeitunabhängig und quantifikationsfähig festhalten. Nach Kasch stellt das Geld die in ihm wertmäßig gemessenen und aufbewahrten Güter dem "Selbst als Mittel identischer Selbsterfahrung" zur Verfügung 93 . Theologisch setzt das Geld, das er als ein "Konstrukt menschlicher Freiheit" bezeichnet94 , "Vertrauen auf die Zukunft" voraus. Dieses Vertrauen hat seine Akzeptanz zum Inhalt. Und sie bedeutet: Hoffnung auf das Reich Gottes 95 . Damit stellt die Annahme des Geldes eine religiöse Dimension dar, die noch dadurch überboten wird, daß dem Geld Funktionen zugeschrieben werden, die sonst nur Christus selbst vorbehalten sind. Denn er schreibt: "Dynamisches Geld ist also Gestalt gewordener Erlösungs- und Versöhnungsglaube,,96. Kasch möchte also eine enge Beziehung zwischen dem christli91 Kasch, Wilhelm, F. Geld, S. 23. In diesem Zusammenhang geht Kasch auch auf mein Buch "Die christliche Verantwortung in der sozialen Marktwirtschaft" ein. Selbstverständlich freut sich jeder Autor, wenn von seinen Gedanken Notiz genommen wird, auch wenn sie kritischer Art sind. Aber die Ausführungen von W. F. Kasch über meinen Ansatz sind merkwürdig kraß. Er sieht in meiner Darstellung einen "eschatologisch motivierten Ansatz" und stellt ihn in die unmittelbare Nähe des Barth'schen "Christomonismus", ohne zu erkennen, daß ich mich bei aller Verbundenheit gegenüber der Barth'schen Theologie gerade von ihm abgesetzt habe. Sein Vorwurf im Blick auf den Umgang mit dem Geld lautet letztlich, daß ich es eschatologisch "mißbraucht" habe. Ich würde der Tauschmittelfunktion nicht gerecht. Denn nicht nur nach Barth, sondern auch nach meiner Deutung würde das Werk Christi als Äquivalent "wirklichkeits-antithetisch" gesehen werden müssen. Schließlich setze sich das Selbst ja als Antwort "auf die unbedingte und darum in der Wirklichkeit ohnmächtige Macht Christi" (S. 41). Diese Verantwortung schaffe keine neue Wirklichkeit. Dagegen ist zu sagen, daß in meinem Verantwortungsbegriff der Mensch nichts Eigenes setzt oder sich schafft. Christus allein setzt das Neue. Der christliche Glaube kennt nur eine konstitutive Ethik! Darum stellt mein Verantwortungsbegriff - als Antwort auf den ergangenen Ruf Gottes - eben mehr dar als nur ein "Zeichen", wie Kasch behauptet. Die Wirklichkeit soll gerade ernst genommen werden. Und das gilt besonders im Zusammenhang mit der ökonomischen Wirklichkeit und hier vor allem gegenüber dem wirtschaftlichen und wirtschaftspolitischen Handeln des Staates. Kasch ist anscheinend völlig entgangen, daß ich gerade den Realitätsbezug etwa in der Währungsethik und hier speziell beim Problem der Stabilität der Währung in Verbindung mit dem "magischen Vieleck" versucht habe, herzustellen. Warum er meinen Ansatz offensichtlich nicht verstanden oder ihn in einer eschatologischen Interpretation ad malam partem gedeutet hat, ist nicht ersichtlich. Liegt es vielleicht daran, daß er selbst eine Vermischung der bei den von Luther deutlich unterschiedenen Reiche vornehmen wollte, wenn er das Geld in seinem Wesen auf das Reich Gottes zukunftsorientiert (eschatologisch) hingeordnet sieht. Welch eine Mächtigkeit wird dann aber hier dem menschlichen Machwerk Geld zuerkannt? 92 Kasch, Wilhelm F., Geld, S. 39. 93 Kasch, Wilhelm F., Geld, S. 37. 94 Kasch, Wilhelm F., Geld, S. 60. 95 Kasch, Wilhelm F., Geld, S. 6lf.

IV. "Geld" in der jüngsten protestantischen Theologie

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chen Glauben und dem Geld herbeigeführt wissen. Er meint nach den Aussagen von Friedrich Beutter, daß der christliche Glaube als "eine der wesentlichen Bedingungen moderner finanzieller Autonomie" erkennbar sei97 . Damit aber führen die beiden Phänomene, Akzeptanz des Geldes und seine Erlösungs- und Versöhnungsfunktion, zu einer Vermischung von göttlichem und menschlichem Handeln bei der Schaffung des Reiches Gottes einerseits und bei der menschlichen Setzung des Geldes andererseits 98 . Denn dafür, daß Menschen Vertrauen in das Geld setzen und mit ihm Vergeltungs- und Versöhnungshandeln vornehmen, bedarf es des Hinweises auf das Reich Gottes wahrlich nicht. Das alles funktioniert auch ohne christlichen Glauben! In der Untersuchung "Geld oder Gott?" ist Falk Wagner in jüngerer Zeit der Frage näher getreten, ob das Geld oder Gott die alles bestimmende Wirklichkeit im Leben der Menschen sei. Geld und Gott werden in der Theologie vielfach als konkurrierende Wirklichkeiten gesehen. Das Geld werde, wenn es zum Selbstzweck erhoben wird, zum "irdischen Gott,,99. Dadurch könne die Theologie die Gleichsetzbarkeit von Geld und Gott nicht verhindern. In der Fonn des Selbstzweckes kann das Geld als die alles bestimmende Wirklichkeit gesehen werde. Darum muß auch die Theologie das Geld in einem universalen, omnipräsenten und omnipotenten Charakter und damit in der Präsenz des Absoluten sehen. Will aber die Theologie letztlich den Gottesgedanken in seiner Eigenart der alles bestimmenden Wirklichkeit von der angesagten modemen Fonn des Geldpantheismus abgrenzen, muß sie gewährleisten, daß einerseits Gott als der alles begründende Grund gedacht werden könne und andererseits alles das, was nicht Gott ist, in der Lage sein müsse, auch außer Gott in Selbständigkeit und Freiheit zu existieren 100. Wagner meint, daß die Theologie über die Omnipotenz des Geldes dann hinauskomme, wenn sie selbst das Problem der pantheistischen Wirklichkeit des Geldes als ein theologisches erkenne und es nicht allein als eine ethische Fragestellung wahrnehme. Dazu gehöre auch, daß nach seiner Meinung die theologische Ethik die Geldproblematik als ein sozialethisches und nicht wie bisher nur als ein individualistisches oder personalethisches Problem behandele. Er fürchtet freilich, daß die Kasch, Wilhe1m F., Geld, S. 62. Vgl. Beutter, Friedrich, Geld im Verständnis der christ-lichen Soziallehre, in: Kasch, Wilhelm F. Geld, 1979 S. 115f. Über diese Behauptung müßte jeder andersgläubige Nationalökonom entsetzt sein. W. Ehrlicher hat auch mit Recht keine Defizite im engeren Bereich der Geldtheorie gesehen. Vgl. die Diskussion, in: Kasch, Wilhelm F. Geld, S. 214. 98 Besonderen Ausdruck findet das etwa in dem oben zitierten Satz bei W. F. Kasch (S. 62). Oder auch in der religiösen Tendenz des Satzes, daß "das modeme Geld durch einen besonderen Grad von Immaterialisierung und durch die Zukünftigkeit der Vergeltung gekennnzeichnet" sei. "Das ist das Wesen seiner Produktivität und seiner Dynamik" (S. 61). Diese Eigenart wird durch den Hinweis auf das Vertrauen in die Zukunft und damit auf die Hoffnung auf das Reich Gottes gedeutet. 99 Wagner, Falk, Geld, S. 134ff. 100 Wagner, Falk, Geld, S. 135. 96 97

5 Kramer

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4. Kapitel: Stellungnahmen der Kirche und der Theologie

Theologie nicht in der Lage sein wird, das Geld als "bestimmte Präsenz eines pantheistisch erfaßten Absoluten "zu denken. Denn das setze voraus, daß die Theologie fähig sein müsse, "Gott so zu denken, daß alles aus Gott, aber zugleich in Freiheit und Selbständigkeit außer Gott sein" könne lO1 • Zwar können weder Theologie noch Religion die "Vergleichbarkeit von Geld und Gott" verhindern 102. Aber sie können die Differenz zwischen Geld und Gott betonen. Der Theologie komme die besondere Aufgabe zu, einen Begriff des Absoluten zu entwickeln, der mit der pantheisierenden Tendenz des Geldes nicht zu verwechseln sein werde 103 • Gegenüber diesem Ansatz ist im Blick auf eine Geldethik zu sagen, daß die Anschauung des Geldes als einer scheinbar omnipotenten Größe schwerlich zu einer Geldethik führt. Denn dem Geld kommt immer noch ein innerweltlicher absoluter Maßstab zu, dem das Korrektiv fehlt. Geld könnte so nämlich zu einem letzten Wertmesser werden, in dem doch wieder Gott und Geld, was Wagner eben nicht will, gleichgesetzt wird.

V. Die katholische Theologie und ihr Verständnis vom Geld Für die katholische Theologie ist entscheidend der Umgang mit dem Geld, das seinerseits als Gabe Gottes angesehen wird. Der Mensch ist Verwalter und nicht Eigentümer der Güter der Welt. Rechter Gebrauch des Geldes ist sein Einsatz für die Armen, ist also das Geben von Almosen. Da in der katholischen Theologie außer den biblischen Texten den Zeugnissen der Kirchenväter eine besondere Stellung zukommt, sind auch sie heranzuziehen. Das Geld wird gerade von ihnen als Mittel zur Wohltätigkeit eingesetzt. Freilich hat das Geld auch im Tauschverkehr, und das heißt beim Kaufen und Verkaufen, seine Rolle zu spielen. Die Fragen der Geldethik werden in der katholisch-theologischen Literatur und auch in den offiziellen päpstlichen Verlautbarungen ebenfalls nur am Rande behandelt lO4 • Freilich gibt es auch hier Ausnahmen, z. B. dort, wo man von der Sozialethik her in das ökonomische Problem des Geldes und der Wahrung einzudringen versucht lO5 • Hier sind insbesondere einige katholische Sozialethiker zu nennen, die von theologischer Seite herkommend sich dieser Frage angenommen haben. Aber auch Ökonomen sind auf diesem Sektor nicht untätig geblieben. Zu letzteren gehört vor allem der ehemalige Präsident der österreichischen Notenbank Wolfgang Wagner, Falk, Geld, S. 145. Wagner, Falk, Geld, S. 134. 103 Wagner, Falk, Geld, S. 145. 104 Beutter, Friedrich, Geld, S. 119. 105 Vgl. Weber, Wilhelm, Stabiler Geldwert in geordneter Wirtschaft, Münster 1965; oder Beutter, Friedrich, Zur sittlichen Beurteilung von Inflationen, Freiburg i. Br. 1965. 101

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V. Die katholische Theologie und ihr Verständnis vorn Geld

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Schmitz 106. Allerdings zählt für ihn der ganze Bereich der Wirtschaftsethik zur Philosophischen Ethik. Seine Währungsethik leitet ihre Postulate der katholischen Soziallehre entsprechend von einer Ethik ab, "welche vom Axiom ausgeht, daß das optimale, anthropologisch begründete Zusammenleben der Menschen sittlichen Grundsätzen unterliegt, welche der menschlichen Vernunft zugänglich sind, sei es durch Erkenntnisse, die unmittelbar durch Analyse der Erfahrung gewonnen sind, sei es durch Folgerungsurteile aus sittlichen Grundsätzen in Verbindung mit den Urteilen über die Beschaffenheit der jeweiligen Umstände" 107. Seine Währungsethik hat eine Währungsordnung zum Ziel, die ihrer gesellschaftlichen Funktion und "einem wie auch immer umschriebenen Gemeinwohl" gerecht wird. Sie will die Folgen der währungspolitischen Entscheidungen sowohl im Bereich der Einkommens- als auch der Verteilungspolitik und im Blick auf die Würde der Person prüfen und die Währung entsprechend ausgestalten lO8 • Als grundlegende währungsethische Postulate nennt er über die üblichen Funktionen hinausweisend folgende: 1. Die Allokationsfunkiion des Geldes. Denn das Verfügen über das Geld bestimmt die Allokation der Ressourcen. Das Geld ist der einzige "Bezugschein". 2. Die Stabilität des Geldwertes, von der noch weiter unten im einzelnen zu reden sein wird. 3. Die Konvertierbarkeit der Währungen. 4. Die Freizügigkeit des internationalen Kapitalverkehrs. 5. Die Solidarität unter den Währungsbehörden 6. Die ethische Relevanz des "Wechselkursregimes". Die Art des Wechselkurses kann von jedem Land frei und selbständig gewählt werden. Dabei ist es gleichgültig, ob es sich um ein System fester oder freier Wechselkurse handelt 109 • Weiter ist es unter den katholischen Sozialethikern außer Oswald von Nell-Breuning llO - einer der Nestoren der katholischen Soziallehre - insbesondere Wilhelm Weber gewesen, der sich in seiner Habilitationsschrift "Stabiler Geldwert in geordneter Wirtschaft" mit den monetären Fragen beschäftigte. Für ihn war ein stabiler Geldwert nur in einer geordneten Wirtschaft und speziell in einer geregelten Währungsordnung möglich. Eine schleichende Inflation als Grundlage einer Wirtschaftsordnung lehnte er ab. Aber es ging ihm bei seinem Einsatz immer um eine 106 S. oben 1. Kapitel Abschnitt III. Vgl. vor allem seinen Aufsatz "Währungsethik - eine tragende Säule der Wirtschaftsethik" in: Wirtschaftswissenschaft und Ethik, Schriften des Vereins für Socialpolitik NP. 171 (Hrsg. Herrnann Hesse) Berlin 21989, S. 373ff. 107 Schmitz, Wolfgang, Währungsethik, S. 376. 108 V gl. Schmitz, Wolfgang, Währungsethik, S. 377. 109 Vgl. Schmitz, Wolfgang, Währungsethik, S. 386ff. 110 Vgl. seine Veröffentlichung mit J. H. Müller, Vorn Geld und Kapital, Freiburg 1962, Herder-Bücherei 134. Vgl. auch seine Artikel in: Lex. f. Theologie und Kirche Bd. IV 21960, S.633ff.

5*

4. Kapitel: Stellungnahmen der Kirche und der Theologie

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Verwirklichung des architektonischen Vielecks und nicht um das Anstreben eines isolierten Zieles. Die Fragen des Zinses wurden nach der mittelalterlichen Scholastik, die ihrerseits die aristotelische Zinsauffassung zugrunde gelegt hat, in neuerer Zeit durch das kanonische Recht von 1918 (CIC Can. 1543) wieder aufgegriffen. Dort fand sich noch eine Strafandrohung gegen den Wucher (Can. 2354), außerdem wurde der reine Darlehenszins verboten, wenn die überlassene Sache aufgrund des Darlehensvertrages zurückgegeben wird. Aber es wurde durchaus erlaubt, einen mäßigen Zins zu verlangen, der gesetzlich zugelassen war. Darüber hinaus dürfe sogar ein höherer Gewinn erzielt werden, wenn er als gerecht und angemessen gelten könne, also nicht überhöht ist lll . Das 11. Vatikanische Konzil stellt nur lapidar in zwei kleinen Sätzen fest: "In Sachen der Währung hüte man sich, dem wahren Wohl der eigenen oder fremden Nation zuwiderzuhandeln. Darüber hinaus treffe man Vorsorge, daß die wirtschaftlich Schwachen nicht durch Änderungen des Geldwertes ungerecht geschädigt werden"ll2. In den Sozialenzykliken wird nur selten und auch nicht gerade ausführlich zum Geldwesen Stellung bezogen. Paul VI. schreibt in Populorum Progressio, daß ein Teil der Beträge, die Staaten für Rüstungen ausgeben, zur Schaffung eines "Weltfonds" Verwendung finden sollte, "um so den notleidenden Völkern zu helfen 113. Außerdem wird vor allzu breiten Preisschwankungen bei den Produkten der Entwicklungsländer gewamt 1l4• Freilich gehören auch die generellen Aussagen in der Soziallehre über die Behandlung der Wirtschaft in den Zusammenhang mit der Geldlehre. Hinzugezogen werden müssen darum speziell die Verlautbarungen der Päpste und des 11. Vatikanums über den Menschen als Person, die als "Urheber, Mittelpunkt und Ziel aller Wirtschaft" bezeichnet wird 115 . Der Mensch soll "das Wachstum der Wirtschaft vernünftig und human" lenken 116 und Störungen des ökonomischen Gleichgewichts überwinden. Die Kirche selbst will sich für vernüftige Grundsätze von Gerechtigkeit und Billigkeit einsetzen 117 • Die Arbeit des Menschen in der Güterproduktion, Güterverteilung und im Dienstgewerbe ist unmittelbarer Ausfluß der Person. Die Arbeit wird als menschliches Schöpfungswerk bezeichnet und hat "Vorrang vor allen anderen Faktoren des wirtschaftlichen Lebens,,118. Die Pastoralkonstitution schließt dann das Kapitel über die Wirtschaft mit der Verknüpfung S. CIC. Can. 1543. 11. Vatikanische Konzil, Gaudium et Spes, n. 70, in: Bundesverband der Katholischen Arbeitnehmerbewegung, Texte zur katholischen Soziallehre 41977. 113 Paul VI., Populorum Progressio, n. 51, in: Bundesverband der Katholischen Arbeitnehmerbewegung, Texte zur katholischen Soziallehre 41977. III

112

117

Paul VI., PP. D. 57. 11. Vatikanum, GeS. n. 63,1. 11. Vatikanum, GeS, n. 63,3. 11. Vatikanum, GeS, n. 63,5.

118

11. Vatikanum, GeS,

114 115 116

D.

67,1.

V. Die katholische Theologie und ihr Verständnis vom Geld

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von Wirtschaft und Reich Christi. Dem Christen wird abverlangt, sich die "unerläßliche Sachkenntnis und Erfahrung" anzueignen und dann in "Treue gegen Christus und seine frohe Botschaft" das Reich Gottes zu suchen 119. Der Codex Juris Canonici von 1983 enthält keine Bestimmung über den Zins mehr. Hinweise auf den Umgang mit dem Geld also lassen sich nur indirekt aus den Sozialprinzipien der Päpste seit Leo XIII. bis zu Papst Johannes Paul 11. finden. Denn auch in der offiziellen katholisch-theologischen Lehrmeinung wird über das Geld im einzelnen nicht reflektiert.

119

11. Vatikanum, GeS, n. 72,1.

Fünftes Kapitel

Die Geldpolitik Die Geldpolitik hat es mit Zinsen, Geldmenge und Umlaufgeschwindigkeit des Geldes zu tun. Zwischen der Geldmenge und der Umlaufgeschwindigkeit des Geldes gibt es einen engen Zusammenhang. Die Bundes- oder Nationalbank beeinflußt die Geldmenge mit Hilfe des Diskontsatzes! und Lombardsatzes 2 als den wesentlichen Leitzinsen. Hinzu gehört noch als dritter Leitzinssatz der für die Wertpapierpensionsgeschäfte 3 . Vielfach heißt es, die Notenbank habe sich für niedrige Zinsen einzusetzen. Denn sie sind für die Wirtschaft förderlicher. Aber das muß nicht so sein. Denn niedrige Zinsen rücken selbst solche Projekte in die rentablen Zonen, bei denen man nachher sogar von einer Mittelverschwendung sprechen könnte. In jedem Fall begünstigt eine Niedrigverzinsung die Investitionsbereitschaft und damit das Wirtschaftswachstum. Selbstverständlich übt ein niedriger Zinssatz eine Anreizfunktion aus. Viele Politiker, die der Meinung sind, daß über die Geldmenge die Konjunktur, Wirtschaftswachstum und die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit beeinflußt werden können, rufen die Währungshüter auf, die Ge1dmengenpolitik entsprechend zu gestalten und sich für niedrige Zinsen einzusetzen. Aber die Aufgabe der Notenbank ist es, die Stabilität der Währung zu gewährleisten. Darum muß sie nicht immer niedrige Zinsen anstreben. Schließlich hat sie sich an dem Ziel der Währungsstabilität zu orientieren. Sie dient damit allen Schichten der Bevölkerung. Deshalb kann sie sich zeitweilig auch für höhere Zinsen einsetzen. Denn eine inflationäre Entwicklung bezahlen alle Glieder der Bevölkerung. Wer jedoch sparen kann und will, ist freiwillig dazu nur bereit, wenn er angemessen dafür entschädigt wird. Nur dann verschiebt er seinen Konsum auf eine spätere Zeit. Wer so denkt, ist natürlich an einem hohen Zins interessiert.

1 Für diesen Satz können die Geschäftsbanken sich bei der Bundesbank durch Verkauf von Wechseln Geld beschaffen. Seit dem 14. Dezember 1995 beträgt er in Deutschland 3 %. 2 Zu diesem Satz können sich die Geschäftsbanken durch Hinterlegen von Wertpapieren Geld beschaffen. Seit dem 14. Dezember 1995 beträgt er 5 %. Diese Leitzinsen (Diskontund Lombardsatz) sind damit so niedrig wie seit ca. 7 Jahren nicht mehr. 3 Er gilt als dritter Leitzinssatz. Die Pensionsgeschäfte der Bundesbank sind eine Art Offenmarktpolitik und im Laufe der letzten Jahre stark angestiegen von 100 Mrd. DM 1985 auf 200 Mrd. im April 1994; Vgl. Deutsche Bundesbank Monatsberichte Mai 1994, S. 65.

I. Die Quantitätsgleichungen

71

I. Die Quantitätsgleichungen Es besteht in einer stationären Wirtschaft, also in einer Wirtschaft, die im Zeitablauf konstant bleibt, eine Beziehung zwischen dem Gesamteinkommen (y), der Geldmenge (M) und der Einkommenskreislaufgeschwindigkeit (V), die folgendermaßen beschrieben werden kann: M x V = Yoder

v=~ M

Der Umsatz einer Periode ist gleich dem Produkt aus der Geldmenge und der Einkommenskreislaufgeschwindigkeit. Diese wiederum gibt an, wie häufig die Geldmenge benutzt wird, um das Einkommen zu finanzieren. Diese Relation, die auch als Quantitäts- oder Verkehrs gleichung bezeichnet wird, "ist eine immer erfüllte Identität und stellt nichts anderes als eine Definitionsgleichung für die Einkommenskreislaufgeschwindigkeit des Geldes,,4 dar. Das Gleichgewicht wird durch die realen Tauschbeziehungen zwischen den auf den Märkten angebotenen und nachgefragten Gütern und Diensten hergestellt. Die Raten werden in Preisen und damit in Geldgrößen ausgedrückt. Der Bezug auf das Geld ändert an den Raten nichts. Das Geld liegt gleichsam als Schleier über den realen Vorgängen. Die Quantitätsgleichungen stellen lediglich "Identitätsbeziehungen" zwischen den Größen zusammen5 . Sie sind Aussagen6 , die in ihrer genaueren Fixierung rein definitorisch tautologisch ausdrücken, daß die Einkommenskreislaufgeschwindigkeit des G~ldes gleich dem Produkt aus dem Realeinkommen Y(re) und dem in Form eines Preisindex gemessenen Preis P(ind), dividiert durch die Geldmenge, ist. Darum lautet die Quantitäts-Gleichung: Schneider, Erich, Einführung in die Wirtschaftstheorie, Bd.III., Tübingen 4 1957. Vgl. Merk, Gerhard, Einführung in die Geldlehre, Frankfurt 1974, S. 38. 6 Wagner, Falk, Geld, S. 18ff. hat sich dieser Tautologie angenommen. Er meint, bereits in der Tatsache, daß Geld eine Tauschmittelfunktion besitzt, eine Tautologie zu entdecken. "Durch die Tauschfunktion des Geldes funktioniert also der Austausch von Gütern und Leistungen, und durch den Austausch von Gütern und Leistungen funktioniert das Geld als Tauschmittel. So wird durch das Verständnis der Tauschmittelfunktion die tautologisch-zirkuläre Anfangsdefinition des Geldes festgeschrieben: Geld funktioniert als Tauschmittel, weil die der Funktionalität des Geldes unterstellten Güter und Leistungen zeigen, daß es funktioniert, weil es als Gut gegen andere Güter ausgetauscht werden kann" (S. 19). Wagner sieht diese Tautologie besonders darin: "Der Geldpreis von Gütern ist vergleichbar, weil ihr Geldpreis auf dieselbe Größe: das Geld bezogen ist" (S. 20). Nach ihm schrecke die Volkswirtschaftslehre vor einer solchen Tautologie zurück und versuche, diese durch den Begriff des Wertes zu verdecken. Richtig ist, daß die Quantitätsgleichung eine Tautologie darstellt. In der Wertgestaltung des Geldes liegt aber keine Tautologie. Denn hier wird nur mathematisch gedacht: Was einem dritten gleich ist, ist auch untereinander gleich. Und das Geld ist nun einmal dieser Wertmaßstab. 4

5

5. Kapitel: Die Geldpolitik

72

Y(re) x P(ind)

---'---'--M-'---'-

=V

oder MxV

= P(ind) x Y(re)

Die Identitätsgleichung ist immer erfüllt. Sie ist zwar ex definitione immer richtig, sagt aber über die Wirklichkeit und über die kausalen Zusammenhänge nichts aus.

11. Die Quantitätstheorie Aus der Quantitätsgleichung mit ihren Identitätsaussagen wurde die Quantititätstheorie abgeleitet (etwa von Fisher 1911)7. Man spricht hier von der klassischen Quantitätstheorie. Aber bereits Jean Bodin, der große französische Staatslehrer, hatte im 16. Jahrhundert erkannt, daß die Geldmenge, besonders durch den Silberstrom aus den spanischen Besitzungen Amerikas, stärker zugenommen hatte als die Warenmenge. ,,Aus dieser Beobachtung folgerte er, daß Geldmenge und Geldwert in umgekehrtem Verhältnis zueinander stehen"s. Als naive Quantitätstheorie gilt die einfache Formel: Das Verhältnis von Geldmenge zur Warenmenge ist gleich dem Preisniveau. Das war der Anfang der Quantitätstheorie; sie wurde dann im Laufe der Zeit immer weiter verbessert. Die Quantitäts-Theorie behauptet also, daß zwischen der Änderung der Geldmenge und einer Änderung des Preises ein kausaler Zusammenhang besteht. Eine solche Aussage läßt sich aber aus den Quantitäts-Gleichungen nicht ablesen. Allgemein lautet die Behauptung der Quantitätstheorie: Der Preis ist eine Funktion der Geldmenge, also: P = j(Mt Die klassische Quantitätstheorie wollte die Entstehung des gesamtwirtschaftlichen Preisniveaus erklären. Da man aber aus einer Identität keine kausalen Schlüsse ziehen kann, bedurfte es zusätzlicher Annahmen. Eine war, daß die Geldmenge (M) unabhängig von den drei Variablen [Y(re), P(ind) und V] ist lO • Die Quantitätstheorie übersieht jedoch die Tatsache, daß zum einen "eine Vermehrung der GeldVgl. Jarchow, H.-J., Theorie, S. 192. Born, Karl, Erich, Die ethische Beurteilung des Geldwesens im Wandel der Geschichte, in: Geld und Moral., Hrsg. Helmut Hesse und Otmar Issing, München 1994, S. 12. 9 Vgl. Issing, Otmar, Einführung, S. 135. 10 Vgl. Siebke, Jürgen, Geldnachfragetheorie, in: Thieme, H. Jörg, Ge1dtheorie, BadenBaden, 1985, S. 46f. 7

8

11. Die Quantitätstheorie

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menge nicht unbedingt die effektive Nachfrage nach Gütern erhöht", und zum anderen, daß "eine Vermehrung der Nachfrage nicht notwendig zu einer Preissteigerung führen" muß l1 . Entscheidend ist, daß sich die Einzelpreise nur ändern, wenn sich auch die Angebots- und die Nachfrageseite ändern. Dies setzt jedoch eine Veränderung der individuellen Dispositionen beider Seiten voraus. "Die Quantitätstheorie müßte daher nachweisen, wie eine Erhöhung der Geldmenge zu einer Änderung in den individuellen Dispositionen der Anbieter und Nachfrager führt,,12. Die Quantitätstheorie operiert jedoch mit globalen Größen und zeigt nicht den Weg von den individuellen Entscheidungen zu den makroökonomischen Größen auf. Die Tradition der Quantitätstheorie wurde durch die Analyse L. Walras' erweitert. Das Walrasianische Gleichgewichtsmodell 13 ist bekanntlich dadurch gekennzeichnet, daß Angebot und Nachfrage auf einem Markt nicht allein durch den Preis des gehandelten Faktors oder Gutes bestimmt werden, sondern auch durch die Preise der anderen Güter und Faktoren. Werden die angebotenen Mengen eines Gutes oder Faktors mit Xi 1, 2 ... , n) und der dazugehörende jeweilige Preis mit Pi bezeichnet, dann läßt sich die Angebotsfunktion des i-ten Gutes (oder des i-ten Faktors) schreiben:

(i

=

Xj=Xj(P1,P2 ... ,Pn) und i=1,2, ... ,n.

Die Preise lassen sich als Einheiten eines bestimmten Gutes messen. "Dieses Gut ist dann das Standardgut oder in der Terminologie von Walras der numeraire" (Zähler) 14. Wird nun das n-te Gut als solcher numeraire gewählt, dann treten an die Stelle der Preise Pi (i = 1,2 ... ,n) "die Austauschverhältnisse Pi : Pn,,15. Dabei gibt ,jedes Austauschverhältnis" an, "wievie1 Einheiten des n-ten Gutes oder Faktors gegen eine Einheit des i-ten Gutes oder Faktors ausgetauscht werden können. Wird z. B. mit Pn der Lohnsatz pro Stunde und mit PI der Preis für ein Kilogramm Schweinefleisch angegeben, dann bedeutet PI : Pn = 1/2, daß man eine halbe Stunde arbeiten muß, um ein Kilogramm Schweinefleisch kaufen zu können. Der Produktionsfaktor Arbeit dient also in diesem Fall als numeraire,,16. Im realen Volkseinkommen Y(re) - durch die Beziehungen im güterwirtschaftlichen Bereich bestimmt - werden nur die Güter und Dienstleistungen berücksichtigt, die Bestand des Volkseinkommens sind. Merk, Gerhard, Einführung, S. 37. Vgl. Issing, Otmar, Einführung, S. 135f. Issing, Otmar, Einführung, S. 136. 13 L. Walras hat mit Hilfe seiner generellen ökonomischen Gleichgewichtstheorie erheblich zum Verständnis der Zusammenhänge auf allen Gebieten der Wirtschaftskreislaufs beigetragen. 14 Jarchow, Hans-Joachim, Theorie, S. 195. 15 Jarchow, Hans-Joachim, Theorie, S. 195. 16 Jarchow, Hans-Joachim, Theorie, S. 195f. 11

12

74

5. Kapitel: Die Geldpolitik

In einem Walrasianischen Gleichgewichtsmodell, in dem Angebot und Nachfrage auf einem bestimmten Markt "nicht nur vom Preis des gehandelten Gutes oder Faktors, sondern auch von den Preisen der übrigen Güter und Faktoren abhängen, kann die Quantitätstheorie in Verbindung mit dem reziproken Wert (k) der Einkommenskreislaufgeschwindigkeit (1 : V) so umschrieben werden 17 : M(autonom bestimmt)

= k p Y(re)

.

Dabei bezeichnet (P) den Durchschnittspreis für alle Güter und Dienstleistungen. Die Geldmenge (Angebot) ist autonom gesetzt. "Auf diesem Wege wird in einem Geldsystem, in dem die Geldmenge - wie in einem Papierstandard - Aktionsparameter der Zentralbank ist, das Preisniveau und damit auch die Kaufkraft des Geldes bestimmt,,18. Weiter ist ersichtlich, daß "Veränderungen der Geldmenge zu gleichgerichteten proportionalen Veränderungen des Preisniveaus (und des nominalen Sozialprodukts) führen,,19.

III. Geldpolitik und Lohnpolitik J. M. Keynes hat in seiner Analyse der Geldnachfrage an den Cambridge-Ansatz der Quantitätstheorie (an der Universität Cambridge entwickelte Gleichungen der Kassenhaltung) angeknüpft. Für die Kassenhaltung nennt er drei Gründe. Als Liquiditätspräferenz und damit als Geldnachfrage wird zunächst aus dem Transaktionsmotiv heraus Geld gehalten, um das "zeitliche Auseinanderfallen von Einnahmen und Ausgaben zu überbrücken,,2o. Sodann wird Geld als Reserve zurückgelegt - aus Vorsicht, um für unvorhergesehene Ausgaben gerüstet zu sein. Schließlich wird aufgrund eines Spekulationsmotivs Geld auf Vorrat gehalten, um die zukünftige Kursentwicklung der Wertpapiere abzuwarten. Keynes schloß sich letztlich der Auffassung der alten Banking-Theorie an, nach der der Geldwert oder auch das Preisniveau eine exogen bestimmte Größe ist. Die Geldmenge paßt sich jeweils dem Bedarf der Wirtschaft an. Denn der größte Teil der ökonomischen Transaktionen wird mit Hilfe fremder Zahlungsmittel abgewickelt 21 . Das ist ein realwirtschaftlicher Ansatz. Inflationen können dann l. im Bereich des Güterange17 Dabei ist (k), also I : V. der Kassenhaltungskoeffizient, das sogenannten Cambridge"k". Nach Jarchow, Theorie S. 193, läßt sich die folgende Gleichung dann "als Bedingung für das Gleichgewicht zwischen Angebot an Geld (M, also autonom bestimmt) und Nachfrage nach Geld (kp Y(re)) aufassen". 18 Jarchow, H.-J., Theorie, S. 201. 19 Ebenda. 20 Siebke, JÜfgen, Geldnachfragetheorie, S. 48. Vgl. Jarchow, H.-J. Theorie, S. 91ff. 21 V gl. Issing, Otmar, Einführung, S. 170.

III. Geldpolitik und Lohnpolitik

75

bots liegen; erhöhte Faktorkosten werden auf die Güterpreise umgewälzt (Kosteninflation), 2. in der Einkommensverwendung; die effektive monetäre Nachfrage nach Gütern ist größer als das Angebot (Warenlücke); 3. auf dem Verteilungssektor; es wird mehr substanzloses Geld verteilt als Güter vorhanden sind (Verteilungsinflation)22. Eine Veränderung der Quantitätstheorie, die die genannten Schwächen zu vermeiden trachtete, vertreten die sogenannten Monetaristen. Man spricht von einer Neo-Quantitätstheorie. Auch sie stehen in der Cambridge-Tradition. Im monetaristischen Ansatz spiegelt sich die Currency-Theorie wieder. Danach wird die Geldmenge durch die Notenbank festgelegt. Ihr liegt eine Geldmenge zugrunde, die damals die Münzen und Banknoten der Bank von England umfaßte. Der Geldwert oder das Preisniveau ist danach eine endogene Größe. Sie ist von der Geldmenge abhängig. In diesem Fall ergibt sich also im Gegensatz zum realwirtschaftlichen ein monetärer Ansatz 23 . Denn nach den Monetaristen bestehen Zusammenhänge zwischen den Veränderungen der Geldmenge und denen des Preisniveaus, wie es Milton Friedman nachwies. Friedman's Überlegungen stehen also in der Cambridge-Tradition und ihrer Kassenhaltungstheorie 24 . Friedman aber geht über Keynes hinaus, indem er die dem Geld zugewiesenen verschiedenen Funktionen als eine Nachfragefunktion interpretiert. Er ordnet die Kassenhaltung "in die allgemeine Nachfragetheorie ein, so daß die Geldnachfrage aus der Budgetbeschränkung der Wirtschaftseinheit, aus den Kosten und Erträgen der Geldhaltung sowie den Kosten und Erträgen alternativer Vermögensanlagen zu erklären ist,,25. Schwankungen im wirtschaftlichen Ablauf werden im wesentlichen durch monetäre Einflüsse verursacht. "Stoßkraft und Stoßrichtung monetärer Impulse werden durch Änderungen der Geldmenge angezeigt. Änderungen der Geldmenge werden wiederum maßgeblich durch Änderungen der von den Trägem der Geldpolitik beherrschten monetären Basis beeinflußt,,26. Preissteigerungen sind dann die Folge von nicht kontrollierten und aus diesem Grund verhältnismäßig zu großen, weil eben real nicht gedeckten Geldzuwächsen 27 . Die Monetaristen sehen darum in der Handlungsweise der Notenbank mit ihrer Geldproduzierpolitik einen der wesentlichen Inflations-Verursacher. Allerdings haben die Änderungen der Geldmenge, solange die Preisänderungsrate in der Periode gering bleibt, auf die Einkommenskreislaufgeschwindigkeit des Geldes kaum einen Einfluß. Bei extremen Preisänderungen ist diese Einwirkung freilich groß. Denn "die Stabilität der Geldnachfrage schließt einen erheblichen Einfluß des Zinses auf die Geldnachfrage und damit auf die Einkommensge22 23 24 25

26 27

Vgl. Burghardt, Anton, Soziologie, S. 74. Ehrlicher, Wemer, Geldtheorie, S. 379. Vgl. Jarchow, H.-J., Theorie, S. 193. Siebke, Jürgen, Geldnachfragetheorie, S. 51. Jarchow, H.-J., Theorie, S. 271. Vgl. Burghardt, Anton, Soziologie, S. 74

76

5. Kapitel: Die Geldpolitik

schwindigkeit aus,,28. Die Geldmenge zeigt die "Stoßkraft und Stoßrichtung" der monetären Impulse an. H.- J. Jastrow weist noch auf zwei weitere für unseren Sachverhalt wichtige Phänomene hin: "Die absolute Höhe der Wachstumsrate der Geldmenge ist von geringem Einfluß auf die Beschäftigung und die Entwicklung des realen Sozialprodukts, aber von dominierendem Einfluß auf die Inflationsrate". Und außerdem: "Wird die Wachstumsrate der Geldmenge angehoben (vermindert); dann ergibt sich für die Beschäftigung und die Entwicklung des realen Sozialprodukts nur vorübergehend ein expansiver (kontraktiver) Impuls; die Inflationsrate wird demgegenüber dauerhaft erhöht (gesenkt). Erst wenn die Wachstumsrate der Geldmenge fortlaufend erhöht wird, kann die Beschäftigung und die Entwicklung des realen Sozialprodukts nachhaltig angeregt werden, allerdings um den Preis einer andauernden Inflationsbeschleunigung,,29. Aufgrund dieser Aussagen würden bei einem durchschnittlichen Wachstum der Geldmenge inflationäre Prozesse erzeugt werden, die von Schwankungen der Produktion und der Beschäftigung begleitet werden. Wie noch zu zeigen sein wird, besteht heute weitgehend ein Konsens zwischen den wirtschaftlich Verantwortlichen über die Ziele des Stabilitätsgesetzes, im besonderen über das Ziel der Währungsstabilität und über das der Preisstabilität. Das Ziel der Bundesbank und speziell ihrer Geldpolitik ist ausgerichtet auf die Währungsstabilität. Ihre Aufgabe ist es schließlich, über den Realwert des Geldes das Einkommen und die Ersparnisse der Bevölkerung zu sichern. In der Ökonomie stehen sich jedoch die beiden unterschiedlichen Sichtweisen unausgeglichen gegenüber: 1. Eine Geldpolitik, die allein auf Preisniveaustabilität gerichtet ist, führt zu einer Verschlechterung der Beschäftigung3o . Das war eine der Thesen Keynes'. Neuere Untersuchungen haben aber gezeigt, daß sich Vollbeschäftigung eher bei einer Preisniveaustabilität verwirklichen läßt. 2. Die durch eine angebotsorientierte Politik beeinflußte Meinung besagt, daß die Geldpolitik ausschließlich auf die Preiniveaustabilität ausgerichtet sein muß. Demgegenüber muß gerade die Lohnpolitik die Verantwortung für die Beschäftigungspolitik tragen 3 ]. Dadurch, daß Geldpolitik auf die Geldmenge einwirkt und auch die Lohnpolitik vom Preisniveau und von der Geldmenge beeinflußt wird, übt die Geldmengenpolitik auf die Währungsstabilität und die Lohn- und Preispolitik einen großen Einfluß aus. Währungs stabilität und auch Lohnpolitik in Gestalt einer VollbeschäftiIssing, Otrnar, Einführung, S. 141. Jarchow, H.-J., Theorie, S. 272. 30 Vgl. Nernitz, Kurt, Geldpolitik und Lohnpolitik: Möglich-keit und Grenzen einer Konsens-Strategie, in: Geldordnung und Geldpolitik in einer freiheitlichen Gesellschaft, Hrsg. Joachirn Starbatty, Tübingen 1982, S. 46ff. 31 Vgl. Nernitz, Kurt, Geldpolitik, S. 48. 28 29

IV. Geldpolitik und Steuerpolitik

77

gungspolitik gehören in die Obhut der staatlichen und notenbanklichen Aufgaben. Zugleich sind sie ethische Verpflichtungen dieser Institutionen, also des Staates und der Notenbank.

IV. Geldpolitik und Steuerpolitik Es kann in diesem Zusammenhang nicht darum gehen, eine Steuerpolitik zu entwerfen. Es ist ferner unmöglich, auf die unterschiedlichen Steuerarten einzugehen. Es können nur einige Akzente gesetzt werden. Nach der Definition der Steuern als Zwangsabgaben ist der Steuerpflichtige diesem obrigkeitlichen Druck ausgesetzt. Steuern werden zur Erzielung von Einnahmen erhoben und stellen eine einseitige Zahlung des Steuerzahlers dar. Der einzelne kann die individuelle Leistung für seine Zahlungen weder bewerten noch genau abschätzen. Es gibt darum genügend Versuche, sich von der Steuer zu drücken und trotzdem die öffentlichen Leistungen in Anspruch zu nehmen. Je unübersichtlicher das Steuersystem selbst ist, je mehr der Bürger das Gefühl hat, der Staat sei ohnehin für viele ein mehr oder weniger großer "Selbstbedienungsladen", umso mehr wird er versuchen, sich von der Steuer selbst zu "befreien". Die Steuerpolitik gilt hauptsächlich einem fiskalischen Ziel, für den staatlichen Haushalt die benötigten Einnahmen zu beschaffen. Darüber hinaus existieren auch nichtfiskalische Ziele, bei denen es weniger um die Mittelbeschaffung als vielmehr um das Erreichen eines anderen Zweckes geht (Verringerung der Suchtgefahr z. B. durch Prohibitivsteuer etc.). Aber auch verteilungspolitische Ziele (Solidaritätsabgabe ) werden angestrebt. Steuern können zu mißhelligen und ungerechten Entwicklungen führen. Als man in England zur Zeit einer Labour-Regierung das Vermögen von mehr als 1 Million Pfund zu neunzig Prozent versteuerte, wurde mit Recht wohl von Diebstahl des Staates gesprochen. Bei einer hohen Vermögens- und Erbschaftssteuer darf man sich nicht wundem, wenn Gelder tranferiert werden! Die Frage, die in einer solchen Situation auftritt, ist die nach der Ethik der Steuern. Handelt in solchen Fällen wirklich der Steuerpflichtige unmoralisch, wenn er Steuern hinterzieht, oder nicht vielmehr der Staat, der seinen Bürgern große Teile ihres Einkommens bzw. ihrer Ersparnisse wegnimmt? Hat nicht der Arbeitende ein Recht auf einen angemessenen Lohn? Und darf nicht auch der, der sein Geld unter einer ehrlichen Zukunftserwartung anlegt, damit rechnen, daß er für seinen Konsumverzicht seinen angestrebten Zins bekommt?

Sechstes Kapitel

Das ethische Problem der Geldwertstabilität In der großen Inflation nach dem Ersten Weltkrieg hat die deutsche Währung alle ihre traditionellen ökonomischen Funktionen als Tauschmitte1, als Recheneinheit und vor allem als Wertautbewahrungsmittel weitgehend eingebüßt. Der Wert der deutschen Währung fiel von 1914 bis 1923, am Dollar gemessen, von 4,20 Mark auf 4,2 Billionen Mark, also auf 1 Billionstel des ursprünglichen Wertes!. Aufgrund der damaligen verfehlten Geld- und Währungspolitik ereignete sich eine allgemeine Geldentwertung, die zu größeren Vermögens verlusten der ganzen Bevölkerung führte. "Immer und immer wieder muß gesagt werden, daß Inflation Diebstahl oder zumindest Steuer ist, die Wehrlosen - und meistens den am wenigsten Wohlhabenden - auferlegt wird. Es muß klar gemacht werden, daß die Inflation nur deshalb so verführerisch ist, weil sie etwas gibt, ohne daß man zunächst merkt, daß jemand und wer dafür zahlt,,2. Inflation wird darum als Diebstahl an der Allgemeinheit bezeichnet. In ihr kommt die "Nichtbeachtung des Geldes anderer Leute und damit die Nichtachtung von Menschen" zum Ausdruck3 . Daß sie kein Mittel ist, eine Vollbeschäftigung zu garantieren, sondern aufgrund der anschließenden Stabilisierungspolitik zu Einbrüchen in der Beschäftigungspolitik führt, wird nicht überall erkannt. Noch in den siebziger Jahren glaubte man, mit fünf Prozent Inflation die Beschäftigung zu erhöhen oder mindestens eine konjunkturelle Entwicklung in Gang zu setzen. Selbst heute ist dieser falsche Zusammenhang noch nicht ausgerottet.

I. Das Primat der Währungspolitik Mit Friedrich A. von Hayek und anderen Ökonomen kamen Überlegungen auf, Geldordnungen mittels Noten-Emissionen durch Bankinstitute zu begründen, um "eine inflationsfreie Geldversorgung im Rahmen einer wettbewerbswirtschaftlich I Vgl. Seidel, Christi an, Macht und Ohnmacht der Geld-wirtschaft, in: Wilhelm F. Kasch (Hrsg.), Geld und Glaube, Paderbom 1979, S. 155. 2 Hahn, L. Albert, Fünzig Jahre zwischen Inflation und Deflation, Tübingen 1963, S. 199. 3 Vgl. Beutter, Friedrich, Geheimnischarakter des Geldes und ethische Grundlagen der Geheimhaltungspflicht, in Gerhard Merk (Hrsg.), Acta Monetaria, Frankfurt 1978, S. 16. Außerdem ist der Aufsatz Gerhard Merks über die" Wirkungen und Folgen der Inflation" aus den Acta Monetaria 1980 Bd. 4, S. 97ff. heranzuziehen.

I. Das Primat der Währungspolitik

79

organisierten Bankwirtschaft ohne zentrales Institut" zu erreichen 4 • Hiergegen erhoben sich viele praktische, ökonomische und politische Einwände. Politiker wie Ökonomen wollen die starke Einflußmöglichkeit auf die Währung nicht in die Hand von privaten Geschäftsbanken geben. Unabhängige Notenbanken stellen die besten Garanten einer geordneten Währungs- und Geldpolitik dar. Auf Einzelheiten ist in unserem Zusammenhang nicht näher einzugehen.

A. Geordnete Marktwirtschaft und Währungsstabilität Für eine störungsfreie Verkehrswirtschaft wird heute immer noch eine zentralgeleitete Geld- und Kreditpolitik vorausgesetzt, wie es bereits Walter Eucken unterstrich. Er hat den Abschnitt über das Primat der Währungspolitik in seinem Buch über die "Grundsätze der Wirtschaftspolitik" mit dem berühmten Zitat Lenins eingeleitet: "Um die bürgerliche Gesellschaft zu zerstören, muß man ihr Geldwesen verwüsten"s. Denn in ihr kommt dem Geldwesen eine besonders große Bedeutung zu, während in einer Zentral verwaltungs wirtschaft das Geld nur ein geringes Ansehen besitzt. In der sozialistischen Wirtschaft sollte mit der Warenwirtschaft auch die Geldwirtschaft absterben. Die realwirtschaftliche Entwicklung hat einen entgegengesetzten Lauf genommen und hat die sozialistische Wirtschaft sowohl hinsichtlich ihres warenwirtschaftlichen als auch ihres monetären Charakters zu einem Scheitern geführt. Zum Wirtschaftstyp einer Wettbewerbsordnung, die Eucken als wirtschaftsverfassungsrechtliches Grundprinzip ansieht, gehört ordnungspolitisch konstitutiv die Stabilität des Ge1dwertes 6 . "Die Währungspolitik besitzt daher für die Wettbewerbsordnung ein Primat"? Eucken verlangt von einer Währungsverfassung mit einem stabilen Geldwert ebenso wie von der Wettbewerbsordnung, daß sie möglichst "automatisch" funktioniere 8 . Er fordert, daß in der Ordnungspolitik eine "ordnende Ratio" zur Geltung komme 9 . Dazu gehören in einer Verkehrswirtschaft als konstituierende Prinzipien außer dem Primat der Währungspolitik, die Funktionsfähigkeit des Preismechanismus, für die wiederum die Existenz von Geld von 4 Vgl. Ehrlicher, Wemer, Geld, S. 85. Ähnlich auch Wolfram Engels, vgl. Suhr, Dieter, Geldordnung, S. 101f. 5 Eucken, Walter, Grundsätze der Wirtschaftspolitik, Hrsg. Edith Eucken und K. Paul HenseI, Tübingen 61990. 6 Eucken, Walter, Grundsätze, S. 254. 7 Eucken, Walter, Grundsätze, S. 256. 8 Eucken, Walter, Grundsätze, S. 257. 9 Eucken, Walter, Grundsätze, S. 7. Es ist wichtig zu erkennen, daß Eucken selbst das Wort "Ordnung" in einem doppelten Sinn gebraucht (S. 272). Er spricht einmal von der Wirtschaftsordnung und meint damit das verfaßte Schema, in dem der Wirtschaftsprozeß stattfindet. Und er kennt den Ordnungs-begriff im Sinne des Ordo-Gedanken, der "die sinnvolle Zusammenfügung des Mannigfaltigen zu einem Ganzen" versteht.

80

6. Kapitel: Das ethische Problem der Geldwertstabilität

fundamentaler Bedeutung ist, offene Märkte mit ihrer Offenheit für Angebot und Nachfrage - sie ist für eine Wettbewerbsordnung zwingend notwendig, das Privateigentum an Produktionsmitteln, die Vertragsfreiheit als Voraussetzung für das Zustandekommen der Konkurrenz und die Haftung als Grundlage für die Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung, die sich der Aufgabe der "Freiheit und Selbstverantwortung verschrieben hat"lO. Die Konstanz der Wirtschaftspolitik wiederum ist ein zentrales Erfordernis für die Wettbewerbsordnung. Unter der Anwendung der ordnenden Ratio ist "die Herstellung einer funktionsfähigen und gerechten Ordnung" Ziel der Wirtschaftsordnung. Die erstrebte "Funktionsfähigkeit [ist] eine Frage des Gleichgewichts". Aber auch die Schaffung von Gerechtigkeit oder, wie er es formuliert, die "größtmögliche Verwirklichung von Gerechtigkeit, Sicherheit und Freiheit im menschlichen Zusammenleben" ist eine Frage des Gleichgewichts 11, dem allerdings "mehr als eine bloß ökonomisch technische Bedeutung" zukommt 12. Freilich muß als wesentlicher wirtschaftspolitischer Grundsatz Berücksichtigung finden: "Die Ordnungsprinzipien der Wirtschaft sollen mit den Prinzipien anderer Ordnungen - z. B. des Staates - von vornherein abgestimmt sein". Das bedeutet, daß etwaige ",kollidierende' Ordnungen" - auch in der Währungspolitik - vermieden werden müssen l3 . Eucken fordert deshalb, es sei "ein währungspolitischer Stabilisator, ein brauchbares Prinzip der Geldversorgung nötig", damit die konstituierenden Prinzipien eine Wirtschaftsordnung herstellen 14. Wer sich für die Wettbewerbsordnung stark macht, hat nach ihm zu bedenken, daß es nicht allein auf "die Durchsetzung der ökonomischen Sachgesetzlichkeit" ankommen darf. Es muß vielmehr "gleichzeitig ein soziales und ethisches Ordnungswollen verwirklicht werden,,15. Die soziale Gerechtigkeit sollte dann durch eine Gesamtordnung geschaffen werden. Eine geordnete Marktwirtschaft und die Stabilität der Währung bedingen einander. Eins ist nicht ohne das andere zu denken 16. "Im nationalen Bereich ist eine funktionsfähige Geldordnung eine Voraussetzung für die Überwindung des einfachen Tauschhandels zum modemen marktwirtschaftlichen Waren-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr. Eine funktionsfähige Ge1dordnung ist nicht nur eine Voraussetzung dafür, daß die Sozialfunktion des wettbewerbsgesteuerten Marktes in Erscheinung treten kann, sie ist auch zur Erhaltung bzw. Herbeiführung der grundsätzlichen Freiheitsräume im Bereich der Wirtschaft (Konsum-, Spar-, Produktions- und Investitionsfreiheit; der Freiheit in der Wahl des Berufes, des ArEucken, Walter, Grundsätze, S. 285. Eucken, Walter, Grundsätze, S. 190. 12 Eucken, Walter, Grundsätze, S. 166. 13 Eucken, Walter, Grundsätze, S. 133. 14 Eucken, Walter, Grundsätze, S. 264. 15 Eucken, Walter, Grundsätze, S. 370. 16 V gl. Kramer, Rolf, Die christliche Verantwortung in der Sozialen Marktwirtschaft, Stuttgart 1973, S. 190. 10 11

I. Das Primat der Währungspolitik

81

beitsplatzes und des Wohnortes) unentbehrlich,,17. Eine Gewähr allerdings für eine Geldwertstabilität gibt es in keiner Währungsordnung. Darum auch nicht in der Marktwirtschaft. Zwar kommt in der Marktwirtschaft dem Wettbewerb die Funktion zu, Geldwertstabilität herzustellen. Aber der Wettbewerb allein kann diese aus sich heraus nicht schaffen. Darum ist es die zentrale Aufgabe der Finanzpolitik und der Geldpolitik, vorrangig für eine Stabilität des Preisniveaus zu sorgen. Es herrscht heute mehr als früher die Meinung vor, daß im "magischen Vieleck" (s.u.) besonders das Ziel der Preisniveau stabilität anzustreben ist. Dieses Ziel ist, wie es zum Teil bereits ausgeführt wurde und im einzelnen noch zu zeigen sein wird, vornehmlich die Aufgabe der Bundesbank in Verbindung mit den Zielen der Wirtschaftspolitik der Bundesregierung. Denn nach § 12 der Bundesbankgesetzes ist die Bundesbank verpflichtet, in Wahrung ihrer Aufgabe die allgemeine Wirtschaftspolitik der Bundesregierung zu unterstützen. So muß auch die Beschäftigungspolitik mit in die Überlegungen der Bundesbank und ihrer Ge1dpolitik einbezogen werden. Das Geld ist ein Ausdruck der Wirtschaftskraft und der inneren Stabilität. Nach J. A. Schumpeter spiegeln sich das Wesen und die Eigenschaften eines Landes in seinem Geld wieder. Wenn sich darum die Bundesbank dem Stabilitätszie1 verpflichtet weiß und diesem Ziel nachstrebt, dann muß von Deutschland als dem Land der Deutschen Mark gesagt werden können, daß es von Stabilität und Beständigkeit gekennzeichnet ist. Insofern liefert die Politik der Bundesbank mit ihrer speziellen Zielsetzung einen Beitrag zur inhaltlichen Gestaltung der Bundesrepublik Deutschland.

B. Notenbankpolitik und Europäische Währungsunion

Es gibt keinen einheitlichen allgemeingültigen Geldbegriff. Entsprechend den Geldfunktionen wird auch die Geldmenge unterteilt l8 . Nach der Tauschmittelfunktion werden Bargeldumlauf mit den im Umlauf befindlichen Münzen und Banknoten (B) und den Sichtguthaben der Nichtbanken bei Kreditinstituten (D) als MI bzeichnet: MI = B + D. Mit ihnen werden gewöhnlich die Güter und Dienste des Alltags gekauft. Geht man nach der Zahlungsmittelfunktion, sind auch kurzfristigen Terrningelder (D zu berücksichtigen, also M 2 = B + D + T. Wird Geld unter dem Gesichtspunkt der Wertaujbewahrung gesehen, kommen die Sparguthaben (S) hinzu. Darum lautet die Definition von

17

18 19

Schmitz, Walter, Währungsethik, S. 290. S. oben Kapitel 2. Issing, ütmar, Einführung, S. 6ff.

6 Kramer

82

6. Kapitel: Das ethische Problem der Geldwertstabilität

Zu diesem Zenralbankgeld gehört auch das Mindestreservesoll der Kreditinstitute auf die Einlagen der inländischen Nichtbanken. In den meisten Ländern sind heute die Geschäftsbanken verpflichtet, solche Mindestreserven in der Form von Sichtguthaben bei den Notenbanken zu halten 2o . Wenn von der Geldpolitik der Bundesbank gesprochen wird, dann wird darunter ihre Geldmengenpolitik verstanden. Die Bundesbank verwendet den Begriff Zenralbankgeldmenge, wenn sie allgemein vom Geldmengenziel spricht. Damit meint sie "das Mindestreservesoll zu konstanten Reservesätzen und den Bargeldumlauf.2l. Eine bloße Einhaltung des Geldmengenzieles garantiert nach Heinrich Irmler noch keineswegs "den angestrebten stabilitätspolitischen Erfolg,,22. Eine Inflation bringt den Lenkungsmechanismus der Marktwirtschaft in Unordnung. Der Stabilitätsprozeß ist in solchen Zeiten besonders gefährdet. Herrscht nur eine schleichende Geldentwertung, wird für viele der langsam voranschreitende Prozeß verhüllt. Denn er verschleiert die Zusammenhänge und führt zu Fehlallokation der Ressourcen und damit auch zu Wachstumseinbußen 23 . Hans Willgerodt spricht von der Inflation als von einer "Mogelpackung,,24. Denn der Staat greift mit seiner Politik in das Geldwertsystem ein, und die entstehende Geldentwertung ist nichts anderes als eine "Verallgemeinerung der Mogelpackung". Der Staat trägt direkt oder indirekt für die Stabilität der Währung die entscheidende Verantwortung. Der Geldwert kann durch staatliche Ausgaben-, Schulden-, Steuer- oder Währungspolitik (z. B. Devisenbewirtschaftung) in erheblicher Weise beeinflußt werden. Als man in der Zeit der Großen Koalition in Deutschland während der siebziger Jahre den Prozeß der Inflation verharmloste, rief der damalige Wirtschaftsminister Karl Schiller den Parlamentariern, vor allem den eigenen SPDParteimitgliedern, zu: "Stabilität ist nicht alles, aber alles ist nichts ohne Stabilität". In ähnlicher Weise hatte sich bereits früher Walter Eucken mit Blick auf den Wettbewerb für eine Stabilitätspolitik eingesetzt: "Alle Bemühungen, eine Wettbewerbsordnung zu verwirklichen, sind umsonst, solange eine gewisse Stabilität des Geldwertes nicht gesichert ist,,25. Auch die Deutsche Bundesbank hat nach § 3 des Gesetzes über die Bundesbank vom 26. Juli 1957 die Aufgabe, den Geldumlauf und die Kreditversorgung mit dem Ziel zu regeln, die Währung zu sichern. Wie konkret dieses Ziel der Währungssicherung durchgeführt werden soll, hat der Gesetzgeber allerdings nicht bestimmt. Aber als oberster ethischer Wert innerhalb der Issing, Otmar, Einführung, S. 4. Irmler, Heinrich, Geldpolitik aus der Sicht der Deutschen Bundesbank in: Geldordnung und Geldpolitik in einer freiheit-lichen Gesellschaft, Hrsg. Joachim Starbatty, Tübingen 1982, S. 70. 22 Irmler, Heinrich, Geldpolitik, S. 70. 23 Schmitz, Wolfgang, Währungsethik, S. 380. 24 Zitat aus: Song, Xinyu, Prinzipien, S. 162. Vgl. oben S. 78. 25 Zitat aus: Hesse, Helmut, Moral der Stabilitätspolitik, in: Geld und Moral, Hrsg. Helmut Hesse und Otmar Issing, München 1994, S. 43. 20 21

I. Das Primat der Währungspoiltik

83

Zielsetzung dieser Bank ist er immerhin genannt. Das Ziel der Währungs stabilität kann in einer doppelten Weise interpretiert werden. Zum einen ist darunter die Sicherung des Binnenwertes (Preisniveaustabilität), zum anderen die des Außenwertes (Wechselkursstabilität) zu verstehen. Die Festsetzung des Wechselkurses erfolgt aufgrund des Beitritts der Bundesrepublik zum Internationalen Währungsfonds aus dem Jahr 1952 und zu anderen Abkommen bzw. gesetzlichen Bestimmungen26 • Eine Wechselkursänderung bedarf freilich nach dem Beitritt zum Internationalen Währungsfonds und dem damaligen EWG-Abkommen der Konsultation bzw. der internationalen Zustimmung. Die Notenbank dagegen ist nur anzuhören. Nach Gründung des Europäischen Währungssystem vom 13. März 1979 vollzieht sich die Wechselkursfestsetzung durch das gegenseitige Einvernehmen der Mitgliedsländer. Denn für jede Mitgliedswährung ist ein Leitkurs gegenüber der neugeschaffenen Europäischen Währung (ECU, European Currency Unit) gültig. Die dadurch entstehenden bilateralen Wechselkurse zwischen den einzelnen Währungen der Mitgliedsländern besitzen eine maximale Bandbreite von +/- 2,5%. Im Falle eines Erreichens der jeweiligen Interventionspunkte muß die Bundesbank eingreifen. Mit Beginn des Jahres 1994 und der Einrichtung des Europäischen Währungsinstituts (EWI) sollte die Harrnonisierung der nationalen Geldpolitiken vorangetrieben werden. Freilich bleibt die Geldpolitik auch in dieser Phase in der Verantwortung der nationalen Notenbanken. Das ändert sich erst mit dem Inkrafttreten der Währungsunion, also spätestens 1999. Die Bundesregierung ist in volkswirtschaftlicher Hinsicht mit dem Ausland an unterschiedlichen geldpolitischen Entscheidungen beteiligt, übt ebenso ihren Einfluß innerhalb der Beziehungen zwischen internationalen Währungsorganisationen aus und gestaltet schließlich auch den Geld- und Kapitalverkehr mit dem Ausland. Andererseits kann die Deutsche Bundesbank auf den Außenwert Einfluß ausüben, indem sie die Politik eines Zahlungsbilanzausgleichs anstrebt oder indem sie indirekt ihren Einfluss geltend macht. Denn schließlich kann sie durch ihre Zinspolitik den Zustrom bzw. Abfluß von ausländischen Zahlungsmitteln (Devisen) beeinflussen (Kapitalimport bzw. Kapitalexport). Die Währungssicherung wird ferner, wie bereits bei den Außenbeziehungen dargelegt, durch viele Faktoren beeinflußt, die außerhalb des Einflußbereichs der Notenbank selbst liegen. In erster Linie sind es die Wirtschafts-, Finanz- und Gesellschaftspolitik des eigenen Staates und natürlich auch die Währungspolitik der anderen Staaten. Darum müssen auch Notenbank- und Regierungspolitik aufeinander abgestimmt werden. Diesem Ziel haben sich andere Politiken, z. B. die Sozialpolitik, zu unterwerfen. In der ordoliberalen Schule, aus der die soziale Marktwirtschaft erwachsen ist, spielt der monetäre Rahmen der Wirtschaft eine herausragende Rolle. Man wollte - wie bei der Bundesbank geschehen - die Ausgabe von Banknoten nicht privaten Wirtschaftssubjekten überlassen. Sie muß eine hoheitli26

6*

Vgl. Issing, Otmar, Einführung in die Geldpolitik, München 51993, S. 31f.

84

6. Kapitel: Das ethische Problem der Geldwertstabilität

che Aufgabe sein und bleiben. Aber andererseits wußte man auch etwas von der Versuchung, die Politiker befällt, wenn sie einen solchen Zugang zur Notenpresse besitzen. Deshalb plädierte man für die Unabhängigkeit der Notenbank. Gleichzeitig sollte sie und die Leiter der Geldpolitik in bestimmte Regeln für ihr Handeln eingebunden werden. Wie schwer es ist, das zentrale Ziel der Währungspolitik durch die Geldpolitik der Notenbank zu wahren, hat der frühere Bundesbankpräsident Helmut Schlesinger einmal so umschrieben: "So wie die Geldpolitik politisch vielfach gesehen wird - nämlich als Schrank von leicht zu verordnenden Medizinen: Um die Konjunkturlokomotive ,unter Dampf' zu setzen, als Mittel zur Erleichterung der Defizitfinanzierung des Staates, gegen Zins steigerungen und gegen Arbeitslosigkeit und schließlich gegen Ungleichgewichte in der Zahlungsbilanz oder zumindest gegen unliebsame Wechselkursbewegungen - ist es außerordentlich schwierig, demgegenüber das zentrale Ziel der Geldpolitik durchzusetzen: nämlich für einen stabilen Geldwert zu sorgen. Mit diesem zentralen Ziel kommt es leicht zu Kollisionen, wenn die Geldpolitik sich stärker um die Erreichung einer der eben genannten Zielsetzungen bemüht,,27. Beim Aufkommen einer inflationären Entwicklung besteht für die Notenbank Handlungsbedarf. Allerdings ist der Prozeß der Inflation oft nicht eindeutig bestimmbar. Denn es ist nicht genau zu erkennen, ob die Güterpreise steigen, weil Inflation herrscht, oder ob vielmehr Knappheit gegeben ist, die dann die Preise ansteigen läßt28 . Beim Einsetzen eines inflationären Prozesses treten bestimmte Folgen auf. Die wichtigsten sind: Nominale Vermögenswerte werden zu Gunsten von Realwerten abgestoßen, es finden Vermögensverlagerungen in stabilere Länder statt, das Investitionsklima verschlechtert sich, die Kapitalbildung verringert sich, da Steuern auf das Nominal- und nicht auf das Realvermögen erhoben werden29 . Seit einigen Jahrzehnten beherrscht die Vorstellung vom "magischen Vieleck" die wirtschaftspolitische Diskussion. Die Politik einer Durchsetzung des "magischen Vielecks,,3o sucht die verschiedenen Zielautonomien wie Vollbeschäftigung, Geldwertstabilität, Ausgleich der Zahlungsbilanz, angemessenes Wirtschaftswachsturn etc. zu harmonisieren. Für unsere Fragestellung sind vor allem die Verhältnisse von: Geldwertstabilität und Vollbeschäftigung, Wirtschaftswachstum und Zahlungsbilanzausgleich von Bedeutung.

27 Schlesinger, Helmut, Geldpolitik der Deutschen Bundesbank 1967-1977, in: Geld- und Währungspolitik im Umbruch, in: Schriften zur monetären Ökonomie, Hrsg. W. Ehrlicher, D. Duwendag, Baden-Baden 1983, S. 83. 28 V gl. Hesse, Helmut, Moral, S. 43. 29 Hesse, Helmut, Moral, S. 43f. Vgl. auch oben S. 78 u. 82. 30 Kramer, Rolf, Verantwortung, S. 177ff.

11. Geldwertstabilität und Vollbeschäftigung

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11. Geldwertstabilität und Vollbeschäftigung Zwar wird dem Verhältnis von Geldwertstabilität und Vollbeschäftigung augenblicklich in Deutschland nicht mehr die Bedeutung wie noch vor einigen Jahrzehnten beigemessen, als in der westdeutschen Wirtschaft Vollbeschäftigung herrschte. Dennoch ist die Frage, ob eine stabile Währung auch auf dem Weg zur Vollbeschäftigung möglich bzw. nötig ist, von grundsätzlicher Art. Die beiden momentan wichtigsten Arten von Arbeitslosigkeit, die konjunkturelle und die strukturelle, haben eine gesamtwirtschaftliche Ursache. Vollbeschäftigung rangiert als Ziel der Wirtschaftspolitik bei Gewerkschaftern, Politikern und bei vielen Ökonomen sogar noch vor dem der Währungsstabilität. Keine große Industriemacht kann sich politisch und ökonomisch eine Arbeitslosigkeit längerfristig leisten. Daraus resultieren auch die von den Verantwortlichen gemachten unterschiedlichsten Vorschläge zur Wiederherstellung der Vollbeschäftigung: Von den Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (ABM) bis zu großzügigen staatlichen Arbeitsplatzsubventionen. Die währungspolitische Gefahr liegt in einer eventuell auftretenden Geldwertinstabilität, also in der Inflation. Darum stehen sich gleichsam antinomisch die Forderung nach einer Vollbeschäftigungspolitik und nach der Erhaltung der Währungs stabilität gegenüber. Menschen, die in ihrem Leben zwei Inflationen durchgemacht und damit auch den Verlust aller angesammelten Ersparnissen zu beklagen haben, wissen, wie leidvoll ein solcher Vermögensverlust ist, und wieviel Not er mit sich bringt. Darum stellt sich die Frage, ob nicht bei einer einigermaßen sozial abgesicherten Arbeitslosen- Situation eher eine Arbeitslosigkeit in Kauf genommen werden kann, als daß ein ganzes Volk auf die von ihm angesammelten Geld- und Kapitalvermögenswerte verzichtet. Inflation führt zu einer Minderung der Vermögenswerte und greift in das Eigentum der Bürger ein. In Deutschland beschwört der Verlust des Geldwertes einen Konflikt mit der Eigentumsgarantie nach § 14 des Grundgesetzes herauf. Denn eine Gefährdung des Geldwertes bedeutet schließlich auch seine Gefährdung 31 • Während bei einer Inflation der Sachwertbesitzer von der Geldentwertung verschont bleibt, hat der, dessen Vermögen in Geldtiteln besteht, den Kaufkraftschwund zu tragen. Bei der Währungsstabilität geht es nicht um die Wahrung des Außenwertes des Geldes, also des Wechselkurses, sondern um den Binnenwert und damit um die Kaufkraft. Allgemein wird zwar mit der Währungsstabilität die Stabilität der Konsumgüterpreise verstanden, aber sie umfaßt mehrere Preisindices (so z. B. die Großhandelspreise, Investitionsgüterpreise etc. )32. Die Instabilität des Geldes kann verschiedene Gründe haben: 1. Der Druck kann von der Kostenseite kommen. Lohn- oder auch Kapitalkosten können die eigentlichen Verursacher sein. Gründe dafür können überproportio31 32

Vgl. Weber, Wilhelm, Geldwert, S. 121. Vgl. oben S. 78. Vgl. Weber, Wilhelm, Geldwert, S. 118.

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6. Kapitel: Das ethische Problem der Geldwertstabilität

nale Lohnforderung durch die Gewerkschaften sein, um den Kaufkraftverlust aufzufangen. 2. Eine Geldwertinstabilität kann allerdings auch durch einen Nachfragesog hervorgerufen werden. Dieser kann durch staatliche Steuer- und Finanzpolitik oder durch einen privaten Konsumanstieg entstehen. Auch ein Nachfrageanstieg bei Produktionsgütern kann als Ursache für eine inflationäre Entwicklung denkbar sein. 3. Ebenfalls eine Einschränkung des Wettbewerbs und die damit verbundene Konzentration kann zu einer Instabilität des Geldwertes führen. Geldentwertung zieht durchgängig bestimmtes menschliches Verhalten nach sich. Auf der Konsumentenseite führt die Angst vor weiteren Kaufkraftverlusten zu einem verstärkten Konsum bei gleichzeitig verringerter Spameigung. Denn Sparen lohnt sich nicht (mehr). Ebenso werden die Unternehmer in Erwartung weiterer Konsumsteigerungen erhöhte Investitionen vornehmen. Die Geld- und Währungsunsicherheit und die mit dem Währungs verfall verbundene Armut führt dann langfristig insgesamt zu einer ökonomischen und politischen Instabilität. Ist dagegen der Wert des Geldes stabil, gewinnt der einzelne Bürger das Gefühl von Sicherheit und Freiheit. Der Mensch, der für seine Wünsche und Bedürfnisse zu zahlen bereit und in der Lage ist, kann sich viele (materielle) Freiheiten leisten. Die Konsumfreiheit ist sicher nicht die höchste Freiheit, aber sie gehört schon zur Marktwirtschaft und zum gesellschaftlich- demokratischen Leben hinzu. Geldwertstabilität ist deshalb so wichtig, weil durch sie die soziale Gerechtigkeit erhalten oder weiter entwickelt werden kann. Außerdem ist es möglich, die Ordnung einer freiheitlichen Gesellschaft in Verbindung mit dem erworbenen Wohlstand zu erhalten. In der evangelischen Sozialethik wie in der katholischen Soziallehre wird die Forderung nach Währungs stabilität sehr unterschiedlich vertreten. Bei den Soziallehrern bzw. Ethikern, die sich für das Privateigentum stark machen, rangiert die Währungsstabilität vor der Forderung nach Vollbeschäftigung 33 .

III. Währungsstabilität und Wirtschaftswachstum Der Wachstumsprozeß ist nicht allein ein rein güterwirtschaftlicher, sondern auch ein ökonomischer Prozeß im Dienstleistungsbereich. Er kann darüber hinaus auch ein kultureller, soziologischer und politischer Vorgang sein. Gerade in einer Zeit hohen Standards geht es nicht allein um eine Erweiterung konsumorientierter Produktion, sondern auch um ein Wachstum nach innen und damit um eine Erhö33

Vgl. Weber, Wilhe1m, Geldwert, S. 136 Anm. 3.

IV. Währungs stabilität und Zahlungsbilanzausgleich

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hung der Lebensqualität durch ein Wachstum im tertiären Bereich. Allgemein läßt sich sagen, daß ein volkswirtschaftliches Wachstum den Menschen vom Zwang befreit, seine ganze Energie auf die Beschaffung von Nahrung, Kleidung und Wohnung zu verwenden. Beim Wachstumsprozeß muß es um eine angemessene Erhöhung des realen Sozialprodukts gehen. Eine steigende Rate wird vor allem auf dem Industriesektor erreicht. Dazu gehören Investitionen mit einem hohen Kapitaleinsatz im Verhältnis zum Produktionsergebnis. Wachstum im Verkehrs-, Gesundheits- und Bildungsbereich kann sowohl von quantitativer wie qualitativer Art sein. Auch Investitionen in die Verbesserung der Infrastruktur machen vielfältig den Wachstumsprozeß aus. Wer sich für ein Wirtschaftswachstum einsetzt, verlangt freilich nicht einen ungezügelten, sondern einen stetigen Wachstumsprozeß und damit eine langfristige Vergrößerung des Sozialprodukts 34 • Die Wachstumsdynamik hängt von der Erhöhung des Arbeitsangebots und seiner Qualifizierung, dem technischen Fortschritt und der Verbesserung der betrieblichen Organisation, ab. Mit einem solchen Prozeß muß die Stabilität des Geldwertes verbunden sein. Oft aber hat man von einer schleichenden Inflation gleichsam als einer Vorbedingung für ein solches ökonomische Wachstum gesprochen. Nur, wer kann versprechen, daß es bei einer schleichenden Inflation bleibt? Es kann sich leicht eine galoppierende Inflation als Folgeerscheinung daraus entwickeln. Wirtschaftswachstum wird nie durch eine wie auch immer geartete Inflation erkauft. Andererseits ist eine Währungsverschlechterung, wie wir gesehen haben, keineswegs allein die Folge eines Wachstumsprozesses.

IV. Währungsstabilität und Zahlungsbilanzausgleich Als Zahlungsbilanz bezeichnet man alle ökonomischen Transaktionen zwischen In- und Ausländern in einer bestimmten Periode35 . In der Gegenüberstellung von Geldwertstabilität und Zahlungsbilanzausgleich geht es um die Stabilität des Binnenwertes des Geldes bzw. um die inländische Kaufkraft. Die durch den Leistungsaustausch mit anderen Volkswirtschaften erzielten Salden haben selbstverständlich Einfluß auf die Binnenwirtschaft und auch auf den Binnenwert des Geldes. Wachsende Importe bedeuten eine bessere Versorgung, und steigende Exporte führen bei nicht ausgelasteten Produktionsstätten zur Erhöhung der Einkommen. Auch vom Sachverständigenrat zur Begutachtung der deutschen Wirtschaft wird aufgrund des Gesetzes zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft das außenwirtschaftliche Gleichgewicht als eine der Zielsetzungen neben der Stabilität des Preisniveaus und eines hohen Beschäftigungsstands gefordert36 • Die Möglich34 35 36

Vgl. Kramer, Rolf, Verantwortung, S. 183ft. Vgl. Kramer, Rolf, Verantwortung, S. 195f. Vgl. Bundesgesetzblatt 1967 Teil I, S. 582.

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6. Kapitel: Das ethische Problem der Geldwertstabilität

keit eines Ausgleichs der Zahlungsbilanz ist sowohl unter Geldwertstabilität als auch bei einer Inflation zu vereinbaren. Als wirtschaftspolitisches Ziel wird zwar vielfach der Ausgleich der Zahlungsbilanz gefordert. Aber ein solcher Ausgleich ,an sich' bringt noch keinen Nutzen. Denn es könnte sogar das Streben nach einem Zahlungsbilanzdejizit zur Geldwertstabilität wirtschaftspolitisch sinnvoller sein als etwa der Zahlungsbilanzausgleich.

V. Geldwertstabilität im neuen Europa A. Die Wirtschafts- und Währungsunion (WWU) Die Anfänge der währungspolitischen Integration gehen letztlich in die fünfziger Jahre zurück. Die Europäische Währungsgemeinschaft, die Schaffung von festen Wechselkursen im europäischen Wechselkursverbund mit seiner "Währungsschlange" zu Beginn der siebziger Jahre und der Aufbau des Europäischen Währungssystems (EWS) waren die Grundpfeiler für das heutige System der Europäischen Währungsunion. In dem vorangegangenen System aber waren die beteiligten Ländern noch nicht bereit, ihre innere Geld- und Finanzpolitik der äußeren Währungspolitik unterzuordnen. Mit dem Vertrag von Maastricht hat die Währungsunion Europas eine neue Dimension erreicht. Am 11. Dezember 1991 haben die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Gemeinschaft (EG) in Maastricht Änderungen am Vertrag der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) und einen Zeitplan zur Schaffung der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion (WWU) beschlossen. Die Europäische Gemeinschaft hat dann mit dem am 7. Februar 1992 in Maastricht unterzeichneten "Vertrag über die Europäische Union" die Weichen für eine vertiefte Integration in Europa gestellt. Die erste Stufe war am 1. Juli 1990 mit der Liberalisierung des Kapitalverkehrs begonnen worden. In der zweiten Stufe wurde vom 1. Januar 1994 an die monetäre Institution konstituiert (EWI), die die Koordination der nationalen Geldpolitiken fördern und die der Zusammenarbeit zwischen den Zentralbankstaaaten der am EWS beteiligten Staaten dienen soll. Außerdem sah der Maastrichter Vertrag für die zweite Stufe vor, daß die einzelnen Staaten der Gemeinschaft ihren öffentlichen Sektor nicht mehr über Notenbankredite finanzieren dürfen. Die dritte und letzte Stufe soll voraussichtlich am 1. Januar 1997 beginnen. Die Voraussetzung dafür ist allerdings, daß die Mehrheit der EG- Mitgliedsstaaten die noch näher zu benennenden ökonomischen Konvergenzkriterien erfüllt. Im anderen Fall soll ihre Verwirklichung am 1. Januar 1999 automatisch in Kraft treten. Allerdings sind die Daten für die dritte Stufe bis heute umstritten. Denn nach dem Stand von 1994 haben eindeutig nur Deutschland und Luxemburg die Konvergenzkriterien erfüllt37 • Ob das in Zukunft so bleiben wird, 37 Vgl. Sachverständigenrat Jahresgutachten zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung 1994/95 Drucksache 13/26 vom 21. 11. 94 Z. 150 u. 358. Vgl. unten S. 92.

V. Geldwertstabilität im neuen Europa

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ist mindestens heute noch zu fragen. Denn es läßt sich für Deutschland bereits im Jahr 1995 absehen, daß die Schuldenquote die Sechzig-Prozent-Marke infolge der Einheitskosten überschreiten wird. Aber die ökonomischen Konvergenzkriterien sollten, wie der Sachverständigenrat in seinem Gutachten von 1994 mit Recht geschrieben hat 38 , nicht aufgeweicht werden. "Hier darf es in keinerlei Richtung Kompromisse geben, anderenfalls würde die künftige Europäische Zentralbank unter Bedingungen starten, die das Risiko eines stabilitätspolitischen Fehlschlags in sich tragen,,39. Auch unter ethischem Gesichtspunkt wäre eine Laxheit bei der Auslegung dieser Aufnahmebedingungen verhängnisvoll. Das Vertrauen in die europäische Währung würde im anderen Fall stark erschüttert. Es bedarf noch vieler Anstrengungen, wenn in allen zwölf Mitgliedsländern die Kriterien bis zum Beginn der dritten Stufe erfüllt sein sollen. Die ersten Schritte zur gemeinsamen Geld- und Währungspolitik in Europa sind also getan. Kern der umfangreichen Vereinbarungen ist die nachhaltige Vertiefung der Integration zwischen den europäischen Mitgliedsstaaten durch die Schaffung einer europäischen Wirtschafts- und Währungsunion. Zentrale Punkte sind die gemeinsame Währung und die einheitliche Geld- und Währungspolitik. Dazu wird zum einen eine europäische Zentralbank geschaffen, die als vorrangigem Ziel der Preisstabilität verpflichtet ist. Sie soll unabhängig und dementsprechend keiner politischen Weisung unterworfen sein. Als Europäische Zentralbank darf sie keine öffentlichen Defizite finanzieren. Der politischen Einigung in Europa soll das Instrument der Währungsunion dienen. Deren Ziel ist eine Stabilitätsgemeinschaft mit einer zu schaffenden Einheitswährung, die einen Härtegrad besitzt, der möglichst dem der DM entspricht. Diese gilt nämlich als "Anker im europäischen Währungssystem,,40. Preis stabilität heißt, daß man tendenziell eine Inflationsrate von Null anstrebt. Vor einer Relativierung der Währungs stabilität ist zu warnen. Die Zeche bei einer Aufweichung der Stabilität zahlt immer die Bevölkerung und damit der sogenannte "kleine Mann" auf der Straße. Auch für die Währungsunion gilt, was speziell für die Sozialstrukturen von der Kammer für Soziale Ordnung im Auftrage der EKD ausgesagt wurde, daß die Bevölkerung sich dann besonders motiviert fühlt, sich auch gravierenden Veränderungen anzupassen, wenn das Notwendige zu dem bisher erfahrenen Guten in einem akzeptablen Verhältnis gesetzt werden kann. Dabei muß dann gelten, "daß der Schutz des einzelnen und seiner menschlichen Beziehung vor technischen, wirtschaftlichen und administrativen Übeljorderungen ... die Aufgabe der öffentlichen Instanzen auf nationaler wie auf internationaler Ebene" ist41 . 38 Vgl. Sachverständigenrat Jahresgutachten zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung 1994/95 Drucksache 13/26 vom 21. 11. 94 Z. 357. 39 Sachverständigenrat Jahresgutachten zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung 1994/95 Drucksache 13/ 26 vom 21. 11. 94 Z. 357. 40 Sachverständigenrat Jahresgutachten zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung 1992/93 Drucksache 12/3774 Z. 428.

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6. Kapitel: Das ethische Problem der Geldwertstabilität

B. Die Europäische Währung Über die Schaffung einer einheitlichen europäischen Währung, speziell über den ECU (European Currency Unit) - sie wird wohl in Zukunft den Namen Euro erhalten - und dem seit 1994 eingerichteten Europäischen Währungsinstitut (EWI) wurde bereits gesprochen42 . Mit der Errichtung der Europäischen Zentralbank (EZB) wird das EWI aufgelöst, das nur eine Übergangsfunktion zu erfüllen hat. Mit Beginn der dritten Stufe zur Bildung der Wirtschafts- und Währungsunion (WWU), die spätestens 1999 erfolgen so1l43, geht die Zuständigkeit für die nationale Geldpolitik auf das neu zu schaffende Europäische System der Zentralbanken (ESZB) über. Dieses besteht aus der Europäischen Zentralbank und den einzelnen Notenbanken. Auch die Europäische Zentralbank ist verpflichtet, sich für die Preisstabilität als vorrangiges Ziel einzusetzen. Nur insoweit diese Zielsetzung für die EZB ohne eine Beeinträchtigung möglich ist, darf sie die allgemeine Wirtschaftspolitik der Länder unterstützen. Sie wird sich also hüten, eine Politik des billigen Geldes zur Erzielung von Wachstum oder Vollbeschäftigung zuzulassen. Die bereits bestehende künstliche Eurowährung des ECU stellt sich als Warenkorb (Währungskorb) dar, in dem die einzelnen nationalen Währungen je nach ihrem ökonomischen Gewicht vertreten sind. Die DM ist mit 30,1 Prozent beteiligt. Bei einer endgültigen Feststellung werden die einzelnen Währungen, die bereits durch einen festen Leitkurs miteinander verbunden sind, und die dann über zwei Jahre vor der Fixierung des ECU unverändert geblieben sind, unumstößlich festgeschrieben. Mit der Einführung des ECU sind aufgrund der festgesetzten Umtauschkurse zu Beginn der Endstufe derWWU keine Änderungen im Realwert der Geldforderungen und Geldverbindlichkeiten verbunden 44 . Außer diesem institutionellen Rahmen müssen vor allem ökonomische Voraussetzungen geschaffen werden 45 . Zur Stabilität der nationalen Währung und des gesamten Währungssystems müssen folgende Konvergenzkriterien von dem einzelnen Land erfüllt sein: 1. Die Inflationsrate während des letzten Jahres darf nicht mehr als 1,5 Prozent-

punkte über der durchschnittlichen Inflationsrate der drei EG-Länder mit den niedrigsten Preissteigerungsraten liegen. Es muß also ein hohes Maß an nominaler Konvergenz erzielt werden. Dieses Kriterium ist gefährlich. Denn es kann sich dadurch ein besonderes Maß an Instabilität herausstellen. Mit der Relati-

41 EKD, Kammer der Ev. Kirche für Soziale Ordnung, Verantwortung für ein soziales Europa, Gütersloh 1991, Z. 26. 42 S. 6. Kapitel Abschnitt I.B. 43 Ob das möglich ist, wird im Augenblick (1995) immer noch nicht ganz sicher. 44 V gl. Monatsberichte der Deutschen Bundesbank, Februar 1992, S. 56. 45 Sachverständigenrat Jahresgutachten zur Begutachtung der gesarntwirtschaftlichen Entwicklung 1992/93, Drucksache 12/3774, Z. 423ff. Vgl. auch: Monatsberichte der Deutschen Bundesbank, Februar 1992, S. 50f.

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V. Geldwertstabilität im neuen Europa

vierung des Stabilitäts zieles könnte nämlich ein Land auch mit einer Inflationsrate von 5 - 6% der Währungsunion beitreten, wenn die drei "stabilsten" Ländern bei einer Inflationsrate von 4% liegen. 2. Der Anteil der gesamten Staatsverschuldung jedes Mitgliedes darf nicht über 60 Prozent des Bruttoinlandsproduktes hinausgehen. Die daraus abgeleitete jährliche Neuverschuldung des Staates darf nicht drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts überschreiten. Wichtig für die stabilitätsorientierte Politik ist, daß die Teilnehmerländer dauerhaft eine solide Haushaltspolitik betreiben. 3. Von dem einzelnen Land darf in den letzten beiden Jahren vor Eintritt in die Endstufe der Währungsunion keine Abwertung auf eigenen Wunsch vorgenommen worden sein. 4. Im jeweiligen Land dürfen im Verlauf eines Jahres vor der Prüfung die durchschnittlichen langfristigen Zinssätze nicht mehr als zwei Prozentpunkte über dem entsprechenden Satz in den drei Ländern mit der niedrigsten Inflationsrate liegen. 5. Der Wechselkurs einer Währung muß gegenüber den anderen Mitgliedsländern mindestens über zwei Jahre ohne größere Spannungen gehalten worden sein 46 . Es sind vor allem diese Kriterien, die bei der Währungsunion eine Rolle spielen: Der hohe Grad der Preisstabilität, tragbare öffentliche Finanzen, stabile Wechselkurse und niedrige langfristige Zinsen.

46 Solche Konvergenzkriterien werden immer wieder von der Deutschen Bundesbank veröffentlicht. Als Beispiel eine Zusammenstellung aus der FAZ vom 16. Febr. 1995 für das Jahr 1994:

Land Belgien Dänemark Deutschland Frankreich Griechenland Großbrit. Irland Italien Luxembg. Niederlande Portugal Spanien WWU Schwellenwert

Inflationsrate* 2,6 x 1,8 x 2,8 x 1,7 x 10,8 2,5 x 2,8 x 4,0 2,3 x 2,3 x 5,5 4,9

3,4

Haush.-Defizit** -5,5 -4,3 -2,9 x -5,6 -14,1 -6,3 -2,4 x -9,6 1,3 x -3,8 -6,2 -7,0

Schuldenstand** 140,1 78,0 51,0 x 50,4 x 121,3 50,4 89,0 123,7 9,2 x 78,9 70,4 63,5

Zinsen 8,4 9,1 7,7 8,2 18,3 8,9 9,0 12,4 . /. 7,8 11,7 11,8

-3,0

60,0

10,4

*WWU-Schwellenwert: Durchschnitt der drei preisstabilsten Länder zuzügl. 1,5 Prozentpunkte. x bezeichnet erfüllte Werte. ** Fin. Saldo: - bei Fin.-Defizit, + bei Fin.-Überschuß bei der Verschuldung und Bruttoschuldenstand der öffentlichen Haushalte in Prozentpunkten des Bruttoinlandproduktes. Bei den Zinsen handelt es sich um Renditen langfristiger öffentlicher Anleihen in Prozentpunkten.

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6. Kapitel: Das ethische Problem der Geldwertstabilität

Ob die angestrebten Maastrichtkriterien ausreichen, langfristig die Geldwertstabilität zu gewährleisten, ist keineswegs unumstritten. Denn es muß gefragt werden, ob eine einmalige Anwendung der Kriterien ausreiche. Oder muß nicht sichergestellt werden, daß auch in Zukunft die anzuwendenden Kriterien eingehalten werden. Vor allem das Kriterium der öffentlichen Finanzen wird am stärksten kritisiert. Das hat mehre Gründe: Zum einen wird es im Maastrichter Vertrag vage formuliert. Zum anderen wird dieses Kriterium, wie aus der Tabelle ersichtlich, 1995 allein von Deutschland und Luxemburg erfüllt. 1996 aber liegt die staatliche Neuverschuldung in Deutschland voraussichtlich bei mehr als 3 % vom Bruttoinlandsprodukt. Daß eine anhaltend hohe Staatsverschuldung eine Währungsinstabilität hervorruft, ist ökonomisch verstehbar. Dafür aber, daß diese gerade durch eine Staatsverschuldung von mehr als 60 % des Bruttosozialprodukts und eine Neuverschuldung von mehr als 3% hervorgerufen wird, gibt es keine logische Begründung. Es sind willkürlich gesetzte Grenzwerte. Auch müßte weiter kritisch bedacht werden, daß eine strikte Einhaltung dieses Kriteriums um jeden Preis eine eventuell beginnende wirtschaftliche Erholung negativ beeinflussen könnte. Ferner sollte berücksichtigt werden, ob der Staat seine Schulden für produktive Investitionen oder Gehaltszahlungen macht. Schließlich ist nach dem Maastrichter Vertrag nur sehr unzureichend geregelt, wie eine solide Haushaltspolitik nach dem Beginn der Währungsunion durch alle Teilnehmer gewährleistet werden kann. Es sind zwar Sanktionen beschlossen. Aber ob diese wirklich und zügig greifen, wird unterschiedlich beurteilt. Hier müßte wohl eine Nachbesserung mit dem Ziel einer Abschreckung beschlossen werden. Damit kein Land in die Gefahr einer Diskriminierung geriete, sollten insbesondere automatische Sanktionen eingeführt werden. Auch ist kritisch anzumerken, daß die vorgesehene Wirtschaftspolitik durch das Verhalten anderer ebenfalls am wirtschaftlichen Prozeß beteiligter Gruppen, etwa durch die Tarifparteien oder den Staat selbst, an ihrer Zielsetzung gehindert werden kann. Weiterhin sind im Vertrag auch Ausnahmeklauseln vorgesehen. Denn ein Land kann selbst dann aufgenommen werden, wenn eine der beiden Prozentsätze überschritten werden. Es müssen nur Fortschritte im Abbau des Staatsdefizits oder der Schuldenquote zu erkennen sein. Diese Entscheidung treffen dann nicht Ökonomen, sondern Politiker mit einem entsprechenden Ermessensspielsraum. Schließlich kann das Zinskriterium, wie bereits unter Punkt eins angedeutet, sehr großzügig ausgelegt werden, wenn die Mitgliedsländer bereits auf einem hohen Inflationsniveau einsteigen. Denn die Orientierung an den Zinsen der drei Länder mit der geringsten Inflationsrate bedeutet ja nicht, daß bei ihnen die niedrigsten Zinsen der Gemeinschaft zu finden sind. In der Einschätzung über die etwaigen Risiken stehen sich allerdings heute immer noch zwei Lager gegenüber. Die eine Seite glaubt oder besser befürchtet, daß die Preisniveaustabilität nicht durch die künftige Europäische Zentralbank ver-

V. Geldwertstabilität im neuen Europa

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wirklicht werden könne. Denn schließlich sei zwar die europäische Geldpolitik nicht teilbar, aber nationale Willensbildungsprozesse könnten ebenfalls nicht ausgeschlossen werden. Danach könnte eine "laxe Geldpolitik" in der WWU "von einer unsoliden Finanzpolitik oder einer aggressiven Lohnpolitik in einzelnen Ländern begleitet oder durch sie erzwungen" zukünftig in der Gemeinschaft eine Chance haben47 . Die andere Seite sieht zwar auch diese Risiken, aber hält sie für begrenzbar und meint, daß "die europäische Notenbank dank ihres supranationalen Charakters besser vor stabilitätswidrigen Fremdeinflüssen geschützt werde, als es gegenwärtig die nationalen Notenbanken seien,,48. Mit der neuen Geldwährung würde eventuell eine Verobjektivierung der Geldversorgung erfolgen, die national so nicht machbar ist. In jedem Fall ist zu erkennen, daß mit Hilfe einer einheitlichen Europäischen Währungsunion der Außenhandel der Mitgliedsländer nicht nur gefördert, sondern von hohen Transaktionskosten entlastet wird. Immerhin betragen sie heute noch ca. 45 Mrd. DM. Das bedeutet, im europäischen Binnenmarkt werden nach Wegfall eines Währungsrisikos Investitionen besser zu kalkulieren und Güter und Dienste gewinnbringender zu vermarkten sein. Wechselkurs bedingte Verzerrungen im Wettbewerb werden der Vergangenheit angehören. Die Einführung eines einheitlichen Geldes in der Gemeinschaft verändert sicher den Charakter dieser Union. Wieweit das Geld jedoch eine Integration stiftende Funktion besitzt, ist heute noch nicht beantwortbar. Man darf dagegen annehmen, daß nur ein stabiles Geld "gemeinschaftsfördernde Energie" entwickelt und dann auch nationales Geld "nicht vermissen läßt,,49. Darum wird in den verschiedenen Ländern der Gemeinschaft der Geldwertstabilität eine besondere Stellung eingeräumt. Auch in der neuen europäischen Währungsordnung gibt es selbstverständlich keine Gewähr für eine Geldwertstabilität. Bei der Schaffung des neuen europäischen Geldes muß bedacht werden, daß letztlich eine Währungsordnung nur dann als gut gilt, wenn sie als solche angesehen wird. Der Wert des Geldes beruht schließlich nur auf dem Vertrauen, das ihm entgegengebracht wird. Das Geld ist nur dann gutes Geld, wenn es dafür gehalten wird. Mit einer einfachen Deklaration ist hier ebensowenig getan wie mit einer solchen im Maastrichter Vertrag. "Die institutionelle Voraussetzung für eine stabilitätsorientierte Geldpolitik schaffen ist eine Sache, zweifellos eine eminent wichtige, der Vollzug dieser Politik in der Praxis ist eine andere. Und es wird dieser Vollzug sein, an dem sich entscheidet, ob Sachverständigenrat, Jahresgutachten 1992/93, Z. 435. Sachverständigenrat, Jahresgutachten 1992/93, Z. 435. 49 Issing, Otmar, Geld stiftet noch keine Staatlichkeit, in: FAZ vom 15. Juli 1995, S. 13, Sp.2. 47 48

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6. Kapitel: Das ethische Problem der Geldwertstabilität

die europäische Notenbank die dringend benötigte Reputation als Hüterin der neuen Währung gewinnt, und zwar schnell"so. In allen diesen Fällen ist die ethische Verantwortung der jeweiligen Politik gefragt.

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Sachverständigenrat, Jahresgutachten 1992/93, Z. 429.

Siebtes Kapitel

KarlMarx Die Güterproduktion diente in der vorkapitalistischen Wirtschaft der Herstellung von Gebrauchswerten. In der kapitalistischen Wirtschaft dagegen war ihre Aufgabe, Tauschwerte herzustellen. Das Geld wird im Kapitalismus zum Maßstab aller Dinge. Denn "der indirekte, d. h. über das Dazwischentreten von Geld vermittelte Tausch dient nicht mehr der unmittelbaren Befriedigung menschlicher Bedürfnisse, sondern dem Erzielen von Profiten und der Akkumulation von Kapital"l. Für Marx und auch für die, die seiner sozialkritischen Einstellung folgen, war und ist heute noch "die ,Monetisierung' der gesellschaftlichen Beziehung der Stein des Anstoßes,,2. Denn für sie ist das Geld, das im kapitalistischen Prozeß gerade die Transaktionen erleichtert, das Instrument der kapitalistischen Ausbeutung und der Grund für die menschliche Entfremdung.

I. Der Gebrauchswert und der Tauschwert Marx geht bei seiner Analyse von der traditionellen Unterscheidung von Gebrauchswert und Tauschwert aus. Für ihn stellt die Nützlichkeit einer Sache den Gebrauchswert dar. Jedes Ding hat seine Eigenschaften und kann aufgrund dieser nützlich sein 3 . "Der Warenkörper selbst", so etwa bei Eisen, Weizen, Leinwand oder Diamant, ist der Gebrauchswert. Er verwirklicht sich nur im Gebrauch oder in der Konsumtion4 • Ein Gut oder der Gebrauchswert hat seinen Wert dadurch, daß "abstrakt menschliche Arbeit in ihm vergegenständlicht oder materialisiert ist"s. Diese Materialisierung erfolgt durch das Quantum der in ihm enthaltenen Arbeit, die sich durch die Arbeitszeit messen läßt. Um gegenüber individuellen Eigenheiten (Faulheit etwa) geschützt zu sein, kann für Marx in der Frage der Arbeitszeit als Maßstab des Gebrauchswertes die durchschnittlich notwendige Arbeitszeit her1 Watrin, Christi an, Geld - Maßstab für alles? In: Geld und Moral, Hrsg. Helmut Hesse und Otmar Issing, München 1994, S. 169. 2 Watrin, Christian, Geld, S. 172. 3 Marx, Karl, Das Kapital, Bd. I, Berlin, 4 1962 in Marx-Engels-Werke Bd. 23, S. 49. 4 Vgl. Marx, Karl, Kapital, Bd. 1 S. 50. 5 Marx, Karl, Kapital, Bd. 1 S. 53.

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7. Kapitel: Karl Marx

angezogen werden. Darum definiert er, daß gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit die Arbeitszeit sei, die aufgebracht werden muß, um "irgendeinen Gebrauchswert mit den vorhandenen gesellschaftlich-normalen Produktions bedingungen und dem gesellschaftlichen Durchschnittsgrad von Geschick und Intensität der Arbeit darzustellen,,6. Der Wert eines Gutes oder eines Gebrauchsgegenstandes wird also bestimmt durch die in seiner Produktion steckende notwendige Arbeitszeit. In allen Waren ist ein mehr oder weniger unterschiedliches Arbeitsquantum enthalten. Daraus schließt er: Die Waren sind als Werte in einem bestimmten Maße "festgeronnene Arbeitszeit,,7. Freilich stellt die menschliche Arbeit auch solche nützlichen Dinge her, die keine Ware sind, aber einen Gebrauchswert besitzen. Diese Dinge werden für die Stillung des eigenen Bedürfnisses geschaffen. Andererseits gibt es natürlich auch "Dinge", die einen Gebrauchswert haben, ohne selbst Werte zu sein. In diesem Fall wird der Nutzen nicht durch Arbeit vermittelt. Es handelt sich um Luft, Wasser, natürliche Wiesen etc. 8 . Der Warentausch vollzieht sich normalerweise in Form eines Tauschgeschäftes, bei dem die eine Ware gegen eine andere getauscht wird. Für primitive Völker und auch für Völker mit begrenztem Warenaustausch geschieht der allgemeine Tauschhandel im Form dieses Warenaustausches. Erst bei einem mehrfachen, unbegrenzten Austausch oder Handel mit verschiedenen Gütern stellt sich die Frage nach einem allgemeinen Wert, gegen den getauscht oder gehandelt werden kann. Damit ein Produkt einen Tauschwert erhält oder zu einem Tauschwert "wird", muß es erst zu einer "Ware" werden. Zur Ware wird ein Produkt, wenn es in Relation zu anderen Produkten steht und also gegen andere Produkte ausgetauscht werden kann 9 . Sobald Produkte als Waren produziert werden und einen Tauschwert besitzen, also in Beziehung zu anderen Produkten stehen, kommt ihnen etwas Geheimnisvolles zu. Marx spricht vom Fetischcharakter der Ware. Dieser mystische Charakter der Ware entspringt aus der "Form selbst"lO. Denn 1. erhält "die Gleichheit der menschlichen Arbeiten die sachliche Form der gleichen Wertgegenständlichkeit der Arbeitsprodukte". 2. bestimmt die Zeit der geleisteten Arbeit den Wert der Produkte. Und 3. spiegeln die "Verhältnisse der Produzenten", die ja gerade für die Bestimmung der Arbeit maßgeblich sind und die die Grundlage für die Warenproduktion geschaffen haben, letztlich nur die Verhältnisse der Arbeitsprodukte wider ll . Mit der physischen Natur des Stoffes dagegen, aus dem die Ware gemacht wurde, hat die Warenform der Arbeitsprodukte und das durch die Arbeit hervorgeMarx, Kar\, Kapital, Bd. 1 S. 53. Marx. Karl, Kapital, Bd. 1 S. 54. 8 Marx, Karl, Kapital, Bd. 1 S. 55. 9 V gl. Israel, Joachim, Der Begriff der Entfremdung, Reinbek 1972, S. 60. 10 Marx, Karl, Kapital, Bd. I S. 86. 11 Marx, Karl, Kapital, Bd. 1 S. 86.

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I. Der Gebrauchswert und der Tauschwert

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rufene Wertverhältnis nichts zu tun. "Es ist nur das bestimmte gesellschaftliche Verhältnis der Menschen selbst, welches hier für sie die phantasmagorische Form eines Verhältnisses vo~ Dingen annimmt,,12. "Wenn ein Produkt zur Ware geworden ist, sind Gebrauchs und Tauschwert voneinander getrennt,,13. Während der Gebrauchswert ein Attribut des Menschen ist, ist der Tauschwert ein Attribut der Dinge. Das Geld ist der individualisierte Tauschwert und damit auch der "incarnierte Reichtum" 14. Denn "der Tauschwert bildet die Substanz des Geldes, und der Tauschwert ist der Reichtum. Das Geld ist daher andererseits auch die verkörperte Form des Reichtums gegenüber all den besonderen Substanzen, aus denen es besteht" 15. Marx kann darum auch vom Geld als dem "Gott" unter den Waren sprechen 16 . Im Tauschvorgang, wenn das Ding zur Ware geworden ist, wird das Geld zum generellen Tauschmittel. Denn es kann gegen jedes andere Gut ausgetauscht werden. Es ist die Geldform der Waren, die den gesellschaftlichen Charakter der privaten Arbeit "verschleiert"17. Da alle Individuen am Prozeß der gesellschaftlichen Gesamtarbeit teilnehmen, hängt der Fetischcharakter der Waren von der Organisation der Produktionsverhältnisse ab. Gerade die Marktwirtschaft besitzt die Tendenz dem Warenfetischismus entsprechend, alles in Ware zu verwandeln. In der Ware selbst herrschen Spannungen und Widersprüche. So ist zwar die Ware ein Tauschwert, wie wir gesehen haben, aber sie ist auch ein Gebrauchswert, weil sie nützlich ist. Sofern in der Ware ein Quantum an allgemeiner gesellschaftlicher Arbeitszeit enthalten ist, ist sie überhaupt "Wert". Aber sie ist auch dieser nicht, insoweit sie nur individuelle Arbeitszeit enthält. Waren gehen in Gestalt ihrer allgemeinen vergegenständlichten Arbeitszeit in den Tauschprozeß ein. Andererseits ist die Vergegenständlichung der Arbeitszeit ja nur Produkt des Austauschprozesses selbst 18 . Der Geldfetischismus entspricht in seiner Art dem Warenfetischismus. Er spiegelt den Warenfetischismus wieder und zeigt die Beziehung zwischen Warenproduktion und Geld auf. Denn den Warenbesitzern dienen jeweils ihre Waren als ein allgemeines Äquivalent für die anderen Waren. Da das alle Warenbeitzer tun und ihre Waren aufeinander beziehen, existiert keine Ware als allgemeines Äquivalent. Indem die Warenbesitzer einen Bezug auf irgendeine andere Ware in Form einer gesellschaftlichen Aktion herstellen, diese aber als Ware ausschließen, gelangen Marx, Kar!, Kapital, Bd. 1 S. 86. Jeremias, Joachim, Entfremdung, S. 60. 14 Marx, Karl Grundrisse, MEGA 11,1,1, S. 149. 15 Marx, Kar! Grundrisse, MEGA 11,1,1, S. 145. Vgl. oben Anm. 34. 16 Marx, Karl Grundrisse, MEGA 11,1,1, S. 146. 17 Marx, Kar!, Kapital, Bd. I S. 90. 18 Vgl. dazu Fritsch, Bruno, Die Ge!d- und Kredittheorie von Kar! Marx, Frankfurt 1968, S.49. 12 13

7 Kramer

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7. Kapitel: Karl Marx

sie dahin, gerade diese Ware als allgemeines Äquivalent anzuerkennen. Ein "allgemeines Äquivalent zu sein wird durch den gesellschaftlichen Prozeß zur spezifisch gesellschaftlichen Funktion der ausgeschlossenen Ware. So wird sie - Geld,,19. Schließlich geht mit der Zeit "die Geldform auf Waren, die von Natur zur gesellschaftlichen Funktion eines allgemeinen Äquivalents taugen, auf die edlen Metalle" über2o . In der kapitalistischen Produktionsweise tritt das Geld als eigenständiger Wert der Ware gegenüber. Der Tauschwert wird nämlich zu einer bestimmten Ware, in deren Wert sich alle anderen Waren messen. Geld wird so zur Ware allen anderen Waren gegenüber. Im Blick auf alle anderen Waren gilt also, daß das Geld allein das allgemeine Äquivalent ist21 . Aber "eine Ware scheint nicht erst Geld zu werden, weil die anderen Waren allseitig ihre Werte in ihr darstellen, sondern sie scheinen umgekehrt, allgemein ihre Werte in ihr darzustellen, weil sie Geld ist. Die vermittelnde Bewegung verschwindet in ihrem eigenen Resultat und läßt keine Spur zurück. Ohne ihr Zutun finden die Waren ihre eigene Wertgestalt fertig vor als einen außer und neben ihnen existierenden Warenkörper. Diese Dinge, Gold und Silber, wie sie aus den Eingeweiden der Erde herauskommen, sind zugleich die unmittelbare Inkarnation aller menschlichen Arbeit. Daher die Magie des Geldes. Das bloß atomistische Verhalten der Menschen in ihrem gesellschaftlichen Produktionsprozeß und daher die von ihrer Kontrolle und ihrem bewußten individuellen Tun unabhängige, sachliche Gestalt ihrer eigenen Produktionsverhältnisse erscheinen zunächst darin, daß ihre Arbeitsprodukte allgemein die Warenform annehmen. Das Rätsel des Geldfetischs ist daher nur das sichtbar gewordene, die Augen blendende Rätsel des Warenfetischs,m. Zwar erhalten nach Marx die Waren eine quantitative und qualitative Vergleichbarkeit durch das Gold, das gleichsam nur das Äquivalenzprodukt für das Geld ist. Gold funktioniert als allgemeines Maß der Werte, "und nur durch diese Funktion wird Gold, die spezifische Äquivalentware, zunächst Geld". Die eigentliche Kommensurabilität aber geschieht nicht durch Geld, sondern durch die Arbeit, weil alle Waren, also auch das Gold, "vergegenständlichte menschliche Arbeit" sind. Darum ,,können sie ihre Werte gemeinschaftlich in derselben spezifischen Ware messen und diese dadurch in ihr gemeinschaftliches Wertmaß oder Geld verwandeln,m. Die Arbeit ist für den Menschen etwas Äußerliches, sie gehört nicht zu seinem Wesen. Sie existiert als selbständige Macht neben ihm. Die Individuen besitzen weder gemeinsame Ziele noch Einflußmöglichkeiten. Darum "werden sie gleichgültig gegenüber den sozialen Beziehungen und den Bedürfnissen anderer. Sie tauschen ihre Arbeit oder ihre Arbeitskraft gegen Geld und kaufen für dieses Geld Gegenstän19 20 21 22

23

Marx, Karl, Kapital, Bd. 1 S. 101. Marx, Karl, Kapital, Bd. 1 S. 104. Vgl. Marx, Karl, Kapital, Bd. 1 S. 99ff. Marx, Karl, Kapital, Bd. 1 S. 107. Marx, Karl, Kapital, Bd. 1 S. 109.

11. Das Wesen des Geldes

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de,,24. Arbeit, Ware und Geld werden von Marx miteinander verknüpft. "Der Preis (seil. der Ware) ist der Geldname der in der Ware vergegenständlichten Arbeit. Die Äquivalenz der Ware uIid des Geldquantums, dessen Name ihr Preis ist, ist daher eine Tautologie,,25. Dieser Prozeß ist ein Stück der Entfremdung des Menschen von seiner Arbeit. Hervorgerufen wird dieser Prozeß dadurch, daß 1. Arbeit zur Ware wird, 2. Arbeitsteilung herrscht und 3. die Bedingungen des Privateigentums gelten. Bereits bei dem frühen Marx zeigt sich die Tatsache der Entfremdung der Arbeit. Sie drückte sich im Vorherrschen des Geldes aus.

11. Das Wesen des Geldes Bereits der frühe Marx hat die Beziehung zwischen Ware und Geld herausgestellt: Das Geld - und nicht die Ware - war für ihn entfremdete Arbeit. Denn das Geld ist das Mittel, mit dem die inneren Spannungen und Widersprüche der Ware aufgehoben werden können. Aber es kann dieses nicht erreichen, wenn es nicht selbst Ware wäre. Denn der Geldwert ist "wie der Wert jeder anderen Ware durch das Quantum Arbeitszeit bestimmt, das die Herstellung des Geldes als Geldware erfordert,,26. In diesen Fälle freilich ist das Geld von Marx als Metall-Geld verstanden. Aber er kann ja auch, wie wir gesehen haben, schlechthin von dem Geld als Ware sprechen. Andererseits besitzt das Geld Eigenschaften, die es von den anderen Waren unterscheiden. Es ist zum einen selbst Ware und zum anderen gleichzeitig auch ihr Gegenstück. Der Gebrauchswert des Geldes besteht darin, Tauschmittel zu sein. Und gleichzeitig ist im Geld die individuelle Arbeitszeit vergegenständlicht. Darum ist Geld eine höchst eigentümliche Ware. "Seine Geldqualität besteht in dem, was es von der Ware trennt; seinen Wert verleiht ihm das, was es mit der Ware gemeinsam hat,m. Die in der Ware enthaltene individuelle Arbeit stellt sich durch die Entäußerung des Individuums vom Produktionsprozeß und vom Produkt selbst als ein Prozeß dar. Der Mensch ist durch die Arbeitsteilung vom Produktionsprozeß ebenso entfremdet, wie er es vom Produkt seiner Arbeit ist. Dieser Prozeß der Entäußerung läßt aus der individuellen Arbeitsleistung die allgemeine gesellschaftliche Arbeit entstehen. Geld ist dabei nach Marx nichts anderes als "der sichtbar gewordene Ausdruck dieser abstrakt allgemeinen, gesellschaftlichen Arb~it, die ihrerseits nur

24 25 26 27

7*

Jeremias, Joachim, Entfremdung, S. 329. Marx, Karl, Kapital, Bd. I S. 116. Fritsch, Bruno, Geld, S. 51. Fritsch, Bruno, Geld, S. 51.

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7. Kapitel: Karl Marx

im Prozeß der Warenmetamorphose ihre Verwirklichung und Bestätigung finden kann,,28.

111. Die Ware-Geld-Beziehung Für Marx erfüllt das Geld mehrere Funktionen: 1. Das Geld hat die Funktion eines Wertmaßstabes. In ihm drückt sich die vergegenständlichte Arbeitszeit aus 29 . Zwischen dem Geld als Wert und dem Geld als Preis muß unterschieden werden. Die Wertmessung als Preis ist ein Teil des Zirkulationsprozesses. Beim Gold stellt sich der Preis als ein bestimmtes Metallgewicht dar. 2. Geld als Wertmaßstab verleiht dem Warenwert die Geldform schlechthin. Es ist "das" Zirkulationsmittel für die Umsetzung der Ware auf dem Markt.

3. Geld erfüllt die Funktion, in Form des staatlichen Münzgeldes, einen Wert darzustellen. Aber man muß den Unterschied beachten: Gold zirkuliert deshalb, weil es Wert hat. Beim Papiergeld ist es gerade umgekehrt. Es hat Wert, weil es zirkuliert 3o . 4. Weder Ware noch Geld sind für Marx von vornherein Kapital 31 . Zur Entstehung von Kapital müssen zwei Bedingungen erfüllt sein: a) Es muß ein Klassengegensatz von Kapitalisten und Lohnarbeitern, also Eigentümer von Geld und Waren einerseits und Verkäufer der eigenen Arbeitskraft andererseits, bestehen. b) Der gesellschaftliche Stoffwechsel 32 von Ware zur Ware über das Geld muß umgekehrt werden in den Austausch von Geld zu Geld über die Ware, also von W - G - W zu G - W - G. Geld soll zu Mehr-Geld führen. Marx hebt zwar den gesellschaftlichen Charakter des Geldes hervor. Aber er ist weit davon entfernt, dem Staat in irgendeiner Form Geldpolitik zuzuerkennen. Der Staat hat sich vielmehr den ökonomischen Zwängen, die sich aus der Produktion der Güter ergeben, zu fügen. Da der Staat keine währungspolitischen Aufgaben hat, werden auch alle Elemente der Geldmenge oder Zinssätze ebenso wie wirtschaftspolitische Aufgaben nicht als Parameter des politischen Handelns anerkannt. Der Staat besitzt überhaupt keinen Auftrag zur geldpolitischen oder wäh28

29 30 31 32

Fritsch, Bruno, Geld, S. 50. Vgl. Fritsch, Bruno, Geld, S. 53ff. Vgl. Fritsch, Bruno, Geld, S. 56. Vgl. Fritsch, Bruno, Geld, S. 64ff. Über ihn ist noch Näheres im Zusammenhang mit der Ware-Geld-Beziehung zu sagen.

III. Die Ware-Geld-Beziehung

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rungspolitischen Handlungsweise. Solche dahin führenden Überlegungen lagen außerhalb seiner Gedanken. Eine Währungsverfassung ist nicht Aufgabe, sondern vielmehr Folge der ökonomischen Phänomene33 . Es sind sicher in der Person Marx liegende "beinahe religöse" Gründe, die ihn gegen das Geld haben vorgehen lassen, und die er durch seine Analyse entthronen wollte. Es ist nämlich der Götze Geld, der ihn bewegen ließ, die Geld-Herrschaft aufzudecken 34. Marx verwandelte über Geld auch den Gottesbegriff zur Ware. Er sah den Menschen als das von diesem Geld-Gott bestimmte Wesen an, wie bereits oben zitiert. Denn "der Gott des praktischen Bedürfnisses und Eigennutzes ist das Geld. Das Geld ist der eifrige Gott Israels, vor welchem kein anderer Gott bestehen darf. Das Geld erniedrigt alle Götter des Menschen - und verwandelt sie in eine Ware. Das Geld ist der allgemeine, für sich selbst konstituierte Wert aller Dinge. Es hat daher die ganze Welt, die Menschenwelt wie die Natur, ihres eigentümlichen Wertes beraubt. Das Geld ist das dem Menschen entfremdete Wesen seiner Arbeit und seines Daseins, und dieses fremde Wesen beherrscht ihn, und er betet es an,,35. Der Austausch der Ware aus der Hand des Produzenten, bei dem die Ware Tauschwert besitzt, in die Hand des Konsumenten, bei dem ihr Gebrauchswert zuerkannt wird, ist mit Marx ein "gesellschaftlicher Stoffwechsel,,36. Der Prozeß, der diesen Formwechsel darstellt, wird von ihm als Zirkulationsprozeß oder Metamorphose der Ware genannt 37 . Diese stellt sich nicht nur in einer einfachen, sondern in einer doppelten Gestalt dar. Denn der Verkauf von Ware vollzieht sich im Austausch von Ware gegen Geld (W - G). Auch der andere Prozeß: Geld gegen Ware (G - W) ist mit dem Ausdruck Verkauf oder Kauf zu belegen: Der 1. Prozeß ist vom Eigentümer der Ware aus gesehen, ein Verkauf. Der 2. Prozeß ist, vom Geldinhaber her betrachtet, ein Kauf, vom Wareninhaber jedoch gesehen Verkauf. Man kann auch von Ware zu Ware kommen (W - W). Das bedeutet einen Warenzirkulationsprozeß. Der Prozeß besteht darin, daß der Verkäufer verkauft, um zu kaufen, also "Verkauf der eigenen Erzeugnisse zum Zwecke des Kaufs anderer Produkte, deren Gebrauchswert man realisieren Will,,38. Vom Warenbesitzer aus gesehen bedeutet dieser Prozeß: Verkauf (W - G), vom Geldbesitzer aus: Kauf (G - W)39. Zirkulation heißt, daß die ,Ware' arbeitet und einen Verdienst (Profit) abwirft. In einer Waren-Gesellschaft existiert dank der Kreditvergabe eine große Anzahl von Waren.

33 34

35 36 37 38 39

Vgl. Fritsch, Bruno, Geld, S. 174. Scherf, Harald, Marx und Keynes, Frankfurt/Main, 1986, S. 50. Marx, Karl, Zur Judenfrage, Marx-Engels Werke, Bd. I S. 375. Marx, Karl, Kapital, Bd. I, S. 119. Marx, Karl, Kapital, Bd. I S. 119ff. Mandel, Emest, Wirtschaftstheorie, Bd. I S.91. Mandel, Emest, Wirtschaftstheorie, Bd. I S.91.

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7. Kapitel: Karl Marx

Auch das Geld kann zirkulieren. Der Inhaber von Geldkapital, also von Kaufmannskapital, wird kaufen, allerdings um seinerseits zu verkaufen (G - W)40. Der Kaufmann verwandelt sein Geld in Ware. Daraus ergibt sich der Prozeß: Geld Ware - Geld plus Mehrwert (G - W - G'). Zu bedenken ist, daß das Vorhandensein von Mehrwehrt die Bedingung dafür ist, daß der Kapitalbesitzer sein Geld ,arbeiten', also zirkulieren läßt. Die Warenzirkulation erscheint wie ein permanentes Aufeinanderfolgen von Tauschgeschäften. Das Geld als allgemeines Äquivalent spielt hierbei zwar eine Vermittlerrolle. Aber ihm kommt dabei immerhin eine doppelte Funktion zu: "In dem Maße, wie sich die Warenzirkulation in eine Warenzirkulation und eine Geldzirkulation aufspaltet, zerfällt auch das Geld in Zirkulationsmittel und Zahlungsmittel,,41. Marx kann zwischen dem Geld als (Waren-) Zirkulationsmittel, das er mit M. Luther auch Kaufmittel nennt42 , und dem Zahlungsmittel unterscheiden. Aufgrund der kapitalistischen Produktionsweise mit dem Geld als entscheidende Grundlage entwickelt sich auch das Kreditsystem mit seinem Kreditgeld. Die Entwicklung des Kreditsystems führt zu immer stärker anwachsenden Krediten. "Der Prozeß gipfelt in der Ausbildung einer Verrechnungsstelle - Marx spricht vom ,Clearing House' - wo die fälligen Wechsel gegeneinander ausgetauscht" werden43 . Der Kredit spielt als Zirkulationsmittel eine besondere Rolle. Denn er läßt die Waren zirkulieren, während das daraus fließende Geld erst später eingenommen wird. Auch bei der Kreditvergabe wird am Ende das Geld seine zweite Funktion, die des Zahlungsmittels, einnehmen 44 . Durch den Kredit wird das Geld immer stärker als Zahlungsmittel in Anspruch genommen und greift so über die Warenzirkulation hinaus. In beiden Fällen schließt das Geld die Form des Prozesses Ware zu Geld (W - G) ab. Schließlich läßt sich in bezug auf das Kapital vom Geld sagen: Das letzte Produkt der Warenzirkulation ist das Geld. Dieses "letzte Produkt der Warenzirkulation ist die erste Erscheinungsform des Kapitals". Denn "die Warenzirkulation ist der Ausgangspunkt des Kapitals,,45. Im sogenannten "zinstragenden Kapital" erreicht das Kapital seinen stärksten Fetischcharakter. Hier vollzieht sich das Verhältnis von G zu G' (G - G'), also zu Geld, das mehr Geld erzeugt. Allerdings geht der Weg nicht über den des Kaufmannskapitals (G - W - G' )46. Das Kaufmannskapital stellt sich als Prozeß entge4Q VgI. Mandel, Ernst, Wirtschaftstheorie, Bd. 1 S. 91. VgI. Marx, Karl, Das Kapital, Bd 3, Marx-Engels, Werke Bd. 25, BerIin, 1964, S. 314. 41 Mandel, Ernest, Wirtschaftstheorie, Bd. 1 S. 282. 42 VgI. Marx, Karl, Kapital, Bd. 1. S. 149 Anm. 96. 43 Fritsch, Bruno, Geld, S. 109. 44 VgI. Marx, Karl, Kapital, Bd. 1. S. 148ff. 45 Marx, Karl, Kapital, Bd. 1 S. 161. VgI. zum Ganzen auch Fritsch, Bruno, Geld, S. 55. 64ff. 46 VgI. Marx, Karl, Das Kapital, Bd. 3, Hrg. F. Engels, Bd. 25, Berlin, 1964, S. 404.

IV. Der Mehrwert

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gengesetzter Phasen dar, als eine Bewegung nämlich, die in zwei Vorgänge zerfällt, in Kauf und Verkauf von Waren47 . Im Prozeß von G zu G' ist diese Beziehung ausgelöscht. "Im zinstragenden Kapital ist daher dieser automatische Fetisch rein herausgearbeitet, der sich verwertende Wert, Geld heckendes Geld, und trägt es in dieser Form keine Narben seiner Entstehung mehr,,48. Im Verhältnis von (G - G') zeigt sich das Geld als "verwertender Wert", als Zins abwerfendes Geld-Kapital. Im Blick auf das Verhältnis von Geld und Kredit läßt sich erkennen, daß sich die "Funktion des Geldes als Zahlungsmittel" ebenso ausdehnt, wie das Kreditwesen das ebenfalls tut. Das sogenannte "Kreditgeld" entspringt aus der Zahlungsmittelfunktion des Geldes49 . Dieses erklärt sich aus der kapitalistischen Wirtschaft aufgrund der dort herrschenden Warenzirkulation.

IV. Der Mehrwert Der Wertbegriff ist die Grundlage der Mehrwertlehre von Marx. Die für ein bestimmtes Produkt notwendige gesellschaftliche Arbeit ist allein wertschöpfend. Denn weder beim Tausch gleicher noch beim Tausch ungleicher Ware entsteht Mehrwert. Da sich also im Zirkulationsprozeß kein Mehrwert ergibt, ist nur die Arbeit Quelle für den Mehrwert eines Produkts. Der Eigentümer an den Produktionsmitteln kann sich den Profit aus dem Verkauf der Produkte aneignen. Er kauft die Arbeitskraft zum Tageswert und läßt durch sie Waren produzieren, die einen Gebrauchswert darstellen. Der Kapitalist bezahlt zwar den Tageswert der Arbeitskraft. Aber die produzierten Güter stellen einen größeren Wert als diesen Tageswert der Arbeit dar. Der Überschuß bringt den Kapitalisten Glück. "Dieses Inkrement oder den. Überschuß über den ursprünglichen Wert nenne ich - Mehrwert (surplus value)"so. Das ist, wie Marx sagt, der Kasus, der den Kapitalisten "lachen macht"Sl. Der Mehrwert gehörte, da er nach der Wertlehre nur durch die menschliche Arbeit geschaffen wird, allein denen, die diese Arbeit zur Verfügung stellen, also den Arbeitern. Aber er fällt durch den Entfremdungs- und Entäußerungsprozeß der Arbeit den Kapital-Eigentümern zu. Das Kapital (C), das im Produktionsprozeß im Einsatz ist, wird nur vorgeschossen; denn man will es wiederbekommen. Es setzt sich aus der Geldsumme (c) und einer anderen Geldsumme (v) zusammen; c wird für die Produktionsmittel, v für die Arbeitskraft verausgabtS2 . (C) als vorgeschossenes Kapital steht also für (c + v). Am 47 48 49

50 51

Vgl. Marx, Karl, Kapital, Bd. 3, S. 404. Marx, Karl, Kapital, Bd. 3 S. 405. Vgl. Bd. 1. S. 170. Marx, Karl, Kapital, Bd. 1 S. 153. Marx, Karl, Kapital, Bd. 1 S. 165. Marx, Karl, Kapital, Bd. 1 S. 208.

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7. Kapitel: Karl Marx

Ende des Produktionsprozesses ergibt sich dann die Summe, die sich aus dem vorgeschossenen Kapital (c + v) und aus dem Faktor (m) als dem Mehrwert zusammensetzt. Damit wird (C) zu (c + v + m). Das Verhältnis endlich von (c) zu (v), also (~), bezeichnet Marx als organische Zusammmensetzung des Kapitals. Ausschließlich Arbeit erzeugt wie gesagt die neuen Werte in Gestalt des Tauschwertes einer Ware. Marx nennt den Quotienten aus dem Mehrwert und dem Teil des Gesamtkapitals, der variabel ist, die Rate des Mehrwertes (t;!). Das variable Kapital (v) ist dabei der in Arbeit umgesetzte Teil des Kapitals. Das Verhältnis von Mehrwert und variablem Kapital plus konstantem Kapital ist die Profitrate (c~J Diese stellt das Verhältnis von Mehrwert zum Gesamtkapital dar53 , also c~v oder ~. Aufgrund des technischen Fortschritts vergrößert sich das konstante Kapital am gesamten Kapital, während sich das variable Kapital verringert. Eine Folge der Steigerung von c bei einer gleichbleibenden oder gar fallenden Mehrwertrate bedeutet eine fallende Profitrate. "Marx nimmt an, daß bei fallender Profitrate (und gleichbleibender Mehrwertrate) in hochmechanisierten Betrieben das Kapital abgezogen und in weniger mechanisierte und deshalb profitablere Betriebe transferiert wird. Diese sind profitabler, weil das variable Kapital dort im Verhältnis zum konstanten Kapital größer ist"s4. Die Praxis hat diese These allerdings widerlegt. Denn die Löhne können in einem solchen Maße steigen, "daß die Profitabilität nur durch eine Steigerung des Mechanisierungsgrades, die zu einer Steigerung der Produktivität pro Arbeiter führt, angehoben werden kann"ss.

v. Kritik an der Marx'schen Position Die von Marx vertretene Kritik der Monetisierung der kapitalistischen Gesellschaft, in der Geld zum Maßstab aller Dinge wird, wurde von verschiedenen Autoren aufgegriffen. Man verweist heute darauf, daß die Monetisierung "eine unvermeidbare Begleiterscheidnung" der entstehenden Großgesellschaften ist56 . Recht, Ehe, Familie, Politik, Religion werden zu "Gegenständen des ökonomischen Ansatzes,,57. Die Grenzen zwischen den ökonomischen und nichtökonomischen Bereichen schwinden. Aber läßt sich daraus die Schrankenlosigkeit des Maßstabes Geld erschließen und damit die Monetarisierung der Gesellschaft in der Marktwirtschaft behaupten? Andererseits verschafft die Geldrechnung jedem am Markt Han52 53 54 55 56 57

Vgl. Marx, Karl, Kapital, Bd. 1 S. 226. Marx, Karl, Kapital, Bd. 3 S. 52. Jeremias, Joachim, Entfremdung, S. 210 Jeremias, Joachim, Entfremdung, S. 210 Watrin, Christian, Geld, S. IX. Watrin, Christian, Geld, S. 173.

V. Kritik an der Marx'schen Position

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deinden eine "preisliche Übersicht über die für ihn relevanten Knappheitsverhältnisse"s8. Bei einem immerhin möglichen Verzicht auf das Geld als "Generalnenner" entstünden recht hohe Kosten. Ein "direkter Tausch und unmittelbare Produktion für den jeweiligen Nachfrager, wie sie vielen Sozialkritikern vorschweben, sind allenfalls Organisationsformen, die im Innenverhältnis für eine Kleingruppenwirtschaft, eine Kommune oder eine Familie praktizierbar sind"s9. Das könnte als Vorwurf gegenüber fast allen Geldkritikern ins Feld geführt werden. In der von Marx geprägten Wirtschaftsordnung soll die Ausbeutung des Arbeiters nicht mehr stattfinden. Die neue Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung soll nicht mehr durch das Geld gesteuert werden. Das Geldwesen wäre dann abgeschafft und zum einen in der Ware-Geldbeziehung auf die Funktion als Rechenmittel bei der Kalkulation und zum anderen auf die Funktion als Zahlungsmittel im Konsumbereich beschränkt. Die Geldpreise sollen nur noch "den Charakter von Verrechnungspreisen" haben 60. Gegenüber der Marx'schen Kritik ist zu sagen, daß die der Marktwirtschaft und ihrem Geldwesen vom Marxismus und von der modemen Sozialkritik vorgehaltene Entfremdung des Menschen und seine Entpersönlichung keineswegs dem Geldwesen angelastet werden können 61 . Geld und Markt sind keine "fremden" Faktoren, die von außen her auf die Gesellschaft einwirken. Zwar können die Beziehungen zu den Mitmenschen auch zur Intensivierung der eigenen Wohlfahrt mißbraucht werden. Aber das kann sowohl in einer Zentralverwaltungswirtschaft als auch in einer Marktwirtschaft passieren. Trotzdem ist heute in der Marktwirtschaft von einer starken Monetarisierung der menschlichen Beziehungen die Rede. Obwohl zwischenmenschliche Bindungen aus Nutzen-Erwägungen oder zur Erzielung von Einkommen eingegangen werden, kann nicht von einer allgemeinen Monetarisierung der sozialen Beziehungen gesprochen werden. Es muß vielmehr zwischen einem "markt- und nichtmarktmäßigem Tausch" unterschieden werden. Zwischen beiden Aktivitäten bestehen Unterschiede. Im marktbezogenen Tausch liegen die Rechte und Pflichten fest. Etwaige Ansprüche können dementsprechend durchgesetzt werden. Im nichtrnarktmäßigen Tausch fehlen diese Möglichkeiten. Es würde jedermann wohl befremden, wenn von den sozialen Beziehungen der Freundschaft, der Liebe und des Vertrauens etwa unter zur Hilfenahme einer Nutzenerfassung mit Hilfe eines Geldpreises gesprochen würde 62 .

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Watrin, Christian, Geld, S. 175. Watrin, Christian, Geld, S. 175. Watrin, Christian, Geld, S. 170. Vgl. Watrin, Christian, Geld, S. 177. V gl. Watrin, Christian, Geld, S. 178.

Achtes Kapitel

Geldtheorien in der Soziologie I. Georg Simmel Georg Simmel geht bewußt in seiner "Philosophie des Geldes" nicht von einem ökonomischen Standpunkt aus: "Keine Zeile dieser Untersuchung ist nationalökonomisch gemeint"l. Neuerdings jedoch will man in seinem Buch ein "ökonomisches Werk" sehen2 . Man glaubt, Simmel habe die Aussage nur deshalb getroffen, weil er darauf hinweisen wollte, daß seine "Erkenntnisinteressen" philosophischer Art seien. Außerdem sei zu berücksichtigen, daß er dem Vorwurf hatte entgehen wollen, er äußere sich über ein Wissensgebiet, über das ihm kein Urteil zustehe 3 • Aber es bleiben Zweifel an der These, daß es ein ökonomisches Werk ist. Schließlich war es seine Absicht, in seiner "Philosophie des Geldes" alle die Voraussetzungen zu liefern, "die, in der seelischen Verfassung, in den sozialen Beziehungen, in der logischen Struktur der Wirklichkeit und der Werte gelegen, dem Geld seinen Sinn und seine praktische Stellung anweisen,,4. Er wollte "von der Oberfläche des wirtschaftlichen Geschehens eine Richtlinie in die letzten Werte und Bedeutsamkeiten alles Menschlichen" ziehen 5 . Das hatte zur Folge, daß für ihn "das Geld nur Mittel, Material oder Beispiel für die Darstellung der Beziehungen (ist), die zwischen den äußerlichsten, realistischsten, zufälligsten Erscheinungen und den ideellsten Potenzen des Daseins, den tiefsten Strömungen des Einzellebens und der Geschichte bestehen,,6. Slmmels Untersuchung basiert auf einer kulturphilosophischen Darstellung des Geldes, die in der Einsicht gipfelt, "daß es innerhalb der praktischen Welt die entschiedenste Sichtbarkeit, die deutlichste Wirklichkeit der Formel des allgemeinen Seins ist, nach der die Dinge ihren Sinn aneinander finden und die Gegenseitigkeit der Verhältnisse, in denen sie schweben, ihr Sein und Sosein ausmacht,,7. Darum zeigt sich auch die Bedeutung des Geldes in der Relativität der "begehrten Dinge". Geld ist ein Zeichen dafür und gleichzeitig die VerwirkSimmel, Georg, Philosophie des Geldes, Berlin 71977, S.VII. Flotow von, Paschen, Georg Simmels ,Philosophie des Geldes' als ökonomisches Werk, Diss. St. Gallen 1327 (Bamberg 1992), S. VI. u. 217. 3 Flotow von, Paschen, Simmels, S. 21 f. 4 Simmel, Georg, Philosophie, S.VI. 5 Simmel, Georg, Philosophie, S. VII. 6 Simmel, Georg, Philosophie, S. VII. 7 Simmel, Georg, Philosophie, S. 98. 1

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I. Georg Simmel

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lichung dieser Relativitäts. Es verkörpert die reine Fonn der Tauschbarkeit der Güter; ja, es ist ihr objektiver Wertmesser9 . Für Simmel sind die "Mehrzahl der Beziehungen von Menschen untereinander" als Tausch zu sehen 10. Jede Wechselwirkung sogar, also auch die Liebe oder die Unterhaltung ist als ein Tausch zu verstehen. Der Tauschvorgang ist keineswegs nur ein wirtschaftlicher Akt. Er muß auch "als eine psychologische, als eine sittengeschichtliche, ja als eine ästhetische Tatsache behandelt werden"ll. Als Ergebnis soll herauskommen, daß die Summe der Werte für den einzelnen nach dem Tausch größer sein wird als vorher! Der ökonomische Vorgang des Tausches besitzt einen objektiven und einen subjektiven Aspekt. Der objektive Vorgang ist in seinem objektiven Wert begründet. Objektivität bedeutet hier, daß der Wert eine "Gültigkeit für Subjekte überhaupt" besitzt. Und das wiederum heißt: "Der Tausch setzt eine objektive Messung subjektiver Wertschätzungen voraus, aber nicht im Sinne zeitlichen Vorangehens, sondern so, daß beides in einem Akte besteht,,!2. Der subjektive Aspekt ist darin zu sehen, daß von Seiten der Wirtschafts subjekte der Tausch keineswegs Wertgleichheit voraussetzt. Zwei Subjekte mögen zwar ihre Güter gegeneinander eintauschen, da beide gleichviel wert sind. Aber das Subjekt A hat nur dann Veranlassung, sein Gut abzugeben, wenn er der Meinung ist, daß es mit dem anderen Gut einen größeren Wert erhält; mindestens muß durch das Gut des B bei A ein Mangel beseitigt bzw. ein Bedürfnis gestillt werden. Objektiv mögen sich allerdings die Werte dieser Güter gleichen 13. Das Geld ist dabei der zur Selbständigkeit gelangte Ausdruck des Tauschverhältnisses l4 . Denn es ist das Zeichen für diesen Wert. Im ökonomischen Bereich erweist sich für Simmel die Wirklichkeit des Geldes nicht so eindeutig wie in seinem philosophischen Charakter. Er spricht geradezu von einer Doppelrolle des Geldes 15 oder von zwei Relationen. Denn Geld ist Relation und es hat Relation 16. Im Tauschprozeß von Ware zu Ware entstehen relative Tauschwerte. Das Geld bildet diese relativen Tauschwerte ab. Es ist also Relation. Wird dagegen von vornherein Ware gegen Geld getauscht, so daß Ware zu Geld und Geld zur Ware wird, dann hat das Geld Relation, nämlich eine Geld - Ware Relation 17. "Insofern das Geld ,Relation hat', ist es selbst ,das Geltende schlechtVgl. Flotow, von, Paschen, Simmels, S. 47 Vgl. Simmel, Georg, Philosophie, S. 33 und 482. 10 Simmel, Georg, Philosophie, S. 33. 11 Simmel, Georg, Philosophie, S.VII. 12 Simmel, Georg, Philosophie, S. 33. 13 Vgl. Simmel, Georg, Philosophie, S. 50. 14 Vgl. Simmel, Georg, Philosophie, S. 122. 15 Simmel, Georg, Philosophie, S. 89; vgl. Flotow von, Paschen, Simmels, S. 129. 16 Simmel, Georg, Philosophie, S. 94 .

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8. Kapitel: Geldtheorien in der Soziologie

hin' ,,18. Die ökonomischen Funktionen des Geldes gibt Simmel mit dem Dienst des Geldes an, "als absolute Zwischeninstanz über allen Einzelprodukten zu stehen,,19. Er kennt vier Funktionen des Geldes: Wertmaßstab, Verkehrserleichterung, Mobilisierung und Kondensierung. Im ersten Fall, dem Wertmaßstab, geht es darum, daß der Wertmaßstab im Zuge eines Wert- und Preibildungsprozesses in einer Geldwirtschaft nur durch das Geld ausgedrückt werden kann. Die Verkehrserleichterung weist uns darauf hin, daß der Tauschprozeß durch die Einführung des Geldes bequemer, handlicher, kurzum kostengünstiger wird. Zur Funktion der Mobilisierung ist zu sagen, daß das Geld den Zirkulationsprozeß anregt. Das Angebot erweitert sich. Der Dienst der "Kondensierung", die vierte Funktion des Geldes, ermöglicht eine Zusammenführung der Kräfte und damit eine Erhöhung der Wirkungsmöglichkeiten des Geldes, speziell des Geldkapitals 2o . Als Ausgangspunkt "aller sozialen Gestaltung" gilt die Wechselwirkung unter den Individuen, gleichsam von Person zu Person. In der weiteren Entwicklung wird diese unmittelbare Beziehung durch überpersönliche Gebilde ersetzt. Geld gehört wie auch das Staatsgesetz, verkörpert im Richterstand oder in der ganzen Verwaltungshierarchie, zu solchen "substanzgewordenenen Sozialfunktionen,,21. Auch "der Tausch selbst ist eine der Funktionen, die aus dem bloßen Nebeneinander der Individuen ihre innerliche Verknüpfung, die Gesellschaft, zustande bringen". Schließlich bewirkt der Tausch selbst nicht nur eine Vergesellschaftung, er ist sie sogar22 . Mit dem Auftreten der Geldwirtschaft ergibt sich für den einzelnen die Möglichkeit, sich aus den sozialen Bezügen zu lösen und sich neuen Verbindungen anzuschließen, ohne allerdings von ihnen total vereinnahmt zu werden. Geld wird zum "Träger der individuellen Freiheit", die Naturalabgabe in der Naturalwirtschaft wird überwunden und durch die Geldabgabe abgelöst23 . Für Simmel erweist sich dieser Schritt als Freiheit für das Individuum; für Marx dagegen zeigt sich darin Entfremdung 24 . In Aufnahme der Position von Simmel läßt sich sagen, daß das Geld-Haben und mehr noch das Geldausgeben die Möglichkeit schenkt, sich der Freiheit des Konsums hinzugeben. Sowohl der Arbeiter als auch der Bauer kann sich von der Naturalabhängigkeit befreien. Das Geld dient so der Sicherung sozialer Wertschätzung. Ihm kommt also eine emanzipatorische Funktion zu. Durch

Vgl. Flotow von, Paschen, Simmels, S. 130f. Flotow von, Paschen, Simmels, S. 217. 19 Simmel, Georg, Philosophie, S. 162. 20 Vgl. Flotow von, Paschen, Simmels, S. 149ff. 21 Vgl. Simme1, Georg, Philosophie, S. 159f. 22 Vgl. Simmel, Georg, Philosophie, S. 160. 23 Simmel, Georg, Philosophie, S. 299ff. 24 Vgl. Watrin, Christian, Geld-Maßstab für alles? In: Geld und Moral, Hrsg. Helmut Hesse und Otmar Issing, München 1994, S. 169. 17 18

H. Max Weber

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diese spezielle Funktion vennag nunmehr das Geld auch zur Mobilisierung in dem sozialen System beizutragen25 . Für Simmel ist die Realisierung der individuellen Freiheit durch Geld das Entscheidende im Umgang mit dem Geld. Freiheit und Emanzipation bestimmen seine Kulturphilosophie. Der Tausch legt dafür den Grund. Das alles aber wird nicht zu einer allgemein- oder speziell-ökonomischen Wesens bestimmung des Geldes ausgebaut.

11. Max Weber Innerhalb der Grundkategorien der Wirtschaft behandelt Max Weber auch die Geldfunktionen in der Volkswirtschaft. Geld ist als gesetzliches Zahlungsmittel, das jedennann zu nehmen und zu geben verpflichtet ist, legal definiert. Zum Wesen der Zahlungsmittelfunktion gehört die von ihm nach Georg Friedrich Knapp so benannte "lytrische Politik", die auf festen Geldkurs oder Geldparität ausgerichtet ist26 . Geld als gesetzliches Zahlungsmittel geht in der lytrischen Politik davon aus, daß es Schulden, insbesondere solche gegenüber dem Staat und auch umgekehrt Verpflichtungen des Staates gegenüber dem Bürger, gibt27 • In der Ausgestaltung der staatlichen Geldverfassung lehnt sich Max Weber insgesamt an die Begrifflichkeit von Georg Friedrich Knapp (1842 - 1926) an. Dieser hat sich in seiner "staatlichen Theorie des Geldes" von 1905 für eine Definition des Geldes als eines Geschöpfes der Rechtsordnung eingesetzt 28 . Geld erhält seinen Wert durch den staatlichen ,Aufdruck.29. Er nennt es ein "chartales Zahlungsmittel,,3o, das gleichzeitig Tauschmittel ist31 . Freilich können auch andere TauschVgl. Burghardt, Anton, Soziologie, S. 55. Vgl. Weber, Max, Wirtschaft und Gesellschaft, Tübingen 1972, S. 93. 27 Weber, Max, Wirtschaft, S. 98. 28 Daß gegen diese Deutung Widerstand entstehen mußte, wissen wir spätestens, seitdem es nach dem zweiten Weltkrieg die Zigarettenwährung gab, die sich spontan entwickelte! 29 Weber, Max, Wirtschaft, S. 99ff. Vgl. auch S. 109ff. 30 Weber, Max, Wirtschaft, S. 39. Weber hat diesen Ausdruck aus Georg Friedrich Knapps (1842-1926) "Staatliche Theorie des Geldes", 41923, übernommen. Diese sind nach Weber, Wirtschaft, S. 39, chartal zu nennen, wenn sie aufgrund der ihnen gegebenen "Form ein konventionelles, rechtliches, paktiertes oder oktroyiertes Ausmaß formaler Geltung innerhalb eines personalen oder regionalen Bereichs haben und gestückelt sind, das heißt: auf bestimmte Nennbeträge oder Vielfache oder Bruchteile von solchen lauten, so daß eine rein mechanische Rechnung mit ihnen möglich ist". 31 Weber, Max, Wirtschaft, S. 39. Es folgt eine weitere terminologische Festlegung von geldtheoretischen Ausdrücken, ohne daß von Weber selbst eine ökonomische Geldtheorie entwickelt werden soll (s. S. 40). Seine beiden gewichtigsten Unterschiede sind die beiden Arten des monetären (Münz-) und des Notalgeldes (Urkunden bezogenes oder heute: Papiergeld). Vgl. S. 39 u. 103. 25

26

8. Kapitel: Geldtheorien in der Soziologie

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mittel chartal genannt werden 32 . "Alle Arten des Geldes durch Rechtsordnung oder Vereinbarung mit Geltung versehene gestempelte und gestückelte Geldsorten, metallische ebenso wie nichtmetallische, gehören nach ihm" in diese Rubrik des chartalischen Zahlungsmittel 33 . Darum ist Geld für Weber ein mit rechtlicher Gültigkeit ausgestattetes künstliche hergestelltes (Artefakt) "Objekt" (Zahlungsmittel), das in einer bestimmten Stückelung hergestellt wird. Mit ihm sind Rechnungen zu bezahlen34 . Dagegen will Weber die naturalen Tausch- oder Zahlungsmittel entsprechend der Knapp'schen Definition nicht als ,chartal ' bestimmt sehen. Der Tausch gehört zu den Maßregeln des Wirtschaftens. Er ist ein Marktgeschehen, das zu einer Vergesellschaftung führt. Zum Tauschvorgang gehören Tauschund Zahlungsmittel. Zwar muß zwischen Tausch- und Zahlungsmittelfunktion unterschieden werden, aber historisch fielen sie sehr oft, freilich nicht immer, zu sammen 35 . Als Tauschmittel gilt dabei ein Objekt, das gegen andere Güter eingetauscht werden kann. Zunächst waren Waren die Tauschmittel in der Gesellschaft; diese wurden dann durch staatlichen Befehl zu Geld. Geld ist aber als Wertzeichen nicht nur an einen Stoff gebunden; in früheren Zeiten war es mit den Metallen Gold oder Silber verknüpft. Das Miteinander auf dem Markt, das im Wesen des Tausches liegt, ist allerdings nicht von Dauer. Der am Ende ,,realisierte Tausch" konstituiert dann allerdings nur eine Vergesellschaftung mit dem "Tauschgegner,,36. Dabei kann er sich auf alles erstrecken, wofür eine Übertragungsmöglichkeit besteht und wofür Entgelt bezahlt wird. Ein Tausch vollzieht sich also nicht nur im Austausch von Waren, sondern auch mittels Geld. Dabei gilt es zu bedenken: "Jeder Tausch mit Geldgebrauch (Kauf) ist überdies Gemeinschaftshandeln kraft der Verwendung des Geldes, welches seine Funktion lediglich kraft der Bezogenheit auf das potentielle Handeln anderer versieht. Denn daß es genommen wird, beruht ausschließlich auf den Erwartungen, daß es seine spezifische Begehrtheit und Verwendbarkeit als Zahlungsmittel bewahren werde,m. Der Tausch wird von Weber allgemein als ein Interessenkompromiß der Partner verstanden, durch den "Güter und Chancen" ausgetauscht werden 38 . Ist der Tausch wirtschaftlicher Art, muß er als "rational orientiert" gesehen werden. Er ist dann der "Abschluß eines vorhergehenden offenen oder latenten Interessenkampfes durch Kompromiß,,39. Für Knapp hatte der Geldwert keinen Einfluß auf die Preispolitik. Weber jedoch vermißt diese Auseinandersetzung in dem System Knapps; dadurch gelingt es die32 33

34 35 36

37 38

39

Weber, Weber, Weber, Weber, Weber, Weber, Weber, Weber,

Max, Wirtschaft, Max, Wirtschaft, Max, Wirtschaft, Max, Wirtschaft, Max, Wirtschaft, Max, Wirtschaft, Max, Wirtschaft, Max, Wirtschaft,

S. 39. S. 41. S. 40. S. 40. S. 382. S. 382. S. 36. S. 36.

III. Niklas Luhmann

111

sem nämlich nicht, den Einfluß der Preise und der Einkommen auf den Geldwert zu erkennen. Er empfindet dies als einen Mangel an der Knapp'schen Theorie 40 . Mit dem Anschluß an die Lehre Knapps und seiner Herausstellung der Tauschmittelfunktion hat Weber zwar den Zugang zu verschiedenen Funktionen gefunden, aber die modemen ökonomischen und währungspolitischen Aufgaben des Geldes nicht berücksichtigen können.

111. Niklas Luhmann Niklas Luhmann hat eine Systemtheorie der Gesellschaft entworfen, die sich zum Ziel gesetzt hat, Gesellschaft als ein Ganzes zu begreifen. Er will sie als das jeweils "umfassendste Sozialsystem" verstanden wissen41 . Ja, Wirtschaft ist ein "bis in die hintersten Winkel durchgreifendes Teilsystem der Gesellschaft,,42. Das Wirtschaftssystem ist wie die Kirchen oder die Politik als ein Teilsystem des Gesellschaftssystems zu verstehen. Das bedeutet, daß man nicht mehr insgesamt von dem Begriff einer wirtschaftlichen Gesellschaft ausgehen kann. In einem solchen Fall ist nämlich die Wirtschaft nicht so deutlich zu erkennen wie dann, wenn Wirtschaft und Gesellschaft als verschiedene Sozialsysteme unterschieden werden43 . Für Luhmann soll das Umdenken von einer "wirtschaftlichen Gesellschaft" zu einem "Wirtschafts system als Teilsystem des Gesellschaftssystems" definiert und vollzogen werden44 • Die Differenzierung der Wirtschaft im Gesellschaftssystem erfolgt durch "monetäre Zentralisation,,45. Geld ist dabei der Code für die wirtschaftlichen Prozesse. "Wirtschaftlich denken heißt: Übersetzen können in die Sprache des Geldes. Erst in dieser Sprache ist entscheidbar, ob es sich lohnt, Gegenstände aufzubewahren, oder ob es wirtschaftlicher ist, sie zu vernichten; ob es sich lohnt, Geld anzusparen, oder ob es wirtschaftlicher ist, es zu leihen, USW.,,46. Geld ist - wie die Sprache - eines der wichtigsten Kommunikationsmittel. In der Wirtschaft übernimmt das Geld zentral die Kommunikation. Es ist in der Funktion von Liquidität, Wertmaß und als Tauschmittel das Kommunikationsmedium, dem alle Wirtschaftsgüter unterliegen. Die geleistete Zahlung ist dann "als grundlegende Handlungsform, als Letztelernent, anzusetzen"47. Weber, Max, Wirtschaft, S. I1lf. Luhmann, Niklas, Soziale Systeme, Frankfurt 21985, S. 200 Anm. 13. 42 Luhmann, Niklas, Aufklärung, Bd. 3 S. 401. 43 Luhmann, Niklas, Soziologische Aufklärung, Bd. 1, Opladen 51984, S. 225. 44 Luhmann, Niklas, Aufklärung, Bd. 1 S. 227. 45 Luhmann, Niklas, Aufklärung, Bd. 3 S. 397. 46 Luhmann, Niklas, Aufklärung, Bd. 3 S. 397. 47 Bergmann, Wemer, Bewußtsein oder Handlung: Ansatzpunkte einer soziologischen Zeittheorie, in: Seifert, Eberhard, Ökonomie und Zeit, Frankfurt 1988, S. 97. 40 41

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8. Kapitel: Geldtheorien in der Soziologie

Diese System-Theorie der Gesellschaft ist aus der Theorie der Informationsverarbeitung entstanden. Sie setzt sich aus unterschiedlichen Kommunikationen zusammen. Die Kommunikation wiederum ist als eine Einheit zu erkennen, die aus der Information, ihrer Mitteilung und ihrem Verstehen besteht48 . Außerdem wird sie von Luhmann zu einer Theorie symbolisch generalisierter Kommmunikationsmedien erweitert. Dabei definiert er: - die Generalisierung als eine Verallgemeinerung von Sinnorientierungen, die Symbolisierung als das vereinfachte Ausdrücken von komplexen Interaktionslagen. Für jedes Medium läßt sich ein Code entwickeln, das als eine Struktur verstanden werden kann, die für jedes "beliebige Item" ein "komplementäres anderes" zuordnen kann49 . Solche Medien sind Wahrheit, Liebe, Macht und vor allem auch Geld. Im Unterschied zu Wahrheit und Liebe liegt die Besonderheit der Macht und auch des Geldes darin, "daß es nicht Selektion gleichen Erlebens, sondern Selektion von Handlungen ordnet"so. Der über das Geld verfügende Partner trifft die Entscheidung für sich. Aber Geld ist dabei ein universales Tauschmittel. Im Geldtausch kommuniziert der Mensch in Gestalt von TauschprozessensI. Geld ermöglicht freilich auch ein Umdrehen ("Reflexivwerden"s2) der Tauschprozesse. Der Tauschvorgang bezieht sich nämlich nicht allein auf das Kaufen und Verkaufen von Gütern, sondern ebenso - gleichsam auf der nächsten Stufe der Reflexivität, wie Luhmann sagt - auf der Ebene der "kreditmäßigen Finanzierung"s3. Das Geld stellt den Code für das Wirtschaften schlechthin dar. "Man braucht im Grunde nur noch für Geld zu sorgen, um der Zukunft im Rahmen des technisch und gesellschaftlich Möglichen gewachsen zu sein. Geld löst in dieser Hinsicht religiöse Sicherungsmittel ab, wird zum god term im Bereich der Wirtschaft"s4. Wirtschaften in ihrer modemen Gestalt wird durch das Geld und seine Organisation zu einer Einheit gebunden. Wirtschaft wird von Luhmann als modemes gesellschaftliches System zugleich als geschlossenes und offenes verstanden. Die Wirtschaft ist geschlossen auf Grund einer Zirkulation von Zahlungen bzw. Nichtzahlungen. Das System ist offen, da seine Bedürfnisse auf die Umwelt und die Gesellschaft abgestimmt werden ss . 48 Luhmann, Niklas, Systeme, S. 203. 49 Luhmann, Niklas, Macht, Stuttgart 21988, S. 32ff., Zitat: S. 33. 50 Luhmann, Niklas, Soziologische Aufklärung, Bd. I Opladen 51984, S. 213. 51 Vgl.Luhmann, Niklas, Systeme, S. 615. 52 Luhmann, Niklas, Aufklärung, Bd. I S. 216. 53 Luhmann, Niklas, Aufklärung, Bd. I S. 224 Vgl. S. 216. 54 Luhmann, Niklas, Aufklärung, Bd. I S. 214. 55 Vgl. Luhmann, Niklas, Wirtschaft der Gesellschaft, als autopoietisches System, in: Zeitschrift für Soziologie 1984 S. 308ff. Vgl. auch Luhmann, Niklas, Autopoiesis, Handlung und kommunikative Verständigung, in: Zeitschrift für Soziologie 1982, S. 366ff.

111. Niklas Luhmann

113

Die Redensart ,,zeit ist Geld" gilt für Luhmann im Grunde nur in einem "autopoietisch geschlossenen Wirtschaftssystem", wobei der Begriff der Autopoiesis in der Wirtschaft soviel bedeutet, daß die Eigendynamik der Wirtschaft auf ihre Fortsetzung ausgerichtet ist56 . Das entspricht letztlich einer Selbstreproduzierbarkeit des Sinngeschehens in der Wirtschaft5? In der Luhmann eigenen Sprache regelt eine "autopoietisch nicht geschlossene Wirtschaftsform" ohne eine Geldwirtschaft das Leben von der einen Ernte zur anderen 58 . Deshalb können dort auch keine großen Zeithorizonte ausgebildet werden. Erst das Medium Geld ermöglicht einen weiten Zukunftshorizont und schenkt damit eine Dispositionsfreiheit. Produktion, Konsum wie auch die Kapitalbildung sind vom Geld her geprägt. Ohne Geld existieren sie nicht, oder sie sind nur in sehr rudimentärer Form aus gebildet59 . Geld symbolisiert dabei in der Zeitdimension "jederzeitige Verfügbarkeit". Denn es gewährt Liquidität. Geld wird zu einem relativ zeitunabhängigen Bestand, "den man haben, aber auch nicht haben kann,,6o. Es ist das Verdienst Luhmanns, auf das Geld als entscheidendes Kommunikationsmittel in Wirtschaft und Gesellschaft hingewiesen zu haben. In seiner Systemtheorie kommt besonders die soziale Dimension des Geld als Code für die Kommunikation zum Tragen. Es liefert für ihn Zukunftsperspektiven. Auf die ökonomischen Aufgaben des Geldes geht er freilich im einzelnen nicht ein.

Vgl. Reese-Schäfer, Walter, Luhmann zur Einführung, Hamburg 1992, S. 47. Vgl. Bergmann, Wemer, Bewußtsein, S. 97. Der Begriff Autopoiesis, abgeleitet aus dem Griechischen autos und poiesis, bedeutet im Biologischen die Selbstreproduktion des Lebens. Allgemein läßt sich formulieren, daß Autopiesis die Eigenschaft von Systemen darstellt, sich selbst zu erneuern, ohne dabei die ihnen eigene Struktur aufzugeben. 58 Vgl. Bergmann, Werner, Bewußtsein, S. 96. 59 Luhmann, Niklas, Aufklärung, Bd. 3 S. 400. 60 Luhmann, Niklas, Aufklärung, Bd. I S. 214. 56

57

8 Kramer

Neuntes Kapitel

Geld und Zeit I. Die Zeitentwicklung in der Geschichte Was ist Zeit? "Wenn mich niemand danach fragt, weiß ich es; will ich einem Fragenden es erklären, weiß ich es nicht", definierte Augustin '. Alles, was geschieht, geschieht in dieser Zeit. Zeit ist keine Kategorie der Ewigkeit, sondern gehört zum Geschaffenen 2 . Der irdischen Zeit, um die es sich hier handelt, steht die göttliche Ewigkeit als Reich der göttlichen Herrschaft und damit die ewige ,,zeit" gegenüber. Die irdische Zeit ist die Zeit, in der Menschen die Gelegenheit haben, in der Schöpfung zu leben und an ihr teilzunehmen. Zeit konstituiert den Menschen. Der Mensch ist, solange er Zeit hat. ,,Ein jegliches hat seine Zeit, und alles Vorhaben unter dem Himmel hat seine Stunde" (Prediger 3,1). Zeit dient dem Menschen, sein Werk in dieser Welt zu erfüllen. Unter eschatologischem Aspekt allerdings erhält auch die Zeit ihre Relativität: "Sorget nicht um euer Leben, was ihr essen und trinken werdet; auch nicht um euren Leib, was ihr anziehen werdet" (Mt. 6,25; vgI. Lk. 12,22). Je umsichtiger die Gläubigen in Weisheit wandeln, um so nutzbringender ist die Zeit hier auf Erden. Darum wird gefordert: "Kauft die Zeit aus" (KoI. 4,5 u. Eph. 5,16). Ein Überdenken der Zeit heißt Nachdenken über die Vergangenheit, bedeutet Erinnerung an das Vergangene. Das Überdenken der Gegenwart heißt ihr Erleben3 . Ein Bedenken der Zeit heißt heute bei der jüngeren Generation ein "Nachdenken über die Zukunft,,4. Auch wirtschaftliches Handeln geschieht immer unter Berücksichtigung der Zukunft. Während Menschen in einer Weidewirtschaft und bei einer Landwirtschaft mit Ackerbau zukunftsorientiert leben - sie müssen warten bis zur Ernte oder zur Aufzucht ihrer Tiere -, leben Nomaden in der Gegenwart. Sie wandern, bis sie zur Futterquelle oder Wasserquelle kommen. Heute dagegen will man sich gegen die Gefahren der Zukunft absichern oder sie "gegenüber Vergangenheit und Gegenwart als eine Steigerung erleben"s. 1 Zitiert nach Moltmann, JÜfgen, Gott in der Schöpfung, München 1985, aus Augustins Confessiones,XI, 14,17. 2 Vgl. Moltmann, JÜfgen, Gott, S. 124. 3 Vgl. Wendorff, Rudolf, Der Mensch und die Zeit, Opladen, 1988, S. 88. 4 Wendorff, Rudolf, Mensch, S. 88. 5 Wendorff, Rudolf, Mensch, S. 153.

I. Die Zeitentwicklung in der Geschichte

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Geld und Zeit stehen in einem natürlichen wirtschaftlichen Verhältnis zueinander. Denn Arbeit und Wirtschaften sind die zweckbestimmte Ausfüllung der Zeit. In der vorindustriellen Gesellschaft spielte die Zeit als Produktionsfaktor eine geringere Rolle. Man setzte auf die handwerkliche Perfektion. Je mehr die Produktion sich zur industriellen Herstellung von Massengütern entwickelte, die auf Verbrauch und auf einen schnellen Umschlag ausgerichtet ist, umso mehr wurden aus der Zeit ein wichtiger Produktionsfaktor und aus dem Arbeitslohn Kosten. Das Verwerfen der Zinsforderung im Mittelalter hatte mit dem religiös geprägten Arbeits- und Lebensrhythmus der damaligen Zeit, die schließlich weitgehend durch die agrarische und handwerkliche Produktionsweise geprägt war, zu tun. Der Grund für das Verwerfen lag in der Ansicht, daß Zins Diebstahl der dem Menschen geschenkten göttlichen Zeit war. In der Blütezeit der Industrialisierung wurde dagegen durch das Aufkommen des mobileren Investivkapitals gegenüber dem immobilen Grund und Boden aus der Zeit ein besonderer Produktionsfaktor; nun fanden nämlich die zeitabhängigen Größen Zins und Gewinn bei der Güterproduktion Berücksichtigung. Bis in die Zeit des Mittelalters hinein ging die wirtschaftliche Betätigung auf dem Lande speziell vom Grund und Boden aus. Im Zuge der wirtschaftlichen Entwicklung rückte das ökonomische Betätigungsfeld immer mehr in die Stadt. Zeit wird zu Geld. "Geld und Zeit sind die Machtmittel des Bürgers,,6. Geld erweist sich gleichsam als Symbol von Bewegung und Beweglichkeit. Geld verbindet sich mit der Zeit. "Für den absoluten Bewegungscharakter der Welt gibt es sicher kein deutlicheres Symbol als Geld ... ; sobald es ruht, ist es nicht mehr Geld seinem spezifischen Wert und seiner Bedeutung nach ... Es ist nichts anderes als der Träger einer Bewegung ... ,,7. Noch war für den einzelnen Bürger die Bindung an das Kirchenjahr und damit auch an seine Feiertage maßgeblich. "Aber schon im vierzehnten Jahrhundert wurde die alte Aufgliederung des Jahres und die Orientierung von Zeitabläufen an den kirchlichen Festen aufgelöst. Zunächst wurden die Abrechnungen der Kontore zum I. I. und zum I. VII. eingeführt. Dann griffen die neuen, kalendarischen neutralen Ordnungsschemata auch in das übrige Leben ein. So wurde der alte Tageslauf, der sich über Sonnenaufgang, Frühmesse, Mittag, Vesper und Angelusandacht bis in die nächtliche Dunkelheit entwickelte, in zweimal zwölf Stunden eingeteilt"s. Mit der biblischen Regel: "Nutzet die Zeit" wurde auch in den alten Klöstern die stundenweise Einteilung der Zeit eingeführt. Zeit wurde als Geschenk Gottes gesehen, dem es galt, sich "würdig zu erweisen und dem eigenen Leben bewußt soviel wertvollen Inhalt wie möglich zu geben,,9. Die entstandene abstrakte Gliederung der Zeit, des Jahres, der Woche und des Tages, stand in enger Verbin6 7

8 9

Wendorff, Rudolf, Zeit und Kultur, Opladen 1980, S. 201. Simmel, Georg, Philosophie, S. 583. Zitat wurde übernommen aus Rinderspacher, JÜfgen, P.Gesellschaft, S. 37. Wendorff, Rudolf, Mensch, S. 104.

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9. Kapitel: Geld und Zeit

dung mit dem "Aufkommen und Vordringen der GeldwirtschaJt und neuer ökonomischer Formen, die das erstarkende Handels- und Kaufmannskapital repräsentieren" 10. Es war besonders das Kreditwesen, das außer dem Geschäftsvertrags- und Transportwesen ökonomisch zur Ablösung des Mittelalters führte. In allen drei Fällen gab die Zeitsetzung den entscheidenden, ja konstitutiven Faktor ab. Im Kreditwesen spielt der Zeitfaktor bei der Laufzeit und der damit verbundenen Tilgungsfrist eine wichtige Rolle, im Geschäftsvertrag und beim Transport ist er bei der zeitlichen Fixierung des Kapitals, bei der Liefer- bzw. Lagerzeit von erheblicher Bedeutung 1I. Bereits im 18., besonders im 19. Jahrhundert, wurde mit der Produktion von Massenartikeln immer mehr auf die Zergliederung des Arbeitszeitprozesses Wert gelegt. Im 20. Jahrhundert findet die eigentliche Durchrationalisierung des Arbeitsprozesses statt. Um 1895 trieb F. W. Taylor mit seinen "Grundsätzen wissenschaftlicher Betriebsführung" die Aufgliederung von Arbeitsprozessen voran. Seine Werkzeuge dafür waren die Stoppuhr und Arbeitszeitstudien bzw. -pläne. Er wollte die kürzeste Zeit unter optimalen Werkzeugen ermitteln. "Der Taylorismus intendiert also die Herstellung von Zeitersparnis nicht durch Einwirkung auf die Produktionsgeschwindigkeit der Maschine, sondern durch die Einwirkung auf die Arbeitsgeschwindigkeit der Arbeitsperson,,12. In Zukunft standen die zeitökonomisehen Grundsätze und die humanen Arbeitsbedingungen in einem Gegensatz zueinander, ohne sich freilich völlig auszuschließen. Zeitersparnis bedeutete Geldoder Kapitalersparnis.

11. Die soziale Dimension der Zeit Die Zeit hat sich wie das Geld als eine soziale Dimension entwickelt. Sie dient dem Menschen, sein Leben in dieser Welt zu ordnen und die Gesellschaft langfristig auszurichten. Denn Zeit wurde nicht mehr nur als eine physikalische oder astronomische Größe oder als ein dem Menschen "angeborenes Instrument zur Orientierung in seiner Umwelt" gesehen, sondern als eine "gesellschaftliche Konvention, die aus pragmatischen Erfordernissen der Bewältigung der menschlichen Existenz resultiert,,13. Diese Zeit wird als "soziale" Zeit verstanden. Rinderspacher, JÜfgen, P., Gesellschaft, S. 37. Vgl. dazu Rinderspacher, Jürgen, P., Gesellschaft, S. 38. 12 Rinderspacher, JÜfgen P., Gesellschaft, S. 92. Diese Gedanken sind dann später in Deutschland nach dem 1. Weltkrieg von dem "Reichs sau schuß für Arbeitszeitermittlung", abgekürzt REFA, und in den USA 1943 durch das MTM-System (Methods Time Measurement) übernommen und weitergeführt worden. Die MTM-Methode wurde erst zu Beginn der 60er Jahre in Deutschland eingeführt. 10

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11. Die soziale Dimension der Zeit

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Zeit ist zwar - wie das Geld auch - ein knappes Gut l4 , mit dem der Mensch sorgsam und ökonomisch-effizient haushalten muß. Mit Recht weist Rinderspacher darauf hin, daß ,je mehr die Zeit bewirtschaftet wird, desto mehr steigt der Wert der Zeit; je mehr aber der Wert der Zeit wächst, desto größer wird die Notwendigk~it der Bewirtschaftung,,15. Eine Zeiterspamis zählt als solche noch nichts, sondern erst die Fähigkeit, mit dem Faktor Zeit richtig umzugehen 16. Unter Berücksichtigung der zeitlichen Komponente erstellt der Mensch sowohl die für ihn notwendigen als auch unwichtigen Güter des Lebens. Die Zeit wird zum entscheidenden Wirtschaftsfaktor. Denn menschliches Arbeiten stellt sich als eine Funktion der Zeit dar. Volkstümlich wird dieser Zusammenhang heute gern in der Formulierung ausgedrückt: ,Zeit ist Geld'. Bereits Max Weber fand diese Formulierung bei Benjamin Franklin als Kennzeichnen des Kapitalismus vor 17 , wie er es im ersten Teil seiner "Protestantischen Ethik" angab. Diese Aussage gilt selbstverständlich in den Fällen, in denen Geld vorhanden ist und auf eine Anlage wartet. Sie sollte freilich noch durch die Sätze: "Zeit kostet Geld" und ,,zeit bringt Geld" zugespitzt werden. Die Folge ist dann: "Wer nicht warten kann oder will, wird ,bestraft' ,,18. Andererseits freilich ist in diesem Zusammenhang auch der bekannte Satz von Michael Gorbatschow hinzuzufügen: Wer nicht mit der Zeit geht, den bestraft das Leben. "Schon die ältesten Kulturen wußten, daß man Zeit wirtschaftlich mehr oder auch weniger nutzen kann,,19. Wichtig allein war und ist, daß die Zeit als Produktions faktor nur begrenzt zur Verfügung steht. Zeit kann also in Geld verwandelt werden. Die Umkehrung "Geld ist Zeit" hat ökonomisch nur dann ein Recht, wenn unter dem Einsatz von Geld freie Zeit geRinderspacher, Jürgen P., Gesellschaft, S. 20. Vgl. Rinderspacher, Jürgen P., Mit der Zeit arbeiten, S. 102ff.in: Im Netz der Zeit, Hrsg. Rudolf Wendorff, Stuttgart, 1989. 15 Rinderspacher, Jürgen, P., Gesellschaft, S. 69. 16 Ein geringerer Zeitverbrauch ist keineswegs mit einer Einsparung von Zeit zur Verrichtung anderer Arbeiten verbunden, sondern dient oft "nur" zu einer mengenmäßigen Ausdehnung der Güter. Vergleichbar ist die Rationalisierung der Hausarbeit durch die moderne Technik der Wasch- und Geschirrspülmaschine. Sie haben nicht zu einer Einsparung von Arbeitszeit, sondern zu einem erhöhten Lebensstandard geführt. Vgl. dazu Rinderspacher, Jürgen P., Gesellschaft, S. 57 ff. 17 Vgl. Weber, Max, Die protestantische Ethik, Hrsg. Johannes Winckelmann, Gütersloh 1965, S. 40. Weber zitierte damals: "Bedenke, daß die Zeit Geld ist; wer täglich zehn Schillinge durch seine Arbeit erwerben könnte und den halben Tag spazieren geht oder auf seinem Zimmer faulenzt, der darf, auch wenn er nur sechs Pence für sein Vergnügen ausgibt, nicht dies allein berechnen, er hat nebendem noch fünf Schillinge ausgegeben oder vielmehr weggeworfen. Bedenke, daß Kredit Geld ist . .. Bedenke, daß Geld von einer zeugungskräftigen und fruchtbaren Natur ist ... ". Für Weber ist damit eindeutig der aristotelisch-scholastische Ansatz, daß Geld kein Geld gebieren kann, verworfen. Denn er schreibt weiter: "Geld kann Geld erzeugen und so fort". 18 Wendorff, Rudolf, Mensch, S. 163. 19 Wendorff, Rudolf, Mensch, S. 154. 13

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9. Kapitel: Geld und Zeit

kauft werden kann. Schließlich muß nicht immer, um Geld zu verdienen, Zeit eingesetzt oder gearbeitet werden. Es genügt, vorhandenes Vermögen - allerdings hier auch unter Einsatz der Zeit - für diesen Zweck zu nutzen. Das z. B. auf eine Verzinsung angelegte Kapital (Geld) berücksichtigt die Zeit. Wer Geld hat, kann sich Muße oder Freizeit kaufen.

III. Die Arbeitszeit Heute jedoch gibt die Verknüpfung von Geld und Zeit zum größten Teil eine Beziehung wieder, die durch die menschliche Arbeit gekennzeichnet ist. Die Arbeitnehmer bekommen für ihre Tätigkeit und damit für ihren Zeiteinsatz ihren Lohn. Der Wunsch nach einer Einführung der Zeitautonomie für den einzelnen Beschäftigten ist zu einem fundamentalen Ansatzpunkt der Gewerkschaften bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit in den neunziger Jahren geworden. Die verschiedenen Arbeitszeitmodelle weisen darauf hin, daß die autonome Bestimmung über die Zeit nicht nur als ein Faktor bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, sondern auch als eine Entflechtung des Verhältnisses von Arbeitszeit und Freizeit angesehen wird, obwohl durch eine geringere Arbeitszeit eine Einbuße im Arbeitslohn hingenommen werden muß. Das Problem der FIexibilisierung der Arbeitszeit ist zu einem Mittel der Arbeitsplatzsicherung geworden 2o . Wichtig ist dabei die Anpassung der Arbeitszeit an die "individuellen Bedürfnisse" und an die "biologischen und sozialen Rhythmen,,21. Die Forderung nach einer FIexibilisierung der Arbeitszeit wird nicht nur von einer Seite vorgetragen, sondern Arbeitgeber wie auch Arbeitnehmerseite befürworten sie und sind gleichermaßen der Meinung, daß bei einer Zeitsouveränität durch den Arbeitnehmer der Zeit immer mehr Rechnung getragen wird. Denn Zeit ist als selbständige Größe zu einem eigenständigen Konsumgut geworden. Sie ist nicht mehr nur Mittel, sondern Ziel. Man setzt sie nicht nur ein, sondern strebt nach einer Erhöhung der zur Verfügung stehenden Zeit. Freilich bleibt für den einzelnen Beschäftigten trotzdem die Zeit als wichtigster Faktor, um Einkommen zu erzielen. Im Koordinatensystem Geld-Zeit-Arbeit drückt sich die Sorge um die Existenz und die Suche nach dem Lebenssinn des Menschen aus. Die modeme Entwicklung verlangt, daß sich die Menschen in dieses Koordinatensystem einordnen. In ihm heißt es, daß wenig Zeit und viel Arbeit zu haben, viel Geld bedeuten; umgekehrt kann oft wenig Arbeit und viel Zeit mit wenig Geld gleichgesetzt werden 22 . 20 Man vergleiche nur die Dikussion, die bei Einführung des neuen Arbeitszeitmodells bei den Volkswagenwerken einsetzte. 21 Rinderspacher, Jürgen P., Gesellschaft, S. 307. 22 Vgl. Delekat, Friedrich, Christ, S. 72.

111. Die Arbeitszeit

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Die Zeit untersteht wie das Geld der Kontrollfunktion des Messens. Schließlich wird Zeit wie Geld gezählt. "Gemessene Zeit wird zunehmend der Rahmen für rationales, systematisches methodisches Arbeiten und Wirtschaften: für die Planung, die Durchführung und Kontrolle'.23. Durch die Zeit lassen sich die immer wiederkehrenden sozialen Prozesse bestimmen. Die Kalenderzeit fixiert die Einzelschicksale genau. Zeit veranschaulicht auch die Einbettung des einzelnen in die soziale Welt24 . Von beiden Dimensionen des Lebens, also von Zeit und Geld, ist der Mensch existentiell betroffen. Darum ergeht auch die Forderung an ihn, mit beiden Faktoren hauszuhalten. Eine sehr einfache personalethische Zuordnung von Zeit und Geld hat Friedrich Delekat gegeben25 . Er schrieb über dieses Verhältnis: "Das Geld muß ,reichen' ", tut es das nicht, so bleibt eine bestimmte Strecke der Zeit finanziell ungedeckt. Das kann Hunger bedeuten. "Die Zeit hat dann gleichsam ein Loch. Umgekehrt gibt es Zeiten, die mit Geld dicht zugedeckt sind,,26. Delekat reflektiert über das Wort Jesu aus der Bergpredigt (Mt. 6,11 - 34): "Sorgt euch nicht um euer Leben und darum, daß ihr etwas zu essen habt, noch um euren Leib und darum, daß ihr etwas anzuziehen habt ... Seht die Vögel unter dem Himmel an: sie säen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln nicht in Scheunen; und euer himmlischer Vater ernährt sie doch" (Mt. 6,26). Diese Verse dürfen nach ihm nicht in einem "kurzschlüssigen Biblizismus" wörtlich verstanden werden 27 . Der Christ lebt schließlich nicht von der Hand in den Mund. Er kann, darf und muß ebenfalls Vorsorge treiben. Aber zwischen vernünftiger Vorsorge und einem Streben nach Sicherheit muß unterschieden werden. Die Entstehung der modemen Zeitordnung und einer dadurch veranlaßten ökonomischen Entwicklung ist gekoppelt - wie dargelegt - an eine tiefgreifende technische, ökonomische und soziale Wandlung in der Neuzeit gegenüber dem Mittelalter. "Dabei hat das neue Zeitverständnis sowohl diese Veränderung mitbewirkt, wie es auch gleichzeitig ein Ausdruck dieser Veränderung ist,,28. Heute ist der Umgang des Menschen mit der Zeit zu einem Stützpfeiler seines materiellen Wohlstandes geworden. Wettbewerb auf allen Gebieten und Leistungsorientierung ist sein besonderes Zeichen. Diese Entwicklung hat in der Gegenwart begonnen. Aber sie ist ganz auf die Zukunft ausgerichtet. Wer den Zeitfaktor ,Zukunft' vernachlässigt und etwa allein auf den gegenwärtigen Erfolg setzt, verliert langfristig den ökonomischen Anschluß. Zeit ist zu einem entscheidenden Faktor betriebswirtschaftlicher Kalkulation geworden. 23 24

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Wendorff, Rudolf, Mensch, S. 158. Vgl. Elias, Norbert, Über die Zeit, Frankfurt 1988, S. XXXVIII. Delekat, Friedrich, Christ, S. 71. Delekat, Friedrich, Christ, S. 71f. Delekat, Friedrich, Christ, S. 74. VgI. Rinderspacher, Jürgen P., Gesellschaft ohne Zeit, FrankfurtlMain, New York 1985,

S.33ff.

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9. Kapitel: Geld und Zeit

In der Frage der Umschlagsgeschwindigkeit des Kapitals spielt die Zeit eine wichtige Rolle. Die Uhr wird nicht nur zum Zeitmessinstrument, sondern ist zugleich das Kriterium für die Lohnberechnung oder gilt als ein besonders deutlicher Indikator für die Kaufkraft des Geldes. Der Umgang mit der Zeit wird in einem vom Unternehmer ausgeübten Zwang zur Rationalisierung von Arbeitsmethoden, die möglichst wenig Zeit beanspruchen, sichtbar. Die Ökonomie der Zeit bildet die Grundlage für das ökonomisch- rationale Handeln. Die aufgewendete Zeit ist ein guter Spiegel für die Rationalisierung und Technisierung in der Ökonomie. In der Berechnung von Lohnminuten etwa zeigt sich die Veränderung (Verbesserung) der Kaufkraft des Geldes. Von 1958 bis zum Jahr 1994 haben sich die Relationen erheblich verbessert. Für 250g Markenbutter mußten 1960 noch 39 Minuten, 1994 dagegen nur noch 6 Minuten aufgebracht werden. Bei einem Kühlschrank waren 1960 noch 156 Stunden und 30 Minuten nötig, während 1994 nur 33 Stunden und 13 Minuten aufzuwenden waren. Bei einem 1/2 I Flaschenbier stehen den 15 Minuten von 1960 nur noch 3 Minuten 1994 gegenüber, für den Schwarzweißfernseher benötigte man 1960 noch 351 Stunden und 38 Minuten Kaufkraft, für den Farbfernseher von 1994 dagegen nur 70 Stunden und 9 Minuten29 .

IV. Das Verhältnis von Zeit und Ökologie Die Zeitökonomie wird heute streckenweise abgelöst durch eine ökologische Ökonomie. Die Berücksichtigung der ökologischen Probleme auch in der Ökonomie hat sich so gar sehr weit durchgesetzt. Es scheint bereits in vielen Bereichen nicht mehr darum zu gehen, ob die Ökologie Berücksichtigung findet, sondern wann das geschieht. Dabei drängen die Ökologen auf eine kurze Zeitspanne, die Ökonomen meinen, die Welt habe noch Zeit. Zwar ist die Kategorie der Erwartung immer noch ein gewichtiger Impuls für das ökonomische Handeln des Unternehmers. Aber dieses erfährt zunehmend eine immer deutlichere umweltbezogene Korrektur. War bisher das Erwartungsmotiv (auf Gewinn oder Zins ausgerichtet) die alleinige Grundlage für den Einsatz von Produktionsmitteln, so fragt man heute vielfach, ob es sich überhaupt noch lohne, solche Zeiterspamisse in Geld umzusetzen, oder ob es nicht sinnvoller sei, umweltverträglich zu wirtschaften. Es geht eben nicht mehr nur um eine Verbilligung der Güter, sondern angesichts des Drucks der Gesellschaft auch um ihre umweltfreundliche Produktion. Bei einer wertorientierten Geldanlage werden heute oft Unternehmen unter ethischen und ökologischen Gesichtspunkten bewertet (Rating)3o. Mehr als früher denInfonnationsdienst des Instituts der deutschen Wirtschaft Nr. 24 vom 15. Juni 1995, S. 8. Vgl. Nguyen-Khac, Tung Q.I Walter Homolka, Ethik und Ökologie - Maßstäbe bei der Geldanlage, in: Die Bank, Hrsg. Bundesverband deutscher Banken, Köln, H. 10 Okt. 1995, S.583ff. 29

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IV. Das Verhältnis von Zeit und Ökologie

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ken Kapitalanleger nicht nur an ihre Rendite, sondern auch an den Erhalt der Ressourcen. Sie fragen bei ihrer Anlage nach der Verantwortung gegenüber der Umwelt. Unternehmen, die sich um eine ethische und/oder ökologische Wertorientierung verschrieben haben, werden darum von den Anlegern bevorzugt. Dabei stehen dann im Vordergrund solche Unternehmen, die sich dem Umweltschutz verpflichtet fühlen, auf Tierversuche verzichten, Verbraucherrechte schützen, - umweltschonende Technologien einsetzen, - keine Rüstungsgüter herstellen etc. 31 . Es werden bereits in Deutschland, in den USA und Großbritannien eine angemessene Zahl von wertorientierte Investments aufgrund solcher ethischen und ökologischen Kriterien getätigt. Für den einzelnen Arbeitnehmer ist auch heute noch die Zeitersparnis von großer Bedeutung. Das Stöhnen vieler Menschen in der Gegenwart über den Zeitmangel ist ebenso wie das Streben der Gewerkschaften, die Arbeitzeiten weiter zu verkürzen, dafür ein deutliches Zeichen. Aber gleichzeitig fragt es sich, ob die Verkürzung von Verkehrszeiten durch schnellere Verbindungen und bessere Straßen mit dem ökologischen Schäden (Vernichtung von Land, Luft und Wasser, Begrenzung von Landschaftsschutzgebieten etc.) zu vereinbaren ist32 . Muß nicht um des Umweltschutzes willen auf die Entwicklung und Produktion umweltschädlicher oder ökologisch bedenklicher Güter verzichtet werden? Das freilich bedeutet nicht, daß Ökologie mit weniger oder gar ohne Geld machbar ist. Vielmehr heißt die Konsequenz: Auch Ökologie kostet Geld. Indessen werden wegen einer zunehmenden Monetarisierung der Ökonomie und der Gesellschaft alle Güter, auch die der Natur, unter dem Geldaspekt gesehen, der sie wie das Geld in der "Schöpfung" unendlich vermehrbar ercheinen läßt. Daraus könnte sich eine grenzenlose Ausbeutung der Natur ergeben33 . Demgegenüber ist jedoch zu betonen, daß in den wichtigsteh Industrieländem hinreichendes Wissen um die Begrenztheit der Ressourcen vorhanden ist, ohne daß freilich entsprechend danach immer gehandelt wird.

Nguyen-Khac, Tung Q.I Walter Homolka, Ethik, S. 584. Merk, Gerhard, Festschrift, Güter und Ungüter, Hrsg. Hans Gerd Fuchs, Alfred Klose, Rolf Kramer, Berlin 1991. 33 Vgl. Binswanger, Hans Christoph, Geld, S. 17. Vgl. oben 2. Kap. V. 31

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Zehntes Kapitel

Rückblick und Ausblick

Geld wird seit alters in einer strengen Dialektik gesehen. Einerseits strebt man danach, ja liebt es sogar. Andererseits wird es als Inbegriff des Bösen erkannt. Immer steht es in einer engen Beziehung zur Ethik. Diese wird verstanden als eine Reflexion menschlichen Verhaltens auf dem Boden überkommener Gewohnheiten. Heute wird stärker als in füheren Jahrzehnten in der Theologie und in der Ökonomie nach einer Ethik des Geldes gesucht. Dabei strebt die Ökonomie nach einer Geldethik im umfassenden Sinn. Denn in ihr müssen sowohl mikro- als auch makroökonomische Perspektiven mitbedacht werden. Zu ihr gehören nämlich auch währungs- und finanzethische Aussagen. Als Adressaten kommen ebenso die Verwender (Verbraucher) von Geld wie auch Institutionen infrage, die sich mit Geld und seinem Umgang oder mit seinem Wert beschäftigen. Die Ordnung des Geldwesens beeinflußt nicht nur die Wirtschaftspolitik, sondern das gesamte Wirtschaftsgeschehen und sogar die politische Struktur eines Landes. Darum spielt auch das Geldwesen in der europäischen Wirtschafts- und Währungsunion eine so bedeutende Rolle. Die Geschichte des Geldes reicht weit zurück. Heute gilt der sakrale Bereich als die Grundlage für seine Entstehung. Zwar gilt darum die Konventionstheorie als überholt. Aber für die Entwicklung des Tauschhandels haben die unterschiedlichen Geldformen eine gewichtige Rolle gespielt. Geld war für die Entwicklung des eigentlichen Warenverkehrs und darüber hinaus für die generelle wirtschaftliche Entwicklung von fundamentaler Bedeutung. Es existierten unterschiedliche Formen von Geld, die später speziell durch Münz- und Papiergeldformen und vor allem auch durch das Giralgeld abgelöst wurden. In der Gegenwart und mehr noch in der Zukunft wird eine andere Art von Geld hinzukommen: Das Digitalgeld. Dieses wird zwar kaum das Münzgeld und die Banknote ersetzen, aber doch zukünftig einen starken Einfluß auf das Geldverhalten des einzelnen Konsumenten oder Sparers ausüben. Die Beurteilung des Umgangs mit dem Geld wird sich dann noch verschärfen. In Deutschland wurde das Münzgeld schon recht früh, das Papiergeld dagegen erst im 18. Jahrhundert eingeführt. Indessen gilt ökonomisch alles, was Geldfunktionen ausübt, als Geld: von der Tauschmuschel über die Zigarette bis zum anerkannten und gesetzlich festgelegten Zahlungsmittel in unterschiedlichen Formen.

10. Kapitel: Rückblick und Ausblick

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Als Zahlungsmittel bedeutet Geld einen verbürgten Anspruch gegenüber dem Sozialprodukt, der zu jeder Zeit eingelöst werden kann. Geld erfüllt eine soziale Funktion. Denn es stellt eine Kommunikation zwischen den Menschen her. Soziologen und Ökonomen haben darum im Geld mehr als nur ein Bündel von geldtheoretischen Funktionen gesehen. Durch Geld wird nämlich die Freiheit des Seins, des Handeins, der Arbeit und der Freizeit in Gegenwart und Zukunft vermittelt. Geld schenkt Perspektiven des Lebens. Es gewährt soziale Zugehörigkeit und schafft Kommunikation. Denn es fördert das soziale Miteinander. Geld ist neben der Sprache und dem nonverbalen Handeln eines der besonderen Ausdrucksmittel gegenständlicher Verständigung. Mit Geld vollzieht sich soziale Verständigung in unterschiedlicher Form als heiliges Handeln am Altar, als Bezahlung des Brautpreises oder als Vertragserfüllung zwischen Privatpersonen ebenso wie zwischen Kaufleuten 1. An diesen gesellschaftlichen Dimensionen ist wichtig, daß dem Geld außer seinen wirtschaftstheoretischen Funktionen der soziale Bezug zuerkannt wird. Indessen, es bleiben heute als wichtigste Aufgaben die währungs-, wirtschafts- und geldpolitischen Funktionen. Es ist die Absicht dieser Überlegungen, einen Ansatz für eine christliche Ethik des Geldes zu suchen und diese sowohl im Blick auf eine personale als auch soziale Verantwortung zu entwickeln. Entscheidend ist für die Geldethik der Umgang mit dem Geld und nicht der Geldbesitz als solcher. Weder Geld noch Reichtum sind als solche verwerflich, sondern was der Mensch daraus macht, zeigt an, ob ein verantwortlicher Umgang mit dem Geld stattfindet. Geld ist nicht das Letzte, das der Mensch erstrebt und nach dem er sein Leben bewertet. Es ist nicht der Maßstab schlechthin. Darum macht auch Geldbesitz nicht den Menschen aus. Geld kann darum ethisch nur in seiner sozialen Komponente als ein relativer Wert verstanden werden. Außerdem müßte hinsichtlich Geldes und des Geldbesitz der aus der Verantwortung gegenüber dem Nächsten und der Schöpfung praktizierte Umgang jeweils mit dem Geld im Blick sein. Die Geldethik beschäftigt sich sowohl mit dem subjektiven wie dem objektiven Wert des Geldes. Der objektive Wert hat es mit der Währungsethik zu tun. Denn in ihm zeigt sich der Geldwert im Vergleich zu den Güterpreisen. Deshalb gehört zu ihm nicht nur der Binnenwert, sondern auch sein Außenwert. Der subjektive Wert des Geldes sagt etwas über die persönliche Einschätzung des Nutzen aus, den man aus dem Geld zieht. Indessen wird dieser Wert nicht allein subjektiv bestimmt, sondern in ihn gehen auch von außen gesetzte Fakten ein, wie Preise und Geldmenge etc. Der private Umgang mit dem Geld ist geprägt durch Konsum, Sparen und die Kreditaufnahme für den persönlichen Bedarf. Die subjektive Entscheidung über den privaten Umgang mit dem Geld ist zwar vom Staat und der Gesellschaft hinzunehmen, aber sie wird in einem bestimmten Maße aufgrund gesellschaftlicher Normen oder staatlicher Gesetzgebung (Steuergesetze) beeinflußt. Sie zeigt aller-

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Beutter, Friedrich, Dimension, S. 16f.

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10. Kapitel: Rückblick und Ausblick

dings auch auf, ob der Mensch sich eines verantwortlichen Umgangs mit dem Geld bewußt ist. Die private Lebensgestaltung wird wesentlich durch das Geld bestimmt. Das gilt im besonderen im Blick auf die Entscheidung, ob er konsumiert, spart oder über einen Kredit seine Ausgaben finanziert. Die Max Weber zugeschriebene Theorie über die Entstehung des Kapitalismus stimmt zwar nicht in dem Sinne, wie sie immer wieder behauptet wird. Aber die eine der beiden Thesen, die einer innerweltlichen Askese gegenüber dem Konsum nämlich, kann auch heute noch ein richtiger Ausdruck eines wertebewußten Umganges mit dem Geld darstellen. Die Ethik des Geldes hat ihre Bedeutung auch im Bereich der mikroökonomischen Unternehmensführung bei der Produktion und der Investition. Der Unternehmer entscheidet schließlich, was er, wann und unter welchen Bedingungen produzieren will. Er wählt das Material und sucht sich den Abnehmerkreis. Er selbst entscheidet damit auch über sein Geld. Als individueller Ansatzpunkt einer unternehmerischen Geldethik ist die Freiheit zu sehen. Denn der Mensch strebt nach Freiheit und will sie mit Hilfe des Geldes verwirklichen. Der Unternehmer steuert mit Geld die Güterproduktion und auch den Güterverbrauch. Das Geld sorgt so auch für die Güterverteilung. Die Nationalökonomie bestimmt das Geld nach den genannten Funktionen als Zahlungs- oder Tauschmittel, als Wertaufbewahrungsmittel und als Recheneinheit. Aber Geld besitzt in außerökonomischen Bereichen noch andere Funktionen. Denn der Geldbesitz gewährt generell und nicht nur für den Unternehmer sowohl Macht als auch Freiheit. Über Geld lassen sich, wie gesagt, die Güter und Dienste des täglichen Lebens eintauschen. Geld gewährt Unabhängigkeit und eröffnet Lebensperspektiven. Aber Geld gewährt solche Funktionen nur solange, wie es im Wert beständig bleibt. Dennoch muß auch die Kritik gegenüber dem Geld und der Geldwirtschaft erkannt werden. Geld allein macht nicht glücklich. Es darf auch nicht der alles bestimmende Wert im Lebens des Menschen sein. Mit ihm kann man sich zwar nicht alles beschaffen, aber vieles. Durch Geld läßt sich sogar viele bewerten, was sich eigentlich einem Geldwert entzieht, wie z. B. das Schmerzensgeld oder die Gliedertaxen. Eine besondere Kritik wird von der Marx'schen Theorie gegenüber dem Geld und der Geldwirtschaft geübt. Denn Marx war der Meinung, daß das Geld der Ausbeutung der Arbeiter und der Entfremdung gegenüber der Arbeit dient. Daß es heute infolge der Automatisierung und Technisierung zur Entfremdung der Arbeiterschaft kommt, weist darauf hin, daß die Geldwirtschaft und das Geld nicht der Grund für die Entfremdung sind, sondern anderes dafür maßgeblich ist. Geld gilt in der biblischen Überlieferung nicht als eine unserem heutigen Gebrauch vergleichbare abstrakte Größe. Zwar wird es auch als Tauschmittel, Wertmaßstab und Wertaufbewahrungsmittel verstanden. Aber es steht mehr noch im Zusammenhang mit den Vorstellungen von Reichtum und Eigentum. Dem Geld liegt biblisch eine Ambivalenz zugrunde.

10. Kapitel: Rückblick und Ausblick

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Geld ist auf der einen Seite eine Segnung Gottes. Es ist ein Mittel zur Lebenserhaltung und Lebensgestaltung. Kein anderer als Gott selbst segnet den Menschen mit seinen Gaben. Darum sollte der Mensch dafür seinem Herrn gegenüber dankbar sein und das Geld als Gabe Gottes achten. Auf der anderen Seite kann es für den Menschen zum Abgott werden, wenn er seinen Wert überschätzt und sich in eine falsche Abhängigkeit von ihm begibt. Dann wird es verabsolutiert, und ihm wird eine Wertung zugemessen, die ihm nicht zukommen darf. Darum haftet ihm auch gar zu leicht Unrecht an. Dadurch gefährdet es das Heil des Menschen. Geld ist deshalb auch keineswegs das höchste Gut. Dem Geld-Reichtum steht ein Reichtum in Gott gegenüber, dessen Güte ewig dauert. Die irdischen Güter sind vergänglich. Eine Bekehrung zu Gott bedeutet darum mehr als Reichtum. Gegenüber den Gütern dieser Welt ist der Reichtum an Gerechtigkeit zu erstreben. Er zeichnet den Gerechten aus, und er ist mehr als Geldbesitz. Es gibt in der biblischen Überlieferung deutliche Warnungen vor einem falschen Gebrauch des Geldes und des Reichtums. Das Streben nach Geld und Reichtum darf nicht der Sinn oder das Ziel des Lebens sein. Wer sich diesem Streben als einzigem Ziel unterwirft, zieht Gottesentfremdung, Habgier, Verführung zur Sünde usw. nach sich. Diese Menschen geraten gerade wegen des Geldbesitzes und des damit verbundenen Reichtums unter die Sünde. Darum wird der Reichtum generell für den Menschen im Blick auf sein ewiges Heil als gefährlich angesehen. Geldbesitz bzw. Reichtum und Sünde gelten im Neuen Testament als korrespondierende Glieder. Denn der Reiche verschließt sich oft vor der Gerechtigkeit. Andererseits kann der Mensch auch aufgefordert werden, sich des Reichtums oder auch des ungerechten Mammons zu bedienen. Das bedeutet für ihn dann zum Beispiel, Almosen geben und Wohltäter sein, aber auch sich Freunde mit ihm machen. Das Alte Testament, das grundlegend für die Zinspolitik des Mittelalters geworden ist, bestimmte, daß zwar vom Fremden, aber nicht vom Bruder Zinsen genommen werden durfte. Es handelte sich dabei vor allem um Konsumentenkredit (Notkredit) und nicht um Investivkapital. Auch nach dem Neuen Testament durften in solchen Fällen keine Zinszahlungen verlangt werden. Von Aristoteles wurde Geld als eine "gesetzte" Größe und als Mittel zum Tausch verstanden. Die Zinsnahme durch den Darlehensgeber lehnte er strikt ab; denn Geld kann nicht wieder Geld erzeugen. Im einzelnen wurden dann in der alten und der mittelalterlichen Kirche aufgrund der biblischen Überlieferung und der aristotelischen Vorstellung vom Geld zwar das Zins- und Wucherverbot erlassen; aber dieses konnte auch umgangen werden. Im Laufe der Zeit wurden immer weitere Aufweichungen des Zinsverbotes von der Kirche hingenommen. Papst Benedikt XIV. hat diesen dann weitgehend zugestimmt, so daß schließlich ein Zinssatz von 5% als möglich anerkannt wurde, während der Wucherzins weiterhin verworfen wurde.

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10. Kapitel: Rückblick und Ausblick

In der Refonnation wurde auf die biblische Überlieferung zurückgegriffen. Darum konnten Geld und Reichtum als Gaben Gottes gesehen werden, die den Menschen aber nicht zur Abgötterei führen dürfen. Hinter dem Handeltreiben sieht Luther eine zwiespältige Angelegenheit. Einerseits ist der Handel nützlich, andererseits aber stellt er auch einen Raub dar. Ähnlich zwiespältig beurteilt Luther auch das Zinsnehmen. Er kann es in Notfällen, beim Zinskauf, und wenn bestimmte Risiken vom Gläubigen getragen werden, positiv beurteilen; aber meistens sieht er im Zins und Zinsnehmen nur eine Ausbeutung und Ausnutzen der Notlage der Armen. Calvin steht positiv zum Zins, lehnt aber den Wucher streng ab. Denn der letztere nützt nur die Not der Menschen aus. Zwingli meint, daß man nach göttlichem Recht keinen Zins nehmen dürfe, nach menschlichem Recht freilich muß dem Gläubigen ein solches Recht zugestanden werden. In der jüngeren protestantischen Theologie ist dem Geldbegriff wenig Aufmerksamkeit geschenkt worden. Hier und dort wurde der Umgang mit dem Geld einer eigenen Betrachtung unterzogen. Aber zu einer ausführlichen ethischen Beurteilung des Geldes ist es nicht gekommen. Auch in katholischen Stellungnahmen wird nur begrenzt auf die Verwaltung der Güter und auf den Umgang mit dem Geld aufmerksam gemacht. Eine direkte Behandlung der Geldproblematik ist nur die Ausnahme. Da mit den Änderungen der Geldmenge es auch zu Veränderungen des Preisniveaus kommen kann, übt die Geldmenge einen besonderen Einfluß auf das Preisniveau aus. Damit bestimmt die Geldmenge auch die Kaufkraft des Geldes. Sie ist eine der Aktionsparameter der Zentralbank, der für die Stabilität des Geldes sorgt. Insbesondere die Inflationsrate wird durch die Geldmenge (nach oben und unten) beeinflußt. Die Neo-Quantitätstheorie, die dieses Verhältnis regeln möchte, besitzt somit eine auch in ethischer Hinsicht wichtige Funktion. Die Geldmenge ist eine exogene Größe, die durch die Geldpolitik bestimmt wird. Aber nicht nur das Preisniveau ist abhängig von der Geldmenge, sondern auch die Beschäftigung. Da die Geldwertstabilität ein wesentliches Element der Wirtschaftspolitik in Staat und Gesellschaft ist, wird ihr von vielen Ethikern wie auch Politikern das Primat zuerkannt. Freilich wird von der Wirtschaftspolitik neben der Geldwertstabilität auch das Erreichen anderer Ziele, etwa hohes Beschäftigungsmaß, angemessenes wirtschaftliche Wachstum und ein Zahlungsbilanzausgleich gefordert. Sie sind in der Gestalt des "magischen" oder ,,harmonischen" Vielecks zur Grundlage des Stabilitätsgesetzes in der Bundesrepublik gemacht worden. Alle Ziele sind nur in einem geordneten Geldwesen erreichbar. Schon Walter Eucken hatte darum der Währungspolitik in einer Verkehrswirtschaft das Primat zugeschrieben. Denn eine geordnete Wirtschaft und die Stabilität der Währung bedingen einander. Geldwertstabilität sorgt für eine soziale Gerechtigkeit in der Gesellschaft. Darum ist jede Fonn einer inflationären Entwicklung zu bekämpfen. Das ist die Aufgabe des Staates und der Notenbank. Bei einer solchen Stabilitätspolitik ist gleichzeitig zum einen an die Binnenwährung und zum anderen an die Außenwährung zu denken. Im Zuge der neu gegründ