Ethik des Neuen Testaments: eine Einführung 9783666513558, 9783525513552


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Ethik des Neuen Testaments: eine Einführung
 9783666513558, 9783525513552

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Grundrisse zum Neuen Testament 4

Grundrisse zum Neuen Testament Das Neue Testament Deutsch · Ergänzungsreihe Herausgegeben von Gerhard Friedrich

Band 4 Ethik des Neuen Testaments

Göttingen · Vandenhoeck & Ruprecht · 1970

Ethik des Neuen Testaments Eine Einführung

von Heinz-Dietrich Wendland

Göttingen · Vandenhoeck & Ruprecht · 1970

Dem unvergessenen und unvergeßlichen Lehrer und Freunde MARTIN

DIBELIUS

(1883—1947) in dankbarem Gedenken bis zum Ende

©

Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1970. — Printed in G e r m a n y .

Alle R e c h t e vorbehalten. O h n e ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es nicht gestattet, das Buch oder Teile daraus auf f o t o - oder akustom e c h a n i s c h e m "Wege zu vervielfältigen. Gesamtherstellung: Hubert & C o . , Göttingen.

H E I N Z - D I E T R I C H WENDLAND E T H I K DES N E U E N TESTAMENTS

Eine Einführung

Vorwort Der Leser darf in der vorliegenden Schrift nicht eine Gesamtdarstellung „der" Ethik des Neuen Testaments suchen, sondern lediglich eine Einführung in Hauptfragen und einige historisch bedeutsame Haupttypen der neutestamentlichen Ethik, vorzüglich für solche Leser, welche des Griechischen nicht mächtig sind, entsprechend dem Charakter und der Aufgabe des „Neuen Testament Deutsch" (NTD). Was die zitierten Textstellen anbetrifft, so hat sich der Verfasser im allgemeinen den Text-Übersetzungen im N T D angeschlossen, jedoch auch den revidierten Text der Übersetzung M . Luthers vom Jahre 1956 (genehmigt vom Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland) in einigen Fällen herangezogen. Da das Manuskript dieser Schrift im April 1968 im wesentlichen abgeschlossen vorlag, konnten seither wegen anderer Arbeiten des Verfassers nur noch kleinere Ergänzungen und Korrekturen vorgenommen, die neueste Literatur aber nicht mehr vollständig aufgenommen und verarbeitet werden. Münster/W., Pfingsten 1969

H.-D. Wendland

EINLEITUNG

Zum Begriff der Ethik Der uns vertraute, dem griechischen Denken entstammende Begriff der Ethik kann auf das Neue Testament nur unter bestimmten Bedingungen angewendet werden. Wir finden im Neuen Testament nirgends eine philosophische Ethik, die sich als Normen- oder Tugendlehre begreift und von einem Begriff der moralischen Vernunft, des sittlichen Geistes, des kategorischen Imperativs oder dergleichen leiten ließe. Wir finden im Neuen Testament ferner keine ethische Analyse und Legitimierung der Sozialordnungen, etwa der Ehe oder des Staates in systematischem Zusammenhang, obwohl sie gelegentlich innerhalb von Mahnungen (Paränesen) vorkommen (wie ζ. B. in Rom. 13 und l.Kor. 7). Es gibt keine christliche Staats- und Sozialphilosophie im Neuen Testament. Erst als später, auf dem Boden der alten Kirche philosophische Begriffe in die Theologie aufgenommen wurden, waren systematisch-ethische Gedankenbildungen möglich. Das Neue Testament redet von den Gütern dieser Erde und von den weltlichen Sozialgefügen nur im Zusammenhang von Paränesen, d. h. von konkreten Mahnreden an bestimmte Gemeinden. In diesem Sinne trägt die ganze neutestamentliche Ethik paränetischen Charakter. Ihre Normen werden nicht aus der Vernunft entnommen, auch nicht aus dem die Welt durchwaltenden Logos oder dem Reiche transzendenter Ideen wie in der stoischen oder der platonischen Philosophie. Man kann daher die eigentümlichen Voraussetzungen der urchristlichen Ethik vorläufig etwa wie folgt umreißen: 1. Grundlegend ist der Glaube an eine Offenbarung des Willens Gottes, an welche alle Glaubenden gebunden sind. Dieser Glaube trägt z.B. die Darstellung der Bergpredigt durch Matthäus (Kap. 5-7): Jesus verkündigt den abschließenden, absoluten Willen Gottes. In diesem Sinne spricht auch das Johannes-Evangelium (13,34) interpretierend von dem „neuen Gebot" Jesu an seine Jünger. 2. Die Offenbarung des Willens Gottes ist durch die Sendung Jesu Christi erfüllt und abgeschlossen. Zwar tritt er nicht als „zweiter Moses" auf, wie Luther treffend gesagt hat, sondern als eschatologischer Versöhner und Erlöser, der die Sünder von Sünde und Tod befreit und in ein neues Leben führt. Allein, hierüber darf doch nicht vergessen werden, daß Christus allenthalben im Neuen Testament der Gemeinde als der gebietende Herr gegenübertritt, der Gehorsam und Dienst verlangt. Alle Christen sind nach dem Verständnis des Paulus „Sklaven" Christi. Vor allem richtet Christus das

Z u m Begriff der Ethik

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höchste Gebot der Liebe auf, von dem noch oft die Rede sein wird. Man kann von einer „theonomen" oder „christonomen" Ethik im Neuen Testament sprechen. Sie ist immer an die grundlegende, christologische Voraussetzung gebunden, daß in Kreuz und Auferstehung Christi das entscheidende Ereignis des Heils für die ganze Welt stattgefunden habe. In diesem bestimmten Sinne ist hier von „christlicher" Ethik zu sprechen. 3. Eine dritte, wesentliche Voraussetzung und Bindung der Ethik im Neuen Testament ist das Faktum der Kirche. Die neutestamentliche Ethik ist durchweg kirchliche Ethik. Darin liegt auch eine Begrenzung. Alle Mahnungen werden an Gemeinden und an Christen gerichtet bzw. - vor Ostern, in der Predigt Jesu - an solche, denen das Kommen der Gottesherrschaft angekündigt wird. Paulus will mit seiner Paränese dem „Aufbau" der Gemeinde dienen. Deren Glaubens-Existenz von Christus her wird immer vorausgesetzt. 4. Die Christus-Verkündigung ist nicht nur Grund, sondern auch Grenze der Ethik. Erstens in dem Sinne, daß sie nie autonom und nie absolut im philosophischen Sinn dieser Worte sein kann; sie gilt eben nur in Kraft des erschienenen Heils. Zweitens ist die Grenze eine eschatologisch-futurische Grenze. Ethik gibt es nur in dieser Weltzeit, bis hin zur Vollendung des Reiches Gottes. Anders ausgedrückt: die christliche Ethik gilt allein für die Zeit der Kirche. Die vorstehenden vier Thesen, welche den christlichen Charakter der neutestamentlichen Ethik beschreiben, dürfen nicht so verstanden werden, als wäre die Ethik des Neuen Testaments sozusagen „vom Himmel gefallen". Einer solchen Vorstellung liegt erstens ein falsches Offenbarungs-Verständnis zugrunde, nämlich ein ungeschichtliches, und außerdem ist sie ganz unrealistisch. Die ersten christlichen Gemeinden leben in Zeit und Raum, wie wir selbst und alle Menschen, die geschichtlich leben, in Palästina und Syrien. Sie sind, wie alles in der Welt, geschichtlichen Einflüssen unterworfen, jüdischen wie hellenistischen und Einflüssen aus den Mischungen zwischen Judentum und Hellenismus in den Synagogen der weltweiten Diaspora. Ethische Lebensregeln und Spruchweisheit aus diesen Bezirken sind ins Neue Testament aufgenommen worden, z.B. in Gestalt der sog. Haustafeln oder der Tradition von Rom. 13. Auch in den Reden Jesu kommen Sprichwörter vor, die in einen neuen Zusammenhang eingestellt worden sind. Die Ethik des Neuen Testaments ist in dieser Hinsicht offen und nicht in sich abgeschlossen. Dies hängt offenbar mit einer Vorentscheidung zusammen, die sehr bedeutsam ist: das, was damals allgemein als Tugend galt, als lobenswertes Benehmen, als gerecht oder als gütig, das wird von der Ethik der christlichen Gemeinden an- und aufgenommen (vgl. ζ. B. Phil. 4,8). Die bürgerliche Ethik wird nicht einfach verneint, aber sie bekommt ein neues Vorzeichen im Sinne der obigen, ersten drei Thesen. So tritt schon im Neuen Testament uns die Frage nach dem Verhältnis zur jüdischen und hellenistischen Ethik jenes Zeitalters ganz lebendig entgegen. 1*

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Heinz-Dietrich Wendland, Ethik des Neuen Testaments

Insofern gewinnt nun doch der traditionelle, profane Begriff der Ethik in unseren Betrachtungen sein Recht. Allerdings handelt es sich bei den übernommenen Traditionen um volkstümliche Moral des Alltags, um die gesellschaftliche Durchschnittsethik der Zeit und nicht um philosophisch reflektierte Ethik. Im Sinne dieser Vorbemerkungen ist im folgenden der Begriff „Ethik" zu verstehen.

I. K A P I T E L

Jesus Die Verkündigung der anbrechenden Gottesherrschaft als eschatologische Ethik Methodische

Vorbemerkung

Da Jesus nichts Schriftliches hinterlassen hat, so befinden wir uns bei der Darstellung seiner ethischen Verkündigung in einer ganz anderen Lage als bei der Darstellung des Paulus. Wir sind angewiesen auf die in den drei ersten Evangelien aufbewahrte und verschieden geformte Jesus-Tradition. Jeder der Evangelisten spricht als Glied der glaubenden Gemeinde, und er hat zudem noch je seine eigene theologische Konzeption. Nirgends gibt es stenographische Nachschriften der Reden Jesu. Die Evangelien sind also nicht historische Berichte, die sagen: so war das, das tat er, das sagte er . . . , sondern Zeugnisse der glaubenden Gemeinde, ausgedrückt in verschiedenartigen theologischen Auffassungen, welche ihrerseits wieder den verschiedenen, geschichtlichen Lagen der Gemeinden und den in diesen enthaltenen Problemen und Aufgaben zu entsprechen versuchen. Eine - und die entscheidende - Voraussetzung der Synoptiker ist Ostern und der Osterglaube an den auferstandenen Herrn. Allein durch Ostern wird es für die Evangelisten möglich, von Jesus zu reden, seine Taten und Worte des Berichts und der Weitergabe würdig zu befinden. Was wäre Jesus von Ostern abgesehen gewesen? Ein Gescheiterter, den die Vergangenheit verschlungen hat, dem vergeblich einige Anhänger bis zum traurigen Ende gefolgt waren. Eine Jesus-Tradition gibt es nur von Ostern her, in der Kraft des Osterglaubens. Weil Jesus auferstanden ist, ist es nun für die Seinigen ungeheuer bedeutsam, zu wissen, was er gesagt und getan hat. Das „Was", also die geschichtlichen Inhalte, verschwinden keineswegs! Die Evangelisten reden nicht von einem Himmelswesen, noch vom bloßen „Daß" seines Dagewesenseins, sondern von dem geschichtlichen Jesus, seinen Taten und Worten. Nur daß sie dies alles von Ostern her sehen, beleuchten und legitimieren.

Jesus. Eschatologische Ethik

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Die erste Gemeinde legitimiert und rezipiert also die umlaufende JesusTradition; das Wort Jesu ist für die Gemeinde, die durch Ostern selbst erst entsteht, gültig und bindend, und dies deswegen, weil sie an Jesus als den Auferstandenen glaubt. Also hören wir in den Evangelien die Stimme der Gemeinde, die sich selbst und allen Glaubenden späterer Zeiten das Wort Jesu an die Hand gibt. Der Auferstandene ist der geschichtliche Jesus von Nazareth. Von diesem will die Gemeinde hören, seine Worte überliefert sie, weil er der Auferstandene ist. Also hören wir das Wort Jesu immer nur durch die Stimme der Gemeinde und ihrer Repräsentanten hindurch. Aber gerade durch diese Vermittlung wird es aktuell und existentiell bedeutsam in der Gemeinde und für die Gemeinde - bis auf diesen Tag. Man kann demnach die Evangelien auf zweierlei Weise lesen und auslegen: erstens, indem man sie als das Wort der Gemeinde von Jesus in einer bestimmten, geschichtlichen Situation versteht; zweitens, indem man in kritischer Prüfung der verschiedenen Überlieferungsformen an das „eigentliche" oder ursprüngliche Wort Jesu heranzukommen versucht. Dabei muß man sich einerseits der Relativität der Ergebnisse solcher historisch-kritischen Analyse der Jesus-Tradition bewußt sein, andererseits aber gibt es einen breiten, gemeinsamen Bestand der Uberlieferung in den Synoptikern, der durch ihre theologische Konzeption zwar geformt und verschieden verarbeitet, jedoch nicht etwa zerstört worden ist. (Die Literatur zur Jesus- und Synoptiker-Forschung findet sich bei H. Conzelmann, Grundriß der Theologie des Neuen Testaments, München 1967. — Zu den Einzelfragen vgl. ferner die Einleitungen in das Neue Testament von Feine-Kümmel, 12. Auflage, Heidelberg 1963, und W. Marxsen, Gütersloh 1963, 3. Aufl. 1964, sowie die Werke zur Formgeschichte der Evangelien.) Die ethische Verkündigung Jesu hat wohl am allerwenigsten mit einer philosophischen oder, um mit H. Conzelmann (Grundriß, S. 135) zu reden, „formalen" Ethik zu tun. Daher sprechen wir von „ethischer Verkündigung"; diese „Ethik" ist Botschaft vom jetzt nahenden Gottesreich (Mk. 1,15 par.; Mt.5,3ff.). Insofern handelt es sich um eine streng eschatologische Ethik. Ausgeschlossen werden müssen hingegen jene Regeln, die Elemente einer entstehenden Gemeinde-Ordnung (nach Ostern) sind oder auch jene Weisungen, die bereits eine bestimmte Verfolgungs-Situation der Gemeinde voraussetzen und andeuten. So verständlich es ist, daß man gerade um solcher Bedürfnisse willen die Autorität Jesu bemühte, so gehören solche Weisungen oder Regeln doch nicht zur eschatologisch-ethischen Verkündigung Jesu selber. Sie entspringen ganz deutlich der «acfc-österlichen Situation der palästinensischen oder hellenistischen Urgemeinde.

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Heinz-Dietrich Wendland, Ethik des Neuen Testaments

1. Reich Gottes und Umkehr Die ethische Verkündigung Jesu ist eins mit der eschatologischen, d. h. der Ankündigung des nahenden Gottesreiches. Nur weil die Herrschaft Gottes im Anbruch ist, weil diese Heilszeit jetzt eintritt (kairos), kann die Forderung erhoben werden: „kehret um" (Mk. 1,15; Mt.3,2; 4,17). Die mißverständliche Übersetzung „Buße" für „metanoia" wollen wir vermeiden. Eine ganz neue, geschichtliche Situation ist eingetreten, weil das Reich Gottes nahe herbeigekommen ist; die geschichtliche Stunde ist damit als Heilszeit im eschatologischen Sinne qualifiziert. Gott führt den Anbruch seiner Königsherrschaft herbei. In dieser Situation und keiner anderen gilt die Forderung: „kehret um!" Und zwar ist dies eine Totalforderung; denn sie hat nicht einzelne kultische oder moralische Leistungen im Sinne, sondern gleichsam eine Wendung um 180 Grad: die totale Zuwendung zur Gottesherrschaft, die bedingungslose Annahme, den völligen Gehorsam. Zuerst und zunächst ist die Verkündigung des Reiches Gottes Ansage und Zuspruch des Heils (wie Mt. 5,3 ff.), doch zugleich auch Anruf und Anspruch an das Handeln der Menschen; denn ihnen ist ja die neue Situation eröffnet, und sie werden nicht einer göttlichen Zwangsgewalt unterworfen. Lehrreich ist ein Vergleich mit 2.Kor. 6,2: „Siehe, jetzt ist die angenehme Zeit, siehe, jetzt ist der Tag des Heils!" Diese Gnade sollen die Korinther nicht vergeblich empfangen. In dieser Form gilt der Ruf also auch für die Christen nach Ostern; sie stehen in dem „kairos" (Heilszeit) und sollen sich dieser angemessen verhalten. Der Imperativ zieht eine Konsequenz aus der Ansage des Heils. Der diese Botschaft hörende Mensch erhält eine neue Position, und zwar dadurch, daß der „Herrschaftsantritt" Gottes proklamiert wird. Die „Untertanen", um in der hier benutzten Sprache des altorientalischen Königsrituals fortzufahren, werden jetzt für den neuen Herrscher in Pflicht genommen. Es ist daher mit dem Wesen dieses Verkündigens oder Predigens gegeben, daß es auch eine Forderung in sich enthält. Obwohl in den Seligpreisungen (Mt. 5,3 ff.; Lk. 6,20 ff.) nicht von Umkehr gesprochen wird, so kommt doch auch dort die Existenzwende im Geschick der Menschen deutlich zum Ausdruck. Denn in Mt. 5,7 und 9 ist von Tätern die Rede, von Barmherzigen und von Friedensstiftern - diese werden das Heil der Gottesherrschaft empfangen. Da ist also von einem bestimmten Inhalt dieser Umkehr die Rede, der uns später noch beschäftigen wird. Jedenfalls, solche Täter gibt es jetzt, in der Stunde der nahenden Gottesherrschaft, die alles verändert. Eine neue „Menschenart" sozusagen tritt auf den Plan, Hörer und Täter zugleich der Botschaft vom Reiche Gottes. Eine „moralische" Forderung ist der Ruf zur Umkehr nicht, weder im Stil der jüdischen Gesetzesauslegung der damaligen Zeit, noch gar im Sinne griechischer philosophischer Ethik. Aber das „Transmoralische" der Forderung schließt auch das Moralische in sich ein, wie die Bergpredigt-Überlieferung von Mt. 5 - 7 deutlich zeigt: das Lieben, das Vollkommen-Sein, den radikalen Gehorsam (Mt.5,21 ff.). Die theologische Paradoxie, die im

Jesus. Eschatologische Ethik

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Hintergrunde steht, wird wohl am deutlichsten in den drei Gleichnissen vom Verlorenen (Lk. 15,1 ff.). In 15,7 und 10 ist von dem Sünder, der umkehrt, die Rede; dem entspricht die Umkehr und Heimkehr des verlorenen Sohnes (15,11 ff.). Aber in den beiden ersten Gleichnissen wird gar nicht von Umkehr, sondern vom Finden des Verlorenen gesprochen. Also steht hier ein Akt Gottes im Mittelpunkt, der freilich zugleich ein Akt des Menschen ist. Eben dies ist das Geheimnis und die Paradoxie der Umkehr. Nach Lk. 5,32 sagt Jesus von sich, er sei gekommen, Sünder zur Umkehr zu rufen und nicht Gerechte. Eben damit wird die Schranke der GesetzesEthik durchbrochen. Das Reich Gottes ist nicht Lohn für die frommen Leistungen der Pharisäer und der Rabbinen, sondern Gnadenangebot für die Armen und Elenden, welche ihre leeren Hände nach dem Heil des Gottesreiches ausstrecken; eben dies ihr Verlangen aber ist schon in sich selbst der Akt der Umkehr. Sie sagen ja zu dem, was jetzt zu ihnen kommt und ihnen geschenkt wird. Dazu gehört freilich, daß der Wille des himmlischen Vaters getan wird (Mt.7,21 ff.), die „Herr-Herr"-Sager aber werden zurückgewiesen von dem Richter, der sie als „Täter der Ungesetzlichkeit" bezeichnet, obwohl sie in seinem Namen Machttaten vollbracht haben. Der Umkehr-Ruf Jesu zeigt die Züge der Unbedingtheit und des Radikalen. Es kommt gar nicht auf Wundertaten und andere Höchstleistungen an, sondern einzig und allein darauf, daß der Mensch sich ganz der Herrschaft Gottes übergibt und anvertraut. Diese Unbedingtheit der UmkehrForderung äußert sich praktisch vor allem darin, daß sie die sozialen und geschichtlichen Bindungen zerreißt, in denen die Menschen stehen. Man muß sozusagen „alles stehen- und liegenlassen", wenn der Umkehr-Ruf erschallt (Lk.9,57ff.par.). Da gilt das Gebot der Pietät nichts mehr (9,59), und es ist keine Zeit mehr, Abschied zu nehmen (9,61). Alle Bindungen an Haus und Heimat, Geld und Gut müssen zerbrochen werden, wenn sie den Menschen an der Entscheidung für das Reich Gottes behindern. Aber nicht genug damit. Die stärkste Bindung ist ja die Bindung des Menschen an sich selbst. Der Mensch muß sich selbst verleugnen, ja sich selbst „hassen" (Lk. 14,26par.). Das hat mit dem Selbsthaß eines Zynikers oder eines am Leben Verzweifelten gar nichts zu tun. Es geht vielmehr um die eschatologische Freiheit des Menschen von sich selbst. Zu dieser wird er zugleich aufgerufen und ermächtigt. Wer sich ganz an Gott ausliefert, der gewinnt diese neue Freiheit von sich selbst. Das Modell gibt der Zöllner im Tempel, der vor Gott seine Sünde bekennt (Lk. 18,13). Ein Bild für den Vorgang der Umkehr und damit auch für das Verhältnis des Menschen zum Reiche Gottes ist das Wort vom Kindwerden: „Wenn ihr nicht umkehrt und werdet wie die Kinder, so werdet ihr nimmermehr ins Reich der Himmel ( = Reich Gottes) eingehen" (Mt. 18,3par.). Man soll empfangen, sich beschenken lassen wie ein Kind, das ganz auf Hilfe angewiesen ist. Das ist die rechte Haltung angesichts des kommenden Reiches Gottes. Von einem Lobpreis besonderer kindlicher „Tugenden", etwa der

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höchst fragwürdigen „Unschuld" des Kindes ist in diesem Text nicht das mindeste angedeutet. Man wird endlich sagen müssen, daß der Umkehr-Ruf universal ist, wenngleich diese seine Intention ganz erst nach Ostern in der Predigt an alle Völker in Erscheinung tritt (vgl. Mt.28,18ff.). Aber auch innerhalb des geschichtlich begrenzten Raumes der Verkündigung Jesu gilt er all denen, denen die neue Heilsbotschaft verkündigt wird. Jesus zerbricht infolgedessen die von den Frommen aufgerichteten Schranken zwischen den „Gerechten" und den Sündern. Er wendet sich gerade diesen Sündern zu, die das Gesetz nicht halten. Das Reich Gottes legt die vom Gesetz in der spätjüdischen Interpretation aufgerichteten Schranken nieder; vor ihm sind alle gleich, nämlich alle des Heils und der Vergebung bedürftig. Man darf die Umkehr nicht mit Reue-Erlebnissen gleichsetzen und auch nicht auf bestimmte, psychologische Erscheinungsformen festlegen. Das geschieht auch Lk. 15,11 ff. in der farbigen Darstellung des Verhaltens des verlorenen Sohnes nicht. Umkehr mag „Reue" einschließen, doch viele bereuen diese oder jene Tat, ohne doch jemals umzukehren. Umkehr ist vielmehr Gehorsam (vgl. den Abschnitt über die Nachfolge), der sich in Handlungen kundtut. Besonders die Formung der Jesus-Tradition durch Matthäus hat dies sehr scharf herausgearbeitet, vermutlich deswegen, weil die Auseinandersetzung mit dem Judentum in der juden-christlichen Gemeinde dies nötig machte. Doch liegt der Ansatz zu diesem tathaften Verständnis der Umkehr in der Verkündigung Jesu selber. Denn die Anthropologie des Alten Testaments und des Judentums, die den Menschen als vor allem den Handelnden begreift, ist auch die seine. Der Gnaden-Charakter der Umkehr wurde uns schon an Lk. 15 deutlich. J.Schniewind hat dies besonders schön und eindringlich herausgearbeitet. Umkehr ist Freude. Ein Freudenfest mit der feierlichen Wiedereinsetzung in alle Sohnesrechte beschließt die Heimkehr des verlorenen Sohnes. Freude bewegt das ganze Reich Gottes, wenn ein einziger Sünder umkehrt (Lk. 15,7 und 10). Denn Umkehr ist ja ein Sieg des Reiches Gottes und der Liebe, die das Verlorene sucht. An die Stelle der frommen und moralischen Selbstsicherheit tritt in der Umkehr die Selbstpreisgabe, an die Stelle der Verlorenheit das volle Sohnesrecht, die Zugehörigkeit zum Reiche Gottes durch die entgegenkommende Liebe des Vaters. 2. Das Gesetz

Gottes

"Wenn man die radikale und totale Forderung der Umkehr bedenkt, so erhebt sich sogleich die Frage nach der Stellung Jesu zum mosaischen Gesetz und zur rabbinischen Gesetzesauslegung in seiner Zeit. Wenn Jesus den Anbruch der Gottesherrschaft verkündigt, muß sich dann nicht der Rang und die Bedeutung des Gesetzes verändern? Kann es dann noch die letzte und allein-gültige Offenbarung des Willens Gottes sein?

Jesus. Eschatologische Ethik

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Die spätjüdische Ethik zur Zeit Jesu fragt nach den Handlungen, die nötig sind, um dem Gesetz Gottes genugzutun und den Menschen zu einem „Gerechten" (dikaios) zu machen. Der reiche Jüngling fragt dementsprechend Jesus: „Was muß ich tun, daß ich das ewige Leben ererbe?" (Mk. 10, 17ff. par.) und wird von Jesus auf die Gebote des Dekalogs verwiesen. Das ist eine jüdische Frage und (zunächst) auch eine jüdische Antwort, welche die Gültigkeit des mosaischen Gesetzes als des geoffenbarten Willens Gottes voraussetzt. Jesus weist diese Frage nach dem Tun durchaus nicht zurück. In der Frage ist er mit dem Judentum einig. Um so mehr ist zu bedenken, daß für den Juden das Gesetz der Weg zum Heil und Leben ist. In den Wegen des Gesetzes wandeln, macht den Menschen gottgemäß, der Rechtsforderung Gottes entsprechend. Kann aber das Gesetz noch Heilsweg sein, bzw. der Weg zur gottgemäßen Gerechtigkeit, wenn Gottes Reich kommt? Das ist jetzt die Frage, in der auch die Gesetzeslehre des Paulus, seine Botschaft der Freiheit vom Gesetz, letzten Endes wurzelt. (In Rom. 2,17 ff. hat Paulus den Stolz des Juden auf das Gesetz klassisch beschrieben.) Aber Jesus hat es nicht nur mit dem Gesetz des Moses zu tun, sondern vor allem mit der Tradition fortschreitender Gesetzes-Auslegung durch die Rabbinen, die sich genötigt sahen, das mosaische Gesetz zu aktualisieren und neuen Verhältnissen anzupassen. Diese Tradition erreicht in zahllosen Geboten und Verboten einen außerordentlichen Umfang. Sie regelt das tägliche Leben durch subtile Vorschriften bis in die geringsten Kleinigkeiten hinein. Alle Auslegungen und Erweiterungen des Gesetzes stehen nach rabbinischer Auffassung unter der Autorität des Moses. Die Stellung Jesu zum Gesetz scheint auf den ersten Blick höchst widerspruchsvoll zu sein. Er erkennt erstens Gesetz und Tradition als verbindlich und gültig an. Wir sahen schon, wie er auf die Frage des Reichen reagiert. Auf die gleiche Frage eines Gesetzeslehrers fragt Jesus zurück: „Was steht im Gesetz geschrieben? Wie lauten da die Worte?" (Lk. 10,26). Jesus meidet auch seinerseits die Heiden, wie das Gesetz es vorschreibt; dies spiegelt sich auch in der Anweisung der Aussendungsrede an die Jünger, nicht den Weg zu den Heiden zu gehen (Mt. 10,5). Jesus hält sich auch an die kultische Ordnung, an den jüdischen Gottesdienst (Mk. 1,21 f.par.). Die Anerkennung der Autorität der Gesetzeslehrer und die Weisung: „alles, was sie euch sagen, das tut" (Mt. 23,1 f.), dürfte aber eine Zuspitzung der judenchristlichen Gemeinde nach Ostern sein, der auch die Worte Mt. 5,17-19 zuzuschreiben sind, wonach bis zum Ende der Welt kein Jota und kein Strichlein vom Gesetz vergehen wird. Anders steht es dagegen in Mk. 1,44: Jesus schickt den geheilten Aussätzigen zum Priester, er soll das Opfer für seine Reinigung darbringen. So erkennt Jesus die kultisch-gesetzliche Ordnung an. Im Mk.-Evangelium ist von einem Vorherrschen judenchristlicher Tendenzen nichts zu spüren, da die geschichtliche Situation des Verfassers und seine theologische Konzeption vom Evangelium und der Person Jesu, seine Christologie, in eine andere Richtung weisen als die judenchristliche Theologie

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des Matthäus. Daher ist wahrscheinlich in Mk. 1,44 eine Tradition zu erblicken, die vom Kampf um das Gesetz im Judenchristentum nicht geprägt wurde. Zweitens jedoch und andererseits macht Jesus eine höchst kritische, ja im Verhältnis zur jüdischen Auffassung revolutionäre Unterscheidung zwischen dem Willen Gottes und den Überlieferungen der Schriftgelehrten und Pharisäer. „Ihr habt das Wort Gottes außer Kraft gesetzt um euerer Überlieferung willen" (Mk.7,13). Im Streit um die Sabbatheiligung setzt sich Jesus über die geltende Ordnung hinweg, denn es gilt Gutes zu tun und Leben zu retten; daran darf die bislang gebotene Heiligung des Sabbats nicht hindern (Mk.3,Iff.par.). Es gibt also offenbar einen höheren Willen Gottes, der über die Sabbatgesetze hinweg zu erfüllen ist. Das gleiche gilt in der Frage des Fastens (Mk.2,18ff.par.). Die Bildantwort hat offenbar eschatologischen Sinn: die Hochzeitsgäste können nicht fasten, solange der Bräutigam bei ihnen ist. Es ist eine neue Situation eingetreten. Daher „tut niemand neuen Wein in alte Schläuche" (Mk.2,22); das Wort der Erfahrung hat hier einen eschatologischen Sinn bekommen; d.h. anders ausgedrückt: der Anbruch der Heilszeit verändert die Stellung zum Gesetz, schafft Freiheit vom Gesetz. Diese wurzelt also schon in der Reichsverkündigung Jesu, so großartig auch später Paulus die ganze Dialektik dieses Themas theologisch entwickelt hat (vgl. Kap.III, Abschnitt 2). Die Frau, die achtzehn Jahre lang von ihrer Krankheit gefesselt war, wird am Sabbat von Jesus geheilt, obwohl es verboten ist, am Sabbat zu arbeiten (Lk. 13,10ff.). Ebenso bejaht Jesus im Gespräch mit den Pharisäern die von ihm selbst gestellte Frage, ob man am Sabbat heilen dürfe oder nicht (Lk. 14,1 ff.). Der Sabbat ist um des Menschen willen gemacht, und nicht der Mensch um des Sabbats willen (Mk.2,27par.). Das sind Durchbrüche durch die von den Rabbinen geformte Gesetzesauslegung, die von ihnen als Handeln gegen Gottes Gesetz verstanden werden mußten. Daher entsteht an diesem Punkte ein tiefer Gegensatz. Aber Jesus übt nicht nur praktische Kritik an dem von den Rabbinen aufgebauten System, sondern auch am Gesetz des Moses selbst. Im Streit über Rein und Unrein (Mk. 7,1 ff. par.) richtet Jesus seinen Angriff gegen die „Satzungen der Menschen", an die man sich hält, während man Gottes Gebot außer acht läßt (7,8). Das ist eine kritische Unterscheidung, die tief eingreift: denn die Reinheits-Gesetzgebung wurzelt im Alten Testament, im Gesetz des Moses. Von hier aus wird es schon begreiflich, daß später die jüdische Ritualgesetzgebung in der Urchristenheit keine Rolle mehr spielt. Die Grenze zwischen den „reinen" und den „unreinen" Dingen und Handlungen ist es, die Jesus durchbricht; damit fällt aber das ganze System von Waschungen und kultischen Reinigungen, der Verbote, dies und jenes nicht zu berühren, in sich zusammen. Allein das, was aus dem Menschen herauskommt, die Bosheit des Herzens, das verunreinigt den Menschen (Mk.7,15.17ff.). Die alte Scheidung von Heilig und Profan ist

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damit aufgehoben. Hier wird zweifellos das Gesetz selbst und die Autorität des Moses angegriffen. Es wäre freilich zu einfach zu sagen, Jesus habe an die Stelle des kultischen ein moralisches Verhalten gesetzt. Das ist eine moderne Entgegensetzung, die man nicht in unsere Texte eintragen darf. Jesus geht es um die „Radikalisierung" des Gesetzes (R.Bultmann), um den reinen, unbedingten Gotteswillen, der auch über das mosaische Gesetz hinausführt. Es wäre auch eine unerlaubte Erleichterung zu sagen, Jesus wende sich zwar gegen die Tradition, nicht aber gegen das Gesetz. In den Antithesen von Mt. 5,21 ff. wird eine neue Autorität ins Spiel gebracht: „ich aber sage euch . . . " , und sie steht im Gegensatz zu dem, was zu den Alten gesagt ist, ohne daß solche Gebote wie „du sollst nicht töten" aufgehoben würden. Das widergöttliche Handeln des Menschen wird bis in die letzten Schlupfwinkel des Herzens verfolgt, und so das Gesetz radikalisiert. Denn schon die Abneigung wider den Nächsten ist böse (Mt. 5,22). Wie es auch mit der umstrittenen Echtheit des „Heilandsrufes" von Mt. 11,28-30 stehen mag, eine Intention des Handelns und der Predigt Jesu ist hier ganz richtig erfaßt: er nimmt den Menschen eine ungeheure Last ab, „mein Joch ist sanft, und meine Last ist leicht". Es geht aber letztlich nicht um das bloße Freiwerden, sondern um den wirklichen Gehorsam gegen Gottes Willen. Darin kann natürlich auch eine durchaus notwendige „Ethisierung" des Handelns liegen: erst versöhne dich mit deinem Bruder, dann bringe deine Gabe dar auf dem Altar (Mt. 5,23-24). Mit dem Prozeßgegner soll man sich vergleichen, solange es noch Zeit ist (5,25). Die Radikalisierung des Verbotes des Ehebruchs ist gleichfalls offenkundig (5,27-28). Dies alles ist eine eschatologische Überschreitung und Verschärfung des Gesetzes. In Mk. 10,1 ff. par. nimmt Jesus Stellung gegen die Ehescheidungsgesetzgebung des Moses, gegen die Zulassung des Scheidebriefes. Das hat Moses nur wegen der Herzenshärte der Menschen vorgeschrieben. Jesus geht demgegenüber auf den „Anfang der Schöpfung" und die Schöpfungsgeschichte zurück: Gott hat Mann und Weib geschaffen und dazu bestimmt, „ein Fleisch" zu werden; darum soll die Ehe nicht geschieden werden (Mk. 10,6ff.). Auch hier wird die Menschensatzung aufgehoben. Lehrreich ist an dieser Stelle jedoch besonders der Rückgang auf das Handeln des Schöpfers. Sollte nicht dieser Durchbruch zum Willen und der Setzung des Schöpfers etwas mit der eschatologischen Verkündigung des Reiches zu tun haben? Wir meinen, diese legt überhaupt erst wieder den Blick auf die Schöpfung frei. Im Anbruch der Gottesherrschaft kann man überhaupt erst sagen: das hat Gott geschaffen und es so gewollt! Die Eschatologie erschließt die „Protologie", d. h. die Rede von den „ersten Dingen" der Schöpfung. Hinweggeschafft wird alle Verdunkelung des Schöpferwillens. Nach alledem erhebt sich natürlich die Frage nach dem Rechte Jesu, so zu reden und zu handeln. Auf diese Fragen antworten alle drei Evangelisten mit Ja, und jeder begründet dieses Ja mit seiner Christologie. Aber sehen wir von der jeweils besonderen, ausgeführten Christologie der Evangelisten

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Heinz-Dietrich Wendland, Ethik des Neuen Testaments

ab, so liegt im Handeln Jesu doch auf jeden Fall eine indirekte, implizite Christologie, nämlich in dem Anspruch auf die Autorität, so zu reden und zu handeln. Jesus nimmt für sich in Anspruch, den Willen Gottes klar, unbedingt und rein auszusprechen. Man kann das soeben Gesagte aber so mißverstehen, daß man von Jesus als einem „neuen Gesetzgeber" spricht. Einen solchen gibt es in der eschatologischen Heilssituation aber nicht; Jesus ist also in der Tat kein „zweiter Moses". Ob nun das Judentum von der Zukunft ein „Gesetz des Messias" erwartet hat oder nicht - diese Frage können wir hier nicht untersuchen so hat doch zweifellos Matthäus in seiner Konzeption der Bergpredigt klar zum Ausdruck gebracht, daß der Verkünder des Gottesreiches damit zugleich auch den Willen Gottes endgültig und rein verkündigt und geoffenbart habe. Die Autorität des Moses ist damit relativiert. Insofern stellt sich - nach Matthäus - Jesus ohne Zweifel über Moses. Natürlich war der Judenchrist Matthäus an diesem Sachverhalt existentiell interessiert; Lukas hingegen stand gar nicht mehr vor diesem Problem der direkten Konfrontation mit der Gesetzesauslegung des frommen Judentums. Für ihn stand die Frage nach der „besseren" Gerechtigkeit, d. h. der vollkommenen und alle jüdische Gerechtigkeit überschreitenden (Mt. 5,20) nicht mehr im Mittelpunkt der Verkündigung; sie war für Lukas längst entschieden. Es ist eine Glaubensfrage, ob Matthäus die rechte Entscheidung getroffen hat, und ob wir uns unter das „ich aber sage euch" mit ihm stellen. Man wird von der eschatologischen Reichs-Verkündigung Jesu ausgehen müssen. Infolge des Kommens des Reiches Gottes erhält das mosaische Gesetz einen ganz anderen „Stellenwert" als bisher im Judentum; denn es ist nicht länger mehr die abschließende Offenbarung Gottes. Im Kairos der Heilszeit wird der „eigentliche" Wille Gottes radikal verstanden und freigelegt; eine neue, bessere Gerechtigkeit wird daher gefordert (Mt. 5,20). In dieser neuen Situation kann die entscheidende, zusammenfassende Forderung nur lauten: „Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und seiner Gerechtigkeit, dann wird euch dies alles hinzugegeben werden" (nämlich die irdischen Dinge, deren die Menschen bedürfen; Mt. 6,33). Dies ist das neue Gebot Jesu, weil es aus der Predigt des anbrechenden Reiches Gottes folgt; daß es noch eine andere Form hat, werden wir in dem Abschnitt über das Liebesgebot sehen (3. Abschnitt). Was im Gesetz der Gerechtigkeit Gottes entspricht wie die Gebote des Dekalogs, das bleibt in Kraft. Auch der Hörer der neuen Botschaft vom Gottesreich soll nicht stehlen und nicht töten. Doch alles dies sind Verbote, zum Schutze der menschlichen Gemeinschaft gegeben. Sie müssen jetzt radikalisiert werden, und die Ethik Jesu muß den negativen Charakter des Dekalogs ins Positive hinein überschreiten. Damit tritt zugleich auch ein radikaler Begriff des Bösen auf: das Böse sitzt in der Personmitte, im Herzen und verdirbt von da aus alles Tun. Ein schlechter Baum bringt schlechte Früchte (Mt.7,17ff.). Daher muß auch die Forderung der Umkehr radikal sein (s.o.).

Jesus. Eschatologische Ethik

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So gewiß Jesus nicht selbst von einem „neuen Gebot" gesprochen hat, so liegt doch die Intention dazu in Mt. 5,21 ff. beschlossen; die Fortsetzung 5,43 ff. über das Liebesgebot macht diese Intention noch deutlicher. Später hat sie Johannes, der Sache nach treffend, in die Formel vom „neuen Gebot" (Joh. 13,34; 15,12) zusammengefaßt. Die judenchristliche Auslegung in Mt. 5,17-19, die von der „Erfüllung" des Gesetzes spricht und Jesus von dem Verdacht reinigen will, er sei ein Zerstörer des Gesetzes, trifft also nur die eine Seite des Tatbestandes. Jesu „transmoralische Moralität" (P. Tillich) radikalisiert und revolutioniert das Gesetz von Gott her. In diesem Sinne behält der Satz, Jesus sei kein Gesetzgeber gewesen, sein Recht. Kommt die Herrschaft Gottes, so tritt eine neue, eschatologische Existenz ins Leben. Hier ist mehr als Moses! Heilsansage und Forderung sind eine unlösliche Einheit. Getrennt voneinander verlieren sie ihren Sinn. Darin liegt eine Vorstufe für die theologische Begründung des Imperativs, die später Paulus gegeben hat. Die Botschaft vom Reiche Gottes trifft den Menschen mit einer Spitze, und diese ist die radikale Forderung. Was diese aber inhaltlich besagt, darum haben wir uns weiter zu bemühen.

3. Das

Liebesgebot

Jesus hat selbst die Frage nach dem Inhalt der neuen Gerechtigkeit beantwortet, so in Mt. 5,43—48, so in den Sätzen über das Doppelgebot der Gottes- und der Nächstenliebe (Mk. 12,28 ff.): totale Hingabe an Gott wie an den Nächsten. Zwar hat auch die rabbinische Theologie Zusammenfassungen des Gesetzes gegeben, auch mit Hilfe dieser beiden Gebote, doch erst von Jesus werden sie radikal verstanden und angewendet: an die Stelle der bisherigen Selbstliebe tritt die Nächstenliebe. Die Erfüllung des Gebotes setzt die eschatologische "Wendung der Dinge, setzt die neue Existenz im Kommen des Reiches Gottes voraus. Beide Gebote sind einander gleich. Jesus reflektiert zwar gar nicht über ihren Zusammenhang, aber die Gleichsetzung enthält ihn doch: keine wahre, völlige Liebe des ganzen Herzens zu Gott ohne die Nächstenliebe. Aber ebenso auch keine bloße Moral und Humanität: die Nächstenliebe bleibt mit der Gottesliebe verbunden. Mt. 5,23 ff. zeigt uns, daß erst die Versöhnung mit dem Nächsten den Gottesdienst wahr und lauter macht. In diesem Zusammenhang wird die Wendung Jesu gegen die Pharisäer deutlich, welche ihren Gottesdienst dadurch verderben, daß sie die Häuser der Witwen fressen (Mk. 12,40; Mt.23,14). Diese Trennung von Kultus (Gebet) und Ethos hebt Jesus auf; an die Stelle der frommen Heuchelei muß die Einfalt und Eindeutigkeit des Herzens treten, und diese Eindeutigkeit ist auch der Charakter der Nächstenliebe. In der Version des Lukas lautet das Liebesgebot so: „Seid barmherzig, wie euer Vater barmherzig ist" (Lk. 6,36). Der Bau des Spruches entspricht M t . 5 , 4 8 : „Seid vollkommen, wie euer himmlischer Vater vollkommen ist." Zuvor ist dort (5,45) von der frei schenkenden Güte Gottes die Rede, der seine Sonne scheinen läßt über Böse

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Heinz-Dietrich Wendland, Ethik des Neuen Testaments

und Gute. Da hier weder an einen jüdisch-gesetzlichen noch an einen gnostischen Vollkommenheitsbegriff zu denken ist, so werden wir sagen dürfen: Gottes Vollkommenheit ist seine Liebe. "Wer liebt, ist vollkommen wie Gott. Das ist die höchste, denkbare Forderung, gottgemäß zu sein in der Liebe. Charakteristisch ist in Mt. 5,43 ff. der Überschwang der Liebe. Die lieben, die uns lieben, das tun auch die Zöllner. Was ist es Besonderes, die Brüder zu grüßen? Das tun auch die Heiden! Es kommt vielmehr auf das Überfließende der Liebe an. Sie kann nicht in irgendwelchen Schranken gehalten werden. Sie sprengt die Grenzen des Hauses und der Volkszugehörigkeit. Die alte Auffassung begrenzte die Liebe auf die Volksgenossen, auf das jüdische Volk. Daher heißt es in der letzten Antithese, es sei zu den Alten gesagt worden: „Du sollst deinen Nächsten lieben und deinen Feind hassen" (Mt.5,43). Die zweite Satzhälfte ist Interpretation; sie steht in 3.Mose 19,18 nicht, wo wir das alttestamentliche Gebot der Nächstenliebe finden (der Nächste ist dort der Volksgenosse). Im Gegensatz zu dieser fortführenden Auslegung des alten Gesetzes sagt nun Jesus: „liebet euere Feinde und betet für euere Verfolger"; denn nur so könnt ihr euch als Söhne eures himmlischen Vaters erweisen (Mt.5,44ff.)! Hier zeigt sich am schärfsten, daß es für die Nächstenliebe keine Grenzen gibt, auch die des Religionshasses und der Verachtung durchbricht sie, wie das Handeln des barmherzigen Samariters zeigt (Lk. 10,29ff.). Es wird damit auch deutlich, daß die Liebe so frei schenkt wie Gott selbst. Er ist das Urbild dieser Liebe. Auf Gegenseitigkeit und Rückerstattung rechnet sie nicht. Sie ist schöpferisch und frei wie Gott selbst. Also ist sie auch nicht abhängig von menschlichen Herzensregungen, weder vom Eros noch von Sympathie oder Freundesliebe oder anderen Formen menschlicher Verbundenheit. Die Nächstenliebe darf mit diesen allen nicht verwechselt werden. Ihr Ursprung ist in Gottes schaffender und schenkender Güte und Barmherzigkeit. Später, beim Eindringen der Kirche in die Welt hat sich die Liebe im Sinne Jesu mit allen menschlichen Herzensregungen verbunden, ζ. B. sogar mit der Vaterlandsliebe. Aber solche Synthesen brachten die Liebe, von der die Evangelien sprechen, oft in große Gefahr, vor allem in die Gefahr, ihren universalen, grenzüberschreitenden und radikalen Charakter zu verlieren. Dem Schriftgelehrten, der die beiden großen Gebote zusammenfaßt und gegen das kultische Opfer stellt, antwortet Jesus: „Du bist nicht weit entfernt von der Königsherrschaft Gottes" (Mk. 12,34). Wer weiß, was Liebe ist, der weiß auch, was das Reich Gottes ist, und umgekehrt gilt das gleiche. Darum haben alle die recht getan, welche die Liebe als die Magna Charta des Reiches Gottes aufgefaßt haben. Was heißt „lieben wie dich selbst"? Ein alter Streit geht um diese Frage, die Augustin und Luther beschäftigt hat. Auf Grund von Einflüssen der griechisch-hellenistischen Anthropologie und Ethik kam die römisch-katholische Kirchenlehre zu der Auffassung, die Selbstliebe sei der Maßstab für

Jesus. Eschatologische Ethik

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die Nächstenliebe. Daß Jesus so gedacht haben könnte, ist auf Grund der ganzen synoptischen Jesus-Tradition ausgeschlossen. Nirgends bindet Jesus die Nächstenliebe an menschliche, irdische Maßstäbe. Er faßt sie radikal, weil er an Gottes Liebe denkt. Mit derselben Hingabe und Totalität, mit der der Mensch „von Natur" sich selbst liebt, soll er jetzt, im Anbrechen der Gottesherrschaft, den anderen, den Nächsten lieben. Jesus denkt nicht an eine Synthese von berechtigter Selbstliebe und Nächstenliebe. Die Nächstenliebe tritt an die Stelle der Selbstliebe, ist doch ihre Kehrseite die Selbstverleugnung (Lk. 14,26par.), und gipfelt sie doch in der Feindes-Liebe (Mt.5,44ff., vgl. Lk.6,27ff.). Die Nächstenliebe setzt auch nicht eine Idee oder ein Idealbild des zu liebenden Menschen voraus. Sie ist vielmehr gänzlich „unidealistisch". Es handelt sich um die konkreten, wirklichen und alltäglichen Menschen, die uns begegnen. Die Nächstenliebe setzt auch nicht zu liebende Wertgehalte des Menschen voraus wie der Eros, der nach Piaton das Schöne und Gute im Menschen liebt und durch diese Werte angezogen wird. Die Frage nach den Werten müßte die unbegrenzte Weite der Nächstenliebe zerstören. Was der andere wert sei, fragt sie nicht. Sie ist nicht an menschliche Qualitäten und Tugenden des Mitmenschen gebunden, so wenig wie die Liebe Gottes. Dies zeigt sich vornehmlich daran, daß die Nächstenliebe sich allen Notleidenden zuwendet. Zwar fehlt das Wort „Liebe" in dem großen GerichtsGemälde Mt. 25,31 ff., aber die Sache ist deutlich da und gemeint. Denn die „Gerechten" sind diejenigen, die Hungernde gespeist, Dürstende getränkt, Nackte bekleidet und Gefangene besucht haben: damit haben sie - nach dem Wort des Weltrichters - Christus selbst gedient. Es kommt auf den tathaften Dienst an den Elenden an, welche die „Geringsten" seiner Brüder sind. Die Tiefe der N o t ist keine Grenze für die Liebe. Zugleich erkennen wir hier: Liebe ist nicht eine bloße Gesinnung, und mit billigem oder tatenlosem Mitleid hat sie nichts zu schaffen. Liebe sind die Taten der Liebe. Uberhaupt gibt es keine „Gesinnungsethik" in der Verkündigung Jesu. Natürlich gehen die Taten aus dem „Herzen" hervor (Mk.7,lff.); der Mensch wird als eine Einheit von Herz und Handeln angesehen (Mt. 7,17 ff.); eben deswegen heißt es aber auch: „an ihren Früchten sollt ihr sie erkennen" (Mt. 7,16.20). Entsprechend werden die „Täter der Gesetzwidrigkeit" verworfen (Mt. 7,21 ff.). Mit dem Liebesgebot wird die zentrale Forderung Gottes erfüllt. Deshalb ist es auch nicht möglich, die Ethik Jesu nach dem Schema eines alten oder neuen Antinomismus zu verstehen. Der Jünger steht unter Gottes Gebot und Forderung. Darin bleibt Jesus „jüdisch". Aber es handelt sich jetzt um das radikale Gebot der Gottes- und der Nächstenliebe. Diese „Vereinfachung" und Konzentration der Weisungen Gottes schwächt nicht die Forderung ab, sondern verschärft sie. Die Frage nun des Gesetzesgelehrten, wer denn dieser Nächste sei, wird nicht klassifizierend beantwortet, auch nicht so wie das Gesetz des Moses es tut: der Nächste sei der Volksgenosse und der, der das Gastrecht in Israel

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genießt. Damit sind alle anderen Gruppen ausgeschlossen. Die Erzählung vom barmherzigen Samariter (Lk. 10,29 ff.) zeigt dagegen, daß Jesus die Fragestellung aufhebt. Der Nächste für den unter die Räuber Gefallenen war der, der die Barmherzigkeit an ihm getan hat (10,36-37). Man soll also nicht fragen: wer ist mein Nächster? - um so verschiedene Gruppen zu unterscheiden - , sondern: für wen bin ich hier jetzt selbst der Nächste? und dementsprechend handeln. So tat der barmherzige Samariter. Ich werde durch die Not eines anderen diesem zum Nächsten gemacht. Man kann also nicht vorgängig-systematisch entscheiden, wer zur Klasse des Nächsten gehört. Jesus hat also die typisch jüdische Fragestellung in ihr Gegenteil verkehrt und umgewandelt. Der barmherzige Samariter war der zum Nächstendienst Herausgeforderte und handelte dementsprechend. Obwohl weder ein frommer Jude, sondern ein Abtrünniger, obwohl (nach den Maßstäben jener Zeit) erst recht kein Christ, erfüllt er dennoch das Gebot der Liebe, und so zeigt sich hier, daß es auch die „Kirchengrenzen" von damals wie von heute durchbricht. Die Einheit von Heilsbotschaft und Gebot wird zwar nirgends in der Jesus-Tradition theologisch reflektiert, aber sie wird ständig vorausgesetzt. Matthäus hat sie indirekt in seiner Christologie zum Ausdruck gebracht: Jesus, der Messias Israels, ist der vollmächtige Ausleger des göttlichen Willens. Was diese Einheit betrifft, so muß man bedenken, daß sie eine große Vorgeschichte im Alten Testament hat: der Bund Gottes mit seinem Volk ist Heil und Weisung zugleich. Die Einheit von Heil und Gebot ist die Liebe Gottes. Aber wo die Botschaft vom Reiche Gottes den Menschen trifft, da muß beides sichtbar werden, das Heil und das Gebot; und das Gebot hat nun auch eschatologischen Charakter angenommen. Der Befreite und Gerettete ist gebunden an den Willen Gottes. Neue Täter dieses Willens werden im Anbruch des Heils geboren (Mt. 5,7.9). Nimmt man die christologische Grundentscheidung der Evangelisten an, daß dieser so redende Jesus von Nazareth der auferstandene Herr seiner Gemeinde sei, dann kann man hinzusetzen: in Jesu Person und Vollmacht sind Heilsansage und Gebot eine Einheit. Der Prediger der Gottesherrschaft befreit und bindet zugleich. 4. Der Sinn der

Bergpredigt

Wir haben das Problem schon gestreift, als wir von der Frage sprachen, ob Jesus als ein neuer Gesetzgeber zu verstehen sei. Angesichts der großen Literatur über die Bergpredigt ist es kaum möglich, noch neue Gesichtspunkte aufzustellen. Trotzdem müssen die wichtigsten Probleme und Deutungen der Bergpredigt auch in unserem Zusammenhange kurz dargestellt werden (vgl. das Literaturverzeichnis). Die Bergpredigt (Mt. 5-7) ist eine literarische und theologische Komposition des Evangelisten auf der Grundlage der „Feldrede" der Quelle Q (Lk. 6,20ff.). In ihr ist ein großer Teil der ethischen Überlieferung zusammengefaßt. Es ist von großer, theologischer Bedeutung, daß sie mit den Selig-

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preisungen (Mt. 5,3 ff. par.) einsetzt, d. h. mit der Hez/sbotschaft vom Nahen der Gottesherrschaft: zu den Armen und Elenden, zu den Demütigen, zu denen, die nach der Gerechtigkeit Gottes hungern. Erst auf dieser Grundlage ist dann von der Sendung der Jüngerschaft (5,13-16), vom Gesetz und dem neuen Gebot Jesu (5,17ff.21 ff.), von der Liebe (5,43 ff.) die Rede. Auch daß die Warnungen und die Gerichts-Verkündigung am Schluß stehen (7,15 ff.), ist kein Zufall, sondern Ausdruck einer einheitlichen, theologischen Konzeption. "Wir sprechen zunächst von den wichtigsten Deutungen der Bergpredigt in der Geschichte der Kirche und der Theologie. a) Die traditionelle katholische Deutung versteht die radikalen Gebote Jesu als „Ratschläge" (consilia evangelica) für die „perfecti", d.h. jene „Vollkommenen", die sich den Ordnungen eines asketischen Lebens unterwerfen. Die Bergpredigt wird auf diese Weise zur Mönchsregel. Die in der Welt, in Ehe, Arbeit und Staat lebenden „Weltchristen" dagegen können die radikalen Gebote nicht voll erfüllen; sie können ζ. B. nicht auf irdischen Besitz verzichten; sie müssen sich, abgekürzt ausgedrückt, an die Zehn Gebote halten, als an ein Minimum der Gebotserfüllung. Natürlich heißt das nicht, daß die Weltchristen nicht den Nächsten lieben sollten, aber sie können das nur in den weltlichen Grenzen der sozialen Strukturen tun, in denen sie leben. Nur wer sich von der Welt zurückzieht, kann die radikalen Gebote der Bergpredigt erfüllen. Dies ist die Zwei-Stufen- oder Zwei-Klassen-Ethik der Römischen Kirche vor dem II. Vatikanischen Konzil gewesen. b) Im Gegensatz zur früheren katholischen Deutung geht die lutherische mit Recht von der Einsicht aus, daß die radikale Forderung Jesu für alle Christen gelte. Sie wird nach dem „usus elenchticus legis", d. h. nach dem die Sünde aufdeckenden Amt des Gesetzes aufgefaßt. Die Bergpredigt treibt in die Buße; sie ist ein einziger Bußruf und Beichtspiegel. Der Mensch wird seiner sündigen Ohnmacht zum Guten überführt. Das Gebot der Bergpredigt gilt als unerfüllbar. Mit Luthers eigener Interpretation der Bergpredigt ist die skizzierte Auffassung der lutherischen Orthodoxie nicht einfach gleichzusetzen (s. u.). Noch 1925 hat der lutherische Dogmatiker Carl Stange im wesentlichen diese Auffassung vertreten. Die Bergpredigt darf, das ist die entscheidende Intention dieser Deutung, nicht zum Gesetz und Christus nicht zum „zweiten Moses" gemacht werden. In Christus selbst und in ihm allein ist die absolute Forderung der Bergrede stellvertretend für alle erfüllt. Diese Intention ist durchaus berechtigt. Andererseits aber ist doch völlig verkannt, daß die Bergpredigt in 5,13 ff.21 ff.; 6,1 ff.; 7,1 ff. usw. bis zum Schluß überall ein Tun, gute Werke, Taten der Liebe, faktische Erfüllung des Willens Gottes verlangt, und zwar von den Jüngern. Nirgends ziehen sich die Texte darauf zurück, daß die Bergpredigt allein von Christus erfüllt würde, an unserer Statt. Ganz im Gegenteil: in der Bergpredigt steht Jesus (von 5,3-12 abgesehen) durchaus und eindeutig als der Fordernde und Gebietende vor uns. Gewiß deckt die Bergpredigt auf, wer wir sind 2

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(vgl. besonders 5,21 ff.); doch sie fordert aus der neuen eschatologischen Situation des Heils heraus ein neues Tun. Umkehr ohne Tun des "Willens Gottes ergibt jedenfalls für die Bergrede nicht die „bessere" Gerechtigkeit der Jünger im Anbruch des Reiches Gottes. Auch auf Paulus kann man sich hierfür nicht berufen, wie Rom. 6,11 ff. eindeutig beweisen (vgl. auch 2.Kor.5,10). Wir können der Tatsache nicht ausweichen, daß die Bergpredigt die gute Frucht, die einzelnen guten Werke, das Tun der Liebe fordert. Jede Deutung der Bergpredigt ist verfehlt, die dem nicht Rechnung trägt. c) Dies gilt nun auch für die dritte Auffassung, nach welcher Jesus im Gegensatz zum Judentum eine neue „Gesinnungsethik" vertreten haben soll. Diese Deutung kommt von Kant und der idealistischen Philosophie her; sie wird von liberalen Theologen des 19. und 20. Jahrhunderts vertreten. Die Tradition, daß die Bergpredigt nicht als Gesetz verstanden werden dürfe, wird aufrechterhalten. Jesus will die gute Gesinnung, das gute Herz. Es sollen auch die Wurzeln des Bösen aus dem Herzen des Menschen entfernt werden. Das ist natürlich richtig. Wir sahen aber schon: Herz und Handeln sind nicht zu-trennen. Vor allem gilt: eine Rechtfertigung des Menschen aus seiner Gesinnung, seinem guten Willen, kommt nach der Bergpredigt überhaupt nicht in Frage, wäre dies doch nur eine moderne Parallele zu der jüdischen Lehre von der Rechtfertigung aus den Werken. Ganz abgesehen davon, daß der moderne Autonomie- und Gesinnungsbegriff überhaupt nicht in synoptische und neutestamentliche Texte eingetragen werden darf. Es genügt nicht, das Gute gewollt zu haben. Die Bergpredigt dringt auf das Tun. d) Eine diesem Typus entgegengesetzte Deutung ist diejenige, die — so Joh.Weiß und Alb. Schweitzer - von einer apokalyptisch-eschatologischen „Interimsethik" spricht. Das soll heißen, die radikalen Forderungen Jesu seien nur für die kurze Zeit vor dem nahen Weltende bestimmt, sozusagen als „Ausnahmegesetzgebung" für die letzte Zeit. In der kurzen Zwischenzeit bis zum Weltende werden außerordentliche, heroische Leistungen gefordert. Entscheidend und richtig ist hierbei der Einsatz dieser Forscher bei der eschatologischen Verkündigung des Reiches Gottes. Dennoch ist die Ethik Jesu und ihr Verhältnis zur Eschatologie mißverstanden. Von einer Begrenzung des Gebotes Jesu auf eine kurze, „letzte" Zeit ist in den Texten nirgends die Rede. „,Liebet einander' ist kein Sondergebot für die letzte Zeit" (H. Conzelmann). Der Inhalt der Forderung wird von Gottes Wesen und Willen her verstanden (Mt.5,43ff.; 7,21 ff.), aber nicht aus der Nähe des Weltendes abgeleitet. Auch wird nirgends angedeutet, daß es sich um heroische Forderungen handele, vielmehr wird die Erfüllung des Liebesgebotes von allen Hörern der Bergpredigt verlangt. Im Gegensatz zum Heroismus besonderer Taten (Weggeben allen Besitzes, Martyrium) konnte später Paulus sagen, ohne die Agape (Liebe) seien solche Taten leer und fruchtlos (1.Kor. 13,1 ff.), und er hat die Liebe damit sicher richtig verstanden. Jeder Jünger, bzw. nach Ostern jeder Christ, soll und kann lieben. Die Szene vom Weltgericht (Mt.25,3Iff.) dürfte es geradezu ausschließen,

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daß das Speisen Hungriger usw. nur für die allerletzte Zeit Geltung haben sollte. Der Zusammenhang von Eschatologie und Ethik ist vielmehr dieser: im Anbruch der Gottesherrschaft, die jetzt durch Jesus angesagt wird, tritt Gottes Wille klar und rein hervor. Alle „Menschensatzungen" werden als solche erkannt und vom Willen Gottes scharf geschieden; alle Relativierungen des Willens Gottes fallen dahin. In diesem Kairos findet die letztgültige Offenbarung des Willens Gottes statt, und dieser ist Liebe. Alle sollen lieben, nicht nur, um es so auszudrücken, „Helden der letzten Tage"! e) Eine häufig in der Kirchengeschichte auftretende Lösung des Bergpredigt-Problems ist die schwärmerisch-enthusiastische, die noch in unserem Jahrhundert von Leo Graf Tolstoi dem Älteren und ζ. T. von dem Religiösen Sozialismus vertreten worden ist. Hier gilt die Bergpredigt als der Entwurf einer neuen Gesellschaft der Liebe und des Friedens, des Reiches Christi auf Erden. Die Gebote der Bergpredigt müssen wörtlich erfüllt werden, dann kann diese neue Gesellschaft begründet werden. Staatliche Gewalt, Polizei und Heeresmacht, Rechtsprechung und Rechtsordnung - das alles sind Einrichtungen, die beseitigt werden müssen, damit das Endreich der Liebe, der Gerechtigkeit und Vollkommenheit Platz bekommt. Demgemäß hat die schwärmerische Auslegung oft einen revolutionären Zug bekommen: räumt die ganze, alte Gesellschaft fort, damit die Liebe herrschen kann. Es ist begreiflich, daß eine solche Deutung wieder gesetzliche Züge annehmen konnte, wenn doch die Bergpredigt als das Grundgesetz der neuen Gesellschaft verstanden wurde. Das ist die extreme Gegenposition gegen die Auffassung des Luthertums (oben unter b). Leo Tolstoi verstand die Bergpredigt zudem als eine vernünftige Lebenslehre, mit deren Hilfe - befolgt man sie wirklich - die Welt von ihren Übeln, einschließlich der Kirche(!), befreit werden kann. Die Schwärmer haben jedoch recht, wenn sie die Forderung des Tuns streng aufrechterhalten. Sie haben auch recht, wenn sie an die umgestaltende Kraft des Reiches Gottes und der Liebe glauben, der alles bürgerlich gewordene Kirchenchristentum nichts zutraut; man hat diese Angelegenheit der Diakonie übergeben. Doch leider verfallen die Schwärmer der Utopie im negativen Sinne des Wortes. Das Endreich Christi wird nicht durch die moralischen Taten der Christenheit begründet. Die Schwärmer aller Zeiten haben die Macht des Bösen zu gering eingeschätzt. Vollends ist die Negation und Zerstörung der Rechtsordnung kein geeignetes Mittel, um den Frieden zu organisieren. Auf der anderen Seite haben viele Schwärmer, zumal die Religiösen Sozialisten, richtig erkannt, daß es Zustände der Ungerechtigkeit, der Unterdrückung und der Entmenschlichung gibt, welche die Liebe aufdecken und bekämpfen muß. Die besonders in der lutherischen Ethik geübte Privatisierung der Bergpredigt, d. h. ihre Beschränkung auf persönliche und familiäre Beziehungen, ist genauso falsch wie die schwärmerische Ausweitung zu einem Sozialprogramm. Julius Schniewind hat darauf hingewiesen, daß in all den genannten Deutungen der Bergpredigt Wahrheitsmomente stecken. Dies ist sicher 2*

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richtig. Einige haben wir schon hervorgehoben. Es kommt in der Tat auf das neue Herz ohne Zorn und H a ß an; es kommt an auf das Tun der Liebe. Es handelt sich bei Jesus um eine radikale Ethik, welche das Kommen der Gottesherrschaft voraussetzt. Und diese kann man nicht in die Grenzen von Einzelleben, Familie und Freundschaft einsperren, freilich auch nicht auf die letzte Zeit begrenzen. f) Eduard Thurneysen hat eine christologische Interpretation der Bergpredigt gegeben, die an die lutherische Orthodoxie erinnert. Die Bergpredigt soll die Sündhaftigkeit des Menschen aufdecken. Sie ist unerfüllbar und soll es sein. Erfüllt ist sie allein durch die Heilstat Christi. Zwar ist es in der Auslegung der Bergpredigt notwendig, die christologische Frage aufzuwerfen. Doch die Bergpredigt beantwortet klar die Frage, die Thurneysen übergeht, nämlich die Frage: Was soll ich tun ? Freilich ist in der Bergpredigt eine „indirekte" Christologie enthalten. Nach der Konzeption des Matthäus kommt Jesus eine unvergleichliche Vollmacht und Autorität zu, und zwar die doppelte, daß er das kommende Reich ankündigt, und daß er den letztgültigen Willen Gottes ausspricht. Für Matthäus sind der Wille Gottes und das Gebot Jesu ein und dasselbe. Sodann ist Jesus für Matthäus der kommende Weltrichter (7,21 ff.), der über die Erfüllung seines Gebotes befinden wird. Von hier aus gesehen ist jene Tradition ganz einseitig, die Jesus nur als den Erlöser versteht; für Matthäus und wohl auch für dessen Gemeinde ist er vielmehr zugleich der gebietende und fordernde Herr, der den Willen Gottes auslegt und einschärft. Natürlich gehört diese „Christologie der Bergpredigt" bei Matthäus noch in einen größeren Zusammenhang, den wir hier jedoch nicht darzustellen haben. g) Noch ist eine Frage offen, die hier freilich auch nicht abschließend beantwortet werden kann, weil hierzu eine Gesamtdarstellung der Botschaft Jesu erforderlich wäre: Wie verhält sich denn das Ethos der Bergpredigt zur „Welt", zu den irdischen Gütern, zu den sozialen Gefügen, in denen die Menschen ja zu allen Zeiten leben? Wenden wir uns zunächst einmal Luthers Deutung der Bergpredigt zu. Luther ist auch in dieser Sache Polemiker. Er zieht einerseits gegen die katholische Lösung zu Felde, die er mit guten, theologischen Gründen abweist. Gegen die Zwei-Klassen-Ethik macht er mit Recht die Allgemeingültigkeit des Gebotes Jesu geltend. Niemand kann sich ihm entziehen. Wäre es anders, so wäre der Grundcharakter des Gebotes Jesu verfälscht. Auf der anderen Seite wendet Luther sich gegen die Schwärmer. Sie vermischen das Reich Gottes mit dem Reiche der Welt, indem sie aus der Bergpredigt das Grundgesetz einer neuen Gesellschaft machen. Sie machen aus Christus einen zweiten Moses. Sie verkennen die Macht der Sünde und verstehen darum auch nicht, warum Gott die politische Gewalt eingesetzt hat. Diese ist notwendig als Ordnungsmacht, um das gemeinsame Leben der Menschen zu ermöglichen.

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Luther erkennt auch die Einheit von Evangelium und Gebot. Die Forderung ist unbedingt und richtet sich an jedermann. Sie führt daher auch zur Erkenntnis unserer Verlorenheit, zur Umkehr. Im Glauben und durch den Glauben erfüllen wir die Gebote; durch den Glauben empfangen die Werke der Christen den Charakter der Gutheit. Das ist freilich eine von Paulus her gebildete Terminologie, die in der Bergpredigt nicht vorkommt. Wie aber steht es mit der Erfüllung des Gebotes in der Wirklichkeit der Welt? Das ist ein Problem, das mit ausdrücklichen Worten nicht in der Bergpredigt formuliert ist. Wie verhält sich das Handeln in weltlichen Ämtern, z.B. denen des Fürsten, des Richters, des Soldaten, des Kaufmanns zu dem Handeln des Christen, der an das Liebesgebot gebunden ist? Die Situation des Konfliktes beschäftigt Luther, und mit Recht. Muß man in der Welt nicht vieles tun, was wider die Liebe ist? Man denke an die Gewaltanwendung im staatlichen Leben. Luther macht darauf aufmerksam, daß der Christ immer an andere Menschen gebunden ist. Als Vater oder Staatsmann muß man, um den Nächsten zu schützen, die Mittel der irdischen Ordnung, des öfteren einschließlich der Gewalt, gebrauchen. Die Rechtsordnung z.B. muß gegen den Rechtsbrecher aufrechterhalten werden. Das Unrecht, das dem Nächsten angetan wird, dürfen wir nicht leiden; wir müssen ihn mit den Mitteln der Rechtsordnung schützen. Leiden sollen wir dagegen das Unrecht, das uns selbst widerfährt. Wenn mein Nächster von Räubern überfallen wird, muß ich ihn auch mit Mitteln der Gewalt schützen. Die Liebe kann und muß also in der Welt auch die Form der Härte, ja der Gewalt annehmen, wenn es sich um den Nächsten oder eine ganze Gemeinschaft handelt. Luther hat die Schwere des Konfliktes deutlich gemacht. Auch strafend kann das Amt der Liebe sein. Was der Liebe zu widersprechen scheint, die Gewaltanwendung, kann nach Luther zum Werkzeug der Liebe werden. Eine Aufhebung des Liebesgebotes durch die weltlichen Ordnungen kennt Luther jedoch nicht. Es war ganz abwegig, wenn man ihn öfters als einen „Knecht der Obrigkeit" bzw. der Fürsten seiner Zeit bezeichnet hat. Dennoch muß eine kritische Frage an Luther erlaubt sein. Die lutherischen Bekenntnisschriften sagen, man solle die „Liebe üben in solchen (nämlich den weltlichen) Ordnungen". Das ist sicher gut lutherisch. Aber ist es hinreichend? Muß die Liebe nicht auch Ordnungen ändern um des Nächsten willen? Muß sie sodann nicht frei sein, demjenigen Nächsten zu dienen, der ganz jenseits unseres Staates, unserer Rasse usw. unserer Hilfe bedarf? Die Liebe überschreitet und durchbricht alle weltlichen Begrenzungen. Ihre Universalität ergibt sich aus ihrer Radikalität. Die Liebe muß auch die gegenwärtige Gestalt der weltlichen Ordnungen in Frage stellen können. Ihre gesellschaftskritische Aufgabe haben die Schwärmer richtig erspürt. Wetterleuchtet nicht in der Bergpredigt die eschatologische Infragestellung des ganzen Kosmos, dieser ganzen Weltzeit? Dieser hat Luther wohl kaum genügend Rechnung getragen, jedenfalls nicht in der Deutung der Bergpredigt. Vielleicht hat ihn sein begreiflicher Gegensatz gegen die Schwärmer daran gehindert und der Aufruhr der Bauern 1525.

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Es ist auch hinzuzufügen, daß die Wiederentdeckung der eschatologischen Botschaft Jesu ja erst gegen Ende des vorigen Jahrhunderts durch Joh. Weiß und Alb. Schweitzer geschehen ist. Kommt das Reich Gottes, so muß diese Weltzeit vergehen, sie hat keine selbständige Dauer als ewige Seinsordnung mehr. Das Ende der Welt ist nahe. So hat es auch die Urgemeinde verstanden, wie die sog. apokalyptische Rede Mk. 13 par. zeigt, so auch Paulus (l.Kor.7,29ff.; Rom. 13,Uff.). Man muß dann immer das radikal und unbedingt verstandene Liebesgebot den Ordnungen dieser Welt gegenüberstellen und erkennen, daß es weit über diese Welt hinausweist, in die neue Welt des Reiches Gottes. Eine zweite, kritische Anfrage an Luther richtet sich auf seinen Gedanken von der Transposition oder Verwandlung der Liebe in den weltlichen Ordnungen. Kann die Liebe die Härte der Strafe und der Gewaltanwendung haben, so muß es doch eine Grenze für solche Verwandlungen geben, damit die Liebe nicht ihren Charakter als Liebe Christi verliert und womöglich zum Deckmantel der Bosheit wird. Wenn die Liebe Feindes-Liebe, wenn sie Liebe zu den Elenden ist, wie wir sagen, so ist hier deutlich genug, daß sie über den status quo der jeweiligen Gesellschaft wie über die Grenzen von Nation und Staat weit hinausführt. Zudem kann Gewaltanwendung ja auch Sünde sein, welche die Liebe zu tun sich weigern muß. So muß immer wieder die Grenze der Transpositionen scharf gezogen werden, damit nicht die Liebe untergeht in weltlichen Handlungsweisen. Sie muß immer eine kritische Instanz bleiben gegenüber dem, was in der Welt vor sich geht. Nur so kann das radikale Gebot Jesu bewahrt werden. 5. Reich Gottes und Welt Wir müssen der mit Hilfe von Luther entwickelten Frage noch weiter nachgehen. Wie steht es mit den irdischen Gütern und Größen in der Verkündigung Jesu? a) Machen wir zunächst eine Vorbemerkung über die Auffassung vom Menschen, wie er in der Welt lebt. Jesus entwickelt keine Lehre vom Menschen oder von der Sünde. Aber ein Urteil über den Menschen ist eingeschlossen in Jesu Predigt. Wir sahen das ja schon, als wir von der Umkehr sprachen (1. Abschnitt), ebenso auch an den Antithesen Mt.5,21 ff. Der Mensch bedarf der Rettung und des Heils; denn als Sünder ist er dem Gericht Gottes verfallen. Ja, gut ist nur Gott allein (Mk. 10,18). Auch die drei lukanischen Gleichnisse vom Verlorenen (Lk. 15) zeigen den Menschen als den Sünder, der umkehren muß. Allein durch die Vaterliebe Gottes kann er die rechte, volle menschliche Existenz wiedererhalten. Jesus kommt, um Sünder zur Umkehr zu rufen (Lk.5,32). Der Zöllner im Tempel bekennt: „Gott, sei mir Sünder gnädig" (Lk. 18,13). Dasselbe bekennt Petrus bei seiner Begegnung mit Jesus (Lk.5,8). Von jedem unnützen Wort müssen die Menschen Rechenschaft ablegen am Tage des Gerichts (Mt. 12,36). Wenn die Glieder des menschlichen Leibes, gedacht als die Träger unserer Taten,

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uns zum Bösen verführen wollen, so müssen sie „abgehauen" werden (Mk.9,43ff.). Jeder Baum, der nicht gute Früchte bringt, wird abgehauen und ins Feuer geworfen (Mt. 7,19; vgl. 7,21 ff.). Schon das Aussprechen böser Worte gegen den Nächsten verfällt dem Gericht (Mt. 5,22). Das bedeutet: Umkehr-Ruf und Gerichtsverkündigung reden den Menschen direkt als Sünder an; die Aussage über den Menschen ist der eschatologischen Botschaft immanent. Erst bei Paulus kann man von einer „Lehre" von der Sünde sprechen. Die Jünger sollen laut Mt. 6,12 f. um die Vergebung ihrer Schulden und die Befreiung vom Bösen beten. In Mt. 7,11 werden die Menschen ganz selbstverständlich als böse bezeichnet. Die Verschuldung ist ebensosehr Schuld Gott gegenüber, dessen "Wille nicht getan wird, wie dem Nächsten gegenüber. Im Gleichnis vom Schalksknecht wird die Pflicht zur grenzenlosen Vergebung gegenüber dem Bruder eingeschärft (Mt. 18,21 ff.). Doch dieser Dualismus von Reich Gottes und Sünde, so radikal er ist, hebt nicht den Glauben an den Schöpfer auf. Freilich muß die Gottesherrschaft kommen, um den Sündern das Heil und der ganzen Schöpfung die Befreiung von der dämonischen Macht zu bringen. Dazu gehört auch die Erlösung aus der Weltverfallenheit, die den Menschen in die Abhängigkeit von irdischen Gütern und Größen verstrickt. Jesus ist weder ein ethischer Reformer noch ein sozialer Revolutionär noch auch ein weltfeindlicher Asket gewesen, obwohl er selbst auf Ehe und Besitz verzichtet hat. Seine Krankenheilungen leiten keine Reform der Hygiene und der Medizin ein. Er macht auch keine Vorschläge hinsichtlich der Stellung und der Behandlung der Sklaven. Auf der anderen Seite aber hat er sich auch nicht in Abhängigkeit von den religiös-politischen Parteiungen und Mächten seiner Zeit begeben. Den Pharisäern, den Sadduzäern und den Zeloten steht er frei und kritisch gegenüber. Er lehnt es auch ab, als Richter, als Erbteiler in Anspruch genommen zu werden (Lk. 12,13-14). Das liegt jenseits seiner Sendung. Moderne Theologen haben es beklagt, daß man bei Jesus keine positive Würdigung der „Kulturwerte" finden könnte. Friedrich Naumann war tief erschüttert, als er die gewaltige Distanz zwischen dem geschichtlichen Jesus und der modernen säkularen Welt feststellte. Wer jedoch den Anbruch der Herrschaft Gottes zu verkündigen hat, für den kann die Kultur kein entscheidendes Problem und vor allem kein absoluter Wert mehr sein. b) Dann entsteht aber die ernsthafte Frage, ob man Jesus nicht doch, zumal im Blick auf seine eigene Lebensführung, als Asketen zu verstehen hat. Man sieht zwar nirgends, daß er für seine Jünger eine asketische Regel aufgestellt hätte. Wenn Mt. 19,12 von denen spricht, die sich um der Gottesherrschaft willen entmannt haben, so ist dies sicher als ein Bildwort zu verstehen. Klar ist aber, daß Jesus reale Verzichtleistungen und Opfer gefordert hat, nicht im Stile eines asketischen Programms, wohl aber um der Entscheidung für die Gottesherrschaft willen (Mk.9,43ff.par.). In diesem Sinne fordert Jesus den Reichen auf, alle seine Habe den Armen zu geben -

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nicht aus grundsätzlicher Besitzfeindschaft, sondern weil diesen sein Reichtum hindert, das freie Ja zur Gottesherrschaft zu finden. Es können natürlich auch andere Bande sein, die der Familie und der Pietät, die zerschnitten werden müssen, damit der Mensch „tauglich" wird für das Reich Gottes (Lk.9,57ff.)· Es können die Güter dieser Erde sein, die den Menschen fesseln, darum heißt es: „sammelt euch nicht Schätze hier auf der Erde" (Mt.6,19). „Denn wo dein Schatz ist, da wird auch dein Herz sein" (Mt.6,21). Oder es ist der heidnische Sorgengeist, der die Menschen beherrscht (Mt. 6,25ff.). Ihm gegenüber gilt: „Trachtet zuerst nach dem Reiche Gottes und seiner Gerechtigkeit" (Mt. 6,33). Gott weiß, wessen der Mensch zum Leben bedarf. So werden die irdischen Güter und Bindungen relativiert, sie verlieren den Charakter absoluter Mächte. Es gibt nur einen Herrn über den Menschen, und das ist Gott! Möglich ist diese Brechung irdischer Macht, weil Gottes Reich kommt. Es liegt hier also kein prinzipielles, asketisches System vor. Die Forderung Jesu richtet ihren Stoß jeweils aktuell gegen das, was den Menschen bannt und hindert, die Entscheidung für die Gottesherrschaft zu fällen, und daher sind konkrete Opfer nötig. Werte oder Mächte, die mit dem Reich Gottes konkurrieren könnten, gibt es nicht; es ist auch nicht dazu bestimmt, diesen einen religiösen Glanz zu verleihen. Der Mensch wird also von einem konkreten Imperativ getroffen; der Ruf zur Umkehr erhält Farbe und Inhalt. Der Mensch wird in einer bestimmten Situation von der Forderung Jesu getroffen. Vor allem ist Jesus von den zahlreichen, asketischen Lebensformen seiner Zeit dadurch getrennt, daß ihm die Askese als Mittel zur Erlösung fremd ist - Erlösung gibt allein die Herrschaft Gottes aus eigener Macht! - und daß er zweitens kein Gesetz der asketischen Lebensform aufrichtet, keine Sekte von Asketen stiftet. Man soll nur über dieser Negation nicht die Härte und Schärfe seiner Verzicht-Forderungen vergessen. So kommt es auch, daß wir in der Jesus-Tradition nichts von Geschlechts- oder Nahrungs-Askese hören, obwohl Jesus selbst ehelos lebt. Aber die Forderung der Umkehr kann aktuell auch asketisch werden, wenn etwas hindernd zwischen dem Menschen und dem Reiche Gottes steht. Dies ist eine asketische Forderung „von Fall zu Fall", unter der Bedingung, daß . . . , konditional. So ist Jesus auch in dieser Sache kein Gesetzgeber. Daher ist denn auch - auf der Grundlage des alttestamentlichen Glaubens an den Schöpfer - keine prinzipielle Abwertung der Welt möglich. Von der spätantiken weltverneinenden Gnosis ist Jesus durch Welten getrennt. Im Gegenteil, im Anbruch des Gottesreiches wird der Schöpfer und seine Schöpfung überhaupt erst voll und klar von neuem sichtbar. Die Herrschaft Gottes schließt auch die Allmacht des Schöpfers ein. Daher kann es heißen, daß alle Dinge, die zum Leben nötig, „dazu gegeben" werden, wenn nur eines feststeht als das Erste: das Trachten nach dem Reiche Gottes (Mt. 6,33). „Unser tägliches Brot gib uns heute" (Mt. 6,11). Nein, diese irdischen Dinge sind nicht verwerflich. Man darf ihnen nur nicht durch den heidnischen

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Sorgengeist ein falsches, nämlich absolutes Gewicht geben und sich ihnen als einer Herrschaftsgewalt über die Menschen unterwerfen. Den Zeitgenossen ist damals auch der Unterschied in der Haltung Johannes des Täufers und Jesu aufgefallen. Der letztere wird von seinen Gegnern „Fresser und Weinsäufer" genannt (Mt. 11,19); sie werfen ihm ja auch vor, daß seine Jünger nicht fasteten. c) In diesem Zusammenhange ist das "Wort Mk. 10,1 ff. über die Ehe und die Ehescheidung wichtig. Wir erwähnten schon in dem Abschnitt über das Gesetz (2), daß Jesus hier auf den Willen und die Tat des Schöpfers zurückgeht, der Mann und Weib geschaffen und dazu bestimmt hat, „ein Fleisch" zu werden (vgl. 1.Mose 1,27 und 2,24). Das Handeln des Schöpfers ist der Grund dafür, daß die Ehe nicht geschieden werden darf. Jesus widersetzt sich der auf das mosaische Gesetz gegründeten jüdischen Praxis, wonach die Scheidung der Ehe erlaubt ist (Ehescheidungsbrief). Bei ihm ist keine Spur von Diffamierung der Ehe und des Geschlechtsverkehrs. Hier und heute gilt dies Handeln des Schöpfers. Von hier aus greift Jesus die mosaische Scheidungsgesetzgebung an. Das kommende Gottesreich führt nicht zur Auflösung der Ehe, sondern erhält die Ehestiftung des Schöpfers. Große Schwierigkeiten für die Auslegung birgt die sogenannte „Ehebruchs"· oder „Unzucht-Klausel" in sich, die ausschließlich von Matthäus überliefert wird (Mt. 19,9; 5,32): Ehescheidung ist unmöglich „außer wegen Unzucht". Offenbar wird hiermit ein Ausnahmefall festgestellt. Merkwürdig ist der Gebrauch des allgemeinen Ausdrucks „Unzucht" statt des bestimmten „Ehebruch", welch letzteren man erwarten sollte. Am wahrscheinlichsten ist die Auskunft, daß Matthäus und seine Gemeinde sich gezwungen gesehen haben, diese Ausnahme zu konstatieren und zuzulassen, weil sie vor die Tatsache einer durch Unzucht bzw. Ehebruch zerstörten Ehe gestellt waren. Solche und andere Fakten brachten die Notwendigkeit neuer Gemeinderegeln und fortschreitender Auslegung der Gebote Jesu mit sich. Es ist abwegig, deswegen in tadelndem Sinne von „Kasuistik" zu sprechen. Auch in der christlichen Gemeinde trat der Fall faktischer Zerstörung von Ehen ein. Neuerdings will man den Ausdruck „Unzucht" auf blutschänderische, d. h. vom Gesetz des Moses in bestimmten Verwandtschaftsgraden verbotene Ehen beziehen, die in der Gemeinde des Matthäus vorgekommen sein sollen. Aber es gibt vorläufig noch keine gesicherte historische Erklärung dieser „Unzuchtsklausel". Zu der radikalen Forderung Jesu scheint nach der Auffassung des Matthäus der Ausnahmefall nicht im Widerspruch zu stehen, da es sich um ein Faktum im Eheleben handelt, dem die Gemeinde durch die Scheidung einer durch Unzucht (Ehebruch) zerstörten Ehe Rechnung tragen will. Gerade Matthäus ist ja in der Bergpredigt (nach seiner Konzeption und in seiner Komposition!) - auch in 5,32! - auf die Verschärfung des Gesetzes ausgegangen. Es geht ihm um die Reinheit der Gemeinde, um die Reinheit der Ehe. Daß diese Ehescheidung im Ausnahmefall ein Notausweg bleibt, liegt auf der Hand. Auch die Überlieferung des Markus spricht in Mk.

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10,11-12 für das Wirksamwerden einer neuen historischen Gemeindesituation. Denn hier wird die für den Juden unvollziehbare römische Rechtsordnung eindeutig vorausgesetzt, nach welcher auch die Frau die Möglichkeit hat, selbständig die Scheidung ihrer Ehe zu veranlassen: „Und wenn sie ihren Mann entläßt . . . " Die Forderung Jesu wird also von Markus auf Gemeinden ausgedehnt und angewendet, die unter dem römischen Recht leben. Alle solche Äußerungen Jesu haben einen konkreten Anlaß in einer bestimmten Situation. Eine „Lehre" von der Ehe gibt er nicht, sondern lediglich die bestimmte Entscheidung einer Frage, vor die er gestellt wird. d) Dies gilt auch hinsichtlich des Staates. Man muß bedenken, daß Jesus in einem Land unter fremder Besatzungsmacht lebt. Er stand auch der Tatsache des Zelotismus gegenüber, einer messianologisch begründeten Widerstandsbewegung gegen die römische Fremdherrschaft. Jesus aber konnte kein Zelot sein. Denn das Reich Gottes kann nicht mit den Mitteln der Gewalt und der Waffen heraufgeführt werden. In der Welt herrschen die Fürsten und üben Gewalt, unter den Jüngern aber gilt die entgegengesetzte Ordnung: wer der Erste sein will, der sei aller Knecht (Mk. 10,42ff.). Das wird von Markus christologisch begründet (Mk. 10,45). Mit nüchternem Realismus sieht Jesus, wie es in der Welt der Macht und der Mächtigen zugeht. Er tritt nicht als Staatsreformer auf. Aber mit denen, die dienen und nicht herrschen, mit den Jüngern Jesu, tritt die neue Ordnung des Reiches Gottes zeichenhaft in dieser Welt in Erscheinung. Auch Mk. 12,14 ff. muß eschatologisch verstanden werden. Dann wird der „ironische Parallelismus" (M. Dibelius) von Gott und Cäsar sichtbar. Sie stehen ja gar nicht auf einer Ebene! Es ist auch nicht an die Trennung zweier Bereiche, Staat und Kirche, gedacht. Von der Kirche ist überhaupt nicht die Rede. Was dem Cäsar zusteht, ist die Münze und die Steuer; also ist die Steuer zu zahlen. Gott aber gebt, was ihm gehört und zukommt. Jesus sagt nicht, was das sei. Doch aus dem Kontext seiner Verkündigung verstanden ist es klar: Gott gehört der ganze Mensch. Der Cäsar ist nur eine Größe der vergehenden Welt. Jesus tritt also weder auf die Seite der Gegner der Besatzungsmacht noch schlägt er sich zu deren Anhängern. Die Frage war heikel, denn die Fremdherrschaft stand im Lande. Jesus entzog sich seinen Gegnern, die ihn „fangen" wollten. Aber er tat es von seiner Botschaft her und nicht durch eine diplomatische Formel. An einer „messianischen Revolution" beteiligt er sich nicht. Aber er wird auch kein „Kollaborateur" wie die Herodianer. Auch hier keine „Lehre" vom Staat, sondern eine konkrete Entscheidung der Frage; darin steckt freilich ein entscheidender Anstoß zu einer neuen theologischen Reflexion, nämlich zur eschatologischen Begrenzung des Staates und der Macht, was keine christliche Lehre vom Staate je vergessen sollte. Darum liegt die Position Jesu jenseits der gegnerischen Haltungen im damaligen Palästina.

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Man wird hinzufügen müssen, daß diese Position auch jenseits von StaatsVergötterung und Staats-Diffamierung liegt. Die antike Einheit von Religion und Staat wird durch die eschatologische Botschaft zerstört. Zum ersten Male in der Geschichte tritt der Staat in seiner Weltlichkeit in Erscheinung. Aber auch die Anarchie und eine „religiöse" Staatsfeindlichkeit, wie in späteren, enthusiastischen Bewegungen, predigt Jesus nicht. Alle solchen Gebilde wie Ehe, Haus und Staat, haben Bestand und Geltung nur in dieser Weltzeit, „ewig" sind sie nicht, und eine direkte Göttlichkeit kommt ihnen nicht zu. Die Botschaft Jesu ist das Ende der kosmisch-politischen Gottheiten der antiken Welt und ihres numinosen Weltverständnisses. Eine Gemeinde, die das Wort Jesu nach Ostern aufnahm, konnte daher den Kaiserkult nicht vollziehen. 6. Die Erfüllbarkeit

des

Gebotes

Als wir von den verschiedenen Deutungen der Bergpredigt sprachen, war auch von dem Satz die Rede, die Gebote der Bergpredigt seien unerfüllbar. So die lutherische Tradition, nach welcher diese Gebote nur dazu bestimmt sein sollen, den Hörer zur Erkenntnis seiner Sünde zu führen (usus elenchticus legis). Das Gebot soll in die Umkehr führen. Hierbei ist jedoch völlig übersehen, daß die Gebote Jesu allenthalben auf Erfüllung angelegt sind. Was hat denn das Liebesgebot sonst für einen Sinn? Es hätte unterbleiben können, da ja zur Erkenntnis der Sünde die Warnung vor dem Gericht und der Ruf zur Umkehr vollauf genügt hätten. Die Forderung, sich mit dem Bruder zu versöhnen (Mt.5,23 f.), soll selbstverständlich erfüllt werden, sonst wäre sie sinnlos. Von Unerfüllbarkeit ist nirgends in der Jesus-Tradition der verschiedenen Typen und Stufen etwas gesagt, ja nicht einmal angedeutet. Jesus setzt die Erfüllbarkeit und nicht die Unerfüllbarkeit allenthalben als selbstverständlich voraus. Man muß zweierlei klar unterscheiden: a) daß die Gebote erfüllt werden können, b) daß sie faktisch vielfach nicht erfüllt werden. Aber diese tatsächliche Nicht-Erfüllung darf auf keinen Fall in die Nichterfüllbarkeit umgedeutet werden. Verurteilt werden die, die den Willen des Vaters im Himmel nicht getan haben (Mt. 7,21 ff.), obwohl sie ihn tun sollten und könnten. Wegen eines unerfüllbaren Gebotes wird man nicht verurteilt. In Mt. 5,13-16 wird vorausgesetzt, daß die Jünger gute Werke tun, und daß sie das Salz der Erde und das Licht der Welt sein können. In Mt. 5,7 und 9 ist von Menschen die Rede, welche barmherzig sind und Frieden stiften. Offenbar gibt es beim Anbruch der Gottesherrschaft solche Menschen. Jesus bleibt eben nicht bei der Forderung stehen: „glaubet an das Evangelium" (Mk. 1,15), so grundlegend diese ist, sondern er gibt — zumal in der Bergpredigt - konkrete Gebote, damit sie getan werden. Die Leute sollen ja Gott preisen über den guten Werken der Jünger (Mt. 5,16)!

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Deswegen sagt R. Bultmann mit Recht: weil das Gebot erfüllbar ist, ist die Nichterfüllung Sünde. Ein Beispiel für die Nichterfüllung ist der Reiche, der die radikale Forderung Jesu nicht erfüllt: „denn er hatte viele Güter" (Mk. 10,17 ff.22). Man muß hinzufügen, daß Jesus die Schwere der geforderten Entscheidung für die Gottesherrschaft klar hervorhebt, so etwa im Gleichnis vom Turmbau und von dem Könige, der in den Krieg ziehen will (Lk. 14,28-33): man überlege es sich wohl, ob man das geplante Werk ausführen kann! Man denke auch an das Wort von dem schmalen Wege und der engen Pforte, die ins Leben führen (Mt.7,13-14). Unerfüllbar ist das Gebot für den Sünder, der in seinem Widerstand gegen Gott verharrt. Wer aber die Botschaft vom Reiche Gottes annimmt, der wird frei zu einem neuen Handeln, zum Lieben. Der Jünger wird dazu bevollmächtigt, Salz der Erde und Licht der Welt zu sein. Das ist die neue Lebensund Handlungsmöglichkeit der Jünger, der Menschen, die das Reich Gottes annehmen. Die, welche wie der Reiche viele Güter haben, können schwer in das Reich Gottes gelangen, doch es gilt: „bei den Menschen ist es unmöglich, aber nicht bei Gott"; denn „alles ist möglich bei Gott" (Mk. 10,27). Man kann sagen: indirekt tritt in dieser Geschichte von dem Reichen das Problem der Erfüllbarkeit hervor; denn man sieht hier, was man loslassen und weggeben muß, um die Forderung Jesu erfüllen zu können. In alledem ist klar: es handelt sich in der Bergrede wie überhaupt in den Forderungen Jesu nicht um allgemeine Moralprinzipien, sondern um „Jüngerlehre", d.h. um Anforderungen an die, die das Heil der Gottesherrschaft annehmen, die in den neuen Bund Gottes mit den Menschen eintreten. So folgt das Gebot aus der Heilszusage (vgl. die Seligpreisungen Mt.5,3ff.par.). Der Imperativ ruht auf dem Indikativ des anbrechenden Heils. In diesem Zusammenhange ist das Gleichnis vom guten Baum und der guten Frucht wichtig. In der Textform des Lukas heißt es: „jeden Baum erkennt man ja an seinen Früchten" (Lk. 6,43^44 vgl. Mt.7,16ff.). Die Güte des Baumes ist die Voraussetzung für die Güte der Früchte (vgl.Mt. 12,33). Wieder ist damit unsere Frage nach der Möglichkeit der Erfüllung des Gebotes indirekt beantwortet. Vielleicht darf man auch die Worte vom Bitten, das empfängt (Mt. 7,7ff.), in diesen Zusammenhang miteinordnen, ohne sie nur nach dieser Seite hin auslegen zu wollen. Aber die Verheißung für das Bitten gilt doch wohl auch für die, die dem Gebot gehorchen sollen und wollen. Wir haben bisher die Erfüllung als die Folge des Heils und der neuen eschatologischen Existenz betrachtet. Nun gibt es aber doch andere Aussagen, in denen die Erfüllung, das Tun als die Vorbedingung zur Erlangung des eschatologischen Heils erscheint. So in Mt. 6,14—15: „wenn ihr den Menschen ihre Verfehlungen vergebt, so wird euer himmlischer Vater sie auch euch vergeben." Damit stehen wir vor einer tiefen Paradoxie in der Verkündigung Jesu. Denn hier wird ja in der Form eines Bedingungssatzes geredet: wenn der Mensch - so wird Gott! Das göttliche Handeln antwortet

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auf ein bestimmtes menschliches Tun. Oder denken wir an das Gleichnis von dem bösen Knecht („Schalksknecht", Mt. 18,23 ff.): der böse Knecht scheitert, weil er, der Vergebung empfangen hat, sich weigert, seinem Bruder zu vergeben. Weil er nicht vergibt, verfällt er dem göttlichen Gericht. Es gibt also eine Finalität, d.h. ein „um zu": gute Werke tun, vergeben, um dem Gericht zu entgehen. Nach Mt. 25,32ff. gehen die Täter der Barmherzigkeit ein in das ewige Leben. Das Gleichnis von den Talenten (Mt. 25,14ff.) zeigt, daß man mit den Gaben arbeiten muß, die der Herr seinen Knechten austeilt; man muß sie mehren. Der Knecht, der das nicht tut, verfällt dem Gericht. Also offenbar Lohn für ein Tun? Das ist gewiß eine scharfe Akzentuierung der Notwendigkeit der guten Werke. Gott will Täter in seinem Dienst haben. Ein entarteter, protestantischer Glaubensbegriff hat diese Seite der Predigt Jesu ganz verdunkelt; erst die moderne Exegese hat sie wieder ins Licht gerückt. M a n sieht sehr deutlich, daß der Jünger vor die Forderung des Tuns und vor die Tatsache des kommenden Gerichts gestellt wird. Ein zwangsweise wirkendes Naturgesetz ist es eben nicht, daß sozusagen organisch gute Werke hervorbrächte. Wir sehen eine Dreiheit vor uns: Heil - Forderung - Gerichtswarnung. Die Forderung ist mit beiden verbunden. Der Imperativ verweist auch auf das Gericht. Aber es gibt nicht die Trostlosigkeit des Unerfüllbaren. Auch der Jünger geht dem Gericht nach den Werken entgegen, an dem auch Paulus festgehalten hat (2.Kor.5,10 vgl. Rom. 14,10). Der Jünger ist nicht vollkommen, sondern bleibt unter dem Gebot stehen, so lange er lebt. So haben wir eine doppelte Motivation des Gebotes vor uns: a) den Indikativ des sich vollziehenden oder gegenwärtigen Heils; b) das Futurum des kommenden Gerichtes. Handelt so, daß ihr eingehen werdet in das Reich Gottes - ihr könnt es. Die Zwangsherrschaft des Bösen ist ja gebrochen. Die ethische Gerichtspredigt geht gerade von dieser Tatsache aus, daß der Wille Gottes getan werden kann, und daß es keinen Zwang zum Sündigen mehr gibt, wenn Gottes Reich kommt. Gott schafft eine neue Basis für das Handeln der Menschen, aber er antwortet auch in Gericht und Gnade auf ihr Tun, weil die Jünger und alle Hörer der Reichs-Botschaft nicht nur passive Empfänger sind, sondern geschaffen und gerufen zu verantwortlichem Handeln. 7. Die

Nachfolge

M a n muß sich das Erstaunliche und Nicht-Selbstverständliche des Wortes und der Tatsache „Nachfolge" klarmachen. Es bedeutet eine personale Zuspitzung der Forderung Jesu, wie sie weder in der hellenistischen noch in der jüdischen Ethik zu finden ist. Jesus ruft Menschen in seine Nachfolge. Das Wort tritt in der synoptischen Tradition in doppeltem Sinne auf. Ursprünglich heißt es ganz wörtlich „hinter ihm hergehen". Die Nachfolger sind die, welche Jesus auf seinen Wanderungen begleiten, die wie Petrus alles verlassen haben, um dem Ruf Jesu zu folgen (Mk.l,16ff.; Lk.5,lff.).

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Aber mit diesem ursprünglichen Sinn des Wortes konnte man offenbar nicht auskommen. Eine zweite, übertragene Bedeutung macht sich geltend, die man auf Jünger anwenden konnte, die Jesus nicht auf seinen Predigtreisen begleiteten. Es hat ja wahrscheinlich von Anfang an zwei Formen von Jüngerschaft gegeben: die einen ziehen mit Jesus umher, nachdem sie Haus und Beruf verlassen haben; die anderen dagegen bleiben an ihrem Orte, in ihrem Hause usw. Auch von den letzteren - man denke an Maria und Martha (Lk. 10,3 8 ff.) - wird gefordert, daß sie sich der Herrschaft Gottes im Gehorsam hingeben. Hier haben wir die Wurzel für denjenigen Gebrauch des Wortes „Nachfolge" vor uns, der in der Gemeinde nach Ostern üblich wurde und bis auf diesen Tag angewendet wird. An dem Ruf in die Nachfolge ist besonders eigentümlich, daß er ohne jede Begründung ergeht. Er trägt offenbar seine Vollmacht und Legitimation in sich selbst, indem er von Jesus ausgeht. Die Gerufenen folgen ohne Wenn und Aber in bedingungslosem Gehorsam (Mk. 1,17f.). In der Berufung des Levi heißt es: „Folge mir nach! Da stand er auf und folgte ihm nach" (Mk. 2,14). Der Ruf Jesu gilt absolut. Hinter dieser Darstellung steht die Auffassung, daß Jesus die Vollmacht hat, so zu handeln, und diese Vorstellung ist natürlich eng mit der Christologie der Evangelien verbunden. Werden von den Gerufenen oder Nachfolgewilligen Bedingungen gestellt (Lk. 9,57ff.), so werden diese scharf zurückgewiesen; es ist keine Zeit mehr, Abschied zu nehmen, wenn das Reich Gottes verkündigt werden soll. Keiner kann ein Jünger Jesu sein, der sich nicht von allem lossagt, was er besitzt (Lk. 14,33). Jünger und Meister sind auch in der Gemeinschaft des Geschicks miteinander verbunden: es ergeht den Jüngern wie dem Meister (Mt. 10,24 f.). Doch ist dieses Wort wohl von den ersten Leidenserfahrungen der Urgemeinde geprägt, wie auch andere Worte der Aussendungsrede von diesen bestimmt sind. Sachlich lag es nahe, die Jüngerschaft in das Bild von Herr und Knecht zu fassen. Von dem antik-modernen Begriff des moralischen Vorbildes aus kann man das Phänomen der Nachfolge auf keinen Fall verstehen. Ernst Lohmeyer hat schon vor einem Menschenalter (1921) mit Recht darauf hingewiesen, daß das Verhältnis der Jünger zu Jesus eine völlig andere Struktur hat als die Lehrer-Schüler-Verhältnisse in der antiken Welt. Die Schüler des Philosophen befinden sich auf der gleichen Ebene mit ihrem Lehrer, indem sie gemeinsam die Wahrheit erforschen. Sokrates und seine Schüler sind in der dialogischen Erfragung des Guten und der Wahrheit ihrer Aufgabe gegenüber gleichgestellt. Dem spätjüdischen Rabbi und seinen Schülern ist das Gesetz übergeordnet, das sie gemeinsam auslegen. Natürlich gibt es in beiden Fällen den pädagogischen Vorrang des Lehrers. Doch bei Jesus liegen die Dinge ganz anders. Er ist der Prediger der Gottesherrschaft und der end-gültige Verkündiger des Willens Gottes. Als solcher ruft er Jünger in die Nachfolge, und deswegen ist sein Ruf unbedingt: „Folge mir nach!" Dieser Ruf ist immer auch - in verschiedenen Formen - die Forderung einer Absage. Wir haben dies schon an den Nachfolgesprüchen Lk. 9,57-62

Jesus. Eschatologische Ethik

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(vgl.Mt.8,19ff.) gesehen. Eine Berufung auf Sitte, Pietät, irdische Bindungen und Traditionen gibt es gegenüber dem Ruf Jesu nicht. Und zwar deswegen nicht, weil Jesus in seiner Person den Willen Gottes und die Sache des Reiches Gottes verkörpert. Daher der absolute Vorrang der Forderung der Nachfolge. Aus dem Nachfolge-Ruf konnte keine Philosophen- und keine Rabbinen-Schule hervorgehen, wohl aber eine „Jüngerschaft". Auch der Jünger wird mit der Sache des Reiches Gottes verbunden; ihm wird der Auftrag zuteil: „Du aber gehe hin und verkündige das Reich Gottes" (Lk.9,60). Auch die Verheißung des ewigen Lebens wird denen zugesprochen, die „alles verlassen" haben und ihm nachgefolgt sind (Mk. J 0,28 ff.par.). Die Bindung der Nachfolge ist also nicht nur eine persönliche, sondern auch eine „sachliche", nämlich die Beteiligung an der Verkündigung der Gottesherrschaft. Jedenfalls haben die Evangelisten die Nachfolge so verstanden. Dementsprechend heißt es auch in der sog. Aussendungsrede: „Auf euerer Wanderung predigt: das Himmelreich ist nahe herbeigekommen" (Mt. 10,7 vgl. Lk. 9,2). Alle diese Vorstellungen aber mußten in der Gemeinde nach Ostern eine tiefgreifende Umwandlung durchmachen oder durch andere, z.B. das Sein „in Christus", den „Wandel nach dem Geist" bei Paulus u. a. ersetzt werden. Nachfolge wie in der Zeit des geschichtlichen Lebens Jesu war jetzt nicht mehr möglich. 8.

Zusammenfassung:

Eschatologische

Ethik

Die eschatologische Verkündigung der nahen Gottesherrschaft und die ethische Forderung Jesu sind eine Einheit; man kann sie unterscheiden, aber nicht voneinander scheiden. Das Kommen der Gottesherrschaft bringt auch die letztgültige Offenbarung des Willens Gottes mit sich. „Dein Reich komme - dein Wille geschehe wie im Himmel, so auch auf der Erde" (Mt. 6,10). Dieser Wille Gottes muß getan werden; es geht nicht nur um die bloße Unterwerfung unter den göttlichen Willen. Man darf also Jesus weder zum reinen Moralprediger machen wie die Aufklärung des 18. Jahrhunderts, noch zum bloßen „Apokalyptiker", der das Weltende ansagt. Der Kairos der kommenden Gottesherrschaft qualifiziert den Menschen so, daß er jetzt das Heil des Reiches Gottes empfangen und zugleich Träger und Täter des göttlichen Willens in der Liebe werden kann. Wir haben aber gesehen, daß diese eschatologische Fassung und Begründung der Ethik aus dieser nicht eine „Interimsethik" für die letzten Tage macht. Eben deswegen konnte die Gemeinde nach Ostern die Ethik Jesu rezipieren und als für sie selbst gültig und verbindlich ansehen; deswegen konnten die Evangelisten die Jesus-Tradition aufnehmen und für ihre Gemeinde aktualisieren.

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Heinz-Dietrich Wendland, Ethik des Neuen Testaments

Es genügt nicht, die Verbindung zwischen Eschatologie und Ethik nur im Ruf zur Umkehr oder nur in der Radikalisierung des Gesetzes sehen zu wollen. Die ganze Ethik Jesu ist eschatologische Reich-Gottes-Ethik, die vom Kairos aus das „neue" Handeln begründet und möglich macht. Die Einheit wird nirgends theologisch expliziert, aber sie ist in der Verkündigung Jesu, implizit, vorhanden und gegeben. Sieht man diese Einheit, dann ist allerdings auch die christologische Frage gestellt: Wer ist dieser Prediger der Gottesherrschaft? Wer ist der Mann, der über das Gesetz des Moses radikal hinausgeht? Die Evangelisten haben diese Frage gehört, und jeder hat sie auf seine Weise beantwortet. Die Einheit von Eschatologie und Ethik ist für sie christologischer Natur, was sie übrigens bei allem Unterschied der Terminologien - mit Paulus verbindet. Denn Jesus war für sie mehr als ein Prediger des Reiches Gottes, er war der Heilbringer, der Träger des Gottesreiches in seiner Person. Von hier aus verstanden sie das Gebot Jesu und seinen Nachfolge-Ruf. In der Vollendung des Reiches Gottes bedarf es dann freilich keiner Forderung und keiner Ethik mehr. Insofern wohnt dem Wort „Interim" doch ein Wahrheitsmoment inne: für die Jüngerschaft (oder nach Ostern: die Gemeinde) gilt die eschatologische Ethik bis hin zur Vollendung des Reiches Gottes und zum Ende der Welt. Im vollendeten Gottesreiche gibt es ja auch den Gegensatz gegen das Böse nicht mehr, und die weltlichen „Ordnungen" wie Ehe und Staat existieren dann nicht mehr. Endlich muß die noch immer in der evangelischen Kirche weithin herrschende, rein individuell-ethische Deutung der Ethik Jesu durchbrochen und die sozialethische Relevanz seiner Verkündigung neu herausgearbeitet werden. Erstens bedeutet die eschatologische Ethik Jesu die Infragestellung des ganzen vergehenden „Aions", d. h. der Weltzeit mit allen ihren Lebensformen, Institutionen und Werten. Mit dem Anbruch der Gottesherrschaft wird das metaphysische Schwergewicht ewiger Seinsordnungen aufgehoben. Hierdurch erfolgt deren grundsätzliche Relativierung. Aus dem Kommen der Gottesherrschaft ergibt sich eine neue Qualifizierung aller „weltlichen" Institutionen, Mächte und Güter, welche die hellenistische Philosophie nicht kennt. Zweitens: der Angriff Jesu auf die Gesetzesauslegung des Rabbinats und auf das Gesetz des Moses ist nicht nur ein „religiöser" Angriff auf eine Theologie und eine juristische Praxis, sondern erschüttert die jüdische Glaubensgemeinschaft als ganze und hiermit die jüdische Gesellschaft seiner Zeit in ihren Grundlagen, da Gesellschaftssystem und Glaubensgemeinde in diesem Falle miteinander identisch sind. Insofern haben die Schwärmer und die Sozialisten des 19. und 20. Jahrhunderts mit Recht gesehen, daß in der Verkündigung Jesu, so wenig er ein Sozialreformer oder Revolutionär im modernen Sinn dieser Begriffe genannt werden kann, dennoch eine weltverändernde Kraft verborgen und impliziert war, die über die Begründung einer neuen Individualethik weit hinausgriff und in der Geschichte der

Die Urgemeinde. Neue Formen und Formeln der Ethik

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Kirche immer neu entbunden und „virulent" wurde. Das Liebesgebot enthält mehr als eine Regel für das Handeln einzelner Christen. Es ist die „Unruhe" in der Statik vorfindlicher Kirchen- und Gesellschaftsordnungen; es deckt alle Ungerechtigkeit und allen Machtmißbrauch in dieser Welt auf. Es hat eine gesellschaftskritische Macht und Funktion. „Die sozialethische Bedeutung der Radikalisierung der Gebote in der Bergpredigt ist mindestens so groß wie die individual-ethische" (P. Noll, Jesus und das Gesetz, 1968, S. 23). Der soeben zitierte Verfasser hebt die Gebots-Verkündigung Jesu aufs schärfste ab von allen antiken, mittelalterlichen und modernen „Ordnungs"-Philosophien und -Theologien einschließlich der Luther-Epigonen (a.a.O. S. 28 f.). Jesus teilt nicht deren „unkritische Überschätzung stabiler Ordnungen" (S. 28). In der Tat haben solche „Ordnungs"-Theologien in der Geschichte der Kirche und der Theologie immer wieder zu Abschwächungen, Verharmlosungen oder - sei es individualistischen, sei es spiritualistischen - Umdeutungen der Bergpredigt und der Universalität der radikalen Gebote Jesu, insbesondere des Gebotes der Nächstenliebe geführt, so ζ. B. mit Hilfe einer entstellten ZweiReiche-Lehre im 19. und 20. Jahrhundert und zugleich mit Hilfe der Proklamation der totalen „Eigengesetzlichkeit" aller Weltsphären. Zwar dürfen die Begriffe dieser modernen Problematik nicht in die Auslegung der synoptischen Jesus-Tradition eingetragen werden, doch darf die Bergpredigt-Tradition andererseits auch nicht in ihrer alle menschlichen Sozialgebilde erschütternden und real-eschatologisch begrenzenden Dynamik verdunkelt oder gar vergessen werden. An diesem Punkte behält der so oft diffamierte „Enthusiasmus" und „Chiliasmus" recht gegenüber der bürgerlich-christlichen Gesinnungsethik (vgl. oben den Abschnitt über die Bergpredigt 4 c), welche den universalen, geradezu provokatorischen Anspruch der Gebote Jesu zum Verschwinden gebracht hat.

II. K A P I T E L

Die Urgemeinde Neue Formen und Formeln der Ethik Methodische

Vorbemerkung

Schreiben oder andere Dokumente aus der Zeit der ersten Gemeinden vor Paulus besitzen wir nicht. Daher ist die Darstellung und Erfassung der Ethik der ersten Gemeinden, gleichviel, ob Jerusalem oder Antiochia, äußerst schwierig. Wir sind auf Rückschlüsse aus den Paulusbriefen, der Apostelgeschichte und den Evangelien angewiesen und kommen großenteils über Mutmaßungen nicht hinaus. Abgesehen davon, daß sie sehr wenig Material 3

Wendland, Ethik

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Heinz-Dietrich Wendland, Ethik des Neuen Testaments

bietet, kann auch die Apostelgeschichte nicht direkt als Quelle für die vorpaulinischen Gemeinden benutzt werden. Zwar hat sie ältere Traditionen verarbeitet, diese jedoch gemäß der theologischen Konzeption des Lukas geformt und stilisiert. Das Bild der Urgemeinde, das die Apostelgeschichte entwirft, ist von den Gesichtspunkten einer späteren Epoche her entwickelt. Wichtiges Material enthalten die Briefe des Paulus, so ζ. B. das vor-paulinische Gemeindebekenntnis l.Kor. 15,3 ff., die Abendmahls-Tradition l.Kor. 11,23 ff., den vor-paulinischen Christushymnus Phil. 2,5 ff., Hinweise auf Gebote Jesu Rom. 12,14 (vgl. l.Kor.4,12) und l.Kor.7,10. Auch die „Haustafel" Kol. 3,18 ff. hat Paulus aus der Gemeinde übernommen, in der er selber Christ wurde. Doch all dies Material reicht nicht dazu aus, um ein wirkliches, geschweige denn vollständiges Bild von der Ethik der ersten Gemeinden geben zu können. 1. Vor- und nach österliche

Situation

Zwar hat Rudolf Bultmann in seiner „Theologie des Neuen Testaments" (1. Aufl. 1953, 5. Aufl. 1965) eine glänzende Rekonstruktion der Theologie der hellenistischen Gemeinden vor und neben Paulus von erstaunlicher Vollständigkeit gegeben. Doch beruht auch diese angesichts des fragmentarischen Charakters der im Neuen Testament überlieferten Schriften auf einer bedeutenden Anzahl von Rückschlüssen, über deren "Wahrscheinlichkeitsgrade und Tragfähigkeit sehr verschiedenartige Beurteilungen möglich sind. Die Ethik des Neuen Testaments liegt ganz am Rande von Bultmanns Darstellung der Theologie des Neuen Testaments. Auf dem Felde der ethischen Traditionen in den vor-paulinischen Gemeinden müssen Rückschlüsse aus den paulinischen Briefen oder aus der Apostelgeschichte mit besonders großer Vorsicht und kritischer Zurückhaltung gezogen werden. Der Historiker des Urchristentums hat recht mit der Feststellung, daß die lukanischen Schriften nach den Paulusbriefen zu behandeln seien, da sie einer weit späteren Periode der Geschichte des Urchristentums angehörten. Wir weichen von dieser Regel hier nur deswegen ab, um u. U. altes Traditionsmaterial zw-lukanischen Ursprungs und Charakters erfassen und darstellen zu können. Ostern ist der Ursprung der christlichen Gemeinde. Aus den Erscheinungen des Auferstandenen und der Predigt der Osterzeugen geht sie hervor. Der aus Ostern entstehenden Gemeinde verdanken wir die Sammlung der Jesus-Tradition in den verschiedenen Formen der drei ersten Evangelien. Die Gemeinde nach Ostern ist eine hörende und auslegende Gemeinde. Indem sie Worte Jesu aufnimmt und als Autorität anerkennt, legt sie diese auch aus und wendet sie an auf ihre Fragen und Bedürfnisse in neuen geschichtlichen Situationen. Für Matthäus steht der Streit um das Gesetz und die Auseinandersetzung mit der jüdischen Frömmigkeit im Mittelpunkt; für Lukas ist die Situation eine ganz andere (man vergleiche ζ. B. die Feldrede Lk. 6,20 ff. mit Mt. 5-7). So werden die Worte Jesu verschieden akzen-

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tuiert und angewendet in verschiedenen, geschichtlichen Situationen der Gemeinde. Was Jesus vor Ostern sagte und tat, erscheint in einem neuen Lichte, wenn es nach Ostern in der Gemeinde der Christgläubigen zur Geltung gebracht wird. Zwischen der Verkündigung Jesu und der Ethik der nachösterlichen Gemeinde liegt also ein sehr tiefer Einschnitt: Ostern. Die Evangelien sehen alles, was vor Ostern war, im Lichte von Ostern: das Gebot des geschichtlichen Jesus ist jetzt das Gebot des Herrn (kyrios), des „Menschensohnes", d. h. des Weltrichters und Welterlösers, dessen Kommen sie erwartet. Nach johanneischer Formulierung (Joh. 13,34) ist das Gebot Jesu deshalb jetzt das „neue Gebot". Ohne Ostern keine Überlieferung der Worte Jesu, also auch nicht der Gebote Jesu, der Bergpredigt nach Matthäus oder der „Feldrede" nach Lukas. Die Gemeinde nach Ostern ist aber nicht den Weg gegangen, sozusagen rein aus Ostern eine Christologie und eine Ethik freihändig-schöpferisch zu entwickeln. Nein, sie fragt nach den Worten Jesu, sie trägt diese zusammen. Also wird - so kann man sagen - der Gehalt der vor-österlichen Situation in die nach-österliche aufgenommen, z.B. das Wissen um die Ankunft des Reiches Gottes. Es ist nicht gleichgültig, sondern von höchster Bedeutung, was Jesus über den Sabbat, über die Reinigungsgesetze, über die Steuer für den Cäsar, über die Liebe zum Nächsten usw. gesagt hat. Die Auferstehung wirft ihr Licht gleichsam auch rückwärts auf Taten und Worte Jesu vor Ostern. Auch Paulus, den man so gern und so falsch als einsamen, theologischen Genius vorstellt, weiß sich an das Wort Jesu über die Ehescheidung gebunden (l.Kor.7,10) und legt das Liebesgebot Jesu aus (Rom. 12,14ff.). Er steht damit in der Tradition der Gemeinde nach Ostern. Obwohl er sich doch auf den „Besitz" des heiligen Geistes berufen kann (l.Kor.7,40), hat das Herrnwort gleichwohl für ihn die bindende, höchste Autorität. Das darf freilich keineswegs so verstanden werden, als ob es keine Entwicklung der Ethik nach Ostern gegeben hätte! Das Gegenteil ist der Fall, wie wohl am schlagendsten Paulus beweist, und unter seinen Schreiben vor allem der l.Korintherbrief. Jetzt treten ja immer neue, geschichtliche Situationen hervor, und für sehr viele, wenn nicht die meisten, liegen keine Worte Jesu vor. Man muß aus dem Glauben an Christus neue, eigene Entscheidungen treffen. Oder man muß das Liebesgebot neu auslegen, wie Paulus l.Kor. 8 und 10 es im Ringen mit den korinthischen Gnostikern tat. Man mußte die Gabe des göttlichen Geistes mit den Forderungen der Ethik, mit dem Gebot der Liebe verbinden, was wiederum Paulus tat (z.B.l.Kor. 12-14). Man hatte Weisungen bezüglich der Ehe, bezüglich der Stellung zur politischen Gewalt nötig, wobei man sich in ganz anderen Situationen befand als Jesus und seine Jünger vor Ostern. Man benützte jüdische und hellenistische Lebensweisheit und sittliche Regeln, so in den Laster- und Tugend-Katalogen oder in den Haustafeln. In dieser Hinsicht war man von jedem christlichen Purismus (als müßte alles in den ethischen Weisungen rein und eigenständig „christlich" sein) völlig frei. Man nimmt, was man braucht. Je länger die Kirche nach Ostern mit der Welt zusammenleben 3*

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muß, desto stärker wird diese Notwendigkeit. Man kann ja wirklich nicht daran denken, nur Jesus-Worte zu zitieren. So beginnt mit Ostern jene Epoche der Entwicklung der christlichen, der Gemeinde-Ethik, die bis heute anhält: einer Ethik, die a) von der Heilsbotschaft und der Christologie herkommt, und die sich b) in ständiger Auseinandersetzung mit der Welt, mit der Ethik von Heiden und Juden, mit neuen, geschichtlichen Fragen und Situationen befindet. Von Ostern her kommt also eine neue Entwicklung der christlichen, zunächst der urchristlichen Ethik in Gang. Sie geht auf neuen Wegen, obwohl sie sich an das Liebesgebot Jesu gebunden erachtet. Das Neben- und Nacheinander sehr unterschiedlicher Typen von Ethik - Paulus, Johannes, Jakobus, Pastoralbriefe usw. - zeigt deutlich einen großen Spielraum von Freiheit und Möglichkeiten: man war nicht an ein fertiges moralisches Gesetzbuch gebunden. Man kann wirklich sagen: auch hierin wirkt sich die Mannigfaltigkeit der Geistesgaben aus. Deshalb ist es auch unmöglich, die urchristliche Ethik nach Ostern auf ein oder zwei Formeln zu bringen. Wir haben dieser Mannigfaltigkeit Rechnung zu tragen und jede Systematisierung mit Hilfe eines einzigen, tragenden Begriffes zu vermeiden. Erst am Schluß können wir die Frage nach der Einheit der neutestamentlichen Ethik stellen. Natürlich kann die Fortentwicklung der neutestamentlichen Ethik auch so vor sich gehen, daß der Osterglaube und die neue geschichtliche Situation die Uberlieferung der Jesus-Worte gestalten, wodurch sie zum Ausdruck und zur Weisung der Gemeinde-Ethik nach Ostern werden: so ist ζ. B. die Aussendungsrede Mt. 10,5 ff. nicht nur Wort Jesu, sondern auch Wort der judenchristlichen Gemeinde nach Ostern, indem sie u. a. von Leiden und Verfolgung spricht (Mt.l0,17ff.26ff.). Oder wir finden in Mt. 18,15 ff. ein Stück Gemeinde-Ordnung, welche das Verhalten gegenüber einem sündigen Bruder regelt; es wird sozusagen der „Instanzenzug" festgestellt; die letzte Instanz ist die „Gemeinde" - eben dieses Wort wird hier gebraucht, obwohl es doch vor Ostern gar keine Gemeinde gab und geben konnte. Die Vollmacht der Sündenvergebung ist hier von Jesus auf die Gemeinde übertragen. Dies war allein durch Ostern und von Ostern her möglich, was auch die Überlieferung Joh. 20,21 ff. deutlich erkennen läßt. Notwendigerweise treten jetzt neue, ethische Autoritäten auf: a) Die Gemeinde, das erwählte, begnadete Gottesvolk. Nach l . K o r . 5 , l f f . hat die Gemeinde über den schweren Fall von Unzucht zu entscheiden, der in Korinth vorgekommen ist; Paulus bemängelt es, daß die Gemeinde nicht selbst schon eingegriffen hat. b) Der Apostel, ζ. B. Paulus, indem er den Anspruch auf „Kirchenleitung" als der geistliche Vater seiner Gemeinden erhebt (vgl. z.B. l.Kor.4,14ff.). Auch die Vollmacht zu ermahnen, Weisungen zu erteilen, ist hierin ein-

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geschlossen: alle Gemeinden lehrt er „seine Wege in Christus" (l.Kor.4,17) das sind seine Weisungen, die Paränese, die den Gemeinden helfen soll, ein christliches Leben zu führen. Da solche Paränese immer zur Missionspredigt gehört hat, ist anzunehmen, daß andere Apostel und Missionare ähnlich verfahren sind wie Paulus. Wurde jemand Christ, entstand eine Gemeinde, so waren solche Weisungen nötig und unumgänglich. c) An die Apostel, die Missionare und Gemeindegründer reihen sich später die Gemeindeleiter an, denen die Verkündigung des Evangeliums obliegt, die das „Hirtenamt" über die „Herde" innehaben. Die ethische Verkündigung konnte ja mit dem Tode der Apostel und Apostelschüler nicht aufhören; die nachösterliche Gemeinde bedarf ihrer ständig. Aber über ihnen allen steht als höchste und letzte Autorität der göttliche Herr, der zugleich der Weltrichter sein wird. Alle Christen sind, paulinisch geredet, seine „Sklaven". Blicken wir jetzt zurück, so sehen wir drei Entwicklungsformen der Ethik nach Ostern vor uns: 1. das auf- und angenommene Wort Jesu, das durch Ostern neu legitimiert und in Kraft gesetzt wird; 2. das neu ausgelegte Wort Jesu, eine Auslegung, die durch die geschichtlichen Situationen der Gemeinde nach Ostern bedingt ist; 3. die Weiterbildung der urchristlichen Ethik mit neuen Begriffen, so in der Geist-Ethik des Paulus, in der christologischen Begründung der Ethik, in der Tauf-Paränese und in der Auseinandersetzung mit weltlichen Größen und Gebilden. Die Kirche geht auch in ihrer Ethik von Ostern aus vorwärts in ein neues Zeitalter. Wer als das entscheidende Neue an der Gemeinde nach Ostern den Geist ansieht, könnte meinen, die Weiterbildung der Ethik sei ganz auf das Prinzip des Geistes gegründet worden. Doch ist dies nicht einmal bei Paulus der Fall, bei dem mehrere Begründungsformeln für die ethischen Weisungen zu finden sind. Der Geist ist immer der „Geist des Herrn" (2.Kor.3,17); so kann er auch nicht ungeschichtlich sein und nicht im Gegensatz zum Wort Jesu stehen. Ist der Geist aber die Gegenwart des Herrn, so konnten aus ihm auch nicht beliebige ethische Inhalte frei produziert werden. Jene Enthusiasten wie die in Korinth, die aus dem Geistbesitz die totale Freiheit ableiteten, haben die Entwicklung der urchristlichen Ethik nicht bestimmt. — Naturgemäß müssen in der Ethik Jesu vor Ostern verschiedene Formen der Ethik fehlen, die erst nach Ostern entstehen konnten: so vor allem die Tauf-Paränese, die den Vollzug der Taufe voraussetzt; sie tritt sehr deutlich bei Paulus hervor (vgl. Röm.6,2ff. mit 6,llff.; 1 .Kor.6,11: „ihr seid abgewaschen . . . " ) . Das gleiche gilt vor allem auch von allen christologischen Begründungen der Ethik, die auf Kreuz und Auferstehung Christi zurückblicken und den Imperativ im Indikativ des vollzogenen Heilsereignisses begründen (vgl. III. Kap., 1.Abschnitt). Nur ein Beispiel hierfür: „Denn

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unser Passahlamm ist geschlachtet worden, Christus" (l.Kor.5,7). Darum lautet die Forderung, daß die Gemeinde den „alten Sauerteig wegschaffen" soll; dies ist die Forderung der Reinheit. Hier ist ein Modell der neuen Begründung des Gebotes gegeben, die überhaupt erst von Ostern her möglich wird (vgl. l.Kor.6,11). Man kann von einem Rückruf zu Christus, von einem Christus-Gedächtnis sprechen: erinnert euch doch daran, was ihr schon seid, wozu euch Christus gemacht hat; eignet euch dies in euerem Leben und Handeln an! So aber kann man erst nach Ostern reden. In der Ethik vor Ostern dagegen kann nur so gesprochen werden, wie es in den Seligpreisungen (Mt. 5,3 ff. par.) oder in den Reich-Gottes-Gleichnissen geschieht: das Reich Gottes kommt jetzt, es ist nahe, darum kehrt um (Mk. 1,15par.); darum gibt es jetzt Freiheit vom Gesetz, und der Mensch steht über dem Sabbat; in der neuen Heilssituation wird das Gesetz radikalisiert und die Menschensatzungen werden aufgehoben, welche Rabbinen und Pharisäer an die Stelle des Willens Gottes gesetzt haben. All dies ist Bezug auf das soeben anbrechende, eben die Schwelle zur Gegenwart überschreitende Heil. Ein Rückblick ist durch diese Situation der Verkündigung Jesu vor seinem Tode ausgeschlossen. So zeigt sich von neuem, daß Ostern und der Osterglaube große Weiterentwicklungen der urchristlichen Ethik eingeleitet und begründet haben, denen wir in den folgenden Kapiteln weiter nachzugehen haben.

2. Die judenchristlicbe Urgemeinde und das Gesetz Wendet man sich an die Apostelgeschichte, um etwas über die Ethik der Urgemeinde in Jerusalem und Palästina zu erfahren, so ist der Ertrag, wie oben schon angedeutet, recht gering. Wollte man auf die sog. „Summarien" der Apostelgeschichte verweisen, d. h. auf die knappen Zusammenfassungen, die das Leben der ersten Gemeinde charakterisieren sollen (Apg.2,42ff.; 4,32), so ist doch zu diesen zu sagen, daß sie ein Idealbild der ersten Gemeinde liefern, wie es die Gemeinden zur Zeit des Lukas vorgestellt haben; dies Bild braucht deswegen nicht ohne jeden Grund in der geschichtlichen Wirklichkeit zu sein, ist aber doch mit Vorsicht zu benutzen. Dies gilt auch von der Aussage über die ersten Christen, daß sie allen Besitz als „Gemeingut" gehabt hätten (Apg.4,32). Dies ist offensichtlich zunächst eine Verallgemeinerung der Tatsache, daß einzelne Christen sich ihres Besitzes entäußert haben wie z.B. Barnabas (Apg.4,36-37, vgl. auch 5,1 ff. die Geschichte von Ananias und Sapphira). Es war eine unglückselige und völlig verfehlte Interpretation, dieses Handeln als „urchristlichen Kommunismus" zu bezeichnen; denn mit Kommunismus hat es nicht das geringste zu tun. Der Kommunismus ist ein umfassendes Gesellschaftssystem, das auf der Aufhebung des Privateigentums an den Produktionsmitteln beruht. In der Urgemeinde dagegen haben wir es nicht mit einer Bewegung zur Revolutionierung der gesellschaftlichen Eigentumsordnung zu tun. Eine solche war damals, und vollends im jüdischen Milieu, ganz undenkbar. Sodann

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ist zweitens gar nicht von einer allgemeinen Regelung der Besitzverhältnisse durch Gesetz die Rede; es ist also nicht die Verfassung der Gemeinde, „alles gemein" zu haben. Vielmehr handelt es sich um eine Illustration der Kraft der Liebe. Einzelne bringen ein Opfer ihres Besitzes dar. Das ist wahrscheinlich immer noch rühmenswert genug! Gänzlich abwegig war und ist es auch, von „Liebeskommunismus" zu sprechen. Handelt es sich um Liebe, so gerade nicht um Kommunismus, und umgekehrt ebenso! Das kommunistische Gesellschaftssystem aber wird nicht auf Liebe, sondern auf revolutionäre Macht gegründet. Die Liebe wiederum kann man nicht zum Gesetz und zur Verfassung einer Gesellschaft machen. Daß bei Lukas eine antike Auffassung vom „gemeinsamen Leben" von Einfluß gewesen ist, das ist höchst wahrscheinlich. Offenbar liegt auch eine Anknüpfung an 5.Mose 14,4 vor: „Es soll keine Armen bei dir (Israel) geben." Uberhaupt spielt bei Lukas die Gefährdung des Menschen durch den Reichtum eine beträchtliche Rolle. Das Gleichnis vom reichen Kornbauern (Lk. 12,16ff.) zeigt die falsche Sicherheit eines Mannes, der sich auf die Fülle der irdischen Güter, auf seine reiche Ernte verläßt, aber plötzlich vor das Gericht Gottes gerufen wird; es kommt aber allein darauf an, reich zu sein „für Gott" (Lk. 12,21). Wie auch die Weherufe über die Reichen und Satten zeigen (Lk.6,24f.), die „ihren Trost dahinhaben", d.h. dem göttlichen Gericht verfallen, so sind offenbar die Reichen in ihrem Verfallensein an ihren Reichtum die Hauptrepräsentanten der Welt, die im Gegensatz zum Reich Gottes lebt. Die Erzählung von dem Reichen, der sich nicht entschließen kann, seine vielen Güter den Armen zu geben und dem Ruf zur Nachfolge anzunehmen, weist in die gleiche Richtung (Lk. 18,18ff.par.). Lukas akzentuiert die Verwerfung der Reichen wesentlich schärfer als Matthäus. Am Reichtum hängen bedeutet, die Entscheidung für das kommende Reich Gottes und die Nachfolge Jesu nicht fällen zu können. So ist die Belastung des Menschen durch Besitz und Vermögen unter dem eschatologischen Aspekt scharf erkannt, jedoch handelt es sich auch bei Lukas nicht um eine „antikapitalistische" Theorie des Besitzes; die Frage nach der Bedeutung der Forderung Jesu für die Wirtschaft der damaligen Zeit wird gar nicht gestellt. Es geht vielmehr allein um die eschatologische Befreiung des Menschen aus dem Verfallensein an Besitz und Vermögen. Auch bei Matthäus heißt es 6,19 ff., daß man sich nicht Schätze auf Erden sammeln soll, sondern „im Himmel"; auch hier geht es um die rechte Bereitschaft für die Gottesherrschaft und die Vorherrschaft des Trachtens nach dieser (vgl. Mt. 6,33). Die Rede über den heidnischen Sorgengeist (Mt. 6,24 ff.) zeigt, daß es sich in diesem Text nicht etwa nur um Reichtum handelt, sondern um das falsche Verhältnis zu Besitz, Vermögen, Nahrung und Kleidung überhaupt. „Niemand kann zwei Herren dienen" (Mt. 6,24), nämlich Gott oder dem Mammon (Besitz); man kann nur dem einen oder dem anderen anhangen, und damit ist die Frage der Entscheidung zwischen dem Reiche Gottes und den weltlichen Gütern bzw. dem Hängen an den letzteren klargestellt. Es geht hier nicht um eine soziale Revolution, die die

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Reichen aus ihrer Vormachtstellung stürzt, sondern um die Weisung der eschatologischen Ethik für jedermann, zumal auch schon ein geringfügiger Besitz den Menschen an der Nachfolge hindern kann. Sehr bemerkenswert ist der Unterschied zwischen Lukas und Matthäus, der darin liegt, daß bei dem letzteren die „Weherufe" über die Reichen fehlen. Offenbar beginnt schon in der Konzeption des Matthäus jene Entwicklung der ethischen Tradition, die zur Spiritualisierung und Abschwächung der Kritik an den Reichen und Mächtigen in ihrem Verhältnis zu den Armen und Machtlosen geführt hat. Hier ist der Ort, noch einige andere Aussagen des Neuen Testaments über Besitz, Armut und Reichtum zur Geltung zu bringen. Die Abgrenzung ist allgemein bekannt und wird seit Jahrzehnten wiederholt: So wenig Jesus ein Sozialreformer oder gar ein Sozialrevolutionär gewesen sei, so wenig kenne das Neue Testament überhaupt Forderungen zur Änderung der Wirtschaftsverfassung und Gesellschaftsordnung; Fragen der Sozialphilosophie werden nicht thematisch erörtert. Parallelen zu Piatons „Staat" oder der „Politik" des Aristoteles gibt es im Neuen Testament nicht. Wissenschaftliche Analysen von Weltgegebenheiten sind nicht die Sache des Neuen Testaments. Daher treten solche Fragen wie die nach der Bewertung von Besitz, Reichtum und Armut fast nur im Zusammenhange der Paränese auf, d. h. dann, wenn die Lage der Hörer bzw. Leser eine konkrete Weisung nötig machte. Sodann sieht das Neue Testament alle diese Größen und Mächte der Welt eschatologisch, d. h. von der kommenden Gottesherrschaft aus an, und d.h. zugleich aus der allein entscheidenden Beziehung Gott-Mensch. Daher heißt es, daß wir uns nicht irdische Schätze sammeln sollen, welche die Motten und der Rost fressen (Mt. 6,19 ff.). Man kann nicht gleichzeitig zwei Herren dienen, Gott und dem Mammon (Besitz, Mt. 6,24). Die Herrschaft Gottes über den Menschen schließt jede andere Herrschaft aus. Nicht der Besitz „als solcher", d.h. als ökonomische Gegebenheit wird diffamiert, vielmehr als ganz selbstverständlich für die Welt der Menschen vorausgesetzt. Dagegen richten die neutestamentlichen Schriftsteller des öfteren ihre Aufmerksamkeit auf die Beziehung Besitz-Mensch. Der Besitz übt Gewalt aus über das Herz des Menschen. Das sahen wir schon am Beispiel des reichen Mannes, der dem Ruf in die Nachfolge Jesu nicht zu folgen vermochte, da er viele Güter hatte (Mt. 19,16ff.). Der Mensch verfällt der Macht des Reichtums, und dies gilt dem Neuen Testament als eine der Haupterscheinungsformen der Gottlosigkeit, und die Reichen sind daher die Hauptrepräsentanten der dem Reiche Gottes gegenüberstehenden „Welt". Daher die Weherufe über die Reichen in Lk. 6,24f., die ihren Lohn dahin haben; das göttliche Gerichtsurteil ist schon über sie gefällt. Auf der gleichen Linie liegt Jak. 5,1 ff.: den gottlosen Reichen wird mit großer Schärfe das endzeitliche Gericht Gottes angekündigt, weil sie geschwelgt und gepraßt und noch in den Tagen der Endzeit irdische Schätze gesammelt haben. Die Kehrseite dieses Tuns ist die soziale Ungerechtigkeit, die von Jakobus gebrandmarkt

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wird: denn die Reichen haben den Erntearbeitern den wohlverdienten Lohn vorenthalten. Jakobus folgt damit Jer. 22,13: Wir sollen unseren Nächsten nicht umsonst arbeiten lassen; wehe dem, der dem Arbeiter seinen Lohn nicht gibt. Weil die unerhörte Macht des Besitzes über das Herz und damit zugleich über das praktische Handeln des Menschen erfaßt wird, ist das scharfe Wort Jesu möglich, daß eher ein Kamel durch ein Nadelöhr geht als ein Reicher in das Reich Gottes kommt (Mk. 10,25 par.). So gehört auch der „Betrug des Reichtums" zu den Mächten, die das Wort Gottes in den Herzen ersticken (Mk.4,19 par. in der Auslegung des Gleichnisses vom Sämann). Ethisch ist diese Betrachtungsweise nur in der Folge, sekundär, indem sie nämlich eschatologisch-kritisch ist und die für den Menschen gefährliche Macht des Besitzes aufdeckt. Alle solche Aussagen sind nur die Kehrseite der positiven Zentralforderung, die bei Matthäus lautet: „Trachtet zuerst nach dem Reiche Gottes und seiner Gerechtigkeit..." (Mt. 6,33). Entsprechendes gilt von der Armut. Als ökonomischer Tatbestand, der zum alltäglichen Leben gehört, ist sie dem Neuen Testament wie schon dem Alten wohbekannt. Sie wird nicht verherrlicht oder zum „Armutsideal" von Asketen sublimiert, wohl aber genauso wie Besitz und Reichtum in die eschatologisch-kritische Beleuchtung gerückt. Die Armen sind nicht als solche schon mit dem Heil erfüllt, vielmehr muß das Reich Gottes ihnen angesagt und verheißen werden (Lk.6,20f.). Durch die Hinzufügung „im Geiste" Mt. 5,3 („geistlich arm" Luther) wird dem MißVerständnis gewehrt, als ob der Armut als solcher eine religiöse Qualität zukomme. Wohl aber wird in Aufnahme der alttestamentlich-jüdischen „Armen-Frömmigkeit" der Arme als derjenige gesehen, der ganz allein auf Gott und seine Hilfe angewiesen nach der Gerechtigkeit Gottes verlangt. Die Armen können in ihrem Elend und in ihrer Hilflosigkeit nur auf Gott allein hoffen. So ist der Arme das Urbild des nach dem eschatologischen Heil verlangenden Menschen. Damit wird nun zugleich der Unterschied zwischen dem ökonomisch Armen und dem ökonomisch Reichen relativiert. Auch ein Reicher kann den Weg in die Nachfolge finden, auch ihm kann das Reich Gottes zuteil werden, wie das Beispiel des Zöllners Zachäus zeigt (Lk. 19,2 ff.). Dieser läßt dem, was an ihm geschehen ist, die eigene Tat folgen: er gibt die Hälfte seines Besitzes den Armen und erstattet das widerrechtlich erpreßte Gut vielfältig zurück (Lk. 19,8). Lukas dürfte diese Erzählung paränetisch verstanden haben: so sollen reiche Glieder der Gemeinde Jesu handeln; so ergibt sich auch ein Zusammenhang mit den oben kurz besprochenen Summarien der Apostelgeschichte. Das Gegenbild gibt das Gleichnis vom reichen Kornbauern, den seine reiche Ernte selbstsicher macht; aber Gott greift ein und ruft ihn ins Gericht (Lk. 12,16ff.). Dort nützen ihm alle seine irdischen Reichtümer nichts. So wird in beiden Uberlieferungen der Reiche mit seinem Reichtum in die Dimension der Entscheidung versetzt, in welcher es um Gott und das ewige Heil geht. Aus l.Kor. 1,26ff. läßt sich schließen, daß in den paulinischen Missionsgemeinden die Reichen keine Rolle spielten, so wenig wie die Inhaber der

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Macht oder die Gebildeten. In eine Zeit, in der es vorkam, daß zuweilen auch Reiche die Gemeindeversammlungen besuchten, führt uns dagegen die Szene in Jak. 2,1 ff.: ein mit goldenen Ringen geschmückter und in ein prächtiges Gewand gekleideter Reicher besucht die Gemeindeversammlung, und man beeilt sich, ihm einen guten Platz anzubieten. Der Arme, der gleichzeitig hereinkommt, wird auf einen Stehplatz oder einen Sitz auf dem Fußboden verwiesen. Jakobus warnt die Gemeinde vor einem solchen „Ansehen der Person". Es ist unmöglich, in der Gemeinde Christi derartige Unterschiede zu machen. Doch verbindet Jakobus hiermit eine Beschreibung der Armen im Gegensatz zu den Reichen im Stil der „Armen-Frömmigkeit" (2,5ff.): Die Armen sind von Gott erwählt und reich an Glauben; die Reichen tun ihnen Gewalt an, ziehen sie vor die Gerichte, ja sie verlästern sogar den guten Namen, der über den Armen genannt ist. Hier stoßen wir wieder auf das Urbild des gottlosen Reichen. Er wie der Arme können gar nicht ökonomisch oder sozial definiert werden, obwohl solche Züge nicht fehlen; es handelt sich vielmehr um eine eschatologisch-kritische Vorstellung. Es handelt sich aber nicht bloß um eine theoretische Kritik der Reichen, wie man am Beispiel des Zachäus sieht; die eschatologisch-kritische Vorstellung ist vielmehr zugleich Anleitung zum Handeln für Jünger Jesu. Freilich gibt es auch neutestamentliche Schriften, für die Reichtum und Armut nicht im Blickfeld stehen, wie z.B. die johanneischen. Die asketische Praxis der späteren Kirche hat aus diesen Texten die Folgerungen einer Lebensform in Armut und Besitzlosigkeit gezogen. Gibt es ein relatives Recht der Ehelosigkeit in der Gemeinde Christi (l.Kor.7), so ist in der Tat nicht einzusehen, daß es nicht auch den Verzicht auf den Besitz in der Kirche geben sollte. Das heißt ja nicht, daß die wirtschaftliche Armut als solche schon den Eintrittsschein in das Reich Gottes bedeutete. Ganz andere Probleme tauchen auf, wenn man das Evangelium nach Matthäus als Quelle heranzieht. Matthäus gehört der judenchristlichen Gemeinde an und schreibt für diese. Die Kirche gilt ihm als das wahre Israel. In Jesus, dem Messias Israels, sind alle Heilsverheißungen Gottes für sein Volk erfüllt. Auf dieser Basis gibt Matthäus seine Darstellung der Taten und der Worte Jesu. Die judenchristliche Urgemeinde lebt noch im Umschluß des Judentums; sie löst sich nicht von ihrem Volke. Das bedeutet aber eine angespannte Auseinandersetzung über das Problem des Gesetzes und mit der rabbinischen Gesetzesauslegung und Gerechtigkeitslehre. Tatsächlich läßt uns das Matthäus-Evangelium auch in diesen Kampf hineinblicken. Konnte die judenchristliche Gemeinde in Bausch und Bogen gesetzestreu sein abgesehen von ihrer Botschaft, Jesus sei der Messias Israels? Auf diese Frage gibt uns Matthäus eine Antwort. Offenbar in Auseinandersetzung mit jüdischen Vorwürfen gegen Jesus stellt er ausdrücklich fest, Jesus sei nicht der Zerstörer des Gesetzes; er sei nicht gekommen, aufzulösen, sondern zu erfüllen (Mt. 5,17); ja, vom Gesetz soll bis zum Weltende nicht ein Jota oder ein Strichlein vergehen (5,18). Damit ist eine runde

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Anerkennung der bindenden Autorität des Gesetzes ausgesprochen, und sie ist in dieser Form im Munde Jesu unmöglich. Hier in Mt. 5,17-19 spricht die judenchristliche Gemeinde zu uns. Offenbar sieht Matthäus die Gefahr des Antinomismus. Eine Entsprechung hierzu finden wir in der Einleitung der großen Rede gegen die Pharisäer und Schriftgelehrten; denn die Lehrautorität derer, die jetzt auf dem Lehrstuhl des Moses sitzen, wird ausdrücklich anerkannt: „Alles, was sie euch sagen, das tut und befolgt es" (Mt.23,1 ff.). Hiervon werden ihre „Werke" unterschieden; nach diesen soll man sich nicht richten. Man könnte nach solchen Aussagen die Urgemeinde für eine besondere Sekte innerhalb des Judentums halten (etwa für eine Art von radikalem Pharisäismus), die sich von anderen jüdischen Strömungen lediglich durch ihren Glauben an den Messias-Jesus unterscheidet. So ist sie denn auch manchmal dargestellt worden. Demgegenüber hat W. G. Kümmel mit Recht das eschatologische Selbstverständnis der Urgemeinde herausgearbeitet: sie versteht sich als die endzeitliche Heilsgemeinde. Mit diesem „Kirchenbegriff" hat sie den Grund gelegt für alle weiteren Entwicklungen der urchristlichen Kirche und Lehre von der Kirche. Aber auch an den oben zitierten Texten bzw. ihrer Fortsetzung läßt sich zeigen, daß die Urgemeinde nicht im traditionellen Gesetzesgehorsam verbleibt. Denn Mt. 5,20 formuliert die Grundforderung Jesu nach der besseren, d.h. eigentlich „überfließenden" Gerechtigkeit, welche die der Pharisäer und Schriftgelehrten übersteigen muß, wenn man in das Reich Gottes eingehen will. Und darauf folgt sogleich die Radikalisierung des Gesetzes in den „Antithesen" (5,21 ff.) und deren Zuspitzung im Liebesgebot (5,43ff.). Matthäus denkt also gar nicht daran, den Radikalismus Jesu abzuschwächen oder gar zu unterdrücken. Dies ist in einer judenchristlichen Gemeinde immerhin erstaunlich. Sie konnte ja damit ihre Existenz aufs Spiel setzen. In Mt. 23 folgen auf die zitierte Einleitung die Weherufe über die Pharisäer, die Aufdeckung ihrer Heuchelei, ja ihrer Gesetzlosigkeit und die Gerichtsdrohung wider sie (Mt.23,15ff.). Man muß wirklich fragen, inwiefern eigentlich der Fortgang mit der Einleitung übereinstimmt? Die eigenartige Doppelseitigkeit: a) Atierkennung der Autorität des Gesetzes und des Moses bzw. seiner Nachfolger; b) radikales Hinausgehen über das, was den Alten gesagt ist (also nicht nur über die Traditionen der späteren Gesetzesauslegung - diese Doppelseitigkeit dürfte Matthäus durch die Lage seiner Gemeinde diktiert sein, welche noch nicht die völlige Freiheit vom Gesetz erringen konnte und sich doch an das radikale Gebot Jesu gebunden wußte). Der eigentliche Sinn des Gesetzes ist offenbar für sie und Matthäus das Liebesgebot (vgl. auch Mt. 22,34 ff.). Typisch jüdisch und judenchristlich ist auch der Gebrauch der Worte „Gerechtigkeit" und „gerecht" (Mt.5,6.20; 6,1; 25,46). Die „Gerechten" an

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der letztgenannten Stelle sind bezeichnenderweise die Täter der Barmherzigkeit, die den geringsten Brüdern Jesu gedient haben. Hier wie auch in 5,6 und 20 wird eine Neuinterpretation des jüdischen Begriffes der Gerechtigkeit sichtbar: sie ist eschatologische Heilsgabe (5,6) und zugleich das Tun des Liebesgebotes und der radikale Gehorsam des Herzens gegen Gott (5,20 ff.). Jüdisches Erbe ist auch die Lehre vom Gericht nach den Werken (Mt. 7,21 ff.; 25,31 ff.). Aber sie wird im ganzen Neuen Testament festgehalten, auch von Paulus (2.Kor.5,10). Weder Matthäus noch Paulus empfinden einen Widerspruch zwischen dieser Lehre und der eschatologischen Heilsbotschaft. Die Lehre vom Gericht nach den Werken besagt, daß der Mensch als Täter, in seinen Werken, ernst genommen und geprüft wird, daß auch der Jünger und der Christ sich im Gehorsam zu bewähren haben und nach ihren Taten gefragt werden. Das Gesagte zeigt, daß von „Gesetzlichkeit" und „Nomismus" bei Matthäus keine Rede sein kann, und auch bei der Gemeinde nicht, die er vertritt. Auch die Schärfe der Weherufe gegen die Schriftgelehrten und Pharisäer Mt. 23,13 ff. unterstützt diese These nicht. Wohl aber ist auch hier die Haupttendenz des Mt.-Evangeliums klar erkennbar, daß alles auf das wirkliche Tun der Gebote Gottes ankomme; und die immer wieder bei Matthäus nachdrücklich hervorgehobenen Drohungen mit dem Gericht begründen und verschärfen diese Forderung, die das ganze Mt.-Evangelium durchzieht. Diese judenchristliche Urgemeinde überliefert die Worte Jesu, weil er für sie der Messias Israels ist; sie legitimiert diese Worte, weil Gott durch die Auferstehung seinerseits diesen Jesus legitimiert hat. Ihr Kampf um den Sinn des Gesetzes ist naturgemäß zeitbedingt, und schon für die ersten hellenistischen Gemeinden in Antiochia oder Damaskus, geschweige denn für die Missionsgemeinden des Paulus, bestand das Problem des Gesetzes in dieser Form nicht mehr. Auch der „Heilandsruf" (Mt. 11,28 ff.) zeigt deutlich, daß Matthäus die Forderung Jesu nicht „nomistisch" verstanden hat. Dafür spricht endlich auch sein Verständnis der Sündenvergebung (Mt. 18,21 ff.). Diese Vollmacht ist nach dem Verständnis des Matthäus von Jesus auf die Gemeinde übergegangen (18,18). Wo aber die Sündenvergebung verkündigt und ausgeteilt wird, da hat das Gesetz keine absolute Herrschaft und Autorität mehr. Matthäus hat also nicht die alte jüdische Gesetzlichkeit durch eine neue ergänzt oder ersetzt. Demnach ist er in dieser Hinsicht auch kein Gegensatz zu Paulus, und wenn Matthäus die Notwendigkeit des Tuns der guten Werke so stark hervorhebt, so fordert auch Paulus den Wandel in Reinheit, Demut und Liebe. Freilich war im Horizont der judenchristlichen Gemeinde eine grundlegende, theologische Kritik des Gesetzes als Weg zum Heil noch unmöglich; diese hat erst Paulus entwickelt: Christus ist des Gesetzes Ende (Rom. 10,4). Aber hiermit hat Paulus keineswegs die Forderung Gottes aufheben wollen; der negative Antinomismus liegt ihm ganz fern. Die Bergpredigt-Tradition gibt er selbst weiter (Rom. 12,14; l.Kor.6,7). Hierin

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bleibt das hellenistisch-paulinische Christentum mit dem Judenchristentum des Matthäus verbunden. Über beiden steht, für beide gültig, die Forderung Jesu. 3. Die ersten hellenistischen

Gemeinden

Die ersten hellenistischen Gemeinden wie z.B. Antiochia in Syrien, sind Ort und Anfang des Überganges des Evangeliums in die hellenistische Welt, Kultur und Gesellschaft. Dies verleiht ihnen große historische Bedeutung. Um so bedauerlicher ist es, historisch gesehen, daß wir keine Dokumente aus diesen Gemeinden besitzen und auf Rückschlüsse angewiesen sind. Offenbar sind in diesen Gemeinden wichtige, z.T. neue Traditionen ausgebildet worden, wie ζ. B. Paulus sie übernommen hat; hier ist etwa an die Tauf-Paränese zu denken. Der Unterschied der hellenistischen Gemeinde von der judenchristlichen ist sehr groß; er ist schon mit der neuen, geschichtlichen Situation gegeben. Diese Gemeinden entstehen aus der Heidenmission. Andererseits ist zu bedenken, daß es auch in der Gemeinde zu Jerusalem eine Gruppe hellenistischer Juden gegeben hat, wie Apg. 6 uns zeigt. So sind die hellenistische und die judenchristliche Gemeinde nicht völlig voneinander getrennt zu denken. Die hellenistischen Gemeinden übernehmen zwar die Konzentration des Gesetzes und den Dekalog mit der Jesus-Tradition, entwickeln jedoch im übrigen ein gesetzesfreies Christentum und stellen die geschichtliche Voraussetzung für die paulinische Theologie und Ethik dar. Hier konnten auch Beziehungen zur hellenistischen Moral hergestellt werden. Man wird sagen können, daß ohne die Vermittlung der hellenistischen Gemeinden die geschichtlichen Vorbedingungen für das Werk und das Denken des Paulus rätselhaft bleiben müßten. Ob man freilich schon von einer neuen Theologie in diesen Gemeinden sprechen kann, ist sehr fraglich. Sicher dürfte dagegen sein, daß der Übergang in den hellenistischen Sprach- und Kulturraum die Prägung neuer Worte wie z.B. „Evangelium" und das dazugehörige Verbum, „Charis" (Gnade), „Agape" (Liebe) u.a. sowohl für die Missionspredigt als auch für den Gottesdienst erforderlich machten. Ethische Begriffe wie „Arete" (Tugend), „Syneidesis" (Gewissen) werden zum ersten Male vermutlich in diesen Gemeinden gebraucht worden sein (vgl. Phil.4,8; Rom.2,14f.). Man stieß ja jetzt mit den Vorstellungen und literarischen Formen der hellenistischen Ethik zusammen, die für die ehemaligen Heiden gültig und bestimmend gewesen waren. Als sicher dürfen wir annehmen, daß mit der Missionspredigt und mit der Taufe auch die erste ethische Unterweisung verbunden gewesen ist. Die theologisch voll entwickelte Tauf-Paränese in Rom.6,2ff.llff. hat zweifellos in diesen Gemeinden ihre Vorläufer gehabt. Die Frage nach christlichen Regeln der Lebensführung mußte um so klarer beantwortet werden, als diese Gemeinden ja unter dem Druck einer mächtigen, heidnischen Umwelt standen.

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Zu dieser ethischen Unterweisung gehörten die sog. Laster- und TugendKataloge, wie sie uns bei Paulus begegnen (l.Kor.6,9f.; Gal.5,19ff.22). Sie führen eine Reihe von Verfehlungen an, die zu meiden sind, wie Unzucht und Ehebruch, Götzendienst, Streitsucht, Geldgier u. ä., und der TugendKatalog stellt diesen Güte, Großmut, Friedfertigkeit, Reinheit usw. gegenüber. All dies in festgeprägten Formen. Man sieht auch deutlich, daß es sich um allgemeine, ethische Begriffe handelt, die keinerlei spezifisch christlichen Charakter tragen. Für eine volkstümliche, ethische Unterweisung waren diese Kataloge sehr geeignet. Solche Kataloge kennt die hellenistische Moralphilosophie, und das Judentum der Diaspora hat sie übernommen. Hier und im Urchristentum bekommen die profanen Moralbegriffe freilich ein neues Vorzeichen: das Gebot Gottes. Die aufgeführten Sünden hindern den Menschen, „das Reich Gottes zu ererben" (l.Kor. 6,10). Dies ist ein vorpaulinischer Sprachgebrauch bei Paulus, der deutlich anzeigt, daß auch Paulus hier eine paränetische Formel aus der ihm überlieferten Tradition aufgenommen hat. Es handelt sich aber um weit mehr als um eine äußerliche „Verchristlichung" der Laster- und Tugend-Kataloge. Man muß sich klarmachen, daß schon die Missionspredigt als solche, die Verkündigung des einen wahren Gottes, Schöpfers, Richters und Herrn der Welt, des einen göttlichen Erretters geradezu eine ethische Revolution einleitete. Die alten Gottheiten und mit ihnen die alten ethischen Autoritäten sanken dahin. Um so wichtiger war es, daß die hellenistischen Missionsgemeinden in dieser Krisis handfeste, klare, sittliche Weisungen zu geben vermochten. Hierzu dienten des weiteren die Haustafeln, welche ethische Weisungen für Ehemänner, Ehefrauen, Eltern, Kinder und Sklaven, also die einzelnen Gruppen im damaligen Hause enthalten (vgl. Kol.3,18ff.; Eph.5,22ff.; l.Petr.2,13ff.). Inhaltlich besprechen wir diese im III.Kapitel, 4. Abschnitt, und in den Abschnitten über den Epheser- und den 1. Petrusbrief. Es handelt sich wie bei den Laster- und Tugendkatalogen um eine feste Stilform, die nicht einem einzelnen Schriftsteller zugeschrieben werden kann. Die Grundforderung für Frauen, Kinder und Sklaven ist der Gehorsam. Damit ist wieder eine allgemeine, weltliche Kategorie in die urchristliche Ethik aufgenommen. Zugleich wird durch das Haustafel-Ethos eine sehr enge Beziehung zwischen Gemeinde und Haus hergestellt, die sich auch in den Pastoralbriefen zeigt. Mit der Übernahme der Haustafel in die Ethik der Gemeinde ist eine weittragende Entscheidung gefallen, nämlich die Entscheidung gegen den radikalen Asketismus jener Zeit, etwa den gnostischen mit seiner Diffamierung der Ehe und der Geschlechtlichkeit, ja der ganzen, irdisch-materiellen Welt. Die Ehe wird als „weltliche" Grundordnung in das Leben der Gemeinde aufgenommen und einbezogen. Diese Entscheidung lag um so näher, als die hellenistischen Gemeinden das Alte Testament in der griechischen Übersetzung der Septuaginta und damit den Glauben an Gott den Schöpfer übernahmen, dessen Schöpfung gut und nicht böse ist, wie die Gnosis behauptete. Hinzu trat die Wirkung der Aussage Jesu über

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die göttliche Stiftung der Ehe (Mk. 10,1 ff. par.). Nach diesem Prinzip konnten auch andere soziale Gebilde späterhin beurteilt und in Beziehung zur Gemeinde Christi gesetzt werden, z.B. die politische Herrschaft (Rom. 13,Iff.). Diese Tradition von Rom. 13,1 ff. (vgl. l.Petr.2,13f.), die von der notwendigen Unterordnung unter die politische Gewalt spricht, ist gleichfalls vor-paulinisch und reicht tief in das Judentum zurück, das auch die heidnische Herrschaft auf den Willen Gottes zurückzuführen gelernt hatte. So bilden sich schon vor Paulus Ansätze für die Weiterbildung der christlichen Ethik nach Ostern heraus, und man scheut sich durchaus nicht, jüdische und hellenistische Lebensregeln aufzunehmen. Die eschatologische Naherwartung hat diesen Prozeß nicht verhindert. Eine apokalyptische Sekte ohne Ethik konnte demnach aus der Urchristenheit nicht werden. Das Wichtigste in dieser Entwicklung blieb jedoch immer, daß diese Gemeinden mit dem radikalen Gebot Jesu konfrontiert wurden. Darin sind sie mit den judenchristlichen Gemeinden verbunden. Den Mysterienreligionen und der Mystik des Hellenismus war die christliche Gemeinde durch diese Entwicklung ihrer Ethik weit überlegen. Die Ethik Jesu bot mit ihrer Kritik der jüdischen Gesetzlichkeit einen ausgezeichneten Ansatzpunkt zur kritischen Auseinandersetzung mit aller religiösen und philosophischen Ethik jener Zeit und späterer Zeiten, da diese entweder auch zur Gesetzlichkeit oder zu einem falschen Freiheitsprinzip und dem Libertinismus neigt. Wir haben ferner zu bedenken, daß die Missionspredigt immer Verkündigung des Gerichtes war und blieb. Das ist für die Ethik von höchster Wichtigkeit. Denn dadurch wird alle Selbstgerechtigkeit und aller Tugendstolz unmöglich gemacht, einschließlich einer „pharisäischen" Selbstüberhebung der Christen. Sogar in Apg. 17 wird, trotz des engen Anschlusses an hellenistische Terminologie und Frömmigkeit in diesem „Modell" einer Missionspredigt, der Bußruf und die Verkündigung des Gerichtes festgehalten (Apg. 17,30-31). Aus Rom. 1,18-3,20 ergibt sich dasselbe; denn auch hier sind Gesichtspunkte der vor-paulinischen Missionspredigt aufgenommen worden, so in der Kritik des Heidentums (Rom. 1,21 ff.) als eines Götzendienstes, der die Kreaturen an die Stelle der Herrlichkeit des unvergänglichen Gottes setzt. Endlich ist die große Bedeutung der Christus-Verkündigung und der Christologie für die Ethik hervorzuheben. Gleichviel, ob es sich um den Glauben an den kommenden „Menschensohn", der mit Jesus gleichgesetzt wird, in der judenchristlichen Urgemeinde handelt, oder um den göttlichen Kyrios (Herrn) in den hellenistischen Gemeinden - , immer ist die Christus-Verkündigung der entscheidende Schutz und Schirm gegen alle gesetzliche wie gegen alle autonome Ethik, die sich auf Vernunft und sittliches Vermögen des Menschen gründet. Jetzt wird der Mensch nicht mehr einfach dem Gesetz oder einem ethischen Sollen gegenübergestellt, sondern Christus. Von diesem empfängt er Heil und Leben, und damit eine neue Existenz. Auch jetzt bleibt er aber ethisch gebunden. Die Jesus-Überlieferung hat die hellenistischen Gemeinden vor der Gefahr ge-

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schützt, in eine a-ethische Erlösungsreligion und Mystik zu versinken. Wir werden sehen, wie bei Paulus die Imperative der Gnade aus der Gnadenbotschaft hervorgehen. Die Tauf-Paränese, die sich auf den Vollzug der Umkehr und das Neuwerden der Existenz stützte, war einer der wichtigsten Ausgangspunkte für die Fortbildung der urchristlichen Ethik, nicht zuletzt auch in theologischer Hinsicht, und somit auch eine der Voraussetzungen der Ethik des Paulus. Obwohl die Kataloge und die Haustafeln die Gemeinde mit der „Welt" und ihrer Moral verbinden, so ist die christliche Ethik doch von Anfang an Weisung für Christen, Ethik der Gemeinde für die Gemeinde. Die Gemeinde ist der „Sitz im Leben" dieser Ethik; sie bedarf der Regeln für eine christliche Lebensführung nach der Taufe und in Kraft der Taufe. Erst viel später, nach der Anerkennung des Christentums als Reichsreligion, als die Massen in die Kirche strömen, wird die Gemeinde-Ethik zur Ethik für jedermann, für eine ganze Gesellschaft, die sich von der Kirche bestimmen ließ. Das Verhältnis von eschatologischer Naherwartung und Ethik ist zuweilen so angesehen worden, als hätten die von der Naherwartung bestimmten, ersten Gemeinden gar keine Ethik nötig gehabt; erst mit dem Nachlassen der Naherwartung des Weltendes habe man die Ethik entwickelt, um sich in der Welt einrichten zu können. Das wäre also Ethik als Ersatz der Eschatologie! Aber unsere Texte stützen diese Konstruktion nicht, im Gegenteil. Paulus entwickelt eine sorgfältig differenzierte Paränese und Ethik, obwohl er doch wahrhaftig in der Naherwartung lebt (vgl. l.Kor.7,29ff. Rom. 13,11). Vom 1.Petrus-Brief gilt genau das gleiche. Die Urgemeinde hat die ethischen Forderungen Jesu aufgenommen. In der Predigt Jesu sind - so sahen wir im I. Kapitel - Eschatologie und Ethik fest verbunden. Demnach muß man sich klarmachen, daß es nie eine eschatologische Verkündigung gegeben hat, die nicht zugleich Verkündigung des Willens Gottes, der Forderungen Jesu gewesen wäre. Sowenig wie eine a-ethische Eschatologie hat es jemals in den ersten Gemeinden eine nichteschatologische Ethik gegeben. Dies gilt auch noch von den Sendschreiben der Offenbarung des Johannes (vgl. VII. Kapitel). Naherwartung und ethische Paränese sind also nicht im zeitlichen Verhältnis des Nacheinander zu denken; sie lösen einander nicht ab. Die Eschatologie ist ethisch und die Ethik eschatologisch gedacht. Denn es geht immer um das Tun des Willens Gottes, um den realen Gehorsam, um die guten Werke. Dies gilt vor wie nach Ostern. Auch der Auferstandene steht der Gemeinde als der gebietende und fordernde Herr gegenüber.

Paulus. Das Christus-Heilsgeschehen als Grund und Ziel der Ethik

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III. K A P I T E L

Paulus Das Christus-Heilsgeschehen als Grund und Ziel der Ethik 1. Die Grundstruktur:

Heilsgeschehen und Ethik

Paulus ist der erste große Theologe der Christenheit; er ist auch der erste christliche Ethiker, insofern er ethische Forderungen in verschiedenen Formen theologisch begründet und einen engen Zusammenhang zwischen dem Heilsgeschehen und der Ethik herstellt. a) "Wer von evangelisch-reformatorischen Traditionen beeinflußt ist, erwartet ohne weiteres, daß Paulus seine Ethik mit der Rechtfertigungslehre begründet hätte. Blickt man aber auf die von Paulus verwendeten Formeln und Begriffe, so wird ein direkter Zusammenhang von Rechtfertigungslehre und Ethik nicht sichtbar, abgesehen von der Tatsache, daß Paulus Rechtfertigung und Heiligung miteinander verbinden kann wie in 1.Kor. 6,11, wo Abwaschung, Heiligung und Gerechtmachung nebeneinandergestellt werden; auch kann er von dem Glauben sprechen, der durch die Liebe wirkt (Gal. 5,6). Doch sind derartige Verbindungen selten. Aus dem rechtfertigenden Gnadenhandeln Gottes wird nicht direkt die Forderung des „gerechten" Tuns des Christen abgeleitet, wahrscheinlich deswegen, weil Paulus befürchtete, eine solche Redeweise würde wieder im Sinne der von ihm abgelehnten, jüdischen Gesetzlichkeit mißverstanden werden. So hat denn Albert Schweitzer in seinem Buche „Die Mystik des Apostels Paulus" (1930) die Behauptung aufgestellt, es gebe bei Paulus keine Verbindung zwischen Rechtfertigungslehre und Ethik. Doch ist diese These unhaltbar, insbesondere im Blick auf Rom. 6 und 8. Man muß nur darauf achten, daß Paulus die Freiheit hat, die Rechtfertigungslehre auch anders auszudrücken als in den Begriffen „gerechtsprechen", „Gerechtigkeit Gottes" usw.; er kann dieselbe Heilsbotschaft auch in christologischen und pneumatologischen Formeln aussprechen, und eben dies geschieht in Rom. 6 und 8 und ebenso in Gal.5 (s.u.). Der richtige Ansatzpunkt und die alles verbindende Mitte ist in der Botschaft von Christus zu finden. Auch die Rechtfertigungslehre ist eine bestimmte, jedoch nicht die einzige, theologische Ausdrucksform der Christusbotschaft, der Verkündigung von Kreuz und Auferstehung des Herrn als der weltwendenden Ereignisse des Heils (vgl. l.Kor. I,18ff.l5,3ff.). Paulus kann die Rechtfertigungslehre in verschiedenen Formen ausdrücken. So erhebt er sie z.B. in Rom.8,1 ff. in eine neue Dimension, indem er den Begriff des Geistes einführt und diesen ebensosehr als erlösende wie als verpflichtende Macht versteht, welche den Christen für einen neuen Dienst in Anspruch nimmt: „Wenn wir im Geist leben, so laßt uns auch im Geist wandeln" (Gal. 5,25; der letztere Ausdruck betrifft die tathafte Lebensführung). 4

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b) Nun darf man freilich nicht meinen, Paulus sei ein isoliert dastehender, freier Schöpfer christlicher Ethik. Vielmehr ist auch Paulus in hohem Maße von Traditionen abhängig, die er in der hellenistischen Gemeinde empfing, in die er eintrat. Die wichtigsten dieser Überlieferungen sind (1) die Predigt des einen wahren Gottes im Gegensatz zum heidnischen Götterglauben (jüdisches Erbe); (2) die eschatologische Genc&ispredigt, die Paulus mit der später schriftlich geformten synoptischen Jesus-Tradition verbindet; (3) die ersten Formen der ethischen „Paränese" (Mahnung und Weisung) in Gestalt der Tauf-Paränese, die den Taufbewerbern mitgeteilt wurde; eine spezifisch paulinische Fortbildung derselben finden wir ζ. B. in Rom. 6. Wahrscheinlich war diese auch mit der Absage an konkrete Sünden verbunden, wie sie in den sog. Lasterkatalogen aufgeführt werden (vgl. z.B. Gal.5,20f.). Ferner ist auch für das Verständnis der paulinischen Ethik zu beachten, daß der Apostel an zwei verschiedenen Fronten ficht: Erstens kämpft er mit der jüdischen Gerechtigkeits- und Gesetzeslehre (Nomismus). Das Gesetz ist nach Paulus kein Weg zum Heil. Dieses ist in Christus erschienen, Christus aber ist das Ende des Gesetzes (Rom. 10,4). Christen leben im „Jetzt" des Heils (2.Kor.6,1 ff.), das ihr Verhältnis zu Gott und den Mitmenschen radikal verändert. Das Heil verschafft sich nicht der Mensch durch frommes oder moralisches Handeln, Gott schenkt es ihm „umsonst" in Christus (Rom. 3,24). Mit dem Erlangen des Heils hat also die Ethik gar nichts zu tun. Aber das geschehene bzw. gegenwärtige Heil nimmt den Empfänger als ganze Person in Anspruch: er soll „Christus anziehen" (Rom. 13,14; Gal.3,27), - das ist ein Imperativ! Man kann von hier aus sagen: die Grundformel der paulinischen Ethik laute, daß der Christ sich im Handeln, in der praktischen Lebensführung das Heil aneignen solle, um als ein Mensch „in Christus" zu leben. Dem entspricht auch die Formel „im Geiste wandeln" (Gal.5,25). Parallel formt sich von hier aus die Aussage in Rom. 8,4: Christen leben nach dem Maßstab des Geistes, nicht aber des Fleisches, und so erfüllen sie die gültige Rechtsforderung des Gesetzes. Paulus denkt also ganz von der Heilstat Christi her. Aber die neue Existenz des Christen ist nicht a-ethisch; denn er bleibt unter dem Gebote Gottes (1.Kor.7,19), das er im Geiste erfüllen kann. In diesem Sinne ist die Ethik des Paulus eine rein christliche Ethik. Die Gnade schließt also das Gebot ein und nicht aus; Paulus ist alles andere als ein „Antinomist"; seine Briefe wimmeln von Mahnungen und Weisungen für das Handeln der Gemeinden, aber dies sind immer die Imperative der Gnade, nicht des Gesetzes, dessen Herrschaft Christus ja gebrochen hat. c) Die zweite Kampffront des Paulus zeigt sich in seiner tiefgehenden Auseinandersetzung mit der Gnosis, welche vor allem in die Gemeinden

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von Korinth und Kolossae eingedrungen war. In radikaler Verwerfung der ganzen Welt als böse und dämonisch will die Gnosis als erlösende Erkenntnis den im Menschen befindlichen, göttlichen Lichtfunken aus Leib und Welt befreien, um ihn wieder in die radikal jenseitig verstandene Lichtheimat zurückzuführen. In Korinth erzeugte diese „Sophia" (Weisheit) den Enthusiasmus derer, die sich schon im vollen Besitze des Geistes und damit der Erlösung wähnten. Daher sagt Paulus 1.Kor. 4,8 von diesen gnostischen Enthusiasten, sie hätten das Reich Gottes schon in Besitz genommen. Auch eine ethische Konsequenz der Gnosis tritt in Korinth deutlich in Erscheinung: „mir ist alles erlaubt" (l.Kor.6,12, vgl. 10,23). Infolge seines Geistbesitzes meint der Gnostiker, vollkommene Freiheit zu haben; daher kann er z.B. zur Dirne gehen (l.Kor.6,15 ff.), was nach Paulus durch die ChristusZugehörigkeit des Christen völlig ausgeschlossen ist; denn der Leib gehört zu Christus und ist der Tempel, die Wohnstätte des heiligen Geistes (l.Kor. 6,15-20); also muß die Mahnung lauten: „fliehet die Unzucht" (l.Kor. 6,18). Diese Mahnung ist also ebenso christologisch wie pneumatisch begründet. Paulus macht ferner - so l.Kor.4,8 ff. und 15,12ff. - gegen die Gnosis das eschatologische „Noch-Nicht" mit Schärfe geltend. Die Vollendung des Reiches Gottes ist noch nicht geschehen; daher sind die Christen Wartende und Hoffende; gerade der heilige Geist lehrt sie hoffen und sich sehnen nach der noch ausstehenden Erlösung (Rom. 8,18ff.26). Damit ist nach Paulus zugleich der für die gnostischen Schwärmer so kennzeichnende Selbstruhm unmöglich gemacht. Man kann sich also nur des Herrn rühmen (l.Kor. 1,31). Das ist eine klare Konsequenz der Theologie des Kreuzes (l.Kor. 1,18ff.) und damit zugleich der Rechtfertigungslehre. Der Standort der christlichen Ethik ist also nach Paulus die Zeit zwischen der Auferstehung Christi (Ostern) einerseits und der Parusie (Enderscheinung des Herrn) andererseits. Es ist eine Ethik für diese Zwischenzeit, für die Zeit der Kirche. Die Ethik des Paulus kann aber auch als „GemeindeEthik" bezeichnet werden: denn aus der Gemeinde kommen und für sie gelten ihre Weisungen oder Warnungen. So ist sie denn zunächst auch nicht eine Ethik für alle Menschen wie etwa die Ethik der Stoiker in der hellenistischen Welt. d) Wir können uns die christologische Begründung der Ethik weiterhin verdeutlichen an l . K o r . 5 , 7 - 8 . Die Forderung der Reinheit an die Korinther wird begründet mit dem Opfertode Christi; vom Imperativ der Mahnung geht Paulus zurück zum Indikativ des Heilsereignisses. Abstrakt ausgedrückt lautet die Mahnung: Werdet, was ihr in Wirklichkeit (nämlich durch Christus) schon seid! - nämlich die neue Existenz von Christus her und durch Christus. Das Sollen entspringt demnach hier aus dem neuen, eschatologischen Sein in Christus. Es handelt sich also nicht um eine Ethik des Sollens im Sinne Kants, aber auch keineswegs um eine solche Ableitung des neuen, christlichen Lebens aus dem Sein, daß es sozusagen organisch aus diesem herausfließen würde. Im Gegenteil, das verantwortliche Handeln der Gemeinde, der Christen wird in Anspruch genommen und in Bewegung 4*

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gesetzt! Sie sind nicht passive Objekte oder Gefäße des Handelns Christi. „Wandeln" und handeln, den Nächsten lieben, das müssen die Christen selbst tun; sie sind also nicht etwa entmündigt. Hierin liegt unausgesprochen ein neuer ethischer Person-Begriff, derjenige des aus und in Christus handelnden Menschen. Das neue Sein hebt das Sollen nicht auf, begründet es vielmehr gerade. Der Imperativ geht aus dem Indikativ des Heilsgeschehens hervor. e) Ein zweites Modell der theologischen Begründung der Ethik, in dem die Christologie abgewandelt und konkretisiert wird, ist das sakramentale. Wir finden es in Rom. 6,3 ff. 11 ff. Die Taufe, welche uns mit dem Tode und der Auferstehung Christi verbindet, hat die Christen von der Zwangsherrschaft der Sünde befreit. Als Freie können sie jetzt für Gott leben und handeln (6,11). Die Taufe ist die Eröffnung einer neuen Existenz. Doch ist dies wieder nicht enthusiastisch zu verstehen. Das Futurum in 6,5 und 8 zeigt deutlich, daß die Gemeinschaft mit Christus ihren zukünftig-eschatologischen Charakter behält. Die Bewegung der christlichen Existenz auf das eschatologische Ziel hin ist zwar eröffnet, aber noch nicht abgeschlossen. Jetzt, in der Freiheit von der Sünde, gehört das christliche Handeln mit den Gliedern des Leibes Christus bzw. Gott. Es steht nicht unter dem Gesetz, sondern unter der Gnade (6,14). Die Gnade aber bedeutet nicht Freiheit zur Sünde oder für das Fleisch (vgl. Gal.5,13ff.). Vielmehr sollen und können die Christen jetzt ihre Glieder, die als Träger der Handlungen des Menschen gedacht sind, Gott und der göttlichen Gnadengerechtigkeit als Waffen zur Verfügung stellen (6,12f.). Damit tritt der Begriff der „Gerechtigkeit", der in Kap. 3-5 des Römerbriefes zur Bezeichnung des unverdienbaren göttlichen Gnadenhandelns diente, in eine neue Beleuchtung: Christen sollen der Gerechtigkeit Gottes dienen; sie wird also jetzt auch ethisch akzentuiert. Gegensatz sind Ungerechtigkeit und Sünde, denen die Christen jetzt nicht mehr dienen dürfen. Was sich in der Christusgemeinschaft ereignet, muß seinen tathaften ethischen Ausdruck finden. Wieder zeigt der Imperativ, daß das göttliche Gebot nicht aufgehoben ist. Die gnadenhafte Existenz soll es realisieren. Die Bewegung dieses „neuen Gehorsams" Gott gegenüber führt zum Ziel der Heiligung (6,19). Ein neues Dienstverhältnis ist an die Stelle des alten unter der Sünde getreten (6,15ff.). Der wiederholte Gebrauch des Wortes „Glieder" zeigt an, daß an das konkrete leibhafte Handeln gedacht ist. Die ganze leibhafte Person ist kraft der Taufe in den neuen „Sklavendienst" für Gott und seine Gerechtigkeit eingetreten. f) Man kann auf Grund von Rom. 6 von einem kritisch-ethischen Verständnis der Taufe bei Paulus sprechen. Er stellt sich in die GemeindeTradition hinein, welche die Taufe und die Paränese offenbar schon früh, wenn nicht von Anfang an, verbunden hatte, aber die theologische Begründung und Deutung ist sein eigenes Werk. Sie geht aus von der Wirklichkeit der Einverleibung des Gläubigen in Christus (vgl. die Parallele 1.Kor. 10,16f. hinsichtlich des Herrenmahls). Doch eben diese Wirklichkeit muß vom

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Christen im personalen Handeln angeeignet werden - im aktiven Gehorsam. Durch die Taufe wird der Christ zum Dienst verpflichtet. Das Gesetz ist nunmehr verwandelt in die hilfreiche Mahnung und Weisung, die nicht verurteilt oder verdammt. Christen sind Täter im Dienste ihres Herrn. Da sie jedoch noch im Fleische leben, bedürfen sie bis zur Parusie der wegleitenden Mahnung: dies ist das kritische Element der sakramentalen Ethik. Es wird auch in der Beurteilung der Korinther in l.Kor.3,lff. sehr deutlich, dort allerdings ohne Beziehung auf die Taufe. Christen müssen also noch das Sollen vor sich haben, das sie aufruft zum Vollzuge ihres neuen Seins in Christus. So werden wir wiederum auf die Formel „Imperativ der Gnade" zurückgeführt. "Weil die Zwangsherrschaft der Sünde zerstört ist, gibt es für die Christen kein Sündigen-Müssen mehr. Aber der Apostel verfällt keineswegs dem Perfektionismus; er sieht nüchtern die Gemeinden von Versuchungen und Rückfällen bedroht. Seine Ethik ist daher immer Rückruf zu Christus, Christus-Verkündigung. Die christliche Existenz ist freilich kein hoffnungsloses Auf und Ab, kein Krieg ohne Sieg; vielmehr steht der Sieg Christi über alle dämonischen Mächte auch über dem Handeln des Christen. Was die Rechtfertigungslehre anbetrifft, so zeigt uns Rom. 6, daß die Taufe als das konkret-geschichtliche Heilsereignis die Rechtfertigung (als Urteil Gottes) und die Ethik verbindet und so auch zur ethischen Akzentuierung des Begriffes der Gerechtigkeit Gottes führt. Die Rechtfertigung, vermittelt durch die Taufe, hat reale, ethische Folgen im Leben des Christen. g) Die dritte Form der theologischen Begründung der Ethik ist die pneumatologische; sie tritt vor allem in Rom. 8,1 ff. und Gal.5,13ff. in Erscheinung. Die Gegenwart des Geistes und das Leben im Geist ermöglichen das „Wandeln" im Geiste bzw. gemäß der Norm des Geistes (Gal.5,25; Rom. 8,4) und bringen die „Frucht" des Geistes hervor (Liebe, Güte, Sanftmut, Friede, vgl. Gal.5,22). Der Geist erfüllt also das Gesetz, die Forderung Gottes - , aber nicht an den Christen vorbei, sondern durch ihr Handeln hindurch (Rom.8,4). Gegen die, die vom Geiste getrieben handeln, ist das Gesetz nicht, sagt Paulus ausdrücklich Gal.5,24, was mit Rom. 8,4 übereinstimmt. Wo die Liebe wirkt, werden alle Gebote erfüllt (Rom. 13,8-10, vgl. Gal.5,14). Im pneumatischen Handeln der Christen kommt das Rechtfertigungshandeln Gottes zu seinem Ziel. Auch als „Pneumatologe" bleibt der Apostel jener Realist, der die Versuchungsmacht der Sünde und des Fleisches genau kennt. An den korinthischen Gnostikern hat er es ja vor Augen, wie leicht aus der Gewißheit des Geistes falsche Folgerungen gezogen werden können: die Enthusiasten verachten den „schwachen" Bruder; sie haben also nicht begriffen, daß die wahre Gnosis die Liebe einschließt. In l.Kor. 8 und 10 stellt ihnen Paulus vor Augen, daß Geist und pneumatische Freiheit ohne die Agape sinn- und wertlos sind, wie diese ja überhaupt nach l.Kor. 13,1 ff.

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alle Geistesgaben erfüllen muß, damit diese nicht fruchtlos und nichtig werden. Geist ohne Liebe ist für Paulus ganz undenkbar, was die soeben angeführten drei Kapitel einwandfrei beweisen. Man darf wohl sogar im Sinne des Paulus sagen: Geist ist Liebe. Nach dem Geiste wandeln heißt lieben. Rom. 8,1 ff. und Gal.5,13ff. sind demnach eine klare Sachparallele zu Rom. 6,11 ff., nur in einer anderen Terminologie: das neue Dienstverhältnis des Christen ist identisch mit dem Wandel im Geist. Der Geist ist die tathafte Absage an die „Werke des Fleisches" (Gal. 5,19 ff.). Hierin tritt der Norm-Charakter des göttlichen Geistes klar hervor. Er ist Kraft und Leben in den Christen, die er in der Liebe beweist, doch nicht eine magisch wirkende Substanz. Geist und Gebot sind also eine unlösliche Einheit. Darum verfehlen die Gnostiker das rechte christliche Handeln, wenn sie den Geist zum Gegenstand der frommen Selbstüberhebung machen und eine absolute Freiheit behaupten. Für Paulus gibt es aber nur jene Freiheit, die sich um des Bruders willen jederzeit in Liebe verwandeln kann (l.Kor. 8 und 10). Auch nach Gal.5,13-14 besteht die Freiheit der Christen darin, daß sie einander dienen durch die Liebe. Durch diese klare und in sich einheitliche, pneumatologische Begründung der Ethik geht der Apostel ohne Zweifel über die paränetische Tradition, die er vorfand, weit hinaus. Übrigens wird die Einheit von Glaube und Ethos auch daran deutlich, daß die Rede von der „Frucht" des Geistes den Kreis der moralischen „Tugenden" sprengt, indem der Glaube wie die Liebe, die Güte usw. als Frucht des Geistes bezeichnet werden (Gal. 5,22). Pneuma ist Glaube und Ethos in einem. Moderne Scheidungen wie die von Kultus und Ethos oder von Dogmatik und Ethik sind Paulus völlig unbekannt; er denkt in einer Dimension jenseits solcher modernen Trennungen, nämlich in der pneumatisch-eschatologischen. Kann man im Anschluß an Gal. 5 wohl von „pneumatischen Tugenden" oder Verhaltensweisen sprechen? Eine sozusagen nur punktuelle Auffassung der Art der Geisteswirkung wird bei Paulus durchaus nicht sichtbar; Liebe, Großmut, Sanftmut usw. sind dauernde Wirkungen des Geistes. Der Ausdruck „Frucht" statt „Werke" des Geistes weist uns jedoch darauf hin, daß jede Vorstellung einer moralischen Leistung von dem Begriff der pneumatischen Verhaltensweisen ferngehalten werden muß. Im Geiste handelt der Mensch, aber nicht so, daß er seine eigenen, von Gott und seinem Geist getrennten Werke hervorbrächte. Und die pneumatische Liebe denkt nicht an Verdienst. Der ethischen Tradition entsprechend (vgl. die Synoptiker) denkt Paulus dort, wo er eine eschatologisch-futurische Begründung der Ethik gibt und mit dem Hinweis auf das zukünftige Gericht die Christen vor alten und neuen Sünden warnt. So geschieht es l.Kor. 6,9, wo er sagt, daß die Ungerechten - und die Korinther tun unrecht, wenn sie sich streiten und dann zu den heidnischen Gerichten laufen — nicht das Reich Gottes ererben werden (vgl. auch den Hinweis auf den Richter Christus 2.Kor.5,10). Der

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Sprachgebrauch („Reich Gottes", „ererben") zeigt deutlich, daß Paulus sich hier in den Begriffen der Gemeindetradition bewegt. Doch die anderen Begründungsformen, die wir kennengelernt haben, überwiegen bei dem Apostel durchaus. Denn die heilsgeschichtliche Situation ist grundlegend dadurch verändert, daß Christus gestorben und auferstanden ist; daher haben es die Christen jetzt mit der Gegenwart des Heils und nicht ausschließlich mit der Zukunft des kommenden Gerichtes zu tun. Dadurch wurden die "christologische, die sakramentale und die pneumatologische Begründung der Ethik möglich. 2. Gesetz und Freiheit

Unsere Aufgabe ist hier nicht, die gesamte Gesetzeslehre des Paulus in ihrem Verhältnis zu seiner Christologie, Rechtfertigungslehre und Pneumatologie darzustellen; dies ist vielmehr die Aufgabe der „Theologie des Neuen Testaments". "Wir dagegen haben es hier mit den wichtigsten, ethischen Aspekten zu tun. Wir sprechen von rechtlicher, sozialer und politischer Freiheit, von Gewissens- und Pressefreiheit u. dgl. mehr - alle diese „weltlichen" Freiheiten sind Paulus unbekannt. Sein Begriff der Freiheit ist streng theologisch zu verstehen. Er meint nämlich die eschatologische, durch die Gnade verliehene Freiheit der Kinder Gottes. Nach Rom.8,3Iff. ist sie daher die Freiheit von allen dämonischen Mächten und Gewalten, und sie entstammt der in Christus erschienenen Liebe Gottes. Der Mensch hat also diese Freiheit nicht durch seine menschliche Natur, er wird vielmehr zu dieser Freiheit von Gott berufen (Gal.5,13). Im Zusammenhang der Auseinandersetzung mit der Gnosis kann diese Freiheit auch „exousia" genannt werden (ζ. B. l.Kor. 8,9); dies Wort bedeutet die Vollmacht, etwas zu tun, und diese Vollmacht ist begründet im heiligen Geiste, auf den sich die „Starken" in Korinth insoweit mit Recht berufen, wenngleich sie die Bindung der Freiheit an die Liebe verkennen und sich daher über die schwachen Brüder hinwegsetzen. Rom. 5-8 zeigen ausführlich, wie diese eschatologisch-pneumatische Freiheit eine vierfache Gestalt hat: sie ist a) Freiheit von der Sünde, b) Freiheit vom „Fleische", d. h. von der gottwidrigen Verfassung und Gesamtrichtung der menschlichen Existenz, c) Freiheit vom Tode, welcher das notwendige Endergebnis des Lebens in Fleisch und Sünde darstellt. Dieser Tod ist nicht bloß biologisch zu verstehen als natürliches Ende eines Menschenlebens, sondern als Gericht, d. h. als endgültige Trennung des Menschen von Gott; der Gegensatz zu Tod in diesem Sinne heißt also ewiges Leben. d) Die vierte Seite dieser Freiheit des Christen ist die Freiheit vom Gesetz, die vor allem der Galaterbrief verkündigt (3,1 ff.). Tritt an die Stelle des Gesetzes, das nicht zum Heil führen kann, die Sohnschaft, so sind die

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Christen frei von dem Sklavendienst unter dem Gesetz. Aber sie dürfen in dieser Freiheit nicht von neuem dem Fleische Raum geben (Gal.5,13); die christliche Freiheit ist keine Freiheit zum Sündigen, sondern die Freiheit zur Liebe (Gal.5,13ff.), zum Dienst am Nächsten, zu allen guten Werken. Das heißt also, daß der Christ durch die Freiheit auch von dem Verfallensein an das eigene Selbst erlöst ist, das für das Dasein unter der Macht von Sünde und Fleisch charakteristisch ist. Christen gehören Christus dem Herrn und leben für den Herrn (Rom. 14,7f.; vgl. l.Kor.6,19: sie gehören nicht mehr sich selbst). Daraus ergibt sich eine für das Denken des Paulus kennzeichnende Gleichung, nämlich diese: die Freiheit ist Dienst unter der Herrschaft Christi oder der Gnade (Rom.6,14ff.). Diese Herrschaft ist an die Stelle des Gesetzes getreten (vgl. Rom. 10,4; Gal. 3,13 ff.: Christus hat uns vom Fluch des Gesetzes losgekauft). Der „Sklave" Christi ist der wahrhaft Freie; er ist Sohn und Erbe Gottes, für den alle Gottesverheißungen erfüllt werden (Gal.3,15ff.; 4,1 ff.). Die genannte Gleichung gilt natürlich nur unter der Voraussetzung des in Christus sich ereignenden Heils. Beide Seiten der Sache kommen klassisch zu Worte in dem universalen Bekenntnis der Christus-Freiheit in l.Kor. 3,21-23: „alles ist euer - " , sogar Welt, Leben und Tod, „ihr aber seid Christi, Christus aber ist Gottes". Die dienstbare Abhängigkeit von Christus macht also die Christen zu Herren der Welt. Der Dienst der Gerechtigkeit (Rom. 6,16 ff.) geschieht in Freiheit, und diese ist identisch mit dem von Paulus gelehrten Gehorsam des Glaubens. So hat denn der Nomos (Gesetz) jede Macht verloren: sowohl die der Verurteilung des Sünders als auch die der Normierung des Handelns, als ob „Werke des Gesetzes" erbracht werden müßten. An die Stelle der Verurteilung tritt die Gnade, und die Normierung des Lebens der an Christus Glaubenden übernehmen die Imperative der Gnade, die den heiligen Willen Gottes zum Ausdruck bringen und so das „pneumatische" Gesetz Gottes aufrechterhalten (Rom. 7,12 und 14). Damit ist wiederum bewiesen, daß jeder Antinomismus, d. h. jede absolute Ablehnung des Gesetzes im Sinne der Weisung Gottes, Paulus fernliegt. Weder die gnostischen noch die modernen Freiheitsschwärmer können sich auf ihn berufen. Er kann sogar sagen, daß Beschnittensein und Unbeschnittensein nichts sei, daß es vielmehr auf „das Halten der Gebote Gottes" ankomme (l.Kor.7,19). Daher kann der Apostel auch zahlreiche Einzelgebote an seine Gemeinden richten, ohne auf den Gedanken zu verfallen, hierdurch könnte die christliche Freiheit bedroht werden. Denn die Gebote leiten zum rechten Gebrauch, zur Bewährung der Freiheit eines Christen-„Menschen" an, gefährden diese also gar nicht. Die pneumatische Freiheit ist Gehorsam gegenüber den Geboten Gottes. Wir wollen also Gesetz und Gebot, dem Vorschlag von Paul Althaus folgend, klar unterscheiden: als „Gebote" bezeichnen wir nun die Imperative der Gnade, die pneumatischen Weisungen, wie wir sie bisher kennengelernt haben.

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Damit ist denn die eigentümliche Dialektik des Gesetzes-Begriffes bei Paulus in Erscheinung getreten. Wir können sie kurz wie folgt beschreiben: a) Das kultisch-rituelle Gesetz des Alten Testaments und der Judenschaft bindet die Gemeinde Christi überhaupt nicht mehr. Es ist durch die Verkündigung des Evangeliums und die neuen Christus-Sakramente Taufe und Herrenmahl abgelöst, kurz, durch den neuen Gottesdienst. Daher ist es denn auch unmöglich für Christen, sich noch beschneiden zu lassen (Galaterbrief). b) Die Bindung an die sittlichen Gebote des Dekalog bleibt bestehen. Doch werden sie positiv radikalisiert durch die Liebe, wie schon in der Verkündigung Jesu (vgl. I.Kapitel, 2. Abschnitt). Die Liebe ist die „Erfüllung" aller Gebote (Rom. 13,8-10; Gal.5,14), was im Sinne des praktischen Tuns der Gebote zu verstehen ist. Das ist natürlich auch eine Vereinfachung und Zusammenziehung des ganzen Gesetzes: „Wer den anderen liebt, hat das Gesetz erfüllt" (Rom. 13,8). Gegenüber der sündigen Menschheit, Juden wie Heiden, bleibt die Gerichtspredigt mit der verurteilenden Macht des göttlichen Gesetzes in Kraft (Rom. 1,18-3,20). Allein der Christusglaube und die Taufe können aus dem Gericht befreien; aus ihnen entsteht die neue Ethik, in welcher das verurteilende Gesetz in das hilfreiche und stützende Gebot der Gnade verwandelt wird. c) Die bleibende Funktion des Gebotes ist die folgende: es hält die Christen bei Gottes Willen fest; es gibt der Freiheit den Inhalt und die Richtung, so daß sie nicht mehr Freiheit für Fleisch und Sünde sein kann (Gal. 5,13; Rom. 13,14; vgl. l.Kor. 8,9). Die Liebe zum Nächsten, z.B. zu dem schwachen Bruder, ist die Erfüllung der Freiheit. Gnosis und „exousia" (Vollmacht) ohne Liebe sind keine Erkenntnis des wirklichen Gottes (l.Kor. 8,1 ff.). Damit ist die gefährliche Zweideutigkeit der gnostischen Freiheitsformel „mir ist alles erlaubt" (l.Kor. 6,12; 10,23) aufgehoben. Gewiß bleibt es bestehen, daß die Freiheit Freiheit von allen innerweltlichen Bindungen und Mächten ist - insofern haftet ihr das an, was P. Tillich das „Ekstatische" nennt - , aber nicht Freiheit vom, sondern für den Nächsten. Diese liebende Freiheit sucht nicht das Eigene (l.Kor. 10,24); sie kann daher auch die Form der Entsagung und des Verzichtes annehmen. Wenn es dem schwachen Bruder ein Anstoß ist, so will Paulus „kein Fleisch essen in Ewigkeit" (l.Kor.8,13). Ich kann die mir verliehene Freiheit der Gnosis nicht rücksichtslos für mich selbst ausnutzen (vgl. l.Kor. 8,9 ff. und 10,23 ff.). Die Freiheit zum Essen des sog. „Götzenopferfleisches", das im heidnischen Kult den Göttern geweiht worden war, ist keine absolute Freiheit; sie wird vielmehr durch die von der Liebe gebotene Rücksichtnahme auf den schwachen Bruder begrenzt. Meine Freiheit darf nicht zum Fallstrick für den Bruder werden und nicht sein Gewissen belasten. Eine zusammenfassende Formel finden wir in Gal. 6,2: „Einer trage des anderen Last, so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen." Das „Gesetz

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Christi" ist also das Gebot der Liebe; es steht nicht auf einer Ebene mit dem Gesetz des Moses und kann daher auch nicht als eine Art Ersatz für jenes gelten. Man könnte sagen, dies sei eine treffende Formel zur Zusammenfassung der Bergpredigt-Forderungen, die ja Paulus selbst in der neuen Situation nach Ostern selbst auslegt und zur Geltung bringt (vgl. Rom. 12,13 ff.). Der Begriff „Gesetz Christi" ist wiederum erst nach Ostern möglich; es ist nicht unwahrscheinlich, daß ihn Paulus aus der Tradition der hellenistischen Gemeinde übernommen hat. Auch von Paulus wird also offenbar die ethische Verkündigung Jesu nach Ostern für die Gemeinde aufgenommen und anerkannt, doch wird sie nun zum Gebot des gekreuzigten und auferstandenen Herrn, woraus hervorgeht, daß das Wort „Nomos" in Gal. 6,2 mit dem Gesetz im jüdischen Sinne nichts zu tun hat. Es steht also auf einer anderen Ebene als das Gesetz von Rom. 7, das die Sünde hervortreibt und demaskiert. Nahe verwandt ist die Ausdrucksweise des Apostels in l.Kor.9,19ff. Er sagt dort von sich selbst, er sei kein „Gesetzloser", vielmehr ein „ennomos" Christi, ein im Gesetz Christi lebender Mensch; der griechische Ausdruck läßt sich im Deutschen nur umschreiben. Also existiert für Paulus die Alternative „Gesetz - kein Gesetz" überhaupt nicht, da er ja dem Gesetz Christi einverleibt ist. Paulus ist ein Freier, der zugleich den Juden ein Jude und den Griechen ein Grieche werden kann, um ihnen mit der Verkündigung des Evangeliums zu dienen. Das heißt natürlich nicht, daß das Gesetz als Heilsweg neu in Erscheinung treten könnte. Paulus ist aber wohl an Willen und Gebot Christi gebunden, also eben kein „Gesetzloser", eine Formel, die, vom Judentum geprägt, die Heiden kennzeichnet. Das Gesetz Christi, „in" dem der Apostel lebt und steht, ist das jetzt gültige Gebot der Liebe. Schwieriger ist es, den folgenden Satz zu verstehen: „Das Gesetz des Lebensgeistes in Christus Jesus hat dich freigemacht von dem Gesetz der Sünde und des Todes" (Rom. 8,2). Liegt nicht die Annahme nahe, an der ersten Stelle sei „Nomos" rein bildlich gemeint und könne ebensogut fehlen? Der Lebensgeist in Christus schafft die genannte Befreiung und nicht irgendein Gesetz. Dennoch ziehen wir es vor, diese Formel mit Hilfe von Gal. 6,2 zu verstehen, und zwar wegen der Fortsetzung, welche besagt, daß die Rechtsforderung des Gesetzes erfüllt werde „in uns, die wir nicht nach dem Fleische wandeln, sondern nach dem Geiste" (Rom. 8,4). Paulus spricht also von der Erfüllung des Gesetzes durch die Geistesmenschen. Daher kann der obige Ausdruck „Gesetz des Lebensgeistes" wohl kaum rein bildlich gemeint sein; er hat vielmehr seinen guten, theologischen Sinn in Analogie zu der von uns behandelten Formel „Gesetz Christi". Dieses „Gesetz" ist mit dem Geist des neuen Lebens bzw. Christi identisch, und daher kann jetzt das Gebot Gottes durch vom Geist erfüllte Menschen im „neuen" Gehorsam befolgt werden. Man kann eine Parallele aus dem Johannes-Evangelium heranziehen: das Gesetz des Geistes ist das „neue Gebot", das Jesus seinen Jüngern gibt (Joh. 13,34; vgl. l.Joh.2,7f. 10; 3,11.23; 4,10.19). Das Gesetz des Geistes ist so das wahre und eigentliche Gesetz, das erst mit

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Christus in Erscheinung treten kann, weil es das in ihm gegebene Heil voraussetzt. Christus ist zwar nicht ein „alter Moses" (zweiter Moses; Luther), aber wir können Christus, insofern er der gebietende Herr seiner Gemeinde ist, sehr wohl als den neuen, eschatologischen „Gesetzgeber" bezeichnen. In solchen Formeln ist also die Wahrheit des heiligen und gerechten Gesetzes Gottes (Rom. 7,12 und 14) aufgehoben und aufbewahrt, das ja nicht dadurch entwertet wird, daß die Juden ihm den Charakter der Heilsmittlerschaft zugesprochen haben. Eben dieses „Aufbewahren", obwohl doch das „Gesetz der Sünde und des Todes" für die Christen vergangen und außer Kraft gesetzt ist, zeigt deutlich den „dialektischen" Charakter der paulinischen Lehre vom Gesetz, insbesondere der Formeln „Gesetz Christi" und „Gesetz des Lebensgeistes in Christus Jesus". 3. Die Liebe als höchste Norm der Ethik Wir sahen zwar schon im vorhergehenden Abschnitt, daß von Gesetz und Freiheit im paulinischen Sinne gar nicht gesprochen werden kann, ohne sie durch die Liebe zu definieren, doch ist dem noch einiges hinzuzufügen. Wir gehen zum ersten von der Tatsache aus, daß Paulus das Liebesgebot aus und mit der Gemeindetradition übernommen hat (vgl. Rom. 12,13 ff. mit Mt. 5,39.44). Der Fortgang dieses Abschnittes zeigt deutlich die beiden Elemente: die Tradition und die Neuinterpretation für die römische Gemeinde, an die Paulus schreibt, in der Situation nach Ostern. Das gleiche zeigen uns die drei Kapitel l.Kor. 8; 10 und 13. Aus dem Liebesgebot des geschichtlichen Jesus ist — kurz gesagt — das Liebesgebot Christi und seines Apostels geworden. a) Daher kann Paulus jetzt Fneuma und Agape in die engste Verbindung miteinander bringen, wie wir an Hand von l.Kor. 8 und 10 bereits festgestellt hatten. Nach l.Kor. 13 ist die Liebe noch weit mehr als die höchste aller Geistesgaben, denn ohne sie sind ja alle Charismen wert- und fruchtlos. Die Liebe ist sogar noch größer als Glaube und Hoffnung (l.Kor. 13,13; zur Auslegung vgl. Heinz-Dietrich Wendland, Die Briefe an die Korinther, NTD Bd. 7). Die Liebe ist „Frucht des Geistes" (Gal.5,22) oder geistgewirkte Liebe (Kol. 1,8); sie kann „Liebe des Geistes" (Rom. 15,30) heißen; sie ist „ausgegossen in unsere Herzen durch den heiligen Geist" (Rom. 5,5). Sie ist und schafft daher neues Leben im eschatologischen Sinne. Sie ist die göttliche Liebe, die zunächst Gott und Mensch verbindet und sodann in den Taten der Christen sich auswirkt. Sie ist also göttlich und menschlich zugleich. Sie kann von den Christen gefordert und zugleich - wie in l.Kor. 13,4—7 - als deren Tun beschrieben werden. Man wird sagen können, daß Paulus das Wesen der Liebe am Kreuz Christi abgelesen hat: sie ist sich opfernde, hingebende und dienende Liebe. Hier hängen bei Paulus Ethik und Kreuzes-Theologie aufs engste zusammen. Die Liebe ist das Grundgesetz der Gemeinde und des Apostolats (l.Kor.9,19ff.; 2.Kor.6,6; 11,28f.);

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sie führt den Apostel in den Dienst der Juden und der Heiden. Auf diese Weise hat der Apostel die Tradition des Liebesgebotes von seiner theologischen Gesamtkonzeption aus, d. h. vor allem von der Theologie des Kreuzes und des heiligen Geistes als der Gegenwart Christi und seiner Gnade (vgl. Rom. 8,1 ff. Gal.5,13ff.), weitergebildet und theologisch neu interpretiert. b) Nach Ostern wird für Paulus eine christologische Begründung des Liebesgebotes möglich, wie die Einfügung des Christuspsalms Phil. 2,5 ff. in die Paränese zeigt. Christus hat sich seines göttlichen Wesens entäußert, ist Knecht geworden und gehorsam bis zum Tode am Kreuz. Als Menschen in Christus sollen die Philipper dieselbe Demut und Selbsterniedrigung an den Tag legen wie Christus. In solcher christusförmigen Demut soll einer den anderen höher achten als sich selbst; die ganze Gemeinde soll von der Liebe erfüllt sein und der einzelne nicht an das Seine denken, sondern an das, was des anderen ist (Phil.2,1 ff.). In solchen Mahnungen ist das Urbild des Kreuzes Christi deutlich erkennbar und damit die Neuauslegung des Liebesgebots nach Ostern durch Paulus. Von Gott erkannt und geliebt sein, das begründet die wahre Gnosis, die sich wiederum in der Liebe zu den schwachen Brüdern auswirkt (l.Kor. 8,1 ff.). Die ganze Paränese von Rom. 12 und 13 wird mit dem Hinweis auf die Barmherzigkeit Gottes eingeleitet und begründet (12,1); in diesem Zusammenhange folgt dann auch die schon angeführte Auslegung des Liebesgebotes 12,13-13,10. c) Übrigens ist an diesem Textzusammenhang deutlich zu sehen, daß theologische Begründungen des Liebesgebotes, sei es eine christologische oder eine pneumatologische, nicht das rechte Verständnis der Weltlichkeit der Liebe aus-, sondern vielmehr einschließen. Denn in Rom. 13,1-10 versteht Paulus sogar die Einordnung der Christen unter die politische Herrschaft als einen Akt der Demut der Gemeinde, der auch das korrekte Steuerzahlen in sich einschließt (13,6-7). Auch l.Kor. 13 spricht von der Agape als einer eschatologischen und pneumatischen Wirklichkeit, die auch in der eschatologischen Vollendung nicht vergeht (13,8-13). Die Liebe Gottes, Christi und der Christen sind im Grunde eine und dieselbe Liebe. Ist sie Gottes und Christi, so erweist sie sich ebenso als Tun und Verhalten der Christen (13,4-7). Die göttliche Agape macht Menschen zu ihren Trägern und Tätern. Sie ist einerseits durchaus transmoralisch, weil pneumatisch, und alles andere als eine „einfache Moral", aber sie wird gewiß zur „Moral", indem sie zu konkreten Hilfeleistungen der Christen in und außerhalb der Gemeinde führt. Blickt Paulus in Gal.5,6 auf das Verhältnis von Glaube und Liebe, so spricht er von dem Glauben, der durch die Liebe wirkt - in diesem Sinne sind für Paulus Werke in den Glauben eingeschlossen. Eine andere als tätige Liebe kennt er nicht; auch darin folgt er der Jesus-Tradition. Von einer bloßen „Gesinnung" der Liebe ist bei ihm keine Spur zu entdecken. Da die Agape eine gottmenschliche Wirklichkeit ist, so widersteht sie jeder Spiritualisierung. Nur so kann sie auch zur Krone und Erfüllung aller anderen Geistesgaben werden (l.Kor.

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13,1 ff.)· Ohne die tätige, handelnde Liebe sind Weisheit, Erkenntnis, Prophetie, wunderwirkender Glaube, Almosengeben und sogar das Martyrium nichtig. Dieses Ethos der Liebe steht im schärfsten Gegensatz zur ganzen Antike und ihrer Ethik in allen ihren Spielarten. Die Liebe ist ja nicht die aristokratische Tugend der Weisen. Sie entstammt nicht der Vernunft des Menschen, der Anteil hat an dem weltdurchwaltenden Logos. Sie ist nicht die Tugend des Bürgers in der Polis oder im Imperium. Die Liebe kann auch nicht anerzogen werden, so daß sie das Ergebnis eines Bildungsprozesses wäre. Denn sie ist die Gabe Gottes in Christus, sie ist Heilsverwirklichung. Die Agape ist auch nicht Eros im Sinne der Liebe zu den Ideen des Guten, Wahren und Schönen und deren Erscheinen in Menschengestalt, obwohl die Agape alle Formen menschlicher Verbundenheit ergreifen und gestalten kann, je länger sie in die Welt eindringt. Doch diese Kraft der Agape konnte Paulus noch nicht ins Auge fassen, hatte doch zu seinen Lebzeiten das Ethos der Agape eben erst die Bühne der menschlichen Gesellschaftsgeschichte betreten. Auch das Verhältnis der Agape zur Gerechtigkeit als ethisch-sozialer Tugend - in der antiken Ethik meist als die höchste aller Tugenden angesehen - ist erst später von der christlichen Ethik erörtert worden. Die Feststellung des Paulus, daß die Liebe sich nicht am Unrecht freut, sondern an der „Wahrheit" (l.Kor. 13,6) konnte hierzu einen Anstoß geben. Im Stil des alttestamentlich-jüdischen Denkens ist mit der Wahrheit die Gerechtigkeit gemeint, auch hier nicht im Sinne menschlicher Tugend, sondern eines von Gott geforderten, gottgemäßen Verhaltens. Jedenfalls gilt: die Agape verwischt nicht die Grenzen zwischen Recht und Unrecht, Gut und Böse. Sie kann das Gute im Sinne der bürgerlichen, gesellschaftlichen Moral nicht nur respektieren, sondern sogar schützen und fordern (Rom. 13,3-4). So wird die Tugend des bürgerlichen Wohlverhaltens immerhin schon hier in die Agape aufgenommen. Auch die Christen haben - so sagt Paulus den Philippern - nach der Tugend und allem, was Lob und guten Ruf unter den Menschen verschafft, zu streben (Phil. 4,8). Und diese wirklich bürgerlichmoralische Mahnung, deren Vorkommen bei einem so großen Theologen einige Verwunderung auslösen könnte, steht unter der Uberschrift des Liebesgebotes: „Lasset eure Güte kundwerden allen Menschen" (Phil. 4,4), und dieser Ruf zur Liebe nach allen Seiten hin ist seinerseits verbunden mit der eschatologischen Verkündigung: „Der Herr ist nahe" (Phil. 4,5). Wir sehen also die höchst bemerkenswerte Tatsache vor uns, daß die Mahnung des Paulus, sich nicht dieser Weltzeit gleichzugestalten (Rom. 12,2), keineswegs zur Gleichgültigkeit gegenüber den weltlich-bürgerlichen Tugenden der Gerechtigkeit, des ordentlichen Verhaltens usw. führt. Hier haben wir bei Paulus selbst, und nicht erst in den späteren Pastoralbriefen, einen wichtigen Ansatzpunkt für die künftige Ausbildung einer bürgerlich-christlichen Ethik vor uns. Auch die spätere Vereinigung der drei christlichen „Haupttugenden" Glaube, Hoffnung, Liebe mit den vier antiken Kardinal-

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tugenden konnte an diesem Punkte ansetzen. Daraus ergab und ergibt sich ein Hauptproblem der christlichen Ethik aller Zeiten: Wie ist das Verhältnis der Agape zu solchen Tugenden zu denken? Kann sie in einer solchen Synthese bleiben, was sie ist, und unter welchen Bedingungen? Natürlich konnte das Neue Testament, konnte Paulus diese erst später entstandene Frage noch nicht beantworten. Nur soviel ist klar: Paulus hält es für nötig, daß die Liebe auch in der An- und Aufnahme der bürgerlichen Tugenden sich äußert und realisiert. d) Ein anderes Problem der späteren christlichen Ethik ist die Frage nach dem Verhältnis von Selbstliebe und Gottes- bzw. Nächstenliebe. Dies Problem hat Paulus auch noch nicht aufgeworfen; akut wurde es durch die nähere Berührung mit der philosophischen Ethik etwa seit der Mitte des zweiten, christlichen Jahrhunderts. Deutlich ist aber der klare Gegensatz der Agape gegen jede Art von Sich-selbst-Wollen und -Dienen. Nirgends macht Paulus die Selbstliebe zum Maßstab für die Nächstenliebe, wie dies spätere, christliche Ethiker in einer abwegigen Exegese der Worte „wie dich selbst" taten, indem sie ein griechisch-philosophisches Verständnis des Selbst, der Person unkritisch zugrunde legten. Ist - wie bei Paulus - die Liebe Christi die höchste Norm, so wird es naturgemäß ganz unmöglich, ausgerechnet die Selbstliebe als solchen Maßstab zu benutzen. Wahrscheinlich wäre Paulus der Gedanke des Rechtes der Selbstliebe als fleischliches Denken erschienen; jedenfalls reflektiert er nirgends über sie. Sie trat ihm zwar in religiöser Ausdrucksform in dem lieblosen Egoismus und Selbstruhm der korinthischen Gnostiker entgegen (l.Kor. 8 und 10), doch hier kam nur eine klare Verurteilung in Frage. e) Auch vor dem Mißverständnis des Heroismus muß die Agape, wie Paulus sie sieht, geschützt werden. Es geht in der Liebe nicht um die Ausnahme-Leistungen von Helden. l.Kor. 13,4-7 sind zu allen Christen gesagt und beschreiben ein jedem Christen mögliches Tun. Subjekt dieses Handelns ist nicht eine Sonderklasse von heroischen Christen. Die Taten der Liebe sind alltäglich, unheroisch und unauffällig. Der Christ vollbringt sie ja gerade nicht, um zu glänzen und sich hervorzutun. Im Gegenteil, er läßt sich ganz von dem anderen bestimmen: was der Bruder oder allgemein der Nächste nötig hat, das muß getan werden; wie wir schon sahen, zeigt Paulus in l.Kor. 8-10, daß demgegenüber die Berufung auf Erkenntnis und Freiheit gänzlich fehl am Platz sind. Was dem Bruder not tut, auch in der Form des Verzichtes, soll das Handeln des Christen beherrschen. Genauso denkt Paulus in einer ähnlichen Situation Rom. 14,1 ff. und 15,1 ff., wo er es gleichfalls mit den Gruppen der Starken und der Schwachen zu tun hat. Zwar besteht die Freiheit zu essen zu Recht; insofern stimmt Paulus den Starken zu. Aber allein die Liebe erbaut die Gemeinde, weder das Essen noch das Nichtessen als solches. Daher muß auf den schwachen Bruder Rücksicht genommen werden. Der Bruder ist die Grenze unserer Freiheit! Die „fleischliche" Auslegung der Freiheit wird ausgeschlossen. Man muß zwar nicht die

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Überzeugung der Schwachen teilen, aber man darf seinem Gewissen keine Lasten auferlegen. Wo dagegen keine Gefährdung des Bruders vorliegt, da behält die Freiheit ihr Recht. - Ebenso ist nach Rom. 14,1 ff. das falsche Richten der Gemeindeglieder übereinander zu unterlassen, da es der Liebe widerspricht. Dies gilt für beide Gruppen. Darum sollen die Christen einander aufnehmen, gleichwie Christus sie alle aufgenommen hat (Rom. 15,7). Alle leben und sterben ihrem Herrn (Rom. 14,7-8). Die Starken sind verpflichtet, die Schwachheit der anderen zu tragen (Rom. 14,13-15,6), obwohl es gilt, daß nichts (keine Speise) unrein ist an sich selbst (Rom. 14,14; vgl. l.Kor. 10,26: die Erde ist des Herrn und ihre Fülle). Wer aber den Bruder wegen seines Essens in Gewissensnot bringt, der wandelt nicht gemäß der Liebe (14,15). Diese Formel „gemäß der Liebe" ist sachlich genau parallel zu dem „leben im Geist" von Gal.5,25 oder wandeln „nach dem Geist" (Rom. 8,4; s.o.). f) Die Überordnung des Liebesgebotes über alle Einzelgebote ist zwar von Paulus nicht systematisch durchgeführt worden - er schreibt ja auch kein Lehrbuch der Ethik! - , tritt aber doch an einzelnen Stellen klar hervor, so bzgl. des Dekalogs in Rom. 13,8-10, ebenso in Gal.5,22 und Rom. 12-13 sowie 14,1 ff. So wird es begreiflich, daß Paulus die Liebe als den Weg rühmen kann, der über alle anderen weit hinausführt (l.Kor. 12,31), und daß er sie als „das Band der Vollkommenheit" würdigt (Kol. 3,14), womit denn ihr transmoralischer Charakter wieder hell hervorleuchtet. Auch von diesen Aussagen her ist es wohl zu verstehen, daß Paulus in der Liebe die Erfüllung des Gesetzes erblickt (Rom. 13,8 ff.; Gal.5,14). Paulus interpretiert prinzipiell das Gesetz von der Liebe her und nicht die Liebe vom Gesetz her wie das Judentum. Was nun die Funktion der Einzelgebote anbetrifft, so werden diese durch die Uberordnung des Liebesgebotes keineswegs aufgelöst oder entwertet (vgl.l.Kor.7,19). Dies gilt z.B. von den Einzelgeboten des Dekalogs. Das gleiche gilt von den Einzelanweisungen für Eheleute, Witwen, Gatten in der Mischehe und Verlobte in l.Kor. 7. Die Einzelgebote grenzen das christliche Handeln ab von Unreinheit, Unzucht, Geldgier und anderen, in den Lasterkatalogen aufgeführten Sünden. Sie bezeichnen also konkrete Gefährdungen der Gemeinde und sind schon deswegen ganz unentbehrlich. Die Sünden werden konkret bezeichnet - dies geschieht auch bei Paulus. So bleibt der Begriff der Sünde vor der Abstraktheit bewahrt, die er in der Verkündigung unserer Tage so häufig an sich trägt. „Die" Sünde hat immer ihre konkretleibhafte Gestalt in „den" Sünden (Mehrzahl). Denkt man an die Tradition der sog. Lasterkataloge, so wird man sagen dürfen, daß die Anführung einer Mehrzahl von Verfehlungen dem Paulus aus der Tradition zugekommen ist, während die strenge, theologische Interpretation „der" Sünde und ihrer Herrschaftsmacht über den Menschen das Werk des Paulus selbst ist. Denn dieser Begriff zeigt schon einen höheren Grad der theologischen Abstraktion und Reflexion.

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4. Die Ethik des Paulus als

Gemeinde-Ethik

Mit anderen Formen der neutestamentlichen Ethik hat die paulinische es gemeinsam, daß sie Gemeinde-Ethik ist. Was heißt das? a) Es bedeutet erstens, daß diese Ethik die geschichtlich-soziale Wirklichkeit der Gemeinde, der Kirche voraussetzt. Christ sein heißt in der Kirche sein. Mit dem Gleichnis vom Leibe hat Paulus in 1.Kor. 12,4 ff. den Zusammenhang aller Glieder des Leibes untereinander als eine unlösliche Einheit von Geistesgaben und Diensten beschrieben, die den einzelnen zugeteilt sind. Alle Mahnungen setzen diese Wirklichkeit der Kirche immer bereits voraus. Die Kirche ist als der Ort und die Gemeinschaft der Heilsverwirklichung von der „Welt" scharf abgehoben, die ohne Heil den Mächten Sünde, Fleisch und Tod unterworfen ist, von welchen Christus die Gemeinde befreit hat (Rom. 5-8). Natürlich weiß Paulus sehr wohl, und er sagt das den Korinthern auch, daß man „nicht aus der Welt herausgehen" kann (l.Kor. 5,10f.), doch sollen die Christen nicht mit Unzüchtigen, Götzendienern, Räubern usw. in Gemeinschaft leben, auch nicht mit Brüdern, die solchen Sünden verfallen sind. Das sind die, die „draußen" sind (l.Kor.5,12), d.h. außerhalb der Gemeinde stehen. Daher muß auch jener Sünder, der schlimmer als die Heiden - die Frau seines Vaters hat, aus der Gemeinde ausgeschlossen werden (l.Kor. 5,1 ff.), und da die Gemeinde in dieser Hinsicht versagt hat, schreitet der Apostel alsbald selbst zum Urteil und zur Tat (l.Kor. 5,3 ff.). Die Gemeinde ist für den Apostel der Träger solcher sittlichen Entscheidungen. Vollzieht sie diese nicht, so wird sie von dem Apostel scharf zurechtgewiesen. So erweist sich seine Ethik als Ethik für die Gemeinde, um diese bei Christus zu halten und zugleich anzuleiten, aus ihrem Sein in Christus die rechten Folgerungen zu ziehen. Dasselbe zeigt l.Kor. 6,1 ff.: Christen in Korinth haben Streit um mein und dein untereinander und laufen damit zu den heidnischen Gerichten. Paulus erklärt, daß dies Verhalten einer Gemeinde Christi durchaus unwürdig sei, da doch die „Heiligen" dereinst die Welt richten werden (l.Kor. 6,2). Die Korinther sollen also durch einen „Weisen" als Schiedsrichter solche Rechtsstreitigkeiten innerhalb der Gemeinde beseitigen. Ja, Paulus geht ganz im Sinne der Bergpredigt noch einen entscheidenden Schritt weiter: Christen sollen nicht Unrecht tun, sondern Unrecht leiden (l.Kor. 6,7ff.), und er weist sie warnend darauf hin, daß solche Unrechttäter das Reich Gottes nicht ererben werden (l.Kor. 6,9). Neben diese eschatologische Begründung der Forderung tritt aber alsbald eine zweite, christologische, eben jene „Christus-Anamnese", die wir bisher als Rückruf zu Christus bezeichnet hatten: Zwar sind die Korinther Unzüchtige, Ehebrecher, Götzendiener, Räuber usw. gewesen, „aber ihr seid abgewaschen, ihr seid geheiligt, ihr seid gerechtgemacht durch den Namen des Herrn Jesus Christus und durch den Geist unseres Gottes" (l.Kor.6,11). Die Wirklichkeit der Rechtfertigung und Heiligung ist gegeben und vorgegeben; jetzt haben die Korinther die ethischen Konsequenzen zu ziehen und auch ethisch, im eigenen Han-

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dein, sich das Heil anzueignen, das ihnen in der Taufe („abgewaschen") zuteil geworden ist. Auch hier zeigt sich also der enge Zusammenhang von Taufe und Paränese. Die Gemeinde steht der Welt als eine eigenständige, soziale und ethische Größe gegenüber und hat sich durch ihr Verhalten von den Sünden dieser vergehenden Welt abzugrenzen. Dies ist sozusagen der gegenweltliche Charakter der Gemeinde, der eine Voraussetzung der gesamten Ethik des Apostels darstellt. Und die höchste Norm des gegenweltlichen Handelns der Gemeinde ist, wie wir schon in Abschnitt 3 gesehen haben, das Gebot der Liebe, in Aufnahme und Anerkennung der Jesustradition. Wie stark die Gemeinde als eine Einheit, als „Leib" gesehen ist, zeigt der durchgehende Sprachgebrauch des Apostels: „wir" bzw. „ihr". Von der ethischen Autonomie des einzelnen weiß Paulus nichts, denn der moderne Vereinzelungsprozeß hat ja erst viele Jahrhunderte später eingesetzt. Zwar soll und kann der Christ als einzelner handeln, lieben, das Unrecht unterlassen und dgl. - Paulus ist kein Kollektivist - , aber er tut das alles als Glied der Gemeinde. Die modernen Entgegensetzungen wie „Christ - Kirche" oder „einzelner - Gesellschaft" sind Paulus völlig fremd. Jede seiner Aussagen über die Gemeinde zeigt dies. Da nun aber der Geist Gottes die Gemeinde belebt und durchwaltet, so gibt es auch keine Heteronomie (Fremdgesetzlichkeit) des Ganzen über den einzelnen; dieser ist also auch nicht der Sklave einer Hierarchie, und wenn Paulus von seinen Gemeinden sehr entschieden Unterordnung verlangen kann, so tut er das als Apostel Christi und um des Gehorsams gegen Christus willen (2.Kor.). Die Gemeinde-Ethik kennt daher auch den modernen Unterschied von Individual- und Sozialethik nicht. Was das Verhältnis der Christen zu den Menschen außerhalb der Gemeinde anbetrifft, so sahen wir schon, daß sie die Sünden der Welt meiden sollen. Die Gemeinde muß sich von der Welt unterscheiden und dies durch ihre Lebensführung unter Beweis stellen. Die Welt wird dem zukünftigen Gericht Gottes verfallen, an welchem die Gemeinde der Heiligen beteiligt sein wird. Das hindert, wie wir gesehen hatten, die relative Anerkennung der damaligen, bürgerlich-gesellschaftlichen Moral nicht (Phil. 4,8; Rom. 13,1 ff.). Dasselbe zeigt sich auch in der Übernahme der Haustafel-Tradition durch Paulus (s.u.). Die Zielsetzung der Gemeinde-Ethik nach innen kann wohl am besten mit dem Begriff der „oikodome", d.h. der Auferbauung (abgeleitet von dem Worte für Haus) bezeichnet werden. Um diese ringt Paulus in seinem Kampf mit den Gnostikern in l.Kor. 8-10. Die „Starken", die sich ihrer Freiheit und Erkenntnis bewußt sind (z.B. der Tatsache, daß man das den Göttern geweihte Fleisch essen darf), sollen in der Liebeseinheit der Gemeinde bleiben und nicht als religiöse Aristokratie sich hochmütig den „Schwachen" gegenüberstellen, welche jene Erkenntnis nicht haben. Alle Geistesgaben sind danach zu bemessen, was sie zum Aufbau der Gemeinde beitragen (l.Kor. 12 und 14); hieraus ergibt sich der Wertunterschied der ekstatischen sogenannten „Zungenrede" (Glossolalie) von der höher zu schätzenden Pro5

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phetie. Alle Geistesgaben und Geistesträger sollen zum Aufbau der Gemeinde beitragen. Die Gemeinde lebt von der Vielzahl solcher Charismen (l.Kor. 12,4ff.), deren keines das andere verdrängen darf oder ersetzen kann. In der Einheit des Leibes sind all die verschiedenen Organe notwendig und unentbehrlich. Die Gemeinde besteht nicht nur aus Aposteln oder Propheten oder Lehrern oder Zungenrednern usf. (l.Kor. 12,12ff.28ff.). Alle haben sich in den reichgegliederten Bau der Gemeinde einzufügen, doch auch den geringeren Gaben wird Ehre zuteil. So denkt Paulus z.B. nicht daran, die ekstatische Zungenrede zu verbieten. Wohl aber fordert es sowohl die Liebe als auch die Ordnung, daß die einzelnen Pneumatiker in den gottesdienstlichen Versammlungen aufeinander Rücksicht nehmen. Sie dürfen nicht gleichzeitig und durcheinander reden. Die gute Ordnung des Friedens soll in der Gemeinde herrschen (l.Kor. 14,26 ff.); denn Gott ist nicht der Gott der Unordnung, sondern des Friedens (l.Kor. 14,33). Paulus stellt denn auch mit Bedacht die Agape weit höher als alle anderen Charismen. Nur die Liebe kann die brüderliche Einheit der Gemeinde erhalten und doch jeder einzelnen Geistesgabe ihr Recht in der Gemeinde zuweisen. Das Grau eines allgemeinen, unterschiedlosen Christentums, das die heutigen Gemeinden oft so langweilig und unlebendig macht, finden wir bei Paulus nicht. Endlich ist hier die Tatsache zu würdigen, daß in Gestalt der Gemeinde Christi ein völlig neues Sozialgefüge und bisher unbekannte, religiöse Sozialstruktur in geschichtliche Erscheinung getreten ist. Im Anschluß an die Kultursoziologie von Alfred Weber können wir diese als die Struktur von dynamischen, pneumatischen Missionsgemeinschaften verstehen, die, nicht zuletzt auf Grund der zunächst geringen Zahl von Gliedern, ein erstaunlich hohes M a ß von sozialer Integration und Einschmelzungskraft besessen haben, was sich im Selbstbewußtsein dieser Kirche, die Heiligen bzw. von Gott Geheiligten zu sein, klar ausspricht, und damit zugleich in der Selbstunterscheidung der Gemeinde von der Welt. Hier ist der Sitz und Ursprung der welterobernden Kraft der Kirche zu suchen, die allmählich, von unten nach oben aufsteigend, die Gesellschaft des Imperiums durchdringen sollte. Hier haben wir auch die Wurzel vieler Probleme der späteren, christlichen Ethik und Sozialethik zu sehen: „Kirche und Staat", „Kirche und Gesellschaft", „Kirche und Nation" u. ä. Fragestellungen konnten ja erst entstehen und wichtig werden, als das neue Sozialgebilde „Kirche" sich der „Welt" und allen ihren Sozialgefügen (Ehe, Familie, Staat, Wirtschaftsordnung usw.) gegenüberstellte. Dieses Faktum wurde in zunehmendem Maße ein umwälzender, dynamischer Faktor der Gesellschaftsgeschichte bis auf diesen Tag. Die „Gemeinde-Ethik" erlebte infolgedessen freilich eine ganze Reihe von Umbildungen und neuen Synthesen mit der weltlichen Moral, besonders seitdem der christliche Glaube im 4. Jahrhundert zur offiziellen Reichsreligion wurde und die Massen in die Kirche strömten. Von solchen Problemen kann natürlich zur Zeit des Paulus noch nicht die Rede sein. Aber die Voraussetzung, daß die Gemeinde Gottes und Christi in der Welt sei, berufen das Evangelium in die Völkerwelt zu tragen, bevoll-

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mächtigt zu lieben, dies hat der Apostel mit der größten Klarheit und Bestimmtheit ausgesprochen. Damit wird ebensowohl das Faktum der Kirche als der paulinische Begriff der Kirche zur Grundlage und Vorbedingung der Ethik des Paulus. Alle Weisungen dienen dem Aufbau der Gemeinde. So ist die Ethik des Apostels konkrete Paränese, sie trägt durchweg seelsorgerlichen Charakter, sei es, daß der Apostel sich um ganze Gemeinden wie die galatischen oder die korinthischen müht, oder ob er sich, wie l . K o r . 7 - 1 0 , besonders einzelner Gruppen innerhalb einer Gemeinde annimmt. Paulus ist also auch in der Ethik ein durch und durch „kirchlicher" Denker. Dies zeigt sich nun auch in seinem Verhältnis zur paränetischen Tradition. Der Apostel übernimmt, so sahen wir, das wichtigste Element der Bergpredigt-Tradition in l . K o r . 6 und Rom. 12, das Liebesgebot einschließlich der Forderung des Unrecht-leidens (l.Kor. 6,7ff.). b) Paulus übernimmt sodann aus der Tradition das schon festgeprägte Ethos der Haustafel (Kol.3,18-4,1), das später, im Epheserbrief (5,22ff.) und im 1.Petrusbrief (2,13 ff.) durch christologische Begründungen weiter entwickelt worden ist (vgl. das IV. Kapitel über die deuteropaulinischen Schriften). Es handelt sich hier um Weisungen für das Haus und seine verschiedenen Gruppen: Ehefrauen, Ehemänner, Kinder und Sklaven bzw. Sklavenbesitzer. Die Struktur des hierarchisch-patriarchalisch verfaßten Hauses wird vorausgesetzt und zugleich rezipiert. Daher herrscht die Forderung des Gehorsams vor: sie gilt für Frauen, Kinder und Sklaven. Rechtlicher Repräsentant des Hauses ist allein der Mann. Von einer „Gleichberechtigung" der Frau im modernen Sinne dieses Wortes konnte in der damaligen Gesellschaft trotz einiger Emanzipationsbestrebungen keine Rede sein. Auch im Judentum stand die Frau kultisch und rechtlich gesehen unter dem Manne. So sind die Mahnungen der Haustafeln bürgerlich-weltlich; Heiden wie Juden kennen sie und können sie anerkennen. Auf der anderen Seite ist jedoch der Beginn des Prozesses der Verchristlichung schon bei der von Paulus wiedergegebenen Form der Haustafel festzustellen. Die Frauen sollen den Männern Untertan sein, „wie es sich im Herrn gebührt" (Kol.3,18). Die Weisungen für die einzelnen Gruppen im Hause werden ins Allgemeine erhoben, wenn es heißt: „Alles was ihr tut, das tut von Herzen als für den Herrn und nicht für Menschen . . . Dem Herrn Christus dienet" (Kol. 3 , 2 3 - 2 4 ) . Übernimmt man also inhaltlich die Moral des hellenistischen Judentums, so wird sie doch jetzt legitimiert durch eine neue Autorität, nämlich den göttlichen Herrn Christus. Damit beginnt aber auch schon der Prozeß der Relativierung der sozialen Autoritäten und Mächte, wie die Antike ihn nicht kannte. Der Hausherr und Vater, der Sklavenbesitzer hat fortan keine absolute Autorität mehr; den Herren wird gesagt, daß sie einen Herrn im Himmel haben (Kol. 4,1); darum sollen sie den Sklaven geben, was „recht und billig" ist. Alle sind jetzt dem Kyrios Christus verantwortlich. Für diesen Herrn soll alles Tun im Hause geschehen, ihm und nicht den Menschen gilt jetzt der Gehorsam im 5*

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eigentlichen Sinne; Christus dienen die Glieder der Gemeinde mit der Innehaltung der Ordnung des Hauses. So verbindet sich mit der Relativierung der Autorität der Männer und der Sklavenbesitzer die Legitimierung und Begründung ihrer Autorität. Insofern kann man im Blick auf die Haustafeln von einem „gebrochenen Patriarchalismus" sprechen (Friedrich Karl Schumann). Es stellt sich nun vor allem noch die Frage, was „lieben" in der Mahnung an die Ehemänner bedeutet: „ihr Männer, liebet eure Frauen" (Kol. 3,19). Ist da nur die natürliche, eheliche Liebe zwischen Mann und Weib gemeint? Paulus dürfte vielleicht im Unterschied von der ursprünglichen Tradition das Wort „lieben" mit seinen Augen gelesen haben: er versteht es im Sinne der Nächstenliebe, des „Gesetzes Christi". Danach wäre 3,19 parallel zu 3,18 der Sache nach, wo es heißt: „wie es sich im Herrn gebührt." Für die „natürliche" Liebe braucht man ja wohl auch kaum Sorge zu tragen. So verstanden beginnt die Haustafel den großen Kampf gegen die Selbstsucht, die der Geschlechtsliebe und dem Eros innewohnt und mit diesen das eheliche Verhältnis bedroht. Auch die Stellung der Sklaven wird von der neuen Autorität des göttlichen Herrn mitbetroffen, obwohl sich rechtlich gesehen nichts an ihrem Geschick ändert. Aber ihre Herren sind jetzt Christus unterworfen, sie haben einen göttlichen Richter über sich, dem sie Rechenschaft geben müssen. Darum sollen sie die Sklaven mit Gerechtigkeit und Billigkeit behandeln. Im ethischen Sinne sind also die Sklaven nicht mehr rechtlos. Es verdient Erwähnung, daß die Haustafel von den Rechten des Mannes überhaupt nicht spricht, von denen doch die antike Gesellschaft so Großes zu sagen wußte. Mit Recht hat Hans Conzelmann (Exkurs „Die Haustafeln" zu Kol. 3,18ff. in NTD 8) hervorgehoben, daß die Haustafeln auf einer eschatologischen Voraussetzung beruhen; eben deswegen können sie weltliche Autoritäten relativieren. „Die Bürgerlichkeit ist der Vollzug des eschatologischen Verhältnisses zur Welt "(a.a.O. S. 152). Damit war zugleich allem Schwärmertum gewehrt: man blieb in Ehe und Haus und betrat nicht den Weg der radikalen Askese wie ein Teil der Gnostiker. Man setzte nicht das Reich Christi an die Stelle der weltlichen Sozialordnungen. Wohl aber kann nun die Liebe Christi auf die Liebe der Ehegatten, auf das Verhältnis der Eltern zu den Kindern usw. einwirken. Das bürgerlich-christliche Ethos der Haustafeln ist geradezu Ursprung und Quelle aller späteren, christlichen Ethik: denn auch dieser blieb die Aufgabe der kritischen Rezeption gestellt, welche Relativierung und Legitimierung der Sozialbindungen miteinander vereinigt. Damit sind die Haustafeln zum Modell der späteren, christlich-weltlichen Ethik bis heute geworden. Mit Hilfe der Haustafeln tritt nun die Urkirche - ein historisch höchst bedeutungsvoller Akt! - zum ersten Mal in konkrete Beziehung zu einer der zu allen Zeiten wichtigsten, weltlichen Sozialordnung, zu Ehe, Haus samt Sklavenstand. Es zeigt sich, daß die Urkirche nicht eine asketische Gemein-

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schaft am Rande der Welt sein will, sondern daß sie die Ehen und Häuser in sich einbezieht, wie ja auch in der Mission vielfach ganze „Häuser" getauft worden sind. Hier beginnt die weitwirkende Geschichte der „christlichen" Ehe und Familie, im Sinne der oben kurz beschriebenen, kritischen Rezeption. Wird so eine weltliche Sozialordnung in die Gemeinde hinein integriert, so wird damit auch schon das Problem der Weltlichkeit solcher Sozialgebilde sichtbar. Denn nicht die Kirche hat die Ehe und das Haus geschaffen, sondern diese als geschichtlich-soziale Realitäten vorgefunden. Also mußte sie zu der Tatsache irgendwie Stellung nehmen, daß ihre Glieder verheiratet waren, Kinder hatten oder sich im Stande der Sklaven befanden. Dies alles ließ sich nicht aus der Welt schaffen, und auch Paulus konnte das nicht tun, obwohl er - wie wir noch sehen werden - persönlich asketisch lebte und Gründe hatte, anderen die Ehelosigkeit zu empfehlen (vgl. den nächsten Abschnitt 5). Die Verbindung mit Ehe und Haus ist wohl die wichtigste, weil engste und dichteste, die die Kirche je mit der Welt eingegangen ist, und sie ist denn auch in niannigfachen historischen Abwandlungen bis auf unsere Tage erhalten geblieben. Durch die Aufnahme der Haustafel-Tradition sowie durch deren christliche Umbildung und Begründung hat so die Urkirche schon vor Paulus eine Entscheidung von größter historischer Tragweite getroffen, und Paulus hat diese Entscheidung für sich und die von ihm gegründeten Gemeinden anerkannt und durch seine apostolische Autorität gestützt. 5. Die weltlichen

Sozialordnungen

Wir müssen wiederum bei der eschatologischen Grundstruktur des paulinischen Denkens einsetzen. Hierbei verstehen wir den Begriff des Eschatologischen in doppeltem Sinne: (1) futurisch für das kommende Weltende mit Gericht, Auferstehung der Toten und der Vollendung der Gottesherrschaft (vgl. l.Kor. 15,12ff.); (2) gegenwärtig im Sinne des in Christus schon angebrochenen und erschienenen, eschatologischen Heils; von hier aus gesehen tragen Kirche und christliche Existenz gleichfalls eschatologischen Charakter, gehören sie doch in die Zeit zwischen Ostern und der Parusie des Herrn, zu Gericht und Vollendung. Einmal schlägt mehr das erste, einmal mehr das zweite Moment vor, doch bleiben sie immer aneinander gebunden. a) Gemeinde und Welt Was das Verhältnis der Gemeinde zur Welt im ganzen betrifft, so gehen wir am besten von l.Kor. 7,29 ff. aus, nämlich von dem dialektischen „als ob" des Paulus: die Welt gebrauchen, als gebrauchten wir sie nicht. Christen haben Frauen, als hätten sie keine; sie weinen, als weinten sie nicht, sie freuen sich, als freuten sie sich nicht, und sie verkehren mit der Welt, als verkehrten sie nicht mit ihr. Denn die Zeit bis zum Ende ist nur noch kurz; daher ist diese eigentümliche Distanzierung der Gemeinde von der Welt am Platze.

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Christen geben zwar das Leben und Handeln in der Welt nicht auf, aber sie relativieren es, nicht als Skeptiker, nicht als gnostische Pessimisten, sondern als Menschen einer eschatologischen Existenz. Von der Weltflucht ist Paulus ebensoweit entfernt wie von der Weltsucht. Das dialektische „als ob" ist jedoch nur die Kehrseite der Aussage von 2.Kor.5,17: Christen sind eine „neue Kreatur (Schöpfung)", „das Alte ist vergangen, siehe, Neues ist geworden!" Das ist der eschatologische Wandel der Zeiten; denn in Christus ist ja der neue Aion des Heils in den vergehenden Aion dieser Welt eingebrochen. Auf der Versöhnungstat Gottes (2.Kor.5,18ff.) beruht die anbrechende Gegenwart des fischaton und die neue Situation der Christen. Die Herrschaft Christi ist in der Kirche schon gegenwärtig, als Anfang einer universalen Neuschöpfung durch Christus (Kol. 1,15 ff.; 2,10.20). Christus ist das „Haupt" aller Herrschaften und Gewalten der Welt, und das gilt schon jetzt. Darauf beruht die Freiheit der Christen von allen Mächten des Kosmos (vgl. l.Kor.3,21ff. und Rom. 8,37f.). Also ist das „als ob" des Paulus nicht im Sinne der zynischen oder skeptischen oder gnostischen Weltverachtung zu verstehen; denn es hat ja hinter sich das Positivum, nämlich die Gegenwart des Heils. Es zeigt sich erstaunlicherweise, daß gerade die soeben angedeutete, eschatologische Distanz von der Welt der Gemeinde die Freiheit gibt, das Gute und Gerechte in der Welt, die Tugend und das bürgerlich Lobenswerte anzuerkennen (Phil.4,8). Man kann also - das sahen wir schon - bei Paulus nicht von einer blanken Negation der bürgerlichen Ethik sprechen. Das bürgerliche Ethos wird aufgenommen ins christliche. Man muß aber die bleibende Voraussetzung dieses Vorgangs immer wohl im Auge behalten: Christus hat die falschen, alten Götter gestürzt und die Welt entdämonisiert. Jetzt erst und infolgedessen kann sie nun mit ihrem eigenen Ethos in ihrer „Weltlichkeit" oder ihrem Charakter als Gottes Schöpfung in Erscheinung treten. Sind die dämonischen Gewalten ihrer Herrschaft beraubt, so ist die Welt nicht mehr zu fürchten, sie liegt sozusagen frei und offen da für die Christen, und von daher gilt nun auch: „Die Erde ist des Herrn und ihre Fülle" (1.Kor. 10,26); alles ist rein (Rom. 14,14 und 20) und kann deshalb genossen werden. - Die Liebe läßt sich daher mit dem bürgerlichen Ethos verbinden, da sie ja nicht unschicklich handelt und das Unrechttun ausschließt (l.Kor. 13,5 ff.). In l.Kor. 11,3ff. nimmt Paulus eine weit verbreitete Sitte als gültig und angemessen an, die nämlich, daß die Frauen im Gottesdienst ein Kopftuch tragen bzw. tragen sollen. Ja, er kann sich sogar einmal auf die „Natur" (physis) berufen: „die Natur lehrt euch", was genau der Formel „natura docet" bei Cicero entspricht; sie stammt aus dem stoischen Denken. Aber die Natur ist für Paulus natürlich keine absolute Größe; er versteht sie vielmehr vom Schöpfungsglauben des Alten Testamentes her, und weil Christus die Schöpfung freigelegt hat, kann er solche zeitgenössische Formel ganz unbefangen aufnehmen. Ein kleines Zeichen für seine große geistige Freiheit! So kann die „Natur", richtig verstanden, sagen, was sich für christliche Frauen schickt und was nicht.

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Viel diskutiert sind in diesem Zusammenhang die berühmten Sätze Rom. 2,14f., in welchen Paulus dem sogenannten Naturrecht nahezukommen scheint, indem er von dem Gesetz spricht, das dem Gewissen der Heiden eingeschrieben ist - eine heidnische Parallele sozusagen zu dem geschichtlich geoffenbarten Gesetz des Moses, doch eben in Gestalt der moralischen Vernunft des natürlichen Menschen. Auch die Heiden also, obwohl sie das Gesetz des Moses nicht haben, tun doch „von Natur" (physei) das, was das Gesetz fordert; sie sind „sich selbst Gesetz", und die vom Gesetz verlangten Werke sind ihnen „ins Herz geschrieben" (Rom.2,15). Sittliches Handeln ist also auch den Heiden möglich und auch praktisch wirklich. Man kann also von einer natürlichen, gewissensbedingten Gesetzeserfüllung bei den Heiden sprechen. Auch Rom. 1,32 spricht Paulus davon, daß sie die Rechtsforderung Gottes kennen. Nur deswegen können sie für schuldig befunden werden, wenn sie diese nicht erfüllen. Ihre Unsittlichkeit steht dann gegen ihre ethische Erkenntnis des Gesetzes. Es ist aber nicht ein autonomes Naturoder Sittengesetz, von dem der Apostel Rom. 2,14-15 spricht, sondern die Forderung des göttlichen Richters. Dies zeigt klar die eschatologische Zielsetzung des Textes in 2,15-16. Denn da ist von dem Tage die Rede, an welchem Gott das Verborgene der Herzen offenbaren wird, und von dem Widerstreit von Anklage und Entschuldigung angesichts des letzten Gerichtes. Das ungeschriebene Gewissens- oder Herzens-Gesetz steht also in einem eschatologischen Bezüge zu Gott dem Richter. Dieser Gedanke ist Paulus offenbar deswegen so wichtig, weil so die Heiden als unentschuldbar und verantwortlich dastehen, wenn sie die Forderung Gottes nicht erfüllen. Paulus wendet also den Gedanken des „von Natur" erfüllten und in die Herzen eingeschriebenen Gesetzes auf Gott den Schöpfer und den Richter hin; er hat ihn also in seine eschatologische Theologie eingebaut, so gewiß er nachgewiesenermaßen hier hellenistisch-stoische Begriffe aufnimmt und verwendet. Ein Purist war Paulus hinsichtlich seiner Ausdrucksweise durchaus nicht, hat er doch in den beiden Korintherbriefen auch gnostische Begriffe wie der „Vollkommene", der „seelische Mensch", aufgenommen. Aber Herz und Gewissen sind eben nicht die letzte Instanz, diese ist der göttliche Richter mit seinem zukünftigen Gericht. Die Heiden sind wie die Juden Gott verantwortlich und seinem Gericht unterworfen. Die Begriffe „Herz" (kardia) und „Gewissen" (syneidesis) bleiben vom Begriff des Glaubens, der durch die Gnade erweckt wird, klar geschieden. Paulus spricht in Rom. 2,15 von dem Gewissen der unbekehrten Heiden und ihrem Ethos. Ein christliches Naturrechts-Denken wird sich nur dann auf Paulus berufen können, wenn diese letztere Unterscheidung und die eschatologische Gesamtperspektive klar festgehalten werden. In den Zusammenhang des Weltbezuges der Kirche gehört auch die Einschärfung des Gebotes der Arbeit (l.Thess.4,llf.). Paulus wendet sich damit gegen unordentliche und faule Leute in der Gemeinde von Thessalonich. Vermutlich handelt es sich um Schwärmer, welche die Erwartung des nahen Endes auf diese Weise mißbrauchten. Aber für Paulus ist das alt-

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testamentliche Arbeitsgebot durch die eschatologische Hoffnung keineswegs aufgehoben. In 2.Thess.3,6ff. weist Paulus auch auf sein eigenes Beispiel hin: er arbeitet selbst und läßt sich nicht von anderen unterhalten. Man soll sich nicht auf die Unterstützung anderer verlassen, sondern sich durch der eigenen Hände Arbeit sein Brot verschaffen (l.Thess.4,llf.). Dies ist auch deswegen geboten, weil die Gemeinden vor den Draußenstehenden einen ordentlichen Wandel führen sollen. Nach Kol. 3,22 f. wird die Arbeit der Sklaven, die in Gehorsam zu verrichten ist, jetzt für Christus getan und nicht für Menschen. Hier haben wir den Ursprung eines der Antike und ihrer Verachtung der Arbeit ganz entgegengesetzten Ethos der Arbeit vor uns. Der Christ verachtet nicht wie der freie Bürger der Antike die körperliche Arbeit, um sie bloß Handwerkern und Sklaven zu überlassen. Später hat man aus der Mahnung des Paulus den Gedanken entwickelt, daß die Arbeit das vornehmste Mittel der christlichen Zucht und Erziehung sei (disciplina), und sie wurde mit den bürgerlichen Tugenden des Fleißes, der Sparsamkeit und der Genügsamkeit verbunden, so vor allem in der lutherischen und der puritanischen Ethik. Davon, daß die Arbeit bloß um des Erwerbes und Gewinnes willen geschehe, ist schon bei Paulus keine Rede. Natürlich kann man bei Paulus nicht von einer ausgeführten „Ethik der Arbeit" sprechen; ob er von Arbeit oder von der politischen Gewalt oder von der Ehe spricht, immer tut er es in konkreten Gemeinde-Situationen und angesichts bestimmter Vorfälle, die eine Weisung nötig machen. Insofern ist der Apostel „Situations-Ethiker", nur daß er nicht im entferntesten daran denkt, die Normen einer Situation zu unterwerfen. Eine systematische Ethik der Ehe und des Politischen darf man bei Paulus nicht erwarten. Die antike und spätantike Sozial- und Staatsphilosophie hat nicht auf ihn eingewirkt; erst später hat die geistige Begegnung der Kirche mit dieser stattgefunden. Paulus denkt ganz paränetisch und schreibt Weisungen für Gemeindeglieder auf Grund von Fragen aus der Gemeinde (l.Korintherbrief) oder auf Grund bestimmter Vorfälle in seinen Gemeinden. Auch die Haustafeln tragen ja keinen theoretischen Charakter, obwohl man mit Recht von ihnen sagen kann, daß ihre Weisungen grundsätzlich und allgemein in der Kirche gelten. Das Gebot, daß die Männer ihre Frauen lieben sollen, ist nicht auf eine Situation beschränkt, sondern gilt immer für eine jede Gemeinde, wo sie auch sei. Es ist ja eine Ausweitung und Anwendung des Gebotes der Liebe, des „Gesetzes Christi". b) Die politische

Gewalt

Auch Rom. 13,1-7, wo Paulus sich mit der Stellung der römischen Christen zu den Beamten und Behörden des damaligen Imperiums befaßt, trägt durchgehend paränetischen Charakter. Die neuere Exegese hat dies mit Recht festgestellt. Paulus setzt das Imperium als gegeben voraus. Seine Legitimität diskutiert er nicht, und es interessiert ihn nicht, wie der Kaiser

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in sein Amt und zu seiner Macht gekommen ist. Eine „Theologie des Staates" und Reflexionen über das „Wesen" des Staates finden wir bei Paulus nicht, vielmehr nur die Mahnung: ordnet euch dieser Herrschaft ein, denn Gott hat die vorhandenen politischen Gewalten eingesetzt; ihr habt sie als seine Diensdeute zu betrachten. Darum habt ihr auch der Ordnung gemäß euere Steuern zu bezahlen. Hierbei bedient sich Paulus ganz der damals gebräuchlichen, politischen und staatsrechtlichen Terminologie, so daß die Leser in Rom ihn sofort verstehen konnten. Es fällt auf, daß dieser Abschnitt in der Sprache einer allgemeinen Theologie des Gesetzes gehalten ist (M.Dibelius). Von einer sog. christologischen Begründung des Staates ist nicht das mindeste zu entdecken. Wohl aber ist erstens zu beachten, daß diese nüchtern-realistische Mahnung zur Unterstellung unter die politische Herrschaft sich im Kontext einer Auslegung des Liebesgebots (Rom. 12,13 ff.) vorfindet. Obwohl es „jedermann" (13,1) nötig hat, sich der Staatsgewalt zu unterstellen, Heiden wie Juden, so ist es doch für die Christen wichtig, diesen Akt als eine sinnvolle Folge der Liebe und der Demut aufzufassen. Denn es ist ja zweifellos kein Zufall, daß es gerade in diesem Zusammenhang heißt, die Liebe sei die Erfüllung der Gebote des Dekalogs (13,8-10). „Wer den anderen liebt, hat das Gesetz erfüllt" (13,8). Offenbar rechnet Paulus auch die Unterstellung der Christen unter die Staatsgewalt zu jenen Geboten, welche die Liebe erfüllt. Zweitens ist zu beachten, daß Rom. 13 schließt mit einem Ausblick auf das immer näherkommende, eschatologische Heil (13,11 ff.). Christen sollen darum die „Werke der Finsternis" abtun und die „Waffen des Lichtes" anlegen. Dies klar eschatologisch motivierte Gebot schließt für Paulus nicht die vorangegangene Mahnung zur Unterstellung unter die Staatsgewalt aus; zu den Werken der Finsternis gehört also dieser Akt keinesfalls und die politische Gewalt ebensowenig, obwohl es sich doch um eine heidnische „Obrigkeit" handelt, und damals kein einziger Christ in einem Regierungsamte saß. Man kann also auf bürgerlich-moralische Weise ein Gebot Gottes erfüllen. Wie aber begründet Paulus seine Mahnung? Er sieht die Beamten und Behörden als Amtsverwalter und Dienstleute Gottes an und folgt damit einer alten, jüdischen Tradition, die auch von der hellenistischen Synagoge der Diaspora übernommen worden war. Dementsprechend sagt der Apostel, die politischen Gewalten seien von Gott angeordnet (13,1-2), und dies ist nun freilich ein weittragender, theologischer Satz über den Staat. Man darf ihn nur nicht im Sinne des modernen und keineswegs paulinischen Begriffs der „Schöpfungsordnungen" mißverstehen. Vielmehr erscheint hier Gott als der universale Gesetzgeber im umfassenden Sinne des Wortes; denn „jedermann" auf der Welt hat sich der politischen Gewalt zu unterstellen. Aus dem menschlichen Willen oder der sozialen Natur des Menschen stammt der Staat jedenfalls nicht. Von der säkularen, naturrechtlichen Begründung des Staates ist nichts zu entdecken, obwohl schon die Antike längst vor Paulus solche Gedanken aus-

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gebildet hatte. Das ist eine bedeutsame Grenzziehung für alle christliche Ethik des Politischen bis heute. Nur wer hier eine Staatslehre sucht, kann sich darüber wundern, daß Paulus nicht über den Ursprung des Staates und das Zur-Macht-Kommen der gegenwärtigen Machthaber reflektiert. Für die konkrete Mahnung, die er im Sinne hatte, bedurfte er dessen ja gar nicht. Er konnte sich an der vorhandenen Gewalt (13,1) orientieren, das genügte für seinen Zweck. Wir sagten schon, Paulus philosophiere nicht über das Wesen des Staates. Statt dessen sagt er etwas sehr Wichtiges über den Auftrag und Zweck der politischen Gewalt: diese ist nämlich der Hüter des Rechtes und der Rechtsordnung. Sie straft den Rechtsbrecher, den, der das Böse tut; wer aber das Gute tut, braucht sie nicht zu fürchten (13,3-4). Gut und Böse sind hier Begriffe der allgemeinen, bürgerlichen Moral, so wie sie jedermann versteht; etwas anderes als das bürgerlich Gute kann der Staat ja gar nicht fordern. Ihm geht es um Rechtlichkeit, Aufrechterhalten der Ordnung und bürgerliches Wohlverhalten. Dies durchzusetzen ist der Zweck des Staates, und so spricht Paulus bürgerlich-moralisch über die Pflicht der Christen. Natürlich ist sein „Rechtsstaat" nicht die moderne Demokratie mit ihrem Schatz bürgerlicher Freiheitsrechte, doch das Recht des Römischen Imperiums dürfte er positiv bewertet haben. Mit Nachdruck wird in 13,4 die Strafgewalt des Staates hervorgehoben. Weil die politischen Machthaber von Gott eingesetzt sind, soll man um des Gewissens willen ihnen gegenüber seine Pflicht erfüllen, ζ. B. die Steuern korrekt bezahlen (13,5 ff.). Offenbar war diese Mahnung damals ebenso angebracht wie heute. Paulus stärkt die „Steuermoral". Man soll also nicht bloß aus Furcht vor Strafe gut handeln. Das Gewissen verbindet die Christen mit dem Staate, offenbar doch deswegen, weil es um Gottes Anordnung weiß. Wieder haben wir hier die allgemeine Theologie des Gesetzes vor uns. Insofern kann man den „primus seu politicus usus legis", d. h. das politische Amt des Gesetzes, wie die reformatorische Sprache sagt, mit Recht schon bei Paulus vorgebildet sehen. Natürlich findet der Staat mit der ganzen Welt sein Ende; ewig und göttlich ist er nicht. Von der religiösen Verklärung des Staates oder des Königtums wie in den altorientalischen Imperien oder im hellenistisch-römischen Herrscherkult sehen wir bei Paulus keine Spur; denn sie war durch die Art seines Gottesglaubens ebenso wie durch seine Eschatologie ausgeschlossen. Beide haben den Staat weltlich gemacht. Obwohl wir die konkrete Veranlassung zu dieser Mahnung des Apostels an die römischen Christen nicht kennen, so dürfte es doch kein Zufall sein, daß sie gerade im Briefe an die Römer auftaucht, die im Machtzentrum des Reiches saßen. Wir Heutigen müssen nach grauenvollen Erfahrungen viele Fragen stellen, die Paulus nicht kannte: nach dem Verhältnis von Macht und Moral, nach der Pervertierung der Macht und ihren Gründen, nach den Kontrollen der immer mehr wachsenden Staatsmacht und vieles andere. Daß Paulus politische Gewalttaten und Unrechttun der Machthaber nicht gekannt hätte,

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ist nicht anzunehmen; denn er spricht in Rom. 1 oder 8 mit großer Schärfe und Klarheit von den Sünden der Heiden oder von den dämonischen Mächten. Offenbar ändert dies jedoch für ihn nichts an der Anordnung der Staatsgewalt durch Gott, und er mag auch bestimmte Gründe gehabt haben, dies gerade den römischen Christen zu sagen. Die paränetische Absicht und Aufgabe des Apostels begrenzt das Feld seiner Gedanken; so spricht er nicht von der Pervertierung des Staates durch den Kaiserkult wie Offb.Joh. 13 dies tut; der Herrscherkult hat sich freilich auch erst in der Zeit nach Paulus voll entfaltet und durchgesetzt. Man muß also Offb. Joh. 13 hinzunehmen, um die ganze Spannweite der Aussagen des Neuen Testaments in dieser Sache zur Geltung zu bringen. Daß es Paulus, wo es nötig war, durchaus nicht an Distanz zum Staate fehlte, zeigt l.Kor. 6,1 ff. Dort untersagt er es den Christen in Korinth nachdrücklich, mit ihren Rechtsstreitigkeiten, die sie untereinander haben, zu den heidnischen Richtern zu laufen und so die Würde der Gemeinde ebenso zu mißachten wie das Gebot der Liebe. Paulus stellt hier keineswegs die staatliche Rechtshoheit in Frage. Er sagt aber, daß die Gemeinde mit solchen Rechtsstreitigkeiten selbst fertig werden muß; denn sie widersprechen der Heiligkeit der Gemeinde und dem Gebot der Liebe. Dadurch wird die Notwendigkeit der staatlichen Rechtssprechung nicht in Zweifel gezogen. Aber Paulus hat es ja nicht mit Rechtsstreitigkeiten zwischen Heiden, sondern allein mit solchen zwischen Christen zu tun. Diese widerstreiten dem Wesen der Bruderliebe und dem reinen Wandel, den die Christen führen sollen. Er sieht also in Korinth eine Situation gegeben, in der es für die Gemeinde heißt: tua res agitur, hier mußt du selbst handeln! Und demgemäß verfährt der Apostel in seiner Mahnrede. Der Staat und seine Rechtsprechung werden weder kritisiert noch auch eingeschränkt. Über Wesen und Grenzen des Rechts philosophiert Paulus hier sowenig wie in Rom. 13 über das Wesen des Staates. Kann man die Haltung des Paulus als „Loyalität" bezeichnen? Wenn man das Wort nicht im Sinne bloßer Anpassung oder im Sinne rationalen Kalküls versteht, sondern im Sinne der Begründung der Haltung des Christen in der Anordnung Gottes und um des Gewissens willen, dann mag der Ausdruck hingehen. Er ist freilich doch zu eng und zu flach, als daß er die Aussagen des Paulus decken könnte. l.Kor. 6,1 ff. zeigt auch, daß der Apostel nicht einfach ein realistischer Positivist gewesen ist, der sich anpaßt an alles, was gerade als status quo gegeben ist. Der Apostel kennt vielmehr den tiefen, eschatologisch heilsgeschichtlichen Unterschied zwischen Kirche und Staat, zwischen dem göttlichen Heil und dem irdischen Rechte. Die Grenzen zwischen ihnen hat er nicht verwischt, was für alle christliche Ethik vorbildlich bleibt. Aus dem Gesagten ergibt sich schließlich, daß man Paulus nicht überinterpretieren darf, indem man von ihm eine direkte Antwort auf unsere heutigen Probleme verlangt. Diese kann er nicht geben. Aber seine Sätze über die Anordnung Gottes und die Pflicht der Christen gegenüber dem

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Staat bleiben bestehen als Voraussetzung für notwendige, neue Entscheidungen und Begriffsbildungen der politischen Ethik heute. Der Unterschied zwischen Paulus und uns besteht vor allem darin, daß es damals keinerlei Möglichkeiten für eine verantwortliche, politische Aktivität und Mitarbeit der Christen im Staate gab; die damaligen Christen waren in das reine Untertanenverhältnis verwiesen. An diesem Punkte muß heute eine politische Ethik für Christen ganz anders aussehen als in der Urkirche, muß sie doch eine Lehre von den politischen Tugenden unter dem Gesichtspunkte verantwortlichen Mithandelns des Christen im Staat entwickeln. c) Die Ehe Für die Frage der Ehe sind wir in erster Linie auf l.Kor.7 angewiesen. Auch hier haben wir eine konkrete Paränese mit Antworten auf bestimmte Fragen vor uns und es mit Weisungen für bestimmte Gruppen in der Gemeinde zu tun. Offenbar befindet sich Paulus in einem Zweifrontenkampf gegen libertinistische wie gegen radikal-asketische Tendenzen; beide wurden durch die Gnosis hervorgerufen. Paulus folgt keiner dieser Parolen. Wir sahen schon, daß er den Verkehr mit der Dirne scharf als eine Zerstörung der Christusgemeinschaft ablehnt (l.Kor.6,12ff.); er begrenzt die Freiheit des Christen, die nicht dem Fleische Raum geben darf (Gal.5,13). Andererseits verwandelt Paulus die Gemeinde nicht in eine Sekte ehelos lebender Asketen. Dies ist um so bemerkenswerter, als er selbst ehelos lebt und auch den anderen Christen die Ehelosigkeit als das Bessere empfiehlt. Was hält ihn dann davon ab, der Gemeinde das allgemeine Gesetz der Geschlechtsaskese aufzuerlegen? Offenbar ist dies die im Alten Testament wurzelnde, jüdisch-urchristliche Tradition, welche die Ehe als eine gute Ordnung des Schöpfers ansieht, welcher Mann und Weib zur Gemeinschaft miteinander bestimmt hat; sie sollen „ein Fleisch" sein, wie die auch bei Mk. 10,1 ff.8 vorliegende Tradition es ausdrückt, die dort von Jesus zur Beantwortung der Ehescheidungsfrage benutzt wird. Auf dieser Tradition beruht auch l.Kor.7,lff.: um der Unzucht willen soll jeder Mann sein eigenes Weib haben, obwohl es nach der Auffassung des Paulus besser wäre, kein Weib zu berühren. Doch soll seine Empfehlung der Ehelosigkeit - die Gründe für diese werden wir sogleich noch kennenlernen - kein Gesetz für die Gemeinde bedeuten; Paulus lehnt es ab, den Korinthern eine Schlinge um den Hals zu legen (7,35). Die Ehe ist also nötig zur Abwehr der Unzucht; sie trägt also antidämonischen Charakter. Damit ist nicht gesagt, daß Paulus die Ehe lediglich als Geschlechtsgemeinschaft angesehen hätte. Er greift sehr viel tiefer. Keiner der Ehegatten ist mehr Herr über seinen eigenen Leib; denn jeder gehört dem anderen (7,4). Der Vollzug der ehelichen Gemeinschaft soll nicht unterbrochen werden, es sei denn um des Gebetes willen (7,5). Für künstliche, asketische Experimente innerhalb der Ehe hat Paulus nichts übrig. Auch ist sich der Apostel klar darüber, daß nicht jeder das Charisma der Ehe-

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losigkeit besitzt wie er selbst (7,7). Mit der synoptischen Tradition stimmt überein, daß Paulus sich ausdrücklich auf das Verbot der Ehescheidung durch den Herrn bezieht (7,10f.; vgl. Mk. 10,11 f.par.). Demnach kann von einer Abwertung der Ehe durch Paulus nicht die Rede sein. Wer heiratet, sündigt nicht (7,28); dieser Satz steht neben der wiederholten Empfehlung der Ehelosigkeit. Ihr Nebeneinander kennzeichnet die eigentümliche Haltung des Apostels in dieser Sache. Die Tradition bleibt gültig, doch gibt es über sie hinaus den Weg der Ehelosigkeit. Auf alle Fälle ist es besser zu heiraten, als von der Leidenschaft verzehrt zu werden (7,9). Von der Monogamie ist bei Paulus nicht direkt die Rede, vielmehr nimmt er die in der Gesellschaft seiner Zeit schon grundlegende Form der Einehe einfach an und setzt sie als selbstverständlich voraus. Die Ehe ist wie der Staat eine weltliche Ordnung und nicht eine sakrale Institution. Von dieser Einsicht ist dann später die Reformation ausgegangen. Man kann es jedoch nicht als ein zwingendes, göttliches Gebot bezeichnen, in die Ehe zu treten, wie einige lutherische Theologen gemeint haben. Davon ist Paulus jedenfalls weit entfernt. Eine Zwangsordnung ist die Ehe nicht. Auch die Ehelosen haben volles Recht in der Gemeinde für ihr Charisma. Eine religiös bevorzugte Klasse macht Paulus aus den ehelos Lebenden aber nicht. Sie sind also keine „perfecti" (Vollkommene) im Sinne des späteren Mönchtums. Auch Paulus kann zwar von den Vollkommenen sprechen, doch sind dies alle Christen, sofern sie den Geist Gottes haben und nach dem Geiste leben (l.Kor.2,6ff.; 3,Iff.). Welche Gründe bewegen nun Paulus dazu, den verschiedenen Gruppen wie den noch Unverheirateten und den Witwen, so dringend die Ehelosigkeit zu empfehlen? Der erste Grund ist der eschatologische: die Zeit ist nur noch kurz (7,29ff.). Der Apostel wünscht, die Korinther möchten sich angesichts des nahenden Endes keine Sorgen aufladen (7,32). Offenbar ist er der Meinung, daß die Ehe mit solchen verbunden ist. „Die Gestalt dieser Welt vergeht" (7,31), und darum ist es nicht gut, sich jetzt noch mit irdischen Lasten zu beladen. Hieran schließt sich sogleich das zweite, das christologische Argument. Der Verheiratete ist geteilten Herzens und sorgt um Dinge der Welt; denn Mann und Frau suchen einander zu gefallen (7,32ff.). Es kommt aber darauf an, sich um die Sache des Herrn zu sorgen und mit ungeteiltem Herzen allein dem Herrn zu dienen. Darauf ist der Sinn des Paulus gerichtet. Die Sorgen, welche die Ehe mit sich bringt, hat er mit nüchternem Blick erkannt. Die eschatologische Erwartung hat bei Paulus nicht schwärmerische, sondern realistische Folgen. Eine gnostische Begründung der Mahnung zur Ehelosigkeit würde gänzlich anders aussehen, sie würde den Leib und die Geschlechtlichkeit für dämonisch und böse erklären. Paulus sieht sich demnach vor neue Probleme gestellt, welche für die Verkündigung Jesu noch nicht vorlagen. Darum muß er sich auch auf seine

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eigene Autorität berufen. Absolut entschieden ist eine Frage wie die der Ehescheidung, wenn ein Wort des Herrn vorliegt (7,10). Die neuen Fragen aber: Ehe oder Ehelosigkeit, Verheiratung von Unverheirateten, Ehegatten in der Mischehe mit Heiden - sie müssen auf andere Weise entschieden werden. Darum beruft sich Paulus darauf, daß er den Geist Gottes habe (7,40). Er ist ein Mann, „der die Barmherzigkeit empfangen hat, vertrauenswürdig zu sein" (7,25). So hat sein Urteil den Charakter einer zwar relativen und zweitrangigen, doch pneumatischen Autorität. Für die Notwendigkeit neuer Autoritätsbildungen in der Urkirche nach Ostern ist diese Argumentation des Apostels sehr lehrreich; mit dem Zitieren von Jesusworten kam man in den paulinischen Gemeinden nicht mehr aus. Die Autorität, welche Paulus in Anspruch nimmt, greift nach l . K o r . 7 auch in das sittliche Leben der Gemeinden ein. Paulus hat ein Urteil, eine Meinung, aber keinen Befehl; das ist seine Begrenztheit. Er weiß seine Autorität von der des Herrn sehr wohl zu unterscheiden (7,10; vgl. 7,35). Paulus sagt übrigens nicht, daß bestehende Ehen wegen des nahen Endes aufgelöst werden dürften. Wohl aber rät er den Unverheirateten, in dieser Situation ehelos zu bleiben. Sogar die Mischehen zwischen Christen und Heiden - dies ist besonders bemerkenswert, weil es die Toleranz des Paulus zeigt! - sollen bestehenbleiben, falls nicht der heidnische Partner die Auflösung einer solchen Ehe wünscht (7,12ff.). Man mache sich die große Schwierigkeit der Frage für die damaligen Christen klar! Kann wirklich ein Gläubiger mit einem Ungläubigen zusammen in der Ehe leben? Heute gibt es viele, die eine Ehe zwischen katholischen und evangelischen Christen verhindern wollen, obwohl diese doch an denselben Herrn glauben. Das ganze Leben der Heiden war doch damals von kultischen Riten und religiösen Praktiken durchsetzt. Das wußte der Apostel; und doch tritt er für den Bestand der Mischehen ein. Die Kinder aus solchen Ehen gehören mit zur Gemeinde, sie sind geheiligt (7,14ff.). Offenbar kennt Paulus eine über den einzelnen Christen hinauswirkende, göttliche Gnade der Heiligung, und es besteht kein Anlaß, Paulus an diesem Punkte magische Vorstellungen zu unterschieben. Auf den Willen des heidnischen Ehepartners muß Rücksicht genommen werden; denn es gilt: „zum Frieden hat euch Gott berufen" (7,15). Eine dem anderen aufgezwungene Ehe ist daher abzulehnen. Paulus hat also die jüdisch-urchristliche Tradition relativiert durch seine Empfehlung der Ehelosigkeit, durch seinen eigenen, gleichfalls nur relativen Asketismus. Christus eröffnet den Weg in die Freiheit von irdischen Lebensformen; eine absolute Ordnung ist die Ehe sowenig wie der Staat. Von welcher asketischen Strömung seiner Zeit sich Paulus hat beeinflussen lassen, können wir nicht genau angeben. An die Gnosis ist dabei wohl kaum zu denken. Es ist auch mit der Möglichkeit zu rechnen, daß die eigene totale Hingabe an Christus Paulus auf den Weg der Askese geführt hat. Beachtenswert ist endlich ein allgemeiner, ethischer Grundsatz, den Paulus in das Ehekapitel eingefügt hat. Er lautet: „Wie der Herr es einem jedem zugeteilt hat, so soll er weiter leben" (7,17; vgl. 24). Wer als Unbeschnittener

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(Heide) berufen ist, soll sich nicht beschneiden lassen. Der Sklave soll Sklave bleiben, selbst dann, wenn er frei werden könnte (7,21). Denn er ist ja nun als Christ ein „Freigelassener des Herrn" (7,22). Offensichtlich ist es wieder die eschatologische Erwartung, welche den Apostel zu dieser Mahnung führt. Man muß also nicht seine sozialen Verhältnisse wegen der Berufung zum Glauben umstürzen. Die Berufung Gottes reißt den Menschen nicht aus seiner geschichtlich-sozialen Lage heraus. Es gibt also keine „christliche Revolution". Die Herrschaft Christi ist z.B. nicht identisch mit vollkommener, sozialer Gleichheit. So umschließt die gnadenhafte Berufung in der Einheit der Gemeinde die verschiedensten sozialen Positionen, Juden und Griechen, Freie und Sklaven. Es konnte nicht ausbleiben, daß diese Einheitsund Gemeinschaftsstruktur der Kirche später auch in die Gesellschaft hineinwirkte, und zwar im Sinne des Ausgleichs und des Friedens. Man sollte schon wegen der eschatologischen Begründung - die Auffassung des Paulus nicht mit dem modernen, sozialen und politischen Konservativismus zusammenwerfen; dieser hat ganz andere geistige Grundlagen. Hans von Campenhausen (Tradition und Leben, S.146) sagt, Paulus bringe die Tradition der radikalen, evangelischen Nachfolge (vgl. Lk. 14, 26 ff. par.) zur Geltung und gebe dieser eine asketische Deutung. Es ist Christusgehorsam in Gestalt des ehelosen Lebens. Wir sahen schon oben, daß die Gültigkeit der Ehe durch diese Deutung nicht verletzt wird; die Eheleute dürfen die Ehe weder auflösen noch in die Scheinform der Asketenehe (sog. geistliche Ehe) umwandeln. Wer in der Ehe lebt, der soll sie auch vollziehen. Die Sinndeutung und christologische Begründung der ehelichen Liebe in Eph.5,22ff. ist dagegen zweifellos nicht paulinisch, sondern stellt eine selbständige Fortentwicklung der Haustafel-Tradition dar. Die Empfehlung der Ehelosigkeit findet sich nach Paulus innerhalb des Neuen Testamentes nicht mehr, was wohl auf die Notwendigkeit der Abwehr der gnostischen Asketik zurückzuführen ist (vgl. unten den Abschnitt über die Pastoralbriefe im IV. Kapitel). Eine gewisse, begrenzte Parallele zu l.Kor.7 finden wir in l.Thess.4,3-4: Gottes Wille ist die Heiligung der Gemeinde; diese schließt die Unzucht aus, die triebhaften Leidenschaften, denen die Heiden verfallen sind. Jeder soll sein eigenes Weib erwerben (oder besitzen) in Heiligung und Ehrbarkeit. Diese Formel geht über l.Kor.7 sichtlich hinaus. Die Heiligung kann also auch in der Ehe statthaben; sie ist also nicht auf die asketische Lebensform begrenzt. Uns dünkt dies selbstverständlich, doch in den Tagen des Paulus lag Anlaß vor, es zu betonen. Die Heiligung wird also nicht durch den Geschlechtsverkehr als solchen ausgeschlossen, wie die asketische Gnosis meinte. Man könnte nun den folgenden Widerspruch bei Paulus entdecken: der Christ hat die Freiheit zu essen und zu trinken. Alle Dinge sind rein. Jeder ißt und trinkt seinem Herrn. Warum redet aber Paulus nicht auch in derselben Art von der Ehe? Warum hier der Rat zur Ehelosigkeit? Die Fragen

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der Ehe und der Unzucht werden in der Tat anders behandelt als die der Nahrungsaskese in l.Kor. 8 und 10 bzw. Rom. 14 und 15. Das ist auffallend. Sie liegen offenbar in einer anderen Dimension, und zwar deswegen, weil es sich hier um das Verhältnis von Menschen zueinander handelt. Es geht ja um das Einswerden von Mann und Weib, auch im Verkehr mit der Dirne (l.Kor.6,12ff.). Das hat ein ganz anderes Gewicht als das Verhältnis des Christen zu Speise und Trank. Die geschlechtliche Gemeinschaft mit der Dirne zerstört ja die Gemeinschaft mit dem Herrn. Das gilt von Essen und Trinken aber nicht. So hatte Paulus guten Grund, die Fragen der Ehe und Ehelosigkeit anders zu bewerten als die der Nahrung und des Essens von Götzenopferfleisch. Direkt reflektiert hat er diesen Unterschied in der Beurteilung selbst nicht, aber l.Kor.6,12fr. zeigt klar den entscheidenden Grund. Der Leib des Menschen ist mehr als der Bauch; denn er gehört dem Herrn und ist die Wohnstätte des heiligen Geistes. Die ganze alte Kirche ist von dem Problem der Askese aufs tiefste beeinflußt worden. Im Neuen Testament jedoch gibt es keinen absoluten, radikalen Asketismus, obwohl Johannes dem gnostischen Dualismus so nahekommt und das Hingegebensein an den Kosmos so scharf angreift. Selbst der „gebrochene" Asketismus, wie ihn Paulus vertritt, findet keine direkten Nachfolger. Der Weg führt vielmehr, wie die Pastoral- und Kirchenbriefe zeigen, in eine distanzierte und doch weltnahe christliche Bürgerlichkeit hinein. Doch darf das Gegengewicht, das der Gottesdienst, die Gegenwart der Erlösung von der Welt der Gemeinde gegen jede Art der Weltverfallenheit bot, nicht vergessen oder geringgeschätzt werden. Die eigenartige „Zwischenlösung", die Paulus in l.Kor. 7 vertreten hat, dürfte auf die Begegnung des Asketismus seiner Zeit (wie es ihn ja nicht nur in der hellenistischen Gnosis, sondern auch im dualistisch denkenden Judentum gab) mit der alttestamentlichen und jüdischen Tradition in ihm selbst zurückzuführen sein (vgl. l.Mose 1,27-28; 2,24; Mk. 10,1 ff. 6 - 8 par.), welche das forpaulinische Christentum bereits aufgenommen hatte. d) Die Stellung der Frau In den Briefen des Paulus kommen nur die Ehefrauen, die Witwen und die unverheirateten oder verlobten Mädchen als Empfängerinnen seiner Weisungen vor; die selbständige, berufstätige Frau und die berufstätige Ehefrau sind Erscheinungen der modernen Gesellschaft und haben neuartige ethische Probleme hervorgerufen. Zur Zeit des Paulus dagegen kamen die Frauen nur im Hause vor; allenfalls gab es einige besondere Frauenkulte wie ζ. B. den Isiskult. Emanzipationsneigungen konnten das Bild jener Gesellschaft nicht verändern, in der die Frau kultisch, rechtlich und sozial ein minderwertiges Wesen darstellte. Bei Paulus sieht dies doch ganz anders aus. Entscheidend ist die Aussage Gal.3,28: in Christus gibt es nicht mehr den Juden und Griechen, den Sklaven und den Freien, den Mann und das Weib, da sind sie alle einer in Christus (vgl. Kol. 3,11). Das ist nicht eine enthusiastische Auslöschung

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der sozialen und geschlechtlichen Unterschiede, sondern deren Aufnahme und Einordnung in die Christuseinheit und damit in die Kirche. Denn in Christus sein, heißt, in der Kirche sein. Dies bedeutet für die Frauen, daß sie an demselben Heil vollen Anteil haben wie die Männer, und daß sie Dienerinnen des gleichen Herrn sind wie die Männer; sie unterstehen beide dem Gebot der Liebe. Das ist die neue Gleichheit von Mann und Frau in Christus. So war die religiöse Minderwertigkeit der Frau beseitigt, wenn auch nicht die rechtliche und die soziale. Doch konnte später von dieser Gleichheit in Christus auch das Menschsein der Frau ganz neu in den Blick kommen. Wie schon die Haustafel Kol. 3,18 ff. uns zeigte: Mann und Frau haben jetzt beide einen neuen Herrn, Christus. Hierin sind neue Möglichkeiten beschlossen, auch wenn die neue Gleichheit zunächst nur eine „stille Revolution" bedeutete. Jedenfalls ist jetzt der Patriarchalismus, die reine, absolute Herrschaftsstellung des Mannes gebrochen; tyrannisches Verhalten seinerseits verstößt gegen das Gebot, daß die Männer ihre Frauen lieben sollen (Kol.3,19). In l.Kor. 11,1 ff. zeigt sich, daß Paulus wieder einer jüdischen Tradition folgt, welche die Verschleierung der Frau im Gottesdienst für schicklich erachtete. Paulus versucht dort, diese Sitte mit den verschiedensten Gründen zu stützen, ohne doch wirklich überzeugen zu können. So benutzt er eine hierarchische Stufenfolge: Gott - Christus - Mann - Frau, über deren geschichtliche Herkunft man sich nicht einig ist, um zu sagen, daß die Frau nur der „Abglanz" des Mannes sei. Der Mann ist das „Haupt" des Weibes (l.Kor. 11,3). Aber er kann auch auf die Natur (physis) verweisen (11,13), um die genannte, jüdische Sitte als angemessen zu begründen. Vielleicht will Paulus gnostische Emanzipationsbestrebungen damit abwehren. Auch die kirchliche Sitte wird zu demselben Zwecke angeführt (11,16). Andererseits setzt der Apostel 11,5 die Tatsache als gegeben voraus, daß in Korinth auch Frauen das prophetische Charisma haben und ausüben (vgl. die Töchter des Evangelisten Philippus Apg.21,9). Die Durchbrechung der kultischen Minderwertigkeit der Frau tritt hierdurch besonders klar ans Licht. 11,5 scheint jedoch in Widerspruch zu stehen zu l.Kor. 14,33-35, wo eine andere Folgerung aus der jüdischen Tradition gezogen wird, nämlich die, daß die Frau in den gottesdienstlichen Versammlungen zu schweigen habe. Verboten wird damit aber gar nicht das Prophezeien - wer könnte den heiligen Geist verhindern, durch eine Frau zu sprechen? - , sondern das Dazwischenfragen, wenn die Frauen Äußerungen von Pneumatikern nicht verstanden haben. Dann sollen sie zu Hause ihre Männer fragen, damit die Ordnung des Gottesdienstes nicht gestört werde. Wenn sogar Geistesredner sich in diese Ordnung fügen müssen (sie sollen nicht gleichzeitig sprechen), dann natürlich die Frauen erst recht. (Vgl. die Auslegung von H.-D. Wendland, NTD, Bd.7.) Die Position von Gal.3,28 und l.Kor. 11,11, wonach Mann und Frau eins sind in Christus, also auch die gleichen Geistesgaben empfangen können (vgl. l.Kor. 11,5), ist also in l.Kor. 14,33ff. nur scheinbar aufgegeben worden; in Wirklichkeit ist in 14,33 ff. ein ganz anderes 6

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Reden gemeint als das prophetische von 11,5. Paulus kehrt also nicht völlig wieder zu der jüdischen Tradition zurück, welche der Frau in der Synagoge einen untergeordneten Platz anwies. Auch im Fortgange der Argumentation in l.Kor. 11,3 ff. tritt auch deutlich eine Begrenzung der zunächst angeführten, hierarchischen Rangfolge hervor: zwar kommt die Frau vom Manne her und nicht umgekehrt - Paulus steht dabei die Schöpfungsgeschichte vor Augen doch beide sind aus Gott; das Weib ist nichts ohne den Mann noch der Mann ohne das Weib „in dem Herrn" (l.Kor. 11,11-12). Gott ist Schöpfer und Erlöser für beide. So wird die hierarchische Rangfolge von 11,3 zwar nicht aufgehoben, aber doch relativiert. Da der neue Kyrios, Christus, nun in seiner Gemeinde herrscht, muß die jüdische (bzw. gnostische?) Tradition der Abfolge von M a n n und Weib korrigiert werden, und dies kritische Prinzip „in dem Herrn" (11,11) entspricht genau Gal.3,28. Auch hinsichtlich der Frauen zieht Paulus in l.Kor. 7 den Stand der Ehelosigkeit vor (7,25ff.39f.). Innerhalb der Ehe kennt Paulus aber keine einseitige Abhängigkeit der Frau vom Mann mehr; denn er sagt ausdrücklich, daß die Ehegatten einander gehören (7,4). Der eine ist jeweils Herr über den Leib des anderen. Das ist eine Folge der Tatsache, daß auch Frauen zum Glauben berufen werden, die Taufe und den heiligen Geist empfangen. So kommt es denn auch, daß Frauen Mitarbeiterinnen des Apostels sind und ihm Dienste erweisen (vgl.Rom. 16,1 u.3; Apg. 18,1.18). So beginnt in der Gemeinde Christi die Befreiung der Frau aus ihrer kultischen und rechtlichen Minderwertigkeit und Abhängigkeit, die freilich erst sehr viel später zu ihrer selbständigen Mitarbeit in Gemeinde-Ämtern (Diakonisse, Gemeindehelferin) geführt hat. Zweifellos ist die Predigt Jesu vom Reiche Gottes einer der Faktoren, die - neben der Geistbegabung — die neue Stellung der Frau möglich gemacht haben. In der Jüngerschaft Jesu treffen wir schon Frauen an; Heilung und Sündenvergebung werden den Frauen ebenso zuteil wie den Männern. Paulus nennt Prisca in Rom. 16,3 seine Mitarbeiterin. Noch in der alten Kirche, bei den Kirchenvätern lassen sich die beiden Hauptlinien des Neuen Testaments verfolgen: erstens die Unterordnung der Frau unter den Mann in der Ehe, zweitens der volle Anteil der Frau am Heil, die Geistverleihung und ihr Hilfsdienst in der Gemeinde. Geschichtlich gesehen war offenbar die Tradition der Haustafeln von großer Wirkung, die wir in Kol. 3,18 fi. kennengelernt hatten. Auch hier werden die Ehefrauen angeredet; sie sollen ihren Männern Untertan sein. Doch haben jetzt Frauen und Männer ein und denselben neuen Herrn, Christus. Darum gebietet die Haustafel, daß die Ehemänner ihre Frauen lieben sollen. An diesem Punkte hat die christologische Weiterbildung dieser Tradition eingesetzt: die Haustafel Eph.5,22ff. macht klar, daß es sich hier um die Liebe Christi handelt, des Christus, der sich für seine Gemeinde dahingegeben hat (s.u. den Abschnitt über den Epheserbrief, IV.Kapitel). Wir machten schon oben darauf aufmerksam, daß die Haustafeln nicht von den

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Herrschaftsrechten des Mannes sprechen; sie werden zwar als gegeben vorausgesetzt, doch nicht eigens ethisch begründet. So trifft die Haustafel mit dem sonstigen Befund bei Paulus zusammen. Von Forderungen zur Reform der sozialen und rechtlichen Stellung der Frau ist freilich nirgends die Rede. Allein schon die eschatologische Naherwartung schloß solche Vorstellungen und Absichten aus, ebenso aber die soziale Struktur der damaligen Gesellschaft. e) Die Sklaven Von dem Gebot der Haustafel Kol. 3,18 ff., daß die Sklaven dem Herrn in jeder Hinsicht gehorchen sollen, war schon kurz die Rede. Dies soll nicht geschehen, um Menschen zu gefallen, sondern in Einfalt des Herzens und in der Furcht des Herrn (3,22). Die Sklavenbesitzer werden dabei Herren „dem Fleische nach" genannt, womit deutlich gesagt ist, daß der göttliche Herr über ihnen steht; darum sollen sie den Sklaven geben, was „recht und billig" ist (Kol. 4,1), womit wieder Begriffe der antiken Gesellschaftsmoral aufgenommen werden. Von der Gemeinde her gesehen und als Glieder der Gemeinde sind also die Sklaven nicht mehr rechtlos. Sowenig wie bei den Frauen ist bei den Sklaven von Befreiung oder Reform der Zustände, der Rechtslage die Rede. Man bedenke auch, daß die Sklavenarbeit die wirtschaftliche Grundlage der ganzen antiken Gesellschaft war. Erst unter Kaiser Konstantin I. sind die ersten Reformen der Sklavengesetzgebung in Gang gekommen. Auch der Philemonbrief, in dem es sich um das Schicksal des entlaufenen Sklaven Onesimus handelt, der von Paulus zum Glauben bekehrt worden ist, zeigt das gleiche Bild. Paulus bittet Philemon, den Herrn des Sklaven Onesimus, diesen nun als Bruder in Christus aufzunehmen (V. 14ff.). Dabei respektiert Paulus ausdrücklich die Herrenrechte des Philemon; denn obwohl er den Onesimus gern als Gehilfen bei sich behalten hätte, sendet er ihn doch zu seinem Herrn zurück; denn ohne die Einwilligung des Herrn will er es nicht tun (V. 12-14). Der Apostel spricht von dem Sklaven Onesimus liebevoll, obwohl dieser ein „Nichtsnutz" gewesen ist, wie Paulus selber sagt; dem Herrn, Philemon, gegenüber verhält er sich wie ein Bruder, der die Rechte des andern achtet und doch darauf dringen muß, daß der Sklave jetzt etwas anderes geworden ist, ein Glied der Gemeinde, ein Bruder in Christus. „Wie mich selbst" (V. 17) - sagt Paulus - soll Philemon den zu ihm zurückgesendeten Onesimus aufnehmen. Das ist die ehrliche Diplomatie der Liebe in ihrer gewinnendsten Form. Welch ein Ausgleich der ungeheueren, sozialen Gegensätze in der Gemeinde Christi! Schon dies ist eine soziale Tat ersten Ranges. Daß sie gelang, bleibt erstaunlich. Es dauerte nicht lange, da wurden Sklaven sogar Bischöfe, Gemeindevorsteher. In der Tat, über die „fleischlichen" Unterschiede hat sich die Urchristenheit in der Kraft der Liebe hinweggesetzt, ohne an Reformen in der Gesellschaft zu denken und denken zu können. 6*

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Galater3,28 schließt in die neue Einheit in Christus auch die Sklaven ein. So wird denn die Kirche Christi nur so lange „Gemeinde" im wahren Sinne des Wortes sein, als sie eine Gemeinde für die untersten Schichten der Gesellschaft ist und bleibt. Die Urkirche und mit ihr Paulus standen am rechten Orte: dort, wo die Armen und Elenden waren. So hat es Paulus selbst von der sozialen Zusammensetzung der korinthischen Gemeinde bezeugt: „Das, was nichts ist, hat Gott erwählt" (l.Kor. 1,26-28). Als eine Kirche der „kleinen Leute", der Hafenarbeiter, Handwerker und Sklaven, der sozial gering Geschätzten, hat die Urkirche ihren Weg begonnen. Eine segensreiche Fügung, - denn auf dem entgegengesetzten Wege wäre sie bald als eine philosophische Schule und Gebildeten-Sekte am Ende gewesen. Ein beachtenswerter Unterschied ergibt sich im Vergleich zu der Beurteilung der Ehe und der politischen Gewalt. Denn nirgends wird die Sklaverei als soziale Ordnung auf die Einsetzung und den Willen Gottes zurückgeführt. Es fehlt hinsichtlich der Sklaverei eine Parallele zu Rom. 13,1 ff. oder Mk. 10,1 ff. Der Aufbau der damaligen Gesellschaft, die Hierarchie von Freien und Sklaven, wird also nicht religiös legitimiert und begründet. Dies wurde späterhin als negative Voraussetzung für die Kirche bedeutsam, als sie sich genötigt sah, gegen den Sklavenhandel zu kämpfen und grundsätzlich für die Aufhebung der Sklaverei einzutreten. Die Sklaverei war ja nicht eine Anordnung und Einsetzung Gottes des Schöpfers, also auch keine absolute, sakrosankte Ordnung, die nicht hätte angetastet werden dürfen. Die Haltung des Paulus im Brief an Philemon gibt die Möglichkeit frei, in dem Sklaven als Bruder in Christus auch den Menschen im Sklaven neu zu entdecken. Denn auf dem Boden der Gemeinde Christi und in ihr hat er vollen Anteil an der Gnade Gottes und ist Bruder unter Brüdern. 6. Die Allgemeingültigkeit

der Gebote und ihr Verhältnis zum Geist

Wir wollen hier von jener Allgemeingültigkeit ausgehen, welche die Forderungen des Paulus für ihn selbst und seine Gemeinden besaßen, also nicht von der Frage, ob sie auch für heute gültig seien. Diese Frage hätte eine systematische Ethik für die Christen von heute zu beantworten. Zweifellos gibt es eine Art von Weisungen, die historisch mit der betreffenden Situation vergangen sind. Mit dem Essen des „Götzenopferfleisches" haben wir es in anderen Gemeinden nicht mehr zu tun und mit den Frauen, die in Korinth durch ihr Dazwischenreden den Gottesdienst störten, auch nicht mehr. Es kann auch zu Lebzeiten des Paulus Gemeinden gegeben haben, die gerade dieser Mahnungen nicht bedurften. Die Weisung 1.Kor.5,lff., den groben Unzuchtssünder sofort aus der Gemeinde zu entfernen, betraf selbstverständlich nur diesen einen Fall in Korinth; das gleiche gilt auch von dem Ungehorsam der Korinther gegen Paulus, mit dem er im 2. Korintherbrief schwer zu kämpfen hat. Nicht alle Gemeinden waren von der Gnosis bedroht, nicht alle verfielen in Ungehorsam gegen den Apostel. So gibt es eine Menge historisch eng begrenzter Mahnungen, die schon zu Lebzeiten des Paulus gar keine Allgemeingültigkeit haben konnten.

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Anderes wieder ist durch seinen Inhalt begrenzt. Dies gilt z.B. von der Empfehlung der Ehelosigkeit l.Kor.7: sie soll ja der Gemeinde kein Gesetz auferlegen; sie setzt sogar noch 7,7 ein besonderes Charisma voraus. Hier kann also von Allgemeingültigkeit gar keine Rede sein. Denken wir jedoch noch einmal an l.Kor. 8 und 10 zurück. Die Frage, ob man den heidnischen Göttern geweihtes Fleisch essen durfte, ist vielleicht nicht überall so brennend gewesen wie in Korinth. Was aber Paulus über den Geist und die Freiheit in ihrem Verhältnis zur Liebe und über die notwendige Rücksichtnahme auf die schwachen Brüder sagt, das ist grundsätzlich für alle Gemeinden gültig und auch auf andere Situationen als jene anwendbar, die damals in Korinth vorlag. Entsprechendes gilt auch von l.Kor. 6,1 ff. Nicht alle Christen werden mit Rechtsstreitigkeiten vor die heidnischen Richter gegangen sein; aber für alle Gemeinden ist gültig, daß der Charakter der Gemeinde als Bruderschaft ein bestimmtes Verhalten fordert, und daß Christen imstande sein sollen, Unrecht zu leiden. Dasselbe gilt von Rom. 12,13 ff., daß wir nicht Böses mit Bösem vergelten, oder daß wir die segnen sollen, die uns verfolgen. Das ist das Gebot Jesu. Damit sind wir bei dem Gebot, das an allen Orten und zu allen Zeiten die höchste Norm ist, bei dem Gebot der Liebe; ihm kommt allgemeine und uneingeschränkte Gültigkeit zu. Natürlich muß es ständig von neuem konkretisiert werden, wie Paulus dies in Rom. 14 und 15, in l.Kor. 6,8.10 oder in Gal.5,22 tut; das gleiche gilt von Rom. 12,13 ff. einschließlich Rom. 13. Man sieht schon bei Paulus: jede neue geschichtliche Situation erfordert eine neue Anwendung und Konkretisierung. Es gibt natürlich noch andere Gebote, die Gültigkeit in allen Gemeinden beanspruchen, so das Gebot: „fliehet die Unzucht" (l.Kor. 6,12ff.), so die Mahnung: „gestaltet euch nicht dieser Weltzeit gleich" (Rom. 12,2). Dies konnte Paulus ebensogut an alle anderen Gemeinden schreiben, nicht nur an die Römer und Korinther. Von der Forderung, daß die Christen als die Getauften ihre Glieder in den Dienst der göttlichen Gerechtigkeit stellen sollen (Rom. 6,11 ff.), gilt genau das gleiche. Die Forderung der Heiligung geht nicht nur die Thessalonich er an (l.Thess.4,3), sondern alle Christen und Gemeinden; sie ist allgemeingültig. Wenn Paulus l.Kor.4,17 von seinen „Wegen" spricht, d.h. von den ethischen Geboten, die er in allen Gemeinden lehrt, so hat der Apostel damit selbst die allgemeine kirchliche Verbindlichkeit seiner Weisungen hervorgehoben. Da er sich zuvor als den geistlichen Vater der Gemeinde zu Korinth bezeichnet hat (l.Kor.4,14f.), so ist es klar, daß seine Paränese auf seiner apostolischen Autorität beruht und durch eben diese verbindlich gemacht wird, was in anderen Gemeinden von anderen Aposteln ebenso gelten dürfte. Demnach handelt es sich nicht um eine aus der Vernunft des Menschen stammende Ethik wie jene der griechisch-hellenistischen Philosophie, sondern um die Ethik, die aus dem Christus-Heilsgeschehen entspringt (s. o. Abschnitt 1), und diese wird konkret in der Verkündigung und Lehre des Apostels, der für den Bau der Gemeinden verantwortlich ist.

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Damit ist nicht aus-, sondern eingeschlossen, daß die Christen sich diese Weisungen mit vernünftigem Urteil zu eigen machen sollen und können. Was der Wille Gottes sei, sollen sie selbst prüfen (Rom. 12,2). Sie können selbst ihre Lage denkend beurteilen, daß sie jetzt nämlich - durch die Taufe „lebendig sind für Gott" (Rom. 6,11) und sich ihm daher zum Dienst zur Verfügung stellen können (Rom. 6,12ff.). Es handelt sich also nicht etwa um eine heteronome (fremdgesetzliche) Autorität, freilich auch nicht um die autonome, wie in der philosophischen Ethik der Neuzeit, sondern um die „christonome" des Apostelamtes, und diese ist die kirchenbildende und -leitende Autorität. Ihre Weisungen umgreifen die gesamte christliche Existenz, also auch das Ethos, das die Lebensführung regelt. Damit ist wieder unter Beweis gestellt, daß es sich bei Paulus um die Ethik der Gemeinde handelt (vgl. Abschnitt 4). Hans von Campenhausen hat darauf hingewiesen, daß einige Weisungen des Neuen Testaments universalen Charakter trügen. Man wird dies vor allem von Rom. 13,1 ff. sagen dürfen: „jedermann" soll sich der politischen Gewalt unterstellen, ob Heide, Jude oder Christ - dies gilt allen. Es gibt also ganz allgemeine Forderungen, die von der Ethik der Gemeinde übernommen werden. Auch die Warnung vor der Unzucht trägt nicht einen spezifisch christlichen Charakter; sie ist auch dem Judentum geläufig. Später konnte sich der umgekehrte Prozeß vollziehen, daß nämlich christliche Forderungen einen allgemein-menschlichen Charakter annahmen, als Kirche und Gesellschaft sich verschmolzen und große Massen in die Kirche strömten. Dann traten auch manche früheren, situations-gebundenen Regeln außer Kraft, so ζ. B. die Anordnung des Paulus hinsichtlich der Mischehen (l.Kor.7,12ff.), da diese allmählich seltener wurden, bis schließlich die Taufe den Charakter einer allgemeinen, gesellschaftlichen Sitte annahm. Ebenso verlor das Problem des „Götzenopferfleisches" seine Aktualität u.a.m. Gültig blieb dagegen das Haustafel-Ethos; denn Ehegatten, Eltern, Kinder und Sklaven gab es noch immer; übrigens konnten diese Weisungen auch sehr leicht auf die soziale Struktur der mittelalterlichen Gesellschaft übertragen werden. - Da der Geist nicht einer religiösen Aristokratie zugeschrieben wird, vielmehr alle Christen ihn durch die Taufe empfingen, so bleiben auch die Mahnungen, „im" oder „nach" dem Geiste zu wandeln (Gal.5,25; Rom. 8,4) für alle Christen verbindlich und in Kraft. So wird denn, um das Gesagte mit einer allgemeinen Bemerkung abzurunden, deutlich, daß der moderne, immer höchst fragwürdige Gegensatz von „Normen-Ethik" und „Situations-Ethik" auf Paulus überhaupt nicht angewendet werden kann. Die Situation gibt keine Norm her, aber die Normen der paulinischen Ethik sind immer situationsbezogen und situationsgerecht. Mag das Liebesgebot auch über allen Geboten stehen und ganz allgemeinverbindlich sein, so gibt es doch in schöpferischer Verwandlung immer neue, konkrete Anwendungs-Normen aus sich heraus; es vervielfältigt sich sozusagen. Es geht um Normen für konkrete Situationen in den Gemeinden.

Paulus. Das Christus-Heilsgeschehen als Grund und Ziel der Ethik

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Man könnte nun freilich, wenn man den stark pneumatischen Charakter des paulinischen Christentums ins Auge faßt, auf den Gedanken kommen, der Rekurs auf den Geist Gottes bzw. Christi genüge allein zur Begründung der Ethik; man könnte versuchen, dies mit l.Kor. 8 und 10 und mit Gal. 5,16 ff. zu beweisen. Jedoch haben wir an der Fülle der Einzelgebote gesehen, daß Paulus eben nicht nur auf den Geist zurückgeht, sondern auch auf Normen wie den Dekalog, das Liebesgebot und seine Konkretionen, kurz gesagt, auf den "Willen Gottes, nach dem zu fragen Paulus die Gemeinden anleitet. Eine Alternative: Gebot oder Geist — gibt es bei Paulus nicht. Der Geist ist eins mit dem Willen Gottes und macht diesen offenbar. Sofern der Geist den Christen verliehen ist, schenkt er diesen das Verstehen und die Aneignung des göttlichen Willens. Geist ohne Gebot mußte geradezu zur moralischen Anarchie führen, wie das Beispiel der Gnostiker erkennen läßt, denen „alles erlaubt" zu sein dünkt. Gebot ohne Geist dagegen müßte zum Rückfall in die jüdische Ethik führen; ohne den Geist gäbe es nur wieder die moralische Anstrengung der Gesetzes-Werke. Die Einheit von Gebot und Geist ist bei Paulus z.B. durch das Miteinander von l.Kor.7,19 und Gal. 5,25 gekennzeichnet; diese beiden Aussagen stehen keineswegs im Widerspruch zueinander, so traditionell die erste Formel auch gefaßt zu sein scheint. Der Geist ist der Inbegriff des neuen Lebens und so auch aller Gebote; dieser Geist spricht durch Gebote, zumal er ja mit der Liebe gefüllt ist, und die Christen bedürfen des Leitseils der Gebote, solange sie noch im Fleische sind, solange also auch das neue Leben immer neu gewagt, angeeignet und in Taten umgesetzt werden muß (vgl. z.B. l.Kor.3,1 ff.). Geist ist für Paulus wesentlich Grundkraft und Grundprinzip des neuen Lebens und Wandels, und diese Begründung des Ethos auf das Pneuma ist spezifisch paulinisch (Wolfgang Schräge). Um so weniger kommt dann aber die Aufstellung eines Gegensatzes von Gebot und Geist in Frage; im Gegenteil: der Wandel im Geiste erfüllt ja gerade die „Rechtsforderung" Gottes (Rom. 8,4). So gewiß der Geistbegriff des Paulus die ekstatischen „transmoralischen" Phänomene mit umschließt, sowenig hat Paulus einen rein mirakulösen Geistbegriff. Er vertritt vielmehr eine ethische Pneumatologie. Mit der Liebe verhält es sich ähnlich: auch sie ist einerseits Gnade, göttliche Gabe (Rom. 5,5; Gal. 5,22), ist andererseits aber auch das Gebot, (l.Kor. 14,1; 16,14; Gal.5,13), das von den Christen verwirklicht werden muß. Wie die Formel „nach dem Geiste wandeln" uns schon zeigte, ist hier der Geist selbst zugleich Norm, sowie er andererseits Gnade und Geschenk Gottes an die Gläubigen ist (Rom. 5,5). Der Imperativ des Geistes ist ein Imperativ der Gnade. In ausschließendem Gegensatz zueinander stehen dagegen Gesetz und Geist. Wo das Gesetz abgetan ist (Rom. 7,7 ff. 24; 8,Iff.; 10,4), wo die eschatologische Christus-Freiheit herrscht, da ist auch der Geist, durch den die Liebe Gottes ausgegossen wird in unsere Herzen (Rom. 5,5). Was der Mensch unter dem Gesetz nicht kann, das bringt der Geist zustande, den neuen Gehorsam, das Tun der Liebe, die Erfüllung der Gebote. Geist ist

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das im eschatologischen Sinne „neue" Leben, welches das Gesetz zu schaffen total ohnmächtig ist (vgl. Rom.7 und dagegen 8,1 ff.). Dem Gegensatz Gesetz-Gnade entspricht genau der Gegensatz Gesetz-Geist. Gegen die Geistesmenschen und die „Frucht des Geistes" ist das Gesetz nicht, heißt es Gal.5,23 ausdrücklich; denn da ist ja das Gebot erfüllt und das Gesetz hat hier nichts zu verurteilen und aufzudecken: es ist funktionslos geworden. Hat Paulus nun, wenn er vom Geist und den Geboten spricht, auch die Frage der Erfüllbarkeit des Gebotes aufgeworfen? Direkte Aussagen hierüber finden sich nicht, aber aus der ganzen Gedankenführung des Apostels ergibt sich vollkommen klar: das Gebot ist erfüllbar. Die seit der Reformation viel verhandelte Problematik der Erfüllbarkeit gibt es für Paulus nicht. Und zwar deswegen nicht, weil er an die Macht des Geistes und des neuen Lebens glaubt. Das Gesetz, das dem Sünder richtend gegenübersteht, ist allerdings unerfüllbar. Aber der Getaufte, der Mensch in Christus, der Geistesmensch kann das Gebot Gottes erfüllen; er kann lieben (vgl. Rom.8,4). Rom.6,11 ff. oder Gal.5,13ff. oder die Forderungen des Paulus im l.Korintherbrief (z.B. 6,lff.l2ff.) lassen überhaupt keinen Zweifel daran aufkommen, daß der Christ diese Gebote erfüllen kann; denn er existiert ja „im Gesetze Christi", wie Paulus von sich selber sagt (l.Kor.9,21); im neuen Leben gibt es die Klufl zwischen Sünde und Gesetz nicht mehr. Christus hat diese Kluft geschlossen, und auf Grund dieser neuen Situation lebt nun der Christ. Andererseits bedarf er in diesem Aion noch immer der zurechthelfenden und stützenden Imperative der Gnade, der pneumatischen Weisungen; diese tragen aber nicht den Charakter des Gesetzes, da sie den Vollzug der Rechtfertigung und Versöhnung durch Christus voraussetzen. Von dieser her gibt es die drohende Last des Unerfüllbaren nicht mehr. Insofern ist die Ethik des Paulus auch keine reine Sollensethik, sondern eine Ethik des Könnens, die das Sollen mit dem Können unter der Voraussetzung des Geistes und des neuen Lebens verbindet. Hier heißt es nicht: „du kannst, denn du sollst", sondern hier heißt es: du kannst, weil du das neue Leben empfangen hast. Das ist nun nicht ein in der moralischen Natur des Menschen begründetes - diese endet vielmehr bei der Unerfüllbarkeit des Gesetzes - , sondern ein eschatologisches und pneumatisches Können der Getauften. Die Ethik des Paulus ist also weder naturalistisch (Können von Natur) noch rigoristisch (Können vom Gesetz her). So lange es überhaupt christliche Ethik gibt, die diesen Namen verdient, werden wir auf dem Denkwege des Paulus bleiben müssen; wir können weder Kantianer noch Naturalisten sein. Daß diese neue, eschatologische Situation, von der aus Paulus denkt, schon in der Bergpredigt anhebt (vgl. die Seligpreisungen) wie überhaupt in der ethischen Verkündigung Jesu, haben wir schon früher gesehen. Das verbindet Paulus und Jesus, ohne daß hierdurch die Bedeutung des Osterereignisses geschmälert werden dürfte.

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Die deuteropaulinischen Schriften IV.

KAPITEL

Die deuteropaulinischen Schriften In den meisten Darstellungen der Theologie des Neuen Testaments aus protestantischer Feder - von Adolf Schlatter abgesehen - steht Paulus eindeutig als beherrschende Figur im Vordergrund. Diese Tradition ist von den Reformatoren begründet worden; sie wird jedoch dadurch nicht besser, daß sie so große Urheber hat. Diese Einseitigkeit der Darstellung muß korrigiert werden. Dies ist gerade in einer Darlegung der Ethik des Neuen Testaments notwendig. Die Pastoralbriefe oder der Jakobusbrief sind nicht aus einem „Sündenfall" des Christentums hervorgegangen, so gewiß theologische Rangunterschiede zwischen ihnen und Paulus festzustellen sind. Das theologische Niveau des Paulus hat neben den völlig andersartigen Konzeptionen des Johannes allein der Epheserbrief festgehalten. Großenteils haben es die Dokumente, denen wir uns jetzt zuwenden, mit anderen, geschichtlichen Situationen und Aufgaben zu tun als Paulus. Das als nahe erwartete Ende verzögert sich, und das längere Leben der Kirche in der Welt bringt naturgemäß ständig neue Fragestellungen hervor. Die Ordnung der Kirche muß befestigt und ausgebaut werden. Die zweite und dritte Generation der Christen meldet sich zu Wort. Jetzt erlangt die apostolische Tradition eine hohe Bedeutung; der Gesichtspunkt der Bewahrung dieser Tradition tritt immer stärker hervor. So zeigen sich Bilder, die wir von Paulus her nicht kennen. Paulus ist aber nicht der einzige Apostel und Theologe der Urchristenheit gewesen. Es muß also auch das ethische Denken nach bzw. neben Paulus zu seinem Rechte kommen. Man kann nicht alle Probleme allein von Paulus her bewältigen oder sie auf paulinische Formeln bringen. Es geht nicht an, das Nicht-Paulinische für minderwertig oder theologisch unmöglich zu erklären. Ein solcher Versuch muß schon an Johannes scheitern. Diese Einsicht braucht uns nicht daran zu hindern, die doppelte Gefahr der Rejudaisierung und der Hellenisierung (Gnosis, Sakramentalismus) zu erkennen, von der die junge Kirche bedroht war. Wir werden die folgenden, kritischen Fragen aufzu werfen haben: 1. Wie steht es mit dem Verhältnis von Heilsgeschehen wird über die guten Werke gesagt?

und Ethik? Was

2. Wie werden nach Paulus die weltlichen Sozialordnungen beurteilt? 3. Wie steht man jetzt zur Askese? Wird die Haltung von l.Kor.7 fortgeführt oder aufgegeben? 4. Es muß gefragt werden, wie es sich mit den Ansätzen zur christlichen Bürgerlichkeit verhält, die wir bei Paulus fanden. Werden sie fortgebildet? Hierbei können wir den einseitig auf bestimmte Formeln der Rechtfertigungslehre gestützten protestantischen Paulinismus des 16. oder des 20. Jahrhunderts nicht als kritischen Maßstab benutzen; denn dieser Paulinis-

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mus beruht auf einer fragwürdigen, dogmatischen Auswahl paulinischer Lehren und gibt nicht den ganzen geschichtlichen Paulus wieder. So ist ζ. B. die Ethik des Paulus in diesem protestantischen Paulinismus nie zu ihrem Rechte gekommen, was u. a. mit einer einseitigen Interpretation der Rechtfertigungs- und Gesetzes-Lehre des Paulus zusammenhängt. Wegen der großen Verschiedenartigkeit der Texte ist eine allgemeine Charakteristik der deuteropaulinischen Schriften nicht möglich. Auch in ihrem Verhältnis zur Theologie des Paulus weichen sie stark voneinander ab. Dies wirkt auch auf die Ethik ein. 1. Der

Epheserbrief

Das Ethos in der Einheit des Leibes Christi An den Anfang stellen wir den Epheserbrief, weil er Paulus bei weitem am nächsten steht und die theologische Höhenlage der genuinen Paulusbriefe festgehalten hat. Der ganze zweite Teil des Briefes ist ethisch-paränetischen Inhalts. „4,1-6,2 kann man geradezu eine ,Grundlegung der Ethik' nennen. Diese wird entwickelt aus der Ekklesiologie, die ihrerseits aus der Christologie entwickelt ist. Der Schnittpunkt liegt in der Vorstellung vom söma (Leib)" (W. Marxsen). Auch die „außerordentliche innere Geschlossenheit" dieses Briefes hat Willi Marxsen mit Recht hervorgehoben. Wir können seine Sätze als Leitfaden benutzen. a) Zunächst tritt uns die Tatsache der überaus reichen Motivation der Ethik entgegen, die uns unmittelbar an Paulus erinnert. In dem Verfasser des Epheserbriefes hat Paulus einen kongenialen „Schüler" gefunden. Die Paränese des Epheserbriefes wird eröffnet durch die heilsgeschichtliche Darstellung des großen Einschnittes, den die Heilssendung Christi hervorgebracht hat. Damit ist die ganze Weltzeit in zwei Teile zerlegt, das „Einst" und das „Jetzt" (4,17ff.). Einstmals sind die Angeredten als Heiden in der Nichtigkeit ihres Sinnes gewandelt. Das kommt jetzt, da sie Christen sind, nicht mehr in Frage. Denn jetzt ist mit Christus die entscheidende Weltenwende eingetreten. Dementsprechend haben die Christen jetzt zu handeln. Jetzt gilt die Grundforderung: legt den „alten" Menschen ab und zieht den „neuen" an (4,22ff.), „der nach Gottes Ebenbild geschaffen ist in wahrhafter Gerechtigkeit und Reinheit" (4,24). Dies ist ein eschatologischer Gegensatz, und mit ihm tritt die Grundstruktur des paulinischen Denkens wieder klar hervor, einschließlich der eigentümlichen Einheit von Imperativ und Indikativ: man soll das tun, was Christus getan, was Gott geschaffen hat. In dem Bilde vom Kleiderwechsel ist diese Einheit dargestellt, man zieht den sozusagen bereitliegenden „neuen Menschen" an (vgl. dasselbe Bild Gal.3,27; Rom. 13,14). In Kol.3,9ff. kann Paulus es als vollzogen ansehen: ihr habt den alten Menschen aus- und den neuen Menschen angezogen; die Aussage kann also sowohl die Form des Heils-Indikativs als auch die Form des ethischen Imperativs annehmen; in Kol.3,5 ff. geht der Imperativ der

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Aussage von 3,9 vorher. Die neue, eschatologische Existenz ist auch im Epheserbrief die Grundlage für den Wandel des Christen in Reinheit, Wahrheit und Gerechtigkeit. Man muß die neue Existenz im eigenen Handeln realisieren. Die Erneuerung kann nur durch den heiligen Geist geschehen; deshalb kann der Imperativ in 4,30 auch die folgende Form annehmen: „betrübt nicht den heiligen Geist Gottes, indem ihr versiegelt seid auf den Tag der Erlösung." Auch die pneumatologische Begründung der Ermahnung ist also dem Verfasser vertraut. Man könnte entsprechend der ChristusAnamnese von einer Pneuma-Anamnese sprechen. Der tragende Gegensatz „Einst - Jetzt" kann in 5,8 auch so ausgesprochen werden: „Ihr wäret einst Finsternis, jetzt seid ihr Licht in dem Herrn." Das ist der Gegensatz der beiden Aionen, die sich ausschließen. Christen können nicht mehr Finsternis sein. Das sind Seins-Aussagen, doch nicht im Sinne des gnostischen Dualismus; denn sie gelten von Christus her. Darauf folgt sogleich der Imperativ: „Wandelt als Kinder des Lichtes - die Frucht des Lichtes (erweist sich) in lauter Gütigkeit und Gerechtigkeit und Wahrheit" (5,8-9). Dies entspricht der paulinischen Aussage über die Frucht des Geistes in Gal. 5,22. Wieder treffen wir auf die Ethik des pneumatischen Könnens wie bei Paulus. „Wahrheit" ist hier im Sinne des jüdischen Sprachgebrauchs zu verstehen, d.h. als etwas, was der Gerechte tut (vgl. Joh.3,21). Der Wandel im Licht macht es möglich, daß die Epheser prüfen und entscheiden können, was Gott wohlgefällig ist (5,10). Auch hier ist die Person des Christen, sein Denken und Handeln nicht aus-, sondern eingeschaltet und in Anspruch genommen. Er ist sozusagen das zweite Subjekt des ethischen Handelns. Nun gewinnt der Imperativ von 5,8 aber noch eine prägnantere Form dadurch, daß der Verfasser einen alten Taufhymnus zitiert (5,14): „Stehe auf von den Toten, so wird dich Christus erleuchten!" Dies ist eine wahrhaft erstaunliche Umkehrung der Folge, die wir bisher kennengelernt haben. Denn hier ist doch klar das Tun des Christen als die Voraussetzung für das nachfolgende Handeln Christi bezeichnet. Also ein Rückfall in jüdisches oder griechisches Denken? Der Kontext schließt jedoch diese Annahme aus. Der Täufling handelt auch selbst bei der Taufe; es wird nicht nur an ihm gehandelt; denn die Taufe ist kein Naturereignis und kein magischer Zwang, den der Mensch bloß zu erleiden hätte. Die Wendung vom Tode zum Leben oder von der Finsternis zum Licht muß auch die Tat des Täuflings sein. Der offenbar uralte Zusammenhang von Taufe und Paränese hat hier eine klassische, scharf zugespitzte Form gefunden, und der Verfasser, der alles von dem in Christus beschlossenen Mysterium des Heils erwartet (vgl. 1,3 ff.; 2,1 ff.), trägt kein Bedenken, diese Tauf-Paränese zu zitieren! Offenbar empfindet er gar keinen Gegensatz zur Gnadenlehre, wie ihn spätere Geschlechter empfunden haben. In dem Anruf liegt nämlich zugleich die Ermächtigung, so zu handeln, d. h. vom Sündenschlafe zu erwachen, vom Tode aufzustehen, das Leben zu wählen und zu ergreifen, um in einem anderen Bilde zu sprechen.

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Der Kontext, von dem wir sprachen, weist in 4,32 und 5,2 die cbristologische Begründung der Ethik auf: „wandelt in der Liebe, wie auch Christus euch geliebt hat" (5,2); „vergebet einer dem anderen, wie auch Gott euch in Christus vergeben hat" (4,32). Das ist gleichsam der Kontrapunkt zu 5,14. Gehen wir von 4,32 und 5,2 aus, so ist die Liebe Christi die Basis für den Appell von 5,14. Aber wir sind uns klar darüber, daß der Verfasser selbst diese Reflexion vermutlich gar nicht angestellt hat. Moralisch-perfektionistisch ist jedenfalls der Ruf des Taufhymnus nicht zu verstehen; dies wird durch die ganze Theologie des Epheserbriefes ausgeschlossen. In 5,15 und 6,12 wird von dem eschatologischen Kampf char akter der Situation der Gemeinde gesprochen. Darum sollen die Christen „stark im Herrn" werden (6,10) und die „Waffenrüstung Gottes" anlegen, die für sie bereit ist. Sie wird im einzelnen in 6,13 ff. beschrieben (die historische Herkunft des Bildmaterials kann hier nicht erörtert werden; vgl. die Kommentare) . Wieder sind das Handeln Gottes und das Tun der Gemeinde zu einer unlöslichen Einheit verbunden. Das Handeln Gottes ist das vorgängige und grundlegende. Die Waffen Gottes dienen dazu, daß die Gemeinde in den „bösen Tagen" Widerstand zu leisten und das Feld zu behaupten hat, hat sie doch nicht mit Fleisch und Blut, sondern mit dämonischen Mächten zu kämpfen (6,11 u. 16). Diesen Kampf kann die Gemeinde bestehen, aber für Optimismus und Perfektionismus ist hier kein Raum. Die Welt ist also nicht das plastische und fügsame Material des christlichen Handelns, sie widerstreitet der Kirche. Hier herrscht das Gesetz des Kampfes zwischen Christus und den Dämonen, dem Licht und der Finsternis. Dieser „Realismus" hat jedoch mit Hoffnungslosigkeit nichts zu tun. Denn die Gemeinde kann diese wirksamen Gotteswaffen anlegen. Christen sollen als die „Soldaten Gottes" kämpfen. Die Waffen sind das Wort Gottes, die Heilsbotschaft des Friedens, der Geist und der Glaube; das ist wohl zu beachten. Von moralischen Kräften und Leistungen des Menschen ist nicht die Rede; sie könnten den dämonischen Gewalten ja gar nicht standhalten. Gleich Paulus hat auch der Epheserbrief Material aus der Tradition der Kirche verarbeitet, so in 5,3-7 einen Lasterkatalog und in 5,8-21 einen Tugendkatalog. Die Absage an die konkreten Sünden und deren Kennzeichnung werden vermutlich schon zu dem „Katechismus" des Taufunterrichts gehört haben; was im christlichen Sinne gut und böse sei, mußte gerade den Täuflingen deutlich gesagt und den jungen Gemeinden immer wieder eingeschärft werden. Hier werden u. a. Unsittlichkeit, Geldgier, leichtfertige Witze und leere Worte namhaft gemacht. Die Christen sollen nicht Mitgenossen der Sünder und der Sünden sein (5,7). Der Finsternis steht — so sahen wir — das Licht gegenüber, in unserem Falle die „pneumatischen" Tugenden der Gütigkeit, der Gerechtigkeit, der Wahrheit, der Weisheit und des Verstehens des Willens Gottes. Durch diese werden die „unfruchtbaren Werke der Finsternis" (5,11) ausgeschlossen. Das sind Abwandlungen der uns aus Gal.5,19ff. bekannten Kataloge, in denen noch eine Anzahl anderer Laster und Tugenden aufgezählt sind. So

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wird das alte und das neue Leben scharf einander entgegengesetzt, und es kann über den Weg der Gemeinde Christi keinen Zweifel geben. Wie bei Paulus, so existiert auch im Epheserbrief das Problem der Erfüllbarkeit nicht; denn in der Kraft des Herrn kann die „Frucht des Lichtes" gebracht werden. Licht ist immer zugleich Frucht des Lichtes. b) Auch eine Haustafel hat der Epheserbrief {5,22-6,9) aufgenommen, und diese zeigt bemerkenswerte Umbildungen im Vergleich mit Kol. 3,18 ff., insbesondere eine kraftvolle christologische Begründung. Hier wird eindeutig klargestellt, was unter der Liebe der Männer zu den Frauen zu verstehen sei: es ist die Liebe Christi, der sich für die Gemeinde dahingegeben hat, um sie zu heiligen und zu reinigen (5,25f.); die Männer sollen die Frauen „wie ihre eigenen Leiber" lieben (5,28). Mit dieser Liebe wird also die Unterordnung der Frauen unter die Männer begründet, nicht aber mit dem Herrschaftsrecht des Mannes. Die „natürliche" Relation zwischen beiden wird wie das Faktum der Ehe als gegeben vorausgesetzt, und beides nun auf die Ebene des Leibes Christi transponiert, des Leibes, dessen Haupt Christus ist. Die Regeln für die Ehegatten werden von dem Mysterium der Einheit hergeleitet, die Christus und seine Gemeinde umspannt. Deswegen schließen sich Unterordnung und Liebe nicht aus, so gewiß die Agape mehr ist als Gehorsam. Die Transformation ist mit Händen zu greifen, wenn es 5,24 heißt, wie die Gemeinde ihrem Herrn, so sollten die Frauen ihren Männern Untertan sein. Die Liebe Christi verwandelt die Ehe. Das „große Geheimnis" der Ehe (5,31 ff.) beruht darauf, daß sie im Leibe Christi zu einem Abbild der Gemeinschaft zwischen Christus und der Gemeinde, einer göttlichen Liebesgemeinschaft wird. Diese ergreift und gestaltet die Ehe zwischen Christen. Die reale Wirksamkeit Christi in seinem Leibe ist die selbstverständliche Voraussetzung dieser Vorstellung, die der besonderen Ekklesiologie unseres Briefes zugehört. Von einem „Sakrament" der Ehe ist hier - entgegen der katholischen Ehelehre - nirgends die Rede; weder „ist" die Ehe ein Sakrament an sich, kraft ihrer Natur, noch wird sie dies durch die Einwirkung des Leibes Christi. Die unglückselige Übersetzung von „mysterion" (Geheimnis) mit „sacramentum" in der Vulgata ist ein Mißverständnis mit verhängnisvollen Folgen. Versteht man das freilich abgeschliffene Adjektiv „christlich" tief und recht, so kann man sagen: diese Haustafel hat die Ehe erst zur „christlichen Ehe" gemacht (im Umschluß der Gemeinde, des Leibes Christi!) und ist gerade hierdurch eine geschichtsbildende Kraft geworden. Aber nicht Christus hat die Ehe gestiftet, sondern Gott der Schöpfer. Die Ehe als soziale Ordnung der geschlechtlichen Liebe ist eine ι/or-christliche Begebenheit, in welcher auch Juden und Heiden leben. Es gibt im Neuen Testament nirgends ein Sakrament, das sich Menschen - in diesem Falle die Ehegatten - selber spenden könnten. Die Sklaven sollen den irdischen Herren dienen, als wäre es Christus; sie selbst sind „Sklaven Christi" (6,5ff.). Daraus ergibt sich die Mahnung zur Willigkeit, „als gelte es dem Herrn und nicht dem Menschen" (6,7). Der göttliche Richter steht über Herren und Sklaven. (Auf die wichtige Differen-

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zierung der Begriffe „Unterordnung", „Unterstellung", „Gehorsam", die Else Kahler in ihrem Buch „Die Frau in den paulinischen Briefen" - vgl. das Lit.-Verzeichnis zu Kap. III - vorgenommen hat, können wir hier nicht im einzelnen eingehen.) Das traditionelle Material der Haustafel ist also in die Christologie und Ekklesiologie des Briefes eingearbeitet worden. Daher lautet denn auch der die Haustafel einleitende Satz 5,21: „Seid einander Untertan in der Furcht Christi." Dies ist der für alle gültige Maßstab, in welcher Position man sich auch befinden mag. Die Rechtsstellung der Männer, der Frauen und der Sklaven wird hierdurch nicht verändert. Man sieht, die Haustafel des Epheserbriefes geht über Kol. 3,18 ff. weit hinaus, und zwar erstens durch die christologische Begründung der Liebe und zweitens durch die Einbeziehung der Ehe in den Leib Christi, in die Gemeinschaft Herr—Gemeinde. Die Epheser-Haustafel ist einer der wichtigsten Ansätze zur Entstehung und Ausbildung der christlich-weltlichen Sozialgebilde wie die „christliche Ehe", das „christliche Haus" und später auch das „christliche Volk", jener Sozialgebilde also, in die das Ethos der Kirche eingedrungen ist, um sie neu zu formen und die Kirche mit der „profanen" Ordnung aufs engste zu vereinigen. Bei der Behandlung der Pastoralbriefe werden wir einen weiteren Ansatz dieser Art kennenlernen. Das über den eschatologischen Kampf Gesagte wird hierdurch nicht aufgehoben, dieser wird vielmehr in die Weite der Sozialordnungen hinausgetragen. c) Die ganze Ethik unseres Briefes kann auch in die schlichte Formel gefaßt werden: „würdig wandeln in der Berufung" (4,1), oder: einander annehmen in der Liebe (4,2), oder: die Einheit des Geistes bewahren durch das Band des Friedens (4,3), wobei Frieden offenbar eine doppelte Qualität hat, nämlich die eschatologische des Heils und die ethische der brüderlichen Gemeinschaft. Man sieht hier, wie Soteriologie und Ethik eine ursprüngliche Einheit bilden; unsere heutigen Unterscheidungen sind hiermit verglichen durchaus sekundär und müssen daher immer wieder kritisch überschritten werden, wenn wir neutestamentliche Aussagen erfassen wollen. Das gleiche gilt vom Begriff der Gerechtigkeit und der Wahrheit in 5,9 oder vom Begriff des Geistes in 4,30. Wie Paulus, so ruft auch der Epheserbrief das eigene Urteil der Christen auf, zu prüfen, was dem Herrn wohlgefällig sei (5,10); sie sollen und können verstehen, was der Wille Gottes ist (5,17; vgl. Rom. 12,2). Diese Urteilsfähigkeit haben die, die „Licht" sind (5,8 f.) und den Geist haben. Es ist die Tätigkeit der durch den heiligen Geist erneuerten Vernunft (4,23), was auch wieder Imperativisch ausgedrückt werden kann. Entsprechend kann es paradoxerweise in 5,18 heißen: „werdet des Geistes voll!" So ist die Grundform der paulinischen Paränese im Epheserbrief erhalten geblieben. Auch das eschatologisch-ethische Verständnis der Taufe steht nach wie vor in Kraft. Die wichtigste zusammenfassende Formel, die den Ertrag des paulinischen Denkens in sich aufgenommen hat, finden wir in 2,8-10: durch die Gnade

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seid ihr gerettet, nicht durch Menschenkraft, und diese Gnade ist reines Geschenk (vgl. Rom.3,24). „Wir sind geschaffen in Christus Jesus zu guten Werken, zu welchen uns Gott vorbereitet hat, damit wir in ihnen wandeln sollen." Klarer und besser läßt sich die Einheit von Christologie, Gnadenlehre und Ethik überhaupt nicht ausdrücken. Gott in Christus ist der eigentliche Urheber der guten Werke. Ebenso aber ist deutlich, daß es kein Christsein gibt ohne gute Werke. Die Gerechtigkeit ist Geschenk Gottes und Tat des Christen zugleich. Oder man könnte im Anschluß an 4,32 und 5,2 sagen: als die Geliebten lieben die Christen (vgl. bei Paulus Kol. 3,12). Wie bei Paulus, so verhält es sich auch im Epheserbrief: das Ethos ist sozusagen zwischen dem Perfectum praesens (vollzogenes und zugleich gegenwärtiges Heilsereignis) des Heils auf der einen Seite (Kreuz, Auferstehung, Taufe, Geistbegnadung) und dem Futurum des Heils auf der anderen Seite angesiedelt. Diese Ethik gibt es also nur in der „Zeit der Kirche", nicht vorher im Heidentum und Judentum, nicht „nachher" in der vollendeten Gottesherrschaft. Der Tag des Heils ist zugleich der Tag des sittlichen Kampfes, der Liebe und der guten Werke, der „Frucht des Lichtes". Dies ist der Ort bzw. die Zeit der christonomen, pneumatischen Ethik des Paulus und des Epheserbriefes. 2. Die

Pastoralbriefe

Die Ethik des bürgerlichen

Christentums

Wenden wir uns nun den Pastoralbriefen zu, so empfinden wir zunächst den großen Unterschied im theologischen Niveau. Von den Höhen der Theologie des Paulus und des Epheserbriefes müssen wir jetzt herabsteigen. Der „Paulinismus" der Pastoralbriefe ist ungleich bescheidener, einfacher und sozusagen biederer als derjenige des Epheserbriefes. Von tiefer, theologischer Begründung der Ethik kann in den Pastoralbriefen kaum die Rede sein. Sie sind an handfesten Mahnungen und Motiven für die Ordnung der Gemeinden interessiert. Sie überliefern aber auch korrekte Formeln der paulinischen Rechtfertigungslehre. Hierin kündigt sich ein neues Zeitalter der Kirche an. Sie muß sich auf längere Dauer in der Welt einrichten; die Hochspannung der Naherwartung kann nicht aufrechterhalten werden. Die Fragen der zweiten und dritten Generation sind andere als die der Erstbekehrten. In der Geschichte der Missionskirchen des 19. Jahrhunderts kann man genau dieselbe Verschiebung studieren. Und auch die neuen Probleme der Kirchenordnung und der Ethik, die in den Pastoralbriefen eng ineinander verflochten sind, haben ihr gutes Recht. Wir dürfen sie nicht voreilig theologisch abwerten. Dazu besteht um so weniger Grund, als unsere heutigen Gemeinden sehr viel mehr dem Christentum der Pastoralbriefe gleichen als dem paulinischen. Daher müssen wir es ablehnen, die protestantisch-pietistische Kategorie des „Abfalls" von Paulus oder des „Frühkatholizismus" im negativen Sinne des Wortes auf sie anzuwenden.

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Heinz-Dietrich Wendland, Ethik des Neuen Testaments

Die Pastoralbriefe setzen jene Traditionslinie fort, die wir in den Haustafeln und in Rom. 13 angetroffen haben: es ist eine christliche Bürgerlichkeit oder ein bürgerliches Christentum (Martin Dibelius). Die geschichtliche Aufgabe, die in den Pastoralbriefen sichtbar wird, ist die Konsolidierung der Kirche in der Welt durch Kirchenordnungen, durch die Festigung der kirchlichen Ämter, durch ethische Anweisungen zu einem „ordentlichen", ruhigen christlichen Leben des Hauses. Es kommt in allem auf die Bildung von Tradition und Sitte an; diese Briefe befinden sich schon mitten im Prozeß der Traditionsbildung. Offenbar schauen sie auch schon auf die Schüler des Paulus, also auf eine zweite Gruppe von kirchlichen Autoritäten. Es kommt dem unbekannten Verfasser auf die Bewahrung der „gesunden Lehre" an, auf die Behauptung und Abschirmung der Kirche gegen die gnostischen Irrlehren, auf die innere Ordnung der Gemeinde und die Vorbedingungen für die Ausübung von kirchlichen Ämtern wie Bischof und Diakon. Durch diese Tendenzen haben die Pastoralbriefe eine sehr bedeutende, geschichtliche Wirkung ausgeübt. Sie stellen das erste Stadium der Kirche dar, wie sie heute noch lebt, d.h. der „verfaßten", durch Tradition, Amt und Recht geordneten Kirche. Charakteristisch ist für die Pastoralbriefe besonders die Verbindung des Christusbekenntnisses oder der in korrekten Formeln wiedergegebenen, paulinischen Rechtfertigungslehre (vgl.2.Tim. 1,9; Tit. 3,5) mit der bürgerlichen Ordnungsethik - eine Verbindung, die man noch heute in vielen evangelischen Gemeinden antreffen kann. Diese „Synthese" läßt die Frage entstehen, ob nicht doch die Gnadenlehre durch die bürgerlich-moralischen Vorstellungen bedroht wird. Andererseits muß man einräumen, daß z.B. die Aufforderungen zum unverzagten Glaubenszeugnis an Timotheus (2.Tim. 1,6 ff.; vgl. l.Tim. 1,18 ff.) kraftvoll sind und keinerlei Kompromiß in Sachen der göttlichen Wahrheit des Evangeliums zulassen. In dieser Hinsicht ist die Grenze zur Welt auch in diesen Dokumenten scharf gezogen; offenbar nötigte die Gefahr der Gnosis hierzu, einer Erlösungsreligion, die für das Auge des spätantiken Menschen dem Christentum außerordentlich ähnlich erscheinen mußte. Was ist nun die schon öflter genannte christliche Bürgerlichkeit? Bezeichnend ist für sie etwa der Satz, daß die Christen ein stilles und ruhiges Leben führen sollen in Frömmigkeit (eusebeia - ein für diese Schreiben charakteristischer Begriff) und Ehrbarkeit (l.Tim.2,2). Oder wir lesen Tit.2,12, daß die Christen „besonnen, gerecht und f r o m m " leben sollen - das sind Grundbegriffe der hellenistischen Moral und Religiosität jener Zeit. Der Gnade Gottes, die allen Menschen das Heil bringt (Tit.2,11), wird ein pädagogischer Charakter zugeschrieben: sie „erzieht uns" dazu, so zu leben, wie dies in Tit. 2,12 gesagt ist. Sie erzieht auch zur Absage an die weltlichen Begierden, denen die Christen entsagen müssen. Die Grenze zur „Welt" wird also vor allem mit moralischen Begriffen gezogen. Das rechte, christliche Leben erweist sich in guten Werken (l.Tim.2,10). Bei den Frauen bestehen diese vor allem in der Unterordnung unter den Mann, in Schamhaf-

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tigkeit und Sittsamkeit (1.Tim. 2,9). Sehr sonderbar ist allerdings die bald hierauf folgende Behauptung, daß die Frau durch „Kindergebären gerettet" werde, wenn sie in Glauben, Liebe und Heiligung verharrt (l.Tim.2,14f.). Verbunden ist hiermit eine bestimmte, jüdische Auslegung der Sündenfallsgeschichte: nicht Adam, sondern Eva, die Frau hat sich verführen lassen welch treffliche Stütze des Patriarchalismus! Der Satz über das rettende Kindergebären mag jüdisch sein, christlich ist er nicht. Er ist mit den in denselben Briefen tradierten Formeln der von Paulus herkommenden Gnadenlehre völlig unvereinbar — trotz der angehängten christlichen Bedingungen hinsichtlich des Verhaltens der Frauen - , und es bleibt erstaunlich, daß ein Verfasser, der so scharf wider die Irrlehre streitet, diesen unaufhebbaren Widerspruch gar nicht bemerkt hat. Hier tritt deutlich die Gefahr einer bürgerlich-judaisierenden Moral für die „gesunde Lehre" von Christus und der Gnade zutage. Von der gewaltigen Spannweite des paulinischen Denkens, von der Überfülle des Geistes und der Charismen, von den Paradoxien des Paulus wie Kraft und Schwachheit, Leben und Sterben, Leiden und Freude ist hier nichts mehr zu spüren. Der Verfasser der Pastoralbriefe liebt die Extreme pneumatischen oder asketischen Charakters nicht. Er sieht auf Mäßigung und Zucht, und diese gehören für ihn ganz selbstverständlich zur Frömmigkeit. Tit. 1,9 zeigt, daß der Zusammenhang zwischen Gnade und christlichem Werk auch auf dieser geschichtlichen Stufe gewahrt werden kann: das Festhalten an dem „zuverlässigen Wort Gottes" muß bei den Ältesten mit allerlei bürgerlichen Tugenden wie Unbescholtenheit verbunden sein; er darf kein Trinker sein, keine Händel suchen usw.; auf Grund der „gesunden Lehre" (z.B. l.Tim. 1,10; 2.Tim.4,3; Tit. 1,9) muß er ermahnen. Freilich, von den theologischen Begründungen des Paulus und des Epheserbriefes findet sich hier nichts; der Zusammenhang von Gnade und sittlichem Verhalten wird als gegeben vorausgesetzt. Es ist allerdings auch nicht einfach eine säkulare Ethik aufgenommen; denn der Verfasser denkt mit seelsorgerlichem Ernst an das christliche Leben, besonders natürlich bei den Amtsträgern. Die Lehre gibt die Norm des christlichen Lebens, daran hält der Verfasser fest. In schlichten, oft massiven, jedermann verständlichen Formeln wird das gesagt. Dementsprechend ist auch der Gegensatz gefaßt, nämlich der Zusammenhang von Gottlosigkeit und Zuchtlosigkeit. Die Irrlehrer werden als lasterhafte Menschen dargestellt (l.Tim.6,3ff.; 2.Tim.3,8). Das Abgleiten in den Moralismus dessen, der sich besser weiß, liegt dann nahe. Die Ethik der Pastoralbriefe liebt den mittleren Weg. Deswegen wird auch der asketische Rigorismus abgelehnt; z.B. sollen die jungen Witwen wieder heiraten (l.Tim. 5,14). Die gnostischen Gegner haben offenbar die Ehe verboten (l.Tim.4,3). Der Bischof soll verheiratet sein, freilich als eines Weibes Mann (l.Tim.3,2; Tit. 1,6).—Alle Speisen sollen mitDanksagung genossen werden. Alles, was Gott geschaffen hat, ist gut und nicht verwerflich (l.Tim.4,3ff.). Es wird durch das Wort Gottes und das Gebet geheiligt. So ist das Ethos derPastoral7

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briefe bestimmt durch christliche Vernunft, Besonnenheit und Mäßigung. Das ist eine nüchterne und zugleich praktikable Ethik, die sich vom Libertinismus der Zeit ebenso freihält wie vom Asketismus. Z u beachten ist, daß man gegenüber dem letzteren von der guten Schöpfung Gottes spricht. Damit wird der Schöpferglaube des Alten Testaments gegen die Gnosis ins Feld geführt, und er hat sich denn auch in dem schweren Kampf der alten Kirche mit der Gnosis trefflich bewährt. Schon in den Pastoralbriefen beginnt also das Geltendmachen der Ordnung des Schöpfers, zu welcher vor allem auch die Ehe gehört. Damit war es freilich ausgeschlossen, den gebrochenen Asketismus des Paulus (Empfehlung der freiwilligen Ehelosigkeit) fortzusetzen, den wir aus l.Kor.7 erhoben haben. An diesem Punkte besteht ein erheblicher Gegensatz zwischen Paulus und dem Verfasser der Pastoralbriefe, so daß man allein schon von hier aus sagen kann: wer l.Kor.7 verfaßt hat, der hat unmöglich die Pastoralbriefe geschrieben. In das bisher gezeichnete, vorläufige Bild ordnen sich nun vorzüglich die Ansätze zu einer christlichen Familienethik ein, welche diese Briefe aufweisen. Ja, sogar schon christliche Familientradition zeigt sich in ihnen, so 2.Tim. 1,3.5, wo von den Vorfahren und vom Glauben der Großmutter und Mutter gesprochen wird: das ist das Phänomen des überlieferten Glaubens, wie er schon für die dritte Generation kennzeichnend ist. Das ist der Anfang unserer christlichen Situation, kommen wir doch alle vom ererbten Christentum her. Denselben Tatbestand haben wir in 2.Tim.3,15 vor uns: „daß du schon von Kind auf die heiligen Schriften kennst." Das ist der Anfang der christlichen Erziehung, der Führung der Kinder und der Jugend zum ererbten Glauben und zum gehorsamen, zuchtvollen Leben (l.Tim. 3,4.12; 5,10; Tit. 1,6). Die christlichen Frauen sollen Kinder gebären (l.Tim.2,15; 5,14). Die Kinder sollen gut erzogen werden (l.Tim.3,4.12; 5,10; Tit. 1,6). Auch die Pflicht, für die älteren Familien- und Gemeindeglieder zu sorgen, wird hervorgehoben (l.Tim.5,4.8.16). Familiäre Tugenden sind Zucht, Gehorsam, Zurückhaltung und Schlichtheit; die Frauen sollen nicht mit kostbarer Kleidung und Schmuck prunken (l.Tim.2,9ff). Ihr wahrer Schmuck sind gute Werke. Die Witwen und die Alten soll man ehren. Wer nicht für seine Familie sorgt, der ist vom Glauben abtrünnnig (l.Tim.5,8). Daß die NachfolgeForderung Jesu auch die Bande der Familie sprengen kann, wenn die Entscheidung für die Gottesherrschaft durch Pietät gehemmt wird, davon ist in dieser Familienethik nichts mehr zu spüren. Gott wird, etwas scharf ausgedrückt, zum Erhalter und Schirmherr der Familie und rückt so an die Stelle der heidnischen Hausgötter. Doch er bleibt zugleich der Gott der Gnade, der sein Heil allen Menschen verkündigen läßt, und der Schöpfer der Welt. Universalismus und christlicher Patriarchalismus verbinden sich hier auf eigenartige Weise. Diese ganze Ethik der Pastoralbriefe ist realistisch und realisierbar, vom utopischen Idealismus so weit entfernt als nur möglich. Sie ist in der Erzie-

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hung wie in der Führung und Ordnung des häuslichen Lebens wohl anwendbar. Aber die eschatologische und pneumatologische Begründung, die für Paulus charakteristisch ist, fehlt ihr. Das heißt nicht, daß die eschatologische Erwartung völlig aufgegeben worden wäre. In Tit. 2,12 f. ist ausdrücklich von der „seligen Hoffnung" und dem Warten auf die Erscheinung Gottes und des Retters Christus die Rede; allerdings kann von Naherwartung keine Rede mehr sein; man muß sich in der "Welt einrichten. Die „Dialektik der eschatologischen Existenz", wie Paulus sie entwickelt hat, fehlt freilich gänzlich. Andererseits spürt man gar nichts von der angeblichen großen Krise der Naherwartung, die nach Paulus die Urkirche erschüttert haben soll, wie man lange Zeit in der neutestamentlichen Forschung behauptet hat, ohne ausreichende Gründe in den Texten zu haben, beruhend auf einer weit übertriebenen Einschätzung der sog. Naherwartung, die nicht selten den Charakter einer „Gelehrten-Legende" angenommen hat. Aber man lebt doch stärker von der Gegenwart des erschienenen Heils als von der Zukunft; dies erhöht wiederum die Bedeutung der Ethik. Auch die Betonung der Welt als Gottes Schöpfung im Gegensatz zur Gnosis gehört in diesen Zusammenhang hinein. Sie bekommt einfach mehr Gewicht, wenn die Welt morgen oder übermorgen noch nicht ihr Ende findet. Ehe und Geschlechtsverkehr sind darum nicht befleckt (s.o.). Die Pastoralbriefe nehmen genau die Gegenposition ein zu der gnostischen Behauptung, Jesus sei gekommen, „die Werke des Weiblichen zu zerstören". Das Christentum der Pastoralbriefe dürfte erheblich dazu beigetragen haben, die Kirche vor der Auflösung in die Gnosis zu bewahren. Ferner ist als kennzeichnend für diese Haltung der enge Zusammenhang von Kirchenordnung und Ethik festzustellen. Bischof, Diakon und Presbyter müssen bestimmte, moralische Bedingungen erfüllen, z.B. „eines Weibes Mann" und ordentliche Haushalter sein; das gleiche gilt von den sogenannten Witwen im Dienst der Gemeinde, die in jedem guten Werk erprobt sein sollen ( l . T i m . 3 , l f f . ; 5,9ff.). Auch eine Erweiterung der Haustafel begegnet uns in Tit. 2,3 ff.: alte Männer, ältere Frauen, junge Frauen, junge Männer und Sklaven werden zu Besonnenheit, Zucht und guten Werken angehalten. Der Grundton aller Mahnungen ist derselbe: Frömmigkeit, Gehorsam und Rechtschaffenheit sollen die Christen kennzeichnen. - In Tit. 3,1 und l . T i m . 2 , l f f . wird das Gebet für den Kaiser und die staatlichen Behörden angeordnet, denen man Gehorsam schuldig ist. Das ist die Fortführung von Rom. 13, welche auch durch l.Petr.2,13ff. bezeugt wird, ergänzt durch die Aufforderung zum Gebet. Hiermit wird eine jüdische Sitte aufgenommen; weder Juden noch Christen konnten sich an dem heidnischen Kaiserkult beteiligen. Der radikale Gegensatz zum Kaiserkult bricht freilich erst in der Offb. Johannes auf, im letzten Jahrzehnt des 1. Jahrhunderts, unter Kaiser Domitian, ζ. B. in Kap. 13; hier wird der Kaiserkult als Dämonisierung und Hybris des Imperiums aufgefaßt. Das Gebet für den Kaiser tritt an die Stelle der Verehrung der Bilder 7*

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des Cäsar. Das ist die positive Loyalität der Christen; das Gebet erhebt diese über die bloße Untertanenmoral bürgerlichen Charakters. Diese Ethik der frommen, bürgerlichen Rechtschaffenheit hat auch ihre Gefahr: die Anpassung an das, was alle Welt für gut und ordentlich ansieht. Der alle Moral transzendierende Charakter der Liebe Christi und seiner Gemeinde geht verloren. Die Argumentation von der erschaffenen Reinheit aller Dinge kann leicht den Gegensatz von Sünde und Schöpfung verdunkeln, der das Wesen dieser Weltzeit ausmacht. Aus der Sünde wird dann eine bloße Verfehlung gegen moralische Regeln; sie wird verbürgerlicht. Die Ethik des Paulus und des Epheserbriefes dagegen war von dieser Gefahr gewiß nicht bedroht. Das Ergebnis ist eine Vereinfachung des eschatologischen Gegensatzes von Kirche und Welt (vgl. ζ. B. Eph. 6,10 ff.) zu einem nur moralischen. Aus der Sünde wird Lasterhaftigkeit, aus Heiligung und Reinheit die Rechtschaffenheit. Andererseits ist jedoch auch die legitime Intention dieser Ethik hervorzuheben: sie bietet praktikable Normen an, mit denen man die Ordnung in der Gemeinde schaffen bzw. aufrechterhalten kann; diese Normen sind zweckmäßig für die christliche Erziehung. Wen kann man zum Bischof und Diakon machen? Diese Frage muß mit klaren Regeln beantwortet werden. Da kommt man ohne die Festlegung bestimmter, menschlich-sittlicher Qualitäten nicht aus. Der Bischof muß auch fähig sein, zu predigen und zu lehren. „Theologische" und bürgerliche Befähigungen stehen nebeneinander (und das gilt noch heute). Tritt nun die Kirche bereits den Weg an, auf dem sie zur „moralischen Anstalt" wird, an dessen Ende die sogenannte Volks- oder Staatskirche steht? Die Kirche der Pastoralbriefe ist dieser Gefahr nicht erlegen; das Festhalten an dem göttlichen Herrn Jesus Christus, an der Gnade Gottes, an der Substanz der „gesunden Lehre" hat sie davor bewahrt, zu einer moralischen Anstalt herabzusinken. Das charismatische Christentum der Geistesfülle - nennen wir es abgeküzt, im Gegensatz zum bürgerlichen das „außerordentliche" - konnte diese Kirche freilich nicht lebendig erhalten; dies trennt sie von einer paulinischen Gemeinde wie der korinthischen. Sozialethisch wie sozialgeschichtlich gesehen ist von höchster, in die Zukunft weisender Bedeutung die enge, ja innige Verbindung von Kirche und Haus, welche die Pastoralbriefe zeigen. Das ist neben den Haustafeln der zweite Ansatzpunkt für die Bildung der sozusagen doppelpoligen, christlich-weltlichen Sozialordnungen, von denen oben im Abschnitt über den Epheserbrief die Rede gewesen ist. Von dieser Gemeinschaft KircheHaus gingen viele Kräfte sittlicher Art in die Gesellschaft hinaus. Ebenso nahe Beziehungen zu anderen, sozialen Größen, z.B. zum Staat, treten dagegen begreiflicherweise noch nicht in Erscheinung; die Christen jener Zeit waren weder Beamte noch Soldaten, und politische Aktivität gab es im hierarchisch gebauten Imperium lediglich von oben nach unten. Als nicht paulinisch ist zweifellos die Hervorhebung des Schöpfungsgedankens zu bezeichnen, ebenso die natürlich-christliche Moral und die

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vernünftig-christliche Bildung. Aber die Soteriologie und Gnadenlehre stehen viel tiefer in der paulinischen Tradition als etwa die des 1. Klemensbriefes. Man kann in den Pastoralbriefen eine Wendung gegen den gnostischen Ultrapaulinismus erblicken, die sich darin ausdrückt, daß man sich festhält an der vorgegebenen Schöpfungsordnung. So klingt ohne diese Formel doch das spätere Thema des „neuen Gesetzes" schon an. Kennen die Pastoralbriefe noch die Imperative der Gnade oder nur ein Sittengesetz, das die Kirche aufstellt? Das letztere zu behaupten, wäre zu einseitig, weil die Pastoralbriefe an der Heilslehre, an der göttlichen Wahrheit des Evangeliums von Christus festhalten. Christus ist nicht in einen „zweiten Moses" zurückverwandelt, er bleibt der göttliche Erlöser, der Heil und Leben schenkt. Doch wird die Gefahr sichtbar, daß der kirchliche Heilsglaube und die bürgerliche Moral einmal auseinanderbrechen könnten. 3. Der 1. Petrus-Brief Christus, das Urbild des Liebens

und

Leidens

Das theologische Niveau des 1. Petrus-Briefes liegt wesentlich höher als dasjenige der Pastoralbriefe. Der „Paulinismus" des 1. Petrus-Briefes lebt nicht nur von überkommenen Formeln, sondern stellt eine selbständige Weiterentwicklung der Theologie des Paulus dar. Es handelt sich bei diesem Dokument im wesentlichen um eine Mahnrede, aber die Imperative sind theologisch durch Indikative der Heilsbotschaft begründet. Im Mittelpunkt steht neben dem Liebesgebot die Mahnung zum heiligen Wandel. a) Mehrere Forscher sind der Auffassung, daß in 1,3-4,11 (wo ein Einschnitt erkennbar ist) eine Tauf-Paränese zugrunde liegt und verarbeitet ist; ursprünglich wohl an Neugetaufte gerichtet, hat sie in unserem Briefe nun die Gestalt des Tauf-Gedächtnisses angenommen. Wir hatten, als wir von den ersten hellenistischen Gemeinden sprachen (Kapitel II, Abschnitt 3), auf die Bedeutung der Taufe und der Tauf-Paränese für die Entstehung der urchristlichen Ethik hingewiesen. Wenn in 1,3 unseres Briefes davon die Rede ist, daß Gott die Christen „wiedergeboren hat zu einer lebendigen Hoffnung", so ist dies keine abstrakt-allgemeine Aussage über Gottes Heilshandeln, sondern eine konkrete: sie beschreibt nämlich genau das, was in der Taufe geschehen ist. In dieser hat die Errettung ihre konkret-geschichtliche Gestalt angenommen, ist sie Ereignis geworden im Leben der ehemaligen Heiden, der jetzigen Christen. Auch die Mahnung, alle Bosheit abzulegen (2,1 f.), dürfte zum eisernen Bestände der Taufparänesen seit jeher gehört haben. Ausdrücklich ist von der Taufe 3,21 die Rede: sie rettet durch die Kraft der Auferstehung Jesu Christi (vgl. Rom. 6,3 ff.; Eph.5,26). Ihre Wirkung ist eine doppelte: Errettung aus Sünde und Unglauben, aus dem heidnischen Götzendienst, aber auch zweitens Reinigung und Heiligung, neuer Wandel anstelle des alten (vgl. l.Kor.6,11). Diese Aussage kann wie bei Paulus die Gestalt der Forderung annehmen (1,13ff.): gefor-

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dert ist ein heiliger Wandel, im Gegensatz zu den Lüsten, welche die jetzigen Christen in der vergangenen Zeit der „Unwissenheit" beherrscht hatten. Der Gegensatz von Einst und Jetzt (vgl. den Abschnitt 1 dieses Kapitels über den Epheserbrief) ist eben durch die Taufe herbeigeführt worden; diese markiert die Wendung, den Existenzwandel vom Unheil zum Heil, von der Sünde zur Heiligung. Die Mahnung zur Heiligung wird in 1,16 mit dem alttestamentlichen Zentralgebot an das Volk Gottes begründet: „ihr sollt heilig sein, denn ich bin heilig" (3.Mose 11,44). Dieser Gott aber richtet jeden nach dem Werk, darum ist ein „Wandel in Furcht" geboten — eine eschatologische Begründung der Mahnung (1,17f.). Daran schließt sich sogleich der Hinweis auf das vollzogene Heilsereignis an: die Christen sind losgekauft durch das kostbare Blut Jesu Christi (1,19f.). Dementsprechend, daß der neue Wandel kraft der Taufe zugleich Gottestat und Forderung ist, kann auch von der Bruderliebe in doppelter Art und Weise gesprochen werden: die Reinigung zur Bruderliebe geht aus dem Neugezeugtsein hervor, zugleich aber wird zu dieser wiederum aufgerufen (l,22f.). Was in der Taufe geschehen ist, soll im Handeln der Gemeinde angeeignet und realisiert werden. Von diesem Imperativ der Mahnung zur Bruderliebe geht es sogleich wieder zur Begründung mit dem Heils-Indikativ hinüber: Christen sind nämlich aus unvergänglichem Samen neugeboren durch das lebendige Wort Gottes (1,23). Dieses enge, dichte Verhältnis von Imperativ und Indikativ entspricht der Struktur der paulinischen Ethik (vgl. III. Kapitel, 1. Abschnitt). Ganz einfach kann das Tun des Guten auch als der Wille Gottes bezeichnet werden (2,15). In diesem Zusammenhang begegnet uns eine Paradoxie, die gleichfalls an Paulus erinnert: die Christen sind als die wahrhaft Freien zugleich die Sklaven Gottes (2,16); darum sollen sie ihre Freiheit nicht „zum Deckmantel der Bosheit" machen (vgl. Rom. 6,11 ff. und Gal.5,13ff.). Es ist bezeichnend, daß diese Aussage im Rahmen der Haustafel vorkommt, wo kurz zuvor die Unterordnung unter den Kaiser und seine Beamten gefordert wird (2,13f.). b) Was nun diese Haustafel anbetrifft, so ist sie der des Epheserbriefes (Eph.5,22ff.) insofern nahe verwandt, als auch sie durch theologische und christologische Begründungen erweitert und bereichert ist (2,15 ff.; 2,19 ff.; 3,4ff.). Die Anordnung ist eine andere als in Kol.3,18ff. und Eph.5,22ff. Denn am Anfang steht die Mahnung zur Unterordnung unter den Kaiser und seine Beamten (2,13), was übrigens hellenistischen Haustafeln entspricht. Hierauf folgen zunächst die Ermahnungen an die Sklaven (2,18 ff.), welche aufgefordert werden, auch den „verkehrten" Herren zu dienen. Es ist ja Gnade bei Gott, wenn man unschuldig unter Trübsalen leidet (2,19f.). Begründet wird diese Aussage mit dem Hinweis auf das Leiden Christi, der keine Sünde getan hat; er hat damit den Christen ein „Vorbild" für ihre Nachfolge hinterlassen (2,21 ff.). Durch ihn sind die Christen freigemacht von der Sünde - nämlich durch sein Kreuz - , damit sie der Gerechtigkeit leben möchten (2,24). Dieser Gedankengang erinnert unmittel-

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bar und stark an Rom. 6,11 und 18; dies gilt sowohl von der Vorstellung der Freimachung als auch von dem Gebrauch des Wortes Gerechtigkeit. Von der Ermahnung für die Sklaven aus ist der Verfasser tief in die Theologie des Kreuzes eingedrungen, wobei der Gedanke an das unschuldige Leiden christlicher Sklaven die Brücke zur Christologie bildet. Erst nach dieser christologischen Ausführung folgt die Mahnrede an die Ehefrauen (3,1 ff.). Wie in den anderen Haustafeln lautet das Gebot, daß sie ihren Männern Untertan sein sollen. Doch ist die nähere Ausführung dem Verfasser unseres Briefes eigentümlich. Die Frauen werden auf das Vorbild heiliger Frauen des Alten Bundes wie der Sara hingewiesen (3,5ff.). Es wird eine Art christliches Frauenbild entworfen: die Christin ist nicht ausgezeichnet durch äußeren Schmuck und prächtige Gewänder, sondern durch den verborgenen Menschen des Herzens und das unvergängliche Wesen eines sanften und stillen Geistes (3,3 f.). Die Männer sollen einsichtig (vernünftig) mit ihren Frauen zusammenleben, da diese der schwächere Teil sind, und ihnen Ehre erweisen, weil sie „Miterben der Gnade des Lebens" sind (3,7). Es ist sehr bedeutsam, daß hier der Gedanke des gleichen Teilhabens an der Gnade die Forderung begründet. Die soziale Unterordnung der Frau wird gleich den anderen Haustafeln weder kritisiert noch aufgehoben, wohl aber das Verhältnis Mann-Frau innerhalb der Gemeinde durch die Gleichheit der Miterbenschaft zutiefst verändert. Die Folge mußte sein, daß die Frau nun nicht mehr bloß ein Objekt der Herrschaft und des Besitzwillens des Mannes sein konnte. In all diesen von uns hervorgehobenen Elementen stellt die Haustafel des 1. Petrus-Briefes eine eigenartige und selbständige Fortbildung der alten Tradition dar. Eine Ergänzung der Haustafel bietet 5,1 ff. mit Mahnungen an die Ältesten und die Jüngeren. Die Ältesten sollen gute Hirten und Vorbilder für die „Herde Gottes" (die Gemeinde) sein; sie werden vor Gewinnsucht gewarnt. Mit freudiger Bereitwilligkeit und Hingabe sollen sie ihres Amtes walten. Sie sind nicht zu „Gewaltherrschern" über die Gemeinde eingesetzt (5,3) eine für alle Zeiten und Kirchen bedenkenswerte Mahnung! Auch hier fehlt eine kurze, christologische Begründung nicht: wenn der „Erzhirte" erscheint, werden sie den unverwelklichen Kranz der Herrlichkeit empfangen (5,4), wenn sie nämlich Vorbilder für die ihnen anvertraute Herde gewesen sind. Wie in den Pastoralbriefen, so gehen auch hier HaustafelEthos und Kirchenordnung ineinander über. Ob die Vorbereitung auf kommendes Leiden schon in der ursprünglichen, ältesten Tauf-Paränese eine Rolle gespielt hat, können wir hier nicht untersuchen. Von der Situation der Neugetauften aus gesehen, ist der Gedanke doch wohl naheliegend. Denn die Schwierigkeiten und Lasten, denen sie in ihrer heidnischen Umwelt, Verwandtschaft und Bekanntschaft ausgesetzt waren, mußten mindestens sehr beträchtlich sein. Eine Vorbereitung, die das Leiden als notwendige Folge der Annahme der Heilsbotschaft verständlich machte, war sinnvoll für junge Christen und hilfreich. In 1,3—4,11 unseres Briefes spielt jedenfalls diese Vorbereitung eine große Rolle (2,13 ff.;

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3,13ff.; 4,1 ff.). Falls der Verfasser zu diesen Mahnungen zur Leidensbereitschaft durch eine bestimmte Situation veranlaßt worden sein sollte, so besagt das nicht, daß es nicht schon ältere Formen einer Taufparänese gegeben haben könnte, die versuchte, neugetaufte Christen auf bevorstehende Leiden hinzuweisen und sie durch Mahnung zur Geduld und zum Ausharren vorzubereiten. Der 1.Petrus-Brief hat - auch hierin Paulus ähnlich - begriffen, daß Tun und Leiden in der christlichen Existenz unlöslich verbunden sind und daß diese Einheit in der Liebe und im Leiden Christi selber ihr Urbild hat. Da auch das eschatologische Bewußtsein in diesem „Briefe" lebendig ist: „das Ende aller Dinge steht nahe bevor" (4,7; vgl. 1,20 und 5,8 ff.), wird man abschließend sagen dürfen, daß die Mahnreden des 1. Petrus-Briefes eine kraftvolle Fortbildung der Paränese des Paulus darstellen und besonders als Tauf-Gedächtnis-Rede für uns historisch wie theologisch von hohem Wert sind.

V. K A P I T E L

Der Jakobusbrief Die Tat-Gerechtigkeit der guten Werke An dem von Paulus am weitesten entfernten Punkt in der Landschaft des Neuen Testaments finden wir den Jakobus-„Brief". Es handelt sich in Wirklichkeit gar nicht um einen Brief, sondern um eine durch und durch paränetische Schrift, die in dieser Beziehung im Neuen Testament einzig dasteht. Daher hat sie auch bei solchen, die wie Luther von Paulus herkommen, immer wieder Anstoß erregt. Freunde der Statistik haben ausgerechnet, daß sich in den 108 Versen dieses Schriftstücks nicht weniger als 54 Imperative finden. Der Jakobusbrief besteht aus Einzelsprüchen und Spruchreihen oder kleinen „Abhandlungen". Seine einzige Absicht ist es, Christen zum Tun der guten Werke anzuleiten und im Zusammenhang hiermit auch die nötigen Warnungen auszusprechen. Dem Verfasser geht es um die Gottesdienste der Tat. Dabei verwendet er sehr viel Material aus der jüdischen und hellenistischen Paränese, die damals weltweit verbreitet war und über die Grenzen der Religionen und Kulturen hinausging. Eine systematische Gliederung wird man von einer solchen paränetischen Spruchsammlung nicht wohl erwarten dürfen. Das Gefüge der Sätze ist locker. Vor allem fehlt die theologische Begründung fast völlig, und die Imperative stehen im wesentlichen ohne die fundierenden Indikative des Heils da, wie wir sie aus Paulus oder aus dem Epheserbrief kennen. Zweifellos taucht damit die Gefahr einer „isolierten Ethik" auf, einer reinen Moral. Es ist den Auslegern schon immer aufgefallen, daß der Name Jesu überhaupt nur zweimal vorkommt (1,1; 2,1).

Der Jakobusbrief. Die Tat-Gerechtigkeit der guten Werke

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Trotzdem ist Luther im Unrecht, wenn er den Jakobusbrief eine „stroherne Epistel" genannt hat. Man muß vielmehr seine Eigenart aus seiner - gewiß einseitigen - Intention verstehen, und auch diese hat in der Kirche ihr Recht, in der es auf das christliche Leben und nicht nur auf theologische Uberzeugungen ankommt. Hier im Jakobusbrief meldet sich das existentielle Bedürfnis der werdenden Kirche nach der Bewältigung der Aufgaben der alltäglichen Lebensführung energisch zu "Worte. Allein von hier aus kann man der Eigenart dieser Schrift gerecht werden. Jakobus befaßt sich mit so alltäglichen und praktischen Fragen wie den „Zungensünden", Armut und Reichtum, der falschen und der rechten Weisheit, Glauben und Werken u. ä. Rabbinische Gesetzesauslegung finden wir bei ihm nicht, ebensowenig die griechische, philosophische Ethik, dagegen mannigfache Berührungen mit der jüdischen Weisheitsliteratur und dem Spruchgut der Synoptiker. Die Weisheit, von der er spricht, führt zum Wandel in guten Werken; sie macht reich an Erbarmen, Friedfertigkeit, Lauterkeit und anderen „guten" Früchten (3,13ff.l7ff.). Entscheidend ist die „Frucht der Gerechtigkeit" (3,18; vgl. auch Mt.5,7.9.20; Kap. 23). So ist es denn wohl begreiflich, daß für den Verfasser, d. h. den Redaktor des Spruchgutes, die Frage nach dem Verhältnis von Glauben und Werken besonders große Bedeutung hat (2,14-26). Es ist ganz verfehlt, hier sogleich von paulinischen Begriffen aus zu urteilen. Zunächst ist Jakobus aus seiner Eigenart und den ihm eigentümlichen, von ihm verarbeiteten Traditionen zu verstehen. Natürlich gibt es das theologische Problem „Paulus und Jakobus". Aber dieses existiert doch nur deswegen, weil wir beide Autoren im Kanon des Neuen Testamentes vorfinden. Wenn Jakobus nicht darin stünde, sondern gleich der „Lehre der zwölf Apostel" (Didache) oder dem 1. Clemensbrief außerhalb des Kanons zur Literatur des nachapostolischen Zeitalters gezählt würde, so käme man gar nicht auf den Gedanken, Jakobus in besonderer Weise mit Paulus zu vergleichen oder gar als einen Kritiker des Paulus anzusehen. Die Hauptthese des Verfassers lautet: Glaube ohne Werke ist tot! Christliches Leben realisiert sich in guten Werken. Dabei gebraucht Jakobus aber einen völlig anderen Begriff des Glaubens als Paulus, bei dem der Glaube Rechtfertigungsglaube an die Heilstat Gottes in Christus ist, ein Glaube, der den tathaften Lebensgehorsam der „Sklaven" Christi in sich einschließt. Jakobus dagegen spricht von dem im Vergleich zu Paulus rationalen Glauben, daß es nur einen Gott gibt, und diesen Glauben haben auch die Dämonen (2,19). Setze ich nun diesen theoretischen Glaubensbegriff einmal voraus, so ist allerdings ein solcher Glaube ohne Werke tot, und die Hinzufügung der Werke ist dringend erforderlich. Dieser theoretische Glaube kann so unbarmherzig sein, wie das Beispiel 2,16 f. zeigt. Von einem „Wandel im Geiste" (Gal.5,25), der Glauben und Tun in unlöslicher Einheit umfaßt, ist in Jak. 2,14 ff. nicht im mindesten die Rede. Er hat die Auseinanderreißung von beidem und die Entartung des Glaubens vor Augen, kann sich aber, da er nicht auf den vollen Christusglauben zurückgeht, um

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das Problem zu lösen, nur noch so helfen, daß er die Werke zum Glauben hinzufügt. Eben hierdurch scheint es uns ausgeschlossen zu sein, daß Jakobus gegen Paulus polemisiere. Er kennt dessen Verständnis des Glaubens ja gar nicht! Wollte er sich aber nur einigermaßen ernsthaft mit Paulus auseinandersetzen, so müßte er doch dessen Christusglauben und Geistbegriff ins Auge gefaßt haben, er müßte mit Rom. 6 und 8, mit Gal.5 in den Dialog eingetreten sein. Nein, Jakobus hat gar nicht Paulus vor sich, sondern seine zeitgenössische Frage. Nur unser protestantischer Paulinismus trägt hier ständig eine „Polemik gegen Paulus" ein, für die in Wirklichkeit alle Voraussetzungen fehlen. Denn der merkwürdige, theoretische Monotheismus von 2,19 ist wahrhaftig keine Grundlage für ein Gespräch mit Paulus. Daß die Problemstellung von 2,14 ff. erst nach Paulus möglich geworden sei, ist auch nicht sicher; das Problem könnte sehr wohl schon im hellenistischen Urchristentum vor Paulus aufgekommen sein, da jede christliche Auseinandersetzung mit der jüdischen Ethik zu dieser Frage führen mußte. Auch in den Pastoralbriefen haben wir nicht einen solchen Glaubensbegriff wie in Jak. 2. Doch als Warnung vor einem theoretisch-rationalen Gottesbewußtsein behält seine Antithese ihr gutes Recht, das nicht verdunkelt werden sollte. In diesem Sinne wird dann der Glaube durch die Werke zur Vollendung gebracht (2,21 ff.). Wir sind höchst kritisch, wenn wir vom „Zusammenwirken" des Glaubens mit den Werken hören (2,22) und erheben sogleich Anklage wegen Synergismus, doch von der Situation und Position des Jakobus her gesehen ist diese Formulierung durchaus begreiflich; denn sie wehrt einen entarteten Glaubensbegriff ab. So dürfte auch der Vorwurf des „Nomismus" zu weit gehen, zumal noch andere Aussagen des Jakobus diesen ausschließen dürften. Jakobus ist nicht ein jüdischer Nomist, sondern denkt von der Gerechtigkeit ganz ähnlich wie Matthäus. Zum „Nomismus" paßt sehr schlecht, daß das Ritualgesetz bei Jakobus überhaupt keine Rolle spielt. Er spricht dagegen von dem „Gesetz der Freiheit" (1,25; 2,12). Es ist das „vollkommene" oder „königliche" Gesetz; auf den Inhalt gesehen darf es wohl als das Gebot der Liebe bezeichnet werden (vgl. Mt.22,39f.). Für die Barmherzigkeit gibt es kein Gericht; wer kein Erbarmen geübt hat, verfällt dem Gericht (2,13). Aus solchen Sätzen kann man den Inhalt des „Gesetzes der Freiheit" erschließen. In diesem Sinne sollen die Christen Täter des Wortes sein (1,19 ff.). Reiner Gottesdienst ist es, „Waisen und Witwen in ihrer Trübsal zu besuchen und sich selbst von der Welt unbefleckt zu erhalten" (1,27). Die Absage gehört auch für Jakobus zur positiven Erfüllung des Liebesgebotes. In nächster Nähe steht hier Mt.25,3Iff.: Die Gerechten, die das Reich ererben, sind die, die Hungernde gespeist, Gefangene besucht usw., kurz, die allen Elenden gedient haben. Offenbar geht hier dieselbe Vereinfachung und Konzentration des Geschehens vor sich wie in der synoptischen Jesus-Tradition, besonders bei dem Evangelisten Matthäus. Das kann man wahrlich nicht Nomismus nennen, das ist vielmehr die legitime Predigt des Gebotes der Liebe.

Der Jakobusbrief. Die Tat-Gerechtigkeit der guten Werke

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Freilich fehlt, wie schon gesagt, die theologische Begründung, abgesehen von der Äußerung 1,18, daß wir durch „das Wort der Wahrheit" geschaffen seien als die „Erstlingsfrucht unter seinen Geschöpfen"; hier werden der Liebeswille und die Schöpfermacht Gottes zusammen hervorgehoben. Anscheinend ist die „neue" Schöpfung als die Wiederherstellung der ersten gedacht. Die historische Herkunft des Begriffes „Gesetz der Freiheit" ist noch nicht ausreichend geklärt. Es ist nach 2,12 ein richtendes Gesetz; dies zeigt Nähe zum jüdischen Denken an; mit den modernen Begriffen der Freiheit und der Selbstgesetzgebung hat es nichts zu tun, abgesehen davon, daß Jakobus es nicht als ein lastendes, zwingendes Gesetz versteht. Dies unterscheidet ihn wieder vom jüdischen Denken. Es meint wohl auch wie Mt. 5,20 die höhere und bessere Gerechtigkeit im Sinne der Erfüllung des Liebesgebots. Die Nähe des Jakobus zu den Apostolischen Vätern hat man mit Recht betont. Sie beruht auf dem Schöpfen aus dem breiten Strom der paränesischen Tradition, die damals „international" ist. Von einem „juden-christlichen" Charakter der Paränese des Jakobus sollte man trotz der Anklänge an das Buch der Sprüche, Jesus Sirach und die Weisheit nicht sprechen. Das gute, gebildete Griechisch, das der Verfasser schreibt, dürfte nicht die Sprache eines Palästinensers sein. Doch es sind noch einige theologische Charakteristika der Denkweise des Jakobus hinzuzufügen. In 2,5 ist von der Erwählung der Armen durch Gott die Rede (vgl. Mt.5,3par.). Besonders trifft dies Element mit der lukanischen Prägung der Jesus-Tradition zusammen, zeigt aber auch, daß Jakobus von der vorlaufenden Heilstat Gottes zu reden weiß. Diese erwählten Armen sind es, die das Reich Gottes ererben werden. Der Begriff „Arme" darf nicht spiritualisiert werden, was aus der scharfen Ankündigung des nahen Gerichts über die Reichen hervorgeht (5,1 ff.). Auch Paulus kann bekanntlich davon sprechen, daß Gott das, was nichts ist in der Welt, erwählt hat (l.Kor. 1,26). Diese Erwählten sollen aber die Täter des Wortes sein (Jak. 1,19ff.; vgl. Mt.5,13ff.; 7,21 ff.). Dem korrespondieren die Gerichtsworte gegen die Reichen, welche den Arbeitern ihren Lohn vorenthalten (5,1 ff.). Der Richter macht die Sache der Armen zu seiner eigenen. Das entspricht wieder den Weherufen des Lukas über die Reichen (6,24 ff.; vgl. 16,19ff.). Solche Worte des Jakobus sind von dem eschatologischen Bewußtsein des nahenden Endes getragen. Der göttliche Richter steht schon vor der Tür (5,7 und 9). Die Warnung wird eschatologisch begründet. Auch darin liegt eine sachliche Ubereinstimmung mit der synoptischen Tradition. In den letzten Tagen irdische Schätze zu sammeln wie die Reichen (5,3), das bringt in das Gericht. Auch Jakobus führt den Kampf gegen die Begierden der Menschen (vgl. die Lasterkataloge). Dies ist Gemeingut aller christlichen Paränese und auch Paulus nicht fremd. Bei Jakobus ist besonders auf 4,1-12 hinzuweisen. Alle Verfehlungen wie Neid, Streit, Hoffart, feindselige Reden usw. werden auf das Verfallensein des Menschen an die „Lüste" zurückgeführt. „Freund-

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schaft mit der Welt ist Feindschaft gegen Gott" (4,4; vgl. l.Joh.2,15). Hier kennt Jakobus wie Paulus und Johannes nur ein radikales Entweder-Oder. Das ist nun doch mehr als bloße Moral, das ist christliche Erkenntnis der Gefährdung des Menschen durch sein Verfallen an die irdischen Güter und Mächte bzw. das Verlangen nach ihnen. Die Erwählten sollen auf der Seite Gottes zu finden sein, was auch von ihren Taten zu gelten hat. Die Gnade wird den Demütigen zuteil, nicht den Hoffärtigen (4,6). Diese Gnade ist nur denen nahe, die sich Gott unterwerfen. Man fragt sich: wird hier der Gehorsam zur Bedingung der Erlangung der Gnade? Aber das ist ähnlich wie in den synoptischen Forderungen an die Jünger nur die eine Seite der Sache. Die Erwählung, das Geschaffensein durch das Wort Gottes (s.o.) werden vorausgesetzt. Die Reinigung der Hände der Sünder und die Heiligung der Herzen muß freilich die eigene Tat der Christen sein. Jakobus hat die beiden Aussagen nicht in einem theologischen Begriff vereinigt; daran ist er gar nicht interessiert, und ein Theologe im engeren Sinne des Wortes ist er ganz und gar nicht. In allen Abwandlungen kommt es ihm nur auf die Forderung der Tat-Gerechtigkeit an. Man muß „Täter des Gesetzes" sein (4,11). Dieses Gesetz schließt das lieblose Richten und „Verlästern" des Bruders aus - dann aber kann es nur das „Gesetz" der Liebe sein (vgl. Mt. 7,1; Rom. 14,4). Allein Gott kann retten und verderben; er allein ist „Gesetzgeber" und Richter (Jak. 4,12). Christen stehen unter und nicht über dem Gesetz Gottes (4,11). Wir treffen bei Jakobus die sogenannte konditionale Gesetzes-Terminologie an; sie hat diese Form: wenn ihr das und das tut, ζ. B. Barmherzigkeit übt und friedfertig seid, so wird Gott sich euch nahen. Auch dies entspricht der synoptischen Denkweise. So sind es nach Mt. 5,7 und 9 die Barmherzigen und die Friedensstifter, welche die Gottesherrschaft erlangen. Die Frontstellung des Jakobus ist immer gegen den pervertierten Glauben gerichtet, d.h. gegen etwas, was Paulus überhaupt nicht Glauben nennen würde. Jakobus stimmt also sachlich mit jener synoptischen Überlieferung überein, die das Gesetz in das Doppelgebot der Gottes- und der Nächstenliebe zusammenfaßt (Mt.22,35ff.par.). Wer dies erfüllt, ist ein Gerechter. Es ist die Schuld des Menschen, daß er seinen Glauben vom Gehorsam des Tuns trennt. Von einem Problem der Erfüllbarkeit ist auch bei Jakobus nichts zu bemerken. Das Gebot ist vielmehr dazu gegeben, daß es erfüllt werde. Ob auch bei der Formel „Gesetz der Freiheit" ein Anklang oder gar Anschluß an die Jesus-Tradition vorliegt? Man könnte an Worte wie Mt. 7,12 und 11,28 ff. denken. Doch die beste Auslegungshilfe gibt wohl Barnabas 2,6: „das neue Gesetz unseres Herrn Jesus Christus ohne das Joch des Zwanges". Jakobus wird seine Formel wahrscheinlich schon aus der Tradition entnommen und dann nach seinem Sinne interpretiert haben. Vielleicht stammt die Formel aus der hellenistischen Synagoge. Von einem Kampf um das Gesetz ist bei Jakobus überhaupt nichts mehr zu bemerken. Die Zusammenstellung von Gesetz und Freiheit könnte eine absichtsvolle Neubestimmung und zugleich Abgrenzung darstellen. Ausgeschlossen bleibt,

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daß ein Mensch sich über das Gesetz erhebt und es richtet; dann ist er kein Täter des Gesetzes (4,1 lf.). Es ist ja das Gebot Gottes und hat darin seine Würde. Auch hier zeigt wieder der Zusammenhang mit dem Verbot des feindseligen Redens gegen den Bruder und des Richtens über ihn sehr deutlich, daß es sich um das Gebot der Liebe handelt. In 2,8 wird das Gebot der Nächstenliebe nach 3.Mose 19,18 ausdrücklich zitiert, es ist das „königliche Gesetz". Wenn es in 2,13 heißt: „die Barmherzigkeit rühmt sich gegen das Gericht", so bedeutet dies, daß eben sie das Gesetz erfüllt; der Unbarmherzige dagegen verfällt dem Gericht. Die Liebe ist in Ubereinstimmung mit dem Willen Gottes (vgl. Mt.25,3Iff.). Also liegt die Bedeutung des Jakobus — gewiß einseitig - darin, daß er ein unermüdlicher Prediger des „königlichen" Gesetzes im Sinne des Gebotes der Nächstenliebe ist. Von hier aus gesehen treten die Mängel dessen, was er „addierend" über Glauben und Werke ausführt, zurück. Wenn wir jetzt auf Paulus blicken, so können wir sagen, daß Jakobus, ohne im mindesten Paulus vor sich zu sehen, lediglich ein Element der christlichen Existenz herausgearbeitet hat, nämlich den Gehorsam in guten Werken, zuhöchst in der Tat der Liebe. Eine Korrektur an Paulus kann das nicht sein; denn niemand hat hiervon deutlicher gesprochen als Paulus! Dagegen ist Jakobus noch heute eine heilsame Korrektur an jedem zur Theorie, zum bloßen Gottesbewußtsein und „Theologie" entarteten Glauben, an jeder selbstsüchtigen Frömmigkeit, die des Nächsten nicht achtet und immer eine große Versuchung der christlichen Gemeinde darstellt. Auch Jakobus ist auf seine Art ein „Apostel" der Liebe.

VI. K A P I T E L

Die johanneischen Schriften Die Bruderliebe als der Schritt vom Tode zum Leben Haben wir im Jakobusbrief ein rein paränetisches Dokument vor uns, so stellt das johanneische Schrifttum hierzu den entgegengesetzten Pol dar. Man könnte sogar fragen: hat es überhaupt Sinn, in diesen Schriften „Ethik" zu suchen? Was man bei Jakobus und bei Paulus so nennt, fehlt bei Johannes fast vollständig: eingehende, vielfältige Paränese, Weisungen für die verschiedensten Gemeindesituationen oder Gruppen. Man hat, von Paulus oder dem Epheserbrief herkommend, den Eindruck einer gewaltigen Reduktion ethischer Fragen und Aussagen. Aber wir müssen auch den johanneischen Typus unbefangen in seiner Eigenart würdigen; diese Aufgabe wird nicht gelöst, wenn man Johannes vorschnell von Paulus oder auch der synoptischen Tradition aus beurteilt. Vollends kommt eine „Paulinisierung" des Johannes nicht in Frage; er geht seine eigenen Wege und spricht

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seine eigene Sprache. Darüber braucht man die engen, sachlichen Berührungen zwischen Paulus und Johannes nicht zu übersehen. Sie betreffen - soweit es die Ethik angeht — besonders die sachlich gleiche Beurteilung des Menschen und der Welt. Die gesamte Theologie des Johannes ist Christologie. Das wird auch Auswirkungen auf die Ethik haben, für die wir uns in erster Linie an den 1. Johannesbrief zu halten haben. Christus ist der Gesandte Gottes an die Welt. Diese Sendung bedeutet Erlösung. Er ist die Auferstehung, die Wahrheit und das Leben; in den „Ich bin . . . " - Worten enthüllt der göttliche Offenbarer sein Sein, das zugleich seine Sendung ist; denn wer an ihn glaubt, hat das Leben und ist dem Gericht entgangen. Christologie ist hier Soteriologie. Um diese Mitte kreisen in immer neuen Wendungen alle Meditationen des Johannes. In dieser Hinsicht ist er der äußerste Gegenpol zu Jakobus. Entscheidend ist - so sagt der 1. Brief des Johannes in der Frontstellung gegen gnostische Irrlehrer, das Bekenntnis zu dem im Fleische erschienenen Christus (l.Joh.4,2); an diesem Bekenntnis erkennt man den Geist Gottes. Was die Gemeinde „von Anfang an gehört" hat, das soll in ihr bleiben. Hier wird eine Parallele zum Traditionsgedanken der Pastoralbriefe sichtbar. Der letzte Ursprung des Heilsgeschehens ist die Liebe Gottes, die in der Sendung seines Sohnes in die Welt zum Ausdruck kommt (4,9ff.). Dieser ist die Versöhnung für unsere Sünden (2,2 und 4,10). Er hat die Welt (kosmos) überwunden (vgl. Joh. 16,33: „ich habe die Welt besiegt"). 1. Unter „kosmos" ist zu verstehen a) die ganze Schöpfung, alle Dinge, die durch den Logos gemacht sind (Joh. 1,1 ff.); b) die Welt als Finsternis und Lüge, ohne Leben und Wahrheit - parallel dem paulinischen Begriff der Welt der Sünde und des Todes (Joh. 1,4f.; vgl. z.B. 1.Joh.2,15E); c) der Ort der Sendung des Sohnes (Joh. 3,16) und damit der Kirche. An dem Siege Christi über den Kosmos nimmt alles teil, „was aus Gott geboren ist"; das überwindet die Welt (l.Joh.5,4); darum kann das Siegen ebenso vom Glauben wie von Christus ausgesagt werden (5,4). Hieraus ergibt sich auch die Absage an den Kosmos, welche mit scharfen, aus der Gnosis stammenden, dualistischen Begriffen ausgedrückt wird. Man darf die Welt nicht lieben (l.Joh.2,15ff.). In dem, der die Welt liebt, ist nicht die Liebe des Vaters. Die „Begierde des Fleisches" und der Augen ist nicht aus Gott. Doch die Welt vergeht, und ihre Begierde ebenso; „wer aber den Willen Gottes tut, bleibt in Ewigkeit" (2,17). Die letztere Wendung mag den überraschen, der sich nicht mit dem Denken des Johannes von oben her vertraut gemacht hat (Sendung des Offenbarers, aus Gott geboren werden usw.). Doch ist der Glaubende bzw. der „von oben" oder aus Gott Geborene (vgl. auch Joh.3,1 ff.!) zugleich ein Täter, der die Brüder liebt.

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Insofern dürfen wir sagen, daß auch die Heilslehre des Johannes die Ethik einschließt - auch dies eine Sachparallele zu Paulus und zum Epheserbrief. Im Evangelium kann 3,20-21 vom „Tun der Wahrheit" gesprochen werden; wer das Böse tut, der haßt das Licht. So gibt es Werke, die „in Gott getan" sind (3,21; vgl. l.Joh. 1,6). Man sieht, der Weltbegriff hat auch seine moralische Seite: die Welt ist der Ort der Bösen, die nicht den Willen Gottes tun. Die Jünger Christi dagegen gehören nicht zu dieser Welt. Sie sind nicht „aus der Welt", haben an deren Sein keinen Anteil. Christus hat die Jünger erwählt und sie dazu gesetzt, daß sie „Frucht" (ohne Näherbestimmung) bringen (Joh. 15,16). Die Welt haßt die Jünger, so wie sie zuvor Christus gehaßt hat. Wenn die Jünger „aus der Welt" wären, so würde die Welt sie als das zu ihr Gehörige lieben. Aber Christus hat sie aus der Welt heraus erwählt (Joh. 15,18ff.). Ohne das „Tun der Wahrheit" (bzw. Gerechtigkeit) ist für Johannes ein Leben aus Gott unvorstellbar. Man kann in seinem Sinne sagen: Glaube ist immer auch Tun. Einer Addition im Stile des Jakobus bedarf es also bei Johannes nicht. Glaube ist Liebe zu den Brüdern; denn Liebe, Bruderliebe ist der Inhalt des Handelns. Aus Gott geboren sein und lieben ist ein und dasselbe. „Wir sind aus dem Tode in das Leben hinübergeschritten, denn wir lieben die Brüder" (l.Joh.3,14). Das ist im Sinne der Tatsächlichkeit und der Wirklichkeit gesagt, was nicht ausschließt, daß darin auch eine „indirekte Mahnung" liegt (R. Bultmann). Die Liebe ist das Zeichen für den eschatologischen Existenzwandel; man sieht an ihr, was da geschehen ist. Im Dualismus von Seins-Aussagen (Tod-Leben) bleibt Johannes nicht stecken. Das Leben aus Gott ist zugleich das Tun derer, die lieben. Wer seinen Bruder haßt, ist im Tode, geschieden von Gott und hat nicht das ewige Leben (3,14ff.; 2,11). Jeder Täter der Sünde ist deren Sklave, doch Christus befreit aus dieser Sklaverei (Joh. 8,34). Wer in Christi Wort bleibt, den wird die Wahrheit frei machen (d. h. Christus selbst; 8,32). 2. Man kann von einem dreifachen Sinn des Wortes Liebe bei Johannes sprechen: a) von der Liebe Gottes zur Welt (Joh.3,16); b) von der Liebe Christi, der sein Leben läßt für seine Freunde (Joh. 10,11; 15,13; l.Joh.3,16); c) von der Liebe des Christen als des aus Gott Geborenen zu seinen Brüdern. Wer diese Liebe nicht lebt, ist auch nicht aus Gott geboren (s.o.). Hier ist jede Trennung zwischen Heil und Gebot, Christologie und Ethik völlig aufgehoben. Das neue Sein ist Liebe. Die Liebe ist eine einzige, göttliche Wirklichkeit ähnlich wie in 1.Kor. 13, die von Gott durch Christus zu den Seinigen und von einem Bruder zum anderen strömt. Als Liebende stehen die Glieder der christlichen Gemeinde im Geschehen der göttlichen Liebe. Da ist Ethik Theologie und umgekehrt. Das Sein in der Dimension des göttlichen Lichtes ist Liebe (l.Joh.2,7ff.). Wer seinen Bruder liebt, der

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bleibt im Licht (2,10). Wer dagegen behauptet, im Lichte zu sein, und haßt seinen Bruder, der ist in der Finsternis (2,9). Dies alles macht den Eindruck, als könnte Johannes nur ontologisch, d. h. im Sinne von Aussagen über das göttliche Sein von der Liebe, reden. Jedoch spricht er auch von dem „alten" und „neuen Gebot" der Liebe (2,7f.): alt ist es, insofern es die Gemeinde „von Anfang an" hat, neu insofern, als es göttliche Wahrheit ist und jetzt das wahre Licht scheint, also im eschatologischen Sinne. Auch das Evangelium des Johannes spricht in 13,34 und 15,12 von dem neuen Gebot der Liebe. Der Imperativ wird also nicht von der Ontologie verschlungen. Dies entspricht sachlich (nicht in der Ausdrucksweise) der Ethik des Paulus. Das neue Gebot der Liebe wird begründet mit der Liebe Christi: „damit ihr euch untereinander liebt, gleichwie ich euch geliebt habe" (13,34; 15,12). Das „gleichwie" hat begründenden Sinn. Dabei ist der Blick auf die Selbsthingabe Jesu am Kreuz gerichtet: vom Kreuze aus bestimmt sich, was Liebe ist. Doch spricht Johannes immer nur, gleichsam nach innen gewendet, von der Bruderliebe. Von der universalen Nächstenliebe gegen jedermann ist bei ihm nicht die Rede. Die Menschen in der Welt scheinen vor den Augen des Johannes gleichsam versunken zu sein. Gegenüber der Bergpredigt, gegenüber dem Handeln des barmherzigen Samariters (Lk. 10,29 ff.) ist das eine erhebliche Reduktion und Einseitigkeit. Aus der Welt-Liebe Gottes (Joh. 3,16) würde sich doch wohl ebenso der Blick auf alle Menschen wie auf die Glaubenden ergeben. Auch im 1. Johannesbrief liegt dieselbe Verengung vor. Im übrigen fehlt auch jede Differenzierung und „Anwendung" des Gebotes für Gruppen oder auf bestimmte Situationen in der Gemeinde, woran doch Paulus so reich ist. Zwar kann im Plural vom „Halten der Gebote" gesprochen werden (2,3), doch ist dies nur eine traditionelle Formel; im Grunde handelt es sich nur um das eine Gebot der Liebe. Lehrreich ist an der Aussage in 2,3, daß die Erkenntnis Christi mit dem Halten der Gebote gleichgesetzt wird. In dieser Hinsicht ist das Christentum des Johannes durchaus nicht mystisch, sondern ganz ethisch-praktisch. Wer die Gebote nicht hält, in dem ist nicht die Wahrheit (2,4). Gemeinschaft mit Christus haben und Wandel in der Finsternis, d.h. ohne Liebe, schließen sich aus (1,6). So auch 4,20: wer behauptet, Gott zu lieben und haßt doch seinen Bruder, der ist ein „Lügner", was nicht von der subjektiven Wahrhaftigkeit zu verstehen ist, sondern von der Existenzverfassung, einem von der göttlichen Wahrheit getrennten Sein des Menschen. 3. Im Vergleich mit den Pastoralbriefen ist höchst auffallend, daß sich in den johanneischen Schriften keine Spur von der christlich-bürgerlichen Moral findet; ein solches Interesse an der Gestaltung des alltäglich-bürgerlichen Lebens in Ehe und Haus bewegt Johannes nicht. Der scharfe Gegensatz zur Welt läßt dergleichen Tendenzen nicht aufkommen. Dementsprechend tauchen auch die weltlichen Sozialordnungen nicht auf. Andererseits werden aber auch keine asketischen Gebote aufgerichtet. Für die ganze Ge-

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meinde gilt das Gebot, die Welt nicht zu lieben (2,15), aber es werden hieraus nicht bestimmte asketische Konsequenzen gezogen. Es könnte sein, daß diese Warnung in die Richtung einer „innerweltlichen Askese" weist, die keine Geschlechts- und Nahrungsaskese fordert und den Menschen ganz in seinem bürgerlichen Dasein beläßt, ohne dies im geringsten positiv zu bewerten. Vom Verhältnis der Liebe zu den irdischen Bindungen ist unter diesen Umständen auch nicht die Rede. Die politische Gewalt taucht nur Joh. 18,28 ff., in der Gegenüberstellung von Jesus und Pilatus auf, aber in diesem Zusammenhang kommen ethische Weisungen ja gar nicht in Frage. Eine mit Rom. 13,1 ff. nahe verwandte Tradition spricht jedoch aus der Antwort Jesu an Pilatus: „Du hättest keine Macht über mich, wenn sie dir nicht von oben gegeben wäre" (Joh. 19,11). Offenbar gab es gegen Ende des ersten Jahrhunderts oder im Anfang des zweiten Jahrhunderts diese beiden Möglichkeiten: die des Johannes und seiner Absage an die Welt und diejenige der bürgerlich-christlichen Ethik in den Pastoralbriefen. Es wäre aber ganz unzureichend, diese beiden Haltungen mit „Weltverneinung" und „Weltbejahung" kennzeichnen zu wollen; denn diese Ausdrücke sind zu allgemein; mit dem, was der moderne Mensch unter Weltbejahung versteht, mit diesem rationalen oder naturalistischen Optimismus hat ja die bürgerliche Haltung der Pastoralbriefe nichts gemeinsam, da sie kritisch bleibt. Johannes indessen ist kein Pessimist; denn der Sohn Gottes ist im Fleische erschienen; das wahre Licht scheint jetzt (Joh. 1,14ff.; l.Joh.2,8). Das Heil ist in der Welt. Mit der bezeichneten Abhebung des Johannes von der Ethik der Pastoralbriefe ist alle spätere, christliche Ethik, auch die heutige, vor eine wichtige Entscheidung gestellt, der wir hier jedoch nicht weiter nachgehen können. Eine gewisse Differenzierung der Gemeinde findet in l.Joh.2,12ff. statt, insofern Kinder, Jünglinge und Väter angeredet werden. Man sieht aber sogleich, daß dies mit konkreter Einzelparänese im Stil des Paulus gar nichts zu tun hat. Das einzige Gebot für alle lautet: habt nicht lieb die Welt (2,15). 4. Ein besonderes Problem, das durch Aussagen des 1. Johannesbriefes aufgeworfen wird, ist das der Siindlosigkeit des Christen. In 5,18 heißt es, wer aus Gott geboren ist, sündigt nicht; in 3,9: es kann nicht sündigen, wer aus Gott geboren ist. Das ist die klare Folgerung aus dem eschatologischen Dualismus von Gott und Welt, der ja von Johannes absolut, ohne irgendwelche Relativierungen und Einschränkungen ausgedrückt wird. Andererseits aber ist in 5,16 davon die Rede, daß ein Bruder sündigt, und 1,9 spricht von der Sündenvergebung, welche die Glieder der Gemeinde nötig haben und bei Christus finden, der sie von aller Ungerechtigkeit reinigt. Also gibt es doch - im Gegensatz zu der oben zuerst aufgeführten These - die Sünde der Christen! Auf dieser Tatsache beruhen ja, nebenbei bemerkt, die zahllosen Mahnungen des Neuen Testaments; ohne diese wäre alle Paränese völlig überflüssig. In 1,8 heißt es sogar sehr deutlich und kräftig: wenn wir sagen, daß wir keine Sünde haben, so ist die Wahrheit nicht in uns. Die 8

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Heinz-Dietrich Wendland, Ethik des Neuen Testaments

Sünde von Christen als eine „Ausnahme" anzusehen, ist eine Ausflucht, die von den Texten durch nichts gerechtfertigt wird. Stehen wir also vor einem Selbstwiderspruch des Johannes? Johannes sieht offenbar den Widerstreit in der christlichen Existenz. Man denke an Paulus, wie er l.Kor. 3, Iff. die Korinther auf ihre Fleischlichkeit festnagelt und ihnen klarmacht, daß zum Leben im Geist der Wandel nach dem Geiste gehört. Der Christ ist aus Gott geboren und bedarf doch der Vergebung, bleibt immer auf die Gnade angewiesen. Das entspricht der Darstellung des Kampfes zwischen „Geist" und „Fleisch", die Paulus in Rom. 8,4ff. und Gal.5,13ff. gegeben hat. Die Lösung des Widerstreits aber ist die Sündenvergebung für Christen durch Christus. Dies ist die johanneische Parallele zu dem Rückruf zu Christus bei Paulus. Des Widerstreits wegen bedarf die Gemeinde auch des Gebotes. Wir sollen die Brüder lieben (3,11), nicht aber in der Weise Kains handeln, der seinen Bruder erschlug. Wir können auch von der Paradoxie der geschenkten Freiheit von der Sünde sprechen: auf der einen Seite steht der wirklich aus Gott gezeugte Glaubende, auf der anderen Seite das stets notwendige Sündenbekenntnis der Christen; als erster hat Johannes - so meint R. Bultmann - in der Urchristenheit diese Paradoxie klar erfaßt und formuliert (vgl.3,6.9 und 1,6-10). Eine weitere Besonderheit des johanneischen Denkens im 1. Briefe ist die Unterscheidung der Sünden. Sie ist so wenig von dem eschatologischen Dualismus des Johannes her begreifbar, daß die Vermutung ausgesprochen worden ist, diese Rangordnung der Sünden sei einem „kirchlichen Redaktor" des l.Joh.-Briefes zuzuschreiben. In 5,16 ist von einer Sünde die Rede, die nicht zum Tode führt. Eine solche Unterscheidung ist, wie gesagt, merkwürdig angesichts des scharfen eschatologischen Dualismus des Johannes. Gegenüber der vergebbaren Sünde steht die Sünde, die zum Tode führt und nicht vergebbar ist. Für die letztere soll man nicht Fürbitte einlegen. Offenbar hat die Praxis des Gemeindelebens diese Unterscheidung notwendig gemacht. Schon bei Paulus erkennen wir einen Ansatz hierzu: der Unzuchtssünder von l.Kor. 5,1 ff. wird wegen der Schwere seines Vergehens aus der Gemeinde ausgeschlossen und „dem Satan übergeben" (l.Kor. 5,5); dies Urteil des Gerichtes aber wurde keineswegs jedem Sünder gegenüber gefällt. Mit den Christen ζ. B., die vor die heidnischen Gerichte gehen (l.Kor. 6,1 ff.), geschieht nicht das gleiche. Johannes sagt uns leider nicht, was eine Sünde zum Tode oder nicht zum Tode sei. Man hat auf die Lästerung des heiligen Geistes verwiesen, die unvergebbar ist (Alk. 3,29). Man hat an Hebr. 6,4 ff. erinnert, an den Abfall vom Glauben, der die zweite Buße unmöglich macht. Denkt auch Johannes an Abfall vom Glauben? Sieht er ihn in der christologischen Irrlehre, in der Gestalt der „Antichristen" (2,18 ff.), die von der Gemeinde ausgegangen sind? Das wäre möglich, weil Johannes diese Irrlehrer scharf verurteilt, da sie die Inkarnation des Sohnes Gottes leugnen. Denn das war in der Tat die Negation der Gnade und des Evangeliums. Daß es vergebbare Sünden gebe, hat die Kirche grundsätzlich akzeptiert und ihre Buß-Disziplin darauf aufgebaut. So beginnt in 5,16

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der Versuch einer Rangordnung der Sünden. Auch die Warnung vor dem Götzendienst (5,21) läßt darauf schließen, daß bei der Sünde zum Tode an den völligen Abfall von Gott und Christus gedacht sein könnte. Der Satz 5,16, daß man für diejenigen nicht bitten solle, die eine Sünde zum Tode begehen, steht offenkundig im Widerspruch zum universalen Liebesgebot der Bergpredigt, das in der Forderung der Feindesliebe und der Fürbitte für die Verfolger der Jünger gipfelt (Mt. 5,44). Der Sünder „zum Tode" hätte doch wohl die Fürbitte der Gemeinde am allernötigsten. Der Versuch zur Abgrenzung siegt hier über die freie Weite des Liebesgebotes Jesu und stellt so wiederum eine besondere Form der Reduktion des Verständnisses der Liebe nach der (Matthäischen) Bergpredigt dar. Wenn in Joh. 15,3 und 17,19 von der Reinheit und Heiligung der Jünger durch Christus die Rede ist, indem dieser sich selbst für sie heiligt, und wenn Christus Joh. 17,15 um die Bewahrung der Jünger vor dem Bösen betet, so zeigt sich auch hier, daß sich Johannes des Problems und der Not der Sünde der Christen, in der Gemeinde, wohl bewußt gewesen ist. Von ethischer Bedeutung sind Elemente der jüdischen Tradition bei Johannes, die ihn von der hellenistischen Gnosis unterscheiden. Er spricht, wie wir sahen, vom „Halten der Gebote" und vom „neuen Gebot", vom Tun des Willens Gottes; er verwendet den Gegensatz Gerechtigkeit - Ungerechtigkeit ebenso christologisch wie ethisch. Im Leben aus Gott ist Empfangen und Tun eine Einheit. Die neue Geburt von oben her ist zugleich Liebe zum Bruder. Damit ist alle jüdische Leistungs- und Werk-Ethik überwunden, so gut wie bei Paulus. Das Neue bei Johannes zeigt sich aber darin, daß es die Liebe zu Gott ist, daß wir seine Gebote halten, und daß seine Gebote „nicht schwer" sind (l.Joh.5,3), offenbar wegen der neuen eschatologischen Realität des Christseins. Nicht schwer sind die Gebote für den aus Gott Geborenen. Das durch Moses gegebene Gesetz ist durch die Offenbarung des Sohnes Gottes abgetan (Joh. 1,17). Das Gebot heißt jetzt: glauben und lieben (l.Joh.3,23). Im Grunde besteht also die johanneische Ethik aus diesen zwei Stücken: der Welt absagen und die Brüder lieben. Der Imperativ und der Indikativ sind aufs engste verbunden: das neue Sein ist zugleich Sollen. Dies unterscheidet Johannes von Jakobus und stellt ihn an die Seite des Paulus. Doch fehlt Johannes jene Fülle der konkreten Einzelanweisungen, die für Paulus charakteristisch sind. Daher ist es nicht verwunderlich, daß die Ethik der Kirche mehr von der konkreten Paränese zehrte, und daß sie zugleich den Weg der bürgerlich-christlichen Ethik verfolgte, zugleich aber später, nämlich in Gestalt des Mönchtums auch eine asketische Antwort auf die Forderung des Johannes erteilte, die Welt nicht zu lieben. Zwei christliche Lebensformen begegneten uns schon in l.Kor.7. Doch von der späteren Rangordnung, d.h. der Uberordnung der „perfecti" (Vollkommenen), d.h. der Mönche, über die in der Welt lebenden, „gewöhnlichen" Christen ist im Neuen Testament nicht die Rede. Es gibt da nur eine „Klasse" von Christen, unbeschadet der kirchlichen Autoritäten von Aposteln und Gemeindeleitern. Auch die johanneische Forderung der Weltentsagung meint ja die ganze 8*

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Gemeinde und nicht einen Teil von ihr. Die asketische Teilantwort der späteren Kirche stellt also doch eine Verengung der johanneischen Ethik dar. Auf der anderen Seite muß man sich klarmachen, daß das Ressentiment des modernen Protestantismus gegen die Askese ungeeignet ist, ein Verständnis von l . K o r . 7 oder l.Joh.2,15ff. zu eröffnen. Wenn die Askese als Gehorsams-Askese und nicht als Erlösungs-Askese (wie in der Gnosis) verstanden wird, frei von aller Werkgerechtigkeit und von der Einbildung einer besonderen Vollkommenheit, d.h. also als ein Ausdruck der völligen Hingabe an Christus, dann ist sie vom Neuen Testament her gesehen legitim. Sie richtet ein Zeichen dafür auf, daß die Kirche nicht der Welt verfallen, nicht eins werden kann mit der Welt. In diesem Punkte ist das Wort der johanneischen Ethik wohl zu hören.

VII. K A P I T E L

Die Sendschreiben der Offenbarung des Johannes Der Ruf zur zweiten Umkehr Da die Johannes-Offenbarung in den Lehrbüchern der Theologie des Neuen Testaments nur am äußersten Rande vorkommt, weswegen ihre Theojogie noch gar nicht ausreichend gewürdigt ist, so wollen wir wenigstens versuchen, von dem Ethos der Sendschreiben in Offb.2 und 3 einen Eindruck zu vermitteln und hiermit unsere Darstellung zu beschließen. Der Verfasser der Offenbarung des Johannes sieht die Lage der Kirche seiner Zeit — in den neunziger Jahren des ersten Jahrhunderts - dadurch gekennzeichnet, daß sie der Verfolgung und dem Martyrium entgegengeht. Für diese Not, für diesen Kampf will er sie rüsten. Der große Kampf zwischen Christus und der dämonischen Gegenmacht des Antichrists beginnt. Als leidende und verfolgte gehört die Kirche auf die Seite Christi. Das dämonische Gegenreich hat seine geschichtliche Repräsentation im Römischen Imperium, das sich in Gestalt des Kaiserkultes religiös absolut setzt und der Hybris verfällt. Wieder stoßen wir auf einen schwerwiegenden Gegensatz innerhalb des Neuen Testaments, nämlich auf ein Gegenbild zu der Kirche, die anfängt, sich in der Welt einzurichten, auf ein Gegenbild zur bürgerlich-christlichen Ethik (Pastoralbriefe). Denn in der Johannes-Apokalypse sehen wir ja eine von der dämonischen Macht bedrohte Kirche vor uns, die sich ins Leiden geführt sieht und sich nicht in der Welt einrichten kann. Diese Kirche wächst nicht in die Welt hinein, weil die Welt sie ja vernichten will und mit dem Tode bedroht. In einer Situation der Verfolgung durch das Imperium können die Themen der bürgerlich-christlichen Ethik, bürgerlich-christliche Tugenden, Ordnung der Gemeinde, Gestaltung des Familienlebens, Ver-

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halten der Frauen u. ä. gar nicht mehr erklingen. Jetzt muß durch Leiden der Dämonisierung der Welt durch ein Imperium, das sich selbst vergottet, Widerstand geleistet werden. Das Blut der Heiligen wird vergossen; es gibt nur noch die Möglichkeit, die Gebote Gottes zu beobachten und das Zeugnis Jesu festzuhalten (Offb. 12,17). Den Verfasser der Offenbarung, einen unbekannten, christlichen Propheten, beschäftigen zwei Fragen: Was ist? und: Was wird sein? Auf die erste Frage antworten die sieben Sendschreiben an kleinasiatische Gemeinden, die offenbar stellvertretend die ganze Kirche repräsentieren sollen. Christus deckt durch das prophetische Wort die reale Lage und den Zustand dieser Gemeinden auf, er lobt und tadelt die Gemeinden in verschiedener Weise. (Zum Bau dieser Sendschreiben vgl. die Auslegung von Eduard Lohse, NTD Bd. 11.) Was ergibt sich nun hinsichtlich der wahren Situation der Kirche? Auch hier, wie bei Paulus oder in den Pastoralbriefen, bedroht die Gnosis die Kirche. Sie begegnet den Gemeinden nach Offb. 2,15 und 2,20 in Gestalt der sogenannten Nikolaiten und der Anhänger der falschen Prophetin Isebel. Johannes weist im Namen Christi jede Vermischung mit solchen Bewegungen, jeden Synkretismus auf das schärfste zurück. Den Irrlehrern wird das Gericht angekündigt (2,16.22). Die Schuld der Gemeinden ist es, diese gnostischen Strömungen zu dulden. Die Anklage richtet sich auf Götzendienst und Götzenopferfleisch-Essen. Es wird ein gnostisches Schlagwort angeführt „die Tiefen Satans erkennen" (2,24). Diese Erkenntnis soll wohl der Uberwindung des Dämonischen dienen, wird aber von dem Seher „Johannes" als der eigentliche Greuel des Götzendienstes und des Abfalls angesehen; auf den letzteren weist auch das an beiden Stellen begegnende Bild des „Unzucht-Treibens". Neben die Gefahr des Kompromisses mit der Gnosis, die ja eine Preisgabe des Christusglaubens bedeuten würde, tritt eine andere, im engeren Sinne ethische Bedrohung: die Gemeinde zu Ephesus ist von der Höhe herabgefallen, auf der sie ursprünglich gestanden hat: „Gedenke daran, daß du die erste Liebe verlassen hast" (2,4). In Offb.3,1 heißt es von der Gemeinde zu Sardes, sie sei „tot", ein prophetisches Urteil, das in der Geschichte der Kirche immer wieder lebendig geworden und wiederholt worden ist. Von der Gemeinde in Laodicea wird 3,14 ff. gesagt, sie sei lau, weder heiß noch kalt. Die Gemeinde lebt in einer falschen Sicherheit (3,15). Der kommende Christus wird sie ausspeien aus seinem Munde. Er wird diese fromme Selbstsicherheit zerstören. An solchen Aussagen erkennen wir, daß von einer idealisierenden Betrachtung der Lage der Kirche nicht im entferntesten die Rede sein kann. Das Feuer der „ersten Liebe" erlischt; höchst bedenkliche Kompromisse mit den Gnostikern werden geschlossen, man duldet solche Leute in den Gemeinden. Das ist die Lage der christlichen Gemeinden nach 45-50 Jahren Kirchengeschichte in Kleinasien. Es ist gleichsam ein Urbild dessen, was sich in der Kirche immer wieder ereignet.

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Wie lautet demgegenüber die Forderung des christlichen Propheten? Sie heißt Umkehr (vgl.2,6.16.21; 3,6 und 19). Dieser Aufruf geht durch alle Sendschreiben hindurch. Offenbar wird die Möglichkeit einer solchen zweiten Umkehr vorausgesetzt. Das ist nicht die Umkehr vom Götzendienst des Heidentums zum lebendigen Gott und zu Christus, sondern es ist die Umkehr innerhalb der Gemeinde Christi, der Sünde wegen, die dort geschehen ist — also Rückkehr zu Christus, Absage an die Irrlehre, Rückkehr zur ersten Liebe. So mußten auch die Korinther nach dem 2. Korintherbrief aus dem Ungehorsam in den Gehorsam zurückgeholt werden. Diese „zweite" Umkehr ist die Rückkehr von Christen zu Christus - das ist ein neuer Sinn des Wortes im Vergleich zum Gebrauch von „metanoia" (Umkehr) in der Verkündigung Jesu. Der Ruf zu dieser zweiten Umkehr ist die Reaktion auf die Verfallsgeschichte der Gemeinden. Es ist die Gnade Christi, daß sündigen Christen und Gemeinden die Möglichkeit zur Rückkehr gegeben wird. Wir hören im Neuen Testament also nicht nur einen Umkehr-Ruf an Juden und Heiden, sondern auch an Christen. Es gibt also nicht eine immer auf gleicher Höhe verlaufende Glaubens- und Sittengeschichte der Kirche; es gibt Brüche, Abfall, Lauwerden, Absterben - doch auch die Möglichkeit, durch die Umkehr neues Leben zu gewinnen. Hier ist es notwendig und nützlich, sich die entgegengesetzte Haltung des Hebräerbriefes zu vergegenwärtigen. Dieser erklärt in 6,4—6 mit aller Schärfe und Deutlichkeit, daß es für die Abgefallenen, die doch einmal des heiligen Geistes teilhaftig geworden sind und die Kräfte der zukünftigen Welt geschmeckt haben, keine Möglichkeit zu einer zweiten Buße und Erneuerung durch diese gäbe; denn diese vom Glauben Abgefallenen kreuzigen abermals den Sohn Gottes. Der Absturz von der neuen, eschatologischen Existenz des Christen in den Abgrund des Unglaubens und der Sünde ist endgültig und irreparabel (vgl. R. Schnackenburg, Christliche Existenz nach dem Neuen Testament I, S. 54f.). Am Beispiel Esaus wird in Hebr. 12,17 derselbe Gedanke ausgesprochen, offenbar, um das ungeheure Gewicht der Entscheidung für Christus und den christlichen Glauben einzuschärfen. — Wir haben hier einen der Fälle vor uns, wo wir uns innerhalb der einander entgegenstehenden Textaussagen für den einen oder den anderen Weg, die eine oder die andere ethische Verkündigungsform selbst entscheiden müssen, da eine Kompromißformel hier unmöglich und undenkbar ist. Nun ist die Frage zu stellen: Wie wird denn diese neue Umkehr möglich? Es wird natürlich nicht an die freie sittliche Entscheidungskraft des autonomen Menschen appelliert. Es werden weder jüdische noch modernidealistische Voraussetzungen gemacht. Die Möglichkeit zur zweiten Umkehr liegt allein in Christus selbst, er bietet sie den Gemeinden an. Dies wird deutlich in 3,19 ff. Die Liebe Christi bedeutet die Züchtigung der Gemeinde. Christus steht vor der Tür der Gemeinde. In dieser Gegenwart Christi kann die neue Entscheidung gefällt, kann die Rückkehr vollzogen werden. Damit ist der Weg der Überwindung, zum „Siegen" im eschatologischen Sinne

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eröffnet, vgl. die Überwindersprüche am Ende aller Sendschreiben. Andernfalls gibt es nur das Gericht. Daher der dringende Appell: „Wer ein Ohr hat, der höre, was der Geist den Gemeinden sagt!" (3,22vgl.2,17). Auch die Sendschreiben sprechen von den Werken: „ich kenne deine Werke" (2,2.19), aber nicht im jüdisch-legalistischen Sinne; gemeint ist vielmehr das gesamte Leben der Gemeinde, das in den Werken Gestalt annimmt. An der Stelle, wo es bei Paulus heißt „wandeln gemäß dem Geist", steht in Offb.2-3 der zusammenfassende Terminus „die Werke". In diesem Sinne sagt der richtende und gnadeverheißende Herr zu der Gemeinde: „ich kenne deine Werke." Offb. 19,8 spricht in positivem Sinne von den „Rechttaten der Heiligen", mit denen sie geschmückt sind. Von den Märtyrern, die „im Herrn sterben", heißt es: „ihre Werke folgen ihnen nach" (14,13), nämlich ins ewige Leben; das sind die „guten" Werke, die des Reiches Gottes würdig sind (vgl.Mt.25,3Iff., wo die „Gerechten", d.h. die Täter der helfenden Liebe das Reich Gottes ererben). Diese guten Werke sind die eschatologische Realität der christlichen Existenz. Nach 3,2 sind die Werke der Gemeinde zu Sardes „nicht erfüllt (vollkommen) vor meinem Gott". Natürlich finden sich auch nähere Bestimmungen oder Umschreibungen dieser Werke. Häufig gebraucht wird in der Johannesapokalypse der Begriff „hypomone", was nur schlecht im Deutschen mit „Geduld" wiedergegeben wird; denn „Geduld" klingt zu moralisch, zu sehr nach menschlicher Anstrengung. Gemeint ist aber eine eschatologische „Tugend", nämlich das Ausharren im Leiden, das auf das eschatologische Ziel ausgerichtet ist. Dieses Ausharren ist nur möglich, weil der Tag Christi kommt. So gesehen, kann „Ausharren" das Gesamtverhalten der Gemeinde bezeichnen, die dem Ende entgegengeht. In 1,9 sagt Johannes von sich, daß er der Bruder und Genösse der angeredeten Christen sei, der mit ihnen teilhabe an der Drangsal und dem Ausharren. Leiden, Drangsal (im Sinne der Not der letzten Zeit) und Ausharren gehören zusammen. Weil die Gemeinde zu Philadelphia „das Wort vom Ausharren festgehalten" hat, soll auch sie bewahrt werden „aus der Stunde der Versuchung" (3,10). Wir fragen weiter, wie sind die Forderungen der Umkehr und der Werke begründet? Nun ist das Denken der Offenbarung nicht weniger streng christologisch als das des Paulus oder der johanneischen Schriften. Christus ist der göttliche Herr der Kirche und der Welt. Er ist der „König der Könige und Herr der Herren" (19,16; vgl. 17,14). In Kap. 2-3 tritt er uns ebenso als der gebietende und richtende wie als der Gnade und Leben spendende Herr der Kirche entgegen. Wir sahen schon: er bietet den Gemeinden die neue Lebensmöglichkeit der Umkehr dar. Die Eröffnungsworte der Sendschreiben „so spricht der . . . " stellen Christus in seiner ganzen, göttlichen Herrlichkeit und Vollmacht vor die Gemeinde hin. Entsprechendes gilt von den Schlußsprüchen der Sendschreiben. Schon jetzt beginnt der göttliche Weltrichter mit dem Gericht über die Gemeinden. Wollte man die Vollmachtsworte zu Eingang der Sendschreiben miteinander verbinden, so würde uns die Christologie in ihrer ganzen Fülle entgegentreten. Die Gemeinden handeln ange-

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sichts des kommenden eschatologischen Siegers. Im Geiste ist der Herr und Richter der Kirche schon gegenwärtig. Er ist nicht nur der Kommende, sondern auch der jetzt Gegenwärtige. Obwohl der Zusammenhang von HeilsFuturum und Imperativ oder von Heils-Gegenwart und Imperativ nur bildlich zum Ausdruck kommt, nämlich in den Worten Christi selber, so kann doch von einer eschatologischen und christologischen Begründung der Forderung gesprochen werden. Daher ist denn auch von Leistungsethik keine Spur zu entdecken. Eine eigenartige und für diese Schrift charakteristische Vorstellung findet sich in den sogenannten Überwinder-Sprüchen am Ende der Sendschreiben: es ist die Vorstellung vom „Siegen": „dem, der siegt, werde ich geben . . . " , und dann folgt die eschatologische Heilsverheißung der Anteilhabe am ewigen Leben, an der Herrschaft Christi usw., in den verschiedensten Bildworten. Der Überwinder der „letzten" Drangsal, der Christus die Treue hält, empfängt den himmlischen Lohn. Aber dieses Siegen geschieht nicht aus der religiösen oder moralischen Kraft der Christen heraus, sondern aus seiner Gemeinschaft mit Christus, die er im Festhalten des Zeugnisses und in Werken bewährt. Es ist also eigentlich ein Mitsiegen mit dem Sieger Christus, der alle dämonischen Mächte niederwirft. Das Gegenüber der beiden Handelnden, des Überwinders und Christi, bringt jedoch sachgemäß zum Ausdruck, daß der Christ und die Gemeinde verantwortlich handelnde Personen sind, keine Marionetten, keine gänzlich passiven Werkzeuge einer zwingenden, göttlichen Macht. Von den Seligpreisungen (Mt. 5,3 ff.) gilt ja im Verhältnis von Tun und Heilsansage das gleiche. In Joh. 16,33 begegnet dieser Begriff in Anwendung auf Christus: „Ich habe die Welt besiegt." Im 1. Johannesbrief war von dem Glauben die Rede, der die Welt überwunden hat (5,4). Der Unterschied in der Aussage der Sendschreiben von derjenigen der johanneischen Schriften liegt in der eschatologisch-futuristischen Bezogenheit auf die Verheißung des kommenden Heils, während in den johanneischen Formeln das perfectum praesens eindeutig herrscht: der Sieg ist eindeutig errungen. Genauso wie die Synoptiker oder Paulus hält auch die Offenbarung an der alten Lohn-Vorstellung fest. Aber der Lohn ist Gnade, weil Christus der Schenkende ist, weil keine Leistung belohnt wird. Man kann an das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg (Mt. 20,1 ff.) erinnern, in dem der Lohn durch die freie, souveräne Güte des Herrn bestimmt wird (Mt.20,14ff.). Die Christologie der Apokalypse schließt jeden Rückfall in den jüdischen Moralismus aus. In der Christologie ist sozusagen die Reinheit dieser Ethik begründet. Trotz aller Drangsal und Versuchung kann man siegen - durch Christus. Das ist Mahnung und Tröstung zugleich für eine Kirche, die in das Leiden hineingehen muß. Dabei ist die Offenbarung von äußerstem Realismus erfüllt: sie zeigt in Kap. 13 und 17-18, daß die Mehrheit der Menschheit dem Reiche des Antichrists verfällt. Den Heiligen treten die „Erdbewohner" gegenüber, die den Weg des Glaubens nicht finden können. Trotzdem bleibt Offb.4 in Kraft: nämlich der Lobpreis der göttlichen Majestät des Schöpfers,

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der das All erschaffen hat. Eine gnostische Weltabwertung liegt demnach im Buch der Offenbarung nicht vor. Dem 4. Kapitel entsprechen Kap. 21—22 mit der eschatologischen Botschaft von der „neuen" Schöpfung. Man vergleiche hiermit die wichtige Formel „Königsherrschaft über die Welt" (kosmos; 11,15); die Herrschaft Christi ist Weltherrschaft; die Schöpfung wird vom Schöpfer nicht preisgegeben. Im schärfsten Gegensatz zur Gnosis sind der Schöpfer und der Erlöser ein- und derselbe Gott. So wird durch Christus nicht nur die Schuldfrage, sondern auch die Machtfrage, wer der Herr der Welt sein wird, gelöst. Und daran hängt ja doch letztlich der Sinn der christlichen Ethik: Alles Lieben und Ausharren, alles Leiden und alle guten Werke, sie werden nicht fruchtlos und vergeblich sein. Man kann von hier aus zu der viel umstritteneren Frage des Chiliasmus (0ffb.20,4) Stellung nehmen, zu der merkwürdigen Vision der vorläufigen, tausendjährigen Herrschaft Christi auf Erden. Wir gehen deswegen damit über die Sendschreiben hinaus, weil spätere Zeiten 20,4 ethisch uminterpretiert haben. Eine Vorstellung der spätjüdischen Zukunftserwartung von einer Vorstufe der endgültigen Vollendung (welch erstere „diesseitigen" Charakter hat) ist aufgenommen. Aber der Kern der Aussage von 20,4 ist die gemeinsame Herrschaft Christi zusammen mit den Märtyrern, denen jetzt Gerechtigkeit widerfährt. Hiermit ist das Motiv verbunden, daß Christus seinen Anspruch auf diese Welt nicht preisgibt, sondern verwirklicht. Also handelt es sich nicht um ein Weltreich Christi, das aus christlichem Weltgestaltungswillen hervorginge, wie es spätere Schwärmer und Enthusiasten erträumt haben. Solche Vorstellungen, die man gleichfalls chiliastisch nennt, liegen dem eschatologischen Denken der Apokalypse vollkommen fern. Es gibt hier also - im Gegensatz zu den Chiliasten des 16. und 18. Jahrhunderts - keine chiliastische Ethik. Andererseits wird hier - im mythologischen Bilde - sehr deutlich: das Reich Christi ist nicht ein himmlisches Jenseits; es geht vielmehr wie in 11,15 um die Welt-Herrschaft Christi. Durch diese Aussage aber leistet die Offenbarung indirekt etwas Wichtiges für die christliche Ethik: der eschatologische Horizont und damit zugleich die Grenze der Ethik werden sichtbar; sie bekommt ihren Bezugsrahmen und damit auch ihren Sinn. Selbstverständlich muß der Symbolcharakter solcher apokalyptischer Vorstellungen betont werden. Die Verwendung unseres Zeitbegriffes ist in eschatologischen Aussagen immer unangemessen, da es sich in ihnen ja gerade um das „Ende" der Weltzeit handelt. Entscheidend aber ist die christologische Aussage, die mit 20,4 gemacht wird. Auch das Reich des Antichrists ist „diesseitig", nicht jenseitig; es realisiert sich auf dieser Erde als Herrschaft über Menschen. Von diesem Reiche aus gesehen, wird erst die eschatologische Bedeutung der Gemeinde Christi deutlich, die der Herrschaft des Antichrists widersteht; sie hält auch das Bekenntnis zum Schöpfer fest. Beide, Kirche wie Gegenkirche, werden im vollendeten Reiche Gottes nicht mehr sein (Kap. 21; vgl. 20,11), doch muß diese Aussage modifiziert werden, insofern in der Gestalt des erlösten Gottes-

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volkes aus aller Welt auch die Kirche zu ihrer Vollendung gelangt. In diesem Reiche bedarf es keiner Paränese und Ethik mehr. Das Reich Gottes ist die unendliche Erfüllung alles dessen, was die Ethik des Neuen Testaments intendiert: der Heiligkeit, der Gerechtigkeit, des Friedens und der Liebe. Das bedeutet aber zugleich, daß die Werke der Gemeinde nichts Verlorenes sind (14,13). Auch in der Offenbarung des Johannes markiert die Ethik den Zwischenstand der Kirche zwischen Ostern und dem Weltende. Die Antinomie von Schöpfung und dämonischer Macht, in welche die Kirche sich gestellt sieht, wird nicht in eine theologische Formel aufgelöst; für sie gibt es nur die Antwort der eschatologischen Erlösung.

SCHLUSS

Die Einheit der neutestamentlichen Ethik Die Spannungsbögen in der Ethik des Neuen Testaments von Matthäus zu Paulus, von Paulus zu Jakobus, von den Pastoralbriefen bis zu Johannes sind erstaunlich weit. Angesichts dieser Vielfalt der Formen - und deren viele sind uns noch dazu aus Mangel an Quellen unbekannt! - ist die Frage nach der Einheit .der neutestamentlichen Ethik notwendig und berechtigt. Wer rein historisch urteilt, kann natürlich einfach bei einem.Nebeneinander oder dem Gegensatz von Formen, von ethischen „Konfessionen" stehenbleiben. Doch uns liegt an einem christlich-theologischen Urteil, wenn wir nach der Einheit der Ethik des Neuen Testaments fragen, welche Vielfalt und Gegensätze überspannt oder durchdringt. In vier Stücken läßt sich u.E. diese Einheit ohne Schwierigkeit feststellen: 1. hinsichtlich des Liebesgebots, das überall bei den Synoptikern und bei Paulus, bei Jakobus und Johannes die Mitte und die höchste Norm der Ethik darstellt. An dies Gebot Christi, das „neue" Gebot, haben sich alle von uns behandelten Schriften gebunden erachtet. Seine Konkretisierung dagegen in den verschiedensten geschichtlichen Situationen ist mannigfaltig und läßt einen weiten Spielraum offen. Doch heben sich zwei Züge aus dieser Vielfalt als die wichtigsten heraus: a) die Liebe als Liebe zu den Armen, Elenden und Notleidenden aller Art (vgl. Mt.25,31 ff.; Lk. 10,29ff.); b) die Liebe zu den Brüdern in der Gemeinde, als Band der Einheit und der Bruderschaft (l.Joh.passim; Kol. 3,14; vgl.Eph.4,3.32). Wir haben freilich gesehen, daß jede Schematisierung der Texte unmöglich ist; denn z.B. Johannes beschränkt sich ja einseitig auf die Forderung der Bruderliebe.

Schluß

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2. Das zweite Hauptstück, in dem wir eine wesentliche Einheit feststellen können, ist das kritische, distanzierte Verhältnis zur Welt. Gewiß gibt es hier mannigfache Abwandlungen und Unterschiede. Das kritische Weltverständnis kann streng theologisch und eschatologisch gefaßt sein wie bei Paulus und Johannes, oder moralisch gefärbt wie in den Pastoralbriefen, insofern diese einzelne Laster und Verfehlungen besonders im Auge haben. An Paulus sehen wir, daß beides sich keineswegs auszuschließen braucht. Auch dann, wenn die Naherwartung zurücktritt, wird die Welt nicht ein ewiger Wert oder ein dauernd bestehender Kosmos; das Weltverhältnis bleibt kritisch. Die bürgerlich-christliche Ethik und die eschatologische Betrachtungsweise begrenzen sich gegenseitig (vgl. H.-D. Wendland, Kirche und Welt im Neuen Testament; siehe das Lit.-Verzeichnis). Selbst bei Jakobus hat die Paränese den eschatologischen Hintergrund behalten; sie kann gegenüber den Reichen zur Gerichtsverkündigung werden. 3. Das Dritte, hinsichtlich dessen wir eine wesentliche Einheit feststellen können, ist die Tatsache, daß es sich in allen Schriften des Neuen Testaments um Ethik der Gemeinde für die Gemeinde handelt, um deren Reinerhaltung und Heiligung es geht. Diese Ethik hat nicht den Charakter systematischer Reflexion, wie sie später mit Hilfe philosophischer Begriffe durchgebildet worden ist, sondern ist ethische Verkündigung in der Form von Weisungen und Warnungen. Sie bleibt auch bei Paulus kerygmatische Theologie, obwohl Paulus in Sachen der theologischen Begründung am weitesten vorgedrungen ist, worin sich ihm der Epheserbrief an die Seite stellt. Die Imperative können jedoch auch fast ohne den Indikativ formuliert werden, wie wir bei Jakobus sahen. Doch auch dieser setzt die Gemeinde voraus und wendet sich an Gemeindeglieder. Nur wenige universale Normen reichen über die Grenzen der Gemeinde hinaus, so in erster Linie das Liebesgebot oder die allgemeine Verpflichtung gegenüber der politischen Herrschaft. 4. In allen Schriften des Neuen Testaments, sogar bei Jakobus, sind Eschatologie und Ethik miteinander verbunden, freilich in sehr verschiedenen Formen. Die eschatologisch-futurische Form der Fundierung kann neben anderen stehen, wie Paulus zeigt, welche vom vollzogenen Heilsgeschehen ausgehen. Bei Johannes regiert eindeutig diese letztere Form, das Eschaton als Gegenwart. In der vorösterlichen Situation steht begreiflicherweise der Hinweis auf das kommend-zukünftige Reich Gottes im Vordergrunde. So können wir aufs Ganze gesehen von einer eschatologischen Ethik und einer ethischen Eschatologie im Neuen Testament sprechen. Das Kommen des Reiches Gottes begründet die christliche Ethik und macht deren „Eigenart" aus, die, wie wir gesehen haben, nicht in den materiellen Einzelforderungen zu suchen ist. Was nun die übrigen theologischen Begründungen der Ethik anbelangt, so ist die Variationsbreite der theologischen Fundierungen sehr groß. Vom fast völligen Fehlen bei Jakobus reicht sie bis zu genauen Begründungen bei Paulus, beim Verfasser des Epheserbriefes und bei Johannes.

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Gemeinsam ist nicht eine Theologie, gemeinsam ist der Boden der Gemeinde und der Glaube an Christus. Man soll daher neben Paulus auch den anderen Formen der neutestamentlichen Theologie und Ethik ihr Recht widerfahrenlassen, statt einen Privat-Kanon für Paulinisten u. dgl. mehr aufzurichten. Theologie kann es freilich, da sie ja mit Vorstellungen und Begriffen arbeitet, immer nur in der Mehrzahl geben. Und so steht es auch im Neuen Testament. Es wäre daher abwegig, eine theologische Einheit künstlich zu konstruieren. Man soll das nicht von Paulus her versuchen, aber auch nicht vom Dogma der alten Kirche her rückwärts konstruieren. Viele Theologien - aber ein Herr! Viele Ethiken - aber ein Gebot der Liebe! In dieser Weise gilt dann das theologische Urteil, daß Einheit und Vielfalt sich nicht widersprechen. Es gibt einen „cantus firmus", der den ganzen Gesang trägt und führt. Nur demjenigen zerfällt alles in Splitter, der den Glauben an den einen Herrn der Gemeinde nicht teilt. Wer aber durch die Gnade Gottes dieses Glaubens ist, der kann mit gutem Gewissen und guten Gründen von der Einheit der Ethik des Neuen Testaments sprechen, die wir in ihren Grundzügen darzustellen versucht haben. Damit aber das hier über die Einheit der Ethik im Neuen Testament Gesagte um keinen Preis im Sinne der Idee eines geschlossenen Systems mißverstanden werden kann, kehren wir zum Schluß noch einmal zur Bergpredigt-Ethik zurück. Alle anderen ethischen Formeln und Traditionen im Neuen Testament müssen an ihr als der ersten und letzten, kritischen Instanz gemessen werden. Sie ist und bleibt die ewige „Unruhe" in aller christlichen Ethik, schon innerhalb der Ethik des Neuen Testaments. Die radikale, unbedingte, universale Forderung der Bergpredigt bricht jedes System der Moral im theoretischen wie im gesellschaftlich-praktischen Sinne des Wortes auf. Sie ist der Feind jeder Art von christlichem Moralismus und Pharisäismus; sie steht wider alle a-ethische Religion magischer oder mystischer Herkunft und Artung. Die Bergpredigt demaskiert die Unzulänglichkeit aller rein „humanen" Ethik und aller (notwendigen) gesellschaftlichen Moral-Konventionen und ethischen Tabus. Die Bergpredigt hält die Ethik des Neuen Testaments offen und überschreitet alle Einzelaussagen und Traditionen in Richtung auf das Eschaton des Reiches Gottes, weil sie selbst als die Forderung der neuen Gerechtigkeit, als das Gebot der Nächsten- und Feindesliebe Zeugnis von dem hereinbrechenden Reiche Gottes und seiner Vollkommenheit gibt: von der Liebe, die wie Gott selbst handelt (Alt.5,48), welcher die grenzenlose, unbedingte Liebe und Barmherzigkeit ist. Deshalb gehen von der Bergpredigt immer neue heilsame und richtende Erschütterungen und Verwandlungen des tradierten und historisch fixierten, kirchlichen Ethos aus.

Literaturverzeichnis Zum Ganzen H. van Oyen, Ethik des Alten Testaments, 1967 R. Schnackenburg, Die sittliche Botschaft des Neuen Testaments, Handbuch der Moraltheologie VI, 2 , 1 9 6 2 R . Schnackenburg, Christliche Existenz nach dem Neuen Testament, Bd.I, 1967, II, 1968 H.Preisker, D a s Ethos des Urchristentums, 2. Aufl. 1949 W . G . K ü m m e l , Artikel Sittlichkeit, V. Im Urchristentum, in: R G G VI, 3. Aufl. 1962, Sp. 70-80 (Literatur) R. Liechtenhan, Gottes Gebot im Neuen Testament, 1942 E. Lohmeyer, Soziale Fragen im Urchristentum, 1921 H . v. Campenhausen, Die Christen und das bürgerliche Leben, nach den Aussagen des Neuen Testaments, in: Tradition und Leben, 1960, S. 180-202 K. Niederwimmer, Der Begriff der Freiheit im Neuen Testament, 1966 H.-D. Wendland, D a s Menschenbild des Neuen Testaments, in: Dienst unter dem Wort. Festschrift für Helmut Schreiner, 1953, S. 306-327 Ders., Kirche und Welt im Neuen Testament, in: Die Kirche in der revolutionären Gesellschaft, 2. Aufl. 1968, S. 11-27 Ders., Gibt es Sozialethik im Neuen Testament? in: Botschaft an die soziale Welt, 1959, S.68-84 H . Greeven u. a., Theologie der Ehe, 1969 (hierin H . Greeven u. R. Schnackenburg über die Exegese der betr. Texte des N T ) Κ. H . Rengstorf, M a n n u. Frau im Urchristentum (Arbeitsgemeinschaft f. Forschungen des Landes Nordrhein-Westfalen, Geisteswissenschaften 12), 1954 I. KAPITEL:

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URGEMEINÜE

L. Goppelt, Die apostolische und nachapostolische Zeit, in: Die Kirche in ihrer Geschichte, Lieferung A, 1962 S.Wibbing, Die Tugend- und Lasterkataloge im Neuen Testament und ihre Traditionsgeschichte, 1959

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Heinz-Dietrich Wendland, Ethik des Neuen Testaments

Vgl. die zu Kap. I genannte Literatur zur Paränese der synoptischen Jesus-Tradition und zur Bergpredigt, u. v. R. Schnackenburg, Christi. Existenz I (s. o.), S. 109-131 III. KAPITEL:

PAULUS

G. Bornkamm, Paulus, 1969 H.v.Soden, Sakrament und Ethik bei Paulus, in: Urchristentum und Geschichte I, 1951, S. 239 R. Bultmann, Das Problem der Ethik bei Paulus, in: Exegetica hg. von E. Dirckler, 1967, S. 3 6 - 5 4 H.-D. Wendland, Ethik und Eschatologie in der Theologie des Paulus, in: Neue kirchliche Zeitschrift 41, 1930, S. 751-783 und 793-811 W. Joest, Gesetz und Freiheit. Das Problem des tertius usus legis bei Luther und die neutestamentliche Paränese, 3. Aufl. 1961 C. H. Dodd, Das Gesetz der Freiheit, 1960 H.-D. Wendland, Zur sozialethischen Bedeutung der Neutestamentlichen Haustafeln, in: Botschaft an die soziale Welt, 1959, S. 104-114 W. Schräge, Die konkreten Einzelgebote in der paulinischen Paränese. Ein Beitrag zur neutestamentlichen Ethik, 1961 O.Merk, Handeln aus Glauben. Die Motivierungen der paulinischen Ethik, 1968 O.Cullmann, Der Staat im Neuen Testament, 2. Aufl. 1961 E. Stauffer, Christus und die Cäsaren, 6. Aufl. 1964 G. Delling, Römer 13,1-7 innerhalb der Briefe des Neuen Testaments, 1962 E. Käsemann, Grundsätzliches zur Interpretation von Römer 13, in: Exegetische Versuche und Besinnungen II, 1964, S. 204-222 E. Käsemann, Römer 13,1-7 in unserer Generation, in: Z. f. Theol. u. Kirche, 56. Jg. 1959, S. 316-376 R. Walker, Studie zu Rom. 13,1-7, Theol. Existenz 132, 1966 H. Bai tens weiler, Die Ehe im Neuen Testament, 1967 E. Kähler, Die Frau in den paulinischen Briefen, 1960 J . Leipolt, Die Stellung der Frau in der antiken Welt und im Urchristentum, 1955 L. Nieder, Die Motive der religiös-sittlichen Paränese in den paulinischen Briefen, 1956 IV.-VII.

KAPITEL

G. Eichholz, Glaube und Werk bei Paulus und Jakobus, Theol. Existenz 88, 1961 R . Schnackenburg, Christ und Sünde bei Johannes, in: Christliche Existenz nach dem Neuen Testament II, S. 97-122 Zu vgl. sind die Auslegungen im N T D , Bd. 1 - 1 1 sowie die zahlreichen „Ausführungen" (Exkurse), besonders in den Bänden 6 - 8 u. 10-11, die häufig zu den „ethischen" Fragen in den Texten Stellung nehmen.

Sachregister (Hauptbegriffe) Arbeit 71 f. Armut und Reichtum 39 ff. Askese 23 f., 76 ff. Bergpredigt 16ff., 124 Bürgerlichkeit, christliche 96 ff. Buße s. Umkehr Ehe 25f., 76ff., 93f. Ethik Begriff 2 ff. Ethik, eschatologische 3Iff., 123 Ethik, theol. Begründungsformen 37, 49 ff., 59f., 90ff., 102f„ 119f„ 123

Liebesgebot 13ff., 59ff., 63, 106, 115, 122

Ulf.,

Nachfolge 29 ff., 98 Nächstenliebe s. Liebesgebot Naturrecht 71 Paränese 45, 48, 50, 52, 91, 94, 101 ff., 104, 107, 113 Rechtfertigungslehre 49, 53 Reich Gottes — in der Verkündigung Jesu 6 ff., 22 ff. Reichtum s. Armut

Familienethik, christl. 98 f. Frau 80 ff. Freiheit, eschatologisch-pneumatische 55 ff.

Sklaven 83f., 93f. Staat 26f., 72ff. Sünde 113 ff.

Gemeinde — Ethik 36ff„ 48, 51, 64ff., 123 Gesetz 8 ff., 38 ff., 50, 55 ff.

Tugend- und Lasterkataloge 46f., 92 Umkehr 6ff„ 118f.

Haustafeln 46f„ 67ff., 82f„ 93f., 99, 102f. Laster-Kataloge s. Tugend- u. Lasterkataloge

Welt 22 ff., 69 ff., 123 Welt — in der Verkündigung Jesu 22 ff. Werke, gute 16ff., 27ff., 104ff., 119

Bibelstellen-Register Altes I.Mose 1,27 1,27 f. 2,24

3. Mose 25 80 25. 80

11,44 19,18

Neues Matthäus 3.2 4,17 5-7 5.3 5,3 ff. 5,3-12 5.6 5.7 5,7 5,9 5,13 ff. 5,13-16 5.17 5,17-19 5.18 5,20 5.20 ff. 5.21 5.21 ff. 5.22 5.23 f. 5,23 ff. 5,23-25. 27-28 5,32 5,39 5.43 ff. 5.44 5.44 ff. 5.45

Testament

6 6 2. 16. 34 41. 107 5. 6. 17. 28. 38. 120 17 43. 44 6 16. 27. 105.108 6. 16. 27. 105. 108 17. 107 17. 27 17. 42 9. 13. 43 42 12. 43. 107 44 17 6. 11. 13. 18. 22. 43 23 27 13 11 25 59 13. 14. 17. 18. 43 59 14. 15 13

5,48 6,1 6,1 ff. 6,10 6,11 6,2 f 2. 6,14 f. 6,19 6,19 ff. 6,21 6,24 6,24 ff. 6,25 ff. 6,33 7,1 7,1 ff. 7,7 ff. 7,11 7,12 7,13f. 7,15 ff. 7,16ff. 7,17 ff. 7,19 7,21 ff. 8,19ff. 10,5 10,5 ff. 10,7 10,17 ff. 10,26 ff. 11,19 11,28 ff.

102 14. 109

5. Mose 14,4

39

Jeremias 22,13

41

Testament 13. 124 43 17 31 24 23 28 24 39. 40 24 40 39 24 12. 24. 39. 41 108 17 28 23 108 28 17 28 12. 15 23 7. 18. 20. 23. 27 44. 107 31 9 36 31 36 36 25 44. 108

25,32 ff. 25,46 28,18ff.

11 28 22 36 44 23. 44 29 7 25 23 40 120 120 43 108 106 43. 105 9 9 44 13 43 29 15. 18. 44. 106. 109. 119. 122 29 43 8

Markus 1,15 l,16ff. l,17f. 1,21 f. 1,44

5. 6. 27. 38 29 30 9 9. 10

11,28-30 12,33 12,36 18,15ff. 18,18 18,21 ff. 18,23 ff. 19,3 19,9 19,12 19,16 ff. 20, Iff. 20,14ff. 22,34 ff. 22,35 ff. 22,39f. 23 23,lf. 23,1 ff. 23,13 ff. 23,14 23,15 ff. 25,14 ff. 25,3 Iff.

Bibelstellen-Register 2,14 2,18ff. 2,22 2,27 3,1 ff. 3,29 4,19 7,1 ff. 7,13 7,15.17 ff. 9,43 ff. 10,1 ff.' 10,6-8 10,8 10,llf. 10,17 ff. 10,18 10,22 10,25 10,27 10,28 ff. 10,42 ff. 12,14 ff. 12,28 ff. 12,34 12,40 13

30 10 10 10 10 114 41 10. 15 10 10 23 11. 25. 47. 76. 80. 84 80 76 26. 77 9. 28 22 . 28 41 28 31 26 26 13 14 13 22

9

7 8 7. 8 107 7. 22 39 41

Johannes l,lff. l,4f. 1,14 ff. 1,17 3,16 3,20f. 3,21 8,32. 34 10,11 13,34 15,3 15,12 15,13 15,16. 18ff. 16,33 17,15 17,19 18. 28 ff. 20,21 ff.

110 110 113 115 112 111 91 111 111 2.13.35.58.112 115 13 111 111 110. 120 115 115 113 36

Apostelgeschichte

Lukas 5,1 ff. 5,8 5,32 6,20 ff. 6,24 f. 6,24 ff. 6,27 ff. 6,43 f. 9,2 9,57 ff. 9,60 10,26 10,29 ff. 10,38 ff. 12,13 f. 12,16ff. 12,21 13,10ff. 14,1 ff. 14,26 14,26 ff. 14,28-33 14,33 15

15,1 ff. 15,7. 10 15,1 Iff. 16,19ff. 18,13 18.18ff. 19,2ff.

29 22 7. 22 6. 16. 34. 41 39. 40 107 15 28 31 7. 24. 30 31 9 14.16.112.122 30 23 39. 41 39 10 10 7. 15 79 28 30 8. 22

Wendland, Ethik

2,42 ff. 4,32 4,36f. 5,1 ff. 6 17,30f. 18,1. 18 21,9

38 38 38 38 45 47 82 81

Römerbrief 1 1,18-3,20 1,21 ff. 1,32 2,14f. 2,14-16 2,15 2,17ff. 3-5 3,24 5-8 5,5 6

75 47. 57 47 71 45. 71 71 71 9 52 50. 95 55. 64 59. 87 49. 50. 52. 53. 106

129 6,2 ff. 6,3 ff. 6,11 6,11 ff.

37. 45 52. 101 103 18. 37. 45. 52. 54. 85. 86. 88. 102 6,14ff. 56 6,15 ff. 52 6,16ff. 56 6,18 103 7 58. 88 7,7 ff. 87 7,12. 14 56. 59 7,24 87 8 49. 75. 106 8, Iff. 49. 53. 54. 60. 87. 88 8,2 58 8,4 50. 58. 63. 86. 87. 88 8,4 ff. 114 8,18 ff. 26 51 8,31 ff. 55 8,37f. 70 10,4 44. 50. 56. 87 12 60. 67 12-13 63 12,2 61. 85. 86. 94 12,12-13,10 60 12,13 ff. 58. 59. 73. 85 12,14 34. 44 12,14 ff. 35 13 2. 3. 60. 96. 99 13,1 73.74 13, l f . 73 13,1 ff. 47. 65. 84. 86. 113 13,1-7 72 13,1-10 60 13,3 f. 61. 74 13,5 ff. 74 13,8ff. 63 13,8-10 53. 57. 63. 73 13,11 48 13,11 ff. 22. 73 13,14 50. 57. 90 14 80. 85 14,1 ff. 62. 63 14,4 62. 63 14,4 108 14,7 f. 56. 63 14,10 29 14,13-15,6 63 14,14. 15 63 15 80. 85

130 15,1 ff. 15,7 15,30 16,1.3

Bibelstellen-Register

62 63 59 82

l.Korintherbrief 1. l,18ff. 1,26 1,26 ff. 1,26-28 1,31 2,6 ff. 3,1 ff. 3,21 ff. 3,21-23 4,8 4.8 ff. 4,12 4,14 ff. 4,17 5,1 ff. 5,3 ff. 5,5 5,7 5,7. 8 5,10f. 12 6 6 , 1 ff.

6,7 6.7 ff. 6.8 6.9 6.9 f. 6.10 6,11 6,12 6,12 ff. 6,15 ff. 6,15-20 6,19 7 7-10 7,Iff. 7,4 7,7 7.9 7.10 7,10f. 7,12ff.

71 49. 51 107 41 84 51 77 53. 77. 87. 114 70 56 51 51 34 36. 85 37. 85 36.64. 84.114 64 114 38 51 64 67 64. 75. 85. 88. 114 44 64. 67 85 54. 64 46 46. 85 37. 38. 49. 64. 101 51. 57 76. 80. 85. 88 51 51 56 2. 42. 63 . 76. 78. 79. 80. 85. 98. 115. 116 67 76 82 77. 85 77 34. 35. 78 77 78. 86

7,14. 15.17 7,19 7,21. 22 7.24 7.25 7,25 ff. 7.28 7.29 ff. 7,31. 32 ff. 7,35 7.39 f. 7.40

8-10

8,1 ff. 8,9 8,9 ff. 8,13 9,19ff. 9,21 10 10,16f. 10,23 10.23 ff. 10.24 10,26 11,Iff. 11.3 ff. ll,llf. 11,23 ff. 12 12-14 12.4 ff. 12,12ff. 12,28 ff. 12,31 13 13,1 ff. 13,4-7 13.5 ff. 13.6 13,8-13 13.13 14 14,1 14,26 ff. 14,33 ff. 14,33-35 15,3 ff. 15,12ff. 16.14

78 50. 56. 63. 87 79 78 78 82 77 22. 48. 69. 77 77 76. 78 82 35. 78 35. 53. 54. 59. 62. 80. 85. 87 65 57. 60 55. 57 57 57 58. 59 88 35. 53. 54. 62. 80. 85. 87 52 51 57 57 63. 70 81 70. 82 82 34 65 35

66

66 66 63 59. 60. 111 19. 53. 60 59. 60. 62 70 61

60 59 65 87

33. 66 81

81 34. 49 51. 69 87

2. Korintberbrief 2 65. 84. 118 3,17 37 18. 29. 44. 54 5,10 5,17.18 ff. 70 6,1 ff. 50 6,2 6 6,6 59 11,28 f. 59 Galaterbrief 3,Iff. 3,13 ff. 3,15 ff. 3,27 3,28 4,1 ff. 5 5,6 5,13 5,13 ff. 5,13-14 5,14 5,16ff. 5,19 ff. 5,20 5,22 5,23 5,25 6,2

55 56 56 50. 80. 56 49. 49. 55. 52. 60. 54 57. 87 46. 50 46. 85. 88 49. 87. 57.

90 81. 82. 84 54. 106 60 57. 76. 87 53. 54. 56. 102. 104 63 54. 92 54. 59. 63. 87 50. 63. 86. 105 58

Philipperbrief 2,1 ff. 2,5 ff. 4,4. 5 4,8

60 34. 60 61 3. 45. 61. 65. 70

Kolosserbrief 1,8 l,15ff. 2,10. 20 3,5 ff. 3,9 3,9 ff. 3,11 3,12 3,14 3,18 3,18 ff.

59 70 70 90 91 90 80 95 63. 122 67 34. 46. 68. 81. 82. 83. 93. 94.

102

Bibelstellen-Register 3,18-4,1 3,22f. 3,23 f. 4,1

67 72 67 67. 83

1. Thessalonicherbrief 4,3 4,3 £. 4,11 f.

85 79 71

2. Thessalonicherbrief 3,6ff.

72

Philemonbrief V. 1 2 - 1 4 V. 14 ff. V. 17

83 83 83

Epheserbrief 1,3 ff. 2,1 ff. 2,8-10 4,1. 2 4,3 4,17ff. 4,22 ff. 4,30 4,32 5,2 5,3-7 5,8f. 5,8-9 5,8-21 5.9 5.10 5.14 5.15 5.17 5.18 5.21 5.22 5,22 ff. 5,22-6,9 5.25 f. 5.26 5,28. 31 ff. 6,5 ff.

91 91 94 94 94. 90 90 91. 92. 92. 92 94 91 92 94 91. 91. 92 94 94 94 91 46.

1,10 l,18ff. 2.1 ff. 2.2 2,9 2.9 ff. 2.10 2.14 f. 2.15 3.1 ff. 3.2 3,412 4.3 5,4. 8 5.9 ff. 5.10 5,14 5.16 6,3 ff.

1,3.5

1,6 ff. 122

94 95. 122 95

94 92

67. 79. 82.

1,9 3,8 3,15 4,3

1,6 1,9 2,3 ff. 2,11. 12 2,12f. 3,1 3,5

1 1,3-4,11 1,13 ff. 1,16 l , 1 7 f . 19 f. 1,23 2,1 f. 2,13 ff.

6,11. 12. 13 ff. 16

92

97. 98 97 99 96 99 99 96

1.Petrusbrief

1,20

6,10 6,10 ff.

98 96 96 97 98 97

Titusbrief

93 93

101

97 96 99 96 97 98 96 97 98 99 97 98 97 98 99 98 97. 98 98 97

2. Timotheusbrief

102

93 93 92 100

9*

1. Timotheusbrief

48 101. 103 101 102 102 104 102 101 46. 47. 67. 99. 102. 103

2,15 ff. 16. 18 ff. 19 ff. 21 ff. 24 102 3,1 ff. 3 f. 103 3,4 102

131 3,5 ff. 7 3,13 ff. 3,21 4,1 ff. 4.7 5,1 ff. 5.8

103 104 101 104 104 103 104

Jakobusbrief 1,1 104 1.18 107 1.19 ff. 106. 1,25 106 1,27 106 2 106 2,1 104 2,1 ff. 42 2,5 107 2.5 ff. 42 2,8 109 212 106. 2,13 106. 2,14ff. 105. 2,14-26 105 2,16f. 105 2,19 105. 2,21 ff. 106 3,13 ff. 17ff. 105 4,1-12 107 4,4 4.6 4,11. 12 5.1 ff. 5,3 5,7.9 6,24 ff.

107

107 109 106

106

108 108 108. 109 40. 107 107 107 107

1. Johannesbrief 1 1,6 1,6-10 1,8.9 2.2 2,3.4 2,7f. 2.7 ff. 2.8 2.9 2.10 2.11 2,12 ff. 2,15^;^ 2,15 ff. 17 2,18 ff.

122 111. 112 114 113 110 112 58. 112 111 113 112 58. 112 111 113 108.113 110. 116 114

132 3,6 3,9 3,11 3,14ff. 3,16 3,23 4,2 4,9 ff. 4,10 4,19 4,20 5,3 5,4 5,16 5,18 5,21

Bibelstellen-Register 114 113.114 58. 114 111 111 58. 115 110 110 58. 110 58 112 115 110. 120 113. 114. 113 115

Hebräerbrief 6,4 ff. 6,4-6 12,17

114 118 118

Offenbarung des Jobannes 1,9 2 2-3 2,2 2,4 2,6 2,15 2,16 2,17 2,19 2,20 2,21 2,22. 24 3 3,1 3,2 3,6 3,10 3,14ff.

119 116 119 119 117 118 117 117. 118 119 119 117 118 117 116 117 119 118 119 117

3,19 ff. 3,22 4 11,15 12,17 13 14,3 14,13 17-18 17,14 19,8 19,16 20,4 20,11 21-22

118 119 120. 121 121 117 75. 99. 120 119 122 120 119 119 119 121 121 121

Außerkanonische Barnabasbrief 2,6

108

Schriften

INHALT

Vorwort

2

Einleitung. Z u m Begriff der Ethik

3

I. Kapitel: Jesus. Die Verkündigung der anbrechenden Gottesherrschaft als eschatologische Ethik. Methodische Vorbemerkung

4

1. Reich Gottes und Umkehr 2. Das Gesetz Gottes

6 8

3. 4. 5. 6.

Das Liebesgebot Der Sinn der Bergpredigt Reich Gottes und Welt Die Erfüllbarkeit des Gebotes

13 16 22 27

7. Die Nachfolge 8. Zusammenfassung. Eschatologische Ethik

29 31

II. Kapitel. Die Urgemeinde. Neue Formen und Formeln der Ethik. Methodische Vorbemerkung

33

1. Vor- und nachösterliche Situation

34

2. Die judenchristliche Urgemeinde und das Gesetz 3. Die ersten hellenistischen Gemeinden

. . . .

38 45

III. Kapitel: Paulus. Das Christus-Heilsgeschehen als Grund und Ziel der Ethik. 1. 2. 3. 4.

Die Grundstruktur: Heilsgeschehen und Ethik Gesetz und Freiheit Die Liebe als höchste N o r m der Ethik Die Ethik des Paulus als Gemeinde-Ethik

. . . .

5. Die weltlichen Sozialordnungen a) b) c) d) e)

Gemeinde und Welt Die politische Gewalt Die Ehe Die Stellung der Frau Die Sklaven

6. Die Allgemeingültigkeit der Gebote und ihr Verhältnis zum Geist

49 55 59 64 69 69 72 67 80 83 84

134

Heinz-Dietrich Wendland, Ethik des Neuen Testaments

IV. Kapitel: Die deuteropaulinischen Schriften

89

1. Der Epheserbrief. Das Ethos in der Einheit des Leibes Christi 2. Die Pastoralbriefe. Die Ethik des bürgerlichen Christentums 3. Der 1. Petrus-Brief. Christus, das Urbild des Liebens und Leidens V. Kapitel: Der Jakobusbrief. Die Tat-Gerechtigkeit der guten Werke .

90 95 101

.

104

VI. Kapitel: Die johanneischen Schriften. Die Bruderliebe als der Schritt vom Tode zum Leben

109

VII. Kapitel: Die Sendschreiben der Offenbarung des Johannes. Der Ruf zur zweiten Umkehr

116

Schluß. Die Einheit der neutestamentlichen Ethik

122

Literaturverzeichnis

125

Sachregister

127

Bibelstellen-Register

128

HEINZ-DIETRICH WENDLAND (Hrsg.)

Sozialethik im Umbruch der Gesellschaft Arbeiten aus dem Mitarbeiter- und Freundeskreis des Instituts für Christliche Gesellschaftswissenschaften an der Universität Münster 1969. 320 Seiten, Leinen 3 8 — D M Diese Beiträge bieten eine Übersicht über den Stand der evangelischen Sozialethik heute und geben gleichzeitig einen Einblick in die mehr als zehnjährige Arbeit des Instituts für Christliche Gesellschaftswissenschaften. Die Aufsätze, die sich teils mit Grundsatzfragen befassen, teils historische und systematische Einzelstudien darstellen oder den Bereich der kirchlichen Praxis tangieren, wollen zur Fortentwicklung der christlichen Sozialethik beitragen, die besonders auf dem ökumenischen Felde in letzter Zeit durch das II. Vatikanische Konzil und durch die Genfer Konferenz .Kirche und Gesellschaft' des Ökumenischen Rates der Kirchen neue Impulse empfangen hat.

HEINZ-DIETRICH WENDLAND

Die Briefe an die Korinther (Das Neue Testament Deutsch, Band 7) 12., umgearb. u. erw. Aufl. 1968. 240 Seiten, kart. 12,—DM Neben der von Vers zu Vers fortschreitenden Auslegung bietet der Kommentar bedeutende Exkurse: Die Sklaven- und Ehefrage, das Abendmahl des Herrn, die Kirche, die Gemeinde Gottes, die Agape, der Einbruch der kommenden Welt in die gegenwärtige Ordnung, die Geistesgaben und das Zungenreden, deren hellenistischen Ursprung Wendland ausschließt, die Auferstehung, die paulinische Eschatologie, Paulus und der historische Jesus u. a.

HEINRICH GREEVEN / JOSEPH RATZINGER RUDOLF SCHNACKENBURG HEINZ-DIETRICH WENDLAND

Theologie der Ehe Mit einem Vorwort von Lorenz Kardinal Jaeger und Bischof Wilhelm Stählin. Herausgegeben von R. Mumm. 1969. 207 Seiten, Paperback 12,50 DM Der ,Ökumenische Arbeitskreis evangelischer und katholischer Theologen' legt in diesem Band zum erstenmal die Vorträge einer Tagung geschlossen der Öffentlichkeit vor. Die .Theologie der Ehe' gehört in beiden Kirchen zu den vielbesprochenen Fragen. Die in diesem Zusammenhang wichtigen exegetischen Fragen werden in den beiden ersten Referaten untersucht, während die beiden anderen das Thema systematisch behandeln, einmal unter kirchlich-dogmatischen, zum anderen unter soziologischen und sozial-ethischen Gesichtspunkten.

VANDENHOECK

& RUPRECHT IN GÖTTINGEN UND

ZÜRICH

IVAR ASHEIM (Hrsg.)

Humanität und Herrschaft Christi Zur ethischen Orientierung heute. Aus der Arbeit der Theologischen Kommission des Luth. Weltbundes 1964—69. 1969. 224 Seiten, kartoniert 11,—DM Studiengruppen in Amerika, Schweden, Westeuropa und der DDR haben eng aufeinanderbezogene aktuelle Fragenkomplexe der Anthropologie und Sozialethik untersucht. Aus dem Inhalt: Humanität als christliche Verantwortung / Die Reichweite der Herrschaft Christi / Humanität als sozialethisches Kriterium / Christsein in nachchristlicher Gesellschaft / Humanität in anderen Religionen. WOLFGANG TRILLHAAS

Sexualethik 1969. 164 Seiten, Paperback 10,—DM „Trillhaas hat eine äußerst packende und gründlich abgewogene Sexualethik vorgelegt. Sachurteil und Werturteil fallen niemals unmittelbar auseinander. Das macht dies Buch zu einer nutzbringenden Lektüre für jedermann und eröffnet nicht zuletzt die Gesprächsmöglichkeit mit Nachbardisziplinen wie Philosophie und Pädagogik." Süddeutscher Rundfunk WOLFHART PANNENBERG

Was ist der Mensch ? Die Anthropologie der Gegenwart im Lichte der Theologie. (Kleine Vandenhoeck-Reihe 139/40) 3. Aufl. 1968. 111 Seiten, kartoniert 3,80 DM „Der Mainzer Theologe faßt die modernen Aspekte des Wissens über den Menschen zusammen und interpretiert sie nicht von dem konventionellen Vorstellungsschema her, sondern im Zuge einer aus dem Geschichtsdenken der Bibel gewonnenen Theologie." Süddeutscher Rundfunk KARL BARTH

Mensch und Mitmensch Die Grundform der Menschlichkeit. Aus ,Die kirchliche Dogmatik' ΠΙ/2 (Kleine Vandenhoeck-Reihe 2) 4. Aufl. 1967. 85 Seiten, kartoniert 2,80 DM „Menschsein wird begriffen als ,Sein in der Begegnung', das sich auf vier Weisen erschließt: als Offensein für den anderen, als ein Aufeinander-Hören, als ein Beistandleisten, als ein gegenseitiges Wohlwollen." Die pädagogische Provinz

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