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German Pages 191 [192] Year 1925
HANS PRECHT
ENGLANDS STELLUNG ZUR
DEUTSCHEN EINHEIT 1 8 4 8 - 1 8 5 0
MÜNCHEN UND BERLIN DRUCK UND VERLAG VON R. OLDENBOURG
B E I H E F T 3 DER H I S T O R I S C H E N
AUe Rechte, einschließlich der Übersetzung, •orbehalten
ZEITSCHRIFT
Dem Andenken meines Vaters, Prof. Dr. ph.il. Dr. ing. e. h. Heinrich Precht.
VORWORT. Wie sehr die deutschen Einheitsbestrebungen mit der politischen Entwicklung in Europa verknüpft sind, ist ohne weiteres deutlich. Für die unmittelbar der Reichsgründimg vorausgehenden Jahre sind diese Beziehungen in viel eingehenderem Maße dargestellt worden als für die Epoche von 1848—50. Hier hat man sich zumeist auf die Darstellung der innerdeutschen Verhältnisse beschränkt. Die vorliegende Arbeit sucht diese Lücke in bezug auf England auszufüllen. Neben dem gedruckten Material sind dafür diejenigen Akten des Geheimen Staatsarchives in Berlin, die über die diplomatischen Vorgänge näheren Aufschluß boten, benützt worden. Der besonderen Freundlichkeit des Direktors des Haus-, Hof- und Staatsarchives in Wien, Dr. L. Bittner, auf dessen Veranlassung mir die in Frage kommenden Akten zugesandt wurden, habe ich es zu verdanken, daß ich auch die österreichischen Quellen in vollem Maße verwerten konnte. Auf eine Reise nach London mußte ich der Ungunst der Zeit wegen verzichten, glaube aber sagen zu können, daß nach meiner Überzeugung die Darstellung dadurch nicht wesentlich verändert worden wäre, da aus den vorliegenden Quellen ein klares Bild zu gewinnen war. Die beifolgende Untersuchung ist von der Göttinger philosophischen Fakultät als Dissertationsschrift angenommen worden. Es ist mir an dieser Stelle ein tiefempfundenes Bedürfnis, Herrn Professor Dr. A. O. Meyer-Göttingen, der mir die Anregung zu diesem Thema gegeben und mir bei der Ausarbeitung stets mit Rat und Tat zur Seite gestanden hat, meinen aufrichtigen wärmsten Dank zu sagen. H a n n o v e r , den 20. März 1925. Hans Precht.
INHALTSVERZEICHNIS. I. B u c h . Von der Februar • Revolution bis zur Auflösung der preußischen Nationalversammlung. Saite I. K a p i t e l : Die Beschäftigung des englischen Hofes mit Bundesreformprojekten vor 1848 5 II. K a p i t e l : Die äußere Politik Englands kurz vor 1848 und die Aussichten für ein englisch-preußisches Bündnis 12 III. K a p i t e l : König Friedrich Wilhelm IV. und Lord Palmerston . 21 IV. K a p i t e l : Der Ausbruch des schleswig-holsteinschen Konfliktes und das erste Eingreifen Englands 25 V. K a p i t e l : Die Beeinflussung der öffentlichen Meinung Englands im schleswig-holsteinschen Konflikt 31 VI. K a p i t e l : Die Debatte im englischen Parlament über den deutsch) M. B ä r , Die deutsche Flotte, S. 40. *) Herzog Ernst, Bd. I, S. 407.
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I I I . Kapitel.
von der englischen Admiralität in einem entsprechenden Falle verlangt worden. Der Statthalterschaft von Schleswig-Holstein blieb, um den englischen Zorn nicht noch mehr zu erregen, nichts anderes übrig, als den Kommandanten von Friedrichsort anzuweisen, dem englischen Verlangen zu willfahren. Allerdings kam es nicht zur Ausführimg, da die „Hecate" nicht nach Kiel zurückkehrte. Ebenso bezeichnend war ein anderes Ereignis fast zu derselben Zeit. Am 4. Juni fand innerhalb des britischen Hoheitsbereiches von Helgoland ein kleines Seegefecht statt. Dänemark hatte zur Aufrechterhaltung der Blockade sein Geschwader vor der Elbe versammelt. Diese Gelegenheit suchten die Deutschen zu einem Handstreich zu benutzen. Drei Dampfschiffe der in der Bildung begriffenen deutschen Flotte, nämlich das Schiff „Barbarossa" und zwei kleinere Schiffe liefen an diesem Tage aus der Weser aus, um auf die Korvette „Valkyren" Jagd zu machen. Im Eifer der Verfolgung bemerkten die Deutschen nicht, daß sie in den Bereich der britischen Hoheitsgrenze bei Helgoland gelangt waren. Als nun der englische Gouverneur das Feuer eröffnen ließ, gab der den Oberbefehl führende Contreadmiral Brommy sofort den Befehl, sich zurückzuziehen, was auch ohne weitere Verluste geschah. Die Note, die Palmerston wegen dieses Zwischenfalls Bunsen übersandte1), und worüber er sich über die Verletzung der britischen Hoheitsgewalt beschwerte, war noch verhältnismäßig ruhig gehalten. Dagegen schlug Oberst Hodges in den beiden Noten an den Bremer Senat einen ganz anderen Ton an. Zuerst fragte Hodges, was für Schiffe sich diesen Angriff erlaubt hätten und auf wessen Autorität hin das geschehen wäre. Er erhielt die Antwort, daß es deutsche Schiffe gewesen wären, die unter der Autorität der deutschen Zentralgewalt gehandelt hätten. Darauf erwiderte Hodges, er sei angewiesen, zu erklären, daß, wenn keine bestehende Regierung diese Dampfschiffe als unter ihrer Autorität befindlich anerkenne, sie als Piraten behandelt werden würden1). In dieser Note vernehmen wir die Sprache des Englands, das sich als das von Gott zur Herrschaft prädestinierte Volk betrachtete, dem die Entscheidung darüber zukam, wen von den anderen Völkern es zur See anerkennen wollte und wen nicht. Während sich England den Seemächten gegenüber, die schon eine *) Bericht Bunsens an das Ministerium des Auswärtigen vom 16. Juni: G. St. A. *) Rudolf S c h l e i d e n , Schleswig-Holstein im zweiten Kriegsjahr, S. 82.
England und die Anfänge der deutschen Seegewalt.
III
lange Vergangenheit hatten, mehr zurückhalten mußte, trat es jetzt, wo eine ganz neue Macht die Flügel regte, in schärfster Weise auf. Wir haben ja schon gesehen, wie in weiten Kreisen Englands der Glaube verbreitet war, daß das entschiedene Eintreten für die Schleswig-Holsteiner in Wahrheit durch die preußischen und deutschen Flotten- und Handelsaspirationen veranlaßt sei. Von solchen Bestrebungen wollte man aber durchaus nichts wissen. Darum trat man, als sich eine Gelegenheit bot, so entschlossen gegen die winzige deutsche Flotte auf, der man selbst die Anerkennung versagte, die nur die internationale Höflichkeit gebot. Man darf sich durch den Gegensatz der Noten Palmerstons und Hodges nicht täuschen lassen und etwa meinen, daß das scharfe Auftreten nur auf das Konto des letzteren zu schreiben sei. Gewiß war Oberst Hodges Deutschland ganz besonders unfreundlich gesinnt. In Schleswig-Holstein hatte er schon gezeigt, wie sehr er die Dänen begünstigte und wie wenig er von den deutschen Verhältnissen verstand. Aber zu der Note, die er über die deutsche Reichsflotte an den Bremer Senat richtete, hatte er den ausführlichen Auftrag Lord Palmerstons erhalten. Infolge der Angriffe, die von den konservativen Kreisen Englands wegen seiner Stellungnahme im deutsch-dänischen Konflikt gegen ihn gerichtet wurden, hielt es Palmerston für geraten, hier, wo es sozusagen nichts kostete, besonders energisch aufzutreten. Daß er gegenüber Bunsen nicht die gleiche Sprache führte, war wohl zu erklären. In Berlin wurden gerade zu dieser Zeit die letzten Waffenstillstandsunterhandlungen geführt. Eine allzu drohende Haltung gegenüber Preußen war daher nicht angebracht. Die Reichsgewalt tat selbstverständlich alles, um solchen Demütigungen für die Zukunft nicht wieder ausgesetzt zu werden, und suchte auf jede mögliche Weise die Anerkennung ihrer Kriegsflagge bei England zu erreichen. Aber Erfolg hatte sie damit nicht. Lord Cowley teilte der Zentralgewalt mit, daß die britische Regierung erst nach einer endgültigen Stabilisierung des Deutschen Reiches einem solchen Schritt näher treten würde. Gegenwärtig schiene die Zeit dafür noch nicht gekommen zu sein1). Und dabei blieb es auch. Das Frankfurter Reichsministerium hatte seine Rolle bald ausgespielt und trat vom Schauplatz ab. Nach längeren Verhandlungen wurde zwischen Preußen und Österreich unter Zustimmimg der deutschen Regierungen ein „Interim" vereinbart, wonach bis zum Mai 1850 eine provisorische Zentralbehörde für den Bund eingesetzt wurde: die sogen. Bundes-Zentral>) M . B ä r , a . a . O . , S. 220.
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III. Kapitel.
kommission. Mitte Februar 1850 ersuchte sie Preußen und Österreich, bei den Seemächten für die Anerkennung der deutschen Flagge einzutreten. Preußen erklärte sich hierzu auch bereit. Viel länger zögerte Osterreich die Angelegenheit hinaus. So wurde es Mai, bis ein gemeinsames Vorgehen erfolgte. In London erfolgte die Mitteilung durch Bimsen und Koller erst am 2. Juli 1850. Palmerston berief sich nun darauf, daß er von einer Verlängerung der Befugnisse der Bundeszentralkommission über den Mai hinaus nichts wüßte. Es sei für die englische Regierung schwierig, den Beschluß einer Kommission anzuerkennen, deren Zuständigkeit bezweifelt werden könnte. Schriftlich erklärte er am 29. Juli dem Baron Koller „that in a matter which does not appear immediately pressing Her Majesty's Government would wish to delay an answer until they receive a communication from an acknowledged and constituted authority representing the Germanic Confederation" 1 ). Doch die deutsche Flotte nahm bald ein klägliches Ende. Nach dem Scheitern der deutschen Einheitsbewegung wurde sie durch den oldenburgischen Staatsrat Hannibal Fischer im Jahre 1852 für noch nicht eine Million Taler öffentlich versteigert. Die Vorwürfe, die man deswegen gegen Fischer gerichtet hat, sind nicht in jeder Hinsicht begründet. Fischer erkannte, daß man bei dem Verkauf nur einen sehr geringen Preis erzielen würde und machte dem Präsidialgesandten des Deutschen Bundes, Grafen Thun, den Vorschlag, den größten Teil der deutschen Flotte unentgeltlich den beiden Großmächten Osterreich und Preußen zu überlassen. Aber in Frankfurt ging man darauf nicht ein. Fischer erhielt den Auftrag, ungesäumt die Ankündigung zum Flottenverkauf zu erlassen2). Ein eigentümliches Geschick wollte es, daß als Hauptkäufer die General-Steam-Navigation Company auftrat, die 6 Korvetten für sich erwarb8). So trug England, das die kleine deutsche Flotte während ihrer kurzen Lebenszeit mit scheelen Augen angeblickt hatte, noch mittelbar dazu bei, ihr Ende zu beschleunigen. Die Gründimg der deutschen Flotte war eine Episode, doch eine, die auf Größeres hindeutete. l ) Die Note Palmentons ist dem Bericht Kollers an den Fürsten Schwarzenberg vom 30. Juli beigefflgt. H. H. St. A. *) Hist. Zeitschrift Band 85 (1900), S. 266 ff. •) M. B ä r , a.a.O., S. 217.
IV. K a p i t e l .
Die Handelsbeziehungen Englands mit Deutschland in den Jahren 1848 bis 1850. Von der Flotte richtet sich unser Blick auf die Handelsmarine und Handelspolitik. Im Vergleich mit den Fragen, die Deutschland und Europa in diesen Jahren besonders bewegten, traten die handelspolitischen verhältnismäßig zurück. Wohl aber haben sie immer wieder in die Auseinandersetzimg zwischen Deutschland und England hineingespielt. Das konnten wir gerade in dem schleswig-holsteinschen Konflikt beobachten. Es war eine Sorge, die die englischen Staatsmänner nicht losließ, daß eine für Dänemark ungünstige Entscheidung die Macht Preußens an der Ostsee verstärkte und den englischen Handel ungünstig beeinflußte. An die Versuche, einen engeren Zusammenschluß Deutschlands oder mindestens der norddeutschen Staaten herbeizuführen, knüpfte sich für sie ferner die besorgte Erwägimg: Wird ein solcher Bund nicht durch Erhebung von Schutzzöllen die Stellung der englischen Industrie auf deutschem Boden erschüttern? Daher waren seit der Gründung des Zollvereins die Bemühungen der englischen Staatsmänner darauf gerichtet, wenigstens die nördlichen UferStaaten von einem Anschluß an denselben zurückzuhalten. Auch in anderer Weise hatte Preußen über Schädigung seiner Handelsinteressen durch England zu klagen. Der letzte Handelsvertrag von 1841 war nämlich für Preußen durchaus ungünstig. Der zweite Artikel dieses Vertrages gewährte Großbritannien das Recht der meistbegünstigten Nation in bezug auf die Einfuhr von Zucker und Reis, während den preußischen Schiffen bei der Benutzung englischer Häfen große Beschränkungen auferlegt waren. Denn nach den englischen Schiffahrtsverträgen genügte es nicht, daß ein Schiff sich durch die Einschreibungsurkunde als preußisch auswies, sondern es mußte der ausdrückliche Nachweis geführt werden, daß das Schiff auf preußischen Werften gebaut sei. Das war natürlich nicht allzu häufig der Fall, da die preußischeSchiffahrtstechnik damals noch verhältnismäßig unentwickelt P r e c h t , Englands Stellung zur Deutschen Einheit.
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IV. Kapitel.
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war und für einen größeren Bedarf die Werften nicht genügten. Die englischen Schiffe waren dagegen fast alle in ihrer Heimat gebaut worden. Von einer Gleichstellung Preußens konnte somit tatsächlich keine Rede sein. Diese Benachteiligung der preußischen Interessen war schon in einem Notenwechsel vom Jahre 1834 zwischen dem damaligen preußischen Gesandten in London, Freiherrn von Bülow, und Lord Palmers ton zur Sprache gekommen1). Bülow hatte sich im Auftrage seiner Regierung darüber beschwert, daß die Übereinkunft vom Jahre 1824 zwar den Namen der Gegenseitigkeit trage, in Wahrheit aber weit entfernt sei, eine solche zu sein. Denn die Gegenseitigkeit der Ein- und Ausfuhr, die man formell vorgesehen habe, werde von den bestehenden Anordnungen und Gesetzen beider Länder abhängig gemacht. Die Antwort Palmerstons an Bülow war alles andere als entgegenkommend. Er erklärte rund heraus, es habe nicht in der Absicht der Übereinkunft von 1824 gelegen, den ganzen wechselseitigen Verkehr beider Länder auf den Fuß gegenseitiger Gleichheit zu stellen. Nur die Schiffahrt zwischen beiden Ländern sei dadurch geregelt worden. Irgendeine Änderung der Übereinkunft lehnte Palmerston kategorisch ab. So sehr man in Preußen die Beschränkungen in dem Handel mit England, die auch durch den Vertrag von 1841 nicht gemildert wurden, als drückend empfand, so gab man doch die Erwartung nicht auf, daß die englischen Schiffahrtsgesetze in absehbarei Zeit geändert würden. In der Note, die Bimsen deswegen am 10. Mai 1847 Lord Palmerston überreichte, hieß es: „Preußen erwägt ernstlich eine Änderimg seiner Schiffahrtsgesetze. Da jedoch das englische Parlament eine Kommission eingesetzt hat, um die englischen Schiffahrtsgesetze zu prüfen und während der gegenwärtigen Session des Parlamentes darüber zu berichten, hat die preußische Regierung die Hoffnung, daß Großbritannien zu einem nahen Zeitpunkt die Hindernisse beseitigen wird, welche gegenwärtig auf der deutschen Schiffahrt und dem deutschen Handel lasten". Doch Preußens Geduld wurde zunächst noch auf eine harte Probe gestellt. Erst am 27. Dezember 1848 teilte Lord Westmoreland die dem englischen Parlament gemachte Vorlage über die Aufhebung der Navigationsakte mit. Zugleich drohte er für den Fall, daß Preußen trotzdem an eine größere Belastung der englischen Schiffahrt mit Zöllen dächte, Vergeltungsmaßregeln *) Höfken, S. 410—414.
Die Handelsbeziehungen Englands mit Deutschland usw.
von seiten Englands an. Man antwortete Lord Westmoreland, daß man über den Fortfall der Beschränkungen in dem Handel mit England sehr erfreut sei, und die uneingeschränkte Meistbegünstigung für die preußischen Schiffe erwarte. Über die künftigen preußischen Handelspläne schon eine Erklärung abzugeben, lehnte man ab1). Preußensuchtesich also noch nicht fest zu binden und wartete die Beschlüsse des englischen Parlamentes ab. Im Sommer des Jahres 1848 begannen im englischen Parlament die entscheidenden Debatten. Heiß wurde um die Beibehaltung oder Aufhebung der Navigationsakte gekämpft. Dabei wurde in eingehendster Weise ihre Wirkung auf die kommerziellen Beziehungen mit anderen Ländern durchgesprochen und auf die Note Preußens des öfteren hingewiesen. Die einzelnen Redner dachten je nach ihrer Parteirichtung ganz verschieden. Wir wollen nicht alle Parlamentsreden verfolgen, sondern nur hören, wie sich die beiden Männer äußerten, die später noch so oft miteinander die Klingen kreuzten: Gladstone und Disraeli. William Ewart Gladstone war schon 1832 im Alter von kaum 24 Jahren in das Unterhaus gewählt worden. Im Mai 1843 wurde er im Kabinett Peel Präsident des Handelsamts. Während er in seiner Jugend zuerst konservative Anschauungen vertrat, wuchs er allmählich in die liberale Gedankenwelt hinein und trat namentlich sehr bald für den Freihandel ein. Daher erstrebte er auch die Aufhebung der Navigationsakte. In seiner Rede vom 2. Juni 1848 verteidigte er das Vorgehen Preußens*). Obwohl er, wie er gleich hervorhob, nicht als Freund der Handelspolitik Preußens angesehen werden wolle, so verdiene dies Land doch nicht den Tadel, mit welchem es bedacht sei. Preußen habe nur seinen Willen kundgegeben, von seiten Englands völlige Gleichberechtigung zu erlangen. Wenn es damit keinen Erfolg habe, dann wolle es die Vereinbarungen zwischen sich und England aufheben. Es sei wahr, daß Preußen mit England nicht auf dem Fuß der Gleichberechtigung stände. Der Zugang zu preußischen Häfen sei britischen Schiffen durch Vertrag garantiert, aber preußischen Schiffen der Zugang zu den englischen Häfen nur dann gestattet, wenn sie von preußischen Häfen kämen. Preußen habe das Recht, Gleichberechtigung zu verlangen. Man dürfe von Preußen und seiner Handelsstellung nicht so geringschätzig sprechen, wie es *) Z i m m e r m a n n , Geschichte der preußisch-deutschen Handelspolitik, S. 398. *) Hansard's Parliamentary Debates, volume 99, col. 253.
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IV. Kapitel.
geschehen sei. Als Zollvereinigung umfasse Preußen eine Bevölkerung von 20 bis 25 Millionen Menschen, die zu den größten Verbrauchern der englischen Waren in Europa gehören. Kein Handel sei so wichtig für England als der mit Preußen und den anderen Mitgliedern des Zollvereins. In dem Verhalten Preußens könne man keine Unfreundlichkeit sehen, vielmehr sei es richtig von ihm gewesen, England Klarheit über seine Absichten zu geben und ihm dadurch eine günstige Gelegenheit zu verschaffen, die mit der Beibehaltung des jetzigen Systems verknüpften Folgen zu vermeiden. Wie anders klang demgegenüber das, was Disraeli zu sagen hatte1). Preußen wird — so meinte er — seine lächerlichen Drohungen gar nicht ausführen können. Der Gegenseitigkeitsvertrag hat überhaupt keinen Nutzen. Preußen fehlen die Häfen zum Import. Pillau, Memel und Danzig sind wegen ihrer geringen Wassertiefe nicht brauchbar. Etwas anderes wäre es, wenn Preußen Hamburg und die Häfen der Nordsee besäße und so der Zugang zu Deutschland in seiner Hand wäre. Das Streben danach bildet auch das Motiv zu seinem Einfall in Dänemark. Mit seiner handelspolischen Drohung wird Preußen sich selbst am meisten schaden. Aber auch Disraelis Beredsamkeit konnte es nicht hindern, daß die gänzliche Aufhebung der längst durchlöcherten Navigationsakte von der Mehiheit des Pailaments beschlossen wurde. Am 26. Juni wurde von der Königin Viktoria das Gesetz wegen Abänderung der bestehenden Gesetze über die Beförderimg der britischen Reederei und Schiffahrt unterschrieben. Die englischen Schiffe waren in der Ein- und Ausfuhr von Waren hinfort keinen Beschränkungen mehr unterworfen. Die fremden Schiffe aber wurden — und das war das wichtigste — ihnen mit Ausnahme des Küstenhandels vollständig gleichgestellt. Nur den Schiffen der Länder, welche ihre eigene Flagge günstiger als die britische behandelten, sollte die Gleichstellung versagt werden. Damit hatte nun Preußen endlich das langersehnte Ziel erreicht. Die preußische Handelspolitik war von einem Alp erlöst, der jahrelang schwer auf ihr gelastet hatte8). Während Preußen durch seine tatkräftigen Bestrebungen, die erst auf die Begründimg, dann auf den weiteren Ausbau des Zollvereins zielten, den englischen Staatsmännern manchmal unbequem wurde, war Österreich in dieser Beziehung bis zu den Revolutionsjahren in einen Dornröschenschlaf versunken. Es Hansard's Parliamentary Debates, volume 99, col. 639ff. *) Rudolf von D e l b r ü c k , Lebenserinnerungen, Bd. I, S. 240.
Die Handelsbeziehungen Englands mit Deutschland usw.
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hatte sich damit begnügt, den einzelnen deutschen Staaten den Beitritt zum Zollverein zu widerraten. Österreich selbst bildete handelspolitisch gar keine Einheit. Zwischen Österreich und Ungarn bestand eine doppelte Zolllinie, hüben und drüben war das System der Besteuerung ganz verschieden. Österreich hatte auf Ungarn mancherlei Rücksicht zu nehmen. Da kam das Jahr 1848, der Aufstand der Ungarn und seine blutige Niederwerfimg mit russischer Hilfe. Nun hatte Österreich die Hände frei und konnte daran denken, seinerseits die Initiative zu ergreifen. Dem Kabinett des neuen Ministerpräsidenten, Fürsten Felix Schwarzenberg, gehörte ein kühner, schöpferischer Geist an, ein Mann, der große und weitschauende Wirtschaftspläne vrfolgte: Karl Ludwig Bruck. Schon als Abgeordneter in Frankfurt trat er für dieses Ziel ein. Seine Tätigkeit als Direktor des österreichischen Lloyd in Tiiest war von reichen Erfolgen gekrönt worden. Durch seine weitschauende und unermüdliche Arbeit war es ihm gelungen, der österreichischen Handelsflotte in der Levante den ersten Platz zu erringen. Aber damit begnügte er sich nicht. Sein Streben ging dahin, die deutsche Nation wirtschaftlich zu einigen und einen österreichisch-deutschen Zollbund herbeizuführen. Das so handelspolitisch zusammengefaßte Mitteleuropa sollte das Zentrum eines großen Weltverkehrs werden. Als Handelsminister suchte er seine Ideen nun in die Wirklichkeit umzusetzen. Es waren im wesentlichen Brucksche Gedanken, die das österreichische Regierungsorgan, die Wiener Zeitung, am 26. Oktober 1 8 4 9 z u m ersten Male der Öffentlichkeit unterbreitete. Die völlige Handelsund Zolleinigung Österreichs und Preußens wurden in diesem Artikel als Ziel hingestellt. Bruck war sich klar darüber, daß dies nicht mit einem Male zu erreichen war. Für die Durchführung des Planes waren daher verschiedene Etappen vorgesehen, die allmählich zu immer größerer Annäherung führen sollten, bis endlich eine einheitliche handelspolitische Macht von 70 Millionen Menschen im Herzen Europas geschaffen war, deren Herrschaft von der Nord- und Ostsee bis zum Mittelmeer und zum Orient reichte. Der Artikel vom 26. Oktober 1849 sprach es offen aus, daß die deutsche Nation wirtschaftlich so gekräftigt werden sollte, daß sie zur industriellen Weltkonkurrenz mit jedem Nebenbuhler, auch mit England befähigt wäre. Gewaltige, in ihrer Tragweite noch gar nicht absehbare Perspektiven öffneten sich dem geistigen Auge Brucks. Er glaubte, daß es so am ersten möglich sei, die bisher ungehobenen Schätze der Balkanhalbinsel zu erschließen. Auch Italien sollte an dieses System angeschlossen werden, das damit eine Macht in sich barg, die jedem fremden Handel den
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IV. Kapitel.
Todesstoß zu versetzen fähig war. „Indem dieser Zollbund nach innen den verbindenden Kitt zwischen die Fugen des Neubaues ebenso wie in die Spalten der Interessen und der geographischhistorischen Verschiedenheiten eingießen wird, wird er nach außen uns befähigen, die jetzige Ungunst unserer Sachlage zu überwinden und mittels einer Kriegsmarine gestützt auf eine kräftig entfaltete Handelsflotte unseren Handel selbständig zu fördern, unsere Küsten und unsere Seeplätze zu schützen1)." So hatte Brucks Plan sowohl innen- wie außenpolitische Bedeutung. Brucks Endabsicht war zweifellos die, die handelspolitische Suprematie Englands zu brechen. Daß er es dabei auf einen Krieg mit England ankommen lassen wollte, wie man wohl gemeint hat, ist nicht wahrscheinlich, ja nach Lage der Dinge ziemlich ausgeschlossen1). Bruck wollte seine Ziele gewiß auf friedliche Weise erreichen. Doch blieben sie immerhin gefährlich für England. Es lag auf der Hand, daß England alles tun würde, um sie zu verhindern. Vorläufig wurde das schon von anderer Seite besorgt. Gegner dieser Pläne gab es genug, nicht nur in Österreich, sondern vor allem in Preußen, das darin nicht mit Unrecht eine Schmälerung seiner handelspolitischen Selbständigkeit erblickte und nicht gewillt war, Österreich auf diesem Wege entgegenzukommen. Spitzte sich doch gerade Ende 1849 und Anfang 1850 durch die preußischen Sonderbundsbestrebungen und den österreichischen Gegenzug eines Vierkönigsbündnisses die Rivalität zwischen Preußen und Österreich immer mehr zu, so daß die Zeit für die Bruckschen Ideen alles andere als günstig war. Die Gründung des deutsch-österreichischen Postvereins war das einzige, was Bruck zunächst erreichte. Da Brucks Pläne noch in so ferner Zukunft lagen, so wurden sie in England nur wenig beachtet. Gegen sie sprach sich z. B. die „Daily News" aus (24. November 1849): „Worin besteht das Angebot des österreichischen Kabinettes? Darin, allmählich in einem bestimmten Zeiträume seine Zölle zu erniedrigen, um so näher an den Tarif des deutschen Zollvereins heranzukommen, dessen Erhöhimg Österreich zu gleicher Zeit verlangt. Dagegen ist das Ziel Preußens, die nordwestlichen Staaten mit ihren Häfen in den Zollverein aufzunehmen und den preußischen Tarif be») Richard C h a r m a t z , Minister Freiherr von Bruck, S. 46. *) Der Satz der Wiener Zeitung: „Einen Kampf des Kontinents gegen England würde es zuvor kosten, ehe wir uns zur handelspolitischen Selbständigkeit durchringen", den Alfred Gärtner (Zollverhandlungen zwischen Osterreich und Preußen von 1848 bis OlmOtz, S. 13) zitiert, braucht nur einen Zoll- und Handelskrieg, aber nicht einen bewaffneten Konflikt im Auge zu haben.
Die Handelsbeziehungen Englands mit Deutschland usw.
trächtlich zu ermäßigen. Welche von beiden Bestrebungen soll England unterstützen ? Osterreich hat gar nicht die Absicht, das Schutzzollsystem in seinen eigenen Staaten aufzuheben. Es will in Wirklichkeit den Zollverein zu einem prohibitiven machen. Man braucht nicht auszuführen, wie eine Erhöhung der gegenwärtigen Zölle Preußens wirken muß. Die englischen Kaufleute und Fabrikanten mögen darüber urteilen, ob dies nicht eine vollständige Sperrung des deutschen Marktes bedeuten würde. Außerdem ist zu bedenken, daß, wenn Österreich und Preußen sich zu einer großen deutschen Schutzzollvereinigung zusammenschließen, die Staaten des Nordwestens einer solchen kompakten Macht nicht widerstehen können. Der Erfolg des schönen Planes bedeutete den Verlust des englischen Exportes nach Deutschland im Werte von 4 Millionen. Wird Österreich in den Zollverein aufgenommen, dann wächst der Einfluß der Südstaaten über alle Maßen. Dieses Opfer kann Preußen nicht bringen. Deshalb kann man das Angebot der österreichischen Staatsmänner an Preußen und an den Zollverein nicht als aufrichtig betrachten. Das Angebot ist ein politischer Schachzug und ein strategisches Manöver, um den Fortschritt der Einigung Deutschlands, der in Erfurt versucht wird, zu verhindern". Dieser letzte Satz zeigt uns schon, daß man in England dem Bruckschen Plan keine große Bedeutung beilegte. In den Debatten über Zoll- und Handelsfragen, die im englischen Parlament stattfanden, wurde von den Absichten des österreichischen Handelfiministers nicht gesprochen. Daß die Beziehungen zwischen England und Deutschland in dieser Zeitspanne dadurch beeinflußt wurden, kann man schwerlich sagen. Vielleicht spielten bei Palmerston solche Erwägungen mit, obwohl es in erster Linie rein machtpolitische waren, wenn er sich verschiedentlich gegen die Schaffung eines 70-Millionenreiches aussprach. Was damals noch keine Aussicht hatte, verwirklicht zu werden, sollte in unserer Zeit für das deutsch-englische Verhältnis entscheidende Bedeutung erlangen. Deutscher Handel und deutsche Industrie nahm unter dem Schutz der Reichsflagge, hinter der nun auch fast eine Macht von 70 Millionen stand, auf allen Meeren und in allen Ländern den Wettbewerb mit Englands alter Handelsgröße auf. Da hatten sich die Ideen des Freiherrn von Bruck erfüllt, wenn auch in anderer Form, als er, der doch in erster Linie stets Österreicher blieb, es sich gedacht hatte.
V. Kapitel.
England und die Bestrebungen eines preußischen Sonderbundes. Bei der Betrachtung der inneren deutschen Politik hatten wir zuletzt gesehen, daß der Gagernsche Vorschlag eines engeren und weiteren Bundes in England günstig aufgenommen war. Von vornherein konnte aber kein Zweifel darüber bestehen, daß bei Ausführimg dieses Planes Preußen eine entscheidende Stellung in der neuen Reichsverfassung zugesprochen werden mußte. Darüber war man sich auch in England klar. Wollte man das eine, so konnte man an dem anderen nicht vorbeigehen. So vertrat Lord Cowley die Ansicht, daß Deutschland nur gerettet werden könnte, wenn der König von Preußen als erblicher Kaiser allein an die Spitze eines starken Bundesreiches gestellt würde1). Lord Palmerston erklärte dem hannoverschen Gesandten sehr bestimmt, es sei in seinen Augen ein Unsinn, eine deutsche Zentralgewalt bilden zu wollen, ohne eine überwiegende Hausmacht zu schaffen. Es kam nun alles darauf an, wie sich das Verhältnis Preußens zur Zentralgewalt weiter entwickelte. Man schien in Berlin zunächst bereit zu sein, den Wünschen der Nationalversammlung entgegenzukommen. Am 23. Januar richtete Preußen eine Zirkularnote an die einzelnen deutschen Staaten, worin das Ziel eines engeren Bundes proklamiert und die deutschen Regierungen aufgefordert wurden, ihre Ansichten über die neue Reichsverfassung der Nationalversammlung zur Erwägung zu übergeben. Wirklich gelang es den Bemühungen des preußischen Ministers von Camphausen, in den nächsten Wochen zwischen achtundzwanzig deutschen Regierungen, zu denen Österreich nicht gehörte, eine Verständigung über die Verbesserungsvorschläge zu erzielen, die der Nationalversammlung unterbreitet werden sollten. *) Aus dem Bericht Bunsens vom 21. Dezember 1848 an das Ministerium des Auswärtigen: G. St. A.
England und die Bestrebungen eines preußischen Sonderbundes.
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Ganz im Gegensatz zu der preußischen Note vom 23. Januar stand die österreichische vom 4. Februar. Österreich wollte von einem engeren und weiteren Bundesverhältnis nichts wissen und verwarf jede Unterordnung des Kaisers unter eine von einem anderen Fürsten geleitete Zentralgewalt. Aber die Mitglieder der Großdeutschen Partei in Frankfurt konnten sich noch nicht entschließen, Österreich beiseite zu schieben. Sie suchten zunächst Zeit zu gewinnen und setzten noch vor der zweiten Lesung die Beratung über das künftige Wahlgesetz durch. Erst die Nachricht vom 7. März, daß die österreichische Regierung eine Verfassung oktroyiert habe, worin ohne Rücksicht auf eine Sonderstellung der deutschen Gebiete die sämtlichen Länder der Monarchie zu einem unteilbaren Einheitsstaat zusammengefaßt seien, änderte die Lage. Einer der bisherigen Vorkämpfer des großdeutschen Gedankens, der Abgeordnete Welcker, trat am 12. März mit dem Antrag hervor, die Reichsverfassimg mit dem vom Ausschuß revidierten Text der ersten Lesimg definitiv durch eine einzige Gesamtabstimmung anzunehmen und den König von Preußen zum erblichen Kaiser zu wählen. Doch damit waren die Anhänger der Linken nicht ohne weiteres einverstanden. Schließlich wurde ein vermittelnder Antrag angenommen, wonach die zweite Lesung der Verfassung beschleunigt werden sollte und über jeden einzelnen Paragraphen ohne Diskussion abzustimmen sei. Dies Zugeständnis an die Linke, die auf die Hauptforderungen ihres Programms nicht verzichten wollte, ließ sich nicht umgehen. Die Verfassung, deren zweite Lesung am 27. März beendigt war, kam infolgedessen den Wünschen der Regierungen nur sehr wenig entgegen. Ihre demokratische und unitärische Tendenz war verschärft, das allgemeine gleiche und geheime Wahlrecht beschlossen. Am folgenden Tage wurde dann von 290 Mitgliedern der Nationalversammlung, während die anderen sich der Stimme enthielten, Friedrich Wilhelm IV. zum Kaiser der Deutschen erkoren. Am 3. April bot ihm eine Deputation von 32 Abgeordneten die Kaiserwürde an. Sollte er sie annehmen? Friedrich Wilhelm konnte sich nicht dazu entschließen. Es däuchte ihn, als ob diese Krone mit den Blutspuren der Revolution befleckt sei, und mit ihr wollte er keine Gemeinschaft haben. Seinem Freunde Bunsen, der im Dezember 1848 unter Voraussetzung der Zustimmung der Fürsten zur Annahme der Krone riet, gab der König die Antwort1): „Ich will weder der Fürsten ') R a n k e , Aus dem Briefwechsel Friedrich Wilhelms IV. mit Bunsen, S. 148.
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V. Kapitel.
Zustimmung zu der Wahl noch die Krone. Einen solchen imaginären Reif, aus Dreck und Letten gebacken, soll ein legitimer König von Gottes Gnaden und nun gar der König von Preußen sich geben lassen, der den Segen hat, wenn auch nicht die älteste, doch die edelste Krone, die niemand gestohlen ist, zu tragen?" In dieser schroffen Haltung wurde Friedrich Wilhelm noch durch andere Gründe bestärkt. Seiner großdeutschen Gesinnung widerstrebte der Gedanke an Verdrängung Österreichs aus Deutschland, seiner Friedensliebe der Gedanke an den Waffengang mit Österreich und vielleicht mit Rußland, als unvermeidliche Folge einer Annahme der Krone. Wie stellte man sich in England zu dem preußischen KaiserPlan ? Man nahm dort nicht dieselbe feindliche Stellung wie etwa in Österreich und Rußland ein, aber manche Gesichtspunkte ließen die ablehnende Haltung des preußischen Königs doch als willkommen erscheinen. Die Möglichkeit eines Krieges zwischen Preußen auf der einen — und östereich auf der anderen Seite — mochte der Ausgang sein wie er wollte, konnte in England keine angenehmen Gefühle auslösen. So war man durchaus damit zufrieden, daß Friedrich Wilhelm IV. von der deutschen Kaiserkrone nichts hatte wissen wollen. „Die Annahme dieser Würde," schrieb die Times am 7. April — „würde der deutschen Nation keinen Frieden und keine Eintracht gebracht haben. Selbst die, die jetzt begeistert seien, würden bald in Konflikt mit ihren lokalen Interessen, ihren religiösen Überzeugungen und ihren alten Eifersüchteleien kommen. Österreich und Bayern, noch mehr Hannover, würden sich niemals einer Macht unterwerfen, die sich so wenig auf die Bundesakte stützen könne. Hinter Österreich aber steht Rußland, das mit ihm durch die gemeinsame Feindschaft gegen die revolutionären Lehren geeint ist. Das erste Anzeichen einer wirklichen Einigung des westlichen Deutschlands ruft ferner die Feindschaft Frankreichs auf den Plan. England, das an sich nichts zu befürchten hat, würde mit Bedauern die große Gefährdung des allgemeinen Friedens sehen, da Preußen, wenn es die Kaiserkrone annimmt, die ganze Front der europäischen Mächte gegen sich hat. Ein sehr kühner und ehrgeiziger Monarch kann zwar diese Hindernisse überwinden, aber dazu hat der König von Preußen nicht das Zeug. Er ist, kurz gesagt, ein romantischer Souverän, nicht ohne glänzende Impulse, der aber in einer Welt lebt, die die Phantasie mit bunten Farben ausgestattet hat, und der mehr mit geistreichen Aussprüchen als mit kühnen Taten bei der Hand ist. Ein Mann von so imbeständigem
England und die Bestrebungen eines preußischen Sonderbundes.
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Charakter wird immer einer klaren und endgültigen Entscheidung ausweichen." Auch die „Daily News" (5. April) hob die Gefahren des Planes hervor, so sympathisch sie ihm an sich gegenüberstand: „Was die Stellung des Königs von Preußen so schwierig macht, ist die Tatsache, daß die Franzosen eine Einigung Deutschlands unter dem König von Preußen bekämpfen. Frankreich will natürlich lieber ein uneiniges Deutschland, in dem Österreich und Preußen miteinander rivalisieren. In dieser Hinsicht verfolgt Frankreich genau dieselben Ziele wie Rußland, sodaß der größte Teil Europas außer Preußen und England sich gegen die Interessen Deutschlands verschworen hat. Selbst von England kommt keine wirkliche Unterstützung. Trotzdem darf man den Glauben nicht aufgeben, daß den Deutschen doch einmal nationale Einheit, Stärke und Unabhängigkeit beschieden wird. Der Beschluß der Frankfurter Versammlung, die Kaiserkrone auf den König von Preußen zu übertragen, ist ein bedeutungsvoller und wichtiger Schritt, mag er mm zur Krönimg führen oder nicht. Er zeigt den Entschluß der Deutschen, ihr Reich zu einigen und zu festigen, wenn möglich mit ihrem Fürsten, aber ohne sie, wenn sie widerstreben. Dieser Gedanke, der durch solch eine erlauchte Versammlung vermacht ist, wird groß und mächtig bleiben, selbst wenn die Nationalversammlung aufgelöst oder unterdrückt wird." Wenn Friedrich Wilhelm auch die Kaiserkrone aus den Händen der Nationalversammlung nicht entgegennehmen wollte, so hatte er doch seine Pläne für eine Neugestaltung Deutschlands nicht aufgegeben. Sein Berater war dabei wieder der General von Radowitz. Radowitz war jetzt entschieden für einen Bundesstaat ohne die habsburgische Monarchie. Es gelang Radowitz, den König, wenn auch widerstrebend, für seine Ideen zu gewinnen. Die Aufgabe war nun, die mittleren deutschen Staaten, denn der kleineren war man sicher, für den Gedanken eines solchen engeren Bundes zu erwärmen. Zunächst kamen dafür Sachsen und Hannover in Frage. Am 26. Mai wurde zwischen Preußen und diesen beiden Staaten das Dreikönigsbündnis geschlossen. Bunsen begrüßte die Bestrebungen Preußens mit warmer Sympathie und konnte nicht genug den Eindruck rühmen, den die neue Phase der deütschen Einheitsbestrebungen in London machte. In seinem Bericht an das preußische Ministerium des Auswärtigen schrieb er am 6. Juni: „Die Entwicklung der großen deutschen Angelegenheit ist der Gegenstand der ängstlichen Teilnahme und Sorge seitens des englischen Publikums. Um so allgemeiner und lebhafter hat sich mir von allen Seiten und namentlich auch von
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Seiten der Regierung unmittelbar nachdem jener große Entschluß der drei deutschen Könige hier bekannt wurde, die Genugtuung und Freude der Staatsmänner a l l e r Farben über diese glückliche und für viele unerwartete Wendimg der Dinge ausgesprochen. Man verspricht sich hiervon eine ebenso baldige als glückliche und friedliche Lösimg der großen deutschen Angelegenheit und erkennt in jener Verfassung ebensowohl die fürsorgend erhaltende Weisheit und monarchische Würde als die wahrhaft freisinnige Gesinnung jener Regierungen. Man fühlt, daß Deutschland und Europa für alles, was geschehen, vor allem dem Könige zu Dank verpflichtet ist." Aber sehr bald zeigten sich in dem Bau des neugeschaffenen Bundes Risse. Hannover und Sachsen waren nur mit innerem Widerstreben beigetreten. Der englische Gesandte in Hannover, Bligh, erfuhr durch eine Mitteilung des Grafen Bennigsen1), daß Hannover auf das Bündnis mit Preußen gar keinen Wert lege, sondern darauf nur eingegangen sei, um im Volke den Eindruck zu erwecken, daß man etwas für die deutsche Einheit getan habe. Ferner habe man damit zugleich den Preußenhaß im eigenen Lande angefacht. Noch eine andere Tatsache war in dieser Hinsicht charakteristisch. Der König von Hannover schrieb persönlich an den Herzog von Wellington und fragte ihn, ob es nicht zweckmäßig sei, sich hinsichtlich der Vereinigung mit Preußen freie Hand zu wahren, um Österreich für seine Maßnahmen Zeit zu lassen. Damit fand der hannoversche König bei dem englischen Feldherrn allerdings keine Gegenliebe. Wellington erwiderte dem König „nicht ohne hohen günstigen Einfluß", es sei ein strategischer Fehler, sich auf etwas Ungewisses zu stützen, wenn man etwas Sicheres haben könne. Die Verbindung mit Preußen böte für sein Land und seine Dynastie eine Sicherheit, während andererseits Österreich ihn bei der geographischen Lage seiner Länder doch nicht gegen Preußen und die Revolution schützen könne'). Auch die preußenfeindlichen Umtriebe in anderen deutschen Ländern wurden von der englischen Diplomatie bemerkt. So meldete der englische Gesandte in Karlsruhe nach London: „Österreich tut alles, um den Großherzog von einer Verbindung 1 ) Aus dem vertraulichen Auswärtigen vom 25. Juni: G. ') Aus dem vertraulichen Auswärtigen vom 16. Juni: G.
Bericht Bunsens an das Ministerium des St. A. Bericht Bunsens an das Ministerium des St. A.
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mit Preußem abzuhalten. Der engere Bund unter Preußens Vorsitz soll auf jeden Fall verhindert werden. Unterdessen sucht man einen süddeutschen Bund unter Österreichs Protektorat zustande zu bringen und Bayern ist darüber ganz mit Österreich einverstanden"'l). Ein Teil der engüschen Gesandten an den kleineren Höfen begnügte sich nun nicht mit der Rolle eines Beobachters, sondern suchte auch aktiv gegen Preußen Stellung zu nehmen. Am meisten tat sich in dieser Hinsicht Herr Forbes in Dresden hervor. Er stellte Herrn von Beust wegen des Anschlusses Sachsens an das Dreikönigsbündnis zur Rede und fügte hinzu, daß dadurch das jetzt in Großbritannien regierende Haus in seinen eventuellen Rechten gekränkt würde. Darauf erklärte Herr von Beust gleichsam entschuldigend, daß man sich eine Hintertür offenhalte und in München zu verstehen gegeben habe, daß alles auf die Beteiligung Bayerns und Österreichs ankomme1). Mit der vermeintlichen Sorge des Gesandten in Dresden für das englische Königshaus war die Königin Viktoria keineswegs einverstanden. Sie fand das Benehmen des Gesandten ungehörig und bemerkte, daß es durchaus im Interesse der herzoglichen Häuser läge, wenn die deutsche Einheit zustande käme. Lord Palmerston verhielt sich gegenüber dem Einspruch der Königin sehr kühl. Er deckte Forbes durchaus. Nach seiner Meinimg hatten die Gesandten ein Recht, sich darüber auszusprechen, was sie als eine Gefahr für die Dynastie ansähen*). Es war nicht nur Herr Forbes, der gegen die preußischen Bestrebungen Stellung nahm. Andere englische Gesandte bekundeten mehr oder weniger dieselbe Gesinnung. Königin Viktoria blieb das nicht verborgen. Gegenüber ihren Ministern sprach sie ihre Verwunderung darüber aus, daß die Gesandten eine solche Politik befolgen, während es doch die Ansicht Ihrer Majestät sei, daß die deutschen Regierungen nur gerettet werden könnten, wenn sie sich treu und offen an Preußen anschlössen und so die gerechten Erwartungen der Nation befriedigten. Lord John Russell und Lord Palmerston bestritten daraufhin auf das bestimmteste, daß sie jene Gesandten in einem der deutschen Einheit unter Preußens Vorstand feindlichen Sinne in*) Aus dem vertraulichen Bericht Bunsens vom 25. Juni: G. St. A. *) Aus dem vertraulichen Bericht Bunsens vom 20. Juni: G. St .A. *) Aus dem vertraulichen Bericht Bunsens vom 20. Juni: G. A. St.
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struiert hätten, meinten aber, daß sie das Gegenteil auch nicht tun könnten1). Wie sehr man sich in England unter dem Eindruck der Umtriebe in den anderen deutschen Staaten von den preußischen Sonderbundsbestrebungen abgewandt hatte, geht aus der ,,Daily News" (2. Juli) hervor. Bei ihr heißt es: „Alle Hoffnungen auf eine Neugestaltung Deutschlands werden wahrscheinlich scheitern. Es sind nicht bloß die verschlagenen Staatsmänner Österreichs oder die fanatischen Republikaner Badens und der Pfalz, die das verhindern, sondern auch die Monarchen Hannovers vind Sachsens. Sie lehnen jetzt ihre Verpflichtungen ab, nachdem unter ihrer Beteiligung die Verfassung in Berlin zustandegekommen ist. Der Plan der Höfe von Hannover und Dresden geht dahin, Österreich die Führung in den deutschen Dingen zurückzugewinnen. Man braucht nicht zu sagen, daß die Wiedererstehimg des alten Bundestages oder seine Zusammenfassung in einem Fünferrat in ganz Deutschland mit Gelächter und Verachtung aufgenommen würde. Und doch hat ein großer Teil der Regierungen dieser Weisheit zugestimmt. Nicht nur Rußland, sondern auch das englische Auswärtige Amt hat seine Hilfe gewährt. Es ist sicher schwer, sich vorzustellen, daß Lord Palmerston und Zar Nikolaus zusammen auf die Jagd gehen und die deutsche Einheit und Freiheit dabei ihr Gewinn und ihr Beutestück sein soll. Aber dem ist so. Lord Palmerston ist in der dänischen Frage mit dem Petersburger Hof vollkommen einig. Diese Einigkeit erstreckt sich jetzt auch auf die deutschen Angelegenheiten. Die englische Diplomatie hat Österreich geholfen, Deutschland zurückzuerobern. Dieser vollständige Umschwung in der auswärtigen Politik des Whigministeriums wird mit dem größten Triumph und der größten Befriedigung von den Tories begrüßt. Wir müssen bekennen, daß wir von Lord Palmerston Besseres erhofft hatten." Auch Bunsen, der kurz vorher noch so optimistisch gewesen war, konnte sich jetzt einer starken Skepsis nicht entschlagen. In seinem Bericht vom 29. Juni lesen wir: „Wiederum hat in den letzten Wochen der Glaube an die Herstellung eines Deutschen Reiches sehr abgenommen. Man sieht die Sache ungefähr so an: Die deutsche Bewegung von 1848 ist vorbei. Sie hat ihren Zweck nicht erreicht. Die Nation ist unzufrieden, aber müde. Alle königlichen Dynastien sind feindlich gegen Preußen. Österreich wird bald eine andere Sprache führen können. Es steht also nichts *) Ans dem vertraulichen Bericht Bunsens vom 3. Juli: G. St. A.
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in Aussicht, als die Wiedereinsetzung des alten Bundes. Was dann weiter in Deutschland sich ereignen würde, darüber sind die Meinungen geteilt; aber darin sind alle einig, daß sich im eigentlichen Deutschland kein Anhaltspunkt für die Politik Großbritanniens im gegenwärtigen Augenblicke finde. Und über sechs Monate denkt jetzt kein englischer Staatsmann hinaus." Für den Erfolg der preußischen Bestrebungen war es nun von entscheidender Bedeutimg, ob es nicht doch gelingen würde, Bayern dem Dreikönigsbündnis zu gewinnen. Radowitz, als Leiter der preußischen Politik, war geneigt, zu diesem Zweck große Zugeständnisse zu machen. Als der bayerische Minister von der Pfordten in Berlin weilte, um über den eventuellen Anschluß Bayerns an das Dreikönigsbündnis zu verhandeln, erklärte sich Preußen bereit, dem Fürstenkollegium bedeutendere Rechte einzuräumen, als ursprünglich vorgesehen war, und ihm ein Veto bei Verfassungsänderungen nicht vorzuenthalten. Da konnte wohl die Befürchtung aufkommen, daß Preußen von der eingeschlagenen Bahn immer mehr abgedrängt würde. Bunsen, der alles zu tun suchte, was in seiner Macht stand, um das Scheitern des von ihm so sehr begrüßten Planes möglichst zu vermeiden, wies in seinen Berichten nach Berlin immer wieder darauf hin, wie notwendig es grade tun der Verbindung mit England willen sei, daß eine entschlossene klare und konsequente Politik geführt würde, damit nicht die Überzeugimg von der Machtlosigkeit Preußens um sich griffe. Sei das Werk erst einmal vollendet, so würde England, das sich zunächst abwartend verhielte, jedenfalls eine freundliche Stellung dazu einnehmen. Bunsen arbeitete in dieser Zeit zwei größere politische Denkschriften aus, in denen er die deutsche Frage namentlich im Hinblick auf England erörterte1). „Man muß, England immer wieder zeigen, daß von der Ausführung des preußischen Planes die Ruhe Europas abhängt und daß Preußen gemeinsam mit England den Frieden Europas herstellen will. Ist Deutschland erst einmal ein Reich unter Preußens Hoheit geworden, so kann ein enges Schutzund Trutzbündnis zwischen Deutschland und England geschlossen werden. Preußen muß England wissen lassen, daß es das deutsche Reich zustande bringen will, dann werden die englischen Gesandten alles zur Förderung dieses Planes tun." Doch in wie weitem Felde lag ein solches Bündnis zwischen England und den deutschen Mächten! Zwar hatte Palmerston !) N i p p o l d - B u n s e n , Bd. III, S. 52.
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kurz vorher Bunsen erklärt ): „Es ist gegen die Idee eines Deutschen Reiches nichts einzuwenden, als daß niemand es scheint zustandebringen zu können" — ein Ausspruch, der nach Bunsen bedeutete, daß England sich an dieses Reich anschließen würde, wenn der König von Preußen wirklich das Werk mit Energie zu Ende führte. Auf österreichischer Seite war man jedenfalls von diesen Besorgnissen nicht ganz frei. Colloredo sprach sich in einem Bericht an dien Fürsten Schwarzenberg dahin aus2), daß die Politik Lord Palmerstons den preußischen Plänen günstig sei und daß er Gelegenheit suche, sie zu unterstützen. Schon jetzt rechneten die Kreise, die die Herrschaft Preußens in Deutschland erstrebten, auf die Hilfe des britischen Kabinettes. Colloredo meint, daß diese Haltung Palmerstons in Widerspruch mit seiner sonst oft geäußerten Absicht stände, die Verbindung mit Frankreich zu pflegen. Denn Frankreich würde sich niemals zu einer Stärkung des preußischen Einflusses hergeben und England in dieser Beziehung Widerstand leisten. Es könnte sich also die Kombination der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts wiederholen, nämlich England und Preußen in Zwiespalt mit Österreich und Frankreich. Doch die Aussichten, daß die preußischen Sonderbundsbestrebungen sich verwirklichen könnten, wurden immer geringer. Allerdings erklärten nach und nach 24 deutsche Regierungen ihren Beitritt zum Dreikönigsbündnis, nur nicht die Staaten, auf welche es gerade ankam. Im wesentlichen beschränkte sich der Bund auf die norddeutschen und mitteldeutschen Staaten. Von den süddeutschen Staaten schlössen sich nur Hessen-Darmstadt und Baden an. Als man sich nun am 5. Oktober über die Berufimg eines Reichstages schlüssig werden wollte, erhoben Hannover und Sachsen Protest. Sie verlangten, daß erst eine Verständigimg mit Österreich vorangegangen sein müßte. Durch keine Vorstellung Preußens ließen sie sich davon abbringen. Unbeirrt vertraten sie den Standpunkt, daß für die Durchführung des Bündnisses vom 26. Mai einstimmige Beschlüsse erforderlich seien. Preußen konnte das natürlich nicht anerkennen. So mußten Sachsen und Hannover aus dem Bunde ausscheiden. Die allgemeinen Wahlen zum Volkshaus wurden auf den 31. Januar 1850 festgesetzt. Nun trat Schwarzenberg, dem die preußischen l ) Aus dem Bericht Bunsens an das Ministerium des Auswärtigen vom 29. Juli: G. St. A. *) Bericht Colloredos an den Fürsten Schwarzenberg vom 5. August 1849: H. H. St. A.
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Pläne schon längst ein Dorn im Auge gewesen waren, aus seiner bisher geübten Zurückhaltung heraus und erhob gegen die Äußerung Bodelschwinghs, daß die Bundesverfassung von 1815 erloschen sei, Einspruch. Er betonte, daß der geplante Bundesstaat mit der noch gültigen Bundesakte unvereinbar sei und verwahrte sich gegen die Einberufung eines Reichstages. Damit hatte die ganze Frage ein neues Gesicht erhalten. Die Kreise in England, denen die Gedanken Radowitzens schon längst nicht behagten, ließen jetzt ihre offene Mißbilligung erkennen. „Die österreichische Regierung protestiert" — so schrieb die Times am 28. November — „ g e g e n die Ausführung des preußischen Plans einer getrennten Liga deutscher Staaten, während Preußen auf diese Anzeige durch die Berufung des Erfurter Parlamentes antwortet und den Drohungen Österreichs trotzt. Das ist die unvermeidliche Folge der Berliner Politik seit den Märztagen des Jahres 1848. Bei dem Plan, den Deutschen Bund durch die Vereinigung Preußens mit einer langen Reihe deutscher Staaten zu begründen, und die einzige Macht, welche dem Emporkommen Preußens ein Gleichgewicht bietet, auszuschließen, mußte man auf die direkte Opposition Österreichs stoßen. Österreich handelte dabei zugleich im Interesse der anderen deutschen Länder, die sonst Preußen in die Arme getrieben wurden. Die Berufung des Erfurter Parlamentes muß man als eine Konzession an die nationale und demokratische Partei ansehen. Die Erfurter Versammlung wird an ihrer eigenen Unwirksamkeit mehr zugrunde gehen als durch auswärtigen Widerstand. In Deutschland kann Preußen nur auf die Unterstützung des unzufriedenen Teiles der Nation rechnen. Außerhalb Deutschlands sucht Preußen vergeblich Hilfe. Rußland wird sein ganzes Gewicht für die Erhaltung der bestehenden Verträge Europas in die Wagschale werfen. Frankreich wacht eifersüchtig darüber, daß nicht ein Plan ausgeführt wird, der die Macht und den Einfluß eines benachbarten Militärstaates mehrt. England verhält sich gegen Preußen wenigstens neutral, hat aber keine sehr günstige Meinung über seine Motive und Pläne. Je mehr man dem Grafen Brandenburg wegen seiner energischen und erfolgreichen Unterdrückung der Anarchie Anerkennung zollen muß, desto weniger kann man ihn zu den preußischen Sonderbundsbestrebungen ermutigen." Ahnlich äußerte sich die Times am 14. Januar 1850: „Die englischen Politiker können dem Erfurter Parlament wohl allen möglichen Erfolg wünschen und hoffen, daß es mit den in ihm nicht vertretenen Staaten nicht in Konflikt gerate, aber die Aussichten dafür sind sehr schlecht. England hat den Wunsch, die deutsche Nation geeint, mächtig, zuP r e c b t , Englands Stellung zur Deutschen Einheit.
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frieden und frei zu sehen. Aber die Einigung Deutschlands kann nicht dadurch herbeigeführt werden, daß die älteste deutsche Macht zurückgestoßen und eine unerträgliche Vorherrschaft über den katholischen Süden aufgerichtet wird. Die militärische Kraft Deutschlands nach Osten und Westen beruht auf der Vereinigung der preußischen und österreichischen Macht. Im anderen Falle hat Deutschland lauter Feinde ringsum. Es selbst aber wäre keineswegs mit der preußischen Suprematie zufrieden." Viel weniger als die Times war die „Edinburgh Review", die schon im Juli 1848 eine Lanze für die deutsche Einheit gebrochen hatte, geneigt, die Berufimg des Erfurter Parlamentes zu tadeln. Sie sah das Entscheidende in der Haltung, die die Leiter Preußens in Erfurt einnehmen würden. Wenn Preußen fest und unabhängig bliebe und dabei doch der Kritik ein offenes Ohr liehe, auf die Rechte der Fürsten Rücksicht nähme und die Stimmung des Volkes beachte, dann könnten weder unverschämte Drohungen noch grobe Verleumdungen das Werk zu Fall bringen." 1 ) Aber vor allem kam es der „Edinburgh Review", doch darauf an zu betonen, daß die Sonderbundsbestrebungen nicht zum Konflikt mit Österreich führen dürften. „Die Deutschen dürfen nicht überrascht sein, daß England, dessen Handelsinteressen so innig mit dem Frieden Europas zusammenhängen, mit Argwohn auf jede politische Veränderung blickt, die die freundschaftlichen Beziehungen der großen kontinentalen Mächte beeinträchtigt. Kenntnis und Klugheit sind nötig, um die Gefahr zu verstehen, welche die alte deutsche Verfassung für den Frieden Europas bringt, aber weder das eine noch das andere braucht man, um zu fühlen, daß die Gereiztheit Österreichs und der Zorn Rußlands für alle anderen europäischen Nationen sehr schädlich ist. Würde dagegen aus der Rivalität zwischen Preußen und Österreich ein aufrichtiges und offenes Bündnis werden, so würde das in sich selbst eine Garantie für den Frieden sein und eine nationale, nicht dynastische Organisation Deutschlands der Feindschaft aller fremden Mächte trotzen1). Noch wärmer klangen die Ausführungen der „Daily News" vom 21.März: Das Erfurter Parlament ist rein deutsch und nicht bloß eine Vereinigung der Fürsten, sondern des Volkes. Es wahrt die Volks- und konstitutionellen Rechte. Trotzdem ist der Erfolg dieses großen Planes sehr gefährdet. Er wird von den benachbarten Mächten sehr bekämpft werden, weil er gegen den wahn») Vol. 91, S. 599. ») Vol. 91, S. 596.
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sinnigen Ehrgeiz und die extremen Theorien Frankreichs auf der einen und Rußlands auf der anderen Seite eine starke Schranke aufrichtet. Politisch, religiös und moralisch angesehen, hat Europa kein dringenderes Anliegen, als die Entstehung eines mächtigen, freien und iniabhängigen Deutschlands. England ist mehr daran interessiert als irgend ein Teil Europas, England, das mit Deutschland durch die Rasse, die Religion, den Charakter und materielle Interessen verbunden ist." Von den englischen Diplomaten hielt zu dieser Zeit nur noch Lord Cowley an der Idee eines deutschen Staatenbundes fest. Er glaubte, daß nur dadurch eine neue Revolution verhindert werden könnte1). Ebenso dachte Prinz Albert. In dem Brief an den Prinzen von Preußen vom 5. März 1850 gab er der Hoffnung Ausdruck, daß die anderen deutschen Staaten durch Österreichs Opposition nicht eingeschüchtert würden. Prinz Albert legte großen Wert darauf, daß der Vertraute des englischen Hofes, Baron Stockmar, in das Erfurter Parlament gewählt würde und so über die Haltung Englands Klarheit schaffte. Denn er wußte wohl, daß von allen Feinden des Unionswerkes in Deutschland immer wieder auf das angebliche Übelwollen der auswärtigen Mächte hingewiesen wurde. In der Tat war die Betätigung der englischen Gesandten an den verschiedenen Höfen nicht gerade darnach angetan, in Deutschland die Meinung aufkommen zu lassen, als ob England den Unionsplänen freundlich gegenüberstände. Das gilt nicht zum wenigsten von dem englischen Gesandten in Berlin, Lord Westmoreland. Er hätte eigentlich besser zum Vertreter Englands in Wien als in Berlin gepaßt. Der österreichische Gesandte in London, Baron Koller, rühmte von ihm, daß seine Ansichten über die deutschen Angelegenheiten und die Mittel, sie auf einen legalen Boden zu führen, sich mit den Gesichtspunkten des kaiserlichen Kabinetts deckten2), also den preußischen schnurstracks entgegengesetzt waren. Infolgedessen war auch die Haltung Westmorelands gegenüber den preußischen Unionsbestrebungen mehr als lau. Herzog Ernst von Koburg teilte deswegen seine Befürchtungen dem Prinzen Albert in einem Briefe aus Gotha vom 5. Mai mit. „Wenn England und vor allem Palmerston", so schrieb er, „sich auch auf die andere Seite neigte, so könne er in Berlin nichts ausrichten. Er bat seinen Bruder, ihm nach Berlin, wo er sich *) Aus dem vertraulichen Bericht Bunsens vom 7. November: G. St. A. *) Aus dem Bericht Kollers vom 17. August 1850 an Forst Schwarzenberg: H. H. St. A. 9*
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aus Anlaß des Fürstentages aufhielt, durch einen Kurier Nachricht zu geben und für Westmoreland Instruktionen zu schicken. Das war natürlich ein Anliegen, auf das Prinz Albert nicht eingehen konnte. Seine Antwort auf den Brief seines Bruders ist vom 8. Mai datiert. Sachlich stimmte er ganz mit ihm überein. Er fand es unbegreiflich, daß man in diesem Augenblicke das Frankfurter Parlament aufgelöst hatte. Er habe sein Erstaunen darüber dem König und dem Prinzen von Preußen nicht verhehlt. Man müßte mit der öffentlichen Meinimg im Bunde fechten. Die kleineren Staaten sollten versuchen, den engeren Deutschen Bund noch zu retten. Mochte so Prinz Albert auch bereit sein, seinen persönlichen privaten Einfluß geltend zu machen, so verschmähte er jedoch jedes politisches Eingreifen und hielt sich streng an die ihm gezogenen Schranken. Er wußte, daß er anderenfalls das Ansehen, das er sich in England errungen hatte, sehr leicht verscherzen konnte ; war doch seine Stellung sowieso schon von eigentümlichen Schwierigkeiten gedrückt! Wenn Königin Viktoria bisweilen gegen Palmerstons eigenmächtiges Verhalten Einspruch erhob, so wagte Prinz Albert das nicht. Darum überging er den dahingehenden Wunsch seines Bruders in seinem Antwortschreiben völlig. Er hätte doch keinen Erfolg gehabt. Palmerston hätte sich, wie er es sogar gegenüber der Königin tat, jede Kritik schroff verbeten und Lord Westmoreland ebenso gut wie den Gesandten in Dresden gedeckt. Doch der preußische König hatte innerlich seinen Unionsplänen schon längst den Abschied gegeben. Anfang Mai berief er die Fürsten der Union zu einer Beratung über die weiteren Schritte nach Berlin und ließ in seiner Eröffnungsansprache durchblicken, daß er ihnen kein Hindernis in den Weg legen wolle, von dem engeren Bunde zurückzutreten. Nur ein Teil der Regierungen gab zu der in Erfurt beschlossenen Verfassung seine Zustimmung. Die Bundesbehörden konnten infolgedessen nicht eingesetzt werden, der Zusammenhalt unter den Bundesgliedern wurde immer lockerer. Bunsen empfand es schmerzlich, daß seine Hoffnungen nun wieder alle zunichte wurden. Wie er in seinem Brief vom 27. Juli bemerkt, bestände über die Absicht Preußens, die Union loszuwerden, in London kein Zweifel. Der Bericht des englischen Gesandten in Dresden über eine Unterredimg mit Herrn von Beust, in der dieser ihm die Äußerung des Generals von G.1) mitgeteilt habe: „ne vous inquiétez pas sur Erfurt, nous ne faisons 1
) General von Gerlach.
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que jouer la comédie", habe diesen Eindruck bestärkt. Bunsen schreibt, daß er und eine viel höhere Person und Autorität alles getan habe, um dieser Meinung entgegenzutreten. König Friedrich Wilhelm dachte allerdings an alles andere als mit den Ideen seines Freundes Radowitz Komödie zu spielen. Aber er war nicht die Persönlichkeit, sie durchzuführen und blieb in Schwäche und Halbheit stecken. Mehr und mehr ließ er sich zu einem Werkzeug der Kamarilla herabwürdigen, deren Haupt General Leopold von Ger lach war. Für diesen war allerdings Erfurt nur eine Komödie. Infolge der Schwierigkeiten, die dem König begegneten, schlug der Gedanke, nur mit Österreich zusammen eine deutsche Bundesreform vorzunehmen, aufs neue in seinem Herzen Wurzel. Doch hätte er sich schon jetzt darüber klar sein müssen, daß dabei nichts herauskommen konnte. Wohin dieser Weg ihn führte, werden wir noch sehen.
VI. Kapitel. England und der Abschluß des preußischen Krieges mit Dänemark. Dem Waffenstillstand mit Dänemark vom 10. Juli 1849 sollte eigentlich möglichst bald der Friede folgen. Gewisse Grundsätze für den Präliminarfrieden waren schon festgelegt worden. Man dachte an eine Selbständigkeit Schleswigs in Gesetzgebimg und Verwaltung, so wie sie der Palmerstonsche Vorschlag vorgesehen hatte. Aber wie sie im einzelnen ausgestaltet werden sollte, ließ man noch völlig in der Schwebe. Das blieb weiteren Verhandlungen vorbehalten, zu denen auch England zugezogen werden sollte. Sie begannen erst im Januar 1850. Dänemark strebte darnach, die Loslösung Schleswigs von Holstein zur völligen Einverleibung zu benutzen und die Selbständigkeit Schleswigs zu einem bloßen Schein herabzudrücken. Von den englischen Diplomaten in Deutschland wurde es darin immer offener unterstützt. In einem Brief, den Bunsen am 15. Januar aus Berlin erhielt, wurden der englischen Diplomatie schwere Vorwürfe wegen ihrer Haltung in der schleswig-holsteinschen Frage gemacht1). England verhielte sich nicht so, wie es einer vermittelnden Macht gezieme, und es wäre vielleicht besser, wenn England diese Vermittlung überhaupt aufgeben würde. Über die Lage der Herzogtümer würden ungeheure Lügen verbreitet. Es wäre viel gewonnen, falls Bunsen es erreichen könnte, daß die englische Regierimg eine vorurteilsfreie militärische Persönlichkeit in die Herzogtümer entsende, um ein richtiges Bild von der Lage zu gewinnen. Hodges wollte in Flensburg von nichts wissen und auch die englischen Blätter seien nicht bestrebt, die Wahrheit zu hören, denn sonst hätten sie wohl Korrespondenten nach Kiel und Schleswig geschickt. r
) N i p p o l d - B u n s e n , III, S. 129.
England und der Abschluß des preußischen Krieges usw.
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Man darf nicht sagen, daß dieses Bild zu schwarz gesehen war, denn tatsächlich waren Männer wie Oberst Hodges nichts weniger als objektive Beurteiler der schleswig-holsteinschen Nöte und ein großer Teil der englischen Presse wurde von Tag zu Tag ungeduldiger. Dafür mag uns wieder die Times ein Beispiel geben. Über die Verzögerung des Friedensschlusses zwischen Deutschland und Dänemark zeigte sie sich sehr unwillig. „Hätte England" — so schrieb sie am 22. Januar — „sich an die Garantie von 1720 gehalten, wozu Frankreich und Rußland bereit waren, so wäre es wahrscheinlich gar nicht zu der Invasion gekommen. Dann hätte der Aufstand nicht lange gedauert. Jetzt ist die Lage viel ungünstiger, um den Streit zu schlichten. Die Insurrektion erhebt wieder ihr Haupt, die preußische Regierung ist durch die Opposition im Innern gelähmt, die Frankfurter Kommission muß befragt und das Erfurter Parlament zufrieden gestellt werden. Lord Westmoreland hat kürzlich einen scharfen Einspruch bei der preußischen Regierung erhoben, und wenn der Berliner Hof auf freundschaftliche Beziehungen mit England Wert legt, so ist es nicht zu viel verlangt, daß er seine Verpflichtungen erfüllt." Als die Times dies bemerkte, waren die sechs Monate, für die der Waffenstillstand zunächst gelten sollte, schon verstrichen. Die Frage einer Verlängerung wurde brennend. In England sickerten Nachrichten durch, daß Dänemark dabei Schwierigkeiten mache. Auch im englischen Unterhaus kam darauf am 18. Februar die Sprache1). Auf eine dahingehende Frage von G. Sanders erwiderte Palmerston, daß die britische Regierung den beiden Parteien vorgeschlagen hätte, den Waffenstillstand, der im Januar abgelaufen wäre, auf sechs Monate zu verlängern. Zuerst hätten beide Seiten sich dagegen gesträubt, aber am 16. Februar habe der dänische Gesandte eine Depesche seiner Regierung überbracht, worin dieselbe sich dazu bereit erklärte, falls die anderen Parteien den Waffenstillstand getreu ausführten. Im Anschluß daran bemerkte Lord Palmerston, daß während des vorigen Waffenstillstandes gewisse Differenzpunkte zwischen den beiden Parteien niemals geschlichtet worden seien. Die Zustimmung der Zentralgewalt in Frankfurt zu erlangen, würde zwar etwas schwierig sein, er hätte aber die britischen Gesandten in Berlin und Frankfurt beauftragt, die Verlängerung des Waffenstillstandes zu empfehlen. Mit einer Erneuerung auf sechs Monate sei die dänische *) Hansard's Parliamentary Debates, vol. 108, col. 97off.
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Regierung einverstanden, aber er glaube, daß sie ihn auch bis zum Ende des Jahres verlängern würde. Wenn Lord Palmerston sich schon bemüht hatte, die dänische Regierung von jeder Schuld frei zu sprechen, so besorgte die Times das am 20. Februar noch viel gründlicher. „Die preußische Regierung hat", so behauptete die Times, „die Waffenstillstandsbedingungen verletzt; sie hat die Friedensverhandlungen unnötig verlängert, sie hat der Verwaltungskommission die Unterstützung, zu der sie verpflichtet war, entzogen, sie hat, statt Dänemark zu helfen, die Niederwerfung des Aufstandes in den Herzogtümern durchkreuzt. Sie hat alle Parteihoffnungen lebendig erhalten. Dänemarks Ziel war das Ende der Feindseligkeiten unter Bedingungen, wie sie England empfahl. Preußen suchte der Stimmung des Erfurter Parlamentes Rechnimg zu tragen. Man irrt sehr, wenn man glaubt, daß England sich in dieser Angelegenheit zu einer Intrigue hergegeben habe, um die Absichten Rußlands zu durchkreuzen. Lord Palmerston und Rußland haben dasselbe Ziel mit beinah denselben Mitteln verfolgt. Wenn man die Wirkungen einer nochmaligen Blockade auf den ausgedehnten englischen Handel mit dem Norden Europas betrachtet und die Schädigung der Handelsinteressen Englands ins Auge faßt, so ist man berechtigt, hier mit aller zu Gebote stehenden Macht einzuschreiten. In der Ostsee wird Lord Palmerston, der um die Interessen der britischen Untertanen so besorgt ist, ein geeignetes Feld für seine Tätigkeit finden." Bemerkenswert ist, wie die Times jetzt ziemlich rückhaltlos für Lord Palmerston eintritt, dafür aber Preußen mit einem um so schwereren Schuldkonto belastet. Preußen sollte eben auf alle mögliche Weise eingeschüchtert werden und ihm SchleswigHolstein noch mehr als seine Unionspolitik verleidet werden. Tatsächlich mehrten sich auch in Deutschland die Stimmen, die es für das beste hielten, wenn Preußen sich aus der ganzen Sache zurückzöge. In einem Brief vom 2. Mai aus Gotha äußerte sich Baron Stockmar dahin 1 ), daß Schleswig-Holstein die Wahl habe, sich entweder der Gewalt Frankreichs, Englands und Rußlands zu unterwerfen oder seine eigenen Streitkräfte zum Kampf aufzurufen. Preußen könne nichts anderes tun, als sich jeder ferneren Einmischung zu enthalten. Er rate dem Berliner Kabinett auf das dringendste, eine tüchtige Persönlichkeit nach London zu entsenden, um Palmerston über die Stellung Preußens für den Fall, daß die Ehre und das Leben des preußischen Staates in die schles') S t o c k m a r ,
Denkwürdigkeiten, S. 611.
England und der Abschloß des preußischen Krieges usw.
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wig-holsteinsche Angelegenheit mit hinein gezogen würde, nicht im unklaren zu lassen. Ein solcher Vertreter würde bei der Königin und bei dem Prinzen Albert eine verständnisvolle Aufnahme finden. J a , eben bei der Königin und dem Prinzen Albert, aber nicht bei Lord Palmerston, worauf es doch vor allem ankam. Palmerston segelte ganz im dänischen Fahrwasser und ließ sich immer mehr von den englischen Diplomaten im Auslande beeinflussen. Oberst Hodges hatte in seinen Berichten der preußischen Regierimg Mangel an Ehrlichkeit, Treue und Glauben vorgeworfen. Daraufhin beauftragte Lord Palmerston in einer Note vom 12. April 1850 den englischen Gesandten in Berlin, der preußischen Regierung nahezulegen, „that if they continue to pursue in regard to the fulfillment by them of the stipulation of the armistice the same hesitating and fallacious course which they have hitherto followed, the consequence will probably be the occupation of Schleswig by Russian force and the settlement of all question connected with the Duchies by the forcible interference of Russia." 1 ) Bunsen erhob aufs nachdrücklichste gegen die Meldung des Oberst Hodges Einspruch und widerlegte die Ansicht, daß die Agitation in Schleswig eigentlich nur auf die preußische Politik und die Aufreizung der Bevölkerung zurückzuführen sei2). Wenn Bunsen sich bemühte, die englische Politik und die Wünsche der Schleswig-Holsteiner in Einklang zu bringen, und in seiner Broschüre „Germanicus Vindex" zu zeigen versuchte, wie man gerade im recht verstandenen englischen Interesse sich gegen das russiche Uebergewicht wehren müsse, so wurde er darin von der „Daily News" unterstützt, die am 27. April schrieb: „Man muß sich darüber freuen, daß Preußen sich von den Verhandlungen über die Stellung Schleswigs zurückgezogen hat. Dänemark wollte nicht auf den Frieden eingehen, weil Rußland die Anwesenheit von preußischen Truppen in Schleswig als Vorwand zum Eingreifen benutzte. Um das zu verhindern, hat Preußen Schleswig geräumt und Dänemark einen Sonderfrieden angeboten. Nim ist es für den englischen Minister Zeit, zu intervenieren und seinen guten Rat zu geben. England allein ist jetzt die Sorge für den konstitutionellen und liberalen Gedanken in Schleswig-Holstein übertragen. Bedauerlicherweise darf man keine Hoffnung haben, daß die britischen Diplomaten gute Ratschläge geben werden, ') Note, in Abschrift beigefügt dem Bericht des Grafen Koller an den Forsten Schwarzenberg vom n . Mai 1850: H. H. St. A. •) N i p p o l d - B u n s e n , Bd. III, S. 130.
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denn sie haben ja keine Ahnung von dem Gegenstand und den Interessen, um die es sich handelt". Tatsächlich war in der letzten Zeit die Annäherung zwischen Rußland und England in der schleswig-holsteinschen Frage immer größer geworden, wenn auch manchen Kreisen in England die Politik Palmerstons gegenüber Preußen und Deutschland noch nicht energisch genug war. In der großen Debatte, die in den letzten Junitagen im Unterhaus über die Fragen der auswärtigen Politik, namentlich über den Zwischenfall mit Griechenland stattfand, sprach auch Disraeli1). In seiner Rede beschäftigte er sich mit den Folgen der französischen Revolution. „Die Gebiete dreier Mächte sind dadurch im letzten Grunde zerstückelt worden. Österreich ist der Lombardei beraubt worden. Der König beider Sizilien ist nur noch König von Neapel, und der König von Dänemark hat seine skandinavischen Herzogtümer verloren. Überall sind dadurch englische Interessen verletzt. Warum hat England nicht die Blockade der Ostsee verhindern können, über die die Handelskreise so seht klagen ? Darum, weil Verstand und Energie der englischen Minister nur auf das eine große Ziel gerichtet ist „the creation of a German empire!" In der Überzeugung, daß Österreich nicht länger aufrechterhalten werden kann, haben sie ihre Hoffnungen auf ein Reich des Nordens gerichtet, dem jedes andere Interesse untergeordnet werden müsse. Aber das Deutsche Reich ist ja „a German romance", ebenso abenteuerlich wie seltsam 1 Doch die Minister Englands haben sich diesem großen Gegenstand geweiht. Deutlicher kann es uns Disraeli nicht sagen, daß er für alle nationalen Bestrebungen der Deutschen nur Hohn und Spott übrig hat. Wir sehen, wie die Frage der Zukunft SchleswigHolsteins und der deutschen Einheit für ihn aufs engste zusammenhängt. Aber trotz aller satirischen Bemerkungen über die englischen Minister, die wirklich in dieser Beziehimg nicht den Tadel verdienten, mit dem sie von Disraeli bedacht wurden, gelang es dem Führer der Opposition nicht, das Ministerium zu stürzen. Bei der Abstimmimg ergab sich infolge der glänzenden Rede Palmerstons, auf die wir noch zu sprechen kommen, eine wenn auch nur gei inge Mehrheit für dasselbe. Mit 310 gegen 264 Stimmen erteilte man der Regierung das Vertrauen. Wenige Tage später, am 2. Juli, wurde der Friede zwischen Preußen und Dänemark geschlossen. Monatelang hatten sich die Verhandlungen hingezogen. Es war vorauszusehen, daß die Hansard's Parliamentary Debates, vol. 112, col. 731 ff.
England und der Abschluß des preußischen Krieges usw.
Unklarheit, die man in den Friedenspräliminarien des Waffenstillstandes über die Stellung Schleswigs gelassen hatte, zu endlosen Differenzen führen mußte. Einerseits hatte man die Selbständigkeit Schleswigs anerkannt, andererseits seine politische Union mit der dänischen Krone. Über das staatsrechtliche Verhältnis Schleswigs zu Dänemark konnte man infolgedessen auf keine Weise ins reine kommen. Schließlich hatte am 17. April der preußische Unterhändler, Herr v. Usedom, erklärt, daß Preußen, da man sich über die Einzelheiten vorläufig doch nicht einigen könne, „einen einfachen Frieden" unter Vorbehalt aller gegenseitigen Rechte vorschlage. Dazu legte er einen aus drei Artikeln bestehenden Entwurf vor. Aber die Dänen waren damit nicht so ohne weiteres einverstanden. Sie verlangten Frieden nicht nur mit Preußen, sondern auch mit Deutschland, damit dieses gezwungen würde, gegebenenfalls die Bundesexekution in Holstein vorzunehmen. Sie wünschten ferner Anerkennung ihrer Maßnahmen in Schleswig durch Deutschland. Auch bei den Großmächten hatte sich Preußen durch den Entwurf Usedoms kein Wohlwollen erworben. Palmerston machte sich die Kritik leicht, indem er darauf hinwies, daß die Hauptstreitpunkte unerledigt blieben. „Herstellung des Zustandes vor dem Kriege" — fragte Palermston — „was ist das?" Die Dänen sagen: „Weibliche Erbfolge und Schleswigs Union mit Dänemark", die Deutschen versichern: „Männliche Erbfolge und Schleswigs Union mit Holstein I"1) Noch schärfer trat Zar Nikolaus gegen die preußische Politik auf. Es nützte nichts, daß der König seinen Bruder, den Prinzen von Preußen, Ende Mai nach Warschau entsandte, der Zar verlangte die unbedingte Loslösung Preußens von den Schleswig -holsteinschen „Rebellen". Er forderte, daß Schleswig in dem Friedensverträge überhaupt nicht weiter erwähnt würde. So erfuhr der Entwurf Usedoms noch mehrfache Abänderungen, bis am 2. Juli schließlich der Friede unterzeichnet wurde. Wichtig waren besonders der dritte und vierte Artikel. Nach dem dritten Artikel behielten sich die beiden Parteien alle Rechte vor, die sie vor dem Kriege besessen hatten. Nach Artikel IV konnte der König-Herzog die Intervention des Deutschen Bundes anrufen, um die Ausübung seiner gesetzlichen Autorität in Holstein sicher zu stellen. Leistete der Deutsche Bund dieser Aufforderung keine Folge, so hatte der König das Recht, auch in Holstein militärische Maßnahmen zu ergreifen. ') Heinrich von S y b e l , Bd. I, S. 381.
Die Begründung des Deutschen
Reiches,
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Dänemark durfte mit dem Ergebnis zufrieden sein. Es hatte mehr erreicht, als es erhoffen konnte. Dessen war sich auch der König von Dänemark wohl bewußt. In einem Brief an die Kölligin Viktoria vom 4. Juli 1 ) zeigte er ihr den Abschluß des Friedens mit dem König von Preußen an, der zugleich im Namen des Deutschen Bundes unterzeichnet hätte. Er benutze die Gelegenheit, um der Königin Viktoria seinen Dank für Englands Vermittlung auszusprechen. Das Ergebnis rechtfertige seine Hoffnung, bald allen seinen Untertanen die Wohltaten einer wahren Eintracht bringen zu können. Durch die sorgfältige Vermittlung der englischen Regierung sei das Interesse Dänemarks und Europas gefördert worden. England habe dadurch einen neuen Beweis seiner aufrichtigen Freundschaft für Dänemark gegeben. Dieselbe Dankbarkeit wie ihn selbst beseele sein Volk gegenüber England. Königin Viktoria antwortete am 29. Juli dem dänischen König 2 ), daß England in den langen Verhandlungen, die der Unterzeichnung des Friedens mit Deutschland vorausgegangen seien, mit Unparteilichkeit habe vermitteln wollen. Bedauerlicherweise sei inzwischen der Kampf mit den Schleswig-Holsteinern wieder aufgelebt, der doch die beiden edlen Völker nur weiter verbittern und schwächen könne. Wenn Königin Viktoria in diesem Brief auch die Unparteilichkeit Englands bei der Vermittlung stark unterstrich, — und sie selbst hatte sich darum ehrlich bemüht — so zeigen doch die Lobeserhebungen des dänischen Königs ganz deutlich, daß England, was wir letzthin schon mehrfach haben feststellen müssen, die Vermittlung nicht gerade vorurteilsfrei ausgeübt hatte. Trotzdem sollte nun in der englischen Hauptstadt das Schlußsiegel auf die schleswig-holsteinsche Frage gedrückt werden. ') Letters of Queen Victoria, Bd. II, S. 30a. ') a. a. O., S. 307.
VII. Kapitel.
Das Londoner Protokoll vom 2. August 1850. Wie manches hatte der Berliner Friede noch unerledigt gelassen! Da war namentlich die Frage der Sukzession in den Herzogtümern, die man noch nicht geregelt hatte und an der doch der ganze Streit wesentlich mitentbrannt war. Schon längere Zeit hatte man sich in London damit beschäftigt. Am 19. Februar 1850 legte Lord Palmerston „mit seiner gewöhnlichen Gradheit und Kraft" 3 ) dem englischen Gesandten in Kopenhagen, Sir H. W. Wynn, seine Ansichten in einer Depesche dar. Der Gesandte sollte die englische Regierung auf die Notwendigkeit hinweisen, ohne Zögern die Sukzessionsfolge einer Lösung entgegenzuführen. So lange zwischen der Sukzessionsfolge in Dänemark und in Holstein ein Unterschied bestände, bliebe das Verlangen in Deutschland lebendig, an Holstein möglichst fest einen Teil des Herzogtums Schleswig anzuschließen, damit dieser Teil von Schleswig dem Schicksal Holsteins bei seiner Loslösung von der dänischen Monarchie folge, und wesentlich deutsch würde. Wenn aber einmal die Dauer der politischen Vereinigimg zwischen den Herzogtümern dadurch gesichert wäre, daß die dänische Krone einen Prinzen bestimmt hätte, der gleicherweise in Dänemark und Holstein folgen könnte, dann würden die Gründe für einen Konflikt aufhören und die Parteien leichter zu einer erträglichen Regelung kommen. Aber Dänemark konnte sich noch nicht dazu entschließen, die Erbfolgefrage endgültig zu ordnen. So blieb es zunächst bei Verhandlungen zwischen Rußland und England über diesen Punkt. Palmerston machte sich den Entwurf des russischen Gesandten in London, v. Brunnow, zu eigen, indem er vorschlug, daß König Friedrich VII. den Erbprinzen von Oldenburg zu seinem Nachfolger bestimme. Doch war der König dazu nicht ohne weiteres 3
) The Cambridge history of British foreign policy, Bd. II, S . 529ff.
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geneigt, da er lieber den Prinzen Christian von SonderburgGlücksburg auf dem dänischen Throne gesehen hätte. Rußland und England einigten sich nun dahin, der „weisen Initiative" des Königs von Dänemark die Einleitungen der Verhandlungen zu überlassen, die dazu dienen sollten, die Integrität der dänischen Monarchie unverletzt zu erhalten. Dieses Protokoll sollte von England, Frankreich, Rußland, Preußen, Österreich, Schweden und Dänemark gemeinsam unterzeichnet werden. Dagegen wollte Lord Palmerston, daß der Deutsche Bund, der doch am meisten an der Frage beteiligt war, da es sich letztlich um die Zukunft deutschen Landes handelte, von der Unterzeichnung ausgeschlossen würde. In einem Briefe an die Königin Viktoria vom 21. Juni sprach er das deutlich aus. Die Königin wies in ihrer Antwort vom folgenden Tage darauf hin1), daß Holstein zum Deutschen Bund gehöre und mit Dänemark nur zufällig durch seinen Souverän verbunden sei. Ein Protokoll, das die Integrität der dänischen Monarchie sichern sollte, wäre ein direkter Angriff auf Deutschland, wenn es ohne seine Kenntnis und Zustimmung ausgeführt würde. Es sei ein Schlag gegen alle Gerechtigkeit und Moral, wenn Dritte über das Besitztum eines anderen Volkes verfügten. Selbst die Schwierigkeit, die für die diplomatische Etikette bestände, eine Vertretimg für Deutschland zu finden, könne eine solche Handlung nicht rechtfertigen. Die Art der Vertretung müßte dem Deutschen Bunde selbst überlassen bleiben. Es überrasche die Königin nicht, daß Österreich und Preußen sich über Palmerstons Übereinkunft mit Schweden, Rußland, Dänemark und Frankreich, bevor er Preußen und Österreich etwas davon gesagt habe, beklagten. Lord Palmerston konnte diese Kritik der Königin nicht angenehm sein. Er schrieb am folgenden Tage an Lord John Russell, daß die Königin das Ziel und die Wirkung des vorgeschlagenen Protokolls völlig mißverstanden habe. Es entscheide nicht über das Schicksal von Holstein und sei auch kein Angriff auf Deutschland. Es sei nur eine Darlegung der Wünsche und Meinungen der Mächte, deren Vertreter es unterzeichnen wollten. . . . Die Königin forderte wohl, daß der englische Staatssekretär sich als Minister des Deutschen Bundes betrachte. . . . Es sei nicht richtig, daß er das Übereinkommen mit Rußland, Schweden, Dänemark und Frankreich getroffen hätte, ohne Preußen und Österreich davon in Kenntnis zu setzen. Brunnow hätte das Protokoll ihm vorgeschlagen und er sei darüber mit ihm in Unterhandlung ge Letters of Queen Victoria, Bd. II, S. 296.
Das Londoner Protokoll vom 2. August 1850.
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treten. . . Er selbst habe es privatim vor einigen Wochen an Westmoreland, der es vertraulich Schleinitz zeigen sollte, mit dem Hinweis gesandt, daß es vorläufig nur ein Vorschlag Rußlands sei und auf jeden Fall ein Teil des Wortlautes verändert werden würde. Brunnow habe es zweifellos auch dem österreichischen Gesandten v. Koller gezeigt. Man habe es doch nicht offiziell nach Berlin oder Wien übermitteln können, bevor Brunnow nicht mit dem Wortlaut einverstanden gewesen sei. Auch habe zuerst die Sanktion der Königin eingeholt werden müssen. Das einzige, was hinsichtlich der Vertretimg des Deutschen Bundes praktisch in Betracht käme, sei die Möglichkeit, daß Preußen und Österreich bei der Unterzeichnimg des Protokolles hinzufügten, daß sie es auch im Namen des Bundes täten. Aber das bedeute nicht mehr als die Unterzeichnung von Preußen und Österreich selbst. Die Königin, der diese Verteidigung Palmerstons vorgetragen war, erwiderte am 25. Juni 1 ), daß ihr Mißverständnis darin bestände, daß sie den Sinn der Vereinbarung statt bloßer Worte ins Auge faßte. Der einzige Gegenstand des Protokolls wäre doch das Schicksal von Holstein, über welches entschieden würde, 1. durch die Erklärung, wie wichtig es für die Interessen Europas sei, die Integrität der dänischen Monarchie aufrecht zu erhalten (dies wäre bedeutungslos, wenn damit nicht gesagt wäre, daß Holstein bei Dänemark bleiben sollte), 2. durch die Bemühungen des Königs von Dänemark, das Thronfolgegesetz von Dänemark dem von Holstein anzupassen, 3. durch das Bestreben der Mächte, die verfassungsmäßige Stellung Holsteins in einem Frieden festzulegen, der den Präliminarien von Malmö entspräche, und schließlich die ganze Vereinbarung durch allgemeine europäische Anerkennung zu besiegeln. . . . Die Königin wollte nicht, daß ihr Minister ein Minister für Deutschland sei, sondern nur, daß er dieses Land mit derselben Sorgfalt behandle, die er jedem Lande schulde, über dessen Interessen er entscheiden solle. Sie wünsche, daß ihre Korrespondenz über diesen Gegenstand vor das Kabinett gebracht würde und bliebe bei ihrer wohlerwogenen Meinung. Daraufhin übersandte Palmerston nun endlich in seinem Brief vom 2. Juli an Bunsen die Abschrift des Protokolls und fügte gleichzeitig einige Bemerkungen hinzu2). Das Protokoll enthielte nur den „Ausdruck eines Wunsches, einer Anschauung und einer daraus folgenden Absicht", sollte aber nicht die Rechte *) Letters of Queen Victoria; Band II, S. 297ff. ') N i p p o l d - B u n s e n , Bd. I I I , S. 133.
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irgend einer Partei verletzen. Das Protokoll ginge von dem Wunsche aus, daß die Staaten der dänischen Monarchie auch in Zukunft vereinigt bleiben sollten. Die Anschauung sei die, daß der König von Dänemark gut täte, wenn er die Erbfolge so regelte, daß dies der Fall sein könnte. Die Absicht sei, durch die Fortdauer der englischen Bemühungen die Verhandlungen in Berlin zu unterstützen und ihnen eventuell eine europäische Anerkennung zu verschaffen. Daher habe er die Hoffnung, daß Bunsen sich diesem Protokoll anschließen werde. Am Schlüsse seines Briefes versuchte Palmerston noch einen gewissen Druck auszuüben. Er wies darauf hin, daß man in London nun endlich diese Dinge geregelt zu sehen wünsche, und daß man den Eindruck habe, die preußische Regierung suche den Friedensschluß zu verzögern, ja, scheine vielleicht sogar eine Zerstückelung des dänischen Reiches anzustreben in der Absicht, sich kommerziell und politisch zu vergrößern. In seiner Antwort vom 3. Juli erklärte Bunsen1), daß er nicht in der Lage sei, dem Protokoll zuzustimmen. Das Protokoll sei von den nichtdeutschen Staaten aufgesetzt worden, ohne daß Preußen, Österreich oder eine andere Macht um Rat gefragt worden sei. Erst am 20. Juni habe er davon erfahren. Durch Lord Westmoreland sei der preußischen Regierung nicht einmal eine vertrauliche Mitteilung darüber gemacht, während es Sir Henry Wynn schon vor einem Monat der dänischen Regierung bekannt gegeben habe. Am folgenden Tage teilte Bimsen Lord Palmerston, der ihn um eine Unterredung im Ministerium des Auswärtigen bat, mit1), er könne der Einladung keine Folge leisten, da er dabei von einem Protokollentwurf in Kenntnis gesetzt werden solle, welcher mit den Rechten des Deutschen Bundes und dem Völkerrechte nicht im Einklang stände. Am 5. Juli übersandte Bimsen an Palmerston zwei Denkschriften über diese Fragen8). Darin betont er, daß das Protokoll die Einmischung fremder Mächte in die Angelegenheiten anderer Staaten sanktioniere, daß es in Widerspruch mit der Vermittlerrolle Großbritanniens stände, und England, Frankreich und Rußland zu einer Art Protektorat über den Deutschen Bund verhelfe. a. a. O., S. 136. *) N i p p o l d - B u n s e n , Bd. III, S. 137. 4) a. a. O., S. 138.
Das Londoner Protokoll vom 2. August 1850.
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Man muß sagen, daß Bunsen bei dieser Gelegenheit durchaus auf dem Posten war und der unberechtigten Forderung Palmerstons gegenüber, die noch nicht einmal von der Königin gebilligt wurde, entschieden die Rechte Deutschlands wahrte. Bunsen weigerte sich auch fernerhin, an den Konferenzen, in denen über das Londoner Protokoll verhandelt wurde, teilzunehmen. So wurde denn am 2. August von den Vertretern Englands, Frankreichs, Rußlands, Dänemarks und Schwedens das Protokoll unterzeichnet, das vorbehaltlich der Beziehungen Holsteins zum Deutschen Bunde die Integrität der dänischen Monarchie aussprach. Dieses Protokoll bedeutete eine Niederlage für Preußen und Deutschland, einen Sieg für England und Rußland. Oder etwa nur für Rußland allein ? Hatte nicht Zar Nikolaus alles erreicht, was er wünschen konnte? Man hat die Meinung vertreten1), Palmerston habe Schleswig-Holstein Rußland als Köder und Ausgleich hingeworfen, um es von Griechenland abzulenken. Dort unten in der Ägäis war zu dieser Zeit England mit Frankreich und Rußland in Konflikt geraten. Ein geringfügiges Ereignis war die Ursache gewesen. Einem portugiesischen Juden Don Pacifico, der in Gibraltar geboren, also englischer Bürger war, war vom Athener orthodoxen Pöbel Haus und Möbel zertrümmert worden. Als die Ersatzansprüche, die Don Pacifico stellte, von der griechischen Regierung abgelehnt wurden, griff Palmerston energisch ein. Mitte Januar 1850 erschien der englische Admiral William Parker mit 15 Schiffen im Hafen von Salamis. Er blockierte griechische Häfen und nahm griechische Schiffe fort. Die griechische Regierung rief daraufhin die beiden Schutzmächte Frankreich und Rußland zu Hilfe. Aber Palmerston ließ sich nicht einschüchtern. Der Vermittlungsversuch, den der französische Gesandte in London machte, wurde von ihm mit ziemlicher Nichtachtung behandelt. England setzte unter dem Druck der Blockade seine Forderungen an Griechenland im wesentlichen durch. Palmerston selbst aber hielt in der großen Unterhausdebatte Ende Juni eine seiner glänzendsten Reden. Er verglich den englischen Staatsangehörigen mit dem römischen Bürger, dem überall in der Welt sein stolzes „civis Romanus sum" Achtung verschaffte. Diese Rede brachte ihm in England einen großen Triumph, während in Rußland eine starke Gereiztheit zurückblieb. Daif man nun annehmen, daß Palmerston, um RußHerzog Ernst, Bd. I, S. 460, Vitzthum von E c k s t ä d t , St. Petersburg und London, Bd. II, S. 257. P r e c h t , Englands Stellung rar Deutschen Einheit.
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land zu besänftigen, ihm in Schleswig-Holstein Konzessionen machte, die eigentlich nicht in seiner Absicht lagen? Ein Zusammenhang zwischen dem Don Pacifico-Handel und dem Londoner Protokoll ist oft vermutet worden. So gibt Herzog Ernst in seinen Erinnerungen folgende Äußerung seines Bruders, des Prinzen Albert, wieder: „Die armen Schleswiger müssen nun alles büßen, sogar auch die Sünden unseres auswärtigen Engels, der sich mit dem Protokoll Rußlands und Frankreichs verscherzte Freundschaft auf Kosten Deutschlands wiedergekauft und so den griechischen Handel abgeschlossen hat" 1 ). Zur Beurteilung der Frage müssen uns folgende Gesichtspunkte dienen: Einmal dürfen wir nicht vergessen, daß es vielleicht keiner Politik so im Blute liegt, wie der englischen, „in Erdteilen zu denken". Die Fülle der politischen Interessen Englands macht es ganz unvermeidlich, daß unter ihnen wechselweise ein Ausgleich stattfindet. Einzelne, an sich nicht bedeutungslose Fragen können einmal zurückgestellt werden, damit die englische Politik dafür an anderer Stelle mit ganzer Kraft auftreten kann. Der europäische Norden und die europäische Mitte ist für England nur ein, wenn auch sehr wichtiger, Schauplatz seiner politischen Betätigung. Wir haben es bis in die unmittelbare Gegenwart hinein oft genug erlebt, daß England an einem politischen Brennpunkt, z. B. am Rhein, vielleicht widerwillig, Konzessionen macht, um dafür an ganz anderer Stelle, etwa in Palästina oder Syrien, die Früchte zu ernten. So w^re ein solches politisches Tauschgeschäft Englands auch im Jahre 1850 durchaus möglich und die Äußerung des Prinzen Albert, der darin zugleich die Meinung der Königin wiedergab, ist ein beachtenswertes Zeugnis dafür, über das man nicht so ohne weiteres hinweggehen kann. Königin Viktoria hatte *) Eine eingehendere Schilderung des vermeintlichen Herganges finden wir bei Baudissin (Geschichte des schleswig-holsteinschen Krieges, S. 403). Darnach „soll" Palmerston auf das russische Ultimatum sich 24 Std. Bedenkzeit ausgebeten haben, darnach „soll" er eine Entschuldigung Englands abgelehnt, aber das Angebot gemacht haben die schleswig-holsteinsche Sache ganz im Sinne Rußlands zuerledigen. Hierauf,,soll" der russische Gesandte geantwortet haben, er sei allerdings nicht autorisiert, dieses Anerbieten anzunehmen, er werde aber nach Petersburg berichten und bis er Antwort erhalte, seine Pässe nicht fordern. Umgehend „soll" er aus Petersburg Befehl erhalten haben, das Anerbieten Palmerstons zu akzeptieren. Dieses „soll" die Ursache der veränderten Politik Englands gewesen sein. Das fünfmalige „soll" und die Art, wie hiernach Palmerston so ganz harmlos seine politischen Karten aufdeckt, legt fflr die Sicherheit dieser Erzählung kein sehr günstiges Zeugnis ab.
Das Londoner Protokoll vom 2. August I8JO.
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es schon oft mit Schmerz erfahren, daß Palmerston rücksichtslos Interessen anderer Nationen verletzte, wenn es ihm gut schien. So konnte ihr wohl auch die Überzeugimg sich aufdrängen, daß zwischen Palmerstons Politik in bezug auf Griechenland und Schleswig-Holstein ein Zusammenhang bestand. Immerhin nötigen doch gewisse allgemeine Erwägungen uns zur Vorsicht im Urteil. Man könnte darauf hinweisen, daß bei dem großen Siege, den Palmerston Ende Juni im Unterhaus errungen hatte, er es nicht für nötig zu halten brauchte, Rußland noch besonders entgegenzukommen. Lord Palmerston war seinem politischen Charakter nach zu allem anderen eher geneigt, als dort Zugeständnisse zu machen, wo es nicht erforderlich war. Noch schwerer aber wiegt eine andere Tatsache. In der schleswigholsteinschen Frage gingen die Interessen Rußlands und Englands gar nicht auseinander. Jeder von beiden Staaten wünschte eben „Integrität der dänischen Monarchie", damit die andere Macht nicht den Schlüssel zur Ostsee in die Hand bekäme. Die englischen Staatsmänner fürchteten, daß Rußland die Herrschaft über die Dardanellen des Nordens gewinnen könnte, wenn England sich völlig zurückhielte und die dänischen Belange nicht mit genügendem Eifer wahrte. Dänemark konnte dann nach ihrer Meinung veranlaßt werden, sich Rußland völlig in die Arme zu werfen. Die Integrität Dänemarks, von der soviel die Rede war, richtete sich zugleich gegen Deutschland, und darin stimmten wieder beide Mächte überein. Der Zar betrachtete die preußische Unionspolitik schon lange mit mißtrauischen Augen. Er bemühte sich vor allem, „der Rebellion" in Schleswig und Holstein gänzlich den Garaus zu machen. Palmerston aber trat aus mancherlei Gründen den deutschen Bestrebungen immer unfreundlicher gegenüber. Die Furcht vor einem starken Deutschen Reich, die Sorge um den englischen Handel, die Opposition der Tories, eigene Empfindlichkeit wegen Übergehung seiner Vermittlung gerade in entscheidenden Augenblicken, trugen in gleicher Weise dazu bei. Ob man bei dieser Sachlage daher wirklich berechtigt ist, von einem politischen Tauschgeschäft Lord Palmerstons zu reden, wird sich endgültig nur auf Grund der Kenntnis der englischen Akten beurteilen lassen. Wie man sich nun auch zu der Frage stellen mag, Tatsache war, daß Preußen eine Niederlage erlitten hatte. Doch es ließ sich jetzt wenigstens nicht dazu herbei, sie mit eigener Hand zu bescheinigen. Anders war es bei Österreich. Seine Unterschrift fehlte zunächst unter dem Londoner Protokoll. Auch Österreich IO*
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war bei den Verhandlungen übergangen worden. So schwankte es, wie es sich in dieser Frage verhalten sollte, und ob es doch nicht zusammen mit Preußen die deutschen Belange zu wahren hätte. Aber bei Fürst Schwarzenberg siegten andere Erwägungen. Er ging nach Skierniwice und suchte in dem immer deutlicher heraustretenden österreichisch-preußischen Konflikt Zar Nikolaus für sich zu gewinnen. Kein besseres Mittel gab es dazu, als wenn er die Schleswig-Holsteiner gänzlich fallen ließ. Österreich hatte dem Kampf im Norden von Anfang an kühl bis ans Herz zugeschaut und Preußen mehr als lau unterstützt. Jetzt gab es auch dies endgültig auf und durchbrach die diplomatische Einheitsfront, die Preußen und Österreich in London den auswärtigen Mächten gegenüber hätten bilden müssen, wenn sie Schleswig-Holsteins Sache führen wollten. Aber in Wien sah man die Lage anders an. „Wir betrachten", so schrieb man von dort aus an Freiherrn v. Koller, 1 ) „mit gutem Grunde die Erhaltung der dänischen Gesammtmonarchie in ihrem seitherigen Bestände als ein in den europäischen Verhältnissen mit Notwendigkeit begründetes Bedürfnis und wir sind zugleich der Ansicht, daß die wohlverstandenen Interessen des Deutschen Bundes mit dieser Forderung der allgemeinen Politik nicht in Widerspruch stehen". Wenn Österreich bei der Unterzeichnung die Rechte des Deutschen Bundes ausdrücklich vorbehielt, so war das nur eine sehr mangelhafte Bemäntelung dessen, was für Deutschland in diesem Akte lag: der Verzicht auf den Kampf für die Rechte Schleswig-Holsteins. Nicht nur in Rußland, sondern auch in England wurde der Schritt Österreichs beifüllig aufgenommen, während Preußen von der englischen Öffentlichkeit heftigen Tadel erfuhr. Nur die „Daily News" (16. August) war mit dem Londoner Protokoll nicht so ganz zufrieden. Sie meinte: „Lord Palmerston hat sich bereits seit längerer Zeit sehr den dänischen Interessen zugeneigt, und nichts auf Erden kann absolutistischer und antideutscher sein, als das Dreigestirn Colonel Hodges, Lord Westmoreland und Mr. Wynn. Wir unsererseits weichen von dieser Politik Lord Palmerstons völlig ab. Gerechtigkeit, „not expediency", sollte unser Verhalten als Vermittler geleitet haben. Der beste Grundsatz, den England in der dänischen Frage hätte befolgen können, war non-intervention. Anstatt uns von alten Verträgen loszumachen, haben wir unser Land in neue Verpflichtungen verwickelt. Wir dürfen *) Mitteilung des Wiener Kabinettes an Freiherrn v. Koller vom 25. Juli 1850; H. H. St. A.
Daa Londoner Protokoll vom 2. August 1850.
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ebensowenig ein Protokoll über die Sukzessionsfrage in Dänemark aufsetzen, wie der König von Preußen uns verbieten kann, den Lord-Leutnant von Irland abzuschaffen oder den australischen Kolonien eine Verfassung zu geben. Trotzdem ist das Juli-Protokoll von Großbritannien nicht aus Feindschaft gegen Deutschland unterzeichnet worden. Die liberale und konstitutionelle Sache in Deutschland sollte dadurch nicht verraten werden". Die Mißstimmung, die Preußen sich durch seine Haltung gegenüber dem Londoner Protokoll in England zugezogen hatte, war noch nicht das schlimmste. Viel verhängnisvoller waren die Wirkungen, die der Friede zu Berlin und das Londoner Protokoll auf die Lage in den Herzogtümern ausübten.
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Interventions- und Pazifikationsbestrebungen in Schleswig-Holstein. Die Herzogtümer waren natürlich nicht gewillt, den Frieden, der ohne ihr Zutun über sie verhängt war, einfach hinzunehmen. Sie beschlossen, sich zur Wehr zu setzen. In dem General Willisen, der aus den preußischen Diensten ausgetreten war, hatten sie einen Heerführer gewonnen. Mit etwa 30 000 Mann rückte er in Schleswig ein, um dem dänischem Heere Halt zu gebieten. „Bei einem Wiederaufleben des Kampfes"—so schrieb die Times am 23. Juli — „wird Dänemark die volle Unterstützung Englands, Rußlands und Frankreichs finden. Gerade die, welche sonst die Politik Lord Palmerstons unbegrenzt unterstützt haben, können es jetzt nicht ertragen, daß ein englischer Minister in Verbindung mit Frankreich und Rußland arbeitet. Wir dagegen zollen Palermston Anerkennung, denn sein jetziges Verhalten ist eine Kompensation für seine frühere Unentschiedenheit. Eine genauere Beschäftigung mit dem Gegenstand und eine bessere Kenntnis des liberalen uhd patriotischen Charakters der gegenwärtigen dänischen Regierung hat wahrscheinlich dazu beigetragen, ihn von der Gerechtigkeit dieser Sache zu überzeugen. Dazu kommt noch, daß, wenn England nichts tut, Rußland unter Beihilfe Frankreichs entschlossen ist, in dieser Sache Partei zu nehmen, was dann vielleicht eine dauernde Kontrolle Rußlands über die Dardanellen des Nordens nach sich ziehen würde. Auf die zügellose Sprache eines Teiles der deutschen Presse und einer gewissen Partei Deutschlands braucht man kein Gewicht zu legen. Nur radikale Versammlungen und Broschüren schreibende Professoren lassen sich noch durch sie beeinflußen. Schleswig-Holstein hat jetzt nur noch auf das junge Blut der deutschen Armee und der deutschen Schulen Ajiziehungskraft, das deutsche Volk ist weiser geworden".
Interventions- und Pazifikationsbestrebnngen usw.
Rascher, als man in England gedacht hatte, kam es in Schleswig-Holstein zum Kampfe. Bei Idstedt wurde am 25. Juli zwischen dem Heer des Generals Willisen und den Dänen eine blutige Schlacht ausgefochten, in der nach stundenlangem Ringen die Dänen den Rückzug der Schleswig-Holsteiner erzwangen, ohne jedoch ihr Heer zu vernichten. Vielmehr traten an die Dänen jetzt erst die größten Schwierigkeiten heran. Von einer Beruhigung Schleswig-Holsteins waren sie noch weit entfernt. So zog das Gespenst einer fremden Intervention immer drohender herauf. Von wem sollte sie ausgehen ? Der Artikel IV des Berliner Friedens bestimmte, daß nötigenfalls die deutsche Bundesintervention angerufen werden könnte. Wie, wenn der Deutsche Bund dazu nicht fähig oder nicht willens war ? War dann nicht die Gefahr vorhanden, daß eine andere Macht, nämlich die russische, dazu die Initiative ergriff? Die Königin Viktoria hatte diese Befürchtimg. Rückhaltlos äußerte sie in einem Briefe vom 28. Juli an Lord John Rüssel1) ihr Mißtrauen gegen den Minister des Auswärtigen, der das Land in so viele unheilvolle Konflikte gebracht habe. Nach ihrer Überzeugimg plante Palmerston in diesem Augenblick heimlich eine bewaffnete russische Intervention in Schleswig, aus der neue Revolution in Deutschland und möglicherweise sogar ein allgemeiner Krieg entstehen konnte. Um nun zu beweisen, daß er in Schleswig-Holstein nicht Rußland, sondern Preußen die Vorhand lassen wollte, schickte Lord Palmerston der Königin in diesen Tagen einen schriftlichen Entwurf 1 ) über seine Politik in der schleswig-holsteinschen Frage. Danach sollte die preußische und englische Regierung gegen die Befehle der Holsteinschen Statthalterschaft, die ihre Armee zum Einmarsch in Schleswig aufforderte, protestieren. Die Königin war damit nicht zufrieden. Sie sah in dem Entwurf nur die Grundlage für die Intervention einer fremden Macht, denn die Unterstützung, die die Statthalterschaft von Holstein ihrem schleswigschen Brüdern gab, war hierin als eine Invasion Schleswigs bezeichnet worden. Die so von der ihrigen ganz abweichende Haltung Lord Palmerstons gab der Königin Veranlassung, den scharfen Gegensatz, der schon lange zwischen ihr und dem Staatssekretär des Auswärtigen bestand und der sich immer mehr zugespitzt hatte, zum offenen Austrag zu bringen. Schon mehrfach hatte sich Palmerston Letters of Queen Victoria, Bd. II, S. 309. *) a. a. Ol, S. 308.
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über die konstitutionellen Formen hinweggesetzt und wichtige diplomatische Aktionen der Königin nicht rechtzeitig bekannt gegeben. Die Ausführung der Politik Palmerstons gestaltete sich oft anders, als sie angenommen hatte. Im März 1850 wurde von der Königin, Prinz Albert und Stockmar ein Memorandum aufgestellt, das die Stellung des Ministers des Auswärtigen gegenüber der Königin regeln sollte. Die Königin verlangte vor allem, daß Lord Palmerston sich immer bestimmt über seine Absichten ausspräche, damit sie wüßte, wozu sie ihre Sanktion erteilte. Wenn sie aber einmal einen Beschluß genehmigt hätte, dann dürfe er von dem Minister nicht willkürlich geändert werden. Sie wünschte ferner, von den Verhandlungen mit fremden Gesandten und wichtigen Depeschen immer bald in Kenntnis gesetzt zu werden. Dies Memorandum blieb zunächst mehrere Monate unveröffentlicht. Die Königin hoffte noch, seine Bekanntgabe vermeiden zu können. Doch die Politik Palmerstons war nicht danach angetan, sein Verhältnis zur Königin in dieser Zeit zu bessern. In zweierlei Fragen trat dies im Sommer 1850 besonders scharf hervor: In Palmerstons Behandlung des Zwischenfalls mit Griechenland und in seiner Stellung gegenüber Schleswig-Holstein. Die Königin sah, wie „the affair of Greece" England unnötigerweise in Konflikt mit anderen Mächten brachte. Sie glaubte, ihr Land würde deshalb in der ganzen Welt als Friedensstörer angesehen und sein moralisches Ansehen Schaden erleiden. Die Behandlung aber, die Palmerston in der schleswig-holsteinschen Frage Deutschland zumutete, war erst recht nicht nach ihrem Sinn. Jedenfalls können wir verstehen, daß die Königin bei diesen starken Meinungsverschiedenheiten über zwei wichtige Fragen der Politik jetzt die Zeit für gekommen erachtete, das Memorandum an die Öffentlichkeit zu bringen. Am 12. August schickte sie es Lord John Rüssel zu. Der Ministerpräsident gab es Lord Palmerston zur Kenntnis. Daraufhin bat dieser den Prinzen Albert um eine Unterredung, die am 16. August stattfand und am folgenden Tage von dem Prinzen aufgezeichnet wurde1). Prinz Albert wies in dem Gespräch Lord Palmerston auf die Notwendigkeit hin, die Königin rechtzeitig von allen Vorgängen zu unterrichten und ihr die erforderliche Auskunft zu erteilen. Als ein Beispiel führte er die schleswigsche Frage an. Die Königin sei gegen das Protokoll gewesen, das die Integrität der dänischen Monarchie aussprach, aber sie sei überstimmt worden. Daraufhin sei der König von Dänemark in Schleswig eingerückt, wo jetzt der Kriegszustand M a r t i n , Leben des Prinzen Albert, Bd. II, S. 313W.
Interventions- und Paziiikationsbestrebangen usw.
bestände. Wenn nun Holstein gleichfalls angegriffen werde, so würden die Deutschen sicher diesem Herzogtum zur Hilfe kommen. Andererseits habe Rußland mit einer bewaffneten Intervention gedroht, falls die Schleswiger erfolgreich wären. So könne daraus sehr leicht ein europäischer Krieg entstehen. Was würde Lord Palmerston in solchem Falle tun? Darauf verlange die Königin eine Antwort. Lord Palmerston zeigte sich in dieser Unterredung mit Prinz Albert sehr geknickt. Er habe — so sagte er ihm — es niemals an Achtimg vor der Königin fehlen lassen wollen. Über die eigentlichen Differenzen, die er mit der Königin hatte, suchte er mit unbebestimmten Redewendungen hinweg zu kommen. Er bezeichnete die dänische Frage als sehr kompliziert, bestritt aber, daß hieraus ein bewaffneter Konflikt entstehen könnte. Gegenüber Lord Russell versicherte er, daß er die in dem Memorandum niedergelegten Forderungen der Königin beachten wolle. So war äußerlich Palmerstons Konflikt mit der Königin beigelegt worden. In der schleswigschen Frage nahm Palmerston forthin doch eine vorsichtigere Haltung ein. Inzwischen gingen die Kämpfe weiter. Größere Schlachten fanden nicht statt, die Lage blieb im allgemeinen unentschieden. Man fragte sich, wie lange die Schleswig-Holsteiner sich noch der Übermacht erwehren könnten, und ob sie nicht schließlich von außen zur Waffenstreckung gezwungen würden. Nicht nur in Deutschland brachte man den wackeren Kämpfern warme Sympathie entgegen, selbst in England wurden einige Stimmen laut, die ihrer Bewunderung Ausdruck gaben. Dazu gehörte der jugendliche Sir Robert Morier, der damals noch vor seiner diplomatischen Laufbahn stand, die ihn später an verschiedene deutsche Höfe führen sollte. Im Dezember 1849 hatte er studienhalber eine längere Reise nach Deutschland unternommen, Berlin besucht und hier Freundschaft mit Roggenbach und Samwer geschlossen. Diese beiden Männer erweckten in ihm das Verständnis für die Wünsche der Schleswig-Holsteiner. Im August 1850 faßte er den Entschluß, die Eindrücke, die er auf dem Kriegsschauplatze gewann, zugunsten der Herzogtümer zu verwerten1). Als die Form, in der er dies tun wollte, hatte er sich fortlaufende Briefe gedacht. Sie sollten die Antwort auf an ihn gerichtete Schreiben darstellen, die die Ansichten, des englischen Publikums im Stil der Leitartikel der Times widergaben. Die *) Memoirs of Sir Robert Morier, Bd. I, S. 100.
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VIII. Kapitel.
Antworten waren dazu bestimmt, alle falschen Meinungen, die man sich von Deutschland machte, zu widerlegen. Wenn möglich, wollte Morier sie zuerst in dem „Examiner" veröffentlichen. Es folgen dann in den Memoiren Moriers eine Reihe von Briefen von dem Kriegsschauplatz,'die eine begeisterte Schilderung der Heldentaten der Schleswig-Holsteiner geben und die deutsche Flotte würdigen. Wenn der Einfluß Sir Robert Moriers damals auch noch nicht groß war, so konnte doch seine Schilderung, die in frischen und temperamentvollen Farben gehalten war, manche Verständnislosigkeit in der öffentlichen Meinung zerstreuen. Wie gefährlich die enge Verbindung mit Rußland in der schleswig-holsteinschen Frage war, das sollten die englischen Politiker sehr bald erfahren. Die Regierungen Rußlands und Frankreichs schlugen gemeinsam Mitte Oktober der englischen Regierung vor, Preußen zur Erfüllung seiner Verbindlichkeiten gegen Dänemark aufzufordern. Im Falle Preußen zögerte, eine befriedigende Antwort zu geben, sollten Frankreich und Rußland es durch einen Einmarsch in die schlesischen Provinzen auf der einen und die rheinischen auf der anderen Seite dazu zwingen. Allerdings dementierte Frankreich diese Absichten am 30. Oktober kategorisch bei der preußischen Regierung, aber nach den verschiedenen Berichten ist nicht daran zu zweifeln, daß ein in der Sache ähnlicher Schritt in London geschehen ist 1 ). Lord Palmerston teilte Bunsen im Vertrauen mit*), es sei wahr, was die Times gemeldet habe, daß Frankreich nötigenfalls die Rheinprovinz besetzen und Rußland in Schlesien einrücken werde. Bunsen führte die angekündigte Drohimg vor allem auf die Eitelkeit des französischen Botschafters und die persönliche Selbstsucht wie den Übermut Lord Palmerstons zurück8). Seiner Meinung nach war die Mehrheit des englischen Ministeriums der Überzeugung, daß Frankreich es nicht wagen würde, in Preußen 1 ) Meinecke meint (Radowitz und die deutsche Revolution, S. 482, Anm.), daß die Nachricht von diesem Schritt in London ungebührlich aufgebauscht sei, und man in Berlin einige Tage daran geglaubt habe. Aber selbst, wenn man sich nur auf den Pariser Bericht Hatzfeldts, den Meinecke heranzieht, stützt, so ergibt sich daraus, daB man in London einen Vorschlag gemacht hatte, der als letzte Folge eine Besetzung preußischer Provinzen durch Rußland und Frankreich nach sich ziehen konnte. Ob man dabei die Rheinprovinz und Schlesien ausdrflcklich mit Ñamen nannte, ist demgegenüber verhältnismäßig belanglos, die Mitteilung Palmerstons an Bunsen und Koller läßt es aber durchaus als möglich erscheinen. ») N i p p o l d - B u n s e n , Bd. III, S. 147. ») N i p p o l d - B u n s e n , Bd. III, S. 160.
Interventions- and Pazifikstionsbest rebungen now.
155 und Deutschland einzufallen. Ebenso wie Bunsen setzte Palmerston den österreichischen Botschafter, Baron v. Koller, von dem Schritt der beiden Mächte in Kenntnis und rühmte sich, wie sehr er selbst die Sprache der Mäßigung geführt habe, („je leur ai dit, laissez faire l'Allemagne"). Herrn Drouyn de Lhuys habe er vor einem voreiligen Schritt, der mit einem europäischen Kriege endigen könne, gewarnt. Auf diese Bemerkung habe der französische Botschafter geantwortet, daß eine große Macht, wie Frankreich, bei Ergreifung einer ernsten Maßregel allerdings gefaßt sein müßte, sie bis zum Ende durchzuführen und daß Frankreich im gegenwärtigen Falle — seiner geographischen Lage wegen — nicht wie England nur sprechen dürfe, ohne zu handeln1). In der Tat lehnte denn auch England den russisch-französischen Vorschlag ab. Preußen sollte nur mitgeteilt werden, daß England und die Vertreter von Frankreich, Rußland und Dänemark es für richtig hielten, wenn Österreich und Preußen alle möglichen Schritte ergriffen, um den Krieg in Schleswig-Holstein zu Ende zu bringen. Palmerstons Zurückhaltung hatte wohl einen zwiefachen Grund. Einmal erkannte er nur allzu deutlich, wessen Interessen England bei erneuten Drohungen gegen Preußen eigentlich förderte. Frankreichs Aspirationen am Rhein zu unterstützen, hatte England keine Veranlassung. Sodann wirkte bei ihm das Memorandum der Königin noch nach. Einen neuen Konflikt mit ihr scheute er doch etwas. Königin Viktoria konnte mit Befriedigung feststellen, daß ihre Einwirkung nicht ganz umsonst gewesen war. Am 16. Oktober schrieb sie an Lord Palmerston8), sie sei erfreut, daß er dem auf die Einflüsterungen Dänemarks zurückgehenden französischen und russischen Vorschlag, England, Frankreich und Rußland sollten ihre Armeen Dänemark in seinem Streite mit Holstein zu Hilfe senden, keine Förderimg habe zuteil werden lassen. Die vermittelnde Macht solle vielmehr Dänemark veranlassen, einen Plan zur Wiedergewinnung Schleswigs vorzulegen. England dürfe nicht seine eigenen vermeintlichen Interessen zur Grundlage der Vermittlung machen, sondern solle sorgfältig die Rechte und Behauptungen der streitenden Parteien abwägen. Wenn die Regierung aber dazu nicht imstande wäre, müßte sie diese Aufgabe einem unparteiischen Schiedsgericht überweisen. Nur was moralisch richtig sei, könne politisch weise sein. l
) Aus dem Bericht Kollers an den Fflraten Schwarzenberg vom 25. Oktober 1850: H. H, St. A. *) Letters of queen Victoria, Bd. II, S. 323.
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VIII. Kapitel.
Den letzten Satz nahm in diesem Augenblicke sogar die Times auf, denn selbst ihr und den anderen Gegnern Preußens war die Forderung Frankreichs und Rußlands etwas zu weitgehend. „Wenn das Eintreten für Recht und Ordnimg", so schrieb sie am 24. Okt., „irgendein moralisches Gewicht haben soll, darf man sich nicht dem Verdacht aussetzen, selbstsüchtige Ziele zu verfolgen. Durch Bekämpfung der Absichten Preußens zugunsten der russischfranzösischen wird nur eine Ungerechtigkeit durch die andere ersetzt. Was haben die rheinischen Provinzen und Schlesien mit der schleswigschen Sache zu tun ? Diese beiden Provinzen haben sich vielmehr die Machthaber in Petersburg und Paris als angemessenen Lohn zugedacht. Wollen Präsidenten und Konsuln wiedergewählt werden und ihren Namen in das Buch der Geschichte eintragen, dann müssen sie eine ruhmreiche Heldentat vollbringen oder eine wertvolle Erwerbung machen. In dem Augenblick, da französische Truppen Köln oder Koblenz besetzen, wird Louis Napoleon für mehrere Jahre in seiner Stellung gesichert sein. Eine andere Frage ist nur, wie die Sache schließlich endigen wird, und ob die Verstümmelung Preußens an seinen beiden Enden der letzte Akt des Dramas ist. Die nationale Sympathie für diese Gebiete wird in Deutschland lebendig werden, und selbst Osterreich wird sich einem Ruf an das gemeinsame Vaterland nicht entziehen können. So war äußerlich beinahe eine Einheitsfront zwischen der Königin Viktoria, Lord Palmerston und der Times in dieser Frage geschaffen. Aber im übrigen blieben natürlich die Gegensätze bestehen. Sie zeigen sich ja auch in dem eben erwähnten Briefe der Königin. Palmerston dachte gar nicht daran, Dänemark zur Nachgiebigkeit und zum Entgegenkommen zu raten. In diesem Punkte konnte die Königin nichts ausrichten. Der Bericht, den Bimsen am 25. Oktober an den damaligen preußischen Minister des Auswärtigen, v. Radowitz, sandte, war daher nicht allzu hoffnungsvoll gehalten. Palmerston besteht — so heißt es darin — unbedingt auf der Entwaffnung der Herzogtümer. Die Königin hat verlangt, daß Dänemark klar ausspricht, wie es sich die Neuordnung Schleswigs denkt, ist aber damit nicht durchgedrungen, sondern hat nur die Formulierung Lord John Russells erreicht: „first the Holsteininsurrectionary forces m u s t be disarmed, than proposals m a y be made". Die russische und österreichische Diplomatie tut alles, um Preußen in ein falsches Licht zu bringen, und auch die Berichte der englischen Gesandten tragen dazu bei. So hat man in einem Ministerrat, in dem die Frage aufgeworfen wurde, ob man sich nicht eng an Preußen an-
Interventions- und Pazifikationsbestrebungen usw.
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schließen solle, geäußert, man könne sich auf den König nicht verlassen, er werde doch im entscheidenden Augenblicke abspringen. Bunsen fügte hinzu, daß es vor allem darauf ankomme, so bald wie möglich einen Waffenstillstand zwischen Schleswig-Holstein und Dänemark zustande zu bringen. Solange das nicht erreicht sei, würde sich die Stimmung in England nicht ändern. Was man auch über Deutschland sage, fände nur Unglauben oder ein mitleidiges Lächeln. Wie sehr Schleswig-Holstein eine unüberbrückbare Kluft zwischen Preußen und England geschaffen hatte, sollte Radowitz bei seinem Aufenthalte in England bald selbst erfahren.
IX. K a p i t e l .
Die Sendung des Generals v. Radowitz nach England. In den Märztagen des Jahres 1848 war es gewesen, als König Friedrich Wilhelm IV. in den Stürmen, die über Europa hereinbrachen, hoffnungsvoll auf England blickte, und bei ihm Schutz und Hilfe gegen die alles überflutenden Wogen der Revolution zu finden glaubte. Wir haben gesehen, warum seine damaligen Bestrebungen, zu einem Bündnis mit England zu kommen, keinen Erfolg haben konnten. Die politischen Ereignisse hatten dann den Blick auf andere Fragen gelenkt. Die revolutionären Wellen ebbten'wieder ab, die alten Mächte erhoben aufs neue ihr Haupt. Preußen kam jetzt in eine eigentümliche Lage. Mit der Revolution hatte die preußische Regierung gewiß keine Gemeinschaft gehabt, und sie war bereit, das Mögliche zu ihrer Unterdrückung zu tun. Aber andererseits hatten sich doch mit den Umwälzungen zugleich nationale Hoffnungen und Wünsche verbunden, die die preußische Regierung nicht unberücksichtigt lassen konnte. Als die Frankfurter Nationalversammlung nicht zum Ziele gelangt war, nahm die preußische Regierung das Werk der Union selbst in die Hand. Der eigentliche Träger dieser Politik war der General v. Radowitz. Er ließ sich auch durch die Widerstände, die ihm begegneten, nicht abschrecken. Mit das größte Hemmnis lag doch stets bei seinem König. Friedrich Wilhelm vermochte sich wohl für die Ideen seines Freundes zu begeistern, aber das, was ihm in Gedanken leuchtend vor der Seele stand, auf dem Boden der nüchternen Wirklichkeit durchzuführen, fehlte ihm die Kraft und Zähigkeit. Er wollte Großes erreichen, ohne das letzte daran zu setzen; er scheute sich, aus freien Stücken das zu geben, was nun einmal unvermeidlich war, wollte er sein Ziel erreichen. Diesen schwankenden Charakter des Königs kannte man in England und faßte daher zu den Unionsplänen Preußens kein rechtes Zutrauen. Der Gegner aber, mit dem Preußen sich unmittelbar auseinander zu setzen hatte, besaß all die Eigenschaften, die Friedrich
Die Sendung des Generals v. Radowitz usw.
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Wilhelm fehlten. Schwarzenberg, der österreichische Staatsmann, war nüchtern, kühl, berechnend und verschlagen. Unbeugsam ging er Schritt für Schritt auf das Ziel, das er sich gesteckt hatte, los. Das war kein anderes, als Rückkehr zur alten Bundespolitik und Demütigung Preußens. Nachdem er schon im Mai Vertreter der früheren Bundesstaaten nach Frankfurt berufen hatte, trat am 2. September unter Österreichs Vorsitz der engere Rat des Bundestages wieder zusammen. Wenige Wochen darauf, am 26. September, ernannte Friedrich Wilhelm seinen Freund Radowitz zum Minister des Auswärtigen. Der Gegensatz zwischen Preußen und Österreich mußte nun in seiner ganzen Schärfe hervortreten. Zu dem Streit um Bestand oder Preisgabe der Union kam noch die kurhessische und die schleswig-holsteinsche Frage. Schwarzenberg wollte in Hessen die Bundesexekution vollziehen, bayerische Truppen rückten in das Gebiet des Kurfürsten ein. Preußische Truppen hatten ihrerseits die Etappenstraßen besetzt und waren bereit, ihnen entgegenzutreten. Die Dinge standen auf des Messers Schneide. Schwarzenberg blieb in seinen Forderungen unerbittlich, jeden Augenblick konnte es zum Kriege kommen. Der König aber wollte das äußerste vermeiden und entließ, da die Mehrheit seines Ministeriums für eine friedliche Lösung eintrat, am 3. November schweren Herzens v. Radowitz aus seinem Amte. Damit zeigte er, daß er eine Friedenspolitik treiben und, wenn auch unter bitteren Opfern, zu einer Verständigimg kommen wollte. Nur als ultima ratio spielte er immer noch mit dem Gedanken, zu den Waffen zu greifen. Am 6. Nov. wurde deshalb das preußische Heer mobil gemacht. Wenn Österreich entehrende Bedingungen stellte, und es wirklich zum Kriege kam, war Radowitz seinerseits bereit, wieder an die Spitze des Staates zu treten. Dann sollte Preußen für die Einheit und Freiheit Deutschlands in den Kampf ziehen, die Sache der Nation zu der seinen machen und ein Bündnis mit England schließen.1) Für einen solchen Fall hatte Radowitz zugleich Verständigung mit Frankreich und Fühlungnahme mit Sardinien ins Auge gefaßt. Doch das Bündnis mit England nahm in seinen Erwägungen durchaus die erste Stellung ein. Es schien ihm nicht minder von den Interessen Englands gefordert zu werden, als den preußischen Wünschen zu entsprechen. Dabei argumentierte er folgendermaßen1): Ein Sieg Österreichs über Preußen wird die Reaktion in Deutschland zur Herrschaft bringen und das konstitutionelle *) Meinecke, Radowitz, S. 499. *) R a d o w i t z , Gesammelte Schriften, Bd. II, S. 221.
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I X . Kapitel.
Prinzip daselbst gefährden. Rußland dehnt dann seine Hegemonie bis an den Rhein aus, der natürliche Bundesgenosse Englands wird niedergeworfen, die konstitutionelle Grundlage des englischen Lebens in Mitleidenschaft gezogen und durch den Eintritt Gesamtösterreichs in den deutschen Zollverein das englische Handelsinteresse geschädigt. Was ist also natürlicher, als daß England Preußen auf jede mögliche Weise zu stützen sucht und bei einem Konflikt Preußens mit Österreich ein Bündnis mit ihm schließt? So war Radowitz es, der den König in diesen Tagen erneut auf die Verbindung mit England hinwies. Bei Friedrich Wilhelm fiel sein Gedanke auf fruchtbaren Boden. Mit einem Male ging es ihm wie eine Erleuchtung durch den Sinn: Sein Freund war der geeignete Mann dazu, den Gedanken gleich in die Tat umzusetzen. Noch bestand ja auch nach Radowitzens Entlassung die diplomatische Spannung mit Österreich unvermindert fort. Noch wußte man nicht, ob man nicht den Beistand Englands sehr nötig hatte. Konnte seinem gestürzten Freunde eine ehrenvollere Aufgabe zuteil werden, als wenn man ihn zu dieser Mission entsandte? Das hochherzige England würde, so glaubte der König, sich dem Einfluß seines Freundes nicht entziehen können und Preußen dadurch aus seiner Not befreit werden. In einem Briefe vom 9. November 1850 1 ) kündigte der König Radowitz an, er wolle ihn nach England senden: „zu dem Zwecke 1 . die Verbesserungen in der dortigen Artillerie und 2. die verschiedenen neuen Brückensysteme von Eisen mit fabelhafter Spannung zu untersuchen, Ihr Urteil darüber festzustellen und ein Gutachten über ihre Anwendbarkeit diesseits abzustatten. — Das beruhigt blaue und grüne Riecher, was auch sein Gutes für den Moment hat und öffnet uns die Bahn der Unterhandlung. Sie werden Depöchen an Bunsen bringen und der soll Sie introduzieren oü de droit. Dort gebe ich nun Ihrer Zunge, Ihrem Herzen und Ihrer Einsicht freien Lauf und Carte blanche. Sie können dort förmlich Bericht abstatten und darin so weit gehen, als es Ihnen irgend dienlich scheint. Das Hauptthema, was Sie (und Bunsen als Ihr Küster) dort zu behandeln haben, ist für den Kriegsfall Allianz unter Bedingungen, die England diktieren soll". Darauf erwiderte Radowitz am 10. November, daß der Gedanke, zu einer wahrhaften Allianz mit England zu gelangen, seiner Überzeugung nach durchaus richtig wäre. ,,So wie wir jetzt vor Österreich gewichen sind, so wird Österreich erst wieder 1
) Joseph v. R a d o w i t z , Nachgelassene Schriften, herausgegeben von W. Möhring, S. 354.
Die Sendling des Generals v. Radowitz usw.
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vor uns weichen müssen und die deutschen Mittelstaaten werden ihre Züchtigung empfangen müssen; eher ist das Erbteil, das verloren gegangen, nicht wieder eingebracht. . . . Dieser Moment kann näher oder ferner liegen, es möge jetzt oder später zum Gebrauch der preußischen Waffen kommen, immer ist ein enges Bündnis mit England unentbehrlich. Die Natur der Dinge weist England selbst darauf hin, nur zwei Hindernisse stehen dazwischen: Schleswig und unsere jetzige Handelspolitik. Für ersteres läßt sich sicher ein Abkommen ausmitteln, welches das Gefühl im eigenen Lande minder verletzt als die russische Forderung. Über das letztere würde es noch einer tiefer eingehenden Betrachtimg bedürfen; sie ist ohnehin mit unserer Stellung in Deutschland innig verwandt, da diese im nächsten Zeitabschnitte auf Norddeutschland, also mehr auf das Freihandelssystem angewiesen ist". In dem Schreiben vom 12. November aus Bellevue gab der König Radowitz Richtlinien für seine Sendung nach England1). „Sie und Bimsen sollen zusammen agieren wie Moses und Aaron. Sie geben den Geist der Sache, meinen Willen, meine Worte, Bunsen führt den diplomatisch-offiziellen Teil allein. Sie sollen Bericht aus kompetentem Mund ablegen über alles, was seit Ablehnung der Frankfurter Lumpenkrone hier vorgegangen. Durchgefühlt muß werden, und namentlich notwendigst durch Prinz Albert und die Königin selbst, daß nicht nach meinem Rat verfahren ist. Gibt es ein Mittel, durch das englische Kabinett auf Hannover zu wirken, daß es mehr oder weniger gezwungen werde, in Frankfurt auf die Aufrechterhaltung des Friedens zu dringen, so strengen Sie dazu alles an. — Riechen Sie hin, wie Palmerston über die Exekution in Holstein denkt. Ist ein Faden faßbar, um ihn dieselbe verhindern zu machen, so ziehen Sie aus Leibeskräften daran. Sonst nicht. — Sagen Sie, daß vom Aufgeben der Union keine Rede sei, es sei denn, daß die Fehler meines Kabinettes sie zersprengten". In seiner Antwort vom 13. November faßte Radowitz die Anweisungen des Königs folgendermaßen zusammen2): 1. Vollständige Aufklärung über Ew. Kgl. Majestät Gang in den letzten anderthalb Jahren, insbesondere über Ihr persönliches Verhältnis zu den letzten Entschlüssen des Kabinettes. 2. Darlegung der Gefahren, welche Preußen durch den bösen Willen Österreichs und der Mittelstaaten bedrohen, Hindeutung ') a. a. o., S. 356. ») a. a. O., S. 358. P r e c h t , Englands Stellung cur Deutseben Einheit.
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IX. Kapitel.
auf die hegemonische Stellung Rußlands in Deutschland, auf die möglichen Pläne Frankreichs und die hieraus erwachsenden politischen Notwendigkeiten für England. 3. Anregung, daß von England aus der König von Hannover in angemessener Weise ermahnt werde. 4. Untersuchung, auf welche Art die schleswigsche Sache in einer für uns möglichst annehmbaren Weise beendet werden könnte; endlich wenn der Boden hierzu günstig befunden wird. 5. Abschluß einer festen Allianz mit England". Wir wollen nun noch dem preußischen Gesandten in London und dem Leiter der englischen Politik das Wort geben. Bunsen schreibt am 18. November:1): „England will jetzt auf jeden Fall neutral bleiben. Preußen hat alle Sympathie verloren, seitdem es dem hessischen Volke nicht in seinen Rechten beigestanden, die Union preisgegeben und die kleinen Staaten dem Einfluß Rußlands und Österreichs überlassen hat. Preußen hat sich nach der Auffassung der Engländer weder um Deutschlands Einheit noch um die konstitutionellen Rechte der deutschen Staaten bekümmert. Das, was Lord Aberdeen und die Tories gleich im Anfang behaupteten, daß Preußen nur selbstsüchtige und ehrgeizige Pläne verfolge, ist jetzt die allgemeine öffentliche Meinung. Man kann das sogar in freundlichgesinnten Blättern, wie dem „Globe" und den „Daily News" lesen. Man hält Preußen nicht für stark genug, wirklich den Kampf gegen Rußland und Osterreich zu führen, weil es in seiner Heeresausrüstung im gegenwärtigen Augenblicke sehr zurückgebheben ist. Alles dies erfährt die englische Regierung durch ihre Agenten, namentlich von Berlin aus. Man hat in England daher das Bestreben, sowohl in Berlin wie in Wien und Petersburg für den Frieden einzutreten. In engster Gemeinschaft mit Frankreich will man eine vermittelnde und beobachtende Stellung einnehmen. Dadurch hofft man zugleich, Frankreich von seinem Wunsche nach dem Rheinufer zurückzuhalten, und dem russisch-österreichischen Absolutismus in Deutschland und Europa eine Grenze zu setzen. Niemals wird England ohne Frankreichs Teilnahme ein Bündnis mit Preußen zum Schutze gegen Österreich schließen. Für den jetzigen Augenblick ist somit die Politik des englischen Kabinettes festgelegt. Auch die Königin kann nicht, selbst wenn sie es will, ein Ministerium zustande bringen, das für ein Bündnis mit Preußen zu haben ist. Die Times hat sogar der Königin vorgeworfen, daß sie den Generell v. Rado>) Nachschrift zum politischen Bericht Bunsens vom 28. November a. d. Ministerium des Auswärtigen: G. St. A.
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witz nach Windsor eingeladen habe. Dem Prinzen Albert wird gesagt, er dürfe jetzt nicht mehr daran denken, daß er ein deutscher Prinz sei. Es bewahrheitete sich, was Palmerston am 18. November in einem Gespräch mit Koller bemerkt hatte, daß General Radowitz in London Gelegenheit finden würde, sich von sehr vielen Illusionen zu befreien1). Die Beobachtungen, die Bunsen hier wiedergibt, werden uns durch den fast gleichzeitigen Brief Lord John Russells an Stockmar bestätigt2). „Ein Volk von 40 Millionen, so heißt es bei ihm, darf sein Mißgeschick nicht darauf schieben, daß England ihm die kalte Schulter zeigt. Seine eigenen leeren Wünsche und fehlerhaften Handlungen verdienen den Tadel. Hätte es sich um das Alpdrücken des alten Metternich nicht mehr gekümmert, so würde es sicher Erfolg gehabt haben. Aber sein Ehrgeiz hat sich auf ganz andere Dinge gerichtet: Es hat dem König von Dänemark Schleswig geraubt — „which neither justice nor England could tolerate". Noch viel schlimmer als der deutsche ist der preußische Ehrgeiz. Selbst in der hessischen Angelegenheit, wo es sich um eine gute und heilige Sache handelte, ist die Sympathie der anderen Völker durch die Einmischimg Preußens zerstört worden". Diese wenigen Zeilen bekunden schon, daß Lord John Russell sich in seiner Beurteilung der deutschen Politik kaum von Palmerston unterscheidet. Die Argumentation bezüglich SchleswigHolsteins ist typisch für die Betrachtungsweise Lord John Russells. Die Gerechtigkeit und England sind dagegen I Wir begreifen, daß ein solcher Mann mit der Politik Palmerstons hinsichtlich Deutschlands nicht differieren konnte. Da er sich selber mit der auswärtigen Politik nicht viel beschäftigte, so hatte er sich ganz die Betrachtungsweise Palmerstons zu eigen gemacht. Dieser besaß an ihm stets eine zuverlässige Stütze und konnte auf seine Fürsprache bei der Königin rechnen, wenn er sich einmal zu weit vorgewagt hatte. Am 25. November traf nun Radowitz als Bote seines Königs in London ein. Der eben gestürzte Minister war eine Persönlichkeit, der man in England lebhaftes Interesse entgegenbrachte. Über die äußere Aufnahme konnte Radowitz sich nicht beklagen. Um so schlimmer war das innere Mißtrauen, das er bald überall herausfühlte. Aus dem Bericht Kollers an Fürst Schwarzenberg vom 21. November 1850. H. H. St. A. *) a. a. O., S. 363. Ii»
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IX. Kapitel.
Seinen ersten Bericht an den König 1 ) schickte er am 28. November nach Berlin. „Ich muß bekennen", so teilt er seinem königlichen Freunde mit, „daß der Eindruck kein günstiger ist. Wohl folgt man den Begebenheiten in Deutschland mit außerordentlicher Spannung, vielleicht mehr als je. Aber man kann sich dabei von dem Parteistandpunkt nicht losmachen. Von den entgegengesetzten Seiten vereinigen sich die Vorwürfe gegen Preußens Politik. Da die öffentliche Meinung auf die Regierung einen solchen Einfluß ausübt, so ist das von schlimmer Bedeutung für eine nutzbringende Allianz mit England. Die Torypartei neigt sich in der jetzigen Krisis durchweg auf die Seite Österreichs. Der Zwist erscheint ihnen lediglich als ein Versuch Preußens, durch Zerreissung der Verträge seine Herrschaft in Deutschland auszudehnen und sich hierzu der revolutionären Sympathien zu bedienen. Österreich ist für die Tories das Palladium des Konservatismus. Nur in der letzten Zeit sind ihnen Bedenken aufgestiegen. Die Aussicht auf eine russische Diktatur oder französische Gelüste nach der Rheingrenze ist für sie ebenso abschreckend, wie für ihre politischen Gegner. Sie haben jetzt nur den einen Wunsch, den Frieden zu erhalten und wollen vermeiden, daß Preußen sich durch Hoffnung auf englische Unterstützung zum Kriege treiben läßt. Die Whigpartei erhebt in der schleswig-holsteinschen Angelegenheit gegen Preußen dieselben Vorwürfe wie die Tories. In dieser Frage kann man in England nicht einen Schatten von Vernunft, geschweige von Billigkeit finden. Solange diese blutende Wunde nicht geschlossen ist, bleibt ein Bündnis mit England unmöglich. Die anderen Vorwürfe gegen Preußen gehen von verschiedenen Gesichtspunkten aus. Vor allem bedauert man es, daß sich der König von Preußen nicht an die Spitze der konstitutionellen Bewegung in Deutschland gestellt und sich hierdurch eine unüberwindliche Macht geschaffen hat. Kurhessen war nach Meinung der englischen Regierungsmänner ein geeignetes Mittel, um die Fahne zu entrollen. Jetzt hat man ein unverhohlenes Mißtrauen gegen den Willen Preußens, die konstitutionelle Sache zu verfechten. Man glaubt, daß Preußen sich doch schließlich Rußland und Österreich unterordnen werde. Dazu haben vor allem die Ereignisse seit den Warschauer Konferenzen, die Zugeständnisse an Wien, und die Schritte zur Auflösung der Unionsverfassung beigetragen. Daher die Abneigung gegen jede nähere Allianz, welche England Verpflichtungen auferlegen würde und der *) Joseph von R a d o w i t z , Nachgelassene Schriften, S. 364ff.
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vorwaltende Gedanke, daß es allein darauf ankomme, einen Krieg zu verhindern, bei welchem entweder die österreichisch-russische Koalition siegen oder England mit hineingezogen werden würde". Auch Prinz Albert, mit dem Radowitz verschiedene Gespräche hatte, war in der Frage einer Allianz sehr zurückhaltend und wollte nicht hinter dem Rücken der Minister über eine so wichtige Angelegenheit verhandeln. Das bestätigte der Prinzgemahl selbst in seinem Brief an Friedrich Wilhelm IV. vom 1. Dezember 185o 1 ), der durch Radowitz übermittelt wurde. „Über eine preußisch-englische Allianz", so schrieb er, „kann nur von den verantwortlichen Räten der beiden Kammern verhandelt werden, und ich kann daher nicht durch eine persönlich gegebene Ansicht das Urteil Preußens über das Tunliche und Nichttunliche eines dahingehenden Antrages beeinflussen. Doch habe ich die Minister von der Möglichkeit eines derartigen Schrittes in Kenntnis gesetzt und will Ew. Majestät wenigstens ein Bild von der Aufnahme geben, den meiner Ansicht nach ein solcher Vorschlag finden würde". „Das Verständnis der deutschen Angelegenheiten ist dem englischen Publikum durch die Parteipresse verdunkelt worden. Dazu kommt der Widerwille, den die allgemeine Ideenkonfusion in Deutschland, die demokratischen Übertreibungen, republikanischen Erhebungen, absolutistischen Militärdiktaturen und Reaktionsbestrebungen, Wort- und Treubrüche einzelner Souveräne usw. dem Engländer hat erregen müssen. Alle Parteien stimmen darin überein, daß England nicht in diesen Strudel hineingezogen werden darf. Außerdem sind noch die Erinnerungen an die Folgen lebendig, die für England aus der Teilnahme an den früheren Kontinentalkriegen hervorgingen, nämlich eine tägliche Zahlung erheischende, ungeheure Nationalschuld. England haßt einen Krieg Preußens gegen Dänemark, der anscheinend zum Zwecke der Eroberung Schleswigs geführt wird. Es will von Etappenstraßen nichts wissen. Wohl aber hätte es Verständnis dafür, wenn man ein Volk gegen den grausamen Leichtsinn eines Regenten und dessen Bundesgenossen schützte und es nicht litte, da ß von Rußland und Österreich alter Despotismus und Jesuitismus durch diplomatische Intrigen und verzweifelte Kriegsdrohung den Völkern aufgezwungen würde. Die Unterstützung Englands würde Preußen in einem solchen Falle nicht fehlen". Radowitz fügte diesem Brief noch ein Begleitschreiben hinzu'), das wohl dazu dienen sollte, den ungünstigen Eindruck, den der a . a . O . , S. 378. a. a. O., S. 371.
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IX. Kapitel.
König erhalten mußte, wenigstens etwas abzuschwächen, und ihm seine Hoffnungen nicht völlig zu zerstören. „Wenn die deutsche Frage, was im Augenblicke unwahrscheinlich ist, wirklich zu einem Kampf zwischen Preußen und Österreich führt, dann gehen die Wünsche des englischen Kabinettes auf den Sieg Preußens. Man ist der Überzeugimg, daß durch eine Schwächimg Preußens auch die englischen Interessen in Mitleidenschaft gezogen werden. Trotzdem wird man in solch einem Konflikte strenge Neutralität wahren. Wenn dagegen Rußland sich an dem Kriege beteiligt, so wird England sich auf die Seite Preußens stellen, ist jedoch nicht geneigt, eine vorhergehende Verpflichtung dazu zu übernehmen. Dieses Programm hat Lord Palmerston zur Richtschnur des englischen Ministeriums gemacht. Einer österreichisch-russischen Hegemonie wird das englische Kabinett stets entgegentreten. Im Falle daß über die Gestaltung der deutschen Zukunft auf europäischen Konferenzen verhandelt wird, dürfte England, eine angemessene Regelung der schleswigschen Frage vorausgesetzt, mit Preußen zusammengehen. Diese Trostworte Radowitzens konnten doch nicht die Tatsache aus der Welt schaffen, daß seine Sendung nach England ein völliger Fehlschlag gewesen war. Die Wirklichkeit stimmte auch hier nicht mit dem Bilde überein, das ihm seine Phantasie in seltsamer Mischimg von realen Erwägungen und romantischen Träumereien vorgespiegelt hatte. Gerade weil er mit so großen Hoffnungen nach England gegangen war, mußte sich ihm der Gegensatz, zu dem, was er erwartete, um so schärfer aufdrängen, Lord Palmerston äußerte zu Koller, die Sendung des Generals Radowitz scheine nur zum Zweck gehabt zu haben, das gute Recht Preußens in den letzten politischen Vorgängen zu verteidigen und bestmöglichst in ein vorteilhaftes Licht zu stellen. Die Haltung des englischen Kabinettes in der deutschen Frage sei aber im voraus zu bestimmt bezeichnet gewesen, als daß das Auftreten des Generals v. Radowitz hierin eine Änderung hätte hervorbringen können1). So wurde Radowitz völlig in seinen Erwartungen getäuscht und aus seinen Illusionen herausgerissen und machte die Erfahrung, daß vorläufig noch andere Kräfte am Werke waren, als er sie zu seinen Ideen und Gedanken gebrauchen konnte. Als über den Inhalt der Olmützer Punktation und die Demütigung Preußens sichere Nachrichten nach London gekommen ') Aus dem Bericht Kollers an den Fürsten Schwarzenberg vom 6. Dezember 1850. H. H. St. A.
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waren, erkannte Radowitz, daß er dort völlig überflüssig sei und betrachtete seinen Aufenthalt jetzt nur noch als eine Art Exil. Zurückkehren wollte er erst, wenn über den Kurs der neuen Regierung kein Zweifel mehr bestände. Am 1. Januar 1851 zeigte er dem König an, daß er die ihm gewordenen Aufträge beendet habe und bat ihn um die Erlaubnis, heimreisen zu dürfen. Eine Allianz mit England wäre bei dem jetzigen Anschluß der preußischen Politik an Osterreich und Rußland weder möglich noch nötig. Sie gehöre einem ganz anderen politischen Ideenkreis an, der für den Augenblick nicht mehr in Frage käme. Fürwahr, die deutsche Krisis dieser sturmbewegten Jahre ging ihrem Ende entgegen. Wenig Blütenträume des Jahres 1848 waren zur Reife gediehen. Noch einmal gewann der politische Winter, der Frost und die Eiseskälte einer starren Reaktion die Herrschaft über das Deutschland, in dem so viel junges, frisches Leben sich regen wollte. Wie man in England diesen Umschwung aufnahm, soll unser letztes Kapitel beleuchten.
X. K a p i t e l .
England und der Sieg der Reaktion in Deutschland. Mit der Berufung der Frankfurter Bundesversammlung, die am 10. Mai eröffnet wurde, hatte Österreich den ersten Schritt getan, der zur Wiederherstellung der Zustände vor 1848 hinüberleiten sollte. Am 2. September wurde die Versammlung in den engeren Rat des Bundestages umgewandelt. Immer mehr heischte dieser Rat die Rechte, die der alte Bundestag besessen hatte. Namentlich war es ihm um Anerkennung bei den anderen Regierungen zu tun. Persönlich war Lord Palmerston jedenfalls durchaus dazu geneigt. Wenn man in Wien auch oft gegen ihn aufgebracht war — namentlich in der italienischen Frage — so mußte man doch, wie Koller gegenüber Fürst Schwarzenberg betonte, anerkennen, daß trotz seiner anfänglichen Vorurteile in der deutschen Frage Palmerston es schließlich gelernt habe. Wahres vom Falschen zu unterscheiden, während Prinz Albert bis zu einem gewissen Grade immer noch mit unausführbaren und gefährlichen Plänen sympathisierte. 1 ) So war Palmerstons Zögerung, den engeren Rat anzuerkennen, allein daxin begründet, daß er abwarten wollte, ob Österreich sich wiiklich völlig gegenüber Preußen durchsetzen konnte und es unter seinen Willen beugen würde. Wie Palmerston innerlich über den sich immer deutlicher am Horizont abhebenden österreichisch-preußischen Konflikt dachte, geht sehr deutlich aus einer Unterredung hervor, die er mit dem hannoverschen Gesandten in London, Grafen Kielmannsegge, hatte.8) Kielmannsegge richtete bei dieser Zusammenkunft, die Mitte August stattfand, auftragsgemäß an Lord Palmerston zwei ') Aus dem Bericht Kollers an den Fürsten Schwarzenberg vom 17. August 1850, H. H. St. A. ') Bericht Kollers vom 27. August 1850 an den Fürsten Schwarzenberg: H. H. St. A.
England und der Sieg der Reaktion in Deutschland.
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Fragen: einmal welche Stellung England einzunehmen gedenke, wenn die sehr gespannten Verhältnisse in Deutschland zwischen Österreich und Preußen zum Kriege führten, und ferner, ob die englische Regierung einer in diesem Falle von Seiten Hannovers angenommenen bewaffneten Neutralität ihren Schutz vei leihen würde ? Lord Palmerston erwiderte hierauf, daß er trotz der ihm zugekommenen sehr kriegerisch lautenden Berichte des Lord Cowley aus Frankfurt und des Herrn Meilisch, eines Beamten des Foreign Office aus Kissingen, dennoch den Ausbruch eines Krieges zwischen den beiden deutschen Großmächten für sehr unwahrscheinlich halte. Ein materieller Grund zu diesem Zweifel liege in dem Herannahen des Winters. Bis zum Frühjahr würden die jetzt bestehenden Schwierigkeiten hoffentlich ausgeglichen sein. Inbetreff der Neutralitätsfrage Hannovers könne er keine andere Zusage leisten als die, daß England seinen ganzen moralischen Einfluß zur Abwendung eines Krieges geltend machen wolle, beim Ausbruch desselben sich aber darauf beschränken würde, Frankreich von jeder Einmischung abzuhalten. Am Schlüsse dieser Unterredung sprach Lord Palmerston gegenüber Graf Kielmannsegge ganz offen aus, wie sehr er die preußische Politik mißbilligte. In diesen Tagen wurde nun eine politische Frage brennend, von der man annehmen durfte, daß sie Osterreich und den Bundesstaaten jede Sympathie in England verscherzte. Das war der schon öfter kurz erwähnte kurhessische Konflikt. Der Kurfürst von Hessen hatte durch sein rücksichtsloses und despotisches Regiment allmählich die Bevölkerung seines Landes gegen sich aufgebracht. Besonders war ihm die Verfassung von 1831 ein Dorn im Auge. Sein ganzes Streben ging darauf hinaus, die Fesseln, die sie ihm anlegte, zu beseitigen. Der preußische Gerichtspräsident Hassenpflug, den der Kurfürst im Februar 1850 an die Spitze seines Kabinettes berief, schien ihm die geeignete Persönlichkeit dazu zu sein. Hassenpflug, der schon 1832 bis 37 hessischer Minister gewesen war und sich durch Unterstützung der reaktionären Bestrebungen des Kurfürsten tief verhaßt gemacht hatte, verlangte beim Landtag Einziehung von Steuern, ohne wie es in der Verfassung vorgesehen war, ein Budget vorzulegen. Als die Ständeversammlung sich darauf nicht einlassen wollte, schritt Hassenpflug zu wiederholter Auflösung. Das hinderte die Ständeversammlung nicht, die ohne ihre Mitwirkung getroffene Verfügung über die Steuererhebimg für ungesetzlich Gebeime Nachschrift Bunsens zum Bericht vom 30. Oktober: G. St. A.
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X . Kapitel.
zu erklären. Hassenpflug verhängte nun den Kriegszustand über das Land. Da aber trat ihm der einmütige Widerstand der Offiziere, der Beamten und der gequälten Bevölkerung entgegen. Der Kurfürst mit seinen Ministern verließ jetzt Hessen und ging nach Frankfurt, um die Hilfe des Bundestages anzurufen. Dieser beschloß am 15. Oktober, mit bayerischen und österreichischen Truppen die Exekution in Hessen zu vollziehen. Auch die eifrigsten Fürsprecher der österreichischen Politik in England konnten das unmöglich billigen. Preußen schien also in seiner sehr günstigen diplomatischen Lage zu sein, wenn es im Namen der konstitutionellen Rechte und Freiheiten seine Maßnahmen gegen das Vorgehen des Bundes traf. Das wäre eine Parole gewesen, die in England Verständnis gefunden hätte. Denn die ganze öffentliche Meinung gab dem ebenso verräterischen wie ungeschickten Minister und dem Kurfürsten, der ihn behielt, Unrecht1) und fand, daß Volk und Stände das konstitutionelle Recht nicht verletzt hätten, da das Prinzip der absoluten Steuerverweigerimg gar nicht in Frage gekommen sei. So schrieb die „Daily News" (13. September): „Bisher hat sich der Kampf in Deutschland immer zwischen den Absolutisten und den Demokraten abgespielt. Die gemäßigt liberalen und die alten konstitutionellen Parteien mußten stets ihre Köpfe verstecken. Infolgedessen kämpften deutsche Armee- oder Milizsoldaten immer gegen wilde Republikaner oder Anarchisten. Da war klar, auf wessen Seite der Sieg lag. Jetzt dagegen sehen wir Fürsten und Regierungen nicht nur mit der Volkspartei, sondern auch mit der alten konstitutionellen Partei, den gemäßigten Bürgern und dem Geist der Armee im Kampfe. Dieses Experiment war dem gegenwärtigen Kurfürsten von Hessen vorbehalten. Ganz Europa kennt seine Habsucht, Tyrannei und Unsittlichkeit. Seit Generationen war es die Gewohnheit seiner Familie, mit dem Blut ihrer Untertanen Handel zu treiben, brave Hessen in englische oder andere Dienste zu verkaufen und mit dem daraus gewonnenen Gelde ihre Koffer zu füllen." Ebenso wie die moralische wurde die rechtliche Seite in England erörtert. Lord John Russell ließ sich von einem der Kronadvokaten eine staatsrechtliche Denkschrift über die hessische Verfassung und den Streitpunkt der Mächte mit Hassenpflug ausarbeiten und sagte öffentlich1): „Man muß an jedem Rechts- und Ehrgefühl der deutschen Fürsten verzweifeln, wenn l
) Aus dem Bericht Bunsens vom 28. November an den Minister des Auswärtigen: G. St. A.
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ihnen über einen so klaren und unbestreitbaren Punkt wie er in der Geschichte nicht vorkommt, ein Zweifel bleiben kann. In dem Angriffe auf die hessischen Stände ist die konstitutionell-monarchische Freiheit ganz Deutschlands im Sinne jener Willkür angegriffen, welche von diesem Punkte aus hätte sogleich bekämpft werden müssen." Man hatte von der Denkungsart des preußischen Königs keine Ahnung, wenn man von ihm eine Unterstützung der hessischen Bürger gegen ihren legitimen Herrscher erwartete. Wohl aber wollte er die Interessen Preußens wahren. Durch das Vorrücken der Bundestruppen sah er die Etappenstraßen in Hessen bedroht, die die Verbindung zwischen den östlichen und den westlichen Gebietsteilen seiner Monarchie sicherten. Man beschloß daher, sie mit stärkeren militärischen Kräften zu besetzen. Aber dadurch weckte Preußen das Mißtrauen in England, daß es unter dem Deckmantel militärischer Schutzmaßnahmen seine eigene Vergrößerung erstrebe. Eine etwas andere Auffassung hatte die , ,Daily News" von der Sachlage. Bei ihr heißt es am 13. September: „Man muß das Verbrechen, einen Bürgerkrieg in Deutschland zu entzünden, weniger dem eigensinnigen und blinden Kurfürsten zuschreiben als den Machenschaften Österreichs, das den Bundestag wieder in Tätigkeit setzen will. Durch den Einmarsch in Hessen ist Preußen in der Tat bedroht. Die preußische Regierung und der preußische Monarch müssen sich deshalb auf eine kühne Politik vorbereiten. Die Folgen dafür, wenn ein österreichisches und preußisches Korps gleichzeitig in Hessen einrückt, müssen auf die fallen, die so etwas hervorrufen. Die österreichisch-russischen Organe sollten dem Kurfürsten von Hessen raten, seine alte Verfassung zu achten." Ein so deutliches Urteil konnte man in der englischen Presse in dieser Frage nur selten lesen. Bunsen suchte diese Situation nach besten Kräften auszunutzen und betonte die liberalen Bestrebungen Preußens gegenüber den reaktionären Tendenzen Österreichs. Palmerston äußerte sich darüber etwas spöttisch zu Westmoreland: Preußen spricht immer von seinem Liberalismus. Als aber in Sachsen und Baden Unruhen ausbrachen, hat es zu deren Unterdrückung grade denselben Weg verfolgt, dessen Einschlagung es nun den Bundestruppen zum Vorwurf machen will." 1 ) Nichts destoweniger war man von dem österreichischen Vorgehen und seinen Folgen in England keineswegs entzückt. Mit Unbe') Aus dem Bericht Kollers vom 16. November 1850 an Fürst Schwarzenberg. H. H. St. A.
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hagen sah man, wie Zar Nikolaus sich in Warschau eine Schiedsrichterstellung zwischen Preußen und Österreich anmaßte und den russischen Einfluß in Mitteleuropa verstärkte. So drückte Palmerston gegenüber Baron Koller von seiner Befürchtung aus, daß Österreich und Rußland vereint die Freiheit in den deutschen Staaten unterdrücken würden. 1 ) Selbst die Times stand nicht uneingeschränkt auf Seiten Österreichs. „Keine von beiden Parteien h a t " — so äußerte sie am n . November, also gerade in den Tagen der größten Spannung zwischen Preußen und Österreich — ..einen Anspruch auf die englische Sympathie. Die Intervention des Bundes, um den Kurfürsten von Hessen zu unterstützen, ist eine Beleidigung des deutschen Volkes. Preußen hat durch sein Verhalten im dänischen Kriege sich das Wohlwollen der englischen Staatsmänner verscherzt. Sympathie, Mitleid und politische Interessen stehen vielmehr auf der Seite des leidenden und zerrissenen deutschen Volkes, das durch die Verrücktheiten seiner Leiter und die Schwäche seiner Herrscher in diesen Krieg gestürzt wird. Politisch angesehen, zeugt das Vorgehen der preußischen Regierung von verhängnisvollem Irrtum. Man darf doch nicht, wie einige es tun, annehmen, daß Preußen sich jetzt zu den demokratischen Ansichten bekehrt, die es vorher so eifrig verworfen hat. Für den Krieg ist es ein besonderer Nachteil Preußens, daß kein Teil seiner langen Grenze eigentlich gesichert ist. Ganz Süddeutschland steht in Waffen, Rußland nimmt im Osten eine drohende Haltung ein, Frankreich wirft den Blick nach den Rheinprovinzen und die Küste Preußens kann durch die Maßnahmen Dänemarks in Mitleidenschaft gezogen werden. Ein Land, das somit ohne jeden Verbündeten ist, und es mit so mächtigen Gegnern zu tun hat, ist zu einem langen Widerstand unfähig. Man darf nur hoffen, daß sich der Streit auf die Staaten, zwischen denen er ausgebrochen ist, beschränkt. Englands Feind ist der Krieg selbst. Die Politik Englands und die Wohlfahrt Europas werden ebenso leiden, wenn Österreich seinen alten Platz im Deutschen Bunde verliert, wie wenn Preußen infolge seiner Mißachtung der Bundesgesetze und der Stärke Europas gedemütigt und zermalmt wird. Beide Ereignisse zerstören ein Gebäude, das die englischen Staatsmänner der letzten Generation als das festeste Bollwerk des europäischen Friedens aufgerichtet haben. Ein Appell Preußens an die revolutionären Elemente ist ebenso beklagenswert wie der Triumph des militärischen Despotismus in ') Aus dem Bericht Kollers Schwarzenberg: H. H. St. A"
vom
16. November
1850
an
Fürst
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Deutschland durch den Sieg einer österreichisch-russischen Armee. Bei dem Einfluß, den das britische Kabinett, als die Vertretung des einzigen Landes, dessen Interessen mit den rechtverstandenen preußischen nicht in Widerspruch stehen, auf das Berliner haben kann und auf Grund der Freundschaft, die England mit den anderen Staaten des Bundes verbindet, liegt es in der Macht eines weisen englischen Ministers, diese Katastrophe zu verhindern. England aber sucht mehr die Gunst der preußischen Agitatoren als daß es für die gemeinsamen Interessen und Pflichten des deutschen Bundes eintritt. Seit dem Friedensschluß mit Dänemark ist der Einfluß Englands in Deutschland so zurückgegangen, daß bei den Verhandlungen in Bregenz und den Warschauer Konferenzen, wo höchst wichtige Angelegenheiten geregelt wurden, England nicht einmal gefragt wurde. Daher haben auch diese Beschlüsse mehr der Uneinigkeit und dem Krieg als der Eintracht und dem Frieden gedient. Der Kaiser von Rußland ist in Warschau als freundschaftlicher Schiedsrichter in einer Rolle aufgetreten, die in der Geschichte seines Reiches neu ist. Darin liegt für das übrige Europa eine Quelle der Sorge, ja vielleicht der Demütigung." Wenn die Times so zwischen der Furch t vor der russischen Übermacht und dem Unwillen gegen Preußen hin- und herschwankte, nahm Königin Viktoria ganz eindeutig gegen die russischösterreichische Kooperation und die reaktionären Bestrebungen dieser Staaten Stellung. In ihrem Brief vom 18. November aus Windsor Castle gab sie gegenüber Palmerston ihrem Bedauern Ausdruck,1) Lord Westmoreland vor seiner Abreise nach Berlin nicht mehr gesehen zu haben, und mit ihm über die gegenwärtigen kritischen Ereignisse in Deutschland haben sprechen zu können. Es sei bisher doch immer so gewesen, daß die britische Regierung die konstitutionelle Entwicklung in anderen Ländern ermutigt habe. Die Folgerichtigkeit würde es erfordern, daß man auch jetzt, wo der Despotismus durch österreichische Waffen in Deutschland wieder hergestellt werden sollte, sein ganzes Gewicht zugunsten eines verfassungsmäßigen Preußens und Deutschlands in die Wagschale würfe. Die Königin sei erschreckt, daß alle auswärtigen Gesandten in Berlin, Dresden, München und Hannover, mit Ausnahme Lord Cowley's in Frankfurt, warme Parteigänger der despotischen Liga seien, die sich gegen Preußen und die deutsche Verfassung richte und für die Aufrechterhaltung des alten ') Letters oi Queen Victoria, Bd. II, S. 329.
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Bundestages unter österreichischem und russischem Einfluß einträten. Lord Palmerston sollte seinen Agenten wissen lassen, daß ihre Gefühle nicht mit denen der britischen Regierung übereinstimmen. Es könne ihm doch nicht verborgen bleiben, daß der alte Bundestag, wenn er einmal wiederhergestellt und anerkannt sei, dieselbe traurige Rolle wie von 1820 bis 1848 spielen würde, und Deutschland zu einem weiteren Leben in Stagnation oder zu neuer Revolution verurteilte. Doch Lord Palmerston war für diese Besorgnisse der Königin gänzlich unzugänglich. Er erwiderte an demselben Tage, er unterschriebe die Ansicht der Königin, daß man den konstitutionellen Grundsätzen in Deutschland dieselbe Unterstützung wie in anderen Ländern leihen müsse. „Aber ich kann mich", so fuhr er fort, „nicht davon überzeugen, daß eine vernünftige und tüchtige verfassungsmäßige Regierung gegenwärtig in Deutschland gefährdet ist, oder daß die österreichische Regierung daran denken kann, dem deutschen Volk, das so sehr an freien Einrichtungen hängt, in diesem Augenblick ein despotisches Regiment aufzuzwingen. Der Konflikt zwischen Preußen und Österreich geht nicht um Grundsätze der Regierungskunst sondern um die politische Vorherrschaft in Deutschland." Wenn wir ein Beispiel dafür haben wollen, wie Palmerston je nach dem Zweck, den er verfolgte, in derselben Sache verschiedene Töne anschlug, so müssen wir neben diesem Brief an die Königin den an Lord Cowley halten.1) Palmerston schrieb ihm am 22. November: „Die deutschen Angelegenheiten werden bald in einen chaotischen Zustand geraten. Klar ist nur das eine, daß alle Parteien sich mehr oder weniger in übler Lage befinden. Aber Preußen dürfte in dieser Hinsicht die Palme davontragen. Sein Verhalten war unehrenhaft, unbeständig, unentschlossen und schwach. In der schleswig-holsteinschen Frage hat es mit der größten Hinterlist und Treulosigkeit gehandelt. Bei der Neuordnung der politischen Verhältnisse Deutschlands scheint sein einziges Ziel von Anfang bis zu Ende seine eigene Vergrößerung gewesen zu sein. Nur besaß Preußen im gegebenen Augenblicke nicht Mut und Stetigkeit genug, dieses Ziel erfolgreich durchzuführen. Als Preußen das Reich angeboten wurde, da schrak der König vor der gewagten Unternehmung zurück und lehnte es ab, die Krone aus den Händen des Volkes zu empfangen, weil er nicht von den Fürsten darum gebeten war. Wollte der preußische König sie nicht einnehmen, so blieb für ihn nichts anderes übrig. *) Evelyn Ashley, life of Palmerston, II., S. 242.
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als mit Osterreich ein Übereinkommen zu schließen, um den Deutschen Bund auf der Grundlage des Vertrages von 1815 wieder herzustellen, nur mit dem Unterschied, daß in Preußen, Osterreich und all den anderen Staaten Parlamente eingesetzt wurden. Aber zu diesem einzig möglichen Wege konnte sich Preußen nicht entschließen. Mit der Erfurter Union brachte es nichts Rechtes zustande und setzte sich nur Demütigungen aus. Durch militärische Drohungen wurde Preußen gezwungen, Schritt für Schritt zurückzuweichen. All dies ist beklagenswert und ein neuer Beweis, daß Ehrenhaftigkeit die beste Politik ist. In der Zwischenzeit sind große Armeen auf beiden Seiten grade in dem Augenblick ins Feld geschickt worden, wo der Winter einsetzt. Das einzig Richtige ist, daß beide Seiten diese nutzlosen Soldaten sofort heimschicken. Frankreich und Rußland werden sonst in sich hineinlachen, wenn sie sehen, wie Deutschland in kurzer Zeit von der Einheit an den Rand des Bürgerkrieges kommt. Der arme Bimsen ist über den Fehlschlag all der schönen Pläne, den er, Stockmar, Gervinus, Gagern und all die übrigen so laut als sicheren Erfolg proklamiert haben, tief gekränkt. So kommt es, daß Bunsen sich einsperrt und von niemandem gesehen wird." Dieser Brief ist für uns nach mehreren Seiten hin bemerkenswert. Er charakterisiert zugleich Palmerston und die britische Politik des Jahres 1850 gegenüber Deutschland. Wir sehen, wie gereizt Palmerston gegen Preußen ist. Er kann sich in beleidigenden Ausdrücken gar nicht genug tun. Da spricht doch nicht nur der Gegensatz der Politik, sondern ein persönliches Motiv mit. Das bestätigt unsere Vermutung, daß Palmerston sich durch das Verhalten Preußens ihm gegenüber tief gekränkt fühlte. Wir haben als Grund dafür das zweimalige plötzliche Abschwenken Preußens von der Vermittlung Palmerston's vor dem Waffenstillstand von Malmö und von Berlin angenommen. Damit hing zusammen, daß Palmerston im ersten Stadium der Vermittlung noch wirklich neutral zu sein versuchte, später aber immer mehr auf die dänische Seite abglitt. Hinzu kam noch, daß Palmerstom die Nichtunterzeichnung des Londoner Protokolls durch Preußen als eine seine Vermittlung desavouierende Handlung empfand. Palmerston's Äußerungen über Preußens Unionspolitik stimmen mit dem von uns früher Gesagten überein. Man konnte auf Palmerston in dieser Frage nicht rechnen. Wohl trat er theoretisch mit schönen Worten für die Gagernsche Idee eines engeren und weiteren Bundes ein, aber als praktisch irgendein bestimmter Weg eingeschlagen wurde, warf er Preußen Hinterhältigkeit und bösen Willen vor. Palmerston wollte wohl Union, aber nicht
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Union, wie Preußen sie sich dachte, er wollte wohl ein Unionsparlament, aber nicht das Erfurter Parlament. Was Preußen eigentlich tun sollte, sagte er nicht, denn selbst bei einer Annahme der Kaiserkrone durch Friedrich Wilhelm hätten die schwierigsten Probleme nun erst ihre Lösung verlangt, und immer hätte Preußen auf diesem Wege Österreich gegen sich gehabt, da dieses sich mit der Stellung einer eng verbündeten Macht nicht begnügen wollte. Wenn man also mit Österreich auszukommen wünschte, so blieb schließlich doch nichts anderes übrig, als Rückkehr zur alten Bundestagspolitik. Der eigentliche Zweck von Palmerston's Schreiben an Lord Cowley war ja auch der, dem Gesandten einzuschärfen, daß man von England aus der rückläufigen Bewegung in Deutschland kein Hindernis entgegenzusetzen gedächte. Allerdings blieb Palmerston gegenüber dem von Wien aus immer wieder an ihn gerichteten Wunsche, möglichst sofort die Bundesversammlung in Frankfurt anzuerkennen, zunächst noch unzugänglich, wenn er auch Koller nicht verhehlte, daß sich die Ansicht des englischen Kabinettes in der deutschen Frage mehr auf Österreichs als auf Preußens Seite neige. Außerdem scheine nach seiner Meinung die Anerkennung der Bundesversammlung nicht unbedingt notwendig zu sein, um ihren Beschlüssen Nachdruck zu verleihen. Dagegen würde vielleicht dieser A k t in Deutsch land, weil er als Einmischung fremder Mächte angesehen werde, einen ungünstigen Eindruck machen, während die eigene Tatkraft für die Bundesversammlung von weit größerem Nutzen wäre. 1 ) So unterschied sich die Politik des englischen Ministeriums von der Haltung der Times und der Tories, die alle für Österreich eintraten, eigentlich nur in der Frage des Tempos etwas. Selbstverständlich stimmte man darin überein, daß man einen Krieg zwischen Preußen und Österreich zu vermeiden wünschte. Wie Palmerston zu Koller bemerkte, 1 ) wäre ein solcher Zusammenstoß das größte Unglück für Deutschland und ein Triumph für Rußland und Frankreich. Darum waren die englischen Friedensbeteuerungen durchaus ehrlich gemeint: sie lagen eben zugleich in Englands Interesse. Man war, um Preußen einen Denkzettel zu erteilen, damit einverstanden, wenn Österreich seine Forderungen so hoch wie möglich schraubte, aber überspannen sollte es den Bogen nicht. Nun — Schwarzenberg wußte allerdings schon, daß er ziemlich weit gehen durfte, ohne sich dieser Gefahr auszusetzen. Die l ) Aus dem Bericht Kollers an den Fürsten 25. Oktober 1850: H. H. St. A .
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England nnd der Sieg der Reaktion in Deutschland.
Mobilmachung, die Preußens König noch in letzter Stunde verfügt hatte, erwies sich als ein Schlag ins Wasser, da man in Wien darin nur eine heroische Geste sah. So konnten die Verhandlungen, die nun begannen, nicht anders als mit einer Niederlage Preußens enden. In Olmütz trafen sich Manteuffel und Schwarzenberg zu persönlicher Besprechimg und hier wurde dann am 29. November die sogenannte Olmützer Punktation abgeschlossen. Schwarzenberg erreichte alles, was er nur wünschen konnte. Die preußischen Truppen sollten aus Kurhessen zurückgezogen werdeD. Alle Unionspläne mußte Preußen aufgeben und den Bundestag auch seinerseits anerkennen. Auch Schleswig-Holstein, um das man so lange gekämpft hatte, wurde jetzt seinem Schicksal überlassen. Preußen erklärte sich sogar mit der Bundesexekution einverstanden, falls die schleswig-holsteinsche Statthalterschaft nicht aus freien Stücken den Widerstand gegen die Dänen aufgebe. Das einzige Zugeständnis, das Österreich machte, war, daß in Dresden Konferenzen zur Reform der Bundesverfassung vorgesehen wurden — eine sehr belanglose Konzession. Man konnte sich doch nicht darüber hinwegtäuschen, daß Preußen vorläufig auf seinen deutschen Beruf verzichtet hatte. In England war man deshalb nicht weiter betrübt. Auf die Mitteilung von den Gründen, welche das Wiener Kabinett zur Annahme der Olmützer Punktation bewogen hätten, erwiderte Palmerston, daß er den Geist der Mäßigung und Kraft zu würdigen wisse, den man von seiten Wiens bei der Unterhandlung in Olmütz bewiesen habe.1) Nur Königin Viktoria klagte in einem Brief2) an ihren Verwandten, den König von Belgien, ihre Sorge über die Verhältnisse in Deutschland. Preußen sei die einzige große und mächtige, wirklich deutsche Macht, aber sein beständiges Schwanken — den einen Tag so und den anderen Tag anders — hätte zu einem vollständigen Mißtrauen gegen Preußen geführt. Wenn Königin Viktoria unglücklich über Preußens Schwäche war, so pries die Times die Großmütigkeit Österreichs. Die österreichische Regierung hat, so schrieb sie am 7. Dezember, große Konzessionen gemacht, aber das ist kein Zeichen der Schwäche oder Erniedrigung, sondern beweist die Stärke ihrer Stellung und ist für ihre Staatsmänner ehrenvoll. Für die Bildung einer konstitutionellen Regierimg und gemäßigten Freiheit in Deutschland x) Aus dem Bericht Kollers an den Fürsten Schwarzenberg vom 17. Dezember 1850: H. H. St. A. *) Letters of Queen Victoria, Bd. II, S. 333.
P r e c h t , England* Stallung rar Deutschen Einheit.
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ist es eine trübe Aussicht, daß in solch einer Krisis die Führer der liberalen Partei Deutschlands von haßerfüllten Leidenschaften beseelt sind und eine unpraktische Politik treiben. Daß die Schmach von Olmütz überall im Lande bei den deutschen Patrioten und von der preußischen Volksvertretung bitter empfunden wurde, dafür konnte die Times natürlich kein Verständnis haben. Mit der Punktation von Olmütz schließen wir die Darstellung der Beziehungen Englands zu Deutschland in den Jahren 1848—50. Wir blicken noch einmal zurück. Die Hoffnungen, mit denen man in Deutschland in den Frühlingstagen des Jahres 1848 auf England geschaut hatte, erfüllten sich nicht. Ohne eingehende Kenntnis der politischen Faktoren hatte man geglaubt, daß auch in dieser schicksalsschweren Krise, wie früher so oft, englische und deutsche Interessen Hand in Hand gehen müßten. Nicht nur in weiten Kreisen der öffentlichen Meinung dachte man so — die Schilderungen, die Deutsche von ihren Reisen nach England gaben, legen davon Zeugnis ab —, sondern auch maßgebende Persönlichkeiten hielten diese Ansicht für selbstverständlich. Ein besonders deutlicher Beweis dafür ist das Verhalten Friedrich Wilhelms IV. bei Ausbruch der Februar-Revolution. England und Deutschland in gemeinsamem Kampf gegen die revolutionären Grundsätze — dieses Bild begeisterte ihn. Es war nur ein schöner Traum, den sein romantischer Geist wenigstens zeitweise für Wahrheit nahm. Tatsächlich gestaltete sich die Wirklichkeit ganz anders. Um England zu veranlassen, im Ringen um die deutsche Einheit aus seiner kühlen Reserve herauszutreten, hätte es einer eingehenden diplomatischen Vorarbeit bedurft. In dieser Beziehung hatte man so gut wie nichts getan. Man verließ sich auf den natürlichen Lauf der Ereignisse, ohne zu bedenken, daß die Aufgabe der Politik war, im Strome zu steuern, statt sich treiben zu lassen. Da konnte die tiefe Enttäuschung nicht ausbleiben. Man hatte die englische Eigenart zu wenig verstanden. Welche Gesichtspunkte leiteten denn die englische Politik ? Zwei Dinge wollte man vor allem verhindern: eine weitere Stärkung der schon bedrohlich anwachsenden Macht Rußlands und die Entstehung eines Siebzigmillionenreiches auf mitteleuropäischem Boden. Daraus ergab sich als Folge: entwedei Förderung der sogenannten kleindeutschen Lösung oder das Bestreben, den alten deutschen Dualismus aufrecht zu erhalten, wobei es darauf ankam, die Rechte Österreichs nicht allzusehr zu
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Schlußwort.
schmälern. Wenn man diese beiden Anschauungen in die englische Parteipolitik einordnen will, so ergibt sich, daß für die erste Lösung mehr die liberalen Kreise, für die zweite im wesentlichen die Tories eintraten. Letztere berührten sich in ihrer Politik sehr nahe mit den legitimistischen Anschauungen des russischen Zaren, wie überhaupt die Freundschaft mit Rußland für sie ein wesentliches Moment war. Durch gute Beziehungen mit der russischen Macht glaubten sie diese am besten in Schranken halten zu können. Hauptorgan dieser Kreise war die Times — wir haben ihre Ansichten des öfteren uns vor Augen geführt. Keine Schwächimg Österreichs, keine Neuordnung der deutschen Verhältnisse, die Rußland verletzen könnte, infolgedessen möglichste Zurückhaltung Preußens — das war ihr Programm. Ähnlich wie sie, dachte die „Morning Post". Der parlamentarische Wortführer dieser Politiker war Disraeli. Mit ihren Anschauungen verknüpfte sich noch ein anderes Motiv, das man als ein spezifisch englisches bezeichnen kann, nämlich den Wunsch, das Auftreten einer neuen Macht möglichst zu verhindern. Mit dem Dasein der alten Großstaaten Europas hatte man sich abgefunden, aber was man im allgemeinen nicht wollte, war, daß aus den deutschen Einheitsbestrebungen ein starker Staat herauswuchs, der zur See und im Handel England Schwierigkeiten bereitete. Unter diesem Gesichtspunkt sah man vor allem die schleswig-holsteinsche Frage an. Nicht um Tondern und Hadersleben ging es dabei für England, sondern um die Frage, wer hinfort das dominium maris Baltici besitzen sollte. Und dies war der Grund, weshalb auch der damalige Leiter der englischen Politik, Lord Palmerston, in dem deutsch-dänischen Konflikt schließlich in dasselbe Fahl wasser steuerte wie seine innerpolitischen Gegner. Zweifellos waren die Sympathien Palmerston's für Österreich und den alten deutschen Bund nicht allzu groß — in diesem Punkte unterschied er sich von einem Disraeli ebenso wie von der Times. Aber die Abneigung Palmerston's gegen eine handelspolitische Stärkung Preußens durch Erweiterung des Zollvereins machte ihn gegen die preußischen Sonderbundsbestrebungen zum mindesten sehr mißtrauisch — die Tatsachen lassen darüber keinen Zweifel, wenn er auch gelegentlich mit einer gewissen Herablassung sein Wohlwollen gegenüber Preußen zum Ausdruck brachte. Suchte Palmerston in der gchleswig-holsteinschen Frage zwar zunächst unparteiisch zu vermitteln, so verhinderte er doch schließlich die Preisgabe Schleswig-Holsteins an Dänemark nicht. Hier, wo es in sein politisches System nicht hineinpaßte, verzichtete er darauf, die liberalen Grundsätze, die für die Sch'eswig-Holsteiner Selbst12»
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Schlußwort.
bestimmung forderten, entschieden zu vertreten. So sah Deutschland in diesem die nationalen Leidenschaften so tief berührenden Konflikt England gegen sich — zwar nicht das ganze England, aber doch die maßgebenden Politiker. Daß daneben in englischen liberalen Kreisen vielfach auch Sympathien für Deutschland und Preußen vorhanden waren, haben wir gesehen. Ein Beweis dafür sind uns nicht nur einzelne Männer, wie Sir Robert Morier, sondern vor allem Äußerungen, wie wir sie in der „Daily News" und der „Edinburgh Review" fanden. Bei der „Daily News" spielte vor allem ihr Gegensatz gegen Rußland — der Gegensatz des liberalen englischen Staatsbürgers gegen den Absolutismus des russischen Herrschers — eine Rolle. Die „Daily News" erstrebte ein geeintes deutsches Reich hauptsächlich aus dem Grunde, damit gegen Rußland ein starkes Bollwerk geschaffen würde. Doch kann man ihr ein Verständnis für die nationalen Wünsche der Deutschen nicht absprechen. Das gleiche gilt, wenn auch in abgeschwächtem Maße, von der angesehenen liberalen englischen Zeitschrift, der „Edinburgh Review". Von der Königin Viktoria und dem Prinzen Albert läßt sich ohne Einschränkung sagen, daß sie der deutschen Sache Sympathien entgegenbrachten. Nach außen wählte der englische Hof strenge Neutralität und überschritt niemals die ihm gezogenen verfassungsmäßigen Grenzen. So ist das Bild der deutsch-englischen Beziehungen in den Jahren 1848—50 nicht ganz einheitlich: es geht durch alle Abtönungen hindurch — von Bündnisbestrebungen bis zu Kriegsdrohungen. Weder zum Bündnis noch zum offenen Konflikt ist es damals gekommen. Mehr noch als die Gemeinsamkeiten traten jedenfalls die zukünftigen deutsch-englischen Gegensätze hervor. Schleswig-Holstein war dafür ein Symbol. Wieviel hing mit diesem meerumspülten und windumwehten Land, das im Norden Deutschlands die nationale Grenzwacht hielt und zugleich den Blick seiner Brüder und Schwestern im Reich auf die See hinaus lenkte, zusammen! Die Schädigung seines Handels im schleswig-holsteinschen Konflikt konnte England zwar noch leicht ertragen, wie aber, wenn die Zeiten der Hanse, ob auch in anderen Formen, wiederkehrten 1 Konnte aus den schüchternen Anfängen deutscher Seegewalt nicht einmal ein mächtiger Wettbewerb auf dem Meere erwachsen ? Schließlich kann man auch noch von einem Gegensatz in der inneren Struktur der beiden Staaten in dieser Zeit reden. England konnte sich weder für das alte System der Königs- und Fürstenhäuser, noch für die rasch aus dem Boden gezimmerten Verfassungsneubauten der deutschen Idealisten erwärmen. In dem
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einen Falle bedauerten die Engländer das unmündige deutsche Volk, in dem anderen Falle verglichen sie ihre alte historische Verfassung mit den luftigen Hirngespinnsten einer träumerischen Jugend oder den gelehrten Bemühungen (das Wort „scientific" begegnet uns da öfter mit einem spöttischen Nebenton) deutscher Professoren. Männer mit dem glühenden Nationalgefühl eines Gervinus, Dahlmann und Waitz gehörten für sie in diese Klasse hinein. Aber während die Ideengegensätze zwischen England und Deutschland keine entscheidende Bedeutimg gewannen und erst im Weltkriege als brauchbares Mittel zur Bekämpfung Deutschlands wieder hervorgeholt wurden, nun ganz als Gegnerschaft gegen das „reaktionäre" preußische System verstanden, sollten Handel, Flotte und Weltpolitik die deutsch - englischen Beziehungen in den nächsten 70 Jahren immer stärker beeinflussen. Noch öfter trat an die englischen und deutschen Staatsmänner die Frage heran, welchen Kurs sie steuern wollten, ob sie miteinander das „balance of power" gegen Frankreich und Rußland herzustellen gewillt waren, oder ob England den Gegensatz zu Deutschland einer großen Koalition mit anderen Mächten für wert erachtete. Wir wissen, für welche Seite England sich entschieden hat. Es ist die Bedeutung der Jahre 1848—50, daß beide Möglichkeiten sich da zuerst unseren Blicken entrollen. Wie die Schattenseite des Verhältnisses zwischen England und Deutschland den größeren Raum in unserer Darstellung beanspruchte, so hat sie auch in dem weltpolitischen Kräftespiel schließlich den Sieg davongetragen. Ob die andere Möglichkeit, die uns in den Jahren 1848 bis 1850 entgegentrat, sich auch noch auswirken wird, kann erst die weitere Zukunft lehren.
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Verzeichnis der benutzten Literatur.
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A. J . K r i e g e r , Dagbager 1848—1880. I. Band, Kopenhagen 1922. N e e r g a r d , Under Junigrundloven, Kopenhagen 1892. V i t z t h u m v. E c k s t a d t , St. Petersburg und London 1852—1864, 2 Bände, Stuttgart 1886. A. S t e r n , Geschichte Europas 1815/71, Bd. VII, Stuttgart und Berlin 1916. M. B a r , Die deutsche Flotte 1848/52, Leipzig 1898. A. Zimmermann, Geschichte der preußisch-deutschen Handelspolitik. Oldenburg und Leipzig 1892. Rudolf Delbrück, Lebenserinnerungen 1817—1867. 2 Bände, Berlin 1905. R i c h a r d C h a r m a t z , Minister Freiherr von Bruck. Leipzig 1916. A. G ä r t n e r , Zollverhandlungen zwischen Österreich und Preußen von 1849 bis OlmQtz. Straßburger Dissertation 1908. G. H ö f k e n , Der deutsche Zollverein in seiner Fortbildung, Stuttgart 1842. E r i c h Mareks, Deutschland und England in den großen europäischen Krisen seit der Reformation. Stuttgart 1900. Carl P h i l i p p Moritz, Reisen eines Deutschen in England im Jahre 1782. 2. Aufl., Berlin 1785. F r i e d r i c h v. R a u m e r , England im Jahre 1835. Leipzig 1836. J . V e n e d e y , England. Leipzig 1845. O t t o F i s c h e r , Dr. Laurenz Hannibal Fischer und die Auflösung der deutschen Flotte. (Historische Zeitschrift, Bd. 85.) Deutsche R e v u e , Band 22, III (Aus dem Bunsenschen Familienarchiv). R. K o s e r , Friedrich Wilhelm IV. am Vorabend der Märzrevolution. (Historische Zeitschrift, Bd. 83.) Ward and Gooch, The Cambridge history of British foreign policy 1783/1919, Volume II, Cambridge 1923. L e t t e r s of queen V i c t o r i a ed. a. c., Benson and Lord Esher, 2 Bd., Berlin 1908. E v e l y n A s h l e y , Life and correspondence of Palmerston, 2 Bde., London 1874/76. Monypenny and B u c k l e , The life of Benjamin Disraeli, 6 Bde., London 1910. R. Wemyß, Memoirs and letters of Sir Robert Morier, 2 Bde., London 1911. H a n s a r d ' s P a r l i a m e n t a r y D e b a t e s , Volumes 98—115. E d i n b u r g h R e v i e w , 1848—1850. The Times, 1848—1850. D a i l y News, Juli 1848—1850. Akten des Geheimen S t a a t s a r c h i v e s (Berlin), Schriftwechsel mit der preußischen Gesandtschaft in London und der englischen Gesandtschaft in Berlin 1848/50. Akten des Haus-, H o f - und S t a a t s a r c h i v e s (Wien), Schriftwechsel mit der österreichischen Gesandtschaft in London. Geheimes Staats-Archiv = G. St. A. Haus-, Hof- und Staatsarchiv = H. H. St.
KAMPF UM EINHEIT UND VERFASSUNG Die Berliner Märztsge von 1848. Von W. Busch. 74 S. 8° 1899. Geb. M. 2.— Der Bericht des Herzogs Ernst II. von Koburg Aber den F r a n k furter Fürstentag 1863. Von Dr. Kurt Dorien. 186 S. 8°. 1910. Brosch. M. 4.— Der preußische Verfassungskampf vor hundert Jahren. Von Paul Haake. 133 S. 8°. 1921. Brosch. M. 2.40 Johann Peter Friedrich Aneillon und Kronprinz Friedrich Wilhelm IV. von Preußen. Von Paul Haake. 183 S. 8°. 1920. Brosch. M. 4.— Friedrich Daniel Bassermann und die deutsche Revolution 1848/49. Von Axel von Harnack. 1 1 7 S. 8°. 1920. Brosch. M. 2.50 Die Uberleitung Preußens in das konstitutionelle System durch den zweiten Vereinigten Landtag. Von Hans Mähl. 280 S. 8°. 1900. Brosch. M. 6.— Karl Gutzkow und der demokratische Gedanke. Von Ludwig Maenner. 159 S. 8°. 1921. Brosch. M. 3.50 Heinrich von Treitschkes Lehr- und Wanderjahre 1834—1867. Von Theodor Schiemann. 303 S. 8°. 2. Auflage. 1898. Geb. M. 5.— Edwin von Manteuftel, als Quelle zur Geschichte Friedrich Wilhelms IV. Von E. Schmitz. 98 S. 8°. 1921. Brosch. M. 2.— Die erste deutsche Nationalversammlung. Von Veit Valentin 180 S. gr. 8°. 1919. Brosch. M. 3.30; geb. M. 4.70 Welt- und Staatsautlassung des deutschen Liberalismus. Von Otto Westphal. 326 S. 8°. 1919. Brosch. M. 7.—
ENGLAND Napoleon, England und die Presse. Von Th. Ebbinghaus. 226 S. 8°. 1914. Brosch. M. 5.50 Oliver Cromwell. Von S. R. Gardiner. 235 S. 8°. 1903. Geb.M. 5.50. Innozenz III. und England. Von E. Gtttschow. 205 S. 8°. 1904. Geb. M. 4.50 Englische Verfassungsgeschichte. Von J . Hatschek. 771 S. gr. 8°. 1913. Brosch. M. 18.—; geb. M. 19.50 Britisches und römisches Weltreich. Von Julius Hatschek. 377 S. 8°. 1921. Brosch. M. 7.—; geb. M. 8.50 Edmund Burke und sein politisches Arbeitsfeld. Von R. Lennox. 316 S. gr. 8°. 1923. Brosch. M. 6.—; geb. M. 7.50 Deutschland und England in ihren wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Beziehungen. Von E. Sieper. 182 S. 8°. 1913. Geb. M. 2.—• Die neuere englische Sozialpolitik. Von H. Walter. 202 S. 8° 1914. Geb. M. 4.—
R. O L D E N B O U R G / M Ü N C H E N U. B E R L I N