Eine Jesus-Vita aus flavischer Zeit: Das Markusevangelium im narratologischen Vergleich mit den Biographien Plutarchs 9783161609688, 9783161609695, 3161609689

Seit ihrer Etablierung in den 1990er-Jahren hat die Evangelien-Biographie-These nur wenig weiterführende Bearbeitung erf

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Titel
Inhalt
Vorwort
I Das Markusevangelium als biographische Erzählung – offene Fragen
1. Standortbestimmung zwischen Biographie und Historiographie
2. Entstehungssituation und Pragmatik des Markusevangeliums
II Evangelium und Biographie – ein narratologischer Neuansatz
1. Die allmähliche Durchsetzung des Biographie-Vergleichs
1.1 Nichtliterarische Evangelien-Lektüren und ihre Wurzeln
1.2 Gegenstimmen und alternative Vorschläge
1.3 Biographische Markus-Lektüren seit den 1980er-Jahren
2. Probleme der historischen Gattungsanalyse
3. Weitere Diskussionen um die Evangelien-Biographie-These
4. Zwischenergebnis
5. Narratologische Impulse für den Evangelien-Biographie-Vergleich
5.1 (Keine) Vernetzung zwischen Narratologie und Literaturvergleich
5.2 Narratologische Aufbrüche – methodische Hintergründe
5.3 Der narratologisch gestützte Literaturvergleich
III Griechische und römische Biographien – literarische Kontexte
1. Einführung in die antike Biographie
2. Überblick über Quellen und Werke
3. Plutarchs Biographien als Vergleichsgrößen zum Markusevangelium
IV Plutarchviten und Markusevangelium – ein Vergleich
1. Kommunikationsebenen
1.1 Das narratologische Modell der Erzählung als Kommunikationsakt
1.2 Das Bild des Autors
1.3 Die Figur des Erzählers
1.4 Das Bild der Adressaten und die Rekonstruktion der Kommunikationssituation
1.5 Resümee
2. Faktualität und Fiktionalität
2.1 Faktualität und Fiktionalität in narratologischer Perspektive
2.2 Faktualität und Fiktionalität in den Biographien Plutarchs
2.2.1 Implizite Spuren
2.2.2 Explizite Fiktionalität
2.2.3 Zu erschließende Fiktionen
2.2.4 Grenzen des Fiktionalen und Strategien der Beglaubigung
2.3 Faktualität und Fiktionalität im Markusevangelium
2.4 Resümee
3. Handlungsorte und Räume
3.1 Orte und Räume in Erzähltexten
3.2 Wirkungsorte
3.3 Todesorte
3.4 Aufenthaltsräume
3.5 Resümee
4. Zeitmanagement
4.1 Erzählte Zeit und Erzählzeit
4.2 Absolute und relative Chronologie der erzählten Zeit
4.3 Eine ausführliche Sterbensgeschichte
4.4 Anachronien
4.5 Selbstreferenz durch Anachronien
4.6 Resümee
5. Erzähleinstiege
5.1 Erzähleinstiege in narratologischer Sicht
5.2 Prolog und Proömium
5.3 Grundlegende biographische Angaben
5.4 Zitate im Erzähleinstieg
5.5 Annäherung an den Hauptteil der Erzählung
5.6 Resümee
6. Erzählhandlung
6.1 Narratologische Handlungsanalyse
6.2 Handlungsbestandteile
6.3 Handlungsaufbau
6.4 Resümee
7. Erzählende
7.1 Erzählenden in narratologischer Sicht
7.2 Erzählenden im Markusevangelium und bei Plutarch
7.3 Resümee
8. Ereignishaftigkeit und Ästhetik der Wiederholung
8.1 Ereignis und Wiederholungen in narratologischer Sicht
8.2 Erzählte Ereignisse bei Markus und bei Plutarch
8.3 Resümee
9. Perspektiven des Erzählers und der Erzählfiguren
9.1 Narratologische Figuren- und Perspektivenanalyse
9.2 Fiktive Erzählfigur
9.2.1 Sprechweisen
9.2.2 Wissen
9.2.3 Bewertungen
9.2.4 Resümee
9.3 Hauptfigur
9.3.1 Äußeres
9.3.2 Inneres
9.3.3 Öffentliche Wirksamkeit
9.3.4 Die Hauptfigur im Spiegel weiterer Erzählfiguren
9.3.5 Resümee
10. Ergebnisse
10.1 Rückblick
10.2 Ausblick
V Das Markusevangelium und der Aufstieg der Flavier – historische Kontexte
1. Lokale Bezüge
2. Römisches Kolorit
3. Historische Konstellationen
4. Biographien als Medium philosophisch-politischer Opposition
5. Rezeptionen des Cato-Stoffes im christlichen Kontext
VI Resümee
Quellen- und Literaturverzeichnis
1. Quellen
1.1 Biblische Bücher
1.2 Übrige Schriften
2. Sekundärliteratur
Stellenregister
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Eine Jesus-Vita aus flavischer Zeit: Das Markusevangelium im narratologischen Vergleich mit den Biographien Plutarchs
 9783161609688, 9783161609695, 3161609689

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Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament Herausgeber/Editor Jörg Frey (Zürich)

Mitherausgeber/Associate Editors Markus Bockmuehl (Oxford) ∙ James A. Kelhoffer (Uppsala) Tobias Nicklas (Regensburg) ∙ Janet Spittler (Charlottesville, VA) J. Ross Wagner (Durham, NC)

480

Felix John

Eine Jesus-Vita aus flavischer Zeit Das Markusevangelium im narratologischen Vergleich mit den Biographien Plutarchs

Mohr Siebeck

Felix John, geboren 1984; 2004–09 Studium der Ev. Theologie in Kiel und Hamburg; 2016 Promotion; seit 2017 Postdoc-Stipendiat des Kurt-von-Fritz-Wissenschaftsprogramms des Landes Mecklenburg-Vorpommern, dann Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Neues Testament an der Theologischen Fakultät der Universität Greifswald. orcid.org/0000-0002-2548-0333

Gefördert aus Mitteln des Kurt-von-Fritz-Wissenschaftsprogramms (THEORIA) des Landes Mecklenburg-Vorpommern ISBN 978-3-16-160968-8 / eISBN 978-3-16-160969-5 DOI 10.1628/978-3-16-160969-5 ISSN 0512-1604 / eISSN 2568-7476 (Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2022 Mohr Siebeck Tübingen. www.mohrsiebeck.com Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für die Verbreitung, Vervielfältigung, Übersetzung und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von SatzWeise aus der Minion gesetzt, von Gulde Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Buchbinderei Spinner in Ottersweier gebunden. Printed in Germany.

Inhalt I

Das Markusevangelium als biographische Erzählung – offene Fragen

1

1.

Standortbestimmung zwischen Biographie und Historiographie . .

1

2.

Entstehungssituation und Pragmatik des Markusevangeliums . . .

8

II

Evangelium und Biographie – ein narratologischer Neuansatz . . .

13

1.

Die allmähliche Durchsetzung des Biographie-Vergleichs . . . 1.1 Nichtliterarische Evangelien-Lektüren und ihre Wurzeln 1.2 Gegenstimmen und alternative Vorschläge . . . . . . . . 1.3 Biographische Markus-Lektüren seit den 1980er-Jahren .

. . . .

13 13 21 22

2.

Probleme der historischen Gattungsanalyse . . . . . . . . . . . . .

25

3.

Weitere Diskussionen um die Evangelien-Biographie-These . . . .

33

4.

Zwischenergebnis

43

5.

Narratologische Impulse für den Evangelien-Biographie-Vergleich 5.1 (Keine) Vernetzung zwischen Narratologie und Literaturvergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2 Narratologische Aufbrüche – methodische Hintergründe . . 5.3 Der narratologisch gestützte Literaturvergleich . . . . . . .

. . . .

. . . .

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

44

. . .

44 48 53

III Griechische und römische Biographien – literarische Kontexte . . .

55

1.

Einführung in die antike Biographie . . . . . . . . . . . . . . . . .

55

2.

Überblick über Quellen und Werke . . . . . . . . . . . . . . . . .

58

3.

Plutarchs Biographien als Vergleichsgrößen zum Markusevangelium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

63

IV Plutarchviten und Markusevangelium – ein Vergleich 1.

Kommunikationsebenen . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Das narratologische Modell der Erzählung als Kommunikationsakt . . . . . . . . . . . . . 1.2 Das Bild des Autors . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Die Figur des Erzählers . . . . . . . . . . . .

. . . . . . .

65

. . . . . . . . .

65

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

65 66 72

VI

Inhalt

1.4 Das Bild der Adressaten und die Rekonstruktion der Kommunikationssituation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.5 Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.

80 84

Faktualität und Fiktionalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Faktualität und Fiktionalität in narratologischer Perspektive 2.2 Faktualität und Fiktionalität in den Biographien Plutarchs 2.2.1 Implizite Spuren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.2 Explizite Fiktionalität . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.3 Zu erschließende Fiktionen . . . . . . . . . . . . . 2.2.4 Grenzen des Fiktionalen und Strategien der Beglaubigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Faktualität und Fiktionalität im Markusevangelium . . . . 2.4 Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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85 85 87 87 89 90

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92 98 102

3.

Handlungsorte und Räume . . . . . 3.1 Orte und Räume in Erzähltexten 3.2 Wirkungsorte . . . . . . . . . . 3.3 Todesorte . . . . . . . . . . . . 3.4 Aufenthaltsräume . . . . . . . . 3.5 Resümee . . . . . . . . . . . . .

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103 103 103 109 111 113

4.

Zeitmanagement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1 Erzählte Zeit und Erzählzeit . . . . . . . . . . . . . 4.2 Absolute und relative Chronologie der erzählten Zeit 4.3 Eine ausführliche Sterbensgeschichte . . . . . . . . . 4.4 Anachronien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.5 Selbstreferenz durch Anachronien . . . . . . . . . . 4.6 Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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114 114 114 119 123 128 131

5.

Erzähleinstiege . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1 Erzähleinstiege in narratologischer Sicht . . 5.2 Prolog und Proömium . . . . . . . . . . . 5.3 Grundlegende biographische Angaben . . . 5.4 Zitate im Erzähleinstieg . . . . . . . . . . . 5.5 Annäherung an den Hauptteil der Erzählung 5.6 Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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133 133 133 136 139 141 144

6.

Erzählhandlung . . . . . . . . . . . . 6.1 Narratologische Handlungsanalyse 6.2 Handlungsbestandteile . . . . . . 6.3 Handlungsaufbau . . . . . . . . . 6.4 Resümee . . . . . . . . . . . . . .

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VII

Inhalt

7.

Erzählende . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1 Erzählenden in narratologischer Sicht . . . . . . . . 7.2 Erzählenden im Markusevangelium und bei Plutarch 7.3 Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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159 159 159 162

8.

Ereignishaftigkeit und Ästhetik der Wiederholung . . . . . 8.1 Ereignis und Wiederholungen in narratologischer Sicht 8.2 Erzählte Ereignisse bei Markus und bei Plutarch . . . . 8.3 Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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163 163 163 165

9.

Perspektiven des Erzählers und der Erzählfiguren . . . . . . 9.1 Narratologische Figuren- und Perspektivenanalyse . . 9.2 Fiktive Erzählfigur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.2.1 Sprechweisen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.2.2 Wissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.2.3 Bewertungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.2.4 Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.3 Hauptfigur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.3.1 Äußeres . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.3.2 Inneres . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.3.3 Öffentliche Wirksamkeit . . . . . . . . . . . . . 9.3.4 Die Hauptfigur im Spiegel weiterer Erzählfiguren 9.3.5 Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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10. Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.1 Rückblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.2 Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

197 197 203

V

Das Markusevangelium und der Aufstieg der Flavier – historische Kontexte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

208

1.

Lokale Bezüge

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

208

2.

Römisches Kolorit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

210

3.

Historische Konstellationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

212

4.

Biographien als Medium philosophisch-politischer Opposition

. .

217

5.

Rezeptionen des Cato-Stoffes im christlichen Kontext

. . . . . . .

220

VI Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

222

VIII

Inhalt

Quellen- und Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

225

1.

Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Biblische Bücher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Übrige Schriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

225 225 225

2.

Sekundärliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

226

Stellenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

247

Vorwort Bei der vorliegenden Arbeit handelt es sich um eine leicht überarbeitete Fassung meiner im Wintersemester 2020/21 von der Theologischen Fakultät der Universität Greifswald angenommenen Habilitationsschrift. Allen am Habilitationsverfahren Beteiligten gilt mein aufrichtiger Dank. Die Arbeit wäre insbesondere ohne das Zutun von Christfried Böttrich und Dieter Sänger nicht zu Stande gekommen. Dieter Sänger verdanke ich, einen Weg gen Neutestamentliche Wissenschaft eingeschlagen zu haben. Wie schon bei der ersten Qualifikationsarbeit hat er die Entstehung auch dieser Schrift intensiv begleitet, nicht nur in der Phase der Themenfindung, sondern auch durch Einschätzungen, Anregungen und Rückmeldungen während des gesamten Entstehungsprozesses. Durch seinen fachkundigen Rat, die Gestaltung der Arbeitsatmosphäre und der Diskussionskultur an seinem Lehrstuhl sowie durch die Förderung durch das Kurt-von-Fritz-Wissenschaftsprogramm des Landes MecklenburgVorpommern hat Christfried Böttrich die Abfassung und den Abschluss der Arbeit ermöglicht. Nicht zuletzt haben die beiden Genannten die Arbeit auch als Gutachter vertreten. Knut Usener hat die Abfassung einer weiteren Stellungnahme übernommen, die das Projekt um eine wertvolle altertumswissenschaftliche Perspektive bereichert. Ermutigungen, Materialien und hilfreiche Hinweise verdanke ich der Greifswalder Sozietät, dem Hamburger Forschungskolloquium, dem Kreis der Norddeutschen Neutestamentlerinnen und Neutestamentler, der Arbeitsgruppe der Plutarch-Gesellschaft, insbesondere Anna Ginestí Rossell und Marion Schneider, sowie Matthias Becker, Martin Meiser und ganz besonders Stefan Schorn. Jörg Frey hat die Publikation in der Reihe der Wissenschaftlichen Untersuchungen zum Neuen Testament möglich gemacht. Seitens des Verlages Mohr Siebeck haben Elena Müller, Susanne Mang und Tobias Stäbler die Veröffentlichung begleitet. Das Korrekturlesen hat erneut meine Mutter Ursula Holl-John übernommen. Allen Genannten gilt mein herzlicher Dank. Greifswald, Mai 2021

F. John

I Das Markusevangelium als biographische Erzählung – offene Fragen 1. Standortbestimmung zwischen Biographie und Historiographie Denn wenn wir in den Evangelien, vor allem in dem ältesten, den ‚Anfang‘ einer christlichen ‚Literatur‘ im eigentlichen Sinne besitzen, so fragt sich, wie dieser Anfang nach Form und Inhalt aufgefaßt sein will, welcher literarischen Gattung er sich einreiht oder – wenn er etwas schlechthin neues ist – welche Absichten und Ziele den oder die Schöpfer dieser neuen Literaturgattung geleitet haben. 1

Johannes Weiß reißt im Jahr 1903 Fragen an, über deren Beantwortung bis heute alles andere als Einmütigkeit herrscht. 2 Sie stellen sich angesichts der Tatsache, dass um 70 n. Chr. 3 der anonyme Verfasser des von uns Markusevangelium genannten Werks die erste Erzählung von Leben, Sterben und postmortaler Wirksamkeit des Jesus von Nazareth vorlegt. Narrative Elemente hatten zwar auch schon die vorangegangenen frühchristlichen Texte enthalten; 4 sie waren aber nicht in primär erzählender Gestalt abgefasst worden. 5 Eine Vorstufe der Form des Erzählevangeliums lag bereits in Gestalt der Logienquelle vor. 6 Grundstruktur und Stoffe des Markusevangeliums inspirierten wiederum nachfolgende Autoren, die später kanonisierte 7 sowie nicht in das Neue Testament aufgenommene Evangelienschriften verfassten. 8 In der Retrospektive

Weiß, Evangelium, 6. Vgl. zum Überblick Breytenbach, Research. 3 Zum Problem der Entstehungssituation des Markusevangeliums s. u. IV 1.4; V. 4 Vgl. etwa 1Kor 11,23–25; 15,3–9. 5 Vgl. Petersen, Formen, 181. 6 Zur Logienquelle, auch im Kontext der Biographie-These, Downing, Genre (hohes Maß biographischer Elemente in Q); Heil, Evangelium, 62–72 („Q tendiert zu einer biographischen Erzählung“ [a. a. O. 72]); Labahn, Gekommene, insb. 575 (eine engere Verwandtschaft mit der antiken Biographie bestehe nicht, es fehle etwa eine Sterbensgeschichte); Hägg, Art, 156 f; vgl. auch Ettl, Kalenderinschrift; Frenschkowski, Kenntnisse. 7 Trotz zahlreicher Infragestellungen im Detail wie im Ganzen (vgl. dazu nur Lindemann, Problem) erscheint die Zwei-Quellen-Theorie weiterhin als leistungsstärkster Erklärungsansatz für das Synoptische Problem (vgl. u. a. Schnelle, Einleitung, 210–216, zuletzt auch Reiser, Porträts, 13–15). Sie wird daher im Folgenden vorausgesetzt. 8 Vgl. Hengel, Evangelienüberschriften, 18 f; Ders., Probleme, 223–225; Frankemölle, Evangelium, 43; Guelich, Genre, 215 f; Hägg, Art, 172–179; Kurzmann-Penz, Fiktion. 1 2

2

I Das Markusevangelium als biographische Erzählung – offene Fragen

kommt daher dem Autor des Markusevangeliums das Verdienst zu, die Literaturgattung „Evangelium“ begründet zu haben. 9 Der Gebrauch des Terminus Evangelium in diesem literarischen Sinn – der die Rede von dem einen verkündeten und zu verkündenden Evangelium keineswegs verdrängt, sondern eng mit ihr verknüpft bleibt – bildet sich erst im Laufe der Zeit heraus. 10 Im 2. Jahrhundert spricht Justin von den Erinnerungen (ἀπομνημονεύματα) der Apostel, „die ‚Evangelien‘ genannt werden (ἃ καλεῖται εὐαγγέλια)“ 11. Charakteristisch für ein Evangelium wird das Verfahren, die Verkündigung Jesu Christi in erzählender Gestalt vorzulegen. Evangelien entstehen innerhalb und für frühchristliche(r) Gemeinden. Die Gattung der Evangelien kann daher in diesem Sinn als christliche Eigenbildung, als Phänomen „sui generis“ 12, verstanden werden. 13 Über den literarischen Charakter und den literaturgeschichtlichen Standort der Evangelien ist damit noch nichts gesagt. 14 Textgenetisch und im Lichte der Überlegungen der klassischen Intertextualitätsforschung muss man sagen, dass kein Werk im luftleeren Raum, das heißt ohne literarische Kontexte produziert oder rezipiert werden kann. 15 Aus der Entstehung einer Jesus-ChristusGeschichte in Gestalt des erzählenden Evangeliums ergibt sich daher die Frage nach der Einordnung der Erzählung in bestehende literarische Konventionen. Weiß nennt sie literarische Gattungen. 16 Zu fragen ist zudem nach dem spezifischen Profil des neuen Textes innerhalb literarischer Kontexte. Dabei sind über Weiß hinaus mehrere Ebenen zu differenzieren. So spricht etwa nichts gegen die Annahme, dass ein Autor eine bestehende literarische Form (oder auch mehrere) aufgreifen und umgestalten kann, um eigene Ziele zu verfolgen. Mit einer Vielfalt an Ausgestaltungen und Wirkabsichten innerhalb einer (Makro-)Gattung – wie etwa der antiken Biographie – ist zu rechnen; 17 Exemplare ‚reiner‘ Form existieren auf dem Gebiet der (antiken) Literatur nicht. Mindestens seit Beginn der Aufklärungszeit wird die griechische und die römische Biographie als Vorbildgeberin für die erzählerische Form des Markusevangeliums diskutiert; allerdings wird dieser Ansatz bis weit in das 20. Jahrhundert hinein rundheraus abgelehnt. Zur Wahrung des christologischen ProVgl. Schnelle, Theologie, 361. Vgl. Hengel, Evangelienüberschriften; Bond, Biography, 16 f. 11 Justin, 1Apol 66,3; vgl. auch 67,3 f; Dial. 100,4; 101,3; 102,5; 103,6.8; 104,1; 105,1.5 f; 106,1.3.4; 107,1; dazu, auch zu möglichen früheren Belegen für den literarischen Gebrauch des Terminus Frankemölle, Evangelium, 34–36; Seifert, Markusschluss, 70 f Anm. 172. Zu Justins Verwendung von ἀπομνημονεύματα im Kontext der antiken Literatur vgl. Cirafesi/ Fewster, ἀπομνημονεύματα. 12 Schnelle, Theologie, 363. Kursivierung nicht im Original. 13 Zum Problem des Entstehens von Gattungen vgl. Zymner, Gattungsvervielfältigung. 14 Ähnlich Keener, Christobiography, 38. 15 Vgl. auch Seifert, Markusschluss, 81–83; Burridge, Gospels, 26–55. 16 Zu den Problemen einer gattungsmäßigen Klassifizierung der Evangelien s. u. II 2. 17 S. u. III. 9

10

Standortbestimmung zwischen Biographie und Historiographie

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fils glaubte man die erzählerische Form des Evangeliums als kontextlose, unmittelbar aus dem christlichen Kerygma erwachsene Größe charakterisieren zu müssen. Zur Abwehr des Biographie-Vergleichs wurden anachronistische Vorstellungen über antike biographische Werke kolportiert. 18 Heute ist die Legitimität und Fruchtbarkeit des Evangelien-Biographie-Vergleichs dank grundlegender Arbeiten weitgehend anerkannt, weist, wie zu zeigen sein wird, 19 aber einige methodische Probleme auf und lässt daher wichtige Fragen unbeantwortet: Wie sind die Querverbindungen von Evangelium und antiker BiographieLiteratur präzise zu beschreiben und einzuordnen? Welche Zweige des biographischen Erzählens sind als Vergleichspunkte in den Blick zu nehmen? Was folgt interpretatorisch aus der Biographie-Affinität? Um in der Beantwortung dieser Teilfragen weiter voranzukommen, wird im Folgenden ein neuer, nicht auf gattungsanalytischen, sondern narratologischen Kriterien 20 beruhender Textvergleich durchgeführt. 21 In kritischer Auseinandersetzung mit der Biographie-These sind auch andere Literaturbereiche als Vergleichsgrößen vorgeschlagen worden. 22 Der im Folgenden skizzierte Befund zeigt, dass sich das Markusevangelium nicht von einem Literaturstrom allein her wird interpretieren lassen. Marius Reiser etwa geht in mehreren Beiträgen Verbindungen zwischen dem ältestem Evangelium und einer Vielfalt an Werken nach. Bei den Synoptikern insgesamt dominiere die direkt wiedergegebene, alltäglichem Sprechen nahekommende Rede der Figuren. Explizite Erzählerkommentare fehlten. Darin unterschieden sie sich grundlegend von der Darstellungsweise eines Plutarch oder eines Sueton. 23 Berührungen wiesen die Evangelien eher mit anderen biographischen oder biographienahen Werken auf: hinsichtlich der Taten- und Logiendarstellung mit den fragmentarisch erhaltenen oder bei Diogenes Laertios überlieferten Dichter- und Philosophenviten, im Blick auf den episodischen Stil mit der Homervita, auf Grund der Dominanz der direkten Rede mit ‚populären‘ Werken wie den Fabeln Äsops, dem Äsoproman, der Vita Secundi, oder dem Alexanderroman. 24 Anders als die genannten Werke bezögen sich die Evangelien aber auf die historische Figur Jesus von Nazareth. 25 Daher stellt Reiser mit umso 18

S. u. II 1. S. u. II 2. 20 S. u. II 5. 21 S. u. IV. 22 McDonald, Epics, schlägt – jenseits des hier zu Behandelnden – den Vergleich des Markusevangeliums mit dem homerischen Epos vor. 23 Vgl. Reiser, Stellung, 8–10; ähnlich Baum, Biographien, 546; Dschulnigg, Markusevangelium, 49 f. Zur Kritik s. u. IV 1.3; 9.2. Seifert, Markusschluss, 297, konstatiert hinsichtlich der Gestaltung des Schlusses der Erzählung größere Affinität zwischen Markusevangelium und Jonabuch als zwischen Markusevangelium und der Demosthenes-Vita Plutarchs. 24 Vgl. Reiser, Stellung, 10–15. 25 Vgl. a. a. O. 16. 19

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I Das Markusevangelium als biographische Erzählung – offene Fragen

größerem Erstaunen fest: „Es ist ein eigentümlicher Sachverhalt, daß ausgerechnet diese inhaltlich dürftigen und teilweise abgeschmackten Werke sowohl hinsichtlich der Erzählweise als auch hinsichtlich Sprache und Stil innerhalb der paganen Literatur am meisten Verwandtschaft mit den Evangelien aufweisen“ 26. Die Wurzeln der evangeliaren Erzählweise erblickt Reiser in der alttestamentlichen Literatur. 27 In Passagen wie etwa Gen 3; 37–50, 2Sam 11; Jer 36,14–19 beinhalte, wie in den Evangelien auch, die direkte Rede, nicht die Erzählerrede das Wesentliche. Auch Werke wie Joseph und Aseneth übernähmen diesen Stil. Reiser vermutet hinter den – aus seiner Sicht ohnehin nicht erfolgreichen – Versuchen einer Zuordnung zur paganen (nämlich: biographischen) Literatur die Tendenz, den jüdischen Charakter des Frühen Christentums bewusst oder unbewusst zu marginalisieren. 28 In seinem neuesten Beitrag zur literarischen Kontextualisierung der Evangelien wendet sich Reiser nun Plutarch als Vertreter des gelehrten Bios zu. 29 Zwar trennten Plutarch-Biographien und Evangelien Sujet und Erzähltes sowie Erzählmilieu, ferner die LXX-nahe Sprache sowie die Dominanz der direkten gegenüber der Erzählerrede bei den Evangelien; aber sowohl hinsichtlich der Erzählweise als auch der didaktischen Wirkabsicht stellt Reiser ein enges Verwandtschaftsverhältnis fest. 30 Mit Reiser ist zu betonen, dass der Evangelien-Biographie-Vergleich nicht gegen die Verwurzelung in alttestamentlich-frühjüdischen Traditionen und Erzählweisen ausgespielt werden darf. 31 Es ist zu würdigen, dass Elemente sowohl der sogenannten populären als auch der politisch-historiographischen Biographie beim Evangelien-Vergleich eine Rolle spielen. 32 Dieser Sachverhalt illustriert das Problem der Behauptung, Werke wie das Markusevangelium gehörten der griechisch-römischen Biographie an. Weiterführender als die pauschale Gattungszuweisung sind Vergleiche mit einzelnen Text(grupp)en auf jeweils unterschiedlichen Vergleichsebenen. Das von Reiser untersuchte Spektrum weist aber auch darauf hin, dass sich das Erzählen des Markusevangeliums nicht monogenetisch herleiten lässt. Es steht in einer Vielzahl von Traditionen. 26

A. a. O. 15. Vgl. a. a. O. 17–20. 28 Vgl. a. a. O. 21. Relativ sicher scheint, dass hinsichtlich der Frage des biographischen Erzählens das rabbinische Schrifttum nicht als Vergleichsgröße zu den Evangelien in den Blick kommt (vgl. Alexander, Judaism; Ders., Biography; Neusner, Search; Ders., Gospels; Ders., Parallels). Auf Ähnlichkeiten zwischen der rabbinischen Traditionsbildung und den neutestamentlichen Evangelien auf der Ebene von Mikroformen (nicht aber der Makroform) weist Baum, Biographien, hin. Zu den frühjüdischen Vitae Prophetarum vgl. Schwemer, Studien. 29 Vgl. Reiser, Anfänge. 30 Vgl. a. a. O. 43 f. 31 Vgl. auch Hägg, Art, 155. 32 S. u. III 2.; 3.; IV 1.2; 2.; 4.2; 9.2. 27

Standortbestimmung zwischen Biographie und Historiographie

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Mit frühjüdischen Werken wie Ester, Daniel und – ebenfalls – Joseph und Aseneth will Michael E. Vines auf Grund des vorausgesetzten Gottesbildes sowie der apokalyptischen Zeitauffassung das Markusevangelium in Verbindung bringen. 33 Die pointierte Ablehnung der Biographie-Affinität des Markusevangeliums begründet Vines mit früher gängigen, heute fragwürdig erscheinenden Argumenten: 34 Das älteste Evangelium behandle Genos und Ausbildungszeit Jesu nicht, 35 es fehle eine Erzählerstimme, 36 die auf die Passion zulaufenden Handlungsbögen hätten kein Gegenüber in der antiken Biographie, 37 das christologische Profil des Markusevangeliums ließe sich grundsätzlich mit einem biographischen Charakter nicht vereinen. 38 Vor allem aber weise die Biographie der hellenistischen und der Prinzipatszeit einen konservativen Zug im Sinne einer Restitution des Früheren (= Besseren) auf. 39 Demgegenüber sei der markinische Jesus innerhalb seines jüdischen Kontextes gerade nicht wertkonservativ, sondern subversiv und revolutionär. 40 Wie der Textvergleich ergeben wird, ist im Hinblick auf das Angesprochene stärker zu differenzieren. 41 Eve-Marie Beckers im Jahr 2006 publizierte Arbeit rekurriert auf die Geschichtsschreibung in einem engeren Sinne als Vergleichsgröße und präsentiert das Markusevangelium als Vertreter einer Frühform der (frühchristlichen) Historiographie. 42 Becker konzediert zwar, dass die markinische Darstellung neben historiographischen auch biographische Elemente aufweist und daher eine einseitige literaturgeschichtliche Einordnung kaum gelingen könne. 43 Die Biographie als Vergleichsgröße zum Markusevangelium lehnt sie dennoch zu Gunsten der Historiographie ab. Gegen den Biographie-Charakter des Evangeliums sprechen für Becker zunächst Ergebnisse des Literaturvergleichs. So seien etwa Markusevangelium und Vitae Prophetarum zwar darin vergleichbar, dass beide sowohl an der paganen als auch an der jüdischen Literaturtradition Anteil hätten; aber biographische Standardangaben wie Name, Herkunft, Taten, Tod und Vgl. Vines, Problem, 145–160. S. u. II 1.3. 35 Vgl. Vines, Problem, 123. Mit ähnlicher Begründung verwirft auch Whitenton, Sonship, 101, den Biographie-Vergleich und zieht Epos und Tragödie vor. Die Arbeit sucht einen am Hörverstehen der intendierten Adressaten orientierten Zugang zum Markusevangelium. Zu beachten ist, dass das Fehlen von Kindheits- und Jugenderzählungen in biographischen Texten der Normalfall ist und erst ab dem 2. Jahrhundert n. Chr. ein dezidiertes Interesse auch an den frühen Lebensphasen bedeutender Persönlichkeiten – wie an Kindheit allgemein – zu verzeichnen ist (vgl. Kurzmann-Penz, Fiktion, 46). 36 Vgl. Vines, Problem, 87 f.124. 37 Vgl. a. a. O. 125. 38 Vgl. a. a. O. 11. 39 Vgl. a. a. O. 11.88.124 f. 40 Vgl. a. a. O. 142. 41 S. u. IV 9.3.3. 42 Vgl. Becker, Markus-Evangelium (vgl. auch Collins, Gospel, 33–42). 43 Vgl. Becker, Markus-Evangelium, 20.52; ähnlich Collins, Gospel, 45. 33 34

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I Das Markusevangelium als biographische Erzählung – offene Fragen

Begräbnis des Porträtierten „finden sich in dieser dicht gedrängten Darstellung im Markus-Evangelium nicht“ 44, so Becker. Mk 1,1–3 lasse biographische Interessen gerade nicht erkennen; erst die Seitenreferenten hätten diese Lücke mit ihren Stammbäumen und Geburtsgeschichten aufgefüllt. Markus ginge es an dieser Stelle vielmehr um die Einführung der im weiteren Verlauf immer wieder aufgegriffenen Gegenüberstellung von Täufer und Jesus, die im Markusevangelium speziell der Datierung des beginnenden Wirkens Jesu, nämlich im Wirken des Johannes, diene. 45 Schließlich kämen – für die Biographie konstitutive – lobende und tadelnde Kommentare des Charakters der Hauptfigur im Markusevangelium zu kurz. 46 Richtig ist, dass das Markusevangelium mit Teilen der Biographieliteratur eher Unähnlichkeiten aufweist, etwa zu den eher listenartigen Lebensbeschreibungen, zu denen auch die ansonsten mit den Evangelien in mancher Hinsicht durchaus vergleichbare Sammlung der Vitae Prophetarum zählt. Doch die innerhalb des biographischen Erzählens möglichen Gestaltungsspielräume 47 sprechen gegen diese Einwände und die daraus resultierende vehemente Abweisung des Biographie-Ansatzes. Raffung beziehungsweise Ausblendung der Kindheitsdarstellung 48 oder zurückhaltende Erzählerkommentare 49 sind innerhalb der Vita-Literatur möglich und sprechen keineswegs von vornherein gegen einen biographischen Charakter des Markusevangeliums. Ob Mk 1,2 f primär das Wirken Jesu zu datieren versucht, bleibt zu fragen. Einen biographiekompatiblen Charakter der Zitatekombination schlägt etwa Frickenschmidt vor. 50 Schwierig wird es auch, wenn bei Becker Historiographie und biographische Literatur in eine Art Konkurrenzverhältnis treten. So hätten sich die hellenistischen griechischen und die römischen frühkaiserzeitlichen Lebensbeschreibungen aus der Geschichtsschreibung heraus entwickelt und stünden daher „kaum am Beginn der Konstituierung einer kulturellen Gruppe“ 51. Zu fragen ist, ob eine solche Rezeption pauschal den Geschichtswerken zu- und den Biographien abgesprochen werden kann. Die Viten Plutarchs etwa lassen sich durchaus als (gruppen-) identitätsstiftend begreifen. 52 Der der Biographie-These vorgeworfenen Unschärfe in den „nötigen gattungsspezifischen Differenzierungen“ 53 Becker, Markus-Evangelium, 19. Vgl. a. a. O. 109. 46 Vgl. a. a. O. 65. 47 S. u. III. 48 Vgl. etwa Frickenschmidt, Evangelium, 260; Wördemann, Charakterbild, 51; Kurzmann-Penz, Fiktion. 49 S. u. IV 1.3; 9.2. 50 Vgl. Frickenschmidt, Evangelium, 360–362, mit Verweis etwa auf Plut. Nikias 2,1 (Aristoteleszitat). 51 Vgl. Becker, Markus-Evangelium, 65. 52 S. u. IV 1.4. 53 Becker, Markus-Evangelium, 19. 44 45

Standortbestimmung zwischen Biographie und Historiographie

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begegnet Becker mit der Forderung, „von einem streng literaturwissenschaftlichen Ansatz [sc. her müsse] aus prinzipiellen Gründen zwischen Biographie und Historiographie unterschieden werden“54. Denn dem häufig in diesem Sinn angeführten locus classicus zufolge, dem Vorwort zur Alexandervita Plutarchs, 55 stelle der Biograph Charakter und nicht – wie der Historiker – Taten dar; das älteste Evangelium widme sich den πράξεις Jesu und sei daher der Seite der Geschichtsschreibung zuzuordnen. 56 Zu den Ergebnissen der Biographieforschung zählen nun aber sowohl die Relativierung der vermeintlichen Selbstabgrenzung Plutarchs gegenüber der Historiographie als auch die immer differenzierter wahrgenommene Verwandtschaft von Historien- und Vitenschreibung. 57 Daher verfängt auch nicht der Vorwurf Beckers, bei einer biographischen Interpretation des Markusevangeliums blieben die geschichtstheoretischen, hermeneutisch interessanten Fragen nach „Bedingungen, Strukturen, Formen und Funktionen von ‚Geschichtsschreibung‘“ 58 ausgeblendet. Die Sperrigkeit und letztlich Unsachgemäßheit der postulierten gegenseitigen Abgrenzung der Literaturgattungen Geschichts- und Lebensbeschreibungen zeigt sich nicht zuletzt in der Tatsache, dass Becker sie selbst nicht konsequent durchhalten kann. So sprächen die nicht zu leugnenden biographischen Elemente des Markusevangeliums nicht für eine biographische Gesamtform des Textes, enthielten Geschichtswerke doch bekanntermaßen auch personenbezogene Passagen. 59 Zudem findet ein Literaturvergleich des Markusevangeliums mit an der Schnittstelle zwischen Historiographie, Biographie und Roman liegenden Texten (der Mosevita des Artapanos sowie dem Leben des Augustus von Nikolaos von Damaskus) statt. 60 Die einseitige Bevorzugung der Geschichtsschreibung als Referenzrahmen für das Markusverständnis sowie die damit verbundene Ablehnung des Biographie-Ansatzes bleibt vor diesem Hintergrund und der Feststellung, dass von einer „eindimensionalen Gattungsbestimmung“ 61 Abstand zu nehmen sei, fragwürdig. Im Hinblick auf die Erzählweise des Markusevangelisten bleibt zu überprüfen, 62 ob Beckers Behauptung, historischer Verfasser und Erzählstimme seien im Fall des Evangeliums identisch, 63 trägt, oder ob hier nicht erzählerische Inszenierungsstrategien aus dem Blick zu geraten drohen. 64 54 55 56 57 58 59 60 61 62 63 64

Ebd., Hervorhebung i. O. Vgl. Plut. Alexandros 1,1 f. Vgl. Becker, Markus-Evangelium, 19 f. S. u. III 1.; IV 1.3. Becker, Markus-Evangelium, 48. Vgl. a. a. O. 65.297–300. Vgl. a. a. O. 178–211.253–300. A. a. O. 20. S. u. IV 1.3. Vgl. Becker, Markus-Evangelium, 66.69 f.104 u. ö. S. u. IV 2.3.

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I Das Markusevangelium als biographische Erzählung – offene Fragen

Im Folgenden wird mit den Vertretern der Biographie-These von der Legitimität und Fruchtbarkeit des Biographie-Vergleichs ausgegangen, um das älteste Evangelium im Kontext biographischer Werke zu lesen. Dabei sind einerseits die inneren Probleme der bisherigen gattungsanalytischen Arbeit zu berücksichtigen. Andererseits, das lehren die der Biographie-These gegenüber kritisch eingestellten Arbeiten, sollte dabei ein Alleinerklärungsanspruch vermieden werden, der andere Einflüsse neben der antiken Biographie negiert.

2. Entstehungssituation und Pragmatik des Markusevangeliums Zu seinem Verfasser sowie zu Entstehungskontext, primär angeschriebenem Publikum und intendierter Rezeption macht das Markusvangelium keine expliziten Angaben. 65 Auch die sogenannten Seitenreferenten, die es verwenden, schweigen über die Provenienz ihrer Hauptquelle. Den bei Euseb und Irenäus überlieferten altkirchlichen Nachrichten begegnet die historisch-kritische Exegese zu Recht mit Misstrauen. 66 Sie ist daher bei ihrer Rekonstruktion einerseits auf Schlüsse angewiesen, die auf Gegebenheiten innerhalb der erzählten Welt des Evangeliums basieren – insbesondere die Bestimmung der inhaltlichen Pointe der Erzählung spielt dabei eine zentrale Rolle –, andererseits auf eine Kontextualisierung im Rahmen der allgemeinen Zeit- und der zeitgenössischen Christentumsgeschichte. Entsprechend vielfältig fallen die Ergebnisse der Rekonstruktionen aus: 67 „The question of the origin and provenance of the Gospel is far from settled“ 68. Ohne weitreichende Annahmen zur Entstehungssituation des Markusevangeliums kommen Ausleger aus, die in ihm einen für eine angeschriebene christliche Gemeinde gedachten Beitrag zur Christologie, und zwar in narrativer Form, sehen 69 oder alternativ die Profilierung des Gottesbildes als Intention ausmachen. 70 Als Reaktion auf ein innergemeindliches Problem versteht David du Toit die Erzählung. 71 Ihm zufolge leistet das Evangelium einen Beitrag zur Bewältigung der Abwesenheit Jesu nach Kreuz und Auferstehung. Bei der – im ältesten Evangelium erstmals auftretenden – spezifischen literarischen beziehungsweise erzählerischen Form setzen andere Vorschläge an. So hat nach Paul-Gerhard Klumbies der Evangelist im Sinne des in Mk 1,1 ge65

S. u. IV 1.3. S. u. V 1. 67 Genannt werden kann im Folgenden nur ein Ausschnitt aus den Beiträgen der letzten Jahre. Vgl. auch die Zusammenstellungen bei Breytenbach, Research, 23–25; Incigneri, Gospel, 30–34; Gelardini, Christus, 8–22. 68 Breytenbach, Research, 25. 69 Vgl. Schnelle, Theologie, 402 f; Rose, Theologie. 70 Vgl. Guttenberger, Gottesvorstellung. 71 Vgl. du Toit, Herr; ähnlich Blumenthal, Gott, insb. 164–166. 66

Entstehungssituation und Pragmatik des Markusevangeliums

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nannten „Anfangs“ seiner Gemeinde einen Gründungsmythos, eine insbesondere mit mythischen Zeitstrukturen arbeitende Erzählung, seiner Gemeinde vorgelegt. 72 Mit einem spezifischen zeitgeschichtlichen Hintergrund verknüpft die bereits genannte Arbeit Beckers ihre Rekonstruktion der Genese des Markusevangeliums: Anlässlich der Tempelzerstörung im Jahr 70 n. Chr., auf die Mk 13 rekurriere, lege der im syrischen Raum ansässige Verfasser einen ersten prä-historiographischen Entwurf vor, der die Geschichte des „Anfangs“ im Sinne von Mk 1,1 erzähle. 73 Auch Sandra Hübenthals auf Theorien der Prozesse kollektiver Gedächtnisarbeit beruhender Vorschlag macht die in mehrfacher Hinsicht krisenhafte Zeit der frühen Christen um 70 n. Chr. dafür verantwortlich, dass die Erinnerungen über Jesus ihre fixe schriftliche Form fanden. 74 Als narrative Christologie bringt Jan Rüggemeier das Markusevangelium erneut und unter Anwendung eines an kognitionstheoretischen Überlegungen orientierten narratologischen Zugangs ins Gespräch. 75 Das Anliegen bestehe in der Erzählung von der vorösterlichen Verkennung Jesu durch seine Mitmenschen. Anlässlich von Bedrängnissen seitens der Umwelt würden die Adressaten so an die Autorität des Erhöhten verwiesen. 76 Von zeitgenössischen Gängelungen geht auch Cilliers Breytenbach aus, demzufolge das Evangelium den Adressaten die baldige endzeitliche Errettung verheißt. 77 Während üblicherweise mit einer Abfassung des Markusevangeliums im Hinblick auf eine konkrete Adressatengruppe gerechnet wird, weiten andere Modelle den Kreis des Zielpublikums aus. So lässt die Erzählung nach Richard Bauckham und Anderen keinerlei konkrete Abfassungssituation erkennen. 78 Sie richte sich daher grundsätzlich an alle interessierten Christusgläubigen ihrer Zeit. Dass das Markusevangelium die Form der antiken Biographie aufgreife, bestätige diesen Befund: Auch biographische Werke der griechisch-römischen Literatur seien für den ‚offenen Markt‘, potentiell also für Jedermann gedacht und richteten sich auch nicht an eine geschlossene, lokal abgegrenzte Gruppe. Lorenzo Scornaienci weitet in seiner im Jahr 2016 publizierten Habilitationsschrift den Kreis der möglichen Adressaten noch weiter aus, und zwar auch auf Nicht-Christen. 79 Seiner Analyse der Streitgespräche zufolge steht der Erweis der Unschuld Jesu im Zentrum des Interesses der Erzählung. Mit ihrer Hilfe sollten sich die im Kontext des jüdisch-römischen Krieges bedrängten Christen besser gegen Vorwürfe ihrer Umwelt verteidigen. Zudem habe das 72 73 74 75 76 77 78 79

Vgl. Klumbies, Mythos. Vgl. Becker, Markus-Evangelium. Vgl. Hübenthal, Markusevangelium. Vgl. Rüggemeier, Poetik Vgl. a. a. O. 515.532. Vgl. Breytenbach, Death. S. u. II 3. Vgl. Scornaienchi, Jesus, insb. 402–404.

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I Das Markusevangelium als biographische Erzählung – offene Fragen

Markusevangelium, wenn es in die Hände von Nicht-Christen gelangt sei, als Apologie der zeitgenössischen Christusgläubigen gedient. Andere Rekonstruktionsmodelle der Entstehungssituation des Markusevangeliums verknüpfen angenommene Abfassungsorte, -zeiten und -motive. So lokalisiert Hendrika N. Roskam das Evangelium in Galiläa. 80 Das Thema der Nachfolge stehe im Zentrum der Erzählung. In ihr spiegele sich die Verfolgung der galiläischen Christen durch (nicht-christusgläubige) jüdische Autoritäten. Der erste jüdisch-römische Krieg bildet insbesondere einigen neueren Arbeiten zufolge den Entstehungs- (und aus heutiger Sicht: Interpretations-)Kontext des ältesten Evangeliums. So reflektiert es für Andreas Bedenbender das Problem, wie von dem in Mk 1,1 genannten Evangelium Jesu Christi angesichts der jüdischen Niederlage gesprochen werden könne. 81 Die Erzählung verweise in verschlüsselter Form auf die Kriegsschrecken. Mk 4,35–41; 6,45–52 beispielsweise spielten auf das von den Römern angerichtete Massaker an den auf Booten fliehenden Einwohnern des eingenommenen Tarichea an; Mk 15,40 f; 16,1 verknüpfe Jesu Tod und Auferstehung mit dem selben Ort, dessen aramäischer Name Magdala heiße. 82 Andere Erzählzüge reflektierten die Zerstörung Jerusalems. Von diesem traumatischen Erlebnis könne die Erzählung nicht offen sprechen. So verweise etwa das zerbrochene Alabastron in Mk 14,3 vor dem Hintergrund von Jer 19,1–13 auf die Vernichtung der Stadt. 83 Wiederum werde ein Zusammenhang mit Tod und Auferstehung des „Messias“ Jesus hergestellt, der Zion nicht habe retten können. An die Seite der Reflexion dieses Scheiterns Jesu stelle die Erzählung vorsichtige Hoffnungsperspektiven: etwa durch den Hinweis auf das Selbstwachsen der Saat in Mk 4,26–29 oder den gegen Ende anvisierten Neuanfang in Galiläa. 84 Andeutungen der Grenzen des erfolgreichen Wirkens Jesu wird auch die vorliegende Arbeit verfolgen, sie allerdings vor dem Hintergrund literarischer Erzählformen bedenken. 85 In welchem Maß die Markuserzählung verdeckte Anspielungen auf den jüdisch-römischen Krieg erkennen lässt und ob sich eine solche Einordnung mit der im vorliegenden Rahmen als primärem Entstehungskontext vorgeschlagenen Situation der Christen Stadtroms 86 kombinieren lässt, wäre Gegenstand weiterführender Untersuchung. Anders als Bedenbender liest Gabriella Gelardini das Markusevangelium als „Siegesbotschaft“ 87: Der im Sühnetod endende Weg Jesu, seine vermeintlich 80 81 82 83 84 85 86 87

Vgl. Roskam, Purpose. Vgl. Bedenbender, Botschaft; Ders., Messias. Vgl. Bedenbender, Messias 241–243. Vgl. a. a. O. 248 f. Vgl. a. a. O. 252. S. u. IV 8.2. S. u. V 3. Gelardini, Christus, 466.

Entstehungssituation und Pragmatik des Markusevangeliums

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gescheiterte Kampagne – erzählt im Blick auf die jüdische Niederlage – sei nur Vorbedingung der zu erwartenden Aufrichtung der weltweiten Königsherrschaft Gottes durch ihn. Jesus werde mithin als künftiger Feldherr eines „Feldzugs, der deshalb siegreich sein wird, weil der erste die Voraussetzungen dafür schuf “ 88, angekündigt. Ebenfalls im Umfeld des Kriegsendes und insbesondere des Aufstiegs der Flavier verortet schließlich eine Reihe weiterer Ausleger die Entstehung des ältesten Evangeliums. Sie gehen aber von einer Abfassung in Rom aus und blicken daher stärker auf mögliche Rezeptionsperspektiven einer stadtrömischen christlichen Adressatenschaft. 89 So bilden etwa für Adam Winn das Porträt Jesu als des machtvollen (nicht primär: des leidenden) Christus einerseits und der Aufruf zur Leidensnachfolge andererseits die thematische Mitte des Evangeliums. 90 Erstere reagiere auf die von Vespasian ausgehende Kaiserpropaganda. Zur (nötigenfalls Leidens-)Nachfolge rufe der Evangelist angesichts des Endes des jüdisch-römischen Krieges und daraus folgender anti-jüdischer und -messianischer Bedrängnisse in Rom auf. Brian J. Incigneri erkennt dagegen im Markusevangelium Erinnerungen an die Verfolgung der römischen Christen unter Nero. 91 So setzten etwa Aussagen wie Mk 8,38; 13,9–13 die Verfolgung und Verurteilung auf Grund des Christen-Namens voraus, mithin Repressalien, wie sie unter der neronischen Verfolgung drohten, aber auch in späterer Zeit, wie Plin. epist. 10,96 zeige. 92 Anlässlich des Regierungsantritts Vespasians seien unter den stadtrömischen Christen sowohl die Erinnerung an die wenige Jahre zuvor geschehene als auch die Furcht vor erneuter Verfolgung aufgekommen. Das Markusevangelium reflektiere dieses Klima der Angst und werbe für die Wiederaufnahme von lapsi. Gegen das Regime des Vespasian und des Titus drücke das Markusevangelium nicht offen, sondern in verdeckter, den Lesern aber verständlicher Form seine Kritik aus. Martin Ebner greift dieses Rekonstruktionsmodell auf. 93 Ihm zufolge bildet der bei seiner Vernehmung weitgehend schweigende und daraufhin hingerichtete markinische Jesus auf der außertextlichen Ebene das Modell für die Bekenner, der verleugnende Petrus stehe für – später zu rehabilitierende – Abgefallene und Judas für die Denunzianten in Verfolgungssituationen, wie sie unter Nero auftraten. Insgesamt verstehe sich das Markusevangelium als Gegengeschichte zum Aufstieg der Flavier, insbesondere Vespasians. 94 In der erzählerischen Form einer Biographie stelle 88

Ebd. Vgl. auch Bond, Biography, 8. 90 Vgl. Winn, Purpose. 91 Vgl. Incigneri, Gospel. 92 Vgl. a. a. O. 86.91. 93 Vgl. Ebner, Chance. 94 Vgl. Ebner, Aufstieg; vgl. auch Theißen, Evangelienschreibung; Ders., „Evangelium“; Schmidt, Wege, 297–289. 89

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I Das Markusevangelium als biographische Erzählung – offene Fragen

es Jesu Lebensweg als den eines – aus weltlicher Sicht – Scheiternden dar. Diese Kontrastparallele zur flavischen Machterlangung führe den in Rom beheimateten Adressatinnen und Adressaten als Kontrast zur zeitgenössischen ‚Aufsteigermentalität‘ das Ethos des Statusverzichts vor Augen. Innerhalb dieses rekonstruierten Rahmens ergänzt Daniel Lanzinger, dass die in Mk 14,68.72 erwähnten Hahnenschreie in spöttischer Absicht auf die Selbstinszenierung Neros als (auch Gesangs-)Künstlers anspielen könnten. 95 Während im Folgenden der literarischen Kontextualisierung des Markusevangeliums das Hauptaugenmerk gilt, ist die bis hierher skizzierte ungeklärte Provenienz und Genese des Werkes mitzubedenken. Da, wie gezeigt, beide Problemkreise Berührungen aufweisen, wird zu fragen sein, welche Erkenntnisse aus dem Textvergleich für die Erhellung der einleitungswissenschaftlichen Fragen zum Markusevangelium nutzbar gemacht werden können. 96

95 96

Vgl. Lanzinger, Petrus. S. u. V.

II Evangelium und Biographie – ein narratologischer Neuansatz 1. Die allmähliche Durchsetzung des Biographie-Vergleichs 1 1.1 Nichtliterarische Evangelien-Lektüren und ihre Wurzeln Die von der Formgeschichte pointiert vertretene nichtliterarische Lektüre der Evangelien, insbesondere des Markusevangeliums, und die damit einhergehende dezidierte Ablehnung eines ‚biographischen‘ Charakters, die die Evangelienauslegung bis weit in das 20. Jahrhundert hinein prägten, gehen auf geistes- und theologiegeschichtliche Vorläufer zurück, auf die im Folgenden einige Schlaglichter geworfen werden. Zu den Nuclei einer nichtliterarischen Lesart der Evangelien zählt das (nicht zuletzt sich an den Paulustexten orientierende) Urteil, dass unter „Evangelium“ primär das mündliche Kerygma zu verstehen sei. Seine verschriftlichten Formen – und hier insbesondere die narrativen Texte – seien grundsätzlich als sekundär anzusprechen. 2 Aus dieser Sichtweise konnte eine Bevorzugung des Johannesevangeliums sowie der Briefliteratur vor den übrigen kanonischen Schriften resultieren, galten das vierte Evangelium und die Briefe doch als besonders der theologischen Reflexion und der apostolischen Predigt nahestehend. Den Synoptikern als ‚nur‘ erzählenden Texten kam in dieser Perspektive ein geringeres Maß an Aufmerksamkeit zu. Unbeschadet der zahlreichen und keineswegs zu vernachlässigenden Perikopenauslegungen in seinen Predigten unterzieht etwa Martin Luther die ersten drei Evangelien keiner fortlaufenden Exegese und zählt sie, anders als die für ihn einschlägigen Teile der neutestamentlichen Briefliteratur sowie das vierte Evangelium, nicht zum Kern des Kanons, den er dem Christen zum möglichst täglichen Studium anempfiehlt. 3

1 Analysen und Überblicke, die Teile des im Folgenden Dargestellten beinhalten, bei Burridge, Gospels, 3–28.82–108; Collins, Mark, 22–33; Dormeyer, Evangelium; Ders., Cäsar, 29 f; Ders., Markusevangelium, 31–137; Frankemölle, Evangelium; Frickenschmidt, Evangelium, 3–76; Guelich, Genre, 188–193; Heil, Evangelium, 82–92; Keener, Christobiography, 30–33; Klumbies, Mythos, 39–59; Rose, Theologie, 70–77; Scornaienchi, Jesus, 65–70; Strecker, Literaturgeschichte, 143–148; Vines, Problem, 2–22; Walton, Gospels, 48–51; Bond, Biography, 15–37. 2 Vgl. Frankemölle, Evangelium, 1.39 f. 3 Vgl. „Vorrede auf das Neue Testament; Welches die rechten und edelsten Bücher des Neuen Testaments sind“, zit. bei Bornkamm (Hg.), Vorreden, 167–174.

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II Evangelium und Biographie – ein narratologischer Neuansatz

Dass der Idee einer durch Literaturvergleiche zu erkundenden Verwandtschaft zwischen Evangelien und paganen Werken aus ihrer Umwelt das Schicksal widerfuhr, meist nur zur Sprache zu kommen, um abgelehnt zu werden, lässt sich zwei Jahrhunderte nach Luther paradigmatisch bei einem frühen und wirkmächtigen Vertreter der nichtliterarischen, und das heißt hier auch explizit nichtbiographischen Lektüre der Evangelien beobachten: bei Johann Gottfried Herder. Der Gedanke, die Evangelien wurzelten in der mündlichen Verkündigung Jesu und der Apostel, ist auch bei ihm präsent: „Eh’ also Eins unsrer Evangelien geschrieben war, war das Evangelium da, in Ankündigungen Christi und der Apostel“ 4. Ähnlich wie bei Luther kommt man auch für Herder im Johannesevangelium dem Kerygma am nächsten. Als ältestes Evangelium bestimmt er das unter dem Namen des Markus überlieferte, das aus einem mündlichen Urevangelium hervorgegangen sei. Geschichtswert und literarisches Niveau betreffend, urteilt Herder hinsichtlich der Synoptiker: „Sind ihre Evangelien Geschichte und Biographie nach einem Ideal der Griechen und Römer? Nein. Und ein solches bei ihnen zu vermuthen, ist außer Stelle und Ort“ 5. Der Denkmöglichkeit eines Vergleichs mit antiker Literatur erteilt er eine klare Abfuhr, seien die frühchristlichen Texte doch „des ganzen Genius und ihrer Denkart und Composition wegen“ 6 kategorial von der paganen (gelehrten Hoch-) Literatur unterschieden. Explizit abgewehrt wird damit auch jede mögliche Nähe zu antiken biographischen Werken: „Der irrete aber sehr, der in ihm [sc. dem Evangelium] Sokratische Denkwürdigkeiten nach Xenophons Muster erwartete. Die Evangelisten konnten solche so wenig schreiben, als ihre Christen sie lesen mochten“ 7. Doch habe nicht allein das Fehlen entsprechender Bildungsvoraussetzungen einen literarischen Charakter der Evangelien verhindert. Für Herder entstammten Letztere insgesamt einer ganz anderen Tradition als die griechisch-römische Literatur, nämlich der vermeintlich von Umwelteinflüssen unbeeinflussten ‚Volksliteratur‘ der ‚Hebräer‘. 8 Insbesondere das schlicht gehaltene Markusevangelium sei prägnanter Ausdruck dieser NichtZugehörigkeit zur (Hoch-)Kultur und damit zur Literatur(geschichte): „Kein Evangelium hat so wenig Schriftstellerisches“ 9. Mit dem Zurücktreten der evangelischen Erzählungen hinter das vermeintlich eher andernorts anzutreffende Kerygma, ihrer Zuweisung zur volkstümlichen statt zur Hochliteratur und der Charakterisierung des Markusevangeliums als das am wenigsten ein literarisches Niveau erreichende sind die entscheidenden Voraussetzungen gegeben, die noch weit über Herder hinaus eine nicht4 5 6 7 8 9

Zit. nach Baumotte (Hg.), Frage, 33. Herder, Erlöser, 194, Hervorhebung i. O. Ebd. A. a. O. 195. Vgl. a. a. O. 196. A. a. O. 216.

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literarische Evangelienexegese etablierten. 10 Richtete Herder sich gegen den Versuch einer offenbarungskritischen ‚historischen‘ Auswertung der Evangelien bei Lessing und Reimarus 11 und bezog er sich – ohne dies im Einzelnen zu begründen – negativ explizit auf antike (historiographische und) biographische Texte, bringt Martin Kähler rund ein Jahrhundert später in einem 1882 gehaltenen Referat den Biographie-Begriff in einer für die anti-liberale Theologie seiner Zeit üblichen Weise 12 gegen die Leben-Jesu-Forschung in Stellung. Letztere wolle eine ‚Biographie‘ Jesu schreiben. Aber: „Wir besitzen keine Quellen für ein Leben Jesu, welche ein Geschichtsforscher als zuverlässige und ausreichende gelten lassen kann. Ich betone: für eine Biographie Jesu von Nazareth von dem Maßstabe heutiger geschichtlicher Wissenschaft“ 13. Zu Recht verweist Kähler auf den ausschnitthaften Charakter der evangelischen Überlieferung, die uns für eine Biographie nach heutigen Begriffen zentrale Angaben vorenthält: über die charakterliche Entwicklung, „über Jesu Schönheit oder Häßlichkeit; über sein früheres Familien- und Arbeitsleben“ 14. So berechtigt die vorgetragene Kritik an damaligen Leben-Jesu-Entwürfen grundsätzlich erscheint, führt sie auch beim ‚Bibeltheologen‘ Kähler zu einem theologischen Ausspielen des Kerygmas gegen die Evangelien und damit auch zur Nicht-Wahrnehmung ihres Eigencharakters. 15 Denn, so Kähler, neben der Gewissheit der Erlösung durch Jesu Tod und Auferstehung „brauche ich keine genaue Kenntnis von den Lebensumständen des Gekreuzigten“ 16. Obwohl explizit auf die moderne Biographie als Gegenüber bezogen, werden die von Kähler herangezogenen Maßstäbe in der Folge unter der Hand auf die antike Biographie übertragen, 17 um (in einem an den antiken Texten orientierten Sinn) den biographischen Charakter der Evangelien zu bestreiten. 18 Beinahe zeitgleich mit Kähler, in einem ein Jahr zuvor gehaltenen Referat, tritt bei Franz Overbeck der von Herder formulierte Gedanke des tiefen Grabens zwischen den urwüchsigen neutestamentlichen Texten und der allgemeinen (Hoch-)Literatur erneut zutage. 19 Zwar erblickt Overbeck im Evangelium „die einzige originelle Form […], mit welcher das Christentum die Literatur bereichert hat“ 20; entstanden und zu interpretieren seien die Evangelium aber

10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20

Ähnlich Keener, Christobiography, 30. Vgl. Klein, Reimarus, 146 f; Schmidt, Ehe, 297–302. Vgl. Kloppenborg, Einführung, 53. Kähler, Jesus, 21; ähnlich Jacobi/Schröter, Einführung, 184. Kähler, Jesus, 22. Vgl. von Bendemann, Jesus, 68. Kähler, Jesus, 33. Vgl. Cancik, Gattung, 94 f. S. u. 2. Vgl. Overbeck, Anfänge. A. a. O. 36.

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weitab jedes literarischen Kontexts. 21 Denn Evangelien (und Apostelgeschichte) seien christliche Urliteratur, „welche sich das Christentum so zu sagen aus eigenen Mitteln schafft, sofern sie ausschließlich auf dem Boden und den eigenen inneren Interessen der christlichen Gemeinde noch vor ihrer Vermischung mit der sie umgebenden Welt gewachsen ist“ 22. Erst mit den patristischen Schriften setze der Beginn christlicher Literatur ein. Mit seiner radikalen Abkoppelung der frühchristlichen Schriften von der antiken Literatur bereitet Overbeck den Boden für das entsprechende Programm der Formgeschichtlichen Schule. 23 In einigen zwischen der Wende zum 20. Jahrhundert und dem Beginn des Ersten Weltkriegs erscheinenden Untersuchungen zeigen sich bemerkenswerte, aber noch äußerst vorsichtige Suchbewegungen nach literarischen Vergleichsgrößen zu den Evangelien. Auf Grund der fest etablierten Auffassung vom unliterarischen Charakter der frühchristlichen Texte werden sie aber sogleich abgebrochen. Johannes Weiß etwa greift in seinem 1903 publizierten MarkusBuch auf die kurz zuvor erschienene Biographie-Geschichte Friedrich Leos 24 zurück und stellt explizit die Frage nach dem biographischen Charakter des Markusevangeliums. 25 Mit seiner indirekten Art der Darstellung durch den Bericht der Taten Jesu stehe das älteste Evangelium der in Leos – heute überholter – 26 Systematik so genannten peripatetischen Vita nahe, die in Plutarch ihren prominentesten Repräsentanten habe. 27 Sogleich führt Weiß aber in großem Stil Argumente gegen eine allzu große Nähe zur antiken Biographie an: 28 Das Markusevangelium nenne nicht Jesu Genos, halte weder Kindheitsgeschichten noch Beschreibungen des Äußeren Jesu bereit. Es fehlten weiter eine Einordnung in die allgemeine Zeitgeschichte, ein solider chronologischer Rahmen sowie eine durchgehend gestaltete Entwicklungsgeschichte der Ereignisse und des Charakters der Hauptfigur. Die Einwände gegen den biographischen Charakter weisen eine große Nähe zu modernen Biographiebegriffen auf oder orientieren sich zumindest an einer Idealform der Biographie, wie sie in den antiken Texten kaum anzutreffen ist. Sie dürften dem seinerzeitigen Generaleinwand gegen eine literaturgeschichtliche Einordnung der Evangelien, zumal des ältesten, verpflichtet sein: Im Markusevangelium sei weder eine Autorenstimme noch ein deutlicher Gestaltungsaufwand erkennbar; der Evangelist „ist kein Schriftsteller, sondern ein Aufzeichner dessen, was in irgend einer Form bereits vorhanden war“ 29. Die genannten Einwände gegen die bio21 22 23 24 25 26 27 28 29

Vgl. a. a. O. 36 f. A. a. O. 36. Vgl. Seifert, Markusschluss, 72. Vgl. Leo, Biographie. Vgl. Weiss, Evangelium. Vgl. Seifert, Markusschluss, 73 f. Vgl. Weiss, Evangelium, 12. Vgl. a. a. O. 14–22. A. a. O. 23.

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graphischen Texte der Antike als Vergleichsgrößen zum Evangelium halten jedoch, wie noch zu sehen sein wird, einer Überprüfung nicht stand. In eine ähnliche Richtung wie Weiß gehen Georg Heinrici und Paul Wendland. Auch sie werfen kurze Seitenblicke auf die antike Literatur, verneinen aber sogleich jede ernsthafte Vergleichsmöglichkeit. Heinrici urteilt im Jahr 1908, die Evangelien böten primär Sammlungen des in den Gemeinden tradierten Materials, daher seien sie „nicht abgefaßt als Litteratur“ 30. In ihnen finde sich „ein anderes als in den Denkwürdigkeiten des Sokrates oder der Lebensbeschreibung des Apollonius von Tyana oder den Philosophenbiographien des Diogenes Laertios“ 31. Aus der Abtrennung von der Literaturgeschichte folgt wie bei Overbeck die Originalität der Evangelien: Ein „neues und eigenartiges Schrifttum liegt hier vor“ 32. Wendland erwägt vier Jahre später immerhin, mögliche Analogien zur Genese der Evangelien durch Sammlung und Verarbeitung tradierten Materials könnten „bei den Griechen […] die Geschichten von Homer, von den sieben Weisen und vom Narren Aesop, Fabeln und Sinnsprüche“ 33 sein. Doch einen weiterführenden Literaturvergleich verhindert auch bei Wendland die Geringschätzung der gestalterischen Kraft des Markusevangelisten: „Mc ist […] Sammler und Redaktor […] Eine schriftstellerische Individualität ist er nicht […] Er hat keinen ausgeprägten theologischen Standpunkt“ 34. Von den im deutschsprachigen Raum gängigen Standardargumenten gegen einen biographischen Charakter der Evangelien weit weniger beeinflusst, stellt der US-Amerikaner Clyde W. Votaw in einem im Jahr 1915 publizierten Beitrag Überlegungen zu den Evangelien im Kontext der antiken Literatur an. 35 Zwar hält auch er die Evangelien für unliterarische Werke, die nicht historiographisch von Jesus berichteten, sondern Anschauungsmaterial für die christliche Predigt lieferten; 36 auf die Suche nach paganen Vergleichsgrößen begibt sich Votaw dennoch. Er macht sie in so genannten populären Viten aus. Dabei sei an Arrians Epiktet, Philostrats Apollonius von Tyana sowie an die Sokratestraditionen bei Plato und Xenophon zu denken. Die Genannten schrieben keine Geschichte, sondern veranschaulichten auf allgemeinverständliche Weise die Lehre der Porträtierten und glichen darin den Evangelien. Auch wenn man aus heutiger Sicht kritisieren kann, dass weniger Texte als vielmehr die jeweiligen Hauptfiguren der paganen Viten mit dem Jesus der Evangelien verglichen wer-

30 31 32 33 34 35 36

Heinrici, Charakter, 25. A. a. O. 25. A. a. O. 48. Wendland, Literaturfomen, 266. A. a. O. 267. Vgl. Votaw, Gospels. Vgl. a. a. O. 46.

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den, 37 ist immerhin anzuerkennen, dass Votaw den Boden für die Akzeptanz des Evangelien-Biographie-Vergleichs im englischsprachigen Raum bereitete. In der deutschsprachigen Exegese kamen dagegen die angesammelten Begründungsmuster einer nichtliterarischen Charakterisierung der Evangelien bei den Vertretern der formgeschichtlichen Schule zu voller Entfaltung. Für ihre Hinwendung zu den in den Evangelien enthaltenen „kleinen Einheiten“ zu Ungunsten der Wahrnehmung der Texte in ihrer Gesamtform griff man auf die mindestens seit Herder vorgenommene Zuweisung der im bildungsfernen Milieu entstandenen frühchristlichen Texte zum ‚Volkstümlichen‘ statt zur Literatur zurück. 38 Für Martin Dibelius etwa handelte es sich bei den Christen der neutestamentlichen Zeit um „unliterarische[] Menschen“ 39, denen man eine „eigentlich schriftstellerische Tätigkeit nicht zutrauen“ 40 sollte. Seine erstmals im Jahr 1919 publizierte Formgeschichte nimmt die Evangelien kaum als Gesamtwerke wahr, sondern konzentriert sich auf die, wie der Autor betont, im Kontext der Predigt geprägten Einzelüberlieferungen. Ausschließlich für sie wird auch nach außerchristlichen Analogien gesucht. 41 Innere Architektur und Strukturen der Markuserzählung stellt Dibelius zwar heraus, 42 ein literarischer – und damit einhergehend als biographisch bezeichneter – Charakter des ältesten Evangeliums wird jedoch verneint. Als Beweis gilt Dibelius die Traditionsgebundenheit des Markusevangelisten. Er rezipiere ältere Sammlungen. Da in der Tradition kein anderes Material greifbar gewesen sei, wähle er etwa mit Mk 1,9–11 einen unvermittelten Einstieg in die Erzählung: „Man sieht, in welchem Grade dieses Evangelium noch unliterarisch ist; ein Schriftsteller würde eine biographische Einführung geben, wie es schon Lukas auf seine Weise 3 1 ff. versucht“ 43. Mit diesem gängigen, auf spezifischen Vorstellungen der idealen Entsprechung von Gattungsvorgaben beruhenden Einwand werden biographischer Charakter sowie die Literarizität insgesamt negiert und wird ein Vergleich mit nichtchristlicher Literatur von vornherein verhindert. 44 Auch Rudolf Bultmanns „Geschichte“ 45 aus dem Jahr 1921 widmet sich den „Einzelstücke[n] der Tradition“ 46. Er folgt der formgeschichtlichen GrundaufVgl. Vines, Problem, 5. Vgl. zum Bildungsniveau des Frühchristentums Schnelle, Christentum, 113–115. 39 Dibelius, Formgeschichte, 9. 40 Ebd. 41 Vgl. a. a. O. 130–178. 42 Vgl. a. a. O. 219–234. 43 A. a. O. 233. 44 Dibelius berichtet autobiographisch von seiner intensiven Beschäftigung mit zeitgenössischer und älterer deutscher Literatur, die ihm zu Interesse an Stil und Ästhetik verholfen und ihn dann auch im Rahmen der Arbeit an der neutestamentlichen Formgeschichte zu seiner Einschätzung des Frühen Christentums und seiner Schriften als ‚unliterarisch‘ gebracht habe (vgl. Bringeland, Religion, 184 f). 45 Vgl. Bultmann, Geschichte. 46 A. a. O. 4, i. O. hervorgehoben. 37 38

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fassung, dass ein Text wie das Markusevangelium keine „wissenschaftlich-biographische“ 47, das heißt historiographische beziehungsweise literarische Arbeit leiste. Zwar erkennt Bultmann an, dass Markus eine Verbindung des Kerygmas und der Sammlung der Traditionen über Jesu Erdenwirken schaffe. 48 Doch der Gesamtform mangele es an literarischem Können beziehungsweise Wollen: „Mk ist eben noch nicht in dem Maße Herr über den Stoff geworden, daß er eine Gliederung wagen könnte“ 49. Seine Charakteristik beziehe das älteste Evangelium aus dem urchristlichen Kerygma, nicht aus einer Einbettung in einen literarischen Kontext. 50 Hinsichtlich literarischer Parallelen scheide die hellenistische Biographie aus, fehlt den Evangelien laut Bultmanns – von den Vorgängern geprägten – Biographie-Begriff doch „das historisch-biographische Interesse, und sie berichten deshalb nichts von Jesu menschlicher Persönlichkeit, seiner Erscheinung und seinem Charakter, seiner Herkunft, Bildung und Entwicklung; ganz abgesehen davon, daß sie nicht über die für die hohe Literatur ausgebildete Kompositionstechnik verfügen und die Persönlichkeit ihrer Verfasser nicht hervortreten lassen“ 51. Als nächste literarische Verwandte der Evangelien seien allenfalls der sogenannten „Kleinliteratur“ angehörige Traditionen wie die über Äsop, Philostrats Apolloniusvita oder die aramäische Achiqar-Erzählung auszumachen. 52 Ein eingehender Vergleich unterbleibt freilich, zumal die Analogien im Hinblick auf „das Evangelium als Ganzes“ 53 von keinem weiterführenden Wert seien. In einem bekannten Aufsatz aus dem Jahr 1923 weist Karl Ludwig Schmidt den Evangelien eine spezifische Stellung innerhalb (besser: außerhalb) der Geschichte der Literatur zu. 54 Gleich eingangs setzt er sich mit den bisherigen, ohnehin im Stadium eines Denkansatzes verbliebenen Biographie-Vergleichen kritisch auseinander. Eine lose äußere Ähnlichkeit der Evangelien mit antiken Biographien sei nicht zu bestreiten. Daher komme man bei der Suche nach literarischen Vergleichsgrößen „[b]egreiflicherweise“ 55 auf den Bios. Allein da es sich bei den Verfassern der Viten um „Schriftstellerpersönlichkeiten“ 56 handele und bei den Evangelisten nicht, reiche das Verwandtschaftsverhältnis von unliterarischen Evangelien und der der Hochliteratur angehörenden Biographie über den genannten Punkt nicht hinaus. Der von Votaw vorgeschlagene Text-

47 48 49 50 51 52 53 54 55 56

A. a. O. 362. Vgl. a. a. O. 372 f. A. a. O. 375. Vgl. a. a. O. 396. A. a. O. 397; dazu auch Reiser, Porträts, 17. Vgl. Bultmann, Geschichte, 398. A. a. O. 399. Vgl. Schmidt, Stellung. A. a. O. 126. A. a. O. 127.

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vergleich sei daher eine Unmöglichkeit. 57 Zwar ähnelten sich, wie Johannes Weiß und Heinrici erwogen hatten, die Evangelien und die Philosophenviten des Diogenes Laertios oder Xenophons Denkwürdigkeiten hinsichtlich der Arbeitsweise, indem sie traditionelles Material mehr oder weniger konsistent in einen allenfalls lockeren Rahmen stellten. Doch bei Letzteren handele es sich dabei um ein bewusstes Gestaltungsmuster, bei den Evangelien hingegen um das im Rahmen ihrer beschränkten Mittel allein Mögliche. Ein höheres literarisches Niveau hätten die Evangelienverfasser nicht zu erreichen vermocht. 58 Ähnlich verhalte es sich bei der ebenfalls von Weiß ins Gespräch gebrachten – und vom Autor sogleich zurückgenommenen – Verbindung der indirekten Charakterisierung der Hauptfigur der peripatetischen Biographie mit der zurückhaltenden Darstellungsweise des Markusevangeliums, bei welcher der ‚Charakter‘ Jesu ebenfalls nur indirekt zu erschließen sei. Was in den peripatetischen Viten als literarisches Mittel gebraucht werde, sei im ältesten Evangelium unbewusst als „etwas von selbst Gewachsenes“ 59 entstanden. Apodiktisch urteilt daher Schmidt, wie es auch Herder bereits getan hatte: Die „Frage, ob Markus in der Linie der peripatetischen Biographie steht, darf nicht gestellt werden; sie ist für die Erkenntnis der Evangelien schlechterdings unfruchtbar“ 60. Für Schmidt bleibt es dabei: Die Evangelien sind kategorial von der antiken Literatur getrennt, sei sie biographischer, sei sie sonstiger historiographischer Art. 61 Klar erkennbar ist der Versuch, die Ansätze eines Literaturvergleichs von vornherein als verfehlt zu erweisen. Auf die Suche nach Erklärungen, wie und in welchem literarischen Kontext die Gestalt der Erzählevangelien entstand, lässt Schmidt sich nicht ein. Im Gefolge Herders erkennt er kollektive Prozesse hinter den Evangelien: Fungiert habe das „Volk als Gemeinde [als] Träger und Schöpfer der Überlieferung“ 62. Entstanden seien so „kultische Volksbücher, aber auch volkstümliche Kultbücher“ 63, aber eben nicht literarische Werke. Dem Evangelien-Literatur-Vergleich lastet Schmidt an, er gehe auf ein Re-Historisierungsstreben zurück. Der Geschichtswert der Evangelien solle durch eine literarische Charakterisierung gehoben und nutzbar gemacht werden. 64 Der Theologie stelle sich jedoch nicht eigentlich die Frage nach „Form und Inhalt“ 65 von Texten, sondern nach „Gott und Welt, nach Christentum und Kultur“ 66. 57 58 59 60 61 62 63 64 65 66

Vgl. ebd. Vgl. a. a. O. 129–131. A. a. O. 138. A. a. O. 138. Vgl. a. a. O. 129 f.137. A. a. O. 215. Ebd., Hervorhebung i. O. Vgl. a. a. O. 217. A. a. O. 228. Ebd.

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Die damalige literarische Bewertung der Evangelien innerhalb der Bibelwissenschaft ähnelt in verblüffender Weise dem auf altphilologischer Seite ausgesprochenen Urteil über antike Biographien. 67 Friedrich Leo, der 1901 die erste grundlegende Untersuchung der antiken Biographie überhaupt vorlegte, attestiert etwa Plutarchs biographischen Werken sowohl das Bemühen um die Benutzung von historischen Quellen als auch einen gewissen Charme der Darstellung. 68 Doch mangele es ihnen an einer „einheitlich gerichtete[n] Technik der Stoffsammlung und Bearbeitung“ 69; eine Bewertung, die an Bultmanns Markus-Diktum erinnert. In ähnlicher Weise warf die altphilologische Forschung des 19. Jahrhunderts Sueton vor, über seine Hauptfiguren nur Fragmente zusammenzutragen, ohne eine Gesamterzählung disponieren zu können; weiter, dass er nicht die Persönlichkeit und Entwicklung des Porträtierten charakterisiere. 70

1.2 Gegenstimmen und alternative Vorschläge In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts nehmen zuerst die US-Amerikaner Moses Hadas und Morton Smith den dünnen Faden eines Evangelien-Biographie-Vergleichs mit ihrem Bezug des Lukasevangeliums auf die (vermeintliche 71) Gattung der Aretalogie, zu der sie die Pythagorasviten von Iamblichos und Porphyrus, Philostrats Apollonius, aber auch Philos De Vita Mosis hinzuzählen. 72 Eine innerhalb des deutschsprachigen Raums erste vorsichtige, angesichts der damaligen Forschungslage aber bemerkenswerte Annäherung an einen Evangelien-Literatur-Vergleich wagt Dietmar Eßer im Jahr 1969: Für die Entstehung des Markusevangeliums sei „der Übergang des christlichen Kerygmas in den hellenistischen Raum wegen der dort vorhandenen biographischen literarischen Tradition von hoher Bedeutung“ 73. Von einem biographischen Charakter im engeren Sinn will der Autor allerdings nur beim Evangelium nach Matthäus und Lukas sprechen. 74 Zur Überwindung der durch die Formgeschichte aufgestellten Hindernisse auf dem Weg zu einer literaturgeschichtlichen Einordnung der Evangelien leisten in den 1970er-Jahren der Brite Graham N. Stanton und der US-Amerikaner Charles H. Talbert wichtige Beiträge. Stanton rehabilitiert gegen die Formgeschichte den Motivvergleich mit der βίος-Literatur. 75 Dass die Evangelien kein belastbares chronologisches Gerüst aufwiesen und keine Entwicklung des Charakters Jesu im strikten Sinne darstellten, seien nicht länger Hindernisse für 67

Vgl. Duff, Exploring, 3–9; Lamberton, Plutarch, 14; Frickenschmidt, Evangelium,

32 f. Vgl. Leo, Geschichte, 155. A. a. O. 156; ähnlich Jones, Plutarch, 82–85. 70 Dagegen argumentiert Steidle, Sueton, 1 f. 71 Vgl. Frickenschmidt, Evangelium, 48. Zur Typologie des θεῖος ἀνήρ jetzt auch Schorn, Biographie (Manuskript), 2 f. 72 Vgl. Hadas/Smith, Heroes, 57–66. 73 Esser, Studien, 146 f. 74 Vgl. a. a. O. 150.155. 75 Vgl. Stanton, Jesus of Nazareth, 117–136. 68 69

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einen Literaturvergleich; vielmehr ließen sich zur Erzählweise der Evangelisten Analogien in der Biographie-Literatur aufweisen. Für das Frühjudentum sieht Stanton ein Null-Ergebnis: Biographisches Erzählen sei in diesem Bereich fremd. In Bezug auf ihre Erzählweise hätten sich die Evangelisten hier nicht orientieren können. Talbert leistete weitere Beiträge für die Etablierung der Biographie-These. Er konzentriert sich vor allem auf die Figurenanalyse und stellt Querverbindungen zwischen dem Jesus der Evangelien und dem Theios Aner der hellenistischen Biographien her, eines Sterblichen, der auf Grund seiner Leistungen nach seiner Wirksamkeit mittels einer Himmelfahrt unter die Götter aufgenommen wird. 76 Zudem erkennt Talbert Analogien zwischen dem zweigeteilten lukanischen Werk und der bei Diogenes Laertios immer wieder begegnenden Abfolge der Biographie eines schulgründenden Philsosophen und der einiger seiner Nachfolger. 77

1.3 Biographische Markus-Lektüren seit den 1980er-Jahren Die literarische Einordnung der Evangelienform setzt seit der Etablierung der Zwei-Quellen-Theorie naturgemäß beim ältesten, dem Markusevangelium an, um von hier aus Entwicklungslinien zu den späteren Evangelien zu ziehen. 78 Die durch die Formgeschichte eingeprägte Ablehnung eines biographischen Charakters und einer literarischen Einordnung insbesondere des Markusevangeliums hielt jedoch im deutschsprachigen Raum bis weit in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts hinein vor. Dieter Lührmann stellt im Jahr 1977 fest: „Den Begriff ‚Biographie‘ in der Evangelienforschung zu verwenden, ist verpönt“ 79. In Weiterführung des Ansatzes von Klaus Baltzer 80 sieht Lührmann seinerseits in der ‚Biographie‘ des leidenden Gerechten 81 den Wurzelboden des Markusevangeliums, ohne damit eine Erklärung der narrativen Form des ältesten Evangeliums oder eine Verhältnisbestimmung zum griechisch-römischen Bios anzustreben. 82 Der im Jahr 1983 publizierte, auf ein Tübinger Symposium zurückgehende Band „Das Evangelium und die Evangelien“ 83 spiegelt das langsam erwachende Interesse an einer literatur- beziehungsweise biographiegeschichtlichen Stand76 Vgl. Talbert, Gospels. Zur Kritik Aune, Problem; Burridge, Gospels, 81 f; Seifert, Markusschluss, 85 (Talbert argumentiere nur via negationis). Zum Problem des „Göttlichen Menschen“ s. u. Anm. 106. 77 Vgl. Talbert, Patterns, 125–136. 78 Vgl. Dormeyer, Markusevangelium, 35. 79 Lührmann, Biographie, 33. Vgl. auch die Ablehnung der Biographie-These mit den klassischen Argumenten bei Bornkamm, Bibel, 40–43; Kümmel, Einleitung, 12 f. 80 Vgl. Baltzer, Biographie. 81 Vgl. Konfessionen Jeremias; Sap 2,12–20. 82 Vgl. insbesondere Lührmann, Biographie, 35 Anm. 65. 83 Vgl. Stuhlmacher (Hg.), Evangelium.

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ortbestimmung der Evangelien wider. In seinem einleitenden Beitrag führt der Herausgeber Peter Stuhlmacher aber in der Tradition der formgeschichtlichen Lesart die Struktur des Markusevangeliums noch auf das in Act 10,36–43 überlieferte vorlukanische Predigtschema zurück. 84 In diese Richtung geht auch Robert Guelichs Beitrag. 85 Nach seiner Analyse der bisherigen Arbeiten zum Problem gesteht Guelich zu, allgemeine Ähnlichkeiten zwischen den auf Jesus konzentrierten Evangelien und den auf ihre jeweilige Hauptfigur hin fokussierten Bioi könnten festgestellt werden. 86 Kritisch merkt er aber an, 87 die Diskussion habe noch keine Einigung darüber erbracht, mit welchem Zweig der antiken Biographie – etwa der enkomiastischen oder der sogenannten populären – sich die Evangelien vergleichen ließen. Das Problem ist innerhalb gattungsorientierter Literaturvergleiche bis heute nicht geklärt. 88 Aufgeschlossen für die Evangelien-Biographie-Hypothese präsentiert sich dagegen Martin Hengel: „Die Hörer des Markusevangeliums und der nachfolgenden Evangelien haben diese nie anders als im Sinne von einzigartigen ‚Biographien‘ verstanden […] Daß die Evangelien eine literarische ‚Gattung‘ von ganz neuer und besonderer Art seien, hat in der Antike niemand gedacht“ 89. Parallelen zur episodischen Erzählweise und der ausführlichen Sterbensgeschichte sieht Hengel in paganen Viten, etwa bei Plutarch, aber auch im Frühjudentum, beispielsweise in Philos Mosevita, ohne jedoch detaillierte Textvergleiche durchzuführen. In eine ähnliche Richtung geht von altphilologischer Seite aus Albrecht Dihle. Er versteht die Evangelien als eigenständigen Zweig am Baum der antiken Biographie. 90 Die nächsten literarischen Verwandten der Evangelien sieht Dihle ausschließlich in der römischen Vita, etwa bei Sueton. Auffällig und problematisch ist sein Begründungsmuster, das so nicht durchzuhaltende Dichotomien voraussetzt: 91 Die griechische Biographie sei von der Annahme einer festen kosmischen Ordnung geprägt, wie etwa Plutarch erkennen lasse; die lateinische Vita weise dagegen Affinität zu den Geschichtsläufen auf, was zu dem in der Geschichte wirkenden Gott Israels passe. 92 Im Rahmen seiner 1984 veröffentlichten Gegenüberstellung von Makro- und Mikroformen in der neutestamentlichen und der griechisch-römischen Literatur erhärtet Klaus Berger die Biographie-These. 93 Aus heutiger Sicht zu hinter-

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Vgl. Ders., Thema, 26. Vgl. Guelich, Genre, 204–219. Vgl. a. a. O. 188–193. Vgl. a. a. O. 191. S. u. 2. Hengel, Probleme, 224. Vgl. Dihle, Evangelien, 383–385. Dazu s. u. III 1.; IV 1.3. Vgl. Dihle, Evangelien, 407. Vgl. Berger, Gattungen; vgl. auch Ders., Formgeschichte, 346–357.

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fragen sind Bergers Kategorisierungen: 94 Das älteste Evangelium sei am populären Bios und der Philosophenvita orientiert; Matthäus- und Lukasevangelium an der politischen Biographie. 95 Innerhalb der in den 1980er-Jahren im deutschsprachigen Raum stattfindenden Diskussion meldet sich von altphilologischer Seite Hubert Cancik in einem von ihm im Jahr 1984 herausgegebenen Band zu Wort. 96 Zunächst erweist er die seinerzeit nach wie vor von Bibelexegeten vorgebrachten Argumente gegen den Bios-Charakter speziell des Markusevangeliums (wie die mangelnde Schilderung des Lebenslaufes oder der inneren Entwicklung Jesu) unter Verweis auf einige Gegebenheiten der antiken Biographie-Literatur als grobe Anachronismen: „Diesen Behauptungen liegt eine moderne Vorstellung von Biographie zugrunde, die mit der antiken nichts gemein hat“ 97. Der episodische Stil des Markusevangeliums, seine Konzentration auf die Person Jesu, deren Darstellung in Worten und Taten, das breiten Raum einnehmende Lebensende („[d]as Porträt entstand aus der Totenmaske“ 98) erlauben für Cancik nur einen Schluss: „Die hellenischen und römischen Leser des Markus werden sein Evangelium als Biographie Jesu gelesen haben, wenn auch als eine ziemlich exotische“ 99. Ungewöhnlich sei griechisch-römischen Rezipientinnen und Rezipienten alles aus der alttestamentlich-frühjüdischen Tradition Geschöpfte erschienen, etwa die Bezugnahmen auf Psalm 22 in der Passionsgeschichte oder die prophetischen Züge des Jesusbildes. 100 Zudem weist Cancik auf Strukturparallelen zwischen der Sterbensgeschichte Neros bei Sueton sowie Lukians Demonax und dem Markusevangelium hin. 101 David E. Aune bündelt nach Vorarbeiten seine Ergebnisse in einem im Jahr 1987 erschienen Werk zum Neuen Testament innerhalb der antiken Literatur. 102 Dass die Evangelien hinsichtlich ihrer literarischen Form die antike Biographie nutzen und mit eigenem Inhalt füllen, wie es etwa das 2. Makkabäerbuch mit der Geschichtsschreibung vormacht, setzt Aune voraus, um zu untersuchen, welcher Subtyp der antiken Biographie das Gegenüber zu den Evangelien darstellt. 103 Zu den in den Evangelien vorherrschenden Formen wie Wundergeschichte, Streitgespräch, Genealogie und Sterbensgeschichte ließen sich jeweils Äquivalente in der antiken Biographie-Literatur benennen. 104 Statt 94 95 96 97 98 99 100 101 102 103 104

Vgl. Frickenschmidt, Evangelium, 60 f. Vgl. Berger, Gattungen, 1242 f; vgl. zum Thema auch Ders., Diskussion. Vgl. Cancik, Gattung. A. a. O. 95. A. a. O. 96. Ebd. Vgl. a. a. O. 96–104. S. u. IV 9.3.3. Vgl. a. a. O. 104–110; Cancik, Bios. Vgl. Aune, Testament. Vgl. a. a. O. 22 f. Vgl. a. a. O. 50–54.

Probleme der historischen Gattungsanalyse

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seinen Charakter darzustellen, wie es in den paganen Bioi geschieht, werde Jesus von den Evangelisten vor dem Hintergrund frühjüdischer Endzeiterwartungen porträtiert. 105 Die größte Nähe bestünde zu den Viten sogenannter göttlicher Menschen bei Philostrat, Porphyrios und Iamblich. 106 Sprachlich seien die Evangelien mit ‚populären‘ Viten wie den Homer- und Äsopleben vergleichbar. Bei den Evangelien handele es sich um – primär in inhaltlicher Sicht – für eigene Zwecke angepasste Viten, mithin um einen eigenständigen Subtyp der antiken Biographie. 107 In einem späteren Beitrag aus dem Jahr 2011 erklärt Aune, ohne dies im Einzelnen anhand von Textarbeit zu illustrieren, diese Sonderstellung innerhalb der antiken Biographie mit der Annahme, der älteste Evangelist habe die Form der griechisch-römischen Vita bewusst parodierend aufgenommen, um dort gängige Wertvorstellungen in Frage zu stellen. 108

2. Probleme der historischen Gattungsanalyse Nach den in den 1960er-Jahren begonnenen und kaum vor den 80er-Jahren intensivierten Vorarbeiten nehmen sich im Folgejahrzehnt zwei Arbeiten eine neue Begründung der Biographie-These vor. Letztere müsse nicht nur von einer mehr oder weniger engen Verwandtschaft zwischen Evangelien und Biographien ausgehen, sondern auf die Gattungszugehörigkeit der Evangelien zur antiken Biographie hin zugespitzt werden. Die erste auf die (kanonischen) Evangelien im Bios-Vergleich konzentrierte Monographie legt Richard Burridge im Jahr 1992 vor, der inzwischen zwei überarbeitete Fassungen folgten. 109 Literaturgattungen versteht sie als Set von Konventionen, die die Kommunikation zwischen Autor und Leser erleichtern. Genres veränderten sich im Laufe der Zeit, wobei frühere Entwicklungsstadien durch neue nicht beseitigt, sondern ergänzt würden. Neue Gattungen entstünden nie ex nihilo, sondern stets durch die Kombination vorhandener Gattungselemente. Daher sei auch die Rede von einer Gattung sui generis, wie sie die Vertreter der Formgeschichte führten, schon aus theoretischen Gründen heraus unsinnig. Ohnehin weise kein Text gattungsmäßig eine reine Form auf, sondern nehme immer Anleihen bei unterschiedlichen Gattungsmustern. 110 Schließlich 105

Vgl. a. a. O. 54–59. Du Toit, ANTHROPOS, zeigt, dass sich eine feste Vorstellung vom „göttlichen Menschen“ im Sinne eines übermenschlichen Charismatikers nicht belegen lässt. Als „göttliche Menschen“ gelten vielmehr Garanten philosophischer Traditionen oder ethisch Hochstehende (vgl. zusammenfassend a. a. O. 403). 107 Vgl. Aune, Testament, 46. 108 Vgl. Aune, Genre, 168 f. 109 Vgl. Burridge, Gospels; auch Ders., Genres; Ders., Reading. Zu Burridges Wirkung auf dem Feld der Evangelien-Biographie-Forschung vgl. Walton, Gospels. 110 Vgl. Burridge, Gospels, 26–54. 106

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sei die Gattungsanalyse unverzichtbar auch für die historische Interpretation eines Textes: „Before we can understand the meaning of a text, we must master its genre. Genre will then be our guide to help us re-construct the original meaning“ 111. Der nächste Abschnitt enthält neben einem Überblick über die erhaltene Biographieliteratur eine Beschäftigung mit einigen ihrer Probleme. So halte die antike Gattungstheorie keine fixe Definition der Biographie bereit. Auch die bekannte moderne Verlegenheitslösung, Biographie sei die Darstellung eines Menschenlebens von Geburt bis Tod, 112 definiere die Gattung nicht trennscharf. Wo die Grenze zwischen biographieaffinen Erzählungen und eigenständigen Viten zu ziehen ist, bleibe daher bisweilen unklar. Der Mangel an interpretatorischer Abgrenzung gehe nicht zuletzt auf die Beschaffenheit der Quellentexte zurück. Der Bios sei zwischen Historiographie und Enkomion angesiedelt und nehme bei beiden Anleihen. Die Selbstabgrenzung Plutarchs und Suetons gegenüber der Geschichtsschreibung greife weit weniger aus als üblicherweise angenommen. Sie markiere vor allem Prinzipien der Stoffauswahl. Ein grundsätzlicher Graben zur Historiographie werde nicht gezogen. Schließlich erlaube die Biographie erhebliche Spielräume bei der jeweiligen Schwerpunktsetzung, selbst innerhalb des Werkes ein und desselben Autors. 113 Burridges eigener Textvergleich zwischen kanonischen Evangelien und paganen Biographien konzentriert sich auf folgende Gattungselemente: a) Eröffnungswendungen, b) die zentrale Rolle des Themas, das heißt des Porträts der Hauptfigur, sowie die Gewichtung der einzelnen dargestellten Lebensphasen, c) formale Elemente wie Länge, Struktur oder Quellenbenutzung, d) innere Momente wie der Gebrauch gängiger Topoi oder der Erzählstil. 114 Auf die genannten Elemente hin werden exemplarisch ausgewählte Biographien untersucht. Fünf liegen den Evangelien zeitlich voraus: der Evagoras des Isokrates, Xenophons Agesilaos, die Euripides-Vita des Satyrus, das Atticusleben des Nepos, Philos Mosevita. Ebenso viele sind jünger als die Evangelien: die Agricolavita des Tacitus, Plutarchs Cato Minor, Suetons Cäsaren, Lukians Demonax, Philostrats Apolloniusleben. Folgende Ergebnisse werden notiert: 115 Ad a) Als Titel dient meist der Name des Porträtierten oder eine Wendung wie „Leben des […]“. Manche Viten beginnen mit einleitenden Passagen, in denen oft der Biograph sein Vorgehen erläutert. Ad b) Die Hauptfigur des Bios regiert mit Abstand die meisten Verben innerhalb des Textes. Keine andere Textsorte, etwa das Epos, weist eine vergleichbare Personenkonzentration auf der grammatischen Ebene auf wie die Biographie. Hinsichtlich der Gewichtung der Textabschnitte 111 112 113 114 115

A. a. O. 53. Dazu s. u. III 1. Vgl. Burridge, Gospels, 55–81. Vgl. a. a. O. 109–127. Vgl. a. a. O. 128–189.

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bestehen große Gestaltungsfreiräume. Entweder erfährt jede Lebensphase mehr oder weniger ähnlich intensive Beachtung oder einzelne Abschnitte erhalten ein deutliches Übergewicht. Ad c) Bioi umfassen oft 6 000 bis 10 000 Wörter, so dass in der Regel bis zu drei Texte auf einer Schriftrolle Platz finden. Ausnahmen bilden kürzere Viten, die als Teil von Serien entstanden, oder besonders umfangreiche, sich über mehrere Rollen erstreckende Werke. Folgende Struktur liegt den Viten zu Grunde: (meist) Prolog – Genos, Geburt, Ausbildung (teils äußerst knapp) – in grundsätzlich chronologischer Reihenfolge angeordnete Anekdoten und Logien stellen indirekt den Charakter dar, gegebenenfalls unter Einfügung thematisch gruppierter Passagen – letzte Lebensphase. Hinsichtlich der Produktionsbedingungen ist zu beobachten, dass die Autoren Quellen zu Grunde legten. Ad d) Zu den häufig wiederkehrenden Topoi zählen unter anderem Angaben zum familiären Hintergrund, zu Tugenden und großen Taten, zu den Todesumständen und der postumen Nachwirkung. Stilistisch überwiegt ein anspruchsvolles Niveau. Es begegnen sowohl offiziös klingende enkomiastische als auch lockerere, unterhaltsamere Tonlagen. Abgesehen von Philos Mosevita bewegen sich die Helden vom sozialen Setting her naturgemäß in elitären Kreisen. Hinsichtlich der Abfassungsintentionen begegnet eine Vielfalt von Orientierungen: enkomiastische, pädagogische, unterhaltsame bis hin zu apologetischen und polemischen Orientierungen. Anhand der gleichen Kategorien untersucht Burridge nun die Evangelien, um sie auf ihren Biographie-Charakter hin zu befragen. 116 So zeichnen aus seiner Sicht folgende Gegbenheiten die synoptischen Evangelien in die Biographie-Familie ein: Ad a) Ob „Evangelium“ in Mk 1,1 beziehungsweise der lukanische Prolog unmittelbar auf einen biographischen Charakter hindeuten, ist unsicher. Die Varianz bei den jeweiligen Erzähleinstiegen – Zitatcluster, Genealogie, Prolog, Kindheitsgeschichten – entspricht aber sicher den bei Bioi üblichen Gestaltungsunterschieden. Die Nennung des Namens des Protagonisten in den jeweiligen Eingangspassagen der Evangelien ist biographietypisch. Ad b) Wie in den untersuchten Viten ist die Hauptfigur Jesus grammatisch und inhaltlich Subjekt der mit Abstand meisten Sätze: Rund ein Viertel der Verben beziehen sich auf Jesus; nur geringfügig seltener wird direkte Rede aus seinem Mund erzählt. Die übrigen Figuren bestimmen einen wesentlich geringeren Anteil der Verben, als nächstes die Gruppen der Schüler sowie der Interaktionspartner Jesu mit jeweils etwa einem Zehntel. Auch was die Schwerpunktbildung angeht, etwa bei Reden oder der Passionsgeschichte, entsprechen die Evangelien dem in der Biographie Üblichen. Ad c) Mit rund 11 000 Wörtern des Markusevangeliums sowie knapp 20 000 des Matthäus- bzw. des Lukasevangeliums liegen die Evangelientexte innerhalb gängiger Biographieumfänge. Wie antike Viten ordnen sie Anekdoten, Summarien, Logien und Reden vorwiegend chronologisch, dazwischen auch thematisch an. Ebenso lassen sie die Verwendung schriftlichen Quellenmaterials erkennen. Ihre Art der indirekten Charakterdarstellung durch Taten und Aussprüche hat in den antiken Biographien ihr Pendant. Ad d) Topoi wie Kindheits- oder Sterbensgeschichten sind zweifellos biographisch. Wie ein Biographie-Protagonist vollbringt Jesus Taten, etwa Heilungen, und setzt sich erfolgreich mit Gegnern auseinander. Seine Tugenden werden indirekt gezeigt: Er empfindet Mitleid oder reagiert schlagfertig. 117 Stilistisch passen die Evangelien zur hellenistischen Biographie. Selbst der schlichte Stil des Markusevangeliums hat Analogien, etwa im Alexanderroman. Die Evangelien stellen Jesus zwar als Individuum in den Mittelpunkt, beschreiben ihn in gewisser Hin116 117

Vgl. a. a. O. 191–218. Vgl. Mk 1,41; 6,34; 12,17.

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sicht jedoch auch mit Hilfe eigener Stereotypen, etwa mit rätselhaften Zügen bei Markus oder als in besonderer Weise Menschen zugewandt im Lukasevangelium. Die Evangelien richteten sich an sozial schlechter gestellte Adressaten als manche pagane Bioi, doch lassen sich auch Letztere nicht ausschließlich gesellschaftlichen Eliten zuordnen. Schließlich weisen die Evangelien ähnliche Wirkabsichten wie die griechisch-römischen Viten auf: etwa die Einladung zur imitatio im Matthäusevangelium, die Bündelung von Berichten mit durchaus unterhaltsamen Zügen im Lukasevangelium.

Im Ganzen kommt Burridge auf Grund seiner Analyse des Vorkommens von Gattungselementen zu folgendem Ergebnis: „[T]he synoptic gospels belong within the overall genre of βίοι“ 118; genauer etablierten sie sich als Untergattung der Philosophenvita. 119 Zu einem analogen Ergebnis kommt Burridge auch hinsichtlich des vierten Evangeliums. 120 Die zweite und vorerst letzte großangelegte Untersuchung zur BiographieGrundthese aus dem Jahr 1997 entstand unabhängig von Burridge, kommt aber zu einem ähnlichen Ergebnis: 121 Nach Dirk Frickenschmidt handelt es sich bei den Evangelien des Neuen Testaments um „vier antike[n] Jesus-Biographien im Vollsinn des Wortes“ 122. Anders als Burridge sieht Frickenschmidt jedoch die historiographieaffine politische Vita des öffentlich Tätigen als Pendant zu den Evangelien. 123 Eine umfangreiche Aufarbeitung der Forschungsgeschichte problematisiert zunächst die lange aus theologischen Gründen gepflegte Vermeidung eines Vergleiches der Evangelien mit der antiken Literatur. 124 Frickenschmidt analysiert sodann die antike Biographie-Literatur. Angesichts der unklaren Gattungsabgrenzung der antiken Biographie spricht der Autor von der Zugehörigkeit zu einer „Literaturfamilie“ 125, um einerseits die großen Gestaltungsspielräume zu berücksichtigen und andererseits – im Hinblick auf seine Gesamtthese – über die Frage der ‚Familien‘-Zugehörigkeit entscheiden zu können. Die antike Biographie sei aus der in die Darstellung von Herkunft, Wirken und Tod der Hauptfigur gegliederten ‚Basis-Biographie‘ entstanden. Ihre Wurzeln lägen im personenbezogenen Erzählen des Epos. Insbesondere mit den Heraklesviten habe sich das biographische Erzählen dann hin zur Prosa-Biographie verselbstständigt. 126 Biographisches Erzählen finde aber auch innerhalb von griechischen und römischen Geschichtswerken sowie im Alten Testament (Mose, Josua, Richter, Könige, Propheten) und in der frühjüdischen

118 119 120 121 122 123 124 125 126

Burridge, Gospels, 218 (i. O. teils hervorgehoben). Vgl. a. a. O. 247. Vgl. a. a. O. 220–239. Vgl. Frickenschmidt, Evangelium. A. a. O. 508, i. O. hervorgehoben. Vgl. a. a. O. 504. Vgl. a. a. O. 3–76. A. a. O. 85. Vgl. a. a. O. 93–114.

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Literatur (Josephus, Liber Antiquitatum) statt. 127 Frickenschmidt geht enzyklopädisch die biographische Literatur der Antike durch, zeigt Entwicklungslinien auf und arbeitet typische Strukturelemente heraus. Dazu zählten beispielsweise im Anfangsteil die Einführung der dargestellten Person und ihre Bedeutung, Synkriseis sowie der Vorausblick auf Krisen eingangs der Biographie. Der thematisch und/oder chronologisch angeordnete Hauptteil stelle durch Taten und Chrien(reihen) den Charakter des Porträtieren dar. Die Hauptfigur interagiere mit Freunden und Feinden. Querelen, Intrigen und Prozesse steuerten auf das – gewaltsame oder schicksalshafte – Lebensende zu, das im Schlussteil der Biographie oft ausführlich dargestellt und analysiert werde. 128 In einem minutiös auf rund 150 Buchseiten durchgeführten Vergleich zwischen Biographien und den neutestamentlichen Evangelien weist Frickenschmidt nicht nur eine Übereinstimmung des Aufrisses der vier Evangelien mit der zuvor rekonstruierten biographischen Grundform nach, sondern vermag für eine Vielzahl von Formulierungen, Motiven, Erzählzügen, Strukturelementen und Mikroformen innerhalb der Evangelien Pendants auf Seiten der antiken Biographie-Literatur zu benennen. 129 Dabei ergeben sich folgende Beobachtungen zu den Evangelien: Gemäß biographischer Konventionen nennt Mk 1,1 den im Folgenden Porträtierten mit Name und Genos (‚Jesus Christus, Sohn Gottes‘). Das Postulat Jesu himmlischer Sohnschaft tritt an die Stelle der ansonsten im Bios üblichen familiären Herkunftsangabe. 130 Der Bestätigung dieser außergewöhnlichen Genos-Notiz dient auch das folgende Zitat (1,2 f). 131 Ἀρχὴ τοῦ εὐαγγελίου bezeichnet formal den Anfangsteil (1,1–15) der „Evangelium“ genannten Erzählung; inhaltlich klingt die Assoziation des Anbruchs einer Heilszeit an. 132 1,4–8 führt biographieüblich einen Vergleich der Hauptfigur Jesus mit einer geschätzten Person, Johannes, durch. Anders als beim Täufer fehlen Angaben zum Äußeren Jesu, möglicherweise vor dem Hintergrund der Nicht-Darstellbarkeit des Göttlichen. 133 Taufe, Himmelsstimme und Wüstenaufenthalt (1,9–13) sind dem im Anfangsteil einer Vita häufiger verwendeten Topos der vorausblickenden Charakterisierung zuzuordnen. Der Leser darf über das Außergewöhnliche des Erzählten staunen und erhält eine erste Ahnung von dem im Folgenden detaillierter dargestellten Charakter. 134 Anlässlich des ersten öffentlichen Auftritts erhält die Leserin und der Leser eine programmatische Zusammenfassung der nun entfalteten Wirksamkeit (1,14 f). 135 1,16–45 fungieren als Überleitung zum Mittelteil, in welchem erste Begegnungen mit Freunden sowie erste Reaktionen der Öffentlichkeit geschildert werden. 136 Im Mittel- bzw. Hauptteil, der bis zum Höhepunkt 127 128 129 130 131 132 133 134 135 136

Vgl. a. a. O. 115–152. Vgl. a. a. O. 153–350. Vgl. a. a. O. 351–497. Vgl. a. a. O. 352–354. Vgl. a. a. O. 360–362. Vgl. a. a. O. 354–359. Vgl. a. a. O. 362–364. Vgl. a. a. O. 365–369. Vgl. a. a. O. 369. Vgl. a. a. O. 370 f.

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und damit zum Übergang (Mk 11) in den Schlussteil reicht, geben, ganz im Stil der Biographie, in lockerer chronologischer Reihenfolge und in teils thematischer Anordnung Worte und Taten Einblicke in das größtenteils intradiegetisch verborgen bleibende Wesen der Hauptfigur. 137 6,7–8,9 erzählen die Akme des hoheitlichen Wirkens Jesu in der Öffentlichkeit. 8,10–26 bereiten die folgende Erörterung des Wesens Jesu (8,27–33) vor. 138 Wie etwa in den Plutarchviten auch bietet die Wirkung der Hauptfigur auf ihre Bewunderer ein Identifikationsangebot für die Leser. 139 Die Passionsgeschichte steht den pagangen Märtyrerakten oder den exitus illustrium virorum nahe, die Gattungselemente enthalten, die auch Bioi in ihren Schlussteil integrieren konnten. Mit Leidensvoraussagen wird die Sterbensgeschichte bereits im Hauptteil vorbereitet und in das Gesamt der Erzählung integriert. Mit dem Streit um die Vollmacht des Protagonisten (11 f) spitzt sich die Lage zu. Mk 13 tritt an jene Stelle, an der in Bioi die Hauptfigur Abschiedsreden hält. Mit der Schilderung des Tötungsbeschlusses, des Problems der Loyalität von Freunden und Öffentlichkeit, eines Schauprozesses, letzter Taten, Gesten und Worte bewegt sich die Passionsgeschichte im Rahmen des für Biographien Üblichen. 140 Bei einer biographischen Lektüre des Johannesevangeliums bereitet der reflexive, metasprachliche Charakter des Textes einige Schwierigkeiten. Doch lässt sich etwa im Prolog Joh 1,1,–5 als Adaption der biographietypischen Genos-Angabe verstehen; 1,6–34 verweisen erneut auf die göttliche Herkunft, bieten einführende Synkriseis und schildern Reaktionen der Umwelt. 141 Im auch bei Johannes biographieüblich gestalteten anschließenden Mittelteil leitet die Zuspitzung der Erörterung des Wesens Jesu (Joh 6–11) zum Schlussteil über. 142 In der Besprechung des Matthäusevangeliums konzentriert sich Frickenschmidt auf den Eingangsteil (Mt 1 f). Auch hier verlassen die Elemente Genealogie, übernatürliche Vorzeichen und Begleitumstände der Geburt sowie Gefährdung und Rettung des jungen Protagonisten das in Bioi Übliche nicht. Die Nähe zu alttestamentlichen Stoffen zeigt, dass sich biographischer und biblischer Charakter keineswegs gegenseitig ausschließen müssen. 143 Im Lukasevangelium erfüllen das Vorwort, die Parallelisierung Jesu mit Johannes, die Geburts- und Kindheitsgeschichten (Lk 1 f) eminent biographische Zwecke. 144 Nicht nur die übrigen Passagen des Lukasevangeliums, sondern auch die Apostelgeschichte des Lukas sind mit Hilfe der Biographie literarisch zu bestimmen. Der zweite lukanische Werkteil erinnert an Schülerbiographien im Werk des Diogenes Laertios, die auf die Lebensbilder ihrer Lehrer folgen, sowie an die Kaiservitenfolge Plutarchs. 145

Den grundlegenden Arbeiten Burridges und Frickenschmidts kommt das Verdienst zu, mit der in den vorangegangenen Jahrzehnten mühevoll angebahnten Auffassung, ein Evangelien-Biographie-Vergleich sei legitim und fruchtbar, ernst gemacht zu haben. An Hand von Textvergleichen zeigen beide Autoren, 137 138 139 140 141 142 143 144 145

Vgl. a. a. O. 372–377. Vgl. a. a. O. 378–386. Vgl. a. a. O. 386 f. Vgl. a. a. O. 388–414. Vgl. a. a. O. 417–427. Vgl. a. a. O. 427–459. Vgl. a. a. O. 460–477. Vgl. a. a. O. 478–489. Vgl. a. a. O. 489–500.

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dass die neutestamentlichen Evangelien sowohl bei der Makro- als auch bei unzähligen Mikroformen ebenso verfahren, wie es auch in paganen Bioi geschieht. Die lange bestehenden Vorbehalte gegenüber der Heranziehung der antiken biographischen Literatur als Vergleichsgröße zu den Evangelien sowie gegenüber der Beobachtung, dass die Evangelien von der paganen Viten-Literatur beeinflusst sind, können mit den Entwürfen Burridges und Frickenschmidts als ausgeräumt gelten. Zu begrüßen ist auch, dass beide Autoren auf das Problem der fließenden Gattungsgrenzen antiker Biographien hinweisen, daher um einen entsprechend flexiblen Gattungsbegriff bemüht sind, und dass sie bewusst auch Alttestamentlich-Frühjüdisches, gleichsam als Sonderfall der antiken Biographie, in ihren Kanon der Vergleichstexte aufnehmen. Unter diesen Voraussetzungen kommen beide Arbeiten zu dem Schluss, dass die Evangelien gattungsmäßig der antiken Vita zuzuordnen sind. Vermissen lassen sie allerdings Reflexionen über zwei damit zusammenhängende Probleme. Einerseits müsste eine historische Gattungsanalyse Rechenschaft über die zu Grunde gelegten Kriterien ablegen: Welche Tatbestände müssen gegeben sein, um die Zugehörigkeit eines Werkes zu einer Gattung zu erweisen? Reicht hier der eindrucksvoll demonstrierte textinterne Aufweis des übereinstimmenden Gebrauchs literarischer Techniken bereits aus? Wie sind die einschlägigen Unterschiede zwischen den Evangelien und den nichtchristlichen Lebensbeschreibungen zu bewerten, etwa die Verwurzelung des evangeliaren im alttestamentlich-frühjüdischen Erzählen 146 oder die notwendige Konzentration auf die Person Jesu, 147 für die sich keine Analogien innerhalb der antiken biographischen Literatur namhaft machen lassen? Welche Rolle spielen ferner textexterne Faktoren? Die Evangelien sind exklusiv an das frühchristliche Milieu gebunden, bei dem es sich aus Sicht der antiken Welt um eine Art subkulturelle Strömung abseits des Mainstreams der griechisch-römischen Welt handelt. 148 Wie wirkt sich diese von der älteren Forschung auf ihre Art betonte Gegebenheit auf die Gattungsanalyse aus? So bleibt es letztlich – nicht extern entscheidbare – Sache der Konvention, ob die festgestellten Übereinstimmungen und Unterschiede für die globale Gattungszugehörigkeit – so Burridge und Frickenschmidt – sprechen, für die Zugehörigkeit zu einem speziellem ‚Nebenarm‘ der antiken Vita 149 oder lediglich für die Feststellung von weitgehenden Analogien zwischen grundsätzlich eigenständigen Gattungen. 150 Ein anderes Problem der behaupteten Gattungszugehörigkeit resultiert aus der – den Autoren bewussten – Diversität des verwendeten biographischen Vergleichsmaterials. Standardisierte Grundformen und daher auch lehrbuch146 147 148 149 150

Vgl. Reiser, Stellung, 7 f. Vgl. Becker, Autorität, 146–148; Wördemann, Charakterbild, 199. Vgl. Wischmeyer, Ereignis, 309–312. So etwa Aune, Testament, 46; ähnlich Cancik, Gattung, 96. So bereits Dihle, Evangelien, 383.385.388.

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mäßige Definitionen existieren im Fall der antiken Biographie nicht. Sie weist vielmehr Berührungen mit anderen Gattungen auf. Ein einseitiges Zugehörigkeitsurteil wird durch diese Tatsache beeinträchtigt. 151 Angesichts des bekannten Problems rekurrieren Frickenschmidt und Burridge nachvollziehbarerweise auf eine breite Textbasis, zuerst Genannter gar auf Texte aus einer Zeitspanne von acht Jahrhunderten. Darunter leidet die Prägnanz des Literaturvergleichs, demonstriert er doch letztlich nur, dass zu zahlreichen Charakteristika der Evangelien Vergleichbares im sich breit auffächernden Spektrum der antiken biographischen Literatur existiert. 152 Die gattungsmäßige Zuweisung der Evangelien erfolgt dann zu einer diffus bleibenden Größe; sie bleibt daher inhaltlich (zu) unbestimmt. 153 Die Not in pragmatischer Weise zur Tugend machend, stellt Burridge dazu fest, die Evangelien „have at least as much in common with the Graeco-Roman βίοι as the βίοι have with eachother“ 154. Im Vagen bleibt aber in dieser Perspektive, worin die Verwandtschaft der Evangelien mit antiker Biographie-Literatur insbesondere besteht, beziehungsweise an welchen Stellen sich der biographische Charakter der Evangelien manifestiert. Lassen sich bestimmte, durch gemeinsame inhaltliche oder formale Merkmale oder durch eine ähnliche Entstehungszeit geprägte Untergruppen namhaft machen, die den Evangelien stärker ähneln als andere?155 Aus der mangelnden Prägnanz des gattungsanalytischen Urteils dürfte schließlich die Unklarheit über die interpretatorischen Konsequenzen resultieren: 156 Was folgt aus der rekonstruierten Gattungszugehörigkeit für die historische und die bibelhermeneutische Lektüre der Evangelien? 157 Unabhängig von den Pionierleistungen Burridges und Frickenschmidts muss das Vorhaben, die gattungsmäßige Zugehörigkeit der Evangelien zur antiken Vita zu belegen, als eine angesichts der Forschungsgeschichte verständliche, aber auf Grund der genannten unbeantwortet bleibenden Fragen als eine mit methodischen Problemen behaftete Bemühung angesehen werden.

151 Vgl. Fendler, Studien, 60 f. Besonders kritisch ist Reiser, Sprache, 98: „Die Evangelien kurzweg als ‚Biographien‘ zu bezeichnen, hat wenig Sinn, da es eine einheitliche Gattung ‚Biographie‘ mit bestimmten formalen Kennzeichen in der Antike nicht gab.“ Zu allgemeinen Charakteristika der antiken Biographie s. u. III 1. 152 Vgl. Brenk, Rez. Burridge, 495; Sänger, Rez. Frickenschmidt, 517; von Bendemann, ΔΟΞΑ, 357–359 („Grundlagen und Kategorien des Vergleichs der Evangelien mit den unterschiedlichen Vertretern antik-spätantiker βίοι sind […] nach wie vor strittig“ [a. a. O. 357]). 153 Vgl. die Kritik von Guelich, Genre, 191, an der Biographie-These. Zu Burridge schreibt Duff, Gospels, 266: „B. has not demonstrated where all this gets us“. 154 Burridge, Gospels, 250. 155 Bezeichnend ist, dass Burridge, Gospels, 256 f, die – überraschend gegen Ende erfolgende – Zuweisung der Evangelien zur Philosophenvita nicht hinreichend begründen kann. Zum Problem auch Gelardini, Christus, 5; Bond, Biography, 73–77. 156 Dazu Frickenschmidt, Evangelium, 509 f (vgl. Dormeyer, Evangelium, 194). 157 Dieser Frage geht Bond, Biography, nach (vgl. insb. a. a. O. 4.12).

Weitere Diskussionen um die Evangelien-Biographie-These

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3. Weitere Diskussionen um die Evangelien-Biographie-These 158 Detlev Dormeyer liest in seinem erstmals im Jahr 1999 veröffentlichen Buch das Markusevangelium als „Idealbiographie“, als Literaturwerk mit einer Verwurzelung in zwei unterschiedlichen Traditionssträngen. 159 Einerseits werde Jesus in der Manier alttestamentlicher Königs- und Prophetenüberlieferungen 160 durchweg idealisiert und ohne Ambivalenzen dargestellt; andererseits erscheine er in literarischer Gestalt der hellenistischen Biographie (die keineswegs nur Idealfiguren kennt). 161 Die Biographie habe die notwendige Struktur bereitgestellt, um die vorliegenden Traditionen von Wundertaten, Streitgesprächen, Sammelberichten und Passionsgeschichte unter einem erzählerischen Dach zu vereinen. 162 Das Ergebnis habe der älteste Evangelist nicht als βίος bezeichnet, sondern mit dem von ihm geprägten „neuen Gattungsbegriff “ 163 „Evangelium“, 164 der sowohl auf die in Jesus Christus als erfüllt erkannten deuterojesajanischen Verheißungen als auch auf den politischen Traditionshintergrund des Kaiserkults verweise. Dormeyer erwägt, ob der aufkommende Kaiserkult zu den Gründen gehört, aus denen heraus der Evangelienverfasser Elemente biographischen Erzählens zur Gestaltung seiner Jesuserzählung aufgriff. Zwar sei das Markusevangelium nicht in einem primären Sinne antiimperial zu verstehen – der Kaiser werde zumindest als Werkzeug der göttlichen Weltregierung anerkannt – 165, doch stelle die von Jesus aufgerichtete Gottesherrschaft ein Gegenprogramm zur vorfindlichen Welt dar: Eine „Regierung“ in Einklang mit göttlichem Willen und göttlicher Lehre. Auch von daher ergebe sich eine Nähe zur Biographie. So untersuche etwa der einige Jahre nach Markus schreibende Plutarch den Charakter seiner Helden hinsichtlich der Verwirklichung des Ideals der Einheit von Herrschaft und philosophischer („göttlicher“) Tugendweisheit. 166 Die literaturgeschichtlich aus der Geschichtsschreibung hervorgegangene 167 Biographie trage, anknüpfend an Platons und Xenophons Sokratestraditionen, dem nötigen Praxisbezug der Philosophie Rechnung: Tugend lernt man vor allem durch das Studium des Handelns Anderer, nicht aber aus theoretischen Traktaten. An individueller Entwicklung und systematischer Entfaltung einer

158 159 160 161 162 163 164 165 166 167

Vgl. auch die Zusammenstellung bei Burridge, Gospels, I.1–112. Vgl. Dormeyer, Idealbiographie; Ders., Erzählen. Vgl. etwa 1Sam 16. Vgl. Dormeyer, Idealbiographie, 11. Vgl. a. a. O. 15. A. a. O. 23. Vgl. Mk 1,1. Vgl. a. a. O. 50, zu Mk 12,17. Vgl. a. a. O. 283–285. Vgl. a. a. O. 127.

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Lehre sei die antike Biographie nicht interessiert gewesen. 168 Plausibles Sujet sei das Leben eines nach dem Tod heroisierten, da mit göttlicher Kraft ausgestatteten Menschen; ein Kriterium, das auch Jesus erfüllt und das ihn daher biographietauglich gemacht habe. 169 Dormeyer nennt zwei Beispiele erzählter Heroenviten, in denen in nuce Grundzüge zu erkennen seien, an denen sich auch der markinische Jesusbios ausrichte. Der Skythe Anacharsis, erzählt Diogenes Laertios, lernte Solon kennen und führte, in die Heimat zurückgekehrt, Reformen nach hellenischem Vorbild durch. Nach seinem Tod durch Ermordung wurde er heroisiert. 170 Die Stadt Lokroi ehrte nach Pausanias ihren Heros Euthymos, der es nicht nur zum Olympiasieg im Boxkampf brachte, sondern auch kraft seiner göttlichen Abstammung vom Flussgott Kaikinos einen hartnäckigen Dämon zu besiegen im Stande war. Einem menschlichen Tod entging er nach langem Leben durch einen übernatürlichen Eingriff. 171 Zu den mit der markinischen Jesusgeschichte vergleichbaren Topoi zählten die göttliche Herkunft und das wundertätige Wirken des Euthymos, 172 das Studium des Anacharsis bei Solon, 173 seine Herrschaftsaufrichtung gegen Widerstände 174 sowie das unnatürliche Lebensende beider. Für das Evangelium zentrale Motivkomplexe fehlten aber noch: Vom Tod des Anacharsis gehe keinerlei („Heils-“) Bedeutung für Andere aus; der Boxer Euthymos glänze durch alles andere als eine (philosophische) Lehre.

Ein philosophisch fundiertes Programm realisierten vor allem die Biographien Plutarchs. Hier verkörpere die Hauptfigur überzeitliche Ideale, setze diese zum Guten für Andere ein, versuche ihr Programm gegen Widerstände zu bewahren, auch bis in den – zumeist nicht natürlichen – 175 Tod hinein. So erweise sich der Protagonist als Erfüller der platonischen Forderung des Einklangs von Herrschaft und philosophischer Lehre. Besonders die Porträts jener Männer, die ein Staatswesen neu gründeten und/oder es grundlegend reformierten, setzten dieses Muster voraus. In ihnen erblickt Dormeyer gemäß seiner Grundthese die nächsten literarischen Verwandten des Markusevangeliums innerhalb des paganen antiken Schrifttums. 176 Plutarch stelle etwa Numa, den sagenhaften zweiten König Roms, gemäß dem Ideal des Philosophenkönigs dar. 177 Folgende Motive wiesen Strukturanalogien zum Markusevangelium auf: Das Genos der Hauptfigur wird äußerst knapp notiert, 178 Kindheitstraditio-

168 169 170 171 172 173 174 175 176 177 178

Vgl. a. a. O. 125–127. Vgl. a. a. O. 123 f. Vgl. a. a. O. 128 f, zu Diog. Laert. 1,101–103. Vgl. a. a. O. 132–135, zu Paus. 6,6,4–11. Vgl. u. a. Mk 1,1; 5,1–20. Vgl. Mk 1,9. Vgl. u. a. Mk 3,6. Vgl. Dormeyer, Idealbiographie, 300. Vgl. a. a. O. 5–11.127 f. Vgl. a. a. O. 151–155. Plut. Numa 3; vgl. Mk 1,1.

Weitere Diskussionen um die Evangelien-Biographie-These

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nen fehlen. Numas Herrschaft kann sich auf göttliche Legitimation berufen. 179 Seiner öffentlichen Wirksamkeit geht eine Zeit der Vorbereitung, im Falle Numas bei einem wichtigen Lehrer, voraus. 180 Numa kommuniziert mit der göttlichen Sphäre 181 und wirkt Wunder, etwa die Besiegung von Dämonen. 182 Die Weitergabe seiner Lehre an die Nachwelt erfolgte nicht mit Hilfe von Schriften, sondern durch mündliche Tradition. Der beigesetzte Leichnam verschwindet auf unerklärliche Weise. 183 Unbeschadet der zur Debatte gestellten Ähnlichkeiten bestehen laut Dormeyer aber gewichtige Unterschiede gegenüber dem markinischen Jesusbild: Anders als das Leben Jesu spielt Numas Vita in mythischer Vorzeit, ihm stehen keine Gegner im Weg, sein Tod war kein gewaltsamer. Besonders deutlich illustrierten die zahlreichen Schnittmengen zwischen Markusevangelium und Cäsarvita, dass Plutarchs Gründer- beziehungsweise Reformerviten und das älteste Evangelium ein „gemeinsame[s] Gattungsmuster“ 184 voraussetzten. 185 Insbesondere der vor dem Beginn der Karriere spielende Anfangsteil, 186 die Beschreibung des cursus honorum im Hauptteil 187 sowie schließlich die Exitus-Geschichte 188 glichen dem Markusevangelium intensiv hinsichtlich der Erzählstruktur. 189 Auch wenn eine direkte literarische Abhängigkeit vor der um das Jahr 110 entstandenen Cäsarvita ausgeschlossen werden könne, sei doch die Kenntnis des Cäsarstoffs durch den Markusevangelisten (nicht nachzuweisen, aber) denkbar. Dass Plutarch aus Quellen schöpfte, zeigten die Parallelbearbeitungen bei Sueton und Velleius Paterculus. Neben dem Verwandtschaftverhältnis zwischen Plutarchs Gründer- bzw. ReformerViten und dem Markusevangelium 190 widmet sich Dormeyer unter Zugrundelegung eines rezipientenorientierten Interpretationsansatzes der Rekonstruktion des von Markus intendierten Publikums. Zu denken sei an eine heterogene Größe. Weniger Gebildeten komme die erzählerische Kargheit und das nicht allzu gehobenene Sprachniveau entgegen, das auf Elemente mündlichen Sprechens zurückgreife. Auf Grund dieser Form 179

Plut. Numa 5; vgl. Mk 1,9–11. Plut. Numa 1; vgl. Mk 1,2–9. 181 Plut. Numa 4.15; vgl. Mk 1,9–13; 9,2–10. 182 Plut. Numa 15: vgl. Mk 1,21–28. 183 Plut. Numa 22; vgl. Mk 16,1–8. 184 Dormeyer, Idealbiographie, 279. 185 Vgl. a. a. O. 268–282, und Ders., Cäsar. 186 Vgl. Plut. Cäsar 1–3. 187 Vgl. Plut. Cäsar 4–14. 188 Vgl. Plut. Cäsar 63–69. Weniger Anknüpfungspunkte bieten laut Dormeyer die Abschnitte über das Triumvirat (vgl. Plut. Cäsar 15–27) sowie über den Kampf gegen Pompeius (vgl. Plut. Cäsar 28–62). 189 Dazu s. u. IV 10.2. 190 Dormeyer verweist auf weitere biographische Züge der Plutarchviten, die als Analogien zum Markusevangelium charakterisiert werden: Lykurg verlässt nach gegnerischen Angriffen Sparta, begeht im Exil Selbstmord, erfährt postmortale Ehren und durch Wunderzeichen die Aufnahme in den Rang eines Heros (vgl. Plut. Lykurgos 31; dazu Dormeyer, Idealbiographie, 155). Gegnerschaft, Scheitern des Reformprojekts sowie postume Anerkennung widerfahren auch Solon (vgl. a. a. O. 155 f). Über Plutarch hinaus führt Dormeyer noch weitere biographische Motive an, die Parallelen zu Jesus aufwiesen: Sokrates’ Berufung des Xenophon (Diog. Laert. 2,6; vgl. Mk 1,16–20; dazu a. a. O. 187), die Blindenheilung des Vespasian (Suet. Vesp. 76–78; dazu a. a. O. 223 f), die Gefahren, die Octavian mit der Annahme von Cäsars Namen drohen, die er aber zu Gunsten seiner Mission beiseite schieben muss (Vell. 2,6,0,1 f; vgl. Mk 8,32; dazu a. a. O. 266 f). 180

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II Evangelium und Biographie – ein narratologischer Neuansatz

habe sich das Evangelium besonders für den mündlichen Vortrag des Gesamtwerkes geeignet, analog zur Rezitation der Biographien von Vereins-, Schul- oder Stadtgründern in den Kollegien einer hellenistischen Stadt. 191 Für höher Gebildete hätten dagegen die bestehenden erzählerischen Leerstellen eine Möglichkeit zum eigenen, sinnkonstruierenden Lesen eröffnet. 192 Ebenso würden sowohl judenchristliche Leser, denen vermutlich Orte oder Gebräuche der erzählten Welt geläufig waren, als auch von Haus aus unkundige Heidenchristen angesprochen, denen das Nötigste erläutert werde. 193 Die Charaktere der Erzählung eröffneten unterschiedliche Identifikationsangebote sowohl für schon zum Glauben Gekommene als auch für außerhalb der Gemeinde Stehende. 194 Die beachtliche Zahl an erzählten Jesusanhängern beziehungsweise -interessenten im Markusevangelium lasse darauf schließen, dass es sich bei der markinischen Gemeinde zahlenmäßig nicht um eine Randgruppe, sondern um eine durchaus wahrnehmbare Bewegung gehandelt habe. 195

Gegenüber den beiden klassischen gattungsanalytischen Arbeiten Burridges und Frickenschmidts weist Dormeyers Entwurf den Vorzug auf, die Beantwortung der Gattungsfrage nicht zum Zielpunkt des Literaturvergleichs zu machen. Wenngleich manche der angeführten Parallelen als weit hergeholt erscheinen und daher missverständlicherweise das chronologische Profil der Evangelien verdunkeln könnten, 196 erlaubt das Vorgehen Dormeyers einen differenzierteren und akzentuierteren Blick auf bestimmte Gruppen biographischer Literatur. Statt das Gesamt der antiken Vita berücksichtigen zu müssen, kann Dormeyer sich auf gemeinsame Züge und Strukturen zwischen Evangelien und insbesondere Plutarchs Gründer- und Reformer-Viten konzentrieren und ihre Konvergenzen überzeugend darlegen. Zudem vermeidet Dormeyer durch die Dezentralisierung des Gattungsproblems, das Markusevangelium letztlich einseitig vom griechisch-römischen Bios her erklären zu müssen. Dirk Wördemann konzentriert sich in seiner im Jahr 2002 veröffentlichten Arbeit ebenfalls auf Plutarch, um das biographische Werk des Autors in einem zweiten Schritt mit dem Markusevangelium in Verbindung zu bringen. 197 Für Wördemann gehören beide „zwei verschiedene[n] Literaturgattungen“ 198 an. Das Thema Plutarchs sei die Darstellung des „Wie“ des Charakters des Helden, 199 während das Markusevangelium thematisiere, wer Jesus Christus ist, etwa indem das in Mk 1,1 bezeichnete Wesen Jesu innerhalb der Erzählung langsam entdeckt wird. Für die vorgeschlagene Bewertung gilt das bereits im Hinblick auf die Thesen Dihles Gesagte und bei allen klassifkatorischen An191 192 193 194 195 196 197 198 199

Vgl. Dormeyer, Idealbiographie, 42 f. Vgl. a. a. O. 64. Vgl. a. a. O. 45 f. Vgl. a. a. O. 23. Vgl. a. a. O. 227. Vgl. Backhaus, Rez. Dormeyer, 47. Vgl. Wördemann, Charakterbild. A. a. O. 152. Vgl. a. a. O. 46.54; zu Plut. Alexandros 1,2; Plut. Aemilius 1,2.

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sätzen Problematische: 200 Ein bei einem Autor beobachtetes Merkmal wird zum notwendigen Charakteristikum einer ganzen Literaturgattung erhoben, um auch als Kriterium der Gattungsbewertung des Evangeliums zu dienen. Unbeschadet dessen bietet die Arbeit eine Reihe interessanter Beobachtungen, etwa den Hinweis auf die Konvergenzen zwischen Markusevangelium und der CatoMinor-Vita Plutarchs, dem im Folgenden nachzugehen sein wird. In diesem Zusammenhang wird auch Martin Ebners in einem Beitrag 201 aus dem Jahr 2009 enthaltener Hinweis auf den Fall der stoischen Senatsopposition, bei dem biographische Werke eine zentrale Rolle spielen, wichtig werden. 202 Der norwegische Altphilologe Tomas Hägg widmet in seiner im Jahr 2012 vorgelegten Monographie zur antiken Biographie den (kanonischen wie nichtkanonischen) Evangelien ein eigenes Kapitel. Nähen erkennt er insbesondere zur populären Vita. 203 Als Vorstufen biographischen Erzählens innerhalb der frühchristlichen Literatur versteht Hägg die Logienquelle oder das Thomasevangelium. 204 Das Markusevangelium habe den Schritt zur eigenständigen biographischen Erzählung gemacht. Von einer Biographie im eigentlichen Sinn will Hägg jedoch noch nicht sprechen. Denn die Erzählung decke einen zu knappen Zeitraum ab. 205 Die Seitenreferenten und später auch nichtkanonisierte Werke wie die Kindheitsevangelien hätten dann die biographischen Lücken des Markusevangeliums ausgefüllt. 206 Kritisch anzufragen ist, ob Hägg, der sich für die Probleme klassifikatorischer Einordnungen sensibel zeigt, 207 hier nicht doch ein Idealbild der Biographie voraussetzt, an dem er die frühchristlichen Erzählungen misst. In einem im Jahr 2016 erschienen Aufsatz erkennen die Religionswissenschaftlerin Robyn Walsh und der Altphilologe David Konstan an, „(t)he biblical Gospels may seem like biographies“ 208, ohne dagegen die vorhandenen frühjüdischen Prägungen ausspielen zu wollen. 209 Die pagane Viten-Literatur teilen die Autoren in ein bürgerliches und ein subversives Lager ein: Zur ersten Gruppen gehörten Xenophons Agesilaos, Plutarchs und Suetons Viten, 210 zur zweiten Porträts von nur mit den Waffen des Geistes Kämpfenden, etwa in Xenophons Memorabilien, in den Hypomnemata des Ion von Chios, im Äsop- und

200 201 202 203 204 205 206 207 208 209 210

S. o. 1.3. Vgl. Ebner, Viten, 51.56 f. S. u. IV 10.2; V. Vgl. aber III 3. Vgl. Hägg, Art, 156 f. Vgl. a. a. O. 163 f. Vgl. a. a. O. 165.172. Vgl. a. a. O. 2 f. Konstan/Walsh, Biography, 27. Vgl. ebd. Vgl. a. a. O. 29–32.

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im Alexanderleben. 211 Der zuletzt genannten Kategorie gehörten auch die Evangelien an: Jesus sei ausschließlich sprach- und wundergewaltig; sein Wirken stehe in Spannung zu den herrschenden Strukturen. 212 Während dem zuletzt Angeführten zuzustimmen ist, wird doch der Plutarch-Vergleich vor globalen Kategorisierungen warnen: Auch in seinen Bioi finden sich waffenlos Wirkende und werden potenziell herrschaftskritische Ideale vertreten. 213 In seiner im Jahr 2017 in englischer Sprache vorgelegten Monographie unternimmt Jean-Noël Aletti den Versuch zu erklären, unter welchen Voraussetzungen von Jesus biographisch erzählt werden konnte, obwohl er die üblichen Anforderungen an biographisierbare Personen nicht erfüllt habe. 214 Denn in der Regel wird von Politikern, Dichtern oder Philosophen erzählt. Als am weitesten von der antiken Biographie entfernt lokalisiert der Autor das Markusevangelium. 215 In ihm fehlten Informationen zu Genos und Ausbildungszeit Jesu; zudem werde Jesus primär als ein als Verbrecher Gekreuzigter präsentiert. Die Passionsgeschichte dominiere die Erzählung, so dass die eigentliche Lebensgeschichte ihr strukturell untergeordnet sei. Diese Beurteilung beruht auf früher üblichen Argumenten gegen den biographischen Charakter des ältesten Evangeliums, die sich im Blick auf Plutarch nicht bestätigen lassen; 216 zudem werden Leidens- und Sterbensszenen und -episoden sowie Erzählungen scheiternder Hauptfiguren etwa bei Plutarch ausgeblendet. 217 Eine größere Nähe zur antiken Biographie attestiert Aletti Matthäus- und Lukasevangelium, die Jesus mehr Anerkennung, etwa seitens seiner Schüler, zugestehen. 218 Als eigene Arbeitsfelder haben sich die Arbeit am Matthäus- und Johannesevangelium sowie am lukanischen Doppelwerk im Umkreis der Evangelien-Biographien-Hypothese etabliert. 219 Der Biographie-Vergleich steht im Fall von Lukasevangelium und Apostelgeschichte mehreren Besonderheiten gegenüber: Das Werk sucht die Nähe der Historiographie; 220 zudem vereint es zwei unterschiedlich strukturierte Teile unter seinem Dach. Während Aune auf Grund der Werkfortsetzung durch die Apostelgeschichte die Historiographie im engeren Sinne für paradigmatisch hält, 221 sieht Burridge auf Grund der Verwandtschaft zwischen Historio- und Biographie kein Problem darin, einen schwer211

Vgl. a. a. O. 32–39. Vgl. a. a. O. 39–42. 213 S. u. IV 9.3.3. 214 Vgl. Aletti, Birth. 215 Vgl. a. a. O. 25–43. 216 S. u. IV 5. 217 S. u. IV 4.3; 6.3. 218 Vgl. Aletti, Birth, 45–88. 219 Zur biographischen Analyse des Matthäusevangelium vgl. Shuler, Genre; Stanton, Matthew. Zum Johannesevangelium vgl. Trozzo, Genre; Smith, Gospel; Schreiber, Vita; Larsen (Hg.), Gospel. Zum lukanischen Doppelwerk vgl. bereits Barr/Wentling, Conventions; Talbert, Prophecies; ferner auch Kartzow, Complexity; Martin, Lists; Taylor, Acts. 220 Vgl. Schröter, Stellung, 41–47. 221 Vgl. Aune, New Testament, 77. 212

Weitere Diskussionen um die Evangelien-Biographie-These

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punktmäßig biographischen mit einem primär historiographischen Werkteil zu vereinen. 222 Ähnlich beurteilen zahlreiche andere Autoren das lukanische Werk als zwischen den beiden, untereinander Schnittmengen aufweisenden Genera angesiedelt. 223 Eine synoptische Lektüre der Apostelgeschichte und Plutarchs Galba-Otho-Vita unternimmt Mathis-Christian Holzbach in einer im Jahr 2006 publizierten Arbeit. 224 Zu Recht erfolgt eine Einordnung beider Werke zwischen Bio- und Historiographie: Personen werden jeweils im Kontext ihrer Epoche dargestellt. Als Analogie zwischen beiden Texten glaubt die Arbeit das Thema einer „Verfassung“ 225 – das auf Augustus gründende Prinzipat bzw. die mit Jesus verbundene Gottesherrschaft – sowie deren Weiterleben unter den Nachfolgern der Stifterpersönlichkeiten ausmachen zu können. 226 Loveday Alexander zeigt sich in einem im Jahr 2006 veröffentlichten Buch zurückhaltend gegenüber der Behauptung einer allzu großen Biographie-Nähe der Apostelgeschichte. Etwa im Vergleich zu Diogenes Laertios fielen zu große erzählerische Unterschiede auf, um von einer gemeinsamen Gattung sprechen zu können. Biographische, insbesondere an Sokratestraditionen orientierte Motive gesteht sie aber dem Paulusbild der Apostelgeschichte zu. 227 Letztere betont auch Bernd Heininger in einem Beitrag aus dem Jahr 2007, um von daher die Zusammenfassung beider Teile des lukanischen Werks plausibler zu machen. 228 Heininger charakterisiert Lk und Act als doppelte Doppelbiographien: Jesus werde neben Paulus dargestellt; innerhalb der beiden Werkteile die Protagonisten jeweils neben anderen Charakteren (Jesus neben dem Täufer, Paulus neben Petrus). Sean A. Adams beschäftigt sich in seiner im Jahr 2013 veröffentlichten Arbeit umfassend mit einer möglichen Zuordnung der Apostelgeschichte zur biographischen Literatur. 229 Dabei konzentriert er sich auf den Subtyp der Sammelbiographie. 230 Ähnlich wie Burridge Merkmale der Evangelien mit Vergleichbarem auf Seiten der individuellen Biographie in Verbindung bringt, sieht Adams nun zentrale Charakteristika der Sammelbiographie in der Apostelgeschichte gegeben. 231

Eine Reihe von Arbeiten, insbesondere aus dem englischsprachigen Raum, setzt die biographische Einordnung der Evangelien voraus, um sie im Kontext anderer Fragestellungen fruchtbar zu machen. So geht etwa auf Richard Bauckham eine Richtung der Evangelienauslegung zurück, die das Konzept der intendierten Empfängergemeinden verwirft. 232 Dass die Evangelien für spezifische Gruppen mit spezifischen Problemen geschrieben seien, lasse sich nicht erweisen. Die gegenteilige Annahme, die Evangelien richteten sich prinzipiell an alle Vgl. Burridge, Gospels, 244–247; vgl. auch Pervo, Luke. Vgl. Ebner, Viten, 57–59; Müller, Διήγησις; Riesner, Doppelwerk; Dormeyer, Gattung; von Bendemann, ΔΟΞΑ, 354 f. 224 Vgl. Holzbach, Plutarch. 225 Vgl. a. a. O. 12 u. ö. 226 Vgl. Backhaus, Rez. Holzbach. 227 Vgl. Alexander, Acts, 43–68. 228 Vgl. Heininger, Paulusbild. 229 Vgl. Adams, Genre. 230 Vgl. a. a. O. 92–115. 231 Vgl. a. a. O. 116–171. 232 Vgl. Bauckham, Gospels; auch Burridge, People; Klink (Hg.), Audience. 222 223

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II Evangelium und Biographie – ein narratologischer Neuansatz

Christinnen und Christen ihrer Generation, sei ebenso wahrscheinlich, liege aus anderen Gründen näher und sei deshalb zu präferieren. 233 Bei seiner Argumentation stützt sich Bauckham auch auf die Biographie-These: Keine Biographie sei für einen kleinen geschlossenen Zirkel verfasst worden, sondern für ein breites Buchpublikum. Daher weise auch die Wahl der Gattung auf eine offene Adressatenschaft der Evangelien hin. 234 Wie auch Bauckahm einräumen muss, 235 ist Ersteres schwierig zu überprüfen; 236 Letzteres wäre keine automatische Folge. 237 Justin M. Smith verfolgt in seiner Arbeit aus dem Jahr 2015 Bauckhams Hypothese weiter. 238 Dass antike Viten jemals „for definite audiences“ 239 verfasst worden seien, sei nicht zu belegen. Ebenso richteten sich die Evangelien als Biographien an alle christlichen Leser ihrer Zeit. Um die historische Glaubwürdigkeit des in den kanonischen Evangelien Erzählten abzuschätzen, nutzt die im Jahr 2019 publizierte Arbeit Craig S. Keeners die Evangelien-Biographie-Hypothese. 240 Für Keener folgen die Evangelien hinsichtlich ihrer Erzähltechnik vor allem dem paganen Bios, 241 der seinerzeit von der politischen, historiographieaffinen Vita bestimmt wird. 242 Die in der Diskussion unterschiedlich beantwortete Frage, welchem Subtyp der Biographie die Evangelien zuzurechnen sind, beantwortet die Arbeit differenziert und vor allem mit Blick auf die Hauptfigur Jesus: Jesu Darstellung als Lehrer legt eine Nähe zum Philosophenbios nahe, doch sind die Evangelien in größerem Maße historiographisch orientiert als dort zumeist üblich. Jesu Wundertätigkeit bringt die Erzählungen über ihn in die Nähe der „Göttlichen Menschen“, die aber der nachneutestamentlichen Zeit angehören und eher als Antwort auf denn als Vorbildgeber für das Christentum zu verstehen sind. 243 Die Darstellung der öffentlichen Wirksamkeit der Hauptfigur schlägt eine Brücke zwischen den Evangelien und der paganen Politiker-Biographie, doch ist Jesus gerade kein Kaiser oder Feldherr. 244 Zu Recht geht Keener von der inneren Verwandtschaft und von unscharfen Grenzen zwischen Historio- und Biographie aus. 245 Der Grad an Fiktionalität innerhalb paganer historiographischer und daher auch biographischer Werke sei als niedrig zu bestimmen. Kritisches Vgl. Bauckham, Gospels, 11 f.22 f. Vgl. a. a. O. 28. 235 Vgl. ebd. 236 S. u. IV 1.4. 237 S. u. V. 238 Vgl. Smith, Βίος; Ders., Friends. 239 Smith, Βίος, 168. 240 Vgl. Keener, Christobiography, 1; Vorarbeiten dokumentieren die bei Keener/ Wright (Hg.), Biographies, versammelten Beiträge. 241 Vgl. Keener, Christobiography, 27. 242 Vgl. a. a. O. 68–103. S. u. III 2 f. 243 Dazu s. o. Anm. 106. 244 Vgl. Keener, Christobiography, 104–120. S. u. IV 9.3.3. 245 Vgl. a. a. O. 153–160. S. u. III 1 f. 233 234

Weitere Diskussionen um die Evangelien-Biographie-These

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Quellenstudium und Augenzeugeninformationen sprächen weiterhin für die Zuverlässigkeit der Erzählungen. 246 Auf Grund ihrer biographischen Erzählweise sei den Evangelien die gleiche Zuverlässigkeit zuzubilligen. 247 Die Darstellungsunterschiede, die sie untereinander aufweisen, führt Keener auf je eigene Interessensschwerpunkte zurück und hält sie für wenig gravierend. Die Eingriffe der Evangelisten in die ihnen vorliegenden Traditionen seien mit den Freiheiten vergleichbar, die sich pagane Geschichtsautoren erlaubten. 248 Zuzustimmen ist Keener, dass es sich bei den Evangelien, ähnlich wie bei einigen paganen Viten ihrer Zeit, um faktuale Erzählungen handelt, die ein gewisses Maß an Zuverlässigkeit nicht unterschreiten durften. Kritisch ist seine intensive Bemühung um historische Absicherung der Erzählinhalte zu beurteilen; ein Verfahren, vor dem Karl L. Schmidt unter anderen Vorzeichen gewarnt hatte. 249 Denn anders als Keener es in Frontstellung zu Teilen der gegenwärtigen narratologischen und historiographietheoretischen Diskussion sieht, 250 schließen sich insbesondere im Spektrum der antiken historiographischen Literatur fiktionale Anteile und ein grundsätzlich faktualer Charakter keineswegs aus. 251 In ihrer im Jahr 2018 vorgelegten Arbeit untersucht Isolde Kurzmann-Penz die Kindheitsdarstellungen apokrypher Evangelien. 252 Letztere entwickelten in Kenntnis der kanonischen Evangelien, alttestamentlicher Texte und vor allem im Kontext des im 2. Jahrhundert n. Chr. aufkommenden Interesses an Kindheit allgemein, die sich in den biographischen Werken jener Zeit widerspiegelt, eigene Erzählweisen über die frühen Lebensphasen Jesu. Zu den im englischen Sprachraum entstandenen Weiterarbeiten an der Biographie-Einordnung insbesondere des Markus-Evangeliums zählt auch das im Jahr 2020 publizierte Buch „The First Biography of Jesus“ von Helen Bond. 253 Es fragt nach den interpretatorischen Konsequenzen der Markuslektüre vor dem Hintergrund der griechisch-römischen Biographie-Literatur 254 und kommt dabei zu interessanten Einsichten. So ließen sich Produktion und Rezeption des Werks in ein mittleres Bildungsniveau einzeichnen, das etwa mit dem Besuch des Unterrichts bei einem grammaticus zu erwerben war. 255 Unbeschadet dessen und seiner oberflächlichen Schlichtheit lasse sich aber eine kunstvoll Strukturierung der Erzählung beobachten. 256 Der Verfasser des Mar246 247 248 249 250 251 252 253 254 255 256

Vgl. a. a. O. 183–220.259–327. Vgl. a. a. O. 288. Vgl. a. a. O. 303–327; vgl. auch Licona, Differences. Vgl. Schmidt, Stellung, 217. Vgl. Keener, Christobiography, 9 f. S. u. IV 2. Vgl. Kurzmann-Penz, Fiktion. Vgl. Bond, Biography. Vgl. a. a. O. 4.12. Vgl. a. a. O. 80–86. Vgl. a. a. O. 103 f.

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II Evangelium und Biographie – ein narratologischer Neuansatz

kusevangeliums wird daher als „creative biographer“ 257 charakterisiert, gerade nicht als bloßer Kompilator. Das Werk sei demzufolge als literarische Welt zu verstehen. Damit erübrigten sich auch die ohnehin zu keinen überzeugenden Ergebnissen gekommenen Bemühungen um die Rekonstruktion der vormarkinischen Traditionsstufen. 258 Zweifellos basiere die Erzählung auf Informationen und stimme mit einem innerhalb des frühchristlichen Spektrums verbreiteten Grundwissensbestand über Jesus, sein Leben und seinen Tod überein. Primär wolle sie aber eine eigenständigen Entwurf einer Jesusdeutung vorlegen. Zu dessen Grundbestand zähle die Charakterisierung Jesu als Träger männlicher (griechisch-römischer) Elitetugenden. 259 In Wundertaten und in Konfliktsituationen erweise sich Jesu Selbstbeherrschung (σωφροσύνη) und φιλανθρωπία; seine Bescheidenheit zeige sich in den Versuchen, die Verbreitung der Kunde darüber einzudämmen. Im Abschnitt Mk 8,22–10,52 nehme der markinische Jesus dann seine programmatische Akzentsetzung vor. 260 Die zeitgenössisch gängigen Begriffe von Ehre und Herrschaft stelle er radikal auf den Kopf. Als Christus sei er nicht Herrscher, sondern Diener Aller. Als solcher gebe er sein Leben hin und fordere genau das von seinen Nachfolgern. Das Werk ziele also auf eine imitatio Christi. 261 Im Leben der realen Leserinnen und Leser sei an die historisch belegten Marginalisierungs- und Verfolgungstendenzen gegenüber den frühen Christen zu denken. In weiteren Abschnitten untersucht die Arbeit detailreich die Rolle kleinerer Figuren innerhalb des biographischen Konzepts 262 sowie die markinische Passionserzählung. Letztere habe biostypisch die Aufgabe, durch die Darstellung des Lebensendes zu zeigen, dass Lehre und Leben der Hauptfigur übereinstimmten. Das älteste Evangelium zeige Jesus in dieser Phase daher als Gedemütigten, Einsamen und Ausgelieferten. 263 In der Monographie Helen Bonds gelingt eine von früheren Vorurteilen und Annahmen freie Markuslektüre, aus der sich nicht nur interessante Detailbeobachtungen ergeben, sondern auch die Skizze eines markinischen Jesusbildes, die die griechisch-römischen literarischen und kulturellen Kontexte sensibel beachtet, ohne die jüdische Prägung zu vernachlässigen. Als weiterführend dürfte sich die Charakterisierung des ältesten Evangeliums als literarische Welt erweisen. Anders als bei Keener wird dieser Aspekt nicht der Rekonstruktion vermeintlicher historischer Zuverlässigkeit untergeordnet. 264

257 258 259 260 261 262 263 264

A. a. O. 110; i. O. hervorgehoben. Vgl a. a. O. 106–110. Vgl. a. a. O. 135–150. Vgl. a. a. O. 150–155. Vgl. a. a. O. 155–161. Vgl. a. a. O. 167–221. Vgl. a. a. O. 231–233. Dazu s. u. III 2.

Zwischenergebnis

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4. Zwischenergebnis Auf Grund der vor allem im deutschsprachigen Raum vorherrschenden nichtliterarischen Auslegung der Evangelien, insbesondere des Markusevangeliums, widerfuhr der Idee eines Vergleichs zwischen Evangelien und antiker Biographie lange Zeit das Geschick, nur zur Sprache zu kommen, um abgelehnt zu werden. Diese Situation änderte sich langsam ab der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Mit den Grundlagenarbeiten Burridges und Frickenschmidts kann die Bestreitung der Legitimität und Fruchtbarkeit eines Evangelien-Biographie-Vergleichs als „überwunden“ 265 angesehen werden. Beide Autoren ordnen die Evangelien der Gattung der antiken Biographie zu. Ein solches Urteil spiegelt vor allem die dabei vorausgesetzten Kriterien wider, erfasst aber tendenziell nicht die Vielfalt an Traditionen, die in die Evangelien einflossen. Zudem besteht innerhalb der klassifikatorischen Ansätze Uneinigkeit darüber, zu welchem Typ der antiken Biographie die größte Nähe besteht. Von Beginn an war die englischsprachige Evangelienexegese der BiographieThese gegenüber aufgeschlossener als die deutschsprachige. 266 Zwar lässt sich in Bezug auf Letztere feststellen, dass die Biographie-Einordnung auch hier „fast schon Konsens zu werden scheint“ 267 bzw. „zunehmend[e] Beachtung“ 268 erfährt; 269 weitreichende Resonanz erzeugte sie aber nicht. Die Zahl der sich inhaltlich mit ihr auseinandersetzenden oder sie weiterführenden Arbeiten ist geringer, als man angesichts der Produktivität der Evangelien-Auslegung insgesamt und schwierigen Überwindung der literarischen Isolierung der Evangelien

265 Reiser, Sprache, 98; zur langsamen Etablierung der Biographie-These Lindemann, Literaturbericht, 371; Ders., Literatur 1984–1991, 69; vgl. auch Ders., Literatur 1992–2000, 186–189.378, zu Frickenschmidt und Dormeyer. 266 Vgl. etwa Collins, Mark, 33, die das Markusevangelium von seiner als didaktisch bestimmten Wirkabsicht her mit Philos Mose und dem Pythagoras des Iamblichus, von seiner literarischen und erzählerischen Form mit den historisch genannten Plutarch-, Sueton- und Tacitusviten vergleicht. Ferner Bryan, Preface; Telford, Portrait; Witherington, Gospel; Winn, Purpose, 4; Freyne, Gospel; Walton, Gospels, 48. Kinney, Dimension, 72, stellt zum Matthäusevangelium fest: „It seems that several, even most, modern commentators on Matthew have agreed with Burridge’s premise in that it properly belongs to the genre of Greco-Roman βίος.“ Zusätzlich zum biographischen Charakter seien – bei den Mikroformen – Anleihen bei anderen Gattungen festzustellen. Martin, Lists, 18, spricht bei der Evangelien-BiographieEinordnung vom „majority view in NT scholarship“. Vgl. zur Übersicht auch Keener, Christobiography, 27, mit Anm. 1. 267 Ebner, Viten, 60. Scornaienchi, Jesus, 400, lehnt einen biographischen Charakter des Markusevangeliums in einem engeren Sinne ab. Im Evangelium fehle der Verweis auf ein prestigeträchtiges Genos Jesu. 268 Heil, Evangelium, 87. 269 Vgl. auch etwa Rosik, Biographie, 126; Schnelle, Einleitung, 204; Gelardini, Christus, 4–6; Baum, Biographien, 551; Klumbies, Mythos, 58; Fendler, Studien, 59–77; Müller, Jesus, 169–180.

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erwarten könnte. 270 Mitursächlich für diese Situation dürften die Probleme und Unklarheiten sein, die die historische Gattungsanalyse und ihre Ergebnisse belasten. 271 Für die vorliegende Arbeit bedeutet die hier skizzierte Forschungslage, dass klassifikatorische Fragen nach Gattungszugehörigkeiten nicht weiter verfolgt werden. Denn die Beschäftigung mit ihnen führte zu einem fruchtlosen Streit positioneller Differenzen. Zudem soll im Anschluss an Dormeyer nicht ein Panorama der biographischen Literatur ausgeleuchtet, sondern eine einzelne Textgruppe als Vergleichsgröße im Rahmen eines Textvergleiches genutzt werden. 272 Die der komparatisitischen Arbeit zu Grunde liegenden Methoden und Begrifflichkeiten stammen aus einem bisher von der Evangelien-Biographie-Einordnung separierten Forschungsfeld: der narratologischen Analyse.

5. Narratologische Impulse für den Evangelien-Biographie-Vergleich 5.1 (Keine) Vernetzung zwischen Narratologie und Literaturvergleich Die Zurückhaltung gegenüber dem Evangelien-Biographie-Vergleich dürfte von einer weiteren forschungsgeschichtlichen Gegebenheit mitverursacht worden sein, die mit den narratologischen Ansätzen innerhalb der Evangelienauslegung zusammenhängt. Letztere gingen vom Narrative Criticism im englischsprachigen Raum aus, anfangs verstanden als rein auf Textwelten bezogenes Pendant zur historisch-kritischen Auslegung. 273 In modifizierter Gestalt fanden erzähltheoretisch fundierte Analyseschritte auch im deutschsprachigen Raum Eingang in das anerkannte Instrumentarium historisch-kritischer Exegese und bildeten die Grundlage einer Reihe von Arbeiten, 274 auch zum Markusevangelium. 275 Bemerkenswerterweise gelang eine innere Vernetzung zwischen den 270 „Since 2000, there has been some calm on the field of the genre of Mark“ (Breytenbach, Research, 21). 271 Bond, Biography, 2–4, führt die Stagnation der Evangelien-Biographie-Auslegung auf ihre Nicht-Vernetzung mit dem Third Quest der Jesusforschung sowie der narratologischen Evangelien-Exegese zurück (dazu s. u. 5.1). 272 Dazu s. u. III 3. 273 Vgl. Powell Criticism; Smith, Lion; ferner die Zusammenstellungen bei Finnern, Narratologie, 23 f; Hübenthal, Markusevangelium, 44–50; Finnern, Narratologie, 23 f; Rüggemeier, Poetik, 177–185. 274 Vgl. etwa Cornils, Geist; Eisen, Poetik; Eisen/Müllner (Hg.), Gott; Labahn, Gekommene; Müller, Prophet; Wilk, Erzählstrukturen. Bestandsaufnahme auch bei Finnern, Narratologie, 25 f; Meiser, Evangelien, 10 f. 275 Vgl. Bosenius, Raum; du Toit, Prolepsis; Ders., Entgrenzungen; Ebner, Töne I; Ders., Töne II; Eisen, Markusevangelium; Gerber, Christologie; Hahn (Hg.), Erzähler; Hartenstein, Hauptfigur; Hübenthal, Markusevangelium; Klauck, Rolle; Ders. Vorspiel; Klumbies, Markusevangelium; Meiser, Evangelien; Ders., Gegenspieler; Rose, Theologie; Rüggemeier, Poetik; Willebrand, Markus; Zwick, Montage; van Iersel, Markus. Vgl. auch die Zusammenstellungen bei Rüggemeier, Poetik, 185–191; Breytenbach, Research, 20 f.

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sich Schritt für Schritt etablierenden narratologischen und den literaturvergleichenden Ansätzen allenfalls rudimentär (was die Rezeption der BiographieThese zusätzlich schwächte). 276 Eine Reihe von Gründen dürfte dafür verantwortlich sein, etwa die Tradition der nichtliterarischen Lektüre der Evangelien oder der ahistorische Zug der früheren strukturalistisch orientierten Narratologie. Die beschriebene Leerstelle diagnostiziert bereits Cilliers Breytenbach in einem im Jahr 1985 veröffentlichten Band, der in die Frühphase des narratologischen Zugriffs auf das Markusevangelium im deutschsprachigen Raum gehört. 277 Der Nachweis des erzählenden Charakters der Schrift, den Breytenbach führt, gehöre zu den Voraussetzungen einer literaturgeschichtlichen Zuordnung zu einer der (erzählenden) antiken Gattungen. 278 Allerdings gelte hierbei: „[D]as Verhältnis zwischen den das Erzählen konstituierenden narrativen Strukturen und den historischen Gattungen“ 279 hat noch keine hinreichende theoretische Klärung erfahren. Auch Ferdinand Hahn unterscheidet in einem im selben Band enthaltenen Beitrag die Erzählanalyse und die Bearbeitung der Gattungsfrage, die sich aber aus dem zuerst Genannten ergebe. 280 Den seinerzeitigen Diskussionsstand aufnehmend, erwägt Hahn einen biographischen Charakter des Markusevangeliums. 281 Ein nicht zu weiter, aber auch nicht auf Plutarch verengter Begriff der Gattung der hellenistischen Biographie müsse gefunden werden. Die Personenkonzentration weise zwar auf eine Nähe des Evangeliums zur Biographie hin. Doch die Analogien bestünden eher im literarischen Charakter als „gehobene[] Volksliteratur“ 282 im Stile etwa des Alexanderromans. Da der Literaturvergleich aus Hahns Sicht „kein eindeutiges Ergebnis“ 283 erbringt, helfe die Erzählanalyse weiter. Der Aufbau aus jesuszentrierten, zu einem kohärenten Ganzen verbunden Episoden lasse den biographischen Charakter des Markusevangeliums erkennen. 284 Auf Grund dieses literarischen Charakter als eines bewusst gestalteten Erzählwerks mit einer spezifischen Wirkintention sei beim Markusevangelium von einer Größe sui generis zu sprechen. 285

276 Vgl. Bond, Biography, 3. Gerber, Rez. Becker, 391, diagnostiziert analog das Problem fehlender Verknüpfung narratologischer und literaturvergleichender Lektüre. 277 Vgl. Hahn (Hg.), Erzähler. 278 Vgl. Breytenbach, Markusevangelium, 141 (skeptischer gegenüber einer literarischen Kontextualisierung des Markusevangeliums erscheint noch Ders., Nachfolge, 68). 279 Breytenbach, Markusevangelium, 141. 280 Vgl. Hahn, Überlegungen, 180–182. 281 Vgl. a. a. O. 182–188. 282 A. a. O. 188. 283 Ebd. 284 Vgl. a. a. O. 189. 285 Vgl. a. a. O. 191; ähnlich Vorster, Ort.

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Wie schwer sich narratologische Ansätze trotz des von Breytenbach und Hahn bereits in 1980er-Jahren diagnostizierten Fehlens einer von der Sache her gebotenen Verknüpfung erzähltheoretischer und literaturgeschichtlicher Analyse mit einer literarischen Kontextualisierung nach wie vor tun, zeigt etwa die im Jahr 2014 von Sandra Hübenthal vorgelegte Arbeit, die in anregender Weise das zweite Evangelium als Produkt einer „Gedächtnisgemeinschaft […], die sich als Trägerin von Jesuserinnerungen versteht“ 286, charakterisiert. Der Theorien von kollektiven, kommunikativen und kulturellen Gedächtnissen 287 aufgreifende Ansatz lässt dabei den historischen Autor und seine Abfassung des Textes in den Hintergrund treten. 288 Zwar soll untersucht werden, in welcher Form die Jesus- „Erinnerung strukturiert und dargeboten wird“ 289, doch die Frage nach dem literarischen Charakter des Markusevangeliums bleibt unbearbeitet. Verwiesen wird lediglich auf die Zuweisungsmöglichkeiten des Markusevangeliums zur biographischen oder historiographischen Literatur. 290 Die Frage nach Gattungen stellt sich für Hübenthals Arbeit primär auf Perikopenebene. 291 Die Überführung der Einzelepisoden in die erzählerische Makroform wird zwar als eine neue Sinnpotentiale freisetzende Transformation verstanden, 292 die Makroform selbst stößt jedoch auf auffallend wenig Beachtung. Es bleibt bei der Andeutung, dass diese zwar einen Bezug zum zeitgenössischen Kontext aufweise, in diesem aber nicht aufgehe. 293 Gegen eine Biographie-Lektüre des Markusevangeliums spreche die fehlende Konzentration auf die Person Jesus. Mk 1,1 gebe die ἀρχὴ τοῦ εὐαγγελίου, nicht Jesu Leben als Gegenstand der Erzählung an. Jesus sei zwar die Hauptfigur, nicht jedoch der einzige Erzählinhalt, 294 daher handele es sich beim ältesten Evangelium „offenbar nicht um eine Biographie“ 295. Dem Urteil liegt jedoch weder ein an antiken Biographien gewonnener Biographie-Begriff noch eine biographische Analyse der Markuserzählung zu Grunde. 296 Zwei im Jahr 2001 publizierte Studien bilden Ausnahmen vom ansonsten Üblichen, indem sie narratologische und literaturgeschichtliche Ansätze vereinen und für die Lukasexegese nutzen. Seiner Arbeit zum sogenannten lukanischen Reisebericht, der als theologisches Konstrukt erwiesen wird, fügt ReinHübenthal, Markusevangelium, 72. Vgl. a. a. O. 77–155. 288 Vgl. a. a. O. 72. 289 Ebd. 290 Vgl. a. a. O. 51 f mit Anm. 164 („Auf die Diskussion um die Frage der Gattung des Markusevangeliums wird hier nicht weiter eingegangen“ [a. a. O. 51 Anm. 164]). 291 Vgl. a. a. O. 254–268. 292 Vgl. a. a. O. 162. 293 Vgl. a. a. O. 262. 294 Vgl. a. a. O. 167. 295 Ebd. 296 Vgl. a. a. O. 166. 286 287

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hard von Bendemann einen Vergleich zwischen Lukasevangelium und der Vita Äsops hinsichtlich der Erzähltechniken an. 297 Die detaillierte Analyse ergibt bemerkenswerte Konvergenzen beider Erzählungen, deren episodischer Erzählstil einem ausgefeilten Gesamtplan folgt. So wird durch bisweilen bewusst unbestimmt bleibende Personen-, Raum- und Zeitangaben Erzählinhalten ein Zug des Typischen, Überzeitlichen verliehen. Zudem weisen lukanische Gleichnisund äsopische Fabelreden zahlreiche Berührungspunkte auf. In Summe kann daher festgehalten werden, dass der auctor ad Theophilum mit dem Äsopleben „vergleichbare[] Techniken volkstümlich-biographischen Erzählens“ 298 verwendet. Die Arbeit Gregor Müllers zur synkritischen Darstellung Johannes des Täufers im Lukasevangelium blickt, erzähltheoretisch fundiert, umfassend auf das Gegenüber der paganen Biographie-Literatur. 299 Zu Grunde liegt die klassische Erzähltheorie Génettes, die durch Überlegungen zur erzählerischen Personencharakterisierung ergänzt wird. 300 Es folgt ein Überblick über Voraussetzungen und Praxis der Charakterzeichnung im Enkomion und dem Bios. Schwerpunkte bilden dabei insbesondere die Synkrisis und – nicht zuletzt deswegen – das biographische Werk Plutarchs. 301 Das Hauptaugenmerk gilt vor diesem Hintergrund nun der Personencharakterisierung, insbesondere des Täufers (auch parallel zu Jesus). Bei der Nutzbarmachung der Erkenntnisse ist aus Müllers Sicht aber ein grundlegender Unterschied zu beachten: Plutarchs Doppelviten stellen, anders als Lk 1 f, Nicht-Zeitgenossen nebeneinander, die auch keine ähnlichen Karrieren durchlaufen. 302 Dennoch fügt sich für Müller, ohne dass er eine Gattungsbestimmung in klassischen Sinn durchführt, das lukanische Doppelwerk durch die Verwendung von Sykriseis, 303 die primär indirekte Art der Charakterisierung 304 sowie durch die Abwechslung von Szenen und Summarien in die antike personenbezogene Erzählliteratur ein. Die doppelte Offenheit des Doppelwerkes sowohl für pagane als auch für jüdische, mit der Septuaginta vertraute Adressaten erinnere an die Erzählsituation Plutarchs zwischen Griechen und Römern. 305 Die Einzeltextanalysen ergeben der Wahrnehmung Müllers zufolge, 306 dass Johannes die Rolle eines Protagonisten der Erzählung zukommt. Zu keiner anderen Person neben Jesus erfahren die Leser ähnlich viele Vgl. von Bendemann, ΔΟΞΑ, 354–381. A. a. O. 379. 299 Vgl. Müller, Prophet. 300 Vgl. a. a. O. 16–24. 301 Vgl. a. a. O. 25–58. 302 Vgl. a. a. O. 60. 303 Vgl. Lk 7,36–50; 10,38–42; 15,11–32; 18,10–14. 304 Vgl. die jeweils auf Taten und Lehre Bezug nehmenden Formulierungen in Lk 24,19; Act 1,1; 7,22. 305 Vgl. Müller, Prophet, 61–71. 306 Vgl. a. a. O. 73–310. 297 298

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Biographica. In ihrem Werdegang ist sie mit dem lukanischen Jesus eng verknüpft. Die auf Johannes Bezug nehmenden Texte der Apostelgeschichte intensivieren die Verklammerung beider Werkteile. Die in von Bendemanns und Müllers Arbeit angewendete konsequente Verbindung von Erzählanalyse und dem Vergleich zwischen neutestamentlichen Texten und verwandter antiker Literatur erweist sich als fruchtbar, ermöglicht sie doch durch den Blick auf Einzeltexte eine differenzierte Wahrnehmung von Gemeinsamkeiten und Differenzen jenseits einer Fixierung auf die Gattungsfrage. Überraschenderweise ist dieser Ansatz von der Evangelienforschung bisher kaum aufgegriffen und weiterentwickelt worden. Als eine Ausnahme von dieser Einschätzung ist die literarische Kontextualisierung des Markusevangeliums, die Andreas Seifert im Jahr 2019 erarbeitet, 307 anzusprechen. Vor einem begrüßenswert breiten Horizont, der die Engführungen der Gattungsanalyse vermeidet, konzentriert sich die Arbeit im Einklang mit narratologischen Schwerpunktsetzungen 308 auf das Erzählende, um es mit dem Schluss des Jonabuches, der Vita Mosis und des Demosthenes von Plutarch zu vergleichen. 309

5.2 Narratologische Aufbrüche – methodische Hintergründe In Sönke Finnerns Arbeit aus dem Jahr 2010 steht die narratologische Analyse von Mt 28 im Mittelpunkt. 310 Ausgangspunkt des Arbeitsprogramms ist die Beobachtung, dass sich die neutestamentliche Exegese erst nach erheblichem Verzug von zwei bis drei Jahrzehnten mit der in den Literaturwissenschaften stattfindenden narratologischen Theoriebildung auseinandersetzt. 311 Daher stellt sich die Arbeit der dringend gebotenen Aufgabe, die unter den Schlagwörtern „Kognitive Wende“ und „Kulturelle Wende“ eingeleiteten Neuaufbrüche in der Narratologie-Diskussion zu erfassen und sie für die neutestamentliche Exegese nutzbar zu machen. Nach einer umfangreichen Bestandsaufnahme und Diskussion 312 der erzähltheoretischen Hintergründe wendet Finnern das bereitgestellte Instrumentarium am letzten Kapitel des Matthäusevangeliums an, indem er es hinsichtlich seiner Umwelt, der auftretenden Figuren sowie Perspektiven analysiert. 313 Auch die Arbeit Jan Rüggemeiers aus dem Jahr 2017 beklagt die Abwesenheit neuerer narratologischer Ansätze, und zwar in der Markusexegese. 314 Mit Hilfe 307 308 309 310 311 312 313 314

Vgl. Seifert, Markusschluss. S. u. IV 7.1. Zum Vergleich mit der zuletzt genannten Schrift s. u. IV 7.2. Vgl. Finnern, Narratologie. Vgl. a. a. O. 26. Vgl. a. a. O. 23–246. Vgl. a. a. O. 247–438. Vgl. Rüggemeier, Poetik, 194.

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der kognitiven Narratologie fragt sie nach der erzählten Christologie des Markusevangeliums. Auf Finnerns Methodenprogramm aufbauend und es wo nötig ergänzend, konzentriert sich das Arbeitsprogramm auf perspektiven-, figurenund handlungsanalytische Schritte. 315 Besonderes Augenmerk liegt dabei auf der vom Autor intendierten Aufmerksamkeitssteuerung und auf emergenten Sinngehalten. Ausführlich befragt die Studie auch bisherige religions- und redaktionsgeschichtliche Zugänge zum ältesten Evangelium auf ihre Kompatibilität mit einer kognitiv-narratologischen Betrachtung. 316 Grundannahmen und Anliegen der von den beiden genannten Arbeiten sowie in der vorliegenden Studie 317 genutzten sogenannten 318 „neuen“ oder „postklassischen“, in den Literaturwissenschaften etwa seit den 1990er-Jahren entwickelten narratologischen Analyseansätzen werden vor dem Hintergrund eines Rückblicks auf ihre Vorläufer und ihre Genese deutlich. 319 Erste theoretisch fundierte Interpretationsansätze bei der Beschäftigung mit erzählenden Prosatexten stammen aus der Romantheorie des 18. und 19. Jahrhunderts. Hier stand meist die Frage nach der Einordnung des erzählten Stoffs im Mittelpunkt, ebenso die Abgrenzung des Romans von Novelle und Epos. Aus dieser Tradition heraus gelangte der Schriftsteller Friedrich Spielhagen im Jahr 1883 zu einer ersten Differenzierung von Autor und Erzählerfigur, insbesondere wenn Letztere als in der erzählten Geschichte handelnde Figur auftritt. 320 Spielhagen ging es dabei aus ästhetischen Gründen um die Zurückdrängung der Äußerungen des „Autors“, den wir heute Erzähler nennen würden. 321 Die „erzähltheoretische Großtat“ 322, die Unterscheidung von Autor und Erzähler und damit die Etablierung einer Vermittlungsinstanz als notwendige Bedingung erzählender Texte erkannt zu haben, vollbrachte die Literaturwissenschaftlerin Käte Friedemann im Jahr 1910. Erzähltexte sind demzufolge als mittelbar, als Resultate künstlerischer Inszenierung, zu verstehen. Trotz mancher Kritik gehört die Identifikation dieser erzählenden Instanz als Teil des Werkes zu den bis heute grundlegenden narratologischen Grundannahmen. 323 Eine ähnlich bahnbrechende und bis heute genutzte Differenzierung geht auf 315

Vgl. a. a. O. 25–102. Vgl. a. a. O. 103–177. 317 S. u. IV. 318 Beide Bezeichnungen sind insofern irreführend, als die Verhältnisbestimmung zu den strukturalistisch orientierten Vorgängertheorien differenziert vorzunehmen ist. Es handelt sich um „Verlegenheitsbegriff[e]“ (Finnern, Narratologie, 33), die daher im Folgenden vermieden werden. 319 Vgl. die Überblicke bei Lahn/Meister, Einführung, 22–34; Finnern, Narratologie, 29– 46. 320 Vgl. Spielhagen, Ich-Roman. 321 S. u. IV 1.3; 9.2. 322 Lahn/Meister, Einführung, 23. 323 S. u. IV 1.1. 316

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den russischen Schriftsteller Viktor Šklovskij zurück, 324 nämlich jene zwischen erzählter Welt und Erzählung, oft auch fabula und Sujet oder anderweitig bezeichnet. Dem Russischen Formalismus, dem auch Šklovskij zuzurechnen ist, ging es insgesamt um die Charakterisierung von Erzählungen als die Wirklichkeit durch Verfremdung deutende Sprachkunstwerke, zudem um immer wiederkehrende Strukturgesetzmäßigkeiten; ein Gedanke, der heute etwa bei der abstrakten Beschreibung von Handlungsverläufen im Hintergrund steht. 325 Im anglo-amerikanischen Sprachraum stieß der Literaturkritiker und Essayist Percy Lubbock im Jahr 1921 326 die noch heute wichtige 327 Beschäftigung mit der Frage an, aus welcher Perspektive heraus eine Begebenheit erzählt wird, etwa ob vom „point of view“ beteiligter Figuren oder eines unbeteiligten Erzählers aus. Identifiziert werden zwei unterschiedliche Erzählmodi: Als „telling“ gilt das Sprechen aus einer Erzählerperspektive heraus, während beim – von Lubbock bevorzugten – „showing“ im Idealfall die Illusion erzeugt wird, eine Figur teile ihre Wahrnehmung mit dem Rezipienten. Mit den Möglichkeiten der Korrelation von Figuren- und Erzählerperspektiven und den sich daraus ergebenden Effekten für die Erzählung beschäftigen sich eine Vielzahl an narratologischen Entwürfen. Ein anderes Arbeitsfeld 328 ist die Untersuchung des Zeitmanagements von Erzählungen, genauer die unterschiedlichen Möglichkeiten der Korrelation von Erzählzeit oder erzählter Zeit: Wird die erzählte Zeit fragmentiert, angehalten oder gerafft? Finden Ausblicke nach vorne oder hinten statt? Einen frühen Entwurf zur Systematisierung der entsprechenden Analysekategorien legte der Germanist Eberhard Lämmert im Jahr 1955 vor. 329 Während man die bisher genannten Ansätze unter der Bezeichnung Erzähltheorie(n) fasst, etablierte Tzvetan Todorov im Jahr 1966 „Narratologie“ als Selbstbezeichnung der Erzähltextforschung. 330 In dieser Zeit formierte sich, aufbauend auf Gedanken des Russischen Formalismus sowie der strukturalen Linguistik, die Richtung des Französischen Strukturalismus. Als einer ihrer Vertreter schärfte beispielsweise Roland Barthes den Blick für die Unterscheidung zwischen für die Darstellung des Handlungsverlaufs nötigen und zusätzlichen, nicht notwendigen Informationen. 331 Insgesamt interessierte sich die strukturalistische Analyse vorwiegend für überzeitlich gültige Grundelemente des Erzählens, weniger für ihre jeweiligen konkreten historischen Aktualisierungen. Die komplexen Theoriegebäude halfen allerdings in der Praxis der 324 325 326 327 328 329 330 331

Vgl. Šklovskij, Kunst. S. u. IV 6. Vgl. Lubbock, Craft. S. u. IV 9. S. u. IV 4. Vgl. Lämmert, Bauformen. Vgl. Todorov, Grammaire. Vgl. Barthes, L’analyse. Zum Phänomen s. u. IV 6.1.

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Literaturinterpretation kaum weiter. Als die Narratologie in Theorie und Praxis (und auch die im Abschnitt IV dieser Studie unternommenen Arbeitsgänge) bis heute prägend erwiesen sich dagegen die beiden Entwürfe des französischen Literaturwissenschaftlers Gérard Genette, 332 die zahlreiche der bisher angesprochenen Analysekategorien systematisierten. Ausgehend von der Grundunterscheidung zwischen Erzähltem und Erzählung beschreibt Génette ausführlich die Gestaltungsmöglichkeiten der Erzählinstanz, des Wahrnehmungsmodus („Aus wessen Blickwinkel heraus wird erzählt?“), des Zeitmanagements sowie der Korrelation von Erzähler- und Figurenrede. 333 Teils in Fortführung und zum Zweck der Systematisierung, teils in kritischer Auseinandersetzung mit dem Französischen Strukturalismus entstanden im Laufe der 1970er-Jahre narratologische Entwürfe im englischen Sprachraum sowie in den Niederlanden, Deutschland und Israel. 334 In der Mitte der 1990er-Jahre begann eine neue Phase der narratologischen Theoriebildung, die einen „Boom“ 335 narratologischer Forschungsaktivitäten auslöste. Während zahlreiche der bereits genannten Analysekategorien, etwa zu Perspektiven und Wahrnehmungsmodi, zur Interaktion von Erzählerfigur und Figuren der erzählten Welt oder zum Zeitmanagement weitergeführt und verfeinert wurden, kamen auch neue Tendenzen auf. Narratologische Fragestellungen etwa, erkannte man, lassen sich nicht nur an Erzähltexte der Literaturen der westlichen Welt herantragen, sondern auch an Film und Theater, an Kunstwerke anderer Kulturen und Epochen, etwa an Zeugnisse der griechisch-römischen Antike. Weiterhin zeichneten sich drei „turns“ ab, die die narratologischen Entwürfe nachhaltig prägten: Im Zuge des „pragmatic turn“ kommen Texte nun wieder als konkrete historische Kommunikationsakte zwischen Produzenten und Rezipienten in den Blick. 336 Die Aufgabe der wissenschaftlich fundierten Textinterpretation besteht demzufolge in der Rekonstruktion dieser kommunikativen Interaktion. Die zuvor im Gefolge der sogenannten werkimmanenten Interpretation ausgeblendete Gestaltungsarbeit durch den Autor oder die Autorin kam so wieder in den Blick. Vom sogenannten „Tod des Autors“ im Sinne Roland Barthes, aber auch Umberto Eccos, nahm man Abstand. 337 Die Rolle von Leserinnen und Lesern hängt mit einem zweiten „turn“ zusammen, der sogenannten „Kognitiven Wende“. 338 Entgegen dem ahistoriVgl. Genette, Erzählung. Zu Letzterem s. u. IV 9.2.1. 334 Vgl. Bal, Narratology; Chatman, Story; Pfister, Drama; Rimmon-Kenan, Ficiton. 335 Finnern, Narratologie, 33. Zum Folgenden vgl. a. a. O. 33–46; Rüggemeier, Poetik, 8– 102; ferner Kindt/Köppe, Erzähltheorie; Nünning/Nünning, Narratologie; Lahn/Meister, Einführung; Martínez (Hg.), Handbuch; Martínez/Scheffel, Einführung; Fludernik, Einführung; Hühn u. a. (Hg.), Handbook. 336 S. u. IV 1. 337 Vgl. Finnern, Narratologie, 50. 338 Vgl. a. a. O. 36–45; Zerweck, turn. 332 333

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schen Zug des Strukturalismus wird nun wieder der Tatsache Rechnung getragen, dass Leser nicht voraussetzungslos einen Text wahrnehmen, sondern dabei auf ihr Vorwissen zurückgreifen. Innerhalb eines Werkes achtet die narratologische Analyse daher beispielsweise darauf, wie sich das Bild der Erzählung, der Erzählerfigur oder der Hauptfigur im Laufe des Lesens aufbaut. Diese Grundannahmen liegen der – auch im Rahmen dieser Arbeit betriebenen – Figurenanalyse, aber etwa auch der Analyse von Erzähleinstieg und -ende zu Grunde. 339 Schließlich erfuhr die Narratologie eine „Kulturelle Wende“. 340 Im Gefolge des kognitiven turns wurde klar, dass die kontextuellen Gegebenheiten sowohl der Textproduktion als auch der -rezeption, insbesondere das geschichtlichem Wandel unterliegende mögliche Wissen, mit allen zugänglichen Mitteln zu erforschen sind. Zu den kulturellen Voraussetzungen des Erzählens gehören auch literarische beziehungsweise gattungsbedingte Konventionen, die Autoren möglicherweise teilen und die Leser mehr oder weniger stark wahrnehmen können. 341 Aus der Kontextsensibilisierung entwickelten sich spezialisierte Ansätze wie feministische oder postkoloniale Narratologien. Die Interpretation etwa antiker Erzähltexte stützt sich daher auf die Analyse der möglichen Intertexte, mit denen sich Textproduktion und -rezeption verbinden lassen. Im Gefolge dieser Impulse etablierten sich neue Fragestellungen, die im Zuge narratologischer Analysen an Texte herangetragen werden. Beeinflusst von der Faktualitäts-/Fiktionalitätsdebatte, die die Grenzen und Schnittmengen von literarischem und historischem Erzählen auslotet, 342 entwickelte sich die Differenzierung von fakutalen und fiktionalen Anteilen in Erzählungen zu einem eigenen Arbeitsgebiet. 343 Stärkere Aufmerksamkeit erfährt auch die Darstellung von räumlichen Aspekten von Erzählungen im weitesten Sinn: Settings, Orte und Räume können poetische Funktionen erfüllen und so eigenständige „Akteure“ einer Erzählung werden. 344 Schließlich ergibt sich aus der Minimaldefinition einer Erzählung, derzufolge sie die Darstellung einer Zustandsveränderung enthält, die Untersuchung des erzählten Ereignisses sowie dessen Ereignishaftigkeit beziehungsweise Erzählwürdigkeit. Letztere bemisst sich an der Gravität der dargestellten Zustandsveränderung. 345 Die narratologische Theoriediskussion hat sich inzwischen in viele Äste aufgefächert und wird dort jeweils detailreich und zum Teil mit unterschiedlichen Ergebnissen geführt. Manche der Beteiligten sprechen daher nur noch im Plu339

S. u. IV 5.; 6.; 9. Vgl. Finnern, Narratologie, 45 f; Zerwek, turn, 238 f. 341 Vgl. Finnern, Narratologie, 101 f; vermisst noch von Breytenbach, Markusevangelium, 141. 342 Vgl. etwa Landmesser/Zimmermann (Hg.), Text. 343 S. u. IV 2. 344 S. u. IV 3. 345 S. u. IV 8. 340

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ral von Narratologien. 346 Enzyklopädische Hand- oder Lehrbücher existieren (noch?) nicht. Auf Grund dieser Vielfalt am Stimmen ist es einerseits nicht möglich, dem in dieser Arbeit angestrebten narratologischen Literaturvergleich eine eigene Erörterung aller einschlägigen Begrifflichkeiten und Kriterien voranzustellen. Stattdessen kann auf die ausführlichen Zusammenstellungen und Diskussionen von Theorieelementen, die die exegetischen Arbeiten von Finnern und Rüggemeier vorgelegt haben, aufgebaut werden. Andererseits kann im vorliegenden Rahmen auch nicht ein einzelner narratologischer Entwurf zu Grunde gelegt werden. Den im Abschnitt IV dieser Arbeit eingeschlagenen Analyseschritten werden stattdessen kurze Erläuterungen über die jeweiligen Grundannahmen und Kategorien vorangestellt. Aus pragmatischen Gründen orientieren sich die verwendeten Beschreibungstermini – ebenfalls ein Gebiet der Narratologie, auf dem eine teils unübersichtliche Vielfalt anzutreffen ist – weitgehend an dem einführenden Lehrbuch des Slavisten Wolf Schmid. 347

5.3 Der narratologisch gestützte Literaturvergleich Im Hinblick auf die bisher weitgehend im Zustand eines Desiderates gebliebene Vernetzung narratologischer und literaturvergleichender Methoden halten die beschriebenen narratologischen Ansätze weiterführende Angebote bereit. So fragt zum einen die gegenwärtige Narratologie nicht mehr nur nach dem Wie der Erzählung, sondern auch danach, was erzählt wird. Textvergleiche müssen sich daher nicht mehr darauf beschränken, formale Übereinstimmungen und Abweichungen zu notieren. Vielmehr können sie auch inhaltliche Aspekte der Erzählungen organisch in die Analyse integrieren und mit narratologischen Kriterien vergleichen. Zum anderen spielt dem Werkvergleich in die Hände, dass die heutige erzähltheoretisch fundierte Textinterpretation die kulturelle Umwelt eines Werkes zu berücksichtigen hat, zu denen literarische Kontexte gehören. 348 Daher haben Literaturvergleiche zwischen verwandten Werken ihren Platz unter den Anwendungsfällen narratologischen Arbeitens. Literaturvergleichende Analysen sind in literaturwissenschaftlichen Fächern gängige Praxis; 349 ein Vorbild, das innerhalb der Bibelwissenschaften bisher nur selten aufgegriffen wurde. Diesen Zustand gilt es umso mehr zu verändern, als mittlerweile narratologische Analyseschritte auch in die Interpretation griechischrömischer Literatur Eingang gefunden haben. 350 Exemplarisch sei auf die biographischen Werke in Plutarchs Œuvre verwiesen. Auch zu ihnen liegen erste Vgl. Finnern, Narratologie, 33. Vgl. Schmid, Elemente. 348 Vgl. Finnern, Narratologie, 101 f; Neumann/Nünning, Einleitung, 11; Nünning/ Nünning, Narratologie, 28. 349 Vgl. Finnern, Narratologie, 249 mit Anm. 4. 350 Vgl. etwa de Jong, Narratology (Lit.); Grethlein/Rengakos (Hg.), Narratology; Sco346 347

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narratologisch fundierte Untersuchungen vor. 351 Daher ist es nun an der neutestamentlichen Exegese, das von der Narratologie bereitgestellte und bei der Arbeit an möglichen Vergleichstexten zu den Evangelien angewendete Instrumentarium zu übernehmen und nach literaturwissenschaftlichem Vorbild für die narratologisch fundierte Vergleichsarbeit zu nutzen.

del, Introduction; Eisen/von Möllendorff (Hg.), Grenze; Schirren, Bios; Kirstein, Narratologie; allgemein auch Heinen, Role. 351 Vgl. etwa Almagor, Readers; Ders., Narratives; De Pourcq/Roskam, Virtues; Pelling, Eyes.

III Griechische und römische Biographien – literarische Kontexte 1. Einführung in die antike Biographie Die Biographie entwickelte sich, soweit erkennbar, innerhalb der griechischen Literatur ab dem 5. Jahrhundert v. Chr. aus der Epik und der Historiographie. 1 Letztere enthalten daher Elemente biographischen Erzählens, wie es auch bei Enkomien, Romanen und manchen Inschriften der Fall sein kann. In Einzelfällen führt diese Situation dazu, dass bei einigen Werken aus heutiger Perspektive unterschiedlich beurteilt wird, ob sie zur Geschichte der Biographie zählen oder nicht. Von Biographien im eigentlichen Sinn sollte man bei eigenständigen literarischen Erzählungen über das Leben eines Menschen sprechen. 2 Der Terminus „Biographie“ kommt erst im 6. Jahrhundert n. Chr. auf. 3 Gemäß gängiger Nomenklatur nennen sich in griechischer und lateinischer Sprache verfasste Lebensbeschreibungen meist βίοι beziehungsweise vitae. 4 Die Termini bezeichnen mithin sowohl die Erzählung als auch deren Inhalt, der nämlich von dem gelebten Leben eines Menschen, seiner Lebensweise handelt. 5 Bei den – im Regelfall nach ihrem Tod – Dargestellten handelt es sich, soweit es die Überlieferung zu erkennen gibt, ebenso wie bei den Autoren biographischer Texte ausnahmslos um Männer, nie um Frauen. 6 Grundsätzlich sind Biographien über Philosophen, über Dichter und über Politiker zu unterscheiden. 7 Dabei lassen sich jeweils eigene Entwicklungen dieser drei Haupttypen antiker Biographien beobachten. 8 Über die Frage, welche Grundregeln ein literarisches Lebensbild einzuhalten hat, gab es in der Antike keine verbindliche Verständigung. Eine Regelpoetik, wie etwa bei der Tragödie, existierte nicht. Das bedeutet, dass sich die Autoren biographischer Texte umfangreiche Gestaltungsfreiheiten nehmen konnten. Vgl. Schorn, Biographie (2014), 685.687 f; Ders., Historiographie. Vgl. Schorn, Biographie (2014), 685. 3 Vgl. a. a. O. 679; Sonnabend, Geschichte, 7; Wördemann, Charakterbild, 32. „Biographie“ wird im Folgenden als Synonym zu βίος/vita verwendet. 4 Vgl. Plut. Aemilius 1,1; Theseus 1,1 u. ö. 5 Vgl. Duff, Exploring, 33. 6 Vgl. Collins, Gospel, 20. Erst die neuplatonische Biographie interessiert sich – möglicherweise auch auf Grund christlichen Einflusses – verstärkt für Frauen (vgl. Schorn, Biographie [Manuskript], 6; Hartmann, Philosophinnen). 7 Vgl. Schorn, Biographie (2014), 679. 8 S. u. 2. 1 2

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III Griechische und römische Biographien – literarische Kontexte

Entsprechend groß fallen die innerhalb der überlieferten biographischen Literatur anzutreffenden Unterschiede aus. Daher lässt sich auch aus Sicht der heutigen Literaturwissenschaft kein fixer Bauplan der antiken Biographie rekonstruieren. 9 Diese Gegebenheit trägt zur bereits angesprochenen Unschärfe des Biographie-Begriffs bei. Einige immer wieder anzutreffende und in den Texten zum Teil explizit besprochene Grundstrukturen lassen sich aber benennen. Als konstitutiv wird weitgehend folgendes Grundmuster angesehen: Im knapp gehaltenen oder entfalteten Anfangsteil kommen Name sowie geographische und familiäre Herkunft der Hauptfigur zur Sprache, optional Nachrichten über Kindheit, Erziehung, Ausbildung, erste Äußerungen der Fähigkeiten oder des Charakters. Der Hauptteil beinhaltet Taten und Aussprüche sowie soziale Interaktionen des Porträtierten. Welche Lebensphasen ausführlich präsentiert werden, was ausgelassen oder gerafft wird, obliegt dem Autor und kann daher von Fall zu Fall erheblich differieren. In manchen Fällen ist die Schilderung des Lebensendes als eigenständiger Abschnitt innerhalb des Hauptteils zu erkennen. Einige Biographien bieten im Rahmen von Nachgeschichten noch Nachrichten über die postmortale Verehrung oder etwa das weitere Schicksal von Freunden und Feinden der Hauptfigur. Insbesondere im Mittelteil dominieren meist aneinandergereihte Anekdoten (sog. μυθολογεῖν), 10 die von Summarien oder Metakommentaren unterbrochen werden können. Der darzustellende Stoff lässt sich entweder in chronologischer Reihenfolge oder nach thematischen Gesichtspunkten blockweise anordnen; 11 Grundprinzipien, die Sueton als per tempora und per species beschreibt. 12 Die zuerst genannte Methode lehnt sich dem Annalenstil der Geschichtsschreibung an; Letztere weist Nähen zum Enkomion auf. Der Biograph kann auch eine Mischform aus beidem herstellen. Ihm bietet sich auch bei der Wahl der Erzählweise ein Spektrum an Gestaltungsmöglichkeiten. So begegnen streckenweise detailreich erzählende Viten (etwa bei Plutarch oder Nepos), sowie nüchtern, listenartig vorgehende, die ohne größere narrative Kontextualisierung Tatsachen und/oder Aussprüche aneinanderreihen (wie die Philosophenviten des Diogenes Laertios). Zu beachten ist aber, dass die Nähe zu dem einen oder dem anderen Extrem nichts über die (im modernen Sinn verstandene) historische Zuverlässigkeit der Biographie

9 Vgl. Burridge, Gospels, 62; Bond, Biography, 45. Der Formulierungsvorschlag von Momigliano, Development, 11 (ähnlich Aune, Testament, 29), eine Biographie beschreibe das Leben eines Menschen von Geburt bis zu seinem Tod, lässt die Unbestimmtheit in der Frage der literarischen Gestaltung erkennen. 10 Dazu Arrighetti, Anekdote. 11 Vgl. Sonnabend, Geschichte, 180 f; Frickenschmidt, Evangelium, 278. 12 Vgl. Suet. Augustus 9,1.

Einführung in die antike Biographie

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aussagt. 13 Anekdoten über eine Person werden von unterschiedlichen Autoren stark verändert oder als Wanderanekdoten gar auf andere Personen übertragen. Auch wenn sie in einem faktischen Sinn offen Unwahres erzählten, konnten sie als wahr hinsichtlich der Darstellung des Typischen im Charakter des dargestellten Menschen angesehen werden. 14 Antike Biographien verstehen sich häufig als Einführungen in das und Schlüssel zum Werk des Dargestellten, insbesondere bei Dichtern und Philosophen. Im Hinblick auf ihre eigene philosophische Anschauung verfolgen die Autoren mit ihren Darstellungen apologetische, protreptische, manchmal auch polemische Ziele. 15 Von der historiographischen Literatur sollte die biographische nicht streng abgetrennt werden. 16 Trotz mancher Berührungsflächen war es weniger das Enkomion, das als Triebfeder der Entwicklung der Biographie diente, 17 als historisches Interesse. Bereits in ihrer Frühphase arbeiteten Verfasser biographischer Werke mit historiographischen Mitteln. Hinsichtlich des angesprochenen fiktionalen Gehalts mancher Biographien ist festzustellen, dass in Biographien der hellenistischen Zeit „oftmals historisch genau gearbeitet wurde (jedenfalls nicht tendenziöser als bei manchen ‚echten‘ Historikern)“ 18. Ihre Schnittmengen mit der Geschichtsschreibung behielt die antike Biographie auch in der Zeit des Prinzipats bei; das innere Verwandtschaftsverhältnis blieb im Laufe ihrer Entwicklung bestehen. 19 So enthalten historiographische Schriften auch Biographica; Biographen zeichnen bisweilen das Leben ihrer Hauptfigur in die jeweiligen Zeitläufte ein. Wie die Geschichtsschreibung behandelt die Biographie Gegenstände, die in der Vergangenheit liegen. Die Verfasser wiederum konnten aus Geschichtswerken schöpfen und sich der historiographischen Methoden bedienen. Ein Werk wie Plutarchs Reihe der Kaiserviten von Augustus bis Vitellius, von denen nur die Leben Galbas und Othos erhalten sind, siedelt sich im Grenzgebiet zwischen Historio- und Biographie an. 20 Die einzelnen Lebensbilder bauen aufeinander auf und fügen sich so zu einer biographisch orientierten historia continua zusammen. Unbeschadet der Verwurzelung der Biographie in der Geschichtsschreibung setzen biographische Werke üblicherVgl. Ebner, Viten, 44. Vgl. Schorn, Biographie (2014), 684. 15 Vgl. a. a. O. 681. 16 Vgl. zum Problem Schepens, Verhältnis; zum Folgenden auch Keener, Christobiography, 153–160. 17 Vgl. Sonnabend, Geschichte, 70: „Mit den Peripatetikern hat der Grundsatz keine Gültigkeit mehr, dass eine Biographie nur loben darf und dass sie nur Vorbilder im positiven Sinn vorführen soll.“ 18 Schorn, Biographie (2014), 689. 19 Vgl. Aune, Testament, 13; Dormeyer, Geschichtsschreibung; Klumbies, Jesuserzählung, 233 f; Schepens, Verhältnis; Schorn, Biographie (2014), 688. 20 Vgl. de Blois, Galba; Georgiadou, Lives; Duff, Exploring, 19 f; Holzbach, Plutarch (zur Gattungsfrage und zum Entstehungskontext vgl. a. a. O. 1–13.212 f); Sonnabend, Geschichte, 148; Stadter, Plutarch and Rome, 17–20. 13 14

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III Griechische und römische Biographien – literarische Kontexte

weise andere Akzente als allgemeine Geschichtswerke. Plutarch etwa gibt die Anregung zur Charakterbildung als Ziel seiner biographischen Arbeit an. 21 Daher konzentriert er sich bisweilen auf andere Stoffe als der Universalhistoriker: weniger auf politisch-militärische Taten als vielmehr auch auf Privates und Persönliches, das Rückschlüsse auf den Charakter der Hauptfigur zulässt. 22 In diesem Sinn – nicht als Behauptung einer Dichotomie zwischen Historio- und Biographie – sollten die programmatischen Aussagen zur Binnendifferenzierung verstanden werden. 23 Angesichts der skizzierten Situation lässt sich die Biographie auch als eine Spezialform der Historiographie verstehen.

2. Überblick über Quellen und Werke 24 Wo man mit der Geschichte der griechischen Biographie anzusetzen hat, wird je nach Biographie-Begriff unterschiedlich beurteilt. 25 Frühe Belege biographischen Erzählens finden sich bei Ion von Chios, im Prosaenkomion des Isokrates für den zypriotischen König Euagoras sowie bei Xenophon, insbesondere in den Lobschriften des spartanischen Generals Agesilaos sowie Kyros II. und in den Memorabilien. 26 Wann die ersten Biographien im Sinne eigenständiger Erzählungen verfasst wurden, lässt sich nicht mit letzter Sicherheit rekonstruieren. Als möglicherweise erste Dichtervita entstand im 5. Jahrhundert v. Chr. eine Darstellung des Alkidamas über Homer. 27 Am Anfang der Philosophenvita standen wohl Neanthes’ Nachforschungen über das Leben Platons und die von Speusipp angelegte Sammlung „Über Philosophen“. 28 Porträts von Politikern wurden in größerem Stil erst ab der Kaiserzeit geschrieben; zuvor hatte zumeist die Geschichtsschreibung diese Aufgabe übernommen. 29 Als Vorläufer der Po21 Vgl. Späth, Politische; zur moralischen Tendenz der Biographie-Literatur Bond, Biography, 46–51. 22 Vgl. Plut. Alexandros 1; Polyb. 10,12; Nepos, Pelopidas 1. 23 Vgl. Burridge, Gospels, 61 f; Duff, Exploring, 13–51; Schorn, Biographie (2014), 689. Die programmatischen Aussagen in biographischen Werken korrespondieren mit dem entsprechenden Selbstverständnis historiographischer Texte: Vgl. Pol. 10,21; dazu Sonnabend, Geschichte, 4–6. Der Autor geht der Tendenz nach mit der älteren Forschung (vgl. a. a. O. 8) von einer „strikte[n] Trennung zwischen Biographie und Historiographie“ (a. a. O. 4) aus. Polybios zieht aber keine Grenze zur Biographie, sondern zum Enkomion (vgl. Schorn, Biographie [2014], 689). 24 Vgl. Aune, Testament, 27–43; Ders., Biography; Burridge, Gospels, 70–81; Frickenschmidt, Evangelium, 93–209; Hägg, Art; Rosik, Biographie, 111–121; Schorn, Biographie (2014), 694–725; Ders., Biographie (Manuskript); Sonnabend, Geschichte; Bond, Biography, 38–77. 25 Vgl. Hägg, Art, 15 f. 26 Vgl. Reichel, Xenophon. 27 Vgl. Schorn, Biographie (2014), 694 f. 28 Vgl. a. a. O. 697. 29 Vgl. a. a. O. 690.

Überblick über Quellen und Werke

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litker-Vita können die Schriften des Stesimbrotos von Thasos über Themistokles, Thukydides und Perikles gelten, in denen die Athener Politik kritisiert wird. 30 Erkennbar ist, dass Aristoteles und der Peripatos wichtige philosophische Grundlagen für die literarische Beschäftigung mit Lebensdarstellungen schufen. 31 Dikaiarchos von Messene etwa verfasste Werke über die Sieben Weisen, Pythagoras, Platon und Sokrates. Ob es sich um Biographien handelte, ist nicht vollständig zu klären, jedenfalls beschäftigen sich die Werke mit philosophischen Lebensweisen. 32 Ethisch-psychologisches Interesse ist auch in den „Charakteren“ des Theophrast zu erkennen, die beispielsweise den Kleinlichen, den Heuchler oder den Gewinnsüchtigen studieren. Theophrasts Konkurrent innerhalb des Peripatos, Aristoxenos von Tarent (ca. 360–300 v. Chr.), verfasste Biographien unter anderem über den von ihm geschätzten Pythagoras sowie über Platon und Sokrates. Neben seinen eigenen Ansichten ließ er sich erkennbar von dem Versuch leiten, eine wahrheitsgemäße Darstellung zu verfassen, weswegen er sich etwa auch um Informationen von Augenzeugen bemühte. 33 Auf Grund der fragmentarischen Überlieferung bleibt Vieles aus der Geschichte der Biographie in hellenistischer Zeit im Dunkeln. 34 Dabei erfreute sich die Biographie gerade in dieser Epoche großer Beliebtheit. Hermippos von Smyrna (3./2. Jahrhundert v. Chr.) etwa verfasste eines der umfangreichsten biographischen Werke der Antike, das beinahe nur noch in Fragmenten bei späteren Rezipienten überliefert ist. Die in die Biographiensammlungen des Hermippos aufgenommenen Anekdoten haben in vielen Fällen dezidiert fiktiven Charakter und sollten primär der Unterhaltung dienen. 35 Von Neantes von Kyzikos (4. Jahrhundert v. Chr.) sind Fragmente eines beachtlichen biographischen Werkes erhalten. Es enthält Biographien unter anderem von Platon und Pythagoras sowie Biographisches innerhalb anderer Werke. Methodisch orientierte sich Neantes an der Arbeitsweise des Historikers: Er wertete schriftliche Quellen aus und recherchierte intensiv vor Ort. 36 Am Anfang der lateinischen Biographie steht Cornelius Nepos (um 110–28 v. Chr.). 37 Er verfasste neben universal- und kulturgeschichtlich ausgerichteten Geschichtswerken etwa 400 Biographien, die leider nur in geringer Anzahl er30

Vgl. a. a. O. 695 f. Vgl. Hägg, Art, 70; Fortenbaugh, Biography; Döring, Biographisches; vgl. ferner auch Erler, Elemente. 32 Vgl. Schorn, Biographie (2014), 702. 33 Vgl. Brisson, Aristoxenus; Frickenschmidt, Evangelium, 154 f; Hägg, Art, 69–77; Schorn, Biographie (2014), 705–707; Sonnabend, Geschichte, 68–71. 34 Vgl. Schorn, Biographie (2014), 704. 35 Vgl. Hägg, Art, 84–89; Schorn, Biographie (2014), 716 f; Geiger, Nepos. 36 Vgl. Schorn, ‚Periegetische Biographie‘ ; Ders., Biographie (2014), 709 f. 37 Vgl. Frickenschmidt, Evangelium, 163–166; Hägg, Art, 188–197; Sonnabend, Geschichte, 107–113. 31

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III Griechische und römische Biographien – literarische Kontexte

halten sind. Die Darstellungen wurden nach Berufsgruppen angeordnet: Monarchen, Strategen, 38 Rhetoren sowie auf unterschiedlichen Gebieten tätige Schriftsteller. Innerhalb der Sektionen stellte Nepos stets eine Gruppe griechischer Repräsentanten einer Abteilung römischer Vertreter gegenüber. Im Zuge der seinerzeitigen Bemühungen, ein geistiges Gegenüber zur griechischen Kultur in lateinischer Sprache zu schaffen, wollte Nepos seinem Leserkreis, der nicht in der senatorischen Elite, sondern in breiteren Bevölkerungsgruppen angesiedelt war, auf diese Weise hellenisches Bildungsgut zugänglich machen. 39 Nepos leistete nicht nur Grundlegendes für die Entwicklung der römischen Biographie, sondern auch für einen Typus der Lebensbeschreibung, der sich nicht mehr nur für Philosophen, Dichter und ihre Werke, sondern auch für Politiker und ihr Agieren im Kontext der zeitgeschichtlichen Umstände interessiert: die sogenannte politische Biographie war geboren. 40 Im Hinblick auf die Arbeitsweise des Biographen bedeutete dieses Programm eine enge Orientierung am (im antiken Sinn) historisch Erforschbaren. Der sich der peripatetischen Tradition verpflichtet fühlende Hof-Historiograph Herodes des Großen, Nikolaos von Damaskus (ca. 64 v. Chr.–4 n. Chr.), vertrat nicht nur die Interessen des Herodes (und später des Archelaos) in Rom, sondern legte neben anderen umfangreichen Werken auch eine enkomiastische Augustus-Biographie vor. 41 Von ihr sind Fragmente des ersten Teils erhalten, der die Zeit bis in etwa zum Jahr 44 v. Chr. behandelt. Das Werk verfolgt weniger ein biographisches Interesse in einem engeren literarischen Sinn, als dass es offensichtlich Kaiserpropaganda betreibt, von der auch Herodes profitieren sollte. Es stellt eine Art griechischsprachiges Pendant zu der nur umrisshaft erhaltenen Autobiographie des Octavian dar. Demzufolge wurde es ebenfalls noch zu Lebzeiten des Augustus verfasst, vermutlich in der zweiten Hälfte der 20er-Jahre des 1. Jahrhunderts v. Chr. Der ehrgeizige Politiker und große Historiograph Tacitus (ca. 55–120 n. Chr.) verfasste als sein erstes literarisches Werk eine Biographie seines Schwiegervaters, des Konsuls Agricola. 42 Geschrieben wurde sie wohl auch aus einem aristokratischem Selbstbewusstsein heraus, das nach dem Tod des Domitian wiedererstarkte. Der Text sollte einerseits zeigen, dass man nun, nach dem Ende der Schreckensherrschaft, wieder ein Lob auf einen Aristokraten verfassen konnte; andererseits, dass auch unter einem Schreckensregime ein ehrenhafter Dienst für das Imperium möglich gewesen war. Das Ziel der Werke des Plutarch (ca. 45–125 n. Chr.), die in der modernen Forschung viel Aufmerksamkeit auf sich ziehen, bestand in der Anleitung der 38 39 40 41 42

Zu den Feldherrenbiographien Anselm, Struktur. Vgl. Mutschler, Geschichtsbetrachtung. Vgl. Frickenschmidt, Evangelium, 165. Vgl. a. a. O. 166 f; Hägg, Art, 197–204; Sonnabend, Geschichte, 119–123. Vgl. Frickenschmidt, Evangelium, 171–173; Hägg, Art, 204–214.

Überblick über Quellen und Werke

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Leser zur Verbesserung ihres eigenen Lebens. 43 Über das Leben des Plutarch wissen wir aus Notizen innerhalb seiner Werke vergleichsweise viel. 44 Erhalten sind von ihm zwei Einzelviten, Reste von Kaiserviten sowie die umfangreiche Sammlung an Doppelviten je eines Griechen und eines Römers. Letztere erinnern an Suetons Werk (dazu gleich), weisen jedoch eigene Ordnungsmerkmale auf, etwa die Konzentration auf Politiker, die Ausführlichkeit und die paarweise Vergleichsdarstellung. Auch konzentrieren sich die Texte auf die Menschen und ihre Charaktere, weniger auf ihre Taten, um so die Charakterbildung der Leser anzustoßen. Charakteristisch ist die mit den Methoden der Historiographie abgesicherte Erzählweise, die der philosophisch-ethischen Reflexion dienen soll. 45 Obwohl Sueton (ca. 70–130 n. Chr.) aus einer angesehenen Familie stammte, wählte er nicht eine politische Laufbahn, sondern betätigte sich als Rechtsanwalt und Schriftsteller. 46 Unter Trajan hatte er eine hohe Position innerhalb der kaiserlichen Verwaltung inne und konnte daher auf Archive und Kanzleien zugreifen. Für seine biographische Behandlung von Cäsar und Augustus schöpfte er ganz besonders aus diesem Fundus. Etwa zwischen den Jahren 107 und 118 n. Chr. verfasste Sueton eine nur teilweise erhaltene Darstellung de viris illustribus mit Viten berühmter Autoren, Philosophen und Historiker. Berühmter noch sind die Kaiserviten von Cäsar (ohne den Anfang erhalten) bis Domitian. Die Lebensbilder folgen einem festen Schema: Zunächst werden chronologisch Herkunft, Jugend und Ausbildung erzählt. Der Hauptteil ist thematisch geordnet: militärische Taten, politische Entscheidungen, Finanzen, Familie. Der Weg auf das Lebensende hin wird wieder der Reihe nach erzählt. An Sueton zeigt sich das erwachende und insbesondere im 2. Jahrhundert n. Chr. ausgeprägte Interesse an der Kenntnis einschlägiger Biographica innerhalb des populären Bildungskanons der Römer. Dabei waren nicht nur große Gestalten der Vergangenheit von Interesse, sondern gerade auch Personen der Zeitgeschichte, hier speziell Intellektuelle wie Dichter und Philosophen. 47 Grundsätzlich dominiert im 1. und im beginnenden 2. Jahrhundert n. Chr. – wie später kaum wieder – 48 die historiographieaffine politische Biographie. 49 Tacitus, Sueton und Plutarch gehören selbst der sozialen Elite an und schreiben innerhalb eigener politischer Kontexte vor allem über politisch Tätige. Bei Nepos und Plutarch bildet zudem der griechisch-römische Kulturkontakt von 43 Vgl. Frickenschmidt, Evangelium, 167–169; Hägg, Art, 239–281; Sonnabend, Geschichte, 146–168. 44 S. u. IV 1.2. 45 S. u. IV 1.3. 46 Vgl. Frickenschmidt, Evangelium, 170 f; Hägg, Art, 214–232; Pausch, Biographie, 233–324; Gibson/Power (Hg.), Suetonius. 47 Vgl. Pausch, Biographie. 48 Vgl. Schorn, Biographie (Manuskript), 10. 49 Ähnlich Keener, Christobiography, 44.150.

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III Griechische und römische Biographien – literarische Kontexte

Griechen und Römern den Horizont des Darstellungsinteresses. Der LiteratenBios tritt im Prinzipat insgesamt fast völlig in den Hintergrund. 50 Auch die Philosophen-Vita liegt in neutestamentlicher Zeit offenbar brach. 51 Gelehrte Philosophen-Biographien blühen erst mit Diogenes Laertios im späten 2. beziehungsweise 3. Jahrhundert n. Chr. wieder auf. 52 Mit Lukian (ca. 120–180 n. Chr.), der seinen Lehrer Demonax als ethisches Vorbild porträtierte, setzt die enkomiastische Philosophen-Biographie ein, die sich vor allem im 3. und 4. Jahrhundert n. Chr. breit entfaltet. 53 Sie kann entweder weitgehend fiktive Inhalte bieten, wie etwa Lukians Demonax oder Philostrats zwischen Roman, Enkomion und Biographie angesiedelte Darstellung des Apollonius von Tyana, 54 oder unter dem Vorzeichen des Neuplatonismus das Leben der Schulgründer oder anderer philosophischer Lehrer in idealisierender Weise beschreiben. Die wichtigsten Autoren und Werke sind Philostrat („Leben der Sophisten“), 55 Porphyrios („Philosophiegeschichte“, Pythagoras- und Plotinbiographie), Jamblich (Pythagoras-Vita) 56 und Eunapios („Leben der Philosophen und Sophisten“). 57 Ihre Texte wollen in das Werk des Porträtierten einführen und für die eigene Auslegungsrichtung werben. Mit dem Erstarken des Christentums im öffentlichen Leben fungieren diese Biographien auch als Räume des geistigen Rückzugs und der Rückbesinnung auf das Gewesene und nun in Frage Gestellte. Als neue Art der Biographie tritt vor allem ab dem 3. Jahrhundert n. Chr. die im Grenzgebiet zum Roman angesiedelte offene Biographie zutage. Ihre anonym in Umgangssprache verfassten Werke verändern sich im Zuge ihrer Rezeptionsprozesse; sie sind daher oft in unterschiedlichen Rezensionen überliefert. Bekannt sind hier vor allem das Leben Aesops, dessen Erstfassung im Ägypten des 1. oder 2. Jahrhunderts n. Chr. entstand, 58 sowie die Lebensbeschreibung des Alexander. 59

Vgl. Schorn, Biographie (Manuskript), 7. Vgl. a. a. O. 1. 52 Vgl. Frickenschmidt, Evangelium, 182–184; Hägg, Art, 305–318; Mejer, Biography. 53 Hägg, Art, 99.101.117 f.135, weist darauf hin, dass Äsop-, Alexander- und Homerviten auf früheren Überlieferungen beruhen. 54 Vgl. Bäbler/Nesselrath, Apollonios; Schorn, Biographie (Manuskript), 68–77; Schirren, bios; Staab, Gewährsmann. 55 Vgl. Frickenschmidt, Evangelium, 190; Hägg, Art, 318–341; Sonnabend, Geschichte, 195–199; Schorn, Biographie (Manuskript), 77–79. 56 Vgl. Hägg, Art, 352–368; Schorn, Biographie (Manuskript), 91–96. 57 Vgl. Schorn, Biographie (Manuskript), 96–101. 58 Vgl. Hägg, Art, 101–117; von Bendemann, ΔΟΞΑ, 360–362; Schorn, Biographie (Manuskript), 42. 59 Vgl. Hägg, Art, 117–134; Schorn, Biographie (Manuskript), 58–61. Umstritten ist, ob die Urfassung aus dem 3. Jahrhundert n. Chr. stammt oder aus hellenistischer Zeit. 50 51

Plutarchs Biographien als Vergleichsgrößen zum Markusevangelium

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3. Plutarchs Biographien als Vergleichsgrößen zum Markusevangelium Bei seiner gattungsmäßigen Einordnung der neutestamentlichen Evangelien im Kontext der antiken Biographie hat Frickenschmidt im Besonderen die politische Biographie vor Augen. Bereits seit vorhellenistischer Zeit existierten – wenn auch seltener als bei Philosophen und Literaten – Viten über öffentlich Tätige. 60 In der insbesondere ab Nepos entwickelten politischen Biographie sieht Frickenschmidt das Vorbild der evangeliaren Erzählungen von einem öffentlich wirksamen Jesus. 61 Bereits Hengel hatte auf Plutarchs biographische Werke als lohnende Vergleichsgröße der Evangelien-Forschung hingewiesen. 62 Dormeyer schlägt vor, in den Biographien Plutarchs von Gründer- und Herrschergestalten die engsten Parallelen zum Markusevangelium hinsichtlich ihrer Grundstrukturen zu sehen. 63 Der Altphilologe und -historiker Stefan Schorn hält dagegen die politische Biographie für zu wenig ausgeprägt, als dass sie bei der Abfassung der Evangelien Pate gestanden haben könnte. Er sieht in der Philosophen-Biographie die hauptsächliche Vergleichsgröße zu den Evangelien, insbesondere in den kynischen Philosophen-Viten des Diogenes Laertios und den enkomiastischen Pythagoras-Viten. Formale Parallelen beobachtet er auch zwischen Evangelien und offenen romanhaften Biographien wie den Lebensdarstellungen des Alexander oder des Aesop. 64 Der in dieser Arbeit durchgeführte narratologische Vergleich zwischen dem Markusevangelium und den Biographien Plutarchs begründet sich auf mehreren Ebenen. So gelten die Plutarch-Viten auf Grund ihrer Vielzahl sowie ihres inhaltlichen und erzählerischen Reichtums als „Höhepunkt der hellenistischen Biographie“ 65. Vorzugsweise an Plutarch lässt sich biographisches Erzählen paradigmatisch studieren und für die narratologische Analyse eines Werks wie des Markusevangeliums fruchtbar machen. Zudem dominierte, wie beobachtet, 66 in neutestamentlicher Zeit die politische Biographie, deren Hauptvertreter Plutarch ist. Wie sich zudem zeigen wird, 67 lässt sich über Plutarch eine mögliche Verbindungslinie zwischen dem ältesten Evangelium und der politikaffinen römischen Biographie vermuten. 68

Vgl. Frickenschmidt, Evangelium, 161. Vgl. a. a. O. 504. 62 Vgl. Hengel, Probleme, 223–225 mit Anm. 8. 63 Vgl. Dormeyer, Idealbiographie, 10. 64 Vgl. Schorn, Biographie (Manuskript), 127. Als Teil der Philosophenvita bezeichnet Burridge, Gospels, 247, die Evangelien. 65 Dormeyer, Idealbiographie, 7; ähnlich Beck, Introduction, 1; Sonnabend, Geschichte, 146. 66 S. o. 2. 67 S. u. IV 10.2; V. 68 Auf die Verbindungen Plutarchs nach Rom weist Dihle, Evangelien, 407, hin. 60 61

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III Griechische und römische Biographien – literarische Kontexte

Dabei kann es im Hinblick auf das Markusevangelium und die Werke Plutarchs um keine Fragen direkter literarischer Abhängigkeit gehen. Denn ebenso wie die Schriften des Chaironäers keinerlei Bezugnahme auf das Frühe Christentum erkennen lassen, 69 konnte der Autor des Markusevangeliums die Werke Plutarchs noch nicht kennen. Auch die ihm nachfolgenden frühchristlichen Schriften weisen keine direkten Bezugnahmen auf Plutarchtexte auf.

69 Vgl. Brenk, Speaking, 18. Schnelle, Jahre, 438 Anm. 30, hält es für möglich, dass in Plut. Coniugalia Praecepta 19 (mor. 140d) vor mit dem Christentum sympathisierenden Frauen gewarnt werden könnte. Carrara, Vita, erwägt, ob bei der Schilderung des postumen Geschicks des Romulus antichristliche Tendenzen im Hintergrund stehen (dazu s. u. IV 2.2.4). Wie explizite Äußerungen des Chaironäers zum Frühchristentum ausgefallen wären, kann nur gemutmaßt werden. Möglicherweise wäre es in ähnlicher Weise wie das Judentum kommentiert worden, das der Autor oberflächlich zu kennen scheint und das er mit Herablassung behandelt (vgl. Brenk, Speaking, 18; Lamberton, Plutarch, 58; Lichtenberger, Essen, 65– 67; Muñoz Gallarte, Judaísmo; Usener, Plutarch).

IV Plutarchviten und Markusevangelium – ein Vergleich 1 1. Kommunikationsebenen

1.1 Das narratologische Modell der Erzählung als Kommunikationsakt Die narratologische Analyse versteht eine Erzählung grundsätzlich als Akt der Kommunikation zwischen Autor und Rezipienten. Die Aufgabe der Analyse besteht deshalb in der Rekonstruktion des Kommunikationsgeschehens. 2 Gleichsam von innen nach außen gehend sollten dabei folgende Ebenen der Kommunikation unterschieden werden: 3 Gegenstand der Erzählung der Erzählerfigur 4 ist die sogenannte erzählte Welt, im Markusevangelium beispielsweise primär das Wirken Jesu in und um Galiläa sowie in Jerusalem. Als dargestellte Welt bezeichnet man dagegen die literarische Inszenierung des Erzählakts der Erzählerfigur. Die Erzählerfigur kann eher verborgen bleiben – so tendenziell im Markusevangelium – oder Einzelheiten auch über ihre Identität preisgeben, wie es in den Plutarch-Biographien der Fall ist. Sowohl im ältesten Evangelium als auch bei Plutarch ist die Erzählerfigur an den erzählten Geschehnissen nicht beteiligt; es handelt sich also jeweils um nichtdiegetische Erzähler. 5 Jede Erzählerfigur entspringt literarischer Gestaltung; präziser ist daher vom fiktiven Erzähler einer Erzählung zu sprechen. 6 Vom Autor oder der Autorin eines Werkes ist die Erzählerfigur daher immer zu unterscheiden, 7 selbst wenn sie den Anschein der Identität mit dem Autor erweckt. Innerhalb der dargestellten Welt redet die fiktive Erzählerfigur – durchgehend implizit, stellenweise explizit – fiktive Adressaten an, die nicht mit den abstrakten, das heißt in den Text eingeschriebenen, oder den konkreten, tatsächlichen Adressaten deckungsgleich sind. Der Autor tritt innerhalb der dargestellten Welt nicht explizit in Erschei1 Stellenangaben der Plutarchviten erfolgen grundsätzlich nach der Ausgabe von Ziegler, Plutarch. Wo nötig, wird die Binnendifferenzierung der Abschnitte gemäß Perrin, Lives, hinzugefügt. Die Übersetzungen der im Folgenden zitierten Textstellen orientieren sich weitgehend an Ziegler, Plutarch. 2 Vgl. Rüggemeier, Poetik, 26–32. 3 Vgl. Schmid, Elemente, 43–69. 4 S. u. 1.3; 9.2. 5 Vgl. Rüggemeier, Poetik, 209. 6 Vgl. Klein/Martínez, Wirklichkeitserzählungen, 2; Rimmon-Kenan, Fiction, 87 f; Schmid, Elemente, 41 f. 7 Vgl. Schmid, Elemente, 71–83.

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IV Plutarchviten und Markusevangelium – ein Vergleich

nung, sondern hinterlässt lediglich als sogenannter abstrakter Autor die Spuren seiner literarischen Gestaltungstätigkeit. Aus ihrer Wahrnehmung des abstrakten Autors, kombiniert mit möglicherweise vorhandenem textexternen Wissen, entwickeln die Leserinnen und Leser ein Bild des konkreten Autors. 8 Analog setzt der konkrete Autor ein Bild der Adressaten voraus, das als Vorstellung des abstrakten Lesers in den Text eingetragen wird. Die konkreten Adressaten können es sich bei der Lektüre erschließen. Unter den vom Autor imaginierten Adressaten ist der ideale Leser jener, der der Wirkintention des Werkes aus Autorensicht optimal entspricht.

1.2 Das Bild des Autors Anders als bei dem anonym überlieferten Markusevangelium lassen sich Hinweise in den erhaltenen Werken historisch auswerten, um ein Bild des Autors Plutarch zu skizzieren. 9 Der in den 40er-Jahren des 1. Jahrhunderts n. Chr. in einer wohlhabenden Familie geborene Plutarch unternahm nach seinem Studium an der Athener Akademie Reisen nach Kleinasien, Ägypten und Italien, wo er das Lateinische erlernte. 10 Von einem Vertrauten, dem Konsul Mestrius Florus, erhielt er das römische Bürgerrecht. Zu Plutarchs Freunden zählten bedeutende Griechen und Römer, unter Letzteren mindestens neun konsularischen Ranges, die unter Trajan im Zenit ihrer Karriere standen. Offenbar erhielt Plutarch selbst die hohe Auszeichnung der ornamenta consularia. 11 In seiner zentralgriechischen Heimatstadt Chaironeia 12 ging er schriftstellerischen Tätigkeiten nach, bekleidete öffentliche Ämter; zudem fungierte er als Priester im etwa 30 Kilometer von Chaironeia entfernt liegenden Heiligtum zu Delphi. Er starb um das Jahr 120 n. Chr. Zu seinem umfangreichen Werk zählen über 220 Schriften zu unterschiedlichen Themen. Die heute gängige Einteilung in Viten und Moralia etablierte sich erst im Laufe der Überlieferungsgeschichte und spiegelt die Entstehungsverhältnisse der Schriften nicht wider. Vielmehr entstanden die heute in den beiden genannten Corpora vereinten Texte nicht jeweils en bloc, sondern Plutarch arbeitete, soweit es die heutige Rekonstruktion erkennen lässt, in wechselnder Reihenfolge an biographischen und an anderen Schriften. 13 Zum Œuvre 8 So Rüggemeier, Poetik, 28, der mit vielen Narratologen die Rede vom rein textimmanenten impliziten Autor ablehnt. 9 Zu Leben, Werk und Bedeutung zusammenfassend Beck, Introduction; Brenk, Speaking; Duff, Exploring, 1–9; Frickenschmidt, Evangelium, 167–169; Jones, Plutarch; Lamberton, Plutarch, 2–12; Müller, Prophet, 31–42.312–328; Sonnabend, Geschichte, 146–148; Seifert, Markusschluss, 145–148; Reiser, Porträts, 27–43. 10 Vgl. Plut. Demosthenes 2; dazu auch Strobach, Plutarch, 180 f. 11 Vgl. Stadter, Plutarch and Rome, 14–17.20. 12 Vgl. Plut. Kimon 1 f; Plut. Sulla 16. 13 Vgl. Geiger, Lives, 5–7.

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Plutarchs zählen rund 50 Biographien beziehungsweise biographienahe Texte: Galba und Otho, Fragmente einer ansonsten nicht erhaltenen, umfangreichen Serie biographisch-historiographischer Porträts der römischen Kaiser von Augustus bis Vitellius, die im letzten Viertel des 1. Jahrhunderts, sicher vor der Serie der Parallelviten, 14 entstand, 15 einzelne Lebensbeschreibungen, von welchen noch jene des Perserkönigs Artaxerxes II sowie des Anführers des Achaeischen Bundes, Aratos von Sikyon, erhalten sind, 16 sowie schließlich, etwa in den letzten beiden Schaffensdekaden Plutarchs, die als Sammlung konzipierten 17 und beinahe vollständig überlieferten Parallelviten. 18 Letztere lassen sich im Hinblick auf das Wirken ihrer Hauptfiguren grob in drei Gruppen einteilen. 19 Merkmal einiger der Paarungen ist die Bemühung um Verteidigung von politischer Freiheit: Demosthenes kämpfte gegen die makedonische Herrschaft über Athen, Cicero für die Römische Republik; Theseus und Romulus schufen freiheitliche Verfassungssysteme. 20 Durch die Aufrechterhaltung von rigoroser Tugendhaftigkeit fallen zweitens Charaktere wie Aristeides, der Kämpfer gegen die Perser und der Verwalter des Attischen Seebundes, oder der altrömischen Werten verpflichtete Zensor Cato auf. Eine dritte Gruppe von Hauptfiguren bekleidet ein Feldherrenamt. Oft lassen die jeweils Gegenübergestellten Ähnlichkeiten im Lebenslauf erkennen: Nikias und Crassus etwa wechseln zur Seite der ursprünglichen Feinde, Eumenes und Sertorius finden durch Verräter jeweils ihr Ende. Eine ganze Reihe von griechisch-römischen Feldherrenpaaren ist darin vereint, insbesondere im Vergleich zu Alexander keine großflächigen Eroberungen vorweisen zu können: Agesilaus/Pompeius, Kimon/Lukullus, Demetrius/Antonius, Nikias/Crassus, Sertorius/Eumenes, Pyrrhus/Marius und Lysander/Sulla. 21 Plutarch schöpfte bei der Abfassung seiner Biographien aus schriftlichen Quellen, die ihm im Original, in Übersetzung oder als Exzerpt zur Verfügung standen. Explizit genannt werden ältere Biographien. 22 Das Werk des Cornelius Nepos mit seinen Griechen-Römer-Vergleichen beeinflusste Plutarch zweifellos. Mehr noch waren es aber historiographische, philosophische und dramatiVgl. Ders., Greeks, 124. Vgl. de Blois, Galba; Georgiadou, Lives; Duff, Exploring, 19 f; Holzbach, Plutarch (zur Gattungsfrage und zum Entstehungskontext vgl. a. a. O. 1–13.212 f); Sonnabend, Geschichte, 148; Stadter, Plutarch and Rome, 17–20. 16 Vgl. Almagor, Aratus. 17 Vgl. Geiger, Lives, 6. 18 Vgl. Duff, Exploring, 13–51; Ders., Prologues; Frazier, Histoire; Geiger, Project; Jones, Plutarch, 29–34; Sonnabend, Geschichte, 149–168; Stadter, Plutarch and Rome, 21–24; Wördemann, Charakterbild, 51–105. 19 Vgl. Seifert, Markusschluss, 155. 20 Zum Staatsmann bei Plutarch vgl. Van Raalte, More; zu Solon und Lykurg als Staatslenker vgl. de Blois, Statesman. 21 Vgl. Almagor, Greatness, 148 Anm. 6. 22 Vgl. Plut. Aemilius 1,1. 14 15

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sche Werke, die als Material dienten. Zitiert werden in den Plutarch-Viten über hundert griechische und, für einen griechischen Literaten seiner Zeit nicht selbstverständlich, vierzig lateinische Autoren. 23 Zahlreiche Stellen verweisen zudem auf ἀπομνημονεύματα beziehungsweise ὑπομνήματα; Termini, die für eine ganze Bandbreite an schriftlichem Material verwendet werden können, von autobiographischen Memoiren bis hin zu Sammlungen von Aussprüchen. 24 Die Biographien Plutarchs erscheinen so als literarische Welten, die mannigfaltige intertextuelle Bezugnahmen beinhalten. Innerhalb mancher Biographien lassen sich zudem die unterschiedlichen Modi der Quellenbenutzung Plutarchs skizzieren, etwa im Fall des Alkibiades: So sind etwa in Plut. Alkibiades 1–13 mosaikartig Informationen aus verschiedenen Werken zusammengestellt, der Mittelteil beruht primär auf Thukydides, der nur an wenigen Stellen ergänzt wird. Ab Plut. Alkibiades 27 schließlich bietet die Biographie eine Harmonisierung aus Xenophon, Ephorus und Theopompus. 25 Gelegentlich lässt Plutarch den Erzähler der Biographien auch Schriften anderer Autoren explizit nennen und, wo nötig, kritisch kommentieren. 26 Aus der reichhaltigen Literatur etwa, die als Reaktion auf den Selbstmord Catos in Utica entstand, kannte der Chaironäer Cäsars Anticato und Ciceros CatoEnkomion. 27 Seine eigene Darstellung gibt ihre Abhängigkeit von der enthusiastischen, cäsarfeindlichen Cato-Vita des P. Clodius Thrasea Paetus zu erkennen, ohne ihr in der positiven Bewertung Catos uneingeschränkt zu folgen. 28 Sie wiederum geht auf eine Schrift des Munatius Rufus zurück. 29 Letzterer war ein enger Weggefährte Catos, so dass in seinem Werk mit Material eines Augenzeugen zu rechnen ist. 30 Das Leben des Griechen Nikias beginnt mit einer Nennung der Hauptquellen Thukydides und Phililstos, der heftigste Kritik an einem Werk des Timaios, das ebenso wie Plutarch aus den beiden Genannten schöpft, zur Seite gestellt wird: Timaios habe nicht nur, voll des literarischen Ehrgeizes, den Stil seiner Quellen übertreffen wollen, sondern auch sachlich absurde Behauptungen aufgestellt. 31 Nicht nur schriftliche Quellen, sondern auch mündliche Gewährsleute scheint Plutarch bei seiner Recherche konsultiert zu haben. Zumindest spricht der Erzähler der Demosthenes-Vita davon, bei der Abfassung von Werken wie 23 Vgl. Lamberton, Plutarch, 19 f; Schettino, Use; Strobach, Plutarch, 180 f; Bowie, Habits. 24 Vgl. Cirafesi/Fewster, ἀπομνημονεύματα, 194, insbesondere zu Plut. Alkibiades 2,1; Brutus 13,2; 41,7; Cato mai. 9,5; 23,4; Lykurgos 19,3; Pompeius 2,5; 37,1. 25 Vgl. Verdegem, Alcibiades, 401 f; allgemein auch Roskam/Verdegem, Topic. 26 Vgl. Plut. Numa 1,1; Demetrios 2,1; Nikias 1,5; Alexandros 2,1 27 Vgl. Plut. Cato min. 36,3; Cäsar 54,1.; dazu Wördemann, Charakterbild, 213 f. 28 Vgl. Pelling, Truth, 148. 29 Vgl. Plut. Cato min. 25,1; 37,1. 30 Vgl. Fehrle, Cato, 8 f. 31 Vgl. Plut. Nikias 1.

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den Biographien Menschen, die Dinge sicher im Gedächtnis (μνήμη) bewahren, zu befragen. 32 Zu denken ist möglicherweise an gelehrte Freunde des Autors, mit welchen er in Gedankenaustausch stand. Schließlich will der Erzähler auch Informationen durch eigene Erkundung zusammengetragen haben, etwa indem er Weihegeschenke und Urkunden studierte. 33 Insgesamt zeugen die Viten Plutarchs von einer mit Ernsthaftigkeit erfolgten Bemühung um die Absicherung des Erzählten durch den kritischen Umgang mit historischen Quellen. 34 Über die Arbeitsweise Plutarchs 35 gibt eine in der Ich-Form gestaltete Passage im Demosthenes-Lebensbild Auskunft. In ihr kommt der Erzähler auf die Notwendigkeit zu sprechen, bei der Abfassung einer ἱστορία nicht nur in der eigenen Bibliothek, sondern auch in Büchern, die Anderen gehören, zu recherchieren. Dafür und für die Befragung sachkundiger Zeitgenossen eigne sich insbesondere der Aufenthalt in einer Großstadt. 36 Der Athen, Ägypten und Rom besuchende, aber die meiste Zeit doch in der zentralgriechischen Provinz verbringende Plutarch sammelte Material zu Personen, Realien, Begebenheiten, das er eigener Anschauung, Lektüre oder dem Hörensagen verdankte, offensichtlich in einer Art Kartei. 37 Die Notizen ließen sich dann je nach Thema und literarischem Rahmen zusammenstellen, so entweder in den Sammlungen wie den Praecepta gerendae reipublicae oder den Regum et imperatorum apophthegmata oder innerhalb eigenständiger, ausgearbeiteter Erzählungen wie den Biographien und dort mit weiterem Material kombinieren. 38 Das Verfahren lässt sich anhand von Mehrfachbezeugungen von Material innerhalb unterschiedlicher Plutarch-Schriften rekonstruieren. Den Ehrgeiz und die Ruhmsucht des Themistokles etwa bezeugt seiner Biographie zufolge dessen Angewohnheit, nachts weder zu schlafen noch mit seinen Freunden zu zechen, sondern nachdenklich umherzuschweifen. Zur Begründung seines Verhaltens verweist er darauf, dem Vorbild des Marathonsiegers Miltiades nachzueifern. Er sagt, das Siegeszeichen des Miltiades lasse ihn nicht schlafen (ὡς καθεύδειν αὐτὸν οὐκ ἐῴη τὸ τοῦ Μιλτιάδου τρόπαιον). 39

Herangezogen und wortgleich zitiert wird dieser Ausspruch auch im Lebensbild des Theseus, um dessen Drang, Herakles nachzueifern, mit den Sehnsüch-

32 33 34 35 36 37 38 39

Vgl. Plut. Demosthenes 2,1. Vgl. Plut. Nikias 1. Zur Verwendung von Inschriften vgl. Liddel, Scholarship. Vgl. Pelling, Truth, 144–153. Vgl. dazu auch Stadter, Technique. Vgl. Plut. Demosthenes 2,1. Vgl. Stadter, Notes; Van der Stockt, Methods, 329; Verdegem, Alcibiades, 403. Vgl. Cooper, Interplay; Verdegem, Quaestiones. Plut. Themistokles 3,4.

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ten des Themistokles zu vergleichen. 40 Ebenfalls zum Einsatz kommt das Wort in den Praecepta gerendae reipublicae, um die nötige Selbstdisziplin des Politikers zu illustrieren. 41 Enthalten ist es schließlich auch in der Sammlung der Sprüche von Königen und Feldherren. 42 Zu vermuten ist, dass Plutarch den Ausspruch zunächst archiviert hat und ihn auf Grund von Stichwortassoziationen in die vier genannten Werke einfließen ließ. Über den Verfasser des ältesten Evangeliums ist weit weniger bekannt. 43 Sicher stammte er aus den Kreisen des Frühen Christentums. Dass er über Kenntnisse des Aramäischen verfügte, lässt sich wahrscheinlich machen. Die in der Erzählung punktuell auftretenden Aramaismen sprechen aber nicht zwingend für umfangreiche oder überhaupt muttersprachliche Kompetenzen. 44 Bei der Frage der Arbeitsweise des Verfassers gibt die vorliegende Erzählung, die keine Metakommentare enthält, nur wenige Anhaltspunkte. Dass die Abfassung des Markusevangeliums vorausliegende Traditionen nutzt, ist unstrittig. So verwenden etwa die Leidensankündigungen und die Herrenmahlworte Traditionen, die in ähnlicher Form in den eine Generation zuvor entstandenen Paulusbriefen begegnen und dort bereits als Übernahme charakterisiert worden waren. 45 Dass die Leidensankündigungen in leicht veränderter Form dreifach in die Erzählung einfließen, entspricht dem bei Plutarch beobachteten Verfahren, Textmaterial jeweils auf den Erzählkontext hin angepasst mehrmals zu verwenden. Zudem lassen die Doppelüberlieferungen von Markusevangelium und Logienquelle erkennen, dass beide – unabhängig voneinander – aus den Traditionsströmen des Frühchristentums schöpften. 46 Textstellen wie Mk 1,7 f im Vergleich zu Mt 3,11; Lk 3,16 illustrieren den Sachverhalt: Die Seitenreferenten kombinieren die ihnen vorliegenden Überlieferungen zu Johannes aus dem Markusevangelium sowie der Logienquelle. Aus Letzterer haben sie das Motiv der Feuertaufe eingefügt, das das Markusevangelium nicht kannte. Dass der Autor des ältesten Evangeliums bei der Abfassung seines Werks auch schriftliches Material verwendete, ist anzunehmen. Doch für die Abgrenzung und Rekonstruktion vormarkinischen Materials fehlt eine textexterne Quellenbasis. 47 Als auf eine eigenständige schriftliche Quelle zurückgehend werden oft die Passionskapitel Mk 14–16 angesehen. Eine sichere Rekonstruk-

Vgl. Plut. Theseus 6,7: ὡς καθεύδειν αὐτὸν οὐκ ἐῴη τὸ Μιλτιάδου τρόπαιον. Vgl. Plut. Praecepta gerendae reipublicae 4 (mor. 800b). 42 Vgl. Plut. Regum et imperatorum apophthegmata 1 (mor. 184f–185a). 43 Zur Frage des Entstehungskontextes des Markusevangeliums s. u. V. 44 Vgl. Ebner, Markusevangelium (22013), 173; anders Meiser, Funktion, 542. 45 Vgl. Mk 8,31; 9,31; 10,33 f; 14,22–24; mit 1Kor 11,23–25; 15,3 f; dazu auch Becker, Markus-Evangelium, 171 f. 46 Vgl. Laufen, Doppelüberlieferungen, 73–76.385; Apel, Anfang, 18; Broer, Einleitung, 66–68. 47 So auch entschieden Bond, Biography, 106. 40 41

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tion der Vorlage will aber nicht gelingen. 48 Zudem ist die Unabhängigkeit des in der Passionsgeschichte zum Markusevangelium weitgehend parallel erzählenden Johannesevangelium von den synoptischen Evangelien nicht sicher. 49 Angesichts der festen Verankerung des Passionsberichts innerhalb des Markusevangeliums ist insgesamt zu hinterfragen, ob Mk 14–16 auf die bloße Übernahme vorliegenden Materials zu reduzieren ist. 50 Als längere Passagen, die auf zusammenhängendes Quellenmaterial zurückgehen, werden weiter die apokalyptische Rede in Mk 13, Teile der Reden in Mk 10 sowie die Streitgesprächeund Gleichnisse-Serien in Mk 2–4 bestimmt. 51 Auch im Fall dieser Texte fehlt die außermarkinische Absicherung, um das bei der Abfassung des Markusevangeliums verwendete Material zu charakterisieren. Die Zusammenstellungen ähnlicher Szenen zu Blöcken ist ein biographietypisches Verfahren, das der Autor beherrschte. 52 Anzeichen für vorausliegende thematische schriftliche Sammlungen sind die genannten Serien daher nicht. Im Hinblick etwa auf alle Streitgespräche des Markusevangeliums ist festzuhalten, dass sie in die Handlung fest integriert sind: Sie dokumentieren, dass den Gegnern Jesu der Nachweis blasphemischen beziehungsweise kriminellen Lehrens und Handelns misslingt, weswegen im Rahmen des Justizmordes an Jesus die Beweise fingiert werden müssen. Die feste Integration der Streitgespräche in die Erzählhandlung spricht dagegen, ihre Existenz primär auf eine Vorgabe durch vormarkinische Sammlungen zurückzuführen. 53 Grundsätzlich ist zudem in Rechnung zu stellen, dass im Markusevangelium enthaltene Informationen, Motive und Formulierungen sich nicht zwangsläufig schriftlichen Quellen verdanken müssen, sondern auch auf den primär mündlich weitergegebenen Wissensbestand des Frühen Christentums zurückgehen können. 54 Der Seitenblick auf Plutarch hatte gezeigt, dass bei der Abfassung 48 Vgl. Herrmann, Strategien, 352–354; Seifert, Markusschluss, 195. Anders etwa Dschulnigg, Markusevangelium, 44. 49 Vgl. Labahn/Lang, Johannes. 50 Für Bond, End, 426 f; Dies., Biography, 106–115.224–2313, spricht die kohärente Integration von Mk 11–16 in das Gesamtwerk gegen eine starke Quellenabhängigkeit des Evangelisten in der Passionserzählung. Als Parallele macht die Autorin auf pagane biographische Texte aufmerksam, in denen der Tod eines Philosophen mit seinem Leben und seiner Lehre im Einklang stehen muss (s. u. 4.3). Zudem lasse sich das Darstellungsinteresse des Markusautors in der Passionsgeschichte skizzieren, und zwar als Teil der Gesamterzählung: Jesu Anspruch, Sklave aller zu sein und sich dem Willen Gottes vollständig zu unterwerfen, werde hier endgültig realisiert. Von einer vormarkinischen Passions- und Ostergeschichte geht dagegen u. a. Theobald, Passion, aus: Sie sei als Ätiologie einer jährlichen christlichen Passafeier erzählt worden, habe den Nukleus des Markusevangeliums gebildet und sei vom Autor des Markusevangeliums um Mk 14,22–25 ergänzt worden. 51 Vgl. Becker, Markus-Evangelium, 12–14; Broer, Einleitung, 89; klassisch Kuhn, Sammlungen. 52 Vgl. Bond, Biography, 101. 53 Vgl. Scornaienchi, Jesus, 390. 54 Bond, Biography, 108, erwägt, ob der Autor Informationen von oder aus dem Umfeld

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von Werken Informationen auf mehreren Wegen gesammelt werden konnten: aus schriftlich Überliefertem oder durch die Archivierung der Aussagen von Informanten. Vor diesem Hintergrund ist anzunehmen, dass auch der Abfassung des ältesten Evangelium eine komplexe Informationsbeschaffung vorausliegt, die sich heute nicht mehr präzise rekonstruieren lässt. Zudem besteht die Möglichkeit, dass Erzählzüge des Evangeliums literarischer Imagination entspringen, die Realitätseffekte zu erzeugen versucht. 55 Das gilt auch im Fall konkreter Informationen dokumentarischer Art wie etwa des Kreuzestitulus in Mk 15,26. 56 Erschafft Plutarch in seinen Biographien intertextuell angelegte, im Gespräch mit griechischer und lateinischer paganer Literatur stehende Welten, steht die Markuserzählung in vielfacher Beziehung zur biblischen Tradition. 57 Den Schriften Israels ist das Verständnis von Jesu Wesen und Wirken zu entnehmen. Das Eingangszitat in Mk 1,2 f, aber auch das letzte öffentlich von Jesus gesprochene Wort in Mk 14,49 zeigen, dass für das Markusevangelium Leben und Geschick Jesu aus der Schrift hervorgehen. 58 Gegenstand zahlreicher Streitgespräche Jesu mit seinen Gegnern sind konkrete Schriftstellen und ihre Auslegung. 59

1.3 Die Figur des Erzählers 60 Wie in jeder Erzählung ist es auch in den Plutarch-Biographien eine fiktive Erzählerfigur, deren Erzählakt innerhalb der sogenannten dargestellten Welt des Petrus bezog. Becker, Markus-Evangelium, 169–176, führt angesichts von 1Kor 15,3 f; die markinischen Leidensankündigungen auf eine schriftliche Vorlage zurück. Die wörtlichen Übereinstimmungen sind jedoch gering und belegen keine Verarbeitung textlicher Tradition im Markusevangelium. 55 Dazu s. u. 2. 56 Für Becker, Markus-Evangelium, 153–167, handelt es sich bei der Nennung des Kreuzestitulus (Mk 15,26) um die Wiedergabe einer schriftlichen Dokumentation der historischen Kreuzesinschrift. Von der historischen Plausibilität einer entsprechenden Inschrift (vgl. die in Suet. Cal. 32,2 genannte Tafel, die allerdings der Verurteilte selber trägt) ist aber nicht zwingend auf eine schriftliche Form der Überlieferung des kurzen Textes, die dem Autor des Evangeliums vorlag, zu schließen. Der Verfasser kann ebenso auf das im Frühen Christentum Bekannte zurückgegriffen haben. Zudem könnte die historische Plausibilität gerade für (darauf Wert legende) literarische Imagination sprechen. Vgl. auch die parallele Formulierung in Mk 15,18. Plutarch ist sich im Übrigen mit den Historiographen darin einig, dass epigraphische Zeugnisse von zweifelhafter historischer Aussagekraft sein können (vgl. Plut. Aristeides 1; dazu Liddel, Inscriptions, 129 f). 57 Einen Überblick über Forschungspositionen zum Problem bietet Meiser, Funktion, 518–520; vgl. auch Wilk, Schriften, 207–209; Parker, Directory; Suhl, Funktion. 58 Vgl. insbesondere Mk 1,2 f; 14,49; dazu Meiser, Funktion, 522 f.543. 59 Vgl. Mk 2,25 f; 7,6 f.10; 10,19; 11,17; 12,10 f.19.26.29.36; 14,27; dazu Meiser, Funktion, 520 f. 60 Zu den Erzählern unter figurenanalytischem Aspekt s. u. 9.2.

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stattfindet. 61 Eine Besonderheit besteht darin, dass die Erzählerfigur gewissermaßen mit zwei Stimmen sprechen kann. Zumeist tritt der Erzähler in der Rolle des tendenziell allwissenden Kenners des Vergangenen auf. Gelegentlich eingestreute Passagen in der ersten Person Singular oder Plural erwecken den Eindruck, der konkrete Autor Plutarch von Chaironeia ergreife das Wort. Die Ichbeziehungsweise Wir-Passagen beschränken sich auf Metakommentare, die nicht unmittelbar die Handlung der Erzählung voranbringen, sondern sie einleiten oder abschließen, 62 auf die thematischen Schwerpunkte vorbereiten, 63 über die Grenzen historischer Erforschbarkeit des Dargestellten räsonieren, Bewertungen einzelner Erzählinhalte vornehmen 64 oder Selbstgesehenes zur Beglaubigung des Erzählten anführen. 65 Zwischen beiden Sprech-Modi wechselt die Erzählerfigur bruch- und übergangslos hin und her. Daraus ergibt sich in zweifacher Hinsicht eine tendenziell metaleptische 66 Grundstruktur der Erzählerstimme: Zum einen entsteht der Eindruck, der konkrete Autor Plutarch schlüpfe gleichsam in sein Werk hinein, indem er sich auf die Kommunikationsebene der fiktiven Erzählerfigur begibt; zum anderen scheinen die Grenzen zwischen dem konkreten menschlichen Autor Plutarch und seinem allwissenden Erzähler zu verschwimmen. Die so ausgelöste Irritation bleibt relativ gering, ist aber stark genug, um den Zuverlässigkeitsanspruch sowie das ästhetische Niveau der Erzählung zu stützen. Das beschriebene Verfahren ist in der Historiographie üblich 67 und unterstreicht den historiographischen Charakter, den Plutarch seinen Biographien zuschreibt. Da der metaleptische Aspekt für die Leser offensichtlich ist, lässt sich die Gestaltung der Erzählerstimme bei Plutarch als eine Art Angebot einer Komplizenschaft zwischen Autor und Lesern verstehen: 68 Letztere akzeptieren den fiktionalen Anteil; dafür wird ihnen eine ansprechende Erzählung geboten. 69 Unter den Erzählerkommentaren erklären in den Plutarch-Biographien die meist am Beginn einer Erzählung gegebenen – und damit besonders betonten – programmatischen Statements, wie und wozu sich die Erzählung mit Lebenswegen auseinandersetzt: 70 Die Beschäftigung mit den äußerlich wahrnehmbaren „Taten“ des Porträtieren geschieht zum Zweck der Darstellung und des 61 Almagor, Readers, arbeitet die Inszenierung des Erzählers in Plutarchs Artaxerxes-Vita heraus. 62 Vgl. etwa Numa 23,1; Lykurgos 31,5; Poplicola 1,1. 63 Vgl. Plut. Alexandros 1; Nikias 1; Cato min. 24,1. 64 Vgl. etwa Plut. Camillus 1,1; Demosthenes 13,1 (dazu auch Seifert, Markusschluss, 170 f). 65 Vgl. Plut. Marius 2,1. 66 S. u. 2.1. 67 Vgl. Pausch, Autor, 206 f, der besonders auf Livius hinweist, sowie Duff, Exploring, 70. 68 Vgl. Pelling, Narrator, 268. 69 Zur Fiktionalität s. u. 2.2. 70 Vgl. Duff, Exploring, 13–51; Ders., Prologues. Zur Gestaltung der Erzähleinstiege s. u. 5.

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IV Plutarchviten und Markusevangelium – ein Vergleich

Studiums seines Charakters. Der Biograph muss im Hinblick auf die vorgestellte Person das Gewichtigste und Bedeutsamste für die Erkenntnis seines Wesens aus seinen Taten (ἀπὸ τῶν πράξεων) entnehmen. 71

So obliegt es der Biographie, den Lesern Material, das für die Erkenntnis des Charakters und der Sinnesart (τὴν πρὸς κατανόησιν ἤθους καὶ τρόπου) des Mannes von Wert ist, zu übermitteln. 72

Dabei besteht angesichts der mit großen historischen Taten verbundenen Berufe der meisten der dargestellten Männer die besondere Herausforderung darin, nicht jene Details zu übergehen, die den Charakter in besonderer Weise offenbaren: Da ich gleichsam ein Bild der Seele (εἰκόνα ψυχῆς) entwerfe, darf ich auch kleine Züge, in denen sich der Charakter spiegelt (τὰ μικρὰ τῶν ἠθῶν σημεῖα), nicht übergehen. 73

Das Charakterstudium berühmter Männer betreibt die Biographie nicht zum Selbstzweck. Vielmehr verfolgt sie ein pädagogisches Ziel: die innere Weiterbildung der Rezipienten. Der Erzähler formuliert in der Ich-Form sein Anliegen: Die Anregung, mich mit dem Schreiben von Biographien (τῆς τῶν βίων ἅψασθαι μὲν γραφῆς) zu befassen, ist mir von anderen gekommen; dass ich aber dabei blieb und mich alsbald auf dem Gebiete wohlfühlte, das geschah aus eigenem Antrieb, indem ich nun versuchte, gleichsam vor dem Spiegel der Geschichte mein Leben gewissermaßen zu formen und dem Vorbild jener Männer anzugleichen (ὥσπερ ἐν ἐσόπτρῳ τῇ ἱστορίᾳ πειρώμενον ἁμῶς γέ πως κοσμεῖν καὶ ἀφομοιοῦν πρὸς τὰς ἐκείνων ἀρετὰς τὸν βίον). 74

Wie im zuletzt Zitierten bereits anklingt, verwendet der Erzähler den Terminus βίος in mehreren Bedeutungen, die, zusammengenommen, programmatisch für das Anliegen der Erzählung stehen. 75 Das Wort bezeichnet nicht nur, wie üblich, Lebensumstände, 76 sondern auch das gestaltete und gelebte Leben eines Menschen, etwa wenn der Erzähler des Cäsar-Lebensbildes feststellt, mit dem Beginn der gallischen Kriege habe Cäsar in Leben und Wirken einen ganz neuen Weg beschritten (εἰς ἑτέραν τινὰ βίου καὶ πραγμάτων καινῶν ὁδόν). 77

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Plut. Aemilius 1,1 (bei Perrin: Timoleon 1,1). Plut. Nikias 1,5. Plut. Cato min. 24,1. Plut. Aemilius 1,1 (ed. Perrin: Timoleon 1,1); vgl. dazu Duff, Exploring, 31–34. Vgl. Duff, Exploring, 33; Wördemann, Charakterbild, 32–42. Vgl. etwa Plut. Lykurgos 4,4; 8,3. Plut. Caesar 15,1.

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Ein solches menschliches Leben wird zum Inhalt der Erzählung: Wenn ich in diesem Buche das Leben des Königs Alexander und das des Caesar (τὸν Ἀλεξάνδρου τοῦ βασιλέως βίον καὶ τοῦ Καίσαρος) […] darzustellen unternehme […]. 78

Üblichem Sprachgebrauch folgend, 79 hebt der Erzähler das Wort auch auf die Ebene der Selbstbezeichnung seines literarischen Werks, wenn er sich ausdrücklich, wie in dem oben Zitierten, als Verfasser von „Leben“ 80 bezeichnet. Folglich kann der Terminus als Kurzformel die vorliegende, das Leben jeweils eines Menschen beschreibende Erzählung bezeichnen. Dem Adressaten Sosius werde, so etwa das Vorwort zum Aemilius-Timoleon-Band, hiermit τὸν Τιμολέοντος τοῦ Κορινθίου καὶ τὸν Αἰμιλίου Παύλου βίον 81 überreicht. Im absolut gebrauchten Ausdruck „Leben des XY“ kann der Genitiv auf Grund der Mehrdeutigkeit des Bezugswortes sowohl als subjektiver als auch als objektiver verstanden werden. 82 Auf die Applikation zielt schließlich der gewünschte Effekt der Erzählungen: Der Biograph will „Leben“ 83 formen. Im Hinblick auf βίος im Sinne von „Biographie“, also als Bezeichnung der literarischen Erzählung, ist zweierlei zu beachten. Die nichtliterarische Verwendung geht der literarischen voran; Erstere bezieht erst aus Letzterer ihre Bedeutung. Als Gegenbeispiel ist an die Tragödie zu denken. Hier wird umgekehrt der aus der Tradition der Dionysien stammende und auf dramatische Theaterstücke übertragene Gattungsname sekundär für Analogien außerhalb der Textsorte, nämlich für „Tragödien“ im wahren Leben, verwendet. 84 Im Vergleich zu „Leben“ ist er als Ordnungsbegriff etablierter. 85 Zudem verwendet der Erzähler der Plutarch-Biographien „Leben“ nicht ausschließlich als Bezeichnung seiner Erzählung. Vielmehr kommen gleichberechtigt Synonyme zum Einsatz. Der Erzähler kann auch von der „Erzählung“ (ἡ διήγησις) über den Lebenslauf der Hauptfigur sprechen 86 oder seine Biographie als ἡ ἱστορία bezeichnen. 87 Mit der zuletzt genannten Ausdrucksweise verbindet sich die bereits angesprochene, vom Erzähler explizit vorgenommene Selbstverortung seiner Erzählung innerhalb des historiographischen Spektrums. So spielt die Erzählung mit der Mehrdeutigkeit des Ausdrucks ἡ ἱστορία, 88 wenn sie ihre Art der nar78 79 80 81 82 83 84 85 86 87 88

Plut. Alexandros 1,1. S. o. III 1. Plut. Aemilius 1,1 (ed. Perrin: Timoleon 1): τῆς τῶν βίων ἅψασθαι μὲν γραφῆς. Plut. Aemilius 1,4. Vgl. Wördemann, Charakterbild, 168 f. Plut. Aemilius 1,1 (ed. Perrin: Timoleon 1). Vgl. etwa Plut. Brutus 31,4 (τοῦ θεάματος τραγικοῦ φανέντος). Vgl. Wördemann, Charakterbild, 40. Vgl. Plut. Lykurgos 1,3. Vgl. Plut. Tiberius Gracchus 1,1; Fabius Maximus 1,1. Vgl. Duff, Exploring, 30–34.

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rativen Vergegenwärtigung von Charakteren vergangener Zeit als διὰ τῆς ἱστορίας 89 beschreibt: Durch Forschung in der „Geschichte“, deren Ergebnisse als „Geschichte“ dargeboten werden, erscheine der Dargestellte wie ein fremder Gast, den man anlässlich seines Besuchs kennen lerne. Dass sich die Plutarch-Biographien bewusst von historiographischer Literatur abgrenzten, versuchte man im Gefolge älterer Paradigmen lange Zeit mit Hilfe des Vorworts der Alexandervita zu begründen. 90 Angekündigt wird an der betreffenden Stelle jedoch nur eine in der folgenden Erzählung stattfindende Schwerpunktsetzung: 91 Wenn ich in diesem Buche das Leben des Königs Alexander und das des Caesar, von dem Pompeius bezwungen wurde, darzustellen unternehme, so will ich wegen der Fülle des vorliegenden Tatsachenmaterials (διὰ τὸ πλῆθος τῶν ὑποκειμένων πράξεων) vorweg nichts anderes bemerken, als den Leser zu bitten, wenn ich nicht alles und nicht jede der viel gerühmten Taten in aller Ausführlichkeit erzähle, sondern das meiste kurz zusammenfasse, mir deswegen keinen Vorwurf zu machen. Denn ich schreibe nicht Geschichte, sondern zeichne Lebensbilder (οὔτε γὰρ ἱστορίας γράφομεν, ἀλλὰ βίους), und hervorragende Tüchtigkeit oder Verworfenheit offenbart sich nicht durchaus in den aufsehenerregendsten Taten, sondern oft wirft ein geringfügiger Vorgang, ein Wort oder ein Scherz ein bezeichnenderes Licht auf einen Charakter (ἤθους) als Schlachten mit Tausenden von Toten und die größten Heeresaufgebote und Belagerungen von Städten. 92

Seiner Biographen-Aufgabe stellt Plutarch die „Geschichtsschreibung“ gegenüber. Dabei ist „Geschichte“ an dieser Stelle im Sinne von „politischer, Weltgeschichte“ 93 zu verstehen, im speziellen Fall die traditionsreiche AlexanderHistoriographie. Die Biographie soll andere Schwerpunkte als Letztere setzen; des Feldes aber, auf dem auch die Historiographie tätig ist, wird sie gerade nicht verwiesen. So kündigt der Erzählerkommentar ja lediglich eine Raffung der πράξεις und ihre Filterung nach inhaltlichen Kriterien an, nicht aber ihre Ausblendung. Es geht hier also nicht um Gattungs- oder Methodikgrenzen, sondern um ein inhaltliches Interesse und um die Eigenständigkeit der vorgelegten Behandlung Alexanders als originärer Beitrag innerhalb der geschichtsschreibenden Literatur. 94 Zweifellos weisen manche Viten ein größeres Interesse an den zeit89 Plut. Aemilius 1,1 (ed. Perrin: Timoleon 1). Vgl. auch Cooper, Interplay, 69 mit Anm. 2, zu Plut. Theseus 1. 90 Vgl. Leo, Geschichte, 146: Plutarch verwahre sich „nachdrücklich dagegen Geschichte zu schreiben“; auch Brenk, Speaking, 20. Mit Plut. Alexandros 1 begründet Becker, MarkusEvangelium, 19, dass „von einem streng literaturwissenschaftlichen Ansatz aus prinzipiell zwischen Biographie und Historiographie unterschieden“ werden müsse. 91 Vgl. zum Folgenden v. a. Duff, Exploring, 17–22; Ders., Prologues; Frazier, Histoire, 17 f; Schettino, Use; Pelling, Truth, 147 f. 92 Plut. Alexandros 1,1 f. 93 Vgl. Plut. Theseus 1,2; Galba 2,5 (ἱστορία πραγμάτω und πραγματικῆς ἱστορίᾳ). 94 „Das historische Material der Taten wird folglich dann zum bíos-Material, wenn es die Tugend und/oder Laster des Helden offenbart“ (Wördemann, Charakterbild, 46). Vgl. Fra-

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geschichtlichen Rahmenbedingungen des Handelns der Hauptfigur auf als andere: Plutarchs Cäsar-Biographie etwa enthält weit mehr an politischem und militärischem Stoff als die Lebensbilder des Brutus oder des Antonius; die Biographie des Alkibiades behandelt über weite Passagen seine zahlreichen Feldherren-Taten und politischen Winkelzüge im gerafften Stil einer Historiographie. 95 Geschichtsferne sowohl des Dargestellten als auch der Art der Darstellung kann den Plutarch-Biographien aber keineswegs unterstellt werden. 96 Die Selbstverortung innerhalb des historiographischen Spektrums zeigt sich schließlich auch in den Grenzfällen der Biographien von sagenhaften Gestalten, die nicht der geschichtlichen Zeit angehören. Selbst bei ihnen versucht der Biograph so gut es geht, das (im antiken Sinne) Geschichtliche zu erfassen. Von unwahren Mythen will er sich fernhalten. Mythos – hier negativ verstanden – 97 ist also das Gegenüber der Biographie, nicht aber die Historie. 98 Gegen eine allzu weitreichende Verallgemeinerung des Alexander-Vorworts zur Füllung der Leerstellen des antiken Biographiediskurses 99 spricht auch, dass es sich wie alle Prologe 100 nur auf das vorliegende, die Doppelbiographie Alexander-Cäsar enthaltende βίβλος bezieht (das möglicherweise eine programmatische Eröffnungspassage enthaltene Eröffnungspaar der Sammlung ist verloren). 101 Zudem findet der dem Paar Alexander-Cäsar vorangestellte Auftakt praktisch nur für die Alexandervita Anwendung, spart doch die folgende Cäsarbiographie keineswegs an Erzählungen militärischer Taten und Erfolge. 102 Schließlich bemerkt die Nikias-Biographie ausdrücklich, dass die den Historikern entnommenen Berichte über die Taten (πράξεις) der Hauptfigur Auskunft geben über die für die Biographie hauptsächlich interessante von vielen schweren Schicksalsschlägen überdeckte Wesensart des Mannes. 103

Auch im Markusevangelium beinhaltet die dargestellte Welt den Erzählakt einer fiktiven Erzählerfigur, 104 deren Stimme folglich auch vom ersten bis zum zier, Histoire, 41: „Elles ont toutes deux trait au passé: l’historiographie raconte les événements du passé dans leur continuité, Plutarque présente un personnage du passé, lié à ces événements qui mettent en lumière son caractère.“ 95 Vgl. Verdegem, Alcibiades, 412. 96 Vgl. Frazier, Histoire, 18–32; Pelling, Truth, 144–149. 97 Plutarchs Auffassung vom Mythos ist keineswegs durchgängig negativ. Er kann ihn als legitime Sprachform begreifen, vgl. Hirsch-Luipold, Denken, 138–144. 98 Vgl. Plut. Theseus 1,3. 99 S. o. III 1. 100 S. u. 5.2. 101 Vgl. Beneker, Nature, 148. 102 Vgl. v. a. Plut. Cäsar 15–27. 103 Plut. Nikias 1,5. 104 Mit Klauck, Vorspiel, 42 f. Vgl. zum folgenden Hübenthal, Markusevangelium, 171; Dies., Vita, 405–408; Petersen, „Perspektive“, 72–74; Pramann, Point; Gerber, Christologie; Schenke, Markusevangelium, 26 f.

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letzten Wort des Textes zu hören ist. 105 Anders als bei Plutarch bleibt der Erzähler im Markusevangelium überwiegend verborgen. Über sein Procedere und seine Absichten macht er keine ausführlicheren Angaben. 106 Auch findet keine explizite Selbstverortung im Umkreis griechisch-römischer Literatur, etwa der Geschichtsschreibung, statt. Der Rezipient muss hinnehmen, dass der Erzähler als ein informierter und legitimer Berichterstatter des Erzählten erscheint, ohne Weiteres zu erfahren. Fast ausschließlich tritt der Markuserzähler im Modus des allwissenden Erzählers auf, 107 der dem Sprechmodus des olympischen Historikers in den Plutarch-Biographien vergleichbar ist. Punktuell verlässt er aber seinen Standpunkt und wendet sich – wie bei Plutarch in den im Autor-Modus erzählten Passagen – explizit an die fiktiven Adressatinnen und Adressaten. So weist etwa die erste Aussage des Markusevangeliums über den Menschensohn in Mk 2,10 einen syntaktischen Bruch auf. Nach ihrem Beginn in Mk 2,8c scheint die direkte Rede Jesu zunächst auch in Mk 2,10a weiterzugehen, sodass sich εἰδῆτε an die Gesprächspartner Jesu zu richten scheint. Der ἵνα-Satz bricht jedoch ab; in Mk 2,10c meldet sich unter Verwendung der dritten Person Singular unzweifelhaft der Erzähler zu Wort und spricht die fiktiven Adressaten an. Will man die syntaktische Spannung nicht auf die Traditionsgebundenheit des Autors an dieser Stelle – und damit letztlich auf sein Unvermögen oder seine Weigerung, die Unebenheit auf der Endtextebene zu beheben – zurückführen, ergibt sich als Deutungsmöglichkeit die Lesart, dass bereits Mk 2,10a, ohne es durch Signale kenntlich zu machen, zur Erzählerstimme wechselt, die bis zum Ende des Verses spricht. 108 Auch in Mk 13,14 redet ein unvermittelt eingeschobener Erzählerkommentar die fiktiven Adressaten an. Im Stil apoka-

105 Vgl. Klumbies, Jesuserzählung, 245; Seifert, Markusschluss, 276 f. Unter Bezugnahme auf Genette, Erzählung, 152; Ders., Fiktion, 80, dessen Fokus jedoch nicht auf der (antiken) Historiographie liegt (vgl. dazu Jaeger, Erzählen, 124), halten Becker, Markus-Evangelium, 122; Dies., Ereignis, 112 f; Rüggemeier, Poetik, 28, Autor und Erzähler des Markusevangeliums für identisch (so auch Finnern, Narratologie, 53, zum Matthäuserzähler). Für die Identität von Autor und Erzählerfigur des Markusevangeliums spricht für Rüggemeier, dass die erzählte Welt auf Gegebenheiten der Abfassungszeit rekurriert (vgl. Mk 13,10; 14,9; dazu Rüggemeier, Poetik, 210 Anm. 27). Das Argument überzeugt nicht. Die Stellen sind vielmehr als Teil der – gelegentlich bewusst über sich selbst hinaus weisenden – erzählten Welt zu verstehen. Die Nicht-Unterscheidung zwischen Autor und Erzähler verdeckt den fiktionalen Gehalt der Erzählung (s. u. 2.) und erfolgt zumindest im narratologischen Analysekontext keineswegs nur „pro forma“ (Finnern, Narratologie, 54; vgl. dazu auch Malbon, Jesus, 233 f). Sie ist im Übrigen in der narratologischen Analyse antiker historiographischer Werke gängig (vgl. De Jong, Narratology, 171; Herrmann, Strategien, 335 Anm. 20). Abgesehen davon ist nicht zu bestreiten, dass die Gedanken und Wirkabsichten des realen Autors mit jenen seiner Erzählerfigur mal mehr und mal weniger stark übereinstimmen können. 106 Zu Mk 1,1–3 als von der Erzählerfigur gesprochenes programmatisches Statement s. u. 5. 107 S. u. 10.1. 108 Vgl. du Toit, Entgrenzungen, 295–297.

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lyptischer Weckrufe 109 unterbricht der Erzähler die direkte Rede Jesu, um seine Leser, respektive den Lektor oder die Lektorin zu ermahnen, 110 ohne seinen Embolismus zu kennzeichnen: Wer es liest, merke auf (ὁ ἀναγινώσκων νοείτω)! 111

Die beiden Ansprachen 112 des fiktiven Publikums unterstreichen, dass der Erzähler als menschliche Figur verstanden werden will. Wie auch bei Plutarch beobachtet, kann die anthropomorphe Erzählerfigur allwissend berichten; sie weist daher eine ähnlich metaleptische Grundstruktur wie die Erzählstimme bei Plutarch auf. Gemäß dem im antiken Umfeld kulturell Üblichen kann zudem vermutet werden, dass die Erzählerfigur als Mann imaginiert und so auch verstanden wurde. 113 Im Vergleich zu βίος, dem programmatischen Schlüsselbegriff der PlutarchBiographien, fällt zunächst auf, dass dieser Terminus im Markusevangelium in nichtliterarischer Verwendungsweise nur am Rande, 114 als literarischer Terminus hingegen gar nicht vorkommt. Zwar gibt Mk 1,1 mit „Evangelium“ – so wie die Plutarch-Biographien βίος verwenden können – das Thema des Folgenden an, ein literarischer Begriff fehlt aber im ältesten Evangelium. 115 Wie bei Plutarch beobachtet, ist ein solcher aber auch nicht konstitutiv für biographisches Erzählen. Anders als bei Plutarch äußert sich die Erzählerfigur des Markusevangeliums nicht über ihre didaktischen Methoden und Ziele. Was in Plutarchs Viten angekündigt und dann auch umgesetzt wird, lässt sich aber analog im Markusevangelium beobachten. Auch hier handelt der Erzähler von den πράξεις Jesu, etwa seiner Lehre, den Therapien und Exorzismen. Im Einklang mit Plut. Alexandros 1,2 finden sich Details wie Aussprüche, emotionale Empfindungen, Ruhe- und Gebetszeiten. 116 Wie es der Erzähler Plutarchs analog im Aemilius-

Vgl. Becker, Markus-Evangelium, 88. Vgl. Breytenbach, Wissen, 108 f. 111 An dieser Stelle keinen Erzählerkommentar, sondern eine durchgehende direkte Rede Jesu anzunehmen (so du Toit, Entgrenzungen, 309–312), erfordert die Behauptung einer schockierenden und innerhalb der Erzählung analogielosen Metalepse: Der erzählte Jesus ‚wüsste‘ vom späteren Lesen der Evangelienschrift und spräche die Adressaten unmittelbar an. Näher liegt jedoch eine weit weniger irritierende Ansprache des Erzählers im Stil von Mk 2,10. 112 Zu weiteren Erzählerkommentaren s. u. 1.4. 113 Vgl. Collins, Gospel, 20; Allrath/Surkamp, Vermittlung, 151.157. 114 Vgl. Mk 12,44 („alles, was sie [sc. die arme Witwe] zum Leben hat [ὅλον τὸν βίον αὐτῆς]“). 115 S. u. 5.2. 116 S. u. 9.2.2; 9.3. 109 110

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Timoleon-Vorwort hofft, 117 regt das Verhalten Jesu wie seiner Schüler die Leser zur Reflexion darüber an, was nachahmenswert und was abzulehnen ist. 118

1.4 Das Bild der Adressaten und die Rekonstruktion der Kommunikationssituation Die Plutarch-Biographien wenden sich an ein griechischsprachiges Publikum, das mit Philosophie, Geschichte und Kultur der Hellenen vertraut ist. Römisches, wie ebenfalls Barbarisches, 119 wird dementsprechend erläutert, wenn es erklärungsbedürftig erscheint. So ist laut Erzähler etwa der Beinamen der Clodia, der Gattin des Quintus Caecilius Metellus Celer, Quadrantaria, auf den Quadrans, eine Kupfermünze, zurückzuführen. Ein Liebhaber soll ihr einst Kupfergeld anstelle des üblichen Silbers geschenkt haben. Beim Quadrans, so wird erläutert, handele es sich um die kleinste Kupfermünze der Römer. 120 Die Ausführungen zu Römischem beschränken sich auf Antiquarisches und Allgemeines. Die Gegenwart des römischen Imperiums bleibt in den Parallelviten auffällig ausgeblendet: Die Serie enthält keine römischen Hauptfiguren dieser Zeit und thematisiert keine politischen, architektonischen oder gesellschaftlichen Entwicklungen des Prinzipats. 121 Seinen Lesern bietet der Biograph durchgehend eine hellenozentrische Darstellungsperspektive. Sie zeigt sich insbesondere darin, dass die Porträtierten anhand von Kriterien bewertet werden, die aus der platonisch-aristotelischen Philosophie-Tradition stammen. Wenn Erziehung und Studium als Mittel der Charakterbildung dargestellt werden, wird dabei selbstverständlich auf die hellenische Kultur abgezielt. 122 Nicht zuletzt die innere Abfolge der (meisten) 123 Parallelviten-Bücher unterstreicht, dass zunächst der jeweils vorgestellte Grieche (im Einzelfall freilich mehr oder weniger) die Standards verkörpert, gegen die das römische Pendant dann antritt. Dass der Erzähler der Plutarch-Biographien mehrfach den fiktiven (und konkreten Mit-) Adressaten Sosius Senecio, einen mit Plutarch befreundeten römischen Konsul, anspricht, 124 deutet an, dass neben dem griechischen Primär- auch ein der griechischen Sprache mächPlut. Aemilius 1,1 (ed. Perrin: Timoleon 1). Vgl. Shively, Penguins, 286–289. Zur möglicherweise intendierten Applikation innerhalb ihres historischen Kontext s. u. V 3. 119 Vgl. etwa Plut. Alexandros 31,6 f ([falsche] Etymologie des Namens Gaugamela, einer östlich des Tigris gelegenen Ortschaft); dazu Strobach, Plutarch, 181 f; auch Stadter, Comparisons. 120 Vgl. Plut. Cicero 29,4 (τὸ δὲ λεπτότατον τοῦ χαλκοῦ νομίσματος κουαδράντην ἐκάλουν). Vgl. auch Plut. Pompeijus 24,12; Antonius 4,7–9; 59,7 f; dazu Stadter, Apartment, 204–206. 121 Vgl. Geiger, Greeks; Schorn, Biographie (Manuskript), 37. 122 Vgl. Duff, Exploring, 77. 123 Ausnahmen sind Coriolan/Alkibiades; Aemilius/Timoleon; Sertorius/Eumenes. 124 Vgl. Plut. Demosthenes, 1,1; Dion 1,1; Theseus 1,1; u. ö. 117 118

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tiges und der griechischen Kultur gegenüber aufgeschlossenes römisches Neben-Publikum im Blick des Autors gewesen sein könnte. 125 So oder so erscheint gesichert, dass die Lebensbeschreibungen aus einer griechischen Sicht – und mittels der Geschichtsschau – auf griechische (und römische) Identität(en) blicken. Gegenüber dem Imperium nehmen sie eine grundsätzlich loyale, aber nicht unkritische Position ein. 126 Einerseits lässt sich ihr hellenozentrischer Blick als „a Greek response to Roman power, a statement of resistance“ 127 deuten, wobei das mögliche römische Nebenpublikum zu bedenken ist. 128 Andererseits weisen sie Nähen zur prinzepskritischen senatorischen Biographie-Literatur Roms auf. 129 Die erwähnte Nicht-Behandlung des Prinzipats könnte vor diesem Hintergrund im Sinne eines beredten Schweigens als Versuch, politisch heikle und potenziell gefährliche Themen zu umgehen, verstanden werden. 130 In gewisser Hinsicht analog zum Markusevangelium bleibt die Rekonstruktion der intendierten Adressatenschaft und der Wirkabsicht der Werke aus heutiger Sicht im Vagen. 131 Diskutiert wird, ob die anvisierten Rezipienten wie der Autor Plutarch im Milieu der Lokalelite kleinerer griechischer Städte anzusiedeln sind. Dafür könnte sprechen, dass die Erzählungen gelegentlich Bewohnern kulturell unbedeutender Städte Trost in der Versicherung anbieten, dass das wahre Glück in der Ausbildung eines guten Charakters liege. 132 Denkbar ist, dass die Viten Plutarchs in einzelnen Fällen praktische Beispiele guter Amtsführung für Angehörige der imperialen Verwaltung bereithalten sollten, etwa die Vermeidung von Korruption, die effiziente Führung von Untergebenen oder erfolgreiche diplomatische Kommunikation. 133 Die meisten Leser Plutarchs dürften aber nicht über eine entsprechende Stellung verfügt haben, um die guten Exempla unmittelbar an vergleichbarer Stelle nachzuahmen. Sie konnten vielmehr anhand der Darstellungen über Fragen von Tugend und Charakterausbildung nachdenken und sie in ihrem Leben applizieren. 134 Seine Geschichte erzählt das Markusevangelium unter Voraussetzung des Glaubens an Jesus Christus als den gekreuzigten, auferstandenen und erhöhten Gottessohn, der Verkündigung des Evangeliums in aller Welt, gegenwärtiger Bedrängnisse sowie der künftigen Parusie Christi. Bei den Rezipienten, die

125 126 127 128 129 130 131 132 133 134

Vgl. auch Stadter, Readers. Vgl. Schorn, Biographie (Manuskript), 38. Duff, Exploring, 309. Vgl. Schorn, Biographie (Manuskript), 33. S. u. V 4. Vgl. Geiger, Greeks. Vgl. Wardman, Lives, 37–48. Vgl. Plut. Demosthenes, 1; dazu Beneker, Nature, 152 f. Vgl. Jacobs, Paradigms. Vgl. Schorn, Biographie (Manuskript), 36.

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man sich als vor allem als Hörerinnen und Hörer vorzustellen hat, 135 erwarten kann es die Vertrautheit mit den Grundzügen der Geschichte Jesu von Nazareth. 136 Wissen um Herodes Antipas und Pontius Pilatus etwa wird voraussetzt; beide Personen werden nicht eigens vorgestellt. 137 Die erzählte Welt ist ganz in das jüdische Milieu vorwiegend Galiläas, aber auch Jerusalems eingezeichnet. 138 Auch Begriffe wie „Gottesherrschaft“ und „Menschensohn“ und ihre Bedeutung im frühchristlichen Kontext werden nicht erläutert. 139 Hinsichtlich der Frage, was die Erzählung an Kenntnissen über Jüdisches bei ihren Rezipienten voraussetzt, ergibt sich ein ambivalenter Textbefund. 140 Erläutert werden einerseits das Korbanopfer oder der Rüsttag vor dem Sabbat. 141 Mit vielem Jüdischen erscheinen die Leser andererseits vertraut, so dass es nicht erklärt werden muss, etwa die Sitte des Reinigungsopfers, des Passafestes und des dazugehörigen Schlachttags. 142 Auch die Gruppen, aus denen sich die Gegner Jesu rekrutieren, werden nicht näher erläutert. 143 Weiterhin vorausgesetzt wird der Glaube an den einen Gott Israels, das in den Prophetenbüchern nachzulesende Wort Gottes, Elia als einen seiner Propheten, 144 auch Gegenspieler wie σατανᾶς und Βεελζεβούλ. 145 Unerklärt bleiben Termini wie γέεννα, ἀμήν und ὡσαννά. 146 Eine Reihe nicht als solcher markierter Anspielungen auf und Zitate aus biblische(r) Tradition laden den Leser ein, sie zu entschlüsseln, ohne dass jedoch ihre Identifizierung für das Verständnis des Werks zwingend notwendig wäre. 147 Wie sich die Adressatinnen und Adressaten des ältesten Evangeliums zu jüdischen Identitätsmerkmalen verhielten, lässt sich kaum rekonstruieren. Mission unter Heiden und die Nutzung der Erzählstrukturen der griechisch-römischen Biographie-Literatur sprechen nicht gegen jüdische Hintergründe, aber für die Verankerung in der zeitgenössischen, durch das römische Imperium dominierten Kultur. 148 Die Frage der Beschneidung spielte jedenfalls ausweislich der Erzählung keine Rolle. Bei Mk 7,19 könnte es sich um die erzählerische Zur Rekonstruktion der wahrscheinlichen Vortragssituation Bond, Biography, 94 f. Vgl. a. a. O. 109 f. 137 Vgl. Meiser, Evangelien, 18. 138 S. u. 3. 139 Vgl. Meiser, Gegenspieler, 158. Anm 21. 140 Vgl. Lau, Triumphator, 135 f. 141 Vgl. Mk 7,11; 15,42. 142 Vgl. Mk 1,44; 14,1.12. 143 Vgl. Meiser, Gegenspieler, 158. 144 Zu Elia im Markusevangelium vgl. Pellegrini, Elija. 145 Vgl. etwa nur Mk 1,1–3.11; 3,22 f; 9,2; 10,18; dazu Meiser, Evangelien, 18, und allgemein Guttenberger, Gottesvorstellung. 146 Vgl. Mk 9,1.43; 11,9; dazu Meiser, Funktion, 518. 147 Vgl. Mk 1,11; 4,12; 6,34; 7,37; 8,18; 9,11 f.48; 10,7; 11,17; 13,24 f; 14,24.34. 62; 15,24.29.34.36; dazu Meiser, Funktion, 520–522. 148 Vgl. Bond, Biography, 90 f. 135 136

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Bestätigung handeln, die Kaschrut nicht zu befolgen, 149 oder um eine Kritik an einer speziellen pharisäischen Praxis des Händewaschens. 150 Auf Themen wie Sabbat-, Korban- und Reinheitspraktiken wird in den Streitgesprächen in Mk 2,1–3,6; 7,1–23 eher in einer Außenperspektive geblickt, die die anthropologische Interpretation jüdischer Traditionen durch Jesus betont. Von einer hinter ihnen stehenden differenzierten Diskussion zwischen christusgläubigen Kreisen und nichtchristusgläubigen Juden (oder zwischen jüdisch- und paganstämmigen Christen) zeugen sie daher eher nicht. 151 Das römische Imperium spielt im Markusevangelium an der Oberfläche 152 eine ähnlich geringe Rolle wie bei Plutarch. Immerhin aber ist es in Form einiger seiner regionalen Repräsentanten vertreten, die, mal ohne starke Eigenmotivation zur Bekämpfung Jesu, 153 mal als grausame Folterknechte und Henker 154 als Partner seiner Gegner agieren, sowie in der Person des Kaisers als Münzprägeherr. 155 Präsent ist die römische Welt allgemein durch einige Latinismen und Fachtermini. 156 Sie bleiben unübersetzt; ihre Kenntnis kann bei den Adressaten offenbar vorausgesetzt werden. Während, wie gesehen, Plutarch den Quadrans im Hinblick auf sein hellenisches Publikum für erklärungsbedürftig hält, wird in Mk 12,42 umgekehrt mit Hilfe der offensichtlich den intendierten Rezipienten geläufigen Münze die Geldmenge von λεπτὰ δύο übersetzt. 157 Die meisten der gelegentlich verwendeten aramäischen Ausdrücke werden ins Griechische übertragen. 158 Das Werk sollte auch für Unkundige semitischer Sprachen verständlich sein. Der Gesamtbefund lässt, insbesondere auf Grund seiner Ambivalenzen, hinsichtlich der Adressaten und ihrer Einordnung das Meiste im Unklaren. Am ehesten ist anzunehmen, dass es sich bei den intendierten Rezipienten um Christusgläubige sowohl jüdischer als auch nichtjüdischer Herkunft handelte. Die zuletzt Genannten kannten offensichtlich Grundzüge jüdischer Identitätsmerkmale und Traditionen. Im Hinblick auf die Entstehungszeit des Markusevangeliums weisen die zeitgeschichtlichen Andeutungen in Mk 13,2.14 auf eine Abfassung in der Zeit nach der Zerstörung des Jerusalemer Tempels im Jahr 70 n. Chr. hin. 159 In Mk Vgl. Lau, Triumphator, 137. Vgl. Stegemann, Speisegesetze. 151 Vgl. Scornaienchi, Jesus, 263.301. 152 Zum historischen Entstehungskontext s. u. V. 153 Vgl. Mk 15,1–20.24–28.39; dazu auch Meiser, Gegenspieler, 172. 154 Vgl. Mk 14,15–26; dazu auch Bond, End, 435. 155 Vgl. Mk 12,13–17. 156 Vgl. Mk 4,21; 5,9.15; 12,42. Dazu auch V 2. 157 Zu ὅ ἐστιν in Mk 12,42 als Markierung einer Erklärung beziehungsweise Übersetzung vgl. Lau, Triumphator, 117 f; anders von Bendemann, Latinismen, 51. 158 Vgl. 3,17; 5,41; 7,11; 7,34; 14,32; 15,22; 15,34; dazu Meiser, Funktion, 518; vgl. auch Hübenthal, Markusevangelium, 204; Müller, Jesus, 16 f; Petersen, „Perspektive“, 82 f. 159 So zuletzt auch Bond, Biography, 8. 149 150

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13,2 reagiert Jesus auf das Staunen eines Schülers mit der Ankündigung der Zerstörung der großen Gebäude (τὰς μεγάλας οἰκοδομάς). Die angekündigte Zerstörung mehrerer Gebäude lässt sich mit der bei Jos, Bell. 6,316 berichteten Zerstörungswut der römischen Soldaten korrelieren: Sie brennen sowohl den Tempel als auch angrenzende Gebäude nieder. Die in Mk 13,2 verwendete Passivform καταλυθῇ verschleiert die (selbstverständlich bekannten) Subjekte der Zerstörung und könnte eine hintergründige Urheberschaft Gottes, von der auch Jos, Bell. 6,250.252 ausgeht, andeuten wollen. Die in Mk 13,2 verwendete Formulierung lässt sich also mit den Geschehnissen des Jahres 70 in Einklang bringen. 160 Auf der Erzählebene richtet sich die in Mk 13,5b beginnende Rede an die Jesus κατ’ ἰδίαν befragenden, in Mk 13,3 genannten vier Schüler. Faktisch wird sie zu einer Anrede des erzählten Jesus an die Christusgläubigen zur Entstehungszeit des Markusevangeliums. 161 Denn die in Mk 13,6–23 genannten Bedrängnisse wie konkurrierende Lehren, Martyrien, Erdbeben und Hungersnöte betrafen Christen jener Zeit tatsächlich. 162 Implizit arbeitet der Verfasser also mit einer metaleptischen Grundstruktur, die den Übergang von der Erzählebene auf die Gegenwart der Adressaten bewirkt. Das Verfahren ist auch aus der frühjüdischen Testamentenliteratur bekannt. 163 Mk 13,14 kommt innerhalb des Beschriebenen eine Sonderrolle zu. Die in diesem Vers einsetzende, mehrfache Verwendung von τότε 164 zeigt an, dass innerhalb des Redegangs ab dieser Stelle Künftiges in den Blick genommen wird. Somit ist mit der in Mk 13,14 genannten Tempelschändung (gemeint sind Zerstörung und Entweihung durch die Römer im Jahr 70 n. Chr.) die Gegenwart der Abfassung des Markusevangeliums erreicht. Die Erzählung blickt an dieser Stelle mithin auf Ereignisse ihrer Abfassungszeit zurück. 165

1.5 Resümee Plutarch inszeniert sich als gelehrter griechischer Autor, der auch mit der lateinischen Welt vertraut ist. Wie intra- und intertextuell nachgezeichnet werden kann, arbeitete Plutarch bei der Abfassung seiner Biographien mit Werken der griechischen und der lateinischen Literatur. Über den Autor des Markusevangeliums erfahren wir nichts Wesentliches, außer dass er aus dem Reservoir des frühchristlichen Wissens schöpft. An zahlreichen Stellen rekurriert er auf die Schriften Israels. Für eine umfassende Rekonstruktion seiner frühchristlichen 160 161 162 163 164 165

Vgl. Lau, Triumphator, 110–114. Vgl. Breytenbach, Wissen, 107. Vgl. Becker, Markus-Evangelium, 87 Anm. 56; Bond, Biography, 95 f. Vgl. du Toit, Entgrenzungen, 305–309. Vgl. Mk 13,14.21.26 f. Vgl. Becker, Markus-Evangelium, 88; Seifert, Markusschluss, 236.

Faktualität und Fiktionalität

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Quellen fehlen weitgehend die werkexternen Vergleichstexte. Plutarchs Erzählerfigur wechselt zwischen einem olympischen Historiker und der Stimme des gelehrten Autors Plutarch, um entweder das Vergangene zu berichten oder darüber zu reflektieren. Das historische Studium von Lebensläufen dient der Charakterbildung. Zum Spektrum historiographischer Literatur zählt er seine Werke hinzu, will aber eigene Schwerpunkte setzen. Sein Programmwort βίος verbindet die anvisierten Ebenen: die Erzählung über das Leben eines Menschen, das zur Tugendausbildung im Leben der Rezipienten beitragen soll. Ähnlich verbindet εὐαγγέλιον im Markusevangelium die Erzählung, ihren Inhalt und ihre intendierte Wirkung. Anders als bei Plutarch bleibt die Identität der Erzählerfigur hier weitgehend verborgen. Während bei Plutarch gelegentlich der konkrete Autor zu sprechen scheint, geben Mk 2,10; 13,14 vor, sich an die konkreten Adressaten zu wenden. Sicheres zur intendierten Adressatenschaft wissen wir weder im Fall der Plutarch-Biographien noch im Fall des ältesten Evangeliums. Mk 13 verweist immerhin auf den ersten jüdisch-römischen Krieg als Gegenwartserfahrung der Leser. Der hellenozentrischen Erzählperspektive bei Plutarch entspricht im Markusevangelium ein am Christusglauben orientierter Standpunkt; dem Erläuterungsgefälle Plutarchs, das vom Römischen (sowie Barbarischen) zum Griechischen verläuft, entspricht im Markusevangelium ein Gefälle, das vom Aramäischen (und möglicherweise von manchem Jüdischen) ausgeht und es für Griechischsprachige, die mit der römischen Welt vertraut waren, übersetzt. Der Autor scheint weiterhin davon ausgegangen zu sein, dass seinen Lesern Traditionen der Septuaginta geläufig oder zumindest zugänglich war. 166

2. Faktualität und Fiktionalität 2.1 Faktualität und Fiktionalität in narratologischer Perspektive Aus der grundlegenden Unterscheidung zwischen Erzählinhalt und Erzählung ergibt sich das Problem der Faktualität und der Fiktionalität von Erzählungen und damit der Faktizität und Fiktivität ihres Inhalts. 167 Im Zuge der narratologischen und der geschichtstheoretischen Diskussion zeigte sich, dass die traditionelle Aufteilung in vermeintlich faktuale (hier: moderne) Geschichtsschreibung und vorgeblich rein fiktional arbeitende Literatur nicht der Realität

Vgl. Meiser, Funktion, 542. Vgl. Finnern, Narratologie, 56–72; Meiser, Evangelien, 21–24; Klauk/Köppe (Hg.), Fiktionalität; Nünning, Erzählen; Schmid, Elemente, 31–43; Zimmermann, Verschlungenheit, 18–30; Zipfel, Fiktion; Klumbies, Jesuserzählung, 7–12; Rösler, Fiktionalität. Zum modernen Fiktionsbegriff und seinen geistesgeschichtlichen Implikationen Assmann, Legitimität. 166 167

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gerecht wird: Der Historiker ist auch konstruierender Erzähler, 168 der Literat referiert auch auf Außersprachliches. 169 Im Hinblick auf antike Erzählungen muss zusätzlich berücksichtigt werden, dass auch innerhalb der Historiographie unter Einhaltung bestimmter Rahmenbedingungen Fiktionen nicht nur erlaubt, sondern gefordert waren. Vor diesem Hintergrund ist es die Aufgabe einer „historiographische[n] Narratologie“ 170, dem Ineinander von Fiktionalität und Faktualität in Texten nachzuspüren, die dem Spektrum der antiken Geschichtsschreibung angehören. Die griechische wie die römische Geschichtsschreibung 171 – und mit ihr die sich der Geschichtsschreibung verpflichtenden Biographien – 172 hatte Vergangenes unter Einhaltung eines ästhetischen Forderungen genügenden literarischen Niveaus zu erzählen. Hierzu zählte insbesondere das Charakteristikum der Wahrscheinlichkeit des Ablaufs der Ereignisse: Aus Einzelzügen sollte ein organisches Ganzes entstehen. 173 Diesen Effekt erreichte der Historiker durch eine entsprechende Stoffauswahl und -anordnung, durch die Dramatisierung von Szenen, die Veränderung des Erzähltempos oder die Einschaltung von Exkursen. 174 Wo das historische Material Lücken ließ, die der Wahrscheinlichkeit des Erzählten abträglich waren, griff der Erzähler zu offenen Fiktionen. Die Ergänzung stimmig erscheinender Details, die Wiedergabe umfangreicher fiktiver Reden in direkter Rede oder der Gedanken und Empfindungen einer Figur trugen zur Kohärenz der Erzählung durch Erklärungen und Reflexionen bei. Historisch authentisch waren sie offensichtlich nicht, denn sie beinhalteten dem Autor unzugängliches Material. 175 Als unerlaubt oder zumindest kritisch zu beurteilen galten demgegenüber fiktive Informationen, die als unwahrscheinlich Geltendes, Phantastisches beinhalteten. 176 Vor diesem Hintergrund stellt sich die Bestandsaufnahme des Ineinanders von Fiktionalität und Faktualität in allen denkbaren Abstufungen als Aufgabe bei der Interpretation von Literatur aus dem Umkreis der antiken Geschichtsschreibung dar. Grad und Ausmaß der Fiktionalität einer Erzählung lassen sich abschätzen: Anzeichen für die Fiktivität des Erzählten liegen vor, wenn etwa einem Autor offensichtlich unzugängliche Informationen dargeboten werden Vgl. White, Clio; Rüsen, Faktizität; ferner Becker, Ereignis. Vgl. auch Zipfel, Fiktion, 17. Schmid, Elemente, 40–43, hält an der grundsätzlichen fiktional-/faktual-Diastase fest, allerdings primär im Hinblick auf moderne Literatur. 170 Kirstein, Narratologie, 115, im Blick auf Sueton. 171 Mit Heldmann, ira, 15, ist die reichhaltige Binnendifferenzierung innerhalb der griechischen und der römischen Historiographie im Auge zu behalten. Streng genommen existierte weder die antike Geschichtsschreibung noch die eine Theorie der Geschichtsschreibung. 172 Zur Fiktionalität in antiken Biographien De Temmermann, Biography. 173 Vgl. Heldmann, ira, 32–35; auch Keener, Christobiography, 120 f. 174 Vgl. Heldmann, ira, 38–43. 175 Vgl. a. a. O. 36 f; Backhaus, Spielräume. 176 Vgl. Heldmann, ira, 37. 168 169

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oder Unwahrscheinliches erzählt wird. Was im Rahmen der Wirklichkeitsauffassung wahrscheinlich ist und was nicht, obliegt dabei freilich der individuell und kontextuell geprägten Rezipientenperspektive. Signale für die Fiktionalität der Erzählung sendet ein Werk entweder direkt aus, etwa durch die Wahl der Erzählform, oder indirekt, etwa durch eine hohe Poetizität, beispielsweise durch die Darstellung des Innenlebens einer Figur. Gibt sich eine Erzählung bewusst als (teil-) fiktional zu erkennen, beschreibt die Erzähltheorie diesen kommunikativen Vorgang als Fiktionalitätspakt, den der Autor mit dem Leser eingeht, um sich nicht dem Vorwurf der Täuschung auszusetzen. 177 Ein besonderes Gestaltungsmittel bei der Arbeit mit offener Fiktionalität sind narrative Metalepsen: 178 Erzähler- oder erzählte Figuren verlassen gleichsam ‚ihre‘ Kommunikationsebene und treten – gegen jede Wahrscheinlichkeit – auf einer anderen Ebene auf. Realitätseffekte werden so einerseits durchbrochen, die Fiktionalität der Erzählung wird offengelegt; andererseits zieht das auf der ‚falschen‘ Ebene Erzählte die besondere Aufmerksamkeit des Lesers auf sich.

2.2 Faktualität und Fiktionalität in den Biographien Plutarchs 2.2.1 Implizite Spuren Mit dem historiographischen Charakter, den sie sich zuschreiben, 179 übernehmen die Plutarch-Biographien eine zwischen Faktualität und Fiktionalität oszillierende Grundstruktur. Mit den Mitteln der narratologischen Analyse lassen sich Anhaltspunkte dafür aufzeigen, dass der Autor bewusst auch mit fiktionalen Mitteln arbeitete. 180 Bereits angesprochen worden war die historiographiegemäße Inszenierung der fiktiven Erzählerfigur, die zwischen dem olympischen Berichterstatter und dem Autoren-Ich wechselt. 181 Ebenfalls im Stil der Geschichtsschreibung 182 inszenieren die Biographien Erzählerreferate in direkter Rede sowohl innerhalb von Gesprächen als auch bei längeren Vorträgen. Eine Passage der Vita Catos des Jüngeren erwähnt die technischen Schwierigkeiten der Dokumentation von Reden durch Schnellschreiber: Diese [sc. innerhalb eines Rededuells mit Cäsar gehaltene] Rede Catos soll sich als einzige von allen erhalten haben, und zwar durch Ciceros Verdienst. Der Konsul hatte nämlich die schnellsten Schreiber im Vorhinein bekanntgemacht mit kurzen, knappen Zeichen, welche den Sinn mehrerer Buchstaben wiedergaben, und sie dann auf verschiedene Plät177 Vgl. Finnern, Narratologie, 63–68; Martínez/Scheffel, Einführung, 18 f; Zipfel, Fiktionssignale. 178 Vgl. Eisen/von Möllendorff (Hg.), Grenze. 179 S. o. 1.2. 180 Anders Rosik, Biographie, 120. 181 S. o. 1.2. 182 Vgl. Schröter, Konstruktion, 206.

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ze des Sitzungssaals verteilt. Dies war, wie es heißt, der erste Versuch mit der sogenannten Zeichenschrift (σημειογράφους), die man bisher weder gekannt noch geübt hatte. 183

Der Text impliziert, dass das Gros der in den Lebensbildern enthaltenen Reden auf die Imaginationen des Autors beziehungsweise seiner Quellen zurückgeht. Auch manche einzelne Logia der Hauptfiguren dürften sich legendarischer Überlieferung oder der Imagination des Autors oder seiner Gewährsleute verdanken. So gibt etwa der Erzähler vor, eine Fülle der lakonischen Aussprüche, für die Phokion bekannt war, 184 wörtlich wiederzugeben, sodass sich die Frage stellt, ob sie alle dem Autor in authentischer Form zugänglich sein konnten. Auch bei Todesszenen berühmter Menschen zirkulierten in der Antike oft sich widersprechende Berichte, die offensichtlich weniger auf historische Überlieferung als auf interpretierende Fiktion ihrer Urheber zurückgingen. 185 Plutarch geht in manchen Fällen mit dieser Situation recht offen um. So schildert er etwa detailreich das Lebensende des Demosthenes, der sich als Schutzsuchender in das Poseidon-Heiligtum auf Kalauria zurückgezogen hat: sein Verfolger will ihn zunächst überreden, freiwillig mitzukommen; in einem Wortwechsel erzählt Demosthenes von seinem Traum der letzten Nacht; er gibt vor, einen Abschiedsbrief schreiben zu wollen, nimmt in Wahrheit aber mitgeführtes Gift ein; nach einem erneuten Gespräch bricht er zusammen. Die bis zu dieser Stelle wie ein Augenzeuge berichtende Erzählerstimme wechselt nun in den Autor-Fiktion-Modus 186 und nennt zunächst seine Hauptquelle, Ariston. Ihm habe er sich bei seiner Darstellung angeschlossen (ὡς εἴρηται 187). Angerissen werden nun mehr oder weniger stark von der gebotenen Variante abweichende Berichte der Geschehnisse anderer Autoren, denen offenbar weniger Glauben geschenkt wird. Das Vorgehen legt einerseits die Quellen des Erzählten offen, impliziert aber andererseits, dass es sich bei dem vom allwissenden Erzähler Dargestellten letztlich um inszeniertes Wissen handelt, das auf einer subjektiven Auswahl aus konkurrierenden schriftlichen Überlieferungen beruht. Indem der Erzähler so den fiktionalen Gehalt seiner Erzählung offen zugibt, bietet er den fiktiven Leserinnen und Lesern eine Art Komplizenschaft an, 188 die in narratologischer Perspektive als Fiktionalitätspakt verstanden werden kann: Den fiktionalen Gehalt toleriert der fiktive Adressat (und, so die Strategie des Autors, zu einem gewissen Grad auch der tatsächliche Leser), um im Gegenzug eine lesenswerte und der Wahrheit nahekommende Geschichte zu erhalten.

183 184 185 186 187 188

Vgl. Plut. Cato min. 23,3. Vgl. Plut. Phokion 5. Vgl. Bond, End, 430. S. o. 1.2. Vgl. Plut. Demosthenes 30,1. Vgl. Pelling, Narrator, 268.

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Offen fiktionalisierend arbeitet der Autor auch, wenn er seinen Erzähler mittels interner Fokalisation 189 berichten lässt, etwa in der Form erlebter Wahrnehmung wiedergegebener Gedanken und innerer Einstellungen einer Figur. Alkibiades etwa fühlte sich bedrückt und fürchtete (ἄχθεσθαι δὲ κἀκεῖνον ἤδη καὶ φοβεῖσθαι), dass, wenn die Stadt ganz vernichtet würde, er völlig in der Hand der Lakedaimonier sein würde, die ihn hassten. 190

Gleiches gilt für einem Schriftsteller (oder seinen Quellen) unzugängliche Detailinformationen, die in die Erzählung einfließen, als ob sie gesichert wären. So gibt der Erzähler etwa vor zu wissen, Cato Uticensis habe in der Nacht vor einer entscheidenden Senatssitzung ruhig und tief geschlafen, während Freunde und Familie nicht zur Ruhe gekommen seien. 191 Die Erzählerfigur vermag auch darzustellen, was und in welchem Tempo Cato in der Nacht vor seinem Selbstmord, sich alleine in seinem Zimmer aufhaltend, las. 192 Nicht zu bestreiten ist, dass der Stoff Anhalt an historischem Wissen haben kann, zumal im Falle Catos, über welchen Plutarch zuverlässige Traditionen vorlagen. 193 Die literarische Zeichnung detailreicher, realistisch wirkender Szenerien zeugt aber von der fiktionalisierenden Erzählweise. 2.2.2 Explizite Fiktionalität Nicht nur implizit wie in der oben zitierten Stenographen-Passage, sondern auch explizit reflektiert der Erzähler innerhalb der in der Ich-Form formulierten Partien die Existenz fiktionaler Anteile in der Erzählung und das Problem wahrheitsgemäßer Darstellung. So räumt er etwa ein, dass das Aufeinandertreffen zwischen Solon und Krösus aus chronologischen Gründen ausgeschlossen werden müsse. 194 Bemerkenswert ist, warum er dennoch an der Anekdote festhalten will: Das Treffen beider sei nicht nur in der Tradition belegt, sondern passe vor allem zum Charakter Solons. Die Begebenheit zu erzählen eignet sich daher aus der Sicht des Erzählers zur Profilierung des dargestellten Charakters im Sinne der Zielrichtung der Biographien. 195 Historisch-chronologische Akkuratesse kann dem gegebenenfalls bewusst untergeordnet werden. 196 Ähnliches gilt hinsichtlich der Ausgewogenheit der biographischen Darstellung. Einerseits, so formuliert es ein Erzählerkommentar, sei das Lebensbild un189 190 191 192 193 194 195 196

S. u. 9.1. Plut. Alkibiades 25,2; dazu Verdegem, Alcibiades, 413. Vgl. Plut. Cato min. 27,2 f. Vgl. Plut. Cato min. 68. Vgl. Fehrle, Plutarch. Vgl. Plut. Solon 27,1; dazu Pelling, Truth, 143 f. S. o. 1.2. Vgl. dazu Backhaus, Spielräume, 25.

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abhängig von persönlicher Sympathie des Autors zur Hauptfigur zu einer wahrheitsgemäßen Wiedergabe verpflichtet. 197 Andererseits gelte es, mögliche ungute Taten der Hauptfigur zwar nicht zu verschweigen, aber doch auch nicht zu stark zu betonen. Sie seien als Ausdruck der Tatsache, dass die Natur keine gänzlich tadellose Charaktere hervorbringe, von untergeordneter Bedeutung. Dem pädagogischem Zweck der Biographien wäre ihre breite Darstellung abträglich, daher konzentriere sich der Biograph auf den Bericht des Guten. 198 Aus Sicht der grundsätzlich sich zur tatsachengerechten Darstellung verpflichtenden Erzählung kann es also aus Gründen der philosophisch-didaktischen Aufgabenstellung punktuell nötig sein, dem Wahren weniger durch wahrheitsgemäße Berichterstattung als durch wahrheitsbetonende Darstellung zu dienen. Eine Sonderrolle nehmen die Biographien jener Männer ein, die als sagenhafte Gestalten der Frühzeit historisch nicht fassbar waren, insbesondere Theseus, Lykurg, Romulus und Numa. Auch bei Gaius Marcius Coriolanus handelt es sich (zumindest aus heutiger Sicht) um eine legendarische Figur. 199 Gleichwohl inszeniert Plutarch von diesen Männern lebendige und detailreiche Lebensbeschreibungen. Das Problem fehlender historischer Quellen benennt der Erzähler explizit und nimmt für sich in Anspruch: Sei es mir also gestattet, mit verstandesmäßiger Kritik das Sagenhafte auszuscheiden und den historischen Kern lauschend zu erfassen (εἴη μὲν οὖν ἡμῖν ἐκκαθαιρόμενον λόγῳ τὸ μυθῶδες ὑπακοῦσαι καὶ λαβεῖν ἱστορίας ὄψιν). 200

Letztlich verdanken sich die genannten Charakterbilder freilich der Erzählkunst und nicht (antik-) historischer Erkenntnis. 201 2.2.3 Zu erschließende Fiktionen Nicht kenntlich gemachte Eingriffe in den Stoff durch den Autor lassen sich in einigen Fällen textintern oder durch den Vergleich mit anderen Quellen erschließen. Eine erste Gruppe betrifft die Chronologie. 202 So lässt der Erzähler beispielsweise entgegen der historischen Akoluthie 203 Cäsar erst sein Studium auf Rhodos abschließen und dann seine öffentliche Tätigkeit in Rom auf-

Vgl. Plut. Kimon 2,3 (τἀληθῆ διεξιόντες). Vgl. Plut. Kimon 2,4 f. 199 Vgl. Eder, Art. Coriolanus. 200 Plut. Theseus 1,3. 201 Vgl. Betz, Credibility; Lamberton, Plutarch, 74–91. 202 „Es gehörte zu den akzeptierten erzählerischen Freiheiten antiker Biographen, Ereignisse unabhängig von ihrer tatsächlichen chronologischen Reihenfolge so zu plazieren, daß sie im Gesamtduktus der Biographie einen erhellenden Kontext gewannen“ (Frickenschmidt, Evangelium, 280). 203 Vgl. Sueton Cäsar 4,1. 197 198

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nehmen. 204 Die Fingierung einer sukzessiven Abfolge der Lebensphasen soll offenbar zu einer griffigeren Darstellung verhelfen. Gleiches gilt für die Zusammenlegung zweier Besuche des Alkibiades bei Tissaphernes zu einem. 205 Ebenso erweckt die Demosthenes-Biographie den Eindruck, Philipp II. sei kurz nach seinem Schlachterfolg bei Chaironeia verstorben, und verschweigt seine Ermordung durch einen Leibwächter. Die in Wahrheit zwei Jahre auseinander liegenden Ereignisse von Schlacht und Tod werden innerhalb der Erzählung zusammengezogen, um den Orakelspruch „Weinen muss der Besiegte, doch ist der Sieger verloren“ darauf beziehen zu können. 206 Auch im Schlussteil der Demosthenes-Vita sorgt eine fingierte Chronologie für die Betonung bestimmter inhaltlicher Aspekte, die der Autor offensichtlich herausarbeiten möchte. Der Suizid der Hauptfigur wird (historisch unzutreffend) auf das Thesmophorienfest datiert; die sich anschließende unbestimmte Zeitraffung erweckt den Eindruck, die – in Wahrheit erst über 40 Jahre später einsetzende – öffentliche Verehrung des Demosthenes habe unmittelbar nach dem Tod begonnen. 207 Plutarch betont so die Nähe der Hauptfigur zur göttlichen Sphäre sowie ihre Anerkennung beim Volk Athens, um die Tugendhaftigkeit des Demosthenes und seines Tuns zu unterstreichen. Klar erkennbar ist schließlich die gestaltende Autorenhand, wenn Ereignisse in mehreren Biographien in abweichender Reihenfolge geboten werden. So wird der Ostrakismos des Hyperbolus im Leben des Nikias nach dem Bruch des Nikiasfriedens durch Alkibiades erzählt; im Porträt des Letzteren in umgekehrter Reihenfolge. 208 Die Umstellung hat dramaturgische Gründe: Sie schließt bei Nikias eine Reihe zunehmender Rückschläge ab; bei Alkibiades unterstreicht sie seinen Aufstieg zur Macht. Auch inhaltliche Aspekte manipuliert Plutarch, wohl um so den Charakter der Hauptfigur zu akzentuieren. Eine Jugendanekdote illustriert den Ehrgeiz des Alkibiades: Beim Ringkampf soll er sich beißend gegen einen Gegner gewehrt haben. Als sich der Gegner daraufhin entrüstet zeigte, habe Alkibiades geantwortet, er kämpfe eben wie ein Löwe. Da Plutarchs Sammlung der Sprüche von Spartanern ein gleichlautendes Apopthegma enthält, 209 ist zu vermuten, dass der Autor es seinem Alkibiades in den Mund gelegt hat. 210 Auch die Auslassung oder Marginalisierung von (Handlungen von) Nebenfiguren kann ein Mittel der Fokussierung der Darstellung sein: Bei der Abfassung des Lebensbildes des Alkibiades etwa übergeht Plutarch gegen seinen Gewährsmann Thukydides einige Athener Mitfeldherren und -politiker der Hauptfigur, 204 205 206 207 208 209 210

Vgl. Plut. Cäsar 3; dazu Pelling, Truth, 156. Vgl. Plut. Alkibiades 26,7–9 (vgl. Thuk. 8,82.88); dazu Verdegem, Alcibiades, 407. Vgl. Plut. Demosthenes 21,3; dazu Seifert, Markusschluss, 164 f. Vgl. Plut. Demosthenes 30; dazu Seifert, Markusschluss, 165 f. Vgl. Plut. Nikias 10 f; Alkibiades 13 f; dazu Verdegem, Alcibiades, 408. Vgl. Plut. Apophthegmata Laconica 69 (mor. 234de). Vgl. Verdegem, Alcibiades, 409.

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um Letztere umso glänzender dastehen zu lassen. 211 Auch übertreibende Betonung gehört schließlich zu den Gestaltungsmitteln Plutarchs. Offensichtlich sollen die Leser auf diese Art zu Deutungsversuchen angeregt werden. Wie beiläufig, aber auffällig häufig, erwähnt der Erzähler der Vita Catos des Jüngeren etwa die Affinität der Hauptfigur zu Schriften aller Art: Vor seiner Bewerbung auf die Quaestur habe Cato die Gesetzestexte studiert, Aufstellungen über den Zahlungsverkehr der Staatskasse führe er immer mit und in einem Erholungsurlaub auf seinem Landgut habe er seine Bücher dabei. 212 Das Gros dieser Detailinformationen dürfte auf Imagination und nicht auf historische Information zurückgehen. Mit dem Motiv der Buchaffinität wirft der Autor ein – platonischer Tradition folgendes – kritisches Licht auf Cato, der in seiner Todesnacht im Phaidon gelesen haben soll: 213 Mit seinen Bemühungen um die Philosophie komme Cato nicht zum Ziel, da er sich an die schriftlich fixierte Lehre klammere und den Diskurs und die praktische Umsetzung der Philosophie vernachlässige. 214 Eine hinzuerfundene Nebenfigur oder zumindest ein erfundener Name liegt in Plut. Dion 9,7 vor: Erzählt wird von einem gewissen Marsyas, der am Hof des Tyrannen Dion des Älteren lebte und zu Unrecht zum Tode verurteilt wurde. Ein Marsyas ist historisch nicht bekannt. Es handelt sich um eine Anspielung auf einen mythischen Stoff, in dem Apoll einen Sartyr dieses Namens unverhältnismäßig hart bestrafte. Offensichtlich soll die Grausamkeit Dions so herausgehoben werden. 215 2.2.4 Grenzen des Fiktionalen und Strategien der Beglaubigung Die genannten Fälle belegen, dass Plutarch im Detail mit bewussten Veränderungen und literarischen Fingierungen arbeitet. Die grundsätzlich angestrebte Wahrheitsgemäßheit der Erzählungen gefährdete dieses Vorgehen aber nicht. 216 Denn offensichtlich hält sich der Autor an bestimmte Begrenzungen bei der Arbeit mit Fiktionen. Sein Umgang mit historischen Stoffen entspricht den Standards der „sorgfältigeren antiken Historiker, denen es auf eine wahrheitsgetreue Darstellung ankam“ 217. So füllt Plutarch etwa allzu große Lücken in seinem Material nicht auf. 218 Insbesondere über die Jugendzeit vieler Porträtierter lagen ihm keine Traditionen vor. 219 Die Darstellung übergeht in diesen Fällen die Frühphase des 211 212 213 214 215 216 217 218 219

Vgl. Plut. Alkibidas 28; dazu Verdegem, Alcibiades, 406 f. Vgl. Plut. Cato min. 16.18.20. Vgl. Plut. Cato min. 68.70. Vgl. Zadorojnyi, Suicide, 223–226. Vgl., mit weiteren Beispielen, Schneider, Ironie, 108 f. Vgl. auch Reiser, Porträts, 38 f. Schorn, Biographie (Manuskript), 29. Vgl. Pelling, Truth, 154; Verdegem, Alcibiades, 409. Pelling, Truth, 154, denkt insbesondere an die Biographien des Antonius, Nikias, Pho-

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Lebens. Kurz notiert werden gelegentlich die – auf Rückprojektion zurückgehenden – Manifestationen prägender Charakterzüge. 220 Ausführlichere Kindheitsgeschichten enthalten die Lebensbilder des Alexander, des Cicero sowie des Cator minor. Sie gelten aus heutiger Sicht als weitgehend unhistorisch. So ist etwa das Bild des kleinen Cato Uticensis als Anführer seiner Spielkameraden bei dem bei Jungen aus aristokratischen Häusern beliebten Trojaspiel 221 auf Grund seiner nichtadeligen Herkunft als Projektion auszumachen, die üblichen Topoi entspricht. 222 Derartige Geschichten wurden von Plutarch aber „nicht selbst […] erfunden“ 223, sondern entsprechen der in der Antike üblichen, vom Chaironäer rezipierten Legendenbildung über die Kindheit bedeutender Männer. 224 Zurückhaltung üben die Plutarch-Viten auch bei der Schilderung mancher Anekdoten, deren Dramatik erzählerisch leicht mit Hilfe fiktiver Details hätte erhöht werden können. So gerät Cato der Jüngere etwa mehrmals in Seenot, was aber nur knapp notiert wird: Der Zufall aber wollte es, dass er [sc. Cato] in höchste Seenot geriet, während die anderen glimpflich davonkamen. 225

Im Vergleich zu Mk 4,35–41; 6,45–52 etwa bleibt die Darstellung im Angedeuteten und verzichtet auf die Ausmalung der Umstände. In den Plutarch-Viten treten Götter wie Apoll oder Ares nicht auf. Dennoch zählt zu den von der Erzählerfigur vorausgesetzten Wirklichkeitsannahmen, dass göttliche Kräfte und in ihren Diensten stehende Dämonen das Leben von Menschen beeinflussen. 226 Anweisungen und Zeichen für Bevorstehendes teilt die göttliche Sphäre im Traum, durch Erscheinungen oder Vorzeichen mit. Dem Dion etwa deutet sich durch das Erscheinen einer Frau in Gestalt einer Erinnye, die sein Haus ausfegt, sowie durch den Unfalltod seines Sohnes sein bevorstehendes Schicksal an, seine Ermordung. 227 Lucullus bestärkt bei der Belagerung und Einnahme Sinopes ein nächtlicher Traum. Eine Stimme teilt ihm mit, er solle hinzutreten, um mit Autolykos, der Sage nach der Gründer der kion, Camillus, Flaminius, Marcellus und des Timoleon (vgl. auch Wördemann, Charakterbild, 51). Zu Darstellungen der Jugendzeiten auch Soares, Childhood. Auch im Fall von Aemilius, Agis, Artoxerxes, Kleomenes, Tiberius und Gaius Gracchus, Solon, Poplicola, Cato d. Ä. und Sertorius fehlen detaillierte Kindheits- oder Jugendgeschichten. Wenige Anekdoten bietet Plut. Alkibiades 2 f. 220 Vgl. Plut. Artoxerxes 1 f; Fabius Maximus 1; Lysandros 2; Aemilius 2; Sertorius 2,1; Agis 4; Tiberius Gracchus 1 f; Romulus 6,3; Timoleon 3,4 f; Kleomenes 22 f (1 f). 221 Vgl. Plut. Cato min. 3. 222 Vgl. Kurzmann-Penz, Fiktion, 44 Anm. 177. 223 A. a. O. 46. 224 Vgl. a. a. O. 11. 225 Plut. Cato min. 15,4; vgl. auch 11,2. 226 Vgl. Lipka, Gods, 303; Reiser, Porträts, 153 f.184 f; Seifert, Markusschluss, 153 f; Anm. 355; zum Gottesbild Plutarchs auch Hirsch-Luipold, Gott. 227 Vgl. Plut. Dion 55 (vgl. Dion 2; Brutus 48; dazu auch Brenk, Mystery, 70).

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Stadt, zu sprechen. 228 Auf das Eingreifen göttlicher Kraft kann bei Plutarch auch hoffen, wem im Leben Gewalt angetan wurde. Bei Cicero etwa bewirkt die Gottheit (τὸ δαιμόνιον) durch die Zusammenarbeit Cäsars und des Sohnes Ciceros die Bestrafung des Cicero-Mörders Antonius. 229 Dämonen können negativen oder positiven Einfluss auf das Leben eines Menschen nehmen. Cäsar wird von einem Dämon (δαίμονός τινος) zu dem Ort seiner Ermordung, einer Pompeiusstatue, geleitet; 230 später übt „sein großer [Schutz-] Dämon (ὁ […] μέγας αὐτοῦ δαίμων)“ 231 Rache an allen seinen Mördern. Kosmische Zeichen bestätigen laut dem Erzähler, dass die Götter auf Cäsars Ermordung reagieren. 232 Auch welthistorische Entwicklungen werden von göttlicher Kraft gelenkt. Rom, so ist sich der Erzähler in der Camillus-Vita sicher, hätte unmöglich aus so kleinen und bescheidenen Anfängen zu einem solchen Gipfel des Ruhmes und der Macht emporsteigen können ohne häufiges und gewaltiges Eingreifen der Gottheit (δίχα θεοῦ πολλαῖς καὶ μεγάλαις ἐπιφανείαις). 233

Explizit gehen die Plutarch-Biographien aber auch davon aus, dass Informationen über das Wirken der göttlichen Sphäre oft unglaubwürdig, anfällig für Manipulationen oder das Resultat frommer Einbildung sein können. 234 Dementsprechend nehmen die Viten in zahlreichen Fällen eine kritische Distanz ein. Als etwa Timoleon vor Adranon auf Sizilien die feindlichen Truppen durch beherztes Vorrücken schlägt, berichteten die Einwohner der Stadt mit Grausen und Staunen, dass, als die Schlacht begann, die heiligen Pforten des Tempels von selbst aufgesprungen seien und man gesehen habe, wie die Spitze der Lanze des Gottes bebte und sein Antlitz vom Schweiß überronnen wurde. 235

Legt der Erzähler die Überlieferung des wundersamen Geschehens distanzierend in den Mund der Adraniten, erkennt er im Folgenden doch an, es könne als Vorzeichen für die weiteren Erfolge Timoleons verstanden werden. 236 An anderer Stelle setzt sich die Erzählerfigur differenzierter mit der Problematik auseinander. Von einem von den Frauen Roms aus Dankbarkeit für den Frieden mit den Volskern aufgestellten Götterbild heißt es: Als man es im Tempel aufstellte, ließ es, wie die Römer erzählen, die Worte vernehmen: „Ihr Frauen, nach gottgefälligem Brauche habt ihr mich geweiht.“ 237

228 229 230 231 232 233 234 235 236 237

Vgl. Plut. Lucullus 23,3 f; dazu Brenk, Dreams, 347 f. Vgl. Plut. Cicero 49,4; dazu von Bendemann, Konzeptionen, 243. Vgl. Plut. Cäsar 66,1. Plut. Cäsar 69,2. Vgl. Plut. Cäsar 69. Plut. Camillus 6. Zu Nikias als abergläubische Person bei Plutarch vgl. Titchener, Nicias. Plut. Timoleon 12,6. Vgl. Plut. Timoleon 13,1. Plut. Gaius Marcius (Coriolan) 37,3.

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Es schließt sich ein exkursartiger Erzählerkommentar an: 238 Zwar könnten Götterbilder vermeintlich Schweiß, Tränen und Blut vergießen oder auch Geräusche von sich geben. Diese Phänomene ließen sich aber in jedem Fall physikalisch erklären, etwa durch Feuchtigkeit, Schimmel oder Spannungen im Holz der Statue. Dennoch könne nicht ausgeschlossen werden, dass die Vorgänge durch die göttliche Sphäre bewirkt worden seien, um auf diese Weise Zeichen zu senden. Dass eine Statue Wörter in menschlicher Sprache spreche, gehe dagegen nicht an und komme nur in frommer Einbildung vor. Die Gottheit wirke zwar auf Erden, aber nicht mit Mund und Händen. Dass vermeintliche göttliche Äußerungen auch für Manipulationen anfällig sein können, illustrieren die Biographien an anderen Stellen. Der als Feldherr erfolgreiche, aber wegen seiner Herkunft für das Königsamt ungeeignete Spartaner Lysander etwa versucht seinen Mitbürgern Angst vor Dämonen einzujagen, um sich mit Hilfe gefälschter Orakelsprüche zum Retter zu stilisieren. Zudem bedient er sich eines jungen Mannes aus Pontos, dessen Mutter vorgibt, er sei von Apoll gezeugt worden. Der Junge soll Zugang zu Orakeln erhalten, die sich für Lysanders Ambitionen günstig auswirken könnten. Der Plan misslingt. 239 Ihren Hauptfiguren gestehen die Biographien Plutarchs zu, dass sie auf Grund ihrer exponierten Rolle in besonderer Verbindung mit der göttlichen Sphäre gestanden haben können. Als ein Ausdruck dieser Tatsache dürfte etwa zu verstehen sein, dass Nikias auf Grund glücklichen Wirkens seinen Zeitgenossen als Liebling der Götter galt. 240 Grundsätzlich ist es für den Erzähler sinnvoll zu meinen, dass der Gott, der nicht nur Pferde und Vögel, sondern vor allem Menschen liebt, mit besonders tugendhaften Menschen zusammen ist und den Umgang mit einem frommen und vernünftigen Mann nicht verschmäht noch für unter seiner Würde hält. 241

Daher erscheine es auch nicht ausgeschlossen, dass mit Zaleukos, Minos, Zoroastres, Numa und Lykurg, Männern, die Königreiche regierten und Staaten gestalteten, die Gottheit in Verbindung getreten ist, […] um sie zum Edelsten zu unterweisen und zu mahnen. 242

Doch ein Restzweifel bleibt bestehen. Immerhin könnte bei Herrschern wie Lykurg und Numa die göttliche Mission auch nur vorgetäuscht gewesen sein, um das jeweilige politische Programm durchzusetzen. 243 Als grundsätzlich 238 239

Vgl. Plut. Gaius Marcius (Coriolan) 38; vgl. auch Plut. Camillus 6. Vgl. Plut. Lysandros 25 f; auch Plut. Sertorius 11 f.20 (dazu du Toit, ANTHROPOS,

106 f). 240 241 242 243

Vgl. Plut. Nikias 9,6. Plut. Numa 4,4; vgl. auch Romulus 28,8. Plut. Numa 4,7. Vgl. Plut. Numa 4,8.

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möglich gilt, dass die Seelen Tugendhafter nach der irdischen Existenz in einem gestuften Verfahren einen Platz in der göttlichen Sphäre erreichen können. Es sei davon auszugehen, dass die tugendhaften Seelen kraft ihrer göttlichen Natur und nach göttlichem Recht aus Menschen zu Heroen, aus Heroen zu Dämonen, aus Dämonen – wenn sie wie in Weihen gereinigt und geheiligt und allem Sterblichen, dem Erleiden Unterworfenen entronnen sind – nicht nach dem Gesetz eines Staates, sondern nach der Wahrheit und gesunder Vernunft zu den Göttern emporgehoben werden und so zur schönsten und seligsten Vollendung gelangen. 244

Demgegenüber lehnt die Erzählerfigur alle Überlieferungen, die die leibliche Abstammung von Göttern oder die körperliche Aufnahme in den Himmel zum Inhalt haben, als unglaubwürdig ab: Dass aber ein Gott oder Dämon auch körperliche Gemeinschaft mit einem Menschen haben und seiner Schönheit sich erfreuen sollte (ὡς δὲ καὶ σώματος ἀνθρωπίνου καὶ ὥρας ἐστί τις θεῷ καὶ δαίμονι κοινωνία καὶ χάρις), das ist doch nicht so leicht zu glauben. 245

Ebenso ist es im Blick auf vermeintliche postmortale Himmelfahrten unnötig, die Leiber guter Menschen wider die Natur mit in den Himmel aufsteigen zu lassen. 246

Dementsprechend abgelehnt wird etwa die Tradition, derzufolge die Nymphe Egeria in einem körperlichen Sinn die zeitweilige Geliebte des späteren Königs Numa war. 247 Im Schlussteil der Romulus-Vita werden die Umstände seines Todes und die Gründe für das Fehlen des Leichnams länger erörtert, ohne dass sie aufgeklärt werden können. Ausgesprochen wird der Verdacht, die von Romulus gegen Ende seiner Regentschaft gegängelten Senatoren hätten ihn umgebracht und seinen toten Körper verschwinden lassen. Erfolgreich machten Letztere sowie ein Zeuge, der den vergöttlichten Romulus in einer Erscheinung gesehen haben will, das Volk seine Apotheose glauben. 248 Ähnlich skeptisch zeigt sich der Erzähler in Bezug auf Alexanders Abstammung von Zeus Ammon. Mehrere Traditionen über seine Zeugung durch den Gott werden eingangs der Erzählung überliefert, aber keine als wahr gekennzeichnet. 249 Von dem Besuch Alexanders im Heiligtum des Ammon in Ägypten kennt der Er244

Plut. Romulus 28 f. Plut. Numa 4,4; vgl. auch Romulus 28,8. 246 Plut. Romulus 28,8. 247 Vgl. Plut. Numa 4,3. 248 Vgl. Plut. Romulus 27 f; dazu auch Brenk, Mystery, 64 f. Carrara, Vita, stellt Überlegungen an, ob die heftige Polemik gegen die ascensio Romului auf die frühchristliche Auferstehungsverkündigung zurückgehen könnte. Zwischen Auferstehung/Auferweckung (vgl. a. a. O. 12: Hinweis auf Act 17,32) einerseits und Himmelfahrt/Vergöttlichung andererseits ist aber möglicherweise stärker zu differenzieren. 249 Vgl. Plut. Alexandros 2 f. 245

Faktualität und Fiktionalität

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zähler zwei Versionen, die beide nicht zur Beglaubigung der leiblichen Ammon-Sohnschaft beitragen, sondern die Zuschreibung der göttlichen Vaterschaft eher ins Lächerliche ziehen. Der einen zufolge verbietet der Prophet des Ammontempels dem zunächst ungläubigen Alexander, der Annahme seiner göttlichen Herkunft zu widersprechen, sagt ihm die Weltherrschaft zu und erhält dafür großzügige Geldgeschenke von Alexander. Nach anderen Nachrichten soll der Prophet Alexander auf Grund mangelnder Griechischkenntnisse als Zeussohn (παίδιος) statt als Kindchen, παίδιον, angeredet haben, worauf Alexander das Gerücht seiner Olympier-Herkunft verbreitet habe. 250 Immerhin sei bekannt, dass er die Behauptung seiner Abstammung von Zeus Ammon (lediglich) gegenüber Barbaren genutzt habe, um sie gefügig zu machen. 251 Im Kontext der Konstruktion von Fiktionalität und Faktualität erklären diese Metaaussagen, was hinsichtlich der Interaktion von Gott und Mensch für plausibel gehalten wird und was nicht: Da sie Anteil am Göttlichen hat, kann die Seele des Tugendhaften in Verbindung mit Gott treten; leibliche Grenzüberschreitungen zwischen Menschen und Göttern gibt es nicht. Entsprechende Überlieferungen werden daher nicht als real dargestellt. Neben dieser Begrenzung des fiktionalen Anteils sind es explizite Strategien der Plausibilisierung, die vom grundsätzlich faktualen Anspruch der Erzählungen zeugen. Auf die Einhaltung historiographischer Standards und die Reflexion der Grenzen historischer Erkenntnisse wurde bereits hingewiesen. 252 Wie der Erzähler zu erkennen gibt, ergänzt er seine Quellenforschungen durch das Studium (vermeintlicher) Originaldokumente: Dort [sc. bei den Skythen] soll die Amazone zu ihm [sc. Alexander] gekommen sein. So erzählen es die meisten, zu den Kleitarchos gehört, Polykleitos, Onesikritos, Antigenes und Istros. Aristobulos hingegen, Chares, der Flügeladjudant, außerdem Hekataios von Eretria, Ptolemaios, Antikleides, Philon von Theben, Philippos von Theangela, Philippos von Chalkis und Duris von Samos erklären, dass das eine Erfindung sei, und Alexander selbst, so scheint es, zeugt für sie, denn in einem Briefe an Antipatros, in dem er alles genau berichtet, sagt er, dass ihm der Skythe seine Tochter zur Ehe anbot, und sagt kein Wort von einer Amazone. 253

Auch führt er, wie in der Geschichtsschreibung üblich, 254 immer wieder seine Augenzeugenschaft zur Plausibilisierung an: 255

250 251 252 253 254 255

Vgl. Plut. Alexandros 27,5. Vgl. Plut. Alexandros 28,1. S. o. 1.2. Plut. Alexandros 46. Vgl. Nesselrath, Opsis. Vgl. Beck, Time, 35; Frazier, Espace, 46–48.

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IV Plutarchviten und Markusevangelium – ein Vergleich

Im oberitalienischen Ravenna habe ich eine Marmorbüste des Marius gesehen, aus deren Zügen eindrücklich der mürrische, herbe Charakter spricht, welchen man ihm zuschreibt. 256

Auch eine von Nikias gestiftete Athenestatue, so der Erzähler, war „noch zu meiner Zeit (καθ᾽ ἡμᾶς)“ 257 auf der Akropolis zu sehen. Die Leser haben die Möglichkeit, selbst die erwähnten Spuren des Dargestellten in Augenschein zu nehmen, etwa wenn die Grabstätte Catos dort lokalisiert wird, wo νῦν 258 noch sein Standbild steht. Als Argumente für die Wahrhaftigkeit des Erzählten können auch Rituale dienen. 259 Der Erzähler der Theseus-Vita beispielsweise hält die Überlieferung, Theseus habe von Salamis und nicht aus Athen stammende Steuerleute beim Zug gegen den Minotaurus eingesetzt, für glaubwürdig, weil Heroenmäler sowie die Stiftung eines gewissen Steuermannsfestes in ihrer Heimat belegt seien. 260

2.3 Faktualität und Fiktionalität im Markusevangelium Zum Problem von Fiktionalität und Faktualität fehlen explizite Aussagen des Erzählers im Markusevangelium. Dass das älteste Evangelium – analog zu Plutarch auf seine Weise – den grundsätzlichen Anspruch erhebt, Gewesenes adäquat wiederzugeben, kann aber mit Sicherheit unterstellt werden. 261 Als indirekte Plausibilisierungsstrategien können zwei Charakteristika verstanden werden. Zum einen ist der Standpunkt der Erzählerfigur 262 nahe bei Gott und Jesus angesiedelt, deren Zuverlässigkeit als religiöse Instanzen innerhalb des Referenzrahmens der Kommunikation zwischen Autor und intendiertem Publikum vorausgesetzt wird. 263 Dem Erzähler werden gewisse Einblicke auch in die göttliche Sphäre gewährt, so dass hinter seinem Bericht, der in dieser Hinsicht Züge einer fiktiven Vision trägt, göttliche Autorität steht. Damit hegt die Markuserzählung einen ähnlich hohen Anspruch wie ihn der Erzähler bei Plutarch formuliert: Wie die Plutarch-Biographien im Dienst der philosophischen Tugendbildung eigenverantwortlich mit historischer Wahrheit umgehen dürfen, so erlaubt sich das Markusevangelium, da es im Dienst der Evangeliumsverkündigung steht, 264 die Autonomie und Autorität seiner Darstellung. Zum 256

Vgl. Plut. Marius 2,1. Plut. Nikias, 3,3; zur historischen Einordnung Frazier, Espace, 48. 258 Vgl. Plut. Phokion 3,1; Cato min. 11,4; 36,3; 37,1; 71,2. 259 Vgl. Frazier, Espace, 49 f. 260 Vgl. Plut. Theseus 17,6 f. 261 Vgl. Keener, Christobiography, 51; Meiser, Evangelien, 9; Ders., Gegenspieler, 155, spricht vom Markusevangelium als einem „Text, der den Anspruch erhebt, von tatsächlich geschehenen Vorkommnissen zu handeln“. 262 S. u. 10.1. 263 Vgl. Rüggemeier, Poetik, 46. 264 Vgl. Mk 1,1.14 f; 8,35; 10,29; 13,10; 14,9. 257

Faktualität und Fiktionalität

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anderen lenken sowohl die weitgehende Verborgenheit der Erzählerfigur als auch das Unprätentiöse des Erzählakts den Blick ganz auf das Erzählte. Ihm gilt die gesamte Aufmerksamkeit; ausschmückende und unpassende Fiktionalisierungen passen nicht ins Bild. 265 Die Frage nach der grundsätzlichen Unzuverlässigkeit der Erzählung wird a priori nicht zugelassen. Das Markusevangelium teilt mit seinen intendierten Lesern das frühchristliche Wissensreservoir, 266 daher kann es eigene Deutungen vornehmen, aber nicht fundamental dem Grundwissen der frühen Christen widersprechen. 267 Wie bei Plutarch gesehen, können auch Augenscheinargumente für die Richtigkeit des Erzählten zeugen. Im Fall des Markusevangeliums sind es etwa die realen Orte, an denen die Handlung spielt, die zur Bekräftigung der Authentizität beitragen. 268 Trotz ihres Faktualitätsanspruchs weist die Markuserzählung eine Reihe der üblichen Indizien für einen fiktionalen Charakter auf. 269 Bereits angesprochen wurde die implizite Metalepse der fiktiven Erzählerfigur: 270 Sie wird in menschlicher Gestalt imaginiert, vermag aber mehr als ein Mensch. So gibt sie – analog zum Allwissenheitsmodus bei Plutarch – etwa vor, eigentlich Unzugängliches wie ein Augenzeuge darstellen zu können, etwa durch zwar nur punktuell eingesetzte, aber bisweilen spektakuläre Introspektionen. 271 Das Innere von Figuren, ihre Gefühlsregungen werden nicht selten präzise beschrieben. 272 Völlig frei und in dynamischem Wechsel wählt der Erzähler seine Wahrnehmungszentren. 273 Die in Mk 6,17–29 erzählte Geburtstagsfeier des Herodes Antipas, von welcher der Erzähler wie ein Teilnehmer berichtet, enthält unzugängliche und unwahrscheinliche Informationen und geht daher auf legendarisches Material zurück. Der eher nüchterne Sprachgestus des relativ verborgen bleibenden Erzählers ist nicht mit einem niedrigen Grad an Poetizität zu verwechseln, was für die Arbeit mit Fiktionen spricht: 274 Das Evangelium enthält nicht unerheblich lange, direkt wiedergegebene Reden. 275 Darf man das in der antiken Historiographie Übliche auf die Abfassung des Markusevangeliums übertragen, ist davon auszugehen, dass sich auch hier der Autor (sowie seine Quellen) besonderer Vgl. Pramann, Point, 225. S. o. 1.1. 267 Betont auch von Bond, Biography, 109 f. 268 S. u. 3. 269 Zum (auch) fiktionalen Charakter der Markusevangeliums Klumbies, Jesuserzählung, 11 f; Schenke, Markusevangelium, 16. 270 S. o. 1.2. 271 So etwa Mk 2,8; 5,30; 6,6.34; 8,12; 8,25; 14,35 f; vgl. im Einzelnen Eisen, Markusevangelium, 140 f; Zwick, Montage, 582 f. 272 Vgl. Mk 1,41; 3,5; 6,26.34; 8,12; 9,32; 10,22; 16,8. 273 Vgl. etwa Mk 9,2–5; dazu Gerber, Christologie, 66 f; allgemein auch Rhoads u. a., Mark, 40 f. 274 Vgl. Finnern, Narratologie, 72. 275 Vgl. Mk 4,1–34; 12,1–10; 13,3–37. 265 266

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IV Plutarchviten und Markusevangelium – ein Vergleich

Freiheit der literarischen Gestaltung erfreuen konnten. Gleiches gilt für die häufig verwendete direkte Rede in Gesprächen innerhalb von Szenen. 276 Für Realitätseffekte, 277 das heißt den Eindruck einer unmittelbaren Wahrnehmung des Erzählten durch die Leser, sorgen schnelle Szenenwechsel, bei denen der Erzähler nur minimal in Erscheinung tritt. 278 Gleich, in welchem Maß sie (im modernen Sinn) Anhalt an historischen Gegebenheiten haben, ergeben sich ebenfalls aus den seltenen, daher auffälligen Satelliten, 279 das heißt für die Handlungslogik nicht notwendigen Informationen, Realitätseffekte, so etwa die auffällige Namensnennung von Nebenfiguren. 280 Bei genauerer Hinsicht begegnen im ältesten Evangelium Hinweise auf bewusste literarische Ausgestaltungen der erzählten Welt. 281 Möglicherweise etwa handelt es sich bei dem in Mk 15,7 erwähnten Namen Barabbas – analog zu Plutarchs Marsyas – 282 um einen auf Autorimagination zurückgehenden fiktiven Namen, der negativ auf Jesu Charakterisierung als Sohn Gottes beziehungsweise des Höchsten 283 anspielen und so den Abstand zwischen der Hauptfigur und dem von Barrabas Repräsentierten, der zelotischen Bewegung, vergrößern soll. 284 Auffällig stark mit Leerstellen behaftet ist die Figur des in Mk 14,51 fliehenden νεανίσκος. Vermutlich soll von ihm aus eine Verbindung zum weiß gekleideten jungen Mann im Grab Jesu in Mk 16,5 hergestellt werden, der angesichts der Flucht der Schüler den Frauen die Anweisung zur Rückkehr nach Galiläa erteilt. 285 Denkbar ist auch, dass er gleichsam als fliehender Engel für die Gottverlassenheit Jesu steht. 286 Kommt der Figur primär eine symbolische Rolle innerhalb der erzählten Welt zu, verdankt sie ihre Existenz wahrscheinlich der Autorimagination. 287 276

S. u. 10.2. Vgl. Zwick, Montage, 565. 278 Vgl. die knapp angezeigten Szenenwechsel etwa in Mk 1,9.14.16.21.40 usw. 279 S. u. 6.1. 280 Vgl. Mk, 10,46; 15,21. Die Namensnennung von Alexander und Rufus – einen Träger dieses Namens erwähnt auch Röm 16,13 – hält Reiser, Porträts, 20, für eine indirekte Nennung der Gewährsleute des Autors. Auffällig ist insbesondere die unübliche Charakterisierung des Vaters, der durch seinen Namen und seinen Herkunftsort bereits hinreichend identifiziert ist (vgl. Theißen, Lokalkolorit, 186–188). Ob es sich bei der Erwähnung des Alexander und des Rufus um eine Beglaubigungsstrategie oder um einen fingierten Realitätseffekt handelt, wird sich nicht sicher entscheiden lassen. 281 Bond, Biography, 168–171.209–220, erwägt bei zahlreichen Szenenfiguren, wie beispielsweise der Syrophönizierin in Mk 7,24–30, aber auch bei Simon von Kyrene in Mk 15,21, ob sie weniger auf Grund historischer Überlieferungen als zu dem Zweck der intensiveren Charakterisierung Jesu Eingang in die Erzählung fanden. 282 S. o. 2.2.3. 283 Vgl. Mk 1,1.11; 3,11; 5,7; 9,7; 12,6; 13,32; 14,61; 15,39. 284 Vgl. Dormeyer, Idealbiographie, 80. 285 Vgl. Seifert, Markusschluss, 250 f. 286 Vgl. Mk 1,13; dazu Rüggemeier, Poetik, 209 f Anm. 26. 287 Theißen, Lokalkolorit, 198–200, geht dagegen bei den in Mk 14,47.51 f erwähnten 277

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In Mk 15,16–20 fällt weiterhin eine ganze Reihe an Details auf, die auf den ersten Blick das besondere Kolorit der Szene unterstreichen, sich bei genauerem Hinsehen aber als unwahrscheinlich erweisen: Fraglich ist nicht nur, ob in Jerusalem stationierten Soldaten ein kostspieliges Purpurgewand zugänglich gewesen wäre, sondern auch, ob der Einsatz einer ganzen Kohorte mit bis zu 1000 Soldaten plausibel erscheint. Auch das Flechten einer Dornenkrone erscheint als umständliche Foltermethode. 288 Ganz offensichtlich enthält die Szene „narrative Stolpersteine“ 289, die auf einen symbolischen Bedeutungsgehalt verweisen. 290 Wie erschlossen werden kann, geht die Anordnung der erzählten Stoffe auf literarische Gestaltung zurück. 291 So dürfte etwa die in Mk 6,14–16 zusammengestellte Kombination aus Volksmeinungen über Jesus und die Auffassung, Jesus sei der auferstandene Täufer, Ereignisakoluthien fingierendes Vorgehen verraten, um den Aufhänger für den Einschub der Erzählung vom Tod des Täufers in Mk 6,17–29 auszugestalten. Auch ist vermutlich die Rahmung der in Mk 11,15–18 erzählten Tempelaktion durch die zweimalige Passage am Feigenbaum in Mk 11,12–14 und 11,19–21 dem Bestreben geschuldet, eine plausible Abfolge zu berichten. Die Erzählung weist weiterhin einige aufmerksamkeitssteuernde Muster auf, die auf die gestaltende Autorenhand zurückgehen. So gliedern etwa summarische Blöcke die Kapitel Mk 1–6, 292 die mehrfachen Leidensankündigungen den Abschnitt 8,27–10,52. 293 Ebenso erscheint „Sohn Gottes“ in Mk 1,11 und 9,7 als bewusst an parallel gestalteten Schlüsselstellen platziert. Der Ausspruch des Zenturios unter dem Kreuz in Mk 15,39 fungiert zusätzlich als eine Art Pointe gegen Ende der Erzählung. 294 Auch die Verwendung des Begriffs „Evangelium“ lässt ein dreigliedriges Muster erkennen: 295 Mk 1,1 und 1,14 stehen zusammengenommen für Form und Inhalt der Evangeliumserzählung („Das ‚Evangelium‘ ist Jesu Verkündigung und ihr Inhalt die Gottesherrschaft“ 296); Mk 8,35;10,29 thematisieren den Aspekt der Leidensnachfolge; die beiden übrigen Belege in Mk 13,10;14,9 blicken auf die künftige Evangeliumsverkündigung voraus. Männern von historischen Personen aus, die, um nicht mit der römischen Besatzungsmacht in Konflikt zu geraten, anonym bleiben. 288 Vgl. Mk 15,16 f.20; dazu Lau, Triumphator, 322 f. 289 A. a. O. 323. 290 S. u. V 3. 291 Vgl. Bond, Biography, 98–110; Meiser, Evangelien, 19; Frickenschmidt, Evangelium, 372; Schmidt, Wege, 515; Schenke, Markusevangelium, 9 (erzählt werden „die Wanderungen Jesu […] als Fiktion“ [ebd.]). Das sorgfältig komponiert erscheinende Bewegungsprofil des markinischen Jesus zeichnet Bosenius, Raum, 269–271, nach. 292 S. u. 4.4. 293 Vgl. Mk 8,31; 9,31; 10,33 f; dazu Luz, Fiktivität, 177. 294 S. u. 7.2. 295 Theißen, „Evangelium“, 66 f.72–76. 296 A. a. O. 72 f.

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IV Plutarchviten und Markusevangelium – ein Vergleich

Welche der im Markusevangelium erzählten Exorzismen, Therapien, Naturund Vermehrungswunder aus Sicht der Wirklichkeitsannahmen der PlutarchBiograhien als unwahrscheinlich erschienen, lässt sich im Einzelfall nicht entscheiden. 297 Auf der markinischen Erzählebene wird das Außergewöhnliche an den entsprechenden Begebenheiten thematisiert: Die Anwesenden können das Geschehen zunächst nicht adäquat erfassen; 298 mit großer Geschwindigkeit verbreitet sich dann aber die Kunde von Jesu außergewöhnlichen Taten. 299 Durch seine Anteilhabe an der göttlichen Sphäre vermag der markinische Jesus zudem die nächsten Schritte seiner Schüler vorauszusehen; 300 er weiß nicht nur um sein Todesschicksal, seine Auferstehung und Parusie, 301 sondern auch um die geschichtliche und eschatische Zukunft der Welt. 302 Über die im Anbrechen begriffene Gottesherrschaft kann er verbindlich und umfangreich Auskunft geben. 303 Trotz des Gewichts der wundersamen Taten, die Jesus vollbringt, werden das Eingreifen Gottes in die Welt und die Auferweckung Jesu in zurückhaltendem Gestus erzählt: Gott ist nur hör-, nicht sichtbar, er agiert nur mittelbar. Der Auferstandene tritt nicht selber in Erscheinung, sondern wird an seinem Grab von einer Engelsgestalt vertreten. 304

2.4 Resümee An den Plutarch-Viten lässt sich studieren, welche Freiräume einem im historiographischen Spektrum agierenden Autor bei der Verwendung offener und verdeckter Fiktionen erlaubt waren. Die Autorität und Effektivität seiner Erzählung leiden darunter keineswegs, sondern werden im Gegenteil dadurch noch gesteigert. Vor diesem Hintergrund lässt sich auch das älteste Evangelium primär als eine literarisch gestaltete Welt verstehen, 305 bei deren Erschaffung sich Gestaltungsfreiheit und erhobener faktualer Anspruch gegenseitig beförderten. Der Blick auf Plutarch legt offen, dass die Entscheidungsfrage, ob das Markusevangelium entweder der faktualen historiographisch-biographischen

Vgl. auch Zimmermann, Verschlungenheit, 31–38. Vgl. Mk 1,27; 2,12; 4,41; 5,15.42; 6,49 f.51 f; 7,37. 299 Vgl. Mk 1,28.32–34.45; 3,10; 6,55 f; 7,36. 300 Vgl. Mk 11,2–6; 14,14–16.30. 301 Vgl. Mk 2,19 f; 8,31; 9,9.31; 10,33 f.38.45; 12,8; 14,8 f.18.20 f.34–42.48 f. 302 Vgl. Mk 3,28 f; 9,1; 10,30.39 f.45; 11,23–26; 12,9; 13,2.5–37; 14,62. 303 Vgl. Mk 1,15; 4,2–34; 12,27.34. 304 Vgl. Mk 1,10 f; 9,2–7; 15,33; 15,38; 16,5 f. 305 Vgl. auch Pramann, Point, 16 f. Chance, Fiction, kommt nach dem Vergleich mit antiken biographischen Werken, die jünger als Plutarch sind, zu einem ähnlichen Ergebnis. Reiser, Porträts, 105 f, führt dagegen die „Anschaulichkeit und Lebensnähe“ (a. a. O. 105) des ältesten Evangeliums nicht auf literarische Gestaltungsarbeit zurück, sondern schließt auf die Abhängigkeit von auf den historischen Petrus zurückgehenden Informationen (vgl. a. a. O. 18 f). 297 298

Handlungsorte und Räume

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oder der eher fiktionalen mythischen Literatur zuzurechnen ist, 306 falsch gestellt ist: Gerade als sich an der Historiographie orientierender Autor arbeitet Plutarch mit nicht wenigen Fiktionen. Da dritte Quellen fehlen, lassen sich die Fiktionen des Markusevangeliums nur skizzieren und keinesfalls im Einzelfall sicher im Sinne einer Historizitätsprüfung vom faktualen Gehalt abheben. 307 Als Unterschied zwischen Markusevangelium und Plutarch-Biographien im Hinblick auf das Problem von Fiktionalität und Faktualität lassen sich jeweils zu Grunde liegende Wirklichkeitsannahmen benennen: Jesus tritt im Markusevangelium als mit übermenschlichen Fähigkeiten ausgestatteter Gottessohn auf, der postmortal aufersteht und dessen Wiederkunft erwartet wird. Bei Plutarch wird dagegen manchen Exponenten ihrer Zeit Nähe zur göttlichen Sphäre zugestanden; nur die vom Irdischen getrennte Seele kann aber unter Umständen die Grenze zur göttlichen Sphäre überwinden. Abgesehen davon sind nicht nur die Plutarch-Biographien, sondern auch das Markusevangelium von Zurückhaltung bei der Darstellung möglicherweise als unwahrscheinlich geltender Ereignisse geprägt.

3. Handlungsorte und Räume 3.1 Orte und Räume in Erzähltexten Zur Analyse von Erzähltexten gehört das Ausloten der Orte und Räume (im weitesten Sinn) der Handlung. 308 Hierzu zählen das mehr oder weniger explizite sozio-kulturelle Setting sowie die geographischen, landschaftlichen oder architektonischen Gegebenheiten. Sie weisen, indem sie bestimmte Konstellationen darstellen, mit den Figuren interagieren, sich im Laufe der Handlung wandeln oder auf Drittes verweisen, einen semantischen Gehalt auf und können rezeptionssteuernd wirken.

3.2 Wirkungsorte Alle in den Plutarch-Biographien Porträtierten treten als Repräsentanten einer Stadt auf. Das gesamte Wirken der Hauptfiguren geschieht jeweils in Bezug auf ihre Stadt und ihr Herrschaftsgebiet; ob zum eigenen oder der Stadt Guten, ist eine Frage der Perspektive. Unter den Hauptfiguren vom Typus des Gründervaters oder des Reformers legt etwa Romulus die Ewige Stadt erst an; Perikles

Benannt von Klumbies, Jesuserzählung, 10. Mit Reiser, Charakteristik, ist in Frage zu stellen, ob es eine „verlässliche Methode“ (a. a. O. 48) gibt, um Fiktionales und Faktuales vollständig zu trennen. 308 Vgl. Finnern, Narratologie, 80–85; Bosenius, Raum, 3–18; Klumbies, Konzept, 55–57. 306 307

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IV Plutarchviten und Markusevangelium – ein Vergleich

baut sein Athen umfangreich aus. 309 Beide, aber auch Numa und Lykurg, gestalten durch ihre Verfassungen und Gesetze, weit über den Tod hinaus wirkend, ihre Poleis. 310 Die Viten der Genannten werden durch diese Aufbaugeschichten zu mythisch-historischen Reiseführern beziehungsweise zu volkskundlichen Handbüchern über Sparta, Athen oder Rom. 311 Als Politiker und/oder Feldherren kämpft das Gros der von Plutarch Porträtierten um die Macht (innerhalb) ihres Stadtstaats. Die Stätten der öffentlichen Wirksamkeit der Hauptfiguren fungieren in den Plutarch-Biographien daher keineswegs bloß als austauschbare Kulissen, sondern sie stehen in unauflösbarem Zusammenhang mit dem Wirken der Hauptfigur. Dafür spricht nicht zuletzt die Konzeption der Parallelviten, die bewusst Römer und Bürger griechischer Poleis vergleichend darstellen. 312 Auch die Auslandsunternehmungen der Hauptfiguren sind dem Wirken am Heimatort unter- und zugeordnet. Besonders breiten Raum nimmt das auswärtige Wirken im Fall Alexanders ein, der bereits vor seiner Herrschaftsübernahme gelegentlich, nach Beginn des Feldzuges ausschließlich im Ausland wirkt, wo sein Leben schließlich endet. 313 Zwar haben auch Figuren wie Lysander, Cäsar und Crassus oder auch Theseus umfangreiche Unternehmungen außerhalb durchzuführen. Präsenz und Stellenwert des zentralen Wirkungsortes werden dadurch aber in keinem der genannten Fälle geschmälert. So ist beispielsweise im Fall Alexanders Makedonien stets in Gestalt der Freunde sowie der Diskussionen darüber, wie viel Adaption an orientalische Sitten noch legitim sei, präsent. 314 Feldzüge oder temporäre Verbannungen ins Ausland 315 geschehen auf Grund der Machtverhältnisse oder im Auftrag beziehungsweise im Rahmen der Machterlangung innerhalb der Heimatstadt. Umzüge, Reisen und andere Auslandsaufenthalte stehen in einigen Lebensbeschreibungen für vorbereitende oder initiatorische Erfahrungen in frühen Lebensphasen. So wachsen Theseus, der spätere Censor Cato und Marius außerhalb ihrer späteren Wirkungsstätten im ländlichen Raum auf. 316 Numa lebt nach dem Tod seiner ersten Frau Tatia in der freien Natur, wo er – angeblich durch den Verkehr mit der Nymphe Egeria – seinen Charakter stärkt. 317 Die auf 309

Vgl. Plut. Romulus 9–12; Perikles 12 f. Vgl. Plut. Romulus 13.22; Perikles 8–10; Numa 7–20; Lykurg 6–28; dazu auch Beck, Time, 37 f. 311 Vgl. Ders., Transmitter. 312 Eine spektakuläre Extremform des Wirkens für die Heimatstadt praktizieren Themistokles und Gaius Marcius Coriolanus: Sie verlagern ihre Wirksamkeit hin zu den ursprünglichen Feinden (und finden dort schließlich den Tod), selbst nach ihrem Seitenwechsel halten sie aber ein Mindestmaß an Solidarität für die Patria ein. 313 Vgl. Plut. Alexandros 9.11–76. 314 Vgl. Plut. Alexandros 45.47.59.62.73 f. 315 Vgl. Plut. Cato min. 36–39. 316 Vgl. Plut. Theseus 3–5; Cato mai. 1 f; Marius 3,1. 317 Vgl. Plut. Numa 4. 310

Handlungsorte und Räume

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Grund entsprechender Rufe Dritter erfolgende Übersiedlung in den Zentralort markiert in den genannten Lebensbildern inhaltlich den Eintritt in die Phase der öffentlichen Wirksamkeit. Im Falle Catos des Jüngeren vollzieht sich der Ortswechsel innerhalb Roms, wo er eine erste eigene Wohnung bezieht. 318 Initiatorische Bildungs- und erste Berufserfahrungen sammeln einige der Hauptfiguren auf Studienreisen, beim Auslandsstudium und als junge Teilnehmer an Feldzügen. 319 Wie bei den Auslandsexkursionen während der Phase der öffentlichen Wirksamkeit ist auch in den genannten Fällen das räumliche Setting der frühen Lebensphasen auf das hauptsächliche Wirken am Ort des Lebensmittelpunktes ausgerichtet. Gleiches gilt für jene, die in der Fremde den Tod finden: Alexander und Crassus sterben durch Feindeshand beziehungsweise auf Grund von Krankheit auf dem Feldzug. 320 Lykurg und Themistokles nehmen sich in der Fremde das Leben, um die Heimatstadt zu schützen. 321 Kleomenes entweicht aus der ägyptischen Haft, um zumindest eines Spartiaten würdig zu sterben. 322 Auf Grund innerer Probleme fliehen müssen Theseus sowie Cato Uticensis, die schließlich im Exil auch den Tod finden. 323 Die Markuserzählung weist im Hinblick auf Struktur und Bedeutung der Handlungsorte 324 einige Ähnlichkeiten mit den Plutarch-Biographien auf. So finden eingangs die Hauptfigur (und in gewisser Weise auch die Leserinnen und Leser) vorbereitende Phasen an Stätten außerhalb des späteren Wirkungsbereiches statt. In der judäischen Wüste am Jordan 325 tritt Johannes auf, der als letztes Glied in der Kette der prophetischen Ankündiger des Kommens des Gottessohns vorgestellt wird. 326 Vergleichbar den vor dem Beginn oder in einer frühen Phase der Wirksamkeit stattfindenden Reisen einiger der PlutarchHauptfiguren begibt sich Jesus von Nazareth aus zu Johannes. Die bereits aus der räumlichen Perspektive des Eintreffens am Jordan formulierte Wendung ἀπὸ Ναζαρὲτ τῆς Γαλιλαίας in Mk 1,9 dürfte einerseits ortsunkundigen Lesern die Lage Nazareths innerhalb Galiläas erläutern, 327 andererseits den eher negativ konnotierten 328 Heimatort Jesu zwar nicht verschweigen – üblicherweise wird die Patria der Hauptfigur zu Beginn einer Biographie genannt – 329, 318

Vgl. Plut. Cato min. 4. Vgl. Plut. Theseus 6; Timoleon 8; Cato min. 8.12–15; Solon 2; Cäsar 3; Antonius 2; Lykurg 4. Dazu auch Frickenschmidt, Evangelium, 272. 320 Vgl. Plut. Alexandros 75 f; Crassus 31. 321 Vgl. Plut. Lykurgos 29; Themistokles 31. 322 Vgl. Plut. Kleomenes 58(37). 323 Vgl. Plut. Theseus 35; Cato min. 52–70. 324 Dazu Meiser, Evangelien, 16 f; Bosenius, Raum; Seifert, Markusschluss, 213; Becker, Konzepte. 325 Vgl. Mk 1,4 f; dazu Bosenius, Raum, 105 f; Seifert, Markusschluss, 215 f Anm. 493. 326 Vgl. Mk 1,2 f.7 f. 327 Vgl. Bosenius, Raum, 114–116. 328 Vgl. Mk 6,1–6. 329 Vgl. Frickenschmidt, Evangelium, 247 f. 319

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aber durch Galiläa, die spätere Wirkungsregion, ergänzen. Wie an anderen Schlüsselstellen auch nutzt der Erzähler nun die Taufszene als Gelegenheit zur Platzierung des Gottessohn-Titels. 330 Es schließt sich die stark gerafft erzählte Versuchungsepisode an, die ebenfalls in der Wüste, aber nicht zwangsläufig am selben Ort wie die Johannestaufe spielt. 331 Durch das Mischzitat in Mk 1,2 f, in welchem Ex 23,20 auf den aus der Wüste Sinai herausführenden Engel anspielt und Jes 40,3 explizit die Wüste erwähnt, werden die in der Wüste lokalisierten Orte der Johannestaufe wie der Versuchung Jesu als typische Orte der Gottesbegegnung und -wirksamkeit gekennzeichnet. 332 Eine ähnliche Bedeutung kommt in den Biographien des Numa sowie des Timoleon dem Aufenthalt außerhalb der Zivilisation zu, in denen sich die Hauptfiguren auf die spätere Wirksamkeit innerlich vorbereiten. 333 Gleichzeitig fungieren im Markusevangelium die Taufstelle, zu der laut Mk 1,5 Judäer und Jerusalemer strömen, und die Taufe Jesu als Vorverweis auf die spätere ‚Taufe‘ Jesu, seinen Tod in Jerusalem. 334 Wie bei Theseus, den Catonen und Numa markiert auch bei Jesus ein Ortswechsel den Auftakt zur öffentlichen Wirksamkeit. 335 Aus der Wüste zurückgekehrt, nimmt er die Tätigkeit in Galiläa auf. Während der in Mk 1,14–4,41 erzählten Zeit hält sich Jesus ausschließlich in dieser Region auf. Immer wieder genannt werden Kapernaum und der See Genezareth; 336 aber auch andere in Galiläa liegende Orte sucht er auf. 337 Später weitet sich der geographische Rahmen, indem Jesus sich auf Exkursionen begibt. So findet der in Mk 5,1–20 erzählte Exorzismus am östlichen Ufer des Sees Genezareth auf dem zur Dekapolisstadt Gerasa gehörenden Gebiet statt. 338 Später bereist er die nördlich gelegene Gegend von Tyros und Sidon; 339 an den See Genezareth zurückgekehrt, bricht er erneut zu einer Tour in die Dekapolis auf. 340 Unbeschadet seiner Rei330

Vgl. Mk 1,1.9–11; 9,2; 15,39. Vgl. Bosenius, Raum, 85. 332 Vgl. a. a. O. 81–86. 333 Vgl. Plut. Numa 4; Timoleon 5. 334 Vgl. Mk 10,38 f; dazu Stolle, Markusevangelium, 46. 335 Vgl. Mk 1,14. Das Bewegungsprofil des markinischen Jesus fassen Bosenius, Raum, 270 f.363; Klumbies, Konzept, 59–70, zusammen. Schenke, Markusevangelium, 8 f, bescheinigt dem Autor schlechte Ortskenntnis bei der Konstruktion der Wege Jesu. 336 Vgl. Mk 1,16.21.29; 2,1.13; 3,7. 337 Vgl. Mk 1,14.35.38 f.45. Zu Jesus innerhalb seiner Umwelt vgl. Schröter, Jesus. 338 Bosenius, Raum, 202 f, schlägt vor, unter χώρα in Mk 5,1 das offizielle Territorium der etwa 55 Kilometer abseits vom See Genezareth gelegenen Stadt Gerasa zu verstehen, und zwar, wie die Handlung es verlangt, an einer am Ufer gelegenen Stelle. 339 Vgl. Mk 7,24.31 340 Vgl. MK 7,31. Die geraffte Angabe in diesem Vers lässt sich hinsichtlich ihrer geographischen Referenz problemlos verstehen, wenn man zwei Reisen, zunächst in nördlicher, dann in östlicher Richtung, annimmt (vgl. Bosenius, Raum, 233 f). Auffällig bleibt, dass Mk 7,31 nicht den Beginn derjenigen Schiffsreise erwähnt (vgl. Mk 4,36 u. ö.), deren Ende in Mk 8,10 notiert wird. 331

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sen kommt Jesus immer wieder in die Gegend um Kapernaum zurück. 341 In dem in Mk 8,27–10,46 erzählten Zeitabschnitt führt Jesu Weg zunächst nach Norden in das Gebiet von Caesarea Philippi. 342 Ob danach direkte Wanderungen in südlicher Richtung auf Jerusalem zu oder weitere, in Kapernaum beginnende (und dorthin wieder zurückkehrende) Exkursionen innerhalb Galiläas, dann nach Judäa und Peräa, an die sich die Abreise nach Jerusalem anschließt, 343 inszeniert werden, ist nicht vollständig zu klären. 344 Die in Mk 11,1–16,8 erzählte Handlung spielt in und bei Jerusalem. Den räumlichen Schwerpunkt bilden zunächst Orte innerhalb des Tempelareals oder mit Blick auf den Tempel, 345 dann die Stationen der Passionsgeschehnisse und der kurzen Nachgeschichte. 346 Wie im Fall etwa des Zensors Cato und des Numa bei Plutarch sind auch beim markinischen Jesus Vaterstadt und Wirkungsort nicht identisch. Nazareth bildet – wie auch Tiberias und Sepphoris – innerhalb Galiläas gleichsam einen blinden Fleck angesichts der sonstigen galiläischen Erfolge Jesu. Das Pendant zu Athen, Sparta, Pella oder Rom als Stätten, die mit dem jeweiligen Akteur gleichsam organisch verbunden sind, ist im Falle des Markusevangeliums Galiläa. 347 Die Region tritt in Gestalt der in ihr liegenden, namentlich genannten Orte auf und steht beinahe synonym für das öffentliche Wirken Jesu. 348 Nicht zuletzt spricht für den Stellenwert, der Galiläa innerhalb der Markuserzählung zukommt, dass Jesus auf seine Erscheinung in Galiläa verweist. 349 Im Unterschied zu den Hauptfiguren der Lebensbilder Plutarchs, die in ihren Poleis in der einen oder anderen Weise Macht ausüben, meidet Jesus die größeren Städte Galiläas – wie Sepphoris und Tiberias – und beschäftigt sich auch weder mit Gründung und Ordnung einer Stadt noch mit Machterlangung oder -sicherung. 350 Keine eigenständige Rolle spielt in der Erzählung die politische Verfasstheit Galiläas. 351 Sie scheint lediglich im Hintergrund der in Mk 6,14–29 341

Vgl. Mk 6,32.53; 8,10.22. Vgl. Mk 8,27. Seifert, Markusschluss, 215, setzt dagegen eine Zäsur zwischen Mk 9 und Mk 10. Die Eigenständigkeit von Mk 8,22–10,52, die geographisch durch den Weg nach Jerusalem, die Rahmung durch zwei Blindenheilungen (Mk 8,22–26; 10,46–52) sowie die dreifache Leidensankündigung gegeben ist, tritt dadurch in den Hintergrund (vgl. zur entsprechenden Gliederung auch Bond, Biography, 150–155). 343 Vgl. Mk 9,30.33; 10,1.32.46. 344 Die Entscheidung hängt davon ab, ob man die in Mk 9,28.33; 10,10 nicht näher bezeichneten Häuser mit dem Haus, in dem Jesus in Kapernaum lebt und wirkt (vgl. Mk 1,29.33), identifiziert (zum Problem Bosenius, Raum, 142–144). 345 Vgl. Mk 11,15–19; 11,27–13,37; dazu Bosenius, Raum, 362 f. 346 Vgl. Mk 14,1–16,8. 347 Zur Bedeutung der Handlungsorte in der Markuserzählung vgl. Bösen, Galiläa, 262– 274. 348 Vgl. Mk 1,14.28.39; 3,7; 9,30. 349 Vgl. 14,28; vgl. 16,7. Betont von Seifert, Markusschluss, 257 f. 350 Vgl. Reiser, Porträts, 77 f. 351 Vgl. dagegen etwa Lk 3,1. 342

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erzählten Todesgeschichte des Johannes sowie der Anspielungen auf die legio X Fretensis in Mk 5,1–20 auf. 352 Unbeschadet des symbolischen Gewichts Galiläas im Markusevangelium spielt die Region mitsamt ihren historischen, topographischen und sozialen Gegebenheiten per se keine Rolle, 353 so dass die Erzählung auch keine Elemente eines antiken Reiseführers oder volkskundlichen Handbuchs enthält, wie es (in der antiken Geschichtsschreibung bisweilen 354 und) bei den Plutarch-Viten der Gründerväter und Gesetzgeber der Fall ist. Vielmehr repräsentiert der markinische Jesus die metaphorische Größe des Reiches Gottes. 355 Letzteres besteht aus Sicht der erzählten Zeit schon und wirkt sich auf sie aus, 356 bleibt dennoch eine zwar nahe, aber der Zukunft zugehörige Größe, 357 die (noch) vom erzählten Raum getrennt ist. 358 Wenngleich die mit endzeitlicher Errettung verbundene Teilhabe an der Gottesherrschaft von der Rezeption der Person Jesu abhängt, 359 handelt es sich bei dem zur Rede stehenden ‚Reich‘, anders als im Fall von Reichsgründern wie Alexander oder Cäsar in den Plutarch-Biographien, nicht um den Herrschaftsraum der Hauptfigur selbst, sondern um die Gottesherrschaft, in welcher Jesus bestimmte Aufgaben zukommen. 360 Jesus selber distanziert sich in Mk 9,33–35 und 10,42–45 explizit von (menschlicher) Herrschaftspraxis. 361 Zwar wird er später von Pilatus als vermeintlicher Königsprätendent verurteilt; 362 seine Wirksamkeit weist aber allenfalls andeutungsweise Züge messianischer ‚Königsherrschaft‘ auf. 363 Weswegen es Galiläa ist, wo Jesus nach Mk 1,14 auftritt, wird innerhalb der Raumlogik der Erzählung nicht eigens begründet. Die Ortswahl kann angesichts des Heimatortes Jesu als naheliegend erschlossen und mit textexternem 352 Vgl. Klinghardt, Legionsschweine; Bosenius, Raum, 204–208: Ihre Symbole zeigten als klassisches Militärsymbol einen Eber sowie Maritimes, Letzteres als Erinnerung an die Seeschlachten von Mylae und Naulochus unter Octavian. Auf beide Bildbereiche spielt das Motiv der im See ertrinkenden Schweineherde an. Die Einheit war unter Vespasian an der Eroberung Galiläas maßgeblich beteiligt. Die zeitgenössischen Bezüge rekurrieren daher auf die Entstehungszeit des Evangeliums (dazu s. u. V), nicht auf die erzählte Zeit. 353 Eine andere Sichtweise schlägt Bedenbender, Messias, vor: Die gesamte Erzählung verweise – ohne es auszusprechen – auf die römische Einnahme Galiläas und Judäas. 354 Vgl. Schröter, Galiläer, 43. 355 Vgl. Schnelle, Theologie, 390; Bosenius, Raum, 322–328. 356 Vgl. Mk 4,11; 10,14 f; 12,34. 357 Vgl. Mk 1,15; 9,1; 10,23–25; 14,25; 15,43. 358 Vgl. Mk 9,1.47; 10,15; 10,23–25.43; 14,25. 359 Vgl. Mk 8,34–38; 10,29. 360 Vgl. insbesondere Mk 1,14 f; 8,35.38; 9,7. 361 Betont von Bond, Biography, 150–155. Insofern kann vom Jesus des Markusevangeliums als dem legitimen Gegenüber des römischen Kaisers gesprochen werden, wofür die Christusprädikation durch Petrus in Cäsarea Philippi, das symbolisch für die Kooperation jüdischer und römischer Macht steht, spricht (vgl. Seifert, Markusschluss, 216 Anm. 494). 362 Vgl. Mk 15,2.9.12.18.26.32. 363 Vgl. Mk 2,25 f; 6,34; 10,47; 14,27; dazu auch Stolle, Markusevangelium, 21, und umfangreich Bond, Biography, 237–241.

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Wissen über die Wirksamkeit Jesu (vorwiegend) in Galiläa in Übereinstimmung gebracht werden. 364 Immerhin erfüllt die Region die hinreichende Bedingung, eine (überwiegend) jüdische Region zu sein, um zum räumlichen Schwerpunkt der Jesuserzählung zu avancieren – 365 gilt Jesu Sendung doch grundsätzlich allen Juden beziehungsweise ganz Israel. 366 Dieser Aspekt bleibt in der Markuserzählung allerdings zu Gunsten des symbolischen Gewichts Galiläas im Angedeuteten.

3.3 Todesorte Steht Galiläa primär für die erfolgreichen Taten Jesu, wird Jerusalem ab Mk 3,22; 7,1 und explizit in Mk 10,32 f als Ort des gewaltsamen Endes eingeführt. Der in Mk 8,27–10,52 erzählte Weg wird daher zum Weg in den unausweichlichen Tod. 367 Diese Grundstruktur zweier geographischer und inhaltlicher Pole, die jeweils mit Leben und Wirken sowie Ohnmacht und Tod verbunden sind, findet in der Plutarch-Biographie Catos des Jüngeren eine Parallele. Sein Weggang aus Rom ist der erste Schritt jenes Weges, der im unabwendbar werdenden Tod endet. In der Cato- wie der Jesuserzählung wird dieser Einschnitt in einem Gespräch offen thematisiert. Jesus spricht vom „Muss“ seines Todes, Cato von dem ihm mittelbar den Tod bringenden Ende der Republik. 368 Während Cato aus der Reichszentrale in ein Provinzzentrum gelangt, das zwar von strategischer, aber für ihn nicht von persönlicher Bedeutung ist, führt der Weg Jesu umgekehrt von der Peripherie in den Zentralort. In der Raumlogik des Markusevangeliums ist allerdings Galiläa nicht per se positiv und Jerusalem einseitig entgegengesetzt konnotiert. 369 Zunächst wird Jesus, wie Mk 11,1–11 erzählt, vor Jerusalem spontan als einem messianischen Hoffnungsträger gehuldigt. Im griechisch-römischen Kontext erinnert die Szene an die Feier eines Triumphs, die naheliegenderweise anlässlich der Rückkehr des Siegreichen in die Heimatstadt erfolgt. Bei Plutarch zelebriert beispielsweise Alkibiades glanzvoll seine Rückkehr nach Athen. 370 Der markinischen Szene liegt dieser Konnex in gebrochener Form zu Grunde. Jesus kehrt nach Jerusalem nicht zurück, sondern begibt sich erstmals in die Stadt, in der der οἶκος 364

Zur historischen Rekonstruktion der Aufenthaltsorte Jesu vgl. Theissen/Merz, Jesus,

161. 365 Vgl. Bosenius, Raum, 117 f; Schröter, Galiläer, 48; umfassend Irrgang, „Judentum“, 103–118. 366 Vgl. Mk 3,7 f; vgl. auch 15,2.26.32 und die Einsetzung des auf die zwölf Stämme Israels anspielenden Zwölferkreises (Mk 3,14). Dazu auch Schröter, Galiläer, 56 f. 367 Vgl. Mk 8,31; 9,31; 10,33 f (und bereits 1,14; 2,19 f; 3,6). 368 Vgl. Mk 8,27–30; Plut. Cato min. 52,1–3. Dazu Wördemann, Charakterbild, 217 f. 369 Vgl. Klumbies, Konzept 70 f, der zu Recht auch auf die Misserfolge Jesu in Galiläa hinweist (vgl. a. a. O. 71 Anm. 60). 370 Vgl. Plut. Alkibiades 34.

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seines Vaters 371 steht. Zudem kommt auch hier eine „Herrschaft“ Jesu keineswegs in den Blick; explizit wird in Mk 9,10 die βασιλεία τοῦ πατρὸς ἡμῶν Δαυίδ gepriesen. 372 Mk 11,1–11 greift auf eine weitere, auch in den PlutarchViten begegnende Grundannahme zurück: Dem Moment des Triumphs wohnt der Aspekt der Katastrophe inne. Das Aufeinandertreffen von höchster Anerkennung und Niederlage nutzt Plutarch in mehreren Biographien als spannungserzeugenden Effekt: Zur Zeit seines Triumphs erfährt Aemilius größtes Unglück durch den Tod seiner Kinder; Lucullus und Pompeius werden große Demonstrationen ihrer Erfolge in Rom gewährt, in Wahrheit sind sie bereits im rasanten Abstieg begriffen. 373 Auch das älteste Evangelium arbeitet an dieser Stelle mit Kontrasten: Nachdem ihm überschwänglich gehuldigt worden war, betritt Jesus in Mk 11,11 die Stadt wie ein durchschnittlicher Besucher, von dem niemand Notiz nimmt und der sich einen Überblick über die Tempelgebäude verschafft. 374 Letztere spielen für die markinische Jesus-Geschichte eine wichtige Rolle, wie sowohl die häufigen Aufenthalte Jesu im Tempel oder in seinem Umfeld als auch die Bevorzugung 375 der auffälligen, gräzisierten Form Ἱεροσόλυμα, die an τὸ ἱερόν erinnert, zeigt. 376 Gelingt es Jesus vorerst noch, mit der Tempelaktion ein Zeichen zu setzen, seine schon seit der galiläischen Zeit agitierenden 377 Gegner zum Schweigen zu bringen und die Menge zu begeistern, 378 so obsiegen die Gegner schließlich mit ihrem Tötungsvorhaben. 379 Den Taten, Erfolgen und dem massenhaften Zustrom in Galiläa stehen schließlich die Vereinnahmung der Volksmenge durch die Gegner 380 sowie die Passivität Jesu gegenüber, die spätestens mit der Gefangennahme eintritt. 381 Einige der Biographien Plutarchs thematisieren die Gestaltung des Sakralraums der Polis als primäre Aufgabe des herrschenden Politikers. Zu denken ist insbesondere an die Anlage der Akropolis durch Perikles. 382 Aber auch andere der Hauptfiguren stiften Tempel und Heiligtümer. 383 Unter umgedrehten 371

Vgl. Mk 11,17 (zit. Jes 56,7). Dazu auch Stolle, Markusevangelium, 21. 373 Vgl. Plut. Aemilius 35; Lucullus 37 f; Pompeius 45 f. 374 Vgl. Mk 11,11; zu Mk 11,1–11 vgl. Klaiber, Markusevangelium, 210–212; Bosenius, Raum, 370. 375 Vgl. dagegen etwa Mt 23,37; Lk 2,25; Röm 15,19 u. v. a. 376 Vgl. Mk 11,11 (und ferner Mk 3,8.22; 7,1; 10,32 f; 11,1.11.15.27; 15,41); dazu auch Bosenius, Raum, 364. 377 Vgl. Mk 3,22; 7,1 (vgl. auch 9,31; 10,33 f). 378 Vgl. Mk 11,15–12,44. 379 Vgl. Mk 14,1 f.10 f.43–52; 15,1–41. 380 Vgl. Mk 15,11.13 f. 381 Zur Passivität Jesu in der Passionsgeschichte vgl. Rüggemeier, Poetik, 362; Bond, Biography, 224–231. 382 Vgl. Plut. Perikles 13; dazu auch Beck, Time, 37 f. 383 Vgl. Plut. Solon 9,4; Lykurg 11. 372

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Vorzeichen spielt das Motiv eine Rolle in der Erzählung der letzten Lebensphase Jesu. Er wird von Pilatus auf Grund des Vorwurfs, ein illegitimes Königtum errichten zu wollen, verurteilt. 384 Um Anklagepunkte zu sammeln, lassen die Gegner Falschzeugen auftreten, die Jesu Ankündigung des eigenhändigen Abbruchs und des Wiederaufbaus des Tempels zu bezeugen versuchen. Sie bleiben erfolglos. 385 Tatsächlich hatte der markinische Jesus das durch Gott herbeigeführte Ende des Tempels in seiner gegenwärtigen Form sowie die Zerstörung weiterer Herodes-Bauten vorhergesagt. 386 Dass Jesu Geschick in einer inneren, auf der Ebene der Geschichte geheimnisvoll bleibenden, da von Gott bewirkten Beziehung zum Jerusalemer Tempel steht, demonstriert das in Mk 15,38 erzählte zeichenhafte Zerreißen des Tempelvorhangs im Moment des Todes Jesu. 387 In vergleichbarer Weise können – wiederum mit umgekehrten Vorzeichen – in den Plutarch-Biographien wundersame Geschehnisse als Bekundungen der göttlichen Anteilnahme gedeutet werden: Beim Bau der Proplyäen habe sich ein Handwerker schwer verletzt, sei von den Ärzten aufgegeben, aber durch ein Traumgesicht Athenas geheilt worden. 388

3.4 Aufenthaltsräume Während seiner Phase der öffentlichen Wirksamkeit, die das Gros des im Markusevangelium Erzählten einnimmt, hält sich die Hauptfigur Jesus meistens an benannten wie anonymen Ortschaften auf, an Plätzen in der freien Natur, in Synagogen und Häusern anderer Figuren. 389 Als öffentlicher Ort wird zweimal die Synagoge von Kapernaum genannt. 390 Die Abfolge der üblichen Aufenthaltsorte und -räume Jesu wird unterbrochen von einer kleineren Anzahl an Szenen und Episoden, die zu Hause spielen. Dabei ist jedoch nicht in jedem Fall sicher, welches und wessen Haus gemeint ist. So spielt etwa Mk 1,29–29 im Haus des Petrus in Kapernaum. In ihm hält sich Jesus offenbar häufiger auf, denn auch bei den in Mk 2,1–12 und 9,33–50 erzählten Begebenheiten dürfte an die genannte Wohnung zu denken sein. Die Ortsangaben einiger weiterer Szenen erlauben den Schluss, dass Jesus in diesem Haus in Kapernaum lebte und wirkte. 391 Alle zu Hause spielenden Begeben384

Vgl. Mk 15,2.9.12.26.32. Vgl. Mk 14,58; vgl. 15,29; dazu auch Meiser, Gegenspieler, 172. 386 Vgl. Mk 13,2.32; dazu Bosenius, Raum, 402–408. 387 Dazu auch Bond, Biography, 241–246. 388 Vgl. Plut. Perikles 13,8. 389 Vgl. Mk 1,14 f.35–45; 2,13 f.23–28; 3,7–19; 4,1–9; 4,10–35 (keine Ortsangabe; im Haus?); 4,35–41; 5,1–43; 6,1–13.30–56; 7,24–37; 8,1–9,32; 10,1–52; 11,1–16,8. Das in 9,28 f sowie in 10,10–16 Erzählte könnte auch in Jesu Haus in Kapernaum spielen. 390 Vgl. Mk 1,21–28; 3,1–6 (hier allerdings keine explizite Ortsangabe). 391 Vgl. Mk 2,15–17; 2,18–22; 3,20–35; 7,1–23 (vgl. 7,1: πρὸς αὐτόν); 9,28 f; 10,10–16. Bosenius, Raum, 134–145, plädiert für ein Verständnis, nach welchem immer das genannte 385

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heiten sind auf die Wirksamkeit Jesu bezogen: Hier finden Unterredungen mit Schülern und Kritikern sowie Mahlgemeinschaften mit den aus der Sicht der Gegner fragwürdigen Gästen statt. Ein eigenes Familienleben hat der markinische Jesus nicht. An die Stelle seiner Herkunftsfamilie ist laut Mk 3,34 f das Lehrpublikum getreten. Auch die Hauptfiguren der Plutarch-Biographien werden überwiegend bei ihrem Wirken außerhalb der häuslichen Sphäre dargestellt. Anders als Jesus leben die meisten von ihnen zwar mit einer Familie zusammen; Begebenheiten des Familienkreises spielen jedoch auch in den Biographien Plutarchs keine eigenständige Rolle. Auf sie kommt der Erzähler beispielsweise dann zu sprechen, wenn sie auf entscheidende Stationen der Lebensgeschichte der Hauptfigur bezogen sind. Einige der Vorzeichen etwa, die Cäsars Tod ankündigen, spielen sich in seinem häuslichen Umfeld ab: Er legte sich wie sonst an der Seite seiner Gattin zur Ruhe. Auf einmal sprangen alle Türen und Fenster des Schlafgemachs auf, und als er emporfuhr, erschrocken ob dem Geräusch und dem hell ins Zimmer fallenden Mondschein, nahm er wahr, wie [sc. seine Frau] Calpurnia in tiefem Schlaf unverständliche Worte und abgerissene Seufzer ausstieß […] Als es Tag geworden war, flehte sie Cäsar an, zu Hause zu bleiben, wenn es irgend anginge, und die Senatssitzung zu verschieben […] Da beschlichen, wie es scheint, auch ihn Argwohn und Sorge. 392

Auf Häusliches beziehungsweise Familiäres kommen die Biographien auch dann zu sprechen, wenn sich dadurch Charakterzüge der Hauptfigur illustrieren lassen. Dabei handelt es sich aber um Ausnahmefälle. Der Zensor Cato etwa misst dem Familienleben eine im Kontext seiner Zeit und seines Status außergewöhnliche Bedeutung zu. Daher liegt es nahe, anhand von Ausführungen zu seinem Privatleben seine allumfassende Tugendbemühung zu demonstrieren: Er [sc. Cato] war auch ein guter Vater, ein braver Ehemann und ein nicht zu verachtender Hauswirt […] Daher glaube ich auch darüber das Nötigste sagen zu sollen. Er sah bei der Wahl seiner Gattin mehr auf gute Herkunft als auf Reichtum […] Wer Frau oder Kinder schlage, vergreife sich an den höchsten Heiligtümern. In seinen Augen sei es ein größeres Lob, ein guter Ehemann als ein großer Senator zu sein […] Als ihm ein Sohn geboren war, gab es kein so dringliches Geschäft – es sei denn ein öffentliches (εἰ μή τι δημόσιον) –, das ihn hindern konnte, dabei zu sein, wenn die Frau den Säugling badete und wickelte. 393

Auf Grund ihrer räumlich nicht auf das eigene Haus oder die eigene Stadt begrenzten Tätigkeit treten sowohl der markinische Jesus als auch einige der Hauptfiguren in den Viten Plutarchs immer wieder als Reisende auf. Wie es Haus gemeint sei. Zu Recht weist sie auf das „Haus“ als Ort wichtiger Taten Jesu hin. Ob jenes Haus des Petrus in Kapernaum der „zentrale Schauplatz“ (a. a. O. 459) von Mk 1–10 ist, muss angesichts der zahlreichen an anderen Orten spielenden Szenen in Frage gestellt werden. 392 Plut. Cäsar 63,5–7. 393 Plut. Cato mai. 20,1 f.

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beim markinischen Jesus der Fall ist, reist man auch bei Plutarch nicht allein, sodass unterwegs Gelegenheit zur Unterhaltung besteht. 394 Als Cato Minor etwa nach Makedonien als Legionsoberster kommandiert wird, notiert der Biograph: Sein Gefolge bestand aus fünfzehn Sklaven, zwei Freigelassenen und vier Freunden. Während diese beritten waren, ging er selber stets zu Fuß und schritt plaudernd neben dem oder jenem her. 395

Wie Jesus auch, der dabei allerdings auf sein Vorher-Wissen zurückgreifen kann, 396 schickt bei Plutarch Cato unterwegs Leute voraus, um Vorbereitungen zu treffen: Auf der Reise [sc. durch Kleinasien] ging es so zu: Frühmorgens schickte er den Bäcker und den Koch voraus an den Ort, wo er nächtigen wollte. Diese betraten die Stadt in aller Stille, jedes Aufsehen vermeidend, und wenn Cato keinen Freund oder Bekannten vom Vater her am Orte hatte, sorgten sie […] im Gasthaus für ein Unterkommen. 397

Im Unterschied zu den Hauptfiguren Plutarchs, die über Vermögen und Bedienstete verfügen, müssen sich Jesus und seine Schüler um die Verpflegung im Reisealltag bemühen, da gelegentlich zu wenig oder gar kein Proviant verfügbar ist. 398

3.4 Resümee Orten und Räumen kommt sowohl in den Plutarch-Biographien als auch im Markusevangelium Bedeutung zu. Wüste und Jordanlauf stehen für die Vorbereitung, Galiläa und die angrenzenden Regionen für die Wirksamkeit Jesu. Anders als die Feldherren Plutarchs arbeitet Jesus nicht an einem gegenwärtigen Herrschaftsgebiet, sondern für die zwar nahe, aber räumlich und zeitlich von seiner Gegenwart getrennte Größe eines Anderen, das ‚Reich‘ Gottes. Während Plutarchs Hauptfiguren im jeweiligen Zentralort wirken und während einige von ihnen im Ausland den Tod finden, gerät Jesu Zug in den jüdischen Zentralort zum Weg in den unausweichlichen Tod, den die den Jerusalemer Tempel Kontrollierenden herbeiführen. Dass am Ende Galiläa als Stätte der Wirksamkeit wieder präsent wird, 399 verweist auf den herzustellenden inhaltlichen Zusammenhang zwischen Wirksamkeit und Tod. Die Wirksamkeit der Hauptfiguren findet sowohl bei Plutarch als auch im Markusevangelium vor394 Vgl. Mk 8,27 (ἐν τῇ ὁδῷ ἐπηρώτα τοὺς μαθητὰς αὐτοῦ) 9,33 f (τί ἐν τῇ ὁδῷ διελογίζεσθε;); 10,32. 395 Plut. Cato min. 9,2. 396 Vgl. Mk 11,1–7; 14,12–16. 397 Plut. Cato min. 12,2 f. 398 Vgl. Mk 2,23; 11,12 f (vgl. 11,20). 399 Vgl. Mk 14,28; 16,7.

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wiegend außerhalb des Hauses in der Öffentlichkeit statt. Ein Familienleben existiert bei Jesus dezidiert nicht; bei Plutarch wird Häusliches beziehungsweise Familiäres nur selten und nur dann erwähnt, wenn es mit wichtigen Aspekten der Handlung verknüpft ist. Jesus wie die von Plutarch Porträtierten sind mit den gemeinantiken Gegebenheiten des Reisens konfrontiert: Man ist mit Gefährten unterwegs und muss für Unterkunft und Auskommen sorgen.

4. Zeitmanagement 4.1 Erzählte Zeit und Erzählzeit 400 Bei der Koordination von erzählter und Erzählzeit spricht die Narratologie von Synchronie, wenn die Dinge in der Reihenfolge, wie sie (gegebenenfalls im Rahmen der literarischen Fiktion: vorgeblich) stattfanden, erzählt werden. Anachronien liegen bei Veränderungen der Reihenfolge vor. Zu den wichtigsten Anachronien zählen Analepsen und Prolepsen, die auf Vorangegangenes oder Kommendes, sei es auf Internes, innerhalb der erzählten Zeit Liegendes, sei es auf Externes rekurrieren. Die Geschwindigkeit der Erzählung kann entweder den Anschein erwecken, mit den erzählten Schritten in etwa übereinzustimmen, beispielsweise bei der Wiedergabe direkter Rede, oder es können Teile der erzählten Zeit ausgelassen (Ellipse) oder gerafft in erhöhtem Tempo erzählt werden.

4.2 Absolute und relative Chronologie der erzählten Zeit Entsprechend informierte Leser können die im Markusevangelium erzählte Zeit durch den Abgleich mit textexternen Daten kalendarisch einordnen. Dabei fungiert die Gefangennahme des Johannes durch Herodes Antipas um 28 n. Chr. als terminus post quem der Wirksamkeit des markinischen Jesus; 401 er stirbt unter Pontius Pilatus, dessen Amtsenthebung im Jahr 36 n. Chr. den Endterminus markiert. 402 Die zahlreichen Reisebewegungen Jesu und die Verbreitung der Kunde über ihn innerhalb der erzählten Welt lässt seine Wirksamkeit mindestens einige Monate dauernd erscheinen; der Eindruck des Fehlens größerer zeitlicher Lücken (dazu gleich) suggeriert einen Zeitraum von wenigen Jahren. 403 Vgl. Finnern, Narratologie, 93–98; Rüggemeier, Poetik, 96–102. Vgl. Jos, Ant. 18, 116–119. 402 Vgl. Theissen/Merz, Jesus, 151–154. 403 Vgl. auch Stolle, Markusevangelium, 20. Dormeyer, Idealbiographie, 164, schließt aus dem in Mk 6,39 erwähnten grünen Gras eine Datierung in ein Frühjahr, so dass Jesus erst im darauffolgenden Jahr sein Todespassa in Jerusalem erlebt haben könne. Ob Mk 6,39 so gemeint ist oder doch primär auf Ps 23,2 anspielt, muss aber offen bleiben. Explizit ist nur 400 401

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In den Plutarch-Biographien ergeben sich ebenfalls in den meisten Fällen die Anhaltspunkte für eine chronologische Einordnung durch den Abgleich mit der Zeitgeschichte. Bei Schwierigkeiten hinsichtlich der Bestimmung der Lebensdaten eines Porträtierten nennt der Erzähler der Plutarch-Biographien das ihm Bekannte. Problembewusstsein im Blick auf die chronologische Einordnung lässt er bei Biographien von Gestalten der mythischen Vorzeit erkennen. Er nennt unter Vorbehalt die ihm vorliegenden Daten oder er verzichtet auf Erörterungen zur Datierung und zeichnet die Hauptfigur ganz in ihren sagenhaften Kontext ein, so etwa bei Theseus. 404 Die (datierte oder geschätzte) Wirksamkeit der Hauptfiguren Plutarchs, selbst wenn sie eines unnatürlichen Todes sterben, dauert insgesamt länger als die des markinischen Jesus. Doch konzentriert sich auch Plutarch auf einzelne Lebensphasen seiner Hauptfiguren. Explizit spricht der Erzähler im Prolog des Aemilius-Timoleon-Buches von der seiner Erzählung zu Grunde liegenden Stoffauswahl: Er wolle das Gewichtigste und Bedeutsamste für die Erkenntnis seines [sc. der Hauptfigur] Wesens aus seinen Taten entnehmen (τὰ κυριώτατα καὶ κάλλιστα πρὸς γνῶσιν ἀπὸ τῶν πράξεων λαμβάνοντες). 405

In der Praxis führt die Stoffauswahl beispielsweise dazu, dass sich 63 % der Biographie des Nikias der Sizilien-Expedition, die nur zwei seiner 57 Lebensjahre ausmachte, widmen. 406 Die erzählerische Konzentration des Markusevangeliums auf die vergleichsweise kurze Zeitspanne seiner Hauptfigur erscheint vor diesem Hintergrund nicht allzu ungewöhnlich. 407 Die Erzählung des Markusevangeliums gibt vor, innerhalb der genannten zeitlichen Fixpunkte ihre Erzählinhalte grundsätzlich der chronologischen Akoluthie gemäß, also synchron, anzuordnen. 408 Dieser grundlegende Eindruck ergibt sich bereits aus der Makrostruktur der Erzählung: Sie setzt nach einer Vorgeschichte in Mk 1,1–13 mit dem Auftreten Jesu in der Öffentlichkeit in Mk 1,14 f ein und endet in Mk 14–16 mit den letzten Tagen und Stunden im Leben der Hauptfigur sowie einer kurzen Nachgeschichte in Mk 16,1–8. Der von einem Passafest die Rede. Dormeyer hält fest, dass das Markusevangelium keine „exakte Zeitbegrenzung“ (ebd.) der öffentlichen Wirksamkeit Jesu definiert. 404 Vgl. Plut. Theseus 1–6. 405 Plut. Aemilius 1,1; dazu de Pourcq/Roskam, Lives, 167. 406 Vgl. Beck, Time, 28. Weitere Beispiele für die Verlangsamung des Erzähltempos in einzelnen Lebensphasen bei Reiser, Porträts, 29. 407 Ähnlich Keener, Christobiography, 112. 408 Vgl. Dormeyer, Idealbiographie, 164. Zum Episodenstil Seifert, Markusschluss, 210.217; Breytenbach, Markusevangelium. Mk 4,10–20 blickt, ohne die Prolepse zu kennzeichnen, innerhalb der Ereignisakoluthie nach vorn auf die im Sinne von Mk 4,34 nach der öffentlichen Rede stattfindende Schülerbelehrung (dazu auch Seifert, Markusschluss, 218 f). Auch die einzelnen Szenen in Mk 2,16–3,6 stehen nicht jenseits der allgemeinen Ereignisabfolge (so aber a. a. O. 217): Wie meist vergeht zwischen ihnen unbestimmte Zeit; zudem bringen sie mit dem Fassen des Tötungsbeschlusses in Mk 3,6 die Gesamthandlung voran.

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IV Plutarchviten und Markusevangelium – ein Vergleich

Eindruck einer synchronen Erzählweise, die vorgibt, vergehende Zeit abzubilden, wird innerhalb der Handlung durch zahlreiche Mittel hervorgerufen: explizite zeitliche Neueinsätze, 409 Szeneneinleitungen, die durch das Wort πάλιν an bereits vorher Genanntes anknüpfen, 410 den Beginn und das Ende von Reisen 411 sowie die Anordnung mancher Szenen zu Episoden, die an einem Tag spielen. 412 Auch bauen einzelne Szenen logisch auf vorhergehenden auf: Simon und Andreas sowie die Zebedäussöhne müssen, um nur wenige Beispiele zu nennen, 413 erst angeworben werden, um zusammen mit Jesus zum Haus des Petrus zu gehen und um später zusammen mit den übrigen Schülern zu Aposteln eingesetzt werden zu können; 414 die Schüler müssen die wundersamen Bewirtungen der Mengen erst miterleben, um daraus die falschen Schlüsse zu ziehen. 415 Schließlich setzen die innerhalb der Gesamthandlung zu beobachtenden Entwicklungslinien 416 ein synchron erscheinendes Zeitmanagement voraus, etwa die Steigerung der Wundertätigkeit Jesu oder die Komplikation und die letztendliche Auflösung der Schüler- und der Gegnerkonflikte. Jenseits der relativen Chronologie der Erzählung gibt es keine Anhaltspunkte für die Rekonstruktion der absoluten Struktur der erzählten Zeit: 417 Wie viel Zeit zwischen Szenen vergeht, wird, abgesehen von der Jerusalemer Phase, fast nie gesagt. 418 Die zahlreichen Reisenotizen in Szeneneröffnungen im Stil etwa von Mk 5,1 (Καὶ ἦλθον εἰς τὸ πέραν τῆς θαλάσσης εἰς τὴν χώραν τῶν Γερασηνῶν) geben nur indirekt zu erkennen, dass Zeitabstände zwischen erzählten Szenen imaginiert werden. 419 Manche Szenen verzichten selbst auf diese impliziten Erwähnungen vergangener Zeit. 420 Auch bei innerhalb von Szenen und Episoden bestehenden Ellipsen wird die Zeitdauer nicht definiert. Wie lange etwa der in Mk 10,46 notierte Aufenthalt Jesu in Jericho gedacht wird, bleibt 409

Vgl. Mk 2,1; 9,2. Vgl. Mk 2,1.13; 3,1.20; 5,21; 7,31; 8,1; 8,13; 10,1.10; 11,27. 411 Vgl. Mk 4,35; 5,1.21. 412 Vgl. etwa Mk 1,16–38; 4,1–41. 413 Vgl. die Auflistung bei Stolle, Markusevangelium, 16 f. 414 Vgl. Mk 1,16.19.29; 3,13–19. 415 Vgl. Mk 6,52; 8,19 f (vgl. 6,30–44; 8,1–9). Vgl. weiterhin auch die verschachtelten Szenen etwa in Mk 4,1–34; 5,22–43; 11,12–25. 416 S. u. 6. 417 „[D]ie zeitliche […] Fixierung der […] [E]reignisse ist nicht chronologisch bedeutsam (Stolle, Markusevangelium, 20). Schenke, Markusevangelium, 15, postuliert eine Wochenstruktur, muss jedoch zugeben, dass insbesondere in Mk 6,30–9,29 Anhaltspunkte dafür fehlen. Die Plutarch-Biographien, die einen verfrühten Tod mit reduzierter Geschwindigkeit erzählten (s. u. 4.3), sprechen zusätzlich dagegen. 418 Vgl. lediglich 2,1; 4,35; 9,2. Mk 1,16.21; 9,2 bilden Ansätze zu einem Wochenschema (vgl. Dormeyer, Idealbiographie, 168). Eine präzisere Abfolge von Tagen ergibt sich aber erst ab der Jerusalemer Phase (s. u. 4.3). 419 Vgl. Mk 1,16.21.40; 2,13.23; 3,7.13.20; 4,1; 5,1.21; 6,1.32.53; 7,24.31; 8,10. 22.27; 9,14. 30.33; 10,1.17.32.46; 11,1. 420 Vgl. Mk 2,18; 6,7.14.30; 7,1; 8,1.34; 9,38; 10,13. 410

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offen, 421 ebenso, wie viel Zeit zwischen der Versuchung Jesu in der Wüste und dem in Mk 1,14 erzählten Auftritt Jesu vergeht. 422 Die Beobachtungen erklären sich durch die weithin geteilte Annahme, dass dem Autor keine einschlägigen Überlieferungen zur Chronologie der Wirksamkeit vorlagen oder dass er sie nicht nutzte. Daher verdankt sich die Abfolge der erzählten Ereignisse literarischer Imagination. Zugleich erweckt die Erzählung den Eindruck, dass die vergangene Zeit nicht weiter erwähnenswert ist, dass Jesus bei seiner Wirksamkeit kaum Pausen einlegt. Eine hohe Dichte der Ereignisse suggeriert weiterhin der häufige Gebrauch von εὐθύς, sowie die bereits erwähnten Zusammenfassungen mehrerer Szenen zu Ereignissen eines Tages. 423 Zusätzlich verstärkt wird der Effekt durch einige zeitraffende und summierende Bemerkungen. 424 Bei vielen der Hauptfiguren der Plutarch-Viten strukturieren die zeitgeschichtlichen Umstände die Abfolge der erzählten Ereignisse. So erfolgt beispielsweise die Darstellung des öffentlichen Lebens bei Cato Minor grundsätzlich im Kontext von Angaben zu Amtsantritten, Prozessen, Feld- und Triumphzügen, indem zeitliche Neueinsätze etwa folgendermaßen eingeordnet werden: Bevor er [sc. Cato] das Tribunenamt antrat, lieh er Cicero, dem Konsul des Jahres, in vielen Kämpfen tatkräftige Unterstützung. 425

Durch den Abgleich mit textexternen Informationen können die erzählten Szenen somit relativ präzise datiert werden. Innerhalb der Erzählungen interessiert sich der Erzähler jedoch kaum für absolute Datierungen. Es überwiegen ungefähre Angaben, zeitliche Ellipsen oder herunterspielende Formulierungen. In der Pompeius-Vita heißt es etwa: Wenige Tage später [sc. nach dem Bekanntwerden der Überschreitung des Rubikon] rückte Cäsar ein und bemächtigte sich Roms. 426

Wie textextern rekonstruiert werden kann, handelte es sich bei dem fraglichen Zeitraum um mehr als zwei Monate. Die Demostenes-Vita behandelt den – im Jahr 330 erfolgten – Freispruch des Rhetors vor Gericht; der nächste Abschnitt, in dem Harpalos in Athen auftritt, wird eingeleitet mit den Worten μετ᾽ οὐ πολύ. Dass auf diese Weise fünf Jahre übersprungen werden, verschweigt der Erzähler. Auch bietet beispielsweise das Leben des Nikias die Ereignisse in, wie extern erschlossen werden kann, Übereinstimmung mit der Zeitgeschichte; die absolute zeitliche Einordnung bleibt aber vage. 427 Wie im Markusevangelium 421 422 423 424 425 426 427

Vgl. Seifert, Markusschluss, 266 f. Vgl. a. a. O. 268. Vgl. Reiser, Porträts, 81. S. u. 4.4. Plut. Cato min. 22,1; vgl. auch 4.8 f.12.16.22.26.30.42. Plut. Pompeius 62,1; dazu Reiser, Porträts, 32. Vgl. Plut. Nikias 9,1 (ἤδη δέ που); dazu Fletcher, Time, 69.

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schafft der Erzähler durch die Verschleierung von Ellipsen den Eindruck einer intensiven Ereignisabfolge. 428 Dass er aus dem Leben seiner Hauptfigur nur einzelne Ereignisse herausgreift, versucht diese Erzählweise vergessen zu machen. Bei den Biographien von Männern, die der mythischen Vorzeit angehören, waren keine zeitgeschichtlichen Kontextualisierungen verfügbar. In diesen Fällen übernimmt der Plutarch-Erzähler eine Ereignisabfolge aus seinem Material oder er kreiert sie, sodass die Erzählung eine gesicherte Ereignisakoluthie synchron wiederzugeben scheint. 429 An der Theseus-Biographie etwa lassen sich ähnliche Gestaltungsmittel des Zeitmanagements wie im Markusevangelium beobachten: Die Gesamthandlung ist zwischen zwei gewissermaßen natürlichen Fixpunkten entfaltet, der Jugend mit der Entdeckung der wahren Identität des Theseus einerseits und dem Tod des Helden auf Skyros andererseits. 430 Die Erzählung konstruiert weiterhin die Wege der Hauptfigur anhand (realer) geographischer Gegebenheiten: Der junge Theseus etwa wandert auf einer auch außerhalb der erzählten Welt plausibel erscheinenden Strecke von Troizen aus über Epidauros, Korinth, Krommyonia, Megara und Eleusis nach Athen. 431 Weiter wird die Abfolge der Ereignisse als logisch aufeinander aufbauend und daher als zwingend dargestellt, etwa durch Erzählerkommentare: Nach dem Tode des [sc. des bisherigen Königs] Aigeus setzte sich Theseus eine große und bewundernswürdige Aufgabe: er schloss die Bewohner Attikas zu einem Staat zusammen. 432

Wie im Markusevangelium fördern explizite zeitliche Neueinsätze den Eindruck vergehender Zeit, die der Erzähler gemäß seiner Stoffauswahl synchron wiederzugeben scheint. 433 Nach der Erzählung von der Beseitigung des üblen Prokrustes im Rahmen des Zugs des Theseus nach Athen etwa heißt es: Als er [sc. Theseus] weiterzog und an den Kephisos kam, begegneten ihm Männer aus dem Geschlecht der Phytaliden. 434

Wie viel Zeit zwischen den jeweils erzählten Szenen als vergangen imaginiert wird, bleibt offen:

428 Vgl. Dormeyer, Idealbiographie, 165: „Die Verkündigung der Königsherrschaft Gottes versetzt alles in Aufruhr und ordnet alles neu in kurzer Zeit – in kurzer Erzählzeit wie auch in kurzer erzählter Zeit“. 429 In Plut. Theseus 1 sowie in den Kreta-Kapiteln Theseus 19 f gibt der Erzähler zu erkennen, dass er mitunter bei seinem Versuch, eine Ereignisabfolge zu etablieren, auf Grund der Überlieferungslage an die Grenzen stößt. Dazu auch Pelling, Myth. 430 Vgl. Plut. Theseus 3–7; 35. 431 Vgl. Plut. Theseus 8–12. 432 Plut. Theseus 24,1. 433 Vgl. Schorn, Biographie (Manuskript), 24 f. 434 Plut. Theseus 12,1.

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Nicht lange danach [sc. der Tötung des Marathonischen Stiers] kamen aus Kreta zum dritten Male die Gesandten, um den Tribut abzuholen. 435

Ereignisse werden sogar – analog zu Mk 16,1 f – 436 durch die Nennung von Monat und Tag 437 oder anhand des Lebensalters des Theseus datiert: Theseus war schon 50 Jahre alt, […] als er Helena entführte. 438

Wie im Markusevangelium fehlen aber auch in der Theseus-Biographie Anhaltspunkte für eine absolute Bestimmung der erzählten Chronologie oder einen Abgleich mit zeitgeschichtlichen Daten außerhalb der Erzählung.

4.3 Eine ausführliche Sterbensgeschichte Die Ankunft Jesu und der Seinen in Jerusalem bringt eine Veränderung der Zeitdarstellung der Erzählung mit sich. 439 Blieben zuvor Ellipsen innerhalb der erzählten Zeit undefiniert, wird nun die in Jerusalem spielende Handlung aufeinander folgenden Tagen zugeordnet. 440 Das Erzähltempo ist dementsprechend insgesamt geringer als zuvor. Nach dem Ankunftstag und der ersten Übernachtung nutzt Jesus den in Mk 11,12 beginnenden Folgetag zur Vertreibung der Geldwechsler und Verkäufer aus dem Tempel. Die Szeneneinleitung in Mk 11,27 legt daher nahe, dass auch hier an den anschließenden Tag zu denken ist. Die nun im Laufe dieses Tages spielenden, bis Mk 13,37 erzählten Streitgespräche sowie die große Rede Jesu lassen auf Grund des hohen Anteils wörtlicher Rede das Erzähltempo innerhalb der Szenen weiter sinken. Ob der in Mk 14,1 näher definierte Tag unmittelbar an die vorhergehenden anschließt, ist nicht eindeutig; 441 falls nicht, ist dennoch an keinen allzu großen Zeitabstand zu denken. Mk 14,12 macht die Tagesfolge wieder explizit: Vom Tötungsbeschluss bis zum Tod Jesu vergehen drei Tage. 442 Die in Mk 14,12 beginnende Sequenz vom Vorabend bis zum Tod Jesu wird, insbesondere durch die häufige Verwendung direkter Rede, mit stark gedrosseltem Tempo dargestellt. 443 Ver-

435

Plut. Theseus 15,1. Vgl. Schenke, Markusevangelium, 13. 437 Vgl. Plut. Theseus 22,4. 438 Plut. Theseus 31,1. 439 Vgl. Herrmann, Strategien, 349; Seifert, Markusschluss, 210; Dormeyer, Idealbiographie, 169. 440 Vgl. Mk 11,12.19 f; 14,1.12; 15,1.42; 16,1 f. 441 Vgl. Bosenius, Raum, 362 Anm. 4. 442 Vgl. Mk 14,1.12; 15,1. Zum Problem des vorausgesetzten Festkalenders Stolle, Markusevangelium, 332. 443 Vgl. Mk 14,17–15,41. Eine bedeutende, auch inhaltliche Bedeutung tragende zeitliche Leerstelle liegt lediglich zwischen 15,47 und 16,1 (vgl. Herrmann, Strategien, 350). 436

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stärkt wird dieser Eindruck zuletzt durch die Stundenangaben, die die letzten sechs Stunden von der Kreuzigung bis zum Tod Jesu strukturieren. 444 Die Abfolge von langsamer und schneller erzählten Zeiträumen wird in den Plutarch-Biographien nicht primär, wie im Markusevangelium gesehen, durch den Eintritt in die Sterbensgeschichte bestimmt. Tempowechsel finden in der Regel zwischen Phasen, in denen die Hauptfigur im allgemeinen Gang der zeitgeschichtlichen Ereignisse mitwirkt, und Phasen, in denen sie persönlich Betreffendes erzählt, statt: die zuerst genannten werden gerafft, die übrigen langsamer erzählt. 445 Stirbt die Hauptfigur eines Lebensbildes Plutarchs nach Abschluss ihrer öffentlichen Tätigkeit oder verfügt der Erzähler über keine (gesicherten) diesbezüglichen Informationen, 446 wird das Lebensende meist nur kurz notiert. In knapp der Hälfte der erhaltenen Parallelbiographien jedoch gehört eine ausführliche Darstellung des Lebensendes und seiner Umstände zu den festen Bestandteilen der Handlung, und zwar immer dann, wenn der Tod auf unnatürliche Weise eintritt und im Zusammenhang mit den Konflikten, in denen sich die Hauptfigur befindet, steht. 447 Beispiele für kleinere Todesgeschichten liefern etwa die Biographie-Doppelpartner Demosthenes und Cicero. Demosthenes durchlebt zunächst eine turbulente (und wie sich zeigen wird: letzte) Lebensphase, in welcher er auf Grund von Bestechlichkeit zunächst verbannt, dann aber wieder rehabilitiert wird; sein politisches Ziel, die Abschüttelung der Makedonenherrschaft, glaubt er durch den frühen Tod Alexanders verwirklicht zu sehen, um bald darauf aber vor Alexanders Nachfolgern aus Athen wieder fliehen zu müssen. 448 Der Erzähler gibt die Todesumstände von hier ab ausführlich wieder. In seinem Refugium, dem Poseidontempel auf Kalauria, wird Demosthenes von seinem Verfolger Archias gestellt. Mit ihm liefert sich der Rhetor noch ein Streitgespräch und bittet dann um einen Moment Zeit, um an die Seinen zu schreiben. Mittels des präparierten Schreibrohrs führt er sich tödliches Gift zu. 449 Mit zwei Bonmots scheidet Demosthenes aus der Welt: Demosthenes, der schon fühlte, dass das Gift in ihn eingedrungen war und schon zu wirken begann […], blickte auf Archias und sagte: „Jetzt könntest du noch die Rolle des Kreon [sc. der bei Sophokles die Bestattung des Polyneikes verbietet] in der Tragödie spielen und diesen meinen Leib unbeerdigt wegwerfen lassen. Ich, lieber Poseidon, weiche noch lebend aus deinem Heiligtum. Doch von Seiten des Antipatros und der Makedonen ist auch dein Tempel nicht rein und ungeschändet geblieben.“ Nach diesen Worten bat er, ihn zu stützen, da er schon zitterte und taumelte, und während er vorwärts

444 445 446 447 448 449

Vgl. Mk 15,25.33 f. Vgl. Verdegem, Alcibiades, 412; Beck, Time, 27 f. S. u. 9.2.1. Vgl. etwa Plut. Aristeides 26. Vgl. Reiser, Porträts, 33 f; Frickenschmidt, Evangelium, 335–338. Vgl. Plut. Demosthenes 26–28. Vgl. Plut. Demosthenes 29,1–4.

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ging und an dem Altar vorbeikam, stürzte er nieder und gab mit einem Seufzer den Geist auf (ἀφῆκε τὴν ψυχήν). 450

Plutarchs Cicero will nach der Ermordung Cäsars mit Octavians Hilfe Antonius bekämpfen und erlangt so großes Ansehen. 451 Seine Wirksamkeit und sein Leben steuern dennoch auf ihr Ende zu, denn als die beiden zuletzt Genannten sich mit Marcus Lepidus zum Triumvirat zusammenschließen, kann Antonius einen Tötungsbeschluss für Cicero durchsetzen. 452 Als Cicero davon erfährt, fasst und verwirft er mehrere Fluchtpläne und lässt sich letztlich zu einem Landgut bringen. 453 Seine Verfolger spüren ihn dort jedoch auf. Wie üblich die linke Hand an das Kinn gelegt, erwartet er seine Mörder mit starrem Blick. Sie richten ihn mit Schwerthieben hin und schlagen Kopf und Hände ab. 454 Hinsichtlich Stoffauswahl und Zeitmanagement lassen sich diese kleineren Todesszenen mit der in Mk 15,21–41 erzählten Kreuzigungsszene vergleichen. Wie dort spielen die entsprechenden Todesgeschichten bei Plutarch an bestimmten Orten; es treten mehrere Figurengruppen auf. Ihre Interaktionen werden Schritt für Schritt erzählt; Zeitraffungen spielen kaum eine Rolle. Details werden keineswegs ausgelassen, etwa das vergiftete Schreibrohr des Demosthenes oder die Versuche, Jesus Wein oder Essig zu verabreichen. 455 Insbesondere letzte Regungen des Sterbenden werden erzählt, so die Aussprüche des Demosthenes, die Mine des Cicero sowie Jesu letzte Äußerungen in Mk 15,34.37. Erreicht wird so eine große erzählerische Nähe zum Geschehen des Sterbens. Einige Lebensbilder Plutarchs bieten nicht nur ausführliche Todesszenen, sondern schildern in längeren Szenenfolgen die letzten Tage und Stunden bis zum Exitus, so etwa bei Agis 456 und Phokion. Dem Athener Feldherrn Phokion, bereits in hohem Alter stehend, wird vorgeworfen, den Piraeus im Kontext der Diadochenkriege leichtfertig dem Makedonischen Feldherrn Kassander überlassen zu haben, der die Adelspartei, zu der Phokion gehörte, unterstütze. Vor dem Diadochen Polyperchon und dem König Arridaios findet nun eine Anhörung statt, bei der Phokion aber nicht zu Wort kommt. 457 Phokion und die Seinen werden verhaftet und nach Athen überstellt. In der dortigen Volksversammlung findet – analog zu Mk 14,53–65 – kein offenes Verfahren statt; die Verurteilung steht vielmehr bereits fest. 458 Phokion wird abgeführt, dabei wie 450 451 452 453 454 455 456 457 458

Plut. Demosthenes 29,4 f. Vgl. Plut. Cicero 42–45. Vgl. Plut. Cicero 46. Vgl. Plut. Cicero 47. Vgl. Plut. Cicero 48. Vgl. Mk 15,23.36. S. u. 6.2. Vgl. Plut. Phokion 33,3–7. Vgl. Plut. Phokion 34 f.

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Jesus 459 verhöhnt („sie beschimpften ihn; einer […] bespuckte ihn“ 460); anders als der markinische Jesus 461 geht Phokion aber mit demonstrativer sokratischer Gelassenheit in den Tod, den er durch den Giftbecher finden soll: Phokions Mine aber sah man nicht anders, als sie war, wenn er einst als Feldherr von der Volksversammlung geleitet wurde, und staunte über den Gleichmut und die Seelengröße des Mannes […] Nachdem nunmehr alle [sc. Mitstreiter Phokions] getrunken hatten, ging das Gift zu Ende und der Henker erklärte, er werde kein neues reiben, wenn er nicht zwölf Drachmen bekomme, die er für ein Maß bezahlen müsse. Als die Zeit hinging und es einen Aufenthalt gab, rief Phokion einen seiner Freunde, sagte, es sei doch unerhört, dass man in Athen nicht einmal umsonst sterben könne, und bat ihn, dem Menschen das Geld zu geben. 462

Wie es auch in Mk 14 f der Fall ist, bietet der Phokion-Erzähler aufeinander folgende Szenen, die in geringem Erzähltempo ohne nennenswerte Zeitraffungen erzählt werden, so dass eine mehrschrittige Leidens- und Sterbensgeschichte der Hauptfigur entsteht. 463 Was die Gestaltung der erzählten Zeit angeht, so legen andere LebensendeErzählungen bei Plutarch explizit Tagesschemata an, wie sie auch in Mk 11–15 Verwendung finden. Tiberius Gracchus etwa kann bei Plutarch am Vorabend der entscheidenden Senatssitzung das Volk noch dazu bringen, vor seinem Haus Nachtwache zu halten und mögliche Angreifer abzuschrecken. Am nächsten Morgen verlässt er trotz schlechter Vorzeichen sein Haus, begibt sich in den Senat, wo er im Tumult erschlagen wird. 464 Ebenfalls erzählt das Lebensbild Cäsars die Geschichte seiner Ermordung vom Vorabend an: Plutarchs Cäsar nimmt beim späteren Triumvir Marcus Lepidus die Abendmahlzeit ein, während derer nicht zufällig diskutiert wird, welche die beste Art zu sterben sei. In der Nacht erschrecken ungute Vorzeichen Cäsar und seine Gattin Calpurnia: Fenster und Türen springen unvermittelt auf; Calpurnia träumt von der Ermordung ihres Gatten. Am nächsten Morgen ist für einen Moment unsicher, ob die angesetzte Senatssitzung stattfinden wird; schließlich begibt sich Cäsar aber zur Kurie. Die Geschehnisse vom Eintreffen Cäsars bis zu seinem Tod werden nun in denkbar niedrigem Tempo und unter Nennung zahlreicher Details erzählt, 465 so dass beim Rezipienten, verstärkt durch das Tagesschema, der Eindruck eines unmittelbaren Erlebens entsteht. Hinsichtlich der Zeitstrukturen lässt sich beobachten, dass sowohl im Markusevangelium als auch in den entsprechenden Plutarch-Biographien der Zeitraum vom Vorabend bis zum 459 460 461 462 463 464 465

Vgl. Mk 14,65; 15,16–20.29–32. Plut. Phokion 36,2. Vgl. Mk 14,35 f; 15,34. Plut. Phokion 36,1.4. Vgl. Reiser, Porträts, 33. Vgl. Plut. Tiberius Gracchus 16–19. Vgl. Plut. Cäsar 63–66.

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Tod am Folgetag besondere Aufmerksamkeit erfährt. Darüber hinaus begegnen, wie im Markusevangelium gesehen, auch bei Plutarch dreitägige Leidens- und Sterbensgeschichten, etwa bei Gaius Gracchus. Am drittletzten Tag seines Lebens findet eine Volksversammlung seiner und der gegnerischen Partei statt, die ohne Ergebnis abgebrochen wird. Am Folgetag trifft der Senat die Entscheidung, Gaius und die Seinen zu töten, was am nächsten Tag geschieht. 466 Beinahe durchgängig erzählt werden die letzten drei Tage Catos in Utica vom Eintreffen der Nachricht über den Sieg Cäsars über die republikanischen Truppen bei Thapsos, über Beratungen bei Tag und Nacht und dem Versuch, Freunde und Verwandte vor dem herannahenden Heer Cäsars in Sicherheit zu bringen, bis hin zum Vorabend und der anschließenden Nacht, in der Cato sich umbringt. 467 Hinsichtlich der Erzählzeit fällt auf, dass sowohl Mk 14 f als auch Catos Sterbensgeschichte jeweils rund ein Fünftel des Gesamtumfangs der Erzählungen ausmachen. 468 Wie bei Cäsar – und bei Jesus in Mk 14,12–25 – weiß der Erzähler von einem letzten Abendessen der Hauptfigur im Kreis der Ihren, bei dem der bevorstehende Tod zur Sprache kommt. 469 Wie in Mk 15,25.33 f strukturieren Zeitangaben die letzten Stunden Catos: Um Mitternacht (περὶ μέσας νύκτας 470) ruft er zwei seiner Freigelassenen zu sich; als die ersten Hähne krähen, stößt Cato sich das Schwert in den Körper. 471 Hinsichtlich Stoffauswahl und Zeitmanagement weist somit die Cato-Biographie die größte strukturelle Ähnlichkeit zur Erzählung der letzten Tage Jesu in Jerusalem in Mk 11–15 auf. 472

4.4 Anachronien Innerhalb der grundsätzlich synchron erscheinenden Markuserzählung arbeitet der Erzähler immer wieder mit Anachronien. Einen ausführlich erzählten Rückblick fügt er allerdings nur an einer Stelle ein, bei der in Mk 6,17–29 erzählten Szene vom Ende des Johannes. Sie benennt Geschehnisse, die vor dem Beginn der Wirksamkeit Jesu liegen 473 und daher notwendigerweise auch zu einer anderen Zeit spielen als das im unmittelbaren literarischen Kontext Erzählte. Den Fluss der erzählten Zeit hält der Erzähler an, um durch den retrospektiven Einschub inhaltlich das in Mk 6,16 Gesagte zu erklären. Die im Hinblick auf die Zeitstruktur zu beobachtende Singularität von Mk 6,17–29 466 467 468 469 470 471 472 473

Vgl. Plut. Gaius Gracchus 34(13)–38(17). Vgl. Plut. Cato min. 58–70. Vgl. Reiser, Porträts, 101. Vgl. Plut. Cato min. 67. Plut. Cato min. 70,2. Vgl. Plut. Cato min. 70,4. Vgl. Reiser, Porträts, 101. Vgl. Mk 1,14.

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unterstreicht zum einen die besondere Rolle des Johannes als Wegbereiter Jesu, die er auch in Mk 1,1–13 einnimmt. Zum anderen passt die Sonderstellung der Retrospektive innerhalb des Markusevangeliums zu ihren inhaltlichen Merkmalen: Sie spielt in einem völlig anderen Milieu; in ihr treten auch völlig andere Figuren auf als in beinahe allen anderen Szenen des Markusevangeliums. Ausführliche Exkurse außerhalb der Haupthandlung begegnen auch bei Plutarch eher selten. Manche erläutern beispielsweise einen historischen Hintergrund, etwa die Expeditionspläne Athens als Vorgeschichte des Engagements des Alkibiades auf diesem Gebiet. 474 Häufig finden sich im Markusevangelium kleinere Anachronien, die auf innerhalb der erzählten Zeit liegende Zeitpunkte verweisen. Typischerweise werden sie zum Abschluss einer Szene eingesetzt. So lenkt etwa Mk 3,30 den Blick zurück auf den Beginn der kleinen Szene in Mk 3,22, auf das Auftreten und die Anschuldigungen der Schriftgelehrten. Das irritierende Potential der Gegner Jesu wird variierend verstärkt und zieht so gemäß dem Rezenzeffekt 475 besondere Aufmerksamkeit auf sich. In ähnlicher Weise schließt Mk 6,52 die in Mk 6,45 begonnene Szene ab und blickt zugleich auf das unmittelbar zuvor in Mk 6,30–44 erzählte Brotessen zurück. Auch hier erhält die Irritation des erzählten Unverständnisses der Schüler Achtergewicht. Ein vergleichbarer AnachronieGebrauch begegnet bei Plutarch in der Alkibiades-Vita. Die Rückkehr des Alkibiades nach Athen nach der Schlacht von Chalkedon wird zunächst detailreich (über zwei Kapitel der modernen Einteilung) erzählt, um den Glanz des Triumphs herauszustellen: vom Wunsch des Alkibiades, zurückzukehren, über seine Flotte, den emotionalen Empfang beim Anlanden bis hin zu der wenig später stattfindenden, ihn mit Ehren überschüttenden Volksversammlung. 476 Der Abschluss irritiert jedoch. Der Erzähler blickt im Rahmen einer kleinen Anachronie noch einmal auf den Tag der Anlandung des Alkibiades zurück und erklärt: Da so Alkibiades auf dem glänzenden Gipfel seines Glückes stand, ängstigte einige Leute doch der Zeitpunkt seiner Rückkehr [sc. an diesem Tag sei die Athena Polias rituell verhüllt worden]. Daher galt dieser Tag vor allen anderen bei den Athenern als ein Unglückstag. So schien es also, als ob die Göttin den Alkibiades nicht freundlich und gnädig empfange, sondern sich verhülle und ihn von sich weise. 477

Wie auch im Markusevangelium beobachtet, erhält die Irritation hier durch den Rezenzeffekt besonderes Gewicht. Den selben Effekt nutzt die erzählerische Gestaltung des Schlussteils der Demosthenes-Vita: 478 Nach der Behandlung der 474 475 476 477 478

Vgl. Plut. Alkibiades 17,1; dazu Verdegem, Alcibiades, 411. S. u. 5.1. Vgl. Plut. Alkibiades 32 f. Plut. Alkibiades 34,1 f; dazu Verdegem, Alcibiades, 411. Vgl. Plut. Demosthenes 31; dazu Seifert, Markusschluss, 163.

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postmortalen Verehrung des Rhetors platziert der Erzähler zunächst eine Anekdote, die lange Zeit später, in der Zeit des Autors Plutarch, am Grabmal des Demosthenes spielt. Doch dann blickt er noch einmal zurück und schildert das unglückliche Ende des Demosthenes-Gegenspielers Demades, der für seinen Verrat mit dem Leben büßen muss. Demosthenes wird so postum ins Recht gesetzt; die Schlussstellung betont diese Auflösung des Konflikts zwischen Demosthenes und Demades, der die Erzählung durchzieht. Auch auf Kommendes können kleinere Anachronien, in der Regel am Ende einer Szene, verweisen: So nehmen Mk 3,6 und Mk 3,19 jeweils die Passionsgeschichte in den Blick. 479 Strukturell ähnlich spielen die Abschlüsse einiger Szenen bei Plutarch das spätere Ergebnis des gerade Erzählten ein. 480 Plut. Alkibiades 23,7 f etwa erzählt von der Affäre des Alkibiades mit der Frau des spartanischen Königs Agis. Den aus der Verbindung hervorgegangenen Sohn Leotychides will Agis in Kenntnis des wahren Vaters nicht anerkennen. Zum Abschluss der kurzen Passage notiert der Erzähler das spätere Schicksal des Jungen: Deshalb ging später Leotychides des Thrones verlustig. 481

Eine andere Art Ausblick unternehmen im Markusevangelium Szenenenden, die, thematisch vom gerade Erzählten ausgehend, die unmittelbare Ereignisakoluthie der erzählten Zeit verlassen, um typische Tätigkeiten meist der Hauptfigur Jesus oder das allgemeine Bekanntwerden ihrer Erfolge zu berichten. Die in Mk 1,21–28 erzählte, in der Synagoge von Kapernaum spielende Szene etwa schließt in Mk 1,28 mit der pauschalen Aussage: Und die Kunde von ihm ging aus alsbald überall in das ganze Umland von Galiläa.

Ähnlich flächendeckend berichtet in Mk 5,20 der Exorzierte in der Dekapolis von seiner Erfahrung. Die Zeit raffend und zugleich verallgemeinernd schließt Mk 1,35–39: Jesus kam und predigte in ihren Synagogen in ganz Galiläa und trieb die Dämonen aus.

Ähnlich verfährt der Erzähler in Mk 6,6. Beide Varianten nimmt Mk 1,45 auf: Der Satz verbindet die sich verbreitende Kunde über Jesus mit seinem Versuch, sich zurückzuziehen, der durch weitere Bedrängnis immer wieder scheitert. Wie Mk 6,12 f zeigt, können allgemeine Tätigkeiten auch von Nebenfiguren, hier den Schülern, berichtet werden. An drei Stellen im Markusevangelium dominieren die verallgemeinernden Szenenabschlüsse so stark, dass sie ihre Verankerung in der Akoluthie der erzählten Zeit sprengen und zu eigenständigen summarischen Blöcken geraten, so in Mk 1,32–34; 3,7–12; 6,54–56. Trotz 479 480 481

Vgl. auch Mk 2,19 f und bereits Mk 1,14 in Verbindung mit 6,14–29. Vgl. etwa Plut. Alkibiades 24,7; 25,14; 31,7 f; dazu Verdegem, Alcibiades, 411. Plut. Alkibiades 23,8.

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IV Plutarchviten und Markusevangelium – ein Vergleich

ihres eigenständigen Charakters setzen auch sie jeweils an einem in der Handlungsakoluthie verankerten Zeitpunkt ein. 482 Hyperbolische oder zumindest pauschalisierende Formulierungen 483 sowie die Verwendung von Imperfektformen 484 lassen erkennen, dass charakteristische Handlungsweisen Jesu im Blick sind, die zeitlich nicht auf den genannten unmittelbaren Kontext innerhalb der erzählten Welt beschränkt sind. Die Summarien schaffen so ein aufmerksamkeitssteuerndes Strukturelement innerhalb der in Mk 1,14–6,56 erzählten Handlung, vergleichbar den Leidensankündigungen in den Kapiteln 8–10. Inhaltlich verweisen sie auf eine Steigerung der Wundertätigkeit Jesu: Während zunächst Dämonen ausgetrieben und zum Schweigen gebracht werden müssen, finden schließlich Therapien in aller Öffentlichkeit statt, bei denen das Berühren der Kleidung Jesu für die Heilung genügt. 485 Auch der Erzähler der Plutarch-Biographien ordnet gelegentlich allgemeine Aussagen über seine Hauptfigur und/oder signifikante Beispiele für ihre Verhaltensweisen anachron in Blöcken an. 486 So wird etwa eine in der Ereignisakoluthe verankerte Szene, die Typisches zum Ausdruck bringen soll, mit später spielenden Szenen angereichert. Plutarchs Alexander beispielsweise, in jungen Jahren an die Herrschaft gekommen, schlägt den Aufstand der Thebaner brutal nieder. 487 Den mit Theben sympathisierenden Athenern macht er aber ein Friedensangebot: Mit den Athenern versöhnte er sich. 488

Der Erzähler deutet diese Geste als Ausdruck der Alexander innewohnenden Milde. Letztere illustriert er an der genannten Stelle folgendermaßen: Später […] soll ihm das Unglück der Thebaner oft leid gewesen sein und ihn gegen nicht wenige milder gestimmt haben.

Es folgen weitere Beispiele, die Späteres vorwegnehmen, 489 wie die Reue nach Gewaltakten Alexanders sowie die Bemerkung: Es gab keinen unter den überlebenden Thebanern, der nicht, wenn er sich später an ihn wendete und um etwas bat, seinen Wunsch erfüllt bekam. 490 482 Ὀψίας δὲ γενομένης, ὅτε ἔδυ ὁ ἥλιος (Mk 1,32); Καὶ ὁ Ἰησοῦς μετὰ τῶν μαθητῶν αὐτοῦ ἀνεχώρησεν πρὸς τὴν θάλασσαν (Mk 3,7); Καὶ ἐξελθόντων αὐτῶν ἐκ τοῦ πλοίου (Mk 6,54). 483 So etwa ὅλη ἡ πόλις (Mk 1,33); ἐθεράπευσεν πολλούς (Mk 1,34); πολλοὺς γὰρ ἐθεράπευσεν (Mk 3,10); ὅλην τὴν χώραν (Mk 6,55); ὅσοι ἂν ἥψαντο αὐτοῦ ἐσῴζοντο (Mk 6,56). 484 Vgl. Mk 1,32 f; 6,55. 485 Vgl. Becker, Summarien, 345 f.348; auch Onuki, Sammelbericht, 1 f.29. 486 Vgl. Beck, Time, 33 f. 487 Vgl. Plut. Alexandros 11. 488 Vgl. Plut. Alexandros 13,1. 489 Vgl. Plut. Alexandros 50.60. 490 Plut. Alexandros 13,3.

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Nach diesen Worten kehrt die Erzählung wieder in die Anfangsphase der Herrschaft Alexanders zurück. 491 Anachronien aufweisende Blöcke bringen nicht nur allgemeine Wesenszüge der Hauptfigur zum Ausdruck, sondern dienen, wie im Markusevangelium gesehen, auch der Gliederung der Erzählung. Gerne werden sie in der Anfangsphase der öffentlichen Wirksamkeit platziert, so etwa im gerade Zitierten. Ein weiteres Beispiel begegnet bei Plutarchs Cato Minor, der, nachdem er sich in Philosophie und Rhetorik geübt hat, erstmals vor Gericht auftritt. Den Prozess um die Versetzung einer Bildsäule gewinnt er. Der Biograph ergreift die Möglichkeit, an dieser Stelle die Redekunst Catos im Allgemeinen zu charakterisieren: Seine Rede, frei von jugendlicher Unreife und rhetorischem Flitter, kannte keine Umschweife und war voll herber Leidenschaft. 492

Auch sei seine Stimme durchdringend und ermüde selbst nach langem Sprechen nicht. Zur Illustration fügt der Erzähler ein später in der Biographie ausführlicher erzähltes Beispiel ein: 493 Es kam vor, dass er einen ganzen Tag lang sprach, ohne zu ermatten. 494

Eine Abschlussbemerkung führt nun wieder in die eigentlich erzählte Zeit des jungen Cato zurück: Nachdem er in dem Rechtsstreit seine Ansicht durchgesetzt hatte, zog er sich wieder in sein Stillschweigen und in seine Übungen zurück. 495

Gleichwohl fügt die Erzählung nun nicht innerhalb der erzählten Ereignisakoluthie verankerte Begebenheiten ein, die Wesen und Charakterzüge Catos herausstellen: Er trage weder Sonnen- noch Wintermütze, gehe auf Reisen zu Fuß neben dem Pferd her. Hinsichtlich seiner sympotischen Sitten sei zu bemerken, er lasse merkwürdigerweise den Würfel entscheiden, welcher der Gäste sich zuerst bedienen dürfe, und im Laufe der Jahre habe er mehr und mehr dem Weintrinken zugesprochen. Schließlich habe er durch seine Kleidung und den bewussten Verzicht auf manches ihm Zustehende seine Sperrigkeit innerhalb seiner Zeit demonstriert. Mit der Notiz über die Heirat der Atilia sowie den Aufbruch in den Spartacuskrieg führt der Erzähler wieder in die Ereignisakoluthie zurück. 496 In ähnlicher Weise illustrieren thematisch – und nicht chronologisch – angeordnete Blöcke Charakteristisches zu Alkibiades und

491 492 493 494 495 496

Vgl. Onuki, Sammelbericht, 109. Plut. Cato min. 5,2. Vgl. Plut. Cato min. 31. Plut. Cato min. 5,2. Plut. Cato min. 5,3. Vgl. Plut. Cato min. 5,3–7,1.

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Nikias, bevor die Schilderung ihrer primären Tätigkeiten als Feldherren beginnt. 497 Bei Phokion ist es eine Sammlung von Bonmots, die eingangs seiner Biographie sein Wesen beschreibt. 498 Mehrheitlich verwendet Plutarch anachrone Blöcke in der Frühzeit der Handlung; doch auch in späteren Phasen können sie zum Einsatz kommen und der Handlung Struktur geben. So bringt der Erzähler der Biographie Catos des Zensors beispielsweise zahlreiche, nicht in der Ereignisabfolge verankerte Beispiele für Lebenswandel und Beredsamkeit der Hauptfigur in der Anfangsphase der Wirksamkeit vor dem Antritt des Konsulats unter. Ihnen korrespondieren Exempel für seine Aufmerksamkeit als Ehemann und Vater, aber auch für seine Härte als Sklavenbesitzer, die gegen Ende der Handlung, als Cato schon das Greisenalter erreicht hat, en bloc erzählt werden. 499 Auch der Eintritt in eine neue Lebensphase kann durch anachrone Blöcke gekennzeichnet werden. Plut. Cäsar 15 etwa markiert mit den Gallierkriegen ein neues Stadium der Wirksamkeit Cäsars. Sein Biograph ergreift die Gelegenheit, um allgemeine Qualitäten Cäsars als Feldherr zu charakterisieren, nicht zuletzt mit Hilfe einer Sammlung von zu unterschiedlichen Zeitpunkten spielenden 500 Begebenheiten, die den Einsatz der Soldaten für ihren Strategen illustrieren. 501 In ähnlicher Weise wird das Arbeitsethos des jüngeren Cato zu Beginn der Zeit seiner Qaestur beschrieben. 502 Exkursartig – an Mk 6,17–29 erinnernd – können auch thematische Sammlungen inmitten von Lebensphasen eingeschoben werden, so etwa die Beispiele dafür, dass Cato Pech mit den Frauen in seiner Familie hatte. 503 Die Sammlung unterbricht die Erzählung der erfolgreichen Phase seiner Wirksamkeit 504 und schafft ein retardierendes Moment vor der Wende zum Schlechteren.

4.5 Selbstreferenz durch Anachronien Ohne die grundsätzliche Synchronie der erzählten Ereignisse zu stören, kommen innerhalb der aufeinander folgenden Szenen und Episoden der markinischen Erzählung immer wieder vorher oder nachher liegende Zeiträume und Zeitpunkte in den Blick. Jesu Wesen und Auftrag etwa werden durch den Rückblick auf sein Woher plausibilisiert. Das vom Erzähler bereits in Mk 1,2 f angeführte Schriftzitat bezeugt den lange vor der erzählten Zeit gefassten Be497 Vgl. Plut. Alkibiades 2–15 (dazu Verdegem, Alcibiades, 410); Nikias 2–6 (dazu Fletcher, Time, 69). 498 Vgl. Plut. Phokion 5. 499 Vgl. Plut. Cato mai. 3–9.20 f. 500 Vgl. Plut. Cäsar 23.52. 501 Vgl. Plut. Cäsar 16; dazu Onuki, Sammelbericht, 110. 502 Vgl. Plut. Cato min. 16–18. 503 Vgl. Plut. Cato min. 24,3–25,5. 504 Vgl. Plut. Cato min. 16–30.

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schluss Gottes, Johannes als „Boten“ dem Gottessohn Jesus voran zu senden. Auch in einigen der Plutarch-Biographien, meist im Anfangsteil, kommen externe Analepsen zum Einsatz, um die familiäre Vorgeschichte der Hauptfigur zu skizzieren. 505 Bei Theseus erzählt ein ausführlicherer Rückblick von seiner (zunächst geheim gehaltenen) Herkunft, die sein Leben und Wirken – vergleichbar mit dem des markinischen Jesus – bestimmen wird, 506 denn aus der Entdeckung seines wahren Genos resultiert seine Aufgabe: die Herrschaft über Athen. Das besondere Genos und die Legitimität seines Wirkens erahnen innerhalb der Markuserzählung jene Figuren, die die „Vollmacht“ 507 Jesu aus seinen Taten und seiner Lehre erkennen (und sich dementsprechend hilfesuchend an ihn wenden). Wer umgekehrt das Woher Jesu bestreitet, erkennt seinen Status nicht an. 508 Ähnlich wie der Erzähler in Mk 1,2 f kann Jesus innerhalb der erzählten Welt auf vor Zeiten niedergeschriebene Schriftworte verweisen und sie in Übereinstimmung mit dem Willen Gottes interpretieren, um die Ansichten seiner Gegner erfolgreich zu widerlegen oder ihre Absichten offen zu legen. 509 Um die bereits grundgelegte und nun bevorstehende Sendung des Gottessohnes Jesus weiß schließlich auch Johannes, der daher Jesu Kommen vorherzusagen vermag. 510 Eine wichtige Rolle spielen im Markusevangelium Verweise auf Kommendes. Bereits Mk 1,1–13 weckt eine Reihe von möglichen Leseerwartungen nach Art und Weise der Wirksamkeit des Gottessohns und Christus, den Johannes ankündigt und dessen besonderes Wesen sich in Tauf- und Versuchungsszene in Mk 1,9–13 bereits andeutet. In einigen der Plutarch-Biographien fungieren die Kindheitsgeschichten in ähnlicher Weise, indem sie signalisieren: Wer schon als Kind Außergewöhnliches tut, wird es um so mehr als Erwachsener tun. Explizit wird beispielsweise über den jungen Alexander gesagt, er werde Großes vollbringen. 511 Eine weitere Gruppe von internen Prolepsen rekurriert im Markusevangelium auf den Ausgang der Erzählung, auf Tod und Auferstehung Jesu. 512 So benennt der Erzähler bereits von einer frühen Phase der Handlung an die Beratungen und Entschließungen der Gegner, Jesus zu töten. 513 Auch die Zuarbeit des Judas Iskariot wird in Mk 3,19 bereits frühzeitig angedeutet. Innerhalb der 505 Vgl. Plut. Romulus 1–3; Pyrrhus 1; Fabius Maximus 1,1 f; Gaius Marcus (Coriolan) 1,1; Aemilius Paulus 2,1–4; Antonius 1,1–3; Cicero 1,2; Agis 3; dazu Beck, Time, 31. 506 Vgl. Plut. Theseus 3. 507 Vgl. Mk 1,22.27 508 Vgl. etwa Mk 2,7; 6,2 f; 12,28. 509 Vgl. Mk 7,6 f.10; 11,17; 12,10.26. 510 Vgl. Mk 1,7 f. 511 Vgl. Plut. Alexandros 2 f; dazu Beck, Time, 31 f. 512 Vgl. Seifert, Markusschluss, 278. 513 Vgl. Mk 3,6; 11,18; 14,1 f.

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vor dem Zug nach Jerusalem spielenden Zeit thematisieren die Leidensankündigungen Jesu das „Dass“ und das „Muss“ seines bevorstehenden Geschicks, 514 ebenso die in Mk 9,9 erzählten befristeten Schweigeauflagen der Augenzeugen der Verklärung Jesu. Bereits die in Mk 1,12 f erzählte Versuchungserfahrung Jesu sowie seine in Mk 1,14 und 6,29 mit dem zu Tode kommenden Täufer nahegelegte Parallelisierung deuten das Ende der Hauptfigur an. Die gesamte exkursartige Rückblende auf das Ende des Täufers in Mk 6,14–29 dient der Ankündigung des Geschicks Jesu. 515 Innerhalb der Jerusalemer Zeit fasst die von Jesus in Mk 12,1–12 erzählte Geschichte sein Geschick verschlüsselt zusammen und nimmt so die noch zu erwartenden Ereignisse vorweg. Ab dem Tag der Verhaftung Jesu intensivieren sich die Vorausverweise auf das bevorstehende Ende. 516 Früh verweisen auf den besonderen Tod der Hauptfigur bei Plutarch beispielsweise in der Vita des Cato Minor die Kindheitsszenen in den Häusern des Drusus und des Sulla: Weil er schon als Knabe fest seinen Überzeugungen folgt, droht Cato in Lebensgefahr zu geraten. 517 Der spätere Freitod, den er auf Grund seiner Lebensphilosophie wählt, wird so in verschlüsselter Form präludiert. Mannigfaltig kündigt sich auch der frühe Tod Alexanders an: durch den bewegenden Besuch Alexanders am Grab des Kyros, durch Todesfälle unter Vertrauten und weitere Omina. 518 Externe Prolepsen blicken im Markusevangelium nicht nur auf die Zeit nach dem Tod Jesu, sondern, wie die Einschreibung der Erzählzeit in das in Mk 13 Prognostizierte zeigt, über die Gegenwart von Autor und intendierten Adressaten hinaus. So spricht Jesus in Mk 2,19 f und 14,7 von der Zeit seiner Abwesenheit nach seinem Tod, sichert den Schülern aber später zu, er werde bei ihnen in Galiläa sein. 519 Das in Mk 10,35–45 erzählte Gespräch evoziert die Vorstellung, als Auferstandener und Erhöhter werde Jesus im Himmel thronen. Das Evangelium von ihm ist dann in aller Welt zu verkündigen. 520 Als Menschensohn wird Jesus am Ende der Zeit zum Gericht kommen. 521 Einst wird er, so kündigt er in Mk 14,25 an, in der Gottesherrschaft (wieder) Wein trinken. Seinen Zeitgenossen kündigt Jesus das schon ins Werk gesetzte und bald vollständig hereinbrechende Reich Gottes an, in das es, auch durch angemessenes Verhalten, hineinzugelangen gilt. 522 Die Menschen können im endzeitlichen Gericht auf Vergebung ihrer Verfehlungen hoffen 523 sowie mit Belohnung und Strafe rech514 515 516 517 518 519 520 521 522 523

Vgl. Mk 8,31; 9,31; 10,33 f. Vgl. Seifert, Markusschluss, 222–224. Vgl. Mk 14,8.18–21.24.30 f.35 f. Vgl. Plut. Cato min. 2 f. Vgl. Plut. Alexandros 69–74; dazu Beck, Time, 31 f. Vgl. Mk 14,28;16,7. Vgl. Mk 13,10; 14,9. Vgl. Mk 8,38; 14,62. Vgl. Mk 1,15; 4,3–34; 9,1; 10,14 f; 11,34. Vgl. Mk 3,28 f; 11,25.

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nen. 524 Das Gesamtszenario der endzeitlichen Geschehnisse skizziert schließlich die in Mk 13,1–37 enthaltene Rede Jesu. 525 Die gelegentlich unternommenen Ausblicke über die erzählte Zeit hinaus thematisieren bei Plutarch teils das Ergehen der Nachkommen der Hauptfigur, teils aber auch, wie das von der Hauptfigur Bewirkte sich nach ihrem Tod weiterentwickelt. 526 Der Censor Cato etwa plädiert für den Kampf gegen die Punier; kurz vor seinem Tod prophezeit er Scipio Erfolg in der Sache. 527 In der Lebensbeschreibung seines Urenkels Cato blickt der Erzähler auf das spätere Geschick von Sohn und Tochter Catos: Auch sie haben, wie ihr Vater, ihr Leben dem Kampf für Freiheit gewidmet. 528 Lykurg sichert in Plutarchs Darstellung das Fortbestehen seiner Gesetzgebung mittels einer List. 529 Im Unterschied zum Markusevangelium beeinflusst das postmortale Wirken der Hauptfiguren Plutarchs die Gegenwart des Autors und der Leser allenfalls mittelbar durch die Zeitläufte hindurch. 530 Vielmehr ist es gemäß der Programmatik der Viten der Blick zurück, der Charakterstudium und -bildung befördern soll. Eine mit Ethik verknüpfte Eschatologie im eigentlichen Sinn bleibt in den Biographien Plutarchs auffällig ausgeblendet. 531 Das postmortale Geschick des Menschen hat Plutarch als philosophisch-theologischer Autor im Blick, 532 nicht als Verfasser von Biographien.

4.6 Resümee Wie bei den meisten der in den Plutarch-Viten Porträtierten lässt sich die im Markusevangelium erzählte Zeit kalendarisch mit Hilfe externer zeitgeschichtlicher Daten einordnen. Wie die Plutarch-Biographien einzelne Lebensphasen hervorheben, konzentriert sich das Markusevangelium auf die im Vergleich zu den von Plutarch Porträtierten kürzere Phase der Wirksamkeit Jesu. Mit den Biographien von Männern aus der mythischen Vorzeit teilt der markinische Jesus ein fiktives Zeitsetting der Erzählung, das den Anschein einer synchronen Darstellung der Zeit erweckt. Das Markusevangelium auf Grund des fiktiven Zeitrahmens der Biographie ab- und dem Mythos zuzusprechen, 533 setzt im 524

Vgl. Mk 8,34–38; 9,41–50; 10,17–31. Vgl. Seifert, Markusschluss, 234. 526 Vgl. Beck, Time, 33. 527 Vgl. Plut. Cato mai. 27. 528 Vgl. Plut. Cato min. 73. 529 Vgl. Plut. Lykurg 29 f. 530 Plut. Romulus 28,1–3 führt das Wirken des göttlichen Romulus auf fromme Einbildung zurück (vgl. dazu Brenk, Mystery, 64 f). 531 Vgl. Brenk, Mystery, 61. 532 Vgl. Plut. De sera numinis vindicta 22–33 (mor. 563b–568a); dazu auch Boulet, Apollo, 165 f. 533 So Schenke, Markusevangelium, 16 f. 525

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IV Plutarchviten und Markusevangelium – ein Vergleich

Hinblick auf die Quellentexte unpräzise Grundbegriffe voraus. Wie das Beispiel Theseus zeigt, ist ein fiktives Zeitsetting nicht unbiographisch; Plutarch will auch in diesem (zugegebenermaßen schwierigen) Fall geschichtsorientierten Bios und nicht Mythos schreiben. 534 Ebenso illustrieren die hinsichtlich des Zeitmanagements bestehenden Ähnlichkeiten zwischen Markusevangelium und Plutarch-Biographien das – in der Forschungsgeschichte lange Zeit negierte – erzählerische Können des Autors des ältesten Evangeliums. 535 Wie es auch im Markusevangelium geschieht, berichten die Biographien Plutarchs ausführlich vom Lebensende der Hauptfigur, wenn sie einen verfrühten Tod im Kontext ihrer Konflikte findet. Kleinere Todesszenen bei Plutarch ähneln strukturell dem Kreuzigungsbericht in Mk 15,21–41; einige Viten bieten auch Szenenfolgen wie Mk 14 f. Besonders langsam werden auch bei Plutarch die Geschehnisse vom Vorabend des Todestages an erzählt. Verwendung finden hier wie dort Tagesschemata. Die Cato-Biographie ähnelt Mk 11–15, wo die letzten Tage mit abgesenktem Tempo, das sich zum Eintritt des Todes hin nochmals verringert, erzählt werden. Dieses auch bei Plutarch zu beobachtende mehrstufige Verfahren schwächt die Argumentation, derzufolge der Tempowechsel für die starke Abhängigkeit von einem vormarkinischen Passionsbericht spreche. 536 Vereinzelt nutzen das Markusevangelium (so in Mk 6,17–29) und die Plutarch-Biographien exkursartige Rückblicke, um Hintergründe zu erläutern und der Erzählung besondere Facetten hinzuzufügen. Häufiger begegnen am Ende von Szenen kleinere Rückblicke auf innerhalb der erzählten Zeit liegende Punkte, die durch den Rezenzeffekt das irritierende Potential des Erzählten steigern. Ebenfalls am Szenenende fügt der Markuserzähler gerne raffende und verallgemeinernde Aussagen an. In Mk 1,32–34; 3,7–12; 6,54–56 bilden sich summarische Blöcke, die jedoch mit dem erzählten Zeitlauf noch verbunden sind. Sie strukturieren Mk 1–6 und betonen die Steigerung der Wundertätigkeit Jesu. Auch Plutarch fügt an innerhalb des Handlungsablaufs verankerte Ereignisse gelegentlich allgemeine Aussagen an, die dann mit umfangreicheren Sammlungen von Beispielen angereichert werden. Wie im Markusevangelium strukturieren diese anachronen Blöcke die Handlung: Sie konzentrieren sich meist auf die Anfangsphase, können jedoch auch spätere Phasen einleiten, retardierend unterbrechen oder die Gesamthandlung umschließen. Wie im Markusevangelium destruieren die anachronen Elemente den erzählten Ablauf von Zeit nicht. Auch wenn die anachronen Blöcke in den umfangreicheren Plutarch-Biographien größeren Raum einnehmen können als in den 16 Kapiteln des Markusevangeliums, kann daher keine Rede davon sein, dass bei Plutarch thematisches 534 535 536

Vgl. Plut. Theseus 1,3. Vgl. Dormeyer, Idealbiographie, 166. S. o. 1.1.

Erzähleinstiege

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Erzählen dem zeitlich orientierten „übergeordnet“ 537 sei und dass sich von daher ein Abstand zur Erzählweise des Markusevangeliums ergebe. Durch die Einspielung vor und nach der eigentlichen Handlung liegender Zeiträume schafft die Erzählung ein System mehrfacher und ineinander greifender Selbstreferentialitäten: 538 Durch den zeitlichen Rückbezug verankert sich die Handlung, die von Jesu Wirksamkeit berichtet, einerseits in sich selbst; dieses Verfahren ist auch bei Plutarch zu beobachten. Andererseits greift die Markuserzählung – weit über die kleineren Ausblicke der Plutarch-Biographien hinausgehend – auf die Gegenwart und Zukunft der (intendierten) Adressatinnen und Adressaten aus. Sie können sich innerhalb des in der Handlung Angekündigten verorten. Gleiches tut das Werk selbst, indem es sich, wie in Mk 1,1 formuliert, zu der innerhalb der Handlung angekündigten weltweiten Evangeliumsverkündigung zählt.

5. Erzähleinstiege 5.1 Erzähleinstiege in narratologischer Sicht 539 Das besondere Gewicht des Erzählanfangs wie des -endes führt die Narratologie auf den Primär- und Rezenzeffekt in der Wahrnehmung des Rezipienten zurück: Analog etwa zur Kommunikation mit lebenden Personen prägen sowohl der erste als auch der letzte Kontakt das jeweilige Bild, das man sich über das Gegenüber macht (ohne dass dabei die dazwischen liegende Kommunikation obsolet würde). Gemäß erzählerischen Konventionen enthalten die Erzähleinstiege meist Metakommentare, etwa Vorworte und -bemerkungen, in denen sich der Erzähler zu seiner Erzählung äußert. Auch deshalb ist dem Einstieg besondere Aufmerksamkeit zu widmen.

5.2 Prolog und Proömium Innerhalb der Sammlung der Doppelviten-Serie umfasst in der Regel ein βιβλίον zwei Lebensbilder. 540 Eröffnet wird es in vielen Fällen durch einen Prolog, der der ersten Biographie vorgeschaltet ist. Die Prologe können durchaus umfangreich ausfallen. Sie geben der Erzählerfigur die Gelegenheit, auf nicht zur Haupthandlung gehörende Begebenheiten hinzuweisen oder über das weitere Procedere Rechenschaft abzulegen. So erstrecken sich etwa die VorabOnuki, Sammelbericht, 111; relativiert bereits a. a. O. 117 f. Vgl. du Toit, Entgrenzungen, 312–314. 539 Vgl. Finnern, Narratologie, 118–122; Seifert, Markusschluss, 39–55; Rüggemeier, Poetik, 94 f. 540 Vgl. etwa Plut. Alexandros 1,1. Zur Struktur der Doppelviten Duff, Structure. 537 538

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IV Plutarchviten und Markusevangelium – ein Vergleich

Bemerkungen des Kimon-Lucullus-Buches über drei Kapitel der modernen Texteinteilung. 541 Detailreich wird zunächst erzählt, wie Lucullus einst der Stadt Chaironeia in einem Gerichtsverfahren mit seiner Aussage half und dafür durch eine auf der Agora aufgestellten Statue geehrt wurde. Mit diesem materialen Erinnerungsmedium vergleicht der Erzähler, die Autoren-Stimme verwendend, 542 sodann sein Biographie-Programm im Allgemeinen. Zur Begründung der Zusammenstellung des Lucullus mit Kimon verweist er dann auf Ähnlichkeiten beider, etwa auf ihre weitreichenden militärischen Erfolge oder ihr Genüssen nicht abgeneigter Lebensstil. Der Hinweis, dass weitere Ähnlichkeiten den folgenden Erzählungen selbst zu entnehmen seien, zeigt das Ende des Prologs an. Wie es typisch ist, 543 wird der folgende erste Satz des ersten Bios nicht an den vorhergehenden angebunden, sondern beginnt medias in res: 544 Die größte Ähnlichkeit zwischen beiden [sc. Kimon und Lucullus] aber zeigte sich in ihrer weitherzigen Großzügigkeit, mit der sie Gastfreundschaft übten und Gefälligkeiten erwiesen, sowie in ihrer jugendlich leichtfertigen und üppigen Lebensführung. Einige weitere Ähnlichkeiten übergehe ich vielleicht, die man ohne Schwierigkeiten aus der Erzählung selbst wird entnehmen können. Kimon, der Sohn des Miltiades, hatte zur Mutter Hegesipyle (Κίμων ὁ Μιλτιάδου μητρὸς ἦν Ἡγησιπύλης). 545

Strukturell gleich verfährt der Erzähler beim Alexander-Cäsar-Buch, beschränkt sich jedoch auf die im Vergleich weniger umfangreiche Vorbemerkung, er wolle sich zu Gunsten der Charakterdarstellung bei der Schilderung militärischer Taten zurückhalten. 546 Auch hier setzt der erste Satz des Proömiums ohne sprachliche Anbindung an den vorhergehenden Prolog ein: Dass Alexander väterlicherseits (Ἀλέξανδρος ὅτι τῷ γένει πρὸς πατρός) […] von Herakles […] abstammte, gehört zu den wohlbezeugten Tatsachen. 547

Alternativ oder zusätzlich zu einem Prolog steht jeder Einzelbiographie, gleich ob sie an erster oder zweiter Stelle innerhalb eines Buches rangiert oder alleine steht, ein Proömium voran. 548 Es enthält gängige biographische Standardangaben wie Name (falls noch nicht im Prolog genannt), Heimatstadt und Vorfahren der Hauptfigur. Auch der Ausbildungsweg, das Äußere oder hervorstechende Charakterzüge können zur Sprache kommen. Sowohl zur Hauptfigur als auch zu ihren Vorfahren können Anekdoten, die frei von einer Einordnung in 541

Vgl. Plut. Kimon 1–3. S. o. 1.3. 543 Vgl. Duff, Begin, 189. 544 Vgl. Plut. Kimon 4,1: Κίμων ὁ Μιλτιάδου μητρὸς ἦν Ἡγησιπύλης, γένος Θρᾴττης, θυγατρὸς Ὀλόρου τοῦ βασιλέως […]. 545 Plut. Kimon 3,3–4,1. 546 Vgl. Plut. Alexandros 1. 547 Plut. Alexandros 2,1. 548 Vgl. Duff, Begin, 190 f. Die für sich stehende Artaxerxes-Vita beginnt ebenfalls mit einem Proömium, jene des Aratos mit einem Prolog (vgl. Plut. Aratos 1). 542

Erzähleinstiege

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die Ereignisgeschichte präsentiert werden, Charakteristisches erzählen. Der Umfang eines Proömiums variiert zwischen einem Kapitel – wie etwa bei Lucullus: angesprochen werden sein Großvater, ein frühes, von ihm angestrengtes Gerichtsverfahren sowie seine außerordentlichen Griechischkenntnisse und die Liebe zu seinem Bruder – 549 und bis zu sieben Kapiteln, so etwa im Fall Alexanders, wenn man die umfangreichen Angaben über die Zeit bis zum Beginn der Regentschaft Alexanders im Alter von 16 Jahren hinzuzählt. 550 Der Erzähler des Markusevangeliums gestaltet seinen Erzähleinstieg deutlich straffer als es in den Viten Plutarchs die Regel ist. 551 Der Sache nach sind die beim Chaironäer begegnenden Elemente aber auch im ältesten Evangelium vorhanden: In Mk 1,1–3 fallen prologische und proömiale Elemente zusammen, Mk 1,4–13 führt im Stil eines Proömiums auf den Beginn des Hauptteils hin. Mk 1,14 f schließt den Anfangsteil und eröffnet zugleich den Hauptteil, der von der öffentlichen Wirksamkeit Jesu handelt. 552 Der erste Satz erstreckt sich über die Verse Mk 1,1–3. 553 Wie in einem Plutarch-Prolog tritt die Erzählerfigur hier deutlicher in Erscheinung als fast überall in der übrigen Erzählung. Sie weist mit dem Stichwort „Evangelium“ auf ihr „Thema“ 554, den Inhalt sowie den Verwendungskontext der folgenden Erzählung hin: Erzählt wird die Evangeliumsverkündigung durch Jesus im Sinne von Mk 1,14 f. Daraus folgt, so drückt es Jesus in Mk 8,35 und 10,29 intradiegetisch aus, das (leidvolle) Einstehen für Jesus und das – offenbar mit seiner Person nun in enge Verbindung gebrachte – 555 Evangelium sowie die nachösterliche Verkündigung des Evangeliums in aller Welt. 556 Der Genitiv „Jesu Christi“ bewegt sich somit zwischen subjektivem und objektivem Verständnis. 557 Zu einem literaturbeschreibenden Terminus, der – wie bei Plutarch der βίος-Be549

Vgl. Plut. Lucullus 1. Vgl. Plut. Alexandros 2–8. 551 Zum Erzähleinstieg des Markusevangeliums vgl. Hooker, Ouvertüren, 9–29; Klauck, Vorspiel; Reiser, Porträts, 65–70. 552 Im Rahmen der Parallelisierung von Johannes und Jesus in Mk 1 (dazu Klauck, Vorspiel, 21–27) hat Mk 1,14 f in Mk 1,7 f sein Pendant; durch das Stichwort „Evangelium“ schließt Mk 1,14 f den in 1,1 eröffneten Bogen (vgl. a. a. O. 30). Gleichzeitig markiert der zeitliche Neueinsatz in Mk 1,14 sowie das δέ eine Zäsur zum Vorherigen (vgl. a. a. O. 34; betont von Schenke, Markusevangelium, 45). Dem erkennbaren Bemühen der Erzählung, allzu abrupte Übergänge zu vermeiden, sollte vielleicht dadurch Rechnung getragen werden, Mk 1,14 f sowohl dem Erzähleinstieg als auch dem Hauptteil der Erzählung zuzurechnen (ähnlich du Toit, Herr, 274). 553 Vgl. Arnold, Eröffnungswendungen, 123 f; Klauck Vorspiel, 28 f; Rose, Theologie, 88. Auch in Mk 4,33; 9,13; 11,6; 14,16.21; 15,8; 16,7 erklärt καθώς Voranstehendes (vgl. Klaiber, Markusevangelium, 18; Frickenschmidt, Evangelium, 354 f; Stolle, Markusevangelium, 39). Anders Schenke, Markusevangelium, 45; Dschulnigg, Markusevangelium, 58. 554 Stolle, Markusevangelium, 37; vgl. auch Wördemann, Charakterbild, 141. 555 Vgl. Seifert, Markusschluss, 67. 556 Vgl. Mk 13,10; 14,9; dazu Klauck, Vorspiel, 78 f. 557 Vgl. Rose, Theologie, 81. 550

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IV Plutarchviten und Markusevangelium – ein Vergleich

griff – 558 die vorliegende Erzählung bezeichnet, ist „Evangelium“ im Markusevangelium noch nicht geworden. 559 Das geht aus mehreren Tatsachen hervor: Der Terminus „Evangelium“ sowie weitere Bildungen vom selben Wortstamm werden weder außerhalb der frühchristlichen Texte noch in Schriften des frühen Christentums vor und neben dem Markusevangelium als Bezeichnung eines literarischen Werkes verwendet. 560 Mk 8,35; 10,29; 13,10; 14,9 beanspruchen zwar implizit, dass die vorliegende Erzählung eine Rolle bei der Leidensnachfolge beziehungsweise der weltweiten Evangeliumsverkündigung spielt; eine literarische Selbstbezeichnung geht aus diesen Belegstellen aber nicht hervor. Schließlich lassen auch die ersten uns bekannten Rezipienten des Markusevangeliums kein Interesse an einer solchen Verwendung des EvangeliumBegriffes erkennen. 561 Als Bezeichnung von Erzählevangelien – im Sinne einer Namensbildung wie im Fall von βίος als Bezeichnung der Plutarch-Biographien – wurde der Terminus erst später gebraucht, 562 möglicherweise unter besonderem Einfluss von Mk 1,1. Das Fehlen einer Selbstbezeichnung der Erzählung im Markusevangelium wirkt angesichts der in den Plutarch-Biographien gemachten Beobachtungen nicht allzu verwunderlich. Zwar kennen Letztere βίος als gängigen Namen der Erzählungen, doch wird dieser Terminus keinesfalls zu Beginn jeder Biographie gebraucht und kann zudem durch Synonyme ersetzt werden. 563

5.3 Grundlegende biographische Angaben Wie es die Grundkonventionen biographischer Literatur verlangen 564 und wie es in den Plutarch-Viten im Proömium oder gelegentlich bereits im Prolog geschieht, macht auch das Markusevangelium zu Beginn die erforderlichen grundlegenden Angaben zur Hauptperson: zu ihrem Namen, Beinamen und ihrem Genos. Verwendet die Markuserzählung χριστός – mit Artikel – als mes-

558

S. o. 1.2. Vgl. Klauck, Vorspiel, 78, und jetzt auch Seifert, 66; anders Müller, Jesus 167, sowie (ohne nähere Begründung) Arnold, Eröffnungswendungen, 126 f. 560 Vgl. Seifert, Markusschluss, 58–66. 561 Vgl. den sich primär auf den Stammbaum Jesu beziehenden Ausdruck Βίβλος γενέσεως in Mt 1,1; weiter Lk 1,1 (διήγησις). Vgl. ausführlich Seifert, Markusschluss, 67–70. Frickenschmidt, Evangelium, 355, versteht dagegen „Evangelium“ in Mt 24,14; 26,13 als auf die vorliegende Erzählung referierend. An den genannten Stellen ist jedoch ausdrücklich vom κηρύσσειν (vgl. Mk 1,14) und nicht vom ἀναγινώσκειν (vgl. Mk 13,14) die Rede. „Dieses Evangelium“ in Mt 25,13 meint nicht vorliegende Erzählung (so a. a. O. Anm. 12); vgl. Mt 24,14, wo der Inhalt der Evangeliumsverkündigung näher bestimmt wird (vgl. Seifert, Markusschluss, 68). 562 S. o. I 1. 563 S. o. 1.2. 564 Vgl. Frickenschmidt, Evangelium, 241 f; Hock, Beginning, 305. 559

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sianische Funktionsangabe, 565 erscheint der Terminus in Mk 1,1 eher als Beiname gewordener Titel Jesu. 566 Dagegen sollte der mitschwingende christologische Aspekt nicht ausgespielt werden. 567 Beinamen sagen auch in den Plutarch-Texten etwas über das Wesen der Hauptfigur aus. Fabius etwa trägt das Cognomen Maximus auf Grund der großen Bedeutung seines Vorfahren Rullus. 568 Auch der Beiname Marcellus (Marsjünger) illustriert Werte und Talente des kriegserfahrenen und -tüchtigen Marcus Claudius. 569 Selbst Spottnamen nennt der Biograph, denn auch sie werfen Licht auf Aspekte der porträtierten Persönlichkeiten. So habe etwa Cicero auf Grund seiner Ambitionen, in die Öffentlichkeit zu gehen, seinen Beinamen ablegen wollen, spielt er doch auf eine ungewöhnliche, an eine cicer erinnernde Nasenform an. 570 Die Verspottungen des Nikias („der [sc. unbeständig schwankende] Kothurn“) oder des Demosthenes („Batalos“ – ein als weichlich geltender Flötenspieler) werden vom Biographen zumindest als Meinung der jeweiligen Kritiker ihrer Träger überliefert. 571 Zu den geforderten Angaben am Beginn einer Biographie gehört weiter die Nennung des familiären Hintergrunds. Er kann bei den von Plutarch Porträtierten bis auf mythische Ebenen hinab verfolgt werden. So wird etwa Brutus als Nachfahre des Junius Brutus präsentiert, der einst die Tarquinier-Herrschaft beendet haben soll. Ein solches Genos adelt freilich einen Cäsarmörder; entsprechend wurde, was die Biographie nicht verschweigt, diese Herleitung von seinen Kritikern in Rom in Frage gestellt. Seine Biographie unterstellt Brutus einen gewissen kritischen Abstand von seinem Vorfahr, da er gewalttätig gewesen sei. 572 Weiterhin wird das Geschlecht des Fabius Maximus auf Herakles zurückgeführt. 573 Ebenso stamme Alexander väterlicherseits von Herakles, mütterlicherseits von Aiakos ab. 574 Kritisch hingegen sieht der Biograph die Auffassung, Alexander solle von Zeus Ammon gezeugt worden sein. 575 Als Gerücht oder Möglichkeit, das Phänomen „Alexander“ zu verstehen, wird sie aber überliefert. 576 Ebenso verfährt Plutarch im Fall von Theseus und Romulus: Ihr Genos sei nicht mehr mit Sicherheit festzustellen; auf Grund ihrer besonderen 565

Vgl. Mk 8,29. Vgl. Stolle, Markusevangelium, 38; Reiser, Porträts, 66; Rose, Theologie, 104. 567 Vgl. Rüggemeier, Poetik, 220 f. 568 Vgl. Plut. Fabius Maximus 1. 569 Plut. Marcellus 1,1. 570 Vgl. Plut. Cicero 1. 571 Vgl. Plut. Nikias 2,1; Demosthenes 4. 572 Vgl. Plut. Brutus 1.9. 573 Vgl. Plut. Fabius Maximus 1. 574 Vgl. Plut. Alexandros 2,1. 575 Stattdessen wird die religionsphilosophische Interpretation angeboten, derzufolge alle Menschen Gotteskinder und manche, wie Alexander, von Gott besonders Geliebte seien (vgl. Plut. Alexandros 27,6). 576 Vgl. Plut. Alexandros 2 f; 26,6–27,5. 566

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IV Plutarchviten und Markusevangelium – ein Vergleich

Bedeutung sei ihnen deshalb göttliche Herkunft unterstellt worden. 577 Als Vorfahren genannt werden weiterhin auch (im modernen Sinn) historische Personen wie etwa der einstige, auf Grund von Regelverstößen aus dem Amt entfernte Konsul Publius Cornelius Rufinus, ein Vorfahre des Sulla, oder der Zensor Cato, dem Cato Uticensis zeit seines Lebens nacheiferte. 578 Notizen zu berühmten Vorfahren werden dann eingefügt, wenn sie für einen Aspekt des Lebens der Hauptfigur von inhaltlicher Bedeutung sind. Weil über sie nichts bekannt war oder sie aus biographischer Sicht thematisch wenig beitrugen, spielen die leiblichen Eltern der Hauptfigur oftmals eine überraschend geringe Rolle in den Biographien. 579 Gleiches gilt für die Kinderzeit der Hauptfigur insgesamt. 580 Ähnlich wie im Markusevangelium, das erst in Mk 6,3 von der Mutter und den Geschwistern Jesu spricht, erwähnt etwa die Biographie Numas die Namen seines Vaters und seiner Brüder nur beiläufig in einer der frühen Phasen der Erzählung. 581 Über Numas Kindheit wird nichts berichtet. Seine öffentliche Wirksamkeit beginnt – wie Jesu Evangeliumsverkündigung in Mk 1,14 f – im Erwachsenenalter: Als also Numa bereits im vierzigsten Lebensjahr stand, kamen von Rom die Gesandten, die ihn zum Königtum beriefen. 582

Analog zu dem bei Plutarch in der Regel genannten Vater der Hauptfigur stellt Mk 1,1 Jesus als Sohn des (einen) Gottes (Israels) vor. 583 Denn das himmlische Genos bestimmt sein Wesen und sein im Anschluss erzähltes Geschick grundlegend. An Schlüsselstellen wird es daher immer wieder durch den Erzähler aufgerufen. Auch wenn Gottes Vaterschaft im Markusevangelium nicht leiblich dargestellt wird, ließe sich Jesu göttliches Genos mit der Wirklichkeitsauffassung der Plutarch-Biographien nicht vereinbaren. Denn für Letztere handelt es sich offensichtlich bei den aus heutiger Sicht mythischen Vorfahren um reale Menschen der Vorzeit. Göttliche und menschliche Wesen bleiben bei Plutarch Vgl. Plut. Thesus 2.6; Romulus 2.4; dazu auch Pelling, Myth, 176. Vgl. Plut. Rufinus Sulla 1; Cato min. 1,1. 579 Vgl. etwa Plut. Sulla 1; Marcellus 1,1; Brutus 1; Timoleon 3,2; Marius 3,1; Cato min. 1. 580 S. o. 2.2.4. Seifert, Markusschluss, 268, zufolge stellen fehlende Kindheitsgeschichten jedoch eine Leerstelle in paganen Viten dar. 581 Vgl. Plut. Numa 3,4; dazu Dormeyer, Idealbiographie, 152. 582 Plut. Numa 5,1. 583 Vgl. Klauck, Vorspiel, 45 f. Reiser, Porträts, 66. Strittig ist, ob es sich bei υἱοῦ θεοῦ in Mk 1,1 um einen späteren Zusatz handelt. Beide Lesarten sind in etwa gleich gut äußerlich bezeugt (vgl. Rüggemeier, Poetik 213). Die Verwendung des Sohn-Gottes-Titels an Schlüsselstellen der Erzählung in Mk 1,11; 9,7; 15,39 könnte eine spätere Einfügung in Mk 1,1 motiviert haben (so a. a. O. 214), lässt sich aber zwangloser durch die Annahme erklären, dieser zentrale Titel sei bewusst bereits im ersten Satz genannt worden. Dafür spricht weiterhin, dass die Fortsetzung des Satzes in Mk 1,2 f das „Du“ Gottes enthält, das sich, wie sich unweit in Mk 1,11 zeigt, an seinen Sohn richtet. Eine fehlende Genosangabe am Beginn der Erzählung wäre schließlich für einen biographischen Erzähleinsatz höchst ungewöhnlich und liegt daher nicht nahe (vgl. Frickenschmidt, Evangelium, 353 f). 577 578

Erzähleinstiege

139

hinsichtlich des physischen Lebens strikt getrennt. 584 Im Vergleich zu seiner himmlischen Abkunft spielt schließlich Jesu irdische Familie, ähnlich wie bei manchen der von Plutarch Porträtierten, eine untergeordnete und Spannungen erzeugende Rolle. Der familiäre Hintergrund findet daher im Proömium keine Erwähnung und muss sich mit einigen Bemerkungen innerhalb der Erzählung zufrieden geben. 585 Ebenso wird gemäß des Raumsettings der Jesuserzählung sein – ebenfalls mit Konflikten verbundener – Heimatort Nazareth in Mk 1,9 lediglich en passant nachgetragen. 586

5.4 Zitate im Erzähleinstieg Wie jeder Prolog und jedes Proömium vor allem mit Hilfe des Primäreffekts die Rezeption der Erzählung insgesamt steuern, 587 hält der erste Satz des Markusevangeliums Informationen bereit, die ein Licht auf die folgende Gesamterzählung werfen. Dennoch ist seine eigentliche Funktion auf den unmittelbaren Kontext begrenzt. Während die Prologe der Viten Plutarchs präzise formulieren und argumentieren, bleibt bei dem im feierlichen, biblischen Nominalstil gehaltenen Satzteil in Mk 1,1 manches im Unklaren. 588 Mit ἀρχή könnte entweder der Einsatz der Erzählung markiert sein („Beginn der Erzählung über die Evangeliumsverkündigung, die Jesus unternahm“) oder, wie der Seitenblick auf Plutarch nahelegt, der Terminus referiert nicht auf die Erzählung, sondern auf Erzählinhalte. 589 Die Plutarch-Biographien verwenden ἀρχή häufig zur Bezeichnung der Startphase der Wirksamkeit der Hauptfigur. 590 Setzt man eine solche Assoziation voraus, könnte man den Erzählerkommentar in Mk 1,1–3 als Erklärung dafür verstehen, dass die ἀρχή der Verkündigungstätigkeit Jesu in Mk 1,14 f nur der öffentlich sichtbare Beginn war, während die eigentliche ἀρχή weiter zurückverfolgt werden muss, wie es im Folgenden entfaltet wird. Gleich ob man sich auf eine der beiden Lesarten für ἀρχή in Mk 1,1 festlegt, erscheint der Satz in Mk 1,1–3 als Erklärung dafür, dass die Erzählung über Jesus bei 584

S. o. 2.2.4. Vgl. Mk 3,21.31–35. 586 S. o. 3.2. 587 So auch Klauck, Vorspiel, 33. 588 Vgl. Reiser, Porträts, 66 f. 589 Müller, Jesus, 168 f, versteht „Anfang“ in Mk 1,1 vom Ende der Geschichte her: Als literarisches Werk bilde sie Grund und Auftakt der nachösterlichen Evangeliumsverkündigung. Diese Assoziation mag in Mk 1,1 einkalkuliert sein. Sie steht aber in Spannung zu der a. a. O. 167 vertretenen Annahme, „Evangelium“ in Mk 1,1 bezeichne (auch) die vorliegende Erzählung: Letztere erzählt ja nicht nur den Beginn, sondern die gesamte Verkündigungstätigkeit Jesu. 590 Vgl. Plut. Pompeius 2,1 („Im Anfang [ἐν ἀρχῇ] war ihm auch seine Geschichtsbildung nicht wenig hilfreich, die Menschen zu gewinnen“); Artoxerxes 4,3 („Im Anfang [ἐν ἀρχῇ] schien er sogar die Sanftmut des Artoxerxes, von dem er den Namen hatte, sich zum Beispiel genommen zu haben“). 585

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IV Plutarchviten und Markusevangelium – ein Vergleich

Johannes einsetzt. Dazu passt die verwendete Syntax. 591 Wie gesehen, fügt Plutarch den ersten Satz nach einem vorausweisenden Prolog asyndetisch an. Das Gleiche geschieht in Mk 1,4 mit ἐγένετο. Mk 1,1–3 weist daher primär auf das ab Mk 1,4 Erzählte hin. Dies erfolgt mit Hilfe des Prophetenzitats in Mk 1,2 f, 592 das Gottes Beschluss dokumentiert, seinem Sohn als Wegbereiter Johannes vorauszuschicken. Die Verwendung von Zitaten und Zitatzusammenstellungen innerhalb der ebenfalls von der Erzählerfigur gesprochenen Prologe beziehungsweise Proömien ist ein auch in den Plutarch-Biographien häufig genutztes Gestaltungsmittel, 593 mit dem wie im ältesten Evangelium sowohl inhaltliche Aspekte aufgezeigt als auch leserlenkende Metakommentare gegeben werden. So beginnt das Nikias-Proömium mit einer die Gesamtbewertung vorwegnehmenden Bemerkung des Aristoteles, Nikias sei zu den drei besten Männern im Stadtstaat zu zählen. 594 Den bemerkenswerten Befund, dass Pompeius ganz im Gegenteil zu seinem Vater bei den Römern überaus beliebt war, vergleicht der Erzähler mit der hier sprichwortartig verwendeten Aischylos-Zeile: Verhassten Vaters liebster Sprössling bist du mir. 595

In mehrfacher Hinsicht mit Mk 1,1–3 vergleichbar ist die Zitierpraxis im Marcellus-Proömium. So wird zunächst unter Bezugnahme auf das (verlorene) Geschichtswerk des Poseidonius von Apameia die Etymologie des bereits angesprochenen Beinamen des Marcus Claudius, nämlich Marcellus, als „Marsjünger“ angegeben. 596 In ähnlicher Weise erläutert indirekt das Einstiegszitat des Markusevangeliums die Näherbestimmung Jesu Christi als υἱὸς θεοῦ, ist innerhalb des vom Propheten Aufgeschriebenen doch Gott als Sprecher und sein Sohn als Adressat der Rede zu erschließen. 597 Neben der Namenserklärung mit Hilfe von Poseidonios illustriert im Marcellus-Proömium ein Homer-Wort, warum die Hauptfigur wenig Zeit für die Philosophie fand und stattdessen immer mit dem Kriegshandwerk beschäftigt gewesen sei: Der Gott habe ihr als Schicksal bestimmt, schon als Kind und dann bis ins Alter weiterzuspinnen / Krieg und wiederum Krieg. 598

591 Vgl. Reiser, Porträts, 68. Das Schema begegnet, wie Reiser notiert, auch (in einigen Geschichtswerken sowie) innerhalb von Plutarch-Biographien (vgl. Plut. Lysander 25,4–26,1). 592 Vgl. Ex 23,20; Mal 3,1; Jes 40,3. 593 Vgl. etwa Aemilius 1; Aratos 1; Agis 1; Theseus 1–3. 594 Vgl. Plut. Nikias 2,1; zit. Aristot. Ath. pol. 28,5. 595 Vgl. Plut. Pompeius 1; zit. Aischyl. frgm. 201. 596 Plut. Marcellus 1,1. 597 Vgl. die du-Anreden Jesu in Mk 1,11; 9,7. 598 Plut. Marcellus 1,2; zit. Hom. Il. 14,86.

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Wie im Markusevangelium werden das göttlicherseits festgelegte Wesen und der Auftrag der Hauptfigur der Erzählung mit Hilfe eines auf die Situation hin transparent gemachten ‚kanonischen‘ Zitats erklärt.

5.5 Annäherung an den Hauptteil der Erzählung Wie bei Plutarch im Übergang vom Proömium zur eigentlichen Erzählung üblich, 599 setzt im Markusevangelium Mk 1,4 ohne Anbindung an den vorherigen Erzählerkommentar ein. 600 Zur Schulbildung der Hauptfigur fehlen jegliche Angaben, was auch in den Plutarch-Biographien häufig der Fall ist. 601 Dass die Jesus-Erzählung zunächst ausführlicher über Johannes handelt, erscheint im Werkvergleich nicht ungewöhnlich. Auch in Plutarch-Viten setzt die eigentliche Erzählung gelegentlich nicht bei der Hauptfigur, sondern bei Anderen ein, um über einen solchen Bezug zur Hauptfigur überzuleiten. Im Falle des auf Sizilien tätigen Politikers Dion schildert der Erzähler zunächst über einige Sätze hinweg das Leben des Tyrannen Dionysos mit seinen zwei Ehefrauen, um dann auf Dion, der nämlich Bruder der einen von ihnen war, zu sprechen zu kommen. 602 Zudem bildet die Interaktion der Hauptfigur mit frühen Weggefährten in der Zeit vor ihrer öffentlichen Wirksamkeit, der oft eine prägende, vorbereitende Rolle zukommt, einen häufigen biographischen Erzählgegenstand. So wird etwa die Liebes- und Lehrerbeziehung des Alkibiades zu Sokrates umfangreich geschildert, als Kontrast dazu der herablassende Umgang der Hauptfigur mit anderen Liebhabern oder Lehrern. 603 Verschwiegen werden dürfen auch die Studien des Perikles bei Anaxagoras sowie des Alexander bei Aristoteles nicht. 604 Wie der Biograph bemerkt, war das freundschaftliche Zusammenwirken mit Epameinondas der Karriere des Pelopidas förderlich, während sich der Kontakt mit dem Prasser Curio als schlechter Umgang für Antonius erwies. 605 Die Liebe des jungen Lucullus zu seinem Bruder wird ebenso erwähnt 606 wie die des Cato Minor. Im zuletzt genannten Fall stellt der Bruder Caepio zudem im Rahmen einer Autosynkrisis seine Bewunderung für Cato fest: Er selbst bemühe sich zwar um ein tugendhaftes, bescheidenes Leben, sei seinem Bruder darin jedoch bei weitem unterlegen. 607 Kurz nach dem (verlorenen) Beginn der Cäsar-Vita sagt der Marius-Feind Sulla über den noch jungen Cäsar,

599 600 601 602 603 604 605 606 607

Vgl. Duff, Begin, 189. Vgl. Reiser, Porträts, 68. Vgl. Teodorsson, Education, 342–345. Vgl. Plut. Dion 3 f. Vgl. Plut. Alkibiades 4.6 f. Vgl. Plut. Perikles 5 f; Alexandros 7 f. Vgl. Plut. Pelopidas 3 f; Antonius 2. Vgl. Plut. Lucullus 1,6. Vgl. Plut. Cato min. 3,5 f.

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IV Plutarchviten und Markusevangelium – ein Vergleich

nur ein Tor könne übersehen, dass in diesem Knaben mehr als ein Marius stecke. 608

Die Aussage fungiert, wie es sich analog bei der Vorabcharakteristik Jesu durch den Täufer in Mk 1,7 f beobachten lässt, als am Anfang der Erzählung angesiedelte Verheißung, deren Erfüllung die weitere Handlung entfaltet. Wie bei Caepios Aussage über seinen Bruder Cato handelt es sich bei Mk 1,7 f um einen selbstmindernden Vergleich. 609 Für die Rezipienten der Erzählung dienen die Äußerungen des Johannes proleptisch als Vorbereitung und Legitimierung der bald darauf beginnenden Wirksamkeit Jesu. 610 Erzählerisch betont wird die Vorläuferschaft des Johannes gemäß seiner in Mk 1,2 f belegten Aufgabe der Wegbereitung. Eine freundschaftliche und/oder Schülerbeziehung Jesu zu ihm, wie sie bei Plutarch zu beobachten war, wird nicht ausgeschlossen, aber auch nicht explizit benannt. Die Erzählung des eigentlichen Taufakts wird schließlich überstrahlt von der himmlischen Stimme, die Jesu Gottessohnschaft erneut, nun auch innerhalb der erzählten Welt, aber nur vor Jesus, zur Sprache bringt. 611 Stark gerafft referiert der Erzähler in Mk 1,12 f die Versuchung Jesu in der Wüste. Die Nennung früher Erfolge gehört zu den häufigeren Elementen episodisch angereicherter Proömien in den Plutarch-Biographien. Manche von ihnen werden ebenfalls auffallend knapp notiert und erinnern so an die markinische Versuchungsnotiz. 612 Diese erregt zusätzlich Aufmerksamkeit, weil der Wüstenaufenthalt unvermittelt einsetzt und nicht begründet wird. Zudem wird ein ‚Sieg‘ Jesu über den Versucher nicht festgestellt (was ebenso für den Gegenstand der Versuchung Jesu oder seine etwaige Niederlage gilt). 613 Insgesamt erscheinen die starken Raffungen der erzählten Zeit sowie die zeitlichen Lücken in Mk 1,1–13 im Vergleich zu manchen Plutarch-Biographien nicht ungewöhnlich. Plut. Crassus 1–3 etwa deckt die ersten 19 Lebensjahre der Hauptfigur ab, ohne in dieser Lebensphase spielende Szenen im Einzelnen zu erzählen. 614 Mit der Aufnahme der öffentlichen Tätigkeit endet der Erzähleinstieg aus Prolog, Proömium und möglicherweise angehängten, ausführlicheren Anekdoten. Die Biographie geht in ihren Hauptteil über. Die Erzählung vom Beginn der Wirksamkeit kann vom Erzähler unterschiedlich gestaltet werden. 615 Während etwa Aristeides oder Lukullus in ihre Rolle über eine längere Zeit und

608

Plut. Cäsar 1,2. Vgl. Mk 1,7 f, dazu auch Dormeyer, Idealbiographie, 109. 610 Vgl. Seifert, Markusschluss, 220–222. 611 Vgl. Mk 1,10 f. 612 Vgl. etwa Plut. Tiberius Gracchus 4,4 f. 613 Vgl. Schenke, Markusevangelium, 55 f. 614 Vgl. Beck, Time, 30. 615 Vgl. Van der Stockt, Methods, 325; Frickenschmidt, Evangelium, 273–276. Zu den Anfängen der Karrieren der Hauptfiguren Plutarchs vgl. Roskam, Roads. 609

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durch die Ausübung unterschiedlicher Tätigkeiten hineingleiten, 616 wird bei Alkibiades dezidiert sein erstes Auftreten in der Öffentlichkeit benannt. 617 Bei anderen Charakteren findet ein Aufmerksamkeit erregender erster öffentlicher Auftritt statt. 618 So begibt sich etwa Plutarchs Crassus, sobald Cinna, vor dem er sich versteckt hielt, sein Ende gefunden hatte, in die Öffentlichkeit. Sogleich schließen sich ihm zweitausend Männer an, mit denen er in Sullas Dienste tritt. 619 Ebenso stellt Pompeius aus eigener Kraft eine veritable Armee auf die Beine, indem er Männer anwirbt und Offiziere einsetzt. 620 Cäsar wird, als Sullas Regime an sein Ende gelangt, von seinen Freunden nach Rom zurückgerufen; ein Studienaufenthalt auf Rhodos verzögert die Rückkehr und steigert so die Spannung. Zurückgekehrt nach Rom, legt Cäsar fulminante Auftritte als Verteidiger vor Gericht hin und erregt als öffentliche Person sogleich Bewunderung. 621 Den späteren Ausgang der Geschichte vorwegnehmend, fügt der Erzähler hier ein Wort des Cicero ein, welcher mit dem Gedanken spielt, ob von einem Menschen wie Cäsar die „Zerstörung der römischen Staatsform“ 622 ausgehen könne. Ebenfalls präzise benannt wird der Eintritt in das öffentliche Leben bei Cato dem Jüngeren: Er bezieht eine eigene Wohnung, intensiviert seine Studien und reüssiert in einem ersten Gerichtsverfahren. 623 Auf seine Schweigsamkeit und Ernsthaftigkeit angesprochen, kündigt er, ebenfalls auf Späteres und im Hinblick auf sich selbst verweisend, an: Ich werde reden, sobald ich Dinge zu sagen habe, die es wert sind, nicht verschwiegen zu werden. 624

Am Übergang zwischen Eingangsteil und erstem Hauptteil steht im Fall des Markusevangeliums ebenfalls ein expliziter öffentlicher Auftritt Jesu. In seinem Programmsatz bringt er – wie Cato – auf den Punkt, in wessen Namen seine nun erzählerisch entfaltete Wirksamkeit erfolgt. Zwar wird eine begeisterte Reaktion der Menge (noch) nicht erzählt, doch vermag es Jesus im unmittelbaren Anschluss, Menschen in seine Gefolgschaft zu berufen. Das künftige Geschick deutet sich im Falle Jesu in Mk 1,14 durch die Parallelisierung mit dem Täufer an.

616

Vgl. Plut. Aristeides 1–5; Lucullus 1–5; auch Sulla 3 f. Vgl. Plut. Alkibiades 10,1 (πρώτην δ᾽ αὐτῷ πάροδον εἰς τὸ δημόσιον); vgl. auch Plut. Aemilius 3,1. 618 Vgl. Plut. Themistokles 4; Cato Maior 3; Cicero 3; Kimon 5. 619 Vgl. Plut. Crassus 6. 620 Vgl. Plut. Pompeius 6. 621 Vgl. Plut. Cäsar 3–5. 622 Vgl. Plut. Cäsar 4,4 (ἀναίρεσιν τῆς Ῥωμαίων πολιτείας). 623 Vgl. Plut. Cato min. 4 f. 624 Plut. Cato min. 4,2. 617

144

IV Plutarchviten und Markusevangelium – ein Vergleich

5.6 Resümee Wenn auch ungleich komprimierter als in den sich teils über mehrere Sätze hinziehenden Prologen und Proömien bei Plutarch, finden sich gleichwertige Elemente auch in Mk 1. Die Erzählerfigur erläutert in Mk 1,1–3 den gewählten Einstieg in die erzählte Zeit. Wie auch in den Viten Plutarchs spielen Zitate eine wichtige Rolle bei der Gestaltung des Erzähleinstiegs. Zugleich enthält Mk 1,1 die üblichen biographischen Standardangaben: Name, Beiname und Genos der Hauptfigur. Mk 1,4–13 führt im Stil eines Proömiums auf den Beginn des Hauptteils hin. Das spätere Geschick der Hauptfigur wird, wie sich auch bei Plutarch beobachten lässt, bereits hier angedeutet.

6. Erzählhandlung 6.1 Narratologische Handlungsanalyse 625 Gegenstand der Handlung sowohl in den Plutarch-Viten als auch im Markusevangelium ist die Wirksamkeit, die die Hauptfigur innerhalb ihrer Lebenswelt ausübt, sowie die daraus erwachsenden Folgen. Wie es die narratologische Handlungsanalyse beschreibt, 626 folgt die Wirksamkeit aus den individuellen Pflichten der Hauptfigur. Ausgestattet ist sie dafür mit besonderem Wissen und speziellen Fähigkeiten. Bei dem Versuch, ihre Pflichten zu erfüllen, erringt sie Erfolge, kann Menschen für sich gewinnen und ruft gleichzeitig Gegner auf den Plan. Konflikte entstehen durch die Interaktion mit der Menge, mit Freund und Feind. Vom Ende des Lebens her zeigt sich, inwieweit die Hauptfigur ihren Pflichten nachkommen konnte, welche Erfolge sie erzielte und welche Niederlagen beziehungsweise Konflikte bewältigt werden oder ungelöst bleiben.

6.2 Handlungsbestandteile Die Bestandteile, aus denen sich die Handlung zusammensetzt, sind im Markusevangelium inhaltlich folgendermaßen ausgestaltet: Die Hauptfigur Jesus kommt der aus ihrem Genos herrührenden Pflicht nach, als Sohn Gottes in Israel sowie in den Nachbarregionen zu wirken; insbesondere dadurch, dass sie das Evangelium ihres Vaters von der nahe gekommenen Gottesherrschaft verkündigt, 627 mit göttlicher Vollmacht lehrt, Menschen von Krankheit und dämonischer Besessenheit heilt und Schüler zur Nachfolge anleitet. 628 Jesus stehen für diese Aufgaben aus der göttlichen Sphäre stammendes Wissen und die 625 626 627 628

Vgl. Finnern, Narratologie, 89–91. Vgl. Finnern, Narratologie, 107–116; Surkamp, Narratologie, 171 f. Mk 1,14 f. Vgl. nur Mk 1,27.

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entsprechenden Fähigkeiten zur Verfügung. 629 Weiterhin gehören Leiden, Tod, Auferstehung und die – nach der primär erzählten Zeit liegende – Mitwirkung an den endzeitlichen Geschehnissen zu dem von Gott bestimmten Geschick Jesu hinzu. 630 Jesus vermag Menschen spontan dazu zu motivieren, sich ihm anzuschließen. Auch findet seine erfolgreiche Wirksamkeit großen Anklang bei der anonymen Menge: Sie belagert Jesus regelrecht, Hilfesuchende werden ihm anvertraut. Auch punktuell auftretende Einzelfiguren anerkennen Jesu Autorität und Erfolge. 631 Während die von Jesus bekämpften dämonischen Wesen (sowie die fiktiven Rezipienten der Erzählung auf Grund von Mk 1,1) 632 um Jesu Wesen und die Autorität, die hinter ihm steht, wissen, 633 verkennen die Schüler beides immer wieder, handeln – wie Jesus konstatiert, aus Furcht und Unglaube – 634 nicht angemessen und lassen ihn letztlich ganz im Stich. 635 Ein zweites, lebensbedrohliches Konfliktfeld ist zwischen Jesus und seinen Gegnern angesiedelt, die sich aus Kreisen der religiös-politischen Eliten rekrutieren. 636 Von der Haupthandlung isoliert werden zudem zwei unbearbeitet bleibende Konflikte erzählt, in die Jesus auf Grund der Ablehnung durch seine Familie sowie durch die Bewohner seines Heimatdorfes Nazareth gerät. 637 Auch in den Plutarch-Biographien setzt die Hauptfigur um, wozu sie sich im Leben verpflichtet fühlt: So gründen Theseus und Romulus Städte; Lykurg, Solon und Poplicola errichten freiheitliche Verfassungssysteme; Aristeides und Cato Maior bringen ihre Tugendhaftigkeit in die Politik ein; Kimon, Lucullus, Fabius Maximus und Nikias vollbringen große Taten als Strategen; Alexander und Cäsar schließlich erkämpfen zahlreiche Siege. Dass die Hauptfiguren Plutarchs wie Getriebene ihrem Lebensprogramm nachkommen, zeigt sich bisweilen auch in kleineren Szenen, die meist vor der Aufnahme der eigentlichen Tätigkeit spielen. 638 Demosthenes etwa lässt sich als Jugendlicher von einem Pädagogen verdeckt Zugang zum Gerichtshof verschaffen, um den Rednern zu 629 Jesu Wissen um göttliche Dinge wird durchgehend voraussetzt. Auffällig ist daher, was er nicht weiß, etwa den Termin des Weltendes (vgl. Mk 13,32). 630 Vgl. Mk 8,27–33; 9,9.12.30–32; 10,32–34; 10,45; 13,26; 14,21.41.62. 631 Vgl. Mk 1,31; 12,28–34; 14,3; 15,39; 15,43–46. 632 Vgl. Seifert, Markusschluss, 225. 633 Vgl. Mk 3,11; 5,7. 634 Vgl. Seifert, Markusschluss, 228.230. 635 Vgl. Mk 6,45–52; 8,14–21.32 f; 9,34; 10,35–45; 14,10 f.29–42.50–52.66–72. Zur Rolle der Jünger vgl. auch Bond, Biography, 190–209. 636 Vgl. Mk 2,6 f.15–17.24; 3,2.6.22; 7,1–13; 8,11; 11,27–33; 12,1–12.13–17.18–27; 14,1 f.43– 46.53–65; 15,1.11.31 f. Zu den beiden hauptsächlichen Konflikten der Handlung auch Seifert, Markusschluss, 25–35; Malbon, Jesus, 46–51. Gewissermaßen im Hintergrund kommen immer wieder einzelne Konflikte mit dämonischen Mächten vor (vgl. a. a. O. 43–46); diese bilden jedoch keine sich durch die gesamte Handlung ziehende Konfliktlinie. 637 Vgl. Mk 3,21.31–35; 6,1–6. 638 Vgl. Frickenschmidt, Evangelium, 270 f.

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lauschen. Daraufhin widmet er sich voll und ganz dem Rhetorikstudium. 639 Theseus und Themistokles brennen von Anfang an darauf, den Taten des Herakles beziehungsweise des Miltiades nachzueifern. 640 In ähnlicher Weise veranschaulichen im Markusevangelium die Szenen der Taufe und der Versuchung in Mk 1,9–13 die Bestimmung Jesu. Bei Cäsar resümiert der Biograph am Ende der Erzählung, er habe in seinem Leben gemäß seinem Dämon gehandelt. 641 In der Regel beruhen auch bei Plutarch Legitimität und Pflicht hinsichtlich der Übernahme von Führungsaufgaben auf dem Genos der Hauptfigur. Ihre besondere Rolle innerhalb des sozialen Kontexts ergibt sich oft aus der Herkunft aus vornehmem, möglichst alteingesessenem Hause. 642 In einigen Fällen sind es einzelne Vorfahren, die Leben und Tun der Hauptfigur determinieren. 643 So bestimmt etwa der (vermeintliche?) Vorfahre des Brutus sein Tun in gewisser Hinsicht, gleich ob die Herkunft für glaubwürdig gehalten wird oder nicht. Von zentraler Bedeutung ist die Herkunft von väterlicher Seite auch für Theseus. 644 Er zieht aus, um seinen wahren Vater Aigeus, den König Athens, kennenzulernen, ihn zu beerben und um dabei auch seines Genos würdige Taten zu vollbringen. 645 Demzufolge fühlt er sich nicht nur verpflichtet, es seinem Cousin Herkules gleichzutun, sondern auch Athen als Stadtstaat zu konsolidieren. Cato Minor gestaltet sein Leben, indem er der altrömischen Tugendhaftigkeit seines berühmten Urgroßvaters nacheifert. 646 Beauftragung und Befähigung zu besonderer Wirksamkeit werden in nicht wenigen Fällen mit der Nähe der Hauptfigur zur göttlichen Sphäre in Verbindung gebracht. So habe beispielsweise ein Gott die überraschende und glückliche Wahl Timoleons zum Anführer einer nach Sizilien zu sendenden Streitmacht bewirkt. 647 Die Unternehmung beginnt dementsprechend unter guten Vorzeichen (ein Traum der Kore-Priesterinnen, die wundersame Bekränzung des Timoleon im Heiligtum zu Delphi sowie ein nächtlicher Leitstern, der die Schiffe begleitet) 648 und endet schließlich überaus erfolgreich. Anderen religiösen Deutungen des Tuns seiner Hauptfiguren gegenüber verhält sich der Erzähler wesentlich distanzierter. Oft werden die Erklärungen Zeitgenossen innerhalb der erzählten Zeit in den Mund gelegt, damit aber dennoch überliefert. Nikias gilt etwa auf Grund seiner glänzenden Erfolge bei seinen Zeitgenossen

639 640 641 642 643 644 645 646 647 648

Vgl. Plut. Demosthenes 5. Vgl. Plut. Theseus 6; Themistokles 2 f. Vgl. Plut. Cäsar 69,2. Vgl. etwa Plut. Perikles 3.7; Fabius Maximus 1. S. o. 5.3. Vgl. Frickenschmidt, Evangelium, 298. Vgl. Plut. Thesus 7. Vgl. Plut. Cato min. 1.5.66. Vgl. Plut. Timoleon 3,2; 36,3. Vgl. Plut. Timoleon 8 (vgl. 12,6).

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als ἀνὴρ θεοφιλής 649. Wie der Erzähler (vermutlich bewusst mehrdeutig) berichtet, soll der angebliche Zeussohn Alexander beim Aufbruch zum Feldzug von seiner Mutter ermahnt worden sein, sich seiner Abkunft würdig zu erweisen. 650 Alexander selbst setzt innerhalb der Erzählung das Gerücht seiner göttlichen Abstammung als Durchhalteparole ein; allerdings zurückhaltend und vorwiegend gegenüber barbarischen (und daher mythengläubigen) Söldnern, wie der Erzähler, seine Hauptfigur in Schutz nehmend, versichert. 651 Dass Plutarchs Hauptfiguren ihre besondere Wirksamkeit nur auf Grund spezifischer Kompetenzen beziehungsweise speziellen Wissens ausüben können, liegt auf der Hand. Eigens betont wird bisweilen die Tüchtigkeit beim Feldzug sowie die im Rahmen des Gesamtprogramms der Biographien zu studierende Charakterfestigkeit. Neben seinen Charakterstärken besitzt der jüngere Cato die Fähigkeit, künftige Dinge abzuschätzen und zu prognostizieren. 652 Laut seinem Erzähler spricht er wie ein göttlich inspirierter Prophet. 653 Gradmesser für den Erfolg der Hauptfigur ist meist die Anerkennung, die sie beim Volk und bei anderen Politikern, Strategen oder Mitstreitern erfährt. 654 Dabei steht die Menge oft grundsätzlich auf ihrer Seite, wie es auch im Markusevangelium der Fall ist. Die Zuneigung der Vielen kann sich in besonderen Aufmerksamkeiten, etwa Ehrengeleiten, 655 ausdrücken; ähnlich wie Jesus im Kontakt mit seiner Familie und ehemaligen Nachbarn kann die Hauptfigur aber auch partielle Ablehnung erfahren. 656 Gravierender wirken sich Konflikte aus, die mit gegnerischen Akteuren entstehen. Meist können sie erfolgreich bewältigt werden, etwa wenn Theseus die Anschläge der Pallas-Söhne vereitelt 657 oder Cato Uticensis den Staatsstreich des Pompeius verhindert. 658 Auch mit Gefährten aus den eigenen Reihen können oft schwere Konflikte entstehen. So findet etwa Sertorius sein Ende auf Betreiben eines aus dem Kreis seiner Mitstreiter stammenden Neiders. 659 Konfliktlinien mit Gegnern wie Anhängern, wie sie für das Markusevangelium charakteristisch sind, prägen insbesondere die Biographie des spartanischen Königs und Reformers Agis. Die Spannungen führen in beiden Erzählungen letztlich zum frühzeitigen Tod der Hauptfigur durch eine Art von Justizmord. Zu Beginn seiner Wirksamkeit vermag Agis noch wei649

Vgl. Plut. Nikias 26,6. Vgl. Plut. Alexandros 3,2 (ἐκέλευεν ἄξια φρονεῖν τῆς γενέσεως). 651 Vgl. Plut. Alexandros 28; 33,1. 652 Vgl. Plut. Cato min. 33,3; 52,2. 653 Vgl. Plut. Cato min. 42,4 (ὥσπερ ἐκ θεῶν ἐπίπνουν τὰ μέλλοντα τῇ πόλει προειπεῖν). Vgl. auch 9.3.3. 654 Vgl. Frickenschmidt, Evangelium, 286 f. 655 Vgl. etwa Plut. Cato min. 42; Mk 11,8–10. 656 Vgl. etwa Plut. Cato min. 44 f. 657 Vgl. Plut. Theseus 12 f. 658 Vgl. Plut. Cato min. 26–29. 659 Vgl. Plut. Sertorius 25–27. 650

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tere junge Leute, darunter Agesilaos, für seine Reformvorhaben, die vor allem auf eine größere Streuung des Grundbesitzes zielen, zu gewinnen. Der Erzähler hält das Engagement des Mitreformers Agesilaos allerdings für unlauter; Letzterer habe insgeheim gehofft, durch die Reformen eigene Schulden los werden zu können. 660 In ähnlicher Weise kündigt der Markuserzähler bereits früh den späteren Verrat des Judas an. 661 Während – ähnlich wie bei Jesus im Markusevangelium – die Volksmenge auf die Seite des Agis tritt, 662 steht ihm eine Koalition aus Angehörigen der reichen Eliten unter der Ägide des Mitkönigs Leonidas unversöhnlich gegenüber. 663 Durch die Verbannung des Letzteren kann die Umsetzung der Reform zunächst in Gang gebracht werden, 664 Agesilaos hintertreibt aber das Unterfangen, indem er zunächst den Schuldenerlass durchsetzt, das In-Kraft-Treten der Landreform aber durch die Anzettelung eines Feldzug verhindert. 665 Zurückgekehrt fasst Leonidas den Beschluss, Agis zu töten. 666 Auf sein Betreiben hin passen einige Männer Agis beim Rückweg vom gewohnten Bad ab, sprechen ihn im Rahmen einer an Mk 14,43–52 erinnernden Szene scheinbar freundlich an, bringen ihn aber in Haft. 667 Agis wird verhört, äußert sich – wie der markinische Jesus – 668 zu den Vorwürfen nicht und wird daraufhin hingerichtet. 669 Auch zu den außerhalb der großen Konfliktlinien der Markuserzählung angesiedelten Auseinandersetzungen Jesu mit Verwandten und ehemaligen Nachbarn 670 lassen sich Analogien in den Plutarch-Biographien anführen. So fügt der Biograph gelegentlich Abrisse über das meist unglücklich verlaufende Eheleben der Hauptfigur oder ihre Konflikte mit Familienangehörigen ein, so etwa im Fall des jüngeren Cato. 671 Wie im Markusevangelium bleiben solche Konflikte jedoch punktuell und wirken sich auf die Gesamthandlung kaum aus.

6.3 Handlungsaufbau Im Laufe der Erzählung werden die bisher genannten Einzelkomponenten intensiviert, sie treten in den Hintergrund oder entwickeln sich inhaltlich weiter. Der Handlungsverlauf des Markusevangeliums lässt sich global in drei Phasen 660 661 662 663 664 665 666 667 668 669 670 671

Vgl. Plut. Agis 6. Vgl. Mk 3,19. Vgl. Plut. Agis 11. Dazu auch Frickenschmidt, Evangelium, 378. Vgl. Plut. Agis 7–12. Vgl. Plut. Agis 13. Vgl. Plut. Agis 18. Vgl. Plut. Agis 18 f; vgl. auch Plut. Dion 54–56. Vgl. Mk 14,61; 15,5. Vgl. Plut. Agis 19 f. Vgl. Mk 3,21.31–35; 6,1–6. Vgl. Plut. Cato min. 24 f.

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einteilen. Nach dem Anfangsteil, 672 der das später Erzählte begründet und es präludiert, spielt der erste, bis Mk 8,26 reichende Abschnitt in Galiläa und in den angrenzenden Regionen. 673 Jesus beginnt in Mk 1,14 f seine Wirksamkeit, erzielt sogleich die ersten Erfolge, die von der anonymen Menge auch anerkennend bemerkt werden. Er vermag spontan Schüler zur Nachfolge zu gewinnen, 674 von denen ein Zwölferkreis mit besonderen Aufgaben betraut wird. 675 Jesu Wesen, seine Gottessohnschaft sowie sein Christus-Sein ist den Zwölfen aber noch unbewusst. 676 Dass die fiktiven Rezipienten bereits im ersten Vers vom allwissenden Erzähler über das Wesen Jesu informiert wurden (was den konkreten Rezipienten zumindest annäherungsweise 677 ohnehin bekannt war), erzeugt Spannung. 678 Innerhalb der erzählten Welt treten schon früh die Gegner Jesu auf. 679 Ihr Wirken erreicht in Mk 3,6 mit dem Tötungsbeschluss einen ersten, auf das Handlungsende hinweisenden Höhepunkt. 680 Ebenso nimmt Mk 3,19 mit der Vorschau auf den Verrat des Judas eine Voraussetzung des Erzählendes vorweg. Die Spannungen mit den eigenen Schülern treten offen während der in Mk 4,35–41 erzählten stürmischen Seefahrt zu Tage und flammen erneut in der Nachbesprechung der wunderbaren Bewirtung der 4000 auf. 681 Gegen Abschluss dieser ersten Phase erreicht die Wirksamkeit Jesu ihren Höhepunkt: 682 Jesus vermag nicht nur zweimal auf wunderbare Weise Menschenmengen zu bewirten, sondern auch durch die bloße Berührung seines Gewands zu heilen. Seine Auslegung der Reinheitsgebote eröffnet eine Perspektive auf die künftige Völkermission. Umso spannungsreicher erscheint in diesem Stadium die beharrliche Opposition seiner Gegner sowie das Unverständnis der Schüler. 683 Der Übergang zum nächsten Abschnitt, der auf dem Weg von Cäsarea Philippi durch Galiläa und weiter bis nach Jerusalem spielt, markiert einen Wendepunkt der Handlung. Erzählt wird in Mk 8,27–33 zunächst das Gespräch mit

672

S. o. 5. S. o. 3.2. Die in Mk 8,22–26 sowie in 10,46–52 erzählten Blindenheilungen dienen offensichtlich als Gelenkstellen. Dazu auch Bond, Biography, 150–155. 674 Vgl. Mk 1,16–20; 2,13 f. 675 Vgl. Mk 3,13–19; 6,7–13. 676 Vgl. Mk 4,41. 677 Vgl. Seifert, Markusschluss, 226 mit Anm. 516. 678 Vgl. a. a. O. 225. 679 Vgl. Mk 2,6 f.15–17.24; 3,2.6.22. 680 Die Streitgespräche in Mk 2,16–3,6 haben durchaus, wie Seifert, Markusschluss, 217, schreibt, „primär einen lehrhaften Charakter“. Mk 3,6 verbindet sie mit dem die gesamte Erzählung durchziehenden Konflikt Jesu mit seinen Gegnern. Daher erscheint das Urteil zu pointiert, die Sequenz würde „die Handlung selbst nicht grundlegend weiterführen“ (ebd.). 681 Vgl. Mk 8,14–21. 682 Vgl. Mk 6,30–8,9; dazu auch Frickenschmidt, Evangelium, 378–382. 683 Vgl. Mk 8,10–21. 673

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den Schülern über die Frage der Identität und des Schicksals Jesu, das in den folgenden zwei Wiederholungen der Leidensankündigungen immer stärker in den Blick gerät. Auch die Biographien Plutarchs nehmen wichtige Momente im Leben des Porträtierten, wie etwa Siege und Amtsantritte, gern als Gelegenheiten wahr, um etwas über den Charakter der Hauptfigur auszusagen. 684 Bei Perikles 685 und Cäsar 686 bilden die Darstellung der Hauptfigur auf dem Zenit ihrer Wirksamkeit, Aussagen zu ihrem Charakter und der Übergang zum schicksalhaften Ende eine Einheit, wie es analog in Mk 8,27–33 stattfindet. 687 Die bis Mk 8,27 aufgebaute Spannung wird im weiteren Verlauf nicht aufgelöst, sondern im Gegenteil durch neue Aspekte verschärft. Der Abschnitt beginnt mit der (noch erklärungsbedürftigen) Christus-Erkenntnis des Petrus. 688 Die dreifache Ankündigung von Passion und Auferstehung fungiert innerhalb der erzählten Welt als Erläuterung zu Wesen und Geschick Jesu; die Erzählung führt sie spannungssteigernd auf die als nächste darzustellende Lebensphase hin. 689 Vorher ergeben sich noch Diskussionen über das Wesen der Nachfolge. 690 Die in Mk 9,2–13 erzählte Verklärung nimmt auf das göttliche „Woher“ Jesu rückwärtig Bezug und präludiert Passion, Auferstehung und das Versagen der Schüler. 691 Die letzte – Jerusalemer – Phase ist durch ein verändertes Zeitmanagement geprägt. 692 Innerhalb der in Mk 11–13 erzählten Zeit kann Jesus zwar grundsätzlich noch erfolgreich wirken; sein in Mk 12,1–12 erzähltes Gleichnis führt aber die kommenden Passionsereignisse schon deutlich vor Augen. Mit dem Übergang zu Kapitel 14 führen die Ereignisse dann unmittelbar auf Kreuzigung und Tod hin. Die in Mk 15,21–41 erreichte Klimax bezieht sich nicht nur auf die Jerusalemer Phase, sondern auf die gesamte Erzählung. 693 Der Konflikt mit den Gegnern um Jesu Wesen und Auftrag endet hier, wie es scheint, mit der Niederlage Jesu. Ebenso erscheinen die Spannungen mit den eigenen, geflohenen Schülern ungelöst. Erst die Schlusssequenz in Mk 16,1–8 bringt die Wende: Jesus ist, wie angekündigt, auferstanden, so dass er einst an den Geschehnissen der Endzeit wird mitwirken können; der Konflikt mit den Schülern wird durch einen Neubeginn unter veränderten Voraussetzungen in Galiläa gelöst. 694

684 685 686 687 688 689 690 691 692 693 694

Vgl. Schorn, Biographie (Manuskript), 24; Frickenschmidt, Evangelium, 299 f. Vgl. Plut. Perikles 15–19. Vgl. Plut. Cäsar 15–17. Vgl. Frickenschmidt, Evangelium, 378. Vgl. Mk 8,27–31. Dazu Seifert, Markusschluss, 225. Vgl. Mk 8,31–33; 9,30–32; 10,32–34. Vgl. Mk 8,34–38; 9,33–50; 10,17–31.35–45. Vgl. Seifert, Markusschluss, 227–229. S. o. 4.3. Vgl. Seifert, Markussschluss, 243 mit Anm. 550. Vgl. Seifert, Markussschluss, 244; Tannehill, Jünger, 64 f.

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Die Handlungen der meisten Biographien Plutarchs entwickeln sich weniger spannungsreich als die Handlung des Markusevangeliums. Einige der Hauptfiguren Plutarchs scheiden aus dem Leben, ohne ungelöste Konflikte zu hinterlassen oder am Ende Gegnern zu unterliegen. So können etwa Aristeides, der Censor Cato, Numa, Kimon, Camillus und Publius Valerius Poplicola am Ende auf ein ungetrübtes Lebenswerk zurückblicken. Auch Lykurgos hinterlässt Sparta eine gerechte und stabile politische Ordnung. Mit einer List bringt er die Bürger sogar dazu, sie dauerhaft einzuhalten: Er nimmt der Polis den Eid ab, bei den Gesetzen zu bleiben, bis er, von einer Reise nach Delphi zurückgekehrt, die Anordnung Apolls umsetzen werde. Während des Aufenthalts an der Orakelstätte nimmt er sich durch den Verzicht auf Nahrung das Leben, so dass die Spartaner dauerhaft an den Eid gebunden bleiben. 695 Einige der von Plutarch Porträtierten erdulden immerhin in der letzten Lebens- beziehungsweise Schaffensphase inkommensurable Verluste und Einschränkungen oder gar einen unnatürlichen Tod. So muss Aemilius im Moment seines letztlichen Triumphs über die Makedonen den Tod zweier Söhne hinnehmen, 696 während eine falsche Anklage den Ruhm des Timoleon am Ende seiner Laufbahn trübt. 697 Theseus, Romulus, Perikles und Lysander erleben nach ihrer langen erfolgreichen Tätigkeit – auch eigenen charakterlichen Fehlern geschuldete – Konflikte beziehungsweise Ablehnung durch ihre Landsleute, die sie zur Aufgabe oder Einschränkung ihrer Herrschaft zwingen. 698 Politischen Gegnern das Feld räumen etwa Solon, der noch den Anfang der Tyrannis des Peisistratos erdulden muss, und Fabius Maximus, der im Alter der Politik des Scipio nichts entgegenzusetzen hat. 699 Ein vorzeitiges Ende finden die lange Zeit erfolgreichen Feldherren Pelopidas und Marcellus, und zwar durch Feindeshand. 700 Alexander erkrankt und stirbt, so dass er den Ruhm seiner Eroberungen nicht mehr genießen kann. 701 Neben diesen relativ stabil verlaufenden Biographie-Handlungen, die (meist gegen Ende) vom Unglück der Hauptfigur geprägt sind, gestalten sich die Handlungsverläufe einiger der Plutarch-Biographien in Bezug auf Konflikte, Erfolge und Niederlagen abwechslungsreicher. Dabei bleibt das bisher beobachtete grundsätzliche Gefälle erhalten: Treten mit der Zeit Veränderungen ein, dann zum Schlechten. In einigen Fällen markiert der Erzähler eine oft im Moment des größten Erfolgs eintretende Wende hin zum unvermeidlichen Untergang. 702 Nikias etwa 695 696 697 698 699 700 701 702

Vgl. Plut. Lykurgos 29. Vgl. Plut. Aemilius 35. Vgl. Plut. Timoleon 37 f. Vgl. Plut. Theseus 35; Romulus 26; Perikles 34–38; Lysander 28 f. Vgl. Plut. Solon 29–31; Fabius Maximus 25. Vgl. Plut. Pelopidas 32; Marcellus 29. Vgl. Plut. Alexandros 75 f; Cäsar 66. Vgl. Frickenschmidt, Evangelium, 300.

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IV Plutarchviten und Markusevangelium – ein Vergleich

gelingen nicht nur der Friedensschluss zwischen Athen und Sparta sowie die Lösung des inneren Konflikts mit Alkibiades; auch die Sizilienexpedition, die ihm auferlegt wird, verläuft zunächst erfolgreich. 703 Ungünstige Vorzeichen hatten jedoch schon beim Aufbruch nach Süditalien Unglück angekündigt. 704 Von einem erfolgreichen Angriff seiner Gegner erholt sich der auf Verstärkung wartende Nikias nicht mehr; 705 unverschuldet und unaufhaltsam geht er seinem Unglück entgegen. Der Erzähler schildert diesen Niedergang ohne größere zeitliche Lücken. Auch Details zu der grausamen Zustellung des Leichnams werden nicht ausgespart. 706 Cato der Jüngere muss nach Jahren der erfolgreichen Wirksamkeit 707 die Überlegenheit Cäsars Schritt für Schritt anerkennen. 708 Seine Flucht aus Rom markiert die endgültige Wende hin zu Scheitern und Freitod. 709 Auch im Fall einiger weiterer Plutarch-Hauptfiguren schwenkt das Schicksal an einer bestimmten Stelle zum Schlechteren um: Agesilaos ist der Größte Spartas bis zu seiner Niederlage von Leuktra; 710 danach sinkt sein Ansehen unter den Mitbürgern, 711 seine Söldnertätigkeit trägt ihm Ablehnung und den Tod auf dem Feld ein. 712 Lucullus siegt glänzend in Armenien; daraufhin muss der Erzähler aber feststellen: Bis hierher, darf man wohl sagen, hat das Glück Lucullus begleitet und ihm beigestanden (τὴν τύχην ἑπομένην συστρατηγεῖν). Von da ab aber blieb gleichsam der günstige Wind aus und da er nun alles mit Gewalt durchsetzen wollte und überall Widerstände bekämpfen musste, bewies er zwar die Tüchtigkeit und die ausdauernde Geduld eines Feldherren, aber seine Taten brachten ihm keinen Ruhm und keinen Dank ein und es kam sogar fast soweit, dass er den schon erworbenen Ruhm durch Missgeschicke und fruchtlose Zerwürfnisse einbüßte. 713

In der Folgezeit fixiert sich Lucullus auf den Konflikt mit Pompeius, seine vorherigen Erfolge werden zunehmend von seiner Verhärtung und seiner Verschwendungssucht überschattet. Pompeius seinerseits hat nach seinem Triumph über Mithradates kein Glück mehr, insofern er alle Macht an Cäsar verliert. 714 Auch bei Alkibiades ist es eine zunächst triumphal erscheinende Rückkehr, die zugleich den Niedergang einleitet. Nach glänzender Arbeit kehrt er ausgerechnet an einem allgemein als Unglückstermin geltenden Tag nach 703 704 705 706 707 708 709 710 711 712 713 714

Vgl. Plut. Nikias 9–11.15–19. Vgl. Plut. Nikias 12–14. Vgl. Plut. Nikias 20. Vgl. Plut. Nikias 21–28. Vgl. Plut. Cato min. 8–30. Vgl. Plut. Cato min. 31–51. Vgl. Plut. Cato min. 52. Vgl. Plut. Agesilaos 29. Vgl. Plut. Agesilaos 35. Vgl. Plut. Agesilaos 36–40. Plut. Lucullus 33,1. Vgl. Plut. Pompeius 46.

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Athen zurück, verliert daraufhin seinen politischen Einfluss, muss den Verlust der Freiheit Athens mit ansehen und wird schließlich auf der Flucht in Kleinasien im Hause einer gewissen Timandra, einer Hetäre, getötet. 715 Weniger durch einen definierten Wendepunkt hin zum Schlechteren als vielmehr durch die detailreiche Erzählung des tragischen frühen und unnatürlichen Todes der Hauptfigur ist eine andere Gruppe von Plutarch-Biographien charakterisiert. 716 Der ehrgeizige und zunächst äußerst erfolgreiche Themistokles etwa läuft, nachdem er sich den Unmut der Athener zugezogen hat, zu den Persern über und wird dort ein Günstling des Hofes. Um aber nicht am Kampf gegen die Griechen auf persischer Seite mitwirken zu müssen, nimmt er sich das Leben. 717 Auch der erfolgreiche Feldherr Gaius Marcus, genannt Coriolanus, wechselt nach seiner Verurteilung in Rom die Seiten hin zu den feindlichen Volskern. Als er auf Bitten seiner Mutter für einen Friedensschluss mit Rom votiert, wird er von Kontrahenten, die ihn des Verrats bezichtigen, während einer Versammlung erschlagen. 718 Der sich für eine anti-makedonische Politik einsetzende Demosthenes scheint nach dem Tod Alexanders dem Schicksal seines ungeliebten Exils entkommen zu können und kehrt nach Athen zurück. Von den makedonischen Rückeroberern wird er aber schon bald aufgespürt und verfolgt. Auf der Flucht nimmt er sich im Poseidontempel auf der Insel Kalauria das Leben. 719 Cato der Jüngere beendet sein Leben in Utica, als Cäsars Armee unaufhaltsam herannaht, um seinem Widersacher nicht die Möglichkeit zu geben, ihm Gnade widerfahren zu lassen. Vorabend und Nacht des Todes schildert der Erzähler detailreich. 720 Cicero irrt nach dem Tötungsbeschluss des Triumvir Antonius fliehend umher, wird von seinen Verfolgern mit Hilfe des Verrats durch einen ehemaligen Schüler schließlich gestellt und brutal hingerichtet. Kopf und Hände werden an der Rednertribüne auf dem Forum zur Schau gestellt. 721 Auch Alkibiades wird auf der Flucht in Kleinasien von seinen spartanischen Verfolgern gestellt und getötet. 722 Von Gegnern umgebracht werden während ihrer Amtszeit Dion, Cäsar und Sertorius. 723 Unter den Plutarch-Biographien, in denen der (Weg in den) Tod der Hauptfigur von zentraler Bedeutung für die Gesamthandlung ist, lassen sich einige Merkmale beobachten, die auch im Markusevangelium für die Integration von Passion und Tod Jesu in die Gesamthandlung sorgen. Bereits früh wird der Tod Jesu in der Markuserzählung thematisiert. Denkbar ist, dass die in Mk 1,12 f 715 716 717 718 719 720 721 722 723

Vgl. Plut. Alkibiades 34–39. Zur Darstellung des Lebensendes in den Plutarch-Biographien Cooper, Death. Vgl. Plut. Themistokles 23–31. Vgl. Plut. Gaius Marcius (Coriolanus) 39. Vgl. Plut. Demosthenes 28–30. Vgl. Plut. Cato min. 68–70. Vgl. Plut. Cicero 46–49. Vgl. Plut. Alkibiades 39. Vgl. Plut. Dion 57; Cäsar 66; Sertorius 26 f.

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IV Plutarchviten und Markusevangelium – ein Vergleich

berichtete Versuchungserfahrung in der Wüste auf das ebenfalls außerhalb geschlossener Siedlungen liegende Grab vorverweisen soll. In Verbindung mit Mk 6,14–29 parallelisiert Mk 1,4–15 insgesamt Jesus mit Johannes, auch hinsichtlich des gewaltsamen Todes. Explizit erwähnt Mk 3,6 den Tötungsbeschluss der Gegner. Kurz darauf, in Mk 3,19, wird der Verrat des Judas angekündigt. Auch bei Plutarch kommt der Tod der Hauptfigur in einigen Fällen bereits früh in den Blick. 724 So lassen sich analog zur Versuchung Jesu einige Begebenheiten aus der Jugendzeit des Cato Minor als Anspielung auf Gefährdung und Tod lesen: Ein Besucher droht, den jungen Cato aus dem Fenster zu stürzen, falls er in einer politischen Sache kein gutes Wort bei seinem Onkel einlege (was Cato verweigert); sein Erzieher kann den vierzehnjährigen Cato gerade noch von offener Kritik am gewalttätigen Sulla abhalten, die vermutlich ein Martyrium nach sich gezogen hätte. 725 Beide Szenen zeigen im Sinne des Topos einer frühen Charaktermanifestation Catos Bereitschaft, Tugend und Gerechtigkeit über sein eigenes Leben zu stellen. Explizit kommt der Erzähler in den Einleitungen der Biographie-Paare Dion-Brutus sowie Pelopidas-Marcellus auf die Lebensenden der Porträtierten zu sprechen und kommentiert, beide hätten ihren verfrühten Tod vermeiden können. 726 Vor Beginn seiner Wirksamkeit erscheint dem Gaius Gracchus, der zunächst jede öffentliche Betätigung vermeidet, im Traum sein toter Bruder, der ihm verheißt, dem gleichen tödlichen Schicksal entgegenzugehen: Was zauderst du, Gaius? Es gibt kein Entrinnen, uns beiden ist das gleiche Los bestimmt: im Dienste des Volkes zu leben und zu sterben! 727

Vergleichbar dem Jesus des Markusevangeliums steuern die genannten Hauptfiguren Plutarchs von Beginn der Handlung an auf ihr verfrühtes und gewaltsames Ende zu. Auch nach der in Mk 8,27 eintretenden Zäsur 728 und dann intensiviert ab Mk 14 kommt der unausweichliche Tod Jesu immer wieder zur Sprache. Im Vergleich dazu eher vage kündigt sich das Todesschicksal bei Dion und Brutus an, denen kurz vor ihrem Tod geisterhafte Wesen erscheinen. 729 Anderen Hauptfiguren und ihren Mitmenschen steht, wie dem markinischen Jesus und den Seinen auch, der kommende Tod klarer vor Augen. Nachdem er zuvor zahlreiche Schlechtes verheißende Vorzeichen ignoriert hatte, wird Cäsar auf Grund eines Traumes seiner Frau nachdenklich und überlegt, ob er möglichem

724 725 726 727 728 729

Vgl. Frickenschmidt, Evangelium, 233.302.313.316. Vgl. Plut. Cato min. 2,1–4; 3,2–4. Vgl. Plut. Dion 2; Pelopidas 2. Plut. Gaius Gracchus 22 (1),6. Vgl. Mk 8,31; 9,9.31; 10,33 f.38; 12,1–12. Vgl. Plut. Dion 55; Brutus 36.

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Unheil zuvorkommen kann. 730 In gewisser Analogie zur Vorab-Salbung Jesu im Hause des Simon trauert Cornelia um ihren später getöteten Gatten Pompeius, als er festgesetzt wird. 731 Als Zeichen der Trauer um sich selbst verzichtet der zum Selbstmord entschlossene Cato Uticensis seit seiner Flucht aus Rom auf das Schneiden der Haare und auf Bekränzung. 732 Obwohl er selbst zu seinen Absichten schweigt, wissen seine Mitmenschen um den Todesentschluss. 733 Man versucht ihn gar an der Ausführung zu hindern, allerdings ohne Erfolg. 734 Eine ausführliche Sterbensgeschichte, wie sie Mk 14 f erzählt, beinhalten unter den Plutarch-Biographien die Lebensbilder des Agis, des Phokion und des Cato Minor. Weitere Viten, insbesondere etwa des Cäsar, des Pompeius und des Cicero, bieten zum Lebensende hin Details, die zum Teil mit Motiven der markinischen Passionsgeschichte vergleichbar sind. Gemeinsam ist den genannten Biographien die auch im Markusevangelium charakteristische Verzögerung des Erzähltempos bei der Behandlung der letzten Lebensphase, die eine große Detailfülle mit sich bringt. Ähnlich wie der Tod Jesu von seinen Gegnern aus taktischen Erwägungen beschlossen wird, 735 kommen bei Plutarch Cicero und Pompeius gemäß einem (macht-)politisch motivierten Entschluss ihrer Widersacher zu Tode. Häufig lag in der Antike der gewaltsamen Beseitigung politischer Führungsgestalten der Vorwurf der unberechtigten Autoritätsanmaßung zu Grunde. Als typisches Beispiel ist bei Plutarch die Erzählung über das Leben Cäsars zu nennen, dem der Vorwurf eines Strebens nach Königsherrschaft zum Verhängnis wurde. 736 Als Echo auf den Topos der Autoritätsanmaßung kann der Vorwurf gegenüber Jesus, ein unrechtmäßiges jüdisches Königtum errichten zu wollen, 737 gelten. Wie Jesus in Mk 12,14–26 ein letztes Mahl mit seinen Schülern einnimmt, isst und trinkt auch Cato mit den Seinen noch am Abend vor seiner Todesnacht. Wenn – anders als bei Jesus und seinen Schülern – dabei auch der Tod nicht offen angesprochen wird, ist doch die Atmosphäre von dem bevorstehenden Ereignis nicht weniger geprägt. 738 Die Abfolge von Gefangennahme, Veranstaltung eines zweifelhaften Prozesses, Verurteilung und Hinrichtung, die Mk 14,43–15,41 strukturiert, liegt auch den Sterbensgeschichten des Phokion und

730

Vgl. Plut. Cäsar 63. Vgl. Mk 14,3–9; Plut. Pompeius 78,4. Das Motiv der Trauer vor dem (bevorstehenden) Tod stammt aus der Tragödie; vgl. Papdi, Moralia, 115. 732 Vgl. Plut. Cato min. 53. 733 Vgl. Plut. Cato min. 64.67. 734 Vgl. Plut. Cato min. 68–70. 735 Vgl. Plut. Pompeius 77; Cicero 46; Mk 14,1 f; dazu auch Frickenschmidt, Evangelium, 320 f. 736 Vgl. Plut. Cäsar 60,1. 737 Vgl. Mk 15,2.9.12.26.32. 738 Vgl. Plut. Cato min. 67. 731

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IV Plutarchviten und Markusevangelium – ein Vergleich

des Agis zu Grunde. 739 Ähnlichkeiten begegnen zudem in einigen Einzelzügen. Wie im Rahmen des Scheinprozesses falsche Zeugen bemüht werden müssen, um Jesu vorgebliche Schuld zu belegen, so steht auch bei Phokion und Agis der Ausgang vorab fest. 740 Eine Verteidigung der Angeklagten findet nicht statt; vor Gericht und vor der Volksmenge finden sie weder Gehör noch Unterstützung. 741 So wie Phokion und Agis nach sokratischem Vorbild ruhig und gelassen ihre Hinrichtung ertragen, 742 erduldet auch der gekreuzigte Jesus die Schmähungen der Umstehenden mit Schweigen, setzt dann aber mit Gebetsausruf und Aufschrei – wie ihn bei Plutarch etwa Demosthenes von sich gibt – 743 ein markantes Zeichen. 744 Bei Plutarch beinhalten die häufig erzählten ultima verba der sterbenden Hauptfigur oft Anweisungen an Angehörige und Freunde oder sie akzentuieren einen charakteristischen Aspekt ihres Lebens. 745 Den Augenblick des Todes nutzt der Erzähler in einigen der Plutarch-Biographien, um in Form eines bilanzierenden Kommentars auf das beendete Leben zurückzublicken, beispielsweise bei Kleomenes: So fand Kleomenes den Tod, nachdem er sechzehn Jahre in Sparta regiert und sich als ein solch hervorragender Mann erwiesen hatte. 746

Als eine Art Lebensfazit dienen in manchen Fällen auch Grabinschriften. So zitiert die Demosthenes-Vita die Inschrift des in Athen aufgestellten Standbildes: Wäre deine Stärke doch deinen Absichten ebenbürtig gewesen, Demosthenes, nie wären die Griechen von dem makedonischen Ares regiert worden. 747

Der Text benennt das Scheitern des Demosthenes im Hinblick auf die Durchsetzung seines politischen Programms, ein Gedanke, der laut seiner Biographie kennzeichnend für das gesamte Leben des Redners ist. 748 Im Anklang an die Konfliktfelder der Handlung wird oft auch die Reaktion von Freund und Feind auf die Todesnachricht erzählt. So zeigt sich beispielsweise Cäsar enttäuscht über den Selbstmord Catos in Utica, hätte er doch lieber seine Milde walten lassen und so in gewisser Weise doppelt über seinen Widersacher Cato trium-

739 Vgl. Phokion 34–36; Agis 19 f; auch Alkibiades 36. Dazu Frickenschmidt, Evangelium, 322–328. 740 Vgl. Mk 14,56–59; Plut. Phokion 34,1. 741 Vgl. Plut. Phokion 34,4; Agis 19,7; Mk 14,60–65; 15,1–14. 742 Vgl. Plut. Phokion 36; Agis 20; vgl. auch Beck, Paradigm. 743 Vgl. Plut. Demosthenes 29,5. 744 Vgl. Mk 15,34.37. 745 Vgl. Plut. Cato min. 70; Phokion 36; Gaius Gracchus 37; Agis 20; Pompeius 78; dazu Frickenschmidt, Evangelium, 332. 746 Plut. Kleomenes 59 (38),1. 747 Plut. Demosthenes 30,5; Übersetzung nach Seifert, Markusschluss, 156. 748 Vgl. Plut. Demosthenes 3,2.

Erzählhandlung

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phieren können. 749 Die Funktionen sowohl eines Rückblicks als auch einer – in diesem Fall: unerwarteten – Reaktion von dritter Seite vereinigt im Markusevangelium die Feststellung des Zenturios am Kreuz in Mk 15,39: Wahrlich, dieser Mensch war ein Sohn Gottes!

Möglicherweise bewusst im Unklaren bleibt, ob der dargestellte Zenturio unter Zugrundelegung seiner kulturellen Wertmaßstäbe seinen Eindruck wiedergibt, hier sterbe ein besonderer Mensch, ein „Gottessohn“, 750 wie manche Menschen auch in den Plutarch-Biographien genannt werden; 751 oder ob der Ausspruch unter Anwendung des Effekts der Stiltrennung 752 dem Zenturio eine christologische Aussage im Sinne von Mk 1,1,11; 9,7, allerdings in imperfektischer Formulierung, in den Mund legt. 753 So oder so, auch wenn man die ImperfektForm als Beschreibung eines weiter andauernden Zustands versteht, handelt es sich um eine bilanzierende Charakterisierung, wie sie die Plutarch-Biographien in ähnlicher Weise bieten. Jesu Tod wird nach Mk 15,33.38 von kosmischen und anderen wundersamen Zeichen begleitet: einer Sonnenfinsternis während der letzten drei Lebensstunden sowie dem Zerreißen des Tempelvorhangs. Ähnlich erzählt das Cäsar-Lebensbild von einer einjährigen Sonnenfinsternis sowie einem sieben Tage lang scheinenden Kometen nach den Iden des März 44 v. Chr. 754 In der Regel erhält die Hauptfigur der Plutarch-Biographien ein öffentliches Begräbnis, durch das sich die Anerkennung der Volksmenge ausdrückt. 755 Meist wird die Ehrung durch eine Statue an der Grabstätte dokumentiert, so etwa im Fall Catos in Utica. 756 Die Ehrungen können auch religiöse Züge annehmen: Die Einwohner der zypriotischen Stadt Kition verehren auf göttlichen Auftrag hin Kimon wie ein höheres Wesen (ὡς κρείττονα σέβεσθαι καὶ γεραίρειν 757). Bemerkenswert ist diese Detailinformation, weil es sich bei Kition um jene Stadt handelt, bei deren Belagerung Kimon den Tod gefunden hatte. In ähnlicher Weise überrascht in Mk 15,39 der bereits erwähnte Ausspruch des zu den Gegnern Jesu zählenden Zenturios unter dem Kreuz. So wie Jesus gemäß Mk 15,42–46 nur auf Initiative des Josef von Arimathäa begraben wird, können öffentliche Beisetzungen auch den Hauptfiguren Plutarchs auf Grund von Konflikten verwehrt bleiben. Der Leichnam des Gaius Gracchus wird in den Tiber geworfen, während Phokions sterbliche Überreste zur postumen Strafe nicht 749 750 751 752 753 754 755 756 757

Vgl. Plut. Cato min. 72. Vgl. Müller, Jesus, 135–137. Vgl. Plut. Alexandros 27,3–6; Kleomenes 60(39),2 (θεῶν παῖδα). Vgl. Rüggemeier, Poetik, 37. Für die zuletzt genannte Interpretation votiert Klaiber, Markusevangelium, 308 f. Vgl. Plut. Cäsar 69; dazu Frickenschmidt, Evangelium, 341. Vgl. etwa Plut. Aristeides 27; Cato min. 71; Poplicola 23. Vgl. Plut. Cato min. 71. Plut. Kimon 19,4.

158

IV Plutarchviten und Markusevangelium – ein Vergleich

öffentlich beigesetzt, sondern außer Landes geschafft werden sollen. Wie in Mk 15,47–16,1 sind es dem Verstorbenen nahestehende Frauen, die sich um die Grablege kümmern. 758 Auch der geschändete Leichnam des Pompeius wird nur auf Initiative seines Freigelassenen Philippus sowie eines römischen Veteranen versorgt. 759

6.4 Resümee Hatte der Vergleich von Markusevangelium und Plutarch-Viten gezeigt, dass bei beiden Autoren formal und funktional gleiche Handlungselemente Verwendung finden, ergibt sich hinsichtlich des Aufbaus der Gesamthandlung ein differenzierteres Bild. Mit dem Gros der Biographien Plutarchs, in denen die Hauptfigur entweder ihre Wirksamkeit ohne jede Beeinträchtigung wohlverdient beenden kann oder nur in einer kurzen letzten Schaffensphase Einschränkungen erlebt, lässt sich der Aufbau der Markushandlung nicht vergleichen. Vielmehr vereint das Markusevangelium zwei Aufbaumuster, die – sich teils überschneidend – nur bei einer kleineren Gruppe der Biographien Plutarchs die Gesamthandlung prägen. So ähnelt die bei Mk 8,27 eintretende Zäsur einem Wendepunkt, wie ihn auch die Viten des Nikias, des Cato Uticensis oder des Lucullus kennen. Nach Phasen zum Teil höchst erfolgreicher Wirksamkeit geht die Hauptfigur von diesem Punkt an dem – in der Regel gewaltsamen – Ende ihres Lebens und damit auch ihrer Wirksamkeit entgegen. Während bei Plutarch der Wendepunkt meist in Form eines Erzählerkommentars markiert wird, erschließt sich im Markusevangelium der Eintritt einer Wende indirekt: Auf dem Höhepunkt der wundersamen Wirkmächtigkeit Jesu wird er als der erwartete „Messias“ offen angesprochen, zugleich sein Wesen aber durch die Leidensund Todesankündigungen neu definiert. Als zweites Charakteristikum teilt das Markusevangelium mit einigen der Plutarch-Biographien eine prägnante Erzählung des tragischen und gewaltsamen Lebensendes: Die erzählte Zeit vergeht langsamer als in der vorherigen Handlung, größere Auslassungen kommen nicht vor, so dass ein Effekt von Unmittelbarkeit entsteht.

758

Vgl. Gaius Gracchus 38 (17); Plut. Phokion 37; dazu Frickenschmidt, Evangelium,

341. 759

Vgl. Plut. Pompejus 80.

Erzählende

159

7. Erzählende 7.1 Erzählenden in narratologischer Sicht 760 Im Hinblick auf die Wahrnehmungsleistung des Rezipienten kommt nicht nur dem Beginn der Erzählung, 761 sondern auch ihrem Ende besonderes Gewicht zu. Die Gestaltung des Erzählschlusses bleibt als letzter Eindruck der Erzählung im Bewusstsein; die Bewertung der Gesamthandlung ergibt sich aus der bis zum Schluss erreichten Lösung oder Nicht-Lösung der die Handlung durchziehenden Konflikte.

7.2 Erzählenden im Markusevangelium und bei Plutarch Das Erzählende des Markusevangeliums weist Merkmale des Unabgeschlossenen auf. Der Erzähler beschließt mit Mk 16,8 die Szene der Frauen am Grab. 762 Anders als zu Beginn markiert er das Ende der Gesamterzählung nicht durch einen Metakommentar, wie er etwa am Schluss einiger Plutarch-Biographien begegnet, beispielsweise bei Kimon: Solch ein Mann war der griechische Feldherr. 763

Auch inhaltlich lässt sich von einer Offenheit der in Mk 16,8 gewissermaßen abbrechenden Geschichte sprechen: 764 Wie proleptisch angedeutet wird, endet das mit Leben und Tod Jesu in Gang gesetzte Geschehen nicht mit der Furcht der Frauen am Grab. Offen bleibt zwar, auf welche Weise das Begonnene weitergeht, da die Frauen der Aufforderung des jungen Mannes in Mk 16,7 (zunächst) auf Grund ihrer Furcht nicht nachkommen. Doch allein schon die Existenz des Markusevangeliums und seiner intendierten Leserinnen und Leser lässt sich als Hinweis darauf verstehen, dass die Kunde von Jesus weitergegeben wurde. Auch die Gegenwart der Rezipienten bildet noch nicht den Abschluss der überblickten Zeit, sondern erst die einstige Parusie mit dem Kommen Christi. Unbeschadet der Offenheit des Erzählendes lässt sich Mk 16,1–8 narratologisch demnach als eigenständige und innerhalb der Erzählung notwendige Schlusssequenz verstehen: 765 Das belegen der zeitliche Neueinsatz in Mk 16,1 Vgl. Rüggemeier, Poetik, 95 f. S. o. 5.1. 762 Auf Grund des im Folgenden beschriebenen (oberflächlichen) Eindrucks der Unabgeschlossenheit fügten antike Abschreiber des Markusevangeliums nach dem ursprünglichen Schluss in Mk 16,8 Textpassagen hinzu. Dazu jetzt ausführlich Seifert, Markusschluss, 175– 193. 763 Plut. Kimon 19. 764 Vgl. Gerber, Christologie, 70 f. 765 Vgl. Seifert, Markusschluss, 246. 760 761

160

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sowie die im Vergleich zu Mk 15,42–46 veränderte Figurenkonstellation. Das Setting der im Markusevangelium zuletzt erzählten Szene verweist auf den Anfang zurück und beschließt die Erzählung so durch eine Inclusio: Sowohl Mk 1,4–13 als auch Mk 16,1–8 spielen an unbesiedelten Orten (Wüste/Grab). Zudem gehört – anders als im Rest der Erzählung – Jesus nicht zu den handelnden Figuren, vielmehr wird über ihn gesprochen. 766 Innerhalb der Gesamterzählung übernimmt Mk 16,1–8, den aufmerksamkeitssteuernden Rezenzeffekt nutzend, eine zentrale inhaltliche Rolle: Endete die Erzählung mit Tod und Bestattung Jesu in Mk 15,47, dann stellte sie Jesu Leben und Wirken als gründlich gescheitert dar. Denn erst in der Schlusssequenz zeigt sich (wenn auch mittelbar durch die Rede des νεανίσκος in Mk 16,6 f), dass die vorher angekündigte Auferstehung zum erzählten Zeitpunkt von Mk 16,1–8 bereits stattgefunden hat und dass mit dem Eintreffen des Angekündigten für die weitere Zukunft zu rechnen ist. 767 Gelöst wird auf diese Weise der todbringende Konflikt Jesu mit seinen Gegnern: Die scheinbare Niederlage wird nun zum Auftakt einer grenzüberschreitenden Wirksamkeit. Nicht abschließend gelöst, aber einem nach dem Ende der erzählten Zeit liegenden Neubeginn wird in Mk 16,7 der Konflikt Jesu mit seinen Schülern zugeordnet. 768 Auch einige der Plutarch-Biographien bieten nach der Erzählung vom Tod der Hauptfigur und dessen Konsequenzen spätere Nachgeschichten. Sie bestimmen zwar nicht mehr, wie bei Mk 16,1–8 beobachtet, den Ausgang der Handlung, 769 sind aber dem Erzählschluss des Markusevangeliums dahingehend vergleichbar, dass sie der Gesamterzählung weitere Aspekte hinzufügen. 770 So gehören etwa Theseus, Phokion, Demosthenes 771 und Cicero 772 zu jenen der Plutarch-Hauptfiguren, die gegen Ende ihrer Wirksamkeit den nötigen Rückhalt ihrer Anhänger verlieren und daher ihr Leben und ihre Wirksamkeit schmachvoll beenden: die Autorität des Theseus in Athen schwindet, er flieht und stirbt im Exil auf Skyros; Phokion kommt auf Grund seiner pro-makedonischen Politik als zum Tode Verurteilter ums Leben; Demosthenes fällt in die 766

Vgl. a. a. O. 259 f. Vgl. a. a. O. 248. 768 Vgl. a. a. O. 254 f. 769 Betont a. a. O. 290, im Hinblick auf den Vergleich zwischen Markusevangelium und Demosthenes-Vita. Auch Plutarchs Demosthenes-Vita schafft – analog zum Markusevangelium (s. o.) – eine Inclusio zwischen Beginn und Schluss, vgl. die Inschrift in Plut. Demosthenes 30,5 mit den in Plut. Demosthenes 3,2; 20,2; 23,3 kritisierten Defiziten des Demosthenes (anders a. a. O. 164). Ein Abstand zwischen Markusevangelium und Demosthenes-Biographie ist daher in dieser Hinsicht nicht anzunehmen (vgl. a. a. O. 293). 770 Eine ähnliche Funktion kommt gelegentlich den – hier nicht weiter untersuchten – Synkriseis am Buchende zu (vgl. Shviely, Penguins, 285). 771 Zum Vergleich zwischen Erzählende im Markusevangelium und der Demosthenes-Vita Seifert, Markusschluss. 772 Zum Erzählende der Biographie des Cicero vgl. von Bendemann, Konzeptionen, 239– 245. 767

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Hände seiner makedonischen Verfolger; Cicero wird von einem Schüler verraten und von seinen Verfolgern brutal hingerichtet. 773 Die Erzählungen enden an diesem Punkt jedoch nicht: Schon bald besinnen sich die Athener der Qualitäten des Phokion wie auch des Demosthenes und errichten zum Ausdruck ihrer Rehabilitation Denkmäler. 774 Im Falle des Theseus ist es Kimon, der auf Grund eines Orakels die Gebeine nach Athen holt, wo sie ehrenvoll empfangen und bestattet werden; fortan gedenkt man des Theseus auch im Festkalender. 775 Ciceros Dämon bewirkt die Rache an Antonius, der die Ermordung in Auftrag gegeben hatte, und trägt so zur „Rehabilitation Ciceros“ 776 bei. Erst diese Schlusssequenzen der jeweiligen Biographien vervollständigen also das Bild: Ohne sie bliebe die Schmach der Hauptfigur bestehen und stünde in Spannung zu den vorwiegend erzählten Leistungen und Erfolgen. Dieser Grundstruktur entspricht auch die erzählerische Funktion der Schlusssequenz im Markusevangelium, wenngleich dort das Veränderungspotential der letzten Szene deutlich gravierender ist. Denn die für die Markuserzählung zentrale Frage nach der Wirkung des Verstorbenen über seinen Tod hinaus beschäftigt zwar auch den Erzähler der Plutarch-Biographien; die postmortale Wirkung der Hauptfiguren Plutarchs bleibt aber vergleichsweise begrenzt. In einer Reihe von Biographien ist es der Rachegeist der Hauptfigur, der Schuldige an deren konfliktreichen Tod heimsucht und bestraft. 777 Andere wirken in gewisser Weise durch ihre Nachfahren, die in den Nachbemerkungen genannt werden, 778 fort. Cato Minor etwa kann zwar selbst gegen den vorrückenden Cäsar nichts mehr ausrichten; dafür treten aber sein Sohn, seine Tochter und sein Schüler Statilius (todes-)mutig in den Kampf gegen den Verlust der republikanischen Freiheit ein. 779 Durch die Etablierung eines lange Zeit stabilen Verfassungssystems wirkt Lykurg nach seinem Freitod weiter, wie in der Schlusssequenz lobend hervorgehoben wird. 780 Nur in Ausnahmefällen weiß der Biographie-Erzähler von einer Art postmortaler Wirksamkeit und damit verbundener Verehrung der Porträtierten zu berichten: So soll sich in einer Schlacht das φάσμα Θησέως 781 gezeigt haben, woraufhin man Theseus als Heros anerkannte (ὡς ἥρωα τιμᾶν 782). Von einer Aufnahme in den Himmel und einer Vergöttlichung weiß der Erzähler nur im Falle des Romulus. In skep773

Vgl. Plut. Theseus 35; Phokion 33–36; Demosthenes 28–30; Cicero 48. Vgl. Plut. Phokion 38; Demosthenes 30 (dazu auch Seifert, Markusschluss, 159). 775 Vgl. Plut. Theseus 36. 776 Von Bendemann, Konzeptionen, 243. 777 Vgl. Plut. Cäsar 69; Crassus 32; Dion 58; Demosthenes 31; dazu Frickenschmidt, Evangelium, 346 f. 778 Vgl. Plut. Cato min. 26 f; Themistokles 32. 779 Vgl. Plut. Cato min. 73. 780 Vgl. Plut. Lykurgos 30 f. 781 Plut. Theseus 35,5. 782 Ebd. 774

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IV Plutarchviten und Markusevangelium – ein Vergleich

tischer Distanz zum Überlieferten fügt er jedoch sofort an, dass die Aufnahme in den Himmel auch vom Adel zur Verschleierung eines politischen Mordes erfunden worden sein könnte. 783 Immerhin hätten die Römer aber ihre religiösen Hoffnungen auf Quirinius, zu dem Romulus geworden war, als einen „gnädigen Gott“ 784 gerichtet und mithin seine Einwirkung auf die menschliche Welt für möglich gehalten. Auf der Ebene der Plutarch-Biographie bildet die mögliche Vergöttlichung des Romulus eine strukturelle Parallele zur postmortalen Wirksamkeit Jesu im Markusevangelium. Das Wirken des divinisierten Romulus soll jedoch auf Rom beschränkt bleiben. Im Übrigen wird der Wahrheitsgehalt der Tradition vom Erzähler bezweifelt. Ähnliches deutet die Nachgeschichte des Kleomenes an: Um den Kopf des Gekreuzigten ringelt sich schützend eine Schlange, weswegen Kleomenes postum als Heros und Götterkind verehrt wird. Als rationale Erklärung für das Erscheinen der Schlange wird jedoch die Annahme hinzugefügt, sie habe sich – wie Maden und Käfer – auf Grund der Verwesungsprozesse gebildet. 785

7.3 Resümee Das auf den ersten Blick sprachlich und inhaltlich unabgeschlossen wirkende Erzählende des Markusevangeliums lässt sich insbesondere durch einen Seitenblick auf die Plutarch-Biographien als gut integriertes und sinnvolles Ende der Erzählung begreifen. Mk 16,1–8 stellt die bisher erzählte Wirksamkeit Jesu in ein neues Licht: Jesus ist gerade nicht endgültig gescheitert, sondern von Gott rehabilitiert. Die bisherigen Ankündigungen der Auferstehung Jesu sind eingetroffen. Seine endzeitliche Parusie darf daher erwartet werden. Auch hinsichtlich des Konflikts mit den Schülern wird die Möglichkeit eines Neubeginns angedeutet. Mk 16,1–8 lässt sich mit einigen Nachgeschichten der PlutarchBiographien vergleichen. Auch sie fügen der Gesamterzählung einen weiteren Aspekt hinzu und relativieren damit die Niederlage der Hauptfigur am Ende. Von einer dem markinischen Jesus vergleichbaren postmortalen Wirksamkeit der Hauptfigur kann aber bei Plutarch keine Rede sein. Vielmehr ist es im Fall seiner Viten gelegentlich der Rachegeist, der postmortal für ausgleichende Gerechtigkeit sorgt

783 784 785

Vgl. Plut. Romulus 27 f; Numa 2; dazu Frickenschmidt, Evangelium, 343 f. S. o. 2.2.4. Plut. Romulus 27,7 (θεὸν εὐμενῆ). Vgl. Plut. Kleomenes 60(39).

Ereignishaftigkeit und Ästhetik der Wiederholung

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8. Ereignishaftigkeit und Ästhetik der Wiederholung 8.1 Ereignis und Wiederholungen in narratologischer Sicht Gemäß einer narratologischen Grundannahme lassen sich nur sogenannte Ereignisse erzählen; nur sie sind erzählwürdig. Als Ereignis gelten Geschehnisse, die eine Zustandsveränderung der Welt mit sich bringen. Ein erzähltes Ereignis ist folglich die zwischen Auftakt und Schlussakkord der Erzählung sich vollziehende Zustandsveränderung innerhalb der erzählten Welt. 786 Erzählten Ereignissen kann eine größere oder eine geringere Intensität zukommen; man spricht vom Grad der Ereignishaftigkeit: Je schwerwiegender sich die Veränderungen innerhalb der erzählten Welt auswirken, desto ereignishafter (und damit erzählwürdiger) kommt das Erzählte daher. Die dabei zu Grunde gelegten Wertmaßstäbe sind freilich im Geflecht zwischen Narration, Autor und (intendierten) Lesern angesiedelt und müssen daher aus heutiger Sicht annäherungsweise rekonstruiert werden. Formale Kriterien für die Ereignishaftigkeit sind die Relevanz, die Irreversibilität und die Singularität des erzählten Geschehens. Neben die Ereignishaftigkeit, aus der die Erzählwürdigkeit einer Geschichte resultiert, tritt eine mehr oder weniger ausgeprägte Ästhetik der Wiederholung: 787 Leser erwarten (bisweilen auch) auf Grund literarischer Konventionen ritualisierte oder durch Weltwissen vorhersehbare (Elemente von) Erzählungen.

8.2 Erzählte Ereignisse bei Markus und bei Plutarch Die von den Hauptfiguren einiger der Viten Plutarchs bewirkten Zustandsveränderungen fallen gewaltig aus: Alexander vernichtet das Perserreich und erobert riesige Gebiete, Cäsar führt zahllose Kriege und nimmt Rom ein. Gemessen an den äußeren Kriterien kommt der Wirksamkeit dieser Hauptfiguren eine hohe Ereignishaftigkeit zu. Gemäß dem biographischen Programm 788 stehen aber bei Plutarch nicht die äußerlich sichtbaren Taten allein im Mittelpunkt, sondern das Zusammenspiel zwischen der inneren Welt der Hauptfigur und ihrer Lebenswelt. 789 Zu beachten ist auch, dass die Lebensbeschreibungen Plutarchs davon ausgehen, dass sich bestimmte Grundstrukturen innerhalb der Weltgeschichte wiederholen. Anders ließe sich etwa die Zusammenstellung vergleichbarer griechischer und römischer Hauptfiguren innerhalb der Doppelviten-Serie nicht begründen.

786 787 788 789

Vgl. Schmid, Elemente, 14–25. Vgl. a. a. O. 28–30. S. o. 1.3. Vgl. Frickenschmidt, Evangelium, 212.

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IV Plutarchviten und Markusevangelium – ein Vergleich

Andere Hauptfiguren in Plutarchs Viten wirken weniger durch äußere Taten auf ihre Umwelt ein, sondern vielmehr indem sie bestimmte Werte im politischen Diskurs repräsentieren und kommunizieren, so etwa Demosthenes, Cicero oder Cato Minor, die innerhalb ihrer Kontexte für politische Freiheitsideale eintreten. Zum erzählten Ereignis gehört im Fall dieser zuletzt genannten Gruppe der gewaltsame Tod und das damit eingetretene Scheitern der politischen Agenda. 790 Durch das verfrühte Ende der Hauptfigur werden deren Ideale gleichsam besiegelt und ins Recht gesetzt. Von diesen Grundstrukturen der Ereigniskonstitution bei Plutarch ist das Markusevangelium nicht allzu weit entfernt. Zum erzählten Ereignis zählen auch hier äußere Taten wie Exorzismen und andere Wunder sowie die Sammlung von Nachfolgern. Die Hauptfigur vollbringt ihre Taten im Zusammenspiel mit ihrer inneren Welt, insbesondere ihrer einzigartigen Gottesbeziehung. 791 Zugleich aber repräsentiert und verkündigt Jesus im Markusevangelium die Gottesherrschaft. Doch wie Cicero, Demosthenes oder Cato Minor wird auch er von seinen Gegnern zu einem vorzeitigen Abbruch seiner Wirksamkeit gezwungen. Allerdings beschränkt sich das Markusevangelium nicht auf die „Lebensdarstellung eines gescheiterten Propheten“ 792; auch stirbt Jesus in der Darstellung des Markusevangeliums nicht den sogenannten edlen Tod eines Philosophen nach sokratischem Vorbild, wie es bei Phokion in Plutarchs Darstellung der Fall ist. 793 Vielmehr arbeitet die Markuserzählung an der Grundfrage, warum und wozu der Sohn Gottes auf so klägliche Weise enden musste. Analog begegnet dieses Problem in Plutarchs Biographie Catos des Jüngeren, die der Tragik des gescheiterten Tugendhaften nachspürt. 794 Zur Bearbeitung solcher Fragen zieht der Markuserzähler eine zweite, über die primäre Handlung hinausweisende Ebene ein, die sich von Mk 1,1 über die intradiegetischen Prolepsen bis hin zu Mk 16,1–8 erstreckt. 795 Sie erst vervollständigt das erzählte Ereignis: Mit Jesu Wirksamkeit ist der Gott Israels erschienen, die auf die Endzeit und die endgültige Errettung seiner Getreuen 796 hinzielenden Ereignisse haben mit Leben, Tod und Auferstehung Jesu begonnen. Diesem singulären, irreversiblen und innerhalb der vorausgesetzten Wirklichkeitsauffassung absolut relevanten Ereignis kommt folglich eine nicht zu überbietende Ereignishaftigkeit zu. 797 Während die Plutarch-Biographien, ins790 791 792 793 794 795 796 797

Vgl. Beneker, Nature, 158 f, im Hinblick auf Demosthenes- und Cicerovita. S. u. 9.3.2. Seifert, Markusschluss, 284. Vgl. Herrmann, Strategien, 373. Duff, Exploring, 136. Vgl. Seifert, Markusschluss, 284. Vgl. Mk 8,34–38; 10,45; 14,24. Dazu auch Breytenbach, Death. Vgl. Dormeyer, Augenzeugenschaft, 250; Rüggemeier, Poetik, 82 f.224.234.

Ereignishaftigkeit und Ästhetik der Wiederholung

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besondere durch die Anlage der Parallelviten, damit rechnen, dass bestimmte Grundstrukturen in der Geschichte immer wieder auftreten, kann es innerhalb der erzählten Welt des Markusevangeliums kein weiteres mit Jesu Wirken vergleichbares Ereignis mehr geben. Zudem entwirft das älteste Evangelium eine paradoxe Situation: Der ab Mk 1,1 (sowie durch sein Vorwissen) informierte Leser muss sich fragen, weswegen Jesus als Sohn Gottes überhaupt scheitert und letztlich so schmachvoll zu Tode kommt. Der Konflikt zwischen Jesus und seinen Schülern reflektiert in extremer Weise diese Frage. Analog stellt die als Einlösung messianisch-apokalyptischer Erwartungen verstandene, 798 im Markusevangelium angekündigte Parusie Jesu innerhalb des frühjüdischen Referenzrahmens angesichts von Leid und Tod Jesu eine kaum zu unterschätzende Provokation dar. 799 Kontrastiert wird diese größtmögliche Ereignishaftigkeit des im Markusevangelium Erzählten von den lakonischen Zügen in der Darstellungsweise, 800 die etwa die ungeheure Wende vom scheinbaren Scheitern zur buchstäblich weltumstürzenden Rehabilitation Jesu im Angedeuteten belässt. Abgesehen von der Ereignishaftigkeit weist das Markusevangelium auch Züge einer Ästhetik der Wiederholung des Bekannten auf. So war der Jesusstoff – wie die Stoffe Plutarchs den Gebildeten unter den Adressaten – dem Gros der Leserinnen und Leser auch vor der Lektüre nicht gänzlich unbekannt. 801 Das Markusevangelium bot daher nicht primär Erstinformation, sondern deutende, narrativ arbeitende Vertiefung. Innerhalb der Erzählung wird der Leser am Ende auf die Anfänge in Galiläa zurückverwiesen und so zur Re-Lektüre und damit zur vertieften Reflexion angeregt. 802 Auch leitet das Evangelium zum Weitererzählen und damit zur – intradiegetisch verankerten – 803 Verkündigung der Frohbotschaft in aller Welt an. Dem Werk kommt damit im Hinblick auf seinen Entstehungskontext eine fundierende Funktion zu. 804

8.3 Resümee Die Ereignishaftigkeit wird bei Plutarch einerseits durch die im Zusammenspiel mit der inneren Welt der Hauptfigur realisierten äußeren Taten, andererseits durch das Eintreten für bestimmte Werte konstituiert. Beide Ansätze finden sich innerhalb der Ereigniskonstitution des Markusevangeliums wieder. WähVgl. Schröter, Konstruktion, 212. Vgl. Rüggemeier, Poetik, 411. Aus der Perspektive der frühchristlichen Geschichte konstatiert Wischmeyer, Ereignis, 312, die Hinrichtung Jesu sei das zentrale historische Ereignis des Frühen Christentums. 800 S. o. 1.3; s. u. 9.2.1. 801 Vgl. Rüggemeier, Poetik, 237. 802 Vgl. Mk 14,28; 16,7. 803 Vgl. Mk 13,10; 14,9. 804 Vgl. Rüggemeier, Poetik, 411 f. 798 799

166

IV Plutarchviten und Markusevangelium – ein Vergleich

rend die Plutarch-Biographien aber davon ausgehen, dass bestimmte Grundstrukturen innerhalb der Geschichte immer wieder vorkommen, ist für das Markusevangelium das erzählte Ereignis auf Grund seiner Einbettung in den göttlichen Heilsplan singulär und nicht wiederholbar.

9. Perspektiven des Erzählers und der Erzählfiguren 9.1 Narratologische Figuren- und Perspektivenanalyse Zu diesem Arbeitsschritt gehören zum einen Aspekte des Erzählakts der fiktiven Erzählerfigur. Die Analyse der Fokalisierung der Erzählung ergründet, 805 wann der Erzähler unter Einnahme einer Außenperspektive auf die Figuren erzählt und wann beziehungsweise wie er mittels einer Innenperspektive von Gedanken, Wünschen und Motivationen einer Figur spricht (interne Fokalisation). Dabei kann in einem Moment der Erzählung mittels interner Fokalisation aus dem Inneren nur einer, mehrerer oder aller 806 Figuren berichtet werden. Als Wahrnehmungszentrum bezeichnet man eine Figur, aus deren Sicht der Erzähler eine bestimmte Situation beschreibt: Der Erzähler weiß soviel, wie sein Wahrnehmungszentrum weiß. Dabei können interne Fokalisierung und Erzählen mittels eines Wahrnehmungszentrums koinzidieren, müssen es aber nicht: Eine Situation kann auch aus der Sicht einer beteiligen Figur beschrieben werden, ohne dass ihre inneren Empfindungen und Gedanken dabei zur Sprache kommen. Weiter kommt die Interaktion von Erzählerrede sowie Reden und Gedanken der Figuren der erzählten Welt in den Blick. 807 Figurentext (ob ausgesprochen oder nicht) und Empfindungen der Figuren können bekanntlich direkt, als indirekte Rede oder indirekt wiedergegebenes Bewusstsein zitiert werden. Dabei lässt sich im Griechischen auf Grund der Verwendung des ὅτι recivativum nicht in jedem Fall zweifelsfrei zwischen beiden Formen unterscheiden. 808 Von erlebter Rede beziehungsweise erlebtem Bewusstsein spricht man bei einer Form der indirekten Wiedergabe von Sprache und Gedanken einer Figur, bei der kein verbum dicendi beziehungsweise credendi verwendet wird. Im Fall erzählter Rede oder erzählten Bewusstseins, der Form der größtmöglichen Dominanz des Erzählers gegenüber den Figuren, spricht der Narrator über das Sprechen von Figuren, ohne deren Worte zu verwenden. 805

Vgl. a. a. O. 38–40. Diesen Fall nennt Rüggemeier, Poetik, 39 mit Anm. 122, „Nullfokalisierung“. Oft wird unter diesem Terminus auch eine Erzählweise verstanden, bei welcher der Erzähler weder extern noch intern fokalisiert, sondern aus seinem eigenen umfassenden Wissen heraus erzählen kann. 807 Vgl. Schmid, Elemente, 143–204; Rüggemeier, Poetik, 33–38. 808 Vgl. Rüggemeier, Poetik, 35 Anm. 106, mit Hinweis auf Mk 6,15. 806

Perspektiven des Erzählers und der Erzählfiguren

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Zum anderen ist zu berücksichtigen, dass Rezipienten einer Erzählung – jeder für sich auf Grund seiner Wahrnehmung – sich Bilder von den auftretenden Figuren machen: 809 der Erzählerfigur, der Haupt- und Nebenfiguren, der ausschließlich in einzelnen Szenen agierenden sogenannten Episodenfiguren oder der Schaufiguren, die nur punktuell auftreten. Erzählte Figuren werden wahrgenommen hinsichtlich ihres Verhaltens, ihres Äußeren sowie ihres Innenlebens, zu dem der eingenommene Standpunkt, Gefühle, Motivationen, Pflichten und Kompetenzen gehören. Durch die Betrachtung der Interaktion aller Figurenperspektiven lässt sich auch das Was der Erzählung beleuchten. 810 Aus dem Ineinander übereinstimmender und konfligierender Perspektiven und ihrer Voraussetzungen sowie durch eigenes Vorwissen können die Leserinnen und Leser die – oftmals nicht explizit gemachten – Standpunkte des Erzählers sowie der Figuren erschließen sowie ihre jeweilige Zuverlässigkeit beurteilen.

9.2 Fiktive Erzählfigur 9.2.1 Sprechweisen Sowohl im Markusevangelium als auch bei Plutarch lernen die Rezipienten Erzählerfiguren kennen, die ihr Erzähltempo frei wählen und dynamisch verändern können. In der Ausgestaltung zeigen sich jedoch Differenzen im Vergleich von Markusevangelium und Plutarch-Lebensbildern. Das Gros des Erzählertexts in den Biographien Plutarchs berichtet Ereignisse bilanzierend, unter Einnahme einer Außenperspektive sowie zeitraffend. 811 Der junge Alkibiades etwa, um ein typisches Beispiel anzuführen, wurde von der Athener Volksversammlung zum Feldherren gewählt und gewann sofort die Argiver, Mantineer und Eleer zu Bundesgenossen der Athener. Die Art und Weise, wie er das zustande gebracht hatte, lobte zwar niemand, doch war das von ihm Geschaffte ein Meisterstück. 812

Ähnlich überblicksartig und von außen kann auch der Erzähler im Markusevangelium berichten, etwa am Schluss einer Szene in Mk 1,45: Der von seinem Aussatz geheilte Mann aber ging fort und fing an, viel davon zu reden und die Geschichte bekannt zu machen, sodass Jesus hinfort nicht mehr öffentlich in eine Stadt gehen konnte; sondern er war draußen an einsamen Orten; und sie kamen zu ihm von allen Enden.

809 810 811 812

Vgl. Rüggemeier, Poetik, 54–77; Gymnich, Konzepte. Vgl. Rüggemeier, Poetik, 40–48. Vgl. Verdegem, Alcibiades, 413. Plut. Alkibiades 15,1.

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IV Plutarchviten und Markusevangelium – ein Vergleich

Die summierende Erzählweise ist jedoch im Markusevangelium die Ausnahme. 813 In der Regel blickt hier der Text des Erzählers Schritt für Schritt auf die Geschehnisse im Einzelnen, etwa zu Beginn der Szene von der Heilung eines Gelähmten: Und nach etlichen Tagen ging er wieder nach Kapernaum; und es wurde bekannt, dass er im Hause war. Und es versammelten sich viele, sodass sie nicht Raum hatten, auch nicht draußen vor der Tür; und er sagte ihnen das Wort. Und es kamen einige, die brachten zu ihm einen Gelähmten, von vieren getragen. Und da sie ihn nicht zu ihm bringen konnten wegen der Menge, deckten sie das Dach auf, wo er war, gruben es auf und ließen das Bett herunter, auf dem der Gelähmte lag. 814

Doch auch der Erzähler der Plutarch-Biographien kann, um einzelne Passagen zu betonen, sein Erzähltempo senken, mehr Details als üblich nennen und so einzelne Passagen Schritt für Schritt schildern. Exemplarisch lässt sich die in Plut. Cato min. 27 f erzählte Szene anführen, in der Cato der Jüngere zusammen mit seinem Kollegen im Tribunenamt, Thermus, versucht, Cäsar und Metellus, die einen Staatsstreich planen, sich im Dioskurentempel positioniert haben und mit bereitstehenden Bewaffneten drohen, vom Einreichen eines Gesetzesentwurfs abzuhalten: Die Leute, welche auf den Stufen [sc. des Tempels] postiert waren, machten ihnen [sc. Cato und Thermus] Platz, ließen aber sonst niemand durch. Nur den [sc. Freund] Munatius konnte Cato an der Hand noch nachziehen und hinaufbringen. Rasch war er oben und setzte sich hin, mitten zwischen Metellus und Cäsar hinein, so dass ihr Zwiegespräch zerschnitten war. Die beiden gerieten völlig aus der Fassung, während die Gutgesinnten, staunend ob Catos Entschlossenheit und kühnem Selbstvertrauen, näher herandrängten und ihm zuriefen, er möge den Mut nicht sinken lassen. 815

Während die ausführlichere und langsamere Erzählweise im Markusevangeliums das Übliche ist, akzentuiert der Erzähler der Biographien Plutarchs mit Hilfe dieses Modus einzelne Szenen, insbesondere um Spannung zu erzeugen. Wie bereits gesehen, 816 teilen Markusevangelium und einige Plutarch-Biographien bestimmte Charakteristika hinsichtlich Zeitmanagement und Stoffauswahl bei der ausführlichen Darstellung der Leidens- und Sterbensgeschichte ihrer Hauptfigur. Unterschiedliche Akzentuierungen bestehen auch hinsichtlich des Einsatzes direkter Rede. Sie hat im Markusevangelium 817 größeres Gewicht als in den Plutarch-Biographien. Nur eine kleine Anzahl von Szenen kommt im Markusevangelium ganz ohne direkte Rede aus, darunter die in Erzählerrede wieder813 814 815 816 817

S. o. 4.4. Mk 2,1–4. Plut. Cato min. 27,5 f. S. o. 4.3. Vgl. hierzu Rüggemeier, Poetik, 35; Reiser, Porträts, 48 f.

Perspektiven des Erzählers und der Erzählfiguren

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gegebene Einsetzung der Zwölf in Mk 3,13–19. 818 Auch an Stellen, an denen sich die Verwendung indirekter Rede angeboten hätte, wird direkte Zitation bevorzugt, etwa bei dem kurzen Statement der Menge in Mk 2,12: Sie sprachen: „Wir haben solches noch nie gesehen.“ 819

Präziser ist von einer Dominanz von Szenen, die Dialoge von mindestens zwei Beteiligten enthalten, zu sprechen. Zu dieser Gruppe zählen Streitgespräche, die beinahe ausschließlich aus Dialog in direkter Rede bestehen, 820 sowie Szenen, in denen Gespräche zu den Handlungsschritten der Szene gehören. 821 Seltener enthalten Szenen keine Dialoge, sondern nur einzelne in direkter Rede wiedergegebene Aussprüche. 822 Selbst die beiden längeren Redepassagen Jesu in Mk 4,1–34 und Mk 13,1–37 sind in Dialogelemente eingebettet. 823 Die Verwendung der direkten Rede, insbesondere für die Wiedergabe von Dialogen, sorgt, da sich bei direkter Rede Erzähl- und erzählte Zeit stark annähern, im Markusevangelium für den bekannten Unmittelbarkeitseffekt. In den Plutarch-Viten spielen Dialogelemente keine vergleichbare Rolle. Wechselrede wird hier beinahe ausschließlich im Fall kleinerer Apophtegmata erzählt, 824 die nicht zur eigentlichen Handlung beitragen, sondern sie deuten und gleichzeitig Einblicke in das Innere der Hauptfigur erlauben. Das Lebensbild des Alkibiades etwa enthält eine Reihe von Apophtegmata. 825 Beim Ringen verteidigt sich, um ein Beispiel zu nennen, Alkibiades einmal, indem er dem Gegner droht, in die Hand zu beißen. Als Letzterer kommentierte: „Du beißt ja, Alkibiades, wie die Frauen!“,

erwiderte er: „Nein, sondern wie die Löwen!“ 826

Wie das Markusevangelium enthalten auch einige der Plutarch-Biographien längere Reden. Sie sind innerhalb des Viten-Corpus sehr unterschiedlich ver818

Vgl. Mk 1,12 f; 3,13–19; 6,53–56; 14,10 f; 15,42–47. Vgl. Seifert, Markusschluss, 277. 820 Vgl. etwa Mk 2,23–28. 821 Vgl. etwa Mk 6,35–38. 822 Vgl. Mk 1,4–8; 1,9–11; 1,16–20; 3,7–12; 5,1–20; 6,7–13; 6,45–52; 7,31–37; 8,10–13; 14,1 f; 15,16–20; 16,1–8. 823 Neben direkter Rede Jesu enthalten keine weiteren Handlungsschritte die Szenen in Mk 2,18–22; 3,22–30; 8,34–9,1; 11,27–33; 12,38–40; 12,41–44. 824 Eines der seltenen Beispiele für einen – allerdings den aus kurzer Rede und Gegenrede bestehenden Dialogen im Markusevangelium unähnlichen – Wortwechsel findet sich in Plut. Kleomenes 52(31). Jeder der Sprecher hält eine längere Rede (dazu De Pourcq/Roskam, Lives, 167); vgl. auch noch Plut. Phokion 16,1–3; Pyrrhus 14. 825 Vgl. Plut. Alkibiades 2,3; 4,6; 7,2 f; 9,2; 15,6; 16,9; 22,2 f; 33,3; dazu Verdegem, Alcibiades, 414. 826 Plut. Alkibiades 2,2. 819

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teilt. 827 Während sich etwa Plutarchs Alkibiades mit Ansprachen zurückhält, ergreifen in der Vita seines Doppelbiographie-Partners Gaius Marcius (Coriolan) nicht nur die Hauptfigur, sondern auch Nebenfiguren häufiger das Wort. 828 Analog zu Mk 3,13–19 kann auch der Erzähler bei Plutarch längere Reden in indirekter Rede wiedergeben, 829 etwa die Rede Catos vor dem Rat der Römer in Utica, 830 die etwas mehr als den doppelten Umfang der indirekt wiedergegebenen Rede in Mk 3,13–19 aufweist. Gemeinsam ist den Erzählerfiguren sowohl im ältesten Evangelium als auch in den Biographien Plutarchs bei der Gestaltung einzelner Szenen das Mittel des schnellen Wechsels im Modus der Wiedergabe von Figurentext. In Mk 6,8– 10 etwa treffen indirekte und direkte Rede hart aufeinander: 831 Jesus gebot ihnen [sc. den Zwölfen], nichts mitzunehmen auf den Weg als allein einen Stab, kein Brot, keine Tasche, kein Geld im Gürtel, wohl aber Schuhe an den Füßen. „Und zieht nicht zwei Hemden an!“ Und er sprach zu ihnen: „Wo ihr in ein Haus geht, da bleibt, bis ihr von dort weiterzieht.“

Auf kleinem Raum wechseln sich auch in den Biographien Plutarchs unterschiedliche Wiedergabemodi ab, im folgenden Beispiel indirekte und erzählte Rede. Als er [sc. Alkibiades] noch klein war, spielte er einmal in einer engen Gasse mit Knöcheln, und als er gerade zum Wurf an der Reihe war, kam ein Lastwagen auf ihn zugefahren. Zuerst befahl er jetzt dem Fahrer des Wagens anzuhalten, denn der Wurf war gerade in die Fahrgleise gefallen. Als der Fuhrmann, grob, wie er war, nicht hörte, sondern losfuhr, machten die anderen Knaben Platz, Alkibiades aber warf sich vor dem Wagen aufs Gesicht, streckte sich lang und rief, er solle ihn nur, wenn er wolle, überfahren, so dass der Mann Angst bekam und den Wagen zurückzog, während die Leute, die es sahen, erschraken und schreiend auf ihn zugelaufen kamen. 832

9.2.2 Wissen Wahrnehmung und Wissen der Erzählerfiguren über die erzählten Geschehnisse unterliegen innerhalb der dargestellten Welt sowohl bei Plutarch als auch im Markusevangelium keinen Beschränkungen. Die Erzähler wissen mehr als einige der Figuren der erzählten Welt und können ihr Wissen daher in be827 In Bezug auf längere Reden hält Becker, Markus-Evangelium, 85 Anm. 44, das Matthäus- und das Johannesevangelium für historiographienäher als das Markusevangelium. Wie sich beobachten lässt, ist Letzteres mit den historiographischen Plutarch-Biographien in Bezug auf längere Reden vergleichbar. 828 Vgl. Plut. Alkibiades 2,6; 19,9; Gaius Marcius (Coriolanus) 16,5–7; 35,2–9; 36,2 f; dazu Verdegem, Alcibiades, 414. 829 Vgl. Reiser, Porträts, 50. 830 Vgl. Plut. Plut. Cato min. 59, 3–7. 831 Vgl. Rüggemeier, Poetik, 34–37. 832 Plut. Alkibiades 2,2 f.

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stimmten Situationen mit den fiktiven Adressaten teilen. In der Alkibiades-Biographie beispielsweise schmeichelt die Hauptfigur den Athener Aristokraten, so dass sie sich für seine Vorschläge, zu den Persern Kontakte zu knüpfen, aussprechen; nur einer von den Strategen, Phrynichos der Deiradiote, der den Argwohn hegte – womit er recht hatte (ὑποπτεύσας, ὅπερ ἦν) –, dass es Alkibiades ebenso wenig auf Oligarchie wie auf Demokratie abgesehen hatte […] sprach sich dagegen aus. 833

Wie der Erzähler weiter ausführt, ist das wahre Motiv des Alkibiades eigennützig: Er will seine Rückkehr nach Athen vorbereiten. Auch die Erzählerfigur im Markusevangelium weiß, wie sich immer wieder zeigt, mehr als die Figuren der erzählten Welt. In Mk 3,19 etwa blickt der Erzähler auf den späteren Verrat des Judas, von dem Jesus erst in Mk 14,18 innerhalb der erzählten Welt spricht. Die Erzähler können weiterhin zeitweise Figuren als Wahrnehmungszentrum nutzen und so ihren Blickwinkel einnehmen. Gerade weil in den Viten Plutarchs nicht durchgängig so verfahren wird, fallen in ihnen immer wieder Passagen auf, die aus der Wahrnehmung der Hauptfigur heraus erzählt werden. Als Beispiel lässt sich der Aufbruch des Alkibiades zur Sizilien-Expedition nennen, die durch eine gerichtliche Vorladung ein jähes Ende findet: Als Alkibiades den Befehl erhielt abzufahren, brach er mit seinen Mitfeldherren auf […] Er legte in Italien an, nahm Region und trug dann im Kriegsrat seinen Plan vor, wie er den Krieg zu führen gedachte. Da Nikias zwar widersprach, Lamachos aber zustimmte, so fuhr er nach Sizilien und nahm Katane, konnte aber weiter nichts leisten, weil er nun von den Athenern den Befehl erhielt, sofort vor Gericht zu erscheinen. 834

Die Erzählung gibt hier wieder, was so nur die Figur des Alkibiades wahrnehmen kann. Inhaltlich trifft in der Passage das Motiv seines entschiedenen und erfolgreichen Handelns auf das der Konflikte des Alkibiades mit seinen Mitmenschen, in deren Kontext auch seine gerichtliche Vorladung gehört. Diese Kombination wird in seiner Biographie als charakteristisch dargestellt: Sein Charakter sei ambivalent, 835 er lege einerseits große politische und strategische Führungskraft, 836 andererseits einen Hang zur Übergriffigkeit gegenüber seinen Mitmenschen an den Tag. 837 Die gerade zitierte Passage gibt also charakteristische Aspekte der Hauptfigur wieder und dürfte aus diesem Grund aus ihrer Wahrnehmung heraus erzählt worden sein. 838 Gleiches gilt für zwei Begebenheiten, die in der Biographie Catos des Jüngeren erzählt werden und zu denen die Erzählerfigur zusätzlich noch Dinge weiß, für die es keine Zeugen gibt. Vor 833 834 835 836 837 838

Plut. Alkibiades 25,3–5. Plut. Alkibiades 25,1 f. Vgl. Plut. Alkibiades 2,1. Vgl. Plut. Alkibiades 26. Vgl. Plut. Alkibiades 2–9. Vgl. Verdegem, Alcibiades, 413 f.

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dem Versuch des Metellus, die Macht an sich zu reißen, 839 herrscht eine angespannte Stimmung im Hause seines Gegners Cato. Am Vorabend der Entscheidung harren einige der anwesenden Freunde Catos appetitlos aus; Gattin und Schwester sind tief betrübt. Allein der Hausherr nimmt wie gewöhnlich seine Abendmahlzeit ein und schläft dann geruhsam. Cato brachte die Nacht so zu, dass er am Morgen von seinem Kollegen Minucius Thermus geweckt werden musste. 840

Die Szene weist Anklänge an Elemente von Sterbensgeschichten auf, etwa die Terminierung am Vorabend einer wichtigen Entscheidung sowie in der Nacht, 841 und unterstreicht so die Bedrohung, der Cato ausgesetzt ist. Ihr begegnet er mit sokratischer Ruhe. Gleichermaßen, wenn auch ohne zu schlafen, verhält er sich in der Nacht seines Suizids. Der Erzähler weiß zu berichten: Als er sich im Schlafzimmer hingelegt hatte, nahm er Platons Dialog ‚Von der Seele [sc. Phaidon]‘ zur Hand. Schon hatte er das Buch fast bis zum Ende durchgelesen, als er nach oben blickte und das Schwert nicht mehr dort hängen sah […] Nach einer kleinen Weile befahl er, das Schwert zu bringen […] Allein die Zeit verstrich und niemand brachte ihm, was er forderte. So las er das Buch zu Ende und rief dann abermals seine Sklaven. 842

Beide ausschließlich aus der Wahrnehmung der Hauptfigur erzählten Situationen illustrieren das grundlegende Selbstverständnis des Cato: die am gelassen in den Tod gehenden Sokrates orientierten philosophischen Ideale, an denen Cato sich – aus Sicht seiner Biographie: erfolglos – 843 misst. Gleichzeitig gibt der Erzähler in Szenen wie den genannten den fiktiven Rezipienten Anteil an seinem offenbar keinen Zugangsbeschränkungen unterliegenden Wissen. Auch im ältesten Evangelium avanciert die Hauptfigur an ausgewählten Stellen zum Wahrnehmungszentrum der Erzählung. 844 So schildert der Erzähler in Mk 1,9–11 die Taufe Jesu durch Johannes aus der Sicht Jesu. 845 Der Täufer ist Subjekt keines der Verben; selbst der Taufakt wird in Mk 1,9 mit einer PassivKonstruktion dargestellt (ἐβαπτίσθη […] ὑπὸ Ἰωάννου). Jesus ist es, der beim Auftauchen die Himmelsstimme hört, die ihn laut Mk 1,11 direkt anspricht (σὺ εἶ). Von Augen- oder Ohrenzeugen ist keine Rede. Umfangreicheres Geschehen, für das es keine Zeugen gibt und das allein durch den Fokus der Hauptfigur hindurch erzählt wird, findet bekanntlich auch in der Gethsemane-Szene in Mk 14,32–42 statt. Von dem dreimaligen Gebet Jesu werden Inhalt beziehungsweise Wortlaut in Mk 14,35 f wiedergegeben. Ohne Näheres zu erzählen, 839 840 841 842 843 844 845

S. o. 9.2.1. Plut. Cato min. 27,3. S. o. 4.3. Plut. Cato min. 68,2 f. Vgl. Zadorojnyi, Suicide. Vgl. Gerber, Christologie, 66 f. Vgl. Reiser, Porträts, 72.

Perspektiven des Erzählers und der Erzählfiguren

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sind kurze Notizen über Gebete Jesu auch in Mk 1,35; 6,46 enthalten. Alle aus der Wahrnehmung Jesu heraus erzählten Szenen thematisieren die Kommunikation mit seinem göttlichen Vater. Darf man bei aller Vorsicht übertragen, was der Seitenblick auf Plutarch ergab, nämlich dass die Hauptfigur dann als Wahrnehmungszentrum fungiert, wenn etwas Wesentliches über sie ausgesagt werden soll, dann lässt sich darauf schließen, dass in den genannten Szenen Jesu Kommunikation mit Gott durch dieses Gestaltungsmittel als eines seiner inneren Charakteristika vor Augen geführt werden soll. Vor diesem Hintergrund scheint auch Mk 1,2 f konzipiert zu sein. Die Szene spielt zwar außerhalb der im eigentlichen Sinn erzählten Zeit, enthält aber ebenfalls einen Akt der Vorbereitung und Ansprache Jesu durch Gott. Mk 1,12 f könnte wiederum als eine Art negative Entsprechung der Kommunikation Jesu mit Gott verstanden werden. Auch hier agiert Jesus alleine; der Erzähler weiß Dinge, die nur die Hauptfigur Jesus wahrgenommen haben kann. Anders als bei den eben genannten Situationen steht hier jedoch nicht die Kommunikation mit Gott im Mittelpunkt, sondern Jesu Auseinandersetzung mit dem Satan. Ähnlich sind die Dialoge zwischen Jesus und den Dämonen gestaltet. 846 Szenen, in denen Jesus als Wahrnehmungszentrum des Erzählers fungiert, sind die Ausnahme im Markusevangelium. Häufiger blickt die Erzählung aus der Sicht anderer Figuren auf die Handlung und damit meist auf das Agieren der Hauptfigur Jesus. 847 Solche Perspektiven können kurze Passagen bestimmen, so etwa in Mk 1,22. 848 Die Reaktion des Publikums auf die Lehre Jesu in der Synagoge zu Kapernaum gibt der Erzähler folgendermaßen wieder: Und sie entsetzten sich über seine Lehre; denn er lehrte sie mit Vollmacht und nicht wie die Schriftgelehrten.

Dass Gott hinter Jesu Wirken steht, erfuhren die fiktiven Adressaten bereits in Mk 1,1.11. Der Erzähler gibt dementsprechend hier den Wissensstand der noch uninformierten Menge der Synagogenbesucher wieder. Aus der Wahrnehmung von Interaktionspartnern Jesu heraus erzählte Szenen können auch länger ausfallen, so bei der Verklärung Jesu in Mk 9,2–13, 849 einer Szene, an der Jesus sowie primär Petrus, Jakobus und Johannes beteiligt sind. Aus der Perspektive der drei Schüler erklärt der Erzähler in Mk 9,2 f, was bei Jesu μεταμορφωθῆναι stattfindet: Seine Kleider werden unvorstellbar weiß. Dann sehen die drei die Erscheinung Elias und Moses, die mit Jesus sprechen. Was unter ihnen gesagt wird, enthält der Erzähler in Mk 9,4 den fiktiven Adressaten vor. Die Wahrnehmung bleibt weiterhin bei den Schülern: Petrus ergreift in Mk 9,5 f das Wort, Furcht packt die drei. Die Himmelsstimme wendet sich in 846 847 848 849

Vgl. etwa Mk 5,12 f. Vgl. Gerber, Christologie, 66 f. Dazu auch Reiser, Porträts, 79–81. Dazu auch a. a. O. 72.

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IV Plutarchviten und Markusevangelium – ein Vergleich

Mk 9,7 explizit an die Schüler. Auf dem Rückweg erhalten sie von Jesus eine Anweisung, worauf sie sich πρὸς ἑαυτούς (Mk 9,10) beraten. Die Erzählung mit den drei Schülern als Wahrnehmungszentrum sorgt zum einen für inhaltliche Leerstellen, die die Rezipienten zur Deutungsarbeit einladen: Was sprachen Elia, Mose und Jesus? Durch die Leerstelle umgibt der Erzähler die Hauptfigur mit einer geheimnisvoll bleibenden Aura. Zum anderen bestätigt sich mit der Verklärungsgeschichte die Anteilhabe Jesu an der göttlichen Sphäre nun innerhalb der Erzählung vor den Augen von Zeugen. Zugleich kommt der sie betreffende Zeithorizont nach Jesu Tod in den Blick. Das spätere Versagen aller Schüler erscheint deshalb umso gravierender. Die letzte Szene des Evangeliums in Mk 16,1–8 ist aus der Wahrnehmung von Maria Magdalena, Maria und Salome heraus dargestellt. Der Erzähler gibt wieder, was sie erfahren: Dass das Grab zu ihrer Überraschung geöffnet ist, ihnen der informierte νεανίσκος begegnet, der Jesu Auferstehung bestätigt und seine Anweisung, nach Galiläa zu gehen, wiederholt. Auch hier bleiben Fragen unbeantwortet: Wer ist der junge Mann? Wie ging Jesu Auferstehung vonstatten? Was ist in Galiläa zu erwarten? Durch die Fokalisierung durch Nebenfiguren in unterschiedlichen Kontexten entsteht bei den Rezipienten ein kollagenhaftes Bild Jesu. Mit Nebenfiguren als Wahrnehmungszentren operieren gelegentlich auch die Plutarch-Biographien, um die Hauptfigur indirekt zu charakterisieren. So erzählt die Vita Catos des Jüngeren etwa eine in der Kindheit der Hauptfigur spielende Szene aus der Sicht ihres Erziehers, eines Mannes namens Sarpedon. Wegen verwandtschaftlicher Beziehungen wird dem jungen Cato gelegentlich die Ehre zuteil, bei Sulla eingeladen zu werden. Sarpedon legte großen Wert auf diese Besuche, da sie Ehre und gleichzeitig Sicherheit brachten, und immer wieder führte er Cato in Sullas Haus […] Das Haus glich in jener Zeit freilich eher einer Marterstätte […] Einmal sah Cato – er war damals vierzehn Jahre alt –, wie man Köpfe einiger, wie man ihm sagte, angesehener Männer hinaustrug, während die Anwesenden im Stillen seufzten. Da fragte er seinen Erzieher, warum denn niemand diesen Menschen ums Leben bringe, und als dieser erwiderte: „Weil die Furcht vor ihm größer ist als der Hass“, rief er aus: „Warum hast du mir nicht ein Schwert gegeben, dass ich ihn töte und das versklavte Vaterland erlöse?“ Als Sarpedon ihn so reden hörte und den Zorn in seinen Augen und die Entschlossenheit in seinem Antlitz sah, überkam ihn eine solche Angst, dass er den Knaben fortan mit peinlicher Sorgfalt hütete, damit er sich nicht zu einem tollkühnen Abenteuer fortreißen lasse. 850

Wie in den entsprechenden Passagen im Markusevangelium blickt der Erzähler hier mit einer Nebenfigur auf die Hauptfigur. Auch hier kommt (bereits im jugendlichen Alter) einer ihrer Wesenszüge zur Sprache: die Entschlossenheit, gegen Unrecht und Tyrannei vorzugehen. Analog zum Markusevangelium blei850

Plut. Cato min. 3,2–4.

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ben auch hier Leerstellen ungefüllt, um die Rezipienten zur Mitarbeit zu animieren: Wie lange wird Cato sicher sein? Wie wird sich seine Entschlossenheit in Laufe seines Lebens auswirken? Neben der Berichterstattung aus unterschiedlichen Wahrnehmungszentren heraus vermögen die Erzähler sowohl im Markusevangelium als auch in den Plutarch-Biographien innere Empfindungen und Gedanken von Figuren wiederzugeben. Solche Innenperspektiven können kurz gestreift werden, etwa in einer im Übrigen aus Sicht der Hauptfigur erzählten Passage, die vom Weggang des Alkibiades aus Athen handelt. 851 Die Überraschung der Athener erwähnt der Erzähler in Form von erzähltem Bewusstsein: Dass Alkibiades die Fehler der Athener sehr richtig erkannt hatte, bewiesen sehr bald die Tatsachen. Denn als [sc. der Spartaner] Lysandros sie plötzlich und gegen jedes Erwarten (ἄφνω γὰρ αὐτοῖς καὶ ἀπροσδοκήτως) überfiel, entrannen nur acht Trieren […], die anderen, nicht viel unter zweihundert, wurden als Beute weggeführt. 852

Ähnlich kurz, und zwar hier mittels indirekt zitierten Bewusstseins, kommt der Erzähler des ältesten Evangeliums auf die Empfindungen Jesu nach der Berührung durch die hilfesuchende Frau zu sprechen: Und Jesus spürte (ἐπιγνούς) sogleich an sich selbst, dass eine Kraft von ihm ausgegangen war, wandte sich um in der Menge und sprach: „Wer hat meine Kleider berührt?“ 853

Besonders betont wird das Vermögen des Erzählers, Innenperspektiven einzunehmen, wenn in das Innere einer Figur geblickt wird, die ihrerseits Einblick in die Wahrnehmung einer anderen Figur nimmt. Dieses Gestaltungsmittel verwendet innerhalb der Viten Plutarchs etwa eine Szene, in der ein gewisser Harpalos nach seiner Fahnenflucht in Athen Schutz vor Alexander dem Großen sucht. Um die Athener dazu zu bringen, ihn aufzunehmen, zeigt er ihnen die Bestechungsgeschenke, die er nach erfolgter Aufnahme spendieren würde: Als […] Harpalos bemerkte (ἰδών), dass Demosthenes an einem persischen Becher Gefallen fand (ἡσθέντα) und seine Form und die getriebene Arbeit genau betrachtete (καταμανθάνοντα), forderte er ihn auf, ihn in die Hand zu nehmen und das Gewicht des Goldes zu schätzen. 854

Einen etwas präziseren Einblick in das Innere einiger seiner Interaktionspartner hat Jesus im Markusevangelium: Es saßen da aber einige Schriftgelehrte und dachten in ihren Herzen (διαλογιζόμενοι ἐν ταῖς καρδίαις αὐτῶν): „Wie redet der so? Er lästert Gott! Wer kann Sünden vergeben als Gott allein?“ Und Jesus erkannte alsbald in seinem Geist, dass sie so bei sich selbst dach-

851 852 853 854

Vgl. Plut. Alkibiades 37,1 f. Plut. Alkibiades 37,2; dazu Verdegem, Alcibiades, 413. Mk 5,30. Plut. Demosthenes 25,2.

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IV Plutarchviten und Markusevangelium – ein Vergleich

ten (διαλογίζονται ἐν ἑαυτοῖς), und sprach zu ihnen: „Was denkt ihr solches in euren Herzen (διαλογίζεσθε ἐν ταῖς καρδίαις ὑμῶν)?“ 855

Das Vermögen Jesu und der Erzählerfigur, Innenperspektiven einzunehmen, gehen in der Passage eine enge Verbindung ein. Nicht nur scheint die Innenperspektive des Erzählers derjenigen Jesu voranzugehen, sondern Jesus verwendet bei seiner direkten Rede auch diejenigen Worte, mit denen der Erzähler das Bewusstseinszitat eingeleitet hatte (διαλογίζομαι ἐν ταῖς καρδίαις). Die Innenperspektiven-Interaktion wirkt daher spektakulärer als in dem Beispiel des Harpalos bei Plutarch. Keine der Hauptfiguren der Plutarch-Biographien verfügt über so weitreichende Kompetenzen zur Einnahme von Innenperspektiven wie Jesus im Markusevangelium. Typische Gelegenheiten zur Erzählung aus Innenperspektiven heraus sind bei Plutarch Träume der Figuren, 856 so etwa im Leben des Pyrrhus. Er befindet sich nach den (erfolglosen) Kämpfen in Italien, in der mehrere Tage währenden Schlacht um Sparta. Erst in der Nacht trennten sich die Kämpfenden, und Pyrrhus sah (εἶδε) schlafend folgenden Traum. Ihm war (ἐδόκει), Lakedaimon werde durch ihn von Blitzen getroffen, brenne ganz ab und er freue sich. Von der Freude erwachte er, befahl seinen Offizieren, das Heer in Bereitschaft zu halten, und erzählte den Freunden seinen Traum. 857

Träume und ihr Inhalt kommen im Markusevangelium nicht vor. Wie bereits gesehen, spielt hier jedoch die Kommunikation Jesu mit Gott eine wichtige Rolle. Die spektakulärste Innenperspektive nimmt der Erzähler daher nicht zufällig in der Gethsemane-Szene ein: Und er ging ein wenig weiter, fiel nieder auf die Erde und betete, dass, wenn es möglich wäre, die Stunde an ihm vorüberginge, und sprach: „Abba, Vater, alles ist dir möglich; nimm diesen Kelch von mir; doch nicht, was ich will, sondern was du willst!“ 858

Obwohl sein Wissen keinerlei Zugangsbeschränkungen bis in die Worte des Gebets Jesu hinein zu unterliegen scheint, gibt der Erzähler des Markusevangeliums seinen fiktiven Adressaten gegenüber nicht alles preis. Ob Jesus auf sein Gebet hin etwa eine Antwort erhalten hat, wird nicht gesagt. 9.2.3 Bewertungen Die Erzählungen sowohl der Biographien Plutarchs als auch des Markusevangeliums enthalten Situationen, in denen Figuren lächerlich erscheinen oder zumindest Anlass zu Spott geben. In Mk 5,6–13 etwa setzt sich Jesus mit dem 855 856 857 858

Mk 2,6–8. Vgl. Brenk, Dreams; Reiser, Porträts, 115. Plut. Pyrrhus 29,1. Mk 14,35 f.

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unreinen Geist λεγιών auseinander. 859 Auf den Wunsch des laut Mk 5,10 offenbar heimatverbundenen Dämons geht Jesus zum Schein und mit Hintergedanken ein, was sich freilich für den ungeschickt agierenden Legion als tödlicher Irrweg erweist. Gleichzeitig spielt die Geschichte auf der Ebene der Erzählzeit auf die römische legio X Fretensis an und gibt diese durch den schändlichen Tod der ertrinkenden Schweine der Lächerlichkeit preis. 860 In Mk 12,13–16 fällt auf, dass Jesus, dem die Gegner in Mk 12,14 Unparteilichkeit und daher rechte Lehre bescheinigten, sich ausgerechnet das Bild eines Menschen ansieht: das auf dem Denar eingeprägte Bild des Kaisers. Dass Jesus so die Scheinheiligkeit seiner Gesprächspartner offenlegt, stellt der Erzähler, ohne es explizit zu machen, mit einem feinen Gespür für Ironie dar. Bei Plutarch beginnt der Prolog des Sertorius-Eumenes-Buches mit einigen Beispielen erstaunlicher Zufälle, die sich im Laufe der Geschichte ereigneten, etwa dass von zwei nach den wohlriechendsten Pflanzen benannten Städten, Ios (Veilchen) und Smyrna (Myrrhe), der Dichter Homer der Sage nach in der einen geboren, in der anderen gestorben ist. 861

Auflistungen derartiger Koinzidenzen der Welt- und Geistesgeschichte widmete sich in der Zeit Plutarchs die beliebte Homoia-Literatur. 862 Um auf den Gegenstand seiner Erzählung hinzuführen, fügt der Erzähler den Beispielen Folgendes an: Also gut, dann lasst uns da noch eins drauf setzen und folgende Parallele anführen: Die kriegstüchtigsten Strategen […] (als da wären: Philipp, Antigonos, Hannibal und der Gegenstand dieser Biographie, Sertorius) waren allesamt – einäugig! 863

Der ironische Aspekt der Passage bleibt auch hier implizit und ist daher aus heutiger Sicht nur schwer zu beschreiben. Wahrscheinlich geht es Plutarch an der Stelle um einen aus seiner Sicht lächerlichen Aberglauben, demzufolge Einäugigkeit einen guten Feldherren ausmache. Möglicherweise nimmt er auch indirekt sein synkritisches Programm aufs Korn, das insbesondere der Doppelviten-Serie zu Grunde liegt; basiert es doch unter anderem auf der Grundannahme, dass Geschichte sich (wie in den zufälligen Parallelen!) wiederholt und daher bestimmte Aspekte sowohl bei großen Griechen als auch bei großen Römern zu beobachten sind. 864 Gemeinsam ist den Erzählerfiguren sowohl im ältesten Evangelium als auch bei Plutarch, dass sie gelegentlich Spott und Ironie als Mittel der Bewertung verwenden. 859 860 861 862 863 864

Vgl., mit weiteren Beispielen, Stolle, Markusevangelium, 23. Vgl. Bosenius, Raum, 204–208. Plut. Sertorius 1,3. Vgl. Schneider, Ironie, 94 f. Plut. Sertorius 1,4. Übersetzung nach Schneider, Ironie, 95. Vgl. Schneider, Ironie, 96 f.

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Seine grundlegende Sichtweise auf die porträtierte Hauptfigur benennt der Erzähler bei Plutarch in einigen besonders eindeutigen Fällen explizit. Perikles etwa, nicht zufällig Ὀλύμπιος genannt, 865 habe auf Grund seiner Tugendhaftigkeit wahrhaft königlich, geradezu göttergleich gewirkt, 866 während Demetrios und Antonius dem Erzähler als zwei schlechte Charaktere gelten, die für die Rezipienten nur als Negativexempel taugten. 867 Alkibiades wird von vornherein als ein in sich widersprüchlicher und ambivalenter Charakter vorgestellt. 868 Wie bei dem zuletzt Genannten verhält es sich bei den meisten der von Plutarch Porträtierten (ohne dass dies bei allen so benannt wird). Gelegentlich gibt der Erzähler zu erkennen, wie er positive und negative Eigenheiten verteilt sieht, indem er einzelne Taten bewertet. Dass beispielsweise der jugendliche Alkibiades dem hoch angesehenen Hipponikos „aus Spaß“ 869 eine Ohrfeige gab, habe „natürlich“ 870 zu Entsetzen bei den Zeitgenossen geführt. Aber der Erzähler kann auch loben. Als Alkibiades die in Samos versammelten Athener Truppen erfolgreich von dem Versuch, die unterdessen in Athen ausgebrochene oligarchische Revolution mit Gewalt zu stoppen, abhielt, sei das seine erste überaus rühmliche und von der Weitsicht und Besonnenheit einer großen Führungspersönlichkeit zeugende Tat gewesen. 871 Dass dem Erzähler Beurteilungen des Erzählten möglich sind, setzt die Zuverlässigkeit seiner Erzählung voraus. Mögliche Unsicherheiten werden dabei durch die von ihm mit dem fiktiven Rezipienten eingegangene Komplizenschaft aufgefangen. 872 Noch häufiger, als er direkte Bewertungen abgibt, lässt der Erzähler Leerstellen, die der Rezipient auffüllen kann. 873 Zu beobachten ist das Phänomen etwa bei der Schilderung des Umgangs des Alkibiades mit seinen jugendlichen Liebhabern: Den einen, Anytos, bestiehlt er in angetrunkenem Zustand dreist vor den Augen seiner Gäste; dem anderen, einem anonym bleibenden Halbbürger, verschafft er Geld, das er den städtischen Zollpächtern, mit denen er noch eine Rechnung offen hat, abpresst. 874 Bewertende und sonstige Kommentierungen fehlen in beiden Fällen. Die zuletzt referierte Anekdote schließt mit den auffällig schlichten Worten:

865

Vgl. Plut. Perikles 39,2. Vgl. Plut. Perikles 39. 867 Vgl. Plut. Demetrios 1. 868 Vgl. Plut. Alkibiades 2,1. 869 Plut. Alkibiades 8,1; vgl. Verdegem, Alcibiades, 416. 870 Plut. Alkibiades 8,1. 871 Vgl. Plut. Alkibiades 26. 872 S. o. 1.3. 873 Vgl. Duff, Exploring, 55; Ders., Reader. Brenk, Mystery, 73, erwägt, ob das Fehlen eschatologischer Ethik in den Plutarch-Viten auf ihre Tendenz zurückzuführen ist, direkte Bewertungen der Hauptfigur zu unterdrücken. 874 Vgl. Plut. Alkibiades 4 f; vgl. auch die Diomedes-Episode in Alkibiades 12. 866

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Auf diese Weise bereicherte er [sc. Alkibiades] ihn [sc. den Anonymus]. 875

Auch in anderen Passagen hält sich der Erzähler mit Bewertungen zurück, lässt die Geschehnisse für sich sprechen und kommentiert nur im Nachhinein: Gewaltsam hindert etwa der notorisch untreue Alkibiades seine Frau Hipparete daran, den Scheidebrief beim Archon abzugeben. Der Erzähler sieht die Verwerflichkeit dieser Tat durchaus, gesteht ihr aber zu, im Einklang mit der damaligen Rechtslage in Athen zu stehen. 876 Anderes gibt der Erzähler vor nicht zu wissen: Als das Volk Athens sich Alkibiades als Tyrannen herbeisehnt, bemerkt der Erzähler: Welche Gedanken er sich nun selbst über die Alleinherrschaft machte, das ist nicht bekannt. 877

Insgesamt spricht die in der überwiegenden Zahl der Fälle vom Erzähler geübte Zurückhaltung für eine bewusste Strategie, die Leser zur eigenen Bewertung der einzelnen Szenen und des Charakters der Hauptfigur insgesamt anzuregen. Manche Metakommentare lassen Bewertungsspieräume: In Alkibiades 10,2 f etwa wird lediglich festgestellt, Demosthenes und Theophrast widersprächen sich in ihren Werken hinsichtlich der Redekunst des Alkibiades. Der Leser soll offenbar versuchen, sich selbst anhand der Erzählung einen eigenen Eindruck zu verschaffen. 878 Analog zu den bei Plutarch eindeutig bewerteten Hauptfiguren stellt sich der Erzähler im Markusevangelium durchgängig auf die Seite Jesu und damit Gottes. Explizit führt er die Hauptfigur in Mk 1,1 ein als den Gottessohn Jesus Christus. Allerdings handelt es sich bei dieser Aussage um die einzige explizite Charakterisierung Jesu aus dem Mund der Erzählerfigur. 879 Sie kann zwar gelegentlich ihren Standpunkt klarmachen, etwa wenn in Mk 7,19 die Rede Jesu verbindlich interpretiert oder in Mk 12,18 die Auffassung der Sadduzäer diskreditiert wird. 880 Aber – analog zu den Plutarch-Biographien – erfolgen, abgesehen vom ersten Vers, Charakterisierungen Jesu nur im Munde intradiegetischer Figuren. So werden beispielsweise die unterschiedlichen Volksmeinungen über Jesus in Mk 6,14 f; 8,28 zwar notiert, aber nicht (explizit) eingeordnet. 881 Angesichts der nur durch die erzählten Figuren gegebenen Bewertungen bieten mindestens drei als verlässlich vorausgesetzte Instanzen den Rezipienten klare Orientierung und Einordnung: Gott, Jesus sowie der Erzähler, der über beider Dinge weiß. Allerdings nimmt im Laufe der Erzählung ihre orientierende Rolle 875 876 877 878 879 880 881

Plut. Alkibiades 5,3. Vgl. Plut. Alkibiades 8. Plut. Alkibiades 35,1. Vgl. Verdegem, Alcibiades, 416. Vgl. Stolle, Markusevangelium, 17; Rüggemeier, Poetik, 212. Vgl. Rüggemeier, Poetik, 211 mit Anm. 32. Vgl. Müller, Jesus, 16 f.

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ab: Gott spricht zuletzt in Mk 9,7; er lässt – zumindest soweit den fiktiven Adressaten gegenüber dargestellt – Jesu Bitte in Mk 14,36 sowie seine Frage in Mk 15,35 unbeantwortet. 882 Jesus verstummt in Mk 15,1–5, und der Erzähler gibt in Mk 16,1–8 seine Sicht der Dinge nicht preis. Die Rezipienten müssen daher allein darauf vertrauen, dass die vorher angekündigte und in Mk 16,6 konstatierte Auferstehung Jesu eingetreten ist, das heißt, dass die Erzählung insgesamt als zuverlässig zu betrachten ist. 883 9.2.4 Resümee Der unterschiedliche Ton der Erzählweisen im Markusevangelium und bei Plutarch beruht auf verschiedenartigen Akzentuierungen. Bei Plutarch dominiert zeitraffendes und bilanzierendes Berichten, im Markusevangelium ausführlicheres und langsameres Erzählen, das beim Chaironäer nur in besonders herausgehobenen Szenen praktiziert wird. Im ältesten Evangelium überwiegen in direkter Rede wiedergegebene Dialoge, die bei Plutarch eher selten sind. Das Inventar der Gestaltungsmittel der Erzählerrede ist bei beiden aber gleich; grundsätzliche Unterschiede liegen nicht vor. Gemeinsam sind Plutarch-Viten und Markusevangelium weiterhin kleinere Charakteristika: die gelegentliche Platzierung längerer Reden, meist in direkter, aber auch in indirekter Wiedergabe sowie die schnellen Wechsel unterschiedlicher Wiedergabemodi von Figurentext auf kleinem Raum. Wissen und Wahrnehmung der Erzählfiguren sowohl im Markusevangelium 884 als auch in den Plutarch-Biographien sind räumlich und zeitlich ungebunden und unterliegen keinen Zugangsbeschränkungen. Hier wie dort werden einzelne Szenen aus der Wahrnehmung der Hauptfigur heraus erzählt, und zwar solche, in denen Charakteristisches gezeigt werden soll. Bei Jesus wird das Kommunikationsverhältnis mit Gott hervorgehoben. Alternativ können die Erzähler auch aus der Wahrnehmung von Nebenfiguren heraus auf die Hauptfigur blicken. Innenperspektiven begegnen gelegentlich sowohl im ältesten Evangelium als auch bei Plutarch. Dass das Vorherrschen externer Fokalisierung im Markusevangelium einen Unterschied zu paganen Viten ausmache, 885 trifft daher zumindest im Blick auf Plutarch nicht zu. Das Wissen des Erzählers im Markusevangelium wird erzählerisch mit dem Wissen Jesu eng verknüpft und damit als zuverlässige Instanz vorgeführt. 886 Wie Plutarch unter seinen Hauptfiguren explizit gute oder schlechte bezeichnet, stellt der Erzähler im Markusevangelium die Zugehörigkeit seiner Haupt882 883 884 885 886

Vgl. Gerber, Christologie, 69. Vgl. ebd. Vgl. Eisen, Markusevangelium, 140.142.145. Vgl. Seifert, Markusschluss, 270 f. Vgl. Eisen, Markusevangelium, 147.

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figur zu Gott in den Mittelpunkt. Ähnlich wie es der Erzähler der Viten Plutarchs tut, geht der Erzähler im Markusevangelium zurückhaltend mit seiner Bewertung der Hauptfigur um. Viel häufiger wird sie durch die Worte und Taten anderer Figuren charakterisiert.

9.3 Hauptfigur 887 9.3.1 Äußeres Äußere Angaben zur Hauptfigur fehlen im Markusevangelium vollständig oder bleiben zumindest im Vagen. So ist etwa das Alter Jesu zu Beginn seiner öffentlichen Wirksamkeit unklar. Die in Mk 6,3 enthaltene Information, er habe vor Beginn seiner Verkündigungstätigkeit als Handwerker gearbeitet, bietet nur einen sehr groben Anhaltspunkt. 888 In den Viten Plutarchs gehört das Alter der Hauptfigur zu den allerdings nur gelegentlich eingestreuten Informationen, 889 zumal wenn Besonderheiten damit zusammenhängen: Numa etwa war schon 40 Jahre alt, als er König wurde; Theseus unternahm (aus Sicht des Erzählers unerhörterweise) noch im hohen Alter von 50 Jahren den Raub Helenas. 890 In beiden Fällen gehören die Altersangaben zur Fiktion eines zeitlichen Settings. 891 In der Regel wird bei Plutarch das Alter, in dem die Hauptfigur verstirbt, notiert. 892 Auch drücken sich aus Sicht der Biographien zumindest in manchen Fällen Charakterzüge in körperlichen Merkmalen aus. 893 Die Beschreibung der Physis Jesu bleibt dagegen im Markusevangelium eine vollständige Leerstelle. Ähnlich verhält es sich bei der Beschreibung der Kleidung Jesu. Sie ist kein besonderer Gegenstand des Erzählers, 894 sondern wird nur im Zusammenhang mit Anderem angesprochen. So lässt sich aus Mk 1,7 f und Mk 6,9 schließen, dass der markinische Jesus gerade nicht das von Johannes beim kommenden Stärkeren erwartete vornehme, in der Antike meist für Götter und Kaiser vorgesehene Schuhwerk trägt, sondern einfache Sandalen, wie er sie auch seinen Schülern empfiehlt. 895 In Mk 5,27 f.30 wird die Kleidung Jesu zwar erwähnt, aber nicht weiter charakterisiert. Im Fokus des Interesses steht hier vielmehr das Problem der Übertragung von Unreinheit durch die Berührung der Frau. Vgl. Reiser, Charakteristik; Rüggemeier, Poetik. Vgl. Rüggemeier, Poetik, 339. 889 Vgl. etwa Plut. Demosthenes 15,2. 890 Vgl. Plut. Numa 5,1; Theseus 31,1. 891 S. o. 4.2. 892 Vgl. etwa Plut. Cato min. 73,1. 893 Vgl. Plut. Alexandros 4,1–4; Antonius 4,1; Pyrrhus 3,4; Plut. Marius 2,1; dazu auch Duff, Exploring, 78. 894 Vgl. Rüggemeier, Poetik, 337–340. 895 Vgl. Dormeyer, Idealbiographie, 106. 887 888

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Das in Mk 9,2 Beschriebene steht für die Gottesnähe Jesu; in Mk 15,26 geht es um gegnerischen Vorwurf der Anmaßung eines königlichen Status. Abgesehen von diesen Sonderfällen erfahren die Rezipienten nichts über Jesu Äußeres. Offensichtlich war es für die Erzählung über Jesu Wirksamkeit in der Darstellung des Markusevangeliums nicht relevant. 896 Möglicherweise sollte auf diese Weise auch die Identifikation mit der Hauptfigur erleichtert werden: Von ihr wird kein ‚Bild‘ gezeichnet, Rezipientinnen und Rezipienten können sich unabhängig etwa von Alter und Geschlecht in ihr spiegeln. 897 Bei Plutarch wird die Kleidung der Hauptfigur ebenfalls nicht als eigenständiges Thema, sondern (ebenfalls selten und) nur in Zusammenhang mit auffälligen Charakterzügen oder Verhaltensweisen behandelt. So trägt der alte Cato, wie der Leser erfährt, aus Bescheidenheit nie Kleidung, die mehr als 100 Drachmen kostet. 898 Sein gleichnamiger Urenkel geht bei Plutarch ohne Sandalen und Untergewand aus dem Haus, um, so der Biograph, sich gegen das dadurch hervorgerufene Gerede der Leute abzuhärten. 899 Im Markusevangelium hat Jesus einen Brotberuf, 900 der ihn auch sozial einordnet. Nach der Aufnahme der in Mk 1,14 f begonnen Verkündigungstätigkeit scheint er jedoch nicht mehr zu arbeiten. Mittel zum Lebensunterhalt Jesu und der ihm folgenden Schüler werden aber von Unterstützern bereitgestellt. 901 Eine interessante Ausnahme zum sonst Üblichen stellt bei Plutarch Solon, der Staatsmann, Dichter und Angehörige des Kreises der Sieben Weisen, dar: Er bestreitet (zumindest zeitweise) als Kaufmann seinen Lebensunterhalt. Der Umgang der Erzählung mit dieser Information zeigt aber, wie selbstverständlich die Zugehörigkeit der Hauptfiguren zur Oberschicht und damit ihre Unabhängigkeit von Erwerbsarbeit vorausgesetzt ist. 902 Denn viel Aufwand wird darauf verwendet, Solons Tätigkeit im Handel kleinzureden. 903 Er stamme selbstverständlich aus einem vornehmem und gut situierten Hause, allein der Vater habe durch Großzügigkeit sein Vermögen durchgebracht. Daher – vielleicht auch nur, um durch Reisen seinen Horizont zu erweitern – habe sich Solon als Kaufmann betätigt. Zudem sei Berufstätigkeit bei hochgestellten Personen zur Zeit Solons noch anerkannt gewesen, zumal im Handel. 896

Vgl. auch a. a. O. 105. Vgl. Bond, Biography, 161–166. 898 Vgl. Plut. Cato mai. 4,3. 899 Vgl. Plut. Cato min. 6,3. 900 Vgl. Mk 6,3. 901 Zur Ernährung von Schülern und Lehrpublikum Jesu vgl. Mk 2,18; 3,20; 6,31.38; 8,14; 14,12–26. Von einer Notlage der Schüler ist in Mk 2,23 keine Rede (vgl. Stolle, Markusevangelium, 82). Große Summen konnten sie freilich nicht aufbringen (vgl. Mk 6,37; dazu a. a. O. 154). 902 ‚Das Volk‘ wird dementsprechend in den Plutarch-Viten fast durchgehend als NichtElite definiert, näher als beeinflussbare oder sogar manipulierbare Masse (vgl. Saïd, People). 903 Vgl. Plut. Solon 2. 897

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In sein Bild der Hauptfigur integriert der Erzähler auch ihre sprachliche, ethnische und religiöse Identität. Mk 6,56 scheint auf die in Dtn 22,12; Num 15,38 f gebotenen Gewandquasten (κράσπεδον) zu verweisen. 904 Der Erzähler zitiert mehrfach aramäische Aussprüche Jesu und lässt auch so Lokalkolorit in seine Erzählung einfließen. 905 Auch die Römerbiographien Plutarchs arbeiten gelegentlich mit sprachlichem Lokalkolorit. Sie enthalten lateinische Ausdrücke in griechischer Übersetzung und erklären, falls nötig, Besonderheiten der Ausgangssprache. 906 Plutarchs Cäsar etwa schreibt nach Rom anlässlich seines schnellen Sieges über Pharnakes: „Kam, sah, siegte (ἦλθον, εἶδον, ἐνίκησα).“ Im Lateinischen klingen diese Worte auf die gleiche Endung aus und sind von eindrücklicher Kürze. 907

Auch befolgen die Figuren der Plutarch-Viten selbstverständlich ihre religiösen Gebräuche: Theseus vollzieht nach der glücklichen Heimkehr das Apoll versprochene Dankopfer; 908 Vorzeichen und Orakel werden vor Beginn eines Feldzugs eingeholt und diskutiert. 909 9.3.2 Inneres Zwar bleibt auch hinsichtlich des Innern Jesu im Markusevangelium Vieles im Angedeuteten, doch der Erzähler ermöglicht den Rezipientinnen und Rezipienten durchaus Einblicke, indem aus Jesu Wahrnehmung heraus oder unter Einnahme von Innenperspektiven erzählt wird. 910 So erfahren die Leser auch von Empfindungen Jesu: 911 Er wundert sich (ἐθαύμαζεν) über die Bewohner seiner Heimatstadt, 912 er seufzt (ἐστέναξεν) beim Gebet. 913 Jesus umarmt Kinder, 914 den Reichen, der ihn anspricht, gewinnt er lieb. 915 Traurig wird er über die Hartherzigkeit seiner Zeitgenossen sowie angesichts seines herannahenden Todes. 916 Mehrmals empfindet er Mitleid (σπλαγχνισθείς) mit Bedürftigen,

Vgl. Rüggemeier, Poetik, 338 f. Vgl. 3,17; 5,41; 7,34; 14,36; 15,34; dazu auch Stolle, Markusevangelium, 21. 906 Vgl. Stadter, Apartment, 206–208. Plut. Numa 14,2 enthält Lateinisches in griechischer Umschrift. 907 Plut. Cäsar 50,2. Vgl. ferner auch Otho 18,1; Cicero 22,2; Caesar 46,2. 908 Vgl. Plut. Theseus 22,4. 909 Vgl. Plut. Nikias 13. 910 Vgl. Rüggemeier, Poetik, 322 Anm. 407. S. o. 9.2.2. 911 Vgl. a. a. O. 326–330; Stolle, Markusevangelium, 21. 912 Vgl. Mk 6,6. 913 Vgl. Mk 7,34; vgl. auch Mk 8,12. 914 Vgl. Mk 9,36; 10,16. 915 Vgl. Mk 10,21. 916 Vgl. Mk 3,5; 14,34. 904 905

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denen er hilft. 917 Gleichfalls kann er auch Schüler 918 oder Gegner 919 aus Zorn oder Enttäuschung heraus anfahren. Plutarch stellt Alexander auch hinsichtlich seiner Emotionen als einen Ausnahmecharakter dar, bei dem die Vernunft gelegentlich nicht in der Lage ist, die Emotionen zu kontrollieren. 920 Im Streit geht er etwa zornig auf seinen General Kleitos los und ersticht ihn. Unmittelbar darauf bereut er seine Tat und muss von Umstehenden davon abgehalten werden, sich selbst das Leben zu nehmen. Die ganze Nacht über weint und klagt er; den nächsten Tag verbringt er antriebslos im Bett. 921 Auch bei der Trauer um seinen langjährigen Geliebten Hephaiston kennt er kein Maß; sogar ein ganzes Volk, die Kossaier, schlachtet er als eine Art Totenopfer für den Verstorbenen ab. 922 Das Gros der Hauptfiguren der Plutarch-Biographien zeigt sich dagegen weit weniger von Emotionen gesteuert. Ihr zum Ausdruck gebrachtes Inneres wird dennoch gelegentlich zum Gegenstand der Erzählung. Cato der Jüngere etwa empfindet Freude und Stolz darüber, den Philosophen Athenodoros als Gesprächspartner gewonnen zu haben. 923 Auch kann er „in leidenschaftlichem Zorn (μετ᾽ ὀργῆς καὶ πάθους)“ 924 gegen einen Antrag Cäsars im Senat argumentieren. Nur in zwei Lebensphasen wird Cato emotional so stark berührt, dass er seine ansonsten eingeübte, eines philosophisch Gebildeten angemessene Festigkeit und Ruhe nicht bewahren kann: beim Tod des geliebten Bruders 925 sowie gegen Ende seines eigenen Lebens. Zum Zeichen der Trauer um den drohenden Verlust der republikanischen Freiheit sowie seines eigenen Lebens verzichtet er in der letzten Lebensphase auf Bekränzung sowie auf das Liegen beim Essen; auch lässt er sich Haar und Bart wachsen. 926 Am Vorabend und in der Nacht seines Suizids verhält er sich äußerlich gefasst; bei der Konversation über philosophische Themen sowie beim Versuch der Seinen, ihn vom Selbstmord abzuhalten, gerät er jedoch außer sich. 927 Hinsichtlich der gelegentlichen Beschreibung von Emotionen, die sich im Verhalten manifestieren, ähneln sich Cato der Jüngere und Jesus im Markusevangelium. Dass dabei der herannahende Tod bei Cato wie bei Jesus (dargestellt insbesondere in Mk 14,32–41) eine Sonderrolle spielt, ist bei beiden zu beobachten. 917

Vgl. Mk 1,41; 6,34; 8,2. Vgl. Mk 4,13; 8,17–21; 10,14; dazu auch Rüggemeier, Poetik, 329. 919 Vgl. Mk 1,43; 3,5; 7,6; 12,15.24. 920 Vgl. Duff, Exploring, 76. Auch an Gaius und Tiberius Gracchus illustriert der Erzähler das Problem inadäquater Emotionsäußerungen (vgl. Plut. Tiberius Gracchus 2; dazu auch Van der Stockt, Self-Esteem, 289 f). 921 Vgl. Plut. Alexandros 51 f. 922 Vgl. Plut. Alexandros 72. 923 Vgl. Plut. Cato min. 10,2. 924 Plut. Cato min. 23,1. 925 Vgl. Plut. Cato min. 11. 926 Vgl. Plut. Cato min. 53,1; 56,4. 927 Vgl. Plut. Cato min. 67,2; 68,3. 918

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Nicht explizit, aber mittels einzelner Szenen und Begebenheiten skizziert der Erzähler des Markusevangeliums einige grundsätzliche Wesenszüge seiner Hauptfigur. Gerade im Kontrast zu seinen Gegnern, die aus eigennützigen Motiven, 928 mit List 929 und Lüge 930 agieren, erscheint Jesus als besonders ehrlich. Die Gegner müssen selbst zugestehen, was offenbar allgemein so gesehen wird: 931 „Meister, wir wissen, dass du wahrhaftig bist und fragst nach niemandem; denn du siehst nicht auf das Ansehen der Menschen, sondern du lehrst den Weg Gottes recht.“ 932

Jesus antwortet in Mk 12,17 offen und ehrlich, 933 umgeht dabei aber die gestellte Falle. Zutreffend beantwortet Jesus auch die Frage des Hohenpriesters in Mk 15,61, woraufhin die Gegner seine Todeswürdigkeit feststellen. Unter den Hauptfiguren Plutarchs lässt sich Phokions Ehrlichkeit im Moment des Todes als Parallele anführen: 934 In sokratischer Manier sorgt er noch dafür, dem Henker die Kosten für den Gifttrunk zu ersetzen. 935 Weitere Tugenden lassen sich benennen, die in den Plutarch-Biographien explizit angesprochen werden und die das älteste Evangelium (in transformierter Form) auch seiner Hauptfigur Jesus zukommen lässt. 936 So lobt der Erzähler Numa und Lykurg für ihre Weisheit (σωφροσύνη), Frömmigkeit (εὐσέβεια), ihre Staatsklugheit (πολιτικόν), ihre pädagogischen Fähigkeiten (παιδευτικόν) sowie für die Tatsache, dass sie ihre Gesetzgebung am göttlichen Willen ausrichteten (τὸ μίαν ἀρχὴν παρὰ τῶν θεῶν ἀμφοτέρους λαβεῖν τῆς νομοθεσίας). 937 Für das Markusevangelium steht außer Frage, dass Jesus in Vollmacht und ausschließlich in Übereinstimmung mit dem Willen Gottes lehrt und die Gottesherrschaft verkündigt, wie innerhalb der erzählten Welt selbst Jesu Gegner in Mk 12,14 anerkennen müssen. Weiterhin lässt sich der markinische Jesus als Träger von Tugenden verstehen, die in der griechisch-römischen Kultur geachtet waren. 938 Seine Wundertaten und seine schlagfertigen Antworten in Streitgesprächen zeugen von seiner Selbstkontrolle beziehungsweise seiner σωφροσύνη sowie seiner φιλανθρωπία. Seine Versuche, das Bekanntwerden seiner Erfolge zu unterdrücken, führen seine Bescheidenheit vor Augen.

928

Vgl. Mk 11,18. Vgl. Mk 3,2; 12,13.20–23; 14,1 f.10 f. 930 Vgl Mk 3,22.30; 14,55–59. 931 Vgl. Reiser, Porträts, 100. 932 Mk 12,14. 933 Vgl. Reiser, Porträts, 101. 934 Vgl. ebd. 935 Vgl. Plut. Phokion 36,4. 936 Vgl. Dormeyer, Idealbiographie, 152 f. Zur Tugend- und Charakterbewertung bei Plutarch vgl. Nikolaidis, Morality; Opsomer, Virtue. 937 Vgl. Plut. Numa 23(1),1. 938 Vgl. Bond, Biography, 137–142. 929

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Von seinen Schülern verlangt Jesus zwar bestimmte Dienste, etwa ihm nachzufolgen oder Vorbereitungen zu treffen, sei es für den Ritt bis vor die Tore Jerusalems, sei für das dortige Passamahl. 939 Insbesondere dem Kreis der Zwölf obliegen Aufgaben bei Verkündigung und Exorzismen, wobei einige Rahmenbedingungen recht genau definiert werden. 940 Auch lässt Jesus sich nicht näher definierte Dienstleistungen von den galiläischen Frauen, die ihm nachfolgen, sowie den Ehrerweis in Form der Salbung durch eine Frau im Haus Simons gefallen. 941 Jesus therapiert unzählige Bedüftige, im Gegensatz zu den Ärzten ohne ein Honorar zu verlangen. 942 Den Schülern begegnet er zugewandt und ohne Herrschaftsallüren. Selbst als sie ihn bis zu seinem Refugium „verfolgen (κατεδίωξεν)“ 943 und dort beim Gebet stören, tadelt er sie nicht, sondern geht auf ihr Anliegen ein. 944 Auch nach dem vollständigen Versagen der Schüler spricht er ihnen einen nachösterlichen Neuanfang zu. 945 Die radikale Umwertung des zeitgenössisch üblichen Herrschaftsbegriffs gehört zum Kern der Lehre des markinischen Jesus, nach der er auch handelt. 946 Bis hin zum Kreuz gibt er sein Leben hin. Er versteht sich als Diener und nicht als einer, der bedient wird. 947 Der Verzicht auf Privilegien gilt auch den Plutarch-Biographien als erstrebenswert. Der philosophisch Gebildete verwende seine Zeit nicht für Luxus und Gelderwerb (πρὸς ἡδυπαθείας καὶ πορισμούς 948). Der seinen Freunden gegenüber sehr freigiebige Alexander etwa schätzt den Athener Phokion außerordentlich und will ihm ein Geschenk von hundert Talenten überbringen lassen. Doch der bescheidene Phokion nimmt es von den Boten Alexanders nicht an. 949 Wie ihm dann die Gesandten in sein Haus folgten und die große Einfachheit sahen, wie die Frau den Brotteig knetete und Phokion selbst Wasser aus dem Brunnen heraufseilte und sich die Füße wusch, drangen sie noch mehr in ihn und äußerten ihren Unwillen: es sei unerhört, dass er, ein Freund des Königs, so schlecht lebe. 950

Als Ideal gelten der Verzicht auf Geldeinnahmen, Privilegien und Repräsentation auch bei Cato dem Jüngeren: Er geht zu Fuß, während sein Gefolge Reittiere nutzt. 951 Selbst bei Alexander, der alles andere als bescheiden lebt, lobt der 939 940 941 942 943 944 945 946 947 948 949 950 951

Vgl. Mk 1,16–20; 2,13 f; 11,1–3; 14,13–15. Vgl. Mk 3,13–19; 6,7–13. Vgl. Mk 15,41; 14,3–9; vgl. auch Mk 1,30. Vgl. Mk 5,26. Mk 1,36. Vgl. Reiser, Porträts, 85. Vgl. Mk 14,28; 16,7. Vgl. Bond, Biography, 150–155. Mk 10,45. Plut. Numa 3,6. Vgl. Plut. Phokion 17,4–18,1. Plut. Phokion 18,2. Vgl. Plut. Cato min. 9; vgl. auch Cato min. 11 f.

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Biograph, er habe die Ausgaben für seine Gastmähler auf zehntausend Drachmen limitiert. 952 Was die Ausübung von Macht betrifft, so geht Cato bei Plutarch mit Entschlossenheit und Härte gegen Untergebene vor, wenn sie ungerecht handeln. 953 Grundsätzlich aber gelingt es ihm, so der Biograph, sie für sich und seine Tugendhaftigkeit zu gewinnen und sie zu tugendgeleitetem Handeln anzuhalten. Seine Absicht sei dabei, seine Leute ihm ähnlich zu machen. 954 Zu einem von philosophischen Idealen durchdrungenen Leben gehört für Plutarchs Erzählungen auch das Eintreten für Andere. Der Tugendhafte stelle sich Mitbürgern und Fremden als gerechter Richter und Berater zur Verfügung (χρῆσθαι παρέχων ἑαυτὸν ἄμεμπτον δικαστὴν καὶ σύμβουλον 955). Catos Anstrengungen etwa, angesichts des Herannahens der feindlichen Truppen so Viele wie möglich in Sicherheit zu bringen, wird von seinen Zeitgenossen lobend registriert. 956 Ein zentraler Unterschied zwischen Markusevangelium und Plutarch-Biographien hinsichtlich der jeweiligen Hauptfigur besteht darin, dass bei Jesus keine negativen Eigenschaften dargestellt werden, gehört er doch zur Sphäre Gottes. 957 Demgegenüber rechnen die Plutarch-Biographien in den meisten Fällen mit zwar grundsätzlich nachahmenswerten Charakteren, die aber kleinere und größere Makel aufweisen. Sie seien zurückzuführen auf die Unzulänglichkeit der menschlichen Natur, dass sie keinen ganz rein und unbestreitbar vollkommenen Charakter hervorbringen kann. 958

Auch wenn er, wie er sagt, mit Negativem seine Lebensbilder nicht unnötig belasten will, unterschlägt der Erzähler doch auch manche schlechte Tat der Hauptfiguren nicht. Demosthenes etwa macht sich der Bestechlichkeit schuldig; 959 Cato, als er die Fassung verliert, schlägt in der Nacht seines Suizids einen Sklaven blutig. 960 Die Plutarch-Biographien setzen die psychologische Annahme voraus, dass das Wesen eines Menschen in einer unveränderlichen φύσις gründet, 961 deren Potential durch eine (philosophische) Erziehung 962 und durch die Bemühung um eine immer tugendhaftere Lebensführung zu Tage treten kann. 963 Verfügt 952

Vgl. Plut. Alexandros 23,6. Vgl. Plut. Cato min. 17. 954 Vgl. Plut. Cato min. 9. 955 Plut. Numa 3,6. 956 Vgl. Cato min. 64,2. 957 Vgl. Reiser, Porträts, 43; Keener, Christobiography, 131. 958 Plut. Kimon 2,5. 959 Vgl. Plut. Demosthenes 25. 960 Vgl. Plut. Cato min. 68,3. 961 Es handelt sich hierbei um eine in der Biographie-Literatur gängige Grundannahme (vgl. Bond, Biography, 51–53). 962 Dazu Xenophontos, Education. 963 Vgl. Schorn, Biographie (Manuskript), 31 f; Duff, Exploring, 75 f; Dihle, Evangelien, 953

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IV Plutarchviten und Markusevangelium – ein Vergleich

ein Mensch über die entsprechende Veranlagung und müht sich um ihre Ausbildung, kann er durch Gewöhnung (ἔθος) den ständig stattfindenden inneren Widerstreit zwischen Emotionen und Vernunft im Sinne eines gesunden Mittelmaßes entscheiden, sodass gute Charakterzüge (ἤθη) entstehen. Mit Hilfe dieses Konzepts können die Viten Plutarch einerseits die Tatsache darstellen, dass ihre Figuren sich durch Ereignisse ihres Lebens verändern. Zu denken ist etwa an die schicksalhaften Wendepunkte, die einige der Hauptfiguren erleben. 964 Andererseits lässt sich auf die dargestellte Art plausibilisieren, dass in vielen Fällen bestimmte Wesenszüge der Hauptfiguren die gesamte erzählte Zeit über stabil bleiben. 965 So wird etwa Demosthenes im Prolog als ehrgeizige, sich für die Freiheit Athens einsetzende Person vorgestellt, die aber keinen Mut in Streit und Krieg habe. 966 Für ihre Leistungen als Redner wird die Hauptfigur in der folgenden Erzählung immer wieder bewundert; 967 wenn es darum geht, die politische Agenda umzusetzen, entzieht sich Plutarchs Demosthenes mehrfach der Aufgabe. 968 Seiner anti-makedonischen Linie bleibt er bis zu seinem Tod treu. 969 Das vom Erzähler eingangs genannte Set an Eigenschaften bleibt also bis zum Ende der Erzählung stabil. 970 Unveränderliche Wesenszüge berühren sich bei Plutarch mit dem Aspekt von Pflichten, denen seine Figuren nachzukommen haben. Schon die in seine Lebensbeschreibung aufgenommenen Kindheitsanekdoten illustrieren Catos Kompromisslosigkeit und sein Eintreten für Gerechtigkeit und republikanische Freiheit. 971 Dem bleibt er auch bis zu seinem Lebensende treu. Plutarch legt Cato Minor zudem das Ideal der Charakterstabilität eines philosophisch Gebildeten in den Mund, an dem sich die Hauptfiguren der Viten grosso modo orientieren. Cato erklärt Cicero gegenüber, ein verständiger Mann ändere […] seinen Charakter nicht, um andern zu gefallen, sondern bleibe sich selber treu. 972

Zu dem Problem der Veränderbarkeit des Charakters macht das Markusevangelium keine Aussagen auf der Metaebene. Faktisch verhält es sich bei Jesus aber so wie bei den Hauptfiguren Plutarchs. 973 Auch bei ihm lassen sich im Laufe der erzählten Zeit eintretende Veränderungen beobachten, etwa die Stei390–402; Wördemann, Bios, 83. Zum Ehrgeiz als mögliche Untugend der Hauptfiguren Plutarchs vgl. Stadter, Competition. 964 S. o. 6.3. 965 Vgl. zum Problem der Charakterveränderung auch Almagor, Parallel Narratives, 78 mit Anm. 44. 966 Vgl. Plut. Demosthenes 3,2. 967 Vgl. Plut. Demosthenes 20,3 f. 968 Vgl. Plut. Demosthenes 20,2; 23,3. 969 Vgl. Plut. Demosthenes 29; dazu auch Cooper, Interplay, 71. 970 Vgl. Seifert, Markusschluss, 172 f. 971 Vgl. Plut. Cato min. 2 f. 972 Plut. Cato min. 50,3. 973 Ähnlich Keener, Christobiography, 137.

Perspektiven des Erzählers und der Erzählfiguren

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gerung der Wundertätigkeit, die Zunahme der Konflikte mit Schülern und Gegnern oder die mit der Gefangennahme einsetzende Passivität. 974 Doch Jesu inneres Wesen bleibt dabei gleich. Bis zum Tod agiert er als Christus und Gottessohn. Dass ihn der herannahende Tod ängstigt, passt zu den emotionalen Empfindungen, die er bereits vorher hatte. 975 In dem von starken Emotionen begleiteten Gebet im Garten Gethsemane versucht er aber gerade nicht, seinem Geschick zu entkommen, 976 sondern ordnet sich dem Willen Gottes explizit unter. 977 9.3.3 Öffentliche Wirksamkeit Für die Erfüllung ihrer Pflichten ist die Hauptfigur sowohl bei Plutarch als auch im Markusevangelium mit besonderen Fähigkeiten ausgestattet. Jesus kann die Gedanken Anderer durchschauen 978 oder erschließen, sodass er in Streitgesprächen stets das letzte Wort behält. 979 Er kennt die unmittelbare Zukunft, weswegen er, etwa auf Reisen, die Schüler wichtige Vorbereitungen treffen lassen kann. 980 Um sein kommendes Leiden und seine Auferstehung weiß er 981 ebenso wie um die weitere Zukunft bis hin zu den Geschehnissen der Endzeit. 982 Einzig den absoluten Termin für das Ende der Zeit kennt laut Mk 13,32 nur Gott, nicht aber Jesus. Dem markinischen Jesus ist hinsichtlich seiner Wahrnehmungsfähigkeit bei Plutarch Cato der Jüngere vergleichbar. Letzterer besitzt geradezu prophetische Fähigkeiten. Wie sich immer wieder herausstellt, sagt Cato die von Cäsar, Pompeius und Crassus verfolgten Pläne korrekt voraus. 983 Von seinen Zeitgenossen wird er wie ein „aus der Gottheit heraus inspirierter (ἐκ θεῶν ἐπίπνουν)“ 984 Prophet wahrgenommen. Der ägyptische König Ptolemaios, der zu seinem eigenen Schaden Catos Warnungen missachtet und sich Pompeius und Cäsar anschließt, die ihn enttäuschen, preist Catos Vorhersagen im Nachhinein gar als den Weissagung eines Gottes ebenbürtig. 985 Im Senat kann Cato auf geradezu wundersame Weise im Rahmen einer Stegreifrede die Pläne Cäsars so exakt vorhersagen, wie es eigentlich nur einem Eingeweihten möglich

974 975 976 977 978 979 980 981 982 983 984 985

S. o. 4.4; 6.3. S. o. 9.3.2. Vgl. Rüggemeier, Poetik, 361 f. Vgl. Mk 14,36. Vgl. Mk 2,8; 3,5; 12,15. Vgl. Mk 7,6–13; 10,3.5–9; 10,21; 11,29 f; 12,16 f.24–27. Vgl. Mk 11,1–6; 14,12–16; 13,2; 14,26. Vgl. Mk 2,20; 8,31; 9,31; 10,33.45; 12,1–12; 14,8.18–21; 15,34. Vgl. Mk 10,39 f; 13,2–37; 14,9.62; 16,7. Vgl. Plut. Cato min. 33,3; 49,1; 52,2. Vgl. Plut. Cato min 42,4 f. Vgl. Plut. Cato min. 35,5.

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ist. Wie Jesus in seinen Streitgesprächen kann auch Cato in der beschriebenen Situation die gegnerische Partei auf diese Weise zum Schweigen bringen. 986 Gleichen sich die Fähigkeiten der beiden Hauptfiguren äußerlich, bleibt dennoch ein kategorialer Unterschied bestehen: Im Markusevangelium stehen Jesus außerordentliche Fähigkeiten nur deshalb zu Gebote, weil er als Sohn Gottes und Christus an der göttlichen Sphäre Anteil hat. 987 Bei Plutarch spricht Cato als ob er übermenschliche Fähigkeiten hätte. Der Erzähler der PlutarchBiographien unterscheidet strikt zwischen menschlichem Sprechen und Tun und dem Wirken göttlicher oder dämonischer Kräfte: [M]it menschlicher Art hat Gott nichts gemein, weder im Wesen noch in der Bewegung, weder im Wirken noch in der Stärke, und es darf uns nicht befremden, wenn er tut, was wir nicht tun können, und wirkt, was unserem Wirken versagt ist. 988

Dementsprechend fehlen bei den Hauptfiguren der Biographien Plutarchs Entsprechungen zu Jesu Fähigkeit zu Exorzismen, zur Therapie und zur Sündenvergebung, 989 die innerhalb der Erzählung für die Zugehörigkeit Jesu zu der Sphäre seines göttlichen Vaters stehen: 990 Wie Gott kann Jesus etwa die Not der im Boot befindlichen Schüler vom Land aus sehen und die Naturgewalten kontrollieren. 991 Selbst von der Berührung seines Gewandes geht heilende Kraft aus. 992 Entsprechend der zu Grunde liegenden Wirklichkeitsauffassung 993 begegnen die Biographien Plutarchs Überlieferungen mit Skepsis, denen zufolge Menschen in Kooperation mit göttlichen Mächten Wunderhaftes bewirkt haben. Explizit als frommen Betrug erachtet der Erzähler Überlieferungen über Wundertaten Numas, 994 die strukturelle Ähnlichkeiten mit Jesu Speisungswundern, Exorzismen und seiner Kommunikation mit Gott haben: Numa will nicht nur eine größere Gruppe von Gästen auf wundersame Weise mit Hilfe seiner göttlichen Gefährtin Egeria bewirtet, sondern auch zwei in der Nähe Roms umherschweifende Dämonen gefangengesetzt haben. Ihnen habe er die Preisgabe übernatürlicher Geheimnisse abgerungen. Mit Jupiter habe er die Höhe einer Sühneleistung ausgehandelt. Der Erzähler hält diese Begebenheiten eindeutig für märchenhaft und unwahrscheinlich (μύθοις ἐοικότας τὴν ἀτοπίαν λόγους 995). Neben diesen Geschehnissen berichten die Plutarch-Viten von einer 986 987 988 989 990 991 992 993 994 995

Vgl. Plut. Cato min. 51. Vgl. Rüggemeier, Poetik, 321–326.344–354. Plut. Gaius Marcius (Coriolan) 38,4. Vgl. nur Mk 1,34; 2,5. Vgl. Rüggemeier, Poetik, 327. Vgl. Mk 6,48.51. Vgl. Mk 5,29. S. o. 2.2.4. Vgl. Plut. Numa 15; dazu Dormeyer, Idealbiographie, 152. Plut. Numa 15,1.

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ganzen Reihe weiterer missbräuchlicher Indienstnahmen der göttlichen Sphäre zu politischen Zwecken: Alexander propagiert seine Zeussohnschaft, auch macht er sich – wie Lysander – Orakel gefügig. 996 Bemerkenswert neutral erwähnt dagegen das Lebensbild des Pyrrhos seine therapeutischen Fähigkeiten: Man glaubte (ἐδόκει), dass er an Hypochondrie Leidende (σπληνιῶσιν) heilte, wenn er einen weißen Hahn opferte und ihnen, während sie auf dem Rücken lagen, mit dem rechten Fuß sacht auf den Leib trat. Keiner war so arm und nichtig, dass ihm nicht die Behandlung, wenn er es wünscht, zuteil wurde. Den Hahn, den er geopfert hatte, nahm er an sich, und diese Ehrengabe war ihm hochwillkommen. Es heißt, dass die große Zehe dieses Fußes eine göttliche Kraft in sich hatte, so dass sie nach seinem Tode, als der übrige Körper verbrannt war, unversehrt und von der Flamme unberührt gefunden wurde. 997

Das Auflegen eines Körperteils gilt als gängige therapeutische Maßnahme. 998 Ausdrücklich werden von Pyrrhus auch Menschen mit niedrigem sozialen Status behandelt; ein Ideal, dem auch der markinische Jesus folgt. 999 Mit seinen von einem Zeh ausgehenden Fähigkeiten bildet Pyrrhus innerhalb des biographischen Werks Plutarchs jedoch eine Ausnahme. Strukturell betrachtet, propagiert Jesus im Markusevangelium sowohl Aspekte der Neuerung 1000 als auch der Rückbesinnung. 1001 Jesus tritt in Mk 1,14 f mit einer – auch gegenüber der in Mk 1,4 zusammengefassten Täuferverkündigung – neuen Botschaft von der herandrängenden Nähe der Königsherrschaft Gottes auf. Dementsprechend konstatieren die Augenzeugen von Lehre und Therapie eine „neue Lehre“ 1002. Auch die Sündenvergebung, mit der die Heilung von Krankheit einhergeht, kommentieren die Umstehenden in Mk 2,12 entsprechend: „Wir haben solches noch nie gesehen.“

Das Doppelbildwort in Mk 2,21 f dürfte, angewendet auf die in Mk 2,18 gestellte Frage, voraussetzen, dass der Erzähler den Verzicht auf Askese bei Jesus und den Seinen als Neuerung gegenüber den Sitten der pharisäischen und der Täufer-Gemeinschaften darstellt. Neu an Jesu Wirken ist das Gekommen-Sein des Gottessohns, des Christus; 1003 neu sind sein Todesgeschick und seine Auferste-

S. o. 2.2.4; dazu auch Boulet, Apollo, 166. Plut. Pyrrhus 3,4 f. 998 Vespasian etwa soll durch das Aufstellen seines Fußes in Alexandria geheilt haben (vgl. Cass. Dio 66,8,1; Suet. Vesp. 7). 999 Vgl. etwa Mk 10,46. 1000 Vgl. Bond, Biography, 140–142. 1001 Zum Standpunkt Jesu im Markusevangelium vgl. ausführlich Rüggemeier, Poetik, 312–321. 1002 Mk 1,27. 1003 Vgl. Mk 1,1.38; 2,17; 9,7.37; 10,45. 996 997

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hung. 1004 Er kündigt noch nie dagewesene Bedrängnis sowie einmalige Geschehnisse am Ende der Zeit an. 1005 In seiner Verkündigungsbotschaft ruft Jesus, an Johannes anknüpfend, auch seine Zuhörer zur μετάνοια auf. 1006 Nicht zufällig gilt μετάνοια bei Plutarch, verstanden als willkürlicher Meinungswechsel, als zu vermeidender Fehlgriff. 1007 Denn gemeinantiker Auffassung nach waren Propagandisten von Neuerungen per se verdächtig und daher kaum geschätzt. 1008 Vielleicht auch deswegen trägt die Hauptfigur des Markusevangeliums auch ‚konservative‘ Züge, wie sie ebenfalls bei einigen der Hauptfiguren der Viten Plutarchs zu beobachten sind. In einer Reihe von Szenen setzt sich Jesus dafür ein, zum ursprünglichen Willen Gottes zurückzukehren. In Mk 11,15–18 etwa verweist er auf Gottes bereits in Jes 56,7 dokumentierten Auftrag, um die aus seiner Sicht bestehende Zweckentfremdung des Tempels durch Handel und Geldwechsel aufzudecken. In Mk 10,1–12 etikettiert Jesus die Erlaubnis zur Scheidung, auf die sich seine Gesprächspartner unter Anspielung auf Dtn 24,1.3 berufen, als sekundär gegenüber dem ursprünglichen Schöpferwillen gemäß Gen 1,27; 2,24. 1009 Die Rückkehr zum Ursprünglichen sowie die Abstellung von Missständen propagieren bei Plutarch Hauptfiguren wie Cato Minor, der sich gegen die Auflösung der Republik zu stemmen versucht, 1010 oder Agis, der in Sparta gegen die Abwendung von den ursprünglichen Gesetzen und die daraus entstandenen sozialen Benachteiligungen eintritt. 1011 Wie Jesus stehen beide Genannten quer zur herrschenden Elite und finden letztlich auf Grund der Agitation ihrer Gegner einen verfrühten und gewaltsamen Tod. Ihre Entschlossenheit, ohne Rücksicht auf andere oder auf sich selbst für die als richtig erkannte Sache einzustehen, macht ihre Art der öffentlichen Wirksamkeit der von Jesus im Markusevangelium vergleichbar. 1012 Zur Charakterisierung der Hauptfigur trägt sowohl bei Plutarch als auch im Markusevangelium die Darstellung ihrer individuellen Sprechweise bei. Hierzu zählen etwa Vorzugswörter wie die Rede Jesu von δυνατά beziehungsweise ἀδύνατα bei Menschen und Gott. 1013 Charakteristisch ist insbesondere Jesu Gebrauch bildhafter Ausdrücke. 1014 Als Bildspender dienen dabei alltägliche Begriffe wie „Brot“, „Lampe“, „Kamel“ 1015 oder Wortfelder wie Familie und 1004 1005 1006 1007 1008 1009 1010 1011 1012 1013 1014 1015

Vgl. Mk 2,19 f; 8,31; 9,9.31 f; 10,33 f; 16,6. Vgl. Mk 8,35; 10,29 f; 13,5–37; 14,62. Vgl. Mk 1,4.15. Vgl. Plut. Timoleon 6,2; dazu Cooper, Interplay, 71. Betont von Reiser, Porträts, 84. Vgl. auch Meiser, Gegenspieler, 167 f. Vgl. Plut. Cato min. 20,3 u. ö. Vgl. Plut. Agis 5. Vgl. Reiser, Porträts, 43. Vgl. Mk 9,23; 10,27; 14,36; dazu Stolle, Markusevangelium, 21. Vgl. Stolle, Markusevangelium, 22. Vgl. Mk 4,21; 7,27; 8,15; 10,25.

Perspektiven des Erzählers und der Erzählfiguren

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Hochzeit. 1016 Auch in einigen der Plutarch-Biographien gehört die Sprache zu den Ebenen, auf welchen die Hauptfigur charakterisiert wird. Als Urheber unzähliger schlagfertiger und polemischer Aussprüche – freilich aus Sicht der Erzählung für die rechte Sache – wird etwa Phokion dargestellt: Als Demosthenes, einer seiner politischen Gegner, einmal zu ihm sagte: „Die Athener werden dich töten, Phokion, wenn sie eine Wut bekommen“, erwiderte er: „Und dich, wenn sie wieder zur Vernunft kommen.“ 1017

Eine besondere Nähe zu Aussprüchen, wie sie auch in Viten Plutarchs begegnen, weist Mk 2,17 auf: 1018 „Nicht die Starken bedürfen des Arztes, sondern die Kranken. Ich bin nicht gekommen, Gerechte zu rufen, sondern Sünder.“

Dem ersten Satz kommt auf Grund seiner allgemeinen Evidenz Sprichwortcharakter zu. 1019 Er ist ganz ähnlich bei Plutarch außerhalb der Biographien in der Sammlung der lakonischen Apophthegmata belegt. 1020 Das Bild der ärztlichen Tätigkeit für das öffentliche Wirken begegnet gelegentlich auch in Lebensbildern Plutarchs. 1021 Eine inhaltliche Parallele findet Jesu Doppelausspruch zudem in einer Antwort Phokions auf kritische Anfragen: Als seine Freunde ihm [sc. Phokion] Vorwürfe machten, weil er einem schlechten Menschen vor Gericht beistand, sagte er, die Guten brauchten keine Hilfe. 1022

9.3.4 Die Hauptfigur im Spiegel weiterer Erzählfiguren Während, wie gesehen, 1023 sich der Erzähler explizit lediglich in Mk 1,1 über Jesu Wesen und Auftrag äußert und Jesus von sich selbst meist als „Menschensohn“, 1024 vereinzelt auch als „Sohn“, „Herr“ oder „Christus“ spricht, 1025 begegnen bei Neben- und Szenenfiguren im Markusevangelium weitere Bezeichnungen und Charakterisierungen Jesu, 1026 die in der Gesamtschau zeigen, welche Facetten der Hauptfigur in der Erzählung angesprochen werden. Für Gott ist

1016

Vgl. Mk 2,19; 3,33 f. Plut. Phokion 9,5. 1018 Vgl. Reiser, Porträts, 89–91. 1019 Vgl. Dormeyer, Testament, 75. Das Sprichwort stammt aus der platonischen Tradition (vgl. Saïd, People, 22 f). 1020 Vgl. Plut. Apophthegmata Laconica Pausanias 2 (mor. 230 f): „Und nicht sind die Ärzte bei den Gesunden, […] sondern wo die Kranken sich aufzuhalten pflegen“. 1021 Plut. Perikles 15,3; Cato min. 44,2; Cäsar 28,4. 1022 Plut. Phokion 10,5. 1023 S. o. 5.3; 9.2.3. 1024 Vgl. Mk 2,10.28; 8,31,38; 9,9.12.31; 10,33.45; 13,26; 14,21.41.62. 1025 Vgl. Mk 5,19; 9,41; 11,3; 13,32. 1026 Vgl. Stolle, Markusevangelium, 18. 1017

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Jesus sein „geliebter Sohn“. 1027 Die Dämonen setzen in ihren Anreden die Gottessohnschaft Jesu voraus. 1028 In paradoxer und nicht ganz eindeutiger Weise spricht der Zenturio unter dem Kreuz in Mk 15,39 von Jesu Gottessohnschaft. 1029 Wie bereits gesehen, kündigt Johannes das Auftreten Jesu als des von Gott gesandten ἰσχυρότερος an. 1030 Eine häufige Bezeichnung der Schüler für Jesus ist διδάσκαλος. 1031 Auch der hilfesuchende Vater des besessenen Jungen redet Jesus, der kurz zuvor seine Schüler angesprochen hatte, in Mk 9,17 auf diese Weise an. Schüler, Hilfesuchende sowie seine Gegner bezeichnen ihn immer wieder als „Rabbi“. 1032 Im Kontext des Justizmordes an Jesus begegnet mehrmals die Bezeichnung „König der Juden“, die auch als Kurzfassung seiner Anklage fungiert. 1033 Auffällig ist die singuläre Ansprache als „Sohn Davids“, mit der sich der hilfesuchende Blinde in Mk 10,47 f an Jesus wendet. Im Kontext zweier Meinungsumfragen zur Identität Jesu kommen in Mk 6,14–16; 8,27–30 die Auffassung des Herodes, Jesus sei der wiedergekommene Johannes, sowie die Erkenntnis des Petrus, Jesus sei der Christus, zur Sprache. Indirekt zeigen sich Anspruch und Effektivität von Jesu Wirksamkeit auch in den Bitten der bei ihm Hilfe Suchenden sowie in den positiven Reaktionen der Menge auf seine Lehre und seine Taten. Wenn auch nicht so intensiv wie im Markusevangelium, so tragen doch auch in den erzählten Welten innerhalb der Plutarch-Biographien die Aussagen Dritter zur Charakterisierung der Hauptfigur bei. Zu denken ist etwa an die Bezeichnung des meist über ein glückliches Händchen verfügenden Nikias als „Liebling der Götter“ 1034 durch seine Zeitgenossen. Wie die einzelnen Epitheta Jesu im Markusevangelium auch deckt diese eine Bezeichnung jedoch nur einen Teilbereich des Wesens der Hauptfigur ab: Nikias ist nicht nur ein von den Göttern Privilegierter, sondern daneben auch ein verkrampft um Anerkennung bei den Bürgern Bemühter 1035 sowie ein – nach militärischen Niederlagen – vom Schicksal Geschlagener. 1036 Ähnlich wie in Mk 6,14–16 stellt der Erzähler der Vita Catos des Jüngeren Meinungen anderer über die Hauptfigur zusammen. Zunächst konstatiert er – anlog etwa zu Mk 1,28 – die weite Verbreitung des guten Rufs Catos, um dann andere zu Wort kommen zu lassen: Dies alles [sc. sein Pflichtbewusstsein] hatte zur Folge, dass sich Catos Ruhm und Ruf weithin verbreiteten. In einem Prozess wurde einmal ein einziger Zeuge beigebracht. Da 1027 1028 1029 1030 1031 1032 1033 1034 1035 1036

Vgl. Mk 1,11; 9,7. Vgl. Mk 1,24; 3,11; 5,7. S. o. 6.3. S. o. 5.5. Vgl. Mk 4,38; 9,38; 10,35; 13,1; vgl. auch Mk 14,14. Vgl. Mk 9,5.17; 10,17.20.51; 11,21; 12,14.19.32; 14,45. Vgl. Mk 15,2.9.12.18.26. Vgl. Plut. Nikias 9,6. Vgl. Plut. Nikias 3. Vgl. Plut. Nikias 26.

Perspektiven des Erzählers und der Erzählfiguren

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rief einer der Redner den Richtern zu, auf einen einzigen Zeugen zu bauen gehe nicht an, und sollte es Cato selber sein […] Als im Senat ein liederlicher Verschwender sich weitschweifig darüber ausbreitete, man müsse sparsamer und mäßiger leben, fertigte Amnaeus ihn mit den Worten ab: „Mensch, wer soll das aushalten? Du baust wie Crassus, tafelst wie Lucullus – und redest wie Cato!“ 1037

Die Integrität des Spartanerkönigs Kleomenes wird in seiner Biographie auch anhand der Reaktion seiner Untertanen auf seinen Lebens- und Regierungsstil dargestellt. In dem Moment, als sie sahen, wie er selbst in einfachem Kleid zur Begrüßung kam und mit denen, die etwas wünschten, heiter und freundlich sprach und für sie Zeit hatte, so wurden sie bezaubert und ganz für ihn gewonnen und sagten, dieser allein sei der wahre Abkömmling des Herakles. 1038

Wie der markinische Jesus wird beispielsweise auch Cäsar bei Plutarch von Freund und Feind charakterisiert. 1039 Als er zu Beginn seiner politischen Karriere das Andenken des Marius wieder zur Geltung kommen lässt, meinen die einen, vor allen anderen sei er [sc. Cäsar] es wert, Verwandter des Marius zu heißen. 1040

Für die andere Seite erhebt der Konsul Lutatius Catulus den Vorwurf: „Cäsar greift die Verfassung nun nicht mehr mit unterirdischen Stollen, sondern schon mit Sturmmaschinen an.“ 1041

Wie es auch mit der Kritik der Gegner Jesu geschieht, 1042 charakterisiert die Erzählung durch diesen Vorwurf das Ausmaß der Wirksamkeit ihrer Hauptfigur. Nicht nur durch Aussprüche, sondern auch auf verschiedenen Handlungsebenen werden die Hauptfiguren durch die Wahrnehmung Anderer charakterisiert. Zu denken ist etwa an die häufig genannten Wahlen zum Strategen oder zu hohen Ämtern innerhalb des cursus honorum, 1043 ebenso an das Durchfallen von Kandidaten. 1044 Auch spontan zu Stande kommende Ehrengeleite von Bürgern oder Soldaten zählen zu den gelegentlich begegnenden Ausdrücken besonderer Wertschätzung: Als Catos Dienstzeit zu Ende war, begleiteten ihn zum Abschied nicht, wie es alltäglich ist, die guten Wünsche und Lobsprüche der Soldaten, sondern Tränen und immer neue 1037

Plut. Cato min. 19,4 f. Vgl. Plut. Kleomenes (34)13,2; dazu De Pourcq/Roskam, Lives, 168. Vgl. auch Plut. Agis 14,3. 1039 Vgl. auch De Pourcq/Roskam, Lives, 169, zu Plut. Agis 10. 1040 Plut. Cäsar 6,4. 1041 Plut. Cäsar 6,4. 1042 Vgl. etwa Mk 2,7. 1043 Vgl. etwa Plut. Cato min. 16,1 f; 22,1; 44,1. 1044 Vgl. etwa Plut. Cato min. 49. 1038

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IV Plutarchviten und Markusevangelium – ein Vergleich

Umarmungen, und wo er durchkam, breiteten ihm seine Leute Kleider unter die Füße und küssten ihm die Hände. 1045

In ganz ähnlicher Form bekunden die Menschen, die Jesus bei seinem Einzug in Jerusalem eskortieren, dass er in ihrer Wahrnehmung eine von Gott gesandte messianische Person sei. 1046 9.3.5 Resümee Informationen zum Äußeren der Hauptfigur begegnen im Markusevangelium so gut wie gar nicht, bei Plutarch selten und nur dann, wenn sie im Zusammenhang mit der inneren Charakterisierung stehen. Wie ungewöhnlich es für antike Rezipienten ist, dass das Markusevangelium einen gelernten Handwerker porträtiert, zeigt ein Seitenblick auf Plutarchs Solon, dessen Tätigkeit im Handel eine Ausnahme darstellt und Gegenstand einiger Reflexionen ist. Wie Plutarch zeichnet auch das älteste Evangelium seine Hauptfigur in ihren sprachlichen, religiösen und ethnischen Kontext ein. Im Hinblick auf Jesu innere Welt ist festzustellen, dass – wie bei einer Reihe der bei Plutarch Porträtierten auch – Emotionen gelegentlich berichtet werden und in der jeweiligen Situation als adäquat erscheinen, nicht aber Gefühlsausbrüche einschließen wie bei Plutarchs Alexander. Das Wesen Jesu ist vor allem gekennzeichnet durch seine Ehrlichkeit, seine Frömmigkeit, seine Fähigkeiten zu guter Lehre sowie durch seinen Verzicht auf Privilegien. Alle genannten Wesenszüge entsprechen den von Angehörigen der Elite in der griechisch-römischen Kultur erwarteten und gelten demzufolge auch in den Plutarch-Biographien als erstrebenswert. Einige Hauptfiguren bei Plutarch stehen freilich in krassem Gegensatz zu den genannten Tugenden. Anders als die grundsätzlich positiv bewerteten Hauptfiguren bei Plutarch, denen sowohl schlechte Charakterzüge als auch einzelne Unzulänglichkeiten anhaften können, weist der markinische Jesus keinerlei negative Charakteristika auf. Gemeinsam haben Jesus im Markusevangelium und die Hauptfiguren bei Plutarch die Stabilität ihres Charakters: Zwar äußern sich einzelne Züge im Laufe der Lebensgeschichte in unterschiedlichem Maße, doch das Set an Eigenschaften bleibt das gesamte dargestellte Leben über stabil. Hinsichtlich des Wirkens in der Öffentlichkeit fällt bei Plutarch Cato der Jüngere ähnlich wie Jesus im Markusevangelium mit der Fähigkeit auf, Geschehnisse vorhersagen zu können. Zu Exorzismen, Therapien und Vermehrungswundern, die Jesus auf Grund seiner göttlichen Qualitäten zu vollbringen vermag, gibt es keine Parallele bei Plutarch. Jesus propagiert und bewirkt einerseits Neues; andererseits hat sein Wirken auch ‚konservative‘ Züge: Er will, dass der ursprüngliche Willen Gottes wieder zur Geltung kommt. Unter den Haupt1045 1046

Plut. Cato min. 12,1; vgl. auch Cato min. 18,3. Vgl. Mk 11,8–10.

Ergebnisse

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figuren bei Plutarch setzen sich in strukturell ähnlicher Weise etwa der spartanische Reformer Agis oder Cato der Jüngere für die Rückkehr zum Ursprünglichen und für die Abstellung von Missständen ein. Als Teil der öffentlichen Wirksamkeit stellen sowohl Markusevangelium als auch Plutarch-Biographien bemerkenswerte Aussprüche der Hauptfigur vor. Die Charakterisierung der Hauptfigur geschieht bei Plutarch nur zurückhaltend und im Markusevangelium, abgesehen von Mk 1,1, auf explizite Weise durch die Erzählerfigur. Meinungen anderer Figuren der erzählten Welt über die Hauptfigur tragen, im Markusevangelium in noch höherem Maße als bei Plutarch, wesentlich zu deren Gesamtbild bei. 1047 Die Lebensbeschreibungen Plutarchs lassen sich durchaus als Versuche beschreiben, Individuen zu porträtieren. 1048 Zu Grunde liegt dabei nicht der moderne Begriff des Individuums als ein sich durch Welt- und Selbstverhältnis definierendes Subjekt. Vielmehr zeigt Plutarch das Besondere seiner Hauptfiguren innerhalb ihres Kontexts: die von ihnen repräsentierten politischen und philosophischen Werte, ihre Fähigkeiten, ihre Erfolge. In vergleichbarer Weise porträtiert das älteste Evangelium seine Hauptfigur nicht im modernen Sinn als ein unverwechselbares Individuum, sondern als den in Nazareth aufgewachsenen jungen Mann, den in Galiläa und anderswo wirkenden einen Gottessohn und Christus.

10. Ergebnisse 10.1 Rückblick Hinsichtlich der Frage nach dem Wie des Erzählens sind folgende Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Markusevangelium und Plutarch-Biographien festzustellen. Letztere lassen das Bild des gelehrten Autors Plutarch, Schöpfer eines umfangreichen literarischen Werkes und Angehöriger der Oberschicht, entstehen, während der Autor des Markusevangeliums und die Umstände seines literarischen Schaffens im Dunklen bleiben. Beide Autoren nutzen schriftliche und mündliche Informationsquellen: Plutarch die griechische und lateinische Literatur sowie selbst Gesehenes und sonst in Erfahrung Gebrachtes; der Autor des Markusevangeliums schöpft aus dem Traditionsreservoir des frühen Christentums – in welchen schriftlichen und mündlichen Formen ist nicht eindeutig zu klären – sowie der Septuaginta. 1049

1047 Vgl. Rüggemeier, Poetik, 223–307: Die markinische Christologie ergebe sich im Wesentlichen aus der Interaktion der einzelnen Figurenperspektiven. 1048 Vgl. Späth, Politische, 41 f. 1049 S. o. 1.2.

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IV Plutarchviten und Markusevangelium – ein Vergleich

Sowohl in den Viten Plutarchs als auch im Markusevangelium erzählen fiktive Erzählerfiguren. Als Aufmerksamkeit erregendes Gestaltungsmittel nutzen sie punktuell kleine Metalepsen: In der Ich-Form scheint sich bei Plutarch gelegentlich der konkrete Autor zu Wort zu melden; in Mk 2,10; 13,14 scheinen die konkreten Adressatinnen und Adressaten angesprochen zu werden. 1050 Plutarch schreibt als Grieche für Griechen, die auf Römisches nicht ohne Vorwissen, aber aus einer Außenperspektive blicken. Der Autor des Markusevangeliums arbeitet als Christ für Christen, die die Geschichte Jesu grundsätzlich kennen und die auf Jesu jüdischen Kontext mit gewissem Vorwissen, aber vermutlich ebenfalls aus einer Außenperspektive heraus blicken. 1051 Wie textextern ersichtlich oder -intern zu erschließen und wie es den Vorgaben historiographischer Literatur entspricht, gesteht sich Plutarch in größerem Ausmaß fiktionales Erzählen zu: Reden und Gedanken der Figuren werden imaginiert, Ereignisabfolgen und Stoffauswahl verzerrt. Dies geschieht im Sinne eines Fiktionalitätspakts zu Gunsten einer ästhetisch gelungenen und didaktisch effizienten Darstellung. Erkennbar ist auch, dass sich Plutarch an bestimmte Grenzen der Fiktionalität hält: Größere Lücken werden nicht aufgefüllt, Unwahrscheinliches nicht als wahr erzählt. Gemäß der vorausgesetzten Wirklichkeitsauffassung wird zwischen Göttlichem und Menschlichem auf einer physischen Ebene strikt getrennt: Götter können mit Menschen keine Kinder zeugen und Menschen nicht in den Himmel aufgenommen werden. 1052 Der Seitenblick auf Plutarch vermittelt einen Eindruck davon, welche gestalterischen Freiheiten sich auch der Autor des ältesten Evangeliums gestatten konnte, ohne den Anspruch, das Geschehe wahrheitsgemäß und adäquat wiederzugeben, zu verlieren. Eine Historizitätsprüfung ist hier im Einzelfall schwieriger als bei Plutarch, da externe Absicherungsmöglichkeiten fehlen. Unter den bei Plutarch geltenden Voraussetzungen hinsichtlich göttlichen Wirkens wäre die Gottessohnschaft Jesu kaum vertretbar, auch nicht sein wunderhaftes Wirken sowie seine Auferstehung und seine postmortale Wirksamkeit. Den Selbstbeschränkungen Plutarchs käme der Zug zur Zurückhaltung im Markusevangelium entgegen, etwa bei der Darstellung der Figur Gott, bei der indirekten Darstellung des Auferstandenen sowie intradiegetisch bei Jesu Versuch, die Propagierung seiner Wunder zu verhindern. 1053 Hinsichtlich des Zeitmanagements und der Stoffauswahl ist festzuhalten, dass die Ausschnitthaftigkeit der nur einen kurzen Zeitabschnitt erfassenden Markuserzählung dem in den Plutarch-Biographien Üblichen entspricht. Beide Autoren konstituieren – sei es vor dem Hintergrund historischer Überlieferungen, sei es fiktional – synchron anmutende Erzählungen. Ebenso erwecken so1050 1051 1052 1053

S. o. 1.3. S. o. 1.4. S. o. 2.2. S. o. 2.3.

Ergebnisse

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wohl bei Plutarch als auch im Markusevangelium unbetont bleibende Ellipsen den Eindruck einer hohen Ereignisdichte im Leben der Hauptfigur. 1054 Durch Tages- und schließlich sogar Stundenangaben scheint ab der Jerusalemer Phase die Zeit im Markusevangelium viel langsamer zu vergehen. Diesen Effekt nutzen bei Plutarch kleinere Todesszenen (Demosthenes, Cicero). Agis, Phokion, Cäsar und Cato Minor erhalten eigene Leidens- und Sterbensgeschichten, die hinsichtlich des Zeitmanagements und der Stoffauswahl Ähnlichkeiten mit dem Markusevangelium aufweisen. 1055 Anachronien dienen beiden hier untersuchten Autoren als literarisches Gestaltungsmittel, meist um einer Szene eine unerwartete Wendung zu geben oder um die Handlung zu strukturieren. Kleinere Voraus- und Rückblicke sind meist am Ende von Szenen angesiedelt, ebenso summarische Verweise auf typisches Verhalten der Hauptfigur. 1056 Der Einstieg in die Erzählung ist im Markusevangelium zwar wesentlich knapper als in den Viten Plutarchs gestaltet; Mk 1,1–3 erfüllt aber ähnliche Zwecke wie die Prologe und Proömien, wie auch Plutarch sie formuliert: Auf einer Metaebene wird das Procedere erläutert, zudem werden biographische Standardangaben gemacht. Mk 1,4–13 führen dann im Stil eines Proömiums auf den Beginn des Hauptteils hin. 1057 Die im Vergleich zur übrigen Erzählung stärkere Präsenz der Erzählerstimme sowie der besondere Stellenwert von Zitaten in Mk 1,1,–3 entspricht Gestaltungsmustern, die auch bei Plutarch zu beobachten sind. 1058 Die Sprechgewohnheiten der Erzählerfiguren in Markusevangelium und Plutarch-Biographien weisen charakteristische Unterschiede auf: Bei Plutarch dominiert der geraffte, bilanzierende Bericht, im ältesten Evangelium eine Beschreibung von Handlungsschritten Zug um Zug sowie die Wiedergabe von Dialogen. Bei beiden Autoren können die Erzählerfiguren relativ schnell zwischen den unterschiedlichen Modi der Wiedergabe von Figurentext, etwa in direkter, indirekter oder erzählter Rede, wechseln. 1059 Wahrnehmung und Wissen der Erzählerfiguren unterliegen bei beiden Autoren keinerlei Zugangsbeschränkungen. Mit der Hauptfigur als Wahrnehmungszentrum wird erzählt, wenn Charakteristisches über sie dargestellt werden soll. Im Markusevangelium wird auf diese Weise insbesondere die Kommunikation zwischen Jesus und Gott hervorgehoben. Nebenfiguren fungieren als Wahrnehmungszentrum, wenn die Hauptfigur auf indirekte Weise charakterisiert werden soll. 1060 Bei beiden Autoren halten sich die Erzählerfiguren zurück, was explizite Bewertun1054 1055 1056 1057 1058 1059 1060

S. o. 4.2. S. o. 4.3. S. o. 4.4. S. o. 5.2; 5.5. S. o. 5.4. S. o. 9.2.1. S. o. 9.2.2.

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IV Plutarchviten und Markusevangelium – ein Vergleich

gen der Erzählinhalte angeht. Im Falle der Plutarch-Viten können die Leser die Tugendhaftigkeit des Erzählten bewerten; im Markusevangelium Wesen und Auftrag Jesu rekonstruieren. 1061 Die jeweiligen Akzentuierungen der Erzählweise lassen Markusevangelium und Plutarch-Biographien auf der Textoberfläche sehr unterschiedlich erscheinen. 1062 Dieser Eindruck mag in der Forschungsgeschichte zur Ablehnung eines literarischen Werkcharakters des ältesten Evangeliums beigetragen haben. 1063 Ein Vergleich der Erzähltechniken im Detail weist aber nach, dass der Autor des Markusevangeliums aus einem ähnlich reichen Reservoir an Gestaltungsmitteln schöpfte wie Plutarch. 1064 Mit Intuition allein ist die literarische Gestaltung des Markusevangeliums nicht zu erklären; vielmehr setzt sie die grundlegende Kenntnis der für biographische Erzählungen einschlägigen Techniken sowie das nötige Geschick bei ihrer Anwendung voraus. Das Bildungsniveau des Verfassers kann dementsprechend eingeschätzt werden als eines, das durch den Besuch des Unterrichts eines grammaticus erworben werden konnte. 1065 Hinsichtlich der Erzählinhalte ist zunächst festzustellen, dass auf der Ebene der dargestellten Räume den griechischen Städten sowie Rom bei Plutarch im Markusevangelium Galiläa als primärem Wirkungsraum der Hauptfigur entspricht. Anders als den Hauptfiguren Plutarchs geht es dem markinischen Jesus aber nicht um die Macht (innerhalb) einer Polis, sondern um die Herrschaft seines göttlichen Vaters. Wie es auch bei Plutarch gelegentlich vorkommt, wird die Hauptfigur im Markusevangelium außerhalb ihres bevorzugten Wirkungsfeldes vorbereitet und findet auch an einem anderen Ort ihren Tod. 1066 Bei Plutarchs Perikles lässt sich etwa beobachten, dass die Gestaltung des Sakralraums der Polis zu den zentralen herrscherlichen Aufgaben zählt. Unter umgekehrten Vorzeichen findet sich dieser Zusammenhang in Jesu Jerusalemer Phase wieder: Er wird des Versuchs, ein illegitimes Königsamt auszuüben, sowie der Ankündigung, den Tempels zu zerstören, angeklagt. 1067 Wie die Hauptfiguren Plutarchs wirkt Jesus meist an öffentlichen Orten. Häusliches wird – wie zumeist auch bei Plutarch – nur dann erzählt, wenn es im Zusammenhang mit der öffentlichen Wirksamkeit steht. Jesus wie Plutarch-Hauptfiguren werden zudem gelegentlich als Reisende porträtiert. 1068 Abgesehen vom Sonderfall der in mythischer Vorzeit spielenden Biographien sind die Lebensdarstellungen bei Plutarch ebenso wie das im Markusevangeli1061

S. o. 9.2.3. Vgl. Dormeyer, Idealbiographie, 8. 1063 S. o. II 1.1. 1064 Ähnlich Keener, Christobiography, 145. 1065 Rekonstruiert von Bond, Biography, 80–86. Vgl. auch Reiser, Porträts, 68.81. Zur Frage des Bildungsstandes der frühen Christen vgl. Schnelle, Bildung; Hock, Beginning. 1066 S. o. 3.2. 1067 S. o. 3.3. 1068 S. o. 3.4. 1062

Ergebnisse

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um erzählte Leben Jesu im Kontext der allgemeinen Zeitgeschichte verankert. Bei beiden Autoren wird vorausgesetzt, dass es sich um Erzählungen über Männer handelt, die in der realen Welt gelebt haben. 1069 Ohne Analogie bei Plutarch ist der selbstreferentielle Bezug auf die Zukunft im Markusevangelium: Die Erzählung ist ohne die zeitlich nachgeordnete Auferstehung Jesu sowie die Erwartung, dass sich Jesu Vorhersagen für die Zukunft realisieren, nicht vollständig. 1070 Jesus wird – vergleichbar mit den Hauptfiguren in den Plutarch-Biographien – in Mk 1,1 mit Namen, Beinamen und Genosangabe eingeführt. Seine Charakterisierung als Sohn Gottes wäre unter der Voraussetzung der Wirklichkeitsannahmen Plutarchs nicht unproblematisch. Hier können die Hauptfiguren sich eher auf einen in mythischer Zeit verwurzelten Stammbaum berufen. 1071 Die Auslassung der Kindheit sowie weiterer Angaben zu den leiblichen Eltern ist im Vergleich zu den Plutarch-Biographien nicht auffällig. Die erzählte Handlung sowohl der Lebensbilder Plutarchs als auch des zweiten Evangeliums lässt sich folgendermaßen schematisieren: Mit dem Genos der Hauptfigur hängen Pflichten zusammen, denen sie im Laufe ihrer Wirksamkeit mit Hilfe ihrer individuellen Fähigkeiten nachzukommen hat. Daraus resultieren Konflikte mit (Freunden und) Gegnern, die bis zum Ende der Wirksamkeit mehr oder weniger gelöst werden. 1072 Im Hinblick auf Struktur und Dynamik der Handlung lässt sich zum einen die im Markusevangelium zu beobachtende Wirksamkeitssteigerung bis und die Intensivierung der Todesannäherung ab Mk 8,27 mit den Wendepunkten, die bei Plutarch etwa die Biographien des Nikias, Lucullus, Crassus oder Alkibiades enthalten, vergleichen. Zum anderen ist der Stellenwert der Leidens- und Todesgeschichte Jesu mit entsprechenden Episoden und Szenen insbesondere bei Agis, Demosthenes, Cicero, Phokion und Cato dem Jüngeren in der Darstellung Plutarchs zu vergleichen. 1073 Ohne die Nachgeschichte in Mk 16,1–8 bliebe die Handlung des Markusevangeliums unvollständig: Erst hier wird die scheinbare Niederlage des Todes Jesu in ihr Gegenteil verkehrt sowie im Konflikt mit den Schülern ein Neuanfang in Aussicht gestellt. Vergleichbar krasse Wendungen beinhalten die Nachgeschichten der Viten Plutarchs nicht. Hinsichtlich ihrer Funktion sind sie aber Mk 16,1–8 ähnlich: Auch sie fügen, indem sie etwa von postmortalen Ehrerweisen oder dem ungünstigen Schicksal der einstigen Gegner erzählen, dem Gesamtbild einen weiteren, meist die Niederlagen der Hauptfigur relativierenden Aspekt hinzu. 1074 1069 1070 1071 1072 1073 1074

S. o. 4.2. S. o. 4.5. S. o. 5.3. S. u. 6.2. S. o. 6.3. S. o. 7.2.

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IV Plutarchviten und Markusevangelium – ein Vergleich

Das erzählte Ereignis beinhaltet sowohl bei Plutarch als auch im Markusevangelium die im Zusammenspiel zwischen ihrer inneren Welt und ihrer Umwelt von der Hauptfigur bewirkte Zustandsveränderung, im Fall des Markusevangeliums: Jesu Verkündigung, Lehre, Wundertaten und Heilungen. Insbesondere agiert Jesus ähnlich wie jene Hauptfiguren Plutarchs, die Werte vertreten und mit ihrem Leben dafür eintreten, wie etwa Cicero, Demosthenes, Phokion und Cato Minor. Um das Problem des Scheiterns der Hauptfigur zu bearbeiten, tritt im Markusevangelium eine Ebene hinzu, die bei Plutarch keine Entsprechung hat: Jesu Kommen war das Kommen Gottes, seine Auferstehung hat ihn ins Recht gesetzt und lässt seine Parusie erwarten. 1075 Mit den meisten der Hauptfiguren bei Plutarch hat der markinische Jesus gemeinsam, dass sein Äußeres nur ganz am Rande und nur im Zusammenhang mit weiteren Charakteristika zur Sprache kommt. Wie die Hauptfiguren bei Plutarch wird auch Jesus innerhalb seines ethnischen und religiösen Kontexts dargestellt. Anders als die Hauptfiguren Plutarchs hat Jesus einen Brotberuf. 1076 Plutarch-Biographien wie Markusevangelium thematisieren gelegentlich die Emotionen ihrer Hauptfiguren. Jesu Emotionen werden als adäquat und nicht, wie etwa im Falle Alexanders, übertrieben dargestellt. Jesus verkörpert in der Darstellung des Markusevangeliums einige Tugenden, die bei Plutarch als lobenswert gelten, etwa Ehrlichkeit, Frömmigkeit und Weisheit. Auch verzichtet er auf Privilegien und Reichtum. Sowohl bei Plutarch als auch im ältesten Evangelium bleibt der Charakter der Hauptfigur im Laufe der Erzählung im Wesentlichen stabil. 1077 Jesu Fähigkeiten der Allwissenheit, des Heilens und Wunderwirkens rühren im Markusevangelium von seiner Anteilhabe an der göttlichen Sphäre her. Bei Plutarch kann dagegen das Göttliche nicht physisch, auch nicht mit Hilfe von Menschen wirken. Eine auffällige Ausnahme stellt in diesem Zusammenhang Pyrrhos dar, von dessen großem Zeh therapeutische Kräfte ausgehen. Jesu Lehre weist bei Markus einen ‚konservativen‘ Zug auf, wenn sie den ursprünglichen Willen Gottes wieder zur Geltung zu bringen versucht. Strukturell propagieren bei Plutarch eine Reihe von Hauptfiguren die Rückkehr zum Ursprünglichen, etwa Cato Minor. 1078 Hinsichtlich der Erzählinhalte lässt sich zum einen festhalten, dass das Markusevangelium bei den erzählten Räumen, den Figuren und der Handlung ähnliche Gestaltungsstrukturen nutzt wie die Plutarch-Biographien. Zum anderen verhält es sich bei der Hauptfigur Jesus genau andersherum als bei allen Hauptfiguren Plutarchs: Er gehört nicht der sozialen Elite an, hat aber Anteil an der göttlichen Sphäre. Dabei ist diese Eigenschaft Jesu von dem religiösen Nimbus mancher der Hauptfiguren bei Plutarch grundsätzlich zu unterscheiden. Denn 1075 1076 1077 1078

S. o. 8.2. S. o. 9.3.1. S. o. 9.3.2. S. o. 9.3.2.

Ergebnisse

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ihn – und anders als in den Plutarch-Viten: nur ihn – im Rahmen einer narrativ entfalteten Christologie darzustellen, diese Grundanlage des Evangeliums hat kein Pendant bei Plutarch. So kommen schließlich wieder die jeweiligen Produktions- und Rezeptionskontexte in den Blick: Das Markusevangelium setzt das Bekenntnis zu Jesus Christus als dem Auferstandenen und Erhöhten, die Entwicklung der theologischen Reflexion im Frühchristentum, die sich ausbreitende Evangeliumsverkündigung sowie die Formierungsprozesse zugehöriger religiöser Gemeinschaften voraus, die das Markusevangelium zum Bestandteil ihrer Glaubensurkunden machten.

10.2 Ausblick Weisen mehrere Erzählungen Ähnlichkeiten untereinander auf, dann gehen sie unter Umständen auf kulturell geprägte Muster zurück, die die jeweiligen Autoren mehr oder weniger bewusst bei der Abfassung ihrer Werke zu Grunde legten. 1079 Die narratologische Analyse spricht von gemeinsamen Handlungsstrukturen, wenn sich die Parallelen auf einzelne Elemente beziehen; von kulturell überlieferten Handlungsschemata ist die Rede, wenn die Ähnlichkeiten die gesamte Erzählung betreffen. Auffällige Parallelen zwischen Texten lassen fragen, ob ein literarisches Abhängigkeitsverhältnis vorliegt und wenn ja, wie dieses zu beschreiben ist. Aus chronologischen Gründen 1080 scheidet eine Abhängigkeit des Markusevangeliums von Plutarchs Werken aus. Es lässt sich aber fragen, welche Rolle möglicherweise die Plutarch vorliegenden Überlieferungen spielten. Auf einzelne Handlungsstrukturen der Plutarch-Biographien, die in ähnlicher Form im Markusevangelium vorkommen, ist bereits hingewiesen worden, 1081 etwa Wendepunkte, von denen an die Hauptfigur unwiderruflich dem Tod entgegengeht, oder Leidens- und Sterbensepisoden. Darüber hinaus lassen sich bei einigen der Plutarch-Biographien eine ganze Reihe von Ähnlichkeiten mit dem ältesten Evangelium beobachten. So teilen etwa Markusevangelium und die Agis-Biographie Plutarchs einige auffällige Handlungselemente: Mit Hilfe eines Verrats aus den Reihen der Freunde – analog zur Aktion des Judas – gelingt es den Gegnern der Hauptfigur, sie im Rahmen eines Scheinprozesses anzuklagen und hinzurichten. 1082 Auch die Cäsar-Vita weist eine Reihe von Gemeinsamkeiten mit dem Markusevangelium auf, insbesondere in den Passagen, die nicht von der Zeit der

1079 1080 1081 1082

Vgl. Finnern, Narratologie, 99–107. S. o. 1.2. S. o. 6.2; 6.3. S. o. 6.2.

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IV Plutarchviten und Markusevangelium – ein Vergleich

Gallischen Kriege bis zum Antritt der Diktatur handeln. 1083 Mk 1,9–13 vergleichbar gehen auch bei Cäsar der Zeit der öffentlichen Wirksamkeit vorbereitende Phasen voraus, in seinem Fall auf Reisen und während eines Auslandsaufenthalts. 1084 Jesu wie Cäsars Tätigkeit ist von Beginn an durch die Auseinandersetzung mit Gegnern gekennzeichnet. Beide können ihre Kontrahenten nicht zum Schweigen bringen, ernten für ihr Engagement aber die bis zuletzt anhaltende Anerkennung des Volkes. 1085 Auf den ersten Wirkungsfeldern, im Falle Cäsars in der Provinz Spanien, bei Jesus in Galiläa und angrenzenden Regionen, erlangen sie weitreichende Erfolge. 1086 Im Laufe ihrer Wirksamkeit agieren beide Hauptfiguren zunehmend erfolgreich, steuern – so Jesus ab Mk 8,27, Cäsar ab dem Beginn der Gallischen Kriege – 1087 aber unaufhaltsam auf ihr vorzeitiges Ende zu. Beiden Hauptfiguren werden Ambitionen vorgeworfen, ein Königsamt bekleiden zu wollen. 1088 Jesu wie Cäsars Sterben wird schließlich detailreich und mit gedrosseltem Erzähltempo dargestellt. Auf Grund der gemeinsamen Handlungsstrukturen lässt sich grundsätzlich fragen, ob der Autor des Markusevangeliums Kenntnisse des Cäsar-Stoffes hatte, etwa in der – verlorenen – Darstellung des Asinius Pollio, die auch Plutarch benutzte, 1089 und sich bei der Disposition seines Werkes daran orientierte. 1090 Da die genannten Strukturelemente aber in mehreren Plutarch-Viten begegnen, lassen sich die beobachteten Ähnlichkeiten eher auf ein genretypisches Reservoir geprägter Handlungsstrukturen zurückführen, aus dem sowohl Plutarch als auch der Verfasser des ältesten Evangeliums schöpften. Begründet vermuten lässt sich hingegen ein indirektes Verwandtschaftsverhältnis zwischen dem Markusevangelium und der Cato-minor-Vita Plutarchs. 1091 Denn beide Texte weisen nicht nur ein gemeinsames Handlungsschema, sondern auch zahlreiche Ähnlichkeiten in der Figurendarstellung auf. Während die Eltern sowohl bei Cato als auch bei Jesus keine ausschlaggebende Rolle spielen, 1092 wird beider Leben von den Pflichten bestimmt, die aus ihrem Genos im weiteren Sinne resultieren: Jesus wirkt gemäß seines Status als Sohn Gottes; 1093 Cato als Nachfahre des berühmten Zensors. 1094 Zu Beginn der 1083 Vgl. Plut. Cäsar 16–56. Zum Folgenden Dormeyer, Cäsar, 40–47; Ders., Idealbiographie, 279. 1084 Vgl. Plut. Cäsar 3. 1085 Vgl. Plut. Cäsar 4 f. 1086 Vgl. Plut. Cäsar 11 f. 1087 Vgl. Plut. Cäsar 15. 1088 Vgl. Plut. Cäsar 60–66. 1089 Vgl. Plut. Cäsar 32,5. 1090 Dormeyer, Idealbiographie, 279, spricht vom gemeinsamen „Gattungsmuster“ des Markusevangeliums und der Cäsarvita Plutarchs. 1091 Zum Folgenden Wördemann, bíos, 215–285; John, Erzählungen. 1092 Vgl. Mk 3,20.31–35; 6,3; Plut. Cato min. 1,1. 1093 Vgl. v. a. Mk 1,1.11; 3,11; 5,7; 9,7; 5,39; 12,6; 13,32; 14,61; 15,39. 1094 Vgl. Plut. Cato min. 1,1 (vgl. Plut. Cato min. 5,1; 8,1).

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Biographie kommen in Gestalt von Johannes beziehungsweise Caepio frühe Weggefährten zu Wort, die im Rahmen von Autosynkriseis auf die Bedeutung der Hauptfigur hinweisen. 1095 Zwar fehlen im Markusevangelium Entsprechungen zu den Kindheitsgeschichten des Cato, 1096 doch in vergleichbarer Weise illustriert auch Mk 1,9–13 das besondere Wesen der Hauptfigur. Zudem lassen sich die Bedrohungen, die der junge Cato erfährt, analog zu Mk 1,12 f und zur Einspielung des Passionsmotivs in Mk 1,14, als Vorverweis auf den vorzeitigen Tod verstehen. Der mit Ortsveränderungen verbundene Schritt an die Öffentlichkeit 1097 markiert den Übergang zur Entfaltung der Wirksamkeit. 1098 Die Erzählung berichtet an dieser Stelle von einem auf das weitere Tun vorausweisenden Ausspruch. 1099 Die Wirksamkeit der beiden Hauptfiguren versteht sich als konsequente Erfüllung der von ihrem Genos herrührenden Pflichten. 1100 Beide vollbringen am Ort ihrer Wirksamkeit und in einigen auswärtigen Missionen 1101 eindrucksvolle Taten, lehnen aber unter Verweis auf ihr verpflichtendes Genos jegliche Ehrung ab. 1102 Dank ihrer Souveränität verlieren sie nur in Ausnahmesituationen die Kontrolle über die Lage. 1103 Zu den zentralen Charakterzügen gehört ihre außergewöhnliche Fähigkeit, Dinge vorab zu sehen. 1104 Überlegenheit spricht auch aus ihrer außergewöhnlichen Ruhe, die sie in Krisensituationen zu wahren vermögen. 1105 Die Erzählungen stellen beide Hauptfiguren als ausnahmslos integer dar. Auch ihre Emotionen gelten als adäquat. 1106 Sie fallen auf, indem sie weniger asketisch leben als man erwarten könnte und indem sie ihre exponierte Stellung durch ein bescheidenes Äußeres optisch kontrastieren. 1107 Jesus wie Cato sammeln einen Kreis von Anhängern um sich, auf dessen Hilfe sie auch auf Reisen zurückgreifen. 1108 Bei den Massen finden sie begeisterten Zuspruch. 1109 Zugleich kommt es zu Konflikten mit Freunden, der

1095

S. o. 5.5. Vgl. Plut. Cato min. 2,1–3,4 1097 Vgl. Mk 1,14 f; Plut. Cato min. 4,1–5,2. 1098 Vgl. Mk 1,16–8,26; Plut. Cato min. 5–51. 1099 Vgl. Mk 1,14 f; Plut. Cato min 4,2 (s. o. 5.5). 1100 Vgl. Rüggemeier, Poetik, 354–356. Vgl. Plut. Cato min. 19,2 f. 1101 Vgl. Plut. Cato min. 9–15.35–39. Zu Jesu Aufenthaltsorten und Reisen vgl. Bosenius, Raum, 269–271. 1102 Vgl. Mk 10,18.45; Plut. Cato min. 8,2. 1103 Vgl. Mk 7,24–30; Plut. Cato min. 11,2. 1104 S. o. 9.3.3. 1105 Vgl. etwa Mk 4,38; Plut. Cato min. 27,3. 1106 S. o. 9.3.2. 1107 S. o. 9.3.1. Vgl. Plut. Cato min. 6,3; 12,4. 1108 S. o. 3.4. 1109 Vgl. etwa Mk 1,28; Plut. Cato min. 19,4 f. 1096

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IV Plutarchviten und Markusevangelium – ein Vergleich

Familie und der Umwelt und auch mit den sich formierenden Gegnern. 1110 Den auf das gewaltsame Ende hinführenden Umschwung markiert in beiden Erzählungen ein Apophthegma. Offen wird in ihm von Cato das – ihm mittelbar den Tod bringende – Ende der Republik, von Jesus die ihm bevorstehende Passion angesprochen. 1111 Beide Hauptfiguren verlassen nun die Orte ihrer Wirksamkeit. Der Transit in die Peripherie im Falle Catos, bei Jesus dagegen in den Zentralort wird buchstäblich zur Reise in den Tod. Wie in der ersten Phase der Wirksamkeit auch treffen die Hauptfiguren vor dem unmittelbaren Ende noch einmal auf Zuspruch und Widerstand. 1112 Die Erzählungen gehen nun zur Darstellung der Sterbensgeschichte über. 1113 Die erzählte Zeit läuft dabei viel langsamer ab als vorher. 1114 Jesus und Cato wenden sich in Reden und letzten Anweisungen an die Ihren. 1115 Die letzten Tischgemeinschaften sind vom bevorstehenden Geschick bestimmt. 1116 Dreierschemata und Zeitangaben strukturieren den Fortgang der Ereignisse. 1117 Retardierende Momente evozieren die Frage, ob der Tod doch noch abgewendet werden könne. 1118 Details führen die gewaltsamen Umstände vor Augen. Cato versucht, dem sokratischen Vorbild noch einmal ganz nahe zu kommen. 1119 Nach den letzten Worten und dem Tod der Hauptfiguren schließen kurz gehaltene Nachgeschichten die Erzählungen ab. Thematisch bearbeiten beide Erzählungen das Problem, wie die Hauptfigur – der Gottessohn Jesus beziehungsweise der tugendhafte Cato – 1120 scheitern und einen gewaltsamen Tod finden konnte. Im Markusevangelium werden Passion und Kreuz auf ein göttliches Muss zurückgeführt; Catos Ende auf das konsequente Festhalten an seinen philosophischen Grundsätzen. Durch ihren Tod bewirken sie etwas: Jesus die Möglichkeit seiner Auferstehung und späteren Wiederkunft; Cato wird Späteren zum Exemplum des philosophisch-politischen Märtyrers. Auf Grund der weitreichenden Ähnlichkeiten zwischen beiden Erzählungen ist von einem indirekten Verwandtschaftsverhältnis auszugehen: Der Autor des ältesten Evangeliums kannte den Cato-Stoff in einer vor-plutarchischen Form

1110

Vgl. etwa Mk 2,7.16.24; 3,6.7 f.21; 4,1; 6,2 f; Plut. Cato min. 8,2; 12,1 Vgl. Mk 8,27–30; Plut. Cato min. 52,1–3. Dazu Wördemann, Charakterbild, 217 f. 1112 Vgl. zum Markusevangelium Rüggemeier, Poetik, 315 Anm. 383. 1113 Vgl. Mk 8,27–16,8; Plut. Cato min. 52–73. S. o. 4.3. 1114 S. o. 4.3. 1115 Vgl. Mk 13,3–37; Plut. Cato min. 59; 64,4–66,3. 1116 Vgl. Mk 14,18–26; Plut. Cato min. 67,1–68,1. 1117 Vgl. Mk 14,32–42.58.66–72: 15,25.33.27–29.40; 16,1 f; (vgl. 8,31; 9,31; 10,34); Plut. Cato min. 68,3; 70,2.4 1118 Vgl. Rüggemeier, Poetik, 325 f; vgl. Plut. Cato min. 70,3. 1119 Vgl. Duff, Exploring, 143 f. 1120 A. a. O. 136. 1111

Ergebnisse

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und orientierte sich bei seiner Erzählung an diesem Vorbild. In welchem historischen Kontext die Cato-Rezeption durch den Markus-Evangelisten denkbar erscheint, soll der nächste Abschnitt genauer beleuchten.

V Das Markusevangelium und der Aufstieg der Flavier – historische Kontexte 1. Lokale Bezüge In ihr historisches Umfeld eingezeichnet werden kann die Entstehung des Markusevangeliums nur unter der Voraussetzung einer spezifischen Entstehungszeit und einer Herkunftsregion. Während man auf Grund von Mk 13,14 relativ sicher von einer Zeit nach der Zerstörung des Jerusalemer Tempels ausgehen kann, 1 bereitet die regionale Einordnung Schwierigkeiten. Die ältesten Nachrichten über die Abfassung des Werkes sind bei Euseb überliefert. Papias von Hierapolis lässt es vom Hermeneuten des Petrus namens Markus 2 geschrieben sein 3 und bezweckt damit offensichtlich eine Verteidigung des Markus- gegenüber dem höher geschätzten Matthäusevangelium. 4 Papias bezieht sich auf den Ersten Petrusbrief, 5 der in 1Ptr 5,13 Petrus und Markus mit Rom 6 verknüpft. Explizit verbindet Clemens von Alexandrien dann die Abfassung des ältesten Evangeliums durch den Petrus-Begleiter Markus mit dem Wirkungsort des Petrus, Rom. 7 Die genannten Stellen beinhalten jedoch kaum über 1Ptr 5,13 hinausgehendes „eigenständiges Wissen“ 8, abgesehen von der Nachricht über die Abfassung des Evangeliums in Rom. Diese zuletzt genannte Beobachtung darf nicht vernachlässigt werden, besitzt aber, da sie sich nicht extern absichern lässt, nur eingeschränkte Überzeugungskraft. Dementsprechend wurde die Lokalisierung in Rom in der modernen Diskussion angezweifelt. Als Alternative gilt vor allem Syrien. 9 Von einer abschließenden Beantwortung der offenen Lokalisierungsfrage ist die Diskussion noch weit entfernt. Die von der Quellenlage her möglichen Argumente dürften weitgehend ausgeschöpft sein. Es zeigte sich, dass sich viele von ihnen sowohl für Vgl. Ebner, Markusevangelium (22013), 172; Lau, Triumphator, 114. Vgl. Phlm 24; sowie in der Paulustradition Kol 4,10; 2Tim 4,11; sowie den in Act 12,12.25; 15,37.39 genannten Jerusalemer Johannes Markus, der als Verfasser des Markusevangeliums jedoch kaum in Frage kommt (vgl. Broer, Einleitung, 82). 3 Vgl. Euseb. HE 3,39,15; vgl. auch Iren. Haer. 3,1,2 bei Euseb. HE 5,8,2 f. 4 Vgl. Metzger, Kanon, 62 f; Broer, Einleitung, 76 f. 5 Vgl. Euseb, HE 3,39,17. 6 Zur Chiffre „Babylon“ vgl. Apk 17,9. 7 Vgl. Euseb. HE 6,14,6. 8 Stolle, Markusevangelium, 14. 9 Vgl. die Überblicke und Diskussionen bei Winn, Purpose, 76–91; Lau, Triumphator, 115–117; Ebner, Markusevangelium (22013), 173; Schnelle, Einleitung, 268–270. Für Galiläa votieren Marxsen, Einleitung, 148; Roskam, Purpose, für die Dekapolis Schulz, Stunde, 9. 1 2

Lokale Bezüge

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Rom als auch für Syrien anführen lassen. Die zweifellos dem Markusevangelium zu Grunde liegenden Kenntnisse der Jesustradition 10 könnten für eine Abfassung des Werks unweit Galiläas, in Syrien, sprechen; 11 aber sie „können auch mit dem Schiff – und den entsprechenden Informationsträgern – nach Rom gekommen sein“ 12. In umgekehrter Richtung kann das Markusevangelium auch nach Syrien gelangt sein, um als Vorlage des Matthäusevangeliums zu dienen, dessen syrische Lokalisierung 13 daher ebenfalls keinen sicheren Hinweis auf den Abfassungsort seines Vorgängers liefert. Die mit der Lokalisierung von Lukas- und Johannesevangelium verbundenen Unsicherheiten 14 mahnen bei diesem Begründungsansatz zusätzlich zur Vorsicht. Auch eine Nähe des Markusevangeliums zum theologischen Erbe des Petrus, Barnabas und des Paulus kann für Syrien sprechen, 15 erzwingt aber eine solche Lokalisierung nicht. Ähnliches wie für die Kenntnis der Jesustradition gilt für die aus Mk 13 hervorgehende Nähe zu den Ereignissen des Jüdischen Krieges. Auch sie könnte für den syrischen Raum sprechen. 16 Die Kriegsgeschehnisse waren aber auch in der urbs nicht unbekannt. Spätestens mit dem Triumphzug des Titus wurde der Ausgang des Krieges den Römern vor Augen geführt. 17 Ebenso scheinen die vielfach angeführten Latinismen zunächst für Rom zu sprechen. Angesichts des Kulturkontakts zwischen lateinisch- und vorwiegend griechischsprachigen Reichsteilen muss allerdings im Einzelfall überprüft werden, welche Wörter überhaupt als Latinismen interpretiert werden können. 18 Die Kenntnis der entsprechenden Termini im östlichen Mittelmeerraum kann aber auf Grund des erwähnten Kulturkontakts auch nicht ausgeschlossen werden. 19 Ebenso stützen die im Markusevangelium belegten Aramaismen 20 beide Optionen: Ihr Vorkommen lege den Osten nahe; ihre Übersetzungen den Westen. 21 Dass weiterhin das älteste Evangelium manches Jüdische erkläre, 22 spreche für eine intendierte Leserschaft, die sich sowohl aus geborenen Juden als auch aus Nichtjuden zusammensetze. Ein solches Milieu wird mit Blick etwa auf Act 11,19 f sowohl in Syrien angenommen 23 als auch – unter Hinweis auf die im Römerbrief des Paulus vorausgesetzte Adressatenschaft – in der Stadt am Tiber. 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23

S. o. IV 1.2. Vgl. Broer, Einleitung, 87. Ebner, Markusevangelium (22013), 173. Vgl. Broer, Einleitung, 113 f. Vgl. a. a. O. 137.212 f. Vgl. Theißen, Evangelium. Vgl. Becker, Markus-Evangelium, 101 f. Vgl. Jos, Bell 7,4.120–162; dazu Lovatt, Spectacle, 368–370. Vgl. von Bendemann, Latinismen. So tendenziell a. a. O. 49. S. o. IV 1.3. Vgl. Incigneri, Gospel, 96 f. S. o. IV 1.3. Vgl. Schenke, Markusevangelium, 41.

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Das Markusevangelium und der Aufstieg der Flavier – historische Kontexte

Neben der Ambivalenz der genannten Argumente warnt auch ein Seitenblick auf die Plutarch-Viten vor der vorschnellen Annahme von Eindeutigkeiten beim Rückschluss von der erzählten Welt auf die Abfassung des Werkes. Die Biographien Plutarchs lassen erkennen, dass ihr Autor von seiner kleinstädtischen Heimat in Zentralgriechenland aus Werke verfasst, deren Erzählungen zwischen Spanien und Persien spielen. 24 Auch er lässt Lokalkolorit in seine Erzählungen einfließen, etwa in Form von Erklärungen zu Landestypischem oder zu Sprachlichem. 25 Voraussetzung für seine römischen Lebensbilder waren freilich Aufenthalte und Kontakte in Rom, die ihm auf Grund seines sozialen Status und seines Vermögens möglich waren. Der autark reisende Handwerker 26 und Briefeschreiber Paulus beweist indessen, dass auch in der Frühen Christenheit ein hohes Maß an Mobilität möglich war. Weil einfache Antworten auf die Lokalisierungsfrage angesichts der skizzierten Lage nicht möglich sind, verzichten manche Interpretationen des Markusevangeliums auf eine Erörterung oder erklären die regionale Einordnung für irrelevant. Einem Verständnis der Textentstehung innerhalb ihres historischen Kontexts wird dadurch aber der Weg versperrt. 27

2. Römisches Kolorit Versucht man die genannten Argumente zu gewichten, erscheinen zwei von größerer Überzeugungskraft zu sein als andere: die auffällige Häufung traditionell lateinischer Termini in griechischer Umschrift sowie die Erklärung der λεπτὰ δύο durch den Quadrans in Mk 12,42. Mit Blick auf die lateinischstämmigen Termini – ob sie im Einzelfall eher Lehn- oder eher Fremdwörter sind, ist separat zu überprüfen –, lässt sich zu Recht einwenden, sie könnten auch im östlichen Mittelmeerraum, verbreitet etwa durch stationiertes Militär, geläufig gewesen sein. Tatsache ist aber, dass die Römer ihre Truppen meist nur befristet stationierten und auch keine flächendeckende Verwaltung aufbauten, 28 die in lateinischer Sprache den Alltag der Bevölkerung beeinflusste. Weiterhin ist zu veranschlagen, dass den Einwohnern der in das Imperium einverleibten Städte nicht der Gebrauch der lateinischen Sprache abverlangt wurde. Ausnahmen bilden die oft bilingualen Kolonien. Mit lateinischen Ausdrucksweisen kamen Bewohner des römischen Ostens daher nur sporadisch in Berührung. 29 All24

S. o. IV 1.2. S. o. IV 1.4; 9.3.1. 26 Vgl. Rohde, Stadt. 27 Vgl. Incigneri, Gospel, 60. 28 Vgl. Marek, Geschichte, 453–462. 29 Darf man der Autorfiktion der Erzählerfigur trauen, will selbst Plutarch das Lateinische erst in vorgerücktem Alter erlernt haben (vgl. Plut. Demosthenes 2,2). 25

Römisches Kolorit

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gegenwärtig waren entsprechende Termini dagegen in Rom und Umgebung. Bei aller Vorsicht müssen die lateinischstämmigen Termini im Markusevangelium daher als Hinweis auf eine Entstehung im stadtrömischen Umfeld gelten. 30 Ähnlich verhält es sich bei den in Mk 12,42 genannten Münzen. Wie die Wendung ὅ ἐστιν zeigt, dient der Quadrans als Erklärung der zuerst genannten Lepta. 31 Letztere wurden unter Herodes dem Großen und dann unter den römischen Statthaltern geprägt; die Verbreitung des Quadrans beschränkt sich indessen bis auf wenige Ausnahmen auf Rom und seine Umgebung. 32 Beide Ansätze liefern nicht zu ignorierende Indizien für eine Lokalisierung des Milieus und der intendierten Rezeption des Werks im lateinischen Westen. Ein neuer Hinweis zu Gunsten von Rom könnte sich aus der Verwendung des Wortes γραμματεύς ergeben. 33 Es dient im Markusevangelium zur Bezeichnung einer der Gegnergruppen Jesu. 34 Im Vergleich zum Realien-Befund fällt jedoch auf, dass der Terminus inschriftlich fast ausschließlich in Rom belegt ist und dort als Amtsbezeichnung innerhalb von Synagogengemeinden diente. Beschreibt der epigraphische Befund die Konzentration der wirklichen Verwendung des Terminus auf Rom – und daran zu zweifeln gibt es aus heutiger Sicht keinen Grund –, ist sein häufiges Vorkommen ein weiterer gewichtiger Hinweis auf eine stadtrömische Lokalisierung des Markusevangeliums. Auch die Sprache des Markusevangeliums passte zu einer stadtrömischen Herkunft der Schrift. Das sprachliche Inventar der Erzählung entspricht – vergleichbar der (altgriechischen und) hellenistischen Populärliteratur – einer gehobenen Alltagssprache, 35 wie sie die aus dem östlichen Mittelmeerraum stammenden, in Rom versammelten Zugezogenen, 36 Sklaven und Händler sprachen. Die Sprache des ältesten Evangeliums lässt seine Abfassung in Rom als möglich erscheinen.

Vgl. Incigneri, Gospel, 108. Vgl. Mk 3,17; 5,41 etc.; dazu Lau, Triumphator, 117 f; anders von Bendemann, Latinismen, 51. 32 Vgl. Incigneri, Gospel, 98; Ebner, Markusevangelium (22013), 172; zugestanden auch bei von Bendemann, Latinismen, 51 f Anm. 42. 33 Erstmals vorgeschlagen von Lau, Triumphator, 122–131 (zum inschriftlichen Befund vgl. a. a. O. 123 f). 34 Vgl. Mk 1,22; 2,6.16; 3,22; 7,1.5; 8,31; 9,11.14; 10,33; 11,18.27; 12,28.32.35. 38; 14,1.43.53; 15,1.31. 35 Vgl. Reiser, Syntax 166.168. 36 Plutarch berichtet im Munde seiner Erzählerfigur, er habe sich in Rom ausgiebig über Philosophie und Weiteres ausgetauscht, bevor er gründlicher Latein gelernt hat (vgl. Plut. Demosthenes 2,2). 30 31

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Das Markusevangelium und der Aufstieg der Flavier – historische Kontexte

3. Historische Konstellationen Auf Grund dieses Anfangsverdachts bietet es sich an, zu überprüfen, ob sich historische Kontexte namhaft machen lassen, die mit Spezifika der Erzählung korrespondieren. Als solche Kontexte sind in der Literatur für das Frühe Christentum in Rom die neronische Verfolgung sowie die Zeit des Aufstiegs der Flavier vorgeschlagen worden. 37 Von der brutalen Verfolgungsaktion unter Nero berichten Tac. ann. 15,44,2– 5 38 sowie Suet. Nero 16,2. 39 Während Letzterer sie unter den im Sinne einer Ordnungspolitik lobenswerten Taten des Kaisers aufzählt, wurden die Christen aus der Sicht des Tacitus – der noch im Kindesalter war, als Rom brannte – zwar völlig zu Recht mit dem Tode bestraft, und zwar auf Grund ihres „Aberglaubens“, der sie außerhalb des menschlichen Geschlechts stelle; der Brandstiftung aber seien sie als Vorwand und zu Unrecht beschuldigt worden. Umstritten ist, ob Tacitus die Verbindung zur Brandkatastrophe sekundär herstellt 40 oder ob sie ihm vorgegeben war. 41 So oder so gehen aus seinem Bericht sowohl der unsichere Status der Christen als auch die Praktiken ihrer Verfolger hervor: Die Christiani wurden als durch den Glauben an den gekreuzigten Nazarener klar abgegrenzte Gruppe wahrgenommen, 42 die sich außerhalb der menschlichen Gesellschaft sowie der religiös fundierten staatlichen Ordnung bewege. 43 Unter den zahlreichen Verhafteten zeigten sich einige geständig – gemeint sein kann hier nur die Tatsache, Christ zu sein, die Brandstiftung wird nicht weiter erwähnt – und denunzierten, womöglich unter Folter, 44 weitere Christen. Alle Geständigen wurden – auf nicht für römische Bürger vorgesehene Arten – 45 hingerichtet. In ihren Grundzügen entspricht die hinter den Worten des Tacitus erkennbare Justizpraxis bereits den vermutlich unter Domitian begonnen 46 und bei Plin. ep. 10,96 dokumentierten späteren Christenprozessen. Eine Verbindung zwischen der Christenverfolgung unter Nero, wie sie Tacitus und Sueton bezeugen, und dem Markusevangelium lässt sich in Mk 13,11–

37 Vgl. Incigneri, Gospel; Winn, Purpose; Ebner, Chance; Lanzinger, Petrus; Bond, Biography, 8. 38 Vgl. dazu Cook, Attitudes, 39–83; Koch, Geschichte, 454–458.518–520; Sonnabend, Nero. 39 Euseb. HE 2,25 thematisiert im gleichen Zusammenhang die Martyrien des Petrus und des Paulus. 40 Vgl. Schmitt, Christenverfolgung. 41 Vgl. Koch, Geschichte, 457. 42 Vgl. Tac. ann. 15,44,3. 43 Vgl. den analogen Vorwurf gegenüber Juden in Jos, Ap 2,148; dazu Incigneri, Gospel, 213 Anm. 16. 44 Vgl. Plin. ep. 10,96,7. 45 Vgl. Incigneri, Gospel, 217. 46 Vgl. Plin. ep. 10,96,1; dazu Cook, Attitudes, 162–164.

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13 greifen. 47 Als endzeitliche Bedrängnis, so kündigt es Jesus an, wird sich einstellen, was zuvor in Rom geschehen war: Christen werden laut Mk 13,11 abgeführt, vor Gericht gestellt (ἄγωσιν ὑμᾶς παραδιδόντες) und dort verhört. Erschreckend viele denunzieren nach Mk 13,12 Andere, selbst ihnen Nahestehende. Eine zentrale Rolle spielen laut Mk 13,13 dabei der Hass der Mehrheit auf die Christen (μισούμενοι ὑπὸ πάντων) auf Grund ihrer vermeintlichen Unmenschlichkeit sowie das Bekenntnis zum Christ-Sein (διὰ τὸ ὄνομά μου) 48. Letzteres führt laut Mk 13,12 unweigerlich zur Hinrichtung (εἰς θάνατον), etwa durch Kreuzigung. 49 Mk 13,11–13 dürfte die Erfahrung einer im größeren Stil vonstatten gehenden Christenverfolgung, wie sie unter Nero stattfand, widerspiegeln. Zu den von Josephus beschriebenen Geschehnissen des jüdischen Krieges hingegen passt das hinter der Ankündigung des markinischen Jesus Erkennbare nicht. 50 Die gleichen Erfahrungen setzen auch Mk 8,38 und 13,9 voraus. Auch das Profil einiger Figuren im Markusevangelium lässt sich mit den Christenprozessen korrelieren. 51 Jesus verhält sich in Mk 14,61 f wie ein vorbildlicher Bekenner: Zu einzelnen Vorwürfen schweigt er, wie in Mk 13,11 nahegelegt; 52 die (auf die erzählte Szene hin transformierte) Bekenntnisfrage bejaht er, woraufhin er in letzter Konsequenz der Kreuzigung zugeführt wird. 53 Judas steht paradigmatisch für den Denunzianten, 54 der andere – bekennende – Christen εἰς θάνατον schickt, wie Mk 13,12 es ausdrückt. 55 Petrus, der in Mk 14,29.31 seine Martyriumsbereitschaft noch lautstark unterstrichen hatte, wird durch seine dreifache 56 Verleugnung 57 zwar nicht zum Denunzianten, aber zum lapsus, dem – wie allen Nachfolgern, die Jesus laut Mk 14,50 im Stich gelassen haben – in Form des Neubeginns in Galiläa eine Rehabilitation in Aussicht gestellt wird. 58 Von hier aus kann zudem eine direkte Verbindung zur Erfahrung der Erstadressaten der Erzählung hergestellt werden: Sueton überliefert, in Rom habe man den sich auch als (Gesangs-)Künstler 59 inszenierenden Nero mit der Bemerkung verspottet, singend habe er sogar Hähne aufgeweckt. 60 Vgl. Winn, Purpose, 175 f; Lanzinger, Petrus, 33 f. Vgl. Tac. ann. 14,44,4 (fatebantur); Plin. ep. 10,96,2 (nomen ipsum). 49 Vgl. auch die mögliche Anspielung in Mk 8,34; dazu Incigneri, Gospel, 91.100. 50 Vgl. Incigneri, Gospel, 86. 51 Vgl. Ebner, Chance. 52 Vgl. auch 1Petr 4,15. 53 Vgl. Plin. ep. 10,96,3 (interrogavi ipsos, an essent Christiani. Confitentes iterum ac tertio interrogavi supplicium minatus: perservantes duci iussi), auch 1Petr 4,16. 54 Vgl. Mk 3,19; 14,10 f.18.20.44 f. 55 Vgl. Tac. ann. 15,44,4 (indicio eorum). 56 Vgl. Plin. ep. 10,96,3 (interrogavi […] iterum ac tertio interrogavi). 57 Vgl. Mk 14,66–72. 58 Vgl. Mk 14,28; 16,7. 59 Vgl. Tac. ann. 14,14. 60 Vgl. Suet. Nero 45,2. 47 48

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Der in Mk 14,30.72 erwähnte Hahn kann somit als Chiffre für Nero gelten. 61 Die angesichts der vielfachen Dreierschemata in der markinischen Passionsgeschichte auffällige Zweizahl des Hahnenschreis lässt sich vor diesem Hintergrund als Anspielung auf die neronische Verfolgung, gleichsam den dritten Schrei des ‚Hahns‘, in der die Geschichte des Petrus außerhalb der erzählten Welt weitergeht, verstehen. 62 In den Jahren nach dem Brand herrscht in Rom in mehrfacher Hinsicht ein Klima der Furcht: 63 Im Zuge der Bürgerkriegswirren wird der Jupitertempel zerstört, der die Existenz der urbs symbolisch verkörpert wie kein anderes Bauwerk; 64 im Osten gefährden jüdische Aufständische die Herrschaft. In dieser Situation versteht sich Vespasian als Erneuerer der Stabilität. 65 Als lediglich von der Mutter her der Oberschicht Angehörender 66 bemüht er sich auf mehreren Ebenen, sein Prinzipat zu plausibilisieren: Berichte über Vorzeichen kursieren, die Schirmherrschaft Jupiters wird ebenso in Anspruch genommen wie die Erfüllung jüdischer messianischer Erwartungen. 67 Dem stellt der Autor des Markusevangeliums eine für die Rezeption im binnenchristlichen Raum vorgesehene Erzählung gegenüber, die sich in Teilen als Gegenerzählung zur öffentlichen Selbstinszenierung der neuen Kaiserdynastie liest. 68 Statt von Freudenbotschaften über die Bestätigung des Vespasian 69 erzählt das Markusevangelium im Sinne von Mk 1,1.14 f von der Frohbotschaft, die Jesus verkündigt und die schließlich weltweit Kreise zieht. 70 Was der Kaiser im Rahmen seiner Propaganda für sich in Anspruch nimmt, trifft auch für die markinische Erzählung bei Jesus zu: Hinter seiner Wirksamkeit steht göttliche Autorität. 71 Kundige Rezipienten können sich beim Umgang Jesu mit den Zöllnern an Sabinus, Vespasians Vater, der in der Provinz Asien als Steuerpächter gearbeitet hatte, 72 erinnert fühlen und damit an den teil-aristokratischen Hintergrund des Kaisers, der im Übrigen seinem Vater an Geldgier nicht nachgestanden haben soll. 73

Vgl. Lanzinger, Petrus, 39. Vgl. a. a. O. 46. 63 Vgl. Tac. hist. 2,1; dazu auch Incigneri, Gospel, 161. 64 Vgl. Ruff, Studien, 106; Leithoff, Macht, 41–55. 65 Vgl. Suet. Vesp. 1,1. 66 Betont von Dormeyer, Evangelium und Biographie, 25. 67 Vgl. Suet. Vesp. 4,5; 5,2–7; dazu auch Winn, Purpose, 162.166. 68 Vgl. Ebner, Markusevangelium (22013), 175–181; Ders., Flavier. 69 Vgl. Jos, Bell 4,618.656. 70 Vgl. Incigneri, Gospel, 167. 71 Vgl. nur Mk 1,1. 72 Vgl. Suet. Vesp. 1,2. 73 Vgl. Suet. Vesp. 1,3; 16,1. Laut Dormeyer, Evangelium und Biographie, 24 f, übertreibt Sueton bei den Angaben zu Vespasians Herkunft. 61 62

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Die im Markusevangelium umfangreich dargestellte Wundertätigkeit Jesu steht in dieser Perspektive der von Vespasian neu entwickelten 74 Wunderpropaganda gegenüber, die trotz der nicht-kaiserlichen Herkunft seiner Herrschaft zusätzliche Plausibilität in der öffentlichen Wahrnehmung verleihen soll: 75 Nachdem die in Ägypten stationierten Truppen ihn am 1. Juli 69 als Kaiser ausgerufen hatten, 76 begab er sich selbst nach Ägypten. Dort holte er – in einem Akt der imitatio Alexandri – einen Orakelspruch im Heiligtum des Sarapis ein. Im Tempel des auch für Heilungen zuständigen und bei den Truppen wie den Einheimischen geschätzten Gottes wenden sich ein Blinder und ein Mann mit krankem Bein (beziehungsweise kranker Hand) hilfesuchend an Vespasian. 77 Der zögert zunächst, vollbringt aber dann die Heilung. Inszeniert wird er so als Stellvertreter und/oder als Manifestation des Gottes selbst. 78 Wie die mehrfache literarische Überlieferung nahelegt, wurden die Berichte über die wundersamen Heilungen intensiv propagandistisch ausgenutzt. 79 Jesus praktiziert im Markusevangelium ein Gegenmodell dazu, indem er die Verbreitung der Kunde über seine Heilungserfolge immer wieder einzudämmen versucht. 80 Den Darstellungen zufolge soll Vespasian durch bloße Berührung das erkrankte Körperteil sowie durch das Aufbringen seines Speichels die Blindheit geheilt haben. Auch Jesus heilt (anders als bei den Seitenreferenten dargestellt 81) in Mk 8,23 durch Speichel, und zwar ebenfalls Blindheit; in Mk 5,27–29; 6,56 ist von der heilenden Berührung seines Gewandes die Rede. Die Passage Mk 10,42–45 wendet sich kritisch gegen Machtausübung 82 und stellt der Aufsteigermentalität der flavischen Zeit 83 reziproke Dienstleistung als Modell gegenüber. Nicht ein Machthaber, für den viele ihr Leben gelassen haben und der sich selbst im Triumphzug feiert, steht im Zentrum des Markusevangeliums, sondern Jesus, der Allen dient und sein Leben für Andere lässt. In Mk 15,16–20 kulminiert die Inszenierung Jesu als eines Anti-Triumphators. 84 Einige Details spielen auf das Ritual der römischen Triumphzüge an. Die Ortsangabe „Prätorium“ in Mk 15,16 lässt sich als Anspielung auf das Feldherrenzelt auf dem Marsfeld verstehen, bei welchem der Triumphator seine Soldaten versammelt und sich von ihnen huldigen lässt. 85 Analog wird in Mk 15,16 eine 74 75 76 77 78 79 80 81 82 83 84 85

Vgl. Engster, Kaiser, 304; Weikert, Jerusalem, 56 f. Vgl. auch Dormeyer, Idealbiographie, 223 f. Vgl. Suet. Vesp. 6,3. Vgl. Tac. hist. 4,81; Suet. Vespasian 7,2 f; Cass. Dio 66,8. Vgl. Weikert, Jerusalem, 56. Vgl. Engster, Kaiser, 304. Vgl. Incigneri, Gospel, 170. Vgl. Mt 15,30. Das Lukasevangelium erzählt die Szene nicht. Betont von Bond, Biography, 150–155. Vgl. Ruff, Studien, 197 f. Vgl. Lau, Triumphator, insb. 608 f. Vgl. a. a. O. 329 f.

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gesamte σπεῖρα zusammengerufen, die Jesus in Mk 15,18 f zum Spott huldigt. 86 In Mk 15,17 erhält Jesus ein Gewand, das der vom römischen Triumphator getragenen, vor allem purpur gehaltenen vestis triumphalis entspricht. 87 Statt der aus Lorbeer geflochtenen corona triumphalis trägt Jesus einen Kranz aus dornigem Gestrüpp. 88 Mit dem Wechsel zurück in seine eigene Kleidung in Mk 15,20 wird im Horizont des römischen Triumph-Rituals die Jesus eigentlich zugedachte Rolle sichtbar: Er wird als Gefangener mitgeführt. 89 Sein Zug zum Κρανίου Τόπος, Golgata, entspricht dem Ziel des römischen Triumphzugs, dem mons Capitolinus, 90 dessen an caput erinnernder Name für die Rolle Roms als „Haupt“ Italiens steht. 91 Der in Mk 15,26 erwähnte titulus spielt auf die der Erläuterung dienenden tituli der im Kreuzzug als Gefangene präsentierten, vormaligen Herrscher an. 92 Der in Mk 15,38 erwähnte Tempelvorhang lässt an den Triumphzug des Titus denken: 93 Dort wurde er unter den aus dem Jerusalemer Tempel mitgenommenen Gegenständen gezeigt. 94 Dass die Machtübernahme der Flavier innerhalb der stadtrömischen Christen vor dem Hintergrund der nur wenige Jahre zurückliegenden Verfolgung unter Nero Befürchtungen auslöst, liegt in der (trotz des Rekurses Vespasians auf die julisch-claudische Zeit 95) faktisch bestehenden Kontinuität zwischen der neronischen und der neuen flavischen Herrschaft begründet: Vespasian hatte Nero gedient; 96 Titus war als Quaestor der Amtsjahre 63/64 möglicherweise an den Christenprozessen unter Nero beteiligt gewesen. 97 Als Prätorianerpräfekt, der er – neben anderen Ämtern und der Mitregentschaft unter seinem Vater – nach seinem Triumphzug geworden war, agierte er „tyrannisch und grausam (incivilius et violentius)“ 98 bei der Verfolgung ihm Unbequemer. Daher und auch auf Grund seiner Verschwendungssucht galt er als „zweiter Nero“ 99. Auch Strafverfolgungen, wie sie unter Nero gegen Christen belegt sind, fielen in sein Ressort. 100 Dass die frühen Christen Roms ihn daher fürchteten, liegt nahe. Der spätere Briefwechsel zwischen Plinius und Trajan illustriert, dass die Furcht der

86 87 88 89 90 91 92 93 94 95 96 97 98 99 100

Vgl. a. a. O. 335. Vgl. a. a. O. 341. Vgl. a. a. O. 346 f. Vgl. a. a. O. 360 f. Vgl. Mk 15,22. Vgl. dazu Incigneri, Gospel, 167; Lau, Triumphator, 384. Vgl. Dion. Hal. ant. 4,61,2. Vgl. Lau, Triumphator, 403. Vgl. Ebner, Markusevangelium (22013), 173. Vgl. Jos, Bell 7,162. Vgl. dazu Kramer, Flavier, 312. Vgl. Suet. Vesp. 4,4. Vgl. Incigneri, Gospel, 178 f. Suet. Tit. 6,1. Suet. Tit. 7,1. Vgl. Incigneri, Gospel, 181.

Biographien als Medium philosophisch-politischer Opposition

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römischen Christen nicht unbegründet war. 101 Dass Mk 13,14 auf die Tempelzerstörung und -schändung durch Titus nur anspielt und deren Hauptakteure nicht explizit benennt, dürfte das Klima der Gefährdung widerspiegeln, in dem die Christen sich seinerzeit bewegten. 102 Die Anspielungen in Mk 13 auf die Verfolgung unter Nero und die Tempelzerstörung durch die Soldaten des Titus, in Mk 15 auf den römischen Triumphzug sowie in Einzelaspekten, etwa der Wundertätigkeit, auf Vespasian, legen eine Abfassung des Markusevangeliums im Rom Vespasians nahe. Wie sich im Folgenden zeigen wird, unterstützt die literarhistorische Einordnung des Evangeliums diese Annahme.

4. Biographien als Medium philosophisch-politischer Opposition Insbesondere im alten Rom lässt sich beobachten, dass biographische Werke auch als Träger politischer Aussagen fungierten. Die in der Zeit der Bürgerkriege erschienenen umfangreichen biographischen Werke des M. Terentius Varro und des Cornelius Nepos etwa wenden sich kritisch gegen die Idee der Alleinherrschaft. 103 Plutarch verfasst demgegenüber seine Serie von Kaiserviten vermutlich aus Anlass der im Jahr 88 n. Chr. veranstalteten Säkularfeier zur größeren Ehre Domitians. 104 Von L. Mestrius Florus, der unter Domitian als Konsul amtierte, hatte er das römische Bürgerrecht erhalten. Sueton legt unter Trajan seine Kaiserviten vor und integriert auch Cäsar, den sich Trajan zum Typus gewählt hatte, in die Serie. 105 Eine besondere Nähe zur biographischen Literatur weist die an stoischen und republikanischen Idealen orientierte Opposition gegen das Prinzipat beziehungsweise den jeweiligen Prinzeps auf. Ihren Ausgang nimmt diese Entwicklung in der literarischen Auseinandersetzung mit Cato Uticensis. 106 Mit Hilfe von Cato-Schriften tragen Cäsar und Cicero ihre Differenzen aus: Cäsar in seinem „Anticato“ 107, Letzterer in Form eines Cato-Enkomions. 108 Die erste für uns greifbare Lebensbeschreibung des Cato Uticensis verfasst sein Freund und langjähriger Weggefährte Munatius Rufus. 109 Der ab dem Jahr 59 seine Ablehnung der Willkürherrschaft Neros öffentlich bekundende Senator Publius

101 102 103 104 105 106 107 108 109

Vgl. Plin. ep. 10,96 f; dazu Incigneri, Gospel, 106 f. Vgl. Incigneri, Gospel, 132 f. Vgl. Ebner, Viten, 46 f. Vgl. Kemezis, Literature, 457. Vgl. Ebner, Viten, 49 f. Dazu Gäth, Rezeption, 3–83. Vgl. Plut. Cato min. 36,3. Vgl. Plut. Cäsar 54,1. Vgl. Fehrle, Cato, 8 f; Wördemann, Charakterbild, 213 f.

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Clodius Thrasea Paetus bringt die von Munatius verfasste Vita des Cato neu heraus. Thrasea Paetus wie auch sein sich ebenfalls an stoischen und republikanischen Idealen orientierender Schwiegersohn Gaius Helvidius Priscus werden zu „Zentralfiguren“ 110 der Senatsopposition. Unter Nero wird Thrasea Paetus Verrat und Illoyalität vorgeworfen, auch dass er von den kaiserlichen Spektakeln nicht gebührend angetan gewesen sei. 111 Bei der Konstruktion der Anklage spielt laut Tacitus auch der Vorwurf eine Rolle, der Senator stelle göttlich Sanktioniertes in Frage. Sein Ankläger formuliert in der Erzählung des Tacitus: Dieselbe [sc. gegenüber Nero missgünstige] Gesinnung liegt vor, wenn er an die Göttlichkeit Poppeas nicht glauben (Poppaeam divam non credere), wie wenn er auf die Verordnungen des göttlichen Augustus und des göttlichen Iulius nicht schwören will (in acta divi Augusti et divi Iuli non iurare). Er verachtet die religiösen Bräuche, hebt die Gesetze auf (spernit religiones, abrogat leges). 112

Die Wahl seiner Todesart wird Thrasea Paetus selbst überlassen; er wählt – wie Cato – den Suizid, den er nach sokratisch-catonischem Vorbild in äußerster Gefasstheit durchführt. 113 Sein aus den geöffneten Pulsadern strömendes Blut bezeichnet er im Rahmen seiner ultima verba als Opfer für Jupiter, den „Befreier (Liberatori)“ 114. Er stirbt im Jahr 66 n. Chr. Gaius Helvidius Priscus wird unter Vespasian verbannt und in den frühen 70er-Jahren 115 schließlich hingerichtet. 116 Der Versuch, die stoisch-‚oppositionelle‘ Biographie nach den Cato-Werken weiterzuschreiben, stößt auf die Wucht der kaiserlichen Gewalt. Gaius Helvidius Priscus sowie Thrasea Paetus werden Biographien gewidmet, deren Urheber in Ungnade fallen und daher verfolgt werden: Quintus Iunius Arulenus Rusticus fällt der Stoikerverfolgung Domitians zum Opfer. Er findet den Tod, wie Sueton schreibt, weil er lobende Werke über Thraseae Paetus und Helvidius Priscus verfasst hat. 117 Fannia, die Tochter des Thraseae Paetus und Gattin des Helvidius Priscus, gibt bei dem stoischen Rechtsanwalt und Autor Herennius Senecio eine Biographie ihres Mannes in Auftrag und überlässt ihm zu diesem Zweck entsprechendes Material. 118 Domitian fasst das Werk offensichtlich als Ausdruck einer Revolte auf und lässt seinen Autor anklagen und zum Tode 110 Ebner, Viten, 51; vgl. auch Malitz, Priscus; Leithoff, Macht, 90–113; Rutledge, Inquisitions, 115–119.127–129. 111 Vgl. Tac. ann. 16,21–33. 112 Vgl. Tac. ann. 16,22,3. 113 Vgl. Tac. ann. 16,22,34 f. 114 Tac. ann. 16,22,35,1. 115 Vgl. Malitz, Priscus, 241 f. 116 Vgl. Tac. Agr. 2,1; Suet. Vesp. 15; Cass. Dio 66,12. 117 Vgl. Suet. Dom. 10,3 (Iunium Rusticum, quod Paeti Thraseae et Helvidi Prisci laudes edidisset appellassetque eos sanctissimos viros); Tac., Agr. 2,1; dazu auch Ebner, Viten, 51. 118 Vgl. Plin. ep. 7,19,5.

Biographien als Medium philosophisch-politischer Opposition

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verurteilen. 119 Fannia, die bereits zweifach zusammen mit ihrem Mann im Exil gewesen war, wird in die Verbannung geschickt. Ein Exemplar der HelvidiusVita kann sie retten und mit in die Fremde nehmen. 120 Eine indirekte Weiterführung erfährt die herrschaftskritische Biographie-Literatur durch Plutarch. Aus Rom nach Griechenland zurückgekehrt, verfasst er die Serie seiner Doppelviten. Sowohl bei den porträtierten Griechen als auch bei den Römern geht es immer wieder um Verteidigung und Verlust politischer Freiheit. Besondere Aufmerksamkeit erfahren die Republikaner aus der Zeit des Untergangs der Republik: Cato Minor, Brutus, Cicero. Mit ihnen setzt sich Plutarch bevorzugt auseinander, wenngleich er das Prinzipat als vom Schicksal gegebenes System akzeptiert. Dass er aber keinen Römer, der nach Augustus lebte und wirkte, porträtiert, mag – vor dem Hintergrund des Schicksals der politisch unbequemen Biographie-Schriftstellerei in Rom – eine Vorsichtsmaßnahme gewesen sein. 121 Mit der römischen stoisch-‚oppositionellen‘ Vita kam Plutarch persönlich durch einen ihrer Vertreter in Kontakt. Unter seinen Hörern in Rom befand sich Quintus Iunius Arulenus Rusticus, der von Domitian getötete Autor von Lebensbeschreibungen des Thrasea Paetus sowie des Helvidius Priscus. 122 Die römische Cato-Literatur 123 kannte Plutarch durch Thrasea Paetus’ Werk, das ihm von Iunius Arulenus zugänglich gemacht wurde und das Plutarch seiner Cato-Biographie zu Grunde legte. 124 Plutarch weiß, dass sich Thrasea Paetus eng an seiner Vorlage Munatius Rufus orientiert. 125 Aus heutiger Sicht erhellt ein Vergleich zwischen einigen CatoAnekdoten bei Valerius Maximus und bei Plutarch den Charakter der vorplutarchischen Cato-Viten. 126 So stimmen etwa die in der Kindheit Catos spielenden Szenen im Hause seines Onkels sowie im Hause Sullas weitgehend überein. 127 Beide gehen offensichtlich auf Munatius Rufus zurück, bei Valerius Maximus unmittelbar und bei Plutarch vermittelt durch die Neuauflage des Thrasea Paetus. Daraus folgt, dass bereits die Cato-Vita des Munatius Rufus eine eigenständige biographische Erzählung und keine bloße Lobrede war. 128 Dem Thrasea Paetus kommt somit das Verdienst zu, in der Zeit Neros die „vergessene Schrift des Munatius wieder ausgegraben“ 129 zu haben. 119

Vgl. Plin. ep. 3,11,3; Tac. Agr. 2,1; 45,1. Vgl. Plin. ep. 7,19,6. 121 Vgl. Geiger, Greeks. Erwähnt werden die Kaiser in den Biographien nur am Rande (vgl. Ash, Shadows). 122 Vgl. Plut. Von der Neugierde 15 (mor. 522e); dazu Fehrle, Cato 7–9. 123 Vgl. Plut. Cato min. 36,3; Cäsar 54,1. 124 Vgl. Wördemann, Charakterbild, 213 f; Pelling, Truth, 148; Gäth, Rezeption, 84–86. 125 Vgl. Plut. Cato min. 25,1; 37,1. 126 Vgl. Fehrle, Cato, 10–14. 127 Vgl. Val. Max. 2,1,2 mit Plut. Cato min. 3. 128 Vgl. Fehrle, Cato, 15. 129 A. a. O. 17. 120

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Das Markusevangelium und der Aufstieg der Flavier – historische Kontexte

5. Rezeptionen des Cato-Stoffes im christlichen Kontext Die Ereignisse um die senatorische Opposition, ihr publizistischer Niederschlag in der Produktion biographischer Werke sowie ihre Verfolgung unter Nero und Vespasian blieben den Christen Roms nicht unbekannt. Bei Tacitus etwa kann der Ankläger des Thrasea Paetus den Kaiser warnen, das notorisch am Richtungsstreit innerhalb der Oberschicht interessierte Volk erblicke in Nero einen Cäsar und im Angeklagten einen Cato. 130 Diese Anspielung auf die Cato-Neuauflage des Thrasea Paetus setzt voraus, dass sie keineswegs nur in senatorischen Kreisen zirkulierte, sondern dass ihre Existenz auch einer breiteren Öffentlichkeit bekannt war. Auch die Hinrichtungen prominenter, oppositionell eingestellter Aristokraten blieben nicht unbemerkt. Um Verbannung und Exekution des Helvidius Priscus unter Vespasian entwickelte sich „einer der großen Justizskandale der Zeit“ 131, versuchte Vespasian doch seine Unschuld am Tod des Senators glaubhaft zu machen. 132 Diese Vorgänge blieben der stadtrömischen Öffentlichkeit nicht verborgen. Dem Stoizismus verpflichtete Senatoren wie auch die Christinnen und Christen Roms teilten in neronischer und flavischer Zeit die Erfahrung der Verfolgung durch den jeweiligen Prinzeps. Vor diesem Hintergrund erscheint es plausibel, dass sich der Autor des ältesten Evangeliums den Cato-Stoff, der im Umfeld der Senatsopposition geschätzt wurde, als literarisches Vorbild nahm. Cato diente in seinen biographischen Darstellungen den Einen als exemplum, 133 was die philosophischen Grundlagen und die Bereitschaft zur Lebenshingabe angeht. Das Markusevangelium bot den Anderen eine erzählerische Darstellung des Wirkens Jesu, die in die weitere Verkündigung des Evangeliums führte und in die sich die Erfahrung der eigenen Verfolgung sowie die Hoffnung auf die letztendliche Errettung einschreiben ließ. Kritik an den als gegenwärtig bedrohlich empfundenen Herrschern musste verschlüsselt formuliert werden, 134 um möglichen Repressalien keine Anhaltspunkte zu bieten. Die in Umrissen erkennbare kirchliche Rezeption des Markusevangeliums passt zu der vorgeschlagenen Entstehung in Anlehnung an römische Cato-Biographien. Ohne den Hintergrund dieses Entstehungskontexts erschloss sich die erzählerische Form schon wenig später nicht mehr. 135 Die Erzählung vom scheinbaren Scheitern und der Rehabilitation des Gottessohns wurde in Gestalt des Matthäusevangeliums, das Jesus als den Messias in Wort und Tat präsentiert 130

Vgl. Tac. ann. 16,22,2. Malitz, Priscus, 243. 132 Vgl. Suet. Vesp. 15; vgl. auch Tac. Agr. 2,1; Cass. Dio 66,12 f. 133 Zur zentralen Rolle des historischen exemplum im römischen Denken vgl. Brenk, Exemplum. 134 S. o. 3. 135 Zum späteren christlichen Cato-Bild vgl. Biller, Cato. 131

Rezeptionen des Cato-Stoffes im christlichen Kontext

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und die Gründungsgeschichte der Kirche aus Juden und Heiden erzählt, 136 abgelöst. 137 Die bei Euseb überlieferte Papias-Notiz spiegelt die Bemühung wider, das Markusevangelium gegenüber dem Vorwurf des Defizitären zu verteidigen. 138

136 137 138

Vgl. Schnelle, Theologie, 444. Vgl. Dormeyer, Idealbiographie, 41. Vgl. auch Bond, Biography, 103 f.

VI Resümee Die vorliegende Studie greift zwei Fragen der Forschung zum Markusevangelium, dem ältesten Erzählevangelium, auf: Inwieweit stand die griechischrömische Biographie Pate bei der literarischen Gestaltung? Und: Was lässt sich zur Entstehungssituation des Textes sagen? Aus der Beschäftigung mit den Forschungsbeiträgen zur Evangelien-Biographie-These ergab sich: Die eine Gattungszugehörigkeit des Markusevangeliums zu erweisen, sollte nicht Ziel der Arbeit sein. Auch sollte nicht die pagane Biographie als Vergleichsgröße fungieren. Vielmehr orientiert sich der hier durchgeführte Literaturvergleich an Grundeinsichten und Kriterien der kognitiv ausgerichteten Narratologie. Die Arbeit mit den Biographien Plutarchs schlägt eine Brücke zwischen Markusevangelium und dem in neutestamentlicher Zeit dominierenden politik- und historiographieaffinen Bios. Die Untersuchung der Erzählweisen im Markusevangelium und in den Biographien Plutarchs zeigte, dass Ersteres aus einem ähnlich reichen Reservoir an Gestaltungsmitteln schöpft wie der Autor aus Chaironeia. Der Vergleich des Erzählten ergab, dass sich zu zahlreichen Einzelaspekten im Markusevangelium Entsprechungen bei Plutarch finden lassen, insbesondere wenn die Porträtierten für Werte wie etwa politische Freiheit eintreten und dafür Bedrängnis und Tod erdulden. Parallelen zur narrativen Christologie des Markusevangeliums, zur vom Markusevangelium beanspruchten Ereignishaftigkeit des Erzählten sowie zum Ausgreifen der Wirksamkeit der Hauptfigur Jesus auf die Gegenwart der intendierten Leserschaft und darüber hinaus existieren jedoch nicht. Aus chronologischen Gründen scheidet ein Abhängigkeitsverhältnis des Markusevangeliums von Plutarch aus. Denkbar ist aber, dass der Autor des ältesten Evangeliums von Plutarch verarbeitete Stoffe kannte. Zahlreiche Parallelen hinsichtlich Typus und Charakteristik der Hauptfiguren sowie bei Handlungs-, Zeit- und Raumprofil legen das insbesondere im Fall der Vita Catos des Jüngeren nahe: Der Verfasser des Markusevangeliums nahm sich die in neronischer Zeit veröffentlichte Cato-Vita des Thrasea Paetus zum Vorbild für seine Erzählung des Lebens und der Wirksamkeit Jesu. Die rekonstruierte Entstehungssituation passt zur Annahme einer Abfassung des Markusevangeliums in Rom in der Zeit des Aufstiegs der Flavier. Bibelhermeneutisch ist daher zu bedenken, dass sich die Gestaltung des Markusevangeliums in höherem Maße als üblicherweise angenommen an einem konkreten Vorbild orientierte und das Werk im Blick auf eine spezifische Situation konzipiert wurde. Dennoch enthält es offensichtlich einen über den inten-

Resümee

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dierten Rezeptionskontext hinausweisenden Überschuss, sodass es zu einer Glaubensurkunde einer religiösen Gemeinschaft werden konnte. Angesichts dieses Befundes ist das Problem von Geschichte und Geschichtsschreibung, Fiktionalität und Zuverlässigkeit der Erzählung von zentraler Bedeutung. Die ältere Forschung hatte zusammen mit dem literarischen den biographisch-historiographischen Charakter zumal des unter dem Namen des Markus überlieferten Evangeliums vehement abgelehnt, auch um das Werk vor (re-)historisierenden Interpretationen zu schützen. Neuere Ansätze machen den historiographischen anstelle eines biographischen Charakters stark (Becker) oder diagnostizieren alternativ eine Affinität zum Mythischen (Klumbies). Zusätzlich wird auch der biographische Charakter als Beleg für die (auch im modernen Sinn verstandene) historische Zuverlässigkeit angesehen (Keener). Demgegenüber zeigt der Blick auf Plutarch: Gerade der biographische Charakter bringt eine Affinität zur Historiographie mit sich. Selbst mythische Stoffe können dabei integriert werden. Der faktuale Anspruch schließt ferner Fiktionalität keineswegs aus. Zu Gunsten der Ästhetik der Darstellung ist sie sogar gefordert, allerdings nicht unbegrenzt. Trotz aller Unterschiede hinsichtlich der Entstehungs- und Rezeptionskontexte lassen sich die gemachten Beobachtungen mit methodischer Vorsicht auf das Markusevangelium übertragen. Der narratologische Neuansatz des Evangelien-Biographie-Vergleichs hilft auf diese Weise, den Wesenskern der neutestamentlichen Evangelienschriften differenzierter beschreiben zu können.

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Stellenregister

Altes Testament Gen 1,27 2,24 3 37–50

192 192 4 4

Ex 23,20

106.140

Num 15,38 f Dtn 22,12 24,1 24,3

2Sam 11

4

Ps 22 23,2

24 114

Jes 40,3 56,7

106.140 110.192

Jer 19,1–13 36,14–19

10 4

Mal 3,1

140

183

183 192 192

Josephus C.Ap. 2,148

212

Ant. 18,116–119

114

Bell. 6,250 6,252 6,316 7,4 7,120–162 7,162

84 84 84 209 209 216

Neues Testament Mt 1f 1,1 3,11 15,30 23,37

30 136 70 215 110

24,14 26,13 28

136 136 48

Mk 1–6

101

248 1,1

1,1–3 1,1–13 1,2 f 1,2–9 1,4 1,4 f 1,4–8 1,4–13 1,4–15 1,5 1,7 f 1,9 1,9–11 1,9–13 1,10 f 1,11 1,12 1,12 f 1,14 1,14 f 1,14–4,41 1,14–6,56 1,15 1,16 1,16–20 1,16–38 1,16–45 1,16–8,26 1,19 1,21 1,21–28 1,22 1,24 1,27 1,28 1,29 1,29–39 1,31 1,32 f 1,32–34 1,32–35 1.34

Stellenregister

8 f.27 f.34.46.79.98.100 f.106. 133.138 f.145.157.164 f.173. 179.191.193.201.214 6.78.82.135.139 f.199 115.124.129.142 29.72.105 f.128 f.138.142.173 35 140 f.191 f 105 29 135.160.199 154 106 70.105.129.135.142.181 34.105.139 18.35.106.172 29.35.129.146.204 f 102.142 82.100 f.138.157.173.194 116 130.153.169.173.205 101.106–108.117.123.125. 130.143.205 29.98.108.111.115.135.138 f. 149.182.191.214 105 126 102.108.130.192 116 35.106.149.186 116 29 205 116 116 35.125 129.173.211 194 102.129.144.191 102.107.194.205 106.116 111 145 126 125.132 102 190

1,35 1,35–45 1,36 1,38 1,38 f 1,39 1,40 1,41 1,43 1,44 1,45 2–4 2,1 2,1–4 2,1–12 2,1–3,6 2,5 2,6 2,6 f 2,6–8 2,7 2,8 2,10 2,12 2,13 2,13 f 2,15–17 2,16 2,16–3,6 2,17 2,18 2,19 2,19 f 2,20 2,21 f 2,23 2,23–28 2,24 2,25 f 3,1 3,2 3,5 3,6 3,7 3,7 f 3,7–12 3,7–19

106.173 111 185 191 106 107 116 99.184 184 82 102.106.125.167 71 106.116 168 111 83 190 211 145.149 175 129.195.206 78.99.189 78 f.85.193.198 102.169.191 106.116 111.149.186 145.149 206 115.149 191.193 116 193 102.125.130.192 189 191 113.116.182 111.169 145.149.206 72.108 116 149.185 99.183 f.189 34.115.125.129.149.154.206 106 f.116 109.206 125.132 111

249

Stellenregister

3,10 3,11 3,13 3,13–19 3,14 3,17 3,19 3,20 3,21 3,22 3,22 f 3,28 f 3,30 3,31–35 3,33 f 3,34 f 4,1–9 4,1–34 4,1–41 4,3–34 4,10–20 4,10–35 4,11 4,12 4,13 4,21 4,26–29 4,34 4,35 4,35–41 4,38 4,41 5,1 5,1–20 5,1–43 5,7 5,9 5,10 5,12 f 5,15 5,19 5,20 5,21 5,22–34 5,26 5,27 f 5,27–29

102 100.145.194 116 116.149.169 f.186 109 83.183.211 125.129.148 f.154.171.213 116.204 139.145.148 109 f.124 82 130 124 139.145.148 193 112 111 99.102.116.169 116 130 115 111 108 82 184 83.192 10 115 116 10.93.111.149 194.205 102.149 106.116 34.105.108 111 100.145.194 83 177 173 83.102 193 125 116 116 186 181 215

5,29 5,30 5,41 5,42 6,1–6 6,1–13 6,2 f 6,3 6,6 6,7 6,7–13 6,7–8,9 6,8–10 6,9 6,14 6,14 f 6,14–16 6,14–29 6,15 6,17–29 6,26 6,29 6,30 6,30–44 6,30–56 6,30–8,9 6,30–9,29 6,32 6,34 6,35–38 6,39 6,43 6,45–52 6,46 6,48 6,49 f 6,51 6,51 f 6,52 6,53 6,53–56 6,54–56 6,55 6,55 f 6,56 7,1 7,1–23

190 99.175.181 83.183 102 105.145.148 111 129.206 137.181.204 99.125.183 116 149.186 30 170 181 116 179 101.194 130 166 99.101.107.123.128.132 99 130 116 124 111 149 116 107 99.108.184 169 114 82 10.93.124.145 173 190 102 190 102 116 107 169 125.132 126 102 183.215 108.110 83

250 7,6 f 7,6–13 7,10 7,11 7,19 7,24 7,24–30 7,24–37 7,27 7,31 7,34 7,36 7,37 8–10 8,1 8,1–9,32 8,2 8,10 8,10–21 8,10–26 8,12 8,13 8,14–21 8,15 8,17–21 8,18 8,19 f 8,22 8,22–26 8,22–10,52 8,23 8,25 8,27 8,27–30 8,27–33 8,27–10,52 8,27–16,8 8,28 f 8,29 8,31 8,32 8,34–38 8,35 8,38 9,1 9,2 9,2–5

Stellenregister

72.129 189 72 82 f 82.179 106 100.205 111 192 106.116 183 102 82.102 126 116 111 184 106 f 149 30 99 116 145.149 192 184 82 116 107 107.149 42.107 215 99 107.113.154.204 194.206 30.109.145.149 f 101.107 f 206 179 137 70.102.109.130.189.192 f 35 108.131 98.101.135 11.108.130.213 108.130 82.106.116.182 99.102

9,2–10 9,2–13 9,5 9,7 9,9 9,10 9,11 f 9,12 9,17 9,23 9,28 9,28 f 9,30 9,30–32 9,31 9,32 9,33 9,33 f 9,33–35 9,33–50 9,37 9,38 9,41–50 9,47 9,48 10 10,1 10,1–12 10,1–52 10,3 10,5–9 10,7 10,10 10,10–16 10,14 10,14 f 10,16 10,17–31 10,18 10,19 10,21 10,22 10,23–25 10,25 10,27 10,29 10,29 f

35 150.173 194 100 f.108.157.180.101.194 102.130.145.192 110 82 145 194 192 107 111 107 150 70.102.108.130.189.192 99 107 113 108 111.150 191 194 131 108 82 71 107.116 192 111 189 189 82 107.116 111 184 108.130 183 131.150 82.205 72 183.189 99 108 192 192 98.101.108.135 192

251

Stellenregister

10,32 10,33 f 10,35–45 10,38 f 10,39 f 10,42–45 10,45 10,46 10,46–52 10,47 10,47 f 11 11–13 11–15 11,1–7 11,1–11 11,1–16,8 11,2–6 11,8–10 11,12 11,12 f 11,12–21 11,12–25 11,15–18 11,15–19 11,15–12,44 11,17 11,18 11,19 f 11,25 11,27 11,27–13,37 11,34 12,1–10 12,1–12 12,6 12,10 12,10 f 12,13–17 12,14 12,14–26 12,15 12,17 12,18 12,19 12,26 12,27

109.113 70.109.130 130.150 106 189 108.215 145.164.186.191.205 100.107.116.191 107.149 108 194 30 150 122 f.132 113.189 108.110 107.111 102 147.195 119 113 101 116 192 107 110 72.82.110.129 129.185 119 130 119 107 130 99 130.150 100 129 72 83.177 185 155 189 185 179 72 129 102

12,28 12,28–34 12,34 12,42 12,44 13 13,1–37 13,2 13,3 13,3–37 13,5 13,6–23 13,9 13,9–13 13,10 13,11–13 13,14 13,21 13,24 f 13,26 f 13,32 13,37 14 f 14–16 14,1 14,1 f 14,1–16,8 14,3 14,3–9 14,7 14,8 14,9 14,10 f 14,12 14,12–16 14,12–25 14,14–16 14,15–26 14,17–15,41 14,18–21 14,18–26 14,22–24 14,24 14,24 f 14,25 14,26 14,27

129 145 102.108 83.210 79 9.30.71.85.130 131.169.189 83 f.111.189 84 99.206 84 84 213 11 78.98.101.130.135.165 212 f 78.83–85.198.208.217 84 82 84 100.111.145.189 119 122 f.132 70.115 82.119 110.129.155 107 10.145 155.186 130 130 78.98.101.130.135.165 110.169 82.119 113.189 123 102 83 119 130 206 70 f 130.164 82 108.130 189 108

252 14,28 14,30 14,30 f 14,32 14,32–43 14,34 14,35 f 14,36 14,43–51 14,43–52 14,47 14,49 14,50 14,51 f 14,53–65 14,55–59 14,56–59 14,58 14,60–65 14,61 14,61 f 14,62 14,65 14,66–72 14,68 14,72 15,1 15,1–5 15,1–14 15,1–20 15,1–41 15,2 15,5 15,7 15,9 15,11 15,12 15,13 f 15,16–20 15,21 15,21–41 15,22 15,23 15,24 15,24–28 15,25 15,26

Stellenregister

107.113.130.165.186.213 102.214 130 82 172.184.206 82.183 99.122.130.176 180.189.192 155 110.148 100 72 213 100 121 185 156 206 156 100.148 213 82.102.130.192 122 206.213 12 12.214 119 180 145 83.108 110 111.155.194 148 100 111.155.194 110 155 110 101.122.215 100 121.132.150 83 121 82 83 120.123.206 72.155.182.216

15,27–29 15,29 15,29–32 15,32 15,33 15,33 f 15,34 15,35 15,36 15,37 15,38 15,39 15,40 15,40 f 15,41 15,42 15,42–46 15,42–47 15,43 15,47 15,47–16,1 15,61 16,1 16,1 f 16,1–8 16,5 16,5 f 16,7 16,8

206 82 122 155 102.120.157.206 123 82 f.121 f.156.189 180 82.121 121.156 102.111.157.216 83.100 f.106.145.157.194 206 10 186 82.119 157.160 169 108 119 157 185 10 119.206 35.115.150.159 f.164.174. 180.201 100 102 113.130.159.165.186.213 99.159

Lk 1f 1,1 2,25 3,1 3,16 7,36–50 24,19

30.47 136 110 18.107 70 47 47

Joh 1,1–5 1,6–34 6–11

30 30 30

Act 1,1

47

253

Stellenregister

7,22 10,36–43 11,19 f 12,12 12,25 15,37 15,39 17,32

47 23 209 208 208 208 208 96

Kol 4,10

208

2Tim 4,11

208

Phlm 24

208

Röm 15,19 16,13

110 100

1Ptr 4,15 5,13

213 208

1Kor 11,23–25 15,3 f 15,3–9

1.70 70 1

Apk 17,9

208

Altkirchliche Schriften Euseb, HE 2,25 3,39 3,39 6,14

212 208 208 208

Justin Dial. 100,4

2

Justin 1Apol 66,3 2 67,3 2

Griechisch-Römische Literatur Aischyl. frgm. 201 140

Hom. Il. 14,86

Aristot. Ath. pol. 28,5 140

Nepos, Pelopidas 1 58

Cass. Dio 66,8 66,12

Paus. 6,6,4–11

34

Diog. Laert. 1,101–103 34 2,6 35

Plin. epist. 3,11 7,19 10,96

219 218 f 11.212.217

Dion. Hal. ant. 4,61,2 216

Plut. Apophthegmata Laconica 2 (mor. 230 f) 193

191.215 218

140

254

Stellenregister

69 (mor. 234de)

91

Plut. Coniugalia Praecepta 19 (mor. 140d) 64 Plut. De curiositate 15 (mor. 522e) 219 Plut. Praecepta gerendae reipublicae 4 (mor. 800b) 70 Plut. Regum et imperatorum apophthegmata 1 (mor. 184 f–185a) 70 Plut. De sera numinis vindicta 22–33 (mor. 563b–568a) 131 Plut. Aemilius 1 36.67.74–76.80.115.129.140 2 93 35 110.151 Plut. Agesilaos 29 152 35–40 152 Plut. Agis 1 3 4 5 6–12 10 13 18–20 19 f

140 129 93 192 148 195 148 148 156

Plut. Alexandros 1 7.36.58.73.75 f.133 1f 134 2f 96.129.137 2–8 135 3 147 4 181 7f 141 9 104

11 11–76 13 23 27 27 f 28 31 33 45 46 47 50 51 f 59 60 62 69–74 72 73 f 75 f

126 104 126 187 157 97 147 80 147 104 97 104 126 184 104 126 104 130 184 104 105.151

Plut. Alkibiades 1–13 68 2 169–171.178 2f 93 2–15 128 4 141.169 4f 178 5 179 6f 141 8 178 f 10 143.179 13 f 91 15 167.169 17 124 19 170 22 169 23 125 24 f 125 25 89 25 f 171 26 91.178 28 92 31 125 32 f 124 33 169

255

Stellenregister

34 34–39 37 38 39

109.124 153 175 179 153

Plut. Antonius 1 129 2 105.141 Plut. Aratos 1 134.140 Plut. Aristeides 1 72 1–5 143 26 120 27 157 Plut. Artoxerxes 1f 93 4 139 Plut. Brutus 1 9 13 31 36

137 f 137 68 75 154

Plut. Camillus 1 73 6 94 Plut. Crassus 31 105 Plut. Cäsar 1 1–3 3 3f 3–5 4 4–14 6 11 f

142 35 91.105 143 204 90 35 195 204

15 15–17 15–26 15–27 16 16–56 23 28 32 36 50 52 54 60 60–66 63 63–66 63–69 66 69 73

128.204 150 74 77 128 204 128 193 204 217 183 128 68 155 204 112.155 122 35 94.151.153 94.146.157 131

Plut. Cato mai. 1f 104 3 143 3–9 128 4 182 9 68 20 112 20 f 128 23 68 27 131 Plut. Cato min. 1 138.146.204 2 188.205 2f 130.154 3 93.141.174 4 105.143.205 5 127.146.205 6 182.205 8 105.205 f 8–30 152 9 113.186 f 9–15 205 10 184 11 98.184.205

256 12 12–15 15 16 16–30 17 18 19 20 22 23 24 24 f 25 26 f 26–29 27 27 f 31 31–52 33 35 35–39 36 36 f 36–39 42 44 44 f 49 50 51 52 52–70 52–73 53 56 58–70 59 64 64–66 66 67 67 f 68 68–70 69

Stellenregister

113.196.205 f 105 93 92.195 128 187 92 194.205 92.192 117.195 87.184 73 f 128 68 161 147 89.205 168 127 152 147.189 189 205 217 68.98 104 147.189 193.195 147 189.195 188 190 109.147.189.206 105 206 155.184 184 123 170.206 155.187 206 146 123.155 184.206 89.92.187 153.155 161

70 71 72 73

92.123.156.206 98.157 157 161.181

Plut. Cicero 1 3 29 42–48 46 46–49 48 49

129.137 143 80 121 155 153 161 93

Plut. Crassus 1–3 142 6 143 32 161 Plut. Demetrios 1 178 Plut. Demosthenes 1 80 f 2 66.69.210 3 156.160.188 4 137 5 146 13 73 15 181 20 160.188 21 91 23 160.188 25 175.187 26–29 120 28–30 153.161 29 121.156.188 30 88.91.156 31 124.161 Plut. Dion 1 2 3f 9 55

80 154 141 92 93.154

257

Stellenregister

57 58

153 161

Plut. Fabius Maximus 1 75.93.129.137.146 25 151 Plut. Gaius Gracchus 22(1) 154 34(13)–38(17) 38(17) 158 Plut. Gaius Marcius (Coriolan) 1 129 16 170 35 f 170 37 94 38 95.190 39 153 Plut. Galba 2

76

Plut. Kimon 1f 1–4 2 5 19

66 134 90.187 143 157.159

Plut. Kleomenes 34(13) 194 52(31) 169 58(37) 105 59(38) 156 60(39) 162 69(39) 157

Plut. Lucullus 1 135.141 1–5 143 23 93 33 152 37 f 110

123

Plut. Lykurgos 1 75 4 74.105 6–28 104 8 74 11 110 29 105.151 29 f 131 30 f 161 31 35.73 Plut. Lysandros 2 93 25 f 95 28 f 151 Plut. Marcellus 1 137 f.140 29 151 Plut. Marius 2 73.98 3 104.138 Plut. Nikias 1 2 3 9 9–11 10 f 12–14 13 15–19 20–28 26

68 f.73 f.77 137.140 98.194 95.117.194 152 91 152 183 152 152 147.194

Plut. Numa 2 3 4 5 7–20 15 23

162 34.138.186 f 95 f.104.106 138.181 104 190 73.185

258

Stellenregister

Plut. Pelopidas 2 154 3f 141 32 151

Plut. Pyrrhus 1 129 3 191 29 176

Plut. Perikles 3 5f 7 8–10 12 f 13 15 15–19 34–38 39

Plut. Romulus 1–3 129 2 137 4 137 6 93 9–12 102 13 104 22 104 26 151 27 f 162 27–29 95 f 28 131

146 141 146 104 102 110 f 193 150 151 178

Plut. Phokion 3 98 5 88.128 9 193 10 193 16 169 17 f 186 33 f 121 34 156 34–36 156 36 122.156.185 37 158 38 161 Plut. Pompeius 1 140 2 139 6 143 37 f 110 46 152 62 117 77 f 155 78 156 80 158 Plut. Poplicola 1 73 23 157

Plut. Sertorius 1 177 2 93 25–27 147 26 f 153 Plut. Sulla 1 16

138 66

Plut. Solon 2 9 27 29–31

105.182 110 89 151

Plut. Themistokles 2f 146 3 69 4 143 23–31 153 31 105 32 161 Plut. Theseus 1 76 f.80.90.118.132 1–3 140 1–6 115 2 138

259

Stellenregister

3 3–5 3–7 6f 8–12 12 12 f 15 17 19 f 22 24 31 35 36

129 104 118 70.105.138.146 118 118 147 119 98 118 119.183 118 119.181 105.118.151.161 161

Plut. Tiberius Gracchus 1 75 1f 93 4 142 16–19 122 Plut. Timoleon 3 93.138.146 5 106 6 192 8 105.146 12 f 94 36 146 37 f 151 Pol. 10,12 10,21

58 58

Suet. Augustus 9 56 Suet. Caligula 32 72

Suet. Domitian 10 218 Suet. Nero 16,2

212

Suet. Titus 6f

216

Suet. Vespasian 1 214 4 216 6 215 7 191.215 15 218.220 16 214 Tac. Agr. 2

218

Tac. ann. 15,44 16,21 f 16,22

212 218 219

Tac. hist. 2,1 4,81

214 215

Thuk. 8,82 8,88

91 91

Val. Max. 2,1,2

219

Vell. 2,6

35